Lehrbuch der anorganischen Chemie [37.-39., sorgf. durchges. und verb. Aufl. Reprint 2018] 9783111510316, 9783111142661


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Aus dem Vorwort zur 22. und 23. Auflage
Aus dem Vorwort zur 26. und 27. Auflage
Aus dem Vorwort zur 28. und 29. Auflage
Aus dem Vorwort zur 32. und 33. Auflage
Aus dem Vorwort zur 34.—36. Auflage
Vorwort zur 37.—39. Auflage
Inhalt
Einleitung
Atom und Molekül
Kapitel I. Der reine Stoff
Kapitel II. Atom- und Molekularlehre
Kapitel III. Atom- und Molekulargewichtsbestimmung
Kapitel IV. Das Wasser und seine Bestandteile
Kapitel V. Die Luft und ihre Bestandteile
Kapitel VI. Das Periodensystem der Elemente
Hauptgruppen des Perlodensystems
Kapitel VII. Die Gruppe der Edelgase
Kapitel VIII. Die Gruppe der Halogene
Kapitel IX. Die Elektronentheorie der Valenz
Kapitel X. Die Gruppe der Chalkogene
Kapitel XI. Die Stickstoffgruppe
Kapitel XII. Die Kohlenstoffgruppe
Kapitel XIII. Die Borgruppe
Kapitel XIV. Die Gruppe der Erdalkalimetalle
Kapitel XV. Die Gruppe der Alkalimetalle
Nebengrnppen des Periodensystems
Kapitel XVI. Das Periodensystem der Elemente (II. Teil)
Kapitel XVII. Die Kupfergruppe
Kapitel XVIII. Die Zinkgruppe
Kapitel XIX. Die Gruppe der seltenen Erdmetalle
Kapitel XX . Die Titangruppe
Kapitel XXI . Die Vanadingruppe
Kapitel XXII . Die Chromgruppe
Kapitel XXIII . Die Mangangruppe
Kapitel XXIV. Die Eisengruppe
Kapitel XXV. Die Gruppe der Platinmetalle
Kapitel XXVI. Die natürliche Elementumwandlung
Kapitel XXVII. Die künstliche Elementumwandlung
Register
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Lehrbuch der anorganischen Chemie [37.-39., sorgf. durchges. und verb. Aufl. Reprint 2018]
 9783111510316, 9783111142661

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HOLLEMAN/WIBERG

ANORGANISCHE CHEMIE

LEHRBUCH DER ANORGANISCHEN CHEMIE Begründet von

A. F. HOLLE MAN f

37.—39., sorgfältig durchgesehene und verbesserte Auflage von P R O F . DR.

EGON WIBERG

Direktor des Instituts für Anorganische Chemie der Universität München

Mit 166 Figuren

WALTER

D E G R U Y T E R & CO.

vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer Karl J. Trübner • Veit & Comp.

BERLIN

1956

© Alle Hechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung vorbehalten-Copyright 1956 by WALTER DE G R U Y T E R & CO., vormals G. J . GÖschensche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp, B E R L I N W 35 - Archiv-Nr. 52 31 56 - Printed in Germany — Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 — Druck : Buchdruckerei Franz Spiller, Berlin SO 30

Aus dem Vorwort zur 22. und 23. Auflage Als der Verlag mit der Bitte an mich herantrat, die Bearbeitung der neuen Auflage des „ L e h r b u c h s der a n o r g a n i s c h e n C h e m i e " von A. F. H O L L E M A N ZU übernehmen, war ich mir darüber im klaren, daß nur durch eine grundlegende N e u p l a n u n g und U m g e s t a l t u n g des bei den vorhergehenden Auflagen schon mehrfach ergänzten und verbesserten Stoffes wieder ein modernes Werk von i n n e r e r G e s c h l o s s e n h e i t und e i n h e i t l i c h e m Guß zu schaffen war. Dementsprechend habe ich mich nicht mit einer bloßen Ü b e r a r b e i t u n g des Buches begnügt, sondern den enthaltenen Lehrstoff im Geiste des ursprünglichen „Holleman" auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse v ö l l i g neu g e s c h r i e b e n und u m g e s t a l t e t , so daß ein ganz neues W e r k entstanden ist. Dies konnte insofern verantwortet werden, als das neue Buch nicht die Zahl der übrigen Lehrbücher für anorganische Chemie vermehrt, sondern an die S t e l l e eines dieser Bücher tritt. Bei der Niederschrift des Lehrbuches ließ ich mich im einzelnen von folgenden Gedankengängen leiten: 1. Die vielfältigen Probleme der Gegenwart stellen an die Ausbildung des chemischen Nachwuchses h ö c h s t e A n f o r d e r u n g e n . Diese Anforderungen werden nach Beendigung des Krieges mit Sicherheit noch erheblich w e i t e r g e s t e i g e r t werden müssen. Es wäre daher v e r h ä n g n i s v o l l , wenn man von der Seite der Lehrbücher her der zeitgemäß bedingten, vielfach unzureichenden naturwissenschaftlichen Vorbildung de3 studentischen Nachwuchses durch H e r a b s e t z u n g des L e h r b u c h n i v e a u s entgegenkommen wollte. Ganz bewußt wurde dementsprechend davon abgesehen, ein „ l e i c h t e s " Buch zu schreiben, und im Gegenteil eine i n t e n s i v e und a u f g e s c h l o s s e n e M i t a r b e i t des Lesers vorausgesetzt. Dies um so mehr, als es sich bei dem vorliegenden Werk zwar um ein A n f ä n g e r - L e h r b u c h , aber um ein solches für H o c h s c h u l e n und nicht für M i t t e l s c h u l e n handelt, und als von den Studenten, die sich der Chemie verschrieben haben, eine besondere Veranlagung und Aufgeschlossen heit für die Probleme der Chemie vorausgesetzt werden kann und muß. Es schadet gar nichts, wenn der Chemiestudierende diese und jene Stelle des Buches zwei oder gar mehrere Male durchdenken oder sich mit diesem und jenem Kapitel etwas „abquälen" muß. Denn ein Lehrbuch soll ja dem Leser das D e n k e n n i c h t a b n e h m e n , sondern ihn im Gegenteil dazu a n r e g e n , und erfahrungsgemäß wird gerade jenes Wissen meist zum festen Besitz, das in heißem Bemühen errungen wurde. Es ist dabei vielleicht nicht unnötig zu betonen, daß auf eine s t r e n g l o g i s c h e , k l a r e und a n s c h a u l i c h e E n t w i c k l u n g aller Begriffe und Tatsachen größter Wert gelegt wurde und c h e m i s c h e V o r k e n n t n i s s e n i c h t v o r a u s g e s e t z t sind. Der Lehrstoff selbst entspricht im großen und ganzen den Anforderungen, die an der Münchener Universität bereits im anorganisch-chemischen D i p l o m - V o r e x a m e n gestellt werden. 2. Zur erfolgreichen Ausbildung eines Chemikers an einer Hochschule gehören V o r l e s u n g , L a b o r a t o r i u m und L e h r b u c h . Diese drei Ausbildungsformen bilden eine D r e i - e i n h e i t und sollen sich gegenseitig nicht e r s e t z e n , sondern e r g ä n z e n . Dem-

VI

Vorwort

entsprechend werden die drei Wege zu dem gemeinsamen Ziel zweckmäßig zwar aufeinander abgestimmt, aber doch voneinander verschieden gestaltet. Ein Lehrbuch darf somit nicht vom Standpunkt einer Vorlesung oder eines P r a k t i kums aus beurteilt werden und umgekehrt. Hauptziel eines L e h r b u c h s ist die Herausarbeitung von Zusammenhängen, die das in Vorlesung und Praktikum Erarbeitete unter gemeinsamem Gesichtspunkt erkennen und verstehen lassen. Deshalb wurde im vorliegenden Buch Wert darauf gelegt, Zusammengehörendes auch im Zusammenhang darzubringen. So werden beispielsweise die zur Aufstellung des Atom- und Molekülbegriffs führenden Gesetze und Erkenntnisse nicht wie in den meisten Lehrbüchern der anorganischen Chemie in den Gesamtstoff eingestreut und so im Gedankengang zerrissen, sondern in geschlossener Darstellung (S. 3—30) behandelt. Ebenso werden z . B . alle mit dem Problem des chemischen Gleichgewichts (S. 100—120), der E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz (S. 135—162) oder der Oxydation und R e d u k t i o n (S. 163—176) zusammenhängenden Fragen geschlossen dargestellt, auch auf die Gefahr hin, daß der Anfänger beim erstmaligen Durcharbeiten notgedrungen manches als noch schwerverständlich überschlagen muß. Das Lehrbuch bietet ja zum Unterschied von der freien Vorlesung jederzeit die Möglichkeit des Vor- und R ü c k b l ä t t e r n s , so daß Stellen, die beim ersten Male nicht ganz „verdaut" wurden, später — nach Vertiefung der Kenntnisse — mit größerem Erfolg nochmals e r a r b e i t e t werden können. Die hier gewählte geschlossene Darstellung der Hauptfragen zwingt dabei den Benutzer, das gerade in Frage stehende Problem wieder im Zusammenhang des übergeordneten P r o b l e m s und nicht als losgelöstes Einzelproblem zu betrachten. 3. Die V a l e n z s t r i c h f o r m e l n haben sich in der anorganischen Chemie als weitgehend unzulänglich, ja vielfach geradezu als falsch und irreführend erwiesen. Trotzdem bedienen sich weitaus die meisten anorganischen Lehrbücher nach wie vor dieses Hilfsmittels. Demgegenüber sind neuere Lehrbücher der anorganischen Chemie in das andere E x t r e m verfallen, die Valenzstrichformeln völlig auszuschalten, ohne an ihre S t e l l e etwas Gleichwertiges oder Besseres zu setzen. Das vorliegende Lehrbuch ist erstmals völlig auf der Grundlage der modernen E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz aufgebaut, deren Folgerungen bezüglich der chemischen Bindung und der Elektronenformeln schon verhältnismäßig früh in einem Sonderkapitel (S. 145—162) in einer für den Anfänger geeigneten Weise entwickelt werden. Auf diese Weise wird der Student frühzeitig in die Denkweise der E l e k t r o n e n t h e o r i e eingeführt und vor Denkfehlern (z. B. bezüglich der Doppelbindung) bewahrt, die erfahrungsgemäß später nur schwer und mühevoll wieder auszurotten sind. Auch in der Frage des Periodensystems der Elemente weicht das vorliegende Buch etwas vom Herkömmlichen ab. Zweifellos ermöglicht das Periodensystem eine didaktisch klare und einprägsame Anordnung des anorganischen Wissensstoffes. Es sollte daher an möglichst früher Stelle eines Anfängerlehrbuchs entwickelt werden. Dem steht aber die etwas schwierige Ableitung der gebräuchlichen Kurz- und Langperioden-Form des Systems entgegen, so daß das Periodensystem in den meisten anorganischen Lehrbüchern erst an verhältnismäßig später Stelle erscheint. Im

Vorwort

VII

vorliegenden Lehrbuch wird erstmals von dem — viel zu wenig bekannten und angewandten — g e k ü r z t e n P e r i o d e n s y s t e m der E l e m e n t e Gebrauch gemacht, das infolge seiner K l a r h e i t und Ü b e r s i c h t l i c h k e i t bereits s e h r f r ü h (S. 66—69) abgeleitet werden kann, den Zusammenhang mit dem A t o m b a u für den Anfänger viel l e i c h t e r und e i n l e u c h t e n d e r darstellen läßt (S. 135—140) und später zwanglos zu den bekannten Formen (S. 439—449) bzw. einer neuartigen, leistungsfähigen Form (s. Schlußtafel) des G e s a m t p e r i o d e n s y s t e m s der Elemente e r g ä n z t werden kann. 4. Die Kenntnis der Grundlagen und die Möglichkeit der Anwendung p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e r H i l f s m e t h o d e n gehören heute zu dem u n e r l ä ß l i c h e n R ü s t zeug e i n e s m o d e r n e n A n o r g a n i k e r s . Daher sind Methoden wie der R A M A N E f f e k t (S. 313—318), die M a g n e t o c h e m i e (S. 491—500) usw. im vorliegenden Lehrbuch gebührend berücksichtigt worden. Stets wurde dabei das betreffende Problem nicht vom Standpunkt des P h y s i k o c h e m i k e r s oder P h y s i k e r s , sondern vom Standpunkt des A n o r g a n i k e r s aus betrachtet, der sich vornehmlich dafür interessiert, was diese Methoden zu l e i s t e n v e r m ö g e n . Auch sonst wurde Wert darauf gelegt, in zusammenfassenden Darstellungen den Leser, soweit dies in einem Anfängerlehrbuch möglich ist, mit den m o d e r n e n P r o b l e m e n der a n o r g a n i s c h e n C h e m i e — wie z. B . dem a k t i v e n Z u s t a n d der f e s t e n M a t e r i e (S. 391—397), der S i l i c a t s t r u k t u r (S. 325—330), dem A t o m b a u (S. 135—145, S. 555—565), der natürlichen und künstlichen E l e m e n t u m w a n d l u n g (S. 566—610) usw. — vertraut zu machen. Daneben wurden die t e c h n i s c h e n V e r f a h r e n der c h e m i s c h e n I n d u s t r i e nirgends vernachlässigt, sondern in aller A u s f ü h r l i c h k e i t — vgl. z. B . die Schwefelsäuredarstellung (S. 205—208), die Ammoniaksynthese (S. 224—227), die Aluminiumerzeugung (S. 379—383), die Natronlaugegewinnung (S. 423—425), den Hochofenprozeß (S. 527—533) usw. — behandelt, um dem Leser den Blick auch für diese Fragen zu öffnen und ihn zu weiterem Buchstudium anzuregen. 5. Eine gute A b b i l d u n g besagt oft mehr als eine ganze Seite Text. Daher wurde besonderer Wert auf eine r e i c h e A u s s t a t t u n g des vorliegenden Buches mit didaktisch klarem und einprägsamem B i l d m a t e r i a l gelegt. So sind nahezu alle 154 Abbildungen neu e n t w o r f e n und g e z e i c h n e t worden. Dem gleichen Ziel der größeren didaktischen Übersichtlichkeit dient die d r u c k t e c h n i s c h e A n o r d n u n g des Lehrstoffs, indem durch vielseitige Anwendung von Fett-, Sperr-, Schräg- und Kleindruck das W e s e n t l i c h e gegenüber dem weniger Wesentlichen hervorgehoben und B l i c k p u n k t e für eine leichtere Orientierung innerhalb des Buches geschaffen wurden. Ebenso soll die bei verschiedenen Verbindungsklassen angewandte neuartige S y s t e m a t i k (vgl. z . B . S. 202— 203, S.263—265) zur leichteren gedächtnismäßigen Einprägung des Lehrstoffs beitragen. So ist, hoffe ich, ein Anfängerlehrbuch entstanden, das in vielen Einzelheiten vom Herkömmlichen abweicht und das auf verhältnismäßig begrenztem Raum einen umfangreichen Wissensstoff in weitgehend vollständiger, moderner und didaktisch abgewogener Darstellung vermittelt. Herzlichen Dank schulde ich meiner lieben Frau für ihre wertvolle Mitarbeit bei der Anfertigung des umfangreichen Registers. M ü n c h e n , im November 1942.

Egon Wiberg

VIII

Aus dem Vorwort zur 26. und 27. Auflage 1. Die in den vorhergehenden Auflagen bisher zu kurz gekommene Behandlung von M o l e k u l a r - und G i t t e r s t r u k t u r e n fand jetzt eingehendere Berücksichtigung. Hingewiesen sei etwa auf neu hinzugekommene Angaben über die Struktur von E l e m e n t e n ( z . B . Selen: S. 218; Tellur: S. 221; Phosphor: S. 253, 255; Arsen: S. 276; Antimon: S. 283; Wismut: S. 288; Germanium: S. 348; Zinn: S. 352), W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (z. B . Borwasserstoffe und Derivate: S. 367ff.; Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 387f.; Germanium Wasserstoffe: S. 350), H a l o g e n v e r b i n d u n g e n ( z . B . Phosphornitrilchloride: S. 273f.; Kohlenstoffmonofluorid: S. 297; Aluminiumchlorid: S. 389; Siliciummonohalogenide: S. 322), S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n ( z . B . Selendioxyd: S. 220; Phosphor-tri- und -pentoxyd: S. 261, 262; Metaphosphimsäuren: S. 274; Arsentrioxyd: S. 279; Antimontrioxyde: S. 286; Silicate und Siliciumdioxyd: S. 325 ff.; Borsäure und Borate: S.374ff.; Aluminate: S.385f.), S c h w e f e l - u n d S t i c k S t o f f v e r b i n d u n g e n ( z . B . Schwefelstickstoff und Derivate: S. 247f., Borstickstoff: S. 377; Zinksulfid: S. 476) und vieles andere mehr. Dabei wurde Wert darauf gelegt, auch auf Zusammenhänge zwischen den Gittertypen hinzuweisen (z. B . S. 295) und die Gitter-Strukturen nicht vom Standpunkte des K r i s t a l l o g r a p h e n , also in Form von E l e m e n t a r z e l l e n wiederzugeben, sondern die Elementarzellen, dem Bedürfnis des C h e m i k e r s entsprechend, in Valenzstrukturbilder umzuzeichnen (vgl. etwa die Abbildungen 87 und 92). 2. Die erstaunlichen Fortschritte der amerikanischen Forschung auf dem Gebiet der k ü n s t l i c h e n E l e m e n t u m w a n d l u n g machten eine weitgehende Umgestaltung und Neufassung vieler Abschnitte und Kapitel erforderlich. So wurden die s y n t h e t i s c h e n E l e m e n t e Technetium (S. 597f.), Promethium (S. 598f.), Astatium (S. 599f.), Francium (S. 600), Neptunium (S. 601 f.), Plutonium (S. 596, 604 f.), Americium (S. 605), Curium (S. 606), Berkelium (S. 607) und Californium (S. 607) eingehend besprochen und an allen notwendigen Stellen im Text berücksichtigt. Die Grundlagen der K e r n z e r s p l i t t e r u n g (S. 591) und K e r n s p a l t u n g (S. 591 ff.), der g e s t e u e r t e n (S. 593ff.) und u n g e s t e u e r t e n K e r n - K e t t e n r e a k t i o n (S. 597) und der damit zusammenhängenden Fragen des U r a n - (S. 593ff.) und P l u t o n i u m - P i l e s (S. 596), der A t o m k r a f t a n l a g e (S. 595), A t o m b o m b e (S. 597) usw. fanden ebenso Berücksichtigung wie etwa die Einordnung der A c t i n i d e n in das P e r i o d e n s y s t e m (S. 448f.), die Ergebnisse der modernen M e s o n e n f o r s c h u n g (S. 579f., 609f.), die Wirkungsweise des C y c l o t r o n s (S. 581 f.), der K - E i n f a n g (S. 589), die Bedeutung der künstlichen r a d i o a k t i v e n I n d i k a t o r e n (S. 590), die künstliche radioaktive Z e r f a l l s r e i h e (S. 601), die Analogien zwischen L a n t h a n i d e n und A c t i n i d e n (S. 606) oder die Fortschritte auf dem Gebiete der U m w a n d l u n g v o n E n e r g i e i n M a s s e

Vorwort

IX

(S. 609f.). Hierbei wurde darauf geachtet, den Bericht durch Einfügung neuer Abbildungen (vgl. etwa Abb. 158, 161, 162, 163, 164, 165) und neuer Tabellen (vgl. etwa S. 448, S. 602 603) zu ergänzen, wie allgemein auch alle übrigen tabellarischen Zusammenstellungen samt zugehörigem Text (vgl. etwa S. 27, 67, 68, 137, 321, 440, 442, 443, 444, 447, 448, 556, 559, 568, Klapptafel des Periodensystems) dem neuen Stand der Forschung angepaßt wurden. 3. Die Ergebnisse wichtiger neuer präparativer und systematischer anorganischer Forschungsarbeiten wurden neu aufgenommen oder in den Text eingearbeitet. Erwähnt seien etwa eine Reihe von Verbindungen des S c h w e f e l s (PolyschwefelWasserstoffe: S. 195f.; Sulfoxylsäure: S. 213f.; Schwefelstickstoff und Derivate: S. 247f.; Kobaltund Nickelsulfide: S. 539f., 542), des P h o s p h o r s (schwarzer Phosphor: S . 2 5 4 f . ; Phosphornitrilchloride und Derivate: S. 273f.), des S i l i c i u m s (Silicone: S. 331 f.; hochmolekulare Siliciumhalogenide: S. 321 f.), des B o r s (völlige Neufassung des Kapitels über Borwasserstoffe und Borwasserstoffderivate: S. 367ff.; Oxy-fluoborsäuren: S. 373; Borazol: S. 377f.), des A l u m i n i u m s (Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 387f.; Alumínate: S. 385f.), der Ü b e r g a n g s e l e m e n t e (Mangan(V)verbindungen: S. 523, 524; Nitrosylprussiate: S. 548; Metallisonitrile: S. 549) oder Fortschritte auf dem Gebiete der H y d r i d e (Wasserstoffverbindungen des Germaniums: S. 350, Berylliums: S.402, Zinks: S.475; Aluminium-bor-Wasserstoff: S. 388; Berylliumbor-Wasserstoff: S. 370, 402; Lithium-aluminium-Wasserstoff: S. 388 usw.). Hinzu kamen zahlreiche weitere Änderungen und Ergänzungen verschiedenen Inhalts, wie die Einfügung eines weiteren anschaulichen Z a h l e n b e i s p i e l s über die Kleinheit der Atome und Moleküle (S. 30), die Einfügung einer zweiten Ableitung für den o s m o t i s c h e n D r u c k (S. 55), die Erweiterung des Abschnitts über die V e r b r e i t u n g d e r E l e m e n t e durch eine Tabelle der Häufigkeiten in A t o m p r o z e n t e n (S. 69), die Abänderung der Angaben über die A s s o z i a t i o n d e s F l u o r w a s s e r s t o f f s (S. 97), die Einfügung von Daten über die S t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t v o n E l e k t r o n e n in metallischen Leitern (S. 155), die Erweiterung desKapitels über D u r c h d r i n g u n g s k o m p l e x e (S. 160f.), die exaktere Fassung des Begriffs der „ E i n e l e k t r o n e n b i n d u n g " (S. 197), die Einführung des Begriffs der A t o m b r ü c k e n b i n d u n g (Kationbrücken: S. 197, 223, 367; Anionbrücken: S. 367ff., 387f., 389), die Einfügung einer S y s t e m a t i k der Sauerstoffsäuren und Oxyde des S t i c k s t o f f s (S. 223), die Erörterung des Begriffs der I s o s t e r i e (z.B. S. 235, 246, 308, 372, 373, 377, 378), die Vermehrung der Hinweise auf die Bedeutung der D o p p e l b i n d u n g s r e g e l (z. B. S. 199, 251, 253, 261, 273f., 286, 326, 331, 350), die Einfügung von V a l e n z s t r i c h f o r m e l n für eine Reihe von K i e s e l s ä u r e n (S. 327, 328), die teilweise Neufassung des Abschnitts über das P e r i o d e n s y s t e m d e r L a n t h a n i d e n (S. 447f.), die Vermehrung der Angaben über p h y s i k a l i s c h e E i g e n s c h a f t e n d e r L a n t h a n i d e n (z.B. Atomgewichte: S. 484, Schmelzpunkte: S. 489, Dichten: S. 489, Ionenfarben: S. 490), die Erweiterung der Angaben über U r a n v e r b i n d u n g e n (S. 520) und viele weitere Änderungen kleineren Umfangs, die nicht im einzelnen aufgezählt werden können.

X

Vorwort

4. In Anbetracht der schon im ersten Vorwort betonten Bedeutung anschaulicher Abbildungen für das Verständnis wissenschaftlicher Fragen wurde ihre Anzahl weiter vermehrt. So kamen neu hinzu die Abbildungen 30 (Zustandekommen des osmotischen Drucks), 86 (Räumliche Molekularformel des weißen Phosphors P 4 ), 87 (Gitterstruktur des schwarzen Phosphors P^, ), 89 (Räumliche Molekularformel des Phosphortrioxyds (P 2 0 3 ) 2 ), 92 (Gitterstruktur des metallischen Arsens A s ^ ) , 97 (Molekularstruktur des Kohlenstoffmonofluorids (CF)^), 114 (Schema des Bleiakkumulators), 158 (Wirkungsweise des Cyclotrons), 161 (Schema der Uranspaltung), 162 (Ausbeuten der Uranspaltung), 163 (Uran-Pile), 164 (Schema der gesteuerten Kern-Kettenreaktion), 165 (Schema der ungesteuerten Kern-Kettenreaktion). Trotz dieser umfangreichen Vermehrung des Wissensstoffes, die auch in der Erweiterung des Registers um mehrere tausend Stichworte und in der starken Vermehrung der Zahl der Seitenhinweise innerhalb des Textes zum Ausdruck kommt, konnte durch Streichung entbehrlicher und überholter Abschnitte der Zuwachs des äußeren Umfangs auf 56 Seiten (42 Seiten Text, 14 Seiten Register) begrenzt werden. M ü n c h e n , im Januar 1951. Egon Wiberg

Aus dem Vorwort zur 28. und 29. Auflage Die starke Nachfrage nach dem vorliegenden Lehrbuch machte schon kurz nach Erscheinen der letzten Doppelauflage die Vorbereitung einer neuen Doppelauflage erforderlich. Trotz der Kürze der für die Überarbeitung zur Verfügung stehenden Zeit wurden auch dieses Mal zahlreiche Ergänzungen und Umänderungen vorgenommen. Sie betreffen namentlich das Gebiet der Hydride und Mischhydride, auf dem in letzter Zeit zahlreiche Fortschritte erzielt werden konnten. So wurden u. a. neu aufgenommen: Der B e r y l l i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f BeH 2 • 2A1H3 (S. 402), der M a g n e s i u m w a s s e r s t o f f MgH 2 und seine Mischhydride mit Bor- und Aluminiumwasserstoff, MgH 2 • 2BH 3 bzw. MgH 2 • 2A1H3 (S. 404f.), der G a l l i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f GaH 3 • 3A1H3 (S. 398), der I n d i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f I n H 3 • 3A1H3 (S. 398), der T h a l l i u m - g a l l i u m - w a s s e r s t o f f T1H3 • 3GaH 3 (S. 399), der Z i n n a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f SnH 4 • 4A1H3 (S. 355) und der T i t a n - a l u m i n i u m w a s s e r s t o f f TiH 4 • 4A1H3 (S. 502). Modernisiert und erweitert wurden die Abschnitte über die Darstellung von B o r w a s s e r s t o f f e n (S. 368), S i l i c i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 319), G e r m a n i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 350) und Z i n k w a s s e r s t o f f (S. 475), nachdem in der Einwirkung von L i t h i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f LiAlH 4 (S.388) auf Metallchloride eine neue, vorteilhafte Methode zur Darstellung von Hydriden und Mischhydriden vorliegt. Eine neue Fassung erhielten die Abschnitte über das S c h w e f e l m o n o x y d (S. 201), die D i s p r o p o r t i o n i e r u n g u n d Z e r s e t z u n g d e s H y d r o x y l a m i n s (S. 244f.) und die E n t h ä r t u n g d e s W a s s e r s (S. 410). Die A c t i n i d e n n a t u r d e s U r a n s wurde ausführlicher begründet (S. 520). Darüber hinaus finden sich an zahlreichen anderen Stellen Erweiterungen und Ergänzungen, wie etwa über die

Vorwort

XI

n a t ü r l i c h e R a d i o a k t i v i t ä t des I n d i u m s (S. 569), die E l e m e n t u m w a n d l u n g m i t K o h l e n s t o f f k e r n e n (S. 581, 607), die R a d i o a k t i v i t ä t des N e u t r o n s (S. 585), die P e r i o d i z i t ä t der A c t i n i d e n (S. 606) oder A u s n a h m e n der MATTAUOHschen R e g e l (S. 558). Weiterhin wurde der Text sorgfältig auf Druckfehler und mißverständliche Formulierungen geprüft und an manchen Stellen (z. B. bezüglich der Anregung von Freiheitsgraden der Rotation, S. 77f.) berichtigt. M ü n c h e n , im Oktober 1951.

Egon Wiberg

Aus dem Vorwort zur 32. und 33. Auflage Auch die vorliegende neue Auflage ist an vielen Stellen verbessert und erweitert worden, soweit dies ohne Umbruch des gesamten Satzes möglich war. So wurde, um nur einiges herauszugreifen, die Ableitung des o s m o t i s c h e n D r u c k s (S. 55) und der D a m p f d r u c k e r n i e d r i g u n g (S. 57) abgeändert, der Begriff der „ L a d u n g s z a h l " (S. 148) und „ B i n d u n g s z a h l " (S. 150) eingeführt, eine Reihe von p h y s i k a l i s c h e n D a t e n (Schmelzpunkte, Siedepunkte, Halbwertszeiten usw.) nachgetragen oder korrigiert (z.B. S.220, 562, 564, 602/603), die relative thermodynamische Beständigkeit der P h o s p h o r m o d i f i k a t i o n e n richtiggestellt (S. 253, 254), der Begriff der I s o s t e r i e durch zusätzliche Beispiele erläutert (S. 372), die Chemie des B o r o x o l s und seiner Derivate durch weitere Angaben bereichert (S. 375/76, Anm. 3), der Abschnitt über A l u m i n i u m w a s s e r s t o f f vervollständigt (S. 387f.), die Trennung der L a n t h a n i d e n durch I o n e n a u s t a u s c h e r behandelt (S. 488f.), der Abschnitt über T e c h n e t i u m erweitert (S. 597f.), die Tabelle der Normal- und Umladungspotentiale des U r a n s , N e p t u n i u m s und P l u t o n i u m s auf den neuesten Stand gebracht und durch die entsprechenden Werte des A m e r i c i u m s ergänzt (S. 605). Darüber hinaus wurden, wo erforderlich, Druckfehler beseitigt, unklare Textstellen präzisiert oder veranschaulicht, experimentell nicht genügend gestützte Auffassungen deutlicher als solche gekennzeichnet, die Nomenklatur weiter dem internationalen Sprachgebrauch angepaßt und zahlreiche sonstige Einfügungen vorgenommen, wie schon die Erweiterung des Registers um einige zwanzig Stichworte zeigt. M ü n c h e n , im September 1953. Egon Wiberg

XII

Aus dem Vorwort zur 34.—36. Auflage 1. Die Erforschung der a l l o t r o p e n M o d i f i k a t i o n e n d e r E l e m e n t e hat in letzter Zeit viel Neues erbracht, so daß eine Reihe diesbezüglicher Abschnitte — so über den S c h w e f e l (S. 185ff.), das S e l e n (S. 217ff.), das T e l l u r (S. 221), den P h o s p h o r (S. 253ff.), das A r s e n (S. 275f.), das A n t i m o n (S. 283f.), das W i s m u t (S. 288), den K o h l e n s t o f f (S. 293f.), das S i l i c i u m (S. 319), das G e r m a n i u m (S. 348 f.) — entweder völlig neu gefaßt oder erweitert bzw. verbessert werden mußte. Bei dieser Gelegenheit wurden auch mancherlei Randgebiete mitbehandelt, die zu den Modifikationen in enger Beziehung stehen, wie etwa der S e l e n - G l e i c h r i c h t e r und das S e l e n P h o t o e l e m e n t (S. 218), die Wirkungsweise von K a t a l y s a t o r e n bei der Umwandlung von Schwefel-, Selen-,Phosphor- und Kohlenstoffmodifikationen (S. 218f.,255,297), die Erscheinung der E l e k t r o n e n ü b e r s c h u ß - und E l e k t r o n e n d e f e k t - L e i t u n g bei H a l b l e i t e r n (S.348f.), das Problem der als M i s c h p o l y m e r i s a t e aufzufassenden Elementmodifikationen und ihres Gitteraufbaus (S. 255, 276, 284), die Strukturen des HiTTORFschen (S. 254) und SCHENCKsehen P h o s p h o r s (S. 255) und vieles andere mehr. 2. Viele neuere Ergebnisse der S c h w e f e l c h e m i e fanden ihren Niederschlag in entsprechenden Umgestaltungen und Erweiterungen von Abschnitten. So wurde an Stelle der bisher noch gebrauchten komplexen Schreibweise die K e t t e n s t r u k t u r der P o l y s c h w e f e l w a s s e r s t o f f e (S. 195) und P o l y t h i o n a t e (S. 216) eingeführt, das A d d i t i o n s v e r m ö g e n des S c h w e f e l t r i o x y d s besprochen (S. 200f.), der Abschnitt über das D i s c h w e f e l t r i o x y d S 2 0 3 neu gefaßt (S. 201), die Chemie der P o l y t h i o n s ä u r e n durch zusammenfassende Angaben über D a r s t e l l u n g und Z e r f a l l ergänzt (S. 217), ein Abschnitt über die Konstitution des T e t r a s c h w e f e l d i n i t r i d s S 4 N 2 eingefügt (S. 248), das chemische Verhalten des S u l f a m i d s und S u l f i m i d s ausführlicher behandelt (S. 251), die N o m e n k l a t u r d e r S c h w e f e l s ä u r e n der internationalen Übereinkunft angepaßt (S. 202f., 212f.) usw. 3. Die Fortschritte auf dem Gebiete der C a r b o n y l c h e m i e machten wesentliche Textänderungen und -erweiterungen erforderlich. U. a. wurde die D a r s t e l l u n g v o n M e t a l l c a r b o n y l e n durch einen Abschnitt über die Reduktion und Redoxdisproportionierung von Metallverbindungen in f l ü s s i g e r P h a s e ergänzt (S. 545), die S ä u r e n a t u r d e r C a r b o n y l w a s s e r s t o f f e ausführlich besprochen (S. 546), ein Abschnitt über die B i l d u n g v o n C a r b o n y l a t e n durch Reduktion und Redoxdisproportionierung m e h r k e r n i g e r C a r b o n y l e eingefügt (S.546f.), der GRiMMsche H y d r i d v e r s c h i e b u n g s s a t z aus dem Kapitel über Carbonylwasserstoffe, wo er nach unseren heutigen Kenntnissen fehl am Platze war, entfernt und in anderem Zusammenhang (S. 437) erläutert, die D a r s t e l l u n g v o n N i t r o s y l c a r b o n y l e n behandelt (S. 548), der Abschnitt über I s o n i t r i l - C a r b o n y l e erweitert (S. 549) und durch Angaben über P h o s p h o r h a l o g e n i d - , A r s e n h a l o g e n i d - und P h o s p h i n - c a r b o n y l e ergänzt (S. 549) und ähnliches mehr.

Vorwort

XIII

4. Eine weitgehende Umgestaltung und Ergänzung erfuhren die Abschnitte über den B a u d e r A t o m e u n d M o l e k ü l e . So wurden die Begriffe der s-, p-, d- u n d /E l e k t r o n e n (S. 139f., 445ff.), des P r i n z i p s d e r g r ö ß t e n M u l t i p l i z i t ä t (S. 139, 445), der H a u p t - , N e b e n - , m a g n e t i s c h e n u n d S p i n - Q u a n t e n z a h l (S.136, 139, 445), des PAULI-Prinzips (S. 445), der B a s t a r d b i n d u n g e n (S. 153, 446) eingeführt und behandelt, die B i n d e k r ä f t e der reinen und Bastardbindungen verglichen (S. 153, 446), die Regeln für die S y m b o l i s i e r u n g v o n E l e k t r o n e n k o n f i g u r a t i o n e n besprochen (S. 140, 445), die Zusammenhänge zwischen Elektronenkonfiguration, räumlicher Konfiguration und Magnetismus bei der K o m p l e x b i l d u n g v o n Ü b e r g a n g s e l e m e n t e n auseinandergesetzt (S. 445ff.) usw. Dagegen konnte ich mich nicht dazu entschließen, die Kapitel über den Atombau und die Verbindungsbildung ganz auf die Vorstellungen der W e l l e n m e c h a n i k umzustellen, d a es sich bei dem vorliegenden Lehrbuch, wie schon im ersten Vorwort (S. V) angegeben, um ein Lehrbuch f ü r A n f ä n g e r der Chemie und für Studierende mit Chemie als Nebenfach handelt, für die die gewählte Betrachtungsweise zum Verständnis des Atom- und Molekülbaus völlig ausreicht. Doch wurde vorsorglich ein Hinweis darauf eingefügt, daß die gebrauchten Begriffe der E l e k t r o n e n - , , S c h a l e n " nur B i l d s y m b o l e für unterschiedliche E n e r g i e z u s t ä n d e der Elektronen darstellen (S. 136). 5. Die Ergebnisse der Forschung über „ a n o m a l e " W e r t i g k e i t e n der Elemente wurden überall berücksichtigt, wie die Angaben über S i l i c i u m - m o n o x y d (S. 325), - d i c h l o r i d (S. 321), - m o n o f l u o r i d (S. 322) und - m o n o b r o m i d (S. 322), sowie über Verbindungen des einwertigen B o r s und A l u m i n i u m s (S. 384), dreiwertigen K u p f e r s (S. 452) und S i l b e r s (S. 459), vierwertigen P r o t a c t i n i u m s (S. 506), ein-, vier- und fünfwertigen C h r o m s (S. 508), drei- und fünfwertigen M a n g a n s (S. 522, 523) —1-wertigen R h e n i u m s (S. 525), ein- und vierwertigen E i s e n s (S. 534), vierwertigen K o b a l t s (S. 539), null-, ein-, drei- und vierwertigen N i c k e l s (S. 542) zeigen. 6. Überarbeitet und ergänzt wurden weiterhin die Kapitel über die n a t ü r l i c h e u n d k ü n s t l i c h e E l e m e n t u m w a n d l u n g . So wurde der P r o t o n - u n d N e u t r o n Z u s t a n d d e s N u k l e o n s näher behandelt (S. 555), der Begriff der „ m a g i s c h e n Z a h l e n " eingeführt (S. 557), der h e u t i g e S t a n d d e r I s o t o p e n f o r s c h u n g in allen Tabellen zum Ausdruck gebracht (S. 556, 559, 602/603), die W ä r m e t ö n u n g der Umwandlung Neutron-»• Proton angegeben ( S . 5 6 0 ) , d a s n a t ü r l i c h - r a d i o a k t i v e N e o d y m eingefügt (S. 569), der Begriff des Neutrinos durch den des A n t i n e u t r i n o s ergänzt (S.571), auf die W a s s e r s t o f f b o m b e (S.579) und die A t o m s y n t h e s e mit K o h l e n s t o f f - , S t i c k s t o f f - und S a u e r s t o f f k e r n e n hingewiesen (S. 581, 607), die A l t e r s b e s t i m m u n g m i t 14 C besprochen (S.590), das P r o t o n - S y n c h r o t r o n und S y n c h r o - C y c l o t r o n des Europäischen Kernforschungsinstituts in Genf behandelt (S. 582, 583), die K e r n z e r s p l i t t e r u n g durch ein neues Beispiel belegt (S. 591), der U r a n - K e r n r e a k t o r ausführlicher geschildert (S. 594f.), die zugehörige A b b i l d u n g ausgewechselt (Fig. 163, S.594), die A c t i n i d e n t a b e l l e auf den neuesten Stand gebracht (S. 602/603), die Chemie des N e p t u n i u m s durch speziellere Angaben über N e p t u n i u m v e r b i n d u n g e n ergänzt (S. 604), die Gewinnung der Elemente 99 und

XIV

Vorwort

100 behandelt (S. 607), auf die s p o n t a n e K e r n s p a l t u n g eingegangen (S. 608) und anderes mehr. 7. Auch an vielen anderen Stellen wurde der Text erweitert. Erwähnt seien etwa die neuen Abschnitte über die Ursachen der A u s d e h n u n g des W a s s e r s beim Gefrieren und die S t r u k t u r des E i s e s (S. 51, 328), das H e l i u m I I und den supraf l ü s s i g e n Z u s t a n d (S. 74), die H y d r a t e der E d e l g a s e (S. 74), die C l a t h r a t e oder K ä f i g v e r b i n d u n g e n (S. 74f.), die Reaktionen des B r o m t r i f l u o r i d s (S. 132), die Darstellung der h ö h e r e n S i l i c i u m h a l o g e n i d e (S. 321), die f a s e r i g e Modif i k a t i o n d e s S i l i c i u m d i o x y d s (S.333), die Erscheinung der T h i x o t r o p i e (S.338), die H y d r o n i u m s a l z e (S. 437f.). Zahlreiche bisher nicht erwähnte Verbindungen fanden Berücksichtigung, z. B. die Klasse der H a l o g e n - S u l f a n e (S. 196), die F l u o r i d e Se 2 F 10 und Te 2 F 10 des S e l e n s und T e l l u r s (S. 198), die neu entdeckten A z i d e der 1.—4. Hauptgruppe des Periodensystems (S. 231), das F l u o r a z i d (S. 233), die Derivate des H e p t a s c h w e f e l i m i d s (S. 248), das S i l i c i u m - d i s e l e n i d und - d i t e l l u r i d (S. 333), die Derivate des B o r s u l f o l s (S. 376), die Oxychloride, Bromide und Jodide des A l u m i n i u m s (S. 390), Zinns (S. 354) und E i s e n s (S. 536f.), das B a r i u m t i t a n a t (S.502) und T i t a n b o r a n a t (S. 502),das C h r o m y l f l u o r i d (S.510), die wichtigsten D e u t e r i u m v e r b i n d u n g e n der 4. bis 7. Gruppe des Periodensystems (S. 562f.) und so fort. Die Begriffe der Ladungszahl, Bindungszahl und Oxydationszahl wurden durch den der f o r m a l e n L a d u n g s z a h l ergänzt (S. 158), die in den Tabellen der Oxyde und Sauerstoffsäuren des Schwefels (S. 198, 202), Stickstoffs (S. 233) und Phosphors (S. 263) bisher verwendeten, zu Mißverständnissen Anlaß gebenden fiktiven O x y d a t i o n s z a h l e n der Peroxysäuren im Sinne der üblichen Anwendung abgeändert, die Begriffe der T a u t o m e r i e (S. 204) und M o l e k ü l k o n d e n s a t i o n (S. 268) erläutert, die Angaben über die L e i t f ä h i g k e i t der 100%igen S c h w e f e l s ä u r e (S. 210), die T a u t o m e r i e der N i t r o s y l s c h w e f e l s ä u r e (S. 243) und die Aufbringung von E m a i l - Ü b e r z ü g e n (S. 342) verbessert, die Strukturen des f e s t e n P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d s und - b r o m i d s behandelt (S. 259), die Erläuterungen zur R e s o n a n z genauer gefaßt (S. 318), die Abschnitte über den Bors t i c k s t o f f (S. 377), die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n des A l u m i n i u m s (S. 387), G a l l i u m s (S. 398), I n d i u m s (S. 398), G e r m a n i u m s (S. 350) und Z i n n s (S. 355), die k o m p l e x e n A l u m i n i u m f l u o r i d e (S. 389), die m a g n e t i s c h e n M o m e n t e der E i s e n r e i h e (S. 498), das T i t a n (S. 501), die D a r s t e l l u n g (S. 519) und die A c t i n i d e n n a t u r (S. 520) des Urans, das R h e n i u m (S. 525), die Isotopengewinnung nach dem T r e n n r o h r v e r f a h r e n (S. 561) erweitert, die Beispiele der A n w e n d u n g v o n I o n e n a u s t a u s c h e r n vermehrt (S. 489, 503), die A t o m g e w i c h t e überall gemäß dem jetzigen Stand verbessert (S. 27, 484, 559, Klapptafel). 8. Darüber hinaus wurden zahlreiche Textstellen durch kleinere Einfügungen, Streichungen, Erläuterungen oder Abänderungen klarer gestaltet, die physikalischen Daten wie Schmelzpunkte, Siedepunkte, Dampfdrucke, Normalpotentiale, Dissoziationskonstanten, Halbwertszeiten dem neuesten Stand entsprechend abgeändert oder ergänzt, die Seitenhinweise vermehrt, die Reaktionsgleichungen, wo erforderlich, ver-

Vorwort

XV

bessert, die Gleichgewichtskonstanten stets einheitlich (Reaktionsprodukte im Zähler) formuliert (z. B. S. 104f., 119), Abbildungen neu gezeichnet usw. Trotz dieser weitgehenden Vermehrung des Wissensstoffes, die auch in einer Erweiterung des Registers um nahezu tausend Stichworte zum Ausdruck kommt, konnte durch Streichung entbehrlicher oder überholter Abschnitte die Erhöhung der Seitenzahl in engen Grenzen (Zuwachs um 22 Text- und 4 Register-Seiten) gehalten werden. Bei der Umgestaltung des Textes hatte ich mich der Mithilfe zahlreicher Kollegen zu erfreuen, die mich in z. T. sehr ausführlichen Zuschriften oder in anregenden mündlichen Diskussionen auf mancherlei Verbesserungsmöglichkeiten hinwiesen und wertvolle Vorschläge zur Modernisierung von Abschnitten unterbreiteten. Besonders erwähnt und bedankt seien die Kollegen FRANZ F E H E R - K O L I , MARGOT GoEHRiNG-Heidelberg, W A L T H E R HiEBER-München, F R I E D R I C H KLAQES-München, H E I N Z KREBS-Bonn, H E R M A N N Lux-München, R E I N H A R D NAST-Heidelberg, R U D O L F SCHOLDER-Karlsruhe und F R I T Z SEEL-Würzburg. Aufmerksamen studentischen Lesern verdanke ich die Beseitigung einer Reihe von Druckfehlern und Unklarheiten. Meinem Sohn, stud. ehem. N I L S W I B E R G , schulde ich f ü r die mühevolle Arbeit der Umpaginierung und Erweiterung des Registers großen Dank. Die durch den Zusatz „ I I " gekennzeichneten Seitenhinweise beziehen sich auf den ehemaligen I I . Teil des HOLLEMAN sehen Werkes, das „Lehrbuch der organischen Chemie" von H O L L E M A N - R I C H T E R , 3 1 . / 3 2 . Auflage ( 1 9 5 4 ) . M ü n c h e n , im November 1954. Egon Wiberg

Vorwort zur 37.—39. Auflage Nachdem das vorliegende Lehrbuch in seiner letzten (34.—36.) Auflage wesentlich umgearbeitet und erweitert worden war, konnte sich die Bearbeitung der neuen (37.—39.) Auflage darauf beschränken, den Text sorgfältig zu revidieren und überall dem letzten Stand der Wissenschaft anzupassen. Der aufmerksame Leser wird an sehr vielen Stellen Verbesserungen, Einfügungen, Erweiterungen, Neufassungen, Umstellungen, Kürzungen oder Streichungen entdecken. Besonderen Dank schulde ich den Herren cand. rer. nat. T H E O D O R BUTTERFASSMünster, Dipl.-Chem. K A R L - K O N R A D HOFMANN-Weihenstephan, cand. ehem. GOTTFRIED JUPPE-München, Dr. OLGIERD KLEJNOT-München, Dozent Dr. H E I N Z K R E B S Bonn, Prof. Dr. E R I C H LANGE-Erlangen, Prof. Dr. H E R M A N N Lux-München, Dr. L U D W I G MAIER-München, Dr. K U R T MÖDRITZER-München, Prof. Dr. E R I C H RABALD-Mannheim, Konsul Dr. H E R M A N N RÖMER-München und Dipl.-Chem. F R I T Z WEIGEL-Mainz für wertvolle Korrekturhinweise. M ü n c h e n , im Mai 1956. Egon Wiberg

Inhalt Seite

Einleitung

1

Atom und Molekül Kapitel I. Der reine S t o i i 1. Homogene und heterogene Systeme 2. Zerlegung heterogener Systeme a) Zerlegung auf Grund verschiedener Dichten b) Zerlegung auf Grund verschiedener Teilchengrößen 3. Zerlegung homogener Systeme a) Zerlegung auf physikalischem Wege ix) Phasenscheidung durch Temperaturänderung Verdampfen und Verdichten Schmelzen und Erstarren ß) Phasenscheidung durch Lösungsmittel b) Zerlegung auf chemischem Wege 4. Element und Verbindung

3 3 4 4 5 6 6 6 7 8 8 8 9

Kapitel II. Atom- und Molekularlehre 1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff a) Experimentalbefunde a) Gesetz von der Erhaltung der Masse ß) Stöchiometrische Gesetze Gesetz der konstanten Proportionen Gesetz der multiplen Proportionen Gesetz der äquivalenten Proportionen b) DALTONS Atomhypothese 2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff a) Experimentalbefunde b) AVOGADROS Molekularhypothese

II 11 11 11 12 12 14 14

Kapitel III. Atom- und Molekulargewichtsbestimmung 1. Relative Atom- und Molekulargewichte a) Wahl einer Bezugseinheit b) Bestimmung relativer Molekulargewichte a) Zustandsgieichung idealer Gase ß) Methoden der Molekulargewichtsbestimmung c) Bestimmung relativer Atomgewichte d) Stöchiometrische Berechnungen 2. Absolute Atom- und Molekulargewichte

20 20 20 21 21 24 26 28 29

Kapitel IV. Das Wasser und seine B e s t a n d t e i l e 1. Der Sauerstoff a) Vorkommen b) Darstellung «) Aus Luft ß) Aus Wasser y) Aus festen Sauerstoffverbindungen

31 31 31 31 31 34 34

H o l l e m a n - W l b e r g , Anorganische Chemie. 37.— 39. Aufl.

15

16 16 17

b

XVIII

Inhalt Seite

c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Der Wasserstoff a) Vorkommen b) Darstellung o) Aus Wasser ß) Aus Säuren c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften e) Die chemische Reaktionswärme t) Atomarer Wasserstoff 3. Das Wasser a) Vorkommen b) Reinigung c) Physikalische Eigenschaften o) Aggregatzustände des Wassers />) Zustandsdiagramm des Wassers j ) Osmotischer Druck wässeriger Lösungen 6) Molekulargewichtsbestimmung in Lösungen d) Chemische Eigenschaften

35 35 37 37 37 37 39 39 42 44 46 48 48 49 50 50 61 53 57 59

Kapitel V. D i e L u f t u n d i h r e B e s t a n d t e i l e 1. Der Stickstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus Luft ß) Aus Ammoniak c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Die Luft a) Zusammensetzung der Luft b) Kreislauf des Sauerstoffs c) Kreislauf des Stickstoffs d) Flüssige Luft

60 60 60 60 60 61 61 61 62 62 63 64 65

Kapitel VI. D a s P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e (I.Teil) 1. Gekürztes Periodensystem 2. Verbreitung der Elemente

66 66 69

Hauptgruppen des Perlodensystems Kapitel VII. Die G r u p p e d e r E d e l g a s e 1. Geschichtliches 2. Vorkommen 3. Gewinnung a) Aus Luft b) Aus Erdgasen c) Aus Mineralien 4. Physikalische Eigenschaften 5. Anwendung 6. Spezifische Wärme chemischer Stoffe a) Gasförmige Stoffe b) Feste Stoffe

71 71 72 72 72 74 74 74 75 76 77 78

Kapitel VIII. Die G r u p p e d e r H a l o g e n e 1. Freie Halogene a) Das Chlor ot) Vorkommen ß) Darstellung Aus Chlorwasserstoff (Salzsäure) Aus Natriumchlorid y) Physikalische Eigenschaften ö) Chemische Eigenschaften

80 80 80 80 80 80 82 82 82

Inhalt

XIX Seite

b) c) d) e)

Photochemische Reaktionen Das Fluor Das Brom Das J o d

84 86 87 88

2. Wasserstoffverbindungen der Halogene a) Chlorwasserstoff a) Darstellung ß) Bigensehaften b) Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation a) Qualitative Beziehungen ß) Quantitative Beziehungen Ionenladung Dissoziationsgrad y) Ionenreaktionen c) Fluorwasserstoff d) Bromwasserstoff e) Jodwasserstoff

89 89 89 90 91 91 93 93 94 95 97 98 99

3. Das chemische Gleichgewicht a) Die Reaktionsgeschwindigkeit a) Die „ H m " - R e a k t i o n ß) Die „Rück"-Reaktion y) Die Gesamtreaktion b) Der Gleichgewichtszustand a) Das Massenwirkungsgesetz ß) Sonderanwendungen des Massenwirkungsgesetzes Das Verteilungsgesetz Die elektrolytische Dissoziation Allgemeines Dissoziation schwacher Elektrolyte c) Die Beschleunigung der Gleichgewichtseinstellung a) Beschleunigung durch Katalysatoren ß) Beschleunigung durch Temperaturerhöhung d) Die Verschiebung von Gleichgewichten ex) Qualitative Beziehungen Das Prinzip von L E C H A T E L I E R Folgerungen des Prinzips von L E C H A T E L I E R ß) Quantitative Anwendungsbeispiele Die Hydrolyse Die Neutralisation e) Heterogene Gleichgewichte а) Fest-gasförmige Systeme ß) Fest-flüssige Systeme

100 101 101 102 102 104 104 106 106 107 107 108 110 111 112 113 113 113

4. Sauerstoffverbindungen der Halogene a) Sauerstoffsäuren des Chlors tx) Übersicht und Nomenklatur ß) Unterchlorige Säure Darstellung Eigenschaften Salze y) Chlorige Säure б) Chlorsäure Darstellung Eigenschaften Salze e) Überchlorsäure b) Oxyde des Chlors =22.415; ra=l) bei den Normalbedingungen (p = 1; T = 273.15) in die allgemeine Gasgleichung (4) ergibt. Die Dimension von B ist [Energie]/[Grad]-[Mol], weil p • v die Dimension einer Energie besitzt: [Druck] x [Volu[Kraft men] X [Volumen] = [Fläche] [Kraft] x [Länge] = [Energie], Drückt man B — statt, wie oben geschehen, in Liter • Atmosphären/ Grad-Mol — in cal/Grad-Mol aus, so besitzt es den Zahlenwert 1.986.

1200 1W0 m/sec

Erwähnt sei, daß die Zustandsgleichung (4) eine Reihe von T e i l g e s e t z e n enthält, die sich aus ihr durch Konstanthalten einzelner Größen ergeben. Die bekanntesten dieser Teilgesetze sind:

Das „ B O Y L E - MARIOTTE sehe Gesetz": Das Produkt aus Druck p und Volumen v einer bestimmten Gasmenge (n = konstant) ist bei gegebener Temperatur (T = konstant) konstant: p-v = (nRT) = a. Fig. 13. MAxwELLsche Geschwindigkeitsverteilung

Das „GAV-LtssAcsche Gesetz": Bei gegebenem Volumen (v = konstant) ist der Druck p, bei gegebenem Druck {p = konstant) das Volumen v einer bestimmten Gasmenge (n = konstant) der absoluten Temperatur T proportional: p = (nR/v) - T = b-T bzw. v = (nR/p) -T = c -T. Die AvoGADROsche Hypothese (S. 18): Gleiche Volumina (v = konstant) idealer Gase enthalten bei gleichem Druck (p = konstant) und gleicher Temperatur (T = konstant) gleich viele Moleküle: n = (pv/RT) = d. ß) Methoden der Molekulargewichtsbestimmung Die Z u s t a n d s g l e i c h u n g (4) ermöglicht die Bestimmung der M o l z a h l n einer gegebenen Gasmenge. Bestimmt man gleichzeitig das G e w i c h t g dieser n Mole, so folgt das Gewicht e i n e s Mols, d. h. das M o l e k u l a r g e w i c h t M, aus der Beziehung M = JL. n

(5)

Führen wir hierin den aus der Zustandsgleichung (4) folgenden Wert für n ein, so erhalten wir die Beziehung 9-B-T M = ' (6) p-v die es gestattet, aus D r u c k (p), V o l u m e n (v), T e m p e r a t u r (T) eines idealen Gases sein M o l e k u l a r g e w i c h t zu errechnen.

und G e w i c h t (g)

Relative Atom- und Molekulargewichte

25

Bei der praktischen Molekulargewichtsbestimmung geht man in allen Fällen von einer g e g e b e n e n T e m p e r a t u r T aus. Bei den übrigen drei Größen py v und g kann man insofern mit einer gewissen Willkür verfahren, als man zwei von ihnen vorschreibt und die d r i t t e sich durch den Versuch von selbst einstellen läßt. Dementsprechend lassen sich die Methoden zur Bestimmung der Molekulargewichte von Gasen in drei Gruppen einteilen: 1. p und v sind vorgegeben, g stellt sich ein: W ä g u n g e i n e s b e s t i m m t e n G a s v o l u m e n s v von b e k a n n t e m D r u c k -p bei g e g e b e n e r T e m p e r a t u r T. 2. g und p sind vorgegeben, v stellt sich ein: V o l u m e n m e s s u n g e i n e r b e s t i m m ten G a s m e n g e g von b e k a n n t e m D r u c k p b e i g e g e b e n e r T e m p e r a t u r T. 3. g und v sind vorgegeben, p stellt sich ein: D r u c k m e s s u n g e i n e r b e s t i m m t e n G a s m e n g e g von b e k a n n t e m V o l u m e n v bei g e g e b e n e r T e m p e r a t u r T. Als Beispiel sei hier nur eine im Laboratorium häufig angewandte, von dem deutschen Chemiker V I C T O R M E Y E R ( 1 8 4 8 — 1 8 9 7 ) stammende Bestimmungsmethode angeführt, die sich des unter 2. genannten Prinzips bedient und die Bestimmung des Molekulargewichts leicht verdampfbarer Flüssigkeiten und fester Stoffe ermöglicht. L/ägeg/äschen l/o/umenDer für dieses Verfahren erforderliche Apparat • • 'meßrohr mitSubstanz (Fig. 14) besteht aus einem unten erweiterten V e r d a m p f u n g s r o h r , welches von einem H e i z m a n t e l umgeben ist. Der Heizmantel enthält eine F l ü s s i g Aus/óse- . -k e i t , durch deren Sieden das Verdampfungsrohr auf l/crrìch/ung Ss. einer Temperatur gehalten wird, welche o b e r h a l b M/asser der Siedetemperatur der zu untersuchenden Substanz liegt. Die S u b s t a n z selbst wird in ein W ä g e g l ä s : Pneumatische U/anre chen eingewogen und von oben eingeführt. Ein durch Gasableifungsrohr ein Stück Gummischlauch mit dem Verdampfungsrohr verbundener Glasstab ( A u s l ö s e v o r r i c h t u n g ) hält die .Heizmanfe/ Substanz zunächst noch oben fest. Sobald keine Luftl/erdampfungsrohr blasen mehr durch das unter Wasser endigende Ableitungsrohr des Verdampfungsrohrs entweichen, letzteres also die konstante Temperatur des Dampfes der tte/zf/ûssig/te/t siedenden Heizflüssigkeit angenommen hat, stülpt man ein mit Wasser gefülltes V o l u m e n m e ß r o h r über das Ende des Ableitungsrohres und läßt die Substanz durch Zurückziehen des Glasstabes der Auslösevorrichtung in Fig. 14. Bestimmung der Dampfdichte nach VICTOR MEYER den unteren, erweiterten Teil des Verdampfungsrohres h i n a b f a l l e n . Sofort beginnt die V e r d a m p f u n g der Substanz, wodurch aus dem oberen Teil des Verdampfungsrohres eine entsprechende Menge L u f t verdrängt und in das Volumenmeßrohr getrieben wird. Nach wenigen Minuten ist die Verdampfung der Substanz beendet. Das im Meßrohr aufgefangene L u f t v o l u m e n , das beim Barometerstand p' und bei der Zimmertemperatur T abgelesen wird, entspricht dem Volumen, welches die f l ü s s i g e o d e r f e s t e S u b s t a n z im Dampfzustande b e i Z i m m e r t e m p e r a t u r e i n n e h m e n w ü r d e , falls sie bei dieser Temperatur verdampfbar wäre. Daher ist in Gleichung (6) als Temperatur T n i c h t die S i e d e t e m p e r a t u r der H e i z f l ü s s i g k e i t , sondern die Z i m m e r t e m p e r a t u r einzusetzen, bei der die Volumenablesung am Meßrohr erfolgt. Der Druck p der verdrängten Luft ist gleich dem um den Druck b der Wassersäule im Meßrohr verminderten Barometerstand p'; für genauere Messungen ist auch noch eine Korrektur wegen des verschiedenen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft im Verdampfungs- und Meßrohr anzubringen.

Atom- und Molekulargewichtsbestimmung

26

B e i s p i e l : 405 mg einer festen Substanz verdrängen bei der Verdampfung bei 450° C 38.5 cm 3 = 0.03851 Luft (gemessen bei 15° C = 288° abs. und bei einem korrigierten Druck von 730 mm Quecksilbersäule = 0.96 atm.). Hieraus ergibt sich nach Gleichung (6): M-

'' - °-405 x °-082 x 288 _ ofiq p-v ~ 0.96 x 0.0385 ~~ Der untersuchte Stoff hat also im Dampfzustande bei 450° ein relatives -^Sauerstoff ~ 32 bezogenes — Molekulargewicht von 259. g R T

_

— d. h. auf

c) Bestimmung relativer Atomgewichte Die kleinste Menge eines Elements, die sich in 1 Molekül einer Verbindung dieses Elements befinden kann, i s t l A t o m . D a m i t ergibt sich das r e l a t i v e A t o m g e w i c h t experimentell als d i e k l e i n s t e A n z a h l v o n G r a m m e n eines Elements, die in 1 G r a m m m o l e k ü l einer Verbindung dieses Elements aufgefunden werden. Zur Bestimmung des Atomgewichtes eines E l e m e n t s ist es demnach erforderlich, nach einer der vorstehend erörterten oder später noch zu besprechenden (S. 57 f.) Bestimmungsmethoden das M o l e k u l a r g e w i c h t zahlreicher Verbindungen des betreffenden E l e m e n t s zu ermitteln und anschließend durch Analyse jeweils die in 1 Mol Verbindung enthaltene G r a m m - m e n g e des E l e m e n t s zu bestimmen. Nachfolgende Tabelle enthält einige bei Verbindungen der E l e m e n t e Wasserstoff, Chlor, Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff auf solche Weise erhaltene Ergebnisse:

Name der Verbindung 1 Wasserstoff Chlorwasserstoff Wasser Wasserstoffperoxyd Ammoniak Hydrazin Methan Äthan Äthylen Acetylen Benzol Chlor Dichloroxyd Chlordioxyd Chlorstickstoff Tetrachlorkohlenstoff Sauerstoff Distickstoffoxyd Stickoxyd Stickstoff dioxyd Kohlenoxyd Kohlendioxyd Stickstoff

In 1 Mol Verbindung enthaltene Gramm-menge Formel MoleStick- Kohlen- der Verkular- Wasser- Chlor Sauerstoff (0) stoff (N) stoff (C) bindung gewicht stoff (H) (Cl) 2

3

2

2

367s

18 34 17 32 16 30 28 26 78 71 87

«7V.

1207, 154 32 44 30 46 28 44 28

1

2 2 3 4 4 6 4 2 6 — — — — —

_

4

5

6





16 32

















14 28





























24 24 24 72















14







12





35V,

71 71

357 2

1067S 142

16 32





















32 16 16 32 16 32









28 14 14 — —

28

7 —

— —

12



— — —

12

12

8

H2 HCl

H2O H2O2 NH3 N2H4 CH 4 C2H6 C2H4

CA

C 6 H„

Cl2

C1 2 0 C10 2

NCls CC14 02

N20

NO NO 2 CO

co2



W i r ersehen aus der Tabelle folgendes: Die k l e i n s t e M e n g e W a s s e r s t o f f , die in 1 Mol der in der Tabelle aufgeführten Wasserstoffverbindungen enthalten ist (vgl. Spalte 3), beträgt 1 g. D a auch in keiner s o n s t i g e n WasserstoffVerbindung w e n i g e r als 1 g Wasserstoff j e Gramm-molekül Verbindung aufgefunden wird, m u ß man annehmen, daß diese Menge von 1 g e i n G r a m m - a t o m Wasserstoff darstellt. D e m W a s s e r s t o f f k o m m t also mit anderen W o r t e n das A t o m g e w i c h t 1 zu. I n gleicher Weise l ä ß t sich aus der Tabelle entnehmen — und dieser Schluß wird durch die Unter-

27

Relative Atom- und Molekulargewichte

suchung anderer Verbindungen bestätigt —, daß die Elemente Chlor, S a u e r s t o f f , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f die A t o m g e w i c h t e 16, 14 und 12 besitzen. Denn dies sind, wie man sieht, die kleinsten Gramm-mengen dieser Elemente, die in 1 Mol ihrer Verbindungen analytisch gefunden werden.

Atomgewichte der Elemente Element Actinium Aluminium.... Americium.... Antimon Argon Arsen Astatium Barium Berkelium Beryllium Blei Bor Brom Cadmium Caesium Calcium Californium Cer Chlor Chrom Curium Dysprosium... Einsteinium .. . Eisen Erbium Europium Fermium Fluor Francium Gadolinium . . . Gallium Germanium . . . Gold Hafnium Helium Holmium Indium Iridium Jod Kalium Kobalt Kohlenstoff . . . Krypton Kupfer Lanthan Lithium Lutetium Magnesium. . . . Mangan Mendelevium . . Molybdän

Symbol Ac Al Am Sb Ar As At Ba Bk Be Pb B Br Cd Cs Ca Cf Ce Cl Cr Cm Dy E Fe Er Eu Fm F Fr Gd Ga Ge Au Hf He Ho In Ir J K Co C Kr Cu La Li Lu Mg Mn Mv Mo

Atomnummer 89 13 95 51 18 33 85 56 97 4 82 5 35 48 55 20 98 58 17 24 96 66 99 26 68 63 100 9 87 64 31 32 79 72 2 67 49 77 53 19 27 6 36 29 57 3 71 12 25 101 42

Atomgewicht 227 26.98 243 121.76 39.944 74.91 210 137.36 249 9.013 207.21 10.82 79.916 112.41 132.91 40.08 249 140.13 35.457 52.01 245 162.51 255 55.85 167.27 152.0 255 19.00 223 157.26 69.72 72.60 197.0 178.50 4.003 164.94 114.82 192.2 126.91 39.100 58.94 12.011 83.80 63.54 138.92 6.940 174.99 24.32 54.94 256 95.95

Element Natrium Neodym Neon Neptunium . , Neutronium . Nickel Niob Osmium Palladium. . . Phosphor Platin Plutonium . . Polonium Praseodym.. Promethium Protactinium Quecksilber . Radium Radon Rhenium . . . Rhodium . . . Rubidium. . . Ruthenium . Samarium . . Sauerstoff . . Scandium... Schwefel.... Selen Silber Silicium . . . . Stickstoff . . . Strontium . . Tantal Technetium . Tellur Terbium . . . . Thallium Thorium . . . . Thulium Titan Uran Vanadin Wasserstoff . Wismut Wolfram.... Xenon Ytterbium . . Yttrium Zink Zinn Zirkonium . .

Symbol

Atomnummer

Na Nd Ne Np Nn Ni Nb Os Pd P Pt Pu Po Pr Pm Pa Hg Ra Rn Re Rh Rb Ru Sm O Sc S Se Ag Si N Sr Ta Te Te Tb TI Th Tm Ti U V H Bi W Xe Yb Y Zn Sn Zr 1

11 60 10 93 0 28 41 76 46 15 78 94 84 59 61 91 80 88 86 75 45 37 44 62 8 21 16 34 47 14 7 38 73 43 52 65 81 90 69 22 92 23 1 83 74 54 70 39 30 50 40

Atom- und Molekulargewichtsbestimmung

28

Diejenigen Verbindungen der Tabelle, die ein g a n z e s V i e l f a c h e s der als Atomgewicht erkannten Gramm-menge eines Elements je Mol Substanz aufweisen, enthalten das entsprechende A t o m v i e l f a c h e dieses Elements je Molekül. Äthan, das z. B. 6 g Wasserstoff (H) und 24 g Kohlenstoff (C) je Gramm-molekül aufweist, hat also die Formel C 2 H 8 . In analoger Weise kommen wir zu den in Spalte 8 der Tabelle (S. 26) angegebenen chemischen Formeln für die übrigen Substanzen. Diese Formeln — von denen wir diejenigen für Wasserstoff, Chlor, Sauerstoff, Stickstoff, Chlorwasserstoff, Wasser und Ammoniak schon früher (S. 16ff.) durch einen im Prinzip analogen, wegen des Fehlens einer Bezugseinheit (S. 20) damals aber notgedrungen noch etwas umständlicheren Gedankengang abgeleitet hatten — ermöglichen dann, wie S. 20f. schon auseinandergesetzt, bei Kenntnis der g e w i c h t s m ä ß i g e n Z u s a m m e n s e t z u n g der Verbindungen eine genaue Festlegung der r e l a t i v e n A t o m g e w i c h t e der enthaltenen Elemente. Prinzipiell ergeben sich die Atomgewichte der Elemente auch schon als die kleinste, in 1 Mol einer Verbindung dieser Elemente enthaltene Gramm-menge (vgl. oben). Da aber die beschriebene Molekulargewichtsbestimmung — falls man nicht alle bei der Messung der vier Größen p, v, g und T möglichen Fehlerquellen und die Abweichungen vom idealen Gasgesetz peinlichst durch Korrekturglieder kompensiert — im allgemeinen keine Präzisionswerte des Molekulargewichts liefert 1 , stellen auch die direkt aus den Molekulargewichten entnommenen Atomgewichte im allgemeinen2 keine Präzisionswerte des Atomgewichts dar. Es ist daher zur Erzielung genauester Werte zweckmäßiger, die Atomgewichte durch Kombination der aus der geschilderten Molekulargewichtsbestimmung hervorgehenden e i n d e u t i g e n Molekülformeln mit dem analytisch g e n a u e s t e n s bestimmbaren Gewichtsverhältnis der Elemente in den einzelnen Verbindungen zu ermitteln.

Vorstehende, alphabetisch nach den Elementnamen geordnete Tabelle (S.27) enthält die in solcher Weise durch genaueste Analyse chemischer Verbindungen gegebener Formel oder nach sonstigen Methoden 3 bestimmten Atomgewichte aller bis jetzt bekannten Elemente samt ihren Symbolen und „Atomnummern" („Ordnungszahlen"). Unter letzteren wollen wir dabei zunächst einfach die laufende Nummer verstehen, die einem Element zukommt, wenn man die Grundstoffe nach steigendem Atomgewicht anordnet (vgl. S. 66f.). Die Tabelle wird jährlich von einer internationalen Atomgewichtskommission kritisch geprüft und — falls zuverlässigere und genauere Atomgewichtsbestimmungen vorliegen — berichtigt. Die Zahl der Dezimalen (von denen die letzte als noch unsicher angenommen wird) gibt den Grad der Genauigkeit an, bis zu dem das betreffende Atomgewicht bis jetzt bestimmt worden ist. Mit die genauesten Atomgewichtsbestimmimgen v e r d a n k e n wir d e m d e u t s c h e n C h e m i k e r OTTO HÖNIGSCHMID (1878—1945). Die Elementsymbole wurden von dem schwedischen Chemiker J O N S J A K O B B E R Z E L I U S (1779—1848) in den Jahren 1813 — 1814 eingeführt und sind häufig den lateinischen Namen der Elemente entlehnt; z. B.: Antimon (Stibium Sb), Wismut (Bismuthum Bi), Gold (Aurum Au), Kobalt (Cobaltum Co), Kohlenstoff (Carbonium C), Kupfer (Cuprum Cu), Quecksilber (Hydrargyrum Hg), Blei (Plumbum Pb), Zinn (Stannum Sn), Eisen (Ferrum Fe), Silber (Argentum Ag), Schwefel (Sulphur S).

d) Stöchiometrische Berechnungen Die auf Grund der Kenntnis der Atom- und Molekulargewichte auf stellbaren „chemischen Gleichungen" (S. 19) bringen in kürzester Form sowohl qualitativ wie 1

Um dies anzudeuten, wurden die Molekulargewichte in der Tabelle (S. 26) nur durch abgerundete Zahlen zum Ausdruck gebracht. 2 Bei exakter Berücksichtigung aller Korrekturglieder sind selbstverständlich auch auf dem Wege über die Bestimmung des Molekulargewichts von Gasen genaueste Atomgewichtsbestimmungen möglich. 3 Bei den radioaktiven Elementen (vgl. S. 566 ff.), bei denen man als Atomgewicht das der stabilsten Atomart anzugeben pflegt, ergeben sich z. B. die Atomgewichtswerte indirekt aus den Atomgewichten der Muttersubstanzen.

Absolute Atom- und Molekulargewichte

29

quantitativ alle jene experimentellen Beobachtungen und Grundgesetze zum Ausdruck, die zu ihrer Aufstellung führten. Die Gleichung H 2 + Cl2 = 2 HCl

besagt also z. B. nicht nur q u a l i t a t i v , daß Wasserstoff und Chlor unter Chlorwasserstoffbildung miteinander reagieren und daß die Moleküle des Wasserstoffs und Chlors aus je zwei gleichen Atomen, die des Chlorwasserstoffs aus je einem Wasserstoff- und Chloratom bestehen, sondern auch q u a n t i t a t i v , daß 1 Mol = 2.016 g = 22.415 1 (0°; 1 Atm.) Wasserstoff und 1 Mol = 70.914 g = 22.415 1 (0°; 1 Atm.) Chlor 2 Mole = 72.930 g = 44.830 1 (0°; 1 Atm.) Chlorwasserstoff ergeben. Dementsprechend ermöglichen derartige Reaktionsgleichungen in einfacher Weise die Berechnung der G e w i c h t s m e n g e n und G a s v o l u m i n a , welche bei chemischen Reaktionen verbraucht oder gebildet werden. Einige Beispiele mögen dies erläutern: 1. Es sei danach gefragt, w i e v i e l g W a s s e r d u r c h U m s e t z u n g v o n 3 g W a s s e r s t o f f m i t S a u e r s t o f f m a x i m a l g e w o n n e n w e r d e n k ö n n e n . Die Gleichung für die Wasserbildung lautet: 2H 2 + 0 2 = 2 H 2 0 . Da das Atomgewicht des Wasserstoffs gleich 1 und das des Sauerstoffs gleich 16 ist, lassen sich entsprechend der Gleichung aus 4 g Wasserstoff 36 g Wasser, aus 3 g Wasserstoff demnach 6 ^ 3 = 27 g Wasser bilden. 2. W i e v i e l L i t e r S t i c k s t o f f v o n 0° u n d 760 mm k ö n n e n s i c h m a x i m a l m i t 1.5 g W a s s e r s t o f f zu A m m o n i a k u m s e t z e n ? Nach der Gleichung 3 H 2 + N 2 = 2NH 3 reagieren 6 g Wasserstoff mit 1 Mol = 22.4 1 (0°; 760 mm) Stickstoff. Mit 22 4 x 15 1.5 g Wasserstoff können sich demnach —'— — = 5.61 Stickstoff umsetzen. o Bei n i c h t g a s f ö r m i g e n Stoffen verzichtet man bei der Aufstellung chemischer Gleichungen im allgemeinen darauf, die wahre M o l e k ü l g r ö ß e dieser Stoffe einzusetzen und begnügt sich damit, die e i n f a c h s t e B r u t t o f o r m e l des betreffenden Stoffs anzugeben. So schreibt man z. B. für die Vereinigung von festem Schwefel mit Sauerstoff zu Schwefeldioxyd durchweg die vereinfachte Gleichung S + 0 2 = S0 2 , obwohl man weiß, daß der feste Schwefel die Molekülformel Sg besitzt und die Gleichung daher richtiger S, + 8 Oa = 8 S0 2 lauten müßte. Bei n i c h t g a s f ö r m i g e n Stoffen ist es eben im allgemeinen nicht erforderlich, die chemische Gleichung durch Einsetzen der richtigen Molekülgrößen zugleich zum S y m b o l der V o l u m e n v e r h ä l t n i s s e zu machen, wie dies bei Reaktionen g a s f ö r m i g e r Stoffe zweckmäßig ist.

2. Absolute Atom- und Molekulargewichte Die r e l a t i v e n , d. h. auf ein Sauerstoff-Atomgewicht 16 bzw. Sauerstof f-Mole kulargewicht 32 bezogenen Gewichte der Atome und Moleküle verhalten sich naturgemäß zueinander wie ihre a b s o l u t e n Gewichte, so daß relative und absolute Atomund Molekulargewichte nur um einen k o n s t a n t e n F a k t o r voneinander unterschieden sind. Jedes G r a m m - a t o m ( G r a m m - m o l e k ü l ) eines Stoffs enthält also g l e i c h v i e l e A t o m e ( M o l e k ü l e ) des betreffenden Stoffs, und man kann daher die a b s o l u t e n Gewichte aus den r e l a t i v e n in einfacher Weise dadurch errechnen, daß man letztere durch die Z a h l N der in 1 Gramm-atom (Gramm-molekül) enthaltenen Atome (Moleküle) dividiert. Die Bestimmung der Konstanten N, die nach dem deutschen Physiker J O S E P H L O S C H M I D T (1821—1895) auch „LosciuiiDTSche Zahl" genannt wird, ist in verschiedenster Weise möglich. So kann man sie z. B. ableiten: 1. Aus der k i n e t i s c h e n G a s t h e o r i e , 2. aus der BROWNschen M o l e k u l a r b e w e g u n g , 3. aus der O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g v e r d ü n n t e r L ö s u n g e n , 4. aus den G e s e t z e n d e r s c h w a r z e n S t r a h l u n g , 5. aus der e l e k t r i s c h e n L a d u n g v o n Ö l t r ö p f c h e n , 6. aus der Z e r s t r e u u n g b z w . S c h w ä c h u n g d e s H i m m e l s l i c h t s i n d e r A t m o s p h ä r e , 7. aus der G r ö ß e d e s E l e m e n t a r w ü r f e l s v o n K r i s t a l l e n , 8. aus r a d i o a k t i v e n P r o -

30

Atom- und Molekulargewichtsbestimmung

zessen (S. 572), 9. aus der F e i n s t r u k t u r von S p e k t r a l - l i n i e n u.a.m. So verschiedenartig aber alle diese physikalischen Methoden, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie), auch sein mögen, sie führen doch alle zu dem gleichen W e r t 6 X 1023 (wahrscheinlichster Wert: 6.022 XlO23) für die Zahl der Atome (Moleküle) je Gramm-atom (Gramm-molekül). E i n e d e r a r t i g e Ü b e r e i n s t i m m u n g der U n t e r s u c h u n g s e r g e b n i s s e wäre u n d e n k b a r , wenn n i c h t den durch diese Methoden e r f a ß t e n Molekülen und Atomen eine o b j e k t i v e R e a l i t ä t zukäme. Der aus den Gewichtsund V o l u m e n v e r h ä l t n i s s e n bei chemischen R e a k t i o n e n i n d i r e k t erschlossene B e g r i f f des Atoms und Moleküls s t e l l t daher h e u t e keine unsichere H y p o t h e s e mehr dar, sondern ist als f e s t b e g r ü n d e t e E r f a h r u n g s t a t s a c h e anzusehen. Wie aus dem Wert der LOSCHMIDTsehen Zahl hervorgeht, sind die Atome und Moleküle u n v o r s t e l l b a r winzige Teilchen. Denn 602200000000000000000000 Wasserstoffatome wiegen danach zusammen erst 1.008 g, so daß ein einzelnes Wasserstoffatom ein Gewicht von nur 1.008/(6.022 X 1023) = 1.674 X 10"24 g besitzt; in gleicher Weise errechnet sich, daß 1 Sauerstoffatom 16.000/(6.022 X 1023) = 26.569 X 10~24 g, 1 Wassermolekül also (2 x 1.674 + 26.569) X 10~ 24 = 29.917 x 1 0 - 2 4 g wiegt. Der Durchmesser der Atome und Moleküle liegt in der Größenordnung von 10~ 8 cm = 1 „Ängström" (A). Von der Kleinheit derartiger Masseteilchen kann man sich an Hand folgender Zahlenbeispiele einen anschaulichen Begriff machen: Würde man 1 ccm = 0.8 g Alkohol (Molekulargewicht 46) ins Meer gießen und sich über sämtliche Weltmeere (1370 Millionen Kubikkilometer) verteilen lassen, so enthielte jeder L i t e r Meerwasser — gleichgültig ob er im Atlantischen oder Indischen oder Stillen Ozean, im Nördlichen oder Südlichen Eismeer, an der Oberfläche oder in 1000 m Tiefe entnommen würde — noch 8 Moleküle Alkohol. Die in einem S t e c k n a d e l k o p f (1 mm3) enthaltene ungeheure Zahl von rund 1020 (100 Trillionen) Eisenatomen1 ergäbe, zu einer Perlenkette aneinandergereiht, eine Strecke von 2 x 107 km, entsprechend der mehr als 50fachen E n t f e r n u n g zwischen E r d e und Mond 2 , wobei auf jedes einzelne Millimeter dieser riesigen Strecke allein schon 5 Millionen Atome entfielen. Es ist eine erstaunliche Leistung der Naturforscher, daß sie die Gewichte und Durchmesser solch winziger Teilchen mit so großer Genauigkeit anzugeben in der Lage sind, ja, daß es ihnen — wie wir später sehen werden — darüber hinaus gelungen ist, festzustellen, daß die Atome ihrerseits aus einem Atomkern und einer Atomhülle bestehen (S. 135ff.), die beide immer noch nicht die kleinsten Bestandteile der Materie darstellen, sondern in noch winzigere Urteilchen („Elektronen", „Protonen" und „Neutronen") zerlegt werden können (S. 555ff.). — Nunmehr wenden wir uns der speziellen Betrachtung einiger wichtiger Elemente, des W a s s e r s t o f f s , des S a u e r s t o f f s und des S t i c k s t o f f s zu, die uns in Form des Wassers und der L u f t in großen Mengen zur Verfügung stehen. Der Durchmesser des Eisenatoms beträgt etwa 2 Ä. " Der mittlere Abstand des Mondes von der Erde beträgt 3.844 X10 5 km.

1

Kapitel IV

Das Wasser und seine Bestandteile 1. D e r Sauerstoff a) Vorkommen I n freiem Zustande kommt der Sauerstoff in der Natur als Bestandteil der L u f t vor, welche getrocknet 20.9 Volumenprozente oder 23.2 Gewichtsprozente Sauerstoff enthält (S.63). In gebundenem Zustande finden wir ihn im W a s s e r , welches gereinigt zu 88.8 Gewichtsprozenten aus Sauerstoff besteht. Weiter ist er zu 47.3% am Aufbau der äußersten — bis zu 16 km Tiefe untersuchten — Schale der festen Erdrinde beteiligt. Der Gesamtgehalt von Erdrinde, Meer und Luft an Sauerstoff beträgt 49.4 Gewichtsprozente (vgl. S. 69). Der Sauerstoff ist somit das w e i t e s t v e r b r e i t e t e E l e m e n t und kommt in seiner Gewichtsmenge der Gewichtsmenge s ä m t l i c h e r übrigen E l e m e n t e — zusammengenommen — gleich.

b) Darstellung Als Ausgangsmaterial zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Sauerstoff dienen zweckmäßig die L u f t oder das Wasser. Im L a b o r a t o r i u m werden zur Sauerstoffgewinnung auch feste S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n herangezogen. a) Aus Luit Die L u f t enthält außer S a u e r s t o f f in der Hauptsache noch S t i c k s t o f f (S. 60). Will man daher aus der Luft Sauerstoff gewinnen, so muß man das homogene Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch zerlegen. Dies kann auf chemischem oder auf physikalischem Wege erfolgen. Die Zerlegung auf chemischem Wege läßt sich nicht so durchführen, daß man die Luft mit einem Stoff zur Umsetzung bringt, der nur den Stickstoff, nicht aber den Sauerstoff bindet. Denn der S a u e r s t o f f ist chemisch viel r e a k t i o n s f ä h i g e r als der S t i c k s t o f f , so daß er stets leichter als dieser reagiert. Daher muß man so verfahren, daß man den Sauerstoff durch einen Stoff bindet, welcher den gebundenen Sauerstoff leicht wieder abzugeben imstande ist. Ein solcher Stoff ist z. B. das B a r i u m o x y d (BaO). Erhitzt man Bariumoxyd an der Luft auf etwa 500°, so nimmt es unter Bildung von B a r i u m p e r o x y d (Ba0 2 ) Sauerstoff auf (vgl. S. 181): 2 BaO + 0 2

500» 700°

> 2 BaO».

Bei 700° (oder bei Druckverminderung) gibt das so gebildete Bariumperoxyd in Umkehrung dieser Reaktion unter R ü c k b i l d u n g von Bariumoxyd den gebundenen Sauerstoff wieder ab. Dieses Verfahren der Sauerstoffgewinnung aus Luft (,,Bsmsches Bariumperoxyd-Verfahren") war früher die einzige technische Methode der Sauerstoffgewinnimg.

Das Wasser und seine Bestandteile

32

Heute zerlegt man die Luft nur noch auf physikalischem Wege, indem man sie v e r f l ü s s i g t und die verflüssigte Luft f r a k t i o n i e r t d e s t i l l i e r t . Zur Verflüssigung muß die Luft auf sehr tiefe Temperaturen (bei 1 Atmosphäre Druck auf unter —192°) abgekühlt werden. Hierzu bedient man sich des „JOULE-THOMSON-Effektes": Entspannt man ein unter hohem Druck stehendes („komprimiertes") r e a l e s (S. 24) Gas auf einen niedrigen Druck, so kühlt es sich — auch wenn bei der Entspannung („Expansion") keine äußere Arbeit geleistet wird — ab, weil bei der Ausdehnung A r b e i t gegen die gegenseitigen Anziehungskräfte der Gasmoleküle aufgewendet wird. Die zur Leistimg dieser „inneren Arbeit" erforderliche Energie, die ja nach dem Gesetz von der Erhaltung der Energie irgendeinem Energievorrat entstammen muß, wird dem W ä r m e - i n h a l t des Gases entnommen. Die Celsiusgrade ¿Anfang — ¿Ende) um die sich die Luft bei der — ohne äußere Arbeitsleistung erfolgenden — Entspannung um ^Anfang — ^Ende Atmosphären abkühlt, können nach der F a u s t r e g e l /

273

\2

^Anfang ~ 'finde =

' (^Anfang — 2>Ende) -1070 1 / ) U) ~ "Anfang/ berechnet werden. Bei 0 ° C (¿ANFANG = 0 ) kühlt sich hiernach die Luft um etwa 1/i° je Atmosphäre Druckunterschied (^Anfang — pKmia = 1) ab. Auch bei sehr hohen Druckdifferenzen ist also die Verflüssigung der Luft durch einmaliges Expandieren nicht zu erreichen. Man vereinigt daher nach C A R L VON L I N D E (1842—1934) durch Anwendung des sogenannten „Gegenstromprinzips" die Wirkung beliebig vieler Expansionen in der Weise, daß man j e d e v o r a n g e h e n d e A b k ü h l u n g zur V o r k ü h l u n g d e r n a c h f o l g e n d e n L u f t vor der nächsten Entspannung benutzt („LiNDE-Verfahren"). /'romprim/erte Luft Hierdurch sinken die Temperaturen schrittweise, bis expandierte Luff f die VerflüssigungstemperaOegensfrömer tur erreicht ist. rtüh/er

Luft I4rd/cbfer

TXI-

rti

fAn fang.

Anfang

- - -Drosse/rent// £nde, p£nc/e flüssige

Luff

Die Arbeitsweise einer derartigen „LINDE -Maschine" sei an Hand nebenstehender schematischer Zeichnung (Fig. 15) kurz erläutert: Die aus der Umgebung angesaugte L u f t wird durch einen V e r d i c h t e r („Kompressor") von Atmosphärendruck auf etwa 200 Atmosphären komprimiert

(PAnf&ng) u n d § e h t

dann duroh

einen von Kühlwasser umflossenen K ü h l e r , wo die Kompressionswärme beseitigt Fig. 15. Schematische Darstellung der Luftverflüssigung und die verdichtete Luft nach LINDE nahezu auf die Temperatur des Kühlwassers a b g e k ü h l t wird. Die so abgekühlte, verdichtete L u f t wird mittels eines Drosselventils wieder auf den ursprünglichen Druck e n t s p a n n t ( p E n d e ) , wobei — wenn i A l l l a n g z. B. gleich 15° ist — eine A b k ü h l u n g um etwa 1 / i -200-0.9 = 45° eintritt. Die in dieser Weise auf — 3 0 ° ( f B n d e ) abgekühlte L u f t strömt im G e g e n s t r o m - W ä r m e a u s t a u s c h e r der nachkommenden verdichteten L u f t entgegen und kühlt diese vor, so daß sie mit t i e f e r e r T e m p e r a t u r Anfang z u m Drosselventil gelangt als die vorhergehende und daher bei der folgenden Entspannung gemäß (1) auch auf t i e f e r e T e m p e r a t u r ¿Ende abgekühlt wird als diese usw. So fällt die Temperatur immer weiter, zumal nach der angegebenen Formel (1) der JOULE-THOMSON-Effekt mit fallender Temperatur ¿Anfang i m m e r größer wird. Schließlich reicht die durch die Expansion bewirkte Kälteleistung zur V e r f l ü s s i g u n g eines Teils der L u f t aus.

Die erhaltene flüssige Luft läßt sich durch F r a k t i o n i e r u n g (S. 7) in ihre beiden Hauptbestandteile S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f trennen. Die W i r k u n g s -

33

Der Sauerstoff

weise der Fraktionierung geht aus dem nachstehenden D i a g r a m m (Fig. 16) hervor: F l ü s s i g e r S t i c k s t o f f siedet bei —196°, f l ü s s i g e r S a u e r s t o f f bei —183°. M i s c h u n g e n beider Flüssigkeiten sieden bei d a z w i s c h e n l i e g e n d e n Temperaturen, flüssige Luft 80°/o N 2 + 20°/ 0 0 2 ) beispielsweise bei —194y a °. Trägt man die Siedepunkte aller Mischungen von Sauerstoff und Stickstoff in ein Koordinatensystem (Abszisse: prozentuale Zusammensetzung der Mischung; Ordinate: Siedetemperatur) ein, so erhält man die in Fig. 16 als ,,Siedekurve" bezeichnete Kurve. Erwärmt man nun eine flüssige Mischung von Stickstoff und Sauerstoff gegebener Zusammensetzung, so besitzt der entstehende D a m p f nicht die gleiche Zusammensetzung wie die Ausg a n g s f l ü s s i g k e i t (S. 7), sondern ist stets s t i c k s t o f f r e i c h e r . Trägt man auch die Zusammensetzung dieser bei den verschiedenen !——I 1 Siedetemperaturen mit den einzelnen flüssigen -183 Mischungen im Gleichgewicht befindlichen Dampfphasen in das Koordinatensystem ein, so -18t • erhält man die in Fig. 16 als „Taukurve" bedampfförmig -185 zeichnete Kurve. Sie gibt die Temperaturen an, 'i^ülr -186 bei welchen dampfförmige Sauerstoff-Stickstoffßy Gemische gegebener Zusammensetzung beim -187 Abkühlen die ersten Flüssigkeitströpfchen -188 („Tau") — von der durch die Siedekurve zum Ausdruck gebrachten Zusammensetzung — ab7buAurve -189 • scheiden. -190 \ 8 Das so erhaltene G e s a m t d i a g r a m m erS/edekwue • -191 möglicht in anschaulicher Weise eine Beurtei¿¿llll^i -192 lung des V e r l a u f s der F r a k t i o n i e r u n g flüssiger Stickstoff-Sauerstoff-Gemische. Erwärmt • / J f l l P ' ; f/ÜSSiQ -193 man beispielsweise eine flüssige Mischung der • - m Zusammensetzung 60°/ 0 Sauerstoff + 40°/ 0 Stick• -195 stoff, so beginnt diese bei —190.6° zu sieden (Punkt A 2 des Diagramms). Der dabei ent-196 stehende Dampf hat die Zusammensetzimg 3 0 % Sauerstoff + 70°/ 0 Stickstoff (ß 2 ). Da so%N1100 90 80 70 60 SO fO 30 20 10 0 mit der D a m p f s t i c k s t o f f r e i c h e r a l s die F l ü s s i g k e i t ist, ist die F l ü s s i g k e i t r e l a t i v Fig. 16. Fraktionierte Destillation und s a u e r s t o f f r e i c h e r geworden. Das bedeutet Kondensation von Sauerstoff-StickstoffGemischen gemäß der Siedekurve eine E r h ö h u n g des S i e d e p u n k t e s . Wir bewegen uns also während der Destillation auf der S i e d e k u r v e in der Richtung auf A3 a u f w ä r t s . Würden wir die g e s a m t e Flüssigkeit verdampfen, so besäße der D a m p f in seiner Gesamtheit natürlich die g l e i c h e Z u s a m m e n s e t z u n g 60°/ 0 Sauerstoff + 40°/ 0 Stickstoff (B 4 ) wie die A u s g a n g s f l ü s s i g k e i t , und der letzte verdampfende Flüssigkeitstropfen hätte die dieser Dampfzusammensetzung entsprechende Flüssigkeitszusammensetzung (/14). Man muß daher die Destillation schon dann u n t e r b r e c h e n („fraktionierte" Destillation), wenn der D a m p f eine Zusammensetzimg z w i s c h e n den beiden Punkten B2 und Bt (etwa B3) und die F l ü s s i g k e i t eine Zusammensetzung z w i s c h e n den beiden Punkten A2 und A4 (etwa A3) aufweist. Wir haben dann die ursprüngliche Flüssigkeit (A2) in einen s t i c k s t o f f r e i c h e r e n g a s f ö r m i g e n (B3) und einen s a u e r s t o f f r e i c h e r e n f l ü s s i g e n Anteil (A3) getrennt. Kondensiert man den Dampf (B 3 ) völlig, so erhält man eine Flüssigkeit (A^, welche beim Sieden einen schon s e h r s t i c k s t o f f r e i c h e n Dampf (ßj) ergibt. Bei völligem Verdampfen des flüssigen H o 11 e m a n - W i b e r g , Anorganishe Chemie. 37.— 39. Aufl.

3

34

Das Wasser und seine Bestandteile

Anteils (A 3 ) andererseits entsteht ein Dampf (Bs), welcher beim Kondensieren zu einer s e h r s a u e r s t o f f r e i c h e n Flüssigkeit (Ab) führt. Auf diese Weise gelingt es, durch w i e d e r h o l t e fraktionierte Destillation und Kondensation schließlich r e i n e n S a u e r s t o f f und r e i n e n S t i c k s t o f f zu gewinnen. I n der Technik wird diese ,,Rektifikation" der flüssigen Luft in großem Maßstabe unter Verwendung selbsttätig wirkender Rektifikationsapparate durchgeführt. In den H a n d e l kommt der Sauerstoff in (blau gestrichenen) S t a h l f l a s c h e n („Bomben") unter einem Druck von 150 Atmosphären. ß) Aus Wasser Eine einfache Methode zur Zerlegung des W a s s e r s in seine elementaren Bestandteile W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f haben wir auf S.13 schon kennengelernt. E s ist die sogenannte „Elektrolyse des Wassers", d. h. die S p a l t u n g durch Zufuhr e l e k t r i scher Energie: Energie + 2 H 2 0

>- 2H¡¡ + 0 2 .

Hierbei wird der W a s s e r s t o f f an der negativen K a t h o d e , der S a u e r s t o f f an der positiven A n o d e entwickelt. Der Energieverbrauch zur Darstellung eines Kubikmeters Sauerstoff beträgt rund 10 Kilowattstunden (kWh) gegenüber nur rund 1 kWh bei der Gewinnung durch Luftzerlegung. Daher ist die technische Sauerstofferzeugung durch Wasserelektrolyse Sauerstoff*nur in Ländern mit b e s o n »Wassensfotf d e r s b i l l i g e n W a s s e r k r ä f t e n lohnend. Wasser f | . - - - Diaphragma . Hafhode (Eisen)

Anode. Wic/re!) bipolare £/e/rfro - 2HF +

VsOj.

In gleicher Weise — jedoch nur unter der gleichzeitigen Einwirkung von L i c h t — reagiert das in seinen chemischen Eigenschaften dem Fluor ähnliche C h l o r (vgl. S. 83f.). Diese c h e m i s c h e n Verfahren der Wasserzersetzung haben aber keinerlei praktische Bedeutung. y) Aus festen Sauerstoffverbindungen Wie das Wasser können auch a n d e r e S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n durch Zufuhr von Energie unter Bildung von Sauerstoff gespalten werden. So geben z . B . die Sauerstoffverbindungen („Oxyde") der E d e l m e t a l l e (etwa des Silbers, Golds, Palladiums,

Der Sauerstoff

35

Platins, Rhodiums, Iridiums) besonders leicht, schon bei verhältnismäßig schwachem Erwärmen, ihren S a u e r s t o f f a b : 2 Au 2 0 3

4 Au + 3 0 2

2Ag 2 0

>- 4Ag + 0 2

Pt0 2

Pt + 0 2 .

Ein Beispiel für diese Art der Sauerstoffbildung aus Metalloxyden hatten wir schon auf S. 9 bei der Besprechung der Zusammensetzung von Q u e c k s i l b e r o x y d (2HgO —>- 2Hg + 0 2 ) kennengelernt. Im Laboratorium verwendet man zur Sauerstoffherstellung allerdings nicht solche E d e l m e t a l l - O x y d e , sondern w o h l f e i l e r e , etwas komplizierter zusammengesetzte Sauerstoffverbindungen, z. B . K a l i u m c h l o r a t (KC10 3 ), K a l i u m n i t r a t ( K N 0 3 ) , K a l i u m p e r m a n g a n a t (KMn0 4 ). Insbesondere das Erhitzen von K a l i u m c h l o r a t stellt eine gebräuchliche L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Gewinnung von Sauerstoff dar. Die Reaktion verläuft so, daß zunächst ein Austausch des Sauerstoffs unter Bildung einer sauerstoff-reicheren und einer sauerstoff-ärmeren (bzw. sauerstoff-freien) Verbindung erfolgt („Disproportionierung"): 4 KC10S

40011

> 3KC104 + KCl,

Kaliumciilorat

KaliumPerchlorat

KaliumChlorid

worauf die sauerstoffreiche Verbindung (Kaliumperchlorat) bei stärkerem Erhitzen unter Sauerstoffabgabe zerfällt: KCl + 2 0 2 . Wichtig für die Laboratoriumspraxis ist, daß diese Sauerstoffgewinnung aus Kaliumchlorat durch sogenannte „Katalysatoren" 1 beschleunigt werden kann. Unter Katalysatoren (S. 111 f.) versteht man dabei ganz allgemein Stoffe, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion e r h ö h e n {„positive Katalysatoren") oder e r n i e d r i g e n („negative Katalysatoren"), o h n e d a b e i s e l b s t v e r b r a u c h t zu w e r d e n , so daß sie nach der Reaktion u n v e r ä n d e r t wieder vorliegen und in der R e a k t i o n s g l e i c h u n g daher n i c h t a u f t r e t e n . So wird z. B. die Sauerstoffabgabe aus Kaliumchlorat durch dieZugabe von M a n g a n d i o x y d (Braunstein),Mn0 2 , wesentlich erleichtert.Erhitzt man eine Mischung von Kaliumchlorat (Sauerstoffentwicklung bei 500°) und Braunstein (Sauerstoffentwicklung bei 600°) im Gewichtsverhältnis 10 : 1, so tritt die Sauerstoffentwicklung schon bei 150° ein, ohne daß es zu der oben erwähnten Disproportionierung kommt: 2KC10 31 M11O,

2 KCl + 3 0 .* .

Die Gegenwart des Katalysators bewirkt also eine Erniedrigung der Zerfallstemperatur des Kaliumchlorats um 350°.

c) Physikalische Eigenschaften Sauerstoff ist bei gewöhnlicher Temperatur und unter normalem Luftdruck ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch starke Abkühlung läßt er sich zu einer bläulich gefärbten Flüssigkeit verdichten, welche bei —183.0° siedet und bei —218.9° zu hellblauen Kristallen erstarrt. Die Dichte des flüssigen Sauerstoffs beträgt beim Siedepunkt 1.118. In 100 Volumina Wasser lösen sich bei 0° 4.9, bei 20° 3.1 Raumteile Sauerstoffgas (vgl. S. 61).

d) Chemische Eigenschaften Die charakteristischste chemische Eigenschaft des S a u e r s t o f f s ist seine Fähigkeit, sich bei erhöhter Temperatur mit zahlreichen Stoffen unter L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g zu verbinden. Auf dieser Umsetzung mit Sauerstoff — „Oxydation" — 1

katalyein (KcrraAuEiv) = auslösen. 3*

36

Das Wasser und seine Bestandteile

beruht j a der Vorgang der V e r b r e n n u n g von Stoffen an der L u f t . Allerdings sind die Verbrennungserscheinungen hier n i c h t so l e b h a f t wie i n r e i n e m S a u e r s t o f f , da der in der Luft neben Sauerstoff noch vorhandene, die Verbrennung nicht unterhaltende S t i c k s t o f f einen Teil der Verbrennungswärme zu seiner Erwärmung verbraucht. Infolgedessen kann die Temperatur und damit die Lichtentwicklung — die ja in hohem Maße von der Temperatur abhängt — trotz Eatwicklung der gleichen Wärmemenge nicht den gleichen Grad wie bei der Verbrennung in reinem Sauerstoff erreichen, bei dem der Stickstoffballast wegfällt So verbrennt z. B . H o l z k o h l e , die an der Luft nur mäßig und ohne große Lichtentwicklung glüht, in reinem Sauerstoff mit großem Glänze. E s wird dabei der Kohlenstoff (C) der Holzkohle zu gasförmigem, farblosem K o h l e n d i o x y d (C0 2 ) „oxydiert": C + 02 •>• C0 2 + Energie . In gleicher Weise beginnt ein glimmender H o l z s p a n in einem mit Sauerstoffgaa gefüllten Gefäß sogleich mit heller Flamme und ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zu brennen, was man zur E r k e n n u n g d e s S a u e r s t o f f s {„Reaktion auf Sauerstoff) benutzt. Der an der Luft mit schwacher blauer Flamme brennende S c h w e f e l (S) verbrennt in Sauerstoff mit intensiv blauem Licht zu gasförmigem, farblosem, stechend riechendem S c h w e f e l d i o x y d ( S 0 2 ) : S + 0 2 - — v S0 2 + Energie . Entzündeter P h o s p h o r (P) ergibt unter blendend weißer Lichtentwicklung festes, weißes P h o s p h o r p e n t o x y d ( P 2 0 5 ) : 4P + 5 0 2 2P 2 0 5 + Energie . Eine an einem Ende glühend gemachte stählerne U h r f e d e r ( E i s e n F e ) verbrennt im Sauerstoff unter lebhaftem Funkensprühen zu E i s e n o x y d ( F e 2 0 3 ) : 4 Fe + 3 0 2 s>- 2 Fe 2 0 3 + Energie . M a g n e s i u m d r a h t (Mg) oder C a l c i um späne (Ca) verbrennen unter blendender Lichterscheinung und Bildung weißer M a g n e s i u m o x y d - bzw. C a l c i u m o x y d - N e b e l : 2 Mg + 0 2 >- 2MgO + Energie 2 Ca + 0 2 —>- 2CaO + Energie . N i c h t a l l e O x y d a t i o n s v o r g ä n g e verlaufen wie die vorstehend beschriebenen Verbrennungsvorgänge unter ausgesprochener L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g . E s gibt vielmehr auch l a n g s a m b e i U m g e b u n g s t e m p e r a t u r verlaufende O x y d a t i o n e n , die o h n e diese sinnfälligen Begleiterscheinungen vor sich gehen. Man nennt sie „stille Verbrennungen" („Autoxydationen"). Hierzu gehören z. B . das R o s t e n und A n l a u f e n von Metallen, das V e r m o d e r n von Holz und sonstige V e r w e s u n g s e r s c h e i n u n g e n , sowie vor allem die A t m u n g d e r O r g a n i s m e n . Bei diesem Atmungsvorgang spielen sich im Organismus der T i e r e und M e n s c h e n (im Organismus der P f l a n z e n bei der Nachtatmung) stille Verbrennungen ab, durch welche die Nahrungsmittel — z. B . „Kohlenhydrate", C m (H 2 0) n — mittels des eingeatmeten Sauerstoffs der Luft in Kohlendioxyd (ausgeatmet) und Wasser (ausgeschieden) übergeführt werden: C m (H 2 0) n + mO,

Tier
m C0 2 + n H 2 0 + Energie .

Pflanze

Die bei dieser Oxydation langsam f r e i w e r d e n d e E n e r g i e dient zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und L e b e n s v o r g ä n g e . Der umgekehrte Vorgang, der Aufbau von Kohlenhydraten aus Kohlendioxyd, Wasser und Energie (Sonnenlicht) spielt sich bei der Tagesatmung der P f l a n z e n ab. Auf diese Weise wird der von Mensch und Tier verbrauchte Sauerstoff wieder r ü c k g e b i l d e t . Pflanzliche und tierische Atmung sind dabei so a u f e i n a n d e r a b g e s t i m m t , daß sich—zumal wenn man die ungeheure Sauerstoffmenge der Atmosphäre (S. 64) in Rechnung stellt — der Sauerstoffgehalt der Luft p r a k t i s c h n i c h t ä n d e r t .

Der Wasserstoff

37

Nicht immer wurde die Verbrennungserscheinung richtig als die Vereinigung von Stoffen mit Sauerstoff gedeutet. So stellte z. B. der deutsche Arzt und Chemiker GEORG ERNST STAHL (1660—1734) im Jahre 1710 die Theorie auf, daß beim Verbrennen eines Stoffs ein g a s f ö r m i g e s E t w a s entweiche, das er „Phlogiston"1 nannte. Nach dieser Theorie („Phlogistontheorie") nahm man an, daß ein Stoff um so leichter und heftiger verbrenne, je mehr Phlogiston er enthalte. S c h w e f e l , P h o s p h o r , K o h l e n s t o f f , W a s s e r s t o f f galten danach als s e h r p h l o g i s t o n r e i o h e S t o f f e . Auch als LAVOISIER (S. 11) im Jahre 1777 zeigte, daß der von CARL WILHELM SCHEELE (1742—1786) und JOSEPH PRIESTLEY (1733 — 1804), unabhängig voneinander, im Jahre 1774 als Luftbestandteil erkannte Sauerstoff für die Verbrennung notwendig ist und daß bei der Verbrennung eine Gewichtszunahme und nicht eine G e w i c h t s a b n a h m e zu beobachten ist, gab man die Phlogistontheorie noch nicht auf, sondern suchte sie durch Zusatzhypothesen zu retten. So betrachtete man den Sauerstoff als „dephlogistierte", d. h. von Phlogiston befreite Luft, welche ein großes Bestreben habe, anderen Stoffen ihr Phlogiston zu entziehen, und schrieb dem Phlogiston ein „negatives Gewicht" zu. Heutzutage mag man vielleicht die Hartnäckigkeit nicht ganz begreifen, mit der man lange Zeit die Phlogistonhypothese aufrechtzuerhalten suchte. Man muß aber bedenken, daß diese Hypothese einen wahren Kern enthielt. Das, was die Phlogistiker als e n t w e i c h e n d e s P h l o g i s t o n ansahen, ist in der heutigen Ausdrucksweise die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e . Dadurch, daß die Phlogistontheorie bei den Verbrennungserscheinungen nicht klar zwischen den e n e r g e t i s c h e n und den s t o f f l i c h e n Umsetzungen unterschied und auch d a s P h l o g i s t o n als einen S t o f f betrachtete, verstrickte sie sich bald in unlösbare Widersprüche.

2. D e r Wasserstoff

a) Vorkommen Der Wasserstoff, der im Jahre 1 7 6 6 von dem englischen Privatgelehrten HENRY CAVENDISH ( 1 7 3 1 — 1 8 1 0 ) entdeckt wurde, kommt in f r e i e m Z u s t a n d e nur spurenweise in der A t m o s p h ä r e vor. I n g e b u n d e n e m Z u s t a n d e ist er als Bestandteil des W a s s e r s (11.2 Gewichtsprozente Wasserstoff) und anderer Verbindungen weit verbreitet; und zwar ist im Durchschnitt jedes sechste bis siebente Atom aller am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Wasser- und Lufthülle) beteiligten Atome ein Wasserstoffatom (vgl. S. 69).

b) Darstellung a) Aus Wasser Die Darstellung von W a s s e r s t o f f erfolgt zweckmäßig aus W a s s e r (H 2 0), das in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht. Wie bei der Sauerstoffdarstellung kann die Zerlegung des Wassers auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. Die Zersetzung auf physikalischem Wege durch Elektrolyse haben wir beim Sauerstoff schon geschildert (S. 34). Wie dort wird das Wasser auch hier zwecks Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit mit N a t r o n l a u g e versetzt. Auch wässerige K o c h s a l z l ö s u n g e n werden zur Elektrolyse verwandt („Chloralkali-elektrolyse"; vgl. S. 424ff.). Zur Zersetzung des Wassers auf chcmischem Wege können alle Metalle und Nichtmetalle dienen, welche ein großes Bestreben haben, sich mit dem Sauerstoff des Wassers zu verbinden. Unter den Metallen sind die sogenannten A l k a l i m e t a l l e (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium, Francium) besonders reaktionsfähig. Bringt man beispielsweise ein Stückchen N a t r i u m m e t a l l (Na) auf Wasser, so bewegt es sich unter lebhafter Wasserstoffentwicklung und unter Schmelzen auf der Wasseroberfläche um her und geht als N a t r i u m h y d r o x y d (NaOH) in Lösung: 2 H Ö H + 2 Na 1

phlogistos ((pAoyitrros) = verbrannt.

2 N a O H + H 2 + Energie.

38

Das Wasser und seine Bestandteile

In ganz analoger Weise reagieren die übrigen Alkalimetalle unter Bildung entsprechender Metallhydroxyde MeOH (Me = Alkalimetall). Die Heftigkeit der Reaktion nimmt dabei mit steigendem Atomgewicht des Alkalimetalls zu. Die gleiche Beobachtung macht man bei den sogenannten E r d a l k a l i m e t a l l e n (Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium, Barium, Radium). Während Calcium, Strontium und Barium sich mit dem Wasser verhältnismäßig lebhaft — wenn auch weniger heftig als die Alkalimetalle — gemäß der Gleichung 2 H Ö H + Me — M e ( O H ) 2 + H 2 + Energie

(Me = Erdalkalimetall) umsetzen, reagiert das Magnesium erst bei erhöhter Temperatur (Überleiten von Wasserdampf über erhitztes Magnesiumpulver), dann allerdings unter starker Licht- und Wärmeentwicklung: H 2 0 + Mg

v MgO + H 2 + Energie .

Für die t e c h n i s c h e Wasserstoffherstellung kommen die vorstehend genannten Metalle wegen ihres hohen Preises nicht in Frage. Dagegen dient die Zerlegung von Wasser durch E i s e n bei Rotglut 1 in begrenztem Umfange zur technischen Wasserstofferzeugung 2 : Energie + H 2 0 + Fe — > - FeO + H 2 .

(1)

Das gebildete Eisenoxyd wird in der Technik durch Kohlenoxyd CO (z. B. in Form von Wassergas; s. unten) immer wieder in Eisen zurückverwandelt: FeO + CO Fe + C 0 2 , (2) indem man abwechselnd Wasserdampf und Wassergas über das Eisen bzw. Eisenoxyd leitet. Auf diese Weise kommt man mit einer endlichen Menge Eisen aus. Addiert man die beiden Gleichungen der Wasserstoffbildung (1) und Eisenregenerierung (2), so beben sich Eisenoxyd und Eisen heraus, so daß man die Gesamtgleichung H 2 0 + CO — >- H 2 + C 0 2 (3) erhält. Das Verfahren beruht also in s u m m a darauf, daß Wasserdampf und Kohlenoxyd zu Wasserstoff und Kohlendioxyd umgesetzt werden. D a sich diese Reaktion bei Gegenwart eines Katalysators auch d i r e k t — d. h. ohne den U m w e g einer vorherigen Bildung von Eisenoxyd — durchführen läßt (s. unten), spielt das Verfahren der Wasserstofferzeugung aus Wasserdampf und Eisen gegenüber diesem direkten Verfahren (3) keine große Rolle mehr.

Statt durch M e t a l l e kann das Wasser auch durch N i c h t m e t a l l e zerlegt werden. Ein wichtiges derartiges Nichtmetall ist der K o h l e n s t o f f , der sich bei Gelbglut mit Wasserdampf nach der Gleichung Energie + H 2 0 + C

CO + H 2

(4)

umsetzt. Wegen der Billigkeit der Kohle ist dieses Verfahren der Wasserstoffdarstellung in Deutschland das technisch gebräuchlichste und wichtigste. Das entstehende Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff heißt ,,Wassergas" (S. 306 f.). Die Abtrennung des Kohlenoxyds aus diesem Gas erfolgt in der Technik in geschickter Weiso so, daß man es bei Gegenwart eines Katalysators mit weiterem Wasserdampf nach der oben schon erwähnten Reaktion (3) unter N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu Kohlendioxyd „verbrennt": H 2 0 + CO — H

2

+ C 0 2 + Energie ,

(3)

welches sich unter Druck leicht mit Wasser herauswaschen läßt (S. 226). 1 Zur ungefähren Bezeichnung höherer Temperaturen bedient man sich häufig der Ausdrücke „Rotglut" und „Weißglut", wobei man folgende Unterscheidungen macht: Beginnende Rotglut ~ 500° Gelbglut ~ 1100° Dunkelrotglut ~ 700° Beginnende Weißglut . . ~ 1300° Hellrotglut ~ 900» Weißglut ~ 1500°. 2 Die Gleichung ist hier mit dem einfachsten Eisenoxyd formuliert; in Wirklichkeit sind die Verhältnisse aber etwas komplizierter. So bildet sich beispielsweise unterhalb v o n etwa 560° überhaupt kein FeO (S. 534) mehr, sondern lediglich ein Mischoxyd F e 3 0 4 = FeO • F e 2 0 , (S. 534, 536).

39

Der Wasserstoff

Die beiden Gleichungen (3) und (4) ergeben addiert die Gesamtgleichung 2H20 + C —>• 2H2 + C02. (5) I n s u m m a reagiert also der Kohlenstoff mit dem Wasserdampf u n t e r Bildung von Wasserstoff und Kohlendioxyd. Bei Verwendung von B r a u n k o h l e gelingt es, die Gesamtreaktion (5V technisch auch in e i n e m Arbeitsgang durchzuführen (S. 307).

ß) Aus Säuren Für die Darstellung von Wasserstoff im L a b o r a t o r i u m benutzt man im allgemeinen nicht das W a s s e r H 2 0 als Ausgangsmaterial, sondern andere Wasserstoffverbindungen, sogenannte „ S ä u r e n " H n X (S. 92), aus denen der Wasserstoff leichter als beim Wasser durch Metalle in Freiheit gesetzt wird. Eine solche Säure ist z. B. die durch Auflösen des schon oft erwähnten Chlorwasserstoffs (HCl) in Wasser entstehende Salzsäure. Bringt man z. B. Zink — das mit Wasser erst bei erhöhter Temperatur reagiert — mit Salzsäure zusammen, so erfolgt bereits bei Zimmertemperatur lebhafte Wasserstoffentwicklung : Zn + 2 HCl — v ZnCl 2 + H 2 .

(6)

Die Reaktion wird zweckmäßig in einem „ K I P P . schen Apparat" durchgeführt, der auch für die Entwicklung vieler anderer Gase im Laboratorium geeignet ist.

Sa/zsäure

-Kugeltrichter

GlasschUff

E r b e s t e h t (Fig. 18) aus einem K u g e l t r i c h t e r Wasserstoff u n d einem aus zwei K u g e l n bestehenden E n t w i c k l u n g s g e f ä ß . Trichter u n d Entwicklungsgefäß sind durch einen Glasschliff d e r a r t miteinander v e r b u n d e n , _ Enfwickltings Zink^ gefäß d a ß das lange Ansatzrohr des ersteren bis in den unteren Teil des letzteren hineinragt, ohne dabei die Verbindung der beiden K u g e l n des Entwicklungsgefäßes zu u n t e r b r e c h e n . I n der m i t t l e r e n der drei Kugeln b e f i n d e t sich das Zink, die o b e r e u n d u n t e r e Salzsäurt / :;• Kugel e n t h a l t e n Salzsäure. Ö f f n e t m a n den H a h n der mittleren Kugel, so fließt infolge des Überdrucks der Flüssigkeit ssäule Säure aus der oberen in die untere Kugel, gelangt so schließlich mit d e m Zink der mittleren K u g e l in B e r ü h r u n g u n d setzt sich mit diesem nach der obigen Reaktionsgleichung (6) u n t e r Bildung von Wasserstoff Fig. 18. Wasserstoffgewinnung im u n d Zinkchlorid (ZnCl 2 ) u m . Schließt m a n den H a h n , so K I P P sehen A p p a r a t wird durch die zunächst noch f o r t d a u e r n d e Wasserstoffentwicklung die Säure aus der m i t t l e r e n Kugel auf d e m Wege über die u n t e r e Kugel u n d das Ansatzrohr des K u g e l t r i c h t e r s in diesen zurückgedrängt, so d a ß die B e r ü h r u n g zwischen Säure u n d Metall unterbrochen wird u n d die Gasentwicklung z u m S t i l l s t a n d k o m m t . Auf diese Weise ist m a n in der Lage, durch einfaches Öffnen u n d Schließen des H a h n s die Wasserstoffentwicklung in Gang zu bringen oder zu unterbrechen.

In den H a n d e l kommt der Wasserstoff in (rot gestrichenen) S t a h l b o m b e n , in denen er unter einem Druck von 150 Atmosphären zusammengepreßt ist.

c) Physikalische Eigenschaften Wasserstoff ist ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch sehr starke Abkühlung läßt er sich zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, welche bei —252.8° C 20.4° abs.) siedet und bei — 259.2° C (14.0° abs.) zu einer festen Masse erstarrt. Spezifisches Gewicht. Da der Wasserstoff unter allen Stoffen das k l e i n s t e Molek u l a r g e w i c h t (2.0160) besitzt, ist er das l e i c h t e s t e aller Gase. 1 Liter Wasserstoff wiegt bei 0° und 760 mm 2.0160:22.415 = 0.0899 g; die Luft besitzt demgegenüber unter gleichen Bedingungen ein 14.38 mal größeres Litergewicht von 1.2928 g. Dementsprechend zeigt der Wasserstoff in Luft einen A u f t r i e b von rund 1.3—0.1 = 1.2 g

40

Das Wasser und seine Bestandteile

je Liter oder 1.2 kg je Kubikmeter. E r eignet sich somit bestens als F ü l l g a s für L u f t b a l l o n s und L u f t s c h i f f e . Zum Tragen von zwei Personen samt Ballon, Gondel und Ausrüstung sind etwa 600 m 3 Wasserstoff (Ballondurchmesser von 10—11 m) erforderlich; ein modernes Zeppelinluftschiff benötigt etwa 250000 m 3 . Nachteilig für die Verwendung des Wasserstoffs als Füllgas ist seine B r e n n b a r k e i t (S. 42) und sein großes D i f f u s i o n s v e r m ö g e n (S.40f.). Daher bevorzugt man jetzt H e l i u m (S. 76) als Traggas. — Auch im flüssigen und festen Zustande ist der Wasserstoff erheblich leichter als andere Stoffe. So wiegt der flüssige Wasserstoff beim Siedepunkt 0.0700 g/cnv! und der feste Wasserstoff beim Schmelzpunkt 0.0763 g/cm3. Kritische Daten. Lange Zeit hindurch hielt man den Wasserstoff — wie auch verschiedene andere Gase — für ein sogenanntes „permanentes Gas", d. h. ein Gas, das in k e i n e n der b e i d e n a n d e r e n A g g r e g a t z u s t ä n d e übergeführt werden könnte. Zu dieser Meinung gelangte man, weil alle Versuche, den o m wM Wasserstoff durchDruck zu verflüssigen, fehlschlugen, obwohl man Drucke bis zu mehreren tausend Ifl JTi Atmosphären anwandte. Heute weiß man, daß es Kty dd"dfi für jeden Stoff eine M a x i m a l t e m p e r a t u r gibt, k Temperatut oberhalb derer er auch durch einen noch so hohen Ikrit. Druck n i c h t v e r f l ü s s i g t w e r d e n k a n n . Diese Fig. 19. Kritischer Zustand Temperatur nennt man „kritische Temperatur". Wir können die Bedeutung dieser Temperatur leicht verstehen, wenn wir uns die Vorgänge beim Erhitzen einer Flüssigkeit näher vergegenwärtigen : In einem g e s c h l o s s e n e n G e f ä ß (Fig. 19) befinde sieh eine Flüssigkeit unter ihrem eigenen Dampfdruck (S. 51 f.). Bei bestimmter Temperatur^ hat die F l ü s s i g k e i t eine bestimmte F l ü s s i g k e i t s d i c h t e dfx, der D a m p f eine bestimmte D a m p f d i c h t e ; dfL ist dabei wesentlich größer als dá. Erhöhen wir die Temperatur auf den Wert t2, so verdampft ein Teil der Flüssigkeit, bis der der Temperatur t2 entsprechende höhere Dampfdruck erreicht ist. Die D a m p f d i c h t e d¿ wird damit g r ö ß e r . Gleichzeitig n i m m t dn a b , weil sich die Flüssigkeit mit steigender Temperatur ausdehnt. Bei weiterer Temperaturerhöhung nimmt dd weiter zu, dn weiter ab. Schließlich kommt ein Punkt, bei dem dd = d,] wird. F l ü s s i g k e i t und D a m p f haben bei dieser Temperatur die g l e i c h e D i c h t e , so daß k e i n U n t e r s c h i e d mehr zwischen beiden besteht. Die Temperatur, bei der dies der Fall ist, bezeichnet man als kritische Temperatur-, die zugehörige Dichte heißt kritische Dichte, der zugehörige Druck kritischer Druck. Beim W a s s e r s t o f f beträgt die kritische Temperatur —239.9° C (33.3° abs.), der kritische Druck 12.8 Atmosphären und die kritische Dichte 0.031 g/cm3. Will man also den Wasserstoff v e r f l ü s s i g e n , so muß man eine Temperatur von —239.9° u n t e r s c h r e i t e n ; es genügt dabei ein Druck von 12.8 Atmosphären. — Für den S a u e r s t o f f beträgt die kritische Temperatur —118.8°, der kritische Druck 49.7 Atmosphären und die kritische Dichte 0.430 g/cm 3 . Diffusionsvermögen. Unter dem D i f f u s i o n s v e r m ö g e n von Gasen versteht man ihre Fähigkeit, sich — auch durch poröses Material hindurch — in e i n a n d e r e s M e d i u m h i n e i n a u s z u b r e i t e n . Die G e s c h w i n d i g k e i t dieser Diffusion ist bei gegebenen äußeren Bedingungen der W u r z e l aus dem M o l e k u l a r g e w i c h t des Gases u m g e k e h r t p r o p o r t i o n a l . Daher verhalten sich die D i f f u s i o n s g e s c h w i n d i g k e i t e n v zweier Gase u m g e k e h r t wie die W u r z e l n a u s i h r e n M o l e k u l a r gewichten M : «l l / 5 v3

]/ M1 •

Der Waeserstoff

41

Als l e i c h t e s t e s Gas diffundiert dementsprechend der W a s s e r s t o f f am s c h n e l l s t e n durch poröse Trennwände — z. B. das Material einer Ballonhülle (S. 40) — hindurch. J a selbst durch M e t a l l e wie Eisen, Platin oder Palladium diffundiert der Wasserstoff verhältnismäßig leicht (S. 552f.). Wärmeleitvermögen. Das W ä r m e l e i t v e r m ö g e n des Wasserstoffs ist verhältnismäßig hoch und etwa siebenmal so groß wie das der Luft, da sich die leichteren Wasserstoffmoleküle wesentlich schneller bewegen als die schwereren Stickstoff- und Sauerstoffmoleküle, dabei aber gleichviel Energie pro Molekel transportieren (vgl. S. 23). Bringt man z. B. in einem mit S t i c k s t o f f gefüllten Glaszylinder eine Platinspirale auf elektrischem Wege gerade zum Glühen und verdrängt dann den S t i c k s t o f f durch W a s s e r s t o f f , so leuchtet die Spirale nicht mehr, weil sie in Wasserstoff weit mehr Wärme durch Leitung verliert als in Stickstoff. Löslichkeit. Die L ö s l i c h k e i t des Wasserstoffs in W a s s e r ist gering. 1001 Wasser lösen bei Zimmertemperatur und Atmosphärendruck 21 Wasserstoff. In A l k o h o l ist die Löslichkeit etwas größer. Ein außerordentlich großes Lösungsvermögen für Wasserstoff besitzen dagegen viele M e t a l l e . So kann z. B. schwammförmiges P a l l a d i u m metall, welches den Wasserstoff am besten löst, das 850fache seines eigenen Volumens an Wasserstoff aufnehmen. Spektrum. Bringt man f e s t e S t o f f e durch Erhitzen zum G l ü h e n und zerlegt das hierbei ausgesandte Licht durch ein Prisma, so erhält man ein sogenanntes „kontinuierliches Spektrum", d. h. ein Spektrum, in welchem alle Farben des sichtbaren, sowie ultraroten und ultravioletten Lichts (S. 76) PeJrtrcxfe Wassersra/f Elektrott« vertreten sind. Anders verhalten sich g l ü h e n d e Gase und D ä m p f e . Hier erhält man ein aus einzelnen Linien bestehendes, sogenanntes ,,dis|-MNMR-| kontinuierliches Spektrum". Und zwar weist /nduktortvm jedes Gas ganz charakteristische Spektral-linien auf, an denen es — auch bei Gegenwart an- Fig. 20. Anregung von Wasserstoff in der PLÜCKER-Röhre derer Stoffe — eindeutig erkannt werden kann („Spektralanalyse"). Der W a s s e r s t o f f kann am bequemsten dadurch zum Leuchten gebracht werden, daß man ihn unter vermindertem Druck in eine mit Elektroden versehene Glasröhre („GEissLER-Röhre", „PLÜCKER-Röhre") bringt und der e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g eines Induktoriums aussetzt (Fig. 20). Er leuchtet dann in einem eigentümlichen Rot auf. Aber nur dem unbewaffneten Auge erscheint dieses Licht als rot. Zerlegt man es durch ein Prisma, so beobachtet man deutlich vier g e t r e n n t e L i n i e n , die als HÄ, H,j, H y und HÄ bezeichnet werden und folgende Wellenlängen besitzen: H« Rß Hy Ha

6564.66 4862.71 4341.71 4102.91

Ä A A A

(rot) (grünlichblau) (violett) (violett).

Bei Benutzung geeigneter Spektrographen und einer p h o t o g r a p h i s c h e n P l a t t e lassen sich noch w e i t e r e , im U l t r a v i o l e t t liegende Linien sichtbar machen. Man erhält so das in Fig. 21 wiedergegebene Spektrum, das man auch als „BALMER-Serie" des Wasserstoffspektrums bezeichnet. Wie man aus dieser BALMER-Serie ersieht, rücken die einzelnen Linien beim Fortschreiten vom langwelligen zum kurzwelligen Licht hin in gesetzmäßiger Weise immer näher zusammen. Mathematisch läßt sich diese Gesetzmäßigkeit durch die Gleichung

42

Das Wasser und seine Bestandteile

erfassen, worin X die Wellenlänge in cm, Z?H die sogenannte „RvDBERCsche Konstante" ( = 109677.7) und n die Reihe der ganzen Zahlen — begonnen mit n = 3 — bedeutet 1 . Für die obigen vier Linien H a , H^, H y und HÄ errechnen sich nach dieser Gleichung die Wellenlängen 6564.69, 4862.73, 4341.73 und 4102.93, die sehr genau mit den beobachteten Werten übereinstimmen. Für n = oo wird X = 4:7? H = 3.647 X L O - 5 cm = 3647 A. Diese Wellenlänge stellt die „Seriengrenze" der BALMER-Serie dar. Jenseits der Seriengrenze ist das Spektrum kontinuierlich. 5eriengrenze HA

7000



6000

HR

5000

HA

J

fOOO

3000 Ä

Fig. 21. BALMER-Spektrum des Wasserstoffs Außer der BALMER-Serie weist der Wasserstoff noch mehrere andere Serienspektren auf: die im u l t r a v i o l e t t e n Gebiet liegende LVMAN-Serie und drei im U l t r a r o t e n gelegen» Serienspektren, die als PASCH EN-Serie, BÜACKETT-Serie und PFUND-Serie bezeichnet werden. Sie lassen sich durch analoge Formeln mit der g l e i c h e n K o n s t a n t e darstellen: LYMAN-Serie

ä

= -ß H f-p; \ P

PASCHEN-Serie

4- =

BRACKETT-Serie

4 - = - Ra h I - t2; /i \ 4

PFUND-Serie

y

/

l

n2/

» = 2, 3, 4, 5. . .

V) N*}

n = 4, 5, 6. . .

V) n2 /

n = 5, 6. . .

= Ä H ("^r ~

n

=

6

•• •

Die Deutung dieser Gesetzmäßigkeit werden wir später (S. 140ff.) kennenlernen.

d) Chemische Eigenschaften Die charakteristischste chemische Eigenschaft des W a s s e r s t o f f s ist seine B r e n n b a r k e i t . Entzündet man Wasserstoff an der Luft, so verbrennt er mit fahler, bläulicher, heißer Flamme zu Wasser: 2 H2 + 0 2

2 H 2 0 + Wärme .

(7)

Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r erfolgt die Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser mit u n m e ß b a r g e r i n g e r G e s c h w i n d i g k e i t . Ein Gemisch von Wasserstoff und Sauerstoff im VolumenV e r h ä l t n i s 2:1 kann man z . B . tage- und monatelang aufbewahren, ohne daß es zu einer merklichen Umsetzung kommt. Daß aber auch bei dieser niedrigen Temperatur die Neigung zur Wasserbildung besteht, ersieht man daraus, daß bei Zugabe eines K a t a l y s a t o r s (S. 35) die Reaktion stattfindet. Läßt man ein Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch beispielsweise in Berührung mit wenig f e i n v e r t e i l t e m P a l l a d i u m - oder P l a t i n m e t a l l stehen, so erfolgt schon bei Zimmertemperatur in kurzer Zeit — oft unter Explosion — quantitative Bildung von Wasser. Der deutsche Chemiker JOHANN WOLFGANG DÖBEREINER (1780—1849) bediente sich schon im Jahre 1823 dieser katalytischen Wirkung des Platins zur Herstellung 1 Bei n = 1 würde man einen n e g a t i v e n , bei n — 2 einen u n e n d l i c h g r o ß e n für X erhalten. In diesen Fällen hätte also die Gleichung keinen physikalischen Sinn.

Wert

43

Der Wasserstoff

eines F e u e r z e u g s („DÖBEREINERS Feuerzeug"). Bei diesem Feuerzeug wurde aus Zink und Säure Wasserstoff entwickelt (S. 39), der durch eine Düse gegen feinverteiltea Platin strömte. Die bei der so katalysierten Wasserbildung frei werdende Wärme brachte das Platin zum Glühen, so daß sich der ausströmende Wasserstoff entzündete. Bei e r h ö h t e r T e m p e r a t u r erfolgt die Wasserbildung aus Wasserstoff und Sauerstoff auch ohne G e g e n w a r t eines K a t a l y s a t o r s mit meßbarer Geschwindigkeit (vgl. S. 112f.). Erhitzt man z. B. ein Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch an einer Stelle durch Berühren mit einer Flamme auf etwa 600°, so kommt die Reaktion in Gang. Durch die hierbei freiwerdende Wärme werden die Nachbarpartien der erhitzten Stelle zur Umsetzung angeregt. Die so weitergeführte Reaktion erzeugt ihrerseits Wärme usw., so daß sich die Umsetzung schließlich von der erhitzten Stelle ausgehend unter starker Temperatursteigerung e x p l o s i o n s a r t i g durch das ganze Gemisch hindurch fortsetzt („Knallgasexplosion"). Der dabei zu beobachtende laute Knall kommt dadurch zustande, daß der gebildete Wasserdampf infolge der momentan entwickelten Reaktionswärme plötzlich ein viel größeres Volumen erlangt, als es das ursprüngliche Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch einnahm, so daß die Luft mit großer Gewalt weggestoßen wird. Wegen der G e f ä h r l i c h k e i t der Knallgasexplosion muß man sich beim Arbeiten mit Wasserstoff stets durch eine „Knallgasprobe" davon überzeugen, daß die verwendete Apparatur und das Wasserstoffgas l u f t f r e i sind. Zu diesem Zwecke fängt man nach längerem Durchleiten von Wasserstoff etwas Gas in einem Reagensglas auf und bringt die Mündung des Glases an eine Flamme. Ist der Wasserstoff frei von Luft, so brennt er r u h i g oder mit nur ganz s c h w a c h e m V e r p u f f e n ab. Erfolgt die Verbrennung dagegen mit p f e i f e n d e m G e r ä u s c h , so ist noch Knallgas vorhanden.

Mischt man dem Wasserstoff erst im M o m e n t e des E n t z ü n d e n s den zur Verbrennung notwendigen Sauerstoff bei, so wird naturgemäß eine Explosion vermieden, da sich dann die Verbrennung wegen des Fehlens eines zündfähigen Gasgemisches nicht ausbreiten kann. Man bedient sich dieser Art der gefahrlosen Wasserstoffverbrennung zur Erzeugung hoher Temperaturen Sauerstoff • W^WM ' " ^ im „Knallgasgebläse". Bei diesem Gebläse werden die beiden Gase Wasserstoff und Sauerstoff mittels eines sogenannten „DAWasserstoff NIELL sehen Hahns" (Fig. 22) getrennt voneinander einer gemeinsamen Austrittsöffnung Fig. 22. DANiELLscher Hahn zugeführt, an der das entströmende Gasgemisch entzündet wird. Die Temperatur der Knallgasflamme kann bis zu 2700° C betragen, so daß sich in dieser Flamme hochschmelzende Stoffe wie P l a t i n Pt (Smp. 1774°), A l u m i n i u m o x y d A1203 (Smp. 2050°), Quarz Si0 2 (Smp. 1550°) leicht schmelzen lassen.

I

Technisch wird das Knallgasgebläse in großem Umfang zum „autogenen Schweißen und Schneiden" von Metallen angewendet. Die Bezeichnung „autogene" Schweißung rührt daher, daß bei dieser Art der Schweißung zum Unterschied von der Nietung oder Lötung eine Schweißnaht a u s d e m M e t a l l s e l b s t erzeugt wird 1 . Zur Vermeidung einer O x y d a t i o n der Schweißstelle verwendet man einen Ü b e r s c h u ß a n W a s s e r s t o f f (4 bis 5 Vol. H 2 auf 1 Vol. 0 2 ) ; die Temperatur der so erzeugten F l a m m e beträgt 2000°. Höhere Temperaturen erreicht man bei der A c e t y l e n - S a u e r s t o f f S c h w e i ß u n g (C 2 H 2 + 2.5 0 2 > 2 C 0 2 + H 2 0 + Wärme), der verbreitetsten Art der autogenen Schweißung, bei der man auf 3 Teile Acetylen 4 Teile Sauerstoff anwendet (vgl. I I , S. 129). Zur Schweißung dienen in beiden Fällen „Schweißbrenner" oder „Schweißpistolen", die nach Art des ÜANiELLschen H a h n e s (Fig. 22) konstruiert sind und denen die Gase aus Stahlflaschen durch Druckschläuche zugeführt werden. Autogen schweißen lassen sich z. B . Eisen, Kupfer, Messing, Bronze, Nickel und Aluminium. 1

autos

(aiiTos) =

selbst; gennan (ysvväv) = erzeugen.

44

Das Wasser und seine Bestandteile

Das „autogene Schneiden" und Durchbohren von Metallen geschieht in der Weise, daß man mit einem Schweißbrenner eine kleine Stelle zur Weißglut erhitzt und dann mit S a u e r s t o f f ü b e r s c h u ß (Drosselung der Wasserstoff- bzw. Acetylen-Zufuhr) weiterbläst. Das Metall verbrennt zu Oxyd, welches weggeblasen wird, und die dabei auftretende Verbrennungswärme liefert die erforderliche Schmelzhitze. Das Verfahren des autogenen Schneidens liefert einen scharfen, sauberen Schnitt und wird in der Technik zum Schneiden von Panzerplatten, Ausschneiden von Kesselböden, Durchlochen von Profileisen, Demontieren alter Brücken und Schiffe usw. angewendet.

Verbrennt man den Wasserstoff nicht mit r e i n e m S a u e r s t o f f , sondern mit dem S a u e r s t o f f der L u f t , so beträgt die mit dieser Flamme erreichbare Maximaltemperatur nicht 2700° (vgl. S. 43), sondern nur rund 2000°. Dies kommt nicht etwa daher, daß die Wärme-entwicklung bei der Verbrennung einer bestimmten Menge Wasserstoff im letzteren Falle kleiner als im anderen wäre (vgl.unten), sondern daher, daß sich die entwickelte Wärme wegen des in der Luft neben Sauerstoff noch in großer Menge vorhandenen S t i c k s t o f f s auf ein wesentlich größeres Gasquantum verteilt. Der Wasserstoff reagiert nicht nur mit f r e i e m Sauerstoff, sondern kann auch vielen Sauerstoffverbindungen den g e b u n d e n e n Sauerstoff unter Bildung von Waaser entziehen. Man nennt diesen Entzug von Sauerstoff unter Bildung sauerstoffärmerer oder sauerstoff-freier Stoffe „Reduktion". Leitet man z. B. Wasserstoff über erhitztes K u p f e r o x y d (CuO), so wird letzteres zu metallischem K u p f e r „reduziert": CuO -f- H 2 —>- Cu + H 2 0 . Im Laboratorium und in der Technik macht man von dieser reduzierenden Wirkung des Wasserstoffs vielfach Gebrauch. Außer mit Sauerstoff vereinigt sich der Wasserstoff — teils direkt, teils auf Umwegen— auch mit v i e l e n a n d e r e n E l e m e n t e n . Die dabei entstehenden Wasserstoffverbindungen (,,Hydride") haben die Bruttozusammensetzung XH, X H 2 , X H 3 oderXH, ( X = Nichtmetall oder Metall). So bilden z. B. Chlor, S c h w e f e l , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f die flüchtigen Verbindungen HCl, H 2 S, NH 3 und CH 4 , N a t r i u m , Calcium, L a n t h a n und T h o r i u m die salzartigen Verbindungen NaH, CaH2, LaH 3 und ThH 4 . Besonders hingewiesen sei hier auf die Synthese von A m m o n i a k aus Wasserstoff und Stickstoff, auf der sich eine anorganische Großindustrie aufbaut (S. 224ff.). Technisch von großer Bedeutung ist weiterhin die Anlagerung von Wasserstoff an „ungesättigte" (S. 301) K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g e n {„Hydrierung"). Die wichtigsten derartigen Hydrierungsverfahren sind: die H y d r i e r u n g von K o h l e , E r d ö l und T e e r zu B e n z i n (S. 312f.), die H y d r i e r u n g von K o h l e n o x y d zu A l k o h o l e n oder B e n z i n (S. 308f.) und die H y d r i e r u n g öliger F e t t e zu f e s t e n F e t t e n („Fetthärtung"-, I I , S. 157f.).

e) Die chemische Reaktionswärme Die Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser gemäß Gleichung (7) (S. 42) ist mit einer starken Wärme-entwicklung verknüpft. Umgekehrt erfordert z.B. die Darstellung von Wassergas nach Gleichung (4) (S. 38) eine Z u f u h r von Wärmeenergie. Es handelt sich hier um eine ganz allgemeine Erscheinung: C h e m i s c h e R e a k t i o n e n sind n i c h t nur m i t einem Materie-umsatz, sondern a u c h m i t einem Energie-umsatz v e r k n ü p f t . Jeder chemische Stoff hat eben unter gegebenen Bedingungen einen g e g e b e n e n E n e r g i e - i n h a l t . Ist bei einer chemischen Reaktion der E n e r g i e - i n h a l t der A u s g a n g s s t o f f e g r ö ß e r als der der R e a k t i o n s p r o d u k t e , so wird bei der Umsetzimg E n e r g i e — meist in Form von Wärme — f r e i ; wir sprechen dann von einer „exothermen" Reaktion oder Reaktion mit „positiver Wärmetönung". Ist umgekehrt das E n d s y s t e m e n e r g i e r e i c h e r als das A u s g a n g s s y s t e m , so •wird bei der Umsetzung E n e r g i e (Wärme) von außen her a u f g e n o m m e n : wir haben eine „endotherme" Reaktion oder Reaktion mit „negativer Wärmetönung" vor uns. Beispiele für stark exotherme Reaktionen haben wir auf S. 35f. in den Verbrennungsersch einungen kennengelernt. Die Energie wurde dabei in Form von Licht und Wärme frei.

Der Wasserstoff

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Man pflegt den bei chemischen Reaktionen stattfindenden E n e r g i e - U m s a t z auf einen der Reaktionsgleichung entsprechenden M o l u m s a t z an Materie zu beziehen und in K i l o k a l o r i e n (kcal) auszudrücken (s. unten), da sich alle Reaktionen so leiten lassen, daß der damit verknüpfte Energie-effekt ganz in Form von W ä r m e („Reaktionswärme") auftritt. Die Gleichung H 2 + V202 ^ v H 2 0 + 68.32 kcal (8) besagt demnach, daß bei der Umsetzung von 1 Mol = 2.016 g Wasserstoff und 1 / 2 Mol = 16.000 g Sauerstoff unter Bildung von 1 Mol = 18.016 g Wasser eine Wärmemenge von 68.32 kcal frei wird („Bildungswärme" des Wassers) und daß umgekehrt zur Zerlegung von 18.016 g Wasser in seine elementaren Bestandteile eine Energiemenge von 68.32 kcal aufgewendet werden muß (,,Spaltungswärme" des Wassers). Unter 1 kcal versteht man dabei diejenige Wärmemenge, die erforderlich ist, um 1 kg Wasser um 1° von 14.5 auf 15.5° C zu erwärmen (S. 51). Allerdings müssen bei der Angabe einer solchen „thermochemischen Gleichung" wie der Gleichung (8) A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d d e s c h e m i s c h e n S y s t e m s g e n a u d e f i n i e r t sein, da der E n e r g i e g e h a l t der Stoffe von ihrem Z u s t a n d abhängig ist. So bezieht sich die GleiMyl chung (8) auf 25° C, 1 Atm. Druck, gasförmigen Wasserstoff, gasförmigen Sauerstoff und flüssiges Wasser. Leitet man z. B. die Reaktion AnfangszustandA Endzustand B so, daß nicht f l ü s s i g e s Wasser, sondern g a s 1 Wr t f ö r m i g e s Wasser entsteht, so geht von dem k/egM obigen Energiebetrag die Wärmemenge ab, die erforderlich ist, um 1 Mol Wasser bei 25° Fig. 23. Wärmeentwicklung und Reaktionsweg und 1 Atm. Druck zu verdampfen. Sie beträgt 10.52 kcal, so daß bei der Bildung eines Mols d a m p f f ö r m i g e n W a s s e r s aus gasförmigem Wasserstoff und gasförmigem Sauerstoff bei 25° C und 1 Atm. Druck nur 68.32—10.52 = 57.80 kcal frei werden. Die im Vorstehenden zum Ausdruck kommende Erfahrungstatsache, daß die umgesetzte Reaktionswärme nur vom A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d des chemischen Systems, n i c h t aber davon abhängt, ob dieReaktion d i r e k t (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas —>• Wasserdampf) oder i n S t u f e n (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas—>- flüssiges Wasser; flüssiges Wasser —>- Wasserdampf) vorgenommen wird, gilt für alle chemischen Reaktionen und wurde von G E R M A I N H E N R I H E S S (1802—1850) im J a h r e 1840 zu folgendem Gesetz („ÜEssscher Satz") verallgemeinert: Die beim Übergang eines chemischen Systems von einem bestimmten Anfangs- in einen bestimmten Endzustand abgegebene oder aufgenommene Wärmemenge ist unabhängig vom Wege der Umsetzung. F ü h r t man hiernach ein chemisches System (Fig. 23) einmal auf dem Wege I, das andere Mal auf dem Wege I I vom gegebenen Anfangszustand A in den gegebenen Endzustand B über, so sind die auf beiden Wegen insgesamt entwickelten bzw. verbrauchten W ä r m e m e n g e n Wj und Wn e i n a n d e r g l e i c h : Wl = WYl. (9)

I

£

Der HEsssche Satz stellt seinerseits einen Spezialfall des 1. Hauptsatzes oder Satzes von der Erhaltung der Energie dar, welcher ganz allgemein zum Ausdruck bringt, daß die bei irgende i n e m — also nicht nur chemischen — Vorgang abgegebene oder aufgenommene Energie nur vom A n f a n g s - und E n d z u s t a n d des Systems, n i c h t aber vom Wege des Vorgangs abhängig ist. Träfe dieser 1. Hauptsatz nicht zu, so könnte man (vgl. Fig. 23) einen Vorgang sich auf dem Wege I unter Entwicklung der Energie Ei abspielen lassen, um ihn dann auf dem Wege II unter Aufwendung der kleineren Energie En wieder rückgängig zu machen. Gewonnen wäre dabei der E n e r g i e b e t r a g Ei — En = AE, während sich das zur Arbeitsleistung verwendete System wieder im A n f a n g s z u s t a n d befände und daher zu erneuter A r b e i t s l e i s t u n g verwendbar wäre. Die Erfahrung zeigt, daß ein derartiges „Perpetuum mobile 1. Art" nicht konstruierbar ist.

Das Wasser und seine Bestandteile

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D e r Ü E S S s c k e S a t z wird häufig dazu b e n u t z t , u m R e a k t i o n s w ä r m e n , die direkt nicht m e ß b a r sind, i n d i r e k t zu bestimmen. So k a n n m a n z. B. die bei der Verb r e n n u n g von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n o x y d (C + 1 / 2 0 2 — C O ) freiwerdende W ä r m e Wc->co nicht u n m i t t e l b a r ermitteln, weil bei der V e r b r e n n u n g v o n Kohlenstoff stets ein G e m i s c h v o n K o h l e n o x y d u n d K o h l e n d i o x y d e n t s t e h t . Dagegen ist sowohl die V e r b r e n n u n g von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n d i o x y d (C + 0 2 —>• C 0 2 + 94.0 kcal) wie die V e r b r e n n u n g v o n — auf anderem Wege rein dargestelltem — K o h l e n o x y d zu K o h l e n d i o x y d (CO + V 2 0 2 — ^ C 0 2 + 67.6 kcal) experimentell realisierbar. G e m ä ß dem a u s dem H E S S sehen Satz folgenden S c h e m a : +

,

0

00

>- CO + 1/, 0 2

+ 67.6kal 1

I c + o2

Y

co2

j

+ 94.0 kcal

t

gilt d a n n , d a ß W c - * c o + 67.6 = 94.0 bzw. W c ^ c o = 94.0 — 67.6 = 26.4 kcal ist. Die angegebenen R e a k t i o n s w ä r m e n (,, Verbrennungswärmen") gelten dabei f ü r Graphitkohlenstoff, 25° C u n d 1 A t m . D r u c k . Um die genaue Messung chemischer Reaktionswärmen haben sich vor allem der dänische C h e m i k e r J U L I U S THOMSEN ( 1 8 2 6 — 1 9 0 9 ) , d e r f r a n z ö s i s c h e C h e m i k e r MARCELIN

BERTHELOT

(1827 — 1907) und in neuerer Zeit der deutsche Physikochemiker WALTHER ROTH (1873—1950)

verdient gemacht. Alle im vorliegenden Lehrbuch angegebenen Reaktionswärmen beziehen sich — wenn nicht anders angegeben — auf 25° C, 1 Atm. Druck und die unter diesen Bedingungen stabilen Zustandsformen der beteiligten Stoffe. F r ü h e r glaubte m a n , d a ß die G r ö ß e d e r W ä r m e t ö n u n g einer R e a k t i o n ein M a ß f ü r i h r e c h e m i s c h e T r i e b k r a f t ( „ A f f i n i t ä t " ) sei u n d d a ß d e m e n t s p r e c h e n d n u r e x o t h e r m e R e a k t i o n e n f r e i w i l l i g a b l a u f e n k ö n n t e n . Diese A n n a h m e h a t sich als i r r i g erwiesen. Wie wir h e u t e wissen, setzt sich die W ä r m e t ö n u n g Wgesamt a u s z w e i Gliedern, d e r „freien" (Wf re i) u n d d e r „gebundenen" Energie (^gebunden) z u s a m m e n : Wgesamt - Wfrei +

^gebunden ,

(10)

von denen lediglich der in seiner E n e r g i e f o r m f r e i e , d . h . auch als A r b e i t s l e i s t u n g gewinnbare Anteil WSlei {„maximale Arbeit" einer Reaktion) den Reaktionsablauf bes t i m m t , indem n u r solcheUmsetzimgen f r e i w i l l i g abzulaufen vermögen, bei d e n e n freie Energie a b g e g e b e n wird, also Arbeit gewonnen werden k a n n (vgl. E G O N W I B E R G , „Die chemische Affinität. E i n e E i n f ü h r u n g in die L e h r e von der T r i e b k r a f t chemischer Reaktionen", Verlag W a l t e r de G r u y t e r & Co., Berlin 1951). Der in seiner Energieform g e b u n d e n e , n u r in F o r m von W ä r m e u m s e t z b a r e Anteil ^gebunden ist m i t diesem Reaktionsablauf z w a n g s l ä u f i g g e k o p p e l t . V o r z e i c h e n u n d G r ö ß e des U m s a t z e s ^gebunden bedingen dabei g e m ä ß (10) das V o r z e i c h e n d e r G e s a m t e n e r g i e W g e s a m t des freiwillig verlaufenden Vorgangs u n d d a m i t dessen e x o t h e r m e n oder e n d o t h e r m e n Charakter.

f) Atomarer Wasserstoff Wesentlich reaktionsfähiger als der gewöhnliche m o l e k u l a r e Wasserstoff (H 2 ) ist der a t o m a r e Wasserstoff (H). Man erhält ihn aus ersterem d u r c h Z u f u h r v o n Energie: 103.4 kcal + H 2 2 H. (11) Diese erhöhte Reaktionsfähigkeit der W a s s e r s t o f f a t o m e im Vergleich zu d e n Wassers t o f f m o l e k ü l e n erklärt sich aus dem M e h r g e h a l t a n E n e r g i e . Besonders geeignet zur Darstellung größerer Mengen a t o m a r e n Wasserstoffs sind die V e r f a h r e n v o n R . W . WOOD u n d v o n I .

LANGMUIR.

WooDsches Darstellungsverfahren. D a s W O O D s e h e V e r f a h r e n b e s t e h t darin, d a ß m a n gewöhnlichen molekularen Wasserstoff u n t e r s t a r k v e r m i n d e r t e m D r u c k einer

Der Wasserstoff

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e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g aussetzt. E i n hierfür sehr zweckmäßiger A p p a r a t wird in Fig. 24 wiedergegeben. E r besteht im wesentlichen aus einem elektrolytischen W a s s e r s t o f f e n t w i c k l e r (vgl. S. 13) u n d einem E n t l a d u n g s g e f ä ß . Letzteres ist ein 2 cm weites, 2 m langes, zwecks Platzersparnis U- oder S-förmig gebogenes, m i t A l u m i n i u m b l e c h - E l e k t r o d e n versehenes Glasrohr. D u r c h entsprechendes Einstellen eines zwischen Entwicklungs- u n d E n t l a d u n g s g e f ä ß a n g e b r a c h t e n R e g u l i e r v e n t i l s u n d durch lebhaftes A b s a u g e n d e s W a s s e r s t o f f s a m E n d e der A p p a r a t u r wird der D r u c k des — in einem Ausfriergefäß von Wasserdampf befreiten — Wasserstoffs auf 1 / 1 0 bis 1 m m gehalten u n d ein rascher Gasstrom beAlum/niumb/ech-Elektroden wirkt. D u r c h Anlegen einer S p a n n u n g von m e h r e r e n t a u s e n d V o l t a n die Aluminiumelektroden des Entladungsgefäßes erzeugt m a n d a n n eine G l i m m e n t l a d u n g , in welcher gem ä ß (11) eine A u f s p a l t u n g der Wasserstoffmoleküle zu A t o m e n erfolgt. Die Ausbeute b e t r ä g t bei geeigneten Vorsichtsmaßregeln bis zu 95°/ 0 der Theorie. Zwar vereinigen sich die Atome n a c h kurzer Zeit ( ^ 3 bis 1 / 2 Sekunde) wieder zu Molekülen; diese Zeit genügt aber, u m den a t o m a r e n Wasserstoff a u s dem Durchladungsgefäß abzusaugen u n d über die in Reaktion zu bringenden Stoffe zu leiten. Die g r ö ß e r e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t des a t o m a r e n WasserFig. 24. Darstellung von atomarem Wasserstoff nach W O O D stoffs im Vergleich zum molekularen Wasserstoff zeigt sich z. B . darin, d a ß er sich zum Unterschied vom letzteren bereits b e i Z i m m e r t e n ) p e r a t u r m i t Chlor, Brom, J o d , Sauerstoff, Schwefel, Phosphor, Arsen, Antimon u n t e r Bildung von W a s s e r s t o f f V e r b i n d u n g e n (HCl, H B r , H J , H 2 0 , H 2 S , P H 3 , AsH 3 , SbH 3 ) vereinigt. Die R ü c k b i l d u n g („Rekombination") von W a s s e r s t o f f m o l e k ü l e n a u s Wassers t o f f a t o m e n wird d u r c h verschiedene Stoffe s t a r k b e s c h l e u n i g t . D a hierbei je Mol ( = 2 g) gebildeten molekularen Wasserstoffs die zur A u f s p a l t u n g der Moleküle (11) verwendete Energie von 103.4 kcal wieder frei wird, k a n n m a n die beschleunigende W i r k u n g der einzelnen Stoffe in einfacher Weise z. B. d a d u r c h messen, d a ß m a n die Substanzen auf die K u g e l eines Thermometers bringt u n d dieses in den Wasserstoffstrom einhängt. J e stärker die beschleunigende W i r k u n g ist, u m so höher steigt die T e m p e r a t u r des Thermometers. Die k a t a l y tische W i r k u n g der M e t a l l e n i m m t beispielsweise in der Reihenfolge Platin, Palladium, W o l f r a m , Eisen, Chrom, Silber, K u p f e r , Blei a b . U m g e k e h r t gibt es a u c h Stoffe, welche die R ü c k b i l d u n g der Wasserstoff moleküle h e m m e n . Hierzu gehört z. B . die sirupöse P h o s p h o r s ä u r e . D a h e r pflegt m a n die W a n d u n g e n der Rohre, d u r c h welche der a t o m a r e Wasserstoff geleitet wird, mit sirupöser Phosphorsäure auszustreichen. LAXCjiiiKSches Darstellungsverfahren. Die bei der R ü c k b i l d u n g von Wasserstoffmolekülen aus Wasserstoffatomen freiwerdende R e k o m b i n a t i o n s w ä r m e k a n n zum S c h w e i ß e n u n d S c h m e l z e n hochschmelzender Metalle oder Metallverbindungen v e r w a n d t werden. Man b e n u t z t hierzu zweckmäßig die sogenannte ,,LANGMUiR-Fackel" (Fig. 25). I m P r i n z i p b e r u h t das Verfahren d a r a u f , d a ß m a n zwischen W o l f r a m e l e k t r o d e n in einer aus einem K r a n z feiner Düsen ausströmenden W a s s e r s t o f f a t m o s p h ä r e einen L i c h t b o g e n erzeugt u n d durch diesen mittels einer Düse einen scharfen W a s s e r s t o f f s t r a h l bläst. R i c h t e t m a n den auf solche Weise erzeugten Strom von h e i ß e m , a t o m a r e m W a s s e r s t o f f auf eine einige cm vom Lichtbogen e n t f e r n t e M e t a l l o b e r f l ä c h e , so erfolgt auf G r u n d der katalysierten Vereinigung der A t o m e

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Das Wasser und seine Bestandteile

zu Molekülen und der hierdurch bedingten sehr starken W ä r m e e n t w i c k l u n g eine i n t e n s i v e l o k a l e E r h i t z u n g . Es lassen sich so die höchstschmelzenden Stoffe — z. B. W o l f r a m (Smp. 3380°), T a n t a l (Smp. 3030°), T h o r i u m d i o x y d (Smp. 3050°) — zum Schmelzen bringen. Technisch wendet man das geschilderte L A N G M U I R V e r f a h r e n zum Schweißen (vgl. S. 43) an; es besitzt den großen Vorteil, daß der Wasserstoff eine S c h u t z a t m o s p h ä r e bildet, so daß ein o x y d a t i v e r A n g r i f f der Schweißfläche durch den Sauerstoff der Luft ausgeschlossen ist. Die maximale Temperatur der LANGMUIR-Fackel ist um rund 2000° höher als die des K n a l l g a s gebläses (S. 43). „Status nascendi". Auch bei der auf S. 37 ff. besprochenen chemischen und e l e k t r o chemischen Darstellung des Wasserstoffs aus Wasser oder Säuren entsteht der Wasserstoff im ersten Augenblick a t o m a r oder doch wenigstens in einem a n g e r e g t e n Zustand:

Na + H Ö H — > - N a O H +

H.

So kommt es, daß der Wasserstoff im A u g e n b l i c k des E n t s t e h e n s („in statu nascendi") v i e l r e a k t i o n s f ä h i g e r als gewöhnlicher Wasserstoff ist. Leitet man z.B. den in einem Kippschen A p p a r a t aus Zink und Säure 'ti/o/frame/eklrode entwickelten Wasserstoff (S. 39) in eine mit Schwefelsäure angesäuerte, verdünnte violette K a l i u m p e r m a n g a n a t lösung (KMn0 4 ) oder orangegelbe K a l i u m d i c h r o m a t lösung (K2Cr207), so beobachtet man keine F a r b änderung, da der reaktionsträge molekulare Wasserstoff diese sauerstoffreichen gefärbten Stoffe nicht zu anders gefärbten Produkten zu reduzieren vermag. Gibt man aber das Zink d i r e k t zu den beiden sauren Lösungen, so daß sich der Wasserstoff in diesen L ö s u n g e n selbst entwickeln und so in statu nascendi auf die U/o/frame/ektrode gelösten Stoffe einwirken kann, so beobachtet man im Fig. 25. Falle des Kaliumpermanganats bald eine E n t f ä r b u n g , Darstellung von atomarem im Falle des Kaliumdichromats bald eine G r ü n f ä r b u n g Wasserstoff nach LANGMUIR der Lösung. Die erhöhte Reaktionsfähigkeit von Stoffen im Augenblick des Entstehens ist eine ganz allgemeine Erscheinung. Wie der W a s s e r s t o f f lassen sich auch andere E l e m e n t e durch Zufuhr von Energie in den atomaren Zustand überführen. Erwähnt seien hier: der S a u e r s t o f f (118.2 kcal -f 0 2 — > - 20), der S t i c k s t o f f (170.3 kcal + N 2 —>- 2N), das Chlor (57.8 kcal + Cl 2 —>- 2C1), das B r o m (53.8 kcal + Br 2 —>- 2Br) und das J o d (51.2 kcal + J2 —>- 2J).

V

Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß sich im gewöhnlichen Wasserstoff verschiedenartige und „ s c h w e r e r " Wasserstoff; „ o r t h o " - und , W a s s e r s t o f f ) Wasserstofimoleküle („leichter" nachweisen lassen. Näheres hierüber S. 562ff. und S. 564f.

3. Das Wasser a) Vorkommen Das Wasser bedeckt in Form der Ozeane 3/4 der Erdoberfläche. Das übrige Viertel ist von W a s s e r l ä u f e n durchzogen und enthält Grundwasser. Auch am Aufbau der P f l a n z e n - und T i e r w e l t ist das Wasser in bedeutendem Maße beteiligt. So besteht z. B. der menschliche Körper zu 60—70°/„ aus Wasser; manche Gemüse und Früchte, z. B. Blumenkohl, Radieschen, Spargel, Spinat, Kopfsalat, Kürbis, enthalten mehr als 90% Wasser. Die A t m o s p h ä r e kann bis zu 4 Vol.-°/0 Wasser in Dampf-

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Das Wasser

form aufnehmen und gibt es bei Druck- und Temperaturänderungen in flüssiger („Nebel", „Wolken", „Regen") oder fester Form („Reif", „Schnee", „Hagel") wieder ab. Schließlich enthalten auch zahlreiche M i n e r a l i e n chemisch gebundenes Wasser („Kristallwasser").

b) Reinigung

Wegen der weiten Verbreitung erübrigt sich eine chemische Darstellung des Wassers. Die Gewinnung r e i n e n Wassers läuft stets auf eine Reinigung natürlich vorkommenden Wassers hinaus. Unter den natürlichen Wässern ist das Regenwasser das relativ r e i n s t e , da es einen natürlichen Destillationsprozeß durchgemacht hat. Es enthält jedoch S t a u b t e i l c h e n und G a s e (Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxyd) aus der Luft. Quell- und Flußwasser enthält 0.01 bis 0.2°/ 0 f e s t e S t o f f e , die zum größten Teil aus C a l c i u m und M a g n e s i u m Verbindungen bestehen. Sind wenig Calcium- und Magnesiumverbindungen vorhanden, so nennt man das Wasser w e i c h , andernfalls h a r t (S. 410). Quellwässer, die g r ö ß e r e M e n g e n fester oder gasförmiger Stoffe enthalten und bisweilen eine höhere Temperatur als gewöhnliches Wasser besitzen, nennt man Mineralwässer. Ihnen kommt häufig eine besondere Heilwirkung zu. J e nach den gelösten Stoffen unterscheidet man S o l w ä s s e r (mit Kochsalz), B i t t e r w ä s s e r (mit Magnesiumsalzen), S c h w e f e l w ä s s e r (mit Schwefelwasserstoff), S ä u e r l i n g e (mit Kohlensäure), E i s e n w ä s s e r (mit Eisensalzen) usw. Das Meerwasser enthält durchschnittlich 2.7°/ 0 Kochsalz und insgesamt ungefähr 3.5°/ 0 Salze. Darunter finden sich— wenn auch teilweise nur in äußerst geringen Mengen — Verbindungen von etwa 30 verschiedenen Elementen. Als T r i n k w a s s e r ist im allgemeinen Q u e l l w a s s e r am besten geeignet. In Ermangelung dessen nimmt man G r u n d w a s s e r oder F l u ß w a s s e r . In letzteren Fällen ist eine mechanische und meist auch chemische R e i n i g u n g (vor allem E n t k e i m u n g ) erforderlich. Diese Reinigung wird aber nicht bis zur völligen Entfernung aller gelösten Stoffe durchgeführt, da völlig reines Wasser fade schmeckt. Der erfrischende Geschmack des Quellwassers rührt von etwas gelöster Kohlensäure und Luft her. I m c h e m i s c h e n L a b o r a t o r i u m wie auch in manchen t e c h n i s c h e n B e t r i e b e n ist die Verwendung von destilliertem Wasser von Wichtigkeit. Dieses wird erzeugt, indem man n a t ü r l i c h e s W a s s e r — gegegebenenfalls unter Zugabe chemischer Mittel — der D e s t i l l a t i o n (S. 7) unterwirft, wobei die gasförmigen Stoffe entweichen und die festen Stoffe im Destilliergefäß zurückbleiben. Schon bei der ersten Destillation wird recht reines Wasser erhalten, das für die meisten Verwendungen ausreicht. Soll das Wasser v o l l k o m m e n r e i n gewonnen werden, so ist eine m e h r m a l i g e D e s t i l l a t i o n in Apparaturen aus Quarz oder Edelmetallen erforderlich, wobei die mittlere, reinste Fraktion in einer Edelmetall-Vorlage gesondert aufgefangen wird. Für viele technische Zwecke — etwa zur Gewinnung von Speisewasser für Dampfkessel oder von Gebrauchswasser für Wäschereien — wird das Wasser statt durch Destillation durch c h e m i s c h e Methoden, z. B. durch Ausfällung oder durch chemische Bindung der störenden gelösten Salze „enthärtet". Näheres hierüber s. S. 410.

Ein ausgezeichnetes Merkmal für die Reinheit des Wassers liefert die Messung des e l e k t r i s c h e n L e i t v e r m ö g e n s , das mit zunehmender Reinheit abnimmt. V o l l k o m m e n r e i n e s W a s s e r besitzt bei Zimmertemperatur eine spezifische Leitfähigkeit von nur 4 x l 0 - 8 reziproken Ohm („Siemens"). Demgegenüber beträgt z. B. das spezifische Leitvermögen des K u p f e r s bei der gleichen Temperatur 6X10 5 reziproke Ohm. 1 K u b i k m i l l i m e t e r reinstes W a s s e r besitzt also bei Raumtemperatur den gleichen elektrischen Widerstand wie ein K u p f e r d r a h t von 1 mm 2 Querschnitt und ( 6 x l 0 5 ) : ( 4 x l 0 - 8 ) = 1 . 5 x l O l 3 m m = 15 M i l l i o n e n K i l o m e t e r L ä n g e . Diese Drahtlänge entspricht der 40-fachen Entfernung zwischen Erde und Mond! Die geringsten Spuren von Salzen oder die Aufnahme von Kohlendioxyd aus der Luft steigern das Leitvermögen H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37.—39.Aufl.

4

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Das Wasser und seine Bestandteile

des Wassers erheblich. So besitzt z. B. das für Leitfähigkeitsmessungen Verwendung findende besonders reine „Leitfähigkeitswasser" schon eine spezifische Leitfähigkeit von 1 XlO -6 reziproken Ohm, entsprechend dem 25fachen Wert von völlig reinem Wasser.

c) Physikalische Eigenschaften a) Aggregatzustände des Wassers Reines Wasser ist bei gewöhnlicher Temperatur eine geruch- und geschmacklose, durchsichtige, in dünner Schicht farblose, in dicker Schicht bläulich schimmernde F l ü s s i g k e i t , welche beiO'zu Eiserstarrt und bei 100°unter Bildung von W a s s e r d a m p f siedet. Die verschiedenen A g g r e g a t z u s t ä n d e sind dabei hier wie in allen anderen Fällen molekularkinetisch wie folgt zu charakterisieren: Moleküle üben wegen ihres Aufbaus aus elektrisch geladenen Teilchen — vgl. S. 135ff. — aufeinander A n z i e h u n g s k r ä f t e aus. Im gasförmigen, also stark verdünnten Zustande, in welchem die einzelnen Moleküle eine relativ g r o ß e E n t f e r n u n g voneinander aufweisen und sich in dauernder u n g e o r d n e t e r B e w e g u n g befinden (S. 21), treten diese Anziehungskräfte naturgemäß u m so w e n i g e r in Erscheinung, je g r ö ß e r d i e A b s t ä n d e zwischen den Molekülen und die molekularen G e s c h w i n d i g k e i t e n (vgl. S. 23) sind. Da e r s t e r e mit steigender V e r d ü n n u n g , letztere mit steigender T e m p e r a t u r zunehmen, verhält sich ein gegebener g a s f ö r m i g e r S t o f f um so „idealer" (S. 24), j e v e r d ü n n t e r u n d h e i ß e r er ist, und um so „realer" (S.24), je mehr man ihn k o m p r i m i e r t und a b k ü h l t . V e r k l e i n e r t man die E n t f e r n u n g e n zwischen den Molekülen oder die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasteilchen durch K o m p r i m i e r e n oder durch A b k ü h l e n des Gases, so werden die A n z i e h u n g s k r ä f t e immer w i r k s a m e r . Bei einem bestimmten Druck oder bei einer bestimmten Temperatur v e r l i e r e n schließlich die Moleküle, diesen Kräften folgend, sprunghaft e i n e n T e i l ihrer Energie. Auch jetzt schwirren die Teilchen noch ungeordnet umher; sie können sich aber — abgesehen von einer relativ geringen Anzahl besonders energiereicher Teilchen (s. S. 51) — unter dem Einfluß der gegenseitigen Anziehung nicht mehr wie vorher behebig weit voneinander entfernen. Aus dem Gas ist eine energieärmere Flüssigkeit geworden, der man zwar noch jede beliebige äußere Form geben kann, die aber nicht mehr wie das Gas jedes ihr dargebotene Volumen auszufüllen vermag. Die bei der Änderung des Aggregatzustandes a b g e g e b e n e E n e r g i e wird als „Kondensationswärme" frei. Die gleiche Energiemenge muß als „Verdampfungswärme" zugeführt werden, um umgekehrt die Flüssigkeit wieder in Dampf zu verwandeln. Sie beträgt für Wasser 539.1 cal/g = 9.70 kcal/Mol bei 100°. Verringert man die B e w e g u n g s e n e r g i e der Moleküle durch erneute A b k ü h l u n g noch w e i t e r , so nimmt der Energiegehalt bei einer bestimmten Temperatur unter dem Einfluß weiterer Kohäsionskräfte in derselben Weise nochmals s p r u n g h a f t — um den Betrag der „Erstarrungswärme" — ab. Die Flüssigkeit erstarrt zum energieärmeren festen Stoff. Die Moleküle haben ihre freie Beweglichkeit eingebüßt, ihre W ä r m e b e w e g u n g besteht nur noch in einem p e n d e l a r t i g e n , e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n um bestimmte Ruhelagen. Die Materie besitzt in diesem Aggregatzustand daher eine b e s t i m m t e G e s t a l t . Die Anordnungsgesetze, denen die einzelnen Teilchen dabei unterliegen, finden ihren wissenschaftlichen Ausdruck durch die Angabe des ,,Kristallgitters" (vgl. S. 146 f., 154 f., 293 ff.). Beim S c h m e l z e n eines festen Stoffs muß die beim Erstarren freigewordene E r s t a r r u n g s w ä r m e als ,,Schmelzwärme" wieder zugeführt werden. Sie beträgt beim Wasser 79.40 cal/g = 1.43 kcal/Mol bei 0°. Die Abgabe und Aufnahme der Erstarrungs- bzw. Schmelzwärme durch die im Winter unter Wärmeentwicklung gefrierenden und im Frühling unter Wärme verbrauch wieder auftauenden Wassermassen trägt wesentlich zum Temperaturausgleich unserer Erdoberfläche bei.

51

Das Wasser

Beim Übergang vom f l ü s s i g e n in den f e s t e n Zustand d e h n t sich das Wasser zum Unterschied von den meisten anderen Flüssigkeiten a u s . Und zwar beträgt das spezifische Gewicht des Eises bei 0° C 0.9168, das des flüssigen Wassers bei 0° 0.9999 g/cm so daß 1 Raumteil flüssiges Wasser beim Erstarren 0.9999:0.9168 = 1.0906 Raumteile Eis ergibt. Diese A u s d e h n u n g d e s W a s s e r s um 1 / 1 1 des Volumens (9%) beim Gefrieren ist g e o l o g i s c h insofern von Bedeutung, als im W i n t e r das in die Risse und Spalten von Gesteinen eingedrungene Wasser beim Erstarren die F e l s m a s s e n s p r e n g t und so durch Schaffen neuer Oberflächen die V e r w i t t e r u n g fördert und eine N e u b i l d u n g des für die Vegetation erforderlichen E r d b o d e n s ermöglicht. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nimmt das spezifische Gewicht des flüssigen Wassers — ebenfalls zum Unterschied von fast allen anderen Flüssigkeiten — zunächst bis 4° zu, um erst dann wie bei den meisten sonstigen Flüssigkeiten abzunehmen (0°: 0.9999,4°: 1.0000, 10°: 0.9997 g/cm 3 ). Alles Wasser von höherer und tieferer Temperatur als 4° ist somit leichter als Wasser von 4°. Auch diese Tatsache ist in der N a t u r von Bedeutung. So kühlt sich das Wasser von Seen bei Frostperioden zunächst nur bis 4° ab, da das 4° kalte, schwerere Wasser nach unten sinkt und dafür das leichtere wärmere Wasser an die Oberfläche kommt und dort auf 4° abgekühlt wird. Bei Abkühlung unter 4° bleibt das kältere Wasser auf der Oberfläche und erstarrt dort zu spezifisch leichtem und daher ebenfalls an der Oberfläche bleibendem Eis. Dementsprechend kann die Kälte nur langsam in größere Tiefen vordringen, so daß tiefere Gewässer nie bis zum Grunde gefrieren, was für das Fortbestehen der Lebewesen des Wassers von Bedeutung ist. Die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren ist darauf zurückzuführen, daß das E i s ein w e i t m a s c h i g e s , von zahlreichen H o h l r ä u m e n durchsetztes K r i s t a l l g i t t e r (von Si0 2 -Struktur; vgl. S. 328) bildet, während im f l ü s s i g e n Wasser, bei dem diese Kristallstruktur weitgehend zerstört ist, die Moleküle wie bei jeder Flüssigkeit zu einer d i c h t e n K u g e l p a c k u n g zusammengelagert sind. Immerhin kommen auch im flüssigen Wasser bei 0° noch kleinere „kristalline" H 2 0 Aggregate vor, deren Zusammenbrechen beim Erwärmen das weitere Anwachsen der Dichte des Wassers bis 4° bedingt. Von hier ab wird die Volumenabnahme infolge „Entkristallisierung" durch die Volumenzunahme infolge Erhöhung der Molekularbewegung ü b e r k o m p e n s i e r t , so daß die Dichte wieder abnimmt.

D a s G e w i c h t e i n e s K u b i k z e n t i m e t e r s W a s s e r v o n 4° w i r d d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s 1 G r a m m (g) b e z e i c h n e t . D i e W ä r m e m e n g e , d i e e r f o r d e r l i c h i s t , u m 1 g W a s s e r v o n 14.5 auf 15.5° C zu e r w ä r m e n , d i e n t u n t e r d e m N a m e n „ G r a m m k a l o r i e " (cal) — tausendfacher W e r t : „Kilogrammkalorie" (kcal) — d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s W ä r m e - e i n h e i t . Auch die Definition der C e l s i u s t e m p e r a t u r (° C) gründet sich auf das Wasser (s. S. 53). ß) Zustandsdiagramm des Wassers Jede F l ü s s i g k e i t und jeder f e s t e S t o f f hat bei gegebener Temperatur einen ganz bestimmten D a m p f d r u c k . Schließt man z. B. irgendeine Flüssigkeit in ein Gefäß von bestimmtem Volumen ein (Fig. 26), so beobachtet man, daß sich der freie Raum über der Flüssigkeit bis zu einer bestimmten Konzentration mit dem Dampf der Flüssigkeit anfüllt. Ein Teil der durch die Anziehungskräfte innerhalb des Flüssigkeitsvolumens festgehaltenen Moleküle vermag also die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Das kommt daher, daß wie beim Gas (S. 23) so auch bei der Flüssigkeit nicht a l l e Moleküle die g l e i c h e kinetische Energie besitzen, sondern daß letztere um einen bestimmten M i t t e l w e r t schwankt. Nur den „ h e i ß e r e n " , d. h. besonders e n e r g i e r e i c h e n Molekülen ist der Ubertritt in die Dampfphase möglich, da es nur diesen gelingt, die in der Grenzfläche wirksamen, Flüssigkeit 4*

Das Wasser und seine Bestandteile

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zurücktreibenden Kräfte zu überwinden. Die in den G a s r a u m gelangten Moleküle fliegen nun regellos umher, prallen auf die Grenzflächen des einschließenden Raumes und üben damit auf diese einen D r u c k aus. Sie stoßen dabei natürlich auch auf die F l ü s s i g k e i t s o b e r f l ä c h e zurück und werden von dieser wieder eing e f a n g e n . Solange die Zahl der die Flüssigkeitsoberfläche v e r l a s s e n d e n Teilchen g r ö ß e r als die der z u r ü c k k e h r e n d e n ist, findet in summa noch eine V e r d a m p f u n g statt. Sobald aber infolge dieser weiteren Verdampfung die Konzentration der Gasmoleküle so weit gestiegen ist, daß die Zahl der sich kondensierenden und der wieder verdampfenden Moleküle g l e i c h geworden ist, kommt der Verdampfungsvorgang n a c h a u ß e n h i n zum Stillstand. E s herrscht jetzt mit Erreichung des „Sättigungsdampfdrucks" dynamisches Gleichgewicht. Der S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k einer Flüssigkeit oder eines festen Stoffs ist für eine gegebene Temperatur eine K o n s t a n t e und unabhängig von der Größe der Oberfläche. Ist die Oberfläche doppelt so groß, so werden zwar doppelt so viele Moleküle die Grenzfläche verlassen, aber es werden bei gegebenem Dampfdruck auch doppelt so viele Gasmoleküle zurückkehren, da ja der Druck eines Gases definitionsgemäß die Kraft pro F l ä c h e n e i n h e i t ist (S. 21), die Kraft also, die durch die auf die F l ä c h e n e i n h e i t aufprallende Zahl von Gasteilchen ausgeübt wird.

E r h ö h t man die T e m p e r a t u r der Flüssigkeit und damit die mittlere k i n e t i s c h e E n e r g i e der Flüssigkeitsteilchen, so vermag eine g r ö ß e r e A n z a h l von Molekülen die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Damit stellt sich ein n e u e s dynamisches Gleichgewicht mit einem h ö h e r e n Sättigungsdampfdruck ein. Trägt man alle diese Sättigungsdampfdrucke in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m mit dem Druck als Ordinate und der Temperatur als Abszisse ein, so erhält man demgemäß eine mit zunehmender Temperatur a n s t e i g e n d e K u r v e , wie sie für das Beispiel des Wassers in Kurve A von Fig. 27 dargestellt ist. Längs der Kurve befinden sich F l ü s s i g k e i t u n d D a m p f im G l e i c h g e w i c h t . Bei h ö h e r e n Drucken und n i e d r i g e r e n Temperaturen als den durch die Kurve angezeigten ist nur die F l ü s s i g k e i t , bei n i e d r i g e r e n Drucken und h ö h e r e n Temperaturen nur der D a m p f beständig. Erwärmt man z. B . flüssiges Wasser von der Temperatur und dem Druck des Punktes 1 (Fig. 27) bei gleichbleibendem Druck, bewegt man sich also in der Richtung des gestrichelten Pfeiles nach rechts, so beginnt das Wasser bei der Tempera-

.P fluss:-:.

pt t

m i

Temperatur

Fig. 27.

Zustandsdiagramm des Wassers (nicht maßstäblich)

Flüssigkeit

Fig. 28.

Gefrier-(Schmelz-)punkt und Dampfdruck

tur des Schnittpunktes mit K u r v e t zu „ s i e d e n " . W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s der F l ü s s i g k e i t in den D a m p f z u s t a n d ä n d e r t sich die T e m p e r a t u r n i c h t , da die zugeführte Wärme als V e r d a m p f u n g s w ä r m e verbraucht wird. Erst nach v ö l l i g e r V e r d a m p f u n g ist w e i t e r e E r w ä r m u n g möglich, wobei man sich in Richtimg des gestrichelten Pfeiles von der Kurve entfernt. I n gleicher Weise beginnt ein Wasserdampf von der Temperatur und dem Druck des Punktes 2 sich bei DruckVermehrung (Richtung des gestrichelten Pfeiles) zu k o n d e n s i e r e n , sobald die Kurve.4

Das Wasser

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erreicht ist. W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s d e s D a m p f e s in d e n f l ü s s i g e n Zus t a n d ä n d e r t s i c h d e r D r u c k n i c h t , da der Dampf einer D r u c k e r h ö h u n g durch die K o n d e n s a t i o n ausweicht. Kurve A trennt somit das Existenzgebiet des f l ü s s i g e n Wassers von dem des W a s s e r d a m p f e s . Diejenige Temperatur, bei welcher der Sättigungsdampfdruck einer Flüssigkeit den Wert von 1 Atmosphäre ( = 760 mm) erreicht, nennt man definitionsgemäß den Siedepunkt der Flüssigkeit (Taupunkt des Dampfes). E r liegt für Wasser bei 100° C. Eine analoge Kurve wie für die Verdampfung einer F l ü s s i g k e i t ergibt sich für die Verdampfung eines f e s t e n S t o f f s . Sie gibt in entsprechender Weise die zusammengehörenden Paare von Druck und Temperatur an, bei denen sich f e s t e r S t o f f und D a m p f miteinander im dynamischen G l e i c h g e w i c h t befinden, und verläuft — wie sich theoretisch auch begründen läßt — stets s t e i l e r als die Dampfdruckkurve der Flüssigkeit (vgl. Kurve B in Fig. 27). Ein besonders ausgezeichneter Punkt ist der S c h n i t t p u n k t der beiden Dampfdruckkurven des f e s t e n und f l ü s s i g e n Stoffs. U n t e r h a l b der Temperatur des Schnittpunktes hat die F l ü s s i g k e i t , o b e r h a l b der f e s t e S t o f f den g r ö ß e r e n D a m p f d r u c k . Bringt man daher z . B . die flüssige und die feste Form des gleichen Stoffs getrennt in ein Gefäß der vorstehenden Form (Fig. 28) und kühlt das Ganze auf eine u n t e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (Fig. 27) gelegene Temperatur t (/>flü39 > / > f e s t ) ab, so wird die Flüssigkeit links (Fig. 28) bis zum konstanten Sättigungsdampfdruck puw^. verdampfen und sich rechts — wegen Überschreitung des kleineren Sättigungsdampfdruckes piKit — als fester Stoff kondensieren: d i e F l ü s s i g k e i t e r s t a r r t . Liegt umgekehrt t o b e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (paüas. < piest)> so verdampft rechts fester Stoff und kondensiert sich links zu Flüssigkeit: d e r f e s t e S t o f f s c h m i l z t . Nur dann, wenn Pmss. = /'fest ist, d . h . b e i d e r T e m p e r a t u r d e s S c h n i t t p u n k t e s der beiden Dampfdruckkurven A und B , befinden sich f l ü s s i g e und f e s t e F o r m eines Stoffs miteinander im G l e i c h g e w i c h t . Der Schnittpunkt gibt also den Gefrier- oder Schmelzpunkt einer Substanz unter dem eigenen Dampfdruck an. E r liegt für reines, luftfreies Wasser (Fig. 27) bei + 0.0099° C (Eigendampfdruck 4.58 mm). Der S c h m e l z p u n k t eines Stoffs ist v o m ä u ß e r e n D r u c k a b h ä n g i g . Und Ewar kann er mit steigendem Druck zu- oder abnehmen (vgl. S. 113). Beim Wasser fällt er für j e 1 Atmosphäre Drucksteigerung um 0.0075°. Bei 1 Atmosphäre Druck schmilzt demnach r e i n e s , luftfreies Wasser bei 0.0099 — 0.0075 == 0.0024° C, l u f t g e s ä t t i g t e s Wasser (Gefrierpunkterniedrigung von 0.0024°) bei 0°. In Fig. 27 wird die Druckabhängigkeit des Schmelzpunktes durch Kurve C wiedergegeben. Die drei Kurven A, B und C teilen das D r u c k - T e m p e r a t u r - D i a g r a m m des Wassers in d r e i F e l d e r . Innerhalb dieser F e l d e r ist nur je e i n Aggregatzustand des Wassers existenzfähig; längs der K u r v e n dagegen sind je zwei Phasen, beim S c h n i t t p u n k t der drei Kurven („Tripelpunkt") alle d r e i Phasen nebeneinander beständig (,,koexistent"). Das ganze Diagramm heißt „Zustandsdiagramm des Wassers" (vgl. S. 187 ff.). Die T e m p e r a t u r s k a l a von Celsius g r ü n d e t sich auf den S c h m e l z - und Siedepunkt reinen, l u f t g e s ä t t i g t e n Wassers. Und zwar dient defin i t i o n s g e m ä ß der S c h m e l z p u n k t u n t e r A t m o s p h ä r e n d r u c k als N u l l p u n k t d e r S k a l a , w ä h r e n d d e r T e m p e r a t u r p u n k t 100° d u r c h d e n S i e d e p u n k t b e i A t m o s p h ä r e n d r u c k d e f i n i e r t i s t . 1° C ist dementsprechend der hundertste Teil dieses Temperaturintervalls. y) Osmotischer Druck wässeriger Lösungen W a s s e r ist ein L ö s u n g s m i t t e l von sehr allgemeiner Anwendbarkeit, da zahlreiche Stoffe darin mehr oder weniger löslich sind. Die g e l ö s t e n S t o f f e befinden sich dabei in der Lösung in einem dem G a s z u s t a n d ähnlichen Zustand.

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Das Wasser und seine Bestandteile

Löst man z. B. Z u c k e r in Wasser auf, so verteilt er sich darin m o l e k u l a r . Die Zuckermoleküle schwirren in der Lösung wie die Moleküle eines Gases regellos umher, so daß sich der g e l ö s t e Stoff wie ein g a s f ö r m i g e r Stoff verhält. Zwar üben die Moleküle des flüssigen und daher spezifisch dichten Lösungsmittels starke Anziehungskräfte auf die gelösten Moleküle aus. I n n e r h a l b d e r L ö s u n g heben sich diese aber gegenseitig auf, da sie hier — wie in Fig. 29 a an einem solchen Teilchen gezeigt ist — von allen Seiten her gleichmäßig wirken. Nur an der A u ß e n f l ä c h e der Flüssigkeit, an der die Anziehung (vgl. Fig. 29 a) einseitig nach dem Innern zu erfolgen muß, wirken sich die K r ä f t e aus (vgl. S. 391 f.). Daher kommt es, daß die in einer Lösung g e l ö s t e n M o l e k ü l e k e i n e n d e m G a s d r u c k e n t s p r e c h e n d e n D r u c k auf die Wände des einschließenden Gefäßes auszuüben vermögen. D i e s i s t e r s t d a n n d e r F a l l , wenn das die Lösung enthaltende Gefäß v o n L ö s u n g s m i t t e l u m g e b e n ist und die Wände des Gefäßes h a l b d u r c h l ä s s i g („semipermeabel"), d. h. d u r c h l ä s s i g f ü r das Lös u n g s m i t t e l und u n d u r c h l ä s s i g für den g e l ö s t e n S t o f f sind. Denn nur dann wirken — wie in Fig. 29 b an einem gelösten Teilchen gezeigt ist — auch an der W a n d g r e n z f l ä c h e die Anziehungskräfte wie im Innern der Lösung gleichmäßig von allen Seiten her auf die g e l ö s t e n M o l e k ü l e , so daß diese — in summa der Anziehung entzogen — wie G a s m o l e k ü l e gegen die für sie undurchlässige Wand anprallen und damit einen D r u c k auf diese ausüben. Ist die halbdurchlässige Membran e l a s t i s c h , so bläht sie sich demnach im Lösungsmittel unter dem Einfluß des Druckes der gelösten Moleküle wie ein mit Gas gefüllter Gummiballon auf. Es ist nach dieser Analogie zwischen dem Druck eines Gases und dem einer Lösung nicht verwunderlich, daß der „osmotische Druck" (P) — wie namentlich quantitative Untersuchungen des holländischen Physikochemikers J A C O B U S H E N R I C U S VAN'T H O F F (1852—1911) zeigten — b e i v e r d ü n n t e n {„idealen") Lösungen in d e r s e l b e n W e i s e von dem Volumen (V), der Zahl gelöster Mole (n) und der absoluten Temperatur (T) abhängt wie der G a s d r u c k (S. 23):

P-V

n-E-T

(1)

und daß die K o n s t a n t e R den g l e i c h e n W e r t wie bei der Zustandsgieichung der Gase (S. 24) besitzt. G e l ö s t e S t o f f e üben somit d e n s e l b e n D r u c k aus, den sie — falls man sie vergasen könnte — bei gleicher T e m p e r a t u r und im gleichen Volumen auch als G a s e ausüben würden. Alle an die Gasgleichung geknüpften Folgerungen (S. 24) gelten daher auch für den Lösunsszustand. Enthalten also z. B. , ... .... . . . , 22.41 Wasser 1 Mol eines Stoffs, so Murch/ass.ge Wand beträgt der osmotische Druck bei 0° 1 Atmosphäre.

-Lösung

Fig. 29 a. Wirkung der Anziehungskräfte des Lösungsmittels auf gelöste Teilehen

Fig. 29 b. Zustandekommen des osmotischen Druckes

Das Wasser

55

Das Zustandekommen des osmotischen Druckes kann statt von der Seite des g e l ö s t e n S t o f f e s aus auch von der Seite des L ö s u n g s m i t t e l s her abgeleitet werden. Diese andere Art der Betrachtungsweise läßt die Analogie zwischen Gasdruck p und osmotischem Druck P weniger gut erkennen, ermöglicht dafür aber ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen dem osmotischen DiuckPund der Dampfdruckerniedrigung Ap( S.67f.) einer Lösung. Auch läßt sie leichter das Verhalten von Lösungen bei Verwendung s t a r r e r halbdurchlässiger Wände verstehen. Infolge ihrer ungeregelten Wärmebewegung (S. 50) passieren die Moleküle des Lösungsmittels fortwährend die halbdurchlässige Trennungswand von innen nach außen und umgekehrt. Die Zahl der aus dem reinen Lösungsmittel mit einem „Diffusionsdruck" p D i f f in die Lösung diffundierenden Moleküle ist dabei größer als die Zahl der in umgekehrter Richtung (Diffusionsdruck p'jyiff) aus der Lösung in das reine Lösungsmittel wandernden Teilchen, da in der Lösung da« Lösungsmittel durch den gelösten Stoff verdünnt und die Konzentration an diffundierbaren Lösungsmittelmolekülen in ihr dementsprechend geringer als im reinen Lösungsmittel ist. Die Differenz ^Pülff beider Diffusionsdrucke (¿lp D I f f = p D l f f — p ' D i f f ) ist numerisch gleich dem osmotischen Druck P1 und bei gegebener Temperatur und Flüssigkeitsmenge der Molzahl n des gelösten Stoffes proportional 2 : ApDiff. = P = K-n. (2) Infolge dieses „Diffusions-Überdruckes" /lp D i f f dringt, falls die halbdurchlässige Membran starr ist und das Lösungsgefäß ein Steigrohr aufweist, solange Wasser in das Gefäß ein, bis der hydrostatische Druck Phydj. Flüssigkeitssäule im Steigrohr den Wert des Differenzbetrags zlp Dlff = Pmff — P Diff u n d damit des osmotischen Druckes P erreicht hat (Fig. 30). Nunmehr gilt Phydr. + P'Diff. = ^Dlff.' 8 0 d a ß i c t z t unter dem Einfluß des um den hydrostatischen Druck p^ydr vermehrten Diffusionsdrackes p' D i f f in der Zeiteinheit gleich viele Lösungsmittelmoleküle die halbdurchlässige Wand in beiden Richtungen durchwandern. Die experimentelle Messung des fiu- N2 + 3H 2 0. So bildet sich z. B. Stickstoff beim Eintropfen von konzentrierter Ammoniaklösung in einen wässerigen C h l o r k a l k b r e i (CaCl 2 0 —>- CaCl2 + O). Noch häufiger wird im Laboratorium s a l p e t r i g e S ä u r e H N 0 2 als Oxydationsmittel benutzt, weil hierbei auch der Stickstoff der Säure mitgewonnen wird (vgl. S. 245): NHS + HN0 2 —>- N2 + 2H 2 0. Man erhitzt zu diesem Zwecke eine konzentrierte wässerige Ammoniumnitritlösung (NH 4 N0 2 N H 3 + HN0. 2 ) oder die Lösung eines Gemisches von Ammoniumchlorid und Natriumnitrit (NH4C1 + N a N 0 2 N H 4 N 0 2 + NaCl) auf etwa 70°. Auch mit Hilfe von C h l o r , das sich mit Ammoniak energisch umsetzt, kann der Wasserstoff des Ammoniaks entfernt werden: 2NH3 + 3C12 — N 2 + 6HCl. I n Erweiterung des ursprünglichen Oxydationsbegriffes (S. 35 f.) spricht man auch in diesem Falle von einer O x y d a t i o n des Ammoniaks zu Stickstoff und definiert ganz allgemein eine Oxydation als die Zufuhr von Sauerstoff oder den Entzug von Wasserstoff und ein Oxydationsmittel dementsprechend als ein sauerstoffzuführendes oder Wasserstoff entziehendes Mittel. I n gleicher Weise versteht man in Erweiterung des ursprünglichen Reduktionsbegriffes (S. 44) unter einer Reduktion den Entzug von Sauerstoff oder die Zufuhr von Wasserstoff und unter einem Reduktionsmittel dementsprechend ein sauerstoffentziehendes oder wasserstoffzuführendes Mittel.

c) Physikalische Eigenschaften Stickstoff ist ein färb-, geschmack- und geruchloses Gas. Das Litergewicht r e i n e n S t i c k s t o f f s beträgt bei 0° und 760 mm Druck 1.2505 g, ist also geringer als das der Luft (1.2928 g/1), welche ja noch den schwereren Sauerstoff (1.4289 g/1) enthält. 1 1 „Luftstickstoff", also edelgashaltiger Stickstoff wiegt 1.2567 g. Wie Sauerstoff und Wasserstoff läßt sich auch Stickstoff nur schwer kondensieren (kritische Temperatur: —147.1°, kritischer D r u c k : 33.5 Atm., kritische Dichte: 0.3110 g/cm 3 ). Der Siedepunkt des farblosen flüssigen Stickstoffs hegt bei —195.8°, der Schmelzpunkt des farblosen festen Stickstoffs bei —210.5°; die Dichte beim Siedepunkt beträgt 0.879 g/cm 3 . I n Wasser ist Stickstoff nur etwa halb so gut löslich wie Sauerstoff: 1 1 Wasser von 0° löst 23 cm 3 Stickstoff gegenüber 49 cm 3 Sauerstoff. Die aus Wasser ausgetriebene Luft hat somit eine andere Zusammensetzung ( 0 2 : N 2 = 2:1) als die atmosphärische ( 0 2 : N 2 = 1:4). Diese größere Wasserlöslichkeit des Sauerstoffs ist von Wichtigkeit für die Atmung der Fische im Wasser.

d) Chemische Eigenschaften Der Stickstoff ist weder brennbar wie der Wasserstoff, noch unterhält er die Verbrennung wie der Sauerstoff. Taucht man einen brennenden Holzspan in Stickstoff ein, so erlischt er sofort. Lebewesen ersticken im Stickstoffgas \ Überhaupt ist der Stickstoff bei gewöhnlicher Temperatur ein s e h r r e a k t i o n s t r ä g e s {„inertes") Gas. Dies kommt daher, daß die beiden Atome des Stickstoffmoleküls besonders fest aneinander gekettet sind (vgl. S. 48), so daß der Stickstoff 1 Der französische Name „azote" für Stickstoff bringt ebenfalls diese Eigenschaft zum Ausdruck: azotikos (ccjcotikös) = das Leben nicht unterhaltend. In Bezeichnungen wie „Azide" (S. 231), „Azoverbindungen" (S. 250), „Azotierung" (S. 412), „Borazol" (S. 377), „Hydrazin" (S. 229) usw. findet sich dieser Wortstamm auch in der deutschen Nomenklatur.

62

Die Luft und ihre Bestandteile

selbst die beständigste Stickstoff-,.Verbindung" ist. Zur Sprengung des Moleküls in die wesentlich reaktionsfähigeren Atome bedarf es g r o ß e r E n e r g i e m e n g e n : 170.3 k c a l + N 2

>-2N,

(1)

die entweder der V e r b i n d u n g s e n e r g i e anderer Elemente entnommen oder von außen her als Energie der W ä r m e oder der E l e k t r i z i t ä t zugeführt werden müssen. So wird die Aktivität des Stickstoffs z. B . durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g bedeutend gesteigert, so daß er bei hohen Temperaturen mit zahlreichen Metallen und Nichtmetallen Verbindungen eingeht. Unter den M e t a l l e n vereinigen sich verschiedene Alkali- und Erdalkalimetalle (z. B. Lithium, Calcium, Magnesium) besonders leicht und vollständig mit Stickstoff: 3 M g + N , — > • Mg3N2.

Aber auch viele andere Metalle wie Aluminium, Titan, Vanadin, Chrom verbinden sich bei Glühhitze direkt mit dem Stickstoff zu Nitriden. Unter den Reaktionen des Stickstoffs mit N i c h t m e t a l l e n seien besonders die Umsetzungen mit Wasserstoff und mit Sauerstoff hervorgehoben. Erstere führt zur Bildung von Ammoniak: N 2 + 3 H 2 — > - 2NH3

und wird in größtem Maßstabe technisch durchgeführt (S. 224ff.). Letztere geht unter Bildung von Stickoxyd vor sich: NA +

0

2

2 NO

und hat eine Zeitlang erhebliche Bedeutung für die Gewinnung von Salpetersäure gehabt (S. 235, 240). Bei Einwirkimg e l e k t r i s c h e r G l i m m e n t l a d u n g e n auf Stickstoff unter vermindertem Druck findet eine merkliche Aufspaltung der Stickstoffmoleküle gemäß (1) in Stickstoffatome statt, wie zuerst J O H N W I L L I A M S T R U T T ( 1 8 4 2 bis 1 9 1 9 ; seit 1 8 7 3 als L O R D R A Y L E I G H ) beobachtet hat. Dieser a t o m a r e S t i c k s t o f f ist chemisch s e h r a k t i v . So bildet er mit zahlreichen Metallen (z. B . Quecksilber, Zink, Cadmium, Natrium) schon bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r Nitride, ebenso mit Nichtmetallen wie Phosphor und Schwefel. Die Wiedervereinigung der Atome zu Molekülen ist mit einem charakteristischen gelben N a c h l e u c h t e n verbunden, das bei geeigneten Versuchsbedingungen noch 6 Stunden nach Ausschalten der elektrischen Entladung anhalten kann.

2. Die Luft a) Zusammensetzung der Luft Die atmosphärische L u f t wurde bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts für ein E l e m e n t gehalten. Erst durch die Untersuchungen von S C H E E L E , P R I E S T L E Y und L A V O I S I E R (S. 37) wurde gezeigt, daß sie ein Gem e n g e zweier Gase — nämlich eines die Verbrennung unterhaltenden ( S a u e r s t o f f ) und eines die Verbrennung nicht unterhaltenden Gases ( S t i c k s t o f f ) — ist.

Fig. 33. LAVOISIERS Versuch über die Zusammensetzung der Luft

Der Versuch, durch den LAVOISIER dies im J a h r e 1774 bewies, war der folgende (Fig. 3 3 ) : In einer Retorte, die durch einen zweimal gebogenen Hals mit einer in einer Glasglocke über Quecksilber abgesperrten, gegebenen Luftmenge in Verbindung stand, wurde Quecksilber auf einem Kohleofen mehrere Tage lang nahe am Sieden erhalten. Hierbei verschwand ein Teil der Luft, während sich gleichzeitig das Quecksilber teilweise in ein rotgelbes, kristallines Pulver (Quecksilberoxyd) verwandelte.

Die Luft

63

Der zurückbleibende Teil der Luft (Stickstoff) unterhielt zum Unterschied von der ursprünglichen Luft weder die Verbrennung noch die Atmung. Die gebildete Quecksilberverbindung spaltete bei stärkerem Erhitzen ein Gas (Sauerstoff) ab (S.9), das dieVerbrennungserscheinungen viel lebhafter unterhielt als die ursprüngliche Luft und dessen Volumen genau dem vorher verschwundenen Luftanteil entsprach. — F ü r genauere Luftanalysen verwendet man statt Quecksilber zweckmäßig Kupfer als sauerstoffbindendes Mittel.

Außer Sauerstoff und Stickstoff enthält die Luft noch die E d e l g a s e (S. 72), sowie mehr oder weniger W a s s e r d a m p f und K o h l e n d i o x y d , ferner geringe Mengen A m m o n i a k und Ozon. Als zufällige Bestandteile ( z . B . in der Nachbarschaft von Vulkanen und von Industrieanlagen) finden sich S c h w e f e l d i o x y d und andere Gase. Die niederen Luftschichten enthalten stets auch feste „ Staub"teilchen. Die mittlere Zusammensetzung trockener, reiner Luft ist nach neueren Analysen die folgende: Vol.-% 78.08 20.95 0.94 0.03

Stickstoff Sauerstoff Edelgase Kohlendioxyd

100.00

Gew.-°/o 75.46 23.19 1.30 0.05

100.00

Es ist bemerkenswert, daß diese Zusammensetzung der Luft trotz der zahlreichen sauerstoff-, stickstoff- und kohlendioxyd-umsetzenden Vorgänge in der Natur (die Edelgase beteiligen sich wegen ihrer Reaktionsträgheit nicht an chemischen Reaktionen) praktisch k o n s t a n t bleibt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Sauerstoff (gekoppelt mit dem Kohlendioxyd) und der Stickstoff einen K r e i s l a u f durchmachen.

b) Kreislauf des Sauerstoffs Wichtige sauerstoffverbrauchende Vorgänge der Natur sind die t i e r i s c h e A t m u n g und die V e r w e s u n g . In beiden Fällen werden KohlenstoffVerbindungen — z. B . Kohlenhydrate (II, S. 218ff.) — durch denLuftsauerstoff unter Freiwerden von Energie letzten Endes zu Kohlendioxyd und Wasser „verbrannt" (vgl. S. 36). In gleicher Richtung wirken auch die Verbrennungsprozesse der Industrie, z. B . die Verbrennung von Steinkohle. Die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e wird dabei in verschiedenster Weise ausgenutzt; bei der tierischen Atmung beispielsweise zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und der L e b e n s v o r g ä n g e , bei der Steinkohlenverbrennung etwa zur Erzeugung hoher Temperaturen. Es müßte demnach infolge dieser Verbrennungsvorgänge eine dauernde Abnahme des Sauerstoff- und Zunahme des Kohlendioxyd- und Wassergehaltes der Atmosphäre zu beobachten sein, wenn nicht ein e n t g e g e n w i r k e n d e r Prozeß stattfände, der in Umkehrung der genannten Verbrennungsprozesse unter Aufnahme von Energie Kohlendioxyd und Wasser wieder in Kohlenhydrate und Sauerstoff verwandelt. Dieser regulierend wirkende Vorgang ist die „Assimilation" (II, S. 473) der Pflanzen, bei welcher unter der Einwirkung des vom Blattgrün (Chlorophyll) absorbierten Sonnenlichtes das in der Luft oder im Wasser enthaltene Kohlendioxyd in die Kohlenhydrate Zucker und Stärke verwandelt wird, die sich als Reservestoffe in den Pflanzen ablagern: Atmung

I

Kohlenhydrate + Sauerstoff

t

1

Kohlendioxyd + Wasser + Assimilation

|

Energie

64

Die Luft und ihre Bestandteile

Die Pflanzen dienen dann wieder Menschen und Tieren zur Nahrung, werden erneut „veratmet" usw., und so beginnt der Kreislauf des Sauerstoffs und Kohlendioxyds von neuem. Der Kreisprozeß ist in seinen einzelnen Teilen so a u s g e g l i c h e n , daß — soweit unsere Meßgenauigkeit und Erfahrung bisher reichen — der S a u e r s t o f f g e h a l t der Atmosphäre k o n s t a n t bleibt. J e höher beispielsweise infolge der Verbrennungsprozesse der Kohlendioxyd- und Wasserdampfgehalt der Luft ansteigt, um so größer wird auch unter sonst gleichen Bedingungen die Assimilationstätigkeit der Pflanzen. Hinzu kommt, daß die jährlich in der geschilderten Weise im Kreislauf befindliche Sauerstoffmenge (10 1 1 1) verhältnismäßig gering ist im Vergleich zu der in der Atmosphäre vorhandenen (10 15 t).

c) Kreislauf des Stickstoffs Auch der S t i c k s t o f f beschreibt einen Kreislauf durch den pflanzlichen und den tierischen Organismus. In diesen Kreislauf tritt er aber praktisch nur als g e b u n d e n e r , nicht als freier Stickstoff. Der Stickstoff ist ein wichtiger Bestandteil des lebensnotwendigen tierischen und pflanzlichen E i w e i ß e s (II, S. 277ff.). Daher sind Tier und Pflanze auf Stickstoffzufuhr angewiesen. Der Stickstoff der L u f t wird von den Tieren und den meisten Pflanzen nicht aufgenommen, da wegen der Reaktionsträgheit des Stickstoffs weder Tier noch Pflanze imstande sind, Luftstickstoff zu assimilieren. Hierzu sind nur einige Bakterienarten fähig, die an den Wurzelknöllchen von Leguminosen (z. B. Lupinen) vorkommen (vgl. S. 235). Im allgemeinen entnimmt die Pflanze ihren Stickstoffbedarf dem B o d e n . Dieser enthält Stickstoff in Form von N i t r a t e n (S. 241) und A m m o n i u m s a l z e n (S. 435ff.). Die Pflanze nimmt diese Verbindungen auf und baut daraus in geheimnisvoller Weise ihre Zellen auf. Die T i e r e und M e n s c h e n besitzen diese Assimilationsfähigkeit nicht. Sie können den Stickstoff nur in Form von p f l a n z l i c h e m E i w e i ß aufnehmen. Auf diese Weise kommt der Stickstoff in den tierischen Organismus. Beim Abbau des Eiweißes im Tierkörper wird der größte Teil des Stickstoffs als H a r n s t o f f (II, S. 183f.) mit dem Harn ausgeschieden; bei der Verwesung von Tier und Pflanze bleibt er in Form von Nitraten, Ammoniumsalzen und anderen Stickstoffverbindungen zurück. So steht er den Pflanzen wieder zur Verfügung, und der Kreislauf beginnt von vorn. Allerdings werden bei diesem Kreislauf, zumal bei intensiver Landwirtschaft, dem Boden mehr Stickstoffverbindungen entzogen als in verwertbarer Form wieder zurückkehren. Der deutsche Chemiker JUSTUS VON LIEBIG (1803—1873) wies daher darauf hin, daß es erforderlich ist, den Pflanzen den zur Assimilation erforderlichen Stickstoffbedarf in Form geeigneter Stickstoffverbindungen („künstlicher Dünger") zuzuführen. Diese gewinnt man — in jährlich steigenden Mengen — aus elementarem Stickstoff. Auf diesem Umweg über die chemische Industrie greift somit auch der L u f t s t i c k s t o f f in den Kreislauf des Stickstoffs in der Natur ein. Der Stickstoffgehalt der Luft wird hierdurch aber nicht verändert, weil etwa ebensoviel elementarer Stickstoff bei der Verbrennung der Steinkohle (S. 309ff.) der Atmosphäre wieder zugeführt wird. Auch stellt die jährliche Stickstoffentnahme der Technik ( ~ 10 6 t) weniger als den milliardsten Teil des in der Atmosphäre enthaltenen Stickstoffs dar. Die bei Verwesungsprozessen oder durch die Wirkung von sogenannten „Denitrifikationsbakterien" in die elementare Form übergehende kleine Stickstoffmenge wird etwa ausgeglichen durch die Menge Salpetersäure (HN0 3 ), die sich durch die oben schon genannten Bodenbakterien und bei Gewittern durch die elektrischen Entladungen (Blitz) aus Stickstoff, Sauerstoff und Wasserdampf bildet.

Die Luft

65

d) Flüssige Luit Bei starkem Abkühlen geht die Luft in den f l ü s s i g e n Zustand über. Diese Verflüssigung der Luft wird — wie schon besprochen wurde — zwecks Gewinnung von Sauerstoff (S. 32ff.), Stickstoff (S. 60) und Edelgasen (S. 73f.) technisch in großem Maßstabe ausgeführt. In frischem Zustande ist die flüssige Luft praktisch farblos. Bei längerem Stehen nimmt sie immer deutlicher eine bläuliche Farbe an. Dies kommt daher, daß der farblose Stickstoff (Sdp. —196°) schneller absiedet als der bläuliche Sauerstoff (Sdp. —183°). Entsprechend dieser Sauerstoffanreicherung beim Verdunsten steigt der Siedepunkt der flüssigen Luft (—194 1 / 2 °) beim Stehen bis auf —185° und höher. Zugleich nimmt die Dichte, die zuerst 0.9 g/cm 3 beträgt, bis zum Werte 1.1 (1 cm 3 flüssiger Sauerstoff wiegt beim Siedepunkt 1.12, 1 cm 3 flüssiger Stickstoff beim Siedepunkt 0.88 g) zu, so daß frische flüssige Luft auf Wasser schwimmt, während auf gestandener flüssiger Luft um^^ Vakuum gekehrt das Wasser schwimmt. flüssige Luft Um ein zu rasches Absieden der flüssigen Luft im Laboratorium zu vermeiden, bewahrt man sie zweckmäßig in besonders konGefäßtcandunstruierten Gefäßen auf. Eine für das Laboratorium geeignete Form gen, innen stellt z. B . das nebenstehend (Fig. 34) abgebildete, doppelwandige versilbert „DEivAR-Gefäß" (,, Weinhold-Gefäß") dar. Bei diesem ist zur Verringerung der W ä r m e l e i t u n g der Raum zwischen beiden Wandungen evakuiert, während die Wandungen selbst zur Vermeidung der Fig. 34. W ä r m e s t r a h l u n g innen versilbert oder verkupfert sind. Auf D e w a r - Gefäß dem gleichen Bauprinzip beruhen z. B . die „Thermosflaschen". zum Aufbewahren Interessant sind die Eigenschaftsänderungen, welche die Stoffe flüssiger Luft beim Abkühlen auf die Temperatur der flüssigen Luft erfahren. F a r b e . Taucht man ein mit Schwefel gefülltes Reagensglas in flüssige Luft, so wird der gelbe Schwefel weiß wie Kreide. Auch braunrotes Brom, roter Phosphor, orangerote Mennige werden beim Eintauchen in flüssige Luft in auffälliger Weise heller. E l a s t i z i t ä t . Ein in flüssige Luft getauchter Gummiball wird glashart und zerspringt in Splitter, wenn man ihn auf den Boden fallen läßt. Ein Bleiglöckchen gibt nach Kühlung mit flüssiger Luft beim Anschlagen mit einem Glasstab einen hellen Ton, als ob es aus Silber bestünde. A g g r e g a t z u s t a n d . Übergießt man flüssiges Quecksilber mit flüssiger Luft, so erstarrt es alsbald zu einem silberähnlichen Metall, das man auf dem Amboß aushämmern kann. Leuchtgas verflüssigt sich leicht bei der Temperatur der flüssigen Luft. Wird eine Rose in flüssige Luft getaucht, so gefriert augenblicklich das Wasser in den Zellen; das Gewebe wird dadurch so spröde, daß man es im Mörser zu Pulver zerreiben kann. Erwähnenswert sind noch die s t a r k o x y d i e r e n d e n E i g e n s c h a f t e n gestandener, also sauerstoffreicher Luft. Taucht man z. B . einen glimmenden Holzspan in sie ein, so verbrennt der Span trotz der sehr tiefen Temperatur unter heftiger Reaktion mit heller Flamme. Wird Watte mit feinem Kohlepulver überstäubt, mit flüssiger Luft übergössen und dann angezündet, so verbrennt das Ganze explosionsartig. Man bedient sich dieser stark oxydierenden Eigenschaften der flüssigen Luft bei den sogenannten „Oxyliquit" - Sprengstoffen. E s ist hiernach sehr gefährlich, flüssigen Sauerstoff oder gestandene flüssige Luft mit brennbaren Substanzen zusammenzubringen. Trotz der tiefen Temperatur kann man flüssige Luft gefahrlos über die Hände gießen, ohne dabei das Gefühl von Kälte zu haben, da sich zwischen der warmen Haut und der kalten Flüssigkeit sofort eine schützende dünne Dampfhaut bildet, welche die Kälte nur schlecht leitet („LE/DENFRosrsches Phänomen"). H o l l e m a n - W I b e r g , Anorganische Chemie. 37.—30. Aufl.

5

Kapitel VI

Das Periodensystem der Elemente (I. Teil) Am Beispiel des Sauerstoffs, Wasserstoffs und Stickstoffs haben wir gesehen, daß jedes einzelne Element ganz c h a r a k t e r i s t i s c h e c h e m i s c h e E i g e n s c h a f t e n besitzt und Verbindungen ganz b e s t i m m t e r Z u s a m m e n s e t z u n g bildet. Es wäre nun recht unbefriedigend, das chemische Verhalten der übrigen 98 bis jetzt bekannten Elemente in gleicher Weise der Reihe nach zu behandeln, ohne die Elemente untereinander zu v e r g l e i c h e n und nach Z u s a m m e n h ä n g e n und c h e m i s c h e n A n a l o g i e n zu suchen. So nimmt es nicht wunder, daß im Laufe des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Versuche unternommen worden sind, die Elemente nach ihren chemischen Eigenschaften in Gruppen einzuteilen und Gesetzmäßigkeiten für diese Einordnung zu finden. Der erste Versuch dieser Art rührt von D Ö B E R E I N E R (S. 42) her, der im Jahre 1829 nachwies, daß sich verschiedene Elemente ihrem chemischen Verhalten nach zu Gruppen von je 3 Elementen {„Triaden") zusammenfassen lassen, in welchen die Atomgewichtsunterschiede jeweils annähernd gleich sind (,,Triadenregel"); z . B . :

Damit wurde zum erstenmal der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen E i g e n s c h a f t e n und A t o m g e w i c h t e n eingeführt. Eine Weiterentwicklung dieses Gedankens war erst nach Erweiterung der Kenntnis der Atomgewichte möglich. Im Jahre 1 8 6 4 entdeckte der englische Chemiker J O H N A. R. N E W L A N D S ( 1 8 3 8 — 1 8 9 8 ) , daß bei der Anordnung der Elemente nach steigendem Atomgewicht jeweils nach 7 Elementen ein Element folgt, das dem Anfangsgliede der Reihe chemisch ähnlich ist („Gesetz der Oktaven"). 1869 haben dann der russische Chemiker D M I T R I I W A N O W I T S C H M E N D E L E J E F F ( 1 8 3 4 — 1 9 0 7 ) und der deutsche Forscher LOTHAR M E Y E R ( 1 8 3 0 — 1 8 9 5 ) unabhängig voneinander diese Beziehungen schärfer formuliert und zum „Periodensystem der Elemente" 1 zusammengefaßt, dessen Grundprinzip ebenfalls die Ordnung der Elemente nach dem A t o m g e w i c h t ist. Auf dieses Periodensystem gehen letztlich alle heute in Gebrauch befindlichen Formen des Periodensystems zurück. Im folgenden wollen wir uns zunächst auf die Ableitung einer übersichtlichen g e k ü r z t e n F o r m des Periodensystems beschränken.

1. Gekürztes Periodensystem Ordnet man die in der Atomgewichtstabelle (S. 27) aufgeführten Elemente nach steigender Größe des Atomgewichts, d. h. nach der Reihenfolge der Atomnummern (S. 28), so erhält man die folgende Reihe: 1

Häufig sprachlich unrichtig als „Periodisches System der Elemente" bezeichnet.

Gekürztes Periodensystem 1H

2 He

3 Li

4 Be

5 B

6C

7N

80

9F

67

10 Ne 11 Na 12 Mg 13 AI

16 S 17 C1 18 Ar 19 K 20Cai21 Sc 22 Ti 23 V 24 Cr 25 Mn 26 Fe 31 Ga 32 Ge 33 As 34 Se 35 Br 36 Kr 37 Rb 38 Sr i 39 Y

14 Si 15 P

27 Co 28 Ni 29 Cu 30Zn !

40 Zr 41 Nb 42 Mo 43 Tc 44 Ru

45 Rh 46Pd 47 Ag 48 Cd | 49 In 50Sn 51 Sb 52Te 53 J 54 Xe 55 Cs 56 Ba ; 57 La 58 Ce 59 Pr 60 Nd 61 Hm 62 Sm 63 Eu 64 Gd 65 Tb 66 D.y 67 Ho 68 Er 69 Tm 70 Yb 71 Cp 72 Hf 73 Ta 74 W 75 Re 76 Os 77 Ir 78 Pt 79 Au 80 Hg ; 81 Tl 82 Pb 83 Bi 88 Ra i 89 Ac 90 Th 91 Pa 92 U

84 Po 85 At 86 Rn 87 Fr

93 Np 94 Pu 95 Am 96 Cm 97 Bk 98 Cf 99 E 100Fm lOlMv

Ein Vergleich der p h y s i k a l i s c h e n u n d c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der so geordneten Elemente führt zu der interessanten Feststellung, daß sich diese Eigenschaften beim Fortschreiten vom einen zum nächsten Element in g a n z g e s e t z m ä ß i g e r W e i s e ändern und daß jeweils nach einer gewissen Anzahl von Schritten eine E l e m e n t r e i h e w i e d e r k e h r t , die in i h r e n E i g e n s c h a f t e n d e r v o r a n gehenden Elementreihe ähnelt. Als Beispiel hierfür sei etwa die Elementfolge H e l i u m (He) bis A r g o n (Ar) herausgegriffen. H e l i u m (Atomnummer 2) ist ein reaktionsträges Gas, das sich zum Unterschied von anderen Elementen mit keinem anderen Element chemisch zur Umsetzung bringen läßt. Das achte auf Helium folgende Element N e o n (Atomnummer 10) ist wieder ein solches „Edelgas", ebenso das an achter Stelle hinter dem Neon (Ne) stehende Element A r g o n (Atomnummer 18). Die z w i s c h e n den Edelgasen Helium und Neon einerseits und Neon und Argon andererseits stehenden Elemente 3 ( L i t h i u m ) bis 9 ( F l u o r ) bzw. 11 ( N a t r i u m ) bis 17 (Chlor) zeigen eine ü b e r e i n s t i m m e n d e A b s t u f u n g i h r e r E i g e n s c h a f t e n . So sind z. B. die auf das Helium und Neon unmittelbar folgenden Elemente L i t h i u m (Li) und N a t r i u m (Na) beide silberglänzende Leichtmetalle, die sich mit Wasser lebhaft unter Wasserstoffentwicklung umsetzen, während die vor den Edelgasen Neon und Argon stehenden Elemente F l u o r (F) und C h l o r (Cl) beide erstickend riechende Gase darstellen, die mit den vorerwähnten Leichtmetallen lebhaft unter Bildung salzartiger Verbindungen analoger Zusammensetzimg (LiF, LiCl, NaF, NaCl) reagieren. Ordnet man demnach die Elemente Helium bis Argon in zwei waagerechte „Perioden" wie folgt a n : TI T . „ „ „ „ „ 6 "

He Ne

Li Na

Be Mg

B

C

N

0

F

i«e

AI Si P S Cl Ar, so weisen die u n t e r e i n a n d e r s t e h e n d e n Elemente {„Homologe") w e i t g e h e n d e Ä h n l i c h k e i t e n in Eigenschaften und Verbindungsformen auf. Die übrigen, auf das Argon noch folgenden Elemente lassen sich nur d a n n in überzeugender Weise in die damit vorgezeichneten acht verschiedenen senkrechten „Gruppen" einordnen, wenn man die in der oben wiedergegebenen Element-Zusammenstellung gestrichelt umrahmten Elemente u n b e r ü c k s i c h t i g t läßt. Denn erst die Elemente 36 ( K r y p t o n , Kr), 54 ( X e n o n , Xe) und 86 ( R a d o n , Rn) haben wieder Edelgas-Charakter; und von den zwischen Argon und Krypton, Krypton und Xenon, Xenon und Radon stehenden Elementen zeigen nur die den Edelgasen nachfolgenden je z w e i und die den Edelgasen vorangehenden je f ü n f Elemente Eigenschaften, die eine eindeutige Einordnung in die obigen sieben Gruppen zwischen den Edelgasen rechtfertigen. Man kommt so zu folgender Anordnung: Ar K Ca i Ga Ge As Se Br Kr Kr Rb Sr ; In Sn Sb Te J Xe Xe Cs Ba i Tl Pb Bi Po At Rn Rn Fr Ra j 5*

Das Periodensystem der Elemente (I. Teil)

68

in welcher die gestrichelte senkrechte Linie zum Ausdruck bringt, daß an dieser Stelle eine Reihe dazwischenliegender Elemente — Scandium (Sc) bis Zink (Zn), Yttrium (Y) bis Cadmium (Cd), Lanthan (La) bis Quecksilber (Hg) und Actinium (Ac) bis Mendelevium (Mv) — ausgelassen worden sind. Man nennt die so erhaltene Elementanordnung „gekürztes Periodensystem der Elemente". Es läßt sich in besonders übersiehtücher Form — unter Einfügung des Wasserstoffs (Atomnummer 1) und des später (S. 555ff., 585) noch zu besprechenden Neutroniums Nn (Atomnummer 0) — wie folgt wiedergeben: Gekürztes Periodensystem der Elemente

III 5 B

I 1 H IV 6 C

V 7 N

VI 8 0

VII 9 F

II 2 He VIII 10 Ne

12 Mg

13 AI

14 Si

15 P

16 S

17 C1

18 Ar

3

19 K

20 Ca

31 Ga

32 Ge

33 As

34 Se

35 Br

36 Kr

4

36 Kr

37 Rb

38 Sr

49 In

50 Sn

51 Sb

52 Te

53 J

54 Xe

5

6

54 Xe

55 Cs

56 ßa

81 T1

82 Pb

83 Bi

84 Po

85 At

86 Rn

g

7

86 Rn

87 Fr

88 Ra

0

I

II

III

IV

V

VII

VIII

0 0 Nn 0 2 He

I 3 Li

II 4 Be

10 Ne

11 Na

18 Ar 5

1

2 3

VI

1

2

Dieses gekürzte Periodensystem der Elemente ist ein Teil des später (S. 439ff.) zu behandelnden vollständigen Periodensystems der Elemente und enthält nur die sogenannten „Hauptgruppen" des Gesamtsystems. Es umfaßt s i e b e n waagerechte P e r i o d e n („Periodennummer" 1 bis 7) und — abgesehen von der ersten, „kurzen Periode" — a c h t 1 senkrechte G r u p p e n („Gruppennummer" I bis VIII). Über den einzelnen Elementsymbolen ist die zugehörige „Atomnummer" angegeben. Auf die tiefere Bedeutung der Periodennummer, Gruppennummer und Atomnummer werden wir später (S. 139) noch zu sprechen kommen. In der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links nimmt im gekürzten Periodensystem der Metallcharakter, in umgekehrter Richtung der N i c h t m e t a l l charakter zu. Eine scharfe Grenze läßt sich dabei nicht ziehen, weil der Übergang stetig erfolgt. Die an der Stelle der gestrichelten Linie ausgelassenen „Übergangselemente" sind ausnahmslos M e t a l l e . Ihre Einordnung in sogenannte „Nebengruppen" wird uns erst bei der Besprechung des Gesamtsystems (S. 439ff.) beschäftigen. Der folgenden Behandlung der H a u p t g r u p p e n - E l e m e n t e (S. 71 ff.) legen wir die durch das gekürzte Periodensystem gegebene Einteilung in acht charakteristische Elementgruppen zugrunde. 1

Die nullte und achte Gruppe sind miteinander identisch.

Verbreitung der Elemente

69

Um eine überzeugende Einordnung der Elemente in das Periodensystem zu ermöglichen, muß an einzelnen Stellen das Prinzip der Aufeinanderfolge nach steigendem Atomgewicht durchbrochen werden. So findet sich in den Hauptgruppen des gekürzten Periodensystems das A r g o n (Ar) v o r d e m K a l i u m (K) und das T e l l u r (Te) v o r d e m J o d (J), obwohl nach dem Atomgewicht die Reihenfolge u m g e k e h r t sein sollte 1 ; in gleicher Weise muß später bei den Nebengruppen (S. 439ff.) entgegen dem Atomgewicht das K o b a l t (Co) v o r d a s N i c k e l (Ni) und das T h o r i u m (Th) v o r d a s P r o t a c t i n i u m (Pa) gestellt werden. Daraus geht hervor, daß in Wirklichkeit n i c h t d a s A t o m g e w i c h t , sondern eine a n d e r e — mit dem Atomgewicht in Zusammenhang stehende — Größe die Reihenfolge der Elemente bedingt. Hiervon wird auf S. 135ff., 144f. und 555ff. die Rede sein. Weiterhin war es bis vor wenigen Jahren erforderlich, an einzelnen Stellen des Periodensystems Plätze für bisher noch unbekannte Elemente f r e i z u l a s s e n : bei den Hauptgruppen für ein Element 85 in Gruppe VII und ein Element 87 in Gruppe I, bei den Nebengruppen für die Elemente der Ordnungszahl 43 und 61 2 . Die Berechtigung hierfür werden wir ebenfalls später (S. 144f.) kennenlernen.

2. Verbreitung der Elemente Die Verbreitung der im Periodensystem zusammengefaßten Elemente auf unserer Erde ist eine ganz unterschiedliche. So bestehen die uns zugänglichen Teile der Erdkugel („Erdrinde") — nämlich die Luft („Atmosphäre"), das Meer („Hydrosphäre") und eine etwa 16 k m ( = 10 Meilen) dicke Schicht 3 des äußeren Gesteinsmantels der Erde („Lithosphäre") — zur Hälfte ihres Gewichts aus Sauerstoff und zu einem Viertel aus Silicium. I n das restliche Viertel teilen sich in der Hauptsache 8 weitere Elemente: Lithosphäre spez.6ev.3-* Sauerstoff 49.4 Gew.-% 55.1 At.-°/„ Silicium 25.8 „ 16.3 Aluminium 7.5 5.0 1.5 Eisen 4.7 Chalkosphäre 1.5 Calcium 3.4 spez. Gew. 5-6 2.0 Natrium 2.6 1.1 Kalium 2.4 1.4 Magnesium 1.9 15.4 Wasserstoff 0.9 0.2 Titan 0.6 99.2 Gew.-% 99.5 At.-°/„, während die übrigen 91 E l e m e n t e zusammen nur noch 0 . 8 % S/derosphäre ausmachen, wovon die H ä l f t e auf die Elemente Chlor (0.2°/ 0 ), Phosphor (0.1%) und Kohlenstoff (0.1%) entfällt. Noch anschaulicher als die G e w i c h t s p r o z e n t e sind für den Chemiker die A t o m p r o z e n t e , welche die relativen A t o m h ä u f i g k e i t e n zum Ausdruck bringen. Bei dieser Betrachtungsweise rückt der leichte Wasserstoff an die d r i t t e Stelle, während die Reihenfolge der übrigen Fig. 35. Der Aufbau der Elemente der obigen Tabelle weniger auffallende Änderungen erfährt. Erdkugel Der g e s a m t e Gesteinsmantel („Lithosphäre") der Erdkugel hat eine Tiefe v o n ungefähr 1200 k m (Fig. 35) und besteht im äußeren Teil (100 k m Dicke) wie die Erdrinde zur Hauptsache aus S a u e r s t o f f , S i l i c i u m und A l u m i n i u m bei einem spezifischen Durchschnittsgewicht v o n ~ 2 . 7 , während der restliche Teil (1100km Dicke) in der Hauptsache S a u e r s t o f f , S i l i c i u m und M a g n e s i u m enthält und ein spezifisches Durchschnittsgewicht v o n ~ 4 auf1 In der Zusammenstellung der Elemente auf S. 67 sind diese Umstellungen bereits berücksichtigt. 2 Weitere bei Aufstellung des Periodensystems vorhandene Lücken konnten schon früher ausgefüllt werden (vgl. S. 347 und Anmerkung 1, S. 347). 3 Stellt man sich die Erdkugel auf eine Kugel von 1 m Radius verkleinert vor, so entspricht das einer Schichtdicke von 2 1 / t mm.

70

Daa Periodensystem der Elemente (I. Teil)

weist. An die Lithosphäre schließt sich nach innen eine Oxyd-Sulfid-Schale („Chalkosphäre") an, die eine Dicke von 1700 km und ein spezifisches Durchschnittsgewicht von 5 bis 6 besitzt und über deren Zusammensetzung noch keine Übereinstimmung herrscht. Die Chalkosphäre umschließt schließlich einen zur Hauptsache aus E i s e n ( ~ 9 0 Gew.-°/0) und N i c k e l ( ~ 1 0 Gew.-°/0) bestehenden Kern („Siderosphäre") vom spezifischen Gewicht Hier herrscht ein ungeheurer Druck, während die Temperatur einen Wert von 4000° kaum überschreiten dürfte. Das spezifische Durchschnittsgewicht der Gesamterde beträgt 5.5. — Es muß allerdings betont werden, daß der vorstehend geschilderte Schalenbau der Erdkugel experimentell keineswegs gesichert ist und daß es auch andere einleuchtende Hypothesen über den Erdaufbau gibt. Von den insgesamt bekannten 101 Elementen sind bei Zimmertemperatur 11 (Wasserstoff, Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon, Fluor, Chlor, Sauerstoff und Stickstoff) g a s f ö r m i g , 2 (Brom und Quecksilber) f l ü s s i g , alle übrigen f e s t .

Hauptgruppen des Periodensystems

Kapitel VII

Die Gruppe der Edelgase Unter der Bezeichnung „Edelgase" faßt man die in der 0. bzw. 8. Hauptgruppe des Periodensystems enthaltenen 6 gasförmigen Elemente Helium (He), Neon (Ne), Argon (Ar), Krypton (Kr), Xenon (Xe) und Radon (Rn) zusammen. Sie sind chemisch außerordentlich reaktionsträge und bilden daher unter gewöhnlichen Bedingungen keine chemischen Verbindungen.

1. Geschichtliches Der erste Forscher, der Edelgase in Händen hatte, ohne sich dieser Entdeckung bewußt zu sein, w a r H . C A V E N D I S H ( S . 37). Dieser ließ im Jahre 1785 durch ein über Seifenlauge abgesperrtes Gemisch von Luft und Sauerstoff elektrische Funken schlagen. Hierbei bildet sich — wie wir heute wissen (S. 235f.) — Stickstoffdioxyd (N0 2 ). Da dieses von der Lauge absorbiert wird (S. 238), nahm bei dem geschilderten Versuch das Gasvolumen dauernd ab. Nach Konstantwerden des Volumens und Entfernen des überschüssigen Sauerstoffs mittels eines Absorptionsmittels blieb schließlich als Rückstand eine winzige Gasblase zurück, deren Volumen von C A V E N D I S H auf 1 / 120 der angewandten Luftmenge geschätzt wurde. Bedenkt man, daß nach unseren heutigen Kenntnissen die Edelgase rund 1 / 110 der Luft ausmachen (S. 63, 72), so hat C A V E N D I S H bei seinem Versuch bereits recht genau den Edelgasgehalt der Luft ermittelt. Die eigentliche Entdeckung der Edelgase erfolgte erst ein ganzes Jahrhundert später. Im Jahre 1 8 9 4 fiel es L O R D R O B E R T J O H N R A Y L E I G H auf, daß der aus Luft isolierte „Stickstoff" eine größere Dichte ( 1 . 2 5 6 7 g/1 bei 0 ° C und 7 6 0 mm Druck) besaß als der aus Stickstoffverbindungen gewonnene Stickstoff ( 1 . 2 5 0 5 g/1 bei 0 ° C und 7 6 0 mm Druck). In der atmosphärischen Luft mußte demnach neben Stickstoff noch ein Gas enthalten sein, welches s c h w e r e r als dieser ist. Dem englischen Physikochemiker W I L L I A M R A M S A Y ( 1 8 5 2 — 1 9 1 6 ) gelang es dann 1 8 9 4 , angeregt durch diese Beobachtung, gemeinsam mit R A Y L E I G H das Argon als Bestandteil der Luft zu entdecken; und zwar wiederholte R A Y L E I G H den C A V E N D I S H sehen Versuch, während R A M S A Y nach Entfernen des Luftsauerstoffs mittels glühenden Kupfers den Stickstoff durch Erhitzen mit Magnesium in festes Magnesiumnitrid überführte (S. 72). Den Namen Argon erhielt das Gas wegen seiner chemischen Reaktionsträgheit 1 . Im gleichen Jahre gelang es R A M S A Y , ein schon von W I L L I A M F R A N C I S H I L L E B R A N D 1890 beim Auflösen uranhaltiger Mineralien in Säuren beobachtetes inertes Gas ebenfalls als ein Edelgas zu identifizieren. Es erhielt den Namen Helium, weil seine Spektrallinien (vgl. S. 41 f.) mit den Linien eines bereits 30 Jahre vorher auf Grund des Sonnenspektrums auf der Sonne entdeckten und von N O R M A N L O K Y E R als Helium 2 bezeichneten Elements übereinstimmten. Die unermüdliche Suche R A M S A Y S nach einem weiteren, auf Grund des Periodensystems (S. 66 ff.) von ihm vorausgesagten Edelgas wäre wohl erfolglos geblieben, wenn 1

argos (ápyós) = träge.

2

helios (f|Aio$) = Sonne.

Die Gruppe der Edelgase

72

nicht um diese Zeit ( 1 8 9 5 ) dem deutschen Ingenieur C A R L V O N L I N D E ( S . 3 2 ) die Verflüssigung der Luft gelungen wäre. Die flüssige Luft, die W I L L I A M H A M P S O N 1 8 9 6 auch in England mit einem dem L I N D E sehen nachgebildeten Apparat herzustellen begann, ermöglichte R A M S A Y die Verflüssigung und fraktionierte Dest llation von aus L u f t gewonnenem (S. 71) Rohargon. Bei dieser Fraktionierung wurden im Jahre 1898 von 1 R A M S A Y nicht nur das vorausgesagte Neon , sondern auch zwei weitere, von ihm zunächst gar nicht gesuchte schwerere Edelgase, Krypton2 und Xenon3, aufgefunden. Später fanden die englischen Forscher E R N E S T R U T H E R F O R D (1871—1937) und F R E D E R I C K S O D D Y , daß das aus Radium sich bildende radioaktive Gas R a d o n seinen Eigenschaften nach ebenfalls zur Gruppe der Edelgase gehört. Seine Besprechung erfolgt im Zusammenhang mit der Besprechung der radioaktiven Stoffe (S.567).

2. Vorkommen In der Luft. Die L u f t weist nach unseren heutigen Kenntnissen folgende Mengen an Edelgasen auf: Helium Neon Argon Krypton Xenon

0.00046 Vol.-% 0.00161 „ 0.9325 „ 0.000108 „ 0.000008 „

Ein kleinerer Hörsaal von beispielsweise 10 m Länge, 10 m Breite und 5 m Höhe (500 m3) enthält danach rund 2 Liter Helium, 8 Liter Neon, i 1 / 2 Kubikmeter Argon, 1 / 2 Liter Krypton und 40 Kubikzentimeter Xenon von Atmosphärendruck. Argon ist also keineswegs ein seltenes Element. In Erdgasen. Helium findet sich außer in der Luft auch in zahlreichen Erdgasen. In Europa lohnt sich bisher die Heliumgewinnung aus solchen Gasen nicht, da die heliumreicheren Erdgasquellen zu w e n i g e r g i e b i g , die ergiebigeren Erdgasquellen dagegen zu h e l i u m a r m (0.01 bis 0.1°/ 0 Helium) sind. Wohl aber finden sich in den Vereinigten Staaten von Amerika, namentlich in Texas, ergiebige Gasquellen mit teilweise über l°/ 0 Helium, welche die Gewinnung von mehreren hunderttausend Kubikmetern Helium je Jahr ermöglichen. In Mineralien. Auch in radioaktiven Mineralien findet sich das Helium als eines der Reaktionsprodukte des radioaktiven Zerfalls (S. 566 ff., 578). Beim Pulvern, Erhitzen oder Auflösen dieser Mineralien in Säuren entweicht das wahrscheinlich in Form eines Clathrats (S. 74f.) eingeschlossene („okkludierte") Gas (S. 74).

3. G e w i n n u n g a) Aus Luft Will man aus der Luft die E d e l g a s e isolieren, so muß man die übrigen Luftbestandteile, also hauptsächlich S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f , entfernen. Das kann auf c h e m i s c h e m oder auf p h y s i k a l i s c h e m Wege erfolgen. Der erste Weg wird bei der Darstellung im L a b o r a t o r i u m , der letztere bei der t e c h n i s c h e n Darstellung eingeschlagen. Im Laboratorium erfolgt die Entfernung des S a u e r s t o f f s gewöhnlich durch Überleiten der — von Kohlendioxyd und Wasserdampf befreiten — L u f t über glühendes K u p f e r : 2Cu + 0 2 — >- 2CuO; den S t i c k s t o f f bindet man zweckmäßig durch Erhitzen mit M a g n e s i u m oder C a l c i u m : 3Mg + N a — M g 3 N 2 . Will man Sauerstoff 1

neos

(vk>S)

= neu.

2

kryptos (Kpinrrös) = verborgen.

3

xenos

(£EVOS)

= fremd.

Geschichtliches — Vorkommen — Gewinnung

73

und Stickstoff durch das gleiche Reagens beseitigen, so kann man C a l c i u m c a r b i d (CaC2) verwenden, das bei hoher Temperatur mit Sauerstoff unter Bildung von Kalk (CaO) und Kohlenstoff: 2CaCa + 0 2 2CaO + 4C, mit Stickstoff unter Bildung von „Kalkstickstoff" (S. 412f.): CaC2 + N 2 —> CaCN 2 + C reagiert. Das auf einem dieser Wege erhaltene Edelgasgemisch wird als „Rohargon" bezeichnet, da es (vgl. S. 72) zu 99.8 Vol.-0/» aus Argon und nur zu 0.2 (d. h. zu Viooo seines Volumens) aus den übrigen Edelgasen besteht. Die technische Gewinnung der Edelgase aus der Luft bedient sich der F r a k t i o n i e r u n g v e r f l ü s s i g t e r L u f t (vgl. S. 32ff.). Entsprechend den Siedepunkten der verschiedenen Bestandteile der L u f t : He - 269

Ne - 246

N - 196

Ar - 186

O - 183

Kr - 153

Xe - 107°

kann man bei der Rektifikation der flüssigen L u f t einen helium- und neonhaltigen Stickstoff, einen argonhaltigen Stickstoff bzw. Sauerstoff und einen krypton- und xenonhaltigen Sauerstoff abtrennen, die als Ausgangsmaterial f ü r die Gewinnung der einzelnen Edelgase dienen können. Helium, Neon. Die leichtflüchtigste Fraktion bei der Luftzerlegung besteht zu etwa 50°/ 0 aus Neon + Helium und zu 50°/ 0 aus Stickstoff. Die Trennung der darin enthaltenen E d e l g a s e gelingt in prinzipiell einfacher Weise durch A d s o r p t i o n (S. 298f.) des Gasgemisches an a k t i v e r K o h l e bei tiefen Temperaturen und nachfolgende f r a k t i o n i e r t e D e s o r p t i o n ; denn die Adsorbierbarkeit der Edelgase an Aktivkohle nimmt mit steigendem Atomgewicht, also in der Richtung He —>- Ne —> Ar — K r —>- Xe stark zu. Man kann so z. B. leicht 99°/ 0 iges Helium erhalten. Argon. Als eine der Mittelfraktionen bei der Rektifikation der flüssigen Luft läßt sich ein stickstoff- und argonhaltiger S a u e r s t o f f abtrennen, der bei einer weiteren Fraktionierung ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus Argon und Stickstoff bestehendes Gasgemisch ergibt. Die Entfernung des S t i c k s t o f f s erfolgt durch erneute R e k t i f i k a t i o n ; die Entfernung des S a u e r s t o f f s kann auf c h e m i s c h e m Wege (z. B. mit Schwefel oder Wasserstoff) erfolgen. I n analoger Weise läßt sich aus dem bei der Lufttrennung anfallenden S t i c k s t o f f das Argon isolieren. Für die Glühlampenindustrie (S. 75) wird als Füllgas meist ein Gemisch von 8 0 — 9 0 % Argon und 20—10% Stickstoff geliefert. Daneben kommen aber auch technisch reines Argon (bis 99°/ 0 Ar) und „spektralreines" Argon in den Handel. Krypton, Xenon. F ü r die Gewinnung von Krypton und Xenon kann im Anschluß an die Sauerstofferzeugung durch ein besonderes Rektifikationsverfahren ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus Krypton und Xenon bestehendes Produkt gewonnen werden, welches sich in einer F e i n r e i n i g u n g s a n l a g e unter Anwendung chemischer und physikalischer Reinigungsverfahren von Sauerstoff und allen anderen Verunreinigungen befreien läßt. Die Ausbeute beträgt 75—80°/ 0 der Theorie. Das erhaltene Krypton-Xenon-Gemisch wird als „lampenfertiges" Gas an die Glühlampenindustrie abgegeben. Für die Bedürfnisse der Glühlampenindustrie reichen allerdings die auf diese Weise als N e b e n p r o d u k t gewinnbaren Kryptonund Xenonmengen (einige hundert m 3 je Jahr) nicht aus. Zur Gewinnung größerer Mengen Krypton und Xenon bedient man sich zweckmäßig eines von GEORGES CLAUDE beschriebenen Verfahrens, bei dem die beiden Edelgase als H a u p t p r o d u k t gewonnen werden. Es beruht darauf, daß man n i c h t d i e G e s a m t m e n g e der Luft, sondern nur etwa Vio davon verflüssigt und mit dieser Flüssigkeit aus den übrigen 9 / 10 der bis nahezu an den Taupunkt abgekühlten Luft die schweren Edelgase und einen kleinen Teil des Sauerstoffs a u s w ä s c h t . Die so erhaltene Lösung von Krypton und Xenon in flüssiger Luft wird dann wie vorher rektifiziert und gereinigt.

74

Die Gruppe der Edelgase

Welch ungeheuren Fortschritt die beiden geschilderten technischen Verfahren der Kryptonund Xenongewinnung darstellen, geht daraus hervor, daß der frühere Krypton- und Xenonpreis — der sich noch im Jahre 1933 auf 25000 Mark je Liter Krypton und 32000 Mark je Liter Xenon stellte — in den letzten Jahren um 4 Zehnerpotenzen auf einige Mark je Liter Gemisch gesunken ist. Hierdurch wurde der Glühlampenindustrie überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, an die Verwendung dieses Edelgasgemisches ala Füllgas zu denken.

b) Aus Erdgasen Bei der Gewinnung von H e l i u m aus amerikanischen E r d g a s e n verfährt man so, daß man aus dem Rohgas zunächst durch Druckwaschung mit Wasser und Kalkmilch das Kohlendioxyd entfernt. Das so vorgereinigte Gas wird dann durch stufenweises Komprimieren und Expandieren bis auf —205° heruntergekühlt. Hierbei bleibt das Helium unkondensiert, und man erhält so ein zu 97—98°/ 0 aus Helium und zu 3—2 °/ 0 aus Stickstoff bestehendes Gas.

c) Aus Mineralien Die Darstellung von H e l i u m im Laboratorium erfolgt am besten durch Erhitzen heliumhaltiger Mineralien wie C l e v e i t U 3 0 8 , M o n a z i t CePO.,, T h o r i a n i t T h 0 2 auf über 1000° C (vgl. S. 72). 1 kg Cleveit (Monazit; Thorianit) liefert dabei 7—8 (1—2; 8—10) Liter Helium.

4. Physikalische E i g e n s c h a f t e n Die Edelgase sind färb- und geruchlose, einatomige Gase, deren wichtigste physikalische Daten in folgender Tabelle zusammengefaßt sind: Atomgewicht

Helium Neon Argon Krypton.... Xenon Radon

4.003 20.183 39.944 83.7 131.3 222

Schmelzpunkt in «C —

272.1 1 248.6 189.4 157.2 111.8 71

Siedepunkt in *C -

268.98 246.03 185.87 152.9 107.1 65

Kr ¡tische Dater Temperatur in «C + +

267.9 228.7 120 62.5 16.6 104.5

Druck in at

Dichte in g/cm 3

2.26 26.9 50 54.3 58.2 62.4

0.069 0.4 0.4 0.7 0.9 1.2

Bemerkenswert ist, daß das flüssige Helium in zwei Formen, als „Helium / " und „Helium II" existiert. Kühlt man das beim Verflüssigen von Heliumgas zunächst entstehende Helium I, das eine vollkommen normale Flüssigkeit darstellt, unter den Umwandlungspunkt („2-Punkt") ab (— 270.97° bei 1 Atm. Druck), so geht es in Helium I I über, dessen Eigenschaften so ungewöhnlich sind, daß man diese Form als einen vierten Aggregatzustand der Materie, den „superfluiden" oder „supraflüssigen" Zustand, bezeichnet hat. So ist seine V i s k o s i t ä t um 3 Zehnerpotenzen kleiner als die von gasförmigem Wasserstoff und seine W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t um 3 Zehnerpotenzen größer als die von Kupfer bei Zimmertemperatur. Durch enge Kapillaren (Durchmesser < 7 100 mm) strömt es o h n e R e i b u n g hindurch, so daß in Sekunden mehr superfluides Helium hindurchfließt als gasförmiges Helium in Wochen. Unter den „ p h y s i k a l i s c h e n V e r b i n d u n g e n " der Edelgase seien die durch Gitterkräfte zusammengehaltenen H y d r a t e X • 6 H 2 0 genannt, deren Dissoziationsdrucke mit fallendem Atomgewicht des Edelgases zunehmen (Rn • 6 H 2 0 : 1 Atm., Xe • 6 H 2 0 : 1.5 Atm., Kr • 6 H 2 0 : 1 4 . 5 Atm., Ar • 6 H 2 0 : 98.5 Atm. bei 0°). Erwähnenswert sind weiterhin eine Reihe von „Clathraten" („Käfigverbindungen", „Einschluß1

Bei 25 at Druck.

Physikalische Eigenschaften — Anwendung

75

Verbindungen"), die dadurch Zustandekommen, daß bei der Kristallisation von Hydrochinon und anderen geeigneten organischen Verbindungen in einer Edelgasatmosphäre von hohem Druck die Edelgase in den H o h l r ä u m e n d e s G i t t e r s der organischen Verbindung eingefangen werden (z.B. 9 Gew.-% Ar bzw. 16 Gew.-% Kr bzw. 26 Gew.% Xe, entsprechend einem ungefähren Molverhältnis Hydrochinon: Edelgas = 4 : 1). Im Argon-Clathrat sind beispielsweise die Argonatome so eng zusammengepackt, wie es im gasförmigen Zustande erst bei einem Druck von über 70 Atm. der Fall wäre. Beim Schmelzen oder Lösen der Edelgasmischkristalle entweichen die Edelgase. In analoger Weise wie die Edelgase lassen sich auch andere Gase (z.B. HCl, HBr, H 2 S, S 0 2 , C0 2 , HCN) in die Gitter organischer Verbindungen einschließen.

5. Anwendung Die Edelgase, die wegen ihrer chemischen Reaktionsträgheit für den Chemiker zunächst nur theoretisches Interesse zu haben schienen, sind im Laufe der Zeit gerade wegen dieser Eigenschaft zu großer praktischer Bedeutung gelangt. An erster Stelle sei hier erwähnt ihre Verwendung in der Glühlampenindustrie. I m Jahre 1913 fand I R V I N G L A N G M U I R , daß man die Lichtausbeute der Metallfadenlampe steigern kann, wenn man den Faden nicht wie bis dahin im V a k u u m , sondern in einer G a s a t m o s p h ä r e glühen läßt. Denn die Gasatmosphäre wirkt der Verdampfung des Metalldrahts (Wolfram) entgegen, so daß die Temperatur des Drahtes — die in einer gasleeren Lampe etwa 2100° beträgt — bis auf 2400° und höher gesteigert werden kann. Als Füllgas verwendete man zunächst den reaktionsträgen S t i c k s t o f f . Da aber die V e r d a m p f u n g s g e s c h w i n d i g k e i t mit der Geschwindigkeit der thermischen D i f f u s i o n des Metalldampfes in den umgebenden Gasraum wächst und die D i f f u s i o n s g e s c h w i n d i g k e i t ihrerseits mit steigendem M o l e k u l a r g e w i c h t des Füllgases abnimmt, mußte der Ersatz des Stickstoffs (Molekulargewicht 28) durch ein schwereres Gas große Vorteile bringen. Als solches Füllgas bot sich das in der Luft reichlich vorhandene, reaktionsträge Edelgas A r g o n (Molekular- = Atomgewicht 40), das zudem gegenüber dem Stickstoff den Vorteil g e r i n g e r e r W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t aufweist. Die weitere Entwicklung der Glühlampe geht dahin, das Argon der Glühlampen durch die noch schwereren Edelgase K r y p t o n (Molekular- = Atomgewicht 84) und X e n o n (Molekular- = Atomgewicht 131) zu ersetzen. Denn auf diese Weise läßt sich die Glühdrahttemperatur der Argonlampe (2430°) um weitere etwa 80° (der Schmelzpunkt des Wolframs liegt erst bei 3380°, so daß noch ein genügender Temperaturspielraum vorhanden ist) steigern, was mit einer besseren Ausbeute an weißem und ultraviolettem Licht verknüpft ist. Auch erlaubt die geringere Wärmeleitfähigkeit der schweren Edelgase mit kleineren Lampenkolben auszukommen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für die Edelgase stellt die Lichtreklame dar. Das leuchtend rote Licht, das eine mit N e o n gefüllte Glasröhre bei elektrischer Anregung ausstrahlt, legte schon bald nach der Entdeckung des Gases den Gedanken nahe, es in der Beleuchtungstechnik zu verwenden. So kam es zur Einführung der ,,Neonröhre" in die Beleuchtungstechnik. Das Bedürfnis nach Abwechslung in den Farben und nach Steigerung der Lichtausbeute führte dann zur weiteren Entwicklung dieser Niederdruck-Edelgasröhre. So wird z. B. bei Anwesenheit von Quecksilberspuren das Spektrum des Neons fast völlig durch das des Quecksilbers verdrängt, wobei sich aber die Intensitäten der Linien des Quecksilberspektrums so verschieben, daß das bekannte kaltgrünliche Licht der Quecksilberlampe in ein warmes kornblumenblaues Licht („Blaulichtröhre") übergeht. Verwendet man eine Röhre aus braunem Glas, so ergibt sich ein grünes Licht.

Die Gruppe der Edelgaae

76

Unausgenutzt bleibt bei dieser Anordnung das von der Blaulichtröhre ebenfalls ausgesandte u l t r a v i o l e t t e L i c h t . Denn das menschliche Auge vermag bekanntlich aus dem e l e k t r o m a g n e t i s c h e n S p e k t r u m , welches Wellenlängen von Bruchteilen eines billionstel Millimeters bis zu mehreren Kilometern umfaßt, nur einen winzigen Ausschnitt, nämlich Licht der Wellenlänge 4/ioooo bis 8/ioooo m m wahrzunehmen (Fig. 36), einen Ausschnitt, der uns allerdings trotz seiner verschwindenden Spaltbreite die ganze Farbenpracht der Natur vermittelt. Will man auch das von den Blaulichtröhren ausgestrahlte u l t r a v i o l e t t e Licht dem Auge nutzbar machen, so muß man es dementsprechend erst in s i c h t b a r e s Licht umwandeln. Dies geschieht mit Hilfe chemischer „Transformatoren" („Phosphore", „Luminophore", „Leuchtstoffe" ; S. 412, 475 f.) an der Innenwand der Blaulichtröhren (z. B. Magnesium- oder Calciumwolframat, Cadmiumborat, Zink-beryllium-silicat). Auf diese Weise läßt sich X-Einheiten

Angström \

/

Vioooo Viooo '/wo ho Vi 00 fioo illtrastrahlen -6

y-Strahlen -s

a

1

io

Millimeter > s » 10 100 1000 Viooo Vioo Vio Ultraviolelt

Röntgenstrahlen Z

!

Ultrarot

3 / 4 5 sichtbares Gebiet

Meter - 2H 2 0 + MnCl2 + Cl2. (3) Die Umsetzung verläuft in zwei Stufen so, daß durch doppelte Umsetzung primär Mangan-tetrachlorid (MnCl4) gebildet wird: 4HCl + Mn0 2 —v 2 H 2 0 + MnCl4, welches dann sekundär in Mangan-dichlorid (MnCl2) und Chlor zerfällt: MnCl4 ->- MnCl2 + Cl2. Wie ein Vergleich der Reaktionsgleichungen (2) und (3) zeigt, entsteht im letzteren Falle aus einer gegebenen Chlorwasserstoffmenge nur halb soviel Chlor als beim DEACON-Verfahren (2), da die Hälfte des Chlors an das Mangan (Mn) gebunden bleibt. Die Umsetzung von Chlorwasserstoff und Braunstein hat als WELDON-Verfahren (erfunden 1866) früher eine technische Rolle gespielt. Bei diesem Verfahren wurde das gebildete Manganchlorid durch Oxydation mit Luft unter geeigneten Reaktionsbedingungen immer wieder in Braunstein zurückverwandelt, so daß letzten Endes auch hier der L u f t s a u e r s t o f f das eigentliche Oxydationsmittel war. Die Reaktion(3) ist auch deswegen noch erwähnenswert, weil das Chlor auf diesem Wege von dem deutsch-schwedischen Chemiker C A R L W I L H E L M S C H E E L E ( S . 3 7 ) im Jahre 1774 entdeckt wurde. Von anderen geeigneten Oxydationsmitteln zur Chlorgewinnung aus Salzsäure im Laboratorium seien hier erwähnt: das K a l i u m p e r m a n g a n a t KMn0 4 (Auftropfen von konzentrierter Salzsäure auf Kaliumpermanganatkristalle; vgl. S. 169) und der C h l o r k a l k CaCl 2 0 (Einwirkung von Salzsäure auf gepreßte Chlorkalkwürfel im K I P P sehen Apparat; vgl. S . 123). Statt auf c h e m i s c h e m Wege kann der Chlorwasserstoff auch auf e l e k t r o c h e m i s c h e m Wege zerlegt werden. Unterwirft man eine konzentrierte Salzsäure der E l e k t r o l y s e , so bildet sich an der Kathode Wasserstoff, an der Anode Chlor: Energie + 2 HCl

H2 + Cl2.

Über die Vorgänge, die sich dabei im einzelnen abspielen, wird später (S. 91 ff.) ausführlicher gesprochen. H o 11 e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37.—39. Auf).

6

Die Gruppe der Halogene

82

Aus N a t r i u m c h l o r i d Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlor elektrolysiert man d i r e k t Lösungen von N a t r i u m c h l o r i d , ohne letzteres vorher in Chlorwasserstoff (Salzsäure) umzuwandeln. Der Gesamt Vorgang der Elektrolyse wird durch die Gleichung Energie + 2H ¡OH + 2Naj C1 —>- Ha + 2NaOH + Cl2 wiedergegeben. Außer C h l o r entstehen dabei also noch W a s s e r s t o f f (vgl. S. 37) und N a t r o n l a u g e (NaOH). Auf die technischen Ausführungsformen dieser Elektrolyse (,,Chloralkali-elektrolyse") wird bei der Besprechung der Natronlauge (S. 424f.) näher eingegangen werden; bezüglich des Reaktionsablaufs der Elektrolyse vgl. S. 174. y) Physikalische Eigenschaften Chlor ist ein gelbgrünes 1 , erstickend riechendes, die Schleimhäute stark angreifendes Gas, welches 2 1 / 2 mal so schwer wie Luft ist. Durch Druck kann es leicht verflüssigt werden, da seine kritische Temperatur recht hoch liegt (kritische Temperatur: 143.5°; kritischer Druck: 76.1 a t ; kritische Dichte: 0.57 g/cm 3 ). Daher gelangt es als flüssiges Chlor (spezifisches Gewicht 1.57 bei —34° C) in (grau gestrichenen) Stahlbomben und in Kesselwagen in den Handel. Der Siedepunkt des flüssigen Chlors liegt bei —34.0° C, der Erstarrungspunkt bei —102.4°. In Wasser ist Chlor gut löslich: 1 Raumteil Wasser löst bei 20° und Atmosphärendruck 2.3 Raumteile Chlor. Die Lösung ^/jg-molar) heißt,,Chlorwasser" (vgl. S. 121 f.). Wegen dieser guten Löslichkeit wird das Chlor bei der Darstellung im Laboratorium zweckmäßig nicht über Wasser, sondern über gesättigter Kochsalzlösung aufgefangen, in der es weniger löslich ist. Noch bequemer ist es, das Gas in einem trockenen Glasgefäß zu sammeln, indem man es auf den Boden des Gefäßes leitet; infolge seiner Schwere bleibt es unten liegen und verdrängt von hier aus allmählich die Luft. 8) Chemische Eigenschaften Das Chlor gehört zu den chemisch r e a k t i o n s f ä h i g s t e n Elementen und verbindet sich — meist schon bei gewöhnlicher Temperatur, noch heftiger bei erhöhter Temperatur — mit f a s t a l l e n anderen Elementen unter starker Wärmeentwicklung. Nur gegen die E d e l g a s e sowie gegen S a u e r s t o f f , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f verhält es sich indifferent; auf dem Wege über andere Verbindungen lassen sich aber auch Chlorverbindungen der letzteren drei Elemente gewinnen (S. 126 ff., 232f , 300). Einige Reaktionen mit Metallen und Nichtmetallen seien im folgenden angeführt. Unter den Metallen reagieren die der 1. Hauptgruppe des Periodensystems, die A l k a l i m e t a l l e , am heftigsten mit Chlor. Erwärmt man z . B . im Chlorstrom ein Stückchen Natrium auf etwa 100°, so vereinigen sich die beiden Elemente unter intensiver gelber Lichterscheinung lebhaft zu Natriumchlorid: 2Na + Cl3 —>- 2 NaCl + 196.6 kcal. Fast ebenso heftig wie die Alkalimetalle reagieren die Elemente der 2. Hauptgruppe des Periodensystems, die E r d a l k a l i m e t a l l e ; z. B.: Ca + Cl2 —>- CaClj + 190.6 kcal. Aber auch die Metalle der rechten Hälfte des Periodensystems reagieren noch lebhaft mit Chlor, wenn man sie in feinverteiltem Zustande zur Umsetzung bringt. Schüttet man z. B. feingepulvertes A r s e n , A n t i m o n oder W i s m u t in ein mit Chlor gefülltes Glasgefäß, so „verbrennen" sie unter Feuererscheinung zu entsprechenden Chloriden; z. B. : Sb + 1V,C12 >- SbCl3 + 91.4 kcal. 1

ohloros (xAcopös) = gelbgrün.

83

Freie Halogene

In gleicher Weise kann man auch edle Metalle wie K u p f e r unter Flammenerscheinung mit Chlor zur Vereinigung bringen, wenn man sie als sehr feine Pulver oder in Form sehr dünner Blättchen (z. B. als unechtes — aus Kupfer und Zink bestehendes — Blattgold; S. 452) anwendet: Cu + Cl,

CuCl, + 53.4 kcal.

Bei allen diesen Reaktionen spielt ein gewisser Feuchtigkeitsgehalt des Chlors eine Rolle (vgl. S. 435). Denn trockenes Chlor ist viel r e a k t i o n s t r ä g e r als feuchtes. So verbindet sich z. B. vollkommen trockenes Chlor nicht mit K u p f e r oder E i s e n . Daher kann man solches Chlor durch Eisenleitungen fortleiten und im flüssigen Zustande in Stahlbomben (unter einem Druck von etwa 6 Atmosphären) in den Handel bringen. Unter den Reaktionen des Chlors mit Nichtmetallen (z. B. Phosphor, Schwefel, Wasserstoff), die bei Zimmertemperatur im allgemeinen weit weniger heftig verlaufen, ist besonders die Umsetzung mit W a s s e r s t o f f erwähnenswert. Mischt man Chlor und Wasserstoff im Mol Verhältnis 1:1, so kann man das Gasgemisch bei gewöhnlicher Temperatur und im Dunkeln unverändert aufbewahren, ohne daß eine merkliche Reaktion einsetzt. Im zerstreuten Tageslicht dagegen entsteht allmählich, im Sonnenlicht oder bei B e s t r a h l u n g mit blauem oder kurzwelligerem Licht oder bei lokaler E r h i t z u n g e x p l o s i o n s a r t i g Chlorwasserstoffgas: H 2 + Cl 2

v 2 HCl + 43.8 kcal.

(4)

Man nennt daher das Chlor-Wasserstoff-Gemisch auch „Chlorknallgas". Da die Wärmeentwicklung nicht so stark ist wie bei der Umsetzung des aus W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f bestehenden Knallgases (vgl. S. 45), ist die Explosion von Chlorknallg a s nicht so gewaltig wie die von S a u e r s t o f f k n a l l g a s . Zur e x p l o s i o n s f r e i e n Vereinigung von Chlor und Wasserstoff vgl. S. 90. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung des L i c h t s oder der W ä r m e beruht darauf, daß unter der Einwirkung dieser Energiezufuhr eine Spaltung einzelner Chlormoleküle in die C h l o r a t o m e erfolgt (vgl. S. 85): 57.8 kcal + Cl 2 >- 2 C l . (5) Die so gebildeten Chloratome reagieren nach den Gleichungen Cl + H 2 >- HCl + H — 1.0 kcal (6) H + Cl s >- HCl + Cl + 44.8 kcal (7) anter Wärmeentwicklung und Rückbildung von Chloratomen — die von neuem gemäß (6) in die Reaktion eintreten — weiter („Kettenreaktion"), bis sich die Reaktionsgeschwindigkeit infolge des raschen Temperaturanstiegs zur Explosion steigert. Eine einmal eingeleitete Reaktionskette bricht dann ab, wenn die Träger der Reaktion (H bzw. Cl) beispielsweise durch eine Wandreaktion beseitigt werden. Dies tritt bei geeigneten Versuchsbedingungen verhältnismäßig selten ein, so daß dann mehrere Millionen Chlorwasserstoffmoleküle gemäß (6) und (7) gebildet werden können, bevor die K e t t e abreißt. Gleichung (6) und (7) ergeben addiert die Gesamtgleichung (4).

Das Bestreben des Chlors, sich mit Wasserstoff zu verbinden, ist so groß, daß es auch vielen Wasserstoffverbindungen den Wasserstoff unter Chlorwasserstoffbildung entreißt. Taucht man z. B. einen mit Terpentinöl (C10H16) getränkten Filtrierpapierstreifen in einen mit Chlorgas gefüllten Glaszylinder, so entzündet sich das Terpentinöl unter Entweichen dicker Rußwolken (Kohlenstoff): C 10 H 16 + 8 Cl 2 — > 10 C + 16 H C l .

Leitet man S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H2S) in eine wässerige Lösung von Chlor, so scheidet sich Schwefel aus: H2S + C l 2 — 2 H C 1 +

S.

Auch Wasser kann durch Chlor in entsprechender Weise unter Sauerstoffentwicklung zersetzt werden: „ ^ , „ TT_, , „ H 2 0 + Cl 2 — > - 2 HCl + O .

(8)

6*

84

Die Gruppe der Halogene

Die Reaktion verläuft jedoch nur unter der Einwirkung des S o n n e n l i c h t e s m i t genügender Geschwindigkeit (vgl. S. 122). Zur Verhinderung dieser zersetzenden Wirkung des Lichtes bewahrt man Chlorwasser in braunen Flaschen auf. Als „naszierender" Sauerstoff (vgl. S. 48) ist der nach (8) gebildete Sauerstoff besonders reaktionsfähig. Daher besitzt feuchtes Chlor s t a r k o x y d i e r e n d e W i r k u n g , was man zum B l e i c h e n (oxydative Zerstörung von Farbstoffen) und zum D e s i n f i z i e r e n (oxydative Zerstörimg von Bakterien) benutzt. Bringt man z. B. eine rote Rose oder eine Tulpe in feuchtes Chlorgas, so verschwindet zuerst das empfindliche Blattgrün und dann auch der rote Blütenfarbstoff. Man benutzt diese B l e i c h w i r k u n g des Chlors zum Bleichen von Leinen, Baumwolle, J u t e , Papierstoff usw. Allerdings müssen mit Chlor gebleichte Gewebe und Faserstoffe durch „Antichlor" (S. 216) von den noch anhaftenden Chlor-Resten befreit werden, um eine nachträgliche Zerstörung durch das aggressive Chlor zu verhüten. Daher wird die Chlorbleiche mehr und mehr durch die Bleiche mit W a s s e r s t o f f p e r o x y d (S. 178 ff.) verdrängt, welche die Faser weniger angreift und zudem schneller und nachhaltiger wirkt. Die d e s i n f i z i e r e n d e W i r k u n g des Chlors wird unter anderem zur Sterilisierung von Trinkwasser und zur Desinfektion des Wassers in öffentlichen Schwimmanstalten benutzt. Auch Abwässer werden zur Beseitigung von Geruchs- und Fäulnisstoffen „gechlort".

b) Photochemische Reaktionen Wie wir auf S. 83 feststellten, wird die bei Zimmertemperatur im Dunkeln unendlich langsam verlaufende Reaktion der Chlorwasserstoffbildung aus den Elementen durch B e s t r a h l u n g mit kurzwelligem Licht bis zur Explosion gesteigert. Im folgenden wollen wir uns etwas näher mit dem Mechanismus solcher „photochemischer Reaktionen" befassen. Wie wir heute wissen, reagiert nicht nur die M a t e r i e , sondern auch die E n e r g i e in Form von Atomen, d. h. kleinsten, nicht weiter teilbaren Teilchen („Quanten"). Die Atome des L i c h t s z. B., welche „Photonen" oder „Lichtquanten" genannt werden (vgl. S. 140ff.), stellen ein E n e r g i e q u a n t u m E dar, das der F r e q u e n z v1 der betreffenden Lichtart proportional ist: E = h-v. Der Proportionalitätsfaktor h heißt „PLANCK sches Wirkungsquantum" und hat — wenn E in cal ausgedrückt werden soll — den Wert 1.583 XlO - 3 4 cal • sec. Danach gibt es also energieärmere („leichtere") und energiereichere („schwerere") Lichtatome, je nachdem die Frequenz v des betrachteten Lichtes klein oder groß ist, während für eine Lichtart von g e g e b e n e r Frequenz alle Atome gleiche Energie (gleiches „Gewicht") besitzen. R o t e s Licht der Wellenlänge 7000 Ä ( = Frequenz 4.282 X10 1 4 sec - 1 ) kann z. B. nur in Energiequanten („Energiepaketchen") der Größe h -v — (1.583 X 10-34) X (4.282 X 10 l4 ) = 6.778 X 10~ 20 cal abgegeben oder aufgenommen werden. Dagegen stellen die Atome von g r ü n e m Licht der Wellenlänge 5500 A ( = Frequenz 5.451 XlO 14 sec - 1 ) eine um 27°/ 0 größere Energiemenge von je (1.583 X 10 -34 ) X (5.451 Xl0 1 4 ) = 8.626 X l O - 2 0 cal dar. 6.022 XlO23 (vgl. S.29f.) „ r o t e " L i c h t q u a n t e n ( , , l Mol" rotes Licht der Wellenlänge 7000A) sind einer Energiemenge von (6.022 X 1023) X (6.778 X 10 - 2 0 ) = 40810 cal äquivalent, „1 Mol" grünes Licht der Wellenlänge 5500 A entspricht einer Energiemenge von (6.022 XlO23) X (8.626 X 1 0 - 2 0 ) = 51940 cal. I n der nachfolgenden Tabelle sind solche ,,Lichtäquivalente" für die einzelnen Lichtarten in kcal angegeben: 1 Die Frequenz v eines einfarbigen („monochromatischen") Lichtes hängt mit dessen Wellenlänge X durch die Beziehung v • A = c (c — Lichtgeschwindigkeit) zusammen. Die Frequenz gibt also die Zahl der Wellenlängen an, die das Licht in 1 Sekunde zurücklegt.

Freie Halogene Licht

85

Wellenlänge (A)

Farbe

Komplementärfarbe

Energiewert des Lichtäquivalents (kcal)

3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 7000 7500 8000

Ultraviolett Violett Blau Blaugrün Grün Gelb Orange Rot Dunkelrot Ultrarot

Weiß Gelbgrün Gelb Rot Purpur Blau Blaugrün Blaugrün Blaugrün Weiß

81.6 71.4 63.5 57.1 51.9 47.6 44.0 40.8 38.1 35.7

Genau wie sich Atome oder Moleküle der Materie nur in ganzzahligem Verhältnis miteinander umsetzen können („stöchiometrische Gesetze"-, S. 12ff.), können auch M a t e r i e u n d E n e r g i e nur in g a n z z a h l i g e m Verhältnis ihrer kleinsten Teilchen miteinander reagieren. F ü r den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und e l e k t r i s c h e r E n e r g i e werden wir diese Folgerung später noch kennenlernen (,,FARADAysche Gesetze"-, S. 93f.). F ü r den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und L i c h t wird sie durch das „photochcmische Äquivalenzgesetz" zum Ausdruck gebracht, welches besagt, daß 1 Materie-atom oder -molekül nur mit 1 Lichtquant (oder einem ganzzahligen Vielfachen davon) in Reaktion treten kann und umgekehrt. Will man z. B . die Reaktion Cl2 + 57.8 kcal

>- 2C1

erzwingen, welche die Vorbedingung für den Ablauf der Chlorknallgasreaktion ist (S. 83), so ist zur Spaltung je Mol Chlor 1 Mol Lichtquanten aufzuwenden, wobei die Energie dieser Lichtquanten h-v je Mol den Wert von 57.8 kcal überschreiten muß. Nach der obigen Tabelle ist dies bei b l a u e m (A = 4500 Ä) und k u r z w e l l i g e r e m Licht der Fall, nicht dagegen bei gelbem oder rotem Licht. So kommt es, daß die Chlorknallgasexplosion nur durch blaues oder kurzwelligeres, nicht aber durch gelbes oder rotes Licht ausgelöst wird. Ganz allgemein reichen die Quanten des sichtbaren Lichts, wie aus der Tabelle hervorgeht, für chemische Vorgänge aus, deren molarer Umsatz nicht mehr als 70 kcal erfordert. V o r a u s s e t z u n g für die c h e m i s c h e W i r k s a m k e i t einer b e s t i m m t e n L i c h t a r t i s t , d a ß sie vom r e a k t i o n s f ä h i g e n S y s t e m auch a u f g e n o m m e n („absorbiert") wird. Ein f a r b l o s e r , d. h. im sichtbaren Gebiet nicht absorbierender Stoff kann durch sichtbares Licht selbst dann nicht chemisch beeinflußt werden, wenn der Zahlen wert des Lichtäquivalents den für einen molaren Umsatz dieses Stoffes erforderlichen Energiebetrag überschreitet. Z. B. sind zur Spaltung von S i l b e r b r o m i d in Silber und Brom — einer Reaktion, die sich bei der Belichtung einer photographischen Platte abspielt — 23.7 kcal erforderlich: 23.7 kcal + AgBr

> Ag + 7 2 Br,2 •

Die Spaltung sollte daher gemäß der oben angeführten Tabelle schon durch ultrarotes Licht bewirkt werden können. Da aber Silberbromid, wie seine gelbe Farbe zeigt, erst im Blauen zu absorbieren beginnt (s. oben), bleibt das langwelligere Licht unwirksam. Will man die photographische Platte auch für anderes als blaues — z. B. rotes oder ultrarotes — Licht empfindlich machen, so muß man der Silberbromidschicht Farbstoffe („Sensibilisatoren") zufügen, welche dieses Licht zu absorbieren und dessen Energie auf das Silberbromid zu übertragen vermögen (S. 463f.). Auch bei M a t e r i e - r e a k t i o n e n — z . B . bei Umsetzungen von Gasen — treten zusammenstoßende Moleküle nicht immer dann miteinander in Reaktion, wenn ihre Energie zur Umsetzung ausreicht, sondern nur dann, wenn sie sich zugleich in einem „reaktionsbereiten" Zustand (S. 101 f.) befinden.

Die Gruppe der Halogene

86

c) Das Fluor Vorkommen. Wie das Chlor kommt auch das Fluor in der Natur nur in Form von Verbindungen vor, vor allem als Flußspat CaF 2 , Kryolith A1F3 • 3NaF = Na3AlF6 und Apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • Ca(F,Cl)g = Ca 6 (P0 4 ) 3 (F,Cl). Darstellung. Zur Darstellung des Fluors kann man wie beim Chlor die WasserstoffVerbindung — hier also den F l u o r w a s s e r s t o f f HF — verwenden. Da Fluor aber wesentlich reaktionsfähiger als Chlor ist und den Wasserstoff fester als alle anderen Elemente bindet, gelingt die Zerlegung des Fluorwasserstoffs nicht wie dort auf chemischem, sondern nur auf e l e k t r o c h e m i s c h e m Wege (vgl. S. 168): 128.4 kcal + 2 H P — > - H , +

F2.

Als Elektrolyt ist in diesem Falle keine wässerige Fluorwasserstofflösung brauchbar; denn Fluor entzieht selbst dem Wasser sofort den Wasserstoff: F s + H 2 0 — v 2 H F + V» 0 2 , so daß man bei der Elektrolyse wässeriger Lösungen kein Fluor, sondern Sauerstoff erhält. Deshalb muß man wasserfreien, flüssigen F l u o r w a s s e r s t o f f verwenden, in welchem man zur Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit (flüssiger Fluorwasserstoff leitet wie Wasser den elektrischen Strom praktisch nicht) K a l i u m f l u o r i d (KF) auflöst. Auch wasserfreie Schmelzen von Salzen des Typus K F • HF (Smp. 217°) oder K F • 2HF (Smp. 72°) oder K F • 3HF (Smp. 66°) lassen sich zur elektrolytischen Zersetzung benutzen. Am bequemsten ist die Verwendung des letztgenannten Salzes, da dieses tiefer %-FluHspatstopfen als die beiden anderen Salze schmilzt, so daß die Elektrolyse bequem bei 100° durchgeführt werden fluor kann. H>'upferrohr Zur Fluordarstellung nach diesem Verfahren benutzt VsJ

man zweckmäßig ein — zugleich als Kathode dienendes — Gefäß der nebenstehenden Form (Fig. 38) aus Kupfer, Magnesium oder Monelmetall (Legierung aus fhAspat-Stärke Bret Kupfer und Nickel), welches die Salzschmelze aufnimmt, in die ein Nickeldraht als Anode eintaucht. XFMF-Schmehe Das Elektrolysegefäß trägt oben eine Rinne, in welcher mit einem Brei aus Flußspat und Stärke drei Flußspat-Mehe/cfsaM stückchen eingekittet sind. Auf diesen FlußspatstückM/pferrohr (Anode) chen ruht lose ein Deckel aus Kupfer, durch den ein Kupferrohr führt. Das Kupferrohr schützt den Anodenr a u m Ii t J u. Elekfro/vseoe 8 e S e n d a s Eindringen von Wasserstoff und ver-I j- / (Kathode) hütet so eine — explosionsartig vor sich gehende — -' - ' V e r e i n i g u n g des anodisch gebildeten Fluors und kathodisch gebildeten Wasserstoffs. Die Anode ist mit einem Fig. 38. Fluordarstellung durch Flußspatstopfen im Kupferrohr befestigt. Das gebildete Schmelzelektrolyse Fluor entweicht durch ein Ansatzrohr des Kupferrohrs, Decke!

der Wasserstoff unter dem Deckelrand hindurch. Alle genannten Gefäß- und Dichtungsmaterialien sind verhältnismäßig beständig gegenüber dem aggressiven Fluor.

Physikalische Eigenschaften. Das Fluor ist ein in dicker Schicht schwach grünlichgelb gefärbtes Gas von durchdringendem, äußerst angreifendem Geruch. Bei —187.9° verdichtet es sich zu einer hellgelben Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.108, welche bei —218.0° erstarrt. Chemische Eigenschaften. Fluor ist das r e a k t i o n s f ä h i g s t e aller Elemente. Mit W a s s e r s t o f f verbindet es sich — auch im Dunkeln — schon bei gewöhnlicher Temperatur unter Entzündung oder gar heftiger Explosion. Schwefel und P h o s p h o r setzen sich schon bei der Temperatur der flüssigen Luft lebhaft mit Fluor um. K o h l e n s t o f f , der mit Chlor erst bei der hohen Temperatur des elektrischen Lichtbogens

Freie Halogene

87

reagiert, vereinigt sich in feinverteiltem Zustande bereits bei Zimmertemperatur mit Fluor unter Flammenerscheinung. Ebenso entzünden sich z. B. die A l k a l i - und E r d a l k a l i m e t a l l e im Fluorstrom bei Raumtemperatur unter Bildung von Fluoriden des Typus MeF bzw. MeF 2 (Me = Metall). Auch sonst reagiert Fluor schon in der Kälte — lebhafter noch in der Wärme — mit allen anderen Elementen außer Sauerstoff und Stickstoff, die nur auf dem Umwege über Verbindungen oder bei elektrischer Anregung mit Fluor zur Umsetzung gebracht werden können (S. 128f., 232f.). Manche Metalle, z. B. K u p f e r oder M a g n e s i u m , werden in der Kälte oder bei wenig erhöhter Temperatur nur oberflächlich angegriffen, da sie sich mit einer Schicht von Fluorid bedecken, welche den weiteren Angriff von Fluor verhindert. Darauf beruht die Möglichkeit, diese Metalle zum Bau von Fluor-Entwicklungsapparaten (s. oben) zu verwenden. Bei stärkerem Erhitzen erfolgt aber auch bei ihnen eine durchgreifende Reaktion. Selbst G o l d und P l a t i n werden bei Rotglut von Fluor stark angegriffen. Wegen der großen Affinität zu Wasserstoff entreißt das Fluor auch allen W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n lebhaft den Wasserstoff. Die Reaktion ist dabei weit heftiger als beim Chlor. So reagieren beispielsweise S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H 2 S) oder Amm o n i a k (NH 3 ) unter Flammenbildung: 2NH S + 3F 2 — N

2

+ 6HF;

ebenso wird W a s s e r lebhaft zersetzt (S. 86): H 2 0 + F 2 — > - l / » 0 , + 2HF.

Bei geeigneten Versuchsbedingungen treten bei dieser Reaktion mit Fluor auch Fluorierungsprodukte der an Wasserstoff gebundenen Elemente auf, z. B. NF S (S. 232) und 0 F 2 (S. 128). Die Chemie des Fluors ist in neuerer Zeit namentlich durch den deutschen Chemiker O T T O R U F F ( 1 8 7 1 — 1 9 3 9 ) ausgebaut worden. Die Entdeckung des Fluors ( 1 8 8 6 ) verdanken wir dem französischen Chemiker H E N R I MOISSAN ( 1 8 5 2 — 1 9 0 7 ) .

d) Das Brom Vorkommen. Wie Fluor und Chlor kommt auch das Brom in der Natur n i c h t in f r e i e m , sondern nur in g e b u n d e n e m Zustande vor, und zwar findet es sich gewöhnlich mit Chlor zusammen in Form analoger Verbindungen, wobei es an Menge wesentlich (1: 300) hinter diesem zurücksteht. Entdeckt wurde es im Jahre 1826 von dem französischen Chemiker ANTOINE J E R Ö M E BALARD als Bestandteil des Meerwassers. Wegen seines angreifenden Geruchs nannte man es B r o m 1 . Darstellung. Brom ist w e n i g e r r e a k t i o n s f ä h i g als Chlor. Daher kann das Chlor das Brom aus seinen Verbindungen verdrängen. Läßt man z. B. Chlor auf eine Lösung von Kaliumbromid einwirken, so wird unter Bildung von Kaliumchlorid Brom in Freiheit gesetzt: 2KBr + Cl2 —>- 2 KCl + Br2. Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Brom nach diesem Verfahren benutzt man als Ausgangsbromid hauptsächlich das Doppelsalz KBr • MgBr 2 • 6H ä O (Bromcarnallit), weil sich das Brom in dieser Form in größerer Menge in den Endlaugen („Mutterlaugen") der Kaliumchloridgewinnung (S. 430) vorfindet: MgBr2 + Cl2 — v MgCl2 + Br 2 . Man verfährt dabei so, daß man diese bromhaltigen Endlaugen durch einen mit Zwischenböden versehenen „Abtreibturm" herabrieseln läßt und von unten her einen Chlorstrom entgegenleitet, welcher sich mit der Mutterlauge innig vermischt und das Brom austreibt. Das gewonnene Rohbrom enthält stets ein wenig Chlor, das durch Abdestillieren des Rohbroms über festem Kaliumbromid in Brom übergeführt und so entfernt werden kann (Cl2 + 2KBr->- 2KC1+Br t ). 1

bromos (ßpconos) = Gestank.

88

Die Gruppe der Halogene

I m übrigen können zur Darstellung des Broms die gleichen Methoden angewendet werden wie beim Chlor. Beispielsweise läßt sich im Laboratorium Brom leicht durch Einwirkung von Schwefelsäure und Braunstein auf Kaliumbromid gewinnen: 4HBr + Mn02•—>- MnBr2 + 2H 2 0 + Br2 . Physikalische Eigenschaften. Brom ist neben Quecksilberdas einzige bei gewöhnlicher Temperatur f l ü s s i g e Element. Es siedet bei 58.8°, erstarrt bei —7.3° und stellt eine tiefbraune, lebhaft rotbraune Dämpfe entwickelnde, schwere, erstickend riechende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 3.119 (20°) dar. Mit fallender Temperatur hellt sich seine Farbe auf (vgl. S. 65), und bei 20° abs. ( — 253° C) ist es orange. Eingeatmet rufen seine Dämpfe eine starke Reizung der Schleimhäute und Entzündungserscheinungen hervor. In Wasser ist Brom löslich (3.55 g in 100 g Wasser bei 20°). Die entstehende, 1/4-molare Lösung {„Bromwasser") verhält sich wie Chlorwasser, zerfällt also im direkten Sonnenlicht unter Bildung von Bromwasserstoffsäure und Sauerstoff: H 2 0 + Br2 —>• 2HBr + 7 2 0 2 . Chemische Eigenschaften. Die chemischen Eigenschaften des B r o m s sind denen des C h l o r s analog, nur reagiert Brom w e n i g e r e n e r g i s c h . Während z.B. das Chlor sich im Licht bereits bei gewöhnlicher Temperatur mit W a s s e r s t o f f verbindet, ist dies beim Brom nicht der Fall. Immerhin ist sein Verbindungsbestreben im flüssigen, also konzentrierten Zustand noch recht stark. W i r f t man z. B. A r s e n - oder A n t i m o n p u l v e r auf flüssiges Brom, so erfolgt wie beim Chlor Vereinigung unter Feuererscheinung. Ebenso kann Brom wie Chlor verschiedenen W a s s e r S t o f f v e r b i n d u n g e n den Wasserstoff entziehen. So benutzt man z. B. die Reaktion von Brom mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zur Bromwasserstoffdarstellung (S. 99, 193): H2S + Br2 >- 2HBr + S. Bemerkenswert ist, daß von den Alkalimetallen das N a t r i u m selbst bei 200° von Brom nur schwach angegriffen wird, während das im Periodensystem darunterstehende K a l i u m mit Brom explosionsartig reagiert. I n analoger Weise setzt sich das Kalium auch mit W a s s e r weit heftiger um als das Natrium. Während also in der rechten Hälfte des Periodensystems die Reaktionsfähigkeit der Hauptgruppen-Elemente in der Richtung von unten nach oben zunimmt (Brom —»- Chlor), ist dies bei den links im Periodensystem stehenden Hauptgruppen-Elementen in der Richtung von oben nach unten (Natrium —>- Kalium) der Fall.

e) Das Jod Vorkommen. Die Hauptquelle für die technische Gewinnung von Jod bilden die Mutterlaugen des C h i l e s a l p e t e r s (S.426f.), die das Jod in derForm v o n N a t r i u m j o d a t (NaJ0 3 ) enthalten. Ferner enthält die durch Verbrennen von T a n g ( M e e r e s a l g e n ) gewonnene Asche Jodide, da diese Algen das im Meerwasser — hauptsächlich in organischer Bindung — vorhandene Jod (0.0002°/0) anreichern. I n solcher Asche wurde auch das Jod im Jahre 1811 von dem Pariser Salpetersieder BERNARD COURTOIS entdeckt. Die elementare Natur des Jods wurde allerdings erst 1815 von GAY-LUSSAC (S. 17) erkannt, der es nach der violetten Farbe seines Dampfes benannte 1 . Darstellung. Aus den Jodiden der A s c h e v o n M e e r e s a l g e n kann das Jod wie das Chlor aus Chloriden durch Elektrolyse oder durch Erhitzen mit Braunstein und Schwefelsäure gewonnen werden. Die Hauptmenge des Jods wird aber heute aus dem N a t r i u m j o d a t d e r C h i l e s a l p e t e r - M u t t e r l a u g e n dargestellt. Zu diesem Zweck wird die dem Natriumjodat ( N a J 0 3 ) zugrundeliegende Jodsäure ( H J 0 3 ) durch s c h w e f l i g e S ä u r e (H 2 S0 3 ) zu Jodwasserstoffsäure ( H J ) reduziert: 1

ioeides (icoEiSifc) =

veilchenfarbig.

W'asserstoffverbindungen der Halogene

89

H J 0 3 + 3 H 2 S 0 3 — > - H J + 3H 2 S0 4 .

(1)

Zur Rückoxydation dieses Jodwasserstoffs zu Jod bedarf es in diesem Falle keines besonderen Oxydationsmittels wie Braunstein oder Chlor, da die in der Lösung vorhandene Jodsäure den Jodwasserstoff zu Jod zu oxydieren vermag: HJO3 + 5 H J

>- 3H 2 0 + 3 J 2 .

(2)

Gibt man daher nur 5 / 6 der nach Gleichung (1) erforderlichen Menge an schwefliger Säure zu, so daß je Mol gebildeten Jodwasserstoffs 1 / 6 Mol Jodsäure unangegriffen zurückbleibt — wie dies Gleichung (2) verlangt —, so erhält man direkt das gewünschte J o d : 2 H J 0 3 + 5H 2 S0 3

5H 2 S0 4 + H 2 0 + J 2 .

Physikalische Eigenschaften. Jod ist bei gewöhnlicher Temperatur fest und bildet grauschwarze, metallglänzende Schuppen vom spezifischen Gewicht 4.942. Es schmilzt bei 113.7° zu einer braunen Flüssigkeit und siedet bei 184.5° unter Bildung eines violetten Dampfes. Trotz des verhältnismäßig hohen Siedepunktes ist Jod schon bei Zimmertemperatur merklich flüchtig; bei Temperaturerhöhung nimmt die Verflüchtigung des Jods stark zu, so daß es — falls man nicht zu schnell erhitzt — zu sublimieren pflegt, bevor es schmilzt. Man benutzt die Sublimation zur Reinigung des Jods. In Wasser löst sich Jod nur in sehr geringen Mengen (1: 5500 bei 10°) und mit schwach bräunlichgelber Farbe („Jodwasser", 1 / 1000 -molar). Leichtlöslich ist es dagegen mit dunkelbrauner Farbe in wässerigen Lösungen von Kaliumjodid und Jodwasserstoff; dabei bilden sich die Anlagerungsverbindungen K J • J 2 und H J • J 2 . Auch in zahlreichen organischen Lösungsmitteln wie Alkohol (10°/0ige Lösung: „Jodtinktur"), Äther und Aceton löst es sich leicht mit b r a u n e r Farbe. Andere organische Lösungsmittel m e Schwefelkohlenstoff (CS2), Chloroform (CHC13) und Tetrachlorkohlenstoff (CC14) lösen das Jod mit v i o l e t t e r Farbe. In diesen violetten Lösungen ist das Jod in Form von J 2 -Molekülen gelöst, während die braunen Lösungen Verbindungen des Jods mit dem Lösungsmittel enthalten. Chemische Eigenschaften. Das J o d ist in seinen chemischen Eigenschaften dem C h l o r und B r o m sehr ähnlich, nur reagiert es w e i t w e n i g e r h e f t i g als diese. Direkt und lebhaft verbindet es sich z. B. mit den Elementen S c h w e f e l , P h o s p h o r , E i s e n und Q u e c k s i l b e r . Dagegen ist z. B. die Tendenz zur Vereinigung mit W a s s e r s t o f f so gering, daß der Jodwasserstoff beim Erwärmen leicht bis zu einem bestimmten Gleichgewicht in Jod und Wasserstoff zerfällt (S. 100). Charakteristisch für Jod ist die beim Zusammenbringen mit S t ä r k e l ö s u n g auftretende i n t e n s i v e B l a u f ä r b u n g . Durch diese „Jodstärke-reaktion" lassen sich geringste Jodmengen nachweisen. Die Färbung, die auf der Bildung einer Einschlußverbindung (vgl.S.74f.) zwischen Jod und Stärke beruht, verschwindet beim Erwärmen und tritt •—• falls nicht zu lange erwärmt wurde — beim Abkühlen wieder auf.

2. Wasserstoffverbindungen d e r Halogene a) Chlorwasserstoff a) Darstellung Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlorwasserstoff dienen in der Hauptsache zwei Verfahren. Das eine geht von K o c h s a l z , das andere von den E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor aus. Aus Kochsalz. Läßt man auf K o c h s a l z bei erhöhter Temperatur konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e einwirken, so erfolgt in 2 Stufen ein Austausch des Natriums im Natriumchlorid durch den Wasserstoff der Schwefelsäure (,,Sulfat-Salzsäure-Prozeß"):

Die Gruppe der Halogene

90 NaCl + H 2 S0 4 NaCl + NaHS04

800°>

>- HCl -f NaHS0 4 (Natriumhydrogensulfat) HCl + Na2S04 (Natriumsulfat)

(1) (2)

2 NaCl + H S S0 4 — > 2 HCl + N a 2 S 0 4 .

(3)

Beide Stufen können auch e i n z e l n — als „Berliner Salzsäureverfahren" (1) und „Mannheimer Salzsäureverfahren" (2) — zur Chlorwasserstofferzeugung herangezogen werden. Ein Großteil des in der T e c h n i k hergestellten Chlorwasserstoffs wird nach diesem Chlorid-Schwefelsäure-Verfahren gewonnen, das zugleich auch die gebräuchlichste L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Chlorwasserstoffgewinnung darstellt. Aus den Elementen. Besonders reinen Chlorwasserstoff erhält man durch S y n t h e s e a u s d e n E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor, die ihrerseits neben Alkalilauge bei der Chloralkali-Elektrolyse (S. 82) erhalten werden: H s + Clj —>- 2 HCl + 43.8 kcal. In der Technik benutzt man zu dieser Chlorwasserstoffsynthese einen im Prinzip dem Ü A N i E L L S c h e n H a h n (S. 43) entsprechenden, aus zwei ineinander gesteckten Rohren bestehenden Q u a r z b r e n n e r . Durch das innere Rohr strömt das Chlor, durch den Mantelraum der Wasserstoff. Das Chlor brennt dann ganz ruhig im Wasserstoff, ohne daß es zu einer Chlorknallgas-Explosion (S. 83) kommt. An Stelle von Wasserstoff können auch Wasserstoffverbindungen (z. B . Kohlenwasserstoffe; vgl. S. 83) verwendet werden. So fallen in der Technik große Mengen von Chlorwasserstoff bei der Chlorierung organischer Verbindungen an. ß ) Eigenschaften Chlorwasserstoff ist ein farbloses Gas von stechendem Geruch, das sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten läßt (kritische Temperatur: 51.3°). Flüssiger Chlorwasserstoff siedet bei —84.9° und erstarrt bei —114.8°. Bemerkenswert ist die außerordentlich große Löslichkeit des Chlorwasserstoffs in Wasser. 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 507 Raumteile Chlorwasserstoffgas von Atmosphärendruck. Die wässerige Lösung führt den Namen C h l o r w a s s e r s t o f f s ä u r e oder Salzsäure. Sie wird technisch in sehr großem Maßstabe hergestellt. Eine bei 15° an Chlorwasserstoff gesättigte wässerige Lösung ist „42.7°/ 0 ig", d. h. sie enthält 42.7 Gewichtsteile Chlorwasserstoff in 100 Gewichtsteilen Lösung; ihr spezifisches Gewicht beträgt 1.21. Verdünntere Salzsäuren haben kleinere spezifische Gewichte. E s besteht dabei ein zufälliger Zusammenhang zwischen Prozentgehalt und spezifischem Gewicht derart, daß die beiden ersten Stellen nach dem Komma des spezifischen Gewichts (d) verdoppelt den Prozentgehalt (°/0) ergeben ( % = 200 [d—1]): spez. Gewicht: 1.06 1.12 1.16 1.19 Prozentgehalt: 12 24 32 38 . Die „konzentrierte Salzsäure" des Handels hat meist das spezifische Gewicht 1.19. Sie raucht stark an feuchter Luft und wird daher auch ,,rauchende Salzsäure" genannt. Ebenso raucht auch das Chlorwasserstoffgas stark an feuchter Luft, indem es mit dem Wasserdampf der Luft Nebel von Salzsäuretröpfchen bildet. Erhitzt man eine k o n z e n t r i e r t e Salzsäurelösung, so gibt sie — während der Siedepunkt steigt — zunächst weit mehr Chlorwasserstoff als Wasserdampf ab, so daß die Lösung an Chlorwasserstoff verarmt. Mit fortschreitender Destillation nimmt der Wasserdampfgehalt des abgegebenen Dampfes zu, bis schließlich bei 110° der Dampf dieselbe Zusammensetzung erreicht wie die — inzwischen verdünnter gewordene — Lösung (20°/0 HCl, 80°/0 H 2 0 ) . Von hier ab geht dann o h n e Ä n d e r u n g d e r S i e d e t e m p e r a t u r dieses Gemisch k o n s t a n t e r Z u s a m m e n s e t z u n g (,,azeotropes Gemisch") über. Zu der gleichen Lösung von 20°/0 HCl und 80°/0 H 2 0 gelangt man, wenn man eine v e r d ü n n t e Salzsäure der Destillation unterwirft; in diesem Falle enthält der entstehende Dampf zunächst mehr Wasser als die Lösung.

Waeserstoffverbindungen der Halogene

91

b) Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n v o n r e i n e m , w a s s e r f r e i e m C h l o r w a s s e r s t o f f sind ganz andere als die seiner w ä s s e r i g e n L ö s u n g . So löst z. B. die wässerige Lösung Zink, Eisen und viele andere Metalle unter Entwicklung von Wasserstoff auf (vgl. S. 39): Zn + 2 HCl —>- ZnCl2 + H 2 und rötet blaues Lackmuspapier, während weder der reine verflüssigte Chlorwasserstoff noch das reine flüssige Wasser diese Reaktionen geben. Gleiches gilt von den p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n . So leitet z. B. die wässerige Lösung gut den elektrischen Strom unter Bildung von Chlor am positiven und Wasserstoff am negativen Pol, während reiner Chlorwasserstoff und reines Wasser praktisch Nichtleiter sind. Der Chlorwasserstoff muß sich demnach in der wässerigen Lösung irgendwie verändert haben. a) Qualitative Beziehungen Welcher Art diese Veränderung ist, ergibt sich bei einer Bestimmung des Molek u l a r g e w i c h t s des gelösten Chlorwasserstoffs, z. B. nach der Gefrierpunktsmethode. Es stellt sich dabei nämlich heraus, daß die Gefrierpunktserniedrigung At der wässerigen Lösung rund doppelt so groß ist, als sie sich gemäß der Gleichung M = E • n (S. 58) aus der Molmenge n des aufgelösten Chlorwasserstoffs — bei Zugrundelegung des Molekulargewichts 36.5 — errechnet. Das bedeutet, daß die Lösung doppelt so viele (2 n) Teilchen enthält, als der aufgelösten Zahl (n) von Chlorwasserstoffmolekülen entspricht. Jedes Chlorwasserstoffmolekül muß sich also in der wässerigen Lösung in zwei Teilchen aufgespalten haben. Diese beiden Teilchen können nach der Formel nur das W a s s e r s t o f f - und das C h l o r a t o m sein. Die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der Lösung zeigt andererseits, daß die beiden Teilchen e l e k t r i s c h g e l a d e n sind, und zwar wandern bei der elektrischen Stromleitung die Chlorteilchen zur positiv geladenen und die Wasserstoffteilchen zur negativ geladenen Elektrode (vgl. Fig. 39, S. 93), was eine negative Aufladung der Chloratome und eine positive Aufladung der Wasserstoffatome nahelegt. Somit sprechen alle Anzeichen für die Annahme einer Spaltung ungeladener Chlorwasserstoffmoleküle in positiv geladene Wasserstoffteilchen (Symbol: H + oder H") und negativ geladene Chlorteilchen (Symbol: Cl~ oder Cl'): HCl

H+ + Cl -

oder

HCl

H" + Cl'.

Die Spaltung wird „elektrolytische Dissoziation" genannt. Warum sie erst beim Auflösen in Wasser erfolgt, werden wir später (S. )51f.) erfahren; hier wollen wir uns mit der Vorstellung begnügen, daß sich das Wasser als „Dielektrikum" (Wasser hat eine große Dielektrizitätskonstante) zwischen die geladenen Bestandteile des Chlorwasserstoffmoleküls schiebt und diese dadurch voneinander trennt. Die Erscheinung der elektrolytischen Dissoziation ist nicht auf die Salzsäure beschränkt, sondern a l l g e m e i n e r A r t . Zahlreiche Verbindungen erleiden in wässeriger Lösung eine derartige Spaltung in geladene Teilchen. Es war daher zweckmäßig, für letztere einen besonderen Namen — den Namen „Ionen" 1 — einzuführen, und zwar nennt man die positiv geladenen Teilchen „Kationen", weil sie bei der Elektrolyse zur negativen K a t h o d e wandern, und die negativ geladenen Teilchen „Anionen", weil sie von der positiven A n o d e angezogen werden. Unter den elektrolytisch dissoziierenden chemischen Stoffen — die man auch unter der Bezeichnung „Elektrolyte" zusammenfaßt — lassen sich drei große Gruppen unterscheiden: die „Säuren", die „Basen" und die „Salze". 1

ion (Tcov) = wandernd.

Die Gruppe der Halogene

92

Unter Säuren versteht man solche Stoffe, die wie der Chlorwasserstoff in w ä s s e r i g e r L ö s u n g p o s i t i v g e l a d e n e W a s s e r s t o f f - i o n e n b i l d e n . Beispiele f ü r solche Säuren sind etwa die S a l p e t e r s ä u r e (HN0 3 ), die S c h w e f e l s ä u r e (H 2 S0 4 ) und die P h o s p h o r s ä u r e (H 3 P0 4 ): HN0 3 ^ ^ H ' + N0 3 ' H 2 S 0 4 ^ = i : 2 H - + S0 4 " H 3 P0 4 3H - + P0 4 "'. Die bei der Dissoziation auftretenden W a s s e r s t o f f - i o n e n (vgl. hierzu S. 151 f. und 174ff.) bedingen den s a u r e n G e s c h m a c k der Säuren (daher ihr Name) und färben ein in die Lösung eingetauchtes b l a u e s L a c k m u s p a p i e r {„Reagens auf Säuren'') rot. Das Gegenstück zu den Säuren bilden die Basen, welche die Eigenschaft haben, umgekehrt r o t e s L a c k m u s p a p i e r („Reagens auf Basen") zu bläuen. Diese Blaufärbung sowie der l a u g e n h a f t e G e s c h m a c k der Basen wird durch negativ geladene H y d r o x y l - i o n e n (OH') bedingt, und man definiert dementsprechend Basen als Stoffe, die i n w ä s s e r i g e r L ö s u n g n e g a t i v g e l a d e n e H y d r o x y l - i o n e n b i l d e n (vgl. hierzu S. 152 und 174ff.). Beispiele hierfür sind das N a t r i u m h y d r o x y d N a O H (wässerige Lösung: N a t r o n l a u g e ) , das C a l c i u m h y d r o x y d Ca(OH) 2 (wässerige Lösung: K a l k w a s s e r ) und das A l u m i n i u m h y d r o x y d A1(0H) 3 : NaOH Na" + OH' Ca(OH) 2 Zi=iCa" + 20H' A1(0H)3 AI— + 3OH'. Die Salze schließlich leiten sich von den Säuren durch Ersatz des W a s s e r s t o f f s durch einen positiven B a s e r e s t und von den Basen durch Ersatz des H y d r o x y l s durch einen negativen S ä u r e r e s t ab und dissoziieren dementsprechend in wässeriger Lösung in B a s e - K a t i o n e n und S ä u r e - A n i o n e n . Als Beispiele seien etwa angef ü h r t : N a t r i u m n i t r a t N a N 0 3 , C a l c i u m n i t r a t Ca(N0 3 ) 2 , A l u m i n i u m n i t r a t A1(N0 3 ) 3 , N a t r i u m s u l f a t N a 2 S 0 4 , C a l c i u m s u l f a t CaS0 4 , A l u m i n i u m s u l f a t A1 2 (S0 4 ) 3 , N a t r i u m p h o s p h a t N a 3 P 0 4 , C a l c i u m p h o s p h a t Ca 3 (P0 4 ) 2 und A l u m i n i u m p h o s p h a t Ä1P0 4 : NaNOs Na + N0 3 ' Ca(N03)2 Ca" + 2N0 3 ' Na 2 S0 4 2 Na' + S0 4 " CaS04 Ca" + SO/'. Die verschiedene stöchiometrische Zusammensetzung der Salze wird dabei durch die Anzahl der positiven und negativen Ladungen der Kationen und Anionen bedingt, da deren Vereinigung ja elektroneutrale Moleküle ergeben muß. J e nach der Zahl der durch Base-Kationen ersetzbaren Wasserstoffatome spricht m a n v o n „einbasigen",

„zweibasigen",

„dreibasigen"1

(oder,,einwertigen",,,zweiwertigen"

usw.) Säuren; Salpetersäure ist danach eine einbasige, Phosphorsäure eine dreibasige Säure. I n gleicher Weise unterscheidet man je nach der Zahl der durch Säure-Anionen ersetzbaren Hydroxylgruppen „ein-säurige", „zweisäurtge", „dreisäurige" (oder „einwertige", ,,zweiwertige" usw.) Basen. Sind nicht alle Wasserstoffatome einer mehrbasigen Säure durch Base-Kationen bzw. nicht alle Hydroxylgruppen einer mehrsäurigen Base durch Säure-Anionen ersetzt, so spricht man von „sauren" (,,Hydrogen"-, ,,Bi"-) bzw. „basischen" {„Hydroxy"-) Salzen; z. B. N a H S 0 4 : „saures Natriumsulfat" („Natriumhydrogensulfat", „Natriumbisulfat"), A1(0H)S0 4 : „basisches Aluminiumsulfat" („Aluminiumhydroxvsulfat"). — Die Theorie der elektrolytischen Dissoziation („Ionenlehre") wurde von dem schwedischen Physikochemiker SVANTE ARRHENIUS ( 1 8 5 9 — 1 9 2 7 ) im J a h r e 1 8 8 4 aufgestellt, 1

Häufig sprachlich unrichtig als einbasisch, zweibasisch usw. bezeichnet.

Wasserstoffverbindungen der Halogene

93

Die Annahme einer elektrolytischen Dissoziation stieß anfangs auf vielfachen Widerspruch, da man den Unterschied zwischen Atomen und Ionen nicht genügend beachtete. So wurde beispielsweise der Einwand gemacht, daß in Kaliumjodidlösungen (KJ) — welche farblos und beständig sind — kein freies Kalium und kein freies Jod vorhanden sein könne, weil Kalium Wasser sofort unter Wasserstoffentwicklung zersetzt (S. 37 f.) und Jadlösungen braungelb sind (S. 89). Hierzu ist zu bemerken, daß die Lösung nach der lonenlehre ja gar keine freien Kaliumund Jod-atome, sondern freie Kalium- und Jod-ionen enthält, die infolge ihrer elektrischen Ladung einen anderen Energie-inhalt als die Atome besitzen und sich daher auch chemisch und physikalisch anders als diese verhalten müssen. Die neuere Theorie des Atombaus hat diese Ansicht vollständig bestätigt, und wir werden später (S. 147) den Unterschied zwischen Atomen und Tonen noch näher kennenlernen. Die bisherigen Betrachtungen waren mehr q u a l i t a t i v e r Art. I m folgenden wenden wir uns den q u a n t i t a t i v e n Beziehungen zu und betrachten speziell die Größe der elektrischen I o n e n l a d u n g und den D i s s o z i a t i o n s g r a d von Elektrolyten. ß ) Quantitative Beziehungen Ionenladung Taucht man in eine wässerige Salzsäurelösung zwei Platinelektroden ein und legt an die Elektroden eine elektrische Spannung an, so wandern (Fig. 39) die Wasserstoffionen zur negativen und die Chlor-ionen zur positiven Elektrode, wo dann eine E n t l a d u n g zu freiem Wasserstoff bzw. Chlor erfolgt. Die a b g e s c h i e d e n e n M e n g e n Wasserstoff und Chlor entsprechen dabei einer von dem englischen Naturforscher M I C H A E L F A R A D A Y (1791—1867) im Jahre 1834 aufgefundenen und unter dem Namen „ 1 . FARADAYSches Gesetz" bekannten Gesetzmäßigkeit: Die Gewichtsmenge eines elektrolytisch gebildeten Stoffs ist der durch den Elektrolyten nesa%fJ,fJgd* geflossenen Elektrizitätsmenge direkt proportional. — Schickt man also z. B. doppelt soviel elektrischen Strom durch eine Salzsäurelösung, so wird auch Wasserstoff Chhr doppelt soviel Wasserstoff an der Kathode und doppelt soviel Chlor an der Anode gebildet. Daraus geht hervor, daß alle Wasserstoff-ionen bzw. alle Chlor-ionen eine gleich große positive bzw. •H+ CI-negative Ladung tragen. Vergleicht man weiter die Mengen gebildeten /__ Wasserstoffs und Chlors m i t e i n a n d e r , so stellt man Salzsäure fest, daß auf 1 Grammatom (1.008g) Wasserstoff jeF'g- 39. Elektrolyse von Salzsäure weils auch 1 Grammatom (35.457 g) Chlor entsteht. Somit unterscheiden sich die Ladungen des Wasserstoff-und Chlor-ions nur i m V o r z e i c h e n , n i c h t a b e r in d e r G r ö ß e voneinander, was ja auch schon daraus folgt, daß das Chlorwasserstoffmolekül HCl nach außen hin neutral ist. W i e groß die elektrische Ladung eines einzelnen Wasserstoff- oder Chlor-ions (das „elektrische Elementarquantum") ist, ergibt sich aus dem experimentellen Befund, daß zur Abscheidung eines Grammatoms — d.h. von 6.022 X 1023 Atomen — Wasserstoff bzw. Chlor eine Elektrizitätsmenge von 96490 Coulomb (Ampere-Sekunden) = 26.803 Ampere-Stunden („7 Faraday") erforderlich ist. Jedes W a s s e r s t o f f - bzw. C h l o r - i o n trägt danach e i n e E l e m e n t a r l a d u n g von 96490: (6.022 x 1023) = 1.602 X 10"19 Coulomb (vgl. S. 136), im einen Falle mit positivem, im anderen mit negativem Vorzeichen. Nimmt man statt Salzsäure Schwefelsäure, so sind auch hier zur Abscheidung eines Grammatoms Wasserstoff 96490 Coulomb erforderlich. Die Wasserstoffatome der Schwefelsäure tragen somit die gleiche Elementarladung von 1.602 X l O - 1 9 Coulomb wie in der Salzsäure. Daher müssen die S u l f a t - i o n e n ( S 0 4 " ) der Schwefelsäure z w e i solche Ladungen aufweisen, da nur dann das ganze Molekül H 2 S 0 4 nach außen hin

94

Die Gruppe der Halogene

neutral ist. In der Tat sind zur Entladung eines Mols Sulfat-ionen 2 X96490 Coulomb erforderlich1; und entsprechend müssen bei der Elektrolyse z . B . einer wässerigen Kupfersulfatlösung (CuS0 4 Cu" -f- SO " ) zur kathodischen Abscheidung von 1 Grammatom K u p f e r 2 X 96490 Coulomb aufgewandt werden. Indem man nun das durch die Zahl der Ladungen dividierte Formelgewicht eines Ions, d. h. den auf 1 Einheitsladung entfallenden Gewichtsanteil als „Äquivalentgewicht" (S. 161) des Ions bezeichnet, lassen sich diese experimentellen Befunde in einfacher Weise durch das „ 2 . FARADAYSChe Gesetz" zum Ausdruck bringen: Die durch gleiche Elektrizitätsmengen abgeschiedenen Gewichtsmengen chemischer Stoffe verhalten sich wie deren Äquivalentgewichte. In Übereinstimmung mit diesem Gesetz wird die Einheit der elektrischen Strommenge, das „Coulomb", als diejenige Elektrizitätsmenge definiert, die zur elektrolytischen Abscheidung von 1/F = 1/96490 Grammäquivalent eines Stoffes (z. B. von 107.880/96490 = 0 001118 g Silber aus einer Silbersalzlösung) erforderlich ist (vgl. S.93). Eine S t r o m s t ä r k e von 1 Coulomb/Sekunde wird als 1 „Ampere" bezeichnet. Die beiden FARADAYschen Gesetze sind ohne Annahme einer a t o m i s t i s c h e n Struktur der E l e k t r i z i t ä t nicht zu deuten. In derselben Weise, in der die s t ö c h i o m e t r i s c h e n Gew i c h t s g e s e t z e zur Entwicklung einer A t o m t h e o r i e für die M a t e r i e zwangen, führten daher die s t ö c h i o m e t r i s c h e n E l e k t r i z i t ä t s g e s e t z e zwangsläufig zur Aufstellung einer A t o m t h e o r i e für die E l e k t r i z i t ä t . Den ersten Schritt hierzu t a t im Jahre 1881 der deutsche Natur-

forscher HERMANN v . HELMHOLTZ ( 1 8 2 1 — 1 8 9 4 ) .

Dissoziationsgrad Ein Elektrolyt kann praktisch v o l l s t ä n d i g oder teilweise oder praktisch überhaupt n i c h t in Ionen gespalten sein, d. h. das Gleichgewicht (vgl. S. 100ff.) BA B" + A' (B' = Kation; A' = Anion) kann mehr oder weniger nach rechts oder links verschoben sein. Dementsprechend unterscheidet man starke, mittelstarke und schwache Elektrolyte (vgl. S. 107). Die Salzsäure HCl ist z. B. eine s t a r k e S ä u r e , da sie in wässeriger Lösung praktisch vollkommen in Ionen dissoziiert ist; die B l a u s ä u r e HCN wird dagegen als schwache Säure bezeichnet, da sie in wässeriger Lösung weitgehend in Form undissoziierter HCN-Moleküle vorliegt. Die Stärke eines Elektrolyten pflegt man durch den sogenannten „Dissoziationsgrad" a auszudrücken, welcher angibt, welcher B r u c h t e i l (- H a S 0 4 + 1 / 2 0 1 . Hierauf ist die früher erwähnte (S. 13) Sauerstoffentwicklung bei der Elektrolyse von schwefelsäurehaltigem Wasser zurückzuführen.

Wasserstoffverbindungen der Halogene

95

zusammen, da m Mole eines Elektrolyten bei der Dissoziation m (1 —• 2PBr 3 ), braucht man bei dieser Darstellungsart kein fertiges Phosphorbromid anzuwenden, sondern

WasserstofEverbindungen der Halogene

99

kann von den Elementen Phosphor und Brom ausgehen. Man läßt dann Brom zu angefeuchtetem Phosphor tropfen und erwärmt vorsichtig das Gemisch.

Will man Bromwasserstoff m e n t e n erzeugen:

entsprechend dem Chlorwasserstoff aus d e n E l e -

H 2 + Br2Dampf

2HBr + 23.2 kcal,

so darf man nicht bei allzu hohen Temperaturen arbeiten, da sonst das obige Gleichgewicht merklich nach links verschoben ist. Daher verwendet man zweckmäßig einen K a t a l y s a t o r , der die Vereinigung der Elemente bei verhältnismäßig n i e d r i g e r T e m p e r a t u r ermöglicht, und zwar leitet man Wasserstoffgas und Bromdampf durch ein mit P l a t i n s c h w a m m oder a k t i v e r K o h l e beschicktes heißes Rohr. Es ist dies zugleich die b e s t e D a r s t e l l u n g s w e i s e für Brom Wasserstoff. Auch durch Einwirkung von Brom auf W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n kann Bromwasserstoff gewonnen werden. I m Laboratorium benutzt man als Wasserstoffverbindung zu diesem Zwecke gewöhnlich Schwefelwasserstoff (vgl. S. 88, 193) oder Tetralin (C 10 H 12 ). Physikalische Eigenschaften. Bromwasserstoff ist ein farbloses Gas, das sich bei Abkühlung zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtet. Der Siedepunkt der Flüssigkeit liegt bei —66.8°. Bei noch stärkerer Abkühlung erstarrt die Flüssigkeit zu farblosen Kristallen, welche bei —86.9° schmelzen. W i e Chlorwasserstoff wirkt auch Bromwasserstoff stark reizend auf die Schleimhäute und bildet an feuchter Luft starke Nebel. In Wasser ist Bromwasserstoff noch stärker löslich als Chlorwasserstoff: 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 612 Raumteile Bromwasserstoffgas. Chemische Eigenschaften. In w ä s s e r i g e r Lösung treten wie beim Fluor- und Chlorwasserstoff die s a u r e n Eigenschaften in den Vordergrund („Bromwasserstoffsäure"). Die Bindung zwischen Wasserstoff und Halogen ist im Bromwasserstoff w e n i g e r f e s t als im Chlorwasserstoff. Leitet man daher Chlor in Brom Wasserstoff ein, so beobachtet man die Bildung von rotbraunen B r o m d ä m p f e n : 2 H B r + Cl2

> 2HC1+ Br s .

Bromwasserstoff ist also ein stärkeres Reduktionsmittel als Chlorwasserstoff, Chlor ein stärkeres Oxydationsmittel als Brom. Die Salze des Brom Wasserstoffs (Bromide) sind meist in Wasser löslich. Unlöslich ist vor allem das Silberbromid (AgBr), schwer löslich das Bleibromid (PbBr 2 ). Zur Darstellung der Alkalibromide, der für den Chemiker wichtigsten Bromide, vgl. S. 129.

e) Jodwasserstoff Darstellung. Der Jodwasserstoff ist noch l e i c h t e r o x y d i e r b a r als der Bromwasserstoff. Daher kommt aus den schon beim Bromwasserstoff erörterten Gründen (S. 98) eine Darstellung aus Jodid und konzentrierter Schwefelsäure nicht in Frage. In Analogie zur Bromwasserstoffgewinnung erfolgt die Jodwasserstoffdarstellung durch Einwirkung von W a s s e r auf P h o s p h o r j o d i d : PJ 3 + 3HÖH

>- P ( 0 H ) 3 + 3HJ

(1)

oder durch Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in eine wässerige Jod-Aufschlämm U n g :

J

2

+H

2

S—>2HJ+S.

(2)

Wie im Falle der Brom Wasserstoff darstellung ist es auch im Falle (1) nicht erforderlich, das Phosphorhalogenid als solches zu verwenden. Vielmehr genügt es, von den Elementen Phosphor und Jod auszugehen, indem man entweder ein breiiges Gemenge von rotem Phosphor und Wasser zu mit Wasser befeuchtetem Jod oder eine Lösung von Jod in Jodwasserstoffsäure zu rotem Phosphor tropfen läßt. 7*

100

Die Gruppe der Halogene

Zur Darstellung a u s den E l e m e n t e n leitet man (vgl. Bromwasserstoff) Wasserstoffgas und Joddampf über erhitzten P l a t i n s c h w a m m als Katalysator: H2 + J a Dampf

2HJ + 2.5 kcal.

Es ist dies auch hier die beste Methode zur R e i n d a r s t e l l u n g des Halogenwasserstoffs. Physikalische Eigenschaften. Jodwasserstoff ist ein farbloses, stechend riechendes, an der Luft rauchendes Gas. Der Siedepunkt des flüssigen Jodwasserstoffs liegt bei —35.4°, der Schmelzpunkt des festen Jodwasserstoffs bei —50.7°. In Wasser ist Jodwasserstoff außerordentlich löslich: 1 Raumteil Wasser nimmt bei 10° 425 Raumteile Jodwasserstoffgas von Atmosphärendruck auf. Chemische Eigenschaften. Als Gas und in wässeriger Lösung („Jodwasserstoffsäure") ist der Jodwasserstoff bei A u s s c h l u ß von L u f t s a u e r s t o f f und bei gew ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r vollkommen beständig. Bei Einwirkung von S a u e r s t o f f erfolgt dagegen langsame Oxydation zu J o d : 2HJ+ V202—yHjO+J,. Daher färben sich Jodwasserstofflösungen, namentlich konzentrierte, an der Luft bald braun. L i c h t beschleunigt diese Jodbildung. In analoger Weise wird Jodwasserstoff durch B r o m oder C h l o r sowie durch viele a n d e r e Oxydationsmittel in Jod übergeführt: 2HJ + Br s >- 2HBr + J 2 . E r ist mit anderen Worten ein stärkeres Reduktionsmittel als Chlor- und Bromwasserstoff. Die wässerige Jodwasserstoffsäure hat ganz den Charakter einer S ä u r e und entwickelt dementsprechend mit vielen Metallen Wasserstoff unter gleichzeitiger Bildung von Jodiden: M e + 2 H J — v MeJ s + H 2 . Zur Darstellung der Alkalijodide, der für den Chemiker wichtigsten Jodide, vgl. S. 129. Charakteristisch im Vergleich zum Brom- und Chlorwasserstoff ist die beim Erwärmen leicht erfolgende S p a l t u n g des Jodwasserstoffs in J o d und W a s s e r s t o f f . Sie soll uns Gelegenheit geben, im folgenden etwas näher auf den Begriff des c h e m i s c h e n G l e i c h g e w i c h t s einzugehen.

3. Das chemische Gleichgewicht Erwärmt man Jodwasserstoff in einem geschlossenen Gefäß auf höhere Temperaturen, so beginnt er sich wenig oberhalb von 180° in Wasserstoff und Jod zu zersetzen: 2.5 kcal + 2 H J ^ ± 1 H 2 + J 2 Dampf, wie an dem Auftreten violetter Joddämpfe zu erkennen ist. Mit steigender Temperatur nimmt das Ausmaß dieser Zersetzung zu. Kühlt man umgekehrt das Gasgemisch von hohen Temperaturen ausgehend langsam ab, so vereinigen sich Jod und Wasserstoff wieder rückwärts zu Jodwasserstoff. Dabei macht man die interessante experimentelle Beobachtung, daß jeder Temperatur ein ganz b e s t i m m t e r Z e r s e t z u n g s g r a d entspricht. So sind beispielsweise bei 300°C stets 19°/0, bei 1000°C stets 33°/0 des Jodwasserstoffs zerfallen, gleichgültig ob man diese Temperaturen von niedrigeren oder höheren Temperaturen ausgehend einstellt oder ob man von Jodwasserstoff oder einem äquimolekularen Gemisch von Jod und Wasserstoff ausgeht. Wir beobachten also auch hier wie früher schon im Falle des DEACON-Prozesses (S. 81), daß derartige Umsetzungen zu einem „chemischen Gleichgewicht" führen. Zur Ableitung des dabei gültigen Gesetzes {„Massenwirkungsgesetz") gehen wir zweckmäßig vom Begriff d e r R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t aus.

101

Das chemische Gleichgewicht

a) Die Reaktionsgeschwindigkeit a) Die „Hin"-Reaktion In einem geschlossenen Gefäß möge sich bei gegebener Temperatur zwischen den beiden gasförmigen oder gelösten Stoffen AB und CD eine im Sinne der Gleichung AB + CD— > AD + BC (1) einseitig von links nach rechts verlaufende Reaktion mit der Geschwindigkeit abspielen. Die „Reaktionsgeschwindigkeit" (p^ wollen wir dabei definieren als die Abnahme der „Konzentration" ( = M o l e / L i t e r ) CAB des Stoffes AB je Sekunde (vgl. unten): dCAB /o\ =

—ar-

(2)

Da die beiden betrachteten Substanzen A B und CD gasförmig oder gelöst sein sollen, fliegen ihre Moleküle im Reaktionsraum frei und regellos umher (Fig. 40). Damit eine Wechselwirkung zwischen beiden Stoffen erfolgen kann, muß je ein Molekül AB mit einem Molekül CD zusammenstoßen. Die R e a k t i o n s g e sohwindigkeit wird also der Zahl der Zusammens t ö ß e je Sekunde (z) proportional sein lw = k • z). Da

, . .

'

..

.. j

t'

.

,

n

X^tekäfeCD TT

^i?"

Homogener Reaktionsraum

letztere ihrerseits mit der K o n z e n t r a t i o n sowohl von AB als auch von CD wächst (z = k' • CAB • CCD), ergibt sich insgesamt die einfache Beziehung • cab ' CCD wonach die Geschwindigkeit einer einseitig verlaufenden chemischen Umsetzung den Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer proportional ist. Die darin vorkommende Konstante ( = k • k') bezeichnet man aus naheliegenden Gründen als „Geschwindigkeitskonstante" der Reaktion. Sie stellt die Geschwindigkeit der Reaktion bei den E i n h e i t e n der K o n z e n t r a t i o n der reagierenden Stoffe dar = K^), hat für jeden chemischen Vorgang bei (für CAB — CCD = 1 wird ja gegebener T e m p e r a t u r einen charakteristischen k o n s t a n t e n Wert und w ä c h s t mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r . Zum Unterschied davon ist - 2 H 2 0 ) bzw. S c h w e i e l t r i o x y d s (2SO a + 0 2 —>- 2 S0 3 ) liegt. Ebenso müßten sich bei Zimmertemperatur eigentlich 1 2

Gewicht eines Liters Wasser bei 25° in Gramm. Mit steigender Temperatur nimmt das Ionenprodukt des Wassers zu.

Das chemische Gleichgewicht

111

a l l e o r g a n i s c h e n S u b s t a n z e n an der Luft o x y d i e r e n , so daß ein pflanzliches und tierisches Leben unmöglich wäre, wenn es sich hier nicht um metastabile Zustände handeln würde, die unter normalen Bedingungen nur mit u n m e ß b a r k l e i n e r G e s c h w i n d i g k e i t in den wahren stabilen Zustand übergehen. Ein m e t a s t a b i l e s System ist einem Wagen vergleichbar, der auf einem Bergabhang stehenbleibt, weil die Bremse angezogen ist. Erst wenn die Bremse gelöst, die Reibung also beseitigt ist (vgl. unten), setzt sich der Wagen — den auf ihn einwirkenden Kräften folgend — in Bewegung 1 . Bei chemischen Reaktionen kann die „Reibung" durch K a t a l y s a t o r e n (vgl. S. 35) und durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g vermindert oder aufgehoben werden. So verbrennen z. B . die metastabilen Nahrungsmittel im menschlichen Körper unter dem Einfluß von Katalysatoren, explodiert das metastabile Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch beim Erhitzen. a ) Beschleunigung durch Katalysatoren Genau wie ein auf einem Bergabhang stehender Wagen beim Lösen der Bremse von selbst stets nur b e r g a b w ä r t s , nie b e r g a u f w ä r t s fahren kann, die Aufhebung der Reibung also nur die G e s c h w i n d i g k e i t der Gleichgewichtseinstellung, nicht dagegen die Gleichgewichtslage beeinflußt, wird auch durch die Zugabe eines Katalysators nur die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t , nicht aber die G l e i c h g e w i c h t s l a g e einer chemischen Umsetzung geändert. Der deutsche Physikochemiker WILHELM OSTWALD (1853 bis 1933), dem wir eine eingehende Erforschung der katalytischen Erscheinungen verdanken, hat die Wirkungsweise eines Katalysators sehr anschaulich mit der Wirkung eines Schmiermittels auf ein Räderwerk verglichen, welches sich ungeölt nur mit großer Reibung und daher sehr langsam bewegt, ö l t man die Achsen, so erfolgt der Ablauf des Räderwerks schneller, während die treibende Kraft (etwa die Spannung einer Feder) durch das ölen keineÄnderung erfährt. Wie eine Taschenuhr ohne F e d e r a n t r i e b durch das ölen allein nicht in Bewegung gesetzt werden kann, vermag auch ein Katalysator Reaktionen ohne T r i e b k r a f t („Affinität") nicht in Gang zu bringen, sondern lediglich die einer vorhandenen Triebkraft entgegenwirkenden „chemischen Reibungen" zu vermindern und damit langsam (gegebenenfalls unmerklich) ablaufende Reaktionen zu b e s c h l e u n i g e n . E s ist höchst wahrscheinlich, daß die katalytischen Wirkungen nicht alle auf gleiche Weise erklärt werden können. Die beiden wichtigsten Hypothesen sind: 1. die Annahme der Bildung leicht reagierender Z w i s c h e n p r o d u k t e , 2. die Annahme einer reinen O b e r f l ä c h e n w i r k u n g . Nach der e r s t e n H y p o t h e s e verläuft eine Reaktion etwa des Typus A ~\-B ^ ± 4 5 bei Anwesenheit eines Katalysators K nach dem Schema A+ K

AK

AK + B

K+

AB

A+ B AB derart, daß ein Z w i s c h e n p r o d u k t AK gebildet wird, welches sofort nach seiner Entstehung unter R ü c k b i l d u n g d e s K a t a l y s a t o r s weiterreagiert. Die beiden T e i l r e a k t i o n e n sind dabei dadurch charakterisiert, daß sie zusammengenommen mit g r o ß e r e r G e s c h w i n d i g k e i t ablaufen als die d i r e k t e Reaktion. Man nennt derartig wirkende Katalysatoren „Überträger". Ein hierher gehörendes Beispiel ist etwa die Übertragung von Sauerstoff auf Schwefeldioxyd ( S 0 2 + V 2 0 2 —>- S 0 3 ) durch Stickstoffoxyde (S. 207). Man beobachtet diese Überträgerwirkung von Katalysatoren 1 Noch zutreffender ist vielleicht der Vergleich mit einem auf einem Bergabhang in einer Mulde stehenden Wagen. Der Wagen muß erst aus der Mulde herausgezogen werden (Aufwand der „Aktivierungsenergie"; vgl. S. 101), damit er den Berg hinunterrollen kann.

112

Die Gruppe der Halogene

vor allem bei der „homogenen Katalyse", bei der reagierende Stoffe und Katalysatoren eine e i n z i g e P h a s e (Gas- oder Lösungsphase) bilden. Die „heterogene Katalyse", bei der G a s - oder Lösungsreaktionen durch f e s t e Katalysatoren beschleunigt werden, ist meist durch die z w e i t e H y p o t h e s e , die Annahme einer O b e r f l ä c h e n w i r k u n g , zu deuten. Nach dieser Hypothese werden die reagierenden Stoffe durch A d s o r p t i o n (S. 298 f.) an der Oberfläche des Katalysators in einen reaktionsbereiteren Zustand übergeführt, in dem sie befähigt sind, schneller als im „unaktivierten" Zustand zu reagieren. Die Festigkeit der Adsorptions-Bindung muß dabei naturgemäß sehr spezifisch abgestuft sein, damit das adsorbierte Molekül zwar durch die Oberflächenbindung in einen gegenüber dem Normalzustand reaktionsfähigeren, ,,angeregten" Zustand versetzt wird, andererseits aber nicht infolge zu fester Bindung eine stabile chemische O b e r f l ä c h e n - V e r b i n d u n g mit dem festen Katalysator bildet 1 . Auch muß die Art der Bindung eine leichte Loslösung des R e a k t i o n s p r o d u k t e s vom Katalysator ermöglichen, was ebenfalls dazu beiträgt, daß für jede chemische Reaktion ganz spezifische Katalysatoren erforderlich sind. Die Tatsache, daß die Wirkung fester Katalysatoren häufig durch minimale Mengen von „Kontaktgiften" (,,Hemmungsstoffen") aufgehoben werden kann, zeigt, daß wahrscheinlich nicht die ganze Oberfläche des festen Katalysators, sondern nur bestimmte „aktive Stellen" (z. B. Spitzen, Ecken, Kanten, Gitterstörungen) des Katalysators — welche bei der „Vergiftung" durch anderweitige Adsorption blockiert werden — für die Katalysatorwirkung verantwortlich zu machen sind (S. 395). Durch Zugabe bestimmter Fremdstoffe („Aktivatoren", „Promotoren"), die an sich für die fragliche Reaktion gar nicht katalytisch wirksam zu sein brauchen, kann die Wirkung eines Katalysators häufig in s e h r b e d e u t e n d e m M a ß e verstärkt werden. So beschleunigt beispielsweise feinverteiltes Eisen die Bildung von Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff (3H 2 + N2 — 2 N H 3 ) weit weniger als ein Gemisch von Eisen und Aluminiumoxyd (vgl S. 227), da das schwerschmelzende Aluminiumoxyd die Eisenteilchen bei der erhöhten Reaktionstemperatur der Ammoniaksynthese am allmählichen Zusammensintern (,,Rekristallisieren") hindert und so deren große unregelmäßige Oberfläche stabilisiert. Die Entwicklung solcher aus mehreren Stoffen bestehender „Mischkatalysatoren", die den Ausgangspunkt der modernen katalytischen Großindustrie bildet, ist hauptsächlich den systematischen Untersuchungen des deutschen Naturforschers A. M I T T A S C H zu danken. Meist läßt sich bei der heterogenen Katalyse k e i n e s c h a r f e G r e n z e zwischen einer Adsorptionsverbindung und einer wahren chemischen Zwischenverbindung und damit zwischen der ersten und zweiten Art der Katalysatorwirkung ziehen. ß) Beschleunigung durch Temperaturerhöhung Ein anderes Mittel zur Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Umsetzimg ist die E r h ö h u n g der R e a k t i o n s t e m p e r a t u r , und zwar steigert bei Raumtemperatur eine T e m p e r a t u r e r h ö h u n g um j e 10° nach einer von VAN'T H O F F erkannten Regel die Reaktionsgeschwindigkeit im allgemeinen auf das zweibis v i e r f a c h e . Eine chemische Reaktion verläuft daher bei 100° mindestens 2 1 0 = 1000 mal schneller als bei 0°, so daß Reaktionen, die bei 100° in einer Stunde ablaufen, bei 0° mindestens 40 Tage erfordern. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung der Temperatursteigerung beruht meist auf einer L o c k e r u n g oder gar S p r e n g u n g der Bindung zwischen den Atomen der reaktionsträgen Moleküle. Die hierfür erforderliche Energie kann statt in Form von W ä r m e vielfach auch in Form anderer Energie, z. B . L i c h t e n e r g i e (S. 84f.) zugeführt werden. 1 Auf die Bildung solcher Oberflächen-Verbindungen ist z. B. die Passivierung (S. 383, 507 f., 633) vieler Metalle an der Luft oder in oxydierenden Säuren zurückzuführen.

Das chemische Gleichgewicht

113

Zum Unterschied vom K a t a l y s a t o r , welcher die Lage eines Gleichgewichts n i c h t v e r ä n d e r t , also die Geschwindigkeit der „Hin"- und ,,Rück"-Reaktion in gleicher Weise beschleunigt, beeinflußt die T e m p e r a t u r ä n d e r u n g — vgl. Gleichung (9), S. 105 — den G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d (S. 114f.). Daher läßt sich das Mittel der Geschwindigkeitssteigerung durch Temperaturerhöhung immer dann nicht anwenden, wenn es mit einer Verschlechterung der Gleichgewichtslage der erwünschten Reaktion verbunden ist (exotherme Reaktionen; vgl. S. 114f.).

d) Die Verschiebung von Gleichgewichten

a) Qualitative Beziehungen Das P r i n z i p von L E C H A T E L I E R Ein Gas oder ein gelöster Stoff ist nach der allgemeinen Zustandsgieichung p • v = » • R • T durch drei Größen charakterisiert: den D r u c k p (bzw. das V o l u m e n v), die M o l m e n g e n und die T e m p e r a t u r T. Dementsprechend kann man ein im chemischen Gleichgewicht befindliches homogenes System durch Veränderung dieser Größen, also durch V e r g r ö ß e r n ( V e r k l e i n e r n ) d e s R e a k t i o n s d r u c k s , durch V e r g r ö ß e r n ( V e r k l e i n e r n ) d e r M o l m e n g e der Reaktionspartner oder durch E r h ö h e n (Ern i e d r i g e n ) d e r R e a k t i o n s t e m p e r a t u r stören und verschieben. Nach welcher Seite der chemischen Reaktionsgleichung hin die Gleichgewichtsverschiebung bei derartigen äußeren Eingriffen erfolgt, geht qualitativ aus dem im Jahre 1884 von dem französischen Chemiker H E N R Y L E CHATELIER ( 1 8 5 1 — 1 9 3 6 ) formulierten „Prinzip des kleinsten Zwanges" hervor : Übt man auf ein im Gleichgewicht befindliches System durch Änderung der äußeren Bedingungen einen Zwang aus, so verschiebt sich das Gleichgewicht derart, daß es dem äußeren Zwange ausweicht. Das Gesetz gilt sowohl für p h y s i k a l i s c h e , wie für c h e m i s c h e G l e i c h g e w i c h t e . Beispiele ersterer Art sind z. B. die V e r ä n d e r u n g d e s S c h m e l z p u n k t e s mit dem Druck und das V e r d a m p f e n e i n e r F l ü s s i g k e i t beim Erwärmen: Übt man auf ein bei 0° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Eis einen D r u c k aus, so tritt S c h m e l z e n des Eises ein, weil beim Übergang von Eis in Wasser eine V o l u m e n v e r m i n d e r u n g (S.51) erfolgt und so dem äußeren Druck ausgewichen wird. E r h i t z t man ein bei 100° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Wasserdampf, so erfolgt V e r d a m p f u n g des Wassers, weil der Übergang von flüssigem in dampfförmiges Wasser W ä r m e v e r b r a u c h t (S. 50) und so dem äußeren Zwang der Wärmezufuhr ausgewichen wird. In ganz entsprechender Weise lassen sich auch die Verschiebungen voraussehen, welche die Ausübung eines äußeren Zwangs bei c h e m i s c h e n Gleichgewichten zur Folge haben muß. F o l g e r u n g e n des P r i n z i p s von L E C H A T E L I E R Veränderung der Konzentration eines Reaktionspartners. Fügt man zu einem im chemischen Gleichgewicht befindlichen System A + B

G+ D

n e u e n S t o f f A hinzu, so verschiebt sich das Gleichgewicht nach r e c h t s , da hierdurch dem äußeren Zwang der Konzentrationsvergrößerung von A durch Verbrauch von A ausgewichen wird. Wie weit die Verschiebimg geht, ergibt sich aus dem M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z , da auch die Stoffkonzentrationen des n e u s i c h e i n s t e l l e n d e n Gleichgewichts natürlich wie vorher der Beziehung

H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37.—39. Aufl.

8

114

Die Gruppe der Halogene

genügen müssen. Befanden sich also vorher in der Volumeneinheit a Mole A, b Mole B, c Mole C und d Mole D und erhöhen wir die Konzentration des Stoffs A um a' Mole auf a a', so wird, wenn wir die bis zur neuen Gleichgewichtseinstellung umgesetzte Molmenge des Stoffs A mit x bezeichnen, das neue Gleichgewicht durch die Beziehung (c + x) (d + x) = e (a + a' - x) {b - x) wiedergegeben, aus der sich x errechnen läßt. Fügt man also z. B. zu einer Säure HA (A = Säurerest) oder einer Base BOH (B = Baserest): HA

H + + A"

BOH

B + + OH"

neue Ionen A~ (in Form eines Salzes MeA der Säure) bzw. B+ (in Form eines Salzes B X der Base) hinzu, so müssen sich die obigen Gleichgewichte nach links verschieben, so daß die saure (basische) Wirkung der Lösung abnimmt („Abstumpfen" von Säuren und Basen). In gleicher Richtung wie die Vermehrung der K o n z e n t r a t i o n eines Reaktionspartners auf der einen Seite der Reaktionsgleichung wirkt natürlich die Verminderung der K o n z e n t r a t i o n eines Reaktionspartners auf der anderen Seite (etwa die Entfernung von Wasser aus einem Gleichgewicht durch ein Trockenmittel). Veränderung des Rcaktionsdrueks. Übt man auf eine Gasreaktion des Typus A + B __ C + D einen Druck aus, so erfolgt nach dem Prinzip von L E C H A T E LIER keine Verschiebung des Gleichgewichts, da die Zahl der Moleküle und damit das Volumen der Reaktionspartner auf beiden Seiten der Reaktionsgleichung gleich ist, also weder durch eine Reaktion von links nach rechts noch durch eine solche von rechts nach links dem Zwang des Drucks ausgewichen werden kann. Besitzen aber z. B. die R e a k t i o n s p r o d u k t e ein kleineres Volumen als die Ausgangsstoffe, wie dies z. B. bei der Ammoniakbildung aus Wasserstoff und Stickstoff der Fall ist • 3 H 2 + N2

2NH 3 ,

so führt eine Druckerhöhung (Verminderung des Reaktionsraums) zu einer Verschiebung nach r e c h t s und damit zu einer Ausbeuteverbesserung (vgl. S. 224 f.). Vergrößerung des Reaktionsraums (Verminderung des Drucks) ergibt umgekehrt eine Verschiebung des Gleichgewichts nach der Seite mit dem größeren Volumen. So nimmt beispielsweise bei elektrolytischen Dissoziationen des allgemeinen Typus BA

B + + A~

die Spaltung mit steigender Verdünnung der Lösung zu. Die q u a n t i t a t i v e Zunahme der Dissoziation folgt wieder aus dem Massenwirkungsgesetz, bei binären Elektrolyten also aus Gleichung (14) — S. 107 —, die direkt die Beziehung zwischen Dissoziationsgrad tx und Volumen v wiedergibt. Bei k l e i n e n D i s s o z i a t i o n s g r a d e n , bei denen tx gegenüber 1 v e r n a c h l ä s s i g t werden kann, ist nach (14) der D i s s o z i a t i o n s g r a d tx der Wurzel aus dem Volumen v proportional: oc = k (k = J/K). Verdünnt man demnach die Lösung eines schwachen Elektrolyten aufs v i e r f a c h e , so nimmt der Dissoziationsgrad aufs doppelte zu. Für v = o o folgt aus (14) « = 1; bei ,,unendlicher Verdünnung" sind also auch die schwächsten Elektrolyte vollständig dissoziiert. Veränderung der Reaktionstemperatur. Bei T e m p e r a t u r e r h ö h u n g (-erniedrigung) verschiebt sich ein chemisches Gleichgewicht nach dem Prinzip von LE CHAT E L I E R nach der unter W ä r m e v e r b r a u c h (-entwicklung) entstehenden Seite hin. Liegt also ein Gleichgewicht der Art A

+

B

0+

•P + W

115

Das chemische Gleichgewicht

( W = Wärmetönung) vor, so begünstigt Temperaturerhöhung die von rechts nach links verlaufende e n d o t h e r m e , Temperatur er n i e d r i g u n g die von links nach rechts verlaufende e x o t h e r m e Reaktion. Ganz allgemein müssen bei hohen T e m p e r a turen demnach die e n d o t h e r m e n , bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n die e x o t h e r m e n Vorgänge vorherrschen. Beim absoluten N u l l p u n k t ( T = 0) können sich nur exotherme Reaktionen abspielen; bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r (T = 300°) verlaufen die meisten Umsetzungen noch e x o t h e r m , doch kommen bereits e n d o t h e r m e Reaktionen vor; bei den Temperaturen des e l e k t r i s c h e n L i c h t b o g e n s (T > 2000°) dagegen werden die e x o t h e r m e n Verbindungen größtenteils z e r s t ö r t und endotherme gebildet. Q u a n t i t a t i v läßt sich die Gleichgewichtsverschiebung durch Temperaturveränderung mit Hilfe der R e a k t i o n s i s o c h o r e ( 9 ) — S. 105 — errechnen, die ja für p o s i t i v e s ^(exotherme Reaktionen) eine A b n a h m e und für n e g a t i v e s W (endotherme Reaktionen) eine Zunahme der Gleichgewichtskonstante K — Cq • Cd/ca • Cb ergibt. Zur Auswertung dieser Differentialgleichung (9) ist allerdings eine vorherige Integration erforderlich, welche die Kenntnis der Temperaturabhängigkeit von W voraussetzt. ß) Quantitative Anwendungsbcispicle Die H y d r o l y s e Salze sind im allgemeinen praktisch v o l l s t ä n d i g dissoziiert (BA —>- B+-(- A ). Löst man ein solches Salz BA in Wasser auf, welches zu geringem Betrage in Wasserstoff- und Hydroxyl-ionen gespalten ist (HÖH H + + OH"), so liegen in der wässerigen Lösung nebeneinander die Ionen B+,

A",

H+,

OH-

vor. Je nach der Stärke der aus diesen Ionen zusammensetzbaren Säure H A und Base BOH kann nun verschiedenerlei erfolgen. Handelt es sich um eine s t a r k e Säure HA und eine starke Base BOH, so werden die vier Ionen u n v e r ä n d e r t nebeneinander bestehen können (I), so daß keine Reaktion des Salzes mit dem Wasser („Hydrolyse") eintritt, die Lösung also neutral reagiert (p n = 7). Ist aber die Säure H A oder die Base BOH schwach, so wird sich das Anion A - bzw. Kation B + mit dem Wasserstoff- bzw. Hydroxyl-ion teilweise zu undissoziierter Säure (Base) umsetzen, so daß eine a l k a l i s c h e (saure) Reaktion der Lösung auftritt ( I I ; I I I ) . Sind schließlich sowohl Säure wie Base schwach, so bildet sich sowohl undissoziierte Säure wie undissoziierte Base (IV), und die Reaktion der Salzlösung hängt in diesem Talle von der relativen Stärke der hydrolytisch gebildeten Säure und Base ab (vgl. S. 117): B + QH_ H + A_ ß+ 0H_ H + A_ (i)

_ ~

Hydr.'

die man auch als die „Hydrolysenkonstante" -Knydr. des Salzes B+A- bezeichnet. Danach ist die Hydrolysenkonstante um so g r ö ß e r , die Hydrolyse gemäß (1) also um so s t ä r k e r , je kleiner K H a > d. h. j e s c h w ä c h e r die bei der Hydrolyse gebildete Säure HA ist. Hat die Säure HA z. B. eine Dissoziationskonstante K } l x = 10~ä (etwa Essigsäure), so ist die Hydrolysenkonstante gleich 10~14/10~5 = 10 - 9 . Eine zehntelmolare Lösung des Salzes B+ A" (c A - = 10"1) weist dann gemäß (1) eine Hydroxylionen-konzentration coh—( = ^ha) von / l O - 9 X 10 - 1 = 10 - 5 auf, was einer Wasserstoffionen-konzentration von 10 _14 /10 _5 = 10 - 9 , d. h. einem Wert von 9 entspricht. Die wässerige Lösung von Salzen derartiger Säuren reagiert also a l k a l i s c h .

In ganz entsprechender Weise leiten sich für Salze B+A~, die aus einer s t a r k e n S ä u r e H+A - und einer s c h w a c h e n B a s e BOH oder aus einer s c h w a c h e n S ä u r e HA und einer s c h w a c h e n B a s e BOH gebildet sind, die Hydrolysenkonstanten C

H+" C I!OH „ rc ~~ K ~~ Hydr. ß+ BOH

A u n d

C

HA'CBOH ~ B+ A—

ab, die sich auf die Hydrolysengleichungen B+ + HÖH A" + HÖH BOH + HA beziehen.

a

HA

Tk ~~ -"-BOH

„ Hydr.

Ä

BOH + H+ und B + +

Hat also z. B. die Base eine Dissoziationskonstante 1£ B 0 H = (etwa Ammoniak), so ist Z H y d r = lO-^/lO"5 = 10-9. Eine zehntelmolare Lösung des Salzes B+A' ( c i l + = 10"1) besitzt daher eine Wasserstoffionen-konzentration c h + ( = c B O h ) von ]/10~9 x 10"1 = 10 -5 , entsprechend einem y^-Wert von 5. Die wässerige Lösung von Salzen derartiger Basen reagiert also sauer.

Zur moderneren Betrachtungsweise der Hydrolyse vgl. S. 175. Die N e u t r a l i s a t i o n Während bei der H y d r o l y s e aus Salz und Wasser Säure und Base entsteht, bildet sich bei der „Neutralisation" umgekehrt aus Säure und Base Salz und Wasser: Säure + Base

Neutralisation
H -Wertes während des Verlaufs der Neutralisation einer Säure durch eine Base und umgekehrt. Denn die Art dieser Abhängigkeit des ftu-Wertes vom Neutralisationsgrad („Neutralisationskurve") legt — wie im folgenden gezeigt sei — die Bedingungen fest, unter denen der „Äquivalenzpunkt" — d. h. der Punkt, bei dem gerade die der Säure (Base) äquivalente Menge Base (Säure) zugesetzt ist — erkannt werden kann. Die Wasserstoffionen-konzentration einer zehntelmolaren („0.1 m"-) Lösimg einer s t a r k e n S ä u r e H+A~ beträgt 10 - 1 , entsprechend einem ^>H-Wert von 1. Neutralisiert man durch Zusatz einer einmolaren s t a r k e n B a s e B+OH - 9 0 % der Säure, so daß nur noch 1 / 10 der ursprünglichen Säure vorhanden ist, so verringert sich — wenn wir die geringe Volumenvergrößerung der Lösung außer acht lassen — die Wasserstoffionenkonzentration auf den zehnten Teil (cH+ = 10 -2 ), entsprechend einem />H-Wert von 2. Bei abermaliger Neutralisation von 9 0 % der jetzt noch vorhandenen Säuremenge (entsprechend einer Gesamtneutralisation von 99%) nimmt der ^>H-Wert wieder um 1 Einheit zu usw. Ist der pR-Weit 7 erreicht, so liegt nach dem früher Gesagten (S. 115) der Ä q u i v a l e n z p u n k t , d . h . eine — in diesem Falle neutrale — wässerige Lösung des Salzes B+A - vor. Bei weiterer Zugabe von starker Base ergibt ganz entsprechend j ede Vermehrung der gerade vorhandenen Hydroxylionen-konzentration auf das zehnfache eine Abnahme des /»ou-Wertes und damit Zunahme des Wertes um 1 Einheit, so daß ein bestimmter Basezusatz nach Überschreiten des Äquivalenzpunktes zuerst eine große und dann eine immer mehr abnehmende Änderung des />H-Wertes zur Folge hat. Trägt man alle diese pK-Werte in Abhängigkeit vom Neutralisationsgrad in ein Koordinatensystem ein, so e rhält man die in Fig. 42 mit „starke Säure'' und,,starke Base" gekennzeichnete Kurve. Man ersieht daraus, daß der Äquivalenzpunkt durch einen s t e i l e n A b f a l l der Kurve, d. h. eine s p r u n g h a f t e Z u n a h m e des Wertes charakterisiert ist. Diese sprunghafte ^ - Ä n d e r u n g läßt sich in einfachster Weise mit Hilfe eines I n d i k a t o r s (S. 109) erkennen, der in dem betreffenden Gebiet „umschlägt". Die Umschlagsbereiche zweier solcher Indikatoren sind in Fig. 42 mit eingetragen. Will man demnach den unbekannten Gehalt der wässerigen Lösung einer starken Säure ermitteln, so braucht man nur nach Zusatz einer geringen Indikatormenge so lange eine Baselösung bekannter Konzentration („eingestellte Lösung") zufließen zu lassen, bis der zugesetzte Indikator umschlägt. Aus Kubikzentimeter-Anzahl und Konzentration („ Titer") der verbrauchten Base läßt sich dann ohne weiteres der Säuregehalt der in dieser Weise „titrierten" Lösung errechnen („Alkalimetrie"). In gleicher Weise läßt sich eine „Titration" vonBasen mit Säuren („Acidimetrie") durchführen; man durchläuft dann in Fig. 42 die Neutralisationskurve von rechts nach links (vgl. untere Abszisse). Titriert man eine s c h w a c h e S ä u r e (z.B. Essigsäure) mit einer s t a r k e n B a s e , so sieht das Kurvenbild etwas anders aus. Denn eine zehntelmolare Lösung einer schwachen Säure mit z. B. der Dissoziationskonstante K = 10~5 hat ja nicht wie eine starke Säure einen />H-Wert von 1, sondern gemäß der Beziehung C

HA

Die Gruppe der Halogene

118

(c H+ = c A -; c HA = 10 _ I ) einen ^ H -Wert von 3. Die Neutralisationskurve beginnt damit in Fig. 42 beim Ordinatenpunkt 3. Der weitere Verlauf ergibt sich ebenfalls aus der obigen, zweckmäßig zu c H + = 10"» •

A~

(7)

umgeformten Beziehung (6), indem man für das Verhältnis C H A / C A - die dem gerade vorliegenden Neutralisationsgrad entsprechenden Werte einsetzt. So ist für c H A /c A - = 10 (9°/0ige Neutralisation) c H + = 10 - 4 (pK — 4), für c H a/Ca- = 1 (50°/ o ige Neutralisation) cH+ = 10- 5 (/>H = 5), für Cha/ca- = Vio (91°/o'g e Neutralisation) c H + = 10~« (pu = 6) usw. (vgl. S. 108f.). D e r Ä q u i v a l e n z p u n k t liegt bei p^ = 9 (S. 116). Bei weiterer Zugabe von starker Base mündet die Neufiquiualenzpunkt tralisationskurve der schwachen Säure in die mit „starke Base" bezeichnete 1 < T 1 1 • Kurve ein (Fig. 42). Wie aus dem Kurvenbild („schwache Säure", „starke Base") hervorgeht, läßt sich von den beiden in Fig. 42 angeführten Indikatoren in diesem Falle nur das P h e n o l p h t h a l e i n zur Erkennung des Äquivalenzpunktes verwenden; denn das •*-Meutna/pt/n/cf M e t h y l r o t würde schon lange v o r d e m Ä q u i v a l e n z p u n k t umzuschlagen beginnen. Umgekehrt ist bei der Titration einer s c h w a c h e n B a s e (K = 10 -5 ) m i t einer s t a r k e n S ä u r e (Kurvenbild,.starke Säure", „schwache Base") zur Erkennung des Äquivalenzpunktes — p B = 5 (S. 116) —1 l_J.. 1 — nur das M e t h y l r o t , nicht aber das o 10 io 60 so 100 120 »0 KO ISO 100% zugesetzte Base P h e n o l p h t h a l e i n zu gebrauchen. Und 200 iso t60 ito 120 ioo so 60 40 so o % zuges&zte Säure-* die Titration einer s c h w a c h e n S ä u r e (K— 10 -5 ) mit einer s c h w a c h e n B a s e Fig. 42. NeutraHsationskurven starker und schwacher Säuren und Basen (.K= 10- 5 ) läßt sich (vgl. Kurvenbild „schwache Säure", „schwache Base") mit k e i n e m der beiden angeführten Indikatoren durchführen und ist zudem nicht empfehlenswert, weil der Sprung beim Äquivalenzpunkt (/>H 7) nur k l e i n und w e n i g a u s g e p r ä g t (undeutlicher Indikatorumschlag) ist. Bei s t a r k e n , d. h. vollkommen in Ionen dissoziierten S ä u r e n stimmt die durch T i t r a t i o n ermittelte Säurekonzentration mit der w i r k l i c h v o r h a n d e n e n Wasserstoffionen-konzentration numerisch überein. Bei s c h w a c h e n Säuren dagegen ist die durch T i t r a t i o n gefundene Säurekonzentration selbstverständlich weit g r ö ß e r als aie v o r h a n d e n e Konzentration f r e i e r Wasserstoff-ionen. Man unterscheidet hier daher zwischen einer „potentiellen" und einer „aktuellen" Wasserstoffionen-konzentration. Die erstere findet man bei der T i t r a t i o n , die letztere mit Hilfe von I n d i k a t o r e n und V e r g l e i c h s l ö s u n g e n b e k a n n t e n - W e r t e s (S. 109) oder auf p o t e n t i o m e t r i s c h e m Wege (S. 172).

H i t ItSIll itilli llllll

I$

e) Heterogene Gleichgewichte Alle bisher behandelten chemischen Gleichgewichte bezogen sich auf h o m o g e n e , d. h, aus einer einzigen Phase (Gasphase, Lösungsphase) bestehende Systeme. Liegen h e t e r o g e n e , d. h. aus mehreren Phasen bestehende Systeme vor (z. B. Gas und fester

Das chemische Gleichgewicht

119

Stoff, Lösung und fester Stoff), so läßt sich das Massenwirkungsgesetz nicht unmittelbar anwenden, da dieses unter der Voraussetzung frei und ungeordnet im Reaktionsraum herum schwirrender Moleküle abgeleitet wurde (S. 101). Man kann sich hier aber so helfen, daß man die Reaktion als nur in e i n e r Phase verlaufend betrachtet. a) Fest-gasförmige Systeme Als Beispiel wollen wir die schon früher (S. 38) erwähnte Umsetzung von Eisen und Wasserdampf zu Eisenoxyd und Wasserstoff heranziehen: Fe + H 2 0

FeO + H 2 ,

(8)

die im geschlossenen Reaktionsgefäß zu einem Gleichgewichtszustand führt. Als fester Stoff hat Eisen bei gegebener Temperatur einen konstanten S ä t t i g u n g s d r u c k pFe (S. 51 ff.). Der Druck ist zwar wegen seiner Kleinheit nicht direkt meßbar, besitzt aber einen bestimmten e n d l i c h e n W e r t . Das Eisen wird daher im Reaktionsgefäß (vgl. Fig. 43) bis zur Erreichung des Wertes pVe verdampfen. Im Gasraum findet dann gemäß (8) die Umsetzung zwischen Eisen- und Wassermolekülen statt. Der dabei gebildete Eisenoxyddampf scheidet sich wegen des außerordentlich kleinen Sättigungsdruckes von festem Eisenoxyd sofort in fester Form ab, bis der Druck auf diesen S ä t t i g u n g s d r u c k p$ t o gesunken ist. Umgekehrt verdampft das Eisen in dem « Moleküle Fe Moleküle FeO Moleküle H, Maße, in dem es durch die Reaktion verbraucht wird, • Moleküle H^O immer wieder nach, so daß auch sein Druck im GasFig. 43. raum dauernd k o n s t a n t bleibt, solange noch fester Heterogener Reaktionsraum Bodenkörper vorhanden ist. Im Gleichgewichtszustand gilt für den G a s r a u m das Massenwirkungsgesetz: PFeO'PH, PFe'PH.O Da pve und ppeo, wie eben abgeleitet, k o n s t a n t e Größen sind, können sie mit der Konstante Kp zu einer n e u e n K o n s t a n t e K't (K'p = Kp • ^>Fe//>Fe0) zusammengefaßt werden: i>H, • Kp • Ph.O

Die betrachtete Reaktion kommt danach bei gegebener Temperatur dann zum Stillstand, wenn das Verhältnis der Drucke von Wasserstoff und Wasserdampf einen bestimmten konstanten Wert Kp erreicht hat. Solange das Druckverhältnis p n j p u . o kleiner als K'p ist, findet die Reaktion (8) in der Richtung von links nach rechts, im anderen Falle von rechts nach links statt. Arbeitet man nicht in g e s c h l o s s e n e m G e f ä ß , sondern leitet man Wasserdampf durch ein mit Eisenpulver gefülltes erhitztes o f f e n e s Rohr, so erfolgt q u a n t i t a t i v e Reaktion von links nach rechts, da dann der Wasserstoff e n t w e i c h t und deshalb den für die Einstellung des Gleichgewichts erforderlichen Druck nicht erreichen kann. Das hier Abgeleitete gilt ganz allgemein: Beteiligen sich an einem, chemischen Gleichgewicht feste Stoffe, so können deren Drucke oder Konzentrationen bei der Aufstellung der Massenwirkungsgleichung unberücksichtigt bleiben. E n t w ä s s e r t man also z. B. bei konstanter Temperatur ein k r i s t a l l w a s s e r h a l t i g e s Salz („Hydrat") wie Kupfersulfat CuS0 4 • 5 H 2 0 — das zuerst 2, dann nochmals 2 und schließlich das letzte Wassermolekül abgibt — :

120

Die Gruppe der Halogene CuSO, • 5 H 2 0 — >- CuS0 4 • 3 H 2 0 + 2 H 2 0 CuS0 4 • 3 H 2 0 — >- CuS0 4 • 1 H 2 0 + 2 H 2 0 CuS0 4 • 1 H 2 0 — > CuS0 4 + H 2 0 ,

s ç«-

so gilt für den G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d in allen drei Fällen die einfache Beziehung

30

Ph.O = K ' > wobei K' (und damit der W a s s e r d a m p f d r u c k />h2o) für 70jede der drei Teilreaktionen einen charakteristischen kons t a n t e n Wert besitzt (bei 50°: 45 bzw. 30 bzw. 4.5 mm). Mol H O/Mol CuS0+ Saugt man daher bei 50° über dem Kupfersulfat-Hydrat den Wasserdampf ab, so erhält man beim Auftragen der Fig. 44. Druckänderung bei der Wasserdampf drucke gegen die Zusammensetzung des isothermen Entwässerung Hydrats eine charakteristische T r e p p e n k u r v e (Fig. 44), (50») v o n C U S 0 4 - 5 H 2 0 aus der man — hier wie in anderen Fällen — die bei der Entwässerung auftretenden Z w i s c h e n h y d r a t e direkt entnehmen kann. 20-

z

ß) Fest-flüssige Systeme Unter den Anwendungen auf heterogene Systeme aus L ö s u n g e n und festen Stoffen seien hier die Reaktionen herausgegriffen, bei denen in wässeriger Lösung Ionen zu neutralen Molekülen zusammentreten: B+ + A "

BA.

Für diese gilt (vgl. S. 107) die Gleichgewichtsbedingung CB+

—c

' CA-

=

„ ' '

BA

Erhöht man durch Zugabe von B + oder von A~ und durch die hierdurch bedingte Gleichgewichtsverschiebung nach rechts die Konzentration von BA so weit, daß die L ö s l i c h k e i t von BA erreicht wird, so f ä l l t BA als fester Stoff aus. Jetzt ist seine Konzentration cBA nicht mehr v a r i a b e l , sondern gleich dem konstanten Wert der L ö s l i c h k e i t . Man kann daher c ßA — wie vorher p Be und />Fe0 — mit der Gleichgewichtskonstante Kc zu einer neuen K o n s t a n t e L (L = Kc • c BA ) zusammenziehen : _ _ CB+

' CA

'

die man als „Löslichkeitsprodukt" des Stoffs BA bezeichnet, weil das P r o d u k t der Ionenkonzentrationen cB+ und c A - diesen Wert überschreiten muß, damit die L ö s l i c h keit der Verbindung BA erreicht ist und diese daher ausfällt.

4. Sauerstoffverbindungen der Halogene a) SauerstofFsäuren des Chlors a ) Übersicht und Nomenklatur Man kennt v i e r S a u e r s t o f f säuren des Chlors. Sie haben die allgemeine Zusammensetzimg HC10n, wobei n die Werte 1, 2, 3 und 4 annehmen kann: Säuren Formel HC10 HC102 HCIO3 HC104

Salze Name

Unterchlorige Säure Chlorige Säure Chlorsäure Überchlorsäure

Formel

Name

MeCIO MeClOj MeClOa MeC104

Hypochlorite Chlorite Chlorate Perchlorate

Sauerstoffverbindungen der Halogene

121

In analoger Weise bilden auch a n d e r e N i c h t m e t a l l e solche S a u e r s t o f f s ä u r e n . So kennt man z. B. vom S c h w e f e l eine Reihe von Säuren des Typus H 2 SO n (n = 2, 3, 4 und 5) und vom Phosphor eine Reihe von Säuren des Typus H 3 PO n (n = 2, 3, 4 und 5). Für die Bezeichnung derartiger Sauerstoffsäuren und ihrer Salze gelten folgende Regeln: Der Name der w i c h t i g s t e n Säure eines Elements (beim Phosphor: H 3 P 0 4 , beim Schwefel: H 2 S 0 4 , beim Chlor: HC103) wird durch Anhängen der Endung „-säure" an den Namen des säurebildenden Elements gebildet („Phosphorsäure", „Schwefelsäure", „Chlorsäure"). Die um 1 S a u e r s t o f f a t o m j e M o l e k ü l ä r m e r e n Säuren werden durch die Endsilbe „-ige" („Phosphorige Säure", „Schweflige Säure", „Chlorige Säure"), die um 2 S a u e r s t o f f a t o m e j e M o l e k ü l ä r m e r e n Säuren darüber hinaus durch die Vorsilbe „Unter-" („Unterphosphorige Säure", „Unterschweflige Säure"1, „Unter chlorige Säure") gekennzeichnet. Dagegen erhalten die um 1 S a u e r s t o f f a t o m j e M o l e k ü l r e i c h e r e n Säuren die Vorsilbe „Über-" bzw. „Peroxy" (vgl.S.203) („Peroxyphosphorsäure", „Peroxyschwefeisäure", „Überchlorsäure"). Die Salze der einzelnen Säuren werden in ähnlicher Weise durch End- und Vorsilben voneinander unterschieden. Und zwar bezeichnet die Endung ,,-at" die Salze der A u s g a n g s s ä u r e („Phosphat", „Sulfat"*, „Chlorat"). Die sauerstoffärmeren Salze erhalten die Endung ,,-it" („Phosphit", „Sulfit", „Chlorit") bzw. darüber hinaus die Vorsilbe „Hypo-" („Hypophosphit", „Hyposulfit"1, „Hypochlorit"), die sauerstoff r e i c h e r e n die Vorsilbe „Peroxy-" (vgl. (S203) bzw. „Per-" („Peroxyphosphat", „Peroxysulfat", „Perchlorat"). Die sauerstofff r e i e n (n = 0) Salze (Me3P, Me2S, Med) werden durch die Endsilbe ,,-id" bezeichnet .„Phosphid", „Sulfid", „Chlorid").

ß) Unterchlorige Säure Darstellung Leitet man C h l o r in W a s s e r ein, so bildet sich bis zu einem bestimmten Gleichgewicht S a l z s ä u r e und unterchlorige Säure: Cl2 + HÖH HCl + HOC1. (1) Das Gleichgewicht liegt — falls nicht sehr verdünnte Lösungen vorliegen — ganz auf der l i n k e n S e i t e („Chlorwasser"; S. 82), da Salzsäure und unterchlorige Säure umgekehrt ein großes Bestreben haben, sich unter Bildung von Chlor umzusetzen (vgl. (S. 81). Will man das Gleichgewicht (1) nach r e c h t s verschieben, so fängt man zweckmäßig die im Gleichgewicht befindliche Salzsäure mit Q u e c k s i l b e r o x y d (HgO) als unlösliches Q u e c k s i l b e r o x y c h l o r i d (HgO • HgCl 2 ) ab: 2HgO + 2HCl—>• HgO • HgCl 2 + H 2 0 . Als Gesamtgleichung ergibt sich damit die Gleichung 2C1S + 2 HgO + H 2 0 —V HgO • HgCl2 + 2HOC1, gemäß der man C h l o r in eine Aufschlämmung von Q u e c k s i l b e r o x y d in W a s s e r einleitet. Auf diese Weise kann man ziemlich konzentrierte Lösungen der unterchlorigen Säure gewinnen. Benutzt man s t a r k e Basen zur Verschiebung des Gleichgewichtes (1), leitet man also Chlor z. B. in N a t r o n l a u g e oder K a l k m i l c h ein, so wird nicht nur die starke S a l z s ä u r e , sondern auch die schwache u n t e r c h l o r i g e S ä u r e neutralisiert: Cl2 + 2NaOH >- NaCl + NaOCl + HaO , (2) Cl2 + Ca(OH)2 >- CaCl(OCl) + H 2 0 . (3) Dies ist die Methode zur Darstellung von S a l z e n der unterchlorigen Säure (s. S. 123) 1 s

Vgl. Anm. 1, S. 213. sulfur = Schwefel.

Die Gruppe der Halogene

122

Eigenschaften Die unterchlorige Säure ist n u r in F o r m w ä s s e r i g e r L ö s u n g e n , nicht aber in wasserfreiem Zustande bekannt. Versucht man die Lösung zu entwässern, so geht die Säure in das Oxyd C120 (Dichloroxyd, „Chlormonoxyd"; S. 126) über: 2 H O C 1 T C I ü O + HjO . Umgekehrt entsteht beim Einleiten von Dichloroxyd-Gas in Wasser wieder unterchlorige Säure. Die Reaktion ist also umkehrbar. Auch in der Lösung befinden sich dabei merkliche Mengen Dichloroxyd mit unterchloriger Säure im Gleichgewicht, so daß man z. B. durch Ausschütteln mit Tetrachlorkohlenstoff oder durch Durchleiten eines Luftstroms Dichloroxyd aus der Lösung abtrennen kann. Oxyde, welche sich — wie das Dichloroxyd — mit Wasser zu einer Säure verbinden können bzw. durch Wasserentzug aus letzterer wieder entstehen, heißen „Säure-anhydride". Dichloroxyd ist also das Anhydrid der unterchlorigen Säure. Die verdünnten wässerigen Lösungen der unterchlorigen Säure sind farblos, die konzentrierten gelb. Sie besitzen einen eigentümlichen, von dem des Chlors deutlich verschiedenen Geruch und z e r s e t z e n s i c h — langsam im Dunkeln, schneller im diffusen Tageslicht, sehr rasch im Sonnenlicht — hauptsächlich nach der Gleichung 2HC10 >- 2 HCl + 0 2 unter Bildung von S a l z s ä u r e und S a u e r s t o f f . Daneben wird etwas Chlorsäure gebildet, indem der bei der Zersetzung gebildete Sauerstoff in statu nascendi (HCIO — HCl + 0) auf noch unzersetzte unterchlorige Säure einwirkt (HCIO + 2 0 —>- HC103). Wegen der großen Neigung zur Sauerstoffabgabe gehört die unterchlorige Säure zu den s t ä r k s t e n O x y d a t i o n s m i t t e l n . So bleicht sie z. B. augenblicklich L a c k m u s p a p i e r oder I n d i g o l ö s u n g (oxydative Zerstörung des Lackmus- und Indigo-Farbstoffs), macht aus J o d w a s s e r s t o f f Jod frei ( 2 H J -f 0 —>• H 2 0 + J 2 ), oxydiert S c h w e f e l k o h l e n s t o f f zu Kohlensäure und Schwefelsäure (CS2 J L ^ C0 2 + 2S0 3 ) und führt M e t a l l s u l f i d e in Sulfate über (MeS MeS0 4 ). Die früher schon beschriebene bleichende und desinfizierende Wirkung von f e u c h t e m C h l o r (S. 84) ist ebenfalls auf die oxydierende Wirkung intermediär nach (1) gebildeter unterchloriger Säure zurückzuführen. Ebenso beruht der fortschreitende Zerfall von C h l o r w a s s e r in Salzsäure und Sauerstoff am Licht (S. 83f.) auf dem Zerfall der im Gleichgewicht befindlichen unterchlorigen Säure, indem sich das so gestörte Gleichgewicht immer wieder neu einstellt. Salze Die unterchlorige Säure ist eine s e h r s c h w a c h e S ä u r e ; ihre Dissoziationskonstante K =

C-n +

'

Crtpi»

beträgt bei 25° 1 X10 - 8 . Dementsprechend hydrolysieren

hre Salze, die Hypochlorite, leicht unter Bildung von freier unterchloriger Säure: OCl" + HÖH

H0C1 + OH",

so daß auch die Hypochlorite in wässeriger Lösung (dagegen nicht in alkalischer Lösung) s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l sind. Daher dienen Hypochloritlösungen vielfach als B l e i c h l ö s u n g e n (z. B. für Zellstoff, Papier, Textilien) und als D e s i n f e k t i o n s m i t t e l . Erwähnt seien hier die schon seit 1792 fabrikmäßig hergestellten K a l i u m h y p o c h l o r i t - l ö s u n g e n (,,Eau de Javellc"), die seit 1820 gewonnenen N a t r i u m h y p o c h l o r i t - l ö s u n g e n („Eau de Labarraque"), sowie vor allem der technisch in großen Mengen erzeugte C h l o r k a l k .

Sauerstoffverbindungen der Halogene Natriumhypochlorit. N a t r i u m h y p o c h l o r i t - l ö s u n g e n werden technisch Einwirkung von C h l o r auf N a t r o n l a u g e gewonnen (s. S. 121): Cl2 + 2NaOH

^ NaCl + NaOCl + H 2 0 .

123 durch (2)

Da bei der Chloralkali-Elektrolyse (S. 82) Chlor und Alkalilauge gerade in dem für die Hypochloritbildung erforderlichen Mengenverhältnis entstehen (2NaCl + 2 H Ö H Elektrolyse^^ ^ + 2 N a O H + H 2 ), verbindet man zweckmäßig die Hypochloritgewinnung mit der Chloralkali-Elektrolyse, indem man das anodisch entwickelte C h l o r gleich auf die kathodisch gebildete N a t r o n l a u g e einwirken läßt (vgl. S. 424). Beim Abkühlen der Lösung auf —10° werden farblose Kristalle abgeschieden, denen die Formel NaOCl 6 H 8 0 zukommt. Chlorkalk. Verwendet man zur Umsetzung mit Chlor statt der e i n s ä u r i g e n Base NaOH die z w e i s ä u r i g e Base Ca(OH) 2 , so entsteht statt des Gemisches von Natriumchlorid und Natriumhypochlorit (2) ein g e m i s c h t e s C a l c i u m s a l z der Salz- und unterchlorigen Säure: Cl2 + Ca(OH)2 v CaCl(OCl) + H 2 0 . (3) Es bildet den wesentlichen Bestandteil des technischen Chlorkalks. Der Chlorkalk war früher die einzige Form, in welcher die chlorerzeugende Industrie ihr Produkt in den Handel brachte. Durch Einführung des flüssigen Chlors ist seine Bedeutung stark zurückgegangen; er wird aber immer noch in erheblichen Mengen hergestellt. Die Darstellung erfolgt so, daß man möglichst reinen, gut gebrannten, vorsichtig abgelöschten und dann gesiebten Kalk, Ca(OH)a, in „Chlorkalkkammern", die im Prinzip einem Kiesröstofen (S. 206) weitgehend gleichen, von oben her einem von unten kommenden Chlorstrom entgegenführt, so daß die Sättigung im Gegenstrom erfolgt. Die auftretende Reaktionswärme muß durch Kühlung weitgehend beseitigt werden, da bei erhöhter Temperatur das Hypochlorit in Chlorat (S. 124) übergeht. Der t e c h n i s c h e Chlorkalk ist kein reines CaOCl2, sondern in der Hauptsache eine Verbindung der Formel 3Ca0Cl 2 • Ca(OH)2- 5H 2 0. Der Handelswert des Produkts richtet sich nach dem Prozentgehalt an „bleichendem" oder ,,wirksamem" Chlor. Unter diesem versteht man die bei der Umsetzung des Chlorkalks mit S a l z s ä u r e freiwerdende Menge Chlor: CaCl20 + 2 HCl

CaCl2 + H 2 0 + Cl2,

ausgedrückt in G e w i c h t s p r o z e n t e n des Chlorkalks. Die Verbindung 3CaOCl2 • Ca(OH)a • ö H 2 0 wäre danach 390/„ig; die Handelsprodukte enthalten etwas weniger — 35 bis 36% — wirksames Chlor. Auch das reine Calciumhypochlorit Ca(OCl)2 wird technisch hergestellt („Losantin „Caporit"). E s hat gegenüber dem Chlorkalk den Vorteil eines größeren Gehaltes (theoretisch 9 9 % ; praktisch 70—80%) an wirksamem (s. oben) Chlor. Y) Chlorige Säure In gleicher Weise, wie sich Chlor beim Einleiten in Wasser unter Bildung einer niederen und einer höheren Oxydationsstufe disproportioniert, d i s p r o p o r t i o n i e r t sich auch das in seiner Oxydationsstufe höher stehende C h l o r d i o x y d C102 beim Einleiten in Wasser unter Bildung einer sauerstoffärmeren und sauerstoffreicheren Verbindung: 2C102 + HÖH ~ > - . HC102 + HC10 3 .

(4)

—2

Die dabei entstehende chlorige Säure HC102 (K = 1.07 X 10 ) zersetzt sich aber sehr schnell (vgl. S. 127). Beständiger sind in Lösung ihre Salze, die Chlorite, die man neben Chloraten erhält, wenn man statt Wasser A l k a l i l a u g e verwendet, d. h. das Gleichgewicht (4) durch Abfangen von chloriger Säure und Chlorsäure nach rechts verschiebt: 2C102 + 2 NaOH =>- NaC10 t + NaC10s + H a O. Frei von C h l o r a t e n erhält man die Chlorite bei gleichzeitiger Zugabe von W a s s e r s t o f f p e r o x y d (H 2 0 2 ), welches die Chlorate zu C h l o r i t e n reduziert (vgl. S. 127): NaC10 s + H s O a — > NaC102 + H a O + 0 2 .

124

Die Gruppe der Halogene

Die Lösungen der Chlorite wirken s t a r k o x y d i e r e n d . Dampft man die Natriumchloritlösungen ein, so erhält man ein festes weißes, 90—95% NaC102 enthaltendes Salz. Dieses kommt — zur Erhöhung der Handhabungssicherheit mit einem W a s s e r g e h a l t von 10—15% — für B l e i c h z w e c k e in den Handel, da das beim Versetzen von Natriumchloritlösungen mit Säuren freiwerdende Chlordioxyd (S. 126) Textilien f a s e r s c h o n e n d bleicht. Mit o x y d i e r baren Stoffen wie organischen Substanzen, Kohle-, Schwefel- oder Metallpulver bildet festes Natriumchlorit wie Chlorat e x p l o s i b l e Gemische. Besonders charakteristisch für die chlorige Säure ist das gelbe S i l b e r s a l z AgC102 und das gelbe B l e i s a l z Pb(C102)2, die sehr schwer löslich sind und sich beim Erwärmen oder durch Schlag unter Explosion zersetzen, während das feste reine N a t r i u m c h l o r i t beim Erhitzen (auf über 200°) unter Umständen eine stürmisohe, aber k e i n e e x p l o s i v e Zersetzung erleidet.

8) Chlorsäure Darstellung Zur Darstellung der Chlorsäure geht man gewöhnlich von ihren Salzen, den Chloraten, aus. Diese entstehen leicht bei der Einwirkung von u n t e r c h l o r i g e r Säure auf H y p o c h l o r i t e : 2HC10 + NaCIO

> 2 HCl + NaC10 3 ,

(5)

indem hierbei die unterchlorige Säure ihr eigenes Salz zur Stufe des Chlorats oxydiert und dabei selbst in Salzsäure übergeht (Disproportionierung). Man braucht zu diesem Zwecke Hypochloritlösungen nur w e n i g anzusäuern (NaCIO + H C l — > HCIO + NaCl), da bei der Reaktion (5) immer wieder Salzsäure nachgebildet wird, welche neue unterchlorige Säure in Freiheit setzt. Die zur Oxydation des Hypochlorits erforderliche freie unterchlorige Säure kann auch durch Ü b e r s ä t t i g e n der Hypochloritlösung mit Chlor (Cl2 + H Ö H — > HCl + HOC1) oder durch E r w ä r m e n der Hypochloritlösungen (Verstärkung der endothermen Hydrolyse nach NaCIO + H Ö H NaOH + HCIO) erzeugt werden. So gewinnt man z. B. in der Technik Natrium chlorat durch Elektrolyse einer heißen Kochsalzlösung und Kalium chlorat durch Einleiten von Chlor in h e i ß e Kalkmilch und anschließende Umsetzung des gebildeten Calcium chlorats mit Kaliumchlorid: Ca(C103)2 + 2KC1 —>• 2KC103 + CaCl2. Für die Gewinnung der f r e i e n C h l o r s ä u r e ist die Umsetzung von B a r i u m c h l o r a t mit S c h w e f e l s ä u r e zweckmäßig, da das dabei neben Chlorsäure entstehende B a r i u m s u l f a t (BaS0 4 ) schwerlöslich ist und daher leicht durch Abfiltrieren abgetrennt werden kann: Ba(C103)2 + H 2 S0 4 -—>- 2HC103 +

BaS0 4 .

Die farblose Lösung kann im Vakuum über konzentrierter Schwefelsäure als wasserentziehendem Mittel bis zu einem Gehalt von 4 0 % Chlorsäure eingedunstet werden, ohne daß sich die Säure zersetzt. Konzentriert man darüber hinaus, so tritt unter Bildung von Sauerstoff, Chlor und Überchlorsäure Zersetzung ein. Eigenschaften Konzentrierte Chlorsäure ist ein sehr k r ä f t i g e s O x y d a t i o n s m i t t e l . Tränkt man z.B. F i l t r i e r p a p i e r mit einer 40%igen wässerigen Chlorsäurelösung und läßt es an der Luft liegen, so entzündet es sich bald von selbst. J o d wird zu Jodsäure ( J 2 + 5 0 ->- J 2 0 6 ), S a l z s ä u r e zu Chlor (2HC1 + O —>- H 2 0 + Cl2), S c h w e f e l zu Schwefelsäure (S + 30 —>• S0 3 ) oxydiert; ein in die konzentrierte Lösung eingetauchter H o l z s p a n entzündet sich; farbloser P h o s p h o r verbrennt mit heller Lichterscheinung unter der Lösung. Besonders stark oxydierend wirkt eine Mischung von konzentrierter C h l o r säure und rauchender S a l z s ä u r e („Euchlorin"); man benutzt sie z . B . zum Zerstören organischer Stoffe bei der Prüfung auf anorganische Bestandteile. In stärkerer Verdünnung ist die Chlorsäure verhältnismäßig beständig und als starke, einbasige Säure praktisch vollkommen dissoziiert.

Sauerstoffverbindungen der Halogene

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Salze Die besonders wichtigen A l k a l i c h l o r a t e sind farblos, in Wasser löslich und in festem Zustande bei gewöhnlicher Temperatur haltbar. Ihre L ö s u n g e n wirken weniger s t a r k o x y d i e r e n d als die der Hypochlorite. F e s t e Gemische von Chlorat und oxydierbaren Substanzen (z. B. Phosphor, Schwefel, organischen Verbindungen) explodieren schon beim Verreiben im Mörser; daher muß man beim Arbeiten mit Chloraten stets g r ö ß t e V o r s i c h t walten lassen. Kaliumchlorat wird in großen Mengen für Oxydationszwecke, zur Herstellung der Zündmasse von Zündhölzern (S. 257), sowie in der Feuerwerkerei und Sprengstoffindustrie gebraucht. Auch findet es in der Medizin als Antiseptikum in Form von Gurgel- und Mundwässern Verwendung, wobei man allerdings beachten muß, daß es in größeren Mengen ( > 1 g) wie alle Chlorate giftig ist. Natriumchlorat wird als Oxydationsmittel, als Ausgangsmaterial für die Gewinnung von Perchloraten und zur Unkrautbekämpfung verwendet. e) Überchlorsäure Darstellung. Erhitzt man Chlorate, z. B. Kaliumchlorat, auf höhere Temperatur, so d i s p r o p o r t i o n i e r e n sie sich unter Bildung von Chlorid und Perchlorat: 4KC103 —>- KCl + 3 KC104, indem ein Molekül Chlorat unter Übergang in Chlorid (KC103 —>- KCl + 30) drei andere Moleküle Chlorat zu Perchlorat oxydiert (3KC103 + 30 — 3 K C 1 0 J . Bei noch stärkerem Erhitzen zerfällt das gebildete Perchlorat weiter in Chlorid und Sauerstoff (KC104 — K C l + 20 2 ; vgl. S. 35). Läßt man auf so gewonnenes Perchlorat konzentrierte Schwefelsäure einwirken, so wird die Überchlorsäure in Freiheit gesetzt: KC104 + H2S04—>- KHS04 + HC104, die sich im Vakuum bei vorsichtigem Erwärmen des Reaktionsgemisches unzersetzt abdestillieren läßt. Eigenschaften. Die reine Ü b e r c h l o r s ä u r e ist eine farblose, bewegliche, an der Luft rauchende, bei—112° erstarrende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.764 (bei 22°). Beim Erwärmen färbt sie sich unter Zersetzung braunrot und zerfällt schließlich unter Explosion. Auch bei gewöhnlicher Temperatur geht die Zersetzung langsam vor sich, wobei bisweilen ohne erkennbaren äußeren Anlaß Explosion eintreten kann. Infolge der starken O x y d a t i o n s w i r k u n g werden brennbare Substanzen wie Holz, Holzkohle, Papier, organische Verbindungen explosionsartig unter heftiger Detonation oxydiert. Auf der Haut erzeugt Überchlorsäure schmerzhafte und schwer heilende Wunden. In v e r d ü n n t e m Z u s t a n d e ist die Überchlorsäure wesentlich beständiger und von weit g e r i n g e r e m Oxydationsvermögen als die Chlorsäure. So kann z. B. die verdünnte wässerige Lösung mit Salzsäure schwach erwärmt werden, ohne daß Chlor entwickelt wird; schweflige Säure wird nicht zu Schwefelsäure oxydiert. Zum Unterschied von der wasserfreien Verbindung sind die konzentrierten wässerigen Lösungen der Überchlorsäure von öliger Konsistenz, ähnlich der konzentrierten Schwefelsäure. Die 72°/0ige Lösung siedet weitgehend unzersetzt bei einem konstanten Siedepunkt von etwa 203°. Unter den Hydraten ist das kristallisierte M o n o h y d r a t HC104 • H 2 0 erwähnenswert, das bei 50° schmilzt und die Konstitution eines H y d r o n i u m p e r c h l o r a t s H 3 0[C10 4 ] (vgl. S. 437) besitzt. Salze. Die Überchlorsäure gehört zu den s t ä r k s t e n S ä u r e n , die es gibt. Ihre Salze, die Perchlorate, sind die beständigsten Sauerstoffsalze des Chlors. Die meisten

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Die Gruppe der Halogene

von ihnen sind in Wasser sehr leicht löslich. Ziemlich schwerlöslich sind in kaltem Wasser K a l i u m - , R u b i d i u m - und C a e s i u m p e r c h l o r a t . Die Kaliumverbindung wird daher vielfach zur quantitativen Bestimmung von Kalium benutzt. In der Natur kommt Kaliumperchlorat zuweilen in geringen Mengen im rohen Chilesalpeter (S. 426f.) vor; da es ein starkes Pflanzengift ist, ist solcher Chilesalpeter — falls das Kaliumperchlorat vorher nicht entfernt wird — zum Düngen mancher Kulturpflanzen untauglich.

b) Oxyde des Chlors Von den theoretisch denkbaren Anhydriden der vier Sauerstoffsäuren des Chlors (C120, C1203, C1206, C1207) ist nur das Dichloroxyd C120 (Anhydrid der unterchlorigen Säure: 2 H C 1 0 ^ = > : H 2 0 + C120) und das Dichlorheptoxyd C1207 (Anhydrid der Überchlorsäure: 2 HC104 H 2 0 + C1207) bekannt. Dagegen kennt man noch zwei gemischte Anhydride, nämlich das Anhydrid der chlorigen und Chlorsäure (Chlordioxyd) C102 (HC102 + HC103 -^zt. H 2 0 + 2C102) und das Anhydrid der Chlorsäure und Überchlorsäure (Dichlorhexoxyd) C1206 (HC103 + HC104 ^zti H 2 0 + C1204), während das theoretisch ebenfalls noch mögliche gemischte Anhydrid der unterchlorigen und chlorigen Säure, CIO bzw. C1202 (HCIO + H C 1 0 2 ^ ± : H 2 0 + 2 CIO), nicht existiert. a) Dichloroxyd Darstellung. Leitet man Chlor nicht in eine Aufschlämmung von Quecksilberoxyd in W a s s e r (2C12 + HgO + H 2 0 ->- HgCl 2 + 2H0C1; S. 121), sondern über t r o c k e n e s Quecksilberoxyd bei 0°, so erhält man statt der unterchlorigen Säure HOC1 ihr Anhydrid C1 2 0: 2C12 + HgO

>• HgCl 2 + C1 2 0.

Eigenschaften. Es ist ein gelbbraunes, unangenehm riechendes Gas, welches sich bei 3.8° zu einer rotbraunen Flüssigkeit (Smp. —116°) kondensiert. Als endotherme Verbindung (Bildungswärme —24.7 kcal) zerfällt es beim Erhitzen oder beim Zusammenbringen mit brennbaren Substanzen (Schwefel, Phosphor, organischen Verbindungen) e x p l o s i o n s a r t i g in seine Bestandteile. Nur bei Abwesenheit jeder Spur oxydierbarer Substanz läßt es sich unzersetzt destillieren. Stark e n d o t h e r m e Verbindungen neigen immer zur E x p l o s i o n , da die beim Anstoß des Zerfalls an e i n e r S t e l l e freiwerdende Wärmemenge die N a c h b a r p a r t i e n auf die ZerBetzungstemperatur bringt und die durch deren exothermen Zerfall bedingte T e m p e r a t u r e r h ö h u n g die G e s c h w i n d i g k e i t der Zersetzung immer weiter s t e i g e r t .

ß) Chlordioxyd Darstellung. Chlordioxyd C102, das als gemischtes Anhydrid der chlorigen und Chlorsäure in seiner Oxydationsstufe zwischen diesen beiden Säuren steht, läßt sich durch R e d u k t i o n d e r C h l o r s ä u r e gewinnen. Als Reduktionsmittel kann die Chlorsäure selbst dienen, die dabei in Überchlorsäure übergeht (6): HC10 S + HCIO3 T ^ HC10 a + HClOj

(6)

HC10 2 + H C l O a ^ : H a Q

(7)

+

2C10 2

2HC10 a + H C 1 0 3 ^ I ± : 2C10 2 + HC10 4 + H 2 0 .

(8)

Erforderlich ist dabei, daß das bei der Anhydridbildung (7) entstehende Wasser aus dem Gleichgewicht entfernt wird. Man verfährt daher bei der Darstellung so, daß man k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e auf K a l i u m c h l o r a t einwirken läßt; die dabei in Freiheit gesetzte Chlorsäure (KC103 + H 2 S 0 4 — v HC103 + KHS0 4 ) disproportioniert sich dann gemäß (6), und die konzentrierte Schwefelsäure bindet das Wasser (7).

Sauerstoffverbindungen der Halogene

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Zweckmäßiger ist es allerdings, O x a l s ä u r e (H2C204) als Reduktionsmittel anzuwenden : HClOj + H 2 C 2 0 4 HC102 + HC103 2HC10 3 + H 2 C 2 0 4

HC10a + H 2 0 + 2C0 2 H..0 + 2C1Q2 2C10a + 2COa + 2 H 2 0 .

(9) (7) (10)

Dann tritt als Oxydationsprodukt der Oxalsäure Kohlendioxyd auf (9), welches das — in reinem Zustande explosive — gasförmige Chlordioxyd verdünnt, so daß es gefahrloser zu handhaben ist. In der Praxis verfährt man dabei so, daß man auf ein Gemisch von Kaliumchlorat und Oxalsäure Schwefelsäure einwirken läßt. T e c h n i s c h benutzt man zur Darstellung von Chlordioxyd aus Natriumchlorat s c h w e f l i g e S ä u r e als Reduktionsmittel: 2HC103 + H2SO„ —>- 2C102 + H 2 S0 4 + H 2 0 .

Das Chlordioxyd wird dann in einem Gemisch von Natronlauge und Wasserstoffperoxyd absorbiert (2C102 + 2NaOH + H 2 0 2 — > - 2NaC10 2 + 2 H 2 0 + 0 2 ) und die Lösung auf Walzentrocknern zu festem Natriumchlorit (S. 123f.) eingedampft. Eigenschaften. Chlordioxyd ist ein gelbes Gas von scharfem, durchdringendem Geruch, das sich durch Abkühlung leicht zu einer rotbraunen Flüssigkeit (Sdp. 9.9°) und durch noch stärkere Abkühlung zu orangeroten Kristallen (Smp. —76°) verdichten läßt. Es ist ä u ß e r s t e x p l o s i v und zerfällt schon bei gelindem Erwärmen, durch Schlag oder bei Berührung mit oxydierbaren Stoffen unter heftiger Explosion in Chlor und Sauerstoff: C102

5>- VaClj + 0 2 + 26.3 kcal.

Durch Anlagerung an Pyridin C5H5N (II, S. 460) — C6H5N • C102 — läßt sich Chlordioxyd stabilisieren. In dieser Form dient es in wässeriger Lösimg zu Bleich-, Oxydations- und Chlorierungszwecken. In Wasser ist Chlordioxyd leicht löslich. Die wässerige Lösung hält sich im Dunkeln bei Zimmertemperatur lange Zeit unverändert. Allmählich tritt aber in Umkehrung der Bildungsgleichung (7) Umsetzung unter Bildung von chloriger und Chlorsäure ein: 2C102 + H j O — > HC102 + HC10 3 ; die chlorige Säure zersetzt sich dabei schnell weiter, so daß letzten Endes Salzsäure und Chlorsäure als Disproportionierungsprodukte auftreten. I n alkalischen Lösungen bleibt die Stufe der chlorigen Säure erhalten: 2C102 + 2 OH' — > - C102' + C103' + H 2 0 ,

da die Chlorite beständiger sind als die ihnen zugrundeliegende Säure. y) Dichlorhexoxyd Darstellung. Dichlorhexoxyd C1206 wird zweckmäßig durch O x y d a t i o n von — gemäß (10) mit Kohlendioxyd verdünntem — C h l o r d i o x y d mit O z o n (in Form ozonisierten Sauerstoffs; S. 176f.) bei 0° dargestellt: C102 + 0 3 — C I O , + 0 2 .

Eigenschaften. Dichlorhexoxyd ist eine tiefbraunrote Flüssigkeit, die bei 3.5° erstarrt und bei 203° (extrapolierter Siedepunkt) siedet. Bei Zimmertemperatur ist es in reinem Zustande recht beständig; beim Zusammenbringen mit organischen Stoffen e x p l o d i e r t es aber mit großer Heftigkeit. Beim Erwärmen dissoziiert es in die einfachen Moleküle C103 (Cl2Oe 2 C103), welche sich ihrerseits leicht in Chlordioxyd und Sauerstoff spalten (C103—>-C102 + 0). Mit Wasser reagiert Dichlorhexoxyd als gemischtes Anhydrid unter Bildung von Chlorsäure und Überchlorsäure (C1206 -j- H 2 0 HC10g + HC10 4 ).

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Die Gruppe der Halogene 5) Dichlorheptoxyd

Darstellung. Dichlorheptoxyd C1207 entsteht als Anhydrid der Überchlorsäure (2HC104 C1207 + H 2 0) bei der E n t w ä s s e r u n g von Ü b e r c h l o r s ä u r e mit P h o s p h o r p e n t o x y d (P 2 0 6 + H 2 0 — > - 2 H P 0 3 ) : 2HCIO4 + P 2 0 5 — 3- C120, + 2HPOs und kann — sofern gewisse Vorsichtsmaßregeln wegen der explosiven Natur des Oxyds beachtet werden — direkt abdestilliert werden. Eigenschaften. Dichlorheptoxyd ist eine farblose, flüchtige, ölige Flüssigkeit vom Siedepunkt 83° und Erstarrungspunkt —92°. Bei Berührung mit einer Flamme oder durch Schlag explodiert es heftig. Unter gewöhnlichen Bedingungen ist es aber beständiger als die übrigen Chloroxyde; so greift es z. B. Schwefel oder Phosphor oder Papier in der Kälte nicht an.

c) Oxyde des Fluors Vom Fluor sind bis jetzt mit Sicherheit nur zwei Oxyde, Difluoroxyd (F 2 0) und Difluordioxyd (F 2 0 2 ), dagegen keine Sauerstoffsäuren bzw. deren Salze bekannt. a ) Difluoroxyd

Darstellung. Leitet man F l u o r in eine verdünnte N a t r i u m h y d r o x y d l ö s u n g , so erhält man nicht wie beim Chlor eine u n t e r h a l o g e n i g e Säure (X a + NaOH —>- NaX + HOX), sondern deren A n h y d r i d : 2F a + 2NaOH >- 2NaF + P 2 0 + H 2 0. D i f l u o r o x y d zeigt also nicht wie D i c h l o r o x y d (S. 122) die Fähigkeit, mit Wasser gemäß X 2 0 + H 2 0 2 H 0 X eine unterhalogenige Säure („unterfluorige Säure") zu bilden. Eigenschaften. Das Difluoroxyd (Sauerstoffdifluorid) F 2 0 ist ein farbloses, die Atmungsorgane heftig angreifendes Gas, welches sich bei —144.8° zu einer intensiv gelben Flüssigkeit (Smp. —223.8°) verdichtet. Seine Bildungswärme beträgt etwa —8 kcal/Mol. In Wasser ist F 2 0 etwas löslich (6.8 ccm in 100 ccm Wasser bei 0°). Die Lösung zeigt keine sauren, wohl aber s t a r k oxydierende Eigenschaften. Bei Einwirkung des Gases auf Alkalilaugen entstehen keine ,,Hypofluorite" (F 2 0 + 2NaOH —->2NaOF + H 2 0), sondern deren Zerfallsprodukte F l u o r i d und S a u e r s t o f f : F 2 0 + 2NaOH—>-2NaF + 0 2 + H 2 0. Im Vergleich zum Fluor ist Difluoroxyd weniger r e a k t i o n s f ä h i g ; beim E r w ä r m e n reagiert es aber mit zahlreichen Nichtmetallen und Metallen unter Fluoridbildung. Ein Gemisch von Wasserdampf und Difluoroxyd explodiert auf Zündung: 0 F 8 + H 2 0 — > - 0 2 + 2 H F -f 74.8 kcal. Zum Unterschied vom Dichloroxyd ist Difluoroxyd n i c h t explosiv, sondern zerfällt beim Erwärmen oder Belichten allmählich unter Bildung von F l u o r und S a u e r s t o f f . ß) Difluordioxyd

Darstellung. Unterwirft man ein äquimolekulares Gemisch von F l u o r und Sauerstoff in einem mit flüssiger Luft gekühlten Gefäß der Einwirkung einer e l e k t r i s c h e n Glimmentladung, so scheidet sich an den gekühlten Wänden eine Verbindung der Formel F 2 0 2 als orangefarbener fester Beschlag ab: F 2 + 02^=±:P202. Eigenschaften. Die Substanz schmilzt bei —163.5° zu einer kirschroten Flüssigkeit vom (extrapolierten) Siedepunkt —57°. Unterhalb —100° läßt sie sich bei vermindertem

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Sauerstoffverbindungen der Halogene

Druck unzersetzt destillieren. Bei höherer Temperatur zerfällt das gasförmige — schwach braun gefärbte — Difluordioxyd in Umkehrung der obigen Bildungsgleichung in die Elemente.

d) Sauerstoffsäuren und Oxyde des Broms Vom Brom sind mit Sicherheit nur zwei S a u e r s t o f f s ä u r e n bekannt: die unterbromige Säure HBrO und die Bromsäure HBrO s . Weiterhin existieren drei O x y d e : das Dibromoxyd B r 2 0 , Bromdioxyd B r 0 2 und Bromtrioxyd B r 0 3 . Die untcrbromige Säure HBrO und ihre Salze, die Hypobromite (MeBrO), entstehen in Analogie zu den entsprechenden Verbindungen des Chlors (S. 121) durch Schütteln von B r o m w a s s e r mit Q u e c k s i l b e r o x y d : 2 B r 2 + 2 HgO + H 2 0

>- HgO • HgBr¡, +

2HOBr

bzw. Umsetzung von B r o m mit A l k a l i l a u g e : B r , + 2 NaOH

>- NaBr + NaOBr + H s O.

Die Hypobromitlösungen sind wie die Hypochloritlösungen ausgeprägte B l e i c h - und O x y d a t i o n s m i t t e l , sind gelb gefärbt, haben einen eigentümlichen aromatischen Geruch und d i s p r o p o r t i o n i e r e n sich beim E r w ä r m e n unter Bildung von B r o m i d und B r o m a t :

3 B r O ' — ^ 2 B r ' + BrOJ .

Durch Erhitzen des beim Eindampfen der Lösung hinterbleibenden B r o m i d - B r o m a t Gemisohes mit H o l z k o h l e p u l v e r (Reduktion des Bromat-Anteils zu Bromid) werden technisch A l k a l i b r o m i d e gewonnen: 2Br03' + 3C v 2 B r ' + 3CO¡¡. In analoger Weise lassen sich auch A l k a l i j o d i d e darstellen.

Die Bromsäure HBr0 3 läßt sich analog der Chlorsäure (S. 124) durch Umsetzung von B a r i u m b r o m a t mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e gewinnen. Ihre Salze geben wie die Chlorate leicht Sauerstoff ab und verpuffen beim Erhitzen mit oxydierbaren Substanzen. Das Dibromoxyd B r ? 0 entsteht analog dem Dichloroxyd (S. 126) bei der Einwirkung von B r o m auf Q u e c k s i l b e r o x y d : 2 B r 2 + HgO

>- H g B r , +

Br20.

Verfährt man hierbei so, daß man Bromdampf über erwärmtes Quecksilberoxyd leitet, so erhält man ein zur Hauptsache aus B r o m und nur zu wenigen Prozenten des Bromgehalts aus Dibromoxyd bestehendes Gasgemisch. Der Gehalt des Reaktionsprodukts an Dibromoxyd läßt sich auf über 40°/ 0 des Bromgehalts steigern, wenn man die Umsetzung von Brom und Quecksilberoxyd in T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f vornimmt. In reinem Zustande wird Dibromoxyd bei der Zersetzung von B r o m d i o x y d (S. 130) gewonnen. Dibromoxyd ist nur bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n (bis herauf zu —40°) beständig. Es stellt bei diesen Temperaturen einen braunen, festen, im Hochvakuum unter Zersetzung sublimierbaren Stoff von stechendem, chlorkalkähnlichem Geruch dar. Beim Erwärmen auf über —40° beginnt es zu z e r f a l l e n . Beim Schmelzpunkt (—17.5°) ist die Zersetzung schon recht lebhaft. Sie führt zu B r o m und S a u e r s t o f f , so daß die zunächst schwarzbraune Flüssigkeit bald die rotbraune Farbe des flüssigen Broma annimmt. In reinem Tetrachlorkohlenstoff löst sich Dibromoxyd mit moosgrüner Farbe. Beim Schütteln dieser Lösung mit Natronlauge entsteht H y p o b r o m i t : B r 2 0 + 2 NaOH

2 NaOBr +

H20.

B r 2 0 ist also das A n h y d r i d der u n t e r b r o m i g e n S ä u r e . H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37.—39. Aufl.

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Die Gruppe der Halogene

Das Bromdioxyd Br(>2 entsteht bei der Einwirkung einer G l i m m e n t l a d u n g auf ein Gemisch von B r o m und S a u e r s t o f f : Br2 + 2 0 2 >- 2Br0 2 (1) als ein bei tiefen Temperaturen beständiger, fester, eigelber Körper. Bei r a s c h e m Erwärmen unter n o r m a l e m D r u c k auf Zimmertemperatur erfolgt unter Flammenerscheinung in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) spontane Zersetzung in die Elemente. Bei l a n g s a m e m Erwärmen unter N o r m a l d r u c k erfolgt von —3° ab eine kontinuierliche Abgabe von Sauerstoff. Im H o c h v a k u u m verläuft die thermische Zersetzung ganz anders, nämlich unter Bildung eines braunschwarzen und eines weißen Körpers. Der erstere ist Dibromoxyd (S. 129), der letztere Bromtrioxyd (5 B r 0 2 — Br a O + 3 BrO a ).

e) Sauerstoffsäuren und Oxyde des Jods Unterjodige Säure. Schüttelt man eine wässerige J o d l ö s u n g mit Q u e c k s i l b e r o x y d , so erhält man vorübergehend die freie unterjodige Säure H J O (2 J 2 -f- 2HgO + H 2 0 •—>HgO • H g J 2 + 2 H J O ) . Sie ist sehr unbeständig und zersetzt sich rasch unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g in J o d und J o d s ä u r e (3HJO — 2 H J + H J 0 3 ; H J 0 3 + 5 H J —>- 3 H 2 0 + 3 J 2 ). Etwas beständiger sind ihre Salze, die Hypojodite, die analog den Hypochloriten und Hypobromiten durch Einwirkung von J o d auf A l k a l i l a u g e n gewonnen werden können. Nach kurzer Zeit gehen aber auch sie unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g in J o d i d und J o d a t über. Jodsäure. Die Jodsäure kann durch Oxydation von J o d mit konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e oder C h l o r in wässeriger Lösimg gewonnen werden: J 2 + 6H 2 0 + 5C12 t- 2 AgCl + H 2 0 ) , da Jodsäure die Salzsäure rückwärts zu Chlor oxydiert. Aus den Salzen, den Jodetten, kann die Säure durch Erwärmen mit S c h w e f e l s ä u r e in Freiheit gesetzt werden: NaJ0 3 + H 2 S0 4 H J 0 3 + NaHS0 4 . Die Jodsäure kristallisiert in farblosen, durchsichtigen Kristallen von saurem, herbem Geschmack und ist ein k r ä f t i g e s O x y d a t i o n s m i t t e l . Ihre S a l z e — die sich durch Einwirkung von J o d auf h e i ß e A l k a l i l a u g e n darstellen lassen — haben im allgemeinen die Formel MeJO s . Man kennt aber auch s a u r e S a l z e der Zusammensetzung M e J 0 3 • H J 0 3 und M e J 0 3 - 2 H J 0 3 . Die Jodate sind viel b e s t ä n d i g e r als die Chlorate und Bromate, stellen aber immer noch ausgesprochene O x y d a t i o n s m i t t e l dar. So detonieren sie im Gemisch mit brennbaren Substanzen durch Schlag. tlberjodsäure. Oxydiert man J o d a t e mit H y p o c h l o r i t in alkalischer Lösung, so entstehen Per jodate: HJ0 3 + HC10 —>• HJ0 4 + HCl. Diese Perjodate leiten sich aber nicht analog den Perchloraten (MeC104) nur von der e i n f a c h e n Ü b e r j o d s ä u r e H J 0 4 („Meta-perjodate" MeJ0 4 ) ab, sondern auch von den w a s s e r r e i c h e r e n Formen H J 0 4 • H 2 0 = H 3 J 0 5 („Meso-perjodate" Me 3 J0 6 ) und H J 0 4 • 2 H 2 0 = H 5 J 0 6 („Ortho-perjodate" Me 6 J0 6 ). Von den f r e i e n Überjodsäuren kennt man nur die O r t h o v e r b i n d u n g H B J 0 6 , farblose, an der Luft zerfließende Kristalle, welche sich schon beim Schmelzpunkt (130°) unter Abspaltung von Wasser und Sauerstoff und Bildung von Dijodpentoxyd (2H 5 J0 6 —->- 5 H 2 0 + J 2 0 5 + 0 2 ) zersetzen und sehr stark oxydierend wirken. Von den Salzen sind die O r t h o p e r j o d a t e Me 5 J0 6 recht beständig, während sich die M e t a p e r j o d a t e MeJ0 4 beim Erhitzen vielfach explosionsartig zersetzen.

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Verbindungen der Halogene untereinander

Dijodtctroxyd. Das Dijodtetroxyd J 2 0 4 entspricht in seiner Bruttozusammensetzung dem C h l o r d i o x y d C102. Es entsteht analog diesem (S. 126) bei der Einwirkung von heißer k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e auf J o d s ä u r e als gelbes, körniges Pulver und ist in kaltem Wasser nur wenig löslich. Beim Erhitzen auf über 100° zersetzt es sich unter Bildung von Lijodpentoxyd, dem Anhydrid der Jodsäure, und Jod: 5J 2 0 4 — v

4 J205 +

J2.

Entsprechend löst es sich auch in heißem Wasser unter Bildung von Jodsäure und Jod. Dijodpentoxyd. Zum Unterschied von der Chlorsäure und Bromsäure läßt sich die J o d s ä u r e durch Erwärmen auf 180 bis 200° in ihr A n h y d r i d überführen: 2HJOs — ^ HjO + J205. Das so entstehende Dijodpentoxyd stellt ein weißes kristallines Pulver dar, das erst oberhalb von 300° in die Elemente zerfällt: 43 kcal + J 2 0 6

>- J2 + 2V 2 0 2

und mit Wasser wieder Jodsäure bildet. I m Gegensatz zu allen anderen Halogenoxyden ist es eine e x o t h e r m e Verbindung.

5. Verbindungen der Halogene untereinander Die V e r b i n d u n g e n der H a l o g e n e u n t e r e i n a n d e r haben im einfachsten Fall die Formel X Y ; doch sind auch einzelne Verbindungen bekannt, die sich um zwei, vier oder sechs Halogenatome von dieser Formel unterscheiden: X Y 3 , X Y 5 und X Y ; . Bei den Verbindungen der Z u s a m m e n s e t z u n g X Y sind alle Kombinationen bis auf die Verbindung J F bekannt, wie aus folgender Zusammenstellung hervorgeht, in welcher auch die reinen Halogene mit aufgenommen sind: Fluor

Fluor

FF Farbloses Gas Smp. - 218.0° Sdp. - 187.9°

Chlor

C1F Farbloses Gas Smp. — 155.6° Sdp. - 100.1°

Brom

BrF Hellrotes Gas Smp. 33° Sdp. ~ + 20°

Jod

-

Chlor

Brom

Jod

C1C1 Gelbgrünes Gas Smp. - 102.4° Sdp. 34.0° BrCl BrBr (Nur imGleichgewicht TiefbrauneFlüssigkeit mit Br2 und Cl2) Smp. 7.3° Smp. - 54° Sdp. + 58.8° Sdp. (26 mm) - 50° JC1 Rubinrote Nadeln Smp. + 27.2° Sdp. + 97.4°

JBr Rotbraune Kristalle Smp. + 36° Sdp. + 116°

JJ Grauschwarze Schuppen Smp. + 113.7° Sdp. -f 184.5°

Die D a r s t e l l u n g dieser Verbindungen erfolgt ganz allgemein aus den E l e menten : X2 + Y 2

2XY.

9*

Die Gruppe der Halogene

132

So erhält m a n z. B. d a s Chlorfluorid C1F durch Vereinigung von Chlor u n d Fluor bei 250°, Bromfluorid B r F durch Sättigen von Brom mit Fluor bei 10°, Bromchlorid BrCl (im Gleichgewicht mit Brom und Chlor) durch Einleiten von Chlorgas in flüssiges Brom, Jodchlorid JC1 (das außer in der S. 131 a n g e f ü h r t e n stabilen « - F o r m auch als metastabile /S-Modifikation vom Schmeizpunkt 13.9° v o r k o m m t ) durch Überleiten v o n Chlor über J o d und Jodbromid J B r durch Einwirkung von Brom auf J o d . F a r b e , S c h m e l z - u n d S i e d e p u n k t nehmen bei gegebenem erstem Halogen m i t dem Atomgewicht des zweiten, d. h. in der Richtung von oben nach u n t e n u n d von links nach rechts in der umstehenden Tabelle zu. So variiert die F a r b e von Fluor bis J o d , den beiden äußersten Gliedern, von farblos bis grauschwarz, der Schmelzpunkt von —218 bis + 1 1 4 ° und der Siedepunkt von —188 bis + 1 8 5 ° . U n b e s t ä n d i g k e i t u n d R e a k t i o n s f ä h i g k e i t nehmen m i t zunehmender E n t fernung der Halogene im Periodensystem, also in der R i c h t u n g von oben nach u n t e n und von rechts nach links in der umstehenden Tabelle zu. So ist z. B. d a s Chlorfluorid reaktionsfähiger als Fluor, so d a ß seine Darstellung große Schwierigkeiten m a c h t ; Bromfluorid ist bereits so unbeständig, d a ß eine genaue B e s t i m m u n g seiner physikalischen D a t e n nicht möglich i s t ; u n d Jodfluorid schließlich ist offensichtlich so zersetzlich, d a ß seine Darstellung bisher ü b e r h a u p t noch nicht geglückt ist. I n gleicher Weise steigt die Reaktionsfähigkeit vom J o d über d a s J o d b r o m i d zum J o d chlorid hin. Bei der Einwirkung von überschüssigem Halogen Y 2 auf die einfachen Verbindungen X Y entstehen h ö h e r e H a l o g e n v e r b i n d u n g e n (vgl. S. 197): XY + n Y 2 ^

XY2n +

1

(n = 1, 2 u n d 3). Die Neigung zu dieser Anlagerung steigt mit zunehmendem Atomgewicht von X und abnehmendem Atomgewicht von Y. So bildet z. B. C h l o r d a s Fluorid ClFg, B r o m die Fluoride B r F 3 u n d BrF 6 und J o d die Fluoride J F 5 u n d J F 7 , während bei den Chloriden n u r das J o d ein höheres Chlorid JC1, b i l d e t : ClJbs Farbloses Gas Smp. - 82.6° Sdp. + 12.1°

BrF 3

BrFä

Farblose Flüssigkeit Smp. + 8.8° Sdp. + 127.6°

Farblose Flüssigkeit Smp. - 61.3° Sdp. + 40.5°

-

JFs

JFt

Farblose Flüssigkeit Smp. + 9 4° Sdp. + 100 5»

Farbloses Gas Smp. 5.5° Sblp. 4.5°

JCl.t Gelbe Nadeln Smp. 101° (16 at Druck)

Die F l ü c h t i g k e i t der höheren Halogenide steigt mit z u n e h m e n d e m g e h a l t . I h r e chemische Reaktionsfähigkeit ist durchweg sehr groß.

Halogen-

Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die Umsetzung von Bromtrifluorid mit M e t a l l f l u o r i d e n MeF (Me z.B. = Na, K oder Ag), die zur Bildung komplexer Tetrafluobromid-ionen BrF4~ führt: MeF + BrF, - MeBrF,, Auch im flüssigen Bromtrifluorid selbst sind infolge elektrolytischer Dissoziation solche Fluobromidionen BrF4~~ neben Fluobromonium-ionen BrF 2 + enthalten: 2 BrF3 — >- BrF 2 + + BrF 4 _ . In Form von Salzen starker Säuren HMeF4 (Me z.B. = Au), HMeF„ (Me z.B. = P, Sb, Nb, Ta) oder H 2 MeF 6 (Me z.B. = Sn) lassen sich die Fluobromonium-ionenstabilisieren: [BrF 2 ]AuF 4 , [BrFJ PF„, [BrF 2 ] 2 SnF„.

Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Halogene

133

6. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Halogene Wie aus den vorangegangenen Abschnitten hervorgeht, zeigen die Halogene untereinander eine große Ähnlichkeit und eine ganz gesetzmäßige Abstufung in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften. Folgende Tabelle faßt diese graduelle Änderung der Eigenschaften mit steigendem Atomgewicht nochmals kurz zusammen: Fluor Atomgewicht Spezifisches Gewicht Schmelzpunkt Siedepunkt Farbe im Gaszustand Thermischer Dissoziations-\1000° abs. . grad in °/„ J2000°abs. . Nichtmetallcharakter Allgemeine Reaktionsfähigkeit Affinität zum Wasserstoff Affinität zum Sauerstoff

19.000 1.108 1 — 218.0°

- 187.9» fast farblos

Chlor

Brom

Jod

35.4571 1.57 — 102.4° - 34.0°

79.916 3.119 - 7.3® + 58.8°

126 92 4.942 + 113.7° + 184.5°

gelbgrün

0.035 52

—>—>>>-

nimmt nimmt nimmt nimmt

rotbraun

0.23 72.4

ab ab ab zu

violett 2.8

89.5 >-

->>-

Physikalische Eigenschaften. Fluor ist ein G a s , Chlor ein leicht zu v e r f l ü s s i g e n d e s G a s , Brom f l ü s s i g und Jod f e s t . Die Farbe vertieft sich vom Fluor zum Jod hin derart, daß das Fluor praktisch f a r b l o s , das Jod dagegen im festen Zustande bereits g r a u s c h w a r z ist. Die Festigkeit der Bindung zwischen den Halogenatomen verringert sich zum Jod hin, welches bei hohen Temperaturen schon weitgehend in a t o m a r e r Form vorliegt, während sich Fluor auch bei sehr hohen Temperaturen thermisch n i c h t in d i e A t o m e a u f s p a l t e n läßt. Alle vier Halogene sind N i c h t m e t a l l e , jedoch nimmt der nichtmetallische (metallische) Charakter zum Jod hin ab (zu); beim J o d fällt schon ein äußeres Kennzeichen der Metalle, der M e t a l l g l a n z , ins Auge. Chemische Eigenschaften. Die V e r w a n d t s c h a f t z u m W a s s e r s t o f f nimmt mit fallendem Atomgewicht des Halogens zu. F l u o r verbindet sich schon im Dunkeln bei niedriger Temperatur mit Wasserstoff unter Bildung einer thermisch außerordentlich beständigen Verbindung; J o d dagegen reagiert erst in der Wärme bei Anwesenheit eines Katalysators und liefert eine thermisch instabile Wasserstoffverbindung. Entsprechend der größeren Verwandtschaft zum Wasserstoff vermag jedes l e i c h t e r e Halogen das s c h w e r e r e aus seiner Wasserstoffverbindung zu v e r d r ä n g e n ; so setzt elementares Fluor sämtliche anderen Halogene in Freiheit (F 2 -j2HBr - 2 H F + Br 2 usw.), Chlor zersetzt nur die Wasserstoffverbindungen des Broms und Jods, Brom nur die des Jods. Die V e r w a n d t s c h a f t z u m S a u e r s t o f f nimmt umgekehrt vom Fluor zum Jod hin zu, so daß die Oxyde des J o d s am b e s t ä n d i g s t e n und zum Unterschied von den endothermen übrigen Halogenoxyden e x o t h e r m e Verbindungen sind. Dementsprechend kann auch ein Halogenatom von höherem Atomgewicht ein leichteres Halogen aus dessen Sauerstoffverbindung in Freiheit setzen: KC10S + 1 / 2 J 2 - > - K J 0 3 + 7 2 CI 2 . Die a l l g e m e i n e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t nimmt zum Fluor hin zu. F l u o r ist überhaupt das r e a k t i o n s f ä h i g s t e aller Elemente. Die übrigen Halogene sind zwar noch sehr reaktionsfreudig, aber in der Richtung vom Chlor zum Jod hin zunehmend weniger aktiv als Fluor. — 1

Gilt für verflüssigtes Fluor (Chlor) beim Siedepunkt.

134

Die Gruppe der Halogene

Auch die V e r b i n d u n g e n d e r H a l o g e n e zeigen gesetzmäßige Abstufungen in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften, wie folgende Tabelle am Beispiel der H a l o g e n w a s s e r s t o f f e zeigt: Fluorwasser- Chlorwasser- Bromwasserstoff stoff stoff + Thermischer Dissoziations-I 300° C grad in % JlOOO» C Scheinbarer elektrolytischer Dissoziationsgrad in 0.1 n-Lösung (18°) Bildungswärme (25°, 1 at, Gase), kcal.

83.1° 19.5° — —

0.1 + 64.2

- 114.8° 84.9° 0.0000003 0.014

— 86.9» - 66.8° 0.003 0.5

0.926 + 21.9

0.935 + 11.6

Jodwasserstoff -

50.7® 35.4° 19 33 0.95 + 1.3

So nehmen z. B. in Übereinstimmung mit dem S. 133 über die Verwandtschaft der Halogene zum Wasserstoff Gesagten die B i l d u n g s w ä r m e n der Halogen Wasserstoffe mit steigendem Atomgewicht des Halogens ab, die t h e r m i s c h e n D i s s o z i a t i o n s g r a d e zu. Die S ä u r e s t ä r k e der wässerigen Halogen Wasserstoffsäuren wächst mit steigendem Atomgewicht des Halogens: Fluorwasserstoffsäure ist eine verhältnismäßig schwache, Jodwasserstoffsäure eine sehr starke Säure. Auffällig ist der hohe Schmelz- und Siedepunkt des F l u o r w a s s e r s t o f f s , der sich nicht in die Reihe der Schmelz- und Siedepunkte der übrigen Halogenwasserstoffe einpaßt. Dies rührt von der P o l y m e r i s a t i o n des Fluorwasserstoffs her; denn Fluorwasserstoff hat ja nicht wie die übrigen Halogen Wasserstoffe die Formel H X , sondern die polymere Formel ( H X ) n (S. 97). Wäre er m o n o m e r , so müßte er f l ü c h t i g e r als Chlorwasserstoff sein. Auch sonst nimmt das F l u o r gegenüber den anderen Halogenen in gewissem Maße eine S o n d e r s t e l l u n g ein. So ist z. B. das Silberfluorid in Wasser ziemlich löslich, das Calciumfluorid unlöslich, während die übrigen Silberhalogenide und Calciumhalogenide gerade entgegengesetzte Löslichkeitsverhältnisse zeigen. Allerdings nimmt die Löslichkeit bereits vom Silberjodid zum Silberchlorid hin etwas zu und vom Calciumjodid zum Calciumchlorid hin etwas ab; beim Übergang vom Chlor zum Fluor fällt also lediglich die sehr starke Zunahme einer Eigenschaftsänderung ins Auge, die — zwar schwach ausgeprägt, aber doch gleichsinnig — schon bei den übrigen Halogenen feststellbar ist. Gleiches beobachtet man ja (s. Tabelle) auch beim elektrolytischen Dissoziationsgrad.

Kapitel IX

Die Elektronentheorie der Valenz Bei der Rückschau auf alles bisher Besprochene tauchen zahlreiche, bisher noch unbeantwortete Fragen auf. Warum sind z. B. die Edelgase so reaktionsträge und die im Periodensystem (S. 68) benachbarten Halogene und Alkalimetalle so reaktionsfreudig? Warum hat Natriumchlorid die Formel NaCl und nicht etwa die Zusammensetzung Na2Cl oder NaCl 2 und Ammoniak die Formel NH S und nicht etwa die Zusammensetzung N H j oderNH 4 ? Warum sind die Edelgase atomar, Stickstoff, Sauerstoff und Chlor dagegen molekular aufgebaut ? Warum ist Natriumchlorid fest, Chlor dagegen gasförmig? Warum leiten sich vom Natriumchlorid Sauerstoffverbindungen des Typus NaCIO, NaC102, NaC103 und NaC104, dagegen keine der Formel NaC105, NaC10B usw. ab? Warum spaltet Kaliumchlorat in wässeriger Lösung in die Ionen K + + C103~ und nicht in die Ionen KC1+ + 0 3 ~ oder KC10 + + 0 2 ~? Warum leitet eine wässerige Lösung oder eine Schmelze von Natriumchlorid den elektrischen Strom, gelöster oder flüssiger Sauerstoff dagegen nicht? Warum ist NaCl fest, FC1 dagegen ein Gas ? Warum ist das H 2 0Molekül gewinkelt, das COa-Molekül dagegen gestreckt, das ClOg-Ion pyramidenförmig, das NOg-Ion dagegen eben ? Auf alle diese Fragen gibt uns die „ E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z " eine einfache und befriedigende Antwort. Wir wollen uns daher im folgenden etwas ausführlicher mit den Grundlagen und Aussagen dieser Theorie befassen.

1. D e r Bau der Atome a) Allgemeines Fußend auf Experimentalversuchen,

die vor allem auf die Physiker

PHILIPP

LENARD ( 1 8 6 2 — 1 9 4 7 ) , E B N E S T RUTHERFORD ( S . 5 6 9 ) u n d CHARLES THOMSON R E E S W I L S O N

zurückgehen, hat der dänische theoretische Physiker N I E L S B O H R im Jahre 1 9 1 3 ein A t o m m o d e l l entwickelt, das auch heute noch trotz mancher Unzulänglichkeiten (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie) ein recht anschauliches und brauchbares Bild vom Atombau vermittelt. Nach dieser BoHRschen Theorie bestehen die Atome aus einem p o s i t i v g e l a d e n e n A t o m k e r n und einer n e g a t i v g e l a d e n e n A t o m h ü l l e . Der Atomkern befindet sich im Mittelpunkt des Gesamtatoms und verkörpert stets mehr als 9 9 . 9 ° / 0 der gesamten Masse des ganzen Teilchens. Sein D u r c h m e s s e r beträgt durchschnittlich nur den etwa z e h n t a u s e n d s t e n T e i l d e s D u r c h m e s s e r s d e s G e s a m t a t o m s . 1000 Kubikmeter Eisen z . B . enthalten demnach weniger als 1 Kubikmillimeter Atomkerne; dieses Kubikmillimeter wiegt rund 8000 Tonnen, während der übrige Raum von 1000 Kubikmetern praktisch masseleer ist. Der a b s o l u t e Durchmesser der Atomkerne liegt in der Größenordnung von 10 - 1 1 mm. In einem Kubikmillimeter finden also 1033 Atomkerne bequem Platz. Wie phantastisch groß diese Zahl ist, geht aus folgendem Z a h l e n b e i s p i e l hervor: Die Zahl der seit Christi Geburt bis auf den heutigen Tag vergangenen Sekunden ist nur ein w i n z i g e r B r u c h t e i l von 1033. Selbst wenn man für jede seit Beginn unserer Zeitrechnung verlaufene S e k u n d e einen Zeitraum von 1000 M i l l i a r d e n J a h r e n setzt (das Alter des Weltalls liegt in der

136

Die Elektronentheorie der Valenz

Größenordnung von 10 Milliarden Jahren), so beträgt die Zahl der in dieser unvorstellbar langen Zeitspanne verflossenen Sekunden erst rund den t a u s e n d s t e n T e i l der in einem Kubikmillimeter unterzubringenden Zahl von 1033 Atomkernen. Es ist eine bewundernswerte Leistung des Physikers und Chemikers, daß er nicht nur von der Existenz solch winziger Atomkerne weiß, sondern daß er auch genauestens die Gew i c h t e und den inneren A u f bau dieser—ihrerseits aus noch kleineren Partikeln aufgebauten (S. 555ff.) — Teilchen kennt. Die positive L a d u n g des Atomkerns ist stets ein g a n z e s V i e l f a c h e s jener E l e m e n t a r l a d u n g von 1.602 xlO" 1 9 Coulomb ( = 4.803 x l O " 1 0 elektrostatischen Einheiten), die wir S. 93 schon aus elektrolytischen Versuchen ableiteten. Bemerkenswert ist dabei, daß j e d e s c h e m i s c h e E l e m e n t durch eine ganz b e s t i m m t e A n zahl solcher positiver Einheitsladungen je Atomkern charakterisiert ist. Und zwar variiert die „Kernladungszahl" nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse von 0 bis 101, entsprechend 102 bis jetzt bekannten verschiedenen Atomarten (Näheres S. 555ff.). Atomhülle. Da die Atome nach außen hin neutral erscheinen, muß die p o s i t i v e Ladung jedes Atomkerns durch eine entsprechende Menge n e g a t i v e r Elektrizität kompensiert werden. Dies geschieht dadurch, daß eine der Zahl der positiven Kernladungen numerisch gleiche Anzahl von „Elektronen" denAtomkern umgibt. Jedes dieser Elektronen weist eine negative Einheitsladung von 1.602 xl0~ 1 9 Coulomb auf und besitzt ein gegenüber dem Gewicht des Atomkerns verschwindendes Atomgewicht von 0.00055. In der weiter unten (S. 137) folgenden Tabelle, die mit der früher (S. 67) wiedergegebenen Anordnung der Elemente nach w a c h s e n d e m A t o m g e w i c h t übereinstimmt und auf die wir noch ausführlicher zu sprechen kommen (S. 138f.), sind die Elemente nach s t e i g e n d e r K e r n l a d u n g s - und E l e k t r o n e n z a h l ihrer Atome angeordnet. Danach weist z. B. der Kern des Wasserstoffatoms 1 positive Ladung auf, die durch 1 negatives Elektron in der Außenhülle kompensiert wird; das Phosphoratom besteht aus einem Atomkern mit 15 positiven Ladungen und aus 15 Elektronen in der Atomhülle usw. Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der Elemente hängen gesetzmäßig mit dem Bau der E l e k t r o n e n h ü l l e zusammen. Die Kenntnis dieses Aufbaus ist daher die notwendige Voraussetzung für ein Verständnis des chemischen Verhaltens der Elemente.

b) Die Elektronenhülle Die Elektronen der Atomhülle umgeben den Atomkern nicht regellos, sondern verteilen sich g e s e t z m ä ß i g auf insgesamt 7 r ä u m l i c h e „ S c h a l e n " , die von innen nach außen als 1., 2., 3. Schale usw. (Schale der ,,Hauptquantenzahl" n = 1, 2, 3 usw.) oder mit den Buchstaben K bis Q des Alphabets als K-, L-, M-Schale usw. bezeichnet werden. Man nahm früher mit B O H K an, daß die Elektronen in diesen Schalen planetengleich um denKern als „Sonne" rotieren. Heute ist man von diesem anschaulichen Modell wieder abgekommen. Im Prinzip kann man sich aber immer noch des anschaulichen Schalenmodells bedienen, wenn man sich dabei nur dessen bewußt bleibt, daß die verschiedenen „Elektronenschalen" lediglich bildliche Symbole für verschiedene Energiezustände der Elektronen (nach der ,, Wellenmechanik" z. B. für verschiedene dreidimensionale Schwingungszustände von „Elektronenwolken") darstellen. Jede Schale vermag im Maximum 2 • n2 Elektronen aufzunehmen (vgl. S. 445). Die innerste,erste Schale (n — 1) ist demnach nach Einbau von 2 • l 2 = 2, die nächstäußere, z w e i t e Schale (n = 2) nach Aufnahme von 2 2 2 = 8 Elektronen gesättigt usw. Folgende Tabelle gibt für die nach steigender Kernladungszahl angeordneten Elemente die Verteilung der Elektronen auf die verschiedenen Elektronenschalen wieder. Vor jedem Elementnamen ist die Kernladungszahl und das Elementsymbol angegeben:

Der Bau der Atome Element

137

1. Schale 2. Schale 3. Schale 4. Schale 5. Schale 6. Schale 7. Schale

0 Nn Neutronium T3 O

1 H Wasserstoff 2 He Helium Li Be B C N O F Ne

Lithium Beryllium Bor Kohlenstoff Stickstoff Sauerstoff Fluor Neon

11 Na 12 Mg o 13 AI O 14 Si 15 P 16 S 17 Cl 18 Ar

Natrium Magnesium Aluminium Silicium Phosphor Schwefel Chlor Argon

•ö o 'S dt

e -a o h

3 4 5 6 7 8 9 10

2 2 2 2 2 2 2 2

1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8

19 20 31 32 33 34 35 36

K Ca Ga Ge As Se Br Kr

Kalium Calcium Gallium Germanium Arsen Selen Brom Krypton

2 2 2 2 2 2

8 4 5 6 7 8

37 38 49 50 51 52 53 54

Rb Sr In Sn Sb Te J Xe

Rubidium Strontium Indium Zinn Antimon Tellur Jod Xenon

2 2 2 2 2 2

18 18 18 18 18 18

55 Cs Caesium 56 Ba Barium 81 82 83 84 85 86

T1 Pb Bi Po At Rn

Thallium Blei Wismut Polonium Astatium Radon

87 Fr Francium 88 Ra Radium

3 4 5

6

7 8

18 18

2 2 2 2 2 2

32 32 32 32 32 32

18

32 32

18 18

18 18 18 18 18

3 4 6

6

7 8

138

Die Elektronentheorie der Valenz

Wir ersehen daraus folgendes: Das N e u t r o n (vgl. S. 585) besitzt keine positive Kernladung und damit auch kein Außenelektron. Das Elektron des W a s s e r s t o f f a t o m s befindet sich in der innersten, ersten Schale. Das gleiche gilt für die beiden Elektronen des H e l i u m a t o m s . Damit ist die 1. Schale bereits v o l l a u f g e f ü l l t . Mit dem nächsten Element, dem L i t h i u m , beginnt der Aufbau der 2. Schale. Da diese 8 Elektronen aufzunehmen vermag, ist sie erst nach 8 E l e m e n t e n , also beim N e o n abgeschlossen. Das nächste Elektron tritt in die 3. Schale ein ( N a t r i u m ) . Diese erreicht dann beim A r g o n mit 8 Elektronen einen vorläufigen Abschluß. Sie ist zwar mit 8 Elektronen n o c h n i c h t g e s ä t t i g t , da ihre Maximalzahl an Elektronen 2 • 3 2 = 18 beträgt; aber die Zahl 8 stellt — wie aus der maximalen Elektronenzahl 8 der 2. Schale hervorgeht — eine s t a b i l e Z w i s c h e n s t u f e der Elektronenanordnung dar. Mit dem K a l i u m und C a l c i u m beginnt die Bildung der 4. Schale. Dann folgen 10, in der Tabelle nicht aufgeführte, sondern nur durch eine gestrichelte Linie angedeutete Elemente (Kernladungszahl 21 bis 30), bei denen die Elektronenzahl der noch unvollständig gebliebenen 3. Schale von 8 auf die Sättigungszahl 18 ergänzt wird. Das G a l l i u m setzt dann die vorher begonnene Besetzung der 4. Schale fort, die beim K r y p t o n mit der schon erwähnten stabilen Anordnung von 8 Elektronen ihren vorläufigen Abschluß findet. Mit dem R u b i d i u m und S t r o n t i u m beginnt der Aufbau der 5. Schale. Dann erfolgt wie zuvor durch 10 in der Tabelle nicht aufgeführte Elemente (Kernladungszahl 39 bis 48) die Auffüllung der noch unvollständig gebliebenen nächstinneren 4. Schale von der Zahl 8 auf die n ä c h s t s t a b i l e , aber noch n i c h t m a x i m a l e (für n = 4 ist 2-w2 = 32) Zahl von 18 Elektronen. Dann erst wird wieder durch die Elemente I n d i u m bis X e n o n die 5. Schale bis zur Elektronenzahl 8 ergänzt. Mit dem C a e s i u m und B a r i u m beginnt die 6. Schale. Durch 10 + 14 = 24, in der Tabelle fortgelassene Elemente (Kernladungszahl 57 bis 80) wird anschließend die 5. Schale von 8 auf 18 und die 4. Schale von 18 auf 32 Elektronen ergänzt, so daß erst mit dem T h a l l i u m der Weiterausbau der seit dem B a r i u m unverändert gebliebenen 6. Schale bis zur Elektronenzahl 8 ( R a d o n ) erfolgt. Mit den Elementen 87 ( F r a n c i u m ) und 88 ( R a d i u m ) beginnt die 7. Schale. Die folgenden, in der Tabelle nicht aufgeführten 13 Elemente (Kernladungszahl 89 bis 101) bauen ihre neu hinzukommenden Elektronen in der noch ungesättigten 5. und 6. Schale ein. Mit dem Element 101 ( M e n d e l e v i u m ) bricht vorläufig die Reihe der bis jetzt bekannten Elemente und damit der Ausbau der 5., 6. und 7. Schale vor Erreichen der nächststabilen Elektronenkonfiguration ab, da schon vom Polonium (Atomnummer 84) ab die Elemente wegen der Anhäufung von soviel positiven Ladungen im Kern i n s t a b i l werden und als ,,radioaktive Elemente" (S.566 ff.) zerfallen. Fig. 45 gibt die Elektronenverteilung für die Elemente Lithium bis Chlor, also die beiden ersten Achterperioden des Periodensystems, b i l d l i c h wieder. Wir sehen daraus, daß innerhalb einer waagerechten Element p e r i o d e der Atomradius entsprechend der wachsenden Anziehung des positiven Kerns auf die negative Elektronenhülle mit steigender Kernladung abnimmt. Innerhalb einer senkrechten E l e m e n t g r u p p e nimmt dagegen der Atomradius mit steigender Kernladung zu, weil beim Fortschreiten vom einen zum nächsten Gruppenglied eine neue Elektronenschale hinzukommt. Beim Übergang eines Atoms in den p o s i t i v geladenen Zustand ( K a t i o n b i l d u n g durch Elektronena b g a b e ) wird der Teilchenradius k l e i n e r , beim Übergang in den n e g a t i v geladenen Zustand (Anionbildung durch Elektronen a u f n ä h m e ) g r ö ß e r . So ist im Kristallgitter (S. 146f.) das N a t r i u m - i o n N a + etwa so groß wie das C h l o r - a t o m C l und das C h l o r i o n Cl- etwa so groß wie das N a t r i u m - a t o m Na. Vergleicht man die in der Tabelle auf S. 137 wiedergegebenen E l e k t r o n e n a n o r d n u n g e n der Atome mit dem auf Grund des c h e m i s c h e n V e r h a l t e n s der Elemente aufgestellten ,,Periodensystemi" (S. 68), so stellt man fest, daß die zu e i n e r G r u p p e des Systems gehörenden, also chemisch einander ähnlichen Glieder jeweils

Der Bau der Atome

139

die g l e i c h e Z a h l v o n „Außenelektronen" aufweisen. Daraus geht hervor, daß die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der Atome und damit auch der aus diesen Atomen aufgebauten Elemente in der Hauptsache durch die in der ä u ß e r s t e n Elektronenschale enthaltenen Elektronen bedingt werden. Die g r a d u e l l e n A b s t u f u n g e n der Elemente i n n e r h a l b einer solchen Gruppe beruhen auf der Verschiedenheit von Zahl und Bau der i n n e r e n Schalen. Da — wie aus der Tabelle ersichtlich — die Elektronenzahlen der äußersten Schale nur zwischen 1 und 8 variieren, gibt es auch nur a c h t g r o ß e G r u p p e n von Elementen. Die auf Grund der chemischen Eigenschaften vollzogene Einordnung aller Elemente in 8 Gruppen eines Periodensystems (S. 68) findet also durch die Lehre vom Atombau ihre t h e o r e t i s c h e E r k l ä r u n g . Damit gewinnen zugleich auch die dort nur zur G r u p p e n - , P e r i o d e n - u n d A t o m - N u m e r i e r u n g benutzten Zahlen eine tiefere Bedeutung. Die über und unter einer senkrechten Gruppe stehende römische Li

.-Elektron ,.-2.Schale \l.Scha/e

ße

B

Mg

AI

N

-Elektron .3.Schale V2. Schale -\l.Schale\

Na

Si

P

S

C!

Fig. 45. Elektronenschalen und relative Atomradien der Elemente Lithium bis Chlor

Zahl stellt nicht einfach Dur die Gruppennummer der betreffenden Elementfamilie dar, sondern gibt zugleich die Z a h l d e r A u ß e n e l e k t r o n e n in den Atomen dieser Gruppe wieder. Die links und rechts neben einer waagerechten Periode angegebene arabische Zahl bedeutet nicht einfach nur die Periodennummer der betreffenden Elementreihe, sondern gibt zugleich an, in d e r w i e v i e l t e n E l e k t r o n e n s c h a l e sich die durch die römische Gruppenziffer angegebene Anzahl von Außenelektronen befindet. Die über jedem Elementsymbol verzeichnete Ordnungszahl schließlich stellt nicht einfach nur die Atomnummer des betreffenden Elements dar, sondern gibt zugleich die Zahl der Kernladungen und damit auch die G e s a m t z a h l d e r E l e k t r o n e n in der Atomhülle wieder. Über die Elektronenanordnung der in der Tabelle (S. 137) ausgelassenen Elemente und ihre Einordnung in das Periodensystem wird auf S. 439ff. näher berichtet. Der Physiker unterscheidet bei der Einordnung der 8 Elektronen in die Außenschalen der Tabelle auf S. 137 noch zwischen „s-EleHronen" (Elektronen der „Nebenqvantenzahl" Z=0) und „pElektronen" (Elektronen der Nebenquantenzahl 1=1), indem sich die 8 Elektronen auf eine mit zwei Elektronen abgesättigte, kugelsymmetrische „s-Bahn" und drei ebenfalls mit je 2 Elektronen abgesättigte, etwas energiereichere, axialsymmetrische „p-Bahnen" verteilen (bzgl. der übrigen Schalen vgl. S. 445). Nach dem „Prinzip der größton Multiplizität" erfolgt die fortschreitende Besetzung der Bahnen mit Elektronen so, daß nach Auffüllung der «-Bahn mit 2 Elektronen die nachfolgenden Elektronen jede der drei p-Bahnen zunächst einmal e i n f a c h , dann erst p a a r i g besetzen. So verteilen sich z.B. die 5 Außenelektronen des S t i c k s t o f f s oder P h o s p h o r s derart, daß 2 Elektronen in der «-Bahn und je 1 Elektron in den drei p-Bahnen enthalten sind, während von den 6 Außenelektronen des S a u e r s t o f f s oder S c h w e f e l s 2 die «-Bahn, 2 weitere die erste p-Bahn

140

Die Elektronentheorie der Valenz

und je 1 die beiden restlichen p-Bahnen besetzen. Die s- und p-Bahnen der verschiedenen Schalen werden je nach deren H a u p t q u a n t e n z a h l (S. 136) als 1.9-, 2s-, 3s- bzw. 2p-, 3p-Bahnen usw. voneinander unterschieden. Die jeweils im s- und p-Energieniveau vorhandene Elektronenzahl n eines Atoms wird durch einen hochgestellten Index zum Ausdruck gebracht: « n bzw. p n . So gilt beispielsweise für die Konfiguration der 5 Außenelektronen des Stickstoffs (s. oben) das Symbol 2s 2 2p 3 , während dem Phosphor das analoge Symbol 3s 2 3p s zukommt.

c) Die Atomspektren B e i e i n e m g e g e b e n e n A t o m k o m m t einem E l e k t r o n a u f j e d e r S c h a l e ein g a n z b e s t i m m t e r E n e r g i e g e h a l t E zu. Dieser E n e r g i e g e h a l t s t e i g t m i t z u n e h m e n d e m Schalenradius, also w a c h s e n d e r E n t f e r n u n g d e s E l e k t r o n s v o m K e r n z u n ä c h s t r a s c h , d a n n i m m e r w e n i g e r r a s c h a n , um sich schließlich a s y m p t o t i s c h einem b e s t i m m t e n G r e n z w e r t E c zu nähern, der für d a s v o m A t o m g a n z losgelöste E l e k t r o n gilt. F ü h r t m a n einem A t o m E n e r g i e (z. B . in F o r m v o n thermischer, optischer oder e l e k t r i s c h e r Energie) zu, so k ö n n e n d a d u r c h E l e k t r o n e n e n t g e g e n der A n z i e h u n g durch d e n K e r n v o n e n e r g i e ä r m e r e n , inneren S c h a l e n a u f e n e r g i e r e i c h e r e , äußere S c h a l e n „ g e h o b e n " werden. D a s A t o m b e f i n d e t sich d a n n n i c h t m e h r i m , , G r u n d z u s t a n d " , sondern i n e i n e m „angeregten Zustand" (vgl. S . 5 7 2 f . ) . I n d i e s e m Z u s t a n d v e r w e i l t es nur s e h r k u r z e Z e i t ; s c h o n n a c h d u r c h s c h n i t t l i c h 10~ 8 b i s 1 0 - 9 s e c „ s p r i n g e n " d i e e n e r g i e r e i c h e n E l e k t r o n e n w i e d e r in ihre n o r m a l e n oder d o c h w e n i g s t e n s in e n e r g i e ä r m e r e S c h a l e n zurück. D i e d a b e i v o n d e n E l e k t r o n e n a b g e g e b e n e E n e r g i e wird in F o r m v o n L i c h t f r e i ; u n d zwar wird je E l e k t r o n e n s p r u n g e i n L i c h t a t o m (S. 84) a u s g e s a n d t . N a c h d e m G e s e t z v o n d e r E r h a l t u n g d e r E n e r g i e m u ß d a b e i d i e E n e r g i e h-v d e s L i c h t a t o m s gleich d e r D i f f e r e n z der E n e r g i e - i n h a l t e Evor u n d £ n a c h d e s E l e k t r o n s v o r und n a c h dem Elektronensprung sein: = Emt — ^narh

(1)

D a sich n u n n a c h der T h e o r i e v o n BOHK die E l e k t r o n e n eines A t o m s nur i n g a n z b e s t i m m t e n Schalen mit ganz b e s t i m m t e n E n e r g i e g e h a l t e n befinden können, sind nur g a n z b e s t i m m t e E n e r g i e d i f f e r e n z e n ¿sVOr — £na :C1:

Wäre die Verbindung eine i d e a l e I o n e n v e r b i n d u n g , so müßte das Dipolmoment (3) (4.803 X 10- 1 0 ) X (1.28 X 10~ 8 ) = 6.15 X 10~ 18 elektrostatische Einheiten • cm = 6.15 „Debye"a betragen, weil der Abstand der beiden Atomkerne im HCl-Molekül 1.28 A beträgt und bei idealem Ionenaufbau jedem Ion eine elektrische Elementarladung von 4.803 X 1 0 - 1 0 elektrostatischen Einheiten ( = 1.602 X 1 0 " 1 9 Coulomb) zukäme. InWirk1 Setzt man die Bindekraft einer «-Bindung willkürlich mit 1 an, so beträgt die relative Bindefestigkeit einer p-Bindung 1.732 und die einer s-p-Bastardbindung 2 (vgl. Anm. 1 auf S. 446). 2 Man hat für 10~ 18 elektrostatische Einheiten des Dipolmoments die Bezeichnung „Debye' (D) eingeführt, weil die Entdeckung der permanenten molekularen elektrischen Dipole dem niederländischen Physiker PETER DEBYE zu verdanken ist und weil alle Zahlenwerte des Dipolmoments in dieser Größenordnung liegen.

Die Elektronentheorie der Valenz

154

lichkeit sind aber die elektrischen Ladungen k l e i n e r , da das gemeinsame Elektronenpaar dem Chloratom nicht v ö l l i g , sondern nur b e v o r z u g t angehört. Dementsprechend beträgt das gefundene Dipolmoment nur 1.04 Debye. Selbstverständlich kann man dann rückwärts aus der G r ö ß e des gefundenen Dipolmoments hier wie in anderen Fällen Rückschlüsse auf die Ladungsverteilung und damit den i n n e r e n B a u des Moleküls ziehen. Bei einem aus zwei g l e i c h a r t i g e n A t o m e n bestehenden Molekül (z. B. H 2 , J 2 , N2) ist das Dipolmoment natürlich gleich N u l l . Die Atombindungen mit polarem Charakter stellen Ü b e r g ä n g e zwischen der reinen Ionenund der reinen Atombindung (vgl. S. 156f.) dar und haben dazu geführt, auch bei der A t o m w e r t i g k e i t zwischen einer mehr „elektropositiven" und einer mehr „elektronegativen" Wertigkeit zu unterscheiden. So ist z. B. der S t i c k s t o f f im S t i c k s t o f f - f l u o r i d N F 3 der e l e k t r o p o s i t i v e r e B e s t a n d t e i l und daher „elektropositiv dreiwertig", während er im S t i c k s t o f f - c h l o r i d NC1 3 den e l e k t r o n e g a t i v e r e n Bestandteil bildet und daher als „elektronegativ dreiwertig" bezeichnet wird (vgl. S. 232f.).

In derselben Weise, in der sich entgegengesetzt geladene I o n e n anziehen, können sich auch I o n e n und D i p o l e sowie D i p o l e u n t e r e i n a n d e r anziehen und auf diese Weise Molekülaggregate bilden. Die K r a f t K, mit der dies geschieht, läßt sich für die verschiedenen Fälle durch die Gleichungen _ e1 • e8 Ion-Ion

r2

«i-i»2 Ion-Dipol

jj

K

-^Dipol-Dipol



_!hJJH

wiedergeben (e — Ladung des Ions; fi — Moment des Dipols; r = Abstand der sich anziehenden Ladungen). Man ersieht daraus, daß die „Dipolkräfte" bei gleichen Abständen r gemäß dem größenordnungsmäßigen Unterschied zwischen e und [i s e h r v i e l k l e i n e r als die „Ionenkräfte" sind und zudem mit wachsendem Abstand der Ladungen entsprechend der höheren Potenz von r s e h r v i e l r a s c h e r a b k l i n g e n als diese. Die Dipolkräfte {„VANDER WAAisscheKräfte") bedingen u.a. die A s s o z i a t i o n vieler Substanzen im flüssigen Zustande und die Bildung zahlreicher A n l a g e r u n g s k o m p l e x e (vgl. S. 161). y) Die Metallbindung Das Metallgitter Kombiniert man zwei im Periodensystem der Elemente l i n k s stehende Atome etwa zwei N a t r i u m a t o m e , miteinander, so kann w e d e r durch den Übergang eines Elektrons vom einen zum anderen Atom (Na • + • Na-—>- [Na] + [: Na] ) n o c h durch gemeinsame Beanspruchung eines Elektronenpaares seitens beider Natriumatome (Na • + • Na —>- N a : Na) eine stabile Achterschale für letztere geschaffen werden. Dies ist vielmehr nur dadurch möglich, daß b e i d e Natriumatome ihr Elektron a b g e b e n und daß die so entstehenden beiden p o s i t i v e n N a t r i u m - i o n e n durch die beiden n e g a t i v e n E l e k t r o n e n zusammengehalten werden: Na • + • Na

>- [Na]+ : [Na]+.

Diese Art der Bindung wird „Metallbindung" genannt. Die durch die Zahl der abgegebenen Valenzelektronen bedingte L a d u n g des Metall-ions gibt die „Metallwertigkeit" wieder. Wie bei der Ionenbindung liegen naturgemäß auch hier k e i n e g e r i c h t e t e n K r ä f t e vor, so daß sich die Anziehung zwischen Elektronen und Metallionen nicht auf z w e i A t o m e beschränkt, sondern — ähnlich wie bei der Ionenbindung — zur Bildung eines „Metallgitters" führt, bei welchem ein Ionengitter von Metallionen in ein „Elektronengas", d. h. ein Fluidum leichtverschieblicher Elektronen eingebettet ist. So haben wir uns z . B . das N a t r i u m m e t a l l , wie der in Fig. 53 wiedergegebene Ausschnitt aus dem Natriumgitter zeigt, als ein ,,kübisch-raum-

155

Die chemische Bindung

zentriertes" Gitter von Natrium-ionen vorzustellen, das von den Valenzelektronen der Natriumatome wie von einem Gas erfüllt ist. Lediglich im D a m p f z u s t a n d e kommen auch einfache Na 2 -Moleküle vor (S. 420). Die l e i c h t e B e w e g l i c h k e i t des Elektronengases bedingt den metallischen Charakter, vor allem die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der festen Metalle. Die Leitfähigkeit ist dabei zum Unterschied von der Leitfähigkeit der Salze n i c h t mit einer c h e m i s c h e n Z e r s e t z u n g des Leiters verbunden, da j a bei dem Vorgang der elektrischen Leitung das Metallionengerüst e r h a l t e n bleibt und lediglich eine Wanderung der E l e k t r o n e n (Abfluß zum positiven, Nachlieferung vom negativen Pol der Stromquelle) erfolgt. Leiter dieser Art nennt m a n „ L e i t e r 1. Klasse"

(vgl. S . 1 4 7 ) .

Die Geschwindigkeit, mit der sieh die Elektronen in einem metallischen Leiter unter dem Einfluß einer angelegten Spannung bewegen, ist — entgegen einem weitverbreiteten Irrtum — s e h r klein. Fließt z. B. in einem Kupferdraht von 1 mm 2 Querschnitt ein Strom von 1 A, so beträgt die Strömungsgeschwindigkeit der Elektronen weniger als 1 / 1 0 mm pro Sekunde 1 , entsprechend einer S t u n d e n g e s c h w i n d i g k e i t von nur rund 30 cm. Da sich allerdings beim Einschalten des Stroms alle Elektronen des Leiters g l e i c h z e i t i g in Bewegung setzen (so wie sich beim Rangieren eines Eisenbahnzuges alle Wagen bewegen, wenn der letzte angestoßen wird), ist die W i r k u n g des Stromes auch an entfernten Stellen s o f o r t zu beobachten.

O Nafriumione/i Fig. 63. Ladungsschwerpunkte der Ionen des Natriumgitters

Die Legierungen E s ist leicht einzusehen, daß bei der Kombination z w e i e r verschiedener Atomsorten zu einem M e t a l l g i t t e r nicht wie bei der reinen Atom- oder Ionenbindung ein c h a r a k t e r i s t i s c h e s k o n s t a n t e s A t o m v e r h ä l t n i s resultieren m u ß . Z. B. kann bei passender Abmessung der Ionenradien wie im Falle der Mischkristallbildung bei S a l z e n (S. 149f.) eine — begrenzte oder unbegrenzte — s t a t i s t i s c h e V e r t e i l u n g beider Partner über das ganze Gitter ohne gesetzmäßigen Verteilungsplan erfolgen; wir sprechen dann von ,,Legierungen" (Beispiel: Gold-Silber-Legierungen). E s kann die Verteilung der beiden Legierungspartner andererseits aber auch wie im Falle der Doppelsalze (S. 49) nach b e s t i m m t e n V e r t e i l u n g s g e s e t z e n erfolgen. Dann resultiert zwar eine s t ö c h i o m e t r i s c h e Z u s a m m e n s e t z u n g (,,intermetallische Verbindung" ; Beispiel: CaSn 3 ), aber die „Wertigkeit" der Elemente in diesen „Verbindungen" hat natürlich nichts mit den n o r m a l e n W e r t i g k e i t e n der Elemente zu tun, da sie j a nicht wie bei der Ionen- und Atombindung binärer Verbindungen durch die Zahl der Valenzelektronen zwangsläufig gegeben ist, sondern mehr ein formaler Ausdruck der durch r ä u m l i c h e A n o r d n u n g s g e s e t z e bedingten Formel ist. Diese räumlichen Anordnungsgesetze scheinen weitgehend durch das Verhältnis der Gesamtzahl der L e i t u n g s e l e k t r o n e n zur Gesamtzahl der M e t a l l k a t i o n e n bedingt zu werden, da in sehr vielen Fällen b e s t i m m t e n d e r a r t i g e n Z a h l e n V e r h ä l t n i s s e n ganz b e s t i m m t e G i t t e r s t r u k t u r e n entsprechen („Regel von HlME-ROTHERV"). So weisen z. B. die drei Komponenten des Messings CuZn, Cu5Zn8 und CuZn3 entsprechend ihren verschiedenen Verhältniszahlen (1 + 2 ) : (1 + 1) = 3 : 2 bzw. (5 • 1 + 8 • 2 ) : (5 + 8) = 1 Die Strömungsgeschwindigkeit v der Elektronen (in mm/sec) errechnet sich, wie leicht abzuleiten, aus der Beziehung i=n-v-q-e(i = Stromstärke in Ampere, n = Zahl der Leitungselektronen je mm 3 , q = Querschnitt des Leiters in mm 2 , e = 1.602 • 1 0 - 1 * = Ladung des Elektrons in Coulomb). Die Größe n ergibt sich gemäß n = w -z aus der Metallwertigkeit w des metallischen Leiters (S 155f.) und der Zahl z der Metallatome je mm 3 (z = 6.022 -10 2 0 d,\M\d = Dichte, M = Molekulargewicht des Metalls).

Die Elektronentheorie der Valenz

156

Zahl der Leitungselektronen je Metallatom

Gitterstruktur

2 1 : 1 4 (3 : 2)

kubisch-raumzentriertes Gitter

21:13

kompliziertes kubisches Gitter

21:12

(7:4)

Beispiele

hexagonale dichteste Kugelpackung

Cu'Zn11, Ag'Cd", Agi AI'", CuiSi IV , CujSn I V , N i ° A l m C u > « , CujAli", F ( > > I I , Co^Zn", PtJZnii, Cu^Sn™ C^Zn' 1 , CujSn IV , AU'ZR«, AgiAlf 1 , FeOZn}1, Cu'Si I V

2 1 : 1 3 bzw. (l + 3 - 2 ) : ( l + 3) = 7 : 4 und in Übereinstimmung mit vielen Legierungen gleicher Verhältniszahl ein kubisch-raumzentriertes bzw. kompliziertes kubisches bzw.hexagonal dichtest gepacktes Gitter auf (s. obige Tabelle). Wie aus den in Spalte 3 der Tabelle durch römische Ziffern zum Ausdruck gebrachten Metallwertigkeiten hervorgeht, steuern die Metalle durchweg eine ihrer Gruppennummer im Periodensystem (S. 68 und 444) entsprechende Zahl von Valenzelektronen (Leitungselektronen) zum Elektronengas bei. Die Elemente der nullten Nebengruppe (z. B. Fe, Ni, Co, Pt) sind dementsprechend im Legierungsgitter nullwertig, was sich in der T a t durch magnetische Messungen (S. 600) beweisen läßt. S) Übergänge zwischen den verschiedenen Bindungsarten Zwischen den G r e n z f ä l l e n der reinen Ionen-, reinen A t o m - u n d reinen Metallbindung sind Ü b e r g ä n g e möglich, u n d bei der M e h r z a h l der anorganischen Verbindungen liegen solche Ü b e r g a n g s b i n d u n g e n vor. Ionenbindung/Atombindung. I n einer I o n e n v e r b i n d u n g A B k a n n d a s K a t i o n A+ infolge seiner positiven L a d u n g die E l e k t r o n e n h ü l l e d e s A n i o n s B~ z u s i c h h e r ü b e r z i e h e n („Deformation" der Elektronenhülle), so d a ß diese n i c h t mehr a l l e i n d e m A n i o n , sondern teilweise auch d e m K a t i o n m i t angehört. E s e n t s t e h t d a n n ein Ü b e r g a n g s z u s t a n d , der i m G r e n z f a l l i n die A t o m b i n d u n g übergeht (vgl. S. 1 5 3 f . ) : ( + ) ,_> [A]+ [:B]~ v [A : B ] >- [A : B]. Ionenbindung

Ubergangabindung

Atombindung

D a bei g e g e b e n e m A n i o n die d e f o r m i e r e n d e W i r k u n g d e s K a t i o n s g e m ä ß u m so s t ä r k e r ist, je k l e i n e r dessen R a d i u s u n d je g r ö ß e r p o s i t i v e L a d u n g ist, n i m m t z. B . in der R e i h e NaCl, Ionenbindung

MgClj,

A1C13,

SiCI«,

PC18,

SCI*

naturdessen

C1C1

Atombindung

v o n links n a c h rechts der S a l z c h a r a k t e r a b u n d der h o m ö o p o l a r e C h a r a k t e r zu, so d a ß ganz links reine I o n e n - u n d ganz rechts reine A t o m b i n d u n g vorliegt, während e t w a das dazwischenliegende Aluminiumchlorid einen ausgesprochenen U b e r g a n g s t y p darstellt. Die Tatsache, daß das e r s t e E l e m e n t einer Hauptgruppe weniger dem zweiten Element der g l e i c h e n als dem zweiten Element der f o l g e n d e n Hauptgruppe ähnelt, daß also z. B. die L i t h i u m v e r b i n d u n g e n mehr den M a g n e s i u m - als den N a t r i u m v e r b i n d u n g e n und die B e r y l l i u m v e r b i n d u n g e n mehr den A l u m i n i u m - als den M a g n e s i u m v e r b i n d u n g e n gleichen (,,Schrägbeziehung" im Periodensystem, vgl. S. 438), beruht mit auf dieser d e f o r m i e r e n d e n W i r k u n g d e r K a t i o n e n , da in diesen Fällen die durch die Z u n a h m e d e s K a t i o n e n r a d i u s (Li' —> Na"; Be" —> Mg") bedingte Verringerung der deformierenden Wirkung durch eine entsprechende Z u n a h m e d e r K a t i o n e n l a d u n g (Na' — Mg"; Mg" —>- AI"*) wieder kompensiert wird. Die Deformierbarkeit eines A n i o n s n i m m t bei gegebenem Kation mit der Größe des R a d i u s und der n e g a t i v e n L a d u n g zu. Daher besitzen z. B. die S u l f i d e weniger Salzcharakter als die C h l o r i d e und O x y d e und die J o d i d e weniger Salzcharakter als die B r o m i d e .

Die chemische Bindung

157

Metallbindung/Ionenbindung. Ersetzen wir im N a t r i u m c h l o r i d NaCl nicht wie im vorigen Fall das N a t r i u m , sondern das C h l o r der Reihe nach durch die übrigen Elemente der 3. Periode des Periodensystems: NaCl, Na2S, Na3P, NaxSi, NaxAl, NaxMg, NaNa, Ionenbindung

Metallblndung

so kommen wir von der r e i n e n I o n e n b i n d u n g über l e g i e r u n g s a r t i g e Ü b e r g a n g s t y p e n hinweg zur r e i n e n M e t a l l b i n d u n g . Schematisch läßt sich dieser Ubergang analog dem vorher formulierten wie folgt wiedergeben: [A]+[:B]~

>

Ionenbindung

[A]+:B

[A]+: [B]+.

Übergangsbindung

Metallbindung

Es erfolgt also dabei ein allmählicher Übergang von gebundenen Elektronen in freie Leitungselektronen. Atombindung/Metallbindung. In analoger Weise kann auch ein allmählicher Übergang der A t o m b i n d u n g in die M e t a l l b i n d u n g erfolgen: [A:B]

(+) (+)

—v

Atomblndung

[A : B]

—>•

[A] + :[B]+,

Ubergangsbindung

Metallblndung

wie man etwa an der Reihe der Elemente C1C1,

Atombindung

SS,

PP,

SiSi,

A1A1,

MgMg,

NaNa

Metallbindung

sieht, die vom h o m ö o p o l a r e n C h l o r über das bereits den elektrischen Strom leitende Nichtmetall S i l i c i u m zum m e t a l l i s c h e n N a t r i u m führt.

b) Verbindungen höherer Ordnung Verbindungen, wie die bis jetzt besprochenen, bei denen durch entsprechenden Elektronenausgleich für die beteiligten Bindungspartner erstmals Edelgasschalen erreicht werden, heißen „Verbindungen erster Ordnung". Die Fähigkeit der Atome zur Bindung anderer Atome ist aber nach Bildung dieser Verbindungen n o c h n i c h t e r s c h ö p f t . Insbesondere sind die K a t i o n e n und A n i o n e n von S a l z e n imstande, durch Aufnahme von Atomen und Atomgruppen in „Komplex-ionen" („Verbindungen höherer Ordnung") überzugehen. a ) Komplexbildung am Anion Die k o o r d i n a t i v e B i n d u n g Daa Chlor-ion im Natriumchloridmolekül enthält v i e r f r e i e E l e k t r o n e n p a a r e : [Na]+[:C1:]~, die zur Auffüllung unvollständiger Elektronenschalen anderer Atome dienen können. Lagern wir etwa an diese Elektronenpaare 1, 2, 3 oder 4 S a u e r s t o f f a t o m e an, deren E l e k t r o n e n s e x t e t t dabei zu einem O k t e t t ergänzt wird, so gelangen wir zu folgenden vier Verbindungen höherer Ordnung: : C1:6 : Na+

:Ö:CI:Ö:

Na+

: 0: :Ö:C1:Ö:

: 0: Na+

: Ö: C1: Ö: " :Ö: "

die wir als Natrium-hypochlorit, -chlorit, -chlorat und -perchlorat bereits kennengelernt haben (S. 120).

158

Die Elektronentheorie der Valenz

Auch bei diesen neu in das Molekül eintretenden Atomen erfolgt die Bindung wie bei der Atombindung durch ein g e m e i n s a m e s E l e k t r o n e n p a a r . Die Bindung u n t e r s c h e i d e t sich aber insofern von der A t o m b i n d u n g , als bei letzterer j e d e s der beiden v e r b u n d e n e n A t o m e ein E l e k t r o n zur B i n d u n g b e i s t e u e r t (A • + • B —>+ _A: B ) , während hier beide E l e k t r o n e n von einem Atom s t a m m e n

(A: + B —>- A: B). Formal kann man sich das Zustandekommen der Bindung so vorstellen, daß zunächst wie bei der Ionenbindung der Übergang eines Elektrons vom einen zum anderen Atom hin erfolgt (1), worauf sich die entstandenen Teilchen durch eine normale Atombindung miteinander verknüpfen (2): A: +

B -

+ A- +

A- +

-B-

A: B

A: +

B

-B

(1)

(2)

+ A:B

(3) Wie die Gesamtgleichung (3) zeigt, führt die beschriebene Anlagerung eines Atoms an ein freies Elektronenpaar im Endeffekt zu einer p o s i t i v e n L a d u n g für das e l e k t r o n e n p a a r - l i e f e r n d e und einer n e g a t i v e n L a d u n g für das e l e k t r o n e n p a a r - a u f n e h m e n d e Atom 1 . Die zustandegekommene Bindung unterscheidet sich somit von der reinen Atombindung und wird daher als „koordinative Bindung" (,,semipolare Doppelbindung"; vgl. S. 159) von dieser unterschieden. Die Zahl u n d A r t der infolge k o o r d i n a t i v e r B i n d u n g e n an einem A t o m a u f t r e t e n d e n fiktiven L a d u n g e n ( „ f o i m a l e L a d u n g s z a h l c n " ) l ä ß t sich bei einer gegebenen E l e k t r o n e n f o r m e l — wie man a m Beispiel (3) nachprüfen kann — leicht in der W e i s e e r m i t t e l n , d a ß m a n die z u jedem gebundenen A t o m gehörenden E l e k t r o n e n z u s a m m e n z ä h l t (wobei g e m e i n s c h a f t l i c h e E l e k t r o n e n p a a r e halb z u m einen und halb zum anderen A t o m zu rechnen sind) und die so e r h a l t e n e E l e k t r o n e n z a h l m i t der Z a h l der E l e k t r o n e n des n e u t r a l e n freien A t o m s v e r g l e i c h t (s. a u c h die folgenden Beispiele).

In ähnlicher Weise wie an das C h l o r i d - i o n Sulfid-ion

, Phosphid-ion : P:

: Cl:

können z. B. auch an das

und S i l i c i d - i o n

: Si:

Sauer-

stoffatome angelagert werden. Die Endglieder [X0 4 ] n ~ haben dabei, wenn wir zugleich die bei der koordinativen Bindung auftretenden formalen Ladungszahlen (s. oben) berücksichtigen, folgende E l e k t r o n e n f o r m e l n : : O: - +j-f :0

Cl 0 :

: O:

:0:

Na+

:O:S : 0 :

:Ö:

: Ö:

Perchlorat

Sulfat

Na+ Na+

:Ö:P:Ö: : Ö:

Na+ Na+ Na+

Phosphat

:Ö:SiÖ: : 0:

Na+ Na+ Na+ Na+

(4)

Silicat

Die Valenzstrichformel Schreiben wir die Elektronenformeln (4) in V a l e n z s t r i c h f o r m e l n um, indem wir für j e d e A t o m b i n d u n g (gemeinsames Elektronenpaar) und für j e d e I o n e n bindung (Plus-Minus-Zeichen) je einen Valenzstrich zeichnen (vgl. S. 148 und S. 151), so kommen wir zu den Formelbildern: 0==C1—O—Na

CK

.O-Na

CF

X)-Na

O—Na 0=P(-0-Na \0-Na

.0-Na /,0-Na 5 ~ 0 —Na • M)-Na

(5)

1 Bei symmetrischer Verteilung des bindenden Elektronenpaares sind die Ladungen gleich Elementarladungen, andernfalls (vgl. S. 153 f.) kleiner.

Die chemische Bindung

159

Wie leicht ersichtlich, ergeben diese — früher ausschließlich und heute noch weitgehend verwendeten — Valenzstrichformeln hier wie überhaupt bei Verbindungen höherer Ordnung ein vollkommen f a l s c h e s B i l d von dem Aufbau der Moleküle. So scheinen die vier obigen Verbindungen nach den V a l e n z s t r i c h f o r m e l n (5) eine voneinander ganz v e r s c h i e d e n e K o n s t i t u t i o n zu haben, während sie nach den E l e k t r o n e n f o r m e l n (4) in Wirklichkeit alle vier ein vollkommen g l e i c h a r t i g und s y m m e t r i s c h a u f g e b a u t e s A n i o n [ X 0 4 ] " - enthalten, welches beim Auflösen in Wasser als g e s c h l o s s e n e s G a n z e s auftritt. Es ist daher zweckmäßig, mindestens bei den Verbindungen höherer Ordnung v o n V a l e n z s t r i c h f o r m e l n g a n z a b z u s e h e n und an deren Stelle die E l e k t r o n e n f o r m e l n zu setzen. Man kann dabei diese Elektronenformeln dadurch w e i t g e h e n d v e r e i n f a c h e n , daß man alle Elektronen und Ladungen wegläßt und die Verbindungen durch „ K o m p l e x f o r m e l n " : 0 0 C1 0 Na 0

o OSO 0

Na2

0 0 P 0 Na, 0

'

o 0 Si 0 0

zum Ausdruck bringt. Die „komplexe Schreibweise" wurde von dem deutschschweizerischen Chemiker A L F R E D W E E N E R (1866—1919) schon lange vor Kenntnis der Elektronenformeln eingeführt. Will man für Verbindungen höherer Ordnung unbedingt Valenzstrichformeln gebrauchen, so symbolisiert man die gemäß (3) aus einer A t o m - und einer Ionenbindung bestehende koordinative Bindung — die man zum Unterschied von der aus zwei Ionen bin düngen (S. 148) bestehenden „polaren Doppelbindung" (z.B. [Ca] + +

O u n d

zwei Atombindungen (S. 150) aufgebauten „nichtpolaren Doppelbindung" (z.B.

der aus 0::0)

auch als „halbpolare Doppelbindung" („semipolare Doppelbindung") bezeichnet — zweckmäßig nicht durch einen Doppelstrich, sondern durch einen vom elektronenpaar-abgebenden zum elektronenpaar-aufnehmenden Atom hinweisenden P f e i l ; z. B.: - MeO), so b e r u h t d i e O x y d b i l d u n g n a c h d e r E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z auf einem Ü b e r g a n g v o n E l e k t r o n e n ( 0 ) vom M e t a l l a t o m zum S a u e r s t o f f a t o m : Me >• Me++ + 2 © 20 + 0 >- 0 " Me + O >- Me++0~. Das S a u e r s t o f f a t o m entzieht dem Metallatom Elektronen, da es das Bestreben hat, sich durch Aufnahme zweier Elektronen eine A c h t e r s c h a l e aufzubauen (S. 145ff.). Nun haben auch a n d e r e S t o f f e dieses Bestreben. Daher kann man dem Metall auch mit Hilfe z. B. von C h l o r seine Valenzelektronen entreißen: © + C1—> Cl". Es liegt nahe, den dabei sich ergebenden Gesamtvorgang Me + Cl2 —>- MeCl2 e b e n f a l l s als eine O x y d a t i o n des Metalls zu bezeichnen. In der Tat hat man schon früher von einer „Oxydationswirkung" des Chlors und von einem „Verbrennen" von Metallen im Chlorstrom gesprochen. Die Schwierigkeit, daß solche sauerstoff-freien Oxydationsmittel wie das Chlor entgegen der ursprünglichen Definition keine s a u e r s t o f f - ü b e r t r a g e n d e n Mittel sind, umging man durch eine Erweiterung des Begriffs eines Oxydationsmittels, indem man in Analogie zur wasserstoff-entziehenden Wirkung des Sauerstoffs ganz allgemein w a s s e r s t o f f - e n t z i e h e n d e Mittel (Chlor ist z. B. ein solches Mittel: Cl2 + H 2 — > - 2HC1) als O x y d a t i o n s m i t t e l bezeichnete (S. 61). 11*

164

Die Gruppe der Chalkogene

Nach der n e u e n D e f i n i t i o n besteht die Oxydation in einem Entzug von Elektronen und die oxydierende Wirkung eines Oxydationsmittels in dessen elektronenentziehender Wirkung. In diese Definition fügen sich das C h l o r und andere s a u e r s t o f f - f r e i e O x y d a t i o n s m i t t e l nunmehr zwanglos ein. Der elektronen-entziehende Stoff braucht dabei kein n e u t r a l e s A t o m , sondern kann z. B . auch ein g e l a d e n e s I o n sein. So haben beispielsweise d r e i f a c h g e l a d e n e E i s e n - i o n e n das Bestreben, durch Aufnahme je eines Elektrons in z w e i f a c h g e l a d e n e ü b e r z u g e h e n : © + Fe+++

>- Fe++.

Daher bezeichnet man auch E i s e n ( I I I ) - s a l z e als O x y d a t i o n s m i t t e l . Ebenso kann der Entzug von Elektronen auch ohne direkte Zuhilfenahme chemischer Stoffe e l e k t r o l y t i s c h mittels einer Anode erfolgen („anodische Oxydation"), da die Anode als positive Elektrode ganz allgemein der Lösung Elektronen entzieht und sie an den positiven Pol der Stromquelle abführt. Die gleiche Entwicklung hat der Begriff der Reduktion durchgemacht. Ursprünglich (S. 44) bedeutete die Reduktion das R ü c k g ä n g i g m a c h e n der O x y d a t i o n 1 . Läßt man z. B. auf ein Metalloxyd bei erhöhter Temperatur W a s s e r s t o f f einwirken, so wird es zu Metall reduziert (MeO + H 2 — > - Me + H 2 0 ) . Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z beruht dieser Vorgang darauf, daß das Metall die bei der Oxydation a b g e g e b e n e n E l e k t r o n e n wieder z u r ü c k e r l a n g t : M e + + 0 — + 2 H — M e + H + 0 " H + bzw. M e + + - f - 2 H — > - M e - ( - 2 H + , indem der vorher u n g e l a d e n e W a s s e r s t o f f unter Bildung von W a s s e r s t o f f - i o n e n seine Außenelektronen an das Metall abgibt: 2H —>- 2H + + 2 © Me++ + 2 Q -—>- Me 2 H + Me+ +

>- 2H+ + Me,

worauf sich die gebildeten Wasserstoff-ionen mit den Sauerstoff-ionen des Metalloxyds zu Wasser vereinigen (2H+ + O —H20). Statt durch W a s s e r s t o f f kann nun die Zufuhr von Elektronen z. B . auch mittels N a t r i u m erfolgen: Na Na+ + © , weshalb man ein Metalloxyd auch mit Hilfe von N a t r i u m zum Metall r e d u z i e r e n kann. Somit ergibt sich die Reduktion nach der erweiterten Definition als eine Zufuhr von Elektronen und ein Reduktionsmittel als ein elektronen-zuführendes Mittel. Auch g e l a d e n e I o n e n — z. B. zweifach geladene Chrom-ionen, die das Bestreben haben, in dreifach geladene überzugehen — : Cr++

Cr+++ +

©

können daher Reduktionsmittel sein. Ebenso stellt bei einer Elektrolyse die K a t h o d e ein Reduktionsmittel dar („kathodische Reduktion"), weil die Kathode als negative Elektrode diejenige Elektrode ist, welche die vom negativen Pol der Stromquelle kommenden Elektronen der Lösung zuführt. — Die entwickelten Definitionen der Oxydation bzw. Reduktion und des Oxydationsmittels bzw. Reduktionsmittels können zu der Gleichung Reduktionsmittel -
- Z n " + Cu.

(1) (2) (3)

Zink reduziert also die Kupfer-ionen zu metallischem Kupfer. Taucht man aber umgekehrt einen K u p f e r s t a b in eine Z i n k s u l f a t l ö s u n g , so ist das Kupfer nicht imstande, die Zink-ionen zu Zink zu reduzieren. Wohl aber wirkt es beispielsweise gegenüber S i l b e r - i o n e n a l s Reduktionsmittel: Cu — > - Cu" + 2 © 2 Q + 2 A g ' • — > 2Ag Cu + 2 Ag'

>• Cu" + 2 A g .

Will man diese unterschiedliche Oxydations- und Reduktionswirkung z a h l e n m ä ß i g erfassen, so muß man nach der t r e i b e n d e n K r a f t des Elektronenübergangs' fragen. Die Tatsache, daß Zink an Kupfer-ionen Elektronen abzugeben imstande ist, daß also zwischen dem Zinksystem (1) und dem Kupfersystem (2) ein elektrischer Strom fließt, zeigt, daß zwischen beiden Systemen eine S p a n n u n g („Potentialdifferenz") besteht. Denn ein S t r o m — handele es sieh um einen W a s s e r - , W ä r m e - , G a s - oder E l e k t r i z i t ä t s s t r o m — fließt nur beim Vorhandensein eines „Niveau"-Unterschieds (Höhen-, Temperatur-, Druck-, P o t e n t i a l d i f f e renz), nämlich v o m h ö h e r e n zum t i e f e r e n N i v e a u h i n . Die zwischen Zink und Kupfer vorhandene Spannung oder Potentialdifferenz läßt sich beim bloßen Eintauchen eines Zinkstabs in eine Kupfersulfatlösung experimentell nicht messen, weil sich der Elektronenaustausch zwischen Atom und Atom, also innerhalb a t o m a r e r D i m e n s i o n e n abspielt. T r e n n t man aber das Zinksystem (1) r ä u m l i c h von dem Kupfersystem (2), indem man — vgl. Fig. 54 — einen Zinkstab in eine Zinksulfatlösung und einen Kupferstab in eine Kupfersulfatlösung eintaucht und die beiden Lösungen durch eine poröse Scheidewand („Diaphragma") voneinander scheidet („DAN/ELL-Element"), so kann das Zink seine Elektronen nur auf dem Wege über einen das Zink mit dem Kupfer verbindenden ä u ß e r e n S c h l i e ß u n g s d r a h t an die Kupfer-ionen abgeben. Der chemische Vorgang ist dabei d e r s e l b e (3) wie im Reagensglas; die vorhandene Potentialdifferenz läßt sich aber zum Unterschied von dort durch Anlegen einer Gegenspannung an die beiden Elektroden m e s s e n . Sie hat im vorliegenden Fall, falls die Konzentration an Zink- und Kupfer-ionen je 1 Gramm-ion pro Liter beträgt, den Wert 1.11 Volt. Und zwar besitzt das Z i n k das h ö h e r e , das K u p f e r das t i e f e r e Potential, da die Elektronen in der Richtung des Pfeils (Fig. 54) vom Zink zum Kupfer hin fließen (vgl. Fig. 58, S. 173). Die P o t e n t i a l d i f f e r e n z zwischen den beiden E l e k t r o d e n kann mit der D r u c k d i f f e r e n z zwischen zwei mit Gas von verschiedenem Druck gefüllten G a s b e h ä l t e r n verglichen

166

Die Gruppe der Chalkogene

werden. Wie sich beim Öffnen eines Verbindungsrohrs zwischen beiden Behältern der Gasdruck durch Fließen eines Gasstroms vom Behälter mit höherem zum Behälter mit niederem Druck ausgleicht, fließt auch hier bei leitender Verbindung von Zink und Kupfer das ,,Elektronengas" (vgl. S. 154) vom Zink, der Stelle höheren ,,Elektronendrucks", zum Kupfer, der Stelle niederen „Elektronendrucks" (vgl. E. W I B E R G , „Die chemische Affinität").

Kombiniert man d a s K u p f e r statt mit Zink mit S i l b e r CS 165). so fließt der Strom in u m g e k e h r t e r Richtung (Fig. 55), und die Potentialdifferenz hat bei Anwendung 1-molarer Ionenlösungen den Wert 0.46 Volt. Z i n k und S i l b e r lassen sich ihrerseits in analoger Weise zu einem „galvanischen Element" zusammenstellen, dessen „elektromotorische Kraft" (EMK) gleich 1.57 Volt, also gleich der Summe der beiden anderen Potentialdifferenzen (1.11 + 0.46 = 1.57) ist und dessen Elektronenstrom vom Zink zum Silber fließt. Eine W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e , d. h. eine von Wasserstoff bei Atmo/it/sserer ScMiessungsdraht.; >

''' l ' |

Zn Cu ZnZin/rstab * — t 1 f M — * tfupfersfab • •| Zinksu/fafMpfc/xv/fat1 /,'ösung ' /¿¡su/jg Zn" \ Cum • Kj \

Fig. 54. Galvanisches Zink-Kupfer-Element

H,-

Äusserer SchHessungsdraht^

1,57

1,11

0J6 Volt willkürliche Null-Linie des Fbtentials 0J5

08f Volt

CuSilberstab

tfupfers/ab

Siibernilrat/ösung

©6

Volt

Ayp/èrsu/fòt- ^ /ösung Diaphragma

Fig. 55. Galvanisches Silber-Kupfer-Element

Fig. 56. Wahl eines willkürlichen Nullpunktes der Spannungsreihe

Sphärendruck umspülte und in eine 1-normale Wasserstoffionenlösung eintauchende Platinelektrode („Normal-Wasserstoffelektrode") liefert mit Z i n k bzw. K u p f e r bzw. S i l b e r galvanische Elemente der elektromotorischen Kraft 0.76 bzw. 0.35 bzw. 0.81 Volt, wobei der Elektronenstrom im ersten Fall vom Metall zum Wasserstoff, in den beiden letzten Fällen vom Wasserstoff zum Metall fließt. Auch an der Grenzfläche der Kathoden- und Anodenflüssigkeit tritt jeweils eine kleine Potentialdifferenz (,,Diffusionspotential") auf. Bezüglich dieser Potentialdifferenz, die hier außer acht gelassen wurde, vgl. die Lehrbücher für physikalische Chemie.

Trägt man die obigen Ergebnisse nach Art der Fig. 56 maßstäblich auf, so erhält man eine „elektrochemische Spannungsreihe", in welcher jedes h ö h e r s t e h e n d e Element an die t i e f e r s t e h e n d e n Elemente Elektronen abzugeben imstande ist, und aus welcher die jeweilige P o t e n t i a l d i f f e r e n z eines galvanischen Elements, die ein Maß für die „freie Energie" (S. 46) des dem Element zugrunde liegenden elektrochemischen Vorgangs — ausgedrückt in „Elektronenvolt" (S. 507) — darstellt, ohne weiteres zu entnehmen ist. Natürlich sind bei der geschilderten Versuchsanordnung nur P o t e n t i a l d i f f e r e n z e n meßbar. Die a b s o l u t e n Potentialwerte der einzelnen Elektroden bleiben hierbei

Der Sauerstoff

167

unbekannt. Ihre Kenntnis ist aber auch nicht erforderlich, da bei galvanischen Elementen nur die elektromotorische Gesamtkraft interessiert. Es genügt daher, einen willkürlichen N u l l p u n k t festzusetzen, so wie man etwa zur T e m p e r a t u r m e s sung statt des absoluten Nullpunktes die Temperatur des schmelzenden E i s e s und zur Höhenmessung statt des Erdmittelpunktes die Höhe des Meeresspiegels als willkürlichen Nullpunkt wählt. Bei der Spannungsreihe hat man sich dahin entschieden, das Potential einer N o r m a l - W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e bei 25° als Nullpunkt festzulegen (vgl. Fig. 56); man hätte aber genau so gut auch das Potential des S i l b e r s oder K u p f e r s zum Nullpunkt der Skala machen können. Zur Unterscheidung voneinander erhalten die Potentiale aller in der Spannungsreihe über dem Wasserstoff stehenden Elemente ein n e g a t i v e s , die aller darunter stehenden Elemente ein positives Vorzeichen. Zink, Kupfer und Silber haben demnach, bezogen auf die Wasserstoffelektrode als Nullelektrode, in 1-molarer Metallionenlösung bei 25° „Normalpotentiale" von—0.76 bzw. + 0 . 3 5 bzw. +0.81 Volt. Spannungs r e i h e von Metallen Nebenstehende erweiterte Spannungsreihe enthält eine Zusammenstellung der N o r m a l p o t e n t i a l e e0 Red - < Ox. + © E (Volt) einiger wichtiger Metalle, geordnet nach der Höhe K" K + © - 2.92 dieser Normalpotentiale. Sie beziehen sich alle auf > Ca" + 2 © - 2.87 Ca 25°, auf 1-molare Metallionenlösungen und auf die Na' + © - 2.71 Na - < Normal-Wasserstoffelektrode als Nullpunkt und sind Mg - < - - > Mg" + 2 © - 2.34 ein Maß für die oxydierende bzw. reduzie->AI'" + 3 © - 1.67 rende K r a f t des betreffenden Redoxsystems. J e AI - < - - > Mn" + 2 © - 1.05 Mn - < höher (tiefer) das System in der Spannungsreihe - v Zn" + 2 © - 0.76 Zn steht, d. h. je negativer (positiver) sein NormalCr'" + 3 © - 0 . 7 1 potential ist, um so s t ä r k e r ist seine reduzierende Cr < F e " + 2 © - 0.44 Fe (oxydierende) Wirkung. Die an der S p i t z e der - 0.40 + 2 © Cd" Cd Reihe stehenden Metalle sind demnach besonders + 2 © - 0.28 Co" Co - - Au" + 3 © + 1.42 P t " + 2 © + 1.60 20 Systemen der oben angegebenen Spannungsreihe Pt - < insgesamt (20 X 19) : 2 = 190 Kombinationen bilden lassen, sind wir an Hand der obigen Tabelle in der Lage, nahezu zweihundert chemische Reaktionen vorauszusagen. Greifen wir etwa die Reduktion von Wasserstoff-ionen zu elementarem Wasserstoff, also die E n t w i c k l u n g von W a s s e r s t o f f aus Säuren heraus, so kommen hierfür nur die in der Spannungsreihe über dem S y s t e m 2H' + 2 © -7-*- H 2 stehenden Metalle Blei bis Kalium, nicht aber die darunter stehenden Metalle Kupfer bis Platin in Frage. So kann man z. B. durch Einwirkung von Zink oder E i s e n auf Säuren W a s s e r s t o f f erzeugen (S. 39): Zn >• Zn" + 2 © 2 Q + 2 H ' — > - H2 Zn + 2 H '

>• Zn" + H 2 ,

während die reduzierende Kraft von K u p f e r und S i l b e r zur Entladung von Wasserstoff-ionen nicht ausreicht, so daß sich diese Metalle in Säuren nicht unter Wasserstoffentwicklung auflösen, sondern umgekehrt aus den Lösungen ihrer Salze duroh

168

Die G r u p p e der Chalkogene

Wasserstoff (unter Druck) ausgefällt werden können. In ähnlicher Weise kann man z . B . K u p f e r aus Kupfersalzlösungen durch E i s e n (vgl. S. 451) und S i l b e r aus Silbersalzlösungen durch Zink (vgl. S. 457), nicht aber etwa C a d m i u m aus Cadmiumsalzlösungen durch B l e i niederschlagen. Auch für Nichtmetalle läßt sich eine Spannungsreihe aufstellen. Auch hier befinden sich oben die s t a r k e n R e d u k t i o n s - und u n t e n die s t a r k e n O x y d a t i o n s m i t t e l . So ist nach der nebenstehenden Tabelle z. B. das Spannungsreihe F l u o r ein viel stärkeres Oxydationsmittel als etwa von N i c h t m e t a l l e n Chlor oder Brom + — +•oder J o d und der S c h w e f e l - v Ox.

Red.

Te" Se" S" 2 J' 2Br' 2C1' 2F'

- J Oxydationsmittel aus seinen Ionen freimachen, welche 2 ->Br 2 in der Spannungsreihe darunterstehen. Daher kann ->Cl 2 z. B. das Brom aus Jodiden J o d und das Chlor aus ->F2 Bromiden Brom in Freiheit setzen, nie umgekehrt. Das F l u o r , welches das p o s i t i v s t e P o t e n t i a l aller Oxydationsmittel überhaupt besitzt, kann dieser Stellung in der Spannungsreihe gemäß überhaupt n i c h t auf c h e m i s c h e m W e g e , sondern nur durch eine Anode entsprechend positiven Potentials, also durch a n o d i s c h e O x y d a t i o n aus Fluoriden gewonnen werden (S. 86). Weiterhin können Redoxsysteme in Ionen-Umladungen und in komplizierteren chemischen Vorgängen bestehen. Auch hierfür seien in den nachfolgenden beiden Spannungsreihen einige Beispiele gegeben: --

Spannungsreihe von I o n e n u m l a d u n g e n Ox. + -V Cr"" +

Red. Cr" V" Sn" Cu Fe" Hgs" Pb" Co"

y -

--

-v

- > -

NOs' HCr04' Mn02 Pb02 CIO,' MnO/

o3

+ + + + + + + +

4H' 4H' 7H' 4H' 4H' 6H' 8H' 2H'

+

©

+ + + + + + + +

2 ©

3© 3 2 2 6

© © © © ö © 2 ©

«0 + + + + + + + +

0.20 0.95 1.36 1.35 1.46 1.44 1.52 ! .07

Die F o r m u l i e r u n g komplizierterer R e d o x s y s t e m e setzt die K e n n t n i s der höheren u n d tieferen O x y d a t i o n s s t u f e des b e t r e f f e n d e n R e d o x s y s t e m s voraus. Sie erfolgt zweckmäßig in der Weise, d a ß m a n links die tiefere (z. B. N O ; P b " ; 0 2 ) , rechts die höhere O x y d a t i o n s s t u f e ( N 0 3 ' ; P b 0 2 ; 0 3 ) hinschreibt u n d d a n n links die d e m S a u e r s t o f f u n t e r s c h i e d zwischen höherer u n d tieferer O x y d a t i o n s s t u f e (2; 2 ; 1) entsprechende Zahl von Wassermolekülen h i n z u f ü g t , was r e c h t s eine entsprechende Zahl von Wasserstoff-ionen (4; 4 ; 2) ergibt. Aus den L a d u n g s u n t e r s c h i e d e n zwischen der linken u n d rechten Seite des Redoxsystems folgt n u n m e h r zwangsläufig die bei dem Vorgang umgesetzte Zahl von Elektronen (3; 2; 2), die zugleich die Änderung d e r „Oxydationsftufe" (S. 169f.) des b e t r a c h t e t e n Redoxsystems wiedergibt. Dieses Verfahren der Ableitung von Redoxgleichungen ergibt sich d a r a u s , d a ß die in U m kehrung der Redoxgleichung bei der O x y d a t i o n s w i r k u n g eines O x y d a t i o n s m i t t e l s (etwa 0 3 ) abgegebenen S a u e r s t o f f a t o m e d u r c h A u f n a h m e von E l e k t r o n e n ( O x y d a t i o n = E n t z u g von E l e k t r o n e n ) in Sauerstoff-ionen übergehen (O + 2 © >- 0 " ) , welche in wässeriger Lösung als solche nicht beständig sind, sondern m i t Wasserstoff-ionen zu Wasser z u s a m m e n t r e t e n (O" + 2 H' — H 2 0 ) .

Der Sauerstoff

169

Die Kenntnis der R e d o x s y s t e m e und ihrer N o r m a l p o t e n t i a l e erleichtert sehr die A u f s t e l l u n g v o n O x y d a t i o n s - R e d u k t i o n s g l e i c h u n g e n . Z. B. folgt aus den Werten der Normalpotentiale, daß man bei den Einheiten der Konzentration mit Hilfe von P e r m a n g a n a t in s a u r e r Lösung aus C h l o r i d e n C h l o r in Freiheit setzen kann (vgl. S. 81). Die Gleichung dafür ergibt sich in einfacher Weise aus den beiden in Frage kommenden Redoxsystemen, indem man zuerst das e l e k t r o n e n a b g e b e n d e und darunter das e l e k t r o n e n - a u f n e h m e n d e S y s t e m formuliert und dann die beiden Reaktionsgleichungen mit solchen Faktoren multipliziert, daß die Zahl der abgegebenen und aufgenommenen Elektronen einander entspricht: X

2 Cl' Mn0 4 ' + 8H" + 5 0

5

x 2

2Mn0 4 ' + 16H' + 10C1'

Cl2 + 2 © Mn" + 4 H 2 0 2Mn" + 5C12 +

(4) (5) (6)

8H20.

Als weiteres Beispiel sei etwa die Auflösung von K u p f e r in S a l p e t e r s ä u r e angeführt, die gemäß den Gleichungen x 3 X

2

Cu N03' + 4H' + 3 © 3Cu + 2 N 0 3 ' + 8H°

Cu"+ 2 © NO + 2 H 2 0 3Cu" + 2NO +

4H20

nicht unter W a s s e r s t o f f - , sondern unter S t i c k o x y d e n t w i c k l u n g vor sich gehen muß, da das Kupfer als edles Metall zum Unterschied vom Z i n k oder E i s e n (vgl. S. 167) nicht von den W a s s e r s t o f f - i o n e n , sondern von der S a l p e t e r s ä u r e oxydiert wird (vgl. S. 235f., 240f.). Entsprechend der Größe des Normalpotentials kann man die Reduktions- und Oxydationsmittel in s t a r k e , m i t t e l s t a r k e und s c h w a c h e Reduktions- (Oxydations-)Mittel einteilen. Es gelten dabei etwa folgende P o t e n t i a l b e r e i c h e : Bezeichnung

Potentialbereich

Starke Reduktionsmittel

Beispiele

< — 0.5 Volt

Na, AI, Zn

Mittelstarke Reduktionsmittel . . . .

- 0.5 bis T 0.0 Volt

H 2 S, Fe, H 2

Schwache Reduktionsmittel Schwache Oxydationsmittel

T 0.0 bis + 0.5 Volt + 0.5 bis + 1.0 Volt

J » F e ' " , Ag"

Mittelstarke Oxydationsmittel . . . .

+ 1.0 bis + 1.5 Volt

Starke Oxydationsmittel

Sn

Cu, H J

Cr0 4 ", MnOj, Cl2 Mn0 4 ', 0 3 ) F 2

> + 1.5 Volt

Die O x y d a t i o n s s t u f e Ein für den Chemiker recht nützlicher Begriff ist der Begriff der „Oxydationsstufe" („0xydationszahl", „Oxydationsgrad", ,,Oxydationswert", „Ladungswert", „elektrochemische Wertigkeit"). Man versteht darunter diejenige Ladung, die ein Atom in einem Molekül besäße, wenn das Molekül aus lauter Ionen aufgebaut wäre. So besitzt z. B. der S c h w e f e l in der D i t h i o n s ä u r e (H 2 S 2 0 6 ) die Oxydationsstufe -f- 5 (2H 1 + + 6 0 2 _ + 2 S 6 + ) , das M a n g a n im P e r m a n g a n a t i o n (Mn0 4 ~) die Oxydationsstufe + 7 (40 2 ~ + Mn 7 + ) und der S t i c k s t o f f im A m m o n i u m c h l o r i d (NH4C1) die Oxydationsstufe — 3 (4H 1 + + Cl 1 - + N 3 - ). Man pflegt diese elektrochemischen Wertigkeiten als kleine arabische Ziffern über das betreffende Elementsymbol zu setzen: H2S206,

KMn0 4 ,

NH 4 C1.

Die in der Spannungsreihe der verschiedenen Redoxsysteme beim Übergang der niederen in die höhere Oxydationsstufe freiwerdende Zahl von Elektronen (S. 168)

Die Gruppe der Chalkogene

170

gibt den Wertigkeitswechsel wieder, der sich bei dem Redoxvorgang abspielt; so werde» z. B. beim Übergang von Mangan(II)-salz in Permanganat 5 Elektronen frei, weil das Mangan dabei aus der Oxydationsstufe + 2 in die Oxydationsstufe + 7 übergeht: + 2

+ 7

Mn" + 4 H 2 0 > Mn0 4 ' + 8H" + 5 Q. Zur E r h ö h u n g der Oxydationsstufe ist stete ein O x y d a t i o n s m i t t e l , zur E r n i e d r i g u n g ein R e d u k t i o n s m i t t e l erforderlich; +4

+5

die Überführung von schwefliger Säure H 2 S0 3 in Dithionsäure H 2 S 2 0 8 (S. 212) kann also z. B. nur mit Hilfe eines O x y d a t i o n s m i t t e l s bewerkstelligt werden. Bei g l e i c h z e i t i g e r O x y d a t i o n u n d R e d u k t i o n entspricht der Abnahme (Zunahme) der Oxydationsstufe des O x y d a t i o n s m i t t e l s (Reduktionsmittels) eine gleich große Zunahme (Abnahme) der Oxydationsstufe des o x y d i e r t e n (reduzierten) S t o f f s ; beispielsweise steht bei dem oben (S. 169) behandelten Fall der Oxydation von Salzsäure durch Permanganat zu Chlor (6) der Abnahme der Oxydationsstufe des Mangans um 2 X 5 = 10 Einheiten eine Zunahme der Oxydationsstufe des Chlors um 10 X 1 = 10 Einheiten gegenüber: 2Mn0 4 ' + 16H" + 10Cr - 2Mn" + 5(5l2 + 8 H 2 0 ; in analoger Weise müssen etwa bei der Disproportionierung von unterchloriger Säure zu Salzsäure und Chlorsäure (S. 124) auf je 1 Molekül Chlorsäure 2 Moleküle Salzsäure entstehen, + 1

+5

da der Ubergang von HCIO in HC10S eine Zunahme der Oxydationsstufe des Chlors + 1 - 1 um 4 Einheiten bedeutet, welche durch den Ubergang zweier Moleküle HCIO in HCl und die dadurch bedingte Abnahme der Oxydationsstufe des Chlors um 2 x 2 = 4 Einheiten kompensiert werden m u ß : 3HCIO 2HCl + HC10 S . Das durch den elektrochemischen Wertigkeitsunterschied dividierte Formelgewicht eines Oxydations- bzw. Reduktionsmittels nennt man „elektrochemisches Äquivalentgewicht" (vgl. (1), S. 161); es gibt den Anteil des Formelgewichts wieder, dem die Aufnahme (Abgabe) e i n e s Elektrons entspricht. Die dem elektrochemischen Äquivalentgewicht numerisch entsprechende G r a m m - m e n g e wird auch als „1 Oxydationsäquivalent" bzw. „1 Reduktionsäquivalent" bezeichnet. „1 Oxydationsäquivalent Kaliumpermanganat" stellt also 158.03: 5 = 31.606 g KMn0 4 , „1 Reduktionsäquivalent Kaliumjodid" 166.02: 1 = 166.02 g K J dar. Eine Lösung, die j e L i t e r 1 Oxydations- oder Reduktionsäquivalent enthält, bezeichnet man als eine „1-normale Lösung" eines Oxydations- bzw. Reduktionsmittels. Eine 1-normale Lösung eines Oxydations- bzw. Reduktionsmittels kann also je Liter 1 Grammatom (d. s. 0.00055 g = 96490 Coulomb; vgl. S. 93 u. 136) Elektronen aufnehmen bzw. abgeben. Dementsprechend verbrauchen a ccm einer ¿-normalen Lösung eines Oxydationsmittels bei der Titration (vgl. S. 117f.) mit einer gleichfalls 6-normalen Lösung eines Reduktionsmittels bis zum Äquivalenzpunkt genau ebenfalls a ccm dieser Lösung („Oxydimetrie"). Die K o n z e n t r a t i o n s a b h ä n g i g k e i t des E i n z e l p o t e n t i a l s Durch Ä n d e r u n g d e r K o n z e n t r a t i o n e n der an einem Redoxsystem beteiligten Reaktionspartner kann man den Zahlenwert des Normalpotentials und damit die o x y d i e r e n d e bzw. r e d u z i e r e n d e K r a f t eines Redoxsystems w i l l k ü r l i c h v e r ä n d e r n . Es gilt dafür bei Zimmertemperatur (25°) die „NERNST sehe Gleichung" , 0.059

e = e0 H

— log

cox CKed.

(7)

Hierin bedeutet f 0 das N o r m a l p o t e n t i a l (bei den Einheiten der Konzentration der Reaktionsteilnehmer), n die Zahl der in der Redoxgleichung a b g e g e b e n e n bzw.

Der Sauerstoff

171

a u f g e n o m m e n e n E l e k t r o n e n , Cox. bzw. CRed. das M a s s e n w i r k u n g s p r o d u k t (S. 105) der Konzentrationen — genauer: Aktivitäten (S. 107f.) — der Reaktionsteilnehmer auf der Oxydations- bzw. Reduktionsseite der Redoxgleichung und e das bei diesen Konzentrationen resultierende E i n z e l p o t e n t i a l . Bei den Einheiten der Kon0 059 zentration der Reaktionspartner folgt aus Gleichung (7) : e = e 0 -| : log 1 = e0 + 0 = e 0 , was der Definition von e0 entspricht. 5Q

Wenden wir Gleichung (7) beispielsweise auf das P e r m a n g a n a t s y s t e m (MnO^' + 8H' -fMn" + 4H a O) an, so ergibt sich die Beziehung 1 :

e = 1.5 + 0.012 log

X

CMn"

.

(8)

Man kann demnach bei gegebener Permanganat- und Mangan-ionenkonzentration die o x y d i e r e n d e K r a f t des Permanganats durch V e r g r ö ß e r u n g (Verkleinerung) der W a s s e r s t o f f i o n e n k o n z e n t r a t i o n nach Belieben erhöhen (erniedrigen). Und zwar nimmt das Potential bei Vergrößerung (Verkleinerung) der Wasserstoffionenkonzentration um je 1 Zehnerpotenz — entsprechend der Erniedrigung (Erhöhung) des p H -Wertes um 1 Einheit — um je 0.012 log 108 ä j 0.1 Volt zu (ab). So beträgt das Einzelpotential bei einer Wasserstoffionenkonzentration von IO-8 (z. B. in Vio n-Essigsäure) nicht mehr 1.5, sondern 1.5 — (3 x 0.1) = 1.2 Volt und bei einer Wasserstoffionenkonzentration von 10"® (z. B. in l /io n-Borsäure) nur noch 1.5 — (6 x 0.1) = 0.9 Volt. Dementsprechend vermag Permanganat bei einem pg-Wert 0 Chlorid zu Chlor (e0 = 1.4 Volt), Bromid zu Brom (e0 = 1.1 Volt) und J o d i d zu Jod (e 0 = 0.6 Volt) zu oxydieren ; bei einem p H -Wert 3 erstreckt sich dagegen die Oxydationswirkung nur noch auf das Bromid und J o d i d und bei einem pg-Wert 6 nur noch auf das Jodid. In analoger Weise kann die Oxydationskraft von Permanganat gemäß (8) durch Vergrößerung der Mn"-konzent r a t i o n herabgesetzt werden.

K o n s t a n t b l e i b e n d e K o n z e n t r a t i o n e n (wie z. B. die — verschwindend kleine — Konzentration einer Lösung an Metall bei Metallelektroden oder die Konzentration einer Lösung an Gas bei Gaselektroden von 1 Atmosphäre Druck) brauchen in die Massenwirkungsprodukte c 0 l . bzw. cRe(i. n i c h t m i t e i n g e s e t z t zu w e r d e n , da sie übereinkunftsgemäß als konstante Größen schon im Zahlenwert e0 des Normalpotentials m i t e n t h a l t e n s i n d . So gilt z. B. für Redoxsysteme des Typus Me Me" -f2 © (Me = Metall) die vereinfachte Beziehung : e = e0 + 0.029 log c Me ..

(9)

und für Gaselektroden des Typus 2 X ' ^ r ± : X 2 + 2 0 (X = Nichtmetall) bei 1 Atmosphäre Druck die vereinfachte Beziehung: £

= e0 — 0.029 log c*x. .

(10)

Danach wirkt ein kationen-bildendes Metall um so s t ä r k e r (schwächer) r e d u z i e r e n d , je k l e i n e r (größer) d i e I o n e n k o n z e n t r a t i o n der Lösung ist, während bei einem anionen-bildenden Nichtmetall umgekehrt die O x y d a t i o n s w i r k u n g mit a b n e h m e n d e r (zunehmender) Ionenkonzentration s t e i g t (fällt). Beim W a s s e r s t o f f (V2H2 < > H' + G) ergibt sich — da e0 = 0 ist — die Veränderung des Einzelpotentials mit der Wasserstoffionenkonzentration aus der Beziehung e = 0.059 log cHoder e = — 0.059 pR. (11) In r e i n e m W a s s e r (cH- = 10 - 7 ; p^ = 7) beträgt danach das Oxydationspotential des Wasserstoffs e = —0.059 X 7 = —0.41 Volt. Dementsprechend lassen sich die Wasserstoff-ionen des W a s s e r s nur durch solche Metalle zu elementarem Wasserstoff entladen, welche unedler als Cadmium (e0 = — 0.40 Volt) sind, z. B. durch A l k a l i - und 1 Die Konzentration des Wassers ist als Konstante (vgl. S. 110) schon mit in der Größe 1.5 enthalten.

Die Gruppe der Chalkogene

172

E r d a l k a l i m e t a l l e (vgl. S. 37f.). Die Zahl der zur Darstellung von Wasserstoff aus W a s s e r geeigneten Metalle ist also kleiner als die zur Wasserstoffgewinnung aus S ä u r e n in Frage kommende Zahl von Metallen. Die Tatsache, daß Stoffe wie M a g n e s i u m (S. 404), Aluminium (S. 384) oder Zink (S. 474) entgegen ihrer Stellung in der Spannungsreihe mit Wasser k e i n e n W a s s e r s t o f f e n t w i c k e l n , beruht darauf, daß das bei der Umsetzung gebildete u n l ö s l i c h e M e t a l l h y d r o x y d (Mg + 2HÖH—>- Mg(OH)2 + H 2 ) eine S c h u t z s c h i c h t um das Metall bildet (Fig. 57), welche den weiteren Angriff des Wassers verhindert, so | daß die Reaktion gleich nach Beginn zum Stillstand kommt. Löst man Maanpsium Hydroxydschicht durch Zugabe von Säure oder eines I""' anderen Lösungsmittels auf, so geht die Wasserstoffentwicklung weiter. Metalle wie die A l k a l i - oder E r d a l k a l i m e t a l l e , die --^Scfiutisch/dif l ö s l i c h e H y d r o x y d e bilden, können keine solche Schutzschicht ausbilden und reagieren daher mit Wasser lebhaft unter Wasser-

~~h&sser

C7 t> • -t-i A m jng.o/.i-assivitat aesmagnesiums gegenüber Wasser

Stoffentwicklung.

Auch bei der Einwirkung von M e t a l l e n auf S ä u r e n kann häufig die Wasserstoffentwicklung entgegen den Aussagen der Spannungsreihe wegen Ausbildung einer u n l ö s l i c h e n S c h u t z S c h i c h t ausbleiben. So löst sich z. B. Blei nicht in verdünnt e r S c h w e f e l s ä u r e , weil das dabei sich bildende B l e i s u l f a t ( p b + H 2 S 0 4 - > P b S 0 4 + H 2 ) als schützende Deckschicht die weitere Einwirkung der Schwefelsäure unterbindet (vgl. S. 363).

Bei Kenntnis der Normalpotentiale e0 kann man die Beziehung zwischen P o t e n t i a l und I o n e n k o n z e n t r a t i o n — vgl. (9), (10) und (11) — dazu verwenden, um durch Messung des Einzelpotentials e einer in eine Lösung unbekannter Ionenkonzentration eintauchenden Elektrode die Ionenkonzentration c[on (genauer: Ionenaktivität aion; S. 107 f.) der Lösung zu ermitteln. Man benutzt dieses Prinzip besonders häufig zur Bestimmung der W a s s e r s t o f f i o n e n k o n z e n t r a t i o n einer Lösung („fotentiometrische f-g- Bestimmung''). y) Die elektrolytische Zersetzung Die in den vorangehenden Abschnitten behandelte Theorie der galvanischen Elemente ermöglicht nunmehr auch ein besseres Verständnis für den Vorgang der e l e k t r o l y t i s c h e n Z e r s e t z u n g e n , da es sich bei der Elektrolyse um eine U m k e h r u n g der in einem galvanischen Element f r e i w i l l i g a b l a u f e n d e n Redox-Reaktionen handelt. Schalten wir beispielsweise eine in Zinksulfatlösung tauchende Zinkelektrode mit einer in Kupfersulfatlösung eintauchenden Kupferelektrode zu einem DANiELL-Element zusammen, so „fließt" bei leitender Verbindung der beiden Elektroden durch einen äußeren Schließungsdraht der Elektronen-,,Strom" gemäß dem vorhandenen Potential„ Gefälle" vom „höheren" (—0.76 Volt) zum „tieferen" ( + 0.35 Volt) Potential„Niveau" (Fig. 58): Zn —->- Zn" + 2 © 2 Q + Cu" —>- Cu Zn + Cu"

>• Zn" + Cu.

Das Zink reduziert mit anderen Worten die Kupfer-ionen zu metallischem Kupfer. Dabei wird eine elektrische Arbeitsmenge verfügbar, die durch das Produkt aus Potentialdifferenz und fließender Elektrizitätsmenge (Volt X Coulomb = Joule) gegeben ist. Der u m g e k e h r t e V o r g a n g , d. h. die Abscheidung von Zink und die Auflösung von Kupfer, läßt sich nur dann erzwingen, wenn man durch Einschaltung einer Stromquelle von genügender Spannung in den äußeren Stromkreis der Zinkelektrode ein „höheres" (d. h. n e g a t i v e r e s ) Potential als —0.76 und der Kupferelektrode ein „tieferes" (d. h. p o s i t i v e r e s ) Potential als + 0.35 Volt erteilt und damit in Umkehrung der Stromrichtung von Fig. 58 dem K u p f e r Elektronen e n t z i e h t , dem Z i n k Elektronen a u f z w i n g t (Fig. 59). Denn dann n i m m t gemäß dem zwischen Stromquelle und Elektrode vorhandenen Potential-,,gefalle" die vorher nach außen hin e l e k t r o n e n -

Der Sauerstoff

173

a b g e b e n d e Zinkanode E l e k t r o n e n auf und wird damit zur K a t h o d e , während die vorher e l e k t r o n e n - a u f n e h m e n d e Kupferkathode jetzt E l e k t r o n e n a b g i b t und damit zur A n o d e wird: Zn" + 2 9 Zn Cu >- Cu" + 2 9 Zn" + Cu • — Z n + Cu".

Inagesamt geht damit unter gleichzeitiger Abscheidung von Zink Kupfer in Lösimg. Die für eine solche elektrolytische Zersetzung erforderliche „Zersetzungsspannung" muß, wie aus Fig. 59 hervorgeht, ganz allgemein mindestens e t w a s g r ö ß e r a l s d i e T

gi

0,76 V Zn

es:

finode

Nutt-Linie desPofent/a/s

Kathode cu

0,35 V

t

Elektronenstrom

Fig. 58. Elektromotorische Kraft des DANIELL-Elements

e l e k t r o m o t o r i s c h e K r a f t (S. 166) d e s f r e i w i l l i g a b l a u f e n d e n V o r g a n g s s e i n . Das Mehr an Spannung ( AE) dient dabei zur Überwindung des OHM sehen Widerstandes W der Zelle und damit zur Aufrechterhaltung einer bestimmten Stromstärke

1

0,76 V

Zn

Kathode

Natt-Linie des Potenttals

Anode

Cu

Strom-

0,35 V

Etektronenstrom

Fig. 59. Elektromotorische Kraft und Zersetzungsspannung

gemäß dem „ O h m s c h e n Gesetz" {AE = J • W). Im Falle unseres D A N I E L L sehen Elements muß also die Zersetzungsspannung größer als 0.76 + 0.35 = 1.11 Volt sein.

J

Die bei der Elektrolyse angewandte Stromquelle (vgl. Fig. 59) wirkt gewissermaßen als „Elektronenumlaufpumpe". Sie „saugt" an der Anode (Kupfer) die Elektronen mit „Unterdruck" ab, „komprimiert" sie auf höheren „Druck" (die hierfür erforderliche Energie wird bei chemischen Stromquellen durch einen freiwillig ablaufenden Vorgang — beim Bleiakkumulator z. B. durch die Reaktion Pb + Pb0 2 + 2Hs_SO« — » - 2PbS0 4 + 2 H 2 0 + Energie; S. 363 geliefert) und „preßt" die Elektronen mit diesem höheren „Druck" in die Kathode (Zink) ein. Würde man

174

Die Gruppe der Chalkogene

die beiden Pole der Stromquelle direkt miteinander verbinden („Kurzschluß"), so flössen die Elektronen unausgenutzt vom höheren zum tieferen Potential. Dadurch, daß man das galvanische Element in der aus Fig. 59 hervorgehenden Weise zwischen die Pole der Stromquelle einschaltet, zwingt man die Elektronen der Stromquelle, bei ihrem „Fall" vom negativen zum positiven Pol Arbeit zu leisten, d. h. den im galvanischen Element freiwillig ablaufenden Vorgang umzukehren. Die hineingesteckte Arbeit speichert sich dabei in Form der Elektrolyseprodukte (im Falle des DANIELL-Elements also in Form der gegenüber den Ausgangsstoffen Zn" und Cu energiereicheren Endprodukte Zn und Cu") auf. Entfernt man die Elektronenpumpe (Stromquelle) aus dem äußeren Stromkreis (Fig. 68), so kehrt sich entsprechend dem zwischen Zink und Kupfer vorhandenen Potentialgefälle automatisch die Stromrichtung um, indem jetzt wieder das elektronen-affinere Kupfer dem weniger elektronen-affinen Zink die Elektronen entzieht. Befinden sich in einer Lösung m e h r e r e e n t l a d b a r e I o n e n s o r t e n , so hängt die R e i h e n f o l g e d e r E n t l a d u n g von der Größe der verschiedenen E i n z e l p o t e n t i a l e ab. Eine wässerige Natrium chloridlösung enthält beispielsweise Natrium-, Wasserstoff-, Chlor- und Hydroxyl2,7V ionen. Ihre Einzelpotentiale haben in 1-molarer Natriumchloridt^-''Elektronenstrom Anode lösung die Werte e N a = — 2 . 7 , ! Niz/Z-L/me Cl2 £h, = — 0 . 4 , fC1, = + 1 . 4 , s0, = Na Ha des Potent/a/s 1 1 > 1 . 4 l Volt. F ü h r t man daher Kathode in die Lösung etwa zwei Platin>1,*V elektroden ein und legt an die Elektroden eine steigende ' » i S p a n n u n g an, so wird (vgl. £/e/rtronenstrom' Fig. 60) der Elektronenstrom zu Fig. 60. Potentialverhältnisse bei der Elektrolyse einer fließen beginnen, sobald die 1-molaren wässerigen Natriumchlorid-Lösung Einzelpotentiale von W a s s e r s t o f f und C h l o r überschritten werden. Die N a t r i u m - und H y d r o x y l - i o n e n bleiben unentladen als N a t r o n l a u g e , N a O H , zurück.

H!

Man benutzt die Verschiedenheit der Abscheidungsspannungen von Metallen und Nichtmetallen in der Analyse häufig zur Trennung und Bestimmung von Kationen und Anionen („Elektroanalyse" und „Polarographie"). Bei ungünstiger Lage der Potentiale lassen sich häufig durch K o n z e n t r a t i o n s ä n d e r u n g e n , Anwendung von Ü b e r s p a n n u n g s e l e k t r o d e n usw. die für eine erfolgreiche Elektrolyse erforderlichen Potentialverhältnisse schaffen. So kann man z. B. bei der Elektrolyse wässeriger N a t r i u m c h l o r i d l ö s u n g e n durch Anwendung von Q u e c k s i l b e r k a t h o d e n und hohen N a t r i u m c h l o r i d k o n z e n t r a t i o n e n die Abscheidung von N a t r i u m statt W a s s e r s t o f f erzwingen (S. 425), weil unter diesen Versuchsbedingungen das N a t r i u m p o t e n t i a l ^V II' e = e0 + 0.059 l o g — : — infolge Vergrößerung von eNa. und Verkleinerung von c V a (AmalgamcNa bildung) so weit nach der p o s i t i v e n und das W a s s e r s t o f f p o t e n t i a l (e = 0.059 log Cg. — rj) infolge der großen Überspannung (rf) an Quecksilber so weit nach der n e g a t i v e n Seite hin verschoben wird, daß Natrium und Wasserstoff in der Spannungsreihe (S.167) ihre Plätze tauschen. S) Ableitung eines neuen Säure- und Basebegriffs Der Begriff der Säure und Base hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie der Begriff des Reduktionsmittels und Oxydationsmittels. 1 Das Einzelpotential für den Vorgang 2OH' Z^Z^. 1 / (\ + H 0 + 2 © beträgt in neutraler 2 2 Lösung theoretisch + 0 . 8 Volt. Normalerweise erfordert aber die Abscheidung von Sauerstoff je nach Art der E l e k t r o d e noch eine zusätzliche „Überspannung", die bei größeren Stromdichten mehr als 1 Volt betragen kann (s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Analoges gilt für den Wasserstoff (vgl. oben).

Der Sauerstoff

175

Früher verstand man unter einer Säure einen Stoff, der in wässeriger Lösung unter Bildung von Wasserstoff-ionen dissoziiert (S. 92): HCl H' + CT. Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz beruht die Säurewirkung eines Stoffes darauf, daß er an die Moleküle des Wassers P r o t o n e n a b g i b t und so zur Bildung von Hydronium-ionen Veranlassung gibt (S. 151 f.): HCl + H20 HJO" + Cl'. Definieren wir nun dementsprechend ganz allgemein eine Säure als einen Stoff, der imstande ist, an Wasser Protonen abzugeben, so steht — ähnlich wie beim Begriff des Reduktionsmittels — nichts im Wege, auch geladene Ionen als Säuren zu bezeichnen. Denn die saure Reaktion z. B. von H y d r o g e n s u l f a t e n (MeHS04) in wässeriger Lösimg beruht ja auf einem ganz analogen Protonenübergang: HSO/ + H20 H30" + S 0 4 " . Und in gleicher Weise erklärt sich auch die saure Wirkung wässeriger Ammoniumsalzlösungen (NH4X) durch die Bildung von Hydronium-ionen (vgl. S. 563): NH 4 '+ H 2 0 ^ = ^ H 3 0 ' + NH3. (1) Dementsprechend unterscheidet man heute zwischen „Neutral-säuren" (z. B . HCl), iyAnion-säuren" (z. B. HSO/) und „Kation-säuren" (z. B. NH4"). Unter einer Base verstand man früher einen Stoff, der in wässeriger Lösung unter Bildung von Hydroxyl-ionen dissoziiert (S. 92). Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz dagegen beruht die Basewirkung eines Stoffes darauf, daß er von Wassermolekülen Protonen aufnimmt und so zur Bildung von H y d r o x y l - i o n e n Veranlassung gibt (S. 142): NH3 + H 2 0 NH," + OH'. Dementsprechend können auch geladene Ionen Basen sein, z . B . : CIO'+ H20 HCIO + OH', (2) [Fe(H20)4(0H)2]- + H 2 0 [Fe(H20)50H]" + OH', und wir können daher auch hier zwischen „Neutral-basen" (z.B. NH3), „Anion-basen" (z.B. CIO') und „Kationbasen" (z. B. [Fe(H 2 0) 4 (OH)2]') unterscheiden. Die häufig als Base-Prototyp angesehenen M e t a l l h y d r o x y d e Me(OH)n sind nur ein spezieller Fall von Anionbasen, bei welchem sich der Pro tonenübergang vom Wasser zum Anion wegen der Gleichheit der linken und rechten Seite der Reaktionsgleichung (OH' + H 2 0 z^zh. H 2 0 + OH') nach außen hin nicht b e m e r k b a r macht (vgl. S. 563). Der früher (S.96f.. llöf.) als Hydrolyse bezeichnete Vorgang ist, wie aus den Gleichungen (1) und (2) hervorgeht, nichts anderes als die Säure-(Base-)Wirkung von Ionen-säuren (-basen). Vgl. auch S. 389, 390. Die im Vorstehenden entwickelte, von dem dänischen Physikochemiker JOHANNES N. B R Ö N S T E D (1879—1947) stammende Definition der Säuren und Basen läßt sich zu der Gleichung gäuren ^ Basen + Protonen (3) zusammenfassen, welche ganz der Definitionsgleichung von Reduktions- und Oxydationsmitteln (S. 164) entspricht. Wie die Redoxsysteme lassen sich auch die durch die obige Gleichung definierten „Säure-BaseSysteme" (,,korrespondierende Säure-Bast-Paare") in eine „Spannungsreihe" einordnen, wobei als o r d n e n d e s P r i n z i p in diesem Falle der S ä u r e - e x p o n e n t (S. 109) der Säure fungiert (vgl. E . WIBERG, ,,Die chemische Affinität"). In dieser Reihe kann wie bei der elektrochemischen Spannungsreihe bei den Einheiten der Konzentration von Säure und korrespondierender Base eine P r o t o n e n a b g a b e nur von einem h ö h e r s t e h e n d e n an ein t i e f e r s t e h e n d e s System erfolgen. Durch V e r ä n d e r u n g d e r K o n z e n t r a t i o n der Säure-Base-Partner läßt sich — analog wie bei den Redoxsystemen — die s a u r e oder b a s i s c h e Wirkung eines Stoffes (,,Acidität" und ,,Basizität") und damit seine Stellung in dieser Säure-Base-Reihe w i l l k ü r l i c h ä n d e r n . Dementsprechend ist die s a u r e oder b a s i s c h e W i r k u n g einer Substanz k e i n e g e g e b e n e S t o f f e i g e n s c h a f t , sondern eine F u n k t i o n des Reaktionspartners. Säuren und Basen i m a b s o l u t e n S i n n e gibt es also ebensowenig wie absolute Reduktions- und Oxydationsmittel (vgl. S. 165).

176

Die Gruppe der Chalkogene

Die Definition der Säuren und Basen gemäß (3) ist nicht auf das Lösungsmittel W a s s e r (,,Aquosystem") beschränkt, sondern gilt auch für a n d e r e L ö s u n g s m i t t e l , z. B . f l ü s s i g e s A m m o n i a k („Ammonosystem"). An die Stelle der in wässeriger Lösung durch Protonenabgabe bzw. -aufnähme entstehenden H y d r o n i u m - und H y d r o x y l ionen treten dann natürlich a n d e r e I o n e n . So entspricht z. B . im flüssigen Ammoniaksystem dem Hydronium-ion H 3 0 ' das A m m o n i u m - i o n NH4* und dem Hydroxyl-ion OH' das A m i d - i o n N H 2 ' ; z . B . : HCl + NH3 NH4" + Cl' (Neutralsäure)

CH3'+ N H 3 Z ^ C H 4

+ NH 2 '.

(Anionbase)

Die N e u t r a l i s a t i o n besteht bei diesem Ammoniaksystem in einer Vereinigung von A m m o n i u m - und Amid-ionen zu- A m m o n i a k : NH4 + NH2' > 2NHS. Sie erfolgt z. B . beim Zusammengeben von A m m o n i u m c h l o r i d und N a t r i u m a m i d in flüssigem Ammoniak und entspricht ganz der Vereinigung von H y d r o n i u m und H y d r o x y l - i o n e n zu W a s s e r : B.O' + OH' — > - 2 ^ 0 beim Zusammengeben wässeriger Lösungen von Salzsäure und Natriumhydroxyd.

b) Ozon Der Sauerstoff kommt außer in der normalen Form von 0 2 -Molekülen (: 0 : : O:) auch in der energiereicheren Form von 0 3 -Molekülen (: 0 : : 0 : 0 : ) als Ozon vor. a ) Darstellung Ozon wird ganz allgemein durch E i n w i r k u n g v o n S a u e r s t o f f a t o m e n a u f S a u e r s t o f f m o l e k ü l e dargestellt: 0 + 02 0 3 + 24.6 kcal. Die verschiedenen Bildungsweisen unterscheiden sich dabei in der Art und Weise der Erzeugung von Sauerstoffatomen. Am gebräuchlichsten ist die Bildung von Sauerstoffatomen aus Sauerstoff. Die in diesem Falle zur Aufspaltung der Sauerstoffmoleküle erforderliche Energie beträgt 59.1 kcal je Grammatom Sauerstoff, so daß sich für das Ozon in summa eine negative Bildungswärme von 34.5 kcal ergibt: 59.1 kcal + 0 (1) O + 02 0 3 + 24.6 kcal (2) 34.5 kcal + 1V 2 0 2 03. (3) Die Spaltung der Sauerstoffmoleküle nach (1) kann z. B . durch Zufuhr t h e r m i s c h e r E n e r g i e (Erhitzen von Sauerstoff auf hohe Temperatur) erzwungen werden. Diese Methode führt aber nur zu s e h r g e r i n g e n O z o n a u s b e u t e n , da erhöhte Temperatur gleichzeitig den endothermen Zerfall des Ozons nach Gleichung (2) begünstigt, so daß sich das Gesamtgleichgewicht (3) mit steigender Temperatur nur langsam nach rechts verschiebt. So befindet sich selbst bei 2000° erst etwa 1 Vol-°/ 0 Ozon im Sauerstoffgleichgewicht, von dem beim raschen Abkühlen nur etwa 1 / 1 0 % übrigbleibt, weil mit fallender Temperatur der exotherme Gesamtzerfall des Ozons nach (3) fortschreitet. E s ist daher zweckmäßiger, die Sauerstoffatome bei n i e d r i g e r T e m p e r a t u r durch Zufuhr e l e k t r i s c h e r oder o p t i s c h e r oder c h e m i s c h e r E n e r g i e nach Gleichung (1) zu erzeugen und nach (2) weiterreagieren zu lassen, da sich bei niedrigen Temperaturen das — an und für sich ganz auf der Seite des Sauerstoffs liegende — Z e r f a l l s g l e i c h g e w i c h t (3) bei A b w e s e n h e i t v o n K a t a l y s a t o r e n nur ä u ß e r s t

Der Sauerstoff

177

l a n g s a m einstellt, so daß das einmal gebildete Ozon als m e t a s t a b i l e V e r b i n d u n g erhalten bleibt. Die Zufuhr von e l e k t r i s c h e r E n e r g i e erfolgt besonders bequem im „SIEMENSsehen Ozonisator" (Fig. 61). Dieser besteht im Prinzip aus zwei ineinander gestellten (konaxialen) Glasrohren, deren Außen- bzw. Innenwand mit Wasser gekühlt und mit den Enden eines Induktoriums — bei Großanlagen mit den Hochspannungsklemmen eines Transformators — leitend verbunden ist. In dem engen Ringraum zwischen den Glasrohren treten bei Anlegen einer genügend hohen Spannung (mehrere tausend Volt) „stille" oder „dunkle" elektrische Entladungen auf, durch welche ein trockener Sauerstoff- oder Luftstrom geleitet wird. Das den Ozonisator verlassende Gasgemisch besteht, wenn von reinem Sauerstoff ausgegangen wird, im besten Falle zu 1 5 % aus Ozon. Bei Zufuhr von L i c h t e n e r g i e ist die Spaltung des Sauerstoffmoleküls (118.2 kcal + 0 2 — > - 2 0 ) gemäß dem früher (S. 84f.) über photochemische Reaktionen Gesagten nur mit kurzwelligem Ultraviolett der Wellenlänge < 2500 Ä (Energiewert des Lichtäquivalents: > 114.3 kcal) möglich. So bildet sich Ozon z.B. bei Bestrahlung von Sauerstoff mit Licht der Wellenlänge 2090 Ä (Zinkfunken), welches von Sauerstoff absorbiert wird. In gleicherweise erklärt sich der kleine Ozongehalt in den höheren, der intensiven ultravioletten Strahlung des Sonnenlichtes ausgesetzten Schichten der Atmosphäre sowie der in der Umgebung einer brennenden künstlichen „Höhensonne" (S.478) oder in der Nähe eines radioaktiven Präparats (S. 572) stets wahrnehmbare Ozongeruch. \ ^ — ffühlu/asser Auch c h e m i s c h e E n e r g i e kann zur Erzeugung der für die Ozonbildung erforderlichen Sauerstoffatome dienen (A -(- O a —>- AO + 0 ) . So entsteht z. B. Ozon bei der langsamen Oxydation von feuchtem, weißem Phosphor an der Luft. Fig. 61. SlEMENSscher Außer dem molekularen S a u e r s t o f f können auch a n d e r e Ozonisator sauerstoffhaltige Stoffe zur Gewinnung der für die Ozonbildung nach (2) notwendigen Sauerstoffatome benutzt werden, z. B. das Wasser. E l e k t r o l y s i e r t man z. B. wässerige Lösungen ( 2 0 H ' —>- H 2 0 + 0 + 2 0 ) oder läßt man Fluor auf Wasser einwirken (F 2 + H 2 0 —>• 2 H F + 0), so bildet sich primär atomarer Sauerstoff. Daher ist der so entwickelte Sauerstoff — bei Abwesenheit oxydierbarer Substanzen — stets o z o n h a l t i g . Gleiches gilt von dem bei der Zersetzung leicht zerfallender höherer SauerstoffVerbindungen (z. B. Wasserstoff peroxyd H 2 0 2 , Übermangansaure HMn0 4 usw.) entstehenden Sauerstoff. ß) Physikalische Eigenschaften Reines Ozon — das aus Ozon-Sauerstoff-Gemischen durch Verflüssigung mit flüssiger Luft und anschließende fraktionierte Destillation gewonnen werden kann — ist im Gaszustande deutlich blau, im flüssigen Zustande (Sdp. —111.5°) schwarzblau und im festen Zustande (Smp. —251.4°) schwarz. In Wasser löst es sich nur wenig; mit flüssigem Sauerstoff ist es im flüssigen Zustande nicht in jedem Verhältnis mischbar. Charakteristisch ist der Geruch des Ozons1, der noch bei einer Konzentration von 1 Teil Ozon in 500000 Teilen Luft wahrnehmbar ist. y) Chemische Eigenschaften Als e n d o t h e r m e Verbindung hat Ozon große Neigung, unter Bildung von Sauer3 0 2 + 69.0 kcal. stoff zu z e r f a l l e n : 20 3 30 1

ozein (ö£eiv) = riechen.

H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 3 7 . - 3 9 . Aufl.

12

Die Gruppe der Chalkogene

178

So kommt es, daß b o n z e n t r i e r t e s Ozon selbst bei —120° sehr explosiv ist. I n v e r d ü n n t e m Zustande erfolgt der Zerfall bei gewöhnlicher Temperatur nur a l l m ä h l i c h . Beschleunigt wird die Zersetzung durch K a t a l y s a t o r e n wie Mangandioxyd, Bleidioxyd, Natronkalk. Ebenso wird die Zerfallsgeschwindigkeit durch B e s t r a h l e n mit längerwelligem Ultraviolett und durch E r w ä r m e n erhöht. So zersetzt sich selbst verdünntes Ozon — auch bei Abwesenheit von Katalysatoren — schon bei 100° recht schnell. Die charakteristischste Eigenschaft des Ozons ist sein starkes O x y d a t i o n s v e r m ö g e n : 0 3 —>• 0 2 + 0 . So verwandelt es z.B. bereits bei Zimmertemperatur schwarzes Bleisulfid in weißes Bleisulfat (PbS + 4 0 —>• PbS0 4 ), weißes Blei(II)-hydroxyd in braunes Bleidioxyd (PbO + O —>• Pb0 2 ), blankes Silber in schwarzes Silberperoxyd (2Ag + 2 0 — > - Ag 2 0 2 ), Phosphor, Schwefel und Arsen in Phosphorsäure (2 P + 5 0 — v P 2 0 5 ), Schwefelsäure (S + 3 0 —>- S0 3 ) und Arsensäure (2 As + 5 0 —>As 2 0 6 ). Beim Einleiten in eine neutrale K a l i u m j o d i d l ö s u n g wird — unter gleichzeitigem Auftreten einer a l k a l i s c h e n Reaktion — J o d ausgeschieden: 2J' + O + H j O — J

2

+ 2OH'.

Auch o r g a n i s c h e Stoffe werden von Ozon kräftig oxydiert. Man darf daher z. B. Ozon nicht durch G u m m i s c h l ä u c h e leiten, da diese in wenigen Augenblicken zerstört werden. Ebenso werden organische F a r b s t o f f e (z. B. Indigo und Lackmus) gebleicht und M i k r o o r g a n i s m e n vernichtet. I n größeren Konzentrationen wirkt Ozon verätzend auf die Atmungsorgane. Ozon wird technisch z. B. zur L u f t v e r b e s s e r u n g und - S t e r i l i s a t i o n (Theater, Schulen, Hospitäler, Kühlräume, Schlachthäuser, Brauereien) und zur E n t k e i m u n g v o n T r i n k w a s s e r verwendet. Die Wasserentkeimung durch Ozon ist allerdings nach Einführung des viel einfacheren und billigeren Verfahrens der Sterilisierung durch C h l o r stark zurückgegangen.

c) WasserstofFperoxyd Außer dem — schon besprochenen (S. 48ff.) — Wasser, H 2 0 , gibt es noch eine zweite, sauerstoffreichere Wasserstoffverbindung des Sauerstoffs : das Wasserstoffperoxyd, H 2 0 2 . a) Darstellung Das W a s s e r s t o f f p e r o x y d wird technisch durch H y d r o l y s e leicht zugänglicher Derivate gewonnen: O - j - X

+

H OH

O-j-X

+

H O ;H

— > •

O-H

i

O - H

,

+

XOH X O H

Als Ausgangsderivat verwendete man f r ü h e r hauptsächlich N a t r i u m - bzw. B a r i u m p e r o x y d (Na 2 0 2 ; Ba0 2 ). Diese Oxyde lassen sich leicht durch Erhitzen von Natrium bzw. Bariumoxyd an der Luft gewinnen (S. 180f.) und sind in wässeriger Lösung bis zu einem bestimmten Gleichgewicht gemäß Na202 Ba02

+ 2H Ö H + 2HÖH

T"^

H202 H202

+ 2NaOH + Ba(OH)

bzw. 2

hydrolytisch gespalten. Durch Abfangen der dabei gebildeten Lauge mittels einer geeigneten Säure (Eintragen von Barium peroxyd in gekühlte 20°/ 0 ige Schwefelsäure oder konzentrierte Phosphorsäurelösung oder Kieselfluorwasserstoffsäure) kann das Gleichgewicht vollkommen zugunsten der Wasserstoffperoxydbildung verschoben und das

Der Sauerstoff

179

B a r i u m als schwerlösliches Salz ausgefällt werden ( B a 0 2 + H 2 S 0 4 — > B a S 0 4 + H 2 0 2 ) . H e u t e b e n u t z t m a n als Ausgangsderivat zur Wasserstoffperoxydgewinnung f a s t ausschließlich P e r o x y - d i s c h w e f e l s ä u r e H 2 S 2 0 8 (S. 214f.) oder ihre Salze, also Verbindungen, in welchen die beiden W a s s e r s t o f f a t o m e des W a s s e r s t o f f p e r o x y d s d u r c h S u l f o n s ä u r e r e s t e — S 0 3 H bzw. deren Anion — S 0 3 ' ersetzt sind. Sie gehen bei der H y d r o l y s e ü b e r die S t u f e der P e r o x y - m o n o s c h w e f e l s ä u r e H 2 S 0 5 h i n w e g in W a s s e r s t o f f p e r o x y d über: 0—|— S0 3 H + HO —jH _H,sq, 0 -

SOsH

?

0-H

-H.SO, ^

0-i—SO?H+HO—:H

Peroxy-dischwef elsäure

Peroxy-monoachwef elsäure

0-H 0-H*

Wasserstoff peroxyd

Da die Peroxy-dischwefelsäure H 2 S 2 0 8 ihrerseits durch anodische Oxydation von S c h w e f e l säure unter gleichzeitiger kathodischer Wasserstoffentwicklung entsteht (S. 214) und die Schwefelsäure bei der Hydrolyse immer wieder zurückgewonnen wird, läuft das ganze Verfahren letzten Endes auf eine Umwandlung von Wasser in Wasserstoff und Wasserstoffperoxyd hinaus: 2H 2 S0 4 H 2 S 2 0„ + 2 H 2 0 2H 2 0

Elektroly8 Hydrolyse

>-

V H 2 S 2 0 8 + H2 >• H 2 0 2 + 2H 2 S0 4 H202 + H 2 .

Aus d e n bei der H y d r o l y s e resultierenden wässerigen Lösungen k a n n das Wassers t o f f p e r o x y d d u r c h f r a k t i o n i e r t e Destillation im V a k u u m leicht in F o r m verhältnism ä ß i g konzentrierter Lösungen erhalten werden. Zu A n f a n g geht bei dieser V a k u u m destillation f a s t n u r Wasser über, so d a ß sich der R ü c k s t a n d a n W a s s e r s t o f f p e r o x y d a n r e i c h e r t ; zum Schluß destilliert reines W a s s e r s t o f f p e r o x y d a b . I n den H a n d e l k o m m t es gewöhnlich als 3- oder 30°/ 0 ige Lösung, letztere u n t e r dem N a m e n „Perhydrol". ß) Physikalische Eigenschaften I n reinem, wasserfreiem Z u s t a n d e bildet W a s s e r s t o f f p e r o x y d eine farblose, in sehr dicker Schicht jedoch blaue Flüssigkeit (Sdp. 157.8°), welche bei s t a r k e r A b k ü h l u n g zu K r i s t a l l e n v o m Schmelzpunkt — 1.7° erstarrt. U n t e r v e r m i n d e r t e m D r u c k k a n n es u n z e r s e t z t destilliert werden. y ) Chemische Eigenschaften W a s s e r s t o f f p e r o x y d zeigt ein starkes Bestreben, u n t e r großer W ä r m e e n t w i c k l u n g in W a s s e r u n d S a u e r s t o f f zu zerfallen: 2H 2 0 2 v 2 H 2 0 + 0 2 + 46.2 kcal. Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist die Zerfallsgeschwindigkeit allerdings u n m e ß b a r klein, so d a ß W a s s e r s t o f f p e r o x y d sowohl in reinem wie in gelöstem Z u s t a n d e praktisch b e s t ä n d i g ( m e t a s t a b i l ) ist. D u r c h K a t a l y s a t o r e n (z. B. f e i n v e r t e i l t e s Silber, Gold, P l a t i n , B r a u n s t e i n , Staubteilchen, Alkali, Aktivkohle, K a l i u m j o d i d , Stoffe m i t r a u h e r Oberfläche) wird jedoch die Zersetzungsgeschwindigkeit so beschleunigt, d a ß gegebenenfalls s t ü r m i s c h e S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g , bei hochkonzentrierten Lösungen sogar e x p l o s i o n s a r t i g e r Z e r f a l l eintritt. D a s gleiche ist beim E r h i t z e n der Fall. Die W i r k u n g der Zersetzungskatalysatoren k a n n m e h r oder minder weitgehend d u r c h P h o s p h o r s ä u r e u n d verschiedene organische Säuren — vor allem B a r b i t u r s ä u r e u n d H a r n s ä u r e — aufgehoben werden. D a h e r stabilisiert m a n Wasserstoffperoxydlösungen d u r c h Zusatz derartiger A n t i - K a t a l y s a t o r e n . Will m a n reine Wasserstoffperoxydlösungen z u s a t z f r e i a u f b e w a h r e n , so m u ß m a n p a r a f f i n i e r t e Glasgefäße verwenden, u m eine Abgabe von A l k a l i aus dem Glas zu verhindern. 12*

Die Gruppe der Chalkogene

180

Die charakteristischste Eigenschaf t des Wasserstof fperoxyds ist seine o x y d i e r e n d e W i r k u n g : H 2 02 —>• H 2 0 + 0. So oxydiert es — ähnlich wie Ozon — z. B. Bleisulfid zu Bleisulfat (PbS + 4 0 —>- PbS0 4 ), Eisen(II)-salze zu Eisen(III)-salzen (2FeO + O —>• Fe 2 0 3 ), schweflige, salpetrige und arsenige Säure zu Schwefelsäure (H 2 S0 3 + O —>- H 2 S0 4 ), Salpetersäure (HN0 2 + 0 —>• HN0 3 ) und Arsensäure (H 3 As0 3 + 0 —>H3AS04), Jodwasserstoff zu Jod (2HJ + 0 —>- H 2 0 + J 2 ), Schwefelwasserstoff zu Schwefel (H2S + 0 —>- H 2 0 + S). Die Umwandlung von f a r b l o s e m Titandioxyd Ti0 2 in gelbes Titanperoxyd Ti0 3 in schwefelsaurer Lösung 1 ist ein empfindlicher Nachweis für Wasserstoffperoxyd. Weniger ausgeprägt ist die r e d u z i e r e n d e (sauerstoff-entziehende) W i r k u n g des Wasserstoffperoxyds: H 2 0 2 + 0 —>- H 2 0 + 0 2 . Sie tritt nur gegenüber ausgesprochenen O x y d a t i o n s m i t t e l n auf. So wird z. B. die violette Perm angansäure HMn0 4 (Anhydrid: Mn207) in saurer Lösung zu farblosem Mangan(II)-salz reduziert (Mn207 — > 2MnO + 5 0), Chlorkalk zu Calciumchlorid (CaCl20 —>- CaCl2 + 0), Silberoxyd zu Silber (Ag20 —>- 2 Ag + O), Quecksilberoxyd zu Quecksilber (HgO — v Hg + 0), Bleidioxyd zu Blei(II)-salz (Pb0 2 —>- PbO + 0), Ozon zu Sauerstoff (0 3 —> 0 2 + 0). Als S ä u r e ist Wasserstoffperoxyd etwas stärker als Wasser. Die DissoziationsCho 12 C*H,0, '' beträgt bei 20° C 1.5 X10- . In 1-molarer Lösung liegt danach eine Wasserstoffionen-konzentration von rund 10~6 vor. Wasserstoffperoxyd findet in der Hauptsache als B l e i c h m i t t e l zum Bleichen von Haaren („Blondfärben"), Stroh, Federn, Schwämmen, Elfenbein, Stärke, Leim, Leder, Pelzwerk, Wolle, Baumwolle, Seide, Kunstfaserstoffen, Fetten, ölen usw. Verwendung, und zwar entweder als solches in wässeriger Lösung oder — z. B. im „Persil" und allen modernen Wasch- und Bleichmitteln — gebunden als „ P e r b o r a t " NaB0 2 • H 2 0 2 . Außerdem wird es wegen seiner desinfizierenden Wirkung viel für medizinische und kosmetische Zwecke gebraucht; so ist z. B. das „Ortizon" eine feste Additionsverbindung von Wasserstoffperoxyd und Harnstoff.

konstante K =

Cg

8) Salze Wichtige Salze des Wasserstoffperoxyds sind das Natriumperoxyd Na 2 0 2 und das Bariumperoxyd Ba0 2 . Natriumperoxyd Darstellung. N a t r i u m p e r o x y d wird technisch durch V e r b r e n n e n von N a t r i u m an der Luft dargestellt: 2Na + 0 2

Na 2 0 2 + 119.2 kcal.

Und zwar führt man zwecks Vermeidung einer zu großen lokalen Wärmeentwicklung (Wiederzerfall des gebildeten Peroxyds) das Natrium bei 300—400° in Aluminiumgefäßen einem trockenen, kohlendioxydfreien Luftstrom entgegen, so daß nach Einsetzen des Prozesses das noch frische Natrium zuerst in s a u e r s t o f f a r m e r , verbrauchter Luft verbrennt und sich erst später mit s a u e r s t o f f r e i c h e r Luft vollends umsetzt („Gegenstromprinzip"). Auch Drehtrommeln werden zur technischen Darstellung verwendet. Eigenschaften. Natriumperoxyd ist ein blaßgelbes, fast unzersetzt schmelzbares (Smp. 460°) Pulver von s t a r k o x y d i e r e n d e n Eigenschaften. So reagiert es z. B. explosionsartig mit Stoffen wie Schwefel, Kohlenstoff oder Aluminiumpulver und ist in Mischung mit organischen Substanzen sehr feuergefährlich. Löst man Natriumperoxyd unter i n t e n s i v e r K ü h l u n g in Wasser, so erhält man eine Lösung, die infolge 1

In schwefelsaurer Lösung liegt Ti0 2 als Ti0(S0 4 ) und Ti0„ als Ti0 2 (S0 4 H) 2 vor (S. 502)-

181

Der Schwefel

hydrolytischer Spaltung wie ein Gemisch aus Natronlauge und Wasserstoffperoxyd wirkt (S. 178): Na20j + 2 HÖH

H202 +

2NaOH.

Ohne K ü h l u n g löst sich das Natriumperoxyd unter lebhafter S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g , da infolge der durch die starke Lösungswärme (exotherme Bildung des Hydrats Na 2 0 2 • 8 H 2 0 ) bedingten Temperatursteigerung das Wasserstoffperoxyd unter der gleichzeitigen katalytischen Wirkung des gebildeten Alkalis rasch in Wasser und Sauerstoff zerfällt (H 2 0 2 — > - H 2 0 + 7 2 0 2 ) : Na202 + H 2 0

> 2 N a O H + V202.

(1)

Infolge des bei der Umsetzung (1) gebildeten Natriumhydroxyds wirkt Natrium peroxyd an feuchter Luft k o h l e n d i o x y d - b i n d e n d ( 2 N a O H + C0 2 Na 2 C0 3 + H 2 0). Daher benutzt man natriumperoxydhaltige Präparate unter dem Namen „ O z o n " für A t e m g e r ä t e (Feuerwehrleute, Taucher) und zur L u f t e r n e u e r u n g in abgeschlossenen Räumen (z. B. Unterseebooten), da es für diese Zwecke in doppelter Weise — k o h l e n d i o x y d - b i n d e n d und s a u e r s t o f f - e r z e u g e n d — wirksam ist: N a 2 0 2 + C0 2 >- Na 2 C0 3 + '/ 2 0 2 •

Verwendung. Wegen seiner stark oxydierenden und damit auch bleichenden Wirkung findet Natriumperoxyd in ausgedehntem Maße Verwendung zur Herstellung von B l e i c h b ä d e r n für alle Arten von tierischen und pflanzlichen Produkten: Wolle, Seide, Federn, Haare, Borsten, Horn, Knochen, Elfenbein, Wachs, öle, Fette, Stroh, Holz, Schwämme. Die in der wässerigen Lösung vorhandene Natronlauge wird dabei durch Schwefelsäure (OH' + H ' — H 2 0 ) oder durch Magnesiumsulfat (2 O H ' + M g " — > - Mg(OH) 2 ) unschädlich gemacht. Zeitweilig war Natriumperoxyd ein Bestandteil einiger moderner Waschmittel; seit 1939 dürfen aber natriumperoxydhaltige Waschmittel bei uns nicht mehr hergestellt werden. Wichtig ist das Natriumperoxyd noch als Ausgangsmaterial für die Herstellung anderer Peroxyverbindungen. Bariumperoxyd B a r i u m p e r o x y d wird technisch durch Erhitzen von lockerem, porösem B a r i u m , o x y d (S. 417) im Luftstrom bei 500—600° und 2 Atmosphären Druck gewonnen: 2BaO + 02

2 B a 0 2 + 37.2 kcal.

(2)

Da die Bildungsreaktion (2) mit W ä r m e a b g a b e und V o l u m e n v e r m i n d e r u n g verbunden ist, verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r und f a l l e n d e m D r u c k nach l i n k s . Man kann daher den Sauerstoff der Luft bei niedriger Temperatur und erhöhtem Druck binden und bei höherer Temperatur und erniedrigtem Druck wieder entbinden. Hiervon hat man früher zur technischen Darstellung von Sauerstoff aus Luft Gebrauch gemacht (S. 31). Bariumperoxyd wird hauptsächlich zur Gewinnung verdünnter Wasserstoffperoxydlösungen (S. 178 f.), daneben als Sauerstoffträger zur Entzündung von Zündsätzen — z. B. Thermitgemischen (S. 383 f.) — verwendet.

2. D e r Schwefel a) Elementarer Schwefel a ) Vorkommen Der Schwefel kommt wie der homologe Sauerstoff in der Natur sowohl in freiem wie in gebundenem Zustande vor. Mächtige Lager von f r e i e m S c h w e f e l finden sich hauptsächlich in I t a l i e n (Sizilien), N o r d a m e r i k a (Louisiana und Texas) und J a p a n (Hokkaido). A n o r g a n i s c h g e b u n d e n e r S c h w e f e l findet sich hauptsächlich in Form von Sulfiden (Salze des Schwefelwasserstoffs H 2 S) und Sulfaten (Salze der Schwefelsäure

182

Die Gruppe der Chalkogene

H 2 S0 4 ). Die Sulfide bezeichnet man je nach ihrem Aussehen als K i e s e , B l e n d e n und Glänze; die meistverbreiteten unter ihnen sind der Eisenkies (Schwefelkies, Pyrit) FeS 2 , der Kupferkies CuFeS 2 , der Bleiglanz PbS und die Zinkblende ZnS. Die wichtigsten Sulfate der Natur sind C a l c i u m s u l f a t (Gips CaS0 4 • 2 H 2 0 und Anhydrit CaS0 4 ), M a g n e s i u m s u l f a t (Bittersalz MgS0 4 • 7 H 2 0 und Kieserit MgS0 4 • H 2 0 ) , B a r i u m s u l f a t (Schwerspat BaS0 4 ), S t r o n t i u m s u l f a t (Cölestin SrS0 4 ) und N a t r i u m s u l f a t (Glaubersalz Na 2 S0 4 • 10H 2 0). Als Bestandteil der E i w e i ß s t o f f e (II, S. 277ff.) findet sich der Schwefel auch o r g a n i s c h gebunden im P f l a n z e n - und T i e r r e i c h . Der bei der Verwesung von Tierleichen oder beim Faulen von Eiern auftretende üble Geruch rührt beispielsweise hauptsächlich von S c h w e f e l v e r b i n d u n g e n (Schwefelwasserstoff, Mercaptanen) her, die sich bei der Eiweißfäulnis bilden. S t e i n k o h l e n — die ja pflanzlichen Ursprungs sind (S. 309) — enthalten 1 bis l 1 / 2 °/o Schwefel, teils in organischer Bindung, teils in Form von Schwefelkies. ß) Gewinnung Die technische Gewinnung von Schwefel erfolgt teils aus natürlichem Vorkommen, teils durch Oxydation von Schwefelwasserstoff oder durch Reduktion von Schwefeldioxyd •

-rr et Oxydation (öj

0 b

Reduktion (C)

c.. bÜ2

*

Aus n a t ü r l i c h e n V o r k o m m e n In Sizilien, das bis 1914 der Hauptproduzent von Schwefel war, findet sich der Schwefel in Form eines von gediegenem Schwefel durchsetzten Gesteins. Der Schwefelgehalt schwankt zwischen 8 und 4 0 % und beträgt im Mittel etwa 25°/ 0 . Aus diesem Schwefelgestein wird der Schwefel durch A u s s c h m e l z e n gewonnen. Die hierfür erforderliche Wärme erzeugt man in etwas primitiver Weise durch Verbrennen eines Teils des Schwefels. Zwei Arten von Öfen Luftschächte Lehmdecke sind für diesen Zweck in Gebrauch: die „Calcaroni" und die „Forni". Schu/efetgestein Die Calcaroni (Fig. 62) sind runde, mit. Gips ausgemauerte Gruben von etwa 15 m Durehmesser und 3—5mTiefe, deren Sohle gegen eine mit einem Stichloch versehene Mauer geneigt ist. In ihnen ,,-fiost wird das Schwefelgestein unter Aussparung einiger Luftschäehte zu M e i l e r n aufgeschichtet, die entgeschmolzener zündet werden. Nach einigen Stunden werden die '"Schwefe! Luftschächte geschlossen und der Meiler mit einer Lehmdecke versehen. Ein Teil des Schwefels , - —St/ch/och brennt dann unter Wärmeentwicklung langsam ab, während gleichzeitig unverbrannter Schwefel zum Schmelzen kommt und durch einen Rost zu Fig. 62. Querschnitt durch einen Calcarone Boden sickert. Durch das Stichloch wird zweibis dreimal täglich der geschmolzene Schwefel in nasse Holzformen abgelassen, in denen er zu Barren von 50—60 kg erstarrt. Das Ausschmelzen eines Meilers dauert je nach Größe 1—3 Monate. Die Schwefelausbeute beträgt etwa 50°/o> die zum Schmelzen des Schwefels ausgenutzte Wärmeenergie weniger als 3°/0. Die Forni, die aus 4—6 miteinander nach dem Prinzip der Kalk-Ringöfen (S.407f.) zu einem Ring verbundenen gemauerten Kammern bestehen, gestatten eine wesentlich b e s s e r e A u s n u t z u n g der Wärmeenergie. Während bei den Calcaroni die heißen Verbrennungsgase unausgenutzt ins Freie entweichen, werden hier die Abgase durch einen Kanal in die nachfolgenden Kammern geleitet, so daß sie hier ihre Wärme abgeben können. Die einzelnen Kammern lassen sich dabei beliebig als B r e n n k a m m e r und S c h m e l z k a m m e r schalten. Die erste Kammer dient z. B. als Brennkammer, in der zweiten wird durch die heißen Verbrennungsgase der Schwefel zum Schmelzen gebracht, in der dritten das Material vorgewärmt. Nach dem Ausschmelzen der Schmelzkammer wird diese dann als Brennkammer geschaltet, wobei die nicht

Der Schwefel

183

vollkommen ausgeschmolzenen Schwefelrückstände zur Verbrennung kommen, und in dieser Weise das Feuer jeweils um eine Kammer weiterverlegt. Die nicht beanspruchten Kammern können unterdessen geräumt und beschickt werden. Die Schwefelausbeute beträgt bis zu 8 0 % . Die Reinigung des Rohschwefels erfolgt durch Destillation aus gußeisernen Retorten und Verdichtung der Schwefeldämpfe in großen gemauerten Kammern. Sorgt man dafür, daß die Temperatur in den Kammern unterhalb der Schmelztemperatur des Schwefels bleibt, so schlägt sich der Schwefel in Form eines feinen gelben Pulvers (,,Schwefelblumen", „Schwefelblüte") nieder. Bei höheren Temperaturen sammelt sich am Boden der Kammern flüssiger Schwefel an, den man in hölzernen Formen zu ,,Stangenschwefel" erstarren läßt.

In L o u i s i a n a und T e x a s , wo der Schwefel in Tiefen von 150 bis 240 m unter einer 25 bis 60 m tiefen Schwimmsandschicht vorkommt und daher nicht bergmännisch abgebaut werden kann, wird der Schwefel nach einem von H. F R A S C H eingeführten Verfahren durch A u s s c h m e l z e n m i t ü b e r h i t z t e m W a s s e r d a m p f gewonnen. Diesem Verfahren ist die außerordent''Äusseres fähr. liche Steigerung der amerikanischen Schwefelerzeugung (1900 lieferte Italien rund 90°/ 0 der Welterzeugung, während heute umgekehrt Amerika 8 0 % der — inzwischen vervielfach, '-Mittleres fahr ten —Weltproduktion erzeugt) zu verdanken. In Sizilien konnte dieses Verfahren des Aus„ - 'Inneres Rohr schmelzens von Schwefel mit Wasserdampf schon deshalb keine größere Bedeutung erlanOberh/fefer fr überhitzter gen, weil die dazu erforderliche Wärmeener- ll/asserdsmpf U/asserdampf gie durch Einfuhr ausländischer Kohle erzeugt werden müßte und sich der Schwefel aus dem sizilianischen Gestein mit Wasserdampf Schwefe/ nur unvollständig (die Rückstände enthalten / im Mittel noch 12 bis 1 5 % Schwefel) ausschmelzen läßt. ^geschmo/zener geschmolzener

Schu/efe/ Schwefe/ Das „FRASCH-Verfahrcn" beruht darauf, daß fie/sse Press/uft in das Schwefellager ein etwa 25 cm weites Eisenrohr eingetrieben wird, welches innen konaxial Fig. 63. Fußkörper der Schwefelpumpe zwei weitere Rohre von 15 bzw. 7^2 cm lichter von FRASCH Weite trägt. Durch das ä u ß e r e Rohr wird überhitzter Wasserdampf von 170° eingepreßt, welcher unten (Fig. 63) den umgebenden Schwefel (Smp. 119°) schmilzt. Durch das i n n e r e Rohr tritt heiße Preßluft von 40 Atmosphären Druck ein, durch welche der geschmolzene Schwefel im m i t t l e r e n Rohr hochgepreßt wird. Der oben flüssig auslaufende Schwefel erstarrt in Bretterverschlägen zu riesigen Schwefelklötzen. Da er bereits sehr rein ist (98—99 1 / 2 %), braucht er nicht durch Destillation gereinigt zu werden.

Aus S c h w e f e l w a s s e r s t o f f Steigende Bedeutung gewinnt in Deutschland die Gewinnung von Schwefel aus dem in technischen, aus Kohle gewonnenen Gasen ( L e u c h t g a s , K o k e r e i g a s , W a s s e r g a s , S y n t h e s e g a s usw.) enthaltenen, dem Schwefelgehalt der Kohle entstammenden S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (vgl. S. 192). Die Umwandlung dieses Schwefelwasserstoffs in Schwefel erfolgt ganz allgemein durch Verbrennen mit Sauerstoff in Gegenwart von Katalysatoren. Wichtige Katalysatoren für diese Oxydation sind z. B . B a u x i t (AlOOH), A k t i v k o h l e (C) und E i s e n h y d r o x y d (Fe(OH) 3 ). Die Überführung von Schwefelwasserstoff in Schwefel mit Hilfe von B a u x i t als Katalysator („CLAUs-Prozeß") wird zweckmäßig im sogenannten CLAUS-Ofen vorgenommen.

184

Die Gruppe der Chalkogene

Nach dem „älteren CLAUS-Verfahren" wird der Schwefelwasserstoff mit Luft d i r e k t zu S c h w e f e l verbrannt: 3H2S + 1.502

3 S + 3HjO(g) + 1 5 9 k c a l .

Der hierfür benutzte „CLAUS-Ofen" (Fig. 64) besteht aua einem von einem Eisenmantel umgebenen Mauerwerk mit einem durchloehten Zwischenboden, auf dem die Kontaktmasse aufgeschichtet ist. Die mit Luft vermischten schwefelwasserstoffhaltigen Gase treten H?S+Luft von oben in den Ofen ein und durchstreichen die Kontaktschicht. Die bei der Schwefelbildung freiwerdende Reaktionswärme verursacht in der obersten Kontaktschicht eine Temperatur von 500°, Mauerwerk welche nach unten hin rasch abnimmt. mftßsenmantel Der gebildete Schwefel tropft teils flüssig durch den Zwischenboden ab, um auf dem Ulasserdampf,unteren, schrägen Boden auszufließen, Zwischenboden- Stickstoff teils entweicht er gasförmig und wird in aus Locfiplalten besonderen Kondensationskammern als geneigter Baden

„Schwefelblume"

Fig. 64.

gewonnen.

Querschnitt durch einen Claus-Ofen

Ein Nachteil des älteren C L A U S Verfahrens ist der Umstand, daß die gesamte Verbrennungswärme im K o n t a k t frei wird und hier nur schwierig zu beherrschen ist. Der „neuere CLAUS-Prozeß" beseitigt diese Schwierigkeit, indem er den Verbrennungsvorgang in zwei S t u f e n zerlegt: H 2 S + 1.5 0 2 S02 + 2H2S 3 H 2 S + 1.502

v S 0 2 + H 2 0 + 124 kcal > - 3 S + 2 H 2 Q + 35 kcal 3 S + 3 H 2 0 + 159 kcal,

(1) (2) (3)

von denen nur die z w e i t e (2) eines Katalysators bedarf. Das Verfahren arbeitet so, daß ein D r i t t e l des Schwefelwasserstoffs mit Luft bis zu S c h w e f e l d i o x y d verbrannt wird (1). Hierbei wird der g r ö ß t e T e i l der Reaktionswärme a u ß e r h a l b des K o n t a k t s durch einfache Verbrennung frei und kann im Dampfkessel zur Dampferzeugung ausgenutzt werden. Die restlichen zwei D r i t t e l des Schwefelwasserstoffs werden mit dem gebildeten S c h w e f e l d i o x y d über verbesserten Bauxitkontakten in einem turmartigen CLAUS-Ofen umgesetzt (2). Da hierbei nur noch die restliche Wärmemenge von 35 kcal im Kontakt frei wird, kann im Vergleich zum älteren Verfahren mehr als die h u n d e r t f a c h e Menge Schwefelwasserstoff je Zeiteinheit umgesetzt werden (älteres Verfahren: 2 bis 3 m 3 H 2 S, neueres Verfahren: 200 bis 300 m3 H 2 S je Stunde und Kubikmeter Kontaktmasse). Der gebildete Schwefel ist s e h r r e i n (durchschnittlich 99.5%ig).

Bei Verwendung von A k t i v k o h l e als Katalysator wird das mit Luft vermischte schwefelwasserstoffhaltige Gas durch einen mit 2 m 3 Aktivkohle (S. 299 f.) beschickten Behälter geleitet, wobei sich der gebildete Schwefel auf der Kohle niederschlägt. Die Abtrennung des Schwefels von der Kohle erfolgt durch Extraktion mit Ammoniumsulfidlösungen oder anderen Lösungsmitteln (z. B . Schwefelkohlenstoff, Monochlorbenzol, Dichlorbenzol) oder durch Abtreiben mit überhitztem Wasserdampf. Man bedient sich dieses Verfahrens der Schwefelwasserstoffverbrennung z. B . zur E n t s c h w e f e l u n g des zur A m m o n i a k synthese dienenden Stickstoff-WasserstoffGemisches (S. 225 f.). Ein weiteres Verfahren der Verbrennung von Schwefelwasserstoff zu Schwefel besteht darin, daß man das schwefelwasserstoffhaltige Gas über E i s e n h y d r o x y d leitet, welches den Schwefelwasserstoff als Eisensulfid bindet (4), und dann das gebildete Eisensulfid an der Luft unter Schwefelabscheidung in Eisenhydroxyd rückverwandelt (5): Fe203 + 3H2S — F e 2 S 3 + 3 H 2 0 Fe 2 S 3 + 1-5O a Fe 2 Q 3 + 3 S 3H„S + l . ö 0 2 ^3S+3H20.

(4) (5) (6)

185

Der Schwefel

Das Verfahren dient zur E n t s c h w e f e l u n g von L e u c h t g a s und K o k e r e i g a s (S. 310); der gebildete Schwefel wird mit Schwefelkohlenstoff extrahiert oder — nach genügender Schwefelanreicherung — mitsamt der Eisenhydroxydmasse an die Schwefelsäurefabriken zur S c h w e f e l s ä u r e e r z e u g u n g (S. 206) abgegeben. jm einzelnen verfährt man bei dieser Art der Schwefelgewinnung aus Schwefelwasserstoff so, daß man die Eisen hydroxydmasse (natürliches ,,Baseneisenerz" — S. 535 — oder künstliche, bei der Bauxitverarbeitung — S. 379f. — abfallende „Luxmasse") auf flachen, übereinanderliegenden Holzrosten („Hordenreiniger") oder in Türmen („Turmreiniger") ausbreitet und entweder a b w e c h s e l n d „sättigt" (4) und „wiederbelebt" (5) oder dem über das Eisenhydroxyd streichenden schwefelwasserstoffhaltigen Gas von vornherein Luft beimischt, so daß Absorption und Wiederbelebung n e b e n e i n a n d e r verlaufen.

Aus S c h w e f e l d i o x y d Auch das in manchen technischen Gasen, z. B . Konvertergasen (S. 4 5 0 f , 541) und Röstgasen (S. 206) enthaltene S c h w e f e l d i o x y d kann zur Schwefelgewinnung nutzbar gemacht werden, indem man das Schwefeldioxyd in einen mit K o k s beschickten heißen Generator einbläst, wobei Reduktion zu Schwefeldampf erfolgt: S02 + C ^

C02 +

S.

Y) Physikalisehe Eigenschaften Der Schwefel kommt in mehreren festen, flüssigen und gasförmigen Zustandsformen vor, von denen im folgenden die wichtigsten angeführt seien: 95.0° 119.0« 444.6" a-Schwefel -< rhombisch, gelb

v

Up.

ß-Schwefel Z^Zt. [X-Schwefel monoklln, gelb

Smp.

gelb, leichtflüssig CS,-löslich

/¿-Schwefel]

[S 8

braun, zähflüssig, CSi-unlöslich

Sdp. gelb

temperaturabhängiges Gleichgewicht

fester Schwefel




f l ü s s i g eplastischer r S c h w eSchwefel) fel (unterkühlt:

S4

St rot

S,] gelb

temperaturabhängiges Gleichgewicht

dampfförmiger Schwefel

Die bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r allein beständige feste Modifikation des Schwefels ist der sogenannte „rhombische Schwefel" oder „tx-Schwefel". E r ist unlöslich in Wasser, schwer löslich in Alkohol und Äther, wenig löslich in Benzol, leicht löslich in Schwefelkohlenstoff und besitzt die charakteristische „schwefelgelbe" Farbe, die sich beim Erwärmen etwas vertieft, beim Abkühlen aufhellt. Bei 95.6° C wandelt sich der a-Schwefel unter geringem Wärmeverbrauch (0.09 kcal) und Volumenvergrößerung in eine zweite feste Modifikation, den sogenannten ,,monoklinen Schwefel" oder ,,ß-Schwefel" um, die ebenfalls in Schwefelkohlenstoff leichtlöslich ist. O b e r h a l b der Umwandlungstemperatur („Umwandlungspunkt") i s t n u r d e r m o n o k l i n e , u n t e r h a l b nur der r h o m b i s c h e Schwefel beständig (S. 187ff.); dieUmwandlungsgeschwind i g k e i t ist allerdings unter normalen Bedingungen so klein, daß beispielsweise Nadeln des monoklinen Schwefels bei Zimmertemperatur erst im Laufe einiger Tage unter Bildung kleiner rhombischer Kriställchen zerfallen. Die Lösungen des oc- und /^-Schwefels in Schwefelkohlenstoff sind identisch und zeigen die gleiche, einer Molekülgröße S 8 entsprechende Gefrierpunktserniedrigung. Auch das Gitter des kristallinen «- und ^-Schwefels ist aus solchen S8-Molekülen aufgebaut. Die S8-Moleküle haben dabei die Gestalt eines gewellten Achtrings (Fig. 65). Bei 119.0° schmilzt der monokline Schwefel zu einer dünnen hellgelben Flüssigkeit, dem sogenannten „X-Schwefel". Kühlt man diese Flüssigkeit unmittelbar nach dem Schmelzen schnell ab, so löst sie sich vollständig in Schwefelkohlenstoff auf. Aus der Lösung scheidet sich beim Auskristallisieren «-Schwefel aus. Somit sind in der Lösung und damit auch in der Schmelze unveränderte S 8 -Ringe enthalten. Läßt man die

186

Die Gruppe der Chalkogene

Schmelze eine Zeitlang oberhalb der Schmelztemperatur stehen, so tritt mit ihr eine V e r ä n d e r u n g ein, indem bis zu einem Gleichgewicht eine weitere flüssige, in der Schmelze gelöste Schwefelmodifikation entsteht. Schreckt man jetzt die Schmelze ab und versucht sie in Schwefelkohlenstoff zu lösen, so bleibt die aus dem ¿-Schwefel neu entstandene Modifikation (,,/i-Schwefel") als gelbes, in Schwefelkohlenstoff völlig unlösliches Pulver zurück. Diese Unlöslichkeit des /¿-Schwefels läßt sich zwanglos durch die einfache Annahme deuten, daß er aus h o c h m o l e k u l a r e n R i n g e n (von 1000 und mehr Schwefelatomen) besteht, die sich in der Hitze durch Aufbrechen der S 8 -Ringe und Vereinigung der Bruchstücke (Fig. 66) zu größeren Aggregaten bilden 1 . Diese Ringe besitzen natürlich nicht mehr eine kreisförmige Gestalt, sondern können wie ein in sich geschlossenes Seil jede beliebige Form annehmen. Bei weiterer S t e i g e r u n g d e r T e m p e r a t u r verschiebt sich das Gleichgewicht nach der Seite der hochmolekularen S^-Ringe hin. Da der /i-Schwefel zum Unterschied vom gelben, leichtflüssigen ¿-Schwefel braun und zähflüssig ist, wird die oberhalb des »Schmelzpunktes zunächst dünne, hellgelbe Flüssigkeit zunehmend braun und zähflüssig.

A- in /t-Schwefel

Bei 160° C tritt eine plötzliche Erhöhung der Viskosität um etwa das Tausendfache ein. Bei dieser Temperatur überschreitet die Gleichgewichtskonzentration an /¿-Schwefel die Grenze der Löslichkeit von //-Schwefel in geschmolzenem ¿-Schwefel (etwa 11%). Es fällt daher bei dieser Temperatur hochmolekularer /¿-Schwefel aus, während sich in der Schmelze gemäß der Lage des Gleichgewichts immer wieder hochmolekularer /¿-Schwefel aus niedermolekularem ¿-Schwefel nachbildet. Dieser fällt so lange aus, bis die ursprüngliche Schmelze vollkommen verschwunden ist. Zurück bleibt ein hochviskoses, dunkelbraunes Harz von hochmolekularem /¿-Schwefel, das seinerseits niedermolekularen ¿-Schwefel gelöst enthält. Oberhalb von 160° C besteht also die Schwefelschmelze zur Hauptsache aus hochmolekularen Ringen und zu geringerem Teil aus S 8 -Ringen. Bei noch höheren Temperaturen (oberhalb von 200° C) nimmt die Viskosität des zähen Harzes zunächst langsam, dann stärker ab. Die normale Abnahme der inneren Reibung einer Flüssigkeit mit steigender Temperatur fällt von hier ab stärker ins Gewicht als die Erhöhung der Viskosität infolge langsamer weiterer Steigerung des Gehaltes an hochmolekularen S^-Ringen. Bei 400° ist die dunkelbraune Schmelze wieder vollkommen d ü n n f l ü s s i g , und bei 444.6° s i e d e t schließlich die Flüssigkeit. Der entstehende D a m p f ist zunächst orangegelb, bei 500° rot und wird 1 Die Temperatur 119.0° wird auch ,,idealer Schmelzpunkt" des monoklinen Schwefels genannt. Sie gilt für das Gleichgewicht des monoklinen Schwefels mit einer aus r e i n e m A - S c h w e f e l bestehenden Schmelze. Wird die Schmelze längere Zeit etwas oberhalb der Schmelztemperatur gehalten, so sinkt der Erstarrungspunkt allmählich bis auf 114.5°, weil sich der A-Schwefel in der Schmelze mit //-Schwefel i n s G l e i c h g e w i c h t s e t z t , der wie ein Fremdstoff den E r s t a r r u n g s p u n k t des A-Schwefels e r n i e d r i g t . Man nennt die Temperatur 114.5° (3.6% /¿-Schwefel im Gleichgewicht) auch den „natürlichen Schmelzpunkt" des monoklinen Schwefels.

Der Schwefel

187

oberhalb von 500° wieder heller, bis er bei 650° strohgelb ist. Diese Farbänderungen des Schwefeldampfes hängen wahrscheinlich mit den D i s s o z i a t i o n e n zusammen, die sich im Schwefeldampf beim Erhitzen abspielen. Denn bei niedrigeren Temperaturen besteht der Schwefeldampf im wesentlichen aus S 8 - R i n g e n . Diese gehen dann mit steigender Temperatur in S 6 - und S4- und bei 650° schließlich in S 2 - M o l e k ü l e über. Oberhalb von 1800° beginnen dann auch die S 2 -Moleküle in S - A t o m e zu dissoziieren. Beim l a n g s a m e n Abkühlen treten alle genannten Zustände in u m g e k e h r t e r R e i h e n f o l g e auf. Kühlt man also die Schmelze etwa in einem großen Tiegel ab, bis sich eine Kruste über der Schmelze gebildet hat, durchstößt die Kruste und gießt den restlichen flüssigen Schwefel aus, so findet man die Wände des Tiegels mit den langen, glashellen, fast farblosen Nadeln des monoklinen /^-Schwefels bedeckt. Diese werden dann nach Ablauf einiger Stunden matt und zerbrechlich, da sie unterhalb des Umwandlungspunktes zu rhombischen Schwefelkriställchen zerfallen. Kühlt man dagegen die Schmelze nicht langsam, sondern r a s c h ab, indem man sie in dünnem Strahl in kaltes Wasser gießt {„Abschrecken"), so erhält man die Flüssigkeit als u n t e r k ü h l t e S c h m e l z e , da sie dann keine Zeit findet, zu kristallisieren. Die gebildete, in Pyridin lösliche Masse ist braungelb, plastisch und zäh-elastisch und wird daher „plastischer Schwefel" („y-Schwefel") genannt. Die beiden Bestandteile des plastischen Schwefels, A- und ¡x- Schwefel, lassen sich mit Hilfe von Schwefelkohlenstoff unterscheiden, da A-Schwefel wie gesagt in Schwefelkohlenstoff l ö s l i c h , ^ - S c h w e f e l dagegen in Schwefelkohlenstoff u n l ö s l i c h ist. Daß der S c h w e f e l bei Zimmertemperatur zum Unterschied von dem im Periodensystem der Elemente darüberstehenden g a s f ö r m i g e n Sauerstoff (Smp. — 218.9°, Sdp. — 183.0°) f e s t ist (Smp. + 119.0°, Sdp. + 444.6°), hat seinen Grund in dem wesentlich größeren Molekulargewicht (S8 gegenüber 0 2 ). Als Konstitutionsformeln geschrieben lauten die Molekülarten des A- und ^-Schwefels wie folgt: :S:S:S:

S- S - S

:S:

S

: S:

:S:S:S:

S

¿_S-S

,V.

: S : S: S: S : S: S : S: S - x ,-S-S-S-S- S-S-S-S-, • •• ;; l/ ;; ' • •_•_ mehr als —>-\, / Kteiuronenfurmeln 1000 S-Atome Vuleuzatricliformeln Wie aus den Elektronenformeln hervorgeht, zeigt der Schwefel nicht wie der homologe Sauerstoff die Neigung, durch A u s b i l d u n g einer D o p p e l b i n d u n g ( S :: s ) zu einer a b g e s c h l o s s e n e n E d e l g a s s c h a l e zu gelangen; vielmehr erreicht er dieses Ziel durch A n e i n a n d e r r e i h u n g von A t o m e n , wobei je ein freies Elektronenpaar des einen Atoms in die Oktettlücke eines zweiten eingreift. Diese „Scheu" vor der Bildung kovalenter Mehrfachbindungen (vgl. S. 268), welche zur Entstehung p o l y m e r e r S t o f f e Veranlassung gibt, findet sich bei allen Nichtmetallen und Nichtmetallverbindungen außer denen der e r s t e n A c h t e r p e r i o d e . Wir werden ihr später iS. 199, 251, 253, 261, 268f., 273f., 286, 320f., 325fl., 331 f., 350) noch öfters begegnen.

S) Das Zustandsdiagramm des Schwefels Allotropie und Polymorphie Die Erscheinung, daß ein Stoff je n a c h d e n Z u s t a n d s b e d i n g u n g e n (Temperatur, Druck) in v e r s c h i e d e n e n f e s t e n Z u s t a n d s f o r m e n existiert, findet sich nicht nur beim Schwefel, sondern auch bei vielen anderen Stoffen, z. B. beim Eisen, Phosphor, Zinn, Kohlenstoff, Ammoniumnitrat, Quecksilbersulfid. Man nennt sie bei Elementen „Allotropie" und bei Verbindungen „Polymorphie". Wir haben dabei zwischen „enantiotropen" ( = wechselseitig umwandelbaren) und „monotropen" ( = einseitig umwandelbaren) Modifikationen zu unterscheiden, je nach-

188

Die Gruppe der Chalkogene

Fig. 67.

Dampfdruck und Umwandlungspunkt allotroper Modifikationen

Fig. 68.

Fig. 69.

Dampfdruckkurven enantiotroper Modifikationen

Dampfdruckkurven monotroper Modifikationen

dem die beiden Formen wechselseitig ineinander überführbar sind oder die Um Wandlung nur m e i n e r Richtung möglich ist. Verständlich wird dieses Verhalten auf Grund der D a m p f d r u c k k u r v e n : Wie der Schnittpunkt der Dampfdruckkurven der festen und flüssigen Phase eines Stoffs den S c h m e l z punkt dieses Stoffs unter dem eigenen Dampfdruck wiedergibt (S. 53), stellt sich der Umwandlungspunkt zweier fester Modifikationen A und B eines Stoffs (unter dem eigenen Dampfdruck) als der Schnittpunkt der Dampfdruck kurven der beiden Formen dar (Fig. 67). Unterhalb der Umwandlungstemperatur ist dieForm/1, oberhalb dieForm B die beständigere, da im ersteren Falle der Stoff .¡4, im letzteren der Stoff B den geringeren Dampfdruck besitzt (vgl. S. 53). Nur beim Umwandlungspunkt selbst können beide festen Modifikationen dauernd nebeneinander bestehen, da sie hier genau den gleichen D a m p f d r u c k aufweisen. Schneidet nun die Dampfdruckkurve der Schmelze die Dampfdruckkurven der beiden f e s t e n M o d i f i k a t i o n e n A und B oberhalb des Umwandlungspunktes 1 (Fig. 68), so wandelt sich beim Erwärmen der Stoff A beim Umwandlungspunkt 1 in die Modifikation B und die Modifikation B beim Schmelzpunkt 2 in die Schmelze um, da stets die Zustandsform mit dem k l e i n s t e n Dampfdruck (ausgezogene Kurventeile) die bes t ä n d i g s t e ist. Schneiden sich die Kurven dagegen u n t e r h a l b des Umwandlungspunktes 1 (Fig. 69), so schmilzt der Stoffe beim Erwärmen in Punkt 3, bevor der Umwandlungspunkt 1 erreicht ist; eine Umwandlung von A in B ist daher in diesem Falle n i c h t möglich. Der Punkt 3 in Fig. 68, der den Schmelzpunkt der bei dieser Tempe-

Der Schwefel

189

ratur n i c h t b e s t ä n d i g e n festen Form A darstellt, kann häufig durch v o r s i c h t i g e U n t e r k ü h l u n g der Schmelze erreicht werden. Denn wenn man dafür sorgt, daß keine Kristallkeime des Stoffes B zugegen sind, so gelingt es, beim Abkühlen der Schmelze ein Auskristallisieren des Stoffes B beim Punkte 2 zu v e r m e i d e n und auf den gestrichelten (metastabilen) Teil der Dampfdruckkurve der Schmelze zu gelangen, bis beim Punkte 3 ein Auskristallisieren des Stoffes A erfolgt. In analoger Weise kann bei m o n o t r o p e n Modifikationen (Fig. 69) durch vorsichtige Unterkühlung der Schmelze bis zum Punkte 2 der E r s t a r r u n g s p u n k t von B erreicht und so die — unter diesen Temperaturbedingungen lediglich m e t a s t a b i l e (vgl. S. 110) — Modifikation B erhalten werden, die sich dann allerdings von selbst — mehr oder weniger schnell — in die stabile Form A umwandelt. Die Erscheinung, daß ein in mehreren Zustandsformen verschiedenen Energiegehaltes existierender Stoff beim Abkühlen nicht gleich in den e n e r g i e ä r m s t e n Z u s t a n d , sondern zunächst in eine Zustandsform m i t t - >~1W0at leren E n e r g i e g e h a l t e s übergeht, ist ein Spezialfall einer als „Ostw Alb sehe Stufcnregcl" bekannten Regel: Ein in mehreren Energiezuständen vorkommendes chemisches System geht beim Entzug von Energie nicht direkt, sondern stufenweise in den energieärmsten Zustand über. Ein Beispiel für einen Stoff mit e n a n t i o t r o p e r Umwandlung ist der oben besprochene S c h w e f e l ; die Punkte 1, 2 und 3 (Fig. 68) haben in diesem Falle die Werte 95.6°, 119.0° und 112.8° 1 . M o n o t r o p i e liegt z. B. im Fall des — später (S. 253 ff.) zu besprechenden — weißen und violetten P h o s p h o r s vor. Der S c h n i t t p u n k t 1 (Fig. 68) der Dampfdruckkurven der beiden enantiotropen Modifikationen A und B eines Stoffs stellt den Umwandlungspunkt SS,6' 112,8° 113,0' u n t e r dem eigenen G l e i c h g e w i c h t s d r u c k dar. Ändert man willkürlich den Fig. 70. Zustandsdiagramm des Schwefels (nicht maßstäblich) D r u c k , so ändert sich auch die Umw a n d l u n g s t e m p e r a t u r . Beim Schwefel steigt letztere z. B. mit wachsendem Druck um durchschnittlich 0.04° je Atmosphäre. Ebenso erhöht sich auch der S c h m e l z p u n k t 2 des monoklinen Schwefels mit steigendem D r u c k ; allerdings weniger stark, nämlich im Durchschnitt um 0.025° je Atmosphäre. Tragen wir die sich so ergebenden beiden Kurven, die sich bei 154° und ~ 1 4 0 0 Atmosphären schneiden, mit in das der Fig. 68 entsprechende Dampfdruckdiagramm des Schwefels ein, so erhalten wir das vollständige „Zustandsdiagramm 1 112.8° ist der ideale, Schmelzpunkt des rhombischen Schwefels (vgl. Anm. 1, S. 186). Der natürliche Schmelzpunkt beträgt 110.2° (3.4% ^-Schwefel im Gleichgewicht).

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Die Gruppe der Chalkogene

des Schwefels", wie es in schematischer — nicht maßstäblicher — Form in Fig. 70 wiedergegeben ist. Wie man sieht, ist die D r u c k - T e m p e r a t u r - E b e n e dieses Zustandsdiagramms durch die 6 Kurvenzüge in vier — in der Zeichnung verschieden schraffierte — F e l d e r eingeteilt, deren jedes dem Existenzbereich e i n e r der vierZustandsformen des Schwefels (rhombischer, monokliner, flüssiger und dampfförmiger Schwefel) entspricht. Längs der K u r v e n , in denen je z w e i Felder aneinander grenzen, sind je z w e i Zustandsformen des Schwefels, in den P u n k t e n 1, 2, 3 und 4 („Triftelpunkte"), in denen je d r e i Felder aneinanderstoßen, je d r e i Zustandsformen des Schwefels miteinander im Gleichgewicht. Innerhalb der F e l d e r kann man, wie aus dem Zustandsdiagramm hervorgeht, weitgehend Druck u n d Temperatur variieren, ohne den Existenzbereich der betreffenden Schwefelform zu überschreiten; hier haben wir also z w e i Wahlfreiheiten. Längs der K u r v e n aber, wo sich zwei Formen miteinander im Gleichgewicht befinden, liegt nur noch e i n e Wahlfreiheit vor: man kann e n t w e d e r die Temperatur festlegen, dann ist der zugehörige Druck durch die betreffende Kurve zwangsläufig gegeben, o d e r man kann den Druck vorgeben, dann ist die Temperatur durch die Kurve festgelegt. Für das Gleichgewicht zwischen 3 Formen des Schwefels schließlich (Punkt 1, 2, 3 und 4) besteht überhaupt k e i n e Wahlfreiheit mehr, da Druck und Temperatur der Tripelpunkte durch das Diagramm gegeben sind. Genau wie beim Z u s t a n d s d i a g r a m m d e s W a s s e r s (S. 51 ff.) besteht also auch hier eine g e s e t z m ä ß i g e B e z i e h u n g zwischen der Zahl der W a h l f r e i h e i t e n („Freiheitsgrade") und der Zahl der Z u s t a n d s f o r m e n derart, daß die Zahl der Freiheitsgrade um so g r ö ß e r ist, je w e n i g e r Zustandsformen sich miteinander im Gleichgewicht befinden. Das Phasengesetz von

GIBBS

Der amerikanische Physiker J O S I A H W I L L A R D G I B B S ( 1 8 3 9 — 1 9 0 3 ) hat die vorgenannte Beziehung für heterogene Gleichgewichtssysteme verallgemeinert und quantitativ zu einer als „GIBBSsches Phasengesetz" bekannten Gleichung zusammengefaßt : Zahl der Phasen + Zahl der Freiheitsgrade = Zahl der Bestandteile + 2 P + F = B+ 2. Unter ,,Phasen" versteht man dabei die in sich h o m o g e n e n , d. h. in allen ihren Teilen physikalisch gleichartigen, verschiedenen Z u s t a n d s f o r m e n der Stoffe, die sich durch Trennungsflächen voneinander abgrenzen. Wasser und Wasserdampf bilden also z. B. z w e i , Eis, Wasser und Wasserdampf drei Phasen, ebenso stellen rhombischer, monokliner, flüssiger und dampfförmiger Schwefel vier verschiedene Phasen des Schwefelsystems dar. Da Gase in allen Verhältnissen miteinander mischbar sind, kann ein heterogenes, d. h. aus verschiedenen Phasen bestehendes System nie mehr als e i n e G a s p h a s e aufweisen. Dagegen kann es aus verschiedenen f l ü s s i g e n Phasen aufgebaut sein, wenn diese nicht miteinander mischbar sind. Die Zahl der f e s t e n Phasen schließlich ist unbegrenzt. Unter der Zahl der „Freiheitsgrade" versteht man die Zahl der Bestimmungsgrößen wie D r u c k , T e m p e r a t u r oder K o n z e n t r a t i o n , welche bei gegebener Zahl der Phasen innerhalb endlicher Grenzen w i l l k ü r l i c h v a r i i e r t werden können, ohne daß sich dabei die Zahl der Phasen ändert. Die Zahl der „Bestandteile" ist definiert als die k l e i n s t e Zahl der Molekülsorten, aus denen die verschiedenen Phasen entstanden gedacht werden können. Ein aus geschmolzenem und gasförmigem Schwefel oder aus Eis, Wasser und Wasserdampf bestehendes System ist also aus je e i n e m Bestandteil aufgebaut. Für das Gleichgewichtssystem NH4C1 -- H 2 S + 4.8 kcal.

(1)

Man verfährt dabei am besten so, daß man ein Gemisch von Schwefeldampf und Wasserstoff durch ein auf 600° erhitztes Glasrohr leitet. Bequemer erhält man den Schwefelwasserstoff im Laboratorium dadurch, daß man ihn aus seinen Salzen (Sulfiden) im K I P P sehen Apparat mit S a l z s ä u r e in Freiheit setzt: FeS + 2 HCl — F e C l

2

+ H2S.

Als Sulfid dient gewöhnlich E i s e n s u l f i d , das technisch durch Zusammenschmelzen von Eisen und Schwefel gewonnen wird (S. 535). Da es meist noch etwas metallisches Eisen enthält, ist dem so bereiteten Gas etwas Wasserstoff beigemengt, was aber bei den meisten Verwendungen nicht stört. Zur Darstellung r e i n e n Schwefelwasserstoffs verwendet man zweckmäßig Calcium- oder B a r i u m s u l f i d . T e c h n i s c h kann Schwefelwasserstoff aus L e u c h t g a s , K o k e r e i g a s und anderen, aus Kohle hergestellten Gasen gewonnen werden, welche mehrere Zehntel Volumenprozente Schwefelwasserstoff enthalten. Die Abtrennung erfolgt zweckmäßig durch Lösungen s c h w a c h e r B a s e n B, welche den Schwefelwasserstoff a b s o r b i e r e n und beim Erhitzen wieder a b g e b e n : Absorption

B + H2S
BIT + HS'.

So arbeitet z. B. das „Thylox-V erfahren" mit Thioarsenit-lösungen, das „GIRDLESVerfahren" mit Alkoxy-aminen und das — in Deutschland meist benutzte — „AlkazidVerfahren" mit Lösungen aminosaurer Salze.

Der Schwefel

193

Physikalische Eigenschaften. Schwefelwasserstoff ist ein farbloses, „nach faulen Eiern'' riechendes, stark giftiges Gas, das sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit kondensieren läßt, welche bei —60.8° siedet und bei —85.6° erstarrt. 1 Liter Wasser löst bei 0° 4.65 und bei 20° 2.61 Liter H 2 S ; die entstehende Lösung heißt ,,Schwefelwasser sto ff wasser''.

Chemische Eigenschaften. Bei hoher Temperatur zerfällt S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Umkehrung seiner Bildung aus den Elementen (1) wieder weitgehend (bei 1000° zu etwa 1 / 4 , bei 1500° zu etwa 2 / 3 , bei 1700° zu etwa 3 / 4 ) in S c h w e f e l und W a s s e r s t o f f . An der Luft entzündet, verbrennt er je nach der Luftzufuhr mit blauer Flamme zu Wasser und S c h w e f e l d i o x y d oder zu Wasser und S c h w e f e l : H2S + P/ 2 0 2 — H

2

0 + S0 2 ;

H2S + 7 2 0 2 —>. H 2 0 + S .

Die wässerige Lösung zersetzt sich an der Luft und am Licht schon bei gewöhnlicher Temperatur allmählich in dieser Weise unter Schwefelabscheidung. Will man daher Schwefelwasserstoffwasser unzersetzt erhalten, so muß man es in völlig gefüllten und gut verschlossenen Flaschen im Dunkeln aufbewahren. Der Schwefelwasserstoff hat in wässeriger Lösung den Charakter einer s e h r schwachen zweibasigen Säure: HjS

H' + HS'

Die erste Dissoziationskonstante K, = K2 = —

2 - den Wert 1.3 X 10- 13

2H' + S".

°H

x Chs hat den Wert 1.02 x 10 - 7 , die zweite c Hi s (25°). Die G e s a m t d i s s o z i a t i o n wird demnach

fL_ —K, • K2= 1 3 x 10~20 wiedergegeben. Aus den Könens stanten geht hervor, daß der Schwefelwasserstoff in 0.1-molarer Lösung zu etwa Vio°/o in H" + HS' dissoziiert ist, während der Dissoziationsgrad der Spaltung nach H 2 S < > 2 H ' + S" wegen des pH-Wertes 4 einer 0.1-molaren H 2 S-Lösung (s. oben) in der Größenordnung von nur 10~10 % liegt (entsprechend einer Konzentration von rund 10 - 1 3 Gramm-ionen S" « 10 11 S"-ionen je Liter). Als z w e i b a s i g e Säure bildet der Schwefelwasserstoff zwei Reihen von Salzen:

durch die Konstante K — —

Hydrogensulfide

(saure Sulfide)

der F o r m e l M e ' H S u n d Sulfide (normale Sulfide) d e r Zu-

sammensetzung Me^S. Die H y d r o g e n s u l f i d e sind in Wasser alle sehr leicht löslich. Von den n o r m a l e n S u l f i d e n lösen sich die A l k a l i s u l f i d e gleichfalls leicht in Wasser; dabei erleiden sie als Salze einer schwachen Säure (vgl. S. Höf.) starke (in 1-normaler Lösung etwa 90°/0ige) H y d r o l y s e gemäß S" + HÖH

HS' + OH'.

(2)

Der gleichen hydrolytischen Spaltung unterliegen die E r d a l k a l i s u l f i d e , und noch leichter hydrolysieren A l u m i n i u m s u l f i d (A12S3) und C h r o m s u l f i d (Cr 2 S s ). Die meisten a n d e r e n M e t a l l s u l f i d e sind in Wasser so w e n i g l ö s l i c h (vgl. S. 194f.), daß die hydrolytische Zersetzung ausbleibt, weil infolge der geringen Sulfidionen-konzentration das Hydrolysengleichgewicht (2) ganz nach links verschoben ist. Schwefelwasserstoff ist sowohl im gasförmigen wie im gelösten Zustande ein verhältnismäßig starkes R e d u k t i o n s m i t t e l : H2S >-S + 2H bzw. S" S + 2©. So reagiert er z. B. lebhaft mit F l u o r , C h l o r und B r o m , weniger energisch mit J o d (vgl. S. 83, 87, 88, 99): H 2 S + X2 2HX + S bzw. S" + X s 2X' + S Holleman-Wiberg, Anorganische Chemie. 37.-3S.AuiI. 13

194

Die Gruppe der Chalkogene

und führt verschiedene Sauerstoffverbindungen, z . B . S c h w e f e l d i o x y d (bei Gegenwart von Wasser) oder k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e , in niedrigere Oxydationsstufen über: 2 ^ + 2 H j 0 + 3 s H 2 SOi + H 2 S — ^ HjjSOJ + H 2 0 + S ,

so daß man Schwefelwasserstoff nicht mit konzentrierter Schwefelsäure trocknen kann. Salze. Das Natriumsulfid Na 2 S wird technisch durch R e d u k t i o n von N a t r i u m s u l f a t mit K o h l e bei Dunkelrotglut dargestellt: Na 2 S0 4 + 4C

>- Na 2 S + 4 C 0 .

Es ist in Wasser mit s t a r k a l k a l i s c h e r R e a k t i o n (2) löslich und kristallisiert aus der Lösung unterhalb von 48° in Form hygroskopischer, quadratischer Prismen der Zusammensetzung Na 2 S • 9 H 2 0 aus. Technisch wird es in der organischen Chemie als R e d u k t i o n s m i t t e l (z. B. bei der Herstellung von Schwefelfarbstoffen) verwendet. Das Kaliumsulfid K 2 S wird zweckmäßig durch Sättigen von K a l i l a u g e mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (3) und Vermischen der so gewonnenen K a l i u m h y d r o g e n sulfidlösung mit einer äquivalenten Menge K a l i l a u g e (4) gewonnen: KOH + H 2 S K H S + KOH

>• K H S + H 2 0 K2S + H20.

(3) (4)

Es ist in Wasser leicht löslich und kristallisiert aus der Lösung mit 5 Mol Kristallwasser. An der Luft geht es wie das Natriumsulfid leicht in T h i o s u l f a t über: 2K2S + 2 0 2 + H20

>- K 2 S 2 0 3 +

2KOH.

Das „Kaliumsulfid" des Handels wird durch Zusammenschmelzen von P o t t a s c h e und Schwefel gewonnen. Es enthält K a l i u m p o l y s u l f i d e (S. 195), K a l i u m t h i o s u l f a t und K a l i u m s u l f a t und heißt wegen seiner leberbraunen Farbe auch „Schwefelleber". Beim Sättigen einer verdünnten wässerigen Ammoniaklösung mit S c h w e f e l wasserstoff entsteht analog (3) Ammoniumhydrogensulfid NH 4 HS: NH, + H 2 S — > - NH4- + S H ' .

Diese Lösung reagiert aber bei Zugabe einer äquivalenten Menge Ammoniak nicht analog (4) unter Bildung von Ammoniumsulfid (NH4)2S weiter. Die im Laboratorium für analytische Zwecke (s. unten) viel benutzte, aus 2 Mol Ammoniak und 1 Mol Schwefelwasserstoff gewonnene „Ammoniumsulfid"-lösung („farbloses Schwefelammon") enthält also kein (NH4)2S, sondern ein äquimolekulares Gemisch von NH 4 HS und NHS. Beim Stehen an der Luft färbt sich die farblose Lösung infolge Bildung von Ammoniumpolysulfiden (S. 195) bald gelb („gelbes Schwefelammon")-. S " + VüOJ + 2 H ' — > • S + H 2 0

S" + xS — M S X + 1 ]". (5) Rascher erhält man diese gelbe Lösung durch unmittelbares Auflösen von Schwefel gemäß (5).

Das wahre Ammoniumsulfid (NH 4 ) 2 S läßt sich durch Vermischen von 2 Mol Ammoniak und 1 Mol Schwefelwasserstoff bei — 18° unter Ausschluß von Wasser als weiße Kristallmasse erhalten: 2 N H 3 + H 2 S *• (NH 4 ) 2 S. Es zerfällt bereits bei Zimmertemperatur in Ammoniak und Ammoniumhydrogensulfid, welches seinerseits leicht in Ammoniak und Schwefelwasserstoff dissoziiert (Dissoziationsdruck bei 20° 355 mm):

(NH4)2s ~

NH

' > NH4HS

H 2 S.

Andere Metallsulfide werden bei den einzelnen Metallen beschrieben. Anwendung des Schwefelwasserstoffs in der Analyse. Man benutzt die Schwerl ö s l i c h k e i t der M e t a l l s u l f i d e in der analytischen Chemie dazu, um Metalle aus

195

Der Schwefel

wässeriger Lösung gruppenweise zu fällen. Denn je nach der Größe des L ö s l i c h k e i t s p r o d u k t e s (S. 120) eines Sulfids fällt letzteres bereits in s a u r e r L ö s u n g („Schwefelwasserstoffgruppe") oder erst in b a s i s c h e r (ammoniakalischer) L ö s u n g („Schwefelammongruppe") aus: cA. x c .. Aus der Dissoziationskonstante K = — 1 0 - 2 0 des Schwefelwasserstoffs CH,S

geht hervor, daß die Sulfidionen-konzentration einer gesättigten Schwefelwasserstofflösung (c H]S ~ 0.1) in Gegenwart einer 1-normalen starken Säure (cH- = 1) rund 10~21 (entsprechend 1 S"-ion je ccm) beträgt. Daher lassen sich a u s e i n e r s a u r e n L ö s u n g vom />H-Wert 0 nur solche Metallsulfide quantitativ ausfällen, deren Löslichkeitsprodukt so k l e i n ist, daß es trotz dieser minimalen S"-Konzentration noch erheblich überschritten wird. Das ist der Fall bei A r s e n s u l f i d As 2 S 3 (gelb), A n t i m o n s u l f i d Sb 2 S 3 (orangerot), Z i n n s u l f i d SnS (braun), Q u e c k s i l b e r s u l f i d HgS (schwarz), B l e i s u l f i d P b S (schwarz), W i s m u t s u l f i d Bi 2 S 3 (braunschwarz), K u p f e r s u l f i d CuS (schwarz) und C a d m i u m s u l f i d CdS (gelb). So besitzt z. B . das Bleisulfid das Löslichkeitsprodukt C i v X Cg« äs 1 0 - 2 8 ; es fällt daher beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in eine saure Lösung aus, sobald die Konzentration der Blei-ionen den Wert C i v = 10~28 : 1 0 - 2 1 = 10~7 — d.h. Viooooooo Mol Blei-ionen je Liter — überschreitet. Sind die Löslichkeitsprodukte r e l a t i v groß, so fallen die betreffenden Sulfide erst in b a s i s c h e r (ammoniakalischer) L ö s u n g quantitativ aus, in welcher die S"-Konzentration größer ist. Das ist z . B . der Fall bei N i c k e l s u l f i d NiS (schwarz), K o b a l t s u l f i d CoS (schwarz), E i s e n s u l f i d FeS (schwarz), M a n g a n s u l f i d MnS (fleischfarben) und Z i n k s u l f i d ZnS (weiß). So weist z. B . das Eisensulfid F e S das Löslichkeitsprodukt Cpe-- X es" «s 10~19 auf. E s könnte daher in saurer Lösung erst bei einer — experimentell nicht erreichbaren—Eisenionen-konzentration von Civ = 1 0 " 1 9 : 1 0 - 2 1 = 102 — also von 100 Mol Eisen-ionen je Liter — ausfallen. Setzt man aber die Wasserstoffionen-konzentration vermittels Ammoniak (H" + NH 3 —>• NH 4 ") herab, benutzt man also Ammoniumsulfid statt Schwefelwasserstoff als Fällungsmittel, so erfolgt z. B . bei einer Wasserstoff ionen-konzentration von 1 0 - 8 (schwach alkalische Lösung) die Ausfällung des Eisensulfids schon bei einer Eisenionen-konzentration von 1 0 - 1 9 : 1 0 - 5 = 10- 1 4 , weil dann c s » = 1 0 " 2 1 : (10" 8 ) 2 = 10" 6 ist. Die Löslichkeitsprodukte der E r d a l k a l i - und A l k a l i s u l f i d e sind so groß, daß sie selbst in ammoniakalischer Lösung nicht mehr erreicht werden (vgl. auch S. 193). Hier muß man andere Fällungsmittel zur Ausfällung verwenden („Erdalkaligruppe": „Alkaligruppe"). ß) Polyschwefelwasserstoffe Schmilzt man A l k a l i s u l f i d e Me2S mit S c h w e f e l oder digeriert man A l k a l i s u l f i d l ö s u n gen m i t S c h w e f e l , so nehmen die Alkalisulfide Schwefel auf unter Bildung gelber bis braunroter „Pnlysulfide" („Alkali-sulfane") der allgemeinen Formel Me 2 S x , worin x die Werte 2, 3, 4, 5 und höher annehmen kann. Die Bildung dieser Polysulfide kann man sich so vorstellen, daß an die freien Elektronenpaare des Sulfidschwefels unter Kettenbildung Schwefelatome angelagert werden: :S: Sulfid

i"

:S:S Disulfid

i"

:S:S:S: Trúulfid

:S:S:S:S Tetrasulfid

: S : S : S : S : S: Pentasulfid

Diese Formeln entsprechen ganz den Kettenformeln des e l e m e n t a r e n Schwefels, nur daß im letzteren Fall die Ketten wegen des Fehlens zweier Elektronen (Wegfall der beiden negativen Ladungen) zu R i n g e n geschlossen sind (vgl. S. 187). Einen analogen kettenförmigen Bau besitzen die Anionen der P o l y t h i o n a t e Me 2 S x O e (vgl. S. 216), bei denen an die je drei freien Elektronenpaare der beiden endständigen Schwefelatome der obigen Polysulfid-Keihe je drei Sauerstoffatome angelagert sind.

13*

Die Gruppe der Chalkogene

196

S ä u e r t man Lösungen solcher Alkalipolysulfide an, so erhält man nicht die zugrundeliegenden P o l y s c h w e f e l w a s s e r s t o f f e H 2 S X (Polysulfane), sondern nur deren Zerfallsprodukte S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l : Na 2 S x + 2HCl — > - 2NaCl + H 2 S + (x -

1)S.

Läßt man aber u m g e k e h r t die Lösung des P o l y s u l f i d s unter Kühlung zu überschüssiger k o n z e n t r i e r t e r S a l z s ä u r e fließen oder zersetzt man die festenPolysulfide mit w a s s e r f r e i e r A m e i s e n s ä u r e , vermeidet man also ö r t l i c h e a l k a l i s c h e R e a k t i o n , so scheidet sich ein gelbes „Rohöl" (H 2 S 4 , H 2 S 5 , H 2 S,) ab, das durch Destillation unter m i l d e n B e d i n g u n g e n in seine Bestandteile zerlegt werden kann, während bei K r a c k d e s t i l l a t i o n (Zersetzungsdestillation) die schwefelärmeren Glieder H 2 S 2 und H a S s entstehen. In reinem Zustande wurden so bis jetzt gewonnen: der Dischwefelwasserstoff H2S2, eine blaßgelbe, bewegliche, Augen und Schleimhäute stark reizende, bei 70.7° siedende und bei — 89.6° erstarrende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.376, der Trischwef elwasserstoff H 2 S 3 , eine hellgelbe, bei tiefer Temperatur farblose, kämpferähnlich riechende, bei — 52° schmelzende und sich vor Erreichen des Siedepunktes (~90°) zersetzende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.496, der Tetraschwefelwasserstoff H2S4, eine kräftig hellgelb gefärbte, stechend riechende, glasig erstarrende (Smp. ~ — 85°), in Benzol unbeschränkt lösliche Flüssigkeit von der Konsistenz des Olivenöls und dem spezifischen Gewicht 1.588, der Pentaschwefelwasserstoff H 2 S 5 , ein gelbes, sich schon bei 40° zersetzendes Öl vom spezifischen Gewicht 1.660 und der Hexaschwefelwasserstoff H a S g , ein kräftig gelb gefärbtes, viskoses, leicht stechend riechendes und wie H 2 S 6 glasig erstarrendes öl vom spezifischen Gewicht 1.699. Alle diese Polyschwefelwasserstoffe werden durch A l k a l i l a u g e n h e f t i g z e r s e t z t : H2Sx

>- H 2 S + (x—1) S.

Ihre Empfindlichkeit gegenüber Alkalien ist dabei so groß, daß sie nur in Glasgefäßen gewonnen und aufbewahrt werden können, deren Innenwände zuvor durch Behandlung mit Säure auch von S p u r e n A l k a l i b e f r e i t worden sind. Der Zerfall in Schwefelwasserstoff und Schwefel ist e x o t h e r m . Dementsprechend gehen die niedrigeren Glieder beim Auflösen von Schwefel nicht in schwefelreichere Verbindungen über.

c) Halogenverbindungen des Schwefels Schwefel bildet Halogenide des Typus SX 2 (SF 2 , farbloses Gas, Sdp. — 3 5 ° ; SC12, granatrote Flüssigkeit, Sdp. 59°), SX 4 (SF 4 , farbloses Gas, S m p . — 1 2 4 ° , Sdp. — 4 0 ° ; SC14, blaßgelbe Flüssigkeit, Smp. ~ — 3 0 ° , zersetzlich) und SX 8 (SF 6 , farbloses Gas, Smp. —50.5°, Sblp. —63.8°). Außerdem kennt man noch Sauerstoff-IIalogen-Verbindungen des Schwefels vom Typus 0 S X ä („Thionylhalogenide"; OSF 2 , farbloses Gas, Smp. —110°, Sdp. — 3 0 ° ; OSCl2, farblose Flüssigkeit, Sdp. 7 6 ° ; OSBr 2 , rotgelbe Flüssigkeit, zersetzlich) und 0 a S X 2 {„Sulfurylhalogenide"; 0 2 S F 2 , farbloses Gas, S m p . — 1 3 5 . 7 ° , S d p . — 5 5 . 2 ° ; 0 2 SC1 2 , farblose Flüssigkeit, Sdp. 69.3°), sowie die dem Typus O S X 2 formal entsprechenden Schwefelverbindungen SSX;> (S 2 F 2 , farbloses Gas, Smp. —120.5°, Sdp. — 3 8 ° ; S2C12, orangegelbe Flüssigkeit, Smp. —76.5°, Sdp. 137.1°; S 2 Br 2 , tiefrote Flüssigkeit, S m p . — 4 6 ° , zersetzlich). Den Verbindungen SX 2 kommt die Elektronenkonfiguration I zu. Die Thionylhalogenide OSX 2 und Sulfurylhalogenide Ö 2 SX 2 leiten sich davon durch Anlagerung eines (Formel I I ) bzw. zweier (Formel I I I ) Sauerstoffatome an das Schwefelatom ab: : X: S :X:

:Ö:

:Ö:

:X:S:X:

:X:S:X: :Ö:

(I)

(II)

(III)

Ersatz des Schwefelatoms in Formel I durch längere Schwefelketten führt zu einer Verbindungsklasse X 2 S t („Halogensulfane"), die sich von den Polysulfanen H 2 S ( (s. oben) durch Ersatz der Wasserstoffatome durch Halogenatome ableitet und deren Kettenlänge beträchtlich sein kann (im Falle der Chlorsulfane C12S; z.B. bis x = 100). Die oben erwähnte Verbindung S2C12 ist ein Spezialfall dieser Körperklasse, deren Glieder leicht entstehen, wenn man in heißen Schwefel Chlor einleitet oder Lösungen von Schwefel in S2C12 erhitzt.

Der Schwefel

197

Lagert man an die freien Elektronen paare des Schwefels im Molekül I statt je e i n e s S a u e r s t o f f a t o m s (mit 6 Außenelektronen) zwei H a l o g e n a t o m e (mit je 7 Außenelektronen) an, so kommt man zu den Tetrahalogeniden (IV) und Hexahalogeniden (Va) 1 : 7

«X:S:X«

(I)

7

7

XX «X:S:X«

7

e s

XX «X:S:X«

XX « X : S : X «

XX

XX

(Va)

(Vb)

(IV)

Die zusätzlichen Halogenatome sind danach durch „Einelelctronenbindungen"2 und daher schwächer gebunden, was sich bei den Tetrahalogeniden in der leichten Abspaltbarkeit von Halogen (SC14 >- SC12 + Cl2) zu erkennen gibt. Dagegen zeigt die große Beständigkeit des Schwefelhexafluorids SF e , daß ihm wohl nicht die Formel Va, sondern die Formel Vb mit einer Z w ö l f e r - E l e k t r o n e n s c h a l e (S. 160) des Schwefels zukommt, bei der jedes Fluoratom durch eine normale Kovalenz gebunden ist. Auch die Bildung der S. 132 beschriebenen höheren Halogenhalogenide XY(Y 2 ) n (n = 1, 2 und 3) erfolgt wohl durch Anlagerung je zweier Halogenatome Y an die drei freien Elektronenpaare des Zentralhalogens X : YY YY YY Y:X: «Y:X: «Y:X: ^ 7 «Y:X:y? Y"Y 7 7

In gleicher Weise dürfte die Bildung von „Polyhalogeniden" MeX(X 2 ) (n = 1, 2, 3 und 4) bei der Einwirkung von H a l o g e n auf A l k a l i h a l o g e n i d e zu erklären sein: r

7 7 J J :

J:

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7

J,'

Dischwefel-dichlorid S^Clj e n t s t e h t als orangegelbe, a n f e u c h t e r L u f t r a u c h e n d e Flüssigkeit v o n widerlichem, s t e c h e n d e m u n d zu T r ä n e n r e i z e n d e m Geruch, w e n n m a n trockenes C h l o r ü b e r geschmolzenen S c h w e f e l l e i t e t : 2 S + C1 2 —>- S2C12. E s v e r m a g große Mengen Schwefel z u lösen (S. 196) u n d f i n d e t d a h e r b e i m Vulkanisieren d e s K a u t s c h u k s (II, S. 406) V e r w e n d u n g . Schweieldichlorid SClg bildet sich a u s d e n E l e m e n t e n oder b e i m Mischen ä q u i m o l e k u l a rer M e n g e n von S2C12 u n d flüssigem Chlor: S2C12 + Cl 2 — > 2 SC12. A n f a n g s z e i g t d i e Mischung eine gelbe F a r b e , die jedoch n a c h wenigen T a g e n in die r o t e F a r b e des Schwefeldichlorids u m s c h l ä g t . Bei weiterer E i n w i r k u n g von flüssigem Chlor g e h t d a s Schwefeldichlorid in Schwefcltetrachlorid SCI4 ü b e r : SC12 + Cl 2 — > - SC14. Schwefeltetrachlorid ist n u r bei tiefen T e m p e r a t u r e n b e s t ä n d i g , bildet hier weißgelbe, bei e t w a — 3 0 ° s c h m e l z e n d e K r i s t a l l e u n d zerfällt b e i m E r w ä r m e n auf Z i m m e r t e m p e r a t u r vollständig in Schwefeldichlorid u n d Chlor. 1 Der leichteren Lesbarkeit halber sind in den Elektronenformeln die f r e i e n Außenelektronen der Halogenatome nur durch die beigesetzte arabische Zahl zum Ausdruck gebracht. 2 Unter „Einelektronenbindungen", bei welchen zwei Substituenten X durch e i n Elektronenpaar des Zentralatoms Z gebunden werden, hat man sich wahrscheinlich Brückenbindungen des Typus

«X: Z:X« * > «X:Z :X« vorzustellen, wie sie z . B . auch als „Wasserstoffbrücken" (S. 223) in zahlreichen wasserstoffhaltigen Verbindungen auftreten. Es entfällt also bei der „Einelektronenbindung" im Z e i t d u r c h s o h n i t t auf jede der beiden beteiligten Bindungen f o r m a l 1 Elektron.

198

Die Gruppe der Chalkogene

Schwefelhexafluorid SF® bildet sich unter starker Wärmeentwicklung durch unmittelbare Vereinigung d e r E l e m e n t e : S + 3 F 2 — > - SF 6 . Es ist ein färb- und geruchloses, nicht entzündbares Gas, das auffallenderweise chemisch fast so i n d i f f e r e n t wie Stickstoff ist. So kann es z. B . mit W a s s e r s t o f f erhitzt werden, ohne daß Fluorwasserstoff entsteht. Schmelzende A l k a l i e n zersetzen es nicht. S o g a r N a t r i u m kann im SF 6 -Gas geschmolzen werden, ohne daß seine Oberfläche infolge Natriumfluoridbildung blind wird; erst bei seinem Siedepunkt wird es vom Schwefelhexafluorid angegriffen. Als Nebenprodukt bei der Einwirkung von Fluor auf Schwefel entsteht ein Fluorid S 2 F 1 0 ( S F 5 — S F b ) vom Schmelzpunkt —92° und Siedepunkt + 2 9 ° . E s ist ebenfalls bemerkenswert beständig, aber doch reaktionsfähiger als S F 6 . Analoge Fluoride werden vom Selen und Tellur gebildet ( T e 2 F 1 0 : schwere, farblose, leichtbewegliche Flüssigkeit vom Smp. — 3 3 ° und Sdp. + 5 3 ° ) .

d) Oxyde des Schwefels Schwefel bildet vier Oxyde der Zusammensetzung S0„ (n = 1, 2, 3 und 4) und zwei Oxyde der Zusammensetzung Sg00t

Dischwefelheptoxyd

Das nach dieser Tabelle noch zu erwartende Oxyd S 2 0 5 ist bis jetzt unbekannt. Die wichtigsten Oxyde sind das Schwefeldioxyd S 0 2 und das Schwefeltrioxyd S 0 3 . Die übrigen Oxyde SO, SO4 , S 2 0 3 und S 2 0 7 — deren Existenz teilweise noch etwas unsicher ist — erhält man aus diesen Oxyden durch R e d u k t i o n m i t S c h w e f e l (S + S 0 2 — > - 2 SO; S + S 0 3 — > - S 2 O s ) bzw. O x y d a t i o n m i t a k t i v e m S a u e r s t o f f (S02 + 2 0 — > S 0 4 ; 2 S 0 3 + 0 — > - S207). a ) Schwofeldioxyd Darstellung. T e c h n i s c h wird Schwefeldioxyd durch V e r b r e n n e n v o n S c h w e f e l an der L u f t :

S + 0 2 — ^ S0 2 + 70.9 kcal

(1)

sowie vor allem durch E r h i t z e n s c h w e f e l h a l t i g e r E r z e im L u f t - o d e r S a u e r stoff ström : 2 F e g 2 + 5 i / s o 2 — > - Fe 2 0 3 + 4SOj dargestellt (Näheres S. 206). Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Schwefeldioxyd als Anhydrid der schwefligen Säure H 2 S 0 3 am bequemsten durch Entwässern der letzteren: H 2 S 0 3 — > - H20 + S02, indem man in käufliche, 40- bis 5 0 % i g e konzentrierte N a t r i u m b i s u l f i t l ö s u n g 1 Die Verbindungen enthalten Peroxygruppen — O— 0 — wie sonst — 2) des Sauerstoffs.

mit der Oxydationszahl — l (statt

199

Der Schwefel

(NaHSOg) k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure (NaHSOs + H 2 S0 4 H 2 S0 3 + NaHS0 4 ) als wasserentziehendes Mittel eintropfen läßt. Statt von schwefliger Säure kann man auch von Schwefelsäure ausgehen, indem man konzentrierte Schwefelsäure durch Erhitzen mit K u p f e r zur schwefligen Säure reduziert: H 2 S 0 4 + Cu — C u O + H 2 S O s , welche dann wie oben zum Anhydrid entwässert wird. Physikalische Eigenschaften. Schwefeldioxyd ist ein farbloses, stechend riechendes, nicht brennbares und die Verbrennung nicht unterhaltendes Gas. Es läßt sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, die bei —10.0° siedet und bei —72.5° zu weißen Kristallen erstarrt. Die Verdampfungswärme ist sehr hoch und beträgt beim Siedepunkt 96 kcal/kg S 0 2 ; daher tritt beim Verdunsten von flüssigem Schwefeldioxyd eine bedeutende T e m p e r a t u r e r n i e d r i g u n g ein, wovon man bei K ä l t e m a s c h i n e n Gebrauch macht. In Wasser ist Schwefeldioxyd leicht löslich: 1 Volumen Wasser löst bei 0° rund 80, bei 20° rund 40 Volumina S0 2 . Flüssiges Schwefeldioxyd ist ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für anorganische und organische Stoffe. Viele anorganische Salze leiten in dieser Lösung den elektrischen Strom ähnlich gut wie in Wasser, sind also wie in diesem elektrolytisch dissoziiert. Flüssiges Schwefeldioxyd selbst zeigt nur ein sehr geringes elektrisches Leitvermögen. Chemische Eigenschaften. Die wässerige Lösung des Schwefeldioxyds reagiert sauer und verhält sich auch im übrigen wie eine Säurelösung (Näheres S. 203f.). Im übrigen ist das Schwefeldioxyd durch seine reduzierende W i r k u n g ausgezeichnet, die auf seinem Bestreben beruht, sich zur Oxydationsstufe der Schwefelsäure zu oxydieren: S0 2 + O — ^ S0 3 . Leitet man z. B. einen Schwefeldioxydstrom über feinverteiltes, braunes Bleidioxyd (Pb0 2 ), so verwandelt sich dieses unter Erglühen in weißes Bleisulfat PbS0 4 („PbO-SOg"): Pb02 +

S02

—PbS0

4

.

Viele organische Farbstoffe werden reduktiv entfärbt, worauf die Bleichwirkung des Schwefeldioxyds beruht, die man z. B. zum Bleichen von Stroh, Seide, Wolle und anderen Stoffen verwendet, welche die Chlorbleiche nicht vertragen. Auch die wässerige Lösung des Schwefeldioxyds zeigt diese reduzierenden Wirkungen (S. 204). Die oxydierende Wirkung des Schwefeldioxyds zeigt sich nur beim Erhitzen mit besonders kräftigen Reduktionsmitteln (Magnesium, Aluminium, Kalium, Natrium, Calcium), da die Sauerstoffatome des S02-Moleküls, wie die hohe Bildungswärme (1) zeigt, sehr fest gebunden sind. Dementsprechend unterhält auch Schwefeldioxyd die Verbrennung nicht. Man kann daher z. B. Brände im Innern von Schornsteinen dadurch löschen, daß man unten Schwefel abbrennt; der Schwefel bindet dann allen Sauerstoff, so daß der Ruß nicht weiterbrennen kann. Die fäulnis- und gärungsverhindernde, desinfizierende Wirkung des Schwefeldioxyds benutzt man zum Ausräuchern von Wein- und Bierfässern („Ausschwefeln"), zur Vertilgung von Ungeziefer usw. Setzt man T h i o n y l c h l o r i d S0C1 2 mit A m m o n i a k um, so erhält man ein Schwefeldioxyd, in welchem ein S a u e r s t o f f a t o m durch die zweiwertige I m i d g r u p p e = NH ersetzt ist: SOjCla +

H2!NH

2TTP1

——SO(NH).

Dieses ,,Thionylimid" („Sulfinimid") SO(NH) stellt bei Zimmertemperatur ein farbloses Gas dar, das zu einer farblosen, bei — 85° schmelzenden und im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187, 268f.) sich nach kurzer Zeit zu einer gelben, dann braunen festen Masse polymerisierenden (vgl. Sulfimid, S. 251) Flüssigkeit verdichtet werden kann.

Die Gruppe der Chalkogene

200

ß) Schwefeltrioxyd Darstellung. Schwefeltrioxyd, S0 3 , kann nicht durch Verbrennen von Schwefel an der Luft oder in Sauerstoffatmosphäre gewonnen werden, da die bei der Verbrennung des Schwefels zu Schwefeldioxyd freiwerdende bedeutende Wärmemenge (1) die Bildung des als exotherme Verbindung bei höheren Temperaturen in Schwefeldioxyd und Sauerstoff zerfallenden Schwefeltrioxyds verhindert: S0 2 + V.O,

S03(g) + 21.9 kcal.

(2)

Die Vereinigung von Schwefeldioxyd und Sauerstoff nach (2) gelingt nur bei n i c h t allzu hohen T e m p e r a t u r e n (400—600°). Wegen der in diesem Temperaturgebiet zu geringen Umsetzungsgeschwindigkeit müssen zur Reaktionsbeschleunigung K a t a l y s a t o r e n angewandt werden. Das Verfahren wird t e c h n i s c h in großem Maßstabe bei der Schwefelsäurefabrikation durchgeführt (S. 205ff.). Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Schwefeltrioxyd als Anhydrid der Schwefelsäure durch E n t w ä s s e r n von Schwefelsäure (Erwärmen von konzentrierter Schwefelsäure mit Phosphorpentoxyd als wasserentziehendem Mittel): h 2 so 4 —>- h 2 o + so, oder durch Erhitzen von B i s u l f a t e n (z. B. Natriumbisulfat NaHS0 4 ), P y r o s u l f a t e n (z. B. Natriumpyrosulfat Na 2 S 2 0,) oder S u l f a t e n (z.B. Eisen(III)-sulfat Fe 2 (S0 4 ) 3 ): 2MeHS04

-v H s O + Me 2 S 2 0 7

>- S0 3 + Me 2 S0 4

>- S0 3 + Me 2 0.

Besonders bequem ist die Gewinnung von Schwefeltrioxyd durch E r h i t z e n von käuflicher „rauchender" S c h w e f e l s ä u r e , einer Lösung von Schwefeltrioxyd in konzentrierter Schwefelsäure (S. 207). Physikalische Eigenschaften. Schwefeltrioxyd kommt in drei Modifikationen, einer „eisartigen" und zwei „asbestartigen" Formen, vor. Kühlt man Schwefeltrioxyddampf ab, so kondensiert er sich zu der eisartigen Modifikation (y-S0 3 ), einer eisartig durchscheinenden, bei 16.8° schmelzenden und bei 44.8° siedenden Masse, welche im festen Zustande hauptsächlich aus (S03)3-Molekülen, im flüssigen Zustande aus (S0 3 ) 3 - und S03-Molekülen und im Dampfzustande aus S03-Molekülen besteht. Bewahrt man das Schwefeltrioxyd längere Zeit unterhalb 25° auf, so wandelt es sich in die a s b e s t a r t i g e Form (/S-S03 und a-S0 3 ) um, weiße, seidenglänzende, verfilzte Nadeln der Molekulargröße (S0 3 ) n und (S0 3 ) p (p > n > 3). Das Schwefeltrioxyd des Handels ist ein Gemisch von tx- und ß-S03. Es beginnt meist bei 40° zu schmelzen (/S-S0 3 : Smp. 32.5°; - MeS0 4 .

So gerät z.B. Bariumoxyd BaO in Berührung mit Schwefeltrioxyd ins Glühen. Mit Ammoniak setzt sich Schwefeltrioxyd im Molverhältnis 1 : 1 unter Bildung von Sulfimid S0 2 (NH) um (S0 3 + NH3 - S0 3 -NH 3 S0 2 (NH) + H 2 0 ) , das Q sich analog S 0 3 (S. 269) zu Ringen und Ketten polymerisiert (vgl. S. 251). Alle diese Reaktionen verlaufen auf dem Wege über Additionsverbin- ' . . ' . . :9 düngen, da sich S 0 3 als Molekül mit einer Elektronenlücke:

201

Der Sohwefel

leicht an Stoffe mit freien Elektronenpaaren anlagert. Erwähnt seien etwa die Additionsverbindungen SOg-NHg (I), SO3• Pyridin und S03-Dioxan, weiterhin die polymeren Formen des Schwefeltrioxyds (S. 269) und die in der rauchenden Schwefelsäure enthaltenen Polyschwefelsäuren (H 2 S0 4 -nS0 3 ) (II): :0 H

:0:

:0:

:0:

— : 6 : S . Ö S: Ö S : 6 :

: Ö: S N : H

:Ö: " : 0 : " : Ö :

: Ö .H a)

"

(ii) y ) Sonstige Schweleloxyde

Schwefelmonoxyd SO. Gasförmiges Schwefelmonoxyd SO entsteht u. a. bei der Umsetzung von S c h w e f e l d a m p f und S c h w e f e l d i o x y d in der e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g (S + S0 2 >-2 SO) und ist am einfachsten durch Verbrennen von S c h w e f e l in reinem S a u e r s t o f f bei v e r m i n d e r t e m D r u c k (5—10 mm) darstellbar: S + V»O a — S O + 6.56 kcal. Es macht aus Jodwasserstoff Jod frei, ist also ein O x y d a t i o n s - und nicht R e d u k t i o n s m i t t e l , und setzt sich dementsprechend mit weiterem S a u e r s t o f f erst bei erhöhter Temperatur um. Mit H a l o g e n e n reagiert es unter Bildung von T h i o n y l h a l o g e n i d e n (SO 4- X 2 — > - SOX.,), mit W a s s e r unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g zu S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d (3 SO H 2 0 >- H„S + 2 S0 s ). Mit A l k a l i e n werden außerdem große Mengen T h i o s u l f a t gebildet (2 SO + 2 OH' — v S 2 0 3 " + H.O). In flüssiger Luft kondensiert sich SO zu einem orangeroten Körper, der beim Erwärmen unter Aufhellung in gelbe plastische „Polyschwefeloxyde" SnOn-x zerfällt: ( n + x ) SO — > - SnOn-x + x S0 2 . Gleiche Zersetzung erleidet SO bei erhöhtem Druck (Partialdruck > 1 mm). Dischwefeltrioxyd S2O3 entsteht beim Zusatz von S c h w e f e l zu flüssigem S c h w e f e l t r i o x y d als blaugrüne, feste Substanz: S + S0 3 ^S203. Unterhalb von 15° ist die Verbindung einige Stunden lang haltbar. Bei höherer Temperatur geht die Substanz einerseits in S c h w e f e l und S c h w e f e l t r i o x y d , andererseits in S c h w e f e l und Schwefel d i o x y d über. Bringt man z.B. S 2 0 3 in ein zugeschmolzenes Rohr, so zersetzt es sich bei 20° innerhalb von wenigen Stunden quantitativ nach 2 S203

• 3 S0 2 + S.

Mit Pyridin und mit Dioxan gibt S 2 0 3 neben elementarem Schwefel dagegen die Additionsverbindungen S0 3 • Pyridin und S0 3 -Dioxan. Von Wasser wird die Verbindung unter Bildung von Schwefel, Schwefelsäure und schwefliger Säure zersetzt. Dithionige Säure, H 2 S 2 0 4 , oder Polythionsäuren, H 2 S n O a , entstehen bei der Hydrolyse nicht. S 2 0 3 ist demnach nicht das Anhydrid von H 2 S 2 0 4 . Schwefeltetroxyd SO4 bildet sich bei der Einwirkung einer e l e k t r i s c h e n G l i m m e n t l a d u n g auf ein Gemisch von S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f : S0 2 + 0 2 v S0 4 . Es stellt einen weißen, festen Stoff dar, der bei 3° schmilzt und dabei unter Sauerstoffabgabe in Dischwefelheptoxyd, S 2 0 7 , übergeht (2S0 4 >- S 2 0 7 + V2O2). In wässeriger Lösung zerfällt die Verbindung langsam unter Sauerstoffentwicklung. Peroxyschwefelsäure, H 2 S0 5 , bildet sich dabei nicht; S0 4 ist also nicht das Anhydrid dieser Säure. Schwefeltetroxyd ist ein starkes O x y d a t i o n s m i t t e l (S0 4 + 2 © >- S 0 4 " ) und oxydiert beispielsweise Mangan(II)-salze zu Permanganat (Mn"-f- 4H 2 0 >- Mn0 4 ' + 8H' -f 5 © ) , zweiwertiges Kupfer zu dreiwertigem (Cu" Cu'" + © ) . Dischwefelheptoxyd SsOi entsteht bei der Einwirkung dunkler e l e k t r i s c h e r E n t l a d u n g e n auf ein Gemisch von S c h w e f e l d i o x y d oder - t r i o x y d und S a u e r s t o f f : 2 S 0 2 + P/s 0 2 ^ S207. Es stellt eine ölige Flüssigkeit dar, die bei 0° erstarrt und sieh bei Zimmertemperatur allmählich unter Bildung von Schwefeltrioxyd und Sauerstoff zersetzt (S 2 0 7 >• 2S0 3 -f V2 0 2 ). Auch durch Wasser wird Dischwefelheptoxyd teilweise unter Sauerstoffentwicklung zersetzt; zum Teil bildet es mit Wasser aber auch Peroxy-dischwefelsäure (S 2 0 7 + H 2 0 >- H 2 S 2 O g ), so daß man es als Anhydrid dieser Säure ansehen kann.

Die Gruppe der Chalkogene

202

e) Sauerstoffsäuren des Schwefels a ) Systematik and Konstitution Der Schwefel bildet vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Formel HoSO„ (n = 2 , 3 , 4 und 5) und fünf Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung HgSgOn (n = 4, 5, 6, 7 und 8). Ihre N a m e n und die N a m e n ihrer Salze gehen aus der f o l g e n d e n Tabelle hervor, in der die einzelnen Schwefelsäuren nach steigender O x y d a t i o n s z a h l des Schwefels geordnet s i n d : OxySäuren des Typus 1IjSOn dationszahl Formel Salze Name + 2

HiäSOs

Sulfoxylsäure

Säuren des Typus HaSsOn Formel

H2S2O4 Dithionige Säure HsSOs

Schweflige Säure Sulfite

HsSO*

Sulfate

Schwefelsäure

+ 6i + 6i

HaSsOs Dithionsäure

Dithionate

HsSäOj Dischwefelsäure

Disulfate

HüSaOs HSS0 5

Peroxyschwefelsäure

Dithionite

HsSxOs Dischweflige Säure Disulfite

+ 5 + 6

Salze

Sulfoxylate

+ 3 + 4

Name

Peroxy-dischwefelPeroxy-disulfate säure

Peroxysulfate

Mit Ausnahme der e i n b a s i g e n 2 P e r o x y s c h w e f e l s ä u r e sind sie alle z w e i b a s i g . D i e K o n s t i t u t i o n der einzelnen Säuren bzw. ihrer Salze k a n n durch die folgenden K o m p l e x f o r m e l n (vgl. S. 159) wiedergegeben werden: t/

0 O S O

O S O Sulfoxylat 0 Ol s s 0 0 Dlthionlt

0 O S O 0 Sulfat

"

Sulfit

ro Ol s 0 S 0 0 Disulfit

/

0 0 1 s s 0 0 0 Dithionat

0

n

0

u

0 0 s O S O 0 0 Diaulfat

'

0 O S O , 0 Peroxysulfat u

0 O S O , 0

0 s 0

l'croxy-disulfa!

Mehr als v i e r Sauerstoffatome vermag das Schwefelatom nicht in d i r e k t e r aufzunehmen, da es als Ion S"

0

Bindung

S : ) nur v i e r freie Elektronenpaare besitzt. Beim Übergang

vom Sulfat S 0 4 " (I) zum Peroxysulfat S 0 5 " (II) wird daher der Sauerstoff nicht an den S c h w e f e l , sondern an den S a u e r s t o f f des Sulfat-ions angelagert: : 0:

:0 : : 0 : S: 0 : Ö :

: Ö : S: O:

: Ö:

: Ö:

(II)

(I) 1

Vgl. Anmerkung 1 auf S. 198.

2

Vgl. Anmerkung 1 auf S. 264.

Der Sohwefel

203

Die so entstehende O—O-Gruppierung wird „Peroxy-Gruppe" genannt. Man muß demnach zwischen 0—O-freien P e r v e r b i n d u n g e n (z. B. P e r c h l o r a t C10 4 ') und 0—O-haltigen P e r o x y V e r b i n d u n g e n (z. B. P e r o x y s u l f a t SO e ") unterscheiden.

Von einzelnen Schwefelsäuren leiten sich weitere Säuren dadurch ab, daß ein S a u e r s t o f f a t o m des Moleküls durch ein S c h w e f e l a t o m ersetzt ist. Auf diese Weise kommt man z. B . von der Schwefelsäure H 2 S 0 4 zur Thio-schwefeisäure H 2 S 2 0 3 und von der Dischwefelsäure H 2 S 2 0 , zur Thio-dischwefelsäure (Trithionsäure) H 2 S 3 0 6 : o o 0 s s s 0 0 o

0 0 s s o

Thiosulfat

Thio-disulfat

Die letztere Säure vermag noch Schwefel einzulagern, wobei die sogenannten Polythionsäuren H 2 S 3 + n 0 6 (n = 1, 2, 3) entstehen. Nur vier der genannten Säuren, nämlich S c h w e f e l s ä u r e , D i s c h w e f e l s ä u r e , P e r o x y sch w e f e l s ä u r e und P e r o x y - d i s c h w e f e l s ä u r e sind in f r e i e m Z u s t a n d e isolierbar; die übrigen kennt man nur in w ä s s e r i g e r L ö s u n g oder inForm von S a l z e n . Die schon besprochenen Oxyde SO, S 0 2 , S 0 3 und S 0 4 entsprechen in ihrer Oxydationsstufe den Säuren H 2 S 0 2 , H 2 S 0 3 (bzw. H 2 S 2 0 5 ), H 2 S 0 4 (bzw. H 2 S 2 0 7 ) und H 2 S 0 5 , die Oxyde S 2 0 3 und S 2 0 7 den Säuren H 2 S 2 0 4 und H 2 S 2 0 8 . Echte Säure-anhydride sind aber nur S 0 2 und S 0 3 . Die wichtigsten Oxydationsstufen des Schwefels sind die der schwefligen Säure (Oxydationsstufe S 0 2 bzw. S 0 3 " ) und Schwefelsäure (Oxydationsstufe S 0 3 bzw. S 0 4 " ) . Von diesen ausgehend ist die nächstniedere und nächsthöhere Oxydationsstufe durch Reduktion: 2 S q 2 + 2 © — > S204" 2 S03 + 2 © — ^ S20," bzw. durch O x y d a t i o n : 2 S03" — > - S20„" + 2 ©

2 S04" — > - S208" + 2 ©

gewinnbar. Die so zugänglichen Oxydationsstufen der dithionigen Säure ( S 2 0 4 " ) , Dithionsäure ( S 2 0 6 " ) und Peroxy-dischwefelsäure ( S 2 0 8 " ) lassen sich durch Disproportionierung (Hydrolyse in wässeriger Lösung) in die nächstniedere und nächsthöhere Oxydationsstufe überführen; schematisch: S204"

SO a +

S02"

S20„" Z ^

S03 +

SO,"

S20„"

S04 +

S04".

Auf diese Weise gelangt man zur n i e d r i g s t e n und h ö c h s t e n Oxydationsstufe des Schwefels, der Sulfoxylsäure (Oxydationsstufe S 0 2 " ) und Peroxyschwefelsäure (Oxydationsstufe S 0 4 ) . ß) Schweflige Säure Löst man S c h w e f e l d i o x y d in W a s s e r auf, so erhält man eine ausgesprochen s a u e r reagierende, den elektrischen Strom leitende Lösung: S02 + H20 ^

H2S03.

(1)

Die sauren Eigenschaften sind dabei auf gebildete s c h w e f l i g e S ä u r e H 2 S 0 3 zurückzuführen. Allerdings liegt das Gleichgewicht (1) fast ganz auf der l i n k e n S e i t e , so daß der Hauptteil des gelösten Schwefeldioxyds als u n v e r ä n d e r t e s S 0 2 vorliegt und nur wenige Prozente in Form der Säure H 2 S 0 3 vorhanden sind. Beim Erwärmen der Lösung entweicht das im Gleichgewicht befindliche Schwefeldioxyd, worauf sich das gestörte Gleichgewicht immer wieder neu einstellt. Daher gelingt es n i c h t , aus der wässerigen Lösung die w a s s e r f r e i e S ä u r e H 2 S 0 3 zu isolieren. Saure Eigenschaften. Als z w e i b a s i g e S ä u r e dissoziiert die schweflige Säure in 2 Stufen: H 2 S 0 3 H" + H S 0 3 ' 2 H ' + S 0 3 " . Die Dissoziationskonstanten betragen bei 18°: K t

=

CH- X CHSOc

„H,SO,"

=

1 6

x

10

_,

g2

=

CH

'

X

Cso

'"

HSO,'

c

=

1.0 X 10-7.

Die Gruppe der Chalkogene

204

Als undissoziierter Anteil (c,.h^Os") wird dabei die G e s a m t k o n z e n t r a t i o n an Schwefeldioxyd und undissoziierter schwefliger Säure (cso, + cHoso3) verstanden; die eigentliche schweflige Säure H 2 S 0 3 ist also wesentlich stärker, als aus dem Zahlenwert für Ä", hervorgeht. Die Salze der schwefligen Säure besitzen die Zusammensetzung Me*S0 3 (Sulfite; sekundäre Sulfite) bzw. M e ' H S 0 3 (Hydrogensulfite; Bisulfite; saure Sulfite, primäre Sulfite). Man gewinnt sie durch Einleiten von S c h w e f e l d i o x y d in wässerige Lösungen oder Suspensionen von H y d r o x y d e n (z. B. 2 K O H + S 0 2 —>• K 2 S 0 3 + H 2 0 ) oder C a r b o n a t e n (z. B. Na 2 C0 3 + S 0 2 — N a 2 S 0 3 + C0 2 ). Die B i s u l f i t e sind in Wasser alle leicht, die S u l f i t e mit Ausnahme der Alkalisulfite (einschließlich des Ammoniumsulfits) schwer löslich. Technische Verwendung findet vor allem das C a l c i u m b i s u l f i t Ca(HS0 3 ) 2 bei der Zellstoffgewinnung aus Holz („Sulfitzellstoff"; I I , S. 257), da seine Lösungen die Eigenschaft haben, aus dem Holz die inkrustierenden Ligninstoffe herauszulösen, so daß Zellulose zurückbleibt. Durch Wasserabspaltung entstehen aus den Bisulfiten die Disulfite (P yrosulfite): 2 M e H S 0 3 —>- H 2 0 + Me 2 S 2 0 5 . Auch sie werden technisch verwendet. Reduzierende Eigenschaften. Die wichtigste Eigenschaft der schwefligen Säure und ihrer Salze ist ihre r e d u z i e r e n d e W i r k u n g . Sie beruht auf dem Bestreben der schwefligen Säure, in die höhere Oxydationsstufe der S c h w e f e l s ä u r e überzugehen; schematisch: S0 2 + O >- SO„ bzw. SOs" >• S0 3 + 2 © • So wandeln sich z. B. die Sulfite und die schweflige Säure in wässeriger Lösung schon beim Stehen an der L u f t langsam in Sulfate bzw. Schwefelsäure um. Wässerige Lösungen von H a l o g e n e n werden von schwefliger Säure zu Halogen Wasserstoffen reduziert (Cl2 + 2 © — 2 C T ) ; aus Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d l ö s u n g e n fällt beim Einleiten von S 0 2 zuerst weißes unlösliches Quecksilber(I)-chlorid (Hg" + 0 —>- Hg"), dann metallisches Quecksilber (Hg' + © —>• Hg) a u s ; G o l d c h l o r i d wird in Gold übergeführt (Au'" + 3 0 —>- Au) usw. Oxydierende Eigenschaften. Umgekehrt kann die schweflige Säure gegenüber starken Reduktionsmitteln auch als O x y d a t i o n s m i t t e l wirken, indem sie in Schwefel oder Schwefelwasserstoff übergeht. So wird sie z. B. durch n a s z i e r e n d e n W a s s e r s t o f f (Zink und Salzsäure) und durch Z i n n ( I I ) - c h l o r i d zu Schwefelwasserstoff (S0 2 + 6 H — 2 H 2 0 + H 2 S ; 3SnCl 2 + S 0 2 + H 2 0 —>• H 2 S + 3SnCl 2 0), durch S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zu Schwefel (S0 2 + 2 H 2 S — • 2 H 2 0 + 3S) reduziert (vgl. S. 194). Konstitution. Die Konstitution der S u l f i t e ist e i n d e u t i g (Elektronenformel I). Dagegen können der f r e i e n s c h w e f l i g e n S ä u r e z w e i F o r m e l n zukommen, je nachdem die beiden Wasserstoff-ionen — die ja die Heliumschale erstreben — nur an S a u e r s t o f f (Elektronenformel I I a ) oder an S a u e r s t o f f und S c h w e f e l (Elektronenformel I I b ) gebunden sind: H H : Ö: Na+ : Ö: : Ö: : Ö : S : Ö : Na+

(I)

:Ö:S:Ö:H (IIa)


-

:Ö:S:Ö: " H " (IIb)

Wahrscheinlich liegt in der Lösung ein „tautomeres Gleichgewicht" zwischen beiden Formen vor, das zugunsten der Formel I I a verschoben ist. Unter „Tautomerie" versteht man dabei die Erscheinung, daß ein und derselbe Stoff im Sinne mehrerer, leichb ineinander übergehender und daher nicht einzeln isolierbarer Strukturformeln reagieren kann.

205

Der Sohwefel

Ersetzt man die beweglichen Wasserstoff-ionen durch schwerer bewegliche Kohlenwasserstoffreste („Alkylgruppen"; vgl. S. 301f.) R, so lassen sich beide Formen g e t r e n n t i s o l i e r e n ; die von der Formel I I a abgeleiteten Verbindungen OS(OR) 2 heißen Schwefligsäure-Ester, die der Formel I I b entsprechenden Verbindungen 0 2 b ( 0 R ) R Alkyl-sulfonsäure-Esler. Die Valenzstrichformeln (vgl. S. 158f.) für die Verbindungen I I a und I I b lauten: .OH

CK

^OH

-OH

O^ ^ H

Danach scheinen die beiden Formen ganz verschiedene Konstitution zu besitzen, während nach den E l e k t r o n e n f o r m e l n die Tautomerie der schwefligen Säure in Wirklichkeit lediglich auf dem P l a t z w e c h s e l e i n e s P r o t o n s beruht.

y) S c h w e f e l s ä u r e Darstell ung Zur technischen Darstellung der Schwefelsäure dienen zwei Verfahren: das „Kontaktverfahren" und das „Bleikammerverfahren". Ersteres ist heute in der Welt führend, letzteres wird nur noch vereinzelt angewandt. Beide Verfahren gehen vom S c h w e f e l d i o x y d aus und oxydieren dieses mit L u f t zu Schwefeltrioxyd, dem Anhydrid der Schwefelsäure. Beim K o n t a k t v e r f a h r e n dienen dabei V a n a d i n Verbindungen, beim B l e i k a m m e r v e r f a h r e n S t i c k s t o f f o x y d e als Sauerstoffüberträger. Kontakt verfahren

Bei der Vereinigung von S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f t r i o x y d wird Wärme frei: S08 + V»0,

S0 3 (g) + 21.9 kcal.

zu S c h w e f e l (2)

Daher verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r zugunsten der l i n k e n S e i t e , d . h . Schwefeltrioxyd zerfällt beim Erhitzen in Schwefeldioxyd und Sauerstoff. So sind z. B. bei 400° 2°/ 0 , bei 600° 24°/ 0 des Schwefeltrioxyds zersetzt. Will man daher Schwefeldioxyd m ö g l i c h s t q u a n t i t a t i v zu Schwefeltrioxyd oxydieren, so muß man bei m ö g l i c h s t t i e f e r T e m p e r a t u r arbeiten. Zweckmäßig wäre nach der Lage des Gleichgewichts eine Reaktionstemperatur von < 400°. Hier ist aber die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t zu g e r i n g . Selbst bei 400—600° verläuft die Reaktion noch viel zu langsam. Glücklicherweise gibt es aber K a t a l y s a t o r e n („Kontakte"), die in diesem Temperaturbereich auf die obige Reaktion (2) bereits ansprechen. So erfolgt z. B. die Umsetzung bei Gegenwart von P l a t i n schon bei 400°, bei Gegenwart von E i s e n o x y d bei 600° mit ausreichender Geschwindigkeit. Heute benutzt man als Katalysator meist V a n a d i n v e r b i n d u n g e n (z. B. Vanadinoxyde; vgl. S. 487), die bei entsprechender Vorbehandlung (geeignete Zusätze, geeignete Trägersubstanzen usw.) dem Platin an Wirksamkeit fast gleichkommen und dabei wesentlich billiger als dieses sind. Die sauerstoffübertragende Wirkung der Vanadinoxyde kann man durch die Bildung von Zwischenverbindungen erklären, etwa nach dem Schema V, 0 2 + 2 V 0 a — V 2 0 6 V a 0 6 + SO, >- 2 V 0 2 + S 0 3 Va 0 2 + S 0 2

>• S O , .

(3) (4) (5)

Die Geschwindigkeiten der Teilreaktionen (3) und (4) sind dabei in summa größer als die Geschwindigkeit der direkt verlaufenden Reaktion (5). I m einzelnen kann man bei der t e c h n i s c h e n Durchführung des Kontaktverfahrens vier Stufen unterscheiden: 1. D a r s t e l l u n g e i n e s G e m i s c h s v o n S c h w e f e l d i o x y d u n d L u f t ; 2. R e i n i g u n g d e s G a s g e m i s c h s ; 3. U m s e t z u n g d e s G a s g e m i s c h s a m K o n t a k t ; 4. V e r e i n i g u n g des g e b i l d e t e n S c h w e f e l t r i o x y d s mit Wasser zu Schwefelsäure.

206

Die Gruppe der Chalkogene

1. Das S c h w e f e l d i o x y d - L u f t - G e m i s c h wird in der Hauptsache durch „Abrösten" (Erhitzen unter Luftzutritt) von S c h w e f e l k i e s ( P y r i t ) F e S 2 oder auch anderen sulfidischen Erzen (z. B. Kupferkies CuFeS 2 , Bleiglanz P b S , Zinkblende ZnS) erzeugt: 2 F e S 2 + 5 V 2 0 2 > F e 2 0 3 + 4 S 0 2 . Daneben ist noch die Verbrennung von S c h w e f e l (S + 0 2 >• S 0 2 ) und die Verbrennung von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f ( H 2 S + IV2O2 H 2 0 + S 0 2 ) in Gebrauch. Zum Abrösten der sulfidischen Erze dienen R ö s t ö f e n besonderer Konstruktion. In Fig. 71 ist ein solcher Kiesröstofen wiedergegeben, wie er z. B. zum Abrösten von Pyrit benutzt wird. E r enthält mehrere übereinander angeordnete Herdplatten, über welche sich Rührarme bewegen, die an einer zentralen, senkrechten Welle befestigt sind. Der Pyrit wird auf die oberste Platte eingefüllt, von den Rührarmen erfaßt, gleichmäßig über die Platte verteilt und dabei im Luftstrom vorgeröstet. Durch eine Öffnung fällt er auf die nächsttiefere Platte, wo sich die Röstung in gleicher Weise fortsetzt usw. Schließlich kommt der Kies unten abgeröstet an und wird als ,,Abbrand" ( F e 2 0 3 ) ausgetragen, der zur Eisenerzeugung in die Hochöfen wandert. Bei m o d e r n e n UJelle A n l a g e n erfolgt die Abröstung von Kiesen auch in großen D r e h r o h r ö f e n oder in S c h w e b e fiiihrarm r ö s t ö f e n , die ein Vielfaches der Kiesröstöfen zu leisten imstande sind.

Herdpiaffe Öffnung

Das oben aus dem Röstofen abziehende „ R ö s t g a s " besteht zur Hauptsache aus S t i c k s t o f f , S a u e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d . Da nach dem Massenwirkungsgesetz — vgl. (2) — das Mengenverhältnis von S 0 3 und S 0 2 und damit die prozentuale Ausbeute an S 0 3 der Wurzel aus dem Partialdruok des Sauerstoffs proportional i s t : Pso, x Po,' Pso.

=

Z„

oder

Pso, Pso, =

1

stellt man gewöhnlich Röstgase mit einem dreifachen Ü b e r s c h u ß a n L u f t ( l l /'2i statt — wie theoretisch — V2 Mol 0 2 je Mol S 0 2 ) her. 2. Das so erhaltene Röstgas kann nicht direkt über den K o n t a k t geleitet werden, da es V e r u n r e i n i g u n g e n enthält, welche teils m e c h a n i s c h (,,Flugstaub", der die Kontaktmasse bedeckt), teils c h e m i s c h (,,Kontaktgifte" wie ArsenFig. 71. Schema eines Kiesröstofens verbindungen, welche den K o n t a k t vergiften) die nach HERRESHOFF Wirksamkeit des Katalysators herabsetzen oder lähmen. Es muß daher vor der Umsetzung noch einer sorgfältigen R e i n i g u n g unterzogen werden. Die Befreiung von Flugstaub erfolgte früher ganz allgemein in , , S t a u b k a m m e r n g e m a u e r t e n Räumen mit eingebauten Scheidewänden, an denen die Gase wegen des ständigen Richtungswechsels einen großen Teil des Staubes absetzen. Heute bedient man sich meist der elektrischen Gasreinigung (,,Elektrofütration"), indem man das ZweigGaR durch ein starkes elektrisches Feld Zeitung (50000 — 6 0 0 0 0 Volt) leitet, wobei Montahfrohre sieh die Staubteilchen durch Aufnahme der von der negativen Kathode („Sprühelektrode") ausgesandten Elektronen Wärmeaustausch negativ aufladen und an der positiv geladenen Anode (,,Niederschlagselektrode") niederschlagen. Das A r s e n wird bei dieser Entstaubung nur d a n n vollständig entfernt, wenn die Röstgase SOa+O, — die den Röstofen mit 600—800° verlassen — gekühlt und einer besonderen elektrischen Gasreinigung (,,Naß-EOR." im Gegensatz zur vorher beschriebenen Fig. 72. Kontaktkessel zur katalytischen Gewinnung „Staub-EOR.") unterworfen werden. von Schwei eltrioxyd aus Röstgasen

Der Schwefel

207

3. Das gereinigte Schwefeldioxyd-Luft-Gemjsch t r i t t nun in den K o n t a k t k e s s e l ein, wo sich unter Wärmeentwicklung — vgl. (2) — die U m s e t z u n g v o n S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f zu S c h w e f e l t r i o x y d abspielt. Besonders wichtig ist hierbei die Aufrechterhaltung einer sowohl hinsichtlich der Schwefeltrioxydausbeute als auch hinsichtlich der Reaktionsgeschwindigkeit g ü n s t i g s t e n T e m p e r a t u r (bei Vanadinkontakten: 500°). Es muß also die bei der Umsetzung freiwerdende W ä r m e dauernd abgeführt werden, da sonst die T e m p e r a t u r des Kontaktes s t e i g t und die S c h w e f e l t r i o x y d a u s b e u t e damit s i n k t . Die Wärmeableitung erfolgt zweckmäßig so, daß das kalte Schwefeldioxyd-Luft-Gemisch im Kontaktkessel (Fig. 72) zunächst außen an den mit Kontaktmasse gefüllten Rohren vorbeigeleitet wird, wobei es die in diesen Rohren erzeugte Reaktionswärme aufnimmt und sich gleichzeitig auf etwa 400° vorwärmt. Mit dieser Temperatur tritt es dann in die Kontaktrohre selbst ein, wo die Umsetzung zu Schwefeltrioxyd erfolgt. Durch mehr oder minder starke Zumischung von kaltem Röstgas mittels einer Zweigleitung kann die Temperatur des Kontaktes nach Bedarf reguliert werden. Vor dem ersten Einleiten der Gase muß der Kontaktkessel natürlich auf die Reaktionstemperatur vorgewärmt werden. 4. Die V e r e i n i g u n g d e s k a t a l y t i s c h g e b i l d e t e n S c h w e f e l t r i o x y d s m i t W a s s e r zu S c h w e f e l s ä u r e ( S 0 3 + H 2 0 >~ H 2 S0 4 ) kann nicht einfach so erfolgen, daß man das den Kontaktkessel verlassende Gasgemisch d u r c h W a s s e r l e i t e t , weil hierbei ein großer Teil des Sch wef eltrioxyds e n t w e i c h t , ohne sich mit dem Wasser umzusetzen. Dagegen absorbiert k o n z e n t r i e r t e (98°/ 0 ige) S c h w e f e l s ä u r e das Schwefeltrioxyd vollständig und momentan unter Bildung von D i s c h w e f e l s ä u r e ( P y r o s c h w e f e l s ä u r e ) H 2 S 2 0 , (S. 219). Man verfährt daher so, daß man das Schwefeltrioxyd in 98%ige S c h w e f e l s ä u r e einleitet (6) und durch Zufließenlassen von W a s s e r (Hydrolyse der gebildeten Dischwefelsäure) die Schwefelsäurekonzentration k o n s t a n t e r h ä l t (7): S 0 3 + H s S 0 4 — >- H 2 S 2 0 , H 2 S 2 Q 7 + H 2 0 — > - H 2 SQ 4 + H,SQ 4 S03 + HsO HjS04.

(6) (7) (8)

Insgesamt (8) ergibt sich damit die gewünschte Schwefelsäurebildung. In den Handel gelangt die „Kontaktsäiire" als ,,konzentrierte Schwefelsäure" (98°/ 0 ige Schwefelsäure) oder als ,,rauchende Schwefelsäure" (,,Oleum"; ,,Vitriolöl"), d . h . eine Schwefelsäure mit einem Überschuß an Schwefeltrioxyd (6) (vgl. S. 201).

B l e i k a m m er v e r f a h r e n Statt durch Vanadinverbindungen (Kontaktverfahren) kann die Oxydation des Schwefeldioxyds mit Luft zu Schwefeltrioxyd auch durch S t i c k s t o f f - o x y d e (Bleikammerverfahren) katalysiert werden. Die sauerstoffübertragende Wirkung der Stickstoffoxyde kann dabei s c h e m a t i s c h durch folgende Gleichungen zum Ausdruck gebracht werden: l

/ 2 0 2 + NO — N O , N 0 2 + S0 2 — N O + SO, V j O j + SO, >- SO s .

(9) (10) (11)

Da bei der Reaktion (10) ein Teil des Stickstoffdioxyds bis zu N 2 0 und N 2 reduziert wird, welche unter den Bedingungen des technischen Prozesses keinen Sauerstoff analog (9) mehr aufzunehmen vermögen, kommt man bei dem Prozeß nicht wie bei einem rein katalytischen Verfahren mit einer g e g e b e n e n Menge des Sauerstoffüberträgers aus, sondern muß die während des Betriebes auftretenden V e r l u s t e an Stickstoffoxyden e r s e t z e n . Wie beim Kontaktverfahren können wir auch beim Bleikammerverfahren mehrere Arbeitsgänge unterscheiden: 1. D a r s t e l l u n g e i n e s Sch w e f e l d i o x y d - L u f t - G e m i s c h s ; 2. R e i n i g u n g d e s G a s g e m i s c h s ; 3. U m s e t z u n g d e s G a s g e m i s c h s zu S c h w e f e l s ä u r e ; 4. K o n z e n t r i e r u n g d e r g e w o n n e n e n S c h w e f e l s ä u r e . 1. und 2. Die beiden ersten Arbeitsgänge erfolgen im Prinzip wie beim Kontaktverfahren. Nur unterbleibt hier die K ü h l u n g des Röstgases bei der Reinigung. 3. Zur Oxydation des Schwefeldioxyds zu Schwefelsäure dient beim Bleikammerverfahren eine in der Hauptsache aus drei Teilen, dem GLOVER-Turm, den Bleikammern und dem GAYLussAC-Turm, bestehende Anlage (Fig. 73).

208

Die Gruppe der Chalkogene

Die etwa 400° heißen Röstgase gelangen von unten her zunächst in den GLOVER-Turm, einen mit säurefestem Material ausgekleideten Bleiturm von 7 —15 m Höhe und 3 m Durchmesser, in welchem dem Gasstrom von oben her über säurefestes keramisches Füllmaterial (prismatische Steine, Ringe, Dreiecksprismen, Platten usw.) „nitrose Säure" (S. 243), d. h. eine mit Stickstoffoxyden beladene, mäßig konzentrierte Schwefelsäure (s. unten) entgegenrieselt. Auf diese Weise werden die R ö s t g a s e mit S t i c k s t o f f o x y d e n beladen und zugleich auf etwa 70 — 90° a b g e k ü h l t , während sich die Gau- Lussac-Turm Säure infolge Verdampfung von Gloverturm Wasser und infolge Neubildung Nitrose Saure von Schwefelsäure (15—20°/o der . beim Bleikammerverfahren ent' stehenden Schwefelsäure werden bereits im GLOVER-Turm gebildet) k o n z e n t r i e r t und als „GLOVER-Saure"

( ~

Schwefelsäure) abfließt. Aus

dem

8 0 % ige

GLOVER-Turm

treten die Röstgase durch Bleirohre in ein System von drei Ni/rose Säurv Kammern miteinemRauminhalt von etwa 5000 m3 bei mittelgroßen Anlagen ein. Die Wandungen Fig. 73. Schematische Darstellung des Bleikammerverfahrens dieser Kammern sind mit B l e i der Schwefelsäuregewinnung p l a t t e n ausgekleidet, weil Blei das einzige von den billigeren Metallen ist, welches durch Schwefelsäure verhältnismäßig wenig a n g e g r i f f e n wird. In den beiden ersten Kammern wird W a s s e r zerstäubt; hier erfolgen die Umsetzungen (9) und (10) zwischen Schwefeldioxyd, Stickstoffoxyd und Sauerstoff sowie die Vereinigung des gebildeten Schwefeltrioxyds mit Wasser zu S c h w e f e l s ä u r e (8). Die Temperatur der ersten Kammer beträgt dabei etwa 70—80°, die der zweiten 50—55°; in der ersten herrscht das Schwefeldioxyd vor, so daß das Gas farblos ist, in der zweiten gewinnen die nitrosen Gase das Übergewicht und führen zu einer schwachen Rotfärbung des Gases. Die letzte Kammer bezweckt die Abkühlung und Trocknung der nitrosen Gase; die Temperatur ist hier nicht wesentlich höher als die Außentemperatur, und die Gase, die fast kein Schwefeldioxyd mehr enthalten, sind klar und tief rot gefärbt. Am Boden der Kammern sammelt sich die „Kammersäure" (— 60°/ 0 ige Schwefelsäure). Zur Rückgewinnung der Stickstoffoxyde werden die Abgase der letzten Kammer in den GAY-LussAC-Turm, einen mit säurefesten Steinen ausgemauerten Bleiturm von 9 —15 m Höhe und 1.5—3 m Durchmesser eingeleitet, in welchem ihnen von oben 80°/0ige Schwefelsäure (Glover-Säure) über säurefeste Füll- und Verteilungskörper in feiner Verteilung entgegenrieselt. Diese Schwefelsäure a b s o r b i e r t die S t i c k s t o f f o x y d e der Abgase unter Bildung von „nitroser Säure" (S. 243), die — mit Kammersäure verdünnt und zum Ausgleich des Verlustes an Stickstoffoxyden uiit Salpetersäure vermischt — wieder dem Glover-Turm zugeführt wird. In größeren Anlagen verwendet man neuerdings anstatt der Bleikammern T ü r m e aus säurefestem Material („Turmverfahren"). 4. Die K a m m e r s ä u r e kann direkt für die Herstellung von S u p e r p h o s p h a t aus Calciumphosphat (S. 270) oder für die Darstellung von A m m o n i u m s u l f a t ( S . 435) verwendet werden. Für die meisten anderen Zwecke muß sie erst k o n z e n t r i e r t werden. Dies geschah früher durch Eindampfen in Schalen aus Blei (bis 78°/0 H 2 S0 4 ), Glas, Porzellan, Quarz oder Platin. Heute konzentriert man, indem man die Säure in einem Turm („OAILLARD-Turm") in feiner Verteilung den heißen Gasen einer Generatorgasflamme entgegenrieseln läßt.

Physikalische Eigenschaften Reine Schwefelsäure ist eine ölige, farblose, beim Abkühlen auf 0° allmählich zu Kristallen vom Schmelzpunkt 10.36° erstarrende Flüssigkeit vom spez. Gewicht 1.836 (15°). Der Schmelzpunkt wird durch geringe Mengen Wasser stark erniedrigt und liegt für eine 98°/ 0 ige Schwefelsäure beispielsweise bei 3.0°. Beim Erwärmen gibt die reine Schwefelsäure einen etwas schwefeltrioxyd-reicheren Dampf ab, bis schließlich bei einem konstanten Siedepunkt von 338° eine 98.3°/ 0 ige Schwefelsäure übergeht. Eine Säure gleicher Zusammensetzung und gleichen Siedepunktes wird erhalten, wenn man

209

Der Schwefel

v e r d ü n n t e Säure destilliert, da in diesem Falle zuerst fast nur Wasser übergeht. 100°/0ige Schwefelsäure läßt sich daher nicht durch Destillieren verdünnter Schwefelsäure, sondern nur durch Auflösen der berechneten Menge Schwefeltrioxyd in konzentrierter Schwefelsäure gewinnen. Erhitzt man den Dampf von Schwefelsäure über den Siedepunkt von 338° hinaus, so erfolgt Dissoziation in Wasserdampf und Schwefeltrioxyd: 21.3 kcal + H 2 S0 4 z^zil S0 3 + H 2 0 . Bei 450° ist die Dissoziation praktisch vollständig. Bei tiefen Temperaturen hat umgekehrt das Schwefeltrioxyd ein außerordentliches Bestreben, sich mit Wasser unter Bildung von Schwefelsäure zu vereinigen (S. 200). Chemische Eigenschaften Wasserentziehende Wirkung. Auch die konzentrierte Schwefelsäure selbst ist durch eine a u ß e r o r d e n t l i c h g r o ß e A f f i n i t ä t z u m W a s s e r ausgezeichnet. Mischt man Schwefelsäure mit Wasser, so bilden sich unter b e d e u t e n d e r W ä r m e e n t w i c k l u n g (20.4 kcal/Mol H 2 S0 4 bei Vermischen mit viel Wasser bei 20°) H y d r a t e d e r feuchtert _ Gasstrom'

f

J?

) /'rockener *ßasstrom

-zur Saugpumpe

Aonz. Schwefelsaure

-fronz. Schwefelsäure Fig. 74.

Vakuum-Exsiccator

Fig. 75.

Waschflasche

S c h w e f e l s ä u r e (vgl. S. 469): H 2 S0 4 • H 2 0 (Smp. 8.5°), H 2 S0 4 • 2 H 2 0 (Smp. —38°), H 2 S0 4 • 4 H 2 0 (Smp. —27°), H 2 S0 4 • 6 H 2 0 (Smp. —54°), H 2 S0 4 • 8 H 2 0 (Smp. —62°). Das Vermischen muß wegen der beträchtlichen Wärmeentwicklung stets mit V o r s i c h t in der Weise geschehen, daß man die S ä u r e in dünnem Strahl und unter Umrühren i n d a s W a s s e r e i n t r ä g t ; gießt man umgekehrt das W a s s e r i n d i e S c h w e f e l s ä u r e , so kann die intensive Wärmeentwicklung zum Herausschleudern der aggressiven Flüssigkeit und zum Springen des Glasgefäßes führen. Das Volumen der Gemische von Schwefelsäure und Wasser ist nicht gleich der Summe der Einzelvolumina, sondern etwas kleiner; es tritt also beim Vermischen der beiden Flüssigkeiten eine K o n t r a k t i o n ein. Die größte Kontraktion zeigt eine 97.66°/0ige Schwefelsäure, welche bei 15° das spezifische Gewicht 1.8434 besitzt. Man benutzt die starke wasserentziehende Wirkung der konzentrierten Schwefelsäure im Laboratorium z. B. zum T r o c k n e n von chemischen Substanzen sowie zur Entfernung von W a s s e r aus chemischen Gleichgewichten. Zum Trocknen f e s t e r u n d f l ü s s i g e r S u b s t a n z e n dient dabei zweckmäßig ein , , E x s i c c a t o r " (Fig. 74), ein luftdicht verschließbares Glasgefäß, auf dessen Boden sich konzentrierte Schwefelsäure (oder ein anderes Trockenmittel) befindet, welche — besonders wirksam im e v a k u i e r t e n Exsiccator — die Feuchtigkeit der darüber befindlichen, zu trocknenden Substanzen an sich zieht. G a s e trocknet man zweckmäßig durch Hindurchleiten durch eine mit konzentrierter Schwefelsäure gefüllte „ W a s c h f l a s c h e " (Fig. 75).

Auf viele o r g a n i s c h e S t o f f e (Papier, Leinwand, Kleiderstoffe) wirkt konzentrierte Schwefelsäure v e r k o h l e n d und z e r f r e s s e n d ein, indem sie die Elemente des Wassers daraus abspaltet ( C m H 2 n O n — m C + nH 2 0) und zugleich oxydativ zerH o l l e m a n - W l b e r g , Anorganische Chemie, 37. —39. Aufl.

14

210

Die Gruppe der Chalkogene

störend (S. 211) wirkt. Daher sieht rohe konzentrierte Schwefelsäure wegen hineingeratener Teilchen des Verpackungsmaterials gewöhnlich mehr oder weniger braun aus. Saure Wirkung. Die Schwefelsäure ist eine s t a r k e , z w e i b a s i g e S ä u r e . Ihre elektrolytische Dissoziation erfolgt deutlich in zwei Stufen: H 2 S 0 4 H" + H S 0 4 ' > 2 H ' + S 0 4 " . Das e r s t e Wasserstoff-ion ist in Lösungen mittlerer Konzentration, z. B. einer 1-molaren Lösung, zu praktisch 1 0 0 % abgespalten. Die Dissoziation in z w e i t e r Stufe beträgt demgegenüber in einer solchen Lösung nur 1 . 3 % , wie aus dem Zahlenwert der zweiten Dissoziationskonstante K z = — = 0.013 für cH- und Chso.' gleich 1 hervorgeht. hso/ 100°/0ige Schwefelsäure leitet den elektrischen Strom infolge partieller elektrolytischer Dissoziation gemäß 2 H 2 S 0 4 ^ : H 3 0 + H S 2 0 / . Verdünnt man die konzentrierte Schwefelsäure, so überlagern sich — wenn man immer ein bestimmtes Lösungsvolumen betrachtet — zwei Einflüsse: die Zunahme des Dissoziationsgrades gemäß H 2 S0 4 + H 2 0 H 3 0" + HS0 4 ' und die Abnahme der Gesamtkonzentration an Schwefelsäure. Zunächst überwiegt die erstere Erscheinung, so daß die spezifische Leitfähigkeit mit steigender Verdünnung zunimmt. Bei einem Gehalt von etwa 30% Schwefelsäure kompensieren sich beide Einflüsse; hier liegt das Maximum der spezifischen Leitfähigkeit («i8° = 0.739 Ohm-1 cm -1 ). Bei weiterer Verdünnung überwiegt der Einfluß der Abnahme der Gesamtkonzentration von Schwefelsäure, so daß jetzt die spezifische Leitfähigkeit wieder abnimmt, um bei unendlicher Verdünnung den Wert Null zu erreichen. Fügt man zu reiner Schwefelsäure nicht Wasser, sondern umgekehrt Schwefeltrioxyd, konzentriert man also die 100°/0ige Schwefelsäure noch weiter, so nimmt die spezifische Leitfähigkeit auch in diesem Falle zunächst zu, da die Konzentration der — in konzentrierter Schwefelsäure teilweise dissoziierten — Pyroschwefelsäure (H 2 S0 4 -f- S0 3 >- H 2 S 2 0 7 ) zunimmt. Bei einem Zusatz von etwa 15% S0 3 durchschreitet die Leitfähigkeitskurve ein kleines Maximum, da hier die Zunahme der Konzentration an Pyroschwefelsäure durch die Abnahme des Dissoziationsgrades infolge der Konzentrationsvermehrung kompensiert wird. Bei weiterer Zugabe von S0 3 sinkt die Leitfähigkeit wieder, um bei etwa 40% S03-Überschuß sehr gering zu werden. Als Säure entwickelt die Schwefelsäure bei der Einwirkimg auf alle in der Spannungsreihe (S. 167) oberhalb des Wasserstoffs stehenden Metalle W a s s e r s t o f f (Me—>-Me" + 2 © ; 2 © + 2 H ' — > - H 2 ) : Meli + H 2 S 0 4 — > - MeS0 4 + H 2 . Hiervon macht man im Laboratorium zur Darstellung von Wasserstoff Gebrauch. Die Schwefelsäure muß dabei v e r d ü n n t sein, da k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure wegen ihres O x y d a t i o n s v e r m ö g e n s (S. 211) von dem naszierenden Wasserstoff teilweise zu S c h w e f e l w a s s e r s t o f f reduziert wird (H 2 S0 4 + 8 H — H 2 S + 4 H 2 0 ) , so daß der entwickelte Wasserstoff Schwefelwasserstoff enthält. Auch darf das Metall kein unlösliches Sulfat bilden, welches als schützende Deckschicht den weiteren Angriff der Säure verhindert (vgl. S. 172). Technisch von Wichtigkeit ist das Verhalten der Schwefelsäure gegenüber Eisen. Die Angreifbarkeit von Eisen läuft dem Leitvermögen (s. oben), also der Ionenkonzentration der Lösung parallel. So wird Eisen von verdünnter Schwefelsäure stark angegriffen. Mit steigender Konzentration der Schwefelsäure wird die Einwirkung auf Eisen geringer, so daß Schwefelsäuren mit einem Gehalt von mehr als 93% H 2 S0 4 in Gefäßen aus Guß- oder Schmiede-eisen aufbewahrt und versandt werden können. Fügt man zu 100%iger Schwefelsäure Schwefeltrioxyd, so steigt wieder die Angreifbarkeit des Eisens, bis der Gehalt an freiem S 0 3 etwa 15% beträgt. Bei weiterem Zufügen von S 0 3 sinkt sie wieder, um bei einem Gehalt von 40% freiem S 0 3 nahezu unmerklich zu werden. Auch von rauchender Schwefelsäure wird daher Eisen nicht angegriffen, falls sie genügend freies S 0 3 enthält. Die in der Spannungsreihe u n t e r h a l b des W a s s e r s t o f f s stehenden, weniger stark reduzierend wirkenden Metalle (z. B. Kupfer, Quecksilber, Silber) lösen sich in Schwefelsäure beim Erhitzen nicht unter W a s s e r s t o f f - , sondern unter S c h w e f e l dioxyd-entwicklung (Me — > - Me" + 2 © ; H 2 S 0 4 + 2H" + 2 © — > S 0 2 + 2 H 2 0 ) : Meli + 2HJS0 4

v MeS0 4 + S0 2 + 2H s O,

Der Schwefel

211

da die Reduktion von S c h w e f e l s ä u r e zu S c h w e f e l d i o x y d leichter als die Reduktion von W a s s e r s t o f f i o n e n zu W a s s e r s t o f f erfolgt. P l a t i n und G o l d , die nur sehr geringe reduzierende Wirkung aufweisen, werden von Schwefelsäure nicht angegriffen. Als zweibasige Säure bildet die Schwefelsäure zwei Reihen von Salzen: Hydrogensulfate (Bisulfate; saure Sulfate-, primäre Sulfate) Me I HS0 4 und Sulfate (normale Sulfate ; neutrale Sulfate; sekundäre Sulfate) Me^S04. H y d r o g e n s u l f a t e kennt man nur von den A l k a l i m e t a l l e n . Sie sind in Wasser sehr leicht löslich und gehen beim Erhitzen über den Schmelzpunkt zunächst in D i s u l f a t e ( P y r o s u l f a t e ) und dann in n o r m a l e S u l f a t e über: 2NaHS0 4 Na 2 S,0 7 — > Na 2 S0 4 . Die den Disulfaten (Pyrosulfaten) entsprechende Dischwefelsäure (Pyroschwefelsäure) bildet eine durchsichtige, kristalline Masse vom Schmelzpunkt 36°. Sie kristallisiert aus rauchender Schwefelsäure mit bestimmtem Gehalt an freiem Schwefeltrioxyd (18—62°/ 0 S0 3 ) beim Abkühlen aus. Die n o r m a l e n S u l f a t e sind in Wasser meist leicht löslich. Praktisch unlöslich sind B a r i u m - , S t r o n t i u m - und B l e i s u l f a t ; Calciumsulfat ist etwas löslich. Die Alkali- und Erdalkalisulfate sind thermisch sehr beständig. Die Sulfate dreiwertiger Metalle zerfallen leichter; so kann man z. B. durch Erhitzen von Eisensulfat Fe 2 (S0 4 ) 3 oder Aluminiumsulfat A1 2 (S0 4 ) 3 leicht S 0 3 darstellen: Fe 2 (S0 4 ) 3 — F e 2 0 3 + 3 S 0 3 (vgl. S. 200). Oxydierende Wirkung. Konzentrierte Schwefelsäure wirkt o x y d i e r e n d , da sie das Bestreben hat, in Umkehrung der reduzierenden Wirkung der schwefligen Säure (vgl. S. 204) in s c h w e f l i g e S ä u r e überzugehen; schematisch S0 3 — v S0 2 + O

bzw.

S0 3 + 2 Q

S0 3 " .

Auf diese Oxydationswirkung ist ja die oben schon erwähnte Auflösung der in der Spannungsreihe unterhalb des Wasserstoffs stehenden M e t a l l e zurückzuführen. Auch N i c h t m e t a l l e wie Kohle oder Schwefel werden von heißer konzentrierter Schwefelsäure unter Schwefeldioxydentwicklung oxydativ gelöst. Verwendung. In der chemischen Industrie findet die Schwefelsäure mannigfaltigste Verwendung. Die Hauptmenge wird zur Darstellung von K u n s t d ü n g e r — Superphosphat (S. 270), Ammoniumsulfat (S. 435) — verbraucht. Weiter dient sie zur Darstellung der meisten anderen M i n e r a l s ä u r e n — z. B. Salzsäure (S. 87f.), Phosphorsäure (S. 259) —, sowie in der organischen Industrie zur Einführung von ,,Sulfogruppen" — S 0 3 H an Stelle von Wasserstoff („Sulfurierung"; vgl. II, S. 310) und im Gemisch mit Salpetersäure als „Nitriersäure" zum Ersatz von Wasserstoffatomen durch Nitrogruppen —NO, („Nitrierung" ; vgl. II, S. 308) in Cellulose, Glycerin, Benzol u.a. (Darstellung von Schießbaumwolle, Celluloid, Nitroglycerin, Pikrinsäure, Nitrotoluol usw.). Auch als Akkumulatorensäure werden beträchtliche Mengen Schwefelsäure verbraucht. Im chemischen Laboratorium schließlich ist sie eines der am meisten gebrauchten Reagentien. Halogen Verbindungen. Ersetzt man in der Schwefelsäure (I) eine oder beide Hydroxylgruppen durch einwertige negative Reste X, so kommt man zu Derivaten, die man als Sulfonsäuren (II) bzw. Sulfurylverbindungen (III) bezeichnet: .OH 0 2 S< X)H (I) Schwefelsäuren

0 2 S< X OH (II) Sulfonsäuren

.X 0 2 S< \X (III) Sulfurylverbindungen

Im folgenden wollen wir einige Verbindungen betrachten, in denen X = Halogen ist. Andere Derivate werden wir auf S. 24 8ff. kennenlernen. Chlorsulfonsäure, C1 • S 0 2 • OH, wird technisch durch unmittelbare Vereinigung von C h l o r w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l t r i o x y d hergestellt: 14*

212

Die Gruppe der Chalkogene

/Ol 0 2 S = 0 + H - C l —>- 02S< \OH Eine andere Darstellungsmethode ist die Einwirkimg von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d auf konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e : HO • S0 2 ; OH + PCl4j C1

HO • S0 2 • Cl + PCl 4 OH ( - > PCI3O + HCl).

Die Verbindung stellt eine farblose, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit von stechendem Geruch dar, welche bei 152° siedet und bei —80° erstarrt. Mit Wasser reagiert sie heftig unter Bildung von Salzsäure und Schwefelsäure: HO • S02j C1 + H iOH

>- HO • S02 • OH + HCl.

Sulfurylchlorid, C1 • S0 2 • Cl, bildet sich durch direkte Vereinigung von C h l o r und S c h w e f e l d i o x y d bei Gegenwart geeigneter K a t a l y s a t o r e n (Kampfer oder Aktivkohle oder Sonnenlicht): S0 2 + Cl2—>- S02C12. Auch durch Erhitzen von C h l o r s u l f o n s ä u r e kann es erhalten werden: HO • SOjjci + Cl • S0 2 |0H —>- HO • S0 2 • OH + Cl • S02 • Cl. Es ist eine farblose, erstickend riechende, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit, welche bei 69.3° siedet und bei —54.1° erstarrt. Mit wenig Wasser liefert Sulfurylchlorid Chlorsulfonsäure, mit viel Wasser Schwefelsäure: /ICl+HiOH /OH nQ/°H 3< ! ----•< —02S< ^ °2S\ X X H C1 -Cl + H;OH ° Sulfurylfluorid, F • S0 2 • F, das analog dem Sulfurylchlorid durch unmittelbare Vereinigung von S c h w e f e l d i o x y d und F l u o r oder durch Erhitzen von F l u o r s u l f o n s ä u r e bzw. deren Salzen erhalten werden kann, ist ein färb- und geruchloses Gas (Sdp. —52°; Smp. —120°), das zum Unterschied vom Sulfurylchlorid ähnlich r e a k t i o n s t r ä g e wie Schwefelhexafluorid (S. 198) ist. Es kann mit W a s s e r im geschlossenen Rohr auf 150° erhitzt werden, ohne sich zu zersetzen. Durch L a u g e n wird es nur sehr langsam angegriffen. N a t r i u m läßt sich in ihm schmelzen, ohne seinen Metallglanz zu verlieren. S) Sulfoxylsäure. Dithionige Säure. Dithionsäure Die dithionige Säure (unter-dischweflige Säure) H 2 S 2 0 4 steht in ihrer Oxydationsstufe (vgl. S.202) um eine Einheit u n t e r h a l b , die Dithionsäure (Unter-dischwefelsäure) H 2 S 2 0 6 um eine Einheit o b e r h a l b der schwefligen Säure H 2 S0 3 . Dementsprechend gewinnt man erstere durch R e d u k t i o n , letztere durch O x y d a t i o n der schwefligen Säure; s c h e m a t i s c h : 2so a + 2 e Red " ktion > S204" (12)

2SO3" ^

^

S206" + 2 0 .

(13)

Als R e d u k t i o n s m i t t e l dienen zweckmäßig Z i n k (Zn—>- Zn" + 2© ; Einwirkung von Zink auf eine mit überschüssiger schwefliger Säure versetzte Natriumhydrogensulfitlösung) oder N a t r i u m (Na—>- Na' + © ; Einwirkung von trockenem Schwefeldioxyd auf Natrium) oder der e l e k t r i s c h e S t r o m (kathodische Reduktion einer Hydrogensulfitlösung), als O x y d a t i o n s m i t t e l v i e r w e r t i g e s M a n g a n (Mn -f- 2 © ——>- Mn j Einwirkung von Schwefeldioxyd auf in Wasser aufgeschlämmtes Mangandioxyd-

Der Schwefel

213

hydrat) oder d r e i w e r t i g e s E i s e n (Fe'" + © — v F e " ; Einwirkung von Schwefeldioxyd auf Eisen(III)-oxydhydrat) oder der e l e k t r i s c h e S t r o m (anodische Oxydation einer Sulfitlösung). Die dithionige Säure H^S^O^ (Unter-dischweflige Säure) undihre Salze (Dithionite bzw. Hypo-disulfite) sind durch ihr s t a r k e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n charakterisiert, da sie in Umkehrung der obigen schematischen Bildungsgleichung (12) wieder in die Stufe der s c h w e f l i g e n S ä u r e überzugehen suchen: S 2 0 4 "—>• 2SOa + 2 © . So fällen sie z. B. aus Quecksilber(II)-chlorid-, Silbernitrat- und Kupfersulfatlösungen die Metalle aus (Me" + 2 © — M e ) ; Jodlösung wird entfärbt (J 2 + 2 © —>- 2 J ' ) . Das Natriumsalz Na 2 S 2 0 4 • 2 H 2 0 findet in der Küpenfärberei (II, S. 363, 489) und im Ätzdruck als Reduktionsmittel, in der analytischen Chemie als Absorptionsmittel für Sauerstoff Verwendung. Die Dithionsäure H a S s 0 6 (Unter-dischwefelsäure) und ihre Salze (Dithionate bzw. Hypo-disulfate) zeigen keine große Neigung, in Umkehrung der Darstellungsgleichung (13) unter Bildimg von schwefliger Säure oder Sulfiten oxydierend zu wirken. Dagegen d i s p r o p o r t i o n i e r e n sie sich leicht in Schwefel- und schweflige Säure; s c h e m a t i s c h : S20„" ^ S0 3 + S0 3 ". Konzentriert man z. B. eine wässerige Lösung von Dithionsäure, so zerfällt sie leicht nach H 2 S 2 0 6 — H 2 S 0 4 + S 0 2 . I n entsprechender Weise zerfallen die Salze beim Erhitzen: K 2 S 2 0 6 J 6 ^ k 2 s o 4 + S 0 2 . Bei der dithionigen Säure ist die Neigung zur entsprechenden Disproportionierung: S204"

S0 2 + S0 2 "

weniger ausgeprägt. Immerhin gelingt es, auf diesem Wege zu Salzen der Sulfoxylsäure H 2 S 0 3 (Unterschweflige Säure1) zu gelangen, wenn man in einer Na 2 S 2 0 4 -Lösung das im Gleichgewicht befindliche Hyposulfit S 0 2 " als schwerlösliches K o b a l t s a l z CoS0 2 oder als F o r m a l d e h y d - A d d i t i o n s v e r b i n d u n g N a H S 0 2 • C H 2 0 („Rongalit"; vgl. S. 214) abfängt. Die f r e i e Sulfoxylsäure gewinnt man in Form ihrer wässerigen Lösung zweckmäßig durch Hydrolyse von Derivaten wie SC12 oder S(OR) 2 (R = Kohlenwasserstoffrest C n H 2 n + 1 ; vgl. S. 301 f.): SC12 + 2 HÖH >- S(OH)2 + 2 HCl S(0R)a + 2 HÖH • S(OH)2 + 2 HÖR . Sie h a t wie die unterchlorige Säure Cl(OH) (S. 121 f.) oder salpetrige Säure NO(OH) (S.242f.) o x y d i e r e n d e Eigenschaften (S(OH) 2 + 2 H ' + 2 © — S + 2 H 2 0 ) und oxydiert beispielsweise Jodwasserstoff zu J o d ( 2 J ' — > J 2 + 2 G), Stickstoff wasserstoffsäure zu Stickstoff (2N S ' —>- 3N 2 + 2 ©), Schwefelwasserstoff zu Schwefel ( S " — > S + 2©), Eisen(II)-salze zu Eisen(III)-salzen ( F e " — ^ F e " ' + ©). Charakteristisch ist die in schwach saurer Lösung vor sich gehende Bildung von T r i t h i o n s ä u r e H 2 S 3 0 6 (S. 216f.) bei der Umsetzung mit s c h w e f l i g e r Säure H 2 S 0 3 :


OH + HiSOsH

1

/SO,H < o O H

+ 2HaO

(14)

Die Bezeichnung unterschweflige Säure (Salze: Hyposulfite) für die Säure H 2 S0 2) die der rationellen Bezeichnungsweise für Sauerstoffsäuren (S. 121) entspricht, ist weniger gebräuchlich als der Name Sulfoxylsäure (Salze: Sulfoxylate). Dagegen wird die Säure H 2 S 2 0 4 (dithionige Säure), die rationell als unter-dischweflige Säure zu bezeichnen ist, oft einfach unterschweflige Säure genannt.

214

Die Grappe der Chalkogene

und die analoge Bildung von P e n t a t h i o n s ä u r e H 2 S ä 0 6 (S. 216f.) bei der Umsetzung mit der gegenüber der schwefligen Säure um 1 S-Atom reicheren Thioschwefelsäure 2

2

S(OH)2 + 2 H a S 2 O s

3

• H a S 6 0 6 + 2 HaO .

(15)

In a l k a l i s c h e r Lösung zersetzt sich die Sulfoxylsäure unter Bildung von S u l f i t und T h i o s u l f a t , indem wahrscheinlich das durch D i s p r o p o r t i o n i e r u n g (16) entstehende Sulfinoxyd H 2 SO : 2 H 2 S 0 2 ^=±1 H 2 SO + H 2 S 0 3

(16)

mit der gleichzeitig gebildeten schwefligen Säure analog (14) zu Thioschwefelsäure weiterreagiert: / I O H + HSOsH

s


S
- Mn0 2 + 4 H" + 2 © ) bzw. — bei Gegenwart von Silber-ionen als Katalysator — zu Permanganat (Mn" -f4 H 2 0 — M n 0 4 ' + 8 H ' + 5 ©), Silbersalze zu Silberperoxyd ( 2 A g + 2 H 2 0 — A g 2 0 2 + 4 H ' + 2 ©) oxydiert. Fast alle Peroxy-disulfate sind in Wasser löslich; die Lösungen sind verhältnismäßig beständig. Dagegen unterliegt die f r e i e Peroxy-dischwefelsäure in wässeriger Lösung leicht der H y d r o l y s e : 0 i o HO S OiO S OH 0 i 0 i

o o HO S OOH + HO S OH. O O

Peroxyschwefelsäure

Schwefelsäure

HOjH Die dabei neben Schwefelsäure entstehende Peroxy-monoschweielsäure (Peroxyschwefelsäure) H2SO5 {„CARosche Säure") läßt sich leicht weiter zu Schwefelsäure und W a s s e r s t o f f p e r o x y d (vgl. S. 179) hydrolysieren: O : O HO S OiOH HO S OH + HOOH . O ; O H 011

Die Reaktion ist umkehrbar, so daß man durch Einwirkung von Wasserstoffperoxyd auf kalte, konzentrierte Schwefelsäure Peroxyschwefelsäure erhalten kann. Nimmt m a n statt Schwefelsäure das C h l o r i d der Schwefelsäure (Chlorsulfonsäure), so kann m a n die Peroxyschwefelsäure in reiner Form als schön kristallisierte, weiße, bei 45° schmelzende Substanz erhalten: 0 O HO S iCl + H OOH >- HO S OOH + HCl. O O Bei weiterer Einwirkung von Chlorsulfonsäure entsteht O 0 0 HO S 00:H + Olj S OH HO S 0 0 0 ~ O 0

reine Peroxy-dischwefelsäure 0 S OH + HCl 0

in Form weißer, bei 60° unter schwacher Zersetzung schmelzender Kristalle. Zum Unterschied von der auf Kaliumjodidlösung nur l a n g s a m ansprechenden Peroxy-dischwefelsäure scheidet die Peroxy-monoschwefelsäure aus Kaliumjodidlösungen a u g e n b l i c k l i c h J o d aus. Thioschwefelsäure Das Molekül der Thioschwefelsäure leitet sich von dem der S c h w e f e l s ä u r e d u r c h Ersatz eines S a u e r s t o f f a t o m s durch ein S c h w e f e l a t o m a b : tt :0: :0 : : Ö :S:Ö : :Ö:S :S : :Ö: Sulfat

Thiosulfat

Man erhält ihre Salze (Thiosulfate) durch Kochen von S u l f i t l ö s u n g e n mit feingepulvertem S c h w e f e l : Na 2 S0 3 + S — ^ Na 2 S 2 0 3 (19) oder durch O x y d a t i o n v o n D i s u l f i d e n mit Luftsauerstoff, z . B . : CaSj + 17 2 0 2 CaS203 .

216

Die Gruppe der Chalkogene

Die den Salzen zugrundeliegende S ä u r e H 2 S 2 0 3 ist weder in f r e i e m noch in gelöstem Zustande beständig, sondern zerfällt — in Umkehrung der zur Bildung von Thiosulfaten führenden Reaktion (19) — in s c h w e f l i g e S ä u r e und S c h w e f e l : H 2 S 2 0 3 —>• H 2 S0 3 + S. Säuert man daher Thiosulfatlösungen an, so bleibt die Lösung nur ganz kurze Zeit klar und scheidet alsbald Schwefel aus. Das wichtigste Thiosulfat ist das in dicken, durchsichtigen, farblosen, monoklinen Prismen kristallisierende Natriumthiosulfat Na 2 S 2 0 3 • 5 H 2 0 , welches bei 48.5° in seinem Kristallwasser schmilzt und sehr leicht übersättigte Lösungen bildet. Es findet mannigfache Verwendung. In der P h o t o g r a p h i e (S. 463) dient es als „Fixiersalz" zum Herauslösen des beim Belichten und Entwickeln unverändert gebliebenen Silberhalogenids aus photographischen Platten und Filmen. In der B l e i c h e r e i (S.84) benutzt man es als „Antichlor" zur Entfernung des Chlors aus chlorgebleichten Geweben, da es Chlor zu Chlorid reduziert (Cl2 + 2 © —>- 2C1'), wobei es selbst in S u l f a t übergeht ( S 2 0 3 " + 5 H 2 0 — v 2 S 0 4 " + 10H' + 8 ©). Mit dem weniger stark oxydierenden J o d (J 2 + 2 © —>• 2 J ' ) setzt es sich nur bis zur Oxydationsstufe der T e t r a t h i o n s ä u r e H 2 S 4 0 6 um (2S 2 0 3 "—>- S 4 0 6 " + 2 ©). Da hierbei die braune — bzw. bei Gegenwart von Stärke blaue (S. 89) — Jodlösung entfärbt wird: 2S203"+ J a — ^ S 4 0 8 " + 2J', farblos

braun

farblos

farblos

kann man leicht den Punkt (Äquivalenzpunkt) erkennen, an dem gerade die zur Jodmenge äquivalente Menge Thiosulfat zugesetzt ist. Man benutzt daher die Reaktion zur Bestimmung von O x y d a t i o n s m i t t e l n („Jodometrie"), indem man durch Einwirkung dieser Oxydationsmittel auf eine Kalium jodidlösung eine dem Oxydationswert der Oxydationsmittel äquivalente Jodmenge in Freiheit setzt (2 J ' — > J 2 + 2 © ) und diese mit einer eingestellten Natriumthiosulfatlösung titriert (vgl. S. 117f., 170). Auch R e d u k t i o n s m i t t e l können jodometrisch bestimmt werden, indem man diese auf einen bekannten Überschuß einer eingestellten Jod-Jodkali-Lösung (S. 89) einwirken läßt ( J 2 + 2 © — > 2 J ' ) und das hierbei nicht umgesetzte Jod mit Thiosulfat bis zur Entfärbung „zurücktitriert" oder indem man die Reduktionsmittel direkt mit der eingestellten Jod-Jodkali-Lösung bis zur bleibenden Jodfärbung titriert. tj) Polythionsäuren Unter dem Namen Polythionsäuren faßt man einige Sauerstoffsäuren des Schwefels von der allgemeinen Formel H 2 S n 0 6 zusammen (n = 3 bis 6). Die einfachste Polythionsäure ist die Trithionsäure (Thio-dischwefelsäure) H 2 S 3 0 6 . Sie leitet sich von der D i s c h w e f e l s ä u r e durch Ersatz eines S a u e r s t o f f a t o m s durch ein Schwefela t o m ab 0: :0: " : 0: 0: Ö : S : 0. S : Ö : :Ö':S:S S: Ö: : 0: 0: : Ö: Ö : " Disulfat

Thio-disulfat

Die höheren Glieder der Reihe {Tetra-, Penta- und Hexathionsäure) leiten sich von der Trithionsäure durch Einlagerung weiterer Schwefelatome (Verlängerung der Schwefelkette) ab (vgl. S. 195). Man erhält ein Gemisch der Polythionsäuren, wenn man in eine wässerige Schwefeldioxydlösung Schwefelwasserstoff einleitet {„WACKENRODERsche Flüssigkeit"). Wahrscheinlich geht die Reaktion so vor sich, daß die schweflige Säure dabei durch den

Das Selen

217

Schwefelwasserstoff außer bis zur Endstufe des Schwefels (S. 194) intermediär auch bis zur Stufe der Sulfoxylsäure H 2 S 0 2 reduziert wird: H 2 S0 3 + H2S —>- H 2 S0 2 + H 2 0 + S,

(20)

welche mit überschüssiger schwefliger Säure unter Bildung von T r i t h i o n s ä u r e reagiert (14). Diese geht dann durch Aufnahme des gleichzeitig gebildeten Schwefels (20) in die h ö h e r e n P o l y t h i o n s ä u r e n (hauptsächlich Tetra- und Pentathionsäure) über. Die einzelnen Polythionsäuren sind ganz allgemein durch Umsetzung von S + + ( z . B . SC12, S(OR) 2 ) oder von S 2 + + ( z . B . S 2 C1 2 , S 2 (OR) 2 ) mit schwefliger oder Thioschwefelsäure gewinnbar (S++ + 2 S 0 3 — — V S 3 0 6 — ; S+ + + 2 S 2 0 3 — — > - S 6 0 6 — ; S 2 + + + 2 S 0 3 — — S 4 0 „ — ; S 2 + + + 2 S 2 0 3 ~ — > - S 6 0 6 — ) . Bezüglich der Bildung von Tetrathionsäure aus Thioschwefelsäure vgl. S. 216. Alle Polythionsäuren sind nicht in f r e i e m Z u s t a n d e , sondern nur in w ä s s e r i g e r L ö s u n g und in Form ihrer S a l z e bekannt. Am beständigsten ist in wässeriger Lösung die T e t r a - , weniger beständig die P e n t a - und T r i - , am unbeständigsten die H e x a t h i o n s ä u r e . Unter den — in reiner Form isolierbaren — S a l z e n zeichnen sich die Alkalipolythionate durch Beständigkeit aus. In s a u r e r L ö s u n g zersetzen sich die Polythionate allmählich unter Bildung von S c h w e f e l , s c h w e f l i g e r S ä u r e und Schwefelsäure: „ Q ü 2 b 3 + nU6 >• nb -f- ¿L2ö3U6 , H 2 S 3 0 6 + H 2 0 — ^ H 2 S0 4 + H 2 S 2 0 3 ( — s - S + H 2 S0 3 ). In a l k a l i s c h e r L ö s u n g erfolgt leichter Zerfall unter Bildung von T h i o s u l f a t und S u l f i t . Dieser Zerfall stellt nichts anderes dar als eine Umkehrung der oben angeführten Bildungsreaktionen aus S + + bzw. S 2 + + und S 0 3 — bzw. S 2 0 3 — . Schwefelreichere Polythionate geben einen Teil ihres Schwefels leicht an Stoffe ab, die ihrerseits Schwefel aufnehmen können ( z . B . S 4 0 6 — + S 0 3 — — V S 3 0 6 — + S 2 0 3 — ; S 4 0 6 — + CN- — ^ S 3 0 6 — + CNS-).

3. Das Selen a) Elementares Selen Vorkommen. Selen findet sich spurenweise in vielen natürlichen Sulfiden wie Eisenkies (Pyrit) F e S 2 , Kupferkies CuFeS 2 , Zinkblende ZnS, sowie als wesentlicher Bestandteil einiger seltener Mineralien. Beim Abrösten sulfidischer Erze reichert es sich im F l u g s t a u b ( S e 0 2 ist zum Unterschied von S 0 2 fest) an. Beim Bleikammerverfahren der Schwefelsäurefabrikation findet es sich weiter als elementares Selen im „Bleikammerschlämm'', da das S e 0 2 zum Unterschied von S 0 2 nicht von den Stickstoffoxyden zu S e 0 3 oxydiert, sondern umgekehrt von der schwefligen Säure leicht zu elementarem Selen reduziert wird. Darstellung. Als Ausgangsmaterial für die Selengewinnung dient meist der B l e i k a m m e r s c h l a m m . Das darin enthaltene Selen wird durch Erwärmen mit S a l p e t e r s ä u r e zu seleniger Säure oxydiert: Se + 2 0 Se0 2 und die selenige Säure durch Einleiten von S c h w e f e l d i o x y d in die Lösung wieder zu Selen reduziert: ^ + g ^ g e + 2 so¡> Das Selen fällt dabei als amorpher roter Niederschlag aus. Physikalische Eigenschaften. Wie der Schwefel kommt auch das Selen in mehreren, und zwar drei roten und zwei schwarzen Modifikationen vor.

218

Die Gruppe der Chalkogene

Von den r o t e n Formen sind zwei kristallin («-Selen und /Ö-Selen) und eine amorph. Sie sind alle in Schwefelkohlenstoff löslich, enthalten als Bauelemente Se 8 -Ringe und leiten den elektrischen Strom nicht. Von den s c h w a r z e n Formen ist die eine bei Zimmertemperatur g l a s a r t i g . Sie zeigt bei schwach erhöhter Temperatur (besonders bei etwa 60° C) K a u t s c h u k e l a s t i z i t ä t und wird bei noch höherer Temperatur p l a s t i s c h . Der Aufbau dieser Modifikation ähnelt weitgehend dem Aufbau hocherhitzter Schwefelschmelzen (vgl. S. 186). Mit Schwefelkohlenstoff lassen sich bei Zimmertemperatur etwa 40% des Selens extrahieren. Dies ist der dem Schwefel entsprechende, aus Se 8 -Ringen bestehende Anteil. Die übrigen 60% stellen hochmolekulare Ringe mit etwa 500 Selenatomen dar. Erhitzt man das glasige Selen oder die roten Selenformen auf über 72° C, so beginnt ganz langsam eine Umwandlung in die bis zum Schmelzpunkt beständigste, h e x a g o n a l k r i s t a l l i s i e r t e („metallische") Modifikation (Smp. 220.2°, Sdp. 688°). Sie besteht aus langen, parallel angeordneten, gewinkelten Se-Ketten:

(Se—Se-Abstand: 2.32 Ä). Am Rande des Kristalls vereinigen sich die Enden benachbarter Ketten, so daß auch hier ringförmige Moleküle für den Aufbau der Phase charakteristisch sind. Ein gut ausgebildeter Selenkristall leitet den elektrischen Strom nur sehr schlecht. Kristalle, die in ihrem Innern gestört sind, insbesondere solche, die noch geringe Spuren von H a l o g e n enthalten, leiten den Strom wesentlich besser. Solches Selen benutzt man zur Herstellung von „Selen-Gleichrichtern" und „Selen-Photoelementen". Die S e l e n - G l e i c h r i c h t e r bestehen aus einer vernickelten Eisenplatte, auf der eine dünne Schicht halogenhaltigen Selens (0.05 bis 0.1 mm Dicke) aufgebracht ist. Auf diese Selenschicht wird dann als Gegen- oder Deckelektrode eine Schicht aus einer cadmiumhaltigen Legierung aufgetragen. Die Grenzfläche Selen-Cadmium („Sperrschicht") hat die Eigenschaft, einen hohen zusätzlichen Widerstand zu besitzen, wenn die cadmiumhaltige Elektrode A n o d e ist. Der Stromdurchgang ist dann gesperrt. Bei u m g e k e h r t e r Polung (Cadmiumelektrode n e g a t i v ) verschwindet der zusätzliche Widerstand fast völlig, so daß der Gleichrichter unter diesen Bedingungen den Stromdurchgang gestattet. Jede Gleichrichterscheibe kann in der Sperrichtung Spannungen bis zu 35 Volt aushalten. In einen W e c h s e l s t r o m k r e i s geschaltet, gestattet der Gleichrichter den Stromdurchgang nur in e i n e r Richtung, macht also aus Wechselstrom pulsierenden G l e i c h s t r o m . Dampft man auf die Selenschicht einen s e h r d ü n n e n Cadmiumbelag auf, so daß derselbe l i c h t d u r c h l ä s s i g ist, so beobachtet man, daß sich bei B e s t r a h l u n g die Cadmiumelektrode p o s i t i v und die Eisenelektrode n e g a t i v auflädt. Eine solche Anordnung wirkt wie ein galvanisches Element und wird S e l e n - P h o t o e l e m e n t genannt. Sie läßt sich zur Konstruktion von Geräten wie photographischen Belichtungsmessern benutzen, die unabhängig von äußeren Stromquellen betätigt werden sollen. Im f l ü s s i g e n Zustand ist das Selen schwarz wie das glasige Selen. Es besteht aus Se 8 -Ringen 40%) und hochmolekularen Ringen mit einer Gliederzahl von etwa 500 ( ~ 60%). Bei nicht zu langsamem Abkühlen der Schmelze entsteht das g l a s i g e S e l e n (s. oben), da die Ringe relativ stabil sind und sich wegen ihrer verschiedenen Größe nicht zu einem Kristallgitter ordnen können. Gibt man aber zu der Schmelze auch nur spurenweise ein A l k a l i s e l e n i d , z. B. K 2 Se, so tritt beim Abkühlen augenblicklich Kristallisation ein, da die Ringe schnell mit den wenigen vorhandenen Selen-ionen unter Bildung von P o l y s e l e n i d - i o n e n reagieren: Sex - Ring + Se-

—> "Se-Sc

Se-So-.

219

Das Selen

Aus diesen bilden sich dann l ä n g e r e Ketten, indem verschiedene Polyselenid-ionen miteinander reagieren und ihre dabei freiwerdenden Elektronen an weitere Ringe abtreten, die ihrerseits wiederum in Polyselenid-ionen umgewandelt werden. So setzt sich der Prozeß fort, bis schließlich nur mehr S e l e n k r i s t a l l e und etwas Alkalipolyselenid übrigbleiben. Auch unlöslicher S c h w e f e l (hochmolekulare Ringe) wandelt sich in entsprechender Weise sofort in löslichen Schwefel (S 8 -Ringe) um, wenn er mit einer A l k a l i s u l f i d lösung in Berührung gebracht wird. Im d a m p f f ö r m i g e n Zustand ist Selen gelblich. Nach der Dampfdichtebestimmung sind oberhalb von 900° Se2-Moleküle vorhanden. Unterhalb dieser Temperatur findet Assoziation zu größeren Molekülen statt.

b) Verbindungen des Selens In ihrer Zusammensetzung entsprechen die Verbindungen des S e l e n s denen des S c h w e f e l s . Selen tritt also wie Schwefel zwei-, v i e r - und s e c h s w e r t i g auf. Die Neigung, in den s e c h s w e r t i g e n Zustand überzugehen, ist g e r i n g e r als beim Schwefel. Daher ist selenige Säure ein s c h w ä c h e r e s R e d u k t i o n s m i t t e l als schweflige Säure und Selensäure ein s t ä r k e r e s O x y d a t i o n s m i t t e l als Schwefelsäure. Selenverbindungen sind ähnlich wie Arsenverbindungen stark giftig. Selenwasserstoff. Selenwasserstoff kann wie Schwefelwasserstoff direkt aus den E l e m e n t e n ("Überleiten von Wasserstoff über Selen oberhalb von 400°): 18.5 kcal + Se + H 2 7 »

H 2 Se

(21)

oder durch Zersetzen von S e l e n i d e n (z. B. Eisen-, Aluminium- oder Magnesiumselenid) mit S a l z s ä u r e : Se" + 2 H '

H 2 Se

gewonnen werden. Er stellt ein farbloses, „nach faulem Rettich" riechendes Gas dar, das sich leicht verflüssigen (Sdp. —41.5°) und verfestigen (Smp.—60.4°) läßt, noch giftiger als Schwefelwasserstoff ist und die Schleimhäute der Nase und der Augen aufs heftigste angreift {„Selenschnupfen"). Als e n d o t h e r m e Verbindung (21) ist Selen Wasserstoff u n b e s t ä n d i g e r als Schwefelwasserstoff. Wegen der geringen Zerfallsgeschwindigkeit macht sich der Zerfall in die Elemente aber bei Z i m m e r t e m p e r a t u r nur langsam bemerkbar, so daß die Verbindung bei gewöhnlicher Temperatur m e t a s t a b i l ist. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r verschiebt sich das Gleichgewicht (21) wie bei allen endothermen Reaktionen zugunsten der endotherm entstehenden Reaktionsseite, hier also des S e l e n Wasserstoffs. Da sich dieses günstiger liegende Gleichgewicht bei der höheren Temperatur aber mit g r ö ß e r e r G e s c h w i n d i g k e i t einstellt, zerfällt der bei Zimmertemperatur metastabile Selenwasserstoff beim Erhitzen leichter. Selen Wasserstoff ist eine bedeutend s t ä r k e r e S ä u r e als Schwefelwasserstoff; seine Dissoziationskonstante beträgt für die erste Dissoziationsstufe (H 2 Se < > H' + HSe') 1.9 X 1 0 - 4 und liegt damit in der Größenordnung der Dissoziationskonstante der salpetrigen Säure (K = 4.5 X 10~4) und der Fluorwasserstoffsäure (K=7.2 X 10 - 4 ). Als z w e i b a s i g e Säure bildet er Hydrogenselenide (saure Selenide) der Formel Me'HSe und normale Selenide (neutrale Selenide) der Formel Me^Se. Die Metallselenide sind wie die entsprechenden Sulfide mehr oder minder stark gefärbt, in Wasser — teils auch in Säuren — unlöslich und durch Einwirkung von Selenwasserstoff auf Metallsalzlösungen darstellbar. Entsprechend seiner geringeren Beständigkeit ist der Selenwasser-

Die Gruppe der Chalkogene

220

stoff ein s t ä r k e r e s R e d u k t i o n s m i t t e l als der Schwefelwasserstoff. Aus wässerigen Lösungen fällt unter der Einwirkung des Luftsauerstoffs bald r o t e s S e l e n aus. Selenhalogenide. Selen bildet mit den Halogenen Verbindungen des Typus SeäXä (Se2Cl2, dunkelrote Flüssigkeit; Smp. —85°, Sdp.+130°; Se2Br2, dunkelrote Flüssigkeit; Smp.—46.°, Sdp.+227°; Se 2 J 2 , schwarzer fester Körper), SeX4 (SeF 4 , farblose Flüssigkeit; Smp —13.2°, Sdp. + 9 3 ° ; SeCl4) farblose Kristalle; Smp. 305°, Sblp. 180°; SeBr 4 , orangenesPulver; Smp. 75°) und SeX„(SeF 6 , farbloses Gas; Smp.—34.6°, Sblp.—46.6°). Dihalogenide der Zusammensetzung SeX 2 sind nur als Dissoziationsprodukte der TetraSeBr 2 + Br 2 ). halogenide im Dampfzustande bekannt ( S e C l 4 ^ ± : SeCl 2 +Cl 2 ; SeBr 4 Wie der Schwefel bildet das Selen außerdem noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen (SeOF 2 , SeOCl2, SeOBr 2 ). Unter diesen ist das bei 8.5° schmelzende und bei 176.4° unter Zersetzung siedende Selenoxychlorid SeOCl2 bemerkenswert. Es ist außerordentlich reaktionsfähig und setzt sich fast mit allen Elementen und Elementverbindungen um, so daß es stark auflösend wirkt. Selendioxyd; sclenige Säure. Selendioxyd Se0 2 entsteht durch V e r b r e n n e n v o n S e l e n an der Luft (Se + 0 2 —>- SeOa) und bildet weiße glänzende Nadeln, welche bei 315° sublimieren. Zum Unterschied vom m o n o m e r e n , gasförmigen Schwefeldioxyd 1 (22a) ist es h o c h p o l y m e r (22b): : Ö: S::Ö (a)

:Ö: :Ö: :Ö: :Ö: Se:Ö:Se:Ö:Se:Ö:Se:Ö:

(22)

(b)

In Wasser löst es sich unter Bildung von seleniger Säure H 2 Se0 3 , die viel b e s t ä n d i g e r als die schweflige Säure H 2 S0 3 ist und durch Eindunsten der Lösung im Vakuum in Form zerfließlicher, farbloser, an trockener Luft unter Wasserabspaltung verwitternder Prismen gewonnen werden kann. Selenige Säure ist eine s c h w ä c h e r e S ä u r e als schweflige Säure; ihre beiden Dissoziationskonstanten betragen bei 25° K1 = 2.4 X 1 0 - 3 und Kt = 0.5 X 10 - 8 . Als z w e i b a s i g e Säure bildet sie Hydrogenselenite (saure Selenite) Me I HSe0 3 und normale Selenite (neutrale Selenite) Me£Se03. In wässeriger Lösung liegen die Selenite in hydratisierter Form als „Hydroxosalze" vor: Se0 3 " • 3 H 2 0 = [Se(OH) 6 ]". Die r e d u z i e r e n d e W i r k u n g der selenigen Säure ist weit g e r i n g e r als die der schwefligen Säure, was schon daraus hervorgeht, daß sie von schwefliger Säure zu elementarem Selen reduziert wird (S. 217). Umgekehrt zeigt sie bereits o x y d i e r e n d e W i r k u n g e n ; so scheidet sie aus Jodwasserstoff]ösungen Jod aus (Se0 2 + 4 H J — > Se + 2 H 2 0 + 2J 2 ) und oxydiert Schwefelwasserstoff zu Schwefel (Se0 2 + 2H 2 S — Se + 2 H 2 0 + 2S). Von dieser oxydierenden Wirkung macht man namentlich in der o r g a n i s c h e n C h e m i e Gebrauch (vgl. II, S. 211 212,402). Zum Unterschied von der schwefligen Säure (S. 204f.) existiert die selenige Säure nur in e i n e r , nämlich der s y m m e t r i s c h e n Form OSe(OH) 2 . Selentrioxyd; Selensäure. Die Oxydation der selenigen Säure bzw. ihrer Salze zur Oxydationsstufe der Selensäure ( H 2 S e 0 3 + H 2 0 —>- H 2 Se0 4 + 2 H ' + 2 ©) gelingt nur mit starken Oxydationsmitteln wie C h l o r (Cl2 + 2 0 — 2 C 1 ' ) oder C h l o r s ä u r e (C103' + 6 H ' + 6 © — ^ CT + 3H 2 0) oder auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e durch anodische Oxydation. Selensäure H 2 Se0 4 ist ein fester, farbloser, kristallisierter, bei 59.9° schmelzender Stoff. Die 95°/0ige Lösung ist eine der konzentrierten Schwefelsäure äußerlich gleichende ölige Flüssigkeit. Ihre O x y d a t i o n s w i r k u n g übertrifft die der Schwefel1 S0 2 ist eine der wenigen Ausnahmen von der Doppelbindungsregel (S. 187, 268f.), während S0 3 im Einklang mit dieser Regel analog SeOa (22b) Kettenmoleküle bildet (S. 269).

Das Tellur

221

säure bedeutend. So entwickelt z. B. ein Gemisch von konzentrierter Salzsäure und konzentrierter Selensäure reaktionsfähiges Chlor: H 2 Se0 4 + 2 H C l ^ = ± : H 2 S e 0 3 + H 2 0 + 2C1 (Umkehrung der Bildung von Selensäure aus seleniger Säure und Chlor; s. oben), so daß man damit — ähnlich wie mit Königswasser (S. 241) — Gold und Platin auflösen kann. Wie Schwefelsäure vereinigt sich auch Selensäure begierig mit W a s s e r ; daher wirkt sie wie erstere verkohlend auf organische Substanzen ein. Die wässerige Lösung stellt eine s t a r k e S ä u r e dar. Entwässert man wasserfreie Selensäure mit Phosphor pentoxyd, so entsteht das Selentrioxyd S e 0 3 . E s läßt sich auch durch Einwirkung von S a u e r s t o f f auf S e l e n in einer H o c h f r e q u e n z - G l i m m e n t l a d u n g (Se + 3 0 —>Se0 3 ) oder durch Einwirkung von Schwefeltrioxyd auf Kaliumselenat(S0 3 4 - K 2 S e 0 4 —>K 2 S 0 4 + S e 0 : i ) gewinnen und stellt eine kristalline, sehr hygroskopische, farblose Substanz (Smp. 119°) dar, die oberhalb von 185° in Selendioxyd und Sauerstoff zu zerfallen beginnt und in ihren Eigenschaften näher dem Schwefeltrioxyd als dem Tellurtrioxyd steht. Die Selenate entsprechen hinsichtlich Löslichkeit und Kristallform weitgehend den S u l f a t e n . Auch sie sind s t ä r k e r e O x y d a t i o n s m i t t e l als die entsprechenden Schwefelverbindungen und spalten beim Erhitzen ziemlich leicht Sauerstoff ab.

4. D a s Tellur Telluride kommen in der Natur nicht so oft als Beimengungen von Sulfiden vor wie Selenide. Daher ist das Tellur — im ganzen genommen — w e n i g e r v e r b r e i t e t als das Selen. Dagegen findet es sich in einzelnen Erzen (vgl. S. 464) s t ä r k e r a n g e r e i c h e r t als dieses. Auch kommt es in g e d i e g e n e m Zustande vor. Elementares Tellur. Fällt man Tellur aus wässerigen Lösungen von telluriger Säure durch Reduktion mit schwefliger Säure aus, so erhält man es in Form eines b r a u n e n P u l v e r s . Nach dem Schmelzen ist es s i l b e r w e i ß und m e t a l l g l ä n z e n d . Tellur ist nur von geringer Härte und läßt sich leicht pulvern. Den elektrischen Strom leitet es nur wenig. Die Leitfähigkeit wächst etwas bei Belichtung, aber weit weniger als beim Selen. Der Schmelzpunkt liegt bei 452.0°, der Siedepunkt bei 1390°. Der goldgelbe Dampf hat eine der Formel Te2 entsprechende Dampfdichte. Oberhalb von 2000° erfolgt beträchtlicher Zerfall in die Atome. Das K r i s t a l l g i t t e r des hexagonalen („metallischen") Tellurs ist das gleiche wie das des hexagonalen Selens (S. 218) und besteht aus gewinkelten Ketten (Ringen) mit kovalent zweiwertigem Tellur. Dem gelben Schwefel und r o t e n Selen entsprechende Formen des Tellurs konnten bisher noch n i c h t dargestellt werden. Die in der Schmelze vorhandenen Ringgebilde brechen thermisch so leicht und häufig auf. daß beim Abkühlen gleich die extrem langgestreckten Ringe des hexagonalen Tellurs entstehen, Die Tellurverbindungen, die weit weniger giftig als die Selenverbindungen sind, entsprechen in ihrer Zusammensetzung den letzteren. Der Tellurwasserstoff TeH 2 ist als stark e n d o t h e r m e Verbindung (34.2 kcal + H 2 + Te TRH„) nur dann aus den Elementen darstellbar, wenn man nicht gewöhnlichen, sondern a t o m a r e n W a s s e r s t o f f (kathodische Reduktion von Tellur) verwendet. Im übrigen kann man ihn analog dem Schwefel- und Selenwasserstoff durch Zersetzung von T e l l u r i d e n mit S ä u r e n (Al2Te3 + 6HC1 >- 3H 2 Te + 2A1C13) als farbloses, unangenehm riechendes, leicht zu verdichtendes (Sdp. — 1.8°; Smp. — 51°), zersetzliches, giftiges Gas erhalten. Die wässerige Lösung reagiert s a u e r ; die Stärke der Tellurwasserstoffsäure (Kx = 2.3 x 10~3) entspricht etwa der der Arsensäure (Kl = 5 x 10~3). An der Luft zersetzt sich die wässerige Lösung fast augenblicklich unter T e l l u r a b s c h e i d u n g (H 2 Te + O ->- H 2 0 + Te). Die Salze MelTe (Telluride) entsprechen in ihren Eigenschaften den Seleniden. An der Luft verbrennt Tellur zu Tellurdioxyd Te0 2 , einer weißen, festen, in Wasser sehr wenig löslichen Substanz, welche gewöhnlich durch Oxydation von Tellur mit konzentrierter Salpetersäure dargestellt wird. Tellurdioxyd besitzt sowohl sauren wie basischen („amphoteren") Charakter und löst sich dementsprechend sowohl in starken Laugen (Bildung von Telluriten: Te0 2 + 2OH' v Te0 3 " + H 2 0) wie in konzentrierten starken Säuren (Bildung von Tellursalzen: Te0 2 + 4 H ' >- Te"" + 2H a O). Die den Telluriten zugrundeliegende, noch nicht in reinem Zustande bekannte tellurige Säure H 2 TeO a ist eine s e h r s o h w a c h e , beim Erwärmen in Wasser und Tellurdioxyd zerfallende Säure.

Die Gruppe der Chalkogene

222

Durch starke Oxydationsmittel (z. B. Chlorsäure) werden Tellur und tellurige Säure zu Tellursäure oxydiert, die beim Einengen der Lösung als Orlhotellursäure H 6 T e 0 6 auskristallisiert. Die Tellursäure ist eine s e h r s e h w a c h e (K x = 6 x 10"'), s e c h s b a s i g e S ä u r e und bildet dementsprechend neben sauren Salzen MeiH 6 _ n TeO e (z. B. Na 2 H 4 Te0 8 und Na4H 2 Te0 6 ) auch solche der Zusammensetzung MejTeO„ (z. B. Ag„Te0 6 und Hg 3 TeO e ). In der Hitze spaltet Orthotellursäure Wasser ab und geht schließlich oberhalb von 300° in ihr Anhydrid, das gelbe Tellurtrioxyd Te0 3 , über.

5. D a s Polonium Das P o l o n i u m (Smp. 282°, d = 9.4), das im J a h r e 1898 von P. und M. C U R I E (S. 569) entdeckt wurde, kommt, als kurzlebiges r a d i o a k t i v e s Z e r f a l l s p r o d u k t der Uranreihe (S. 568) in der U r a n p e c h b l e n d e vor. Und zwar enthalten 1000 Tonnen Uranpechblende etwa 0.03 g Polonium, so daß Polonium noch rund 4500mal seltener als Radium (S. 417) ist. Bei der Aufarbeitung der Pechblende reichert sich das Polonium mit dem W i s m u t an, von dem es durch f r a k t i o n i e r t e F ä l l u n g d e r S u l f i d e (Poloniumsulfid ist schwerer löslich als WismutBulfid) getrennt werden kann. P o l o n i u m ist e d l e r als S i l b e r ( e p o = + 0 . 9 Volt; eAg — + 0.8 Volt) und wird daher durch dieses aus seinen Lösungen ausgefällt. Auch durch den e l e k t r i s c h e n S t r o m kann es leicht abgeschieden werden, wobei man als Kathode zweckmäßig ein G o l d b l e c h verwendet. In seinen c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n ähnelt es sehr seinem leichteren Homologen, dem T e l l u r . Beispielsweise bildet es wie dieses eine flüchtige W a s s e r s t o f f V e r b i n d u n g , P o H 2 .

6. Vergleichende Übersicht ü b e r die Gruppe der Chalkogene Als Glieder einer Gruppe d e s P e r i o d e n s y s t e m s besitzen die E l e m e n t e Sauerstoff, Schwefel, Selen u n d Tellur ähnliche, sich m i t steigendem A t o m g e w i c h t graduell abstufende physikalische u n d chemische E i g e n s c h a f t e n u n d bilden analog z u s a m m e n g e s e t z t e Verbindungen. Metallcharakter. D e r n i c h t m e t a l l i s c h e (metallische) Charakterder E l e m e n t e n i m m t m i t s t e i g e n d e m A t o m g e w i c h t a b (zu). S a u e r s t o f f u n d S c h w e f e l sind ausgesprochene N i c h t m e t a l l e . D a s S e l e n k o m m t außer i n t y p i s c h n i c h t m e t a l l i s c h e n (roten) F o r m e n bereits in einer (grauen) Modifikation vor, die sich durch s t a r k e L i c h t r e f l e k t i o n u n d ein gewisses L e i t v e r m ö g e n für d e n elektrischen Strom auszeichnet (hexagonales Selen). B e i m T e l l u r ist diese „ m e t a l l i s c h e " Modifikation schon die bevorzugte Erscheinungsform. Wertigkeit. Gegenüber e l e k t r o p o s i t i v e n E l e m e n t e n w i e Wasserstoff oder Metallen sind alle E l e m e n t e nur z w e i w e r t i g . Gegenüber e l e k t r o n e g a t i v e n E l e m e n t e n w i e Sauerstoff, S c h w e f e l oder H a l o g e n e n k ö n n e n sie — m i t A u s n a h m e d e s a u c h hier f a s t

Atomgewicht Spezifisches Gewicht Schmelzpunkt Siedepunkt Farbe (niedermolekulare Form) Metallischer Charakter Affinität zu elektropositiven Elementen . . . . Affinität zu elektronegativen Elementen . . . Säurecharakter der Oxyde Wasserstoffverbindungen, S c h m e l z p u n k t . . . . Wasserstoffverbindungen, Siedepunkt 1 2 8 4

Fester Sauerstoff beim Schmelzpunkt. Rhombischer Schwefel. Hexagonales Selen. Monokliner Schwefel.

Sauerstoff

Schwefel

Selen

16.000 1.27 1 -218.9° - 183.0° hellblau

32.06 2.06 2 119.0» 1 444.6° gelb nimmt nimmt nimmt nimmt - 85.6°

78.96 4.82 3 220.2» 3 688° rot

0.0° 100.0°

-

60.8»

zu ab zu ab

-60.4» -41.5»

Tellur 127.61 6.25 452.0» 1390° braun

1 — 51» — 1.8»

Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Chalkogene

223

durchweg nur zweiwertigen Sauerstoffs — z w e i - , v i e r - u n d s e c h s w e r t i g auftreten, wobei mit s t e i g e n d e m (fallendem) Atomgewicht die V i e r w e r t i g k e i t (Sechswertigkeit) gegenüber der Sechswertigkeit (Vierwertigkeit) das Übergewicht gewinnt, so daß beispielsweise die s c h w e f l i g e S ä u r e H 2 S0 3 ein s t a r k e s R e d u k t i o n s m i t t e l +4

+6

(S —>- S + 2 0 ) , die S e l e n s ä u r e H 2 Se0 4 umgekehrt ein s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l +6

+4

(Se + 2 © Se) ist. Beständigkeit der Verbindungen. Die Beständigkeit analoger Verbindungen mit e l e k t r o p o s i t i v e n Elementen nimmt in der Richtung vom Sauerstoff zum Tellur hin a b : Der Tellurwasserstoff H 2 Te ist z. B. im Vergleich zum außerordentlich beständigen Wasser H 2 0 sehr zersetzlich. Umgekehrt nimmt die Beständigkeit analoger Verbindungen mit e l e k t r o n e g a t i v e n Elementen in gleicher Reihenfolge zu: Sauerstoffchlorid (Chlormonoxyd) 0C12 und Sauerstoffdioxyd (Ozon) 0 0 2 sind beispielsweise wesentlich unbeständiger als Tellurchlorid TeCl2 und Tellurdioxyd Te0 2 . Säurecharakter. Der Säurecharakter der Oxyde Y 0 2 und Y 0 3 (Y = Chalkogen) nimmt mit steigendem Atomgewicht von Y a b : Schwefelsäure ist eine sehr starke, Tellursäure eine sehr schwache Säure. WasserstoffVerbindungen. Die Wasserstoffverbindungen H 2 Y der Chalkogene zeigen analoge Eigenschaftsabstufungen wie die Wasserstoffverbindungen H X der Halogene. So steigt z. B. der Siedepunkt und Schmelzpunkt mit zunehmendem Atomgewicht von Y, wobei sich auch hier das Anfangsglied nicht in die Reihe einpaßt. Der Säurecharakter nimmt vom H 2 0 zum H 2 Te hin stark zu. Der im Vergleich zu den übrigen Wasserstoffverbindungen zu hohe S c h m e l z - und S i e d e p u n k t des Wassers ist ähnlich wie beim F l u o r w a s s e r s t o f f (S. 97) auf eine A s s o z i a t i o n der Wassermoleküle zu größeren Molekülverbänden zurückzuführen. Die Assoziation kommt dabei in beiden Fällen durch Wasserstoff-ionen zustande, die wechselseitig durch freie Elektronenpaare zweier Fluor- bzw. Sauerstoffatome gebunden werden und auf diese Weise eine zwischenmolekulare Bindung (Dipol-Deformations-Wechsel Wirkung) besonderer Art G>Wasserstoflbriicke") — vgl. II, S. 50 f., 76 f., 255 — verursachen (1, 11): H H: F: H : F : (I)

H

H:Ö:H:Ö: (II)

H

H

H:N:H:N: H H (III)

H H:C:H H (IV)

In gleicher Weise erklärt sich die Assoziation des A m m o n i a k s NH 3 (III), des Anfangsgliedes der im folgenden zu besprechenden Stickstoffgruppe. Dagegen sind beim Methan CH4 (IV) keine Wasserstoffbrücken möglich, weil das Molekül kein freies Elektronenpaar mehr enthält, das zur Bindung des Wasserstoffs eines zweiten Moleküls dienen könnte. Daher neigt das Methan auch nicht zur Assoziation und fällt dementsprechend mit seinen physikalischen Daten auch nicht aus der Reihe der übrigen Wasserstoff Verbindungen der vierten Gruppe des Periodensystems heraus.

Kapitel XI

Die Stickstoffgruppe 1. D e r Stickstoff Der Stickstoff selbst wurde bereits S. 60ff. besprochen. Im folgenden beschäftigen wir uns mit seinen wichtigsten Verbindungen.

a) WasserstofFverbindungen des Stickstoffs Stickstoff und Wasserstoff bilden miteinander drei Verbindungen: Ammoniak NH3, HydrazinN2Ki und Stickstof¡Wasserstoffsäure HN3, sowie als Salze der letzteren S ä u r e mit den beiden erstgenannten Basen die Verbindungen Ammoniumazid NH4N3 = N4H4 und

Hydrazoniumazid

N 2 H 5 N 3 = N 5 H 6 . Die weitaus wich-

tigste unter diesen Verbindungen ist das Ammoniak. a) Ammoniak Darstellung Aus den E l e m e n t e n Das wichtigste Verfahren zur technischen Darstellung von Ammoniak ist die von dem deutschen

P h y s i k o c h e m i k e r FRITZ HABER ( 1 8 6 8 — 1 9 3 4 ) i m L a -

boratoriumsmaßstab ausgearbeitete und von dem

deutschen Chemiker und Industriellen CARL BOSCH

(1874—1940) in die Technik übertragene Synthese aus den Elementen („HAMW-Boscii-Verfahren"); 3 H 2 + N2

2 N H 3 + 22.1 koal.

(1)

Da es sich um eine exotherme und mit Volumenverminderung verlaufende Umsetzung handelt, verschiebt sich das Gleichgewicht dieser Reaktion mit fallender Temperatur und steigendem Druck nach rechts, wie auch aus nebenstehendem Diagramm (Fig. 76) zu entnehmen ist, welches die Ammoniakausbeute (Vol.-°/0 NH3 in einem Gemisch von 3 H a + N2) in Abhängigkeit von der Temperatur bei 500' 600° 700' verschiedenen Drucken wiedergibt. Eine praktisch —Temperatur quantitative Ammoniakausbeute würde man bei Fig. 76. Abhängigkeit der AmZimmertemperatur zu erwarten haben. Bei dieser moniakausbeute von Druck und niedrigen Temperatur ist aber die Geschwindigkeit Temperatur bei der Synthese aus den Elementen der Umsetzung unmeßbar klein, und K a t a l y s a toren wirken auf die Reaktion der Ammoniakbildung erst ab 400° genügend beschleunigend ein. Daher ist man gezwungen, bei einer Temperatur von mindestens 400, zweckmäßig 500° zu arbeiten; bei 500° beträgt jedoch die Ausbeute an Ammoniak

225

Der Stickstoff

bei 1 Atmosphäre Druck (vgl. Fig. 76, Kurve „1 at") nur noch 0.1 Vol.-%- Um die Ausbeute technisch tragbar zu gestalten, ist es daher erforderlich, einen hohen D r u c k , zweckmäßig 200 Atmosphären, anzuwenden, wodurch sich die Ausbeute (vgl. Fig. 76, Kurve „200 at") auf 17.6 Vol.-°/o steigert. Die technische Durchführung der Ammoniaksynthese sei im folgenden am Beispiel des in Deutschland üblichen Verfahrens der B a d i s c h e n Anilin- und S o d a - F a b r i k besprochen (Fig. 77). Ausgangsstoffe. Als Ausgangsstoffe zur Gewinnung von Stickstoff und Wasserstoff dienen L u f t (4N 2 + 0 2 ) und W a s s e r (H 2 0). In beiden Fällen muß das gewünschte Gas von S a u e r s t o f f befreit werden, welcher das eine Mal p h y s i k a l i s c h b e i g e m e n g t , das andere Mal c h e m i s c h gebunden ist. Die Entfernung des Sauerstoffs Hohlenoxud- Ammoniak- Ammoniak,, „ Wäscher Honfaktofen u/äscher nohiensaurp— u/Sscher . +1N-. Ae&as * Druck-

t

Luft

Fig.

77.

t

hJasserdampf ßasbehä/ferl Gasbehi/ferJ? Mi, A&, CO) (Hi.f/^CO^efwssCO)

Schematische Darstellung der technischen Ammoniaksynthese nach

HABER-BOSCH

erfolgt in beiden Fällen durch das billigste Reduktionsmittel der Technik, den Kohlenstoff in Form von K o k s , und zwar setzt sich der Koks bei hoher Temperatur mit Luft bzw. Wasserdampf nach den Gleichungen 4N 2 + 0 2 + 2C

4N 2 + 2CO + 63 kcal Generatorgas

31 kcal + H 2 0 + C

H 2 + CO Wasacrgas

unter Bildung von G e n e r a t o r g a s (S. 305f.) bzw. W a s s e r g a s (S. 306f.) um. Da die erstere Reaktion e x o t h e r m , die letztere dagegen e n d o t h e r m verläuft, kombiniert man beide Reaktionen miteinander (vgl. S. 307), indem man in einem G a s e r z e u g e r („Generator") abwechselnd durch Überleiten von Luft zuerst Generatorgas bildet, wobei sich der Koks auf etwa 1000° erhitzt („Heißblasen"), und dann durch Umschalten auf Wasserdampf Wassergas erzeugt, wobei sich der Koks wieder abkühlt („Kaltblasen"). Entfernung des Schwefelwasserstoffs. Das so erhaltene, in der Hauptsache aus Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenoxyd bestehende Mischgas muß nun zunächst von dem aus dem Schwefelgehalt des Kokses stammenden S c h w e f e l w a s s e r s t o f f befreit werden, da dieser die später benutzten Katalysatoren v e r g i f t e t . Zu diesem Zwecke wird das Gas nach Vermischen mit einer für die Oxydation des Schwefelwasserstoffs zu Schwefel und Wasser (H 2 S + 1 / 2 0 2 —>- H 2 0 + S ; vgl. S. 193) ausreichenden L u f t menge bei etwa 40° durch mit A k t i v k o h l e gefüllte „Gasreiniger" geleitet (vgl. S. 184). H o 11 • m a n - W i b e r g , Anorganischo Chemie. 37.—80. Aufl.

15

Die Stickstoffgruppe

226

Der S c h w e f e l scheidet sich dabei an der Kohle ab und wird alle zwei Wochen mit A m m o n i u m s u l f i d l ö s u n g extrahiert. Auch mit Hilfe v o n A b s o r p t i o n s f l ü s s i g k e i t e n kann der Schwefelwasserstoffgehalt desMischgases beseitigt werden (vgl. S. 192). Entfernung des Kohlenoxyds. Die Entfernung des im Mischgas neben Stickstoff und Wasserstoff vorhandenen K o h l e n o x y d s erfolgt in der Weise (vgl. S. 306f ), daß man letzteres bei Gegenwart v o n K a t a l y s a t o r e n durch W a s s e r d a m p f unter gleichzeitiger N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu K o h l e n d i o x y d oxydiert („Konvertierung") : CO + H 0 H + C0 + 9.8 kcal, (2) 2

2

2

welches sich unter D r u c k (25 Atmosphären) leicht durch W a s s e r herauswaschen läßt. D a es sich um eine e x o t h e r m e R e a k t i o n handelt, muß die Gleichgewichtseinstellung bei möglichst n i e d r i g e r T e m p e r a t u r (400°) und dementsprechend i n Gegenwart eines Katalysators erfolgen. U m bei der Konvertierung gleich das für die Ammoniaksynthese (1) erforderliche Mischungsverhältnis H a : N 2 = 3 : 1 zu erhalten, wählt man bei der Herstellung des Mischgases gleich von vornherein das richtige Mischungsverhältnis von Wassergas und Generatorgas: 5 [H 2 + CO] + 2 [2N 2 + CO]

> 12 H 2 + 4 N 2 .

Generatorgaa

Im einzelnen verläuft die Konvertierung so, daß man das Mischgas zunächst durch Berieseln mit Heißwasser mit W a s s e r d a m p f sättigt und in den W a s s e r s t o f f k o n t a k t o f e n (,,Konvertierungsanlage") einführt. Dieser enthält zwei getrennte Kontakträume, in denen der zur Umsetzung erforderliche K a t a l y s a t o r (Eisenoxydkontaktmassen) auf fünf übereinander angeordneten durchlochten Eisenblechen ausgebreitet ist (vgl. Fig. 77). Im ersten Kontaktraum wird bei 550 bis 580° der größte Teil des Kohlenoxyds umgesetzt, im zweiten bei 400 bis 420° der Kohlenoxydgehalt des Gases noch weiter, bis auf etwa l°/ 0 , --Kontaktofen heruntergedrückt. Moderne Kontaktofensysteme verarbeiten 6000 m 3 Gas/Stunde, erfordern wenig Bedienung und laufen Jahre hindurch ununterHontaktmasse brochen. Das abgekühlte Konvertgas gelangt in einen Gasbehälter, aus welchem es von Kompressoren angesaugt, auf 25 Atm. komprimiert und in die Waschtürme der D r u c k w a s s e r r e i n i g u n g ( „ Kohlensäurewäscher") gedrückt wird. Hier löst sich das bei der

^ ^

Futterrohr aus •*' weichem Eisen

--Wärmeaustauschröhre

" '

Mantel aus Edelstahl

Man/e/aus gewöhnlichem üJasserstoffch/rchiass

N,+ H, —: Fig. 78. Kontaktofen für die Ammoniaksynthese

Stahl

Fig. 79.

Querschnitt durch einen Kontaktofen für die Ammoniaksynthese

Konvertierung nach (2) gebildete Kohlendioxyd bis auf etwa l°/ 0 heraus. Zur Entfernung des restlichen Kohlendioxyds und des Kohlenoxyds (Kohlenoxyd ist wie Schwefelwasserstoff ein K a t a l y s a t o r g i f t ) komprimiert man nun das Gas weiter auf 200 Atm. und drückt es durch mit a m m o n i a k a l i s c h e r K u p f e r ( I ) - c h l o r i d l ö s u n g (vgl. S. 453) berieselte Waschtürme {„Kohlenozydwätcher"). Hierbei wird das Kohlendioxyd bis auf 1 / 1 0 °/ 0 , das Kohlenoxyd bis auf

Der Stiokstoff

227

einige 1 / 100 °/0 herausgeholt. Die Entfernung der letzten Spuren Kohlendioxyd erfolgt durch Waschen mit konzentriertem Ammoniakwasser.

Synthese des Ammoniaks. Die Synthese des Ammoniaks aus dem nun vorliegenden reinen Stickstoff-Wasserstoff-Gemisch wird bei 500° und 200 Atm. in 12 m hohen Stahlrohren (,,Ammoniak-Kontaktöfen") von 1 m Durchmesser (Fig. 78) durchgeführt. Diese enthalten ein System von W ä r m e - a u s t a u s e h r o h r e n , welche von insgesamt etwa 2 m 3 Kontaktmasse (Eisen, Aluminiumoxyd und etwas Alkali; vgl. S. 112) umgeben sind. I n den Wärme-austauschrohren nimmt das eintretende Gas die Reaktionswärme (1) des austretenden, bereits umgesetzten Gases auf und gelangt dann vorgewärmt in den K o n t a k t r a u m , wo sich unter W ä r m e e n t w i c k l u n g die Ammoniakbildung (1) vollzieht. Eine Zusatzheizung ist dementsprechend während des Betriebes nicht erforderlich. Die Berührungszeit zwischen Kontaktmasse und Gas beträgt nur l / 2 Minute. Daher wird nicht die volle Gleichgewichtsausbeute 18°/ 0 ), sondern nur eine Ausbeute von etwa l l ° / 0 Ammoniak erreicht. Man entzieht dem aus dem Ofen kommenden Gas das Ammoniak durch W a s s e r k ü h l u n g (Verflüssigung des Ammoniaks) bzw. durch A b s o r p t i o n m i t W a s s e r („Ammoniakwäscher"). Das Restgas wird nach Ersatz der umgesetzten Wasserstoff-Stickstoff-Menge durch Frischgas im Kreislauf wieder dem Ammoniak-Kontaktofen zugeführt. Große Schwierigkeiten bereitete bei der Einführung des Ammoniaksyntheseverfahrens in die Technik die Frage des Ofenmaterials, da ja der Ofen bei dem hohen Druck von 200 Atmosphären und der hohen Temperatur von 500° gegenüber dem leicht diffundierenden und leicht brennbaren Wasserstoff dicht und widerstandsfähig sein muß. Die kleinen Stahlrohre der ersten Versuche platzten nach wenigen Stunden Betriebsdauer, da der Wasserstoff den — die Härte des Stahls bedingenden (S. 530) — Kohlenstoff unter den Reaktionsbedingungen der Ammoniaksynthese in gasförmiges Methan verwandelte (C + 2H 2 —>• CH4). Die Schwierigkeit wurde von C A R L B O S C H (S. 224) dadurch gelöst, daß er in das Stahlrohr ein Futterrohr aus k o h l e n s t o f f armem, weichem E i s e n einzog (Fig. 79). Dieses legt sich im Betrieb der äußeren Wand so dicht an, daß ein Reißen nicht zu befürchten ist. Um dem hindurchdiffundierenden Wasserstoff die Möglichkeit zu geben, nach außen zu entweichen, ist der äußere Stahlmantel mit dünnen Bohrungen versehen.

Andere Verfahren der Ammoniaksynthese unterscheiden sich vom , , H A B E R - B O S C H • Verfahren" in der Herstellung der Ausgangselemente und in der Wahl von Temperatur und Druck. So arbeitet z. B. das „CASALE-V erfahren" (Frankreich, Italien) bei 800 a t und 500°, das „FAUSER-Verfahren" (Frankreich, Italien) bei 250 at und 500°, das „CLAUDE-V erfahren" (Frankreich) bei 1000 at und 500°, das „MONT-CENIS-V erfahren" (Deutschland) bei 90 a t und 400°. Aus Gaswasser Neben der Ammoniaksynthese, nach der rund 70°/ 0 der Welterzeugung an Ammoniak hergestellt werden, spielt noch die Gewinnung von Ammoniak aus dem G a s w a s s e r der Gasanstalten und Kokereien (S. 310f.) eine technische Rolle. Man gewinnt es aus dieser Flüssigkeit durch Kochen in Gegenwart von K a l k m i l c h Ca(OH) 2 , wobei das gelöste Ammoniak entweicht und die enthaltenen Ammoniumsalze N H 4 X unter Bildung von Ammoniak zersetzt werden: NH4' +

OH'

NH

3

+

HJO.

Auch im L a b o r a t o r i u m kann man in dieser Weise durch Einwirkung von Basen auf Ammoniumsalze Ammoniak erzeugen (vgl. S. 229). Die Darstellung von Ammoniak durch Umsetzung von K a l k a t i c k s t o f f (S. 412f.) mit Wasser unter Druck: CaCN2 + 3H 2 0 — = - CaC03 + 2NH 3 , welche im ersten Weltkriege erhebliche Bedeutung besaß („Kalkstickstojfverfahren" von F R A N K - C A R O ) , wird heute kaum noch durchgeführt, da die Ammoniaksynthese billiger ist. 16*

ROTHE-

228

Die Stickstoffgruppe

Aus dem gleichen Grunde spielt die Gewinnung von Ammoniak durch H y d r o l y s e von N i t r i d e n wie Magnesium- oder Aluminiumnitrid („SERPEK-Verfahren"):

2 A1N + 3 H20

>- A1203 + 2 NH,

technisch heute keine Rolle mehr.

In den Handel kommt Ammoniak verflüssigt in (grau gestrichenen) Stahlbomben und wassergelöst in Form von 25—35°/0igem „konzentriertem Ammoniak". Physikalische Eigenschaften Ammoniak ist ein farbloses Gas von charakteristischem, zu Tränen reizendem Geruch. Es ist entsprechend seinem Molekulargewicht (M = 17) wesentlich leichter als Luft (M ä; 29) und läßt sich, da seine kritische Temperatur sehr hoch — bei 132.4° — liegt (kritischer Druck 112 at, kritische Dichte 0.236), leicht zu einer farblosen, leichtbeweglichen, stark lichtbrechenden Flüssigkeit verdichten, welche bei —33.4° siedet und bei —77.7° zu weißen, durchscheinenden Kristallen erstarrt. Die hohe Verdampfungswärme (327 cal/g beim Siedepunkt, 302 cal/g bei 0°) bedingt seine Verwendung in der Kälteindustrie (z. B. zur Erzeugung von künstlichem Eis). In Wasser ist Ammoniak außerordentlich leicht löslich; 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 1176Raumteile, bei 20° 702 Raumteile Ammoniak. Die Lösung reagiert schwach basisch (s. unten). Flüssiges Ammoniak ist ein gutes Lösungsmittel für viele Stoffe, z. B. Salze. Letztere unterliegen dabei wie in Wasser der elektrolytischen Dissoziation. Chemische Eigenschaften Ammoniak ist bei gewöhnlicher Temperatur b e s t ä n d i g , zerfällt aber beim Erwärmen in Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n in Umkehrimg der Synthesegleichung (1) — S. 224 — bis zum Gleichgewichtszustand in seine E l e m e n t e : 22.1 kcal + 2NH3 T ^ N2 + 3H 2 . Ebenso zersetzt sich Ammoniak beim B e l i c h t e n mit ultraviolettem Licht. An der Luft läßt sich Ammoniak zwar entzünden, brennt aber nicht weiter. In Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n kann die Verbrennung von Ammoniak-LuftGemischen schon bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen (300 bis 500°) erreicht werden; hiervon macht man bei der technischenSalpetersäuregewinnung (S.239f.) Gebrauch: 2NH S + 2V 2 0 2 —>- 2NO + 3H 2 0 + 140 kcal. In reinem S a u e r s t o f f verbrennt Ammoniak mit fahlgelber Flamme hauptsächlich zu S t i c k s t o f f und W a s s e r : 2NHS + 17 2 0 2 N2 + 3H20 + 183 kcal. Bei hohem Druck sind solche Ammoniak-Sauerstoff-Gemische explosibel. Auch durch andere Oxydationsmittel als Sauerstoff — z. B. Wasserstoffperoxyd, Chromsäure, Kaliumpermanganat — wird Ammoniak l e i c h t o x y d i e r t . Leitet man Chlorgas in Ammoniakgas ein, so entzündet es sich unter Bildung von Stickstoff und Chlorwasserstoff (vgl. S. 61): 2NH3 + 3C12 N2 + 6HCl; der Chlorwasserstoff reagiert dabei unter Bildung von Salmiaknebeln (NH3 + HCl —>NH4C1; s. S. 229) weiter. Die Wasserstoffatome des Ammoniaks können durch M e t a l l a t o m e ersetzt werden. Man kommt so zu den Amiden Me'NH 2 , Imiden Me|NH und Nitriden Me'N. Unter den Amiden seien die der Alkali- und Erdalkalimetalle erwähnt, die sich durch Einwirkung von Ammoniak auf die erhitzten Metalle gewinnen lassen (vgl. S. 457): Me11 + 2NHS Men(NH2)2 + H 2 . Sie werden von Wasser lebhaft unter Rückbildung von Ammoniak und Bildung von

Der Stickstoff

229

Lauge zersetzt (MeNH2 + HÖH —>- MeOH + NH 3 ). Beim Erhitzen gehen sie in I m i d e über; so entstehen z. B. die Erdalkali-imide in dieser Weise aus den Erdalkali-amiden: Men(NH2)2

^ MenNH + NH3.

Bei noch stärkerem Erhitzen verwandeln sich die Imide in N i t r i d e : 3MenNH-—>- Me?N2 + NHS. Beispielsweise verbrennt Magnesium im Ammoniakgas unter Bildung von Magnesiumnitrid Mg3N2. Auch durch direkte Vereinigung der Elemente sind viele Nitride dar8teUbar:

3Me n + N2 — • M e ? N r

Die charakteristischste Eigenschaft des Ammoniaks ist seine b a s i s c h e W i r k u n g . Löst man Ammoniak in Wasser auf, so zeigt die Lösung schwach basische Eigenschaften, die auf die Fähigkeit des Ammoniaks zurückgehen, Protonen unter Bildung von „Ammonium-ionen" NH 4 ' aufzunehmen (S. 175): NH3 + HÖH NH4' + OH'. (3) Das Gleichgewicht der Reaktion liegt ganz auf der l i n k e n S e i t e ; daher kann man ja (vgl. S. 227) umgekehrt durch Einwirkung von Basen (OH') auf Ammoniumverbindungen (NH4 ) Ammoniak erzeugen. Die Gleichgewichtskonstante der Reaktion (3) („Dissoziationskonstante" des Ammoniaks) hat den Wert K =

CvW,' X

CNH,

Crttj/

= 1.75 X 1 0 - 5

(18°). Danach ist also eine 0.1-molare wässerige Ammoniaklösung bei Zimmertemperatur nur zu rund l°/0 gemäß (3) in Ionen dissoziiert, während eine gleichkonzentrierte Kaliumhydroxydlösung praktisch vollständig ionisiert ist. Stärker ausgeprägt ist das basische Verhalten gegenüber s t ä r k e r e n S ä u r e n . So reagiert z. B . Ammoniakgas heftig mit Chlorwasserstoffgas unter Bildung weißer Nebel von festem A m m o n i u m c h l o r i d NH4C1: NH3 + HCl — ^ NH4- + Cl'. Ebenso bildet es mit Salpetersäure leicht A m m o n i u m n i t r a t NH 4 N0 3 und mit Schwefelsäure A m m o n i u m s u l f a t (NH 4 ) 2 S0 4 . Das Gleichgewicht liegt in allen diesen Fällen ganz auf der Seite der A m m o n i u m v e r b i n d u n g e n . In ihren Eigenschaften gleichen diese Ammoniumsalze (S. 435ff.) weitgehend den Alkalisalzen. ß) Hydrazin Darstellung. Die Darstellung von Hydrazin erfolgt am bequemsten durch Oxyd a t i o n von A m m o n i a k : NH 3 + NH 3 > - N H 2 — NH 2 . Als Oxydationsmittel benutzt man dabei zweckmäßig N a t r i u m h y p o c h l o r i t . Als Zwischenprodukt tritt bei der Reaktion Chloramin NH„C1 auf: H2N; H + HO ;C1

HaO + H2NC1,

das sich in Gegenwart starken Alkalis (Bindung des abzuspaltenden Chlorwasserstoffs) mit Ammoniak unter Bildung von H y d r a z i n umsetzt: H2N|C1 + HiNHj >» NH2—NH2 + HCl. Durch Spuren von S c h w e r m e t a l l s a l z e n wird die Weiteroxydation des Ammoniaks bzw. des Chloramins oder Hydrazins zu S t i c k s t o f f katalysiert. Daher setzt man bei der Reaktion L e i m oder K o m p l e x b i l d n e r zu, welche die in den Reagentien stets vorhandenen Schwermetallspuren binden. Die Abscheidung des Hydrazins aus der Reaktionslösung erfolgt zweckmäßig als S u l f a t N 2 H 4 • H 2 S 0 4 (s. unten), weil dieses verhältnismäßig s c h w e r l ö s l i c h ist und

230

Die Stickstoffgruppe

sehr gut kristallisiert. Zur Entfernung der Schwefelsäure und Darstellung des f r e i e n Hydrazins muß dieses Sulfat mit konzentrierter K a l i l a u g e erwärmt werden, wobei zunächst Hydrazin-hydrat N 2 H 4 • H 2 0 (Sdp. 120°; Smp.—40°) als schwerbewegliche, an der Luft rauchende, fischartig riechende und alkalisch reagierende Flüssigkeit übergeht. Die E n t w ä s s e r u n g dieses Hydrats gelingt durch Erhitzen mit festem N a t r i u m h y d r o x y d , wobei das wasserfreie Hydrazin übergeht. Physikalische Eigenschaften. Reines Hydrazin stellt bei Zimmertemperatur eine farblose, bei Luftabschluß beständige, an der Luft ziemlich stark rauchende Flüssigkeit von eigentümlichem, schwach an Ammoniak erinnerndem Geruch dar. Der Siedepunkt liegt bei 113.5°, der Schmelzpunkt bei 1.4°. Es läßt sich zunächst ohne Zersetzungserscheinungen erwärmen; erst bei höheren Temperaturen tritt — gegebenenfalls e x p l o s i o n s a r t i g — Zerfall unter Bildung von S t i c k s t o f f und A m m o n i a k ein: 3N 2 H 4 — ^ 4NH 3 + N 2 .

An erhitzten Platin- oder Wolframdrähten entsteht infolge teilweisen katalytischen Zerfalls des Ammoniaks auch Wasserstoff. Hydrazinhydrat kann in paraffinierten, verschlossenen Flaschen jahrelang unzersetzt aufbewahrt werden. Chemische Eigenschaften. Als B a s e bildet das Hydrazin wie das Ammoniak Salze. Man nennt diese in Analogie zu den Ammoniumsalzen Hydrazoniumsalze. Da das Hydrazin (b) zum Unterschied vom Ammoniak (a) zwei freie Elektronenpaare aufweist, an welche sich Protonen anlagern können: H

H H

H (a)

H H (b)

bildet es zwei Reihen von Salzen, nämlich solche mit 1 und solche mit 2 Äquivalenten Säure: NH 2 —NH 2 + HCl NH 2 —NH 2 + 2 HCl

>- [NHS—NH2]C1 >- [NH 3 -NH 3 ]C1 2

Hydrazonium-monochlorid, Hydrazonium-dichlorid.

Besonders charakteristisch ist das oben schon erwähnte Hydrazonium-sulfat [N 2 H 6 ] S 0 4 , das in kaltem Wasser schwer, in heißem Wasser leicht löslich ist und daher leicht umkristallisiert werden kann. Es bildet farblose, dicke, glänzende Tafeln. Da Hydrazin eine s c h w ä c h e r e B a s e als Ammoniak ist, sind die Hydrazoniumsalze s t ä r k e r h y d r o l y t i s c h g e s p a l t e n als die Ammoniumsalze. Sowohl das freie Hydrazin als auch seine wässerige Lösung wirken s t a r k reduzierend. So oxydiert sich z. B. das freie Hydrazin schon an der L u f t allmählich zu Stickstoff und Wasser (N2H4 + 0 2 —>- N 2 + 2H 2 0) und reagiert heftig mit den H a l o genen unter Bildung von Stickstoff und Halogen Wasserstoff (N2H4 + 2 X 2 —>- N 2 + 4HX). Die wässerige, alkalische Lösung fällt aus Lösungen von Kupfer(II)-salzen Kupfer(I)-oxyd, aus Lösungen von Quecksilber- oder Silbersalzen bei gewöhnlicher Temperatur die Metalle; als Oxydationsprodukt des Hydrazins tritt dabei S t i c k s t o f f auf. S a l p e t r i g e S ä u r e oxydiert Hydrazin in stark saurer Lösung zu S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e (S. 231). Y) Stickstoffwasserstoffsäure Darstellung. Die Stickstoffwasserstoffsäure besitzt die Formel N 3 H und die Konstitution N = N = NH. Die Elektronenformel läßt sich nicht eindeutig festlegen. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Z w i s c h e n z u s t a n d („Mesomerie"; „Resonanz") zwischen den beiden nur in ihrer Elektronenanordnung voneinander verschiedenen („elektronen-isomeren", „elektromeren", „mesomeren") G r e n z f o r m e l n

Der Stickstoff :N :: : N : N : H

231

—v:N::N::N:H

(vgl. S. 234f. und I I , S. 264), die sich beide durch die obige Valenzstrichformel (S. 230) wiedergeben lassen (vgl. S. 158). In der Stickstoffwasserstoffsäure sind demnach 3 Stickstoffatome miteinander verknüpft. Zur Darstellung der Säure geht man daher zweckmäßig von Verbindungen aus, in denen bereits 2 Stickstoffatome miteinander verbunden sind. Als solche kommen in Frage: D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 und H y d r a z i n N 2 H 4 . I n beiden Fällen muß noch ein drittes Stickstoffatom eingeführt werden. Im Falle des D i s t i c k s t o f f o x y d s geschieht dies zweckmäßig so, daß man das trockene N 2 0 bei 190° auf N a t r i u m a m i d einwirken läßt: N=N==0 + Ha;NNa

N=N=NNa + H 2 0.

Man erhält dabei das N a t r i u m s a l z der Stickstoffwasserstoffsäure (Natriumazid). Die Reaktion verläuft im Sinne der obigen Reaktionsgleichung glatt von links nach rechts, da das Wasser aus dem Reaktionsgemisch durch Umsetzung mit noch unverändertem Natriumamid (NaNH 2 + HÖH —>• NaOH + NH 3 ) sofort entfernt wird. Aus dem Natriumsalz läßt sich die f r e i e S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e durch Destillation mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e und anschließendes E n t w ä s s e r n des Destillats mit C a l c i u m c h l o r i d als rund 90°/0ige Säure gewinnen. Die Umwandlung von H y d r a z i n in StickstoffWasserstoffsäure gelingt durch Einwirkung von s a l p e t r i g e r S ä u r e : N 2 |H,+ O j l N H — > N 3 H + 2H 2 0. Physikalische Eigenschaften. Die wasserfreie Stickstoffwasserstoffsäure ist eine farblose, leichtbewegliche, bei 37° siedende und bei —80° erstarrende Flüssigkeit von durchdringendem, unerträglichem Geruch. Chemische Eigenschaften. Die StickstoffWasserstoffsäure ist eine s c h w a c h e S ä u r e von der Stärke etwa der Essigsäure. Ihre Dissoziationskonstante beträgt bei Zimmertemperatur 1.2 x l O - 5 ; eine 0.1-normale Lösung ist demnach zu etwa l°/ 0 dissoziiert. Die S a l z e der StickstoffWasserstoffsäure (Azide) ähneln in ihren äußeren Eigenschaften bisweilen denen der S a l z s ä u r e . So fällt z. B . aus schwach saurer Lösung bei Zugabe von Silbernitrat ein käsiger Niederschlag von S i l b e r a z i d AgN3 aus, der dem Silberchlorid AgCl täuschend ähnlich sieht; das Q u e c k s i l b e r ( I ) - s a l z HgN 3 und das B l e i s a l z Pb(N 3 ) 2 sind wie die analogen Chloride HgCl und PbCl 2 in Wasser unlöslich bzw. schwerlöslich. Das A m m o n i u m a z i d NH 4 N 3 = N 4 H 4 und das H y d r a z o n i u m a z i d N 2 H 5 N 3 = N 6 H 6 sind wegen ihrer Zusammensetzung als reine Stickstoff-WasserstoffVerbindungen erwähnenswert. Feuchtigkeitsempfindliche Azide wie Be(N 3 ) 2 , Mg(N 3 ) 2 , B(N 3 ) 3 , A1(N3)3, Ga(N 3 ) 3 , Si(N 3 ) 4 , LiB(N 3 ) 4 lassen sich leicht in Äther durch Umsetzung der entsprechenden Wasserstoff- oder Alkylverbindungen mit Stickstoffwasserstoffsäure (MeHn + nHN 3 ->• Me(N 3 ) n + nH 2 ; MeR n + nHN 3 Me(N 3 ) n + n R H ) oder der entsprechenden Chloride mit Natriumazid (MeCln + nNaN 3 -»• Me(N 3 ) n + nNaCl) gewinnen. Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der Stickstoffwasserstoffsäure ist der — durch Erhitzen oder durch Schlag leicht auszulösende — e x p l o s i o n s a r t i g e Z e r f a l l in S t i c k s t o f f u n d W a s s e r s t o f f : 2N3H 3N2 + H2 + 126 kcal. Bei diesem Zerfall werden g r o ß e W ä r m e m e n g e n frei. Auch die S c h w e r m e t a l l s a l z e , z. B . Bleiazid und Silberazid, detonieren bei stärkerem Erhitzen, besonders aber auf Schlag sehr heftig. Daher benutzt man Bleiazid in der Sprengtechnik zur Einleitung der Detonation („Initialzündung") von Schieß- und Sprengstoffen. Die A l k a l i -

232

Die Stickstoffgruppe

und E r d a l k a l i - a z i d e lassen sich unzersetzt schmelzen und verpuffen erst bei stärkerem Erhitzen unter Stickstoffabgabe: 2 N a N 3 —=>- 2 N a + 3 N 2 . Man kann diese Zersetzungsreaktion zur R e i n d a r s t e l l u n g v o n A l k a l i - und E r d a l k a l i m e t a l l e n im Laboratorium benutzen. Die Stickstoffwasserstoffsäure ist ein verhältnismäßig starkes O x y d a t i o n s m i t t e l . Daher löst sie wie die Salpetersäure eine Reihe v o n Metallen (z. B. Zink, Eisen, Mangan, Kupfer) o h n e W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g a u f : Me + 3 H N 3 — ^ Me(N3)2 + N a + N H 3 . Als Reduktionsprodukt der Stickstoffwasserstoffsäure entstehen dabei S t i c k s t o f f und A m m o n i a k (Me + 2 H N 3 — M e ( N 3 ) 2 + 2 H ; H N • N a + 2 H — > - N H 3 + N 2 ). Gegenüber stärkeren Oxydationsmitteln wirkt die Stickstoffwasserstoffsäure als R e d u k t i o n s m i t t e l . So oxydieren z . B . C e r ( I V ) - s a l z e die Säure quantitativ zu Stickstoff, was man zur Analyse der Verbindung benutzen kann. S a l p e t r i g e S ä u r e führt sie in Stickstoff und Distickstoffoxyd über: H N , + H N 0 2 — N 2 0 + N2 + H 2 0 .

b) Halogenverbindungen des Stickstoffs Der Stickstoff bildet zwei Klassen reiner H a l o g e n v e r b i n d u n g e n , von der Zusammensetzung NXj und NjX. Die ersteren leiten sich vom A m m o n i a k , die letzteren von der S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e ab. Außerdem bildet er noch S a u e r s t o f f - H a l o g e n - V e r b i n d u n g e n des Typus NOX (,,Nitrosylhalogenide"; NOF, farbloses Gas, Smp. -132.5°, Sdp. —59.9°; N0C1, rotgelbes Gas, Smp. — 61.5°, Sdp. —ö.8°; NOBr, schwarzbraune Flüssigkeit, Smp. —55.5°, Sdp. +19°), des Typus NO-iX („Nitrylhalogenide"; N0 2 F, farbloses Gas, Smp. - 1 6 6 » , Sdp. - 7 2 . 4 ° ; N02C1, farbloses Gas, Smp. —145°, Sdp. —15.0°) und des Typus NOsX („Nitroxyhalogenide"; N 0 3 F , farbloses Gas, Smp. —175°, Sdp. —45.9°). Sie leiten sich von der s a l p e t r i g e n S ä u r e NO(OH) und S a l p e t e r s ä u r e N 0 2 ( 0 H ) durch Ersatz der Hydroxylgruppe bzw. des Wasserstoffatoms durch ein Halogenatom ab. Die Halogen Verbindungen des Typus NXj lassen sich ganz allgemein durch Einwirkung von — gewöhnlichem oder aktiviertem — H a l o g e n auf A m m o n i a k herstellen: NH S + 3 X 2 — > • NX 3 + 3 H X . (1) So erhält man Fluorstickstoff NF 3 durch Umsetzung von Fluor mit Ammoniak (NH 3 + 3F 2 >• N F 3 + 3 H F ) oder durch elektrolytische Zersetzung von geschmolzenem, wasserfreiem Amlaoniumhydrogenfluorid (F~ F + © ; NH 3 + 6 F >- NF 3 + 3 HF), Chlorsticksloff KCl, durch Einwirkung von Chlorgas auf eine konzentrierte Ammoniumchloridlösung (NH 3 + 3C12 >- NC13 + 3HCl) oder durch Elektrolyse einer gesättigten Ammoniumchloridlösung (Cl>- C1 + © ; N H 3 + 6 C 1 NC13 + 3HCl), Bromstickstoff NBr 3 (in Form eines Ammoniakats NBr 3 • 6 NH 3 ) durch Zusammenleiten eines Brom- und Ammoniakstroms bei 100° (NH 3 + 3Br 2 NBr 3 + 3HBr) oder durch Einwirkung einer elektrischen Glimmentladung auf ein Brom-Ammoniak-Gemisch (Br 2 >- 2Br; NH 3 -f- 6Br - — N B r 3 + 3HBr) und Jodsrickstoff N J 3 (in Form von Ammoniak-Additionsverbindungen wie N J 3 • NH 3 ) durch Einwirkung von Jod auf wässerige oder alkoholische Ammoniaklösungen (NH 3 + 3 J 2 > N J 3 + 3 H J ) oder (in freiem Zustande) durch Überleiten von Ammoniak über Kalium-dibromjodid KJBr 2 (KJBr 2 —->- KBr + J B r ; NH 3 + 3 JBr >- N J 3 + 3HBr). Physikalische Eigenschaften. F l u o r s t i c k s t o f f ist ein farbloses, in Wasser und Kalilauge praktisch unlösliches Gas, welches sich durch starke Abkühlung zu einer klaren, leicht beweglichen Flüssigkeit (Smp. —208.5°, Sdp. —129.0°) verdichten läßt und eine positive Bildungs•wärme von 26 kcal/Mol besitzt. C h l o r s t i c k s t o f f stellt ein dunkelgelbes, stechend riechendes, in Schwefelkohlenstoff und Benzol mit gelber Farbe lösliches öl (Smp. —91.7°) mit einer stark negativen Bildungswärme (—54.7 kcal/Mol) dar. B r o m s t i c k s t o f f ist bis jetzt noch nicht in freiem Zustande, sondern nur in Form eines Hexa-ammoniakats N B r 3 - 6 N H , bekannt, eines intensiv roten, in Äther und flüssigem Ammoniak unter Bildung farbloser Lösungen löslichen festen Körpers. J o d s t i c k s t o f f ist ein schwarzes, festes Produkt mit stark negativerBildungswärme. Chemische Eigenschaften. Entsprechend seiner positiven Bildungswänne ist der F l u o r s t i c k s t o f f , der zum Unterschied vom Ammoniak keinerlei basische Eigenschaften besitzt, nicht besonders reaktionsfähig. Erst bei mehr oder minder starkem Erwärmen reagiert er mit Metallen (z. B. Li, Na, K, Cu, Ag, Mg, Ca, Ba, Zn, Cd, Hg, Sn, Pb) und Nichtmetallen (z. B. H 2 , B, Si, As, Sb) unter Fluoridbildung. Die Reaktion mit Wasserstoff erfolgt bei Zündung durch einen Funken mit scharfem Knall und rötlich-violettem Leuchten:

233

Der Stickstoff

2 N F , + 3H, N2 + 6 H F . Ebenso setzt beim Entzünden eines Fluorstickstoff-Wasserdampf-Gemischs unter bläulicher Flammenerscheinung eine langsame Reaktion ein, die zur Bildung von Fluorwasserstoff und salpetriger Säure (Stickstoffoxyd, Stickstoffdioxyd und Wasser; vgl. S. 237, 242) f ü h r t : N!F3+ 3H;()II—>-N(OH),+ 3 HF. Ganz anders setzt sich der C h l o r s t i c k s t o f f mit Wasser u m ; hier treten die Hydroxylgruppen an das Halogen und die Wasserstoffatome an den Stickstoff, so daß Ammoniak und unterchlorige Säure entstehen (vgl. S. 154): NjClj + 3 H 0 | H

N H 3 + 3II0C1.

Da die Reaktion umkehrbar ist, kann man rückwärts durch Einwirkung von Hypochlorit auf wässerige Ammoniak- oder Ammoniumsalzlösungen Chlorstickstoff darstellen. Entsprechend seiner stark negativen Bildungswärme ist der Chlorstickstoff viel unbeständiger und reaktionsfähiger als der Fluorstickstoff. So explodiert er äußerst heftig beim Erwärmen auf über 90°, bei Erschütterungen oder bei Berührung mit vielen chlorierbaren organischen Substanzen (z. B. Terpentinöl, Kautschuk). Mit Chlorwasserstoff reagiert Chlorstickstoff in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) unter Bildung von Chlor und Ammoniak: NC1, + 3 HCl N H 3 + 3C1 2) mit Ammoniak unter Bildung von Stickstoff und Chlorwasserstoff: NC13 + N H 3 — v N a + 3HCl. Noch reaktionsfähiger ist B r o m s t i c k s t o f f , der in Form seines Ammoniakats unter Freiwerden von Ammoniak bereits bei —67° schlagartig in Stickstoff und Brom Wasserstoff (als Ammoniumbromid) übergeht: ^ ^ ^ + 3HBr + J o d s t i c k s t o f f explodiert in trockenem Zustande bereits bei der geringsten Berührung und gehört daher zu den gefährlichsten chemischen Substanzen. I m feuchten Zustande ist er etwas weniger explosiv. Die Halogenverbindungen des Typus NjX entstehen bei der Einwirkung von H a l o g e n oder u n t e r h a l o g e n i g e r S ä u r e auf A z i d e : AgN 3 + J 2 JNS + AgJ, NaN 3 + NaOCl + H Ö H — > - C1N3 + 2 N a O H . F l u o r a z i d FN 3 ist ein gelbgrünes, bei Zimmertemperatur langsam in (NF) 2 (farbloses, stabiles Gas) und N 2 zerfallendes Gas, C h l o r a z i d C1N3 ein farbloses, explosives Gas, Bromazid BrN, eine farblose, explosive Flüssigkeit und J o d a z i d J N , ein farbloser, äußerst explosiver fester Körper.

c) Oxyde des Stickstoffs Stickstoff bildet sechs Oxyde des Typus N 2 0„ (n = 1, 2, 3, 4, 5 und 6): N.,0, (N 2 0 2 ), N 2 0 3 , N 2 0 4 , N 2 0 5 , N 2 0 6 , wie aus folgender Tabelle hervorgeht, in der die Verbindungen nach steigender Oxydationszahl des Stickstoffs angeordnet sind 1 : Oxydationszahl —1 ± 0 + i + 2 + 3 + 4 + 5 + 53 4- 5 3 1 2

Oxyde (1er Formel N , 0 „

Säurun d es T y p u s H 3 N O N (HI\O N - l ) Formel Orthoform | Metafora!

Hydroxylamin

H »NO

N, NaO (N S 0 2 ) n ; 2 NO N2O3 N204 --^ 2N02 N,0, (N.O, ^ 2NO,)

Name

Salze Hydroxylamide

H3NO2

HNO

Untersalpetrige Säure 2 Hyponitrite 2

H3NOS

HNO 2

Salpetrige Säure

Nitrite

H3NO4

HNOj

Salpetersäure

Nitrate

(H s N0 5 )

HNO 4

Peroxysal petersäure

Peroxvnitrate

Bezügl. der in der Tab. ebenfalls aufgeführten S a u e r s t o f f s ä u r e n des Stickstoffs vgl. S. 238f. 3 Vgl. Anmerkung 1, S. 246. Vgl. Anmerkung 1 auf S. 198.

Die Stickstoffgruppe

234

Von den Sauerstoffverbindungen ist das Oxyd N 2 0 4 bei Zimmertemperatur großenteils nach N 2 0 4 2 N 0 2 dissoziiert; beim N 2 0 2 verschiebt sich das entsprechende Dissoziationsgleichgewicht N 2 0 2 2NO erst bei s e h r t i e f e n T e m p e r a t u r e n nach links, so daß das Oxyd bei Z i m m e r t e m p e r a t u r lediglich in Form des einfachen Moleküls NO auftritt. Die Existenz der Verbindung N 2 0 6 und ihres Dissoziationsproduktes N 0 3 ist noch zweifelhaft. a ) Distickstoffoxyd Darstellung. Das Distickstoffoxyd („Stickoxydul") N 2 0 läßt sich durch Umsetzimg von A m m o n i a k und S a l p e t e r s ä u r e — trockenes Erhitzen von festem Ammoniumnitrat (NH4NO3 — N H 3 + HNO3) — darstellen: O —v IT

N=N=0 +

2H,0.

+ HO

Man muß dabei Sorge tragen, daß die Temperatur nicht zu hoch steigt, da unter geeigneten Bedingungen ein explosionsartiger Zerfall des Ammoniumnitrats eintreten kann. Physikalische Eigenschaften. Distickstoffoxyd ist ein farbloses Gas von schwachem, süßlichem Geruch und läßt sich leicht zu einer Flüssigkeit verdichten, welche bei — 89.5° siedet und bei —102.4° zu weißen Kristallen erstarrt. Da es schwach betäubende Wirkung zeigt, kommt es in verflüssigtem Zustande in Stahlflaschen für Narkosezwecke in den Handel. I n geringen Mengen eingeatmet, ruft es einen rauschartigen Zustand und eine krampfhafte Lachlust hervor („Lachgas"). In kaltem Wasser ist es ziemlich löslich: 1 Raum teil Wasser absorbiert bei 0° 1.3052, bei 25° 0.5962 Raumteile N 2 0 ; daher muß man es bei der Darstellung über heißem Wasser oder über einer konzentrierten Kochsalzlösung auffangen. Chemische Eigenschaften. Distickstoffoxyd unterhält die Atmung nicht, so daß es bei Narkosen nur bei gleichzeitiger Sauerstoffzufuhr eingeatmet werden darf. Die Verbrennung l e i c h t e n t z ü n d l i c h e r Körper wird dagegen vom Distickstoffoxyd unterhalten. So verbrennen z. B . P h o s p h o r , K o h l e oder ein glimmender H o l z s p a n darin wie in Sauerstoff; Gemische mit W a s s e r s t o f f explodieren beim Entzünden wie Knallgas, nur etwas schwächer: N 2 0 + H2

>- N 2 + H 2 0 + 87.8 kcal.

Die Verbrennung ist im allgemeinen schwieriger einzuleiten als beim Sauerstoff 1 , weil Distickstoffoxyd bei niedrigen Temperaturen recht beständig — allerdings nur m e t a s t a b i l (N 2 0 N 2 + 1/202 + 19.5 kcal) — ist und erst bei verhältnismäßig hohen Temperaturen zu zerfallen beginnt. Besonders heftig explodieren entzündete Gemische von Distickstoffoxyd und A m m o n i a k : 3 N 2 0 + 2NH 3 — > - 4N a + 3 H 2 0 + 222 kcal. Die K o n s t i t u t i o n des Distiekstoffoxyds läßt sich durch die beiden mesomeren ElektronenGrenzformeln (a) " " (b) zum Ausdruck bringen (S.316f.), die beide die Valenzstrichformel N s N = 0 ergeben (vgl. S. 168). Die Verhältnisse liegen hier ganz analog wie im Falle der Stickstoffwasserstoffsäure N = N = NH (S.230f.), deren Formel sich von der desDistickstoffoxyds N s N = 0 durch Ersatz des Sauerstoffatoms O durch eine Iminogruppe NH (vgl. S. 437) ableitet. Nach der ersten Elektronenformel (a) leitet sich das Distickstoffoxyd vom Stickstoff durch Anlagerung eines Sauerstoffatoms an das Stickstoffmolekül ab:

: N : : : N: + 0 : ^ H i l

: N : : : N: 0 : . Die oxydierende Wirkung des Di-

1 Die analytische Unterscheidung von N 2 0 und 0 2 kann leicht durch Zugabe von NO erfolgen, da 0 2 mit letzterem braune Dämpfe von N0 2 liefert, während N 2 0 mit NO nicht reagiert.

Der Stiokstofi

235

stickstoffoxyds beruht auf der Umkehrung dieses Vorgangs. Nach der zweiten Formel (b) ist das Distickstoffoxyd mit dem Kohlendioxyd : 0 : : C : : 0 : „isoster" (vgl. S. 308). Möglicherweise spielt das kohlendioxyd-isostere D i s t i c k s t o f f o x y d N a O bei der S t i c k s t o f f assimilation der Pflanzen (S. 64) eine ähnlich bedeutsame Rolle wie das K o h l e n d i o x y d C 0 2 im Kreislauf des S a u e r s t o f f s (S. 63f.), indem der Luftstickstoff N2 unter Mitwirkung des von den stickstoff-assimilicrfähigen Pflanzen (z. B . Leguminosen) erzeugten „Leg-Hämoglobins" (vgl. S. 527) primär wahrscheinlich zu N 2 0 oxydiert wird, welches dann in den Stickstoffkreislauf eintritt. ß) Darstellung. Verbindung:

D a s Stickstoffoxyd

Stickstoffoxyd {„Stickoxyd")

42.1 kcal + N 2 - f 0 2

N O ist eine s t a r k

endotherme

2NO

(1)

u n d l ä ß t sich daher n u r bei s e h r h o h e r T e m p e r a t u r — der T e m p e r a t u r des elektrischen L i c h t b o g e n s ( — 5 0 0 0 ° C) — a u s den E l e m e n t e n erzeugen. Nachstehende Fig. 80 gibt die Ausbeuten an Stickoxyd in Vol.-°/0 beim Erhitzen von Luft (4N 2 + 0 2 ) auf verschiedene Temperaturen wieder 1 . Wie daraus hervorgeht, befinden sich bei 2000° abs. rund 1 und bei 3000° abs. rund 5 Vol.-°/0 Stickoxyd mit Luft im Gleichgewicht. Will man daher Stickoxyd in einigermaßen befriedigenden Konzentrationen erhalten, so muß man auf über 3000° abs. erhitzen. Da nun bei solchen hohen Temperaturen die Geschwindigkeit der Einstellung des Gleichgewichts (1) ungeheuer groß ist — vgl. Fig. 81, welche für die einzelnen Temperaturen den Logarithmus der Zeit wiedergibt, in welcher eine gegebene Stickoxyd-Menge zur Hälfte zerfallen bzw. eine gegebene Stickstoff-Sauerstoff-Menge zur Hälfte in Stickoxyd umgewandelt ist (,,Halbwertszeit"; vgl. S. 57öf.) —, wird sich beim Abkühlen des Reaktionsgemischs jeweils in unmeßbar kleiner Zeit das der niedrigeren Temperatur entsprechende ungünstigere Gleichgewicht einstellen. Nur durch „Abschrecken", d. h. Abkühlen mit größerer als der Zerfallsgeschwindigkeit, läßt sich der Zerfall weitgehend vermeiden, da man dann rasch in Temperaturgebiete gelangt, in denen die Gleichgewichtseinstellung langsam vor sich geht. Unter günstigsten Reaktionsbedingungen läßt sich so die einer Temperatur von 2700° abs. entsprechende Gleichgewichtskonzentration von rund 3 Vol.-°/0 NO erhalten. Bei Temperaturen unter 700° zerfällt Stickoxyd als metastabiler Stoff praktisch nicht mehr (Fig. 80). Die Vereinigung von Stickstoff und Sauerstoff zu Stickoxyd („Luftverbrennung") war früher ein g r o ß t e c h n i s c h e s V e r f a h r e n zur Darstellung von S a l p e t e r s ä u r e , da man Stickoxyd durch Einwirkung von Sauerstoff und Wasser leicht in Salpetersäure überführen kann: 2NO + H 2 0 + 1 V 2 0 2 -—-v 2 H N 0 3 . Die hierfür benutzten Verfahren („BIRKELANDEYDE-V erfahren", „SCHÖNHERR-Verfahren", „PÄDUNO-Verfahren") unterschieden sich voneinander nur durch die Art und Weise, in der eine möglichst kurze, aber innige Berührung der Gase mit dem Flammenbogen und eine schnelle Abschreckung erreicht wurden. Wegen des erheblichen Verbrauchs an elektrischer Energie blieb das Luftverbrennungsverfahren in der Hauptsache auf Länder mit billigen Wasserkräften (Norwegen, Schweiz) beschränkt. Heute ist es auch dort durch das billigere Verfahren der Ammoniakverbrennung (s. unten und S. 239f.) verdrängt worden. Lediglich das sogenannte „ N i t r u m v e r f a h r e n " der Luftverbrennung (S. 240) ist in Deutschland in begrenztem Umfang noch in Betrieb. Die g r o ß t e c h n i s c h e E r z e u g u n g v o n S t i c k o x y d durch k a t a l y t i s c h e niakverbrennung: 4NH3 + 5 0 2 4NO + 6 H 2 0

Ammo-

dient d e r S a l p e t e r s ä u r e g e w i n n u n g und soll d a h e r erst bei d e r Salpetersäure (S. 2 3 9 f . ) ausführlicher besprochen werden. I m L a b o r a t o r i u m gewinnt m a n S t i c k o x y d durch R e d u k t i o n v o n S a l p e t e r s a u r e :

N03' + 4H' + 3 ©

NO +

2H20.

N a c h der Spannungsreihe (S. 1 6 6 f f . ) kann diese R e d u k t i o n u n t e r den Normalbedingungen v o n allen Stoffen bewirkt werden, deren P o t e n t i a l n e g a t i v e r als + 0 . 9 5 Volt und — zur Vermeidung v o n Wasserstoffentwicklung — p o s i t i v e r als 0 Volt i s t . 1 Die ausgezogene Kurve in Fig. 80 entspricht den Gleichgewichtskonzentrationen von NO bei den verschiedenen Temperaturen. Rechts der Kurve erfolgt somit zusätzliche NO-Bildung, links der Kurve teilweiser NO-Zerfall bis zur Erreichung der für die betreffende Temperatur gültigen Gleichgewichtskonzentration an NO.

236

Die Stiokatoffgruppe

Solche Stoffe sind z. B. K u p f e r (Cu »- Cu" + 2 6 ; e0 = + 0.35 Volt), Q u e c k s i l b e r (2 Hg — H g 2 " + 2 ö ; e0 = + 0.79 Volt) und E i s e n ( I I ) . s a l z e (Fe" - Fe'" + © ; e0 = + 0.77 Volt). Die Umsetzung verdünnter Salpetersäure mit K u p f e r (3Cu + 2NO s ' -f- 8 H ' >• 2 N O + 3Cu" + 4 H 2 0 ) ist eine gebräuchliche Stickoxyd-Daratellungsmethode des L a b o r a t o r i u m s . Die Reaktion mit Q u e c k s i l b e r (Schütteln von Quecksilber mit Salpetersäure und konzentrierter Schwefelsäure: 6Hg -f 2 N 0 3 ' + 8 H ' >- 2NO + 3 H g 2 " + 4 H 2 0 ) dient zur Geh a l t s b e s t i m m u n g von Salpetersäurelösungen (Messung des entwickelten Stickoxydvolumens). Die Umsetzung mit E i s e n ( I I ) - s a l z e n (Unterschichtung eines Gemischs von Salpetersäure und Eisen(II)-sulfat mit konzentrierter Schwefelsäure: 3Fe" + N 0 3 ' + 4 H ' V NO + 3Fe'" + 2 H 2 0 ) wird zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s von Salpetersäure benutzt, da das gebildete

Zerfallsgeschuiindigkeit nimmt ab

5-

Sroi

VsJahr ata. Temperatur

10-»

2000°

• Temperatur

Fig. 80. Temperaturabhängigkeit der StickoxydAusbeute bei der Synthese aus Luft

Fig. 81. Halbwertszeit der Bildung und des Zerfalls von Stickoxyd

Stickoxyd mit Eisen(II)-sulfat eine tief dunkelbraun gefärbte Anlagerungsverbindung bildet (s. unten). Physikalische Eigenschaften. Stickoxyd ist ein farbloses Gas und zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtbar, welche bei —151° siedet und bei —163° erstarrt. In Wasser löst es sich nur wenig (0.07 Raumteile NO in 1 Raumteil Wasser bei 0°). Chemische Eigenschaften. Charakteristisch für Stickoxyd ist sein großes Bestreben, sich mit Sauerstoff zu braunem S t i c k s t o f f d i o x y d N 0 2 zu verbinden: 2NO + 0 2 2N0 2 + 27.1 kcal. Sobald daher das farblose Stickoxyd mit Luft in Berührung kommt, bildet es braune Dämpfe von N 0 2 . Da es sich um eine e x o t h e r m e Reaktion handelt, verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nach l i n k s . So kommt es, daß Stickoxyd oberhalb von 650° nicht mehr mit Sauerstoff in Reaktion tritt (S. 238, 239). Mit C h l o r und B r o m reagiert Stickoxyd unter Bildung von N i t r o s y l h a l o g e n i d e n (S. 243f.): 2 NO + Cl2 —>• 2N0C1 + 29 kcal. An M e t a l l s a l z e (z. B. Eisen(II)-sulfat, Kupfer(II)-chlorid) lagert es sich leicht unter Bildung — vielfach gefärbter — lockerer A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n an (vgl. oben): NO + FeS04 [Fe(N0)]S0 4 , die sich durch Erwärmen wieder rückwärts in Stickoxyd und Metallsalz zerlegen lassen (vgl. auch S. 547f.).

Der Stickstoff

237

Durch s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l , deren Potential in der Spannungsreihe p o s i t i v e r als + 0.95 Volt ist (S. 168) — z . B. durch Chromsäure (e 0 = + 1.36 Volt), Übermangansaure (e 0 = + 1.52 Volt), unterchlorige Säure (e0 = + 1.49 Volt) — wird Stickoxyd in Umkehrung der Bildungsgleichung (S.235) zu S a l p e t e r s ä u r e oxydiert: NO + 2HaO

NOs' + 4H' + 3Q-

Von s t a r k e n R e d u k t i o n s m i t t e l n wird es in S t i c k s t o f f oder sogar A m m o n i a k übergeführt. So verbrennen z. B. Kohle, Phosphor, Magnesium lebhaft in Stickoxyd, und ein Gemisch gleicher Raumteile Stickoxyd und Wasserstoff verpufft beim Entzünden. Die Verbrennung s c h w ä c h e r e r Reduktionsmittel (z. B. Schwefel) wird von Stickoxyd nicht unterhalten. y) Distickstofftrioxyd Darstellung. Läßt man K u p f e r (oder ein anderes Reduktionsmittel, z. B . Arsentrioxyd) nicht auf v e r d ü n n t e , sondern auf k o n z e n t r i e r t e Salpetersäure einwirken, so entsteht an Stelle von S t i c k o x y d NO (S. 235 f.) S t i c k s t o f f d i o x y d N 0 2 , d a N 0 von konzentrierter Salpetersäure zu N 0 2 oxydiert wird. Bei Verwendung von m i t t e l k o n z e n t r i e r t e r Säure entstehen NO und N 0 2 n e b e n e i n a n d e r und vereinigen sich beim Abkühlen zu Distickstofftrioxyd („Stickstoffsesquioxyd", „Salpetrigsäure-anhydrid") N 2 0 3 : N 0 + NOa N A + 0 6 kcaL (2) Physikalische Eigenschaften. Distickstofftrioxyd ist nur bei niedrigen Temperaturen als tiefblaue Flüssigkeit beständig, welche bei —102° zu blaßblauen Kristallen erstarrt. Bereits oberhalb von — 10° zerfällt es in Umkehrung der Bildungsgleichung (2) in NO und N 0 2 , so daß der Dampf bei 25° und Atmosphärendruck nur noch 1 0 % undissoziiertes N 2 0 3 enthält. Chemische Eigenschaften. Die leichte Verschiebbarkeit de3 Gleichgewichts (2) bedingt, daß ein Gemisch gleicher Raumteile NO und N 0 2 in chemischer Hinsicht wie die Verbindung N 2 0 3 , das Anhydrid der salpetrigen Säure (N 2 0 3 + H 2 0 z^ii: 2HN0 2 ), wirkt. So wird z. B. ein solches Gemisch von Lösungen starker Basen glatt unter Bildung von Nitriten (Salzen der salpetrigen Säure) absorbiert: NO + N0 2 + 2NaOH 2NaNOa + H 2 0, indem das nitritbildende Anhydrid N 2 0 3 nach Maßgabe des Verbrauchs immer wieder gemäß (2) nachgebildet wird. Ebenso entsteht beim Einleiten des Gemischs in Wasser salpetrige Säure (NO + N 0 2 + H 2 0 — > 2HN0 2 ), die aber schnell zerfällt (S. 242). 8) Stickstoffdioxyd. Distickstofftetroxyd Darstellung. G r o ß t e c h n i s c h wird Stickstoffdioxyd N 0 2 als Zwischenprodukt bei der Salpetersäuredarstellung (S. 239f.) erzeugt. Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man es entweder auf dem Wege über NO (2NO + O a — > 2N0 2 ) durch R e d u k t i o n von S a l p e t e r s ä u r e (s.S.235 f. und oben) oder — besonders bequem — durch E r h i t z e n von S c h w e r m e t a l l s a l z e n der Salpetersäure, besonders B l e i n i t r a t : Pb(N03)2 — P b O + 2N0 2 + V 2 0 2 . Physikalische Eigenschaften. Stickstoffdioxyd ist ein braunrotes, charakteristisch riechendes und stark giftiges Gas, das sich leicht verflüssigen läßt. Die Flüssigkeit ist kurz unterhalb des Siedepunktes (22.4°) rotbraun, wird beim Abkühlen immer heller und schließlich farblos und erstarrt bei —10.2° zu farblosen Kristallen. Erwärmt man umgekehrt das Gas von Zimmertemperatur ausgehend, so nimmt die Intensität der

Die Stiokstofigruppe

238

braunroten Farbe zu. Die Farbänderung rührt daher, daß sich das braune Stickstoffdioxyd N0 2 im Gleichgewicht mit farblosem Distickstofj-tetroxyd („Stickstofftetroxyd") N , 0 , befindet: 2N0 2 T " ^ N204 + 14.7 kcal (3) braun

farblos

und daß sich das Gleichgewicht (3) entsprechend der p o s i t i v e n Wärmetönung mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nach l i n k s , mit f a l l e n d e r T e m p e r a t u r nach r e c h t s verschiebt, und zwar sind bei 27° 20%, bei 50° 40°/0, bei 100° 8 9 % und bei 135° 9 9 % des N 2 0 4 in N0 2 gespalten. Bei 200° beginnt auch das Stickstoffdioxyd zu zerfallen: 2N0 2 2 NO + 0 2 ; bei 650° ist der Zerfall vollständig (S. 236). Chemische Eigenschaften. Wegen der leichten Sauerstoffabgabe ist Stickstoffdioxyd ein kräftiges O x y d a t i o n s m i t t e l , das die Verbrennung (z. B. von Kalium, Phosphor, Kohle, Schwefel) viel lebhafter als die vorher besprochenen Stickstoffoxyde N 2 0 und NO unterhält. N 2 0 4 steht in seiner Zusammensetzung zwischen dem Salpetrigsäure-anhydrid N 2 0 3 und dem Salpetersäure-anhydrid N 2 0 5 (s. unten) und kann als gemischtes Anhydrid der salpetrigen und Salpetersäure („Nitrosylnitrat" N 0 N 0 3 ) aufgefaßt werden. Dementsprechend reagiert N 2 0 4 (bzw. N0 2 ) mit A l k a l i l a u g e n unter Bildung von N i t r i t und N i t r a t : N204 + 2NaOH NaNOa + NaN03 + H 2 0. Auch mit Wasser bildet es salpetrige Säure und Salpetersäure; erstere zersetzt sich dabei aber leicht in Salpetersäure und Stickoxyd (S. 242), so daß letzten Endes nur Salpetersäure entsteht (vgl. S. 239): X3 | 2N0 a + H 2 0 • HN02 + HNO, 3 HNOj HNOa + 2NO + HaO 2NO + 0 2 > 2N0 2 4NOa + 2HaO + O, 4HISOj. t ) Distickstoff-pento xyd Distickstoff-f entoxyd („Stickstoffpentoxyd", „Salpetersäure-anhydrid") N 2 0 5 läßt sich als Anhydrid der Salpetersäure (2 HN0 3 H 2 0 + N2Ob) durch Behandeln von S a l p e t e r s ä u r e mit P h o s p h o r p e n t o x y d als wasserentziehendem Mittel (P 2 0 5 + H 2 0 —>- 2HP0 3 ) gewinnen und bildet farblose, an der Luft zerfließende Kristalle, welche bei 30° schmelzen. Die Verbindung ist recht unbeständig (Sdp. unter Zersetzung 47°) und zerfällt bei raschem Erhitzen, oft auch bei Zimmertemperatur ohne erkennbaren äußeren Anlaß, explosionsartig. Wie zu erwarten, besitzt sie stark o x y d i e r e n d e E i g e n s c h a f t e n und reagiert mit Wasser unter Salpetersäurebildung.

d) SauerstofFsäuren des Stickstoffs Stickstoff bildet vier Sauerstoffsäuren des Typus H:!NOn {„Orthoform") bzw. HN0„_| (wasserärmere „Metaform"), wobei n die Werte 1, 2, 3 und 4 annehmen kann: Hydro xylamin H3NO (S. 244 f.), untersalpetrige Säure H 3 N0 2 bzw. HNO (S. 244 f., 246), salpetrige Säure H 3 N0 3 bzw. HN0 2 (S. 242 f.) und Salpetersäure H 3 N0 4 bzw. HN0 3 (S. 239ff.) (vgl. Tabelle auf S. 233). Die Orthoform der salpetrigen und der Salpetersäure ist nur in Form von Salzen (z. B. Na 3 N0 3 und Na 3 N0 4 ) beständig; die freien Säuren gehen unter Wasserabspaltung in die Metasäuren über: N(OH)3 NO(OH) und NO(OH)3 ^ ^ N0 2 (0H). Beim Phosphor, dem höheren Homologen des Stickstoffs in der 5. Gruppe des Periodensystems, sind Ortho- und Metaform beide beständig; dort wird näher auf die Bindungsverhältnisse der einzelnen Säuren eingegangen (S. 263ff., 268f.).

Der Stickstoff

239

Weiterhin bildet der Stickstoff noch eine — nur in Form von Salzen bekannte — Säure der Zusammensetzung H 2 N 0 2 {„hydrosalpetrige Säure"; „Nitroxylsäure"1) sowie eine mit der Salpetersäure isomere, unbeständige „üb ersalpetrige Säure" H N 0 2 0 . +1

+2

+3

+4

+5

Die Oxyde N 2 0 , NO, N 2 0 3 , N 0 2 und N 2 0 5 entsprechen in ihren Oxydationsstufen den Säuren HNO, H 2 N 0 2 ) H N 0 2 , H N 0 2 / H N 0 3 und H N 0 3 . Jedoch kann man nur N 2 0 3 , N 0 2 und N 2 0 5 als wahre Säure-anhydride bezeichnen; die übrigen Oxyde ergeben mit Wasser nicht die ihrer Oxydationsstufe entsprechenden Säuren. a)

Salpetersäure Darstellung

Die t e c h n i s c h e Darstellung von Salpetersäure kann nach drei Verfahren erfolgen: 1. durch k a t a l y t i s c h e A m m o n i a k v e r b r e n n u n g , 2. durch L u f t v e r b r e n n u n g , 3. durch Umsetzung von C h i l e s a l p e t e r mit S c h w e f e l s ä u r e . Von diesen Verfahren wird in Deutschland großtechnisch fast ausschließlich das erste durchgeführt. Katalytische Ammoniakverbrennung. Zur Darstellung von Salpetersäure nach dem Verfahren der k a t a l y t i s c h e n A m m o n i a k v e r b r e n n u n g („OSTWALD-Verfahren") wird Ammoniak mit überschüssiger Luft bei 600° k a t a l y t i s c h zu S t i c k o x y d verbrannt: 4NHS + ö 0 2 4NO + 6H 2 0 + 279 kcal, (4) wobei sich das Stickoxyd während der Abkühlung (vgl. S. 236, 238) der Verbrennungsgase mit noch vorhandenem Sauerstoff zu S t i c k s t o f f d i o x y d N 0 2 vereinigt: NO + 7 2 0 2 — ^

N0 2 >

welches in Rieseltürmen durch Zufuhr von Luft und Wasser unter teilweiser Zwischenbildung von salpetriger Säure (S. 238) in eine 40—50°/oige S a l p e t e r s ä u r e übergeführt wird: 2N0 2 + H 2 0 + V 2 O a

Platinnetz

Luft-

Fig. 82. Ammoniak-Verbrennungselement zur Stickoxydgewinnung mit PlatinnetzKatalysator Luft+NHj

>- 2HN0 3 .

Zur Erzielung einer guten Ausbeute an Stickoxyd ist es erforderlich, das Ammoniak - LuftGemisch nur sehr kurze Zeit Viooo Sekunde) mit dem Katalysator in Berührung zu lassen, da sonst das — bei 600° ja nicht stabile, sondern nur metastabile (S. 235 und Fig. 80, S. 2361 — Stick-Schamottebrocken oxyd katalytisch in S t i c k s t o f f und S a u e r s t o f f zerfällt (2NO >- N2 + 0 2 + 42.1 kcal). Eine solche kurze Berührungszeit wird besonders einfach durch Anwendung eines Netzkatalysators ermöglicht. Fig. 82 gibt ein auf diesem Prinzip beruhendes „Ammoniak-Verbrennungselement" für kleinere Leistungen wieder. Bei diesem ist zwischen zwei konischen Aluminiumteilen ein feinmaschiges Fig. 83. Ammoniak -Verbrennungsofen zur P l a t i n - oder P l a t i n - R h o d i u m n e t z (3600 Ma- Stickoxydgewinnung mit Eisen-Wismutoxyd-Kata lysator schen je cm 2 ; Drahtstärke 0.05 mm) eingespannt, i Vgl. Anmerkung 1, S. 246.

240

Die Stickstoffgruppe

durch welches das Ammoniak-Luft-Gemisch mit großer Geschwindigkeit geleitet wird. Größere Anlagen arbeiten mit mehreren übereinander angeordneten Drahtnetzen je Verbrennungselement. Ein anderes, nur vereinzelt angewandtes Verfahren benutzt an Stelle des P l a t i n s ein körniges, mit W i s m u t o x y d versetztes E i s e n o x y d als Katalysator. Der hierbei verwendete Kontaktofen (Fig. 83) weist im Innern zwei durchlochte Zwischenböden auf, von denen der obere nur zur gleichmäßigen Verteilung des oben einströmenden, auf 250 — 350° vorgewärmten AmmoniakLuft-Gemischs dient, während der untere ( ~ 1 5 m2 Fläche) mit einer etwa 10—15 cm hohen, auf groben Schamottebrocken ruhenden Kontaktschicht bedeckt ist. Konzentriertere als 40—50°/o'ge — bis 66°/0ige — Sal___ kreisender petersäurelösungen lassen sich erzielen, wenn man das AmF/ammenring moniak nicht mit L u f t , sondern mit S a u e r s t o f f verGasab/e/tung brennt oder bei 5 Atmosphären D r u c k arbeitet. Luftverbrennung. Unter den Verfahren der LuftverbrenO/enwand nung im Lichtbogen (vgl. S. 235) ist zur Zeit nur noch das „Nitrum-Verfahren" in Betrieb. Bei diesem wird in E/ekfrode Luftf einem feuerfesten, runden Ofen (Fig. 84) die zu verbrennende Luft durch drei seitliche Düsen t a n g e n t i a l einFig. 84. Stickoxyd-synthese aus geblasen, so daß beim Einschalten des elektrischen Stroms Luft nach dem Nitrum-Verfahren der zwischen den drei Elektroden übergehende Flammenbogen die Form eines z i r k u l i e r e n d e n F l a m m e n r i n g e s annimmt. Der Flammenwirbel bewegt sich kreisend vom Rande nach der Mitte zu, und die stickoxydhaltigen Gase gehen im Zentrum des Ofens ab, um hier sofort a b g e s c h r e c k t zu werden. Umsetzung von Chilesalpeter mit Schwefelsäure. Die Umsetzung von N a t r i u m n i t r a t mit Schwefelsäure: NaN0 3 + H2SO« *- NaHSO, + HN0 S , die bis zum Anfang dieses Jahrhunderts fast ausschließlich zur Salpetersäuregewinnung benutzt wurde, spielt in Deutschland heute keine Rolle mehr. Physikalische Eigenschaften Erhitzt man eine Salpetersäurelösung, so konzentriert sie sich, da der entweichende Dampf prozentual mehr Wasser als die Lösung enthält. Mit steigender Temperatur nimmt der relative Gehalt des Dampfes an Salpetersäure zu, bis schließlich bei 121.8° Dampf und Lösung die gleiche Konzentration von 69.2°/ 0 H N 0 3 aufweisen, so daß von hier ab der Salpetersäuregehalt der Lösung konstant bleibt. Man nennt diese Säure „konzentrierte Salpetersäure" (spez. Gewicht 1.410). Durch Vakuumdestillation mit konzentrierter Schwefelsäure als wasserbindendem Mittel läßt sich die konzentrierte Säure in wasserfreie Salpetersäure überführen. Die r e i n e , w a s s e r f r e i e S a l p e t e r s ä u r e ist eine farblose Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.522, die bei — 41.1° zu schneeweißen Kristallen erstarrt und bei 84° siedet. Beim Sieden — im Licht auch schon bei Zimmertemperatur — erfolgt teilweise Zersetzung unter Bildung von Stickstoffdioxyd: 2HN03 — H 2 0 + 2N02 + v . o . . Das Stickstoffdioxyd bleibt in der Salpetersäure gelöst und färbt sie gelb, bei größerer Konzentration rot. Man nennt die so entstehende, an der Luft rotbraune Dämpfe ausstoßende Lösung „rote rauchende Salpetersäure". Chemische Eigenschaften Chemisch ist die Salpetersäure charakterisiert durch ihre o x y d i e r e n d e n und ihre s a u r e n Eigenschaften. Die oxydierenden Eigenschaften treten vor allem in der k o n z e n t r i e r t e n , die sauren in der v e r d ü n n t e n Säure hervor. Wie schon auf S. 235f. erwähnt, kann die Salpetersäure unter den Normalbedingungen gegenüber allen Stoffen als O x y d a t i o n s m i t t e l gemäß N0 3 ' + 4 H ' + 3 © NO + 2 H 2 0 wirken, deren Oxydationspotential negativer als + 0.95 Volt ist. So kommt es, daß z. B. K u p f e r (e 0 = + 0.35 Volt), S i l b e r (e 0 = + 0.81 Volt) und Q u e c k s i l b e r (e 0 =

Der Stickstoff

241

+ 0.79 Volt) von Salpetersäure unter Stickoxydentwicklung gelöst werden (S. 236), während z. B. G o l d (s 0 = + 1.42 Volt) und P l a t i n (s 0 = + 1.60 Volt) nicht angegriffen werden. Unter dem Namen „Scheidewasser" benutzt man daher die Salpetersäure zur Trennung von G o l d und S i l b e r . S c h w e f e l wird von Salpetersäure zu Schwefelsäure, P h o s p h o r zu Phosphorsäure oxydiert. Besonders stark oxydierend wirkt ein Gemisch von konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e und konzentrierter S a l z s ä u r e (1: 3 Raumteile), da es aktives Chlor entwickelt: H N 0 3 + 3HCl

>- NOCI + 2C1 + 2 H 2 0 .

Es löst fast alle Metalle, auch den „König der Metalle" — das Gold — auf und heißt daher „Königswasser" {„aqua regia"). Eigentümlicherweise werden eine Reihe u n e d l e r M e t a l l e (wie Aluminium, Chrom, Eisen) von konzentrierter Salpetersäure n i c h t a n g e g r i f f e n (vgl. S. 383, 507f., 533f.). Man erklärt diese Erscheinung („Passivierung") durch die Bildung einer äußerst dünnen, zusammenhängenden O x y d h a u t , die das darunterliegende Metall vor weiterem Angriff der oxydierenden Säure schützt (vgl. S. 172). Als S ä u r e gehört Salpetersäure zu den starken Säuren, da sie in verdünnten Lösungen praktisch quantitativ in Form von Ionen vorliegt: H N 0 3 + H 2 0 z^zh. H s O' + N 0 3 ' . Mit abnehmendem Wassergehalt der Lösung verschiebt sieh das Säuregleichgewicht nach links, entsprechend einer Zunahme der Konzentration an undissoziierter Salpetersäure. In der wasserfreien Salpetersäure findet teilweise eine der Ionenbildung in Wasser analoge schwache Ionenbildung nach H N 0 3 + H N 0 3 : ^ i ± : H 2 N 0 3 ' + N0 3 'statt 1 . Das Kation H 2 N0 3 " heißt „Nitronium-Ion" und wird ganz allgemein gebildet, wenn Salpetersäure mit starken Säuren zusammengebracht wird (HN0 3 + H 2 S 0 4 H 2 N ( y + H S 0 4 ' ; H N 0 3 + HC104 H 2 N0 3 ' + C104'). J e stärker dabei die zugegebene Säure ist, desto weiter liegt das Gleichgewicht auf der rechten Seite; so ist z . B . das N i t r o n i u m - p e r c h l o r a t als solches isolierbar. Die S a l z e der Salpetersäure (Nitrate) lassen sich durch Umsetzung von S a l p e t e r s ä u r e mit den entsprechenden H y d r o x y d e n oder C a r b o n a t e n darstellen ( 2 H N 0 3 + Na 2 C0 3 — > 2 N a N 0 3 + H 2 0 + C0 2 ; H N 0 3 + K O H — K N 0 3 + H 2 0) und sind alle in Wasser leicht löslich. Beim Erhitzen zersetzen sie sich unter Sauerstoffabspaltung. Die A l k a l i n i t r a t e gehen dabei in N i t r i t e : K N 0 3 — > - K N 0 2 + V2O2,

die S c h w e r m e t a l l n i t r a t e unter gleichzeitiger Stickstoffdioxydbildung (vgl. S. 237) in O x y d e über: ^ ^ ^ HgQ + ^ + Wegen dieser leichten Sauerstoffabgabe sind die Nitrate bei erhöhter Temperatur ausgezeichnete O x y d a t i o n s m i t t e l . In w ä s s e r i g e r L ö s u n g wirken sie nur gegenüber s t a r k e n R e d u k t i o n s m i t t e l n (z. B. naszierendem Wasserstoff) oxydierend. Dabei können sie bis zu A m m o n i a k reduziert werden, wovon man in der analytischen Chemie sowohl zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s als auch zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g von Nitraten Gebrauch macht. Erhitzt man N a t r i u m n i t r a t N a N 0 3 längere Zeit mit N a t r i u m o x y d auf 340°, so geht es in Orthonitrat über: NaN0 3 + Na 2 0

>• Na 3 N0 4 .

Die diesem Orthonitrat zugrunde Hegende Orthosalpetersäure H 3 N 0 4 ist nicht beständig, sondern geht unter Wasserabspaltung in die normale (Meta-)Salpetersäure über: 1 Da3 mit der K o h l ensäureH 2 CO s isostere N i t r o n i u m - i o n H 2 N0 3 'zerfällt wie jene (S. 305) weitgehend unter Bildung des A n h y d r i d s (H 2 N0 3 * -> H 2 0 + Ñ0 2 ). Die so verursachte Verschiebung des obigen Dissoziationsgleichgewichts nach rechts bedingt dann die verhältnismäßig hohe elektrische Leitfähigkeit der wasserfreien Salpetersäure.

H o l e m a n n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37.—39. Aufl.

16

242

Die Stickstoffgruppe

H3N04 —>- H 2 0 + HN03. Durch Wasser wird das Orthonitrat hydrolytisch zu normalem (Meta-)Nitrat zersetzt: Na3N04 + 2H0H—>-2NaOH + NaH2N04-—^NaN03 + H 2 0. Auch das Natriumnitrit NaN02 bildet beim Erhitzen mit Natriumoxyd ein O r t h o s a l z :

NaN0 2 + Na 2 0

—Na3N03.

Es ist zum Unterschied vom weißen Orthonitrat gelb. ß) Salpetrige Säure Darstellung. Salpetrige Säure ist nur in verdünnten, kalten, wässerigen Lösungen und in Form ihrer Salze, der Nitrite, beständig. Diese Nitrite lassen sich entweder durch Einleiten eines äquimolekularen Gemischs von NO und N0 2 in Lauge (vgl. S. 237): + 2 N a Q H — ^ 2NaN02 + H20 oder durch Erhitzen von Nitraten (S. 241) — zweckmäßig bei Gegenwart eines schwachen Reduktionsmittels wie Blei —: NaN03 + P b ~ ^ NaN0* + P b 0 darstellen. Fügt man zu einer sehr v e r d ü n n t e n , kalten Nitritlösung die äquivalente Menge Säure hinzu, so entsteht eine verdünnte Lösung freier salpetriger Säure:

NaN0 2 + H 2 S0 4 — > NaHS0 4 + HN0 2 .

Eigenschaften. Beim Erwärmen — langsam auch schon bei Zimmertemperatur — und beim K o n z e n t r i e r e n zersetzt sich die salpetrige Säure in wässeriger Lösung leicht unter Disproportionierung in S a l p e t e r s ä u r e und S t i c k o x v d (2HN02 H 2 0 + NO + N0 2 ; 2N 0 2 + H 2 0 — HN02 + HNO3): 3HNOa

HNO3 + 2 NO + H 2 0 .

Entsprechend diesem leichten Übergang in eine höhere und eine tiefere Oxydationsstufe wirkt salpetrige Säure sowohl als Reduktions- wie als Oxydationsmittel. Als Reduktionsmittel (N02' + H 2 0 N0 3 ' + 2H- + 2 ©) tritt sie gegenüber starken Oxydationsmitteln wie Permanganat (Mn04' + 8H' + 5 © >- Mn" + 4H 2 0) oder Bleidioxyd (Pb0 2 + 4 H' + 2 9 Pb" + 2H 2 0) auf. Man benutzt die Reaktion mit Permanganat, um den Gehalt verdünnter Lösungen von salpetriger Säure maßanalytisch zu bestimmen. Als Oxydationsmittel (N02' + 2H' + © • — N O + H 2 0) oxydiert salpetrige Säure beispielsweise Jodide (2 J' z^ri: J 2 + 2©) und Eisen(Il)-salze (Fe" Fe'" -f- ö). S t a r k e Reduktionsmittel (z. B. Natriumamalgam, kathodische Reduktion) führen die salpetrige Säure über die Oxydationsstufe +2

+1

+1

desNO hinaus inDistickstoffoxydN 2 0, untersalpetrige SäureH 2 N 2 0 2 , Hydr-1

-3

oxylamin NH2OH oder Ammoniak NH3 über. Als Säure zählt die salpetrige Säure zu den mittelstarken bis schwachen Säuren (K = 4.5 Xl0^). Die wässerigen Lösungen ihrer Salze enthalten daher infolge Hydrolyse freie salpetrige Säure und sind infolgedessen wenig haltbar. Bis auf das in kaltem Wasser nur mäßig lösliche gelbe, kristalline Silbernitrit AgN02 sind die Nitrite in Wasser alle leicht löslich. Beim Übergießen von Nitriten mit konzentrierter Schwefelsäure entweichen braune Dämpfe von N0 2 (NaN02 + H 2 S0 4 —>- NaHS04 + HN0 2 ;2HN0 2 N 2 0 3 — > NO + N02). Hierdurch unterscheiden sich Nitrite von Nitraten. Die Konstitution der N i t r i t e ist eindeutig: £ 0 : : N : 0 : J . Dagegen kann die f r e i e s a l p e t r i g e S ä u r e in zwei tautomeren Formen vorliegen, da das Proton H+ einmal am Stickstoff und einmal am Sauerstoff (überwiegende Form) sitzen kann: ^ Ö::N:Ö:H

Ö::N:Ö: .

Der Stickstoff Dementsprechend (S. 204f.) — zwei verbindungen." R vorhandene freie

243

leiten sich von der salpetrigen Säure — ähnlich wie bei der schwefligen Säure Reihen organischer Derivate ab: „Salpetrigsäureester" ON(OR) und „NitroN 0 2 . Bei der S a l p e t e r s ä u r e , bei der das im Molekül der salpetrigen Säure Elektronenpaar am Stickstoff mit einem S a u e r s t o f f a t o m besetzt ist:

: Ö: 0 : : N: 0 : H , besteht diese Tautomeriemöglichkeit n i c h t (vgl. Anmerkung 2, S. 318).

Nitrosylverbindungen. Die salpetrige Säure bildet mit einer Reihe anderer Säuren g e m i s c h t e A n h y d r i d e : ON OH + H | X —>- O N X , welche man als Nitrosylverbindungen bezeichnet, da die einwertige NO-Gruppe Nitrosylgrupße genannt wird. Erwähnenswert sind die N i t r o s y l s c h w e f e l s ä u r e und das N i t r o s y l c h l o r i d . Nitrosylschwefelsäure (vgl. S. 547) kann aus s a l p e t r i g e r S ä u r e und S c h w e f e l s ä u r e oder aus S a l p e t e r s ä u r e und s c h w e f l i g e r S ä u r e gewonnen werden: yO

o2s/ x

;

\l - HÖiXO

OH

Schwefelsäure

salpetrige Säure

-



()

II>0

> o.s/

.ONO

\0II

Nitrosylschwefelsaure

w n

.!H + H Ö ! N 0 2 .

ots/

:

X)H

schweflige Säure

Salpetersäure

Die Reaktion muß unter möglichstem A u s s c h l u ß v o n W a s s e r durchgeführt werden, da die Nitrosylschwefelsäure durch Wasser augenblicklich in S c h w e f e l s ä u r e und s a l p e t r i g e S ä u r e rückzerlegt wird: HS0 4 |NÖ"+ HOiH — v

H 2 S 0 4 + HNO,.

(5)

Daher leitet man zur Darstellung entweder S a l p e t r i g s ä u r e - a n h y d r i d in k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure oder S c h w e f l i g s ä u r e - a n h y d r i d in k o n z e n t r i e r t e Salpetersäure. Als gemischtes Anhydrid der salpetrigen und Salpetersäure ( 2 N 0 2 + H 2 0 H N 0 2 + H N 0 3 ) gibt auch das S t i c k s t o f f d i o x y d N 0 2 sowohl mit S c h w e f e l - wie mit s c h w e f l i g e r S ä u r e Nitrosylschwefelsäure, wobei im ersten Fall außerdem S a l p e t e r s ä u r e , im letzteren Fall s a l p e t r i g e S ä u r e a u f t r i t t : 2 N 0 2 + H 2 0 + S 0 3 — H S 0 4 • NO + H N O s 2 N 0 2 + H 2 0 + S 0 2 — v H S 0 4 • NO + H N 0 2 .

(6) (7)

Die Reaktion (7) spielt sich bei W a s s e r m a n g e l in den B l e i k a m m e r n der Schwefelsäurefabriken ab, wobei sich die Nitrosylschwefelsäure in Form blättriger, weißer, oberhalb 50° schmelzender Kristalle („Bleikammerkristalle") abscheidet; bei g e n ü g e n d e r W a s s e r m e n g e bleibt die Verbindung nicht erhalten, da sie sich gemäß (5) zersetzt, so daß Schwefelsäure entsteht (S. 208). Die Reaktion (6) geht bei der Schwefelsäurefabrikation im GAY-LussAC-Turm vor sich; die gebildete Nitrosylschwefelsäure wird dabei von überschüssiger konzentrierter Schwefelsäure zu „nitroser Säure" {„Nitrose") gelöst (S. 208). I m G l o v e r t u r m (S. 208) wird die gelöste Nitrosylschwefelsäure durch schweflige Säure in S c h w e f e l s ä u r e und S t i c k o x y d umgewandelt: +6 +4 +6 +2 2 H S 0 4 • NO + 2H a O + S 0 2 • — 3 H 2 S 0 4 + 2 N O .

Nitrosylchlorid

ist das Anhydrid der salpetrigen und Salzsäure: ONjOH + HiCl

ONC1 + H a O

und wird durch Wasser leicht wieder rückwärts zu s a l p e t r i g e r und S a l z s ä u r e zersetzt. Dementsprechend muß man die Darstellung bei A u s s c h l u ß v o n W a s s e r (Einleiten von Chlorwasserstoffgas in flüssiges N 2 0 3 bei Gegenwart von Phosphorpentoxyd als wasserbindendem Mittel) vornehmen: N 2 0 8 + 2 HCl — 2 N O C 1 + H 2 0 . 16*

244

Die Stickstoffgruppe

Nitrosylchlorid ist ein rotbraunes Gas und läßt sich leicht zu einer gelbroten Flüssigkeit verdichten, welche bei —5.8° siedet und bei —61° zu gelben Kristallen erstarrt. Beim E r h i t z e n auf über 700° zerfällt es in S t i c k o x y d und C h l o r : 14.4 kcal + NOC1

NO + V2C12.

Umgekehrt kann Nitrosylchlorid bei t i e f e r e n T e m p e r a t u r e n aus Stickoxyd und Chlor gewonnen werden. y) Hydroxylamin Darstellung. Die Darstellung des Hydroxylamins NH 2 OH (H3NO) erfolgt zweckmäßig durch R e d u k t i o n h ö h e r e r O x y d a t i o n s s t u f e n des Stickstoffs. So kann man z . B . die S a l p e t e r s ä u r e mit Hilfe des e l e k t r i s c h e n S t r o m s kathodisch zu H y d r o x y l a m i n reduzieren; schematisch: H 3 N0 4 + 6H" + 6 © • — H 3 N O + 3 H 2 0 .

Als Elektrolyten benutzt man hierbei zweckmäßig eine Lösung von Salpetersäure in 50°/0iger Schwefelsäure, als Kathode eine Elektrode aus amalgamiertem Blei. Zur Reduktion der s a l p e t r i g e n S ä u r e eignet sich besonders die s c h w e f l i g e S ä u r e ; schematisch:

H3NOs

+

2H2S03

— > - H 3 NO + 2 H 2 S 0 4 .

Nach R A S C H I G verfährt man hierbei so, daß man konzentrierte Lösungen von N a t r i u m n i t r i t und N a t r i u m b i s u l f i t im Molverhältnis 1 : 2 zusammengibt. Als Zwischenprodukt tritt Natrium-hydroxy'amin-disulfonat N(S0 3 Na) 2 0H auf (S. 249), das in der Wärme durch Säuren in H y d r o x y l a m i n und B i s u l f a t gespalten wird. In beiden Fällen erhält man nicht das f r e i e H y d r o x y l a m i n , sondern S a l z e des Typus NH 2 OH- H X (HX = Säure). Die f r e i e B a s e NH 2 OH gewinnt man aus diesen Salzen durch Zugabe einer die Säure bindenden s t a r k e n Base. Nach L O B R Y DE B R U Y N (der im Jahre 1 8 9 1 erstmals das freie Hydroxylamin darstellte) verwendet man als Base zweckmäßig N a t r i u m m e t h y l a t NaOR (R = CH3) in m e t h y l a l k o h o l i s c h e r Lösung: NH 2 OH • H X + NaOR NH 2 OH + NaX + HÖR. Es scheidet sich dann das Natriumsalz der Säure H X aus, welches abfiltriert wird, worauf man den gleichzeitig gebildeten leichtflüchtigen Methylalkohol HÖR unter vermindertem Druck abdestilliert. Das hinterbleibende freie Hydroxylamin kann anschließend durch Vakuumdestillation rein erhalten werden. Da die Gewinnung der freien Base wegen der E x p l o s i o n s n e i g u n g des Hydroxylamins nicht gefahrlos ist, stellt man gewöhnlich aber nur die S a l z e her.

Eigenschaften. Reines Hydroxylamin kristallisiert in langen, dünnen, geruchlosen, durchsichtigen, farblosen Kristallen, die bei 33.1° schmelzen. Der Siedepunkt des flüssigen Hydroxylamins beträgt bei 22 mm Quecksilberdruck 56.5°. Hydroxylamin ist nur in vollkommen reinem Zustande einige Zeit haltbar. Unter gewöhnlichen Bedingungen z e r s e t z t es sich leicht, namentlich bei geringer E r w ä r m u n g . Gleiches gilt für die w ä s s e r i g e L ö s u n g . Und zwar geht Hydroxylamin in a l k a l i s c h e r Lösung vorwiegend in Ammoniak und S t i c k s t o f f (8), in s a u r e r Lösung hauptsächlich in Ammoniak und S t i c k o x y d u l über (9): -1 -3 ±0 3NH 2 OH

>- NH 3 + N s + 3 H 2 0 (alkalisch)

(8)

4NH 2 OH

>- 2NH 3 + N 2 0 + 3 H 2 0 (sauer).

(9)

-1

-3

+1

Der Zerfall wird in beiden Fällen durch eine Disproportionierung des Hydroxylamins in A m moniak NH 3 und D i h y d r o x y l a m in 1 NH(OH) 2 („untersalpetrige Säure"; Metaform: HNO) bedingt: 2NH 2 OH

• NH 3 + NH(OH)2,

(10)

welch letzteres in a l k a l i s c h e r Lösung mit überschüssigem H y d r o x y l a m i n unter Bildung von S t i c k s t o f f (11), in saurer Lösung (in welcher das Hydroxylamin als Hydroxylammonium-ion 1 In geringem Maße vermag sich das Dihydroxylamin weiter in Hydroxylamin und salpetrige Säure zu disproportionieren: 2NH(OH) 2 > NH 2 OH + N(OH)3.

Der Stickstoff

245

NH3OH" vorliegt und daher dem Angriff des Dihydroxylamins entzogen ist) mit sich s e l b s t unter Bildung von S t i c k o x y d u l reagiert1 (12): NH(OH)2 + NH2OH >- N2 + 3H 2 0 (11) NH(OH)2 + NH(OH)2 — v N 2 0 + 3H 2 0. (12) Die Disproportionierungsgleichung (10) folgt aus der Reaktion alkalischer Hydroxylaminlösungen mit komplexen Metallcyaniden, bei welcher unter Entbindung einer äquivalenten Menge NHS das NH(OH)2 als NO' (HN(OH)., ~ H , C V HNO NO') in die Komplexe eingebaut wird (vgl. S.548).

Oberhalb von 100° erfolgt die Zersetzung des reinen Hydroxylamins e x p l o s i o n s a r t i g . Dagegen sind die S a l z e des Hydroxylamins ziemlich beständig. Beim trockenen Erhitzen zersetzen sich allerdings auch sie unter Disproportionierung in Ammoniak (als Ammoniumsalz) und Stickstoff. Nach der Elektronentheorie der Valenz kann man dem Hydroxylamin keine eindeutige K o n s t i t u t i o n s f o r m e l zuweisen. Wahrscheinlich liegt eine T a u t o m e r i e der beiden Formeln H

II

H:N:

.

:0 : H

H:N:H

:O:

(I) (II) vor, wonach das Hydroxylamin sowohl als Hydroxylderivat des Ammoniaks (NH2OH) wie als Oxyd des Ammoniaks (NH 3 0) aufzufassen ist.

Als Hydroxylderivat des Ammoniaks bildet Hydroxylamin mit Säuren S a l z e , die man in Analogie zu den Ammoniumsalzen „Hydroxyl-ammoniumsalze" nennt: NH2OH + HCl — [ N H 3 O H ] C l vgl.

NH3 +

HCl

[NH 4 ]C1

2NH 2 0H + H 2 S 0 4 •—>- [NH 3 0H] 2 S0 4 2NHs +

H

2

S0

4

—[NH

4

]

2

S0

4

.

Da Hydroxylamin w e n i g e r b a s i s c h als Ammoniak ist, reagieren die Hydroxylammoniumsalze in wässeriger Lösung s t ä r k e r s a u e r als die Ammoniumsalze. Der s a u r e Charakter des Hydroxylamins ist nur s e h r s c h w a c h ausgeprägt. Immerhin gelingt es, durch Einwirkung von Natriummetall ein S a l z N a N H 2 0 darzustellen, das dem Natriumnitrit NaN0 2 entspricht, von dem es sich durch Ersatz eines Sauerstoffatoms durch zwei Wasserstoffatome ableitet. Hydroxylamin zeigt große Neigung, in eine höhere Oxydationsstufe überzugehen, und wirkt daher als starkes R e d u k t i o n s m i t t e l . So werden z. B . Kupfer(II)-salze zu Kupfer(I)-salzen, Quecksilber(I)- und Silber(I)-salze zu Metall reduziert. Als Oxydationsprodukt des Hydroxylamins entsteht dabei in der Hauptsache S t i c k s t o f f . Andere Oxydationsmittel (H 2 0 2 , KMn0 4 , NaOCl, J 2 ) oxydieren je nach den Bediu+ 1

+2

+3

+5

gungen zu N 2 0 , NO, H N 0 2 oder H N 0 3 . Erwähnt sei die Oxydation durch s a l p e t r i g e S ä u r e . Sie führt beim A m m o n i a k (a), wie auf S. 61 erwähnt, zu Stickstoff, beim H y d r o x y l a m i n (b) — das gegenüber dem Ammoniak noch ein Sauerstoffatom j e Molekül enthält — zu D i s t i c k s t o f f o x y d ; die Reaktion ist der Distickstoffoxydbildung aus A m m o n i a k und S a l p e t e r s ä u r e (S. 234) analog (c): Hk H;-)N - > - N = N ö'HHK (a)

0

0 Hk Nf; H!-)NO - > - N=NO x|ÖH"HK (b)

AO Hjv ONf i Hi-^N - > - ON=N. N |ÖH'HK (c)

Gegenüber starken Reduktionsmitteln wirkt Hydroxylamin als O x y d a t i o n s m i t t e l . So reduzieren z. B . Zinn(II)-, Vanadin(II)- und Chrom(II)-salze das Hydroxylamin zu Ammoniak. 1 Auch in a l k a l i s c h e r Lösung reagiert ein Teil des Dihydroxylamins ( ~ 10%) gemäß (12) unter Bildung der Oxydationsstufe des Stickoxyduls, hier in Form von H y p o n i t r i t : 2NH(OH;2 — H 2 N 2 0 2 + 2H a O.

Die Stickstoffgruppe

246

8) Untersalpetrige Säure Die untersalpetrige Säure kommt in zwei verschiedenen Formen, nämlich als monomere Verbindung HNO („Nitroxylwasserstoff"; ,,Nitroxylsäure") und als dimere Verbindung (HNO) 2 („untersalpetrige Säure" im engeren Sinne) vor 1 . Beide werden durch R e d u k t i o n h ö h e r e r O x y d a t i o n s s t u f e n des Stickstoffs gewonnen. Nitroxylsäure HNO. Läßt man a t o m a r e n W a s s e r s t o f f bei der Temperatur der flüssigen Luft auf S t i c k o x y d einwirken, so scheidet sich an den Wänden des Reaktionsgefäßes die Verbindung HNO als hellgelber, durchscheinender Überzug ab: H + NO — > • HNO. Bei Entfernung der Kühlung beginnt sich die Substanz bereits bei —95° zu zersetzen, wobei in der Hauptsache u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e (HNO)2 (80%), daneben D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 (20%) gebildet wird: 2 HNO • — ( H N O ) 2 2 HNO — > - H 2 0 + N 2 0 . Die S a l z e der Nitroxylsäure HNO („Nitroxylate") lassen sich in analoger Weise durch Einwirkung von N a t r i u m auf S t i c k o x y d (Einleiten von Stickoxyd in eine Lösung vonNatrium in flüssigem Ammoniak) gewinnen: „ „„ b Na + NO NaNO. Sie sind recht unbeständig und entwickeln beim Lösen in Wasser lebhaft N 2 0 : NaNO + HÖH >NaOH + HNO ( >- N 2 0 + HÜO). Das von der Nitroxylsäure HNO in alkalischer Lösung gebildete, 0 2 -isostere N i t r o x y l a t i o n N O ' ( N : : 0 ) spielt bei der Darstellung von NO-Komplexen mittels Hydroxylamin (vgl. S. 244f.) eine Rolie (S. 548). Untersalpetrige Säure (HNO)2. Die u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e besitzt die Struktur HON=NOH. Entsprechend dieser Formel erhält man sie ganz allgemein bei solchen Reaktionen, bei denen das Radikal > N O H auftritt. So entsteht sie z. B. bei der O x y d a t i o n von Hydro x y l a m i n H 2 NOH mit Kupfer-, Silber- oder Quecksilberoxyd (a), bei der R e d u k t i o n von s a l p e t r i g e r S ä u r e ONOH mit Natriumamalgam (b) und bei der Umsetzung von H y d r o x y l amin mit s a l p e t r i g e r S ä u r e (c): , NOH

NOH

;2H+0:N0H

NOH

H 2 jNOH

NOH

|0 + H 2 N 0 H

NOH

;2H + OjNOH

NOH

OiNOH

NOH

(a) (b) (c) Am bequemsten ist die Reduktion von salpetriger Säure. Zu diesem Zweck schüttelt man eine Nitritlösung unter Kühlung mit flüssigem Natriumamalgam (Na -f- HÖH >- NaOH + H), neutralisiert die Lösung nach Beendigung der Reaktion und fällt die gebildete untersalpetrige Säure mit Silbernitrat als unlösliches, gelbes Silberhyponitrit Ag 2 N 2 0 2 . Die r e i n e u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e bildet weiße, in trockenem Zustande äußerst explosive Kristallblättchen, die sich in Wasser sehr leicht lösen. Die wässerige Lösung reagiert s c h w a c h s a u e r und z e r f ä l l t langsam schon in der Kälte, schneller beim Erwärmen unter Bildung von Distickstoff oxyd N 2 0 : 2 H2N202 H20 + N20. Die Reaktion ist nicht umkehrbar, so daß N 2 0 nicht als Anhydrid der untersalpetrigen Säure angesprochen werden kann. Als z w e i b a s i g e S ä u r e bildet untersalpetrige Säure zwei Reihen von Salzen: sehr zersetzliche „saure Hyponitrite" Me T HN 2 0 2 und beständigere „neutrale Hyponitrite" Me 2 N 2 0 2 . Beide reagieren in wässeriger Lösung infolge weitgehender Hydrolyse a l k a l i s c h . Isomer(S. 514) mit der u n t e r s a l p e t r i g e n S ä u r e HON=NOH ist das N i t r a m i d H 2 N — N 0 2 , das sich von der Salpetersäure HO—N0 2 durch Ersatz der Hydroxylgruppe durch eine Amidgruppe ableitet. Es kristallisiert wie die untersalpetrige Säure in weißen Kristallen, die aber viel beständiger als die der untersalpetrigen Säure sind und bei 72—75* unter teilweiser Zersetzung schmelzen. Die wässerige Lösung reagiert s c h w a c h s a u e r und z e r f ä l l t wie die der untersalpetrigen Säure langsam — unter der katalytischen Wirkung von Alkalien momentan — unter Distickstoffoxyd-entwicklung: H2N202 N20 + H20. 1 Obwohl der rationelle Name für die Säure HNO gemäß den allgemeinen Richtlinien (S. 121) untersalpetrige Säure lauten müßte, bezeichnet man gewöhnlich nur die d i m e r e Verbindung (HNO)a als solche. Der in Analogie zur Sulfoxylsäure H 2 SO a (vgl. Anmerkung 1, S. 213) ebenfalls zu rechtfertigende Name Nitroxylsäure für die Verbindung HNO (NO' = Nitroxyl-ion) wird auch für die hydrosalpetrige Säure H 2 NO s (S. 239) verwendet.

Der Stickstoff

247

e) Schwefelverbindungen des Stickstoffs Unter den Verbindungen des Stickstoffs mit Schwefel seien die den Oxyden NO und N 0 2 entsprechenden Verbindungen (NS) 4 (goldgelbe Kristalle, Smp. 178°) und (NS 2 ) 2 (dunkelrote, in stärkeren Schichten schwarz erscheinende, sich schon bei 40° unter Schwefelabscheidung zersetzende Flüssigkeit) erwähnt. Weitere interessante Verbindungen mit Schwefel-Stickstoff-Bindung leiten sich vom Ammoniak NH 3 , Hydroxylamin NH 2 OH, HydrazinN 2 H 4 , DiimidN 2 H 2 und von der Stickstoffwasserstoffsäure N 3 H durch Ersatz eines oder mehrerer Wasserstoffatome durch den einwertigen Rest — S 0 3 H bzw. den zweiwertigen Rest > S 0 2 der Schwefelsäure (vgl. S. 211) ab. Schwefelstickstoff (NS) 4 . In analoger Weise, wie durch Verbrennung von Ammoniak Stickoxyd NO gebildet wird (S. 235, 239): 4NH 3 + 100 4NO + 6H 2 0, entsteht bei der Umsetzung von S c h w e f e l mit A m m o n i a k (Auflösen von Schwefel in flüssigem Ammoniak) Schwefelstickstoff N S : 4NH 3 + 10S

4NS + 6H 2 S.

Der dabei gleichzeitig auftretende Schwefelwasserstoff wird von überschüssigem Ammoniak als Ammoniumsulfid (NH 4 ) 2 S gebunden und zweckmäßig als Metallsulfid aus dem Gleichgewicht entfernt: (NH 4 ) 2 S + 2AgJ —>- Ag 2 S + 2 N H 4 J . Zum Unterschied vom monomeren Stickstoffoxyd ist das Stickstoffsulfid t e t r a m o l e k u l a r : (NS) 4 . Seine M o l e k u l a r s t r u k t u r wird durch die Formel : N i l : : S:

N = S= N

: S:

11 + •• :N: S::N:

Elektronenf onnel 1

S

S

I i N = S= N

Valenzstrichforme 12

wiedergegeben, die an die Struktur der S 8 -Moleküle des Schwefels (S. 187) anklingt und in welcher der S t i c k s t o f f den e l e k t r o n e g a t i v e n , der S c h w e f e l den e l e k t r o p o s i t i v e n Bestandteil darstellt 3 . Entsprechend dieser Polarität wird der Schwefelstickstoff bei der Hydrolyse primär unter Bildung von 4 Mol A m m o n i a k NH 3 , 2 Mol S u l f o x y l s ä u r e S(OH) 2 und 2 Mol s c h w e f l i g e r S ä u r e S(OH) 4 ( — H 2 S 0 3 + H 2 0 ) zersetzt. Sulfoxylsäure und schweflige Säure reagieren dann je nach dem p H -Wert der Lösung mehr oder minder vollständig gemäß (14) bzw. (16) (17) — S. 213 f. — unter Bildung von Trithionat, Sulfit und Thiosulfat weiter. Die Bildungswärme des Schwefelstickstoffs ist noch s t ä r k e r n e g a t i v als die des Stickoxyds: (NS)4

vgl.

2N 2 + 4S + 128 kcal,

4NO — v 2N2 + 20 2 + 86 kcal.

Daher z e r f ä l l t der Schwefelstickstoff beim E r h i t z e n oder durch S t o ß e x p l o s i o n s a r t i g in seine Elemente. 1 Die beiden kovalenten Doppelbindungen des Ringmoleküls sind nicht fixiert. Vielmehr bilden die über die einfache Kovalenz hinaus vorhandenen Doppelbindungselektronen (,,n-Elektronen") eine Art von elektrischem „Ringstrom" um das Molekül, so daß alle Atome an den Doppelbindungen teilhaben. Der Ringstrom macht sich — analoges gilt für die Doppelbindungen des Benzols (S. 302) und seine Derivate — durch einen gegenüber dem berechneten Diamagnetismus wesentlich erhöhten Diamagnetismus (vgl. S. 494) bemerkbar. 2 Gemäß der Elektronenformel sind zwei der vier Doppelbindungen des Moleküls semipolar. 3 Der Schwefelstickstoff ist also als S c h w e f e l n i t r i d und nicht als S t i c k s t o f f s u l f i d aufzufassen.

Die Stickstoffgruppe

248

Bei der R e d u k t i o n m i t n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f geht der Schwefelstickstoff in eine W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g über, welche zum Unterschied von dem entsprechenden Stickoxyd-Derivat — HNO bzw. (HNO) 2 — t e t r a m o l e k u l a r ist — (HNS) 4 - und die Formel H:N: S:N:H HN-S-NH :S: ":S: S S H:N:S:N:H HN —S — NH Elektronenformel Valenzstrichformel besitzt, wonach sie sich vom S 8 -Molekül des Schwefels (S. 187) durch Ersatz jedes zweiten Schwefelatoms (—S—) durch eine Iminogruppe (—NH—) ableitet 1 . Bei der Hydrolyse geht dieser Tetrahydro-schwefelstickstoff (Thiazylwasserstoff) primär in 4 Mol N H 3 und 4 Mol Sulfoxylsäure S(OH) 2 über, wie durch Hydrolyse in Gegenwart von schwefliger Säure gezeigt werden kann, bei welcher gemäß (14) — S. 213 — als Hauptprodukt Trithionat entsteht. Mit H a l o g e n e n vereinigt sich der Schwefelstickstoff zu „Thiazylhalogeniden", welche zum Unterschied von den monomolekularen Nitrosylhalogeniden das der Formel (NSX)g entsprechende Molekulargewicht besitzen und in ihrer Struktur den trimeren Phosphornitrilhalogeniden (PNX 2 ) 3 (S. 273f.) entsprechen: C1 Cl2 N N C1S SCI \ N / trimeres Thiazy Ichlorid2

/ N\

N

C12P

PC12 V / trimeres Phosphornitrilchlorid2.

Die zweite Schwefel-Stickstoff-Verbindung, N 2 S 4 , besitzt die Konstitution :N::S:N: : S : S : S: Elektronenformel

N=S=N S1 — S— k Valenzstrichformel

Sie stellt also kein Analogon zur Sauerstoffverbindung N 2 0 4 dar und besitzt auch nicht wie diese die Neigung, in Radikale NS 2 zu dissoziieren. Sulfonsäuren des Ammoniaks. L ä ß t man eine konzentrierte N a t r i u m b i s u l f i t lösung unter Eiskühlung auf N a t r i u m n i t r i t einwirken, so erfolgt nach dem Schema /¡OH + H;S03H N^—i OH + Hj S0 3 H N o H + HjSOsH salpetrige Säure

schweflige Säure

/ S 0 3 H + HÖH N^-S0 3 H + HÖH \ S 0 3 H + HÖH

(1)

Nitrldosnlionsäure

die Bildung des in Wasser leicht löslichen Natriumsalzes der „Nitrido-sulfonsäure" N(S0 3 H) 3 . Durch Zusatz einer kalt gesättigten K a l i u m c h l o r i d - l ö s u n g kann diese Verbindung als schwerlösliches K a l i u m s a l z N(S0 3 K) 3 auskristallisiert werden. I n s a u r e r L ö s u n g unterliegt die Sulfonsäure der H y d r o l y s e . Diese führt aber nicht in Umkehrung der Bildungsreaktion (1) zur Stufe der s a l p e t r i g e n und 1 Auch ein Derivat S7(NH) des Ss-Moleküls ist bekannt („Heptaschwefelimid"; Smp. 113°). Der Wasserstoff dieser Verbindung ist durch viele einwertige organische und anorganische Reste R (z.B.2 die Acetylgruppe CH3CO oder die Sulfonsäuregruppe S03H) ersetzbar. Die drei Doppelbindungen des Moleküls sind semipolar.

Der Stickstoff

249

schwefligen Säure zurück, sondern ergibt als Endprodukte Ammoniak (als Ammoniumsalz) und Schwefelsäure (als Bisulfat): /jS0jH+~HC)jH N ^ - j s o j H + HÖlH

/ H + H2S04 —>

N ^ - H + H2S04 •

\|SÖ»H+"HÖ|H

\H + H2S04

Als Zwischenprodukte treten dabei „Imido-sulfonsäure" N(S0 3 H) 3 Nltridosulfons&ure

j g *

>

(2)

NH(S0 3 H) 2 Imidosulfons&ure

und „Amido-sulfonsäure"

NH 2 (S0 3 H) Amidosulfonsäure

NH 3 . Ammoniak

auf: (3)

Die hydrolytische Abspaltung der ersten Sulfogruppe erfolgt schon beim S t e h e n lassen der sauren Lösung; die weitere Hydrolyse schreitet erst beim K o c h e n mit genügender Geschwindigkeit fort. In Umkehrung der Hydrolysereaktion (3) können die Sulfonsäuren des Ammoniaks auch rückwärts aus Ammoniak und Schwefelsäure gewonnen werden. Allerdings muß man dann unter weitgehendem Ausschluß von Wasser arbeiten. Leitet man z. B. S c h w e f e l t r i o x y d in k o n z e n t r i e r t e wässerige Ammoniaklösungen ein, so entsteht über die Stufe der Amido-sulfonsäure hinweg in sehr guter Ausbeute das Triammonium-salz (s. unten) der I m i d o - s u l f o n s ä u r e : NH 3

NH 2 (S0 3 H)

_h,SO'' *- NH(S0 3 H) 2 .

+

(4)

Die Imido-sulfonsäure NH(S0 3 H) 2 ist nur in L ö s u n g , nicht aber in f r e i e m Z u s t a n d bekannt. Sie ist dadurch ausgezeichnet, daß sich nicht nur die Wasserstoffatome der S u l f o gruppen —S0 3 H durch Metalle ersetzen lassen, sondern daß auch das am S t i c k s t o f f sitzende Wasserstoffatom sauren Charakter besitzt. So entsteht beispielsweise bei Zugabe von gelbem Q u e c k s i l b e r o x y d zum gelben Kaliumsalz NH(S0 3 K) 2 das sehr schwer lösliche, weiße Quecks i l b e r s a l z Hg[N(S0 3 K) 2 ] 2 . Auch ein Kaliumsalz K[N(S0 3 K) 2 ] und ein Ammoniumsalz NH 4 [N(S0 3 NH 4 ) 2 ] sind bekannt. Gleiches gilt von der — sehr beständigen und vorzüglich kristallisierenden — Amido-sulfonsäure NH 2 (S0 3 H). Auch ihre Salze reagieren mit einer Reihe von Metalloxyden unter Bildung gut kristallisierter Verbindungen mit Metall-Stickstoff-Bindung: HgN(S0 3 Na), AgNH(S0 3 K), Au 2 (NS0 3 K) 3 . In besonders bequemer Weise kann die Amido-sulfonsäure gewonnen werden, wenn man statt von salpetriger Säure — vgl. Reaktionen (1) und (3) — von H y d r o x y l a m i n ausgeht, welches bereits die beiden Wasserstoffatome am Stickstoff trägt und bei der Umsetzung mit s c h w e f l i g e r S ä u r e (Sättigen einer konzentrierten Lösung von salzsaurem Hydroxylamin mit Schwefeldioxyd) in einer der Reaktion (1) analogen Reaktion in A m i d o - s u l f o n s ä u r e übergeht: M H N^H jOH + H|S0 3 H

— v

NfH \ S 0 3 H + HÖH .

(5)

Sulfonsäuren des Hydroxylamins. Wendet man bei der Einwirkung von Natriumbisulfit auf Natriumnitrit (1) nicht 3 Mol, sondern nur 2 Mol Sulfit je Mol Nitrit an, so entsteht — in analoger Weise wie dort — das Natriumsalz der „Hydro xylamindisulfonsäure": "jOH + H j S 0 3 H •|ÖH'+H|S0 3 H \0H

/ S 0 3 H + HÖH — >

N^-SOsH + HOH,

(6)

\OH

das durch Umsetzung mit K a l i u m c h l o r i d als schwerlösliches K a l i u m s a l z ausgefällt werden kann. Auch hier — vgl. (2) — führt die Hydrolyse in saurer Lösung nicht zur Stufe der salpetrigen und schwefligen Säure zurück, sondern ergibt letztlich H y d r o x y l a m i n (als Sulfat) und S c h w e f e l s ä u r e ; als Zwischenstufe tritt dabei — vgl. (3) — „Hydroxylamin-monosulfonsäure" auf:

250

Die Stickstoffgruppe N(S0 3 H) 2 0H

NH(S0 3 H)0H

NH 2 OH.

Die Reaktion dient zur Darstellung von Hydroxylamin (S. 244). Die Hydroxylamin-monosulfonsäure und die Hydroxylamin-disulfonsäure kommen in je zwei i s o m e r e n Formen vor, da im Hydroxylamin-Molekül einmal der an S t i c k s t o f f gebundene Wasserstoff und einmal der an S a u e r s t o f f gebundene Wasserstoff durch die Sulfogruppe — S 0 3 H ersetzt sein kann: /S03H N^-H \OH

/H N^-H \ 0 S0 3 H

Hydroxylamin-monosulfonsäure

Hydroxylamin-lso-monosulfonsäure

/S03H N^-S0 3 H \OH

/S03H Nf-H NO • S 0 3 H

Hydroxylamin-disulfonsäure

Hydroxylamin-Iso-dlsulfons&ure

Von beiden Formen sind Salze bekannt. Die Einführung einer Sulfogruppe am Sauerstoff gelingt z. B. mit C h l o r s u l f o n s ä u r e : H 2 NOj H + Cl|S0 3 H >- H2NO • S 0 3 H . Oxydiert man das Kaliumsalz der Hydroxylamin-disulfonsäure mit Kaliumpermanganat, so erhält man eine schön violette Lösung; sie enthält das Kaliumsalz der „Nitroso-disulfonsäure": 2H0-N(S03K)2

20=N(S0sK)2,

einer Verbindung mit vier w e r t i g e m Stickstoff. Im festen Zustande sind die Salze orangegelb und haben die doppelte Molekulargröße. Die Nitroso-disulfonsäure zeigt also die gleiche Neigung zur Dimerisation wie das Stickstoffdioxyd, das sich ja ebenfalls vom vierwertigen Stickstoff ableitet: 2N02 ^

[N0 2 ] a

braun

farblos

2N0(S03K)2Ä violett

[N0(S0 3 K) 2 ] 2 . gelb

Hier wie dort hellt sich die Farbe bei der Dimerisierung auf. Verdünnung (Expandieren des NjjOi-Dampfes, Auflösen des [N0(S0 3 K) 2 ] 2 in Wasser) verschiebt in beiden Fällen entsprechend dem Massenwirkungsgesetz das Gleichgewicht nach links. Sulfonsäurcn des Hydrazins, des Diimids und der Stickstollwasserstoflsäure. In analoger Weise wie beim A m m o n i a k (4) kann auch beim Hydrazin durch Einwirkung von S c h w e f e l s ä u r e ( S c h w e f e l t r i o x y d ) ein Wasserstoffatom durch den —S0 3 H-Rest ersetzt werden: H2N-NH2

H 2 N—NH(S0 3 H).

Es entsteht so ein Salz der „Hydrazin-monosulfonsäure". Die Einführung zweier —S0 3 H-Reste in das Hydrazin-molekül gelingt mit Hilfe von C h l o r s u l f o n s ä u r e : HNiH + Cl:S0 3 H 3 Ij 1 HN:H + C1;S0 3 H

v

HN • S 0 3 H + HCl 3 1 H N - S 0 3 H + HC1

Während es nicht gelingt, das Hydrazin NH 2 —NH 2 in ein „Diimid" N H = N H überzuführen, kann man die obige „Hydrazin-disulfonsäure" N 2 H 2 (S0 3 H) 2 zur D i s u l f o n s ä u r e des D i i m i d s („Azo-disulfonsäure") N 2 (S0 3 H) 2 oxydieren. So liefert das Pyridinsalz der Hydrazin-disulfonsäure bei der Behandlung mit verdünnter, stark alkalischer Natriumhypochloritlösung und Zugabe von Kaliumchlorid das gelbe K a l i u m - a z o - d i s u l f o n a t : HN-SO 3 H HN • S 0 3 H

+ 0

N-SO 3 H N • S03H '

welches beim E r w ä r m e n auf 80° sowie beim V e r r e i b e n heftig e x p l o d i e r t . Ebenso wie man das Hydrazin durch Oxydation mit salpetriger Säure in Stickstoffwasserstoffsäure umwandeln kann (S. 231), kann man auch die Hydrazin-sulfonate in die — explosiven — Sulfonate der Stickstoffwasserstoffsäure („Azido-sulfonate") überführen: N 2 H 3 (S0 3 H) + HN0 2 — N 3 ( S 0 3 H ) + 2 H 2 0 .

Der Phosphor

251

Sulfurylverbindungen des Ammoniaks. Je nachdem man im Ammoniak zwei Wasserstoffatome zweier v e r s c h i e d e n e r Moleküle oder zwei Wasserstoffatome des g l e i c h e n Moleküls durch den zweiwertigen > S 0 2 - R e s t ersetzt, kommt man zum „Sulfamid" (Smp. 92°) oder zum „ S u l f i m i d " (Smp. 165°):

gg>so 2

hn=so2.

Beide Verbindungen entstehen nebeneinander bei der Einwirkung von trockenem A m m o n i a k auf S u l f u r y l c h l o r i d (2NH 3 + C1 2 S0 2 —*(NH 2 ) 2 S0 2 + 2HC1; NH 3 + C 1 2 S 0 2 — > N H S 0 2 + 2HCl) oder von A m m o n i a k auf S c h w e f e l t r i o x y d (2NH 3 + S 0 3 — > ( N H 2 ) 2 S 0 2 + H 2 0 ; NH 3 + S 0 3 — > N H S 0 2 + H 2 0 ; vgl. S. 200f.). Auch hier (vgl. S. 249) zeigen die am Stickstoff gebundenen Wasserstoffatome s a u ren Charakter. So bildet das Sulfamid in ammoniakalischer Lösung mit Silbernitrat ein Silbersalz S0 2 (NHAg) 2 , und in gleicher Weise liefert das Sulfimid gut ausgebildete Salze wie SOüNNa und S0 2 NAg. Das Sulfimid und seine Salze sind p o l y m e r (trimer oder tetramer) und besitzen im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187) eine der Formel des polymeren Schwefeltrioxyds (vgl. S. 269) entsprechende r i n g f ö r m i g e Struktur ohne Doppelbindungen 1 : H A

02S/ I

\S02 I

HN. /NH \S/

02

02 HN-S-NH

I

| so2 .

| | HN-S-NH

02

Bei Gegenwart von Schwefelsäure polymerisiert sich Sulfimid zu kettenförmigen Sulfimidsulfonsäuren H 0 3 S — (HNS0 2 ) n — OH. Erhitzt man Sulfamid vorsichtig auf 180—200°, so lagert es sich unter Ringschluß in das Ammoniumsalz des trimeren Sulfimids u m : 3 S 0 2 ( N H 2 ) 2 — • (S0 2 NH) 3 + 3 N H 3 ^(S02NH-NH3)3.

2. Der Phosphor a) Elementarer Phosphor a) Vorkommen Phosphor kommt in der Natur wegen seiner großen Affinität zum Sauerstoff nicht in f r e i e m Z u s t a n d e , sondern nur in Form von D e r i v a t e n d e r P h o s p h o r s ä u r e H 3 P 0 4 vor. Die wichtigsten natürlichen Mineralphosphate sind Phosphorit Ca 3 (P0 4 ) 2 und Apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • Ca(Cl,F) 2 , also C a l c i um-phosphate. Nur vereinzelt finden sich E i s e n - und A l u m i n i um-phosphate: Vivianit (Blaueisenerz) Fe 3 (P0 4 ) 2 • 8 H 2 0 und Wavellit 4A1P0 4 • 2A1(0H) 3 • 9 H 2 0 , sowie Phosphate der s e l t e n e n E r d e n : z. B. Monazit CeP0 4 . Wichtig ist der Phosphatgehalt mancher E i s e n e r z e , vor allem der lothringischen Eisenerze („Minette") und der nordschwedischen Eisenerze („Magnetite"); er fällt bei der Eisenerzeugung als „Thomasmehl" (S. 531 f.) an. Weiterhin bilden Verbindungen der Phosphorsäure einen wesentlichen Bestandteil des p f l a n z l i c h e n u n d t i e r i s c h e n O r g a n i s m u s . So enthält pflanzliches wie tierisches E i w e i ß Phosphor in organischer Bindung. Blut, Eidotter, Milch, Muskelfasern, 1 Analog den ähnlich gebauten Metaphosphimsäuren (S. 274) treten auch die Sulfimide (— NH — SOj —)n in tautomeren Formen auf, die hier wie dort dadurch zustande kommen, daß die Wasserstoffatome zwischen Stickstoff und Sauerstoff zu wandern vermögen. Die Hydroxylform des Sulfimids, [ — N = SO(OH) —] n , ist z . B . in Form des Säurechlorids [— N = SOCl— ]„ faßbar.

Die Stickstoffgruppe

252

Nerven- und Hirnsubstanz sind besonders phosphorreich. Die Schalen von Krebsen und Muscheln, die Haare, Klauen, Zähne und vor allem die Knochen der Wirbeltiere enthalten Phosphor als Carbonat-apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 Ca(HCO s )OH oder Hydroxyl-apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • Ca(OH) 2 . Reich an Phosphor sind auch die menschlichen und tierischen Exkremente. Ein großer Teil der heutigen P h o s p h a t l a g e r geht auf Ablagerungen von tierischen Ausscheidungen und Anhäufungen von Tierleichen in früheren Zeitepochen zurück. Noch heute beobachtet man auf Inseln des Stillen Ozeans und der Südsee die Entstehung solcher gewaltiger Kotablagerungen in Form der „Guano"bildung, indem dort die Seevögel ein Gemisch von Calciumphosphat und harnsauren Salzen als „Guano" abscheiden, welcher schon lange als S t i c k s t o f f - und P h o s p h a t d ü n g er bekannt ist und bei der Verwitterung und Verwesung (Zersetzung der organischen Stoffe zu Kohlensäure und Ammoniak) in P h o s p h o r i t übergeht. Besonders wichtige Phosphoritlager finden sich in Nordafrika und in Florida. ß) Darstellung Weißer Phosphor. Der weiße Phosphor (S. 253f., 255f.) läßt sich aus dem Anhydrid der Phosphorsäure, P 2 0 6 , durch Reduktion mit K o h l e n s t o f f bei hoher Temperatur darstellen: P 2 0 6 + 5C

>- 2 P + 5CO.

(1)

Das dazu erforderliche P h o s p h o r p e n t o x y d P 2 0 6 gewinnt man bei der t e c h n i s c h e n Phosphordarstellung in einem Arbeitsgang mit dieser Reduktion, indem man ein Gemisch von C a l c i u m p h o s p h a t (Phosphorit), Q u a r z s a n d und K o k s im e l e k t r i s c h e n O f e n auf 1300—1450° erhitzt. Dabei setzt die Kieselsäure als weniger flüchtige Säure die Phosphorsäure in Freiheit: Ca 3 (P0 4 ) 2 + 3 S i 0 2

>- 3 C a S i 0 3 +

Ps06

(2)

welche dann durch den Koks gemäß (1) reduziert wird. Als Summe von (1) und (2) ergibt sich damit die Gesamtgleichung: Ca 3 (P0 4 ) 2 + 3 S i 0 2 + 5C

3 C a S i 0 3 + 2 P + SCO.

Hohle-Elektrode-

Schlackenabstich

ßektrischer Ofen Fig. 85. Darstellung von gelbem Phosphor im elektrischen Ofen

Als elektrischen Ofen benutzt man (Fig. 85) einen mit feuerfesten Steinen ausgemauerten, 20 m hohen Schachtofen aus Eisen, dessen Boden und untere Seitenpartien mit einer Elektrodenmasse aus Koks und Pech ausgefüttert sind. Durch den mit einer gasdicht verschließbaren Einfüllöffnung für das Beschickungsgemisch versehenen, isoliert aufgeschraubten Eisendeckel führt die auf und ab bewegbare Kohlenelektrode. Oben seitlich befindet sich die Ausfcrittsöffnung für die abziehenden Gase, Phosphor und Kohlenoxyd, unten die Abstichöffnung für die Calciumsilicatschlacke. Zwischen den Elektroden des Ofens geht ein Lichtbogen über ;die Phosphat—Koks—QuarzBeschickung wird etwa jede halbe Stunde nachgesetzt, die Calciumsilicat-schlacke etwa alle Stunden abgestochen. Die aus dem Ofen entweichenden, hauptsächlich aus

Der Phosphor

253

Phosphordampf und Kohlenoxyd bestehenden Gase gehen durch eine Staubkammer und treten dann in mehrere hintereinander geschaltete, mit Wasser gefüllte Kondensationsgefäße, in denen sich der Phosphor unten als geschmolzener ,,gelber Phosphor" ( 9 0 ° / o ) und darüber als ,,Phosphorschlamm" (10°/o) — d. h. als durch Staubteilchen verunreinigter Phosphor — abscheidet. Der durch Destillation gereinigte Phosphor kommt in Stangenform gegossen als ,,weißer Phosphor" in den Handel.

Roter Phosphor. Der r o t e P h o s p h o r (S. 254, 256) entsteht aus dem w e i ß e n durch E r h i t z e n auf 250°. Da bei dieser Umwandlung eine erhebliche Wärmemenge frei wird (4.22 kcal/Grammatom = 136 kcal/kg), erhitzt man bei der t e c h n i s c h e n Darstellung, die in geschlossenen eisernen Kesseln erfolgt, ganz l a n g s a m (im Laufe von 20—30 Stunden) auf die Umwandlungstemperatur. Erst nach dem Nachlassen der Wärmeentwicklung wird die Temperatur auf 300—350° gesteigert. Geringe Mengen J o d beschleunigen den Vorgang außerordentlich (vgl. S. 255). Der entstehende violettrote, spröde Phosphorkuchen wird nach dem Erkalten in einer Naßmühle gemahlen, durch mehrstündiges Kochen mit Natronlauge von weißem Phosphor befreit (S. 256), getrocknet und in Blechdosen verpackt. Y) Modifikationen Der Phosphor kommt in drei definierten kristallinen Modifikationen als w e i ß e r , v i o l e t t e r („roter") und s c h w a r z e r Phosphor vor. Ihre t h e r m o d y n a m i s c h e S t a b i l i t ä t nimmt in der genannten Reihenfolge zu. Doch ist die U m w a n d l u n g s g e s c h w i n d i g k e i t unter normalen Bedingungen so klein, daß der weiße und violette Phosphor bei Zimmertemperatur und Atmosphärendruck neben dem hier thermodynamisch allein stabilen schwarzen Phosphor als m e t a s t a b i l e Modifikationen existenzfähig sind. Der weiße P h o s p h o r Ausgangsmaterial f ü r die Darstellung aller Phosphormodifikationen ist der weiße Phosphor. Er bildet eine in der Kälte spröde, bei Zimmertemperatur wachsweiche, farblose, durchscheinende Masse, welche bei 44.1° zu einer farblosen, stark lichtbrechenden Flüssigkeit schmilzt und beim schnellen Erhitzen bei 280° unter Bildung eines farblosen Dampfes siedet. I n Wasser ist er nur spurenweise, in Schwefelkohlenstoff leicht löslich. Lösung und Dampf enthalten P 4 -Moleküle, die oberhalb von 800° C in P 2 -Moleküle zerfallen. Bei 1200° und Atmosphärendruck beträgt der Dissoziationsgrad etwa 50%. Oberhalb von 2000° zerfallen auch die P a -Moleküle in P-Atome. Die vier Phosphoratome des P 4 -Moleküls sind t e t r a e d r i s c h in der Weise angeordnet, daß jedes Phosphoratom durch drei e i n f a c h e Bindungen mit drei anderen Phosphoratomen verknüpft ist (Mg. 86). Auf diese Weise weicht der Phosphor im Einklang mit der D o p p e l b i n d u n g s r e g e l Fig. 86. Tetraedrische (S. 187, 268) einer M e h r f a c h b i n d u n g aus 2 , wie sie beim Molekularformel des weißen Phosphors Pj 1 . leichteren Homologen der ersten Achterperiode, dem zweiatomigen S t i c k s t o f f N = N auftritt. 1

folgt:

J

Als V a l e n z s t r i c h f o r m e l in die Ebene projiziert lautet die Baumformel P 4 (Fig. 86) wie p

p — p

Die Molekulargröße P 4 ist der k l e i n s t e Molekularverband, zu welchem sich dreiwertige Phosphoratome ohne Ausbildung von Mehrfachbindungen zusammenschließen können. Über h ö h e r m o l e k u l a r e Phosphorstrukturen vgl. S. 254f.

Die Stickstoffgruppe

254

Da drei Phosphoratome jeweils ein gleichseitiges Dreieck (Tetraederfläche) bilden, beträgt der Valenzwinkel 60°. Dieser Bindungswinkel ist anomal klein. Daher ist der weiße Phosphor instabil. Steigert man die Temperatur genügend hoch, so zerfallen die P 4 -Moleküle, und die Atome ordnen sich neu, derart, daß der Bindungswinkel normal (100—110°) wird (s. unten). Bei 200° beginnt diese Umwandlungsreaktion ganz langsam. Bei 250° wird sie schon so schnell, daß die Hauptmenge im Laufe eines Tages reagiert. D e r v i o l e t t e (rote) P h o s p h o r Bei der Umwandlung des weißen Phosphors entstehen zunächst rote schleimige Produkte, die im Laufe der Reaktion fester und fester werden. Auch in ihnen ist jedes Phosphoratom von drei anderen umgeben, aber derart, daß sich ein u n r e g e l m ä ß i g e s , räumliches Netzwerk bildet. Da nur in einem geordneten Kristallgitter die Bindungswinkel und Bindungslängen die optimalen Werte besitzen, folgt, daß in dem amorphen Netzwerk örtliche Spannungen herrschen müssen. Es gibt viele Atome, deren Valenzen nicht in der „richtigen" Weise durch Nachbaratome abgesättigt sind, da sie von anderen benachbarten Atomen des unregelmäßigen Netzwerkes daran gehindert werden, die optimalen Lagen einzunehmen. So ist frisch gebildeter, noch hellrot gefärbter Phosphor instabil und äußerst reaktionsfähig. Bei längerem Erhitzen auf höhere Temperaturen tritt eine gewisse Ordnung ein, wobei sich die rote Farbe vertieft. Aber erst bei etwa 450° C werden die durch drei kovalente Bindungen fest fixierten Atome so weit beweglich, daß sie sich zu einem Kristallgitterverband ordnen können. Dieses Gitter ist zunächst immer noch stark gestört, und man muß 1—2 Wochen auf über 550° C erhitzen, um Kristalle zu erhalten, die mit bloßem Auge erkennbar sind. Die gleichen Kristalle gewann erstmals d e r d e u t s c h e P h y s i k e r JOHANN WILHELM HITTORF (1824—1914), als er P h o s p h o r a u s

einer Bleischmelze umkristallisierte. Dieser

„HiTTORFSche

Phosphor"

i s t v i o l e t t s t i c h i g r o t („violetter

Phosphor")

und

kristallisiert monoklin in einem kompliziert gebauten Schichtengitter. Die Kristalle sind tafelförmig ausgebildet und lassen sich wie Glimmer spalten. Ihr spezifisches Gewicht beträgt 2.36, während das der amorphen Produkte geringer ist. Der Schmelzpunkt des HiTTORFschen Phosphors liegt bei etwa 620° C, der des amorphen roten Phosphors je nach seiner Vorgeschichte bis zu 30° tiefer. Die Störung des geordneten Kristallgitters wirkt sich also in gleicher Weise aus wie die Beimengung einer Fremdsubstanz. Der schwarze Phosphor Der schwarze Phosphor ist spezifisch dichter (2.67) als der weiße (1.82) und der violette (2.36). Hoher Druck begünstigt daher seine Entstehung. So wurde er erstmals dadurch hergestellt, daß weißer Phosphor bei 200° C einem Druck von 12000 Atmosphären ausgesetzt wurde 1 . Erhitzt man weißen Phosphor in Gegenwart von metallischem Q u e c k s i l b e r als Katalysator 5 Tage lang auf 380°C und gibt nach Möglichkeit noch I m p f k r i s t a l l e von schwarzem Phosphor hinzu, so entsteht der schwarze Phosphor auch o h n e Anwendung eines äußeren Druckes. Die s c h w a r z e Modifikation ist die bis 550° C t h e r m o d y n a m i s c h s t a b i l s t e . Darüber hinaus bis zum Schmelzpunkt (620° C) stellt der HITTORE s e h e P h o s p h o r die beständigste Phase dar. Der schwarze Phosphor bildet ein aus parallel übereinander liegenden Doppelschichten gebildetes Gitter rhombischer Symmetrie (Fig. 87). I n der oberen und unteren Schichthälfte Hegen parallel zueinander Zickzackketten aus Phosphoratomen. Die dritte noch freie Valenz eines jeden Atoms dieser Ketten verknüpft die Ketten der oberen und unteren Schichthälfte miteinander. So entstehen gemäß Fig. 87 1 Bei Anwendung sehr hoher Drucke (100000 at) genügt zur quantitativen Umwandlung von weißem in schwarzen Phosphor schon ein kurzer S t o ß d r u c k .

Der Phosphor

255

gewellte Sechsringebenen. Der Abstand zwischen direkt miteinander verbundenen Atomen beträgt 2.18 A. Es ist auffallend, daß der Abstand zwischen nächst benachbarten Atomen zweier Ketten der gleichen Schichthälfte mit 3.24 Ä verhältnismäßig gering ist. Dies ist auf Bindungskräfte zurückzuführen, die auch für die schwarze Farbe und das hohe elektrische Leitvermögen des schwarzen Phosphors verantwortlich sind. Die hochmolekularen Formen des roten, violetten und schwarzen Phosphors können als solche weder verdampfen noch schmelzen. Werden sie erhitzt, so müssen Molekeln aus nur wenigen Atomen entstehen. Da sich bei dreiwertigen Elementen unter Innehaltung der normalen Valenzwinkel von 100—110° kein niedermolekulares Gebilde konstruieren läßt, in welchem alle Valenzen einfach abgesättigt sind, entstehen unter dieser Zwangslage beim Übergang zur Schmelze und zum Dampf die tetraederförmig gebauten P4-Moleküle des weißen Phosphors (Fig. 86.). M i s c h p o l y m e r i s a t e des P h o s p h o r s Die Umwandlung des weißen in roten Phosphor wird durch H a l o g e n e beschleunigt. P^oberhalb Besonders wirksam ist hierbei das J o d , wenider Paeierebene ger das Brom, während die Wirkung des Fig. 87. Chlors nur sehr gering ausgeprägt ist. Man Gitterstruktur des schwarzen Phosphors P « kann das Halogen auch in Form von Phosphorverbindungen, z. B. als P 2 J 4 oder PBr 3 zugeben. Das Halogen wird in das amorphe Netzwerk des entstehenden roten Phosphors mit eingebaut, indem einzelne Valenzen im Gitter nicht durch andere Phosphoratome, sondern durch Halogen abgesättigt werden. Das Halogen, insbesondere das Jod, kann nun leichter von einem Phosphoratom abdissoziieren als ein durch drei Bindungen festgehaltenes Phosphoratom. Das abdissoziierte Jod reagiert dann mit weiterem weißem Phosphor und spaltet die P 4 Moleküle auf, so daß sie reaktionsfähig werden und sich an das Netzwerk anlagern und dasselbe vergrößern. Kochtman weißen Phosphor in PBr 3 , so entsteht ein h e l l r o t e r Phosphor ( „ S C S B N C K scher Phosphor"), der je nach den Darstellungsbedingungen 10—30 Atom-% Brom enthält. Dieses Brom läßt sich durch Kochen mit Natronlauge gegen Hydroxylgruppen austauschen. Dagegen läßt sich mit Schwefelkohlenstoff kein PBr 3 extrahieren. Wird weißer Phosphor unter Wasser aufbewahrt, so verwandelt er sich unter dem Einfluß des Lichtes oberflächlich langsam in weiße, gelbe, orangefarbene und rote Produkte. Sie enthalten bis 12% Wasser. Auch hier handelt es sich um ein Mischpolymerisat, und zwar mit den Elementen des Wassers. 8) Chemische Eigenschaften Weißer Phosphor Weißer Phosphor ist chemisch ä u ß e r s t r e a k t i o n s f ä h i g . In feinverteiltem Zustande e n t z ü n d e t er sich an der L u f t schon bei Z i m m e r t e m p e r a t u r , in kompakter Form wenig oberhalb von 50° von selbst, wobei er mit gelblich-weißer, hell-leuchtender Flamme und intensiver Wärmeentwicklung zu P h o s p h o r p e n t o x y d verbrennt: 2P + 2 V A

P 2 0 6 + 360 kcal.

Wegen dieser leichten Entzündbarkeit darf man den weißen Phosphor nur unter W a s s e r schneiden, zumal brennender Phosphor auf der Haut tiefgehende, gefähr-

Die Stickstofigruppe

256

liehe B r a n d w u n d e n erzeugt. An f e u c h t e r L u f t oxydiert sich weißer Phosphor vorwiegend zu Säuren der Oxydationsstufe P 2 0 3 (Phosphorige Säure H 3 P 0 3 ) , P 2 0 4 (TJnter-diphosphorsäure H 4 P 2 0 6 ) und P 2 0 5 (Phosphorsäure H 3 P 0 4 ) . Auch das bläuliche L e u c h t e n des weißen Phosphors im Dunkeln („Phosphoreszenz"), das ihm seinen Namen gegeben hat 1 , beruht auf einer O x y d a t i o n des Phosphors, indem die vom Phosphor spurenweise abgegebenen Dämpfe durch den Luftsauerstoff zunächst zu P h o s p h o r t r i o x y d P 2 0 3 und dann unter A b g a b e v o n L i c h t — statt wie gewöhnlich von Wärme — zu P h o s p h o r p e n t o x y d P 2 0 5 oxydiert werden (S. 262). Das Leuchten wird durch manche Stoffe — z. B. Schwefelwasserstoff, Schwefeldioxyd, Chlor, Ammoniak — geschwächt oder unterdrückt; auch in reinem Sauerstoff von A t m o s p h ä r e n d r u c k bleibt das Leuchten aus, während es bei D r u c k v e r m i n d e r u n g {po. < 600 mm bei 15°) wieder auftritt. Wegen seiner großen Affinität zum Sauerstoff wirkt der weiße Phosphor als k r ä f t i g e s R e d u k t i o n s m i t t e l : S c h w e f e l s ä u r e wird durch Erwärmen mit Phosphor zu Schwefeldioxyd, S a l p e t e r s ä u r e zu Stickstoffoxyden reduziert; aus Salzlösungen l e i c h t r e d u z i e r b a r e r (edler) M e t a l l e (z. B. Gold, Silber, Kupfer, Blei) werden in der Wärme die Metalle als solche oder als Phosphide (z. B. Cu 3 P 2 ) ausgeschieden. Auch mit H a l o g e n e n und mit S c h w e f e l reagiert weißer Phosphor lebhaft. I n warmer K a l i l a u g e disproportioniert er sich — analog dem Chlor (S. 121) — unter BilPhosphordung von P h o s p h o r w a s s e r s t o f f und haltige H y p o p h o s p h i t (S. 258, 271): Lösung 4 P + 3OH' + 3 H 2 0

* PH3 + 3H2P02'.

Weißer Phosphor ist ein s t a r k e s G i f t . Schon eine Menge von 0.1 g kann, in den Magen gebracht, einen Menschen töten. Daher ist der Nachweis von weißem Phosphor in der gerichtlichen Chemie von Bedeutung. Fig. 88. Phosphorprobe E r erfolgt nach der „Probe von MITSCHERnach M I T S C H E R L I C H LICH" zweckmäßig so, daß man den Mageninhalt in einem mit einem LiEBiG-Kühler versehenen Kolben (Fig. 88) mit Wasser erhitzt. Eventuell vorhandener weißer Phosphor verflüchtigt sich dann mit dem Wasserdampf und kommt im Kühlerrohr an der Stelle, an der sich der Wasserdampf kondensiert, mit der am anderen Ende des Kühlerrohres eindringenden L u f t in Berührung. I m Dunkeln beobachtet man daher an dieser Stelle einen l e u c h t e n d e n R i n g . Als Gegengift gegen eine akute Phosphorvergiftung dient zweckmäßig eine sehr verdünnte K u p f e r s u l f a t l ö s u n g , die den Phosphor als Kupferphosphid bindet (s. oben) und zugleich als Brechmittel wirkt. V i o l e t t e r (roter) P h o s p h o r Der bei hohen Temperaturen (oberhalb von 300° C) hergestellte rote Phosphor und der HiTTORFSche Phosphor sind viel w e n i g e r r e a k t i o n s f ä h i g als der weiße Phosphor. So entzünden sie sich z. B. erst oberhalb von 400°, leuchten nicht an der L u f t , schlagen keine Metalle aus Metallsalzlösungen nieder, reagieren mit Halogenen und Schwefel erst bei höherer Temperatur als der weiße Phosphor und sind indifferent gegenüber 1

phosphoros (q>co(Tq>6pos) = Lichtträger.

Der Phosphor

257

Alkalilauge. Im Gemisch mit s t a r k e n Oxydationsmitteln (z. B. Kaliumchlorat) entzündet sich roter Phosphor allerdings leicht schon beim Verreiben (S. 125). Der weniger stabile hellrote — z. B. durch Kochen von weißem Phosphor in Phosphortribromid hergestellte — Phosphor steht in seiner Reaktionsfähigkeit zwischen dem weißen und dem roten Phosphor. Er entzündet sich schon bei etwa 300°, oxydiert sich merklich schon bei Zimmertemperatur an feuchter Luft, leuchtet in ozonhaltiger Luft, wird in Alkalilauge gelöst und schlägt aus Kupfersulfatlösung Kupfer nieder. Schwarzer Phosphor Der schwarze Phosphor ist in seinem chemischen Verhalten dem roten sehr nahe verwandt. Die Geschwindigkeit der Reaktion mit Oxydationsmitteln ist ungefähr die gleiche. Merkwürdigerweise oxydiert er sich an feuchter Luft etwas schneller und überzieht sich dabei mit einer farblosen, viskosen, aus Säuren des Phosphors bestehenden Flüssigkeitshaut. Der Zutritt des Sauerstoffs zum Phosphor ist dadurch gehemmt, so daß sich schwarzer Phosphor mit einem Streichholz nur schwierig zur Entzündung bringen läßt. Die schwarze und alle roten Modifikationen sind in organischen Lösungsmitteln unlöslich, da die Phosphoratome in einem hochmolekularen Netzwerk fest gebunden sind. €) Verwendung Die Hauptverwendung findet der elementare Phosphor in der Zündholzfabrikation. Die ersten Phosphorzündhölzer wurden 1845 in den Handel gebracht. Sie enthielten im Kopf noch f a r b l o s e n Phosphor im Gemisch mit sauerstoffabgebenden Mitteln (z.B. Salpeter, Mennige) und brennbaren Bindemitteln (wie Leim, Dextrin, Gummi arabicum) und waren an jeder Reibfläche zündbar. Wegen ihrer Giftigkeit und allzu leichten Entzündbarkeit wurden sie 1903 wieder verboten. An ihre Stelle traten die schon seit dem Jahre 1848 bekannten S i c h e r h e i t s z ü n d h ö l z e r . Diese bedienen sich des ungiftigen und weniger leicht entzündlichen r o t e n Phosphors. Und zwar befindet sich der Phosphor nicht im Streichholzkopf, sondern — im Gemisch mit Glaspulver — in der an den beiden Seiten der Zündholzschachtel befindlichen Reibfläche. Der Kopf des Zündholzes besteht aus Antimonsulfid (als brennbarer Substanz), Kaliumchlorat (als sauerstoffabgebendem Mittel) und Bindemitteln. Beim Anstreichen des Zündholzes an der Reibfläche wird etwas Phosphor losgerieben, der dann bei der erhöhten Temperatur mit dem Chlorat Feuer fängt und so den brennbaren Zündholzkopf zur Entzündung bringt. Zur besseren Übertragung der Flamme werden die aus weichem Holz bestehenden Hölzer mit etwas Paraffin und zum Schutze gegen Weiterglühen nach dem Erlöschen mit Natriumphosphat getränkt.

b) WasserstofFverbindungen des Phosphors Phosphor bildet zwei Wasserstoffverbindungen: ein dem Ammoniak NH 3 entsprechendes Phosphin PH 3 und ein dem Hydrazin N 2 H 4 entsprechendes Diphosphin P 2 H 4 . Ferner existieren noch Mischpolymerisate (vgl. S. 255) aus Phosphor und Wasserstoff, die sogenannten festen Phosphorwasserstoffe (vgl. S. 259). a) Phosphin Darstellung. Von den vier Sauerstoffsäuren des Phosphors vom Typus H 3 PO n (n = 2, 3, 4 und 5; vgl. S. 263) enthalten die beiden ersten (unterphosphorige Säure H 3 P 0 2 und phosphorige Säure H 3 P0 3 ) Phosphor-Wasserstoff-Bindungen. Darauf ist es zurückzuführen, daß diese beiden Säuren und ihre Salze (MeH 2 P0 2 bzw. Me 2 HP0 3 ) beim E r h i t z e n unter Disproportionierung P h o s p h i n ergeben (vgl. S. 271 und 272): H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37. —39. Aufl.

17

258

Die Stickstoffgruppe 2H3P02

>- PH3 +

H3P04

4H 3 P0 3 PH3 + 3H 3 P0 4 . Eine andere Darstellungsmethode für das Phosphin ist die Einwirkung von farblosem P h o s p h o r auf warme K a l i l a u g e . In ähnlicher Weise, wie sich Chlor mit Lauge unter Diproportionierung zu der Stufe des Chlorwasserstoffs und der unterchlorigen Säure umsetzt (Cl2 + H 2 0 -* HCl + HC10; S. 121), disproportioniert sich der Phosphor in die Stufe des P h o s p h o r w a s s e r s t o f f s und der u n t e r p h o s p h o r i g e n Säure (S. 256, 271): 4P + «)H„0 PH3 + 3H3+P02. Im übrigen stehen für die Gewinnung des Phosphins die schon beim Ammoniak (S. 224ff.) besprochenen Methoden zur Verfügung, so z. B. die Darstellung aus den E l e m e n t e n (Erhitzen von Phosphor und Wasserstoff unter hohem Druck auf 300° oder Einwirkung von naszierendem Wasserstoff auf Phosphor — bzw. Phosphorverbindungen —): P + 1V2H2 PH3 + 2.3 kcal, die H y d r o l y s e v o n P h o s p h i d e n (z. B. Calcium-, Magnesium-, Aluminium-, Zinn-, Eisenphosphid): P'" + 3H' —>- PH3 (3) und die Behandlung von P h o s p h o n i u m s a l z e n mit L a u g e : PH4' + OH' — P H 3 + H 2 0. In reinster Form erhält man das Phosphin nach der letztgenannten Methode. In den meisten übrigen Fällen ist dem Phosphin D i p h o s p h i n P 2 H 4 beigemengt. Physikalische Eigenschaften. Phosphin ist ein farbloses, giftiges, knoblauchartig (, ,nach Carbid") riechendes Gas, das verflüssigt bei — 87.74° siedet und bei —133.78° erstarrt Daß sein Geruch demjenigen gleicht, den man beim Eintragen von C a l c i u m c a r b i d CaC2 in Wasser beobachtet, rührt daher, daß das Calciumcarbid stets Spuren C a l c i u m p h o s p h i d enthält, so daß dem entstehenden — geruchlosen — A c e t y l e n C2H2 (CaC2 + 2HOH — C a ( O H ) 2 + C2H2) P h o s p h i n PH 3 (Ca3P2 + 6HOH —>- 3Ca(OH)2 + 2PH 3 ) beigemengt ist. In Wasser ist Phosphin etwas löslich. Chemische Eigenschaften. Das Phosphin PH 3 unterscheidet sich vom Ammoniak NH 3 vor allem durch sein s t ä r k e r e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n und durch seinen s c h w ä c h e r b a s i s c h e n Charakter. Die s t ä r k e r e n r e d u z i e r e n d e n E i g e n s c h a f t e n gehen z. B. schon daraus hervor, daß sich reines Phosphin an der L u f t bereits bei 150° unter Verbrennung zu Phosphorsäure e n t z ü n d e t : H3P + 20 2 — H 3 P 0 4 und daß es Lösungen von Silbernitrat oder Kupfersulfat zu M e t a l l (im Gemisch mit Metallphosphid) reduziert. Die s c h w ä c h e r e n b a s i s c h e n E i g e n s c h a f t e n erkennt man daran, daß in wässeriger Lösung der Gleichgewichtszustand der S a l z b i l d u n g mit Halogenwasserstoff: XH3+ H ^ [XH 4 ]\ der beim A m m o n i a k (X = N) ganz auf der r e c h t e n S e i t e der Reaktionsgleichung hegt, beim P h o s p h i n (X = P) weitgehend nach l i n k s verschoben ist, so daß Phosphoniumchlorid PH4C1 (Sblp. —28°), Phosphoniumbromid PH 4 Br (Sblp. 30°) und Phosphoniumjodid PH 4 J (Sblp. 80°) in wässeriger Lösung in Phosphorwasserstoff und Halogenwasserstoffsäure zerfallen. Auch im Gaszustande sind die Phosphoniumhalogenide praktisch vollkommen in ihre Komponenten gespalten. Beim später zu besprechenden Arsin (X = As) liegt das obige Gleichgewicht schon v o l l k o m m e n auf der linken Seite der Gleichung; Arsin bildet daher überhaupt keine „A rsonium''- Verbindungen mehr.

Der Phosphor

259

ß) Diphosphin Diphosphin P 2 H 4 entsteht gewöhnlich — besonders bei der Zersetzung von Phosphiden mit Wasser — als Nebenprodukt der Phosphindarstellung. Es läßt sich wegen seines höheren Schmelz- (—99°) und Siedepunktes (+51.7°) leicht durch Kühlung als farblose Flüssigkeit vom Phosphin abtrennen. Diphosphin ist zum Unterschied von Phosphin s e l b s t e n t z ü n d l i c h und bedingt die Selbstentzündlichkeit des rohen — Diphosphin enthaltenden — Phosphins. Es zersetzt sich — vor allem im Licht — leicht unter Disproportionierung in P h o s p h o r und P h o s p h i n (vgl. den entsprechenden Zerfall des Hydrazins, S. 230): 3P a H 4 4PH 3 + 2P, wobei der entstehende Phosphor je nach den Zersetzungsbedingungen mehr oder weniger Wasserstoff enthält. Häufig entspricht dabei die Bruttozusammensetzung etwa dem Atomverhältnis

P : H = 2 : 1 (.¡fester,

gelber

Phosphorwasserstoff";

vgl.

die analoge Verbindung As 2 H, S. 277).

c) Halogenverbindungen des Phosphors Phosphor bildet mit Halogenen Verbindungen des Typus PX 3 , PX 5 und P2X4. Außerdem kennt man noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen der Zusammensetzung POXj. Den T r i h a l o g e n i d e n P X 3 kommt die Elektronenformel I zu. Die O x y h a l o g e n i d e P O X 3 leiten sich davon durch Anlagerung eines Sauerstoffatoms an das freie Elektronenpaar des Phosphors ab (II). Bei den P e n t a h a l o g e n i d e n P X 6 ist wahrscheinlich der Sauerstoff der Oxyhalogenide durch zwei Halogenatome ersetzt (III). Die — schwächere — „Einelektronenbindung" (vgl. S. 197) bedingt dabei wohl die leichte Abspaltbarkeit dieser beiden Halogenatome bei der Verdampfung 1 (vgl. S. 197). « 6 e Gl «C1:P:C1«

Gl «C1:P:C1«

Ö S

C1 «C1:P:C1».

cfci 7

7

(I) (II) (III) Die T e t r a h a l o g e n i d e P 2 X 4 enthalten eine Phosphor—Phosphor-Bindung: X 2 P—PX 2 . Eine Übersicht über die physikalischen Eigenschaften der einzelnen Verbindungen gibt die folgende Tabelle: 1>X3

PX 5

P0X 3

X= F

Farbloses Gas Smp. - 1 6 0 ° Sdp. - 9 5 °

Farbloses Gas Smp. - 8 3 ° Sdp. - 7 5 °

Farbloses Gas Smp. - 6 8 ° Sdp. - 4 0 °

X = C1

Farblose Flüssigkeit Smp. - 9 1 ° Sdp. 75.9»

Farblose Kristalle Sblp. 100° Smp. 148°

Farblose Flüssigkeit Farblose Flüssigkeit Smp. - 2 8 ° Smp. 1.3° Sdp. 180» Sdp. 108.7°

X=Br

Farblose Flüssigkeit Smp. - 4 1 . 5 ° Sdp. 176"

Rotgelbe Kristalle Smp. wird durch Überleiten von trockenem C h l o r g a s über erwärmten weißen P h o s p h o r gewonnen:

P + 1V2C12

>• PC13 + 76:9 kcal.

Der Phosphor entzündet sich dabei von selbst und verbrennt mit fahler Flamme, während in die gekühlte Vorlage ein Gemisch von Phosphortrichlorid PC13 und etwas Phosphorpentachlorid PC15 destilliert. Um letzteres zu entfernen, fügt man zum Destillat etwas weißen Phosphor hinzu und destilliert erneut (3PC1S + 2P —->- 5PC13). Phosphortrichlorid ist eine farblose, stechend riechende, bei 75.9° siedende und bei —91° erstarrende Flüssigkeit, die von W a s s e r sehr leicht unter Bildung von p h o s p h o r i g e r und S a l z s ä u r e zersetzt wird: PC13 + 3HÖH — P ( O H ) 3 + 3HCl und daher an feuchter Luft stark raucht. Durch O x y d a t i o n s m i t t e l (z. B. Chlorat) — langsam auch schon durch molekularen Sauerstoff — wird es in P h o s p h o r - o x y c h l o r i d P0C13 (s. u.), durch Schwefel in P h o s p h o r - t h i o c h l o r i d PSC13 (S. 273) und durch Chlor in P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d PCI5 (s. u.) übergeführt. Diese Anlagerungen beruhen auf dem Bindungsbestreben des am Phosphor vorhandenen freien Elektronenpaares (vgl. S. 259). Phosphorpentachlorid PCI5 bildet sich entsprechend der letztgenannten Reaktion bei der Einwirkung überschüssigen Chlors auf P h o s p h o r t r i c h l o r i d : PC13 + Cl2

PCI5 + 29.7 kcal

(1)

als in reinem Zustande weiße, gewöhnlich aber wegen teilweiser Spaltung in Trichlorid lind Chlor grünlichweiße Masse. Beim Erhitzen im offenen Rohr sublimiert Phosphorpentachlorid bei 100°, ohne zu schmelzen. Der Schmelzpunkt kann nur in geschlossenem Rohr unter dem eigenen Druck der Dissoziationsprodukte PC13 und Cl2 bestimmt werden und liegt dann bei 148°. Als endotherme Reaktion nimmt die Spaltung in Phosphortrichlorid und Chlor mit steigender Temperatur zu. Bei 180° sind rund 40°/0, bei 250° rund 80°/o des Phosphorpentachlorids dissoziiert, und bei 300° besteht der Dampf fast völlig aus den Dissoziationsprodukten. Dementsprechend nimmt der bei niedriger Temperatur nahezu farblose Dampf mit steigender Temperatur immer mehr die Farbe des Chlors an. In einer Atmosphäre von Chlorgas oder Phosphortrichlorid-Dampf verdampft Phosphorpentachlorid gemäß dem Massenwirkungsgesetz (Verschiebung des Gleichgewichts (1) nach rechts) nahezu unzersetzt. Wegen der leichten Abspaltbarkeit von Chlor wird Phosphorpentachlorid vielfach als C h l o r i e r u n g s m i t t e l benutzt. An der Luft zieht Phosphorpentachlorid W a s s e r an und geht in P h o s p h o r o x y c h l o r i d und C h l o r w a s s e r s t o f f über: PC15 + HsO

>- POCI3 + 2HCl.

(2)

Daher raucht es an feuchter Luft. Mit viel Wasser zersetzt es sich weiter zu P h o s phorsaure : (3) p o c l ^ + 3 H ( ) H — ^ PO(OH)3 + 3HCl. Phosphor-oxychlorid P 0 C 1 3 kann — wie aus Gleichung (2) hervorgeht — durch Versetzen von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit der berechneten Menge W a s s e r gewonnen werden. Zur Darstellung ist es aber, um weitere Zersetzung zu Phosphorsäure

Der Phosphor

261

(3) zu vermeiden, zweckmäßiger, Verbindungen einwirken zu lassen, die verhältnismäßig schwer Wasser abgeben; z. B. O x a l s ä u r e (H 2 C 2 0 4 —>- H 2 0 + CO + C0 2 ): PC15 + H2C204 — > POCI3 + 2 HCl + CO + C02 oder B o r s ä u r e (2H 3 B0 3 — 3 H 2 0 + B 2 0 3 ). Auch bei der O x y d a t i o n von P h o s p h o r t r i c h l o r i d mit Kaliumchlorat: 3PClj + KCIO3 — > 3P0C13 + KCl oder bei der Umsetzung von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit P h o s p h o r p e n t o x y d : 3 PC15+ P 2 0 6 —>- 5P0C13 entsteht Phosphor-oxychlorid. Phosphor-oxychlorid ist eine farblose, stark lichtbrechende, an feuchter Luft rauchende Flüssigkeit, die bei 108.7° siedet und bei 1.3° erstarrt.

d) Oxyde des Phosphors Phosphor bildet drei Oxyde: ein Phosphortrioxyd P 2 0 3 , ein Phosphortetroxyd P 2 0 4 und ein Phosphorpentoxyd P 2 0 5 . Ersteres ist das Anhydrid der phosphorigen (P 2 0 3 + 3 H 2 0 z ^ I ± : 2H 3 P0 3 ), letzteres das Anhydrid der Phosphorsäure (P 2 0 s + 3 H 2 0 2 H 3 P 0 4 ) ; Phosphortetroxyd kann als gemischtes Anhydrid der phosphorigen und Phosphorsäure angesehen werden (P 2 0 4 + 3 H 2 0 ( > TT3P03 + H 3 P0 4 ). Phosphortrio xyd P a 0 3 . Verbrennt man Phosphor bei beschränktem Luftzutritt und niedriger Temperatur, so entsteht Phosphortrioxyd: 2P + 17,0, — > P 2 0 3 . Von gleichzeitig gebildetem Phosphorpentoxyd kann es wegen seiner größeren Flüchtigkeit leicht abgetrennt werden. Phosphortrioxyd bildet eine weiße, wachsartige, kristalline, sehr giftige Masse, die bei 22.5° schmilzt und (in Stickstoffatmosphäre) bei 173.1° siedet. Sein Molekulargewicht entspricht im geschmolzenen, gelösten und dampfförmigen Zustande der Formel P 4 0 6 . Diese Formel leitet sich von der des vieratomigen Phosphormoleküls P 4 in der Weise ab, daß jede der sechs P—P-Bindungen des P 4 -Tetraeders (Fig. 86, S. 253) durch eine Pr—0—P-Bindung ersetzt ist. Die so zustandekommende Struktur mit dreiwertigen Phosphor- und zweiwertigen Sauerstoffatomen ist gemäß Fig. 89 von hoher Symmetrie (tetraedrische Anordnung der Phosphor-, oktaedrische der Sauerstoffatome, symmetrische räumliche Verknüpfung von vier P 3 0 3 -Sechsringen) und findet sich auch bei anderen Verbindungen, z. B. dem Arsenik As 4 0 6 (S. 279) und dem Urotropin N 4 (CH 2 ) 6 (II, S. 106). Die dem „Phosphortrioxyd" (P 2 0 3 ) 2 entsprechende Sauerstoffverbindung des S t i c k s t o f f s , N 2 0 3 (S. 237), ist zum Unterschied von der dimeren Phosphorverbindung m o n o m e r , da hier im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187) die Ausbildung von Doppelbindungen möglich ist: 0 = N — 0 — N = 0 , was bei der dimeren Formel vermieden wird. Beim Erhitzen auf über 210° d i s p r o p o r t i o n i e r t sich Phosphortrioxyd in roten P h o s p h o r und P h o s phortetroxyd: +8 4PaO„

-

o +4 > 2P • 3PoOj

w

Fig. 89. Räumliche Molekularformel des Phosphortrioxyds (P203)2

Die Stickstoffgruppe

262

Bei 70° entzündet es sich an der L u f t und verbrennt zu P h o s p h o r p e n t o x y d : P 2 0 3 + 0 2 —>- P 2 0 5 . Diese Vereinigung mit Sauerstoff erfolgt langsam auch schon bei gewöhnlicher Temperatur; dabei beobachtet man eine L e u c h t e r s c h e i n u n g (vgl. S. 255f.). Mit k a l t e m W a s s e r setzt sich Phosphortrioxyd sehr langsam unter Bildung von p h o s p h o r i g e r S ä u r e u m : P 2 0 3 + 3 H 2 0 -—5- 2 H 3 P 0 3 . Einwirkung von h e i ß e m W a s s e r führt in heftiger und wenig übersichtlicher Reaktion zur Bildung von rotem P h o s p h o r , P h o s p h o r w a s s e r s t o f f e n und P h o s p h o r s ä u r e (vgl. S. 257 f.). Phosphortetroxyd P j 0 4 . Das gemäß (4) durch Erhitzen von Phosphortrioxyd darstellbare Phosphortetroxyd P 2 0 4 bildet farblose, glänzende Kristalle, die sich in W a s s e r unter beträchtlicher Wärmeentwicklung und Bildung von p h o s p h o r i g e r und P h o s p h o r s ä u r e lösen: P 2 0 4 + 3HjO —>- H 3 P0 3 + H 3 P0 4 . Es entspricht in dieser Beziehung dem Stickstofftetroxyd N 2 0 4 , welches mit Wasser salpetrige und Salpetersäure liefert. Phosphorpentoxyd P2O5. Verbrennt man Phosphor bei genügender Luft- oder Sauerstoffzufuhr, so entsteht unter außerordentlicher Wärmeentwicklung Phosphorpentoxyd : p2Q6 + 3 6 5 8 k c a l 2 p + 21/iA T e c h n i s c h erfolgt die Darstellung durch V e r b r e n n u n g von w e i ß e m P h o s p h o r in eisernen Trommeln. Von gleichzeitig gebildeten niederen Phosphoroxyden läßt es sich durch Sublimation im Sauerstoffstrom bei Rotglut befreien. Phosphorpentoxyd bildet gewöhnlich ein weißes, schnee-artiges, geruchloses Pulver. Durch Sublimation (Sblp. 350°) kann es verflüchtigt und an kälteren Stellen in Form stark lichtbrechender Kristalle wieder verdichtet werden. Beim Erhitzen im geschlossenen Raum auf über 400° wird es pulverig amorph, dann glasig. Bei noch weiterem Erhitzen schmilzt (Smp. 563°) und verdampft dieses Glas; aus dem Dampf scheidet sich beim Erkalten wieder das kristallisierte Phosphorpentoxyd aus. Das Molekulargewicht im Dampfzustande entspricht der Formel P 4 O| 0 . Diese Formel leitet sich von der P 4 0 6 -Formel (Fig. 89) dadurch ab, daß jedes Phosphoratom mit Hilfe seines freien Elektronenpaares 1 noch ein Sauerstoffatom bindet: P : + Ö : — > y P : Ö'•• Nach vorheriger Bestrahlung phosphoresziert Phosphorpentoxyd mit grünem Lichtschein; die Intensität des Leuchtens nimmt mit abnehmender Temperatur zu und ist bei —180° glänzend hell. Die charakteristischste Eigenschaft des Phosphorpentoxyds ist sein außerordentliches Bestreben, sich mit W a s s e r begierig zu M e t a p h o s p h o r s ä u r e HPO s und weiter auf dem Wege über Polyphosphorsäuren (S. 268, 269) zu O r t h o p h o s p h o r s ä u r e H 3 P 0 4 ZU vereinigen: P208

2HP0 3

H4Pa07

+ H

'°>

2H 3 P0 4 .

Es ist das kräftigste wasserentziehende Mittel, das man kennt, und wird deshalb in Exsiccatoren (S. 209) und Trockenrohren zum Entfernen auch der geringsten Spuren von Wasserdampf benutzt. Auch zur Wasserabspaltung aus chemischen Verbindungen (z. B. zur Darstellung von Säure-anhydriden: 2 H N 0 3 •—>• N 2 0 5 + H 2 0 ; H 2 S 0 4 — v S0 3 + H 2 0) und zur Bindung von Wasser bei chemischen Umsetzungen wird es vielfach verwandt. 1 Jedes kovalent dreiwertige Phosphoratom besitzt noch ein unbeanspruchtes Elektronenpaar, da von den insgesamt 5 Außenelektronen im dreiwertigen Zustande nur 3 Elektronen zur Valenzbetätigung herangezogen sind.

Der Phosphor

263

e) Sauerstoffsäuren des Phosphors a) Systematik und Konstitution Der Phosphor bildet vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung HJPOb („Ortho-säuren") bzw. — in wasserärmerer Form („Meta-säuren") — HPO„_ ( (n = 2, 3, 4 und 5) und vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Formel H^P^O,, (n = 5, 6, 7 und 8). Die Bezeichnungen für die einzelnen Säuren und ihre Salze gehen aus der folgenden Tabelle hervor, in welcher die Verbindungen nach steigender Oxydationszahl des Phosphors angeordnet sind: Oxydationszahl

Säui en des T> pus IIjPO n (HP 0 „ . , ) For mel

+ 1

Salze

Name

Orthoform Metaform h3PO2

(HPO)

Unterphospho- Hyporige Säure phosphite

h3po3

HP02

Phosphorige Säure

Säu ren des Typus H 4 P 2 0 „ Formel

Name

Salze

+ 2 + 3

Phosphite

H4P206 Unter-diphos- Hypodiphosphate phorsäure

+ 4 + 5

h3po4

HPO3

Phosphorsäure

Phosphate

H4PaOr Diphosphorsäure

Diphosphate

H4P2O8 Peroxy-diphos- Peroxyphorsäure diphosphate

+ 61 + 51

H 4 Pa0 5 Diphosphorige Diphosphite Säure

h3po5

(HP0 4 )

Peioxy phosphorsäure

Peroxyphosphate

Orthosäuren des Typus H :t PO n . Der Aufbau der den Säuren H 3 PO n und ihren Salzen zugrundeliegenden Anionen PO n "' läßt sich am einfachsten wie bei den Sauerstoffsäuren des Chlors (S. 157) vom einfachen Ion des Zentralatoms aus ableiten. Das Phosphid-ion P ' " hat die in Formel I wiedergegebene Elektronenkonfiguration. Durch Anlagerung von 1, 2, 3 und 4 Sauerstoffatomen an die vier freien Elektronenpaare dieses Anions entstehen die Anionen II, I I I , IV und V : :0: :P: (I)

Phosphid

:P:

: Ö :P :

: Ö:P :

:Ö:

:Ö:

:Ö:

"

:0: : Ö :P : Ö : :0:

(II)

(III)

(IV)

(V)

(unbekannt)

Hypophosphit

Phosphit

Phosphat

Von diesen Anionen sind diejenigen mit freien Elektronenpaaren am Phosphor (I—IV) in wässeriger Lösimg unbeständig, weil der Phosphor in diesen Verbindungen ein großes Bestreben zeigt, W a s s e r s t o f f - i o n e n des Wassers an die freien Elektronenpaare anzulagern. Löst man also z. B. ein Phosphit der Formel [ P 0 3 ] " ' in Wasser auf, so vollzieht sich sofort die Umsetzung: [P03]'" + HÖH —>• [HP03]" + OH'. 1

Vgl. Anmerkung 1 auf S. 198.

264

Die Stickstoffgruppe

Das Gleichgewicht dieser Reaktion liegt dabei ganz auf der r e c h t e n Seite. Es gelingt daher nicht, in Umkehrung der Reaktion durch Einwirkung von L a u g e auf das H y d r o g e n p h o s p h i t - i o n [HP0 3 ]" das letzte (dritte) Wasserstoffatom der zugrundeliegenden phosphorigen Säure H 3 P0 3 zu neutralisieren. Die p h o s p h o r i g e S ä u r e H 3 P0 3 ist mit anderen Worten trotz ihrer drei Wasserstoffatome in wässeriger Lösung 1 nur eine z w e i b a s i g e S ä u r e . Analoges gilt etwa vom Phosphid-ion. Bringt man z. B. C a l c i u m p h o s p h i d mit W a s s e r zusammen (vgl. (3), S. 258), so lagern sich an drei — in stark saurer Lösung an alle vier — Elektronenpaare des Phosphors Wasserstoffionen an, so daß P h o s p h o r w a s s e r s t o f f PH 3 bzw. P h o s p h o n i u m - i o n [PH 4 ]' entsteht. Somit geht die obige Anionenreihe (1) in w ä s s e r i g e r L ö s u n g in die folgende Reihe über: H

+

H

H

H:P:H

H:P:H

:Ö:P:H

H

:Ö:

:Ö:

(I)

Phosphonlum

(II)

Phosphinoxyd*

-

(III)

Hypophosphit

:Ö:

: 0:

:Ö:P:H

: Ö . P: Ö .

(2)

:Ö: " (IV)

(V)

Phosphlt

Phosphat

Wir ersehen daraus, daß eine lückenlose Reihe vom [PH 4 ]' bis zum [ P 0 4 ] " ' hin besteht, daß die Ladung des Ions bei jedem Schritt — entsprechend dem jeweiligen Ersatz eines positiv geladenen Wasserstoff-ions H+ durch ein neutrales Sauerstoffatom O: — um je eine positive (negative) Einheit ab-(zu-)nimmt und daß dementsprechend die unterphosphorige Säure H 3 P 0 2 in wässeriger Lösung zum Unterschied von der z w e i b a s i g e n phosphorigen Säure H 3 P0 3 und der d r e i b a s i g e n Phosphorsäure H 3 P0 4 eine e i n b a s i g e Säure ist. Die obige Verbindungsreihe (2) ist auch — bis auf das erste Glied — in Form von F l u o r d e r i v a t e n (Ersatz der Wasserstoffatome durch Fluoratome) bekannt:

F

F F P F

F P F

(unbekannt)

Phosphor-oxyfluorld

F

O

F 1' 0 P F

O

1)1 f luo-phosphat

o

0 P K

O

y

Fluo-phoaphat

o

0 P o

o

Phosphat

Von diesen Fluorderivaten entspricht in Aufbau und Ladung das D i f l u o - p h o s p h a t - i o n P 0 2 F 2 ' dem P e r c h l o r a t - i o n C10 4 ' und das F l u o - p h o s p h a t - i o n P 0 3 F " dem S u l f a t - i o n S 0 4 " ; dementsprechend ähneln sich auch die Reaktionen der genannten isosteren Ionen.

Die Peroxy-monophosphorsäure (Peroxyphosphorsäure) H3POB enthält ein Sauerstoffatom mehr als die Phosphorsäure H 3 P 0 4 . Da der Phosphor im Phosphat-ion kein freies Elektronenpaar mehr aufweist — vgl. Formel (2), V —, kann die Bindung des fünften Sauerstoffatoms nur durch eines der vier S a u e r s t o f f atome des Phosphations erfolgen: 0: : O P:Ö:Ö: Ö:" Dementsprechend ist die Peroxyphosphorsäure H 3 P0 B wie die Peroxyschwefelsäure H 2 S0 6 (S.202) und zum Unterschied von der Über Chlorsäure HC104 (S. 157) eine Peroxy-Verbindung (vgl. S. 203). 1 Bei A u s s c h l u ß v o n W a s s e r (z. B. bei Einwirkung von Natrium) ist natürlich auch das d r i t t e Wasserstoffatom der phosphorigen Säure H 3 P 0 3 durch Metall ersetzbar. Analoges gilt für den Ersatz der nicht sauren H-Atome a n d e r e r Wasserstoffverbindungen (z.B. von N H 3 ; vgl. S. 228f.). 2 Bis jetzt nur in Form von Alkylderivaten POR 3 bekannt (R = Kohlenwasserstoffrest).

Der Phosphor

265

Metasäuren des Typus HPO„_|. Die vorstehend besprochenen Säuren H 3 PO„ kommen auch in einer w a s s e r a r m e r e n Form HPO n _ i (H 3 PO n —>- H 2 0 + HPO n _i) vor. Zur Unterscheidung nennt man die ersteren Ortho-, die letzteren Meta-säuren. Die metaphosphorige Säure H P 0 2 und Metaphosphorsäure HPO a entsprechen in ihrer Formel der vom Phosphor-Homologen Stickstoff abgeleiteten salpetrigen Säure HN0 2 und Salpetersäure HN0 3 . Diese Übereinstimmung ist aber nur äußerlich; denn die Struktur der — in Wahrheit p o l y m e r e n — Metasäuren des Phosphors und ihrer Salze ist von der der entsprechenden Stickstoffsäuren und ihrer Salze ganz vers c h i e d e n (S. 268f.). Disäuren des Typus H4P2O,,. Die Di- oder Pyrophosphit-ionen unterscheiden sich in ihrer Konstitution von den Di- oder Pyrophosphat-ionen wie die Phosphit-ionen von den Phosphat-ionen. Bei den Diphosphiten ist also je eines der vier um jedes Phosphoratom des Diphosphats gruppierten vier S a u e r s t o f f a t o m e durch Wasser st off ersetzt: O O OP OP 0 O O Diphosphat

0 0 HPOPH o o Diphosphit

Dementsprechend ist die diphosphorige Säure H 4 P 2 0 6 zum Unterschied von der v i e r b a s i g e n Diphosphorsäure H 4 P 2 0 7 nur zweibasig. Auch in den beiden anderen Säuren des Typus H 4 P 2 O n — der Unter-diphosphorsäure H 4 P 2 0 6 und der Peroxy-diphosphorsäure H 4 P 2 0 8 — bleibt wie in allen anderen Phosphorsäuren die K o o r d i n a t i o n s z a h l 4 des Phosphors gewahrt: o 0 OO 0 P OOP 0 OP PO 0 0 OO Hypo-diphosphat

Peroxy-dlphosphat

Die Formeln der beiden Ionen unterscheiden sich von der des D i p h o s p h a t s dadurch, daß im H y p o - d i p h o s p h a t die im Diphosphat vorhandene S a u e r s t o f f b r ü c k e zwischen den beiden Phosphoratomen f e h l t , während sie im P e r o x y - d i p h o s p h a t durch eine P e r o x y - b r ü c k e ersetzt ist. ß) Phosphorsäure Orthophosphorsäure Darstellung. Zur technischen Darstellung von Phosphorsäure dienen natürliche Mineralphosphate als Ausgangsmaterial. Der Aufschluß dieser Phosphate erfolgt entweder auf nassem oder auf t r o c k e n e m Wege. Beim n a s s e n A u f s c h l u ß wird das gemahlene P h o s p h a t mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e behandelt: Ca3(P04)2 + 3H 2 S0 4 —>- 3 C a S 0 4 + 2H 3 P0 4 , das dabei entstehende wasserunlösliche Calciumsulfat abfiltriert und die zurückbleibende Phosphorsäurelösung konzentriert. Man erhält so je nach dem Arbeitsverfahren 20—50°/0ige, nicht sehr reine Lösungen. Beim t r o c k e n e n A u f s c h l u ß wird das M i n e r a l p h o s p h a t mit K o k s und K i e s e l s ä u r e im Gebläse-Schachtofen (Hochofen) oder im elektrischen Ofen (S. 252f.) verschmolzen: Ca3(P04)2 + 3SiOa + 5 0 >- 3CaSi03 + 5CO + 2P und das hierbei aus dem Ofen austretende, aus Phosphordampf und Kohlenoxyd bestehende Gas mit L u f t ü b e r s c h u ß zu Phosphorpentoxyd verbrannt: 2P + 2V s 0 2 — P 2 0 5 Die Verbrennungsgase, die das Pentoxyd in Form von Rauch enthalten, können dann mit Wasser oder mit 50°/oig er Phosphorsäurelösung zu Orthophosphorsäure umgesetzt werden:

266

Die Stickstoffgruppe

P20s + 3H20 »- 2H3P04. Mail gewinnt so 85—90°/oige, recht reine Lösungen. Die Verbrennung des Phosphors zu Phosphorpentoxyd kann statt mit Luft auch mit überhitztem Wasserdampf erfolgen (,,LILJENROTH-Verjähren"), wobei gleichzeitig Wasserstoff gewonnen wird: 2P + 5H 2 0 —>• P 2 0 5 + 5H 2 ; wegen technischer Schwierigkeiten ist dieses Verfahren jetzt aber nicht mehr in Anwendung. Chemisch reine Phosphorsäure läßt sich durch Verbrennen von reinem Phosphor mit Luft und Umsetzung des gebildeten reinen Phosphorpentoxyds mit Wasser gewinnen. Die früher durchgeführte Oxydation von Phosphor mit Salpetersäure wird technisch nicht mehr ausgeführt. Physikalische Eigenschaften. Phosphorsäure bildet bei gewöhnlicher Temperatur wasserklare, harte, geruchlose, in Wasser äußerst leicht lösliche Kristalle, die bei 42.3° schmelzen und das spezifische Gewicht 1.88 besitzen. In den Handel kommt sie gewöhnlich als sirupöse 85—90°/0ige Lösung (spez. Gewicht 1.70—1.75), da sich stärker konzentrierte Lösungen infolge ihrer Viskosität nicht mehr abhebern lassen. Chemische Eigenschaften. Orthophosphorsäure H 3 P0 4 ist eine dreibasige, mittelstarke Säure und bildet dementsprechend drei Reihen von Salzen: •primäre Phosphate Me^jPOi, sekundäre Phosphate Me£HP04 und tertiäre Phosphate MeJP0 4 . Die Dissoziation der Säure erfolgt in drei Stufen: H3P04 H- + H2P04' (3) H2P04' ^ ± 1 H° + HP04" W HP04" H- + P0 4 "'. (5) Die zugehörigen Dissoziationskonstanten haben bei 18° die Werte: K t = 1.1 X 10~2' KT — 1.2 X l 0 - 7 und KT = 1.8 Xl0~ 1 2 ; oder als Säure-exponenten PX= —log& (S. 109) geschrieben: pKt = 1.96, pKt = 6.92, pK = 11.74. Hieraus ergibt sich (vgl. S.108 f. und Fig. 41, S. 109) für den Zusammenhang zwischen ^>H-Wert und Phosphat-ionengehalt einer Phosphorsäure- oder Phosphatlösung das untenstehende Bild (Fig. 90). Man ersieht aus dem Diagramm, daß beispielsweise in einer Phosphorsäurelösung vom ^>H-Wert 2 die Hälfte der Phosphorsäuremoleküle als H 3 P0 4 und die andere Hälfte als H 2 P0 4 ' __ vorliegt, während HP0 4 "- und Ph . v Ph.$s H t5 7 } \ ' 11 a is P0 4 "'-ionen praktisch nicht vorhanden sind. Mit zunehmendem />H-Wert der Lösung (also bei Zusatz von Alkali) nimmtdas Molverhältnis H 3 P0 4 : H 2 P0/ infolge Verschiebung des Gleichgewichts (3) nach rechts ab, bis bei einem />H-Wert von 4.5 praktisch alles in Form von H 2 P0 4 'ionen vorliegt. Weiterer Zusatz von Alkali führt gemäß (4) zur Bildung vonHP04"-ionen (/>H == 6: 9 0 % H 2 P0 4 '+10°/ 0 H P 0 4 " ; Pufferwirkung pK= 8: 10°/0 H 2 P0 4 ' + 90°/0 Fig. 90. Abhängigkeit der Ionenkonzentrationen vom HP0 4 ") und schließlich — PH-Wert in einer Phosphorsäure-(Phosphat-)lösung nachdem bei einem />H-Wert von 9.5 praktisch das gesamte Phosphat in Form von HP04"-ionen vorliegt — gemäß (5) zur Bildung von P0 4 "'ionen (pn = 12: 5 0 % HP0 4 " + 5 0 % P 0 4 ' " ) . Wie weiterhin aus dem Diagramm ersichtlich ist, reagieren wässerige Lösungen von Phosphorsäure stark sauer, von

Der Phosphor

267

primären Phosphaten schwach sauer (pH = 4.5), von sekundären schwach basisch (/>H = 9.5) und von tertiären stark basisch. Letztere sind nach dem Diagramm nur bei einem ^>H-Wert von 14.5, also in stark alkalischer Lösung ohne nennenswerte Hydrolyse auflösbar. In Wasser (pK = 7) erfolgt weitgehende Hydrolyse: P 0 4 " ' + HÖH —>- HP0 4 " + OH', wobei die Lösung alkalisch wird. Ein geeignetes Puffergemisch (vgl. S. 109f.) ist nach Fig. 90 ein Gemisch von primärem und sekundärem P h o s p h a t , welches im £H-Gebiet 6—8 (90% H 2 P0 4 ' + 10°/ 0 H P 0 4 " bis 10% H 2 P0 4 ' + 9 0 % HP0 4 ") gut puffert (4). Salze. Die primären Phosphate Me r H 2 P0 4 lösen sich alle in Wasser, während von den sekundären und t e r t i ä r e n Phosphaten Me|HP04 bzw. Me*P04 nur die Alkalisalze in Wasser, die übrigen lediglich in Mineralsäuren löslich sind. Die Alkaliphosphate gewinnt man gewöhnlich durch Zufügen der entsprechenden Menge Phosphorsäure zu Alkalihydroxyd- oder Alkalicarbonatlösungen (H 3 P0 4 + NaOH —>- NaH 2 P0 4 + H 2 0 ; 2H 3 P0 4 +Na 2 C0 3 — v 2NaH 2 P0 4 + H 2 0 + C0 2 ). Das gewöhnlich verwendete Natriumsalz ist das sekundäre Natriumphosphat Na 2 HP0 4 12H 2 0. ES bildet farblose große Säulen oder Tafeln, welche an der Luft unter Bildung eines Dihydrats Na 2 HP0 4 • 2H 2 0 verwittern und bei 40° schmelzen. Das bei der Umsetzung einer Natriumphosphatlösung mit Ammoniumchlorid entstehende sekundäre Natrium-ammonium-phosphat („Phosphorsalz") NaNH 4 HP0 4 (Na 2 HP0 4 + NH4C1 —>- NaNH 4 HP0 4 + NaCl) kristallisiert aus wässeriger Lösung als Tetrahydrat aus und dient in der qualitativen Analyse zur Herstellung charakteristisch gefärbter „Phosphorsalzperlen" zwecks qualitativer Erkennung von Metalloxyden (vgl. S. 376). Über die als Düngemittel wichtigen Ammonium- und Calciumphosphate vgl. S. 269f. Die unlöslichen Phosphate entstehen aus den löslichen durch doppelte Umsetzung. Analytisch wichtig sind: der auf Zusatz von Silbernitrat zu Phosphatlösung entstehende gelbe Niederschlag von Silberphosphat (HP0 4 " + 3Ag' Ag 3 P0 4 + H'; H' -f H P 0 4 " —>- H 2 P0 4 '), der bei Zugabe von Magnesiumsalz, Ammoniak und Ammoniumsalz („Magnesiamischung") ausfallende weiße, kristalline Niederschlag von Magnesium-ammonium-phosphat (HP0 4 " + Mg" + NH4" t~>- MgNH4P04 + H'; H" -fNHS —>• NH4") und der in salpetersaurer Lösung auf Zusatz von Ammonium-molybdat (NHjjMoOi gebildete gelbe Niederschlag von Ammonium-molybdato-phosphat, (NH 4 ) 3 [P(MO 3 O 1 0 ) 4 ] (vgl. S. 518).

Beim Glühen gehen die sekundären Phosphate unter Abspaltung eines Mols Wasser je 2 Mol Phosphat in Pyrophosphate (Diphosphate): 2K2HP04 ~ H '° > K4P207 und die primären Phosphate unter Abspaltung eines Mols Wasser je Mol Phosphat über die Stufe der Pyrophosphate und Polyphosphate in Metaphosphate über (S. 268): 2KH2P04 - = 5 ^ K2H2P207 >- 2KP0 3 . Analog verhalten sich die Ammoniumderivate solcher Phosphate: 2MgNH4P04 Mg2P20, + 2NH3 + H 2 0; NaNH4HP04 >- NaPOs + NH3 + H 2 0. Pyrophosphorsäure Bei längerem Erhitzen auf 200—300° geht die Phosphorsäure unter Wasserabspaltung in Pyro-(Di-)phosphorsäure über: 2 H3P04 ^ H4P207 + H 2 0. (6) Die Reaktion entspricht der Bildung von Pyro-(Di-)phosphaten beim Glühen sekundärer Phosphate (s. oben).

268

Die Stickstoffgruppe

Die Pyrophosphorsäure bildet eine farblose, glasige, in kristallisiertem Zustande bei etwa 65° schmelzende Masse, die sich in Wasser leicht löst und in dieser Lösung unter Wasseraufnahme langsam — schneller beim Kochen, besonders in Gegenwart von Salpetersäure — wieder in Orthophosphorsäure übergeht. Sie ist eine wesentlich s t ä r k e r e S ä u r e als die Orthophosphorsäure (K1 = 1.4 x 10 _ 1 ; K2 = 3.2 X 1 0 - 2 ; Ks = 1.7 X10-«; K t = 6.0 X 10" 9 ) und bildet zwei Reihen von Salzen, des Typus Me 2 H 2 P 2 0 7 („saure Pyrophosphate") und Me|P207 („neutrale Pyrophosphate"). Die sauren Salze sind meist in Wasser — unter schwach saurer Reaktion — löslich; von den neutralen Salzen lösen sich nur die Alkalisalze, und zwar mit schwach basischer Reaktion. Die Pyrophosphorsäure unterscheidet sich von der Orthophosphorsäure dadurch, daß die Lösungen ihrer Salze mit Silbernitratlösung nicht einen gelben, sondern einen rein weißen Niederschlag (Ag 4 P 2 0 7 ) ergeben, von der Metaphosphorsäure dadurch, daß sie Eiweiß nicht zum Gerinnen bringt und mit Bariumchloridlösung kein schwerlösliches Bariumsalz bildet. Metaphosphorsäure Bei über 300° spaltet auch die Pyrophosphorsäure H 4 P 2 0 ? Wasser ab und geht auf dem Wege über P o l y p h o s p h o r s ä u r e n (s. unten) in die sehr glühbeständige M e t a p h o s p h o r s ä u r e HPO s über: H4P207

2HP03 + H20.

(7)

Diese M e t a p h o s p h o r s ä u r e — analoges gilt von ihren durch Erhitzen primärer Phosphate erhältlichen S a l z e n — hat nicht das der Formel H P 0 3 entsprechende Molekulargewicht, sondern ist je nach den Darstellungsbedingungen mehr oder minder p o l y m e r i s i e r t . Die Wasserabspaltung aus der Pyrophosphorsäure bzw. ihren sauren Salzen erfolgt also nicht intramolekular, sondern — in Fortsetzimg der schon bei der Bildung von Pyrophosphorsäure (sauren Pyrophosphaten) aus Orthophosphorsäure (primären Phosphaten) begonnenen „Kondensation"1 (6) — intermolekular unter Bildung h ö h e r m o l e k u l a r e r („Polyphosphorsäuren" H n + 2 P n 0 3 n + 1 ) bis h o c h m o l e k u l a r e r P r o d u k t e („Metaphosphorsäure" H,*, +2 Poo0 3X +1 = [HP03]oo2: HO

()' P Q

O I H + HO;

O'

P : Q

OH

O' O' >• HO P O P O

O

u

.



O H weitere Kondensation unter Waaseraustritt

()' Q

()'

O'

O'

O'

p 0 p 0 p 0 p 0 p . . . O O O O O

Die Polymerisation des M e t a p h o s p h a t - i o n s P 0 3 ' zu dem obigen hochmolekularen Metaphosphat-ion [ P 0 3 ' ] n — z . B . i n Form des„KurrolschenSalzes"(NaP0 3 ) x , dea„MaddrellschenSalzes" (NaP0 3 ) y oder des „Grahamschen Salzes" (NaP0 3 ) z — entspricht ganz der schon erwähnten Polymerisation des S c h w e f e l t r i o x y d s S0 3 zu hochmolekularem „asbestartigem" Schwefeltrioxyd [S0 3 ] n (S. 200). Hier wie dort entspricht das Polymerisationsbestreben der bereits beim Schwefel (S. 187) abgeleiteten Doppelbindungsregel, wonach nur die Elemente der e r s t e n A c h t e r p e r i o d e des Periodensystems D o p p e l b i n d u n g e n einzugehen geneigt sind, während die übrigen Elemente lieber durch P o l y m e r i s a t i o n zu größeren Komplexen stabile E d e l g a s s c h a l e n zu erreichen suchen. Vergleichen wir etwa das N i t r a t - i o n N 0 3 ' mit dem M e t a p h o s p h a t - i o n P 0 8 ' , so stellen wir fest, daß die Stabilisierung des zunächst elektronen-ungesättigten Gebildes beim e r s t e r e n durch Ausbildung einer D o p p e l b i n d u n g : :Ö:

:Ö:N : Ö:

:Ö:

— s-

Ö: :N , " : Ö:

l Kondensation = Zusammenlagerung von Molekülen unter Wasseraustritt. Bei Kondensation unter B i n g s c h l u ß ist auch die Bildung n i e d e r m o l e k u l a r er Metaphosphorsäuren [HP0,] n , z. B. von „Trimetapkosphaten" (P0 3 ') 3 möglich (S. 269). 2

Der Phosphor

269

beim l e t z t e r e n dagegen durch k e t t e n f ö r m i g e Aneinanderreihung erfolgt, wodurch D o p p e l b i n d u n g e n v e r m i e d e n werden: :Ö: :0 :P " :Ö:

>-

:Ö: :Ö: :Ö: :Ö:P:Ö:P:Ö:P : 0 : : 0 : :Ö:

.

(8)

Deswegen ist das Nitrat-ion zum Unterschied vom p o l y m e r e n Metaphosphat-ion m o n o m e r . In ganz analoger Weise geht die Polymerisation des S c h w e i e l t r i o x y d s S0 3 zu polymerem Schwefeltrioxyd [S0 3 ] n vor sich: : Ö: :Ö:S -—-v : 0:

:Ö: :Ö: :Ü: :Ö:S:Ö:S:Ö:S :Ö:

.

(9)

:Ö: ": Ö:

Der Unterschied ist nur der, daß der Schwefel als im Periodensystem r e c h t s vom Phosphor stehendes Atom e i n e p o s i t i v e K e r n l a d u n g m e h r als der Phosphor aufweist, so daß die Atomgruppierung SO, zum Unterschied vom n e g a t i v geladenen P 0 3 ' n e u t r a l ist. Ersetzen wir den P h o s p h o r des Metaphosphat-ions umgekehrt durch das im Periodensystem l i n k s vom Phosphor stehende S i l i c i u m , so trägt das so entstehende Gebilde Si0 3 zwei n e g a t i v e Ladungen: Si0 3 ", da das Silicium e i n e p o s i t i v e K e r n l a d u n g w e n i g e r als der Phosphor aufweist. Auch dieses M e t a s i l i c a t - i o n Si0 3 " zeigt — wie wir später (S. 325f.) sehen werden — zum Unterschied vom m o n o m e r e n Carbonat-ion C0 3 " die gleiche P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g wie PO,' und S0 3 : :Ö: :Ö:Si ":Ö:

:Ö: : Ö: —

:Ö:

:Ö:Si:'0:Si:Ö:Si :Ö: :Ö: :Ö:

.

(10)

In allen drei Fällen (8), (9) und (10) erfolgt bei k l e i n e m n (z. B. n = 3) die Absättigung der endständigen, koordinativ ungesättigten Atome durch R i n g b i l d u n g : [SO,] 3 , [P0 3 ']„ [Si0 3 "] 8 ; bei g r o ß e m n liegen l a n g e K e t t e n m o l e k ü l e vor. Ein solches kettenförmiges Silicat ist z. B. auch der faserige A s b e s t (S. 330). Die A s b e s t ä h n l i c h k e i t des polymeren ,,asbestartigen" Schwefeltrioxyds (SO a ) x (S. 200) und des faserigen „Kurrclschen Salzes" (NaPO a ) (S. 268) ist also durch den ä h n l i c h e n M o l e k ü l b a u bedingt. Weitere Beispiele für die oben angeführte D o p p e l b i n d u n g s r e g e l sind: C0 2 gegenüber [Si0 2 ] n (S. 328), 0 2 gegenüber [S 2 ] 4 (S. 187),' N 2 gegenüber P 4 (S. 253), N 2 0,gegenüber [P 2 0 3 1 2 (S. 261), H2CO gegenüber [H 2 SiO] n (S. 320f-, 331f.). Bei starkem Erhitzen verflüchtigt sich die Metaphosphorsäure, ohne sich in das Anhydrid P 2 0 6 und Wasser zu spalten; hierbei findet eine D e p o l y m e r i s a t i o n zu kleineren Molekülen — z. B. [ H P 0 3 ] 2 — statt. In w ä s s e r i g e r L ö s u n g wird die Metaphosphorsäure — in Umkehrung ihrer Bildung aus Orthophosphorsäure (S. 268) — langsam, schneller beim Kochen in Gegenwart starker Säuren, zu O r t h o p h o s p h o r s ä u r e gespalten; als Zwischenprodukte treten dabei größere Bruchstücke ( „ P o l y • phosphorsäuren"; S. 268) auf. Phosphathaltige Düngemittel Die grüne Pflanze braucht zum Wachstum und Gedeihen außer L i c h t , L u f t , W ä r m e und W a s s e r (S. 36, 63f.) eine Reihe von N ä h r s a l z e n , in denen vor allem die Nichtmetalle S t i c k s t o f f , P h o s p h o r , S c h w e f e l und die Metalle K a l i u m , C a l c i u m , M a g n e s i u m sowie E i s e n enthalten sein müssen. Von diesen Stoffen müssen nach der Ernte im allgemeinen nur S t i c k s t o f f (S. 6 4 , 4 1 3 , 436f.), K a l i u m (S. 431, 432, 433) und P h o s p h o r — gelegentlich auch C a l c i u m (S. 408, 409) — in Form von D ü n g e m i t t e l n dem Boden wieder zugeführt werden; die übrigen Grundstoffe sind fast in jedem Boden reichlich vorhanden. So k o m m t es, daß P h o s p h a t e als D ü n g e m i t t e l eine wichtige Rolle spielen. U n d zwar verwendet man zur Düngung entweder C a l c i u m - oder A m m o n i u m p h o s p h a t e (vgl. auch S. 531 f.).

270

Die Stickstoffgruppe

Calciumphosphate. Das in der Natur vorkommende t e r t i ä r e Calciumphosphat Ca 3 (P0 4 ) 2 ist in Wasser praktisch unlöslich und wird von den Pflanzen nicht ohne weiteres aufgenommen. Es muß daher erst in das wasserlösliche p r i m ä r e Calciumphosphat umgewandelt werden. Dies geschieht durch A u f s c h l i e ß e n des Rohphosphats mit halbkonzentrierter S c h w e f e l s ä u r e : Ca 3 (P0 4 ) 2 + 2H 2 S0 4

>- Ca(H 2 P0 4 ) 2 + 2CaS0 4 .

Das dabei entstehende Gemisch von p r i m ä r e m C a l c i u m p h o s p h a t und G i p s (CaS0 4 ) heißt „Superphosphat". Die Superphosphatindustrie nimmt als größte Schwefelsäureverbraucherin etwa 60°/ 0 der Welterzeugung an Schwefelsäure auf.

Der Aufschluß erfolgt im einzelnen so, daß das gemahlene und gesiebte Phosphat mit Schwefelsäure in einem eisernen Mischkessel vermischt und anschließend als dünner Brei in große, gemauerte Aufschließkammern geleitet wird, wo die Masse nach kurzer Zeit erstarrt, indem das entstehende Calciumsulfat das Wasser bindet. Der in der Kammer erstarrte Block wird dann fein zerteilt. Die zum Aufschluß erforderliche Schwefelsäuremenge muß durch Vorversuche ermittelt werden; bei u n z u r e i c h e n d e r S c h w e f e l s ä u r e m e n g e entstünde s e k u n däres P h o s p h a t : Ca 3 (P0 4 ) 2 + H 2 S0 4 2CaHP0 4 + CaS0 4 , bei S ä u r e ü b e r s c h u ß P h o s phorsäure (vgl. S. 265): Ca 3 (P0 4 ) 2 + 3H 2 S0 4 >- 2H 3 P0 4 + 3CaS0 4 .

Liegen carbonatreiche, phosphorsäurearme Phosphate vor, so erfolgt der Aufschluß vorteilhaft statt mit S c h w e f e l s ä u r e mit P h o s p h o r s ä u r e , da dann nicht nur das Calciumphosphat, sondern auch das Calciumcarbonat in primäres Phosphat umgewandelt wird: Ca 3 (P0 4 ) 2 + 4H 3 P0 4 CaC03 + 2 H 3 P0 4

>- 3Ca(H 2 P0 4 ) 2 v Ca(H 2 P0 4 ) 2 + C0 2 + H 2 0 .

Man erhält so „Doppelsuperphosphat". Der Gipsgehalt des einfachen Superphosphats fällt hier also weg. Auch auf t r o c k e n e m W e g e kann der Aufschluß von Phosphaten erfolgen, indem man ein Gemisch von P h o s p h a t mit S o d a , K a l k und natürlichen A l k a l i s i l i c a t e n bei 1100—1200° im Drehrohrofen sintert. Das so entstehende G l ü h p h o s p h a t , in dem die Phosphorsäure im wesentlichen als C a l c i u m s i l i c o p h o s p h a t 3CaNaP0 4 • Ca 2 Si0 4 vorliegt, kommt — zu Pulver vermählen — als „Rhenaniaphosphat" in den Handel. Es enthält zwar kein wasserlösliches Phosphat, wird aber durch o r g a n i s c h e S ä u r e n , wie sie von den aufsaugenden Wurzelfasern der Pflanzen ausgeschieden werden, zersetzt, so daß es als Düngemittel Verwendung finden kann. Gleiches gilt von dem bei der Eisenerzeugung als Nebenprodukt anfallenden,, Thomasmehl" (S. 531 f.). In der Praxis bewertet man solche wasserunlöslichen Phosphordünger nach dem Grad der Löslichkeit in 2%iger C i t r o n e n s ä u r e l ö s u n g . Infolge seines Gehaltes an w a s s e r l ö s l i c h e m Phosphat eignet sich S u p e r p h o s p h a t vor allem für schnellwachsende Pflanzen, die ein starkes Bedürfnis für leicht aufnehmbare Phosphorsäure haben. T h o m a s m e h l und R h e n a n i a p h o s p h a t werden von den Pflanzen naturgemäß langsamer aufgenommen und vom Regen weniger leicht ausgewaschen. Daher streut man z. B. Thomasmehl bereits im Herbst und Winter aus, während man das Superphosphat erst im Frühjahr auf die Felder gibt.

Ammoniumphosphate. Unter den drei möglichen Ammoniumphosphaten spielt für Düngezwecke das D i - a m m o n i u m p h o s p h a t (NH 4 ) 2 HP0 4 die Hauptrolle; das M o n o s a l z N H 4 H 2 P 0 4 ist zu stickstoffarm, und das T r i - a m m o n i u m p h o s p h a t geht an der Luft von selbst in das Di-ammoniumsalz über: (NH 4 ) 3 P0 4 —>• (NH 4 ) 2 HP0 4 + NH 3 . Die Herstellung des Di-ammoniumphosphats erfolgt durch Einleiten von A m m o n i a k in P h o s p h o r s ä u r e l ö s u n g : H 3 P 0 4 + 2NH3—>- (NH 4 ) 2 HP0 4 . Es bildet den Bestandteil einiger wichtiger Mischdünger, so des „Leunaphos" (Mischung von Ammoniumsulfat und Di-ammoniumphosphat), des „Nitrophoska" (Mischung von Ammoniumsulfat bzw. -chlorid, Di-ammoniumphosphat und Kaliumnitrat) und des „Hakaphos" (Mischung von Harnstoff, Kaliumnitrat und Di-ammoniumphosphat).

Der Phosphor

271

Y) Phosphorige Säure

Orthophosphorige Säure H3PO3. Die orthophosphorige Säure wird am bequemsten durch Zersetzung von P h o s p h o r t r i c h l o r i d mit Wasser dargestellt: PC13 + 3HÖH >- P(OH) s + 3HCl. Die hiernach zu erwartende Konstitution I der phosphorigen Säure stimmt nicht mit dem nur zweibasigen Charakter der Säure überein. Man nimmt daher an, daß sich diese symmetrische Form im t a u t o m e r e n Gleichgewicht mit der unsymmetrischen Form II befindet: H H

:Ö: H:Ö:P:

H (I)

:Ö: H:Ö:P:H ,

(II)

wobei das Gleichgewicht praktisch ganz auf der Seite der letzteren liegt (S. 263f.). Wie bei der schwefligen (S. 204f.) und salpetrigen Säure (S. 242f.) kennt man auch hier von beiden Formen Alkylderivate, nämlich s y m m e t r i s c h e E s t e r P(OR) 3 und u n s y m m e t r i s c h e E s t e r OPR(OR) 2 .

Die reine orthophosphorige Säure H 3 P0 3 bildet farblose, in Wasser sehr leicht lösliche Kristalle vom Schmelzpunkt 73.6°. Als zweibasige Säure dissoziiert sie in zwei Stufen (K1 = 8.0 X 1 0 - 3 ; K2 = 2.6 x 10 - 7 ) und bildet zwei Reihen von Salzen: primäre Phosphite MeH[HP0 3 ] und sekundäre Phosphite Me 2 [HP0 3 ]. Von diesen sind die Alkaliphosphite und das Calciumphosphit in Wasser leicht, die anderen schwer löslich. Charakteristisch für die phosphorige Säure i s t i h r s t a r k e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n , da sie das Bestreben hat, in die höhere Oxydationsstufe der P h o s p h o r s ä u r e überzugehen. So reduziert sie sich z.B. beim E r h i t z e n im trockenen Zustande unter gleichzeitigem Übergang in Phosphorsäure selbst zu P h o s p h o r w a s s e r s t o f f (S. 257f.): H 3 P 0 8 + 3H s PO a — v H 3 P + 3 H 3 P 0 4

(11)

und fällt aus Lösungen von Salzen edlerer Metalle die Metalle aus (HP0 3 "—>- H P 0 3 + 2 © ; 2Ag' + 2 © —>- 2 Ag). An der L u f t oxydieren sich Phosphite nicht, phosphorige Säure nur langsam zur Stufe der Phosphorsäure. Durch s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l (z. B. naszierenden Wasserstoff) wird phosphorige Säure in P h o s p h o r w a s s e r s t o f f übergeführt (H 3 P0 3 + 6H —>- H 3 P + 3H 2 0). Pyrophosphorige Säure H 4 P ä 0 5 (Smp. 38°, Zers. 130°) und metaphosphorige Säure

HPOg sind nicht durch Erhitzen der orthophosphorigen Säure, sondern nur auf anderem Wege zugänglich. Sie sind von geringer Bedeutung. 8 ) Unterphosphorige Säure.

Unter-diphosphorsäure

Unterphosphorige Säure H3PO2. Beim Erwärmen mit W a s s e r disproportioniert sich der weiß ePhosphor (vgl. S. 256,258) in geringem Maße zu einer tieferen (Phosphorwasserstoff) und einer höheren Oxydationsstufe (unterphosphorige S ä u r e ) : 4 P + 6 H 2 0 ^ = ± 1 PH 3 + 3 H 3 P 0 2 .

Entfernt man die entstehende unterphosphorige Säure durch Salzbildung aus dem Gleichgewicht, d. h. kocht man den weißen Phosphor nicht mit W a s s e r , sondern mit K a l i l a u g e oder B a r i u m h y d r o x y d l ö s u n g , so verschiebt sich das Gleichgewicht nach rechts, so daß die entsprechenden Salze — KH 2 P0 2 bzw. Ba(H 2 P0 2 ) 2 — isolierbar sind. Durch Umsetzung des Bariumsalzes mit Schwefelsäure gewinnt man die freie S ä u r e : Ba(H s P0 2 )j + H 2 S 0 4 — v BaSO, + 2H S P0 S .

272

Die Stickstoffgruppe

Beim Eindampfen der wässerigen Lösung kristallisiert die Säure in Form farbloser Blätter (Smp. 26.5°) aus. Unterphosphorige Säure ist eine einbasige Säure { K = 8.5 X10 - 2 ) und wirkt wesentlich s t ä r k e r r e d u z i e r e n d als phosphorige Säure, wobei sie in phosphorige bzw. Phosphorsäure übergeht. So reduziert sie sich z. B. beim Erwärmen auf 130—140° selbst zu P h o s p h o r w a s s e r s t o f f : H3P02 + 2H3P02 V H3P + 2H 3 P0 3 ; die dabei gleichzeitig entstehende phosphorige Säure disproportioniert sich bei stärkerem Erhitzen weiter in P h o s p h o r w a s s e r s t o f f und P h o s p h o r s ä u r e (11) (vgl. S. 257f.). Gold, Silber, Quecksilber werden sowohl durch die freie Säure als auch durch deren Salze aus den Lösungen ihrer Salze gefällt. Von der phosphorigen Säure unterscheidet sie sich durch ihr Verhalten gegen Kupfersulfatlösung, indem sie das Kupfersulfat nicht nur bis zu metallischem Kupfer, sondern bis zu „Kupferhydrid" CuH reduziert. Die Hypophosphite MeH 2 P0 2 sind in Wasser alle leicht löslich. Unter-diphosphorsäure H4P2O6. Läßt man weißen Phosphor sich an f e u c h t e r L u f t langsam oxydieren, so geht er nicht nur in Säuren der Oxydationsstufe P 2 0 3 (phosphorige Säure H 3 P0 3 ) und P 2 0 6 (Phosphorsäure H 3 P0 4 ), sondern auch in eine solche der mittleren Oxydationsstufe P 2 0 4 (Unter - diphosphorsäureH 4 P 2 0 6 ) über (S. 255): 2P + 2 0 , + 2H20 —>- H4P206. Beim Neutralisieren der erhaltenen Lösung mit Soda Na2C03 kristallisiert das ziemlich schwerlösliche saure N a t r i u m - h y p o d i p h o s p h a t Na 2 H 2 P 2 0 6 • 6H 2 0 aus. Das Salz kann auch durch Oxydation von rotem Phosphor mit W a s s e r s t o f f p e r o x y d in s t a r k a l k a l i s c h e r Lösung mit guter Ausbeute gewonnen werden. Noch schwerer löslich ist das Bariumsalz. Aus diesem läßt sich mittels verdünnter S c h w e f e l s ä u r e (Ausfällung von schwerlöslichem Bariumsulfat) eine wässerige Lösung der freien Säure herstellen: BaHjPjO, + H2S04-—>- BaS0 4 + H4P20e. Beim Eindampfen der Lösung kristallisiert die Säure wasserhaltig in Form zerfließlicher Kristalle der Zusammensetzung H 4 P 2 0 e • 2H 2 0 (Smp. 70°) aus. Trocknen des Hydrats im Vakuum über Phosphorpentoxyd führt zur wasserfreien Verbindung H 4 P 2 0 6 (Smp. 55°, Zers. 100°). Unter-diphosphorsäure ist eine vierbasige Säure (K1 = 6.4 X 1 0 - 3 ; K2 = 1.5 X 10~3; K3 = 5.4 X l 0 - 8 ; Ki = 9.4 XlO - 1 1 ), welche schwächer reduzierend als die phosphorige Säure wirkt. Bei erhöhter T e m p e r a t u r und bei Gegenwart von Mineralsäuren disproportioniert sie sich in wässeriger Lösung in phosphorige und Phosphorsäure: H4P208 + H 2 0 ^

H3POs + H 3 P0 4 .

«) Peroxy-monophosphorsäure. Peroxy-diphosphorsäure

Die Salze der Peroxy-diphosphorsäure H4P2Og (Peroxy-diphosphate) lassen sich analog den Peroxy-disulfaten Me2S2Og (S. 214) durch e l e k t r o l y t i s c h e O x y d a t i o n von Phosphaten gewinnen: 2P0 4 "' •—^P 2 0 8 "" + 2 © . Ebenso entsteht die Peroxy-monophosphorsäure H 3 P0 5 analog der Peroxy-monoschwefelsäure H 2 S0 8 (S. 215) durch Hydrolyse der P e r o x y - d i p h o s p h o r s ä u r e : H4P203 + H 2 0 Ä

HaPO, + H s P0 4 .

Der Phosphor

273

Beide Säuren sind unbeständig und gehen leicht unter Sauerstoffabspaltung in Phosphorsäure über; demgemäß wirken sie als O x y d a t i o n s m i t t e l .

f) Schwefelverbindungen des Phosphors Beim Zusammenschmelzen von P h o s p h o r und S c h w e f e l erhält man je nach dem Mengenverhältnis der Ausgangsstoffe die einheitlichen Verbindungen P 4 S 3 , P 4 S 7 und P 4 S 1 0 : Smp. Tetraphosphor-trisulfid P 4 S 3 172.5° Tetraphosphor-heptasulfid P 4 S, . . 310° Tetraphosphor-dekasulfid P 4 S 1 0 . . . 290°

Sdp. 408° 523° 614°.

Die Reaktion muß in Kohlendioxydatmosphäre und mit rotem Phosphor durchgeführt werden, da sonst wegen der starken Wärmeentwicklung (Bildungswärme von P 4 S 3 : 29.4, von P 4 S 7 : 65.7 kcal/Mol) eine explosionsartige Entzündung der Dämpfe erfolgen würde. Das Trisulfid P 4 S 3 kristallisiert aus Schwefelkohlenstoff, in welchem es leicht löslich ist, in Form schwach gelber Prismen. Bei 40 bis 60° zeigt es ein dem Leuchten des farblosen Phosphors ähnliches Leuchten; bei 100° entzündet es sich an der Luft. Da es weniger gefährlich als farbloser Phosphor ist, wurde es eine Zeitlang zur Herstellung von Zündhölzern benutzt, welche an jeder Reibfläche zünden. In Schwefelkohlenstofflösung läßt es sich durch Einwirkung von Schwefel (Licht und Jod als Katalysator) in ein Pentasulfid P 4 S s überführen, das sich bei höherer Temperatur in P 4 S 3 und P 4 S 7 disproportioniert. Das Heptasulfid P 4 S 7 ist in Schwefelkohlenstoff sehr schwer löslich und wird zum Unterschied von P 4 S 3 , das sich an feuchter Luft nicht verändert, von Wasser langsam unter Bildung von Schwefelwasserstoff zersetzt. Das Dekasulfid P 4 S 1 0 ist in Schwefelkohlenstoff, in welchem es das der Formel P 4 S 1 0 entsprechende Molekulargewicht besitzt, ziemlich löslich und wird beim Erwärmen mit Wasser in Phosphorsäure und Schwefelwasserstoff übergeführt (P 4 S 1 0 + 10H 2 0 >- P 4 O 10 + 10H 2 S). Die Dichte des gelben Dampfes entspricht der Molekulargröße P 2 S 6 . An der Luft verbrennt das Dekasulfid mit bläulich-weißer Flamme. Von den S c h w e f e l - H a l o g e n - V e r b i n d u n g e n des Phosphors sei nur das Phosphorthiochlorid PSC13, das Analogon des Phosphor-oxychlorids POCl3, genannt. Es ist entsprechend dem letzteren z. B. aus P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d und S c h w e f e l w a s s e r s t o f f gewinnbar (PC15 + HjS PSC13 + 2HCl) und stellt eine farblose, bei —35° erstarrende und bei 125» siedende Flüssigkeit dar, welche durch Wasser in P h o s p h o r s ä u r e , S a l z s ä u r e und S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zerlegt wird (PSC13 + 4HjO PO(OH)3 + HjS + 3HC1).

g) StickstofFverbindungen des Phosphors Unter den S t i c k s t o f f V e r b i n d u n g e n d e s P h o s p h o r s ist das sogenannte Phosphornitril-dichlorid PNC 12 hervorzuheben, das durch Erhitzen von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit A m m o n i u m c h l o r i d im Autoklaven auf 120° oder in Tetrachloräthan-lösung auf 135° darstellbar i s t : PCI, + NH 3 — P N C l j + 3HCl. E s besitzt wie die Metaphosphorsäure und ihre Salze die Neigung, sich zu p o l y m e r i s i e r e n . Dieses Polymerisationsbestreben ist nach dem früher Gesagten (S. 268 f.) leicht verständlich, da die Elektronenformel des monomeren P h o s p h o r n i t r i l - d i c h l o r i d s PNClj (I) ganz der des monomeren M e t a p h o s p h a t - i o n s P 0 3 ' ( I I ) entspricht: :C1:

:Ö:

:N:P

:Ö:P

":C1:

":Ö:

(I) H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie.

,

(ii) 3 7 . - 3 9 . Aufl.

18

Die Stickstoffgruppe

274

so daß hier eine ganz analoge Polymerisation zu [PNCl2]n-Molekülen erfolgen kann (vgl. (8), S. 269): :C1:

:C1:

:C1:

:N:P:N:P:N:P " : C 1 : " :C1:

:C1:

Bei k l e i n e n Werten von n (z. B. n = 3, 4, 5, 6 oder 7) schließen sich auch hier die beiden endständigen Atome zum R i n g (vgl. S. 248): (PNC1,)3 (Smp. 114», Sdp. 256.5°), (PNC12)4 (Smp. 123.5°, Sdp. 328.5°), (PNC1,)5 (Smp. 41°, Sdp. 224° bei 13 mm Druck), (PNC1,), (Smp. 91°, Sdp. 262° bei 13 mm Druck), (PNC14)7 (Smp.—18", Sdp. 293° bei 13 mm Druck).

Bei mehrstündigem Erhitzen von Phosphornitrilchlorid auf 300° bilden sich Glieder mit sehr großem n, also hochmolekulare Ringe wie im Falle des Schwefels (S. 186) und Selens (S. 218), in denen die Atome nach Art von Fig. 91 angeordnet sind. Die k a u t s c h u k a r t i g e n E i g e n s c h a f t e n dieses hochpolymeren PhosphornitriJ-dichlorids („anorganischer Kautschuk") sind wie beim normalen Kautschuk (II, S.405f.)oder beim plastischen Schwefel (S. 187) auf die Kräfte zurückzuführen, die bei der durch Dehnung des Stoffs bewirkten Parallelrichtung der Ketten wirksam werden. Bei der Zersetzung mit W a s s e r gehen die Phosphornitril-dichloride [PNCl a ] n (12a) unter gleichzeitiger Bildung von Salzsäure in Metaphosfhimsäuren [PN(OH) 2 ] n (12b) über, die ihrerseits bei weiterer Hydrolyse (200—300°) Metaphosphorsäuren (12c), dann Fig. 91. Ausschnitt aus der Atomanordnung des hochmolekularen Phosphornitril-dichlorids Polyphosphorsäuren (12d) und schließlich Orthophosphorsäure (12e) ergeben: PNCU Cl

c \ c i

C1

|

/

p

HO

II / C l

^N/

P

\

c 1

+6H.0

-

OH

\p/

,1 / /OH ^Tauto-

HOx |

ho/%N/

6 H C 1

O

\OH

P

HN/ HOv I

O

\/

+ 3H.0 *

m

HO

o

/ P

|

X

OH

(«)

H

(12)

Metaphosphimsäure OH

\ o

|

0 /

\ \ H I yO

merie (b)

Phosphornitril-dichlorid

OH

O,

% /

°\p/°H

o \OH

Metaphosphorsäure

+ h2O^hq X

o /

P

\ ) H OH

\ Q /

P

/ 0

\QH

(d) Polyphosphorsäure

2H„0 "



H

HO/

n

OH

^OH

HO

OH

Ip ^,y0

° \ pI

\oo/ HH

(e)

^OH

Orthophosphorsäure

Da« Arsen

275

3. Das Arsen a) Elementares Arsen Vorkommen. Arsen kommt in der Natur gelegentlich gediegen (elementar) als „Scherbenkobalt" (,,Fliegenstein") vor. Hauptsächlich findet es sich aber in Form von Verbindungen, und zwar anionisch (nichtmetallisch) in F o r m von M e t a l l a r s e n i d e n , kationisch (metallisch) in Form von A r s e n s u l f i d e n und A r s e n o x y d e n . Unter den M e t a l l a r s e n i d e n ist das verbreitetste der Arsenkies („Giftkies", „Mißpickel") FeAsS (FeAs 2 • FeS 2 ), ein gemischtes Arsenid-Sulfid. Ganz entsprechend zusammengesetzt sind Glanzkobalt CoAsS und Arsennickelkies NiAsS. E s gibt aber auch schwefelfreie Arsenide, z. B. Arsenikalkies FeAs 2 , Weißnickelkies NiAs 2 , Rotnickelkies NiAs, Speiskobalt CoAs2. I n der N a t u r vorkommende A r s e n s u l f i d e sind Realgar („Rauschrot") As 4 S 4 und Auripigment („Rauschgelb") As 2 S 3 sowie F a h l e r z e wie Tennantit („lichtes Fahlerz") 4Cu 2 S • AS2S3 und Arsensilberblende („lichtes Rotgültigerz") 3Ag 2 S • As 2 S 3 . Als Verwitterungsprodukt von Arsenerzen findet sich schließlich noch das A r s e n t r i o x y d As 2 0 3 (als Arsenolith und als Claudetit). Darstellung. Die Darstellung des Arsens erfolgt in der Hauptsache durch E r h i t z e n von A r s e n k i e s oder A r s e n i k a l k i e s unter Luftabschluß in liegenden Tonröhren, wobei Arsen absublimiert und in kalten Vorlagen verdichtet wird: FeAsS

>- FeS + As.

Physikalische Eigenschaften. Arsen t r i t t in mehreren monotropen Modifikationen auf. Die beständigste Form ist die rhomboedrisch kristallisierte („graues" oder „metallisches Arsen"). Die Kristalle sind stahlgrau, metallisch glänzend und leiten den elektrischen Strom. Auffallend ist ihre große S p r ö d h e i t ; sie lassen sich in einer Reibschale leicht pulverisieren. Diese Eigenschaft besitzen auch die entsprechenden Formen des homologen Antimons und Wismuts, weshalb man sie häufig als „Sprödmetalle" bezeichnet. Das G i t t e r des grauen Arsens zeigt eine gewisse Verwandtschaft zu dem des s c h w a r z e n P h o s p h o r s . E s besteht aus Doppelschichten, die durch gewellte Sechsringe gebildet werden. Lediglich die Art der „Wellung" und Aneinanderlagerung der Sechsringe ist ein wenig anders 1 (Fig. 92). Die Übereinanderlagerung der Doppelschichten ist außerordentlich dicht, so daß nächstbenachbarte Atome verschiedener Doppelschichten nicht wesentlich weiter voneinander entfernt sind als benachbarte Atome innerhalb einer Doppelschicht (3.15 bzw. 2.51 Á). Es müssen also zwischen den Doppelschichten noch K r ä f t e wirksam sein, die zugleich für die hohe Lichtreflektion und das elektrische Leitvermögen verantwortlich zu machen sind. I m schwarzen Phosphor (S. 254f.) waren diese K r ä f t e innerhalb einer Schicht wirksam. Das graue Arsen (spez. Gew. 5.72) ist eine hochpolymere Substanz und kann daher nur unter Veränderung seiner Struktur schmelzen oder verdampfen. Beim Erhitzen unter Luftabschluß im geschlossenen Rohr schmilzt es bei 817° (36 Atmosphären Dampfdruck). Unter gewöhnlichem Druck sublimiert es, ohne zu schmelzen, bei 633°. Der entstehende Dampf ist durchsichtig zitronengelb und besteht aus den gleichen Gründen wie beim Phosphor (vgl. S. 255) bis gegen 800° C aus As 4 -Molekülen, oberhalb von 1700° aus As 2 -Molekülen. Schreckt man A r s e n d a m p f ab, z. B. durch K ü h l u n g m i t f l ü s s i g e r L u f t , so erhält man als metastabile Modifikation das „gelbe Arsen", welches sich in Schwefel1 Und zwar entspricht die räumliche Anordnung der Arsenatome in den einzelnen Schichten ganz der Anordnung der Kohlenstoffatome in den schraffierten Schichten (Fig. 96, S. 294) des Diamantgitters.

18*

276

Die Stiokstoffgruppe

kohlenstoff leicht auflöst und aus dieser Lösung beim Abkühlen in durchsichtigen, stark lichtbrechenden, wachsweichen Kriställchen vom spezifischen Gewicht 1.97 auskristallisiert. Das gelbe Arsen leitet den elektrischen Strom nicht und zeigt in Schwefelkohlenstoff ein der Formel As 4 entsprechendes Molekulargewicht. Das Verhältnis ewischen gelbem und grauem Arsen entspricht dem zwischen weißem und schwarzem Phosphor. Sicherlich ist das Molekül As 4 des gelben Arsens wie das Molekül P 4 des weißen Phosphors (S. 253f.) t e t r a e d e r f ö r m i g gebaut. Da das Arsenatom größer als ein Phosphoratom ist, sind die unter starker Spannung stehenden As—As-Bindungen noch schwächer als die P—P-Bindungen. So brechen die Bindungen schon bei Zimmertemperatur auf, so daß das gelbe Arsen viel weniger beständig ist als der weiße Phosphor und schon bei Zimmertemperatur langsam in graues Arsen übergeht. Die Umwandlungsreaktion ist stark lichtempfindlich. Läßt man z. B . i m D u n k e l n eine Lösung des gelben Arsens in Schwefelkohlenstoff auf weißem Filterpapier verdunsten, so zeigt dieses am L i c h t nur für wenige Augenblicke eine g e l b e Farbe, um sich . I i » dann sehr schnell b r a u n und schließlich «'_ g r a u zu färben. Die Umwandlung unter dem ^AS^ ^ Ä S ^ ^AS^ ^AS^ Einfluß von Licht geht selbst bei —180° f | | | | noch schnell vor sich. i^S As^ As^ As^ As Kondensiert man Arsendampf auf Flächen, ^ V^T ÄS ^AS^ ^ die 100—200° warm sind, so erhält man F J F f schwarzglänzende amorphe Formen (,,schwarzes "Na^^^Na ^ ^ Arsen"), die glasartig hart und spröde AS yte As /te sind. Sie enthalten wie das graue Arsen As As As As As Doppelschichten von Arsenatomen. DieÜber^ ^fi^ ^As"^ ^ A s ^ ^ einanderlagerung der Schichten ist nur nicht f f f J so dicht und regelmäßig, so daß die oben erA. b h !b rrte / wähnten zusätzlichen Kräfte nicht wirksam %rPapwebene 3 werden können. Die amorphen schwarzen Fjg g2 Arsenformen, die dem roten Phosphor entGitterstraktur des grauen Arsens As „ sprechen, leiten daher den elektrischen Strom nicht. Erhitzt man das glasartige schwarze Arsen zusammen mit metallischem Quecksilber (vgl. S. 254) auf 100—175° C, so entsteht eine instabile rhombische Arsenmodifikation, die dem gleichen Gittertyp angehört wie der schwarze Phosphor und mit diesem leicht Mischkristalle bildet. Wie der Phosphor bildet auch das Arsen Mischpolymerisate. So ist z. B . in dem bei der Reduktion von Arsen Verbindungen in wässeriger Lösung entstehenden ,, braunen Arsen" ein Teil der Valenzen des Arsens durch OH-Gruppen abgesättigt. Chemische Eigenschaften. Beim Erhitzen an der L u f t verbrennt das Arsen mit bläulicher Flamme und unter Verbreitung eines eigentümlichen, knoblauchartigen Geruchs zu einem weißen Rauch von A r s e n t r i o x y d As 2 0 3 . In gleicher Weise verbindet es sich mit vielen anderen Elementen. Mit C h l o r vereinigt es sich schon ohne vorherige Erwärmung unter Feuererscheinung. Durch s t a r k o x y d i e r e n d e S ä u r e n (konzentrierte Salpetersäure, Königswasser) wird Arsen zur A r s e n s ä u r e , durch w e n i g e r s t a r k o x y d i e r e n d e S ä u r e n (verdünnte Salpetersäure, konzentrierte Schwefelsäure) zu a r s e n i g e r S ä u r e oxydiert.

b) Arsenwasserstoff

Darstellung. Arsenwasserstoff {Arsin) AsH 3 entsteht bei der Einwirkung von n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f (Zink und Schwefelsäure) auf lösliche A r s e n v e r b i n d u n g e n , z. B . AS(OH)3 + 6H — > - AsHs + 3H 2 0.

277

Das Arsen

Von dieser Bildungsweise macht man bei der „MARSHSchen Probe" auf Arsen (s. unten) Gebrauch. Zur Darstellung größerer Mengen Arsenwasserstoff geht man — in Analogie zur Darstellung von Ammoniak aus Nitriden (S. 228) oder von Phosphorwasserstoff aus Phosphiden (S. 258) — zweckmäßig von einem A r s e n i d , z . B . Zinkarsenid aus und setzt aus dieser Verbindung durch Einwirkung von verdünnter S c h w e f e l s ä u r e die zugrunde liegende „Säure" AsH 3 in Freiheit: Zn 3 As 2 + 3 H 2 S 0 4

v 3ZnS04 +

2AsH3.

Als N e b e n p r o d u k t entsteht dabei das schon oberhalb von—100° in AsH 3 und As 2 H (rot, fest, hochmolekular) zerfallende Diarsin As 2 H 4 . Physikalische Eigenschaften. Arsenwasserstoff ist ein farbloses, außerordentlich giftiges, unangenehm knoblauchartig riechendes Gas, welches bei —54.8° flüssig und bei —113.5° fest wird. Chemische Eigenschaften. Beim Erhitzen spaltet sich der (metastabile) Arsenwasserstoff in seine B e s t a n d t e i l e : ASH3 — ^

Leitet man daher Arsenwasserstoff durch ein an einer Stelle auf Rotglut erhitztes Glasrohr oder hält man in die Flamme von brennendem Arsenwasserstoff ein gekühltes Porzellanschälchen, so scheidet sich hinter der erhitzten Stelle des Glasrohres bzw. auf der Unterseite des Porzellanschälchens das Arsen als metallisch glänzender schwarzer A r s e n s p i e g e l ab.

As +

1V2H2 +

43.5 kcal.

Wasserstoff-Flamme

Trichterrohr-

\Arsenspiegel Woutfe'sche Ftasche--arsenhaltige Lösung --Zink Fig. 93.

MARSHsche Arsenprobe

Man benutzt diese Reaktion zum analytischen Nachweis von Arsen („MARSH sehe P r o b e " ) bei Arsenvergiftungsfällen. Zu diesem Zwecke erzeugt man (vgl. Fig. 93) in einer WouLPESchen Flasche oder einem sonstigen Gasentwicklungsgefäß durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Zink Wasserstoff und leitet das Gas zur Trocknung durch ein mit Calciumchlorid gefülltes U - R o h r und dann durch ein schwer schmelzbares Glasrohr. Nach Verdrängung der L u f t (Probe auf K n a l l g a s ; S. 43) zündet man den Wasserstoff an der ausgezogenen Spitze des Glasrohres an und h ä l t ein glasiertes, kaltes Porzellanschälchen darüber. Sind die verwendeten Reagentien a r s e n f r e i , so darf sich am Porzellanschälchen k e i n d u n k l e r F l e c k v o n A r s e n abscheiden („Blindprobe"). Dann wird durch das Trichterrohr die auf Arsen zu prüfende Lösung eingegossen. I s t Arsen vorhanden, so bildet sich A r s e n W a s s e r s t o f f , der an der Gasaustrittsstelle in der heißen — nunmehr eine fahlblaue F ä r b u n g annehmenden — Wasserstoff-flamme z e r f ä l l t , so daß sich an dem Porzellanschälchen ein dunkler glänzender A r s e n s p i e g e l abscheidet. S t a t t dessen kann man auch (Fig. 9 3 ) das R o h r m i t einer Verengung versehen und hier auf R o t g l u t erhitzen. Dann setzt sich das durch Zerfall gebildete Arsen hinter der Glasverengung als Arsenspiegel a b . Arbeitet man unter stets gleichen Reaktionsbedingungen, so kann man aus der Größe und Dicke des Spiegels angenähert auf die Menge des vorhandenen Arsens schließen. Außer Arsen bildet auch A n t i m o n bei der geschilderten Arbeitsweise einen Metallspiegel. Das Antimon löst sich aber zum Unterschied vom Arsen nicht in H y p o c h l o r i t l ö s u n g , wodurch es von Arsen unterschieden werden kann (vgl. S. 285 u. S. 289).

Bei Anwesenheit von g e n ü g e n d L u f t verbrennt Arsenwasserstoff mit hellblauer Flamme zu Wasser und A r s e n t r i o x y d : 2 ASH 3 + 3 0 2

AS 2 0 3 + 3 H 2 0 ;

bei m a n g e l n d e r L u f t z u f u h r oder beim A b k ü h l e n der F l a m m e (s. oben) verbrennt nur der Wasserstoff, so daß es zur Abscheidung von A r s e n kommt: 2 A s H a + 1 . 5 0 2 —• 2 A s + 3 H 2 0 .

Die Stickstoffgruppe

278

Arsen Wasserstoff wirkt in wässeriger Lösung s t a r k r e d u z i e r e n d (AsH 3 + 3 H Ö H — > • As(OH) 3 -f- 6 H ' + 6 0 ) . So fällt er z. B . aus S i l b e r n i t r a t l ö s u n g metallisches S i l b e r aus: _g + 1 + 3 ± 0 ASH3 +

3H0H +

6Ag" — A s ( O H )

3

+

6H' +

6Ag.

Mit f e s t e m S i l b e r n i t r a t dagegen reagiert er unter Bildung von ASH3 +

3Ag"

>- A s A g 3 +

Silberarsenid:

3H",

das mit überschüssigem Silbernitrat die gelbe Doppelverbindung AsAg 3 • 3 AgNO, bildet. Bei Wasserzusatz wird diese unter Bildung von arseniger Säure und Abscheidung von m e t a l l i s c h e m S i l b e r zerlegt (AsAg 3 + 3Ag" + 3 H Ö H —>- As(OH) 3 -f3H" + 6Ag). Von dieser Reaktion macht man bei der „CiUTZEITsehen Arsenprobe" Gebrauch. Sie wird so ausgeführt, daß man in einem Reagensglas wie bei der MARSHschen Probe durch Einwirkung von naszierendem Wasserstoff auf die arsenhaltige Lösung Arsenwasserstoff erzeugt, diesen durch einen Wattebausch im oberen Ende des Reagensglases von Flüssigkeitsspritzern befreit und dann auf einen Silbernitratkristall einwirken läßt, der auf einem die Mündung des Reagensglases bedeckenden Stück Filtrierpapier liegt. Die G e g e n w a r t von A r s e n zeigt sich durch Gelbfärbung, bei F e u c h t i g k e i t s z u t r i t t durch S c h w ä r z u n g des Silbernitrats an. Phosphorwasserstoff und Antimonwasserstoff geben ähnliche Reaktionen.

c) Halogenverbindungen des Arsens Wie Phosphor bildet auch Arsen mit den Halogenen Verbindungen desTypusAsXj und AsXs:

A s F 3 ( f a r b l o s e F l ü s s i g k e i t , S m p . — 8 . 5 ° , S d p . 6 3 ° ) , ASC1 3 ( f a r b l o s e F l ü s s i g k e i t , S m p . — 1 6 . 0 ° , S d p . 130.2«), A s B r s (farblose K r i s t a l l e , S m p . 31.2», S d p . 221°), A s J 3 (rote K r i s t a l l e , S m p . 141.8», S d p . 4 0 3 » ) ; A s F t ( f a r b l o s e s G a s , S m p . — 7 9 . 8 » , S d p . — 5 2 . 8 » ) , ASC1 B ( f a r b l o s e F l ü s s i g k e i t , S m p . ~ — 4 0 ° ) ,

AsJg (braune Kristalle, Smp. 76°). Die Existenz der beiden letztgenannten Verbindungen ist noch nicht ganz sichergestellt. Arscntrichlorid As('l;t kann — wie alle Arsenhalogenide — aus den E l e m e n t e n gewonnen werden, indem man Arsen im Chlorgas verbrennt: As + IV2CI2 AsCl s . Einfacher erfolgt die Darstellung durch Überleiten von t r o c k e n e m C h l o r w a s s e r s t o f f über erhitztes (180—200°) Arsentrioxyd: As 2 0 3 + 6 HCl >- 2ASC13 + 3 H 2 0 . I n w ä s s e r i g e r L ö s u n g führt die Reaktion nur zu einem G l e i c h g e w i c h t , da A r s e n t r i c h l o r i d von W a s s e r umgekehrt wieder zu a r s e n i g e r S ä u r e und S a l z s ä u r e hydrolysiert wird. Verwendet man allerdings einen genügenden Ü b e r s c h u ß an k o n z e n t r i e r t e r Salzsäure, so kann man das im Gleichgewicht befindliche Arsentrichlorid (zusammen mit Salzsäuredämpfen) durch Abdestillieren aus dem Gleichgewicht entfernen, so daß schließlich alle arsenige Säure in Form von Arsentrichlorid übergeht. Man benutzt diese Methode zur analytischen Abtrennung des Arsens von Antimon und Zinn.

d) Sauerstoffverbindungen des Arsens Arsen bildet zwei S a u e r s t o f f s ä u r e n : die arsenige Säure H 3 A s 0 3 (Salze: Arsenite MeJAsOg) und die Arsensäure H 3 A s 0 4 (Salze: Arsenate Me|As0 4 ). Außerdem kennt man drei A r s e n o x y d e : das Anhydrid der arsenigen Säure (Arsentrioxyd) A s 2 0 3 , das Anhydrid der Arsensäure ( A r s e n p e n t o x y d ) A s 2 0 6 und das gemischte Anhydrid der arsenigen und Arsensäure (Arsentetroxyd) A s 2 0 4 . a ) Arsentrioxyd. Arsenige Säure Vorkommen. Arsentrioxyd („Arsenik") kommt in der N a t u r als kubischer lith (Arsenikblüte) und als monokliner Claudetit vor.

Arseno-

Darstellung. Arsentrioxyd entsteht bei der Verbrennung von A r s e n an der L u f t bzw. in S a u e r s t o f f oder bei derOxydation von A r s e n mit verdünnter S a l p e t e r s ä u r e . T e c h n i s c h wird es im großen durch A b r ö s t e n a r s e n h a l t i g e r E r z e dargestellt:

Das Arsen

2 FeAs S + 50 2

279

>- Fe 2 0 3 + 2 S0 2 + As2Os.

Hierbei verflüchtigt es sich und wird in lange, gemauerte Kanäle {„Giftfänge") geleitet, in denen sich die zunächst noch unreine Substanz zu einem weißen Pulver verdichtet. Die Reinigung durch Sublimation liefert je nach der Temperatur, bei der die Wiederverdichtung erfolgt, ein lockeres weißes Pulver („Giftmehl") oder ein farbloses, glasiges Produkt („Arsenglas"). Physikalische Eigenschaften. I n den Handel gelangt das Arsentrioxyd gewöhnlich in der letztgenannten, durchsichtigen, amorphen Form (spez. Gewicht 3.70). Bewahrt man diese längere Zeit auf, so wird sie allmählich porzellanartig undurchsichtig, weil sie sich in ein Agglomerat regulär-oktaedrischer Kriställchen (spez. Gewicht 3.87) verwandelt. Besser erhält man diese kubische Form des Arsentrioxyds, wenn man die amorphe Form in Wasser oder Salzsäure löst und wieder auskristallisieren läßt. Bei dieser Kristallisation beobachtet man im Dunkeln ein deutliches Leuchten (,,Tribolumineszenz"). Die kubische Form ist die bei Zimmertemperatur beständige Modifikation des Arsentrioxyds. Bei 221° geht sie in eine andere m o n o k l i n e Modifikation (spez. Gewicht 4.15) über: 221° As 2 0 3 kubisch < As 2 0 3 monoklin • Diese entsteht direkt, wenn man die Kristallisation des Arsentrioxyds nicht bei gewöhnlicher Temperatur, sondern oberhalb von 221° vornimmt. Erhitzt man z. B. Arsentrioxyd in einem geschlossenen Glasrohr am unteren Ende auf 400°, so befindet sich nach dem Erkalten im unteren, vorher erhitzten Teil glasiges, im mittleren monoklines, im oberen oktaedrisches Arsentrioxyd. Arsentrioxyd ist im festen, flüssigen und dampfförmigen Zustande färb- und geruchlos. Die monokline Form schmilzt (unter 66 mm Druck) bei 312°, die kubische Form (unter 26 mm Druck) in metastabilem Zustande bei 272°. Der Siedepunkt liegt bei 465°. Im offenen Gefäß sublimiert Arsentrioxyd, ohne zu schmelzen, weil dann der Dampf so schnell entweicht, daß sein Partialdruck die angegebenen Schmelzpunktsdrucke nicht erreicht. Bis 800° entspricht die Dampfdichte der Molekularformel As 4 0 (i (vgl. Fig. 89, S. 261 und Formel (3a), S. 286). Oberhalb dieser Temperatur findet zunehmende Dissoziation statt, und bei 1800° besitzen die Moleküle die Formel As 2 0 3 , Auch Molekulargewichtsbestimmungen in Nitrobenzol-lösungen haben zu der verdoppelten Formel As 4 0 6 geführt. Ebenso sind die Kristalle der kubischen Form aus As 4 0 6 -Einheiten von TJrotropin-Struktur (S. 261) aufgebaut, während die monokline Form höhermolekular ist (vgl. S. 286). Die Bezeichnung „Arsentrioxyd" ist also nur für die Bruttoformel zutreffend. Chemische Eigenschaften. Arsentrioxyd ist leicht zu metallischem Arsen r e d u z i e r b a r . Erhitzt man es z. B. in einem Glühröhrchen mit K o h l e oder mit K a l i u m C y a n i d , so scheidet sich das durch Reduktion entstehende Arsen: 2As 2 0 3 + 3C

4As + 3C0 2

As 2 0 3 + 3KCN

>- 2As + 3KCNO

im kälteren Teil des Glühröhrchens als schwarzer A r s e n s p i e g e l ab („Arsenprobe nach BERZELIUS"). Andererseits läßt sich das Arsentrioxyd auch leicht zur fünfwertigen Stufe o x y d i e r e n . I n Wasser ist Arsentrioxyd mäßig löslich. Die Lösung hat süßlich metallischen Geschmack und rötet blaues Lackmuspapier eben noch deutlich, enthält also eine s c h w a c h e S ä u r e . Dieser Säure („arsenige Säure") kommt die Formel H 3 A s 0 3 (Orthoform) bzw. HAsO a (Metaform) z u : AS203

+H

' ° > 2HAs0 2

+2H



2H3ASOs.

Die Stickstoffgruppe

280

In f r e i e m Z u s t a n d e ist die Säure n i c h t b e k a n n t ; dampft man die Lösung ein, so scheidet sich nicht die Säure, sondern das A n h y d r i d As 2 0 3 ab. Die arsenige Säure kann in drei Stufen dissoziieren, ist also zum Unterschied von der homologen z w e i b a s i g e n phosphorigen Säure (S. 271) eine d r e i b a s i g e Säure: H3As03 H' + H2As03' 2H- + HAs03" ^ril 3H' + As0 3 "'. Dementsprechend leiten sich von ihr Salze des Typus MeTH2As03, Me|HAs0 3 und Me^As03 (Arsenite) ab. Die Alkalimetalle bilden meist leichtlösliche Verbindungen des ersten Typus (z. B. KH 2 As0 3 ), die Schwermetalle meist schwerlösliche Verbindungen des letzten Typus (z. B. Ag 3 As0 3 ). In geringem Maße kann arsenige Säure auch als ein- bis dreisäurige B a s e wirken: As(OH)3

As(OH)2' + OH'

As(OH)" + 2OH'

As"' + 3OH'.

Diese Basenfunktion macht sich aber nur gegenüber s t a r k e n S ä u r e n — und auch hier nur schwach — geltend (vgl. S. 278). Die arsenige Säure wirkt wie das Arsentrioxyd o x y d i e r e n d und r e d u z i e r e n d , wobei sie in A r s e n bzw. A r s e n s ä u r e übergeht: H3AsO$ + 3H' + 3 © H3As03 + H 2 0

As + 3H 2 0 H3As04 + 2H' + 2 ©.

So wird z. B. arsenige Säure aus salzsauren Lösungen durch Z i n n ( I I ) - c h l o r i d (Sn" • — S n " " + 2 © ) als braunes Arsen ausgefällt („BETTENDORFsehe Arsenprobe"). N a s z i e r e n d e r W a s s e r s t o f f (H—>- H' + ©) reduziert noch weiter bis zu A r s e n w a s s e r s t o f f (H 3 As0 3 + 6H' + 6© —>- AsH3 + 3H 2 0; vgl. S. 276f.). Umgekehrt führen O x y d a t i o n s m i t t e l wie Jod (J 2 + 2Q —>- 2J') oder Salpetersäure die arsenige Säure in A r s e n s ä u r e über. Die Reaktion zwischen J o d und a r s e n i g e r S ä u r e wird zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g des Arsengehalts von Arseniklösungen benutzt: H3As03 + H 2 0 + J T-±1 H3As04 + 2H' + 2 J'. (1) Da es sich um eine Gleichgewichtsreaktion handelt, muß die entstehende Säure dabei durch B i c a r b o n a t (H* + HC0 3 '—>• H 2 0 + C0 2 ) aus dem Gleichgewicht entfernt werden. Die Einwirkung von S a l p e t e r s ä u r e auf a r s e n i g e S ä u r e benutzt man zur Darstellung von N 2 0 3 (S. 237). Arsenik ist ein starkes Gift. Schon weniger als 0.1 g können vom Magen aus tödlich wirken, falls es nicht durch Erbrechen oder durch Reaktion mit frisch gefälltem Eisenhydroxyd oder Magnesiumoxyd unschädlich gemacht wird. Durch regelmäßige kleinere Dosen kann der menschliche Organismus an das Gift gewöhnt werden; in diesem Falle werden bis zu 0.5 g auf einmal vertragen („Arsenikesser"). "Verwendung. A r s e n i k findet vielseitige Verwendung für medizinische Zwecke, zum Vertilgen von Mäusen, Ratten, Fliegen, zum Konservieren von Häuten, Fellen, Vogelbälgen und in der Glasfabrikation als Läuterungs- und Entfärbungsmittel. Lösungen von N a t r i u m a r s e n i t dienen zur Vernichtung von Pflanzenschädlingen. Die giftige Farbe Schweinjurtergrün ist eine Verbindimg aus Kupferacetat und Kupferarsenit: Cu(CH3COO)2 • 3 Cu(As02)2 . ß) Arsenpentoxyd. Arsensäure Darstellung. Arsenpentoxyd kann nicht wie das Phosphorpentoxyd durch Verbrennen des Elements an der Luft erhalten werden, da die Oxydation hier nur bis zum Trioxyd As 2 0 3 führt. Es läßt sich durch E n t w ä s s e r n (Erhitzen auf über 300°) von A r s e n s ä u r e gewinnen:

Das Arsen 2H 3 As0 4

281

AS205 + 3H 2 0.

(2)

Die Arsensäure ihrerseits erhält man durch Oxydation von A r s e n oder A r s e n t r i o x y d mit k o n z e n t r i e r t e r S a l p e t e r s ä u r e . Physikalische Eigenschaften. Arsenpentoxyd ist eine weiße, glasige, an feuchter Luft zerfließliche Masse, die sich in Wasser unter Rückbildung von Arsensäure — Umkehrung von (2) — langsam auflöst. Die Arsensäure selbst scheidet sich bei starkem Einengen der wässerigen Lösung in Form kleiner, farbloser, zerfließlicher Kristalle der Zusammensetzung H 3 As0 4 • V2H2O (Smp. 35.5°) ab. Bei niedriger Temperatur ( ~ — 3 0 ° ) ist noch ein höheres H y d r a t H 3 As0 4 • 2 H 2 0 = H[As(OH) 6 ] erhältlich. Chemische Eigenschaften. Wie das Arsentrioxyd läßt sich auch das Arsenpentoxyd durch E r h i t z e n mit K o h l e leicht zu A r s e n reduzieren. Bei starkem E r h i t z e n spaltet es sich in A r s e n t r i o x y d und S a u e r s t o f f : 65.6 kcal + As206 >- As203 + 0 2 . Die vom Arsenpentoxyd abgeleitete Arsensäure mittelstarke Säure: H 3 As0 4

H' + H 2 As0 4 '

H 3 As0 4 ist eine d r e i b a s i g e ,

2H" + HAs0 4 "

3H" + As0 4 "'

und etwas schwächer als Phosphorsäure. Dementsprechend leiten sich von ihr p r i m ä r e (MeH 2 As0 4 ), s e k u n d ä r e (Me 2 HAs0 4 ) und t e r t i ä r e (Me 3 As0 4 ) Salze {ArSenate) ab. I n wässeriger Lösung liegen diese Arsenate wahrscheinlich in hydratisierter Form als „Hydroxosalze" — z. B. H 2 As0 4 ' • 2 H 2 0 = [As(OH) 6 ]' — vor. I n ihren Löslichkeitsverhältnissen entsprechen die Arsenate im allgemeinen den Phosphaten. So fällt z. B. bei Zusatz von Ammoniumchlorid, Ammoniak und Magnesiumsalz zu einer Arsenatlösung das mit dem Ammonium-magnesium-phosphat (S. 267) isomorphe weiße, kristalline Ammonium-magnesium-arsenat NH 4 MgAs0 4 aus (HAs0 4 " + NH 4 " + Mg" —>• NH 4 MgAs0 4 + H"), das analog ersterem beim Glühen in Magnesiumpyroarsenat übergeht ( 2 N H 4 M g A s 0 4 — M g 2 A s 2 0 7 + 2 N H 3 + H 2 0 ) . Mit Ammoniummolybdat entsteht in stark salpetersaurer Lösimg ein gelber, feinkristalliner Niederschlag der Zusammensetzung (NH 4 ) 3 [As(Mo 3 O l0 ) 4 ] (vgl. S. 267 und 518f.). Das Silbersalz Ag 3 As0 4 ist zum Unterschied vom gelben Ag 3 P0 4 (S. 267) rotbraun. Technisch wird vor allem das C a l c i u m - a r s e n a t f ü r die Zwecke der Schädlingsbekämpfung hergestellt. Die Arsensäure unterscheidet sich von der Phosphorsäure charakteristisch durch ihr O x y d a t i o n s v e r m ö g e n . So führt sie z. B. schweflige Säure in Schwefelsäure fiber und macht in Umkehrung von (1) aus angesäuerter Jodkaliumlösung J o d frei.

e) Schwefelverbindungen des Arsens Arsen bildet mit S c h w e f e l drei Verbindungen: As 4 S 4 , As2S3 und As2S5. Von diesen Sulfiden kommt in der Natur die Verbindung As4S4 als Realgar („Rauschrot11, „rote Arsenblende", „Rubinschwefel„Sandarach") und die Verbindung As2S3 als Auripigment („Rauschgelb", „gelbe Arsenblende") vor. Realgar AS4S4 kann künstlich durch Zusammenschmelzen von Arsen und Schwefel im entsprechenden Mengenverhältnis gewonnen werden. Technisch stellt man ihn durch Sublimieren eines Gemenges von Arsenkies FeAsS (FeAsS >- FeS + As) und S c h w e f e l k i e s FeS 2 (FeS2 >- FeS + S) her. Er bildet eine rote, glasige Masse („Rotglas") und gibt beim Verreiben ein orangefarbenes Pulver. Beim Erhitzen schmilzt (Smp. 320°) und verdampft (Sdp. 665°) er unzersetzt. Der Dampf besteht bis 600° aus As4S4-Molekülen; oberhalb von 800° sind nur noch AsjSj-Moleküle nachzuweisen. Mischungen mit Salpeter setzen sich beim Erhitzen unter starker W ä r m e e n t w i c k l u n g und blendend weißer L i c h t e r s c h e i n u n g zu Arsenik und S c h w e f e l d i o x y d um (As4S4 + 140 >• 2As,O s + 4 S0 2 ). Rotglas wird hauptsächlich in der Gerberei zur Enthaarung von Fellen (weißes Handschuhleder), in kleineren Mengen in der Malerei und bei Feuerwerkssätzen verwendet.

282

Die Stickstoffgruppe

Auripigment AS2S3 läßt sich künstlich durch Zusammenschmelzen von A r s e n und S c h w e f e l in dem der Formel entsprechenden Mengenverhältnis darstellen: 2As + 3 S >- As 2 S 3 . Auch entsteht es beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in eine saure Lösung von a r s e n i g e r S ä u r e : 2As(OH) 3 + 3 H 2 S > - A s 2 S 3 + 6 H 2 0 . Das in der T e c h n i k durch Sublimieren von A r s e n i k und S c h w e f e l erhaltene „Operment" („Gelbglas") enthält nur geringe Mengen Trisulfid und besteht im wesentlichen aus unverändertem Trioxyd; daher ist es zum Unterschied vom reinen Trisulfid giftig. Arsentrisulfid As 2 S 3 stellt eine zitronengelbe Verbindung dar, die bei 300° zu einer roten Flüssigkeit schmilzt und bei Ausschluß von Luft bei 707° unzersetzt siedet. Unter dem Namen „Königsgelb" (reines Arsentrisulfid) und ,,Operment" (s. oben) wird es als Malerfarbe verwendet. Das in der Natur vorkommende Auripigment weist eine schöne goldglänzende Farbe auf. Da Arsentrisulfid in Wasser und Säuren unlöslich ist, wird es von der Magensäure nioht gelöst, so daß es vom menschlichen Organismus nicht in nennenswerten Mengen aufgenommen wird und daher auch nicht giftig wirkt. Leichtlöslich ist es in A l k a l i s u l f i d - und A m m o n i u m s u l f i d l ö s u n g e n unter Bildung von Thioarseniten (s. unten). Arsenpentasulfid AS2S5. Leitet man bei Zimmertemperatur in eine stark salzsaure Lösung von A r s e n s ä u r e in raschem Strome S c h w e f e l w a s s e r s t o f f ein, so fällt alles Arsen als gelbes Pulver der Zusammensetzung As 2 S 5 aus: 2 H 3 A S 0 4 + 5 H 2 S -—>- As 2 S 6 + 8 H 2 0 . Die Verbindung kann auch durch Zusammenschmelzen von Arsentrisulfid und Schwefel erhalten werden. Sie ist in Wasser und Säuren unlöslich und läßt sich bei Luftausschluß unzersetzt sublimieren. In A l k a l i s u l f i d l ö s u n g e n ist sie analog dem Arsentrisulfid leicht unter Bildung von Thioarsenaten löslich (s. unten). Thioarsenite und Thioarsenate. Arsentrioxyd und Arsenpentoxyd setzen sich als Säureanhydride leicht mit Alkalien unter Bildung löslicher A r s e n i t e und A r s e n a t e um: Asa03 + 6OH'

>- 2 A s 0 3 " ' + 3 H 2 0

As a O, + 6 0 H '

2As04'" +

3H20.

Noch stärker ausgeprägt ist dieser s a u r e C h a r a k t e r bei den entsprechenden S u l f i d e n . So lösen sich diese z. B . in S u l f i d l ö s u n g e n ganz entsprechend unter Bildung von Thio-arseniten und Thio-arsenaten auf: As a S 3 + 6 S H '

2ASS3"' + 3HaS

AsjS. + 6SH'

2AsS4'" +

3B2S.

Bei Anwendung von A l k a l i e n an Stelle von Sulfidlösungen entstehen S c h w e f e l - und S a u e r e t o f f s a l z e nebeneinander: AS 2 S 3 + 6 OH'

ASS 3 "' + A s O , ' " +

3H20.

Behandelt man A r s e n t r i s u l f i d mit s c h w e f e l h a l t i g e n Sulfidlösungen (z. B. „gelbem Schwefelammon", Polysulfidlösungen), so bilden sich infolge Anlagerung von Schwefel nicht T h i o a r s e n i t e , sondern T h i o a r s e n a t e : As,S s + 6 SH' + 2 S

>- 2 A s S 4 " ' +

3H2S.

Die den Thioarseniten und Thioarsenaten zugrundeliegenden S ä u r e n H 3 AsS 3 und H a AsS 4 sind n i c h t b e s t ä n d i g , sondern zerfallen unter S c h w e i e l w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g und Bildung der „Anhydrosulfide" As 2 S 3 und A e 2 S t : 2H3AsS3

3HjS +

AS2S3

2HSASS4

3HaS +

AsSS5.

Der Vorgang entspricht der — weniger leicht erfolgenden — Abspaltung von W a s s e r aus den S a u e r s t o f f s ä u r e n unter Bildung der Anhydride As 2 0 3 und A s 2 0 6 : 2H,AS0S^±:3H20 +

As203

2H3AS04

3HAO +

As205.

4. Das Antimon a) Elementares Antimon T o r k o m m e n . Antimon findet sich in der N a t u r analog d e m Arsen (S. 2 7 5 ) in F o r m von A n t i m o n s u l f i d e n , M e t a l l a n t i m o n i d e n und A n t i m o n o x y d e n . D a s verbreitetste E r z ist der Grauspießglanz (Antimonglanz, Antimonit, Stibnif) S b 2 S 3 . Andere S u l f i d e sind z. B . das Schwarzerz (dunkles Fahlerz) 4 C u 2 S • S b 2 S 3 , die Antimonsilberblende (dunkles Rotgültigerz) 3 A g 2 S - S b 2 S s , der Bournonit 3(Pb, C u J S •

Das Antimon

283

Sb 2 S 3 , der Silberantimonglanz Ag2S • Sb 2 S 3 , der Kupferantimonglanz Cu2S • Sb 2 S 3 und der Bleiantimonglanz PbS • Sb 2 S 3 . Unter den M e t a l l a n t i m o n i d e n seien erwähnt: der Breithauptit NiSb, der Ulimannit NiSbS und der Diskrasit Ag2Sb. Als Zersetzungsprodukt des Grauspießglanzes tritt der Weißspießglanz (Antimonblüte) Sb 2 0 3 auf. In Form der Doppelverbindung 2 Sb 2 S 3 • Sb 2 0 3 kommt dieses Oxyd auch als Rotspießglanz (Antimonzinnober, Antimonblende, Pyrostibit) in der Natur vor. Gelegentlich findet sich Antimon auch gediegen, meist in isomorpher Mischung mit Arsen (Allemontit). Darstellung. Metallisches Antimon kann nach zwei Verfahren aus dem Grauspießglanz gewonnen werden. Bei dem einen Verfahren wird der Grauspießglanz mit E i s e n in Tiegeln oder Flammöfen verschmolzen („Niederschlagsarbeit"), wobei sich der Schwefel mit dem Eisen verbindet: Sb2S3 + 3Fe >- 2Sb + 3FeS. Bei dem anderen Verfahren wird das Sulfid g e r ö s t e t , wobei es in das beständige, nichtflüchtige T e t r o x y d Sb 2 0 4 übergeht, das sich dann in Flammöfen durch Glühen mit K o k s oder Holzkohle zu Metall reduzieren läßt („Röstreduktionsarbeit"): Sb2S3 + 50 2 — > Sb204 + 3S0 2 Sb204 + 4C 2Sb + 4CO. Erfolgt das Abrösten bei begrenzter L u f t z u f u h r , so entsteht statt des T e t r o x y d s das in der Hitze flüchtige T r i o x y d Sb 2 0 3 , das in Kondensationseinrichtungen niedergeschlagen wird. Das so erhaltene R o h a n t i m o n enthält meist noch Schwefel, Arsen, Kupfer, Blei und Eisen. Um diese Beimengungen zu entfernen, schmilzt man es mit Soda, wobei die Verunreinigungen oxydiert werden und sich in der Schlacke ansammeln. Grauspießglanzerze, welche größere Mengen Gangart enthalten, werden vor der Verarbeitung auf Antimon so weit erhitzt, daß das verhältnismäßig leicht schmelzende Antimonsulfid (Smp. 546°) auf schräger Unterlage ausfließt {„Seigerarbeit"). Das so „ausgeseigerte" Antimonsulfid (92—98°/0 Sb 2 S 3 ) wird „Antimonium crudum" genannt. Physikalische Eigenschaften. Antimon kommt wie Phosphor und Arsen in mehreren Modifikationen vor. Das gewöhnliche, rhomboedrisch kristallisierte Antimon („graues" oder „metallisches Antimon") ist eine silberweiße, stark glänzende, blättriggrobkristalline, spröde und leicht zu pulverisierende Substanz vom spez. Gewicht 6.69. Es leitet den elektrischen Strom gut, schmilzt bei 630.5° C und siedet bei 1640° C. Das K r i s t a l l g i t t e r ist völlig analog dem des grauen Arsens (Fig. 92, S. 276) und enthält daher auch die aus gewellten Sechsringen gebildeten Doppelschichten (Sb—SbAbstand: 2.87 Ä). Der Antimondampf besteht nach den Dichtebestimmungen aus Sb 4 und Sb2-Molekülen. Die dem r o t e n Phosphor und schwarzen Arsen entsprechende Phase (,,schwarzes Antimon") entsteht durch Aufdampfen von Antimon auf gekühlte Flächen. Da die Antimonatome recht groß sind, ist die Stärke der Bindung zwischen den einzelnen Atomen so gering, daß das amorphe Netzwerk schon bei 0° C beginnt, sich in das Kristallgitter des grauen Antimons mit seinen streng geordnet übereinanderhegenden und dicht gepackten Doppelschichten umzuwandeln. Die amorphe Phase leitet ebenso wie die amorphe glasige Arsenphase den elektrischen Strom nicht. Eine dem weißen Phosphor und gelben Arsen entsprechende, aus Sb4-Molekülen bestehende Modifikation gibt es nicht. Das in der Gasphase existierende Sb4Molekül ist also schon so instabil, daß selbst beim Abschrecken mit flüssiger Luft gleich eine Umwandlung in die Doppelschichten der amorphen Phase erfolgt.

284

Die Stickstoffgruppe

Das sogenannte „gelbe Antimon", von dem man früher annahm, daß es aus Sb 4 Molekülen bestehe, ist ein Mischpolymerisat aus Antimon und Wasserstoff und steht daher in Analogie zum festen gelben Phosphorwasserstoff (S. 257, 259). Es entsteht durch Einleiten von Sauerstoff oder Chlor in flüssigen Antimonwasserstoff bei —90° C. Der entstehende gelbe Niederschlag lagert sich schon im Dunkeln bei —80° C in eine schwarze Phase um, die noch nicht näher untersucht ist. Wahrscheinlich besteht sie im wesentlichen aus Antimon mit Fremdsubstanz, insbesondere Wasserstoff, der beim Erhitzen als Antimonwasserstoff entweicht. Das sogenannte ,,explosive Antimon" entsteht bei der Elektrolyse von Antimonchlorid, -bromid oder -jodid in salzsaurer Lösung bei tiefen Temperaturen. Es ist glasartig amorph und geht beim Ritzen, Pulvern oder schnellen Erhitzen unter Aufglühen und Versprühen explosionsartig in das energieärmere, kristallisierte gewöhnliche Antimon über. Das explosive Antimon baut sich in völliger Analogie zum glasigen Arsen aus jenen Doppelschichten auf, die auch f ü r das kristallisierte graue Antimon charakteristisch sind. Der Abstand zwischen Atomen zweier benachbarter Doppelschichten ist von 3.37 Ä im rhomboedrischen Antimon um 0.35 Ä auf 3.72 Ä aufgeweitet. Außerdem ist die Art der Übereinanderlagerung der Doppelschichten nicht ganz die gleiche wie in der kristallinen Phase. Im Gegensatz zum Kristall besitzen die Doppelschichten nur eine begrenzte Ausdehnung. Am Rande sind die freien Valenzen durch Fremdatome, insbesondere Halogen (je nach den Darstellungsbedingungen z.B. 7—20 Atom-°/ 0 Chlor) abgesättigt. Bei der Umwandlung zur kristallinen Phase verdampft die Hauptmenge des Chlors als Antimonchlorid. Chemische Eigenschaften. Bei gewöhnlicher Temperatur verändert sich kristallines Antimon an der Luft nicht. Beim E r h i t z e n über den Schmelzpunkt verbrennt es mit bläulich-weißer Flamme zu A n t i m o n t r i o x y d Sb 2 0 3 . Mit C h l o r g a s vereinigt es eich in feingepulvertem Zustande unter Feuererscheinung zum P e n t a c h l o r i d SbCl 5 ; ebenso reagiert es energisch mit den anderen Halogenen. I n n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n wie Salzsäure oder verdünnter Schwefelsäure ist Antimon entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (e 0 = + 0 . 1 bis + 0.2 Volt) n i c h t l ö s l i c h . I n S a l p e t e r s ä u r e löst es sich — je nach der Säurekonzentration — unter Bildung von a n t i m o n i g e r oder A n t i m o n s ä u r e . In seinen Verbindungen ist Antimon fast ausschließlich d r e i - und f ü n f w e r t i g . Das f ü n f w e r t i g e A n t i m o n zeigt in saurer Lösung großes Bestreben, in dreiwertiges Antimon überzugehen, und wirkt daher o x y d i e r e n d , z. B. gegenüber Jodidlösungen (Sb + 2 J ' — v Sb'" + J 2 ). Formal v i e r w e r t i g tritt Antimon nur in Form des — lediglich in Lösung b e k a n n t e n — T e t r a c h l o r i d s SbCl4 und der sich davon ableitenden Komplexsalze Me|[SbCl 6 ] auf. Antimon wird hauptsächlich zur Darstellung von L e g i e r u n g e n verwendet, da es die Eigenschaft besitzt, weiche Metalle wie Zinn oder Blei bedeutend zu h ä r t e n . Einige wichtige B l e i - A n t i m o n - L e g i e r u n g e n (Letternmetall, Lagermetalle) und Z i n n - A n t i m o n - L e g i e r u n g e n (Britanniametall, Lagermetalle) werden wir beim Blei (S. 358f.) und Zinn (S. 353) kennenlernen.

b) Antimonwasserstoff Darstellung. Der Antimonwasserstoff SbH 3 (Stibin) bildet sich analog dem Arsenwasserstoff ASH3 (S. 276) bei der Einwirkung von n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f auf lösliche A n t i m o n v e r b i n d u n g e n : Sb(OH)3 + 6H

SbH 3 + 3H a O.

Das Antimon

285

Größere Mengen stellt man zweckmäßig durch Eintragen eines A n t i m o n i d s (z. B . einer durch Erhitzen von 2 Gewichtsteilen Magnesium mit 1 Gewichtsteil Antimon erhältlichen Legierung) in kalte verdünnte S a l z s ä u r e dar (vgl. S. 277): Mg3Sb2 + 6 HCl

>- 3MgCla + 2SbH 3 .

I n beiden Fällen besteht das entstehende Gas zur Hauptsache aus W a s s e r s t o f f , von dem der beigemengte Antimonwasserstoff durch Kondensation mittels flüssiger Luft abgetrennt werden kann. Physikalische Eigenschaften. Antimonwasserstoff ist wie Arsenwasserstoff ein farbloses, übelriechendes, giftiges Gas, das sich bei —18° zu einer Flüssigkeit verdichtet, welche bei —91.5° erstarrt. Chemische Eigenschaften. Der Antimonwasserstoff ist eine stark e n d o t h e r m e Verbindung (34.8 kcal + Sb + 1 1 / 2 H 2 — S b H 3 ) . Daher zersetzt er sich explosionsartig in die Elemente, wenn er an einer Stelle entzündet wird. Auch bei gewöhnlicher Temperatur macht sich dieser Zerfall schon bemerkbar, und zwar ist die Zersetzungsgeschwindigkeit in reinen Glasgefäßen zunächst äußerst gering, um dann entsprechend der Menge des abgeschiedenen Antimons zuzunehmen {„Autokatalyse"). Im übrigen entsprechen die chemischen Eigenschaften des A n t i m o n w a s s e r s t o f f s weitgehend denen des A r s e n w a s s e r s t o f f s. Beim Durchleiten des Antimon Wasserstoffs durch das erhitzte Glasrohr des MARSH sehen Apparates (S.277) entsteht ein A n t i m o n s p i e g e l ; an einer in die fahlgrün brennende Flamme des AntimonwasserstoffWasserstoff • Gemisches gehaltenen kalten Porzellanschale scheidet sich ein Antimonfleck ab. Dieser Antimonfleck unterscheidet sich von dem in gleicher Weise entstehenden Arsenfleck durch dunklere Farbe, Unlöslichkeit in Natriumhypochloritlösung und geringere Flüchtigkeit beim Erhitzen im Wasserstoffström. Mit S i l b e r n i t r a t bildet Antimon Wasserstoff eine braungelbe Doppelverbindung Ag 3 Sb • 3 A g N 0 3 (vgl. S. 278), die beim Befeuchten mit Wasser unter Abscheidung von schwarzem Silberantimonid Ag 3 Sb zerlegt wird.

c) Halogenverbindungen des Antimons Die Halogenide des Antimons haben die allgemeine Zusammensetzung b X j (SbF„, farblose, zerfließliche Kristalle, Smp. 292°; SbCl3, farblose Masse, Smp. 73.4°, Sdp. 223°; Sbßr 3 , farblose Kristalle, Smp. 96.6°, Sdp. 288°; SbJ 3 , rubinrote Tafeln, Smp. 170°, Sdp. 401°) und SbX s (SbFg, farblose, ölige Flüssigkeit, Smp. 7.0°, Sdp. 149.5°; SbCle, gelbe Flüssigkeit, Smp. 2.8», Sdp. 140°; SbJ t , braun«? Flüssigkeit, Sdp. 79°). Antimontriehlorid SbClj wird erhalten, wenn man feingepulverten Grau spießglanz in heißer, konzentrierter Salzsäure auflöst: Sb2S3 + 6 HCl — > - 2 SbCl3 + 3H 2 S. Es stellt eine farblose, durchscheinende, kristallin-blättrige, weiche Masse dar („Antimonbutter"), die bei 73.4° schmilzt und bei 223° siedet. In wenig Wasser löst es sich klar auf. Bei weiterer Zugabe von Wasser scheiden sich infolge Hydrolyse basische Chloride (Oxychloride) ab, z. B. SbOCl (Antimonylchlorid; SbCl3 + H 2 0 SbOCl + 2HC1) und 2 SbOCl • Sb 2 0 3 (Algarotpulver; 2SbCl3 + 3 H 2 0 -- SbOOH), so erhält man voluminöse, weiße, gel-artige (vg. S. 338) Niederschläge („Anlimonlrioxydhydrate"), die wechselnde Mengen Wasser enthalten und allmählich, selbst unter Wasser, in das kristalline Oxyd S b 2 0 3 übergehen.

Antimonpcntoxyd; Antimonsäure. Antimonpentoxyd kann als Anhydrid der Antimonsäure durch E n t w ä s s e r n (Erhitzen) von A n t i m o n s ä u r e gewonnen werden. Unter ,,Antimonsäure" versteht man dabei die A n t i m o n p e n t o x y d h y d r a t e Sb 2 0 6 • I H 0 , die als weiße Pulver ausfallen, wenn man etwa A n t i m o n mit konzentrierter 8 S a l p e t e r s ä u r e oxydiert (2Sb + 5 0 —>- Sb 2 0 5 ) oder Stoffe wie A n t i m o n p e n t a c h l o r i d mit W a s s e r hydrolytisch zersetzt (2SbCl 5 + 5 H 2 0 — S b 2 0 5 + 10HC1). Antimonpentoxyd ist ein gelbliches Pulver, das beim E r h i t z e n , ohne zu schmelzen, in das T e t r o x y d Sb 2 0 4 übergeht. I n Wasser ist es sehr schwer löslich. Die Lösung rötet blaues Lackmuspapier und enthält wahrscheinlich eine Hexahydroxo-antimonsäure Sb 2 0 5 • 7 H 2 0 = 2 H ; S b 0 6 = 2H[Sb(OH) 6 ]. Diese ist eine e i n b a s i g e Säure von der Stärke etwa der E s s i g s ä u r e und bildet S a l z e des Typus Me I [Sb(OH) 6 ]. Das K a l i u m s a l z K[Sb(OH) 6 ] dient in der analytischen Chemie als Reagens auf N a t r i u m - i o n e n , da das Natriumantimonat (Natrium-hexahydroxo-antimonat) Na [Sb(OH) 6 ] schwer löslich ist. Die durch Zusammenschmelzen von A n t i m o n p e n t o x y d und M e t a l l o x y d erhältlichen A n t i m o n a t e leiten sich großenteils von einer wasserärmeren, der Phosphorsäure H 3 P 0 4 entsprechenden Form H 3 S b 0 4 ab (H7SbO„ — 2 H 2 0 = H 3 Sb0 4 ). Antimontetroxyd. Sowohl das T r i o x y d Sb 2 0 3 wie das P e n t o x y d Sb 2 0 5 gehen beim Erhitzen an der Luft in A n t i m o n t e t r o x y d Sb 2 0 4 über: Sb203 — S b

2

0

4

< ~ ' ;2 °'

Sb205.

Antimontetroxyd ist ein weißes, in der Hitze gelb und beim Erkalten wieder weiß werdendes Pulver, das sich durch Glühen mit K o h l e (Sb 2 0 4 + 4C — 2 S b + 4C0) oder K a l i u m c y a n i d (Sb 2 0 4 + 4 K C N — > - 2 S b + 4KCN0) leicht zu metallischem A n t i m o n reduzieren läßt.

e) Schwefelverbindungen des Antimons Antimon bildet mit Schwefel die zwei Sulfide Sb 2 S 3 und Sb 2 S 6 . Man erhält sie als orangerote Verbindungen beim Zusammenschmelzen von A n t i m o n und S c h w e f e l ( 2 S b + 3 S >Sb 2 S 3 ; 2 S b + ö S >• Sb 2 S 6 ) oder beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in angesäuerte Lösungen von V e r b i n d u n g e n des d r e i - bzw. f ü n f w e r t i g e n A n t i m o n s (2Sb"' + 3 S " >Sb 2 S a ; 2 S b + 5S" >- Sb 2 S 6 ). Wie die entsprechenden Arsensulfide lösen sie sich in A l k a l i -

288

Die Stickstoffgruppe

oder A m m o n i u m s u l f i d - l ö s u n g e n unter Bildung von „ T h i o - a n t i m o n i t e n " (Sb 2 S 3 + 3 S " — > 2 S b S 3 ' " ) bzw. „Thio-antimonaten" (Sb 2 S 6 + 3 S " V 2SbS4"'). Antimontrisulfid Sb->Ss schmilzt bei 546° und wandelt sich beim Erhitzen unter Luftabschluß in die beständigere grauschwarze Modifikation (Grauspießglanz) um. Zum Unterschied vom weniger basischen Arsentrisulfid As^Sj ist es in starken Säuren löslich (vgl. S. 285). Antimonpentasulfid SbaSs dient als „Goldschwefel" zum Vulkanisieren von Kautschuk und verleiht den so vulkanisierten Gummiwaren die charakteristische rote Farbe. Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von Goldschwefel erfolgt durch Zersetzung von N a t r i u m - t h i o a n t i m o n a t („JS'CHLlPPESches Salz") mit S ä u r e n : 2SbS4"' + 6H' >- Sb 2 S 5 + 3 H 2 S . Das ScHLipPEsche Salz wird dabei durch Kochen von G r a u s p i e ß g l a n z - P u l v e r mit S c h w e f e l und N a t r o n l a u g e gewonnen; hierbei setzen sich Schwefel und Natronlauge teilweise zu Natriumsulfid um, welches dann mit dem Antimontrisulfid bei gleichzeitiger Einwirkung von Schwefel Thioantimonat bildet: Sb 2 S 3 + 3 S " + 2 S >• 2SbS 4 "'. Aus der Lösung kristallisiert beim Erkalten das ScHLiPPESche Salz als hellgelbes Salz der Formel N a 3 S b S 4 - 9 H 2 0 aus.

5. Das Wismut a) Elementares Wismut Vorkommen. Wismut kommt in der Natur nicht in größeren Mengen vor. Es wird hauptsächlich in Südamerika (Bolivien) und Australien (Tasmanien) gefunden, und zwar sowohl gediegen als auch in Form des Sulfids Bi 2 S 3 (Wismutglanz) und des Oxyds Bi 2 0 3 (Wismutocker). Wie Arsen und Antimon kommt es weiterhin gelegentlich in Form von D o p p e l s u l f i d e n vor, z . B . als Bleiwismutglanz P b S - B i 2 S 3 , Silberwismutglanz AgaS • Bi 2 S 3 und Kupferwismutglanz Cu2S • Bi 2 S 3 . Darstellung. Zur Darstellung des Wismuts kann man von den oxydischen oder von den sulfidischen Erzen ausgehen. Die o x y d i s c h e n Erze werden in Tiegeln oder Flammöfen mit K o h l e zu Wismut reduziert: 2 B i 2 0 3 + 3C

>- 4 B i + 3 C 0 2 .

Die sulfidischen Erze werden wie beim Antimon (S. 283) nach dem R ö s t r e d u k t i o n s v e r f a h r e n verarbeitet (Bi2S3á1/202—> Bi 2 0 3 + 3S0 2 ). Das so erhaltene Roh wismut wird von Beimengungen wie Arsen, Antimon, Blei, Eisen, Schwefel durch oxydierendes Schmelzen befreit; Kupfer läßt sich durch Schmelzen mit Natriumsulfid (Überführung in Kupfersulfid), Silber bzw. Gold durch Extraktion des geschmolzenen Wismuts mit Zinn beseitigen. Physikalische Eigenschaften. Wismut ist ein schwach rotstichiges, silberweiß glänzendes, sprödes, grobkristallines Metall vom Schmelzpunkt 217.0° und Siedepunkt 1560°. Seine G i t t e r s t r u k t u r entspricht der des Arsens (Fig. 92, S. 276) und Antimons, und zwar ist im Wismut die Packung der Doppelschichten noch dichter als beim Arsen und Antimon. Der kürzeste Abstand zwischen den Schichten ist mit 3.47 Á nur um 12% größer als der Abstand zweier benachbarter Wismutatome innerhalb einer Doppelschicht (3.10 Á). Das geschmolzene Wismut zeigt wie das Wasser die auffallende Eigenschaft, sich beim Erstarren auszudehnen, so daß mit geschmolzenem Wismut gefüllte Glaskugeln dabei zersprengt werden. Analog verhalten sich die Halbmetalle Antimon, Germanium (vgl. S. 348), Silicium und Gallium. Das Wismutatom besitzt einen noch größeren Radius als das Antimonatom. Dementsprechend sind seine Bindungen noch schwächer. So ist es nicht verwunderlich, daß vom Wismut keine amorphen Phasen existieren. Mischpolymerisate sind ebenfalls nicht bekannt. Chemische Eigenschaften. Wismut ist bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft beständig. Bei Rotglut verbrennt es mit bläulicher Flamme zu W i s m u t t r i o x y d

Das Wismut

289

BijOj. Mit den H a l o g e n e n sowie mit S c h w e f e l , Selen und T e l l u r verbindet es sich in der Hitze direkt; dagegen vereinigt es sich nicht unmittelbar mit S t i c k s t o f f und P h o s p h o r . In W a s s e r und in n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (Salzsäure, Schwefelsäure) ist Wismut entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (e0 = + 0.2 Volt) n i c h t l ö s l i c h . In o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (Salpetersäure, heiße konzentrierte Schwefelsäure) löst es sich unter Bildung von S a l z e n (Nitrat, Sulfat). Metallisches Wismut wird zur Herstellung l e i c h t s c h m e l z e n d e r L e g i e r u n g e n sowie gelegentlich als Zusatz zu Britanniametall und zu Lagermetallen verwendet. Von den leichtschmelzenden Legierungen seien hier erwähnt: das „RosEsche Metall" (2 Gewichtsteile Bi, 1 Teil Pb, 1 Teil Sn) vom Schmelzpunkt 94°, das „WooDsche Metall" (4 Teile Bi, 2 Teile Pb, 1 Teil Sn, 1 Teil Cd) vom Schmelzpunkt 60° und die „Lipowirz-Legierung" (15 Teile Bi, 8 Teile Pb, 4 Teile Sn, 3 Teile Cd) vom Schmelzpunkt 70°. Alle diese Legierungen schmelzen schon in h e i ß e m W a s s e r und können z. B. für elektrische Sicherungen und Sicherheitsverschlüsse verwandt werden. Zur Anfertigung von Abgüssen (Münzen, Klischieren von Holzschnitten usw.) verwendet man zweckmäßig die bei 130° schmelzende Legierung aus 1 Teil Bi, I Teil Pb und 1 Teil Sn, die infolge ihrer Ausdehnung beim Erstarren auch die feinsten Konturen der Vorlage scharf wiedergibt.

b) Verbindungen des Wismuts Die Verbindungen des Wismuts leiten sich vorwiegend vom d r e i w e r t i g e n Wismut ab. Jedoch kann Wismut vereinzelt auch f ü n f w e r t i g auftreten. Das Wismutoxyd Bi 2 0 3 weist ausgesprochen b a s i s c h e n Charakter auf; daher löst es sich in S ä u r e n unter Bildung von Verbindungen ausgesprochenen S a l z c h a r a k t e r s auf. Wismutwasserstoff (Bismutin) BiH:( (Sdp. 22°) wird in Spuren neben viel Wasserstoff erhalten, wenn man eine pulverförmige W i s m u t - M a g n e s i u m - L e g i e r u n g mit S a l z s ä u r e zersetzt: MgsBij + 6 HCl —>- 3MgCl2 + 2BiHs. Seine Bildung läßt sich leicht dadurch nachweisen, daß das entweichende Gas, durch ein erhitztes Glasrohr geleitet, wieArsen- und Antimonwasserstoff e i n e n M e t a l l s p i e g e l ergibt (vgl. S. 574). Der Wismutspiegel unterscheidet sich vom A r s e n s p i e g e l durch seine Unlöslichkeit in Natriumhypochloritlösung, vom A n t i m o n s p i e g e l durch seine Unlöslichkeit in gelber Schwefelammonlösung. Wismuthalogenide, BiXj, entstehen beim Auflösen von W i s m u t o x y d in H a l o g e n wasser stoff s ä u r e n : Bi2Os + 6HX 2BiX3 + 3H 2 0. Wismutfluorid BiF 3 bildet ein wasserunlösliches, weißes, kristallines Pulver (Smp. 730°) — welches bei 500° leicht weiteres Fluor unter Bildung eines Wismut (V)-fluorids BiF s (farblose Nadeln, Sblp. 550°) aufnimmt —, Wismutchlorid BiCl3 eine weiße, kristalline, an feuchter Luft zerfließliche Masse (Smp. 232°, Sdp. 447°), Wismutbromid BiBr 3 gelbe, bei 218° zu einer tiefroten Flüssigkeit (Sdp. 453°, Zers. 500°) schmelzende Kristalle und Wismutjodid Bi J 3 schwarze bis braune, glänzende Kristallblättchen vom Schmelzpunkt 408°. Mit Alkalihalogeniden bilden die Wismuthalogenide Komplexsalze („ Tetrahalogeno-bismutate") des Typus Me [ B i X j . Durch Wasser werden die Wismuthalogenide unter Bildung von W i s m u t o x y h a l o g e n i d e n („Bismutylhalogenide") hydrolytisch gespalten: BiX3 + HsO ^=±1 BiOX + 2HX, H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 3 7 . - 8 9 . A u f l . 19

290

t)ie Stickstoffgruppe

und zwar Wismutchlorid und Wismutbromid leicht, Wismutjodid wegen seiner geringen Löslichkeit erst beim Kochen. Wismutoxychlorid und -bromid sind weiß; Wismutoxyj odid stellt ein ziegelrotes Pulver dar. Wismutsalze lassen sich durch Auflösen von W i s m u t oder W i s m u t o x y d in S ä u r e n gewinnen. Löst man z. B. gepulvertes Wismut in S a l p e t e r s ä u r e auf, so scheiden sich aus der eingedampften Lösung große, durchscheinende, farblose Kristalle der Zusammensetzung Bi(N0 3 ) 3 • 5 H 2 0 aus. Aus der Lösung von Wismut oder Wismutoxyd in heißer konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e kristallisieren feine weiße Nadeln von Big(S0 4 ) 3 aus. Durch Wasser werden diese Salze zu basischen Salzen hydrolysiert. Ein basisches Nitrat der ungefähren Zusammensetzung Bi(0H)2N0 3 dient unter dem Namen „Magisterium bismuti" („Bismutum subnitricum") seit langem als gelindes Darmdesinfiziens sowie in der Wund- und Hautbehandlung. Wismutoxyd; Wismuthydroxyd. Versetzt man eine W i s m u t s a l z l ö s u n g mit A l k a l i h y d r o x y d l ö s u n g , so fällt Wismuthydroxyd Bi(OH) 3 als weißer, flockiger Niederschlag aus. Beim E r w ä r m e n auf 100° geht dieses Hydroxyd in die w a s s e r ä r m e r e Form BiO(OH) über: Bi(OH) 3 •—>- BiO(OH) + H 2 0 . Bei noch stärkerem E r h i t z e n entsteht das w a s s e r f r e i e , in der Kälte gelbe, in der Hitze rotbraune O x y d Bi 2 0 3 (Smp. 817°, Sdp. 1890°), das auch durch Verbrennen von Wismut oder durch Erhitzen von Wismutnitrat oder -carbonat gewonnen werden kann. Das Wismutoxyd Bi 2 0 3 ist zum Unterschied vom s a u r e n Stickstoffoxyd N 2 0 3 und von den a m p h o t e r e n Trioxyden des Arsens und Antimons ein ausgesprochen b a s i s c h e s Oxyd. Es löst sich daher nur in S ä u r e n , nicht dagegen in L a u g e n ; gleiches gilt vom Wismuthydroxyd Bi(OH) 3 . Wie Arsen- und Antimontrioxyd tritt auch Wismuttrioxyd in mehreren Modifikationen auf. Durch starke O x y d a t i o n s m i t t e l (Chlor, Kaliumpermanganat) kann das Wismuthydroxyd bei Gegenwart von Alkalilauge zu gelbbraunen bis purpurroten Salzen oxydiert werden, die sich wahrscheinlich von der roten, bei 120° Wasser abspaltenden W i s m u t s ä u r e HBi0 3 (Anhydrid: Bi 2 0 5 , Smp. 150°) ableiten. Wismutsulfid Bi2S3, das in der Natur als stahlgrauer bis zinnweißer, kristalliner, dem Grauspießglanz Sb 2 S 3 im Aussehen sehr ähnlicher Wismutglanz vorkommt, kann künstlich durch Erhitzen von W i s m u t mit S c h w e f e l (2Bi + 3 S —>• Bi2S3) oder durch Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in die saure Lösung eines W i s m u t s a l z e s (2Bi'" + 3 S" Bi2S3) als dunkelbrauner Niederschlag erhalten werden. Zum Unterschied von Arsen- und Antimontrisulfid löst es sich nicht in Alkalien oder Alkalisulfidlösungen, zeigt also k e i n e s a u r e n Eigenschaften mehr. Bei längerem Stehen (schneller beim Kochen mit Alkalisulfidlösung) geht das gefällte amorphe Sulfid allmählich in die g r a u e k r i s t a l l i n e Form (Smp. 727°) über.

6. Vergleichende Übersicht über die Stickstoffgruppe Wie die Halogene und Chalkogene bilden auch die zuletzt behandelten Elemente S t i c k s t o f f , P h o s p h o r , A r s e n , A n t i m o n und W i s m u t eine natürliche Gruppe des Periodensystems. Hier wie dort beobachtet man dementsprechend mit steigendem Atomgewicht eine graduelle Abstufung der p h y s i k a l i s c h e n und c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n , wie aus der nebenstehenden Zusammenstellung (S. 291) hervorgeht. Metallcharakter. Der metallische (nichtmetallische) Charakter der Elemente nimmt in der Richtung vom Stickstoff zum Wismut hin zu (ab). S t i c k s t o f f ist ein reines N i c h t m e t a l l ; P h o s p h o r kommt außer in drei typisch n i c h t m e t a l l i s c h e n Modifikationen (weißer, roter und violetter Phosphor) in einer (schwarzen) Form vor, die bereits

291

Vergleichende Übersicht über die Stickstoffgruppe Stickstoff 14.008 Atomgewicht 0.96 1 Spezifisches Gewicht -210.5° Schmelzpunkt - 195.8° Siedepunkt Umwandlungstemp. amorph->-kristallin

Phosphor 30.98 1.82 2 44.1° 2 280° 2 ~450°

Affinität zu elektroposit. Elementen Affinität zu elektronegat. Elementen Basecharakter der Oxyde Salzcharakter der Halogenide

>>-

Arsen

Antimon

Wismut

74.91 5.72 3 817 0 4 633° ~270° nimmt zu nimmt ab nimmt zvi nimmt zu nimmt zi

121.76 6.69» 630.5° 1640° ~ 0°

209.00 9.80 271.0° 1560°

>>-

e l e k t r i s c h e s L e i t v e r m ö g e n und starke L i c h t a b s o r p t i o n besitzt. Beim Arsen gibt es die gelbe und die schwarze und beim Antimon die schwarze Modifikation als n i c h t m e t a l l i s c h e , den elektrischen Strom nicht leitende Formen. Die rhomboedrisch kristallisierten grauen Modifikationen werden meist schon zu den Metallen gerechnet. Das rhomboedrische Wismut zeigt bereits m e t a l l i s c h e s L e i t v e r m ö g e n . Wertigkeit. Gegenüber e l e k t r o p o s i t i v e n Elementen wie Wasserstoff oder Metallen treten die Elemente der 5. Hauptgruppe des Periodensystems nur dreiwertig auf; gegenüber e l e k t r o n e g a t i v e n Elementen wie Sauerstoff, Schwefel oder Chlor sind sie drei- und fünfwertig, wobei mit steigendem Atomgewicht die Dreiwertigkeit mehr und mehr die Fünfwertigkeit überwiegt. Die Beständigkeit analoger Verbindungen nimmt mit steigendem Atomgewicht des Zentralatoms im ersteren Falle ab, im letzteren zu. So ist z. B. das Ammoniak NH3 gegenüber dem zersetzlichen Wism u t w a s s e r s t o f f BiH 3 sehr b e s t ä n d i g , während umgekehrt die Oxyde, Sulfide und Halogenide des S t i c k s t o f f s viel unbeständiger als die des W i s m u t s sind. Basecharakter. Der saure (basische) Charakter der Oxyde E 2 0 3 (E = Element der Stickstoffgruppe) nimmt vom Stickstoff zum Wismut hin ab (zu). N 2 0 3 und P 2 O s sind nur Säure-anhydride; As 2 0 3 bekundet neben dem sauren bereits einen schwach basischen Charakter, der sich beim Sb2Oa noch verstärkt; Bi 2 0 3 ist ein ausgesprochenes Baseanhydrid. Entsprechend dieser Abnahme des sauren und Zunahme des basischen Charakters verschiebt sich die Dissoziation der vom Oxyd E 2 0 3 abgeleiteten Hydroxylverbindung E(OH) 3 : EOj'" + 3H'

E(OH)j

E " + 3OH'

mit steigendem Atomgewicht von E zunehmend von der linken nach der rechten Seite hin 5 . So bilden die N i t r i t e und P h o s p h i t e auch in stark saurer Lösung keine Ionen N"' und P " , sondern nur die freien Säuren N(OH)3 (—>- NOOH + H 2 0) und P(OH) s , während die A r s e n i t e , A n t i m o n i t e und W i s m u t i t e in saurer Lösung Verbindungen E X 3 (X = Säurerest) von zunehmendem Salzcharakter bilden, denen das Ion E ' " zugrunde liegt. Umgekehrt h y d r o l y s i e r e n die Verbindungen E X 3 entsprechend der abnehmenden Basizität von E(OH)3 um so leichter, je höher E im Periodensystem steht. So werden NC13 und PC13 von Wasser augenblicklich zersetzt; auch ASC13 geht bei Einwirkung vonWasser leicht in arsenige Säure As(OH)3 über; SbCl3 erleidet durch Wasser nicht sofort eine vollständige hydrolytische Spaltung, sondern geht in basische Fester Stickstoff beim Schmelzpunkt. Weißer Phosphor. 1 Metallische Modifikation. 4 Bei 36 at Druck. 5 Beim ersten ( E = N) und letzten Glied (E = Bi) der Reihe ist die w a s s e r ä r m e r e Form EO(OH) bevorzugt, für die das entsprechende Gleichgewicht H ' + E 0 2 ' EOOH E O ' + OH' gilt. 1

2

19*

292

l)ie Stickstoffgruppe

Chloride über, die erst von sehr viel Wasser zu antimoniger Säure umgewandelt werden; und BiCl3 bildet mit Wasser BiOCl, das bei weiterem Wasserzusatz nicht mehr zersetzt wird. Die Oxyde der fünfwertigen Elemente, E 2 0 5 ) sind alle S ä u r e - a n h y d r i d e . Auch hier nimmt der Säurecharakter mit steigendem Atomgewicht von E ab, so daß die vom N2Os abgeleitete S a l p e t e r s ä u r e HN0 3 eine sehr s t a r k e und die vom Bi 2 0 5 abgeleitete W i s m u t s ä u r e HBi0 3 eine sehr schwache Säure ist. Wasserstoffverbindungen. Auch bei den W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n EH 3 ist die graduelle Abstufung der Eigenschaften sehr deutlich. So nimmt beispielsweise der basische Charakter mit zunehmendem Atomgewicht von E ab, so daß das Gleicheewicht

EH 3 + H- ^

EH 4 -

beim NHS ganz auf der rechten, beim AsH3 dagegen bereits ganz auf der linken Seite liegt.

Kapitel XII

Die Kohlenstoffgruppe 1. D e r Kohlenstoff a) Elementarer Kohlenstoff a ) Vorkommen K o h l e n s t o f f findet sich in der Natur sowohl in f r e i e m (Diamant; Graphit) als auch in gebundenem Zustande. Gebunden kommt er teils im Mineralreich (,,Litho• Sphäre"), teils im Pflanzen- und Tierreich {„Biosphäre"), teils in der Luft {„Atmosphäre") und im Wasser {„Hydrosphäre") vor. Im Mineralreich treffen wir den Kohlenstoff in der Hauptsache in Form von Carbonaten, den Salzen der Kohlensäure H 2 C0 3 an. Wichtige derartige Carbonate sind: C a l c i u m c a r b o n a t CaC0 3 {„Kalkstein", „Marmor", „Kreide"), welches ganze Gebirge bildet, C a l c i u m - m a g n e s i u m - c a r b o n a t CaC0 3 • MgC0 3 {„Dolomit"), Magnesiumc a r b o n a t MgC0 3 {„Magnesit"), E i s e n c a r b o n a t FeC0 3 {„Eisenspat"), Manganc a r b o n a t MnC0 3 {„Manganspat") und Z i n k c a r b o n a t ZnC0 3 {„Zinkspat"). Im Pflanzen- und Tierreich bildet der Kohlenstoff einen grundwesentlichen Bestandteil aller Organismen. Daher nennt man die Kohlenstoffverbindungen auch „organische Verbindungen". Da die Zahl der bis jetzt bekannten, definierten — natürlichen und künstlichen — o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n 600000) im Verhältnis zur Zahl der Verbindungen aller übrigen E l e m e n t e ( ~ 40000) sehr groß ist, pflegt man die Kohlenstoffchemie als „Organische Chemie" von der „Anorganischen Chemie" abzutrennen und gesondert zu behandeln, obwohl anorganische und organische Chemie n i c h t w e s e n s v e r s c h i e d e n sind. Als Produkte der Verwesung urweltlicher p f l a n z l i c h e r Organismen finden sich in der Natur die K o h l e n , als Zersetzungsprodukte urweltlicher t i e r i s c h e r Organismen die E r d ö l e . Der Gehalt der Luft an Kohlendioxyd beträgt zwar durchschnittlich nur 0.03 Volumenprozente. Wegen der großen räumlichen Ausdehnung der Atmosphäre übersteigt aber der in dieser Form vorhandene Kohlenstoff (6.0 XlO 1 1 1) den im Tier- und Pflanzenreich enthaltenen (2.7 XlO 1 1 1) um mehr als 100°/ 0 . In noch stärkerem Maße gilt dies vom Meerwasser, das durchschnittlich 0.005 Gew.-°/0 Kohlendioxyd enthält, entsprechend einer Gesamtmenge von 2 . 7 x l 0 1 3 t Kohlenstoff, d . h . dem H u n d e r t f a c h e n des im Tier- und Pflanzenreich gespeicherten KohlenstoffVorrats. ß) Physikalische Eigenschaften Kohlenstoff kommt in zwei monotropen Modifikationen vor: regulär kristallisiert als Diamant (metastabil) und hexagonal kristallisiert als Graphit (stabil). Feinkristalliner, in amorphem Kohlenstoff eingebetteter Graphit liegt vor im Retortengraphit, Glanzkohlenstoff und Ruß. Im Koks, in der Holzkohle und in der Tierkohle bilden die amorphen Bereiche den Hauptbestandteil. Der amorphe Teil enthält viele Beimengungen, insbesondere Sauerstoff und Wasserstoff, so daß man hier auch von einem Mischpolymerisat mit Kohlenstoff als Hauptkomponente sprechen kann. Diamant und Graphit unterscheiden sich voneinander durch i h r e K r i s t a l l s t r u k t u r . Das Kristallgitter des Graphits besteht aus vielen übereinandergelagerten ebenen

294

Die Kohlenstoffgruppe

K o h l e n s t o f f s c h i c h t e n , in welchen die Kohlenstoffatome zu lauter Sechsecken der Kantenlänge 1.42 Ä zusammengefügt sind. Die ausgezogenen Linien in Fig. 94 geben — von oben gesehen — das „Wabennetz" einer solchen Kohlenstoffebene wieder. Die über bzw. unter dieser Ebene gelegene nächste Sechseckebene (gestricheltes Wabennetz in Fig. 94) ist so angeordnet, daß über (unter) der Mitte eines jeden Sechsecks der Ausgangsebene ein Kohlenstoffatom der benachbarten Ebene zu liegen kommt. Dasselbe wiederholt sich bei den folgenden Ebenen, so daß in summa ein „Schichtengitter" entsteht, welches — von der Seite gesehen — das in Fig. 95 wiedergegebene Aussehen hat. Die einzelnen Schichten haben dabei voneinander einen Abstand von 3.35 A. Da in den Sechseck-ebenen (Fig. 94) jedes Kohlenstoffatom nur mit d r e i anderen durch eine homöopolare Bindung verbunden ist, betätigt es lediglich d r e i seiner vier Außenelektronen. Die „vierten" Valenzelektronen bilden untereinanderDoppelbindungen aus. Fig. 94. Sechseckanordnung der Da ein solches Elektron die Wahl hat, mit welchem Kohlenstoffatome innerhalb einer der drei benachbarten überzähligen Elektronen es Ebene des Graphit-Schichtengitters eine Doppelbindung eingeht, erhält es eine gewisse (ausgezogene Linien: Ausgangsebene; gestrichelte Linien: darun- Beweglichkeit. Dies erkennt man an der tiefschwarzen ter* bzw. darüberbefindliche Ebene) Farbe und dem hohen elektrischen Leitvermögen des Graphits. Zwischen den Schichten sind nur schwache VAN D E R WAALSsche Kräfte wirksam, was sich in der leichten Spaltbarkeit längs der Ebenen bemerkbar macht.

6.70 A

6(16 A

2.96Ä Fig. 95. Kristallgitter des Graphits

2J0& Fig. 96.

Kristallgitter des Diamanten

Das Kristallgitter des Diamanten unterscheidet sich von dem des Graphits dadurch, daß die Ebenen des Graphits nicht mehr durch „ m e t a l l i s c h e " B i n d u n g , sondern durch h o m ö o p o l a r e B i n d u n g zusammengehalten werden, indem die — beim Graphit freibeweglichen — vierten Elektronen der Kohlenstoffatome einer Ebene mit den vierten Elektronen der beiden benachbarten Ebenen — abwechselnd nach oben und unten •— zu E l e k t r o n e n p a a r - b i n d u n g e n zusammentreten. Dies führt zu der

Der Kohlenstoff

295

aus Fig. 96 ersichtlichen „Wellung", Parallelverschiebung und engeren Packung der ursprünglichen Graphitebenen; denn nur auf diese Weise findet jedes Kohlenstoffatom einer Ebene in der darüber- bzw. darunterliegenden Ebene einen Bindungspartner, während im Graphitgitter (Fig. 94 und 95) jedes zweite Kohlenstoffatom einer gegebenen Ebene über (unter) einer S e c h s e c k m i t t e der benachbarten Ebene liegt. Da jedes Kohlenstoffatom jetzt v i e r homöopolare Valenzen betätigt, ist jedes Kohlenstoffatom t e t r a e d r i s c h — im Abstand von je 1.54 A — von vier anderen Kohlenstoffatomen umgeben, wie aus Fig. 96 hervorgeht, in der jedes durch O symbolisierte Kohlenstoffatom tetraedrisch mit vier Kohlenstoffatomen • verbunden ist und umgekehrt. Der Abstand der einzelnen Ebenen voneinander beträgt im Diamantgitter nur noch 2.05 Ä. Das F e h l e n d e r „ m e t a l l i s c h e n " B i n d u n g macht den Diamanten zum N i c h t l e i t e r und bedingt seine F e s t i g k e i t und H ä r t e nach allen drei Richtungen des Raumes hin. Zum Unterschied vom „Ionengitter" etwa des Natriumchlorids (S. 146f. und Fig. 49, S. 147) wird ein Gitter wie das des Diamanten ,,Atomgitter" genannt, da hier an den Gitterpunkten keine I o n e n , sondern ungeladene A t o m e sitzen. Ersetzt man im Diamantgitter die vierwertigeii Köhlenstoff-atome (4. Elementgruppe) durch dreiwertige Arsen- (5. Elementgruppe), zweiwertige Selen- (6. Elementgruppe) oder einwertige Chlor atome (7. Elementgruppe), so geht infolge des Wegfalls eines Teils der Bindungen das ,,Raumgitter" des Kohlenstoffs (Fig.96) in das „Schichtengitter" des Arsens (Fig. 92, S.276), das „Fadengitter" des Selens (S. 218) bzw. das „Molekülgitter" des Chlors über, in welchen die Atome entsprechend ihrer geringeren Wertigkeit nicht wie im Falle des Kohlenstoffs mit vier, sondern nur noch mit drei (As), zwei (Se) bzw. einem (Cl) Nachbarn kovalent verknüpft sind. Je nachdem, welche Bindungen des Diamantgitters in Wegfall kommen, ergeben sich verschiedene Abarten der Schichten- oder Fadenstruktur. So kann man die beiden verschiedenen Wabennetze des schwarzen Phosphors (Fig. 87, S. 255) und metallischen Arsens (Fig. 92, S. 276) dadurch vom Diamantgitter (Fig. 96) ableiten, daß man räumlich verschieden gelagerte Ebenen aus diesem Raumgitter herauss chneidet1.

Unabhängig von der gerade vorliegenden Modifikation ist der Kohlenstoff ein geruch- und geschmackloser Stoff, der erst bei 3700° schmilzt und bei 3900° siedet. I m übrigen sind aber die Eigenschaften der beiden Modifikationen ganz verschieden, so daß wir sie getrennt behandeln wollen. Diamant Die H a u p t f u n d s t ä t t e n des Diamanten liegen im Kongogebiet, an der Goldküste und in Süd- und Südwestafrika. I n Form des reinen Diamanten bildet der Kohlenstoff äußerst harte, jedoch ziemlich spröde, farblose, wasserklare, sehr stark lichtbrechende und glänzende Kristalle vom spezifischen Gewicht 3.51. Bei Anwesenheit geringer Beimengungen können die Diamanten auch gelb, rot, braun, blau, violett oder grün aussehen. Auch tiefschwarze Diamanten (,,Carbonados") kommen vor. Wegen des lebhaften Farbenspiels und hohen Glanzes sind die g e s c h l i f f e n e n reinen Diamanten („Brillanten") als besonders k o s t b a r e E d e l s t e i n e geschätzt. Die meisten gefundenen Diamanten (•—• 95°/ 0 ) eignen sich aber nicht zur Verarbeitung auf Schmuckstücke und dienen zu t e c h n i s c h e n Z w e c k e n : zum Schleifen besonders harten Materials (insbesondere des Diamanten selbst), in Form von Bohrerspitzen zum Bohren besonders harter Gesteine, zum Schneiden von Glas, als Achsenlager für Präzisionsapparate, als Ösen zum Ziehen feinster Drähte harter Metalle. Erhitzt man Diamant unter L u f t a b s c h l u ß auf über 1500°, so geht er unter Wärmeentwicklung in G r a p h i t ü b e r : 'Graphit + 0.2 kcal. 1

Die schraffierten Ebenen in Fig. 96 geben die räumliche Anordnung der Atome des A r s e n Schichtengitters'^Fig. 92, S. 276) wieder.

296

Die Kohlenstofigruppe

Die umgekehrte Verwandlung von Graphit in Diamant ist bis jetzt nur sehr unvollkommen gelungen. Wie aus den Kristallgittern von Diamant und Graphit hervorgeht (S. 294), haben die Kohlenstoffebenen im Diamant einen viel kleineren Abstand voneinander als im Graphit. Zur Umwandlung in Diamant muß daher der Graphit einem a u ß e r o r d e n t l i c h hohen D r u c k ausgesetzt werden. Das erreicht man dadurch, daß man z . B . Graphit in g e s c h m o l z e n e m E i s e n oder g e s c h m o l z e n e m S i l i c a t auflöst und die Schmelze dann a b s c h r e c k t , wobei sich der Kohlenstoff im Innern unter sehr hohem Druck ausscheidet. Die dabei erhaltenen Diamantkriställchen sind winzig und unansehnlich und stimmen zudem in ihren Eigenschaften nicht ganz mit denen echter Diamanten überein. Beim Erhitzen an der L u f t verbrennt der Diamant bei über 800° langsam, in reinem Sauerstoff unter hellem Aufleuchten zu K o h l e n dioxyd: C + 02 v C02 + 94.2 kcal. Nichtoxydierende Säuren und Basen greifen ihn nicht an. Graphit Graphit kommt je nach der Herstellungstemperatur in den verschiedensten äußeren Erscheinungsformen vor, die sich voneinander in der Größe und gegenseitigen Anordnung der Kristalle unterscheiden. Scheidet man z. B. den Kohlenstoff aus kohlenstoffhaltigen Substanzen durch Erhitzen auf verhältnismäßig n i e d r i g e T e m p e r a t u r e n (0 besitzt und dessen Gitter sich von dem des Graphitfluorids wahrscheinlich durch Ersatz je zweier einwertiger Fluoratome durch ein zweiwertiges Sauerstoffatom ableitet. Ebenso kann man durch vorsichtige O x y d a t i o n von G r a p h i t unter k o n z e n t r i e r t e n S ä u r e n „Graphitsalze" (Bisulfat, Phosphat, Perchlorat, Nitrat, Selenat, Hydrogenfluorid) herstellen: G r a p h i t — [ G r a p h i t ] n + - f - n © , wobei allerdings nicht wie beim Graphitfluorid die Grenzzusammensetzung CX (X = einwertiger Säurerest), sondern — aus räumlichen Gründen — nur eine maximale Zusammensetzung C 24 X erreicht wird. Künstlicher Graphit entsteht immer dann, wenn sich aus Kohlenstoffverbindungen bei s e h r h o h e r T e m p e r a t u r Kohlenstoff abscheidet. Technisch wichtig ist das „ACHESON-V erfahren" der Graphitgewinnung, bei welchem K o k s bei Gegenwart von S i l i c i u m im elektrischen Ofen s e h r h o c h e r h i t z t wird. Da die Bindestärke zwischen Siliciumatomen geringer als die zwischen Silicium und Kohlenstoff und diese wiederum geringer als die zwischen Kohlenstoffatomen ist, ist das Silicium im Gitterverband nicht so fest gebunden. Es ist daher bei erhöhter Temperatur leichter beweglich und kann mit der amorphen Kohle reagieren, d. h. in das Netzwerk eingebaut werden. Die eingebauten Siliciumatome bilden dann schwache Stellen des Netzwerkes, wodurch eine Umwandlung desselben in Graphit unter thermischen Bedingungen ermöglicht wird, unter denen sich die amorphe Kohle für sich allein nur langsam in Graphit umwandelt. Da das verdampfende Silicium immer wieder von neuem mit der Kohle reagiert, schematisch: C

feinkristallin + .S i s c Cfeinkristellin

2000°

„„„„„ 5 >2200^

SiC g i + c1

'Graphit

->- C,'Graphit'

braucht man nur wenig Silicium in Form von Quarzsand (Si0 2 + 2Cvgl. S. 318) zuzugeben.

Si + 2CO:

298

Die Kohlenstoffgruppe

Künstlicher und natürlicher Graphit finden mannigfache technische Verwendung. Wegen der B e s t ä n d i g k e i t g e g e n ü b e r H i t z e und T e m p e r a t u r w e c h s e l und wegen der guten W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t dient Graphit zur Herstellung von Tiegeln zum Schmelzen von Metallen. Die Eigenschaft a b z u f ä r b e n wird bei der Herstellung von Bleistiften (Variierung der Härte durch Tonzusatz) benutzt. Die g u t e e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t und c h e m i s c h e W i d e r s t a n d s f ä h i g k e i t machen ihn als Material für Elektroden sowie für viele andere Zwecke der Elektrochemie und Elektrotechnik geeignet. Wegen seinerWeichheit benutzt man ihn als hitzebeständiges Schmiermittel und wegen seiner s c h w a r z e n F a r b e als hitzebeständiges Schwärzungsmittel für Öfen usw. Auf seiner Fähigkeit, schnelle Neutronen abzubremsen, beruht seine Verwendung als M o d e r a t o r in K e r n r e a k t o r e n (vgl. S. 594). Retortengraphit (Retortenkohle) scheidet sich bei der L e u c h t g a s f a b r i k a t i o n und K o k s g e w i n n u n g (S. 310f.) in dichten, festen Massen ab, indem die beim Erhitzen der Steinkohle entweichenden kohlenstoffhaltigen Gase an den sehr heißen (1500°) Retortenwänden teilweise unter Kohlenstoffbildung zerfallen. Retortengraphit ist zum Unterschied vom gewöhnlichen Graphit sehr h a r t , da in ihm die submikroskopischen Kriställchen dicht und regellos miteinander verwachsen sind, so daß keine regelmäßig orientierten größeren Kohlenstoffebenen wie beim Graphit vorliegen, längs derer ja allein eine leichte Spaltung und Parallelverschiebung möglich ist. Wie Graphit l e i t e t auch der Retortengraphit gut den e l e k t r i s c h e n S t r o m , weshalb er zur Herstellung von Kohlestiften für Bogenlampen und von Elektroden benutzt wird. Glanzkohlenstoff wird am besten durch Zersetzung von Kohlenwasserstoffen bei 800° an glatten Oberflächen (z. B. glasiertem Porzellan) gewonnen. In seinen Eigenschaften nimmt er eine Mittelstellung zwischen dem Graphit und den ganz feinkristallinen Kohlenstoffsorten (z. B. Ruß) ein. Koks entsteht als Rückstand beim starken Erhitzen von S t e i n k o h l e n in feuerfesten Retorten. Man unterscheidet „Gaskoks" und „Hüttenkoks". Gaskoks wird bei der Leuchtgasdarstellung, also beim Erhitzen „gasreicher" Kohlen {„Gaskohlen") gewonnen (S. 311) und ist meist locker, so daß man ihn in der Regel nur zu Feuerungszwecken verwendet. Hüttenkoks entsteht beim Erhitzen „gasarmer" Kohlen („Kokskohlen") und ist verhältnismäßig dicht und fest, so daß er in Hochöfen (S. 527ff.) zu gebrauchen ist. Ruß {„Lampenschwarz") bildet sich, wenn man gasförmige oder durch Vergasen flüssiger oder fester Stoffe entstehende flüchtige Kohlenstoffverbindungen bei ungenügendem L u f t z u t r i t t verbrennt und den in der leuchtenden Flamme vorhandenen Kohlenstoff durch K ü h l u n g der F l a m m e an wassergekühlten Metallplatten u. dgl. abscheidet. Technisch wichtig sind „Kienruß" (aus harzreichen Hölzern), „Ölruß" (aus Öllampen), „Naphthalinruß" (aus Naphthalin C 10 H g ), „Anthracenruß" (aus Anthracen C 14 H 10 ), „Acetylenruß" (aus Acetylen C 2 H 2 ). Ruß dient in großem Umfange als schwarzer Farbstoff (Darstellung von Druckerschwärze und Tusche, Färben von Lackleder, Gummihandschuhen, Grammophonplatten usw.) und als Füllstoff für Kautschuk. y) Adsorption an Aktivkohle D i e LANGMUiRsche

Adsorptionsisotherme

Die im I n n e r n eines festen Stoffs befindlichen Atome oder Moleküle üben n a c h a l l e n drei R i c h t u n g e n des Raumes ihre gegenseitigen A n z i e h u n g s k r ä f t e — die ja den Zusammenhalt des festen Stoffs bedingen — aus. Dagegen werden die Bindungskräfte der an der O b e r f l ä c h e befindlichen Teilchen nur nach dem I n n e r n des festen Stoffs hin beansprucht, während sie n a c h a u ß e n hin frei wirksam bleiben (vgl. S. 391 f.). So kommt es, daß die festen Stoffe befähigt sind, Gase oder gelöste Stoffe an ihrer valenz-ungesättigten O b e r f l ä c h e anzureichern. Man nennt diese Verdichtung an

Der Kohlenstoff

299

der Oberfläche „Adsorption". Sie spielt bei der heterogenen Katalyse an festen Stoffen (S. 112, 395) eine wesentliche Rolle. Die O b e r f l ä c h e eines Stoffs wächst mit dessen Z e r t e i l u n g . Ein Würfel von 1 cm Kantenlänge, der eine Oberfläche von 6 cm 2 aufweist, ergibt beispielsweise bei der Zerlegung in 1018 Würfel der Kantenlänge 10~6 cm (100 Ä) eine Oberfläche von 6 X 10~12 X 10 18 cm 2 = 600 Quadratmeter (vgl. S.393). Dementsprechend ist ein festes Adsorptionsmittel um so w i r k s a m e r , j e f e i n e r v e r t e i l t es ist. Wichtige derartige feinverteilte Adsorptionsmittel sind z.B. die oberflächenreichen Kieselgele (S. 338f.) und Aktivkohlen (s. unten), die beide eine Blattstruktur aufweisen. Gewöhnlich beschränkt sich eine Adsorption auf die Bildung einer e i n m o l e k u l a r e n O b e r f l ä c h e n s c h i c h t , da dann die Bindekräfte der Oberflächenatome des festen Stoffs abgesättigt sind. Je h ö h e r bei gegebener Temperatur der D r u c k des zu adsorbierenden Gases oder die K o n z e n t r a t i o n des zu adsorbierenden gelösten Stoffs in der an das Fig. 98. Adsorptionsisotherme feste Adsorptionsmittel angrenzenden Gasoder Lösungsphase ist, desto g r ö ß e r ist auch die an der festen Oberfläche adsorbierte St o f f m e n g e , da es sich um einen G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d handelt. Die adsorbierte Stoffmenge kann aber mit steigendem Druck bzw. steigender Konzentration nur so l a n g e z u n e h m e n , bis d i e g a n z e f e s t e O b e r f l ä c h e b e l e g t i s t . Daher nähert sich entsprechend Fig. 98 die je Flächeneinheit des Adsorptionsmittels adsorbierte Stoffmenge einem bestimmten S ä t t i g u n g s w e r t , nämlich dem der einmolekularen Oberflächenbesetzung. Mathematisch wird diese Beziehung durch die „LiNCMUiBSche Adsorptionsisotherme"

zum Ausdruck gebracht, in welcher a die je Oberflächeneinheit adsorbierte G r a m m m e n g e und c die K o n z e n t r a t i o n (bzw. den Partialdruck) des zur Adsorption kommenden Stoffs bedeutet, während und k2 K o n s t a n t e n sind, die bei gegebener Temperatur von der Natur und Beschaffenheit des A d s o r p t i o n s m i t t e l s („Adsorbens") und a d s o r b i e r t e n S t o f f s („Adsorbendum") abhängen und damit die Verschiedenheiten der „Oberflächenaffinität" zwischen Adsorbens und Adsorbendum zum Ausdruck bringen. Für k l e i n e Konzentrationen c (c- C02 + 94.0 kcal

oder als Nebenprodukt beim K a l k b r e n n e n (S. 407f.): 42.7 kcal + CaC03 -—>- CaO + C02. I n beiden Fällen ist das Kohlendioxyd mit viel S t i c k s t o f f vermengt. I n r e i n e r F o r m läßt es sich aus diesem Gasgemisch isolieren, indem man es in Türmen einer über Koks herabrieselnden K a l i u m c a r b o n a t l ö s u n g entgegenleitet, welche das Kohlendioxyd bindet: KjCO s + CO, + 2 KHCO,

Die Kohlenstoffgruppe

304

und beim K o c h e n (Umkehrung der vorstehenden Reaktion) wieder abgibt. Auch die n a t ü r l i c h e n Gasquellen werden vielfach zur Kohlendioxydgewinnung ausgenutzt. Im L a b o r a t o r i u m setzt man das Kohlendioxyd als Anhydrid der Kohlensäure (H2C03 -^zh. H 2 0 + C0 2 ) zweckmäßig aus den Salzen der K o h l e n s ä u r e , den Carbonaten, durch Einwirkung von Säuren in Freiheit (z. B. Zersetzung von Marmor CaC03 durch Salzsäure im K I P P sehen Apparat): C a C 0 3 + 2HCl

v CaCl 2 + H a O +

C02.

Physikalische Eigenschaften. Kohlendioxyd ist ein farbloses, nicht brennbares, die Atmung und Verbrennung nicht unterhaltendes Gas von etwas säuerlichem Geruch und Geschmack. Sein spezifisches Gewicht (1.9768 g/Liter bei 0° und 760 mm) ist etwa anderthalb mal so groß wie das der Luft. Daher sammelt es sich an Orten, wo es entweicht (z. B. Gärkellern, Grotten, Brunnenschächten usw.), am Boden an, was wegen der erstickenden Wirkung von Kohlendioxyd beachtet werden muß. Bekannt ist die ,,Hundsgrotte" von Neapel, in der z.B. Hunde wegen des dem Boden entströmenden Kohlendioxyds ersticken, während Menschen dort ungehindert atmen können. Kohlendioxyd läßt sich leicht verflüssigen, da seine kritische Temperatur (31.3°) relativ hoch liegt (kritischer Druck 72.9 at, kritische Dichte 0.464 g/cm3). So kann man es beispielsweise bei 0° schon durch einen Druck von 34.3, bei —20° durch einen Druck von 19.3 und bei —50° durch einen Druck von 6.6 Atmosphären zu einer farblosen, leichtbeweglichen Flüssigkeit verdichten. Kühlt man flüssiges Kohlendioxyd in einem geschlossenen Glasgefäß ab, so erstarrt es zu einer eisähnlichen Masse, welche bei —56.7° unter einem Eigendruck von 5 Atmosphären schmilzt. Bei Atmosphärendruck sublimiert festes Kohlendioxyd bei —78.5°, ohne zu schmelzen. Zur E l e k t r o n e n formel des Kohlendioxyds vgl. S. 317. Kohlendioxyd kommt in verflüssigter Form in Stahlbomben in den Handel, öffnet man das Ventil einer solchen, mit der Öffnung schräg nach unten gerichteten Stahlflasche, so fließt das flüssige Kohlendioxyd aus. Die dabei unter starkem Wärmeverbrauch sofort einsetzende Verdunstung eines Teils der Flüssigkeit kühlt den restlichen Teil rasch bis auf den Sublimationspunkt von —78.5° ab, so daß man eine schneeige Masse (,,Kohlensäureschnee") erhält. Die sehr hohe Sublimationswärme dieses Schnees (136.9 cal/g bei —'78.5°) macht ihn — zweckmäßig im Gemisch mit Flüssigkeiten (z. B. Äther, Alkohol oder Aceton) — als Kältemittel geeignet. In den Handel kommt festes Kohlendioxyd als „Trockeneis". 1 Liter Wasser löst bei 15° 1 Liter und bei 0° 1.7 Liter Kohlendioxyd von Atmosphärendruck. Die entstehende Lösung reagiert schwach sauer (s. S. 305). Chemische Eigenschaften. Kohlendioxyd ist eine sehr beständige Verbindung, die erst bei sehr hohen T e m p e r a t u r e n (bei 1205° zu 0.032, bei 2367° zu 21.0 und bei 2606° zu 51.7%) in K o h l e n m o n o x y d und S a u e r s t o f f zerfällt: 67.6 kcal + C 0 2

CO +

V202.

Dementsprechend ist C0 2 ein sehr schwaches — die Verbrennung und Atmung daher nicht unterhaltendes — Oxydationsmittel, während umgekehrt CO (bei hoher Temperatur) ein starkes Reduktionsmittel darstellt. Nur s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l wie Wasserstoff, Kohle, Phosphor, Magnesium, Natrium, Kalium können in der H i t z e Kohlendioxyd zu Kohlenoxyd reduzieren. Die bei der Reaktion mit Wasserstoff und mit Kohle sich einstellenden Gleichgewichte: C02 + H2

CO + H 2 0

und

C02 + C

CO + CO

spielen als „Wassergasgleichgewicht" (S. 307) und „BOUDOUARD-Geichgewicht" (S. 306) bei vielen technischen Prozessen eine Rolle.

305

Der Kohlenstoff

Die wässerige Lösung des Kohlendioxyds rötet Lackmus schwach, reagiert also etwas sauer. Das kommt daher, daß sich Kohlendioxyd mit Wasser in geringem Betrage (~0.1°/ 0 ) zu Kohlensäure H 2 C0 3 umsetzt: C 0 3 + HjO

H2C03.

(1)

Diese Kohlensäure H 2 C0 3 ist an sich eine m i t t e l s t a r k e Säure; ihre Dissoziationskonstante = CH- x chco,- beträgt 5 X10" 4 . Da aber 99.9°/0 des gelösten Kohlench,co2 dioxyds nicht als H 2 C0 3 , sondern als unverändertes C0 2 vorliegen, wirkt die Gesamtlösung als schwache Säure. Gewöhnlich pflegt man bei der Kohlensäure die „scheinbare Dissoziationskonstante" anzugeben, indem man als undissoziierten Säureanteil die Konzentration CHäcoa+co, einsetzt. Dann bekommt Kl den um 3 Zehnerpotenzen kleineren Wert 3 . 1 5 x 1 0 - ' . K.t = Ch" X Cc °." beträgt 5.2 xlO" 1 1 . CHCO,'

Die Bestimmung des in einer wässerigen Kohlendioxydlösung als wahre Säure H 2 C 0 3 vorliegenden Anteils gelingt auf Grund des Umstandes, daß bei Zusatz von Natronlauge die schon vorhandene wahre Kohlensäure H 2 C 0 3 wie alle Säuren m o m e n t a n neutralisiert wird, während die weitere Neutralisation langsamer erfolgt, da die Wiedereinstellung des gestörten Gleichgewichts (1) Zeit erfordert.

In wasserfreiem Zustande läßt sich die Kohlensäure nicht isolieren, da beim Entwässern (Verdampfen oder Gefrieren der Lösung) wegen Überschreitung der Löslichkeit das Anhydrid C0 2 entweicht. Als zweibasige Säure bildet die Kohlensäure zwei Reihen von Salzen: Hydrogencarbonate („primäre Carbonate"-, „saure Carbonate"-, „Bicarbonate") Me ! HC0 3 und Carbonate („sekundäre Carbonate" -, „neutrale Carbonate") Me^C03. Alle Hydrogen carbonate sind bis auf das Natriumhydrogencarbonat NaHC03 in Wasser leicht löslich. Von den normalen Carbonaten lösen sich nur die Alkalicarbonate leicht, alle übrigen schwer in Wasser. Beim Erhitzen gehen die Hydrogencarbonate unter Kohlendioxydabspaltung in normale Carbonate über: 2MeHC03 Me2C03 + H 2 0 + C0 2 ; umgekehrt kann man durch Einleiten von Kohlendioxyd in wässerige Carbonatlösungen Hydrogencarbonate erhalten (S. 410, 428). Ansäuern von Carbonatlösungen führt zu Kohlendioxydentwicklung, da die primär in Freiheit gesetzte Kohlensäure H 2 C0 3 in H 2 0 + C0 2 zerfällt, so daß bald die Löslichkeit des Kohlendioxyds in Wasser überschritten wird. ß) Kohlenmonoxyd

Darstellung Technisch erzeugt man Kohlenmonoxyd in großem Umfang in Form von Generatorgas und Wassergas bei der Umsetzung von Kohlenstoff mit Luft bzw. Wasserdampf. Zur Darstellung von „Generatorgas" („Luftgas") wird in großen Öfen („Generatoren") L u f t von unten her durch eine 1—3 m hohe Koksschicht geleitet (vgl. S. 225). Im unteren Teil dieser Schicht verbrennt der Kohlenstoff, da hier L u f t ü b e r s c h u ß vorhanden ist, unter starker Wärmeentwicklung zu K o h l e n d i o x y d : C+

02

C 0 2 + 94.0 kcal.

(2)

Hierbei erhitzt sich die Koksschicht auf über 1000°. Das gebildete K o h l e n d i o x y d setzt sich dann bei dieser hohen Temperatur im darüberliegenden, noch unverbrauchten Teil der Koksschicht mit K o h l e n s t o f f zu K o h l e n o x y d um: 41.2 kcal + C 0 2 + C ^ z i : 2 C O ,

(3)

so daß sich bei Koksüberschuß und hohen Temperaturen insgesamt die Reaktion 2C + 02 Holleman-Wiberg,

Anorganische Chemie.

2 CO + 52.8 kcal 37. — 3 9 . A u f l .

(4) 20

Die Kohlenstoffgruppe

306

abspielt. Das Gemisch des so gebildeten Kohlenoxyds mit dem Stickstoff der Verbrennungsluft (vgl. S. 225) wird als G e n e r a t o r g a s bezeichnet. Die Reaktion (3) führt bei jeder Temperatur zu einem bestimmten G l e i c h g e w i c h t , das unter dem Namen „BOUDOUAKD-Gk'K'hgowieht" bekannt ist. Und zwar verschiebt sich das Gleichgewicht, da es sich um eine e n d o t h e r m e und mit V o l u m e n Vermehrung verbundene Reaktion handelt, mit s t e i g e n d e r (fallender) T e m p e r a t u r und f a l l e n d e m (steigendem) D r u c k nach r e c h t s (links). Bei A t m o s p h ä r e n d r u c k entsprechen z. B. den nachfolgenden T e m p e r a t u r e n die angegebenen V o l u m e n p r o z e n t e von Kohlenoxyd und Kohlendioxyd im Gleichgewicht (vgl. Fig. 101): C0 2 CO

450° 98 2

500° 95 5

600° 77 23

700° 42 58

800° 10 90

900° 3 97

950° C 1.5 Vol.-% 98.5 Vol.-%.

Wie daraus hervorgeht, liegt das Gleichgewicht bei 400° praktisch ganz auf der Seite des K o h l e n d i o x y d s und bei 1000° praktisch ganz auf der Seite des K o h l e n m o n o x y d s . Dementsprechend erhält man bei der Umsetzung von ü b e r s c h ü s s i g e m K o k s mit L u f t bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n vorwiegend C0 2 , bei hohen T e m p e r a t u r e n vorwiegend CO. Bei Verwendung eines L u f t ü b e r s c h u s s e s (völlige Verbrennung des Kohlenstoffs zu Oxyden) wird das Verhältnis von Kohlenoxyd zu Kohlendioxyd infolge der Abwesenheit von freiem Kohlenstoff naturgemäß nicht mehr durch das BOUDOUARD - Gleichgewicht (3), sondern durch das D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t des K o h l e n d i o x y d s : 67.6 kcal + C 0 2 ^ Z ± : C 0 + V 2 0 2 (S. 304) bedingt. Da in diesem Falle das Gleichgewicht auch bei hohen Temperaturen ganz auf der l i n k e n Seite liegt, erhält man hier a u c h bei hohen T e m p e r a t u r e n praktisch nur C 0 2 . Das BOUDOUARD - Gleichgew i c h t (3) spielt ganz allgemein bei .xxxx^o^ allen technischen Prozessen eine XVXs HO Rolle, bei denen S a u e r s t o f f Verbindungen mit überschüssiger K o h l e r e d u z i e r t werden. Läßt sich also z. B. ein Metalloxyd bei verhältnismäßig n i e d r i g e r T e m p e r a SOO 600 700 800 900 1000 t u r reduzieren, so wird in der Haupt»• 7emjoeraf(/r sache K o h l e n d i o x y d entstehen: 2MeO + C - > - 2Me + C 0 2 , während Fig. 101. Volumenprozente Kohlenoxyd und Kohlendioxyd eine nur bei hohen T e m p e r a t u r e n im BOUDOUARD-Gleichgewicht bei 1 Atmosphäre Druck durchführbare Reduktion hauptsächlich z u r B i l d u n g v o n K o h l e n m o n o x y d führt: MeO + C —>- M e + CO. Bei m i t t l e r e n T e m p e r a t u r e n (et wa bei der Reduktion von Eisenoxyden im Hochofen) erhält man G e m i s c h e von K o h l e n o x y d und K o h l e n d i o x y d . Berücksichtigen muß man allerdings, daß mit f a l l e n d e r T e m p e r a t u r die Einstellung des Gleichgewichtes (3) nur bei Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n noch mit g e n ü g e n d e r G e s c h w i n d i g k e i t erfolgt. Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist die Reaktionsgeschwindigkeit bereits so gering, daß das K o h l e n o x y d — obwohl es sich nach der Lage des Gleichgewichtes (3) vollkommen in K o h l e n s t o f f und K o h l e n d i o x y d disproportionieren sollte — als m e t a s t a b i l e r S t o f f vollkommen b e s t ä n d i g ist.

xxxxx^xx"

•••

CO

Zur Herstellung von Wassergas leitet man W a s s e r d a m p f über stark erhitzten K o k s (vgl. S. 225). Dabei erfolgt die endotherme Reaktion 31.4 kcal + C + H2Q ~ C O

+ H2.

(5)

Das gebildete K o h l e n o x y d kann sich bei niedrigen T e m p e r a t u r e n mit weiterem W a s s e r d a m p f zu K o h l e n d i o x y d umsetzen: CO + H 2 0

C 0 2 + H 2 + 9.8 kcal,

(6)

Der Kohlenstoff

307

so daß bei W a s s e r d a m p f ü b e r s c h u ß und w e n i g e r h o h e n T e m p e r a t u r e n neben der Reaktion (5) auch als Summe von (5) und (6) die Reaktion ,

llf

.

,

,

stattfinden kann.

21.6 kcal + C + 2 H2„ 0 ^ ± : C 0 22 + 2 H22

(7) w

Das „Wasscrgasgleichgewicht" (6), dessen Gleichgewichtskonstante bei 830° den Wert 1 besitzt, verschiebt sieb mit s t e i g e n d e r (fallender) T e m p e r a t u r nach l i n k s (rechts), da es sich um eine e x o t h e r m e Reaktion handelt. Führt man daher die Umsetzung von Kohle mit Wasserdampf bei v e r h ä l t n i s m ä ß i g n i e d r i g e n T e m p e r a t u r e n durch, so erhält man in der Hauptsache K o h l e n d i o x y d und Wasserstoff, während bei hohen T e m p e r a t u r e n ( > 1000°) K o h l e n o x y d und Wasserstoff entstehen. Die Mengenverhältnisse von Kohlenoxyd und Kohlendioxyd bei den verschiedenen Temperaturen entsprechen dabei, solange noch unverbrauchter Koks vorhanden ist, im Gleichgewichtszustand z u g l e i c h dem oben schon behandelten BouD O U A R D - G l e i c h g e w i c h t (3), da ja bei Gegenwart von Kohle selbstverständlich auch dieses Gleichgewicht erfüllt sein muß. Da die Bildung des W a s s e r g a s e s nach (5) ein e n d o t h e r m e r Vorgang ist, muß der Koks vor dem Überleiten des Wasserdampfes auf etwa 1000° erhitzt und die durch die Reaktion (5) verbrauchte Wärme immer wieder nachgeliefert werden. Dies geschieht durch Kombination mit dem e x o t h e r m e n Prozeß (2) oder (4) der K o h l e v e r b r e n n u n g (vgl. S. 225), und zwar in d i s k o n t i n u i e r l i c h e m oder in k o n t i n u i e r l i c h e m Betrieb. Bei der d i s k o n t i n u i e r l i c h e n Arbeitsweise leitet man a b w e c h s e l n d Luft und Wasserdampf über den Koks und erzeugt die für die Wassergasbildung erforderliche Wärme je nach der Luftzufuhr entweder nach (2) durch Verbrennung der Kohle zu Kohlendioxyd (das man entweichen läßt) oder nach (4) durch Erzeugung von Generatorgas (das man getrennt vom Wassergas auffängt). Bei der k o n t i n u i e r l i c h e n Arbeitsweise bläst man entweder W a s s e r d a m p f und L u f t (bzw. Sauerstoff) g l e i c h z e i t i g über den Koks, wobei man das „Mischgas" (durchschnittliche Zusammensetzung: 5 0 % N», 3 0 % CO, 1 5 % H 2 , 5 % C0 2 ) erhält; oder man gibt (bei Verwendung von Braunkohle) durch Ü b e r h i t z e n dem Wasserdampf die erforderliche Wärme mit und führt die Wasserstoffbildung bei verhältnismäßig niedriger Temperatur gemäß (7) durch (S. 39).

Generatorgas (durchschnittliche Zusammensetzung: 70°/ 0 N 2 , 25°/ 0 CO, 4°/ 0 C0 2 > und etwas H 2 , CH 4 , 0 2 ) und Wassergas (durchschnittliche Zusammensetzung: 5 0 % H 2 , 40°/ffl CO, 5°/ 0 C 0 2 , 4—5°/ 0 N 2 und etwas CH4) werden einerseits als H e i z - und K r a f t g a s e , andererseits zur Gewinnung von „Synthesegasen" (s. unten) benutzt. Bei der Verwendung zu H e i z - und K r a f t z w e c k e n bedient man sich der unter s t a r k e r W ä r m e e n t w i c k l u n g erfolgenden V e r b r e n n u n g von K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f zu K o h l e n d i o x y d (CO + V 2 0 2 —>- C0 2 + 67.6 kcal) bzw. W a s s e r (H 2 + V2°2 — > H 2 ° + 6 8 3 k c a 1 ) - D e r Heizwert des W a s s e r g a s e s ( ~ 3000 kcal/m 3 ) ist dabei rund dreimal größer als der des G e n e r a t o r g a s e s 1000 kcal/m 3 ), da ersteres in der Hauptsache die brennbaren Gase CO und H a enthält (5), während letzteres zu rund 2 / 3 (vgl. S. 225) aus nicht brennbarem Stickstoff besteht. Die Verwendung zu „Synthesegasen" gründet sich auf den Gehalt an W a s s e r s t o f f , S t i c k s t o f f und K o h l e n o x y d , die sich in verschiedenster Weise zu wichtigen H-, N-, Cund O-haltigen Produkten — z . B . A m m o n i a k NH 3 (S. 224 ff.), M e t h a n CH4 (II, S. 25), M e t h y l a l k o h o l CHsOH (S. 308 f.), T r e i b s t o f f e n C m H n (S. 309) — umsetzen lassen. Entsprechend dieser vielseitigen Verwendung von Generatorgas und Wassergas ist : es für gewöhnlich gar nicht nötig, das Kohlenoxyd aus diesen Gasen zu isolieren. Soll es dennoch geschehen, so bringt man das kohlenoxydhaltige Gas unter D r u c k mit salzsaurer K u p f e r ( I ) - c h l o r i d l ö s u n g zusammen, wobei dem Gasgemisch das Kohlenoxyd entzogen wird (vgl. S. 226 f., 453); bei v e r m i n d e r t e m D r u c k gibt die Lösung das Kohlenoxyd wieder ab. Auch kann man z. B. die zwei Stufen (2) und (3) der Generatorgaserzeugung g e t r e n n t durchführen, indem man zuerst nach (2) K o h l e n d i o x y d erzeugt, dieses vom S t i c k s t o f f abtrennt (S. 303f.) und dann gemäß (3) durch Überleiten über erhitzten K o k s in reines K o h l e n o x y d überführt. Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Kohlenoxyd als „Anhydrid" der Ameisensäure H 2 C0 2 (II, S. 78) durch Eintropfenlassen von konzentrierter A m e i s e n s ä u r e in 100° warme k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e : H 2 C0 2 — H

a

O + CO. 20*

Die Kohlenstoffgruppe

308

Eigenschaften Kohlenoxyd ist ein färb- und geruchloses, die Verbrennung nicht unterhaltendes, aber selbst brennbares, giftiges Gas, das entsprechend seinem Molekulargewicht (M= 28) etwas leichter als Luft (M » 2 9 ) ist. Bei —191.5 wird es flüssig, bei —204.0° fest. Eine Verflüssigung bei gewöhnlicher Temperatur ist auch durch noch so hohen Druck nicht möglich, da seine kritische Temperatur bei —140.2° liegt (kritischer Druck: 34.6 a t ; kritische Dichte: 0.311). Nach der Elektronenformel (vgl. S. 313, 316) ist das Kohlenoxyd CO mit dem Stickstoff N s is0ster:

: C : : : O: :N:::N:, wobei man unter „isosteren" Molekülen Moleküle mit g l e i c h e r A t o m - u n d E l e k t r o n e n z a h l versteht. Isostere Verbindungen zeichnen sich, falls auch die Kernladungssummen übereinstimmen 1 (Isosterie im engeren Sinne), vielfach durch eine auffallende Ähnlichkeit in den physikalischen Eigenschaften aus, wie die folgende Tabelle am Beispiel der Verbindungspaare CO/N, und C0 2 /N 2 0 (vgl. S. 234f. und 316f.) zeigt:

Schmelzpunkt (abs.) Siedepunkt (abs.) Kritische Temperatur (abs.) Kritischer Druck (Atm.) Flüssigkeitsdichte Löslichkeit in Wasser bei 0° (1 Gas/1 HaO)

CO

N2

69 82 133 35 0.793 0.033

63 77 126 34 0.796 0.023

C0 2

N2O

216 195 305 73 1.031 1.710

171 184 310 72 0.996 1.305

Über weitere Fälle von Isosterie vgl. z. B. S. 377ff.

Kohlenoxyd verbrennt an der Luft mit charakteristischer b l ä u l i c h e r F l a m m e und starker W ä r m e e n t w i c k l u n g zu Kohlendioxyd 2 (vgl. S. 300): CO + V 2 0 2

>- C0 2 + 67.6 kcal.

Wegen dieses starken Bestrebens zur Vereinigung mit Sauerstoff dient es in der Technik als R e d u k t i o n s m i t t e l zur Reduktion von Metalloxyden (Fe 2 0 3 , CuO usw.) zu Metallen. Einige edle Metalle (z. B. Palladium) werden durch Kohlenoxyd schon bei Z i m m e r t e m p e r a t u r aus wässeriger Salzlösung ausgefällt: P d " + H a O -f- CO —>- Pd + 2 H ' + C 0 2 . Die hierbei durch die Metallabscheidung bedingte D u n k e l f ä r b u n g der Lösung dient als empfindlicher N a c h w e i s auf Kohlenmonoxyd. Außer mit S a u e r s t o f f vereinigt sich Kohlenoxyd in der Hitze auch mit vielen anderen Nichtmetallen, z. B. W a s s e r s t o f f (vgl. unten), S c h w e f e l (—>- Kohlenoxysulfid COS), C h l o r ( — P h o s g e n COCl2). Von g r o ß t e c h n i s c h e r B e d e u t u n g ist die Umsetzung mit W a s s e r s t o f f . Leitet man ein Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff über geeignete K a t a l y s a t o r e n , so entstehen je nach den Versuchsbedingungen (Mischungsverhältnis, Druck, Temperatur, Katalysator) ganz verschiedene Hydrierungsprodukte. So erhält man z. B. beim Arbeiten unter Druck (250 Atmosphären) unter Verwendung eines chromoxydhaltigen Zinkoxyds als Katalysator bei 350° nahezu ausschließlich M e t h y l a l k o h o l (vgl. I I , S. 38): 1

CO + 2H 2

CH3OH (fl.) + 30.8 kcal.

Keine Ähnlichkeit in den physikalischen Eigenschaften ist natürlich zu erwarten, wenn sich die Kernladungssummen voneinander unterscheiden, d. h. die Moleküle als Ganzes verschiedene Ladungen tragen. So sind mit dem Kohlenoxyd : C : : : O: und Stickstoff : N : : : N : beispielsweise auch die Ionen [: C :: : N:]~ (Cyanid-ion), [: N: : : 0:]+ (Nitrosyl-ion) und [: C : : : C : ] ~ (Acetylid-ion) isoster, die in Form ihrer Salze wie NaCN, N0C10 4 oder BaC2 dem Kohlenoxyd und Stickstoff physikalisch naturgemäß nicht vergleichbar sind. Analoges gilt für die mit dem C0 2 und N 2 0 isosteren Ionen N 3 ' (Azid-ion) und NCO' (Cyanat-ion) bzw. CNO' (Fulminat-ion). 2 Für die Reaktion zwischen CO und Oa ist ein gewisser F e u c h t i g k e i t s g e h a l t erforderlich. So brennt t r o c k e n e s Kohlenoxyd in t r o c k e n e r Luft nicht (vgl. S. 435).

309

Der Kohlenstoff

Die dazu erforderliche Apparatur entspricht weitgehend der AmmoniaksyntheseApparatur (S. 226f.). Bei geringer Abwandlung des Katalysators (Herstellung unter Zusatz gewisser Mengen Alkali) entstehen neben dem Methylalkohol in größeren Mengen auch h ö h e r e A l k o h o l e C n H 2 n + 1 0 H : nCO + 2nH a

>- C n H 2 n + 1 OH + (n -

1) H 2 0 .

Unter diesen findet sich vor allem der I s o b u t y l a l k o h o l C 4 H 9 OH (II, S. 44), der durch katalytische Abspaltung von Wasser Isobuten C 4 H 8 liefert, welches einerseits zu einem Octen C 8 H 16 kondensiert und weiter zu einem ungewöhnlich klopffesten T r e i b s t o f f C 8 H 18 („Iso-octan") hydriert werden kann (II, S. 34), andererseits bei der Polymerisation zu höhermolekularen Körpern guttapercha-ähnliche K u n s t s t o f f e („Oppanole") liefert (II, S. 116). Beim Arbeiten ohne Druck und bei ungefähr 180° entstehen sauerstoff-freie, gesättigte (C n H 2n+2 ) und ungesättigte (C n H 2n ) aliphatische K o h l e n w a s s e r s t o f f e („Benzinsynthese von FISCHER und T R O P S C H " ) : nCO + (2n + 1) H 2 — ^ C n H 2 n + 2 + n H 2 0 nCO + 2 n H 2 — C n H 2 n + n H 2 0 .

Die Primärprodukte dieser Benzinsynthese (vgl. II, S. 34) sind bei Verwendung von aktivierten Eisen-, Kobalt- und Nickelkatalysatoren gewöhnlich rund 20°/ 0 Methan CH4, rund 10°/0 leichte Kohlenwasserstoffe (Propan C 3 H 8 , Butan C 4 H 10 , Propen C 3 H e , Buten C 4 H g ), rund 40°/ 0 bis 200° siedende Kohlenwasserstoffe {„Benzin"), rund 20% bis 320° siedende Kohlenwasserstoffe („Dieselöl") und rund 10°/0 feste Kohlenwasserstoffe („Paraffin"). Durch „Krackung", d. h. Zersetzungsdestillation (II, S. 33, HOf.) der Reaktionsprodukte kann die Ausbeute an niedermolekularen Benzinen weiter verbessert werden.

d) Natürliche Kohle und ihre technische Verwertung D i e n a t ü r l i c h e K o h l e ( v g l . I I , S . 3 0 3 ) , die sich vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Rußland und in Deutschland in riesigen Lagern vorfindet, ist k e i n r e i n e r K o h l e n s t o f f , sondern ein in der Hauptsache aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel bestehendes kompliziertes G e m i s c h k o h l e n s t o f f r e i c h e r V e r b i n d u n g e n , das durch langsame V e r m o d e r u n g („Verkohlung") fossiler Überreste von Pflanzen unter Luftabschluß entstanden ist. Bei dieser Zersetzung wurden vor allem die Elemente W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f weitgehend als M e t h a n CH4, K o h l e n d i o x y d C0 2 u n d W a s s e r H 2 0 abgespalten,so daß sich imRückstand der K o h l e n s t o f f mehr und mehr a n r e i c h e r t e . Noch heute können wir den Beginn einer solchen Verkohlung in der Jor/bildung beobachten. Ein fortgeschritteneres Stadium der Verkohlung stellt die aus der Tertiärzeit stammende Braunkohle dar, deren Struktur ihre pflanzliche Herkunft noch deutlich erkennen läßt. Noch älter als die Braunkohle ist die aus der Carbonzeit stammende Steinkohle, und das älteste Glied der Reihe ist schließlich der Anthrazit. Die Zunahme des Kohlenstoff- und Abnahme des Sauerstoff- und Wasserstoffgehaltes sowie die damit parallel laufende Erhöhimg des Heizwertes je Kilogramm gehen aus folgender Tabelle hervor: Zusammensetzung (°/ 0 ) Holz Torf Braunkohle Steinkohle Anthrazit

C

0

H

Heizwert (kcal je kg)

50 55-65 65-75 75-90 > 90

44 30-40 20-30 5-18 2-3

6 5.5-7 5-6 4-6 2-3

4000 5-6000 6-7000 7-8000 8-9000

310

Die Kohlenstoffgruppe

Die Braun- und Steinkohlen dienen wegen ihres Gehaltes an den wichtigen Elementen Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel als u n e n t b e h r liches Ausgangsmaterial der chemischen I n d u s t r i e . Die beiden wichtigsten Verfahren zur Nutzbarmachung der enthaltenen Elemente sind: die t r o c k e n e D e s t i l l a t i o n und die Hydrierung. a) Trockene Destillation von Kohle Erhitzt man Kohle ohne Luftzutritt in geschlossenen Gefäßen, so zersetzt sie sich in gasförmige, flüssige und feste P r o d u k t e . Diese Zersetzungsprodukte haben eine verschiedene Zusammensetzung, je nachdem man bei verhältnismäßig niedriger ( < 600°) oder bei verhältnismäßig hoher T e m p e r a t u r ( > 1000°) arbeitet. Im ersteren Fall spricht man von „VerSchwelung", im letzteren von „Verkokung" der Kohle. Die Schwelung wird vor allem bei der B r a u n k o h l e , die Verkokung bei der S t e i n k o h l e durchgeführt (vgl. II, S. 303f.). Verkokung Die gasförmigen Produkte ( ~ 10°/0) bei der Verkokung von Steinkohle („Steinkohlen-Rohgas") enthalten alle die Gase, die durch Kombination der Elemente C, 0 , H, N und S denkbar und bei der hohen Arbeitstemperatur beständig sind. Es finden sich also darin: W a s s e r s t o f f H 2 , W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n des Kohlenstoffs (Methan CH4, Äthylen C 2 H 4 , Benzol C6H6), des Sauerstoffs (Wasserdampf H 2 0), des Stickstoffs (Ammoniak NH3) und des Schwefels (Schwefelwasserstoff H 2 S), Sauers t o f f v e r b i n d u n g e n (Kohlenmonoxyd CO, Kohlendioxyd C0 2 ), S t i c k s t o f f N 2 und S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n (Cyangas (CN)2, Blausäure HCN) sowie Schwefelverbindungen (Schwefelkohlenstoff CS2). Die prozentuale Zusammensetzung aus diesen Bestandteilen ändert sich mit der Dauer der Destillation; und zwar nimmt, wie die untenstehende (nur die Hauptprodukte berücksichtigende) Fig. 102 zeigt, mit zunehmender Erhitzungsdauer der Wasserstoffgehalt auf Kosten der K o h l e n wasserst off Verbindungen zu. Erhitzt man längere Z e i t , so erhält man das „Kokereigas", welches im Durchschnitt etwa 55 Vol.-°/0 H 2 , 25°/ 0 CH 4 , 10—12%N 2 , 4—6°/ 0 CO, 2°/ 0 CmHn und 2 % C0 2 enthält. Erhitzt man weniger l a n g e , so entsteht das „Leuchtgas", welches im gereinigten Zustande durchschnittlich aus 50 % H 2 , 32 1 / 2 °/ 0 CH4, 7 % CO, 5°/ 0 N 2 , 3V 2 °/O CmHn, 2 % C0 2 und Spuren Sauerstoff besteht und beim Vermischen mit W a s s e r g a s (im Verhältnis 3 : 2 ) das „Stadtgas" (durchschnittliche Zusammensetzung: 5 0 % H 2 , 2 0 % CH4, 1 7 % CO, 8 % N 2 , 3 % COa, 2 % CmHn) ergibt. Die flüssigen Produkte 10%) der Verkokimg von Steinkohle sind „Ammoniakwasser" (vgl. S. 227) und „Steinkohlenteer". Ersteres ist eine wässerige Lösung von Am moniakund Ammoniumsalzen (Ammoniumcarbonat, Ammoniumsulfid). Der Steinkohlenteer bildet eine schwarze, öligzähflüssige Masse, die aus etwa 10 000 hauptsächlich der a r o m a t i s c h e n R e i h e angehörenden C-, H-, 0-, N- und S-haltigen o * 8 12 16 so M 28 32r, g^stanzen (z.B. Benzol C6H6, Toluol C 7 H 8 , Fig. 102. Abhängigkeit der KokereigasXylol C 8 H 10 , Naphthalin C 10 H 8 , Anthrazen Zusammensetzung von der Verkokungsdauer C 14 H 10 , Phenol C 6 H 6 0, Thiophen C 4 H 4 S,

Der Kohlenstoff

311

Pyridin C5H5N) sowie aus pechartigen Rückständen besteht. Auf seiner Verarbeitung baut sich eine c h e m i s c h e G r o ß i n d u s t r i e auf (vgl. It, S 303f.). Als fester Rückstand 80°/o) hinterbleibt bei der Verkokung der Steinkohle der kohlenstoffreiche, aber immer noch Wasserstoff ( ~ l ° / 0 ) , Sauerstoff 1 °/0), Stickstoff 2°/0) und Schwefel l°/ 0 ) enthaltende „Koks". Er dient entweder direkt oder nach vorheriger Umwandlung in Generatorgas oder Wassergas als B r e n n s t o f f . Versch welung Führt man die trockene Destillation der Kohle bei verhältnismäßig n i e d r i g e r T e m p e r a t u r (unterhalb von600°) durch, so nimmt vor allem die Menge des wertvollen T e e r s gegenüber den gasförmigen Produkten zu. Dieser „Tieftemperaturteer" enthält zum Unterschied vom „Hochtemperaturteer" in der Hauptsache nicht a r o m a t i s c h e , sondern a l i p h a t i s c h e Kohlenwasserstoffverbindungen. Man nennt ihn auch „Urteer", weil er der bei der Destillation von Kohle p r i m ä r entstehende Teer ist, welcher bei der Verkokung erst s e k u n d ä r in den Hochtemperaturteer übergeht (Umwandlung der aliphatischen in aromatische Verbindungen). Im übrigen führt die Schwelung wie die Verkokung insgesamt zu g a s f ö r m i g e n („Schwelgas"), f l ü s s i g e n („Schwelwasser", „Leichtöle", „Schwelteer") und f e s t e n („Schwelkoks") Zersetzungsprodukten. Das bei der Schwelung von Braunkohle gebildete Schwelgas besteht aus Wasserstoff (10—30%), Stickstoff (10—30°/0), Methan (10—25°/0), Kohlenoxyd (10—25°/0), Kohlendioxyd (10—20°/o), Schwefelwasserstoff (1—3%), Sauerstoff (0.1—3°/0) und Kohlenwasserstoffen (1—2°/0). Es dient zum H e i z e n d e r S c h w e l ö f e n oder wird nach Entfernung von Kohlendioxyd und Schwefelwasserstoff als F e r n g a s abgegeben bzw. — mit Wassergas vermischt — als S t a d t g a s (Leuchtgas) verwendet. Die aus dem Schwelgas isolierbaren L e i c h t ö l e dienen gereinigt als M o t o r e n betriebsstoff. Unter den flüssigen Produkten der Schwelung bildet das S c h w e l w a s a e r , eine gelbliche, milchig - trübe Flüssigkeit von etwas teerigem Geruch, die Hauptmenge. Sie enthält nur geringe Mengen an Ammoniak und organischen Substanzen und läßt sich nicht nutzbringend verwerten. Der S c h w e l t e e r stellt eine braune bis schwarze, bei 25—35° schmelzende Masse dar, die zur Hauptsache aus gesättigten und ungesättigten K o h l e n w a s s e r s t o f f e n der aliphatischen Reihe besteht. Der feste Rückstand bei der Braunkohlenschwelung ist der „Grudekoks", ein körniges, mattschwarzes Produkt, das bei der Entzündung ohne Flamme, Rauch oder Rußbildung langsam verglüht und ein geschätztes H e i z m a t e r i a l für kleine Haushaltungsöfen darstellt. Solcher bei tieferen Temperaturen geTemperatur wonnener Koks ist ärmer an Kohlenstoff und reicher an den übrigen Elementen als der Hochtemperatur- Fig. 103. Abhängigkeit der Kokskoks, wie die nebenstehende Fig. 103 zeigt, welche die zusammensetzung von der Verkokungstemperatur Abhängigkeit der Zusammensetzung des Kokses von der Herstellungstemperatur wiedergibt. Bei der V e r s c h w e l u n g v o n H o l z erhält man als g a s f ö r m i g e s Produkt „Holzgas" (hauptsächlich C0 2 , CO, CH 4 und H 2 ), als f l ü s s i g e s Produkt „Holzgeist" (Methylalkohol), „Holzessig" (Essigsäure) und „Holzteer" und als f e s t e s Produkt „Holzkohle".

312

Die Kohlenstoffgruppe

ß) Kohlehydrierung Setzt man K o h l e oder kohlenstoffreiche Stoffe wie T e e r e oder S c h w e r ö l e unter einem Druck von rund 250 Atmosphären und in Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n bei 450° mit W a s s e r s t o f f um, so brechen die komplizierten Kohlenstoffverbindungen des Ausgangsmaterials unter Wasserstoffaufnahme auseinander, so daß aus den h o c h m o l e k u l a r e n , w a s s e r s t o f f a r m e n Ausgangsprodukten n i e d e r m o l e k u l a r e , Wasserstoff r e i c h e Kohlenwasserstoffe {„Benzine") entstehen („Kohleverflüssigung"). Diese Druckhydrierung (vgl. I I , S. 33f.) wird technisch in größtem Maßstab zur Gewinnung s y n t h e t i s c h e r T r e i b s t o f f e durchgeführt. Und zwar erfolgt die technische Hydrierung in zwei S t u f e n , indem man das Ausgangsprodukt zunächst in ein Z w i s c h e n p r o d u k t , das M i t t e l ö l , überführt („Sumpfphase"), welches dann in Dampfform („Gasphase") weiter zu B e n z i n hydriert wird. Sumpfphase. Zur Hydrierung in der Sumpfphase (vgl. Fig. 104) wird das ö l oder der T e e r oder die feingemahlene, mit S c h w e r ö l (vgl. unten) zu einer breiigen Paste ¿arfstsz

M . . totaijzater

tfohleanrerbung MMjWMm

Trenn - und Desril/at/ons

Benzinofen

Trenn- und Qestitlatbm -

Hoh/etvei

Sumofohase

Fig. 104.

Oasphnse

Schematische Darstellung der technischen Kohlehydrierung

verriebene K o h l e mit dem feinpulvrigen K a t a l y s a t o r versetzt, erhitzt und durch Hochdruckpressen in die „ S u m p f ö f e n " (18 m hohe Stahlrohre von rund 1 m Durchmesser) hineingepreßt. Hier setzt sich der Kohlebrei bei 450° und 200—300 Atmosphären Druck mit W a s s e r s t o f f teilweise schon zu l e i c h t e r s i e d e n d e n , hauptsächlich aber zu s c h w e r e r f l ü c h t i g e n und n i c h t f l ü c h t i g e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n um. Bei der Destillation der Reaktionsprodukte erhält man bis 170° „Benzin", von 170—325° „Mittelöl" und oberhalb von 325° „Schweröl". Das S c h w e r ö l dient zum Anreiben neuer Kohlepaste, das M i t t e l ö l gelangt, soweit es nicht als solches verwendet wird, zur weiteren Hydrierung in die G a s p h a s e . Wegen des S c h w e f e l g e h a l t e s der Kohle müssen die Kohlehydrieröfen nicht nur wie die Ammoniakhydrieröfen (S. 226f.) beständig gegen W a s s e r s t o f f , sondern auch beständig gegen S c h w e f e l sein. Daher sind sie innen mit Chrom-Wolframstahl ausgekleidet, welcher geringe Mengen Molybdän und Vanadin enthält. Auch die K a t a l y s a t o r e n müssen „schwefelfest" sein. Weiterhin lassen sich nur b i l l i g e Katalysatoren gebrauchen, da sie ja im Kohlebrei v e r t e i l t werden und daher n i c h t r ü c k g e w i n n b a r sind. Man verwendet z. B. Schwefelverbindungen des Molybdäns und Wolframs.

Gasphase. Zur weiteren Hydrierung in der Gasphase wird das aus der Sumpfphase kommende M i t t e l ö l verdampft und im „Benzinofen" nochmals bei 450° und 200 bis 300 Atmosphären Druck mit W a s s e r s t o f f umgesetzt. Da die Stoffe jetzt im G a s z u s t a n d sind, kann der Katalysator bei diesem Arbeitsgang in festen Brocken fest im Ofen a n g e o r d n e t werden. Das Mittelöl geht jetzt weitgehend in l e i c h t -

Der Smekal-Raman-Effekt

313

s i e d e n d e , zum Teil sogar in g a s f ö r m i g e Produkte über. Bei der sorgfältigen D e s t i l l a t i o n der Reaktionsprodukte erhält man: „Gas" (Methan, Äthan, Propan, Butan), „Benzin" („Leunabenzin") und unverändertes „Mittelöl", das zum Teil wieder in den Betrieb zurückwandert. Die Gase Propan und Butan gelangen verflüssigt als ,,Flüssiggas" für H e i z - und T r e i b z w e c k e in den Handel. Die Ausbeute an Benzin beträgt 0.6 t je Tonne Braunkohle; die Gewinnung des Hydrier-Wasserstoffs nach dem Wassergasverfahren (S. 38f.) erfordert allerdings nochmals 1 t Kohle. Durch V a r i a t i o n der A r b e i t s b e d i n g u n g e n (Druck, Temperatur, Katalysatoren usw.) gelingt es, die Ausbeuten an Hydrierprodukten mehr nach der Seite der h ö h e r m o l e k u l a r e n (Schmieröl, Heizöl, Dieselöl) oder der Seite der niedermolek u l a r e n Kohlenwasserstoffe (Leuchtöl, Benzin) zu verschieben.

2 . D e r SivtEKAL-RAMAN-Effekt Nach der Elektronentheorie der Valenz muß dem K o h l e n o x y d CO die E l e k tronenformel _ + :C:::0:

(1)

mit einer d r e i f a c h e n K o v a l e n z zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff zukommen, da nur auf diese Weise beide Atome eine abgeschlossene Neonschale erreichen. Berücksichtigt man die gleichzeitig dabei auftretenden L a d u n g e n (vgl. S. 157ff.), so läßt sich diese Elektronenformel (1) durch die V a l e n z s t r i c h f o r m e l (2a) mit v i e r w e r t i g e m Kohlenstoff wiedergeben, während man früher annahm, daß umgekehrt der Sauerstoff dem Kohlenstoff seine Wertigkeit aufzwinge und das Kohlenoxyd daher durch die Valenzstrichformel (2b) mit z w e i w e r t i g e m Kohlenstoff auszudrücken sei: C=0

0=0

(a)

(b)

(2)

Zur experimentellen Prüfung einer Frage wie der hier angeschnittenen kann man den SMEKA.L-RAMAN-Effekt heranziehen, auf den wir im folgenden etwas näher eingehen wollen.

a) Wesen des SMEKAL-RAMAN-Effekts a) Experimentalbefund Bestrahlt man eine k o l l o i d e L ö s u n g (S. 333ff.) von der Seite her mit monochromatischem, sichtbarem L i c h t und betrachtet die Lösung senkrecht zur Einfallsrichtung des Lichtstrahls, so stellt man fest, daß das einfallende Licht teilweise s e i t l i c h g e s t r e u t wird („TYNDALL - Effekt", S. 334), wobei das g e s t r e u t e Licht die Wellenlänge des e i n f a l l e n d e n Lichtes besitzt. Ersetzt man die kolloide Lösung durch eine e c h t e L ö s u n g oder eine r e i n e F l ü s s i g k e i t , so läßt sich — zwar nicht mit dem bloßen Auge, wohl aber mit optischen Mitteln — auch hier eine S t r e u u n g des L i c h t e s feststellen. Die Zerlegung dieses gestreuten Lichtes in einem S p e k t r o g r a p h e n (Fig. 105) führt nun zu dem interessanten Ergebnis, daß das Streulicht zwar in der Hauptsache die gleiche Frequenz wie das einfallende monochromatische Licht besitzt (,,unverschobene Streustrahlung", „TYNDALL-Streuung"), daß aber daneben (vgl.Fig. 106a) noch a n d e r e S p e k t r a l - l i n i e n erscheinen, die in dem ursprünglichen Licht nicht vorhanden waren, wobei diese Linien im allgemeinen nach k l e i n e r e n F r e q u e n z e n (entsprechend größ e r e n W e l l e n l ä n g e n ) hin verschoben sind („verschobene Streustrahlung", „RAMANStreuung"). Bestrahlt man die gleiche Flüssigkeit mit einem a n d e r e n monochromati-

Die Kohlenstoffgruppe

314

sehen Licht von a n d e r e r F r e q u e n z , so erhält man das gleiche Bild, und zwar besitzen die verschobenen Linien — und das unterscheidet diesen Effekt von dem schon länger bekannten „ F l u o r e s z e n z e f f e k t " ^einf ^gestr: (S. 140f.) — nicht d i e s e l b e n V F r e q u e n z e n , sondern d i e — 1 gleichen Entfernungen v o n d e r E r r e g e r l i n i e wie im vorhergehenden Fall (Fig. - Frequenz 106b). Die beschriebene Erscheinung wurde im Jahre 1928

gestr.

v

*>J -

*

üchtquel/e

— Fregue/iz

> isorb. CJ

Spehtrograpf)

0

Fig. 105. Prinzip der Messung

» ffamanfreguenz

Fig. 106. Erregerlinie und RAMAN-Spektrum

des RAMAN-Effekts

von dem indischen Physiker C. V. R A M A N entdeckt, nachdem sie fünf Jahre vorher von dem deutschen Physiker A . S M E K A L vorausgesagt worden war. Sie heißt daher „SMEKAL-RAjiAN-Effekt". ß ) Deutung Die D e u t u n g des Effekts ist im Prinzip einfach. Treffen die Atome / m w . ( S . 84) des einfallenden Lichtes (Frequenz rejnf.) mit den Molekülen der Flüssigkeit zusammen, so werden sie entweder nur „ r e f l e k t i e r t " , so daß eine TYNDALL-Linie gleicher Frequenz beobachtet wird, oder sie g e b e n e i n e n T e i l i h r e r E n e r g i e an d i e M o l e k ü l e a b , so daß das g e s t r e u t e P h o t o n h-vgestr. einen k l e i n e r e n Wert besitzt als das e i n f a l l e n d e . Damit ist auch die F r e q u e n z rgegtr. dieses Streulichtes k l e i n e r als die des erregenden Lichtes, entsprechend einer Verschiebung der W e l l e n l ä n g e nach g r ö ß e r e n Werten hin. Die E n e r g i e d i f f e r e n z zwischen einfallendem und gestreutem Photon gibt die vom getroffenen Molekül a b s o r b i e r t e E n e r g i e m e n g e an: ¿•Velnf. ~ ^'"geatr. =

(veinf. — "gestr.) =

h'

"absorb.•

(3)

Da die verschiedenen F r e q u e n z d i f f e r e n z e n (i'einf. — vgestr.) = »*a.bsorb. bei gegebener Flüssigkeit u n a b h ä n g i g von der Frequenz der E r r e g e r l i n i e immer die g l e i c h e n W e r t e besitzen, nimmt ein von einem Photon getroffenes Molekül offensichtlich nur g a n z b e s t i m m t e , durch den Wert Ä-vabäorb. charakterisierte E n e r g i e m e n g e n auf. Man nennt die von einem Molekül absorbierten Frequenzdifferenzen ,,RA3iAN-Frequenzen" und pflegt bei der Wiedergabe eines „Kaman-Spektrums" die eingestrahlte Erregerlinie als Ausgangspunkt des Spektrums zu wählen und die einzelnen ,,RamanLinien" von diesem Nullpunkt aus einzutragen (Fig. 106c). Die RAMAN-Frequenzen J>absorb. liegen in der Größenordnung von 1012 bis 1014 je Sekunde, entsprechend W e l l e n l ä n g e n von 106 bis 104 Ä oder E n e r g i e m e n g e n von

Der SMEKAL-RAMAN-Effekt

315

0.1 bis 10 kcal je Mol (vgl. S. 84f.). Damit sind die beim RAMAN-Effekt absorbierten Energiemengen in ihrer Größe den bei der Bestrahlung von Stoffen mit u l t r a r o t e m L i c h t (Wellenlänge 10 6 bis 10 4 A) absorbierten Energiebeträgen äquivalent. Hieraus geht hervor, daß die aufgenommene Energie zur A n r e g u n g v o n S c h w i n g u n g e n der Atome innerhalb des Moleküls dient (vgl. S . 1 4 5 ) . Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, entsprechen U l t r a r o t s p e k t r u m (S. 145) und RAMAN-Spektrum einander. Der Unterschied ist nur der, daß die zur Anregung von Molekülsohwingungen dienenden Energiequanten im Falle der Bestrahlung mit u l t r a r o t e m Licht in Form u n g e t e i l t e r L i c h t q u a n t e n , im Falle der Bestrahlung mit s i c h t b a r e m Licht dagegen in Form von A n t e i l e n g r ö ß e r e r Q u a n t e n aufgenommen werden. Das Ultrarotspektrum, das sonst nur als Absorptionsspektrum in dem meßtechnisch schwer zugänglichen ultraroten Gebiet zu beobachten ist, ist somit beim R A M A N - Spektrum in das experimentell bequem meßbare Gebiet des sichtbaren Lichts übertragen und tritt hier als Streuspektrum auf. Zu diesem Vorzug kommt noch als zweiter der, daß manche Linien, die im Ultrarot nicht auftreten („optisch inaktive" Linien) im RAMAN-Spektrum vorkommen, und daß umgekehrt manche ,,ramaninaktive" Linien im Ultrarotspektrum zu finden • t sind, so daß sich Ultrarot- und • «-• • >< • • 1 * RAMAN-Spektrum in willkommesymmetrische asymmetrische ner Weise ergänzen. ¡/a/enz-schuz/nouno PefbrmationsschujinQunQ Die in einem Molekül F i S" 1 0 7 " angeregten Schwingungen Schwingungsmöglichkeiten eines dreiatomigen , „° ° . , . . . 6. s gestreckten Moleküls können zweierlei Art sein : es können die A t o m e i n d e r V a l e n z r i c h t u n g gegeneinander schwingen {„Valenzschwingungen") oder es können die W i n k e l z w i s c h e n d e n A t o m e n d e f o r m i e r t werden (,,Deformationsschwingungen"). So bestehen z. B . bei einem aus drei Atomen bestehenden gestreckten Molekül die in Fig. 107 wiedergegebenen Schwingungsmöglichkeiten. Das gleiche ist der Fall bei einem gewinkelten dreiatomigen Molekül. J e d e der drei Schwingungsarten gibt Veranlassung zu einer f ü r d a s b e t r e f f e n d e M o l e k ü l c h a r a k t e r i s t i s c h e n ÜAMAN-Linie, da die Anregung einer bestimmten Schwingung je nach der Bindefestigkeit, Masse und räumlichen Lagerung der Atome einen g a n z b e s t i m m t e n E n e r g i e b e t r a g erfordert. Die angeregten Schwingungen erfolgen dabei im Rhythmus der Frequenz des absorbierten Lichtes. Die Zahl der Schwingungen, die zwei angeregte Atome je Sekunde gegeneinander ausführen, ist also numerisch gleich der anregenden RAMAN-Frequenz. Die R A M A N -Frequenzen v stellen mit ihrer Größenordnung von 10 12 bis 1014 je Sekunde unbequem große Zahlen dar. Deshalb ist man übereingekommen, sie durch die Lichtgeschwindigkeit c ( = 2.9978 X 1010 cm/sec) zu dividieren: v/c = co. Sie geben dann die Anzahl Wellenlängen des absorbierten Lichtes an, welche auf eine Strecke von 1 cm entfallen 1 („Wellenzahl" ; vgl. S. 144), und bedeuten zugleich die Zahl der Atomschwingungen in einer 1U.mis xio 10 Sekunde. Ihre Größenordnung liegt damit zwischen 102 und 10 4 . Hat also z. B. eine RAMAN-Frequenz den Wert 1231, so bedeutet dies, daß 1231 Wellenlängen des absorbierten Lichtes zusammen eine Strecke von 1 cm ergeben und daß die vom absorbierten Licht angeregten Atome in einer dreißigmilliardstel Sekunde 1231 Schwingungen gegeneinander ausführen.

b) Anwendung des SMEKAL-RAMAN-Effekts D a Lage und Zahl der RAMAN-Linien durch den speziellen B a u der Moleküle bedingt werden, lassen sich in nicht zu verwickelten Fällen aus dem R A M A N - S p e k t r u m einer Substanz umgekehrt auch wieder R ü c k s c h l ü s s e auf die r ä u m l i c h e A n o r d n u n g d e r A t o m e und die A r t d e r B i n d u n g e n im Molekül ziehen. Daher stellt der SMEKAL-RAMAN-Effekt für den Chemiker ein w e r t v o l l e s H i l f s m i t t e l zur Lösung 1

Vgl. Anmerkung 1, S. 84.

Die Kohlenstoffgruppe

316

chemischer K o n s t i t u t i o n s p r o b l e m e dar, wie im folgenden an Hand einiger Anwendungsbeispiele gezeigt sei. a ) Lage der RAMAN-Linien

Bringen wir zwei durch eine elastische Feder miteinander verbundene Kugeln zur Schwingung gegeneinander, so ist die Z a h l d e r S c h w i n g u n g e n je Zeiteinheit um so größer (kleiner), je l e i c h t e r (schwerer) die K u g e l n und je s t ä r k e r (schwächer) die F e d e r k r a f t ist. Gleiches gilt für die Schwingungen zweier A t o m e gegeneinander. Die RAMAN-Frequenz muß also um so g r ö ß e r e Werte annehmen, je k l e i n e r d i e M a s s e n d e r A t o m e und je f e s t e r d i e B i n d u n g e n zwischen den Atomen sind. Die Erfahrung bestätigt diese Erwartung, wie folgende Tabelle zeigt, die die durchschnittlichen RAMAN-Frequenzen co für eine Anzahl einfach, doppelt und dreifach verbundener Atome (X) wiedergibt: X=X 1200—1800

*III

X—X < 1200

1800—2400

X—H > 2400

^c—0—

1050

)>C = 0

1720

—C=N

2240

~C—H

2900

)C-N
N—H

3340

N=N

2330

-O—H

3400

Cl—H

2880

950

>c=c
2400) unterteilen, innerhalb derer den einzelnen Bindungstypen gemäß der Art der Bindungspartner X und der Festigkeit der Bindung charakteristische Mittelwerte zukommen. Um diese Mittelwerte herum schwanken die R A M A N Frequenzen der angegebenen Bindungstypen je nach der Art der an den freien Valenzen sitzenden Substituenten. Die in der Tabelle zum Ausdruck kommende Gesetzmäßigkeit gestattet bereits wichtige Schlußfolgerungen bezüglich der Konstitution vieler chemischer Verbindungen. Beispielsweise findet man für das Kohlenoxyd CO eine RAMAN-Frequenz von 2155. Daraus geht eindeutig hervor, daß Kohlenstoff und Sauerstoff durch eine d r e i f a c h e und nicht durch eine zweifache kovalente Bindung (S. 308, 313) miteinander verknüpft sind, daß also die aus der E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z zwangsläufig folgende Elektronenformel :C::: O: die richtige ist. Von den für das D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 möglichen beiden Formeln f > 0

N/

(a)

und

N=N=0

(4)

(b)

trifft nach dem RAMAN-Spektrum nur die letztere zu. Und zwar ist diese Formel (4 b) durch die Resonanz-Elektronenstruktur 1 Diese Unterbereiche sind natürlich nicht scharf abgegrenzt und können sich gegenseitig überschneiden, wie das Beispiel des Jodwasserstoffs zeigt.

317

Der SMEKAL-RAMAN-Effekt

wiederzugeben (vgl. S. 234f.), da die beiden gefundenen Valenzschwingungsfrequenzen (1287 und 2223) die Anwesenheit von zweifachen und dreifachen Kovalenzen anzeigen. Analoges gilt f ü r das isostere K o h l e n d i o x y d C0 2 , das die beiden Valenzschwingungsfrequenzen 1336 und 2350 aufweist (: Ö C ' : :Ö: - < — : O : : C : ' 0 : -SKC1 > der Zusammensetzung (SiCl)oo („Siliciummonochlorid"), der im Einklang mit ihrer blättrigen J k Cl Jiv Cl A Struktur und in Analogie zum Kohlenstoffmono/ c l ^ S K Cl^SKCl^ fluorid (CF)on (S. 297) wahrscheinlich die nebenstehende .Molekularstruktur (idealisiert) zukommt. In analoger Weise ist durch Erhitzen von Si 2 J 6 ein glänzend orangeroter, schuppiger Körper der Zusammensetzung (SiJ)oo (,,Siticiutnmonojodid") gewinnbar, während ,,Siliciummonofluorid" (SiF)*, (farblos) und ,,Siliciummonobromid" (SiBr)«, (gelb) durch Einwirkung von Magnesium auf SiFBr 3 bzw. SiBr 4 dargestellt werden können. Im folgenden sei nur das S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d näher beschrieben: Siliciunitctrafluorid SiF4. Siliciumtetrafluorid ist bequemer als durch Synthese aus den Elementen (Si + 2 F 2 — > - SiF 4 + 360 kcal) durch Einwirkung von F l u ß s ä u r e auf S i l i c i u m d i o x y d : SiOa + 4 H P

SiF 4 + 2H a O

(1)

bei Gegenwart w a s s e r e n t z i e h e n d e r Mittel (Verschiebung des Gleichgewichtes (1) zugunsten der SiF 4 -Bildung) zugänglich. In der Praxis verfährt man zweckmäßig so, daß man auf ein Gemisch von gepulvertem C a l c i u m f l u o r i d (Flußspat) CaF 2 und Q u a r z s a n d Si0 2 konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e einwirken läßt, wobei letztere zunächst Flußsäure in Freiheit setzt (CaF 2 + H 2 S 0 4 —>- CaS0 4 + 2 HF) und dann als wasserentziehendes Mittel die obige Umsetzung (1) zwischen Si0 2 und H F begünstigt. Auch auf S i l i c a t e , d. h. die Salze der sich vom Anhydrid Si0 2 ableitenden Kieselsäuren, wirkt die Flußsäure unter Bildung von gasförmigem S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d ein. Hierauf beruht einerseits die ä t z e n d e W i r k u n g der Flußsäure auf Glas (S. 98), andererseits die Entfernung von Silicium aus Silicaten durch ,,Abrauchen mit Flußsäure" zwecks nachfolgender a n a l y t i s c h e r B e s t i m m u n g der in den Silicaten enthaltenen Metalle.

Siliciumtetrafluorid ist ein farbloses, an feuchter Luft stark rauchendes Gas von stechendem und erstickendem Geruch. Führt man es durch starke Abkühlung in den festen Zustand über, so sublimiert es beim Erwärmen unter 1 Atmosphäre Druck bei —95.7°; unter 2 Atmosphären Druck schmilzt es vor dem Übergang in den gasförmigen Zustand bei —77° zu einer Flüssigkeit, welche unter 181 cm Quecksilberdruck bei —65° siedet. Als stark exotherme Verbindung (s. oben) ist Siliciumtetrafluorid s e h r b e s t ä n d i g und bei Ausschluß von Feuchtigkeit recht r e a k t i o n s t r ä g e . Dagegen wird es in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) von W a s s e r leicht unter Abscheidung gallertartiger K i e s e l s ä u r e und Bildung von F l u ß s ä u r e hydrolytisch zersetzt, wobei sich die Flußsäure mit noch unverändertem Siliciumtetrafluorid zu „Fluokieselsävre" H ? [SiF 6 ] vereinigt: SiF 4 + 2 H F

>- H 2 [SiF,l

323

Das Silicium

Wegen dieser — insgesamt durch die Gleichung 3SiF 4 + 2 H 2 0 —>- Si0 2 + 2H 2 SiF 6 wiederzugebenden — Zersetzung durch Wasser kann Siliciumtetrafluorid bei der Darstellung nicht über Wasser, sondern nur über Quecksilber aufgefangen werden. Fluokieselsäure EL>[SiF6]. Die auf dem obengenannten Wege durch Einwirkung von S i l i c i u m f l u o r i d auf W a s s e r — auch technisch — zugängliche F l u o k i e s e l säure H 2 [SiF 6 ] ist in r e i n e m , w a s s e r f r e i e m Z u s t a n d e n i c h t b e k a n n t . Stellt man sie durch Einwirkung konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e auf ihre S a l z e („FluoSilicate") wasserfrei dar: Ba[SiF 6 ] + H 2 S 0 4 — > - B a S 0 4 + H 2 [SiF 6 ], so erfolgt weitgehender Z e r f a l l unter Bildung von S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d und F l u o r w a s s e r s t o f f ( H 2 S i F 6 — S i F 4 + 2HF). In wässeriger Lösung treten dagegen keine merklichen Mengen freier Flußsäure auf, so daß die Lösung Glas nicht ätzt. Kühlt man konzentriertere Lösungen ab, so scheidet sich unter anderem ein D i h y d r a t der Fluokieselsäure in Form farbloser harter Kristalle vom Schmelzpunkt 19° ab. Beim Eindampfen wässeriger Fluokieselsäurelösungen entweicht sowohl S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d als auch F l u o r w a s s e r s t o f f . Ist die Lösung 13.3°/oig, so enthält der Dampf gerade 2 H F auf 1 SiF 4 , so daß die Fluokieselsäure scheinbar unzersetzt destilliert. Bei größeren Konzentrationen geht mehr SiF 4 , bei kleineren mehr H F in den Dampf über. Dampft man daher eine k o n z e n t r i e r t e Fluokieselsäurelösung ein, so reichert sich die zurückbleibende Lösung an F l u ß s ä u r e an und vermag daher Glas zu ätzen und Siliciumdioxyd aufzulösen. Aus einer v e r d ü n n t e n Fluokieselsäurelösung scheidet sich beim Eindampfen umgekehrt S i l i c i u m d i o x y d aus, da sich hier das S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d anreichert, welches von Wasser hydrolysiert wird.

Die Fluokieselsäure ist eine s t a r k e S ä u r e , welche mit Hydroxyden oder Carbonaten unter Bildung von F l u o s i l i c a t e n Me|[SiF6] reagiert. Die Fluosilicate — die auch durch direkte Vereinigung der Komponenten zugänglich sind (SiF 4 + 2MeF —>Me 2 [SiF 8 ])—sind meist wasserlöslich. Schwerlöslich sind die Fluosilicate der A l k a l i m e t a l l e (außer Lithium) und das B a r i u m f l u o s i l i c a t . Die Fluokieselsäure und ihre Salze sind g i f t i g und werden als bakterien- und insektentötende Mittel angewandt.

d) Sauerstoffverbindungen des Siliciums a) Siliciumdioxyd Vorkommen. Das Siliciumdioxyd ist in der Natur w e i t v e r b r e i t e t und findet sich hier sowohl in k r i s t a l l i s i e r t e r wie in a m o r p h e r Form. K r i s t a l l i s i e r t kommt es in drei verschiedenen Kristallarten vor: als „Quarz", als „Tridymit" und als „Cristobalit". Die häufigste Erscheinungsform ist dabei der Quarz. A b a r t e n des Quarzes sind z. B. „Bergkristall" (wasserklar), „Rauchquarz" (braun), „Amethyst" (violett), „Citrin" (gelb), „Morion" (schwarz), „Rosenquarz" (rosa). Schönkristallisierte Stücke hiervon dienen als S c h m u c k s t e i n e . Weiterhin findet sich Quarz als Gemengebestandteil zahlreicher G e s t e i n e (z. B. Granit, Gneis, Glimmerschiefer, Sandstein, Quarzsand). In a m o r p h e r F o r m kommt Siliciumdioxyd w a s s e r h a l t i g als „Opal" und erdig als „Kieselgur" vor. Gealterte (wasserärmere) Opale sind der „Chalcedon" und seine Abarten („Achat", „Onyx", „Karneol", „Chrysopras", „Heliotrop", „Jaspis", „Feuerstein"), die bereits k r i s t a l l i n e Struktur erkennen lassen und ebenfalls als S c h m u c k s t e i n e Verwendung finden. K i e s e l g u r besteht aus den Kieselpanzern vorzeitlicher Infusorien (Diatomeen) und wird daher auch „Infusorienerde" genannt. Physikalische Eigenschaften. Siliciumdioxyd existiert in mehreren e n a n t i o t r o p e n M o d i f i k a t i o n e n . Die s t a b i l e n Modifikationen sind: cc-Quarz („Niederquarz"), ß-Quarz („Hochquarz"), ß-Tridymit und ß-Cristobalit. Die Umwandlungspunkte liegen, wie Fig. 108 zeigt, bei folgenden Temperaturen: 575° 870° 1470' 1705" a-Quarz

>

/J-Quarz

_ /ß-Tridymit

— ß-Cristobalit


Schmelze.

21*

324

Die Kohlenstoffgruppe

Weiterhin kommen als m e t a s t a b i l e Formen noch vor: ot-Tridymit undoc-Cristobalit, sowie die unterkühlte S c h m e l z e („Quarzglas"). Die im metastabilen Gebiete liegenden Umwandlungspunkte haben dabei (vgl. Fig. 108) die Werte: /?-Tridymit,

a-Tridymit a-Cristobalit

ca. 250° 1550°

ß-Cristobalit, Schmelze.

ß- Quarz- - b

O = c = O, (c)

(1)

Die Kohlenstoffgruppe

326

sondern i n t e r m o l e k u l a r , d. h. zwischen zwei verschiedenen Molekülen; denn Silicium besitzt nicht wie der Kohlenstoff die Neigung zur Ausbildung von Doppelbindungen (vgl. S. 187). Als erstes K o n d e n s a t i o n s p r o d u k t tritt so die Orthodikieselsäure (,,Pyrokieselsäure") H 6 Si 2 0 7 auf (vgl. die entsprechende Kondensation bei der Phosphorsäure; S. 267): OH

OH

OH

HO—k-i-OH + H:0—Si—OH ; I ! I OH OH Orthokieaelaäure

OH

HO—Ii—0—Si—OH. ¿H

Orthoklesels&ure

(2)

OH

Ortho-dikleselsäure

Weitere K o n d e n s a t i o n unter Wasseraustritt führt auf dem Wege über „Polykieselsäuren" H2n + 2 Si n 0 3n + 1 zur Bildung von „Metakieselsäuren" der Bruttozusammensetzung H 2 Si0 3 (vgl. S. 268): OH: OH; OHi OHi OH! Ii Ii Ii Ii Ii —O—Si—i— 0—Si—!— 0—Si-^— 0—Si-^-O— Si-^- , M I j Ii Ii Ii OH; OHi OH; OH; OH;

(3)

deren Moleküle bei kleiner Gliederzahl n (z. B. n = 3 oder 4 oder 6) zu einem Ring geschlossen sind: [H2Si03]3, [H 2 Si0 3 ] 4 , [H 2 Si0 3 ] 6 , bei großem n ( = o o ) dagegen als offene, an den Enden wahrscheinlich durch die Elemente des Wassers abgesättigte

A Orthokiesp/siure M,S/Ov Orfhos/7/cate S/0¥""

Ortho - c/Mese/säure He S/s Oy Ortho-disiticate S't0?"""

yf7=3 Mefakiese/säuren (H2si03)„ Metas/h'cate (•Si03'% Fig. 109.

Beispiele für die Tetraeder-Anordnung Kieselsäuren

einfacher

K e t t e n vorliegen: H20[) +2Sioo03a, + i = [H^SiC^]^. Metakohlensäure H 2 C0 3 (lb) und M e t a k i e s e l s ä u r e H 2 Si0 3 (3) besitzen also trotz ihrer analogen Bruttozusammensetzung ganz verschiedene S t r u k t u r f o r m e l n , was sich im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187, 268) befindet. Wie aus den bisherigen Formeln hervorgeht, weist das Silicium in allen diesen Fällen die Koordinationszahl 4 auf, da jedesSiliciumatom von vier Sauerstoffatomen umgeben ist. Wie früher schon erwähnt (S. 152 f.), bilden diese vier Atome die Ecken eines T e t r a e d e r s , in dessen M i t t e l p u n k t sieh das Zentralatom, hier also

Das Silici ura

327

das S i l i c i u m , befindet. Wir können daher, wenn wir für jede Si0 4 -Gruppierung ein Tetraeder zeichnen, die bisher behandelten Typen von Kieselsäuren (bzw. ihrer Salze) auch durch nebenstehende Bilder (Fig. 109, S. 326) veranschaulichen. Jede g e m e i n s a m e Ecke zweier Tetraeder stellt dabei ein S a u e r s t o f f a t o m dar, welches zwei S i l i c i u m a t o m e n g l e i c h z e i t i g a n g e h ö r t ; jede f r e i e Tetraederecke bedeutet im Falle f r e i e r K i e s e l s ä u r e n eine H y d r o x y l g r u p p e , im Falle ihrer S a l z e ein n e g a t i v g e l a d e n e s S a u e r s t o f f a t o m . Die Meta-Hexakieselsäure (H 2 Si0 3 ) , von der sich u. a. der Beryll Al 2 Be 3 [Si 6 0 1 8 ] ableitet (vgl. S. 329 und 401), besitzt somit gemäß Fig. 109 beispielsweise die Valenzstrichformel (OH)»

X

(HOUSK "I 0

x Si(OH)

I 0

I

2

I

(HO)„Si

(4)

Si(OH),

(OH)., D i e K o n d e n s a t i o n d e r K i e s e l s ä u r e i s t mit dieser Bildung von Ring- und Kettenmolekülen n o c h n i c h t b e e n d e t . Denn die K e t t e n (Fig. 110a) können ihrerseits unter Wasserabspaltung zusammentreten. Dabei entsteht über die Stufe eines B a n d - M o l e k ü l s (Fig. 110b) hinweg zunächst eine — nach zwei Richtungen des Raums hin unbegrenzt ausgedehnte — B l a t t s t r u k t u r (Fig. 110c) 1 . Als V a l e n z s t r i c h f o r m e l n geschrieben lauten diese Tetraeder-Anordnungen (Fig. 110) gemäß dem oben Gesagten wie folgt: (HO),Si^ "

\

\ 0

(HO)2Si

\

\

Si(OH)ä

/

\ 0

(HO)2Si

(HO),Si^

/

(HO)2Si Si(OH)2

Kette (H2SiOa) (») 1

/

0 Si(OH)2

/

\

o

/

\

(HO) Si—0—Si (OH)

/

\

Band (H9Si4On) (b)

\

/

\

/

— 0 — Si(OH)

\

o

(HOiSi0

/

\

0

\

(HO)Si— ^0

/

(HO)Si—0—Si(OH) 0

v



(HO)Si—0—Si(OH)

/

/

(HO)Si—0—Si(OH)

(HO)Si—0—Si(OH)

Si(OH),

v

\

y

\ 0

/

/

— 0 — Si(OH)

0

0

v

\

(HO)Si—0—Si(OH)

(HO)Si—O—Si(OH)

\

\

—0—Si(OH) \

(HO) Si—0—Si (OH) 0

Si(OH)2

/

(HO) Si— 0 — Si (OH)

(HO)2Si

/

\ o

0

^Si(OH),

\

\

(HO)Si—

\

Blatt (H,Sia06) (c)

E s sind auch andere Band- und Blattstrukturen als die in Fig. 110 wiedergegebenen möglich.

/

/

(5)

328

Die Kohlenstoffgruppe

In der der Blattstruktur (Fig. 110c) entsprechenden Kieselsäure oo [H 2 Si 2 0 5 ] (5 c) tragen die Siliciumatome abwechselnd nach oben und unten noch je eine Hydroxylgruppe. Daher können diese B l a t t m o l e küle noch weiter unter Wasseraustritt zu einer R a u m n e t z s t r u k t u r zusammentreten, bei welcher auch dieses letzte freie Sauerstoffatom eines jeden Siliciumatoms einem zweiten Siliciumatom (in der darüber- bzw. darunterliegenden Schichtebene) gleichzeitig mit angehört. Die Formel der so entstehenden Verbindung lautet oo [Si0 4 / 2 ] = oo [Si0 2 ]; d. h. es liegt das A n h y d r i d der K i e s e l s ä u r e vor. Fig. 111 gibt einen räumlichen Ausschnitt aus diesem Si0 2 - Gitter wieder.

Kette ff/ese/säure S///cate

Band

SÌO3] o°fS/Os"J

/fiese/säure Si/icafe

(a)

ß/aft 0„J °°fS/„0„ m"J

/f/ese/sé'cre 3///cafe

(b)

oo £ s / g OsJ oo f s / i Os -J

(c)

Fig. 110. Beispiele f ü r die Tetraeder-Anordnung von Kieselsäuren mit Ketten-, Blattstruktur

B a n d - und

Während also das K o h l e n d i o x y d C0 2 die m o n o m e r e Strukturformel O = C = 0 besitzt, ist das homologe S i l i c i u m d i o x y d S i 0 2 im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187, 268f.) h o c h p o l y m e r : 0 1

— Si -

o

0 1

- Si —

I 0 1

— o- • Si — I o

— Si — 0 — S i —

I o — Si-

I o I

o—

o I

O — Si — O — Si — 0 •

I o

I

(6)

— Si — O — Si — O —

I I I I 0 0 0 0 I I I I und dementsprechend zum Unterschied vom g a s f ö r m i g e n C0 2 f e s t und nichtflüchtig.

Dieselbe Kristallstruktur wie das Siliciumdioxyd S i 0 2 besitzt auch das kristalline E i s H 2 0 , indem hier an die Stelle der Si—O—Si-Bindungen des Siliciumdioxyds die Wasserstoffbrücken O—H-• • O (S. 223) des Wassers treten, so daß sich das Eisgitter in Analogie zu Fig. 111 aus OH 4 -Tetraedern a u f b a u t , deren Wasserstoffatome je einem zweiten O-Tetraeder gemeinsam sind.

Das Silicium

329

Parallel mit der Molekülvergrößerung unter Wasseraustritt nimmt die Löslichkeit der Kieselsäure ab. Während die m o n o m o l e k u l a r e K i e s e l s ä u r e H 4 S i 0 4 in Wasser l e i c h t l ö s l i c h ist, ist das A n h y d r i d Si0 2 als hochmolekulares letztes Glied der Reihe vollkommen w a s s e r u n l ö s l i c h . Säuert man daher die wässerige Lösung eines Orthosilicats an, so bleibt die Lösung zuerst klar und flockt erst nach einiger Zeit aus (falls nicht kolloide Lösungen — s. S. 333ff. — entstehen). Alkalisilicate. Reine A l k a l i s i l i c a t e der Formel MeJSi0 4 , MeJSi 2 0 7 , Me^SiOg und Me£Si2Oslassen sich durch Zusammenschmelzen von gemahlenem Q u a r z s a n d und Alkalic a r b o n a t darstellen: 2SiO a 2 Si02 2 Si02 2 Si02

+ 4Me 2 C0 3 + 3Me 2 C0 3 + 2Me2C03 + 1 Me 2 C0 3

->- 2Me 4 Si0 4 ->• Me 6 Si 2 0 7 ->- 2 M e 2 S i 0 3 Me„Si,0 K

+ 4C02 + 3C02 + 2C02 + 1C0 3 .

Fig. 111. Tetraeder-Anordnung im Kristallgitter des Cristobalita S i 0 2

Die unter dem Namen „Wasserglas" in den Handel kommenden wässerigen L ö s u n g e n von Alkalisilicaten werden durch Auflösen der aus Quarzsand und P o t t a s c h e (,,Kaliwasser glas") oder S o d a bzw. G l a u b e r s a l z und K o h l e („Natronwasserglas") erhaltenen Schmelze in Wasser gewonnen und enthalten in der Hauptsache die Salze Me 2 Si0 3 und Me 2 Si 2 0 5 . Sie stellen einen „mineralischen Leim" dar und dienen daher zum Verkitten von Glas- und Porzellanbruchstücken, zum Imprägnieren und Leimen von Papier, zum Beschweren von Seide, zum Strecken von Seife, zum Konservieren von Eiern, als Flammschutzmittel für Holz und Gewebe usw. Da die den Alkalisilicaten zugrundeliegenden Kieselsäuren sehr s c h w a c h e S ä u r e n sind (H4Si04: = 10 - 1 0 , K2 = 10~ 12 ), reagieren die Alkalisalzlösungen s t a r k a l k a l i s c h .

y) Natürliche Silicate Auch den in der N a t u r vorkommenden S i l i c a t e n liegen die im Vorstehenden erläuterten Bauprinzipien zugrunde. Man kann also auch hier unterscheiden zwischen Silicaten m i t b e g r e n z t e r A n i o n e n g r ö ß e (z. B. [ S i 0 4 ] " 4 , [Si 2 0 7 ]-», [Si 3 0„]- 9 , [ S i 6 0 1 8 ] - 1 2 ) und Silicaten m i t u n b e g r e n z t e r A n i o n e n g r ö ß e (z. B. oo [ S i 0 3 ] ~ 2 , oo [Si 4 O u ]~ 6 , oo [ S i 2 0 6 ] - 2 ) . Bei den Silicaten mit begrenzter Anionengröße liegen wie bei anderen Salzen I o n e n g i t t e r vor, an deren Gitterpunkten als A n i o n e n die in sich abgeschlossenen, selbständigen S i l i c i u m S a u e r s t o f f - B a u g r u p p e n (Fig. 109) und als K a t i o n e n die zugehörigen M e t a l l - i o n e n sitzen. Beispiele für derartige natürliche Silicate sind: Phenakit B e 2 [ S i 0 4 ] , Forsterit Mg 2 [Si0 4 ], Olivin (Mg, F e ) 2 [ S i 0 4 ] , Nephelin NaAl [Si0 4 ], Zirkon Z r [ S i 0 4 ] und Granat Ca 3 Al 2 [Si0 4 ] 3 als Orthosilicate; Thortveitit S c 2 [ S i 2 0 7 ] und Barysilit P b 3 [ S i 2 0 7 ] als Ortho-disilicate; Benitoit BaTi[Si 3 0„] als Meta-trisilicat; Beryll A l 2 B e 3 [ S i 6 0 1 8 ] als Meta-hexasilicat. Bei den Silicaten mit unbegrenzter Anionengröße liegen n e g a t i v g e l a d e n e K e t t e n (bzw. B ä n d e r ) oder B l ä t t e r vor (Fig. 110), die durch die p o s i t i v g e l a d e n e n M e t a l l i o n e n zusammengehalten werden. Beispiele hierfür sind: Enstatit Mg[Si0 3 ], Diopsid (Pyroxen) CaMg[Si 2 0 6 ], Spodumen LiAl[Si 2 O e ] und Wollastonit C a [ S i 0 3 ] als Silicate mit Kettenstruktur ( „ P y r o x e n e " ) ; Tremolit (Amphibol) [Ca 2 Mg 5 (OH) 2 ] [Si 8 0 2 2 ], Chrysotil („faseriger Serpentin") [Mg„(OH) 6 ] [Si 4 O n ] • H 2 0 und Hornblenden wie Siebeekit [ N a 2 F e J I F e J I I ( 0 H ) 2 ] [ S i 8 0 2 2 ] und Olaukophan [Na 2 (Mg, F e n ) 3 ( A l , F e m ) 2 ( O H ) 2 ] [ S i 8 0 2 2 ] als Silicate mit Bandstruktur ( „ A m phibole"); sowie schließlich Talk [Mg 3 (OH) 2 ] [Si 4 O 1 0 ] Pyrophyllit und Montmorillonit [Al 2 (OH) 2 ] [Si 4 0 1 ( ,], Antigorit („blätteriger Serpentin") [Mg 6 (OH) 8 ] [Si 4 O 10 ] und Kaolinit [Al 4 (OH) 8 ] [Si 4 O 10 ] als Silicate mit Blattstruktur.

330

Die Kohlenstoffgruppe

Da die innerhalb der Ketten, Bänder und Blätter der Silicat-anionen wirksamen A t o m b i n d u n g e n viel fester als die I o n e n b i n d u n g e n sind, welche die Ketten, Bänder und Blätter zu größeren Komplexen verkitten, zeigen die Silicate mit K e t t e n - und B a n d s t r u k t u r gute S p a l t b a r k e i t p a r a l l e l z u r R i c h t u n g d e r K e t t e n u n d B ä n d e r (Faserstruktur) und die Silicate mit S c h i c h t e n s t r u k t u r leichte S p a l t b a r k e i t längs der N e t z e b e n e n (Blättchenstruktur). Die oben angeführten Bezeichnungen ,,faseriger" und ,,blätteriger" Serpentin bringen diese Eigenschaft deutlich zum Ausdruck. Auch die faserig-stengelig ausgebildeten Asbeste (Abarten von Hornblende und Serpentin; S. 403) und die leicht in Blättchen spaltbaren Glimmer (s. unten und S. 378) sind kennzeichnende Beispiele für den B a n d - und B l a t t a u f b a u von Silicaten. Ebenso erklärt sich die graphitähnliche W e i c h h e i t des Talks aus der leichten Verschiebbarkeit der Anionenschichten gegeneinander. Das starke Q u e l l u n g s v e r m ö g e n vieler Silicate mit Blattstruktur — z.B. von T o n e n ( S . 342,378) vneKaolinit und Montmorillonit—beruht auf der Aufnahme von Wasser zwischen den Silicium-Sauerstoff-Schichten. Dadurch tritt eine Q u e l l u n g (beim Entwässern entsprechend eine S c h r u m p f u n g ) des ganzen Gitters senkrecht zur Ebene der Anionenschichten ein. In analoger Weise wird das große A d s o r p t i o n s v e r m ö g e n solcher Silicate (z. B. von „Bleicherden") durch die große Oberflächenentwicklung der Blattstruktur bedingt. Die obengenannten Glimmer gehören zur Klasse der „Alumosilicate", worunter man Silicate versteht, in denen die S i l i c i u m a t o m e teilweise durch A l u m i n i u m a t o m e ersetzt sind. Da Aluminium e i n e p o s i t i v e K e r n l a d u n g w e n i g e r als das Silicium aufweist, erhöht sich mit jedem an Stelle eines Siliciumatoms in das gegebene Elektronengerüst eintretenden Aluminiumatom die n e g a t i v e L a d u n g des Gitter-Anions um e i n e E i n h e i t , so daß zur Neutralisation des Moleküls z u s ä t z l i c h e K a t i o n e n erforderlich sind 1 . Dementsprechend hat der Muskovit (Glimmer), der sich vom Pyrophyllit [Al2(OH)2] [Si 4 Oi 0 ] (s. oben) durch Ersatz jedes v i e r t e n Siliciumatoms der Blattstruktur durch ein Aluminiumatom ableitet, die Formel [KA1 2 (0H) 2 ] [AlSisO,„] und der Margarit (Sprödglimmetr), bei dem jedes z w e i t e Siliciumatom des Pyrophyllits durch Aluminium ersetzt ist, die Formel [CaAl2(OH)2] [Al2Si2Oi0]. Auch bei der R a u m n e t z s t r u k t u r des Siliciumdioxyds können die S i l i c i u m a t o m e teilweise durch A l u m i n i u m a t o m e ersetzt werden, und auch hier ist der Einbau jedes Aluminiumatoms mit dem Auftreten einer negativen Ladung verknüpft 1 . So ist z. B. im Permutit Na[AlSi0 4 ] • H 2 0 und im Ultramarin Na 6 [Al 6 Si 9 0 24 ] • Na 2 S 2 jedes z w e i t e , im Natriumzeolith (Analcim) Na[AlSi 2 0 6 ] • H 2 0 und Natrium-Calcium-zeolith (Chabasit) (Na 2 , Ca)[Al 2 Si 4 0 J2 ] • 6H a O jedes d r i t t e und in den Feldspäten (S. 378) — z. B. Kalifeldspat (Orthoklas) K[AlSi 3 0 8 ] — jedes v i e r t e Siliciumatom der Raumnetzstruktur des Siliciumdioxyds durch A l u m i n i u m ersetzt. In allen diesen Alumosilicaten sind die übereinanderliegenden S c h i c h t e n vom Typus der Fig. 110c wie beim Siliciumdioxyd durch f e s t e A t o m b i n d u n g e n miteinander verknüpft (vgl. Fig. 111). Hier wie dort liegt also ein f e s t e s R a u m n e t z w e r k vor, welches von l a n g e n K a n ä l e n durchzogen ist. Im Innern dieser Röhren befinden sich die W a s s e r m o l e k ü l e und die A l k a l i - bzw. E r d a l k a l i - i o n e n der Alumosilicate. Da sie hier k e i n e f e s t e n L a g e n einnehmen, sondern „im Kristallgitter vagabundieren" können, können sie leicht a b g e g e b e n , a u f g e n o m m e n und a u s g e t a u s c h t werden, ohne daß sich der Charakter des Kristallgitters ändert. Hierauf beruht beispielsweise die w a s s e r e n t h ä r t e n d e W i r k u n g der Alkali-zeoliihe (Austausch der Alkaliionen gegen die Calcium-ionen des harten Wassers: 2Na[AlSi 2 0 6 ] + Ca" * Ca [Al 2 Si 4 0 12 ] + 2Na') und die Möglichkeit ihrer ,,Regenerierung" mit N a t r i u m c h l o r i d l ö s u n g (rückläufiger Austausch der Ionen), sowie ihre Fähigkeit zur W a s s e r a b g a b e und - a u f n ä h m e . In analoger Weise wird das A d s o r p t i o n s v e r m ö g e n d e s A c k e r b o d e n s für Kalium- und Ammoniumsalze, das für die D ü n g u n g von großer Bedeutung ist, dadurch bedingt, daß die im Boden vorhandenen Calcium-zeolithe Calcium gegen Kalium und Ammonium auszutauschen vermögen, so daß statt der wertvollen Kalium- und Ammoniumsalze die beim Austausch freiwerdende Calciumverbindung durch den Regen ausgewaschen wird. Sind a l l e Siliciumatome des [Si0 2 ]oo-Gitters durch Aluminiumatome ersetzt, so liegt das hochpolymere Anion [A10 2 '] x der w a s s e r f r e i e n Alurninate (S. 385) vor 2 . In gleicher Weise entsprechen den verschiedenen Kieselsäuren Si(OH)4, Si(0H) 3 -0-Si(0H) 3 usw. (S. 325ff.) w a s s e r h a l t i g e Alurninate des Typus [A1(0H) 4 T, [Al(0H 3 )-0-Al(0H) 3 ]" usw. (S. 386). 1 Auch B e r y l l i u m kann an Stelle von Silicium in das Silicatgitter eintreten („Beryllosilicaie"), wobei sich für jedes eingebaute Berylliumatom die Ladung des Gitters naturgemäß um zwei negative Einheiten erhöht (vgl. S. 401). 2 Die Siliciumatome des Si0 2 -Gitters lassen sich auch gegen andere Atome austauschen. So bildet z . B . das Bor-phosphor-oxyd B P 0 4 („Bor-phosphat") ein C r i s t o b a l itgitter, in welchem die Si-Atome abwechselnd durch B- und P-Atome ersetzt sind.

Das Silicium

331

5) Silicone Die Kondensation der Orthokieselsäure Si(OH) 4 , die auf dem Wege ü b e r Polykieselsäuren mit R i n g - , K e t t e n - und B l a t t s t r u k t u r schließlich zum R a u m n e t z des Siliciumdioxyds führt (S. 325ff.), läßt sich nur schwer bei bestimmten Zwischenstufen des Polymerisationsvorgangs aufhalten. Es liegt nahe, solche Zwischenstufen bestimmter Molekulargröße und Konfiguration dadurch zu gewinnen, daß man nicht von der Orthokieselsäure Si(OH) 4 , sondern von Verbindungen ausgeht, in welchen einzelne 0 H Gruppen des Moleküls durch organische Reste R ersetzt sind, welche sich naturgemäß am Kondensationsvorgang nicht beteiligen können. I n der Tat gelingt es so, Ring-, Ketten- und Blattstrukturen bestimmten Polymerisationsgrades aufzubauen. Sie werden heute ganz allgemein als „Silicone" bezeichnet und spielen als a n o r g a n i s c h e K u n s t u n d W e r k s t o f f e (öle, Filme, Harze, Kautschuk usw.) eine immer bedeutsamer werdende technische Rolle. Die zur Darstellung solcher Silicone erforderlichen Ausgangsverbindungen R 3 SiOH („Sila• nole"), R.,Si(OH)2 („Silandiole") und RSi(OH) 3 („Silantriole") werden durch Hydrolyse der entsprechenden Halogenverbindungen R 3 SiCl, R2SiCl2 und RSiCl 3 gewonnen. Die Darstellung der letzteren kann durch Alkylierung von S i l i c i u m t e t r a c h l o r i d SiCl4 mittels A l k y l i e r u n g s m i t t e l n wie ZnR2, A1R3, HgR 2 , MgRCl usw. (R = Alkylrest) oder besonders elegant durch Anlagerung von A l k y l h a l o g e n i d e n R X an S i l i c i u m (bei Gegenwart von Kupfer als Katalysator) erfolgen: 4RC1 + 2Si 3 0 0 - " Q o y 2 R2SiCl2 bzw. R3SiCl + RSiCl 3 .

Die Kondensation der S i l a n o l e R 3 SiOH f ü h r t zu D i s i l o x a n e n R 3 Si—O—SiR 3 (vgl. S. 320f.): R R RSi—0:H + HOi—SiR. ; R R

Bei den S i l a n d i o l e n R 2 Si(OH) 2 geht die Kondensation erwartungsgemäß weiter und gibt zur Bildung höhermolekularer P o l y s i l o x a n e der Formel —SiR 2 —0— SiR 2 —0—SiR 2 —0— Veranlassung (vgl. (5a), S. 327): R R R R HOi—Si—0;H + HOi—Si—OiH + HOi—Si—OiH + HO -Si—OiH ; : L 1 •'• R R R R

die sich bei kleiner Gliederzahl zum Ring schließen: [R 2 SiO] n , bei hoher Gliederzahl als lange K e t t e n vorliegen: [R 2 SiO] 00 . Da ihre Bruttozusammensetzung R 2 SiO der Formel der organischen K e t o n e R 2 CO (vgl. I I , S.95ff.) entspricht, wurden sie von ihrem Entdecker ( F R E D E B I C K S. K I P P I N G ) „Silicone" (Süico-betone) genannt, eine Bezeichnung, die dann später auf die ganze Körperklasse der Organo-Silicium-Sauerstoff-Verbindungen ausgedehnt wurde. Natürlich haben die Silico-ketone —SiR 2 —0— mit den entsprechenden o r g a n i s c h e n Ketonen R 2 C = 0 weder physikalisch noch chemisch Ähnlichkeit, da sie ja zum Unterschied von diesen — im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187, 268) — nicht monomer, sondern p o l y m e r sind. Durch entsprechende Beimischung von Silanolen R 3 SiOH kann die Kettenlänge nach Belieben begrenzt werden, da die Silanole einen Kettenabbruch herbeiführen: R 3 Si—OiH + HOi—SiR 2 —0—[—SiR 2 —0—]„— SiR 2 —OiH + HO —SiR,.

Die Kondensation der S i l a n t r i o l e RSi(0H) 3 führt zur Bildung von B l a t t s t r u k t u r e n der Bruttozusammensetzung R 2 Si 2 0 3 :

Die Kohlenstoffgruppe

332

/

\

— 0 — SiR

X X X

/

RSi — 0 — SiR

X X X

X X X

RSi — 0 — SiR

— 0 — SiR

RSi —

RSi — O — SiR

RSi — o — S i R

/

RSi—

\

— 0 — SiR

m^

/

RSi — 0 — SiR

X X

X X

X X

RSi — o — SiR

RSi —

(vgl. (5c), S. 327), deren Ausdehnung und Vernetzung durch entsprechende Beimischung von Silandiolen und Silanolen nach Belieben variiert werden kann. In dieser Weise lassen sich ganz „nach Maß" bestimmte Siliconstrukturen mit charakteristischen, weitgehend abstufbaren Eigenschaften aufbauen, die je nach ihrer Molekulargröße und -struktur leichtflüssige, ölige, harzartige oder kautschukähnliche Substanzen darstellen und wegen ihrer thermischen und chemischen Beständigkeit technisch vielseitig anwendbar sind. So dienen die Ö1 e, die sich durch geringe Flüchtigkeit, durch einen sehr kleinen Temperaturkoeffizienten der Viskosität, durch Feuersicherheit und hohe Resistenz gegen Säuren und Laugen auszeichnen, als Schmiermittel, Brems- und hydraulische Flüssigkeiten. Die H a r z e finden Verwendung als Isolationsmaterial bei Motorenwicklungen, zur Imprägnierung von Geweben, Glasfasern und Asbest, zur Lackierung von Drähten und keramischen Isolierkörpern sowie ganz allgemein als Lackgrundlage für Schutzanstriche in allen den Fällen, in denen die wenig temperaturbeständigen organischen Lacke den Anforderungen nicht genügen. Die k a u t s c h u k a r t i g e n Silicone sind bis herab zu Temperaturen von —55° dehnbar und auch bei langer Beanspruchung bis herauf zu + 200° elastisch, also weitgehend temperaturunempfindlich, dazu chemisch kaum angreifbar. Sie finden daher Anwendung für thermisch hochbeanspruchte Dichtungen, Draht- und Kabelisolierungen. Erwähnenswert ist noch die w a s s e r a b s t o ß e n d e W i r k u n g der Silicone. Man benutzt sie zur Erhöhung des elektrischen Widerstandes von Isolatoren, zum Klarhalten von Windschutzscheiben, zur Imprägnierung von Regenmänteln und Papier, indem man auf diese Materialien einige Minuten lang den Dampf eines Alkyl-chlor-silan-Gemischs einwirken läßt, der mit der stets vorhandenen Wasserhaut unter Bildung eines festhaftenden Silicon-Schutzfilms (von 10~5 cm Dicke) reagiert.

e) Sonstige Siliciumverbindungen Siliciumdisulfid. Das dem Siliciumdioxyd Si0 2 entsprechende S i l i c i u m d i s u l f i d SiS 2 , das durch Z u s a m m e n s c h m e l z e n d e r E l e m e n t e bei Rotglut darstellbar ist, hat nicht wie das Siliciumdioxyd eine R a u m n e t z - , sondern eine F a s e r s t r u k t u r :

XKsXsXX Vei/

\es/

\os/

v

Das Silicium

333

Die Koordinationszahl 4 des Siliciumatoms wird bei dieser SiS 2 -Kette von unbegrenzter Länge dadurch erreicht, daß jedes Siliciumatom mit zwei Nachbar-Silieiumatomen je zwei Schwefelatome gemeinsam hat, während es bei der Raumnetzstruktur des Siliciumdioxyds mit vier Nachbar-Siliciumatomen je ein Sauerstoffatom teilt. In ähnlicher Weise unterscheidet es sich von dem Airion der faserigen Metasilicate Me£ [SiOs] : O O O O _0—Si—0—Si—0—Si—0—Si—, j_ i i i O O O O bei welchem die benachbarten Siliciumatome ebenfalls nur je ein Sauerstoffatom gemeinsam haben. Es sei in diesem Zusammenhang aber erwähnt, daß auch bei Si-O-Verbindungen eine Verkettung von Siliciumatomen über je zwei Sauerstoffatome möglich ist. So entsteht bei der Oxydation von Siliciummonoxyd (S. 325) ein f a s e r i g e s Siliciumdioxyd (Smp. 1420°; d = 1.96), dem zum Unterschied vom gewöhnlichen Siliciumdioxyd und in Analogie zum Siliciumdisulfid die Struktur

zukommt.

Entsprechend dem kettenförmigen Aufbau der Moleküle kristallisiert das Siliciumdisulfid bei der Sublimation unter vermindertem Druck in Form faseriger, farbloser, seidenglänzender Kristalle (,,anorganische Faser"), welche bei gewöhnlicher Temperatur an trockener Luft haltbar sind, durch Wasser aber in Kieselsäure und Schwefelwasserstoff zerlegt werden: SiS 2 + 2 H a O — > S i 0 2 + 2H 2 S. In gleicherweise wird auch die faserige Modifikation des Siliciumdioxyds (s. oben) zum Unterschied von der gewöhnlichen durch Wasser zu Kieselsäure (Metakieselsäure) hydrolysiert. Entsprechend verhalten sich die analogen Formen der Verbindungen SiSe2 (Siliciumdiselenid; farblose, asbestähnliche Fasern) und SiTe 2 (Siliciumditellurid; farblose, faserige Masse). Siliciumcarbid. Erhitzt man ein Gemisch von Quarzsand und K o k s im elekirischen Ofen auf etwa 2000°, so entsteht in endothermer Reaktion S i l i c i u m c a r b i d SiC: 129 kcal + Si0 2 + 3C

v SiC + 2CO.

T e c h n i s c h e s Siliciumcarbid („Carborundum") ist wegen vorhandener Verunreinigungen dunkel gefärbt, während reines Siliciumcarbid farblose Kristalle bildet. Wegen seiner enormen H ä r t e , die der des Diamanten nahekommt, dient es in ausgedehntem Maße als S c h l e i f m i t t e l (in Form von Scheiben, Feilen, Schmirgelpapier usw.). Seine große thermische und chemische W i d e r s t a n d s f ä h i g k e i t (Siliciumcarbid zersetzt sich erst oberhalb von 2200° und wird von konzentrierten Säuren nicht angegriffen) machen es zur Herstellung f e u e r f e s t e r S t e i n e (,,Carborundsteine"), T i e g e l und R o h r e geeignet. In Form von „Silit" findet Siliciumcarbid zur Herstellung von Heizwiderständen („Silitstäbe") Verwendung. Wie der Kohlenstoff C und das Silicium Si bildet auch das Siliciumcarbid SiC ein D i a m a n t g i t t e r (Fig. 96, S. 294; O = Si, • = C). Der Abstand C Si beträgt 1.90 Ä, ist also das arithmetische Mittel aus den Abständen C - 10000 Ä .

Phase

Im folgenden seien die Verhältnisse am Beispiel der am besten untersuchten flüssigfesten S y s t e m e betrachtet. o) Vergleich grob-, kolloid- und molekulardisperser Lösungen TvNDALL-Eüekt. Ist ein f e s t e r Stoff in einem flüssigen Lösungsmittel so weit zerteilt, daß er in der Lösung nur in Form von E i n z e l m o l e k ü l e n (Durchmesser von der Größenordnung 1 Ä = 10 - 8 cm) oder in Form von Aggregaten weniger, miteinander verbundener („assoziierter") Moleküle (Durchmesser bis 10 A = 1 0 - ' cm) vorliegt („Amikronen"), so erscheint dieses molekulardisperse System sowohl dem bloßen als auch dem b e w a f f n e t e n Auge als eine vollkommen klare F l ü s s i g k e i t . Wir sprechen dann von einer „echten Lösung". Ist der Durchmesser der festen Partikeln größer als der Moleküldurchmesser, aber kleiner als 1000 Ä (10 - 5 cm), so sind die Teilchen — auch unter dem Mikroskop — immer noch nicht sichtbar, da ihre Größe unterhalb der Größenordnung der Wellenlänge des sichtbaren Lichts (10® bis 104 Ä = 10 - 6 bis 10 - 4 cm) liegt. Ein solches kolloiddisperses System, das man auch „kolloide Lösung" oder „Sol" nennt, erscheint daher für r e l a t i v grobe U n t e r s u c h u n g s m i t t e l immer ^o/iv/efe Losung noch als homogene Lösung. Daß hier , 7itr>da///rege/ aber gröbere Partikelchen als in einer echten ¿L/nse Lösung vorliegen, kann man z. B. dadurch -^lictitqup//e zeigen, daß man einen L i c h t s t r a h l durch die Lösung schickt. Während in echten Lösungen dieser Lichtstrahl bei seitlicher Beobachtung u n s i c h t b a r b l e i b t {„optisch Fig. 112. TYNDALL-Effekt leere" Flüssigkeit), kann man in kolloiden Lösungen seinen Gang verfolgen, da die kleinen festen Partikelchen das L i c h t nach allen Richtungen z e r s t r e u e n , so daß seitlich eine l e u c h t e n d e Trübung zu beobachten ist (Fig. 112). Diese Erscheinung — die man auch im täglichen Leben beobachtet, wenn ein Sonnenstrahl in ein von feinem Staub erfülltes dunkles Zimmer fällt — wurde von dem englischen Naturforscher M I C H A E L F A R A D A Y (S. 93) im Jahre 1857 entdeckt und von dem englischen Physiker J O H N T Y N D A L L (1820—1893) näher untersucht und wird daher FARADAY-TTNDALL-Effekt genannt. Wegen der Kleinheit der kolloiden Teilchen sieht man bei diesem Effekt für gewöhnlich keine g e s o n d e r t e n P a r t i k e l n , sondern nur ein diffuses L i c h t . Betrachtet man den Lichtkegel aber mit Hilfe eines besonders leistungsfähigen Mikroskops {„Ultramikroskop"), so läßt sich bei Teilchengrößen bis herab zur Größenordnung von 100 A auch die Leuchterscheinung der einzelnen submikroskopischen Teilchen {„Submikronen") als L i c h t f l e c k beobachten.

Das Silicium

335

Sind die in einem flüssigen Lösungsmittel verteilten festen Partikelchen größer als 10000 A (,,Mikronen"), so liegt ein grobdisperses System vor, das auch als „Suspension" bezeichnet wird und dem Auge nicht mehr als k 1 a r e, sondern als t r ü b e Lösung erscheint. Entsprechend ihrer Mittelstellung zwischen echten Lösungen und grobdispersen Systemen lassen sich kolloide Lösungen entweder durch T e i l c h e n v e r k l e i n e r u n g g r o b e r V e r t e i l u n g e n („Dispersionsmethoden") oder durch T e i l c h e n v e r g r ö ß e rung m o l e k u l a r d i s p e r s g e l ö s t e r Stoffe („Kondensationsmethoden") herstellen. Von D i s p e r s i o n s m e t h o d e n seien hier erwähnt: die m e c h a n i s c h e Zerk l e i n e r u n g in der „Kolloidmühle", das Z e r s t ä u b e n von M e t a l l e n im e l e k t r i schen B o g e n unter Wasser und die kolloide Z e r t e i l u n g durch „ Ultraschall"; bei der K o n d e n s a t i o n s m e t h o d e geht man zweckmäßig so vor, daß man die Bildung des gewünschten schwerlöslichen Stoffs in sehr v e r d ü n n t e r L ö s u n g oder bei Gegenwart von „Schutzkolloiden" (S. 338) vornimmt, wodurch die Vereinigung zu größeren Partikeln erschwert wird. Die festen Teilchen einer kolloiden Lösung können ganz verschiedene — z. B. k u g e l i g e (Silber, Platin, Arsentrisulfid), s c h e i b e n f ö r m i g e (gealtertes Eisenhydroxyd), s t ä b c h e n f ö r m i g e (Vanadinpentoxyd, Wolframsäure) — Gestalt haben.

Osmotische Erscheinungen. Das für e c h t e L ö s u n g e n geltende G e s e t z osmotischen Druckes P-V = n•RT

des

läßt sich auch auf k o l l o i d e L ö s u n g e n und S u s p e n s i o n e n anwenden. Bei gegebenem Volumen und gegebener Temperatur üben also n k o l l o i d e T e i l c h e n den gleichen osmotischen Druck aus wie n Moleküle. Dies kommt daher, daß die Quadrate der Geschwindigkeiten v gelöster Teilchen bei gegebener Temperatur den Massen m dieser Teilchen umgekehrt proportional sind, so daß ihre k i n e t i s c h e E n e r g i e m * die g l e i c h e ist (vgl. S. 23). Somit ist die G e s c h w i n d i g k e i t der u n g e o r d n e t e n B e w e g u n g gelöster Partikeln („BitowNSche Bewegung") bei Teilchen kolloider Dimensionen viel k l e i n e r als bei Molekülen. Während sie bei letzteren in der Größenordnung von einigen hundert m/sec (bei Raumtemperatur) liegt, beträgt sie bei Aggregation dieser Moleküle zu Teilchen von 1000 mal größerem Durchmesser ( = 10 9 mal größerem Gewicht) nur noch den |/l0 9 ten Teil, liegt hier also in der Größenordnung von 1 cm/sec. Dementsprechend setzen auch S u s p e n s i o n e n und grobk o l l o i d e L ö s u n g e n unter dem Einfluß des S c h w e r e f e l d e s leicht die schwebenden Teilchen ab, zum Unterschied von den f e i n z e r t e i l t e n k o l l o i d e n L ö s u n g e n und m o l e k u l a r d i s p e r s e n S y s t e m e n , bei denen die auf die Teilchen wirkende Schwerkraft durch die kinetische Energie der B R O W N sehen Bewegung dieser Teilchen kompensiert wird.

Natürlich ist der o s m o t i s c h e D r u c k k o l l o i d e r L ö s u n g e n im Vergleich zu dem echter Lösungen sehr g e r i n g , da eine k o l l o i d e Lösung von Teilchen z. B. des Durchmessers von 100 Ä ja 1003 = 106mal weniger Teilchen enthält als eine e c h t e Lösung (Teilchendurchmesser 1 Ä) der gleichen Gewichtsmenge desselben Stoffs und dementsprechend auch einen 10® mal kleineren osmotischen Druck aufweist als diese. Gleiches gilt von der — dem osmotischen Druck proportionalen — G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g und S i e d e p u n k t s e r h ö h u n g . Immerhin kann man solche Messungen durchführen und zur „ M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g " kolloider Teilchen verwenden. Auf diese Weise hat man z. B. für kolloide Kieselsäure- bzw. Eisenhydroxydteilchen ein „Molekulargewicht" von 5000 bzw. 6000 ermittelt. Filtration; Dialyse. G r ö b e r e S u s p e n s i o n e n (Teilchengröße > 10000 Ä) lassen sich leicht durch P a p i e r f i l t e r filtrieren, da die mittlere Porenweite solcher Filter 10000 A (Viooo m m ) beträgt und größere Teilchen daher zurückgehalten werden. Dagegen laufen

336

Die Kohlenstoffgruppe

k o l l o i d e Teilchen (Teilchengröße 100—1000 Ä ) glatt durch solche Filter hindurch, da ihr Durchmesser 10—lOOmal kleiner als diese Porenweite ist. Hier muß man sich zur Trennung von disperser Phase und Dispersionsmittel der sogenannten „Ultrafiltration" bedienen, bei welcher „Ultrafilter" (tierische, pflanzliche oder künstliche Membranen) mit einer mittleren Porenweite von 100 Azur Anwendung gelangen. E c h t e L ö s u n g e n (Teilchengröße < 10 Ä) laufen natürlich auch durch diese U l t r a f i l t e r hindurch. Daher 4_ benutzt man solche Ultrafilter auch zur T r e n n u n g v o n k o l l o i d und echt gelösten S t o f f e n durch sogenannte „Dialyse". Der hierbei benutzte Apparat {„Dialysator") besteht im Prinzip aus einem Uasser— unten mit einerMembran(z.B.PergamentMembran kolloide Lösung papier oder Schweinsblase oder künstliches Ultrafilter) verschlossenen zylindrischen GeFig. 113. Dialysator fäß, das die zu dialysierende Lösung enthält und in ein weiteres, von reinem Wasser durchströmtes Gefäß gehängt wird (Fig. 113). Die echt g e l ö s t e n S t o f f e diffundieren dann —unter dem Einfluß der BROWN sehen B e w e g u n g — durch die Membran hindurch und werden von dem strömenden Außenwasser weggeführt, während die k o l l o i d gelösten S t o f f e von der Membran zurückgehalten werden. Die D i a l y s e g e s c h w i n d i g k e i t

de

j—; vgl.

dt

S. 1011 ist in jedem Augenblick der Dialyse der gerade vorhandenen K o n z e n t r a t i o n c proportional:

- Gel.

Solche hydrophile Kolloide sind dementsprechend viel weniger empfindlich gegenüber Elektrolytzusätzen als hydrophobe Kolloide und werden nur durch relativ große Mengen von Salzen ausgeflockt, wobei letztere wasserentziehend wirken. In den Gelen haben wir uns unregelmäßige, von Lösungsmittel „durchtränkte", weitmaschige Gerüste aus kolloiden Bauteilchen vorzustellen, die an einzelnen Punkten durch VAN DER W A A L S sche oder andere schwache Kräfte miteinander verbunden sind. Infolge der geringen Zahl der Verknüpfungsstellen genügt bisweilen ein bloßes S c h ü t t e l n des Gels, um diese lokalen Bindungen zu lösen und damit das Gel zu v e r f l ü s s i g e n (Erscheinung der „Thixotropie"). Nach Aufhören der mechanischen Störung treten im Laufe längerer oder kürzerer Zeit die verknüpfenden Bindungen erneut auf, so daß das Gel wieder e r s t a r r t .

H y d r o p h o b e K o l l o i d e (z. B. Metallsole) lassen sich zum Unterschied von hydrophilen Kolloiden (z. B. Hydroxydsolen) nach der Ausflockung n i c h t w i e d e r i n d e n S o l z u s t a n d z u r ü c k v e r s e t z e n („irreversible Kolloide"), da infolge des Fehlens einer schützenden Wasserhülle die Koagulation zu einer stabilen Teilchenvergrößerung führt. Will man diese Teilchenvergrößerung vermeiden, so muß man die kolloide Lösung des hydrophoben Kolloids durch Z u s a t z e i n e s a d s o r b i e r b a r e n h y d r o p h i l e n K o l l o i d s („Schutzkolloid") stabilisieren. Denn dann nehmen die Teilchen des h y d r o p h o b e n K o l l o i d s durch Adsorption des hydrophilen Kolloids den Charakter eines h y d r o p h i l e n K o l l o i d s an. So kann man z. B. k o l l o i d e s S i l b e r durch Zusatz e i w e i ß a r t i g e r S t o f f e wasserlöslich erhalten („Kollargol"). y ) Kieselgelo Die K i e s e l s ä u r e , die den Ausgangspunkt unserer Betrachtung über kolloiddisperse Systeme bildete, ist ein stark h y d r o p h i l e s K o l l o i d . Setzt man sie daher aus S i l i c a t e n durch A n s ä u e r n in Freiheit, so erstarrt sie leicht zu einer g a l l e r t a r t i g e n M a s s e („Kieselgel"). I n diesen Gelen liegt die Kieselsäure in Form einer w a s s e r r e i c h e n D i k i e s e l s ä u r e H 2 Si 2 0 5 , also einer Kieselsäure mit B l a t t s t r u k t u r (vgl. S. 327) vor. Um bei Kieselgelen oder anderen Gelen das a d s o r p t i v g e b u n d e n e Wasser von dem c h e m i s c h g e b u n d e n e n zu unterscheiden, extrahiert man zweckmäßig das a d s o r p t i v g e b u n d e n e W a s s e r mit Hilfe des stark wasserentziehenden Lösungsmittels A c e t o n , verdrängt

Das Silicium

339

dann das an Stelle des Wassers adsorptiv gebundene Aceton durch das leichtflüchtige Lösungsmittel Äther und dunstet schließlich letzteren im Vakuum ab. Bei dieser Behandlungsweise („Acetonmethode") bleibt das chemisch gebundene Wasser unangegriffen zurück. Trocknet man Kieselgel-Gallerten in geeigneter Weise so ein, daß k e i n e c h e m i s c h e T e i l c h e n v e r g r ö ß e r u n g unter Wasserabspaltung gemäß ^Si—0|H + HO-i-Si^ —->- ^Si—O—Si^ erfolgt, so zeigen die so erhaltenen Kiesel-,,Xerogele" x ein ähnlich starkes A d s o r p t i o n s v e r m ö g e n wie die A k t i v k o h l e n , die ja gleichfalls eine oberflächenreiche B l a t t s t r u k t u r (Graphitgitter) aufweisen. Daher finden K i e s e l - X e r o g e l e („SilicaGel") in zunehmendem Maße Verwendung zur A d s o r p t i o n von Dämpfen (z. B. von Benzin, Benzol, Äther, Alkohol usw. aus der Luft von Celluloid-, Kunstseide-, Lack- und Sprengstoffabriken), zum T r o c k n e n von Gasen, zur R e i n i g u n g von Flüssigkeiten, für k a t a l y t i s c h e Z w e c k e , als desodorisierende, desinfizierende und austrocknende Streupulver, zur Entgiftung von Tabakrauch, zur Gelatinierung der Elektrolyte in galvanischen Elementen und Akkumulatoren usw. In den Handel kommt das Silica-Gel in k ö r n i g e r und in f e i n p u l v e r i g e r F o r m . Das Adsorptionsvermögen hängt — wie zu erwarten — stark von den D a r s t e l l u n g s b e d i n g u n g e n (Konzentration der Silicatlösungen, Art des Säurezusatzes, Fällungstemperatur, Art des Auswaschens und Trocknens) ab. Gegenüber dem n a t ü r l i c h e n Kiesel-Xerogel, der Infusorienerde (Kieselgur; vgl. S. 323) — die wegen ihrer großen Aufnahmefähigkeit für Flüssigkeiten z. B. als Verp a c k u n g s m a t e r i a l für Säureballons und zum Aufsaugen von N i t r o g l y c e r i n (,,Gurdynamit") verwendet wird — haben die k ü n s t l i c h e n Kiesel-Xerogele den Vorteil, daß man ihre Struktur durch entsprechende Wahl der Herstellungsbedingungen w i l l k ü r l i c h b e e i n f l u s s e n und so dem j e w e i l i g e n V e r w e n d u n g s z w e c k a n p a s s e n kann.

g) Technische Silicate a ) Glas Unter einem G l a s im weiteren Sinne versteht man ganz allgemein eine a m o r p h , d.h. o h n e K r i s t a l l i s a t i o n e r s t a r r t e (metastabile) S c h m e l z e . Die Eigenschaft, aus dem Schmelzfluß glasig-amorph zu erstarren, zeigen besonders Gemische von M e t a l l o x y d e n (z. B. Natrium-, Kalium-, Magnesium-, Calcium-, Barium-, Blei-, Zinkoxyd) mit S i l i c i u m d i o x y d , B o r t r i o x y d , A l u m i n i u m o x y d oder P h o s p h o r p e n t o x y d . Derartige Schmelzprodukte nennt man daher auch Glas im e n g e r e n S i n n e . Der H a u p t b e s t a n d t e i l eines solchen Glases ist stets S i l i c i u m d i o x y d . Zusammensetzung von

Gläsern

Natron-Kalk-Gläser. Ein sehr einfach zusammengesetztes N a t r o n - K a l k - G l a s ist das sogenannte „Normalglas", welches die Zusammensetzung N a 2 0 • CaO • 6 Si0 2 (12.9°/0 Na 2 0, 11.6°/0 CaO, 75.5°/0 Si0 2 ) besitzt. Das gewöhnliche G e b r a u c h s g l a s , wie ,,Fensterglas" und „Spiegelglas", kommt dieser Zusammensetzung meist nahe. Gute, d. h. chemisch genügend widerstandsfähige Natron-Kalk-Gläser sollen in ihrer Zusammensetzung der Gleichung s = 3 (n2 + 1) entsprechen, in welcher s die Molzahl des Siliciumdioxyds und n die Molzahl des Natriumoxyds je Mol Calciumoxyd bedeutet. Wird also das Molverhältnis Natriumoxyd zu Calciumoxyd vergrößert, so muß 1

xeros (£rip6s) = trocken. 22*

340

Die Kohlenstoffgruppe

dementsprechend auch der Siliciumdioxydanteil größer gemacht werden. Die Zusammensetzung des Normalglases ist ein Spezialfall der Formel (n = 1). Das Na 2 0/Ca0Verhältnis der in der Technik hergestellten Gläser bewegt sich etwa in den Grenzen n = 0.6 bis 1.8. Kali-Kalk-Gläser. S c h w e r e r s c h m e l z b a r als die Natron-Kalk-Gläser sind die K a l i - K a l k - G l ä s e r , bei denen das Natriumoxyd durch K a l i u m o x y d ersetzt ist. Da die Kaligläser bei gleichem Molverhältnis von Alkali zu Kalk leichter von Wasser angegriffen werden als entsprechend zusammengesetzte Natrongläser, verwendet man hier gemäß der Gleichung s = 4 (k2 1) einen g r ö ß e r e n S i l i c i u m d i o x y d g e h a l t , z. B. auf ein Molverhältnis k — K 2 0 : CaO = 1 a c h t statt — wie oben — nur sechs Mole Siliciumdioxyd (K 2 0 • CaO • 8Si0 2 ). Ein bekanntes Kali-Kalk-Glas ist z. B. das „böhmische Kristallglas", das zu feineren, namentlich geschliffenen Gegenständen Verwendung findet. Auch c h e m i s c h e G e r ä t e , z. B. die schwer schmelzbaren Verbrennungsrohre zur organischen Elementaranalyse (II, S. off.), werden aus Kaliglas angefertigt. Jedoch wird das Kaliglas für diese Zwecke von dem anders zusammengesetzten J e n a e r G e r ä t e g l a s (vgl. unten) weit übertroffen. Das zu o p t i s c h e n Zwecken dienende „Kronglas" ist ebenfalls ein Kali-Kalk-Glas. Natron-Kali-Kalk-Gläser. Gläser können auch N a t r i u m - u n d K a l i u m o x y d n e b e n e i n a n d e r enthalten. Ein solches Glas ist z. B. das „Thüringer Glas" (Erweichungstemperatur 550—600° C). Aus ihm werden ebenfalls c h e m i s c h e G e r ä t e angefertigt, deren chemische Widerstandsfähigkeit zwar nicht den höchsten Anforderungen genügt, die aber wegen ihrer Wohlfeil heit weitgehende Verwendung finden. A l k a l i r e i c h e Gläser werden von k o c h e n d e m W a s s e r deutlich unter Bildung von N a t r o n - oder K a l i l a u g e a n g e g r i f f e n (Me 2 0 + H 2 0 >- 2MeOH), was man daran erkennen kann, daß sich mit Phenolphthalein versetztes Wasser dabei rot färbt. Ist durch häufigeres Auskochen erst einmal ein Teil des Alkalis aus der Oberfläche herausgelöst, so schützt die an Si0 2 und CaO reiche Oberflächenschicht das darunterliegende Glas vor der weiteren Einwirkung des Wassers. Daher pflegt man neue chemische Geräte zur Erhöhung der chemischen Widerstandsfähigkeit mit Wasser „auszvdämpfen". In gleicher Weise wie Wasser wirken S ä u r e n . Besonders stark werden Gläser von L a u g e n angegriffen, die das Siliciumdioxyd des Glases herauslösen.

Bor-Toncrdo-Gläser. Die W i d e r s t a n d s f ä h i g k e i t des Glases gegen W a s s e r , S ä u r e n und A l k a l i e n sowie gegen T e m p e r a t u r d i f f e r e n z e n wird stark erhöht, wenn man einen Teil des Siliciumdioxyds durch B o r - und A l u m i n i u m o x y d ersetzt. Das Boroxyd verringert vor allem den Ausdehnungskoeffizienten des Glases und damit dessen Empfindlichkeit gegen rasches Erhitzen und Abkühlen und macht das Glas widerstandsfähiger gegen Wasser und Säuren; das Aluminiumoxyd setzt die Sprödigkeit herab und vermindert die Gefahr des ,,Entglasens" (Kristallisierens). Ein sehr bekanntes Glas dieser Art ist das „Jenaer Glas" (74.5°/0 Si0 2 , 8.5% A1 2 0 3 , 4.6% B 2 0 3 ; 7 . 7 % Na 2 0, 3.9°/ 0 BaO, 0 . 8 % CaO, 0 . 1 % MgO; Erweichungstemperatur 600—700° C). Es war usprünglich für Geräte des c h e m i s c h e n L a b o r a t o r i u m s bestimmt, hat sich allmählich aber auch im H a u s h a l t für Geräte zum Kochen und Backen auf freiem Feuer eingebürgert. Ähnliche Zusammensetzungen und Eigenschaften haben „Pyrexglas", „Silexglas", „Resistaglas", „Duraxglas". Wichtig für den Chemiker ist noch das „Supremaxglas" (56.4% Si0 2 , 20.1% A1 2 0 3 , 8.9% B 2 0 3 ; 8.7% MgO, 4 . 8 % CaO, 0 . 6 % K 2 0 , 0.6% N a 2 0 ; Erweichungstemperatur oberhalb von 1000° C), welches sich für Verbrennungsrohre und sonstige chemische Geräte eignet, die hohen Temperaturen (bis 800°) ausgesetzt werden sollen. Kali-Blei-Gläser. Ersetzt man im Kali-Kalk-Glas das C a l c i u m o x y d durch Bleio x y d , so erhält man das leicht schmelzbare „Bleikristallglas". Es zeichnet sich durch starkes L i c h t b r e c h u n g s v e r m ö g e n und h o h e s s p e z i f i s c h e s G e w i c h t (3.5 bis 4.8) aus und wird gern für geschliffene Gabrauchs- und Luxusgegenstände verwendet. Ein anderes Kali-Blei-Glas ist das „Flintglas", das vor allem als o p t i s c h e s G l a s

Das Silicium

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(für Linsen, Prismen) Verwendung findet. Besonders bleireich und etwas borsäurehaltig ist der „Strass", der in seinem Lichtbrechungsvermögen dem D i a m a n t e n gleichkommt und daher zur N a c h a h m u n g von E d e l s t e i n e n dient. Spczialgläser. Durch entsprechende Variation der Bestandteile (z. B . durch Einführung von ZnO, Sb 2 0 3 , P 2 0 6 usw.) können Spezialgläser mit ganz bestimmten, für Spezialzwecke geeigneten Eigenschaften gewonnen werden. So enthält z. B. das „Uviolglas", das die ultravioletten Strahlen bis herab zur Wellenlänge 2530 Ä hindurchgehen läßt, Bariumphosphat und Chromoxyd. D a r s t e l l u n g und V e r a r b e i t u n g von G l ä s e r n Als Rohstoffe zur technischen Glasherstellung dienen: für das Siliciumdioxyd S i 0 2 : Q u a r z s a n d ; für das Natriumoxyd Na 2 0 : Soda(Na 2 C0 3 -—>- Na 2 0 + C0 2 ) oder — bei billigeren Glassorten — Gemische von N a t r i u m s u l f a t und K o h l e (Na 2 S0 4 + C —>Na 2 0 + S 0 2 + CO); für das Kaliumoxyd K 2 0 : P o t t a s c h e ( K 2 C 0 3 — K 2 0 + C 0 2 ) ; für das Calciumoxyd CaO: K r e i d e oder M a r m o r bzw. — bei weniger feinen Glassorten — K a l k s p a t oder K a l k s t e i n ( C a C 0 3 — C a O + C 0 2 ) ; für das Bleioxyd P b O : M e n n i g e ( P b 3 0 4 — 3 P b O + 1 / 2 0 2 ) ; fürdasBortrioxyd B 2 0 3 : c a l c i n i e r t e B o r s ä u r e oder B o r a x ( N a 2 B 4 0 7 — > - 2 B 2 0 3 + N a 2 0 ) ; für das Aluminiumoxyd A1 2 0 3 : K a o l i n (A1203 • 2 S i 0 2 • 2 H 2 0 ) oder F e l d s p a t (Me 2 0 • A1 2 0 3 • 6Si0 2 ). Die nach bestimmten Gewichtsverhältnissen zusammengesetzte Mischung der Rohstoffe („Glassatz") wird von Hand oder im Großbetrieb durch Mischmaschinen durchgemischt und dann in großen Schmelzgefäßen aus Ton („Glashäfen"), die je 400—800 kg fassen und von denen mehrere (bei größeren Anlagen z. B . 16) in einem „Hafenofen" erhitzt werden, oder in großen „Wannenöfen", die bis zu 300000 kg aufnehmen können, bei Temperaturen bis zu 1000° g e s c h m o l z e n , und zwar erfolgt zunächst bei w e n i g e r h o h e n T e m p e r a t u r e n das „Gemengeschmelzen", bei dem schon eine Menge Gas (hauptsächlichKohlendioxyd: s. oben) ausgetrieben wird, und dann b e i e r h ö h t e r T e m p e r a t u r das „Lauterschmelzen", bei welchem das Glas so dünnflüssig wird, daß die Gase völlig entweichen und das Glas blasenfrei zurückbleibt. Die „Läuterung" wird durch gasentwickelnde Stoffe („Läuterungsmittel") wie z. B. Flußspat (2CaF 2 + S i 0 2 —>2CaO + SiF 4 ) gefördert. Eine Schmelzung dauert 12—30 Stunden. Die Eigenschaft der Glasschmelze, beim Erkalten allmählich immer zäher zu werden, bis völliges Erstarren eingetreten ist, gestattet die Verarbeitung des Glases durch „Blasen" vor der mit der Lungenkraft des Bläsers betriebenen „Glasmacherpfeife" oder der mit Preßluft arbeitenden „pneumatischen Pfeife" (Weingläser, Vasen, Beleuchtungsartikel, Glasröhren, Fensterscheiben, Glühlampenkolben usw.), durch A u s w a l z e n (Schaufensterscheiben) oder durch P r e s s e n in Formen (Teller, Schüsseln, Biergläser, Glasdachziegel, Flaschen, Konservengläser usw.). Eine nachträgliche B e a r b e i t u n g der festen Glasoberfläche kann auf m e c h a n i s c h e m Wege durch S c h l e i f e n („Rauhschleifen" mit Quarzsand, „Feinschleifen" mit Schmirgelpapier, „Polieren" mit Poliermitteln) und durch M a t t i e r e n mit dem Sandstrahlgebläse oder auf c h e m i s c h e m Wege durch Ä t z e n (mit Flußsäure) erfolgen. F ä r b u n g und T r ü b u n g von G l ä s e r n Färbung. F ä r b u n g e n von Gläsern können durch M e t a l l o x y d e („Oxydfärbung") oder durch M e t a l l e („Anlauffärbung") hervorgerufen werden. Im ersteren Falle handelt es sich um e c h t e , im letzteren um k o l l o i d a l e L ö s u n g e n . So kann man z. B . beider O x y d f ä r b u n g erreichen: ein V i o l e t t durch Nickeloxyd, ein B l a u v i o l e t t durch Manganoxyd, ein B l a u durch Kobaltoxyd, ein B l a u g r ü n durch Eisen(II)-oxyd, ein Grün durch Chromoxyd, ein G r ü n g e l b durch Eisen(III)oxyd, ein G e l b durch Silberoxyd, ein O r a n g e durch Uranoxyd, ein R o t durch

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Die Kohlenstoffgruppe

Kupfer(I)-oxyd. Die schmutziggrüne Farbe der Bierflaschen ist beispielsweise auf vorhandenes Eisen(II)- und Eisen(III)-oxyd zurückzuführen. S c h w a c h e , durch Verunreinigungen hervorgerufene nichterwünschte F ä r b u n g e n lassen sich bisweilen durch Zumischen von Oxyden, welche die K o m p l e m e n t ä r f a r b e liefern, wieder beseitigen. So kann man beispielsweise schwache E i s e n f ä r b u n g e n durch Zusatz von B r a u n s t e i n (,,Glasmacherseife") aufheben. Besonders künstlerische Färbungen rufen die Oxyde verschiedener s e l t e n e r E r d m e t a l l e hervor (S. 490). Die A n l a u f f ä r b u n g durch Metalle entsteht nicht wie die Oxydfärbung schon in der geschmolzenen Glasmasse, sondern erst bei nochmaligem halbstündigem Anw ä r m e n des — farblosen — geblasenen Gegenstandes auf 450—500° {„Anlaufen des Glases"). Bekannt ist die leuchtend rote, auf kolloidales Gold zurückzuführende Farbe des „Goldrubinglases" (S. 465). Ähnlich ist die Farbe des „Kupferrubinglases". Kolloidales Silber färbt gelb, kolloidales Selen rosarot. Trübung. Für manche Zwecke, z. B. für Beleuchtungsgegenstände, ist es erforderlich, das Glas zu t r ü b e n {„Milchglas", „Alabasterglas", „Opalglas", „Nebelglas"). Eine solche Trübung erreicht man dadurch, daß man kleine feste Teilchen in das Glaa einlagert, welche eine andere Lichtbrechung als dieses aufweisen. Als Trübungsmittel eignen sich z. B. C a l c i u m p h o s p h a t Ca 3 (P0 4 ) 2 , Z i n n d i o x y d Sn0 2 und K r y o l i t h Na 3 AlF„. Ein sehr wichtiges getrübtes Glas ist z.B. die„EmailIe" (eingedeutscht: das „Email"), die zum S c h u t z e {„Blechemaille", „Gußemaille") oder zu D e k o r a t i o n s z w e c k e n {„Schmuckemaille") auf Metallen aufgeschmolzen wird. Besonders wichtig ist das „Emaillieren" von E i s e n . Es erfolgt in der Weise, daß man die gut gereinigten Gegenstände durch Eintauchen oder Aufspritzen mit einem durch feines Vermählen eines Alkali-Borsäure-Tonerde-Glases mit Wasser hergestellten Brei überzieht und nach dem sorgfältigen Trocknen die pulverige Schicht in einem glühenden Emaillier-Muffelofen zu einem glänzenden Überzug zusammenschmilzt. Als Trübungsmittel wird meist T i t a n oder Z i r k o n d i o x y d verwendet. Das Aufschmelzen muß in zwei S c h i c h t e n , einer „Grundglasur" und einer „Deckglasur" erfolgen. Die Grundglasur enthält „Haftoxyde" (im wesentlichen CoO, NiO und Mo0 3 ), die infolge Bildung galvanischer Lokalelemente (S. 474) eine starke Korrosion des Eisens an der Verbindungsstelle und damit eine gute mechanische Verankerung der Emaille beim Einbrennen bewirken. ß) Tonwaren Unter Tonwaren oder keramischen Erzeugnissen versteht man technische Produkte, welche durch G l ü h e n {„Brennen") von T o n e n (S. 330, 378), d. h. Aluminiumsilicaten hergestellt worden sind. Die wichtigsten Bestandteile natürlicher Tone sind Kaolinit [A1(0H) 2 ] 2 [Si 2 0 6 ] und Montmorillonit [Al(OH)] [Si 2 0 5 ]. Beide gehören der Gruppe der Silicate mit B l a t t s t r u k t u r an und leiten sich von der Kieselsäure H 2 Si 2 0 5 ab (S.327, 328). Ein besonders wertvoller Ton ist der Kaolin {„Porzellanerde"), der zur Hauptsache aus K a o l i n i t besteht und zur Herstellung von P o r z e l l a n dient. Weniger rein sind die gewöhnlichen keramischen Tone, die zur Herstellung von Steinzeug, Steingut, Fayence und Majolika verwendet werden; sie enthalten neben der eigentlichen Tonsubstanz mehr oder weniger starke Verunreinigungen an Feldspat, Quarz, Glimmer, Eisenoxyd, organischen Substanzen usw. Sind die Tone reich an E i s e n o x y d , so werden sie beim Brennen b r a u n bis r o t ; aus ihnen stellt man das gewöhnliche Töpfergeschirr und die Terrakotten her. Ton, der außer durch Eisenoxyd auch stark durch S a n d verunreinigt ist, heißt Lehm\ er dient zur Herstellung von Ziegelsteinen und Dachziegeln. T o n a l l e i n ist zur Herstellung von Ton waren noch nicht geeignet, da er beim Brennen zu stark „schwindet". Die Schwindimg läßt sich durch Vermischung mit

Das Silicium

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„Magerungsmitteln" (z. B. gebranntem Ton in Körner- und Pulverform, Sand, Quarzpulver) vermindern. Eine Erniedrigung der S i n t e r t e m p e r a t u r wird durch Zusatz von „Flußmitteln" (z. B. Kalk, Eisenoxyd, Feldspat, Alkalien) erreicht. Die aus Ton gefertigten keramischen Erzeugnisse lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: in solche mit w a s s e r d u r c h l ä s s i g e m (porösem) und in solche mit w a s s e r u n d u r c h l ä s s i g e m ( d i c h t e m ) „Scherben". Erstere bezeichnet man als „Tongut" („Irdengut"), letztere als „Tonzeug" („Sinterzeug"). Innerhalb jeder dieser beiden Hauptgruppen kann man dabei entsprechend dem Verwendungszweck unterscheiden zwischen G e s c h i r r (Tonwaren mit g e r i n g e r S c h e r b e n s t ä r k e ) und B a u s t o f f e n ( d i c k w a n d i g e n Tonwaren). Tongut Baustoffe Unter den B a u s t o f f e n aus Tongut sind zu nennen: die nicht weiß brennenden Z i e g e l e i - e r z e u g n i s s e (Mauerziegel, Hohlziegel, poröse Ziegel, Dachziegel usw.) und die weiß oder hellfarbig brennenden f e u e r f e s t e n E r z e u g n i s s e (Schamottesteine, Sillimanitsteine, Dinassteine usw.). Ziegelei-erzeugnisse. Zur Darstellung der Z i e g e l e i - e r z e u g n i s s e , insbesondere der M a u e r z i e g e l , verwendet man als Rohmaterial L e h m , dem man, wenn er nicht schon genügend Sand enthält, solchen als Magerungsmittel beimengt. Die Mischung wird unter Zusatz von etwas Wasser zu einem gleichmäßigen Teig („Ziegelgut") verarbeitet und dann durch einen mit einem viereckigen ,,Mundstück" versehenen eisernen Zylinder in Form eines Stranges herausgepreßt, aus dem durch eine Abschneidevorrichtung („Tonschneider") die Ziegel in der richtigen Größe (deutsches M a ß : 25 X l 2 X6.5 cm) herausgeschnitten werden. Das B r e n n e n dieser Formlinge erfolgt bei 900° im R i n g o f e n (S. 407f.). Stark eisenoxydhaltiger Lehm ergibt dabei rote, kalkreicher Lehm gelbe Ziegel. Stärker gebrannte und daher dichtere und festere Ziegelsteine heißen „Klinker" (S. 345). Bei der Herstellung von H o h l z i e g e l n und D a c h z i e g e l n werden entsprechend geformte Mundstücke verwendet. Besonders l e i c h t e , p o r ö s e Ziegel erhält man durch Zumischen organischer Stoffe (z B. von Sägespänen), welche beim Brennen zerstört werden und dabei Poren hinterlassen. Feuerfeste Erzeugnisse. Unter f e u e r f e s t e n E r z e u g n i s s e n versteht man in der Keramik Stoffe, welche Temperaturen bis zu etwa 1700° ohne Deformation ertragen. Stoffe, die auch darüber hinaus noch beständig sind, heißen h o c h f e u e r f e s t . Zu den gebräuchlichsten feuerfesten Baustoffen gehören die „Schamottesteine". Man erhält sie durch Brennen einer Mischung von rohem, plastischem Ton („Bindeton") und stark gebranntem, grobkörnig zerkleinertem, feuerfestem Ton („Schamotte") bei 1450°. Der Tonerdegehalt geht nicht über die Zusammensetzung A1 2 0 3 • 2 Si0 2 ( 4 6 % A1 2 0 3 + 54°/ 0 Si0 2 ) hinaus; der Erweichungspunkt liegt meist bei 1700—1750°. Verwendung finden die Schamottesteine vor allem zur Auskleidung von Feuerungen (S. 472, 532), Hochöfen (S. 527) und Winderhitzern (S. 528). Durch Vermehrung des T o n e r d e g e h a l t e s über die Zusammensetzung Al 2 0 3 -2Si0 2 hinaus kann man die Erweichungstemperatur der Schamottesteine weiter erhöhen. So erweichen z. B. die durch Brennen natürlicher Aluminiumsilicate der Zusammensetzimg A1 2 0 3 • Si0 2 (z. B. Sillimanit, Cyanit, Andalusit) bei hoher Temperatur (Bildung von Mullit 3A1 2 0 3 • 2SiO z ) gewonnenen „Sillimanitsteine" („Mullitsteine") erst bei 1850° und die noch tonerdereicheren, durch Brennen von geschmolzener Tonerde mit 10°/ 0 Ton als Bindemittel erzeugten und als Futter für Zement-Drehrohröfen (S. 414) dienenden „Dynamidonsteine" erst bei 1900°.

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Die Kohlenstoffgruppe

Umgekehrt nimmt durch Zusatz von Q u a r z („Quarzschamottesteine") die Erweiehbarkeit zu. Besonders großen Siliciumdioxydgehalt haben die „Dinassteine". So enthalten die „Ton-Dinassteine", welche bei 1350° zu erweichen beginnen und oberhalb von 1650° schmelzen, 80—83°/ 0 Si0 2 und 15—17°/ 0 A1203. Sie entstehen beim Brennen eines Gemisches von Quarzsand und Ton und werden unter anderem als säurefeste Steine für G l o v e r - und GAY-LussAC-Türme (S. 208) verwendet. Noch kieselsäurereicher (96—98% Si0 2 ) sind die „Kalk-Dinassteine", bei denen der Quarz durch 1—2% Kalk gebunden ist. Sie sind feuerfester (Schmelzpunkt 1700—1750°) als die Ton-Dinassteine und dienen unter anderem zur Auskleidung von BESSEMER-Birnen (S. 530f.) u n d SiEMENS-MARTiN-öfen (S. 532). In diesem Zusammenhang seien auch noch die feuerfesten und hochfeuerfesten Stoffe genannt, welche keine A l u m i n i u m s i l i c a t e sind, sondern auf anderer Basis beruhen. Hierzu gehören z. B. Oxyde und Mischoxyde des Magnesiums, Calci ums, Chroms und Eisens. So erhält man z. B. durch Glühen eines Gemisches von totgebrannter und schwachgebrannter Magnesia MgO bei 1600° die erst oberhalb 1800° erweichenden ,,Magnesiasteine", welche in SiEMENS-MARTiN-öfen (S. 632), Elektrostahlöfen (S. 532f.) und Konvertern (S. 450, 630 f.) Verwendung finden. Die gebrannte Magnesia wird dabei aus Magnesit MgCOg gewonnen, und zwar eignen sich dazu nicht die reinen, sondern die eisenoxydhaltigenMagnesite, da der Eisenoxydgehalt die Sintertemperatur (reinesMagnesiumoxyd schmilzt erst bei 2800°) herabsetzt. Andere magnesiumoxydhaltige Steine sind die beim Brennen von Dolomit MgCOs • CaC03 entstehenden und zur Auskleidung von THOMAS-Birnen (S. 530 f . ) dienenden „Dolomitsteine" MgO • CaO und die aus M a g n e s i u m s i l i c a t e n gewonnenen „Forsteritsteine" 2MgO • Si0 2 . Durch Brennen von Chromeisenstein Cr203 • FeO erhält man die „Chromitsteine". Weitere wichtige hochfeuerfeste Stoffesind GraphitC(„Kohlenstoffsteine")und S i l i c i u m c a r b i d SiC(„Karborundsteine"). Über hochfeuerfeste chemische L a b o r a t o r i u m s g e r ä t e vgl. S. 405.

Geschirr Zu dem aus Tongut bestehenden G e s c h i r r gehören die nicht weiß brennenden T ö p f e r e i - e r z e u g n i s s e (Blumentöpfe, irdenes Haushaltsgeschirr, Majolika, Fayence, Ofenkacheln usw.) und das weiß brennende S t e i n g u t . Töpferei-erzeugnisse. Zur Herstellung des gemeinen T ö p f e r g e s c h i r r s verwendet man gewöhnlichen Töpferton, welcher leicht schmelzbar ist und daher nur bei niedriger Temperatur (900°) gebrannt werden darf. Die F o r m g e b u n g erfolgt auf der T ö p f e r s c h e i b e . Da die gebrannte Masse („Scherben") wegen der niedrigen Brenntemperatur nicht dicht, sondern p o r ö s ist, muß das Geschirr für die meisten Gebrauchszwecke mit einer G l a s u r versehen werden. Dies geschieht durch Eintauchen der getrockneten Formlinge in eine Bleiglasurmischung, welche beim Brennen ein Bleiglas (S. 340f.) ergibt. Blumentöpfe bleiben unglasiert. Kochtöpfe, die über freiem Feuer benutzt werden sollen, bestehen aus besserem, d. h. feuerfesterem Ton und werden bei höherer Temperatur (1100°) gebrannt. Die Glasur wird meist durch zugesetzte Metalloxyde gefärbt. So enthält beispielsweise die bekannte kastanienbraune Glasur Eisenoxyd und Braunstein als Färbungsmittel. M a j o l i k a und F a y e n c e werden zum Unterschied vom gewöhnlichen Töpfergeschirr nicht in e i n e m Feuer, sondern z w e i m a l gebrannt. Als Ausgangsmaterial dient hier ein stark c a l c i u m c a r b o n a t h a l t i g e r Ton. Der hohe Kalkgehalt (30—35°/ 0 CaC0 3 ) vermindert die Trocken- und Brennschwindung und ermöglicht so ein rissefreies Haften der Schmelzglasur. Zur F o r m g e b u n g verwendet man meist G i p s f o r m e n . Die getrockneten Formlinge werden zunächst bei 900 bis 1000° v o r g e b r a n n t („geschrüht") und dann nach Aufbringen des Glasurgemisches (einer wässerigen Aufschlämmung von feingemahlenem und durch Zusatz von Zinndioxyd weiß und undurchsichtig gemachtem Bleiglas) bei 900° f e r t i g g e b r a n n t („glattgebrannt"). I n ähnlicher Weise werden die O f e n k a c h e l n gewonnen. Statt durch Schmelzglasur kann die weiße Oberfläche solcher Waren auch dadurch erzielt werden, daß man sie mit einer dünnen, w e i ß e n Tonschicht und dann mit einer zinn-

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dioxydfreien und daher d u r c h s i c h t i g e n Bleiglasur überzieht. Nimmt man s t a t t des Zinndioxyds andere Metalloxyde, so entstehen f a r b i g e Bleiglasuren. Steingut. Als Ausgangsmaterial zur Gewinnung von S t e i n g u t dient ein feuerfester, der mit S i l i c i u m eisenoxydarmer und daher fast weiß brennender „Steingut-Ton", d i o x y d (für besseres Steingut: Quarz; für weniger gutes Steingut: Sand) und — zur Erzielung eines weißen Scherbens — mit geschlämmtem K a o l i n vermischt wird. J e nach der Art des verwendeten Flußmittels ( K a l k s p a t oder F e l d s p a t ) erhält man beim anschließenden Brennen entweder leichteres und weicheres ,,Kalk-Steingut" oder schwereres und härteres „Feldspat-Steingut" („Hart-Steingut", „Halbporzellan"). Wie die vorher betrachteten Töpferei-erzeugnisse werden auch die Steingut-Form linge z w e i m a l gebrannt, zuerst u n g l a s i e r t im „Rohbrand" („Biskuitbrand") bei h o h e r T e m p e r a t u r (Kalk-Steingut: 1100—1200°; Feldspat-Steingut: 1200—1300°), dann g l a s i e r t im „Glattbrand" („Glasurbrand") bei n i e d r i g e r e r T e m p e r a t u r (900 bis 1000°). Beim R o h b r a n d werden die Formlinge auf- und ineinander gesetzt. Beim G l a t t b r a n d müssen sie durch T o n s t i f t e voneinander getrennt werden, damit die schmelzende Glasur die Gegenstände nicht aneinanderklebt; an den Aufliegestellen dieser Tonstützen zeigt das Steingutgeschirr später „Narben" (zum Unterschied vom Porzellan). Als B r e n n ö f e n dienen zweckmäßig „Tunnelöfen" von 65—80 m Länge, durch die das „Brenngut" in Kapseln aus feuerfester Schamotte auf Wagen in 20 bis 80 Stunden hindurchgezogen wird. S p ü l b e c k e n , B a d e w a n n e n , W a s c h t i s c h e , K l o s e t t s usw. bestehen aus Feldspat-Steingut. Die farbige Verzierung von G e b r a u c h s g e s c h i r r erfolgt meist durch „Unterglasurmalerei", indem man die Farben auf den rohgebrannten Scherben aufbringt und diesen nach dem Glasieren glattbrennt. Beispiele für u n g l a s i e r t e s Steingut sind: T o n z e l l e n , T o n f i l t e r , D i a p h r a g m e n , T o n p f e i f e n . Tonzeug Das T o n z e u g weist zum Unterschied vom Tongut nicht einen porösen, sondern einen d i c h t e n S c h e r b e n auf, da es beim Brennen s t ä r k e r e r h i t z t wird als das Tongut. J e nachdem ob der Scherben nicht durchscheinend oder durchscheinend ist, unterscheidet man Steinzeug und Porzellan. Steinzeug Die R o h m a t e r i a l i e n zur Herstellung von S t e i n z e u g sind die gleichen wie beim S t e i n g u t , nur ist im allgemeinen der Feldspatgehalt der Ausgangsmasse größer als dort. Gebrannt wird wie beim Steingut z w e i m a l , wobei Temperaturen bis zu 1450° angewendet werden. Die gewöhnlichen Steinzeug-Gegenstände erhalten meist nur eine „Salzglasur", indem man einfach in das Brenngewölbe K o c h s a l z einstreut; das Natriumchlorid setzt sich dann bei der hohen Brenntemperatur mit Wasserdampf zu Chlorwasserstoff und N a t r i u m o x y d um, welches mit den Silicaten des Scherbens einen dünnen Überzug von N a t r i u m - a l u m i n i u m - s i l i c a t bildet. Feineres Steinzeug wird mit einer „Feldspatglasur" überzogen. Unter den aus Steinzeug hergestellten Baustoffen seien g e n a n n t : Klinker, Fliesen, Kanalisationsrohre usw. Die K l i n k e r dienen wegen ihrer großen Festigkeit und Härte für Pflaster, Wasserbauten, Pfeiler usw., sowie wegen ihrer Säurebeständigkeit für säurefeste Ausmauerungen in GLOVER- und GAY - L U S S A C - T ü r m e n (S. 2 0 8 ) . Unter den F l i e s e n sind die „Mettlacher Platten" besonders bekannt. Die K a n a l i s a t i o n s r o h r e werden auf Strangpressen stehend gepreßt. Zum Geschirr aus Steinzeug gehören S p ü l w a n n e n , V i e h t r ö g e , c h e m i s c h e G e r ä t e t e i l e (säure- und alkalifeste Gefäße, Turills, Kühlschlangen, Druckfässer,

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Die Kohlenstoffgruppe

Chlorentwickler usw.), H a u s h a l t s g e g e n s t ä n d e (Trinkkrüge, Einmachtöpfe usw.), F e i n t e r r a k o t t e n (Vasen, Schalen, Kunstgegenstände usw.). Das bekannte graue, blau bemalte a l t d e u t s c h e G e s c h i r r ist z . B . ein Steinzeuggeschirr. Porzellan Die R o h m a t e r i a l i e n für die Herstellung von Porzellan sind: K a o l i n (Tonsubstanz), Quarz (Magerungsmittel) und F e l d s p a t (Flußmittel). Verwendet man einen g r ö ß e r e n Gehalt an K a o l i n und einen g e r i n g e r e n an Quarz und F e l d s p a t 50°/ 0 Kaolin, ~ 25°/ 0 Quarz, ~ 25°/ 0 Feldspat), so erhält man beim Brennen das „Hartporzellan". Bei V e r r i n g e r u n g des T o n - und V e r m e h r u n g des Quarz- und Feldspatgehaltes ( ~ 25°/ 0 Kaolin, ~ 4 5 % Quarz, ~ 30°/ o Feldspat) entsteht „Weichporzellan". Infolge des größeren Flußmittelgehaltes kann das W e i c h p o r z e l l a n bei n i e d r i g e r e r Temperatur (1200—1300°) gebrannt werden als das H a r t p o r z e l l a n (1400—1500°). Die niedrigere Brenntemperatur bedingt ihrerseits eine wesentlich g r ö ß e r e V e r z i e r u n g s f ä h i g k e i t des W e i c h p o r z e l l a n s gegenüber dem Hartporzellan, da die meisten Porzellanfarben zwar die Brenntemperatur des Weich-, nicht aber die des Hartporzellans aushalten. Dementsprechend bestehen die farbenprächtigen Porzellan-Kunstgegenstände aus Weichporzellan. Hartporzellan. Zur Herstellung des H a r t p o r z e l l a n s werden die — ausgesucht reinen — Rohmaterialien miteinander naß vermählen und die breiige Masse in Filterpressen abgepreßt und mechanisch durchgeknetet. Die Formgebung erfolgt entweder auf der Drehscheibe oder durch Gießen; im letzteren Falle muß die Masse durch Zusatz von etwas Soda in einen gießfähigen Zustand übergeführt werden. Die geformten oder gegossenen Gegenstände werden in warmen Räumen getrocknet und nach Beseitigung eventueller Nahtstellen und Anbringung von Henkeln, Verzierungen usw. bei rund 900° „rohgebrannt" {„verglüht"). Hierauf überzieht man den gewonnenen porösen Scherben durch Eintauchen in einen dünnflüssigen Glasurbrei (wässerige Suspension von Feldspat, Marmor, Quarz und Kaolin) mit einer dünnen G l a s u r s c h i c h t und brennt die Gegenstände in einem zweiten, wesentlich stärkeren Feuer (1400 bis 1500°) fertig („Garbrand", „Glattbrand"), wobei sie d i c h t und d u r c h s c h e i n e n d werden. Das fertige Porzellan besteht aus einer g l a s i g e n G r u n d m a s s e , die von feinsten, miteinander verfilzten M u l l i t k r i s t ä l l c h e n (3A1 2 0 3 • 2 S i 0 2 ) sowie von ungelöst gebliebenem Q u a r z und winzigen L u f t b l ä s c h e n durchsetzt ist. Die glasige Grundmasse entsteht dadurch, daß der Feldspat bei 1100—1200° glasig erweicht und zunächst die Bestandteile des Kaolins (A1 2 0 3 + Si0 2 ) und dann auch den grobkristallinen Quarz auflöst. Feldspatverflüssigung und Quarzauflösung bedingen dabei das Durchscheinendwerden des Scherbens. Bei höherer Temperatur (1400°) nimmt die Transparenz bei längerer Brenndauer infolge des „Qasens" des Feldspats wieder etwas ab.

Die f a r b i g e V e r z i e r u n g des Hartporzellans kann durch „Scharffeuerfarben" oder durch „Muffelfeuerfarben" erfolgen. Bei der S c h a r f f e u e r v e r z i e r u n g werden die Farben entweder auf den f e r t i g g l a s i e r t e n und gebrannten Gegenstand aufgebracht und im Scharffeuer e i n g e b r a n n t (,,Aufglasur-Scharffeuerfarben") oder auf den vorgebrannten u n g l a s i e r t e n Scherben aufgetragen und nach Überziehen mit der Glasurmischung s c h a r f g e b r a n n t („Unterglasur-Scharffeuer färben"). Wegen der hohen Brenntemperatur des Hartporzellans halten nur verhältnismäßig wenige Metalloxyde diesem Scharffeuerverfahren stand. Dazu gehören vor allem das Kobaltoxyd und das THENARDs-Blau (S. 539) für Blau („Zwiebelmuster"), das Chromoxyd für Grün, das Eisenoxyd für Braun und das Uranoxyd für Schwarz. Die M u f f e l f e u e r f a r b e n bestehen aus einem Gemisch von feinverriebenem B l e i g l a s und feingemahlenem F a r b k ö r p e r (Metalloxyd oder Metall), das mit T e r p e n t i n ö l angerührt und mit dem Pinsel oder als Abziehbild auf das g l a s i e r t e P o r z e l l a n aufgetragen wird. Das E i n -

Das Germanium

347

b r e n n e n erfolgt bei 600—900° in Muffelöfen. Wegen der niedrigen Brenntemperatur ist die Auswahl an Muffelfeuerfarben wesentlich größer als die an Scharffeuerfarben. Die Muffelfeuerfarben liegen aber zum Unterschied von den Scharffeuerfarben nur oberflächlich auf der Glasur und sind daher leichter abnutzbar. Wcichporzellan. Zum W e i c h p o r z e l l a n gehören das c h i n e s i s c h e und das j a p a n i s c h e P o r z e l l a n und ihre europäischen N a c h b i l d u n g e n : das dem c h i n e s i s c h e n Porzellan entsprechende französische „SEVRES-Porzellan" (40°/ 0 Tonsubstanz, 24°/ 0 Quarz, 36°/ 0 Feldspat) und das dem j a p a n i s c h e n Porzellan nachgebildete deutsche „SEGER-Porzdlan"

( 2 5 % Tonsubstanz,

45%

Quarz, 30°/ 0 Feldspat). D a s SEGER-

P o r z e l l a n bildet heute das Vorbild für alle neueren Weichporzellane.

Y) Zement Darstellung und Eigenschaften des Z e m e n t s , eines calciumaluminat- und calciumferrithaltigen C a l c i u m s i l i c a t s (empirische Zusammensetzung des ,.Portlandzements" z. B.: [3CaO • Si0 2 ] + 3 [2CaO • Si0 2 ] + [3CaO • A1 2 0 3 ]) werden später (S. 414f.), im Zusammenhang mit der Besprechung des K a l k m ö r t e l s , behandelt werden.

4. Das Germanium a) Elementares Germanium Vorkommen; Entdeckung. Germanium kommt in der Natur in Form sehr seltener Mineralien, wie A rgyrodit, 4Ag 2 S • GeS 2 , und Germanit, einem Kupfer-eisen-thiogermanat 3Cu2S • FeS • 2GeS 2 , vor. Entdeckt wurde es im Jahre 1885 von dem deutschen Chemiker CLEMENS WJNKLER (1838—1904). D i e s e m w a r bei d e r A n a l y s e

eines bei Freiberg in Sachsen aufgefundenen neuen silberreichen Minerals (Argyrodit) aufgefallen, daß die Summe der 0.66°/ 0 darin gefundenen Bestandteile (vgl. nebenstehende Tabelle) 0.31°/0 stets einen F e h l b e t r a g von 7 % ergab, ohne daß sich bei 0.22°/o planmäßiger Suche ein noch in Frage kommendes Element Summe 93.04 0 / 0 nachweisen ließ. Die eingehende Nachprüfung dieses überraschenden Ergebnisses führte dann zur Erkenntnis, daß das Mineral ein bis dahin noch u n b e k a n n t e s E l e m e n t enthielt, dem WINKLER wegen seines deutschen Vorkommens den Namen Germanium gab. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Elementa zeigten, daß im Germanium das von MENDELEJEFF (S. 66) im Jahre 1871 vorausgesagte „Eka-Silicium" vorlag. Damit war aber die Entdeckung von großer Tragweite, da MENDELEJEFF das Eka-Silicium als Musterbeispiel für die Leistungsfähigkeit seines P e r i o d e n s y s t e m s d e r E l e m e n t e (vgl. S. 68f.) herausgestellt hatte 1 . Die glänzende Übereinstimmung zwischen vorausgesagten und wirklich gefundenen Eigenschaften geht aus der nachstehenden Tabelle (S. 348) hervor.

Silber

Schwefel Eisen Quecksilber Zink

74.72°/ 0

17.13%

Darstellung. Zur Darstellung des Germaniums dient der Germanit. Der Aufschluß dieses Minerals kann z . B . mit S a l p e t e r s ä u r e - S c h w e f e l s ä u r e - G e m i s c h erfolgen, wobei sich das Germanium als D i o x y d Ge0 2 abscheidet, das sich durch W a s s e r s t o f f leicht zum M e t a l l reduzieren läßt. Die R e i n i g u n g des Dioxyds vor der Reduktion erfolgt zweckmäßig durch Lösen in starker S a l z s ä u r e (Ge0 2 + 4HCl GeCl4 + 2H 2 0), wiederholte D e s t i l l a t i o n des so entstehenden flüssigen Tetrachlorids und an1

MENDELEJEFF 1 8 7 1 vorausgesagten Elemente waren „Eka-Bor" (= Scanvon dem Schweden N I L S O N ) und „Eha-Aluminium" (= Gallium; gefunvon dem Franzosen LECOQ, DE BOISBAUDRAN).

Die anderen von

dium; gefunden den

1875

1879

348

Die Kohlenstoffgruppe V o r a u s g e s a g t e und g e f u n d e n e E i g e n s c h a f t e n des G e r m a n i u m s Eka-Silicium

Atomgewicht Spezifisches Gewicht Atomvolumen (ccm) Formel des Oxyds Spezifisches Gewicht des Oxyds Formel des Chlorids Spezifisches Gewicht des Chlorids Siedepunkt des Chlorids Formel der Äthyl Verbindung Spezifisches Gewicht der Äthylverbindung Siedepunkt der Äthylverbindung Sulfid Oxyd Fluorid

72 5.5 13 ES02 4.7

72.6 5.35 13.6

1.9 67-100»

1.88 83°

EsCl4

..

Germanium

ES(C2H6)4 0.96 160°

Ist in Ammoniumsulfid löslich Hat überwiegend sauren Charakter und ist leicht reduzierbar Bildet ein Kaliumsalz K 2 [ESF 6 ], das leichter löslich als K J S i F , ] ist

GeOa 4.70

GeCl4 Ge(C2H6)4 0.99 163°

bestätigt bestätigt bestätigt

schließende H y d r o l y s e der Verbindung (Umkehrung der vorhergehenden Bildungs. gleichung). Physikalische Eigensehalten. Modifikationen. Germanium ist ein grauweißes, im Diamantgitter (Ge—Ge-Abstand: 2.40 A) in Form von Oktaedern ausgezeichnet kristallisierendes, sehr sprödes Metall vom spezifischen Gewicht 5.35 (20°), Schmelzpunkt 958.5° und Siedepunkt 2700°. Durch Abschrecken einer Germaniumschmelze oder durch Aufdampfen von Germanium auf gekühlte Flächen erhält man ,,amorphes Germanium". In diesem ist im allgemeinen jedes Germaniumatom wie in der kristallisierten Phase von vier anderen tetraedrisch umgeben, jedoch ist die Verknüpfung dieser Tetraeder eine u n r e g e l m ä ß i g e . Da sich nur in einem geordneten Gitter alle Valenzen gegenseitig absättigen können, sind in der amorphen Phase f r e i e V a l e n z e n vorhanden. Die amorphe Phase ist dementsprechend nur beständig, wenn diese Valenzen durch S a u e r s t o f f oder a n d e r e A t o m e abgesättigt sind. Eine abgeschreckte, glasig erstarrte Schmelze e x t r e m g e r e i n i g t e n Germaniums dagegen ist instabil und wandelt sich nach einiger Zeit plötzlich unter starker Wärmeentwicklung in kristallisiertes Germanium um (vgl. explosives Antimon, S. 284). I n der S c h m e l z e ist ein Netzwerk nicht mehr beständig. Hier umgibt sich jedes Germaniumatom im Mittel mit 8 anderen Atomen. Das Germanium wird unter dem Einfluß dieser Zwangslage metallähnlicher, da für Metalle, sowohl in der festen kristallisierten Form wie in der Schmelze, eine hohe Koordinationszahl charakteristisch ist. Der Ge—Ge-Abstand ist gegenüber dem kristallisierten Zustand ein wenig, von 2.40 auf 2.70 Ä aufgeweitet. Trotzdem bedingt die höhere Koordinationszahl in der Schmelze eine bessere Raumerfüllung als in der diamantartigen, sperrig aufgebauten (vgl. S. 328, 330) Form. Das Germanium dehnt sich daher wie das Wasser beim Erstarren aus (vgl. S. 251). Elektrische Eigenschaften. Das kristallisierte Germanium leitet den elektrischen Strom. Die Stromleitung kommt dadurch zustande, daß von einem Bindungselektronenpaar, welches zwei Germaniumatome im Diamantgitter verknüpft, ein Elektron abdissoziiert. Dieses ist dann im Gitter so lange frei beweglich, bis es sich mit dem Einzelelektron einer anderen positiv geladenen Störstelle vereinigt (,,Elektronenüber-

Das Germanium

349

schuß-Leitung'', „n-Leitung" [Transport negativer Ladung]), während die Störstelle durch Aufnahme eines Elektrons aus einem benachbarten Elektronenpaar neutralisiert wird, wodurch eine neue, sich analog verhaltende positive Störstelle entsteht („Elektronendefekt-Leitung", „p-Leitung" [Transport p o s i t i v e r Ladung]): Ge Ge Ge: Ge: Ge: Ge —>Ge Ge

Ge Ge+e~ Ge: Ge^Ge: Ge —>Ge Ge

+e~Ge Ge Ge: Ge: Ge*Ge Ge Ge

Die Leitfähigkeit nimmt im Gegensatz zur metallischen Leitfähigkeit mit steigender Temperatur extrem stark zu, da die Dissoziationsenergie der Spaltreaktion Ge : Ge ->• Ge t Ge + e~ 17 kcal/Mol beträgt und der Dissozitationsvorgang daher bei tiefen Temperaturen nur selten eintritt, bei höheren Temperaturen dagegen sehr häufig ist. Die elektrische Leitfähigkeit des reinen S i l i c i u m s ist in gleicher Weise zu erklären. Die Dissoziationsenergie der Elektronenabspaltung (Si : Si->- Si + Si + e _ ) beträgt in diesem Falle 28 kcal/Mol, ist also wesentlich höher als beim Germanium. Daher ist der Dissoziationsvorgang und damit die elektrische Leitfähigkeit erst bei höheren Temperaturen zu beobachten. Beim D i a m a n t e n erfordert der Dissoziationsvorgang bereits so viel Energie, daß diese thermisch bei den zugänglichen Temperaturen nicht mehr aufgebracht wird. Bestrahlt man aber einen Diamanten mit Röntgenlicht, so wird er elektrisch leitend, da ein Röntgenstrahl wesentlich mehr Energie liefert (vgl. S. 84f.), als zur Dissoziation erforderlich ist.

Germanium bildet wie das Silicium in gewissem Ausmaß M i s c h k r i s t a l l e mit den Nachbarelementen im Periodensystem (z. B. mit P h o s p h o r oder A r s e n , die fünf, bzw. mit A l u m i n i u m oder G a l l i u m , die drei statt vier Elektronen je Atom aufweisen). Dadurch werden in größerer Anzahl freie Elektronen (I) bzw. Elektronendefektstellen (II) geschaffen, die zur Erhöhung der Leitfähigkeit beitragen: Ge Ge +e~ Ge: Ge: P: Ge Ge Ge Ge Ge

+e~Ge Ge —>-

Ge:Ge:P:Ge

(I)

Ge Ge Ge Ge

Ge:'Äi-&e:Ge •—>- Ge:Äl:Ge*Ge Ge Ge Ge Ge

(II)

Dadurch wird das Germanium entweder ein Ü b e r s c h u ß - oder ein D e f e k t l e i t e r . Die Zahl der freien Elektronen bzw. Elektronendefektstellen ist praktisch nur von der Konzentration der eingebauten Fremdatome und nicht von der Temperatur abhängig. Die elektrische Leitfähigkeit zeigt daher nur mehr eine geringe Temperaturabhängigkeit, die sich in bestimmten Temperaturgebieten sogar wie bei Metallen in einer schwachen Abnahme der elektrischen Leitfähigkeit mit steigender Temperatur äußern kann. Stoffe, bei denen die elektrische Leitfähigkeit durch Störstellen zustande kommt, werden ganz allgemein „Halbleiter" genannt. Hexagonales S e l e n und T e l l u r sind typische Halbleiter. Gleiches gilt vom kristallisierten (monoklinen) Bor. Chemische Eigenschaften. Bei gewöhnlicher Temperatur hält sich kompaktes Germanium an der L u f t unverändert. Oberhalb Rotglut verbrennt es unter Bildung weißer Dämpfe zu Germaniumdioxyd Ge0 2 . I n n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n , wie Salzsäure, ist Germanium u n l ö s l i c h ; von o x y d i e r e n d e n S ä u r e n , wie Salpetersäure, wird es in das D i o x y d übergeführt. V e r d ü n n t e K a l i l a u g e greift es kaum an.

350

Die Kohlenstoffgruppe

Germanium tritt z w e i - und v i e r w e r t i g auf. Die Germanium (II)-Verbindungen sind recht unbeständig und werden leicht zu den beständigeren Germanium(IV)Verbindungen o x y d i e r t .

b) Germanium(IV)-Verbindungen Germaniumwasserstoffe. Die Wasserstoffverbindungen des Germaniums werden zweckmäßig durch Einwirkung von Bromwasserstoff auf Magnesiumgermanid in flüssigem Ammoniak 1 bei —40° gewonnen: GeMg2 + 4HBr

>- GeH4 + 2MgBr2.

GeCl4 + LiAlH4

>- GeH4 + LiAlCl4.

Die Ausbeute an Reinprodukt beträgt 1 / 3 der Theorie. Neben GeH 4 (,,Monogermem") als dem Hauptprodukt der Umsetzung entstehen auch „Digerman" Ge 2 H 6 (1 Mol auf 5—6 Mol GeH4) und geringe Mengen „Trigerman" Ge 3 H 8 . Reines Monogerman ist mit 30%iger Ausbeute durch Umsetzung von G e r m a n i u m t e t r a c h l o r i d mit L i t h i u m a l a n a t in ätherischer Lösung gewinnbar: Monogerman ist gasförmig (GeH 4 : Smp. —165.9°, Sdp. —88.4°; GeD 4 : Smp. —166.2°, Sdp. —89.2°) und bis 285° beständig; Digerman (Ge 2 H 6 : Smp.—109°, Sdp. +29°; Ge 2 D 6 : Smp. —107.9°, Sdp. +28.4°) und Trigerman (Ge 3 H 8 : Smp.—105.6°, Sdp. + 110.5°; Ge 3 D 8 : Smp.—100.3°, Sdp. + 110.5°) stellen farblose Flüssigkeiten dar. Ihre Formeln entsprechen denen der einfachsten gesättigten Kohlenwasserstoffe (Methan CH 4 , Äthan C,H6, Propan C 3 H 8 ; S. 301). Durch Hydrolyse von CaGe und NaGe sind noch zwei feste „ungesättigte" Wasserstoffverbindungen der Zusammensetzung (GeH a ) x („Polygermen", gelb) und (GeH) x („Polygermin", dunkelbraun) gewinnbar, die zum Unterschied von den entsprechenden Kohlenwasserstoffen gleicher Bruttozusammensetzung (Äthylen C H 2 = C H 2 und Acetylen CH=CH) und in Übereinstimmung mit der Doppelbindungsregel (S. 187, 268) h o c h m o l e k u l a r sind und wahrscheinlich die Strukturen | | | Ge

Ge

Ge

\H/H\H/H\H/HW H H H H Ge Ge Ge Ge / H \ H / H \ H / H \ H / H \ Ge Ge Ge H H H

und

Ge Ge Ge I I I Ge Ge Ge / H \ H / H \ H / H Ge Ge I I Ge Ge / H \ H / H \ H / Ge Ge

Ge I Ge \ H / H \ Ge I Ge H \

besitzen. | | Germanium(IY)-halogenide. Die Germanium(IV)-halogenide lassen sich durch Umsetzung von G e r m a n i u m und H a l o g e n : Ge + 2X 2

GeX4

oder durch Umsetzung von G e r m a n i u m d i o x y d w a s s e r s t o f f s ä u r e darstellen: GeOa + 4 H X

mit konzentrierter

Halogen-

GeX 4 + 2 H 2 0 .

Germanium(IV)-fluorid GeF 4 , das aus wässerigen Lösungen als farbloses Hydrat GeF 4 • 3 H 2 0 kristallisiert, ist ein farbloses, sich bei —36.6° zu einer weißen, flockigen Masse (Smp. —15° unter Druck) verdichtendes Gas. Aus einer mit Kaliumfluorid versetzten Germanium(IV) fluorid-lösung kristallisiert farbloses Kalium-hexafluo-germanat 1 Der Bromwasserstoff wird dem flüssigen Ammoniak in Form von Ammoniumbromid NH 4 Br („NHj-HBr") zugesetzt.

Das Zinn

351

K 2 [GeF 8 ] aus. Germanium{IV)-chlorid GeCl4 ist eine farblose, bei —49.5° erstarrende und bei +86.5° siedende Flüssigkeit, die durch Wasser langsam unter Bildung von wasserhaltigem Germaniumdioxyd hydrolysiert wird. Germanium(IV)-bromid GeBr4 (weiß; Smp. 26.1°; Sdp. 186.5°) und Germanium(IV)-jodid GeJ 4 (orange; Smp. 144.0°; Sdp. etwa 348°) werden durch Wasser leichter zersetzt als das Chlorid. Das Jodid beginnt oberhalb des Schmelzpunktes in Germanium(II)-jodid und Jod zu zerfallen. Germaniumdioxyd Ge02 entsteht beim R ö s t e n von G e r m a n i u m oder Germ a n i u m s u l f i d (das beim Erhitzen von feingepulvertem Germanit im sauerstofffreien Gasstrom als Sublimat erhalten wird) oder bei Behandlung dieser Stoffe mit konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e als feuerbeständiges, weißes, bei starkem Erhitzen allmählich erweichendes und bei 1115° völlig schmelzendes Pulver. Es kristallisiert sowohl in einer mit Quarz Si0 2 als auch einer mit Z i n n d i o x y d Sn0 2 isomorphen Modifikation. Die erstere ist zum Unterschied von letzterer in Wasser etwas löslich (etwa 0.4 g in 100 g Wasser bei 20°); die Lösung reagiert deutlich sauer. In S ä u r e n löst sich Germaniumdioxyd nur s c h w i e r i g , in A l k a l i l a u g e n dagegen l e i c h t . Der s a u r e C h a r a k t e r überwiegt also erheblich gegenüber dem b a s i s c h e n . Die beim Auflösen in Alkalien entstehenden Germanate, die auch beim Zusammenschmelzen von G e r m a n i u m d i o x y d und M e t a l l o x y d erhalten werden können, entsprechen in ihrer Zusammensetzimg weitgehend den S i l i c a t e n . So kennt man z. B. Orthogermanate Me 4 Ge0 4 , Metagermanate Me2Ge03 und Meta-digermanate Me2Ge2Os. Die diesen Salzen entsprechenden G e r m a n i u m s ä u r e n existieren nicht als definierte r e i n e V e r b i n d u n g e n . Vielmehr kennt man die Germaniumsäure wie die Kohlensäure nur in w ä s s e r i g e r L ö s u n g .

c) Germanium(II)-Verbindungen Germanium (II)-Chlorid GcCl» entsteht als fester, an der Luft stark riechender Stoff, wenn man GeCl4-Dampf über erhitztes Germanium leitet: GeCl4 + Ge—>- 2GeCl 2 . Umgekehrt zerfällt Germanium(II)-chlorid bei starkem Erhitzen unter Rückbildung von Germanium(IV)-chlorid und Germanium: 2GeCl2 —>- GeCl4 -f- Ge. Die salzsaure Lösung des Chlorids wirkt stark reduzierend. In wässeriger Lösung wird Germanium (II)chlorid hydrolysiert: GeCl2 + H 2 0 — > GeO + 2HCl. Germanium(II)-oxyd GeO (Sblp. 710°) entsteht als gelber Niederschlag, wenn man Germanium(II)-chlorid-lösung mit Natronlauge versetzt. Die vom GeO sich ableitende Hydroxylverbindung Ge(0H)2, die nur in Lösung zu existieren scheint, reagiert deutlich sauer.

5. D a s Zinn a) Elementares Zinn Vorkommen. Zinn, das schon im Altertum vielfach verwendet wurde, kommt in g e d i e g e n e m Zustande nur sehr selten vor. Das wichtigste, fast alleinige Z i n n e r z ist der Zinnstein (Kassiterit) Sn0 2 . Die Hauptfundstätten hegen auf der malaiischen Halbinsel (Malakka, Kuatan), in Niederländisch-Indien (Banka, Billiton) und auf dem Hochplateau von Bolivien. Darstellung. Zur Darstellung des Zinns aus dem Z i n n s t e i n wird letzterer durch R ö s t e n von Verunreinigungen wie Schwefel und Arsen befreit und dann durch Erhitzen mit Koks im Schacht- oder Flammofen reduziert: 85 kcal + SnOa + 2C Sn + 2CO. Das so geschmolzene Rohzinn ist in der Hauptsache noch stark durch E i s e n verunreinigt. Um es von diesem zu befreien, erhitzt man es ganz wenig über seinen Schmelz-

352

Die Kohlenstoffgruppe

punkt (,,Seigern"). Dabei kommt nur das reine Zinn zum Schmelzen und läuft auf einer schrägen Unterlage ab, während das E i s e n in Form einer schwerschmelzbaren Legierung mit Zinn („Seigerkörner") zurückbleibt. Andere als Verunreinigungen in* Zinn noch vorhandene Metalle werden durch o x y d i e r e n d e s S c h m e l z e n {„Polen") beseitigt, indem man in das geschmolzene Zinn Stangen frischen grünen Holzes eintaucht und das Metallbad der kräftigen Durchmischung durch die dabei entweichenden Gase unterwirft. Auf diese Weise kommt die Schmelze genügend mit Luftsauerstoff in Berührung, so daß sich die Verunreinigungen oxydieren und als ,,Zinnkrätze" an der Oberfläche sammeln. Wichtig ist auch die W i e d e r g e w i n n u n g des Zinns aus Abfällen von v e r z i n n t e m E i s e n b l e c h {„Weißblech"). Sie erfolgt heute ausschließlich durch das Verfahren der Chlorentzinnung, welches darauf beruht, daß Z i n n zum Unterschied von E i s e n leicht durch t r o c k e n e s C h l o r angegriffen wird. Physikalische Eigenschaften. Zinn ist ein silberweißes, stark glänzendes, bei 231.8° schmelzendes und bei 2362° siedendes Metall. Es ist von geringer Härte, aber bedeutender Dehnbarkeit und Geschmeidigkeit; daher läßt es sich bei gewöhnlicher Temperatur zu sehr dünnen B l ä t t e r n {„Zinnfolie", „Stanniol") auswalzen. Bei 100° kann man es zu D r a h t ausziehen. Das spezifische Gewicht beträgt 7.28. Aus dem Schmelzfluß erstarrt Zinn gewöhnlich in t e t r a g o n a l e n Kristallen (,,ß-Zinn", „weißes Zinn"). Das kristalline Gefüge kommt deutlich zum Vorschein, wenn man die Oberfläche mit Salzsäure anätzt; es erscheinen dann eisblumenartige Zeichnungen (,,moiriertes Zinn"). Beim Biegen von Zinn vernimmt man ein eigentümliches K n i r s c h e n {„Zinngeschrei"); es rührt von der Reibung der Kriställchen aneinander her. Unterhalb von 13.2° und oberhalb von 161° wandelt sich dasß-Zinn in a n d e r e Modif i k a t i o n e n um: 132 „ 181„ ot-Zinn -< v ß-Zinn -- SnC)2 + H2. Ebenso reagiert es lebhaft mit konzentrierter Salpetersäure unter Bildung von ß-Zinnsäure (S. 356). Beim Kochen mit Alkalilaugen geht es unter Wasserstoffentwicklung als S t a n n a t , Me2[Sn(OH)6] , in Lösung: Sn + 4HOH —->- Sn(OH)4 + 2Ha Sn(OH)4+ 2OH' >- [Sn(OH)6]". Anwendung. Wegen seiner Beständigkeit an feuchter Luft und gegen schwache Säuren und Alkalien wird Zinn zum Überziehen anderer Metalle verwendet, die in dieser Hinsicht weniger beständig sind. So wird vor allem E i s e n b l e c h verzinnt, um es vor dem Rosten zu schützen (vgl. S. 474); es heißt dann „Weißblech" oder im gewöhnlichen Sprachgebrauch auch schlechthin ,,Blech". Die Verzinnung wird einfach in der Weise ausgeführt, daß man das mit verdünnter Schwefelsäure gereinigte Eisenblech in geschmolzenes Zinn eintaucht. Während reines Zinn heute nur noch wenig benutzt wird, sind Zinnlegierungen vielfach in Gebrauch. Wichtige Zinnlegierungen sind z. B. die Bronzen, das Britanniametall, das Weichlot und zahlreiche Lagermetalle. Lagermetalle sind Legierungen, aus denen die Achsenlager für Maschinenwellen usw. hergestellt werden. Ihr Hauptbestandteil kann Zinn oder Kupfer oder Blei sein. Die Zinn- oder W e i ß g u ß - L a g e r m e t a l l e (über die Blei- und Kupfer-Lagermetalle vgl. S. 359 bzw. S. 452) enthalten 50—90°/ 0 Zinn, 7—20°/ 0 Antimon und meist einige Prozente Kupfer. Das Weichlot oder Schneilot besteht aus 40—70°/ 0 Zinn und 60—30% Blei. Man benutzt es wegen seiner leichten Schmelzbarkeit (den niedrigsten Schmelzpunkt von 181° besitzt eine Legierung von 64°/0 Sn und 36°/0 Pb) zum L ö t e n , d. h. zum metallischen Verbinden von Metallteilen. Zum Löten von Gefäßen wie Konservendosen, die zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln dienen, dürfen wegen der Gesundheitsschädlichkeit des Bleis nur Lote mit höchstens 10°/0 Blei verwendet werden. Unter Britanniametall versteht man Legierungen von 88—90% Zinn, 10—8% Antimon und 2 % Kupfer. Sie dienen zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen wie z. B. Tischgeschirr. Die Bronzen sind Kupfer-Zinn-Legierungen und werden beim Kupfer besprochen (S. 452).

b) Zinn(II)-Verbindungen Zinn (II)-chlorid SnCl^ wird technisch durch Lösen von Zinn-drehspänen in Salzsäure dargestellt: gn + 2HC1 g ^ + ^ Es kristallisiert aus der wässerigen Lösung wasserhaltig als SnCl2 • 2 H 2 0 („Zinnsalz") in klaren Kristallen vom Schmelzpunkt 40.5°. In Wasser ist es sehr leicht löslich, die konzentrierte wässerige Lösung ist klar; beim Verdünnen trübt sie sich infolge Ausscheidung von basischem S a l z : SnCl2 + H 2 0 Sn(OH)Cl + HCl. Wegen dieser leicht eintretenden Hydrolyse kann man das Hydrat nicht durch einfaches Erhitzen entwässern; die Entwässerung muß vielmehr im C h l o r w a s s e r s t o f f s t r o m (Verschiebimg des Hydrolysegleichgewichts nach links) bei Rotglut erfolgen. D i r e k t erhält man das wasserfreie Zinn(II)-chlorid, wenn man Zinn im ChlorwasserH o l l e m a u - W i b e r g , A n o r g a n i s c h e Chemie. 3 7 . - 3 9 . A u f l .

23

Die Kohlenstoffgruppe

354

B t o f f s t r o m erhitzt. E s bildet eine weiße, fettglänzende Masse vom Schmelzpunkt 247° und Siedepunkt 605°. In der Nähe des Siedepunktes zeigt die Dampfdichte teilweise A s s o z i a t i o n der Moleküle a n ; oberhalb von 1100° liegen nur SnCl 2 -Moleküle vor. Die hervorstechendste Eigenschaft des Zinn(II)-chlorids ist sein starkes R e d u k t i o n s v e r m ö g e n . Diese reduzierende Wirkung beruht auf der großen Neigung des z w e i w e r t i g e n Zinns, in die v i e r w e r t i g e Stufe überzugehen: Sn" >- Sn"" + 2 © . So fällt es z. B. Gold, Silber und Quecksilber aus den Lösungen ihrer Salze als Metalle aus (Hg" + 2 © — H g ) . Reicht seine Menge nicht aus, so reduziert es die Salze des zweiwertigen Quecksilbers zu solchen des einwertigen (Hg" + © > Hg"). In gleicher Weise reduziert es in saurer Lösung Eisen(III)-salze zu Eisen(II)-salzen (Fe'" + © •—>- Fe"), Arsenate zu Arseniten (As0 4 "' + 2 H ' + 2 © —>- AsO a '" + H 2 0 ) , Chromate zu Chrom(Ill)-salzen (Cr0 4 " + 8 H ' + 3 © — > - Cr'" + 4 H 2 0 ) , Permanganate zu Mangan(Il)-salzen (Mn0 4 ' + 8 H ' + 5 © — M n " + 4 H 2 0 ) , schweflige Säure zu Schwefelwasserstoff (H 2 S0 3 + 6 H ' + 6 © — > H 2 S + 3 H 2 0 ) . Durch Luftsauerstoff wird es in salzsaurer Lösung langsam zu Zinn(IV)-chlorid oxydiert: SnCl2 + 2HCl + VaOj

SnCl4 + H 2 0.

Durch Zusatz von metallischem Zinn zu der Lösung wird diese Oxydation verhindert (SnCl4 + Sn — 2 S n C l a ) . Zinn (Il)-bromid SnBr 2 schmilzt bei 215° und siedet bei 619°, Zinn{II)-jodid SnJ 2 bei 320° bzw. 720°. Zinn(lI)-hydroxyd Sn(0H) x fällt als weißer, in Wasser sehr schwer löslicher Niederschlag aus, wenn man eine Z i n n ( I I ) - s a l z - l ö s u n g mit wenig A l k a l i h y d r o x y d Versetzt:

Sn" + 2 OH'

>- Sn(OH)j.

Die Verbindung löst sich sowohl in S ä u r e n wie in A l k a l i e n , zeigt also sowohl b a s i s c h e n wie s a u r e n Charakter. Man nennt solche Hydroxyde „amphotere" Hydroxyde. Beim Auflösen in S ä u r e n entstehen Zinn(II)-salze: Sn(OH)2 + 2H'

>• Sn" + 2H a O.

Beim Auflösen in starken B a s e n werden „Stannite" gebildet (vgl. S. 385f.): Sn(OH) 2 + OH'

[Sn(OH)3]'

oder

Sn(OH)2 + 2 0 H '

[Sn(OH) 4 ]".

Auch die S t a n n i t e besitzen starkes R e d u k t i o n s v e r m ö g e n , da sie die Neigung haben, in S t a n n a t e (mit vierwertigem Zinn) überzugehen: [Sn(OH)4]" + 2OH' [Sn(OH)6]" + 2 © . Zinn(II)-oxyd SnO. Beim Erwärmen unter Luftabschluß (z. B. im Kohlendioxydstrom) geht das Zinn(II)-hydroxyd leicht in das Zinn(II)-oxyd, ein blauschwarzes Pulver, über. Beim Erhitzen an der L u f t entzündet sich dieses Oxyd und verbrennt zu weißem Zinndioxyd S n 0 2 . Zinn (II)-Sulfid SnS fällt beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Z i n n ( I I ) s a l z - l ö s u n g e n als dunkelbrauner Niederschlag a u s : Sn" + S" >• SnS, der sich zum Unterschied vom Zinn(IV)-sulfid SnS 2 (S. 356) in farblosem Schwefelammon oder Alkalisulfid nicht löst. Beim Schmelzen von Z i n n mit S c h w e f e l kann die Verbindung als blaugraue, kristalline Masse erhalten werden. Im Wasserstoffstrom ist Zinn(II)-sulfid unzersetzt sublimierbar. Kristallisiert bildet es metallglänzende Blättchen vom Schmelzpunkt 882° und Siedepunkt ~ 1230°.

Dae Zinn c)

355

Zinn(IV)-Verbindungen

Zinnwasserstoff SnHj („Stannan") s t a n n i d Mg2Sn mit S a l z s ä u r e :

läßt sich durch Zersetzen von M a g n e s i u m -

Sn"" + 4H"

>- SnH 4

oder durch Behandeln von Z i n n s a l z l ö s u n g e n mit n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f (z. B. Eintragen von Magnesiumpulver in saure Zinnsulfatlösung oder kathodische Reduktion von Zinnsalzlösungen an Bleielektroden) : Sn" + 6 H

SnH 4 + 2H'

darstellen. Bei allen diesen Reaktionen entweicht in der Hauptsache W a s s e r s t o f f , dem geringe Mengen Z i n n w a s s e r s t o f f beigemengt sind. Mit besserer Ausbeute (20%) entsteht ZinnWasserstoff bei der Umsetzung von Z i n n t e t r a c h l o r i d mit ätherischen Lösungen von L i t h i u m a l a n a t : SnCI4 + 4 LiAlH 4

• SnH 4 + 4 LiCl + 4 A1H3.

Die Reaktion verläuft auf dem Wege über einen Zinn-aluminium-Wasserstoff SnH 4 • 4 A1H3 = Sn(AlH4)4 („Zinnalanat"), der sich bei —60° isolieren läßt und oberhalb von —40° in Zinnwasserstoff (bzw. Zinn und Wasserstoff) und Aluminiumwasserstoff zerfällt.

Die höchste Ausbeute (84%) wird bei der Einwirkung von N a t r i u m b o r a n a t auf Z i n n ( I I ) - c h l o r i d in 0.6 n-Salzsäure erzielt. Der Zinnwasserstoff ist in reinen Glasgefäßen bei gewöhnlicher Temperatur tagelang haltbar. Beim Erwärmen auf 150° zersetzt er sich unter Bildung eines Z i n n s p i e g e l s : SnH 4

Sn + 2 H t .

Der Schmelzpunkt der Verbindung liegt bei —150°, der Siedepunkt bei —52°. Zinn (IV)-chlorid SnCLj wird technisch durch Behandeln von W e i ß b l e c h abfallen mit C h l o r dargestellt : ^ gn + ^ Es stellt eine farblose, an der Luft stark rauchende, nach dem Entdecker auch „Spiritus fumans Libavii" genannte Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 2.229 (20°) dar, die bei —36.2° erstarrt und bei 114.1° siedet. Beim Zusammenbringen mit wenig Wasser oder beim Stehenlassen an feuchter Luft geht sie in eine halbi'este, kristallisierte Masse der Zusammensetzung SnCl4 • 5 H 2 0 („Zinnbutter" ; Smp. etwa 60°) über. Die w ä s s e r i g e L ö s u n g des Zinntetrachlorids ist weitgehend h y d r o l y t i s c h gespalten : SnCl4 + 2H a O >~ SnCL -f-4HCl. Das dabei entstehende Z i n n d i o x y d bleibt k o l l o i d in Lösung. Leitet man in konzentrierte wässerige Z i n n t e t r a c h l o r i d - l ö s u n g C h l o r w a s s e r s t o f f ein, so lagern sich je Mol SnCl4 2 Mol HCl an : SnCl4 + 2HCl

H 2 [SnCl 6 ].

Die dabei entstehende Hexachloro-zinnsäure H 2 [SnCl 6 ] kristallisiert aus der Lösung in Form blätteriger Kristalle der Zusammensetzung H a SnCl e 6 H 2 0 (Smp. 19.2°). Unter den Salzen der Säure (Hexachloro-stannate) ist vor allem das A m m o n i u m s a l z (NH 4 ) 2 [SnCl 6 ] („Pinksalz") erwähnenswert, das in der Färberei als Beizmittel dient. Auch viele a n d e r e S t o f f e wie z. B. Ammoniak, Phosphorwasserstoff, Phosphorpentachlorid, Phosphoroxychlorid, Schwefeltetrachlorid vermögen sich an Zinntetrachlorid a n z u l a g e r n . Zinn(IV)-fluorid, -bromid, -jodid sind durch direkte Vereinigung des Z i n n s mit dem entsprechenden H a l o g e n erhältlich: Sn + 2X 2 —>- SnX 4 . B r o m reagiert schon bei gewöhnlicher Temperatur, J o d bei gelindem Erwärmen. Mit F l u o r reagiert Zinn bei gewöhnlicher Temperatur nicht merklich ; dagegen erfolgt bei 100° unter Feuererscheinung eine sehr heftige Reaktion. Einfacher gewinnt man das Zinn(IV)-fluorid durch Eintragen von Z i n n ( I V ) - c h l o r i d in wasserfreie F l u ß s ä u r e : SnCl4 -f 4 H F SnF 4 + 4HCl. 23*

356

Die Kohlenstoffgruppe

Alle drei Halogenide sind feste, kristallisierte Stoffe (SnF 4 : Sblp. 705°; SnBr 4 : Smp. 33.0°, Sdp. 203.3°; SnJ 4 : Smp. 144.5°, Sdp. 346°) und bilden wie Zinn(IV)-chlorid mit den Halogeniden der Alkalimetalle Hexahalogeno-stannate Me 2 [SnX 6 ]. Zinn(IV)-fluorid bildet darüber hinaus mit Ammoniumfluorid ein Oktafluo-stannat (NH 4 ) 4 [SnF 8 ]. Zinndioxyd SnOÄ kommt in der N a t u r als tetragonal kristallisierter Zinnstein (Kassiterit) vor. T e c h n i s c h wird es durch Verbrennen von Zinn im L u f t s t r o m hergestellt. Es stellt ein in Wasser, Säuren und Alkalien unlösliches weißes Pulver dar, das oberhalb von 1800° sublimiert. Da es Glasflüsse milchigweiß trübt und chemisch sowie thermisch sehr widerstandsfähig ist, findet es technisch ausgedehnte Verwendung zur Herstellung weißer Glasuren und E m a i l l e n (S. 342). Zinnsäuren; Stannatc. Schmilzt man Zinndioxyd mit N a t r i u m h y d r o x y d oder N a t r i u m o x y d , so geht es in N a t r i u m s t a n n a t über: Sn02 + Na20

>- N a 2 [ S n 0 3 ] .

Aus der konzentrierten wässerigen Lösung der Schmelze kristallisiert ein leichtlösliches Salz der Zusammensetzung Na 2 Sn0 3 • 3H 2 0 aus. Wie die röntgenometrische Strukturbestimmung zeigt, kommt diesem Salz die Konstitution Na2 [Sn(OH)6] zu. Es entspricht also in seinem Aufbau den Hexachloro-stannaten und ist als Natrium-hexahydroxostannat zu bezeichnen. Unter dem Namen „Präpariersalz" wird es in der Färberei als Beizmittel verwendet. Analoge Zusammensetzung und Struktur besitzt das gut kristallisierende Kaliumstannat K 2 [Sn(OH) 6 ]. Durch Umsetzung mit löslichen Calcium-, Strontium- oder Bleisalzen lassen sich hieraus die entsprechenden Calcium-, Strontiumund Bleisalze Me[I fSn(OH)6] gewinnen. Die den Hexahydroxo-stannaten entsprechende Zinnsäure H 2 [Sn(OH) 6 ] ist in freiem Zustande nicht bekannt. Versetzt man Alkalistannat-lösungen mit S ä u r e n , so erhält man weiße, voluminöse, in Säuren und Alkalien lösliche Niederschläge Sn0 2 • nH 2 0, die den Charakter von Gelen (S. 338) besitzen und wechselnde Mengen Wasser enthalten. Es ist möglich, daß diese Niederschläge bei frischem Ausfällen zunächst die obige Zusammensetzung H 8 Sn0 6 besitzen, die sich ganz an die Formeln H 7 SbO g , H 6 Te0 6 und H 5 J 0 6 der Sauerstoffsäuren der im Periodensystem rechts an das Zinn angrenzenden Elemente anschließt. Bei längerem Stehen, schneller beim Erwärmen erfolgt aber zunehmende W a s s e r a b s p a l t u n g , die ähnlich wie bei den Kieselsäuren (vgl. S. 325ff.) über die Stufe einer Orthozinnsäure H 4 Sn0 4 , O r t h o - d i z i n n s ä u r e H 6 Sn 2 0 7 , M e t a - z i n n s ä u r e [H 2 Sn0 3 ] n und Meta-dizinnsäure oo[H 2 Sn 2 0 5 ] hinweg schließlich zum Zinndioxyd oo[Sn0 2 ] führt. Parallellaufend mit der Wasserabspaltung werden die Verbindungen mehr und mehr in Säuren unlöslich. Früher nannte man die frischen, in Säure löslichen, niedermolekularen Niederschläge „a-Zinnsäure" {„a-Zinnsäure") oder gewöhnliche Zinnsäure, die gealterten, in Säure unlöslichen, hochmolekularen Niederschläge „ß-Zinnsäure" („b-Zinnsäure") oder Metazinnsäure. Zinndisulfid SnS-j wird technisch durch Erhitzen von Zinn oder Zinnamalgam mit Schwefelblumen bei Gegenwart von Salmiak dargestellt: Sn + 2 S — > - SnS 2 . Man erhält es dabei in Form goldglänzender, durchscheinender Blättchen, die als „Musivgold," in den Handel kommen und in Form der „Zinnbronze" zum Bronzieren von Gips, Bilderrahmen usw. Verwendung finden. Thiostannate. Wie sich das Zinndioxyd mit Alkalioxyden zu Stannaten vereinigt (s. oben), ergibt das Zinndisulfid mit überschüssigem Alkalisulfid Thio-stannate: SnS 2 + Na 2 S

—Na2[SnS3].

Jedoch erfolgt die Umsetzung viel leichter als dort, so daß sie bereits in wässeriger Lösung durchgeführt werden kann. In wasserhaltigem Zustande besitzen die Thiostannate die Zusammensetzung Me2SnS3 • 3H 2 0 = Me2[Sn(SH)3(OH)3] , welche der Formel Me2[Sn(OH)6] der wasserhaltigen Stannate entspricht.

Das Blei

357

6. Das Blei a) Elementares Blei Vorkommen. Das wichtigste und meistverbreitete Bleierz ist der Bleiglanz (Galenit) P b S , welcher graphitfarbene, metallisch glänzende, meist würfelförmige Kristalle bildet. Seltener ist das Vorkommen als Weißbleierz PbC0 3 (S. 359), Rotbleierz PbCr0 4 (S. 360), Gelbbleierz PbMo0 4 (S. 515) und Scheelbleierz P b W 0 4 (S. 516). Darstellung. Für die Darstellung von Blei dient fast ausschließlich der B l e i g l a n z als Ausgangsmaterial. Die Verarbeitimg des Bleiglanzes erfolgt dabei in der Hauptsache nach dem sogenannten „Röstreduktionsverfahren". Daneben ist auch das „Röstreaktionsverfahren" in Anwendung. Beim Röstreduktionsverfahren wird das Bleisulfid durch Rösten m ö g l i c h s t volls t ä n d i g in Bleioxyd übergeführt: PbS + 172 0 2 >• PbO + S0 2 („Röstarbeit"), indem man durch den mit K a l k s t e i n und S i l i c i u m d i o x y d vermischten Bleiglanz bei Rotglut Luft hindurchbläst oder -saugt. Durch das S i l i c i u m d i o x y d wird nebenher gebildetes Bleisulfat (PbS + 2 0 2 —>• PbS0 4 ), das bei der nachfolgenden Reduktion des gerösteten Erzes wieder in Bleisulfid zurückverwandelt werden würde (PbS0 4 + 2C — v PbS + 2C0 2 ), in Bleisilicat übergeführt (PbS0 4 + Si0 2 —>- PbSi0 3 + S 0 2 + V.O,)- Der K a l k s t e i n dient als Auflockerungsmittel und fördert die Oxydation des Bleisulfids zu Bleioxyd; auch ermöglicht er (vgl. unten) die spätere Reduktion des neben Bleioxyd gebildeten Bleisilicats zu Blei. Das durch das obige „Verblaserösten" erhaltene B l e i o x y d wird im Schachtofen (Hochofen) mit Koks bzw. dem durch Verbrennung daraus entstehenden Kohlenoxyd zu B l e i reduziert: PbO + CO >- Pb + C02 („Reduktionsarbeit"). Auf das gleichzeitig vorhandene B l e i s i l i c a t wirkt das Kohlenoxyd nicht u n m i t t e l b a r (etwa nach PbSi0 3 + CO —>• Pb + Si0 2 + C0 2 ), wohl aber bei Mitwirkung des aus dem Kalkstein gebildeten K a l k s (CaC03 —>• CaO + C0 2 ) ein, welcher das freiwerdende Siliciumdioxyd als Calciumsilicat bindet (PbSi0 3 + CO + C a O — > Pb + CaSi0 3 + C0 2 ). Beim Röstreaktionsverfahren wird der Bleiglanz nur u n v o l l s t ä n d i g geröstet, so daß nur zwei Drittel des Sulfids in Oxyd (bzw. Sulfat) übergehen, der Rest unverändert bleibt: ^ p b g + 2 p b ( ) + 2 S 0 2 („Röstarbeit"). 3pbs + Das entstehende Produkt wird dann unter möglichstem Luftabschluß auf dem „Herd" weiter erhitzt, wobei sich Bleisulfid und Bleioxyd (bzw. Bleisulfat) zu metallischem Blei umsetzen:

Pbs +

2 PbO

—>- 3Pb + S0 2

(„Reaktionsarbeit").

Das nach einem dieser Verfahren erhaltene „Werkblei" enthält noch V e r u n r e i n i g u n g e n wie Kupfer, Arsen, Antimon, Zinn, Schwefel, Silber; und zwar enthält es in der Regel bis 1 % Silber (und Gold) und 1—2°/0 andere Metalle. Die Abtrennung dieser Verunreinigungen erfolgt durch Schmelzen unter Luftzutritt. Hierbei kommen Arsen, A n t i m o n und Zinn als Bleiarsenat, -antimonat und -stannat an die Oberfläche und werden als „Antimonabstrich" abgezogen, während K u p f e r mit Blei eine verhältnismäßig schwer schmelzende Legierung bildet, die sich gleichfalls abscheidet und dabei allen S c h w e f e l aus dem Blei aufnimmt. Die E n t s i l b e r u n g des Werkbleis, die für die Silbergewinnung von großer Bedeutung ist, wird beim Silber besprochen (S. 457f.). Auch auf elektrolytischem Wege kann Werkblei gereinigt werden. Physikalische Eigenschaften. Blei ist ein bläulich-graues, weiches und dehnbares Sohwermetall (spez. Gew. 11.34) vom Schmelzpunkt 327.4° und Siedepunkt 1750°.

358

Die Kohlenstoffgruppe

Wegen seiner geringen Härte und großen Dehnbarkeit läßt es sich leicht zu Blech auswalzen und zu Drähten ausziehen. Die Drähte haben aber nur geringe Festigkeit. Chemische Eigenschaften. Frische Schnittflächen von Blei zeigen starken Glanz. Die glänzende Metalloberfläche läuft aber an der Luft schnell mattblaugrau an, da sie sich mit einer dünnen Schicht von Bleioxyd überzieht; diese Oxydschicht schützt das darunterliegende Metall vor weiterer oxydativer Zerstörung. F e i n v e r t e i l t e s B l e i da,gegen entzündet sich an der Luft schon bei gewöhnlicher Temperatur von selbst (,,pyrophores Blei"). Beim Schmelzen von k o m p a k t e m B l e i an der Luft bedeckt sich das Blei zunächst mit einer grauen Oxydschicht („Bleiasche"), welche bei fortgesetztem Erhitzen zunächst in gelbe Bleiglätte PbO und dann in rote Mennige Pb 3 0 4 übergeht. Auch mit anderen Nichtmetallen als Sauerstoff, z. B. mit S c h w e f e l und mit. den H a l o g e n e n vereinigt sich das Blei in der Hitze direkt. D e s t i l l i e r t e s und l u f t f r e i e s W a s s e r greift Blei nicht an. Dagegen wird Blei bei G e g e n w a r t v o n L u f t s a u e r s t o f f von Wasser langsam in Bleihydroxyd übergeführt : Pb + v t O t + H,0 — v Pb(OH)2. Diese Einwirkung von Luft und Wasser ist deshalb von Bedeutimg, weil Wasser vielfach durch bleierne Röhren geleitet wird, was bei der Giftigkeit der Bleiverbindungen zu Gesundheitsschädigungen führen kann. J e h ä r t e r ein Trinkwasser ist, d. h. je mehr Calciumbicarbonat Ca(HC0 3 ) 2 und Calciumsulfat CaS0 4 es enthält (S. 410), um so weniger wird das Blei angegriffen, weil sich dann an der Innenwand der Bleiröhren bald eine festhaftende Schicht von schwerlöslichem basischem Bleicarbonat bzw. Bleisulfat bildet, die nach einiger Zeit das Blei gegen den weiteren Angriff des Wassers schützt. K o h l e n s ä u r e h a l t i g e s W a s s e r löst Blei mit der Zeit als Bleibicarbonat auf: Pb + V 2 0 2 + H 2 0 + 2C0 2 —>- Pb(HC0 3 ) 2 . Gegenüber S ä u r e n , wie Schwefelsäure oder Salzsäure, welche mit Blei s c h w e r l ö s l i c h e S a l z e (Bleisulfat, Bleichlorid) bilden, ist Blei beständig, da sich dann auf der Oberfläche ein schwerlöslicher, schützender Überzug bildet (Pb -f- H 2 S 0 4 —>- P b S 0 4 + H 2 ). Säuren, bei denen dies nicht der Fall ist, greifen Blei a n ; im Falle o x y d i e r e n d e r Säuren (Salpetersäure) erfolgt dabei die Auflösung leicht und direkt, im Falle n i c h t o x y d i e r e n d e r Säuren (Essigsäure) bei Zutritt von Luftsauerstoff. Gefäße mit bleihaltigem Zinnbelag oder Topfwaren mit Bleiglasur sollen dementsprechend nicht zum Zubereiten von Speisen verwendet werden, um chronische Vergiftungen durch f o r t g e s e t z t e Aufnahme kleiner — an sich ungefährlicher — Bleimengen zu verhüten. Scheidet man Blei aus Salzlösungen (z. B. Nitrat- oder Acetatlösungen) elektrolytisch (Pb" + 2 0 —>- Pb) oder durch Zink (Pb" + Zn —>- Pb + Zn") ab, so setzt es sich in Form einer verästelten kristallinen Masse („Bleibaum") oder auch schwammartig („Bleischwamm") ab. In seinen c h e m i s c h e n V e r b i n d u n g e n ist das Blei vorwiegend z w e i w e r t i g . Daneben tritt es wie seine leichteren Homologen auch v i e r wer t i g auf; diese Verbindungen sind aber wesentlich u n b e s t ä n d i g e r als dort. Anwendung. Blei findet als Metall ausgedehnte Verwendung. So dient es z. B. zur Herstellung von B l e i r ö h r e n und von B l e i b l e c h als Bedachungsmaterial, sowie wegen seiner Beständigkeit gegenüber Schwefelsäure zur Herstellung von E i n d a m p f s c h a l e n (S. 208), zur Auskleidung der B l e i k a m m e r n der Schwefelsäurefabriken (S. 208), zur Herstellung der Platten für A k k u m u l a t o r e n (S. 363). Das hohe spezifische Gewicht und die bequeme Formbarkeit machen es zur Herstellung von G e s c h o ß k e r n e n und von F l i n t e n s c h r o t geeignet. Unter den wichtigeren Legierungen des Bleis seien erwähnt das Letternmetall und die Blei-Lagermetalle. Das Letternmetall (Schriftmetall) enthält gewöhnlich 70—90°/ s

Das Blei

359

Blei, daneben Antimon und meist auch etwas Zinn. Die Blei-Lagermetalle enthalten gewöhnlich 60—80°/0 Blei und als härtenden Bestandteil Antimon (bzw. Antimon und Zinn) oder geringe Mengen Alkali- und Erdalkalimetall. So besteht z. B. das bei der Bundesbahn für Achsenlager allgemein verwendete „Bahnmetall" aus Blei mit einem Zusatz von etwa 0.7°/0 Calcium, 0.6°/0 Natrium und 0.04°/0 Lithium. Zum Unterschied von dem als ,,Weichblei" bezeichneten reinen Blei nennt man das durch Antimonzusatz gehärtete Blei auch „Hartblei".

b) Blei(II)-Verbindungen Blei(II)-halogenide. Die Halogenide des zweiwertigen Bleis, PbX 2 , sind in kaltem Wasser alle schwerlöslich; und zwar ist Bleifluorid nahezu unlöslich, während bei den übrigen die Löslichkeit in der Richtung von dem — etwas löslichen — Chlorid zum Jodid hin abnimmt. Die Verbindungen fallen aus Blei(II)-salzlösungen auf Zusatz der entsprechenden Halogen-ionen aus: Pb" -+- 2X' —>- PbX 2 . Das weiße Bleifluorid schmilzt bei 818° und siedet bei 1292°. Das in weißen, seidenglänzenden, rhombischen Nadeln oder Prismen kristallisierende Bleichlorid schmilzt bei 498° und erstarrt beim Abkühlen der Schmelze zu einer hornartigen Masse {„Hornblei") ; der Siedepunkt beträgt 954°. Die weißen, seidenglänzenden rhombischen Nadeln des Bleibromids schmelzen bei 373° zu einer roten, bei 916° siedenden Flüssigkeit, welche bei Abkühlung zu einer weißen, hornartigen Masse erstarrt. Bleijodid kristallisiert in prächtigen, goldglänzenden Blättchen, die bei 412° schmelzen und bei etwa 900° sieden. Blei(II)-nitrat Pb(N0:t)a wird durch Auflösen von B l e i oder B l e i o x y d in heißer verdünnter S a l p e t e r s ä u r e gewonnen. Es kristallisiert in großen wasserklaren Kristallen und zersetzt sich beim Erhitzen gemäß Pb(N03)s —>- PbO + 2NOa + V*08 unter Abspaltung von Stickstoffdioxyd und Sauerstoff. Daher kann man es zur Darstellung von S t i c k s t o f f d i o x y d (S. 237) und als S a u e r s t o f f Überträger für Zündmischungen benutzen. Blei (II)-sulfat PbS0 4 findet sich in der Natur oft in schön ausgebildeten großen, rhombischen, in reinem Zustande glasklaren {„Bleiglas") Kristallen als Anglesit {Vitriolbleierz). In Wasser ist die Verbindung nahezu unlöslich, so daß sie durch Versetzen einer Bleisalzlösung mit verdünnter Schwefelsäure oder einem löslichen S u l f a t erhalten werden kann: Pb" + S 0 4 " —>• P b S 0 4 . Erheblich besser löst sich Bleisulfat in konzentrierten starken Säuren (Salzsäure, Salpetersäure, Schwefelsäure): PbS0 4 + H* — P b ( H S 0 4 ) \ Daher enthält die nach dem Bleikammerverfahren hergestellte und in Bleipfannen konzentrierte Schwefelsäure des Handels Bleisulfat, das beim Verdünnen größtenteils wieder ausfällt. Auch in konzentrierten Alkalilaugen löst sich Bleisulfat, wobei Alkali-hydroxoplumbite (vgl. S. 361) entstehen. Blei(II)-carbonat PbCO:t kommt in der Natur als Cerussit {Weißbleierz) vor. Künstlich erhält man es durch Einleiten von Kohlendioxyd in eine verdünnte Bleiacetatlösung oder durch Versetzen einer Bleinitratlösung mit Ammoniumcarbonat-lösung in der K ä l t e : Pb" + C0 3 " —>• PbC0 3 . Fällt man Bleisalzlösungen in der W ä r m e mit Alkalicarbonat, so entstehen b a s i s c h e B l e i c a r b o n a t e . Ein solches basisches Bleicarbonat ist z. B. das als Anstrichfarbe geschätzte „Bleiweiß", welches gewöhnlich die Zusammensetzimg Pb(OH)2 • 2PbC0 3 besitzt. Da es von allen weißen Farben den schönsten Glanz, die größte Deckkraft und das beste Haftvermögen aufweist, läßt es sich trotz seiner Giftigkeit und seiner Empfindlichkeit gegenüber Schwefelwasserstoff (Bräunung infolge Bildung von Bleisulfid) als Ölfarbe nicht verdrängen.

360

Die Kohlenstoffgruppe

Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von Bleiweiß kann nach verschiedenen Verfahren erfolgen. Beim alten „holländischen Verfahren" werden dünne, spiralig aufgerollte Bleiplatten in irdene, innen glasierte Töpfe gestellt, welche am Boden Essig enthalten und in Mist oder andere verwesende Stoffe eingebettet sind. Infolge der bei der Verwesung entstehenden mäßigen Selbsterwärmung verdampft die Essigsäure langsam und bildet mit dem Blei unter der Mitwirkung des Luftsauerstoffs basisches Bleiacetat. Das bei der Fäulnis gleichzeitig gebildete Kohlendioxyd dringt langsam in die mit Bleideckeln nur lose verschlossenen Tiegel ein und wandelt das basische Acetat in basisches Carbonat um. Nach mehreren Wochen sind die Bleiplatten fast ganz zu lockerem basischem Carbonat zerfallen. Schneller erfolgt die Bleiweißgewinnung bei dem „deutschen Verfahren", bei d e m man die Bleiplatten in geschlossenen Kammern aufhängt, in welche man Essigsäuredämpfe und Kohlendioxyd (aus einer Koksfeuerung) einleitet.

Blei (II)-Chromat I n der N a t u r findet chrom). T e c h n i s c h dichromatlösung

PbCr0 4 stellt ebenfalls eine wichtige Farbe {„Chromgelb") dar. es sich in gelblich-roten Kristallen als Rotbleierz {Krokoit, Kallowird es durch Versetzen einer B l e i a c e t a t l ö s u n g mit K a l i u m als gelbes Pulver gewonnen: 2 P b " + Cr 2 0 7 " + H 2 0

2PbCr04 +

2H\

Da Farbe und Glanz von anderen gelben Präparaten nicht erreicht werden, ist Bleichromat trotz seiner Giftigkeit und des Nachteils der Nachdunklung (vgl. Bleiweiß) eine der wichtigsten gelben Malerfarben. Fällt man Blei(II)-salz-lösungen nicht mit s a u r e r , sondern mit n e u t r a l e r oder s c h w a c h a l k a l i s c h e r Chromatlösung, so erhält man b a s i s c h e s B l e i c h r o m a t der tingefähren Zusammensetzung P b C r 0 4 • PbO, welches leuchtend rot ist und als „Chromrot" in der Ölmalerei Verwendung findet. Blei (II)-acetat Pb(CH s C00)» läßt sich durch Auflösen von Bleioxyd in Essigsäure gewinnen: PbO + 2CH 3 COOH — P b ( C H 3 C O O ) 2 + H 2 0 . Wegen seines süßen Geschmacks heißt es auch „Bleizucker". E s ist stark giftig. Verwendet man bei der Darstellung mehr Bleioxyd, als der Bildungsgleichung für Bleizucker entspricht, so erhält man basische Acetate wie Pb(CH 3 COO) 2 • Pb(OH) 2 und Pb(CH 3 COO) 2 • 2 P b ( O H ) 2 , deren wässerige Lösungen als ,,Bleiessig" bezeichnet werden. Blei(II)-oxyd PbO wird technisch durch Oxydation von geschmolzenem B l e i durch darüber geblasene L u f t dargestellt: P b + 1 / 2 0 2 — > - PbO. E s schmilzt bei 884° und siedet bei 1470°. Geschmolzenes Bleioxyd ist rot und erstarrt beim Erkalten zu einer rotgelben, kristallin-blätterigen Masse {„Bleiglätte"). E s kommt im festen Zustande sowohl in g e l b e n rhombischen wie in r o t e n tetragonalen Kristallen vor. Der Umwandlungspunkt liegt bei 488°: 4g8> PbOrot ^

t . PbOgelb.

Die bei gewöhnlicher Temperatur s t a b i l e Modifikation ist die r o t e . Jedoch läßt sich auch die gelbe Modifikation unterhalb des Umwandlungspunktes als m e t a s t a b i l e Verbindung erhalten, da die Umwandlungsgeschwindigkeit gering ist. E r w ä r m t man z. B. Bleicarbonat oder Bleinitrat vorsichtig, so erhält man das Blei(II)-oxyd als gelbes zartes Pulver („Massicot"): P b C 0 3 —>- PbO + C 0 2 . E s wurde früher als Farbe benutzt. Bei längerem Kochen mit Wasser wandelt sich das gelbe Oxyd in das rote um, da letzteres als stabile Modifikation in Wasser schwerer löslich als das gelbe ist, so daß die mit g e l b e m Oxyd g e s ä t t i g t e wässerige Lösung in bezug auf das r o t e Oxyd ü b e r s ä t t i g t ist. In Säuren löst sich Bleioxyd leicht unter Salzbildung. I n Natronlauge — außer in sehr konzentrierter — ist es nur wenig löslich. Blei(II)-bydroxyd Pb(OH)» fällt beim Versetzen von B l e i ( I I ) - s a l z - l ö s u n g e n mit A l k a l i als weißer Niederschlag aus: P b " + 2 0 H ' — > - P b ( 0 H ) 2 . Es ist in Wasser etwas löslich; die wässerige Lösung bläut rotes Lackmuspapier, zeigt also alkalische Reaktion: Pb(OH) 2 z^zt: Pb(OH)' + OH'. Die Dissoziationskonstante entspricht etwa der des Ammoniaks. Als B a s e löst sich Bleihydroxyd leicht in S ä u r e n unter Salzbildung.

Das Blei

361

Wesentlich s c h w ä c h e r ausgeprägt ist der s a u r e Charakter des Blei(II)-hydroxyds: Pb(OH) 2 + H Ö H Pb(OH) 3 ' + H ' . Daher ist Blei(II)-hydroxyd nur in k o n z e n t r i e r t e n Laugen unter Bildung von Plumbiten löslich: Pb(OH) 2 + OH' —>- Pb(OH) 3 ' (vgl. Stannite, S. 354). B e i m E n t w ä s s e r n g e h t B l e i h y d r o x y d i n B l e i o x y d ü b e r :Pb(OH) 2 —>- PbO + H 2 0 . Nimmt man die Entwässerung bei 100° vor, so erhält man rotes Bleioxyd; bei niederer Temperatur dagegen entsteht metastabiles gelbes Bleioxyd. Blei (II)-Sulfid PbS kommt in der Natur in großen Mengen als Bleiglanz (Galenit) — oft in großen, bleigrauen, metallglänzenden, leicht spaltbaren, regulären Kristallen (Würfel, Oktaeder) — vor. Als schwerlösliche Verbindung fällt P b S beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in B l e i ( I I ) - s a l z - l ö s u n g e n als schwarzer Niederschlag a u s : P b " + S" — P b S . Die Reaktion ist sehr empfindlich, so daß selbst Spuren von Blei in Wasser durch die Dunkelfärbung mit Schwefelwasserstoff erkannt werden können. Bleisulfid schmilzt bei 1112°, sublimiert aber schon unterhalb dieser Temperatur verhältnismäßig gut. Daher setzen sich in den zur Darstellung des Bleis dienenden Bleischachtöfen stets größere Mengen sublimierten Bleisulfids ab.

c) Blei(IV)-Verbindungen Bleiwasserstoff PbH 4 („Plumban") entsteht in geringen Mengen bei der Einwirkung von kathodisch entwickeltem (atomarem) W a s s e r s t o f f auf zerstäubtes B l e i : P b + 4 H —>• PbH 4 . Leitet man das — zur Hauptsache aus Wasserstoff bestehende — gasförmige Reaktionsprodukt durch ein erhitztes Rohr, so scheidet sich ein B l e i s p i e g e l ab (vgl. S. 574 und II, S. 111). Blei(IY)-Chlorid PbCl^ ist eine unbeständige, gelbe, schwere, an feuchter L u f t rauchende Flüssigkeit (Sdp. etwa 150°), die bei etwa —15° zu einer gelblichen, kristallinen Masse erstarrt und leicht unter Abspaltung von Chlor und Bildung von Blei(II)-chlorid zerfällt: PbCl4 PbCl2 + Cl2. Umgekehrt kann Blei(II)-chlorid auch unter Bildung von Blei(IV)-chlorid Chlor auf nehmen. Auf diesem Wege stellt man Blei(IV)-chlorid her. Man verfährt dazu zweckmäßig so, daß man in eine Suspension von B l e i ( I I ) - c h l o r i d in rauchender Salzsäure unter Eiskühlung C h l o r einleitet; die Salzsäure drängt dabei die sonst leicht eintretende Hydrolyse des gebildeten Blei(IV)-chlorids: PbCl 4 + 2H a O P b 0 2 + 4HC1 zurück. Wegen der Zersetzlichkeit des Blei(IV)-chlorids kann letzteres aus der erhaltenen salzsauren Lösung nicht direkt isoliert werden, sondern muß durch Zusatz von Ammoniumchlorid als zitronengelbes, beständiges Ammonium-hexachloro-plumbat (NH 4 ) 2 [PbCl 6 ] abgeschieden werden, das sich beim Eintragen in gekühlte konzentrierte Schwefelsäure unter Bildung des gewünschten Blei(IV)-chlorids zersetzt: (NH4)2[PbCl6] . + H ' s o ' >. H2PbCl6 >- 2 HCl + PbCl4. Das in konzentrierter Schwefelsäure unlösliche Blei(IV)-chlorid scheidet sich dabei als schwere, gelbe, stark lichtbrechende Flüssigkeit ab. Die vom Blei(IV)-chlorid abgeleiteten, den Hexachloro-stannaten entsprechenden Hexachloro-plumbate Me|[PbCl 6 ] sind wesentlich beständiger als das freie Blei(IV)chlorid. Blei(IV)-bromid und Blei(IV)-jodid sind nur in Form solcher Hexahalogenoplumbate bekannt. Blei(IY)-Sulfat Pb(S0,- Pb(OH)4

+20H

' > [Pb(OH),]".

Außer diesen Hexahydroxo-plumbaten MeJ[Pb(0H) 6 ] = Me*Pb0 3 • 3 H^O gibt es auch die wasserfreien Verbindungen Me£PbO s („Metaplumbate") und die höherbasigen „Orthofilumbate" MeJPb0 4 . Ein wichtiges Orthoplumbat ist z. B. die Mennige. Mennige Pb 3 0 4 kann als ein Blei(II)-orthoplumbat P b 2 [ P b 0 4 ] , d.h. ein B l e i (II) - s a l z der den Orthoplumbaten zugrunde liegenden O r t h o b l e i s ä u r e H 4 P b 0 4 = P b ( 0 H ) 4 aufgefaßt werden. Sie entsteht als leuchtend rotes Pulver beim Erhitzen von feinverteiltem B l e i o x y d an der L u f t auf etwa 500°: 3PbO + 1 / 2 0 2 P b 3 0 4 . Als Ausgangsmaterial eignet sich besonders das lockere gelbe Massicot (S. 360). Die Mennige wird im Gemisch mit Leinöl in ausgedehntem Maße zum Schutzanstrich von Eisen gegen Rosten verwendet (vgl. S. 534). Beim Erhitzen färbt sie sich dunkel; beim Erkalten kehrt die ursprüngliche Farbe wieder zurück. Oberhalb von 550° zersetzt sich die Mennige unter Sauerstoffabspaltung. Durch Salpetersäure wird sie als Blei(II)-salz der Orthobleisäure in Blei(II)-nitrat und Bleidioxyd, das Anhydrid der Bleisäure, zerlegt: Pb 2 [Pb0 4 ] + 4HNO, > 2Pb(N0 3 ) 2 + Pb0 2 + 2HaO.

Das Blei

363

d) Der Bleiakkumulator Unter einem „Akkumulator" versteht man eine Vorrichtung zur A u f s p e i c h e r u n g 1 v o n e l e k t r i s c h e r E n e r g i e . Bei der „Ladung" eines Akkumulators wird durch Zufuhr elektrischer Energie ein chemischer Vorgang erzwungen und so die zugeführte e l e k t r i s c h e E n e r g i e in Form der c h e m i s c h e n E n e r g i e der entstehenden energiereicheren Reaktionsprodukte gespeichert. Bei der „EntElektronenstrom ladung'" spielt sich der chemische Vorgang in umgekehrter Richtung ab, wobei die gespeicherte chemische Energie wieder in Form von elektrischer Energie frei wird. Der gebräuchlichste Akkumulator ist der „Bleiakkumulator". E r besteht im geladenen Zustande aas zwei in 20—30°/ 0 ige (21/2—4 molare) Schwefelsäure (spez. Gew. 1.15—1.22) eintauchenden gitterförmigen Bleigerüsten, von denen das eine mit schwammförmigem B l e i , das andere mit B l e i d i o x y d ausgefüllt ist. Verbindet man die beiden Elektrodenplatten leitend Fig. 114. miteinander, so fließt wegen der vorhandenen Span- Schema des Bleiakkumulators nung von etwa 2 Volt ein Elektronenstrom vom Blei zum Bleidioxyd (Fig. 114), wobei sich die folgenden chemischen Vorgänge abspielen: +0

+2

Pb + S 0 4 " -
B
- (BH3)2 + 6 HBr. B 4 H , 0 und die höheren Borwasserstoffe lassen sich durch Zersetzung von M a g n e s i u m b o r i d mit S ä u r e n oder mit besserer Ausbeute durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g von B 2 H 6 gewinnen. Bei der thermischen Zersetzung von Borwasserstoffen spielen Wasserstoffabspaltungen gemäß dem Schema: I NB—H„—b/H TT XN b / ' ~ H H

(2 BH 3 )

^

H \ B — B / H + H, TT/ \TT N H H /

(6)

(B 2 H 4 )

Das Monoborin BH 3 ist ja — vgl. (1) — nach Betätigung e i n e r Resonanz -Brückenbindung bereits koordinativ gesättigt. 2 Erst vom F ü n f e r - R i n g ab ist wegen der Tetraederrichtung der Valenzen (S. 152f.) ein praktisch spannungsfreier Ringschluß möglich (vgl. II, S. 170). 3 Die maximale Koordinationszahl (S. 159) des B o r s ist gleich 4. Beim A l u m i n i u m , dessen maximale Koordinationszahl 6 beträgt, ist die Betätigung mehrerer Resonanz-Brückenbindungen und damit die Bildung hochmolekularer A1H3-Aggregate möglich (S. 387f.). 1

369

Das Bor

eine Rolle, bei welchen aus niederen Borinen (z. B. BH 3 ) höhere ( z . B . B 2 H 4 ) entstehen, die dann gemäß (4) und (5) zu höhermolekularen Polyboranen zusammentreten (vgl. S. 371f.). So läßt sich beispielsweise B 2 H , je nach der Art der thermischen Behandlung nach Belieben bevorzugt in B 4 H I 0 , B 5 H e , B 5 H. u , J3 e H 10 , B 1 0 H 1 4 oder einen hochmolekularen, festen, braunen, nichtflüchtigen Borwasserstoff der Bruttozusammensetzung B H überführen: H H H H \n

B

/x

B

\x

I

B

\X

B

/

B

\

H

B

\x

/

B

\

H

//

\

B

Hj

I

B

/

H

B

\

/

!

H2

I

B

B

I

H2

I

\

/ BX

I

H2

I

B

/

x

I

H2 /

B

(7)

I

B

/

B

\

H

dessen Grundkomponente ein besonders langgliedriges Borin B 0 0 H 0 0 + 2 = ( B H ) ^ ist.

Physikalische Eigenschaften. Alle Borwasserstoffe, mit Ausnahme der nichtflüchtigen hochmolekularen Glieder, besitzen einen eigentümlich widerlichen, Kopfschmerzen und Übelkeit verursachenden Geruch. Schmelz- und Siedepunkte gehen aus folgender Tabelle hervor: BnHn + 4

BnHn+6

Farbloses Gas Smp. - 1 6 4 . 8 6 ° ; Sdp. - 9 2 . 8 4 °

n =

2

n =

4

n =

5

Farblose Flüssigkeit Smp. - 4 6 . 6 ° ; Sdp. + 60.1°

Farblose Flüssigkeit Smp. - 123.2°; Sdp. + 65.0°

n =

6

Farblose Flüssigkeit Smp. - 6 5 . 1 ° ; Sdp. + 94.0°

Farblose Flüssigkeit 1 Smp. 90°

n = 10

-

Farbloses Gas Smp. - 1 2 0 . 8 ° ; Sdp. + 1 6 . 0 °

-

Farblose Kristalle Smp. 99.3°; Sdp. 213.0°

-

Chemische Eigenschaften. Die chemischen Reaktionen der B o r a n e werden durch die Eigenschaften der Borin-Komponenten bedingt und gleichen daher weitgehend den Umsetzungen anderer Verbindungen des dreiwertigen Bors, etwa der Borhalogenide (S. 372ff.). Anlagerungsreaktionen. Als koordinativ ungesättigte Gebilde streben die BorinMoleküle B H 3 wie die Moleküle der Borhalogenide B X 3 danach, durch Anlagerung anderer Moleküle die maximale Koordinationszahl 4 zu erreichen. Hierfür stehen zwei Wege zur Verfügung, j e nachdem der Reaktionspartner freie Elektronenpaare oder Elektronenlücken aufweist. I m e r s t e r e n Fall (Einwirkung von Verbindungen der 5., 6. und 7. Gruppe des Periodensystems) erfolgt die Anlagerung unter Ausbildung einer n o r m a l e n k o o r d i n a t i v e n B i n d u n g (S. 157f.): H

R

H:B+:N:R

H

? ® >

R

H:B:N:R,

HR

indem das freie Elektronenpaar des Reaktionspartners das Elektronensextett des Borins zu einer Achtersehale ergänzt. Diesem Anlagerungsmechanismus entsprechen z. B . die Verbindungen B H 3 - N R 3 (Smp. 94°, Sdp. 171°), B H 3 C O (Smp. - 1 3 7 . 0 ° , Sdp. - 6 4 ° ) . 1

Vgl. Anmerkung 3 auf S. 367.

H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 3 7 . - 3 9 . Auf!.

24

Die Borgruppe

370

B H 3 - O R 2 (nur bei tiefen Temperaturen beständig), BH 3 • P f i 3 (sublimierbare weiße Substanz), B H 3 - N H 3 (Smp. ~ 90°), B H 3 - N C R (weiße feste Substanz), BH 3 -NC ä H(Smp. 11°), [BH 3 -H]Li (Smp. 278°), die bei der Umsetzung von Diboran mit Trimethylamin NR 3 , Kohlenoxyd CO, Methyläther R 2 0 , Phosphin PH 3 , Ammoniak NH 3 , Methylcyanid RCN, Pyridin C 5 H 5 N und Lithiumhydrid LiH gebildet werden: (BH3)2 + 2NRS 2BiI 3 .NB 3 . (9) Besitzt der Reaktionspartner keine freien Elektronenpaare, sondern umgekehrt E l e k t r o n e n l ü c k e n (Einwirkung von Verbindungen der 3. und 2. Gruppe des Periodensystems), so erfolgt die gegenseitige Bindung der Moleküle wie bei der Vereinigung zweier BH 3 -Moleküle (1) durch R e s o n a n z - B r ü c k e n b i n d u n g e n . Fälle dieser Art sind etwa die Verbindungen B e H 2 - 2 B H 3 (S. 402), BeH 2 • BH 3 (S. 402), MgH 2 • 2 BH 3 (S. 405), A1H 3 -3BH 3 (S. 388), GaH 3 • 3 B H 3 (S. 398), ZnH 2 • BH 3 (S. 475), TiH 3 • 3 BH 3 , ZrH 4 • 4 B H 3 (Smp. 28.7°, Sdp. 123°), HfH 4 - 4 B H 3 (Smp. 29.0°, Sdp. 118°), ThH 4 - 4 BH S (Smp. 203°), UH 3 • 3 BH 3 , UH 4 • 4 BH 3 (Smp. 126°), NpH 4 • 4 BH 3 und PuH s • 3 B H S : >BBe
B< , (10) \TT die bei der Einwirkung von Diboran auf Berylliumwasserstoff BeH 2 , Aluminiumwasserstoff A1H3, Gallium Wasserstoff GaH 3 , Zinkwasserstoff ZnH 2 usw. entstehen („Boranate"): BeBLj + (BH3)2 >- Be(BH1)a. (11) Substitutionsreaktionen. Auch die S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n der Borwasserstoffe verlaufen auf dem Wege über die vorstehend beschriebenen Additionsverbindungen der Borine, indem die primär gebildeten Addukte sekundär unter Bildung von Substitutionsverbindungen des Ausgangsstoffs zersetzt werden, die erneut in Reaktion treten können usw. Die Einwirkung von Verbindungen mit f r e i e n E l e k t r o n e n p a a r e n (z. B . von Wasserstoffverbindungen der 5., 6. und 7. Gruppe des Periodensystems) erfolgt somit gemäß dem Schema: H H HH HE H:B + : N : H ——>• H : B : N : H — H:B:N:H+H:H, (12) H H HH wobei über abwechselnde Additions- und Substitutionsprodukte hinweg unter Wasserstoffentwicklung letztlich ein Übergang des Borins BH 3 in ein trisubstituiertes Derivat B X 3 ( X = Cl, OH, OR, NH 2 , NHR, N R 2 usw.) stattfindet: B H a ^ ^ - BH 3 -HX r —V

BH 2 X-HX — ^ B i l X 2 — B H X , - H X — V B X . V

Die A n l a g e r u n g s f r e u d i g k e i t (Teilreaktion 12, I) nimmt von der 7. zur 5. Gruppe des Periodensystems, also vom C h l o r (HCl) zum S t i c k s t o f f (NH 3 ) hin zu. Die N e i g u n g z u r W a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g (Teilreaktion 12, I I ) steigt in u m g e k e h r t e r Richtung vom Stickstoff zum Chlor hin. Dementsprechend zeigt das Diboran gegenüber W a s s e r ein Maximum der Zersetzlichkeit gemäß (13) (leichte Anlagerung, leichte Wasserstoffabspaltung), so daß hier die Zwischenverbindungen der Reaktionsreihe (13) nicht faßbar sind und eine schnelle Hydrolyse zu Borsäure B(OH) 3 erfolgt. Demgegenüber bleibt die Reaktion (13) beim A m m o n i a k (große Neigung zur Anlagerung, geringe Tendenz zur Wasserstoffabspaltung) unter gewöhnlichen Bedingungen (Zimmertemperatur) bei der Primärstufe BH 3 -NH 3 stehen und läßt sich erst bei erhöhter Temperatur weiterführen 1 , während beim C h l o r w a s s e r s t o f f (erschwerte Anlagerung, große Neigung zur Wasserstoffabspaltung) die Umsetzung (13) nur bei Gegenwart von 1

Beim Erhitzen für sich geht BH3-NH3 in „anorganisches Benzol" über (vgl. S. 377f.).

Das Bor

371

Katalysatoren genügend schnell verläuft und sofort zu den Substitutionsprodukten führt, ohne daß vorausgehende Additionsverbindungen nachweisbar wären. Die bei Vermeidung eines HX-Überschusses gewinnbaren Substitutionsglieder BH.2X und B H X , der Reaktionsreihe (13) zeigen in der Richtung vom Stickstoff (X = NH 2 , NHR, NR 2 ) zum Chlor ( X = Cl) hin zunehmende Neigung zur D i s p r o p o r t i o n i e r u n g nach 3BH2X ; * 2BH 3 + B X 3 3BHXü BH s + 2 B X 3 und zur Ausbildung von R e s o n a n z - W a s s e r s t o f f b r ü c k e n gemäß

V X

x

H

/

H

-H/

\X

So sind beispielsweise die S t i c k s t off Verbindungen BH S (NR,) und BH(NR 2 ) 2 beständig, während eine Reindarstellung der entsprechenden (dimeren) Chlorverbindungen (BH2C1)2 und (BHC12)2 wegen der raschen Disproportionierung in (BH 3 ) 2 und BC13 unmöglich ist 1 und die S a u e r s t o f f verbindungen BH^OR) (polymer) und BH(OR) s (monomer, Smp. — 130.6°, Sdp. + 26°) eine Mittelstellung einnehmen, indem sie zwar isolierbar sind, aber leicht in (BH 3 ) 2 und B ( 0 R ) 3 übergehen.

In analoger Weise führen die bei der Einwirkung von Verbindungen mit E l e k t r o n e n l ü c k e n (z. B. von Alkylverbindungen der 2. oder 3. Gruppe des Periodensystems) stattfindenden Substitutionsreaktionen über Anlagerungsverbindungen, indem hier die Substitutionen nach dem Schema w

/H >B/ +

/R /Al< R/ \R

HV >BA1< X R H/ -R/

»

Hv /R >BA1< XR-' H/ \R

Hv H\ /R >BV + \A1< x R x R H/

t

usw. verlaufen. Die Umsetzung eignet sich zur Methylierung des Diborans mittels Bormethyl2 (BH 3 + B R 3 BH 2 R + BR 2 H) sowie zur Gewinnung von Wasserstoffverbindungen der Elemente der 2. und 3. Gruppe des Periodensystems mittels Diboran (vgl. S. 388, 398, 402, 475). Oxydations- und Reduktionsreaktionen. Unter den Oxydations- und Reduktionsreaktionen der Borwasserstoffe sind die thermischen Dehydrierungen und die Reduktionen durch Alkali- und Erdalkalimetalle erwähnenswert. Dehydrierungen. Erhitzt man die Borwasserstoffe auf höhere Temperaturen, so finden nach dem Schema (6) Dehydrierungen statt, bei welchen höhergliedrige Borine gebildet werden, deren Vereinigung Polyboran-Resonanzmoleküle des Typus (1) ergibt. So kann man in einfacher Weise niedere Borwasserstoffe in höhere, beispielsweise B 2 H 6 (bei 115°) in B 6 H n oder B ä H n (bei 250°) in B 10 H 14 umwandeln: H

H

H

H

HB'Hl' \ B / H H

H

NBH H

HB/ H

\ B / H

H HBvr

H ti^BH

H HBv

H /B.

H /B.

H H 2 BsHn (Pentaboran)

H

\ßH H

H H 2 BjH 7 (Pentaborin)

H ,BH

HB/ I —y Ha HB.

\ ß / I H2 I I /B.

\ßH I H2 I .BH

H

H B 1( |H u (Dekaboran)

Lediglich die Kombinationen BHJ-BHJX sind kurze Zeit haltbar: Sdp. 1 8 m m — 78.5°), B H a - B H Ä B R (Smp. — 104», Sdp. ~ 10°), — 110», Sdp. 7 8 m m 0°). 2 Die Methylderivate des Borins treten wie das Grundborin nicht in sondern nur in Form dimerer Resonanzmoleküle (1) auf: BH 3 -BH 2 R 1

— 142»,

H

BH^BHjCl (Smp. B H 3 - B H J J (Smp. monomerer Form, ( — 78.5° - Tension

5 5 m m ) , B H j R - B H j R ( S m p . — 1 2 4 . 9 " , Sdp. + 4 . 9 ° ) , B H 3 - B H R 2 ( S m p . — 150.2», Sdp. - 2,6°), ( S m p . — 122.9», Sdp. + 45.5°), B H R , . B H R 2 ( S m p . — 72.5», Sdp. + 68.6»).

24*

Die Borgruppe

372

Die Dehydrierung wird erleichtert, wenn das bei der H 2 -Abspaltung entstehende, koordinativ ungesättigte Borin die Möglichkeit zu stabiler Absättigung vorfindet. So geht das Diboran B 2 H a bei der Einwirkung von K a l i u m h y d r o x y d schon bei Zimmertemperatur unter Wasserstoffentwicklung in Kalium-dihydroxo-diboranat (,,Kalium-hypoborat") K 2 [B 2 H 4 (OH) 2 ] über, indem das gemäß (6) entstehende Diborin B 2 H 4 durch Anlagerung zweier Hydroxylgruppen stabilisiert wird: HE H H H:Ö: + B : B + :Ö:H

>• H:Ö: B : B : Ö : H

H H H H [OH]" B2H4 [OH]" [BaH4(OH)2] R e d u k t i o n e n . L ä ß t man auf Diboran K a l i u m (in Form von Kaliumamalgam) einwirken, so geht unter Aufnahme zweier Kaliumatome durch das B 2 H 6 -Molekül die R e s o n a n z - B r ü c k e n b i n d u n g (1) in eine e c h t e K o v a l e n z über, indem die zwei Kaliumatome die hierfür erforderlichen beiden zusätzlichen Elektronen beisteuern: "" H H " K+

H:B : B : H H H

K+ .

Die Verbindung (,,Kalium-diboranat") ist thermisch sehr beständig und kann durch Erhitzen auf gegen 400° unzersetzt sublimiert werden. I n wässeriger Lösung unterliegt sie hydrolytischer Zersetzung, wobei unter Wasserstoffentwicklung letztlich Borsäure entsteht. Das B 2 H „ - - - i o n ist wie das N 2 H 6 ++-ion der Hydrazoniumsalze (vgl. S. 230) mit dem Äthan C 2 H 0 isoster. I n analoger Weise ist das BH 4 _ -ion der Alkali-monoboranateMe 1 [BH 4 ] (z. B. des „Lithiumboranats" LiBH 4 ; vgl. S. 370) wie dasNH 4 + -ion der Ammoniumsalze ein Isosteres des Methans CH 4 .

c) Halogenverbindungen des Bors Borfluorid BF3 entsteht analog Siliciumfluorid (S. 322) beim Erhitzen von B o r t r i o x y d mit F l u ß s p a t und konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e . Aus den beiden letzteren entsteht dabei zunächst Fluorwasserstoff (CaF 2 -f- H 2 S 0 4 —>- CaS0 4 + 2 H F ) , welcher dann unter der wasserentziehenden Wirkung der konzentrierten Schwefelsäure fluorierend auf das Bortrioxyd einwirkt: B 2 0 3 + 6 HF >- 2BF 3 -f 3H 2 0. Borfluorid ist ein farbloses, erstickend riechendes Gas (Schmelzpunkt —127.1°, Siedepunkt — 101°). Durch Wasser wird es unter Bildung von Borsäure und Fluoborsäure zerlegt: - B(OH)3 -f- 3HF (1) 3 x HF + BF 3 H[BF 4 ] (2) 4BF 3 + 3HOH B(OH)3 + 3H[BF 4 ], (3) Als Zwischenprodukte der Hydrolyse (1) können Anlagerungsverbindungen von Borfluorid und Wasser isoliert werden: B F 3 - H 2 0 und B F 3 - 2 H 2 0 (s. S. 373). Die durch Zusammentritt von Borfluorid und Fluorwasserstoff gemäß (2) entstehende und in Umkehrung von (1) technisch durch Einwirkung von Flußsäure auf Borsäure gemäß B(OH) 3 + 4 H F — H [BF 4 ] + 3 H 2 0 gewinnbare (s. unten) Fluoborsäure H[BFJ ist eine s t a r k e S ä u r e , welche nur in w ä s s e r i g e r L ö s u n g , nicht dagegen in f r e i e m Z u s t a n d e bekannt ist. Ihre Salze, die Fluoborate, lassen sich durch Auflösen der betreffenden Metalloxyde, -hydroxyde oder -carbonate in wässeriger Fluoborsäure darstellen und zeigen hinsichtlich ihrer L ö s l i c h k e i t weitgehende Analogie mit den P e r c h l o r a t e n . Hierin äußert sich der analoge Aufbau von Perchlorat- (a) und Fluoborat-ion (d):

Das Bor : 0:

"

t

: 0:

: F :

: 0 :S:F :

: Ö:P: F :

:F:B:F:

:Ö :

' : F:"

: F:

(b)

(0)

(d)

: 0 :

: Ö: Cl: 0 :

373

" : Ö: (a)

"

'

"

Gleiches gilt auch vom isosteren F l u o s u l f a t - (b) und F l u o p h o s p h a t - i o n (c) (vgl. S. 264).

In wässeriger Lösung ist die Fluoborsäure H [ B F 4 ] gemäß H [ B F J + HaO;=tH[BF3(OH)] + HF teilweise hydrolysiert, wobei das Gleichgewicht auf der linken Seite liegt (K -•- 2.3- 10~ a bei 25°). Die dabei gebildete Oxy-fluoborsäure H [ B F 3 ( O H ) ] = B F 3 - H. 2 0 ist ebenfalls eine starke Säure, wenn auch nicht ganz so stark wie H [ B F 4 ] , Sie läßt sich wasserfrei als farblose, ölige Flüssigkeit (Smp. 6.0°) isolieren, lagert weiteres Wasser unter Bildung einer farblosen flüssigen Hydroniumverbindung H 3 0 [ B F 3 ( 0 H ) ] = B F 3 • 2 H 2 0 (Smp. 6.2°, Sdp. unter 1.2 mm Druck 60°) an: F. + / H F—B—O F

/

OH 2 -
-

I- 4 H 3 B 0 3 + 2Na\ Reine Borsäure B(OH) 3 kristallisiert in schuppigen, weißglänzenden, durchscheinenden, sich fettig anfühlenden, sechsseitigen Blättchen vom spezifischen Gewicht 1.46. Sie bildet im Einklang mit der schuppigen Ausbildung ihrer Kristalle ein S c h i c h t e n g i t t e r , dessen einzelne Ebenen unter Mitwirkung von Wasserstoffbrücken (S. 223) gemäß dem Schema 1 : H H H H°\

/

b

I Ü

H

0

H

H0/ H

B

Zustandekommen.

H

0

I B

\

0

\

H H

b

/°H

I 0

H

/ H 0

0

H\

B

I

\

I

B

0

0

H

B

o/ \oH H

0

H

/

0

HWH H

oH 0 \ b / 0 h o h ° \ b / 0

0/ \oH H

0

H

o/ H

O B

\oH

1 Zur besseren Übersicht sind die einzelnen B(OH)3-Moleküle abwechselnd fett und nicht fett gedruckt.

Das Bor

375

In kaltem Wasser ist Borsäure nur schwer löslich (19.5 g/1 bei 0°, 39.9 g/1 bei 20°); die Lösung wird als schwaches Antiseptikum verwendet („Borwasser"). Beim Erhitzen geht die Borsäure (,,Orthoborsäure") H 3 B 0 3 unter Wasserabspaltung zunächst in „Metaborsäure" H B 0 2 (s. unten) und dann in glasiges, wasserhaltiges Bortrioxyd B 2 0 3 über: 2 H 3 B 0 3 ^ 5 i V 2HB02 — B 2 0 3 . Die Borsäure ist eine s e h r s c h w a c h e S ä u r e . Ihre Dissoziationskonatanten betragen bei Zimmertemperatur: Kx = 6 XlCh 10 , = 2 XlO" 1 3 , Kz = 2 XlO" 1 4 . Dementsprechend sind bereits die p r i m ä r e n Salze der Borsäure s t a r k h y d r o l y t i s c h g e s p a l t e n , während s e k u n d ä r e und t e r t i ä r e Salze aus wässeriger Lösung überhaupt nicht darstellbar sind. Durch Zusatz m e h r w e r t i g e r A l k o h o l e (II, S. 150ff.) wie Mannit kann die Borsäure in k o m p l e x e S ä u r e n von der Stärke etwa der Essigsäure übergeführt werden: >C—Ox

>C—OiH+HOiv /iOH + HjO—C< I i !>B/' | >C—OiH HO':/ HO—C
0—0/

Diese Eigenschaft benutzt man zur a l k a l i m e t r i s c h e n T i t r a t i o n von B o r s ä u r e . Von titrationsstörenden Stoffen kann die Borsäure dabei leicht durch Abdestillieren als B o r s ä u r e m e t h y l e s t e r B(OCH 3 ) 3 (Sdp. 68.7°) abgetrennt werden, indem man die borsäurehaltige Substanz mit Methylalkohol CH3OH bei Gegenwart von konzentrierter Schwefelsäure als wasserentziehendem Mittel erhitzt: B(OH) 3 + 3CH 3 OH —>- B(OCH 3 ) 3 + 3 H 2 0 . Die G r ü n f ä r b u n g , die dieser Borsäuremethylester der brennenden Alkoholflamme erteilt, dient zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s von B o r . Die S a l z e der Borsäure („Borate") leiten sich nicht nur von der O r t h o s ä u r e H 3 B 0 3 (,,Orthoborate") und M e t a s ä u r e H B 0 2 („Metaborate"), sondern auch von w a s s e r ä r m e r e n „Polyborsäuren" der Zusammensetzung H n _ 2 B n 0 2 n _ 1 = n H 3 B 0 3 — (n + 1) H 2 0 ab, die als freie Säuren nicht nachweisbar sind. Den M e t a b o r a t e n [Me I B0 2 ] D liegt das durch Wasserabspaltung aus der Orthoborsäure gemäß dem Schema OH

OH

HO;—B—OjH + HO - B—O H

zustandekommende Molekül der Metaborsäure 1 : OH

OH

OH

OH

I I I I —B—O—B—0—B—O—B—O— zugrunde, das bei geringer Kettenlänge (n z. B. = 3) zu einem Ring geschlossen ist (Beispiel: Natrium-metaborat), bei großem n (n = oo) als offene Kette vorliegt 2 (Beispiel : Calciummetaborat): 0 1 B \ / / 0 N)

O

0 O I I — B — O — B — 0 — B — O — B — O —I B — 0 —

O—B v A',—0 NX

[B0 2 '] 3 -Ion des Natrium-metaborats NaBO,

O 3

O

[BOj']a>-Ion des Calcium-metaborats CaB 2 0 4

Das Kettenmolekül ist natürlich entsprechend den Tetraederwinkeln der Valenzen gewinkelt. Vgl. hierzu die analogen Verhältnisse bei den Metaphosphaten (S. 268f.) und Metas i l i c a t e n (S. 325f.). 3 Der B 3 0 3 X 3 - B i n g (,,Boroxol"-~Rmg) ist auch in Form anderer Derivate, z. B. von Alkylund Aryl-, von Halogen- und von Alkoxy- und Alkamino-Verbindungen bekannt: 1 2

Die Borgruppe

376

Beispiele f ü r „Polyborate" sind die auf S. 366 genannten Bormineralien. Ihnen kommen kompliziertere Molekularstrukturen zu. Das technisch wichtigste Borat ist der Borax Na2B407-10H20. Borax NagBiOi • 10 H 3 0 wurde früher unter dem Namen Tinkai aus Tibet in großer Menge nach Europa eingeführt. Heute wird die weitaus überwiegende Menge Borax aus K e r n i t Na 2 B 4 0 7 • 4 H 2 0 (Lösen in heißem Wasser unter Druck und Auskristallisierenlassen) oder aus C a l c i u m b o r a t e n (vgl. S. 374) gewonnen. Borax bildet in reinem Zustande große, farblose, durchsichtige, an trockener L u f t oberflächlich verwitternde Kristalle, welche beim Erhitzen auf 350—400° in wasserfreies Natriumtetraborat Na 2 B 4 0 7 (Smp. 878°) übergehen. Die glasartige Schmelze des Tetraborats vermag viele Metalloxyde unter Bildung charakteristisch gefärbter Borate aufzulösen. Hiervon macht man in der analytischen Chemie zum N a c h w e i s v o n M e t a l l o x y d e n (vgl. S. 267) Gebrauch („Boraxperle"). Auch die Verwendung von Borax beim L ö t e n beruht auf dieser Boratbildung, indem der Borax in der Hitze die Oxydhaut der zu lötenden Metalle beseitigt und so eine saubere Oberfläche schafft. Große Mengen Borax werden zur Herstellung leichtschmelzender G l a s u r e n für Steingut- und Porzellanwaren und Blechgeschirre {„Emaille"), sowie in der W ä s c h e r e i („Kaiserborax") verbraucht. Weiterhin dient er zur Herstellung besonderer Glassorten, z. B. von o p t i s c h e n G l ä s e r n , sowie als Ausgangsmaterial für die Gewinnung von „Perboraten". Perborate. Die „Perborate" des Handels sind keine echten — d. h. Peroxygruppen — 0 — 0 — enthaltende — P e r o x y V e r b i n d u n g e n , sondern A d d i t i o n s p r o d u k t e von W a s s e r s t o f f p e r o x y d und gewöhnlichen B o r a t e n . Die bekanntesten derartigen Perborate sind „Natriumperborat" N a B 0 2 • H 2 0 2 • 3 H 2 0 und „Perborax" Na 2 B 4 0 7 • H202 • 9H20. N a t r i u m p e r b o r a t wird durch Zugabe von W a s s e r s t o f f p e r o x y d zu einer äquimolekularen Borsäure-Natronlauge-Mischung ( N a t r i u m - m e t a b o r a t - l ö s u n g ) gewonnen : H 3 B0 3 + NaOH + H 2 0 2

NaB0 2 -H 2 0 2 + 2H 2 0.

P e r b o r a x entsteht bei der Einwirkung von 1 Mol N a t r i u m p e r o x y d auf 4 Mol Borsäure: 4H 3 B0 3 + Na 2 0 2

>- Na 2 B 4 0 7 • H 2 0 2 + 5H 2 0

und kann durch Umkristallisieren aus Wasser in Natriumperborat N a B 0 2 • H 2 0 2 übergeführt werden (Na 2 B 4 0 7 • H 2 0 2 + 3 H 2 0 — > N a B 0 2 • H 2 0 2 + N a B 0 2 + 2 H 3 B 0 3 ) . Alle modernen W a s c h - und B l e i c h m i t t e l für Wolle, Seide, Stroh, Elfenbein und viele andere Stoffe enthalten P e r b o r a t e . „Persil" ist z. B. ein Gemisch von Seife, Soda und Natriumperborat (bzw. -percarbonat). Auch in der K o s m e t i k (als Bleichmittel f ü r Haare) und als D e s i n f e k t i o n s m i t t e l (z. B. in Zahnpasten) finden Perborate vielfach Verwendung. I m Gemisch mit wasserstoffperoxyd-zersetzenden Stoffen dienen Perborate zur Bereitung von Sauerstoffbädern. g f./ I V "X"R J)v \ 0 /

(X z.B. = CH3, C6H6, F, Cl, Br, OCH3, N(CH3)2). Sie sind ganz allgemein aus Bortrioxyd und den entsprechenden Borinderivaten gewinnbar: B203 + BX3 B 3 0 3 X 3 (Trimethyl-boroxol: Smp. -38°, Sdp. 79.3°; Trimethoxy-boroxol: Smp. ~10°, Sdp. Zers.; Tridimethylamino-boroxol: Smp. 64°, Sdp. 221°). Auch analoge Bor-Schwefel-Ringe B3S3X3 („Borsulfole") sind bekannt, z. B. die trimere Metathioborsäure B3S3(SH)3

(Smp. 144°), das Trichlorbormlfol B3S3CI3, Tribromborsulfol B3S3Br3 (Smp. 134°) und Trijodborsulfol (Smp. 122°), das Trimethoxybc rsulfol B3S3(OR)3 (Smp. 27.5°) und Tris(dimethylamino)borsulfol B3S3(NR2)3 (Smp. 118°).

l>as l>or

377

e) Stickstoff- und Kohlenstoffverbindungen des Bors Bornitrid BN kann bei Weißglut a u s d e n E l e m e n t e n oder besonders rein durch Umsetzung von B o r b r o m i d mit flüssigem A m m o n i a k dargestellt werden, wobei zunächst B o r a m i d , dann B o r i m i d und bei 750° schließlich B o r n i t r i d entsteht: °

+

3

6NHa

~ 3 N H a > B2(NH)3 — ~ N H s

_6HBr 2 B ( N H 2 ) 3

>- 2BN.

Bemerkenswert ist, daß kristallisiertes Bornitrid die g l e i c h e K r i s t a l l s t r u k t u r besitzt wie G r a p h i t (Fig.95, S. 294), indem die eine Hälfte der Kohlenstoffatome ( • ) durch Boratome, die andere Hälfte (O) durch Stickstoffatome ersetzt ist (,,anorganischer 1 Graphit"): I I ! !

\

/

n

B

\

/

x

I / \

\

n

I

B

n

B

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n

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B

/

/

I \

x

/

B

\

A n /\ x A v A x A^/ .

i

i

i

i

i

Borstickstoff (BN) X

Das Bornitrid-Molekül BN ist also h o c h p o l y m e r und baut sich aus wabenförmig vernetzten, kovalent dreiwertigen Bor- und Stickstoffatomen auf. Die Gitterabmessungen sind praktisch die gleichen wie beim Graphit ( B — N - A b s t a n d : 1.45 Ä, Schichtenabstand: 3 35 Ä; entsprechende Abmessungen beim Graphit: 1.42 bzw. 3.35 Ä). Der Ersatz je zweier benachbarter Kohlenstoffatome des Graphitgitters durch ein Stickstoff und Boratom ist elektronentheoretisch deshalb möglich, weil zwei Kohlenstoffatome zusammen ebensoviele Elektronen (4 + 4 = 8) aufweisen wie ein Bor-Stickstoff-Paar (3 + 5 = 8). Graphit und Bornitrid sind also miteinander i s o s t e r 1 (vgl. S. 308). Ein anderes interessantes Beispiel f ü r den Austausch von C—C durch B — N ist das Borazol BJNJH 6 . Borazol wird beim Erhitzen von D i b o r a n und A m m o n i a k (Molverhältnis 1: 2) auf 250—300° in 50 °/ 0 iger Ausbeute erhalten: 3(BH3)2 + 6 NII3 — V 2B 3 N 3 H 6 + 12 H 2 .

Es stellt eine farblose, wasserklare, leichtbewegliche Flüssigkeit von aromatischem Geruch dar, welche bei 55.0° siedet und bei —58.0° erstarrt, und besitzt die Elektronenkonfiguration des B e n z o l s C 6 H 6 (S. 302: vgl. I I , S. 297ff.): H

H

H :N'

N:H

H: B .

. B:H

•'N ' H

H:C '

C:H

H:C

C:H

'•'C ' H

Da seine physikalischen und chemischen Eigenschaften (z. B. Dichte, Verdampfungswärme, Oberflächenspannung, Anlagerungsreaktionen) weitgehend mit denen des 1 Daß das Bornitrid zum Unterschied vom Graphit weiß ist und den elektrischen Strom nicht leitet, hängt damit zusammen, daß die überschüssigen „vierten" Elektronen (S. 294) in diesem Falle nicht beweglich, sondern wegen der Ungleichartigkeit der Gitterpartner als freie Elektronenpaare am Stickstoff fixiert sind.

Die Borgruppe

378

Benzols übereinstimmen 1 , wird es auch als „anorganisches Benzol" bezeichnet. In analoger Weise entsprechen die Eigenschaften der M e t h y l h o m o l o g e n des Borazols denen der isosteren Methyl-benzole. Bei der Darstellung des Borazols aus Diboran (BH3)2 und Ammoniak NH, und der Methylborazole aus Methyl-diboran und Ammoniak bzw. Diboran und Methylamin treten als Zwischen stufen (vgl. S. 370) Verbindungen auf, die mit den A l k a n e n , A l k e n e n und A l k i n e n (S. 301) isoster (S.308) sind und deshalb als „Borazane", „Borazene" und „Borazine" bezeichnet werden: BH 3 + NH 3 —>• BH 3 - - NH 3 Borazan

BH 2 — NH 2 — B H Borazen2

. NH — ( — B H — NH—) 3 .

Borazin

Auch hier treten bemerkenswerte Analogien in den Eigenschaften der isosteren Körperklassen auf.

Borcarbid B4C entsteht beim Erhitzen von B o r oder B o r t r i o x y d mit K o h l e auf etwa 2500° und bildet schwarze, glänzende Kristalle (spez. Gew. 2.52, Smp. 2350°, Sdp. > 3500°), die gegen Kaliumchlorat und Salpetersäure vollkommen beständig sind, mit Chlor und Sauerstoff unterhalb von 1000° nur langsam reagieren und so hart sind, daß sie selbst Diamanten ritzen.

2. Das Aluminium a) Elementares Aluminium a) Vorkommen Aluminium kommt in der Natur wegen seiner großen Sauerstoffaffinität nicht ged i e g e n , sondern nur in Form von V e r b i n d u n g e n vor, und zwar ist es das w e i t e s t v e r b r e i t e t e unter allen M e t a l l e n der Erdrinde (vgl. S. 69). Unter den Verbindungen sind vor allem zu nennen: die Feldspate (vgl. S. 330) — z . B . Kalifeldspat (Orthoklas) K[AlSi 3 0 8 ] als Hauptbestandteil von G r a n i t , G n e i s , P o r p h y r , B a s a l t und anderen Eruptivgesteinen, Natronfeldspat (Albit) Na[AlSi 3 0 3 ], Kalkfeldspat (Anorthit) Ca[Al 2 Si 2 0 8 ] und isomorphe Gemische von Kalk- und Natronfeldspat — und die Glimmer (vgl. S. 330) — z.B.Kaliglimmer (Muskovit) [KA12 (OH, F) 2 ] [AlSi3O10], Magnesiaglimmer [K(Mg, F e n ) 3 (OH, F) 2 ] [AlSi3O10], Lithionglimmer (Lepi• dolith) [KLi 2 (OH, F) 2 ] [AlSi 3 0 6 (OH, F) 4 ] (in isomorpher Mischung mit Kaliglimmer) und Lithioneisenglimmer (Zinnwaldit): Mischkristalle von Magnesiaglimmer und Lithionglimmer —. Als Verwitterungsprodukte feldspathaltiger Gesteine treten die Tone (vgl. S. 330) auf, mehr oder weniger plastische, hauptsächlich aus Aluminiumoxyd, Siliciumdioxyd und Wasser aufgebaute Massen. Unter besonderen Verwitterungsbedingungen (erhöhte Temperatur, erhöhter Druck) kann sich als besonderer Ton der Kaolinit bilden, ein wasserhaltiges Aluminiumsilicat der Zusammensetzung A1 2 0 3 • 2 Si0 2 • 2 H a O = [Al(OH) 2 ] 2 [Si 2 O s ]. Stark calcium- und magnesiumcarbonathaltige Tone bezeichnet man als Tonmergel, stark durch Eisenoxyd und Sand verunreinigte Tone als Lehm. Als reines A l u m i n i u m o x y d A1203 („Tonerde") kommt Aluminium in Form von Korund und Schmirgel (einer durch Eisenoxyd und Quarz verunreinigten körnigen Form des Korunds) vor (vgl. S. 386f.). Gut ausgebildete und durch Spuren anderer 1 Die Bezeichnung Borazol (Bor-az-ol) bringt die Analogie zwischen C6He und B 3 N 3 H 6 (Ersatz je zweier Kohlenstoffatome durch ein Bor-Stickstoff-Paar) zum Ausdruck (vgl. Anmerkung 1, S. 61). 2 Die Schreibweise BH 2 — NH a für das Borazen bringt die Mesomerie (vgl. S. 230f., 234f.): H H H H

H:B::N:H < >- H : B : N : H zum Ausdruck. Analoges gilt für die Bedeutung der punktierten Valenz des Borazans und Borazins.

Das Aluminium

379

Oxyde gefärbte Korundkristalle sind als E d e l s t e i n e geschätzt (vgl. S. 386f.); z. B. Rubin (rot), Saphir (blau), orientalischer Smaragd1 (grün), orientalischer Amethyst2 (violett), orientalischer Topas3 (gelb). Unter den Aluminiumhydroxyden besitzt vor allem der Bauxit A1203 • H 2 0 = AIO(OH) (S. 386) größte technische Bedeutung als wichtigstes Ausgangsmaterial für die Aluminiumgewinnung. Er findet sich in großen Lagern in Frankreich, Ungarn, den Vereinigten Staaten, Italien, Jugoslavien, Guayana und an vielen anderen Stellen. Andere Hydroxyde sind Hydrargillit AI 2 0 3 -3H 2 0 = Al(OH)3 (S. 385f.) und Diaspor A1 2 0 3 -H 2 0 = AIO(OH) (S. 386). Technisch von Bedeutung ist auch der Kryolith Na 3 [AlF 6 ], der sich vor allem in Grönland findet. ß) Darstellung Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von Aluminium erfolgt durchweg durch E l e k trolyse einer Lösung von Aluminiumoxyd in geschmolzenem K r y o l i t h . Das dabei zur Anwendung gelangende Aluminiumoxyd muß sehr rein sein. Dementsprechend zerfällt die Aluminiumdarstellung in zwei Arbeitsgänge: die Gewinnung von reinem Aluminiumoxyd und die eigentliche Elektrolyse. Gewinnung von reinem Aluminiumoxyd Als Ausgangsmaterial für die Erzeugung reiner Tonerde dient fast ausschließlich B a u x i t . Jedoch lassen sich auch die weitverbreiteten Tone und technische A b f a l l p r o d u k t e wie Kohlenasche zur Gewinnung von A1203 heranziehen. Gewinnung aus B a u x i t Die in der Natur vorkommenden B a u x i t e sind mehr oder weniger stark durch E i s e n o x y d und K i e s e l s ä u r e verunreinigt. So enthalten die sogenannten „roten Bauxite" meist 20—25% Fe 2 0 3 und 1—5°/0 Si0 2 , die „weißen Bauxite" nur 5°/ 0 Fe 2 0 3 , aber bis zu 2 5 % Si0 2 . Die Entfernung dieser Verunreinigungen, namentlich des E i s e n s (als Ausgangsmaterial zur Aluminiumdarstellung dienen hauptsächlich die roten Bauxite), kann durch t r o c k e n e n oder durch nassen Aufschluß erfolgen. Trockener Aufschluß. Bei dem Verfahren des t r o c k e n e n Aufschlusses („Trockenverfahren") wird der staubfein gemahlene B a u x i t mit der berechneten Menge gemahlener calcinierter Soda unter gleichzeitigem Zusatz von gemahlenem gebranntem K a l k sorgfältig vermischt und in großen Drehrohröfen bis zu 100 m Länge und 2—3 m Durchmesser einer Generatorgasflamme entgegengeleitet („Calcinieren"). Bei diesem Glühprozeß (1000°) geht das Aluminiumoxyd des Bauxits im wesentlichen in N a t r i u m a l u m i n a t und teilweise auch in Calciumaluminat, das Eisenoxyd in N a t r i u m f e r r i t und Calciumferrit über: A1 2 0 3 + Na 2 C0 3 F e 2 0 3 + Na 2 C0 3

>- 2NaA10j + C 0 2 , >- 2NaFeO a + C 0 2 .

(la) (lb)

Behandelt man anschließend das abgekühlte, grünlich aussehende Sinterprodukt im Gegenstrom mit W a s s e r , so geht das Aluminat unzersetzt in Lösung, während sich das F e r r i t quantitativ in E i s e n h y d r o x y d und Lauge spaltet, da in wässeriger Lösung das Gleichgewicht der „Salzbildung" aus Metallhydroxyd und Lauge (vgl. S. 385f.) beim Aluminium ganz auf der Seite des Salzes, beim E i s e n dagegen ganz auf der Seite des Hydroxyds liegt:

1 2 a

NaA10 2 + 2 H 2 0 " t ^

Al(OH)3 + NaOH,

(2a)

NaFe0 2 + 2H a O

Fe(OH) 3 + NaOH.

(2b)

Der echte Smaragd ist eine Abart des Berylls Be 3 Al 2 [Si 6 0 19 ], Der echte Amethyst ist ein gefärbter Quarz Si0 2 . Der echte Topas ist ein fluorhaltiges Aluminiumsilicat [Al2(OH, F) 2 ][Si0 4 ].

380

Die Borgruppe

Das gebildete Eisenhydroxyd („Rotschlamm") wird in Dekantier- und Filtrieranlagen abgetrennt und als Gasreinigungsmasse („Luxmasse"; S. 184f.) verwendet. Die Ausfällung des A l u m i n i u m h y d r o x y d s aus der filtrierten Aluminatlösung erfolgt durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d („Carbonisieren"), wodurch das Gleichgewicht (2 a) infolge Wegfangens der Lauge gemäß 2NaOH + C 0 2

>- Na 2 C0 3 + H 2 0

(3)

nach rechts verschoben wird. Das ausgefällte Aluminiumhydroxyd wird abfiltriert, gewaschen und durch scharfes Glühen in Drehrohröfen bei Temperaturen von etwa 1200° in wasserfreies, feuchtigkeitsbeständiges („totgebranntes") A l u m i n i u m o x y d verwandelt (S. 386): 2 Al(OH) 3 — > - A1 2 0 3 + 3 H 2 0 .

(4)

Die K i e s e l s ä u r e des Bauxits wird beim Aufschluß des letzteren teilweise durch den Kalk verschlackt; ein anderer Teil geht beim Auslaugen des Glühprodukts mit Wasser in Lösung und wird vor dem Carbonisieren durch Erhitzen der Lösung unter Druck als unlösliches Natrium-aluminium-silicat Na 2 [Al 2 Si0 6 ] • 2 H 2 0 ausgefällt. Die Gleichungen (2a), (3) und (4) ergeben addiert die Umkehrung des Vorgangs ( l a ) : 2NaA10 2 + C 0 2 -—>- A1J0 3 + N a 2 C 0 3 . Das beschriebene Aufschlußverfahren läßt sich also in einfachster Form durch die Gleichung AulachluB A1 2 0 3 + N a 2 C 0 3 < >- 2NaA10 2 + C 0 2 Auafällung wiedergeben. In der S c h m e l z e (Aufschluß) wird das Aluminiumoxyd des Bauxits mittels Soda in wasserlösliches Aluminat übergeführt; in der wässerigen L ö s u n g (Ausfällung) wird durch Einwirkung des beim Calcinieren gewonnenen Kohlendioxyds das Aluminat wieder rückwärts zu Oxyd und Soda zerlegt. Die so zurückgewonnene Soda geht immer wieder in den Aufschlußprozeß zurück.

Andere, weniger gebräuchliche Verfahren des trockenen Aufschlusses von Bauxit verwenden zum Aufschließen an Stelle von Soda und Kalk: N a t r i u m s u l f a t und K o k s („PENJAKOFF-Verfahren"), K a l k s t e i n und K o k s („PEDERSEN-Verfahren") oder P y r i t und K o k s („HAGLUND-Verfahren"). Unter diesen Verfahren ist besonders auf das PENJAKOFK-Verfahren (GIULINIVerfahren) hinzuweisen, das die Tonerdegewinnung mit einer S o d a - und S c h w e f e l säureerzeugung koppelt. Wie aus den Gleichungen (2 a) und (3) hervorgeht, wird beim k l a s s i s c h e n Trockenverfahren durch das Carbonisieren die für den A u f s c h l u ß des B a u x i t s (la) erforderliche Soda wieder z u r ü c k g e w o n n e n . Beim P E N J A K O F F V e r f a h r e n erfolgt nun der Aufschluß des Bauxits nicht mit S o d a , sondern mit N a t r i u m s u l f a t und K o k s : A1 2 0 3 + N a 2 S 0 4 + C — > - 2NaA10 2 + S 0 2 + CO.

Dementsprechend wird hier die beim Carbonisieren der Aluminatlösung entstehende Soda als Z u s a t z p r o d u k t gewonnen. Zudem ermöglicht das beim Aufschluß des Bauxits gebildete S c h w e f e l d i o x y d noch eine Schwefelsäureproduktion. Nasser Aufschluß. Der n a s s e A u f s c h l u ß von Bauxit erfolgt durchweg nach dem „BAYEK-Verfahren". Bei diesem Verfahren wird der feingemahlene B a u x i t in einem mit Rührwerk versehenen, dampfbeheizten eisernen Druckkessel („Autoklav") mit 35—50°/0iger N a t r o n l a u g e unter 5—7 Atmosphären Druck 6—8 Stunden lang auf 160—170° erhitzt. Hierbei löst sich gemäß der durch Gleichung (2a) und (2b) wiedergegebenen Gleichgewichtslage lediglich das Aluminium-, nicht aber das Eisenoxyd auf. Letzteres wird als Oxydhydrat („Rotschlamm") mit Filterpressen abfiltriert und dient in angetrocknetem Zustande als Kontaktmasse für Synthesegas-Fabriken (S. 307); wegen der feinen Verteilung des Niederschlags ist die Filtration nicht ganz einfach. Eine Ausfällung des A l u m i n i u m h y d r o x y d s aus der filtrierten Aluminatlösung mit Hilfe

381

Das Aluminium

von Kohlendioxyd wie beim vorher beschriebenen Trockenverfahren ist hier nicht zweckmäßig, da die dabei entstehende Soda nicht wie dort wiederverwendet werden kann. Vorteilhaft ist hier vielmehr ein Ausfällen („Ausrühren") des Hydroxyds durch I m p f e n m i t k r i s t a l l i s i e r t e m A l u m i n i u m h y d r o x y d (Hydrargillit). Diese k r i s t a l l i n e Form ist viel energiearmer und damit auch s c h w e r e r l ö s l i c h (vgl. S. 395) als die oberflächenreiche k o l l o i d e Form des Aluminiumhydroxyds, die sich in wässerigen Lösungen nach Gleichung (2 a) mit Aluminat im Gleichgewicht befindet. Gibt man daher kristallines Aluminiumhydroxyd zu der beim nassen Aufschluß erhaltenen Aluminatlösung hinzu, so scheidet die — in bezug auf die kristalline Hydroxydform übersättigte — Lösung im Sinne des unteren Pfeils von Gleichung (2 a) Aluminiumhydroxyd aus, welches wie beim Trockenverfahren bei hohen Temperaturen zum Oxyd entwässert wird. Die K i e s e l s ä u r e des Bauxits geht beim nassen Aufschluß größtenteils in das bereits beim Trockenverfahren erwähnte unlösliche Natrium - aluminium - Silicat Na 2 [Al 2 Si0 6 ] • 2 H 2 0 über: S i 0 2 + 2NaOH + A1 2 0 3 —>- H 2 0 + Na 2 [Al 2 Si0 6 ], das zusammen mit dem Rotschlamm ausfällt. Die Bildung dieses Silicats führt dementsprechend zu beträchtlichen Ätznatron- und Tonerdeverlusten, welche naturgemäß mit dem Kieselsäuregehalt des Bauxits steigen. Daher bevorzugt das BAYER-Verfahren möglichst k i e s e l s ä u r e a r m e Bauxite. Auf die beim Erhitzen mit Natronlauge mitaufgeschlossene und in L ö s u n g g e g a n g e n e Kieselsäure wirkt der zum Ausfällen des Aluminiumhydroxyds zugesetzte Hydrargillit natürlich nicht als Erreger ein. Insgesamt kann das Verfahren des nassen Aufschlusses durch die schematische Gleichung Al(OH) 3 + NaOH

Aufschluß
NaAlOj + Ausfällung

2HzO

zum Ausdruck gebracht werden. Wie daraus hervorgeht, wird die zum Aufschluß erforderliche Natronlauge bei der Ausfällung des Aluminiumhydroxyds immer wieder zurückgewonnen.

Kombinierter Aufschluß. Zahlreiche Tonerde-Fabriken arbeiten nach einem k o m b i n i e r t e n T r o c k e n - und BAYER-Verfahren. Bei dieser Methode wird der Bauxit wie beim Trockenverfahren aufgeschlossen und das Aufschlußgut mit heißem Wasser ausgelaugt. Die gewonnene und filtrierte Aluminatlösung wird dann wie beim BAYERVerfahren so weit ausgerührt, daß etwa die Hälfte der gelösten Tonerde ausfällt. Den Rest der Tonerde scheidet man wie beim Trockenverfahren in Carbonisatoren vollständig aus. Gewinnung aus Ton Für die bisher geschilderten a l k a l i s c h e n Aufschluß verfahren kommen im allgemeinen nur Bauxite mit höchstens 3—6°/0 S i 0 2 und mindestens 50—60°/ 0 A1 2 0 3 in Frage. Ist der Kieselsäuregehalt wesentlich größer und der Tonerdegehalt wesentlich kleiner (wie dies z. B . bei den in der Natur weitverbreiteten Tonen der Fall ist; vgl. S. 342, 378), so ist man auf s a u r e Aufschlußverfahren angewiesen, bei denen die Kieselsäure nicht mitaufgeschlossen wird. Als Säuren lassen sich verwenden: s c h w e f l i g e S ä u r e („ST-Verjähren'1), S a l p e t e r s ä u r e („Nuvalon-Verfahren"), Salzsäure und S c h w e f e l s ä u r e . Praktisch bewährt hat sich bisher nur der Aufschluß mit s c h w e f liger Säure. Bei diesem S c h w e f l i g s ä u r e - T o n e r d e - V e r f a h r e n wird der bei 800° vorgeglühte und gemahlene T o n im Gegenstrom unter 7 Atmosphären Druck bei 50 bis 60° mit einer etwa 20°/oigen s c h w e f l i g e n S ä u r e behandelt und die filtrierte Aufschlußlösung auf etwa 90° erwärmt, wobei die in Form von Aluminiumsulfit gelöste Tonerde als b a s i s c h e s A l u m i n i u m s u l f i t A1(0H) 2 S0 3 H • H 2 0 ausfällt und ein Teil der gebundenen schwefligen Säure wieder frei wird. Durch stärkeres Erwärmen unter gleichzeitiger Druckverminderung wird das basische Aluminiumsulfit in T o n e r d e ,

Die Borgruppe

382

Wasser und schweflige Säure zerlegt: 2 A1(0H) 2 S0 3 H • H 2 0 ->- A1 2 0 3 + 2 S 0 2 + 5 H 2 0 . Die Reinigung der gewonnenen Tonerde erfolgt durch Weiterbehandlung nach dem Bayer-Verfahren (Auflösen in Natronlauge usw.). Die zurückerhaltene schweflige Säure kehrt immer wieder in den Aufschlußprozeß zurück. Schmelzelektrolyse des Aluminiumoxyds Das auf irgendeine der geschilderten Weisen gewonnene A l u m i n i u m o x y d wird zur Aluminiumdarstellung der „Schmelzelektrolyse" unterworfen. Da der Schmelzpunkt des Aluminiumoxyds sehr hoch hegt 2000°), elektrolysiert man dabei nicht direkt geschmolzenes reines Aluminiumoxyd, sondern eine L ö s u n g v o n A l u m i n i u m o x y d in g e s c h m o l z e n e m — künstlich hergestelltem (S. 389) — Kryolith Na 3 AlF 6 (Smp. ~ 1000°): AlA~r~*~2Ar" + 3 0 " 2 AI'" + 6 © 2 AI 30" >- 1 7 A + 6 0 A1 2 0 3 -—»-2A1+ 1V.O,.

Aus dem Schmelzdiagramm Kryolith-Aluminiumoxyd ergibt sich, daß das am niedrigsten schmelzende („eutektische") Gemisch aus 81.5% Na 3 AlF 6 und 18.5°/ 0 A1 2 0 3 besteht und bei 935° schmilzt (vgl. S. 468f.). Dementsprechend verwendet die Technik Badzusammensetzungen mit 15—20°/ 0 A1 2 0 3 und Badtemperaturen von ungefähr 950°. Die Dichte der Schmelze ist bei dieser Temperatur etwa 2.15, die des geschmolzenen Aluminiums (Smp. 659°) etwa 2.35, so daß das Metall bei der Betriebstemperatur schwerer als die Schmelze ist, sich unter dieser sammelt und so vor der Rückoxydation durch den Luftsauerstoff geschützt wird. Die S c h m e l z e l e k t r o l y s e wird in runden oder viereckigen, meist 2 m langen und 1—1 1 / 2 m breiten Eisenblechwannen durchgeführt, deren Seitenwände und Boden mit einem als K a t h o d e dienenden, etwa 20 cm dicken und durch Glühen einer auf gestampften Kohle-Teermischung erzeugten Kohlefutter ausgekleidet sind (Fig. 115). q Als A n o d e n dienen kurze • Kohleblöcke von 25—30 cm Querschnitt und 30—50 cm . H Schmelzelektrolyt x n n r i n n r ^ T 0 f f Höhe, die an einem mit dem e

positiven Pol der Stromquelle 1 verbundenen Traggerüst hängen. Der Abstand der Elektroden voneinander beträgt flüssiges ß/uminium /foMe-Sfempfmasse 10 cm, von den Wänden 25 cm, (Kathode) vom Boden bzw. der sich Fig. 115. Schmelzelektrolytische Darstellung von Aluminium bildenden Aluminiumschicht 6 cm. Dementsprechend geht nach den Seitenwänden kein Strom über, so daß sich diese mit einer schützenden festen Kruste des Schmelzgemischs überziehen, während der Boden durch das sich während der Elektrolyse ansammelnde Metall geschützt bleibt, welches von Zeit zu Zeit abgestochen und in eiserne Barrenformen gegossen wird. '

Die theoretische Zersetzungsspannung für das Aluminiumoxyd beträgt 2.2 Volt. Praktisch muß man aber zur Überwindung der Widerstände im Bade und in den Elektroden eine Betriebsspannung von 6—7 Volt aufwenden. Die überschüssige Stromarbeit wird in Wärme umgesetzt und hält das Bad flüssig, so daß eine Außenbeheizung nicht erforderlich ist. Sobald die Bad1

Zur Aluminiumelektrolyse werden Ströme bis zu 30000 Amp. angewandt.

Das Aluminium

383

Spannung wesentlich steigt, muß neues Aluminiumoxyd nachgefüllt werden. Der anodisch gebildete Sauerstoff reagiert mit dem Kohlenstoff der Elektroden unter Bildung von Kohlenoxyd. Insgesamt ergibt sieh damit für die elektrolytische Zerlegung der Aluminiumoxydschmelze die folgende Reaktionsgleichung: 400 kcal + A1 2 0 3 i y 2 0 2 + 3C 321 kcal + A1 2 0 3 + 3 C

>- 2 AI + 1V 2 0 2

(5)

>- 3CO + 79 kcal

(6)

>- 2AI + 3CO.

(7)

Die erforderliche Energiemenge der endothermen Gesamtreaktion (7) wird der bei der Elektrolyse zugeführten elektrischen Energie entnommen.

y) Physikalische Eigenschaften Aluminium ist ein silberweißes Leichtmetall 1 vom spezifischen Gewicht 2.70. Es schmilzt bei 659.8° und siedet bei 2270°. Da es sehr dehnbar ist, kann man es zu sehr feinem Draht ausziehen, zu dünnen Blechen auswalzen und zu feinsten F o l i e n bis herab zu 0.004 mm Dicke („Blattaluminium") aushämmern. Beim Erwärmen auf 600° nimmt es eine körnige Struktur a n ; bringt man es dann in Schüttelmaschinen, so geht es in G r i e ß f o r m („Aluminiumgrieß") über. Bei noch feinerer Zerteilung erhält man es als P u l v e r (,,Aluminiumbronze-Pulver"). Das spezifische elektrische Leitvermögen ist etwa 2 / 3 -mal so groß wie das des Kupfers. Dementsprechend muß der Querschnitt einer Aluminiumleitung rund anderthalb mal so groß wie der einer gleich langen Kupferleitung gleichen Leitvermögens sein. Wegen des geringen spezifischen Gewichts von Aluminium wiegen solche Aluminiumleitungen aber trotzdem nur etwa halb so viel wie gleich gut leitende Kupferleitungen (spez. Gew. 8.92). 8) Chemische Eigenschaften Trotz seines großen Bestrebens, sich mit Sauerstoff zu verbinden, ist reines Aluminium a n d e r L u f t b e s t ä n d i g , da es sich mit einem fest anliegenden, zusammenhängenden, dünnen O x y d h ä u t c h e n bedeckt, welches das darunter liegende Metall vor weiterem Angriff schützt. Die Bildung einer solchen zusammenhängenden Aluminiumoxydschicht läßt sich dadurch verhindern, daß man die Oberfläche des Aluminiums durch Anreiben mit Quecksilber oder Quecksilberchlorid (3HgCl 2 -j- 2 AI —>2A1C13 -f- 3Hg) a m a l g a m i e r t , d . h . in eine Aluminium-Quecksilber-Legierung überführt, in welcher zwischen die Aluminiumatome Q u e c k s i l b e r a t o m e eingebettet sind, die als Atome eines edlen Metalls an der Luft kein Oxyd bilden. Ein solches amalgamiertes Aluminiumblech oxydiert sich dementsprechend a u ß e r o r d e n t l i c h l e i c h t . Beim Liegen an der Luft schießen in kurzer Zeit weiße Fasern von A l u m i n i u m o x y d h y d r a t (geglüht: „Fasertonerde") empor, die das Blech wie mit einer Vegetation von Schimmel bedecken. Auch die Beständigkeit von Aluminium gegenüber o x y d i e r e n d e n S ä u r e n wie Salpetersäure („Passivität" des Aluminiums) beruht auf der Bildung eines schützenden O x y d h ä u t c h e n s . Die Schutzwirkung kann erheblich verbessert werden, indem man durch a n o d i s c h e O x y d a t i o n künstlich eine wesentlich dickere, harte Oxydschicht (0.02 mm) erzeugt („Eloxal-Verfahren"). So behandeltes Aluminium ist weitgehend beständig gegen Witterung, Seewasser, Säuren und Alkalien; auch gelingt es auf diese Weise, Aluminiumdrähte elektrisch zu isolieren. F e i n v e r t e i l t e s , also oberflächenreiches Aluminium verbrennt beim Erhitzen an der Luft mit glänzender L i c h t e r s c h e i n u n g und starker W ä r m e e n t w i c k l u n g zu Aluminiumoxyd: 1 Unter „Leichtmetallen" versteht man Metalle, deren spezifische Gewichte unterhalb von 5 liegen. Alle übrigen Metalle heißen „Schwermetalle". Die Dichte der Metalle variiert zwischen 0.5 (Lithium) und 22.5 (Osmium).

Die Borgruppe

384

2 AI + 1V 2 0 2

^ A1 2 0 3 + 400.3 kcal.

Man benutzt diese Lichtentwicklung in der Photographie bei den „Vakublitzen", bei denen in einer elektrischen Birne eine Aluminiumfolie in reinem Sauerstoff nach elektrischer Zündung in 1 / 6 0 Sekunde verbrennt. T e c h n i s c h wird weiterhin die große Sauerstoffaffinität des Aluminiums dazu benutzt, um geschmolzenes E i s e n von darin gelöstem O x y d zu befreien („Desoxydation") und es dadurch leichter gießbar zu machen, sowie um aus s c h w e r r e d u z i e r b a r e n O x y d e n — z. B . Chromoxyd (269 kcal + Cr 2 0 3 — 2 Cr + 1 1 / i Og), Manganoxyd (336 kcal + Mn 3 0 4 —->- 3Mn + 2 0 a ) , Siliciumoxyd (208 kcal + S i 0 2 — S i + 0 2 ) , Titanoxyd (220 kcal + T i 0 2 — T i + 0 2 ) — die M e t a l l e in Freiheit zu setzen („Aluminothermisches Verfahren" von H. GOLDSCHMIDT). Ein Gemisch v o n E i s e n o x y d (267 kcal + F e 3 0 4 — 3 F e + 2 0 2 ) und A l u m i n i u m g r i e ß dient als „Thermit" zum Schweißen und Verbinden von Eisenteilen (z. B . Eisen- und Straßenbahnschienen, gebrochenen Wellen), da es bei der Entzündung in wenigen Sekunden unter äußerst starker Wärmeentwicklung (Temperaturen bis zu 2400°) reines Eisen in weißglühend flüssiger Form liefert: 3 F e 3 0 4 + 8AI

4A1 2 0 3 + 9Fe + 811 kcal.

Das bei der aluminothermischen Reduktion von Metalloxyden gleichzeitig in geschmolzenem Zustande entstehende A l u m i n i u m o x y d wird als „Corubin" für Schleifzwecke verwendet (S. 387). Die E n t z ü n d u n g eines Thermitgemisches erfolgt zweckmäßig durch ein Gemisch von Aluminium- oder Magnesiumpulver mit einer leicht sauerstoffabgebenden Verbindung wie K a l i u m c h l o r a t oder B a r i u m p e r o x y d („Zündkirsche"). Man steckt in dieses Gemisch ein Magnesiumband und zündet dieses an. Die bei der Verbrennung des Magnesiums freiwerdende Wärme (Mg + V 2 0 2 >- MgO + 144 kcal) entzündet die Zündmischung, diese wiederum das T h e r m i t g e m i s c h .

In n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n löst sich Aluminium entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (s0 = —1.67 Volt) unter W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g auf: AI + 3H' — A I ' " + 1V 2 H 2 .

Von W a s s e r oder s c h w a c h e n (z. B . organischen) S ä u r e n wird es in der Kälte kaum angegriffen, da in solchen Lösungen die Hydroxylionen-konzentration groß genug ist, um das Löslichkeitsprodukt des sehr schwer löslichen Aluminiumhydroxyds (cA1— x CQH' = 1 . 9 x 1 0 ~ 33 ) zu erreichen, welches das Aluminium vor weiterer Einwirkung des Wassers oder der Säure schützt (S. 172). In s t a r k s a u r e r oder a l k a l i s c h e r Lösung kann sich die Schutzschicht nicht ausbilden, da sie unter Bildung von Aluminiumsalz (Al(OH) 3 + 3 H ' — A I ' " + 3 H 2 0 ) bzw. Aluminat (Al(OH) s + O H ' — > - Al(OH) 4 '; vgl. S. 385f.) löslich ist; hier kommt es also zu dauernder Wasserstoffentwicklung. Ebenso reagiert a m a l g a m i e r t e s Aluminium aus oben (S.383) schon erwähnten Gründen bei Zimmertemperatur lebhaft mit Wasser unter Wasserstoffentwicklung: AI - f 3 H O H — > Al(OH) 3 -f- 3 H . Von dieser R e d u k t i o n s w i r k u n g des Aluminiums macht man häufig in der organischen Chemie Gebrauch. Wie mit dem Sauerstoff vereinigt sich das Aluminium auch mit den Halogenen und mit anderen Nichtmetallen unter erheblicher Wärmetönung. Die dabei entstehenden Verbindungen leiten sich fast ausnahmslos vom d r e i w e r t i g e n Aluminium ab. Doch sind auch Derivate bekannt, denen eine Oxydationsstufe + 1 des Aluminiums zugrunde liegt (z. B . A1F, A1C1, A1 2 0). Sie sind als endotherme Verbindungen nur bei hoher Temperatur beständig und entstehen analog dem Siliciummonoxyd SiO (S. 325) bei der Reduktion der entsprechenden dreiwertigen Derivate mit Aluminium; z . B . : A1F3 + 2A1 3A1F (schwarzes Sublimat). Auch die entsprechenden Verbindungen des dreiwertigen B o r s können durch Erhitzen mit elementarem Bor zur Oxydationsstufe + 1 des Bors reduziert werden.

385

Das Aluminium

e) Anwendungen Aluminium findet in der Technik verschiedenartigste Verwendung: in Form von P u l v e r als rostschützender öl- oder Lackanstrich, im Buchdruck, zur Herstellung von Sprengstoffen und in der Feuerwerkerei; in Form von G r i e ß zur Gewinnung von Metallen nach dem Thermit verfahren; in Form von F o l i e n an Stelle von Stanniol zur Verpackung von Schokolade, Genußmitteln usw.; in Form von D r a h t für elektrische Leitungen; in Form dünner Ü b e r z ü g e als Rostschutz für Eisengegenstände („Aluminieren") und als Spiegel bei Teleskopen; in Form k o m p a k t e n M e t a l l s zur Anfertigung von Küchengeschirr sowie von Kesseln, Gärbottichen, Lagergefäßen usw. für die Brauerei, Molkerei, chemische Industrie usw. Besondere Bedeutung besitzen die Aluminiumlegierungen. Sie werden wegen ihrer Leichtigkeit im Luftschiff- und Flugzeugbau sowie in der Automobilindustrie weitgehend verwendet. Erwähnt seien hier z. B. die A l u m i n i u m - M a g n e s i u m - L e g i e r u n g e n Magnalium (10—30%Mg) und Hydronalium (3—12°/0Mg), die A l u m i n i u m K u p f e r - L e g i e r u n g e n Duralumin (2.5—5.5°/0 Cu, 0.5—2% Mg, 0.5—1.2°/0 Mn, 0.2—1°/0 Si) und Lautal (4% Cu, 2 % Si), die A l u m i n i u m - S i l i c i u m - L e g i e r u n g Silumin (12—14% Si) und die A l u m i n i u m - Z i n k - L e g i e r u n g Skleron (12°/0 Zn, 3 % Cu, 0.6% Mn, bis 0 . 5 % Fe, bis 0.5% Si, 0.08% Li). D u r a l u m i n läßt sich kalt walzen, ziehen und schmieden, verbindet Leichtigkeit (spez. Gew. 2.8) mit großer Festigkeit und wird vor allem im Flugzeugbau verwendet. L a u t a l und H y d r o n a l i u m sind seewasserfest und finden dementsprechend beim Schiffsbau Verwendung. Über die A l u m i n i u m b r o n z e n , die zur Hauptsache aus Kupfer bestehen, wird beim Kupfer (S. 453) berichtet.

b) Sauerstoffverbindungen des Aluminiums Aluminium-orthohydroxyd A1(0H) 3 kommt in der Natur monoklin kristallisiert als Hydrargillit vor. Als a m p h o t e r e s H y d r o x y d löst es sich sowohl in S ä u r e n wie in B a s e n auf. Im ersteren Fall entstehen A l u m i n i u m s a l z e AI'", im letzteren Alum í n a t e (S. 330) Al(OH)4' (wasserfrei: A10 2 '): Al(OH) 3 + 3HAl(OH) 3 + OH'

A I - + 3 HÖH Al(OH) 4 '.

(1) (2)

Das Aluminat-ion Al(OH) 4 ' ist wie die analog zusammengesetzte, isostere Orthokieselsäure Si(OH) 4 (vgl. S. 325) nicht beständig, sondern kondensiert sich gleich jener (S. 325 ff.) leicht unter Wasseraustritt zu h ö h e r m o l e k u l a r e n O x o v e r b i n d u n g e n 1 . Als erste Stufe entsteht dabei ein der Ortho-dikieselsäure S i ( 0 H ) 3 - 0 - S i ( 0 H ) 3 (S.326) entspr. Di-aluminat-ion [Al(0H)3-0-Al(0H)3]", das z. B. in Form des Kaliumsalzes K 2 [ H e A l 2 0 7 ] = K 2 0 - A 1 2 0 3 - 3 H 2 0 isoliert werden kann. Weitere Kondensation führt zu polykieselsäure-analogen Poly-alwminat-ioaen [H2n+ 2Aln03n+l ]-n (vgl. S. 326), also z. B. zu Tri-aluminat-ionen (n = 3) [ A l ( 0 H ) 3 - 0 - A l ( 0 H ) 2 - 0 - A l ( 0 H ) , ] " ' oder zu Tetra-aluminat-ionen (n = 4) [ A l ( 0 H ) 3 - 0 - A l ( 0 H ) 2 - 0 - A I ( 0 H ) 2 - 0 - A l ( 0 H ) 3 ] " " , die in Form der Natriumsalze Na 3 [H 8 Al 8 0 l s ] = N a , 0 • A1 2 0, • 2.67 H 2 0 und Na 4 ÍH, 0 Al 4 O, 3 ] - N a 2 0 - A l 2 0 3 - 2 . 5 H 2 0 bekannt sind. Beim Entwässern gehen die wasserreicheren Alumínate über Zwischenstufen, in denen wahrscheinlich meta-kieselsäuie-analoge K e t t e n (S. 326) Na[H 2 A10 3 ] = N a 2 0 - A l 2 0 3 - 2 H 2 0 und Verbindungen mit B l a t t s t r u k t u r (S. 327) Na 2 ["H 2 Al 2 0 5 ] = N a 2 0 - A 1 2 0 3 - H 2 0 vorliegen, in w a s s e r f r e i e Aluminate N a [ A 1 0 2 ] = N a 2 0 - A l 2 0 3 über, denen in Analogie zu den Alumosilicaten ( S . 3 3 0 ) ein dem Siliciumdioxyd S i 0 2 (S. 32á) entsprechendes h o c h p o l y m e r e s [A10 2 ]'-ion mit R a u m n e t z s t r u k t u r zugrunde liegen dürfte. Statt durch Kondensation kann das Aluminat-ion [Al(OH 4 )]', wie die Isolierung von Natriumsalzen der Zusammensetzung 3 N a 2 0 - A I 2 0 3 - 6 H 2 0 zeigt, auch durch Aufnahme von 20H'-ionen stabilisiert werden: Na[Al(OH) 4 ] + 2 N a O H ^ Z ! Na 3 [Al(OH),]. Die koordinative Bindung ist aber 1 Wie beim A l u m i n i u m gehen auch bei vielen a n d e r e n E l e m e n t e n die primär gebildeten HydroxoVerbindungen durch anschließende Kondensation in Oxoverbindungen über. Analoges gilt für die einfachen H y d r o x y d e , die vielfach leicht in O x y d e übergehen.

H o l U m a n - W l b e r g , Anorganische Chemie. 37.—39. Aufl.

25

Die Borgruppe

386

nicht sehr fest, da das Trinatriumsalz schon beim Waschen mit absolutem Alkohol in Umkehrung der vorstehenden Bildungsgleichung in das Mononatriumsalz bzw. seine Kondensationsprodukte (s. oben) übergeht.

In Umkehrung der Gleichgewichtsreaktionen (1) und (2) fällt Aluminiumhydroxyd bei der Zugabe von B a s e n zu Aluminiumsalzlösungen (Abfangen der im Gleichgewicht (1) befindlichen Wasserstoff-ionen) und bei der Zugabe von Säuren zu Aluminatlösungen (Abfangen der im Gleichgewicht (2) befindlichen Hydroxyl-ionen) als weißer Niederschlag aus. Die F ä l l u n g s f o r m ist dabei je nach der Art der Fällung verschieden. Scheidet man das Aluminiumhydroxyd aus Aluminatlösungen bei Zimmertemperatur langsam (z. B. durch Einleiten von Kohlendioxyd: 20H' + C0 2 —>- C 0 3 " + H 2 0) aus, so erhält man Hydrargillit Al(OH)s von deutlich kristalliner Beschaffenheit, während bei schneller Fällung zunächst eine m e t a s t a b i l e M o d i f i k a t i o n , der Bayerit Al(OH)3, auftritt, die sich von selbst allmählich in die energie-ärmere Form des Hydrargillits umwandelt. Bei der Fällung aus Aluminiumsalzlösungen (z. B. mit Ammoniak) entstehen zunächst amorphe Aluminiumhydroxyde Al(OH)3 von wechselndem Wassergehalt („Aluminiumoxydhydrate" A1203 • xH 2 0), die langsam — schneller in der Wärme — über die Stufe des rhombischen B ö h m i t s AlOOH und hexagonalen B a y e r i t s A](OH)3 in monoklinen H y d r a r g i l l i t übergehen: A1203 -f- 3 H 2 0 —>2Al(OH)s. Das Aluminiumhydroxyd Al(OH)3 hat wie die Kieselsäure Si(OH)4 und die Zinnsäure Sn(OH)4 in frischem Zustande (als amorphes Oxydhydrat) andere Eigenschaften als im „ g e a l t e r t e n " Zustande (als kristallisiertes Hydroxyd). So wird das kristallisierte Aluminiumhydroxyd viel schwerer von Säuren und Basen angegriffen als das amorphe. Der Grund dafür ist einerseits die Verkleinerung der O b e r f l ä c h e , andererseits der Abbau instabiler Stellen des amorphen Netzwerks bei der Kristallisation (S. 391ff.). Bei gewöhnlicher Temperatur vollzieht sich die „Alterung" nur langsam, bei höherer Temperatur wesentlich schneller. Aluminium-metahydroxyd AIO(OH) findet sich in der Natur in Form eines mit E i s e n h y d r o x y d verunreinigten Böhmits (s. oben) als Bauxit (S. 379). Eine andere, gleichfalls in der Natur als Mineral vorkommende kristalline Modifikation des Aluminium-metahydroxyds ist der rhombische Diaspor. Böhmit und Diaspor unterscheiden sich dadurch, daß letzterer schon bei 420°, ersterer dagegen erst bei 1000° (auf dem Wege über „y-Aluminiumoxyd") in „- 3LiCl + 4A1H 3 ,

der sich dann infolge Polymerisation zu h o c h m o l e k u l a r e m Aluminiumwasserstoff (A1H3)X langsam aus der Lösung ausscheidet. Die Verknüpfung der A1H 3 -Einheiten erfolgt wahrscheinlich wie im Falle des Diborans (BH3)2 durch R e s o n a n z - W a s s e r s t o f f b r ü c k e n (S. 367), nur daß beim Aluminium wegen der höheren Koordinationszahl 6 jedes Aluminiumatom dreimal den Resonanzbrückenmechanismus betätigen kann und damit koordinativ von 6 Wasserstoffatomen umgeben ist: 25*

388

Die Borgruppe I /

A

' \

H2

H2

/

A

I ' \

I H2

\AI/

H2 /

\AI/ I H2 I /A1\

/

A 1

\

' \

H2

H,

H3

/

A l

A 1

\

II2

H2

H2

H2

/

A i

I h2 I Aluminiumwasserstoff (AlHa)x

\

h2

\AI/ I H2 I / A 1 \ H2 H2

H2

W I h2

/

kI

\ai/ I H2 I /A1\

I H2 I / Hg

\

Ha

\AI/"

kI

W

££2 W

A

\ai/

k!

H2

H2

/

\AI/ I h2 I

\

In Form einer flüssigen A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g A1H 3 -3 BH 3 = A1(BH4)3 („Aluminiumboranat"; Smp. —64.5°, Sdp. +44.5°):

(vgl. S. 370) ist der Aluminiumwasserstoff durch Umsetzung von Aluminiummethyl AIR, mit Diboran (BH 3 ) 2 : AlR a + 4 B H 3 A1H3 • 3BH 3 + BR 3 und in Form einer A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g A1H3 • LiH = LiAlH4 („Lithiumalanat"; feste, weiße, ätherlösliche 1 Substanz) durch Umsetzung von Aluminiumchlorid ÄIC13 mit Lithiumhydrid LiH darstellbar: A1C1, + 4 LiH — ^ AIH a • LiH + 3 LiCl.

Der Aluminiumwasserstoff ist außerordentlich luft- und feuchtigkeitsempfindlich, entzündet sich spontan an der Luft, zerfällt im Hochvakuum oberhalb von 100° in Aluminium und Wasserstoff und bildet wie Borin (vgl. S. 369f.) leicht Additionsverbindungen, unter denen die Verbindungen A1H3 • NR 3 und A1H3 • 2NR 3 (farblose, sublimierbare Kristalle vom Smp. 76° bzw. 95°) hervorgehoben seien. Als starkes Reduktionsmittel eignet sich Aluminiumwasserstoff — namentlich in Form der ätherlöslichen Derivate A1H3 • LiH und AlH3_nCln (n = 1 oder 2) — vorzüglich zur Hydrierung anorganischer und organischer Substanzen. So führt etwa die Umsetzung von Lithiumalanat mit M e t a l l c h l o r i d e n MeCln in ätherischer Lösung zur Bildung von D o p p e l h y d r i d e n des Typus MeH n - 11AIH3 = Me(AlHi) n („Alanate"): MeCln + n LiAlH4 >- Me(AIH4)n + n LiCl (Me z.B. = Be, Mg, Ga, In, Sn, Ti; vgl. S. 355, 398, 402, 405, 502). In der organischen Chemie lassen sich mit Hilfe von Lithiumalanat p o l a r e D o p p e l - u n d D r e i f a c h b i n d u n g e n leicht h y d r i e r e n (vgl. II, S. 76).

Aluminiumfluorid A1F3 entsteht beim Überleiten von F l u o r w a s s e r s t o f f bei Rotglut über A l u m i n i u m (1) oder A l u m i n i u m o x y d (2): 1 In der ätherischen Lösung liegt in Analogie zu den GRIGNARD-Verbindungen (II, S. 72) ein Di-Ätherat vor: R2Ov /H, /H ">U< >A1< . RoO-'' ^H/ \H

Das Aluminium 2A1 + 6HF A1203 + 6HF

389

>• 2A1FS -f 3H 2 2 A1F3 + 3H 2 0

(1) (2)

als weißes, in Wasser, Säuren und Alkalien unlösliches Pulver vom Smp. 1290° und Sblp. 1291°. Mit Alkali- und anderen Metallfluoriden bildet es Komplexsalze der Formel Me[AlF 4 ], Me 2 [AlF s ] und Me 3 [AlF 6 ], Allen diesen Doppelfluoriden liegen AIF e -Oktaeder zugrunde, indem jedes Aluminiumatom in den Verbindungen Me 2 AlF 6 2 F-Atome, in den Verbindungen MeAlF 4 4 F-Atome mit benachbarten Aluminiumatomen gemeinsam hat (Ketten- bzw. Schichtenstruktur). Auch Mischkristalle solcher Strukturtypen kommen in der Natur vor (z.B. Chiolith Na 6 AI 3 F 1 4 = N a A l F 4 • 2Na 2 AlF 6 ). Vom Typus Me 3 AIF 6 leitet sich der technisch'wichtige K r y o l i t h ab. Kryolith {„Eisstein") Na 3 [AlF g ] kommt nur an der Südküste Grönlands vor und wird hauptsächlich als L ö s u n g s m i t t e l für Aluminiumoxyd bei der A l u m i n i u m g e w i n n u n g (S. 382f.) sowie als T r ü b u n g s m i t t e l in der G l a s - und E m a i l l e I n d u s t r i e (S. 342) verwendet. Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von „künstlichem Kryolith" erfolgt durch Auflösen von T o n e r d e und S o d a in wässeriger F l u ß s ä u r e : AJ203 + 12HF—>- 2H3A1F„ + 3H 2 0 2H3A1F„ + 3 N a 2 C 0 3 — 2 N a 3 A l F 6 + 3H 2 0 + 3C0 2 . Aluminiumchlorid AICI3. W a s s e r f r e i e s Aluminiumchlorid A1C13 wird technisch durch Erhitzen von A l u m i n i u m a b f ä l l e n im C h l o r - oder C h l o r w a s s e r s t o f f s t r o m : 2AI + 3C12 — 2 A 1 C 1 3

2AI + 6HC1

>- 2A1C13 + 3H a

oder durch Einwirkung von C h l o r auf ein Gemisch von A l u m i n i u m o x y d und K o h l e bei 800°: ^ ^ + 3c + 3C12 -—>- 2A1C13 + 3CO als farblose (bei Verunreinigung mit Eisenchlorid gelbliche), leicht sublimierende, an feuchter L u f t stark rauchende, sehr hygroskopische Masse erhalten, welche bei 183° sublimiert und unter Druck (1700 mm) bei 192.6° schmilzt. W a s s e r h a l t i g e s Aluminiumchlorid [A1(H20)6]C13 entsteht beim Auflösen von A l u m i n i u m oder A l u m i n i u m o x y d in S a l z s ä u r e : 2 AI + 6 HCl >• 2A1C13 + 3H 2 A1203 + 6HC1 >• 2A1C1-, + 3H 2 0 und kristallisiert aus der sauren Lösung beim Einengen in Form farbloser, zerfließ licher Kristalle aus. E s kann nicht durch Erhitzen zum wasserfreien Chlorid entwässert werden, da es hierbei leicht gemäß [A1(H20)6]C13

[A1(H20)3(0H)3] + 3 HCl

(3)

1

hydrolysiert wird, so daß C h l o r w a s s e r s t o f f entweicht und A l u m i n i u m h y d r o x y d (bzw. A l u m i n i u m o x y d ) zurückbleibt. Wegen dieser Neigung zur Hydrolyse kann man auch eine wässerige Lösung des Chlorids nur unter Zusatz ü b e r s c h ü s s i g e r S a l z s ä u r e (Verschiebung des Gleichgewichts (3) nach links) herstellen, da sonst Aluminiumhydroxyd ausfällt. Oberhalb von 800° zeigt wasserfreies Aluminiumchlorid eine der Formel A1C13 entsprechende Dampfdichte. Unterhalb von 800° vereinigen sich die einfachen Moleküle unter Betätigung von A n i o n b r ü c k e n zunehmend zu D o p p e l t e t r a e d e r n (vgl. Diboran, S.367): C1 a C1 >A1/V >A1< CK CK MJl. 1 Exakter ausgedrückt wirkt das komplexe Aluminiumion bei der Reaktion (3) als K a t i o n säure (vgl. S. 176): [Al(H 2 0)s] [A1(H 2 0) 3 (0H) 3 ] + 3H".

390

Die Borgruppe

Beim Sublimationspunkt besteht der Dampf nur noch aus solchen Al2Cl6-MoIekülen. In ätherischer Lösung entspricht das Molekulargewicht wegen Bildung einer Additionsverbindung AICI3• OR 2 (vgl. Borchlorid, S. 373f.) der m o n o m e r e n Formel A1C13. Wie das Borchlorid vereinigt sich auch das Aluminiumchlorid mit zahlreichen anorganischen (z. B. H 2 S , S0 2 , SCI4, PC13) und organischen Stoffen (z. B. Säurechloriden, Äthern, Estern, Aminen) zu A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n . Auf die Bildung solcher Zwischenverbindungen ist auch die k a t a l y t i s c h e W i r k u n g des Aluminiumchlorids z u r ü c k z u f ü h r e n , die m a n i m L a b o r a t o r i u m

( z . B . bei der „FRIEDEL-CRAFTSsehen

Reaktion"; II, S. 305f.) und in der T e c h n i k (z.B. zum Kracken von Mineralölen) vielfach ausnutzt. Mit den Alkalichloriden vereinigt sich das Aluminiumchlorid zu D o p p e l s a l z e n , die in ihrer Zusammensetzung den Doppelfluoriden (S. 389) gleichen, aber weniger beständig als diese sind. I m f e s t e n , kristallisierten Aluminiumchlorid sind I o n e n , im g e s c h m o l z e n e n Aluminiumchlorid praktisch nur M o l e k ü l e vorhanden. Daher leitet das feste Aluminiumchlorid den elektrischen Strom bedeutend besser als das — sehr schlecht leitende — geschmolzene Aluminiumchlorid. Beim Erhitzen mit y-Al 2 0 3 bildet Aluminiumchlorid ein Oxychlorid A10C1 (AlClg + A1 2 0 3 — > 3A10C1), das zum Unterschied von dem in entsprechender Weise gewinnbaren (Anmerkung 3, S. 375/376) Oxychlorid des homologen Bors („Trichlorboroxol") nicht trimer, sondern hochpolymer ist. Es entsteht auch bei der thermischen Zersetzung von Aluminiumchlorid-Ätherat (A1C13 • OR 2 — A 1 0 C 1 + 2RC1). Das A birniniumbromid AlBr., schmilzt bei 97.5° und siedet bei 255°, das Aluminiumjodid AIJ3 bei 179.5° bzw. 381°. Aluminiumsullat A l ^ S O ^ • 18H a O ist neben dem Oxyd die meistverwendete Aluminiumverbindung. Es wird technisch durch Auflösen von reinem A l u m i n i u m h y d r o x y d in konzentrierter, auf 100° erwärmter S c h w e f e l s ä u r e dargestellt: 2A1(0H) 3 + 3 H 2 S Q 4 ~ ^ A12(S04)3 + GHzO.

(4)

Auch durch direktes Aufschließen von B a u x i t oder T o n mit 70°/0iger S c h w e f e l s ä u r e kann Aluminiumsulfat gewonnen werden; doch macht in diesem Falle die Entfernung des aus dem Bauxit bzw. Ton stammenden E i s e n s Schwierigkeiten. I n w a s s e r f r e i e m Zustande stellt Aluminiumsulfat ein weißes Pulver dar; w a s s e r h a l t i g bildet es farblose, nadelige, säuerlich schmeckende Kristalle. Die w ä s s e r i g e L ö s u n g reagiert infolge teilweiser Hydrolyse (Umkehrung der Bildungsgleichung (4)) saiier1. Der größte Teil des Aluminiumsulfats geht in die P a p i e r i n d u s t r i e zum Leimen von Papier. Weiterhin wird es zum G e r b e n v o n H ä u t e n („Alaungerbung", „Weißgerbung") und als Beize in der Z e u g f ä r b e r e i benutzt. Auch dient es als Ausgangsprodukt zur Herstellung anderer Aluminiumsalze, indem man es mit den Blei-, Bariumoder Calciumsalzen der entsprechenden Säuren umsetzt. So erhält man z. B. durch Umsetzung von Aluminiumsulfat mit Barium- oder Bleiacetat A l u m i n i u m a c e t a t Al(CH3COO)3 („essigsaure Tonerde"). Mit Kaliumsulfat vereinigt sich Aluminiumsulfat zum Alaun KA1(S0 4 ) 2 • 12H 2 0. Alaune. Unter A l a u n e n versteht man ganz allgemein Verbindungen des Typus Me I Me m (S0 4 ) 2 • 12H a 0, in denen Me1 = Na, K, Rb, Cs, NH 4 , T1 und Me™ = AI, Sc, Ti, V, Cr, Mn, Fe, Co, Ga, In sein kann. Sie kristallisieren alle in Oktaedern und Würfeln, welche zu beträchtlicher Größe anwachsen können. Von den 12 Molekülen 1 Auch hier ist wie im Falle des Aluminiumehlorids —vgl. Anmerkung 1, S. 389 —die saure Reaktion der wässerigen Lösung, exakter formuliert, auf die Kationsäure-Wirkung des in der Lösung vorhandenen Aquo-Komplexes [A1(H 2 0) 6 ] "' zurückzuführen.

Der aktive Zustand der festen Materie

391

Kristallwasser umgeben 6 in lockerer Bindung das einwertige, die restlichen 6 in festerer Bindung das dreiwertige Metallatom. In wässeriger Lösung zeigen die Alaune alle ohemischen Reaktionen, welche die Komponenten Me'SOj und MeJ n (S0 4 ) 3 getrennt zeigen. Auch die physikalischen Eigenschaften (elektrische Leitfähigkeit, Farbe, Löslichkeit usw.) setzen sich additiv aus den Eigenschaften der Komponenten zusammen. Salze dieser Art nennt man Doppelsalze (S. 149). Von diesen Doppelsalzen sind zu unterscheiden die Komplexsalze („Durchdringungskomplexe"; S. 160f.), bei denen aus zwei Komponenten Salze von ganz n e u e n physikalischen und chemischen Eigenschaften entstehen. Beispiele hierfür sind das K a l i u m b o r f l u o r i d K F B F 3 (S. 372), das K a l i u m s i l i c i u m f l u o r i d 2 K F - SiF 4 (S. 323) und das N a t r i u m a l u m i n i u m f l u o r i d 3 NaF-A1F,(S. 3S9). In diesen Fällen sind die beiden Komponenten zu neuen Ionen („Komplex-ionen") zusammengetreten, die naturgemäß in ihren Eigenschaften von denen der Bestandteile verschieden sind. Um dies zum Ausdruck zu bringen, schließt man die Komplexionen in eckige Klammern ein: K [ B F t ] („Kalium-fluoborat"), K 2 [ S i F 6 ] („Kalium-fluosilicat"), Na^f AlF e ] („Natrium - fluodhiminat"). Zwischen Doppelsalzen und Komplexsalzen bestehen Ü b e r g ä n g e derart, daß zwar im Gitter komplexe Ionen vorhanden sind, diese aber in wässeriger Lösung teilweise in die Komponenten dissoziieren („Anlagerungskomplexe"; S. 161).

Der wichtigste Alaun ist der Kaliumalaun KA1(S0 4 ) 2 • 12H 2 0. Er wurde in Deutschland bis zu den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus dem A l a u n s c h i e f e r , einem bitumen- und schwefelkieshaltigen Tonschiefer, oder aus Alaunstein (Alunit), einem basischen Kalium-aluminium-sulfat K(A10) 3 (S0 4 ) 2 • 3H 2 0, gewonnen. Heute geht man zur Darstellung des Kaliumalauns von B a u x i t e n oder Tonen aus, welche mit 70°/oiger Schwefelsäure aufgeschlossen werden. Aus der Lösung kristallisiert nach Zusatz von Kaliumsulfat beim Erkalten der Alaun aus. Er dient in der Technik für die gleichen Zwecke wie das Aluminiumsulfat, wird aber von letzterem immer mehr verdrängt.

3. D e r aktive Zustand d e r festen Materie Führen wir einen in kompakter Form vorliegenden festen Stoff in einen feinv e r t e i l t e n Zustand über, so erhöht sich seine A k t i v i t ä t . Der Stoff reagiert in diesem Zustande viel heftiger mit anderen chemischen Stoffen, löst sich schneller und besser in Lösungsmitteln, zeigt einen höheren Dampfdruck, wirkt stärker katalytisch, adsorbiert in größerem Maße Fremdstoffe usw. Diese g e s t e i g e r t e A k t i v i t ä t („aktiver Zustand") hängt mit dem erhöhten E n e r g i e - i n h a l t des Stoffes im feinverteilten Zustande zusammen. In ähnlicher Weise lassen sich feste Stoffe durch Einführung von G i t t e r s t ö r u n g e n oder durch Erzeugung unregelmäßiger Oberflächen aktivieren. Die Erforschung dieses interessanten Teilgebietes der Chemie verdanken wir unter anderem dem deutschen Chemiker ROBERT FRICKE (1895—1950).

a) Energie-inhalt und Oberflächenentwicklung a) Zerteil ungsgrad Oberflächenspannung. Auf ein im I n n e r n einer Flüssigkeit befindliches Molekül (Fig. 116a) wirken von allen S e i t e n her Anziehungskräfte ein. Diese Anziehungsk r ä f t e zwischen Molekül und Nachbarmolekülen, die den Zusammenhalt der Flüssigkeit bedingen und deren Wirkungsbereich um das betrachtete Molekül a herum durch den schraffierten Kreis zum Ausdruck gebracht werde, kompensieren sich gegenseitig vollkommen, so daß sich das Teilchen im Innern der Flüssigkeit wie ein Gasmolekül frei bewegen kann (vgl. S. 54). Bringen wir das Molekül in die Nähe der F l ü s s i g k e i t s o b e r f l ä c h e (Fig. 116b), so hebt sich nur die Wirkung der im schraffierten Teil des Wirkungsbereiches befindlichen Nachbarmoleküle heraus, während

Die Borgruppe

392

die Anziehung der im schwarz ausgefüllten Raum vorhandenen Moleküle nicht aufgehoben wird, da hier der entsprechende kompensierende obere Teil fehlt. In summa wird damit auf das Molekül eine e i n s e i t i g n a c h d e m I n n e r n d e r F l ü s s i g k e i t h i n g e r i c h t e t e K r a f t ausgeübt, die das Molekül von der Oberfläche weg nach inneD zu treiben sucht. J e mehr man das Molekül der Flüssigkeitsoberfläche nähert, um so größer wird diese rücktreibende Kraft (schwarz ausgefüllter Anteil des Anziehungsbereichs), die ihr M a x i m u m dann erreicht, wenn das Molekül gerade a n d e r O b e r f l ä c h e angelangt ist (Fig. 116 c). Mit weiterer Entfernung von der Oberfläche nimmt die rücktreibende Kraft wieder ab (Fig. 116d). Schließlich unterliegt das Teilchen überhaupt keiner Anziehung mehr: es ist in den Dampfraum übergeFig. 116. Kohäsionskräfte an der Oberfläche einer Flüssigkeit treten (Fig. 116e). Der eben behandelte „Binnendruck" (vgl. S. 54), der in der Größenordnung von

einigen tausend Atmosphären hegt, bedingt, daß eine Flüssigkeit ihre Oberfläche so w e i t wie m ö g l i c h zu v e r k l e i n e r n sucht (Kugelgestalt von Tröpfchen!). Will man umgekehrt eine O b e r f l ä c h e v e r g r ö ß e r n , so muß man eine entsprechende Menge an E n e r g i e aufwenden, um die Kohäsionskräfte zu überwinden. Die Energie, welche erforderlich ist, um entgegen den Binnenkräften 1 cm 2 n e u e r O b e r f l ä c h e zu schaffen, wird durch den Zahlen wert der „Oberflächenspannung" 1 y zum Ausdruck gebracht. Sie beträgt für F l ü s s i g k e i t e n bei Zimmertemperatur etwa 10 bis 500 erg, bei f e s t e n S t o f f e n — für die ganz analoge Überlegungen gelten — etwa 100 bis einige 1000 erg. Multipliziert man die Oberflächenspannung y einer Substanz mit dem Quadrat der dritten Wurzel aus dem Molvolumen F M o l , so erhält man die E n e r g i e CD, die erforderlieh ist, um eine Oberfläche von der Größe der q u a d r a t i s c h e n F l ä c h e e i n e s M o l w ü r f e l s zu erzeugen („molare Oberflächenenergie''):

a,

o > = Y - y Mol-

(])

Dieser Wert m ist für F l ü s s i g k e i t e n bei der k r i t i s c h e n T e m p e r a t u r ikrit. (S. 40) gleich N u l l und n i m m t von hier aus m i t a b n e h m e n d e r T e m p e r a t u r zu. ünd zwar ist die molare Oberflächenenergie der D i f f e r e n z T zwischen kritischer2 und Versuchstemperatur t (r = ikrit. — t) d i r e k t p r o p o r t i o n a l („EöTVÖssclie Regel"): CO =

K - T.

(2)

Der P r o p o r t i o n a l i t ä t s f a k t o r Je (,.EöTVöSsche Eonstante") hat für a l l e n i c h t a s s o z i i e r t e n F l ü s s i g k e i t e n den g l e i c h e n mittleren Wert 2.1. Bei a s s o z i i e r t e n Flüssigkeiten wie Wasser — bei denen man in (1) für F MoI einen etwas zu kleinen Wert einsetzt — ist lc k l e i n e r als 2.1 (Wasser: k = 0.9). Multipliziert man die vierte Wurzel aus der Oberflächenspannung einer Flüssigkeit mit dem Molekularvolumen: ., r

1

=

Die in dyn/om gemessene O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g ist numerisch der in erg/cm a gemessenen O b e r f l ä c h e n e n e r g i e gleich, da Kraft (dyn) und Arbeit (erg) durch die Beziehung dyn • cm = erg zusammenhängen (vgl. auch S. 492). 1 erg entspricht etwa der Arbeit, die erforderlich ist, um 1 mg-Gewicht 1 cm hoch zu heben. 2 Die Erfahrung hat gezeigt, daß man an Stelle der kritischen Temperatur ikrit. zweckmäßig eine um 6° niedrigere Temperatur einsetzt, DA die x Pm 1 Zum analogen Ergebnis kommt man auch für den Übergang von großen zu sehr kleinen W ü r f e l n oder für die Zerteilung a n d e r s g e f o r m t e r Körper.

Der aktive Zustand der festen Materie

395

Da die L ö s l i c h k e i t eines Stoffes s e i n e m D a m p f d r u c k p r o p o r t i o n a l ist (S. 106), zeigen Stoffe in f e i n v e r t e i l t e m Zustande auch eine g r ö ß e r e L ö s l i c h k e i t als in g r o b d i s p e r s e m Zustande. Daher bilden auszufällende Niederschläge häufig zunächst ,,übersättigte" Lösungen, da die Teilchen des Niederschlags naturgemäß zuerst noch ä u ß e r s t klein und dementsprechend l e i c h t e r l ö s l i c h sind. Erst beim W a c h s e n der Keime tritt eine A b n a h m e der L ö s l i c h k e i t auf den normalen Wert und damit ein A u s f a l l e n des Niederschlags ein. Durch Zugabe fertiger Rriställchen („Impfen") oder durch ,,Kratzen mit dem Olasatab" (Erzeugung von adsorptiv unvorbelasteten Glasoberflächen gewisser kristallographischer Ähnlichkeit) kann die Fällung b e s c h l e u n i g t werden, da dann die Niederschlagsteilchen auf den vorgebildeten größeren und daher schwerer löslichen Kriställchen weiterwachsen können.

ß) Oberflächenbeschaffenheit Statt durch Z e r t e i l u n g kann die Oberfläche eines festen Stoffs auch durch „Aufrauhung", d. h. durch Schaffung von „Spitzen" und „Spalten" vergrößert werden (Fig. 120). Dabei zeigen die an einer S p i t z e gelegenen Moleküle (a) einen e r h ö h t e n , die in S p a l t e n befindlichen Moleküle (c) einen e r n i e d r i g t e n D a m p f d r u c k , da die von den Nachbarmolekülen ausgeübDamnf ten Anziehungskräfte im ersteren - Falle kleiner, im letzteren größer als im Normalzustände (b) sind. Beide Fälle entsprechen einem energetischen Spannungsz u s t a n d der festen Materie, der Kristall in den o b e r f l ä c h e n ä r m e r e n e b e n e n F l ä c h e n z u s t a n d überFig. 120. Kohäsionskräfte und Oberflächenbeschaffenheit zugehen bestrebt ist und daher anschaulich mit dem Spannungszustand eines nach oben oder unten aus der Ruhelage gezupften Gummibandes verglichen werden kann, welches in seine gestreckte Ruhelage zurückzuschnellen sucht. B e i der K a t a l y s a t o r w i r k u n g von festen Stoffen (vgl. S. 112) spielen gerade solche ausgezeichneten, energiereichen Stellen der Oberfläche (gleiches gilt von Ecken und Kanten) eine ausschlaggebende Rolle („aktive Stellen"). Bei e r h ö h t e r Temperatur können sich die Unebenheiten der aufgerauhten Oberfläche infolge der vorhandenen Dampfdruckunterschiede unter Energieabgabe a u s g l e i c h e n . Damit verliert der Katalysator an Wirksamkeit. Durch Einlagerung von Fremdstoffen („Promotoren", „Aktivatoren") in das Gitter des Katalysators tritt man dieser Erscheinung in der Technik entgegen (vgl. S. 112).

b) Energie-Inhalt und Gitterstörungen Außer durch O b e r f l ä c h e n v e r g r ö ß e r u n g , wie in den bisher behandelten Fällen, kann der Energiegehalt eines festen Stoffes auch durch S t ö r u n g d e s K r i s t a l l g i t t e r b a u s (hervorgerufen durch Abschrecken erhitzter Stoffe, rasche Ausfällung schwerlöslicher Niederschläge bei niedriger Temperatur, Gittereinbau systemfremder Störsubstanzen usw.) erhöht werden. So kommt es, daß ein fester Stoff im a m o r p h e n , d . h . stark gittergestörten Zustande stets e n e r g i e r e i c h e r als im k r i s t a l l i s i e r t e n ist. Als Arten der Gitterstörung seien hier erwähnt: Vergrößerungen oder Verkleinerungen der Netzebenenabstände (Gitterdehnungen und Gitterschrumpfungen), unregelmäßige Verschiebungen von Netzebenen gegeneinander, Verbiegungen von Netzebenen, Abweichungen der Schwerpunkte von Atomen oder Atomgruppen von ihren Normal-lagen im Gitter usw. Die Erzeugung derartiger Störungen erfordert einen A u f w a n d a n E n e r g i e , so daß solche Formen der festen Materie e n e r g i e r e i c h e r als die u n g e s t ö r t e n Formen sind.

396

Die Borgruppe

Im folgenden sei der letztgenannte Fall etwas näher betrachtet. Denken wir uns ein Gitter, in welchem Atome oder Atomgruppen harmonische Schwingungen um die idealen Gitterpunkte als Schwerpunkte ausführen, in einem bestimmten Moment plötzlich „eingefroren", so daß die Stellungen der Atome gegen die Schwerpunkte des ungestörten Gitters in unregelmäßiger Weise etwas verschoben sind, und nehmen wir an, daß die Atome alle um die neuen Lagen als Schwerpunkte eine der Versuchstemperatur entsprechende Wärmebewegung ausführen: dann haben wir eine Gitterstörung vor uns, die man treffend als „eingefrorene Wärmeschwingung" bezeichnet. Ein Beispiel für einen solchen Fall ist das „pyrophore Eisen" (S. 534), das man durch Reduktion von a m o r p h e m Eisen(III)-hydroxyd mit Wasserstoff bei verhältnismäßig n i e d r i g e r Temperatur erhalten kann, während das bei h ö h e r e r Temperatur gewonnene Eisen n i c h t p y r o p h o r ist. Wie die folgende Tabelle zeigt, kann der zwischen einem bei 350° und einem bei 640° gewonnenen Produkt bestehende Energieunterschied von 1.43 kcal/Grammatom nicht auf den verschiedenen Zerteilungsgrad zurückgeführt werden, da die Oberflächen in beiden Fällen größenordnungsmäßig gleich sind: Reduktionstemperatur (° C) Reduktionsdauer (Stunden) Pyrophorer Charakter Lösungswärme (kcal/Grammatom) . . Teilchendicke (A) Oberfläche (m2/Grammatom)

350° 34 pyrophor 23.72 241 1775

640° 30 nicht pyrophor 22.29 316 1381.

In der Tat zeigt die röntgenographische Untersuchung, daß hier der Energie-Unterschied durch eine G i t t e r s t ö r u n g bedingt wird, indem beim pyrophoren Eisen die Gitterschwerpunkte der Eisenatome im Mittel um 0.076 Ä von der Normal-lage im ungestörten Gitter abweichen. Wollte man diese Gitterstörung durch W ä r m e s c h w i n gungen erzeugen, so müßte man das normale Eisenpulver auf etwa 300° C (,,korrespondierende Störtemperatur") erhitzen. Daher verhält sich das bei 350° gewonnene Eisenpulver bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r wie ein auf 300° e r h i t z t e s gewöhnliches Eisenpulver: es glimmt an der Luft unter Oxydation zu Eisenoxyd auf 1 . Wie die oberflächenreichen Stoffe lassen sich auch die gittergestörten Stoffe durch l ä n g e r e s E r h i t z e n auf erhöhte Temperatur {„Tempern") in einen e n e r g i e - ä r m e r e n Zustand überführen, da sich bei der e r h ö h t e n Temperatur die Gitterspannungen leichter a u s g l e i c h e n . Tempert man beispielsweise ein durch einstündiges Entwässern von a-FeOOH bei 250° gewonnenes a-Fe 2 0 3 -Präparat (S. 535 f.) 24 Stunden lang bei 126°, so nimmt sein Energiegehalt um 5.3 kcal ( « 2200 mkg) je Mol ab.

c) Energie-inhalt und Gleichgewichtskonstante Nach dem M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z (vgl. S. 119f.) gilt für die E n t w ä s s e r u n g eines H y d r o x y d s Me(OH)2 — Me(OH)2 —>- MeO + H 2 0 — bei konstanter Temperatur die Gleichgewichtsbeziehung _

P

H,0 =

-^MciOIT, ' PMeiOH), _ fr/ 0 PlteO

- - Me(OH), •

Hiernach besitzt der W a s s e r d a m p f d r u c k während der isothermen Entwässerung einen k o n s t a n t e n W e r t , weil die Dampfdrucke des festen Metallhydroxyds und des festen Metalloxyds gegebene Größen sind und daher mit der Gleichgewichtskonstante ^Me(OH), z u einer neuen Konstante K' iIe (0B), zusammengezogen werden können. Diese Konstanz des Wasserdampfdruckes bei konstanter Temperatur gilt aber nur so lange, als die Dampfdrucke pneiOH), und PMeO als konstant angesehen werden können. ' pyr (uüp) = Feuer; phoros (9Öpos) = Träger.

Gallium, Indium, Thallium

397

Da es nun, wie wir im vorhergehenden gesehen haben, energiereichere und energiearmere Zustände ein- und desselben festen Stoffes gibt, die sich durch einen größeren bzw. kleineren Dampfdruck auszeichnen, ist natürlich die G l e i c h g e w i c h t s - , . k o n s t a n t e " i^'jietoH), bei gegebener Temperatur vom E n e r g i e - i n h a l t d e s H y d r o x y d s u n d O x y d s a b h ä n g i g . J e f e i n t e i l i g e r z. B. das abzubauende H y d r o x y d ist, desto g r ö ß e r ist auch der G l e i c h g e w i c h t s - W a s s e r d a m p f d r u c k ¿>h,o> da dann auch der Dampfdruck /^(OH), größer ist. Und je f e i n t e i l i g e r umgekehrt das entstehende O x y d ist, desto k l e i n e r ist der W a s s e r d a m p f d r u c k über dem festen Gemisch. Die so bedingten Unterschiede des Gleichgewichtsdruckes können recht erheblich sein. So berechnet sich z. B. der Wasserdampfdruck von a-FeOOH bei 20° im Gleichgewicht mit einem bei 240° erzeugten a-Fe 2 0 3 zu 0.03 mm, im Gleichgewicht mit einem bei 600° gewonnenen energieärmeren - In(AlH 4 ) 3 + 3 LiCl.

Die Verbindung ist bis —40° beständig und zerfällt oberhalb dieser Temperatur in Indium, Wasserstoff und Aluminiumwasserstoff. Beständiger ist die chlorhaltige Verbindung InCl 2 H • A1H3 = InCl 2 (AlH 4 ), die erst oberhalb von 100° unter Indiumabscheidung und Wasserstoffentwicklung zerfällt. Übereinstimmend mit Gallium tritt Indium auch e i n - und z w e i w e r t i g auf, wobei f ü r die zweiwertige Stufe das beim Gallium (s. oben) Gesagte gilt. So kennt man ein Indium(I)-chlorid InCl und ein Indium(II)-chlorid InCl 2 . Thallium ist das verbreitetste der drei hier behandelten Elemente, kommt aber ebenfalls nur in geringen Mengen vor. Es findet sich vielfach in P y r i t e n und Z i n k b l e n d e n und gelangt

Vergleichende Übersicht über die Borgruppe

399

so beim Rösten dieser Sulfide in den Schwefelsäurefabriken in den F l u g s t a u b und in den B l e i k a m m e r s c h l a m m . Durch Auskochen mit verdünnter Schwefelsäure und Fällen als Chlorid T1C1 oder Jodid T1J läßt es sich daraus isolieren. Durch E l e k t r o l y s e der Salzlösungen kann es leicht in metallischer Form gewonnen werden. jj Thallium gleicht äußerlich und vielfach auch im chemischen Verhalten seinem Nachbarn im Periodensystem, dem B l e i : es ist weich und zähe, von bläulich-weißer Farbe, besitzt ein Normalpotential von —0.32 Volt (Blei: — 0.13 Volt), schmilzt bei 302.5° (Blei: 327.4°), siedet bei 1457° (Blei: 1750°) und weist ein spezifisches Gewicht von 11.8 (Blei: 11.3) auf. An feuchter Luft oxydiert es sich schnell an der Oberfläche; bei höherer Temperatur verbrennt es mit schöner grüner Flamme zu Oxyd. Durch Wasser wird es bei gewöhnlicher Temperatur in Gegenwart von Luft langsam unter Hydroxydbildung angegriffen; in Salpetersäure und Schwefelsäure löst es sich ziemlich leicht, in Salzsäure wegen der Schwerlöslichkeit des Chlorids nur langsam. Die meisten V e r b i n d u n g e n leiten sich vom e i n w e r t i g e n Thallium ab. Sie gleichen teils (z. B. Hydroxyd, Carbonat, Sulfat) den Verbindungen des K a l i u m s , teils (z. B. Oxyd, Sulfid, Halogenide) den Verbindungen des S i l b e r s . So löst sich z. B. das ThaUium(I)-hydroxyd TlOH wie das Kaliumhydroxyd KOH in Wasser unter stark alkalischer Reaktion und zieht an der Luft leicht Kohlendioxyd an; Thallium(I)-carbonat T12C03 ist das einzige in Wasser leicht lösliche Schwermetallcarbonat und reagiert in wässeriger Lösung wie Kaliumcarbonat K 2 CO, infolge hydrolytischer Spaltung stark alkalisch; Thallium(I)-suljat T12S04 ist mit Kaliumsulfat K 2 S 0 4 isomorph und bildet wie dieses mit verschiedenen anderen Sulfaten Doppelsulfate, wie z. B. den Alaun T1A1(S04)2 • 12H 2 0 und die Verbindung Tl 2 Mg(S0 4 ) 2 • 6 H a 0 ; das mit dem Kalium-hexachloro-platinat (IV) K^PtCl,] isomorphe Thallium(I) - hexachloro-platiruit (IV) TyPtCl,] ist wie jenes in Wasser schwer löslich. Andererseits entsprechen z. B. die Löslichkeitsverhältnisse der Thallium(I)-halogenide1lX denen der Silberhalogenide. So ist T h a l l i u m ( I ) - f l u o r i d TIF wie Silberfluorid AgF in Wasser leicht löslich, während T h a l l i u m ( I ) - c h l o r i d wie Silberchlorid aus wässerigen Salzlösungen durch Salzsäure oder Chloride als schwerlöslicher weißer Niederschlag gefällt wird und T h a l l i u m ( I ) - b r o m i d (hellgelb) und T h a l l i u m ( I ) - j o d i d (tiefgelb) entsprechend den analog gefärbten Silberverbindungen noch schwerer löslich sind als das Chlorid. Das Thallium(I)-oxyd T120 ist wie das Silberoxyd AgaO schwarz; beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in Thallium(I)-salzlösungen fällt wie beim Silber schwarzes Thaüium(I)-mljid T12S aus. Weniger häufig sind die Verbindungen des d r e i w e r t i g e n Thalliums. Sie stehen den entsprechenden A l u m i n i u m Verbindungen chemisch nahe. Das bekannteste und am meisten verwendete Thallium(III)-salz ist das Thallium(III)-mlfat T12(S04)3 • 7 H 2 0 . Erwähnt seien weiter das Thallium(III)-chlorid T1C13 (Smp. 25°) und der Thalliumwasserstoff T1H3, der in Form des festen, weißen, bis —90° beständigen Mischhydrids T1H3 • 3 GaH 3 = Tl(GaH 4 ) 3 („Thalliumgallanat") bei der Umsetzung ätherischer Lögungen von Thallium(III)-chlorid und Lithiumgallanat (S. 398) bei —115° ausfällt: T1C13 + 3 LiGaH, Tl(GaH 4 ) 3 + 3 LiCl. In freier Form entsteht der Thalliumwasserstoff T1H3 bei der Umsetzung von Thallium (III)chlorid mit Lithiumthallanat LiTlH 4 in ätherischer Lösung: 3 LiTlH 4 + T1C13 — 4

T1H3 + 3 LiCl

als unbeständige, hochpolymere, ätherunlösliche Verbindung (T1H3)X, die schon bei Zimmertemperatur unter Abspaltung von Wasserstoff in einen — oberhalb von 270° in die Elemente zerfallenden — Thallium(I)-wasserstoff (T1H)X übergeht.

5. Vergleichende Übersicht über die Borgruppe Die Elemente Bor, Aluminium, Gallium, Indium und Thallium bilden eine natürliche Gruppe des Periodensystems:

Atomgewicht Spezifisches Gewicht . . . Schmelzpunkt Siedepunkt Beständigkeit der einwertigen Stufe . . . . dreiwertigen S t u f e . . . . Bas. Charakter d. Oxyde.

Bor

Aluminium

Gallium

Indium

Thallium

10.82 2.34 2300° ~ 2550°

26.97 2.70 659.8° 2270°

69.72 5.91 29.78° 2344°

114.76 7.31 156.4° 2000°

204.39 11.83 302.5° 1457°

nimmt zu nimmt ab >- nimmt zu

>

400

Die Borgruppe

Alle Elemente der Gruppe treten d r e i w e r t i g auf; doch macht man auch hier wie bei den vorangegangenen Gruppen die Beobachtung, daß mit steigendem Atomgewicht des Elements die um z w e i E i n h e i t e n kleinere Wertigkeit — hier die E i n w e r t i g k e i t — an Beständigkeit gewinnt. So kennt man beim B o r — abgesehen von wenigen Ausnahmen (S. 384) — nur Verbindungen der d r e i w e r t i g e n Stufe, während beim T h a l l i u m die e i n w e r t i g e Stufe die vorherrschende ist. Der s a u r e (basische) C h a r a k t e r der Oxyde und Hydroxyde nimmt wie immer mit steigendem Atomgewicht des Elements ab (zu). B o r h y d r o x y d (Borsäure) B(OH) 3 hat ausschließlich s a u r e Eigenschaften; A l u m i n i u m h y d r o x y d Al(OH)3 ist s o w o h l s c h w a c h e S ä u r e wie s c h w a c h e B a s e ; Gallium (III)-, Indium(III)- und Thallium(Ill)-hydroxyd sind zwar auch noch amphoter, doch wächst die B a s i z i t ä t in der Richtung v o m G a l l i u m z u m T h a l l i u m . Bei den Oxyden und Hydroxyden der e i n w e r t i g e n Elemente gilt die gleiche Regelmäßigkeit. Da auch in diesem Falle wie bei den anderen Gruppen des Periodensystems die n i e d r i g e r e Wertigkeitsstufe s t ä r k e r b a s i s c h als die höhere ist, nimmt es nicht wunder, daß T h a l l i u m ( I ) h y d r o x y d zu den ausgesprochen s t a r k e n B a s e n gehört.

Kapitel XIV

Die Gruppe der Erdalkalimetalle 1. Das Beryllium Vorkommen. Beryllium gehört zu den selteneren Metallen. Am häufigsten findet sich in der Natur der Beryll Be 3 Al 2 [Si 6 0 18 ]. Gefärbte A b a r t e n des B e r y l l s sind die Edelsteine Smaragd und Aquamarin. Seltener kommen vor: der£'wA/a.s[Al(0H)][BeSi01], derG«^oiim'03 + 3SiF 4 —>- 4A1F3 + 3 S i 0 2 ) ; bei der Auslaugung des fein gemahlenen Reaktionsproduktes geht Beryllium als F l u o b e r y l l a t B e F 2 - 2 N a F (S. 403) in L ö s u n g , während das gleichzeitig gebildete F l u o a l u m i n a t A1F3 • 3NaF (S. 389) zusammen mit S i l i c i u m d i o x y d Si0 2 u n g e l ö s t zurückbleibt. Die Abtrennung des Natriumfluorids aus dem Fluoberyllat BeF 2 • 2NaF gelingt nur auf einem etwas umständlichen Wege durch Behandeln der Lösung mit K a l k , wobei B e r y l l i u m h y d r o x y d und C a l c i u m f l u o r i d ausfallen (BeF 2 • 2NaF + Ca(OH)2 —V Be(OH) 2 + CaF 2 + 2NaF), und Herauslösen des Berylliumhydroxyds aus dem Niederschlag durch F l u ß s ä u r e (Be(OH) 2 + 2 H F —>- BeF 2 + 2H a O). Beim Eindampfen der so erhaltenen ß e r y l liumf l u o r i d l ö s u n g entsteht infolge teilweiser Hydrolyse das gewünschte b a s i s c h e F l u o r i d (7BeF2 + 2H20 2BeO • 5BeF 2 + 4HF). Die Kosten der Herstellung des Elektrolyten bedingen den hohen Preis des Berylliums (1940: 250 Mark/kg; 1927, vor Entwicklung der Schmelzelektrolyse: 200000 Mark/kg); die eigentlichen Elektrolysekosten treten demgegenüber zurück.

Physikalische Eigenschaften. Beryllium ist ein stahlgraues, sehr hartes, bei gewöhnlicher Temperatur sprödes, bei Rotglut dehnbares Metall spez. Gew. 1.86), welches bei 1285° schmilzt und bei 2970° siedet. Seine elektrische Leitfähigkeit beträgt rund V12 der des Kupfers. Chemische Eigenschaften. An trockener L u f t bleibt Beryllium blank. Durch Wasser wird es nicht angegriffen, da sich wie beim Aluminium (S. 383) eine dünne Oxydhaut bildet, welche den weiteren Angriff des Wassers verhindert. In verdünnten, H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37. —39. Aufl.

26

402

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

n i c h t o x y d i e r e n d e n Säuren (z. B. Salzsäure, Schwefelsäure) löst es sich lebhaft unter Wasserstoffentwicklung. Oxydierende Säuren (z. B. Salpetersäure) greifen wegen Bildung einer schützenden Oxydhaut in der Kälte nicht an. Zum Unterschied von den übrigen Elementen der 2. Hauptgruppe löst sich Beryllium — vor allem in der Wärme — auch in wässerigen Alkalien. Das Berylliumoxyd ist also wie das Aluminiumoxyd ainphoter. Auch sonst sind sich Beryllium und Aluminium in ihren Eigenschaften sehr ähnlich (vgl. S. 156, 438). Verwendung. Beryllium eignet sich bestens als L e g i e r u n g s b e s t a n d t e i l . Von den Legierungen sind bis jetzt die K u p f e r - B e r y l l i u m - L e g i e r u n g e n am eingehendsten untersucht worden. Bei einem Berylliumgehalt von 2—3°/0 steigert sich die Härte des Kupfers auf das fünffache, die Streckgrenze auf das siebenfache und die Bruch- und Biegefestigkeit auf das dreifache. Eine Legierung mit 6 — 7 % Beryllium ist so hart wie härtester Stahl. Da die Legierungen den elektrischen Strom sehr gut leiten, kann man aus ihnen z. B. Kontaktfedern für Motorbürstenhalter herstellen, die sich vor den sonst dafür gebrauchten Stoffen (z. B. Phosphorbronze) durch kleinere Ermüdbarkeit und vielfach verlängerte Lebensdauer auszeichnen. Weiterhin findet Beryllium als D e s o x y d a t i o n s m i t t e l beim Kupferguß (Beseitigung kleiner Mengen von Oxyd und Sulfid) Verwendung, da 1 Teil Beryllium fast 2 Gewichtsteile Sauerstoff bindet (Be + 0 —>- BeO) und dabei nicht wie der ebenfalls als Desoxydationsmittel dienende Phosphor (S. 452) die elektrische Leitfähigkeit des Kupfers herabsetzt. Schließlich wird Beryllium an Stelle von Aluminium auch zur Herstellung von A u s t r i t t s fenstern für R ö n t g e n s t r a h l e n verwendet, da es diese siebzehnmal schwächer absorbiert als Aluminium. Verbindungen. Berylliumwasserstoff BeH 2 ist durch Umsetzung von Berylliummethyl BeR 2 (R = CH3) mit Diboran (BH3)2 auf dem Wege über eine Zwischenverbindung BeRH 1 in Form der Anlagerungsverbindungen BeH 2 -BH 3 (nichtflüchtige, feste, weiße Substanz) und BeH 2 -2BH 3 (Smp. > 123°, Sblp. 91.3°; S. 370): BeR 3 + 2BH 3

>- Bett, + 2BH 2 R,

sowie durch Umsetzung von Berylliumchlorid BeCI2 mit Aluminiumwasserstoff A1H3 (in Form von Litlüum-aluminium-wasserstoff A1H3 • LiH; S. 388) als ätherlösliches Mischhydrid BeH a • 2A1H3 = Be(AIHJ 2 („Berylliumalanat"; vgl. S. 388) bzw. in freiem Zustande darstellbar: 3BeCl, + 2 A1H3

• 3BeH 2 + 2A1CL,.

Die freie Verbindung stellt eine feste, weiße, bei 250° in die Elemente zerfallende Substanz dar, ist außerordentlich empfindlich gegenüber Luft und Feuchtigkeit und reagiert mit Chlorwasserstoff heftig unter Bildung von Berylliumchlorid. Versetzt man Berj^liumsalzlösungen mit B a s e n , so fällt Beryllium-hydroxyd Be(OH)2, das in zwei Modifikationen als a-Be(OH)2 und /3-Be(OH)2 (stabil, rhombisch) auftritt, als weißer, gelatinöser Niederschlag aus: B e " + 2 O H ' — v Be(OH)2. Die Verbindung ist in frisch gefälltem Zustande wie frisch gefälltes Aluminiumhydroxyd (S. .186) sowohl in Säuren wie in starken Alkalien leichtlöslich, wobei im ersteren Falle B e r y l l i u m s a l z e , im letzteren B e r y l l a t e entstehen: Be(OH)a + 2H'

> Be" + 2H20

Be(OH)a + 2 0 H ' — v

Be(OH) 4 ".

Beim Kochen mit Wasser, beim Trocknen oder bei längerem Stehenlassen „altert" das Hydroxyd und wird schwerlöslich. Zum Unterschied von Aluminiumhydroxyd löst sich Berylliumhydroxyd auch in Ammoniumcarbonatlösungen auf. Beim Erhitzen geht das Hydroxyd in das Oxyd BeO über: B e ( O H ) 2 — B e O + H 2 0, ein weißes, lockeres Pulver vom Schmelzpunkt 2530°, das wie Aluminiumoxyd im geglühten Zustande in Säuren schwer löslich ist. 1

Isolierbar als unbeständige, sublimierbare Anlagerungsverbindung (BeRH-BH 3 ) x ".

403

Das Magnesium

Berylliumfluorid BeF 2 bildet analog Aluminiumfluorid (S. 389) mit Alkalifluoriden K o m p l e x s a l z e („Fluoberyllate") vom Typus Me[BeF 3 ] und Me 2 [BeF 4 ], Berylliumchlorid BeCl2 ist wie Aluminiumchlorid (S. 389) wasserfrei durch Erhitzen von Berylliummetall im trockenen Chlor- oder Chlorwasserstoffstrom als weiße, kristalline Masse (Smp. 405°, Sdp. 488°) erhältlich, welche sich in Wasser unter starker H y d r o l y s e (BeCl2 + 2 HÖH Be(OH) 2 + 2 HCl) auflöst und beim Eindampfen der Lösung als H y d r a t BeCl2 • 4 H 2 0 in Form zerfließlicher Tafeln auskristallisiert. Berylliumnitrat Be(N0 3 ) 2 findet technische Verwendung als Härtemittel für Gasglühlichtkörper. Berylliumcarbonat BeCOa ist in Wasser schwer löslich und gibt sehr leicht Kohlendioxyd ab (BeC0 3 —>- BeO + C0 2 ). Berylliumsulfat BeS0 4 kristallisiert aus wässerigen Lösungen als Tetrahydrat BeS0 4 • 4 H 2 0 in Form farbloser Oktaeder aus und bildet mit Alkalisulfaten Doppelsalze vom Typus Me 2 Be(S0 4 ) 2 , z. B. das schön kristallisierte Doppelsulfat K 2 Be(S0 4 ) 2 • 2H 2 0. Die Beryllium salze schmecken süß; davon leitet sich ein anderer, namentlich in Frankreich gebräuchlicher Name für das Beryllium a b : Glucinium.

2. Das Magnesium a) Elementares Magnesium Vorkommen. Magnesium ist am Aufbau der Erdrinde mit 1.9% beteiligt (S. 69). Wegen seiner großen chemischen Reaktionsfähigkeit kommt es nicht in f r e i e m , sondern nur in g e b u n d e n e m Zustande vor, und zwar in der Hauptsache als Carbonat, Silicat, Chlorid und Sulfat. So bildet das M a g n e s i u m c a r b o n a t in Form des Doppelcarbonats CaC0 3 -MgCOg (Dolomit) ganze Gebirgszüge; auch als einfaches Carbonat tritt es in Form des Magnesits MgC0 3 in großen Lagern auf. Unter den S i l i c a t e n des Magnesiums seien erwähnt: Olivin (Mg,Fe) 2 [Si0 4 ], Enstatit Mg[Si0 3 ], Serpentin [Mg 6 (0H) 6 ] [ S i 4 0 u ] - H 2 0 und [Mg6(OH)8] [Si 4 O 10 ], Talk [Mg3(OH)2] [Si 4 O 10 ], Meerschaum [Mg 4 (OH) 2 ] [Si 6 0 1 6 ] • 3 H 2 0 und Asbest al.s S e r p e n t i n a s b e s t [Mg6(OH)6] [Si 4 O n ] • H^O and als H o r n b l e n d e a s b e s t [Ca 2 (Fe n , Mg)B (OH) 2 ] [Si 8 0 22 ]. Als Bestandteile von S a l z l a g e r n (vgl. S. 429f.) finden sich: das S u l f a t als Kieserit MgS0 4 • H 2 0 und Kainit MgS0 4 • KCl • 3 H 2 0 und das C h l o r i d als Carnallit MgCl2 KC1-6H 2 0. Auch das M e e r w a s s e r enthält nicht unbeträchtliche Mengen an Magnesiumsalzen (0.30°/0 MgCl2, O.O4°/0 MgBr 2 , 0.18°/ 0 MgS0 4 ). In den als „Bitterwässer" bezeichneten Mineralquellen ist Magnesium als „Bittersalz" MgS0 4 • 7H 2 0 enthalten. Wichtig ist weiterhin das Auftreten des Magnesiums als Bestandteil des B l a t t g r ü n s (Chlorophylls). Darstellung. Magnesium wird technisch durch E l e k t r o l y s e von g e s c h m o l z e n e m , w a s s e r f r e i e m M a g n e s i u m c h l o r i d bei etwa 700° gewonnen. Zur Erniedrigung des Schmelzpunktes von Magnesiumchlorid (718°) werden als „Flußmittel" Alkalichloride und Flußspat zugesetzt. Das w a s s e r f r e i e M a g n e s i u m c h l o r i d gewinnt man durch Umsetzung von M a g n e s i u m o x y d mit K o k s (bzw. K o h l e n o x y d ) und C h l o r : MgO + Cl2 + C — v

MgCl2 + CO + 33 kcal.

(1)

Das hierfür erforderliche C h l o r wird bei der Schmelzelektrolyse wieder gewonnen: ^ + ^ m M g + Cl2.

zurück (2)

Als A n o d e n m a t e r i a l dient Graphit, als K a t h o d e n m a t e r i a l Eisen. Das flüssige Magnesium (Smp. 650°) steigt an die Oberfläche und kann hier mit Sieblöffeln abgeschöpft werden. Die Reaktionsgleichungen (1) und (2) ergeben addiert die Gesamtgleichung 118 kcal + MgO + C —>• Mg + CO. 26*

404

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

Diese endotherme Reaktion kann auch d i r e k t durchgeführt werden, indem man M a g n e s i u m o x y d bei 2000° im elektrischen Ofen mit K o k s umsetzt und auf diese Weise die zur Erzwingung der Reaktion notwendige Energie nicht — wie bei der Schmelzelektrolyse — in Form elektrischer, sondern in Form t h e r m i s c h e r E n e r g i e zuführt. Das Metall entweicht dampfförmig (Sdp. des Magnesiums 1100°) und kondensiert sich in einer kalten Wasserstoffatmosphäre zu flüssigem Metall, das durch Vakuumdestillation gereinigt wird. Das elektrothermische Verfahren ist billiger als das elektrolytische. Physikalische Eigenschaften. Magnesium ist ein silberglänzendes, an der Luft jedoch bald mattweiß anlaufendes Leichtmetall (spez. Gew. 1.74, Smp. 650°, Sdp. 1100°) von mittlerer Härte, das sich hämmern und gießen sowie leicht zu dünnem Blech auswalzen und zu Draht ziehen läßt. Die elektrische Leitfähigkeit beträgt etwa 1 / 3 von der des Kupfers und etwa 2 / 3 von der des Aluminiums. Chemische Eigenschaften. An der L u f t ist Magnesium trotz seiner großen Affinität zu Sauerstoff bei Z i m m e r t e m p e r a t u r recht haltbar, weil es sich bald mit einer zusammenhängenden dünnen O x y d s c h u t z h a u t überzieht (vgl. S. 172). Bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r verbrennt es in Band- und Pulverform mit b l e n d e n d weißem L i c h t zu Magnesiumoxyd MgO (und Magnesiumnitrid Mg 3 N 2 ): Mg + V2O2 — M g O + 143.7 kcal.

Da das Licht reich an photochemisch wirksamen Strahlen ist, macht man von dieser Reaktion bei den „Blitzlichtpulvern" (Gemischen von Magnesiumpulver mit Oxydationsmitteln wie Kaliumchlorat, Kaliumpermanganat, Braunstein oder Nitraten der seltenen Erdmetalle) Gebrauch. Wegen der großen Affinität zum Sauerstoff dient Magnesium weiterhin als s e h r k r ä f t i g e s R e d u k t i o n s m i t t e l ; so reduziert es in der Hitze selbst so beständige Oxyde wie Siliciumdioxyd. Kaltes W a s s e r greift Magnesium nur sehr l a n g s a m an (S. 172). Dagegen reagiert Magnesium am a lg am bei Zimmertemperatur mit Wasser sehr l e b h a f t (vgl. S. 384). Ebenso wirkt W a s s e r d a m p f schneller ein (vgl. S. 38). In S ä u r e n löst sich Magnesium leicht; A l k a l i e n greifen es nicht an. Anwendung. Magnesium findet als Leichtmetall technisch hauptsächlich als B e s t a n d t e i l von L e g i e r u n g e n Verwendung, die sich wegen ihres n i e d r i g e n s p e z i f i s c h e n G e w i c h t s für den Luftschiff-, Flugzeug- und Automobilbau eignen. Einige dieser Legierungen (Magnalium, Hydronalium, Duralumin), die weniger Magnesium enthalten, haben wir bereits beim A l u m i n i u m (S. 385) kennengelernt. Unter den zur Hauptsache aus M a g n e s i u m bestehenden Legierungen seien vor allem die „Elektronmetalle" erwähnt, Legierungen von 90°/ 0 und mehr Magnesium mit — je nach dem Verwendungszweck — Zusätzen von Aluminium, Zink, Mangan, Kupfer, Silicium, die zum Unterschied vom Aluminium unempfindlich gegen alkalische Lösungen und Flußsäure sind, gegenüber Eisen eine Gewichtsersparnis von über 80°/ 0 , gegenüber Duralumin eine solche von 20—40°/ 0 ermöglichen und leicht verarbeitet werden können. Durch Beizen in einem salpetersauren Alkalidichromat-Bad kann man sie mit einem gegen atmosphärischen Angriff schützenden gelben Überzug versehen. Legierungen von 98°/ 0 Magnesium und 2°/ 0 Mangan sind gegen Wasser praktisch dauerbeständig.

b) Verbindungen des Magnesiums Magnesiumwasserstoff MgH2 ist in freiem Z u s t a n d e außer durch Synthese aus den Elementen durch thermische Zersetzung von Magnesiumdiäthyl: Mg(C2H6)2

1750

> MgH2 + 2 C2H4

Das Magnesium

405

und in Form von M i s c h h y d r i d e n MgH 2 • 2BH 3 = Mg(BH 4 ) 2 („Magnesiumboranat") bzw. MgH 2 • 2AIH3 = Mg(AlH4)2 („Magnesiumalanat") durch Umsetzung von Magnesiumdiäthyl mit Diboran bzw. Magnesiumbromid mit Lithiumalanat darstellbar: 3 MgR2 + 4 (BH 3 ) 2 MgBr2 + 2 LiAlH 4

3 Mg(BH 4 ) 2 + 2 BR 3 >- Mg(AlH4)2 + 2 LiBr.

Magnesiumwasserstoff ist ein weißer, fester, nichtflüchtiger Körper, der mit Wasser heftig unter Wasserstoffentwicklung reagiert und oberhalb von 280° in die Elemente zerfällt. Sein Mischhydrid mit Aluminiumwasserstoff, Mg(AlH4)2, ist in Äther löslich und wirkt ähnlich hydrierend wie die analoge Lithiumverbindung LiAlH 4 (S. 388). Magnesiumoxyd MgO wird technisch durch Glühen von M a g n e s i t gewonnen: MgCOa — M g O + C 0 2 .

Erhitzt man auf verhältnismäßig n i e d r i g e T e m p e r a t u r e n (800—900°), so erhält man ein mit Wasser abbindendes und daher für Mörtelzwecke (vgl. S. 413f.) geeignetes Produkt (,,kaustische Magnesia"). Brennt man dagegen bei s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n (1600—1700°), so sintert das Magnesiumoxyd (vgl. S. 344) zu einer mit Wasser nicht mehr abbindenden Masse zusammen, die zur Herstellung h o c h f e u e r f e s t e r S t e i n e („Magnesiasteine") Verwendung findet (S. 344). Auch L a b o r a t o r i u m s g e r ä t e (Rohre, Tiegel, Schiffchen usw.) werden aus geschmolzenem bzw. gesintertem Magnesiumoxyd („Sintermagnesia") hergestellt. Außer M a g n e s i u m o x y d MgO (Smp. 2800°) und dem früher (S. 324 bzw. 386) schon erwähnten S i l i c i u m o x y d Si0 2 (Smp. 1705°) und A l u m i n i u m o x y d Al 2 O s (Smp. 2050°) dienen auch andere hochschmelzende Oxyde zur Herstellung h o c h f e u e r f e s t e r und chemisch widerstandsfähiger L a b o r a t o r i u m s g e r ä t e , z.B. B e r y l l i u m o x y d BeO (Smp. 2530°), Z i r k o n o x y d Zr0 2 (Smp. 2700°) und T h o r o x y d ThOa (Smp. 3000°) sowie Mischoxyde wie S p i n e l l MgO • A1 2 0 3 (Smp. 2135°) und Z i r k o n S i l i c a t ZrOa • S i 0 2 (Smp. 2430°). Die Geräte sind als „DegmsaQeräte" im Handel.

Durch Glühen von M a g n e s i u m h y d r o x y d oder b a s i s c h e m M a g n e s i u m c a r b o n a t erhält man das Magnesiumoxyd als lockeres, leichtes, weißes Pulver, das unter anderem in der Medizin als mildes N e u t r a l i s a t i o n s m i t t e l Verwendung findet („Magnesia usta", „gebrannte Magnesia"). Mischungen von M a g n e s i u m o x y d und konzentrierter M a g n e s i u m c h l o r i d lösung erhärten s t e i n a r t i g unter Bildung b a s i s c h e r C h l o r i d e („Magnesiazement", „Sorelzement") und werden — unter Zumischung neutraler Füllstoffe (Sägemehl, Korkgrieß, Asbest, Schamottemehl, Kieselgur) und Farben — zur Herstellung k ü n s t l i c h e r S t e i n e und f u g e n l o s e r F u ß b ö d e n („Steinholz", „Xylolith", „Kunstmarmor") verwendet. Magnesiumhydroxyd Mg(0H)jj kann technisch aus den E n d l a u g e n der K a l i s a l z verarbeitung (vgl. S. 430f.) gewonnen werden, welche das Magnesium hauptsächlich in Form von M a g n e s i u m c h l o r i d enthalten. Die Fällung des Magnesiumhydroxyds aus diesen Laugen erfolgt mit K a l k m i l c h : MgCl2 + Ca(OH)2 — M g ( O H ) a + CaCl2. Der Hydroxydniederschlag geht durch Filterpressen und kommt entweder als solcher oder geglüht als Magnesiumoxyd in den Handel. Magnesiumhydroxyd ist in W a s s e r nur wenig löslich und fällt daher ganz allgemein beim Versetzen von Magnesiumsalz-lösungen mit B a s e n aus: Mg" + 2 0 H ' —>Mg(OH) 2 . Bei Verwendung von A m m o n i a k als Base ist die Fällung wegen der geringen Hydroxylionenkonzentration des wässerigen Ammoniaks unvollständig. In A m m o n i u m s a l z - l ö s u n g e n löst sich Magnesiumhydroxyd leicht, weil die Ammonium-ionen die Hydroxyl-ionen abfangen (NH4" OH' —>• NH 3 + H 2 0), so daß die zur Überschreitung des Löslichkeitsproduktes CMg- X coh' = 5 . 5 x 10~13 erforderliche Hydroxvlionenkonzentration nicht erreicht wird. Dementsprechend bildet sich auch

406

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

bei der Zusammengabe von Magnesiumsalzlösungen und Ammoniak in Gegenwart genügender Mengen Ammoniumsalz kein Niederschlag. Als zweisäurige starke Base bildet Magnesiumhydroxyd mit Säuren basische und normale Salze. Magnesium Chlorid MgClj kommt in Form des Carnallits MgCl2 KCl 6 H 2 0 in den Kaliumsalzlagerstätten vor. T e c h n i s c h wird es durch Eindampfen der Endlaugen der Kaliumchloridgewinnung (S. 430f.) als Hexahydrat MgCl2 6 H 2 0 oder — bei stärkerem Eindampfen — als wasserärmeres Produkt gewonnen. Da die Menge des absetzbaren Magnesiumchlorids verhältnismäßig gering ist, verarbeitet man nur einen kleinen Teil der Endlaugen auf Magnesiumverbindungen; der größte Teil wird als Abwasser in die Flüsse geleitet oder eingedampft und als Versatzmaterial in die Salzschächte (S. 430) zurückbefördert. Magnesiumchlorid ist sehr ,,hygroskopisch" (vgl. S. 426); seine Gegenwart im Kochsalz bewirkt dessen Feuchtwerden an der Luft (S. 422). Die wässerige Lösung reagiert neutral. Beim Eindampfen der Lösung entweicht Chlorwasserstoff: MgCl2 + HÖH

Mg(OH)Cl + HCl.

Dementsprechend läßt sich das Hexahydrat aucü nur in einer Chlorwasserstoffatmosphäre unzersetzt entwässern (vgl. S. 389). Das wasserfreie Magnesiumchlorid bildet eine blättrig-kristalline Masse, die bei 718° zu einer wasserhellen, leicht beweglichen Flüssigkeit (Sdp. 1412°) schmilzt. Magnesiumcarbonat MgC03 findet sich in der Natur als Dolomit (Perlspat, Braunspat) MgC03 • CaC03 und als Magnesit (Talkspat, Bitterspat) MgC0 3 . In wässeriger Lösung bildet es sich aus Magnesium- und Carbonat-ionen nur bei genügendem Überschuß an freier Kohlensäure. Andernfalls entsteht basisches M a g n e s i u m c a r b o n a t [Mg(MgC03)4] (OH)2 • 5H 2 0, das in Form eines weißen lockeren Pulvers als „Magnesia alba" („Magnesia carbonica") in der Medizin sowie zu Pudern, Zahn- und Putzpulvern, hauptsächlich jedoch zum Füllen von Kautschuk, Papier und Farben Verwendung findet. Magnesiumsulfat MgSOi kommt in der Natur als Kieserit MgS0 4 • H 2 0 und als Bittersalz MgS0 4 • 7 H 2 0 (Magnesiumvitriol) sowie in Form des Doppelsalzes MgS0 4 • KCl • 3 H 2 0 (Kainit) vor (vgl. auch S. 430). Das Bittersalz schmeckt widrig bitter und wird in der Medizin als Abführmittel verwendet. Bei 150° verliert es 6 Mol Wasser, das siebente erst oberhalb von 200°. Hierin verhält es sich analog wie die Sulfate des Zinks, Mangans, Eisens, Nickels und Kobalts, die mit ihm isomorph sind. Man nimmt daher an, daß diese „Vitriole" MeS0 4 - 7 H 2 0 die Konstitution [Me(H20) ] S 0 4 • H 2 0 besitzen, wobei das zum Sulfat-ion gehörende Wassermolekül durch Wasserstoff brücken (S. 223) gebunden wird: > H \ 0 . VSVÖ q / \o-—

Ö

Analoges gilt für die Vitriole der Zusammensetzung MeS0 4 • 5 H 2 0 (Me z. B. = Cu oder Mn), denen die Konstitution [Me(H20)4] S 0 4 • H 2 0 zukommt (S. -!55). Mit Kalium- und Ammoniumsulfat bilden die Vitriole D o p p e l s u l f a t e des Typus Me£Me"(S0 4 ) 2 • 6H 2 0, die untereinander ebenfalls isomorph sind.

3. D a s Calcium a) Elementares Calcium Vorkommen. Das Calcium gehört zu den 10 häufigsten Elementen (S. 69) und ist am Aufbau der Erdrinde mit 3.4°/ 0 beteiligt, und zwar findet es sich in der Natur als Carbonat, Sulfat, Silicat, Phosphat und Fluorid, also in Form von Verbindungen,

Das Calcium

407

welche in Wasser s c h w e r - oder u n l ö s l i c h sind. Das C a r b o n a t CaC0 3 kommt als Kalkstein, Kreide und Marmor sowie in riesigen Mengen als D o p p e l c a r b o n a t CaC0 3 • MgC0 3 {Dolomit) vor (S. 409). Das S u l f a t bildet als Gips CaS0 4 • 2 H 2 0 (wasserfrei: Anhydrit CaS0 4 ) gewaltige Lager (S. 411) und findet sich außerdem als Bestandteil des M e e r w a s s e r s (0.16°/0 CaS0 4 ). C a l c i u m s i l i c a t e und namentlich C a l c i u m d o p p e l s i l i c a t e bilden die überwiegende Masse der Silicatgesteine (S. 329f.). Calc i u m p h o s p h a t e finden sich als Phosphorit Ca 3 (P0 4 ) 2 \md Apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • Ca(F, Cl)2 (S. 251). Das F l u o r i d kommt als Flußspat (Fluorit) CaF 2 vor (S.409). Darstellung. Metallisches Calcium wird technisch durch E l e k t r o l y s e von ges c h m o l z e n e m C a l c i u m c h l o r i d (Smp. 780°) in eisernen Elektrolysegefäßen hergestellt. Als A n o d e n dienen große Kohleplatten, als K a t h o d e ein durch ein Schraubengewinde auf und ab bewegbarer dünner Eisenstab. Die Kathode wird so angeordnet, daß ihre untere Spitze eben die Schmelze berührt („Berührungselektrode"). Es scheidet sich dann bei der Elektrolyse geschmolzenes Calcium (Smp. 851°) ab, das beim Heben der Kathode erstarrt. Durch fortgesetztes Heben während der Elektrolyse gelangt man so zu einem immer länger werdenden metallischen Calciumstab von 1 bis mehreren Zentimetern Dicke. Physikalische Eigenschaften. Calcium ist ein silberweißes, glänzendes, an der Luft jedoch schnell anlaufendes Metall (Smp. 851°, Sdp. 1439°), welches so weich wie Blei ist und das spezifische Gewicht 1.54 besitzt. Chemische Eigenschaften. Calcium wird bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r von Sauerstoff, Chlor, Brom und Jod nur langsam angegriffen. Beim E r h i t z e n erfolgt lebhafte Reaktion. Beim Verbrennen an der Luft entsteht sowohl Oxyd wie Nitrid : Ca + | O ä 3 Ca + N 2

CaO + 153 kcal Ca3N2 + 109 kcal.

Mit W a s s e r reagiert Calcium bei gewöhnlicher Temperatur träge, beim Erwärmen lebhafter unter Wasserstoffentwicklung. In flüssigem A m m o n i a k löst sich Calcium mit tief blauschwarzer Farbe als Ammoniakat Ca(NH 3 ) B .

b) Verbindungen des Calciums Calciumhydrid CaHi wird technisch durch Überleiten von W a s s e r s t o f f C a l c i u m bei 400° dargestellt: Ca + H 2

über

CaH2 + 4 5 . 1 kcal.

Es kommt als weiße, kristalline Masse in den Handel, die mit Wasser heftig unter Wasserstoffentwicklung reagiert : CaH2 + 2HÖH — > Ca(OH)2 + 2H 2 + 54 kcal.

Da 1 kg des Hydrids dabei etwa 1 m 3 Wasserstoffgas entwickelt, kann man es an abgelegenen Orten zur Erzeugung von Wasserstoff verwenden. Der Wasserstoff ist im Calciumhydrid heteropolar gebunden: H~Ca ++ H~ (vgl. S. 148. 434). Calciumoxyd CaO („Ätzkalk") wird technisch in großen Mengen durch Erhitzen von C a l c i u m c a r b o n a t (Kalkstein) auf 900—1000° („Kalkbrennen") dargestellt (vgl. S

"4

1 0 :

42.7 kcal + CaC03

CaO + COa.

Das dabei entstehende Produkt heißt ,,gebrannter Kalk" oder

„Branntkalk".

Das B r e n n e n des K a l k s t e i n s erfolgte in den ältesten Zeiten in Meilern, später in einfachen Feldöfen ohne Ummauerung; heute geschieht es in Schacht- oder Ring- oder Drehrolrröfen. Wärmetechnisch besonders vollkommen sind die Ringofen. Bei ihnen dient die Wärme der abziehenden Feuergase zum Vorwärmen frischen Calciumcarbonats, während die in der fertiggebrannten Ware aufgespeicherte Hitze zum Vorwärmen der Verbrennungsluft ausgenutzt

408

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

wird. Fig. 121 gibt von oben gesehen einen horizontalen Schnitt durch einen solchen Ringofen wieder. Er besteht aus einem „Brennkanal" von etwa 3 m Breite und 3 m Höhe, in welchem der Kalkstein unter Aussparung von je 20 cm breiten „Heizschlitzen" in „Abteilen" von je 3 m Länge aufgeschichtet wird. Jedes Abteil ist durch eine T ü r von außen zugänglich und weist einen zu einem Schornstein führenden R a u c h a b z u g auf. Das Feuer wird durch entsprechendes Einführen von Brennstoff in die Heizschlitze von Kammer zu Kammer in der Richtung der Pfeile w e i t e r v e r l e g t . Die heißen V e r b r e n n u n g s g a s e wärmen das Material der nachfolgenden Abteile vor, die V e r b r e n n u n g s l u f t wird durch den in Nachglut stehenden Ofeneinsatz der vorhergehenden Abteile vorgewärmt und kühlt dabei deren Inhalt ab. Ausharren

fr/scher —ffa/ksfein

gebrannter Haß

Heizsch/ite

Rauchabzug CaO + CaCOj

Fig. 121.

Horizontalschnitt durch einen Ringofen zum Brennen von Kalkstein

I n Fig. 121 stehen die Abteile 9 und 10 im V o l l f e u e r , 7 und 8 in N a c h g l u t , 11 und 12 in V o r g l u t . Das Heizfeuer befindet sich im Heizschlitz zwischen Abteil 8 und 9, die Verbrennungsluft wird in den Abteilen 7 und 8 vorgewärmt, die heißen Verbrennungsgase heizen die Beschickungen der Abteile 11—17 vor (Türen 7—17 geschlossen). Die Abteile 2—6 sind a b g e b r a n n t ; aus Abteil 1 wird der f e r t i g g e b r a n n t e , a b g e k ü h l t e K a l k a u s g e f a h r e n , in Abteil 18 n e u e r K a l k s t e i n e i n g e s e t z t ; die Abteile 13—17 sind m i t f r i s c h e m K a l k s t e i n g e f ü l l t . Nach einiger Zeit wird das Feuer um ein Abteil weiterverlegt, so daß sich Abteil 10 und 11 im Vollfeuer, 8 und 9 in Nachglut und 12 und 13 in Vorglut befinden. Abteil 2 kann dann ausgekarrt werden, während 1 mit neuem Kalkstein beschickt wird usw.

Gebrannter Kalk hat die Eigenschaft, mit Wasser unter starker Wärmeentwicklung und Bildung von C a l c i u m h y d r o x y d zu reagieren („Kalklöschen"): CaO + H a O

> Ca(OH) 2 + 15 kcal.

Der dabei entstehende „gelöschte Kalk" dient zur Bereitung von L u f t m ö r t e l (S. 413f.). U n r e i n e K a l k s t e i n e mit Beimengungen an Tonerde, Kieselsäure oder Eisenoxyd dürfen nicht bei zu h o h e r T e m p e r a t u r gebrannt werden, da sie sonst wegen der im Vergleich zum Calciumoxyd (Smp. 2576°) leichteren Schmelzbarkeit der Calciumaluminate, -Silicate und -ferrite (Smp. 1500—1600°) s i n t e r n und so ein nur noch schwer m i t Wasser r e a g i e r e n d e s Produkt ergeben („totgebrannter Kalk"). Der aus g a n z reinem Calciumcarbonat (Marmor) entstehende Kalk wird auch bei sehr hohen Temperaturen n i c h t t o t g e b r a n n t , da wegen des hohen Schmelzpunktes von Calciumoxyd eine Sinterung bei den Temperaturen des Kalkbrennens nicht erfolgen kann und man daher ein lockeres, amorphes, weißes Pulver erhält. Bei starkem Erhitzen mit einer Knallgasflamme strahlt Calciumoxyd ein sehr helles weißes Licht aus („Drummondsches Kalklicht"). Mit Kohle setzt es sich bei hohen Temperaturen zu C a l c i u m c a r b i d CaC2 (S. 412) um. Außer zur M ö r t e l b e r e i t u n g und C a r b i d g e w i n n u n g wird Calciumoxyd zur Darstellung von A m m o n i a k (S. 227), als O f e n f u t t e r (S 5 3 0 f ) , als b a s i s c h e r Z u s c h l a g beim Erschmelzen von Metallen (S. 528), als D ü n g e m i t t e l (S. 269) und in der Glasfabrikation (S. 341) verwendet. Calciumhydroxyd Ca(0H)g entsteht beim L ö s c h e n v o n g e b r a n n t e m K a l k (s. oben) und bildet ein weißes, staubiges, amorphes Pulver. In Wasser ist es mäßig

Das Caloium

409

schwer löslich (1.3 g in 1 Liter Wasser bei 20°); die L ö s u n g heißt „Kalkwasser" und reagiert stark b a s i s c h . Eine S u s p e n s i o n von C a l c i u m h y d r o x y d in K a l k w a s s e r wird „Kalkmilch" genannt und dient u. a. als weiße Anstrichfarbe für Zimmerdecken. Calciumhydroxyd wird hauptsächlich zur Herstellung von M ö r t e l (S. 413f.) für Bauzwecke verwendet. Als b i l l i g s t e B a s e der Technik findet es weiterhin ausgedehnte Verwendung zum Freimachen von A m m o n i a k aus dem Gaswasser der Leuchtgasfabriken (S. 227), zum K a u s t i f i z i e r e n v o n S o d a (S. 423), als Ä t z m i t t e l in der Gerberei (II, S 373) usw. Calciumfluorid CaP2 kommt in der Natur in beträchtlichen Mengen als Flußspat vor. Als sehr schwer löslicher Stoff fällt er stets beim Zusammengeben von Calciumionen und Fluor-ionen aus: Ca" -+- 2F'•—»- CaF 2 . Der Schmelzpunkt liegt bei 1400°, der Siedepunkt bei 2500°. Calciumfluorid dient vor allem zur Darstellung von Flußsäure (S. 97), als Trübungsmittel in der Emaille-Industrie (S. 342) und als Flußmittel bei metallurgischen Prozessen (S. 403). Calciumchlorid CaCl2 wird t e c h n i s c h als A b f a l l p r o d u k t bei der S o d a f a b r i k a t i o n nach SOLVAY ( S . 427f.) erhalten: CaC03 + 2NaCl >• CaCL, -f Na2C03. R e i n e s Calciumchlorid entsteht beim Lösen von C a l c i u m c a r b o n a t in S a l z s ä u r e : CaC03 + 2 HQ >- CaCl2 + H 2 0 + C0 2 . Beim Eindunsten der wässerigen Lösung kristallisiert e s a l s H e x a h y d r a t CaCl2 -6H 2 0 in Form prismatischer Kristalle aus. Durch Erhitzen auf über 260° kann das H y d r a t zum w a s s e r f r e i e n Calciumchlorid CaCl2 entwässert werden, einer weißen, außerordentlich hygroskopischen, bei 780° schmelzenden Masse. Die Temperatur darf bei dieser Entwässerung nicht zu r a s c h gesteigert werden, da sonst teilweise H y d r o l y s e unter Bildung von Chlorwasserstoff erfolgt. Das w a s s e r f r e i e Calciumchlorid löst sich in Wasser unter starker W ä r m e e n t w i c k l u n g , das H e x a h y d r a t dagegen unter starker A b k ü h l u n g . Mischungen von wasserhaltigem Calciumchlorid und Eis werden daher oft als „Kältemischungen" benutzt; man kann damit Temperaturen bis herab zu —50° erreichen. Wasserfreies Calciumchlorid dient als T r o c k e n m i t t e l zum Trocknen von Gasen. A m m o n i a k kann nicht damit getrocknet werden, da es sich mit Calciumchlorid unter Bildung einer Verbindung CaCl2 • 8NH 3 vereinigt. Calciumnitrat Ca(N0j) 2 wird technisch durch Einwirkung von S a l p e t e r s ä u r e auf K a l k s t e i n gewonnen: CaC03 + 2HNOa —>- Ca(N03)a + HaO + COa und kommt unter dem Namen „Kalksalpeter" (,,Norgesalpeter") als D ü n g e m i t t e l in den Handel. Aus wässeriger Lösung kristallisiert Calciumnitrat in Form monokliner Prismen der Zusammensetzung Ca(N0 3 ) 2 • 4 H 2 0 aus, die oberhalb von 40° in ihrem Kristallwasser schmelzen (vgl. S. 426) und beim Erhitzen auf über 100° in die wasserfreie Verbindung (Smp. ~ 560°) übergehen. Calciumcarbonat CaCOj kommt in der Natur in zwei kristallisierten Modifikationen vor: als hexagonal kristallisierter „Calcit" {„Kalkspat") — oft in gutausgebildeten Kristallen von erheblicher Größe — und als rhombisch kristallisierter „Aragonit". Die b e s t ä n d i g e Form ist der C a l c i t . Aus mehr oder weniger feinen Calcitkristallen bestehen auch die gewöhnlichen Erscheinungsformen des Calciumcarbonats in der N a t u r : Kalkstein, Kreide und Marmor. K a l k s t e i n ist ein hauptsächlich durch TOD verunreinigtes Calciumcarbonat; bei stärkeren Tongehalten wird er als Kalkmergel (75—90°/0 CaC0 3 ), Mergel (40—'75% CaC0 3 ) oder Tonmergel (10—40% CaC0 3 ) bezeichnet. K r e i d e stellt eine erdige, weiche, vorwiegend aus Schalenresten urweltlicher

410

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

S c h n e c k e n u n d Muscheln {„Muschelkalk") bes t e h e n d e Form des Calciumcarbonats dar. M a r m o r ist ein sehr reines, feinkristallines Calciumcarbonat. Besonders rein ist der auf I s l a n d vorkommende Kalkspat. Er heißt auch „Doppelspat", weil er besonders eindrucksvoll das allen Kristallen mit bestimmten Symmetrieeigenschaften eigentümliche Phänomen der Doppelspat „Doppelbrechung" zeigt. Hierunter versteht man die Fig. 122. Doppelbrechung des Lichtes Erscheinung, daß ein einfallender Lichtstrahl in z w e i polarisierte Lichtstrahlen („ordentlicher" und „außerordentlicher" Strahl) zerlegt wird, welche verschieden stark gebrochen werden, so daß eine durch einen solchen Kristall betrachtete Schrift oder dergleichen d o p p e l t erscheint (Fig. 122). Man benutzt den isländischen Doppelspat zur Herstellung von P r i s m e n („Nicols") f ü r die Umwandlung von unpolarisiertem Licht in polarisiertes Licht.

AB_qi M F I O T H N

Als schwer lösliche Verbindung fällt Calciumcarbonat aus wässerigen Lösungen beim Z u s a m m e n g e b e n v o n Calcium - ionen u n d Carbonat-ionen a u s : Ca" + C 0 3 " — > • C a C 0 3 . D e r Niederschlag ist zunächst a m o r p h u n d g e h t d a n n in Berührung m i t der Lösung langsam in die k r i s t a l l i n e F o r m des Calcits über. I n k o h l e n s ä u r e h a l t i g e m Wasser ist Calciumcarbonat beträchtlich löslich, da sich dabei d a s ziemlich leicht lösliche C a l c i u m h y d r o g e n c a r b o n a t ( C a l c i u m b i c a r b o n a t ) C a ( H C 0 3 ) 2 b i l d e t : CaC0 3 + H 2 C0 3

Ca(HC0 3 ) 2 .

(1)

B e i m K o c h e n oder E i n d u n s t e n der L ö s u n g verschiebt sich das Gleichgewicht (1) infolge des E n t w e i c h e n s v o n K o h l e n d i o x y d ( H 2 C 0 3 — > - H 2 0 -j- C 0 2 ) wieder nach l i n k s , so d a ß C a l c i u m c a r b o n a t a u s f ä l l t . Hierauf beruht die Abscheidung v o n „Kesselstein" beim Erhitzen v o n calciumbicarbonat-haltigem Wasser in D a m p f k e s s e l n u n d die B i l d u n g v o n „ T r o p f s t e i n e n " („Stalaktiten" u n d „Stalagmiten") b e i m Verdunsten v o n hartem Wasser in Kalkgebirgen. Fast jedes Fluß- und Quellwasser enthält mehr oder weniger große Mengen an Calcium ealzen (und Magnesiumsalzen), hauptsächlich C a l c i u m b i c a r b o n a t und C a l c i u m s u l f a t . Ein an Calciumsalzen r e i c h e s Wasser heißt „hartes Wasser" zum Unterschied von calciumsalzf r e i e m oder - a r m e m Wasser, das man als „weiches Wasser" bezeichnet. Gemessen wird die Härte in „Härtegraden", unter denen man die Anzahl Milligramm CaO je 100 ccm Wasser versteht. Beim K o c h e n von hartem Wasser fällt das C a l c i u m b i c a r b o n a t als Calciumcarbonat aus, wodurch ein Teil der H ä r t e — die „vorübergehende" oder „temporäre Härte" — verschwindet. Die zurückbleibende, auf den Gehalt an C a l c i u m s u l f a t zurückzuführende Härte heißt „bleibende" oder „permanente Härte". Vorübergehende und bleibende H ä r t e ergeben zusammen die „Gesamthärte". Ein sehr weiches Wasser (1 Härtegrad) weist z. B. die in einer Buntsandsteinlandschaft (Si0 2 ) gelegene Stadt Gotha auf; dagegen ist das Leitungswasser der in einer Muschelkalklandschaft (CaC0 3 ) liegenden Stadt Würzburg sehr hart (37 Härtegrade). Einen mittleren Härtegrad (15.7) besitzt das Wasser der Stadt München. Die E n t h ä r t u n g von Wasser f ü r technische Zwecke erfolgt entweder durch D e s t i l l a t i o n des Wassers (S. 49) oder durch chemische A u s f ä l l u n g der störenden Ionen (z. B. mit S o d a : Ca" + C 0 3 " — > - CaC0 3 oder mit N a t r i u m p h o s p h a t : 3Ca" + 2 P O / " >- Ca 3 (P0 4 ) 2 ) oder schließlich durch B i n d u n g der Ionen mittels geeigneter „Ionenaustauscher" wie „Permutit" (vgl. S. 330) oder ,, Wojalit" (vgl. I I , S. 314). Namentlich die W o f a t i t e , organische Kunstharze, bürgern sich mehr und mehr zur Enthärtung von Wasser ein, da sie eine V o l l e n t s a l z u n g harten Wassers ermöglichen. Man leitet zu diesem Zweck das Wasser durch zwei Wofatitfilter, deren erstes s a u r e Gruppen enthält und die K a t i o n e n des harten Wassers gegen W a s s e r s t o f f i o n e n austauscht: Ca" + 2 H R >- CaR 2 + 2H' (2) (R = Wofatitrest), während H y d r o x y l i o n e n abgibt:

das zweite,

b a s i s c h e Filter die A n i o n e n bindet und

S0 4 " + 2 ROH — >- R 2 S 0 4 + 2 0 H ' ,

dafür (3)

welche durch die gemäß (2) gebildeten Wasserstoffionen neutralisiert werden, so daß reines, salzfreies Wasser hinterbleibt. B e i m E r h i t z e n zersetzt sich Calciumcarbonat unter Bildung v o n C a l c i u m o x y d und K o h l e n d i o x y d : ^ ^ ^ +

Das Calcium

411

Die Reaktion dient zur Darstellung von g e b r a n n t e m K a l k ( S . 407 f.) und zur K o h 1 e n d i o x y d g e w i n n u n g (S. 303f.). Gemäß dem Massenwirkungsgesetz (vgl. S. 119f.) entspricht j e d e r T e m p e r a t u r ein g a n z b e s t i m m t e r G l e i c h g e w i c h t s d r u c k pCOi (Fig. 123). Bei 900° erreicht dieser Gleichgewichtsdruck den Wert 1 Atmosphäre. Deshalb muß man beim Kalkbrennen (S. 407f.) mindestens auf 900° erhitzen, falls man nicht mit Unterdruck arbeitet. Ist der äußere Kohlendioxyddruck höher als der Gleichgewichtsdruck, so zersetzt sich Calciumcarbonat nicht; unter diesen Bedingungen gelingt es, seinen Schmelzpunkt zu ermitteln (1289° unter 110 Atmosphären Druck). Calciumsulfat CaSO* findet sich in der N a t u r als Gips CaS0 4 • 2 H 2 0 und Anhydrit CaS04. A b a r t e n des Gipses sind das ,,Marienglas" {„Frauenglas") und der „Alabaster", der für Bildhauerzwecke Verwendung findet. Aus reiner wässeriger Lösung kristallisiert Calciumsulfat unterhalb von 66° stets als Gips, oberhalb von 66° als Anhydrit. Bei Gegenwart anderer Salze kann die Abscheidung von Anhydrit auch bei niedrigeren Temperaturen erfolgen.

Fig. 123. Dissoziationsdruoke der Erd-

Beim E r h i t z e n auf 100° spaltet der Gips einen Teil seines Kristallwassers ab und geht in das „Halbhydrat" CaS0 4 • 1 / 2 H 2 0 („gebrannter Gips") über. Als Pulver mit Wasser zu einem Brei verrührt, e r h ä r t e t dieses rasch zu einer festen, aus feinfaserigen, miteinander verfilzten Gipskriställchen bestehenden Masse. Auf dieser Eigenschaft beruht die Verwendung des gebrannten Gipses im B a u g e w e r b e , der k e r a m i s c h e n I n d u s t r i e , der B i l d h a u e r e i und zu vielen anderen Zwecken (S. 414). I n der Technik entwässert man bei 120—180° in Eisenkesseln („Gipskocher") oder Trommelöfen. Das dabei entstehende Produkt („Stuckgips") ist noch etwas wasserärmer als das Halbhydrat. Bei 190—200° entweicht aus dem Stuckgips der Rest des Wassers; der so gebildete „wasserfreie Stuckgips" bindet so schnell mit Wasser ab, daß er praktisch nicht verwendet wird. Beim Erhitzen auf 500° büßt der Stuckgips seine Abbindefähigkeit wieder ein. Bei höherer Temperatur, praktisch beim Brennen in Schachtöfen bei 800—900°, entsteht eine Form des Calciumsulfats („Estrichgips"), welche in feinpulveriger Form mit Wasser langsam (in 24 Stunden und länger) abbindet und hydraulischeEigenschaften aufweist, während der Stuckgips rasch (in 10—20 Minuten) abbindet und unter Wasser langsam wieder erweicht. Gips, welcher bei 1000—1200° gebrannt wird, geht in „totgebrannten Gips" über, der sich ähnlich wie natürlicher Anhydrit nur sehr schwer mit Wasser umsetzt. Oberhalb von 1200° wird S0 3 ( — S 0 2 + 1 / 2 0 2 ) abgespalten; der dabei entstehende basische Gips besitzt wieder die Fähigkeit, mit Wasser zu erhärten. Die Gewinnung von Schwefeldioxyd zur Schwefelsäurefabrikation durch die letztgenannte thermische Spaltung von Gips: CaS04 CaO + SOa + V 2 0 2 ist wegen der erforderlichen hohen Temperatur von über 1200° unwirtschaftlich. Setzt man aber dem Gips Koks und tonige Zuschläge zu, so erfolgt die Spaltung bei wesentlich niedrigerer Temperatur, da dann unter gleichzeitiger KohlenoxydbUdung das Calciumoxyd als Calcium-aluminat und -Silicat abgefangen wird. Wählt man dabei das Mischungsverhältnis von Gips und Tonmaterial so, daß die Zusammensetzung des beim Brennen im Drehrohrofen entstehenden festen Produkts der Zusammensetzung von Portlandzement (S. 414f.) entspricht, so deckt die Zementgewinnung die Kosten der thermischen Zerlegung des Calciumsulfats. Das gewonnene Schwefeldioxyd wird nach dem Kontaktverfahren in Schwefelsäure

412

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

verwandelt. Das Verfahren („MCLLER-KCHNE-Verfahren") wird in beschränktem zur Schwefelsäure- und Zementerzeugung durchgeführt.

Umfang

Calciumsulfid CaS entsteht beim Glühen von C a l c i u m s u l f a t mit K o h l e : CaS0 4 + 2C —>- CaS + 2 C 0 2 . ES erlangt wie viele andere Sulfide (z. B. Strontium-, Barium-, Zink-, Cadmiumsulfid) durch Zusatz von S p u r e n e i n e s S e h w e r m e t a l l s a l z e s und starkes Glühen in Gegenwart von Schmelzmitteln die Eigenschaft, nach Belichtung längere Zeit im Dunkeln n a c h z u l e u c h t e n oder bei Bestrahlung mit u n s i c h t b a r e n S t r a h l e n wie Röntgen-, Elektronen-, a- oder ultravioletten Strahlen s i c h t b a r e s L i c h t auszusenden {„Leuchtstoffe", „Luminophore", „Phosphore"). Der Schwermetall„Aktivator" darf nur in Spuren (10~2 % ) vorhanden sein. Calciumcarbid CaC-j („Carbid") wird technisch in riesigen Mengen aus K a l k und K o k s im Lichtbogen eines elektrischen Ofens hergestellt: 112 kcal + CaO + 3C

CaCa + CO.

Die Reaktion ist eine G l e i c h g e w i c h t s r e a k t i o n . Unterhalb von 1600° wirkt Kohlenoxyd auf Calciumcarbid unter Bildung von Kalk und Kohle ein, oberhalb von 1600° beginnt bei Atmosphärendruck die Carbidbildung aus Kalk und Kohle. Technisch arbeitet man bei 2200—2300°. Bei extrem hohen Temperaturen reagieren Kalk und Carbid miteinander unter Bildung von Calcium und Kohlenoxyd (CaC2 + 2 CaO —>• 3 Ca + 2CO). Die Carbidöfen bestehen aus feuerfesten Steinen. Boden und Wände sind mit Kohlenstampfmasse ausgekleidet und bilden die eine Elektrode. Als Gegenelektroden dienen mehrere große, künstlich hergestellte Kohlenelektroden, welche in den Ofen hineinragen und zur Erzeugung eines dauernden Lichtbogens nach oben und unten bewegt werden können. Besonders geeignet sind als Gegenelektroden die „ SÖDERSERG-Elektroden". Bei diesen wird in Eisenblechzylindern von bis zu P/a m Durchmesser eine auf 100° angewärmte breiartige Stampfmasse aus Anthrazit, Koks, Teer und Pech mit Drucklufthämmern eingestampft. In dem Maße, in dem beim Betriebe die Elektrode unten abbrennt, wird die Masse nachgesenkt und oben neu eingestampft. Die angewendeten Spannungen betragen bei den Großöfen 100—160 Volt, die Leistungen bis zu 27000 Kilowatt. Das entstehende dünnflüssige Calciumcarbid wird von Zeit zu Zeit abgestochen, in eisernen Pfannen aufgefangen und nach dem Erkalten gebrochen und gegebenenfalls gemahlen.

T e c h n i s c h e s Calciumcarbid ist grauschwarz und enthält meist noch 1—2°/0 Kohlenstoff und 12—15°/0 Calciumoxyd. In r e i n e m Z u s t a n d e bildet Calciumcarbid eine farblose kristalline Masse. 60°/ 0 der deutschen Carbiderzeugung dienen zur Gewinnung von K a l k s t i c k s t o f f (s. unten), 40°/ 0 zur Darstellung von A c e t y l e n (II, S. 128ff.); das erzeugte Acetylen wird zur Hälfte zu organischen Synthesen (Essigsäure, Alkohol, Acetaldehyd, Buna, Kunststoffe usw.; II, S. 79, 107, 131 f., 134f.), zur anderen Hälfte zu Schweißzwecken (S. 43) verwendet. Kalkstickstoff. Bringt man feingemahlenes C a l c i u m c a r b i d bei hoher Temperatur mit S t i c k s t o f f zur Umsetzung, so entsteht in stark exothermer Reaktion ein Gemisch von Calcium-cyanamid CaCN2 und Kohlenstoff, das man als „Kalkstickstoff" bezeichnet: CaC2 + N 2

CaCN2 + C + 72 kcal.

Die Stickstoffaufnahme („Azotierung") beginnt bei 800° und erfolgt bei 1000—1100° mit technisch brauchbarer Geschwindigkeit. Erhitzt man aber die g a n z e Carbidmasse auf eine so hohe Temperatur, so kommt man infolge der großen Reaktionswärme in Temperaturgebiete, in denen sich die exotherme G l e i c h g e w i c h t s r e a k t i o n umkehrt. Diese Schwierigkeit wird beim „FRANK-CARO-Verfahren" in der Weise überwunden, daß man nur einen Teil der Carbidmasse auf die Reaktionstemperatur erhitzt und den übrigen Teil durch die R e a k t i o n s w ä r m e zur Umsetzung bringt. Beim „POLZENIUS-KRAUSS-Verfahren" wird die Reaktion dadurch gemäßigt, daß man durch Zusatz von C a l c i u m c h l o r i d oder C a l c i u m f l u o r i d die Azotiertemperatur auf etwa 700° h e r a b s e t z t und die Reaktionswärme durch K ü h l u n g m i t k a l t e r L u f t abführt.

Das Calcium

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Im einzelnen verläuft die Kalkstickstoffgewinnung nach dem FKANK-CAR©-Verfahren BO, daß man einen mit Calciumcarbid gefüllten Blechzylinder (8—10 t Einsatz) mit abnehmbarem, durchlochtem Boden in einen zylinderförmigen, aus feuerfesten Steinen gemauerten Ofen einführt, mit Hilfe einer langen, in die Mitte der Carbidsäule eingeführten Heizelektrode (Kohlenstab) das Carbidgemisch unter Einleiten von Stickstoff durch den durchlochten Boden zur Entzündung bringt („Initialzündung") und dann nach Herausziehen des Blechzylindermantels die Azotierung von selbst weiterschreiten läßt. Beim POLZENIUS-KRAUSS-Verfahren füllt man das Carbid in große, zerlegbare Eisenkästen mit durchlochtem Boden, welche auf Wagengestellen langsam einen rohrförmigen Kanalofen von 45—65 m Länge und rund 2 m Höhe durchfahren, während von der anderen Seite her der Stickstoff entgegenströmt. Im vorderen Teil des Kanalofens wird das Carbid vorgewärmt („Vorwärmraum,"), dann gelangt es in eine von außen beheizte Erhitzungszone („Heizraum"), wo es auf Reaktionstemperatur gelangt. Der nun folgende „Beaktionsraum" wird von außen mit kalter Luft gekühlt, damit die Temperatur während der Reaktion nicht zu hoch steigt. Im hinteren Ende des Kanalrohres („Kühlraum") erfolgt die Abkühlung des Reaktionsproduktes. Die nach beiden Verfahren resultierenden steinharten Kalkstickstoffblöcke werden gebrochen und staubfein vermählen. Das lästige Stäuben des Pulvers läßt sich durch Einölen mit 3% Teeröl beseitigen.

Der t e c h n i s c h e K a l k s t i c k s t o f f ist infolge des beigemengten Kohlenstoffs grau bis schwarz gefärbt, während r e i n e s C a l c i u m c y a n a m i d CaCN2 weiß ist. Er wird heute ausschließlich als S t i c k s t o f f d ü n g e m i t t e l verwendet. Die Dünge Wirkung beruht darauf, daß er im Boden unter der Einwirkung von W a s s e r und B a k t e r i e n in A m m o n i a k übergeht: CaCN2 + 3HAO — > -

CaC03 +

2NH3.

Früher führte man diese Umsetzimg mit Wasser auch t e c h n i s c h zur A m m o n i a k e r z e u g u n g aus, indem man K a l k s t i c k s t o f f unter Druck mit überhitztem Wasserdampf behandelte (vgl. S. 227). Heute ist diese Art der Ammoniakgewinnung unwirtschaftlich.

c) Mörtel Mörtel sind B i n d e m i t t e l , welche mit Wasser angerührt nach gewisser Zeit steinartig e r h ä r t e n und zur Y e r k i t t u n g der Steine eines Bauwerks oder zum Verp u t z von Mauerteilen dienen. Je nach der Widerstandsfähigkeit der erhärteten Mörtel gegen den Angriff von Wasser unterscheidet man „Luftmörtel" (z. B. Kalk und Gips), welche von Wasser angegriffen werden, und „Wassermörtel" (z. B. Portlandzement und Tonerdezement), welche dem Angriff von Wasser widerstehen. a) Luftmörtel Der bekannteste L u f t m ö r t e l ist der „Kalbmörtel". Er besteht aus einem steifen, wässerigen Brei von g e l ö s c h t e m K a l k („Mörtelbildner") und S a n d („Magerungsmittel"). Die Erhärtung dieses Breis beruht darauf, daß zunächst das überschüssige Wasser verschwindet („Abbinden"), worauf dann allmählich das Calciumhydroxyd unter der Einwirkimg des Kohlendioxyds der Luft in Calciumcarbonat übergehl („Erhärten"), das als kristalline Masse Sand und Bausteine verkittet: Ca(OH)a + COa

> CaCOs + H a O.

(1)

Da bei diesem Erhärtungsvorgang Wasser frei wird, werden neue Wohnungen feucht, wenn sie zu früh bezogen werden, da das ausgeatmete Kohlendioxyd nach (1) einwirkt. Zur Vermeidung des Feuchtwerdens stellt man offene Koksfeuer auf, die einerseits das zur Erhärtung erforderliche Kohlendioxyd liefern, andererseits das entstehende Wasser zur Verdunstung bringen. Der n a t ü r l i c h e Vorgang der Erhärtung, der von außen nach innen fortschreitet, dauert bei dickem Mauerwerk jahrzehnte- bis jahrhundertelang; hieraus erklärt sich die außerordentliche Festigkeit alter Bauten.

414

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

Bei der D a r s t e l l u n g des g e l ö s c h t e n K a l k s darf nicht z u v i e l und nicht z u w e n i g Wasser verwendet werden. Im ersteren Fall „ersäuft" der Kalk, im zweiten zerfällt („verbrennt") er zu einem grießig-sandigen, mit Wasser nicht mehr abbindenden Pulver. Nur reine Sorten von gebranntem Kalk löschen rasch und lebhaft ab und geben den richtigen Kalkbrei von speckiger, schlüpfriger Beschaffenheit („Fettkalk")-, unreine oder überbrannte Kalksorten löschen langsam und unvollständig ab und ergeben einen weniger guten pulverig-schlammigen „Magerkalk". Vor dem Zumischen des Sandes läßt man den Kalkbrei noch einige Zeit zur Vervollständigung des Löschens stehen („Sumpfen"). Gutem Kalk können 3 Teile S a n d beigemengt werden, magerem weniger. Der Sand verhindert einerseits eine zu starke S c h w i n d u n g des Kalks beim Erhärten und macht andererseits den Mörtel p o r ö s , so daß der durch den Luftzutritt bewirkte Erhärtungsprozeß (1) nach innen fortschreiten kann. Aus Kalkmörtel lassen sich auch B a u s t e i n e („Kalksandsteine") herstellen. Zu diesem Zwecke werden Mischungen von gebranntem Kalk und Sand abgelöscht, auf Pressen in Ziegelform gebracht und dann in einem geschlossenen Härtungskessel 8—10 Stunden der Einwirkung von überhitztem Wasserdampf (8 Atm.) ausgesetzt. Hierbei bildet sich Calciumhydrogensilicat, welches die Sandkörner verkittet. Ein anderer wichtiger Luftmörtel ist der „Gipsmörtel" in Form von „Stuckgips" und „Estrichgips" (S. 411). S t u c k g i p s wird meist in reinem Zustande, d. h. ohne Sand, verwendet, da er zum Unterschied vom Kalk beim Erhärten nicht „schwindet", sondern sogar um etwa l ° / 0 „wächst". Diese Volumenvermehrung macht ihn zur Herstellung von G i p s a b g ü s s e n und G i p s v e r b ä n d e n geeignet, da so die feinsten Vertiefungen der Vorlagen ausgefüllt werden und die Gipsverbände stets stramm anliegen. Die Porzellan- und Steinzeugfabriken (vgl. S. 344) machen aus Stuckgips Formen aller Art; für Bauzwecke stellt man aus Stuckgips billige, schmückende Bauteile sowie Decken und Wände mit Einlagen von Rohr oder Drahtgeflecht („Rabitzwände") her. Der E s t r i c h g i p s dient hauptsächlich zur Herstellung von Fußböden. ß ) Wassermörtel Der gewöhnliche Kalkmörtel erhärtet als Luftmörtel nur an der Luft, nicht aber unter Wasser. Will man zu einem w a s s e r b e s t ä n d i g e n Kalkmörtel kommen, so muß man den Kalkstein nicht f ü r s i c h a l l e i n , sondern v e r m i s c h t m i t T o n (Aluminiumsilicat) brennen. Das so erhaltene Produkt heißt „Zement". Zemente dienen im Gemisch mit Sand als „hydraulische Mörtel" („Wassermörtel") für W a s s e r b a u t e n , werden vielfach aber auch bei L u f t b a u t e n verwendet. Durch Vermengen von Zementmörtel mit K i e s oder S c h o t t e r erhält man den wichtigen Baustoff „Beton". Der bekannteste Zement ist der „Portlandzement". Zur Herstellung von Portlandzement (vgl. S. 347) werden kalkreiche und tonreiche Materialien (z. B. Kalkstein und Ton oder Kalkmergel und Tonmergel) so miteinander vermischt, daß das Verhältnis der Gewichtsmenge der „basischen Bestandteile" (CaO) zu der der „sauren Bestandteile" (Si0 2 , A1203, Fe 2 0 3 ), der sogenannte „hydraulische Modul", mindestens 1.7, zweckmäßig aber ungefähr 2 beträgt. Dieses Gemisch wird in Walzenbrechern zerkleinert und dann in Mühlen fein vermählen. Das Vermählen kann trocken oder naß erfolgen; je nachdem erhält man ein „Rohmehl" oder einen „Dickschlamm". Das Rohmaterial gelangt dann zum „Brennen" in eine D r e h r o h r o f e n a n l a g e . Diese besteht aus zwei übereinanderliegenden, auf Rollen gelagerten, drehbaren und feuerfest ausgekleideten Eisenblechrohren. Das obere, 2—3 m weite und 50—70 m lange, geneigt gelagerte B r e n n r o h r , das alle 1—2 Minuten eine Umdrehung macht, wird am oberen Ende mit dem angefeuchteten R o h m e h l oder dem D i c k s c h l a m m beschickt, während vom unteren Ende her durch eine mit Preßluft betriebene K o h l e n s t a u b f e u e r u n g eine mehrere Meter lange F l a m m e in den Ofen eingeblasen wird. Das Rohmaterial bewegt sich durch die Drehung des Ofens langsam nach unten und t r o c k n e t zunächst zu Staub; bei 1000° beginnt die Bildung der die Eigenschaften des Zements bedingenden Calciumsilicate, -aluminate und -ferrite, namentlich des T r i c a l c i u m s i l i c a t s 3CaO • SiOa („Alit"). Bei etwa 1250° beginnt die Masse zu e r w e i c h e n , bei 1400—1450° s i n t e r t sie zu 2—3 cm großen, graugrünen K l u m p e n („Klinker") zusammen. Ihre Zusammensetzung schwankt zwischen den Werten 58—66% CaO, 18—26°/„ Si0 2 , 4—12% A1203 und 2—5°/0 Fe 2 0 3 ; der Rest verteilt sich in der Hauptsache auf MgO, S0 3 , C0 2 und H 2 0 . Am unteren Ende des Ofens fällt der Klinker in die darunter befindliche kürzere und engere, ebenfalls schrägliegende K ü h l t r o m m e l . Hier

Das Strontium

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wird er durch kalte Luft a b g e k ü h l t , welche sich dabei selbst e r w ä r m t und dann als heiße V e r b r e n n u n g s l u f t für die Kohlenstaubfeuerung dient. Der mit einer Temperatur von 70—100° aus der Kühltrommel fallende Klinker wird dann zu einem staubfeinen Mehl vermählen. An Stelle der Drehrohröfen kann man auch Schachtöfen verwenden. Zur Bereitung von Z e m e n t m ö r t e l vermischt man den Portlandzement bei Wasserbauten mit 1—2, bei Luftbauten mit 3 Teilen S a n d sowie mit W a s s e r . Die Verfestigung des Mörtels erfolgt zunächst sehr rasch durch Wasseraufnahme {„Abbinden") und schreitet dann immer langsamer fort {„Erhärten"). Die E r h ä r t u n g beruht im wesentlichen darauf, daß das Tricalciumsilicat des Zements durch das Wasser allmählich unter Bildung von M o n o c a l c i u m s i l i c a t CaSi0 3 und C a l c i u m h y d r o x y d Ca(OH) 2 zersetzt wird: 3 CaO • S i 0 2 + 2 H 2 0 — > CaO • S i 0 2 + 2 Ca(OH) 2 . In ähnlicher Weise erfolgt auch eine Umwandlung der A l u m í n a t e und F e r r i t e . Die Keaktionsprodukte scheiden sich in Form ultramikroskopischer Kriställchen aus und v e r f i l z e n und v e r f e s t i g e n beim Wachsen in zunehmendem Maße das ganze Gefüge. Während also bei der Erhärtung des K a l k - L u f t mörtels die Calcium c a r b ó n a tbildung maßgebend ist, ist beim K a l k - W a s s e r m ö r t e l die C a l c i u m s i l i c a t b i l d u n g für die Verfestigung verantwortlich. Durch Zumischen von g r o b e m K i e s oder S t e i n s c h l a g zum Z e m e n t m ö r t e l erhält man Beton. Einen besonders stabilen Baustoff erhält man durch Einbetten von E i s e n g i t t e r n oder E i s e n d r a h t g e f l e c h t e n in Beton {„Eisenbeton"), da der Beton am Eisen fest haftet und es vor dem Verrosten bewahrt. Auch n a t ü r l i c h e tonhaltige Kalksteine können zur Erzeugung von Zement verwendet werden. So stellt man z. B. aus t o n r e i c h e m Mergel (50—70°/o CaC03, 25°/o Ton) durch Brennen bei etwa 1200° unterhalb der Sinterungsgrenze „Bomanzement" her. V u l k a n i s c h e Massen („Tuff") dienen als „Puzzolanzement" (Italien) und „Trass" (Eifel) im Gemisch mit gelöschtem Kalk als hydraulische Mörtel. T o n a r m e K a l k s t e i n e (10—20°/o Ton) ergeben beim Brennen den hydraulischen „Wasserkalk" („Zementkalk"), der meist im Gemisch mit Zement, Puzzolanerde oder Trass verwendet wird. Weiterhin können auch t e c h n i s c h e A b f a l l p r o d u k t e geeigneter Zusammensetzung zur Zementgewinnung herangezogen werden. So enthält z . B . die basische G u ß e i s e n - H o c h o f e n s c h l a c k e (S. 529) 44—52% CaO, 27—35% Si0 2 und 8—20% A1203 + Ee 2 0 3 , so daß sie durch E r h ö h u n g des K a l k g e h a l t e s (Brennen des Schlackenmehls mit gemahlenem Kalkstein wie bei der Herstellung von Portlandzement) in einen Z e m e n t übergeführt werden kann, der in seiner Zusammensetzung (54—60% CaO, 20—26% SiOa, 9—15% AlaOs + Fe 2 0 3 ) nur wenig vom Portlandzement abweicht (,,Eisenportlandzement"). Wesentlich reicher an Aluminiumoxyd und ärmer an Siliciumdioxyd als der Portlandzement ist der „Tonerdezement" ( 3 5 ^ 1 0 % CaO, 3 0 — 4 5 % Al 2 O s , 1 0 — 2 0 % F e 2 0 3 , 1 0 — 1 2 % Si0 2 ). Man gewinnt ihn durch Schmelzen oder Sintern einer Mischung von B a u x i t und K a l k im Gebläseschachtofen oder elektrischen Ofen.

4. D a s Strontium Elementares Strontium. Das Strontium gehört zu den weniger häufigen Elementen. Die hauptsächlichsten Strontiummineralien sind Cölestin SrSOi und Strontianit SrC0 3 . Die D a r s t e l l u n g des M e t a l l s erfolgt wie beim Calcium durch E l e k t r o l y s e des g e s c h m o l z e n e n C h l o r i d s unter Anwendung einer Berührungselektrode (S. 407). Der hohe Schmelzpunkt des Chlorids (873°) kann dabei durch Zusatz von Kaliumchlorid wesentlich heruntergedrückt werden. Reines Strontium (spez. Gew. 2.60) schmilzt bei 771°, siedet bei 1366° und ähnelt im übrigen vollkommen dem Calcium. Technische Verwendung findet es nicht. Strontium Verbindungen. Als Ausgangsmaterial für die Darstellung der meisten Strontiumverbindungen dient das Strontiumcarbonat SrC0 3 . Es findet sich in der Natur als Strontianit und kann weiter aus dem ebenfalls in der Natur vorkommenden Cölestin SrS0 4 durch Verschmelzen mit Soda gewonnen werden: SrS0 4 + Na 2 C0 3 >- SrC0 3 + Na 2 S0 4 . Beim Erhitzen spaltet das Carbonat bei 1100° C0 2 ab (vgl. Fig. 123, S. 411) und geht in das Strontiumoxyd SrO (Smp. 2430°) über. Bei der Behandlung mit Wasser entsteht aus diesem unter starker Wärmeentwicklung das Strontiumhydroxyd Sr(OH) 2 , das zu den starken Basen gehört. Durch Auflösen

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Die Gruppe der Erdalkalimetalle

des Strontiumcarbonats in Salz- bzw. Salpetersäure erhält man das Chlorid und das Nitrat. Das Strontiumchlorid SrCla (Smp. 873°) ist zum Unterschied vom alkohol-unlöslichen Bariumchlorid BaClj in Alkohol löslich, so daß man die beiden Erdalkalichloride durch Alkohol trennen kann. Das Strontiumnitrat Sr(N0 3 ) 2 löst sich zum Unterschied vom Calciumnitrat nicht in Alkohol-Äther, wovon man zur Trennung von Calcium und Strontium Gebrauch macht. Strontiumsalze werden zu b e n g a l i s c h e m F e u e r verwendet, dem sie eine prächtig karminrote Farbe verleihen.

5. Das Barium Elementares Barium. Barium kommt in der Natur hauptsächlich als Schwerspat BaS0 4 und als Witherit BaCOa vor. Seine Darstellung auf schmelzelektrolytischem Wege macht Schwierigkeiten. Daher gewinnt man es zweckmäßig durch Reduktion von B a r i u m o x y d mit A l u m i n i u m oder S i l i c i u m bei 1200° C im Vakuum. Es schmilzt bei 717°, siedet bei 1696° und besitzt das spezifische Gewicht 3.74. Bariumsulíat BaSO« findet sich in der Natur als Schwerspat {Baryt-, spez. Gewicht 4.5) und dient in dieser Form als A u s g a n g s m a t e r i a l für die meisten a n d e r e n B a r i u m s a l z e . Zu diesem Zwecke wird ein feingemahlenes Gemisch von S c h w e r s p a t und K o h l e in Drehrohröfen oder Flammöfen auf 600—800° erhitzt: B a S 0 4 + 2C — > • BaS + 2CO a

B a S 0 4 + 4C

BaS + 4CO

und das dabei entstehende B a r i u m s u l f i d , das sich durch Auslaugen des Reaktionsproduktes mit Wasser isolieren läßt, mit den entsprechenden S ä u r e n umgesetzt. Auch durch Lösen des natürlich vorkommenden W i t h e r i t s BaCO s in S ä u r e n kann man in einfacher Weise Bariumsalze gewinnen. Das Bariumsulfat ist in W a s s e r vollkommen u n l ö s l i c h und c h e m i s c h s e h r b e s t ä n d i g ; daher findet es als M i n e r a l f a r b e („Permanentweiß", „Blanc fixe") Verwendung. Weiterhin dient es als F ü l l m a t e r i a l für Papier. Da die für diese Zwecke erforderliche f e i n s t e V e r t e i l u n g durch noch so feines Mahlen des natürlichen Schwerspats nur unvollkommen zu erzielen ist, stellt man das Bariumsulfat in großen Mengen k ü n s t l i c h her. Hierzu löst man B a r i u m s u l f i d oder B a r i u m c a r b o n a t in S a l z s ä u r e (BaS + 2HCl BaCl 2 + H 2 S ; BaC0 3 + 2HC1 ->- BaCl2 + H 2 0 + C0 2 ) und fällt aus der gebildeten Bariumchloridlösung das Barium mit N a t r i u m - oder M a g n e s i u m s u l f a t als Sulfat aus: Ba" + S 0 4 "

BaS04.

Als N e b e n p r o d u k t entsteht Bariumsulfat bei der W a s s e r s t o f f p e r o x y d gewiimung aus Bariumperoxyd und Schwefelsäure (S. 178f.). Da Bariumsulfat bei völliger Entwässerung seine Deckkraft als Mineralfarbe wieder verliert, kommt es als P a s t e mit 20—30°/0 Wasser in den Handel. Größere Deckkraft als das P e r m a n e n t w e i ß besitzt eine andere bariumsulfathaltige weiße Anstrichfarbe, der Lithopon. Er wird durch Umsetzung von B a r i u m s u l f i d - und Z i n k s u l f a t l ö s u n g e n gewonnen: BaS + ZnS0 4 — > - BaSO t + ZnS

und besteht aus Z i n k s u l f i d und B a r i u m s u l f a t . Lithopon besitzt annähernd die Deckkraft von B l e i w e i ß und hat vor diesem den Vorzug, durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff n i c h t n a c h z u d u n k e l n ; daher ist er die am meisten verwendete weiße Farbe. Bariumcarbonat BaC0 :t , das in der Natur als Witherit vorkommt und künstlich durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d in B a r i u m s u l f i d l ö s u n g als schwerlöslicher weißer Niederschlag gewonnen werden kann (Ba" -f- C0 3 " —>• BaC0 3 ), zerfällt bei

Das Radium

417

Atmosphärendruck erst oberhalb von 1400° C in Bariumoxyd und Kohlendioxyd (vgL Fig. 123, S. 411): BaC0 3 Zi=i:Ba0 + C0 2 . Will man daher aus dem Carbonai das Oxyd gewinnen, so setzt man zweckmäßig K o h l e zu, welche sich mit dem Kohlendioxyd unter Bildung von Kohlenoxyd umsetzt (C0 2 + C < > 2 CO) und so ein Glühen bei niedrigerer Temperatur ermöglicht. Bariumnitrat B a ( N 0 j ) j wird technisch durch Lösen von B a r i u m s u l f i d oder B a r i u m c a r b o n a t in S a l p e t e r s ä u r e gewonnen und findet hauptsächlich Verwendung in der F e u e r w e r k e r e i für Grünfeuer und in der S p r e n g t e c h n i k . Bariumchlorid BaClg läßt sich technisch durch Auflösen von B a r i u m s u l f i d oder B a r i u m c a r b o n a t in S a l z s ä u r e oder durch Umsetzen von B a r i u m s u l f i d l ö s u n g e n mit Lösungen von C a l c i u m - oder M a g n e s i u m c h l o r i d darstellen. E s kristallisiert aus der wässerigen Lösung als Dihydrat BaCl 2 • 2 H 2 0 aus. Beim Erhitzen geht es in das wasserfreie Bariumchlorid, eine weiße Masse vom Schmelzpunkt 960° und Siedepunkt 1560°, über. Bariumoxyd BaO entsteht als lockeres, poröses, reaktionsfähiges Pulver (Smp. 1923°) beim G l ü h e n eines Gemisches von künstlich hergestelltem B a r i u m c a r b o n a t und feiner S t a u b k o h l e oder R u ß und dient als Ausgangsmaterial für die Darstellung von Bariumperoxyd (S. 181). Ohne den Zusatz von Kohle erfolgt der Zerfall des Bariumcarbonats erst bei so hoher Temperatur (s. oben), daß das Bariumoxyd stark zu sintern beginnt. Mit Wasser vereinigt sich Bariumoxyd unter starker Wärmeentwicklung zum Hydroxyd. Bariumhydroxyd Ba(OH) . löst sich in Wasser bedeutend leichter als Calcium- und Strontiumhydroxyd. Aus der entstehenden, stark basisch reagierenden Lösung {„Barytwasser") kristallisiert das Hydroxyd als Hydrat Ba(OH) 2 • 8 H 2 0 . Zum Unterschied von den Calcium- und Strontiumsalzen sind die Bariumsalze giftig.

6. Das Radium Vorkommen. Das radiumreichste Mineral ist die P e c h b l e n d e (S. 519), in der das Radium als r a d i o a k t i v e s Z e r f a l l s p r o d u k t des Urans enthalten ist (S. 568). Aber auch in dieser Pechblende ist der Radiumgehalt nur s e h r g e r i n g (0.14 g je 1000 kg Erz), da im radioaktiven Gleichgewicht (S. 577) auf 3 Millionen Uranatome erst 1 Radiumatom entfällt. Darstellung. Die Aufarbeitung der Pechblende und anderer radiumhaltiger Uranerze (z. B . des Carnotits) auf Radium erfolgt in der Weise, daß man das Radium nach Zusatz von B a r i u m s a l z gemeinsam mit dem B a r i u m als schwerlösliches S u l f a t ausfällt (vgl. S. 574) und anschließend die beiden Elemente durch fraktionierte Kristallisation der B r o m i d e (Radiumbromid ist schwerer löslich als Bariumbromid) voneinander trennt. Das m e t a l l i s c h e R a d i u m läßt sich aus den Lösungen seiner Salze elektrolytisch an einer Quecksilberkathode als A m a l g a m abscheiden und hinterbleibt beim Erhitzen des Amalgams auf 400—700° in einer Wasserstoffatmosphäre als weißglänzendes, bei 960° schmelzendes und bei 1140° siedendes Metall (spez. Gew. 5—6). Eigenschaften. Als höheres Homologes des Bariums ähnelt das R a d i u m in seinen Eigenschaften dem B a r i u m . E s wird wie dieses von der L u f t angegriffen und zersetzt lebhaft W a s s e r . Das Sulfat R a S 0 4 ist wie Bariumsulfat in Wasser und verdünnten Säuren unlöslich. Das in Wasser unlösliche Carbonai R a C 0 3 löst sich wie Bariumcarbonat in Säuren. Von dem für das Radium und seine Verbindungen charakteristischen „radioaktiven Zerfall" wird später (S. 566ff.) ausführlicher die Rede sein. H o l l e m a u - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37. —39. Aufl.

27

418

Die Gruppe der Erdalkalimetalle

7. Vergleichende Übersicht über die G r u p p e der Erdalkalimetalle Die Elemente Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium und Barium bilden zusammen mit dem weniger gut untersuchten Radium die zweite Hauptgruppe des Periodensystems. Ihre wichtigsten physikalischen E i g e n s c h a f t e n gehen aus der folgenden Tabelle hervor: Atomgewicht Spezifisches Gewicht.... Schmelzpunkt Siedepunkt Normalpotential Basischer Charakter der Oxyde Löslichkeit der Sulfate.. Löslichkeit derHydroxyde

Beryllium

Magnesium

Calcium

Strontium

9.02 1.86 1285° 2970° — 1.70

24.32 1.74 650° 1100° — 2.34

40.08 1.54 851° 1439° — 2.87

87.63 2.60 771° 1366° — 2.89

Barium 137.36 3.74 717° 1696° — 2.90

nimmt zu nimmt ab nimmt zu

Die Abstufung ihrer ohemischen E i g e n s c h a f t e n ist dadurch gegeben, daß vom Beryllium zum Barium hin das Normalpotential negativer wird, entsprechend einer Zunahme des e l e k t r o p o s i t i v e n C h a r a k t e r s und damit der Verwandtschaft zu elektronegativen Elementen. So nimmt z. B. die Beständigkeit der Metalle gegenüber L u f t und Wasser vom Beryllium zum Barium hin ab, und in gleicher Richtung steigt auch die Neigung zur Vereinigung mit S t i c k s t o f f . Daß Beryllium und Magnesium so außerordentlich langsam mit Wasser reagieren, wird allerdings mit dadurch bedingt, daß ihre dabei sich bildenden Hydroxyde viel schwerer löslich sind als die des Calciums, Strontiums und Bariums, wodurch der Angriff des Wassers erschwert wird. Der b a s i s c h e Charakter der Oxyde und Hydroxyde nimmt wie stets mit steigendem Atomgewicht des Metalls zu: Be(OH)¡¡ ist ein a m p h o t e r e s , Ba(OH)2 ein s t a r k b a s i s c h e s H y d r o x y d . Entsprechend dieser Abstufung der Basizität werden die Salze der Metallbasen mit schwachen Säuren — z. B. die C a r b o n a t e — in der Richtung vom Barium zum Beryllium hin leichter thermisch zersetzt und hydrolytisch gespalten. Alle Elemente der zweiten Hauptgruppe sind zweiwertig. Zwar existieren auch Halogenide des Calciums, Strontiums und Bariums von der Formel MeX (,,Erdalkalisubhalogenide"), in denen die Erdalkalimetalle einwertig zu sein scheinen. Jedoch dürfte es sich hier um Mischverbindungen von normalem Halogenid MeCl2 und freiem Metall Me handeln, ähnlich wie auch die Verbindungen des „zweiwertigen" Galliums, Indiums und Thalliums wahrscheinlich als Mischverbindungen der drei- und einwertigen Metalle aufzufassen sind (S. 398, 499f.). Da vom Beryllium und Magnesium keine derartigen Verbindungen bekannt sind und ihre Stabilität vom Calcium zum Barium hin zunimmt, trifft demnach auch hier die schon bei den vorhergehenden Gruppen beobachtete Regel zu, daß mit steigendem Atomgewicht die relative Beständigkeit der um zwei E i n h e i t e n niedrigeren Wertigkeit — hier der N u l l w e r t i g k e i t — zunimmt.

Kapitel XV

Die Gruppe der Alkalimetalle Die Gruppe der Alkalimetalle besteht aus den Elementen Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium und Francium. Das letztere, in Frankreich1 entdeckte Element (Ordnungszahl 87) kommt in der Natur nur in sehr geringen Mengen als radioaktives Zerfallsprodukt des Actiniums vor und soll erst bei den radioaktiven Stoffen besprochen werden (S. 600).

1. D a s N a t r i u m a) Elementares Natrium Vorkommen. Wegen seines stark elektropositiven Charakters kommt das Natrium in der Natur nicht frei, sondern nur gebunden vor. Und zwar beträgt der Gehalt der Erdrinde an Natrium 2.6%, so daß Natrium zu den häufigsten Elementen zählt (vgl. S. 69). Die meistverbreiteten Natriummineralien sind der Natronfeldspat (Albit) Na[AlSi 3 0 8 ] und der Kalk-Natronfeldspat (Oligoklas) Na[AlSi 3 0 8 ] • Ca[Al2Si2Og]. Weiterhin findet sich Natrium in mächtigen Lagern in Form von Steinsalz NaCl, Chilesalpeter NaN0 3 und Kryolith Na 3 [AlF 6 ]. Große Mengen an Natriumchlorid sind auch im Meerwasser gelöst (S. 422). Darstellung. Da Natrium ein sehr unedles Metall ist, sind seine Verbindungen auf chemischem Wege nur schwer zum Metall zu reduzieren. Daher wird es zweckmäßig elektrolytisch dargestellt. Zur E l e k t r o l y s e darf dabei wegen der Wasserempfindlichkeit des Natriums (Na + H Ö H — N a O H + 1/2H2) keine wässerige Lösung, sondern nur eine wasserfreie Schmelze angewandt werden. Als Schmelzelektrolyt dient Natriumhydroxyd NaOH oder Natriumchlorid NaCl. Da ersteres aus letzterem durch Elektrolyse gewonnen wird (S. 424f.), erfordert die Natriumgewinnung aus Natriumhydroxyd im ganzen einen größeren Aufwand an elektrischer Energie als die u n m i t t e l b a r e Elektrolyse des Natriumchlorids. Wegen des niedrigeren Schmelzpunktes von Natriumhydroxyd (NaOH: Smp. 328°; NaCl: Smp. 801°) bereitet aber die Ätznatron-elektrolyse technisch geringere Schwierigkeiten, so daß man sich zuerst ihrer bediente. Auch der Entdecker des Natriums, der englische Naturforscher H U M P H R Y D A V Y (1778—1831), gewann das Metall (1807) durch Elektrolyse von geschmolzenem Ätznatron. Heute tritt die Ätznatron-elektrolyse gegenüber der Chlorid-elektrolyse mehr und mehr in den Hintergrund. Zur Elektrolyse von geschmolzenem N a t r i u m h y d r o x y d kann man sich der „CASTNERZelle" (Fig. 124) bedienen. Sie besteht im Prinzip aus einem unten verjüngten zylindrischen E i s e n g e f ä ß von 100—400 kg Fassungsvermögen, in das von unten her ein — oben verdickter — E i s e n s t a b als K a t h o d e eingeführt ist, während als Anode ein die Kathode umgebender e i s e r n e r Z y l i n d e r dient. Kathoden- und Anodenraum sind durch einen als „Diaphragma" (stromdurchlässige Scheidewand) wirkenden D r a h t n e t z z y l i n d e r voneinander getrennt, der 1

France — Frankreich. 27*

Die Gruppe der Alkalimetalle

420

isoliert an einer S a m m e l g l o c k e für das entstellende Natrium befestigt ist. Das bei der Elektrolyse gebildete Natrium: Kathode: 2Na" + 2 © >- 2 N a Anode: 2OH' >- H 2 0 + V 2 0 2 + 2 Q 2NaOH 2 Na + H 2 0 + V a 0 2 Gesamtvorgang: steigt im Kathodenraum nach oben und kann dort abgeschöpft werden. Die Elektrolyse wird bei 310—330° durchgeführt. Unterhalb dieser Temperatur erstarrt die Schmelze, oberhalb beginnt sich das Metall in der Schmelze aufzulösen. Die Elektrolyse von geschmolzenem N a t r i u m c h l o r i d wird zweckmäßig in der „DoWNSZelle" (Fig. 125) durchgeführt. Sie besteht aus einem mit feuerfesten Steinen ausgemauerten

Natriummetat/ Natriumhydroxydschmp/te. finode itektrotysiergefäss

Natrium,net

ElektroJysiergefäss

Fig. 124. CASTNER-Zelle zur Schmelzelektrolyse von Natriumhydroxyd

Fig. 125. DowNS-Zelle zur Schmelzelektrolyse von Natriumchlorid

Kessel, in den von unten eine A n o d e aus A c h e s o n g r a p h i t (S. 297) eingeführt ist, welche ringförmig von einer Eisenkathode umgeben wird. Zur Ableitung des bei der Elektrolyse anodisch gebildeten C h l o r s : Kathode: 2Na' + 2Q > 2Na Anode: 2 C 1 ' — > - Cl8 + 2 © Gesamtvorgang:

2NaCl — > - 2 N a + Cl2

ist die Anode von einer E i s e n b l e c h g l o c k e überdeckt, von der als D i a p h r a g m a ein ringförmiges D r a h t n e t z herabhängt. Das kathodisch gebildete Natrium steigt empor, sammelt sich in dem zu einer R i n n e umgebogenen Rand der Glocke und wird von hier aus durch ein eisernes S t e i g r o h r entnommen. Durch Zusatz von C a l c i u m c h l o r i d wird der S c h m e l z p u n k t des Natriumchlorids bis nahezu auf 600° e r n i e d r i g t , da sich das Natrium bei zu hoher Elektrolysetemperatur in der Schmelze fein verteilt. Physikalische Eigenschaften. N a t r i u m ist ein silberweißes Metall v o m spezifischen Gewicht 0.97, welches bei 97.8° schmilzt u n d bei 883° u n t e r B i l d u n g eines purpurfarbenen D a m p f e s (vgl. S. 140) siedet. E s ist recht w e i c h ( e t w a v o n der H ä r t e d e s w e i ß e n Phosphors) u n d läßt sich daher m i t d e m Messer s c h n e i d e n oder m i t t e l s einer eisernen Schraubenpresse durch enge Ö f f n u n g e n hindurch als D r a h t oder B a n d pressen. D a s elektrische L e i t v e r m ö g e n ist bei 0° 22 mal größer als d a s d e s Quecksilbers u n d 3 m a l kleiner als das des Silbers. I m D a m p f z u s t a n d e ist N a t r i u m i m w e s e n t l i c h e n einatomig, doch k o m m e n d a n e b e n auch Na 2 -Moleküle vor (S. 154 f.). So beträgt z. B . der Assoziationsgrad beim Siedepunkt 16%. Chemische Eigenschaften. N a t r i u m o x y d i e r t sich a n f e u c h t e r L u f t a u ß e r o r d e n t - ' ich l e i c h t ( N a

H,

°

N a O H ) , so d a ß die b l a n k e Metalloberfläche eines frisch durch-

Das Natrium

421

schnittenen Natriumstückes schnell a n l ä u f t und sich mit einer H y d r o x y d k r u s t e bedeckt. Daher bewahrt man Natrium unter P e t r o l e u m auf. Die auch hier mit der Zeit sich bildenden K r u s t e n rühren von Reaktionen des Metalls mit im Petroleum enthaltenen S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n her. Gegenüber t r o c k e n e m S a u e r s t o f f ist Natrium zum Unterschied davon sehr b e s t ä n d i g (vgl. S. 435). So behält Natrium in L u f t , welche mit Phosphorpentoxyd g e t r o c k n e t wurde, tagelang seinen metallischen G l a n z bei und kann sogar in vollkommen t r o c k e n e m S a u e r s t o f f g e s c h m o l z e n werden, ohne sich zu entzünden. Bei Anwesenheit von Spuren Feuchtigkeit verbrennt es dagegen beim Erwärmen an der Luft leicht mit i n t e n s i v g e l b e r F l a m m e . Bei dieser Verbrennung entsteht nicht das einfache Oxyd Na 2 0, sondern das Natriumperoxyd N a 2 0 2 (S. 180). Ersteres kann aus letzterem durch Erhitzen mit metallischem Natrium gewonnen werden: N a 2 0 2 + 2 N a —>- 2 N a 2 0 . Auch sonst ist das Natrium ein s e h r r e a k t i o n s f ä h i g e s E l e m e n t . Leitet man z . B . über erwärmtes N a t r i u m C h l o r , so vereinigt es sich mit diesem unter b l e n d e n d e r L i c h t e r s c h e i n u n g zu N a t r i u m c h l o r i d (S. 82): 2Na + Clj -—>- 2NaCl + 196.6 kcal. (1) Auf W a s s e r geworfen schwimmt es umher und geht unter S c h m e l z e n und W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g in N a t r i u m h y d r o x y d über (S. 37): 2Na + 2HÖH •—>- 2NaOH + H a + 67.4 kcal. (2) Hindert man es dabei an der B e w e g u n g (indem man es z. B. auf ein auf dem Wasser schwimmendes Stück F i l t r i e r p a p i e r legt), so e n t z ü n d e t sich der freiwerdende W a s s e r s t o f f , da die Wärmeentwicklung dann lokalisiert ist. I n f l ü s s i g e m A m m o n i a k löst sich Natrium ohne Wasserstoffentwicklung mit i n t e n s i v b l a u e r F a r b e . Beim E r h i t z e n zersetzen sich diese Lösungen in analoger Weise wie beim Wasser (2) unter Bildung von N a t r i u m a m i d N a N H 2 (vgl. auch S. 457): 2Na + 2 HNH2 - V 2NaNH2 + H 2 . Anwendung. Metallisches Natrium findet ausgedehnte t e c h n i s c h e V e r w e n d u n g zur Darstellung von N a t r i u m p e r o x y d N a 2 0 2 (z. B. f ü r Bleich- und Waschzwecke; S. 180f.), N a t r i u m a m i d N a N H 2 (z. B. f ü r Indigosynthese; I I , S. 487) und N a t r i u m c y a n i d ( z . B . zur Goldgewinnung; S. 464f.), sowie für o r g a n i s c h e S y n t h e s e n (z. B. in der Farbenindustrie). Im L a b o r a t o r i u m ist es als k r ä f t i g e s R e d u k t i o n s m i t t e l unentbehrlich. I n der B e l e u c h t u n g s t e c h n i k benutzt man es bei den N a t r i u m dampf-Entladungslampen.

b) Verbindungen des Natriums a) Natriumchlorid (Kochsalz) Vorkommen. N a t r i u m c h l o r i d („Kochsalz") NaCl findet sich als „Steinsalz" in mächtigen Lagern vor allem in der Norddeutschen Tiefebene (z. B. Staßfurt), in Galizien (z.B. Wieliczka) und im Salzkammergut. Die Entstehung dieser Lager ist auf die Abschnürung und Eintrocknimg vorzeitlicher M e e r e s t e i l e zurückzuführen (vgl. S.429f.). Bei dieser E i n d u n s t u n g schied sich das schwerer l ö s l i c h e N a t r i u m c h l o r i d zuerst, das leichter lösliche K a l i u m c h l o r i d zuletzt ab, so daß die Steinsalzlager nach dervölligen Eintrocknung von eineraus K a l i s a l z e n bestehenden Schicht bedeckt waren. Meist wurde diese oberste Schicht später durch eindringende R e g e n - u n d F l u ß w ä s s e r wieder w e g g e w a s c h e n . Nur an einigen Stellen (z. B. bei Staßfurt) blieben die K a l i s a l z s c h i c h t e n durch Überlagerung von wasserundurchlässigem T o n vor dem Wasser g e s c h ü t z t ; sie sind heute als K a l i s a l z l a g e r s t ä t t e n (S. 429f.) von großer Bedeutung. Früher räumte man die Kalisalzschicht ab, um zu dem damals allein gesuchten Steinsalz zu gelangen; daher der Name „Abraumsalze" für diese Kalisalze. Heute sind umgekehrt die K a l i s a l z e — namentlich für D ü n g e z w e c k e — so wertvoll, daß man

422

Die Gruppe der Alkalimetalle

vielfach die Lager nur ihretwegen abbaut und das Steinsalz zur Ausfüllung der Lücken benutzt. Große Mengen an Natriumchlorid finden sich im M e e r w a s s e r , das durchschnittlich 2.7°/ 0 NaCl enthält. Manche B i n n e n s e e n ohne Abfluß — wie das T o t e Meer in Palästina und der S a l t L a k e in den Vereinigten Staaten von Amerika — stellen recht k o n z e n t r i e r t e K o c h s a l z l ö s u n g e n dar. Gewinnung. Kochsalz wird in der Hauptsache nach drei Methoden gewonnen: 1. durch bergmännischen Abbau von Steinsalzlagern, 2. durch Auflösen von Steinsalz unter oder über Tage und Eindampfen der so erhaltenen „Sole", 3. durch Eindunsten oder Einfrieren von Meer- oder Seewasser. Durch b e r g m ä n n i s c h e n A b b a u von Steinsalz wird hauptsächlich das für t e c h nische Zwecke gebrauchte Natriumchlorid gewonnen. Der Abbau ist dabei nur für h o c h p r o z e n t i g e s Steinsalz, z. B. das „jüngere" (S. 430) Steinsalzlager von Staßfurt (97.8°/0 NaCl) lohnend. U n r e i n e s Salz, wie z. B. das „ältere" (S. 429) Staßfurter Steinsalz (90—95°/0 NaCl) wird nur zum Ausfüllen a b g e b a u t e r K a l i s a l z s t r e c k e n verwendet. Das bergmännisch gewonnene Steinsalz kommt als „Gewerbesalz", „Fabriksalz", „Düngesalz", „Viehsalz" in den Handel. „Speisesalz" („Tafelsalz", „Siedesalz") wird hauptsächlich durch E i n d a m p f e n wässeriger S t e i n s a l z l ö s u n g e n gewonnen. Zu diesem Zwecke löst man Steinsalz in natürlichen S o l e n bis zur Sättigung auf und d a m p f t die Lösungen in großen, offenen, flachen Eisenpfannen ein („Siederei"). Hält man die Sole während des Eindampfens unter guter Rührung in l e b h a f t e r W a l l u n g , so erhält man „Feinsalz"; zur Erzeugung gröberen Salzes („Mittelsalz") läßt man die Sole bei 70—90° ruhig s t e h e n ; sehr l a n g s a m e s E i n d u n s t e n bei 50—70° führt zu ganz grobem Salz („Grobsalz"). Zur Gewinnung des Kochsalzes aus Meerwasser läßt man letzteres in warmen L ä n d e r n (z. B. an den Küsten des Mittelmeeres) in ausgedehnte flache Bassins („Salzgärten") eintreten, in welchen das Wasser durch die Sonnenwärme v e r d u n s t e t und der Reihe nach die einzelnen S a l z e des Meerwassers a u s k r i s t a l l i s i e r e n . In Ländern mit k a l t e m K l i m a (z. B. am Weißen Meer) läßt man das Meerwasser in flachen Bassins teilweise g e f r i e r e n . Das Wasser scheidet sich dann als r e i n e s E i s ab, und die zurückbleibende konzentrierte Salzlösung wird e i n g e d a m p f t . Chemisch r e i n e s N a t r i u m c h l o r i d kann nicht durch U m k r i s t a l l i s i e r e n aus W a s s e r hergestellt werden, da Natrium chlorid in k o c h e n d e m und in k a l t e m Wasser praktisch die g l e i c h e L ö s l i c h k e i t besitzt (s. unten). Man verfährt daher so, daß man in eine gesättigte Kochsalzlösung C h l o r w a s s e r s t o f f einleitet. Die dadurch bedingte Erhöhung der Chlorionenkonzentration führt dann zur Ü b e r s c h r e i t u n g des L ö s l i c h k e i t s p r o d u k t e s von Natrium chlorid (cNa- x Ccr = ^NaCi)j so daß letzteres ausfällt. Eigenschaften. Natriumchlorid kristallisiert in farblosen, durchsichtigen Würfeln vom spezifischen Gewicht 2.164, welche bei 801° schmelzen und bei 1440° unter Bildung eines aus NaCl-Molekülen bestehenden Dampfes sieden. Die Kristalle (Kristallgitter: S. 146f.) enthalten häufig M u t t e r l a u g e eingeschlossen, welche beim E r h i t z e n mit knisterndem Geräusch dampfförmig entweicht, wobei die Kristalle zerspringen (,,dekrepitieren"). Das beim Auflösen des Steinsalzes von Wieliczka in Wasser zu beobachtende Knistern („Knistersalz von Wieliczka") ist auf eingeschlossene komprimierte Gase (Stickstoff, Sauerstoff) zurückzuführen, welche die Kristallrinde zersprengen, sobald diese infolge der Auflösimg dünn genug geworden ist. Chemisch reines Natriumchlorid zieht an der Luft kein Wasser an, ist also nicht „hygroskopisch" (vgl. S. 426). Das F e u c h t w e r d e n und Z e r f l i e ß e n von Kochsalz an feuchter Luft beruht auf Beimengungen von M a g n e s i u m s a l z e n (S. 406i. Die Lös-

Das Natrium

423

lichkeit von Natriumchlorid in Wasser ändert sich nur wenig mit der Temperatur und beträgt bei 0° 35.6, bei 100° 39.1 g NaCl je 100 g Wasser. Eine konzentrierte Kochsalzlösung ist bei Zimmertemperatur 26°/0ig. Bei tieferen Temperaturen (—10°) scheidet sich das Natriumchlorid aus wässerigen Lösungen in Form eines Dihydrats NaCl • 2 H 2 0 aus, welches bei + 0.15° in das wasserfreie Salz übergeht. Verwendung. Natriumchlorid ist technisch von großer Bedeutung, da es direkt oder indirekt das Ausgangsmaterial für die Darstellung fast aller a n d e r e n N a t r i u m v e r b i n d u n g e n — z. B. SodaNa 2 CO s (S. 427f.), Ä t z n a t r o n N a O H (s. unten), G l a u b e r s a l z Na 2 S0 4 (S. 425f.), B o r a x Na 2 B 4 0 7 (S. 374), W a s s e r g l a s Na 2 Si0 3 (S. 3 2 9 ) - u n d zahlreicher wichtiger Stoffe —z.B. S a l z s ä u r e (S.89f.), C h l o r (S. 80ff.) —ist. Weiterhin ist es für S p e i s e - und K o n s e r v i e r u n g s z w e c k e („Einsalzen", „Einpökeln"), zum ,,Aussalzen" organischer Farbstoffe und für viele andere industrielle und gewerbliche Zwecke unentbehrlich. „Eis-Kochsalz-Mischungen" dienen als Kältemischungen zur Erzeugung tiefer Temperaturen (bis —21°). ß) Natriumhydroxyd (Ätznatron) Natriumhydroxyd wird technisch entweder durch „Kaustifizierung von Soda" oder elektrolytisch nach dem Verfahren der „Chloralkali-elektrolyse" dargestellt. Wasser

Fig. 126. Verfahren der Gegenstrom-Dekantation zur Kaustifizierung von Soda

Kaustifizierung von Soda. Setzt man S o d a in wässeriger Lösung mit Ä t z k a l k um, so entsteht nach der Reaktionsgleichung Na2CO, + Ca(OH)a —>- 2NaOH + CaC03

(1)

leichtlösliches N a t r i u m h y d r o x y d („kaustifizierte Soda") und schwerlösliches Calc i u m c a r b o n a t . Diese K a u s t i f i z i e r u n g d e r S o d a erfolgt in der T e c h n i k zweckmäßig nach dem Verfahren der kontinuierlichen „Gegenstrom-Dekantation". Bei diesem Verfahren tritt eine Mischung von feingemahlenem, gebranntem Ä t z k a l k und S o d a l ö s u n g zunächst in eine aus mehreren hintereinandergeschalteten „Dorr-Rührern" bestehende R ü h r a n l a g e ein, in welcher sich unter fortwährendem Rühren die Umsetzung (1) vollzieht. Aus dem letzten Rührwerk läuft die entstandene Mischung von C a l c i u m c a r b o n a t s c h l a m m und N a t r o n l a u g e in eine aus mehreren „Dorr-Eindickern" bestehende S e d i m e n t a t i o n s a n l a g e , in welcher sich die Calciumcarbonatsuspension a b s e t z t . Die im 1. Eindicker (vgl. Fig. 126) gewonnene klare verdünnte N a t r o n l a u g e fließt oben über den Rand des Gefäßes in eine rund herumlaufende A b l a u i r i n n e ; der unten abgezogene S c h l a m m wird zur w e i t e r e n E x t r a k t i o n der Natronlauge in den 2. Eindicker gepumpt und dort mit dem Überlauf aus dem 3. Eindicker ausgewaschen. Die aus dem 2. Eindicker ablaufende W a s c h l a u g e wird dem 1. Rührwerk zugeführt, der abgezogene S c h l a m m im 3. Eindicker mit F r i s c h wasser ausgewaschen. Der Ätznatronverlust im CaC03-Schlamm beträgt nur 0.1°/0. Die entstehende verdünnte Natronlauge ist etwa 10°/0ig und wird in Verdampfapparaten konzentriert. Aus den konzentrierten Laugen kann durch Erhitzen bis auf 500° in eisernen Schmelzkesseln wasserfreies Natriumhydroxyd erhalten werden.

Die Gruppe der Alkalimetalle

424

Chloralkali-elektrolyse. Die e l e k t r o l y t i s c h e Z e r s e t z u n g w ä s s e r i g e r c h l o r i d l ö s u n g e n erfolgt nach der Gesamtgleichung

Alkali-

2 H ; 0 H + 2MeiCl — > - H 2 + 2MeOH + Cl 2 . E s muß bei dieser Elektrolyse verhindert werden, daß die kathodisch gebildete L a u g e MeOH mit dem anodisch gebildeten C h l o r i n B e r ü h r u n g k o m m t , da sonst nach der Gleichung 2 M e O H + C l 2 — v MeOCl + MeCl + H 2 0 unter gleichzeitiger R ü c k b i l d u n g v o n C h l o r i d H y p o c h l o r i t g e b i l d e t w i r d (S. 123). Man erreicht dies durch die T r e n n u n g v o n K a t h o d e n - u n d A n o d e n r a u m . Die Trennung erfolgt im Prinzip beim „ D i a p h r a g m a v e r f a h r e n " (Fig. 127 a) durch eine poröse, stromdurchlässige S c h e i d e w a n d {„Diaphragma"), beim „Glockenverfahren" (Fig. 1 2 7 b ) durch eine zwar stromundurchlässige, aber nicht bis zum Boden reichende und so den Stromtransport ermöglichende T r e n n w a n d und beim „ Q u e c k s i l b e r v e r f a h r e n " (Fig. 1 2 7 c ) durch eine völlige Abtrennung von Kathoden- und Anodenraum und s e p a r i e r t e D u r c h f ü h r u n g von K a t h o d e n - und A n o d e n v o r g a n g . Anode.

Kathode

Chlor ~z:

^-Ifasser. stoff

Natriumchloridlösung

Anode

.Kathode

Chlor

Natron- Natrium lauge chloridlös ung^ Diaphragma

Diaphragmaverfahren (a)

Kathode

Wasser - Chlorstoff -Natronlauge

Trennwand

Glockenverfahren (b)

_ ET

Wasser stoff

Natriumchloridlösung -

abgetrennter Anodenraum

Mittelleiter (äuecksiiberl

abgetrennter Käthodenrsum

Quecksi/bsnv (e)

Fig. 127. Schematische Darstellung der Verfahren zur Chloralkali-elektrolyse Der K a t h o d e n v o r g a n g des Diaphragmaverfahrens besteht in einer E n t l a d u n g der durch Dissoziation des Wassers (2) gebildeten W a s s e r s t o f f - i o n e n (3), der A n o d e n v o r g a n g in einer E n t l a d u n g der aus der Dissoziation des Natriumchlorids (4) stammenden C h l o r i o n e n (5); die nichtentladenen N a t r i u m - und H y d r o x y l - i o n e n bleiben in der Lösung als N a t r i u m h y d r o x y d zurück (6): 2 HÖH 2 H' + 2 OH' (2) Kathode: 2 H ' + 2 © — v H2 (3) 2 NaCl 2 Na' + 2 Cl' (4) Anode: 2C1' — > Cl2 + 2 © (5) 2 Na' + 2 OH' 2NaOH (6) Gesamtvorgang: 2 H 2 0 + 2NaCl

>• H a + 2NaOH + Cl 2 .

Als K a t h o d e n dienen meist E i s e n e l e k t r o d e n , als A n o d e n Elektroden aus Retortenkohle, Achesongraphit oder geschmolzenem M a g n e t i t (Fe 3 0 4 ). Brauchbare poröse D i a p h r a g m e n erhält man aus mit feingemahlenem K o c h s a l z vermischtem Z e m e n t , aus dem nach dem Pestwerden das Kochsalz herausgelöst wird. Da bei zu s t a r k a n g e w a c h s e n e r H y d r o x y l i o n e n k o n z e n t r a t i o n auch eine anodische Entladung von OH-Ionen unter Bildung von Sauerstoff und Wasser erfolgt, kann man die Elektrolyse n i c h t bis zur v ö l l i g e n Z e r s e t z u n g des N a t r i u m c h l o r i d s fortsetzen. Daher beschickt man bei den d i s k o n t i n u i e r l i c h arbeitenden Diaphragmaverfahren (z.B. dem „Griesheimer Verfahren") die Elektrolysezellen immer mit neuer Chloridlösung, sobald eine etwa 5°/oige Natronlauge entstanden ist; das beim Eindampfen dieser verdünnten Lauge in Vakuum verdampf apparaten fast völlig ausfallende Natriumchlorid kehrt wieder in den Betrieb zurück. Bei den — wesentlich günstigeren — k o n t i n u i e r l i c h arbeitenden Verfahren (z. B. dem „Billiter-Verfahren") wird durch eine entsprechende Regelung des Zuflusses der Chloridlösung an der Anode

Das Natrium

425

und des Abflusses der Lauge an der Kathode der Beteiligung der Hydroxyl-ionen am Stromtransport (Wanderung zur Anode) entgegengewirkt, so daß hier stärkere (12—16°/oige) Natronlaugen erzielt werden können. Das Glocken verfahren arbeitet o h n e D i a p h r a g m a und hat seinen Namen daher, daß hier der A n o d e n r a u m (Kohle-Anode) durch eine in die Elektrolytflüssigkeit eintauchende „Glocke" vom Kathodenraum (Eisenblech-Kathode) abgetrennt ist. Der Stromtransport zwischen den beiden Räumen erfolgt hier unter dem Rand der Glocke hinweg, wo ja Kathoden- und Anodenflüssigkeit in direkter Verbindung miteinander stehen. Die Vorgänge, die sich an den beiden Elektroden abspielen, sind die gleichen wie beim Diaphragmaverfahren. Auch beim Glockenverfahren muß wie beim kontinuierlich arbeitenden Diaphragmaverfahren die infolge der Wanderung der Hydroxyl-ionen erfolgende Verschiebung der Grenzschicht Chloridlösung/Natronlauge nach der Anode hin durch eine entsprechende Geschwindigkeit des Zuflusses von Chloridlösung an der Anode und des Abflusses von Natronlauge an der Kathode kompensiert werden. Diese Einstellung einer stationären Grenzschicht erfordert wegen des Fehlens eines Diaphragmas sorgfältige Wartung, so daß das kontinuierliche Diaphragmaverfahren im allgemeinen vorzuziehen ist. Beim Quccksilberverfahren werden Anoden- und Kathodenvorgang in g e t r e n n t e n Zellen gesondert durchgeführt. In der e i n e n Zelle (Fig. 127c, links) wird durch Verwendung einer Q u e c k s i l b e r k a t h o d e die Zerlegung der Natriumchloridlösung in Natrium (als Amalgam) und Chlor ermöglicht (vgl. S. 174). Das gebildete Amalgam wird in einer z w e i t e n Zelle (Fig. 127c, rechts), in der das Quecksilber als A n o d e geschaltet ist, zu 20—50°/oiger Natronlauge und Wasserstoff zersetzt: 2 Na Gl Kathode: 2Na' + 2© Anode: 2C1' 2NaCl

2 Na" + 2C1' >- 2Na Cl2 + 2© 2 Na + Cl2

Kathode: Anode:

2HOH 2 H ' + 2© 2Na 2 Na + 2 H 2 0

2H" + 2 0 H / >- H 2 2Na' + 2 © 2NaOH + H 2

2NaCl + 2 H 2 0 v Cl2 + 2NaOH + H 2 . (8) Insgesamt (8) spielt sich somit beim Quecksilberverfahren der gleiche Vorgang wie beim Diaphragma- und Glockenverfahren (7) ab. Der Vorteil ist aber der, daß die Natronlauge getrennt von der Natriumchloridlösung erzeugt wird, so daß eine c h l o r i d f r e i e , reine Lauge entsteht. Da in der Technik in zunehmendem Maße chloridfreie Laugen gebraucht werden, gewinnt das Quecksilberverfahren in neuerer Zeit immer mehr an Bedeutung. Meistens wird dabei die hydrolytische Zersetzung des Natriumamalgams auf chemischem Wege mit Graphit als Katalysator durchgeführt. Eigenschaften und Verwendung. N a t r i u m h y d r o x y d („Ätznatron") bildet eine weiße, undurchsichtige, strahlig-kristalline uiid stark hygroskopische Masse vom spezifischen Gewicht 2.13, welche in reinem Zustande bei 328° schmilzt, bei 1390° siedet und gewöhnlich in Stangen- („inbacillis"), Schuppen- („inlamellis"), Tafel(,,intabulis") oder Plätzchenform („in rotulis") in den Handel kommt. In Wasser löst sich Natriumhydroxyd leicht (bei 0° 42 g, bei 20° 109 g, bei 100° 342 g NaOH/lOO g Wasser) unter bedeutender Wärmeentwicklung. Die wässerige Lösung reagiert stark alkalisch und heißt „Natronlauge". Als starke Base findet die Natronlauge in der Technik für zahlreiche Zwecke Verwendung; so in der S e i f e n f a b r i k a t i o n (II, S. 83) und F a r b s t o f f i n d u s t r i e (z. B. 11, S 364, 487), weiterhin zur Darstellung von C e l l u l o s e aus Holz und Stroh (II, S. 257), zur Herstellung von Kunstseide (11, S. 258), zum „Mercerisieren" (II, S. 257) von B a u m w o l l e und zum R e i n i g e n von F e t t , Öl und P e t r o l e u m . Y) Natriumsulfat (Glaubersalz) Vorkommen. Natriumsulfat kommt in der Natur sowohl in Form großer Lager (z. B. am Kaspischen Meer, in Kanada und in Nevada) als auch gelöst im Seewasser und in Salzsolen vor. Einige w i c h t i g e N a t r i u m s u l f a t - M i n e r a l i e n sind: Thenardit N a 2 S 0 4 , Glauberit N a 2 S 0 4 • C a S 0 4 , Astrakanit Na2S04 • MgS04 • 4 H 2 0 , Glaserit N a 2 S 0 4 • 3 K 2 S 0 4 und Vanthoffit M g S 0 4 • 3 N a 2 S 0 4 . Darstellung. Zur t e c h n i s c h e n D a r s t e l l u n g v o n N a t r i u m s u l f a t geht man stets von S t e i n s a l z aus und setzt dieses entweder mit S c h w e f e l s ä u r e oder mit M a g n e s i u m s u l f a t um.

426

Die Gruppe der Alkalimetalle

Die Einwirkung von Schwefelsäure auf N a t r i u m c h l o r i d bei 800° dient zur Darstellung von S a l z s ä u r e (vgl. S. 89f.) und liefert N a t r i u m s u l f a t als Nebenprodukt : 2 N a a + ^ g ^ Naa gQ 4 + 2HCli Statt Schwefelsäure kann auch ein Gemisch von S c h w e f e l d i o x y d (Röstgas), L u f t und W a s s e r d a m p f verwendet werden: 2NaCl + S 0 2 + H 2 0 + 1 / 2 0 2 — ^ 2 HCl -f- Na 2 S0 4 („HARGREAVES-V erfahren"). In Deutschland wird diese Herstellung aus Natriumchlorid und Schwefelsäure immer mehr durch die Umsetzung von N a t r i u m c h l o r i d (Steinsalz) und Magnesiumsulfat (Kieserit) ersetzt: 2NaCl + MgS0 4

Na a S0 4 + MgCl,.

Denn in den von der Kaliumchloridgewinnung aus Carnallit oder Hartsalz stammenden L ö s e r ü c k s t ä n d e n (S. 430f.) finden sich Natriumchlorid und Magnesiumsulfat. Da das in der Reaktionslösung gebildete Natriumsulfat nur bei tiefen Temper a t u r e n auskristallisiert, führte man den Prozeß früher nur im W i n t e r aus. Heute hat man sich durch Einführung von K ä l t e m a s c h i n e n vom Winterbetrieb freigemacht. Der größte Teil des — durch Umkristallisieren gereinigten — Natriumsulfats geht in wasserfreier Form als „calciniertes Natriumsulfat" in den Handel. Eigenschaften. Läßt man Natriumsulfat aus wässeriger Lösung auskristallisieren, so kristallisiert es u n t e r h a l b von 32.4° wasserhaltig als D e k a h y d r a t Na 2 S0 4 • 10H 2 0 („Glaubersalz") in großen, farblosen, monoklinen Prismen, o b e r h a l b von 32.4° wasserfrei in Form rhombischer Kristalle aus. Oberhalb von 32.4° ist also wasserfreies, unterhalb von 32.4° wasserhaltiges Natriumsulfat schwerer löslich. Nach dem Massenwirkungsgesetz zeigt kristallwasserhaltiges Natriumsulfat bei j e d e r T e m p e r a t u r einen ganz b e s t i m m t e n W a s s e r d a m p f d r u c k 0 , weil es sich um ein heterogenes System handelt und die Sättigungsdampfdrucke der festen Komponenten dieses Systems gegeben sind (vgl. S. 119f.): Na 2 S0 4 • 1 0 H 2 0

Na 2 S0 4 +

10H20.

Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist dieser Wasserdampfdruck g r ö ß e r als der normale WasserdampfPartialdruck der L u f t . Daher gibt Glaubersalz an der Luft Wasser ab, es „verwittert", wobei die vorher durchsichtigen und wasserhellen Kristalle weiß und kreideartig werden. Beim E r w ä r m e n von Glaubersalz steigt der Wasserdampfdruck des obigen Gleichgewichtssystems, bis er bei 32.4° den Wasserdampfdruck einer g e s ä t t i g t e n N a t r i u m s u l f a t l ö s u n g erreicht. Oberhalb von 32.4° bildet sich daher eine — an Na 2 S0 4 • 1 0 H 2 0 gesättigte, in bezug auf Na 2 S0 4 übersättigte — Lösung von Natriumsulfat in Wasser: das Glaubersalz „schmilzt im eigenen Kristallwasser'" unter Abscheidung von wasserfreiem Salz. Salze, die in Wasser sehr leicht löslich sind, zeigen einen durch die große Salzkonzentration der Lösung bedingten sehr geringen Wasserdampfdruck über der gesättigten Lösung. Ist dieser Wasserdampfdruck bei Zimmertemperatur g e r i n g e r als der Partialdruck des Wasserdampfes in der L u f t , so kondensiert sich das Wasser der Luft unter Bildung einer gesättigten Lösung: das betreffende Salz „zerfließt", es ist „hygroskopisch".

Natriumsulfat wird hauptsächlich in der Glas-, Farbstoff-, Textil- und Papierindustrie verwendet. S) Natriumnitrat (Chilesalpeter) Vorkommen. Das Natriumnitrat ist das wichtigste in der Natur vorkommende Nitrat. Es findet sich vor allem in Chile und wird daher auch „Chilesalpeter" genannt. Kleinere Lagerstätten kommen in Ägypten, Kleinasien, Columbien und Kalifornien vor. Von technischer Bedeutung sind aber nur die chilenischen Vorkommen. Gewinnung. Der rohe Chilesalpeter („Caliche") ist meist stark durch Sand und Ton sowie durch andere Salze (vor allem Natriumchlorid, daneben etwas Natrium-,

Das Natrium

427

Magnesium- und Calciumsulfat und kleine Mengen Natriumjodat und Kaliumperchlorat) verunreinigt und stellt eine graue oder braune Gesteinsmasse dar. Man gewinnt aus diesem Material das Natriumnitrat durch Auslaugen mit heißem Wasser. Die hierbei entstehende Natriumnitratlösung wird zur Abtrennung des Tonschlamms und des ungelöst gebliebenen Natriumchlorids filtriert und dann in der Kälte zur Kristallisation gebracht. Das gewonnene Natriumnitrat ist 98°/ 0 ig. Die Mutterlaugen enthalten das Natriumjodat und dienen zur Jodgewinnung (S. 88 f.). In Deutschland wird das Natriumnitrat vorwiegend durch Umsetzung von S o d a mit synthetischer S a l p e t e r s ä u r e gewonnen: NaaC03 + 2HN0 3 — > 2NaN0 3 + H a 0 + C02, indem man die nitrosen Endgase der Ammoniakoxydation (S. 239f.) in Sodalösung absorbiert und die dabei entstehende Lösung von Nitrit und Nitrat (Na 2 C0 3 + 2 NO a —>- N a N 0 2 + N a N 0 3 + C0 2 ) nach dem Ansäuern mit Salpetersäure an der L u f t zu einer salpetersauren Nitratlösung oxydiert, welche mit Soda neutralisiert und in Vakuumverdampfern eingedampft wird. Eigenschaften. Natriumnitrat kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form farbloser, würfelähnlicher Rhomboeder (,,kubischer Salpeter") aus, welche bei 317° schmelzen und sich bei 380° zu zersetzen beginnen. In Wasser löst es sich leicht; die Löslichkeit nimmt mit steigender Temperatur stark zu. Verwendung. Der größte Teil des Chilesalpeters diente früher zu Düngezwecken; ein anderer Teil wurde zur Herstellung von Salpetersäure (S. 240) und von Kalisalpeter (S.431 f.) benutzt. Heute besitzt das Natriumnitrat bei uns nur noch a l s D ü n g e m i t t e l eine begrenzte Bedeutung (S. 436f.). e) Natriumcarbonat (Soda) Vorkommen. Das Natriumcarbonat Na 2 C0 3 findet sich in der Natur vor allem in Nordamerika in gewaltigen Seen, von denen der Mono-Lake (Kalifornien) 90 Millionen und der Owens-Lake (Kalifornien) 50 Millionen t Na 2 C0 3 enthält. Noch bedeutender ist der Sodagehalt im Magadi-See (Ostafrika), der auf 200 Millionen t geschätzt wird. Auch sonst findet sich Soda vielfach in der N a t u r im Erdboden und in der Asche vieler Salzsteppen- und Seestrandpflanzen (z. B. am Mittelmeer, in Südrußland und Armenien). Gewinnung. Nahezu die gesamte Soda der Welt wird nach dem sogenannten „AMmoniaksoda-V erfahren" {„SOLVAY-Verfahren") aus Kochsalz gewonnen. I n neuerer Zeit gewinnt daneben die Förderung von N a t u r s o d a steigende Bedeutung. Das früher übliche „LEBLANC-Verfahren" besitzt nur noch historisches Interesse. Das SOLVAIT-Verfahren besteht im Prinzip darin, daß man A m m o n i u m b i c a r b o n a t N H 4 H C 0 3 und K o c h s a l z NaCl zu N a t r i u m b i c a r b o n a t N a H C 0 3 und A m m o n i u m c h l o r i d NH 4 C1 umsetzt: NH4- + HCCV + Na" + C l ' — ^ NaHC03 + NH4' + Cl' und das schwerlösliche und daher aus der Lösung ausfallende Natriumbicarbonat durch G l ü h e n („Calcinieren") in S o d a („calcinierte Soda") ü b e r f ü h r t : 2NaHCOa >- Na2C03 + H 2 0 + C02. Im einzelnen verläuft der Prozeß so, daß man in eine gesättigte Kochsalzlösung zuerst Ammoniak und dann Kohlendioxyd einleitet, wobei sich Ammoniak und Kohlensäure zu Ammoniumbicarbonat umsetzen (1), das mit dem Natriumchlorid in oben angegebener Weise reagiert (2). Das beim Glühen des gebildeten Natriumbicarbonats entstehende Kohlendioxyd (3) wird immer wieder in den Prozeß zurückgeführt. Den Rest des erforderlichen Kohlendioxyds erhält man durch Brennen von Kalkstein (4). Der hierbei entstehende Kalk wird zur Rückgewinnung des Ammoniaks aus dem als Nebenprodukt anfallenden Ammoniumchlorid (2) benutzt (5). Insgesamt spielen sich somit die folgenden Vorgänge ab:

428

Die Gruppe der Alkalimetalle 2 N H 3 + 2COa + 2 H 2 0 2NHJIC0., 2NH 4 HC0 3 + 2NaCl 2NaHC0 3 + 2NH 4 C1 2NaHC0 3 Na 2 C0 3 + H 2 0 + C0 2 CaC0 3 — > - CaO + C0 2 2NH4C1 + CaO >- 2NH 3 + CaCla + H 2 Q 2NaCl + CaC0 3

Na 2 C0 3 + CaCl2,

(1) (2) (3) (4) (5) (6)

so daß letzten Endes lediglich K o c h s a l z und K a l k s t e i n zu S o d a und C a l c i u m c h l o r i d umgesetzt werden (6), ein Vorgang, der sich f r e i w i l l i g (z.B. in wässeriger Lösung) nur in u m g e k e h r t e r Richtung abspielt. Ein Nachteil des Ammoniaksoda-Verfahrens ist der Umstand, daß das ganze Chlor des Natriumchlorids in Form des wertlosen C a l c i u m c h l o r i d s verlorengeht. Nach dem LEBLANC-Verfahren wurde die Soda früher so hergestellt, daß man K o c h s a l z mit S c h w e f e l s ä u r e zu N a t r i u m s u l f a t und S a l z s ä u r e umsetzte (7), das Natriumsulfat mit K o h l e zu N a t r i u m s u l f i d reduzierte (8) und das Natriumsulfid mit K a l k s t e i n in S o d a umwandelte (9): 2NaCl + H J S 0 4 — N a

Na a S0 4 + 2C Na 2 S + CaC0 3 2NaCl + CaCOa + H 2 S 0 4 + 2C

2

S0

4

+ 2 HCl

>• Na 2 S + 2C0 2 >- Na2CQ3 + CaS Na 2 C0 3 + CaS + 2COa + 2HCl.

(7)

(8) (9) (10)

Hier waren also, in summa betrachtet (10), außer den auch in den SOLVAY-Prozeß eingehenden Ausgangsmaterialien Kochsalz und Kalkstein (6) noch S c h w e f e l s ä u r e und K o h l e erforderlich.

Eigenschaften. I n w a s s e r f r e i e m Zustande (,,calcinierte Soda") stellt Natriumearbonat ein weißes, bei 853° schmelzendes Pulver vom spezifischen Gewicht 2.5 dar. I n Wasser löst es sich unter starker E r w ä r m u n g (Hydratbildung) und mit ausgesprochen a l k a l i s c h e r Reaktion (C0 3 " + HÖH q i H C Ö 3 ' + OH'). Aus der Lösung kristallisiert u n t e r h a l b von 32.0° das D e k a h y d r a t Na 2 C0 3 • 10H 2 0 {„Kristallsoda"), das wichtigste Hydrat der Soda, aus. O b e r h a l b von 32.0° geht das Dekahydrat in ein M o n o h y d r a t Na 2 C0 3 • H 2 0 und oberhalb von 107° das Monohydrat in die w a s s e r f r e i e Verbindung Na 2 C0 3 über. Die K r i s t a l l s o d a Na 2 C0 3 • 10H 2 0 bildet große, wasserhelle Kristalle (spezifisches Gewicht 1.45), welche bei 32° in ihrem Kristallwasser schmelzen (vgl. S. 426). Leitet man in eine kaltgesättigte wässerige Sodalösung K o h l e n d i o x y d ein, so bildet sich in Umkehrung der — namentlich beim Erwärmen, in geringem Maße aber auch schon bei Zimmertemperatur in wässeriger Lösung vor sich gehenden — Zerfallsreaktion (3) N a t r i u m b i c a r b o n a t N a H C 0 3 : Na 2 C0 3 + H s O + C0 2

2NaHC0 3 .

Das Natriumbicarbonat stellt ein weißes Pulver dar, welches sich in Wasser mit H 2 C0 3 + OH') löst (8.8 g a c h w a c h a l k a l i s c h e r Reaktion (HC0 3 ' + HÖH bei 15°, 11.0 g bei 30° in 100 g Wasser). S o d a wird in großen Mengen in der Seifen- (II, S. 83) und Glasindustrie (S. 341) angewendet und ist auch sonst eines der wichtigsten Produkte der chemischen Großindustrie. N a t r i u m b i c a r b o n a t findet hauptsächlich als Backpulver, ferner zur Herstellung von Brausepulvern und in der Medizin zum Abstumpfen von Magensäure (vgl. S. 80) Verwendung („Bullrichsalz").

2. Das Kalium a) Elementares Kalium Vorkommen. Der Gehalt der Erdrinde an K a l i u m in Form von Verbindungen beträgt etwa 2.4% (S. 69). Weitverbreitete K a l i u m m i n e r a l i e n sind der Kalifeldspat K[AlSi 3 0 8 ] und der Kaliglimmer [KAl 2 (OH, F) 2 ] [AlSi 3 O 10 ]. In den K a l i s a l z l a g e r n (S. 429f.) finden sich vor allem: K a l i u m c h l o r i d KCl (als solches — Sylvin — und

Das Kalium

429

in Form von Doppelsalzen wie Carnallit KCl • MgCl2 • 6 H 2 0 und Kainit KCl • MgS0 4 • 3 H 2 0 ) und K a l i u m s u l f a t K 2 S 0 4 (in Form von Doppelsalzen wie Schönit K 2 S 0 4 • MgS0 4 • 6 H 2 0 und Polyhalit K 2 S0 4 • MgS0 4 • 2CaS0 4 • 2H 2 0). Der Gehalt des M e e r w a s s e r s an Kaliumchlorid beträgt nur etwa 1 / 40 des Natriumchloridgelialtes (S. 422), da der E r d b o d e n Kaliumverbindungen zum Unterschied von Natrium verbindungen s t a r k a d s o r b i er t (S. 330), so daß sie nicht bis ins Meer gelangen. Aus dem Erdboden kommt das Kalium in die L a n d p f l a n z e n , bei deren V e r a s c h u n g es in Kaliumcarbonat („Pottasche") übergeht (S. 433). Darstellung. Kalium wird analog dem Natrium durch E l e k t r o l y s e von geschmolzenem K a l i u m h y d r o x y d dargestellt. Die Kaliumgewinnung spielt aber technisch keine so große Rolle wie die Natriumerzeugung. Eigenschaften. Kalium ist ein silberweiß glänzendes, bei gewöhnlicher Temperatur fast wachsweiches Metall vom spezifischen Gewicht 0.86, schmilzt bei 63.5° und siedet bei 760° unter Bildung eines blaugrünen Dampfes. Chemisch ist Kalium r e a k t i o n s f ä h i g e r als Natrium. So verbrennt es beim Erhitzen an der L u f t leicht mit intensiv violettem Licht zu einem Peroxyd K 0 2 und zersetzt W a s s e r mit so großer Heftigkeit, daß die entstehende Wärme genügt, um den gebildeten W a s s e r s t o f f (2K + 2 H O H —>- 2KOH + H 2 ) zu e n t z ü n d e n . Kalium besitzt wie die übrigen Alkalimetalle die Eigenschaft, unter dem Einfluß von u l t r a v i o l e t t e m Licht E l e k t r o n e n a b z u s p a l t e n : 99.6 kcal + K — K + -f- © , da die verhältnismäßig kleine Ionisierungsarbeit bereits von den kleinen Quanten des langwelligen ultravioletten Spektralgebietes geleistet werden kann (vgl. S. 84f.). Beiden anderen Metallen mit fester gebundenen Außenelektronen erfolgt die Abspaltung erst beim Bestrahlen mit energiereicherem Licht. Von der leichten Abspaltbarkeit des äußeren Elektrons macht man bei den „Alkaliphotozellen" Gebrauch, welche in der T o n f i l m - und F e r n s e h t e c h n i k Anwendung finden. Sie bestehen aus evakuierten Glasgefäßen mit zwei Elektroden, von denen die eine mit einer Schicht von Kaliumoder Caesiummetall (89.2 kcal + Cs —>- Cs+ + ©) belegt ist.

b) Verbindungen des Kaliums a) Kalisalz-Lagerstätten Unter den Kalisalz-Lagerstätten sind vor allem die norddeutschen und elsässischen Vorkommen zu nennen, welche den größten Teil des Weltbedarfs an Kalisalzen decken. Die n o r d d e u t s c h e n S a l z l a g e r sind durch Eintrocknen eines großen Binnenmeeres entstanden, welches in der Urzeit vom Ural bis an die französisch-belgischen Gebirge und von Mittelengland bis an die böhmische Gebirgsmasse reichte. Bei dieser Eindunstung, deren Dauer auf rund 100000 Jahre geschätzt wird, schieden sich die im Meerwasser gelösten Salze gemäß ihrer K o n z e n t r a t i o n und L ö s l i c h k e i t bei den verschiedenen Temperaturen des S o m m e r s und W i n t e r s aus. Zuerst fiel das in Wasser am schwersten lösliche C a l c i u m c a r b o n a t CaC0 3 aus, das daher u n t e r d e n e i g e n t l i c h e n S a l z l a g e r n liegt („Zechsteinkalk"). Über dem Calciumcarbonat wechseln sich in ziemlich regelmäßiger Folge 8—10 cm starke Schichten von N a t r i u m c h l o r i d (als „Steinsalz" NaCl) mit schwachen Schichten von C a l c i u m s u l f a t (als „Gips" CaS0 4 • 2 H 2 0 und „Anhydrit" CaS0 4 ) ab. Diese „Jahresringe" (beim älteren Staßfurter Steinsalz etwa 3000) sind darauf zurückzuführen, daß sich im S o m m e r vorwiegend das C a l c i u m s u l f a t , im W i n t e r vorwiegend das N a t r i u m c h l o r i d abschied. Auf das mit Calciumsulfat durchsetzte Steinsalz („älteres Steinsalz") folgte zunächst Steinsalz mit Schichten aus P o l y h a l i t 2 C a S 0 4 • MgSO t • K a S 0 4 • 2H a O („Polyhalitregion"), Steinsalz mit Schichten aus K i e s e r i t MgS0 4 • HjO („Kieseritregion") und Steinsalz mit Schichten aus C a r n a l l i t KCl • MgCl2 • 6H a O („Carnallitregion"). Nachdem das Binnenmeer eingetrocknet war, bedeckten S a n d und t o n i g e Massen („Salzton") die Salzablagerungen und schützten die zuletzt ausgeschiedenen und dementsprechend in Wasser besonders leicht löslichen K a l i u m s a l z e vor späterer Wiederauflösung (vgl. S. 421 f.). Durch eine Senkung des Bodens folgte eine z w e i t e (an einzelnen Stellen sogar

430

Die Gruppe der Alkalimetalle

noch eine d r i t t e ) Überflutung und Salzfolge. Zuerst schied sich wieder A n h y d r i t in einer 40—80 m tiefen Schicht und auf diesem das „jüngere Steinsalz" ab, dessen Jahresringe oft kaum bemerkbar sind und das infolgedessen r e i n e r als das ältere Steinsalz ist (vgl. S. 422). Die e l s ä s s i s c h e n K a l i s a l z l a g e r sind keine direkten Meeresausscheidungen, sondern durch Herauslösen von Kaliumsalzen aus ursprünglichen Lagerstätten, Weitertransport und Wiederausscheidung entstanden. Ihnen fehlen dementsprechend ganz die schwerlöslichen Sulfate. Die für die Industrie wichtigsten Kalisalze sind: 1. der Carnullit KCl • MgCl2 - 6 H 2 0 , 2. das „Hartsalz", ein in der Hauptsache aus Steinsalz NaCl, Kieserit M g S 0 4 • H a O und Sylvin KCl bestehendes Gemenge, 3. der „Sylvinit", ein aus Steinsalz und Sylvin bestehendes Gemisch und 4. der Kainit KCl • M g S 0 4 • 3 H 2 0 . Von geringerer Bedeutung sind Schönit K 2 S 0 4 • M g S 0 4 • 6 H 2 0 und Polyhalit K 2 S 0 4 • M g S 0 4 • 2 C a S 0 4 • 2 H 2 0 . Die Aufschließung der Kalisalzlager erfolgt durch bis zu mehr als 900 m tiefe Schächte, und zwar ausschließlich durch Schießarbeit mit Sprengstoffen. Ein Teil des Salzes bleibt dabei stets als Pfeiler stehen; die bei der Salzgewinnung entstehenden Hohlräume werden mit „älterem Steinsalz" oder mit Fabrikrückständen ausgefüllt. Die k a l i r e i c h e n Rohsalze werden gleich nach Verlassen des Schachtes gemahlen und kommen direkt als „Düngesalz" in den Handel. Die k a l i ä r m e r e n Rohsalze werden vorher auf hochprozentige Kalisalze verarbeitet. ß) Kaliumchlorid Das Kaliumchlorid ist das wichtigste unter den aus natürlichen Kalirohsalzen industriell erzeugten Kalisalzen. Ausgangsmaterial für seine Gewinnung ist meistens der C a r n a l l i t . Daneben dienen auch H a r t s a l z und S y l v i n i t als Rohsalze. Aus r e i n e m C a r n a l l i t KCl • MgCl2 • 6 H 2 0 läßt sich Kaliumchlorid leicht durch Behandeln mit Wasser gewinnen, da Carnallit in wässeriger Lösung in seine Bestandteile KCl und MgCl2 zerfällt, von denen das K a l i u m c h l o r i d als s c h w e r e r l ö s l i c h e s Salz beim Eindampfen der Lösung zuerst auskristallisiert. Der in der Natur vorkommende Carnallit ist aber fast immer mit größeren Mengen S t e i n s a l z NaCl, A n h y d r i t C a S 0 4 und K i e s e r i t M g S 0 4 • H 2 0 sowie mit etwas B r o m c a r n a l l i t K B r • MgBr 2 • 6 H 2 0 v e r u n r e i n i g t . Dadurch wird die Aufarbeitung auf Kalium chlorid etwas k o m p l i z i e r t e r . Meist erfolgt die Aufarbeitung in der Weise, daß man zunächst in 10—30 m langen eisernen, mit Rühr-, Transport- und Heizvorrichtungen versehenen Trögen das am einen Ende zugeführte R o h s a l z einer am anderen Ende aufgegebenen, auf 80° vorgewärmten L ö s e l a u g e entgegenschickt. Die aus dem laufenden Betrieb stammende, etwa 6—10% NaCl und 12—14% MgCl2 enthaltende Löselauge löst in der Hauptsache das K a l i u m c h l o r i d und N a t r i u m c h l o r i d heraus, während A n h y d r i t und K i e s e r i t bei dem Lösungsprozeß als L ö s e r ü c k s t a n d (vgl. unten) zum anderen Ende des Lösetrogs transportiert und hier durch ein Becherwerk ausgetragen werden. Zur Ausscheidung der gelösten Salze wird die erhaltene heiße Salzlösung in Kühlanlagen im Gegenstrom durch frische kalte Löselauge (die sich dabei auf 80° vorwärmt) auf Zimmertemperatur a b g e k ü h l t . Dabei scheidet sich ein Gemisch von K a l i u m c h l o r i d und N a t r i u m c h l o r i d ab. Zur Gewinnung von hochprozentigem Kaliumchlorid muß dieses Salzgemisch mit Wasser a u s g e w a s c h e n („gedeckt'1) werden, wobei das in der Kälte leichter lösliche Natriumchlorid herausgewaschen und ein etwa 98°/0iges Kaliumchlorid gewonnen wird. Letzteres gelangt dann zum Trocknen in Trockentrommeln. Die nach dem Auskristallisieren des Kaliumchlorid-Natriumchlorid-Gemisches zurückbleibende M u t t e r l a u g e wird in Vakuumverdampfapparaten e i n g e d a m p f t , wobei sich zunächst weiteres Kaliumchlorid und Natriumchlorid und später — bei genügender Anreicherung von Magnesiumchlorid — „künstlicher Carnallit" abscheidet, der in gleicher Weise wie der natürliche Carnallit weiterverarbeitet wird. Die magnesiumchloridreichen „Endlaugen" wandern zur „Entbromung" (S. 87) in die Bromfabrik und werden dann größtenteils in die Flüsse geleitet (S. 406). Die L ö s e r ü c k s t ä n d e der Carnallitverarbeitung werden in rotierenden Siebtrommeln mit W a s s e r behandelt, wobei die feinen K i e s e r itkristaÜe durch die Löcher des Siebes gehen, während der A n h y d r i t zurückbleibt. Der so abgetrennte Kieserit setzt sich in flachen, eisernen Kästen rasch zu Boden und dient zur Herstellung von Bittersalz MgS0 4 - 7 H 2 0 (S. 406), „Kali-

Das Kalium

431

magnesia" K 2 S0 4 • MgS0 4 • 6H a 0 (s. unten), Kaliumsulfat K 2 S0 4 (s. unten) und Glaubersalz Na 2 S0 4 - 10H 2 0 (S. 426). Die Aufarbeitung von H a r t s a l z und S y l v i n i t auf Kaliumchlorid erfolgt in ähnlicher Weise wie die des Carnallits.

Kaliumchlorid kristallisiert aus wässerigen Lösungen in Form von Würfeln, welche bei 768° schmelzen und bei 1411° sieden. Die Dampfdichte bei 2000° entspricht der einfachen Formel KCl. Y) Kaliumhydroxyd (Ätzkali) Kaliumhydroxyd {„Ätzkali") wird technisch fast ausschließlich durch E l e k t r o l y s e von K a l i u m c h l o r i d l ö s u n g e n dargestellt. Das Verfahren wurde bereits beim N a t r i u m h y d r o x y d (S.424f.) ausführlicher beschrieben. Auch durch Umsetzung von K a l i u m c a r b o n a t mit Ä t z k a l k (vgl. S. 423) kann die Verbindung gewonnen werden. Kaliumhydroxyd bildet eine dem Natriumhydroxyd ähnliche, harte, weiße, bei 410° schmelzende Masse, welche sich in Wasser zu einer stark alkalisch reagierenden Lösung {„Kalilauge") löst. An der Luft zieht es begierig Wasser und Kohlendioxyd an, worauf sich seine Verwendung als T r o c k e n m i t t e l und als Absorptionsmittel für K o h l e n d i o x y d gründet. Technische Verwendung findet das Kaliumhydroxyd in der Seifenfabrikation (II, S. 83) zur Herstellung w e i c h e r S e i f e n {„Schmierseifen"). S) Kaliumsulfat Kaliumsulfat wird technisch durch Umsetzung von K a l i u m c h l o r i d und M a g n e s i u m s u l f a t (Kieserit) gewonnen (vgl. S. 426). Die Reaktion wird in zwei S t u f e n in der Weise ausgeführt, daß man zunächst durch Umsetzung einer Kieseritlösung mit Kalium chlorid K a l i u m - m a g n e s i u m - s u l f a t {„Kalimagnesia") K 2 S0 4 • MgS0 4 • 6 H 2 0 geWUmt:

2MgS0 4 + 2KC1

K 2 S0 4 • MgS0 4 + MgCl2

(1)

und dieses dann nach Abtrennung von der Lösung und Wiederauflösen in Wasser mit w e i t e r e m K a l i u m c h l o r i d umsetzt: K 2 S0 4 • MgS0 4 + 2KCl

2K 2 S0 4 + MgCl2.

(2)

Eine Darstellung in e i n e m Arbeitsgang ist nicht möglich, da sich sonst das Magnesiumchlorid zu stark a n r e i c h e r t und auf diese Weise das Gleichgewicht der u m k e h r b a r e n Reaktion (2) zu weit nach l i n k s verschoben wird. Kaliumsulfat kristallisiert aus wässeriger Lösung w a s s e r f r e i in Form rhombischer Prismen, welche bei 1074° schmelzen und in Wasser mäßig löslich sind. Beim Lösen in verdünnter Schwefelsäure geht es in Kaliumbisulfat K H S 0 4 über: K 2 S0 4 + H 2 S0 4

>- 2KHS0 4 ,

das in wasserfreiem Zustande bei etwa 200° schmilzt und bei stärkerem Erhitzen unter Abspaltung von Wasser zunächst in Kaliumpyrosulfat K 2 S 2 0 7 und dann unter Abspaltung von Schwefeltrioxyd in das n o r m a l e S u l f a t K 2 S0 4 übergeht (vgl. S. 211): 2KHSO 4

~ h ' ° >- K2S2O7

~ a o ' > K 2 S0 4 .

Sowohl Kaliumsulfat wie Kalium-magnesium-sulfat kommen als D ü n g e m i t t e l in den Handel. e) Kaliumnitrat (Salpeter) Kaliumnitrat {„Salpeter") wird entweder durch Einwirkung von N a t r i u m n i t r a t auf K a l i u m c h l o r i d {„Konversionssalpeter"): NaN0 3 + KCl

KNOa + NaCl

(3)

432

Die Gruppe der Alkalimetalle

oder durch Umsetzung von K a l i u m c a r b o n a t oder K a l i u m h y d r o x y d mit synthetischer S a l p e t e r s ä u r e dargestellt: 2 H N 0 3 + K 2 C0 3

> 2 K N 0 3 + H 2 0 + C0 2 .

(4)

Das Verfahren der „Konversion" (3) beruht darauf, daß von den vier Komponenten der beiden miteinander im Gleichgewicht befindlichen, wechselseitig umwandelbaren („reziproken") Salzpaare das N a t r i u m c h l o r i d in der H i t z e und das K a l i u m n i t r a t in der K ä l t e das echwerstlösliche ist. Man verfährt bei der technischen Salpeterdarstellung dementsprechend so, daß man in schmiedeeisernen, mit Heizschlangen und Rührwerken ausgestatteten Gefäßen äquivalente Mengen von Natriumnitrat und Kaliumchlorid in eine aus Waschwässern und Mutterlaugen des laufenden Betriebes bestehende heiße Lösung einträgt, die Lösung vom abgeschiedenen Natriumchlorid abfiltriert und das Filtrat in schmiedeeisernen Kristallisiergefäßen unter Rühren abkühlt. Hierbei scheidet sich in feinen Kriställchen ein mit Natriumchlorid vermengter Rollsalpeter aus, welcher durch Auswaschen mit kaltem Wasser und Umkristallisieren gereinigt wird. Bei dem durch Gleichung (4) wiedergegebenen Verfahren leitet man analog der Natriumnitratdarstellung (S. 427) die nitrosen Abgase der Ammoniakoxydation in eine Kaliumcarbonatlösung. Kaliumnitrat kristallisiert aus wässerigen Lösungen w a s s e r f r e i in Torrn rhombischer, kühlend und bitter schmeckender Prismen aus, welche bei 339° schmelzen und bei höherem Erhitzen unter Sauerstoffabgabe in K a l i u m n i t r i t übergehen (S. 241). Es findet u. a. als Düngemittel (S. 433) und als Bestandteil v o n „.Schwarzpulver" (einer Mischung v o n Schwefel, Salpeter und Holzkohle) Verwendung. Der billigere N a t r o n s a l p e t e r ist für diesen Zweck wegen seiner Z e r f l i e ß l i c h k e i t nicht geeignet. Kaliumcarbonat (Pottasche) Kaliumcarbonat {„Pottasche") kann nicht nach einem dem Ammoniaksoda-Verfahren (S. 427 f.) entsprechenden Verfahren aus Kaliumchlorid und Ammoniumbicarbonat (KCl + N H 4 H C 0 3 KHCOg + NH 4 C1) gewonnen werden, da das hierbei entstehende K a l i u m b i c a r b o n a t wesentlich l e i c h t e r l ö s l i c h als Natriumbicarbonat ist und daher nicht wie dieses aus der Lösung der beiden reziproken Salzpaare unter dauernder Verschiebung des Gleichgewichts nach rechts ausfällt. Daher m u ß man zur Darstellung ein etwas a b g e ä n d e r t e s Verfahren („ENGELPRECHT-Verfahren") verwenden, bei welchem K a l i u m c h l o r i d nicht mit A m m o n i u m bicarbonat, sondern mit M a g n e s i u m b i c a r b o n a t umgesetzt wird: 2KC1 + Mg(HC0 3 ) 2 — ^

2 K H C 0 3 + MgCl a .

Hierbei fällt das K a l i u m b i c a r b o n a t aus der Lösung als schwerlösliches D o p p e l s a l z mit M a g n e s i u m c a r b o n a t aus, welches dann wie das Natriumbicarbonat durch C a l c i n i e r e n in das n o r m a l e C a r b o n a t übergeführt werden k a n n : 2 K H C O 3 — > - K 2 C0 3 + H a O + C0 2 . Im einzelnen verfährt man bei dieser Darstellungsmethode so, daß man in eine K a l i u m chloridlösung, in welcher M a g n e s i u m c a r b o n a t MgC0 3 • 3 H 2 0 suspendiert ist, K o h l e n d i o x y d einleitet. Das hierbei gemäß (5) gebildete M a g n e s i u m b i c a r b o n a t setzt sich mit dem K a l i u m c h l o r i d zu K a l i u m b i c a r b o n a t um (6), welches mit überschüssigem Mag n e s i u m c a r b o n a t das schwer lösliche D o p p e l s a l z KHC0 3 • MgC0 3 • 4 H 2 0 bildet und als solches ausfällt (7). Das abfiltrierte D o p p e l s a l z wird dann durch E r h i t z e n mit Wasser unter Druck auf 80° in K a l i u m c a r b o n a t l ö s u n g und M a g n e s i u m c a r b o n a t (das in den Prozeß zurückkehrt) zerlegt (8): MgC0 3 -f H 2 0 + C0 2 Mg(HC0 3 ) a (5) Mg(HC0 3 ) a + 2KCl — ^ MgCla + 2 K H C 0 3 (6) 2 KHC0 3 + 2MgC0 3 >- 2KHC0 3 • MgC0 3 (7) 2KHCQ 3 • MgC0 3 >- K 2 CQ 3 + H a O + C0 2 + 2MgCQ3 (8) 2 KCl + MgC0 3

>- K 2 C0 3 + MgCl2.

(9)

433

Bas Lithium, Rubidium und Caesium

Zusammengenommen (9) spielt sich damit eine ganz dem Ammoniaksodaverfahren entsprechende Gesamtreaktion ab, nur daß hier das A l k a l i c h l o r i d nicht wie dort mit Calciumcarbonat — vgl. Gleichung (6), S. 428 —, sondern mit M a g n e s i u m c a r b o n a t umgesetzt wird.

Zwei andere — technisch heute ausschließlich durchgeführte — Verfahren zur Pottaschegewinnung gehen vom K a l i u m h y d r o x y d bzw. K a l i u m s u l f a t aus. Bei dem ersteren leitet man in elektrolytisch gewonnene K a l i l a u g e K o h l e n d i o x y d ein („Carbonisierung von Kalilauge") : 2KOH + COj —>- K2C03 + HaO; bei dem letzteren stellt man durch Einwirkung von K o h l e n o x y d auf eine wässerige Lösung von K a l i u m s u l f a t und Ä t z k a l k (10) bei 230° und 30 Atmosphären Druck eine K a l i u m f o r m i a t l ö s u n g (II, S. 78) her (11), welche nach Abfiltrieren des Gipses zur Trockene eingedampft und dann nach Zusatz von Kaliumhydroxyd unter Luftzufuhr c a l c i n i e r t wird („Formiat-Pottasche-Verfahren") : K 2 S 0 4 + Ca(OH), 2 K O H + 2CO — v 2HCOOK + 2 K O H + Oa — 2 K

CaS0 4 + 2 K O H

(10)

2HCOOK

(11)

2

C0

3

+ 2HsO.

(12)

In begrenztem Umfange dienen auch technische A b f a l l p r o d u k t e — z. B. H o l z a s c h e (vgl. S. 429), veraschte M e l a s s e s c h l e m p e und veraschter „Wollschweiß" von Schafen — zur Gewinnung von Pottasche.

Kaliumcarbonat bildet eine weiße, hygroskopische Masse, welche bei 894° schmilzt und in Wasser unter Bildung einer alkalisch reagierenden Lösung sehr leicht löslich ist (113.5 g K 2 C0 3 /100 g Wasser bei 25°). Es dient hauptsächlich zur Herstellung von Schmierseifen (II, S. 83) und zur Fabrikation von Kaliglas (S. 341). T}) Kalihaltige Düngemittel K a l i u m s a l z e gehören zu den wichtigsten N ä h r s t o f f e n der Pflanzen. Da die in jedem Ackerboden in reichlicher Menge vorhandenen K a l i u m S i l i c a t e von der Pflanze nur schwer und schlecht ausnutzbar sind, muß man dem Boden bei intensiver Bewirtschaftung Kaliumsalze als D ü n g e s a l z e zuführen. In Frage kommen hier außer dem K a l i u m n i t r a t (s. unten) vor allem das K a l i u m c h l o r i d (als solches bzw. in Form von Carnallit KCl • MgCl2 • 6 H 2 0 oder Kainit KCl • MgS0 4 • 3 H 2 0 ) und das K a l i u m s u l f a t (als solches oder in Form von „Kali-Magnesia" K 2 S 0 4 • MgS0 4 • 6 H 2 0 ) . Im allgemeinen zieht man die S u l f a t e den chlorhaltigen Salzen vor, da v i e l e P f l a n z e n (z. B. die Kartoffeln) gegen die Wirkung von C h l o r i d e n empfindlich sind. Besonders vorteilhaft ist die Kalidüngung bei Klee, Gras, Tabak, Kartoffeln und Rüben. Unter den kalihaltigen M i s c h d ü n g e r n seien erwähnt: der „Kaliammonsalpeter" (Mischkristalle von Kaliumnitrat und Ammoniumchlorid), das „Nitrophoska" (ein aus Ammoniumchlorid bzw. -sulfat, Diammoniumphosphat und Kaliumnitrat bestehendes Gemenge) und der „Hakaphos" (ein aus Harnstoff, Kaliumnitrat und Diammoniumphosphat hergestellter Mischdünger).

3. D a s Lithium, Rubidium und Caesium Lithium. Lithium ist in gebundenem Zustande als Begleiter des Natriums und Kaliums weit verbreitet, kommt aber stets nur in geringen Konzentrationen vor. Unter den L i t h i u m m i n e r a l i e n seien erwähnt: die P h o s p h a t e Amblygonit [LiAlF][P0 4 ] und Triphylin (Li, Na) (Fe, Mn) [ P 0 4 ] und die S i l i c a t e Spodumen (Triphan) LiAl[Si 2 O e ], Lepidolith (Lithionglimmer) K(Al 2 [AlSi 3 O 10 ], Li 2 [AlSi 3 0„(0H, F) 4 ]) (OH, F) 2 und Petalit (Kastor) (Li, Na) [AlSi 4 O 10 ]. Das m e t a l l i s c h e L i t h i u m kann durch E l e k t r o l y s e des geschmolzenen C h l o r i d s LiCi erhalten werden. Gewöhnlich wird dabei der Schmelzpunkt des Chlorids (613°) duroh Zusatz H o l l e m a n - W l b e r i z , Anorganische Chemie. 3?. — 89. Aufl.

28

434

Die Gruppe der Alkalimetalle

von K a l i u m e h l o r i d herabgedrückt. Das silberweiße, an feuchter Luft schnell anlaufende Metall ist mit einem spezifischen Gewicht von 0.534 nach dem festen Wasserstoff (spezifisches Gewicht 0.0763 bei — 260°) das l e i c h t e s t e aller festen Elemente. Der Schmelzpunkt liegt bei 179°, der Siedepunkt bei 1340°. An der L u f t oder in S a u e r s t o f f erhitzt verbrennt Lithium mit intensiv weißem Licht zu Lithiumoxyd Li a O. Beim Erwärmen mit W a s s e r s t o f f geht es in Lithiumhydrid LiH über, das in geschmolzenem Zustande (Smp. 680°) unter Zerlegung in Lithium und Wasserstoff den elektrischen Strom leitet. Der Wasserstoff wird dabei anodisch entwickelt, was für die elektronegative Natur des Wasserstoffs in dem festen Hydrid spricht. Die Verbindung besitzt stark hydrierende Wirkung und reagiert in feingepulvertem Zustande mit den ätherischen Lösungen zahlreicher Halogenide (z. B. BeCl2, MgBr2, BF 3 , A1C13, GaCl3) unter Bildung von H y d r i d e n (n LiH + E X n >- n LiX -f- EH n ). Mit molekularem S t i c k s t o f f vereinigt sich Lithium zum Unterschied von den anderen Alkalimetallen langsam schon in der Kälte, besonders lebhaft bei dunkler Rotglut unter Bildung von Lithiumnitrid Li 3 N. Mit K o h l e n s t o f f bildet es Lithiumcarbid Li2C2. Wie Natrium und Kalium reagiert auch Lithium lebhaft mit W a s s e r ; doch reicht die entwickelte Wärme nicht wie dort zum Schmelzen des Metalls aus. Unter den weiteren Verbindungen des Lithiums ist das Lithiumcarbonat Li 2 C0 3 hervorzuheben, das zum Unterschied von den Carbonaten der übrigen Alkalimetalle in Wasser s c h w e r lösl i c h ist (bei 0°: 1.54, bei 100°: 0.73 g Li 2 C0 3 /100 g Wasser) und daher aus Lithiumsalzlösungen durch Zugabe von Soda leicht ausgefällt werden kann. Es bildet das A u s g a n g s p r o d u k t für die Darstellung der meisten a n d e r e n L i t h i u m s a l z e . Ein anderes schwerlösliches Salz ist das Lithiumphosphat Li 3 P0 4 , dessen Bildung zum Nachweis von Lithium verwendet werden kann. Das durch Umsetzung des Carbonats mit Salzsäure erhältliche Lithiumchlorid LiCl (Smp. 613°, Sdp. 1353°) löst sich zum Unterschied von Natrium- und Kaliumchlorid in Alkohol, was man zu seiner Abtrennung von diesen Chloriden benutzen kann. Lithiumhydroxyd LiOH ist wie die anderen Alkalihydroxyde eine s t a r k e B a s e . Rubidium und Caesium. Rubidium und Caesium kommen in Begleitung der anderen Alkalimetalle in sehr geringen Konzentrationen vor. Verhältnismäßig viel R u b i d i u m (bis über 1%) enthält derLepidolith (S.433). Als Caesiummineral sei der sehr seltene PoiZuo;Cs 4 [Al 4 Si 9 0 29 ]. H 2 0 erwähnt. Entdeckt wurden Rubidium und Caesium im Jahre 1860 durch den deutschen Chemiker R O B E R T W I L H E L M B U N S E N ( 1 8 1 1 — - 1 8 9 9 ) und den deutschen Physiker G U S T A V R O B E R T K I R C H HOFF ( 1 8 2 4 — 1 8 8 7 ) im Dürkheimer Mineralwasser und zwar gelang B U N S E N die Isolierung der beiden Metalle auf Grund der von K I R C H H O F F angeregten „Spektralanalyse" (S. 4 1 ) , indem er die wichtigsten S p e k t r a l - l i n i e n des Rubidiums 1 und Caesiums 2 als Führer bei der chemischen Abtrennung benutzte und nach jeder durchgeführten Trennung denjenigen Teil, in dem sich die Linien am intensivsten zeigten, weiter untersuchte. Die r e i n e n M e t a l l e werden zweckmäßig nicht durch E l e k t r o l y s e , sondern auf c h e m i s c h e m W e g e durch Reduktion der H y d r o x y d e mit M a g n e s i u m im Wasserstoffstrom bzw. C a l c i u m im Vakuum oder besonders vorteilhaft durch Erhitzen der D i c h r o m a t e mit Z i r k o n im H o c h v a k u u m auf etwa 500° dargestellt: Cs 2 Cr 2 0, + 2Zr ^ 2Cs + 2ZrO a + Cr 2 0 3 , wobei die Alkalimetalle abdestillieren (Rubidium: Smp. 39.0°, Sdp. 696°; Caesium: Smp. 28.5°, Sdp. 708°). Rubidium und Caesium sind weit r e a k t i o n s f ä h i g e r als ihre leichteren Homologen und entzünden sich z. B. bei S a u e r s t o f f z u t r i t t ohne weiteres unter Bildung der Peroxyde R b 0 2 und CsOa. Ebenso erfolgt z. B. mit W a s s e r sehr heftige Reaktion. Die V e r b i n d u n g e n gleichen in Zusammensetzung und Eigenschaften denen des Kaliums. Unter den schwerlöslichen und daher zum analytischen Nachweis geeigneten Salzen seien erwähnt: die Perchlorate RbC10 4 und CsC104, die Hexachloroplatinate Rb 2 [PtCl 6 ] und Cs 2 [PtCl„] und die Bitartrate RbH[C 4 H 4 0 6 ] und CsH[C 4 H 4 0 6 ].

4. Die Ammoniumverbindungen a) Freies Ammonium Wir erwähnten schon früher, daß die aus Ammoniak und Säuren entstehenden A m m o n i u m s a l z e NH 4 X in ihren Eigenschaften den A l k a l i s a l z e n gleichen (S. 229). Es hat daher nicht an Versuchen gefehlt, das den Alkalimetallen entsprechende Ammonium NH 4 in freier Form zu isoHeren. Alle diese Versuche sind bis jetzt miß1 2

rubidus — dunkelrot. caesius = himmelblau.

Die Ammoniumsalze

435

bei lungen. Dagegen konnte das Ammoniumradikal NH 4 als „Ammoniumamalgam" der E m Wirkung von Ammoniumsalzen auf Alkalimetall-Amalgame (QuecksilberLegierungen) und bei der Elektrolyse von Ammoniumsalzen in flüssigem Ammoniak unter Verwendung von Q u e c k s i l b e r k a t h o d e n isoliert werden: Na + NH 4 '

>- Na - + NH 4

bzw.

NH 4 ' + ©

>- NH 4 .

Dieses Ammoniumamalgam stellt eine weiche, schwammartige, voluminöse, schon bei Zimmertemperatur in Quecksilber, Ammoniak und Wasserstoff zerfallende (NH 4 — > NH 3 + 2 H2) Masse dar.

b) Ammoniumsalze Aminoniamchlorid NH4C1 {„Salmiak") A m m o n i a k und S a l z s ä u r e :

wird

technisch durch Vereinigung

NH 3 + HCl — > NH4C1

von (1)

oder als Nebenprodukt der Ammoniaksoda-Fabrikation (S. 427f.) gewonnen. Seine Reinigung erfolgt durch Umkristallisieren oder Umsublimieren. E s stellt ein farbloses, bitter-salzig schmeckendes, in Wasser leicht lösliches Salz dar, welches aus wässerigen Lösungen in Form federfahnenartig angeordneter Oktaeder, aus dem Dampfzustande als faserig-kristalline Masse auskristallisiert. Salmiak s u b l i m i e r t leicht und d i s s o z i i e r t dabei in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) in A m m o n i a k und C h l o r w a s s e r s t o f f . Bei 350° ist die Spaltung vollkommen. Merkwürdig ist die von H . B . B A K E R entdeckte Tatsache, daß völlig t r o c k e n e r , d. h. längere Zeit über Phosphorpentoxyd gehaltener Salmiak nicht d i s s o z i i e r t und daß sich umgekehrt in gleicher Weise g e t r o c k n e t e s Ammoniak- und Chlorwasserstoffgas nicht zu S a l m i a k vereinigen. Spuren F e u c h t i g k e i t bewirken also eine wesentliche B e s c h l e u n i g u n g sowohl der Bildung wie des Zerfalls von Ammoniumchlorid. Diese Erscheinung der katalytischen Wirkung geringer Mengen Wasser findet sich auch in vielen a n d e r e n F ä l l e n . So kann z. B. weißer P h o s p h o r , der sich an feuchter Luft bereits bei ziemlich niedriger Temperatur entzündet, in völlig trockenem Sauerstoff auf 150° erhitzt werden, ohne sich zu entzünden. K o h l e n o x y d verbrennt in trockenem Sauerstoff viel schwerer als in feuchtem. Eine mit sehr sorgfältig getrocknetem K n a l l g a s gefüllte Röhre kann auf Rotglut erhitzt werden, ohne daß Explosion eintritt. S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d wirken nur bei Gegenwart geringer Mengen flüssigen Wassers aufeinander ein. N a t r i u m kann in einer trockenen Sauerstoff atmosphäre geschmolzen werden. Vgl. a. S. 83.

Ammoniumsulfat (NH 4 ) 2 S0 4 steht der Erzeugungsmenge nach unter allen Ammoniumsalzen an erster Stelle und dient ausschließlich zu D ü n g e z w e c k e n . E s wird technisch entweder durch Vereinigung von A m m o n i a k und S c h w e f e l s ä u r e : 2NH 3 + H a S 0 4 —>- (NH 4 ) 2 S0 4

oder — zur Ersparnis von Schwefelsäure — durch Umsetzung von A m m o n i u m c a r b o n a t und G i p s dargestellt: (NH 4 ) 2 C0 3 + CaS0 4 — > CaC0 3 + (NH 4 ) 2 S0 4 .

(2)

Im einzelnen verfährt man bei diesem „Qips-Ammonsulfat-Verfahren" so, daß man den feingemahlenen Gips (oder Anhydrit) mit Waschlauge zu einem Brei anrührt und diesen Brei in einem mit Rührwerk versehenen, geschlossenen Behälter mit A m m o n i a k und K o h l e n d i o x y d (2NH 3 + C0 2 + H 2 0 >- (NH 4 ) 2 C0 3 ) sättigt. Nach einigen Stunden wird der C a l c i u m carbonatschlamm mit Tauch-Saugfiltern abfiltriert, das F i l t r a t in Vakuumverdampfern eingedampft und das Salz abgeschleudert und in Drehrohröfen getrocknet.

Ammoniumsulfat kristallisiert in farblosen, großen rhombischen Prismen und löst sich sehr leicht in Wasser (bei 0 ° : 71 g, bei 20°: 76 g, bei 100°: 98 g (NH 4 ) 2 S0 4 in 100 g Wasser). Beim Erhitzen auf über 350° geht es unter Abspaltung von Ammoniak in Ammoniumbisulfat N H 4 H S 0 4 über, welches unzeraetzt bei 490° siedet. 28*

Die Gruppe der Alkalimetalle

436

Ammoniumnitrat NH4NO3 („Ammonsalfeter") wird technisch durch Sättigen von wässeriger S a l p e t e r s ä u r e mit A m m o n i a k g a s oder A m m o n i a k w a s s e r dargestellt: NH3 + HN03 — N H 4 N 0 3 . Es stellt ein farbloses, an feuchter Luft zerfließendes, in Wasser unter starker Abkühlung (6.2 kcal/Mol) lösliches, kristallines Salz dar, welches bei 169.5° schmilzt und bei etwas höherer Temperatur in Wasser und Distickstoffoxyd zerfällt (S.234). Man kennt bei gewöhnlichem Druck fünf beständige M o d i f i k a t i o n e n des Ammoniumnitrats, deren Umwandlungspunkte bei — 18°, + 32.5°, + 84.2° und + 125.2° liegen. Wegen seines hohen Stickstoffgehaltes ist Ammoniumnitrat ein sehr vorteilhafter S t i c k s t o f f d ü n g e r . Infolge seiner Explosionsgefährlichkeit und Zerfließlichkeit kann man diesen aber n i c h t in r e i n e m Z u s t a n d e , sondern nur im Gemisch mit Zus c h l ä g e n verwenden, welche seine explosiven Eigenschaften beseitigen und den Dünger streufähig machen. Solche Stoffe sind: Ammoniumsulfat, Calciumcarbonat, Calciumsulfat, Calciumnitrat, Phosphate usw. So stellt z. B. der „Leunasalpeter" („Ammonsulfatsalpeter") ein Doppelsalz der Formel (NH 4 ) 2 S0 4 • 2NH 4 N0 3 dar. Gemische von Ammoniumnitrat und Calciumcarbonat kommen als „Kalkammonsalpeter" in den Handel. Ammoniumcarbonat ( N H ^ C O j wird technisch durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d in A m m o n i a k w a s s e r : 2NHS + COa + Ha0 —>• (NH4)aC03 oder — in Umkehrung der Bildungsgleichung (2) für Ammoniumsulfat — durch Erhitzen eines Gemisches von A m m o n i u m s u l f a t und C a l c i u m c a r b o n a t (Kreide) hergestellt: (NH 4 ) 2 S0 4 + CaC03 — ( N H 4 ) a C 0 3 + CaS0 4 .

Das beim letztgenannten Verfahren absublimierende Salz enthält außer dem n o r m a l e n Ammoniumcarbonat (NH 4 ) 2 C0 3 noch Ammoniumbicarbonat NH 4 HC0 3 und Ammonium-carbaminat NH 4 C0 2 NH 2 . Die beiden ersteren Verbindungen sind Salze der K o h l e n s ä u r e (I), das letztere stellt ein Salz der C a r b a m i n s ä u r e (II) dar: /OH /NH2 0=C< 0=C< X>H X>H

(I)

(II)

Beim Kochen mit Wasser geht das C a r b a m i n a t in das Carbonat über: / I n H 2 + HiOH

0=C< - ------\onh4 Carbaminat

—v

/ O H + NH 3

0=C< \onh4 Bicarbonat

—->

/ONH4

0=C

PQs

>

g

00

** ^J

OJ

fr



— ö

I ß fc* CO pq

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oo

O

2

«2

Ol CO c c

IN U5

2

pH

CO CO

00

—i Ä >0 OD

S



IN co

« ö

S in

oc

i-H •
2-Bahnen nach den Ecken eines Q u a d r a t s gerichtet, während im Falle s e c h s f a c h e r Koordination d 2sp 3- oder s^>3d2-Bahnen o k t a e d r i s c h e , d ispBahnen t r i g o n a l - p r i s m a t i s c h e Anordnung der Liganden ergeben. Die e x p e r i m e n t e l l ermittelten Konfigurationen der obigen Verbindungen stimmen mit diesen theoretischen Forderungen überein. Insbesondere sei auf die coplanare Struktur der Ni(II)-Verbindung (6) im Gegensatz zur tetraedrischenStruktur der Ni(0)-Verbindung (8) hingewiesen, was seine Erklärung darin findet, daß beim Ni(0) zum Unterschied vom 1 Während die relative Bindekraft der reinen s- bzw. p- bzw. ¿-Bindung 1 bzw. 1.732 ( = |/ 3 ) bzw. 2.236 ( = |/ 5 ) beträgt, kommt der sp3-Bindung die Bindekraft 2, der ¿sp 2 -Bindung die Bindekraft 2.694 und der d 2 sp 3 -Bindung die Bindekraft 2.923 zu.

Elemente der Nebengruppen

447

Ni(II) keine ds^>2-Bindungen möglich sind. Die m a g n e t i s c h e n Eigenschaften stehen mit den Elektronenkonfigurationen in Einklang, indem die Ionen und Atome mit u n g e p a a r t e n Elektronen p a r a m a g n e t i s c h , die Ionen und Komplexionen mit g e p a a r t e n Elektronen dagegen d i a m a g n e t i s c h sind (vgl. S. 495, 497). Weiterhin ist aus der obigen Tabelle das früher (S. 160) schon erwähnte Bestreben der Elemente ersichtlich, durch Komplexbildung E d e l g a s s c h a l e n zu erreichen, indem sowohl Eisen wie Kobalt, Nickel und Kupfer in den oben angeführten Komplexverbindungen Fe(CN) 6 "", CO(CN)6"', Ni(CO)4 und Cu(CN) 4 "' eine K r y p t o n s c h a l e aufweisen. Weniger beständig als die Komplexverbindungen des zweiwertigen Eisens, d r e i wertigen Kobalts und einwertigen Kupfers sind erwartungsgemäß die entsprechenden Komplexverbindungen des dreiwertigen Eisens, zweiwertigen Kobalts und z w e i wertigen Kupfers, da diese gegenüber der Kryptonschale ein Plus bzw. Minus von 1 Elektron aufweisen, das zugleich den Paramagnetismus dieser Komplexionen bedingt:

Nr

Zentralatom

11

Fe

12

Fe(CN)6 "'

13

Co

n

Co(CN)t ""

15 16

Cu Cu(CN)t "

Kryptonschale

3.

«

Schale d

s

Schale P

d

o ooo o ©©©[©© © © © ©] o ©®0©O o o o o o © © ©!© © © ©®©jo ©©©©© o ooo o © © © ©[© © @©]o o © ©©©© © ©©© o

Räumliche Konfiguration

©OOOO

Magnetismus

para »ktaedrisch

para

para oktaedrisch

para para

quadratisch

para

Die r ä u m l i c h e n K o n f i g u r a t i o n e n der Verbindungen stehen mit den aufgestellten Regeln in Einklang. Ebenso entspricht die stark r e d u z i e r e n d e Wirkung des Co(CN) 6 ""-ions den Erwartungen, da beim Übergang des Co(CN) 6 ""- in ein Co(CN) 6 "'-ion das unpaarige Elektron der 4d!-Bahn unter Bildung der KryptonKonfiguration abgegeben wird. Umgekehrt haben die Komplexionen Fe(CN) 6 "' und CU(CN)4" o x y d i e r e n d e Eigenschaften, da sie zur Ausbildung der Kryptonschale ein Elektron aufzunehmen suchen.

2. Elemente der Lanthaniden- und Actinidengruppe Lanthaniden. Bei den in der 6. Periode der Tabelle (S. 440) ausgelassenen 14 Lanthaniden-Elementen Cer (Ordnungszahl 58) bis L u t e t i u m (Ordnungszahl 71) erfolgt der Ausbau der d r i t t ä u ß e r s t e n (4.) Schale von der Elektronenzahl 18 auf die stabile Maximalzahl 32:

Das Periodensystem der Elemente (II. Teil)

448 Element

®

_o

ä CO

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu

1. Schale 2. Schale 3. Schale

Cer Praseodym Neodym Promethium Samarium Europium Gadolinium Terbium Dysprosium Holmium Erbium Thulium Ytterbium Lutetium

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8

18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18

4. Schale 1 8 + 1 18+2 1 8 + 3 1 8 + 4 1 8 + 5 18+6 18+7 1 8 + 8 18+9 18 + 10 18 + 11 18 + 12 18 + 18 18 + 14

5. Schale 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8

+ 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 +1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1

6. Schale 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

Da sich dementsprechend die Elemente nur im B a u der drittäußersten Elektronen, schale unterscheiden, welche nur von s e h r g e r i n g e m E i n f l u ß auf die chemischen Eigenschaften ist, sind sich diese Elemente chemisch so a u ß e r o r d e n t l i c h ä h n l i c h , daß ihre Trennung und Reindarstellung größte Schwierigkeiten bereitete (S. 487f.). Immerhin läßt sich aber auch hier eine — allerdings nur sehr schwach ausgeprägte — P e r i o d i z i t ä t beobachten, die es rechtfertigt, auch die Lanthaniden-Elemente in ein Periodensystem einzuordnen, dem zweckmäßig die dreiwertigen Ionen zugrundegelegt werden: La'"

Ce'"

Pr'"

Nd"

Pm"

Sm'"

Eu'"

Gd"

„Ceriterden"

Gd'"

Tb'"

Dy-

Ho'"

Er'"

Tm'"

Yb'"

Lu "

„Yttererden"

Entsprechend dieser Einordnung in ein Periodensystem, in welchem die Ionen La'", Gd"' und Lu'" die Stelle der Edelgase und Edelmetalle des Haupt- bzw. Nebensystems einnehmen, gehen die seltenen Erdmetalle Cer und T e r b i u m unter Abgabe je eines Elektrons leicht in den vier w e r t i g e n , die seltenen Erdmetalle E u r o p i u m und Y t t e r b i u m unter Aufnahme je eines Elektrons leicht in den z w e i w e r t i g e n Zustand über. Die besondere Stabilität des La"'- und Lu'"-ions erklärt sich aus der abgeschlossenen Elektronenkonfiguration aller vorhandenen Elektronenschalen (1. Schale: 2, 2. Schale: 8, 3. Schale: 18, 4. Schale 18 bzw. 32, 5. Schale: 8 Elektronen); die Stabilität des Gd " rührt daher, daß der in diesem Falle vorhandenen 4. Unterschale von 7 Elektronen (vgl. Tab. S. 4471 als einer „halbbesetzten111 Unterschale (S. 445) eine bevorzugte Beständigkeit zukommt. Mit zunehmender Entfernung von den Randgliedern La'", Gd'" und Lu'" schwindet die Neigung zum Übergang in deren Elektronenkonfiguration mehr und mehr. So zeigt lediglich das P r a s e o d y m noch Anzeichen einer oberen Wertigkeit von 5 und das Sam a r i u m Anzeichen einer unteren Wertigkeit von 1. Die bevorzugte Beständigkeit halbbesetzter Unterschalen findet sich auch in der im Vergleich zu den Nachbarionen Cr" und F e " weit größeren Stabilität des Mn"-ions wieder, das eine halbbesetzte 2 3. Untersehale von 5 Elektronen aufweist (S. 440, 445). Actiniden. E t w a s größere chemische Unterschiede zeigen sich bei den zur 7. Periode der Tabelle (S. 440) gehörenden 12 Actiniden-Elementen (Ordnungszahl 90—101), bei welchen die drittäußerste, 5. Schale ausgebaut wird, ohne daß ein vorläufiger Schalenabschluß — der erst nach 14 Gliedern (s. Lanthaniden) beim Element der Ordnungszahl 103 mit 18 + 14 = 32 Elektronen in der 5. Schale erreicht w ä r e — zustande kommt 3 . 1 Die volle Besetzung (14 Elektronen) liegt beim Lu'"-ion vor. Die 14 Elektronen verteilen sich hier zu je zwei auf 7 /-Bahnen. In der halbbesetzten Unterschale des Gadoliniums ist jede /-Bahn mit nur 1 Elektron besetzt. 2 Die volle Besetzung (10 Elektronen) liegt beim Zn"-ion vor. 3 Wie im Falle der Übergangselemente (S. 439'f.) sind auch im Falle der Lanthaniden (S.447) und Actiniden (s. obige Tabelle) die Elektronenkonfigurationen insofern etwas vereinfacht dargestellt, als ein Elektron der zweitäußersten Schale bisweilen in der drittäußersten Schale eingebaut ist oder umgekehrt.

Elemente der Lanthaniden- und Actinidengruppe Element

o b Ph

90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101

Th Pa U Np Pu Am Cm Bk Cf E Em Mv

Thorium Protactinium... Uran Neptunium . . . . Plutonium Americium . . . . Curium Berkelium Californium Einsteinium Fermium Mendelevium . .

1. Schale

2. Schale

3. Schale

4. Schale

5. Schale

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8

18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18

32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32

18+ 1 18+ 2 18+ 3 18+ 4 18+ 5 18+ 6 18+ 7 18+ 8 18+ 9 18+10 18+11 18+12

449 6. Schale 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8

+1 +1 +1 +1 +1 +1 +1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1

7. Schale 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

Hier können die Elemente außer den beiden äußersten Elektronen, die die Z w e i w e r t i g keit der Elemente als niedrigste Wertigkeit bedingen, und dem über das Oktett hinaus vorhandenen Elektron der 6. Schale (entsprechend einer D r e i w e r t i g k e i t ) teilweise auch noch die über die beständige Achtzehnerschale hinausgehenden Elektronen der 5. Schale betätigen, so daß beispielsweise Thorium maximal v i e r - , Protactinium maximal fünf- und Uran maximal s e c h s w e r t i g ist. Bei den darauffolgenden Elementen werden die Valenzelektronen der 5. Schale wegen der wachsenden positiven Kernladung zunehmend fester gebunden (vgl. S. 441), so daß beispielsweise die maximale Wertigkeit des Curiums nur noch 3 beträgt (S. 605), was bedeutet, daß Curium keine Elektronen der 5. Schale valenzchemisch zu betätigen vermag 1 . Dagegen vermögen die folgenden Elemente Berkelium und Californium maximal vier- bzw. fünfwertig aufzutreten (S. 606). Dies legt die Einordnung der Actiniden-Elemente in ein dem Lanthaniden-System (S. 448) entsprechendes Periodensystem nahe: Ac-

Th-

Pa-

u-

Np-

Pu"'

Cm'"

Bk-

Cf"

E-

E m - MV"

Am'" -

Cm-

Bei den Actiniden-Elementen T h o r i u m , P r o t a c t i n i u m und U r a n sind die Höchstwertigkeiten 4, 5 und 6 so charakteristisch, daß man diese Metalle zwanglos auch in die vierte bis sechste Nebengruppe des Periodensystems als Homologe der Elemente Hafnium, Tantal und Wolfram einordnen kann. Dementsprechend werden die Elemente Thorium bis Uran im vorliegenden Lehrbuch bei den betreffenden Nebengruppen mitbehandelt. Doch sind diese Grundstoffe in Wirklichkeit Actinidenelemente (vgl. Uran, S. 520). Die auf das Uran folgenden Glieder N e p t u n i u m bis M e n d e l e v i u m , die keine chemische Ähnlichkeit mit den an das Wolfram anschließenden Elementen aufweisen, werden als „Transurane'''' gesondert besprochen (S. 600ff.). 1 Mitverantwortlich für diese Stabilität der 5. Schale des Curiums ist die „Halbbesetzung" der äußeren Unterschale mit 7 Elektronen (vgl. die analogen Verhältnisse beim LanthanidenElement Gadolinium; Anmerkung 1, S. 448).

H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37. —39. Aufl.

29

Kapitel XVII

Die Kupfergruppe 1. Das Kupfer a) Elementares Kupfer Vorkommen. Kupfer findet sich als edles Metall (e0 = - f 0.35 Volt) gediegen in Nordamerika, Chile und Australien. In gebundenem Zustande kommt es in Form von Oxyden und Sulfiden vor. Die wichtigsten sulfidischen K u p f e r e r z e sind: Kupferkies (Chalkopyrit) CuFeS 2 , Buntkupfererz (Bornit) Cu3FeS3 und Kupferglanz (Chalkosin) Cu2S. Unter den oxydischen Erzen sind namentlich Rotkupfererz (Cuprit) Cu 2 0, Malachit CuC03-Cu(0H)a und Kupferlasur (Azurit) 2CuC03 • Cu(OH)2 zu nennen. Da der K u p f e r g e h a l t der zur Verhüttung kommenden Erze infolge des Begleitgesteins („Gangart") häufig sehr gering ist, ist hier das Verfahren der E r z a n r e i c h e r u n g durch „Schwimmaufbereitung" („Flotation") von besonderer Wichtigkeit. Bei diesem Anreicherungsverfahren wird das feinzerteilte Ausgangsmaterial mit viel W a s s e r und etwas ö l (speziell Holzteeröl) angerührt, wobei sich das vom Öl benetzte E r z in der s t a r k s c h ä u m e n den O b e r f l ä c h e n s c h i c h t ansammelt, während die — im Vergleich zum Erz zwar spezifisch leichtere, aber von Wasser benetzbare — G a n g a r t zu Boden sinkt. Nach dem Abpressen des Öls erhält man so ein konzentriertes Erz, das auf Metall weiterverarbeitet werden kann.

Darstellung von Rohkupfer. Das wichtigste Ausgangsmaterial zur Gewinnung von Kupfer ist der K u p f e r k i e s CuFeS 2 . Seine Aufarbeitung auf Kupfer erfolgt in der Weise, daß man ihn zur Beseitigung eines Teils des Schwefels in Kiesröstöfen (S. 206) v o r r ö s t e t („Röstarbeit") und das so erhaltene, zur Hauptsache aus Cu2S, FeS und Fe 2 0 3 bestehende R ö s t g u t zwecks Beseitigung des E i s e n o x y d s in Schachtöfen (Wassermantelöfen) oder Flammöfen mit K o h l e und kieselsäurehaltigen Zuschlägen verschmilzt („Schmelzarbeit"). Bei diesem Verschmelzen bildet sich unter Kohlenoxydentwicklung („Gichtgas") ein flüssiges Gemisch von E i s e n s i l i c a t s c h l a c k e (Fe 2 0 3 + C + S i 0 2 - > F e 2 S i 0 4 + C0) und „Kupferstein" (Cu2S + FeS), das durch Abflußöffnungen in fahrbare Vorherde ausfließt. Hier trennen sich infolge des verschiedenen spezifischen Gewichts (Schlacke: 3—4; Kupferstein: 4—6) Schlacke und Kupferstein voneinander. Die S c h l a c k e fließt über und kann bei geeigneter Zusammensetzung als Schotter für Bahn- und Wegebauten oder zur Herstellung von Pflastersteinen großer Härte und Festigkeit verwendet werden. Der S t e i n wird von Zeit zu Zeit am Boden abgestochen. Zur Beseitigung des E i s e n s u l f i d s und zur E n t s c h w e f e l u n g des Kupfersulfids wird nun der Kupferstein aus Gießpfannen mit einer Temperatur von mehr als 900° in einen mit Magnesiasteinen (S. 405) ausgefütterten „Konverter" (vgl. S. 530f.) eingegossen, in den man von der S e i t e her durch Winddüsen L u f t einbläst („Verblaserösten"). In der ersten Periode des Verblasens wird das E i s e n s u l f i d des Kupfersteins zum Oxyd abgeröstet (1), welches mit zugeschlagenem Quarz v e r s c h l a c k t (2): FeS + lV a O a

>- FeO + S0 2 + 112 kcal

2 FeO + Si0 2 — > - Fe 2 Si0 4 + 18 kcal.

(1)

(2)

Das Kupfer

451

Nach 40—60 Minuten ist die Verschlackung beendet, worauf man die Schlacke abgießt. Sie enthält einige Prozente Kupfer und wird beim Rohsteinschmelzen wieder zugeschlagen. In der zweiten Periode des Verblasens wird das K u p f ersulfid teilweise zu K u p f e r o x y d oxydiert (3), welches sich mit unverändertem K u p f e r s u l f i d unter Bildung von metallischem K u p f e r umsetzt (4): Cu 2 S + 1 V 2 0 2 Cu 2 0 + SOa + 93 kcal Cu a S + 2CU 2 0 — 6 C u + S 0 2 — 30 kcal.

(3) (4)

Die Reaktionen (1) und (3) liefern die Wärme für die beiden Perioden des Blaseprozesses; zu Beginn des Verblasens muß der Konverter natürlich stark angewärmt werden. Das erhaltene Konverterkupfer heißt „Rohkupfer'' oder „Schwarzkupfer".

Aus k u p f e r a r m e n Erzen und Abfallprodukten, z. B. den bei der Schwefelsäurefabrikation anfallenden kupferhaltigen Pyritabbränden wird das Rohkupfer zweckmäßig nach einem n a s s e n V e r f a h r e n gewonnen, indem man diese Ausgangsmaterialien — nötigenfalls nach vorherigem Rösten — mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e auslaugt und aus der so erhaltenen K u p f e r s u l f a t lösung das Kupfer durch E i s e n s c h r o t t ausfällt („Zementieren"): Cu" + Fe —>- Cu + F e " (vgl. S. 168). Das entstehende Kupfer heißt „Zementkupfer" und wird verschmolzen und elektrolytisch gereinigt.

Reinigung von Rohkupfer. Das Rohkupfer enthält etwa 94—97°/0 Kupfer; die Verunreinigungen bestehen aus Zink, Blei, Arsen, Antimon, Eisen, Nickel, Schwefel sowie gegebenenfalls Silber, Gold und Platin. Zur Befreiung von diesen Fremdstoffen wird das Rohkupfer zweckmäßig zuerst der R a f f i n a t i o n s s c h m e l z e und dann der e l e k t r o l y t i s c h e n R a f f i n a t i o n unterworfen. Das Raffinationsschmelzen besteht aus einem zuerst oxy- Kathoc/e dierenden und dann reduzierenAnode stfupfersu/fat/ösung den Schmelzen. Das Rohkupfer wird dabei in kleinen FlammFig. 128. Elektrolytische Kupfer-Raffination öfen zunächst mit schlackenbildenden Zuschlägen geschmolzen („Einschmelzen") und unter Luftzutritt erhitzt („Verblasen"), wobei sich Zink, Blei, Arsen und Antimon verflüchtigen und Eisen und Nickel verschlacken. Nach einigen Stunden wirkt gebildetes Kupferoxyd auf noch vorhandenes Kupfersulfid gemäß (4) unter S02-Entwieklung ein („Braten"). Die völlige Austreibung des Schwefeldioxyds erfolgt durch „Dichtpolen" (vgl. S. 352). Zur Beseitigung des noch vorhandenen Kupferoxyds wird schließlich noch unter Verwendung von Holzkohle oder Anthrazit reduziert („Zähpolen"). Das so erhaltene „Garkupfer" besteht zu 9 9 % und mehr aus Kupfer und enthält noch die gesamten Edelmetalle. Zur elektrolytischen Raffination gießt man das Garkupfer in die Form großer, 3 cm dicker A n o d e n p l a t t e n , welche man in einer als Elektrolyt dienenden schwefelsauren Kupfersulfatlösung in der aus Fig. 128 ersichtlichen Weise mit F e i n k u p f e r b l e c h K a t h o d e n zusammenschaltet. Beim Einschalten des Stromes geht Kupfer an der Anode in Lösung, während sich an der K a t h o d e aus der Kupfersulfatlösung reines K u p f e r als hochroter, dichter Niederschlag abscheidet: Curoh 2 9 + Cu"

>- Cu" + 2 © >- Curein

(Anode) (Kathode)

Curoh >- Curein. Von den Verunreinigungen gehen die unedleren Metalle (Eisen, Nickel, Kobalt, Zink) ebenfalls anodisch in Lösung, ohne sich kathodisch abzuscheiden, während die edleren 29*

452

Die Kupfergruppe

Metalle (Silber, Gold, Platin) als Staub von der Anode abfallen und mit anderen festen Abfallstoffen den „Anodenschlamm" bilden, der als Ausgangsmaterial zur Gewinnung der enthaltenen E d e l m e t a l l e dient. Physikalische Eigenschalten. Das metallische Kupfer stellt ein hellrotes, verhältnismäßig weiches, aber sehr zähes und dehnbares Metall dar, welches sich zu sehr feinem Draht ausziehen und zu äußerst dünnen, grün durchscheinenden Blättchen ausschlagen läßt. Es besitzt nach dem Silber die beste elektrische Leitfähigkeit unter allen Metallen. Das spezifische Gewicht beträgt 8.92, der Schmelzpunkt 1083°, der Siedepunkt 2350°. Chemische Eigenschaften. An der L u f t oxydiert sich Kupfer oberflächlich langsam zu rotem K u p f e r ( I ) - o x y d Cu 2 0, das an der Oberfläche fest haftet und dem Kupfer die bekannte rote Kupferfarbe verleiht. Bei Gegenwart von K o h l e n d i o x y d bildet sich auf dem Kupfer allmählich ein Überzug von grünem basischem Carbonat („Patina"), welches das darunterliegende Metall vor weiterer Zerstörung schützt. Seiner Stellung in der Spannungsreihe entsprechend (e0 = + 0 - 3 5 Volt) wird Kupfer nur von oxydierenden Säuren (z. B. Salpetersäure; vgl. S. 169), nicht dagegen von n i c h t o x y d i e r e n d e n Säuren (z. B. Salzsäure; vgl. S. 167f.) gelöst und aus seinen Salzlösungen durch u n e d l e r e M e t a l l e wie Eisen (vgl. S.451), Zink (vgl.S. 165), Magnesium abgeschieden. In seinen chemischen Verbindungen tritt das Kupfer ein- und namentlich zweiwertig auf. Doch sind auch Verbindungen des dreiwertigen Kupfers bekannt, z.B. Me 7 [Cu(J0 6 ) 2 ], Me 9 [Cu(Te0 6 ) 2 ] (Me = Na, K, H oder Kombinationen davon), K 3 CuF 6 , Cu 2 0 3 , NaCu(OH)4, KCu0 2 , Ba(Cu0 2 ) 2 . Man gewinnt letztere Verbindungen („Cuprate") z. B. dadurch, daß man zu Lösungen von Kupferhydroxyd in starker Lauge (S. 454) eine Lösung von Hypobromit hinzufügt, wobei die blaue Farbe des ,,Cuprits" (S. 454) in die rotbraune Farbe des Cuprats umschlägt. Yenvendung. Das Kupfer dient in sehr ausgedehntem Maße zur Herstellung von Legierungen. Unter diesen Legierungen seien vor allem diejenigen mit Zink, mit Zinn, mit Aluminium und mit Nickel erwähnt. Die K u p f e r - Z i n k - l e g i e r u n g e n werden als „Messing" bezeichnet. J e nachdem Zinkgehalt unterscheidet man hier R o t - , Gelb- und Weißmessing. Das rötlichgoldähnliche „Rotmessing" („Tombak") besteht zu 8 0 % und mehr aus Kupfer und ist sehr dehnbar, so daß man es zu feinsten Blättchen („unechtes Blattgold", „Bronzefarbe") aushämmern kann. Vergoldet ist es unter dem Namen „Talmi" bekannt. Das „Gelbmessing" enthält 20—40% Zink und dient besonders für Maschinenteile. Das blaßgelbe „Weißmessing" enthält bis zu 8 0 % Zink, ist spröde und kann nur gegossen werden. Die K u p f e r - Zinn-legierungen werden als „Bronzen" bezeichnet. So besteht z. B. die für besonders zähfeste Maschinenteile (Achsenlager) verwendete „Phosphorbronze" aus 9 1 % Cu, 9 % Sn und Spuren Phosphor, welcher die Oxydbildung beim Guß verhindert und so die Dichtigkeit und Festigkeit erhöht. Ähnliche Zusammensetzung besaß die bis zur Einführung der Gußstahlrohre für Kanonenläufe verwendete „Kanonenbronze" („Geschützbronze"). Eine mechanisch besonders widerstandsfähige Bronze („Süiciumbronze") erhält man durch Zusatz von 1—2% S i l i c i u m , welches die elektrische Leitfähigkeit wenig verändert, das Material aber besonders fest, hart und widerstandsfähig macht, so daß es z. B. für die Herstellung der Oberleitungsdrähte und Schleifkontakte der Straßenbahnen geeignet ist. Die zum Glockenguß dienende ,,Glockenbronze" besteht aus 75—80% Kupfer und 25—20% Zinn. Die modernen Kunstbronzen („Statuenbronze") enthalten neben bis zu 10% Zinn zur Erhöhung der Gießbarkeit und Bearbeitungsfälligkeit noch etwas Zink und Blei. Die früheren deutschen Kupfermünzen enthielten 9 5 % Cu, 4 % Sn und 1 % Zn. Als Lagermetall für Eisenbahnachsen dient eine Legierung aus 7 8 % Cu, 7 % Sn und 1 5 % Pb.

Das Kupfer

453

Die K u p f e r - A l u m i n i u m - l e g i e r u n g e n finden als „Aluminiumbronzen" mit 5 bis 12% Aluminium Verwendung. Sie besitzen goldähnliche Farbe und Glanz, sind gegenüber dem Kupfer zäher, härter und schmelzbarer und dienen wegen ihrer großen Festigkeit und Elastizität z. B. zur Herstellung von Waagebalken und Uhrfedern. Weiterhin bestanden die deutschen 5- und 10-Rentenpfennigstücke aus Kupfer (91.5%) und Aluminium (8.5°/0). Unter den K u p f e r - N i c k e l - l e g i e r u n g e n ist auf das „Konstantan" (60% Cu, 40% Ni) hinzuweisen, dessen elektrischer Widerstand fast unabhängig von der Temperatur ist. Die früheren deutschen Nickelmünzen enthielten 75% Cu und 25% Ni. Eine Legierung von 55—60% Cu, 12—26% Ni und 19—31% Zn wird als „Neusilber" (versilbert: „Alpaka") bezeichnet. Wegen seiner ausgezeichneten elektrischen Leitfähigkeit dient Kupfer weiterhin zur Herstellung e l e k t r i s c h e r L e i t u n g e n , wegen seiner Widerstandsfähigkeit an der Luft zu D a c h b e d e c k u n g e n und wegen seiner guten Wärmeleitfähigkeit zur Herstellung von Heizrohren, Kühlschlangen, Waschkesseln, Braupfannen usw.

b) Kupfer(I)-Verbindungen Kupfer(I)-oxyd CujO. Versetzt man K u p f e r ( I ) - s a l z l ö s u n g e n mit A l k a l i , so entsteht ein g e l b e r Niederschlag von K u p f e r ( I ) - o x y d , der beim Erwärmen in gröberkristallines r o t e s Kupfer(I)-oxyd übergeht: 2 C u + 2 0 H ' — C u a O + H 2 0. (1) Man benutzt diese charakteristische Fällung von rotem Kupfer(I)-oxyd bei der „ F E H LiNGSchen Probe" zum Nachweis von Zucker, indem man die auf Zucker zu prüfende Lösung (z. B. Harn) mit einer alkalischen Lösung von Kupfersulfat und Seignettesalz {„FEHLINGsehe Lösung", S.454) kocht, wobei der Zucker das zweiwertige Kupfer zum einwertigen reduziert, welches gemäß (1) reagiert. Im f e u c h t e n Zustande oxydiert sich das Kupfer(I)-oxyd an der Luft leicht zu blauem K u p f e r ( I I ) - h v d r o x y d Cu(OH)2: Cu 2 0 + V 2 0 2 + 2 H 2 0 - > - 2Cu(OH)2. Aus dem gleichen Grunde färbt sich eine farblose Lösung von Kupfer(I)-oxyd in Ammoniak durch Sauerstoffabsorption rasch blau (vgl. S. 454). Kupfer(I)-Chlorid CuCl (Smp. 422°, Sdp. 1366°) entsteht beim Erwärmen von K u p f e r ( I I ) - c h l o r i d und metallischem Kupfer (CuCl2 + Cu —> 2CuCl) in konzentrierter Salzsäure als komplexe Säure H[CuCl2] ; beim Verdünnen der Lösung zerfällt diese Säure unter Abspaltung von Salzsäure und Bildung eines weißen Niederschlags von CuCl. In t r o c k e n e m Zustande ist die Verbindung an der Luft b e s t ä n d i g . Im f e u c h t e n Zustande oxydiert sie sich an der Luft leicht zu grünem basischem K u p f e r (II)-chlorid: 2 CuCl + V 2 0 2 + H 2 0 ->• 2Cu(OH)Cl. In konzentrierter Salzsäure und A m m o n i a k löst sich Kupfer(I)-chlorid farblos unter Komplexbildung: CuCl-|- HCl H [ C U C 1 2 ] bzw. CuCl + 2NH 3 ->- [Cu(NH3)2] C1. Die Lösungen besitzen die Fähigkeit, unter Bildung einer Komplexverbindung der Formel [CuCl(CO)] K o h l e n o x y d zu absorbieren, wovon man sowohl bei der G a s a n a l y s e wie bei der technischen A m m o n i a k s y n t h e s e (vgl. S. 226f.) Gebrauch macht. Kupfer(I)-jodid CuJ (Smp. 605°, Sdp. 1290°) bildet sich im Gemisch mit Jod als bräunlich-weißer Niederschlag beim Versetzen einer Kupfersulfatlösung mit K a l i u m jodid, da das zweiwertige Kupfer durch das Jod-ion zu einwertigem Kupfer reduziert wird, welches mit unverändertem Jodid schwerlösliches, weißes K u p f e r (I)-jodid bildet; Cu" + J' —>- Cu" -f V2 Ja Cu' + J' —>- CuJ Cu" + 2 J' V CuJ + VsJa-

454

Die Kupfergruppe

Man benutzt die Reaktion zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g v o n K u p f e r , indem man das freiwerdende Jod mit Natriumthiosulfatlösung titriert (vgl. S. 216). Kupfer(I)-cyanid CuCN kann auf analoge Weise wie Kupfer(I)-jodid durch Zusammengeben von K u p f e r s u l f a t - und K a l i u m c y a n i d l ö s u n g als weißer Niederschlag erhalten werden: Cu" + 2CN' —>- CuCN + 7s(CN)a. Im Ü b e r s c h u ß v o n K a l i u m c y a n i d löst es sich zu dem farblosen, sehr beständigen K o m p l e x s a l z K 3 [Cu(CN) 4 ] a u f : CuCN + 3CN' — > [Cu(CN)4]'". Daß wirklich ein K o m p l e x s a l z und nicht nur ein D o p p e l s a l z CuCN • 3KCN (vgl. S. 391) entstanden ist, erkennt man hier wie in anderen Fällen daran, daß das Komplex-ion k e i n e d e r g e w ö h n l i c h e n R e a k t i o n e n seiner Bestandteile (Cu* und CN') zeigt. So fällt z. B. beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in die Komplexsalzlösung kein Kupfer(I)-sulfid Cu 2 S aus, weil der Komplex so beständig (vgl. S. 160), d. h. so wenig gemäß [Cu(CN) 4 ]"' ( > Cu" + 4CN' dissoziiert ist, daß das Löslichkeitsprodukt von Cu 2 S nicht erreicht wird.

c) Kupfer(II)-Verbindungen Kupfer(II)-oxyd CuO entsteht als schwarzes Pulver beim Erhitzen von metallischem K u p f e r an der L u f t : Cu + l / 2 0 2 CuO + 37.5 kcal. Umgekehrt gibt es an reduzierende Substanzen bei erhöhter Temperatur seinen Sauerstoff leicht wieder ab, wovon man bei der „organischen Elementaranalyse" (II, S. 5ff.) zur Bestimmung von W a s s e r s t o f f (Verbrennung zu Wasser) und K o h l e n s t o f f (Verbrennung zu Kohlendioxyd) Gebrauch macht. Kupfer(II)-hydroxyd Cu(0H)Ä scheidet sich als flockiges, voluminöses, hellblaues Oxydhydrat ab, wenn man eine K u p f e r ( I I ) - s a l z l ö s u n g mit A l k a l i l a u g e versetzt: Cu" + 2OH' •—>- Cu(OH)2. Beim Kochen der Flüssigkeit — langsam auch schon bei gewöhnlicher Temperatur — färbt sich der Niederschlag unter Abspaltung von Wasser und Bildung von K u p f e r ( I l ) - o x y d schwarz: Cu(OH) 2 —>- CuO + H 2 0 . B e s t ä n d i g e s , kristallines, himmelblaues Hydroxyd („Bremerblau") erhält man, wenn man zuerst b a s i s c h e s K u p f e r s a l z fällt und das gut ausgewaschene basische Salz mit A l k a l i l a u g e behandelt. Bei Gegenwart von „Seignettesalz" (Kalium-natrium-tartrat) KNaC 4 H 4 0 8 werden Kupfersalze d u r c h A l k a l i e n n i c h t g e f ä l l t ; vielmehr entsteht in diesem Falle eine tiefblaue Lösung, in welcher ein K u p f e r - T a r t r a t - K o m p l e x vorliegt. Unter dem Namen „FEHLING sehe Lösung" dienen derartige alkalische Kupfersalzlösungen zum Nachweis r e d u z i e r e n d e r S t o f f e (S. 453). In k o n z e n t r i e r t e n A l k a l i l a u g e n löst sich Kupfer(II)-hydroxyd mit tiefblauer Farbe merklich unter Bildung von Cupriten: Cu(OH)2 + 2OH' z^zt. Cu(OH) 4 ". Ebenso ist Kupfer(II)-hydroxyd in A m m o n i a k w a s s e r mit intensiv kornblumenblauer Farbe als K o m p l e x s a l z [Cu(NH 3 ) 4 ](OH) s löslich; die Lösimg heißt „ S C H W E I Z E R S Reagens" (II, S. 255) und besitzt die Eigenschaft, Z e l l u l o s e a u f z u l ö s e n , wovon man bei der Herstellung der „Kupferseide" (II, S. 258) Gebrauch macht. Kupfer (II)-Chlorid CuCl2 (Smp. 498°, Sdp. 993°) entsteht beim Auflösen von K u p f e r ( I l ) - o x y d i n S a l z s ä u r e und Eindampfen der Lösung als grünes Dihydrat CuCl2 • 2 H 2 0 . Sehr v e r d ü n n t e wässerige Lösungen des Chlorids sind hellblau gefärbt und enthalten

Das Kupfer

455

wie alle verdünnten Kupfer(II)-salzlösungen das Komplex-ion [Cu(H 2 0) 4 ]"; die grünbraune Farbe k o n z e n t r i e r t e r , namentlich salzsaurer Lösungen ist wohl auf die Bildung komplexer Ionen des Typus [CuCl 4 ]" zurückzuführen; m i t t e l s t a r k e Lösungen zeigen die grüne Farbe des Dihydrats [CuCl2(H20)2] . Beim Erhitzen auf 150° im Chlorwasserstoffstrom entsteht das braungelbe, w a s s e r f r e i e Chlorid CuCl2. Dieses wird in der Wärme durch S a u e r s t o f f leicht in C h l o r und Kupferoxyd übergeführt (1), welches sich durch C h l o r w a s s e r s t o f f wieder in das Chlorid zurückverwandeln läßt (2): CuCl2 + i/aOj >- CuO + Cl2 CuO + 2HCl s- CuCla + HaO 2 HCl + Va02 — H s O + CL,.

(1) (2) (3)

Auf dem Wechselspiel beider Reaktionen beruht die k a t a l y t i s c h e W i r k u n g des Kupferchlorids bei der C h l o r d a r s t e l l u n g aus Chlorwasserstoff und Luft (3) nach dem DEACON-V erfahren (S. 81). K u p f e r ( I I ) - b r o m i d CuBr 2 (Smp. 498°) ist braunschwarz gefärbt; Kupfer(II)-jodid CuJ 2 ist unbeständig und zerfällt sofort in Kupfer(I)-jodid CuJ und Jod (S. 453f.). Kupfer (II)-gulfat CuSO^ ist das bekannteste unter den Kupfersalzen. Es entsteht beim Auflösen von K u p f e r in heißer verdünnter S c h w e f e l s ä u r e bei L u f t z u t r i t t : Cu + VaOü + H 2 S0 4 >• CuS04 + H 2 0 und kristallisiert aus der Lösung als P e n t a h y d r a t CuS0 4 • 5 H 2 0 {„Kupfervitriol") in Form großer, blauer, durchsichtiger trikliner Kristalle aus. Von den fünf Molekülen Kristallwasser des Hydrats sitzen v i e r in komplexer Bindung am Kupfer, das f ü n f t e am Sulfat-ion (S. 406): [Cu(H 2 0) 4 jS0 4 • H 2 0 . Bei 100° getrocknet verlieren die Kristalle — unter Zwischenbildung eines Trihydrats (S. 119f.)—vier Mol Wasser; das so gebildete Monohydrat CuS0 4 • H 2 0 gibt das letzte Mol Wasser erst oberhalb von 200° ab. Die wasserfreie Verbindung CuS0 4 ist w e i ß und nimmt unter Blaufärbung leicht wieder W a s s e r auf. Man benutzt diese Farbänderung zum N a c h w e i s k l e i n e r M e n g e n W a s s e r , z.B. in Alkohol. Versetzt man Kupfersulfatlösungen mit A m m o n i a k w a s s e r , so bildet sich zunächst ein bläulicher Niederschlag von b a s i s c h e m S u l f a t ; dieser löst sich im A m m o n i a k ü b e r s c h u ß unter Bildung einer intensiv dunkelblauen Lösung (empfindlicher Kupfernachweis!), aus der sich das kristalline K o m p l e x s a l z [Cu(NH 3 ) 4 ]S0 4 • H 2 0 isolieren läßt. Die tiefblaue Farbe kommt dem „Tetrammin-kupfer{II)-ion" [Cu(NH 3 ) 4 ]" zu, welches dem hellblauen „Tetraquo-kupfer(II)-ion" [Cu(H 2 0) 4 ]" (s. oben) entspricht. Der T e t r a m m i n - k o m p l e x [Cu(NH 3 ) 4 ]" ist nicht so stark komplex wie der früher (S. 454) erwähnte T e t r a c y a n o - k o m p l e x [Cu(CN) 4 ]"' (vgl. S. 160). Daher kommt es, daß die im Gleichgewicht befindliche Kupferionenkonzentration ([Cu(NH 3 ) 4 ] < > Cu" + 4 N H S ) in diesem Falle dazu ausreicht, um mit Schwefelwasserstoff schwerlösliches K u p f e r s u l f i d zu ergeben. Kupfersulfatlösungen finden unter anderem in der „Galvanoplastik" zur Vervielfältigung von Kunst- und kunstgewerblichen Gegenständen, Münzen usw. Verwendung. Zu diesem Zwecke schaltet man die durch Überbürsten mit Graphit leitend gemachte, vertiefte Gips-, Wachs- oder Guttapercha-Matrize als K a t h o d e in einer K u p f e r sulf a t l ö s u n g mit einer A n o d e n platte aus reinem Kupfer zusammen. Bei gut geregelter Elektrodenspannung scheidet sich dann auf der Kathode eine leicht ablösbare, dünne Kupferschicht ab, die alle Einzelheiten der Matrize mit größter Genauigkeit wiedergibt. Sonstige KupIer(II)-Verbindungcn. Kupfer(II)-nitrat [Cu(H 2 0) 4 ](N0 3 ) 2 • 2 H 2 0 kristallisiert aus Lösungen von Kupfer in Salpetersäure nach weitgehendem Eindampfen in Form blauer, säulenförmiger, bei 26° in ihrem Kristallwasser schmelzender und an der Luft leicht zerfließender

Die Kupfergruppe

456

Prismen. Normales Kwpfer(II)-carbonat ist nicht bekannt. Wohl aber kennt man b a s i s o h e Carbonate wechselnder Zusammensetzung, welche beim Versetzen von Kupfer(II)-salzlösungen mit Alkalicarbonaten entstehen. Von den in der Natur vorkommenden basischen Carbonaten haben wir bereits den als Halbedelstein geschätzten grünen Malachit CuC03 • Cu(OH)a und den blauen Kupferlasur 2CuC0 3 • Cu(OH)a erwähnt. Das bei der Einwirkung von Essigsäuredämpfen auf Kupferplatten entstehende basische Kupferacetat ist unter dem Namen „Grünspan" bekannt und wird als Malerfarbe verwendet. Andere grüne Malerfarben sind das „ScHEELEsche Orün" (ein Gemisch von basischem und normalem Arsenit) und das „Schweinfurter Qriin" (ein gemischtes Kupfer-arsenit-acetat 3Cu(As0 2 ) 2 • Cu(CHsCOO)a).

Physiologische Wirkung von Kupferverbindungen. Die löslichen Kupferverbindungen sind für den Menschen nur m ä ß i g g i f t i g . So kann ein erwachsener Mensch beispielsweise täglich 100 mg Kupfer in Form von Kupfersulfat zu sich nehmen, ohne Schaden an der Gesundheit zu erleiden. Dagegen ist das Kupfer für n i e d e r e O r g a n i s m e n ein h e f t i g e s G i f t . So sterben z . B . Bakterien und Fäulniserreger in Wasser, das sich in einem kupfernen Gefäß befindet, rasch ab. Daher halten sich auch Blumen in kupfernen Vasen besser als in gläsernen. In gleicher Weise wirkt eine in das Wasser gelegte blankgeriebene Kupfermünze günstig.

2. Das Silber a) Elementares Silber a) Vorkommen Silber kommt als edles Metall (s0 = + 0.81 Volt) in der Natur vielfach g e d i e g e n vor. I n g e b u n d e n e m Zustande findet es sich in Form von S i l b e r e r z e n und von s i l b e r h a l t i g e n E r z e n . Die hauptsächlichsten Silbererzlagerstätten liegen in Mexiko, den Vereinigten Staaten, Südamerika und Kanada. Unter den e i g e n t l i c h e n S i l b e r e r z e n (die allerdings meist auch nur wenige Prozente Silber enthalten) seien als wichtigste genannt der Silber glänz (Argentit) Ag2S, der Kupfersilberglänz Cu 2 S • Ag2S, sowie S i l b e r d o p p e l s u l f i d e mit Arsen- und Antimonsulfid (z. B. Arsenfahlerz 4 Ag2S • As 2 S 3 , lichtes Rotgültigerz 3Ag 2 S-As 2 S 3 , Antimonfahlerz 4 A g 2 S - S b 2 S 3 , dunkles Rotgültigerz 3Ag 2 S-Sb 2 S 3 , Silberantimonglanz Ag2S • Sb 2 S 3 ). In kleiner Menge tritt das Silber auch als Hornsilber AgCl auf. Unter den s i l b e r h a l t i g e n E r z e n ist vor allem der Bleiglanz PbS zu nennen, welcher 0.01—1°/ 0 Silber in Form von Silbersulfid Ag 2 S enthält. Ebenso ist häufig der Kupferkies CuFeS 2 silberhaltig. Bei der Gewinnung von Blei und Kupfer aus diesen Erzen sammelt sich das Silber im R o h b l e i (S. 357, 457f.) und R o h k u p f e r (S. 451f.) an, aus denen dann das Silber isoliert werden kann. Vielfach schlägt man beim Bleiund Kupfergewinnungsprozeß absichtlich Silbererze zu, um auf diese Weise das Silber in diesen Metallen anzureichern. ß) D a r s t e l l u n g von R o h s i l b e r Aus Silbererzen Die Gewinnung des Silbers aus seinen E r z e n erfolgt meist auf nassem Wege durch die „Cyanidlaugerei". Bei diesem Verfahren wird das zu f e i n e m S c h l a m m z e r k l e i n e r t e Material unter guter D u r c h l ü f t u n g mit 0.1—0.2°/ 0 iger N a t r i u m cyanidlösung ausgelaugt, wobei sowohl metallisches Silber wie Silbersulfid und Silberchlorid als k o m p l e x e s S i l b e r Cyanid in Lösung gehen: 2Ag + H a O +

VJOJ

+ 4NaCN

AgaS + 4NaCN

>- 2Na[Ag(CN) a ] + 2NaOH

(1)

2Na[Ag(CN) s ] + Na a S

(2)

2AgCl + 4NaCN —>- 2Na[Ag(CN) a ] + 2NaCl.

(3)

457

Das Silber

Da die Reaktion (2) zu einem Gleichgewicht führt, muß bei der Auslaugung s u l f i d i s c h e r Silbererze das gebildete Natriumsulfid Na 2 S durch Einblasen von Luft oxydiert (2 S " + 2 0 2 + H 2 0 — S 2 0 3 " + 2OH') oder durch Zusatz von Bleisalz gefällt (Pb" + S " —>- PbS) und so aus dem Gleichgewicht entfernt werden. Aus den erhaltenen klaren Laugen fällt man das Silber durch Einrühren von Z i n k oder A l u m i n i u m s t a u b (vgl. S. 167) aus (2Ag' + Z n — 2 A g + Zn"): 2Na[Ag(CN)j] + Zn — > Na 2 [Zn(CN) 4 ] +

2Ag,

filtriert dann die Aufschlämmung durch Filterpressen und schmilzt die so erhaltenen, zu 95°/ 0 aus Silber bestehenden Preßkuchen ein. Die Reinigung dieses R o h s i l b e r s erfolgt wie später (S. 458) beschrieben. Das für die Cyanidlaugerei erforderliche N a t r i u m c y a n i d kann technisch durch Überleiten von A m m o n i a k gas über geschmolzenes N a t r i u m und Glühen des gebildeten N a t r i u m a m i d s (Na + NH 3 >- NaNH 2 + 7 2 H 2 ) mit K o h l e gewonnen werden („GASTNER-KELLNER.

Verjähren"):

2NaNH a + C Natriumamid

_ 2H

,r

Na 2 N 2 C — ^ — 5 - 2NaCN .

Natriumcyanamid

NatriumCyanid

Aus Werkblei Bei der B l e i g e w i n n u n g aus Bleiglanz findet sich der Silbergehalt des Bleiglanzes im W e r k b l e i (S. 357) wieder. Um das Silber aus diesem zu isolieren, muß es vorher angereichert werden. A n r e i c h e r u n g des S i l b e r s Die A n r e i c h e r u n g kann nach zwei Verfahren erfolgen, die nach ihren Erfindern P A R K E S bzw. PATTINSON als „Parkesieren" bzw. „Pattinsonieren" bezeichnet werden. Die gebräuchlichere Methode ist das P a r k e s i e r e n . Parkesieren. Das Verfahren des P a r k e s i e r e n s bedient sich der Tatsache, daß bei Temperaturen unterhalb von etwa 400° Zink und B l e i praktisch n i c h t m i t e i n a n d e r m i s c h b a r sind (so daß sich geschmolzene Zink-Blei-Mischuagen beim Abkühlen unter 400° in zwei Schichten — eine flüssige Schicht von Blei (Smp. 327°) und eine darauf schwimmende, spezifisch leichtere Schicht von festem Zink (Smp. 419°) — trennen), während S i l b e r in geschmolzenem Zink l e i c h t l ö s l i c h ist und sich beim Erstarren der Zinkschmelze in Form von Zink- S i l b e r - M i s c h k r i s t a l l e n ausscheidet (vgl. S. 470f.). Man kann dementsprechend das in geschmolzenem Blei enthaltene Silber gewissermaßen mit geschmolzenem Zink (1—1 1 / 2 °/ 0 des Bleigewichts) „ausschütteln". Im einzelnen verfährt man bei diesem Verfahren der „Zinkentsilberung" so, daß man dem über den Zinkschmelzpunkt erhitzten silberhaltigen Werkblei nicht gleich die Gesamtmenge, sondern zunächst nur etwa den zehnten Teil des erforderlichen Zinks zusetzt, gut einrührt und abkühlt, wobei sich ein „Zinkschaum" abscheidet, der weniger Silber, dafür alles Kupfer und Gold des Werkbleis enthält und gesondert aufgearbeitet wird. Dann erhitzt man wieder und rührt die Hälfte des restlichen Zinks ein, welches die Hauptmenge des Sübers herausnimmt, so daß der Silbergehalt des Bleis auf 0.03°/o heruntergeht. Nach dem Abkühlen und Abheben auch dieses silberreichen Schaums wird mit der zweiten Hälfte des Zinks alles Silber bis auf einen Silbergehalt von 0.0005% (5 g Silber je 1000 kg Blei) herausgeholt.

Der silberhaltige, durch anhängendes entsilbertes Blei („Armblei") verunreinigte Z i n k s c h a u m wird nun in einem Seigerkessel vorsichtig bis über den Schmelzpunkt des Bleis erwärmt, wobei das anhängende Armblei ausseigert, das dann zum Armblei des Entsilberungskessels zurückgegeben wird. Der nach der Ausseigerung zurückbleibende Zinkschaum („Reichschaum") enthält rund 75°/ 0 Blei und bis zu 10°/ 0 Silber. Aus ihm wird durch Erhitzen das Zink (Sdp. 907°) abdestilliert. Das so gewonnene „Reichblei", das 8 — 1 2 % Silber enthält, geht zum „Treibprozeß" (s. S. 458).

458

Die Kupfergruppe

Pattinsonieren. Die theoretischen Grundlagen des P a t t i n s o n i e r e n s ergeben sich aus dem Schmelzdiagramm der Silber-Blei-Legierungen (vgl. S. 466ff.). Nach diesem Diagramm scheidet sich beim Abkühlen von geschmolzenem silberhaltigem Blei so lange r e i n e s B l e i ab, bis der Gehalt an Silber auf 2.5°/ 0 (entsprechend dem bei 304°C schmelzenden Eutektikum) gestiegen ist. Läßt man daher geschmolzenes silberhaltiges Werkblei erkalten und schöpft die dabei sich ausscheidenden Bleikristalle laufend mit siebartigen Schöpflöffeln ab, so bleibt zum Schluß ein „Reichblei" zurück, welches bis zu 2.5°/0 Silber enthält. Während beim Parkesieren etwa vorhandenes W i s m u t im Armblei z u r ü c k b l e i b t , wird beim Pattinsonieren auch das Wismut zusammen mit dem Silber e n t f e r n t . Daher wird das — gegenüber dem Zinkentsilberungsverfahren sonst ganz zurücktretende — Verfahren des Pattinsonierens mit Vorteil bei der Entsilberung w i s m u t h a l t i g e n Werkbleis angewandt (vgl. S. 288).

Isolierung des angereicherten Silbers Zur I s o l i e r u n g des angereicherten S i l b e r s wird das Reichblei der „Treibarbeit" {„Kupellation") unterworfen. Sie besteht darin, daß man auf das in einem Flammofen („Treibherd") geschmolzene Metall einen W i n d s t r o m leitet, wodurch das B l e i , nicht aber das edlere Silber oxydiert wird. Die so gebildete B l e i g l ä t t e PbO wird laufend durch seitliche Rinnen („Glättegassen") flüssig (Smp. 884°) abgezogen; ein Teil der Glätte wird auch vom Ofenfutter aufgenommen oder dampft weg. Etwa vorhandenes Wismut reichert sich in der zuletzt gebildeten Glätte an. Gegen Ende des Prozesses bleibt auf dem flüssigen Silber nur noch ein feines Häutchen Bleiglätte zurück, das bald hier bald dort zerreißt und dabei die glänzende Oberfläche des geschmolzenen S i l b e r s durchblicken läßt („Silberblick"). Das gewonnene Rohsilber enthält 95°/ 0 und mehr Silber und heißt „Blicksilber". Y) Reinigung von Rohsilber Die R e i n i g u n g des nach einem der vorstehend beschriebenen Verfahren gewonnenen R o h s i l b e r s erfolgt zweckmäßig auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e („MÖBIUSVerfahren"). Zu diesem Zwecke vergießt man das Rohsilber zu etwa 1 cm starken A n o d e n p l a t t e n , die in analoger Weise wie bei der elektrolytischen Kupferraffination (vgl. Fig. 128, S. 451) in einer als Elektrolyt dienenden salpetersauren S i l b e r n i t r a t lösung mit K a t h o d e n aus dünn gewalztem F e i n s i l b e r b l e c h zusammengeschaltet werden. Bei der Elektrolyse gehen an der Anode S i l b e r und die Verunreinigungen an K u p f e r und B l e i in Lösung, während vorhandenes Gold als solches abfällt und sich zusammen mit anderen Resten als „Anodenschlamm" in einem ,,Anodensack" sammelt. An der K a t h o d e scheidet sich reines E l e k t r o l y t s i l b e r aus. Da die Abscheidung nicht in Form eines glatten, zusammenhängenden Überzugs, sondern in Form loser, verästelter Kristalle („Dendriten") erfolgt, sind zur Vermeidung eines zwischen Anode und Kathode auftretenden K u r z s c h l u s s e s scherenförmige A b s t r e i f e r vorhanden, die sich während der Elektrolyse hin und her bewegen und die Silberkristalle in einen E i n s a t z k a s t e n abstreifen. Das so gewonnene „Feinsilber" ist 99.6—99.9°/^. Der goldreiche A n o d e n s c h l a m m wird mit Schwefelsäure oder Salpetersäure ausgekocht, eingeschmolzen und für die G o l d e l e k t r o l y s e zu 95—97°/ 0 igen G o l d a n o d e n vergossen (S. 465). 8) Physikalische Eigenschaften Das Silber ist ein weißglänzendes, in regulären Oktaedern kristallisierendes Metall vom spezifischen Gewicht 10.50, welches bei 960.5° schmilzt und bei 1980° unter Bildung eines einatomigen, blauen Dampfes siedet. Es leitet die Wärme und Elektrizität am besten unter allen Metallen (?i18o == 6.14 X 106 reziproke Ohm) und läßt sich wegen

Das Silber

459

seiner Weichheit und Dehnbarkeit leicht zu feinsten, blaugrün durchscheinenden Folien von nur 2/iooo—3/1000 m m Dicke aushämmern und zu dünnsten, bei 2 km Länge nur 1 g wiegenden Drähten („Filigrandraht") ausziehen. In geschmolzenem Zustande löst es leicht Sauerstoff, der dann beim Erstarren des Silbers unter Aufplatzen der Oberfläche („Spratzen") wieder entweicht. e) Chemische Eigenschaften Entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (S. 167) ist das Silber ein e d l e s M e t a l l . Als solches oxydiert es sich auch bei höherer Temperatur nicht an der L u f t . Erst bei Anwendung h ö h e r e r S a u e r s t o f f d r u c k e verbindet es sich in der W ä r m e mit S a u e r s t o f f gemäß dem Gleichgewicht 2Ag + 1 / 2 0 2 Z^Z^L Ag 2 0 + 6.95 kcal. Wegen dieser L u f t b e s t ä n d i g k e i t werden Gebrauchs- und Ziergegenstände aus Kupfer oder Kupferlegierungen häufig mit einem S i l b e r ü b e r z u g versehen. Dies geschieht zweckmäßig auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e durch „galvanische Versilberung", indem man auf den Gegenständen das Silber k a t h o d i s c h aus einer Lösimg von K a l i u m c y a n o a r g e n t a t K[Ag(CN)2] niederschlägt, aus der sich das Silber nicht wie aus Silbernitratlösungen in gröberen Kristallen (S. 458), sondern in z u s a m m e n h ä n g e n d e r und daher l e i c h t p o l i e r b a r e r S c h i c h t abscheidet (vgl. S. 461). Dagegen erfolgt die Versilberung von G l a s zur Herstellung von S p i e g e l n zweckmäßig auf c h e m i s c h e m Wege durch Aufgießen und Erwärmen einer mit einem geeigneten R e d u k t i o n s m i t t e l (z. B. Seignettesalz, S. 454) versetzten a m m o n i a k a l i s c h e n Silbernitratlösung. Das schwärzliche „Anlaufen" des Silbers an der Luft beruht auf einer Reaktion mit dem in bewohnten Räumen stets spurenweise enthaltenen S c h w e f e l w a s s e r s t o f f , wobei sich schwarzes S i l b e r s u l f i d Ag2S bildet: 2Ag + H 2 S + 1 / 2 0 2 —>• Ag2S + H 2 0. P a l l a d i u m g e h a l t e von 20—30% machen das Silber a n l a u f b e s t ä n d i g . N i c h t o x y d i e r e n d e S ä u r e n wie Salzsäure greifen Silber nicht an. In S a l p e t e r s ä u r e löst sich Silber leicht, in k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e erst bei erhöhter Temperatur. Wie das Kupfer tritt auch das Silber in seinen chemischen Verbindungen ein- und zweiwertig auf. In diesem Falle ist aber die e i n w e r t i g e Stufe die b e s t ä n d i g e r e ; die z w e i w e r t i g e Stufe läßt sich — abgesehen vom Silber(II)-fluorid AgF 2 — nur bei Stabilisierung durch K o m p l e x b i l d u n g erhalten (S. 461f.). Auch einzelne Komplexverbindungen des d r e i w e r t i g e n Silbers sind bekannt, z.B. die Perjodato- und Telluratokomplexe K 7 [Ag(J0 6 ) 2 ], K 6 H[Ag(J0 6 ) 2 ], Na 7 H 2 [Ag(Te0 6 ) 2 ], Na 6 H 3 [Ag(Te0 6 ) 2 ] und das komplexe Fluorid KAgF 4 . Verwendung Silber wird nicht in reinem Zustande verarbeitet, da es für die gewöhnlichen Zwecke zu w e i c h ist. Durch Legierung mit K u p f e r wird es härter, ohne den Silberglanz zu verlieren. Daher bestehen die meisten silbernen Gegenstände aus S i l b e r - K u p f e r L e g i e r u n g e n . So enthalten z. B. die Silbermünzen der meisten Staaten 90°/ 0 Ag und 10°/0 Cu, während die silbernen Gebrauchsgegenstände meist aus 80°/0 Ag und 2 0 % Cu bestehen. Man bezieht den Silbergehalt silberner Gegenstände gebräuchlicherweise auf 1000 Gewichtsteile und nennt den so sich ergebenden Gehalt „Feingehalt". Ein 80%iges Silber weist also beispielsweise einen Feingehalt von 800 auf. Beträchtliche Mengen an Silber werden weiterhin zum V e r s i l b e r n von Gebrauchsgegenständen und zur Herstellung von S p i e g e l n verbraucht.

460

Die Kupfergruppe

b) Silber(I)-Verbindungen Silberoxyd Ag-jO fällt beim Versetzen einer S i l b e r s a l z l ö s u n g mit L a u g e n als dunkelbrauner Niederschlag aus: 2Ag" + 2 OH'

>• 2 A g O H

Ag20 + HaO.

Es löst sich nur wenig in Wasser (0.2 Millimol/Liter bei 25°); die Lösung reagiert infolge Anwesenheit von AgOH b a s i s c h . Wegen des stark basischen Charakters von AgOH reagieren die S i l b e r s a l z e zum Unterschied von den meisten anderen Schwermetallsalzen in wässeriger Lösung n e u t r a l , unterliegen also nicht wie diese der Hydrolyse. Beim Erhitzen auf 200° zerfällt das Silberoxyd in reversibler Reaktion in seine Elemente: Ag 2 0 2Ag + 1 / 2 0 2 . Will man es daher bei erhöhter Temperatur aus den Elementen gewinnen, so muß man einen Sauerstoffdruck wählen, der höher als der Dissoziationsdruck ist (vgl. S. 459). Reduktionsmittel wie Wasserstoff oder Wasserstoffperoxyd reduzieren das Oxyd leicht zum'Metall. Silbernitrat AgNOj ist das wichtigste Silbersalz und dient als Ausgangsmaterial für die Darstellung aller anderen Silberverbindungen. Man gewinnt es durch Auflösen von S i l b e r in S a l p e t e r s ä u r e : 3Ag + 4 H N 0 3 — v

3AgN03 + NO +

2H20

in Form schöner rhombischer, bei 209° schmelzender Kristalle. Es löst sich in Wasser sehr leicht (215 g AgN0 3 /100 g Wasser bei 20°) zu einer neutral reagierenden Lösung. Auf die Haut wirkt festes Silbernitrat o x y d i e r e n d und ä t z e n d unter Abscheidung von dunklem Silber ein. Daher dienen Stäbchen von Silbernitrat als „Höllenstein" („Lapis infernalis") in der Medizin zur Beseitigung von Wucherungen. Silberchlorid AgCl (Smp. 455°, Sdp. 1550°) kommt in der Natur als Hornsilber vor und fällt als charakteristischer „käsiger", weißer, am Licht sich dunkel färbender (S.462) Niederschlag beim Versetzen einer S i l b e r n i t r a t l ö s u n g mit Chlor-ionen aus: Ag + Cl' — > - AgCl.

Diese Fällung von schwerlöslichem Silberchlorid dient sowohl zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s wie zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g von Silber bzw. Chlor.

Die q u a n t i t a t i v e B e s t i m m u n g kann „gravimetrisch" („gewichtsanalytisch1') durch Wägen des ausgefällten Silberchlorids oder „titrimetrisch" („maßanalytisch") durch Titration der Silbersalzlösung mit eingestellter Chloridlösung bzw. der Chloridlösung m i t eingestellter Silbersalzlösung („Argentometrie") erfolgen („Fällungsanalyse"). Der Endpunkt bei der Titration macht sich durch ein plötzliches K l a r w e r d e n der über dem Niederschlag stehenden Lösung bemerkbar („Klarpunkt"). Solange die Lösung nämlich noch überschüssige Chlor- oder Silber-ionen enthält, wirken diese stabilisierend auf das bei der Fällung neben dem käsigen Niederschlag gebildete kolloide Silberchlorid ein (vgl. S. 337), so daß die Lösung über dem Niederschlag trübe erscheint. I n dem Augenblick, i n d e m die letzte Menge des stabilisierenden Ions ausgefällt ist, flockt das Kolloid aus. Zur scharfen Erkennung und Bestimmung der Opaleszenz und des Klarpunktes bedient man sich bei Präzisionsanalysen eines Trübungsmessers („Nephelometer").

l L i t e r W a s s e r löst bei 25°nurl.3 Xl0~ 5 Mol Silberchlorid auf (LAgCi = 1.7X 10- 10 ). Auch in S a l p e t e r s ä u r e ist Silberchlorid praktisch unlöslich. Sehr leicht löst es sich unter Komplexsalzbildung in A m m o n i a k - , N a t r i u m t h i o s u l f a t - und K a l i u m c y a n i dlösungen: AgCl + 2 N H S — > • [Ag(NH 3 ) 2 ]' + Cl' AgCl + 2 S 2 0 3 " >- [Ag(S 2 0 3 ) 2 ]"' + Cl' AgCl + 2CN' ^ [Ag(CN) 2 ]' + Cl'.

(1 a ) (2 a) (3a)

Silberbromid AgBr (Smp. 434°, Sdp. 700°) fällt beim Zusammengeben einer S i l b e r s a l z lös u n g und B r o m i d l ö s u n g als käsiger, gelblich-weißer Niederschlag aus. Es ist in Wasser noch schwerer löslich als Silberchlorid (L A g Br = 5.3 X 10—13) und löst sich in Ammoniak schwer, in Thiosulfat- und Cyanidlösung leicht auf. Das in Wasser noch schwerer lösliche gelbe Silberjodid AgJ (Smp. 552°; L A g J = 2.0 X 10 lr ') löst sich weder in Ammoniak noch in Thiosulfatlösung, sondern nur noch in Cyanidlösung auf.

Das Silber

461

Dieses unterschiedliche Verhalten der drei Silberhalogenide gegenüber Ammoniak, Thiosulfat und Cyanid ist darauf zurückzuführen, daß die Komplex-ionen (la), (2a) und (3a), wenn auch nur s p u r e n w e i s e , so doch in der Richtung vom Ammoniak- zum Cyanidkomplex hin m e r k l i c h a b n e h m e n d dissoziiert sind: [Ag(NH 3 ) 2 r [Ag(S 2 0 3 ) 2 ]"'

Ag" + 2NH 3 (lb) Ag' + 2S 2 0 3 " (2b) (3b) [Ag(CN)a]' ^ Ag" + 2 C N \ Daher überschreitet zwar die Silberionenkonzentration einer gesättigten Lösung des leichter löslichen und in Lösung praktisch vollkommen dissoziierten S i l b e r c h l o r i d s die Silberionenkonzentration a l l e r d r e i Komplex-ionen, so daß sich bei Zugabe von Ammoniak, Thiosulfat oder Cyanid zu einer Silberchlorid-Aufschlämmung die Gleichgewichte (lb), (2b) und (3b) nach links verschieben, entsprechend einer Auflösung des Chlorids. Dagegen reicht die wesentlich geringere Silberionenkonzentration im Falle einer gesättigten S i l b e r b r o m i d l ö s u n g nur zur Verschiebung der Gleichgewichte (2b) und (3b), im Falle einer gesättigten S i l b e r j o d i d l ö s u n g nur noch zur Verschiebung des Gleichgewichtes (3 b) nach links aus. Die Tatsache, daß aus allen drei Silberkomplexsalz-Lösungen mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f schwarzes S i l b e r s u l f i d Ag2S ausgefällt wird, zeigt, daß die dem Löslichkeitsprodukt des Silbersulfids entsprechende Silberionenkonzentration noch kleiner als selbst die des Silbercyanidkomplexes ist. Damit ergibt sich für die genanntqp Silberverbindungen folgende Reihe abnehmender Silberionenkonzentration: [Ag(NH3y AgBr — ^ [Ag(S 2 0 3 ) 2 ]" AgCl AgJ — ^ [Ag(CN)a]' ^ Ag a S. Dieser Reihe entsprechend können aus den verschiedenen Komplexsalzlösungen durch Zusatz löslicher Halogenide nur die r e c h t s , nicht aber die l i n k s neben den Komplexen stehenden Silberverbindungen ausgefällt werden. Von der Dissoziation des Cyankomplexes gemäß (3b) macht man bei der g a l v a n i s c h e n V e r s i l b e r u n g (S. 459) Gebrauch, bei der sich das im Gleichgewicht befindliche Silber kathodisch in Form eines dichten Überzugs abscheidet, wodurch das Gleichgewicht (3 b) gestört und immer wieder nach rechts „nachverschoben" wird. Die bei der Silberabscheidung in Freiheit gesetzten Cyan-ionen bilden mit den an der Silberanode in Lösung gehenden Silber-ionen neues Komplexsalz. Sonstige Silbersalze. Silberfluorid AgF (Smp. 435°) ist zum Unterschied von den übrigen drei Silberhalogeniden in Wasser leicht löslich. Das durch Lösen von Silber in heißer konzentrierter Schwefelsäure erhältliche Silbersulfat A g 2 S 0 4 löst sich in Wasser nur wenig. Das beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in Silbersalzlösungen als schwarzer Niederschlag ausfallende Silbersulfid Ag 2 S ist das schwerstlösliche Silbersalz.

c) Silber(II)-Verbindungen Durch Oxydation mit s t a r k e n O x y d a t i o n s m i t t e l n bei Gegenwart s t a b i l i s i e r e n d e r K o m p l e x b i l d n e r können Silber(I)-Verbindungen in S i l b e r ( I I ) - V e r b i n d u n g e n übergeführt werden (SAg-^Ag- = + 1.98 Volt). Geeignete O x y d a t i o n s m i t t e l sind P e r s u l f a t e (Kaliumpersulfat oder noch zweckmäßiger Ammoniumpersulfat): S 2 0„" + 2Ag" — > - 2 S 0 4 " + 2Ag" sowie der e l e k t r i s c h e S t r o m (anodische Oxydation): Ag" — A g " -f e . Als K o m p l e x b i l d n e r haben sich bewährt: P y r i d i n C 5 H 6 N (I), « , « ' - D i p y r i d y l C 1 0 H 8 N 2 (II) und o - P h e n a n t h r o l i n C 1 2 H 8 N 2 (III):

/V

\ / \ N i i \ /

N

I

s

>Ag
Ag
- AuOH), welches bei 200° in das Gold{I)-oxyd Au 2 0 übergeht (2AuOH — > AuaO + H 2 0 ) , das sich bei 250° in seine Bestandteile spaltet. Gold(I)-chlorid AuCl (Smp. 170°) entsteht beim Erhitzen von Gold(III)-chlorid auf 185° ( AUC13 — > - AuCl -f- Cl2) als zitronengelbes, in Wasser unlösliches Pulver. E s zerfällt bei weiterem Erhitzen leicht in seine Elemente und disproportioniert sich beim Erwärmen unter Wasser in Gold und Gold(III)-chlorid: 3AuCl — > - 2Au + AUC13. Gold{I)-jodid A u J (Smp. 120°) entsteht analog dem Kupfer(I)-jodid (S. 453) beim Versetzen einer Gold(III)-salzlösung mit Kaliumjodid: Au"' + 3 J ' — > - A u J + J 2 . Das beim Auflösen von Gold in Kaliumcyanidlösung bei Luftzutritt entstehende komplexe Cyanid K[Au(CN)2] dient zur galvanischen Vergoldung. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37. —89. Aufl.

30

466

Die Kupfergruppe

Gold(III)-Verbindungen. Versetzt man eine Gold(III)-salzlösung mit Alkali, so fällt das gelbe Gold(III)-hydroxyd Au(OH)3 aus, das als solches nicht isolierbar ist, sondern beim Trocknen in das braune Metahydroxyd AuO(OH) übergeht. Im Überschuß von Alkali löst sich das Hydroxyd unter Bildung von Meta-auraten AuOaMe; es besitzt also amphoteren Charakter. Die wichtigste Goldverbindung ist das Gold(I II)-chlorid AUC13. Es entsteht beim Überleiten von Chlor über feinverteiltes Gold bei 180° und stellt eine gelbbraune, unter erhöhtem Chlordruck bei 288° schmelzende Masse dar. In W a s s e r löst sich das Chlorid mit gelbroter Farbe unter Bildung eines Hydrats AUC13 • H 2 0 , das sich wie eine Säure H[AUC13(OH)] verhält und beim Versetzen mit Silbernitrat ein schwerlösliches gelbes Silbersalz ergibt. In Salzsäure löst sich das Gold(III)-chlorid mit hellgelber Farbe unter Bildung von Tetrachlorogoldsäure H [AuClJ , welche beim Einengen der Lösung als Tetrahydrat H [AUC14] - 4 H 2 0 in Form langer, hellgelber, sehr zerfließlicher Nadeln erhalten werden kann. Die Salze dieser Säure („Tetrachloro-aurate") geben in wässeriger Lösung die gewöhnlichen Goldreaktionen, so daß man annehmen muß, daß das Komplex-ion AuCl4' unbeständig ist. Das Kaliumsalz K [AuClJ • 1 / 2 H 2 0 ist das am meisten benutzte Goldsalz. Durch Reduktionsmittel wie Wasserstoffperoxyd, Hydroxylamin, Hydrazin, schweflige Säure, Eisen(II)-salze wird aus Goldsalzlösungen leicht elementares Gold als brauner bis schwarzer Niederschlag ausgefällt.

4. Schmelz- und E r s t a r r u n g s d i a g r a m m e b i n ä r e r Systeme Auf S. 458 wiesen wir darauf hin, daß man nach dem PATTiNSON-Prozeß durch Abkühlen silberhaltigen Bleis das Silber bis zu einem Gehalt von 2.5°/ 0 anreichern kann. Die Frage nun, ob und in welcher Weise und bis zu welchem Grade man ganz a l l gemein aus einem gegebenen Gemisch mehrerer Metalle einzelne Komponenten in reinem Zustande zur Abscheidung bringen kann, hängt von dem jeweiligen Typus des S c h m e l z - und E r s t a r r u n g s d i a g r a m m s des fraglichen Systems ab. Wir wollen uns daher im folgenden etwas näher mit einigen G r u n d t y p e n solcher Diagramme für den e i n f a c h s t e n Fall der b i n ä r e n Systeme befassen, wobei es für unsere Betrachtungen belanglos ist, ob das binäre flüssige System aus zwei geschmolzenen M e t a l l e n oder S a l z e n oder aus der wässerigen L ö s u n g eines S a l z e s oder aus einer homogenen Mischung zweier F l ü s s i g k e i t e n besteht. Bei der Abkühlung eines solchen flüssigen binären Systems bestehen zwei Mögl i c h k e i t e n : es können sich entweder r e i n e S t o f f e oder M i s c h k r i s t a l l e abscheiden. Wir behandeln zunächst den ersten Fall.

a) Abscheidung reiner Stoffe a) Keine Verbindungsbildung Löst man in einer Flüssigkeit A (z. B. Wasser) einen Stoff B (z. B . Silbernitrat) auf, so wird der G e f r i e r p u n k t von A e r n i e d r i g t (vgl. S.57f.). Trägt man die Gefrierpunkte in Abhängigkeit von dem Gehalt an B in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m (Ordinate: Erstarrungspunkt; Abszisse: Molprozente A bzw. B) ein, so erhält man dementsprechend eine a b f a l l e n d e K u r v e (Kurve A—C in Fig. 129). Dasselbe ist der Fall, wenn man in flüssigem B steigende Mengen von A auflöst (Kurve B—C in Fig. 129). Die beiden Kurven s c h n e i d e n sich in einem t i e f s t e n P u n k t C (,,eutektischer Punkt"). Hier scheidet sich beim Abkühlen einer flüssigen Lösung der gegebenen Zusammen-

Sohmelz- und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme

467

Setzung s o w o h l festes A a l s a u c h festes B in Form eines mikroskopischen G e m e n g e s der reinen Kristalle beider Bestandteile („Eutektikum" 1 ) ab. Durch die genannten Kurven wird das Diagramm in verschiedene Z u s t a n d s f e l d e r eingeteilt. O b e r h a l b der Kurven befindet sich das Gebiet der u n g e s ä t t i g t e n L ö s u n g e n . Hier können T e m p e r a t u r und Z u s a m m e n s e t z u n g der Lösung weitgehend v a r i i e r t werden, ohne daß es zur Bildung einer f e s t e n P h a s e kommt. Denn da wir hier ein Gleichgewicht zwischen nur 2 Phasen P ( L ö s u n g unter dem eigenen D a m p f d r u c k ) bei 2 Bestandteilen B haben, bestehen nach dem P h a s e n g e s e t z v o n G I B B S (S. 190 ff.) 2 Freiheitsgrade F {P + F = B + 2 = 4).Erstdann, wenn beim Abkühlen solcher ungesättigter Lösungen die Temperaturen der G e f r i e r p u n k t s k u r v e n er-

reicht werden, kommt es zur Abscheidung von f e s t e m A oder B. Kühlen wir z. B. eine Lösimg von der Zusammensetzung des Punktes 1 (Fig. 129) ab, bewegen wir uns also in der Richtimg des gestrichelten Pfeils abwärts, so scheidet sich bei der Temperatur des Schnittpunktes mit der Kurve A—C f e s t e s A ab, da hier ja der Erstarrungspunkt von A erreicht ist. Dadurch wird die Lösung ä r m e r an A, was gemäß Kurve A—C eine E r n i e d r i g u n g des Gefrierpunktes bedingt. Wir bewegen uns damit auf der Kurve A—C a b w ä r t s , bis schließlich beim Punkte C auch der Erstarrungspunkt von B erreicht ist und somit das E u t e k t i k u m ausfällt, das die primär ausgeschiedenen A -Kristalle umhüllt. In analoger Weise scheidet sich beim Abkühlen einer Lösung von der Zusammensetzung 2 zunächst r e i n e s B aus, das dann in das später ausfallende E u t e k t i k u m C eingebettet wird. 1

eutektos

(EÖTEKTOS)

= leicht schmelzbar. 30*

468

Die Kupfergruppe

Wie daraus hervorgeht, geben die K u r v e n A—C und B—C das Gebiet der ges ä t t i g t e n L ö s u n g e n wieder. Hier haben wir 1 F r e i h e i t s g r a d w e n i g e r als bei den u n g e s ä t t i g t e n L ö s u n g e n , da sich hier eine w e i t e r e — die feste — Phase mit im G l e i c h g e w i c h t befindet. Wir können daher e n t w e d e r die Gefriertemperatur wählen, womit die Zusammensetzung der flüssigen Mischung gegeben ist, o d e r die Zusammensetzung vorgeben, was eine zwangsläufige Festlegung des Gefrierpunktes bedingt. U n t e r h a l b der Kurven liegt das Gebiet der ü b e r s ä t t i g t e n L ö s u n g e n . Denn hier enthalten die Lösungen m e h r A bzw. B, als dem durch die Kurven vorgeschrie-

Uöersättiote Lösunoen von fi in ftB (Trennung in festes ff undgesättigte Lösungen)

0 Mo/prozenfe ft 100 Moiprozente B

Fig. 130. Schmelzdiagramm: Abscheidung reiner Stoffe mit Verbindungsbildung

benen S ä t t i g u n g s w e r t entspricht. Diese Lösungen sind dementsprechend i n s t a b i l und z e r f a l l e n — wie dies an einer übersättigten Lösung von der Zusammensetzung des Punktes 3 (Fig. 129) gezeigt ist — in f e s t e s B (bzw. A) und g e s ä t t i g t e Lösungen. Besonders a u s g e z e i c h n e t ist der Punkt C. Eine Lösung dieser Zusammensetzung und Temperatur erstarrt bei k o n s t a n t b l e i b e n d e r Temperatur zu einem feinkristallinen G e m i s c h von festem A und festem B ( E u t e k t i k u m ) . Entsprechend dem Phasengesetz von G I B B S besteht hier k e i n e W a h l f r e i h e i t mehr, da sich v i e r Phasen (Dampf, Lösung, festes A und festes B) miteinander im G l e i c h g e w i c h t befinden („Quadrupelpunkt"). U n t e r h a l b des konstanten Erstarrungspunktes liegen nur f e s t e M i s c h u n g e n vor, und zwar l i n k s von der Zusammensetzung des Eutektikums feste Mischungen von A und Eutektikum, r e c h t s davon feste Mischungen von B und Eutektikum. — Beispiele für den durch Fig. 129 wiedergegebenen Typus von Schmelz- und Erstarrungsdiagrammen sind die Systeme Silber-Blei (vgl. S. 458), Aluminiumoxyd Kryolith (vgl. S. 382) und Wasser-Silbernitrat:

Schmelz- und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme Komponente A Formel

Smp.

Ag A1203 AgNOs

961° 2050° 209°

Komponente B Formel Pb Na 3 AlF, HaO

469

Eutektikum O

Smp.

Gew.-«/,

327° 1000° 0»

2.5% Ag 18.5% A1203 47.1% AgN0 3

Smp. 304» 935° — 7.3°

Sie lassen sich alle gemäß dem vorstehend Gesagten durch einfaches Erstarrenlassen der flüssigen Mischung in festes A (bzw. B) und Eutektikum trennen. 1 Reiner Stoff

\Schmelzpunkt von 81

von B in ß (Trennung in MisdikriStaB* und gesättigt* Leaiwgfn)

Zusammensetzung *rliisMmsta/leC

0 MotpmvnteA wo MolprwenteB

Fig. 131. Schmelzdiagramm: Abscheidung von Mischkristallen ohne Mischungslücke

ß) Bildung einer Verbindung Bilden die beiden Komponenten A und B des binären Systems miteinander eine V e r b i n d u n g , z. B. der Formel AB, so kann sowohl der Stoff A wie der Stoff B mit der Verbindimg AB ein Diagramm vom Typus der Fig. 129 bilden. Fügen wir diese beiden Diagramme an der für beide g e m e i n s a m e n O r d i n a t e z u s a m m e n , so entsteht ein Diagramm vom Typus der Fig. 130, in welcher die gestrichelte Ordinate in der Mitte die gemeinsame Ordinate darstellt. Wie wir daraus ersehen, macht sich die Bildung einer V e r b i n d u n g im Erstarrungsdiagramm durch das Auftreten eines M a x i m u m s in der Gefrierpunktskurve bemerkbar. Von dieser Tatsache macht man häufig zur Ermittlung der Z u s a m m e n s e t z u n g von Verbindungen Gebrauch. Beispielsweise hat man auf diesem Wege die Hydrate der Schwefelsäure (S. 209) nachgewiesen. Im übrigen hegen die Verhältnisse im hier behandelten Fall ganz analog wie bei Fig. 129. Auch hier lassen sich abgegrenzte Z u s t a n d s g e b i e t e erkennen, deren Bedeutung aus der Beschriftung von Fig. 130 hervorgeht und deren Lage und Form die Möglichkeit der T r e n n u n g flüssiger Gemische in festes A (bzw. B) und AB bedingt.

Die Kupfergruppe

470

b) Abscheidung von Mischkristallen a ) Lückenlose Mischungsreihe Scheiden sich beim Abkühlen eines binären Systems keine r e i n e n S t o f f e , sondern M i s c h k r i s t a l l e aus, so kommen zu den in Fig. 129 wiedergegebenen beiden Kurven A—C und B — C der gesättigten Lösungen („Liquiduskurven" 1 ) gemäß Fig. 131 noch zwei w e i t e r e Kurven A—C und B—C („Soliduskurven" 2 ) hinzu, welche die Zusammensetzung der M i s c h k r i s t a l l e angeben, die sich bei den verschiedenen Tempe-

| Schmelzpunkt von s]

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Fig. 132. Schmelzdiagramm: Abscheidung von Mischkristallen mit Mischungslücke raturen mit den durch die Liquiduskurven gekennzeichneten gesättigten Lösungen im G l e i c h g e w i c h t befinden. Denn im allgemeinen haben die aus einer gesättigten Lösung ausfallenden M i s c h k r i s t a l l e eine a n d e r e Zusammensetzung als die L ö s u n g . Wie ein Vergleich von Fig. 131 mit Fig. 129 zeigt, entsprechen bei ersterer die S o l i d u s k u r v e n den O r d i n a t e n von Fig. 129. Dementsprechend scheiden sich im Falle eines Diagramms nach dem Typus von Fig. 131 die übersättigten Lösungen — wie an einer Lösung von der Zusammensetzung des Punktes 1 gezeigt ist. — nicht in gesättigte Lösungen und festes A (bzw. B), sondern in gesättigte Lösungen und Mischkristalle. Auch im Falle von Fig. 131 ist wie bei Fig. 129 eine Trennung des binären Systems in reines A (bzw. B) und Kristalle C möglich, jedoch bedarf es hierzu zum Unterschied von dort eines f r a k t i o n i e r t e n Schmelzens und Erstarrens. Die Verhältnisse hegen dabei ganz analog wie bei dem früher schon behandelten Fall der Trennung von Sauerstoff-Stickstoff-Gemischen durch fraktionierte Destillation und Kondensation 1 2

liquidus = flüssig. solidus = fest.

Schmelz- und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme

471

(S. 32ff.). Wir brauchen nur an die Stelle der dort gebrauchten Begriffe Siedekurve, Taukurve, fraktionierte Destillation, fraktionierte Kondensation, flüssig, gasförmig, Verdampfen, Kondensieren usw. die Begriffe Soliduskurve, Liquiduskurve, fraktioniertes Schmelzen, fraktioniertes Erstarren, fest, flüssig, Schmelzen, Gefrieren usw. zu setzen. Genau wie dort werden auch hier die Schmelzpunktsverhältnisse nicht immer durch das etwas kompliziertere Bild von Fig. 131, sondern häufig auch durch ein dem Zustandsdiagramm der Sauerstoff-Stickstoff-Gemische (Fig. 16, S. 33) analoges einfacheres Diagramm (entsprechend dem linken bzw. rechten T e i l von Fig. 131) wiedergegeben. Als Beispiele für diesen Typus seien die Systeme Kupfer-Gold und Kaliumchlorid-Natriumchlorid angeführt. ß) Vorhandensein einer Mischungslücke Nicht immer brauchen die Komponenten A und B wie im Falle des in Fig. 131 wiedergegebenen Systems eine l ü c k e n l o s e Reihe von Mischkristallen zu bilden. Vielmehr kann in der Mischungsreihe auch eine mehr oder minder große M i s c h u n g s l ü c k e vorkommen. Dann geht Fig. 131 in Fig. 132 über. Der Unterschied zwischen beiden Fällen besteht darin, daß die gesättigten Lösungen im eutektischen Punkt C bei Fig. 131 in e i n h e i t l i c h e M i s c h k r i s t a l l e der gleichen Zusammensetzung, bei Fig. 132 in ein feinkristallines G e m e n g e v o n M i s c h k r i s t a l l e n der Zusammensetzung I und I I übergehen. Im übrigen gilt für solche Systeme mit Mischungslücke das für Systeme ohne Mischungslücke Gesagte.

Kapitel XVIII

Die Zinkgruppe 1. Das Zink a) Elementares Zink a) Vorkommen Zink kommt in der Natur nur gebunden vor. Das für die Verhüttung wichtigste Zinkerz ist die Zinkblende ZnS. In zweiter Linie sind der Zinkspat („edler Galmei") ZnC03 und das Kieselzinkerz („Kieselgalmei") Zn 2 Si0 4 H 2 0 zu nennen. Die anderen Erze sind von untergeordneter Bedeutung. Die Hauptfundstätten für Zinkblende und Zinkspat sind Oberschlesien, Belgien, Frankreich, England, Australien und die Vereinigten Staaten. ß) Gewinnung Die Darstellung von Zink kann auf trockenem Wege durch Reduktion von Zinkoxyd mit Kohle oder auf nassem Wege durch Elektrolyse von Zinksulfatlösungen erfolgen. Nach dem ersteren Verfahren werden etwa 2/3, nach dem letzteren 1 / 3 der Welterzeugung gewonnen. Das erforderliche Zinkoxyd wird aus der Zinkblende durch Rösten (S. 206), aus dem Zinkspat durch Brennen (S.407) erzeugt: ZnS + lVi0 2 -—>- ZnO + S0 2 + 113 kcal 17 kcal + ZnC03 —>- ZnO + C04. Die Zinksulfatlösungen gewinnt man aus den so erhaltenen zinkoxydhaltigen Produkten durch Auslaugen mit Schwefelsäure: ZnO + H2S04 >- ZnS04 + HaO. Trockenes Verfahren. Beim trockenen Verfahren wird die geröstete Zinkblende („Röstblende") bzw. der gebrannte Galmei mit gemahlener Kohle im Überschuß vermischt und in geschlossenen Destilliergefäßen („Muffeln") aus feuerfestem Ton (Schamotte) auf 1100—1300° erhitzt. Hierbei findet eine Reduktion des Oxyds zu elementarem Zink s t a t t : 57 kcal + ZnO + C Z n + CO. Wegen der hohen Temperatur entweicht das Zink (Sdp. 907°) dampfförmig und wird in Vorlagen aus Schamotte, die vor den Muffeln angebracht sind (Fig. 133), zu flüssigem Metall kondensiert. Die R e s t e des Zinkdampfes (5—13°/0) schlagen sich in außen auf die Vorlagen aufgesteckten B l e c h b e h ä l t e r n („Vorstecktuten") als Zinkstaub nieder. Die Beheizung der Zink-Muffelöfen erfolgt in der Regel mit Generatorgas, wobei die Verbrennungsluft im Gegenstrom durch die heißen Verbrenn ungsabgase immer wieder vorgewärmt wird (vgl. S. 532). Das in den Vorlagen erhaltene flüssige Rohzink ist 97—98°/^ und enthält stets mehrere Prozente Blei und einige Zehntelprozente Eisen, sowie Spuren von Cadmium und Arsen. Die Reinigung dieses Rohzinks erfolgt zweckmäßig durch

Daa Zink

473

f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n , wobei Zink (Sdp. 907°) und Cadmium (Sdp. 767°) zuerst übergehen, während Blei (Sdp. 1750°) und Eisen (Sdp. 2735°) im Rückstand zurückbleiben. Das blei- und eisenfreie Zink wird dann nochmals destilliert und kondensiert, wobei sich der größte Teil des Zinks als ,¡Feinzink" (99.99°/0) verflüssigt, während sich das flüchtigere Cadmium zusammen mit Zinkdampf als „Cadmiumstaub" 40°/0 Cd) niederschlägt. Der bei der Zinkerzverhüttung in den Blech tuten sich ansammelnde Z i n k s t a u b stellt ein feines, graublaues Pulver von Zinkmetall dar, dessen Partikelchen von unmeßbar dünnen Oxydhäutchen umhüllt sind, so daß der Staub nicht ohne weiteres zu Metall zusammengeschmolzen werden kann. E r enthält etwa 90°/0 des Cadmiumgehaltes der ganzen Beschickung und bildet zuMuffe/ofen sammen mit dem obigen Cadmiumstaub das Ausgangsmaterial für die Cadmiumgewinnung (S. 476). Der geschilderte Zinkhüttenprozeß ist der u n v o l l k o m m e n s t e aller Verhüttungsprozesse, da 10—15°/ 0 des im Erz ursprünglich ent- Z/fi/isfavb haltenen Metalles verlorengehen und nur kleine Einheiten Vorstecktute''' umgesetzt werden können. Die flüssiges Z/nA ' Verluste entstehen durch Absorption von Zink durch das Muffelmaterial, durch Verßösrguf imc/ Sfo/rs flüchtigung von Zink durch die Wandung hindurch, durch ffäumasche Entweichen von Zinkdämpfen Fig. 133. Zink-Muffelofen aus den Vorlagen und durch unvollständige Reduktion.

Nasses Verfahren. Bei dem nassen Verfahren werden die durch Auslaugen von gerösteter Zinkblende oder gebranntem Galmei mit Schwefelsäure erhaltenen Z i n k s u l f a t l ö s u n g e n unter Verwendung von B l e i a n o d e n und A l u m i n i u m k a t h o d e n e l e k t r o l y s i e r t , wobei sich das Zink als E l e k t r o l y t z i n k auf dem Aluminium niederschlägt und alle 24 Stunden abgezogen und umgeschmolzen wird. Das so gewonnene „Feinzink" ist wie das nach dem Trockenverfahren erhaltene und gereinigte 99.99°/0ig. Die Abscheidung des Zinks aus den sauren Lösungen wird durch die hohe Überspannung des Wasserstoffs am Zink ermöglicht. Um eine glatte Abscheidung des Zinks zu erzielen, müssen die verwendeten Zinksalzlösungen a u ß e r o r d e n t l i c h rein sein. Die Reinigung erfordert r e c h t e r h e b l i c h e K o s t e n und u m f a n g r e i c h e A n l a g e n . Daher hat die Elektrolyse das Muffel verfahren noch nicht verdrängt. Wie sich neuerdings gezeigt hat, kann bei Verwendung von Q u e c k s i l b e r als Kathodenmaterial auf die Hochreinigung der Zinksalzlösungen verzichtet werden. Man erhält dabei auf dem Wege über ein Z i n k a m a l g a m ein 99.999%iges, nur noch 0.001% Verunreinigungen enthaltendes Feinstzink („Kuss-V erfahren"). y) Physikalisehe Eigenschaften Das Zink ist ein bläulich-weißes Metall vom spezifischen Gewicht 7.13. Bei gewöhnlicher Temperatur ist es ziemlich spröde; bei 100—150° wird es aber so weich und dehnbar, daß es zu dünnem Blech ausgewalzt und zu Draht gezogen werden kann; oberhalb von 200° wird es wieder spröde. Der Schmelzpunkt liegt bei 419.4°, der Siedepunkt bei 907°. Der Zinkdampf ist nach der Dampfdichtebestimmung einatomig.

Die Zinkgruppe

474

8) Chemische Eigenschaften An der L u f t ist Zink beständig, da es sich mit einer dünnen, festhaftenden S c h u t z s c h i c h t von Zinkoxyd bzw. basischem Zinkcarbonat überzieht. Wegen dieser Luftbeständigkeit findet es vielfach Verwendung für D a c h b e d e c k u n g e n sowie zum „Verzinken" von Eisenblech und Eisendraht, das durch Eintauchen in geschmolzenes Metall, durch Metallspritzverfahren oder auf elektrolytischem Wege vorgenommen wird. Beim E r h i t z e n an der Luft bis zum Siedepunkt verbrennt das Zink unter intensiver Lichterscheinung zu Z i n k o x y d : Zn + 7 a O a

ZnO + 83.3 kcal.

Entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (e0 = —0.76 Volt) entwickelt Zink mit S ä u r e n Wasserstoff (S. 167): Zn + 2HX

ZnX2 + H 2 + Energie.

(1)

In den Trockenelementen der T a s c h e n l a m p e n b a t t e r i e n nutzt man die dabei freiwerdende E n e r g i e zur Erzeugung eines e l e k t r i s c h e n S t r o m e s aus (Zn—>• Zn" + 2 0 ; 2 © + 2H' —>• H 2 ). Diese Elemente bestehen aus einem als A n o d e dienenden Z i n k b l e c h z y l i n d e r , der eine konzentrierte A m m o n i u m c h l o r i d l ö s u n g (NH 4 ' NH 3 + H") und als K a t h o d e einen mit grobfädigem Gewebe verschnürtem, von Braunstem (s. unten) umgebenen G r a p h i t s t a b (,,Puppe") enthält. Die Entwicklung von W a s s e r s t o f f , die zur Ausbildung einer G e g e n s p a n n u n g an der Kathode führen würde („Polarisation"), wird durch den B r a u n s t e i n oder durch mit S a u e r s t o f f ges ä t t i g t e a k t i v e K o h l e vermieden, welche den Wasserstoff zu W a s s e r oxydieren („Depolarisation"). In den üblichen Taschenlampenbatterien sind drei derartige Elemente (von je 1.5—1.7 Volt Spannung) hintereinander geschaltet. Daß Zink mit W a s s e r nicht ebenfalls gemäß (1) (X = OH) unter Wasserstoffbildung reagiert, ist auf die Bildung einer schützenden, schwerlöslichen H y d r o x y d s c h i c h t auf der Oberfläche zurückzuführen (S. 172). Diese kann sich in saurer Lösung naturgemäß nicht ausbilden. Gleiches ist in alkalischer Lösung der Fall (S.475). Bei Vergrößerung der Zinkoberfläche wird die Einwirkung des Wassers merklicher; so zersetzt Z i n k s t a u b Wasser bereits bei gewöhnlicher Temperatur. Sehr r e i n e s Zink entwickelt mit Säuren bei gewöhnlicher Temperatur fast k e i n e n W a s s e r s t o f f . Dies rührt daher, daß die bei der Lösung des Zinks gebildeten positiven Zinkionen (Zn >- Zn" + 2 © ) eine Annäherung und Entladung der ebenfalls positiven Wasserstoff ionen (2H* + 2 © - — > - H a ) am Zink erschweren. Berührt man aber das sehr reine Zink mit einem P l a t i n b l e c h , so daß die Elektronen zum P l a t i n abfließen und sich h i e r mit den Wasserstoff-ionen vereinigen können, so geht das Zink — unter Wasserstoffentwicklung am P l a t i n — in Lösung. Beim gewöhnlichen Handelszink spielen die V e r u n r e i n i g u n g e n an Kupfer usw. die Rolle des Platins. Man kann solche Fremdmetalle auch künstlich auf Zink niederschlagen. So dienen z. B. mit Kupfersulfatlösung behandelte Zinkgranalien (Zn + Cu" —>• Zn" 4- Cu) als „Zink-Kupier-Paar" zu Reduktionszwecken. Auch sonst kommt den durch die Verunreinigung von Metallen mit anderen Metallen bedingten „Lokalelementen" hohe praktische Bedeutung zu; so z. B. bei der Erscheinung der „Korrosion", d. h. der allmählichen Zerstörung metallischer Werkstoffe durch chemische Einwirkung von außen. Auch hier wird die Auflösung von Metallen in Flüssigkeiten durch die Anwesenheit von F r e m d m e t a l l e n (als Verunreinigungen, als Überzüge usw.) häufig beschleunigt. So rostet z . B . ein mit Zinn überzogenes Eisenblech („Weißblech") bei einer B e s c h ä d i g u n g der Zinnhaut r a s c h e r als u n v e r z i n n t e s Eisen, weil in dem bei Zutritt von Wasser entstehenden L o k a l e l e m e n t das Eisen die e l e k t r o n e n - a b g e b e n d e , d.h. sich oxydierende Elektrode darstellt. Dagegen bildet v e r z i n k t e s Eisen bei einer Beschädigung der Zinkschicht k e i n e Spur v o n E i s e n r o s t , weil Zink in der Spannungsreihe über dem Eisen steht und in diesem Fall daher das Zink die negative, s i c h a u f l ö s e n d e Anode darstellt.

Unter den L e g i e r u n g e n des Zinks sind die Z i n k - K u p f e r - L e g i e r u n g e n , die bereits beim Kupfer (S. 452) besprochen wurden, die wichtigsten.

Das Zink

475

b) Verbindungen des Zinks Zinkwasserstoff ZnH3 ist analog Berylliumwasserstoff BeH 2 (S. 402) durch EinWirkung von Diboran (BH 3 ) 2 auf Zinkmethyl ZnR 2 (R = CH 3 ) in Form einer nichtflüchtigen, weißen, festen A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g ZnH 2 • BH 3 = Z n H ( B H 4 ) : ZnB2 + 2 B H 3 — Z n H 2 + SBH^R, sowie durch Umsetzung ätherischer Lösungen von Zinkjodid und Lithiumalanat in f r e i e m Z u s t a n d e erhältlich: Zn J 2 + 2 LiAlH4 —>- ZnH2 + 2 Li J + 2A1H3 und stellt eine feste, weiße, hochoxydable Substanz dar, die oberhalb von 90° — rasch bei 105° — in die Elemente zerfällt. Zinkoxyd ZnO kommt in der N a t u r als Rotzinkerz vor und wird technisch durch Verbrennen von Z i n k d a m p f an der L u f t hergestellt, indem man Mischungen von oxydischem Zinkerz und Koks in einem Drehrohrofen bei Luftüberschuß der Flamme einer Kohlenstaubfeuerung entgegenschickt. Die mit Zinkoxyd beladenen Reaktionsgase passieren eine Flugstaubkammer, in welcher sich das sogenannte „Voroxyd" absetzt, das in den Drehrohrofen zurückkehrt und dabei ein 90- bis 95°/ 0 iges Zinkoxyd ergibt. Zinkoxyd (Smp. 1260°) wird unter dem Namen „Zinkweiß" als weiße Malerfarbe verwendet; die Anstriche sind Schwefelwasserstoff- und lichtbeständig. Beim Glühen mit K o b a l t o x y d CoO geht es in ein schön grünes Pulver ( , , R I N M A N S Grün") über (S. 539), das aus Mischkristallen von Zinkoxyd und Kobalt(II)-oxyd besteht und ebenfalls als Malerfarbe dient. Beim Erhitzen nimmt Zinkoxyd zunehmend eine gelbe Farbe an, die beim Abkühlen wieder verschwindet. Zinkhydroxyd Zn(0H)g, das in fünf verschiedenen Modifikationen auftritt, fällt beim Versetzen von Z i n k s a l z l ö s u n g e n mit A l k a l i e n als weißer, gelatinöser Niederschlag aus, der sich sowohl in Säuren wie in Basen löst, also a m p h o t e r e Eigenschaften hat. Im ersteren Falle bilden sich Z i n k s a l z e , im letzteren Z i n k a t e : Zn(OH)2 + 2H' Zn" + 2H 2 0 Zn(OH)2 + 2 0 H ' [Zn(OH)4]". I n A m m o n i a k ist Zinkhydroxyd unter K o m p l e x s a l z b i l d u n g löslich: Zn(OH)s + 4NH S >- [Zn(NH3)4](OH)2. Zinkchlorid ZnClg kann durch Erhitzen von Z i n k im C h l o r s t r o m oder durch Auflösen von Z i n k in S a l z s ä u r e gewonnen werden. Das wasserfreie Salz schmilzt bei 318° und siedet bei 730° und wird, da es sehr hygroskopisch ist, in der synthetischen Chemie häufig als wasserabspaltendes Mittel verwendet. Aus der wässerigen Lösung kristallisiert Zinkchlorid als Trihydrat aus. Mischungen von Zinkoxyd und konzentrierter Zinkchloridlösung ergeben wie beim Magnesium (S. 405) eine infolge Bildung von basischem Zinkchlorid Zn(OH)Cl erhärtende Masse, die man zu Zahnfüllungen verwenden kann. Zinksulfat ZnSOj wird technisch durch vorsichtiges oxydierendes R ö s t e n von Z i n k b l e n d e (ZnS + 2 0 2 — Z n S 0 4 ) oder durch Auslaugen o x y d i s c h e r Z i n k e r z e mit S c h w e f e l s ä u r e (ZnO + H 2 S 0 4 —>- Z n S 0 4 + H a O) gewonnen und kristallisiert aus wässerigen Lösungen in Form großer, farbloser Kristalle der Zusammensetzung ZnS0 4 • 7 H 2 0 („Zinkvitriol") aus, welche mit anderen Vitriolen (z. B. MgS0 4 • 7 H 2 0 und F e S 0 4 - 7 H 2 0 ) isomorph sind. Zinksulfid ZnS (Sblp. 1180°) kommt in der Natur als kubische Zinkblende und als hexagonaler Wurtzit vor (s. unten). Es fällt beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Z i n k s a l z l ö s u n g e n als amorpher weißer Niederschlag (L = lO - 2 4 ) aus: Zn" + H2S

ZnS + 2 H \

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Die Zinkgruppe

sofern man die dabei entstehende freie Säure bindet. Bei längerem Stehen a l t e r t der Niederschlag (vgl. S. 325) unter Bildung höherpolymerer P r o d u k t e , die sich in Säuren weniger leicht lösen. K r i s t a l l i s i e r t e s Zinksulfid, welches Spuren von Schwermetallen (~0.01°/ 0 ) enthält, hat wie die Sulfide der Erdalkalimetalle (S. 412) die Fähigkeit, nach B e l i c h t u n g im Dunkeln weiterzuleuchten. Diese Phosphoreszenz tritt auch beim Bestrahlen mit u n s i c h t b a r e n S t r a h l e n (ultraviolettem Licht, Röntgenstrahlen, Kathodenstrahlen, radioaktiven Strahlen) auf. Daher benutzt man Zinksulfid als „Sworsche Blende" zum Sichtbarmachen von Röntgenstrahlen und radioaktiven Zerfallsprodukten (S. 569, 572). Die kubische Zinkblende kristallisiert im Diamantgitter (Fig. 96, S. 294; O = Zn, • = S). Das hexagonaleWurtzitgitter unterscheidet sich vom Zinkblendegitter lediglich in der gegenseitigen Orientierung der einzelnen ZnS4- und SZn4-Tetraeder.

2. Das Cadmium Elementares Cadmium. Cadmium kommt in der Natur als Cadmiumblende CdS und als Cadmiumcarbonat CdC03 vor, und zwar fast immer als Begleiter der Zinkblende ZnS und des Galmei ZnC0 3 . Daher wird es auch technisch als Nebenprodukt der Zinkgewinnung — sowohl beim trockenen, wie beim nassen Verfahren — gewonnen. Bei der trockenen Zinkgewinnung wird Cadmium als edleres (ec¿ = —0.40Volt; eZn = —0.76 Volt) und niedriger siedendes (Sdp.d = 767°; Sdp.Zn = 907°) Metall l e i c h t e r reduziert und verdampft. Daher destilliert es bei der Reduktion der Zinkerze in der Muffel bevorzugt ab und verbrennt in den Vorlagen mit brauner Flamme zu Cadmiumoxyd. Der in den ersten Stunden übergegangene cadmiumo x y d h a l t i g e Z i n k s t a u b (3—4% Cd) wird dann mit K o k s vermischt und in besonderen kleineren Muffeln bei mittlerer Rotglut d e s t i l l i e r t . Hierbei geht zuerst das Cadmium über und kondensiert sich in der Vorlage teils als Metall, teils als S t a u b . Der an Cadmium angereicherte S t a u b wird nochmals mit Koks bei etwas höherer Temperatur destilliert und liefert weiteres Metall mit 99.5°/ 0 Cadmium, das in Form dünner Stangen in den Handel kommt. Bei der nassen Zinkgewinnung verfährt man so, daß man aus den Zinksulfatlaugen das enthaltene Cadmium durch Z i n k s t a u b fällt (Zn + Cd" —>- Zn" + Cd), den so gewonnenen Cadmiumschwamm o x y d i e r t (Cd + l / 2 0 2 — > - CdO) und dann in Schwefelsäure auflöst (CdO + H ä S 0 4 — > CdS0 4 + H 2 0 ) . Beider E l e k t r o l y s e der auf diese Weise gewonnenen Cadmiumsulfatlösung unter Verwendung von Aluminiumkathoden und Bleianoden scheidet sich das Cadmium als sehr reines E l e k t r o l y t c a d m i u m ab. Cadmium ist ein silberweißes, ziemlich weiches Metall vom spezifischen Gewicht 8.64, welches bei 320.9° schmilzt und bei 767.3'unter Bildung eines einatomigen Dampfes siedet. Bei gewöhnlicher Temperatur ist es an der L u f t beständig; beim Erhitzen entzündet es sich und verbrennt unter Bildung eines braunen Rauchs zu Cadmiumoxyd. In n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n , wie verdünnter Salzsäure und Schwefelsäure, löst sich Cadmium schwer, in verdünnter S a l p e t e r s ä u r e dagegen leicht. Technische Verwendung findet das Cadmium vor allem zur Herstellung rostschützender Überzüge auf Eisen. Cadmiumverbindungen. Cadmiumoxyd CdO entsteht beim Verbrennen von Cadmium an der Luft, beim Rösten des Sulfids, sowie beim Erhitzen des Hydroxyds oder Carbonats als braunes, amorphes, leicht reduzierbares Pulver. Cadmiumhydroxyd Cd(OH)2 bildet sich beim Versetzen von Cadmiumsalzlösungen mit Alkali als weißer Niederschlag und ist zum Unterschied von Zinkhydroxyd in Alkalien nicht löslich.

Das Cadmium — Daa Quecksilber

477

In Ammoniak löst es sich wie Zinkhydroxyd unter Komplexbildung: Cd(OH)2 + 4NH 3 — > [Cd(NH 3 ) 4 ](OH) 2 1 . Cadmiumchlorid CdCl2 (Smp. 565°, Sdp. 964°) kristallisiert aus wässeriger Lösung als Dihydrat und kann zum Unterschied von Zinkchlorid ohne Zersetzung entwässert werden. Cadmiumsulfid CdS, das beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in alkalische oder mäßig saure Cadmiumsalzlösungen als schön gelber, amorpher Niederschlag (L = 7 x 10 - 2 9 ) ausfällt, dient in der Malerei unter dem Namen „Cadmiumgelb" als sehr dauerhafte gelbe Farbe. Cadmiumsulfat CdS0 4 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form eines Hydrats der komplizierten Zusammensetzung 3CdS0 4 • 8H¡>0 aus. Es existiert aber auch ein Salz CdS0 4 • 7 H 2 0 , das den Vitriolen des Magnesiums, Zinks, Eisens usw. entspricht.

3. Das Quecksilber a) Elementares Quecksilber Vorkommen. Das Quecksilber kommt in der Natur hauptsächlich in Form von Q u e c k s i l b e r s u l f i d {„Zinnober") HgS, seltener gediegen in Tröpfchen — eingeschlossen in Gesteinen — vor. Die Hauptfundorte sind Almadén in Spanien und Idria in Italien. In Deutschland findet sich etwas Quecksilber in der Rheinpfalz. Gewinnung. Als A u s g a n g s m a t e r i a l für die Quecksilbergewinnung dient fast immer der Z i n n o b e r . Die zinnoberhaltigen Erze werden in Schachtöfen (großstückige Erze) oder in Schüttröstöfen (feinere Erzsorten) bei L u f t z u t r i t t auf höhere Temperatur e r h i t z t , wobei das entstehende Q u e c k s i l b e r zusammen mit dem gleichzeitig gebildeten Schwefeldioxyd d a m p f f ö r m i g entweicht: HgS + 0 2 — > - Hg + S0 2 . Die Q u e c k s i l b e r d ä m p f e werden dann in wassergekühlten Röhrenkondensatoren aus glasiertem Steinzeug k o n d e n s i e r t , wobei sich das flüssige Q u e c k s i l b e r in mit Wasser gefüllten, zementgefütterten Eisenkästen sammelt. Ein Teil des Quecksilberdampfes kondensiert sich nicht zu flüssigem Metall, sondern zu einem aus Quecksilber, Quecksilbersalzen, Flugstaub, Ruß und Teer bestehenden S t a u b (,,Stupp"). Diese — zu etwa 8 0 % aus Quecksilber bestehende — Stupp wird durch eine e i s e r n e P r e s s e (,,Stupp-Presse") gepreßt, wobei 80°/ 0 des Quecksilbergehaltes in einen Sammelbehälter ausfließen. Der Stupprückstand wird wieder den Röstöfen zugeführt. Das auf diese Weise bei der Destillation oder aus Stupp gewonnene Quecksilber, das in schmiedeeisernen Flaschen in den Handel kommt, ist sehr rein und bedarf keiner Raffination mehr. U n r e i n e s Quecksilber wird zweckmäßig in der Weise gereinigt, daß man es durch ein mit 20°/0iger S a l p e t e r s ä u r e gefülltes, senkrecht gestelltes, langes Glasrohr hindurchtropfen läßt, wobei die Salpetersäure die verunreinigenden Metalle herauslöst, und es dann nach dem Waschen und Trocknen der Vakuumdestillation unterwirft. Physikalische Eigenschaften. Quecksilber ist das einzige bei Zimmertemperatur flüssige M e t a l l . Es erstarrt bei —38.84° und siedet bei 356.95° unter Bildung eines einatomigen Dampfes. Wegen seines hohen spezifischen Gewichtes (13.595 bei 0°) dient es zum Füllen von B a r o m e t e r n und M a n o m e t e r n (S. 21f.). Die elektrische Leitfähigkeit ist verhältnismäßig gering. Der Widerstand einer Quecksilbersäule von 1 mm 2 Querschnitt und 1.063 m Länge bei 0° stellt die gesetzliche Einheit des elektrischen Widerstandes („1 Ohm") dar. 1 In konzentrierten Ammoniaklösungen entstehen Hexammin-ionen [Cd(NH3)4]". Die „charakteristische Koordinationszahl" des Cadmiums beträgt ganz allgemein 4, die „maximale Koordinationszahl" 6.

478

Die Zinkgruppe

Der Sättigungsdruck des Quecksilbers beträgt bei Zimmertemperatur nur 0.001 mm. D a aber die Quecksilberdämpfe s e h r g i f t i g sind, genügen die in s c h l e c h t g e l ü f t e t e n chemischen und physikalischen L a b o r a t o r i e n aus verspritztem Quecksilber in die Luft gelangenden Quecksilberdampfmengen vielfach zur Hervorrufung chronischer Q u e c k s i l b e r v e r g i f t u n g e n , zumal e i n g e a t m e t e s Quecksilber, wie namentlich A L F R E D STOCK (vgl. S. 3 2 0 ) gezeigt hat, nur sehr langsam im Harn ausgeschieden wird und sich daher im menschlichen Organismus ansammelt. Die Quecksilbervergiftungen geben sich anfangs nur in leichtem Bluten des Zahnfleisches, später durch Gedächtnisschwäche, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen sowie schließlich durch schwerste Schädigungen des Nervensystems zu erkennen. Durch e l e k t r i s c h e E n t l a d u n g e n wird der Quecksilberdampf zu i n t e n s i v e m L e u c h t e n angeregt, wobei er ein an u l t r a v i o l e t t e n S t r a h l e n reiches Licht ausstrahlt, das bei Umhüllung des Lichtbogens mit Q u a r z - oder U v i o l g l a s (gewöhnliches Glas absorbiert ultraviolettes Licht) großenteils nach außen austreten kann. Derartige „Quecksilberlampen" dienen als Lichtquellen in der Reproduktionstechnik sowie zur Auslösung photochemischer Reaktionen und zu Heilzwecken (,,künstliche Höhensonne"). Chemische Eigenschaften. Reines Quecksilber verändert sich bei gewöhnlicher Temperatur an der L u f t nicht, während sich unreines Quecksilber an der Luft mit einem Oxydhäutchen überzieht. Oberhalb von 300° vereinigt es sich mit S a u e r s t o f f zum O x y d HgO, das bei noch stärkerem Erhitzen ( > 4 0 0 ° ) wieder in die Elemente zu zerfallen beginnt (S. 9). Mit H a l o g e n e n und mit S c h w e f e l verbindet es sich leicht. In W a s s e r und S a l z l ö s u n g e n löst sich Quecksilber in Gegenwart von Luft spurenweise. Von verdünnter S a l z - und S c h w e f e l s ä u r e wird es praktisch nicht, von verdünnter S a l p e t e r s ä u r e langsam angegriffen (vgl. S. 167ff., 236). Viele M e t a l l e lösen sich in Quecksilber unter Bildung von L e g i e r u n g e n auf, die man in diesem Falle als „Amalgame" bezeichnet. Sie sind bei kleineren Metallgehalten f l ü s s i g , bei größeren Metallgehalten f e s t . Natrium-Quecksilber-Legierungen sind bereits bei Gehalten von > 1 . 5 ° / 0 N a fest. Die Amalgambildung erfolgt bei einigen Metallen ( z . B . Zinn) unter Wärmeverbrauch, meist aber unter merklicher W ä r m e e n t w i c k l u n g . Besonders heftig ist die Reaktion bei der N a t r i u m - und K a l i u m amalgambiidung. Von besonderer Wichtigkeit ist das Silberamalgam als Z a h n f ü l l m a s s e {„Amalgamplomben"). E s ist in frischbereitetem Zustande wie alle Amalgame p l a s t i s c h , so daß es sich den Hohlräumen im Zahn gut anpaßt, und erhärtet nach einiger Zeit von selbst. Die früher vielfach als Zahnfüllmassen verwendeten K u p f e r amalgame werden heute mehr und mehr verlassen, da sie im Laufe der Zeit unter Freiwerden von Q u e c k s i l b e r angegriffen werden, was bei der G i f t i g k e i t des Quecksilbers (siehe oben) nicht unbedenklich ist. In seinen chemischen Verbindungen tritt Quecksilber ein- und zweiwertig auf. Die Verbindungen des einwertigen Quecksilbers sind durchweg bimolekular.

b) Quecksilber(I)-Verbindungen Quecksilber(I)-chlorid HgaCl^ kann durch Sublimieren eines äquivalenten Gemischs von Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d und Q u e c k s i l b e r : Hg€la + Hg Ä

Hg2Cl2

oder durch Versetzen einer Q u e c k s i l b e r ( I ) - s a l z l ö s u n g mit einem löslichen C h l o r i d : H g a " + 201' — * • HgjClj erhalten werden. E s stellt eine gelblichweiße, im sublimierten Zustande faserig-kristal-

Das Quecksilber

479

line, bei 383° sublimierende, wasserunlösliche Substanz dar. Am L i c h t färbt sich Quecksilber(I)-chlorid wie Silberchlorid (S.462) infolge Abscheidung von Metall d u n k e l . Beim Übergießen mit A m m o n i a k wird es s c h w a r z , da es sich dabei in ein Gemenge von weißem Quecksilber(II)-amido-chlorid Hg(NH 2 )Cl (S. 480) und feinverteiltem, schwarzem metallischem Quecksilber verwandelt: HgHgClj + NH S —>• Hg + Hg(NH2)Cl + HCl

NH4C1).

Wegen dieser Schwarzfärbung trägt das Quecksilber(I)-chlorid auch den Namen „Kalomel"1. Die Dampf dichte oberhalb von 400° entspricht einem Molekulargewicht 237 und damit der Molekularformel HgCl (Mol.-Gew. 236.1). Dies r ü h r t aber daher, daß sich der Dampf bei dieser Temperatur aus einem äquimolekularen Gemisch von Q u e c k s i l b e r (Mol.-Gew. 200.6) und Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d (Mol.-Gew. 271.5) zusammensetzt: HgaCla

Hg + HgCla.

Verhindert man die Dissoziation durch sorgfältige T r o c k n u n g (vgl. S. 435), so entspricht die Dampfdichte der Formel Hg 2 Cl 2 . I n gleicher Weise stimmt die in geschmolzenem Quecksilber(II)-chlorid als Lösungsmittel gemessene G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g mit der Formel Hg 2 Cl 2 überein. Ebenso ergibt die r ö n t g e n o g r a p h i s c h e Strukturbestimmung in festem Zustand ein aus Hg 2 Cl 2 -Molekülen aufgebautes Gitter. Die Anwesenheit der Dissoziationsprodukte Hg und HgCl2 im Dampf des Quecksilber(I)chlorids wird unter anderem dadurch bewiesen, daß sich die beiden Bestandteile durch D i f f u s i o n trennen lassen und daß sich ein in den Dampf gebrachtes G o l d b l ä t t c h e n infolge des Vorhandenseins von Quecksilberdampf sofort amalgamiert.

Quecksilber(I)-bromid Hg 2 Br a und Quecksilber (I)-jodid Hg>J s sind noch schwerer löslich als Quecksilber(I)-chlorid. Auch hier nimmt also wie bei den Silberhalogeniden die Löslichkeit mit steigendem Atomgewicht des Halogens ab. Quecksilber(I)-nitrat Hg2(NOs)2 entsteht bei der Einwirkung von kalter verdünnter S a l p e t e r s ä u r e auf überschüssiges Q u e c k s i l b e r (vgl. S. 236) oder — was auf das gleiche herauskommt — bei der Einwirkung von Q u e c k s i l b e r auf Q u e c k s i l b e r (II)nitratlösung: Hg + Hg(N0 3 ) s ^

Hg 2 (N0 3 ) 2 .

(2)

Da es durch Wasser unter Abscheidung eines gelben b a s i s c h e n Salzes H g 2 ( 0 H ) N 0 3 hydrolytisch gespalten wird: Hg 2 (N0 3 ) 2 + H Ö H — H g 2 ( 0 H ) N 0 3 + H N O s , ist es nur in verdünnter S a l p e t e r s ä u r e ohne Zersetzimg löslich. Beim Versetzen der Lösung mit A l k a l i l a u g e bildet sich über das bei 0° einigermaßen haltbare H y d r o x y d Hg 2 (OH) 2 hinweg das O x y d H g 2 0 : Hg 2 (N0 3 ) 2 —>- Hg 2 (OH) 2 —>- H g 2 0 , das in Quecksilber(II)oxyd und metallisches Quecksilber zerfällt • Hg 2 0 —>• H g + HgO. Daß dem Quecksilber(I)-nitrat wie dem Quecksilber(I)-chlorid die v e r d o p p e l t e F o r m e l Hg 2 (N0 3 ) 2 zukommt, läßt sich durch quantitative Verfolgung des Gleichgewichts (2) zeigen. Bei Annahme völliger elektrolytischer Dissoziation der Salze wird dieses Gleichgewicht gemäß dem Massenwirkungsgesetz durch die Beziehung (3 a) wiedergegeben: ™51=JC,

»Hg,-

(a)

a&g-

(3) (b)

Wäre aber das Quecksilber(I)-nitrat monomolekular (HgN0 3 ), so würde entsprechend der Reaktionsgleichung H g + Hg(N0 3 ) 2 2 H g N 0 3 das Gleichgewicht durch die Beziehung (3b) zum Ausdruck gebracht werden. Das Experiment zeigt, daß bei 1

kalos (kccAös) = schön; melas (n&ocs) - schwarz.

480

Die Zinkgruppe

Variation der Konzentrationen (Aktivitäten) von einwertigem und zweiwertigem Queck silber-ion nur die Gleichung (3 a) zutrifft. Daher muß das Quecksilber(I)-ion durch die Formel Hg 2 " wiedergegeben werden.

c) Quecksilber(II)-Verbindungen Quecksilber (II)-oxyd HgO entsteht beim Erhitzen von Q u e c k s i l b e r an der L u f t (Hg + 1 / 2 0 2 —> HgO) als r o t e s kristallines Pulver, beim Versetzen von Q u e c k s i l b e r ( I I ) - s a l z l ö s u n g e n mit Alkali (Hg" + 2 O H ' —>- Hg(OH) 2 —>- HgO + H 2 0 ) dagegen als g e l b e r amorpher Niederschlag. Der Farbenunterschied wird lediglich durch die verschiedene K o r n g r ö ß e der beiden Präparate bedingt. Und zwar ist das gelbe Oxyd feiner verteilt als das rote, wie sich überhaupt ganz allgemein die Farbe einer Substanz mit zunehmendem Zerteilungsgrad der Probe aufhellt. Beim Erhitzen färbt sich das gelbe Oxyd infolge Kornvergrößerung r o t ; die rote Farbe bleibt beim Abkühlen erhalten. Quecksilber (II)-chlorid HgClg {„Sublimat") sublimiert bei der technischen Darstellung durch Erhitzen von Q u e c k s i l b e r s u l f a t und N a t r i u m c h l o r i d als weiße, in Wasser ziemlich leicht (1:15) lösliche, bei 280° schmelzende und bei 302° siedende Substanz a b : HgS0 4 + 2NaCl

HgCl2 + Na a S0 4 .

Bei der Einwirkung von A m m o n i a k geht es in das weiße, in Wasser unlösliche „unschmelzbare Präzipitat" Hg(NH 2 )Cl über: HgCla + NH S — v Hg(NHa)Cl + HCl (

+NH

' >- NH4C1).

Bei gleichzeitiger Gegenwart von viel A m m o n i u m c h l o r i d entsteht das weiße „schmelzbare Präzipitat" Hg(NH 2 ) 2 • 2HCl = [Hg(NH 3 ) 2 ]Cl iä : HgCl, + 2NH,

>- [Hg(NH,) 2 ]Cl 2 .

Das selbst in recht saurer Lösung beständige Diammin-quecksilber(II)-ion [Hg(NH 3 ) 2 ]" geht in s e h r k o n z e n t r i e r t e n Ammoniaklösungen in ein T e t r a m m i n ion [Hg(NH 3 ) 4 ]" über 1 . Die wässerige Lösung von Quecksilber(II)-chlorid leitet den elektrischen Strom nur wenig, d. h. das Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d ist in wässeriger Lösung nur s e h r w e n i g i o n i s i e r t . Daher verhalten sich derartige Lösungen in mancher Hinsicht anders als normale Salzlösungen. Schüttelt man z. B. Quecksilberoxyd mit einer Alkalichloridlösung, so wird die Lösung infolge Freiwerdens von Alkalihydroxyd stark alkalisch: 2C1'+ Hg(OH)a + + HgCI2 + 2OH'; umgekehrt werden Quecksilber (II)-chloridlösungen durch Alkalien nur bei Anwendung eines beträchtlichen Überschusses an Alkali quantitativ hydrolysiert. Beim Vermischen von Quecksilber(II)-nitratlösungen mit Alkalichloridlösungen tritt infolge exothermer Bildung des undissoziierten Quecksilber(II)-chlorids eine beträchtliche Wärmetönung auf, während sonst beim Vermischen echter Salzlösungen kein Wärmeeffekt zu beobachten ist. Sublimat ist ein s e h r s t a r k e s G i f t , das in Mengen von 0.2—0.4 g einen erwachsenen Menschen tötet. Wegen seiner hervorragenden a n t i s e p t i s c h e n Wirkung dient es als Desinfektionsmittel bei der W u n d b e h a n d l u n g . Zu diesem Zwecke kommt es in Form von „Sublimatpastillen" in den Handel. 1 Das Quecksilber(II)-ion Hg" besitzt allgemein die „charakteristische," Koordinationszahl 2 und die „maximale" Koordinationszahl 4 (vgl. Anmerkung 1, S. 477).

Das Quecksilber

481

Die Sublimatpastillen stellen kein reines Quecksilber(II)-ohlorid dar, sondern bestehen aus einem Gemisch von S u b l i m a t und N a t r i u m c h l o r i d . Der N a t r i u m c h l o r i d g e h a l t verhindert die h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g des Sublimats in wässeriger Lösung: HgCl, + HÖH

Hg(OH)Cl + HCl

(4)

und damit eine durch die hierbei gebildete Säure verursachte ätzende Wirkung der Lösung, da sich aus Natriumchlorid und Sublimat ein K o m p l e x s a l z Na a [HgCl 4 ] bildet, das nicht der Hydrolyse unterliegt. Zugleich ist dieses Komplexsalz l e i c h t e r löslich als das reine Quecksilber(II)-chlorid und wird auch nicht wie dieses durch L e i t u n g s w a s s e r mit der Zeit unter Fällung von Oxychloriden (Abfangen der Säure in (4) durch das Bicarbonat des Leitungswassers: H ' + HC0 3 '—>- H 2 0 + C02) z e r s e t z t . Um Verwechslungen vorzubeugen, sind die Sublimatpastillen mit einem organischen Farbstoff (Eosin) r o t g e f ä r b t . Quecksilber(II)-jodid HGJÄ (Smp. 257°, Sdp. 351°) kommt in zwei e n a n t i o t r o p e n

M o d i f i k a t i o n e n , einer g e l b e n und einer r o t e n , vor. Der U m w a n d l u n g s p u n k t liegt bei 127°; unterhalb dieser Temperatur ist die rote, oberhalb die gelbe Form die beständigere (,, Th ermochromie'') : H

127' g J 2 r o t "
senkrecht auf der Fläche Fig. 138. Magnetische Wirkung eines elektrischen Kreisstroms steht, wobei der Nordpol oberhalb, der Südpol unterhalb der Papierebene liegt) gleich dem P r o d u k t aus S t r o m s t ä r k e und u m f l o s s e n e r Fläche: M = p' l = I • F. (3) Auch ein um einen A t o m k e r n kreisendes E l e k t r o n (Fig. 138b) bedingt dementsprechend ein m a g n e t i s c h e s F e l d und besitzt ein m a g n e t i s c h e s M o m e n t m, dessen Größe wie die des obigen Elektronenstroms (Fig. 138a) durch das P r o d u k t aus S t r o m s t ä r k e und u m f l o s s e n e r F l ä c h e wiedergegeben wird. Die S t r o m s t ä r k e beträgt in diesem Falle e • v (e = Ladung des Elektrons; v = Umlaufzahl je Sekunde), die F l ä c h e r 2 • n (r = Radius der Elektronenbahn). Also ist das m a g n e t i s c h e M o m e n t m — e • J>-r2 • it. Nun sind nach der B O H R sehen Atomtheorie (S. 135ff.) v und r gewissen Quantenbedingungen unterworfen, derart, daß die Werte des Produktes v • r 2 nur g a n z z a h l i g e V i e l f a c h e eines bestimmten kleinsten E l e m e n t a r w e r t e s sein können. Dieser kleinste Wert liegt dann vor, wenn das Elektron auf seiner Grundbahn in einem Atom kreist. Setzt man den Wert ein, so erhält man als k l e i n s t e n W e r t des magnetischen Moments 9.24 x 10" 21 Oersted - cm3 je Molekül bzw. (9.24 x 10-") X (6.022 X 1023) = 5564 Oersted • cm3 je Mol. Man bezeichnet diese Einheit des magnetischen Moments als „1 BonRsches Magneton" und gibt die magnetischen Momente von Atomen und Molekülen in dieser Einheit an.

b) Die magnetische Suszeptibilität Bringt man einen Körper in ein h o m o g e n e s M a g n e t f e l d , so sind zwei Fälle möglich (Fig. 139): der Körper v e r d i c h t e t die Feldlinien in seinem Innern (b) oder er d r ä n g t s i e a u s e i n a n d e r (a). I m e r s t e n Fall nennen wir ihn „paramagnetisch" (oder wenn der Effekt besonders stark ist: ,,jerromagne- __ tisch"), im z w e i t e n „diamagnetisch". Wir haben dann also im Innern des Körpers nicht mehr die u r s p r ü n g & liche Feldstärke sondern die davon verschiedene n e u e Feldstärke {„Induktion") A $ = d- h. ) Fig. 139. Verhalten diamagnetischer und paramagnetischer (4) = f Stoffe im homogenen Magnetfeld

\

Die Gruppe der seltenen Erdmetalle

494

wird die magnetische „Permeabilität" (Durchlässigkeit) eines Stoffs genannt und stellt den Faktor dar, mit dem man die ursprüngliche Feldstärke multiplizieren muß, um die neue Feldstärke zu erhalten • //, = fe §')• Bei d i a m a g n e t i s c h e n Stoffen ( § ' negativ) ist die P e r m e a b i l i t ä t gemäß (4) stets k l e i n e r , bei p a r a m a g n e t i s c h e n Stoffen ( § ' positiv) stets g r ö ß e r a l s 1. Meist gibt man allerdings nur das Verhältnis (5) an, das die hinzukommende bzw. wegfallende Feldstärke in Bruchteilen der ursprünglichen Feldstärke § ausdrückt ( ( ± ) = ^ ' § ) und dessen 4jr-ten Teil 1 man die magnetische „Suszeptibilität" (Aufnahmefähigkeit) eines Stoffes nennt ( x = k/An). Wie aus (5) ersichtlich, ist diese Suszeptibilität bei p a r a m a g n e t i s c h e n Stoffen (£)' positiv) > 0, bei d i a m a g n e t i s c h e n Stoffen ( § ' negativ) < 0. Die Suszeptibilität kann auf 1 ein 3 oder auf 1 g Stoff bezogen werden. Durch Multiplikation der e r s t e r e n («om») mit dem M o l v o l u m e n (Fmi) oder der l e t z t e r e n (x g ) mit dem M o l e k u l a r g e w i c h t (M) erhält man die auf 1 Mol des Stoffes bezogene „molare Suszeptibilität" xmo\'(6) «cm»- F M o l = ; V - S i = Z M o l In dieser Form wird die Suszeptibilität vom C h e m i k e r immer angegeben. Das Z u s t a n d e k o m m e n des Dia- und Paramagnetismus kann man sich wie folgt veranschaulichen: Diamagnetismus. Nähert man einem k r e i s f ö r m i g geschlossenen Leiter den N o r d p o l eines Magneten, so fließt während der Annäherung in dem Leiter ein E l e k t r o n e n s t r o m in der aus Fig. 140 ersichtlichen Richtung. Dieser Elektronenstrom ist nach S. 493 einem M a g n e t e n äquivalent, dessen Nordpol rechts liegt. Das durch die Annäherung des Magneten i n d u z i e r t e M a g n e t f e l d ist also d e m a n g e Fig. 140. l e g t e n M a g n e t f e l d e n t g e g e n g e r i c h t e t und sucht die Näherung LENZsches Gesetz des Magneten zu hemmen („LENZsches Gesetz"). In gleicher Weise wird auch beim Einbringen eines Körpers in ein Magnetfeld ein entgegengesetzt gerichtetes Magnetfeld erzeugt, indem hier an die Stelle des geschlossenen Leiters in Fig. 140 die E l e k t r o n e n b a h n e n in den Molekülen des betreffenden Stoffs treten. Da sich auf diese Weise (Fig. 141a) die F e l d l i n i e n im Innern des Körpers t e i l w e i s e a u f h e b e n , e r g i b t sich in summa eine A b n a h m e der Zahl der Feldlinien: der Körper ist \N/ \ S.. d i a m a g n e t i s c h (vgl.Fig. 139a). -H Paramagnetismus. Der diamagnetische Effekt muß naturgemäß bei a l l e n S t o f f e n auftreten, da in allen Stoffen Elek•'S' tronen kreisen, deren Bewegung durch das äußere Magnetfeld beeinflußt wird. Über diesen Effekt kann sich aber in gewissen Fällen noch ein z w e i t e r E f f e k t lagern, nämlich dann, wenn die Atome D/amagnefismus Paramagnetismus oder Moleküle des betrachteten Stoffes nach außen hin ein p e r (b) (a) m a n e n t e s m a g n e t i s c h e s Mom e n t aufweisen: Fig. 141. Zustandekommen des Diamagnetismus und Paramagnetismus Jedes rotierende oder um einen Atomkern k r e i s e n d e E l e k t r o n

N

1 Der Faktor 1jtn rührt daher, daß man — unnötigerweise — an Stelle von „Magnetisierungsintensität" I einsetzt, die gleich dem 4;t-ten Teil von ist.

die sogenannte

Magnetochemie

495

besitzt ein m a g n e t i s c h e s Moment (vgl. S. 4921. u. 498). Diese magnetischen E i n z e l m o m e n t e der Elektronen eines Atoms oder Moleküls können sich — wie dies bei den diamagnetischen Stoffen der Fall ist -— gegenseitig a u f h e b e n (vgl. unten), so daß n a c h a u ß e n hin kein magnetisches Moment in Erscheinung tritt. In vielen Fällen aber (vgl. S. 497) heben sich die Einzelmomente n i c h t heraus, so daß die Atome oder Moleküle nach außen hin ein p e r m a n e n t e s m a g n e t i s c h e s M o m e n t besitzen. Die so bedingten „Molekularmagnete" sind entsprechend der Temperaturbewegung r e g e l l o s v e r t e i l t . Legt man aber ein ä u ß e r e s m a g n e t i s c h e s F e l d an, so r i c h t e n sich die Molekularmagnete aus, indem sich der N o r d p o l des Molekularmagneten dem S ü d p o l des äußeren Magneten zukehrt und umgekehrt. Auf diese Weise entsteht ein M a g n e t f e l d , das dem ä u ß e r e n F e l d g l e i c h g e r i c h t e t ist (Fig. 141b). Die Zahl der Feldlinien im Innern des Körpers n i m m t damit zu: der Körper ist p a r a m a g n e t i s c h (vgl. Fig. 139b).

Die molare S u s z e p t i b i l i t ä t xm.oI eines Stoffs setzt sich dementsprechend aus zwei Einzelgliedern zusammen, einem diamagnetischen Anteil %dia> der bei allen S t o f f e n vorhanden ist, und einem paramagnetischen Anteil Xpara> der nur dann auftritt, wenn die Moleküle oder Atome des Stoffs ein permanentes magnetisches Moment besitzen: . AMol

Xdia ' Apara '

' '

Da der p a r a m a g n e t i s c h e Anteil stets größer als der d i a m a g n e t i s c h e ist, sind Stoffe mit magnetischen Momenten stets paramagnetisch. Das d i a m a g n e t i s c h e Glied ^dia ist t e m p e r a t u r u n a b h ä n g i g , da die Temperatur naturgemäß die Dreh- und Umlaufgeschwindigkeit der Elektronen nicht beeinflußt. Dagegen ist die Temperatur von Einfluß auf das p a r a m a g n e t i s c h e Glied £ par!l , weil die Temperaturbewegung der Moleküle der Einstellung der Molekularmagnete in die Nord-Süd-Richtung des äußeren magnetischen Feldes entgegenwirkt. Und zwar muß der R i c h t u n g s e f f e k t um so geringer sein, je höher die T e m p e r a t u r ist. Im einfachsten Fall ist die paramagnetische Suszeptibilität der absoluten Temperatur umgekehrt proportional („CuBinsehcs Gesetz"): ¿para

Q fp'

(8)

Die K o n s t a n t e C hängt dabei mit dem magnetischen Moment M des Stoffs durch die Beziehung M2 C=WR

(M = magnetisches Moment pro Mol; R = Gaskonstante) zusammen, so daß man durch Bestimmung der T e m p e r a t u r a b h ä n g i g k e i t der paramagnetischen Suszeptibilität eines Stoffs sein magnetisches Moment ermitteln kann.

c) Der Diamagnetismus

Diainagnetisch sind alle Stoffe, deren Atome oder Moleküle a b g e s c h l o s s e n e E l e k t r o n e n s c h a l e n besitzen. Denn in diesem Falle heben sich die m a g n e t i s c h e n E i n z e l m o m e n t e der E l e k t r o n e n gegenseitig auf, so daß nach außen hin kein magnetisches Gesamtmoment in Erscheinung tritt und das paramagnetische Glied £para daher in Fortfall kommt. So zeigen z. B. alle Edelgase und alle Stoffe mit edelgasähnlichen Ionen (K+, Ca + + , Cl - , S~~ usw.) oder edelgasähnlichen Atomen (wie dies bei den meisten organischen Verbindungen der Fall ist) D i a m a g n e tismus. Ähnliches gilt für das Nebensystem des Periodensystems (s. Tafel am Schluß des Buches), wobei die E d e l m e t a l l e die Rolle der E d e l g a s e einnehmen. So sind z. B. die Kapfer(I)- und Cadmium(II)-ionen, die den Alkalimetall- und Erdalkalimetall-ionen des Hauptsystems entsprechen, diamagnetisch. Wie der französische Chemiker P . P A S C A L gezeigt hat, läßt sich die d i a m a g n e t i s c h e S u s z e p t i b i l i t ä t eines Moleküls in erster Näherung additiv aus empirischen E i n z e l werten für die Atome (^ Atom ) und Bindungen (^Bindung) des Moleküls zusammense>zen.

Zdla "" "^Atom + ^Bindum;-

(,0)

Die Gruppe der seltenen Erdmetalle

496

Diese Regel ermöglicht es einerseits, bei mehreren möglichen K o n s t i t u t i o n e n eines Moleküls durch Vergleich der für die einzelnen Formeln b e r e c h n e t e n Susz e p t i b i l i t ä t e n mit dem e x p e r i m e n t e l l e r m i t t e l t e n W e r t die richtige Strukturformel zu finden (vgl. unten), und gestattet es andererseits, bei p a r a m a g n e t i s c h e n Stoffen, bei denen ja nur die Gesamtsuszeptibilität (7) bestimmbar ist, den diamagnetischen Anteil zu errechnen und damit auch den parainagnetischen Anteil £Para zu erfassen.

A n d e r e G r ö ß e n , die sich in ähnlicher Weise wie die molare diamagnetische Suszeptibiliiät X -- x ' T'noi a d d i t i v a u s A t o m - und B i n d u n g s i n k r e m e n t e n zusammensetzen lassen und daher wie diese zur Lösung von Konstitutionsfragen herangezogen werden können, sind der Para/ na 1 chor P - y'U • F M o l ; vgl. S. 392f.,496f.) und die Molrefraktion R - - r - FMol r = ; n - Licht\

n

+

l

brechungsquotient). Alle drei Größen stellen, wie ersichtlich, ein Maß f ü r die M o l e k u l a r v o l u m i n a F M o 1 von Stoffen u n t e r b e s t i m m t e n E x p e r i m e n t a l b e d i n g u n g e n (bei der molaren Suszeptibilität: bei gleichen diamagnetischen S u s z e p t i b i l i t ä t e n ; beim Parachor: bei gleichen O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g e n ; bei der Molrefraktion: bei gleichen B r e c h u n g s q u o t i e n t e n ) dar. Auch der einfache Vergleich der Molekularvolumina F M o i beim S i e d e p u n k t von Flüssigkeiten ermöglicht bereits eine additive Berechnung der Volumina aus Einzelwerten („Koppsche Regel"). In welcher Art und Weise die genannten Größen zur Lösung chemischer Strukturprobleme verwendet werden können, sei im folgenden am Beispiel des P a r a c h o r s gezeigt, der besonders empfindlich auf Strukturfeinheiten anspricht. Der Parachor. Wie der englische Physikochemiker S . S U G D E N gezeigt hat, ist der Ausdruck P =

„ V1

M

, d

(11)

d

tl.— d.

(y — Oberflächenspannung in dyn/cm, M = Molekulargewicht, dt\% = Dichte der Flüssigkeit in g/cm 3 , d KCrOF 4 , KCr0 2 F 2 ) K 2 CrOCl 6 , Na 3 Cr0 4 , Ba 3 (Cr0 4 ) 2 , K 3 Cr0 8 ). Die w i c h t i g s t e n Verbindungen sind die vom s e c h s w e r t i g e n Chrom abgeleiteten C h r o m a t e und D i c h r o m a t e , welche in ihrer Zusammensetzung den S u l f a t e n und D i s u l f a t e n entsprechen.

b) Chrom(VI)-Verbindungen a) Chromate Darstellung. Das A u s g a n g s m a t e r i a l für die Gewinnung von C h r o m a t e n ist der C h r o m e i s e n s t e i n FeO -C^Og, dessen Gehalt an Cr2Os meist zwischen 40 und 55°/ 0 schwankt. Da das Chrom im Chrom ei senstein als d r e i w e r t i g e s Element vorhanden ist (Cr 2 0 3 ), während sich die Chromate Me 2 Cr0 4 vom Chrom(VI)-oxyd Cr0 3 mit s e c h s w e r t i g e m Chrom ableiten (H 2 Cr0 4 ^ z i H¡¡0 + CrOs), muß der Chromeisenstein o x y d i e r t werden. Als O x y d a t i o n s m i t t e l dient in der T e c h n i k die L u f t , und zwar wird das feingemahlene Material mit K a l k und S o d a gut gemischt und unter reichlicher L u f t z u f u h r in Tellerdrehöfen oder Drehrohröfen auf 1100—1200° erhitzt: 2FeO • Cr203 + 4Na2C03 + 3.502 —>- Fe 2 0 3 + 4Na2Cr04 + 4C0 2 . Der K a l k z u s c h l a g verhindert das Zusammenschmelzen der Soda und hält auf diese Weise die Masse porös, so daß die Luft ungehindert als Oxydationsmittel hinzutreten kann. Das entstehende, neben N a t r i u m c h r o m a t Na 2 Cr0 4 auch C a l c i u m c h r o m a t CaCr0 4 enthaltende Röstgut wird in Druckautoklaven bei über 100° mit S o d a l ö s u n g ausgelaugt, wobei auch das Calciumchromat als N a t r i u m c h r o m a t in Lösung geht (CaCr0 4 + Na 2 C0 3 —>- Na 2 Cr0 4 + CaC0 3 ). Die filtrierte oder der Gegenstrom-Dekantation (S. 423) unterworfene Flüssigkeit wird konzentriert und zwecks Bildung des chromreicheren N a t r i u m d i c h r o m a t s Na 2 Cr 2 0 7 noch heiß mit konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e versetzt: 2Na2Cr04 + H 2 S0 4 -—>- Na2Cr207 + Na2S04 -f HaO. Hierbei fällt der größte Teil des gleichzeitig gebildeten N a t r i u m s u l f a t s aus; der andere Teil scheidet sich beim Eindicken ab. Aus der heiß filtrierten Lösung kristallisiert beim Erkalten das D i h y d r a t Na 2 Cr 2 0 7 • 2H a O je nach der Schnelligkeit der Abkühlung in feinen orangeroten Nadeln oder in großen Kristallen aus, die nach dem Abschleudern entweder bei 40—50° getrocknet oder geschmolzen werden. Dieses N a t r i u m d i c h r o m a t Na 2 Cr 2 0 7 • 2 H 2 0 ist das t e c h n i s c h w i c h t i g s t e C h r o m a t . Durch Umsetzung mit K a l i u n i c h l o r i d kann es in K a l i u m d i c h r o m a t umgewandelt werden (Na 2 Cr 2 0 7 + 2KC1 — K ^ O , + 2NaCl). Im L a b o r a t o r i u m benutzt man zur Oxydation von Chrom(III)-oxyd zu Chromat S a l p e t e r als Oxydationsmittel („Oxydationsschmelze")-.

Das Chrom

509

Cr s 0 3 + 2Na 2 CO s + 3KNO, — 2 N a 2 C r 0 4 + 3KNO, + 2C0 2 .

Eine große technische Bedeutung hat auch die R e g e n e r i e r u n g v o n C h r o m a t aus den in den Farbstoff-fabriken anfallenden schwefelsauren C h r o m ( I I I ) - s u l f a t l ö s u n g e n (vgl. unten). Sie erfolgt heute ausschließlich auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e durch a n o d i s c h e O x y d a t i o n : 2Cr" + 7H a O

CtjO," + 1 4 H ' + 6 © .

(1)

Als E l e k t r o d e n dienen B l e i - e l e k t r o d e n ; Kathoden- und Anodenraum sind durch ein Tondiaphragma voneinander getrennt. Die regenerierten sauren Dichromatlösungen dienen in Umkehrung von Gleichung (1) zu neuen Oxydationszwecken (3). Im K a t h o d e n r a u m erfolgt bei der Chromsäure-Regenerierung eine Wasserstoffentwicklung, also A b n a h m e der Säure-konzentration (6H' + 6 @ —>• 3H 2 ), im Anodenraum dagegen gemäß (1) eine Z u n a h m e der Wasserstoffionen-konzentration. Daher verfährt man in der Praxis so, daß man jeweils nur die säurereiche Anodenflüssigkeit zu neuen Oxydationszwecken benutzt, während die an Säure verarmte Kathodenflüssigkeit anschließend in den Anodenraum und die ausgebrauchte Chromatlösung des Oxydationsbetriebea in den Kathodenraum übergeführt wird usw.

Eigenschaften. Säuert man die v e r d ü n n t e Lösung eines Chromats mit v e r d ü n n t e r Säure an, so schlägt die g e l b e Farbe der C h r o m a t l ö s u n g in die o r a n g e n e Farbe des D i c h r o m a t s um, da das beim Ansäuern primär entstehende Hydrogenchromat (Cr0 4 " + H " — > • HCr0 4 ') nicht wie das entsprechende Hydrogensulfat (S. 211) erst in der Hitze und bei Wasserausschluß, sondern bereits in wässeriger Lösung und bei Zimmertemperatur Wasser abspaltet (2HCrQ 4 ' —>- H„Q -{- Cr 2 0 7 "): 2Cr0 4 " + 2H' gelb

Cr 2 0 7 " + H a O.

(2a)

orange

Entsprechend diesem Gleichgewicht (2a) enthält jede Chromatlösung auch Dichromationen und jede Dichromatlösung auch Chromat-ionen. Durch Vergrößerung und Verkleinerung der Wasserstoffionen-konzentration kann das Gleichgewicht willkürlich nach rechts und links verschoben werden. Hiervon macht man z. B. zur qualitativen Trennung von B a r i u m und S t r o n t i u m Gebrauch, indem man in einer Dichromatlösung durch Einstellung eines bestimmten p B -Wertes (abgestumpfte essigsaure Lösung) eine Chromationen-konzentration erzeugt, die zur Ausfällung von B a r i u m c h r o m a t (LBaCro, = 1CT9-'), nicht aber zur Überschreitung des größeren Löslichkeitsprodukts von S t r o n t i u m c h r o m a t (LSrcro, = KT4-1) ausreicht. I n k o n z e n t r i e r t e r und s t ä r k e r s a u r e r Lösung findet eine K o n d e n s a t i o n über die Stufe des Dichromats hinaus unter Bildung von T r i c h r o m a t Cr 3 O 10 ", T e t r a c h r o m a t Cr 4 0 1 3 " und noch höheren „Polychromaten" [Cr n 03 n + i ] " s t a t t ; z. B . : 2Cr s O," + 2H' ^=±1 Cr 4 O l3 " + H 2 0 , allgemein: 2Cr n 0 3 n + 1 " + 2H'

v Cr n -0 3n . +1 " + H 2 0

(2b) (n' = 2n).

(2o)

Parallel damit verschiebt sich die Farbe der Lösung vom ursprünglichen G e l b über O r a n g e nach H o c h r o t hin. Versetzt man schließlich eine k o n z e n t r i e r t e Chromatlösung mit k o n z e n t r i e r t e r Schwefelsäure, so erhält man das intensiv rote, polymere Chromsäure-anhydrid (Cr0 3 )j, da sich unter der wasserentziehenden Wirkung der Schwefelsäure keine Polychromsäure H 2 Cr n 0 3 n + 1 bilden kann: mH 2 Cr n 0 3 n + 1

>. (Cr03)x + m H 2 0 (x = m-n).

(2d)

Die c h a r a k t e r i s t i s c h s t e Eigenschaft der Chromate ist ihre starke o x y d i e r e n d e W i r k u n g , da sie ein großes Bestreben haben, in die Stufe des d r e i w e r t i g e n (grünen) Chroms überzugehen: C r 0 l " + 8H' + 3 0 — C r ' " + 4H 2 0, Cr 2 0 7 " + 14H' + 6 © — > - 2Cr'" + 7H s O.

(3)

510

Die Chromgruppe

Die Oxydationswirkung ist, wie aus vorstehenden Gleichungen hervorgeht, in saurer Lösimg besonders stark. Daher finden schwefelsaure D i c h r o m a t l ö s u n g e n in der T e c h n i k (z.B. in Farbstoff-fabriken) ausgedehnte Verwendung zu O x y d a t i o n s zwecken. Das Chrom geht beim Oxydationsprozeß in Chrom(III)-sulfat über (3), das elebtrolytisch in Umkehrung von (3) wieder in Dichromat zurückverwandelt wird (1). Die den normalen Chromaten zugrunde liegende Chromsäure H 2 Cr0 4 , die zum Unterschied von der (stärkeren) Schwefelsäure H 2 S 0 4 nur in verdünnter wässeriger Lösung bekannt ist, ist in erster Stufe (H 2 Cr0 4 H' + HCr0 4 ') s t a r k , in zweiter Stufe (HCr0 4 ' < > H' + Cr0 4 ") dagegen nur sehr wenig dissoziiert. Dementsprechend reagieren die Alkalichromate in wässeriger Lösung alkalisch: Cr0 4 " + HÖH HCr04' + OH'. Die HydrogenchromateYLGiO^, die ebenfalls zum Unterschied von den Hydrogensulfaten HS0 4 ' nur in wässeriger Lösung bekannt sind, reagieren naturgemäß in rein wässeriger Lösung schwach sauer. Das gleiche gilt von den Dichromaten Cr 2 0 7 ", die ja mit den HydrogenChromaten im Gleichgewicht stehen (S. 509). Das schwerstlösliche Chromat ist das rote Quecksilber{I)chromat Hg 2 Cr0 4 . Es löst sich zum Unterschied von allen anderen schwerlöslichen Chromaten (z. B . Bleichromat PbCr0 4 , Bariumchromat BaCr0 4 ) auch nicht in verdünnter Salpetersäure und wird zur quantitativen Fällung und Bestimmung von Chrom benutzt, da es beim Glühen in das direkt wägbare Chrom (III)-oxyd Cr2Oa übergeht. Das gelbe Bleichromat PbCr0 4 dient unter dem Namen „Chromgelb" als Malerfarbe (S. 360). Chrom(VI)-oxyd CrOj. Das den Chromaten zugrunde liegende und aus ihnen durch Zusatz konzentrierter Schwefelsäure (vgl. S. 509) gewinnbare Chrom(VI)-oxyd Cr0 3 bildet lange, rote, leicht lösliche, bei 198° schmelzende Nadeln, die sich in viel Wasser mit gelber Farbe zu Chromsäure, in wenig Wasser mit g e l b l i c h r o t e r bis r o t e r Farbe zu P o l y c h r o m s ä u r e n lösen. Es zersetzt sich bei 250° leicht in Chrom(III)-oxyd Cr„0 3 und Sauerstoff: _„. . , „ „ „ . „ „ , _ 2 3 5.3 kcal + 2CrOs >- Cr203 + 17a Oa und stellt wegen der leichten Sauerstoffabgabe ein sehr k r ä f t i g e s O x y d a t i o n s m i t t e l dar. So kann man beispielsweise seine wässerige Lösung nicht durch Papierfilter filtrieren, da diese oxydiert werden. Leitet man trockenes Ammoniak über Cr03-Kristalle, so wird es unter Feuererscheinung zu S t i c k s t o f f oxydiert: 2NH„ + 2CrOs >- Na + Cr,03 + 3H 2 0 + 109 kcal. (4) Erhitzt man daher einen großen Ammoniumdichromat-Kristall an einer Stelle: (NH4)2Cr207 —>- 2NH 3 + 2 C r 0 3 + H 2 0 , so schreitet die gemäß (4) beginnende Reaktion unter lebhaftem Glühen und Rauschen (Stickstoffentwicklung) und unter Bildung von lockerem, grünem Cr203-Pulver durch die ganze Masse hindurch fort. Chromylchlorid CrOjCl^. Als Chlorid der Chromsäure kann das Chromylchlorid Cr02Cl2 durch Einwirkung von Salzsäure auf Chromsäure gewonnen werden: OH + HCl /C1 + HÖH OaCr< . (5) O a Cr/ XC1 + HÖH NOH l + HCl Da die Reaktion umkehrbar ist und das Chromylchlorid durch Wasser leicht wieder rückwärts in Chromsäure und Salzsäure zerlegt wird, muß man bei der Darstellung das entstehende Wasser durch k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure binden. Dementsprechend erhitzt man ein Gemisch von K a l i u m c h r o m a t (oder -dichromat) und K a l i u m c h l o r i d mit k o n z e n t r i e r t e r Schwefelsäure. Das Chromylchlorid destilliert dabei als dunkelrote Flüssigkeit vom Siedepunkt 116.7° und Erstarrungspunkt —96.5° ab. In analoger Weise entsteht aus Kaliumchromat und wasserfreier Flußsäure das gasförmige, braune Chromylfluorid Cr0 2 F 2 .

Das Chrom

511

In der a n a l y t i s c h e n Chemie macht man von der umkehrbaren Reaktion (5) zum N a c h weis von Chloriden neben Bromiden und Jodiden Gebrauch, indem man die auf Chloride zu prüfende Substanz nach Zusatz von D i c h r o m a t mit k o n z e n t r i e r t e r Schwefelsäure (Verschiebung des Gleichgewichts (5) nach rechts) erhitzt und die entstehenden Dämpfe in N a t r o n l a u g e (Verschiebung des Gleichgewichts (5) nach links) einleitet. Die Anwesenheit von Chloriden gibt sich dabei durch die Bildung von gelbem C h r o m a t zu erkennen, das als solches nachgewiesen werden kann. B r o m i d e und J o d i d e gehen bei der Reaktion zum Unterschied von den Chloriden in elementares Brom und J o d über.

ß) Peroxy-chromate Es existieren zwei Hauptgruppen von Peroxy-Verbindungen des Chroms. Die Verbindungen der einen Gruppe (Me2Cr2012) werden aus D i c h r o m a t e n gewonnen („Peroxy-dichromate") und sind blau. Die Verbindungen der anderen Gruppe (Me3Cr08) entstehen aus Chromaten („Peroxy-chromate") und sind rot. Peroxy-dichromate MesCr20|2. Die Peroxy-dichromate Me2Cr2012 werden zweckmäßig durch vorsichtiges Zugeben von 30°/0igem W a s s e r s t o f f p e r o x y d zu Dic h r o m a t l ö s u n g e n unter Eiskühlung gewonnen: Cr a O," + 5H 2 O a — >

Cr 2 0 1 2 " + 5 H 2 0 .

Sie bilden dunkelblaue Kristalle und unterscheiden sich in ihrem Aufbau dadurch von den Dichromaten, daß fünf Sauerstoffatome des Dichromat-moleküls (a) durch 0 2 Gruppen (Peroxy-gruppen) ersetzt sind (b): O O O Cr O Cr O Me+ Me+ O O (a)

0¡¡ 02 O Cr 0 2 Cr O Me+ Me+" 0,

(b)

(1)

OJ2 ,

Somit stellen die Peroxy-dichromate eine wesentlich höhere Oxydationsstufe als die Peroxy-disulfate dar, bei denen nur das Brückensauerstoffatom zwischen den beiden Zentralatomen durch eine Peroxygruppe ersetzt ist (S. 202). Das Chromatom ist in den Peroxy-dichromaten wie in den Dichromaten sechswertig, da durch die Anlagerung von Sauerstoffatomen an die 0-Atome des Dichromat-ions ^Cr: 0 : + 0 : —>- Cr: O: O: j naturgemäß nichts an der Valenzbetätigung der sechs Außenelektronen des Chroms geändert wird. Die blauvioletten, wässerigen Lösungen der Peroxy-dichromate zersetzen sich leicht unter S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g und Rückbildung der ursprünglichen DiChromate: ^ ^ ^ + ^ ^ Bei gleichzeitiger Gegenwart von W a s s e r s t o f f p e r o x y d führt die Reduktion in saurer Lösimg darüber hinaus bis zur Stufe des dreiwertigen Chroms (H 2 Cr 2 0 12 + 8H 2 0 2 —»» Cr 2 0 3 + 9H 2 0 + 80 2 ). Genau wie sich die Dichromate (la) auch als Anlagerungsprodukte von Cr0 3 an Chromate Cr0 4 " auffassen lassen, kann man die Peroxy-dichromate (lb) auch als Additionsverbindungen von Cr0 6 an Peroxy-chromate C r 0 7 " ansehen, wobei sich das Chromperoxyd Cr0 5 vom Chromoxyd Cr0 3 gemäß (1) durch Ersatz zweier Sauerstoffatome durch Peroxygruppen ableitet:

0 OCr 0

02 O Cr 02

(a)

(b)

(2)

Schüttelt man wässerige blaue P e r o x y - d i c h r o m a t l ö s u n g e n mit Äther aus, so läßt sich dieses Chromperoxyd Cr0 6 (2 b) als beständige blaue Ä t h e r - A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g Cr0 6 • 0 R 2 in den Äther überführen. Hiervon macht man zum analytischen Nachweis von

Die Chromgruppe

512

C h r o m a t e n und D i c h r o m a t e n Gebranch, indem man eine mit Äther versetzte schwefelsaure Wasserstoffperoxydlösung mit der auf Chromat zu prüfenden Lösung schüttelt; die Anwesenheit von Chromat macht sich dann durch eine intensive B l a u f ä r b u n g der — spezifisch leichteren und daher auf der wässerigen Lösung schwimmenden — Ä t h e r s c h i c h t bemerkbar.

Peroxy-chromate Me^CrOg. Die roten Peroxy-chromate Me3Cr08 entstehen bei der Einwirkung von 30%igem W a s s e r s t o f f p e r o x y d auf a l k a l i s c h e Chromatlösungen bei Eiskühlung. Bei dieser Umsetzung wären eigentlich Peroxy-chromate der Zusammensetzung Me2Cr08 zu erwarten (3). Diese sind aber nicht faßbar und gehen als starke Oxydationsmittel unter Oxydation von OH' zu H 2 0 2 (2 OH' — v H 2 0 2 + 2 0 ) in Peroxy-chromate Me3Cr08 mit fünfwertigem Chrom über (Cr0 8 " + © — > Cr0 8 "'): 2Cr(Y + 8HaOa

-*- 2Cr(Oa)4" + 8HaO

(3) (4)

2 C t 0 4 " + 7H 2 O a + 2 OH'

+ 8H20.

(5)

2CrO, " + 2 OH'

2Cr08"' + H202

Der Zusammenhang zwischen dem Peroxychromat-ion Cr0 8 "' (6b) und dem Chromation Cr0 4 " (6a) geht aus folgender Gegenüberstellung hervor: O

0 Cr O

0

Oa

Me+ Me+

0 a Cr 0 2

Oa

(a)

Me+ Me+ Me+

(6)

(b)

aus der man ersieht, daß die Sauerstoffatome des Cr0 4 -Ions durch Peroxygruppen ersetzt sind. Auch andere Metalle Me, z.B. Titan, Zirkon, Niob, Tantal, Molybdän, Wolfram und Uran sind imstande, Peroxyverbindungen mit der Atomgruppierung Oa >-8 0 , Me 0 a Oa zu bilden, wobei n die Gruppennummer und Wertigkeit des Zentralatoms darstellt. Die von der Gruppennummer VI abweichende F ü n f Wertigkeit des Chroms in den Peroxy-chromaten Cr0 8 "' wird durch die Isomorphie der Peroxy-chromate mit den Peroxy-niobaten Me 3 [Nb0 8 ] und Peroxy-tantalaten Me 3 [Ta0 8 ] sowie durch magnetische Messungen (S. 499) bewiesen. Auch das dem Chrom benachbarte Mangan ist befähigt, mit niedrigerer als der Gruppenwertigkeit in Peroxyverbindungen des obigen Typus einzutreten.

c) Chrom(III)-Verbindungen Chrom (III)-hydroxyd Cr(OH)3 fällt beim Versetzen einer Chrom(III)-salzlösung mit Ammoniak als bläulich-graugrüner, wasserreicher Niederschlag aus. Als amphoteres Hydroxyd löst es sich wie Aluminiumhydroxyd A1(0H)3 sowohl in Säuren wie in B a s e n auf. Im ersteren Falle entstehen Chrom(III)-salze Cr*" (s. unten), im letzteren Chromite Cr(OH)4' (tiefgrün): Cr'"

Cr(OH):{

+0H

' > Cr(OH)/.

Die Chromite (vgl. das auf S.385f. Gesagte) haben im wasserfreien Zustande die Formel Me'CrOa (Cr(OH) 4 '—Cr0 2 ' + 2H 2 0). Der natürliche Chromeisenstein ist z. B. ein E i s e n c h r o m i t Fe ir (Cr0 2 ) 2 . Beim Erwärmen geht das Chrom(III)-hydroxyd leicht unter Wasserabspaltung in das Chrom(III)-oxyd Cr 2 0 8 über: 2Cr(OH)3—v Cr 2 0 3 + 3H 2 0.

513

Das Chrom

Chrom (III)-oxyd Cr ä 0 3 hinterbleibt ganz allgemein beim Glühen höherer Sauerstoffverbindungen des Chroms als graugrüner, in Wasser, Säuren und Alkalien unlöslicher, erst bei 2200° schmelzender Rückstand: 2CrOa — ^ Cr 2 0, + 1V 2 0 2 . Entsprechend seiner a m p h o t e r e n Natur geht es beim Abrauchen mit S c h w e f e l s ä u r e in C h r o m ( I I I ) - s u l f a t und beim Verschmelzen mit A l k a l i e n bei Luftabschluß in C h r o m i t e bzw. in oxydierendem Medium in C h r o m a t e über (S. 508f.). Da es Glasflüsse schön grün färbt, wird es zum Färben von Glas und Porzellan benutzt (S. 341, 346). Ebenso ist es als grüne Malerfarbe geschätzt. Chrom (III)-Chlorid CrClj. W a s s e r f r e i e s Chrom(III)-chlorid CrCl3 sublimiert beim Erhitzen von metallischem C h r o m oder von C h r o m ( I I I ) - o x y d und K o h l e im C h l o r s t r ö m ab und kondensiert sich in Form glänzender, pfirsichblütenroter Kristallblättchen. I n reinem Zustande ist es i n W a s s e r u n l ö s l i c h . I n Gegenwart von S p u r e n C h r o m ( I I ) - s a l z löst es sich dagegen unter starker Wärmeentwicklung leicht als H e x a h y d r a t CrCl3 • 6 H 2 0 mit d u n k e l g r ü n e r Farbe auf. Beim Stehen färbt sich die Lösung langsam heller b l a u g r ü n , um schließlich eine v i o l e t t e Farbe anzunehmen. Dieser F a r b w e c h s e l beruht auf einer „Hydrat-isomerie" (S. 514), indem das beim Lösen primär k o m p l e x g e b u n d e n e Chlor allmählich im Austausch gegen Wasser in i o n o g e n g e b u n d e n e s Chlor übergeht: [CrCl3(HaO)3] -3HäO

[CrCla(Ha04)]Cl • 2H,0 ^

(noch nicht isoliert)

dunkelgrün

[CrCl(HaCy]Cl2 -HaO

[Cr(HaO),]Cla.

hellgrün

violett

Beim E r w ä r m e n der violetten Lösung spielt sich der umgekehrte Vorgang ab, so daß die Lösung wieder g r ü n wird; nach dem Erkalten wird die Lösung allmählich von neuem v i o l e t t usw.

Die drei letztgenannten Chrom(III)-chlorid-Hydrate CrCl3 • 6 HaO der obigen Komplexreihe, die sich mit Thionylchlorid SOCl2 (S. 196) leicht zum wasserfreien Chrom(III)-chlorid entwässern lassen, können einzeln isoliert werden. Ihre K o n s t i t u t i o n geht eindeutig aus dem Verhalten gegenüber S i l b e r n i t r a t l ö s u n g und beim vorsichtigen E n t w ä s s e r n im Exsiccator hervor, da jeweils nur die ionogen g e b u n d e n e n (außerhalb der eckigen Klammer geschriebenen) Chloratome als S i l b e r c h l o r i d fällbar sind und die als K r i s t a l l wasser gebundenen (außerhalb der eckigen Klammer geschriebenen) Wassermoleküle leichter als die komplex gebundenen abgegeben werden. Auch folgt die Konstitution der einzelnen „Hydrat-isomeren" aus dem elekt r i s c h e n L e i t v e r m ö g e n A (S. 95) und aus der G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g At (S. 94f.) der Lösung, da Leitfähigkeit und Gefrierpunktserniedrigung bei gleicher molarer Konzentration naturgemäß mit der Zahl der Ionen wachsen, in die das Salz dissoziiert ( / l g ^ = A K a y o n e n + A Anionen» ^ ( Salz

=

^

1

Kationen + ^ ^Anlernen)-

Chrom (III)-sulfat C r ^ S O ^ , das in Form gelatineartiger, tiefdunkelgrüner Blätter („in lamellis") in den Handel kommt, entsteht beim Auflösen von C h r o m (III) - h y d r o x y d in S c h w e f e l s ä u r e und kristallisiert bei längerem Stehenlassen der Lösung in Form violetter Kristalle der Zusammensetzung Cr 2 (S0 4 ) 3 • 1 2 H 2 0 aus, welche die Konstitution [Cr(H 2 0) 8 ] 2 (S0 4 ) 3 besitzen. Die v i o l e t t e Farbe der wässerigen Lösung schlägt beim Erwärmen in g r ü n u m , da hierbei — in Analogie zu der beim Chrom(III)chlorid geschilderten Erscheinimg — komplex gebundenes Wasser durch Sulfatgruppen ersetzt wird. Chromalaun KCr(S04)ä • 12H 2 0 kristallisiert aus mit K a l i u m s u l f a t versetzten C h r o m ( I l l ) - s u l f a t l ö s u n g e n in Form großer, dunkelvioletter Oktaeder von bis zu mehreren Zentimetern Kantenlänge (bei geeigneter Kristallisation sogar in Form kilogrammschwerer Kristalle) aus. E r dient wie das Chrom (III)-sulfat zur Gerbung von Leder („Chromgerbung"; „Chromleder").

d) Chrom(II)-Verbindungen Die C h r o m ( I I ) - V e r b i n d u n g e n zeigen eine sehr große Neigung, in Chrom(III)Verbindungen überzugehen, und sind daher s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l : H o l l e m a n - W l b e r g , Anorganische Chemie. 3 7 . - 8 9 . Aufl.

33

514

Die Chromgruppe Cr" — > - Cr - " +

©.

Dementsprechend lassen sie sich umgekehrt aus Chrom (III)-Verbindungen nur bei Einwirkung s t a r k e r Reduktionsmittel gewinnen. So erhält man z. B. eine Lösung von Chrom(II)-chlorid CrCl2 durch Reduktion einer salzsauren Chrom (III)-chloridlösung mit Z i n k bei Luftabschluß: 2Cr'" + Zn

2Cr" + Zn".

Die himmelblaue Lösung, die an der Luft rasch Sauerstoff aufnimmt, ist auch bei Ausschluß von Sauerstoff nicht lange haltbar, da das Chrom (II )-chlorid in der salzsauren Lösung, namentlich bei Gegenwart von Katalysatoren oder beim Erwärmen, gemäß dem negativen Normalpotential des Cr"-ions (S. 168) unter Wasserstoffentwicklung wieder in grünes Chrom(III)-chlorid übergeht: Cr" + H" —

Cr"" + I/ 2 H 2 .

Im wasserfreien Zustand ist das Chrom(II)-chlorid farblos. Verhältnismäßig beständig ist wegen seiner Schwerlöslichkeit das rote Chrom(II)-acetat Cr(CH3COO)2. Es kann daher zur Darstellung von Chrom (II)-salzlösungen dienen. So entsteht z. B. bei der Einwirkung von S a l z s ä u r e eine blaue Chrom(II)-chloridlösung. Das Chrom{II)-hydroxyd Cr(OH)2 ist gelb und läßt sich nicht zu einem Chrom(II)-oxyd CrO entwässern.

e. Isomerie komplexer Verbindungen Der beim Chrom (III)-chlorid CrCl3 • 6 H 2 0 (S. 513) behandelte Fall der Hydrat isomerie ist ein Spezialfall der „Isomerie", unter der wir ganz allgemein die Erscheinung verstehen, daß zwei physikalisch und chemisch voneinander verschiedene Stoffe dieselbe Zusammensetzung und Molekulargröße besitzen. Ist die Isomerie — wie im Falle des Chrom (III)-chlorids — auf eine v e r s c h i e d e n e A t o m v e r k e t t u n g innerhalb des Moleküls zurückzuführen, so spricht man von „Struktur-isomerie". Ist auch die Atomverkettung in den isomeren Molekülen die g l e i c h e und unterscheiden sich diese lediglich in der r ä u m l i c h e n L a g e r u n g der Atome, so liegt „Stereo-isomerie" vor. Struktur-isomerie. Die Struktur-isomerie, für die es namentlich in der organischen Chemie zahllose Beispiele gibt (vgl. II, S. 26ff.), äußert sich bei den anorganischen Komplexverbindungen meist darin, daß einzelne Liganden gegenseitig ihre Plätze v e r t a u s c h e n . So kann beispielsweise ein S ä u r e r e s t einmal i o n o g e n und einmal k o o r d i n a t i v gebunden sein („Ionisations-isomerie"): [PtCl 2 (NH 3 ) 2 ]Br 2 [CoCl(N0 2 )(NH 3 ) 4 ]Cl

und und

[PtBr 2 (NH 3 ) a ]Cl 2 , [CoCl a (NH 3 ) 4 ]N0 2 .

In gleicher Weise tritt häufig die A q u o g r u p p e einmal k o m p l e x gebunden und einmal als K r i s t a l l w a s s e r auf („Hydrat-isomerie"): [CoCl(H 2 0) 2 (NH 3 ) 3 ]Br 2

und

[CoClBr(H 2 0) (NH 3 ) 3 ]Br- H 2 0 ,

[CTC1(H20)b]C1J • H 2 0

und

[CrCl2(HaO)4]Cl • 2 H a 0 .

Ebenso können in Salzen, die aus zwei komplexen Ionen bestehen, die Z e n t r a l a t o m e oder e i n z e l n e L i g a n d e n gegeneinander vertauscht sein („Koordinations-isomerie"): [Cu(NH3)4][Pta4] [Pt(NH 3 ) 4 ][PtCl 4 ]

und und

[Pt(NH 3 ) 4 ] [CuCl 4 ], [PtCl(NH 3 ) 3 ][PtCl 3 (NH 3 )].

Weiterhin besteht z. B. die Möglichkeit, daß die N 0 2 - G r u p p e einmal über den S t i c k s t o f f („Nitrogruppe") und einmal über den S a u e r s t o f f („Nitritogruppe") an das Zentralatom gebunden ist (,,Salz-isomerie"): [Co(N0 2 )(NH 3 ) 6 ]Cl 2

und

[Co(ONO) (NH 3 ) S ]C1 2 .

Das Molybdän

515

Stereo •isomerie. Beruht die Stereo-isomerie darauf, daß zwei an ein Zentralatom gebundene Liganden räumlich einmal b e n a c h b a r t {„Cis-Stellung") und einmal n i o h t b e n a c h b a r t („Trans-StelA lung") sind, so spricht man von „Cis - Trans - Isomerie". So können z. B. in einem Komplex-ion des Typus [MeA4B2]n die beiden Liganden B an den Enden einer K a n t e oder an den Enden einer Diagonale des Oktaeders liegen (Fig. 142). In bestimmten Fällen läßt sich bei dieser Cis-Trans-Isomerie das Cis-Isomere räumlich Tr-a/is-Form C/s-Form in zwei F o r m e n aufbauen, Fig. 142. Cis-Trana-Isomerie von Komplexverb indungen welche sich wie B i l d und dea Typus MeAÍB? Spiegelbild verhalten und nicht zur Deckung zu bringen sind. Dann spricht man von „Spiegelbild-isomerie". Zu derartigen Spiegelbild-isomeren kommt man z. B., wenn in dem oben angeführten Komplex-ion [MeA4B2]n die vier koordinativ einwertigen Reste A durch zwei koordinativ zweiwertige Reste C (z. B. Äthylendiamin („en") NH2 • Spiegeteöerre CH2 • CH 2 _NH 2 oder Oxalat Fig. 143. Spiegelbild-Isomerie von Komplexverbindungen ÖOC • COÖ) ersetzt sind des Typus MeC?B^ (Fig. 143). Die Spiegelbild-isomeren zeichnen sich dadurch aus, daß sie „optisch aktiv" sind, d.h. daß sie die E b e n e des polarisierten L i c h t e s um den gleichen Betrag einmal nach links und einmal nach r e c h t s drehen (II, S. 19f.). Beim Tetraedermodell treten Spiegelbild-isomere immer dann auf, wenn das Zentralatom mit vier verschiedenen Liganden verbunden ist (Näheres s. II, S. 44ff.).

2. Das Molybdän Elementares Molybdän. Das wichtigste Molybdänerz ist der Molybdänglanz MoS¡¡, der sich hauptsächlich in Nordamerika und in Norwegen findet. In Deutschland kommt der Molybdänglanz im Erzgebirge vor. Geringe Mengen von Gelbbleierz PbMo0 4 finden sich in Kärnten und Oberbayern. Zur Gewinnung des Molybdäns oxydiert man den Molybdänglanz durch R ö s t e n zu MoOa, laugt dieses mit Sodalösung aus und reduziert das aus der Lösung durch Säuren wieder gefällte O x y d h y d r a t durch Erhitzen im W a s s e r s t o f f s t r o m ; MoO, + 3 H a — M o

+ 3H,0 . 33»

516

Die Chiomgruppe

Das so gewonnene stahlgraue Pulver kann zu einem zinnweißen, harten, spröden Metall zusammengeschmolzen werden (Smp. 2620°; Sdp. 3700°; spez. Gew. 10.2). Das zur Herstellung von „Molybdänstahl" dienende Molybdän wird dem Eisen nicht als solches, sondern in Form von „Ferromolybdän", einer durch Zusammenschmelzen von Molybdän- und Eisenoxyd mit Kohle im elektrischen Ofen entstehenden Legierung mit 50—85% Mo, zugesetzt. Molybdän ist an der L u f t und gegenüber n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n sehr beständig. Von o x y d i e r e n d e n S ä u r e n oder S c h m e l z e n wird es lebhaft angegriffen. I n seinen Verbindungen tritt es zwei-, drei-, vier-, fünf- und sechswertig auf. Die w i c h t i g s t e n und b e s t ä n d i g s t e n Verbindungen sind die des s e c h s w e r t i g e n Molybdäns. Molybdän Verbindungen. S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n . Das beim Erhitzen vieler Molybdänverbindungen hinterbleibende Molybdän(VI)-oxyd Mo0 3 stellt ein weißes, beim Erhitzen gelb werdendes, in Wasser kaum lösliches Pulver vom Schmelzpunkt 795.2° dar. Es löst sich in Alkalien unter Bildung von Molybdaten. Diese Molybdate haben in alkalischer und neutraler Lösung > 6.5) die Formel Me 2 Mo0 4 . Beim Ansäuern der Lösung wandeln sich die M o n o m o l y b d a t e in H e x a m o l y b d a t e ( p n = 2—5-5) und in D o d e k a m o l y b d a t e (/> H =1.25) um (Näheres hierüber beim Wolfram, S. 517f.). Noch stärkeres Ansäuern (^>H=0.9) führt zur teilweisen Ausfällung von Molybdänoxydhydrat MoO s • x H 2 0 . Dieses löst sich bei weiterer Säurezugabe unter Bildung von Molybdänyl-Verbindungen (Mo0 2 )X 2 wieder auf. Analytisch wichtig ist das Ammoniummolybdat (NH 4 ) 2 Mo0 4 , das in stark salpetersaurer Lösung mit Phosphorsäure einen gelben, kristallinen Niederschlag der Zusammensetzung (NHJjIPÍMojOmJJ bildet (vgl. S. 518). Behandelt man angesäuerte M o l y b d a t l ö s u n g e n mit Reduktionsmitteln wie Z i n k oder S c h w e f e l w a s s e r s t o f f oder s c h w e f l i g e r S ä u r e , so erhält man t i e f b l a u e , kolloide Lösungen von M i s c h o x y d e n des fünf- und sechswertigen Molybdäns {„Molybdänblau"), Die Reaktion dient als empfindlicher N a c h w e i s von Molybdänsäure. H a l o g e n v e r b i n d u n g e n . Molybdän bildet die Chloride MoC12, MoCl3, MoCl4 und MoC18. Das Pentachlorid entsteht beim Erhitzen der Elemente als grünschwarzes, kristallines, bei 194° schmelzendes und bei 268° siedendes Pulver. Bei der Reduktion mittels Wasserstoff geht es in dunkelrotes Trichlorid MoCl3 über, welches sich beim Erhitzen in braunes Tetrachlorid MoCl4 und gelbes Dichlorid MoC12 disproportioniert. Letzteres besitzt nach der Molekulargewichtsbestimmung in Äther das dreifache Molekulargewicht (MoC12)3. Die s e c h s w e r t i g e Oxydationsstufe des Molybdäns ist im Hexafluorid MoF 6 vertreten, das bei schwachem Erwärmen von Molybdän im Fluorstrom als farblose, kristalline, diamagnetische Substanz vom Schmelzpunkt 17° und Siedepunkt 35° entsteht.

3. Das Wolfram a) Elementares Wolfram Vorkommen. Die wichtigsten Wolframerze sind der Scheelit C a W 0 4 , das Scheelbleierz P b W 0 4 und der Wolframit (Mn, F e ) W 0 4 . Die Hauptfundstätten liegen in China und in Nordamerika. In Deutschland finden sich Wolframerze im Erzgebirge. Die Aufarbeitung dieser Mineralien erfolgt meist durch oxydierendes Rösten mit Soda, wobei wasserlösliche Natriumwolframate gebildet werden, die sich durch einfaches Auslaugen des Röstgutes mit Wasser extrahieren lassen. Beim Ansäuern der Lösungen fällt das den Wolframaten zugrunde liegende Wolfram(VI)-oxyd W 0 3 als unlösliches Oxydhydrat aus, welches durch Erhitzen entwässert werden kann.

Daa Wolfram

517

Darstellung. Das reine Metall läßt sich durch Reduktion von W o l f r a m ( V I ) - o x y d mit W a s s e r s t o f f bei 1200° als schwarzgraues Pulver gewinnen: W0 3 + 3H2 —>• W + 3 HjO . Das Pulver wird dann in feste Stücke gepreßt und in einer Wasserstoffatmosphäre elektrisch gesintert. Wegen seines sehr hohen S c h m e l z p u n k t e s (3380°; höchster Schmelzpunkt aller Metalle) dient Wolfram als G l ü h f a d e n in den elektrischen G l ü h l a m p e n (S. 75). Zur Herstellung dieser Wolframfäden wird das bei der Reduktion von W 0 3 erhaltene W o l f r a m p u l v e r mit einigen Prozenten T h o r i u m h y d r o x y d und einem organischen Bindemittel zu einem Brei angerührt und in dieser Form zu F ä d e n ausgepreßt, welche langsam durch einen kleinen auf 2400—2600° e r h i t z t e n Ofen hindurchgezogen werden. Hierbei kristallisiert der Faden, ohne zu schmelzen, zu einem meterlangen „Einkristall". Auch durch H ä m m e r n des Wolframpulvers bei über 1100° und Ausziehen des so gewonnenen Metallstückes durch Ziehdüsen aus Diamant oder Wolframcarbid oder „Widiametall" (Sinterwerkstoff aus Wolframcarbid und 1 0 % Kobalt) bei etwas tieferer Temperatur lassen sich geeignete G l ü h d r ä h t e (von mehreren Kilometern Länge und 0.01 bis 0.02 mm Durchmesser) gewinnen. Das zur Herstellung von „Wolframstahl" dienende Wolfram wird dem Eisen nicht als solches, sondern in Form von „Ferrowolfram" (einer durch Zusammenschmelzen von Wolfram erz und Eisenerz mit Kohle im elektrischen Ofen gewonnenen Eisenlegierung mit 60 bis 80°/0 W) zugesetzt. Eigenschaften. Reines Wolfram ist ein weißglänzendes Metall von enormer mechanischer Festigkeit (spez. Gewicht 19.3), welches bei 3380° schmilzt und bei 6000° siedet. Gegenüber L u f t ist es bei Zimmertemperatur sehr beständig; bei Rotglut verbrennt es zu Wolfram (VI)-oxyd W 0 3 . S ä u r e n — auch Königswasser und Flußsäure — greifen Wolfram nur langsam an; dagegen löst es sich rasch in einem Gemisch von Salpeter- und Flußsäure. Beim Schmelzen mit A l k a l i e n geht es in Wolframate über. In seinen chemischen Verbindungen kann es zwei-, drei-, vier-, fünf- und sechswertig auftreten. Die b e s t ä n d i g s t e Oxydationsstufe ist die s e c h s w e r t i g e .

b) Verbindungen des Wolframs Isopolysäuren. Das beim Glühen vieler Wolframverbindungen im Sauerstoffstrom entstehende gelbe, in Wasser und Säuren unlösliche, bei 1473° schmelzende W o l f r a m ( V l ) - o x y d W 0 3 („Wolframocker") löst sich in starken A l k a l i e n unter Bildung von Wolframaten. Diese W o l f r a m a t e leiten sich in alkalischen Lösungen mit einem ^>H-Wert > 8 von einer Monowolframsäure H 2 W0 4 ab, haben hier also die Zusammensetzung M e n W 0 4 (Monowolframate). Säuert man die Lösungen an, so vereinigen sich die Monowolframationen im £ H -Bereich 6—8 reversibel zu den Ionen einer Hexawolframsäure H 1 2 W a 0 2 4 : H 12 W 6 0 S4 . (1) 6 H2W04 Die Salze dieser Hexawolframsäure sind bis herab zu einem />H-Wert von 1.5 beständig, und zwar kristallisieren aus sauren Lösungen mit einem ^>H-Wert > 4 Salze der Formel Me 6 H 7 W 6 0 24 („Parawolframate") aus, während in s t ä r k e r sauren Lösungen (/>H < 4) s t ä r k e r saure Salze der Zusammensetzung Me 3 H 9 W 6 0 24 entstehen. Aus sehr s t a r k sauren Lösungen (fix < 1.5) fallen mehr oder weniger rasch Hydrate des polymeren W o l f r a m o x y d s (W0 3 ) x aus. K o n z e n t r i e r t man Hexawolframat-lösungen, so kondensieren sich dieHexawolframat-ionen in reversibler Reaktion zu den Ionen einer Dodekawolframsäure H 8 W 12 O 40 („Metawolframsäure"):

518

Die Chromgruppe H8WltO10 + 8 H 2 0 .

(2)

Die Salze dieser Säure kristallisieren ausderLösung inForm v o n D i h y d r o g e n - d o d e k a w o l f r a m a t e n („Metawolframaten") Me 6 H 2 W 1 2 O 4 0 aus; auch die f r e i e S ä u r e H g W 1 2 0 4 ( 1 kann isoliert werden. Heteropolysäuren. Interessant sind die Umsetzungen, die sich beim Zusatz von N i c h t m e t a l l s ä u r e n zu P o l y w o l f r a m s ä u r e - l ö s u n g e n abspielen. So bilden sich z . B . beim Versetzen von H e x a w o l f r a m a t - l ö s u n g e n mit P e r j o d s ä u r e I I 5 J 0 6 oder T e l l u r s ä u r e H 6 T e 0 6 Salze g e m i s c h t e r P o l y s ä u r e n mit den Ionen [J(W»0 M )] 5 -

[TeiW.O«)]«-

(3)

während z. B . bei Zugabe von P h o s p h o r s ä u r e H 3 P 0 4 oder K i e s e l s ä u r e H 4 S i 0 4 zu D o d e k a w o l f r a m a t - l ö s u n g e n Salze des Typus [Si(WI2O40)]>-

[P(W,A0)p-

entstehen:

H 5 j|o, + H l s |w,O t 4

(4)

-V H 5 JW 6 O M + 6 H , 0 ,

H J P J O , + : H?IWlaO40 — V

H,PW„O40 +

4 H , O USW.

Wie ein Vergleich dieser „Heteropolysäuren" (3) bzw. (4) mit den entsprechenden „Isopolysäuren" [ W 6 0 2 4 ] 1 2 _ (1) bzw. [W 1 2 O 4 0 ] 8 - (2) zeigt, kommen diese Heteropolysäuren formal dadurch zustande, daß in das Anion der Isopolysäuren die den genannten Nichtmetallsäuren zugrunde liegenden Kationen J 7 + , Te 6 + , P 5 + bzw. Si 4 + eingebaut w e r d e n :

[W,o24p- + J'+ — [ J ( W , 0 2 4 ) p - , [W 12 O 40 p- + P*+ — ^

[PiW^O«)]'- usw.

Näheren Aufschluß über die inneren Zusammenhänge gibt die Röntgenanalyse, welche zeigt, daß z . B . die P h o s p h o r w o l f r a m s ä u r e [P(W 1 2 O 4 0 )] 3 _ und die M e t a w o l f r a m s ä u r e [ W 1 2 O 4 0 ] 8 - in der T a t den g l e i c h e n B a u besitzen (was auch durch die I s o m o r p h i e der beiden Verbindungen bestätigt wird) und daß ihre Struktur wahrscheinlich durch das nebenstehende (Fig. 144) oder ein ähnliches Bild wiedergegeben wird. Danach stellt die [W 1 2 O 4 0 ] 8 ~-Gruppierung beider Verbindungen eine hohle „Kugelschale" aus 12 Wolframatomen dar, welche o k t a e d r i s c h von je 6 Sauerstoffatomen umgeben sind, die teilweise zwei Wolframatomen gemeinsam angehören. Das I n n e r e dieser aus den 12 Wolfram Oktaedern gebildeten Kugelschale ist im Falle der M e t a w o l f r a m s ä u r e [W 1 2 O 4 0 ] 8 - l e e r , im Falle der P h o s p h o r w o l f r a m s ä u r e [P(W 1 2 O 4 0 )] 3 durch e i n P h o s p h o r - k a t i o n P 5 + ausgefüllt, das t e t r a Fig. 144. Oktaederanordnung e d r i s c h 4Sauerstoffatome mit der [W 1 2 O 4 0 ]^-Grupin den Heteropolysäuren des pierung gemeinsam hat. Typus H n [X(Y M O 40 )] (nach K . F. J A H R )

Wie Fig. 144 zeigt, lassen sich im [W 12 O 40 ] 8- -Ion der Phosphorwolframsäure 4 GruppeD von je 3 Wolframoktaedern erkennen, die mit je einer Spitze des Phosphor-tetraeders verbunden sind. Diese Struktur kann man durch die Formel [P(W 3 O 10 ) 4 ] 3- symbolisieren, nach welcher an die 4 Sauerstoffatome des Phosphat-ions [PO,] 3 - (W03)3-Gruppen angelagert sind.

Die Bildung von H e t e r o p o l y s ä u r e n ist nicht auf das Wolfram beschränkt, sondern findet sich auch bei vielen anderen Metallen. Notwendig ist stets das Zusammentreffen einer mehrbasigen, sauerstoffhaltigen, schwachen M e t a l l s ä u r e mit

Das Uran

519

einer ebenfalls mehrbasigen, sauerstoffhaltigen, schwachen bis höchstens mittelstarken M e t a l l o i d s ä u r e {„Stammsäure"). Als M e t a l l s ä u r e n können z. B. außer Wolframsäure noch Molybdän- und Vanadinsäure, als S t a m m s ä u r e n z. B. Bor-, Kiesel-, Phosphor-, Arsen-, Tellur- oder Perjodsäure auftreten. Wolframblau. Reduziert man frischgefälltes W o l f r a m ( V I ) - o x y d h y d r a t durch Erwärmen mit Z i n n ( I I ) - c h l o r i d oder Z i n k und Salzsäure, so entsteht eine prächtig b l a u e Lösung. Die blaue Farbe ist wahrscheinlich wie beim Molybdän auf ein M i s c h o x y d des fünf- und sechswertigen Wolframs („Wolframblau") zurückzuführen. In ähnlicher Weise kommt man durch teilweise Reduktion von geschmolzenen N a t r i u m w o l f r a m a t e n mit W a s s e r s t o f f oder Z i n n zu prächtig gefärbten, als Deckfarben geschätzten M i s c h Verbindungen („Wolframbronzen") der Zusammensetzung Na x W0 3 (x = 0 bis 1). Chloride. Wolfram bildet die Chloride WC12, WC14, WC16 und WC16. Das Hexachlorid WC16 entsteht bei dunkler Rotglut aus den Elementen und stellt eine schwarz violette, bei 275° schmelzende und bei 347° siedende kristalline Masse dar. Die n i e d r i g e r e n Chloride bilden sich bei der Reduktion des H e x a c h l o r i d s mit W a s s e r s t o f f .

4. Das Uran Elementares Uran. Das wichtigste Uranmineral ist das Uranpecherz (Uranpechblende) U 3 0 8 . Die größten derartigen Pechblendelager finden sich in Belgisch-Kongo (Katanga), in Kanada (am Bärensee) und bei Joachimsthal (Tschechoslowakei). Daneben spielt noch der in Colorado vorkommende Carnotit, ein Uranvanadat K U 0 2 [V0 4 ] • l 1 / a H 2 0 eine gewisse Rolle. Während das metallische Uran bis vor wenigen Jahren keine technische Bedeutung besaß, wird es heute in großen Mengen als Ausgangsmaterial zur Errichtung von A t o m k r a f t a n l a g e n (S. 593 ff.) und zur Erzeugung von A t o m w a f f e n (S. 597) durch Schmelzelektrolyse (z.B. von KUF B oder Na 2 UCl 6 ) gewonnen. Zur Darstellung im L a b o r a t o r i u m benutzt man entweder die Reduktion von U r a n o x y d e n mit A l u m i n i u m , M a g n e s i u m , C a l c i u m oder C a l c i u m h y d r i d oder die Reduktion von U r a n h a l o g e n i d e n mit A l k a l i - oder E r d a l k a l i m e t a l l e n . Im letzteren Fall erhält man das Uran in Form eines schwarzen Metallpulvers, das sich im elektrischen Ofen zu kompakten Stücken zusammenschmelzen läßt (Smp. 1090°; spez. Gew. 18.9). Das metallische Uran sieht ähnlich aus wie Eisen, unterscheidet sich von diesem aber durch sein h o h e s s p e z i f i s c h e s G e w i c h t (Fe: 7.9; U : 18.7). Gegenüber L u f t , S ä u r e n und L a u g e n ist es recht b e s t ä n d i g . Beim Glühen an der Luft verbrennt es zu dem O x y d U 3 0 8 (U0 2 • 2U0 3 ). Mit S t i c k s t o f f vereinigt es sich bei 1000° zu einem braunen N i t r i d U 3 N 4 , mit Wasserstoff zu einem Hydrid UH 3 (spez. Gew. 10.95). In seinen chemischen Verbindungen tritt Uran zwei-, drei-, vier-, fünf- und sechswertig auf. Am beständigsten sind die Verbindungen des v i e r - und sechswertigen Urans. Uran (YI)-Verbindungen. Beim Erhitzen von Uran(VI)-salzen flüchtiger Säuren hinterbleibt das rotgelbe Uran(VI)-oxyd U 0 3 . Es besitzt sowohl s a u r e wie b a s i s c h e Eigenschaften, löst sich also sowohl in Basen wie in Säuren auf. Im ersteren Falle entstehen Uranate U 0 4 ' ' (die sofort in Di-uranate übergehen: 2 U 0 4 " + 2 H" —>- U 2 0 7 " + H 2 0), im letzteren £/ra«y/verbindungen U 0 2 " . Beide leiten sich von der Uransäure (Uranylhydroxyd) U0 2 (0H) 2 ab, welche — zum Unterschied von der gleichgebauten Schwefelsäure S0 2 (0H) 2 — sowohl als S ä u r e wie als B a s e fungieren k a n n : U0 4 " + 2H' — ^ U0 2 (0H) 3 z ^ r i U 0 2 " + 20H'. Dementsprechend gehen auch Uranate und Uranylsalze leicht ineinander über.

Die Chroingruppe

520

I n seinen H a l o g e n v e r b i n d u n g e n tritt das Uran nur gegenüber dem F l u o r sechswertig auf: U P 6 (monokline farblose Kristalle vom Smp. 69.2° bei 2 at Druck und Sblp. 56.2°). Gegenüber C h l o r , B r o m und J o d ist Uran maximal nur fünf- bzw. vierwertig: UC15 (dunkelgrün-graue, sich bei 120° zersetzende Nadeln), UBr 4 (braune Blättchen), U J 4 (schwarze Nadeln vom Smp. 500°). Uran(IV)-Verbindungen. Erhitzt man das Uran(VI)-oxyd U 0 3 im W a s s e r s t o f f s t r o m auf 900°, so geht es in das braune Uran{IV)-oxyd U 0 2 (Smp. 2200°) über, das ausschließlich b a s i s c h e n Charakter besitzt. Beim Glühen an der L u f t geben sowohl U 0 3 wie U 0 2 das grüne U 3 0 8 , das wohl als Uran(IV)-uranat U ( U 0 4 ) 2 aufzufassen ist. Das durch Erhitzen von Uran im C h l o r s t r o m darstellbare dunkelgrüne feste Uran(IV)chlorid UC14 sublimiert (Sblp. 618°) unter Bildung eines roten Dampfes. Uran als Actinidenelement. Auf S.449 wurde bereits darauf hingewiesen, daß Uran in Wirklichkeit kein Homologes des Wolframs, sondern ein Glied der Actinidengruppe ist. Dies geht nicht nur aus dem spektroskopisch ermittelten Bau seiner Elektronenhülle (S. 448) und aus dem Gang der Dichten und Schmelzpunkte in der Chromgruppe hervor: Metall Cr Mo W U

Dichte 6.9 10.2 19.3 18.9

Schmelzpunkt 1920° 2620° 3380° 1090°,

sondern auch aus einer Reihe chemischer Eigenschaften, von denen die folgenden herausgegriffen seien: l.Das sechswertige Uran ist in Form der Uranate gefärbt. Wäre Uran ein Homologes des Wolframs, so müßten die Uranate wie die Molybdate und Wolframate farblos sein, da ganz allgemein in den Nebengruppen die Verbindungen der höchsten Wertigkeitsstufe mit steigendem Atomgewicht farbloser werden (vgl. Mn0 4 ' violett >- Tc0 4 ' rosa >- Re0 4 ' farblos). 2. Die Elemente Chrom, Molybdän und Wolfram bilden im sechswertigen Zustande Isopolysäuren, wobei das Kondensationsbestreben zum Wolfram hin steigt. Demgegenüber bildet das Uran nur Diuranate. 3. In den Nebengruppen nimmt ganz allgemein mit steigendem Atomgewicht die Beständigkeit der höheren Wertigkeit zu, der niedrigeren ab. Man sollte daher bei der Beständigkeit der sechswertigen Wolframverbindungen erwarten, daß die Verbindungen des vierwertigen Urans schwer zugänglich und instabil seien, was der Erfahrung widerspricht. 4. Die Chemie der drei- und vierwertigen Uranverbindungen unterscheidet sich wesentlich von der der analogen Chrom-, Molybdän- und Wolframverbindungen. Während diese polymer sind oder nur in Form von Komplexverbindungen auftreten, liegen beim Uran einfache Ü"'- und U""-kationen vor, die sich in ihren Eigenschaften an die Ac""- und Th""-ionen anschließen. 5. Das Urancarbid UCS (Smp. 2450—2500°) ist zum Unterschied von den legierungsartigen, sehr harten, von Wasser, Säuren und Alkalien nicht angreifbaren Carbiden des Chroms, Molybdäns und Wolframs und in Übereinstimmung mit den analog zusammengesetzten Carbiden MeCa der Lanthaniden salzartig und reagiert mit Wasser unter Bildung von Kohlenwasserstoffen. Analoges gilt für den Vergleich der Nitride und Phosphide. 6. Uran bildet analog den Lanthanidenelementen ein Hydrid UH S , das in seinen Eigenschaften dem Lanthanhydrid LaH, ähnlich ist und wie dieses einen Übergangstypus zwischen salzartigen und legierungsartigen Hydriden darstellt. 7. Urandioxyd U 0 2 kristallisiert wie die Dioxyde des Thoriums, Protactiniums, Neptuniums, Plutoniums und Americiums im Fluorittypus, während die Dioxyde Mo0 2 und W 0 2 ein Rutilgitter bilden. 8. Uran kommt in der Natur nicht vergesellschaftet mit Molybdän und Wolfram, sondern mit Thorium und den Seltenen Erden vor. 9. Während Chrom, Molybdän und Wolfram sehr stabile, „edelgasartige" Hexacarbonyle Me(CO)e bilden (vgl. S. 543f.), konnte vom Uran keine derartige Verbindung dargestellt werden. Das wird verständlich, wenn Uran nicht als Eka-Wolfram, sondern als Actinidenelement (EkaNeodym) betrachtet wird, da dann durch Aufnahme von 6CO-Molekülen nicht wie im Falle des Chroms, Molybdäns und Wolframs die Edelgasschale des nächsten Edelgases (Eka-Radon hat bei Annahme einer Actinidenreihe die Ordnungszahl 118) erreicht wird. Analoge Betrachtungen beim T h o r i u m und P r o t a c t i n i u m zeigen, daß auch diese Elemente weniger als Eka-Hafhium bzw. Eka-Tantal, denn als Actiniden-Elemente (Eka-Cer bzw. Eka-Praseodym) zu betrachten sind, wenn auch der Actinidencharakter in der Richtung vom Uran zum Thorium hin mehr und mehr in den Hintergrund tritt.

Kapitel XXIII

Die Mangangruppe Zur Mangangruppe (7. Nebengruppe des Periodensystems) gehören die Elemente Mangan, T e c h n e t i u m und Rhenium. Das Technetium (Ordnungszahl 43), das man schon einmal in der Natur aufgefunden zu haben glaubte (,,Masurium"), ist bis jetzt mit Sicherheit nur als künstliches radioaktives Zerfallsprodukt1 bekannt (S. 597 f.).

1. Das Mangan a) Elementares Mangan Vorkommen. Mangan ist in der Natur recht verbreitet und am Aufbau der Erdrinde mit 0.08% beteiligt. Die wichtigsten Manganerze sind: der Braunstein (Pyrolusit) Mn0 2 ) der Braunit Mn 2 0 3 , der Manganit Mn 2 0 3 • H 2 0, der Hausmannit Mn 3 0 4 und der Manganspat MnC0 3 . Meist finden sich diese Erze in Gesellschaft von E i s e n erzen. Reiche Lagerstätten liegen an der Ostküste des Schwarzen Meeres, in Indien, in Brasilien und in Afrika. Deutschland ist arm an Manganerzen. Darstellung. Metallisches Mangan kann nicht wie das Eisen durch Reduktion seiner Oxyde mit Kohle gewonnen werden, da man hierbei nur zu Carbiden kommt. Die beste Darstellungsmethode ist die a l u m i n o t h e r m i s c h e : 3 Mns04 + 8 AI >- 9 Mn + 4 A1203 + 602 kcal. Aber auch diese hat keine technische Bedeutung, da das reine Metall praktisch nicht verwendet wird. Von technischer Bedeutimg sind dagegen die Eisen-Mangan-Legierungen mit einem Mangangehalt von 4 — 5 % {„Stahleisen"), 5—20% („Spiegeleisen") und 30—90% („Ferromangan"). Sie dienen hauptsächlich als D e s o x y d a t i o n s m i t t e l bei der Flußstahlerzeugung (S. 531) und zur Gewinnung von „Manganstahl'1 und werden aus einem Gemisch von K o k s , Mangan- und Eisenerzen im Hochofen bzw. elektrischen Ofen gewonnen (vgl. S. 527ff.). Eigenschaften. Metallisches Mangan ist silbergrau, hart und sehr spröde. Es schmilzt bei 1247°, siedet bei 2030° und besitzt ein spezifisches Gewicht von 7.21. Da es in der Spannungsreihe oberhalb des Wasserstoffs steht (S. 167), wird es von Säuren (langsam auch schon von Wasser) unter W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g angegriffen. Beim Erhitzen an der L u f t verbrennt es zu Mn 3 0 4 . In seinen chemischen Verbindungen ist Mangan zwei-, drei-, vier-, fünf-, sechsund siebenwertig. Die bekanntesten Oxydationsstufen sind die des zwei- und siebenwertigen Mangans. Die B a s i z i t ä t (Acidität) der Oxyde nimmt mit steigender Wert i g k e i t des Mangans ab (zu). So ist das Mangan(Il)-oxyd MnO ein ausgesprochenes B a s e - a n h y d r i d : MnO + H 2 0—>• Mn(OH)¡¡, das Mangan(VII)-oxyd Mn207 dagegen ein ausgesprochenes S ä u r e - a n h y d r i d : Mn207 + H 2 0 —>- 2HMn0 4 , während das Mangan(IV)-oxyd MnOa amphoter ist und sich dementsprechend sowohl mit 1

technetos

(TEXVTITÓS)

= künstlich.

522

Die Mangangruppe

Sauren (Mn0 2 + 4H" —s- Mn"" + 2H 2 0) wie mit Basen (Mn0 2 + 2 OH' —>• Mn0 3 " + HjO) umsetzt.

b) Verbindungen des Mangans Mangan (II)-Verbindungen. Das Mangan{II)-oxyd MnO hinterbleibt beim Glühen der höheren Manganoxyde im Wasserstoffstrom als grünlich-graues Pulver, welches sich in Säuren leicht mit schwacher Rosafarbe unter Bildung von Mangan(II)-salzen löst. Das ihm entsprechende Mangan(II)-hydroxyd Mn(OH) 2 fällt beim Versetzen von Mangan(II)-salzlösungen mit Alkalien unter L u f t a b s c h l u ß als w e i ß e r Niederschlag aus, der sich zum Mangan(II)-oxyd MnO entwässern läßt: Mn(OH) 2 —>- MnO + H 2 0 , während MnO durch Wasseranlagerung nicht umgekehrt wieder in das Hydroxyd übergeht. Nimmt man die Fällung des Hydroxyds an der L u f t vor, so färbt sich der weiße Niederschlag infolge Oxydation zu Mangan(IV)-oxydhydrat bald b r a u n . Mangan(Il)-chlorid MnCl2 kristallisiert aus der wässerigen Lösung in Form des blaßroten Tetrahydrats MnCl2 • 4 H 2 0 aus und kann nur durch Erhitzen im C h l o r w a s s e r s t o f f s t r o m zum wasserfreien, weißen, bei 650° schmelzenden Chlorid e n t w ä s s e r t werden, da sonst H y d r o l y s e unter Chlorwasserstoffbildung erfolgt. Das beim Versetzen von Mangan(II)-salzlösungen mit Ammoniumsulfidlösung ausfallende Mangan(II)-sulfid MnS besitzt eine charakteristische Fleischfarbe, welche sonst keinem anderen Sulfid eigen ist. Mangan(II)-sulfat MnS0 4 hinterbleibt beim Abrauchen aller Manganoxyde mit Schwefelsäure bis zur beginnenden Rotglut als weißer Rückstand, der aus wässeriger Lösung je nach der Temperatur als Heptahydrat („Manganvitriol") MnS0 4 • 7 H 2 0 ( < 9°), Pentahydrat („Manganvitriol") MnS0 4 • 5 H 2 0 (9—27°) oder Monohydrat MnS0 4 • H 2 0 ( > 27°) auskristallisiert. Es bildet mit den Alkalisulfaten D o p p e l s a l z e vom Typus K 2 S 0 4 • MnS0 4 • 6H 2 0, welche mit den entsprechenden Verbindungen des Magnesiums, Zinks, Eisens usw. isomorph sind. Mangan (III)-Verbindungen. Mangan(III)-oxyd Mn 2 0 3 entsteht beim Erhitzen des Mangan(IV)-oxyds im Sauerstoffstrom als braunes Pulver und geht bei stärkerem Erhitzen an der Luft in das ebenfalls braun gefärbte Mangan(II,III)-oxyd Mn 3 0 4 , das beständigste Manganoxyd, über. Von konzentrierter Schwefelsäure, Phosphorsäure, Salzsäure wird es unter Bildung rotvioletter, unbeständiger, leicht hydrolysierender Mangan(III)-salze gelöst. Moosgrün gefärbte Hydroxomanganate (111) der Zusammensetzung Me 3 Mn(OH) 6 erhält man, wenn man Hydroxomanganate (II) mit starker Alkalilauge erwärmt: 2Na4Mn(OH)8 + 7 2 0 2 + H 2 0

Na3Mn04.

(2)

Die Verbindung, die aus konzentrierter Natronlauge als Dekahydrat Na 3 Mn0 4 • 10 H 2 0 in Form hellblauer Prismen auskristallisiert und in konz. NaOH schwer, in konz. K O H leicht löslich ist, bildet mit Natriumphosphat, -arsenat und -vanadat M i s c h k r i s t a l l e und steht in stark alkalischer Lösung mit der v i e r - und s e c h s w e r t i g e n S t u f e des Mangans im D i s p r o p o r t i o n i e r u n g s g l e i c h g e w i c h t : +6

1-6

+4

+4HOH

+ 4

2 M n 0 4 " ' ^ = i : Mn0 4 " + MnO/"' ( >- Mn0 2 + 2H 2 0 + 4 OH') . (3) Beim Verdünnen, Ansäuern oder Erhitzen der alkalischen Lösung verschiebt sich das Gleichgewicht (3) nach rechts, so daß die b l a u e Farbe der Lösung unter gleichzeitiger Ausscheidung von Braunstein in die g r ü n e Farbe des Manganats M n 0 4 " umschlägt. Die Erdalkalimanganate(V), Me 3 (Mn0 4 ) 2 , lassen sich in erdalkalischer Lösung durch vorsichtige Reduktion von Kaliumpermanganat mit Alkohol oder Oxydation von Erdalkalimanganaten (IV) mit Luftsauerstoff gewinnen. Mangan(Vl)-Verbindungen. Ein Mangan(VI)-oxyd der Formel MnO s und eine davon sich ableitende Mangansäure H 2 Mn0 4 sind nicht bekannt. Dagegen kennt man die Salze dieser Säure, die Manganate Me 2 Mn0 4 . Das K a l i u m m a n g a n a t K 2 M n 0 4 wird t e c h n i s c h als Zwischenprodukt der Kaliumpermanganatgewinnung (vgl. unten) durch Schmelzen von B r a u n s t e i n und Ä t z k a l i an der L u f t und Behandeln des Reaktionsproduktes mit Wasser in Form einer g r ü n e n L ö s u n g erhalten: Mn02 + VgO, + 2 KOH — K 2 M n 0 4 + H 2 0 . Zur Darstellung im L a b o r a t o r i u m fügt man dem Schmelzgemisch zweckmäßig ein geeignetes O x y d a t i o n s m i t t e l (z. B . Salpeter oder Kaliumchlorat) zu („Oxydationsschmelze"). Beim Verdunsten der Lösung im Vakuum kristallisiert das Kaliummanganat K 2 M n 0 4 in Form dunkelgrüner, metallglänzender, rhombischer Kristalle aus, welche mit Kaliumsulfat K 2 S 0 4 und Kaliumchromat K 2 C r 0 4 isomorph sind. S ä u e r t man Manganatlösungen a n , so schlägt die g r ü n e Farbe in eine v i o l e t t e um („mineralisches Chamäleon"), weil die entstehende freie Mangansäure in der sauren Lösung das grüne Manganat M n 0 4 " zu violettem P e r m a n g a n a t M n 0 4 ' oxydiert und dabei selbst in die niedrigere Oxydationsstufe der m a n g a n i g e n S ä u r e übergeht: +6

+6

2 Mn0 4 " + H2Mn04 + 2H'

+7

+4

2Mn0 4 ' + H2Mn03 + H 2 0 .

In a l k a l i s c h e r Lösung, in der keine freie Mangansäure vorhanden ist, bleibt die Disproportionierung naturgemäß aus. Daher sind die Manganate in Natron- oder Kalilauge u n z e r s e t z t löslich. Mangan (VII)-Verbindungen. Will man die durch die Oxydationsschmelze aus Braunstein gewonnenen Kaliummanganatlösungen q u a n t i t a t i v in Kaliumpermanganatlösungen überführen, so muß man ein O x y d a t i o n s m i t t e l zugeben: Mn0 4 " v Mn0 4 ' + 0 . In der Technik benutzte man früher C h l o r (Cl2 + 2 0 —v 2C1') oder Ozon ( 0 3 + 2 H ' + 2 © —»- 0 2 + H 2 0 ) . Heute erfolgt die Oxydation ausschließlich auf e l e k t r o l y t i -

Die Mangangruppe

524

s c h e m W e g e (anodischer Elektronenentzug). Das an der Kathode dabei gleichzeitig gebildete Ä t z k a l i ( 2 H 0 H + 2 © ->- H 2 + 2OH') dient zu neuem Aufschluß von Braunstein. Das Kaliumpermanganat KMn0 4 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form metallisch schimmernder, tiefpurpurfarbener, in Wasser mit violetter Farbe löslicher Prismen aus, welche mit Kaliumperchlorat KC104 isomorph sind. Es stellt — auch in verdünnter Lösung — ein s e h r s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l dar und geht bei solchen Oxydationsreaktionen in a l k a l i s c h e r L ö s u n g in B r a u n s t e i n ( e 0 = + 0 . 5 7 V o l t ) : MnCY + 2HaO + 3 Q — M n 0

2

+ 4 OH',

(4)

in s a u r e r L ö s u n g in M a n g a n ( I I ) - s a l z (e0 = + 1.52 Volt) über: Mn04'+8H" + ö ©

>-Mn' + 4H20.

(5)

Da bei den Oxydationsreaktionen in s a u r e r Lösung (5) die intensiv v i o l e t t e Farbe des Permanganats durch die s e h r s c h w a c h e Farbe desMn"-ions ersetzt wird, kann man mit Permanganat in saurer Lösimg ohne Indikator t i t r i e r e n („Manganometrie"). So kann man z . B . E i s e n ( I I ) - s u l f a t (Fe"—>- Fe'" + 9 ) , O x a l s ä u r e (C 2 0 4 " 2C0 2 + 2 ©), s a l p e t r i g e S ä u r e (HN0 2 + H 2 0 H N 0 3 + 2 H - + 2©), W a s s e r s t o f f p e r o x y d ( H 2 0 2 — 0 2 + 2 H ' + 2 ©) manganometrisch bestimmen. Wie aus dem Vorstehenden (S. 522fi.) hervorgeht, kann das Mn0 4 -ion in verschiedensten Oxydationsstufen als Permanganat, Manganat, Hypomanganat und Manganit auftreten: +7

+6

+5

+4

Mn0 4 ' Mn0 4 " Mn0 4 '" Mn0 4 "" (6) violett grün blau braun Sehr schön lassen sich diese verschiedenen Wertigkeitsstufen des Mangans hintereinander beobachten, wenn man Kaliumpermanganat mit N a B 0 2 - H 2 0 2 reduziert. Innerhalb von 1—2 Minuten werden dann die Farbtöne rotviolett — tiefgrün — himmelblau — braungelb durchlaufen. Rationell können die Oxydationsstufen (6) auch als Manganat(VII), Manganat(VI), Manganat(V) und Manganat(IV) bezeichnet werden.

Während die freie Übermangansaure HMn0 4 nur in wässeriger Lösung bekannt ist, kann man ihr A n h y d r i d , das Mangan(VII)-oxyd (Manganheptoxyd) Mn 2 0 7 durch vorsichtige Einwirkung von k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e auf trockenes P e r m a n g a n a t in freiem Zustande gewinnen. Es stellt eine flüchtige, dunkle, metallglänzende, ölige Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 2.4 dar, deren violette Dämpfe beim Erwärmen unter Ausstoßen brauner Mangandioxydflocken und Sauerstoffbildung kräftig v e r p u f f e n oder — in Anwesenheit organischer Stoffe — sogar e x p l o d i e r e n .

2. Das Rhenium a) Elementares Rhenium Rhenium ist in der Natur etwa so häufig wie Gold, kommt aber stets nur in sehr geringen Konzentrationen ( < 0.001%) vor. Daher wurde es erst im Jahre 1925 von den deutschen Chemikern W A L T H E R N O D D A C K und I D A T A C K E entdeckt (vgl. S. 597f.). Verhältnismäßig r h e n i u m r e i c h ist der Molybdänglanz (S. 515). Andere rheniumhaltige Mineralien sind Columbit (S. 506), Gadolinit (Ytterbit) (S. 483) und Alvit. Da Rhenium chemisch dem M o l y b d ä n sehr nahe steht, reichert es sich bei der Aufarbeitung molybdänhaltiger Erze mit dem Molybdän an und kann aus diesen Molybdänkonzentraten gewonnen werden. Auf diese Weise wurden in Deutschland vor dem Kriege jährlich etwa 150 kg Rhenium in Form des K a l i u m p e r r h e n a t s K R e 0 4 erzeugt. Der Preis des metallischen Rheniums ist etwa halb so hoch wie der des Iridiums. M e t a l l i s c h e s R h e n i u m wird zweckmäßig durch Reduktion der O x y d e oder S u l f i d e mit W a s s e r s t o f f oder durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g der H a l o g e n i d e gewonnen. Es stellt ein weißglänzendes, hartes, luftbeständiges Metall von hoher Dichte (20.9) und hohem Schmelzpunkt (3170°) dar und löst sich praktisch nicht in Salzsäure,

Das Rhenium

525

dagegen leicht in Salpetersäure. Durch o x y d i e r e n d e S c h m e l z e n wird es schnell zu R h e n a t e n Me 2 Re0 4 oxydiert. In seinen chemischen Verbindungen tritt es drei-, vier-, fünf-, sechs- und siebenwertig auf. Die Verbindungen entsprechen denen des Mangans, doch sind die n i e d r i g e r e n Oxydationsstufen u n b e s t ä n d i g e r u n d die h ö h e r e n b e s t ä n d i g e r als die entsprechenden des Mangans. Verwendung. Da Rhenium im Hochvakuum auch bei hohen Temperaturen keine Neigung zum Zerstäuben zeigt, eignet es sich als Glühdraht für elektrische Lampen. Seine Legierungen mit Ta, Nb, W, Fe, Co, Ni, Rh, Ir, Pt und Au sind in Säuren sehr schwer löslich und an der Luft auch beim Erhitzen sehr stabil. Rheniumspiegel zeigen große Beständigkeit und hohes Reflexionsvermögen. Besonders vorteilhaft ist die Verwendung von Rhenium bei der Herstellung von Thermoe l e m e n t e n (z.B.Pt/Re gegen Pt, Pd oder Rh; Rh/Re gegen Pt), die bis nahezul900° C anwendbar sind und deren Thermokraft 3—imal größer als bei den gebräuchlichen Edelmetallkombinationen ist.

b) Verbindungen des Rheniums Sauerstoff Verbindungen. Das b e s t ä n d i g s t e Oxyd des Rheniums ist das gelbe Rhenium(VII)-oxyd (Rheniumheptoxyd) R e 2 0 7 . E s entsteht beim Erhitzen von R h e n i u m p u l v e r oder n i e d e r e n R h e n i u m o x y d e n an der L u f t , schmilzt bei 304° und kann unzersetzt destilliert werden (Sdp. 450°), ist also viel s t a b i l e r als das explosible Manganheptoxyd Mn 2 0 7 . I n W a s s e r löst es sich unter Bildung der f a r b l o s e n , ziemlich starken Perrheniumsäure H R e 0 4 . Auch die Salze dieser Säure, die Perrhenate MeRe0 4 , sind zum Unterschied von den Permanganaten f a r b l o s . Sie lassen sich nur schwer reduzieren und stellen daher viel s c h w ä c h e r e O x y d a t i o n s m i t t e l als die Permanganate dar. Beim Schmelzen mit A l k a l i e n gehen die Perrhenate in grüne Rhenate Me 2 Re0 4 über, die sich in wässeriger Lösung leichter als die Manganate unter Bildung von Perrhenaten und rheniger Säure d i s p r o p o r t i o n i e r e n : 3 R e 0 4 " + 4 H ' K > 2 R e 0 4 ' + HjReOg + H 2 0 . Das den Rhenaten zugrunde liegende rote Rhenium(VI)-oxyd ReO s (Smp. 160°) kann durch Reduktion des H e p t o x y d s mit metallischem R h e n i u m bei 200—250° erhalten werden. Das der rhenigen Säure entsprechende schwarze, wasserunlösliche Rhenium{lV)oxyd R e 0 2 läßt sich durch Umsetzung von R h e n i u m h e p t o x y d und R h e n i u m bei 600° gewinnen und geht beim Schmelzen mit A l k a l i h y d r o x y d e n in Rhenite Me 2 ReO a über. Das n i e d r i g s t e bisher beschriebene Rheniumoxyd, das Rhenium(III)-oxyd R e 2 0 3 , fällt bei der Hydrolyse von R h e n i u m ( I I I ) - c h l o r i d mit N a t r o n l a u g e in Form eines schwarzen Hydrats aus. Schwefclverbindungen. Rhenium bildet zwei S u l f i d e , ein Hefitasulfid Re 2 S 7 und ein Disulfid ReS 2 . Das schwarze Heptasulfid entsteht beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in ammoniakalische A l k a l i - p e r r h e n a t l ö s u n g e n . Das ebenfalls schwarze Disulfid bildet sich bei der t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g des Heptasulfids oder beim Erhitzen der Elemente. Halogenverbindungen. Das h ö c h s t e bekannte H a l o g e n i d des Rheniums ist das beim Erwärmen von R h e n i u m und F l u o r auf 125° entstehende gelbe, sehr flüchtige Rhenium{VI)-fluorid ReF„ (Smp. 18.8°; Sdp. 47.6°). Mit C h l o r bildet Rhenium das braunschwarze Pentachlorid ReCl s sowie das nur in Form von Hexachloro-rheniten Me 2 ReCl 6 beständige Tetrachlorid ReCl 4 und das rote Trichlorid ReCl 3 . Aus Rhenium und B r o m entsteht bei 500° das rotbraune Tribromid ReBr 3 . Ein J o d i d ist bisher noch nicht bekannt. Rhenide. Die Halogenähnlichkeit des Rheniums (7. Nebengruppe) kommt in der Existenz von Verbindungen wie K R e (Oxydationsstufe des Rheniums gleich —1) zum Ausdruck, die sich bei der Reduktion von Perrhenat mit Zinkamalgam in Perchlorsäurelösung bilden. Die Lösungen wirken erwartungsgemäß stark reduzierend. Die Elektronenkonfiguration des Re~-ions entspricht der des A u + + + - i o n s .

Kapitel XXIV

Die Eisengruppe Unter der E i s e n g r u p p e versteht man nicht wie bei den vorhergehenden Gruppen die drei im Periodensystem u n t e r e i n a n d e r stehenden Elemente Eisen, Ruthenium und Osmium, sondern die drei in der 8. Nebengruppe n e b e n e i n a n d e r stehenden Elemente E i s e n , K o b a l t und N i c k e l , welche chemisch näher miteinander verwandt sind.

1. Das Eisen a) Elementares Eisen a ) Vorkommen Das Eisen gehört zu den verbreitetsten Metallen und ist am Aufbau der Erdrinde mit 4.7°/0 beteiligt (S. 69). In gediegenem Zustande findet es sich nur selten (z. B. in Meteoren). Dagegen kommen o x y d i s c h e und s u l f i d i s c h e E r z e sehr häufig vor. Die w i c h t i g s t e n derartigen Erze sind: 1. Magneteisenstein F e 3 0 4 . Der M a g n e t e i s e n s t e i n (Magnetit) enthält 45—70°/ o Eisen und kommt in riesigen Lagern in Nord- und Mittelschweden, in Norwegen, im Ural, in Nordafrika und in den Vereinigten Staaten vor. Da Deutschland nur wenig Magneteisenstein besitzt, führt es große Mengen aus Schweden ein. 2. Roteisenstein Fe 2 O s . Der R o t e i s e n s t e i n enthält 40—65°/ 0 Eisen und kommt in verschiedenen Erscheinungsformen als „Eisenglanz", „Glaskopf", „Hämatit" und eigentlicher „Roteisenstein" vor. Das größte Roteisensteinlager findet sich am Oberen See in Nordamerika und liefert 3 / 4 des Erzbedarfs für die amerikanische Eisenerzeugung. In Deutschland kommen größere Roteisensteinlager in den Gebieten an der Lahn und Dill vor. Größere Mengen exportieren auch Spanien und Nordafrika. 3. Brauneisenstein 2 F e 2 0 3 • 3 H 2 0 . Der B r a u n e i s e n s t e i n (Limonit) ist das verbreitetste Eisenerz und enthält bis zu 60°/0 Eisen. Wichtige Brauneisensteinlager liegen in Lothringen in der Gegend von Metz und Diedenhofen und zeichnen sich durch hohen Phosphorgehalt aus („Minette"). Zwei deutsche Lager liegen bei Salzgitter und Peine in der Gegend von Hildesheim. 4. Spateisenstein FeCO s . Der S p a t e i s e n s t e i n (Siderit) enthält 25—40°/ 0 Eisen und findet sich in Deutschland vor allem im Siegerland. Eine Besonderheit bildet der Erzberg bei Eisenerz in Obersteiermark, an dem ein Spateisenstein mit 40°/ 0 Eisen im Tagebau gewonnen wird. Abarten des Spateisensteins sind der „Toneisenstein" (Gemenge von Spat, Ton und Mergel) und der „Kohleneisenstein" (kohledurchsetzter Spat). 5. Eisenkies FeS 2 . Der E i s e n k i e s (Schwefelkies, Pyrit) wird bei uns namentlich aus Spanien eingeführt und dient hauptsächlich zur Gewinnung von Schwefelsäure (S, 206). Die dabei anfallenden, 60—65% Eisen enthaltenden „Kiesabbrände" stellen ebenfalls ein Material zur Eisengewinnung dar.

Das Eisen

527

Wichtig ist schließlich noch das Vorkommen des Eisens als Bestandteil des r o t e n B l u t f a r b s t o f f s („Hämoglobin"). Als solcher bedingt es dessen Fähigkeit zur Sauers t o f f Übertragung. Auch das dem Hämoglobin nahestehende B l a t t g r ü n („Chlorophyll"), das statt Eisen Magnesium enthält, kann sich bei eisenfreier Ernährung der Pflanze nicht bilden. ß) Darstellung Die D a r s t e l l u n g von E i s e n ist im Prinzip einfach und besteht in der R e d u k tion von o x y d i s e h e n E i s e n e r z e n mit K o k s . Das dabei entstehende Eisen enthält durchschnittlich 4 % K o h l e n s t o f f und wird „Roheisen" genannt, wobei man ganz allgemein unter der Bezeichnung R o h e i s e n Eisensorten mit einem Kohlenstoffgehalt > 1 . 7 % versteht. Roheisen ist spröde, nicht schmiedbar und schmilzt beim Erhitzen plötzlich. Durch Verringerung seines Kohlenstoffgehaltes kann man es in den schmiedbaren, weniger spröden und beim Schmelzen allmählich erweichenden „Stahl" ( < 1 . 7 % C) überführen. Dementsprechend unterscheidet man bei der Eisengewinnung die Erzeugung von R o h e i s e n ( > 1 . 7 % C) und die Gewinnung von S t a h l K 1-7% C). E r z e u g u n g von R o h e i s e n Die Roheisenerzeugung durch Reduktion oxydischer Eisenerze mit Koks erfolgt nahezu ausschließlich in hohen G e b l ä s e S c h a c h t ö f e n („Hochöfen"). Lediglich in Ländern mit billigen Wasserkräften und teuren Kohlen spielt die Erzeugung in elektrischen Öfen eine begrenzte Rolle. Hochofen. Ein moderner Hochofen (Fig. 145) besitzt eine Höhe von 25—30 m und einen Rauminhalt von 500—800 m3 und vermag täglich etwa 1000 t Eisen aus durchschnittlich 3500 t festem Rohmaterial (vgl. S. 529) zu erzeugen. Er besteht im Prinzip aus zwei mit den breiten Enden zusammenstoßenden, abgestumpften Kegeln von kreisrundem Querschnitt aus feuerfesten, dichten Fi g- 145. Schamottesteinen. Der obere K e g e l Schematische Darstellung eines („Schacht"), der etwa drei Fünftel der geHochofens zur Eisenerzeugung samten Höhe ausmacht und dessen oberes Ende „Gicht" genannt wird, ruht getrennt vom unteren auf einem Tragring, der von einer Eisenkonstruktion gehalten wird. Der u n t e r e K e g e l („Rast") sitzt auf einem 3m hohen und 4 m weiten zylindrischen Teil („Gestell") auf, der seinerseits auf einer aus feuerfestem Material bestehenden Unterlage („Bodenstein") ruht. Die W a n d s t ä r k e der beiden Kegel beträgt etwa 70 cm, die des Gestells 100—150 cm. Der b r e i t e s t e Teil des Ofens („Kohlensack") hat einen Durchmesser von 6—8 m; der „Rastwinkel" (gemessen gegen eine im Kohlensack gedachte Horizontale) beträgt durchschnittlich 75°, der „Schachtwinkel" 85°. Eine gerade Z y l i n d e r f o r m ist für den Hochofen nicht möglich, weil die Beschickung während des Niedergehens (Zunahme der Temperatur) anschwillt und ein „Hängen" des Hochofens verursachen würde, falls man nicht durch Verbreiterung des Durchmessers nach unten dieser Volumen Vergrößerung Reohnung

528

Die Eisengruppe

trüge. Im unteren Teil des Hochofens ist wiederum eine Verkleinerung des Durehmessers möglich, da hier die Beschickung unter Volumenverminderung zum Schmelzen kommt. Rast und Gestell werden mit W a s s e r , der Schacht dagegen nur mit L u f t gekühlt. Hochofenprozeß. Die B e s c h i c k u n g des Hochofens erfolgt in der Weise, daß man das mittels eines Schrägaufzugs nach oben beförderte A u s g a n g s m a t e r i a l durch die G i c h t in den Ofen einfüllt, und zwar wird zuerst eine Schicht K o k s („Koksgicht"), dann eine Schicht E i s e n e r z mit Z u s c h l a g („Erzgicht"), dann wieder eine Schicht K o k s , darauf wieder eine Schicht E i s e n e r z mit Z u s c h l a g usw. eingebracht. Die mit dem Erz aufgegebenen „Zuschläge" dienen dazu, die B e i m e n g u n g e n des Erzes {„Gangart") während des Hochofenprozesses in leicht schmelzbare C a l c i u m - a l u m i n i u m - s i l i c a t e („Schlacke") überzuführen. Handelt es sich z. B. um k i e s e l s ä u r e und t o n e r d e h a l t i g e Gangarten, was meist der Fall ist, so schlägt man dementsprechend kalkhaltige Bestandteile (z.B. Kalkstein, Dolomit) zu; im Falle k a l k haltiger Gangarten werden umgekehrt k i e s e l s ä u r e - und t o n e r d e h a l t i g e Zuschläge (z. B. Feldspat, Tonschiefer) zugegeben. Die u n t e r s t e Koksschicht wird e n t z ü n d e t . Die erforderliche V e r b r e n n u n g s l u f t („Wind"), die in „Winderhitzern" auf 700—800° vorgewärmt wird und deren Menge durchschnittlich 5400 t je 1000 t Eisen beträgt, wird durch 6—12 in einer waagerechten Ebene („Formebene") über den oberen Umfang des Gestells gleichmäßig verteilte „Windformen" eingeblasen. Durch die V e r b r e n n u n g der Kohle, die auf dem Wege über Kohlendioxyd zu K o h l e n o x y d führt (S. 305f.): 2C + Os — 2 C O + 62.8kcal, steigt die T e m p e r a t u r im unteren Teil des Hochofens auf 1600°. Das heiße K o h l e n o x y d gelangt, da der angeblasene Hochofen wie ein Schornstein zieht, in die darauffolgende E i s e n o x y d s c h i c h t , reduziert dort das O x y d zum M e t a l l („unmittelbare Reduktionswirkung" des Kohlenoxyds) und wird dabei selbst zu K o h l e n d i o x y d oxydiert: + 3 C Q _ > . 2 P e + 3Co2 + 8 k c a l (1) In der anschließenden heißen Koksschicht wandelt sich das K o h l e n d i o x y d gemäß dem BOUDOUARD-Gleichgewicht (S. 306) wieder in K o h l e n o x y d u m : 41kcal + COa + C ^=±1 2CO,

(2)

das von neuem gemäß (1) als Reduktionsmittel wirkt usw. In den w e n i g e r h e i ß e n , höheren Schichten (500—900°) der „Reduktionszone" zerfällt das K o h l e n o x y d gemäß (2) auch teilweise wieder rückwärts unter Bildung von K o h l e n d i o x y d und f e i n v e r t e i l t e m K o h l e n s t o f f . Dieser feinstverteilte Kohlenstoff r e d u z i e r t einerseits (zum Unterschied vom nicht reduzierend wirkenden groben Koks) ebenfalls das E i s e n o x y d („mittelbare Reduktionswirkung" des Kohlenoxyds): 116kcal + FeaO, + 3C

2Fe + 3CO

(3)

und l ö s t sich andererseits im schwammförmig ausgeschiedenen E i s e n auf. Durch die Aufnahme des Kohlenstoffs sinkt der S c h m e l z p u n k t des reduzierten Eisens, der beim reinen Eisen 1528° beträgt, bis auf 1100—1200°, so daß das Eisen in der unteren heißen „Schmelzzone" tropfenförmig durch den glühenden Koks läuft und sich im G e s t e l l unterhalb der spezifisch leichteren, aus Gangart und Zuschlag entstandenen flüssigen S c h l a c k e ansammelt. Auf diese Weise wird es durch die Schlacke gegen die oxydierende Einwirkimg der Gebläseluft geschützt. In den oberen k ä l t e r e n Teilen des Schachts (200—300°) erfolgt k e i n e R e d u k t i o n mehr. Das Kohlenoxyd-Kohlendioxyd-Gemisch w ä r m t hier nur die frische Beschickung v o r („Vorwärmzone") und entweicht durch die Gicht als „Gichtgas".

Das Eisen

529

Hochofenprodukte. Die Erzeugnisse des Hochofenprozesses sind: R o h e i s e n , S c h l a c k e und G i c h t g a s . Und zwar erhält man durchschnittlich auf 1 1 Eisen (zu deren Gewinnung 2 t Erz, 1 1 Kohle, 1/2 t Zuschlag und 5 l / 2 1 Wind erforderlich sind) 1 1 Schlacke und 7 t Gichtgas. Das sich im Gestell ansammelnde flüssige Roheisen wird von Zeit zu Zeit durch ein „Stichloch" abgestochen und entweder flüssig dem Stahlwerk (vgl. S. 530ff.) zugeführt oder zu Roheisenblöcken vergossen. Es enthält im allgemeinen 2.5—4°/0 K o h l e n s t o f f , sowie wechselnde Mengen S i l i c i u m (0.5—3°/0), Mangan (0.5—6°/0), P h o s p h o r (0—2°/0) und Spuren S c h w e f e l (0.01—0.05%). Nimmt man die Abkühlung des Roheisens l a n g s a m , z. B. in S a n d f o r m e n („Masselbetten") vor, so scheidet sich der gelöste Kohlenstoff als G r a p h i t aus und man erhält das sogenannte „graue Roheisen" mit g r a u e r Bruchfläche (Smp. ~ 1200°). Mitbedingend für diese Ausscheidimg des Kohlenstoffs als Graphit ist ein Vorwiegen des Siliciumgehalts gegenüber dem Mangangehalt (>2°/ 0 Si; < 0.2°/0 Mn). Bei r a s c h e r Abkühlung, z. B . in E i s e n s c h a l e n {„Kokillen") bleibt der Kohlenstoff als E i s e n c a r b i d Fe3C („Zementit") gelöst, so daß ein „weißes Roheisen" mit weißer Bruchfläche (Smp. ~1100°) entsteht. Hier ist ein Überwiegen des Mangangehalts « 0 . 5 % Si; > 4 % Mn) mitbedingend, der der Graphitausscheidung entgegenwirkt. Daß bei l a n g s a m e r Abkühlung der Zementit n i c h t erhalten wird, beruht darauf, daß er als e n d o t h e r m e Verbindung (5.2 kcal + 3 Fe + C —• Fe3C) nur bei hoher Temperatur stabil ist und bei l a n g s a m e m Abkühlen dementsprechend i n E i s e n und G r a p h i t zerfällt. Das siliciumhaltige graue R o h e i s e n wird wegen seiner dünnflüssigen Beschaffenheit vorzugsweise zu Gußwaren verarbeitet und zu diesem Zwecke nochmals u m g e s c h m o l z e n („Gußeisen' '). Das manganhaltige w e i ß e R o h e i s e n dient zur Herstellung vonStahl(S.530ff.). Stark manganhaltiges Eisen kann besonders viel Kohlenstoff aufnehmen und heißt bei 6 — 2 0 % Mn „Spiegeleisen" (3.5—6°/ 0 C) und bei > 3 0 % Mn „Ferromangan" (5—7.5°/ 0 C). Solche Eisenmangane dienen als Zusatz zu anderen Eisensorten, als Desoxydationsmittel und zur Rückkohlung von entkohltem Eisen (S. 531).

Die Schlacke fließt durch eine unterhalb der Formebene befindliche wassergekühlte Öffnung („Schlackenform") ständig ab. Sie stellt ein C a l c i u m - a l u m i n i u m - s i l i c a t dar und wird je nach ihrer Zusammensetzimg als W e g e b a u m a t e r i a l oder zur Herstellung von M ö r t e l , B a u s t e i n e n bzw. E i s e n p o r t l a n d z e m e n t (S. 415) verwendet. Die anfallende Menge ist etwa so groß wie die des Roheisens. Das aus dem Hochofen kommende Gichtgas wird vom mitgeführten Staub befreit und dient zum Betrieb der für das Hochofenverfahren erforderlichen Winderhitzer, Gebläse, Pumpen, Beleuchtungs-, Gasreinigungs- und Transportvorrichtungen. Der Überschuß wird für den Stahlwerksbetrieb oder sonstige industrielle Zwecke verwendet. Die Zusammensetzung des Gases schwankt in den Grenzen 5 2 — 6 0 % N 2 , 25—30%CO, 1 0 — 1 6 % C 0 2 , 0 . 5 ^ % H 2 , 0 . 5 — 3 % C H 4 . Deutschland besitzt sehr große Vorkommen an e i s e n a r m e n und k i e s e l s ä u r e r e i c h e n Eisenerzen — namentlich Brauneisenstein—, deren Verhüttung nach dem n o r m a l e n Hochofenprozeß aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist. Würde man nämlich diese Erze dem gewöhnlichen Hochofenverhüttungsverfahren unterwerfen, so wären wegen des geringen Eisengehaltes s e h r g r o ß e H o c h o f e n a n l a g e n und wegen der großen Menge an saurer Gangart gewaltige Mengen an K a l k z u s c h l a g erforderlich, was wiederum einen gesteigerten Bedarf an K o k s zur Folge hätte. In solchen Fällen wendet man zweckmäßig das „saure Schmelzen" an, bei welchem dem Erz nur so viel Kalk (0.7 statt wie sonst 1.2 Teile CaO auf 1 Teil SiOa + Al 2 O s ) zugemischt wird, daß gerade noch eine nicht zu schwerflüssige Schlacke entsteht. Da diese Schlacke s a u e r ist und daher nicht wie die normale b a s i s c h e Schlacke den aus dem Koks stammenden, für das Eisen schädlichen S c h w e f e l g e h a l t aufnimmt, ist das so gewonnene Roheisen s c h w e f e l h a l t i g (bis 0.8°/ 0 S) und muß daher nachträglich e n t s c h w e f e l t werden. Dies geschieht durch Behandlung mit S o d a , wobei etwa 10 kg Soda/t Roheisen verbraucht werden. Die anfallende Schlackenmenge ist 2—3 mal größer als beim gewöhnlichen Hochofenverfahren. Der KoksH o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 3 7 . - 3 9 . Aull.

34

530

Die Eisengruppe

verbrauch kann durch Anwendung s a u e r s t o f f r e i c h e n Windes gesenkt werden, ist aber auch dann noch größer als beim normalen Verhüttungsprozeß. Eine andere Möglichkeit zur Aufarbeitung eisenarmer Erze bietet das „KRUPPsche Rennverfahren", das zugleich die Verwendung von billigerem K o k s m a t e r i a l (z. B. K o k s s t a u b , Grudekoks, T i e f t e m p e r a t u r k o k s ) an Stelle des teuren, festen H ü t t e n k o k s gestattet. Hierbei wird das mit dem Koks vermischte Erz in einem geneigt gelagerten Drehrohrofen einer Kohlenstaubfeuerung entgegengeschickt, wobei das erzeugte Eisen wegen der verhältnismäßig niedrigen Arbeitstemperatur ( Fe(0H) 2 . An der L u f t oxydiert sich dieser Niederschlag außerordentlich leicht und geht dabei über graugrüne, dunkelgrüne und schwärzliche Zwischenstufen schließlich in r o t b r a u n e s E i s e n ( I I I ) - h y d r o x y d über. Die dunkleren Zwischenstufen stellen Mischhydroxyde des zwei- und dreiwertigen Eisens dar.

Das Eisen

535

Eisen(II)-chlorid FeCljj entsteht beim Auflösen von Eisen in Salzsäure und kristallisiert aus der Lösung als T e t r a h y d r a t FeCl2 • 4H 2 0 in Form grüner monokliner Prismen aus. Das wasserfreie Salz erhält man als weiße, sublimierbare Masse beim Erhitzen von E i s e n in trockenem Chlorwasserstoff gas. Mit Kalium-und Ammoniumchlorid bildet Eisen(II)-chlorid gut kristallisierende Doppelsalze, z. B. K 2 FeCl 4 • 2H 2 0. Eisen (II)-sulfid FeS entsteht beim Versetzen von Eisen (II)-salzlösungen mit Ammoniumsulfid als grünlich-schwarzer, in Säuren leicht löslicher Niederschlag, der sich in feuchtem Zustande an der Luft zu Eisen(III)-hydroxyd und Schwefel oxydiert. T e c h n i s c h wird Eisen(II)-sulfid durch Zusammenschmelzen von E i s e n abfällen mit Schwefel (Fe + S-^- FeS) oder P y r i t (Fe + F e S 2 - ^ 2FeS) als kristalline, metallglänzende, bei 1190° schmelzende Masse erhalten. In dieser Form dient es zur Schwefelwasserstofferzeugung im L a b o r a t o r i u m (S. 192): FeS + 2HCl—>- FeCl2 + H 2 S. Eisen (II)-sulfat FeS(>4 wird technisch durch Lösen von E i s e n a b f ä l l e n in Schwefelsäure (Fe + H 2 S0 4 —>• FeS0 4 + H2) oder durch O x y d a t i o n von teilweise geröstetem P y r i t an der Luft (FeS + 2 0 2 — F e S 0 4 ) oder als Nebenprodukt bei der Fällung von Zementkupfer (S. 451) aus Kupfersulfatlösungen (CuS0 4 + Fe —>- FeS0 4 + Cu) gewonnen. Es kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form großer, hellgrüner, monokliner Prismen der Zusammensetzung F e S 0 4 • 7H 2 0 {„Eisenvitriol"), welche mit den entsprechenden Vitriolen des Magnesiums, Nickels, Zinks und Mangans isomorph sind. Die infolge Hydrolyse sauer reagierende Lösung oxydiert sich an der Luft leicht unter teilweiser Abscheidung von basischem Eisen(III)sulfat: 2FeS0 4 + H 2 0 + V A 2Fe(0H)S0 4 . Wesentlich luftbeständiger ist das Doppelsalz mit Ammoniumsulfat (NH 4 ) 2 Fe(S0 4 ) 2 • 6H 2 0 („Momtsches Salz'1). Es eignet sich gut zur Einstellung von Permanganatlösungen: 2Mn0 4 ' + 1 0 F e " + I6H' —>- 2Mn" + 10Fe'" + 8H 2 0. An trockener Luft verwittert das Eisen(II)-sulfathydrat unter Verlust von Wasser. Beim Erhitzen auf 300° unter Luftabschluß hinterbleibt das wasserfreie, weiße Sulfat F e S 0 4 . Eisenvitriol findet zahlreiche technische Verwendungen, z. B. zur Tintenfabrikation, in der Färberei und zur Vernichtung von Unkraut. Eisen (II)-carbonat FeCOj kommt in der Natur als Eisenspat (Siderit) vor (S. 526) und fällt ausEisen(II)-salzlösungen beim Versetzen mit A l k a l i c a r b o n a t unter L u f t a b s c h l u ß als weißer, amorpher Niederschlag aus, der sich an der L u f t infolge Oxydation unter Abgabe von Kohlendioxyd bald in r o t b r a u n e s E i s e n ( I I I ) - h y d r oxyd verwandelt. Ähnlich den Erdalkalicarbonaten löst sich auch Eisen(II)-carbonat in kohlendioxydhal tigern Wasser unter Bildung von Eisen (II ) - b i c a r b o n a t auf: FeC0 3 + H 2 0 + C0 2 —>- Fe(HC0 3 ) 2 . Als solches findet es sich in manchen Mineralwässern („Eisensäuerlinge", „Eisenwässer"), die zur Bekämpfung der Bleichsucht dienen. An der L u f t scheiden solche Eisenwässer Eisen(IJ.I)-oxydhydrat aus. In dieser Weise sind die als „Eisenocker", „Raseneisenerz" und „Sumpferz" bekannten Ablagerungen entstanden, aus denen wohl auch das Brauneisenerz hervorgegangen ist. Die Reinigung von eisenhaltigen Wässern für Trink- und Waschzwecke erfolgt durch Sättigimg mit L u f t (Ausfällung des Eisens als Eisen(III)-hydroxyd).

c) Eisen(III)-Verbindungen Eisen(III)-oxyd Fe a 0 3 , das in der Natur in verschiedenen Formen (vgl. S. 526) vorkommt, entsteht beim Erhitzen von Eisen(III)-salzen flüchtiger Säuren, beim Entwässern von Eisen(III)-hydroxyd sowie beim Verbrennen von Eisen im Sauerstoffstrom und existiert in zwei Modifikationen als „ - 2FeCl 3 ) und kristallisiert aus den Lösungen je nach der Temperatur in Form verschiedener Hydrate aus. Beim E n t w ä s s e r n durch Erhitzen zersetzen sich diese Hydrate großenteils unter C h l o r w a s s e r s t o f f a b g a b e und Zwischenbildung von FeOCl (rote Nädelchen). W a s s e r f r e i e s Eisenchlorid erhält man durch Erhitzen von E i s e n im C h l o r s t r o m in Form grünlich metallglänzender, rotbraun durchscheinender Kristalle, die sich schon oberhalb von 120° sublimieren lassen. Bei 400° entspricht die Dampfdichte der Formel Fe2Cl„ (vgl. S. 389f.); oberhalb von 800° sind nur FeCl3-Moleküle beständig. Die r o t b r a u n e F a r b e von Eisen(III)-chloridlösungen ist wie die aller anderen Eisen(III)-salzlösungen auf H y d r o l y s e zurückzuführen, bei der kolloidales rotbraunes E i s e n ( I I I ) - h y d r o x y d (bzw. basisches Salz) entsteht: Fe - " + 3HÖH

Fe(OH)s + 3 H \

Das Eisen

537

Bei der D i a l y s e bleibt dieses kolloidale Eisen(III)-hydroxyd zurück. Durch Z u s a t z v o n S ä u r e n wird das Hydrolysegleichgewicht nach l i n k s verschoben, so daß die Farbe verschwindet. Durch vorsichtiges A b f a n g e n d e r W a s s e r s t o f f i o n e n kann umgekehrt eine ziemlich konzentrierte k o l l o i d a l e E i s e n ( I I I ) - h y d r o x y d l ö s u n g gewonnen werden. Auch beim K o c h e n vertieft sich die Farbe infolge Zunahme der endothermen Hydrolyse; beim A b k ü h l e n hellt sie sich wieder auf. Auch ein Eisen(III)-bromid FeBr 3 ist darstellbar. Dagegen zerfallt das Eisen(III)joiid F e J 3 in Eisen(II)-jodid und Jod, so daß es nicht isolierbar ist. Eisen (III)-sulfat F e ^ S O ^ entsteht beim Abrauchen von E i s e n ( I I I ) - o x y d mit konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e als gelblich-weißes, wasserfreies Salz: F e 2 0 3 + 3H 2 S0 4 —>- Fe 2 (S0 4 ) 3 + 3 H 2 0 . I n Wasser löst es sich unter starker H y d r o l y s e mit brauner Farbe. Beim Kochen solcher wässeriger Lösungen fallen b a s i s c h e S u l f a t e aus. Mit A l k a l i s u l f a t e n bildet Eisen(III)-sulfat A l a u n e des Typus MeFe(S0 4 ) 2 • 12H a O. Eisen (III)-rhodanld Fe(SCN) 3 wird in Form einer blutroten Lösung beim Zusammengeben einer E i s e n ( I I I ) - s a l z - und R h o d a n i d l ö s u n g erhalten: Fe"' + 3 S C N ' — * - F e ( S C N ) 3 . Die Farbe ist so intensiv, daß selbst g e r i n g s t e S p u r e n von Eisen(III)-ionen auf diese Weise analytisch nachgewiesen werden können.

d) Komplexe Eisenverbindungen Unter den k o m p l e x e n E i s e n v e r b i n d u n g e n sind die C y a n o k o m p l e x e („Hexacyano-ferrate") mit die beständigsten. Sie entstehen beim Zusammentreffen von E i s e n und C y a n - i o n e n und haben je nach der Wertigkeit des Eisen-ions die Formel MeJ [Fe n (CN) 6 ] bzw. Me* [Fe m (CN) 3 ] : Fe" + 6CN' — v [Fe(CN)e]"" Fe'" + 6CN' >- [Fe(CN),]'". Besonders charakteristische Vertreter dieser beiden Yerbindungstypen sind das g e l b e und das r o t e B l u t l a u g e n s a l z . Gelbes Blutlaugensalz K 4 [Fe(CN) 6 ]. Versetzt man eine E i s e n ( I I ) - s a l z l ö s u n g mit K a l i u m c y a n i d l ö s u n g , so fällt rötlichbraunes, schwerlösliches E i s e n ( I I ) c y a n i d Fe(CN) 2 aus (1), das sich im Ü b e r s c h u ß der Kaliumcyanidlösung wieder a u f l ö s t , wobei die Lösung infolge Bildimg von g e l b e m B l u t l a u g e n s a l z (2) blaß&elbwird:

Fe" + 2CN' — > Fe(CN)a (1, Fe(CN)a + 4CN' [Fe(CN)„]"" (2) Fe" + 6CN' — > [Fe(CN)a]"". Beim Eindampfen der Lösung kristallisiert das Salz in Form großer, schwefelgelber monokhner Kristalle der Formel K 4 [Fe(CN) 6 ] • 3 H 2 0 aus. Sein Name rührt daher, daß es früher durch Erhitzen von B l u t mit Kaliumcarbonat gewonnen wurde. Zur t e c h n i s c h e n Gewinnung von gelbem Blutlaugensalz kann man von verbrauchter G a s r e i n i g u n g s m a s s e (S. 184f.) ausgehen, welche infolge des Cyanwasserstoffgehaltes des rohen Leuchtgases bereits C y a n v e r b i n d u n g e n d e s E i s e n s enthält. Die Ionisation des Komplex-ions [Fe(CN) 6 ]"" in wässeriger Lösung gemäß [Fe(CN) s ]"" — ^ F e " + 6CN' ist so gering, daß alle gewöhnlichen F e " - R e a k t i o n e n a u s b l e i b e n . So gibt die Lösung z . B . mit N a t r o n l a u g e oder A m m o n i u m s u l f i d k e i n e F ä l l u n g . Setzt man einer k o n z e n t r i e r t e n Lösung des Komplexsalzes k o n z e n t r i e r t e Salzsäure zu, so fällt die dem Salz zugrundeliegende H e x a c y a n o e i s e n ( I I ) - s ä u r e H 4 [Fe(CN) 8 ] als weißer kristalliner Niederschlag aus, der sich an der Luft infolge Zersetzung bald bläut. Bei Zugabe v e r d ü n n t e r Salzsäure entsteht eine w ä s s e r i g e L ö s u n g der Säure, die beim Kochen B l a u s ä u r e entwickelt: H 4 Fe(CN) 6 —>- 4HCN + Fe(CN) 2 .

538

Die Eiaengruppe

Rotes Blutlaugensalz K3[Fe(CN)6]. Behandelt man eine Lösung von gelbem B l u t l a u g e n s a l z mit Chlor oder B r o m , so entsteht eine röthchgelbe Lösung, aus der sich dunkelrote Prismen von rotem B l u t l a u g e n s a l z gewinnen lassen: [Fe(CN) 6 ]"" +

/ CI 2 — [ F e ( C N ) „ ] " ' + Cl'.

l s

Die wässerige Lösung ist viel unbeständiger als die des gelben Blutlaugensalzes (vgl. S. 160) und wirkt zum Unterschied von letzterer infolge spurenweiser Abgabe von Blausäure giftig. Sie wird bisweilen als O x y d a t i o n s m i t t e l benutzt: [Fe(CN)8]"' + © — >- [Fe(CN)e]"". Die dem Salz zugrunde liegende freie H e x a c y a n o - e i s e n ( I I I ) - s ä u r e H3[Fe(CN)6] kristallisiert in braunen Nadeln und ist sehr unbeständig. Berlinerblau; TuRNBiiLLs-Blau. Versetzt man eine Lösung des gelben B l u t laugensalzes mit E i s e n ( I I I ) - s a l z oder eine Lösung des roten B l u t l a u g e n s a l z e s mit E i s e n ( I I ) - s a l z , so entsteht in beiden Fällen bei Anwendung eines Molverhältnisses 1: 1 das gleiche, kolloid gelöste „lösliche Berlinerblau" KFe[Fe(CN) 6 ]: [Pe(CN)„]"" + Fe'"" + K" [Fe(CN)„]'" + F e " + K'

v >

[Fe(CN) e ]FeK [Fe(CN) 6 ]FeK.

Die i n t e n s i v e F a r b e ist dabei hier wie in vielen anderen Fällen (z.B. rote Mennige, Molybdän- und Wolframblau, blaues Cer(III, IV)-hydroxyd, blauschwarzes Caesiumantimon(III, V)-chlorid Cs2SbCl6, schwarzgrünes Eisen(II, III)-hydroxyd) auf die gleichzeitige Anwesenheit zweier W e r t i g k e i t s s t u f e n des gleichen E l e m e n t s in ein und demselben komplexen Molekül zurückzuführen, die wohl in gegenseitiger Wechselwirkung stehen: [Feii(CN)„]FeniK

[Feni(CN) 6 ]FeiiK.

Bei Anwendung überschüssiger Eisen(III)- bzw. Eisen(II)-ionen entstehen blaue Niederschläge, die als ,,unlösliches Berlinerblau" und „unlösliches TURNBULLS-Blau" unterschieden werden: 3[Fe(CN)„]"" + 4 F e - — ^ [Fe(CN)6]3Fei 2[Fe(CN)„y + 3Fe" — > [Fe(CN)6]2Fe3, obwohl auch hier infolge vorangehenden E l e k t r o n e n a u s t a u s c h e s ([Fe(CN) 6 ]"" + Fe"" [Fe(CN) 6 ]"' + Fe") weitgehend analoge Verbindungen vorliegen dürften. Gelbes B l u t l a u g e n s a l z und E i s e n ( I I ) - i o n e n ergeben einen weißen Niederschlag: [Fe(CN) 8 ]"" + 2 F e " —>- [Fe(CN) 6 ]Fe 2 , der an der Luft infolge Oxydation rasch blau wird. Aus r o t e m B l u t l a u g e n s a l z und E i s e n ( I I I ) - i o n e n bildet sich kein Niederschlag, sondern eine dunkelbraune Lösung: [Fe(CN),]"' + F e ' " — > [Fe(CN) e ]Fe, die als Reagens auf Reduktionsmittel dienen kann, da sie mit diesen einen blauen Niederschlag (s. oben) ergibt.

Prussiate. Verbindungen, bei denen eine Cyanogruppe des Fe(CN)6-ions durch andere Gruppen ersetzt ist, heißen „Prussiate". Erwähnt seien hier z. B . : das Natrium-nitrosyl-prussiat Na2[Fen(CN)5NO] ^ das Natrium-carbonyl-prussiat Na 3 [Fe n (CN) s CO], das Natrium-ammin-prussiat Na 3 [Fe n (CN) 6 NH 3 ], das Natriumnitro-prussiat Na 4 [Fe n (CN) 5 N0 2 ] und das Natrium-sulfito-prussiat Na 5 [Fe 11 (CN) 5 S0 3 ]. Bei der Oxydation mit B r o m gehen diese E i s e n ( I I ) - p r u s s i a t e in Eisen (III)-prussiate über: [Fe n (CN) 5 X]- n + 1l2Br2—>- ^ " ( C N ^ X J - C - 1 ) + Br'.

2. Das Kobalt Torkommen. Der größte Teil der Weltproduktion an Kobalt wird aus den in Katanga (Belgisch-Kongo) vorkommenden Kupfererzen und aus den in Ontario (Kanada) gefundenen kupferhaltigen Magnetkiesen Fe 3 S 4 (S. 541) gewonnen. Die beiden be1

Das NO ist in dieser Verbindung als NO+ (: N : : : 0 :) enthalten (S. 547f.).

Das Kobalt

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kanntesten K o b a l t e r z e sind der Speiskobalt CoAs2 und der Kobaltglanz CoAsS. Sie finden sich in Deutschland in geringeren Mengen im sächsischen Erzgebirge. Darstellung. Zur t e c h n i s c h e n D a r s t e l l u n g von Kobalt werden die NickelKobalt-Kupfer-Erze in der beim Nickel (S. 541) geschilderten Weise aufgearbeitet, wobei man einen „Rohstein" („Speise") erhält, der das Nickel, Kobalt und Kupfer in Form von Sulfiden und Arseniden enthält. Dieses Rohmaterial wird dann mit Soda und S a l p e t e r abgeröstet, wobei Schwefel und Arsen teils e n t w e i c h e n , teils zusammen mit den Oxyden von Kupfer, Nickel und Kobalt als S u l f a t und Arsenat im Röstgut zurückbleiben. Sulfat und Arsenat lassen sich mit Wasser auslaugen. Die beim Auslaugen ungelöst bleibenden M e t a l l o x y d e werden in heißer Salzsäure oder Schwefelsäure gelöst und mit K a l k m i l c h und Chlorkalk fraktioniert gefällt. Hierbei resultiert schließlich reines K o b a l t ( I I I ) - o x y d Co 2 0 3 , das mit K o h l e zu metallischem K o b a l t reduziert wird. Eigenschaften. Kobalt ist ein stahlgraues, glänzendes, magnetisches, bei 1490° schmelzendes und bei 2900° siedendes Metall vom spezifischen Gewicht 8.83. Wie Nickel wird es von feuchter L u f t nicht und von n i c h t o x y d i e r e n d e n Säuren nur langsam angegriffen, während es in oxydierenden S ä u r e n leicht löslich ist. In seinen Verbindungen tritt Kobalt hauptsächlich zwei- und d r e i w e r t i g auf. Bei den einfachen Verbindungen ist die zweiwertige Stufe wesentlich beständiger als die dreiwertige; bei den komplexen Verbindungen liegen die Stabilitätsverhältnisse gerade umgekehrt (vgl. S. 540). V i e r w e r t i g e s Kobalt ist z. B. in den Verbindungen BaCoOa und Ba 2 Co0 4 enthalten, die sich durch Oxydation der zweiwertigen Oxydationsstufe mit Luftsauerstoff gewinnen lassen; n u l l w e r t i g e s Kobalt liegt in den Kobaltcarbonylen (S. 544) und in der Verbindung K4[Co(CN)4] vor. Verwendung. Ein Teil des Kobalts geht in Form von „Schmälte" (Kalium-kobaltsilicat) zur Färbung von Glasflüssen (S. 341) in die keramische und Glasindustrie („Kobaltblau", „Kobaltglas"). Eine Legierung aus 50—60% Co, 3 0 - ^ 0 % Cr und 8—20°/0 W („Stellit") wird zur Herstellung von Meißelspitzen benutzt, da sie wie der Schnelldrehstahl (S. 533) ihre Härte bis über 600° beibehält. Kobalt(II)-Verbindungen. Wässerige Kobalt(II)-salzlösungen und k r i s t a l l w a s s e r h a l t i g e Kobalt(II)-salze sind rot gefärbt, da sie das rote Komplex-ion [Co(H 2 0) 6 ]" enthalten. Die wasserfreien Kobalt(II)-salze dagegen sind rein blau. Besonders leicht gelingt die Entwässerung beim Kobalt(II)-chlorid CoCl2 • 6 H 2 0 , das schon beim Erwärmen auf etwa 35° blau wird. Schreibt man daher mit einer verdünnten Kobalt(II)-chloridlösung auf Papier, so sind die Schriftzüge bei gewöhnlicher Temperatur fast nicht zu sehen, während sie bei leichtem Erwärmen schön blau erscheinen (,,sympathetische Tinte"). An feuchter Luft färbt sich das wasserfreie blaue Kobalt(II)salz infolge Wasseraufnahme wieder rosa, worauf die „Wetterbilder" und ,,Wetterblumen" beruhen, die einen um so blaueren Ton annehmen, je trockener die Luft, also je geringer die Wahrscheinlichkeit einer Regenbildung ist. Kobalt(II)-sulfat CoS0 4 • 7 H 2 0 bildet dunkelrote, monokline Prismen, die mit Eisen(II) - sulfat und anderen Vitriolen isomorph sind und mit Alkalisulfaten Doppelsalze des Typus K 2 Co(S0 4 ) 2 • 6 H 2 0 geben. Kobalt(II)-nitrat Co(N03)2 • 6 H 2 0 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form roter, monokliner Tafeln aus. Erhitzt man Kobalt(II)-nitrat mit Aluminiumsulfat, so entsteht aus den den beiden Salzen zugrunde liegenden Oxyden éin blau gefärbter S p i n e l l : C o O + A 1 2 0 3 — > Al 2 [Co0 4 ] {„THÉNARDS-BICIU"\ S. 346). Die Blaufärbung ist so intensiv, daß man sie zum Nachweis von Aluminium benutzen kann. In ähnlicher Weise verwendet man das beim Glühen von Kobaltnitrat mit Zinkoxyd entstehende grüne Kobaltzinkat („RINMANS-Grün" ; S. 475) zum Nachweis von Zink. Das durch Zugabe von ammoniakalischer Schwefelammonlösung zu Kobalt(II)-salz-

540

Die Eisengnippe

lösungen unter L u f t a b s c h l u ß frisch g e f ä l l t e amorphe Kobalt(II)-sulfid löst sich in kalter verdünnter Salzsäure leicht unter H2S-Entwicklung auf 1 : CoS + 2HCl

CoCla + H 2 S.

CoS (1)

Beim Fällen unter L u f t z u t r i t t oxydiert sich das Kobalt(II)-sulfid rasch zu säurelöslichem 2 basischem Kobalt(III)-sulfid: 2 CoS + 1 0 2 + H 2 0

>• 2Co(OH)S,

(2)

das bei Gegenwart von überschüssigem Schwefelammon in säureunlösliches Kobalt(III)-sulfid übergeht: 2CO(OH)S + H 2 S

Co 2 S 3 + 2 H O .

(3)

Auf diesem Übergang des säurelöslichen CoS in säureunlösliches Co2S3 in alkalischer Lösung8 (analoges gilt für das Nickel, S. 542) beruht die Möglichkeit der analytischen Abtrennung des Kobalts und Nickels von den Elementen der Schwefelwasserstoff- und Schwefelammongruppe (S. 194f.), indem CoS und NiS beim Fällen der Schwefelwasserstoffgruppe aus saurer Lösung3 infolge ihrer Leichtlöslichkeit nicht ausfallen, während sie beim Fällen der Schwefelammongruppe aus ammoniakalischer Lösung infolge des Übergangs in säureunlösliches Co2S3 bzw. Ni2S3 leicht von den säurelöslichen übrigen Sulfiden dieser Gruppe zu trennen sind (Behandlung des Schwefelammon-Niederschlags mit verdünnter Salzsäure). Kobalt(III)-Verbindungen. Das vorstehend erwähnte basische Kobalt(III)-sulfid Co(OH)S (analoges gilt vom basischen Nickel(III)-sulfid Ni(OH)S) ist ein Oxydationsmittel und vermag im feuchten Zustande beispielsweise CO zu C0 2 zu oxydieren: 2Co(OH)S + CO

2CoS + C0 2 + H 2 0 .

Ist dem Kohlenoxyd Luft oder Sauerstoff beigemischt, so geht die Reaktion infolge dauernder Regeneration des basischen Sulfids — vgl. (2) — weiter, so daß feuchtes Co(OH)S die Oxydation des CO zu C0 2 durch Luftsauerstoff katalysiert 4 . Kobalt(III)oxyd Co203 entsteht als braunschwarzes Pulver bei gelindem Erhitzen von Kobalt(II)nitrat: 2Co(N03)2 —>• Co203 + 4N0 2 + 1 l i 0 2 . Bei stärkerem Glühen geht es zunächst in das schwarze Kobalt (II, III)-oxyd Co304 und schließlich in das olivenfarbeneKobalt(Il)-oxyd CoO über. Kobalt(III)-sulfat Co2(S04)3 • 18H 2 0 bildet sich in der Kälte bei anodischer Oxydation von Kobalt(II)-sulfat in konzentrierter Schwefelsäure: 2 C o S 0 4 + S 0 4 " —>- Co 2 (S0 4 ) 3 + 2 © und bildet mit Kaliumsulfat einen den anderen Alaunen (S. 390f.) entsprechenden Kobaltalaun KCo(S0 4 ) 2 • 12H 2 0. Wie alle n i c h t k o m p l e x e n Kobalt(III)-salze ist es sehr unbeständig und geht in wässeriger Lösung in Kobalt(II)sulfat über. Umgekehrt haben die komplexen Kobalt(II)-Verbindungen ein großes Bestreben, sich zu Kobalt(III)-Verbindungen zu oxydieren. Versetzt man z. B. eine Kobalt(II)-salzlösung mit einem Überschuß von Kaliumcyanid, so bildet sich zwar zunächst das dem gelben Blutlaugensalz entsprechende rotviolette Kalium-hexacyanokobaltat(II) K 4 [Co(CN)6]. Dieses geht aber in wässeriger Lösung — bei Luftabschluß unter Wasserstoffentwicklung, an der Luft ohne eine solche — in das mit dem roten Blutlaugensalz isomorphe hellgelbe Kalium-hexacyano-kobaltat(III) K8[Co(CN)e] über: 2[Co(CN) 6 ]"" -f 2H' —2[Co(CN) 6 ]"' + H 2 . Die Stabilitätsverhältnisse liegen hier 1 Zum Unterschied davon ist das aus e s s i g s a u r e r Lösung mit H S fällbare k r i s t a l l i n e 2 CoS in verdünnter Salzsäure schwer löslich (vgl. S. 395). 2 Der bei der Auflösung in Säure freiwerdende Schwefelwasserstoff (Co(OH)S + 3 HCl >- CoCl3 + H 2 S + H 2 0 ) reagiert, soweit er nicht zu Schwefel oxydiert wird (2CoCl3 + H a S y 2CoCl2 + 2HCl + S) gemäß (3) weiter, so daß nur ein Teil des Co(OH)S in Lösung geht: 4Co(OH)S + 4 HCl >• 2 CoCl2 + Co2S3 + S + 4 H 2 0 . 3 In saurer Lösung bleibt die Oxydation (2) aus. 4 Die Katalyse ist nicht unbegrenzt fortsetzbar, da das Kobaltsulfid CoS infolge teilweiser Selbstoxydation zu Kobaltsulfat CoS0 4 allmählich verbraucht wird.

Das Nickel

541

also gerade umgekehrt wie bei den entsprechenden E i s e n Verbindungen (S. 537 f.), was durch die unterschiedlichen Elektronenkonfigurationen bedingt wird (vgl. S. 160). Zur Abtrennung vom Nickel und zum Nachweis von K o b a l t eignet sich das gelbe, kristalline, schwerlösliche Kalium-hexanitro-kobaltat (III) K 3 [Co(N0 2 ) 6 ], das beim Versetzen von Kobalt(II)-salzlösungen mit überschüssigem Kaliumnitrit und Ansäuern mit verdünnter Essigsäure ausfällt: Co" + NO./ -)- 2H"—>Co"' + N O + H 2 0 ; Co"' + 6N0 2 ' — > [Co(N0 2 ) e ]"'.

3. Das Nickel Vorkommen. Etwa 9 0 % der Weltproduktion an Nickel werden aus den in Ontario (Kanada) vorkommenden Magnetkiesen Fe 3 S 4 erzeugt. Sie enthalten K u p f e r (als Kupferkies CuFeS2) und Nickel (als Pentlandit NiS), sowie Spuren von Gold, S i l b e r und P l a t i n m e t a l l e n . Weiterhin ist für die Nickelgewinnimg der Garnierit (Ni, Mg)H 2 Si0 4 wichtig, der sich vor allem in Neukaledonien findet. Von sonstigen Nickelerzen sind zu erwähnen: der Rotnickelkies NiAs, der Weißnickelkies NiAs2, der Arsennickelkies NiAsS und die Nickelblende

NiS.

Darstellung. Die Darstellung des Nickels aus den kanadischen Magnetkiesen erfolgt analog der Kupfergewinnung (S. 450f.) in der Weise, daß man das — zur Entfernung eines Teils des Schwefels vorgeröstete — Material, das zur Hauptsache aus Ni 2 S, Cu 2 S, FeS und Fe 2 0 3 besteht, mit kieselsäurehaltigen Zuschlägen und K o k s verschmilzt. Hierbei verschlackt das E i s e n o x y d unter Kohlenoxydbildung großenteils zu E i s e n s i l i c a t , welches ständig aus dem Ofen abfließt, während der gleichzeitig gebildete, hauptsächlich aus Ni2S, Cu2S und FeS bestehende, spezifisch schwerere „Kupfer-Nickel-Rohstein" periodisch abgestochen wird und zur weiteren Abtrennung des Eisens in den K o n v e r t e r gelangt. Hier wird das E i s e n s u l f i d durch eingeblasene Luft o x y d i e r t und mit zugesetztem Si0 2 v e r s c h l a c k t . Zurück bleibt der zur Hauptsache aus Ni 2 S und Cu2S bestehende „Kupfer-Nickel-Feinstein" mit 80°/0 Cu + M und 20°/0 S. Er wird in Formen gegossen und zerkleinert. Die K o n v e r t e r g a s e dienen zur Schwefelsäuregewinnung. Die Weiterverarbeitung des zerkleinerten K u p f e r - N i c k e l - F e i n s t e i n s kann in verschiedener Weise erfolgen. Entweder verzichtet man auf eine Trennung von Kupfer und Nickel und röstet den Feinstein bei etwa 1100° zu einem Gemisch von Nickelund K u p f e r o x y d ab, welches sich mit K o h l e in Flammöfen zu einer KupferN i c k e l - L e g i e r u n g mit durchschnittlich 7 0 % N i und 30°/ 0 Cu („Monelmetall") reduzieren läßt. Oder man verschmilzt den Feinstein mit N a t r i u m s u l f i d Na2S (Natriumsulfat und Kohle), wobei nur das Kupfersulfid ein leicht schmelzendes Doppelsulfid bildet, so daß sich das flüssige Schmelzgemisch in zwei scharf getrennte S c h i c h t e n — den aus Nickelsulfid bestehenden „Boden" und den das K u p f e r s u l f i d enthaltenden „Kopf" — trennt; die „Böden" werden dann zu N i c k e l o x y d geröstet und mit K o h l e zu metallischem Nickel reduziert, das zur weiteren Reinigung schließlich noch e l e k t r o l y t i s c h r a f f i n i e r t wird. Ein wesentlich reineres Nickel läßt sich aus dem Feinstein nach dem „MOND-Verfahren" gewinnen, das auf der Bildung und Zersetzung von N i c k e l t e t r a c a r b o n y l beruht: Ni + 4CO

Ni(CO)4 + 43.3 kcal.

Dieser „MONDSche Nickelprozeß" verläuft im einzelnen so, daß man den bei 700° totgerösteten F e i n s t e i n in 10 m hohen und 2 m weiten Türmen bei etwa 400° mit Wassergas reduziert NiO + CO —>• Ni + COa) und das reduzierte Material in ähnlichen Türmen („ Verflüchtiger") bei 80° einem von unten aufsteigenden K o h l e n o x y d s t r o m entgegenführt. Das hierbei gebildete und anschließend von Flugstaub befreite N i c k e l c a r b o n y l gelangt dann in gußeiserne, übereinander angeordnete, mit Nickelkügelchen von 2—5 mm Durchmesser ge-

542

Die Eisengruppe

füllte und auf 180° angeheizte Z e r s e t z u n g s k a m m e r n („Zersetzer"), in welchen es sich in K o h l e n o x y d und N i c k e l zersetzt. Das N i c k e l scheidet sich dabei auf den Kugeln mit einer Reinheit von 99.8—99.9% ab. Das freigewordene K o h l e n o x y d kehrt wieder in den Prozeß zurück.

Eigenschaften. Nickel ist ein silberweißes, schmied- und schweißbares, zähes, bei 1455° schmelzendes und bei 2730° siedendes, schwach magnetisches Metall vom spezifischen Gewicht 8.90. Wegen seiner Polierbarkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Luft werden Haus- und Küchengeräte vielfach g a l v a n i s c h v e r n i c k e l t oder mit N i c k e l b l e c h v e r s c h w e i ß t („Plattierung"). Von n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n wird Nickel bei Zimmertemperatur nur l a n g s a m , von o x y d i e r e n d e n S ä u r e n l e i c h t gelöst. Gegenüber A l k a l i h y d r o x y d e n ist es selbst bei 300—400° beständig; deshalb lassen sich Nickeltiegel im Laboratorium gut zum Schmelzen von Natriumund Kaliumhydroxyd gebrauchen. I n seinen chemischen Verbindungen tritt Nickel praktisch nur z w e i w e r t i g auf, doch kommen auch Verbindungen des n u l l w e r t i g e n (z.B. K 4 Ni(CN) 4 , Ni(CO) 4 , Ni(PCl 3 ) 4 ), e i n w e r t i g e n (z.B. K 2 Ni(CN) 3 , K 2 Ni(CN) 3 CO), d r e i w e r t i g e n (z.B. Ba 2 Ni 2 0 6 , NiOOH, K 3 NiF 6 ) und v i e r w e r t i g e n Nickels (z.B. K 2 NiF 6 , BaNi0 3 , N a N i J 0 6 , NiO z ) vor. Verwendung. Die Hauptmenge an Nickel wird durch die S t a h l i n d u s t r i e verbraucht, da durch Zusatz einiger Prozente Nickel zum Stahl dessen H ä r t e und Z ä h i g k e i t stark erhöht wird. So werden aus Nickelstahl z. B. Gewehrläufe, Geschützrohre und Panzerplatten hergestellt. Ein anderer Teil dient zur g a l v a n i s c h e n V e r n i c k e l u n g sowie als R e i n n i c k e l zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen und von Münzen. Unter den N i c k e l l e g i e r u n g e n sind vor allem die N i c k e l - K u p f e r L e g i e r u n g e n (z.B. Monelmetall) zu erwähnen, die sich durch große K o r r o s i o n s b e s t ä n d i g k e i t auszeichnen. Auch N i c k e l - C h r o m - und N i c k e l - M o l y b d ä n Legierungen sind gegen Säuren sehr beständig. F e i n v e r t e i l t e s Nickel dient als technischer K a t a l y s a t o r für die Fetthärtung (II, S. 157f.). Nickelverbindungen. Nickel(II)-oxyd NiO hinterbleibt beim Glühen von Nickelsalzen flüchtiger Säuren (z. B. des Hydroxyds, Nitrats, Carbonats) als grünlichgraues, in Wasser unlösliches, in Säuren leicht lösliches Pulver vom Schmelzpunkt 1990°. Das beim Überleiten von Wasserstoff über Nickel(II)-oxyd bei 200° entstehende feinverteilte Nickel ist ein ausgezeichneter Katalysator für die Hydrierung organischer Verbindungen. Nickel(II)-hydroxyd Ni(OH) a fällt aus N i c k e l ( I I ) - s a l z l ö s u n g e n bei Zusatz von A l k a l i als grüner, voluminöser, an der L u f t beständiger Niederschlag aus. Bei der O x y d a t i o n mit Kaliumhypobromit (Brom und Kalilauge) geht es in schwarzes N i e k e l (III) - h y d r o x y d N i ( O H ) 3 über. N ickel(II)-chlorid NiCl 2 kristallisiert aus wässerigen Lösungen in Form grüner, monokliner Prismen der Zusammensetzung NiCl 2 • 6 H 2 0 aus und läßt sich nur im Chlorwasserstoffstrom zum wasserfreien, gelben Chlorid NiCl 2 entwässern. Nickel(II)-sulfid NiS läßt sich aus s a u r e n Lösungen von Nickel(II)salxen n i c h t durch Schwefelwasserstoff fällen. H a t man es aber mit Hilfe von A m m o n i u m s u l f i d erst einmal aus a m m o n i a k a l i s c h e r L ö s u n g niedergeschlagen, so löst es sich in verdünnten Säuren nicht mehr auf. Diese Erscheinung erklärt sich wie beim Kobaltsulfid CoS durch die leichte Oxydierbarkeit des säurelöslichen NiS in ammoniakalischer Lösung zu Ni(OH)S und dessen Übergang in säureunlösliches Ni 2 S 3 (vgl. S. 539 f.). Nickel(II)-sulf«¿NiS04 läßt sich aus wässerigen Lösungen in Form eines grünen Heptahydrats N i S 0 4 • 7 H 2 0 („Nickelritriol") auskristallisieren, das mit anderen Vitriolen analoger Zusammensetzung isomorph ist und wie diese Doppelsalze bildet. Nickel(II)-cyanid Ni(CN) 2 löst sich im Überschuß von Kaliumcyanid zu einer K o m p l e x V e r b i n d u n g K 2 [Ni(CN) 4 ], die schon durch Salzsäure unter Wiederabscheidung von Ni(CN) a zerlegt wird.

543

Die Metallcarbonyle

4. Die Metallcarbonyle Unter der Bezeichnung „Metallcarbonyle" faßt man eine Reihe von K o h l e n oxydverbindungen der Metalle der 6. bis 8. Nebengruppe des Periodensystems zusammen. Ihre Erforschung verdanken wir hauptsächlich dem deutschen Chemiker W A L T E R H I E B E R .

a) Systematik und Konstitution a) Monomolekulare Typen Besonders interessant sind unter denMetallcarbonylen die sehr flüchtigen monomolekularen TypenMe(CO)n. Sie werden nur von den Metallen mit gerader Ordnungszahl — also den Elementen Chrom, E i s e n , Nickel und ihren Homologen — gebildet und haben folgende charakteristische Zusammensetzungen: Cr(CO) 6 farblose, rhombische, sehr leicht sublimierende Kristalle

24

2 5

M Mn

26

Fc(C0)5 gelbe Flüssigkeit, Smp. — 2 0 ° , Sdp. 103°

27

Co

42

Mo(CO), farblose, rhombische, sehr leicht sublimierende Kristalle

43

Tc

44

RU(CO)5 farblose Flüssigkeit, Smp. — 22°

45

Rh

74

W(C0)6 farblose, rhombische, sehr leicht sublimierende Kristalle

75

Re

76

Os(CO) 5 farblose Flüssigkeit, Smp. — 15°

77

ir

28

Ni(C0)4 farblose Flüssigkeit, Smp. — 2 5 ° , Sdp. 43° Pd

78

Pt

Offensichtlich sind die Formeln auch hier wie bei vielen anderen Komplexverbindungen (vgl. S. 160) eine Folge des Bestrebens der Metalle, durch Einbau freier Elektronenpaare anderer Atome die Elektronenschale des n ä c h s t h ö h e r e n E d e l g a s e s zu erlangen. Denn genau wie beispielsweise das zweifach p o s i t i v geladene E i s e n ion (24 Elektronen) im Molekül des gelben B l u t l a u g e n s a l z e s durch die Anlagerung von sechs Cyan-ionen die Edelgasschale des K r y p t o n s (36 Elektronen) erreicht (24 + 6 x 2 = 36 Elektronen): Fe + 6 : C : : : N : — ^

[Fe(:C : : : N : ) , ]

,

gelangt das n e u t r a l e E i s e n a t o m , das zwei E l e k t r o n e n mehr besitzt (26 Elektronen), im Molekül des E i s e n p e n t a c a r b o n y l s durch die Aufnahme von fünf Kohlenoxydmolekülen zur gleichen E d e l g a s s c h a l e ( 2 6 + 5 x 2 = 36 Elektronen): Fe + 6 : C : : : O : — > -

[ F e ( : C : : : 0 :)5].

In derselben Weise erreichen R u t h e n i u m und Osmium in den analog gebauten Pentacarbonylen Ru(CO)s und Os(CO)5 die Edelgasschalen des X e n o n s und R a d o n s , während bei den Elementen der Chromgruppe (Chrom, Molybdän, Wolfram), denen je zwölf Elektronen zur nächsten Edelgaskonfiguration fehlen, eine Aufnahme von je sechs und beim Nickel, das nur a c h t Elektronen benötigt, eine Aufnahme von nur vier Kohlenoxydmolekülen pro Metallatom erforderlich ist.

Die Eisengruppe

544

Für die H e x a c a r b o n y l e ist eine Anordnung der C O - M o l e k ü l e an den sechs Ecken eines O k t a e d e r s , für das N i c k e l - t e t r a c a r b o n y l eine Anordnung an den vier Ecken eines T e t r a e d e r s nachgewiesen. Für die P e n t a c a r b o n y l e , deren Konstitution noch nicht sichersteht und bei denen offenbar nicht alle Kohlenoxydmoleküle gleichwertig sind (vgl. S. 546), wird die Konfiguration einer trigonalen Bipyramide als wahrscheinlichste angesehen.

ß) Höhermolekulare Typen Bei den weniger bis nicht flüchtigen h ö h e r m o l e k u l a r e n Typen: OR

26

Mn a (CO)io goldgelbe, monokline, sublimierbare Kristalle, Smp. 155°

43



Fe 3 (CO) 9 goldgelbe, pseudohexagonale Kristalle, Zers. bei 100°

Fe 3 (CO) I 8 tiefgrüne, monokline Prismen, Zers. bei 140° 44

Tc

27

Ru a (CO) 9 orangefarbene, monokline, sublimierende Prismen

Co 4 (C0),g schwarze Kristalle, Zers. bei 60° 45

EU 3 (CO) 12 grüne Nadeln 76

Ke 2 (CO) 10 farblose, monoklin-prismatische, sublimierbare Kristalle, Smp. 177°

Coj(CO)g orangefarbene Kristalle, Smp. 51°, Zers. bei 52°

Rh 8 (CO) 8 gelbrote Kristalle, Smp. 76° Kh4(CO)ig dunkelrote Kristalle, Sblp. > 150°

76

Os 2 (CO) 9 hellgelbe, pseudohexagonale, sublimierbare Kristalle Smp. 224°

77

Ir 8 (CO) 8 grüngelbe, bei 160° sublimierende Kristalle

Ir 4 (C0) 1 2 kanariengelbe, trigonale Kristalle, Zers. bei 210°

erreicht die auf jedes Metallatom entfallende G e s a m t e l e k t r o n e n z a h l (,,effektive Elektronenzahl") nicht ganz die Elektronenzahl des nächsten Edelgases. Denn während die m o n o m e r e n Typen, wie wir oben sahen, ganz allgemein die Zusammensetzung Me(CO)„ besitzen (wobei 2n die zur nächsten Edelgasschale fehlende Elektronenzahl bedeutet), kommt den d i m e r e n Gliedern die Bruttozusammensetzung Me(CO)n_o.5, den t r i m e r e n die Bruttozusammensetzung Me(CO) n _i und den t e t r a m e r e n die Bruttozusammensetzung M e ( C O ) n _ 1 . B z u : Me(CO) n _ 0 monomer

Me(CO) n _ 0

5

dimer

Me(CO) n _ trimer

1

Me(CO)n_16. tetramer

Da jedes Kohlenoxydmolekül ein E l e k t r o n e n p a a r beisteuert (S. 543), fehlen hier also den einzelnen Metallatomen e i n (dimere Carbonyle) bzw. z w e i (trimere Carbonyle) bzw. d r e i (tetramere Carbonyle) Elektronen bis zur nächsten Edelgasschale, was die Z u s a m m e n l a g e r u n g dieser Moleküle zu g r ö ß e r e n M o l e k ü l v e r b ä n d e n bedingt. Denn bei einer solchen Zusammenlagerung können die Metallatome der Carbonyle in ähnlicher Weise ihre Elektronenschalen vervollständigen, wie etwa das elektronen-ungesättigte Chloratom durch Vereinigung mit einem zweiten Chloratom zur Argonschale gelangt

C1 • +

" ¿ 1 : — > • : Cl: C1: j . Und zwar werden

im Falle der höhermolekularen Metallcarbonyle d a n n für alle beteiligten Atome Edelgasschalen erreicht, wenn man annimmt, daß j e d e s Metallatom mit j e d e m übrigen Metallatom des gleichen Moleküls j e e i n E l e k t r o n e n p a a r (direkt oder auf dem Wege über ein Kohlenoxydmolekül) g e m e i n s a m hat.

Die

545

MetaUcarbonyle

b) Darstellung Die k l a s s i s c h e D a r s t e l l u n g der Metallcarbonyle beruht auf der d i r e k t e n E i n w i r k u n g von K o h l e n o x y d auf Metall. Das Metall muß dabei in „ a k t i v e r F o r m " , d.h. in genügend f e i n e r Z e r t e i l u n g vorhegen. So wird z . B . das Nickeltetracarbonyl Ni(CO)4 technisch durch Überleiten von K o h l e n o x y d bei 80° über bei 400° durch Reduktion des Oxyds mit Wassergas gewonnenes N i c k e l p u l v e r dargestellt (S. 541). In analoger Weise gewinnt man Eisen-pentacarbonyl Fe(CO)6 und Kobalt-tetracarbonyl [Co(CO)4]2 technisch durch Erhitzen von f e i n v e r t e i l t e m E i s e n bzw. K o b a l t und K o h l e n o x y d unter Druck auf 150—200°. Bei E n e r g i e z u f u h r (z. B. in Form von Licht, Wärme oder chemischer Energie) gehen die so erhältlichen n i e d e r m o l e k u l a r e n Carbonyle in die energiereicheren h ö h e r m o l e k u l a r e n Typen über, die ihrerseits bei noch stärkerem Erhitzen in M e t a l l und K o h l e n o x y d zerfallen. So geht beispielsweise das E i s e n - p e n t a c a r b o n y l Fe(CO)6 am S o n n e n l i c h t allmählich in Eisen-enneacarbonyl Fe 2 (CO) 9 , bei der O x y d a t i o n im alkalischen System in Eisen-tetracarbonyl [Fe(CO)4]3 und beim E r h i t z e n auf 150° in Eisen („Carbonyleisen") über. Statt aus M e t a l l und Kohlenoxyd kann die Darstellung der Metallcarbonyle mit Vorteil auch durch Einwirkimg von Kohlenoxyd auf M e t a l l v e r b i n d u n g e n (z. B. Halogenide, Oxyde, Sulfide) bei e r h ö h t e r T e m p e r a t u r und u n t e r D r u c k erfolgen. So entsteht z. B. das Ruthenium-pentacarbonyl Ru(CO)s bei der Umsetzung von K o h l e n o x y d und R u t h e n i u m (III) -j odid und das Rhenium-pentacarbonyl [Re(CO)6]2 bei der Reaktion zwischen K o h l e n o x y d und R h e n i u m h e p t o x y d bzw. - h e p t a s u l f i d . Eine Erhöhung der Ausbeute läßt sich bei diesen Verfahren dadurch erreichen, daß man dem Reaktionsgemisch ein ,,Beimetall" zumischt, welches den an das carbonylbildende Metall gebundenen S ä u r e r e s t aufzunehmen vermag. So läßt sich z . B . die Ausbeute an K o b a l t - t e t r a c a r b o n y l [Co(CO)4]2 bei der Einwirkung von K o h l e n o x y d auf K o b a l t ( I I ) - b r o m i d bei 200 at und 250° durch Zugabe von S i l b e r , K u p f e r oder Zink auf ein M e h r f a c h e s s t e i g e r n . In gleicher Weise wirkt die Anwesenheit von Metallen, besonders K u p f e r , bei der technischen Darstellung von N i c k e l - und E i s e n c a r b o n y l aus s u l f i d h a l t i g e m Metall vorteilhaft. Auch in f l ü s s i g e r P h a s e lassen sich solche R e d u k t i o n e n von Metallverbindungen zu Carbonylen vorteilhaft durchführen. Läßt man etwa Kohlenoxyd auf alkalische Lösungen von Nickel(II)- oder Kobalt(II)-salzen bei Gegenwart von Dithionit einwirken, so wird in praktisch quantitativer Reaktion Nickelcarbonyl bzw. Kobaltcarbonylat gebildet: Ni" + S 2 0 4 " + 4OH' + 4CO >- Ni(CO)4 + 2SO," + 2H 2 0 Co" + IVaSjO/' + 6OH' + 4CO » Co(CO)/ + 3SO s " + 3HaO. Weitere Bildungsweisen von Carbonylen in flüssiger Phase beruhen auf der R e d o x d i s p r o p o r t i o n i e r u n g von Nickel- und Kobaltverbindungen (insbesondere Salzen organischer Thiosäuren) gemäß 2Nia+ —>- Ni» + Ni- Co(CO)4H.

Die beiden C a r b o n y l w a s s e r s t o f f e Fe(CO)4H2 (farblose Flüssigkeit vom Smp. —70°) und Co(CO)4H (hellgelbe Flüssigkeit vom Smp. —26°), die leicht der S e l b s t z e r s e t z u n g unter Abspaltung von W a s s e r s t o f f und Bildung W a s s e r s t o f f - f r e i e r C a r b o n y l e unterliegen: Fe(CO)4Ha - >- i/3[Fe(CO)4]s + H, Co(CO)4H — ^ V2[Co(CO)4]2 + V2H2> sind S ä u r e n und bilden S a l z e des Typus Me2[Fe(CO)4], MeH[Fe(CO) 4 ] bzw. Me[Co(CO)4], deren Anionen Fe(CO)4" bzw. Co(CO)4' als „Carbonylat"-ionen bezeichnet werden. Die D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n haben folgende Werte: CO(CO) 4 H

Co(CO) 4 ' + H-

K

Fe(C0)4H2

F e ( C 0 ) 4 H ' + H'

K x = 3.6 x 1 0 ~ 5 ( ~ Essigsäure)

Fe(CO) 4 H'

F e ( C O ) 4 " + H'

K , =

SA

1

l x

Salpetersäure) 10~ 1 4

H 2 S i n 2. S t u f e ) .

Als Kationen Me können z.B. Alkalimetalle oder Komplexionen wie Fe(NH 3 ) 6 ", Co(NH 3 ) 6 ", Ni(NH 3 ) 6 " oder Ammoniumionen wie C 5 H 5 NH' (C 5 H 6 N = Pyridin), C12H8N2H2"" (C 12 H 8 N 2 = o-Phenanthrolin) fungieren. Die Bildungstendenz der edelgasschaligen Carbonylationen Fe(CO)4" und Co(CO)4' (effektive Elektronenzahl = 36) ist so groß, daß sich die mehrkernigen Carbonyle des Eisens und Kobalts leicht unter Bildung von Carbonylationen zu disproportionieren vermögen: 2 Fe0 —»- Fe2+ + Fe 2 3Co0 —>- Co2+ + 2Co 1 -. Läßt man z. B. Äthylendiamin („en", vgl. S. 515) bei 145° auf Eisentetracarbonyl [Fe(CO)4]8 einwirken, so bildet sich gemäß 2Fe(CO)4 + 3 en — • [Fe(en)3][Fe(CO)4] + 4CO

Die Metallcarbonyle

547

ein komplexes Eisen(II)-salz der Eisonearbonylwasserstoffsäure. Analog reagiert K o b a l t t e t r a carbonyl [Co(CO)4]2 mit Ammoniak in wässerigem Medium gemäß 3CO(C0)4 + 6NH 3 —[Co(NHj),][Co(CO) 4 ] 2 + 4C0 unter Bildung eines komplexen Kobalt(II)-salzes der Kobaltcarbonylwasserstoffsäure. In ähnlicher Weise setzen sich andere Amine wie Pyridin, o-Phenanthrolin, a,a'-Dipyridyl, primäre, sekundäre und tertiäre Methyl- und Äthylamine sowie auch A l k o h o l e mit Carbonylen des Eisens, Kobalts, Nickels und Chroms um. Weiterhin lassen sich Carbonylationen durch R e d u k t i o n mehrkerniger Carbonyle bilden: [Fe(CO) 4 ] S + 6 ©

3 Fe(CO) 4 "

(e0 = — 0 . 7 4 Volt)

[Co(CO) 4 ] 2 + 2 ©

2CO(CO) 4 '

(E0 = —0.4 Volt).

So kann z. B. Kobalttetracarbonyl mit starken Reduktionsmitteln wie Zink und Säure, Lithiumalanat, Natriumamalgam oder Natrium in flüssigem Ammoniak glatt in Co(CO)4H bzw. seine Salze übergeführt werden. Im letztgenannten Ammonosystem ist die Bildimgstendenz der Carbonylate ganz besonders groß, wie aus folgenden Reaktionsbeispielen hervorgeht: Fe(CO)5 + 2 Na — • [Fe(CO)4]Naa + CO, [Co(CO)s]4 + 3Na >- 3[Co(CO)4]Na + Co.

In analoger Weise wie Eisen und Kobalt bilden auch die E l e m e n t h o m o l o g e n des Kobalts Carbonylwaaserstoffe: Bh(CO)4H und Ir(CO)4H. schwachgelbe (nur qualitativ Flüssigkeit nachgewiesen) Smp. —12»

Ebenso existieren offensichtlich Carbonylwasserstoffverbindungen des R h e n i u m s (Re(CO)BH) und O s m i u m s (Os(CO)4H2).

d) Nitrosylcarbonyle Unter den D e r i v a t e n der Metallcarbonyle sind vor allem die „Nitrosylcarbonyle" zu erwähnen, die neben K o h l e n o x y d m o l e k ü l e n CO auch S t i c k o x y d m o l e k ü l e NO im Molekül enthalten. Dieser Einbau von NO-Molekülen führt zu v a l e n z c h e m i s c h e n B e s o n d e r h e i t e n , die dadurch bedingt werden, daß das NO ein E l e k t r o n m e h r als das CO besitzt und dementsprechend auch ein E l e k t r o n m e h r als dieses zur effektiven Elektronenzahl des zentralen Metallatoms beisteuert. Infolge dieses zusätzlichen Elektrons vermag ja das NO zum Unterschied vom CO und in Analogie zu den Alkalimetallen S a l z e wie NO[BF 4 ], NO[ClOJ und N 0 [ S 0 4 H ] zu bilden, in denen die NO-gruppe das K a t i o n darstellt: [:N¡::0:]G

[: N : : : 0 : ] + +

©.

Tritt dementsprechend ein S t i c k o x y d m o l e k ü l als Komplexbestandteil in ein Molekül ein, so gibt es das überzählige Elektron an das Zentralatom ab, um sich dann als p o s i t i v e s I o n mit Hilfe seines freien Stickstoff-Elektronenpaares in ganz analoger Weise anzulagern, wie etwa der komplexe Einbau eines K o h l e n o x y d m o l e k ü l s oder eines negativen C y a n i d - i o n s erfolgt: Beispiele:

:N:::0: [Fen(CN) T N0]"

:C:::0: [Feli(CN) 6 C0]'"

:C:::N: [Feii(CN)5CN]"".

Ersetzt man daher z. B. in der Formel des N i c k e l - t e t r a c a r b o n y l s Ni(CO)4 ein oder z w e i CO-Moleküle durch eine entsprechende Zahl von NO-Molekülen, so muß man — falls man zu a n a l o g z u s a m m e n g e s e t z t e n Molekülen kommen will — gleichzeitig das Nickelatom durch K o b a l t bzw. E i s e n (welche e i n bzw. z w e i E l e k 35*

548

Die Eisengruppe

tronen w e n i g e r besitzen) ersetzen, um der durch den Eintritt des Stickoxyds bedingten Vermehrung der effektiven Elektronenzahl (S. 544) des Zentralatoms Rechnung zu tragen: Ni(CO)4

Co(CO)3NO

farblose Flüssigkeit, Smp. —25°, Sdp. 43"

Fe(CO)2(NO)2

rote Flüssigkeit, Smp. - 1 ° , Sdp. 79°

rot« Flüssigkeit, Smp. 18», Sdp. 110°.

Denn durch die Aufnahme eines bzw. zweier Elektronen werden E i s e n und K o b a l t zu „ P s e u d o - n i c k e l - a t o m e n " (Elektronenzahl: 2 6 - f 2 = 27 + 1 = 2 8 ) : Fe^Co^Ni Fe-^CoFe-, wie auch die schon besprochene Verbindungsreihe Fe(CO) 4 H 2 > Co(CO) 4 H und N i ( C 0 ) 4 zeigt (S. 546), bei der die negativen Ladungen der Metallatome in den Carbonylat-ionen Me(CO) 4 n _ durch positive Wasserstoff-ionen neutralisiert sind. Die Darstellung der obigen Nitrosylcarbonyle des Kobalts und Eisens erfolgt a m einfachsten durch Einwirkung von salpetriger Säure ( N 0 2 ' + 2 H ' -> NO" + H 2 0 ) auf die betreffenden Carbonylate: Co(C0)4' + Fe(CO)4" +

N O " — > - CO(CO) 3 NO + 2NO'

CO

Fe(CO)2(NO)2 +

2CO.

Im Zusammenhang mit den Nitrosyl-carbonyl -komplexen seien die Nitrosyl- c y a n o komplexe („Nitrosyl-prussiate" im weiteren Sinne; vgl. S. 538) wie beispielsweise [Mn(CN) 8 NO]"'

[Fe(CN) 5 NO]"

[Ni(CN) 3 NO]"

(2)

erwähnt, deren effektive Elektronenzahl der Elektroncnzahl von Edelgasen (hier des Kryptons) entspricht und die in einfacher Weise durch Einwirkung von H y d r o x y l a m i n auf die entsprechenden Cyanokomplexe in a l k a l i s c h e r L ö s u n g darstellbar sind, wobei eine der eintretenden NO-Menge äquivalente Menge Ammoniak entbunden wird. Die Wirkung des Hydroxylamins beruht auf seiner Fähigkeit zur Disproportionierung in Ammoniak und Nitroxylsäure (vgl. S. 244f.): 2 H3NO >H a N + H 3 N 0 2 ( = ? ä 5 > HNO), indem die dabei gebildete Säure HNO in der alkalisehen Lösung (HNO + Ofi' > NO' + H 2 0) als Nitroxylat-ion NO' in die komplexen Cyanide eintritt: [Mn(CN),]"' + NO' — > - [Mn(CN) s NO]"' + CN', rot violett [Ni(CN) 4 ]" + NO' — > - [Ni(CN) 3 NO]" + CN'. blaßgelb violett

(3>

Die t r e i b e n d e K r a f t des CN'/NO'-Austausches bildet der innermolekulare Übergang des N i t r o x y l a t - i o n s NO' in den Bindungszustand des N i t r o s y l - i o n s NO': :N::Ö: :N:::0: + 2 Q, Nitroxylat-ion Nitrosyl-ion

(4)

wobei 2 Elektronen frei werden, die die effektive Elektronenzahl 34 des Mangans bzw. Nickes in den obigen Cyanokomplexen (3) zur Elektronenzahl 36 des Kryptons ergänzen. Besitzt der mittels Hydroxylamin in ein Nitrosylprussiat umzuwandelnde Cyanokomplex bereits von vornherein die effektive Elektronenzahl eines Edelgases, wie dies bei dem Cyano-eisen-komplex [Fe(CN),]"" der Fall ist, so tritt naturgemäß die NO-Gruppe als N i t r o s y l - i o n NO' in das Molekül ein: [Fe(CN) e ]"" + NO' —>• [Fe(CN) 5 NO]" + CN', so daß sich die negative Ladung des Cyano-komplexes um 2 Einheiten vermindert. Die Bindungsumlagerung (4) bedingt dann eine extramolekulare Reduktionsreaktion, nämlich die Umwandlung von überschüssigem Hydroxylamin in Ammoniak (2Q + H3NO + HaO — > H S N + 20H').

Die Metallcarbonyle

549

e) Substitutionsverbindungen der Metallcarbonyle Isonitril-Derivate. Wie die schweflige Säure (S.204f.) und salpetrige Säure (S.242f.) kommt auch die B l a u s ä u r e HCN in zwei tautomeren, miteinander im Gleichgewicht stehenden Formen vor: H:C:::N: :C:::N: H , die als „Nitril"- und „Isonitril"-¥orm voneinander unterschieden werden. Das tautomere Gleichgewicht liegt ganz auf der Seite der N i t r i l f o r m ; doch lassen sich beide Molekülarten in Form organischer Derivate getrennt als „Nitrile" R : C : : : N : und ,,Isonitrile" : C : : : N : R (R = Kohlenwasserstoffrest) isolieren, welche in ihrer Elektronenkonfiguration dem Kohlenoxyd : C : : : 0 : entsprechen. Wie das Kohlenoxyd vermögen sich nun auch die I s o n i t r i l e mit ihrem freien Kohlenstoff-Elektronenpaar an die carbonyl-bildenden Metalle anzulagern. Die Bindung zwischen Metall und Kohlenstoff ist dabei fester als bei den Carbonylen, so daß bei der Einwirkung von Isonitrilen auf Metallcarbonyle unter Austausch von CO gegen CNR M e t a l l i s o n i t r i l e gebildet werden. So führt beispielsweise die Umsetzung von Nickel-tetracarbonyl Ni(CO)4 mit M e t h y l isonitril QNR (R = CH3) zum blaßgelben, kristallinen Nickel-monocarbonyl-trimethylisonitril Ni(CO)(CNR)3, während bei der entsprechenden Einwirkung von P h e n y l isonitril CNR (R = C6H5) Nickeltetraphenylisonitril Ni(CNR) 4 entsteht, das in prächtigen kanariengelben, in Chloroform leicht löslichen Prismen kristallisiert. Die Ersetzbarkeit von Kohlenoxyd durch Isonitril nimmt in der Reihenfolge Cr, Fe, Co, Ni zu. Nur beim N i c k e l entstehen daher totalsubstituierte Produkte, während die Kobalt-isonitrilcarbonyle wenigstens noch 1 Mol, die des E i s e n s noch 3 Mol und die des Chroms noch 5 Mol CO pro Metallatom enthalten (z. B. [Co(CO)(CNR)3]2, Ee(CO)3(CNR)2, Cr(CO)6(CNR)). Doch sind auf anderem Wege, z. B. durch Einwirkung von Isonitrilen auf Chrom(II)-salze, auch vollsubstituierte Isonitrilkomplexe des Chroms darstellbar: 3Cr" + 18CNR >• Cr(CNR)6 + 2Cr(CNR)„-.

Phosphorhalogenid-Derivate. Erwähnenswert sind auch die bei der Einwirkung von P h o s p h o r t r i h a l o g e n i d e n auf Carbonyle entstehenden Substitutionsverbindungen. Im Falle des Nickeltetracarbonyls bilden sich hierbei die diamagnetischen, in organischen Lösungsmitteln löslichen T e t r a - p h o s p h o r t r i h a l o g e n i d - V e r b i n d u n g e n Ni(PX 3 ) 4 (X = F : farblose Flüssigkeit vom Smp. —54° und Sdp. +71°; X = C1: blaßgelbe Kristalle;lX = B r : orangerote Kristalle). Mit dem homologen A n t i m o n t r i c h l o r i d lassen sich nur noch partiell substituierte Derivate wie Ni(CO)3(SbCl3) und Fe(CO)3(SbCl3)a isolieren. Analoges gilt für die Verbindungen mit T r i p h e n y l p h o s p h i n , - a r s i n und - s t i b i n (z. B. Fe(CO)3(PR3)2, Ni(CO)2(PR3)2).

Kapitel XXV

Die Gruppe der Platinmetalle Unter dem Namen Platinmetalle faßt man die gemeinschaftlich vorkommenden Metalle R u t h e n i u m , Rhodium, P a l l a d i u m , Osmium, Iridium und P l a t i n zusammen.

1. Vorkommen Bei dem Vorkommen der Platinmetalle muß man zwischen primären und sekundären Lagerstätten unterscheiden. Der Gehalt der primären Lagerstätten (Eisen-, Chrom-, Nickel-, Kupfererze) an Platinmetallen ist sehr gering. Die wichtigsten derartigen Platinvorkommen sind die kanadischen Kupfer-Nickel-Magnetkiese in Ontario und die südafrikanischen Kupfer-Nickel-Kiese in Transvaal, in welchen die Platinmetalle als Sulfide enthalten sind. Durch Verwitterung solcher primärer Lagerstätten und durch einen durch fließende Gewässer bedingten natürlichen Schwemmprozeß haben sich die Platinmetalle dank ihres hohen spezifischen Gewichtes an bestimmten Stellen angereichert. Derartige sekundäre Lagerstätten finden sich vor allem am Ost- und Westabhang des Urals sowie in Kolumbien. Sie enthalten die Platinmetalle in gediegenem Zustande.

2. Gewinnung Zur Gewinnung der Platinmetalle müssen diese zunächst in Form des „Rohplatins" a n g e r e i c h e r t werden. Dies gesohieht bei dem gediegenen russischen und kolumbischen Vorkommen in der Weise, daß man durch einen Wasch- und Sedimentationsprozeß die spezifisch schwereren Rohplatinteilchen, die durchschnittlich 80°/0 Pt, 10°/0 Fe + Cu und je l°/ 0 der übrigen Platinmetalle enthalten, von dem spezifisch leichteren Sand und Geröll abtrennt. Bei der Aufarbeitung der kanadischen Magnetkiese auf Nickel reichern sich die Platinmetalle mit dem Nickel an und sammeln sich bei der e l e k t r o l y t i s c h e n Reinigung des Nickels im Anodenschlamm, bei der Reinigung nach dem MoND-Ve r f a h r e n im Rückstand der Kohlenoxydbehandlung. Die in den südafrikanischen Erzen enthaltenen Platinmineralien werden durch F l o t a t i o n angereichert und einer chlorierenden R ö s t u n g unterworfen, bei welcher die Platinmetalle in lösliche Doppelchloride übergehen. Bei der Aufarbeitimg g o l d h a l t i g e r Erze auf Gold sammeln sich die Platinmetalle im Anodenschlamm der elektrolytischen Goldraffination (S. 465). Das gewonnene R o h p l a t i n besteht aus zwei Legierungen, dem „Platin-iridium" (Pt, Ir, Rh, Pd) und dem „Osmium-iridium" (Os, Ir, Rh, Ru). Zur Trennung der beiden Gruppen behandelt man das Produkt mit Königswasser, wobei sich das P l a t i n iridium löst, während das Osmium-iridium ungelöst zurückbleibt. Die weitere Trennung und Reingewinnung der Einzelglieder ist eine schwierige und zeitraubende Operation, auf die hier nicht näher eingegangen sei. Sie gründet sich zur Hauptsache auf die Unterschiede in der O x y d i e r b a r k e i t der Metalle, der L ö s l i c h k e i t ihrer Komplexsalze und der B e s t ä n d i g k e i t der verschiedenen Wertigkeitsstufen.

Physikalische Eigenschaften — Chemische Eigenschaften

551

3. Physikalische Eigenschaften Die Platinmetalle sind stahlgraue bis silberweiße Edelmetalle. Ihre wichtigsten p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n gehen aus der folgenden Zusammenstellung hervor : Osmiumgruppe

Leichte Platinmetalle

Schwere Platinmetalle

Ru silberweiß, spröde spez. Gew. 12.25 Smp.2370°, Sdp. 4150° Wertigkeit: max. 8, best. 4 Os graublau, spröde spez. Gew. 22.48 Smp. 2700°, Sdp.>5300° Wertigkeit: max. 8, best. 6, 8

Iridiumgruppe

Platingruppe

Rh Pd silberweiß, dehnbar silberweiß, dehnbar spez. Gew. 11.97 spez. Gew. 12.35 Smp. 1966°, Sdp. > 2500° Smp. 1554°, Sdp. ~ 2540° Wertigkeit: Wertigkeit: max. 4, best. 2 max. 6, best. 3 Ir silberweiß, spröde spez. Gew. 22.42 Smp. 2454°, Sdp. 4400° Wertigkeit: max. 6, best. 3, 4

Pt grauweiß, dehnbar spez. Gew. 21.45 Smp. 1774°, Sdp. 4350° Wertigkeit: max. 6, best. 2, 4

Wie hieraus zu ersehen ist, nehmen s p e z i f i s c h e s G e w i c h t , S c h m e l z p u n k t und S i e d e p u n k t in der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links, also vom P a l l a d i u m zum Osmium hin zu. In gleicher Richtung steigen auch die maximalen und die beständigsten W e r t i g k e i t s s t u f e n der einzelnen Metalle. Die spezifisch leichteren Metalle der ersten waagerechten Periode faßt man unter dem Namen „leichte Platinmetalle" (spezifisches Gewicht ~ 12), die spezifisch schwereren der zweiten Periode unter der Bezeichnung „schwere Platinmetalle" (spezifisches Gewicht ~ 22) zusammen. Die senkrechten Gruppen unterscheidet man als Osmium-, Iridium- und Platingruppe.

4. Chemische Eigenschaften a) Osmiumgruppe Ruthenium und Osmium zeichnen sich vor den übrigen Platinmetallen dadurch aus, daß sie a c h t w e r t i g aufzutreten imstande sind. Ruthenium. Schmilzt man R u t h e n i u m mit K a l i u m h y d r o x y d und S a l p e t e r , so entsteht wie beim Mangan eine grüne Schmelze. Sie enthält das dem Kaliummanganat K J M N O I entsprechende Kaliumruthenat K 2 R U 0 4 (mit s e c h s w e r t i g e m Ruthenium), welches sich in Wasser mit orangegelber Farbe löst und aus der Lösung in Form grünglänzender Kristalle auskristallisiert werden kann. Beim A n s ä u e r n disproportionieren sich die orangegelben Kaliumruthenatlösungen analog den Manganatlösungen (vgl. S. 523) leicht unter Bildung von dunkelgrün gelöstem Kaliumperruthenat K R u 0 4 (mit s i e b e n w e r t i g e m Ruthenium) und niederem Oxyd. Ebenso können die Ruthenatlösungen durch Chlor zu Perruthenatlösungen o x y d i e r t werden: R u 0 4 " + 1 / 2 C1 2 —>- RuO/ + CT. Das P e r r u t h e n a t kristallisiert aus der wässerigen dunkelgrünen Lösung in Form schwarzer, metallglänzender Oktaeder aus. Leitet man einen s t a r k e n Chlorstrom in eine k o n z e n t r i e r t e Kaliumruthenatlösung, so geht die Oxydation über die Stufe des siebenwertigen Rutheniums hinaus bis zum a c h t w e r t i g e n Ruthenium, indem Ruthenium-tetroxyd R u 0 4 absublimiert: R u 0 4 " + C l 2 — > - R U 0 4 + 2C1'. Dieses Ruthenium-tetroxyd bildet goldgelbe, Dach

552

Die Gruppe der Platin me talle

Ozon riechende Kristalle, welche bei 25.5° schmelzen und etwas oberhalb von 100° unter Bildung gelber, die Schleimhäute des Halses empfindlich angreifender Dämpfe sieden. Von den Verbindungen des f ü n f w e r t i g e n Rutheniums sei das dunkelgrüne Ruthenium-pentafluorid RuF 6 erwähnt, welches zugleich das höchste Halogenid des Rutheniums ist. V i e r w e r t i g e s Ruthenium liegt dem Ruthenium-dioxyd R u 0 2 zugrunde, das beim Erhitzen von metallischem Ruthenium im Sauerstoffstrom als indigoblaues, metallglänzendes, säureunlösliches Pulver entsteht. Das diesem Oxyd entsprechende Ruthenium-tetrachlorid RUC14 kommt nur in Form roter K o m p l e x s a l z e der Zusammensetzung Me 2 [RuCl e ] vor. Dagegen ist durch Erhitzen der Elemente das rotbraune Ruthenium-trichlorid RUC13 in freier Form darstellbar. Osmium. Das dem Ruthenium-tetroxyd R u 0 4 entsprechende Osmium-tetroxyd 0 s 0 4 entsteht beim Erhitzen von feingepulvertem O s m i u m an der L u f t , kristallisiert in farblosen Kristallen vom Schmelzpunkt 40° und Siedepunkt 134° und ist bis 1500° beständig. Seine Dämpfe sind sehr giftig, riechen chloroxydähnlich und verursachen schlimme Augenentzündungen. Auch im Osmium-oktafluorid OsF 8 , einer leichtflüchtigen, citronengelben, kristallinen Substanz, tritt Osmium achtwertig auf. Beim Schmelzen mit K a l i u m h y d r o x y d und S a l p e t e r geht Osmium in Kaliumosmat K 2 0 s 0 4 über, das aus wässeriger Lösung in Form des dunkelvioletten DihycLrats K 2 0 s 0 4 - 2 H 2 0 auskristallisiert und nicht analog dem Kaliumruthenat unter Bildimg von Perosmaten disproportioniert. Mit C h l o r bildet Osmium die C h l o r i d e OsCl4, OsCls und OsCl 2 . Die vom OsCl4 abgeleiteten K o m p l e x s a l z e Me2[OsCl6] sind rot bis braunrot gefärbt und kristallisieren gut.

b) Iridiumgruppe Die beständigste Wertigkeitsstufe des Rhodiums und Iridiums ist die d r e i w e r t i g e Stufe; das Iridium bildet außerdem auch im v i e r w e r t i g e n Zustande noch beständige Verbindungen. Rhodium. Kompaktes Rhodium wird von keiner Säure, selbst nicht von K ö n i g s w a s s e r angegriffen. Beim Erhitzen von R h o d i u m p u l v e r im C h l o r s t r o m entsteht braunrotes, wasserfreies Rhodium-trichlorid RhCl 3 , das mit Alkalichloriden rote, gut kristallisierende K o m p l e x s a l z e des Typus Me3 [RhCl 6 ] bildet. Von diesen Salzen läßt sich namentlich das A m m o n i u m s a l z (NH 4 ) 3 [RhCl„] zur Abscheidung des Rhodiums verwenden. Noch schwerer löslich und daher zur Abtrennung des Rhodiums — vor allem vom Iridium — noch besser geeignet ist das hellgelbe C h l o r o - p e n t a m m i n Salz [Rh(NH 3 ) 5 Cl] Cl 2 . Von schmelzendem K a l i u m b i s u l f a t wird Rhodium kräftig unter Bildung eines gelben komplexen Sulfats angegriffen. Iridium. Wie Rhodium wird auch Iridium, das chemisch inaktivste Platinmetall, in reinem Zustande nicht von Königswasser angegriffen. Beim Erhitzen im C h l o r s t r ö m entsteht, je nach der Temperatur und dem Verteilungsgrad des Metalls, das braune Iridium-tetrachlorid IrCl 4 oder das dunkelolivengrüne Iridium-trichlorid IrCl 3 . Beide geben mit Alkalichloriden K o m p l e x s a l z e , von der Zusammensetzung Me 2 [IrCl 6 ] (schwarzrot) bzw. Me3[IrCI6] (olivgrün). Mit F l u o r vereinigt sich Iridium zum gelben, leichtflüchtigen Iridium-hexafluorid IrF 6 (Smp. 44°).

c) Platingruppe Palladium und Platin sind beide zwei- und vierwertig. Beim P a l l a d i u m ist dabei die z w e i w e r t i g e , beim P l a t i n die v i e r w e r t i g e Stufe die beständigere. Nullwertiges Palladium liegt in der Verbindung K 4 [Pd(CN) 4 ] vor. Palladium. Die charakteristischste Eigenschaft des metallischen Palladiums ist seine Fähigkeit, große Mengen von W a s s e r s t o f f zu a b s o r b i e r e n . So löst das k o m p a k t e M e t a l l bei Zimmertemperatur rund das 600fache, f e i n v e r t e i l t e s P a l l a d i u m

Chemische Eigenschaften

553

(„Palladiumschwamm") das 850-fache, eine wässerige Suspension von f e i n s t v e r t e i l t e m P a l l a d i u m („Palladiummohr", „Palladiumschwarz") das 1200-fache und eine k o l l o i d a l e P a l l a d i u m l ö s u n g sogar das 3000-fache Volumen Wasserstoff. Der im Palladium gelöste Wasserstoff ist besonders r e a k t i o n s f ä h i g und läßt sich in der organischen Chemie für viele R e d u k t i o n s z w e c k e verwenden. Durch ein h e i ß e s Palladiumblech diffundiert Wasserstoff so leicht hindurch, als ob überhaupt keine Trennungswand vorhanden wäre. Im übrigen ist das Palladium das unedelste und legierungsfreudigste Platinmetall. Unter den Verbindungen des z w e i w e r t i g e n Palladiums ist das Palladium(II)jodid P d J 2 besonders charakteristisch, das aus Lösungen von P a l l a d i u m (II)-salzen beim Versetzen mit K a l i u m j o d i d als schwarzer, in Wasser und Alkalien unlöslicher, im Überschuß von Kaliumjodid mit dunkelbrauner Farbe löslicher Niederschlag ausfällt. Das Palladium(II)-chlorid PdCl2 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form eines rotbraunen, zerfließlichen Dihydrats PdCl2 • 2 H 2 0 aus und bildet mit Alkalichloriden K o m p l e x s a l z e des Typus Me 2 [PdCl 4 ]. Es läßt sich in wässeriger Lösung sehr leicht zu metallischem, feinverteiltem, schwarzem P a l l a d i u m reduzieren. Beim Auflösen von feinverteiltem Palladium in K ö n i g s w a s s e r erhält man das Palladium(IV)-chlorid PdCl 4 in Form der braun gelösten H e x a c h l o r o - p a l l a d i u m ( I V ) - s ä u r e H 2 [PdCl 6 ]. Versetzt man die Lösimg mit Kalium- oder Ammoniumchlorid, so scheiden sich die schwerlöslichen roten K o m p l e x s a l z e K 2 [PdCl 6 ] bzw. (NH4)2[PdCl6] aus. Beim K o c h e n gibt die Lösung der Hexachloro-palladium(IV)-säure C h l o r a b : P d C l 4 — ^ PdCl2 + Cl2. Platin. Wie Palladium wird auch Platin in der Kälte nur von K ö n i g s w a s s e r nennenswert angegriffen, während es gegen andere Säuren beständig ist. Von schmelzenden H y d r o x y d e n , C y a n i d e n und S u l f i d e n der Alkalimetalle wird Platin wegen seiner großen Neigung zur Komplexsalzbildung angegriffen; diese Stoffe dürfen daher in Platintiegeln nicht erhitzt werden. Ebensowenig dürfen B l e i und andere S c h w e r m e t a l l e darin geschmolzen werden, weil sie mit Platin leichtschmelzende L e g i e r u n g e n bilden. Wie Palladium nimmt auch f e i n v e r t e i l t e s P l a t i n erhebliche Mengen W a s s e r s t o f f auf. Ebenso vermag es S a u e r s t o f f zu absorbieren, worauf wohl seine k a t a l y t i s c h e Wirkung bei O x y d a t i o n s p r o z e s s e n (vgl. S. 205, 239f.) beruht. Die bekannteste Verbindung des Platins ist die Hexachloro-platin(IV)-säure H 2 [PtCl 6 ], die beim Lösen von P l a t i n in K ö n i g s w a s s e r entsteht und aus wässeriger Lösung in Form gelber Kristalle der Zusammensetzung H 2 [PtCl 6 ] • 6 H 2 0 auskristallisiert. Die komplexe Natur dieser Säure ergibt sich daraus, daß Silbernitrat k e i n S i l b e r c h l o r i d , sondern ein gelbes Silbersalz Ag 2 [PtCl 6 ] fällt. Unter den A l k a l i s a l z e n sind die in Form goldgelber Oktaeder kristallisierenden Verbindungen (NH 4 ) 2 [PtCl 6 ], K 2 [PtCl 6 ], Rb 2 [PtCl 6 ] und Cs2[PtCl6] zum Unterschied vom entsprechenden Lithium und Natriumsalz in Wasser schwer löslich, so daß sie zur T r e n n u n g der schwereren Alkalimetalle von den leichteren benutzt werden können. Beim E r h i t z e n von (NH 4 ) 2 [PtCl 6 ] auf schwache Rotglut entsteht infolge Zersetzung des Salzes metallisches P l a t i n in Form einer grauen, locker zusammenhängenden Masse („Platinschwamm"). Bei der Einwirkung von R e d u k t i o n s m i t t e l n auf die wässerige Lösung des Salzes entsteht das Platin als ä u ß e r s t f e i n v e r t e i l t e s , sammetschwarzes Pulver („Platinschwarz", „Platinmohr"). Nimmt man die Reduktion in Gegenwart von A s b e s t vor, so schlägt sich das feinverteilte Platin auf dem oberflächenreichen Asbest nieder („Platinasbest"). Beim Versetzen einer Lösung von Hexachloro-platin(IV)-säure mit A l k a l i e n werden die Chloratome stufenweise durch Hydroxylgruppen ersetzt: [PtCl 6 ]" —>- [Pt(OH) 6 ]". Die als Endstufe entstehende gelbweiße Hexahydroxoplatin(IV)-säure H 2 [Pt(OH 6 )] geht beim Entwässern in schwarzes Platin(IV)-oxyd PtO, über.

554

Die Gruppe der Platinmetalle

E r h i t z t man die Hexachloro-platin(IV)-säure H 2 [PtCl 8 ] auf 240°, so entsteht das braune, wasserunlösliche Platin(II)-chlorid PtCl 2 . Es löst sich in Salzsäure unter Bildung der komplexen Tetrachloro-platin(II)-säure H 2 [PtCl 4 ] und bildet mit A l k a l i c h l o r i d e n Komplexsalze des Typus Me^PtClJ. In gleicher Weise bildet das zweiwertige Platin komplexe C y a n i d e des Typus Me 2 [PtiCNJJ. Unter diesen Verbindungen ist das B a r i u m - t e t r a c y a n o - p l a t i n a t ( I I ) Ba[Pt(CN) 4 ] • 4 H 2 0 zu erwähnen, das zum Nachweis von Kathoden-, Röntgen- und radioaktiven Strahlen dient (S. 569), da es unter der Einwirkung dieser Strahlen ein gelbgrünes F l u o r e s z e n z l i c h t ausstrahlt.

5. V e r w e n d u n g Ruthenium, ist das s e l t e n s t e unter den Platinmetallen und findet keine nennenswerte praktische Verwendung. Osmium zeichnet sich durch einen besonders h o h e n S c h m e l z p u n k t aus und wurde wegen dieser Eigenschaft eine Zeitlang zur Herstellung von G l ü h l a m p e n f ä d e n verwendet. Später wurde es durch T a n t a l (S. 506) und schließlich durch das heute übliche W o l f r a m (S. 517) verdrängt. Rhodium findet vorwiegend in L e g i e r u n g e n m i t P l a t i n Anwendung. Besonders wichtig sind hier Platinlegierungen mit einem Gehalt von 1—10°/0 Rh als Katalysatoren bei der A m m o n i a k v e r b r e n n u n g (S. 239f.), da sich derartige Legierungen vor dem Reinplatin durch erhöhte Ausbeuten, geringere Betriebsverluste und gute Haltbarkeit auszeichnen. Weiterhin macht das hohe Reflexionsvermögen das Rhodium als Belagmaterial für hochwertige S p i e g e l geeignet. Iridium zeichnet sich durch besondere H ä r t e aus, weshalb Goldschreibefedern vielfach mit I r i d i u m s p i t z e n versehen werden. Legierungen mit 10—20°/0 Iridium dienen wegen ihrer großen Härte und chemischen Widerstandsfähigkeit zur Herstellung chemischer L a b o r a t o r i u m s g e r ä t e (Tiegel, Schalen usw.). Der die Einheit des Längenmaßes bildende Normalstab (,, Urmeter") besteht aus einer Legierung von 90°/0 Platin und 10°/o Iridium. Palladium dient in feinstverteilter Form als Katalysator bei Hydrierungsreaktionen im L a b o r a t o r i u m . Für t e c h n i s c h e Z w e c k e wird das billigere N i c k e l als Katalysator vorgezogen. Beimengungen von 20—30°/0 Pd machen das S i l b e r a n l a u f b e s t ä n d i g (vgl. S. 459). Platin ist das w i c h t i g s t e und h ä u f i g s t e Metall der Platingruppe und findet ausgedehnte technische Verwendung. In Form von feinmaschigen P l a t i n d r a h t n e t z e n dient es als K a t a l y s a t o r für die Verbrennung von Ammoniak zu Stickoxyd (S. 239f.) und von Schwefeldioxyd zu Schwefeltrioxyd (S. 205). Auch im L a b o r a t o r i u m macht man von der katalytischen Wirkung feinverteilten Platins häufigen Gebrauch. Wegen seines hohen Schmelzpunktes und seiner chemischen Widerstandsfähigkeit dient es zur Herstellung c h e m i s c h e r G e r ä t e wie Tiegeln, Schalen, Anoden, Heizdrähten usw. Große Mengen Platin werden auch in der S c h m u c k i n d u s t r i e und in der Z a h n t e c h n i k verarbeitet. PlatinGold-legierungen bilden den besten Werkstoff für S p i n n d ü s e n (II, S. 258) zur Herstellung von Zellwolle und Kunstseide.

Kapitel XXVI

Die natürliche Elementumwandlung Wir wiesen schon früher (S. 138) darauf hin, daß die Elemente mit höheren Kernladungszahlen als der des Wismuts (Po, At, Rn, Fr, Ra, Ac, Th, Pa, U, Np, Pu, Am, Cm, Bk, Cf, E, Fm und Mv) unbeständig sind und „radioaktiv zerfallen". Dieser unter ElementumWandlung vor sich gehende radioaktive Zerfall geht vom A t o m k e r n und nicht von der E l e k t r o n e n h ü l l e des Atoms aus. Daher ist für das Verständnis der radioaktiven Erscheinungen die Kenntnis des Baus der A t o m k e r n e erforderlich.

1. D e r Atomkern a) Bau der Atomkerne a ) Urbausteine der Materie P r o t o n und N e u t r o n Nach unseren heutigen Kenntnissen sind alle Atomkerne aus zwei Kern-Elementarteilchen („Nukleonen") aufgebaut, den „Protonen" (p) und den „Neutronen" (n). Das P r o t o n besitzt d i e M a s s e l (genaues Atomgewicht: 1.00731) und die L a d u n g + 1 (d. h. 1 positive Elementarladung von 1.602 XlO" 1 9 Coulomb; vgl. S. 136). DasNeut r o n weist ebenfalls die Masse 1 auf (genaues Atomgewicht: 1.00868), ist aber zum Unterschied vom Proton e l e k t r i s c h n e u t r a l . Möglicherweise sind Proton und Neutron nichts anderes als z w e i Z u s t a n d s f o r m e n ein u n d d e s s e l b e n A t o m b a u s t e i n s , des Nukleons, wobei der N e u t r o n - Z u s t a n d des Nukleons entsprechend der größeren Masse des Neutrons einem h ö h e r e n E n e r g i e z u s t a n d des Nukleons entspricht als der P r o t o n - Z u s t a n d (vgl. S. 560). Man kann also gewissermaßen in Analogie zu den Erscheinungen in der Atomhülle (S. 140ff.) das N e u t r o n als den e r s t e n A n r e g u n g s z u s t a n d des N u k l e o n s auffassen, von dem aus das Nukleon im freien Zustande spontan, mit einer Halbwertszeit von 12.8 Minuten^vgl. S. 575f., 585), in den stabilen G r u n d z u s t a n d des P r o t o n s zurückfallen kann.

Protonen. J e d e s chemische E l e m e n t ist durch e i n e ganz b e s t i m m t e A n z a h l v o n P r o t o n e n im K e r n seiner A t o m e c h a r a k t e r i s i e r t . Diese P r o t o n e n z a h l („Kernladungszahl", „Atomnummer", „Ordnungszahl") variiert, wie aus der Tabelle auf S. 556 zu ersehen ist, zwischen 0 und 101, entsprechend der Existenz von 102 verschiedenen Atomarten 1 (vgl. S. 137, 440, 447 und 448). Enthält der Atomkern k e i n P r o t o n , so liegt das Element N e u t r o n i u m (S. 585) vor; enthält er 1 P r o t o n , so handelt es sich um das Element W a s s e r s t o f f ; 2 P r o t o n e n im Kern entsprechen dem Element H e l i u m usw. Die Reihe endet zur Zeit mit dem Element Mendelevium, das 101 K e r n p r o t o n e n aufweist. Bereits im Jahre 1815 hatte der englische Arzt WILLIAM PROUT (1785—1850) die Hypothese aufgestellt, daß a l l e c h e m i s c h e n E l e m e n t e aus dem leichtesten Element, dem W a s s e r s t o f f , aufgebaut seien. Diese Ansicht wurde dann wieder fallen gelassen, als sich herausstellte, daß die A t o m g e w i c h t e zahlreicher chemischer Elemente, bezogen auf Wasserstoff als Einheit, von der G a n z z a h l i g k e i t abwichen. Wie nun der oben wiedergegebene Aufbau der Atome aus Protonen (Wasserstoffkernen) zeigt, enthielt jene alte Hypothese durchaus einen w a h r e n K e r n . 1 Die Tabelle verzeichnet in Spalte 4 und 5 nicht nur die n a t ü r l i c h vorkommenden (fettgedruckte Kerngewiohte; vgl. Tabelle S.559), sondern auch die k ü n s t l i c h dargestellten (S.581ff.) Atomarten der aufgeführten Elemente.

556

Die natürliche Elementumwandlung

Atom-Nr.

Element

Symbol 1

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Neutronium Wasserstoff Helium Lithium Beryllium Bor Kohlenstoff Stickstoff Sauerstoff Fluor Neon

Nn H He Li Be B C N 0 F Ne

92

Uran

U

93

Neptunium

Np

94

Plutonium

Pu

95

Americium

Am

96

Curium

Cm

97

Berkelium

Bk

98

Californium

Cf

99

Einsteinium

E

100

Fermium

Fm

101

Mendelevium

Mv

Kernaufbau 0p 1p 2p 3p 4p 5p 6p 7p 8p 9p 10 p

+ + + + + + + + + -f +

1n 0, 1, 2 n 1, 2, 3, 4 n 3, 4, 5, 6 n 3, 4, 5, 6 n 3, 4, 5, 6, 7 n 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 n 5, 6, 7, 8, 9,10 n 6, 7, 8, 9,10,11 n 8, 9,10,11,12 n 8, 9,10,11,12,13 n

92 p + 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148 n 93 p + 138,139,140,141, 142, 143, 144, 145, 146,147,148 n 94 p + 138, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150 n 95 p + 142, 143, 144, 145, 146, 147,148,149 n 96 p -f 142, 143, 144, 145, 146,147,148,149, 150, 151 n 97 p + 146,147,148,149, 152, 153 n 98 p + 146, 148,149,150, 151, 152, 153, 154, 155 n 99 p + 147,148, 154, 155, 156, 157 n 100 p + 149, 150, 152, 154, 155, 156 n 101 p + 155 n

Kerngewicht 1

1, 2, 3 3,

4,

5,

6

7, 8, 9, 12, 14, 17, 18,

8, 9, 10, 13, 15, 18, 19,

9, 10, 11, 14, 16, 19, 20,

10 11, 12, 15, 17, 20, 21,

e, 7, 8, 9

12 13, 16, 18, 21 22,

14,15 17 19 23

227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240 231, 236, 241 232, 238, 243, 237, 242, 238, 243,

232, 233, 234, 235, 237, 238, 239, 240, 234, 239, 244 238, 243, 239, 244,

235, 236, 237, 240, 241, 242, 239, 240, 241, 244 240, 241, 242, 245, 246, 247,

243, 244, 245, 246, 249, 250 244, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253 246, 247, 253, 254, 255, 256 249, 260, 252, 254, 255, 256 256

Neutronen. Die außer den Protonen im Atomkern noch enthaltenen N e u t r o n e n bewirken gewissermaßen als „Kittsubstanz" den Zusammenhalt der — als gleichnamig geladene Teilchen sich gegenseitig abstoßenden — Protonen. Der Zusammenhalt beruht dabei wahrscheinlich auf einem dauernden gegenseitigen Austausch der elektrischen Ladung („Austauschkräfte"): nx + p2 px + n 2 (vgl. S. 558f.). Protonenund Neutronenzahl ergeben zusammen, da beide das abgerundete Atomgewicht 1 besitzen, das in der letzten Spalte der Tabelle angegebene a b g e r u n d e t e A t o m g e w i c h t des Kerns {„Massenzahl"). Auch die Zahl der N e u t r o n e n ist bestimmten G e s e t z m ä ß i g k e i t e n unterworfen (vgl. S. 558 f.). Sie kann aber zum Unterschied von der Zahl der Protonen innerhalb g e w i s s e r Grenzen s c h w a n k e n , ohne daß hierdurch die chemischen Eigenschaften des betreffenden Elements merklich verändert werden. Denn die chemischen Eigenschaften eines Atoms hängen praktisch nur vom Bau der E l e k t r o n e n h ü l l e (S. 138f., 145 ff.) und damit von der P r o t o n e n z a h l ab, so daß es für das chemische Verhalten eines Atoms gleichgültig ist, wieviele u n g e l a d e n e N e u t r o n e n sich außerdem im Atomkern befinden. Ein Atom, dessen Kern neben 3 Protonen noch 3 Neutronen enthält, unterscheidet sich also chemisch nicht von einem Atom, das neben diesen 1

Zum Symbol Nn vgl. S. 585.

Der Atomkern

557

3 Protonen noch 4 Neutronen im Kern aufweist; beide Atome sind Lithiumatome, da die Kernladungszahl und damit die Elektronenzahl in der Atomhülle 3 beträgt. Dem einen Lithiumatom kommt die Massenzahl 6, dem anderen die Massenzahl 7 zu. Das n a t ü r l i c h vorkommende Lithium ist ein G e m i s c h beider Atomarten, so daß sein m i t t l e r e s A t o m g e w i c h t (6.940) zwischen beiden Werten liegt. D a beide Atomsorten chemisch g l e i c h a r t i g reagieren, das Mischungsverhältnis also stets e r h a l t e n bleibt, ändert sich dieses Durchschnitts-Atomgewicht bei chemischen Reaktionen n i c h t . Daher bedient sich der Chemiker in der Praxis hier wie in anderen Fällen stets dieser — auf S. 27 zusammengestellten — m i t t l e r e n A t o m g e w i c h t e („praktische Atomgewichte"). Viele Versuche sind unternommen worden, auch beim Aufbau der Atomkerne Periodizitäten wie beim Aufbau der Atomhüllen zu entdecken, bei denen (vgl. S. 136) Schalen von 2n 2 = 2, 8, 18, 32, 50 und 72 Elektronen als besonders beständige, abgeschlossene Elektronenschalen zu betrachten sind. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Peststellung, daß Atomkerne mit 2, 8, 28, 50, 82 und 126 Neutronen oder Protonen besonders stabil sind. Man nimmt, an, daß diese sogenannten „magischen Zählen" a b g e s c h l o s s e n e N u k l e o n e n s c h a l e n charakterisieren. Isotope. Man nennt die zu einem Element gehörenden Atome g l e i c h e r K e r n l a d u n g und v e r s c h i e d e n e r M a s s e „Isotope" und kennzeichnet deren M a s s e n z a h l (Nukleonenzahl) durch einen l i n k s o b e n am Atomsymbol angebrachten Index, während man die K e r n l a d u n g s z a h l (Pr otonenzahl) durch einen l i n k s u n t e n befindlichen Index zum Ausdruck bringt. Für die beiden oben erwähnten Lithiumisotopen ergeben sich somit die Symbole |Li und ¡Li. Die Differenz beider Indices gibt naturgemäß jeweils die Neutronenzahl an. Der N a c h w e i s v o n I s o t o p e n eines Elements gelingt am einfachsten mit dem von dem englischen Physiker F R A N C I S W I L L I A M A S T O N stammenden „Massenspektrographen". Schickt man eine e l e k t r i s c h e E n t l a d u n g durch verdünnte Gase oder D ä m p f e , so werden durch Abspaltung von Elektronen p o s i t i v g e l a d e n e Atome oder Moleküle gebildet, die von der positiven A n o d e a b g e s t o ß e n und von der negativen K a t h o d e a n g e z o g e n werden. Ist die Kathode d u r c h l ö c h e r t , so fliegen die positiven Ionen durch die „Kanäle" hindurch und können außerhalb der Entladungsröhre als „Kanalstrahlen" zur weiteren Untersuchung dienen (Fig. 150). Entsprechend der verschiedenen L a d u n g e, der verschiedenen Masse m und der verschiedenen G e s c h w i n d i g k e i t v der Teilchen läßt sich ihre Bahn durch e l e k t r i s c h e und m a g n e t i s c h e F e l d e r beeinflussen. Durch eine sinnreiche Anordnung der beiden Felder kann die Ablenkung so erfolgen, daß unabhängig von der Geschwindigkeit jeweils a l l e T e i l c h e n m i t g l e i c h e r Masse u n d L a d u n g a n ein u n d d i e s e l b e S t e l l e g e l a n g e n und auf einer hier angebrachten photographischen Platte eine L i n i e ergeben (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Auf diese Weise erhält man ein dem gewöhnlichen optischen Spektrum ähnliches „Massenspektrum", das aus der Lage der Linien die einzelnen Massen m zu berechnen gestattet. Fig. 151 gibt ein solches S

J

f

\1~

~

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wl?— ' \

Gas

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~ ' *y ~ \ 6aS nen '°

\ u :Lv Kathode Fig. 150. Erzeugung von Kanalstrahlen

16 erkennt die Anwesenheit von 14 16 14N1H> 14N1H 12C1H 12N,1h N,

°'

CD

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Ihrer hohen kinetischen Energie entsprechend vermögen die «-, ß- und y-Strahlen Materie zu d u r c h q u e r e n . Am w e n i g s t e n d u r c h d r i n g e n d sind dabei die verhältnismäßig großen « - P a r t i k e i c h e n . So werden die «-Strahlen des Radiums bereits durch ein Aluminiumblatt von 1 / 200 mm Dicke zur Hälfte zurückgehalten und durch eine Luftschicht von 3 cm Dicke absorbiert. Die ß-Strahlen des Radiumzerfalls werden erst durch eine hundertmal dickere Aluminiümschicht von 1 / 2 mm Querschnitt und die noch durchdringenderen y-Strahlen sogar erst durch eine Aluminiumplatte von 8 cm Dicke zur Hälfte absorbiert. Beim Durchgang durch Materie v e r l i e r e n die «-, ß- und y-Strahlen infolge W e c h s e l w i r k u n g m i t der M a t e r i e (S. 572f.) s t u f e n w e i s e ihre E n e r g i e . Daher kann man z. B. die a-Strahlen statt durch ihren E n e r g i e g e h a l t auch durch ihre „Reichweite" in einem definierten Medium (Luft von 0° und 760 mm Druck) und die ß-Strahlen durch die S c h i c h t d i c k e von Aluminium oder Blei charakterisieren, die von einer einfallenden /?-Strahlung die H ä l f t e zurückzuhalten vermag (,,Halbierungsschicht"). Die E n d f o r m , in der alle von den radioaktiven Strahlen mitgeführte E n e r g i e nach mannigfaltiger Umwandlung schließlich erscheint, ist die W ä r m e . Daher besitzen z. B. R a d i u m s a l z e immer eine h ö h e r e T e m p e r a t u r als ihre Umgebung. Entsprechend der außerordentlich hohen kinetischen Energie der Strahlen sind die beim radioaktiven Zerfall insgesamt freiwerdenden Wärmemengen naturgemäß g e w a l t i g . So beträgt beispielsweise die Wärmeentwicklung beim Übergang von 1 Grammatom R a d i u m in Blei nach experimentellen Messungen rund 800 Millionen kcal, was der Wärmemenge entspricht, die bei der vollständigen Verbrennung von rund 100000 kg Kohle oder bei der Bildung von rund 250000 kg Wasser aus Knallgas entsteht. Daraus ergeben sich wichtige g e o l o g i s c h e Folgerungen: Bekanntlich reicht die Erwärmung der Erde durch die Sonnenstrahlung nicht aus, um die Konstanz der Erdtemperatur zu erklären. Der radioaktive Zerfall stellt nun eine Wärmequelle dar, welche den Überschuß der Wärmeausstrahlung der Erde gegenüber der Einstrahlung von der Sonne her zu kompensieren vermag. Eine Gresteinsschicht von 16 km Tiefe würde — falls ihr Gehalt an radioaktiven Substanzen im Durchschnitt der gleiche wie an der untersuchten Oberfläche ist — bereits genügen, um den Wärmeverlust der Erde zu decken. Ebenso lassen sich viele rätselhafte Tatsachen der Erdgeschichte (geologische Zyklen, Gebirgsbildungen, Verschiebungen von Kontinenten) auf Grund der — allerdings hypothetischen — Annahme verstehen, daß auch das

572

Die natürliche Elementumwandlung

Erdinnere radioaktive Substanzen enthält, die infolge der gewaltigen Wärmeentwicklung während geologischer Zeiträume zum Schmelzen von Tiefenschichten und damit zu gewaltigen Bewegungen im Erdinnem Veranlassung geben. y) Wechselwirkung mit Materie Wenn r a d i o a k t i v e S t r a h l e n beim Durchgang durch Materie mit A t o m e n z u s a m m e n s t o ß e n , so treffen sie fast ausschließlich auf deren E l e k t r o n e n h ü l l e auf, während der im Vergleich zum Gesamtatom winzige (S. 135) A t o m k e r n nur äußerst s e l t e n getroffen wird. Im l e t z t e r e n Falle kommt es zu einer A t o m u m w a n d l u n g , von der erst später (S. 581 ff.) die Rede sein soll. Im e r s t e r e n wird das Atom „angeregt" (S. 140) bis „ionisiert" (S. 143). Bei der Anregung des Atoms werden E l e k t r o n e n der Atomhülle auf h ö h e r e E l e k t r o n e n s c h a l e n „gehoben", wobei für kurze Zeit 10 - 8 Sekunden) ein e n e r g i e r e i c h e r e r Zustand des Atoms entsteht, der unter A b g a b e v o n E n e r g i e wieder in den N o r m a l z u s t a n d übergeht (vgl. S. 140). Die freiwerdende Energie kann dabei z . B . in Form von L i c h t abgegeben werden oder zur Auslösung c h e m i s c h e r R e a k t i o n e n dienen. So kommt es, daß radioaktive Präparate an der L u f t leuchten und daß sie chemische Reaktionen bewirken können, die in ihrer Abwesenheit nicht ablaufen. Das blaue L e u c h t e n von R a d i u m Verbindungen an der L u f t beruht z. B. auf der Anregung von S t i c k s t o f f m o l e k ü l e n (vgl. S. 62). Bei s e h r s c h w a c h r a d i o a k t i v e n Präparaten erhält man solche „Luminiszenz" - Erscheinungen nur dann, wenn man Substanzen in ihre Nähe bringt, die sich b e s o n d e r s l e i c h t a n r e g e n l a s s e n . Ein solcher Stoff ist z. B. Z i n k s u l f i d (S. 476). Zinksulfidpräparate, denen geringe Mengen radioaktiver Substanzen (z. B. Radiothorium 2 % g Th) beigemischt sind, zeigen daher ein beständiges, von äußeren Energiequellen unabhängiges Leuchten. Sie dienen als „radioaktive Leuchtfarben" zum Bestreichen der Z e i g e r und Z i f f e r n von Uhren („Leuchtuhren'') und dgl. Aber auch die w i s s e n s c h a f t l i c h e F o r s c h u n g macht von der leichten Anregbarkeit des Zinksulfids Gebrauch f ü r die S i c h t b a r m a c h u n g von a-Strahlen: jedes auf einen Z i n k s u l f i d - L e u c h t s c h i r m (,,Spinthariskop") auftreffende « - T e i l c h e n r u f t einen im Dunkeln sichtbaren L i c h t b l i t z („Szintillation") hervor, so daß man hier die Möglichkeit hat, e i n z e l n e A t o m e zu „sehen". So kann man z. B. mit Hilfe eines Spinthariskops die Reichweite von a-Strahlen bestimmen, indem man die Entfernung mißt, in welcher ein Zinksulfidschirm durch ein radioaktives Präparat eben noch zum Aufblitzen angeregt wird. Auch kann man mit Hilfe des Spinthariskops recht genau die L o s c H M i D T S c h e Zahl (S. 29f.) ermitteln, indem man z. B. die von einer bestimmten Radiummenge in einer bestimmten Zeit ausgestrahlte Zahl von a-Teilchen (4.53 X 1018 Heliumatome je Jahr und g Radium) zählt und das von der gleichen Radiummenge in der gleichen Zeit entwickelte Heliumgasvolumen (167 mm8 je Jahr und g Radium) ermittelt. Die Umrechnung auf die in 22.415 Litern vorhandene a-Teilchenzahl ergibt dann den 4.53 X 1018 X 22.415 = 6.08 X 1023 gewünschten Wert ^ 167 X 10-" Als Beispiel für eine durch radioaktive Strahlen hervorgerufene c h e m i s c h e R e a k t i o n sei die Bildung von O z o n angeführt: in der Nähe jedes stark strahlenden Präparats ist der charakteristische Geruch von Ozon wahrnehmbar (S. 177).Träger des durch die Strahlung hervorgerufenen Anregungszustandes ist in diesem Falle L der S a u e r s t o f f der Luft, welcher den /jAmperemefer Strahlung VN + Q Energieüberschuß nicht wie der Stickstoff (s. oben) zur Emission von L i c h t , Batterie / sondern zur R e a k t i o n mit weiterem Ionisationskammer S a u e r s t o f f verwendet: O f + 2 0 2 - > - 2 0 3 . Fig. 156. Ionisationskammer W a s s e r wird durch radioaktive Strahlen

Die natürliche Radioaktivität

573

in W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f gespalten (eine wässerige Radiumsalzlösung entwickelt täglich mehr als 30 com Knallgas je g Radium); W a s s e r s t o f f wird so stark aktiviert, daß er sich bereits bei Zimmertemperatur mit S c h w e f e l , Arsen und P h o s p h o r zu Schwefelwasserstoff, Arsenwasserstoff und Phosphorwasserstoff vereinigt. Die Anregung von Atomen durch radioaktive Strahlen kann auch zur v ö l l i g e n A b s p a l t u n g von A u ß e n e l e k t r o n e n fuhren. Dann sprechen wir von einer Ionisation der betreffenden Atome (vgl. S. 143). So kann z.B. ein einziges «-Teilchen auf seiner Bahn in Luft 100000—300000 Ionen erzeugen. In analoger Weise wirken auch die ß- und y-Strahlen ionisierend. Radioaktive Strahlen machen somit die L u f t l e i t e n d , was zur experimentellen Messung der „Stärke" von radioaktiven Präparaten benutzt wird. Zu diesem Zwecke läßt man die Strahlen in eine „Ionisationskammer" (Fig. 156) eintreten und mißt den durch die Ionisierung der Luft hervorgerufenen, zwischen zwei geladenen Elektroden übergehenden I o n i s a t i o n s s t r o m . Meist ermittelt man dabei nur die durch die y-Strahlen bewirkte Luftionisation, indem man die übrigen radioaktiven Strahlen durch entsprechende Eintrittsfenster ausfiltriert; zur Kennzeichnung der Stärke gibt man dann die Anzahl mg R a d i u m an, welche die gleiche y-StrahlenIntensität wie das untersuchte Präparat ergeben. Statt aus F r e m d a t o m e n können die Elektronen durch die radioaktiven Strahlen auch aus den Elektronenhüllen der r a d i o a k t i v e n A t o m e s e l b s t abgespalten werden. Auf diese Weise entsteht die „sekundäre ß-Strahlung", deren Energie naturgemäß davon abhängt, ob sie der K-, L- oder M-Schale des Atoms entstammt.

Die Ionisierung von Fremdatomen kann selbstverständlich auch c h e m i s c h e Reaktionen zur Folge haben. Treffen z. B. radioaktive Strahlen auf S i l b e r b r o m i d (Ag+Br~) auf, so wird das aus dem Brom-ion abgelöste Elektron ( B r - —>- Br + 0 ) vom benachbarten Silber-ion aufgenommen (Ag+ + © —>- Ag), so daß in summa die dem photographischen Prozeß bei der Belichtung (S. 462f.) zugrunde liegende S p a l t u n g des B r o m s i l b e r s in B r o m und S i l b e r stattfindet (AgBr —v Ag -j- Br). Dementsprechend wirken radioaktive Strahlen auf p h o t o g r a p h i s c h e P l a t t e n ein, was historisch deshalb bedeutsam ist, weil diese Eigenschaft zur E n t d e c k u n g der Radioaktivität führte (S. 569). Das bisweilen in der Natur vorkommende „blaue Steinsalz" verdankt seine blaue Farbe kolloid gelöstem Natrium, welches in ganz analoger Weise durch Zersetzung von Natriumchlorid (NaCl — N a + Cl) unter dem Einfluß radioaktiver Strahlen entstanden ist (Einbau freier Elektronen in Fehlstellen des NaCl-Gitters). Die Einwirkung radioaktiver Substanzen auf den l e b e n d e n O r g a n i s m u s erfolgt hauptsächlich durch die stark durchdringenden y-Strahlen und findet mannigfaltige Anwendung in der Medizin. Zwar wirken die Radiumstrahlen auch auf g e s u n d e s Gewebe ein und vermögen dort gefährliche S c h ä d i g u n g e n hervorzurufen. Da aber das n o r m a l e Gewebe in den meisten Fällen vier- bis siebenmal w i d e r s t a n d s f ä h i g e r gegen die Strahlen als das e r k r a n k t e ist, gelingt es doch, durch entsprechende D o s i e rung Hautkrankheiten und auch innere Erkrankungen günstig zu beeinflussen. Namentlich bei K r e b s e r k r a n k u n g wird die heilende oder wenigstens bessernde und schmerzstillende Wirkung der y-Strahlen vielfach angewandt. Als y-Strahler dient in der Medizin vor allem das R a d i u m . Als Ersatz für das teure und seltene Radium kann M e s o t h o r i u m I ( 2 | | Ra), ein Isotop des Radiums, verwendet werden, das sich aus den Löserückständen der Thorerdefabrikation aus Monazitsand (S. 503) zusammen mit Bariumsulfat ausfällen läßt. Als „1 mg Mesothorium" kommt ein solches Bariumpräparat in den Handel, das dieselbe y-StrahlenIntensität wie 1 mg Radium ergibt. Wie hier macht man auch in anderen Fällen zur A n r e i c h e r u n g r a d i o a k t i v e r E l e m e n t e von den FAJANS-HAHN-PANETHgchen Fällungs- und Adsorptions-Regeln Gebrauch. Diese Regeln besagen, daß ein in unwägbaren Mengen in einer Lösung vorhandenes r a d i o a k t i v e s E l e m e n t

574

Die natürliche Elementumwandlung

dann mit dem Niederschlag eines anderen, in großen Mengen vorhandenen oder zugesetzten Elements aus der Lösung e n t f e r n t wird, wenn es entweder in das K r i s t a l l g i t t e r des Niederschlagseintreten kann (vgl. S. 486) oder an dessen Oberfläche a d s o r b i e r b a r ist. So läßt sich z.B. das R a d i u m aus Pechblendelösungen trotz der vorliegenden enormen Verdünnung durch Zusatz von Bariumchlorid und Schwefelsäure mit dem entstehenden B a r i u m s u l f a t ausfällen (S. 417), da sich das Radiumsulfat in das Bariumsulfatgitter mit einbaut. Die Adsorption an der Oberfläche ist begünstigt, wenn das radioaktive Ion mit dem entgegengesetzt geladenen Gitterion eine schwerlösliche oder schwerdissoziierbare Verbindung bildet oder wenn die Oberfläche eine große Ausdehnung hat und eine dem radioaktiven Ion entgegengesetzte elektrische Ladung trägt.

In neuerer Zeit gewinnen k ü n s t l i c h e an Stelle der n a t ü r l i c h e n radioaktiven Elemente zunehmende medizinische Bedeutung (S. 590). 8) Radioaktive Indikatoren Die r a d i o a k t i v e n E l e m e n t e ermöglichen eine besonders einfache „Mark i e r u n g " bestimmter Elemente und gestatten so, deren Weg und Schicksal im Verlaufe chemischer Reaktionen genau zu verfolgen. Denn die mit den radioaktiven Elementen zwangsläufig verknüpfte S t r a h l u n g läßt sich auch bei Anwesenheit von nur g e r i n g s t e n E l e m e n t s p u r e n stets mit g r o ß e r S c h ä r f e nachweisen, so daß die radioaktiven Indikatoren in dieser Hinsicht den zu gleichen Zwecken verwendeten, aber weniger leicht analytisch nachweisbaren n i c h t r a d i o a k t i v e n isotopen Elementen (vgl. S. 561 f., 563) überlegen sind. Zersetzt man z. B. eine B l e i - M a g n e s i u m - L e g i e r u n g der Zusammensetzung PbMg2 mit verdünnter S a l z s ä u r e , so läßt sich eine gemäß der Gleichung PbMga + 4H' —>• PbH 4 + 2Mg" erfolgende Bildung von B l e i w a s s e r s t o f f PbH 4 wegen der geringen Menge des letzteren nur s c h w e r n a c h w e i s e n . Fügt man dem Blei aber das radioaktive Isotop T h o r i u m B ( 2 | | Pb) zu und leitet das bei der Reaktion gebildete Gas durch ein erhitztes Glasrohr, so läßt sich der infolge Zersetzung des Bleiwasserstoffs entstehende — unsichtbare — B l e i s p i e g e l (PbH4—>- Pb + 2H 2 ) wegen seiner R a d i o a k t i v i t ä t eindeutig nachweisen. Auf analoge Weise gelang so auch der Nachweis einer flüchtigen WismutwasserstoffVerbindung BiH 3 , indem man sich des T h o r i u m C ( 2 1 1 Bi) als radioaktiven Indikators bediente. Nachdem auf solche Weise die Existenz eines Wismutwasserstoffs sichergestellt war, gelang anschließend auch die präparative Darstellung dieser Verbindung aus dem g e w ö h n l i c h e n nichtradioaktiven Wismut (S. 289). Andere Anwendungsgebiete radioaktiver Indikatoren sind z. B . die Bestimmung der L ö s l i c h k e i t schwerlöslicher Salze und die Ermittlung der O b e r f l ä c h e feinverteilter Substanzen. So kann man z. B . die L ö s l i c h k e i t von Bleichromat PbCr0 4 nicht dadurch ermitteln, daß man ein größeres Volumen der gesättigten Lösung eindampft und den Rückstand wiegt, weil wegen der Schwerlöslichkeit des Bleichromats die unvermeidlichen Fehler das Gewicht des gelösten Bleichromats übersteigen. Mischt man dem Ausgangs-Bleisalz aber etwas T h o r i u m B ( 2 | | Pb) bei und fällt das Bleisalz dann als Bleichromat, so kann man durch Vergleich der Radioaktivität des Verdampfungsrückstandea der filtrierten Lösung mit der Radioaktivität des ursprünglichen Gemisches die Menge des gelösten Bleichromats errechnen. In ähnlicher Weise kann z. B. die O b e r f l ä c h e von ausgefälltem Bleisulfat ermittelt werden, indem man dem Bleisulfat T h o r i u m B beimischt und durch Messung der Aktivitäten das Atomverhältnis T h B b e r f i ä c h e / T h B g ermittelt. Da dieses gleich dem Atomverhältnis Pboberfiäche/PbLösung sei11 muß, läßt sich bei Kenntnis der Bleikonzentration in der Lösung (PbLo8ung) die Zahl der Bleiatome an der Oberfläche des Bleisulfats (Pboberfiäche) mid damit die Oberfläche selbst errechnen. Weiterhin kann die Oberfläche von Substanzen und ihre Änderung beim Altern, Rekristallisieren, Verformen 0

L 5 8 m l

575

Die natürliche Radioaktivität

usw. dadurch bestimmt werden, daß man der Substanz durch Mischkristallbildung einen emanation-abgebenden radioaktiven Stoff beimischt. Aus der Menge des von der Oberfläche aus abgegebenen Gases kann man dann Rückschlüsse auf die Ober, fläche und innere Makrostruktur der untersuchten Substanz ziehen („Emaniermethode"). Von besonderer Bedeutung ist die radioaktive Indizierung von Elementen bei der Lösung biochemischer Probleme. Da die biochemisch wichtigen Elemente hauptsächlich am Anfang des Periodensystems stehen (C, H, 0 , N, S, P) und ihre n a t ü r l i c h vorkommenden Isotopen daher nichtradioaktiv sind, muß man hier allerdings künstlich-radioaktive Isotope als Reaktions-Indikatoren verwenden (S. 590).

c) Radioaktive Zerfallsgeschwindigkeit a) Halbwertszeit Die Geschwindigkeit des radioaktiven Zerfalls entspricht der einer monodm molekularen R e a k t i o n (S. 103), d.h. die je Zeiteinheit zerfallende Menge - t t (t t

eines radioaktiven Stoffs ist in jedem Augenblick der noch vorhandenen Menge m proportional: ^ ~ir

= k x m



(1)

Dementsprechend nimmt die Geschwindigkeit einer radioaktiven Zerfallsreaktion mit der Zeit immer mehr und mehr ab und nähert sich asymptotisch dem Werte Null. Der P r o p o r t i o n a l i t ä t s f a k t o r k, den wir früher allgemein als Geschwindigkeitskonstante bezeichneten, hat hier den speziellen Namen „Zerfallskonstante". Sie gibt die Menge eines radioaktiven Stoffs an, die je Sekunde zerfällt, wenn die Mengeneinheit des Stoffs vorliegt ^für m = 1 wird — ^ = Für Radium z. B. hat k den Wert 1.36 x l O - 1 1 ; d. h.: von 1 g Radium zerfallen je Sekunde 1.36 x l O - 1 1 g, von l k g 1.36 XlO - 1 1 kg, von 1 Grammatom 1.36 XlO - 1 1 Grammatome. Die Größe k ist bei jedem radioaktiven Element von allen äußeren Bedingungen unabhängig. Die Zerfallsgeschwindigkeit bleibt also stets die gleiche, gleichgültig ob man den radioaktiven Stoff bei —253°, bei +3000°, in elementarer Form oder in Form chemischer Verbindungen untersucht. Aus der Größe h — 1.36 X 1 0 - 1 1 für Radium folgt, daß von 1 g Radium im Laufe eines Jahres 1.36 X 10" 1 1 X 60 X 60 X 24 X 365 = 0.000428 g ( = 0.428 mg) zerfallen. Da hierbei bis zur Stufe des verhältnismäßig langlebigen Radium D ( 2 J ^Pb) 4 Heliumkerne je Radiumatom emittiert werden (S. 568), entspricht dies einer jährlichen Heliummenge von (4 X 22415 X 0.000428): 226 = 0.17 ccm. Die experimentell gefundene Heliummenge (S. 572) befindet sich damit in Übereinstimmung.

Zwischen den Grenzen m0 (ursprünglich vorhandene Menge) und mt (nach t Sekunden

(

m*

d

J — m,

gleichung (1) die Beziehung: .

m*

In — = A: X i

'

\

= 0Jk • dt\, ergibt die Differential/ (2)

aus der sich bei experimenteller Bestimmung von m0 und mt (an Stelle der Stoffmengen m können auch die ihnen gemäß (1) proportionalen Strahlungsintensitäten eingesetzt werden) die Zerfallskonstante k eines radioaktiven Stoffs ergibt. Ist k auf diese

Die natürliche Elementumwandlung

576

Weise einmal ermittelt, so kann man (2) dazu benutzen, um für gegebenes m 0 und mt die Größe t zu berechnen. So beträgt z. B. die Zeit ¿halb, in der gerade die H ä l f t e einer radioaktiven Substanz umgewandelt wird (mt = 1 oder

1

. nach (2) ganz allgemein: ¿halb = -i- X In '

m

= -i- X In. 2 °'

, 0.693 Tialb - —;

(3)

In Form dieser „Halbwertszeit" ¿halb wird die Zerfallskonstante k meist angegeben, 0 693

weil ¿tan, anschaulicher als k ist. Für R a d i u m beträgt nach (3) ¿halb = i 3g x jq-h ~ 5.11 X 1010 Sekunden, was—da 1 Jahr 60 X 60 X 24 X 365 = 3.15 X 107 Sekunden hat — (5.11 X10 1 0 ): (3.15 xlO 7 ) = 1622 Jahren entspricht. Jede zu irgendeiner Zeit betrachtete beliebige Menge Radium ist demnach 1622 Jahre später zur Hälfte zerfallen. Die Halbwertszeiten der radioaktiven Elemente können die extremsten Werte besitzen und variieren bei den in der N a t u r vorkommenden Stoffen zwischen einer z e h n m i l l i o n s t e l S e k u n d e (Thorium C', 2 J\ Po) und 600 B i l l i o n e n J a h r e n (Indium, In). Die Zeit iganz, nach der nur noch ein T a u s e n d s t e l der ursprünglichen Substanz vorhanden, letztere also zu 99.9°/0, d. h. praktisch ganz zerfallen ist, ergibt sich nach (2) zu

W = j x ' n ^ ö = I

X t a l 0

° °

°der

6.91 'ganz " £ '

entsprechend dem rund Z e h n f a c h e n der H a l b w e r t s z e i t (3). Nach 1622 X 10 = 16220 Jahren ist demnach eine gegebene Radiummenge praktisch völlig zerfallen.

ß) Radioaktives Gleichgewicht Wenn reines R a d i u m unter Emission von «-Strahlen in R a d o n übergeht, so beträgt die von Mß» Grammatomen Radium j e S e k u n d e gebildete Radonmenge kg^ • M ^ — mSLu Grammatome Radon.

(4)

Von den auf diese Weise zu einer bestimmten Zeit i n s g e s a m t vorhandenen M E n Grammatomen Radon zerfallen j e S e k u n d e • -äf a n — ra'Bn Grammatome Radon

(5)

unter Emission von «-Strahlen und Bildung von R a d i u m A weiter. Zunächst wird die Menge M&n des unzersetzt vorliegenden Radons mit der Zeit z u n e h m e n , da anfangs « j , , > ist, d. h. m e h r R a d o n g e b i l d e t w i r d a l s z e r f ä l l t . Nach und nach s t e i g t aber infolge dieser Zunahme von die j e Sekunde z e r f a l l e n d e R a d o n m e n g e w'b,n gemäß (5) so an, daß schließlich w

Rn = m En (6) wird. Von jetzt ab ä n d e r t s i c h d i e R a d o n m e n g e n i c h t m e h r , da in der Zeiteinheit e b e n s o v i e l R a d o n g e b i l d e t w i r d wie w i e d e r z e r f ä l l t . Das damit eingestellte G l e i c h g e w i c h t heißt „radioaktives Gleichgewicht". Die Gleichgewichtsbedingung hierfür lautet gemäß (6) bei Einsetzen von (4) und (5): k • M-^ — Äan • Mb,d oder — unter gleichzeitiger Berücksichtigung von (3) — :

Die natürliche Radioaktivität I n W o r t e n : Die im radioaktiven Gleichgewicht befindlichen Elemente verhalten sich wie die Halbwertszeiten bzw. umgekehrt

577 Atommengen radioaktiver wie die Zerfallskonstanten.

Im obigen Fall z. B. hat den Wert 2.10 X 10-« und ¿ E a den Wert 1.36 X 10-". Dementsprechend stehen Radium und Radon d a n n im radioaktiven Gleichgewicht, wenn (2.10 X 10-«): (1.36 X 10"11) = 155000mal mehr Radium- als Radonatome vorhanden sind.

Die mit 1 g R a d i u m im radioaktiven Gleichgewicht befindliche R a d o n m e n g e ( ~ 0.6 mm 3 ) wurde früher (seit 1910) „1 Curie" genannt. Später änderte man diese Definition dahingehend ab, daß man derjenigen Substanzmenge eines radioaktiven Körpers die Aktivitätseinheit 1 Curie zuschrieb, die pro Zeiteinheit ebensoviele Teilchen wie 1 g Radium aussendet. Da aber auf diese Weise der Wert einer Curie-Einheit mit wachsender Meßgenauigkeit bei der Bestimmung der Zerfallskonstante und des Atomgewichts des Radiums laufenden Schwankungen unterworfen war, kam man schließlich (1950) übei'ein, den Wert im Sinne der obigen Definition zahlenmäßig festzulegen und unter ,,f Curie" (c) diejenige Menge einer radioaktiven Substanz zu verstehen, die je Sekunde genau 3.700 x l O 1 0 Teilchen emittiert. Der tausendste Teil davon ist als „1 Millicurie" (mc), der millionste Teil als „1 Mikrocurie" (fic) und der millionenfache Wert als „1 Megacurie" (Mc) in Gebrauch.

Die Gesetzmäßigkeit (7) kann natürlich auf s ä m t l i c h e — b e n a c h b a r t e oder nicht benachbarte — G l i e d e r e i n e r Z e r f a l l s r e i h e ausgedehnt werden. Daher kann man z. B. aus der Tatsache, daß das Verhältnis von R a d i u m zu U r a n in den Uranerzen k o n s t a n t ist ( M ^ : MV = 3.61 X 10-' bzw. MV : M-BA= 2.77 -106), den Schluß ziehen, daß diese beiden Elemente im r a d i o a k t i v e n G l e i c h g e w i c h t miteinander sind, d.h. daß das U r a n die —allerdings nicht unmittelbare — „Muttersubstanz" des Radiums ist. Bei Kenntnis des G l e i c h g e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e s MA : MB und der Z e r f a l l s k o n s t a n t e (bzw. Halbwertszeit) der e i n e n S u b s t a n z A kann man die Beziehung (7) dazu benutzen, um die Z e r f a l l s k o n s t a n t e (Halbwertszeit) der a n d e r e n Substanz B zu errechnen. Auf diese Weise ermittelt man z. B. die Halbwertszeit besonders l a n g l e b i g e r Elemente, deren Zerfallskonstante auf d i r e k t e m Wege nicht bestimmbar ist. So folgt z. B. aus dem obigen Atomverhältnis MB»:Mv = 3.61 X 10-', daß die H a l b w e r t s z e i t d e s U r a n s 1622 : ( 3 . 6 1 X 1 0 " ' ) = 4.49 X 109 Jahre beträgt. Bei besonders k u r z l e b i g e n Elementen läßt sich dieZerfallskonstante (Halbwertszeit) aus einer von H . G e i g e r und J . M . N u t t a l l empirisch aufgefundenen l o g a r i t h m i s c h e n B e z i e h u n g zwischen Z e r f a l l s k o n s t a n t e k und R e i c h w e i t e R der a-Strahlen („GEIGER-NUTTALLsche Regel 1 ') errechnen. So folgt z. B. aus der für die U r a n - Z e r f a l l s r e i h e geltenden Gleichung log /fc = — 37.7 + 53.9 X log R, daß die Zerfallskonstante k des R a d i u m C' (R = 6.60 cm) ungefähr 10® betragen muß.

y) Altersbestimmung von Mineralien Unter den p r a k t i s c h e n N u t z a n w e n d u n g e n der Beziehung (2) zwischen umgewandelter Stoffmenge m und Zeit t sei die A l t e r s b e s t i m m u n g v o n M i n e r a l i e n angeführt, die uns Auskunft über das M i n d e s t a l t e r der E r d e gibt. Wie aus der Uranzerfallsreihe (S. 568) hervorgeht, geht jedes Uranatom beim radioaktiven Zerfall schließlich in ein inaktives Bleiatom über. Ermittelt man daher in einem Uranmineral analytisch den Gehalt an U r a n b l e i , so lassen sich natürlich mit Hilfe von (2) die A n z a h l J a h r e t berechnen, die zum Zerfall der dieser Bleimenge entsprechenden Uranmenge erforderlich waren. So ergab z. B. die Analyse des in Afrika vorkommenden sogenannten Morogoro-Erzes ein Atomverhältnis P b : U = 0.107. Auf 1 Grammatom Uran sind danach also 0.107 Grammatome Uranblei (entstanden aus 0.107 ursprünglich noch zusätzlich vorhandenen Grammatomen Uran) enthalten, so daß ^ m,

1 + 0.107 1

=

L1Q7

ist. Hieraus berechnet sich, da k für Uran den Wert 1.5 Xl0~ l 0 /Jahr besitzt, nach (2): 1

= 1.5 , X 10

iu

= 680 Millionen Jahre.

H o l l e m a n - W l b e r g , Anorganische Chemie. 37. —39. Aufl.

37

578

Die natürliche Elementumwandlung

Das untersuchte Erz ist also vor 680 Millionen Jahren durch irgendeinen Schöpfungsakt entstanden1. Von den bisher nach der geschilderten Methode untersuchten Mineralien erwies sich als eines der j ü n g s t e n (60 Millionen Jahre) der in der oberen Kreide vorkommende Uranit, als eines der ä l t e s t e n (1400 Millionen Jahre) ein im unteren Präkambrium enthaltener Uranit. Das Alter der oberen Kreideformation beträgt somit 60 Millionen Jahre, das der Erde selbst mindestens 1400 Millionen Jahre 2 . Statt des B l e i s kann man zur Altersbestimmung von Uranmineralien auch das entwickelte H e l i u m g a s (auf 1 Uranatom entstehen ja bis zur Endstufe Blei 8 Atome Helium) ermitteln, das in vielen Fällen zum überwiegenden Teil innerhalb des Minerals e i n g e s c h l o s s e n bleibt und erst beim Auflösen, Schmelzen oder Erhitzen der gepulverten Erzprobe entweicht (vgl. S. 72,74) und dann aufgefangen und genau gemessen werden kann. Die auf diese Weise gefundenen Alterswerte stimmen mit den nach der „Bleimethode" erhaltenen in allen den Fällen genau überein, in denen während des Zerfalls noch kein Helium nach außen entwichen ist; andernfalls sind sie naturgemäß etwas kleiner. Zur Altersbestimmung mit radioaktivem Kohlenstoff vgl. S. 590.

d) Radioaktiver Energie-umsatz a) Massenverlust durch Strahlung Wie auf S. 567 erwähnt, ergibt sich aus dem Atomgewicht des Urans und des Heliums für das Endprodukt des radioaktiven Uranzerfalls, das U r a n b l e i , ein Atomgewichtswert 206, der auch experimentell bestätigt wird. Verwendet man nun zur Berechnung die g e n a u e n A t o m g e w i c h t s w e r t e von Uran und Helium, so resultiert eine k l e i n e D i s k r e p a n z . Entsprechend der Abgabe von 8 Helium atomen (Atomgewicht 4.003) aus dem Uranatom (Atomgewicht 238.07) sollte man nämlich für das Uranblei ein Atomgewicht von 238.07 — 8 X4.003 = 206.05 erwarten, während der experimentelle Wert (gemessen an einem in Dakota gefundenen Uranit) 206.02 beträgt. Das entspricht einem M a s s e n v e r l u s t von 206.05 — 206.02 = 0.03;Atomgewichtseinheiten.

Dieser Massendefekt erhöht sich noch um rund 0.02 Atomgewichtseinheiten, wenn man berücksichtigt, daß das Uran aus drei Isotopen mit den Massenzahlen 234 (0.006%), 235 (0.715%) und 238 (99.279%) besteht, von denen hier nur das s c h w e r s t e Uranisotop 2 1 1 U in Frage kommt, und daß das gefundene Atomgewicht des Bleis etwas zu groß ausfallen muß, da infolge des Actino-Uran-Zerfalls (S. 568) neben dem Blei-isotop 2 ° ¡jPb auch geringe Mengen des Blei-isotops 2 ® | Pb entstehen. Die ß - Strahlung, die beim Uranzerfall noch auftritt, kann für diesen Massenverlust nicht verantwortlich gemacht werden, da — wie früher erwähnt — die ausgestrahlten Elektronen als Außenelektronen wieder in die Atomhülle aufgenommen werden. Somit scheinen je Grammatom Uran rund 50 mg Masse s p u r l o s zu v e r s c h w i n d e n . Eine genauere Betrachtung zeigt nun, daß diese Masse in Form der gewaltigen Z e r f a l l s e n e r g i e von insgesamt 50 Millionen e-Volt je Uranatom wieder erscheint, welche beim Übergang von Uran in Blei frei wird. Nach der früher (S. 12) schon erwähnten E i N S T E i N s c h e n M a s s e - E n e r g i e - G l e i c h u n g

1

Der so erhaltene Alterswert ist etwas zu klein; denn bei g e n a u e r e n Berechnungen muß man natürlich auch die im radioaktiven Gleichgewicht befindlichen Z w i s c h e n p r o d u k t e des Zerfalls mit in Rechnung setzen. 2 Das Alter der S o n n e wird auf 6000 Millionen, das des W e l t a l l s auf 10000 Millionen Jahre geschätzt.

Die natürliche Radioaktivität

579

entspricht nämlich einer Energiemenge E v o n 1 Million e-Volt/Atom bzw. 1 Million Far a d a y v o l t / G r a m m a t o m ( = 10 6 X 9.6519 X 10 1 1 = 9.6519 X 10 17 erg) eine Masse m = (9.6519 X 1 0 1 7 ) : (2.9978 X 10 1 0 ) 2 = 0.0011 g oder 1.1 m g je Grammatom. Demnach stellen die 50 Millionen Faradayvolt eine Masse v o n 55 mg dar, was mit dem experimentell feststellbaren Massenverlust beim Uranzerfall übereinstimmt. Somit erleidet das Uran bei seinem Übergang in Blei außer einem m a t e r i e l l e n Massenverlust v o n rund 32.02 Atomgewichtseinheiten noch einen e n e r g e t i s c h e n Massenverlust v o n rund 0.05 Atomgewichtseinheiten. Der Übergang von R a d i u m in Blei ist mit einer Energie-entwicklung von inagesamt 34 Millionen e-Volt je Radiumatom — in Form kinetischer Energie der a- und /S-Teilchen — verknüpft. Diese 34 Millionen e-Volt/Atom bzw. 34 Millionen Faradayvolt/Grammatom entsprechen einer W ä r m e m e n g e von (34 X 10") X 23.062 ÄJ 8 X 108 kcal pro Grammatom Radium, was sich in Übereinstimmung mit der e x p e r i m e n t e l l gemessenen Wärmeentwicklung (S. 671) befindet. Das Massen-Äquivalent dieser Energiemenge beträgt nach (8) 37 mg, welche somit beim Übergang von 1 Grammatom Radium in Blei „verschwinden". ß ) Packungsanteil D i e Masse eines jeden aus Protonen und Neutronen zusammengesetzten A t o m kerns ist k l e i n e r als die Summe der Massen seiner B e s t a n d t e i l e . Die D i f f e r e n z m („Massendefekt") entspricht gemäß der Beziehung (8) der B i n d u n g s e n e r g i e E, welche beim Aufbau des Atomkerns aus den beiden Bausteinen frei wird, u n d stellt ein M a ß für die B e s t ä n d i g k e i t des Atomkerns dar. So beträgt z. B. das Atomgewicht des H e l i u m s 1 | H e 4.00384, während sich als Summe der Atomgewichte v o n 2 W a s s e r s t o f f a t o m e n u n d 2 N e u t r o n e n der Wert ( 2 x 1 . 0 0 8 1 3 1 ) + ( 2 x 1 . 0 0 8 9 5 ) = 4.03416 ergibt. Der M a s s e n d e f e k t m = 4.03416 —4.00384 = 0.03032 entspricht einer bei der Bildung v o n Heliumkernen aus Protonen und Neutronen freiwerdenden B i n d u n g s e n e r g i e v o n 0.03032 X (2.9978 X 10 1 0 ) 2 = 2.725 X10 1 9 erg = 6.51 XlO 8 kcal = 28.2 x l O 6 Faradayvolt je Grammatom Helium oder 163 Milliarden kcal je k g Helium 2 ( , , W a s s e r s t o f f b o m b e " ) 3 : 2 H + 2Nn >- He + 651000000 kcal. (9) Wollte m a n demnach Heliumkerne in Protonen und Neutronen a u f s p a l t e n , so m ü ß t e m a n dazu den ungeheuren Energiebetrag v o n 651 Millionen Kilokalorien je Grammatom (4.00384 g) a u f w e n d e n . D i e s läßt uns verstehen, warum beim radioaktiven Zerfall H e l i u m k e r n e und nicht dessen B a u s t e i n e ausgeschleudert werden (vgl. S. 566). Offenbar findet ein A u f b a u v o n A t o m k e r n e n aus Protonen und Neutronen nach Art der Gleichung (9) auch jetzt noch im Weltall statt, wie die aus dem Weltenraum zu uns dringende „Höhenstrahlung" („Ultrastrahlung", „kosmische Strahlung") schließen läßt. Denn deren e r s t a u n l i c h h o h e E n e r g i e von 10» bis 10 12 e-Yolt/Photon = 109—1012 Faradayvolt je Mol Photonen (entsprechend einer Wellenlänge von 10~2 bis 10~5 XE) läßt sich nur durch kosmische Vorgänge von ähnlich gewaltigem Ausmaß erklären. Manche Forscher nehmen ja sogar an, daß sie ihren Ursprung nicht nur einer t e i l w e i s e n , sondern sogar einer v ö l l i g e n „Zerstrahlung" von Materie verdanke. Hierbei würden noch gewaltigere Energiemengen frei, da einer Materiemenge von 1 g nach (8) eine Energiemenge von 2.15 X 10 10 kcal ( = 0.931 X 10° Faradayvolt) äquivalent ist, welche der Wärmemenge entspricht, die bei der Verbrennung von 2Vi Tausend Tonnen Kohle entwickelt wird. Bei der Erforschung der kosmischen Strahlung wurde 1937 von dem amerikanischen Physiker C. D. A N D E R S O N eine neue Art von Elementarteilchen, das „Meson" („Mesotron", „schweres Elektron,") entdeckt, das wie das Elektron eine n e g a t i v e oder p o s i t i v e L a d u n g , aber eine etwa 200mal („leichtes Meson", „fi-Meson") bis 300mal („schweres Meson", „n-Meson") g r ö ß e r e M a s s e 1 Hier wie im folgenden verwenden wir für die einzelnen Isotopen die — genauer angebbaren — p h y s i k a l i s c h e n (S. 563), d . h . auf 1 | 0 = 16.00000 bezogenen Atomgewichte. 2 Die Spaltung von Urankernen (S. 591ff.) liefert je kg Uran „nur" den zehnten Teil dieser Energiemenge. 8 Ein „Zusammenschmelzen" von Wasserstoffkernen zu Heliumkernen gelingt beim Erhitzen auf viele Millionen Grad, also z. B. im Explosionszentrum einer „Atombombe" (S. 597). 37*

Die natürliche Elementumwandlung

580

als dieses besitzt (Atomgewicht 0.1). Die Mesonen gehen — unter Abgabe des Massenunterschieds in Form von k i n e t i s c h e r E n e r g i e und von N e u t r a l t e i l c h e n 1 — leicht in E l e k t r o n e n 2 über und besitzen eineHalb w e r t s z e i t von 10~ 8 (yr-Mesonen) bis 10~ 6 sec (/¿-Mesonen). Auf die Erdoberfläche gelangen sie teils u n z e r s e t z t als „harte kosmische Strahlung'''', teils in Form ihrer Z e r f a l l s p r o d u k t e als „weiche kosmische Strahlung".

Zur Charakterisierung der r e l a t i v e n B e s t ä n d i g k e i t von Atomkernen pflegt man meist nicht den oben definierten M a s s e n d e f e k t m, sondern den „Packungs100-

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Fig. 157. Packungsanteil-Kurve der Elemente

antcil" / anzugeben, worunter man die A b w e i c h u n g vom g a n z z a h l i g e n A t o m g e w i c h t — ausgedrückt als B r u c h t e i l dieses Atomgewichts — versteht: —

Atomgewicht — Massenzahl Massenzahl.

Fig. 157 gibt die Packungsanteile der einzelnen Elemente in Form einer K u r v e wieder. Als Atomgewichte sind dabei die auf 1 jj O = 16.0000 bezogenen p h y s i k a l i s c h e n A t o m g e w i c h t e zugrundegelegt. J e t i e f e r ein Element in dieser Kurve steht, um so b e s t ä n d i g e r sind seine Atomkerne. Das M a x i m u m der S t a b i l i t ä t liegt beim Chrom (/Cr = — 7.9 XlO - 4 ). Hervorzuheben ist die im Vergleich zu den Nachbarkernen auffallend große Stabilität des Heliumkerns, die sich durch eine entsprechende U n s t e t i g k e i t des sonst weitgehend stetigen Kurvenverlaufs zu erkennen gibt. Sie läßt das Auftreten von Heliumkernen beim radioaktiven Zerfall (S. 566) einleuchtend verstehen und bildet die Grundlage zur Entwicklung der ,,Wasserstoff

bombe"

(S.579),

welche die bei der Umwandlung von Wasserstoff in Helium freiwerdende ungeheuere Energie — vgl. (9) — „auszunutzen" sucht. 1 Die s c h w e r e n Mesonen geben Neutralteilchen von etwa 100facher Elektronenmasse („neutrales Meson", „v-Meson", „Neutretto"), die l e i c h t e n Mesonen Neutralteilchen von kleinerer als Elektronenmasse („Neutrino"; vgl. S. 571) ab. 2 Die s c h w e r e n Mesonen wandeln sich zunächst in l e i c h t e Mesonen, letztere direkt in E l e k t r o n e n um.

Kapitel XXVII

Die künstliche Elementumwandlung Wie aus den Ausführungen über den Bau der Atomkerne (S. 555ff.) hervorgeht, ist j e d e s E l e m e n t durch eine ganz b e s t i m m t e Anzahl von P r o t o n e n im Kern seiner Atome c h a r a k t e r i s i e r t . Will man daher ein E l e m e n t in ein anderes E l e m e n t verwandeln, so muß man die Zahl der K e r n p r o t o n e n verändern. V e r g r ö ß e r t man sie durch „Hineinschießen" von Protonen in den Kern, so entsteht ein im Periodensystem auf das Ausgangselement folgendes E l e m e n t ; v e r k l e i n e r t man sie durch „Herausbombardieren" von Protonen aus dem Kern, so gelangt man zu einem im Periodensystem weiter links stehenden Grundstoff mit kleinerer Kernladung. Als „Geschosse" dienen zweckmäßig die Atomkerne mit den kleinsten Kernladungen 0 (Neutronen), 1 (Wasserstoffkerne) und 2 (Heliumkerne), da Teilchen mit geringer positiver Ladung besonders leicht in andere, ebenfalls positiv geladene Atomkerne einzudringen vermögen. Doch sind in neuester Zeit auch mit sechsfach positiv geladenen Kohlenstoffkernen, siebenfach positiv geladenen S t i c k s t o f f kernen und achtfach positiv geladenen Sauerstoffkernen erfolgreiche ElementUmwandlungen vorgenommen worden (S. 607). Man hat bis heute schon tausende von Kernreaktionen untersucht. Dabei wurden über 1000 verschiedene k ü n s t l i c h e Atomarten gewonnen, so daß man zur Zeit zusammen mit den über 300 n a t ü r l i c h e n Atomarten (S. 559) schon mehr als 1300 verschiedene I s o t o p e der 101 Elemente kennt. Dabei befindet sich diese Zahl noch dauernd im Wachsen. Im folgenden behandeln wir zunächst die Kern-Einzelreaktionen, bei denen jeder „Treffer" nur einen einzigen Elementarakt auslöst. Anschließend werden dann die Kern-Kettenreaktionen besprochen, bei denen nach Art der Chlorknallgas-Reaktion (S. 83) jeder ausgelöste exotherme Elementarakt weitere exotherme Elementarakte zur Folge hat, so daß bei gesteuertem Ablauf eine ständige Entnahme von Energie und Reaktionsprodukten möglich ist („Atomkraftanlage"), während bei ungesteuertem Ablauf eine Explosion von verheerender Wirkung erfolgt („Atombombe").

1. Die Kern-Einzelreaktion Um positiv geladene Helium- oder Wasserstoffkerne mit anderen, mehrfach positiv geladenen Atomkernen in Wechselwirkung zu bringen, muß man ersteren zur Überwindung der bei der Annäherung wachsenden gegenseitigen Abstoßung eine hohe k i n e t i s c h e Energie mit auf den Weg geben. Im Falle der Heliumkerne liegen Teilchen solcher hohen Energie z. B. in den aS t r a h l e n r a d i o a k t i v e r S u b s t a n z e n vor, deren Energie mehrere Millionen e - V o l t — entsprechend einer Anfangsgeschwindigkeit von einigen zehntausend K i l o m e t e r n je Sekunde — beträgt (S. 570). In den Anfangszeiten der Atomzertrümmerung bediente man sich daher dieser natürlichen a-Teilchen zur Beschießung von Atomkernen. Heutzutage ist man nicht mehr auf diese mengenmäßig geringen und energetisch begrenzten radioaktiven Strahlenquellen angewiesen, sondern stellt in Beschleunigungskammern a-Strahlen beliebigen Energieinhalts her. Als besonders zweckmäßig hat sich hierbei das von dem amerikanischen Physiker E R N E S T L A W R E N C E entwickelte „Cyclotron" erwiesen. Es besteht (Fig. 158) aus zwei halbkreisförmigen, flachen, hohlen Dosen („D-Elektroden"), die in einer evakuierten, zwischen den Polen

582

Die künstliche Elementumwandlung

eines starken Magneten (Magnetpole oberhalb und unterhalb der Papierebene) befindlichen Entladungskammer untergebracht und mit einer hochfrequenten Wechselspannung 100 kVolt, ~ 107 Wechsel/Sekunde) verbunden sind. Die im Spalt zwischen den beiden Elektroden bei A erzeugten a-Teilchen (Heliumionen) werden von dem dort herrschenden elektrischen Feld erfaßt und in das Innere einer der beiden Halbdosen gerissen, wo sie — wie in einem Faraday-Käfig dem elektrischen Feld entzogen — unter dem Einfluß des senkrecht zur Papierebene gerichteten homogenen Magnetfeldes einen

Fig. 158.

Wirkungsweise des Cyclotrons (schematisch)

H a l b k r e i s beschreiben. Bei Wiedereintritt in den Spalt zwischen den beiden Halbdosen werden die Teilchen durch das synchron mit der Umlaufzeit sein Vorzeichen wechselnde elektrische Feld nachbeschleunigt und so fort, wobei sich der Krümmungsradius des Halbkreises infolge der wachsenden Geschwindigkeit ständig vergrößert 1 , so daß sich die Teilchen auf einer aus Halbkreisen zusammengesetzten S p i r a l b a h n vom Zentrum wegbewegen, bis sie schließlich nach Erreichen der gewünschten Geschwindigkeit bei B durch eine Ablenkplatte („Deflektor") aus ihrer Spiralbahn abgelenkt und dem Bestimmungsort zugeführt werden. Die maximale Stromstärke des so erzeugten a-Strahls beträgt bisher 10 - 4 Ampere. Zur Emittierung einer dieser Stromstärke entsprechenden a-Strahlen-Intensität wären 10 kg reines Radium erforderlich, da die von 1 g r e i n e m (d. h. von Zerfallsprodukten freiem) Radium je Sekunde emittierte Anzahl von Heliumkernen (vgl. S. 572, 575) einer Stromstärke von rund 10~8 Ampere entspricht. Das erste Cyclotron hatte einen Durchmesser von nur 10 cm. Der Durchmesser des zur Zeit modernsten Cyclotrons („Bevatron", California-Universität Berkeley) beträgt 40 m. Es vermag Heliumionen bzw. Protonen von maximal 6 Milliarden e-Volt zu erzeugen. Das zweitgrößte Cyclotron ist das „Cosmotron" in Brookhaven (USA), mit einer Leistung von 3 Milliarden e-Volt und einem Magnetdurchmesser von 22 m. Zwei weitere Cyclotrone für 400 Millionen e-Volt stehen in Berkeley und Chikago. Der Durchmesser des im E u r o p ä i s c h e n K e r n f o r s c h u n g s i n s t i t u t in Genf („CERN" = Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) geplanten „Proton-Synchrotrons" (Beschleunigung von Protonen bis auf 25 Milliarden e-Volt) wird fast 200 m betragen. Als Ausgangsprotonen dienen bei diesem Cyclotron Wasserstoffkerne, die in einem „Linearbeschleuniger" auf 50 Millionen e-Volt v o r b e s c h l e u n i g t werden.

Wasserstoffkerne benötigen zum Eindringen in andere positiv geladene Atomkerne k e i n e so g r o ß e k i n e t i s c h e E n e r g i e wie Heliumkerne, da sie gegenüber letzteren eine nur h a l b so g r o ß e p o s i t i v e L a d u n g tragen. Daher genügt zur Kernumwand1 Die zum Durchlaufen eines Halbkreises erforderliche Zeit ist immer die gleiche, da der größere Krümmungsradius durch die größere Geschwindigkeit kompensiert wird.

Die Kern-Einzelreaktion

583

lung hier schon eine Energie von mehreren h u n d e r t t a u s e n d e-Volt, entsprechend einer Anfangsgeschwindigkeit der Wasserstoffteilchen von einigen t a u s e n d K i l o m e t e r n je Sekunde. Ja selbst mit Wasserstoffkernen von nur einigen z e h n t a u s e n d e-Volt Energie konnten, wenn auchmit relativ schlechter Ausbeute, Atomumwandlungen beobachtet werden. Als Wasserstoffkerne können sowohl Kerne der Masse 1 (Prot o n e n ) wie Kerne der Masse 2 ( D e u t e r o n e n bzw. abgekürzt: D e u t o n e n ) oder 3 (Tritonen) dienen. Die D e u t o n e n und T r i t o n e n sind dabei wegen ihrer größeren Masse w i r k s a m e r als die Protonen. Die D a r s t e l l u n g energiereicher Wasserstoffkerne erfolgt zweckmäßig im C y c l o t r o n (S. 581f.). Wegen der p o s i t i v e n Ladung von Helium- und Wasserstoffkernen gelingt die Umwandlung eines Atomkerns durch Beschießung mit diesen Geschossen um so s c h w i e riger, je h ö h e r die p o s i t i v e K e r n l a d u n g des umzuwandelnden Atoms ist. Keine solche Einschränkung gilt für die Beschießung von Atomkernen mit Neutronen. Diese vermögen auch in die s c h w e r s t e n A t o m k e r n e leicht einzudringen, da sie als u n g e l a d e n e T e i l c h e n k e i n e A b s t o ß u n g d u r c h die p o s i t i v e n L a d u n g e n des Kerns erfahren. Und selbst ganz „langsame" Neutronen mit Energien bis herab zur Größenordnung von 1 e-Yolt (entsprechend einer Geschwindigkeit von immerhin einigen 10 Kilometern je Sekunde) können noch Kernreaktionen auslösen. Als N e u t r o n e n q u e l l e dient dabei im einfachsten Fall ein Gemisch von R a d o n bzw. R a d i u m und B e r y l l i u m p u l v e r (S. 585), während die Erzeugung h ö h e r e r N e u t r o n e n i n t e n s i t ä t e n zweckmäßig durch Einwirkung cyclotron-beschleunigter D e u t o n e n auf D e u t e r i u m (S. 587f.) oder noch vorteilhafter im „Uran-Pile" (S. 593ff.) vorgenommen wird. Ähnliche Vorrichtungen wie für die Beschleunigung von a-Teilchen, Deutonen und Protonen wurden auch für die Beschleunigung von E l e k t r o n e n bis zu Energieinhalten von 300 Millionen e-Volt entwickelt („Betatron", „Synchrotron"). Mit ihrer Hilfe rückt die Möglichkeit näher, auch mit Hilfe von /?-Strahlen Kernumwandlungen vorzunehmen, worüber bis jetzt noch wenig bekannt ist. Ebenso dürfte die Erforschung der M e s o n e n (S. 579 f.) aus der Anwendung des Betatrons und Synchrotrons großen Nutzen ziehen (vgl. S. 608). Auch im Europäischen Kernforschungsinstitut in Genf (vgl. S. 582) ist ein solcher Elektronenbeschleuniger großen Ausmaßes („SynchroCyclotron"; 0.6 Milliarden e-Volt) im Bau.

Je nach der Energie der zur Bombardierung von Atomkernen benutzten Elementarteilchen sind die Ergebnisse der Umsetzung verschieden. Benutzt man Teilchen verhältnismäßig „geringer" E n e r g i e (bis zu einigen 10 Millionen e-Yolt), so findet eine e i n f a c h e K e r n r e a k t i o n statt, bei welcher das auftreffende Teilchen absorbiert wird oder ein oder zwei Elementarteilchen aus dem getroffenen Kern herausschießt. Sind dagegen die Projektile sehr energiereich (einige 100 Millionen e-Volt), so erfolgt eine ausgesprochene K e r n z e r s p l i t t e r u n g (engl. ,,spallation"), bei welcher der beschossene Kern bis zu 40 und mehr Masseneinheiten verlieren kann. Besonders interessant ist noch eine d r i t t e Art der Kernreaktion, die K e r n s p a l t u n g (engl. „fission"), bei welcher der Atomkern in zwei Bruchstücke zerfällt. Sie erfolgt bei den instabilen schweren Kernen häufig schon bei der Bestrahlung mit ganz langsamen Neutronen, bei den stabileren leichten Kernen nur unter der Einwirkung sehr energiereicher Geschosse. Im folgenden seien diese verschiedenen Arten der Kernumwandlung näher besprochen.

a) Die einfache Kernreaktion a) Methoden der Kernumwandlung Kernumwandlung mit Heliumkernen Trifft ein Heliumkern auf einen Atomkern auf, so wird er von diesem im allgemeinen 1 nicht einfach nur „eingefangen" (Beispiel: -JgB), sondern schleudert beim Aufprall meist zugleich einen Kernbaustein — ein P r o t o n oder ein N e u t r o n — heraus.

Die künstliche Elementumwandlung

584

Emission von Protonen. Wird ein Proton aus dem Atomkern herausgeschleudert, so entsteht aus einem Element E von der Kernladung k und der Masse m ein Element der Kernladung k + 1 und Masse m + 3: •jB+IHe—> JH+ •; + » « , (1) weil das herausgeschleuderte Proton von den in Form des Heliumkerns zugeführten 2 Ladungs- und 4 Masseneinheiten 1 Ladungs- und 1 Masseneinheit mit sich führt. Der ä l t e s t e — schon historisch gewordene — Versuch dieser Art wurde im Jahre 1 9 1 9 von dem englischen Physiker Lord R U T H E R F O R D ( S . 5 6 9 ) durchgeführt und stellt die e r s t e g e g l ü c k t e E l e m e n t v e r w a n d l u n g ü b e r h a u p t dar. R U T H E R F O R D ließ die beim Zerfall von Thorium C ( 2 1§ Bi) freiwerdenden, sehr energiereichen (6 Millionen e-Volt) a - S t r a h l e n auf S t i c k s t o f f g a s einwirken. Dabei beobachtete er auf einem dahinter gestellten Leuchtschirm neben den hellen Lichtblitzen der auf den Leuchtschirm auftreffenden Heliumkerne auch s c h w ä c h e r e S z i n t i l l a t i o n e n . Durch exakte mathematische Analyse des Phänomens konnte er zeigen, daß diese schwächeren Lichtblitze von Wasserstoff kernen herrührten, und er gab diesem Befund die kühne Deutung, daß die beobachteten Wasserstoffteilchen a u s den S t i c k s t o f f k e r n e n h e r a u s g e s c h o s s e n worden seien. Die späteren Untersuchungen b e s t ä t i g t e n diese D e u t u n g , und wir müssen heute den Scharfsinn des menschlichen Geistes bewundern, der imstande war, aus dem Aufblitzen einiger weniger Lichtpunkte auf einem Leuchtschirm die Lösung eines so uralten Rätsels und Wunschtraums der Menschheit, der künstlichen Elementverwandlung, abzuleiten. Entsprechend der allgemeinen Gleichung (1) entsteht bei der Beschießung von Stickstoff mit Heliumkernen neben Wasserstoff auch S a u e r s t o f f vom Atomgewicht 17: » N + äHe

M H V S ' O .

(2)

Das Einfangen des «-Teilchens und die Entstehung zweier neuer Kerne können dabei dem Auge direkt s i c h t b a r g e m a c h t werden: Läßt man den Vorgang sich in einer mit g e s ä t t i g t e m W a s s e r d a m p f gefüllten Kammer („WILSON - Kammer") abspielen, in der man durch p l ö t z l i c h e E x p a n s i o n ( A b k ü h l u n g ! ) einen vorübergehenden Zustand der Ü b e r s ä t t i g u n g erzeugt, so wirken die längs der Bahn der Atomtrümmer durch Zusammenstoß mit Gasmolekülen erzeugten Ionen (vgl. S. 573) als Kond e n s a t i o n s k e r n e für W a s s e r t r ö p f c h e n . Bei geeigneter B e l e u c h t u n g kann man daher die »O Bahnen als weiße N e b e l - l i n i e n auf dunklem Hin\ tergrund sehen oder photographieren. Auf solchen Zusammenpra// ^ „Nebelaufnahmen" finden sich nun (Fig. 159) gem/t A/-titom legentlich Bahnen von Heliumkernen, die an einer Stelle p l ö t z l i c h a b b r e c h e n (Einfangen des Teilchens durch einen Stickstoffkern), während gleichb zeitig zwei neue B a h n s p u r e n von dieser Stelle ausgehen: eine dünne Spur des ausgeschleuderten Wasserstoffkerns und eine kräftige Spur des SauerFig. 159. WILSON-Aufnahme einer stoffkerns. Eine Analyse der Impulsbedingungen bei Kernumwandlung durch a-Teil- der Gabelung ergibt dabei in Übereinstimmung mit chen der obigen Reaktionsgleichung (2) die Massen 1 und 17.

\ \

/

n

1

Eine solche Atomumwandlung findet allerdings bei Verwendung von a-Strahlen aus n a t ü r l i c h e n radioaktiven Quellen nur ä u ß e r s t s e l t e n statt. Von 100000 a-Teilchen stößt durchschnittlich nur ein einziges in geeigneter Weise mit einem Stickstoffkern zusammen. Daher ist

Die Kern-Einzelreaktion

585

auch eine c h e m i s c h e I s o l i e r u n g und C h a r a k t e r i s i e r u n g der bei der Kernreaktion (2) entstehenden Elemente Wasserstoff und Sauerstoff n i c h t m ö g l i c h , wie folgende Überschlagsrechnung zeigt: 1 g Radium entwickelt pro Jahr 167 mm 3 Helium (S. 572). Erzeugte j e d e s Heliumatom ein Wasserstoff- und ein Sauerstoffatom, so entstünden — da dann auf 2 Heliumatome 1 Wasserstoff- und 1 Sauerstoffmolekül entfielen — in 1 Jahr je rund 80 mm 3 Wasserstoff und Sauerstoff. Da aber von 100000 Heliumkernen nur e i n e r wirksam ist, entwickeln sich bei einer einjährigen Bestrahlung von Stickstoff mit 1 g Radium nur 80 : 100000 = 0.0008 mm 3 (d. h. rund L /iooo Kubikmillimeter 1) Wasserstoff und Sauerstoff. Demgegenüber ist bei Verwendung c y c l o t r o n - b e s c h l e u n i g t e r a-Teilchen infolge der höheren a-Strahlen-Intensität und der vermehrten Trefferausbeute die Gewinnung wägbarer Mengen von Kernreaktionsprodukten in erträglichen Reaktionszeiten durchaus möglich (vgl. Anmerkung 1, S. 604).

In derselben Weise, in der man Stickstoff durch Bombardieren mit «-Strahlen in Sauerstoff überführen kann, kann man gemäß der allgemeinen Reaktionsgleichung (1) z. B. auch Lithium in Beryllium, Bor in Kohlenstoff, Fluor in Neon, Natrium in Magnesium, Magnesium in Aluminium, Aluminium in Silicium, Silicium in Phosphor, Phosphor in Schwefel oder Calcium in Scandium umwandeln. Die Gesamtzahl bisher festgestellter derartiger Fälle beträgt über 30. Emission von Neutronen. Bei der Bombardierung von Atomkernen mit Heliumkernen können statt Protonen auch N e u t r o n e n herausgeschossen werden. In diesem Falle entsteht aus dem Element E von der Kernladung k und der Masse m ein Element von der Kernladung k + 2 und der Masse m + 3: m

kE

+ «He

JNn + - + 3S E.

(3)

Eine besonders wichtige Reaktion dieser Art ist die Umsetzung zwischen H e l i u m und Berylliumkernen, die zur Bildung von N e u t r o n e n und K o h l e n s t o f f führt: •Be + | H e

JNn + »|C.

(4)

Sie dient als besonders einfache und ergiebige Neutronenquelle zur L a b o r a t o r i u m s d a r s t e l l u n g v o n N e u t r o n e n für weitere Atomumwandlungen (S. 588). Und zwar benutzt man zu diesem Zwecke ein in ein Glasröhrchen eingeschmolzenes Gemisch von a-strahlendem R a d i u m oder R a d o n und metallischem B e r y l l i u m p u l v e r („Neutronenkanone"). Die gebildeten Neutronen, die eine maximale kinetische Energie von 7.8 Millionen e-Yolt (entsprechend einer Anfangsgeschwindigkeit von 39000 km/sec) besitzen, d u r c h d r i n g e n als ungeladene Teilchen l e i c h t d a s G l a s (vgl. unten und S. 583) und können so zur Einwirkung auf außerhalb des Glasröhrchens befindliche Materie gebracht werden. Bei der Durchführung der Reaktion (4) wurden die Neutronen im Jahre 1930 von den deutschen Physikern W. BOTHE und H. BECKER erstmals e n t d e c k t . Allerdings hielten die beiden Forscher die Neutronenstrahlung wegen ihres großen Durchdringungsvermögens zunächst für eine e n e r g i e r e i c h e y-Strahlung. Der englische Physiker J . CHADWICK zeigte dann im Jahre 1932, daß es sich in Wirklichkeit um u n g e l a d e n e T e i l c h e n v o n d e r M a s s e l (genaues physikalisches Atomgewicht: 1.00895) handelt, denen er den Namen „Neutronen" gab. Die Neutronen sind im freien Zustande r a d i o a k t i v und zerfallen mit einer Halbwertszeit von 12.8 Minuten unter ß-Si rahlung in Protonen. Entsprechend der Kernladung 0 ist das Neutron im Periodensystem v o r d e m W a s s e r s t o f f einzureihen. Da es k e i n e A u ß e n e l e k t r o n e n besitzt und daher auch keine chem i s c h e n V e r b i n d u n g e n einzugehen in der Lage ist, ist es c h e m i s c h i n a k t i v (vgl. S. 145ff.) und dementsprechend in die G r u p p e d e r E d e l g a s e einzuordnen (vgl. S.68). Als E l e m e n t („iVeatronium") wird es durch das Symbol Nn, als K e r n b e s t a n d t e i l („Neutron") gewöhnlich durch das Symbol n gekennzeichnet. In analoger Weise werden Wasserstoff und Helium als E l e m e n t e durch die Symbole H und He, als K e r n b a u s t e i n e meist durch die Symbole p (Proton) und a (aTeilchen) zum Ausdruck gebracht.

Gemäß der durch Gleichung (3) wiedergegebenen Atomumwandlungsmethode kann man z. B. Lithium in Bor, Bor in Stickstoff, Kohlenstoff in Sauerstoff, Stickstoff in Fluor, Fluor in Natrium, Natrium in Aluminium, Magnesium in Silicium, Aluminium in Phosphor, Silicium in Schwefel, Phosphor in Chlor oder Kalium in Scandium überführen. Insgesamt kennt man bereits über 100 solcher Kernreaktionen.

586

Die künstliche Elementumwandlung

Kernumwandlung mit Wasserstoffkernen Wegen der geringeren erforderlichen kinetischen Energie (vgl. S. 582 f.) können die Wasserstoffkerne zum Unterschied von den Heliumkernen durch fremde Kerne häufig nur e i n g e f a n g e n werden, ohne daß es zur Emission irgendwelcher Kernbestandteile kommt. Andererseits können aber auch wie bei der Beschießung mit Heliumkernen Kernbausteine des bombardierten Atomkerns — Heliumkerne, Wasserstoffkerne, Neutronen — herausgeschossen werden. Einfangen von Wasserstoffkernen. Bei der e i n f a c h e n A u f n a h m e von Wasserstoffkernen entsteht entsprechend der Vermehrung der positiven Kernladung um 1 Einheit das im Periodensystem auf das Ausgangselement folgende Element:

jÄ + iH—^

i+1E.

(5)

Die Masse dieses Elements k + i E ist je nachdem, ob Protonen oder Deutonen zur Anwendung gelangen, um 1 oder 2 Einheiten große r als die des ursprünglichen Grundstoffs (iE + l H — ^ 1t \E; iE + ?H — 1 % \ E ) . So kann man auf diese Weise z. B. Lithium in Beryllium, Beryllium in Bor, Kohlenstoff in Stickstoff, Fluor in Neon oder Silicium in Phosphor umwandeln. Rund 20 derartige Reaktionen sind bis heute bekannt. Emission von a-Teilchen. Werden bei der Beschießung von Atomkernen mit Wasserstoffkernen H e l i u m k e r n e aus den Atomkernen herausgeschossen, so haben wir eine Umkehrung der Kernreaktion (1) vor uns: kE

+ 1H

(6)

Die Masse des entstehenden, im Periodensystem links vom Ausgangselement stehenden Grundstoffs ist um 3 oder 2 Einheiten kleiner als die des ursprünglichen Elements (iE + }H — v gHe iE + ?H — g H e + mkZ\E). Ein Beispiel für diesen Reaktionstypus ist die Umwandlung von L i t h i u m in H e l i u m : ¡Li + 1H — | H e + £He. (7) Daß diese Reaktion nicht dazu dienen kann, um Helium in meßbaren Mengen aus Lithium und Wasserstoff zu erzeugen, sei wieder an Hand eines Z a h l e n b e i s p i e l s erläutert: Wendet man bei der Reaktion (7) Protonen mit einer Energie von 200000 e-Volt an, so dringt unter rund 100 Millionen Wasserstoffkernen nur ein einziger in einen Lithiumkern ein. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß es sich — um einen früher (S. 135) gebrauchten Vergleich heranzuziehen — darum handelt, in einem Raum von 1000 Kubikmetern ein bestimmtes Kubikmillimeter zu treffen, ohne zu zielen 1 Würde man einen Protonenstrom von 1 Milliampere Stärke (das ist die obere zur Zeit in Atomumwandlungs-Apparaturen erreichbare Grenze) ein ganzes Jahr lang auf Lithium richten, so entstünde in diesem Zeitraum nicht viel mehr als 1 /10 Kubikmillimeter Helium! An eine Umwälzung unserer S t o f f W i r t s c h a f t durch das Verfahren der Beschießung von Atomkernen mit P r o t o n e n oder D e u t o n e n ist also wie im Falle der Beschießung von Atomkernen mit H e l i u m k e r n e n (S. 584f.) vorerst nicht zu denken. Gleiches gilt für die Frage einer etwaigen Umgestaltung unserer E n e r g i e w i r t s c h a f t durch die obigen Arten der Kernumwandlung. Zwar liefert der einzelne Kernvorgang (7) für je 200000 e-Volt aufgewandter Energie insgesamt 17 Millionen e-Volt in Form kinetischer Energie der beiden entstehenden Heliumatome. Da aber 100 Millionen Wasserstoffkerne von 200000 e -Volt Energie notwendig sind, um diese 17 Millionen e-Volt zu erzeugen, muß i n s u m m a zur Gewinnung einer bestimmten Energiemenge doch ein millionenmal größerer Energiebetrag aufgewendet werden. Im Gegensatz dazu lassen die durch N e u t r o n e n ausgelösten K e r n - K e t t e n r e a k t i o n e n (S. 593 ff.) in naher Zukunft eine weitgehende Umwälzung der Stoff- und Energieerzeugung erwarten.

Eine der Reaktion (7) ganz entsprechende Reaktion gibt das l e i c h t e r e Lithiumisotop mit Deutonen: "Li + ?H — « H e + 2He.

(8)

Die dabei gebildeten a-Teilchen besitzen eine h ö h e r e k i n e t i s c h e E n e r g i e (11 Mil-

Die Kern-Einzelreaktion

587

lionen e-Volt je Teilchen) als a l l e a n d e r e n aus n a t ü r l i c h e n r a d i o a k t i v e n Proz e s s e n s t a m m e n d e n oc-Strahlen. Sonstige Beispiele für den Reaktionstypus (6) sind die Umwandlungen von Beryllium in Lithium, Bor in Beryllium, Kohlenstoff in Bor, Stickstoff in Kohlenstoff, Fluor in Sauerstoff, Natrium in Neon, Magnesium in Natrium, Aluminium in Magnesium oder Silicium in Aluminium. Die Gesamtzahl der bisher festgestellten Fälle dieser Art beträgt über 50. Emission von Protonen. Werden bei der Beschießung mit Wasserstoffkernen W a s s e r s t o f f k e r n e aus anderen Atomkernen herausgeschossen, so kommt es naturgemäß nicht zu einer Elementumwandlung, da bei der Kernreaktion die Zahl der Kernprotonen in den Atomen des bombardierten Elements unverändert bleibt: kE

+ tH

, H + kE.

(9)

Wohl aber geben solche Kernprozesse zur Bildung i s o t o p e r Kerne Veranlassung, wenn die aufgenommenen und abgegebenen Wasserstoffkerne v e r s c h i e d e n e Masse haben. Bombardiert man beispielsweise Elemente mit Deutonen und werden dabei Protonen emittiert, so gelangt man zu Isotopen mit einer um 1 Einheit größeren Masse + CSE+?H — Ein besonders interessanter Fall dieser Art liegt bei der Kernreaktion ?H + | H —>• JH + JH

(10)

vor, bei der ein W a s s e r s t o f f i s o t o p mit der Masse 3 {„Tritium" T) entsteht, das mit einer Halbwertszeit von 12.46 Jahren unter /^-Strahlung in | H e (s. auch unten) übergeht1. In analoger Weise lassen sich Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff, Natrium oder Aluminium in schwerere Isotope verwandeln. Insgesamt kennt man bereits über 160 Fälle dieser Art. Emission von Neutronen. Die Bombardierung von Atomkernen mit Wasserstoffkernen unter Emission von N e u t r o n e n führt zur Bildung von Elementen, die im Periodensystem rechts vom Ausgangselement stehen: + ^ —»- 0Nn + 4 + 1 * . (11) Je nach der Anwendung von Protonen oder Deutonen ist die Masse dieses Elements k + iE gleich der Masse des Ausgangselements (mtE + iH —>• oNn + k + iE) oder um 1 Einheit größer + jH — j N n + " + i ^ ) . Gelegentlich werden auch 2 Neutronen ausgeschleudert (über 90 bisher bekannte Fälle). Eine besonders interessante Reaktion der Art (11) ist die Umsetzung von Deutonen mit Wasserstoffatomen der Masse 2: JH + JH

>• ä N n + »He,

(12)

welche zur Bildung von H e l i u m mit dem A t o m g e w i c h t 3 führt. Ein solches Helium wäre ein idealer Füllstoff für Gasballons und Luftschiffe, da es als Heliumisotop ebenso unentflammbar und reaktionsträge wie das gewöhnliche Helium und dabei um 25°/ 0 leichter als dieses ist. Wegen der kleinen Ausbeuten bei künstlichen Elementumwandlungen (vgl. S. 584f., 586) ist aber an eine präparative Auswertung von Gleichung (12) vorerst noch nicht zu denken. Dagegen läßt sich die Reaktion (12) als ergiebige k ü n s t l i c h e — d. h. von radioaktiven Stoffen unabhängige — N e u t r o n e n q u e l l e 1 Die physikalischen Eigenschaften des leichteren Heliumisotops weichen merklich von denen des schwereren ab: krit. Temp. Sdp. Dichte (1—3°K) 3 He 3.34»K 3.20°K 0.08 g/cm3 4 He 5.20°K 4.21°K 0.14 g/cm3.

Die künstliche Elementumwandlung

588

(vgl. S. 583) benutzen. So kann man auf diesem Wege mit dem Cyclotron unter günstigen Bedingungen Neutronenintensitäten schaffen, die sonst nur ein Gemisch von 100 kg Emanation und Beryllium ergeben würde. Die Energie der Neutronen kann dabei bis auf 20 Millionen e-Volt gesteigert werden. Als weitere Beispiele für den Reaktionstypus (11) seien erwähnt: die Umwandlung von Lithium in Beryllium, Beryllium in Bor, Bor in Kohlenstoff, Kohlenstoff in Stickstoff, Stickstoff in Sauerstoff, Sauerstoff in Fluor, Fluor in Neon, Natrium in Magnesium oder Aluminium in Silicium. Die Gesamtzahl der bisher bekannten Fälle der Art (11) beträgt über 230. Kernumwandlung mit Neutronen Einfangen von Neutronen. Erfolgt bei der Beschießung eine e i n f a c h e A u f n a h m e des Neutrons durch den bombardierten Kern, so entsteht ein I s o t o p des ursprüng+ ^ „+ ^ (13 liehen Elements E : Diese Art der Atomumwandlung ist heute b e i f a s t j e d e m E l e m e n t bekannt (festgestellt wurden bisher über 220 derartige Reaktionen) und gelingt naturgemäß besonders leicht mit l a n g s a m e n Neutronen. Solche Neutronen geringer Energie entstehen, wenn man schnelle Neutronen durch W a s s e r H 2 0 oder festes P a r a f f i n CmHn hindurchtreten läßt, wobei sie infolge elastischer Zusammenstöße mit Wasserstoffkernen ihre Energie vermindern. In gleicher Weise entsteht ein Isotop (Masse m — 1) des beschossenen Elements, wenn 2 Neutronen herausgeschleudert werden (über 80 bisher bekannte Fälle). Das aufprallende Neutron muß dabei mindestens eine Energie von 8 Millionen e-Volt besitzen, da die Bindungsenergie des Neutrons in den meisten KerFig. 160. W I L S O N I 8 Millionen e-Volt beträgt. Für das Herausschießen von Aufnahme einer 3 Neutronen ist dementsprechend eine Mindestenergie des NeuKernumwandlung trons von 16 Millionen e-Volt erforderlich. durch Neutronen Emission von Protonen. Werden bei der Bombardierung mit Neutronen P r o t o n e n aus dem Atomkern herausgeschossen, so entsteht in Umkehrung des Reaktionstypus (11) der im Periodensystem vor dem Ausgangselement stehende Grundstoff: mtE + ¿Nn 3» }H +i_"E. (14) N

E

N

R U N
• PH3) überging und daß beim Lösen des aktivierten Aluminiums 1 in Salpetersäure (2P + 2 /aOa + 3H a O >- 2H 3 P0 4 ) und Zusatz von etwas Phosphat und Zirkonsalz die Radioaktivität quantitativ mit dem ausfallenden Zirkonphosphat aus der Lösung entfernt wurde.

Seitdem sind zahllose weitere Fälle von künstlicher Radioaktivität aufgefunden worden (S. 581), so daß man heute von j e d e m der 101 bekannten Elemente mindestens e i n , gewöhnlich sogar m e h r e r e radioaktive Isotope kennt. Die meisten künstlich gewonnenen radioaktiven Elemente zerfallen dabei entweder unter Ausstrahlung von p o s i t i v e n oder unter Ausstrahlung von n e g a t i v e n E l e k t r o n e n 1 . Eine Emission von H e l i u m k e r n e n wie bei den natürlichen radioaktiven Elementen wurde bisher, abgesehen von den schweren Elementen, nur ganz vereinzelt beobachtet (z. B. | B e — | H e + | H e ) ; umgekehrt ist der Zerfall unter Bildung von P o s i t r o n e n nur bei den k ü n s t l i c h e n radioaktiven Substanzen bekannt. Ob ein p o s i t i v e s oder ein n e g a t i v e s Elektron ausgestrahlt wird, hängt davon ab, ob in dem durch Beschießen gewonnenen neuen Atomkern das Verhältnis von P r o t o n e n z u N e u t r o n e n oder das Verhältnis von N e u t r o n e n z u P r o t o n e n gegenüber dem stabilen Zahlen Verhältnis z u g r o ß ist(vgl.S. 558f.).So sind z . B . d i e d u r c h E i n 1 Der Ausstrahlung von Positronen ist die Aufnahme von Negatronen aus der K-Schalejder Elektronenhülle („K-Einfang") energetisch äquivalent. In beiden Fällen wandelt sich das radioaktive Element in das im Periodensystem davorstehende Element um.

590

Die künstliche Elementumwandlung

f a n g e n v o n N e u t r o n e n gebildeten radioaktiven Elemente stets ,,negatronenaktiv", indem die vermehrte Neutronenzahl durch Übergang von Neutronen in Protonen (n—>-p + e~) wieder verringert wird. Umgekehrt sind die durch P r o t o n e n a u f n a h m e entstehenden radioaktiven Kerne „positronenaktiv", indem sie sich durch Übergang von Protonen in Neutronen ( p — v n + e+) stabilisieren. Die G e s c h w i n d i g k e i t des radioaktiven Zerfalls folgt in beiden Fällen den beim n a t ü r l i c h e n r a d i o a k t i v e n Z e r f a l l besprochenen Zerfallsgesetzen (S. 575f.). Die künstlichen radioaktiven Elemente erweitern in willkommener Weise die Zahl der für radioaktive I n d i k a t o r z w e c k e (S. 574f.) brauchbaren Grundstoffe. So kann man mit ihrer Hilfe den Weg und das Schicksal zahlreicher in den Organismus eingeführter Elemente an Hand der ausgesendeten Strahlung leicht verfolgen (vgl. S. 561 f., 574f.). Als besonders wertvoll haben sich dabei die radioaktiven Isotopen JH (Halbwertszeit 12.46 Jahre), 1 ¿C1 (5.570 X103 Jahre), » | P (14.30Tage), f % S (87.1 Tage), % [¡Ca (164 Tage), \ j>Fe (45.1 Tage), §¡Zn (245 Tage), § ¡Sr (54Tage) und i j j i j (8.06 Tage) erwiesen. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, chemische, analytische, biochemische, physiologische, medizinische, agrikulturchemische Probleme wie z.B. innermolekulare Umlagerungen, Stoffwechselreaktionen, Wirkungsweisen von chemischen Heilmitteln, von Bakterien, von Spurenelementen usw. zu studieren und aufzuklären (vgl. II, S. 54, 90, 211 f., 278, 321, 417, 473, 485). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Verwendung des Kohlenstoffisotops ^C zur Altersbestimmung historischer und prähistorischer Gegenstände („Kohlenstoff-Uhr"). Unter der Einwirkung der kosmischen Strahlung (S. 579), die Stickstoff in Kohlenstoff umzuwandeln vermag (vgl. Anm. 1), hat sich in der Atmosphäre im Laufe der Jahrmillionen eine Gleichgewichtskonzentration von 14 C0 2 eingestellt. Sie entspricht 1614C-Atom-Zerfällen je g Kohlenstoff pro Minute, ist also außerordentlich gering. Analoges gilt für die Pflanzen, die bei der Assimilation, und für die Tiere, die bei der Pflanzenaufnahme die Gleichgewichtskonzentration von l4C in sich aufnehmen. Sobald nun ein lebender Organismus stirbt, vermag er keinen neuen radioaktiven Kohlenstoff mehr aufzunehmen. Damit sinkt die 14C-Aktivität nach Ablauf von 5570 Jahren auf die Hälfte (Zerfall von 8 14C-Atomen je g Kohlenstoff pro Minute), nach Ablauf von 11140 Jahren auf ein Viertel (Zerfall von 4 14C-Atomen) usw. Umgekehrt kann man somit aus dem Maß der in einem abgestorbenen Organismus (z. B. der Holzplanke eines alten Schiffes, den Knochenresten eines prähistorischen Tieres) noch vorhandenen 14C-Aktivität zurückrechnen, zu welchem Zeitpunkt er noch volle Aktivität besaß, d. h. wann er gestorben ist. Auf diese Weise ist eine experimentelle Überprüfung geschichtlicher und vorgeschichtlicher Zeitangaben (Altersbestimmungen zwischen 400 und 30000 Jahren) möglich. So ergab etwa die Untersuchung eines Plankenstücks des großen Leichenschiffs des Königs Sesostris III. von Ägypten (1887 — 1849 v. Chr.) ein Alter, das nur um wenige Prozente von dem wahren Alter abwich.

Über die vorgenannten Anwendungen hinaus gewinnen die künstlichen radioaktiven Isotopen als S t r a h l u n g s q u e l l e n zunehmende m e d i z i n i s c h e Bedeutung, da sie gegenüber den n a t ü r l i c h e n radioaktiven Stoffen den Vorteil leichterer Dosierbarkeit und größerer Billigkeit besitzen und zudem im Organismus verbleiben können, weil sie bei ihrem Abklingen in harmlose Stoffe übergehen. Erwähnt seien hier das aus gewöhnlichem Natrium (ff Na) durch Neutronenbeschuß gewinnbare „Radio-Natrium" \ *Na, das mit einer Halbwertszeit von 15.0 Stunden in Magnesium übergeht ( f f N a — > • f | M g + _Je~ + y) und der aus normalem Phosphor (J 1P) durch Neutronenbeschuß erhältliche „Radio-Phosphor" ® j?P, welcher mit 14.30 Tagen Halbwertszeit in normalen Schwefel zerfällt (3§P—>- 3 2g + _ o e - + y ). Erleichtert wird diese Verwendung radioaktiver Isotopen in der wissenschaftlichen Forschung durch die Tatsache, daß diese Stoffe heutzutage nicht nur in der Größenordnung von M i k r o g r a m m e n und M i l l i g r a m m e n , sondern auch von G r a m m e n oder in manchen Fällen sogar von K i l o g r a m m e n gewinnbar sind (S. 593ff.). 1 Die Beindarstellung von Stickstoff:

1 14

erfolgt zweckmäßig durch Einwirkung von Neutronen auf N + }Nn — v JH + ' 4 C.

Die Kern-Einzelreaktion

591

b) Die Kernzersplitterung Wesentlich eingreifender als die bisher besprochenen einfachen K e r n r e a k t i o n e n sind die Umwandlungen, die sich bei der Einwirkung von Geschossen sehr hoher E n e r g i e (einige 100 Millionen e-Volt) abspielen. Die Beschießung irgendwelcher Elemente des Periodensystems führt in diesem Falle durchweg zu einer überaus großen Anzahl radioaktiver Reaktionsprodukte, deren Ordnungszahl sich häufig über einen Bereich von 10—20 Einheiten erstreckt und deren Massenzahl oft um 20—50 Einheiten von der des Ausgangselements abweicht. So befindet sich unter den zahlreichen Reaktionsprodukten der Beschießung von Arsen \ |As mit «-Teilchen von 400 Millionen e-Volt beispielsweise das 37-Minuten-Chlorisotop 3 fCl, dessen Kernladungszahl um 16 und dessen Massenzahl um 37 Einheiten kleiner als die des Ausgangskerns ist. Die Bestrahlung von K u p f e r 63, |{jCu mit Deutonen von 200 und Heliumkernen von 400 Millionen e-Volt ergab bisher allein in der M a n g a n f r a k t i o n Manganisotope der Massenzahl 51 bis 56. Bei der Bestrahlung von E i s e n (2 eFe) mit Protonen von 340 Millionen e-Volt wurden bisher schon zahlreiche radioaktive Isotope der Elemente Natrium (z. B. ^ N a und Na) bis K o b a l t (z. B. g« Co und g« Co) aufgefunden. Daraus geht hervor, daß die Einwirkung von Partikeln sehr hoher Energie Kernzertrümmerungen zur Folge hat, bei denen Dutzende von Protonen und Neutronen — als solche oder als leichte Atomkerne — emittiert werden. Besonders leicht finden solche weitgehenden Kernzertrümmerungen bei den instabileren schweren Elementen statt. So genügen bereits Deutonen von 50Millionen e-Volt, um aus U r a n 2 3 5 ' 2 | f U Isotope wie 2 1 \ At zu machen, die sich um nahezu 10 Protonen und 20—30 Masseneinheiten vom Ausgangselement unterscheiden. Geradezu unübersehbar wird in solchen Fällen die Schar der gebildeten Kerntrümmer bei Anwendung von Geschossen höchster Energien. Beispielsweise liefert das U r a n bei der Beschießung mit a-Teilchen von 400 Millionen e-Volt nach den bisherigen Feststellungen Isotope aller Elemente zwischen den Ordnungszahlen ~ 25 und 92, wobei die Elemente oberhalb der Ordnungszahl ~ 70 (Massenzahl > ~ 180) offensichtlich durch Kernzersplitterungsreaktionen der eben beschriebenen Art entstehen, während die Elemente unterhalb dieser Ordnungszahl (Kernladungszahlen 46 ^ — 20; Massenzahlen 120 i ~ 60) wahrscheinlich durch Spaltung des Urankerns (Ordnungszahl 92) in zwei Bruchstücke (S. 591 ff.) gebildet werden. Analoges gilt für die Bestrahlung von Elementen mit y- S t r a h l e n höchster Energie aus dem Betatron. So wandelt sich beispielsweise Silicium (f|Si) unter der Einwirkung elektromagnetischer Strahlung der Energie 100 Millionen e-Volt (Wellenlänge «5 1/10000 Ä) in Natrium (f *Na) um, was besagt, daß 3 Protonen und 1 Neutron emittiert werden. Ahnliche interessante Ergebnisse sind bei der geplanten Beschleunigung von E l e k tronen auf Höchstenergien von 300 Millionen e-Volt zu erwarten (vgl. S. 583 u. 608).

c) Die Kernspaltung Einen weiteren Typus von Kernreaktionen als Folge der Beschießung von Atomkernen mit Neutronen entdeckten im Jahre 1939 die deutschen Physikochemiker OTTO

HAHN und FRITZ STRASSHANN. Bestrahlt man U r a n mit langsamen Neutronen, so

spalten sich die Kerne des dabei aus dem Uranisotop 2 1 |U (Actino-Uran) durch Neutronenaufnahme primär gebildeten Uranisotops 2 g|U spontan unter ungeheurer W ä r m e e n t w i c k l u n g (3.7 Milliarden kcal/Grammatom U = 160 Millionen e-Volt) in je zwei große B r u c h s t ü c k e von bevorzugt verschiedenem Gewicht (Massenzahlen um 95 und um 140), z. B. in Krypton und Barium, Strontium und Xenon, Yttrium und Jod oder Brom und Lanthan (Fig. 161):

Die künstliche Elementumwandlung

592

Urankern

C 3

^^

Neutron

Urankern-Spaltstücke

Proton

Fig. 161. Spaltung dea Urankerns 2|!iU in zwei Bruchstücke bei der Beschießung mit Neutronen 2 36 « !

TT u

Kr +

56

Ba

2

I5U

Sr +

6 4

X.

Gleichzeitig werden dabei Neutronen (2 bis 3 je Elementarakt) in Freiheit gesetzt. Die entstehenden neuen Elemente sind wegen des in ihren Atomkernen vorhandenen großen N e u t r o n e n ü b e r s c h u s s e s r a d i o a k t i v und zerfallen unter ^-Strahlung (Umwandlung von Kern-Neutronen in KernProtonen; S.560) weiter (vgl. S. 589 f.), so daß ganze Z e r f a l l s r e i h e n auftreten und Leichteres schwereres bis heute bereits 36 verschiedene Elemente Uranspam^rodukt ( 8 0 Zn bis „ 5 Tb mit Massenzahlen von 71 bis 160) in Form von fast 300 Isotopen (darunter über 90 stabilen Endgliedern) als direkte und indirekte Kerntrümmer der 1 1 Uranspaltung bekannt oder wahrscheinlich gemacht sind. Die Ausbeuten an Spaltprodukten sind bei den Massenzahlen um 95 und 1 1 140 besonders hoch ( > 6°/0) und nehmen mit zunehmender Entfernung von diesen Massenwerten ab (Fig. 162). Die beobachtete Z e r f a l l s e n e r g i e beträgt zusammengenommen etwa 200 Millionen e-Volt, übertrifft also die aller anderen bisher bekannten Kernreaktionen um ein Vielfaches. Die Rückbildung genügend energiereicher Neutronen beim Zerfall ermöglicht unter geeigneten Be1 dingungen eine selbsttätige Weiterführung 1 der Uranspaltung in Form einer Ketten1 1 il i i 1 reaktion und damit eine N u t z b a r m a SO WO 120 1W ISO c h u n g der h o h e n Z e r f a l l s e n e r g i e und Massenzahlen der Spaltprodukte Fig. 162. Ausbeuten1 und Massenzahlen der eine präparative Gewinnung der e n t s t e h e n d e n R e a k t i o n s p r o d u k t e (S.593ff.). Spaltprodukte des U r a n k e r n z e r f a l l s

f\

\

J Die Ausbeuten sind in Atomprozenten des gespaltenen Urans ausgedrückt, so daß die Ge. samtlänge der Kurve einen Wert von 200% ergibt (Spaltung der Urankerne in je zwei Bruchstücke-)

593

Die Kern-Kettenreaktion

Das zweite, häufigere (99.3°/0) Uranisotop 2 | | U geht bei der Bestrahlung mit langsamenNeutronen über ein Uranisotop 2 | | U unter Elektronenabgabe in ein „Transuran" der Ordnungszahl 93 („Neptunium" Np) über: das seinerseits radioaktiv weiter zerfällt (S. 596, 601, 604).

Wie das Uranisotop 2 \ | U lassen sich auch zahlreiche andere schwere Isotope durch Beschießen mit Neutronen leicht spalten, z. B. die Isotopen 2 \ j^Th, 2 jj JPa, 2 1 ¡U, 2 1 ¡ U 1 , 2 ^ | P u . Praktische Anwendung haben unter diesen Elementen bis jetzt nur 2 1 jjU, 2 3 9 p u und 251U gefunden, die schon mit ganz langsamen Neutronen spaltbar sind (S. 594). Die beiden letzteren werden durch Neutroneneinfang aus 2 j j!U bzw. 2 j 2 T h in einem „Brutprozeß" (S. 596) gewonnen, das erstere durch ein Isotopen-Trennverfahren aus natürlich vorkommendem Uran (S. 597). Zur Spaltung der w e n i g e r s c h w e r e n , stabileren Atomkerne sind wesentlich höhere Geschoßenergien erforderlich. So gelingt die Spaltung von W i s m u t ( 8 3 Bi) u n d B l e i ( 8 2 Pb) erst mit Neutronen von 100 Millionen e-Volt (untere Grenze: 50 Millionen e-Volt). die Spaltung von T h a l l i u m ( 81 T1) mit Deutonen von 200 Millionen e-Volt und die Spaltung von P l a t i n ( 7 8 Pt) und T a n t a l ( 7 3 Ta) mit a-Teilchen von 400 Millionen e-Volt. Die Spaltungsprodukte sind in diesen Fällen zum Unterschied von den Spaltungsprodukten desUrans undPlutoniums (S. 591f.) bevorzugt etwa gleichschwer. Zur Erzeugung von Energie (vgl. S. 593ff.) lassen sich die Spaltungen der leichteren Elemente nicht verwenden, da wegen der erforderlichen extrem hohen Geschwindigkeit der zur Spaltung notwendigen Partikeln die Energie der bei der Spaltung fr ei werdenden Teilchen für eine Fortsetzung der Reaktionskette nicht ausreicht.

2. D i e Kern-Kettenreaktion Wir erwähnten schon auf S. 592, daß der durch Neutronenbeschuß bewirkte hochexotherme Zerfall des Urankerns 2 1 ¡U in zwei Bruchstücke zur gleichzeitigen Emission von 2 bis 3 Neutronen je Elementarakt Veranlassung gibt (Fig. 161, S. 592). Diese Tatsache eröffnete erstmals die Möglichkeit zur Durchführung von K e r n - K e t t e n r e a k tionen und damit zur Nutzbarmachung der bei der Uranspaltung freiwerdenden Energiemengen und entstehenden Zerfallsprodukte, wenn es gelang, die bei der Spaltung gebildeten Neutronen ihrerseits zur weiteren exothermen Spaltung neuer Urankerne zu veranlassen und auf diese Weise je nach der Steuerung des Prozesses eine gemäßigte oder eine lawinenartig sich steigernde „Kettenreaktion" zu erzielen. In beiden Fällen müssen eine Reihe von Vorbedingungen erfüllt werden, auf die wir im folgenden näher eingehen wollen.

a) Die gesteuerte Kern-Kettenreaktion Läßt man auf reines natürliches Uran, das zu 99.3°/0 aus 2 1 ¡ U und zu 0.7°/0 aus 2 1 f U besteht 2 , Neutronen einwirken, so findet k e i n e Kettenreaktion statt, da die bei der Spaltung von 2 g | U gebildeten Neutronen: 2

üU+n—>-X + Y+3n

(1)

(X und Y = Uranspaltstücke) vom Uranisotop 2 1 ijU unter Bildung eines radioaktiven Uranisotops 2 | | U (S. 596) absorbiert und dadurch der gewünschten Kettenreaktion entzogen werden: 2

1

!!U+n



2

f|U.

'

2

(2)

Die Spaltung von | | U erfolgt nur durch s c h n e l l e Neutronen, während die Spaltung von f | U bevorzugt durch l a n g s a m e , in ihrer Geschwindigkeit gewöhnlichen Gasmolekülen vergleichbare Neutronen („thermische Neutronen") bewirkt wird (vgl. S. 594). 2 In ganz geringem Umfang (0.006%) ist auch das Isotop 2 | | U vorhanden. 2

H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 37. —39. Aufl.

38

594

Die künstliche Elementumwandlung

Nun erfolgt die Anlagerungsreaktion (2) besonders leicht bei Einwirkung von Neutronen des Energieinhalts von 25 e-Volt, während die Spaltungsreaktion (1) bevorzugt durch langsamere Neutronen von der Geschwindigkeit etwa der Gasmoleküle bei Zimmertemperatur 0.025 e-Volt, entsprechend einer Geschwindigkeit von 2200 m/Sekunde) ausgelöst wird. Es ist daher zur Zurückdrängung der störenden Absorptionsreaktion (2) erforderlich, durch Einlagerung von B r e m s s u b s t a n z e n („Moderatoren") die hohe Geschwindigkeit der nach (1) gebildeten Neutronen 1 Million e-Volt) möglichst rasch unter den gefährlichen Wert der „Resonanzenergie" von 25 e-Volt herabzudrücken. Als Bremssubstanz hat sich neben schwerem Wasser vor allem reiner G r a p h i t bewährt

Fig. 163. Schema eines Uran-Kernreaktors

der in Auswirkung elastischer Zusammenstöße Neutronen rasch zu verlangsamen vermag, ohne sie zu absorbieren. Dementsprechend bettet man Uranstäbe in geeigneter Weise in eine Graphitmasse ein, wie dies Fig. 163 schematisch zum Ausdruck bringt. Die Größe der ganzen Anordnung muß dabei einen bestimmten Schwellenwert („kritische Größe") übersteigen, damit durch die so bedingte Verkleinerung des Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen die Möglichkeit eines Entschlüpfens der im Inneren gebildeten Neutronen durch die Oberfläche nach außen erschwert wird und die Kettenreaktion (1) sich mit den verbleibenden Neutronen fortsetzen kann (vgl. S. 595,597). Die gewonnene Anordnungwird als Kernreaktor oder „Uran-Pile" 1 („Uran-Brenner";„ Uran-Batterie"; „Uran-Ofen"\ „Uran-Maschine"; „Uran Meiler") bezeichnet (Fig. 163). In dieser Anordnung gehen etwa gemäß dem Schema der Fig. 164 von je drei nach (1) gebildeten und durch den Moderator verlangsamten Neutronen zwei durch Absorption gemäß (2) bzw. durch Entweichen nach außen verloren, während das dritte den „Brennstoff" für die Fortführung der Kette (1) liefert. Durch Einschieben bzw. Herausziehen von B o r s t a h l - oder C a d m i u m s t ä b e n kann die Kettenreaktion des Kernreaktors nach Belieben v e r l a n g s a m t bzw. b e s c h l e u n i g t werden, da diese Stoffe sehr wirksame N e u t r o n e n a b s o r b e r sind. Ein Uran-Kernreaktor enthält (vgl. Fig. 163) in einem dicht gepackten Würfel von etwa 6—8 m Kantenlänge rund 30—401 Uranmetall und 10—20 mal soviel Graphit. Das Uranmetall ist dabei in Form von nahezu tausend Stäben (6 m Länge, 2—3 cm Durchmesser) in Abständen von etwa 20 cm angeordnet. Die Ableitung der ungeheuren Reaktionswärme (vgl. Anm. 1 auf S. 596) erfolgt so, daß die Uranstäbe in dünne, 1

Pile (engl.) = aufgehäufte Masse (im übertragenen Sinne: Batterie).

Die Kern-Kettenreaktion

595

konaxiale K a n ä l e eingelagert werden, durch die ein K ü h l m i t t e l ( z . B . L u f t oder W a s s e r ) s t r ö m t , das N e u t r o n e n n u r wenig absorbieren darf. Maßgeblich für das ordnungsgemäße Arbeiten eines Uran-Piles ist die Größe des sogenannten „Multiplikationsfaktors" k , unter dem man das Verhältnis der nach Abzug der NeutronenVerluste (durch Absorption und Entweichen) im Reaktor verbleibenden, kettenfortführenden, neugebildeten Neutronen (n g e b l l d e t ) zur Zahl der zur Bildung dieser wirksamen Neutronen bei den einzelnen Spaltungsakten verbrauchten Neutronen (n T e r b r a u c h t ) versteht: « =

^gebildet

.

n verbraucht

I s t i f c < 1, so bricht die Kette ab, die „Uran-Maschine" ßremssubstanz kommt zum Stillstand. Ist k > 1, so geht die gesteuerte Kettenreaktion infolge der lawinenartig anwachsenden Neutronenzahl (vgl. Fig. 165, S. 596) in eine unkontrollierbare K e t t e n - E x p l o s i o n über (S. 597). Durch die oben erwähnten — automatisch mittels einer Ionisationskammer nach Maßgabe der Neutronendichte regulierten — Neutronenabsorber muß dementsprechend der Multiplikationsfaktor k dauernd auf dem Wert 1 gehalten werden 1 . Ein in Betrieb befindlicher Uran-Pile pendelt Bremssubstanz somit ständig zwischen dem Erlöschen und der beginnenden Katastrophe. D e r U r a n - P i l e ist sowohl als Energie- wie als Stoffgenerator v o n ungeheurer wissenschaftlicher u n d praktischer B e d e u t u n g . Die Energieentwicklung ( 1 6 0 Millionen e - V o l t = 3 . 7 Milliarden kcal je G r a m m a t o m = 1 5 . 5 Milliarden kcal j e kg gespaltenen U r a n s 2 ) eröffnet die Möglichkeit einer laufenden E n t Bremssubstanz nahme von W ä r m e e n e r g i e („Atomkraftanlage") oder v o n k i n e t i s c h e r N e u t r o n e n e n e r g i e u n d m a c h t den U r a n - P i l e zu einer E n e r g i e - u n d Neutronenquelle unvorstellbaren Ausmaß e s , die zur E r r i c h t u n g v o n K r a f t z e n t r a l e n und zur p r ä p a r a t i v e n G e w i n n u n g v o n r a d i o o a k t i v e n I s o t o p e n aller E l e m e n t e v e r w e n d e t Neutron Z35 U werden k a n n 3 (S. 5 8 3 , 5 8 8 , 5 9 0 ) . Die Stofferzeugung 4 in F o r m der Zerf alls- u n d Umwandlungsprodukte de s Fig. 164. Schemader gesteuerten Kern-Kettenreaktion U r a n s (vgl. S. 5 9 1 f . ) dient schon h e u t e zur t e c h nischen Gewinnung vieler wissenschaftl i c h w i c h t i g e r I s o t o p e (vgl. S. 590, 5 9 7 f f . , 6 0 0 f f . ) u n d wird v o r allem bei d e r E r z e u g u n g v o n P l u t o n i u m (vgl. S. 6 0 4 ) ausgenutzt.

J k o

1 Daß dies möglich ist, wird mit dadurch bedingt, daß ein kleiner Teil der bei den Spaltungsvorgängen freiwerdenden Neutronen mit einer gewissen V e r z ö g e r u n g emittiert wird, so daß die Regelung durch die Neutronenabsorber nicht in Bruchteilen von Sekunden zu erfolgen braucht, sondern im Laufe von Minuten vorgenommen werden kann. 2 Eine gleiche Gewichtsmenge (1kg) guter S t e i n k o h l e liefert bei der Verbrennung nur 8000 kcal, also ungefähr den zweimillionsten Teil an Wärmeenergie. I n Wirklichkeit ist der energetische Unterschied zwischen Kohleverbrennung und Uranspaltung noch wesentlich größer, da j a die 160 Millionen e-Volt Spaltungsenergie noch um die erheblichen Zerfallsenergien der zahlreichen Spaltungsprodukte des Urans zu erhöhen sind (vgl. S. 692). 3 Zur Ausnutzung der Neutronenenergie werden die umzuwandelnden Elemente entweder an die Oberfläche des Piles herangebracht oder mittels Sonden in das Innere des Brenners eingeführt. I m letzteren Falle müssen natürlich zur Kompensation des auftretenden Neutronenverlustes die absorbierenden Metallstäbe etwas weiter aus dem Pile herausgezogen werden. 4 Das Massenäquivalent (m = E/c 2 ) der Uranspaltungs-Energie beträgt etwa 1 g/kg Uran, d. h. aus 1 kg gespaltenem Uran entstehen rund 999 g aktive Elemente.

38*

596

Die künstliche Elementumwandlung

Die Bildung von (spaltbarem) Plutonium 2 | f P u aus (nicht spaltbarem) Uran 2 f f U („Brutvorgang") erfolgt so, daß das bei der Einwirkung von Neutronen gemäß (2), S. 593 aus dem Uranisotop 2 g e b i l d e t e Uranisotop 2 1 % U (Halbwertszeit: 23.5 Minuten) unter /S-Ausstrahlung über ein N e p t u n i u m i s o t o p 2 1 § Np (Halbwertszeit: 2.33 Tage) in das P l u t o n i u m i s o t o p 2 | J P u (Halbwertszeit: 24360 Jahre) übergeht: 23 »Np

23|pUi

Eine f e s t e E i n l a g e r u n g von Uranstäben in den Graphitmoderator gemäß Fig. 163 wäre in diesem Falle nicht zweckmäßig, da hierdurch ein kontinuierlicher Betrieb verhindert würde. Man verfährt daher bei der Plutoniumgewinnung so, daß man das Uran in wasser- oder luftgekühlten 1 «

O'Neutnn Fig. 165. Schema der ungesteuerten Kern-Kettenreaktion Aluminiumrohren durch den Moderator h i n d u r c h b e w e g t , so daß man am einen Ende der Bohre 1 neues Material einfüllen, am anderen Ende das plutoniumhaltige Material / 10 °/ 0 Pu) entnehmen kann („Plutonium-Pile"). Die Abtrennung des gebildeten Plutoniums vom Uran erfolgt auf chemischem Wege. Wegen der lebensgefährlichen r a d i o a k t i v e n A u s s t r a h l u n g des Piles und der Reaktionsprodukte 2 müssen natürlich außergewöhnliche Vorsichtsmaßregeln f ü r die Umgebung getroffen werden. So ist der Pile zum Schutze gegen die Strahlung von einer starken luftdichten Betonmauer umgeben, und alle Arbeitsgänge wie Auflösen, Fällen, Oxydieren usw. werden mittels Fernschaltung gesteuert und überwacht. Auf diese Weise lassen sich in einem Plutonium-Pile von 108 kW Leistung Plutoniummengen von etwa 1 kg täglich (entsprechend vielen Zentnern pro Jahr) produzieren. 1 Die Kühlung eines Piles ist ein wichtiges und nicht leicht lösbares Problem, da die Leistung einer Uranspaltungs-Anlage bis zu 10® k W beträgt, entsprechend einer Wärmeentwicklung von rund 1li Million kcal/sec. 2 Die ß- und y-Strahlung der bei der Spaltung von 1 kg Uran oder Plutonium gebildeten radioaktiven Elemente ist der entsprechenden Ausstrahlung von rund 1000 Tonnen Radium äquivalent.

Die Kern-Kettenreaktion

597

b) Die ungesteuerte Kern-Kettenreaktion Will man die kontrollierte Kern-Kettenreaktion des Uran-Piles in eine ungesteuerte K e t t e n - E x p l o s i o n übergehen lassen, so muß man aus dem natürlichen Uran das im Überschuß (99.3°/0) vorhandene, neutronenabsorbierende und damit ketten-störende (S.593) Uranisotop 2 ® | U entfernen, d.h. von dem reinen Uranisotop 2 j j | U ausgehen. Die Trennung von 2 | | U und 2 | | U macht naturgemäß größte Schwierigkeiten, da die beiden Atomarten als Isotope sich c h e m i s c h v ö l l i g g l e i c h a r t i g verhalten und daher nur auf Grund ihres sehr geringen Massenunterschieds p h y s i k a l i s c h trennbar sind (S. 560). Zum Ziele führten (seit 1942) die f r a k t i o n i e r t e D i f f u s i o n von gasförmigem Uranhexafluorid UF 6 (vgl. S. 561) und die — noch wirksamere — e l e k t r o m a g n e t i s c h e T r e n n u n g in Separatoren nach dem Prinzip des AsTONschen (MATTAtrcHschen) Massenspektrographen (S. 557). Das letztere Verfahren ermöglicht heute schon eine tägliche Produktion von mehreren Kilogramm 2 jj | U . Wie es nun eine „kritische Größe" gibt, oberhalb derer die einfache Kern-Reaktion eines mit n a t ü r l i c h e m Uran ( 2 3 5 > 2 3 8 U ) arbeitenden Uran-Piles in eine gesteuerte Kern-Kettenreaktion übergeht (S. 594), gibt es auch eine kritische Größe, oberhalb derer aus der Kern-Reaktion eines A c t i n o u r a n - P i l e s (2 3 6 U ) eine gesteuerte bzw. ungesteuerte Ketten-Reaktion wird. Sie ist dann erreicht, wenn die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen des Piles und damit der Neutronenverlust nach außen hin so klein geworden ist, daß der Multiplikationsfaktor k (S. 595) gleich bzw. größer als 1 wird (wenige kg 2 3 5 U ) . U n t e r h a l b der kritischen Größe (k < 1) ist ein 2 j j | U Block h a r m l o s , o b e r h a l b dieser Größe (k > 1) e x p l o d i e r t er wegen der im Bruchteil von Sekunden lawinenartig anwachsenden Zahl kettenfortführender Neutronen (Fig. 165) mit v e r h e e r e n d e r W i r k u n g 1 („Atombombe"). Die erste während des letzten Weltkrieges abgeworfene Atombombe bestand aus solchem 2 jj | U . Analog dem Uranisotop 2 g | U explodiert auch das P l u t o n i u m i s o t o p 2 | ® P u bei Überschreitung der kritischen Menge (10—30 kg) mit ungeheurer Wucht und furchtbarer Wirkung. Da es leichter gewinnbar als 2 g | U ist (S. 596, 604), stellt es einen noch geeigneteren Atom-Sprengstoff als dieses dar. So bestand schon die zweite während des letzten Weltkrieges verwendete Atombombe aus 2 j ^ P u .

3. Die Elemente 43, 61, 85 und 87 Bis vor wenigen Jahren waren im Periodensystem der Elemente die Plätze 43, 61, 85 und 87 unbesetzt. Durch das Verfahren der künstlichen Elementumwandlung sind diese Grundstoffe jetzt aber synthetisch gewinnbar, so daß man ihre Eigenschaften bestens kennt.

a) Das Technetium Das Element 43 wurde im J a h r e 1937 von den italienischen Forschern C. PERRIER und E. S E G R E als Reaktionsprodukt der Bestrahlung von Molybdän mit Deutonen entdeckt und erhielt 1947 auf Vorschlag der Entdecker den Namen „Technetium" (Tc), da es in der Natur nicht vorkommt, sondern nur künstlich darstellbar ist 2 . Im Jahre 1925 hatten WALTHER NODDACK und I D A TACKE auf der Suche nach den Elementen 43 und 75 in Anreicherungsfraktionen von aufgearbeitetem Columbit und Tantalit röntgenspektroskopisch nachweisbare Mengen der beiden Elemente erhalten und ihnen die Namen „Masurium," (Ma) und „Rhenium,11 (Re) gegeben. Während sich aber die Entdeckung des R h e n i u m s 1 Durch Umhüllung der Uranbombe mit einem die Neutronen in das Innere reflektierenden, nicht absorbierenden Material („Tamper") wird der Multiplikationsfaktor erhöht und zugleich ein vorzeitiges Auseinanderplatzen der Bombe in Teilstücke unterkritischer Größe vermieden. * Vgl. Anmerkung 1, S. 621.

Die künstliche Elementumwandlung

598

durch präparative Reindarstellung des Metalls und seiner Verbindungen bestätigen ließ (S. 524f.), gelang es — im Einklang mit der MATTAUCH sehen Isobarenregel (S. 558) — bisher nicht, das natürliche Vorkommen von Masurium präparativ zu stützen.

Heute kennt man bereits 17 künstliche Isotope des Technetiums, deren Massenzahlen von 92 bis 105 und deren Halbwertszeiten von wenigen Sekunden bis zu 2.12 x 105 Jahren variieren. Einige von ihnen seien im folgenden angeführt: 9 S Tp X 11 1 0

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44

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Sie lassen sich hauptsächlich durch Einwirkung von Neutronen, Protonen, Deutonen oder a-Teilchen auf das Nachbarelement M o l y b d ä n ( 42 Mo), sowiedurchdie U r a n k e r n s p a l t u n g gewinnen und gehen beim radioaktiven Zerfall entweder (niedere Massenzahlen) unter ß+-Strahlung (K-Einfang) in M o l y b d ä n ( 42 Mo) oder (höhere Massenzahlen) unter /? - -Strahlung in R u t h e n i u m ( 4 4 R u ) über. Besonders wichtig ist unter den aufgeführten Atomarten das Technetiumisotop l jjTc, das in Uran-Piles mit einer Leistung von 10® kW ( « 24000 keal/see) als Spaltungsprodukt des Urans (Spaltungsausbeute 6.2°/0) in Mengen von etwa 4 g täglich (entsprechend rund P / 2 kg jährlich) produziert wird und sich wegen seiner langen Halbwertszeit von über 200000 Jahren wie ein gewöhnliches stabiles Element verhält, so daß seine Eigenschaften bestens bekannt sind. Das Technetium gehört zur 7. Nebengruppe („Eka-Mangan") und steht chemisch dem R h e n i u m näher als dem M a n g a n . So läßt es sich analog dem Rhenium und zum Unterschied vom Mangan aus s t a r k s a l z s a u r e r Lösung (bis zu5n-HCl) mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f quantitativ fällen. Das dem schwarzen Rheniumsulfid Re 2 S 7 entsprechende dunkelbraune T e c h n e t i u m s u l f i d Tc 2 S 7 wird durch W a s s e r s t o f f p e r o x y d in alkalischer Lösung leicht und vollständig in die den farblosen P e r r h e n a t e n MeRe0 4 analogen rosafarbigen Verbindungen MeTc0 4 ( , , P e r t e c h n e t a t e " ) übergeführt. Das dem gelben Oxyd Re 2 0 7 entsprechende hellgelbe O x y d Tc 2 0 7 (Smp. 119.5°) läßt sich wie dieses im Sauerstoffstrom bei 500° v e r f l ü c h t i g e n . I m trockenen Chlorgasstrom ist das Technetium wie das Rhenium f l ü c h t i g und kristallisiert aus der wässerigen Lösung in Form der P e r t e c h n e t i u m s ä u r e H T c 0 4 (schwarz-rote Nadeln) aus. Durch k a t h o d i s c h e Reduktion oder durch Z i n k wird das Technetium aus seinen Salzlösungen leicht in m e t a l l i s c h e r F o r m (Dichte des Metalls: 11.49 g/cm 3 ; Isomorphie mit Rhenium) abgeschieden. Bei der Ausfällung von Mn0 2 aus saurer oder alkalischer Lösung fällt es nicht mit aus.

b) Das Promethium Die erste c h e m i s c h e I d e n t i f i z i e r u n g des Elements 61 wurde im J a h r e 1945 von den amerikanischen Forschern J . A. MAKINSKY, L. E. GLEND ENIN und C . D. CORYELL vorgenommen, welche eindeutig nachwiesen, daß ein bei der Uranspaltung auftretendes Bruchstück der Halbwertszeit 2.6 Jahre ein Isotop des seltenen Erdmetalls 61 ist. Sie sind damit als die eigentlichen Entdecker dieses Elements anzusprechen und haben im Jahre 1947 den Namen „Promethium" (Pm) dafür vorgeschlagen, um „die Kühnheit und den möglichen Mißbrauch menschlichen Geistes" bei der Synthese neuer Elemente zu symbolisieren.

Die Elemente 43, 61, 85 und 87

599

Die vermeintliche Entdeckung des Elements 61 in natürlichen Mineralien durch die amerikanischen Forscher J. A. H A R R I S , L. F. YNTEMA und B. S . H O P K I N S ( 1 9 2 6 ; „Illinium" II) und die italienischen Forscher L. ROLLA und L. FERNANDEs ( 1 9 2 6 ; „Florentium" Fr) hat sich nicht bestätigen lassen. M. L . P O O L , J . D. KURBATOV und L . L . Q U I L L , die 1 9 4 1 / 4 3 die Bildung radioaktiver Isotope des Elements 61 bei der Bestrahlung der Nachbarelemente Praseodym und Neodym mit cyclotronbeschleunigten a-Teilchen, Deutonen und Neutronen wahrscheinlich machten („Cyclonium" Cy), führten keine chemischen Abtrennungen durch.

Man kennt bis heute 12 künstliche Isotope des Promethiums, deren Massenzahlen von 141 bis 151 und deren Halbwertszeiten von 20 Minuten bis zu 30 Jahren variieren. Einige von ihnen seien im folgenden angeführt:

'ifPm

+ ß— 14 1 WJ 6 0 iNa 20 m 5 K >- 16 0* JNa NH 30a

' S J P m - f ^ i|« a Sm ß~

117 1:111 1 64 '1Pm 2.6 a »- 6 2 Rm

H

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- 2 I 5 R

M

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S M

'

Sie entstehen bei der Beschießung des Nachbarelements N e o d y m ( 60 Nd) mit Protonen, Deutonen oder «-Teilchen, sowie als (indirekte) Spaltungsprodukte des Urans und gehen beim radioaktiven Zerfall meist unter ^"-Strahlung in S a m a r i u m ( 62 Sm) über. Von den aufgeführten Isotopen beansprucht das Isotop 1 £ \ Pm das meiste Interesse, da es in Uran-Piles mittlerer Leistung (10® kW) mit einer Spaltungsausbeute 1 von 2.6°/0 in einer Menge von etwa l 1 / 2 g täglich / 2 kg jährlich) produziert werden kann und sich wegen seiner Halbwertszeit von nahezu 3 Jahren noch bequem in substantiellen Mengen untersuchen läßt, zumal die ausgestrahlte ß- Strahlung verhältnismäßig weich ist (0.2 Millionen e-Volt). Es kann auch durch Bestrahlung von Neodym mit Pile-Neutronen gewonnen werden ( ^ « N d — Nd 11.3 d ¡JPm).

c) Das Astatiuni Das erste radioaktive Isotop des Halogens der Ordnungszahl 85 wurde im Jahre 1940 von D. R . C O R S O N , K . R . M C K E N Z I E und E. S E G R E durch Bestrahlung von Wismut mit cyclotron-beschleunigten a-Teilchen (30 Millionen e-Volt) gewonnen. Da auch alle übrigen Isotopen radioaktiv sind, gaben die Entdecker dem Element im Jahre 1947 den Namen „Astatium" 1 (At). 1944/46 stellten B. K A R L I K u n d T . B E R N E R T das n a t ü r l i c h e V o r k o m m e n von Astatium als Zwischenglied der drei radioaktiven Zerfallsreihen (vgl. S. 568) fest. F.

Die im Jahre 1931 beschriebene Auffindung des Elements 85 in natürlichen Erzen durch und Mitarbeiter („Alabamium" Ab) blieb bisher unbestätigt.

ALLISON

Die bis jetzt bekannten 20 Isotopen des Astatiums, deren Massenzahlen von 201 bis 219 und deren Halbwertszeiten von 10~6 Sekunden bis 8.3 Stunden variieren, gehen beim radioaktiven Zerfall unter «-Strahlung in W i s m u t ( 83 Bi) oder unter KEinfang (Anmerkung 1, S. 589) in P o l o n i u m ( 8 4 Po) über. Einige von ihnen seien im folgenden angeführt: K

sofAt- 2.6h > 2 0 »1 » r o K 2 S5 At' 2.0h V 2 0 6 p n K 6.3 h

2 80 Sr po n *

! 0 t Af, 86A

K 5.5 h

2815o At. K

y 209 81

281&4 A i .

2xl0-«s

> 2 81s0WTJ; 2

V 2 10 p„

i i Bi

8.3 h

K h >- 211 84 p 281 51 At. 7.23 n

2 81 5» At -

0.9

m

Die Glieder mit den Massenzahlen 215, 216 und 218 gehören zu den drei natürlichen (S. 568), das Glied der Massenzahl 217 zu der künstlichen radioaktiven Zerfallsreihe 1

Vgl. Anmerkung 1, S. 80.

Die künstliche Elementumwandlung

600

(S. 601). Die anderen Isotopen sind durch Beschießen von Wismut mit a-Teilchen (vgl. S. 599) gewinnbar (z. B. 2 ° |Bi JAt). Als Uranspaltungsprodukt tritt Astatium nicht auf, so daß eine Gewinnung in größeren Mengen wenig aussichtsreich ist. Als s c h w e r s t e s H a l o g e n („Eka-Jod") ist das Astatium noch elektropositiver als Jod und verhält sich bereits wie ein Metall. Analog den übrigen Halogenen läßt es sich in e l e m e n t a r e r F o r m (At2) aus wässeriger Lösung mit Schwefelkohlenstoff auss c h ü t t e l n und durch s c h w e f l i g e S ä u r e zum negativen Ion (At') reduzieren. Da seine W a s s e r s t o f f Verbindung (HAt) l e i c h t e r o x y d i e r b a r als die übrigen Halogenwasserstoffe ist, kann es aus den durch Reduktion mit schwefliger Säure erhaltenen Lösungen nach dem Ansäuern mit Salpetersäure nur u n v o l l s t ä n d i g mit Silberionen als S i l b e r a s t a t i d (AgAt) gefällt werden. Seine F l ü c h t i g k e i t ist erwartungsgemäß geringer als die des Jods, weshalb es bei der Sublimation von Jod aus sauren Lösungen nur zu einem Teil mitsublimiert. Bemerkenswert ist die F ä l l b a r k e i t des Astatiums mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (selbst aus stark saurer Lösung) und seine e l e k t r o c h e mische A b s c h e i d u n g auf Zink aus schwefelsaurer Lösung. Hier dokumentiert sich der verstärkte m e t a l l i s c h e Charakter.

d) Das Francium Das Element der Ordnungszahl 87 wurde im Jahre 1939 von der französischen Forscherin M . P E R E Y als Abzweigungsprodukt der natürlichen radioaktiven Actiniumreihe (S. 568) entdeckt und von ihr im Jahre 1947 zu Ehren ihres Heimatlandes „Francium" (Fr) genannt( 2 |,Fr). Ein zweites Isotop dieses Elements ( 2 | J F r ) kommt als kurzlebiges Glied der künstlichen radioaktiven Neptunium-Zerfallsreihe (S. 601) vor: Jilr, 8 ? F r

4.8m

2 1 ' Ai 8®At

2 2 3 T?.,. 87 F r

ß 21m

v 833t), 8sE,a-

Auch die übrigen Franciumisotopen ( 2 1 2 F r , 2 1 7 F r , 2 1 8 Fr, 2 1 9 Fr, 2 2 0 Fr, 2 2 2 Fr) sind kurzlebig und zerfallen unter «-Strahlung in A s t a t i u m ( 8 6 At) oder unter ß-Strahlung in R a d i u m ( 8 8 Ra). Da das n a t ü r l i c h vorkommende Actinium 2 11 Ac als Muttersubstanz des Franciumisotops 2 1 fFr schwierig zu isolieren ist, dürfte dieses Ausgangsmaterial für die Franciumerzeugung in Zukunft zweckmäßig k ü n s t l i c h durch Bestrahlung von Radium mit Pile-Neutronen gewonnen werden: 2 2 jjRa ——> 2 | ¿Ra ——> 2 f ^Ac. Die baldige Herstellung wägbar er Mengen Francium ist allerdings auf diesem Wege nicht zu erwarten. Die von F . A L L I S O N im Jahre 1929 behauptete Entdeckung des Elementes 87 („ Virginium" Vi) in natürlichen Mineralien konnte bis jetzt nicht bestätigt werden. Gleiches gilt von dem als „Moldavium" (Ml) beschriebenen Element 87.

Als A l k a l i m e t a l l (,,Eka-Caesium") schließt sich das Francium in seinen Eigenschaften an die übrigen Alkalimetalle an. So wird es beispielsweise analytisch weder in der Schwefelwasserstoff-, noch in der Schwefelammon- oder Erdalkaligruppe (S. 194f.) gefällt und bildet analog dem Rubidium und Cäsium schwerlösliche Niederschläge der Zusammensetzung FrC10 4 und Fr 2 PtCl,j.

4. Die Transurane Die Elemente 93 bis 101 werden als „Transurane" zusammengefaßt, da sie im Periodensystem jenseits (trans) des Urans stehen. Sie sind alle — direkt oder indirekt — aus Uran darstellbar und bilden zusammen mit den Elementen Thorium,

Die Transurane

601

Protactinium und Uran eine den Lanthaniden entsprechende Gruppe der „Actiniden" (S. 448f.), deren bis jetzt bekannte Isotope mit den zugehörigen Strahlungen und Halbwertszeiten in der Tabelle auf S. 602/603 (praktisch beständige Isotope dick umrandet) zusammengestellt sind. Die Elemente 93 und 94 erhielten analog dem nach dem Planeten Uranus benannten U r a n ihre Namen („Neptunium" und „Plutonium") nach den jenseits des Uranus folgenden Planeten Ne-ptun und Pluto1. Das Element 95, das die gleiche Elektronenkonfiguration in den drei äußeren Schalen wiedas E u r o p i u m aufweist (S.447f.), wurde in Analogie zu diesem nach der A l t e n Welt benannten Element nach der N e u e n Welt als „Americium" bezeichnet. Für das Element 96 wurde in Analogie zu dem nach dem Lanthaniden-TPoTscheT G A D O L I N (S. 485) benannten Element gleicher Elektronenkonfiguration (Gadolinium) ein an die Erforscher der Actiniden-~Reihe und ihrer radioaktiven Zerfallsprodukte, M A R Y A und P I E R R E C U R I E ( S . 5 6 9 ) , erinnernder Name („Curium") gewählt. Die in B e r k e l e y ( K a l i f o r n i e n ) erstmals synthetisierten Elemente 97 und 98 wurden nach ihrem Entdeckungsort „Berkelium" und „Californium" benannt. Die Namen der Elemente 99 („Einsteinium"), 100 („Fermium") und 101 („Mendelevium") erinnern an die Forscher A L B E R T E I N S T E I N (1879—1955), E N R I C O F E R M I (1901—1955) und D M I T R I M E N D E L E J E W (1834—1907), denen die Atom- und Elementforschung viel zu verdanken hat.

a) Das Neptunium Das N e p t u n i u m wurde im Jahre 1940 von den amerikanischen Forschern E. M. und P . H. A B E L S O N in Form des /?-Strahlers 2f{jNp (Halbwertszeit: 2.33 Tage) als Folgeprodukt des durch Aufnahme l a n g s a m e r Neutronen aus Uran 2 jj ®U entstehenden Uranisotops 2 | | U ( 2 ™ U + n — > 2j>j>U) entdeckt (vgl. S. 593, 596, 604): MOMILLAN

"HUäSi^'HNp-

(i)

Seitdem sind zahlreiche weitere Isotope des Neptuniums aufgefunden worden (vgl. Tabelle S. 602/603), unter denen das Isotop 2 jj|Np ( 2 | v u + 2n): "^ö^cT^^Np.

(2)

Da die Bildung der Uranisotopen 2 1 | U und 2 1 ¡U auch im Uran-Pile erfolgt, spielen sich dort auch die Folgereaktionen (1) und (2) ab, wobei die letztere wegen der erforderlichen höheren Neutronenenergie energetisch benachteiligt ist. Wegen der langen Halbwertszeit sammelt sich aber das Neptunium im Uran-Pile trotzdem in Form des Isotops 2 an 9 3-^P > da das kurzlebige Neptuniumisotop 2 jj | N p rasch zum langlebigen Plutoniumisotop 2 1 JPu (vgl. S. 604) weiter zerfällt. Die gebildete 2 jj ^Np-Menge beträgt etwa 0.1°/0 der 2 |^Pu-Produktion, d. h in einem 10® kW-Uran-Pile etwa 1 g täglich (