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German Pages 727 [732] Year 1960
HOLLEMAN -WIBERG
ANORGANISCHE CHEMIE
LEHRBUCH DER ANORGANISCHEN CHEMIE Begründet von
A. F. HOLLEMAN f
47.—56., sorgfältig durchgesehene, verbesserte und erweiterte Auflage mit einem Anhang: C h e m i e g e s c h i c h t e von PROF. DR. D R . h . c . E G O N
WIBERG
Direktor des Instituts für Anorganische Chemie der Universität München
Mit 166 Figuren
WALTER
DE
G R U Y T E R & CO.
vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer Karl J. Trübner • Veit & Comp.
BERLIN
1960
© Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung vorbehalten-Copyright 1960 by WALTEE DB GRUYTER & CO., vormals G. J. G6schensche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Berlin W 35 _ Archiv-Nr. 52 S1 60 - Printed in Germany - Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck : Buchdruckerei Franz Spiller, Berlin SO 36
CHEMIE-BÄNDE
Jeder Band DM 3,60
der S A M M L U N G
GÖSCHEN
Doppelbände DM 5,80
G. L O C K E M A N N
Geschichte der Chemie in kurzgefaßter Darstellung 2 Bände
I. Vom Altertum bis zur Entdeckung des Sauerstoffs 142 Seiten mit 8 Bildnissen. 1950. (Band 264) II. Von der Entdeckung des Sauerstoffs bis zur Gegenwart 151 Seiten mit 16 Bildnissen. 1955. (Band 265/265 a)
W. K L E M M
Anorganische Chemie 11. Auflage. 185 Seiten mit 18 Abbildungen. 1960. (Band 37) G.KRESZE
Physikalische Methoden der Organischen Chemie i960. In Vorbereitung (Band 44) W. S C H U L Z E
Allgemeine und physikalische Chemie 2 Bände
I. 5., durchgesehene Auflage. 139 Seiten mit 10 Figuren. 1960. (Band 71) II. 4., neubearbeitete Auflage. 176 Seiten mit 37 Figuren. 1956. (Band 698/698 a)
W. S C H U L Z E
Molekülbau
Theoretisdie Grundlagen und Methoden der Strukturermittlung 123 Seiten mit 43 Figuren. 1958. (Band 786) E. A S M U S
Physikalisch-chemische Rechenaufgaben 3., verbesserte Auflage. 96 Seiten. 1958. (Band 445) JANDER—JAHR
Maßanalyse
Theorie und Praxis der klassisdien und der elektrodiemisdien Titrierverfahren 8., durchgesehene und ergänzte Auflage. 313 Seiten mit 49 Figuren. 1959. (Band 221/221 a) W. A. R O T H
Thermochemie
2., verbesserte Auflage. 109 Seiten mit 16 Figuren. 1952. (Band 1057)
J . HOPPE
Analytische Chemie 2 Bände
I. Reaktionen 5., verbesserte Auflage. 135 Seiten. 1950. (Band 247)
WALTER
DE
G R Ü Y T E R
& CO.
• B E R L I N
vormals G J. Göschen'sdie Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp.
W 35
KÜSTER —THIEL
—FISCHBECK
Logarithmische Rechentafeln für Chemiker, Pharmazeuten, Mediziner und Physiker 74.—83., verbesserte und vermehrte Auflage. Oktav. X V , 302 Seiten. Mit 1 Anhangtafel. 1958. Kunststoff DM 16,80
„Generationen von Studierenden der Chemie und Chemikern ist der KüsterThiel bereits ein treuer Begleiter im Labor gewesen. Wir zweifeln nicht daran, daß weitere Generationen sich dieses von Küster geschaffenen Tafelwerkes bei ihren Rechnungen bedienen werden. Es ist unter Berücksichtigung der durch die fortschreitende Entwicklung bedingten Berichtigungen der Zahlenwerte und Ergänzungen durch neue Arbeitsverfahren ein ebenso zeitloses Werk wie die Logarithmentafel von Gauß."
Chemiker-Zeitung
E. A S M U S
Einführung in die höhere Mathematik und ihre Anwendungen Ein Hilfsbuch für Chemiker, Physiker und andere Naturwissenschaftler 3., verbesserte Auflage. Oktav. XII, 410 Seiten. Mit 184 Abbildungen. 1959. Kunststoffeinband DM 24,—
. . . . da das Buch bereits für den Chemiker recht viel bringt, so kann es auch für den Physiker und Physikochemiker mit Nutzen empfohlen werden, wenn ihm die Uberbrückung der Kluft zwischen der herkömmlichen Schulmathematik und der Mathematik des Hochschulmathematikers Schwierigkeiten verursacht..." Angewandte
W A L T E R
DE
G R U Y T E R
&
CO.
• B E R L I N
vormals G. J . Gösdien'sehe Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit 6c Comp.
Chemie
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Aus dem Vorwort zur 22. und 23. Auflage Als der Verlag mit der Bitte an mich herantrat, die Bearbeitung der neuen Auflage des „ L e h r b u c h s der anorganischen Chemie" von A. F. H O L L E M A N ZU übernehmen, war ich mir darüber im klaren, daß nur durch eine grundlegende N e u p l a n u n g und U m g e s t a l t u n g des bei den vorhergehenden Auflagen schon mehrfach ergänzten und verbesserten Stoffes wieder ein modernes Werk von innerer Geschlossenheit und einheitlichem Guß zu schaffen war. Dementsprechend habe ich mich nicht mit einer bloßen Ü b e r a r b e i t u n g des Buches begnügt, sondern den enthaltenen Lehrstoff im Geiste des ursprünglichen „Holleman" auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse völlig neu geschrieben und u m g e s t a l t e t , so daß ein ganz neues Werk entstanden ist. Dies konnte insofern verantwortet werden, als das neue Buch nicht die Zahl der übrigen Lehrbücher für anorganische Chemie vermehrt, sondern an die Stelle eines dieser Bücher tritt. Bei der Niederschrift des Lehrbuches ließ ich mich im einzelnen von folgenden Gedankengängen leiten: 1. Die vielfältigen Probleme der Gegenwart stellen an die Ausbildung des chemischen Nachwuchses höchste Anforderungen. Diese Anforderungen werden nach Beendigung des Krieges mit Sicherheit noch erheblich weiter g e s t e i g e r t werden müssen. Es wäre daher v e r h ä n g n i s v o l l , wenn man von der Seite der Lehrbücher her der zeitgemäß bedingten, vielfach unzureichenden naturwissenschaftlichen Vorbildung des studentischen Nachwuchses durch H e r a b s e t z u n g des L e h r b u c h n i v e a u s entgegenkommen wollte. Ganz bewußt wurde dementsprechend davon abgesehen, ein „ l e i c h t e s " Buch zu schreiben, und im Gegenteil eine intensive und aufgeschlossene M i t a r b e i t des Lesers vorausgesetzt. Dies um so mehr, als es sich bei dem vorliegenden Werk zwar um ein A n f ä n g e r - L e h r b u c h , aber um ein solches für Hochschulen und nicht für Mittelschulen handelt, und als von den Studenten, die sich der Chemie verschrieben haben, eine besondere Veranlagung und Aufgeschlossenheit für die Probleme der Chemie vorausgesetzt werden kann und muß. Es schadet gar nichts, wenn der Chemiestudierende diese und jene Stelle des Buches zwei oder gar mehrere Male durchdenken oder sich mit diesem und jenem Kapitel etwas „abquälen" muß. Denn ein Lehrbuch soll ja dem Leser das Denken nicht abnehmen, sondern ihn im Gegenteil dazu anregen, und erfahrungsgemäß wird gerade jenes Wissen meist zum festen Besitz, das in heißem Bemühen errungen wurde. Es ist dabei vielleicht nicht unnötig zu betonen, daß auf eine streng logische, klare und anschauliche
VI
Vorwort
E n t w i c k l u n g aller Begriffe und Tatsachen größter Wert gelegt wurde und chemische Vorkenntnisse nicht v o r a u s g e s e t z t sind. Der Lehrstoff selbst entspricht im großen und ganzen den Anforderungen, die an der Münchener Universität im anorganisch-chemischen Diplom-Vorexamen gestellt werden. 2. Zur erfolgreichen Ausbildung eines Chemikers an einer Hochschule gehören Vorlesung, L a b o r a t o r i u m und Lehrbuch. Diese drei Ausbildungsformen bilden eine Drei-Einheitund sollen sich gegenseitig nicht ersetzen, sondern ergänzen. Dementsprechend werden die drei Wege zu dem gemeinsamen Ziel zweckmäßig zwar aufeinander abgestimmt, aber doch voneinander verschieden gestaltet. Ein Lehrbuch darf somit nicht vom Standpunkt einer Vorlesung oder eines P r a k t i kums aus beurteilt werden und umgekehrt. Hauptziel eines L e h r b u c h s ist die Herausarbeitung von Z u s a m m e n h ä n g e n , die das in Vorlesung und Praktikum Erarbeitete unter gemeinsamem G e s i c h t s p u n k t erkennen und verstehen lassen. Deshalb wurde im vorliegenden Buch Wert darauf gelegt, Zusammengehörendes auch im Zusammenhang darzubringen. So werden beispielsweise die zur Aufstellung des Atom- und M o l e k ü l b e g r i f f s führenden Gesetze und Erkenntnisse nicht wie in den meisten Lehrbüchern der anorganischen Chemie in den Gesamtstoff eingestreut und so im Gedankengang zerrissen, sondern in geschlossener D a r s t e l l u n g behandelt. Ebenso werden z . B . alle mit dem Problem des chemischen Gleichgewichts, der E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz oder der O x y d a t i o n und R e d u k t i o n zusammenhängenden Fragen geschlossen dargestellt, auch auf die Gefahr hin, daß der Anfänger beim erstmaligen Durcharbeiten notgedrungen manches als noch schwerverständlich überschlagen muß. Das Lehrbuch bietet ja zum Unterschied von der freien Vorlesung jederzeit die Möglichkeit des Vor- und R ü c k b l ä t t e r n s , so daß Stellen, die beim ersten Male nicht ganz „verdaut" wurden, später — nach Vertiefung der Kenntnisse — mit größerem Erfolg nochmals e r a r b e i t e t werden können. Die hier gewählte geschlossene Darstellung der Hauptfragen zwingt dabei den Benutzer, das gerade in Frage stehende Problem wieder im Zusammenhang des üb er geordneten P r o b l e m s und nicht als l o s g e l ö s t e s Einzelproblem zu betrachten. 3. Die V a l e n z s t r i c h formein haben sich in der anorganischen Chemie als weitgehend unzulänglich, ja vielfach geradezu als f a l s c h und i r r e f ü h r e n d erwiesen. Trotzdem bedienen sich weitaus die meisten anorganischen Lehrbücher nach wie vor dieses Hilfsmittels. Demgegenüber sind neuere Lehrbücher der anorganischen Chemie in das andere E x t r e m verfallen, die Valenzstrichformeln völlig auszuschalten, ohne an ihre S t e l l e etwas Gleichwertiges oder B e s s e r e s zu setzen. Das vorhegende Lehrbuch ist erstmals völlig auf der Grundlage der modernen E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz aufgebaut, deren Folgerungen bezüglich der chemischen Bindung und der Elektronenformeln schon v e r h ä l t n i s m ä ß i g früh in einem Sonderkapitel in einer für den Anfänger geeigneten Weise entwickelt werden. Auf diese Weise wird der Student frühzeitig in die Denkweise der E l e k t r o n e n t h e o r i e e i n g e f ü h r t und vor Denkfehlern (z. B. bezüglich der Doppelbindung) bewahrt, die erfahrungsgemäß später nur schwer und mühevoll wieder auszurotten sind.
Vorwort
VII
Auch in der Frage des P e r i o d e n s y s t e m s d e r E l e m e n t e weicht das vorliegende Buch etwas vom Herkömmlichen ab. Zweifellos ermöglicht das Periodensystem eine didaktisch klare und einprägsame Anordnung des anorganischen Wissensstoffes. Es sollte daher a n m ö g l i c h s t f r ü h e r S t e l l e eines Anfängerlehrbuchs entwickelt werden. Dem steht aber die etwas schwierige Ableitung der gebräuchlichen Kurz- und Langperioden-Form des Systems entgegen, so daß das Periodensystem in den meisten anorganischen Lehrbüchern erst an v e r h ä l t n i s m ä ß i g s p ä t e r S t e l l e erscheint. Im vorliegenden Lehrbuch wird erstmals von dem — viel zu wenig bekannten und angewandten — g e k ü r z t e n P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e Gebrauch gemacht, das infolge seiner K l a r h e i t und Ü b e r s i c h t l i c h k e i t bereits s e h r f r ü h abgeleitet werden kann, den Zusammenhang mit dem A t o m b a u für den Anfänger viel l e i c h t e r u n d e i n l e u c h t e n d e r darstellen läßt und später zwanglos zu den bekannten Formen bzw. einer neuartigen, leistungsfähigen Form (s. Schlußtafel) des G e s a m t p e r i o d e n s y s t e m s der Elemente e r g ä n z t werden kann. 4. Die Kenntnis der Grundlagen und die Möglichkeit der Anwendung p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e r H i l f s m e t h o d e n gehören heute zu dem u n e r l ä ß l i c h e n R ü s t z e u g e i n e s m o d e r n e n A n o r g a n i k e r s . Daher sind Methoden wie der R A M A N E f f e k t , die M a g n e t o c h e m i e usw. im vorliegenden Lehrbuch gebührend berücksichtigt worden. Stets wurde dabei das betreffende Problem nicht vom Standpunkt des P h y s i k o c h e m i k e r s o d e r P h y s i k e r s , sondern vom Standpunkt des A n o r g a n i k e r s aus betrachtet, der sich vornehmlich dafür interessiert, was diese Methoden z u l e i s t e n v e r m ö g e n . Auch sonst wurde Wert darauf gelegt, in zusammenfassenden Darstellungen den Leser, soweit dies in einem Anfängerlehrbuch möglich ist, mit den m o d e r n e n P r o b l e m e n d e r a n o r g a n i s c h e n C h e m i e — wie z. B. dem a k t i v e n Z u s t a n d d e r f e s t e n M a t e r i e , der S i l i c a t s t r u k t u r , dem A t o m b a u , der natürlichen und künstlichen E l e m e n t u m w a n d l u n g usw. — vertraut zu machen. Daneben wurden d i e t e c h n i s c h e n V e r f a h r e n d e r c h e m i s c h e n I n d u s t r i e nirgends vernachlässigt, sondern in aller A u s f ü h r l i c h k e i t — vgl. z. B. die Schwefelsäuredarstellung, die Ammoniaksynthese, die Aluminiumerzeugung, die Natronlaugegewinnung, den Hochofenprozeß usw. —• behandelt, um dem Leser den Blick auch für diese Fragen zu öffnen und ihn zu weiterem Buchstudium anzuregen. 5. Eine gute A b b i l d u n g besagt oft mehr als eine ganze Seite Text. Daher wurde besonderer Wert auf eine r e i c h e A u s s t a t t u n g des vorliegenden Buches mit didaktisch klarem und einprägsamem B i l d m a t e r i a l gelegt. So sind nahezu alle 154 Abbildungen n e u e n t w o r f e n u n d g e z e i c h n e t worden. Dem gleichen Ziel der größeren didaktischen Übersichtlichkeit dient die d r u c k t e c h n i s c h e A n o r d n u n g des Lehrstoffs, indem durch vielseitige Anwendung von Fett-, Sperr-, Schräg- und Kleindruck das W e s e n t l i c h e gegenüber dem weniger Wesentlichen hervorgehoben und B l i c k p u n k t e für eine leichtere Orientierung innerhalb des Buches geschaffen wurden. Ebenso soll die bei verschiedenen Verbindungsklassen angewandte neuartige S y s t e m a t i k zur leichteren gedächtnismäßigen Einprägung des Lehrstoffs beitragen.
VIII
Vorwort
So ist, hoffe ich, ein Anfängerlehrbuch entstanden, das in vielen Einzelheiten vom Herkömmlichen abweicht und das auf verhältnismäßig begrenztem Raum einen umfangreichen Wissensstoff in weitgehend vollständiger, moderner und didaktisch abgewogener Darstellung vermittelt. Herzlichen Dank schulde ich meiner lieben Frau für ihre wertvolle Mitarbeit bei der Anfertigung des umfangreichen Registers. M ü n c h e n , im November 1942
Egon Wiberg
Vorwort zur 4 7 . - 5 6 . Auflage Um der großen Nachfrage nach dem Lehrbuch gerecht werden zu können, wurden dieses Mal 10 Auflagen zugleich ausgedruckt. Dies bot Veranlassung, den Text weitgehend zu erweitern, umzuarbeiten und dem neuesten Stand der Wissenschaft anzugleichen. So wurde die N o m e n k l a t u r überall den von der Internationalen Union für Reine und Angewandte Chemie veröffentlichten „Richtsätzen für die Nomenklatur der Anorganischen Chemie" angepaßt, was umfangreiche Änderungen auf fast allen Seiten des Lehrbuches notwendig machte. Beispielsweise sei hier auf die neue Nomenklatur der C h l o r s a u e r s t o f f s ä u r e n (S. 121), S c h w e f e l s a u e r s t o f f s ä u r e n (S. 202) und P h o s p h o r s a u e r s t o f f s ä u r e n (S. 263ff.) hingewiesen. Zahlreiche Verbindungen und Verbindungsgruppen wurden neu eingefügt und beschrieben, so etwa die P o l y s u l f a n m o n o s u l f o n s ä u r e n H 2 S n 0 3 (S. 195, 217), das S c h w e f e l ( I ) - o x i d S 2 0 (S. 198, 201), die freien Thiosäuren des S c h w e f e l s (H 2 S 2 0 3 : S. 216; H 2 S n 0 3 : S. 217; H 2 S n 0 6 : S. 217), des A r s e n s (H3AsS3, H 3 AsS 4 : S. 282) und des A n t i m o n s (H 3 SbS 3 , H 3 SbS 4 : S. 288), der P h o s p h o r ( I ) - w a s s e r s t o f f (PH)* (S. 257, 264), die D i p h o s p h o r ( I I ) s ä u r e H 4 P 2 0 4 (S. 263, 265), das P h o s p h i n o x i d P H 3 0 (S. 264), die i s o m e r e n D i p h o s p h o r s ä u r e n (S. 265), das T e t r a g e r m a n Ge 4 H 10 und P e n t a g e r m a n Ge 6 H 12 (S. 350), die T r i f l u o r o c a r b o n a t e CF 3 0' (S. 373), das D i b o r t e t r a c h l o r i d B2C14 (S. 374), das „ a n o r g a n i s c h e M e s i t y l e n " B 3 N 3 H 3 (CH 3 ) 3 (S. 370, 378), die D i a m a n t f o r m des B o r n i t r i d s ( „ B o r a z o n " : S. 377), das A l u m i n i u m ( I ) - o x i d A120 (S. 387), das A l u m i n i u m c a r b i d A14C3 (S. 391, 403), B e r y l l i u m c a r b i d Be2C (S. 391, 403) und M a g n e s i u m c a r b i d Mg2C3 (S. 406), die E r d a l k a l i ( I ) - h a l o g e n i d e MeX (S. 409, 418) und E r d a l k a l i h y d r i d h a l o g e n i d e MeHX (S. 409), der „ w e i ß e K a l k s t i c k s t o f f " CaCN2 (S. 413), das Z i n k b o r a n a t Zn(BH 4 ) 2 (S. 475), der B a s t n ä s i t als Ausgangsmaterial für seltene Erden (S. 486), die H a l o g e n o c h r o m s ä u r e n Cr0 2 X 2 (S. 510), die U r a n ( I I I ) - V e r b i n d u n g e n (S. 520), die M a n g a n ( I ) - V e r b i n d u n g e n (S. 522), das M a n g a n ( I I I ) - f l u o r i d MnP 3 (S. 522), das V a n a d i n c a r b o n y l V2(CO)12 (S. 544). Neu eingefügt wurden: ein Abschnitt über m e t a l l a r o m a t i s c h e V e r b i n d u n g e n vom Typus des F e r r o c e n s I , e(C 5 H 5 ) 2 und C h r o m d i b e n z o l s Cr(C 6 H 6 ) 2 (S. 549), Angaben über die derzeitigen H a n d e l s p r e i s e d e r k ü n s t l i c h e n E l e m e n t e (Tc: S. 598; P m : S. 599; Np: S. 601; P u : S. 604; Am: S. 605) und b e s o n d e r s s e l t e n e r E l e m e n t e (Po: S. 222; R a : S. 417; Pa: S. 506), sowie ein c h e m i e g e s c h i c h t l i c h e r A n h a n g (biographische Notizen über 150 Chemiker, Physiker und Techniker, chemiegeschichtliche Zeittabelle, Liste der bisherigen Nobelpreisträger für Chemie). Umge-
X
Vorwort
staltet w u r d e n die A b s c h n i t t e über n i e d e r e S c h w e f e l o x i d e (S. 201) u n d über das B e r l i n e r u n d T u r n b u l l s - B l a u (S. 538), sowie das gesamte K a p i t e l über B o r W a s s e r s t o f f e (Dreizentrenbindung, symmetrische u n d asymmetrische S p a l t u n g des Diborans, neue Borwasserstoffe, neue Borwasserstoffstrukturen, T r i b o r a n a t e usw.: S. 367—372). E r g ä n z t oder verbessert w u r d e n die Angaben über die R e g e l v o n H u m e - R o t h e r y (S. 155), die A m m o n i a k g e w i n n u n g a u s G a s w a s s e r (S. 227), die F o r m e l n von P h o s p h o r i t , A p a t i t (S. 251, 252, 407) u n d B r e c h w e i n s t e i n (S. 287), die S y n t h e s e v o n D i a m a n t e n (S. 296), den A k k u m u l a t o r (S. 363), den G a l l i u m w a s s e r s t o f f (S. 398), die E i n w e r t i g k e i t d e r 3. H a u p t g r u p p e (S. 400), das Q u e c k s i l b e r v e r f a h r e n d e r N a O H - G e w i n n u n g (S. 425), das A m m o n i u m s u l f a t (S. 435), den G r i m m s c h e n H y d r i d v e r s c h i e b u n g s s a t z (S. 437), die L a n t h a n i d e n (anomale W e r t i g k e i t e n : S. 448; Schmelz- u n d Siedepunkte: S. 489; F a r b e n der anomalen Wertigk e i t s s t u f e n : S. 491), die A c t i n i d e n (Wertigkeiten, E l e k t r o n e n k o n f i g u r a t i o n e n der T r a n s n o b e l i u m - E l e m e n t e : S. 449; Halbwertszeiten: S. 602/603), die T r e n n u n g v o n Z i r k o n u n d H a f n i u m (S. 503), die V e r w e n d u n g v o n Z i r k o n (S. 503) u n d von T h o r i u m (S. 504), die W e r t i g k e i t e n d e s T h o r i u m s (S. 504), das P r o t a c t i n i u m (S. 506), die R u b i n e (S. 513), die C h r o m ( I I ) - V e r b i n d u n g e n (S. 514), das n u l l u n d e i n w e r t i g e N i c k e l (S. 542), die I s o t o p e n t r e n n u n g (S. 561), d e n B r u t r e a k t o r T h o r i u m / U r a n (S. 596), das T e c h n e t i u m (S. 598), P r o m e t h i u m (S. 599), A s t a t (S. 599) u n d F r a n c i u m (S. 600), die T r a n s u r a n e (S. 600ff.). Zahlreiche Begriffe w u r d e n neu eingeführt oder präzisiert, so der Begriff der E l e m e n t - I n v e r s i o n (S. 69), der M e s o m e r i e (S. 159), der E l e k t r o n e n s c h a l e n - E r w e i t e r u n g (S. 159, 197), der m e s o m e r e n G r e n z f o r m e l n u n d V a l e n z s t r i c h f o r m e l n (S. 159, 205, 214, 230, 259), der H o m ö o - u n d H e t e r o m o r p h i e (S. 149), der O r d n u n g d e s R ö n t g e n r e f l e x e s (S. 148), der K a k o d y l p r o b e (S. 280), des P h o s o k r e s o l s (S. 273), der n e u e n B e z u g s b a s i s der physikalischen u n d chemischen A t o m g e w i c h t e (S. 563), des G e i g e r z ä h l e r s (S. 573), der K e r n f u s i o n (S. 579), des A n t i p r o t o n s (S. 610) u n d vieles andere mehr. Bei der E r w e i t e r u n g u n d U m g e s t a l t u n g des Textes, die a u c h in der V e r m e h r u n g des R e g i s t e r s u m über 260 Stichworte zum Ausdruck k o m m t , h a t t e ich mich wieder der Mithilfe zahlreicher Kollegen, Assistenten u n d S t u d e n t e n zu erfreuen, die mich in Zuschriften u n d Diskussionen auf Verbesserungsmöglichkeiten u n d Druckfehler aufm e r k s a m m a c h t e n . N a m e n t l i c h e r w ä h n t u n d b e d a n k t seien die Kollegen Prof. D r . E R N S T O T T O FiscHER-München, Prof. D r . E R I C H HAYEK-Innsbruck, Prof. D r . R O B E R T KLEMENT-München, Prof. D r . H E R M A N N L u x - M ü n c h e n , D o z e n t D r . F R I T Z R O S E N D A H L Leipzig, Prof. D r . P E T E R W O L E G A N G ScHENK-Berlin, Prof. Dr. G E O R G R I C H A R D S C H U L T ZE-Hannover u n d die S t u d e n t e n W E R N E R BRANDT-Dresden, F R I E D R I C H DERZ-Berlin, DIETER EHLERMANN-Stuttgart,
GERHARD E N D L i c H E R - F r a n k f u r t , E B E R H A R D
JACOB-
S t u t t g a r t , H E L M U T KNECHT-Wiesbaden, Frl. T H E A KÖHLER-München, H E I N E R L I C H TENBERG-Bonn, P E T E R PAETZOLD-München, K A R L - H E I N Z P o M R E H N - W i e s b a d e n , W O L F GANG S c H M i D T - D ü r e n , SIEGERIED S p R A i N Y S - F r a n k f u r t , W I N F R I E D S T i E L A R - B e r l i n
und
NILSWIBERG-München. Besonderen D a n k schulde ich H e r r n D r . H E I N R I C H N Ö T H f ü r
Vorwort
XI
die Mithilfe bei der Umgestaltung des Kapitels über die B o r w a s s e r s t o f f e , Herrn Dr. F R I T Z W E I G E L f ü r wertvolle Angaben zur Modernisierung des Kapitels über die k ü n s t l i c h e E l e m e n t u m w a n d l u n g und Herrn cand. ehem. S I E G H A B D N E T T F E L D T f ü r die mühevolle Zusammenstellung des neuhinzugekommenen e h e m i e g e s e h i c h t lichen Anhangs. M ü n c h e n , im Juli 1960 Egon Wiberg
Inhaltsübersicht Seite
Einleitung
1
Atom und Molekül Kapitel I. D e r reine S t o f f 1. Homogene und heterogene Systeme 2. Zerlegung heterogener Systeme a) Zerlegung auf Grund verschiedener Dichten b) Zerlegung auf Grund verschiedener Teilchengrößen 3. Zerlegung homogener Systeme a) Zerlegung auf physikalischem Wege a) Phasenscheidung durch Temperaturänderung Verdampfen und Verdichten Schmelzen und Erstarren ß) Phasenscheidung durch Lösungsmittel b) Zerlegung auf chemischem Wege 4. Element und Verbindung
3 3 4 4 5 6 6 6 7 8 8 8 9
Kapitel I I . A t o m - und M o l e k u l a r l e h r e 1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff a) Experimentalbefunde a) Gesetz von der Erhaltung der Masse ß) Stöchiometrische Gesetze Gesetz der konstanten Proportionen Gesetz der multiplen Proportionen Gesetz der äquivalenten Proportionen b) DALTONS Atomhypothese 2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff a) Experimentalbefunde b) AVOGADROS Molekularhypothese
11 11 11 11 12 12 14 14
Kapitel I I I . Atom- und M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g 1. Relative Atom- und Molekulargewichte a) Wahl einer Bezugseinheit b) Bestimmung relativer Molekulargewichte a) Zustandsgieichung idealer Gase ß) Methoden der Molekulargewichtsbestimmung c) Bestimmung relativer Atomgewichte d) Stöchiometrische Berechnungen 2. Absolute Atom- und Molekulargewichte
20 20 20 21 21 24 26 28 29
Kapitel IV. D a s W a s s e r und seine B e s t a n d t e i l e 1. Der Sauerstoff a) Vorkommen b) Darstellung «) Aus Luft ß) Aus Wasser y) Aus festen Sauerstoffverbindungen
31 31 31 31 31 34 34
15
16 16 17
XIV
Inhaltsübersicht c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Der Wasserstoff a) Vorkommen b) Darstellung а) Aus Wasser ß) Aus Säuren c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften e) Die chemische Reaktionswärme f) Atomarer Wasserstoff 3. Das Wasser a) Vorkommen b) Reinigung c) Physikalische Eigenschaften oc) Aggregatzustände des Wassers ß) Zustandsdiagramm des Wassers yS Osmotischer Druck wässeriger Lösungen б) Molekulargewichtsbestimmung in Lösungen d) Chemische Eigenschaften
Seite
35 35 37 37 37 37 39 39 42 44 46 48 48 49 50 50 51 53 57 59
Kapitel V. Die L u f t und ihre B e s t a n d t e i l e 1. Der Stickstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus Luft ß) Aus Ammoniak c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Die Luft a) Zusammensetzung der Luft b) Kreislauf des Sauerstoffs c) Kreislauf des Stickstoffs d) Flüssige Luft
60 60 60 60 60 61 61 61 62 62 63 64 65
Kapitel VI. D a s P e r i o d e n s y s t e m der E l e m e n t e (I.Teil) 1. Gekürztes Periodensystem 2. Verbreitung der Elemente
66 66 69
Hauptgruppen des Periodensystems Kapitel VII. Die Gruppe d e r E d e l g a s e 1. Geschichtliches 2. Vorkommen 3. Gewinnung a) Aus Luft b) Aus Erdgasen o) Aus Mineralien 4. Physikalische Eigenschaften 5. Anwendung 6. Spezifische Wärme chemischer Stoffe a) Gasförmige Stoffe b) Feste Stoffe
71 71 72 72 72 74 74 74 75 76 77 78
Kapitel VIII. Die Gruppe der H a l o g e n e 1, Freie Halogene a) Das Chlor - Wasserstoff +
Sauerstoff.
(2 a)
Wasserstoff und Sauerstoff sind ihrerseits durch gewöhnliche physikalische und chemische Methoden nicht in einfachere Stoffe trennbar und werden daher als E l e m e n t e bezeichnet. 1 2
Vgl. S. 51. stoicheion (OTOIXETOV) = Grundstoff; metron (pi-rpov) ;
Maß.
Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff
13
Die Zerlegung des Wassers in seine elementaren Bestandteile kann beispielsweise im Zersetzungsapparat" (Fig. 9) durchgeführt werden. Man füllt zu diesem Zwecke den aus drei miteinander kommunizierenden Röhren bestehenden Apparat durch den Trichter der mittleren Röhre so weit mit Wasser, daß die beiden äußeren Rohre bis an die Hähne — die dann geschlossen werden — mit Wasser angefüllt sind. Im unteren Teil der beiden äußeren Rohre befindet sich je ein kleines Platinblech mit einem nach außen führenden Platindraht. Sobald die Platindrähte mit einer Stromquelle von genügender Spannung verbunden werden, beginnen an den Platinblechen {„Elektroden") kleine Bläschen aufzusteigen: das Wasser wird unter Bildung von Wasserstoff und Sauerstoff ,,elektrolytisch zersetzt", und zwar bildet sich der Wasserstoff (brennbares, die Verbrennung nicht unterhaltendes Gas) an der mit dem Minuspol der Strom„HOFMANNsehen
®ft
Funhensfrecke Wasserstoff
Sauerstoff
U/asser
positive Elektrode
(Anode)
\
U/asserstoffSauerstoffGemisch
negative E/ektrode /'(Methode)
Fig. 9. HOFMANN scher Apparat zur elektrolytischen Zerlegung von Wasser
Quecksilber
Fig. 10. Synthese von Wasser
quelle verbundenen Elektrode {„Kathode"), während der Sauerstoff (die Verbrennung unterhaltendes, nicht brennbares Gas) an der positiven Elektrode {„Anode") entwickelt wird. Da reines Wasser den elektrischen Strom nur sehr schlecht leitet, verwendet man zur „Elektrolyse" ein durch Ansäuern mit Schwefelsäure besser leitendgemachtes Wasser. Ermittelt man nun die G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e , in denen Wasserstoff und Sauerstoff bei der beschriebenen Wasserzersetzung oder bei irgendeiner Art der Wasserzerlegung auftreten, so stellt man fest, daß Sauerstoff und Wasserstoff unabhängig von den Versuchsbedingungen (Menge des zersetzten Wassers, Temperatur, Druck, Stromstärke usw.) stets im Gewichtsverhältnis 7.936:1 gebildet werden. Zu dem gleichen Ergebnis wie bei dieser A n a l y s e kommt man umgekehrt auch bei der S y n t h e s e des Wassers aus Wasserstoff und Sauerstoff: Wasserstoff + Sauerstoff •—>• Wasser + Energie.
(2 b)
F ü h r t man z. B. in den linken Schenkel des vorstehenden, mit Quecksilber gefüllten Gefäßes (Fig. 10) ein Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch ein und bringt das Gasgemisch durch einen kleinen elektrischen Flinken zur Reaktion, so verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff unter explosionsartiger Wärmeentwicklung (Freiwerden der nach (2 a) zur Wasserzersetzung erforderlichen Energie) zu Wasser, das sich in Form eines aus feinsten Wassertröpfchen bestehenden Beschlags auf der Innenwand des Rohres niederschlägt. Auch hier erfolgt die Vereinigung im Gewichtsverhältnis Sauerstoff: Wasser-
14
Atom- und Molekularlehre
stoff = 7.936:1. Ist der Wasserstoff (Sauerstoff) im Ü b e r s c h u ß über dieses Gewichtsverhältnis hinaus vorhanden, so bleibt die überschüssige Wasserstoffmenge (Sauerstoffmenge) bei der Reaktion u n v e r ä n d e r t zurück. Analoge Betrachtungen macht man bei anderen chemischen Reaktionen. Zerlegt man beispielsweise den aus den beiden gasförmigen Elementen Chlor und Wasserstoff bestehenden Chlorwasserstoff, dessen wässerige Lösung unter dem Namen „Salzsäure" bekannt ist, in seine elementaren Bestandteile, so ergibt sich stets das konstante Gewichtsverhältnis Chlor: Wasserstoff = 35.175:1. Das aus den Elementen Wasserstoff und Stickstoff aufgebaute Ammoniak, dessen wässerige Lösung wir unter dem Namen „Salmiakgeist" kennen, enthält seine Bestandteile stets im unveränderlichen Gewichtsverhältnis Stickstoff: Wasserstoff = 4.632:1. Zahlreiche Untersuchungen haben nun gezeigt, daß es sich hier um ein allgemeingültiges Gesetz handelt. Man nennt es das Gesetz der konstanten Proportionen: Das Gewichtsverhältnis zweier sich zu einer chemischen Verbindung vereinigender Elemente ist konstant. Das Gesetz wurde zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts von dem französischen Chemiker J O S É P H E - L O U I S PROUST ( 1 7 5 4 — 1 8 2 6 ) ausgesprochen. Gesetz der multiplen P r o p o r t i o n e n Häufig bilden zwei Elemente nicht nur eine, sondern mehrere Verbindungen miteinander. So lassen sich z. B. S t i c k s t o f f und S a u e r s t o f f allein zu fünf verschiedenen Verbindungen verknüpfen. Vergleicht man nun die verschiedenen Gewichtsverhältnisse, nach denen der Zusammentritt der beiden Elemente erfolgt, so stellt man fest, daß sie nicht w i l l k ü r l i c h e , v o n e i n a n d e r unabhängige Zahlenwerte darstellen, sondern untereinander in einf a c h e m Zusammenhang stehen. Die mit einer gegebenen Menge Stickstoff verbundene Menge Sauerstoff verhält sich nämlich bei den verschiedenen Verbindungen wie 1 : 2 : 3 : 4 : 5 : Verb. 1: Gewichtsverhältnis Sauerstoff: Stickstoff Verb. 2 : Gewiehtsverhältnis Sauerstoff: Stickstoff Verb. 3 : Gewiehtsverhältnis Sauerstoff: Stickstoff Verb. 4 : Gewiehtsverhältnis Sauerstoff: Stickstoff Verb. 5 : Gewiehtsverhältnis Sauerstoff: Stickstoff
= = = = =
0.571: 1.142: 1.713: 2.284: 2.855:
1 1 1 1 1
= = = = =
(1 (2 (8 (4 (6
x X X x x
0.571): 0.571): 0.571): 0.571): 0.571):
1, 1, 1, 1, 1.
Auch hier handelt es sich, wie eingehende Untersuchungen zeigten, um ein allgemeingültiges Gesetz. Es wurde im Jahre 1808 von dem englischen Naturforscher JOHN DALTON ( 1 7 6 6 — 1 8 4 4 ) aufgefunden und wird das Gesetz der multiplen Proportionen genannt: Die Gewichtsverhältnisse zweier sich zu verschiedenen chemischen Verbindungen vereinigender Elemente stehen im Verhältnis einfacher ganzer Zahlen zueinander. Gesetz der ä q u i v a l e n t e n P r o p o r t i o n e n Vergleicht man die Gewichtsverhältnisse, nach denen sich S a u e r s t o f f und S t i c k stoff miteinander zu den oben genannten fünf Verbindungen vereinigen, mit den Gewichtsverhältnissen, nach denen Sauerstoff und Stickstoff mit W a s s e r s t o f f zusammentreten (S. 12ff.), so macht man eine neue interessante Feststellung. Man kann nämlich das für die Sauerstoff-Stickstoff-Verbindung 3 geltende Gewiehtsverhältnis Sauerstoff: Stickstoff = 1.713 :1, wie leicht nachzuprüfen, auch durch das Zahlenpaar 7.936:4.632 zum Ausdruck bringen, also durch jene Zahlenwerte, die schon in den für die Vereinigung von Sauerstoff und Stickstoff mit W a s s e r s t o f f geltenden Gewichtsverhältnissen auftraten. In gleicher Weise können auch die Gewichtsverhältnisse der übrigen Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen mit Hilfe dieser Verhältniszahlen ausgedrückt werden:
Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Verb. Verb. Verb. Verb. Verb.
1: 2: 3: 4: 5:
Gewichtsverhältnis Gewichtsverhältnis Gewichts Verhältnis Gewichtsverhältnis Gewichtsverhältnis
Sauerstoff: Sauerstoff: Sauerstoff: Sauerstoff: Sauerstoff :
Stickstoff Stickstoff Stickstoff Stickstoff Stickstoff
= = = = =
0.571: 1.142: 1.713: 2.284 : 2.855 :
Der Atombegriff 1 1 1 1 1
= = = = =
(1 (2 (3 (4 (5
X x X x x
7.936): (3 7.936): (3 7.936): (3 7.936): (3 7.936): (3
15 X x x x X
4.632), 4.632), 4.632), 4.632), 4.632).
Analoges gilt ganz allgemein in anderen Fällen: Bilden zwei Elemente mit einem d r i t t e n Element in bestimmtem Gewichtsverhältnis je eine Verbindung, so ergibt sich bei der Vereinigung der beiden Elemente m i t e i n a n d e r nie ein ganz neues Gewichtsverhältnis, sondern ein Zahlenpaar, das in den beiden anderen Zahlenpaaren bereits enthalten ist. Man nennt dieses Gesetz, das grundsätzlich schon im Jahre 1791 von dem deutschen Chemiker JEREMIAS B E N J A M I N R I C H T E R (1762—1807) erkannt wurde, das Gesetz der äquivalenten Proportionen: Elemente vereinigen sich stets im Verhältnis bestimmter Verbindungsgewichte {„Äquivalentgewichte")1 oder ganzzahliger Vielfache dieser Gewichte zu chemischen Verbindungen. Das Gesetz geht über die Aussagen der beiden vorhergehenden Gesetze hinaus und schließt diese in sich ein.
b)
DALTONS
Atomhypothese
Eine einfache und einleuchtende D e u t u n g finden alle bisher behandelten Gesetzmäßigkeiten durch die von J. D A L T O N im Jahre 1807 aufgestellte Atomhypothese. Nach dieser Hypothese sind die chemischen Elemente n i c h t bis ins U n e n d l i c h e t e i l b a r , sondern aus k l e i n s t e n , c h e m i s c h n i c h t w e i t e r z e r l e g b a r e n T e i l c h e n , den sogenannten Atomen 2 aufgebaut. Alle Atome eines g e g e b e n e n Elements A haben dabei untereinander g l e i c h e s Gewicht, während die Gewichte der Atome zweier v e r s c h i e d e n e r Elemente A und B charakteristisch voneinander v e r s c h i e d e n sind. Vereinigt sich nun ein Element A mit einem Element B zu einer chemischen Verbindung, so kann dies nur so geschehen, daß je a Atome A mit je b Atomen B zu je einem kleinsten Teilchen A „ B i der chemischen Verbindung zusammentreten, wobei « und b ganze Zahlen darstellen. Also z. B.: A + 2 A+
B B
AB >• A^B
A + 2B —AB2 24+3.B
>• A2B„
oder oder
oder USW.
Da die Atome hierbei mit ihren charakteristischen Gewichten (Massen) in die Verbindung eintreten, finden alle bisher besprochenen stöchiometrischen Gesetze ihre zwanglose Deutung. So erklärt sich das Gesetz von der Erhaltung der Masse daraus, daß bei chemischen Reaktionen entsprechend der Atomhypothese k e i n e U m w a n d l u n g v o n M a t e r i e , sondern nur eine Zusammenlagerung o d e r U m g r u p p i e r u n g v o n A t o m e n erfolgt, so daß die Gesamtmasse des chemischen Systems naturgemäß unverändert bleiben muß. Die nach dem Gesetz der konstanten und der multiplen Proportionen experimentell bestimmbaren k o n s t a n t e n und m u l t i p l e n G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e bei der Vereinigung von Elementen zu chemischen Verbindungen geben nach der Atomvorstellung das Verhältnis der E l e m e n t - A t o m g e w i c h t e bzw. ihrer g a n z z a h l i g e n V i e l f a c h e wieder. In gleicher Weise stellt das nach dem Gesetz der äquivalenten Proportionen experimentell beobachtbare Verhältnis der V e r b i n d u n g s g e w i c h t e nichts anderes dar als das Verhältnis der A t o m g e w i c h t e bzw. ihrer V i e l f a c h e . 1 Der Begriff des Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s , der hier nur im Sinne der bei chemischen Reaktionen immer wiederkehrenden Verhältniszahlen gebraucht ist, wird später (S. 161 f.) genauer definiert werden. 2 atomos (STOUOS) = unteilbar.
16
Atom- und Molekularlehre
Über das G e w i c h t s v e r h ä l t n i s der A t o m e der einzelnen Elemente („relative Atomgewichte") läßt sich auf Grund der bei der Bildung chemischer Verbindungen aus Elementen feststellbaren G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e naturgemäß keine eindeutige Aussage machen. Denn es ist ja zunächst noch u n b e k a n n t , in w e l c h e m Z a h l e n v e r h ä l t n i s sich die Atome zur Verbindimg vereinigen. Erfolgt z.B. die Wasserbildung aus Wasserstoff und Sauerstoff so, daß je 1 Wasserstoff- und 1 Sauerstoffatom zu einem Wasserteilchen zusammentreten, so besagt das experimentell gefundene Gewichtsverhältnis Wasserstoff: Sauerstoff = 1 : 7 . 9 3 6 , daß ein Sauerstoffatom 7.936mal schwerer als ein Wasserstoffatom ist. Erfolgt aber die Vereinigung im Atomzahlenverhältnis Wasserstoff: Sauerstoff = 2 : 1 oder 1:2, so folgt aus dem beobachteten Gewichtsverhältnis ein doppelt bzw. halb so großes Atomgewicht des Sauerstoffs, nämlich von 7.936 X 2 = 15.872 bzw. 7.936:2 = 3.968, bezogen auf ein Atomgewicht 1 des Wasserstoffs. Es bedarf also mit anderen Worten zur Festlegung der relativen Atomgewichte noch der K e n n t n i s des Z a h l e n v e r h ä l t n i s s e s , nach welchem die Atome zu den kleinsten Teilchen der chemischen Verbindungen zusammentreten. Wie im folgenden gezeigt werden soll, ist diese Aufgabe bei Reaktionen g a s f ö r m i g e r Stoffe in einfacher Weise durch Ermittlung der V o l u m e n V e r h ä l t n i s s e zu lösen, nach denen die Bildung der Verbindungen erfolgt.
2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen D e r Molekülbe griff a) Experimentalbefunde Jeder G e w i c h t s m e n g e eines Stoffs entspricht, wenn der Stoff gasförmig ist oder sich vergasen läßt, bei bestimmtem Druck und bei bestimmter Temperatur ein bestimmtes G a s v o l u m e n . Wir können daher die besprochenen stöchiometrischen Gew i c h t s g e s e t z e bei Reaktionen gasförmiger Stoffe in V o l u m e n g e s e t z e umwandeln, indem wir den Ausdruck „Gewichtsverhältnis" durch den Ausdruck „ Volumenverhältnis" ersetzen. Bei dieser Umformung der Gewichtsgesetze zu Volumengesetzen ergibt sich aber eine neue interessante Tatsache: die konstanten oder multiplen V o l u m e n Verhältnisse chemisch reagierender Gase lassen sich zum Unterschied von den G e w i c h t s verhältnissen durch e i n f a c h e g a n z e Z a h l e n ausdrücken. Ermittelt man z. B . bei der elektrolytischen Zerlegung des Wassers im H O F M A N N schenZersetzungsapparat(Pig.9, S. 13) die gebildeten V o l u m i n a Wasserstoff und Sauerstoff, so stellt man fest, daß auf 1 Volumen Sauerstoff genau 2 Volumina Wasserstoff entstehen. Während also das G e w i c h t s Verhältnis Wasserstoff: Sauerstoff den n i c h t g a n z z a h l i g e n Wert 1:7.936 besitzt, ist das V o l u m e n Verhältnis durch die einfachen g a n z e n Z a h l e n 2 : 1 ausdrückbar. Das gleiche Volumenverhältnis ergibt sich bei der Synthese des Wassers in dem auf S. 13 beschriebenen Synthese-Apparat (Fig. 10): jede über das VolumenVerhältnis Wasserstoff: Sauerstoff = 2 : 1 hinausgehende ü b e r s c h ü s s i g e Wasserstoff- oder Sauerstoffmenge wird nach der Explosion des Gasgemisches u n v e r ä n d e r t vorgefunden. Nimmt man die Synthese bei einer Temperatur oberhalb 100° vor, so daß nach der Reaktion auch das gebildete W a s s e r in Dampfform vorliegt, so zeigt sich, daß auch das W a s s e r d a m p f v o l u m e n in einfachem ganzzahligem Verhältnis zu den Volumina der Ausgangsstoffe steht. J e Volumen Wasserstoff wird nämlich 1 Volumen Wasserdampf (gemessen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur) gebildet: 2 Volumina Wasserstoff + 1 Volumen Sauerstoff
>• 2 Volumina Wasserdampf.
Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff
17
Analoge Beobachtungen macht man z. B. bei der früher schon erörterten Chlor Wasserstoff- und Ammoniaksynthese. Während für die Gewichts Verhältnisse Wasserstoff : Chlor bzw. Wasserstoff : Stickstoff die Zahlen 1:35.175 bzw. 1:4.632 gelten, lassen sich die Volumen Verhältnisse durch die viel einfacheren Gleichungen 1 Volumen Wasserstoff + 1 Volumen Chlor und 3 Volumina Wasserstoff + 1 Volumen Stickstoff
>• 2 Volumina Chlorwasserstoff >- 2 Volumina Ammoniak
wiedergeben. Entsprechendes ergibt sich bei anderen Gasreaktionen. Es handelt sich hier also wieder um ein allgemeingültiges Gesetz. Es wurde erstmals im Jahre 1808 von dem französischen Naturforscher J O S E P H L O U I S G A Y L U S S A C (1778—1850) aufgefunden und wird als chemisches Yolumengesetz bezeichnet: Das Volumenverhältnis gasförmiger, an einer chemischen Umsetzung beteiligter Stoffe läßt sich durch einfache ganze Zahlen wiedergeben.
b)
AVOGADROS
Molekularhypothese
Nach dem Gesetz der äquivalenten Proportionen treten Elemente im Verhältnis bestimmter Ä q u i v a l e n t g e w i c h t e oder deren Multipla zusammen (S. 14f.). Die Tatsache, daß die für chemische Umsetzungen gasförmiger Stoffe gültigen Gewichtsverhältnisse bei der Umformung zu Volumenverhältnissen in ganzzahlige Proportionswerte übergehen, zeigt demnach, daß sich die Gewichte gleicher Volumina elementarer Gase wie die Ä q u i v a l e n t g e w i c h t e dieser Gase oder deren Vielfache verhalten. Nach D A L T O N sind nun aber die Ä q u i v a l e n t g e w i c h t e oder deren Vielfache den A t o m g e w i c h t e n proportional (S. 15). Es liegt daher nahe —und dieser Schluß wurde zunächst auch gezogen —, das chemische Volumengesetz durch die einfachste Annahme zu deuten, daß gleiche Volumina aller elementaren Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von Atomen enthalten, daß also mit anderen Worten das V o l u m e n v e r h ä l t n i s chemisch reagierender Gase direkt das Zahlen Verhältnis der miteinander reagierenden A t o m e dieser Stoffe wiedergibt. Diese Annahme gleicher Teilchenzahl in gleichen Gasvolumina erklärte zugleich in zwangloser Weise das völlig gleichartige Verhalten der Gase gegenüber Druck-, Temperatur- und Volumenänderungen (S. 21 ff.). Allerdings mußte man dann gerade wegen dieses gleichartigen physikalischen Verhaltens aller Gase schließen, daß auch gasförmige Verbindungen in gleichen Volumina gleich viele kleinste Teilchen enthalten, und das führte zu Widersprüchen zwischen der Annahme eines atomaren Aufbaus der elementaren Gase und den bei chemischen Gasreaktionen beobachtbaren Volumenverhältnissen: So zeigt z. B. die Bildung von 2 Volumina Chlorwasserstoff aus 1 Volumen Chlor und 1 Volumen Wasserstoff, daß je 1 kleinstes Teilchen Wasserstoff und 1 kleinstes Teilchen Chlor 2 kleinste Teilchen Chlorwasserstoff bilden. Da nun jedes Teilchen Chlorwasserstoff sowohl Wasserstoff wie Chlor enthalten muß, muß sich jedes Teilchen Wasserstoff und Chlor in zwei H ä l f t e n aufgespalten haben. Dann kann es sich aber bei diesen Teilchen des Wasserstoffs und Chlors nicht um die A t o m e handeln, da diese ja definitionsgemäß chemisch nicht mehr teilbar sind. Man wird daher zwangsläufig zu dem Schluß geführt, daß gleiche Volumina von Wasserstoff und Chlor nicht eine gleiche Anzahl von A t o m e n , sondern eine gleiche Anzahl größerer, mindestens aus zwei A t o m e n bestehender K o m p l e x e enthalten (vgl. auch S. III.). Diese größeren Atomverbände nennt man Moleküle1 oder Molekeln. Der Begriff des Moleküls wurde im Jahre 1811 von dem italienischen Physiker (1776—1856) eingeführt. Nach ihm gilt der — heute als AVOGADRO-
AMADEO AVOGADRO 1
molecula = kleine Masse.
H o l 1 e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 47. —56. Aufl.
2
18
Atom- und
Molekularlehre
sehe Hypothese bezeichnete — Satz: Gleiche Volumina idealer1 Gase enthalten bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gleich viele Moleküle. Aus den Volumenverhältnissen bei der Chlorwasserstoffbildung folgt zunächst nur, daß ein Molekül Wasserstoff oder Chlor eine durch 2 t e i l b a r e Anzahl von Atomen enthalten muß. Nun zeigt sich aber, daß es keine Reaktion gibt, bei der aus 1 Volumen Wasserstoff oder Chlor mehr als 2 Volumina eines gasförmigen, Wasserstoff bzw. Chlor enthaltenden Reaktionsproduktes gebildet werden. Es besteht daher k e i n G r u n d zur Annahm^ daß das Wasserstoff- oder Chlormolekül mehr als z w e i A t o m e enthält. Damit ergibt sich für die Chlorwasserstoffbildung das folgende Bild: 1Vot.
Wasserstoff
1 Vol.
2 Vol.
Chlor
Chlorwasserstoff
Die aus je zwei Atomen bestehenden Moleküle des Wasserstoffs und Chlors reagieren danach unter gegenseitigem Austausch von Atomen so miteinander, daß zwei aus je einem Wasserstoff- und Chloratom bestehende Chlorwasserstoffmoleküle entstehen. In analoger Weise kann eine „Reaktionsgleichung" für die PFassersynthese abgeleitet werden. Die Bildung zweier Volumina Wasserdampf aus 2 Volumina Wasserstoff und 1 Volumen Sauerstoff zeigt, daß jedes S a u e r s t o f f m o l e k ü l aus mindestens z w e i A t o m e n S a u e r s t o f f besteht. Da keine sonstige Reaktion bekannt ist, bei der aus 1 Volumen Sauerstoff mehr als 2 Volumina einer gasförmigen Sauerstoffverbindimg entstehen, besteht keine Veranlassung, mehr als z w e i Sauerstoffatome je Sauerstoff molekül anzunehmen. Für den W a s s e r s t o f f folgt aus den Volumverhältnissen der Wassersynthese kein zwingender Schluß zur Annahme eines mehr als einatomigen Aufbaus der kleinsten Wasserstoffteilchen. Denn da aus je 1 Teilchen Wasserstoff 1 Teilchen Wasser entsteht, wäre dem atomaren Aufbau des Wasserstoffs dann Genüge geleistet, wenn jedes Wassermolekül 1 Wasserstoffatom enthielte (wie man dies in der Tat eine Zeitlang annahm). Da nun aber die bei der C h l o r w a s s e r s t o f f s y n t h e s e beobachtbaren Volumenverhältnisse, wie oben auseinandergesetzt, zur Annahme eines aus z w e i A t o m e n bestehenden W a s s e r s t o f f m o l e k ü l s zwingen, muß man diesen Schluß auch hier zugrunde legen und kommt so zu der Gleichung: 2 Vol.
IVol.
2 Vol.
Danach besteht jedes Wassermolekül aus 2 Wasserstoffatomen und 1 Sauerstoffatom. Entsprechende Überlegungen ergeben für die Ammoniakajntheae aus Wasserstoff und Stickstoff das folgende Bild: 3 Vol.
Wasserstoff
1Vol.
Stickstoff
2 Vol.
Ammoniak
Jedes Ammoniakmolekül enthält danach 1 Stickstoffatom und 3 Wasserstoffatome. Für den laufenden Gebrauch ist die oben angewandte Schreibweise für Reaktionsgleichungen natürlich zu u m s t ä n d l i c h . Man ist daher zur Vereinfachung der Aus1
S. 24.
Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen.
Der Molekülbegriff
19
drucksweise übereingekommen, die einzelnen Atomarten durch chemische „Kurzschriftzeichen", Elementsymbole, zum Ausdruck zu bringen (S. 27). So bezeichnet man z. B. das Wasserstoffatom mit H (vom lateinischen Namen Hydrogenium für Wasserstoff), das Chlor mit Cl, den Sauerstoff mit 0 (vom lateinischen Namen Oxygenium für Sauerstoff), den Stickstoff mit N (vom lateinischen Namen Nitrogenium für Stickstoff). Damit v e r e i n f a c h e n sich die obigen „Reaktionsgleichungen" (1), (2), (3) wie folgt: H 2 + Cl2 = 2 HCl, 2H2 + 0 2 = 2 H 2 0 , 3 H 2 + N2 = 2 N H s .
Wie aus diesen „chemischen Gleichungen" hervorgeht, pflegt man die Anzahl der in einem Molekül vorhandenen Atome eines Elements durch einen entsprechenden Z a h l e n i n d e x rechts unterhalb des Elementsymbols auszudrücken. L i n k s vor dem Gleichheitszeichen stehen die Symbole und Formeln der A u s g a n g s s t o f f e , r e c h t s die dabei entstehenden R e a k t i o n s p r o d u k t e . Die Z a h l und A r t der Atome muß entsprechend dem Gesetz von der Erhaltung der Masse auf beiden Seiten der Reaktionsgleichung d i e s e l b e sein.
Die aus den Gewichts- und Volumenverhältnissen bei chemischen Reaktionen abgeleitete Atom- und Molekularlehre gestattet, die im ersten Kapitel behandelten Begriffe des heterogenen und homogenen Stoffs, der Lösung und des reinen Stoffs, der Verbindung und des Elements wie folgt etwas strenger zu definieren (vgl. auch S. 558): I . Heterogene Stoffe: Stoffaufbau aus v e r s c h i e d e n e n P h a s e n . I I . Homogene Stoffe: Stoffaufbau aus e i n e r einzigen P h a s e . 1. Lösungen: Phasenaufbau aus v e r s c h i e d e n e n M o l e k ü l a r t e n . 2. Reine Stoffe: Phasenaufbau aus e i n e r einzigen M o l e k ü l a r t . a) Verbindungen: Molekülaufbau aus v e r s c h i e d e n e n A t o m a r t e n . b)Elemente: Molekülaufbau aus e i n e r einzigen A t o m a r t . Entsprechend diesem verschiedenen Aufbau sind die verschiedenen Stoffarten verschieden charakterisiert. Heterogene Stoffe können als heterogene, „ p h y s i k a l i s c h e " Mischungen homogener Stoffe j e d e b e l i e b i g e Z u s a m m e n s e t z u n g haben und weisen die charakteristischen chemischen und physikalischen Eigenschaften ihrer B e s t a n d t e i l e auf. So findet man z. B. im Schwarzpulver die Eigenschaften seiner Bestandteile Schwefel, Kohle und Salpeter wieder; und durch Variieren des Mischungsverhältnisses von Schwefel, Kohle und Salpeter lassen sich beliebig viele Sorten von Schwarzpulver erzeugen. Demgegenüber zeigen Lösungen als homogene, , ¡ p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e " Mischungen reiner Stoffe nur zum T e i l die Eigenschaften ihrer B e s t a n d t e i l e , zum a n d e r e n T e i l ganz neue E i g e n s c h a f t e n ; ihre Zusammensetzung ist nicht mehr durchweg beliebig, sondern häufig nur i n n e r h a l b m e h r oder m i n d e r w e i t e r Grenzen variabel. So unterscheidet sich z. B. eine aus Chlorwasserstoffgas und Wasser bestehende wässerige Salzsäurelösimg bereits in manchen chemischen und physikalischen Eigenschaften weitgehend von denen ihrer Bestandteile; auch gelingt es nicht, Lösungen jeder beliebigen Chlorwasserstoffkonzentration herzustellen, da dem Mischungsverhältnis durch die Löslichkeit des Chlorwasserstoffs in Wasser eine Grenze gesetzt ist. Verbindungen schließlich sind als „ c h e m i s c h e " Mischungen von Elementen in ihren Eigenschaften v o l l k o m m e n v e r s c h i e d e n von denen ihrer B e s t a n d t e i l e und besitzen eine durch den Molekülaufbau gegebene, g e n a u d e f i n i e r t e Z u s a m m e n s e t z u n g . So sind die Eigenschaften des Wassers völlig anders als die seiner Bestandteile, und seine Zusammensetzung entspricht stets dem Gewichtsverhältnis Wasserstoff: Sauerstoff = 1:7.936.
Kapitel III
Atom- und Molekulargewichtsbestimmung Die aus den Volumenverhältnissen bei der Chlorwasserstoff-, Wasser- und Ammoniaksynthese erschlossenen „chemischen Formeln" HCl, H 2 0 und NH3 für Chlorwasserstoff, Wasser und Ammoniak gestatten in Verbindung mit den bei ihrer Bildung aus den Elementen aufgefundenen Gewichtsverhältnissen nunmehr eine eindeutige Festlegung der „relativen Atomgewichte" der enthaltenen Elemente Wasserstoff, Chlor, Sauerstoff und Stickstoff. Damit kommen wir zur Lösung eines Problems, das auf Grund der Gewichtsverhältnisse allein nicht lösbar war (S. 16).
1. Relative Atom- und Molekulargewichte a) Wahl einer Bezugseinheit Das Wasser H 2 0 enthält nach der Analyse (S. 13) auf je 1 g Wasserstoff 7.936 g Sauerstoff. Also ist ein Sauerstoffatom 7.936mal schwerer als zwei Wasserstoffatome. Setzt man daher das Atomgewicht des Wasserstoffs willkürlich gleich 1 fest, so ist dem Sauerstoff das „ r e l a t i v e " — d. h. auf die willkürlich gewählte Einheit bezogene — Atomgewicht 2 X 7.936 = 15.872 zuzuordnen. In gleicher Weise ergeben sich aus den Gewichtsverhältnissen und Formeln des Chlorwasserstoffs und Ammoniaks die relativen Atomgewichte 35.175 bzw. 3 X 4.632 = 13.896 für Chlor und Stickstoff. Im Laufe der Zeit hat es sich nun als zweckmäßig erwiesen, nicht den W a s s e r s t o f f , sondern den Sauerstoff zur Vergleichsbasis für relative Atomgewichte zu wählen, da das Atomgewicht der meisten Elemente nicht aus der Zusammensetzung der Wasserstoffverbindungen, sondern aus der Zusammensetzimg der zahlreicher vorkommenden Sauerstoffverbindungen ermittelt wird. Man setzte zu diesem Zwecke das Atomgewicht des Sauerstoffs willkürlich gleich 16 fest (zur Wahl dieses Bezugswertes vgl.auch S.563). Denn 16 ist die ganze Zahl, die dem ursprünglich auf H = 1 bezogenen Wert 15.872 für Sauerstoff am nächsten kommt. So machte man sich einerseits bei Atomgewichtsbestimmungen unabhängig von dem — lange Zeit wegen experimenteller Schwierigkeiten nicht mit genügender Genauigkeit bestimmbaren — Gewichtsverhältnis Wasserstoff:Sauerstoff und gelangte andererseits zu relativen Atomgewichten, die nur unwesentlich von den bis dahin auf die Basis Wasserstoff bezogenen Werten abwichen. Wasserstoff besitzt nunmehr, auf ein Atomgewicht 16 des Sauerstoffs bezogen, das Atomgewicht 16.000/15.872 = 1.008, Chlor das Atomgewicht 35.175 X 1.008 = 35.457 und Stickstoff das Atomgewicht 13.896 X 1.008 = 14.008. Addiert man die relativen Gewichte der in einem Molekül eines Elements oder einer Verbindung enthaltenen Atome, so erhält man das relative Molekulargewicht. E s bezieht sich auf ein Molekulargewicht 32 des S a u e r s t o f f s , da ein Sauerstoffmolekül zwei Sauerstoffatome vom Atomgewicht 16 enthält. Wasserstoff, Chlor und Stickstoff haben demnach die relativen Molekulargewichte 2 X 1.008 = 2.016 bzw. 2 X 35.457 = 70.914 bzw. 2 x 14.008 = 28.016, Chlorwasserstoff, Wasser und Ammoniak die Molekulargewichte 1.008+35.457 = 36.465 bzw. 2 x 1.008+16.000 = 18.016 bzw. 3 x 1.008+14.008 = 17.032.
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Die dem relativen M o l e k u l a r g e w i c h t numerisch entsprechende G r a m m - m e n g e eines Stoffes bezeichnet man auch als „1 Gramm-molekül" oder abgekürzt als „1 Mol". Unter 1 Mol Wasser versteht man also z. B. 18.016 g Wasser, unter 1 Mol Ammoniak 17.032 g Ammoniak. Die dem relativen A t o m g e w i c h t numerisch entsprechende G r a m m - m e n g e heißt „1 Gramm-atom" oder abgekürzt „1 Tom". 35.457 g Chlor stellen also 1 Tom Chlor dar.
b) Bestimmung relativer Molekulargewichte Die damit erfolgte Festlegung einer bestimmten B e z u g s e i n h e i t für die relativen Molekulargewichte vereinfacht die Molekulargewichtsbestimmung nunmehr wesentlich. J e d e s Mol einer Verbindung oder eines Elements enthält g l e i c h v i e l e M o l e k ü l e , da die r e l a t i v e n Molekulargewichte naturgemäß den a b s o l u t e n Molekulargewichten p r o p o r t i o n a l sind. Nun sind andererseits nach der AvogadRoschen Hypothese in g l e i c h e n V o l u m i n a idealer (vgl. S. 24) Gase beigleicher Temperatur undgleichem Druck g l e i c h v i e l e M o l e k ü l e bzw. Mole enthalten (S. 18). Somit nehmen umgekehrt auch g l e i c h e M o l m e n g e n idealer Gase bei gegebenem Druck und gegebener Temperatur unabhängig von der Art des Gases g l e i c h e V o l u m i n a ein. Und zwar beträgt bei den „Normalbedingungen" — 0° Celsius und 760mm Quecksilberdruck — das von lMol eines idealen Gases eingenommene Volumen stets 22.415 Liter („Molvolumen"). Das r e l a t i v e M o l e k u l a r g e w i c h t eines idealen Gases ergibt sich damit sehr einfach als das Gew i c h t v o n 22.415 L i t e r n dieses Gases bei den Normalbedingungen. Es ist zur Molekulargewichtsbestimmung nun nicht erforderlich, stets gerade 22.415 1 bei 0°C und 760mm Druck abzuwiegen. Denn mitHilfe der „Zustandsgieichung der Gase" läßt sich auch für ein unter a n d e r e n Druck- und Temperaturverhältnissen gemessenes b e l i e b i g e s Gasvolumen von bekanntem Gewicht die Anzahl enthaltener G a s m o l e angeben, so daß auf das Gewicht e i n e s Mols — d. i. das relative Molekulargewicht — umgerechnet werden kann. Wir wenden uns daher zunächst der Z u s t a n d s g i e i c h u n g d e r G a s e zu. a) Zustandsgieichung idealer Gase Ein Gas besteht aus einer sehr großen Zahl von Molekülen, die mit g r o ß e r Ges c h w i n d i g k e i t und v ö l l i g r e g e l l o s wie ein Mückenschwarm in dem ihnen zur Verfügung stehenden Räume herumschwirren. Infolge ihrer ungeordneten Bewegung prallen sie häufig sowohl g e g e n e i n a n d e r wie auch gegen die W ä n d e des einschließenden Gefäßes und werden dabei unter Änderung von Richtung und Geschwindigkeit e l a s t i s c h z u r ü c k g e w o r f e n . Die Summe der Stöße auf die Wandungen erscheint uns als der „Druck" des Gases. Denken wir uns die eine Wand des Gefäßes (Fig. I I a ) beweglich, so wird sich diese, dem Druck nachgebend, nach oben bewegen. Um sie in ihrer Lage zu halten müssen wir sie mit einem ganz bestimmten Gewicht G belasten. Das G e g e n g e w i c h t muß dabei — wenn Volumen, Temperatur und Gasmenge gegeben sind — um so g r ö ß e r sein, je g r ö ß e r die Fläche des beweglichen Stempels, d. h. die je Zeiteinheit darauf prallende Zahl von Molekülen und damit der darauf ausgeübte G e s a m t d r u c k des Gases ist. Zu einem charakteristischen konstanten Wert kommt man unter den gegebenen Bedingungen nur dann, wenn man das Gewicht auf eine b e s t i m m t e F l ä c h e , z. B. auf die F l ä c h e n e i n h e i t — l e r n 2 — bezieht. D i e s e a u f 1cm 2 F l ä c h e w i r k e n d e K r a f t e i n e s G a s e s n e n n t m a n im e n g e r e n S i n n e d e n G a s d r u c k / ) . Er läßt sich experimentell am einfachsten in der Weise messen, daß man als Gegengewicht eine Flüssigkeit von b e k a n n t e m s p e z i f i s c h e m G e w i c h t verwendet. Denn dann genügt die Messung der H ö h e (cm) der erforderlichen Flüssigkeitssäule, da diese, mit dem spezifischen Gewicht (g/cm3) multipliziert, direkt das Gewicht je cm 2 Fläche ergibt. Den bei der Anordnung gemäß Fig. IIa auf dem beweglichen Stempel lastenden Luftdruokunddas Ei gen g e w i c h t des Stempels
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Atom- und Molekulargewichtsbestimmung
eliminiert man meist durch die in Fig. I I b wiedergegebene Anordnung. Bei dieser vertritt ein Teil der Flüssigkeit (der Teil unterhalb der gestrichelten Linie s) die Rolle des beweglichen Stempels, wobei sich die hydrostatischen Druck» im linken und rechten Schenkel des „Barometerrohres" („Manometerrohres") unterhalb s aufheben, so daß der Stempel keinen Druck auf das Gas ausübt. Der übrige Teil, d. h. die Flüssigkeitssäule der Höhe h stellt das Gegengewicht dar; der darüber befindliche Baum ist luftleer gepumpt. Als Flüssigkeit verwendet man meist Quecksilber. Den Druck gibt man in mm Quecksilbersäule („Torr") an; 760 mm („1 Atmosphäre") entsprechen dabei einem Gewicht von 76 x 13.5951 = 1033 g/cm2.
F ü h r t man dem Gas W ä r m e {„thermische Energie") zu, indem man seine Temperatur um einen bestimmten Betrag erhöht, so erhöht sich die B e w e g u n g s e n e r g i e („kinetische Energie") der Gasteilchen. Hält man dabei das V o l u m e n des Gefäßes
a b Fig. 11. Messung des Drucks eines Gases
k o n s t a n t , so w ä c h s t dementsprechend der auf die Wände ausgeübte D r u c k . H ä l t man umgekehrt den A u ß e n d r u c k k o n s t a n t , so wird der bewegliche Stempel gehoben, d. h. das V o l u m e n v e r g r ö ß e r t . D r u c k und V o l u m e n sind also von der T e m p e r a t u r abhängig. Die q u a n t i t a t i v e Prüfung dieser Abhängigkeit ergab die Beziehung p-v = k-(273.15 + tc),
(1)
wonach das Produkt der Maßzahlen p und v für Druck und Volumen der um 273.15 vermehrten Celsiustemperatur tc proportional ist. Zeichnet man diese Funktion g r a p h i s c h auf, d. h. trägt man das Produkt p-v in seiner Abhängigkeit von der Größe (273.15-\-t c ) in ein Koordinatensystem ein (Fig. 12), so erhält man eine G e r a d e , die beim Temperaturpunkt te = — 273.15° (entsprechend 273.15 + tc — 0) die Abszisse schneidet (p-v = 0). Durch das Gasgesetz (1) wird also eine Temperaturskala definiert, deren Nullpunkt A {„absoluter Nullpunkt") um 273.15 Celsiusgrade tiefer als der Nullpunkt B der — willkürlich festgelegten (S. 53) — Celsiusskala Hegt. Man ist übereingekommen, diese durch das Gasgesetz geforderte Temperatur 273.15 + tc „absolute Temperatur" (,,KELVIN-Temperatur") zu nennen und durch das Zeichen T zu symbolisieren. Damit vereinfacht sich die Gasgleichung (1) zu der Form p-v = k-T,
(2)
wonach das P r o d u k t p-v d e r a b s o l u t e n T e m p e r a t u r T p r o p o r t i o n a l ist. Der Proportionalitätsfaktor k dieser Beziehung (2) ist k e i n e u n i v e r s e l l e K o n s t a n t e , sondern von G e w i c h t s m e n g e und A r t des betrachteten Gases abhängig. Denn bei konstantem Volumen v und konstanter Temperatur T ändert sich natürlich 1 = spezifisches Gewicht des Quecksilbers bei 0°. Wird die Länge der Säule bei einer anderen Temperatur als 0° gemessen, so ist das dieser Temperatur entsprechende Gewicht einzusetzen oder die Säulenlänge zu korrigieren.
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der Druck -p und damit die K o n s t a n t e k bei g e g e b e n e m Gas mit dessen G e w i c h t s menge und bei g e g e b e n e r G e w i c h t s m e n g e mit der N a t u r des Gases. Eingehende Untersuchungen haben ergeben, daß k ganz allgemein der Anzahl Mole n eines betrachteten Gases p r o p o r t i o n a l ist: h = R-n, (3) wobei der neue Proportionalitätsfaktor R für alle Gase d e n s e l b e n Wert besitzt und daher „allgemeine Gaskonstante" genannt wird.
Fig. 12. Gasgesetz und absoluter Nullpunkt Die durch Gleichung (3) wiedergegebene experimentelle Beobachtung besagt, daß die Konstante k und damit nach (2) auch der D r u c k p eines Gases von gegebener Temperatur T und gegebenem Volumen v nur vonderZahl(w), nicht aber von der A r t (dem G e w i c h t ) der Gasmoleküle abhängt. S c h w e r e Gasmoleküle üben mit anderen Worten den gleichen Druck auf die Wände eines Gefäßes aus wie eine gleiche Anzahl l e i c h t e r Moleküle. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die s c h w e r e n Gasmoleküle im Mittel eine k l e i n e r e — und zwar der Quadratwurzel aus der Masse m umgekehrt proportionale — G e s c h w i n d i g k e i t v aufweisen als die leichteren, so daß TU' V^ die k i n e t i s c h e E n e r g i e —JL— in beiden Fällen die g l e i c h e ist (,,Oesetz der Oleichverteilung der Energie"). Beispielsweise besitzen bei 20° C die leichten Wasserstoffmoleküle eine m i t t l e r e G e s c h w i n d i g k e i t von 1760 m/sec (6336 km/Stunde), die 16mal schwereren Sauerstoffmoleküle dagegen eine 1/16 = 4 mal kleinere Geschwindigkeit von 440 m/sec (1584 km/Stunde). Dieses G l e i c h V e r t e i l u n g s g e s e t z bezieht sich allerdings nur auf die m i t t l e r e kinetische Energie der Gasmoleküle. Die Energie der e i n z e l n e n Moleküle kann weitgehend von diesem Mittelwert abweichen, da als Folge der ständigen Energieübertragung von Molekül zu Molekül bei Zusammenstößen sich mitunter bei e i n z e l n e n Molekülen b e s o n d e r s h o h e E n e r g i e b e t r ä g e zusammenballen („sehr heiße" Moleküle), während a n d e r e entsprechend e n e r g i e ä r m e r sind. Und zwar gilt nach J. C. MAXWELL (1831 — 1879) und L. BOLTZMANN (1844—1906) unter gewissen vereinfachenden Voraussetzungen die Gesetzmäßigkeit, daß der Bruchteil von Molekülen,deren Energiegehalt den Betrag A je Mol überschreitet, gleich e~AlRT ist (vgl. S. 101 f.). In Fig. 13 ist die hieraus folgende Verteilung der Geschwindigkeit („MAXWELLsche Geschwindigkeitsverteilung") über verschiedene Geschwindigkeitsstufen (von je 10 m/sec Breite) am Beispiel des Sauerstoffs (bei 0° und bei 100°) wiedergegeben. Wie das Diagramm zeigt, haben bei einer gegebenen Temperatur die weitaus m e i s t e n M o l e k ü l e eine in der Umgebung der m i t t l e r e n G e s c h w i n d i g k e i t liegende Geschwindigkeit. Die Zahl der mit g r o ß e r G e s c h w i n d i g k e i t begabten, besonders energiereichen Moleküle ist s e h r g e r i n g und nimmt mit steigender Temperatur im Verhältnis zu der der anderen Moleküle zu.
Die durch Einführung der Beziehung (3) in Gleichung (2) entstehende neue und nunmehr a l l g e m e i n g ü l t i g e G a s g l e i c h u n g p-v — n-B-T
(4>
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heißt „allgemeine Zustandsgleichung idealer Gase". Sie gilt, wie schon der Name besagt, nur für „ideale Gase", d. h. solche Gase, deren Moleküle praktisch keinen gegenseitigen Anziehungskräften unterliegen lind daher im Gasraum völlig frei beweglich sind (vgl. S. 59). Bei „realen Gasen", für die diese Voraussetzung nicht zutrifft, muß die Zustandsgieichung durch K o r r e k t i o n s g l i e d e r ergänzt werden. R hat, wenn man p in Atmosphären, v in Litern, n in Mol und T in KELviNgraden ausdrückt, den Wert 0.08206, wie sich durch Einsetzen des schon erwähnten „Molvolumens" («=22.415; n = l ) bei den Normalbedingungen (p = 1; T = 273.15) in die allgemeine Gas* gleichung (4) ergibt. Die Dimension von R ist [Energie]/[Grad]-[Mol], S r\-be/0° weil p • v die Dimension einer Energie besitzt: [Druck] x [Volu[Kraft] . rTT . meD] X [V 1Umen] = M ° = [Kraft] x [Länge] = [Energie], Drückt man R — statt, wie oben geschehen, in Liter • Atmosphären/ Grad-Mol — in cal/Grad-Mol aus, so besitzt es den Zahlen wert 1.986. // \\-i>e/700"
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Erwähnt sei, daß die Zustandsgleichung (4) eine Reihe von T e i l g e s e t z e n enthält, die sich aus ihr durch Konstant\ Q9 j : halten einzelner Größen ergeben. Die bekanntesten dieser Teilgesetze sind: WO 600 800 1000 1200 noo m/sec Das .BOYLE - MAKIOTTE sehe Gesetz": Das Produkt aus Fig. 13. MAXWELL sehe Geschwindigkeitsverteilung
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1
Druck p und Volumen v einer bestimmten Gasmenge (n = konstant) ist bei gegebener Temperatur (T — konstant) konstant: p-v = (nRT) = a.
Das „GAY-LussACSChe Gesetz": Bei gegebenem Volumen (v = konstant) ist der Druck p, bei gegebenem Druck (p = konstant) das Volumen (n = konstant) der absoluten Temperatur T proportional: v = (nR/p)-T = c-T.
v einer bestimmten Gasmenge p = (nR/v) • T = b • T b z w .
Die AYOGADRO sehe Hypothese (S. 18): Gleiche Volumina Gase enthalten bei gleichem Druck {p = konstant) und gleicher stant) gleich viele Moleküle: n = (pv/RT) = d.
(v = konstant) idealer Temperatur (T = kon-
ß) Methoden der Molekulargewichtsbestimmung Die Zustandsgieichung (4) ermöglicht die Bestimmung der Molzahl n einer gegebenen Gasmenge. Bestimmt man gleichzeitig das Gewicht g dieser «Mole, so folgt das Gewicht eines Mols, d. h. das Molekulargewicht M, aus der Beziehung M =
n
(5)
Führen wir hierin den aus der Zustandsgieichung (4) folgenden Wert für n ein, so erhalten wir die Beziehung M :
/. . u . '/ r 9-R-T p-v
(6)
die es gestattet, aus Druck (p), Volumen (v), Temperatur ( T ) und Gewicht (g) eines idealen Gases sein Molekulargewicht zu errechnen.
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Bei der praktischen Molekulargewichtsbestimmung geht man in allen Fällen von einer g e g e b e n e n T e m p e r a t u r T aus. Bei den übrigen drei Größen p, v und g kann man insofern mit einer gewissen Willkür verfahren, als man zwei von ihnen vorschreibt und die d r i t t e sich durch den Versuch von selbst einstellen läßt. Dementsprechend lassen sich die Methoden zur Bestimmung der Molekulargewichte von Gasen in drei Gruppen einteilen: 1. p und v sind vorgegeben, g stellt sich ein: W ä g u n g e i n e s b e s t i m m t e n G a s v o l u m e n s v v o n b e k a n n t e m D r u c k p b e i g e g e b e n e r T e m p e r a t u r T. 2. g und p sind vorgegeben, v stellt sich ein: V o l u m e n m e s s u n g e i n e r b e s t i m m t e n G a s m e n g e g von b e k a n n t e m D r u c k p b e i g e g e b e n e r T e m p e r a t u r T. 3. g und v sind vorgegeben, p stellt sich ein: D r u c k m e s s u n g e i n e r b e s t i m m ten Gasmenge g von b e k a n n t e m Volumen v bei gegebener T e m p e r a t u r T. Als Beispiel sei hier nur eine im Laboratorium häufig angewandte, von dem deutschen Chemiker V I C T O R M E Y E R ( 1 8 4 8 — 1 8 9 7 ) stammende Bestimmungsmethode angeführt, die sich des unter 2. genannten Prinzips bedient und die Bestimmung des Molekulargewichts leicht verdampfbarer Flüssigkeiten und fester Stoffe ermöglicht. (i/ägeg/äschen l/o/umenDer für dieses Verfahren erforderliche Apparat .•' 'meßrohr mit Substanz (Fig. 14) besteht aus einem unten erweiterten V e r d a m p f u n g s r o h r , welches von einem H e i z m a n t e l umgeben ist. Der Heizmantel enthält eine F l ü s s i g Aus/äsek e i t , durch deren Sieden das Verdampfungsrohr auf Vorrichtung einer Temperatur gehalten wird, welche o b e r h a l b M/asser der Siedetemperatur der zu untersuchenden Substanz liegt. Die S u b s t a n z selbst wird in ein W ä g e g l ä s ,' Pneumatische U/anpe chen eingewogen und von oben eingeführt. Ein durch Gasableifungsrohr ein Stück Gummischlauch mit dem Verdampfungsrohr verbundener Glasstab ( A u s l ö s e v o r r i c h t u n g ) hält die .ffeizmanfe/ Substanz zunächst noch oben fest. Sobald keine Luftl/erdampfungsrohr blasen mehr durch das unter Wasser endigende Ableitungsrohr des Verdampfungsrohrs entweichen, letzteres also die konstante Temperatur des Dampfes der ffe/çf/ûssigtteif siedenden Heizflüssigkeit angenommen hat, stülpt man ein mit Wasser gefülltes V o l u m e n m e ß r o h r über das Ende des Ableitungsrohres und läßt die Substanz durch Zurückziehen des Glasstabes der Auslösevorrichtung in Fig. 14. Bestimmung der Dampf dichte nach VICTOR MEYER den unteren, erweiterten Teil des Verdampfungsrohres h i n a b f a l l e n . Sofort beginnt die V e r d a m p f ung der Substanz, wodurch aus dem oberen Teil des Verdampfungsrohres eine entsprechende Menge L u f t verdrängt und in das Volumenmeßrohr getrieben wird. Nach wenigen Minuten ist die Verdampfung der Substanz beendet. Das im Meßrohr aufgefangene L u f t v o l u m e n , das beim Barometerstand p' und bei der Zimmertemperatur T abgelesen wird, entspricht dem Volumen, welches die f l ü s s i g e o d e r f e s t e S u b s t a n z im Dampfzustande b e i Z i m m e r t e m p e r a t u r e i n n e h m e n w ü r d e , falls sie bei dieser Temperatur verdampfbar wäre. Daher ist in Gleichung (6) als Temperatur T n i c h t die S i e d e t e m p e r a t u r der H e i z f l ü s s i g k e i t , sondern die Z i m m e r t e m p e r a t u r einzusetzen, bei der die Volumenablesung am Meßrohr erfolgt. Der Druck p der verdrängten Luft ist gleich dem um den Druck b der Wassersäule im Meßrohr verminderten Barometerstand p'; für genauere Messungen ist auch noch eine Korrektur wegen des verschiedenen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft im Verdampfungs- und Meßrohr anzubringen.
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B e i s p i e l : 405 mg = 0.405g einer festen Substanz verdrängen bei der Verdampfung bei 450° C 38.5 cm3 = 0.0385 1 Luft (gemessen bei 15° C = 288° abs. und bei einem korrigierten Druck von 730 mm Quecksilbersäule = 0.96 atm.). Hieraus ergibt sich nach Gleichung (6): _ g-R-T = 0.405 x 0.082 x 288 = p-v ~ 0.96 x 0.0385 ~~ Der untersuchte Stoff hat also im Dampfzustande bei 450° ein relatives — d. h. auf •^Sauerstoff = 32 bezogenes — Molekulargewicht von 259.
c) Bestimmung relativer Atomgewichte Die kleinste Menge eines Elements, die sich in 1 Molekül einer Verbindung dieses Elements befinden kann, istlAtom. Damit ergibt sich das r e l a t i v e A t o m g e w i c h t experimentell als d i e k l e i n s t e A n z a h l v o n G r a m m e n eines Elements, die in 1 G r a m m m o l e k ü l einer Verbindung dieses Elements aufgefunden werden. Zur Bestimmung des Atomgewichtes eines Elements ist es demnach erforderlich, nach einer der vorstehend erörterten oder später noch zu besprechenden (S. 57f.) Bestimmungsmethoden das M o l e k u l a r g e w i c h t zahlreicher Verbindungen des betreffenden Elements zu ermitteln und anschließend durch Analyse jeweils die in 1 Mol Verbindung enthaltene G r a m m - m e n g e des Elements zu bestimmen. Nachfolgende Tabelle enthält einige bei Verbindungen der Elemente Wasserstoff, Chlor, Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff auf solche Weise erhaltene Ergebnisse:
1 Wasserstoff Chlorwasserstoff Wasser Wasserstoffperoxid Ammoniak Hydrazin Methan Äthan Äthylen Acetylen Benzol Chlor Dichloroxid Chlordioxid Chlorstickstoff Tetrachlorkohlenstoff Sauerstoff Distickstoffoxid Stickoxid Stickstoffdioxid Kohlenoxid Kohlendioxid Stickstoff
In 1 Mol Verbindung enthaltene Gramm-menge MoleFormel SauerStick- Kohlen- der Verkular- Wasser- Chlor stoff (0) stoff (N) stoff (C) bindung gewicht stoff (H) (Cl) 2 3 4 5 6 7 8 2 367, 18 34 17 32 16 30 28 26 78 71 87
67 V.
120V, 154 32 44 30 46 28 44 28
2 1 2 2 3 4 4 6 4 2 6 — —
— — —
SB1/. —
h2 —
16 32
—
—
—
—
—
—
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—
—
—
14 28
—
—
—
—
—
—
—
—
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—
—
—
—
—
—
12 24 24 24 72
—
—
—
—
—
—
—
71 71 367, 106V2 142
16 32 —
14
—
—
— —
—
12
HCl
h2o h2o2
NH, N2H4
ch4 c2h. c2h4 c2h2 c6h, Cl, C120 C102 NC1, CC14
02 n2o — — — NO — — — NO, — — — 12 CO — — — 12 CO, 28 — — — — N, Wir ersehen aus der Tabelle folgendes: Die k l e i n s t e M e n g e W a s s e r s t o f f , die in 1 Mol der in der Tabelle aufgeführten Wasserstoffverbindungen enthalten ist (vgl. Spalte 3), beträgt 1 g. Da auch in keiner s o n s t i g e n WasserstoffVerbindung w e n i g e r als 1 g Wasserstoff je Gramm-molekül Verbindung aufgefunden wird, muß man annehmen, daß diese Menge von l g ein G r a m m - a t o m Wasserstoff darstellt. Dem W a s s e r s t o f f kommt also mit anderen Worten das A t o m g e w i c h t 1 zu. I n gleicher Weise läßt sich aus der Tabelle entnehmen — und dieser Schluß wird durch die Unter—
—
—
—
32 16 16 32 16 32
—
28 14 14
—
—
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Relative Atom- and Molekulargewichte
suchung anderer Verbindungen bestätigt —, daß die Elemente Chlor, Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff die Atomgewiohte 3572. 1®> und 12 besitzen. Denn dies sind, wie man sieht, die kleinsten Gramm-mengen dieser Elemente, die in 1 Mol ihrer Verbindungen analytisch gefunden werden.
Atomgewichte der Elemente Element
Actinium Aluminium.... Americium.... Antimon Argon Arsen Astat Barium Berkelium Beryllium Blei Bor Brom Cadmium Caesium Calcium Californium Cer Chlor Chrom Curium Dysprosium... Einsteinium . . . Eisen Erbium Europium Fermium Fluor Francium Gadolinium . . . Gallium Germanium . . . Gold Hafnium Helium Holmium Indium Iridium Jod Kalium Kobalt Kohlenstoff . . . Krypton Kupfer Lanthan Lithium Lutetium Magnesium.... Mangan Mendelevium . . Molybdän
Symbol Ac Al Am Sb Ar As At Ba Bk Be Pb B Br Cd Cs Ca Cf Ce Cl Cr Cm Dy Es Fe Er Eu Fm F Fr Gd Ga Ge Au Hf He Ho In Ir J K Co C Kr Cu La Li Lu Mg Mn Md Mo
Atomnummer 89 13 95 51 18 33 85 56 97 4 82 5 35 48 55 20 98 58 17 24 96 66 99 26 68 63 100 9 87 64 31 32 79 72 2 67 49 77 53 19 27 6 36 29 57 3 71 12 25 101 42
Atomgewicht 227 26.98 243 121.76 39.944 74.92 210 137.36 247 9.013 207.21 10.82 79.916 112.41 132.91 40.08 251 140.13 35.457 52.01 248 162.51 252 55.85 167.27 152.0 253 19.00 223 157.26 69.72 72.60 197.0 178.50 4.003 164.94 114.82 192.2 126.91 39.100 58.94 12.011 83.80 63.54 138.92 6.940 174.99 24.32 54.94 256 95.95
Element Natrium Neodym Neptunium . . . Nickel Niob Nobelium Osmium Palladium Phosphor Platin Plutonium . . . . Polonium Praseodym.... Promethium . . Protactinium.. Quecksilber . . . Radium Radon Rhenium Rhodium Rubidium Ruthenium . . . Samarium . . . . Sauerstoff . . . . Scandium Schwefel Selen Silber Silicium Stickstoff Strontium . . . . Tantal Technetium . . . Tellur Terbium Thallium Thorium Thulium Titan Uran Vanadin Wasserstoff . . . Wismut Wolfram Xenon Ytterbium . . . . Yttrium Zink Zinn Zirkonium . . . .
Symbol
Atomnummer
Na Nd Ne Np Ni Nb No Os Pd P Pt Pu Po Pr Pm Pa Hg Ra Rn Re Rh Rb Ru Sm O So S Se Ag Si N Sr Ta To Te Tb T1 Th Tm Ti U V H Bi W Xe Yb Y Zn Sn Zr
11 60 10 93 28 41 102 76 46 15 78 94 84 59 61 91 80 88 86 75 45 37 44 62 8 21 16 34 47 14 7 38 73 43 52 65 81 90 69 22 92 23 1 83 74 54 70 39 30 50 40
28
Atom- und Molekulargewichtsbestimmung
Diejenigen Verbindungen der Tabelle, die ein g a n z e s V i e l f a c h e s der als Atomgewicht erkannten Gramm-menge eines Elements je Mol Substanz aufweisen, enthalten das entsprechende A t o m v i e l f a c h e dieses Elements je Molekül. Äthan, das z. B. 6 g Wasserstoff (H) und 24 g Kohlenstoff (C) je Gramm-molekül aufweist, hat also die Formel C 2 H 6 . In analoger Weise kommen wir zu den in Spalte 8 der Tabelle (S. 26) angegebenen chemischen Formeln für die übrigen Substanzen. Diese Formeln — von denen wir diejenigen für Wasserstoff, Chlor, Sauerstoff, Stickstoff, Chlorwasserstoff, Wasser und Ammoniak schon früher (S. 16ff.) durch einen im Prinzip analogen, wegen des Fehlens einer Bezugseinheit (S. 20) damals aber notgedrungen noch etwas umständlicheren Gedankengang abgeleitet hatten — ermöglichen dann, wie S. 20f. schon auseinandergesetzt, bei Kenntnis der g e w i c h t s m ä ß i g e n Z u s a m m e n s e t z u n g der Verbindungen eine genaue Festlegung der r e l a t i v e n A t o m g e w i c h t e der enthaltenen Elemente. Prinzipiell ergeben sich die Atomgewichte der Elemente auch schon als die kleinste, in 1 Mol einer Verbindung dieser Elemente enthaltene Gramm-menge (vgl. oben). Da aber die beschriebene Molekulargewichtsbestimmung — falls man nicht alle bei der Messung der vier Größen p, v, g und T möglichen Fehlerquellen und die Abweichungen vom idealen Gasgesetz peinlichst durch Korrekturglieder kompensiert — im allgemeinen keine Präzisionswerte des Molekulargewichts liefert 1 , stellen auch die direkt aus den Molekulargewichten entnommenen Atomgewichte im allgemeinen 8 keine Präzisionswerte des Atomgewichts dar. Es ist daher zur Erzielung genauester Werte zweckmäßiger, die Atomgewichte durch Kombination der aus der geschilderten Molekulargewichtsbestimmung hervorgehenden e i n d e u t i g e n Molekülformeln mit dem analytisch g e n a u e s t e n s bestimmbaren Gewichtsverhältnis der Elemente in den einzelnen Verbindungen zu ermitteln.
Vorstehende, alphabetisch nach den Elementnamen geordnete Tabelle (S.27) enthält die in solcher Weise durch genaueste Analyse chemischer Verbindungen gegebener Formel oder nach sonstigen Methoden 3 bestimmten Atomgewichte aller bis jetzt bekannten Elemente samt ihren Symbolen und „Atomnummern" {„Ordnungszahlen"). Unter letzteren wollen wir dabei zunächst einfach die laufende Nummer verstehen, die einem Element zukommt, wenn man die Grundstoffe nach steigendem Atomgewicht anordnet (vgl. S. 66f.). Die Tabelle wird jährlich von einer internationalen Atomgewichtskommission kritisch geprüft und — falls zuverlässigere und genauere Atomgewichtsbestimmungen vorliegen — berichtigt. Die Zahl der Dezimalen (von denen die letzte als noch unsicher angenommen wird) gibt den Grad der Genauigkeit an, bis zu dem das betreffende Atomgewicht bis jetzt bestimmt worden ist. Sehr genaue chemische Atomgewichtsbestimmungen verdanken wir dem deutschen Chemiker O T T O H Ö N I G S C H M I D ( 1 8 7 8 — 1 9 4 5 ) . Die Elementsymbole wurden von dem schwedischen Chemiker JONS JAKOB BERZELIUS (1779—1848) in den Jahren 1813—1814 eingeführt und sind häufig den lateinischen Namen der Elemente entlehnt; z. B.: Antimon (Stibium Sb), Wismut (Bismuthum Bi), Gold (Aurum Au), Kobalt (Cobaltum Co), Kohlenstoff (Carbonium C), Kupfer (Cuprum Cu), Quecksilber (Hydrargyrum Hg), Blei (Plumbum Pb), Zinn (Stannum Sn), Eisen (Ferrum Fe), Silber (Argentum Ag), Schwefel (Sulphur S).
d) Stöchiometrische Berechnungen Die auf Grund der Kenntnis der Atom- und Molekulargewichte aufstellbaren „chemischen Gleichungen" (S. 19) bringen in kürzester Form sowohl qualitativ wie 1 Um dies anzudeuten, wurden die Molekulargewichte in der Tabelle (S. 26) nur durch abgerundete Zahlen zum Ausdruck gebracht. 2 Bei exakter Berücksichtigung aller Korrekturglieder sind selbstverständlich auch auf dem Wege über die Bestimmung des Molekulargewichts von Gasen genaueste Atomgewichtsbestimmungen möglich. 3 Bei den radioaktiven Elementen (vgl. S. 566 ff.), bei denen man als Atomgewicht das der stabilsten Atomart anzugeben pflegt, ergeben sich z. B. die Atomgewichtswerte indirekt aus den Atomgewichten der Muttersubstanzen.
29
Absolute Atom- und Molekulargewichte
quantitativ alle jene experimentellen Beobachtungen und Grundgesetze zum Ausdruck, die zu ihrer Aufstellung führten. Die Gleichung H 2 + Cl2 = 2 HCl
besagt also z. B. nicht nur q u a l i t a t i v , daß Wasserstoff und Chlor unter Chlorwasserstoffbildung miteinander reagieren und daß die Moleküle des Wasserstoffs und Chlors aus je zwei gleichen Atomen, die des Chlorwasserstoffs aus je einem Wasserstoff- und Chloratom bestehen, sondern auch q u a n t i t a t i v , daß 1 Mol = 2.016 g = 22.415 1 (0°; 1 Atm.) Wasserstoff und 1 Mol = 70.914 g = 22.415 1 (0°; 1 Atm.) Chlor 2 Mole = 72.930 g = 44.830 1 (0°; 1 Atm.) Chlorwasserstoff ergeben. Dementsprechend ermöglichen derartige Reaktionsgleichungen in einfacher Weise die Berechnimg der Gewichtsmengen und Gasvolumina, welche bei chemischen Reaktionen verbraucht oder gebildet werden. Einige Beispiele mögen dies erläutern: 1. Es sei danach gefragt, w i e v i e l g Wasser durch Umsetzung von 3 g Wasserstoff mit Sauerstoff maximal gewonnen werden können. Die Gleichung für die Wasserbildung lautet: 2H 2 + 0 2 = 2H a O. Da das Atomgewicht des Wasserstoffs gleich 1 und das des Sauerstoffs gleich 16 ist, lassen sich entsprechend der 36 x 3
Gleichung aus 4 g Wasserstoff 36 g Wasser, aus 3 g Wasserstoff demnach —~— = 27 g Wasser bilden. 2. W i e v i e l L i t e r S t i c k s t o f f von 0° und 760 mm können sich maximal mit 1.5 g Wasserstoff zu Ammoniak umsetzen ? Nach der Gleichung 3H 2 + N 2 = 2NH S reagieren 6 g Wasserstoff mit 1 Mol = 22.4 1 (0°; 760 mm) Stickstoff. Mit 22 4 x 1 5 1.5 g Wasserstoff können sich demnach — — = 5.61 Stickstoff umsetzen. Bei n i o h t g a s f ö r m i g e n Stoffen verzichtet man bei der Aufstellung chemischer Gleichungen im allgemeinen darauf, die w a h r e M o l e k ü l g r ö ß e dieser Stoffe einzusetzen und begnügt sich damit, die e i n f a c h s t e B r u t t o f o r m e l des betreffenden Stoffs anzugeben. So schreibt man z. B. für die Vereinigung von festem Schwefel mit Sauerstoff zu Schwefeldioxid durchweg die vereinfachte Gleichung S + 0 2 = S0 2 , obwohl man weiß, daß der feste Schwefel die Molekülformel S8 besitzt und die Gleichung daher richtiger S8 + 8 Oa = 8 S0 2 lauten müßte. Bei n i c h t g a s f ö r m i g e n Stoffen ist es eben im allgemeinen nicht erforderlich, die chemische Gleichung durch Einsetzen der richtigen Molekülgrößen zugleich zum S y m b o l der V o l u m e n v e r h ä l t n i s s e zu machen, wie dies bei Reaktionen g a s f ö r m i g e r Stoffe zweckmäßig ist.
2. Absolute Atom- und Molekulargewichte Die r e l a t i v e n , d.h. auf ein Sauerstoff-Atomgewicht 16 bzw. Sauerstoff-Molekulargewicht 32 bezogenen Gewichte der Atome und Moleküle verhalten sich naturgemäß zueinander wie ihre absoluten Gewichte, so daß relative und absolute Atomund Molekulargewichte nur um einen konstanten F a k t o r voneinander unterschieden sind. Jedes Gramm-atom (Gramm-molekül) eines Stoffs enthält also gleich v i e l e Atome (Moleküle) des betreffenden Stoffs, und man kann daher die absoluten Gewichte aus den r e l a t i v e n in einfacher Weise dadurch errechnen, daß man letztere durch die Zahl N der in 1 Gramm-atom (Gramm-molekül) enthaltenen Atome (Moleküle) dividiert. Die Bestimmung der Konstanten N, die nach dem deutschen Physiker J O S E P H L O S C H M I D T (1821—1895) auch „LoscmiiDTSche Zahl" genannt wird, ist in verschiedenster Weise möglich. So kann man sie z. B. ableiten: 1. Aus der kinetischen Gastheorie, 2. aus der BROWNschen Molekularbewegung, 3. aus der Oberflächenspannung verdünnter Lösungen, 4. aus den Gesetzen der schwarzen Strahlung, 5. aus der elektrischen Ladung von Ö l t r ö p f c h e n , 6. aus der Zerstreuung bzw. Schwächung des H i m m e l s l i c h t s in der A t m o s p h ä r e , 7. aus der Größe des E l e m e n t a r w ü r f e l s von K r i s t a l l e n , 8. aus r a d i o a k t i v e n Pro-
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Atom- und Molekulargewichtsbestimmung
z e s s e n (S. 572), 9. aus der F e i n s t r u k t u r v o n S p e k t r a l - l i n i e n u . a . m . So verschiedenartig aber alle diese physikalischen Methoden, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie), auch sein mögen, sie führen doch alle zu dem g l e i c h e n W e r t 6 X 1023 (wahrscheinlichster Wert: 6.022 XlO23) für die Zahl der Atome (Moleküle) je Gramm-atom (Gramm-molekül). Eine d e r a r t i g e Ü b e r e i n s t i m m u n g der U n t e r s u c h u n g s e r g e b n i s s e wäre u n d e n k b a r , wenn nicht den durch diese Methoden e r f a ß t e n Molekülen und A t o m e n eine o b j e k t i v e R e a l i t ä t zukäme. Der aus den G e w i c h t s u n d V o l u m e n v e r h ä l t n i s s e n bei c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n i n d i r e k t erschlossene Begriff des Atoms u n d Moleküls stellt d a h e r h e u t e keine unsichere H y p o t h e s e mehr dar, sondern ist als f e s t b e g r ü n d e t e E r f a h rungstatsache anzusehen. Wie aus dem Wert der LosCHMiDTSchen Zahl hervorgeht, sind die Atome und Moleküle u n v o r s t e l l b a r w i n z i g e T e i l c h e n . Denn 602200000000000000000000 Wasserstoffatome wiegen danach zusammen erst 1.008 g, so daß ein einzelnes Wasserstoffatom ein Gewicht von nur 1.008/(6.022 X 1023) = 1.674 X 10- 2 4 g besitzt; in gleicher Weise errechnet sich, daß 1 Sauerstoffatom 16.000/(6.022 X 1023) = 26.569 X 10"24 g, 1 Wassermolekül also (2 X 1.674 + 26.569) X 10" 24 = 29.917 X 10" 24 g wiegt. Der Durchmesser der Atome und Moleküle liegt in der Größenordnung von 10" 8 cm = 1 „Ängström" (Ä). Von der Kleinheit derartiger Masseteilchen kann man sich an Hand folgender Zahlenbeispiele einen anschaulichen Begriff machen: Würde man 1 ccm = 0.8 g Alkohol (Molekulargewicht 46) ins Meer gießen und sich über sämtliche Weltmeere (1370 Millionen Kubikkilometer) verteilen lassen, so enthielte j e d e r L i t e r Meerwasser — gleichgültig ob er im Atlantischen oder Indischen oder Stillen Ozean, im Nördlichen oder Südlichen Eismeer, an der Oberfläche oder in 1000 m Tiefe entnommen würde — noch 8 M o l e k ü l e Alkohol. Die in einem S t e c k n a d e l k o p f (1 mm 3 ) enthaltene ungeheure Zahl von rund 1020 (100 Trillionen) Eisenatomen 1 ergäbe, zu einer Perlenkette aneinandergereiht, eine Strecke von 2 X 107 km, entsprechend der m e h r a l s 5 0 f a c h e n E n t f e r n u n g z w i s c h e n E r d e u n d M o n d 2 , wobei auf jedes einzelne M i l l i m e t e r dieser riesigen Strecke allein schon 5 M i l l i o n e n A t o m e entfielen. Es ist eine erstaunliche Leistung der Naturforscher, daß sie die Gewichte und Durchmesser solch winziger Teilchen mit so großer Genauigkeit anzugeben in der Lage sind, ja, daß es ihnen — wie wir später sehen werden — darüber hinaus gelungen ist, festzustellen, daß die Atome ihrerseits aus einem Atomkern und einer Atomhülle bestehen (S. 135ff.), die beide immer noch nicht die kleinsten Bestandteile der Materie darstellen, sondern in noch winzigere Urteilchen („Elektronen", „Protonen" und „Neutronen") zerlegt werden können (S. 555ff.). Nunmehr wenden wir uns der speziellen Betrachtung einiger wichtiger Elemente, des W a s s e r s t o f f s , des S a u e r s t o f f s und des S t i c k s t o f f s zu, die uns in Form des W a s s e r s und der L u f t in großen Mengen zur Verfügung stehen. 1 2
Der Durchmesser des Eisenatoms beträgt etwa 2 Ä. Der mittlere Abstand des Mondes von der Erde beträgt 3.844 x 105 km.
Kapitel IV
Das Wasser und seine Bestandteile 1. D e r Sauerstoff a) Vorkommen I n freiem Zustande kommt der Sauerstoff in der Natur als Bestandteil der L u f t vor, welche getrocknet 20.9 Volumenprozente oder 23.2 Gewichtsprozente Sauerstoff enthält (S.63). In gebundenem Zustande finden wir ihn im W a s s e r , welches gereinigt zu 88.8 Gewichtsprozenten aus Sauerstoff besteht. Weiter ist er zu 47.3°/0 am Aufbau der äußersten — bis zu 16km Tiefe untersuchten (S.69) — Schale der festen Erdrinde beteiligt. Der Gesamtgehalt von Erdrinde, Meer und Luft an Sauerstoff beträgt 49.4 Gewichtsprozente (vgl. S. 69). Der Sauerstoff ist somit das w e i t e s t v e r b r e i t e t e E l e m e n t und kommt in seiner Gewichtsmenge der Gewichtsmenge s ä m t l i c h e r übrigen E l e m e n t e — zusammengenommen — gleich.
b) Darstellung Als Ausgangsmaterial zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Sauerstoff dienen zweckmäßig die L u f t oder das Wasser. Im L a b o r a t o r i u m werden zur Sauerstoffgewinnung auch feste Sauerstoffverbindungen herangezogen. o) Aus Luft Die L u f t enthält außer S a u e r s t o f f in der Hauptsache noch S t i c k s t o f f (S. 60). Will man daher aus der Luft Sauerstoff gewinnen, so muß man das homogene Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch zerlegen. Dies kann auf chemischem oder auf physikalischem Wege erfolgen. Die Zerlegung auf chemischem Wege läßt sich nicht so durchführen, daß man die Luft mit einem Stoff zur Umsetzung bringt, der nur den Stickstoff, nicht aber den Sauerstoff bindet. Denn der S a u e r s t o f f ist chemisch viel r e a k t i o n s f ä h i g e r als der S t i c k s t o f f , so daß er stets leichter als dieser reagiert. Daher muß man so verfahren, daß man den Sauerstoff durch einen Stoff bindet, welcher den gebundenen Sauerstoff leicht wieder abzugeben imstande ist. Ein solcher Stoff ist z. B. das B a r i u m o x i d (BaO). Erhitzt man Bariumoxid an der Luft auf etwa 500°, so nimmt es unter Bildung von B a r i u m p e r o x i d (Ba0 2 ) Sauerstoff auf (vgl. S. 181): 2 BaO + 0 ,
Anfamg — />Ende = 1) ab. Auch bei sehr hohen Druckdifferenzen ist also die Verflüssigung der Luft durch einmaliges Expandieren nicht zu erreichen. Man vereinigt daher nach C A R L VON L I N D E (1842—1934) durch Anwendung des sogenannten ,,Gegenstromprinzips" die Wirkung beliebig vieler Expansionen in der Weise, daß man j e d e v o r a n g e h e n d e A b k ü h l u n g zur V o r k ü h l u n g der n a c h f o l g e n d e n L u f t vor der nächsten Entspannung benutzt („LINDE-Verfahren"). Hierdurch sinken die TemAomprim/erfe Luft peraturen schrittweise, bis die Verflüssigungstemperaexpandierte Luft ^pfgensfrömer r tur erreicht ist.
Die Arbeitsweise einer derartigen „LINDE-Maschine" sei an Hand nebenstehender schematischer Zeichnung (Fig. 16) kurz erläutert: Die aus der —Loft Umgebung angesaugte L u f t ^Anfang. fynfam? wird durch einen V e r d i c h t e r („Kompressor") von Atmo- - -Brosse/vent// sphärendruck auf etwa 200 Attärd/cbfer -tXLmosphären komprimiert |\f£n- Pt + 0 2 . Ein Beispiel für diese Art der Sauerstoffbildung aus Metalloxiden hatten wir schon auf S. 9 bei der Besprechung der Zusammensetzung von Q u e c k s i l b e r o x i d (2 HgO — 2 Hg + 0 2 ) kennengelernt. Im Laboratorium verwendet man zur Sauerstoffherstellung allerdings nicht solche E d e l m e t a l l - O x i d e , sondern w o h l f e i l e r e , etwas komplizierter zusammengesetzte SauerstoffVerbindungen, z. B. K a l i u m c h l o r a t (KC103), K a l i u m n i t r a t (KN0 3 ), K a l i u m p e r m a n g a n a t (KMn0 4 ). Insbesondere das Erhitzen von K a l i u m c h l o r a t stellt eine gebräuchliche L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Gewinnung von Sauerstoff dar. Die Reaktion verläuft so, daß zunächst ein Austausch des Sauerstoffs unter Bildung einer sauerstoff-reicheren und einer sauerstoff-ärmeren (bzw. sauerstoff-freien) Verbindung erfolgt („Disproportionierung"): 4KC103 —V 3KC104 + KCl, Kaliumichlorat'
KaliumPerchlorat
KaliumChlorid
worauf die sauerstoffreiche Verbindung (Kaliumperchlorat) bei stärkerem Erhitzen unter Sauerstoffabgabe zerfällt: KC104 —V KCl + 20 2 . Wichtig für die Laboratoriumspraxis ist, daß diese Sauerstoffgewinnung aus Kaliumchlorat durch sogenannte „Katalysatoren" 1 beschleunigt werden kann. Unter Katalysatoren (S. U l f . ) versteht man dabei ganz allgemein Stoffe, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion e r h ö h e n {„positive Katalysatoren") oder e r n i e d r i g e n („negative Katalysatoren1'), o h n e d a b e i s e l b s t v e r b r a u c h t zu w e r d e n , so daß sie nach der Reaktion u n v e r ä n d e r t wieder vorliegen und in der R e a k t i o n s g l e i c h u n g daher n i c h t a u f t r e t e n . So wird z. B. die Sauerstoffabgabe aus Kaliumchlorat durch die Zugabe von M a n g a n d i o x i d (Braunstein),Mn0 2 , wesentlich erleichtert.Erhitzt man eine Mischung von Kaliumchlorat (Sauerstoffentwicklung bei500°) und Braunstein (Sauerstoffentwicklung bei 600°) im Gewichtsverhältnis 10:1, so tritt die Sauerstoffentwicklung schon bei 150° ein, ohne daß es zu der oben erwähnten Disproportionierung kommt: 2 K C 14 M0n,O2 K C l +' 30 2z . s
Die Gegenwart des Katalysators bewirkt also eine Erniedrigung der Zerfallstemperatur des Kaliumchlorats um 350°.
c) Physikalische Eigenschaften Sauerstoff ist bei gewöhnlicher Temperatur und unter normalem Luftdruck ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch starke Abkühlung läßt er sich zu einer bläulich gefärbten Flüssigkeit verdichten, welche bei —182.96° siedet und bei—218.9° zu hellblauen Kristallen erstarrt. Die Dichte des flüssigen Sauerstoffs beträgt beim Siedepunkt 1.118. In 100 Volumina Wasser lösen sich bei 0° 4.9, bei 20° 3.1 Raumteile Sauerstoffgas (vgl. S. 61).
d) Chemische Eigenschaften Die charakteristischste chemische Eigenschaft des S a u e r s t o f f s ist seine Fähigkeit, sich bei erhöhter Temperatur mit zahlreichen Stoffen unter L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g zu verbinden. Auf dieser Umsetzung mit Sauerstoff — „Oxydation" — 1
katalyein
(KaTocAüsiv)
— auslösen. 3*
36
Das Wasser und seine Bestandteile
beruht j a der Vorgang der V e r b r e n n u n g von Stoffen an der L u f t . Allerdings sind die Verbrennungserscheinungen hier n i c h t so l e b h a f t wie in r e i n e m S a u e r s t o f f , da der in der Luft neben Sauerstoff noch vorhandene, die Verbrennung nicht unterhaltende S t i c k s t o f f einen Teil der Verbrennungswärme zu seiner Erwärmung verbraucht. Infolgedessen kann die Temperatur und damit die Lichtentwicklung — die ja in hohem Maße von der Temperatur abhängt — trotz Entwicklung der gleichen Wärmemenge nicht den gleichen Grad wie bei der Verbrennung in reinem Sauerstoff erreichen, bei dem der Stickstoffballast wegfällt. So verbrennt z. B. H o l z k o h l e , die an der Luft nur mäßig und ohne große Lichtentwicklung glüht, in reinem Sauerstoff mit großem Glänze. Es wird dabei der Kohlenstoff (C) der Holzkohle zu gasförmigem, farblosem K o h l e n d i o x i d (C0 2 ) „oxydiert": C + 0 2 — C 0 2 + Energie. In gleicher Weise beginnt ein glimmender H o l z s p a n in einem mit Sauerstoffgas gefüllten Gefäß sogleich mit heller Flamme und ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zu brennen, was man zur E r k e n n u n g des S a u e r s t o f f s („Reaktion auf Sauerstoff") benutzt. Der an der Luft mit schwacher blauer Flamme brennende S c h w e f e l (S) verbrennt in Sauerstoff mit intensiv blauem Licht zu gasförmigem, farblosem, stechend riechendem S c h w e f e l d i o x i d (S0 2 ): S + 02 S0 2 + Energie. Entzündeter P h o s p h o r (P) ergibt unter blendend weißer Lichtentwicklung festes, weißes P h o s p h o r p e n t o x i d (P 2 0 6 ): 4P + 5 0 j 2P a 0 6 + Energie. Eine an einem Ende glühend gemachte stählerne U h r f e d e r (Eisen Fe) verbrennt im Sauerstoff unter lebhaftem Funkensprühen zu E i s e n o x i d (Fe 2 0 3 ): 4 Fe + 3 0 2 S>- 2 Fe 2 0 3 + Energie. M a g n e s i u m d r a h t (Mg) oder Calciumspäne (Ca) verbrennen unter blendender Lichterscheinung und Bildung weißer M a g n e s i u m o x i d - bzw. Calciumoxid-Nebel: 2 Mg + 0 2 2MgO + Energie 2 Ca + 0 2 —>- 2CaO + Energie. N i c h t a l l e O x y d a t i o n s v o r g ä n g e verlaufen wie die vorstehend beschriebenen Verbrennungsvorgänge unter ausgesprochener L i c h t - und W ä r m e e n t w i c k l u n g . Es gibt vielmehr auch l a n g s a m bei U m g e b u n g s t e m p e r a t u r v e r l a u f e n d e O x y d a t i o n e n , die ohne diese sinnfälligen Begleiterscheinungen vor sich gehen. Man nennt sie „stille Verbrennungen" („Autoxydationen"). Hierzu gehören z. B. das R o s t e n und A n l a u f e n von Metallen, das V e r m o d e r n von Holz und sonstige V e r w e s u n g s e r s c h e i n u n g e n (zum Ablauf dieser e n z y m a t i s c h k a t a l y s i e r t e n Vorgänge vgl. Lehrbücher der Biochemie), sowie vor allem die A t m u n g der O r g a n i s m e n . Bei diesem Atmungsvorgang spielen sich im Organismus der T i e r e und M e n s c h e n (bezüglich der Tages- und Nachtatmung von P f l a n z e n vgl. Lehrbücher der Biochemie) stille Verbrennungen ab, durch welche die Nahrungsmittel — z.B. „Kohlenhydrate", C m ( H 2 0 ) n — mittels des eingeatmeten Sauerstoffs der Luft in Kohlendioxid (ausgeatmet) und Wasser (ausgeschieden) übergeführt werden (über den komplizierten M e c h a n i s m u s dieses Verbrennungsvorgangs vgl. Lehrbücher der Biochemie): Cm(H20)n + m0 2 ^
Tier
> m C02 + n H 2 0 + Energie .
Pflanze
Die bei dieser Oxydation langsam f r e i w e r d e n d e E n e r g i e dient zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und L e b e n s v o r g ä n g e . Der umgekehrte Vorgang, der Aufbau von Kohlenhydraten aus Kohlendioxid, Wasser und Energie (Sonnenlicht) spielt sich bei der Assimilation" (vgl. II, S. 473) der P f l a n z e n ab. Auf diese Weise wird der von Mensch und Tier verbrauchte Sauerstoff wieder r ü c k g e b i l d e t . Pflanzliche Assi-
Der Wasserstoff
37
milation und tierische Atmung sind dabei so a u f e i n a n d e r a b g e s t i m m t , daß sich — zumal wenn man die ungeheure Sauerstoffmenge der Atmosphäre (S. 64) in Rechnung stellt — der Sauerstoffgehalt der Luft p r a k t i s c h n i c h t ä n d e r t (S. 63f.). Nicht immer wurde die Verbrennungserscheinung richtig als die Vereinigung von Stoffen
m i t S a u e r s t o f f g e d e u t e t . S o s t e l l t e z. B. der d e u t s c h e A r z t u n d C h e m i k e r GEORG ERNST STAHL
(1660—1734) im Jahre 1710 die Theorie auf, daß beim Verbrennen eines Stoffs ein g a s f ö r m i g e s E t w a s entweiche, das er „Phlogiston"1 nannte. Nach dieser Theorie („Phlogistontheorie") nahm man an, daß ein Stoff um so leichter und heftiger verbrenne, je mehr Phlogiston er enthalte. S c h w e f e l , P h o s p h o r , K o h l e n s t o f f , Wasserstoff galten danach als sehr p h l o g i s t o n r e i c h e S t o f f e . A u c h als LAVOISIER ( S . 11) im J a h r e 1777 z e i g t e , d a ß der v o n CARL WILHELM SCHEELE ( 1 7 4 2 — 1786) u n d JOSEPH PRIESTLEY ( 1 7 3 3 — 1 8 0 4 ) , u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r , i m J a h r e 1 7 7 4
als Luftbestandteil erkannte Sauerstoff für die Verbrennung notwendig ist und daß bei der Verbrennung eine Gewichtszunahme und nicht eine Gewichtsabnahme zu beobachten ist, gab man die Phlogistontheorie noch nicht auf, sondern suchte sie durch Zusatzhypothesen zu retten. So betrachtete man den Sauerstoff als „dephlogistierte", d. h. von Phlogiston befreite Luft, welche ein großes Bestreben habe, anderen Stoffen ihr Phlogiston zu entziehen, und schrieb dem Phlogiston ein „negatives Gewicht" zu. Heutzutage mag man vielleicht die Hartnäckigkeit nicht ganz begreifen, mit der man lange Zeit die Phlogistonhypothese aufrechtzuerhalten suchte. Man muß aber bedenken, daß diese Hypothese einen wahren Kern enthielt. Das, was die Phlogistiker als e n t w e i c h e n d e s Phlog i s t o n ansahen, ist in der heutigen Ausdrucksweise die frei werdende Energie. Dadurch, daß die Phlogistontheorie bei den Verbrennungserscheinungen nicht klar zwischen den energetischen und den stofflichenUmsetzungen unterschied und auch dasPhlogiston als einenStoff betrachtete, verstrickte sie sich bald in unlösbare Widersprüche.
2. D e r Wasserstoff a) Vorkommen Der Wasserstoff, der im Jahre 1 7 6 6 von dem englischen Privatgelehrten H E N B Y entdeckt wurde, kommt in f r e i e m Z u s t a n d e nur spurenweise in der A t m o s p h ä r e vor. I n g e b u n d e n e m Z u s t a n d e ist er als Bestandteil des W a s s e r s (11.2 Gewichtsprozente Wasserstoff) und anderer Verbindungen weit verbreitet; und zwar ist im Durchschnitt jedes sechste bis siebente Atom aller am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Wasser- und Lufthülle) beteiligten Atome ein Wasserstoffatom (vgl. S. 69). CAVENDISH ( 1 7 3 1 — 1 8 1 0 )
b) Darstellung a) Aus Wasser Die Darstellung von W a s s e r s t o f f erfolgt zweckmäßig aus W a s s e r (H 2 0), das in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht. Wie bei der Sauerstoffdarstellung kann die Zerlegung des Wassers auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. Die Zersetzung auf physikalischem Wege durch Elektrolyse haben wir beim Sauerstoff schon geschildert (S. 34). Wie dort wird das Wasser auch hier zwecks Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit mit N a t r o n l a u g e versetzt. Auch wässerige K o c h s a l z l ö s u n g e n werden zur Elektrolyse verwandt („Chloralkali-elektrolyse"; vgl. S. 424ff.). Zur Zersetzung des Wassers auf chemischem Wege können alle Metalle und Nichtmetalle dienen, welche ein großes Bestreben haben, sich mit dem Sauerstoff des Wassers zu verbinden. Unter den Metallen sind die sogenannten A l k a l i m e t a l l e (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium, Francium) besonders reaktionsfähig. Bringt man beispielsweise ein Stückchen N a t r i u m m e t a l l (Na) auf Wasser, so bewegt es sich unter lebhafter Wasserstoffentwicklung und unter Schmelzen auf der Wasseroberfläche umher und geht als N a t r i u m h y d r o x i d (NaOH) in Lösung: 2 HÖH + 2 Na 1
phlogistos ((pAoyioros) = verbrannt.
2 NaOH + H2 + Energie.
38
Das Wasser und seine Bestandteile
In ganz analoger Weise reagieren die übrigen Alkalimetalle unter Bildung entsprechender Metallhydroxide MeOH (Me = Alkalimetall;. Die Heftigkeit der Reaktion nimmt dabei mit steigendem Atomgewicht des Alkalimetalls zu. Die gleiche Beobachtung macht man bei den sogenannten E r d a l k a l i m e t a l l e n (Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium, Barium, Radium). Während Calcium, Strontium und Barium sich mit dem Wasser verhältnismäßig lebhaft — wenn auch weniger heftig als die Alkalimetalle — gemäß der Gleichung 2 HÖH + Me
> Me(OH) 2 + H 2 + Energie
(Me = Erdalkalimetall) umsetzen, reagiert das Magnesium erst bei erhöhter Temperatur (Überleiten von Wasserdampf über erhitztes Magnesiumpulver), dann allerdings unter starker Licht- und Wärmeentwicklung: H 2 0 + Mg
>- MgO + H 2 + Energie.
Für die t e c h n i s c h e Wasserstoffherstellung kommen die vorstehend genannten Metalle wegen ihres hohen Preises nicht in Frage. Dagegen dient die Zerlegung von Wasser durch E i s e n bei Rotglut 1 in begrenztem Umfange zur technischen Wasserstofferzeugung 2 : Energie + H 2 0 + Fe - — F e O + H 2 .
(1)
Das gebildete Eisenoxid wird in der Technik durch Kohlenoxid CO (z. B. in Form von Wassergas; s. unten) immer wieder in Eisen zurückverwandelt: FeO + CO Fe + C 0 2 , (2) !ndem man abwechssind Wasserdampf und Wassergas über das Eisen bzw. Eisenoxid leitet. Auf diese Weise kommt man mit einer endlichen Menge Eisen aus. Addiert man die beiden Gleichungen der Wasserstoffbildung (1) und Eisenregenerierung (2), so heben sich Eisenoxid und Eisen heraus, so daß man die Gesamtgleichung H 2 0 + CO — H 2 + C 0 2 (3) erhält. Das Verfahren beruht also in summa darauf, daß Wasserdampf und Kohlenoxid zu Wasserstoff und Kohlendioxid umgesetzt werden. Da sich diese Reaktion bei Gegenwart eines Katalysators auch d i r e k t — d. h. ohne den Umweg einer vorherigen Bildung von Eisenoxid — durchführen läßt (s. unten), spielt das Verfahren der Wasserstofferzeugung aus Wasserdampf und Eisen gegenüber diesem direkten Verfahren (3) keine große Rolle mehr.
Statt durch M e t a l l e kann das Wasser auch durch N i c h t m e t a l l e zerlegt werden. Ein wichtiges derartiges Nichtmetall ist der K o h l e n s t o f f , der sich bei Gelbglut mit Wasserdampf nach der Gleichung Energie + H a O + C — > CO + H 2
(4)
umsetzt. Wegen der Billigkeit der Kohle ist dieses Verfahren der Wasserstoffdarstellung in Deutschland das technisch gebräuchlichste und wichtigste. Das entstehende Gemisch von Kohlenoxid und Wasserstoff heißt „Wassergas" (S. 306f.). Die Abtrennung des Kohlenoxids aus diesem Gas erfolgt in der Technik in geschickter Weise so, daß man es bei Gegenwart eines Katalysators mit weiterem Wasserdampf nach der oben schon erwähnten Reaktion (3) unter N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu Kohlendioxid „verbrennt": H 2 0 + CO
> H 2 + COa + Energie,
(3)
welches sich unter Druck leicht mit Wasser herauswaschen läßt (S. 226). 1 Zur ungefähren Bezeichnung höherer Temperaturen bedient man sich häufig der Aus. drücke „Rotglut" und „Weißglut", wobei man folgende Unterscheidungen macht: Beginnende Rotglut ~ 500° Gelbglut ~ 1100° Dunkelrotglut ~ 700° Beginnende Weißglut . . . ~ 1300° Hellrotglut ~ 900° Weißglut ~ 1500°. 2 Die Gleichung ist hier mit dem einfachsten Eisenoxid formuliert; in Wirklichkeit sind die Verhältnisse aber etwas komplizierter. So bildet sich beispielsweise unterhalb von etwa 560® überhaupt kein FeO (S. 534) mehr, sondern lediglich ein Mischoxid Fe„0 4 = FeO • Fe.O, (S. 534, 536).
Der Wasserstoff
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Die beiden Gleichungen (3) und (4) ergeben addiert die Gesamtgleichung 2 H 2 0 + C — > - 2 H2 + C 0 2 . (5) In summa reagiert also der Kohlenstoff mit dem Wasserdampf unter Bildung von Wasserstoff und Kohlendioxid. Bei Verwendung von B r a u n k o h l e gelingt es, die Gesamtreaktion (5) technisch auch in e i n e m Arbeitsgang durchzuführen (S. 307).
ß) Aus Säuren Für die Darstellung von Wasserstoff im L a b o r a t o r i u m benutzt man im allgemeinen nicht das W a s s e r H 2 0 als Ausgangsmaterial, sondern andere Wasserstoffverbindungen, sogenannte „Säuren" H„X (S. 92), aus denen der Wasserstoff leichter als beim Wasser durch Metalle in Freiheit gesetzt wird. Eine solche Säure ist z. B. die durch Auflösen des schon oft erwähnten Chlorwasserstoffs (HCl) in Wasser entstehende S a l z s ä u r e . Bringt man z. B. Zink — das mit Wasser erst bei erhöhter Temperatur reagiert — mit Salzsäure zusammen, so erfolgt bereits bei Zimmertemperatur lebhafte Wasserstoffentwicklung : Zn + 2 HCl — > - ZnCl2 + H 2 .
(6)
Die Reaktion wird zweckmäßig in einem „ K I P P . sehen Apparat" durchgeführt, der auch für die Entwicklung vieler anderer Gase im Laboratorium geeignet ist.
E r besteht (Fig. 18) aus einem K u g e l t r i c h t e r und einem aus zwei Kugeln bestehenden E n t w i c k l u n g s g e f ä ß . Trichter und Entwicklungsgefäß sind durch einen Glasschliff derart miteinander verbunden, daß das lange Ansatzrohr des ersteren bis in den unteren Teil des letzteren hineinragt, ohne dabei die Verbindung der beiden Kugeln des Entwicklungsgefäßes zu unterbrechen. In der m i t t l e r e n der drei Kugeln befindet sich das Zink, die o b e r e und u n t e r e Kugel enthalten Salzsäure. Öffnet man den Hahn der mittleren Kugel, so fließt infolge des Überdrucks der Flüssigkeitssäule Säure aus der oberen in die untere Kugel, gelangt so schließlich mit dem Zink der mittleren Kugel in Berührung und setzt sich mit diesem nach der obigen Reaktionsgleichung (6) unter Bildung von Wasserstoff Fig. 18. Wasserstoffgewinnung im und Zinkchlorid (ZnCy um. Schließt man den Hahn, so K I P P sehen Apparat wird durch die zunächst noch fortdauernde Wasserstoffentwicklung die Säure aus der m i t t l e r e n Kugel auf dem Wege über die u n t e r e Kugel und das Ansatzrohr des K u g e l t r i c h t e r s in diesen zurückgedrängt, so daß die Berührung zwischen Säure und Metall unterbrochen wird und die Gasentwicklung zum S t i l l s t a n d kommt. Auf diese Weise ist man in der Lage, durch einfaches öffnen und Schließen des Hahns die Wasserstoffentwicklung in Gang zu bringen oder zu unterbrechen.
In den H a n d e l kommt der Wasserstoff in (rot gestrichenen) S t a h l b o m b e n , in denen er unter einem Druck von 150 Atmosphären zusammengepreßt ist.
c) Physikalische Eigenschaften Wasserstoff ist ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch sehr starke Abkühlung läßt er sich zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, welche bei —252.8° C (20.4° abs.) siedet und bei —259.2° C (14.0° abs.) zu einer festen Masse erstarrt. Spezifisches Gewicht. Da der Wasserstoff unter allen Stoffen das k l e i n s t e Molek u l a r g e w i c h t (2.0160) besitzt, ist er das l e i c h t e s t e aller Gase. 1 Liter Wasserstoff wiegt bei 0° und 760 mm 2.0160:22.415 = 0.0899 g; die Luft besitzt demgegenüber unter gleichen Bedingungen ein 14.38mal größeres Litergewicht von 1.2928 g. Dementsprechend zeigt der Wasserstoff in Luft einen A u f t r i e b von rund 1.3—0.1 = 1.2g
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Das Wasser und seine Bestandteile
je Liter oder 1.2 kg je Kubikmeter. Er eignet sich somit bestens als F ü l l g a s für L u f t ballons und L u f t s c h i f f e . Zum Tragen von zwei Personen samt Ballon, Gondel und Ausrüstung sind etwa 600 m3 Wasserstoff (Ballondurchmesser von 10—11 m) erforderlich; ein modernes Zeppelinluftschiff benötigt etwa 250000 m3. Nachteilig für die Verwendung des Wasserstoffs als Füllgas ist seine B r e n n b a r k e i t (S. 42) und sein großes Diffusionsvermögen (S.40f.). Daher bevorzugt man jetzt Helium (S. 76) als Traggas. — Auch im flüssigen und festen Zustande ist der Wasserstoff erheblich leichter als andere Stoffe. So wiegt der flüssige Wasserstoff beim Siedepunkt 0.0700 g/cm3 und der feste Wasserstoff beim Schmelzpunkt 0.0763 g/cm3. Kritische Daten. Lange Zeit hindurch hielt man den Wasserstoff — wie auch verschiedene andere Gase — für ein sogenanntes „permanentes Gas", d. h. ein Gas, das in keinen der beiden anderen Aggregatzus t ä n d e übergeführt werden könnte. Zu dieser A Meinung gelangte man, weil alle Versuche, den I Wasserstoff durchDruck zu verflüssigen, fehlschlugen, obwohl man Drucke bis zu mehreren tausend pr; P/7 k» "i»' Atmosphären anwandte. Heute weiß man, daß es w dd- 2N), das (gasförmige) C h l o r (57.8 kcal + Cl2 —>• 2C1), das (flüssige) B r o m (53.8 kcal + Br 2 — 2 B r ) und das (feste) J o d (51.2 kcal + J 2 — 2 J). Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß sich im gewöhnliehen Wasserstoff verschiedenartige Wasserstoffmoleküle („leichter" und „schwerer" Wasserstoff; „ortho"- und „para"-Wasserstoff) nachweisen lassen. Näheres hierüber S. 562ff. und S. 564f.
3. D a s Wasser a) Vorkommen Das W a s s e r bedeckt in Form der O z e a n e 3 / 4 der Erdoberfläche. Das übrige Viertel ist von W a s s e r l ä u f e n durchzogen und enthält G r u n d w a s s e r . Auch am Aufbau der P f l a n z e n - u n d T i e r w e l t ist das Wasser in bedeutendem Maße beteiligt. So besteht z. B. der menschliche Körper zu 6 0 — 7 0 ° a u s Wasser; manche Gemüse und Früchte, z. B. Blumenkohl, Radieschen, Spargel, Spinat, Kopfsalat, Kürbis, enthalten mehr als 90°/0 Wasser. Die A t m o s p h ä r e kann bis zu 4 Vol.-°/0 Wasser in Dampf-
Das Wasser
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form aufnehmen und gibt es bei Druck- und Temperaturänderungen in flüssiger („Nebel", „Wolken", „Regen") oder fester Form („Reif", „Schnee", „Hagel") wieder ab. Schließlich enthalten auch zahlreiche M i n e r a l i e n chemisch gebundenes Wasser (,,Kristallwasser").
b) Reinigung
Wegen der weiten Verbreitung erübrigt sich eine chemische Darstellung des Wassers. Die Gewinnung reinen Wassers läuft stets auf eine Reinigung natürlich vorkommenden Wassers hinaus. Unter den natürlichen Wässern ist das Regenwasser das relativ r e i n s t e , da es einen natürlichen Destillationsprozeß durchgemacht hat. Es enthält jedoch Staubt e i l c h e n und Gase (Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxid) aus der Luft. — Quell- und Flußwasser enthält 0.01 bis 0.2°/0 f e s t e S t o f f e , die zum größten Teil aus Calciumund Magnesium Verbindungen bestehen. Sind wenig Calcium- und Magnesiumverbindungen vorhanden, so nennt man das Wasser w e i c h , andernfalls h a r t (S. 410). Quellwässer, die g r ö ß e r e Mengen fester oder gasförmiger Stoffe enthalten und bisweilen eine höhere Temperatur als gewöhnliches Wasser besitzen, nennt man Mineralwässer. Ihnen kommt häufig eine besondere Heilwirkung zu. Je nach den gelösten Stoffen unterscheidet man Solwässer (mit Kochsalz), B i t t e r w ä s s e r (mit Magnesiumsalzen), S c h w e f e l w ä s s e r (mit Schwefelwasserstoff), Säuerlinge (mit Kohlensäure), Eisenwässer (mit Eisensalzen) usw. Das Meerwasser enthält durchschnittlich 2.7°/0 Kochsalz und insgesamt ungefähr 3.5°/0 Salze. Darunter finden sich — wenn auch teilweise nur in äußerst geringen Mengen — Verbindungen von etwa 30 verschiedenen Elementen. Als T r i n k w a s s e r ist im allgemeinen Quellwasser am besten geeignet. In Ermangelung dessen nimmt man Grundwasser oder Flußwasser. In letzteren Fällen ist eine mechanische und meist auch chemische R e i n i g u n g (vor allem E n t k e i m u n g ) erforderlich. Diese Reinigung wird aber nicht bis zur völligen Entfernung aller gelösten Stoffe durchgeführt, da völlig reines Wasser fade schmeckt. Der erfrischende Geschmack des Quellwassers rührt von etwas gelöster Kohlensäure und Luft her. I m chemischen L a b o r a t o r i u m wie auch in manchen technischen B e t r i e b e n ist die Verwendung von destilliertem Wasser von Wichtigkeit. Dieses wird erzeugt, indem man n a t ü r l i c h e s Wasser — gegebenenfalls unter Zugabe chemischer Mittel — der D e s t i l l a t i o n (S. 7) unterwirft, wobei die gasförmigen Stoffe entweichen und die festen Stoffe im Destilliergefäß zurückbleiben. Schon bei der ersten Destillation wird recht reines Wasser erhalten, das für die meisten Verwendungen ausreicht. Soll das Wasser v o l l k o m m e n rein gewonnen werden, so ist eine m e h r m a l i g e D e s t i l l a t i o n in Apparaturen aus Quarz oder Edelmetallen erforderlich, wobei die mittlere, reinste Fraktion in einer Edelmetall-Vorlage gesondert aufgefangen wird. Für viele technische Zwecke — etwa zur Gewinnung von Speisewasser für Dampfkessel oder von Gebrauohswasser für Wäschereien — wird das Wasser statt durch Destillation durch chemische Methoden, z. B. durch Ausfällung oder durch chemische Bindung der störenden gelösten Salze „enthärtet". Näheres hierüber s. S. 410.
Ein ausgezeichnetes Merkmal für die Reinheit des Wassers liefert die Messung des e l e k t r i s c h e n L e i t v e r m ö g e n s , das mit zunehmender Reinheit abnimmt. V o l l kommen reines Wasser besitzt bei Zimmertemperatur eine spezifische Leitfähigkeit von nur 4 x 1 0 " 8 reziproken Ohm („Siemens"). Demgegenüber beträgt z. B. das spezifische Leitvermögen des K u p f e r s bei der gleichen Temperatur 6 X106 reziproke Ohm. 1 K u b i k m i l l i m e t e r reinstes Wasser besitzt also bei Raumtemperatur den gleichen elektrischen Widerstand wie ein K u p f e r d r a h t von 1 mm2 Querschnitt und ( 6 x l 0 6 ) : ( 4 x l 0 ~ 8 ) = 1.5xl0 1 3 mm = 15 M i l l i o n e n K i l o m e t e r L ä n g e . Diese Drahtlänge entspricht der 40fachen Entfernung zwischen Erde und Mond! Die geringsten Spuren von Salzen oder die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft steigern das Leitvermögen H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 47.—56. Aufl.
4
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Das Wasser und seine Bestandteile
des Wassers erheblich. So besitzt z. B. das für Leitfähigkeitsmessungen Verwendung findende besonders reine „Leitfähigkeitswasser" schon eine spezifische Leitfähigkeit von 1 XlO - 6 reziproken Ohm, entsprechend dem 25fachen Wert von völlig reinem Wasser.
c) Physikalische Eigenschaften a) Aggregatzustände des Wassers Reines Wasser ist bei gewöhnlicher Temperatur eine geruch- und geschmacklose, durchsichtige, indünnerSchichtfarblose,in dickerSchicht bläulich schimmernde F l ü s s i g k e i t , welchebeiO°zu Eiserstarrt und bei 100°unter Bildung v o n W a s s e r d a m p f siedet. Die verschiedenen A g g r e g a t z u s t ä n d e sind dabei hier wie in allen anderen Fällen molekularkinetisch wie folgt zu charakterisieren: Moleküle üben wegen ihres Aufbaus aus elektrisch geladenen Teilchen — vgl. S. 135ff. — aufeinander A n z i e h u n g s k r ä f t e aus. Im gasförmigen, also stark verdünnten Zustande, in welchem die einzelnen Moleküle eine relativ g r o ß e E n t f e r n u n g voneinander aufweisen und sich in dauernder u n g e o r d n e t e r B e w e g u n g befinden (S. 21), treten diese Anziehungskräfte naturgemäß u m so w e n i g e r in Erscheinung, je g r ö ß e r d i e A b s t ä n d e zwischen den Molekülen und die molekularen G e s c h w i n d i g k e i t e n (vgl. S. 23) sind. Da e r s t e r e mit steigender V e r d ü n n u n g , letztere mit steigender T e m p e r a t u r zunehmen, verhält sich ein gegebener g a s f ö r m i g e r S t o f f um so „idealer" (S.24), j e v e r d ü n n t e r u n d h e i ß e r er ist, und um so „realer" (S.24), je mehr man ihn k o m p r i m i e r t und a b k ü h l t . V e r k l e i n e r t man die E n t f e r n u n g e n zwischen den Molekülen oder die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasteilchen durch K o m p r i m i e r e n oder durch A b k ü h l e n des Gases, so werden die A n z i e h u n g s k r ä f t e immer w i r k s a m e r . Bei einem bestimmten Druck oder bei einer bestimmten Temperatur v e r l i e r e n schließlich die Moleküle, diesen Kräften folgend, sprunghaft e i n e n T e i l ihrer Energie. Auch jetzt schwirren die Teilchen noch ungeordnet umher; sie können sich aber — abgesehen von einer relativ geringen Anzahl besonders energiereicher Teilchen (s. S. 51) — unter dem Einfluß der gegenseitigen Anziehung nicht mehr wie vorher beliebig weit voneinander entfernen. Aus dem Gas ist eine energieärmere Flüssigkeit geworden, der man zwar noch jede beliebige äußere Form geben kann, die aber nicht mehr wie das Gas jedes ihr dargebotene Volumen auszufüllen vermag. Die bei der Änderung des Aggregatzustandes a b g e g e b e n e E n e r g i e wird als „Kondensationswärme" frei. Die gleiche Energiemenge muß als „Verdampfungswärme" zugeführt werden, um umgekehrt die Flüssigkeit wieder in Dampf zu verwandeln. Sie beträgt für Wasser 539.1 cal/g = 9.70 kcal/Mol bei 100°. Verringert man die B e w e g u n g s e n e r g i e der Moleküle durch erneute A b k ü h l u n g noch w e i t e r , so nimmt der Energiegehalt bei einer bestimmten Temperatur unter dem Einfluß weiterer Kohäsionskräfte in derselben Weise nochmals s p r u n g h a f t — um den Betrag der „Erstarrungswärme" — a b . Die Flüssigkeit erstarrt zum energieärmeren festen Stoff. Die Moleküle haben ihre freie Beweglichkeit eingebüßt, ihre W ä r m e b e w e g u n g besteht nur noch in einem p e n d e l a r t i g e n , e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n um bestimmte Ruhelagen. Die Materie besitzt in diesem Aggregatzustand daher eine b e s t i m m t e G e s t a l t . Die Anordnungsgesetze, denen die einzelnen Teilchen dabei unterliegen, finden ihren wissenschaftlichen Ausdruck durch die Angabe des „Kristallgitters" (vgl. S. 146 f., 154 f., 293 ff.). Beim S c h m e l z e n eines festen Stoffs muß die beim Erstarren freigewordene E r s t a r r u n g s w ä r m e als „Schmelzwärme" wieder zugeführt werden. Sie beträgt beim Wasser 79.40 cal/g = 1.43 kcal/Mol bei 0°. Die Abgabe und Aufnahme der Erstarrungs- bzw. Schmelzwärme durch die im Winter unter Wärmeentwicklung gefrierenden und im Frühling unter Wärme verbrauch wieder auftauenden Wassermassen trägt wesentlich zum Temperaturausgleich unserer Erdoberfläche bei.
51
Das Wasser
Beim Ubergang vom f l ü s s i g e n in den f e s t e n Zustand d e h n t sich das Wasser zum Unterschied von den meisten anderen Flüssigkeiten a u s . Und zwar beträgt das spezifische Gewicht des Eises bei 0° C 0.9168, das des flüssigen Wassers bei 0° 0.9999g/cm 3 , so daß 1 Raumteil flüssiges Wasser beim Erstarren 0.9999:0.9168 = 1.0906 Raumteile Eis ergibt. Diese A u s d e h n u n g d e s W a s s e r s um 1 / 11 des Volumens (9%) beim Gefrieren ist g e o l o g i s c h insofern von Bedeutung, als im W i n t e r das in die Risse und Spalten von Gesteinen eingedrungene Wasser beim Erstarren die F e l s m a s s e n s p r e n g t und so durch Schaffen neuer Oberflächen die V e r w i t t e r u n g fördert und eine N e u b i l d u n g des für die Vegetation erforderlichen E r d b o d e n s ermöglicht. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nimmt das spezifische Gewicht des flüssigen Wassers — ebenfalls zum Unterschied von fast allen anderen Flüssigkeiten — zunächst bis 4° zu, um erst dann wie bei den meisten sonstigen Flüssigkeiten abzunehmen (0°: 0.9999, 4°: 1:0000, 10°: 0.9997 g/cm 3 ). Alles Wasser von höherer und tieferer Temperatur als 4° ist somit leichter als Wasser von 4°. Auch diese Tatsache ist in der N a t u r von Bedeutung. So kühlt sich das Wasser von Seen bei Frostperioden zunächst nur bis 4° ab, da das 4° kalte, schwerere Wasser nach unten sinkt und dafür das leichtere wärmere Wasser an die Oberfläche kommt und dort auf 4° abgekühlt wird. Bei Abkühlung unter 4° bleibt das kältere Wasser auf der Oberfläche und erstarrt dort zu spezifisch leichtem und daher ebenfalls an der Oberfläche bleibendem Eis. Dementsprechend kann die Kälte nur langsam in größere Tiefen vordringen, so daß tiefere Gewässer nie bis zum Grunde gefrieren, was für das Fortbestehen der Lebewesen des Wassers von Bedeutung ist. Die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren ist darauf zurückzuführen, daß das Eis ein w e i t m a s c h i g e s , von zahlreichen H o h l r ä u m e n durchsetztes K r i s t a l l g i t t e r (von Si0 2 -Struktur; vgl. S. 328) bildet, während im f l ü s s i g e n Wasser, bei dem diese Kristallstruktur weitgehend zerstört ist, die Moleküle wie bei jeder Flüssigkeit zu einer d i c h t e n K u g e l p a c k u n g zusammengelagert sind. Immerhin kommen auch im flüssigen Wasser bei 0° noch kleinere „kristalline" H 2 0Aggregate vor, deren Zusammenbrechen beim Erwärmen das weitere Anwachsen der Dichte des Wassers bis 4° bedingt. Von hier ab wird die Volumenabnahme infolge „Entkristallisierung" durch die Volumenzunahme infolge Erhöhung der Molekularbewegung ü b e r k o m p e n s i e r t , so daß die Dichte wieder abnimmt.
D i e M a s s e e i n e s K u b i k z e n t i m e t e r s W a s s e r v o n 4° w i r d d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s 1 G r a m m (g) b e z e i c h n e t . Die W ä r m e m e n g e , d i e e r f o r d e r l i c h i s t , u m l g W a s s e r v o n 14.5 auf 15.5° C z u e r w ä r m e n , d i e n t u n t e r d e m N a m e n „ G r a m m k a l o r i e " (cal) — tausendfacher Wert: „Kilogrammkalorie" (kcal) — d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s W ä r m e - e i n h e i t . Auch die Definition der C e l s i u s t e m p e r a t u r (° C) gründet sich auf das Wasser (s. S. 53). ß) Zustandsdiagramm des Wassers Jede F l ü s s i g k e i t und jeder f e s t e S t o f f hat bei gegebener Temperatur einen ganz bestimmten D a m p f d r u c k . Schließt man z. B. irgendeine Flüssigkeit in ein Gefäß von bestimmtem Volumen ein (Fig. 26), so beobachtet man, daß sich der freie Raum über der Flüssigkeit bis zu einer bestimmten Konzentration mit dem Dampf der Flüssigkeit anfüllt. Ein Teil der durch die Anziehungskräfte innerhalb des Flüssigkeitsvolumens festgehaltenen Moleküle vermag also die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Das kommt daher, daß wie beim Gas (S. 23) so Dampf auch bei der Flüssigkeit nicht a l l e Moleküle die g l e i c h e kinetische Energie besitzen, sondern daß letztere um einen bestimmten M i t t e l w e r t schwankt. Nur den „ h e i ß e r e n " , d. h. besonders e n e r g i e r e i c h e n Molekülen ist der Übertritt in die Dampfphase möglich, da Fig. 26. Dampfdruck einer es nur diesen gelingt, die in der Grenzfläche wirksamen, Flüssigkeit 4*
52
Das Wasser und seine Bestandteile
zurücktreibenden Kräfte zu überwinden. Die in den G a s r a u m gelangten Moleküle fliegen nun regellos umher, prallen auf die Grenzflächen des einschließenden Raumes und üben damit auf diese einen D r u c k aus. Sie stoßen dabei natürlich auch auf die F l ü s s i g k e i t s o b e r f l ä c h e zurück und werden von dieser wieder eing e f a n g e n . Solange die Zahl der die Flüssigkeitsoberfläche v e r l a s s e n d e n Teilchen g r ö ß e r als die der z u r ü c k k e h r e n d e n ist, findet in summa noch eine V e r d a m p f u n g statt. Sobald aber infolge dieser weiteren Verdampfung die Konzentration der Gasmoleküle so weit gestiegen ist, daß die Zahl der sich kondensierenden und der wieder verdampfenden Moleküle g l e i c h geworden ist, kommt der Verdampfungsvorgang n a c h a u ß e n hin zum Stillstand. Es herrscht jetzt mit Erreichung des „Sättigungsdampfdrucks" dynamisches Gleichgewicht. Der S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k einer Flüssigkeit oder eines festen Stoffs ist für eine gegebene Temperatur eine K o n s t a n t e und unabhängig von der Größe der Oberfläche. Ist die Oberfläche doppelt so groß, so werden zwar doppelt so viele Moleküle die Grenzfläche verlassen, aber es werden bei gegebenem Dampfdruck auch doppelt so viele Gasmoleküle zurückkehren, da ja der Druck eines Gases defintionsgemäß die Kraft pro F l ä c h e n e i n h e i t ist (S. 21), die Kraft also, die durch die auf die F l ä c h e n e i n h e i t aufprallende Zahl von Gasteilchen ausgeübt wird.
E r h ö h t man die T e m p e r a t u r der Flüssigkeit und damit die mittlere k i n e t i s c h e E n e r g i e der Flüssigkeitsteilchen, so vermag eine g r ö ß e r e A n z a h l von Molekülen die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Damit stellt sich ein n e u e s dynamisches Gleichgewicht mit einem h ö h e r e n Sättigungsdampfdruck ein. Trägt man alle diese Sättigungsdampfdrucke in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m mit dem Druck als Ordinate und der Temperatur als Abszisse ein, so erhält man demgemäß eine mit zunehmender Temperatur a n s t e i g e n d e K u r v e , wie sie für das Beispiel des Wassers in Kurve A von Fig. 27 dargestellt ist. Längs der Kurve befinden sich F l ü s s i g k e i t und D a m p f im G l e i c h g e w i c h t . Bei h ö h e r e n Drucken und n i e d r i g e r e n Temperaturen als den durch die Kurve angezeigten ist nur die F l ü s s i g k e i t , bei n i e d r i g e r e n Drucken und h ö h e r e n Temperaturen nur der D a m p f beständig. Erwärmt man z. B . flüssiges Wasser von der Temperatur und dem Druck des Punktes 1 (Fig. 27) bei gleichbleibendem Druck, bewegt man sich also in der Richtung des gestrichelten Pfeiles nach rechts, so beginnt das Wasser bei der Tempera-
Temperatur
Fig. 27. Zustandsdiagramm des Wassers (nicht maßstäblich)
Flüssickeit
fests'rSfof
Fig. 28. Gefrier-(Schmelz-)punkt and Dampfdruck
tur des Schnittpunktes mit Kurve A zu „ s i e d e n " . W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s der F l ü s s i g k e i t in den D a m p f z u s t a n d ä n d e r t sich die T e m p e r a t u r n i c h t , da die zugeführte Wärme als V e r d a m p f u n g s w ä r m e verbraucht wird. Erst nach v ö l l i g e r V e r d a m p f u n g ist w e i t e r e E r w ä r m u n g möglich, wobei man sich in Richtung des gestrichelten Pfeiles von der Kurve entfernt. In gleicher Weise beginnt ein Wasserdampf von der Temperatur und dem Druck des Punktes 2 sich bei Druckvermehrung (Richtung des gestrichelten Pfeiles) zu k o n d e n s i e r e n , sobald die Kurve A
Das Wasser
53
erreicht ist. W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s d e s D a m p f e s i n d e n f l ü s s i g e n Z u s t a n d ä n d e r t s i c h d e r D r u c k n i c h t , da der Dampf einer D r u c k e r h ö h u n g durch die K o n d e n s a t i o n ausweicht. Kurve A trennt somit das Existenzgebiet des f l ü s s i g e n Wassers von dem des W a s s e r d a m p f e s . Diejenige Temperatur, bei welcher der Sättigungsdampfdruck einer Flüssigkeit den Wert von 1 Atmosphäre ( = 760 mm) erreicht, nennt man definitionsgemäß den Siedepunkt der Flüssigkeit (Taupunkt des Dampfes). E r liegt f ü r Wasser bei 100° C. Eine analoge Kurve wie f ü r die Verdampfung einer F l ü s s i g k e i t ergibt sich f ü r die Verdampfung eines f e s t e n S t o f f e s . Sie gibt in entsprechender Weise die zusammengehörenden Paare von Druck und Temperatur an, bei denen sich f e s t e r S t o f f und D a m p f miteinander im dynamischen G l e i c h g e w i c h t befinden, und verläuft — wie sich theoretisch auch begründen läßt — stets s t e i l e r als die Dampfdruckkurve der Flüssigkeit (vgl. Kurve B in Fig. 27). Ein besonders ausgezeichneter P u n k t ist der S c h n i t t p u n k t der beiden Dampfdruckkurven des f e s t e n und f l ü s s i g e n Stoffes. U n t e r h a l b der Temperatur des Schnittpunktes h a t die F l ü s s i g k e i t , o b e r h a l b der f e s t e S t o f f den g r ö ß e r e n D a m p f d r u c k . Bringt man daher z. B. die flüssige und die feste Form des gleichen Stoffes getrennt in ein Gefäß der vorstehenden Form (Fig. 28) und kühlt das Ganze auf eine u n t e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (Fig. 27) gelegene Temperatur t (pmsa. > pfest) ab, so wird die Flüssigkeit links (Fig. 28) bis zum konstanten Sättigungsdampfdruck />nüa3. verdampfen und sich rechts — wegen Überschreitung des kleineren Sättigungsdampfdruckes pr est — als fester Stoff kondensieren: d i e F l ü s s i g k e i t e r s t a r r t . Liegt umgekehrt t o b e r h a l b der Temper a t u r des Kurvenschnittpunktes (pmsa. > fit?st), so verdampft rechts fester Stoff und kondensiert sich links zu Flüssigkeit: d e r f e s t e S t o f f s c h m i l z t . Nur dann, wenn pmas. = ^feat ist, d. h. b e i d e r T e m p e r a t u r d e s S c h n i t t p u n k t e s der beiden Dampfdruckkurven A und B, befinden sich f l ü s s i g e und f e s t e F o r m eines Stoffes miteinander i m G l e i c h g e w i c h t . Der Schnittpunkt gibt also den Gefrier- oder Schmelzpunkt einer Substanz unter dem eigenen Dampfdruck an. E r liegt f ü r reines, luftfreies Wasser (Fig. 27) bei + 0.0099° C (Eigendampfdruck 4.58 mm). Der S c h m e l z p u n k t eines Stoffes ist v o m ä u ß e r e n D r u c k a b h ä n g i g . Und zwar kann er mit steigendem Druck zu- oder abnehmen (vgl. S. 113). Beim Wasser fällt er für je 1 Atmosphäre Drucksteigerung um 0.0075°. Bei 1 Atmosphäre Druck schmilzt demnach r e i n e s , luftfreies Wasser bei 0.0099 — 0.0075 = 0 . 0 0 2 4 ° C, l u f t g e s ä t t i g t e s Wasser (Gefrierpunkterniedrigung von 0.0024°) bei 0°. I n Fig. 27 wird die Druckabhängigkeit des Schmelzpunktes durch Kurve C wiedergegeben. Die drei Kurven A, B und C teilen das D r u c k - T e m p e r a t u r - D i a g r a m m des Wassers in d r e i F e l d e r . Innerhalb dieser F e l d e r ist nur je e i n Aggregatzustand des Wassers existenzfähig; längs der K u r v e n dagegen sind je z w e i Phasen, beim S c h n i t t p u n k t der drei Kurven („Tripelpunkt") alle d r e i Phasen nebeneinander beständig („koexistent"). Das ganze Diagramm heißt „Zustandsdiagramm des Wassers" (vgl. S. 187ff.). D i e T e m p e r a t u r s k a l a v o n A. CELSIUS g r ü n d e t s i c h a u f d e n S c h m e l z - u n d Siedepunkt reinen, luftgesättigten Wassers. Und zwar dient defin i t i o n s g e m ä ß der S c h m e l z p u n k t u n t e r A t m o s p h ä r e n d r u c k als N u l l p u n k t d e r S k a l a , w ä h r e n d d e r T e m p e r a t u r p u n k t 100° d u r c h d e n S i e d e p u n k t b e i A t m o s p h ä r e n d r u c k d e f i n i e r t i s t . 1°C ist dementsprechend der hundertste Teil dieses Temperaturintervalls. y) Osmotischer Druck wässeriger Lösungen W a s s e r ist ein L ö s u n g s m i t t e l von sehr allgemeiner Anwendbarkeit, da zahlreiche Stoffe darin mehr oder weniger löslich sind. Die g e l ö s t e n S t o f f e befinden sich dabei in der Lösung in einem dem G a s z u s t a n d ähnlichen Zustand.
54
Das Wasser und seine Bestandteile
Löst man z. B . Z u c k e r in Wasser auf, so verteilt er sich darin m o l e k u l a r . Die Zuckermoleküle schwirren in der Lösung wie die Moleküle eines Gases regellos umher, so daß sich der g e l ö s t e Stoff wie ein g a s f ö r m i g e r Stoff verhält. Zwar üben die Moleküle des flüssigen und daher spezifisch dichten Lösungsmittels starke Anziehungskräfte auf die gelösten Moleküle aus. I n n e r h a l b der L ö s u n g heben sich diese aber gegenseitig auf, da sie hier — wie in Fig. 29 a an einem solchen Teilchen • gezeigt ist — von allen Seiten her gleichmäßig wirken. Nur an der A u ß e n f l ä c h e der Flüssigkeit, an der die Anziehung (vgl. Fig. 29 a) einseitig nach dem Innern zu erfolgen muß, wirken sich die Kräfte aus (vgl. S. 391f.). Daher kommt es, daß die in einer Lösung g e l ö s t e n M o l e k ü l e k e i n e n dem G a s d r u c k e n t s p r e c h e n d e n D r u c k auf die Wände des einschließenden Gefäßes auszuüben vermögen. D i e s i s t e r s t d a n n der F a l l , wenn das die Lösung enthaltende Gefäß von L ö s u n g s m i t t e l u m g e b e n ist und die Wände des Gefäßes h a l b d u r c h l ä s s i g {„semipermeabel"), d. h. d u r c h l ä s s i g für das Lös u n g s m i t t e l und u n d u r c h l ä s s i g für den g e l ö s t e n S t o f f sind. Denn nur dann wirken — wie inFig.29b an einem gelösten Teilchen gezeigt ist — auch an d e r W a n d g r e n z f l ä c h e die Anziehungskräfte wie im Innern der Lösung gleichmäßig von allen Seiten her auf die g e l ö s t e n M o l e k ü l e , so daß diese — in summa der Anziehung entzogen — wie G a s m o l e k ü l e gegen die für sie undurchlässige Wand anprallen und damit einen D r u c k auf diese ausüben. Ist die halbdurchlässige Membran e l a s t i s c h , so bläht sie sich demnach im Lösungsmittel unter dem Einfluß des Druckes der gelösten Moleküle wie ein mit Gas gefüllter Gummiballon auf. Es ist nach dieser Analogie zwischen dem Druck eines Gases und dem einer Lösung nicht verwunderlich, daß der „osmotische Druck" (P) — wie namentlich quantitative Untersuchungen des holländischen Physikochemikers J A C O B U S H E N R I C U S VAN'T H O F F (1852—1911) zeigten — b e i v e r d ü n n t e n („idealen") Lösungen in d e r s e l b e n W e i s e von dem Volumen (F), der Zahl gelöster Mole (n) und der absoluten Temperatur (T) abhängt wie der G a s d r u c k (S. 23): P-V
n-R-T
(1)
und daß die K o n s t a n t e R den g l e i c h e n W e r t wie bei der Zustandsgieichung der Gase (S. 24) besitzt. G e l ö s t e S t o f f e üben somit d e n s e l b e n D r u c k aus, den sie — falls man sie vergasen könnte — bei gleicher T e m p e r a t u r und im gleichen V o l u m e n auch als G a s e ausüben würden. Alle an die Gasgleichung geknüpften Folgerungen (S. 24) gelten daher auch für den Lösungszustand. Enthalten also z. B . ha/bdurch/ässige üJand 22.41 Wasser 1 Mol eines Stoffs, so beträgt der osmotische Druck bei 0° 1 Atmosphäre.
-Lösung
Fig. 29 a. Wirkung der Anziehungskräfte des Lösungsmittels auf gelöste Teilchen
Fig. 29 b. Zustandekommen des osmotischen Druckes
Das Wasser
55
Das Zustandekommen des osmotischen Druckes kann statt von der Seite des g e l ö s t e n S t o f f e s aus auch von der Seite des L ö s u n g s m i t t e l s her abgeleitet werden. Diese andere Art der Betrachtungsweise läßt die Analogie zwischen Gasdruck p und osmotischem Druck P weniger gut erkennen, ermöglicht dafür aber ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen dem osmotischen Druck P u n d der Dampfdruckerniedrigung Ap (S.57f. ) einer Lösung. Auch läßt sie leichter das Verhalten von Lösungen bei Verwendung s t a r r e r halbdurchlässiger Wände verstehen. Infolge ihrer ungeregelten Wärmebewegung (S. 50) passieren die Moleküle des Lösungsmittels fortwährend die halbdurchlässige Trennungswand von innen nach außen und umgekehrt. Die Zahl der aus dem reinen Lösungsmittel mit einem „Diffusionsdruck" p D i f f in die Lösung diffundierenden Moleküle ist dabei größer als die Zahl der in umgekehrter Richtung (Diffusionsdruck p'ßlff) aus der Lösung in das reine Lösungsmittel wandernden Teilchen, da in der Lösung das Lösungsmittel durch den gelösten Stoff verdünnt und die Konzentration an diffundierbaren Lösungsmittelmolekülen in ihr dementsprechend geringer als im reinen Lösungsmittel ist. Die Differenz ÄPnifi beider Diffusionsdrucke (zlp Dlff = p Diff — P Diff' numerisch gleich dem osmotischen Druck P 1 und bei gegebener Temperatur und Flüssigkeitsmenge der Molzahl n des gelösten Stoffes proportional2:
Apmtt . = P = K-n.
(2)
Infolge dieses „Diffusions-Überdruckes" ApDiff dringt, falls die halbdurchlässige Membran starr ist und das Lösungsgefäß ein Steigrohr aufweist, solange Wasser in das Gefäß ein, bis der hydrostatische Druck phydj._ der Flüssigkeitssäule im Steigrohr den Wert des Differenzbetrags z)p Dla; = ^Diff. — P'mff. un< * damit des osmotischen Druckes P erreicht hat (Fig. 30). Nunmehr gilt Phydr. + P'üiff. = PDlff.' 8 0 d a ß j e t z t unter dem Einfluß des um den hydrostatischen Druck p h y d r vermehrten Diffusionsdruckes p' D i f f in der Zeiteinheit gleich viele Lösungsmittelmoleküle die halbdurchlässige Wand in beiden Richtungen durchwandern. Die experimentelle Messung des osmotischen Drucks P — z1pDlff läuft hiernach Steigrohr I hydrostatisch. ^Diffusion ^Diffusion auf eine Messung des hydrostatischen Druckes = Phydi. ''i>Diff. der Flüssigkeitssäule im Steigrohr hinaus.
Eine zweckmäßige Anordnung für die Messung des osmotischen Drucks stellt die j , PFEFFER
sehe
Zelle"
(Fig. 31) dar.
Sie
halbdurchlässige Wand
be-
steht aus einem T o n z y l i n d e r , in dessen Wandung eineals h a l b d u r c h l ä s s i g e W a n d wirkende starre Membran aus K u p f e r eyanof errat Cu2[Fe(CN)g] eingebettet ist. Diese Membran wird durch Füllen des Tonzylinders mit Kupfersulfatlösung und Eintauchen des Gefäßes in eine Kaliumcyanoferratlösung erzeugt, wobei die beiden Lösungen von entgegengesetzten Seiten in das Wandinnere eindringen und in der Mitte einen Niederschlag von Kupfer-
Fig. 30. Zustandekommen des osmotischen Druckes
1 Osmotischer Druck P und Diffusionsdruck = k-n, (3) so daß man bei Kenntnis von k1 durch Messung von A p die Molzahl n ermitteln kann. E x p e r i m e n t e l l e i n f a c h e r ist aber die Messung der durch die Dampfdruckerniedrigung bedingten Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung des Lösungsmittels. Wie aus Fig. 32 hervorgeht, liegt der Schnittpunkt der Dampfdruckkurve der L ö s u n g mit der Dampfdruckkurve des f e s t e n L ö s u n g s m i t t e l s und damit der G e f r i e r p u n k t t'g d e r L ö s u n g (S. 53) bei einer t i e f e r e n , ihr Schnittpunkt mit der Atmosphärendruck-Horizontalen und damit der S i e d e p u n k t ^ d e r L ö s u n g (S. 52f.) bei einer h ö h e r e n Temperatur als beim r e i n e n L ö s u n g s m i t t e l (tghzw. ts). Genau wie die Dampfdruckerniedrigung (A ftt = pt— fit) ist nun auch diese F i x p u n k t s v e r s c h i e b u n g (Atg — tg — ft bzw. At, = t's — t,) bei g e g e b e n e m F l ü s s i g k e i t s v o l u m e n der in diesem Volumen aufgelösten M o l z a h l n des gelösten Stoffs p r o p o r t i o n a l („IUouLTSches Gesetz"): At = E • n
(4)
Übereinkunftsgemäß bezieht man die Anzahl Mole n stets auf ein Volumen von 1000 g Lösungsmittel. Der Proportionalitätsfaktor E2 nimmt dann beim W a s s e r den Wert 1.860 (Gefrierpunktserniedrigung) bzw. 0.511 (Siedepunktserhöhung) an. Zeigt also z. B. eine l°/ 0 ige wässerige Lösung eine Gefrierpunktserniedrigung von 0.614°, so enthält sie in 1000g = 11 Wasser n = At:E = 0 . 6 1 4 : 1 . 8 6 0 = 0.33 Mole gelöster Substanz, woraus für letztere gemäß der Beziehung M = g/n ein Molekulargewicht M von 1 0 : 0.33 = 30.3 folgt.
Der Proportionalitätsfaktor E wird als „molare Gefrierpunktserniedrigung" bzw. „molare Siedepunktserhöhung" bezeichnet, weil er die Fixpunktsverschiebung einer Lösung wiedergibt, die je 1000 g Lösungsmittel (vgl. oben) 1 Mol Substanz enthält (für n = 1 ist A t = E). Die Bestimmung des Molekulargewichts nach dem Gefrierpunktsverfahren nennt man auch „kryoskopische", die nach dem Siedepunktsverfahren „ebullioskopische" Methode. Letztere steht an Bedeutung hinter der ersteren zurück, da der Wert der Siedepunktserhöhung stets merklich kleiner als der der Gefrierpunktserniedrigung ist. Zur praktischen Ausführung beider Methoden dienen Apparate, die namentlich auf den deutschen Chemiker E R N S T BECKMANN (1853—1923) zurückgehen. Zur Messung der Fixpunktsverschiebung werden dabei sogenannte „BECKMANN-Thermometer" verwendet, deren Skala nur etwa 6° umfaßt, welche in Vioo Grade eingeteilt sind; eine besondere Vorrichtung erlaubt, den Nullpunkt der Skala willkürlich auf eine gewünschte Temperatur einzustellen, so daß ein e i n z i g e s Thermometer für a l l e Bestimmungen benutzbar ist. 1 Wie theoretisch abgeleitet werden kann (vgl. Lehrbücher der physikalischen ergibt sich der Wert des Proportionalitätsfaktors k aus der Beziehung
k = fl(n +
Chemie),
N),
wobei p den Dampfdruck des reinen Lösungsmittels bei der Versuchstemperatur und (n + die Summe der Molzahlen von gelöstem Stoff (n) und Lösungsmittel (N) darstellt. 2 E errechnet sich (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie) aus der Beziehung
N)
E = RT*/(W00 l) ( R = Gaskonstante, T = absolute Temperatur, l = spezifische Verdampfungs- bzw. Schmelzwärme).
Das Wasser
59
d) Chemische Eigenschaften Die Bindung zwischen Wasserstoff und Sauerstoff im Wassermolekül ist s e h r f e s t und läßt sich nur durch Zufuhr e r h e b l i c h e r E n e r g i e m e n g e n (vgl. S. 45) sprengen. Die Energie kann dabei in verschiedenster Weise, z . B . in Form t h e r m i s c h e r oder e l e k t r i s c h e r oder c h e m i s c h e r Energie zugeführt werden. Beispiele für die e l e k t r i s c h e und c h e m i s c h e Wasserzersetzimg haben wir auf S. 34 und S. 37ff. schon kennengelernt, so daß wir hier nicht mehr darauf einzugehen brauchen. Die t h e r m i s c h e Spaltung des Wassers in seine elementaren Bestandteile gelingt nur b e i s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n und auch hier nur u n v o l l k o m m e n . So sind bei 2000° C und Atmosphärendruck erst rund 2°/0 des Wasserdampfs in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Das Wasser ist also eine sehr beständige chemische Verbindung.
Kapitel V
Die Luft und ihre Bestandteile 1. Der Stickstoff a) Vorkommen In f r e i e m Zustande kommt der Stickstoff als wesentlicher Bestandteil der L u f t (78.1 Vol.-°/0 bzw. 75.5 Gew.-°/ 0 N a ) vor (S. 63). In g e b u n d e n e m Zustande findet er sich hauptsächlich in Form von N i t r a t e n (S. 241), z. B. Natriumnitrat, NaNO a (Chilesalpeter). Weiterhin bildet er einen wichtigen Bestandteil der E i w e i ß s t o f f e des tierischen und pflanzlichen Organismus (vgl. I I , S. 277ff.).
b) Darstellung a ) Aus Luit Zur technischen Darstellung von Stickstoff, der in (grün gestrichenen) S t a h l f l a s c h e n unter einem Druck von 150 Atmosphären in den Handel kommt, dient ausschließlich die L u f t . Die Abtrennung des in der Luft neben Stickstoff enthaltenen Sauerstoffs kann dabei auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. Die p h y s i k a l i s c h e Zerlegung der Luft (Fraktionierung flüssiger Luft) haben wir bereits bei der Besprechung der technischen S a u e r s t o f f gewinnung behandelt (S. 32ff.). Die c h e m i s c h e Methode der technischen Stickstoffgewinnung aus Luft bedient sich der K o h l e als sauerstoffbindenden Mittels. Verbrennt man Kohle an der Luft, so erhält man ein Gemisch von S t i c k s t o f f und K o h l e n d i o x i d : +
c
—
4 N a +
c
°2'
Luft
aus dem sich das Kohlendioxid durch Behandlung mit K a l i u m c a r b o n a t l ö s u n g (vgl. S. 303f.) oder mit W a s s e r unter Druck (vgl. S. 226) leicht auswaschen läßt. Bei b e g r e n z t e m L u f t z u t r i t t (Kohlenstoffüberschuß) verbrennt die Kohle nur zu Kohlenmonoxid: 4Na + 0 2 + 2C -—>- 4N2 + 2CO. Das so gebildete Gemisch von Stickstoff und Kohlenmonoxid heißt „Generatorgas" und wird technisch ebenfalls zur Stickstoffgewinnimg herangezogen (S. 225f.). Im Laboratorium verwendet man als sauerstoffbindendes Mittel nicht Kohle, sondern K u p f e r : 4N2 + 0 2 + 2Cu >- 4N2 + 2CuO, indem man Luft über glühendes Kupfer leitet In allen diesen Fällen erhält man, da die Luft außer Stickstoff und Sauerstoff noch rund l°/ 0 Edelgase enthält (S. 63,72), keinen reinen Stickstoff, sondern edelgashaltigen „Luftstickstoff". Wegen der chemischen Reaktionsträgheit der Edelgase (S. 71) stört dieser Gehalt aber normalerweise nicht. R e i n e n Stickstoff gewinnt man zweckmäßig aus S t i c k s t o f f V e r b i n d u n g e n . Eine hierfür sehr geeignete Verbindung ist das A m m o n i a k , N H 3 .
Der Stickstoff
61
ß) Aus Ammoniak Die Überführung von A m m o n i a k in Stickstoff erfolgt ganz allgemein durch Einwirkung eines O x y d a t i o n s m i t t e l s , welches den Wasserstoff des Ammoniaks als Wasser entfernt: ^ ^ + _ + 3 0 So bildet sich z. B. Stickstoff beim Eintropfen von konzentrierter Ammoniaklösung in einen wässerigen C h l o r k a l k b r e i (CaCl 2 0 — > CaCl2 + 0). Noch häufiger wird im Laboratorium s a l p e t r i g e S ä u r e H N 0 2 als Oxydationsmittel benutzt, weil hierbei auch der Stickstoff der Säure mitgewonnen wird (vgl. S. 245): NH, + HN0 2 — ^ N2 + 2H 2 0 .
Man erhitzt zu diesem Zwecke eine konzentrierte wässerige Ammoniumnitritlösung (NH 4 N0 2 NH 3 + H N 0 2 ) oder die Lösung eines Gemisches von Ammoniumchlorid und Natriumnitrit (NH4C1 + N a N 0 2 N H 4 N 0 2 + NaCl) auf etwa 70°. Auch mit Hilfe von C h l o r , das sich mit Ammoniak energisch umsetzt, kann der Wasserstoff des Ammoniaks entfernt werden: 2NH 3 + 3C12 — > N2 + 6HCl.
I n Erweiterung des ursprünglichen Oxydationsbegriffes (S. 35f.) spricht man auch in diesem Falle von einer O x y d a t i o n des Ammoniaks zu Stickstoff und definiert ganz allgemein eine Oxydation als die Zufuhr von Sauerstoff oder den Entzug von Wasserstoff und ein Oxydationsmittel dementsprechend als ein sauerstoffzuführendes oder wasserstoffentziehendes Mittel. In gleicher Weise versteht man in Erweiterung des ursprünglichen Reduktionsbegriffes (S. 44) unter einer Reduktion den Entzug von Sauerstoff oder die Zufuhr von Wasserstoff und unter einem Reduktionsmittel dementsprechend ein sauerstoffentziehendes oder wasserstoffzuführendes Mittel.
c) Physikalische Eigenschaften Stickstoff ist ein färb-, geschmack- und geruchloses Gas. Das Litergewicht r e i n e n S t i c k s t o f f s beträgt bei 0° und 760 mm Druck 1.2505 g, ist also geringer als das der Luft (1.2928 g/1), welche ja noch den schwereren Sauerstoff (1.4289 g/1) enthält. 1 1 „Luftstickstoff", also edelgashaltiger Stickstoff wiegt 1.2567 g. Wie Sauerstoff und Wasserstoff läßt sich auch Stickstoff nur schwer kondensieren (kritische Temperatur: —147.1°, kritischer Druck: 33.5 Atm., kritische Dichte: 0.3110 g/cm 3 ). Der Siedepunkt des farblosen flüssigen Stickstoffs liegt bei —195.8°, der Schmelzpunkt des farblosen festen Stickstoffs bei —210.0°; die Dichte beim Siedepunkt beträgt 0.879 g/cm 3 . I n Wasser ist Stickstoff nur etwa halb so gut löslich wie Sauerstoff: 11 Wasser von 0° löst 23 cm 3 Stickstoff gegenüber 49 cm 3 Sauerstoff. Die aus Wasser ausgetriebene Luft hat somit eine andere Zusammensetzung ( 0 2 : N a = 2:1) als die atmosphärische ( 0 2 : N 2 = 1:4). Diese größere Wasserlöslichkeit des Sauerstoffs ist von Wichtigkeit f ü r die Atmung der Fische im Wasser.
d) Chemische Eigenschaften Der Stickstoff ist weder brennbar wie der Wasserstoff, noch unterhält er die Verbrennung wie der Sauerstoff. Taucht man einen brennenden Holzspan in Stickstoff ein, so erlischt er sofort. Lebewesen ersticken im Stickstoffgas 1 . Überhaupt ist der Stickstoff bei gewöhnlicher Temperatur ein s e h r r e a k t i o n s t r ä g e s („inertes") Gas. Dies kommt daher, daß die beiden Atome des Stickstoffmoleküls besonders fest aneinander gekettet sind (vgl. S. 48), so daß der Stickstoff 1 L)«i französische Name „azote" für Stickstoff bringt ebenfalls diese Eigenschaft zum Ausdruck: azotikos (ajcoTiKÖs) = das Leben nicht unterhaltend. In Bezeichnungen wie „Azide"
(S. 231), „Azoverbindungen" (S. 250), „Azotierung" (S. 412), „Borazol" (S. 377), „Hyclrazin" (S. 229) usw. findet sich dieser Wortstamm auch in der deutschen Nomenklatur.
62
Die Luft und ihre Bestandteile
selbst die beständigste Stickstoff-,,Verbindung" ist. Zur Sprengung des Moleküls in die wesentlich reaktionsfähigeren Atome bedarf es großer E n e r g i e m e n g e n : 170.3 kcal + N 2
^ 2N,
(1)
die entweder der Verbindungsenergie anderer Elemente entnommen oder von außen her als Energie der Wärme oder der E l e k t r i z i t ä t zugeführt werden müssen. So wird die Aktivität des Stickstoffs z. B. durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g bedeutend gesteigert, so daß er bei hohen Temperaturen mit zahlreichen Metallen und Nichtmetallen Verbindungen eingeht. Unter den Metallen vereinigen sich verschiedene Alkali- und Erdalkalimetalle (z. B. Lithium, Calcium, Magnesium) besonders leicht und vollständig mit Stickstoff: 3Mg + N 2 — > - M g 3 N 2 .
Aber auch viele andere Metalle wie Aluminium, Titan, Vanadin, Chrom verbinden sich bei Glühhitze direkt mit dem Stickstoff zu Nitriden. Unter den Reaktionen des Stickstoffs mit N i c h t m e t a l l e n seien besonders die Umsetzungen mit Wasserstoff und mit Sauerstoff hervorgehoben. Erstere führt zur Bildung von Ammoniak: N2 + 3 H 2
2NH3
und wird in größtem Maßstabe technisch durchgeführt (S. 224ff.). Letztere geht unter Bildung von Stickstoffoxid vor sich: N2 + 0 2 — » 2 NO und hat eine Zeitlang erhebliche Bedeutung für die Gewinnung von Salpetersäure gehabt (S. 235, 240). Bei Einwirkung e l e k t r i s c h e r Glimmentladungen auf Stickstoff unter vermindertem Druck findet eine merkliche Aufspaltung der Stickstoffmoleküle gemäß (1) in Stickstoffatome statt, wie zuerst J O H N W I L L I A M S T R U T T ( 1 8 4 2 bis 1 9 1 9 ; seit 1 8 7 3 als L O R D R A Y L E I G H ) beobachtet hat. Dieser a t o m a r e S t i c k s t o f f ist chemisch sehr a k t i v . So bildet er mit zahlreichen Metallen (z. B. Quecksilber, Zink, Cadmium, Natrium) schon bei gewöhnlicher T e m p e r a t u r Nitride, ebenso mit Nichtmetallen wie Phosphor und Schwefel. Die Wiedervereinigung der Atome zu Molekülen ist mit einem charakteristischen gelben N a c h l e u c h t e n verbunden, das bei geeigneten Versuchsbedingungen noch 6 Stunden nach Ausschalten der elektrischen Entladung anhalten kann.
2. Die Luft a) Zusammensetzung der Luft Die atmosphärische L u f t wurde bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts für ein E l e m e n t gehalten. Erst durch die Untersuchungen von S C H E E L E , P R I E S T L E Y und L A VOISIER (S. 37) wurde gezeigt, daß sie ein Gemenge zweier Gase — nämlich eines die Verbrennung unterhaltenden ( S a u e r s t o f f ) und eines die Verbrennung nicht unterhaltenden Gases ( S t i c k s t o f f ) — ist.
Fig. 33. LAVOISIERS Versuch über Zusammensetzung der L u f t
die
Der Versuch, durch den LAVOISIER dies im J a h r e 1774 bewies, war der folgende (Fig. 3 3 ) : In einer Retorte, die durch einen zweimal gebogenen Hals mit einer in einer Glasglocke über Quecksilber abgesperrten, gegebenen Luftmenge in Verbindung stand, wurde Quecksilber auf einem Kohleofen mehrere Tage lang nahe am Sieden erhalten. Hierbei verschwand ein Teil der Luft, während sich gleichzeitig das Quecksilber teilweise in ein rotgelbes, kristallines Pulver (Quecksilberoxid) verwandelte.
63
Die Luit
Der zurückbleibende Teil der Luft (Stickstoff) unterhielt zum Unterschied von der ursprünglichen Luft weder die Verbrennung noch die Atmung. Die gebildete Quecksilberverbindung spaltete bei stärkerem Erhitzen ein Gas (Sauerstoff) ab (S.9), das dieVerbrennungserscheinungen viel lebhafter unterhielt als die ursprüngliche Luft und dessen Volumen genau dem vorher verschwundenen Luftanteil entsprach. — Für genauere Luftanalysen verwendet man statt Quecksilber zweckmäßig Kupfer als sauerstoffbindendes Mittel.
Außer Sauerstoff und Stickstoff enthält die Luft noch die E d e l g a s e (S. 72), sowie mehr oder weniger W a s s e r d a m p f und K o h l e n d i o x i d , ferner geringe Mengen A m m o n i a k und Ozon. Als zufällige Bestandteile (z. B . in der Nachbarschaft von Vulkanen und von Industrieanlagen) finden sich S c h w e f e l d i o x i d und andere Gase. Die niederen Luftschichten enthalten stets auch feste „Staub"teilchen. Die mittlere Zusammensetzung trockener, reiner Luft ist nach neueren Analysen die folgende: Stickstoff . . . Sauerstoff... Edelgase.... Kohlendioxid
VoL-% 78.08 20.95 0.94 0.03
100.00
Gew.-°/0 75.46 23.19 1.30 0.05
100.00
Es ist bemerkenswert, daß diese Zusammensetzung der Luft trotz der zahlreichen sauerstoff-, stickstoff- und kohlendioxid-umsetzenden Vorgänge in der Natur (die Edelgase beteiligen sich wegen ihrer Reaktionsträgheit nicht an chemischen Reaktionen) praktisch k o n s t a n t bleibt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Sauerstoff (gekoppelt mit dem Kohlendioxid) und der Stickstoff einen K r e i s l a u f durchmachen.
b) Kreislauf des Sauerstoffs Wichtige sauerstoffverbrauchende Vorgänge der Natur sind die t i e r i s c h e A t m u n g und die V e r w e s u n g . In beiden Fällen werden KohlenstoffVerbindungen — z. B . Kohlenhydrate (II, S. 218 ff.) — durch den Luftsauerstoff unter Freiwerden von Energie letzten Endes zu Kohlendioxid und Wasser „verbrannt" (vgl. S. 36). In gleicher Richtung wirken auch die Verbrennungsprozesse der Industrie, z. B. die Verbrennung von Steinkohle. Die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e wird dabei in verschiedenster Weise ausgenutzt; bei der tierischen Atmung beispielsweise zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und der L e b e n s v o r g ä n g e , bei der Steinkohlenverbrennung etwa zur Erzeugung hoher Temperaturen. Es müßte demnach infolge dieser Verbrennungsvorgänge eine dauernde Abnahme des Sauerstoff- und Zunahme des Kohlendioxid- und Wassergehaltes der Atmosphäre zu beobachten sein, wenn nicht ein e n t g e g e n w i r k e n d e r Prozeß stattfände, der in Umkehrung der genannten Verbrennungsprozesse unter Aufnahme von Energie Kohlendioxid und Wasser wieder in Kohlenhydrate und Sauerstoff verwandelt. Dieser regulierend wirkende Vorgang ist die „Assimilation" (II, S. 473) der Pflanzen, bei welcher unter der Einwirkung des vom Blattgrün (Chlorophyll) absorbierten Sonnenlichtes das in der Luft oder im Wasser enthaltene Kohlendioxid in die Kohlenhydrate Zucker und Stärke verwandelt wird, die sich als Reservestoffe in den Pflanzen ablagern : Atmung
I
I Kohlenhydrate + Sauerstoff
À
I
Y Kohlendioxid + Wasser + Energie
I
Assimilation
64
Die Luft und ihre Bestandteile
Die Pflanzen dienen dann wieder Menschen und Tieren zur Nahrung, werden erneut „veratmet" usw., und so beginnt der Kreislauf des Sauerstoffs und Kohlendioxids von neuem. Der Kreisprozeß ist in seinen einzelnen Teilen so a u s g e g l i c h e n , daß — soweit unsere Meßgenauigkeit und Erfahrung bisher reichen — der S a u e r s t o f f g e h a l t der Atmosphäre k o n s t a n t bleibt. J e höher beispielsweise infolge der Verbrennungsprozesse der Kohlendioxid- und Wasserdampfgehalt der Luft ansteigt, um so größer wird auch unter sonst gleichen Bedingungen die Assimilationstätigkeit der Pflanzen. Hinzu kommt, daß die jährlich in der geschilderten Weise im Kreislauf befindliche Sauerstoff menge (10 1 1 1) verhältnismäßig gering ist im Vergleich zu der in der Atmosphäre vorhandenen (10 15 t).
c) Kreislauf des Stickstoffs Auch der S t i c k s t o f f beschreibt einen Kreislauf durch den pflanzlichen und den tierischen Organismus. In diesen Kreislauf tritt er aber praktisch nur als g e b u n d e n e r , nicht als freier Stickstoff. Der Stickstoff ist ein wichtiger Bestandteil des lebensnotwendigen tierischen und pflanzlichen E i w e i ß e s (II, S. 277ff.). Daher sind Tier und Pflanze auf Stickstoffzufuhr angewiesen. Der Stickstoff der L u f t wird von den Tieren und den meisten Pflanzen nicht aufgenommen, da wegen der Reaktionsträgheit des Stickstoffs weder Tier noch Pflanze imstande sind, Luftstickstoff zu assimilieren. Hierzu sind nur einige Bakterienarten und Mikroorganismen fähig, die in den Wurzelknöllchen von Leguminosen (z. B . Lupinen) und anderen Pflanzenarten (z. B. Erlen, Ölweiden) vorkommen (vgl. S. 235). Ebenso besitzen einige im Erdboden freilebende Bakterienarten die Fähigkeit zur Stickstoffassimilation. Im allgemeinen entnimmt die Pflanze ihren Stickstoffbedarf aber dem B o d e n . Dieser enthält Stickstoff in Form von N i t r a t e n (S. 241) und A m m o n i u m s a l z e n (S. 435ff.). Die Pflanze nimmt diese Verbindungen auf und baut daraus in geheimnisvoller Weise ihre Zellen auf. Die T i e r e und M e n s c h e n besitzen diese Assimilationsfähigkeit nicht. Sie können den Stickstoff nur in Form von p f l a n z l i c h em E i w e i ß aufnehmen. Auf diese Weise kommt der Stickstoff in den tierischen Organismus. Beim Abbau des Eiweißes im Tierkörper wird der größte Teil des Stickstoffs als H a r n s t o f f (II, S. 183f.) mit dem Harn ausgeschieden; bei der Verwesung von Tier und Pflanze bleibt er in Form von Nitraten, Ammoniumsalzen und anderen StickstoffVerbindungen zurück. So steht er denPflanzen wieder zur Verfügung, und der Kreislauf beginnt von vorn. Allerdings werden bei diesem Kreislauf, zumal bei intensiver Landwirtschaft, dem Boden mehr Stickstoffverbindungen entzogen als in verwertbarer Form wieder zurückkehren. Der deutsche Chemiker J U S T U S VON L I E B I G ( 1 8 0 3 — 1 8 7 3 ) wies daher darauf hin, daß es erforderlich ist, den Pflanzen den zur Assimilation erforderlichen Stickstoffbedarf in Form geeigneter Stickstoffverbindungen („künstlicher Dünger") zuzuführen. Diese gewinnt man — in jährlich steigenden Mengen — aus elementarem Stickstoff. Auf diesem Umweg über die chemische Industrie greift somit auch der L u f t s t i c k s t o f f in den Kreislauf des Stickstoffs in der Natur ein. Der Stickstoffgehalt der Luft wird hierdurch aber nicht verändert, weil etwa ebensoviel elementarer Stickstoff bei der Verbrennung der Steinkohle (S. .309 ff.) der Atmosphäre wieder zugeführt wird. Auch stellt die jährliche Stickstoffentnähme der Technik ( ~ 106 t) weniger als den milliardsten Teil des in der Atmosphäre enthaltenen Stickstoffs dar. Die bei Verwesungsprozessen oder durch die Wirkung von sogenannten „Denitrifikationsbakterien" in die elementare Form übergehende kleine Stickstoff menge wird etwa ausgeglichen durch die Menge Salpetersäure (HN0 3 ), die sich durch die oben schon genannten Bodenbakterien und bei Gewittern durch die elektrischen Entladungen (Blitz) aus Stickstoff, Sauerstoff und Wasserdampf bildet.
65
Die L u f t
d) Flüssige Luft Bei starkem Abkühlen geht die Luft in den f l ü s s i g e n Zustand über. Diese Verflüssigung der Luft wird — wie schon besprochen wurde — zwecks Gewinnung von Sauerstoff (S. 32ff.), Stickstoff (S. 60) und Edelgasen (S. 73f.) technisch in großem Maßstabe ausgeführt. In frischem Zustande ist die flüssige Luft praktisch farblos. Bei längerem Stehen nimmt sie immer deutlicher eine bläuliche Farbe an. Dies kommt daher, daß der farblose Stickstoff (Sdp. —196°) schneller absiedet als der bläuliche Sauerstoff (Sdp. —183°). Entsprechend dieser Sauerstoffanreicherung beim Verdunsten steigt der Siedepunkt der flüssigen Luft (—194.5°) beim Stehen bis auf —185° und höher. Zugleich nimmt die Dichte, die zuerst 0.9 g/cm 3 beträgt, bis zum Werte 1.1 (1 cm3 flüssiger Sauerstoff wiegt beim Siedepunkt 1.12, 1 cm3 flüssiger Stickstoff beim Siedepunkt 0.88 g) zu, so daß frische flüssige Luft auf Vakuum Wasser schwimmt, während auf gestandener flüssiger Luft umgekehrt das Wasser schwimmt. flüssige Luft Um ein zu rasches Absieden der flüssigen Luft im Laboratorium zu vermeiden, bewahrt man sie zweckmäßig in besonders konGefäß'\Wandunstruierten Gefäßen auf. Eine für das Laboratorium geeignete Form gen innen stellt z. B. das nebenstehend (Fig. 34) abgebildete, doppelwandige versilbert „DEWAR-Gefäß" („ Weinhold-Gefäß") dar. Bei diesem ist zur Verringerung der W ä r m e l e i t u n g der Raum zwischen beiden Wandungen evakuiert, während die Wandungen selbst zur Vermeidung der Fig. 34. W ä r m e s t r a h l u n g innen versilbert oder verkupfert sind. Auf D E W A R - Gefäß dem gleichen Bauprinzip beruhen z. B. die „Thermosflaschen". zum Aufbewahren Interessant sind die Eigenschaftsänderungen, welche die Stoffe flüssiger Luft beim Abkühlen auf die Temperatur der flüssigen Luft erfahren. F a r b e . Taucht man ein mit Schwefel gefülltes Reagensglas in flüssige Luft, so wird der gelbe Schwefel weiß wie Kreide. Auch braunrotes Brom, roter Phosphor, orangerote Mennige werden beim Eintauchen in flüssige Luft in auffälliger Weise heller. E l a s t i z i t ä t . Ein in flüssige Luft getauchter Gummiball wird glashart und zerspringt in Splitter, wenn man ihn auf den Boden fallen läßt. Ein Bleiglöckchen gibt nach Kühlung mit flüssiger Luft beim Anschlagen mit einem Glasstab einen hellen Ton, als ob es aus Silber bestünde. A g g r e g a t z u s t ä n d e . Übergießt man flüssiges Quecksiber mit flüssiger Luft, so erstarrt es alsbald zu einem silberähnlichen Metall, das man auf dem Amboß aushämmern kann. Leuchtgas verflüssigt sich leicht bei der Temperatur der flüssigen Luft. Wird eine Rose in flüssige Luft getaucht, so gefriert augenblicklich das Wasser in den Zellen; das Gewebe wird dadurch so spröde, daß man es im Mörser zu Pulver zerreiben kann. Erwähnenswert sind noch die s t a r k o x y d i e r e n d e n E i g e n s c h a f t e n gestandener, also sauerstoffreicher Luft. Taucht man z. B. einen glimmenden Holzspan in sie ein, so verbrennt der Span trotz der sehr tiefen Temperatur unter heftiger Reaktion mit heller Flamme. Wird Watte mit feinem Kohlepulver überstäubt, mit flüssiger Luft Übergossen und dann angezündet, so verbrennt das Ganze explosionsartig. Man bedient sich dieser stark oxydierenden Eigenschaften der flüssigen Luft bei den sogenannten „Oxyliquit"-Sprengstoffen. Es ist hiernach sehr gefährlich, flüssigen Sauerstoff oder gestandene flüssige Luft mit brennbaren Substanzen zusammenzubringen. Trotz der tiefen Temperatur kann man flüssige Luft gefahrlos über die Hände gießen, ohne dabei das Gefühl von Kälte zu haben, da sich zwischen der warmen Haut und der kalten Flüssigkeit sofort eine schützende dünne Dampfhaut bildet, welche die Kälte nur schlecht leitet {„LEIDENFROSTsches Phänomen"). H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 47.—56.Aufl.
5
Kapitel VI
Das Periodensystem der Elemente (I. Teil) Am Beispiel des Sauerstoffs, Wasserstoffs und Stickstoffs haben wir gesehen, daß jedes einzelne Element ganz c h a r a k t e r i s t i s c h e c h e m i s c h e E i g e n s c h a f t e n besitzt und Verbindungen ganz b e s t i m m t e r Z u s a m m e n s e t z u n g bildet. Es wäre nun recht unbefriedigend, das chemische Verhalten der übrigen 99 bis jetzt bekannten Elemente in gleicher Weise der Reihe nach zu behandeln, ohne die Elemente untereinander zu v e r g l e i c h e n und nach Z u s a m m e n h ä n g e n und c h e m i s c h e n A n a l o g i e n zu suchen. So nimmt es nicht wunder, daß im Laufe des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Versuche unternommen worden sind, die Elemente nach ihren chemischen Eigenschaften in Gruppen einzuteilen und Gesetzmäßigkeiten für diese Einordnung zu finden. Der erste Versuch dieser Art rührt von DÖBEREINER (S. 42) her, der im Jahre 1829 nachwies, daß sich verschiedene Elemente ihrem chemischen Verhalten nach zu Gruppen von je 3 Elementen {„Triaden") zusammenfassen lassen, in welchen die Atomgewichtsunterschiede jeweils annähernd gleich sind {„Triadenregel"); z. B.: C1 Br J
35.5,.... 79.9 126.9>47.0
S Se Te
32.1^..„ Q 79.0>46'9 127.6> 4 8 -6
Ca Sr Ba
87.6>47"5 137.4>49.8
Damit wurde zum erstenmal der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen E i g e n s c h a f t e n und A t o m g e w i c h t e n eingeführt. Eine Weiterentwicklung dieses Gedankens war erst nach Erweiterung der Kenntnis der Atomgewichte möglich. Im Jahre 1864 entdeckte der englische Chemiker JOHN A. R . NEWLANDS (1838—1898), d a ß bei der A n o r d n u n g d e r E l e m e n t e n a c h s t e i g e n d e m
Atomgewicht jeweils nach 7 Elementen ein Element folgt, das dem Anfangsgliede der Reihe chemisch ähnlich ist {„Gesetz der Oktaven1'). 1869 haben dann der russische Chemiker DMITRI IWANOWITSCH MENDELEJEFF (1834—1907) u n d der d e u t s c h e F o r s c h e r LOTHAR MEYER (1830—1895) u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r diese B e z i e h u n g e n s c h ä r f e r for-
muliert und zum „Periodensystem der Elemente" 1 zusammengefaßt, dessen Grundprinzip ebenfalls die Ordnimg der Elemente nach dem A t o m g e w i c h t ist. Auf dieses Periodensystem gehen letztlich alle heute in Gebrauch befindlichen Formen des Periodensystems zurück. Im folgenden wollen wir uns zunächst auf die Ableitung einer übersichtlichen g e k ü r z t e n F o r m des Periodensystems beschränken.
1. Gekürztes Periodensystem Ordnet man die in der Atomgewiohtstabelle (S. 27) aufgeführten Elemente nach steigender Größe des Atomgewichts, d. h. nach der Reihenfolge der Atomnummern (S. 28), so erhält man die folgende Reihe: 1
Häufig sprachlich anrichtig als „Periodisches System der Elemente" bezeichnet.
Gekürztes Periodensystem 1H
2 He 3 Li
4 Be 5 B
6C
7N
80
9F
67
10 Ne 11 Na 12 Mg 13 AI 14 Si
Iß P
16 S 17 C1 18 Ar 19 K 20Caj21 Sc 22 Ti 23 V 24 Cr 25 Mn 26 Fe 27 Co 28 Ni 29 Cu 30Zn j 31 Ga 32 Ge 33 As 34 Se 36Br 86Kr 37 Rb 38 Sr j39 Y 40 Zr 41 Nb 42 Mo 43 Tc 44 Ru 45Rh 46Pd 47 Ag 48 Cd j 49 In 60Sn 61 Sb 52Te 53 J
64Xe 55 Cs 56 Ba j 57 La 58 Ce 59 Pr 60 Nd
61 Pm 62 Sm63 Eu 64 Gd65 Tb66Dy 67 Ho 68Er 69Tm 70 Yb 71 Lu 72 Hf 73 Ta 74 W 75 Re 760s 77 Ir 78 Pt 79 Au80 Hg;81Tl 82 Pb 83Bi 84 Po 85 At 86 Rn 87 Fr 88 Rai89 Ac 90 Th 91 Pa 92 U 93 Np 94 Pu 95Am 96Cm »7Bk 98Cf 99Es 100 Fm 101 Md 102 No
Ein Vergleich der p h y s i k a l i s c h e n und chemischen E i g e n s c h a f t e n der so geordneten Elemente führt zu der interessanten Feststellung, daß sich diese Eigenschaften beim Fortschreiten vom einen zum nächsten Element in ganz gesetzmäßiger Weise ändern und daß jeweils nach einer gewissen Anzahl von Schritten eine E l e m e n t r e i h e w i e d e r k e h r t , die in ihren E i g e n s c h a f t e n der vorangehenden E l e m e n t r e i h e ähnelt. Als Beispiel hierfür sei etwa die Elementfolge Helium (He) bis Argon (Ar) herausgegriffen. Helium (Atomnummer 2) ist ein reaktionsträges Gas, das sich zum Unterschied von anderen Elementen mit keinem anderen Element chemisch zur Umsetzung bringen läßt. Das achte auf Helium folgende Element Neon (Atomnummer 10) ist wieder ein solches „Edelgas", ebenso das an achter Stelle hinter dem Neon (Ne) stehende Element Argon (Atomnummer 18). Die zwischen den Edelgasen Helium und Neon einerseits und Neon und Argon andererseits stehenden Elemente 3 (Lithium) b i s 9 (Fluor) bzw. 11 (Natrium) bis 17 (Chlor) zeigen eine ü b e r e i n s t i m m e n d e A b stufung ihrer E i g e n s c h a f t e n . So sind z. B. die auf das Helium und Neon unmittelbar folgenden Elemente L i t h i u m (Li) und Natrium (Na) beide silberglänzende Leichtmetalle, die sich mit Wasser lebhaft unter Wasserstoffentwicklung umsetzen, während die vor den Edelgasen Neon und Argon stehenden Elemente F l u o r (F) und Chlor (Cl) beide erstickend riechende Gase darstellen, die mit den vorerwähnten Leichtmetallen lebhaft unter Bildung salzartiger Verbindungen analoger Zusammensetzung (LiF, LiCl, NaF, NaCl) reagieren. Ordnet
man
demnach die Elemente Helium bis Argon in zwei waagerechte
„Perioden« wie folgt an:
He
Li
Be B
C N O F
Ne
Ne Na Mg AI Si P S Cl Ar, so weisen die u n t e r e i n a n d e r s t e h e n d e n Elemente („Homologe") Ä h n l i c h k e i t e n in Eigenschaften und Verbindungsformen auf.
weitgehende
Die übrigen, auf das Argon noch folgenden Elemente lassen sich nur dann in überzeugender Weise in die damit vorgezeiohneten acht verschiedenen senkrechten „Gruppen" einordnen, wenn man die in der oben wiedergegebenen Element-Zusammenstellung gestrichelt umrahmten Elemente u n b e r ü c k s i c h t i g t läßt. Denn erst die Elemente 36 ( K r y p t o n , Kr), 54 (Xenon, Xe) und 86 (Radon, Rn) haben wieder Edelgas-Charakter; und von den zwischen Argon und Krypton, Krypton und Xenon, Xenon und Radon stehenden Elementen zeigen nur die den Edelgasen nachfolgenden je z wei und die den Edelgasen vorangehenden je fünf Elemente Eigenschaften, die eine eindeutige Einordnung in die obigen sieben Gruppen zwischen den Edelgasen rechtfertigen. Man kommt so zu folgender Anordnung: Ar Kr Xe Bn
K Rb Cs Fr
Ca i Ga Sr i In Ba i Tl Ra j
Ge Sn Pb
As Sb Bi
Se Te Po
Br J At
Kr Xe Rn 5*
68
Das Periodensystem der Elemente (I. Teil)
in welcher die gestrichelte senkrechte Linie zum Ausdruck bringt, daß an dieser Stelle eine Reihe dazwischenliegender Elemente — Scandium (Sc) bis Zink (Zn), Yttrium (Y) bis Cadmium (Cd), Lanthan (La) bis Quecksilber (Hg) und Actinium (Ac) bis Nobelium (No) — ausgelassen worden sind. Man nennt die so erhaltene Elementanordnung „gekürztes Periodensystem der Elemente". Es läßt sich in besonders übersichtlicher Form — unter Einfügung des Wasserstoffs (Atomnummer 1) und des später (S. 555ff., 585) noch zu besprechenden Neutroniums Nn (Atomnummer 0) — wie folgt wiedergeben: Gekürztes Periodensystem der Elemente 1
7
0 0 Nn 0 2 He
I 3 Li
II 4 Be
III 5 B
I 1 H IV 6 C
10 Ne
11 Na
12 Mg
13 AI
18 Ar
19 E
20 Ca
36 Er
37 Rb
54 Xe
II 2 He VIII 10 Ne
1
V 7 N
VI 8 0
VII 9 F
14 Si
15 P
16 S
17 C1
18 Ar
3
31 Ga
32 Ge
33 As
34 Se
35 Br
36 Er
4
38 Sr
49 In
50 Sn
51 Sb
52 Te
53 J
54 Xe
5
55 Cs
56 Ba
81 T1
82 Pb
83 Bi
84 Po
85 At
86 Rn
6
86 Rn
87 Fr
88 Ra
0
I
II
III
IV
V
VII
VIII
2
t VI
Dieses gekürzte Periodensystem der Elemente ist ein Teil des später (S. 439ff.) zu behandelnden vollständigen Periodensystems der Elemente und enthält nur die sogenannten „Hauptgruppen" des Gesamtsystems. Es umfaßt s i e b e n waagerechte P e r i o d e n (,,Periodennummer" 1 bis 7) und — abgesehen von der ersten, „kurzen Periode" — a c h t 1 senkrechte G r u p p e n („Gruppennummer" I bis VIII). Über den einzelnen Elementsymbolen ist die zugehörige „Atomnummer" angegeben. Auf die tiefere Bedeutung der Periodennummer, Gruppennummer und Atomnummer werden wir später (S. 139) noch zu sprechen kommen. In der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links nimmt im gekürzten Periodensystem der Met all Charakter, in umgekehrter Richtung der N i c h t m e t a l l charakter zu. Eine scharfe Grenze läßt sich dabei nicht ziehen, weil der Übergang stetig erfolgt. Die an der Stelle der gestrichelten Linie ausgelassenen „Übergangselemente" sind ausnahmslos M e t a l l e . Ihre Einordnung in sogenannte „Nebengruppen" wird uns erst bei der Besprechung des Gesamtsystems (S. 439ff.) beschäftigen. Der folgenden Behandlung der H a u p t g r u p p e n - E l e m e n t e (S. 71 ff.) legen wir die durch das gekürzte Periodensystem gegebene Einteilung in acht charakteristische Elementgruppen zugrunde. 1
Die nullte und aohte Gruppe sind miteinander identisch.
Verbreitung der Elemente
69
Um eine überzeugende Einordnung der Elemente in das Periodensystem zu ermöglichen, muß an einzelnen Stellen das Prinzip der Aufeinanderfolge nach steigendem Atomgewicht durchbrochen werden. So findet sich in den Hauptgruppen des gekürzten Periodensystems das A r g o n (Ar) v o r d e m K a l i u m (K) und das T e l l u r (Te) vor d e m J o d (J), obwohl nach dem Atomgewicht die Reihenfolge u m g e k e h r t sein sollte 1 ; in gleicher Weise muß später bei den Nebengruppen (S. 439ff.) entgegen dem Atomgewicht das K o b a l t (Co) v o r d a s N i c k e l (Ni) und das T h o r i u m (Th) v o r d a s P r o t a c t i n i u m (Pa) gestellt werden („Inversion"). Daraus geht hervor, daß in Wirklichkeit n i c h t d a s A t o m g e w i c h t , sondern eine a n d e r e — mit dem Atomgewicht in Zusammenhang stehende — Größe die Reihenfolge der Elemente bedingt. Hiervon wird auf S. 135ff., 144f. und 556ff. die Rede sein. Weiterhin war es bis vor wenigen Jahren erforderlich, an einzelnen Stellen des Periodensystems Plätze für bisher noch unbekannte Elemente f r e i z u l a s s e n : bei den Hauptgruppen für ein Element 85 in Gruppe VII und ein Element 87 in Gruppe I, bei den Nebengruppen für die Elemente der Ordnungszahl 43 und 61 a . Die Berechtigung hierfür werden wir ebenfalls später (S. 144f.) kennenlernen.
2. Verbreitung der Elemente Die Verbreitung der im Periodensystem zusammengefaßten Elemente auf unserer Erde ist eine ganz unterschiedliche. So bestehen die uns zugänglichen Teile der Erdkugel („Erdrinde") — nämlich die Luft ( „ A t m o s p h ä r e " ) , das Meer { „ H y d r o s p h ä r e " ) und eine etwa 16km ( = 10 Meilen) dicke Schicht 3 des äußeren Gesteinsmantels der Erde (,,Lithosphäre") — zur Hälfte ihres Gewichts aus Sauerstoff und zu einem Viertel aus Silicium. In das restliche Viertel teilen sich in der Hauptsache 8 weitere Elemente: Lithosphäre spez.Gew.3-t Sauerstoff . . . . 49.4 Gew.-% 55.1 At.-°/0 . . . . 25.8 16.3 „ Silicium Aluminium . . . . 7.5 5.0 „ 1.5 „ Chatkosphäre . . . . 3.4 1.5 „ Calcium spsz. Gew. s-s 2.6 Natrium 2.0 „ 2.4 Kalium 11 „ Magnesium . . . . . . . . 1.9 1.4 „ 15.4 „ Wasserstoff . . . . 0.9 0.2 „ . . . . 0.6 Titan 99.2 Gew.-°/n 99.5 At.-°/o» während die übrigen 92 Elemente zusammen nur noch 0.8% S Ulf S'derosphäre ausmachen, wovon die Hälfte auf die Elemente Chlor (0.2%), Phosphor (0.1%) und Kohlenstoff (0.1%) entfällt Noch anschaulicher als die G e w i c h t s p r o z e n t e sind für den Chemiker die A t o m p r o z e n t e , welche die relativen A t o m h ä u f i g k e i t e n zum Ausdruck bringen. Bei dieser Betrachtungsweise rückt der leichte Wasserstoff an die d r i t t e Stelle, während die Reihenfolge der übrigen Fig. 35. Der Aufbau der Elemente der obigen Tabelle weniger auffallende Änderungen erfährt. Erdkugel Der g e s a m t e Gesteinsmantel („Lithosphäre") der Erdkugel hat eine Tiefe von ungefähr 1200 km (Fig. 35) und besteht im äußeren Teil (100 km Dicke) wie die Erdrinde zur Hauptsache aus S a u e r s t o f f , S i l i c i u m und A l u m i n i u m bei einem spezifischen Durchschnittsgewicht von ~ 2.7, während der restliche Teil (1100km Dicke) in der Hauptsache S a u e r s t o f f , S i l i c i u m und M a g n e s i u m enthält und ein spezifisches Durchschnittsgewicht von ~ 4 auf1 In der Zusammenstellung der Elemente auf S. 67 sind diese Umstellungen bereits berücksichtigt. a Weitere bei Aufstellung des Periodensystems vorhandene Lücken konnten schon früher ausgefüllt werden (vgl. S. 347 und Anmerkung 1, S. 347). 3 Stellt man sich die Erdkugel auf eine Kugel von 1 m Radius verkleinert vor, so entspricht das einer Schichtdicke von 2 1/i mm.
70
Das Periodensystem der Elemente (I. Teil)
weist. An die Lithosphäre schließt sich nach innen eine Oxid-Sulfid-Schale („Chalkosphäre") an, die eine Dicke von 1700 km und ein spezifisches Durchschnittsgewicht von 5 bis 6 besitzt und über deren Zusammensetzung noch keine Übereinstimmung herrscht. Die Chalkosphäre umschließt schließlich einen zur Hauptsache aus E i s e n ( ~ 9 0 Gew.-°/0) und N i c k e l ( ~ 1 0 Gew.-%) bestehenden Kern („Siderosphäre") vom spezifischen Gewicht ~ 8 . Hier herrscht ein ungeheurer Druck, während die Temperatur einen Wert von 4000° kaum überschreiten dürfte. Das spezifische Durchschnittsgewicht der Gesamterde beträgt 5.5. — Es muß allerdings betont werden, daß der vorstehend geschilderte Schalenbau der Erdkugel experimentell keineswegs gesichert ist und daß es auch andere einleuchtende Hypothesen über den Erdaufbau gibt. Von den insgesamt bekannten 102 Elementen sind bei Zimmertemperatur 11 (Wasserstoff, Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon, Fluor, Chlor, Sauerstoff und Stickstoff) g a s f ö r m i g , 2 (Brom und Quecksilber) f l ü s s i g , alle übrigen f e s t .
Hauptgruppen des Periodensystems
Kapitel VII
Die Gruppe der Edelgase Unter der Bezeichnung „Edelgase" faßt man die in der 0. bzw. 8. Hauptgruppe des Periodensystems enthaltenen 6 gasförmigen Elemente Helium (He), Neon (Ne), Argon (Ar), Krypton (Kr), Xenon (Xe) und Radon (Rn) zusammen. Sie sind chemisch außerordentlich reaktionsträge und bilden daher unter gewöhnlichen Bedingungen keine chemischen Verbindungen.
1. Geschichtliches Der erste Forscher, der Edelgase in Händen hatte, ohne sich dieser Entdeckung bewußt zu sein, warH. C A V E N D I S H (S. 37). Dieser ließ im Jahre 1785 durch ein über Seifenlauge abgesperrtes Gemisch von Luft und Sauerstoff elektrische Funken schlagen. Hierbei bildet sich — wie wir heute wissen (S. 235f.) — Stickstoffdioxid (N0 2 ). Da dieses von der Lauge absorbiert wird (S. 238), nahm bei dem geschilderten Versuch das Gasvolumen dauernd ab. Nach Konstantwerden des Volumens und Entfernen des überschüssigen Sauerstoffs mittels eines Absorptionsmittels blieb schließlich als Rückstand eine winzige Gasblase zurück, deren Volumen von C A V E N D I S H auf 1 / 120 der angewandten Luftmenge geschätzt wurde. Bedenkt man, daß nach unseren heutigen Kenntnissen die Edelgase rund 1 / n o der Luft ausmachen (S. 63, 72), so hat C A V E N D I S H bei seinem Versuch bereits recht genau den Edelgasgehalt der Luft ermittelt. Die eigentliche Entdeckung der Edelgase erfolgte erst ein ganzes Jahrhundert später. Im Jahre 1894 fiel es L O R D JOHN W I L L I A M R A Y L E I G H auf, daß der aus Luft isolierte „Stickstoff" eine größere Dichte (1.2567 g/1 bei 0° C und 760 mm Druck) besaß als der aus Stickstoffverbindungen gewonnene Stickstoff (1.2505 g/1 bei 0° C und 760 mm Druck). In der atmosphärischen Luft mußte demnach neben Stickstoff noch ein Gas enthalten sein, welches s c h w e r e r als dieser ist. Dem englischen Physikochemiker W I L L I A M R A M S A Y (1852—1916) gelang es dann 1894, angeregt durch diese Beobachtung, gemeinsam mit R A Y L E I G H das Argon als Bestandteil der Luft zu entdecken, und zwar wiederholte R A Y L E I G H den C A V E N D I S H sehen Versuch, während R A M S A Y nach Entfernen des Luftsauerstoffs mittels glühenden Kupfers den Stickstoff durch Erhitzen mit Magnesium in festes Magnesiumnitrid überführte (S. 72). Den Namen Argon erhielt das Gas wegen seiner chemischen Reaktionsträgheit 1 . Im gleichen Jahre gelang es R A M S A Y , ein schon von W I L L I A M F R A N C I S H I L L E B R A N D 1890 beim Auflösen uranhaltiger Mineralien in Säuren beobachtetes inertes Gas ebenfalls als ein Edelgas zu identifizieren. Es erhielt den Namen Helium, weil seine Spektrallinien (vgl. S. 41 f.) mit den Linien eines bereits 30 Jahre vorher auf Grund des Sonnenspektrums auf der Sonne entdeckten und von N O R M A N L O K Y E R als Helium2 bezeichneten Elements übereinstimmten. Die unermüdliche Suche R A M S A Y S nach einem weiteren, auf Grund des Periodensystems (S. 66 ff.) von ihm vorausgesagten Edelgas wäre wohl erfolglos geblieben, wenn 1
argos (dpyös) = träge.
2
helios
(T}AIOS)
= Sonne.
Die Gruppe der Edelgase
72
nicht um diese Zeit ( 1 8 9 5 ) dem deutschen Ingenieur C A R L VON L I N D E ( S . 3 2 ) die Verflüssigung der Luft gelungen wäre. Die flüssige Luft, die W I L L I A M H A M P S O N 1 8 9 6 auch in England mit einem dem L I N D E sehen nachgebildeten Apparat herzustellen begann, ermöglichte R A M S A Y die Verflüssigung und fraktionierte Destillation von aus Luft gewonnenem (S. 71) Rohargon. Bei dieser Fraktionierung wurden im Jahre 1898 von R A M S A Y nicht nur das vorausgesagte Neon1, sondern auch zwei weitere, von ihm zunächst gar nicht gesuchte schwerere Edelgase, Krypton2 und Xenon3, aufgefunden. Später fanden die englischen Forscher E R N E S T RUTHERFORD ( 1 8 7 1 — 1 9 3 7 ) und FREDERICK SODDY, daß das aus Radium sich bildende radioaktive Gas R a d o n seinen Eigenschaften nach ebenfalls zur Gruppe der Edelgase gehört. Seine Besprechung erfolgt im Zusammenhang mit der Besprechung der radioaktiven Stoffe (S. 567).
2. Vorkommen In der Luft. Die L u f t weist nach unseren heutigen Kenntnissen folgende Mengen an Edelgasen auf: Helium Neon Argon Krypton Xenon
0.00046 Vol.-% 0.00161 0.9325 0.000108 „ 0.000008 „
Ein kleinerer Hörsaal von beispielsweise 10 m Länge, 10 m Breite und 5 m Höhe (500 m3) enthält danach rund 2 Liter Helium, 8 Liter Neon, 41/2 Kubikmeter Argon, 1/2 Liter Krypton und 40 Kubikzentimeter Xenon von Atmosphärendruck. Argon ist also keineswegs ein seltenes Element. In Erdgasen. Helium findet sich außer in der Luft auch in zahlreichen Erdgasen. In Europa lohnt sich bisher die Heliumgewinnung aus solchen Gasen nicht, da die heliumreicheren Erdgasquellen zu w e n i g e r g i e b i g , die ergiebigeren Erdgasquellen dagegen zu h e l i u m a r m (0.01 bis 0.1% Helium) sind. Wohl aber finden sich in den Vereinigten Staaten von Amerika, namentlich in Texas, ergiebige Gasquellen mit teilweise über l°/ 0 Helium, welche die Gewinnung von mehreren hunderttausend Kubikmetern Helium je Jahr ermöglichen. In Mineralien. Auch in radioaktiven Mineralien findet sich das Helium als eines der Reaktionsprodukte des radioaktiven Zerfalls (S. 566 ff., 578). Beim Pulvern, Erhitzen oder Auflösen dieser Mineralien in Säuren entweicht das wahrscheinlich in Form eines Clathrats (S. 74f.) eingeschlossene (,,okkludierte") Gas (S. 74).
3. Gewinnung
a) Aus Luft Will man aus der Luft die E d e l g a s e isolieren, so muß man die übrigen Luftbestandteile, also hauptsächlich S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f , entfernen. Das kann auf c h e m i s c h e m oder auf p h y s i k a l i s c h e m Wege erfolgen. Der erste Weg wird bei der Darstellung im L a b o r a t o r i u m , der letztere bei der t e c h n i s c h e n Darstellung eingeschlagen. Im Laboratorium erfolgt die Entfernung des S a u e r s t o f f s gewöhnlich durch Überleiten der — von Kohlendioxid und Wasserdampf befreiten — L u f t über glühendes K u p f e r : 2Cu + Oa ->• 2CuO; den S t i c k s t o f f bindet man zweckmäßig durch Erhitzen mit M a g n e s i u m oder C a l c i u m : 3Mg + N 2 — >- Mg 3 N 2 . Will man Sauerstoff 1
neos (vfcos) = neu.
2
kryptos (KpunTÖs) = verborgen.
8
xenos (£evos) = fremd.
Geschichtliches — Vorkommen — Gewinnung
73
und Stickstoff durch das gleiche Reagens beseitigen, so kann man Calciumcarbid (CaC2) verwenden, das bei hoher Temperatur mit Sauerstoff unter Bildung von Kalk (CaO) und Kohlenstoff: 2CaC2 + 0 2 ->- 2CaO + 4C, mit Stickstoff unter Bildung von „Kalkstickstoff" (S. 412f.): CaC2 + N2 —CaCN 2 + C reagiert. Das auf einem dieser Wege erhaltene Edelgasgemisch wird als „Rohargon" bezeichnet, da es (vgl. S. 72) zu 99.8 Vol.-°/0 aus Argon und nur zu 0.2°/0 (d. h. zu 2/iooo seines Volumens) aus den übrigen Edelgasen besteht. Die technische Gewinnung der Edelgase aus der Luft bedient sich der F r a k t i o nierung v e r f l ü s s i g t e r L u f t (vgl. S. 32ff.). Entsprechend den Siedepunkten der verschiedenen Bestandteile der Luft: -
He 269
Ne - 246
-
Na 196
-
Ar 186
Oa - 183
Kr - 153
-
Xe 107»
kann man bei der Rektifikation der flüssigen Luft einen helium- und neonhaltigen Stickstoff, einen argonhaltigen Stickstoff bzw. Sauerstoff und einen krypton- und xenonhaltigen Sauerstoff abtrennen, die als Ausgangsmaterial für die Gewinnung der einzelnen Edelgase dienen können. Helium, Neon. Die leichtflüchtigste Fraktion bei der Luftzerlegung besteht zu etwa 50°/ 0 aus Neon + Helium und zu 5 0 % aus Stickstoff. Die Trennung der darin enthaltenen E d e l g a s e gelingt in prinzipiell einfacher Weise durch A d s o r p t i o n (S. 298f.) des Gasgemisches an a k t i v e r K o h l e bei tiefen Temperaturen und nachfolgende f r a k t i o n i e r t e D e s o r p t i o n ; denn die Adsorbierbarkeit der Edelgase an Aktivkohle nimmt mit steigendem Atomgewicht, also in der Richtung He —>- Ne — >Ar — K r —>- Xe stark zu. Man kann so z. B. leicht 99°/0iges Helium erhalten. Argon. Als eine der Mittelfraktionen bei der Rektifikation der flüssigen Luft läßt sich ein stickstoff- und argonhaltiger S a u e r s t o f f abtrennen, der bei einer weiteren Fraktionierung ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus Argon und Stickstoff bestehendes Gasgemisch ergibt. Die Entfernung des S t i c k s t o f f s erfolgt durch erneute R e k t i f i k a t i o n ; die Entfernung des S a u e r s t o f f s kann auf chemischem Wege (z. B. mit Schwefel oder Wasserstoff) erfolgen. In analoger Weise läßt sich aus dem bei der Lufttrennung anfallenden S t i c k s t o f f das Argon isolieren. Für die Glühlampenindustrie (S. 75) wird als Füllgas meist ein Gemisch von 80—90°/ 0 Argon und 20—10°/ 0 Stickstoff geliefert. Daneben kommen aber auch technisch reines Argon (bis 9 9 % Ar) und „spektralreines" Argon in den Handel. Krypton, Xenon. Für die Gewinnung von Krypton und Xenon kann im Anschluß an die Sauerstofferzeugung durch ein besonderes Rektifikationsverfahren ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus Krypton und Xenon bestehendes Produkt gewonnen werden, welches sich in einer F e i n r e i n i g u n g s a n l a g e unter Anwendung chemischer und physikalischer Reinigungsverfahren von Sauerstoff und allen anderen Verunreinigungen befreien läßt. Die Ausbeute beträgt 75—80% der Theorie. Das erhaltene Krypton-Xenon-Gemisch wird als „lampenfertiges" Gas an die Glühlampenindustrie abgegeben. Für die Bedürfnisse der Glühlampenindustrie reichen allerdings die auf diese Weise als Nebenprodukt gewinnbaren Kryptonund Xenonmengen (einige hundert m3 je Jahr) nicht aus. Zur Gewinnung größerer Mengen Krypton und Xenon bedient man sich zweckmäßig eines von GEORGES CLAUDE beschriebenen Verfahrens, bei dem die beiden Edelgase als H a u p t p r o d u k t gewonnen werden. Es beruht darauf, daß man nicht die Gesamtmenge der Luft, sondern nur etwa V10 davon verflüssigt und mit dieser Flüssigkeit aus den übrigen 9/io der bis nahezu an den Taupunkt abgekühlten Luft die schweren Edelgase und einen kleinen Teil des Sauerstoffs auswäscht. Die so erhaltene Lösung von Krypton und Xenon in flüssiger Luft wird dann wie vorher rektifiziert und gereinigt.
74
Die Gruppe der Edelgase
Welch ungeheuren Fortschritt die beiden geschilderten technischen Verfahren der Kryptonund Xenongewinnung darstellen, geht daraus hervor, daß der frühere Krypton- und Xenonpreis — der sich noch im Jahre 1933 auf 25000 Mark je Liter Krypton und 32000 Mark je Liter Xenon stellte — in den letzten Jahren um 4 Zehnerpotenzen auf einige Mark je Liter Gemisch gesunken ist. Hierdurch wurde der Glühlampenindustrie überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, an die Verwendung dieses Edelgasgemisches als Füllgas zu denken (S. 75).
b) Aus Erdgasen Bei der Gewinnung von Helium aus amerikanischen Erdgasen verfährt man so» daß man aus dem Rohgas zunächst durch Druckwaschung mit Wasser und Kalkmilch das Kohlendioxid entfernt. Das so vorgereinigte Gas wird dann durch stufenweises Komprimieren und Expandieren bis auf —205° heruntergekühlt. Hierbei bleibt das Helium unkondensiert, und man erhält so ein zu 97—98°/ 0 aus Helium und zu 3—2 °/0 aus Stickstoff bestehendes Gas.
c) Aus Mineralien
Die Darstellung von Helium im Laboratorium erfolgt am besten durch Erhitzen heliumhaltiger Mineralien wie Cleveit U 3 0 8 , Monazit CeP0 4 , T h o r i a n i t Th0 2 auf über 1000° C (vgl. S. 72). 1 kg Cleveit (Monazit; Thorianit) liefert dabei 7—8 (1—2; 8—10) Liter Helium.
4. Physikalische Eigenschaften Die Edelgase sind färb- und geruchlose, einatomige Gase, deren wichtigste physikalische Daten in folgender Tabelle zusammengefaßt sind: Atomgewicht Helium Neon Argon Krypton.... Xenon Radon
4.003 20.183 39.944 83.7 131.3 222
Schmelzpunkt in °C -
272.1 1 248.6 189.4 157.2 111.8 71
Siedepunkt in ° C -
268.98 246.03 185.87 152.9 107.1 65
Kritische Daten Temperatur in «C + +
267.9 228.7 120 62.5 16.6 104.5
Druck in at
Dichte in g/cm3
2.26 26.9 50 54.3 58.2 62.4
0.069 0.4 0.4 0.7 0.9 1.2
Bemerkenswert ist, daß das flüssige Helium in zwei Formen, als „Helium / " und „Helium II" existiert. Kühlt man das beim Verflüssigen von Heliumgas zunächst entstehende Helium I, das eine vollkommen normale Flüssigkeit darstellt, unter den Umwandlungspunkt („X-Punkt") ab (— 270.97° bei 1 Atm. Druck), so geht es in Helium I I über, dessen Eigenschaften so ungewöhnlich sind, daß man diese Form als einen vierten Aggregatzustand der Materie, den „superfluiden" oder „supraflüssigen" Zustand, bezeichnet hat. So ist seine V i s k o s i t ä t um 3 Zehnerpotenzen kleiner als die von gasförmigem Wasserstoff und seine W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t um 3 Zehnerpotenzen größer als die von Kupfer bei Zimmertemperatur. Durch enge Kapillaren (Durchmesser < Vioo mm) strömt es ohne R e i b u n g hindurch, so daß in Sekunden mehr superfluides Helium hindurchfließt als gasförmiges Helium in Wochen. Unter den „physikalischen V e r b i n d u n g e n " der Edelgase seien die durch Gitterkräfte zusammengehaltenen H y d r a t e X • 6 H 2 0 genannt, deren Dissoziationsdrucke mit fallendem Atomgewicht des Edelgases zunehmen (Rn • 6 H 2 0 : 1 Atm., Xe • 6H a O: 1.5 Atm., Kr • 6 H 2 0 : 1 4 . 5 Atm., Ar • 6 H 2 0 : 98.5 Atm. bei 0°). Erwähnenswert sind weiterhin eine Reihe von „Clathraten" („Käfigverbindungen", „EinschlußBei 25 at Druck.
Physikalisohe Eigenschaften — Anwendung
75
Verbindungen"), die dadurch Zustandekommen, daß bei der Kristallisation von Hydrochinon und anderen geeigneten organischen Verbindungen in einer Edelgasatmosphäre von hohem Druck die Edelgase in den H o h l r ä u m e n des G i t t e r s der organischen Verbindung eingefangen werden (z.B. 9 Gew.-% Ar bzw. 16 Gew.-% K r bzw. 26 Gew.% Xe, entsprechend einem ungefähren Molverhältnis Hydrochinon: Edelgas = 4 : 1). Im Argon-Clathrat sind beispielsweise die Argonatome so eng zusammengepackt, wie es im gasförmigen Zustande erst bei einem Druck von über 70 Atm. der Fall wäre. Beim Schmelzen oder Lösen der Edelgasmischkristalle entweichen die Edelgase. In analoger Weise wie die Edelgase lassen sich auch andere Gase (z. B. HCl, HBr, H 2 S, S 0 2 , C 0 2 , HCN) in die Gitter organischer Verbindungen einschließen.
5. Anwendung Die Edelgase, die wegen ihrer chemischen Reaktionsträgheit für den Chemiker zunäohst nur theoretisches Interesse zu haben schienen, sind im Laufe der Zeit gerade wegen dieser Eigenschaft zu großer praktischer Bedeutung gelangt. An erster Stelle sei hier erwähnt ihre Verwendung in der Glühlampenindustrie. Im Jahre 1913 fand IRVING LANGMUIR, daß man die Lichtausbeute der Metallfadenlampe steigern kann, wenn man den Faden nicht wie bis dahin im V a k u u m , sondern in einer G a s a t m o s p h ä r e glühen läßt. Denn die Gasatmosphäre wirkt der Verdampfung des Metalldrahts (Wolfram) entgegen, so daß die Temperatur des Drahtes — die in einer gasleeren Lampe etwa 2100° beträgt — bis auf 2400° und höher gesteigert werden kann. Als Füllgas verwendete man zunächst den reaktionsträgen S t i c k s t o f f . Da aber die V e r d a m p f u n g s g e s c h w i n d i g k e i t mit der Geschwindigkeit der thermischen D i f f u s i o n des Metalldampfes in den umgebenden Gasraum wächst und die D i f f u s i o n s g e s c h w i n d i g k e i t ihrerseits mit steigendem M o l e k u l a r g e w i c h t des Füllgases abnimmt, mußte der Ersatz des Stickstoffs (Molekulargewicht 28) durch ein schwereres Gas große Vorteile bringen. Als solches Füllgas bot sich das in der Luft reichlich vorhandene, reaktionsträge Edelgas Argon (Molekular- = Atomgewicht 40), das zudem gegenüber dem Stickstoff den Vorteil g e r i n g e r e r W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t aufweist. Die weitere Entwicklung der Glühlampe geht dahin, das Argon der Glühlampen durch die noch schwereren Edelgase K r y p t o n (Molekular- = Atomgewicht 84) und X e n o n (Molekular- = Atomgewicht 131) zu ersetzen. Denn auf diese Weise läßt sich die Glühdrahttemperatur der Argonlampe (2430°) um weitere etwa 80° (der Schmelzpunkt des Wolframs liegt erst bei 3380°, so daß noch ein genügender Temperaturspielraum vorhanden ist) steigern, was mit einer besseren Ausbeute an weißem und ultraviolettem Licht verknüpft ist. Auch erlaubt die geringere Wärmeleitfähigkeit der schweren Edelgase mit kleineren Lampenkolben auszukommen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für die Edelgase stellt die Lichtreklame dar. Das leuchtend rote Licht, das eine mit Neon gefüllte Glasröhre bei elektrischer Anregung ausstrahlt, legte schon bald nach der Entdeckung des Gases den Gedanken nahe, es in der Beleuchtungstechnik zu verwenden. So kam es zur Einführung der „Neonröhre" in die Beleuchtungstechnik. Das Bedürfnis nach Abwechslung in den Farben und nach Steigerung der Lichtausbeute führte dann zur weiteren Entwicklung dieser Niederdruck-Edelgasröhre. So wird z. B. bei Anwesenheit von Quecksilberspuren das Spektrum des Neons fast völlig durch das des Quecksilbers verdrängt, wobei sich aber die Intensitäten der Linien des Quecksilberspektrums so verschieben, daß das bekannte kaltgrünliche Licht der Quecksilberlampe in ein warmes kornblumenblaues Licht („Blaulichtröhre") übergeht. Verwendet man eine Röhre aus braunem Glas, so ergibt sich ein grünes Licht.
76
Die Gruppe der Edelgase
Unausgenutzt bleibt bei dieser Anordnung das von der Blaulichtröhre ebenfalls ausgesandte u l t r a v i o l e t t e L i c h t . Denn das menschliche Auge vermag bekanntlich aus dem e l e k t r o m a g n e t i s c h e n S p e k t r u m , welches Wellenlängen von Bruchteilen eines billionstel Millimeters bis zu mehreren Kilometern umfaßt, nur einen winzigen Ausschnitt, nämlich Licht der Wellenlänge 4/ioooo bis 8/ioooo m m wahrzunehmen (Kg. 36), einen Ausschnitt, der uns allerdings trotz seiner verschwindenden Spaltbreite die ganze Farbenpracht der Natur vermittelt. Will man auch das von den Blaulichtröhren ausgestrahlte u l t r a v i o l e t t e Licht dem Auge nutzbar machen, so muß man es dementsprechend erst in s i c h t b a r e s Licht umwandeln Dies geschieht mit
H i l f e chemischer
„Transformatoren"
( „ P h o s p h o r e " , „Luminophore",
„Leucht-
stoffe" ; S. 412, 475 f.) an der Innenwand der Blaulichtröhren (z. B. Magnesium- oder Calciumwolframat, Cadmiumborat, Zink-beryllium-silicat). Auf diese Weise läßt sich X-Einhoiten
Viooco Viooo Vioo ho Vwo Yrn Vioio Ultrastrahlen -6
-s
Millimeter
Angstrom
y-Strahlen -3 -z
-1
Meter
loo woo Vioon Vioo 'ho Ultraviolet Ultrarot
Röntgenstrahlen
Elektrische Wellen
l Welle des ißeutschlanaj senders
10 11 12 13 3 .• i S & 7 » $ leg /l fa sichtbares Gebiet Fig. 36. Spektrum der elektromagnetischen Wellen 2
Vt
die Lichtausbeute solcher Röhren auf ein Vielfaches steigern. Noch günstiger ist es, die Transformatorzentren in das Glas selbst zu verlegen, so daß sie der unmittelbaren Einwirkung der Entladung entzogen sind; man benötigt dann natürlich ultraviolett-durchlässige Gläser. Von den weiteren Verwendungsmöglichkeiten der Edelgase seien noch speziell die des Heliums angeführt. Infolge seiner Nichtbrennbarkeit eignet es sich weit besser als Wasserstoff zur F ü l l u n g v o n L u f t s c h i f f e n . Zwar ist Helium (Atom- = Molekulargewicht 4) doppelt so schwer wie Wasserstoff (Molekulargewicht 2). Da aber der Auftrieb eines Gases in Luft durch die Differenz von Gasgewicht und Gewicht der verdrängten Luft („Molekulargewicht" 29) gegeben ist, wird die Tragfähigkeit des Luftschiff-Füllgases beim Ersatz von Wasserstoff durch Helium nur im Verhältnis (29 — 2): (29 — 4) = 108: 100, also um weniger als 8°/ 0 herabgesetzt. Allerdings entfällt dieser Gesamtverlust an Tragfähigkeit speziell auf die Nutzlast, so daß er hier prozentual weit mehr ausmacht. Günstig ist noch, daß das im Vergleich zum Wasserstoff größere Molekulargewicht eine geringere Geschwindigkeit der Diffusion durch die Ballonhülle bedingt (S. 40f.). Da das Helium im verdünnten Zustande die Zustandsgieichung der idealen Gase (S. 23f.) am besten unter allen Gasen befolgt, findet es weiterhin als F ü l l g a s für G a s t h e r m o m e t e r Verwendung, bei denen aus dem Druck einer auf konstantem Volumen gehaltenen Gasmenge auf die Temperatur geschlossen wird. Auch in der B e l e u c h t u n g s t e c h n i k spielt Helium eine gewisse Rolle, da sein elfenbeinweißes Licht — das durch gelbes Filterglas in ein schönes Goldgelb verwandelt werden kann — eine willkommene Ergänzung der mit anderen Edelgasen erzielbaren Farbenskala darstellt.
6. Spezifische W ä r m e chemischer Stoffe Da die Edelgase keine chemischen Verbindungen bilden, ist bei ihnen eine A t o m g e w i c h t s b e s t i m m u n g auf dem früher (S. 26ff.) geschilderten Wege (Ermittlung der kleinsten in 1 Mol Verbindung enthaltenen Elementmenge) nicht möglich. Hier muß
Spezifische Wärme ohemischer Stoffe
77
man zu p h y s i k a l i s c h e n Methoden greifen. Eine geeignete derartige Methode ist z . B . die Bestimmung der s p e z i f i s c h e n W ä r m e , die sowohl bei gasförmigen wie bei festen Elementen eine Atomgewichtsbestimmung ermöglicht.
a) Gasförmige Stoffe Führt man einem Gas W ä r m e zu, so wird dadurch die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasmoleküle erhöht. Nun kann man dreierlei Möglichkeiten der Bewegung unterscheiden : a) die fortschreitende Bewegung der Moleküle („Translation"), b) die Drehbewegung der Moleküle („Rotation"), c) die Schwingungsbewegung der Atome innerhalb des Moleküls („Oszillation"). Die f o r t s c h r e i t e n d e B e w e g u n g der Moleküle kann nach den 3 Richtungen des Raums hin erfolgen, hat also 3 „Freiheitsgrade". In analoger Weise besitzt auch die D r e h b e w e g u n g eines Moleküls maximal 3 Freiheitsgrade, da sie um die 3 verschiedenen Molekül-Raumachsen erfolgen kann. Die Zahl der Freiheitsgrade der S c h w i n g u n g s -
Fig. 37. Rotations-Freiheitsgrade drei-, zwei- und einatomiger Moleküle
b e w e g u n g schließlich steigt mit der Zahl der Atome innerhalb des Moleküls rasch an (vgl. S. 317) und ist im einfachsten Falle eines zweiatomigen Moleküls gleich 2 (elastisches Hin- und Herschwingen der Atome gegeneinander, entsprechend einer Speicherung von potentieller und kinetischer Energie). Die kinetische Gastheorie lehrt, daß die der Erwärmung eines idealen Gases um 1° bei konstantem Volumen entsprechende Bewegungssteigerung eine Zufuhr von B/2 = 0.993 cal pro Freiheitsgrad und Mol erfordert (s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Je nach der Zahl der bei der Erwärmung „angeregten" Freiheitsgrade wird daher die zur Erwärmung eines Mols Gas um 1° erforderliche Wärmemenge Cv („Molwärme" bei konstantem Volumen) verschiedene Werte annehmen. Liegt z. B. ein d r e i a t o m i g e s , gewinkeltes Molekül (Fig. 37a) vor, so können bei der Erwärmung je 3 Freiheitsgrade der Translation und Rotation angeregt werden (die Freiheitsgrade der Oszillation „erwachen" meist erst bei verhältnismäßig hohen Temperaturen und sollen hier daher außer acht gelassen werden). Dementsprechend beträgt die Molwärme C„ für solche Moleküle theoretisch 6 R/2 = 5.96 cal; gefunden wurden z. B. für Wasser (H 2 0) 6.01, für Schwefelwasserstoff (H2S) 6.10 cal. Bei einem z w e i a t o m i g e n Molekül (Fig. 37b) kann der Freiheitsgrad der Drehung um die AtomVerbindungsachse des Moleküls bei Zimmertemperatur vernachlässigt werden, da der Radius der Drehbewegung wegen des geringen Durchmessers der Atommasse verschwindend klein im Vergleich zum Radius der Drehbewegung um die beiden anderen
78
Die Gruppe der Edelgase
Molekül-Raumachsen ist, so daß ein sehr kleines Trägheitsmoment um die Längsachse des Moleküls resultiert und die Auslösung der Rotation um diese Achse dementsprechend hohe Anregungsenergien erfordert und daher nur bei sehr hohen Temperaturen erfolgen kann 1 . Hier bleiben also 3 + 2 = 5 Freiheitsgrade, entsprechend einer Molwärme C, = 5 R/2 = 4.97 cal. Gefunden wurden z. B. für Wasserstoff (H2) 4.91, für Stickstoff (N2) 4.97 cal, was zugleich ein weiterer Beweis (vgl. S. 17ff.) für den zweiatomigen Aufbau der Moleküle dieser Gase ist. Bei e i n a t o m i g e n Molekülen (Fig. 37c) schließlich kommen bei Zimmertemperatur nur die Freiheitsgrade der Translation in Frage, da die Anregung der Rotation wegen des geringen Durchmessers der Atommasse höhere Energiebeträge erfordert. Hier muß demnach die Molwärme C„ = 3 R/2 = 2.98 cal betragen. Genau diesen Wert findet man nun bei den Edelgasen. Daraus geht hervor, daß die Edelgase einatomig sind, daß also das Molekulargewicht (Gewicht von 22.415 1 Gas bei 0° und 760 mm Druck) gleich dem Atomgewicht ist. Leichter als die Molwärme Cv läßt sieh meist das V e r h ä l t n i s Gp/Gv = y der Molwärmen bei k o n s t a n t e m D r u c k ((7p) und bei k o n s t a n t e m V o l u m e n (Gv) ermitteln (z. B. aus der Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Schallwellen in dem untersuchten Gas; s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Da nun zwischen Op und Cv bei idealen Gasen die einfache Beziehung Cp =CV+ R besteht (R = 1.986 cal), gilt für einatomige Gase: y = 4.97 : 2.98 = 1.67, für zweiatomige Gase: y = 6 . 9 6 : 4.97 = 1.40, für dreiatomige Gase: y = 7 . 9 5 : 5.96 = 1.33. Bei den Edelgasen ist y = 1.67, woraus sich wieder die Einatomigkeit dieser Gase ergibt.
b) Feste Stoffe Regel von DULONG und P E T I T . Die einzige Bewegungsmöglichkeit der Atome eines f e s t e n Körpers (S. 50), z. B. eines Metalls, besteht in einem e l a s t i s c h e n Schwingen um b e s t i m m t e S c h w e r p u n k t s l a g e n des Kristallgitters (S. 146f., 154f.). Da diese Schwingungen nach den 3 Raumrichtungen hin erfolgen können, besitzen sie 3 Freiheitsgrade, wobei jeder Freiheitsgrad doppelt zu zählen ist, da bei der elastischen Schwingung j a sowohl kinetische wie potentielle Energie gespeichert wird. Die zum Erwärmen eines festen Elements um 1° bei konstantem Volumen erforderliche Wärmemenge C„ („Atomwärme" bei konstantem Volumen) sollte daher 6 R/2 = 5.96 cal je Grammatom betragen. Dieser Wert erhöht sich auf 6.0 bis 6.5 cal/Grammatom, wenn man nicht die Atomwärme bei k o n s t a n t e m V o l u m e n , sondern die Atomwärme bei k o n s t a n t e m D r u c k (Cp) betrachtet, welche bei festen Stoffen nahezu ausschließlich gemessen wird und um einige Prozente größer als erstere ist. I n der T a t ist n u n n a c h einer v o n PIEBKE LOUIS DULONG ( 1 7 7 5 — 1 8 3 8 ) u n d ALEXIS
THIBBÜISE PETIT (1791—1820) bereits im Jahre 1818 aufgestellten Regel das Produkt aus spezifischer Wärme2 und Atomgewicht fester Elemente nahezu konstant und im Mittel gleich 6.2 cal: Atomgewicht X spezifische Wärme JS» 6.2. • . „Atomwärme"
(1)
So beträgt z. B. die Atomwärme Cp für Aluminium 5.75, für Calcium 5.90, für Silber 6.02, für Platin 6.23, für Gold 6.23, für Blei 6.40 cal. Da — wie oben sohon erwähnt — die Freiheitsgrade der Oszillation verhältnismäßig spät erwachen, liegt bei manchen 1 Die zur heitsmoment 2 Unter erforderliche
Anregung der Rotation von Molekülen erforderlichen Energiequanten sind dem Trägumgekehrt proportional, also um so größer, je kleiner letzteres ist. spezifischer Wärme versteht man die zum Erwärmen von 1 g Substanz um 1° C Wärmemenge.
Spezifische Wärme chemischer Stoffe
79
festen Elementen bei Zimmertemperatur noch keine volle Anregung der inneren Schwingungen vor, so daß sie erst bei höheren Temperaturen den Durchschnittswert von 6.2 cal erreichen. Zu diesen Elementen gehören z. B. Kohlenstoff, Bor und Silicium, deren Atome im Atomgitter sehr fest gebunden sind. Die „DULONG-VETirsche Regel" ermöglicht, wie aus (1) hervorgeht, eine ungefähre B e s t i m m u n g des Atomgewichtes fester Elemente. Die Bestimmimg ist naturgemäß n i c h t sehr genau, da der Wert 6.2 nur einen Durchschnittswert darstellt. Bei Kombination der DULONG-PETITsehen Regel mit der später zu besprechenden Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s b e s t i m m u n g (S. 161 f.) ergeben sich aber genaueste Atomgewichtswerte. Regel von NBUHANN und KOPP. Der Regel von DULONG und PETIT schließt sich die R e g e l v o n FRANZ NEUMANN ( 1 8 3 1 ) u n d HERMANN KOPP ( 1 8 6 4 ) a n , w o n a c h sich die
Mol-
wärme fester Verbindungen additiv aus den Atomwärmen der enthaltenen Elemente zusammensetzt. Dividiert man dementsprechend die Molwärme fester Verbindungen durch die Zahl ihrer Atome je Molekül, so ergibt sich im Mittel wieder die Zahl 6.2. So besitzt z. B. das Kupfersulfid CuS die Molwärme 11.89, entsprechend einer mittleren Atomwärme von 11.89: 2 = 5.95, das Kupfersulfid Cu2S die Molwärme 18.74, entsprechend einer mittleren Atomwärme von 18.74:3 = 6.25. Allerdings kennt man auch viele Ausnahmen von der „NBUMANN-KOPP sehen Regel".
Kapitel VIII
Die Gruppe der Halogene Zur Gruppe der H a l o g e n e (7. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente) gehören die Elemente Fluor (F), Chlor (Cl), Brom (Br), Jod (J) und Asiat (At). Das letztere (Ordnungszahl 85) kommt in der Natur nur in verschwindenden Mengen als unbeständiges radioaktives Zerfallsprodukt 1 des Urans, Actino-urans und Thoriums vor (S. 568) und soll erst bei den radioaktiven Stoffen besprochen werden (S. 599f.). Den Namen Halogene ( = S a l z b i l d n e r ) tragen die Elemente, weil ihre Metallverbindungen den Charakter von S a l z e n — von der Art des Kochsalzes (NaCl) — haben. Wir besprechen zuerst die freien Halogene und dann ihre Verbindungen.
1. F r e i e H a l o g e n e a) Das Chlor a) Vorkommen Das Chlor ist ein sehr reaktionsfähiges Element. Daher kommt es in der Na tux n i c h t in f r e i e m Z u s t a n d e vor. Dagegen ist es in Form salzartiger M e t a l l v e r b i n d u n g e n zu 0.19 Gewichtsprozenten am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Weltmeere) beteiligt (S. 69). Die wichtigsten Vorkommen sind das Steinsalz (Natriumchlorid) NaCl, der Sylvin (Kaliumchlorid) KCl und der Carnallit (Kalium-magnesium-chlorid) KCl MgCl2 • 6H 2 0. Physiologisch von Wichtigkeit ist das Vorhandensein von 0.3 bis 0.4°/ 0 Chlorwasserstoff HCl im Magensaft, entsprechend einer rund 1 / 10 -molaren Salzsäurelösung. ß) Darstellung Zur Darstellung des Chlors geht man zweckmäßig von Produkten aus, die in beliebiger Menge zur Verfügung stehen. Ein solcher Ausgangsstoff ist das oben erwähnte S t e i n - oder K o c h s a l z NaCl. Dieses kann entweder d i r e k t oder nach vorheriger Umwandlung in C h l o r w a s s e r s t o f f (HCl) in Chlor übergeführt werden. I n der Technik wählt man gewöhnlich den ersteren, im Laboratorium den letzteren Weg. Aus Chlorwasserstoff (Salzsäure) Läßt man auf Natriumchlorid konzentrierte Schwefelsäure (H 2 S0 4 ) einwirken, so erfolgt ein Austausch der Wasserstoffatome der Schwefelsäure gegen die Natriumatome des Natriumchlorids {„doppelte Umsetzung"): H S S0 4 + 2 NaCl — > Na a S0 4 + 2 HCL.
(1)
Die Reaktion dient zur t e c h n i s c h e n G r o ß d a r s t e l l u n g v o n C h l o r w a s s e r s t o f f bzw. seiner wässerigen Lösung, der S a l z s ä u r e (S. 89f.). Zur Gewinnung von Chlor muß dieser Chlorwasserstoff o x y d i e r t , d. h. von Wasserstoff befreit werden. 1
astatos
(cxcrrcrTos) -•= unbeständig.
Freie Halogene
81
Ein geeignetes Oxydationsmittel hierfür ist z. B. der L u f t s a u e r s t o f f , der bei erhöhter Temperatur den Wasserstoff unter Bildung von Wasser bindet: 4 HCl +
^ 2H8Q + 2CI8.
(2)
Das Verfahren hat als DEACON-V erfahren (erfunden 1868) früher große technische Bedeutung gehabt; heute wird aber nach diesem Verfahren nur noch ganz vereinzelt Chlor erzeugt. Die Reaktion verläuft unter gewöhnlichen Bedingungen sehr langsam und bedarf zur Beschleunigung eines K a t a l y s a t o r s . Als solcher dient beim DEACON-Verfahren K u p f e r c h l o r i d (CuCl2), und zwar wird ein Gemisch von 7 0 % Luft und 3 0 % Chlorwasserstoff bei 430° über mit Kupferchloridlösung getränkte Tonkugeln geleitet (vgl. S.455). Rund 70—80% des eingeführten Chlorwasserstoffs gehen dabei in Chlor über. Daß die Ausbeute nicht quantitativ ist, ist darauf zurückzuführen, daß die Reaktionsprodukte Wasserdampf und Chlor ihrerseits das Bestreben haben, sich unter R ü c k b i l d u n g d e r A u s g a n g s s t o f f e Chlorwasserstoff und Sauerstoff umzusetzen. Es stellt sich daher ein „chemisches Gleichgewicht" ein, welches dadurch charakterisiert ist, daß in einer gegebenen Zeit ebensoviel Wasser und Chlor erzeugt werden als Wasser und Chlor wieder reagieren. Wir werden auf derartige chemische Gleichgewichte noch ausführlich zu sprechen kommen (S. 100ff.). Ein anderes geeignetes Oxydationsmittel zur Bildung von Chlor aus Chlorwasserstoff ist der B r a u n s t e i n (Mangandioxid) Mn0 2 . So gewinnt man im Laboratorium das Chlor gebräuchlicherweise durch gelindes Erhitzen von konzentrierter Salzsäure (oder einem Gemisch von Kochsalz und mäßig konzentrierter Schwefelsäure — vgl. (1) —) mit M n 0 2 : 4 HCl + MnOj 2 H 2 0 + MnCl2 + Cl2. (3) Die Umsetzung verläuft in zwei Stufen so, daß durch doppelte Umsetzung primär Mangan-tetrachlorid (MnCl4) gebildet wird: 4HCl + MnOa —>- 2 H 2 0 + MnCl 4 , welches dann sekundär in Mangan-dichlorid (MnCl2) und Chlor zerfällt: MnCl4 —>- MnCl2 + Cl2. Wie ein Vergleich der Reaktionsgleichungen (2) und (3) zeigt, entsteht im letzteren Falle aus einer gegebenen Chlorwasserstoffmenge nur halb soviel Chlor als beim DEACON-Verfahren (2), da die Hälfte des Chlors an das Mangan (Mn) gebunden bleibt. Die Umsetzung von Chlorwasserstoff und Braunstein hat als WELDON-Verfahren (erfunden 1866) früher eine technische Rolle gespielt. Bei diesem Verfahren wurde das gebildete Mangandichlorid durch Oxydation mit Luft unter geeigneten Reaktionsbedingungen immer wieder in Braunstein zurückverwandelt, so daß letzten Endes auch hier der L u f t s a u e r s t o f f das eigentliche Oxydationsmittel war. Die Reaktion(3) ist auch deswegen noch erwähnenswert, weil das Chlor auf diesem Wege von dem deutsch-schwedischen Chemiker C A R L W I L H E L M S C H E E L E (S. 37) im Jahre 1774 entdeckt wurde. Von anderen geeigneten Oxydationsmitteln zur Chlorgewinnung aus Salzsäure im Laboratorium seien hier erwähnt: das K a l i u m p e r m a n g a n a t KMn0 4 (Auftropfen von konzentrierter Salzsäure auf Kaliumpermanganatkristalle; vgl. S. 169) und der C h l o r k a l k CaCl 2 0 (Einwirkung von Salzsäure auf gepreßte Chlorkalkwürfel im Kippschen Apparat; vgl. S. 123). Statt auf c h e m i s c h e m Wege kann der Chlorwasserstoff auch auf e l e k t r o c h e m i s c h e m Wege zerlegt werden. Unterwirft man eine konzentrierte Salzsäure der E l e k t r o l y s e , so bildet sich an der Kathode Wasserstoff, an der Anode Chlor: Energie + 2 HCl — v H, + Cla. Über die Vorgänge, die sich dabei im einzelnen abspielen, wird später (S. 91 ff.) ausführlicher gesprochen. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 47.—56. Aufl.
0
Die Gruppe der Halogene
82
Aus N a t r i u m c h l o r i d Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlor elektrolysiert man d i r e k t Lösungen von N a t r i u m c h l o r i d , ohne letzteres vorher in Chlorwasserstoff (Salzsäure) umzuwandeln. Der Gesamtvorgang der Elektrolyse wird durch die Gleichung Energie + 2H iOH + 2Naj C1 —>- H2 + 2NaOH + Cl2 wiedergegeben. Außer Chlor entstehen dabei also noch W a s s e r s t o f f (vgl. S. 37) und N a t r o n l a u g e (NaOH). Auf die technischen Ausführungsformen dieser Elektrolyse („Chloralkali-elektrolyse") wird bei der Besprechung der Natronlauge (S. 424f.) näher eingegangen werden; bezüglich des Reaktionsablaufs der Elektrolyse vgl. S. 174. y) Physikalische Eigenschaften Chlor ist ein gelbgrünes1, erstickend riechendes, die Schleimhäute stark angreifendes Gas, welches 2 1 / 2 mal so schwer wie Luft ist. Durch Druck kann es leicht verflüssigt werden, da seine kritische Temperatur recht hoch liegt (kritische Temperatur: 143.5°; kritischer Druck: 76.1 a t ; kritische Dichte: 0.57 g/cm3). Daher gelangt es als flüssiges Chlor (spezifisches Gewicht 1.57 bei —34° C) in (grau gestrichenen) Stahlbomben und in Kesselwagen in den Handel. Der Siedepunkt des flüssigen Chlors liegt bei —34.0° C, der Erstarrungspunkt bei —102.4°. In Wasser ist Chlor gut löslich: 1 Raumteil Wasser löst bei 20° und Atmosphärendruck 2.3 Raumteile Chlor. Die Lösung ( 1 / 10 -molar) heißt „Chlorwasser" (vgl. S. 121 f.). Wegen dieser guten Löslichkeit wird das Chlor bei der Darstellung im Laboratorium zweckmäßig nicht über Wasser, sondern über gesättigter Kochsalzlösimg aufgefangen, in der es weniger löslich ist. Noch bequemer ist es, das Gas in einem trockenen Glasgefäß zu sammeln, indem man es auf den Boden des Gefäßes leitet; infolge seiner Schwere bleibt es unten liegen und verdrängt von hier aus allmählich die Luft. 8) Chemische Eigenschaften Das Chlor gehört zu den chemisch r e a k t i o n s f ä h i g s t e n Elementen und verbindet sich — meist schon bei gewöhnlicher Temperatur, noch heftiger bei erhöhter Temperatur — mit f a s t a l l e n anderen Elementen unter starker Wärmeentwicklung. Nur gegen die E d e l g a s e sowie gegen S a u e r s t o f f , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f verhält es sich indifferent; auf dem Wege über andere Verbindungen lassen sich aber auch Chlorverbindungen der letzteren drei Elemente gewinnen (S. 126 ff., 232f., 300). Einige Reaktionen mit Metallen und Nichtmetallen seien im folgenden angeführt. Unter den Metallen reagieren die der 1. Hauptgruppe des Periodensystems, die A l k a l i m e t a l l e , am heftigsten mit Chlor. Erwärmt man z. B. im Chlorstrom ein Stückchen Natrium auf etwa 100°, so vereinigen sich die beiden Elemente unter intensiver gelber Lichterscheinung lebhaft zu Natriumchlorid: 2Na + Cla
> 2 NaCl + 196.6 kcal.
Fast ebenso heftig wie die Alkalimetalle reagieren die Elemente der 2. Hauptgruppe des Periodensystems, die E r d a l k a l i m e t a l l e ; z . B . : Ca + Cl2 —->- CaCl2 + 190.6 kcal. Aber auch die Metalle der rechten Hälfte des Periodensystems reagieren noch lebhaft mit Chlor, wenn man sie in feinverteiltem Zustande zur Umsetzung bringt. Schüttet man z. B. feingepulvertes A r s e n , A n t i m o n oder W i s m u t in ein mit Chlor gefülltes Glasgefäß, so „verbrennen" sie unter Feuererscheinung zu entsprechenden Chloriden ¡ z . B . : Sb + l'/sClü —>- SbCl3 + 91.4 kcal. 1
chloros (x^copös) = gelbgrün.
83
Freie Halogene
In gleicher Weise kann man auch edle Metalle wie K u p f e r unter Flammenerscheinung mit Chlor zur Vereinigung bringen, wenn man sie als sehr feine Pulver oder in Form sehr dünner Blättchen (z.B. als unechtes — aus Kupfer und Zink bestehendes — Blattgold; S. 452) anwendet: Cu + CJ2
>- CuCl2 + 53.4 kcal.
Bei allen diesen Reaktionen spielt ein gewisser Feuchtigkeitsgehalt des Chlors eine Rolle (vgl. S. 435). Denn t r o c k e n e s Chlor ist viel r e a k t i o n s t r ä g e r als feuchtes. So verbindet sich z. B. vollkommen trockenes Chlor nicht mit K u p f e r oder E i s e n . Daher kann man solches Chlor durch Eisenleitungen fortleiten und im flüssigen Zustande in Stahlbomben (unter einem Druck von etwa 6 Atmosphären) in den Handel bringen. Unter den Reaktionen des Chlors mit Nichtmetallen (z. B. Phosphor, Schwefel, Wasserstoff), die bei Zimmertemperatur im allgemeinen weit weniger heftig verlaufen, ist besonders die Umsetzung mit W a s s e r s t o f f erwähnenswert. Mischt man Chlor und Wasserstoff im Molverhältnis 1 : 1 , so kann man das Gasgemisch bei gewöhnlicher Temperatur und im Dunkeln unverändert aufbewahren, ohne daß eine merkliche Reaktion einsetzt. Im zerstreuten Tageslicht dagegen entsteht allmählich, im S o n n e n l i c h t oder bei B e s t r a h l u n g mit blauem oder kurzwelligerem Licht oder bei lokaler E r h i t z u n g e x p l o s i o n s a r t i g Chlorwasserstoffgas: H 2 + Cl 2
v 2HCl + 43.8 kcal.
(4)
Man nennt daher das Chlor-Wasserstoff-Gemisch auch „Chlorknallgas". Da die Wärmeentwicklung nicht so stark ist wie bei der Umsetzung des aus W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f bestehenden Knallgases (vgl. S. 45), ist die Explosion von Chlorknallgas nicht so gewaltig wie die von S a u e r s t o f f k n a l l g a s . Zur explosionsfreien Vereinigung von Chlor und Wasserstoff vgl. S. 90. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung des L i c h t s oder der W ä r m e beruht darauf, daß unter der Einwirkung dieser Energiezufuhr eine Spaltung einzelner Chlormoleküle in die C h l o r a t o m e erfolgt (vgl. S. 85): 57.8 kcal + Cl 2 2 C1. (5) Die so gebildeten Chloratome reagieren nach den Gleichungen C1 + H 2 H + Cl 2
HCl + H — 1.0 kcal v HCl + C1 + 44.8 kcal
(6) (7)
unter Wärmeentwicklung und Rückbildung von Chloratomen — die von neuem gemäß (6) in die Reaktion eintreten — weiter („Kettenreaktion"), bis sich die Reaktionsgeschwindigkeit infolge des raschen Temperaturanstiegs zur Explosion steigert. Eine einmal eingeleitete Reaktionskette bricht dann ab, wenn die Träger der Reaktion (H bzw. Cl) beispielsweise durch eine Wandreaktion beseitigt werden. Dies tritt bei geeigneten Versuchsbedingungen verhältnismäßig selten ein, so daß dann mehrere Millionen Chlorwasserstoffmoleküle gemäß (6) und (7) gebildet werden können, bevor die K e t t e abreißt. Gleichung (6) und (7) ergeben addiert die Gesamtgleichung (4).
Das Bestreben des Chlors, sich mit Wasserstoff zu verbinden, ist so groß, daß es auch vielen Wasserstoffverbindungen den Wasserstoff unter Chlorwasserstoffbildung entreißt. Taucht man z. B. einen mit T e r p e n t i n ö l (C10H16) getränkten Filtrierpapierstreifen in einen mit Chlorgas gefüllten Glaszylinder, so entzündet sich das Terpentinöl unter Entweichen dicker Rußwolken (Kohlenstoff): C 1 0 H 1 6 + 8 Cl 2 — v 10 C +
16 H C l .
Leitet man S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H2S) in eine wässerige Lösung von Chlor, so scheidet sich Schwefel aus: H2S + C l , — 2 H C 1 +
S.
Auch Wasser kann durch Chlor in entsprechender Weise unter Sauerstoffentwicklung zersetzt werden: H a O + C l 2 - > 2 HCl + 0 . (8) 6*
84
Die Gruppe der Halogene
Die Reaktion verläuft jedoch nur unter der Einwirkung des S o n n e n l i c h t e s mit genügender Geschwindigkeit (vgl. S. 122). Zur Verhinderung dieser zersetzenden Wirkung des Lichtes bewahrt man Chlorwasser in braunen Flaschen auf. Als „naszierender" Sauerstoff (vgl. S. 48) ist der nach (8) gebildete Sauerstoff besonders reaktionsfähig. Daher besitzt feuchtes Chlor s t a r k o x y d i e r e n d e Wirkung, was man zum B l e i c h e n (oxydative Zerstörung von Farbstoffen) und zum D e s i n f i z i e r e n (oxydative Zerstörung von Bakterien) benutzt. Bringt man z. B. eine rote Rose oder eine Tulpe in feuchtes Chlorgas, so verschwindet zuerst das empfindliche Blattgrün und dann auch der rote Blütenfarbstoff. Man benutzt diese B l e i c h wirkung des Chlors zum Bleichen von Leinen, Baumwolle, Jute, Papierstoff usw. Allerdings müssen mit Chlor gebleichte Gewebe und Faserstoffe durch „AnUchlot" (S.216) von den noch anhaftenden Chlor-Resten befreit werden, um eine nachträgliche Zerstörung durch das aggressive Chlor zu verhüten. Daher wird die Chlorbleiche mehr und mehr durch die Bleiche mit W a s s e r s t o f f p e r o x i d (S. 178 ff.) verdrängt, welche die Faser weniger angreift und zudem schneller und nachhaltiger wirkt. Die desi n f i z i e r e n d e Wirkung des Chlors wird unter anderem zur Sterilisierung von Trinkwasser und zur Desinfektion des Wassers in öffentlichen Schwimmanstalten benutzt. Auch Abwässer werden zur Beseitigung von Geruchs- und Fäulnisstoffen „gechlort".
b) Photochemische Reaktionen Wie wir auf S. 83 feststellten, wird die bei Zimmertemperatur im Dunkeln unendlich langsam verlaufende Reaktion der Chlorwasserstoffbildung aus den Elementen durch B e s t r a h l u n g mit kurzwelligem Licht bis zur Explosion gesteigert. Im folgenden wollen wir uns etwas näher mit dem Mechanismus solcher „photochemischer Reaktionen" befassen. Wie wir heute wissen, reagiert nicht nur die M a t e r i e , sondern auch die E n e r g i e in Form von Atomen, d. h. kleinsten, nicht weiter teilbaren Teilchen {„Quanten"). Die Atome des L i c h t s z. B., welche „Photonen" oder „Lichtquanten" genannt werden (vgl. S. 140ff.), stellen ein E n e r g i e q u a n t u m E dar, das der F r e q u e n z v1 der betreffenden Lichtart proportional ist: E — h-v.
Der Proportionalitätsfaktor h heißt „PLANCK sches Wirkungsquantum" und hat — wenn E in cal ausgedrückt werden soll — den Wert 1.583 XlO -34 cal • seo. Danach gibt es also energieärmere („leichtere") und energiereichere („schwerere") Lichtatome, je nachdem die Frequenz v des betrachteten Lichtes klein oder groß ist, während für eine Lichtart von g e g e b e n e r Frequenz alle Atome gleiche Energie (gleiches „Gewicht") besitzen. R o t e s Licht der Wellenlänge 7000 Ä ( = Frequenz 4.282 X10 14 sec - 1 ) kann z. B. nur in Energiequanten („Energiepaketchen") der Größe h • v = (1.583 X10"34) X (4.282 X 1014) = 6.778 X lO"20 cal abgegeben oder aufgenommen werden. Dagegen stellen die Atome von grünemLicht der Wellenlänge 5500 A ( = Frequenz 5.451 X10 14 sec - 1 ) eine um 27°/ 0 größere Energiemenge von je (1.583 X10 - 3 4 ) X (5.451 X1014) = 8.626 X10" 20 cal dar. 6.022 XlO23 (vgl. S.29f.) „rote"Lichtquanten („1 Mol" rotes Licht der Wellenlänge 7000A) sind einer Energiemenge von (6.022 X10 23 ) X (6.778 X 10~20) = 40810 cal äquivalent, „1 Mol" grünes Licht der Wellenlänge 5500 A entspricht einer Energiemenge von (6.022 XlO23) X (8.626 X lO"20) = 51 940 cal. In der nachfolgenden Tabelle sind solche „Lichtäquivalente" für die einzelnen Lichtarten in kcal angegeben: 1 Die Frequenz v eines einfarbigen („monochromatischen") Lichtes hängt mit dessen Wellenlänge ). durch die Beziehung v • X = c (c = Lichtgeschwindigkeit) zusammen. Die Frequenz gibt also die Zahl der Wellenlängen an, die das Licht in 1 Sekunde zurücklegt.
Freie Halogene Lieht
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Wellenlänge (Ä)
Farbe
Komplementärfarbe
Energiewert des Lichtäquivalents (kcal)
3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 7000 7500 8000
Ultraviolett Violett Blau Blaugrün Grün Gelb Orange Rot Dunkelrot Ultrarot
Weiß Gelbgrün Gelb Rot Purpur Blau Blaugrün Blaugrün Blaugrün Weiß
81.6 71.4 63.5 57.1 51.9 47.6 44.0 40.8 38.1 35.7
Genau wie sich Atome oder Moleküle der Materie nur in ganzzahligem Verhältnis miteinander umsetzen können („stöchiometrische Gesetze"-, S. 12ff.), können auch M a t e r i e u n d E n e r g i e nur in g a n z z a h l i g e m Verhältnis ihrer kleinsten Teilchen miteinander reagieren. F ü r den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und e l e k t r i s c h e r E n e r g i e werden wir diese Folgerung später noch kennenlernen ( „ F A H A DAvsche Gesetze"; S. 93f.). F ü r den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und L i c h t wird sie durch das „photochemische Äquivalenzgesetz" zum Ausdruck gebracht, welches besagt, daß 1 Materie-atom oder -molekül nur mit 1 Lichtquant (oder einem ganzzahligen Vielfachen davon) in Reaktion treten kann und umgekehrt. Will man z. B . die Reaktion Cl2 + 57.8 kcal
>- 201
erzwingen, welche die Vorbedingung für den Ablauf der Chlorknallgasreaktion ist (S. 83), so ist zur Spaltung je Mol Chlor 1 Mol Lichtquanten aufzuwenden, wobei die Energie dieser Lichtquanten h-v je Mol den Wert von 57.8 kcal überschreiten muß. Nach der obigen Tabelle ist dies bei b l a u e m (X — 4 5 0 0 Ä) und k u r z w e l l i g e r e m Licht der Fall, nicht dagegen bei gelbem oder rotem Licht. So kommt es, daß die Chlorknallgasexplosion nur durch blaues oder kurzwelligeres, nicht aber durch gelbes oder rotes Licht ausgelöst wird. Ganz allgemein reichen die Quanten des sichtbaren Lichts, wie aus der Tabelle hervorgeht, für chemische Vorgänge aus, deren molarer Umsatz nicht mehr als 7 0 kcal erfordert. V o r a u s s e t z u n g für die c h e m i s c h e W i r k s a m k e i t einer b e s t i m m t e n L i c h t a r t i s t , daß sie vom r e a k t i o n s f ä h i g e n S y s t e m auch a u f g e n o m m e n („absorbiert") wird. Ein f a r b l o s e r , d. h. im sichtbaren Gebiet nicht absorbierender Stoff kann durch sichtbares Licht selbst dann nicht chemisch beeinflußt werden, wenn der Zahlenwert des Lichtäquivalents den für einen molaren Umsatz dieses Stoffes erforderlichen Energiebetrag überschreitet. Z. B. sind zur Spaltung von S i l b e r b r o m i d in Silber und Brom — einer Reaktion, die sich bei der Belichtung einer photographischen Platte abspielt — 23.7 kcal erforderlich: 23.7 kcal + AgBr
>- Ag + 7 2 B r ,
Die Spaltung sollte daher gemäß der oben angeführten Tabelle schon durch ultrarotes Licht bewirkt werden können. Da aber Silberbromid, wie seine gelbe Farbe zeigt, erst im Blauen zu absorbieren beginnt (s. oben), bleibt das langwelligere Licht unwirksam. Will man die photographische Platte auch für anderes als blaues — z. B. rotes oder ultrarotes — Licht empfindlich machen, so muß man der Silberbromidschicht Farbstoffe (,,Sensibilisatoren") zufügen, welche dieses Licht zu absorbieren und dessen Energie auf das Silberbromid zu übertragen vermögen (S. 463f.). Auch bei M a t e r i e - r e a k t i o n e n — z.B. bei Umsetzungen von Gasen — treten zusammenstoßende Moleküle nicht immer dann miteinander in Reaktion, wenn ihre Energie zur Umsetzung ausreicht, sondern nur dann, wenn sie sich zugleich in einem „reaktionsbereiten" Zustand (S. 101 f.) befinden.
Die Gruppe der Halogene
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c) Das Fluor Vorkommen. Wie das Chlor kommt auch das Fluor in der Natur n u r in F o r m v o n V e r b i n d u n g e n vor, vor allem als Flußspat CaF 2 , Kryolith AIF 3 • 3 N a F = Na 3 AlF e und Apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • CaF 2 = Ca 6 (P0 4 ) 3 F. Darstellung. Zur Darstellung des Fluors kann man wie beim Chlor die Wasserstoffverbindung — hier also den F l u o r w a s s e r s t o f f H F — verwenden. Da Fluor aber wesentlich reaktionsfähiger als Chlor ist und den Wasserstoff fester als alle anderen Elemente bindet, gelingt die Zerlegung des Fluorwasserstoffs nicht wie dort auf chemischem, sondern n u r a u f e l e k t r o c h e m i s c h e m W e g e (vgl. S. 168): 128.4 kcal -f 2 HP •—>- H 2 + F 2 .
Als Elektrolyt ist in diesem Falle k e i n e w ä s s e r i g e Fluorwasserstofflösung brauchbar; denn Fluor entzieht selbst dem Wasser sofort den Wasserstoff: F, + H 2 0 — > 2 HF + V 2 0 2 ,
so daß man bei der Elektrolyse wässeriger Lösungen kein Fluor, sondern Sauerstoff erhält. Deshalb muß man w a s s e r f r e i e n , f l ü s s i g e n F l u o r w a s s e r s t o f f verwenden, in welchem man zur Erhöhimg der elektrischen Leitfähigkeit (flüssiger Fluorwasserstoff leitet wie Wasser den elektrischen Strom praktisch nicht) K a l i u m f l u o r i d (KF) auflöst. Auch w a s s e r f r e i e S c h m e l z e n von Salzen des Typus K F • H F (Smp. 217°) oder K F • 2 H F (Smp. 72°) oder K F • 3 H F (Smp. 66°) lassen sich zur elektrolytischen Zersetzung benutzen. Am bequemsten ist die Verwendung des letztgenannten Salzes, da dieses tiefer V-Flußspafstopfen als die beiden anderen Salze schmilzt, so daß die Elektrolyse bequem bei 100° durchgeführt werden Fluor kann. Hupferrohr
Zur Fluordarstellung nach diesem Verfahren benutzt man zweckmäßig ein — zugleich als Kathode dienenfJußsparstückehen des — Gefäß der nebenstehenden Form (Fig. 38) aus Kupfer, Magnesium oder Monelmetall (Legierung aus Ftu/Ispsf-Sfärke Brei Kupfer und Nickel), welches die Salzschmelze aufnimmt, in die ein Nickeldraht als Anode eintaucht. HF-3HF-Schme/ze Das Elektrolysegefäß trägt oben eine Rinne, in welcher mit einem Brei aus Flußspat und Stärke drei Flußspat-NtcUeldrsfif stückchen eingekittet sind. Auf diesen Flußspatstückffupferrohr (flnode) chen ruht lose ein Deckel aus Kupfer, durch den ein Kupferrohr führt. Das Kupferrohr schützt den Anodenraum gegen das Eindringen von Wasserstoff und verP j - ^'"(ffy 'fhociej''" hütet so eine — explosionsartig vor sich gehende — -' Vereinigung des anodisch gebildeten Fluors und kathodisch gebildeten Wasserstoffs. Die Anode ist mit einem Fig. 38. Fluordarstellung durch Flußspatstopfen im Kupferrohr befestigt. Das gebildete Schmelzelektrolyse Fluor entweicht durch ein Ansatzrohr des Kupferrohrs, der Wasserstoff unter dem Deckelrand hindurch. Alle genannten Gefäß- und Dichtungsmaterialien sind verhältnismäßig beständig gegenüber dem aggressiven Fluor. Deckel
Physikalische Eigenschaften. Das Fluor ist ein in dicker Schicht schwach grünlichgelb gefärbtes Gas von durchdringendem, äußerst angreifendem Geruch. Bei —187.9° verdichtet es sich zu einer hellgelben Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.108, welche bei —218.0° erstarrt. Chemische Eigenschaften. Fluor ist das r e a k t i o n s f ä h i g s t e aller Elemente. Mit W a s s e r s t o f f verbindet es sich — auch im Dimkein — schon bei gewöhnlicher Temperatur unter Entzündung oder gar heftiger Explosion. S c h w e f e l und P h o s p h o r setzen sich schon bei der Temperatur der flüssigen Luft lebhaft mit Fluor um. K o h l e n s t o f f , der mit Chlor erst bei der hohen Temperatur des elektrischen Lichtbogens
Freie Halogene
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reagiert, vereinigt sich in feinverteiltem Zustande bereits beiZimmertemperaturmit Fluor unter Flammenerscheinung. Ebenso entzünden sich z. B. die A l k a l i - und E r d a l k a l i m e t a l l e im Fluorstrom bei Raumtemperatur unter Bildung von Fluoriden des Typus MeF bzw. MeF 2 (Me = Metall). Auch sonst reagiert Fluor schon in der Kälte — lebhafter noch in der Wärme — mit allen anderen Elementen außer Sauerstoff und Stickstoff, die nur auf dem Umwege über Verbindungen oder bei elektrischer Anregung mit Fluor zur Umsetzung gebracht werden können (S. 128f., 232f.). Manche Metalle, z . B . K u p f e r oder M a g n e s i u m , werden in der Kälte oder bei wenig erhöhter Temperatur nur oberflächlich angegriffen, da sie sich mit einer Schicht von Fluorid bedecken, welche den weiteren Angriff von Fluor verhindert. Darauf beruht die Möglichkeit, diese Metalle zum Bau von Fluor-Entwicklungsapparaten (s. oben) zu verwenden. Bei stärkerem Erhitzen erfolgt aber auch bei ihnen eine durchgreifende Reaktion. Selbst G o l d und P l a t i n werden bei Rotglut von Fluor stark angegriffen. Wegen der großen Affinität zu Wasserstoff entreißt das Fluor auch allen W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n lebhaft den Wasserstoff. Die Reaktion ist dabei weit heftiger als beim Chlor. So reagieren beispielsweise S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H 2 S) oder A m m o n i a k (NH S ) unter Flammenbildung: 2NH 3 + 3F 2 • — N
2
+ 6HF;
ebenso wird W a s s e r lebhaft zersetzt (S. 86): H20 + F 2 — • 7 « 0 , + 2HF.
Bei geeigneten Versuchsbedingungen treten bei dieser Reaktion mit Fluor auch Fluorierungsprodukte der an Wasserstoff gebundenen Elemente auf, z. B NF 3 (S. 232) und OF 2 (S. 128). Die Chemie des Fluors ist in neuerer Zeit namentlich durch den deutschen Chemiker O T T O R U F F ( 1 8 7 1 — 1 9 3 9 ) ausgebaut worden. Die Entdeckung des Fluors ( 1 8 8 6 ) verdanken wir dem französischen Chemiker H E N R I M O I S S A N ( 1 8 5 2 — 1 9 0 7 ) .
d) Das Brom Vorkommen. Wie Fluor und Chlor kommt auch das Brom in der Natur n i c h t in f r e i e m , sondern nur in g e b u n d e n e m Zustande vor, und zwar findet es sich gewöhnlich mit Chlor zusammen in Form analoger Verbindungen, wobei es an Menge wesentlich (1: 300) hinter diesem zurücksteht. Entdeckt wurde es im J a h r e 1826 von dem französischen Chemiker A N T O I N E J E R Ö M E B A L A R D als Bestandteil des Meerwassers. Wegen seines angreifenden Geruchs nannte man es B r o m 1 . Darstellung. Brom ist w e n i g e r r e a k t i o n s f ä h i g als Chlor. Daher kann das Chlor das Brom aus seinen Verbindungen verdrängen. Läßt man z. B. Chlor auf eine Lösung von Kaliumbromid einwirken, so wird unter Bildung von Kaliumchlorid Brom in Freiheit gesetzt: 2KBr + Cl2 — > 2 KCl + Bra.
Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Brom nach diesem Verfahren benutzt man als Ausgangsbromid hauptsächlich das Doppelsalz K B r • MgBr 2 • 6 H 2 0 (Bromcarnallit), weil sich das Brom in dieser Form in größerer Menge in den Endlaugen („Mutterlaugen") der Kaliumchloridgewinnung (S. 430) vorfindet: MgBr2 + Cl2 — > MgCl„ + Br2 . Man verfährt dabei so, daß man diese bromhaltigen Endlaugen durch einen mit Zwischenböden versehenen „Abtreibturm" herabrieseln läßt und von unten her einen Chlorstrom entgegenleitet, welcher sich mit der Mutterlauge innig vermischt und das Brom austreibt. Das gewonnene Rohbrom enthält stets ein wenig Chlor, das durch Abdestillieren des Rohbroms über festem Kaliumbromid in Brom übergeführt und so entfernt werden kann (Cl 2 +2KBr-> 2KC1+Br2). 1
bromos (ßpconos) = Gestank.
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Im übrigen können zur Darstellung des Broms die gleichen Methoden angewendet werden wie beim Chlor. Beispielsweise läßt sich im Laboratorium Brom leicht durch Einwirkung von Schwefelsäure und Braunstein auf Kaliumbromid gewinnen: 4HBr + Mn02 MnBr2 + 2H 2 0 + Br2 . Physikalische Eigenschaften. Brom ist neben Quecksilberdas einzige bei gewöhnlicher Temperatur flüssige Element. Es siedet bei 58.8°, erstarrt bei —7.3° und stellt eine tiefbraune, lebhaft rotbraune Dämpfe entwickelnde, schwere, erstickend riechende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 3.14 (20°) dar. Mit fallender Temperatur hellt sich seine Farbe auf (vgl. S. 65), und bei 20° abs. (— 253° C) ist es orange. Eingeatmet rufen seine Dämpfe eine starke Reizung der Schleimhäute und Entzündungserscheinungen hervor. In Wasser ist Brom löslich (3.55 g in 100 g Wasser bei 20°). Die entstehende, 1/4-molare Lösung („Bromwasser") verhält sich wie Chlorwasser, zerfällt also im direkten Sonnenlicht unter Bildung von Bromwasserstoffsäure und Sauerstoff : H 2 0 + Br2 > 2HBr + V 2 0 2 . Chemische Eigenschaften. Die chemischen Eigenschaften des B r o m s sind denen des Chlors analog, nur reagiert Brom w e n i g e r e n e r g i s c h . Während z.B. das Chlor sich im Licht bereits bei gewöhnlicher Temperatur mit W a s s e r s t o f f verbindet, ist dies beim Brom nicht der Fall. Immerhin ist sein Verbindungsbestreben im flüssigen, also konzentrierten Zustand noch recht stark. Wirft man z. B. Arsen- oder A n t i m o n p u l v e r auf flüssiges Brom, so erfolgt wie beim Chlor Vereinigung unter Feuererscheinung. Ebenso kann Brom wie Chlor verschiedenen W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n den Wasserstoff entziehen. So benutzt man z. B. die Reaktion von Brom mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zur Bromwasserstoffdarstellung (S. 99, 193): H2S + Br2 2HBr + S. Bemerkenswert ist, daß von den Alkalimetallen das N a t r i u m selbst bei 200° von Brom nur schwach angegriffen wird, während das im Periodensystem darunterstehende K a l i u m mit Brom explosionsartig reagiert. In analoger Weise setzt sich das Kalium auch mit W a s s e r weit heftiger um als das Natrium. Während also in der rechten Hälfte des Periodensystems die Reaktionsfähigkeit der Hauptgruppen-Eleinente in der Richtung von unten nach oben zunimmt (Brom —>- Chlor), ist dies bei den links im Periodensystem stehenden Hauptgruppen-Elementen in der Richtung von oben nach unten (Natrium —> Kalium) der Fall.
e) Das Jod
Vorkommen. Die Hauptquelle für die technische Gewinnung von Jod bilden die Mutterlaugen des C h i l e s a l p e t e r s (S.426f.), die das Jod in der Form v o n N a t r i u m j o d a t (NaJ0 3 ) enthalten. Ferner enthält die durch Verbrennen von T a n g (Meeresalgen) gewonnene Asche Jodide, da diese Algen das im Meerwasser — hauptsächlich in organischer Bindung — vorhandene Jod (0.0002°/ 0 ) anreichern.. In solcher Asche wurde auch das Jod im Jahre 1811 von dem Pariser Salpetersieder BERNARD COURTOIS entdeckt. Die elementare Natur des Jods wurde allerdings erst 1815 von GAY-LUSSAC (S. 17) erkannt, der es nach der violetten Farbe seines Dampfes benannte 1 . Darstellung. Aus den Jodiden der Asche von M e e r e s a l g e n kann das Jod wie das Chlor aus Chloriden durch Elektrolyse oder durch Erhitzen mit Braunstein und Schwefelsäure gewonnen werden. Die Hauptmenge des Jods wird aber heute aus dem N a t r i u m j o d a t der Chiles a l p e t e r - M u t t e r l a u g e n dargestellt. Zu diesem Zweck wird die dem Natriumjodat (NaJ0 3 ) zugrundeliegende Jodsäure ( H J 0 3 ) durch s c h w e f l i g e S ä u r e (H 2 S0 3 ) zu Jodwasserstoffsäure (HJ) reduziert: 1
ioeides (lcoei6i®|s) = veilchenfarbig.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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HJ0 3 + 3 H 2 S O a — v H J + 3H 2 S0 4 . (1) Zur Rückoxydation dieses Jodwasserstoffs zu Jod bedarf es in diesem Falle keines besonderen Oxydationsmittels wie Braunstein oder Chlor, da die in der Lösung vorhandene Jodsäure den Jodwasserstoff zu Jod zu oxydieren vermag: H J O 3 + 5 H J — > - 3H 2 0 + 3 J 2 .
(2)
Gibt man daher nur 5 / e der nach Gleichung (1) erforderlichen Menge an schwefliger Säure zu, so daß je Mol gebildeten Jodwasserstoffs 1 / 8 Mol Jodsäure unangegriffen zurückbleibt — wie dies Gleichung (2) verlangt —, so erhält man direkt das gewünschte J o d : 2HJO s + 5H 2 S0 3 — 5 H 2 S 0 4 + H20 + J 2 . Physikalische Eigenschaften. Jod ist bei gewöhnlicher Temperatur fest und bildet grauschwarze, metallglänzende Schuppen vom spezifischen Gewicht 4.942. Es schmilzt bei 113.7° zu einer braunen Flüssigkeit und siedet bei 184.5° unter Bildung eines violetten Dampfes. Trotz des verhältnismäßig hohen Siedepunktes ist Jod schon bei Zimmertemperatur merklich flüchtig; bei Temperaturerhöhung nimmt die Verflüchtigung des Jods stark zu, so daß es — falls man nicht zu schnell erhitzt — zu sublimieren pflegt, bevor es schmilzt. Man benutzt die Sublimation zur Reinigung des Jods. In Wasser löst sich Jod nur in sehr geringen Mengen (1: 5500 bei 10°) und mit schwach bräunlichgelber Farbe („Jodwasser", 1 /iooo" m °l ar )- Leichtlöslich ist es dagegen mit dunkelbrauner Farbe in wässerigen Lösungen von Kaliumjodid und Jodwasserstoff; dabei bilden sich die Anlagerungsverbindungen K J • J 2 und H J • J 2 . Auch in zahlreichen organischen Lösungsmitteln wie Alkohol (10°/0ige Lösung: „Jodtinktur"), Äther und Aceton löst es sich leicht mit b r a u n e r Farbe. Andere organische Lösungsmittel wie Schwefelkohlenstoff (CS2), Chloroform (CHC1S) und Tetrachlorkohlenstoff (CC14) lösen das Jod mit v i o l e t t e r Farbe. In diesen violetten Lösungen ist das Jod in Form von J2-Molekülen gelöst, während die braunen Lösungen Verbindungen des Jods mit dem Lösungsmittel enthalten. Chemische Eigenschaften. Das J o d ist in seinen chemischen Eigenschaften dem Chlor und B r o m sehr ähnlich, nur reagiert es weit weniger h e f t i g als diese. Direkt und lebhaft verbindet es sich z. B. mit den Elementen P h o s p h o r , E i s e n und Quecksilber. Dagegen ist z. B. die Tendenz zur Vereinigung mit W a s s e r s t o f f so gering, daß der Jodwasserstoff beim Erwärmen leicht bis zu einem bestimmten Gleichgewicht in Jod und Wasserstoff zerfällt (S. 100). Charakteristisch für Jod ist die beim Zusammenbringen mit S t ä r k e l ö s u n g auftretende i n t e n s i v e B l a u f ä r b u n g . Durch diese „Jodstärke-reaktion" lassen sich geringste Jodmengen nachweisen. Die Färbung, die auf der Bildung einer Einschlußverbindung (vgl.S.74f.) zwischen Jod undStärke beruht, verschwindet beim Erwärmen und tritt — falls nicht zu lange erwärmt wurde — beim Abkühlen wieder auf.
2. Wasserstoffverbindungen d e r Halogene a) Chlorwasserstoff a) Darstellung Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlorwasserstoff dienen in der Hauptsache zwei Verfahren. Das eine geht von K o c h s a l z , das andere von den E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor aus. Aus Kochsalz. Läßt man auf K o c h s a l z bei erhöhter Temperatur konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e einwirken, so erfolgt in 2 Stufen ein Austausch des Natriums im Natriumchlorid durch den Wasserstoff der Schwefelsäure („Sulfat-Salzsäure-Prozeß"):
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Die Gruppe der Halogene NaCl + H 2 S0 4 — > - HCl + NaHS0 4 (Natriumhydrogensulfat) NaCl + NaHSOj — > HCl + Na 2 S0 4 (Natriumsulfat)
(1) (2)
2NaCl + H 2 S0 4 — 2 HCl + Na 2 S0 4 .
(3)
Beide Stufen können auch e i n z e l n — als „Berliner Salzsäureverfahren" (1) und „Mannheimer Salzsäureverfahren" (2) — zur Chlorwasserstofferzeugung herangezogen werden. Ein Großteil des in der T e c h n i k hergestellten Chlorwasserstoffs wird nach diesem Chlorid-Schwefelsäure-Verfahren gewonnen, das zugleich auch die gebräuchlichste L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Chlorwasserstoffgewinnung darstellt. Alis den Elementen. Besonders reinen Chlorwasserstoff erhält man durch S y n t h e s e a u s d e n E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor, die ihrerseits neben Alkalilauge bei der Chloralkali-Elektrolyse (S. 82) erhalten werden: H 2 + Cl2 — > 2HCl + 43.8 kcal.
In der Technik benutzt man zu dieser Chlorwasserstoffsynthese einen im Prinzip dem D a n i e l l s e h e n H a h n (S. 43) entsprechenden, aus zwei ineinander gesteckten Rohren bestehenden Q u a r z b r e n n e r . Durch das innere Rohr strömt das Chlor, durch den Mantelraum der Wasserstoff. Das Chlor brennt dann ganz ruhig im Wasserstoff, ohne daß es zu einer Chlorknallgas-Explosion (S. 83) kommt. An Stelle von Wasserstoff können auch Wasserstoffverbindungen (z. B. Kohlenwasserstoffe; vgl. S. 83) verwendet werden. So fallen in der Technik große Mengen von Chlorwasserstoff bei der Chlorierung organischer Verbindungen an. ß) Eigenschaften Chlorwasserstoff ist ein farbloses Gas von stechendem Geruch, das sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten läßt (kritische Temperatur: 51.3°). Flüssiger Chlorwasserstoff siedet bei —85.05° und erstarrt bei —114.22°. Bemerkenswert ist die außerordentlich große Löslichkeit des Chlorwasserstoffs in Wasser. 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 507 Raumteile Chlorwasserstoffgas von Atmosphärendruck. Die wässerige Lösung führt den Namen C h l o r w a s s e r s t o f f s ä u r e oder Salzsäure. Sie wird technisch in sehr großem Maßstabe hergestellt. Eine bei 15° an Chlorwasserstoff gesättigte wässerige Lösung ist ,,42.7°/ 0 ig", d. h. sie enthält 42.7 Gewichtsteile Chlorwasserstoff in 100 Gewichtsteilen Lösung; ihr spezifisches Gewicht beträgt 1.21. Verdünntere Salzsäuren haben kleinere spezifische Gewichte. Es besteht dabei ein zufälliger Zusammenhang zwischen Prozentgehalt und spezifischem Gewicht derart, daß die beiden ersten Stellen nach dem Komma des spezifischen Gewichts (d) verdoppelt den Prozentgehalt (°/0) ergeben ( % = 200 [d—1]): spez. Gewicht: Prozentgehalt:
1.06 12
1.12 24
1.16 32
1.19 38 .
Die „konzentrierte Salzsäure" des Handels hat meist das spezifische Gewicht 1.19. Sie raucht stark an feuchter Luft und wird daher auch „rauchende Salzsäure" genannt. Ebenso raucht auch das Chlorwasserstoffgas stark an feuchter Luft, indem es mit dem Wasserdampf der Luft Nebel von Salzsäuretröpfchen bildet. Erhitzt man eine k o n z e n t r i e r t e Salzsäurelösung, so gibt sie — während der Siedepunkt steigt — zunächst weit mehr Chlorwasserstoff als Wasserdampf ab, so daß die Lösung an Chlorwasserstoff verarmt. Mit fortschreitender Destillation nimmt der Wasserdampfgehalt des abgegebenen Dampfes zu, bis schließlich bei 110° der Dampf dieselbe Zusammensetzung erreicht wie die — inzwischen verdünnter gewordene — Lösung (20% HCl, 8O°/0 H 2 0). Von hier ab geht dann o h n e Ä n d e r u n g d e r S i e d e t e m p e r a t u r dieses Gemisch k o n s t a n t e r Z u s a m m e n s e t z u n g („azeo• trofies Gemisch") über. Zu der gleichen Lösung von 2 0 % HCl und 8 0 % H 2 0 gelangt man, wenn man eine v e r d ü n n t e Salzsäure der Destillation unterwirft; in diesem Falle enthält der entstehende Dampf zunächst mehr Wasser als die Lösung.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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b) Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n v o n r e i n e m , w a s s e r f r e i e m C h l o r w a s s e r s t o f f sind ganz andere als die seiner w ä s s e r i g e n L ö s u n g . So löst z. B. die wässerige Lösung Zink, Eisen und viele andere Metalle unter Entwicklung von Wasserstoff auf (vgl. S. 39): Zn + 2 HCl — Z n C l 2 -(- H 2 und rötet blaues Lackmuspapier, während weder der reine verflüssigte Chlorwasserstoff noch das reine flüssige Wasser diese Reaktionen geben. Gleiches gilt von den p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n . So leitet z. B. die wässerige Lösung gut den elektrischen Strom unter Bildung von Chlor am positiven und Wasserstoff am negativen Pol, während reiner Chlorwasserstoff und reines Wasser praktisch Nichtleiter sind. Der Chlorwasserstoff muß sich demnach in der wässerigen Lösung irgendwie verändert haben. a) Qualitative Beziehungen Welcher Art diese Veränderung ist, ergibt sich bei einer Bestimmung des Molek u l a r g e w i c h t s des gelösten Chlorwasserstoffs, z. B. nach der Gefrierpunktsmethode. Es stellt sich dabei nämlich heraus, daß die Gefrierpunktserniedrigung At der wässerigen Lösung rund doppelt so groß ist, als sie sich gemäß der Gleichung At — E • n (S. 58) aus der Molmenge n des aufgelösten Chlorwasserstoffs — bei Zugrundelegung des Molekulargewichts 36.5 — errechnet. Das bedeutet, daß die Lösung doppelt so viele (2 n) Teilchen enthält, als der aufgelösten Zahl (n) von Chlorwasserstoffmolekülen entspricht. Jedes Chlorwasserstoffmolekül muß sich also in der wässerigen Lösung in zwei Teilchen aufgespalten haben. Diese beiden Teilchen können nach der Formel nur das W a s s e r s t o f f - und das C h l o r a t o m sein. Die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der Lösung zeigt andererseits, daß die beiden Teilchen e l e k t r i s c h g e l a d e n sind, und zwar wandern bei der elektrischen Stromleitung die Chlorteilchen zur positiv geladenen und die Wasserstoffteilchen zur negativ geladenen Elektrode (vgl. Fig. 39, S. 93), was eine negative Aufladung der Chloratome und eine positive Aufladung der Wasserstoffatome nahelegt. Somit sprechen alle Anzeichen für die Annahme einer Spaltung ungeladener Chlorwasserstoffmoleküle in positiv geladene Wasserstoffteilchen (Symbol: H + oder H') und negativ geladene Chlorteilchen (Symbol: Cl" oder d ' ) : HCl
H+ + Cl -
oder
HCl
H" + Cl'.
Die Spaltung wird „elektrolytische Dissoziation" genannt. Warum sie erst beim Auflösen in Wasser erfolgt, werden wir später (S. 151 f.) erfahren; hier wollen wir uns mit der Vorstellung begnügen, daß sich das Wasser als „Dielektrikum" (Wasser hat eine große Dielektrizitätskonstante) zwischen die geladenen Bestandteile des Chlorwasserstoffmoleküls schiebt und diese dadurch voneinander trennt. Die Erscheinung der elektrolytischen Dissoziation ist nicht auf die Salzsäure beschränkt, sondern a l l g e m e i n e r A r t . Zahlreiche Verbindungen erleiden in wässeriger Lösung eine derartige Spaltung in geladene Teilchen. Es war daher zweckmäßig, für letztere einen besonderen Namen — den Namen „Ionen" 1 — einzuführen, und zwar nennt man die positiv geladenen Teilchen „Kationen", weil sie bei der Elektrolyse zur negativen K a t h o d e wandern, und die negativ geladenen Teilchen „Anionen", weil sie von der positiven A n o d e angezogen werden. Unter den elektrolytisch dissoziierenden chemischen Stoffen — die man auch unter der Bezeichnung „Elektrolyte" zusammenfaßt — lassen sich drei große Gruppe» unterscheiden: die „Säuren", die „Basen" und die „Salze". 1
ion (icov) = wandernd.
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Die Gruppe der Halogene
Unter Säuren versteht man solche Stoffe, die wie der Chlorwasserstoff in w ä s s e r i g e r L ö s u n g p o s i t i v g e l a d e n e W a s s e r s t o f f - i o n e n H" b i l d e n . Beispiele für solche Säuren sind etwa die S a l p e t e r s ä u r e (HN0 3 ), die S c h w e f e l s ä u r e (H 2 S0 4 ) und die P h o s p h o r s ä u r e (H 3 P0 4 ): HN0 3 z^zt: H- + NCV H 2 S 0 4 ^ ± : 2 H - + S0 4 " H 3 P 0 4 ^ 3 H - + P0 4 "'. Die bei der Dissoziation auftretenden W a s s e r s t o f f - i o n e n (vgl. hierzu S. 151f. und 174ff.) bedingen den s a u r e n G e s c h m a c k der Säuren (daher ihr Name) und färben ein in die Lösung eingetauchtes b l a u e s L a c k m u s p a p i e r („Reagens auf Säuren") rot. Das Gegenstück zu den Säuren bilden die Basen, welche die Eigenschaft haben, umgekehrt r o t e s L a c k m u s p a p i e r („Reagens auf Basen") zu bläuen. Diese Blaufärbung sowie der l a u g e n h a f t e G e s c h m a c k der Basen wird durch negativ geladene H y d r o x i d - i o n e n OH' (frühere Bezeichnung: Hydroxyl-ionen) bedingt, und man definiert dementsprechend Basen als Stoffe, die i n w ä s s e r i g e r L ö s u n g n e g a t i v g e l a d e n e H y d r o x i d - i o n e n b i l d e n (vgl. hierzu S. 152 und 174ff.). Beispiele hierfür sind das N a t r i u m h y d r o x i d NaOH (wässerige Lösung: N a t r o n l a u g e ) , das Calc i u m h y d r o x i d Ca(OH) 2 (wässerige Lösung: K a l k w a s s e r ) und das A l u m i n i u m h y d r o x i d A1(0H) 3 : NaOH Na' + OH' Ca(OH) 2 ^±:Ca" + 2 OH' Al(OH)3 A I - + 3 OH'. Die Salze schließlich leiten sich von den Säuren durch Ersatz des W a s s e r s t o f f - i o n s durch einen positiven B a s e r e s t und von den Basen durch Ersatz des H y d r o x i d - i o n s durch einen negativen S ä u r e r e s t ab und dissoziieren dementsprechend in wässeriger Lösung in B a s e - K a t i o n e n und S ä u r e - A n i o n e n . Als Beispiele seien etwa angef ü h r t : N a t r i u m n i t r a t N a N 0 3 , C a l c i u m n i t r a t Ca(N0 3 ) 2 , A l u m i n i u m n i t r a t A1(N03)3, N a t r i u m s u l f a t Na 2 S0 4 , C a l c i u m s u l f a t CaS0 4 , A l u m i n i u m s u l f a t A12(S04)3, N a t r i u m p h o s p h a t Na 3 P0 4 , C a l c i u m p h o s p h a t Ca 3 (P0 4 ) 2 und Alum i n i u m p h o s p h a t A1P0 4 : NaNOs ^ ^ Na + NO,' Ca(N03)2 Ca" + 2 NO/ Na2S04 2 Na + S0 4 " CaS04 Ca" + S0 4 ". Die verschiedene stöchiometrische Zusammensetzung der Salze wird dabei durch die Anzahl der positiven und negativen Ladungen der Kationen und Anionen bedingt, da deren Vereinigung ja elektroneutrale Moleküle ergeben muß. J e nach der Zahl der durch Base-Kationen ersetzbaren Wasserstoffatome spricht man von „einbasigen", „zweibasigen", „dreibasigen"1 (oder „einwertigen",,,zweiwertigen" usw.) Säuren; Salpetersäure ist danach eine einbasige, Phosphorsäure eine dreibasige Säure. I n gleicher Weise unterscheidet man je nach der Zahl der durch Säure-Anionen ersetzbaren Hydroxidgruppen „einsäurige", „zweisäurige", „dreisäurige" (oder „einwertige", ,,zweiwertige" usw.) Basen. Sind nicht alle Wasserstoffatome einer mehrbasigen Säure durch Base-Kationen bzw. nicht alleHydroxidgruppen einer mehrsäurigen Base durch Säure-Anionen ersetzt, so spricht man von „sauren" (,,Hydrogen"-, „Bi"-) bzw. „basischen" („Hydroxid"-)SaXz&a.\ z. B. N a H S 0 4 : „saures Natriumsulfat" („Natriumhydrogensulfat", „Natriumbisulfat"), Al(OH)SÖ 4 : „basisches Aluminiumsulfat" („Aluminiumhydroxidsulfat"). — Die Theorie der elektrolytischen Dissoziation („Ionenlehre") wurde von dem schwedischen Physikochemiker SVANTE ARRHENIUS (1859—1927) im J a h r e 1884 aufgestellt.
Häufig sprachlich unkorrekt als einbasisch, zweibasisch usw. bezeichnet.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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Die Annahme einer elektrolytischen Dissoziation stieß anfangs auf vielfachen Widerspruch, da man den Unterschied zwischen Atomen und Ionen nicht genügend beachtete. So wurde beispielsweise der Einwand gemacht, daß in Kaliumjodidlösungen (KJ) — welche farblos und beständig sind — kein freies Kalium und kein freies Jod vorhanden sein könne, weil Kalium Wasser sofort unter Wasserstoffentwicklung zersetzte (S. 37 f.) und Jodlösungen braungelb seien (S. 89). Hierzu ist zu bemerken, daß die Lösung nach der Ionenlehre ja gar keine freien Kaliumund Jod-atome, sondern freie Kalium- und Jod-ionen enthält, die infolge ihrer elektrischen Ladung einen a n d e r e n E n e r g i e - i n h a l t als die Atome besitzen und sich daher auch chemisch und p h y s i k a l i s o h anders als diese verhalten müssen. Die neuere Theorie des Atombaus hat diese Ansicht vollständig bestätigt, und wir werden später (S. 147) den Unterschied zwischen Atomen und Ionen noch näher kennenlernen.
Die bisherigen Betrachtungen waren mehr q u a l i t a t i v e r Art. Im folgenden wenden wir uns den q u a n t i t a t i v e n Beziehungen zu und betrachten speziell die Größe der elektrischen I o n e n l a d u n g und den D i s s o z i a t i o n s g r a d von Elektrolyten. ß) Quantitative Beziehungen
Ionenladung Taucht man in eine wässerige Salzsäurelösung zwei Platinelektroden ein und legt an die Elektroden eine elektrische Spannung an, so wandern (Fig. 39) die Wasserstoffionen zur negativen und die Chlor-ionen zur positiven Elektrode, wo dann eine E n t ladung zu freiem Wasserstoff bzw. Chlor erfolgt. Die abgeschiedenen Mengen Wasserstoff und Chlor entsprechen dabei einer von dem englischen Naturforscher M I C H A E L F A R A D A Y (1791—1867) im Jahre 1834 aufgefundenen und unter dem Namen „1. FARADAYsches Gesetz" bekannten Gesetzmäßigkeit: Die Gewichtsmenge eines elektrolytisch gebildeten Stoffs ist der durch den Elektrolyten nesati^a%e0kJ^de geflossenen Elektrizitätsmenge direkt proportional. Schickt man also z. B. doppelt soviel elektrischen + Strom durch eine Salzsäurelösung, so wird auch Wasserstoff Chlor doppelt soviel Wasserstoff an der Kathode und doppelt soviel Chlor an der Anode gebildet. Daraus geht hervor, daß alle Wasserstoff-ionen bzw. alle Chlor-ionen eine gleich große positive bzw. - H + Cl" negative Ladung tragen. Vergleicht man weiter die Mengen gebildeten Wasserstoffs und Chlors m i t e i n a n d e r , so stellt man Salzsäure fest, daß auf 1 Grammatom (1.008g) Wasserstoff jeFig. 39. Elektrolyse von Salzsäure weils auch 1 Grammatom (35.457 g) Chlor entsteht. Somit unterscheiden sich die Ladungen des Wasserstoff - und Chlor-ions nur im Vorzeichen, n i c h t aber in der Größe voneinander, was ja auch schon daraus folgt, daß das Chlorwasserstoffmolekül HCl nach außen hin neutral ist. Wie groß die elektrische Ladung eines einzelnen Wasserstoff- oder Chlor-ions (das „elektrische Elementarquantum") ist, ergibt sich aus dem experimentellen Befund, daß zur Abscheidung eines Grammatoms — d. h. von 6.022 X 1023 Atomen — Wasserstoff bzw. Chlor eine Elektrizitätsmenge von 96490 Coulomb (Ampere-Sekunden) = 26.803 Ampere-Stunden („2 Faraday") erforderlich ist. Jedes Wasserstoff- bzw. Chlor-ion trägt danach eine E l e m e n t a r ladung von 96490: (6.022 x 1023) = 1.602 x 10- 19 Coulomb (vgl. S. 136), im einen Falle mit positivem, im anderen mit negativem Vorzeichen. Nimmt man statt Salzsäure Schwefelsäure, so sind auch hier zur Abscheidung eines Grammatoms Wasserstoff 96490 Coulomb erforderlich. Die Wasserstoffatome der Schwefelsäure tragen somit die gleiche Elementarladung von 1.602 XlO - 1 9 Coulomb wie in der Salzsäure. Daher müssen die S u l f a t - i o n e n (S0 4 ") der Schwefelsäure zwei solche Ladungen aufweisen, da nur dann das ganze Molekül H 2 S0 4 nach außen hin
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Die Gruppe der Halogene
neutral ist. I n der Tat sind zur Entladung eines Mols Sulfat-ionen 2 x 9 6 4 9 0 Coulomb erforderlich 1 ; und entsprechend müssen bei der Elektrolyse z . B . einer wässerigen Kupfersulfatlösung (CuS0 4 Cu" + S 0 4 " ) zur kathodischen Abscheidung von 1 Grammatom K u p f e r 2 X 96490 Coulomb aufgewandt werden. Indem man nun das durch die Zahl der Ladungen dividierte Formelgewicht eines Ions, d. h. den auf 1 Einheitsladung entfallenden Gewichtsanteil als „Äquivalentgewicht" (S. 161) des Ions bezeichnet, lassen sich diese experimentellen Befunde in einfacher Weise durch das „2. FARADAY sehe Gesetz" zum Ausdruck bringen: Die durch gleiche Elektrizitätsmengen abgeschiedenen Gewichtsmengen chemischer Stoffe verhalten sich wie deren Äquivalentgewichte. In Übereinstimmung mit diesem Gesetz wird die Einheit der elektrischen S t r o m m e n g e , das „Coulomb", als diejenige Elektrizitätsmenge definiert, die zur elektrolytischen Abscheidung von 1/F = 1/96490 Grammäquvalent eines Stoffes (z.B. von 107.880/96490 = 0.001118 g Silber aus einer Silbersalzlösung) erforderlich ist (vgl. S.93). Eine S t r o m s t ä r k e von 1 Coulomb/Sekunde wird als 1 „Ampere" bezeichnet. Die beiden FARADAYsehen Gesetze sind ohne Annahme einer a t o m i s t i s c h e n Struktur der E l e k t r i z i t ä t nicht zu deuten. In derselben Weise, in der die s t ö e h i o m e t r i s c h e n Gew i c h t s g e s e t z e zur Entwicklung einer A t o m t h e o r i e für die Materie zwangen, führten daher die s t ö c h i o m e t r i s c h e n E l e k t r i z i t ä t s g e s e t z e zwangsläufig zur Aufstellung einer A t o m theorie für die E l e k t r i z i t ä t . Den ersten Schritt hierzu tat im Jahre 1881 der deutsche Naturforscher HERMANN V. H E L M H O L T Z (1821 — 1 8 9 4 ) .
Dissoziationsgrad Ein Elektrolyt kann praktisch v o l l s t ä n d i g oder t e i l w e i s e oder praktisch ü b e r h a u p t n i c h t in Ionen gespalten sein, d. h. das Gleichgewicht (vgl. S. lOOff.) BA B' + A' (B' = Kation; A' — Anion) kann mehr oder weniger nach rechts oder links verschoben sein. Dementsprechend unterscheidet man starke, mittelstarke und schwache Elektrolyte (vgl. S. 107). Die S a l z s ä u r e HCl ist z. B. eine s t a r k e S ä u r e , da sie in wässeriger Lösung praktisch vollkommen in Ionen dissoziiert ist; die B l a u s ä u r e HCN wird dagegen als s c h w a c h e S ä u r e bezeichnet, da sie in wässeriger Lösung weitgehend in Form undissoziierter HCN-Moleküle vorliegt. Die Stärke eines Elektrolyten pflegt man durch den sogenannten „Dissoziationsgrad" a auszudrücken, welcher angibt, welcher B r u c h t e i l ( a S S l ) der insgesamt gelösten Moleküle des Elektrolyten in Ionen dissoziiert ist (vgl. S. 107). Dieser Dissoziationsgrad läßt sich nach verschiedenen Methoden ermitteln. Eine einfache Methode ist die Messung des o s m o t i s c h e n D r u c k s P bzw. der — diesem Druck proportionalen — S i e d e p u n k t s e r h ö h u n g oder G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g At. Denn diese Größen ermöglichen ja gemäß den Beziehungen P - V = n • R • T (S. 54) bzw. At = E • n (S. 58) die Ermittlung der in einer untersuchten Lösung vorhandenen Gesamt-Molzahl n. Diese Zahl n hängt ihrerseits aber — wenn die Anzahl Mole des gelösten Elektrolyten v o r d e r D i s s o z i a t i o n mit m und die Zahl der b e i d e r D i s s o z i a t i o n je Molekül entstehenden I o n e n mit z bezeichnet wird — mit dem Dissoziationsgrad oc durch die Gleichung bzw.
»i = w (1 —