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German Pages 691 [700] Year 1958
HOLLEMAN/WIBERG ANORGANISCHE CHEMIE
LEHRBUCH
DER
ANORGANISCHEN CHEMIE Begründet von
A. F. HOLLE MAN f
40.—46., sorgfältig durchgesehene und verbesserte Auflage von
PROF. DR. E G O N W I B E R G Direktor des Instituts für Anorganische Chemie der Universität München
Mit 166 Figuren
WALTER
DE
G R U Y T E R & CO.
vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer Karl J . Trübner • Veit & Comp.
BERLIN
19 5 8
© Alle Hechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung vorbehalten—Copyright 1957 by WALTER DE GRUYTER & CO., vormals G. J. Göschensehe Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit A Comp. Berlin W 35 - Archiv-Nr. 52 31 67 — Printed in Germany — Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck : Blichdruckerei Franz Spiller, Berlin SO 36
Aus dem Vorwort zur 22. und 23. Auflage Als der Verlag mit der Bitte an mich herantrat, die Bearbeitung der neuen Auflage des „ L e h r b u c h s der a n o r g a n i s c h e n C h e m i e " von A. F. H O L L E M A H ZU übernehmen, war ich mir darüber im klaren, daß nur durch eine grundlegende N e u p l a n u n g und U m g e s t a l t u n g des bei den vorhergehenden Auflagen schon mehrfach ergänzten und verbesserten Stoffes wieder ein modernes Werk von i n n e r e r G e s c h l o s s e n h e i t und e i n h e i t l i c h e m Guß zu schaffen war. Dementsprechend habe ich mich nicht mit einer bloßen Ü b e r a r b e i t u n g des Buches begnügt, sondern den enthaltenen Lehr, stoff im Geiste des ursprünglichen „Holleman" auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse v ö l l i g neu g e s c h r i e b e n und u m g e s t a l t e t , so daß ein g a n z n e u e s Werk entstanden ist. Dies konnte insofern verantwortet werden, als das neue Buch nicht die Zahl der übrigen Lehrbücher für anorganische Chemie vermehrt, sondern an die S t e l l e eines dieser Bücher tritt. Bei der Niederschrift des Lehrbuches ließ ich mich im einzelnen von folgenden Gedankengängen leiten: 1. Die vielfältigen Probleme der Gegenwart stellen an die Ausbildung des chemischen Nachwuchses h ö c h s t e A n f o r d e r u n g e n , Diese Anforderungen werden nach Beendigung des Krieges mit Sicherheit noch erheblich w e i t e r g e s t e i g e r t werden müssen. Es wäre daher v e r h ä n g n i s v o l l , wenn man von der Seite der Lehrbücher her der zeitgemäß bedingten, vielfach unzureichenden naturwissenschaftlichen Vorbildung des studentischen Nachwuchses durch H e r a b s e t z u n g d e s L e h r b u c h n i v e a u s entgegenkommen wollte. Gailz bewußt wurde dementsprechend davon abgesehen, ein „ l e i c h t e s " Buch zu schreiben, und im Gegenteil eine i n t e n s i v e und a u f g e s c h l o s s e n e M i t a r b e i t des Lesers vorausgesetzt. Dies um so mehr, als es sich bei dem vorliegenden Werk zwar um ein A n f ä n g e r - L e h r b u c h , aber um ein solches für H o c h s c h u l e n und nicht für M i t t e l s c h u l e n handelt, und als von den Studenten, die sich der Chemie verschrieben haben, eine besondere Veranlagung und Aufgeschlossen heit für die Probleme der Chemie vorausgesetzt werden kann und muß. Es schadet gar nichts, wenn der Chemiestudierende diese und jene Stelle des Buches zwei oder gar mehrere Male durchdenken oder sich mit diesem und jenem Kapitel etwas „abquälen" muß. Denn ein Lehrbuch soll ja dem Leser d a s D e n k e n n i c h t a b n e h m e n , sondern ihn im Gegenteil d a z u a n r e g e n , und erfahrungsgemäß wird gerade jenes Wissen meist zum festen Besitz, das in heißem Bemühen errungen wurde. Es ist dabei vielleicht nicht unnötig zu betonen, daß auf eine s t r e n g l o g i s c h e , k l a r e und a n s c h a u l i c h e E n t w i c k l u n g aller Begriffe und Tatsachen größter Wert gelegt wurde und c h e m i sche V o r k e n n t n i s s e n i c h t v o r a u s g e s e t z t sind. Der Lehrstoff selbst entspricht im großen und ganzen den Anforderungen, die an der Münchener Universität bereits im anorganisch-chemischen D i p l o m - V o r e x a m e n gestellt werden. 2. Zur erfolgreichen Ausbildung eines Chemikers an einer Hochschule gehören V o r l e s u n g , L a b o r a t o r i u m und L e h r b u c h . Diese drei Ausbildungsformen bilden eine D r e i - e i n h e i t und sollen sich gegenseitig nicht e r s e t z e n , sondern e r g ä n z e n . Dem-
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Vorwort
entsprechend werden die drei Wege zu dem g e m e i n s a m e n Ziel zweckmäßig zwar aufeinander abgestimmt, aber doch v o n e i n a n d e r v e r s c h i e d e n gestaltet. Ein L e h r b u c h darf somit nicht vom Standpunkt einer V o r l e s u n g oder eines P r a k t i k u m s aus beurteilt werden und umgekehrt. Hauptziel eines L e h r b u c h s ist die Herausarbeitung von Z u s a m m e n h ä n g e n , die das in Vorlesung und Praktikum Erarbeitete unter g e m e i n s a m e m G e s i c h t s p u n k t erkennen und verstehen lassen. Deshalb wurde im vorliegenden Buch Wert darauf gelegt, Z u s a m m e n g e h ö r e n d e s auch im Z u s a m m e n h a n g darzubringen. So werden beispielsweise die zur Aufstellung des A t o m - u n d M o l e k ü l b e g r i f f s führenden Gesetze und Erkenntnisse nicht wie in den meisten Lehrbüchern der anorganischen Chemie in den Gesamtstoff e i n g e s t r e u t und so im Gedankengang z e r r i s s e n , sondern in g e s c h l o s s e n e r D a r s t e l l u n g (S. 3—30) behandelt. Ebenso werden z.B. alle mit dem Problem des c h e m i s c h e n Gleichg e w i c h t s (S. 100—120), der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z (S. 135—162) oder der O x y d a t i o n u n d R e d u k t i o n (S. 163—176) zusammenhängenden Fragen ges c h l o s s e n dargestellt, auch auf die Gefahr hin, daß der Anfänger beim erstmaligen Durcharbeiten notgedrungen manches als noch schwerverständlich überschlagen muß. Das Lehrbuch bietet ja zum Unterschied von der freien Vorlesung jederzeit die Möglichkeit des Vor- u n d R ü c k b l ä t t e r n s , so daß Stellen, die beim ersten Male nicht ganz „verdaut" wurden, später — nach Vertiefung der Kenntnisse — mit größerem Erfolg n o c h m a l s e r a r b e i t e t werden können. Die hier gewählte geschlossene Darstellung der Hauptfragen zwingt dabei den Benutzer, das gerade in Frage stehende Problem wieder im Z u s a m m e n h a n g des ü b e r g e o r d n e t e n P r o b l e m s und nicht als losg e l ö s t e s E i n z e l p r o b l e m zu betrachten. 3. Die V a l e n z s t r i c h f o r m e l n haben sich in der anorganischen Chemie als weitgehend u n z u l ä n g l i c h , ja vielfach geradezu als f a l s c h und i r r e f ü h r e n d erwiesen. Trotzdem bedienen sich weitaus die meisten anorganischen Lehrbücher nach wie vor dieses Hilfsmittels. Demgegenüber sind neuere Lehrbücher der anorganischen Chemie in das a n d e r e E x t r e m verfallen, die Valenzstrichformeln völlig auszuschalten, o h n e an ihre S t e l l e e t w a s G l e i c h w e r t i g e s oder B e s s e r e s zu setzen. Das vorliegende Lehrbuch ist erstmals völlig auf der Grundlage der m o d e r n e n E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z aufgebaut, deren Folgerungen bezüglich der chemischen Bindung und der Elektronenformeln schon v e r h ä l t n i s m ä ß i g früh in einem Sonderkapitel (S. 145—162) in einer für den Anfänger geeigneten Weise entwickelt werden. Auf diese Weise wird der Student f r ü h z e i t i g in die D e n k w e i s e der E l e k t r o n e n t h e o r i e e i n g e f ü h r t und vor D e n k f e h l e r n (z. B. bezüglich der Doppelbindung) bewahrt, die erfahrungsgemäß später nur schwer und mühevoll wieder auszurotten sind. Auch in der Frage des P e r i o d e n s y s t e m s der E l e m e n t e weicht das vorliegende Buch etwas vom Herkömmlichen ab. Zweifellos ermöglicht das Periodensystem eine didaktisch klare und einprägsame Anordnung des anorganischen Wissensstoffes. Es sollte daher an m ö g l i c h s t früher S t e l l e eines Anfängerlehrbuchs entwickelt werden. Dem steht aber die etwas schwierige Ableitung der gebräuchlichen Kurz- und Langperioden-Form des Systems entgegen, so daß das Periodensystem in den meisten anorganischen Lehrbüchern erst an v e r h ä l t n i s m ä ß i g später Stelle erscheint. Im
Vorwort
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vorliegenden Lehrbuch wird erstmals von dem — viel zu wenig bekannten und angewandten — gekürzten Periodensystem der E l e m e n t e Gebrauch gemacht, das nfolge seiner K l a r h e i t und Ü b e r s i c h t l i c h k e i t bereits sehr früh (S. 6 6 - 6 9 ) a bgeleitet werden kann, den Zusammenhang mit dem Atombau für den Anfänger viel l e i c h t e r und einleuchtender darstellen läßt (S. 135 140) und später zwanglos zu den bekannten Formen (S. 439 449) bzw. einer neuartigen, leistungsfähigen Form (s Schlußtafel) des Gesamtperiodensystems der Elemente ergänzt werden kann. 4. Die Kenntnis der Grundlagen und die Möglichkeit der Anwendung physikal i s c h - c h e m i s c h e r Hilfsmethoden gehören heute zu dem unerläßlichen R ü s t zeug eines modernen Anorganikers. Daher sind Methoden wie der RAMANE f f e k t (S. 313-318), die Magnetochemie (S. 491—500) usw. im vorliegenden Lehrbuch gebührend berücksichtigt worden. Stets wurde dabei das betreffende Problem nicht vom Standpunkt des P h y s i k o c h e m i k e r s oder P h y s i k e r s , sondern vom Standpunkt des Anorganikers aus betrachtet, der sich vornehmlich dafür interessiert, was diese Methoden zu leisten vermögen. Auch sonst wurde Wert darauf gelegt, in zusammenfassenden Darstellungen den Leser, soweit dies in einem Anfängerlehrbuch möglich ist, mit den modernen Problemen der anorganischen Chemie — wie z. B. dem a k t i v e n Zustand der festen Materie (S. 391—397), der S i l i c a t s t r u k tur (S. 325 330), dem Atombau (S. 135—145, S. 555—565), der natürlichen und künstlichen Elementumwandlung (S. 566 - 610) usw. — vertraut zu machen. Daneben wurden die technischen Verfahren der chemischen I n d u s t r i e nirgends vernachlässigt, sondern in aller A u s f ü h r l i c h k e i t — vgl. z. B. die Schwefelsäuredarstellung (S. 205—208), die Ammoniaksynthese (S.224—227), die Aluminiumerzeugung (S. 379 — 383), die Natronlaugegewinnung (S. 423 425), den Hochofenprozeß (S. 527— 533) usw. — behandelt, um dem Leser den Blick auch für diese Fragen zu öffnen und ihn zu weiterem Buchstudium anzuregen. 5. Eine gute Abbildung besagt oft mehr als eine ganze Seite Text. Daher wurde besonderer Wert auf eine reiche A u s s t a t t u n g des vorliegenden Buches mit didaktisch klarem und einprägsamem B i l d m a t e r i a l gelegt. So sind nahezu alle 154 Abbildungen neu entworfen und gezeichnet worden. Dem gleichen Ziel der größeren didaktischen Übersichtlichkeit dient die d r u c k t e c h n i s c h e Anordnung des Lehrstoffs, indem durch vielseitige Anwendung von Fett-, Sperr-, Schräg- und Kleindruck das Wesentliche gegenüber dem weniger Wesentlichen hervorgehoben und B l i c k p u n k t e für eine leichtere Orientierung innerhalb des Buches geschaffen wurden. Ebenso soll die bei verschiedenen Verbindungsklassen angewandte neuartige S y s t e m a t i k (vgl. z.B. S. 202— 203, S 263—265) zur leichteren gedächtnismäßigen Einprägung des Lehrstoffs beitragen. So ist, hoffe ich, ein Anfängerlehrbuch entstanden, das in vielen Einzelheiten vom Herkömmlichen abweicht und das auf verhältnismäßig begrenztem Raum einen umfangreichen Wissensstoff in weitgehend vollständiger, moderner und didaktisch abgewogener Darstellung vermittelt. Herzlichen Dank schulde ich meiner lieben Frau für ihre wertvolle Mitarbeit bei der Anfertigung des umfangreichen Registers. München, im November 1942,
Egon Wiberg
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Aus dem Vorwort zur 26. und 27. Auflage 1. Die in den vorhergehenden Auflagen bisher zu kurz gekommene Behandlung von M o l e k u l a r - und G i t t e r s t r u k t u r e n fand jetzt eingehendere Berücksichtigung. Hingewiesen sei etwa auf neu hinzugekommene Angaben über die Struktur von E l e m e n t e n (z.B. Selen: S. 218; Tellur: S. 221; Phosphor: S. 253, 255; Arsen: S. 276; Antimon: S. 283; Wismut: S. 288; Germanium: S. 348; Zinn: S. 352), W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (z. B. Borwasserstoffe und Derivate: S. 367ff.; Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 387f.; Germaniumwasserstoffe: S. 350), H a l o g e n v e r b i n d u n g e n (z.B. Phosphornitrilchloride: S. 273f.; Kohlenstoffmonofluorid: S. 297; Aluminiumchlorid: S. 389; Siliciummonohalogenide: S. 322), S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (z. B. Selendioxyd: S. 220; Phosphor-tri- und -pentoxyd: S. 261, 262; Metaphosphimsäuren: S. 274; Arsentrioxyd: S. 279; Antimontrioxyde: S. 286; Silicate und Siliciumdioxyd: S. 32ö ff. ¡Borsäure und Borate: S. 374ff.; Alumínate: S.385f.), S c h w e f e l - u n d S t i c k s t o f f V e r b i n d u n g e n (z.B. Schwefelstickstoff und Derivate: S. 247f., Borstickstoff: S. 377; Zinksulfid: S. 476) und vieles andere mehr. Dabei wurde Wert darauf gelegt, auch auf Zusammenhänge zwischen den Gittertypen hinzuweisen (z. B. S. 295) und die Gitter-Strukturen nicht vom Standpunkte des K r i s t a l l o g r a p h e n , also in Form von E l e m e n t a r z e l l e n wiederzugeben, sondern die Elementarzellen, dem Bedürfnis des C h e m i k e r s entsprechend, in Valenzstrukturbilder umzuzeichnen (vgl. etwa die Abbildungen 87 und 92). 2. Die erstaunlichen Portschritte der amerikanischen Forschung auf dem Gebiet der k ü n s t l i c h e n E l e m e n t u m w a n d l u n g machten eine weitgehende Umgestaltung und Neufassung vieler Abschnitte und Kapitel erforderlich. So wurden die s y n t h e t i s c h e n E l e m e n t e Technetium (S. 597f.), Promethium (S. 598f.), Astatium (S. 599f.), Francium (S. 600), Neptunium (S. 601 f.), Plutonium (S. 596, 604 f.), Americium (S. 605), Curium (S. 606), Berkelium (S. 607) und Californium (S. 607) eingehend besprochen und an allen notwendigen Stellen im Text berücksichtigt. Die Grundlagen der K e r n z e r s p l i t t e r u n g (S. 591) und K e r n s p a l t u n g (S. 591 ff.), der g e s t e u e r t e n (S. 593ff.) und u n g e s t e u e r t e n K e r n - K e t t e n r e a k t i o n (S. 597) und der damit zusammenhängenden Fragen des U r a n - (S. 593ff.) und P l u t o n i u m - P i l e s (S. 596), der A t o m k r a f t a n l a g e (S. 595), A t o m b o m b e (S. 597) usw. fanden ebenso Berücksichtigung wie etwa die Einordnung der A c t i n i d e n in das P e r i o d e n s y s t e m (S. 448f.), die Ergebnisse der modernen M e s o n e n f o r s c h u n g (S. 579f., 609f.), die Wirkungsweise des C y c l o t r o n s (S. 581 f.), der K - E i n f a n g (S. 589), die Bedeutung der künstlichen r a d i o a k t i v e n I n d i k a t o r e n (S. 590), die künstliche radioaktive Zerf a l l s r e i h e (S. 601), die Analogien zwischen L a n t h a n i d e n und A c t i n i d e n (S. 606) oder die Fortschritte auf dem Gebiete der U m w a n d l u n g v o n E n e r g i e i n M a s s e
Vorwort
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(S. 609f.). Hierbei wurde darauf geachtet, den Bericht durch Einfügung neuer Abbildungen (vgl. etwa Abb. 158,161,162,163, 164,165) und neuer Tabellen (vgl. etwa S. 448, S. 602/603) zu ergänzen, wie allgemein auch alle übrigen tabellarischen Zusammenstellungen samt zugehörigem Text (vgl. etwa S. 27, 67, 68, 137, 321, 440, 442, 443, 444, 447, 448, 556, 559, 568, Klapptafel des Periodensystems) dem neuen Stand der Forschung angepaßt wurden. 3. Die Ergebnisse wichtiger neuer präparativer und systematischer anorganischer Forschungsarbeiten wurden neu aufgenommen oder in den Text eingearbeitet. Erwähnt seien etwa eine Reihe von Verbindungen des S c h w e f e l s (Polyschwefelwasserstoffe: S. 195f.; Sulfoxylsäure: S. 213f.; Schwefelstickstoff und Derivate: S. 247f.; Kobaltund Nickelsulfide: S. 539f., 542), des P h o s p h o r s (schwarzer Phosphor: S.254f.; Phosphornitrilchloride und Derivate: S. 273f.), des S i l i c i u m s (Silicone: S. 331 f.; hochmolekulare Siliciumhalogenide: S. 321f.), des B o r s (völlige Neufassung des Kapitels über Borwasserstoffe und Borwasserstoffderivate: S. 367ff.; Oxy-fluoborsäuren: S. 373; Borazol: S. 377f.), des A l u m i n i u m s (Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 387f.; Aluminate: S. 385f.), der Ü b e r g a n g s e l e m e n t e (Mangan(V)verbindungen: S. 523, 524; Nitrosylprussiate: S. 548; Metallisonitrile: S. 549) oder Fortschritte auf dem Gebiete der H y d r i d e (Wasserstoffverbindungen des Germaniums: S. 350, Berylliums: S.402, Zinks: S.475; Aluminium-bor-Wasserstoff: S. 388; Berylliumbor-Wasserstoff: S. 370, 402; Lithium-aluminium-Wasserstoff: S. 388 usw.). Hinzu kamen zahlreiche weitere Änderungen und Ergänzungen verschiedenen Inhalts, wie die Einfügung eines weiteren anschaulichen Z a h l e n b e i s p i e l s über die Kleinheit der Atome und Moleküle (S. 30), die Einfügung einer zweiten Ableitung für den o s m o t i s c h e n D r u c k (S. 55), die Erweiterung des Abschnitts über die V e r b r e i t u n g d e r E l e m e n t e durch eine Tabelle der Häufigkeiten in A t o m p r o z e n t e n (S. 69), die Abänderung der Angaben über die A s s o z i a t i o n des F l u o r w a s s e r s t o f f s (S. 97), die Einfügung von Daten über die S t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t v o n E l e k t r o n e n in metallischen Leitern (S. 155), die Erweiterung desKapitels über D u r c h d r i n g u n g s k o m p l e x e (S. 160f.), die exaktere Fassung des Begriffs der „ E i n e l e k t r o n e n b i n d u n g " (S. 197), die Einführung des Begriffs der A t o m b r ü c k e n b i n d u n g (Kationbrücken: S. 197, 223, 367; Anionbrücken: S. 367ff., 387f., 389), die Einfügung einer S y s t e m a t i k der Sauerstoffsäuren und Oxyde des S t i c k s t o f f s (S. 223), die Erörterung des Begriffs der I s o s t e r i e (z. B. S. 235, 246, 308, 372, 373, 377, 378), die Vermehrung der Hinweise auf die Bedeutung der D o p p e l b i n d u n g s r e g e l (z. B. S. 199, 251, 253, 261, 273f., 286, 326, 331, 350), die Einfügung von V a l e n z s t r i c h f o r m e l n für eine Reihe von K i e s e l s ä u r e n (S. 327, 328), die teilweise Neufassung des Abschnitts über das P e r i o d e n s y s t e m d e r L a n t h a n i d e n (S. 447f.), die Vermehrung der Angaben über p h y s i k a l i s c h e E i g e n s c h a f t e n d e r L a n t h a n i d e n (z.B. Atomgewichte: S. 484, Schmelzpunkte: S. 489, Dichten: S. 489, Ionenfarben: S. 490), die Erweiterung der Angaben über U r a n v e r b i n d u n g e n (S. 520) und viele weitere Änderungen kleineren Umfangs, die nicht im einzelnen aufgezählt werden können.
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Vorwort
4. In Anbetracht der schon im ersten Vorwort betonten Bedeutung anschaulicher Abbildungen für das Verständnis wissenschaftlicher Fragen wurde ihre Anzahl weiter vermehrt. So kamen neu hinzu die Abbildungen 30 (Zustandekommen des osmotischen Drucks), 86 (Räumliche Molekularformel des weißen Phosphors P 4 ), 87 (Gitterstruktur des schwarzen Phosphors P ^ ), 89 (Räumliche Molekularformel des Phosphortrioxyds (P203)2), 92 (Gitterstruktur des metallischen Arsens As^ ), 97 (Molekularstruktur des Kohlenstoffmonofluorids (CF)^), 114 (Schema des Bleiakkumulators), 158 (Wirkungsweise des Cyclotrons), 161 (Schema der Uranspaltung), 162 (Ausbeuten der Uranspaltung), 163 (Uran-Pile), 164 (Schema der gesteuerten Kern-Kettenreaktion), 165 (Schema der ungesteuerten Kern-Kettenreaktion). Trotz dieser umfangreichen Vermehrung des Wissensstoffes, die auch in der Erweiterung des Registers um mehrere tausend Stichworte und in der starken Vermehrung der Zahl der Seitenhinweise innerhalb des Textes zum Ausdruck kommt, konnte durch Streichung entbehrlicher und überholter Abschnitte der Zuwachs des äußeren Umfangs auf 56 Seiten (42 Seiten Text, 14 Seiten Register) begrenzt werden. München, im Januar 1951.
Egon Wiberg
Aus dem Vorwort zur 28. und 29. Auflage Die starke Nachfrage nach dem vorliegenden Lehrbuch machte schon kurz nach Erscheinen der letzten Doppelauflage die Vorbereitung einer neuen Doppelauflage erforderlich. Trotz der Kürze der für die Überarbeitung zur Verfügung stehenden Zeit wurden auch dieses Mal zahlreiche Ergänzungen und Umänderungen vorgenommen. Sie betreffen namentlich das Gebiet der Hydride und Mischhydride, auf dem in letzter Zeit zahlreiche Fortschritte erzielt werden konnten. So wurden u. a. neu aufgenommen: Der B e r y l l i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f BeH 2 • 2A1H3 (S. 402), der Magnesiumw a s s e r s t o f f MgH2 und seine Mischhydride mit Bor- und Aluminium Wasserstoff, MgH2 • 2BH 3 bzw. MgH2 • 2A1H3 (S. 404f.), der Gallium-aluminium-wassers t o f f GaH3 • 3A1H3 (S. 398), der I n d i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f InH 3 • 3A1H3 (S. 398), der T h a l l i u m - g a l l i u m - w a s s e r s t o f f T1H3 • 3GaH 3 (S. 399), der Zinna l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f SnH4 • 4A1H3 (S. 355) und der T i t a n - a l u m i n i u m w a s s e r s t o f f TiH 4 • 4A1H3 (S. 502). Modernisiert und erweitert wurden die Abschnitte über die Darstellung von B o r w a s s e r s t o f f e n (S. 368), S i l i c i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 319), G e r m a n i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 350) und Z i n k w a s s e r s t o f f (S. 475), nachdem in der Einwirkung von L i t h i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f LiAlH 4 (S.388) auf Metallchloride eine neue, vorteilhafte Methode zur Darstellung von Hydriden und Mischhydriden vorliegt. Eine neue Fassung erhielten die Abschnitte über das Schwefelmonoxyd (S. 201), die D i s p r o p o r t i o n i e r u n g und Zersetzung des H y d r o x y l amins (S. 244f.) und die E n t h ä r t u n g des Wassers (S. 410). Die A c t i n i d e n n a t u r des U r a n s wurde ausführlicher begründet (S. 520). Darüber hinaus finden sich an zahlreichen anderen Stellen Erweiterungen und Ergänzungen, wie etwa über die
Vorwort
XI
n a t ü r l i c h e R a d i o a k t i v i t ä t des Indiums (S. 569), die Elementumwandlung mit K o h l e n s t o f f k e r n e n (S. 581, 607), die R a d i o a k t i v i t ä t des Neutrons (S. 585), die P e r i o d i z i t ä t der Actiniden (S. 606) oder Ausnahmen der MATTAUCHschen R e g e l (S. 558). Weiterhin wurde der Text sorgfältig auf Druckfehler und mißverständliche Formulierungen geprüft und an manchen Stellen (z. B. bezüglich der Anregung von Freiheitsgraden der Rotation, S. 77f.) berichtigt. München, im Oktober 1951.
Egon Wiberg
Aus dem Vorwort zur 32. und 33. Auflage Auch die vorliegende neue Auflage ist an vielen Stellen verbessert und erweitert worden, soweit dies ohne Umbruch des gesamten Satzes möglich war. So wurde, um nur einiges herauszugreifen, die Ableitung des osmotischen D r u c k s (S. 55) und der Dampfdruckerniedrigung (S. 57) abgeändert, der Begriff der „Ladungszahl" (S. 148) und „ B i n d u n g s z a h l " (S. 150) eingeführt, eine Reihe von p h y s i k a l i s c h e n D a t e n (Schmelzpunkte, Siedepunkte, Halbwertszeiten usw.) nachgetragen oder korrigiert (z.B. S.220,562,564, 602/603), die relative thermodynamischeBeständigkeit der Phosphormodifikationen richtiggestellt (S. 253, 254), der Begriff der I s o s t e r i e durch zusätzliche Beispiele erläutert (S. 372), die Chemie des B o r o x o l s und seiner Derivate durch weitere Angaben bereichert (S. 375/76, Anm. 3), der Abschnitt über Aluminiumwasserstoff vervollständigt (S. 387f.), die Trennung der L a n t h a niden durch I o n e n a u s t a u s c h e r behandelt (S. 488f.), der Abschnitt über T e c h netium erweitert (S. 597 f.), die Tabelle der Normal- und Umladungspotentiale des U r a n s , Neptuniums und P l u t o n i u m s auf den neuesten Stand gebracht und durch die entsprechenden Werte des Americiums ergänzt (S. 605). Darüber hinaus wurden, wo erforderlich, Druckfehler beseitigt, unklare Textstellen präzisiert oder veranschaulicht, experimentell nicht genügend gestützte Auffassungen deutlicher als solche gekennzeichnet, die Nomenklatur weiter dem internationalen Sprachgebrauch angepaßt und zahlreiche sonstige Einfügungen vorgenommen, wie schon die Erweiterung des Registers um einige zwanzig Stichworte zeigt. M ü n c h e n , im September 1953. Egon Wiberg
xi r
Aus dem Vorwort zur 34.—36. Auflage 1. Die Erforschung der ä t i o t r o p e n M o d i f i k a t i o n e n der E l e m e n t e hat in letzter Zeit viel Neues erbracht, so daß eine Reihe diesbezüglicher Abschnitte — so über den Schwefel (S. 185ff.), das Selen(S. 217ff.), das T e l l u r (S.221), d e n P h o s p h o r (S. 253ff.), das Arsen (S. 275f.), das A n t i m o n (S. 283f.), das W i s m u t (S. 288), den K o h l e n s t o f f (S. 293f.), das Silicium (S. 319), das G e r m a n i u m (S. 348f.) - entweder völlig neu gefaßt oder erweitert bzw. verbessert werden mußte. Bei dieser Gelegenheit wurden auch mancherlei Randgebiete mitbehandelt, die zu den Modifikationen in enger Beziehung stehen, wie etwa der S e l e n - G l e i c h r i c h t e r und das SelenP h o t o e l e m e n t (S. 218), die Wirkungsweise von K a t a l y s a t o r e n bei der Umwandlung von Schwefel-, Selen-,Phosphor- und Kohlenstoffmodifikationen (S. 218f., 255,297), die Erscheinung der E l e k t r o n e n ü b e r s c h u ß - und E l e k t r o n e n d e f e k t - L e i t u n g bei H a l b l e i t e r n (S.348f.), das Problem der als M i s c h p o l y m e r i s a t e aufzufassenden Elementmodifikationen und ihres Gitteraufbaus (S. 255, 276, 284), die Strukturen des HrrTOEFSchen (S. 254) und SCHENCKsehen P h o s p h o r s (S. 255) und vieles andere mehr. 2. Viele neuere Ergebnisse der S c h w e f e l c h e m i e fanden ihren Niederschlag in entsprechenden Umgestaltungen und Erweiterungen von Abschnitten. So wurde an Stelle der bisher noch gebrauchten komplexen Schreibweise die K e t t e n s t r u k t u r der P o l y s c h w e f e l w a s s e r s t o f f e (S. 195) und P o l y t h i o n a t e (S. 216) eingeführt, das A d d i t i o n s v e r m ö g e n des S c h w e f e l t r i o x y d s besprochen (S. 200f.), der Abschnitt über das D i s c h w e f e l t r i o x y d S 2 0 3 neu gefaßt (S. 201), die Chemie der P o l y t h i o n s ä u r e n durch zusammenfassende Angaben über D a r s t e l l u n g und Z e r f a l l ergänzt (S. 217), ein Abschnitt über die Konstitution des T e t r a s c h w e f e l d i n i t r i d s S 4 N 2 eingefügt (S. 248), das chemische Verhalten des S u l f a m i d s und S u l f i m i d s ausführlicher behandelt (S. 251), die N o m e n k l a t u r der S c h w e f e l s ä u r e n der internationalen Übereinkunft angepaßt (S. 202f., 212f.) usw. 3. Die Fortschritte auf dem Gebiete der C a r b o n y l c h e m i e machten wesentliche Textänderungen und -erweiterungen erforderlich. U. a. wurde die D a r s t e l l u n g von M e t a l l c a r b o n y l e n durch einen Abschnitt über die Reduktion und Redoxdisproportionierung von Metallverbindungen in f l ü s s i g e r P h a s e ergänzt (S. 545), die S ä u r e n a t u r der C a r b o n y l w a s s e r s t o f f e ausführlich besprochen (S. 546), ein Abschnitt über die B i l d u n g v o n C a r b o n y l a t e n durch Reduktion und Redoxdisproportionierung m e h r k e r n i g e r C a r b o n y l e eingefügt (S.546f.), der GitiMMsche H y d r i d v e r s c h i e b u n g s s a t z aus dem Kapitel über Carbonylwasserstoffe, wo er nach unseren heutigen Kenntnissen fehl am Platze war, entfernt und in anderem Zusammenhang (S. 437) erläutert, die D a r s t e l l u n g v o n N i t r o s y l c a r b o n y l e n behandelt (S. 548), der Abschnitt über I s o n i t r i l - C a r b o n y l e erweitert (S. 549) und durch Angaben über P h o s p h o r h a l o g e n i d - , A r s e n h a l o g e n i d - und P h o s p h i n - c a r b o n y l e ergänzt (S. 549) und ähnliches mehr.
Vorwort
XIII
4. Eine weitgehende Umgestaltung und Ergänzung erfuhren die Abschnitte über den B a u d e r A t o m e u n d M o l e k ü l e . So wurden die Begriffe der s-, p-, d- u n d /E l e k t r o n e n (S.139f., 445fi.), des P r i n z i p s d e r g r ö ß t e n M u l t i p l i z i t ä t (S. 139, 445), der H a u p t - , N e b e n - , m a g n e t i s c h e n u n d S p i n - Q u a n t e n z a h l (S.136, 139, 445), des PAULi-Prinzips (S. 445), der B a s t a r d b i n d u n g e n (S. 153, 446) eingeführt und behandelt, die B i n d e k r ä f t e der reinen und Bastardbindungen verglichen (S. 153, 446), die Regeln für die S y m b o l i s i e r u n g v o n E l e k t r o n e n k o n f i g u r a t i o n e n bei sprochen (S. 140, 445), die Zusammenhänge zwischen Elektronenkonfiguration, räumlicher Konfiguration und Magnetismus bei der K o m p l e x b i l d u n g v o n Ü b e r g a n g s e l e m e n t e n auseinandergesetzt (S. 445 ff.) usw. Dagegen konnte ich mich nicht dazu entschließen, die Kapitel über den Atombau und die Verbindungsbildung ganz auf die Vorstellungen der W e l l e n m e c h a n i k umzustellen, da es sich bei dem vorliegenden Lehrbuch, wie schon im ersten Vorwort (S. V) angegeben, um ein Lehrbuch für A n f ä n g e r der Chemie und für Studierende mit Chemie als Nebenfach handelt, für die die gewählte Betrachtungsweise zum Verständnis des Atom- und Molekülbaus völlig ausreicht. Doch wurde vorsorglich ein Hinweis darauf eingefügt, daß die gebrauchten Begriffe der E l e k t r o n e n - , , S c h a l e n " nur B i l d s y m b o l e für unterschiedliche E n e r g i e z u s t ä n d e der Elektronen darstellen (S. 136). 5. Die Ergebnisse der Forschung über „ a n o m a l e " W e r t i g k e i t e n der Elemente wurden überall berücksichtigt, wie die Angaben über S i l i c i u m - m o n o x y d (S. 325), - d i c h l o r i d (S. 321), - m o n o f l u o r i d (S. 322) und - m o n o b r o m i d (S. 322), sowie über Verbindungen des einwertigen B o r s und A l u m i n i u m s (S. 384), dreiwertigen K u p f e r s (S. 452) und S i l b e r s (S. 459), vierwertigen P r o t a c t i n i u m s (S. 506), ein-, vier- und fünfwertigen C h r o m s (S. 508), drei- und fünfwertigen M a n g a n s (S. 522, 523) —1-wertigen R h e n i u m s (S. 525), ein- und vierwertigen E i s e n s (S. 534), vierwertigen K o b a l t s (S. 539), null-, ein-, drei- und vierwertigen N i c k e l s (S. 542) zeigen. 6. Überarbeitet und ergänzt wurden weiterhin die Kapitel über die n a t ü r l i c h e u n d k ü n s t l i c h e E l e m e n t u m w a n d l u n g . So wurde der P r o t o n - u n d N e u t r o n Z u s t a n d d e s N u k l e o n s näher behandelt (S. 555), der Begriff der „ m a g i s c h e n Z a h l e n " eingeführt (S. 557), der h e u t i g e S t a n d d e r I s o t o p e n f o r s c h u n g in allen Tabellen zum Ausdruck gebracht (S. 556, 559, 602/603), die W ä r m e t ö n u n g der Umwandlung Neutron-> Proton angegeben ( S . 5 6 0 ) , d a s n a t ü r l i c h - r a d i o a k t i v e N e o d y m eingefügt (S. 569), der Begriff des Neutrinos durch den des A n t i n e u t r i n o s ergänzt (S.571), auf die W a s s e r s t o f f b o m b e (S.579) und die A t o m s y n t h e s e mit K o h l e n s t o f f - , S t i c k s t o f f - und S a u e r s t o f f k e r n e n hingewiesen (S. 581, 607), die A l t e r s b e s t i m m u n g m i t 1 4 C besprochen (S.590), das P r o t o n - S y n c h r o t r o n und S y n c h r o - C y c l o t r o n des Europäischen Kernforschungsinstituts in Genf behandelt (S. 582, 583), die K e r n z e r s p l i t t e r u n g durch ein neues Beispiel belegt (S. 591), der U r a n - K e r n r e a k t o r ausführlicher geschildert (S. 594f.), die zugehörige A b b i l d u n g ausgewechselt (Fig. 163, S.594), die A c t i n i d e n t a b e l l e auf den neuesten Stand gebracht (S. 602/603), die Chemie des N e p t u n i u m s durch speziellere Angaben über N e p t u n i u m v e r b i n d u n g e n ergänzt (S. 604), die Gewinnung der Elemente 99 und
XIV
Vorwort
100 behandelt (S. 607), auf die s p o n t a n e K e r n s p a l t u n g eingegangen (S. 608) und anderes mehr. 7. Auch an vielen anderen Stellen wurde der Text erweitert. Erwähnt seien etwa die neuen Abschnitte über die Ursachen der A u s d e h n u n g des W a s s e r s beim Gefrieren und die S t r u k t u r des E i s e s (S. öl, 328), das H e l i u m I I und den supraf l ü s s i g e n Z u s t a n d (S. 74), die H y d r a t e der E d e l g a s e (S. 74), die C l a t h r a t e oder K ä f i g v e r b i n d u n g e n (S. 74f.), die Reaktionen des B r o m t r i f l u o r i d s (S. 132), die Darstellung der h ö h e r e n S i l i c i u m h a l o g e n i d e (S. 321), die f a s e r i g e Modif i k a t i o n des S i l i c i u m d i o x y d s (S.333), die Erscheinung der T h i x o t r o p i e (S.338), die H y d r o n i u m s a l z e (S. 437f.). Zahlreiche bisher nicht erwähnte Verbindungen fanden Berücksichtigung, z. B. die Klasse der H a l o g e n - S u l f a n e (S. 196), die F l u o r i d e Se 2 F 10 und Te 2 F 10 des S e l e n s und Tellurs (S. 198), die neu entdeckten A z i d e der 1.—4. Hauptgruppe des Periodensystems (S. 231), das F l u o r a z i d (S. 233), die Derivate des H e p t a s c h w e f e l i m i d s (S. 248), das S i l i c i u m - d i s e l e n i d und - d i t e l l u r i d (S. 333), die Derivate des B o r s u l f o l s (S.376), die Oxychloride, Bromide und Jodide des A l u m i n i u m s (S. 390), Zinns (S. 354) und E i s e n s (S. 536f.), das B a r i u m t i t a n a t (S.502) u n d T i t a n b o r a n a t (S.502),das C h r o m y l f l u o r i d (S.510). die wichtigsten D e u t e r i u m v e r b i n d u n g e n der 4. bis 7. Gruppe des Periodensystems (S. 562f.) und so fort. Die Begriffe der Ladungszahl, Bindungszahl und Oxydationszahl wurden durch den der f o r m a l e n L a d u n g s z a h l ergänzt (S. 158), die in den Tabellen der Oxyde und Sauerstoffsäuren des Schwefels (S. 198, 202), Stickstoffs (S. 233) und Phosphors (S. 263) bisher verwendeten, zu Mißverständnissen Anlaß gebenden fiktiven O x y d a t i o n s z a h l e n der Peroxysäuren im Sinne der üblichen Anwendung abgeändert, die Begriffe der T a u t o m e r i e (S. 204) und M o l e k ü l k o n d e n s a t i o n (S. 268) erläutert, die Angaben über die L e i t f ä h i g k e i t der 100%igen S c h w e f e l s ä u r e (S. 210), die T a u t o m e r i e der N i t r o s y l s c h w e f e l s ä u r e (S. 243) und die Aufbringung von E m a i l - Ü b e r z ü g e n (S. 342) verbessert, die Strukturen des f e s t e n P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d s und - b r o m i d s behandelt (S. 259), die Erläuterungen zur R e s o n a n z genauer gefaßt (S. 318), die Abschnitte über den B o r s t i c k s t o f f (S. 377), die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n des A l u m i n i u m s (S. 387), G a l l i u m s (S. 398), I n d i u m s (S. 398), G e r m a n i u m s (S. 350) und Z i n n s (S. 355), die k o m p l e x e n A l u m i n i u m f l u o r i d e (S. 389), die m a g n e t i s c h e n M o m e n t e der E i s e n r e i h e (S. 498), das T i t a n (S. 501), die D a r s t e l l u n g (S. 519) und die A c t i n i d e n n a t u r (S. 520) des Urans, das R h e n i u m (S. 525), die Isotopengewinnung nach dem T r e n n r o h r v e r f a h r e n (S. 561) erweitert, die Beispiele der A n w e n d u n g v o n I o n e n a u s t a u s c h e r n vermehrt (S. 489, 503), die A t o m g e w i c h t e überall gemäß dem jetzigen Stand verbessert (S. 27, 484, 559, Klapptafel). 8. Darüber hinaus wurden zahlreiche Textstellen durch kleinere Einfügungen, Streichungen, Erläuterungen oder Abänderungen klarer gestaltet, die physikalischen Daten wie Schmelzpunkte, Siedepunkte, Dampfdrucke, Normalpotentiale, Dissoziationskonstanten, Halbwertszeiten dem neuesten Stand entsprechend abgeändert oder ergänzt, die Seitenhinweise vermehrt, die Reaktionsgleichungen, wo erforderlich, ver-
Vorwort
XV
bessert, die Gleichgewichtskonstanten stets einheitlich (Reaktionsprodukte im Zähler) formuliert (z. B. S. 104f., 119), Abbildungen neu gezeichnet usw. Trotz dieser weitgehenden Vermehrung des Wissensstoffes, die auch in einer Erweiterung des Registers um nahezu tausend Stichworte zum Ausdruck kommt, konnte durch Streichung entbehrlicher oder überholter Abschnitte die Erhöhung der Seitenzahl in engen Grenzen (Zuwachs um 22 Text- und 4 Register-Seiten) gehalten werden. Bei der Umgestaltung des Textes hatte ich mich der Mithilfe zahlreicher Kollegen zu erfreuen, die mich in z. T. sehr ausführlichen Zuschriften oder in anregenden mündlichen Diskussionen auf mancherlei Verbesserungsmöglichkeiten hinwiesen und wertvolle Vorschläge zur Modernisierung von Abschnitten unterbreiteten. Besonders erwähnt und bedankt seien die Kollegen FRANZ FEHER-Köln, MARGOT GoEHRiNG-Heidelberg, W A L T H E R HIEBER-München, F R I E D R I C H KLAGES-München, H E I N Z K R E B S - B O I U I , H E R M A N N Ltrx-München, R E I N H A R D NAST-Heidelberg, R U D O L F SßHOLDER-Karlsruhe und F R I T Z SEEL-Würzburg. Aufmerksamen studentischen Lesern verdanke ich die Beseitigung einer Reihe von Druckfehlern und Unklarheiten. Meinem Sohn, stud. ehem. N I L S W I B E R G , schulde ich für die mühevolle Arbeit der Umpaginierung und Erweiterung des Registers großen Dank. Die durch den Zusatz „ I I " gekennzeichneten Seitenhinweise beziehen sich auf den ehemaligen I I . Teil des HOLLEMAN sehen Werkes, das „Lehrbuch der organischen Chemie" von H O L L E M A N - R I C H T E R , 3 1 . / 3 2 . Auflage ( 1 9 5 4 ) . M ü n c h e n , im November 1954. Egon Wiberg
Vorwort zur 40.—46. Auflage Nachdem das Lehrbuch vor kurzem (34.-36. Auflage) wesentlich umgearbeitet und erweitert wurde, konnte sich die Bearbeitung der vorliegenden (40.—46.) Auflage darauf beschränken, den Text sorgfältig zu revidieren und überall dem heutigen Stand der Wissenschaft anzupassen. Der Aufmerksamkeit zahlreicher studentischer Leser verdanke ich viele Anregungen und Korrekturhimveise, die im R a h m e n des Möglichen berücksichtigt wurden und für die ich auch an dieser Stelle herzlich danke. M ü n c h e n , im Dezember 1957 Egon Wiberg
Inhalt Seite
Einleitung
1
Atom und Molekül Kapitel I. Der reine S t o f f 1. Homogene und heterogene Systeme 2. Zerlegung heterogener Systeme a) Zerlegung auf Grund verschiedener Dichten b) Zerlegung auf Grund verschiedener Teilchengrößen 3. Zerlegung homogener Systeme a) Zerlegung auf physikalischem Wege a) Phasenscheidung durch Temperaturänderung Verdampfen und Verdichten Schmelzen und Erstarren ' ß) Phasenscheidung durch Lösungsmittel b) Zerlegung auf chemischem Wege 4. Element und Verbindung
3 3 4 4 5 6 6 6 7 8 8 8 9
Kapitel II. Atom- und Molekularlehre 1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff a) Experimentalbefunde a) Gesetz von der Erhaltung der Masse ß) Stöchiometrische Gesetze Gesetz der konstanten Proportionen Gesetz der multiplen Proportionen Gesetz der äquivalenten Proportionen b) DALTONS Atomhypothese 2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff a) Experimentalbefunde b) AVOGADROS Molekularhypothese
11 11 11 11 12 12 14 14
Kapitel I I I . Atom- und M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g 1. Relative Atom- und Molekulargewichte a) Wahl einer Bezugseinheit b) Bestimmung relativer Molekulargewichte a) Zustandsgieichung idealer Gase ß) Methoden der Molekulargewichtsbestimmung c) Bestimmung relativer Atomgewichte d) Stöchiometrische Berechnungen 2. Absolute Atom- und Molekulargewichte
20 20 20 21 21 24 26 28 29
Kapitel IV. Das Wasser und seine B e s t a n d t e i l e 1. Der Sauerstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus Luft ß\ Aus Wasser y) Aus festen Sauerstoffverbindungen
31 31 31 31 31 34 34
H o l l e m a n - W l b e r R . Anorganische Chemie. 40.— 46. Aufl.
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16 16 17
b
XVIII
Inhalt
c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Der Wasserstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus Wasser ß) Aus Säuren c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften e) Die chemische Reaktionswärme f) Atomarer Wasserstoff 3. Das Wasser a) Vorkommen b) Reinigung c) Physikalische Eigenschaften - Pt + 0 2 . Ein Beispiel für diese Art der Sauerstoffbildung aus Metalloxyden h a t t e n wir schon auf S. 9 bei der Besprechung der Zusammensetzung von Q u e c k s i l b e r o x y d (2HgO —>- 2Hg + 0 2 ) kennengelernt. Im Laboratorium verwendet man zur Sauerstoffherstellung allerdings nicht solche E d e l m e t a l l - O x y d e , sondern w o h l f e i l e r e , etwas komplizierter zusammengesetzte Sauerstoffverbindungen, z . B . K a l i u m c h l o r a t (KC10 3 ), K a l i u m n i t r a t (KN0 3 ), K a l i u m p e r m a n g a n a t (KMn0 4 ). Insbesondere das Erhitzen von K a l i u m c h l o r a t stellt eine gebräuchliche L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Gewinnung von Sauerstoff dar.Die Reaktion verläuft so, daß zunächst ein Austausch des Sauerstoffs unter Bildung einer sauerstoff-reicheren und einer sauerstoff-ärmeren (bzw. sauerstoff-freien) Verbindung erfolgt („Disproportionierung"): 4 KC103 Kaliumchlorat
40011
> 3KC104 + KCl, KaliumPerchlorat
KaliumChlorid
worauf die sauerstoffreiche Verbindung (Kaliumperchlorat) bei stärkerem Erhitzen unter Sauerstoffabgabe zerfällt: KC104 KCl + 2 0 2 . Wichtig für die Laboratoriumspraxis ist, daß diese Sauerstoffgewinnung aus Kaliumchlorat durch sogenannte „Katalysatoren" 1 beschleunigt werden kann. Unter Katalysatoren (S. U l f . ) versteht man dabei ganz allgemein Stoffe, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion e r h ö h e n („positive Katalysatoren") oder e r n i e d r i g e n („negative Katalysatoren"), o h n e d a b e i s e l b s t v e r b r a u c h t z u w e r d e n , so daß sie nach der Reaktion u n v e r ä n d e r t wieder vorliegen und in der R e a k t i o n s g l e i c h u n g daher n i c h t a u f t r e t e n . So wird z. B. die Sauerstoffabgabe aus Kaliumchlorat durch dieZugabe von M a n g a n d i o x y d (Braunstein),Mn0 2 , wesentlich erleichtert.Erhitzt man eine Mischung von Kaliumchlorat (Sauerstoffentwicklung bei 500°) und Braunstein (Sauerstoffentwicklung bei 600°) im Gewichtsverhältnis 10: 1, so tritt die Sauerstoffentwicklung schon bei 150° ein, ohne daß es zu der oben erwähnten Disproportionierung k o m m t : 2KC103 ¿ ^ 2 K C 1 + 3 0 2 . Die Gegenwart des Katalysators bewirkt also eine Erniedrigung der Zerfallstemperatur des Kaliumchlorats um 350°.
c) Physikalische Eigenschaften Sauerstoff ist bei gewöhnlicher Temperatur und unter normalem Luftdruck ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch starke Abkühlung läßt er sich zu einer bläulich gefärbten Flüssigkeit verdichten, welche bei —183.0° siedet und bei —218.9° zu hellblauen Kristallen erstarrt. Die Dichte des flüssigen Sauerstoffs beträgt beim Siedepunkt 1.118. I n 100 Volumina Wasser lösen sich bei 0° 4.9, bei 20° 3.1 Raumteile Sauerstoffgas (vgl. S. 61).
d) Chemische Eigenschaften Die charakteristischste chemische Eigenschaft des S a u e r s t o f f s ist seine Fähigkeit, sich bei erhöhter Temperatur mit zahlreichen Stoffen unter L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g zu verbinden. Auf dieser Umsetzung mit Sauerstoff — „Oxydation" — 1
k a t a l y e i n (KctTccXOciv) =
auslösen. 3*
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Das Wasser und seine Bestandteile
beruht j a der Vorgang der V e r b r e n n u n g von Stoffen an der L u f t . Allerdings sind die Verbrennungserscheinungen hier n i c h t so l e b h a f t wie in r e i n e m S a u e r s t o f f , da der in der Luft neben Sauerstoff noch vorhandene, die Verbrennung nicht unterhaltende S t i c k s t o f f einen Teil der Verbrennungswärme zu seiner Erwärmung verbraucht. Infolgedessen kann die Temperatur und damit die Lichtentwicklung — die ja in hohem Maße von der Temperatur abhängt — trotz Entwicklung der gleichen Wärmemenge nicht den gleichen Grad wie bei der Verbrennung in reinem Sauerstoff erreichen, bei dem der Stickstoffballast wegfällt. So verbrennt z. B. H o l z k o h l e , die an der Luft nur mäßig und ohne große Lichtentwicklung glüht, in reinem Sauerstoff mit großem Glänze. Es wird dabei der Kohlenstoff (C) der Holzkohle zu gasförmigem, farblosem K o h l e n d i o x y d (C0 2 ) „oxydiert": C + 0 2 —•>- C02 + Energie . In gleicher Weise beginnt ein glimmender H o l z s p a n in einem mit Sauerstoffgas gefüllten Gefäß sogleich mit heller Hamme und ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zu brennen, was man zur E r k e n n u n g des S a u e r s t o f f s („Reaktion auf Sauerstoff") benutzt. Der an der Luft mit schwacher blauer Flamme brennende S c h w e f e l (S) verbrennt in Sauerstoff mit intensiv blauem Licht zu gasförmigem, farblosem, stechend riechendem S c h w e f e l d i o x y d (S0 2 ): S + 02 >- S0 2 + Energie . Entzündeter P h o s p h o r (P) ergibt unter blendend weißer Lichtentwicklung festes, weißes P h o s p h o r p e n t o x y d (P 2 0 5 ): 4P + 50 2 •—>- 2P 2 0 6 + Energie . Eine an einem Ende glühend gemachte stählerne U h r f e d e r (Eisen F e ) verbrennt im Sauerstoff unter lebhaftem Funkensprühen zu E i s e n o x y d (Fe 2 0 3 ): 4 Fe + 3 0 2 2 Fe 2 0 3 + Energie . M a g n e s i u m d r a h t (Mg) oder Calciumspäne (Ca) verbrennen unter blendender Lichterscheinung und Bildung weißer M a g n e s i u m o x y d - bzw. Calciumoxyd-Nebel: 2 Mg + 0 2 >• 2MgO + Energie 2 Ca + 0 2 —>- 2CaO + Energie . N i c h t a l l e O x y d a t i o n s v o r g ä n g e verlaufen wie die vorstehend beschriebenen Verbrennungsvorgänge unter ausgesprochener L i c h t - und W ä r m e e n t w i c k l u n g . Es gibt vielmehr auch l a n g s a m b e i U m g e b u n g s t e m p e r a t u r v e r l a u f e n d e O x y d a t i o n e n , die ohne diese sinnfälligen Begleiterscheinungen vor sich gehen. Man nennt sie „stille Verbrennungen" („Autoxydationen"). Hierzu gehören z. B. das R o s t e n und A n l a u f e n von Metallen, das V e r m o d e r n von Holz und sonstige V e r w e s u n g s e r s c h e i n u n g e n (zum Ablauf dieser e n z y m a t i s c h k a t a l y s i e r t e n Vorgänge vgl. Lehrbücher der Biochemie), sowie vor allem die A t m u n g der O r g a n i s m e n . Bei diesem Atmungsvorgang spielen sich im Organismus der T i e r e und M e n s c h e n (bezüglich der Tages- und Nachtatmung von P f l a n z e n vgl. Lehrbücher der Biochemie) stille Verbrennungen ab, durch welche die Nahrungsmittel — z.B. „Kohlenhydrate", Cm ( H 2 0 ) n mittels des eingeatmeten Sauerstoffs der Luft in Kohlendioxyd (ausgeatmet) und Wasser (ausgeschieden) übergeführt werden (über den komplizierten M e c h a n i s m u s dieses Verbrennungsvorgangs vgl. Lehrbücher der Biochemie): Cm(H20)n + mO,
mCO, + n H a 0 + Energie .
Pflanze
Die bei dieser Oxydation langsam f r e i w e r d e n d e E n e r g i e dient zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und L e b e n s v o r g ä n g e . Der umgekehrte Vorgang, der Aufbau von Kohlenhydraten aus Kohlendioxyd, Wasser und Energie (Sonnenlicht) spielt sich bei der „Assimilation" (vgl. II, S. 473) der P f l a n z e n ab. Auf diese Weise wird der von Mensch und Tier verbrauchte Sauerstoff wieder r ü c k g e b i l d e t . Pflanzliche Assi-
Der Wasserstoff
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milationund tierische Atmung sind dabei so a u f e i n a n d e r a b g e s t i m m t , daß sich — zumal wenn man die ungeheure Sauerstoffmenge der Atmosphäre (S. 64) in Rechnung stellt — der Sauerstoffgehalt der Luft p r a k t i s c h n i c h t ä n d e r t (S. 63f.). Nicht immer wurde die Verbrennungserscheinung richtig als die Vereinigung von Stoffen mit Sauerstoff gedeutet. So stellte z. B. der deutsche Arzt und Chemiker GEORG ERNST STAHL (1660—1734) im Jahre 1710 die Theorie auf, daß beim Verbrennen eines Stoffs ein g a s f ö r m i g e s E t w a s entweiche, das er „Phlogiston"1 nannte. Nach dieser Theorie („Phlogistontheorie") nahm man an, daß ein Stoff um so leichter und heftiger verbrenne, je mehr Phlogiston er enthalte. S c h w e f e l , P h o s p h o r , K o h l e n s t o f f , W a s s e r s t o f f galten danach a l s s e h r p h l o g i s t o n r e i c h e S t o f f e . A u c h als LAVOISIER (S. 11) i m J a h r e 1777 zeigte, d a ß der v o n CARL WILHELM SCHEELE ( 1 7 4 2 — 1 7 8 6 ) u n d JOSEPH PRIESTLEY ( 1 7 3 3 — 1804), u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r , i m J a h r e 1774
als Luftbestandteil erkannte Sauerstoff für die Verbrennung notwendig ist und daß bei der Verbrennung eine G e w i c h t s z u n a h m e und nicht eine G e w i c h t s a b n a h m e zu beobachten ist, gab man die Phlogistontheorie noch nicht auf, sondern suchte sie durch Zusatzhypothesen zu retten. So betrachtete man den Sauerstoff als „dephlogistierte", d. h. von Phlogiston befreite Luft, welche ein großes Bestreben habe, anderen Stoffen ihr Phlogiston zu entziehen, und schrieb dem Phlogiston ein „negatives Gewicht" zu. Heutzutage mag man vielleicht die Hartnäckigkeit nicht ganz begreifen, mit der man lange Zeit die Phlogistonhypothese aufrechtzuerhalten suchte. Man muß aber bedenken, daß diese Hypothese einen wahren Kern enthielt. Das, was die Phlogistiker als e n t w e i c h e n d e s P h l o g i s t o n ansahen, ist in der heutigen Ausdrucksweise die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e . Dadurch, daß die Phlogistontheorie bei den Verbrennungserscheinungen nicht klar zwischen den e n e r g e t i s c h e n und den s t o f f l i c h e n Umsetzungen unterschied und auch d a s P h l o g i s t o n als einen S t o f f betrachtete, verstrickte sie sich bald in unlösbare Widersprüche.
2. D e r Wasserstoff a) Vorkommen Der Wasserstoff, der im Jahre 1 7 6 6 von dem englischen Privatgelehrten H E N K Y ( 1 7 3 1 — 1 8 1 0 ) entdeckt wurde, kommt i n f r e i e m Z u s t a n d e nur spurenweise in der A t m o s p h ä r e vor. I n g e b u n d e n e m Z u s t a n d e ist er als Bestandteil des W a s s e r s (11.2 Gewichtsprozente Wasserstoff) und anderer Verbindungen weit verbreitet; und zwar ist im Durchschnitt jedes sechste bis siebente Atom aller am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Wasser- und Lufthülle) beteiligten Atome ein Wasserstoffatom (vgl. S. 69). CAVENDISH
b) Darstellung a) Aus Wasser Die Darstellung von W a s s e r s t o f f erfolgt zweckmäßig aus W a s s e r (H 2 0), das in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht. Wie bei der Sauerstoffdarstellung kann die Zerlegung des Wassers auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. Die Zersetzung auf physikalischem Wege durch Elektrolyse haben wir beim Sauerstoff schon geschildert (S. 34). Wie dort wird das Wasser auch hier zwecks Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit mit N a t r o n l a u g e versetzt. Auch wässerige K o c h s a l z l ö s u n g e n werden zur Elektrolyse verwandt („Chloralkali-elektrolyse"; vgl. S. 424ff.). Zur Zersetzung des Wassers auf chemischem Wege können alle Metalle und Nichtmetalle dienen, welche ein großes Bestreben haben, sich mit dem Sauerstoff des Wassers zu verbinden. Unter den Metallen sind die sogenannten A l k a l i m e t a l l e (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium, Francium) besonders reaktionsfähig. Bringt man beispielsweise ein Stückchen N a t r i u m m e t a l l (Na) auf Wasser, so bewegt es sich unter lebhafter Wasserstoffentwicklung und unter Schmelzen auf der Wasseroberfläche umher und geht als N a t r i u m h y d r o x y d (NaOH) in Lösung: 2 HÖH + 2 Na 1
phlogistos ((pAoyicrros) = verbrannt.
>- 2 N a O H + H 2 + Energie.
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Das Wasser und seine Bestandteile
In ganz analoger Weise reagieren die übrigen Alkalimetalle unter Bildung entsprechender Metallhydroxyde MeOH (Me = Alkalimetall). Die Heftigkeit der Reaktion nimmt dabei mit steigendem Atomgewicht des Alkalimetalls zu. Die gleiche Beobachtung macht man bei den sogenannten E r d a l k a l i m e t a l l e n (Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium, Barium, Radium). Während Calcium, Strontium und Barium sich mit dem Wasser verhältnismäßig lebhaft — wenn auch weniger heftig als die Alkalimetalle — gemäß der Gleichung 2HÖH + Me — M e ( O H ) 2 + H 2 +
Energie
(Me = Erdalkalimetall) umsetzen, reagiert das Magnesium erst bei erhöhter Temperatur (Überleiten von Wasserdampf über erhitztes Magnesiumpulver), dann allerdings unter starker Licht- und Wärmeentwicklung: H 2 0 + Mg
-v MgO + H 2 + Energie .
Für die t e c h n i s c h e Wasserstoffherstellung kommen die vorstehend genannten Metalle wegen ihres hohen Preises nicht in Frage. Dagegen dient die Zerlegung von Wasser durch E i s e n bei Rotglut 1 in begrenztem Umfange zur technischen Wasserstofferzeugung 2 : Energie + H 2 0 + Fe — > FeO + H 2 .
(1)
Das gebildete Eisenoxyd wird in der Technik durch Kohlenoxyd CO (z. B. in Form von Wassergas; s. unten) immer wieder in Eisen zurückverwandelt: FeO + CO >- Fe + C 0 2 , (2) indem man abwechselnd Wasserdampf und Wassergas über das Eisen bzw. Eisenoxyd leitet. Auf diese Weise kommt man mit einer endlichen Menge Eisen aus. Addiert man die beiden Gleichungen der Wasserstoffbildung (1) und Eisenregenerierung (2), so heben sich Eisenoxyd und Eisen heraus, so daß man die Gesamtgleichung H 2 0 + CO — H2 + C02 (3) erhält. Das Verfahren beruht also in summa darauf, daß Wasserdampf und Kohlenoxyd zu Wasserstoff und Kohlendioxyd umgesetzt werden. Da sich diese Reaktion bei Gegenwart eines Katalysators auch d i r e k t — d. h. ohne den Umweg einer vorherigen Bildung von Eisenoxyd — durchführen läßt (s. unten), spielt das Verfahren der Wasserstofferzeugung aus Wasserdampf und Eisen gegenüber diesem direkten Verfahren (3) keine große Rolle mehr.
Statt durch M e t a l l e kann das Wasser auch durch N i c h t m e t a l l e zerlegt werden. Ein wichtiges derartiges Nichtmetall ist der K o h l e n s t o f f , der sich bei Gelbglut mit Wasserdampf nach der Gleichung Energie + H 2 0 + C
>- CO + H 2
(4)
umsetzt. Wegen der Billigkeit der Kohle ist dieses Verfahren der Wasserstoffdarstellung in Deutschland das technisch gebräuchlichste und wichtigste. Das entstehende Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff heißt „Wassergas" (S. 306 f.). Die Abtrennung des Kohlenoxyds aus diesem Gas erfolgt in der Technik in geschickter Weise so, daß man es bei Gegenwart eines Katalysators mit weiterem Wasserdampf nach der oben schon erwähnten Reaktion (3) unter N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu Kohlendioxyd „verbrennt": H 2 0 + CO — H
2
+ C 0 2 + Energie ,
(3)
welches sich unter Druck leicht mit Wasser herauswaschen läßt (S. 226). 1 Zur ungefähren Bezeichnung höherer Temperaturen bedient man sich häufig der Ausdrücke „Rotglut" und „Weißglut", wobei man folgende Unterscheidungen macht: Beginnende Rotglut ~ 500° Gelbglut ~ 1100° Dunkelrotglut ~ 700° Beginnende Weißglut . . ~ 1300° Hellrotglut ~ 900° Weißglut ~ 1500°. 2 Die Gleichung ist hier mit dem einfachsten Eisenoxyd formuliert; in Wirklichkeit sind die Verhältnisse aber etwas komplizierter. So bildet sich beispielsweise unterhalb von etwa 660" überhaupt kein FeO (S. 534) mehr, sondern lediglich ein Mischoxyd F e 3 0 4 = FeO • F e 2 0 , S. 534, 536).
39
Der Wasserstoff
Die beiden Gleichungen (3) u n d (4) ergeben a d d i e r t die Gesamtgleichung 2H20 + C — 2 H2 + C02. (5) I n s u m m a reagiert also der Kohlenstoff m i t d e m Wasserdampf u n t e r Bildung von Wasserstoff u n d Kohlendioxyd. Bei Verwendung von B r a u n k o h l e gelingt es, die Gesamtreaktion (5) technisch auch in e i n e m Arbeitsgang d u r c h z u f ü h r e n (S. 307).
ß) Aus Säuren Für die Darstellung von Wasserstoff im L a b o r a t o r i u m benutzt man im allgemeinen nicht das W a s s e r H a O als Ausgangsmaterial, sondern andere Wasserstoffverbindungen, sogenannte „Säuren" H n X (S. 92), aus denen der Wasserstoff leichter als beim Wasser durch Metalle in Freiheit gesetzt wird. Eine solche Säure ist z. B. die durch Auflösen des schon oft erwähnten Chlorwasserstoffs (HCl) in Wasser entstehende Salzsäure. Bringt man z. B. Zink — das mit Wasser erst bei erhöhter Temperatur reagiert — mit Salzsäure zusammen, so erfolgt bereits bei Zimmertemperatur lebhafte Wasserstoffentwicklung : Zn + 2 HCl
>- ZnCl,
H,
(6)
Die Reaktion wird zweckmäßig in einem „ K I P P schen Apparat" durchgeführt, der auch für die Entwicklung vieler anderer Gase im Laboratorium geeignet ist.
Salzsäure
V . - -Kugeiirichter
GlasschlifF
E r b e s t e h t (Fig. 18) a u s einem K u g e l t r i c h t e r WasserstorF u n d einem aus zwei K u g e l n b e s t e h e n d e n E n t w i c k l u n g s g e f ä ß . T r i c h t e r u n d E n t w i c k l u n g s g e f ä ß sind d u r c h einen Glasschliff d e r a r t m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n , ,Entivickl(]ngsZink d a ß das lange A n s a t z r o h r des ersteren bis in d e n u n t e r e n Teil des letzteren hineinragt, ohne d a b e i die V e r b i n d u n g der beiden K u g e l n des Entwicklungsgefäßes zu u n t e r b r e c h e n . I n der m i t t l e r e n der drei K u g e l n b e f i n d e t sich das Zink, die o b e r e u n d u n t e r e Salzsäure i K u g e l e n t h a l t e n Salzsäure, ö f f n e t m a n d e n H a h n der mittleren Kugel, so f l i e ß t infolge des Ü b e r d r u c k s der Flüssigkeitssäule Säure a u s d e r oberen in die u n t e r e Kugel, gelangt so schließlich m i t d e m Zink der m i t t l e r e n K u g e l in B e r ü h r u n g u n d setzt sich m i t diesem n a c h der obigen Reaktionsgleichung (6) u n t e r Bildung v o n Wasserstoff Fig. 18. Wasserstoffgewinnung im u n d Zinkchlorid (ZnCl 2 ) u m . Schließt m a n d e n H a h n , so Kippschen Apparat wird d u r c h die z u n ä c h s t noch f o r t d a u e r n d e Wasserstoffentwicklung die Säure a u s der m i t t l e r e n K u g e l auf d e m Wege ü b e r die u n t e r e K u g e l u n d d a s A n s a t z r o h r des K u g e l t r i c h t e r s in diesen z u r ü c k g e d r ä n g t , so d a ß die B e r ü h r u n g zwischen S ä u r e u n d Metall unterbrochen wird u n d die Gasentwicklung z u m S t i l l s t a n d k o m m t . Auf diese Weise ist m a n in der Lage, d u r c h einfaches Ö f f n e n u n d Schließen des H a h n s die Wasserstoffentwicklung in Gang zu bringen oder zu u n t e r b r e c h e n .
In den H a n d e l kommt der Wasserstoff in (rot gestrichenen) S t a h l b o m b e n , in denen er unter einem Druck von 150 Atmosphären zusammengepreßt ist.
c) Physikalische Eigenschaften Wasserstoff ist ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch sehr starke Abkühlung läßt er sich zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, welche bei —252.8° C 20.4° abs.) siedet und bei — 259.2° C (14.0° abs.) zu einer festen Masse erstarrt. Spezifisches Gewicht. Da der Wasserstoff unter allen Stoffen das k l e i n s t e Molek u l a r g e w i c h t (2.0160) besitzt, ist er das l e i c h t e s t e aller Gase. 1 Liter Wasserstoff wiegt bei 0° und 760 mm 2.0160:22.415 = 0.0899 g; die Luft besitzt demgegenüber unter gleichen Bedingungen ein 14.38mal größeres Litergewicht von 1.2928 g. Dementsprechend zeigt der Wasserstoff in Luft einen A u f t r i e b von rund 1.3—0.1 = 1.2 g
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Das Wasser und seine Bestandteile
je Liter oder 1.2 kg je Kubikmeter. Er eignet sich somit bestens als F ü l l g a s für L u f t ballons und L u f t s c h i f f e . Zum Tragen von zwei Personen samt Ballon, Gondel und Ausrüstung sind etwa 600 m3 Wasserstoff (Ballondurchmesser von 10—11 m) erforderlich; ein modernes Zeppelinluftschiff benötigt etwa 250000 m3. Nachteilig für die Verwendung des Wasserstoffs als Füllgas ist seine B r e n n b a r k e i t (S. 42) und sein großes Diffusionsvermögen (S.40f.). Daher bevorzugt man jetzt Helium (S. 76) als Traggas. — Auch im flüssigen und festen Zustande ist der Wasserstoff erheblich leichter als andere Stoffe. So wiegt derflüssigeWasserstoff beim Siedepunkt 0.0700 g/cm3 und der feste Wasserstoff beim Schmelzpunkt 0.0763 g/cm3. Kritische Daten. Lange Zeit hindurch hielt man den Wasserstoff — wie auch verschiedene andere Gase — für ein sogenanntes „permanentes Gas", d. h. ein Gas, das in keinen der beiden anderen Aggregatzustände übergeführt werden könnte. Zu dieser Meinung gelangte man, weil alle Versuche, den ¿3ík Wasserdampf) oder i n S t u f e n (Wasserstoffgas -f Sauerstoffgas—>• flüssiges Wasser; flüssiges Wasser —>- Wasserdampf) vorgenommen wird, gilt für alle chemischen Reaktionen und wurde von G E R M A I N H E N R I H E S S (1802—1850) im J a h r e 1840 zu folgendem Gesetz („ÜEssscher Satz") verallgemeinert: Die beim Übergang eines chemischen Systems von einem bestimmten Anfangs- in einen bestimmten Endzustand abgegebene oder aufgenommene Wärmemenge ist unabhängig vom Wege der Umsetzung. F ü h r t man hiernach ein chemisches System (Fig. 23) einmal auf dem Wege I, das andere Mal auf dem Wege I I vom gegebenen Anfangszustand A in den gegebenen Endzustand B über, so sind die auf beiden Wegen insgesamt entwickelten bzw. verbrauchten W ä r m e m e n g e n Wj und Wu e i n a n d e r g l e i c h : = (9) Der HEsssche Satz stellt seinerseits einen Spezialfall des 1. Hauptsatzes oder Satzes von der Erhaltung der Energie dar, welcher ganz allgemein zum Ausdruck bringt, daß die bei i r g e n d e i n e m — also nicht nur chemischen — V o r g a n g abgegebene oder aufgenommene E n e r g i e nur vom A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d des Systems, n i c h t aber vom W e g e d e s V o r g a n g s abhängig ist. Träfe dieser 1. Hauptsatz nicht zu, so könnte man (vgl. Fig. 23) einen Vorgang sich auf dem W e g e l unter Entwicklung der Energie abspielen lassen, um ihn dann auf dem Wege I I unter Aufwendung der k l e i n e r e n Energie E n wieder r ü c k g ä n g i g zu machen. Gew o n n e n wäre dabei der E n e r g i e b e t r a g Ei — En = AE, während sich das zur Arbeitsleistung verwendete System w i e d e r i m A n f a n g s z u s t a n d befände und daher zu e r n e u t e r A r b e i t s l e i s t u n g verwendbar wäre. Die Erfahrung zeigt, daß ein derartiges „Perpetuum mobile 1. Art" nicht konstruierbar ist.
Das Wasser und seine Bestandteile
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Der HESssche S a t z wird häufig dazu benutzt, um R e a k t i o n s w ä r m e n , die direkt nicht meßbar sind, i n d i r e k t zu bestimmen. So kann man z. B. die bei der Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n o x y d (C + 1 / 2 0 2 — > - CO) freiwerdende Wärme Wc^-co nicht unmittelbar ermitteln, weil bei der Verbrennung von Kohlenstoff stets ein G e m i s c h v o n K o h l e n o x y d u n d K o h l e n d i o x y d entsteht. Dagegen ist sowohl die Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n d i o x y d (C + 0 2 —>- C0 2 + 94.0 kcal) wie die Verbrennung von — auf anderem Wege rein dargestelltem — K o h l e n o x y d zu K o h l e n d i o x y d (CO + V 2 0 2 — ^ C0 2 + 67.6 kcal) experimentell realisierbar. Gemäß dem aus dem H E S S sehen Satz folgenden Schema: + Fc-co ™ . ,, „ + 67.6 kal
->- co + v, o2
c + o2 J
+ 94-0 kcal
I co2 f
gilt dann, daß Wc^co + 67.6 = 94.0 bzw. Wc-+co = 94.0 — 67.6 = 26.4 kcal ist. Die angegebenen Reaktionswärmen („ Verbrennungswärmen") gelten dabei für Graphitkohlenstoff, 25° C und 1 Atm. Druck. Um die genaue Messung chemischer Reaktionswärmen haben sich vor allem der dänische
Chemiker
J U L I U S THOMSEN ( 1 8 2 6 — 1 9 0 9 ) , d e r f r a n z ö s i s c h e C h e m i k e r MARCELIN
BERTHELOT
(1827—1907) und in neuerer Zeit der deutsche Physikochemiker WALTHER ROTH (1873—1950)
verdient gemacht. Alle im vorliegenden Lehrbuch angegebenen Reaktionswärmen beziehen sich — wenn nicht anders angegeben — auf 25° C, 1 Atm. Druck und die unter diesen Bedingungen stabilen Zustandsformen der beteiligten Stoffe.
Früher glaubte man, daß die G r ö ß e d e r W ä r m e t ö n u n g einer Reaktion ein M a ß f ü r i h r e c h e m i s c h e T r i e b k r a f t („Affinität") sei und daß dementsprechend nur e x o t h e r m e Reaktionen f r e i w i l l i g ablaufen könnten. Diese Annahme hat sich als i r r i g erwiesen. Wie wir heute wissen, setzt sich die Wärmetönung W geaamt aus z w e i Gliedern, der „freien" (W frei ) und der ,,gebundenen" Energie (^gebunden) zusammen: Wgesaint
Wfrei +
^gebunden ,
(10)
von denen lediglich der in seiner E n e r g i e f o r m f r e i e , d.h. auch als Ar b e i t s l e i s t u n g gewinnbare Anteil Wilei (,,maximale Arbeit" einer Reaktion) den Reaktionsablauf bestimmt, indem nur solche Umsetzungen f r e i w i l l i g abzulaufen vermögen, bei denen freie Energie a b g e g e b e n wird, also Arbeit gewonnen werden kann (vgl. E G O N W I B E R G , „Die chemische A ffinität. Eine Einführung in die Lehre von der Triebkraft chemischer Reaktionen", Verlag Walter de Gruyter&Co., Berlin 1951). Der in seiner Energieform geb u n d e n e , nur in Form von W ä r m e umsetzbare Anteil PFgebunaen ist mit diesem Reaktionsablauf z w a n g s l ä u f i g g e k o p p e l t . V o r z e i c h e n und G r ö ß e des Umsatzes ^gebunden bedingen dabei gemäß (10) das V o r z e i c h e n d e r G e s a m t e n e r g i e W gesamt des freiwillig verlaufenden Vorgangs und damit dessen e x o t h e r m e n oder e n d o t h e r m e n Charakter.
f) Atomarer Wasserstoff Wesentlich reaktionsfähiger als der gewöhnliche m o l e k u l a r e Wasserstoff (H2) ist der atomare Wasserstoff (H). Man erhält ihn aus ersterem durch Z u f u h r v o n Energie: 103.4 kcal + H2Zi=±: 2 H. (11) Diese erhöhte Reaktionsfähigkeit der Wasserstoffatome im Vergleich zu den Wasserstoffmolekülen erklärt sich aus dem M e h r g e h a l t an E n e r g i e . Besonders geeignet zur Darstellung größerer Mengen atomaren Wasserstoffs sind die Verfahren von R. W. WOOD u n d v o n I .
LANGMUIR.
WooDSches Darstellungsverfahren. Das W O O D s e h e V e r f a h r e n besteht darin, daß man gewöhnlichen molekularen Wasserstoff unter stark vermindertem Druck einer
Der Wasserstoff
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e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g aussetzt. Ein hierfür sehr zweckmäßiger Apparat wird in Fig. 24 wiedergegeben. E r besteht im wesentlichen aus einem elektrolytischen W a s s e r s t o f f e n t w i c k l e r (vgl. S. 13) und einem E n t l a d u n g s g e f ä ß . Letzteres ist ein 2 cm weites, 2 m langes, zwecks Platzersparnis U- oder S-förmig gebogenes, mit A l u m i n i u m b l e c h - E l e k t r o d e n versehenes Glasrohr. Durch entsprechendes Einstellen eines zwischen Entwicklungs- und Entladungsgefäß angebrachten R e g u l i e r v e n t i l s und durch lebhaftes A b s a u g e n d e s W a s s e r s t o f f s am Ende der Apparatur wird der Druck des — in einem Ausfriergefäß von Wasserdampf befreiten — Wasserstoffs auf 1 / 10 bis 1 mm gehalten und ein rascher Gasstrom beßlum/ntumb/ech -Elektroden wirkt. Durch Anlegen einer Spannung von m e h r e r e n t a u s e n d V o l t an die Aluminiumelektroden des Entladungsgefäßes erzeugt man dann eine G l i m m e n t l a d u n g , in welcher gemäß (11) eine A u f s p a l t u n g der Wasserstoffmoleküle zu A t o m e n erfolgt. Die Ausbeute beträgt bei geeigneten Vorsichtsmaßregeln bis zu 95°/ 0 der Theorie. Zwar vereinigen sich die Atome nach kurzer Zeit ('/g bis 1 / 2 Sekunde) wieder zu Molekülen; diese Zeit genügt aber, um den atomaren Wasserstoff aus dem Durchladungsgefäß abzusaugen und über die in Reaktion zu bringenden Stoffe zu leiten. Die g r ö ß e r e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t des atomaren WasserFig. 24. Darstellung von atomarem Wasserstoff nach W O O D stoffs im Vergleich zum molekularen Wasserstoff zeigt sich z. B. darin, daß er sich zum Unterschied vomletzteren bereits b e i Z i m m e r t e m p e r a t u r mit Chlor, Brom, Jod, Sauerstoff, Schwefel, Phosphor, Arsen, Antimon unter Bildung von W a s s e r s t off Verbindungen (HCl, HBr, H J , H 2 0 , H 2 S, PH 3 , AsH s , SbH s ) vereinigt. Die R ü c k b i l d u n g („Rekombination") von W a s s e r s t o f f m o l e k ü l e n aus Wassers t o f f a t o m e n wird durch verschiedene Stoffe stark b e s c h l e u n i g t . Da hierbei je Mol ( = 2 g) gebildeten molekularen Wasserstoffs die zur Aufspaltung der Moleküle (11) verwendete Energie von 103.4 kcal wieder frei wird, kann man die beschleunigende Wirkung der einzelnen Stoffe in einfacher Weise z. B. dadurch messen, daß man die Substanzen auf die Kugel eines Thermometers bringt und dieses in den Wasserstoffstrom einhängt. J e stärker die beschleunigende Wirkung ist, um so höher steigt die Temperatur des Thermometers. Die katalytische Wirkung der M e t a l l e nimmt beispielsweise in der Reihenfolge Platin, Palladium, Wolfram, Eisen, Chrom, Silber, Kupfer, Blei ab. Umgekehrt gibt es auch Stoffe, welche die Rückbildung der Wasserstoffmoleküle h e m m e n . Hierzu gehört z. B. die sirupöse P h o s p h o r s ä u r e . Daher pflegt man die Wandungen der Rohre, durch welche der atomare Wasserstoff geleitet wird, mit sirupöser Phosphorsäure auszustreichen. LANGMiiKsches Darstellungsverfahren. Die bei der Rückbildung von Wasserstoffmolekülen aus Wasserstoffatomen freiwerdende R e k o m b i n a t i o n s w ä r m e kann zum S c h w e i ß e n u n d S c h m e l z e n hochschmelzender Metalle oder Metallverbindungen verwandt werden. Man benutzt hierzu zweckmäßig die sogenannte ,,LANGMuiR-Fackel" (Fig. 25). I m Prinzip beruht das Verfahren darauf, daß man zwischen W o l f r a m e l e k t r o d e n in einer aus einem Kranz feiner Düsen ausströmenden W a s s e r s t o f f a t m o s p h ä r e einen L i c h t b o g e n erzeugt und durch diesen mittels einer Düse einen scharfen W a s s e r s t o f f s t r a h l bläst. Richtet man den auf solche Weise erzeugten Strom von h e i ß e m , a t o m a r e m W a s s e r s t o f f auf eine einige cm vom Lichtbogen entfernte M e t a l l o b e r f l ä c h e , so erfolgt auf Grund der katalysierten Vereinigung der Atome
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Das Wasser und seine Bestandteile
zu Molekülen und der hierdurch bedingten sehr s t a r k e n Wärmeentwicklung eine intensive lokale E r h i t z u n g . Es lassen sich so die höchstschmelzenden Stoffe — z. B. Wolfram (Smp. 3380°), T a n t a l (Smp. 3030°), T h o r i u m d i o x y d (Smp. 3050°) — zum Schmelzen bringen. Technisch wendet man das geschilderte L A N G M U I R Verfahren zum Schweißen (vgl. S. 43) an; es besitzt den großen Vorteil, daß der Wasserstoff eine S c h u t z a t m o s p h ä r e bildet, so daß ein o x y d a t i v e r Angriff der Schweißfläche durch den Sauerstoff der Luft a u s g e s c h l o s s e n ist. Die maximale Temperatur der LANGMUIR-Fackel ist um rund 2000° höher als die des K n a l l g a s g e b l ä s e s (S. 43). „ Status nascendi". Auch bei der auf S. 37 ff. besprochenen chemischen und elektrochemischen Darstellung des Wasserstoffs aus Wasser oder Säuren entsteht der Wasserstoff im ersten Augenblick a t o m a r oder doch wenigstens in einem a n g e r e g t e n Zustand: Na + HÖH—vNaOH + H. So kommt es, daß der Wasserstoff im Augenblick des E n t s t e h e n s („in statu nascendi") viel r e a k t i o n s f ä h i g e r als gewöhnlicher Wasserstoff ist. Leitet man z.B. den in einem Kippschen A p p a r a t aus Zink und Säure _ „ JJolframelektmde entwickelten Wasserstoff (S. 39) in eine mit Schwefelsäure angesäuerte, verdünnte violetteKaliumpermanganatlösung (KMn0 4 ) oder orangegelbe K a l i u m d i c h r o m a t , 'Düsenkranz lösung (K 2 Cr 2 0 7 ), so beobachtet man keine F a r b ä n d e r u n g , da der reaktionsträge molekulare Wasserstoff diese sauerstoffreichen gefärbten Stoffe nicht zu anders gefärbten Produkten zu reduzieren vermag. Gibt man aber das Zink direkt zu den beiden sauren Lösungen, so daß sich der Wasserstoff in diesen L ö s u n g e n 6elbst entwickeln und so in s t a t u n a s c e n d i auf die gelösten Stoffe einwirken kann, so beobachtet man im Fig. 25. Falle des Kaliumpermanganats bald eine E n t f ä r b u n g , Darstellung von atomarem im Falle des Kaliumdichromats bald eine G r ü n f ä r b u n g Wasserstoff nach L A N G M U I R der Lösung. Die erhöhte Reaktionsfähigkeit von Stoffen im Augenblick des Entstehens ist eine ganz allgemeine Erscheinung. Wie der W a s s e r s t o f f lassen sich auch andere E l e m e n t e durch Zufuhr von Energie in den atomaren Zustand überführen. Erwähnt seien hier: der S a u e r s t o f f (118.2 kcal + 0 2 — 2 0 ) , der S t i c k s t o f f (170.3 kcal + N 2 —>- 2N), das (gasförmige) Chlor (57.8 kcal + Cl 2 —>- 2C1), das (flüssige) Brom (53.8 kcal -f B r 2 — 2 B r ) und das (feste) J o d (51.2 kcal + J 2 — ^ 2J). E s sei schon hier darauf hingewiesen, daß sich im gewöhnlichen Wasserstoff verschiedenartige Wasserstoffmoleküle („leichter" und „ schwerer " Wasserstoff; „ortho"- und ,,para"-Wasserstoff) nachweisen lassen. Näheres hierüber S. 562ff. und S. 564f.
3. Das Wasser a) Vorkommen Das Wasser bedeckt in Form der Ozeane 3 / 4 der Erdoberfläche. Das übrige Viertel ist von W a s s e r l ä u f e n durchzogen und enthält Grundwasser. Auch am Aufbau der P f l a n z e n - und Tierwelt ist das Wasser in bedeutendem Maße beteiligt. So besteht z. B. der menschliche Körper zu 60—70% aus Wasser; manche Gemüse und Früchte, z. B. Blumenkohl, Radieschen, Spargel, Spinat, Kopfsalat, Kürbis, enthalten mehr als 90% Wasser. Die A t m o s p h ä r e kann bis zu 4 Vol.-°/0 Weisser in Dampf-
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Das Wasser
form aufnehmen und gibt es bei Druck- und Temperaturänderungen in flüssiger {„Nebel", „Wolken", „Regen") oder fester Form {„Reif", „Schnee", „Hagel") wieder ab. Schließlich enthalten auch zahlreiche M i n e r a l i e n chemisch gebundenes Wasser (,,Kristallwasser").
b) Reinigung Wegen der weiten Verbreitung erübrigt sich eine chemische Darstellung des Wassers. Die Gewinnung r e i n e n Wassers läuft stets auf eine Reinigung natürlich vorkommenden Wassers hinaus. Unter den natürlichen Wässern ist das Regenwasser das relativ r e i n s t e , da es einen natürlichen Destillationsprozeß durchgemacht hat. Es enthält jedoch S t a u b t e i l c h e n und G a s e (Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxyd) aus der Luft. Quell- und Flußwasser enthält 0.01 bis 0.2°/ 0 f e s t e S t o f f e , die zum größten Teil aus C a l c i u m und M a g n e s i u m Verbindungen bestehen. Sind wenig Calcium- und Magnesiumverbindungen vorhanden, so nennt man das Wasser w e i c h , andernfalls h a r t (S. 410). Quellwässer, die g r ö ß e r e M e n g e n fester oder gasförmiger Stoffe enthalten und bisweilen eine höhere Temperatur als gewöhnliches Wasser besitzen, nennt man Mineralwässer. Ihnen kommt häufig eine besondere Heilwirkung zu. J e nach den gelösten Stoffen unterscheidet man S o l w ä s s e r (mit Kochsalz), B i t t e r w ä s s e r (mit Magnesiumsalzen), S c h w e f e l w ä s s e r (mit Schwefelwasserstoff), S ä u e r l i n g e (mit Kohlensäure), E i s e n w ä s s e r (mit Eisensalzen) usw. Das Meerwasser enthält durchschnittlich 2.7°/ 0 Kochsalz und insgesamt ungefähr 3.5% Salze. Darunter finden sich — wenn auch teilweise nur in äußerst geringen Mengen — Verbindungen von etwa 30 verschiedenen Elementen. Als T r i n k w a s s e r ist im allgemeinen Q u e l l w a s s e r am besten geeignet. In Ermangelung dessen nimmt man G r u n d w a s s e r oder F l u ß w a s s e r . I n letzteren Fällen ist eine mechanische und meist auch chemische R e i n i g u n g (vor allem E n t k e i m u n g ) erforderlich. Diese Reinigimg wird aber nicht bis zur völligen Entfernung aller gelösten Stoffe durchgeführt, da völlig reines Wasser fade schmeckt. Der erfrischende Geschmack des Quellwassers rührt von etwas gelöster Kohlensäure und Luft her. Im chemischen LaboratoriumwieauchinmanchentechnischenBetrieben ist die Verwendung von destilliertem Wasser von Wichtigkeit. Dieses wird erzeugt, indem man n a t ü r l i c h e s W a s s e r — gegegebenenfalls unter Zugabe chemischer Mittel — der D e s t i l l a t i o n (S. 7) unterwirft, wobei die gasförmigen Stoffe entweichen und die festen Stoffe im Destilliergefäß zurückbleiben. Schon bei der ersten Destillation wird recht reines Wasser erhalten, das für die meisten Verwendungen ausreicht. Soll das Wasser v o l l k o m m e n r e i n gewonnen werden, so ist eine m e h r m a l i g e D e s t i l l a t i o n in Apparaturen aus Quarz oder Edelmetallen erforderlich, wobei die mittlere, reinste Fraktion in einer Edelmetall-Vorlage gesondert aufgefangen wird. Für viele technische Zwecke — etwa zur Gewinnung von Speisewasser für Dampfkessel oder von Gebrauchswasser für Wäschereien — wird das Wasser statt durch Destillation durch c h e m i s c h e Methoden, z.B. durch Ausfällung oder durch chemische Bindung der störenden gelösten Salze „enthärtet". Näheres hierüber s. S. 410.
Ein ausgezeichnetes Merkmal für die Reinheit des Wassers liefert die Messimg des e l e k t r i s c h e n L e i t v e r m ö g e n s , das mit zunehmender Reinheit abnimmt. V o l l k o m m e n r e i n e s W a s s e r besitzt bei Zimmertemperatur eine spezifische Leitfähigkeit von nur 4 x l 0 - 8 reziproken Ohm {„Siemens"). Demgegenüber beträgt z. B. das spezifische Leitvermögen des K u p f e r s bei der gleichen Temperatur 6 x l 0 5 reziproke Ohm. 1 K u b i k m i l l i m e t e r reinstes W a s s e r besitzt also bei Raumtemperatur den gleichen elektrischen Widerstand wie ein K u p f e r d r a h t von 1 mm 2 Querschnitt und ( 6 x l 0 5 ) : ( 4 x l 0 - 8 ) = 1 . 5 x l O l 3 m m = 15 M i l l i o n e n K i l o m e t e r L ä n g e . Diese Drahtlänge entspricht der 40fachen Entfernung zwischen Erde und Mond! Die geringsten Spuren von Salzen oder die Aufnahme von Kohlendioxyd aus der Luft steigern das Leitvermögen H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 40.—46. Aufl.
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Das Wasser und seine Bestandteile
des Wassers erheblich. So besitzt z. B. das f ü r Leitfähigkeitsmessungen Verwendung findende besonders reine „Leitfähigkeitswasser" schon eine spezifische Leitfähigkeit von 1 XlO - 6 reziproken Ohm, entsprechend dem 25fachen Wert von völlig reinem Wasser.
c) Physikalische Eigenschaften a) Aggregatzustände des Wassers Reines Wasser ist bei gewöhnlicher Temperatur eine geruch- und geschmacklose, durchsichtige, in dünner Schicht farblose, in dickerSchicht bläulich schimmernde F l ü s s i g k e i t , welche bei0°zu E i s e r s t a r r t und bei 100°unter Bildung von W a s s e r d a m p f siedet. Die verschiedenen A g g r e g a t z u s t ä n d e sind dabei hier wie in allen anderen Fällen molekularkinetisch wie folgt zu charakterisieren: Moleküle üben wegen ihres Aufbaus aus elektrisch geladenen Teilchen — vgl. S. 135ff. — aufeinander A n z i e h u n g s k r ä f t e aus. I m gasförmigen, also stark verdünnten Zustande, in welchem die einzelnen Moleküle eine relativ g r o ß e E n t f e r n u n g voneinander aufweisen und sich in dauernder u n g e o r d n e t e r B e w e g u n g befinden (S. 21), treten diese Anziehungskräfte naturgemäß u m so w e n i g e r in Erscheinung, je g r ö ß e r d i e A b s t ä n d e zwischen den Molekülen und die molekularen G e s c h w i n d i g k e i t e n (vgl. S. 23) sind. Da e r s t e r e mit steigender V e r d ü n n u n g , letztere mit steigender T e m p e r a t u r zunehmen, verhält sich ein gegebener g a s f ö r m i g e r S t o f f um so „idealer" (S.24), j e v e r d ü n n t e r u n d h e i ß e r er ist, und um so „realer" (S.24), je mehr man ihn k o m p r i m i e r t u n d a b k ü h l t . V e r k l e i n e r t man die E n t f e r n u n g e n zwischen den Molekülen oder die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasteilchen durch K o m p r i m i e r e n oder durch A b k ü h l e n des Gases, so werden die A n z i e h u n g s k r ä f t e immer w i r k s a m e r . Bei einem bestimmten Druck oder bei einer bestimmten Temperatur v e r l i e r e n schließlich die Moleküle, diesen K r ä f t e n folgend, sprunghaft e i n e n T e i l ihrer Energie. Auch jetzt schwirren die Teilchen noch ungeordnet umher; sie können sich aber — abgesehen von einer relativ geringen Anzahl besonders energiereicher Teilchen (s. S. 51) — unter dem Einfluß der gegenseitigen Anziehung nicht mehr wie vorher beliebig weit voneinander entfernen. Aus dem Gas ist eine energieärmere Flüssigkeit geworden, der man zwar noch jede beliebige äußere Form geben kann, die aber nicht mehr wie das Gas jedes ihr dargebotene Volumen auszufüllen vermag. Die bei der Änderung des Aggregatzustandes a b g e g e b e n e E n e r g i e wird eis „Kondensationswärme" hei. Die gleiche Energiemenge muß als „ Verdampfungswärme" zugeführt werden, um umgekehrt die Flüssigkeit wieder in Dampf zu verwandeln. Sie beträgt für Wasser 539.1 cal/g = 9.70 kcal/Mol bei 100°. Verringert man die B e w e g u n g s e n e r g i e der Moleküle durch erneute A b k ü h l u n g noch w e i t e r , so nimmt der Energiegehalt bei einer bestimmten Temperatur unter dem Einfluß weiterer Kohäsionskräfte in derselben Weise nochmals s p r u n g h a f t — um den Betrag der „Erstarrungswärme" — ab. Die Flüssigkeit erstarrt zum energieärmeren festen Stoff. Die Moleküle haben ihre freie Beweglichkeit eingebüßt, ihre W ä r m e b e w e g u n g besteht nur noch in einem p e n d e l a r t i g e n , e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n um bestimmte Ruhelagen. Die Materie besitzt in diesem Aggregatzustand daher eine b e s t i m m t e G e s t a l t . Die Anordnungsgesetze, denen die einzelnen Teilchen dabei unterliegen, finden ihren wissenschaftlichen Ausdruck durch die Angabe des ,,Kristallgitters" (vgl. S.146f., 154 f., 293 ff.). Beim S c h m e l z e n eines festen Stoffs muß die beim Erstarren freigewordene E r s t a r r u n g s w ä r m e als „Schmelzwärme" wieder zugeführt werden. Sie beträgt beim Wasser 79.40 cal/g = 1.43 kcal/Mol bei 0°. Die Abgabe und Aufnahme der Erstarrungs- bzw. Schmelzwärme durch die im Winter unter Wärmeentwicklung gefrierenden und im Frühling unter Wärme verbrauch wieder auftauenden Wassermassen trägt wesentlich zum Temperaturausgleich unserer Erdoberfläche bei.
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Das Wasser
Beim Übergang vom f l ü s s i g e n in den f e s t e n Zustand d e h n t sich das Wasser zum Unterschied von den meisten anderen Flüssigkeiten aus. Und zwar beträgt das spezifische Gewicht des Eises bei 0° C 0.9168, das des flüssigen Wassers bei 0° 0.9999g/cm 3 , so daß 1 Raumteil flüssiges Wasser beim Erstarren 0.9999:0.9168 = 1.0906 Raumteile Eis ergibt. Diese A u s d e h n u n g d e s W a s s e r s um 1 / 11 des Volumens (9°/0) beim Gefrieren ist g e o l o g i s c h insofern von Bedeutung, als im W i n t e r das in die Risse und Spalten von Gesteinen eingedrungene Wasser beim Erstarren die F e l s m a s s e n s p r e n g t und so durch Schaffen neuer Oberflächen die V e r w i t t e r u n g fördert und eine N e u b i l d u n g des für die Vegetation erforderlichen E r d b o d e n s ermöglicht. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nimmt das spezifische Gewi cht des flüssigen Wassers — ebenfalls zum Unterschied von fast allen anderen Flüssigkeiten — zunächst bis 4° zu, um erst dann wie bei den meisten sonstigen Flüssigkeiten abzunehmen (0°: 0.9999,4°: 1.0000, 10°: 0.9997 g/cm3). Alles Wasser von höherer und tieferer Temperatur als 4° ist somit leichter als Wasser von 4°. Auch diese Tatsache ist in der N a t u r von Bedeutung. So kühlt sich das Wasser von Seen bei Frostperioden zunächst nur bis 4° ab, da das 4° kalte, schwerere Wasser nach unten sinkt und dafür das leichtere wärmere Wasser an die Oberfläche kommt und dort auf 4° abgekühlt wird. Bei Abkühlung unter 4° bleibt das kältere Wasser auf der Oberfläche und erstarrt dort zu spezifisch leichtem und daher ebenfalls an der Oberfläche bleibendem Eis. Dementsprechend kann die Kälte nur langsam in größere Tiefen vordringen, so daß tiefere Gewässer nie bis zum Grunde gefrieren, was für das Fortbestehen der Lebewesen des Wassers von Bedeutung ist. Die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren ist darauf zurückzuführen, daß das Eis ein w e i t m a s c h i g e s , von zahlreichen H o h l r ä u m e n durchsetztes K r i s t a l l g i t t e r (von SiOa-Struktur; vgl. S. 328) bildet, während im f l ü s s i g e n Wasser, bei dem diese Kristallstruktur weitgehend zerstört ist, die Moleküle wie bei jeder Flüssigkeit zu einer d i c h t e n K u g e l p a c k u n g zusammengelagert sind. Immerhin kommen auch im flüssigen Wasser bei 0° noch kleinere „kristalline" H 2 0Aggregate vor, deren Zusammenbrechen beim Erwärmen das weitere Anwachsen der Dichte des Wassers bis 4° bedingt. Von hier ab wird die Volumenabnahme infolge „Entkristallisierung" durch die Volumenzunahme infolge Erhöhung der Molekularbewegung ü b e r k o m p e n s i e r t , so daß die Dichte wieder abnimmt.
D a s G e w i c h t e i n e s K u b i k z e n t i m e t e r s W a s s e r v o n 4° w i r d d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s 1 G r a m m (g) b e z e i c h n e t . Die W ä r m e m e n g e , die e r f o r d e r l i c h i s t , u m l g W a s s e r v o n 14.5 auf 15.5° C zu e r w ä r m e n , d i e n t u n t e r d e m N a m e n „ G r a m m k a l o r i e " (cal) — tausendfacher Wert: „Kilogrammkalorie" (kcal) — d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s W ä r m e - e i n h e i t . Auch die Definition der C e l s i u s t e m p e r a t u r (° C) gründet sich auf das Wasser (s. S. 53). ß) Zustandsdiagramm des Wassers Jede F l ü s s i g k e i t und jeder f e s t e S t o f f hat bei gegebener Temperatur einen ganz bestimmten D a m p f d r u c k . Schließt man z. B. irgendeine Flüssigkeit in ein Gefäß von bestimmtem Volumen ein (Fig. 26), so beobachtet man, daß sich der freie Raum über der Flüssigkeit bis zu einer bestimmten Konzentration mit dem Dampf der Flüssigkeit anfüllt. Ein Teil der durch die Anziehungskräfte innerhalb des Flüssigkeitsvolumens festgehaltenen Moleküle vermag also die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Das kommt daher, daß wie beim Gas (S. 23) so Dampf auch bei der Flüssigkeit nicht a l l e Moleküle die g l e i c h e kinetische Energie besitzen, sondern daß letztere um einen bestimmten M i t t e l w e r t schwankt. Nur den „ h e i ß e r e n " , d. h. besonders e n e r g i e r e i c h e n Molekülen ist der Übertritt in die Dampfphase möglich, da Fig. 26. Dampfdruck einer es nur diesen gelingt, die in der Grenzfläche wirksamen, Flüssigkeit
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Das Wasser und seine Bestandteile
zurücktreibenden Kräfte zu überwinden. Die in den G a s r ä u m gelangten Moleküle fliegen nun regellos umher, prallen auf die Grenzflächen des einschließenden Raumes und üben damit auf diese einen D r u c k aus. Sie stoßen dabei natürlich auch auf die F l ü s s i g k e i t s o b e r f l ä c h e zurück und werden von dieser wieder eing e f a n g e n . Solange die Zahl der die Flüssigkeitsoberfläche v e r l a s s e n d e n Teilchen g r ö ß e r als die der z u r ü c k k e h r e n d e n ist, findet in summa noch eine V e r d a m p f u n g statt. Sobald aber infolge dieser weiteren Verdampfung die Konzentration der Gasmoleküle so weit gestiegen ist, daß die Zahl der sich kondensierenden und der wieder verdampfenden Moleküle g l e i c h geworden ist, kommt der Verdampfungsvorgang n a c h a u ß e n h i n zum Stillstand. E s herrscht jetzt mit Erreichung des „Sättigungsdampfdrucks" dynamisches Gleichgewicht. Der S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k einer Flüssigkeit oder eines festen Stoffs ist für eine gegebene Temperatur eine K o n s t a n t e und unabhängig von der Größe der Oberfläche. Ist die Oberfläche doppelt so groß, so werden zwar doppelt so viele Moleküle die Grenzfläche verlassen, aber es werden bei gegebenem Dampfdruck auch doppelt so viele Gasmoleküle zurückkehren, da ja der Druck eines Gases definitionsgemäß die Kraft pro F l ä c h e n e i n h e i t ist(S. 21), die Kraft also, die durch die auf die F l ä c h e n e i n h e i t aufprallende Zahl von Gasteilchen ausgeübt wird.
E r h ö h t man die T e m p e r a t u r der Flüssigkeit und damit die mittlere k i n e t i s c h e E n e r g i e der Flüssigkeitsteilchen, so vermag eine g r ö ß e r e A n z a h l von Molekülen die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Damit stellt sich ein n e u e s dynamisches Gleichgewicht mit einem h ö h e r e n Sättigungsdampfdruck ein. Trägt man alle diese Sättigungsdampfdrucke in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m mit dem Druck als Ordinate und der Temperatur als Abszisse ein, so erhält man demgemäß eine mit zunehmender Temperatur a n s t e i g e n d e K u r v e , wie sie für das Beispiel des Wassers in Kurve A von Fig. 27 dargestellt ist. Längs der Kurve befinden sich F l ü s s i g k e i t u n d D a m p f im G l e i c h g e w i c h t . Bei h ö h e r e n Drucken und n i e d r i g e r e n Temperaturen als den durch die Kurve angezeigten ist nur die F l ü s s i g k e i t , bei n i e d r i g e r e n Drucken und h ö h e r e n Temperaturen nur der D a m p f beständig. Erwärmt man z. B . flüssiges Wasser von der Temperatur und dem Druck des Punktes 1 (Fig. 27) bei gleichbleibendem Druck, bewegt man sich also in der Richtung des gestrichelten Pfeiles nach rechts, so beginnt das Wasser bei der Tempera-
Temperatur
Fig. 27. Zustandsdiagramm des Wassers (nicht maßstäblich)
Flüssigkeit
Fig. 28.
feste'rSto/F
Gefrier-( Schmelz-)punkt und Dampfdruck
tur des Schnittpunktes mit K u r v e t zu „ s i e d e n " . W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s der F l ü s s i g k e i t in den D a m p f z u s t a n d ä n d e r t sich die T e m p e r a t u r n i c h t , da die zugeführte Wärme als V e r d a m p f u n g s w ä r m e verbraucht wird. Erst nach v ö l l i g e r V e r d a m p f u n g ist w e i t e r e E r w ä r m u n g möglich, wobei man sich in Richtung des gestrichelten Pfeiles von der Kurve entfernt. I n gleicher Weise beginnt ein Wasserdampf von der Temperatur und dem Druck des Punktes 2 sich bei Druck Vermehrung (Richtung des gestrichelten Pfeiles) zu k o n d e n s i e r e n , sobald die Kurve.flüss. >p f e 3 ) ab, so wird die Flüssigkeit links (Fig. 28) bis zum konstanten Sättigungsdampfdruck pmss. verdampfen und sich rechts — wegen Überschreitung des kleineren Sättigungsdampfdruckes p(est — als fester Stoff kondensieren: die F l ü s s i g k e i t e r s t a r r t . Liegt umgekehrt t o b e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (/>aüss. < /'fest)» s 0 verdampft rechts fester Stoff und kondensiert sich links zu Flüssigkeit: der f e s t e S t o f f schmilzt. Nur dann, wenn friüss. = /'fest ist, d.h. bei der Temperatur des S c h n i t t p u n k t e s der beiden Dampfdruckkurven A und B, befinden sich flüssige und f e s t e Form eines Stoffs miteinander im Gleichgewicht. Der Schnittpunkt gibt also den Gefrier- oder Schmelzpunkt einer Substanz unter dem eigenen Dampfdruck an. Er liegt für reines, luftfreies Wasser (Fig. 27) bei + 0.0099° C (Eigendampfdruck 4.58 mm). Der S c h m e l z p u n k t eines Stoffs ist vom äußeren D r u c k abhängig. Und zwar kann er mit steigendem Druck zu- oder abnehmen (vgl. S. 113). Beim Wasser fällt er für je 1 Atmosphäre Drucksteigerung um 0.0075°. Bei 1 Atmosphäre Druck schmilzt demnach r e i n e s , luftfreies Wasser bei 0.0099 — 0.0075 = 0.0024° C, l u f t g e s ä t t i g t e s Wasser (Gefrierpunkterniedrigung von 0.0024°) bei 0°. In Fig. 27 wird die Druckabhängigkeit des Schmelzpunktes durch Kurve C wiedergegeben. Die drei Kurven A, B und C teilen das D r u c k - T e m p e r a t u r - D i a g r a m m des Wassers in drei Felder. Innerhalb dieser F e l d e r ist nur je ein Aggregatzustand des Wassers existenzfähig; längs der K u r v e n dagegen sind je zwei Phasen, beim S c h n i t t punkt der drei Kurven („Tripelpunkt") alle drei Phasen nebeneinander beständig (,,koexistent"). Das ganze Diagramm heißt „Zustandsdiagramm des Wassers" (vgl. S. 187 ff.). Die T e m p e r a t u r s k a l a von Celsius gründet sich auf den Schmelz- und S i e d e p u n k t r e i n e n , l u f t g e s ä t t i g t e n Wassers. Und zwar dient defin i t i o n s g e m ä ß der S c h m e l z p u n k t u n t e r A t m o s p h ä r e n d r u c k als N u l l p u n k t der S k a l a , während der T e m p e r a t u r p u n k t 100° durch den S i e d e p u n k t bei A t m o s p h ä r e n d r u c k d e f i n i e r t ist. 1° C ist dementsprechend der hundertste Teil dieses Temperaturintervalls. Y) Osmotischer Druck wässeriger Lösungen Wasser ist ein L ö s u n g s m i t t e l von sehr allgemeiner Anwendbarkeit, da zahlreiche Stoffe darin mehr oder weniger löslich sind. Die gelösten S t o f f e befinden sich dabei in der Lösung in einem dem Gaszustand ähnlichen Zustand.
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Das Wasser und seine Bestandteile
Löst man z. B. Zucker in Wasser auf, so verteilt er sich darin molekular. Die Zuckermoleküle schwirren in der Lösung wie die Moleküle eines Gases regellos umher, so daß sich der gelöste Stoff wie ein gasförmiger Stoff verhält. Zwar üben die Moleküle des flüssigen und daher spezifisch dichten Lösungsmittels starke Anziehungskräfte auf die gelösten Moleküle aus. Innerhalb der Lösung heben sich diese aber gegenseitig auf, da sie hier — wie in Fig. 29a an einem solchen Teilchen • gezeigt ist — von allen Seiten her gleichmäßig wirken. Nur an der Außenfläche der Flüssigkeit, an der die Anziehung (vgl. Fig. 29 a) einseitig nach dem Innern zu erfolgen muß, wirken sich die Kräfte aus (vgl. S. 391 f.). Daher kommt es, daß die in einer Lösung gelösten Moleküle keinen dem Gasdruck entsprechenden Druck auf die Wände des einschließenden Gefäßes auszuüben vermögen. Dies ist erst dann der F a l l , wenn das die Lösung enthaltende Gefäß von Lösungsmittel umgeben ist und die Wände des Gefäßes halbdurchlässig {„semipermeabel"), d. h. durchlässig für das Lösungsmittel und undurchlässig für den gelösten Stoff sind. Denn nur dann wirken — wie inFig. 29 b an einem gelösten Teilchen gezeigt ist — auch an der Wand grenzfläche die Anziehungskräfte wie im Innern der Lösung gleichmäßig von allen Seiten her auf die gelösten Moleküle, so daß diese — in summa der Anziehung entzogen — wie Gasmoleküle gegen die für sie undurchlässige Wand anprallen und damit einen Druck auf diese ausüben. Ist die halbdurchlässige Membran elastisch, so bläht sie sich demnach im Lösungsmittel unter dem Einfluß des Druckes der gelösten Moleküle wie ein mit Gas gefüllter Gummiballon auf. Es ist nach dieser Analogie zwischen dem Druck eines Gases und dem einer Lösung nicht verwunderlich, daß der „osmotische Druck" (P) — wie namentlich quantitative Untersuchungen des holländischen Physikochemikers J A C O B U S H E N R I C U S VAN'T H O F F (1852—1911) zeigten —bei verdünnten {„idealen") Lösungen in derselben Weise von dem Volumen (F), der Zahl gelöster Mole {n) und der absoluten Temperatur (T) abhängt wie der Gasdruck (S. 23): P-V
n-R-T
(1)
und daß die Konstante R den gleichen Wert wie bei der Zustandsgieichung der Gase (S. 24) besitzt. Gelöste Stoffe üben somit denselben Druck aus, den sie — falls man sie vergasen könnte — bei gleicher Temperatur und im gleichen Volumen auch als Gase ausüben würden. Alle an die Gasgleichung geknüpften Folgerungen (S. 24) gelten daher auch für den Lösungszustand. Enthalten also z. B. ha/bdurch/ässige ¿e/a/?c/ 22.41 Wasser 1 Mol eines Stoffs, so beträgt der osmotische Druck bei 0° 1 Atmosphäre.
-Lösung
Fig. 29 a. Wirkung der Anziehungskräfte des Lösungsmittels auf gelöste Teilchen
Fig. 29 b. Zustandekommen des osmotischen Druckes
Das Wasser
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Das Zustandekommen des osmotischen Druckes kann statt von der Seite des g e l ö s t e n S t o f f e s aus auch von der Seite des L ö s u n g s m i t t e l s her abgeleitet werden. Diese andere Art der Betrachtungsweise läßt die Analogie zwischen Gasdruck p und osmotischem Druck P weniger gut erkennen, ermöglicht dafür aber ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen dem osmotischen Druck P u n d der Dampfdruckerniedrigung Ap (S.67f.) einer Lösung. Auch läßt sie leichter das Verhalten von Lösungen bei Verwendung s t a r r e r halbdurchlässiger Wände verstehen. Infolge ihrer ungeregelten Wärmebewegung (S. 50) passieren die Moleküle des Lösungsmittels fortwährend die halbdurchlässige Trennungswand von innen nach außen und umgekehrt. Die Zahl der aus dem reinen Lösungsmittel mit einem „Diffusionsdruck" p D i f f in die Lösung diffundierenden Moleküle ist dabei größer als die Zahl der in umgekehrter Richtung (Diffusionsdruck p'uiff) aus der Lösung in das reine Lösungsmittel wandernden Teilchen, da in der Lösung das Lösungsmittel durch den gelösten Stoff verdünnt und die Konzentration an diffundierbaren Lösungsmittelmolekülen in ihr dementsprechend geringer als im reinen Lösungsmittel ist. Die Differenz /j/>Diff beider Diffusionsdrucke (/lp D i f f = p Diff —pDiff) ist numerisch gleich dem osmotischen Druck P l und bei gegebener Temperatur und Flüssigkeitsmenge der Molzahl n des gelösten Stoffes proportional2:
Apmff .
= P = K-n.
(2)
Infolge dieses „Diffusions-Überdruckes" /Jp Diff dringt, falls die halbdurchlässige Membran starr ist und das Lösungsgefäß ein Steigrohr aufweist, solange Wasser in das Gefäß ein, bis der hydrostatische Druck Phydr. Flüssigkeitssäule im Steigrohr den Wert des Differenzbetrags zlp Diff = ^Diff. — P Diff. u n d damit des osmotischen Druckes P erreicht hat (Fig. 30). Nunmehr gilt Phydr. + P'Diff. = PDlff.' s o d a ß J e t z t u n t e r d e m Einfluß des um den hydrostatischen Druck p^ydr. vermehrten Diffusionsdruckes i>'Dlff in der Zeiteinheit gleich viele Lösungsmittelmoleküle die halbdurchlässige Wand in beiden Richtungen durchwandern. Die experimentelle Messung des hydrostatisch osmotischen Drucks P = läuft hiernach Steigrohr t^Diffusion ^Diffusion auf eine Messung des hydrostatischen Druckes = Phydr. ^Pvis. Flüssigkeitssäule im Steigrohr hinaus. halbdurchlässige Wand
Na
Eine zweckmäßige Anordnung für die Messung des osmotischen Drucks stellt die „PFEFFERSche Zelle" (Fig. 31) dar. Sie besteht aus einem T o n z y l i n d e r , in dessen Wandung e i n e a l s h a l b d u r c h l ä s s i g e Wand wirkende starre Membran aus K u p f e r cyanof errat Cu2[Fe(CN)6] eingebettet ist. Diese Membran wird durch Füllen des Tonzylinders mit Kupfersulfatlösung und Eintauchen des Gefäßes in eine Kaliumcyanoferratlösung erzeugt, wobei die beiden Lösungen von entgegengesetzten Seiten in das Wandinnere eindringen und in der Mitte einen Niederschlag von Kupfer1
Fig. 30. Zustandekommen des osmotischen Druckes
Osmotischer Druck P und Diffusionsdruck Apma beschreiben ja dieselbe Erscheinung des V e r d ü n n u n g s b e s t r e b e n s e i n e r L ö s u n g , nur von verschiedenen Standpunkten (dem der gelösten Moleküle und dem der Lösungsmittelmoleküle) aus. Während P den Druck wiedergibt, mit dem sich die gelösten Moleküle bei Verwendung e l a s t i s c h e r halbdurchlässiger Membrane relativ zum „ruhenden" Lösungsmittel von innen nach außen (Fig. 29 b) bewegen (erste Betrachtungsweise ; S. 53 f.), bringt das gleich große Apms den Druck zum Ausdruck, mit dem umgekehrt die Lösungsmittelmoleküle bei Verwendung s t a r r e r semipermeabler Wände relativ zum „ruhenden" gelösten Stoff von außen nach innen (Fig. 30) wandern (zweite Betrachtungsweise: S. 55). 2 Gemäß (1) ist der Proportionalitätsfaktor K = RTIV.
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Das Wasser und seine Bestandteile
cyanoferrat bilden: 2 C u S 0 4 + K 4 [Fe(CN) 6 ] Cu 2 [Fe(CN) 6 ] + 2 K 2 S 0 4 . D i e Tonzelle ist durch einen S t o p f e n dicht verschlossen, durch den ein Füllansatz und ein Kapillarmanometer führen. D e r F ü l l a n s a t z ermöglicht eine luftfreie Beschickung der Zelle mit der zu untersuchenden Lösung; das am einen Ende verschlossene K a p i l l a r m a n o m e t e r ist mit Quecksilber gefüllt, welches die Lösung v o n dem Luftpuffer im äußeren Manometerschenkel trennt. Während des Versuchs wird der Quecksilberfaden im Manometer durch den osmotischen Druck der Lösung so lange gegen das Luftpolster vorgeschoben, bis Luftdruck und osmotischer Druck einander gleich geworden sind. Die h a l b d u r c h l ä s s i g e n W ä n d e und die dadurch bedingten Erscheinungen des osmot i s c h e n D r u c k e s spielen im H a u s h a l t d e r b e l e b t e n N a t u r , bei Pflanzen und Tieren, eine sehr wichtige Rolle. Untersuchungen von Pflanzenphysiologen — namentlich des deutschen Botanikers WILHELM PFEFFER (1845—1920) — sind es denn auch gewesen, die den Anstoß zur Aufstellung der osmotischen Theorie gaben. Der lebende P r o t o p l a s m a s c h l a u c h , der den Z e l l s a f t der Pflanzen einschließt, stellt eine für das L ö s u n g s m i t t e l ( W a s s e r ) d u r c h l ä s s i g e , für die im Zellsaft g e l ö s t e n S t o f f e aber u n d u r c h l ä s s i g e Membran dar. Der dadurch bedingte o s m o t i s c h e D r u c k der gelösten Substanzen, der m e h r e r e A t m o s p h ä r e n beträgt, ist die Ursache unter anderem dafür, daß die grünen Pflanzen trotz der Zartheit und Biegsamkeit ihrer Zell Wandungen f e s t e , a u f r e c h t e G e b i l d e sind. Wie ein Fahrradschlauch durch den Gasdruck der eingepumpten Luft gestreckt und gestrafft wird, so erlangen auch die Pflanzenteile durch den von den gelösten Stoffen auf die umschließenden dehnbaren Wandungen ausgeübten osmotischen Druck ihre Festigkeit. Auf der Fähigkeit der Zellen, den in ihnen wirkenden osmotischen Druck durch Vermehrung oder Verminderung der Zahl gelöster Moleküle (infolge ausgelöster chemischer Reaktionen oder dergleichen) oder durch Permeabilitätserhöhung der Plasmahäute zu v e r ä n d e r n , beruhen eine Reihe von B e w e g u n g s e r s c h e i n u n g e n bei den Pflanzen. s Luftpolster
Füllansatz
halbdurchlässige Membran
Auch die im t i e r i s c h e n und m e n s c h l i c h e n B l u t gelösten Stoffe üben einen osmotischen Druck aus. So beträgt der o s m o t i s c h e D r u c k des B l u t e s der Säugetiere bei der normalen Körpertemperatur 7.7 A t m o s p h ä r e n , entsprechend einer 0.3-molaren Lösung. Einen gleichen osmotischen Druck besitzt eine 0.95%ige K o c h s a l z l ö s u n g . Eine solche kann daher als „physiologische Kochsalzlösung" ohne Nachteil in das Blut gebracht werden, wogegen eine k o n z e n t r i e r t e r e wegen ihres höheren Drucks die in der Blutflüssigkeit enthaltenen Blutkörperchen zusammenpreßt, d. h. zum S c h r u m p f e n bringt, während eine v e r d ü n n t e r e ihnen umgekehrt Veranlassung zur Ausdehnung, d. h. zum Q u e l l e n gibt, da hier der osmotische Druck der Blutkörperchen überwiegt.
Die oben zum Ausdruck gekommene Analogie zwischen Gas und Lösung erstreckt sich auch auf den Y e r d a m p f u n g s - und Lösungsvorgang. Genau wie eine Substanz bei gegebener Temperatur bis zu e i n e m b e s t i m m t e n D a m p f d r u c k ( , , S ä % ' g w « g s damffdruck") bzw. einer bestimmten K o n z e n Fig. 31. Messung des osmotischen t r a t i o n (,,Sättigungskonzentration") v e r d a m p f t , Drucks in der PFEFFER sehen Zelle l ö s t sich ein mit einem L ö s u n g s m i t t e l zusammengebrachter S t o f f bis z u einem bestimmten o s m o t i s c h e n S ä t t i g u n g s d r u c k bzw. einer bestimmten S ä t t i g u n g s k o n z e n t r a t i o n („gesättigte Lösung"). Dieser S ä t t i g u n g s w e r t {„Löslichkeit") ergibt sich auch hier als Folge des dynamischen G l e i c h g e w i c h t s zwischen „unverdampften" — d . h . u n g e l ö s t e n — und „verdampften" — d . h . g e l ö s t e n — Molekülen und w ä c h s t , falls keine chemischen Reaktionen mit dem Lösungsmittel erfolgen, m i t s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r . Erhöht man den osmotischen Druck (Gasdruck) einer bis zur Sättigung gelösten (verdampften) Substanz bei konstanter Temperatur durch
Das Wasser
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Verkleinern des Lösungs-(Gas-) Volumens, also z. B. durch Verdunsten des Lösungsmittels (Komprimieren des Dampfes), so tritt solange eine Ausfällung (Kondensation) des gelösten (verdampften) Stoffs aus der Lösung (dem Dampf) ein, bis der osmotische Druck (Gasdruck) den ursprünglichen Wert des Sättigungsdrucks wieder erreicht hat. Verkleinert man ihn durch Vergrößern des Volumens, also z. B. durch Verdünnen der Lösung (Expandieren des Dampfes), so erfolgt, falls noch ungelöster Stoff — „Bodenkörper" — (unverdampfter Stoff — „Kondensat" —) vorhanden ist, umgekehrt weitere Auflösung (Verdampfung) bis zur Wiedereinstellung des Gleichgewichtsdrucks. S) Molekulargewichtsbestimmung in Lösungen Die der G a s g l e i c h u n g (4) — S. 23 — entsprechende o s m o t i s c h e G l e i c h u n g (1) — S.54 — ermöglicht die Ermittlung von M o l e k u l a r g e w i c h t e n wassergelöster Stoffe, indem man durch Messung der Größen P, V und T die in einer Lösung je Liter Wasser vorhandene Molzahl n des gelösten Stoffes bestimmt, woraus sich bei Kenntnis des Gewichtes g dieser «Mole das Gewicht e i n e s Mols, d . h . das Molekulargewicht M (M = g/n; vgl. S. 24) ergibt. Diese Methode der M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g ist deshalb von großer W i c h t i g k e i t , weil sich sehr viele Stoffe, wie z. B. der Zucker, nicht unzersetzt vergasen lassen, während sie durch Auflösen in Wasser (oder anderen Lösungsmitteln) leicht in eine dem Gaszustand entsprechende molekulare Aufteilung gebracht werden können, so daß eine Ermittlung ihres Molekulargewichts mittels der Gasgleichung möglich ist. Leider stößt aber die Messung (S. 55 f.) des osmotischen Drucks P meist auf exp e r i m e n t e l l e S c h w i e r i g k e i t e n , da es in vielen Fällen nicht gelingt, eine wirklich i d e a l e h a l b d u r c h l ä s s i g e W a n d zu konstruieren. Glücklicherweise gibt es nun andere, l e i c h t e r m e ß b a r e Größen, die dem osmotischen Druck p r o p o r t i o n a l sind und daher an seiner Stelle zur BeFig. 32. Gefrierpunktserniedrigung, Siedestimmung der Molzahl n und damit des punktserhöhung und Dampfdruckerniedrigung Molekulargewichts M dienen können. Es handelt sich hier um die „Dampfdruckerniedrigung", die „Siedepunktserhöhung" und die „Gefrierpunktserniedrigung" von Lösungsmitteln. Löst man in einem Lösungsmittel einen behebigen n i c h t f l ü c h t i g e n 1 Stoff auf, so werden die Moleküle der g e l ö s t e n S u b s t a n z das Lösungsmittel verdünnen, so daß im Zeitmittel weniger Lösungsmittelmoleküle die Flüssigkeitsoberfläche verlassen als vor der Auflösung des Fremdstoffs 2 . Das dynamische G l e i c h g e w i c h t zwischen D a m p f und F l ü s s i g k e i t (S.51f.) stellt sich damit bei einem g e r i n g e r e n S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k ein als beim reinen Lösungsmittel. Es tritt mit anderen Worten eine Dampfdruckerniedrigung des Lösungsmittels ein: die Dampfdruckkurve der L ö s u n g (Fig. 32) liegt u n t e r h a l b der Dampfdruckkurve des r e i n e n L ö s u n g s m i t t e l s . Und 1
Bei flüchtigen Stoffen liegen die Verhältnisse etwas komplizierter. Die Flüssigkeitsoberfläche spielt hier die Rolle einer idealen semipermeablen Wand, indem nur das flüchtige Lösungsmittel die Trennungsfläche durchwandern (verdampfen) kann, während der — voraussetzungsgemäß (vgl. oben) — nichtflüchtige gelöste Stoff an der Flüssigkeitsoberfläche zurückbleibt (vgl. die analogen Betrachtungen über das Zustandekommen der Diffusionsdruckerniedrigung, S. 55). 4
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Das Wasser und seine Bestandteile
zwar ist bei g e g e b e n e r F l ü s s i g k e i t s m e n g e u n d g e g e b e n e r T e m p e r a t u r die Dampfdruckerniedrigung Ap — p — p' wie die in analoger Weise zustandekommende Diffusionsdruckerniedrigung A p m s = p m s — P ' D l S — v g l - ( 2 ) , S . 5 5 — u n d wie der osmotische Druck P — vgl. (1), S. 54 — der M o l z a h l n des gelösten Stoffes proportional: A p — k-n, (3) so daß man bei Kenntnis von k1 durch Messung von A p die Molzahl n ermitteln kann. E x p e r i m e n t e l l e i n f a c h e r ist aber die Messung der durch die Dampfdruckerniedrigung bedingten Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung des Lösungsmittels. Wie aus Fig. 32 hervorgeht, liegt der Schnittpunkt der Dampfdruckkurve der L ö s u n g mit der Dampfdruckkurve des f e s t e n L ö s u n g s m i t t e l s und damit der G e f r i e r p u n k t t'g d e r L ö s u n g (S. 53) bei einer t i e f e r e n , ihr Schnittpunkt mit der Atmosphärendruck-Horizontalen und damit der S i e d e p u n k t t', d e r L ö s u n g (S. 52f.) bei einer h ö h e r e n Temperatur als beim r e i n e n L ö s u n g s m i t t e l (^bzw. - N 2 +
2H20.
Man erhitzt zu diesem Zwecke eine konzentrierte wässerige Ammoniumnitritlösung (NH 4 N0 2 NH 3 -f- HN0 2 ) oder die Lösimg eines Gemisches von Ammoniumchlorid und Natriumnitrit (NH4C1 + NaN0 2 NH 4 N0 2 + NaCl) auf etwa 70°. Auch mit Hilfe von C h l o r , das sich mit Ammoniak energisch umsetzt, kann der Wasserstoff des Ammoniaks entfernt werden: 2NH 3 + 3C1 2 —>- N 2 + 6HCl.
In Erweiterung des ursprünglichen Oxydationsbegriffes (S. 35f.) spricht man auch in diesem Falle von einer O x y d a t i o n des Ammoniaks zu Stickstoff und definiert ganz allgemein eine Oxydation als die Zufuhr von Sauerstoff oder den Entzug von Wasserstoff und ein Oxydationsmittel dementsprechend als ein sauerstoffzuführendes oder Wasserstoff entziehendes Mittel. In gleicher Weise versteht man in Erweiterung des ursprünglichen Reduktionsbegriffes (S. 44) unter einer Reduktion den Entzug von Sauerstoff oder die Zufuhr von Wasserstoff und unter einem Reduktionsmittel dementsprechend ein sauerstoffentziehendes oder wasserstoffzuführendes Mittel.
c) Physikalische Eigenschaften Stickstoff ist ein färb-, geschmack- und geruchloses Gas. Das Litergewicht r e i n e n S t i c k s t o f f s beträgt bei 0° und 760 mm Druck 1.2505 g, ist also geringer als das der Luft (1.2928 g/1), welche j a noch den schwereren Sauerstoff (1.4289 g/1) enthält. 1 1 „Luftstickstoff", also edelgashaltiger Stickstoff wiegt 1.2567 g. Wie Sauerstoff und Wasserstoff läßt sich auch Stickstoff nur schwer kondensieren (kritische Temperatur: —147.1°, kritischer Druck: 33.5 Atm., kritische Dichte: 0.3110 g/cm 3 ). Der Siedepunkt des farblosen flüssigen Stickstoffs liegt bei —195.8°, der Schmelzpunkt des farblosen festen Stickstoffs bei —210.5°; die Dichte beim Siedepunkt beträgt 0.879 g/cm 3 . In Wasser ist Stickstoff nur etwa halb so gut löslich wie Sauerstoff: 11 Wasser von 0° löst 23 cm 3 Stickstoff gegenüber 49 cm3 Sauerstoff. Die aus Wasser ausgetriebene Luft hat somit eine andere Zusammensetzung ( 0 2 : N 2 = 2:1) als die atmosphärische ( 0 2 : N 2 = 1:4). Diese größere Wasserlöslichkeit des Sauerstoffs ist von Wichtigkeit für die Atmung der Fische im Wasser.
d) Chemische Eigenschaften Der Stickstoff ist weder brennbar wie der Wasserstoff, noch unterhält er die Verbrennung wie der Sauerstoff. Taucht man einen brennenden Holzspan in Stickstoff ein, so erlischt er sofort. Lebewesen ersticken im Stickstoffgas 1 . Überhaupt ist der Stickstoff bei gewöhnlicher Temperatur ein s e h r r e a k t i o n s t r ä g e s {„inertes") Gas. Dies kommt daher, daß die beiden Atome des Stickstoffmoleküls besonders fest aneinander gekettet sind (vgl. S. 48), so daß der Stickstoff 1 Der französische Name „azote" für Stickstoff bringt ebenfalls diese Eigenschaft zum Ausdruck: azotikos (djcoTiKÖs) = das Leben nicht unterhaltend. In Bezeichnungen wie „Azide"
(S. 231), „Azoverbindungen" (S. 250), „Azotientng" (S. 412), „Borazol' (S. 377), „Hydrazin" (S. 229) usw. findet sich dieser Wortstamm auch in der deutschen Nomenklatur.
62
Die Luft und ihre Bestandteile
selbst die beständigste Stickstoff-,,Verbindung" ist. Zur Sprengung des Moleküls in die wesentlich reaktionsfähigeren Atome bedarf es g r o ß e r E n e r g i e m e n g e n : 170.3 k c a l + N 2
>-2N,
(1)
die entweder der V e r b i n d u n g s e n e r g i e anderer Elemente entnommen oder von außen her als Energie der W ä r m e oder der E l e k t r i z i t ä t zugeführt werden müssen. So wird die Aktivität des Stickstoffs z. B. durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g bedeutend gesteigert, so daß er bei hohen Temperaturen mit zahlreichen Metallen und Nichtmetallen Verbindungen eingeht. Unter den M e t a l l e n vereinigen sich verschiedene Alkali- und Erdalkalimetalle (z. B. Lithium, Calcium, Magnesium) besonders leicht lind vollständig mit Stickstoff: 3 M g + N2
>- Mg 3 N 2 .
Aber auch viele andere Metalle wie Aluminium, Titan, Vanadin, Chrom verbinden sich bei Glühhitze direkt mit dem Stickstoff zu Nitriden. Unter den Reaktionen des Stickstoffs mit N i c h t m e t a l l e n seien besonders die Umsetzungen mit Wasserstoff und mit Sauerstoff hervorgehoben. Erstere führt zur Bildung von Ammoniak: N 2 + 3 H 2 — > 2NH 3
und wird in größtem Maßstabe technisch durchgeführt (S. 224ff.). Letztere geht unter Bildung von Stickoxyd vor sich: N2 + 0 2
^ 2 NO
und hat eine Zeitlang erhebliche Bedeutung für die Gewinnung von Salpetersäure gehabt (S. 235, 240). Bei Einwirkung e l e k t r i s c h e r G l i m m e n t l a d u n g e n auf Stickstoff unter vermindertem Druck findet eine merkliche Aufspaltung der Stickstoffmoleküle gemäß (1) in Stickstoffatome statt, wie zuerst J O H N W I L L I A M S T R U T T ( 1 8 4 2 bis 1 9 1 9 ; seit 1 8 7 3 als L O R D R A Y L E I G H ) beobachtet hat. Dieser a t o m a r e S t i c k s t o f f ist chemisch s e h r a k t i v . So bildet er mit zahlreichen Metallen (z. B. Quecksilber, Zink, Cadmium, Natrium) schon b e i g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r Nitride, ebenso mit Nichtmetallen wie Phosphor und Schwefel. Die Wiedervereinigung der Atome zu Molekülen ist mit einem charakteristischen gelben N a c h l e u c h t e n verbunden, das bei geeigneten Versuchsbedingungen noch 6 Stunden nach Ausschalten der elektrischen Entladung anhalten kann.
2. Die Luft a) Zusammensetzimg der Luft Die atmosphärische L u f t wurde bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts für ein E l e m e n t gehalten. Erst durch die Untersuchungen von S C H E E L E , P R I E S T L E Y und L A V O I S I E R (S. 37) wurde gezeigt, daß sie ein Gem e n g e zweier Gase — nämlich eines die Verbrennung unterhaltenden ( S a u e r s t o f f ) und eines die Verbrennung nicht unterhaltenden Gases ( S t i c k s t o f f ) — i s t .
Fig. 33. LAVOISIERS Versuch über die Zusammensetzung der Luft
Der Versuch, durch den LAVOISIER dies im Jahre 1774 bewies, war der folgende (Fig. 33): In einer Retorte, die durch einen zweimal gebogenen Hals mit einer in einer Glasglocke über Quecksilber abgesperrten, gegebenen Luftmenge in Verbindung stand, wurde Quecksilber auf einem Kohleofen mehrere Tage lang nahe am Sieden erhalten. Hierbei verschwand ein Teil der Luft, während sich gleichzeitig das Quecksilber teilweise in ein rotgelbea, kristallines Pulver (Quecksilberoxyd) verwandelte.
Die Luft
63
Der zurückbleibende Teil der Luft (Stickstoff) unterhielt zum Unterschied von der ursprünglichen Luft weder die Verbrennung noch die Atmung. Die gebildete Quecksilberverbindung spaltete bei stärkerem Erhitzen ein Gas (Sauerstoff) ab (S.9), das dieVerbrennungserscheinungen viel lebhafter unterhielt als die ursprüngliche Luft und dessen Volumen genau dem vorher verschwundenen Luftanteil entsprach. — Für genauere Luftanalysen verwendet man statt Quecksilber zweckmäßig Kupfer als sauerstoffbindendes Mittel.
Außer Sauerstoff und Stickstoff enthält die Luft noch die E d e l g a s e (S. 72), sowie mehr oder weniger W a s s e r d a m p f und K o h l e n d i o x y d , ferner geringe Mengen A m m o n i a k und O z o n . Als zufällige Bestandteile (z.B. in der Nachbarschaft von Vulkanen und von Industrieanlagen) finden sich S c h w e f e l d i o x y d und andere Gase. Die niederen Luftschichten enthalten stets auch feste „ Staub "teilchen. Die mittlere Zusammensetzung trockener, reiner Luft ist nach neueren Analysen die folgende: Stickstoff Sauerstoff.... Edelgase Kohlendioxyd
VoL-% 78.08 20.95 0.94 0.03
Gew.-% 75.46 23.19 1.30 0.05
100.00
100.00
Es ist bemerkenswert, daß diese Zusammensetzung der Luft trotz der zahlreichen sauerstoff-, stickstoff- und kohlendioxyd-umsetzenden Vorgänge in der Natur (die Edelgase beteiligen sich wegen ihrer Reaktionsträgheit nicht an chemischen Reaktionen) praktisch k o n s t a n t bleibt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Sauerstoff (gekoppelt mit dem Kohlendioxyd) und der Stickstoff einen K r e i s l a u f durchmachen.
b) Kreislauf des Sauerstoffs Wichtige sauerstoff verbrauchende Vorgänge der Natur sind die t i e r i s c h e A t m u n g und die V e r w e s u n g . I n beiden Fällen werden Kohlenstoffverbindungen — z. B. Kohlenhydrate (II, S. 218ff.) — durch den Luftsauerstoff unter Freiwerden von Energie letzten Endes zu Kohlendioxyd und Wasser „verbrannt" (vgl. S. 36). I n gleicher Richtung wirken auch die Verbrennungsprozesse der Industrie, z. B. die Verbrennung von Steinkohle. Die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e wird dabei in verschiedenster Weise ausgenutzt; bei der tierischen Atmung beispielsweise zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und der L e b e n s v o r g ä n g e , bei der Steinkohlenverbrennung etwa zur Erzeugung hoher Temperaturen. Es müßte demnach infolge dieser Verbrennungsvorgänge eine dauernde Abnahme des Sauerstoff- und Zunahme des Kohlendioxyd- und Wassergehaltes der Atmosphäre eu beobachten sein, wenn nicht ein e n t g e g e n w i r k e n d e r Prozeß stattfände, der in Umkehrung der genannten Verbrennungsprozesse unter Aufnahme von Energie Kohlendioxyd und Wasser wieder in Kohlenhydrate und Sauerstoff verwandelt. Dieser regulierend wirkende Vorgang ist die „Assimilation" (II, S. 473) der Pflanzen, bei welcher unter der Einwirkung des vom Blattgrün (Chlorophyll) absorbierten Sonnenlichtes das in der Luft oder im Wasser enthaltene Kohlendioxyd in die Kohlenhydrate Zucker und Stärke verwandelt wird, die sich als Reservestoffe in den Pflanzen ablagern : Atmung
I t
Kohlenhydrate + Sauerstoff
I I
Kohlendioxyd + Wasser + Energie Assimilation
64
Die Luft und ihre Bestandteile
Die Pflanzen dienen dann wieder Menschen und Tieren zur Nahrung, werden erneut „veratmet" usw., und so beginnt der Kreislauf des Sauerstoffs und Kohlendioxyds von neuem. Der Kreisprozeß ist in seinen einzelnen Teilen so a u s g e g l i c h e n , daß — soweit unsere Meßgenauigkeit und Erfahrung bisher reichen — der S a u e r s t o f f g e h a l t der Atmosphäre k o n s t a n t bleibt. J e höher beispielsweise infolge der Verbrennungsprozesse der Kohlendioxyd- und Wasserdampfgehalt der Luft ansteigt, um so größer wird auch unter sonst gleichen Bedingungen die Assimilationstätigkeit der Pflanzen. Hinzu kommt, daß die jährlich in der geschilderten Weise im Kreislauf befindliche Sauerstoffmenge (10 11 1) verhältnismäßig gering ist im Vergleich zu der in der Atmosphäre vorhandenen (1015 t).
c) Kreislauf des Stickstoffs Auch der S t i c k s t o f f beschreibt einen Kreislauf durch den pflanzlichen und den tierischen Organismus. I n diesen Kreislauf tritt er aber praktisch nur als g e b u n d e n e r , nicht als freier Stickstoff. Der Stickstoff ist ein wichtiger Bestandteil des lebensnotwendigen tierischen und pflanzlichen E i w e i ß e s (II, S. 277ff.). Daher sind Tier und Pflanze auf Stickstoffzufuhr angewiesen. Der Stickstoff der L u f t wird von den Tieren und den meisten Pflanzen nicht aufgenommen, da wegen der Reaktionsträgheit des Stickstoffs weder Tier noch Pflanze imstande sind, Luftstickstoff zu assimilieren. Hierzu sind nur einige Bakterienarten und Mikroorganismen fähig, die in den Wurzelknöllchen von Leguminosen (z. B. Lupinen) und anderen Pflanzenarten (z. B. Erlen, Ölweiden) vorkommen (vgl. S. 235). Ebenso besitzen einige im Erdboden freilebende Bakterienarten die Fähigkeit zur Stickstoffassimilation. Im allgemeinen entnimmt die Pflanze ihren Stickstoffbedarf aber dem B o d e n . Dieser enthält Stickstoff in Form von N i t r a t e n (S. 241) und A m m o n i u m s a l z e n (S. 435 ff.). Die Pflanze nimmt diese Verbindungen auf und baut daraus in geheimnisvoller Weise ihre Zellen auf. Die T i er e und M e n s c h e n besitzen diese Assimilationsfähigkeit nicht. Sie können den Stickstoff nur in Form von p f l a n z l i c h e m E i w e i ß aufnehmen. Auf diese Weise kommt der Stickstoff in den tierischen Organismus. Beim Abbau des Eiweißes im Tierkörper wird der größte Teil des Stickstoffs als H a r n s t o f f (II, S. 183f.) mit dem Harn ausgeschieden; bei der Verwesung von Tier und Pflanze bleibt er in Form von Nitraten, Ammoniumsalzen und anderen StickstoffVerbindungen zurück. So steht er denPflanzen wieder zur Verfügung, und der Kreislauf beginnt von vorn. Allerdings werden bei diesem Kreislauf, zumal bei intensiver Landwirtschaft, dem Boden mehr Stickstoffverbindungen entzogen als in verwertbarer Form wieder zurückkehren. Der deutsche Chemiker J U S T U S VON L I E B I G (1803—1873) wies daher darauf hin, daß es erforderlich ist, den Pflanzen den zur Assimilation erforderlichen Stickstoffbedarf in Form geeigneter Stickstoffverbindungen („künstlicher Dünger") zuzuführen. Diese gewinnt man — in jährlich steigenden Mengen — aus elementarem Stickstoff. Auf diesem Umweg über die chemische Industrie greift somit auch der L u f t s t i c k s t o f f in den Kreislauf des Stickstoffs in der Natur ein. Der Stickstoffgehalt der Luft wird hierdurch aber nicht verändert, weil etwa ebensoviel elementarer Stickstoff bei der Verbrennung der Steinkohle (S. 309ff.) der Atmosphäre wieder zugeführt wird. Auch stellt die jährliche Stickstoffentnahme der Technik 10® t) weniger als den milliardsten Teil des in der Atmosphäre enthaltenen Stickstoffs dar. Die bei Verwesungsprozessen oder durch die Wirkung von sogenannten „Denitrifikationsbakterien" in die elementare Form übergehende kleine Stickstoffmenge wird etwa ausgeglichen durch die Menge Salpetersäure (HN0 3 ), die sich durch die oben schon genannten Bodenbakterien und bei Gewittern durch die elektrischen Entladungen (Blitz) aus Stickstoff, Sauerstoff und Wasserdampf bildet.
Die Luft
65
d) Flüssige Luft Bei starkem Abkühlen geht die Luft in den f l ü s s i g e n Zustand über. Diese Verflüssigung der L u f t wird — wie schon besprochen wurde — zwecks Gewinnung von Sauerstoff (S. 32ff.), Stickstoff (S. 60) und Edelgasen (S. 73f.) technisch in großem Maßstabe ausgeführt. I n frischem Zustande ist die flüssige L u f t praktisch farblos. Bei längerem Stehen nimmt sie immer deutlicher eine bläuliche Farbe an. Dies kommt daher, daß der farblose Stickstoff (Sdp. —196°) schneller absiedet als der bläuliche Sauerstoff (Sdp. —183°). Entsprechend dieser Sauerstoffanreicherung beim Verdunsten steigt der Siedepunkt der flüssigen L u f t (—194 1 / 2 °) beim Stehen bis auf —185° und höher. Zugleich nimmt die Dichte, die zuerst 0.9 g/cm 3 beträgt, bis zum Werte 1.1 (1 cm 3 flüssiger Sauerstoff wiegt beim Siedepunkt 1.12, 1 cm 3 flüssiger Stickstoff beim Siedepunkt 0.88 g) zu, so daß frische flüssige L u f t auf Wasser schwimmt, während auf gestandener flüssiger L u f t um^_ Vakuum gekehrt das Wasser schwimmt. flüssige Luft U m ein zu rasches Absieden der flüssigen L u f t im Laboratorium zu vermeiden, bewahrt man sie zweckmäßig in besonders kon_ Qefäßwandunstruierten Gefäßen auf. Eine f ü r das Laboratorium geeignete Form *' gen, innen stellt z. B. das nebenstehend (Fig. 34) abgebildete, doppelwandige vergüten „DEWAR-Gefäß" („ Weinhold-Gefäß") dar. Bei diesem ist zur Verringerung der W ä r m e l e i t u n g der R a u m zwischen beiden Wandungen evakuiert, während die Wandungen selbst zur Vermeidung der W ä r m e s t r a h l u n g innen versilbert oder verkupfert sind. Auf Kg. 34. DEWAR-Gefäß dem gleichen Bauprinzip beruhen z. B. die „Thermosflaschen". zum Aufbewahren Interessant sind die Eigenschaftsänderungen, welche die Stoffe flüssiger Luft beim Abkühlen auf die Temperatur der flüssigen L u f t erfahren. F a r b e . Taucht man ein mit Schwefel gefülltes Reagensglas in flüssige Luft, so wird der gelbe Schwefel weiß wie Kreide. Auch braunrotes Brom, roter Phosphor, orangerote Mennige werden beim Eintauchen in flüssige L u f t in auffälliger Weise heller. E l a s t i z i t ä t . Ein in flüssige Luft getauchter Gummiball wird glashart und zerspringt in Splitter, wenn man ihn auf den Boden fallen läßt. Ein Bleiglöckchen gibt nach Kühlung mit flüssiger L u f t beim Anschlagen mit einem Glasstab einen hellen Ton, als ob es aus Silber bestünde. A g g r e g a t z u s t a n d . Übergießt man flüssiges Quecksilber mit flüssiger L u f t , so erstarrt es alsbald zu einem silberähnüchen Metall, das man auf dem Amboß aushämmern kann. Leuchtgas verflüssigt sich leicht bei der Temperatur der flüssigen Luft. Wird eine Rose in flüssige L u f t getaucht, so gefriert augenblicklich das Wasser in den Zellen; das Gewebe wird dadurch so spröde, daß man es im Mörser zu Pulver zerreiben kann. Erwähnenswert sind noch die s t a r k o x y d i e r e n d e n E i g e n s c h a f t e n gestandener, also sauerstoffreicher Luft. Taucht man z. B. einen glimmenden Holzspan in sie ein, so verbrennt der Span trotz der sehr tiefen Temperatur unter heftiger Reaktion mit heller Flamme. Wird W a t t e mit feinem Kohlepulver überstäubt, mit flüssiger Luft übergössen und dann angezündet, so verbrennt das Ganze explosionsartig. Man bedient sich dieser stark oxydierenden Eigenschaften der flüssigen L u f t bei den sogenannten , ,Oxyliquit"-Sprengstoffen. Es ist hiernach sehr gefährlich, flüssigen Sauerstoff oder gestandene flüssige Luft mit brennbaren Substanzen zusammenzubringen. Trotz der tiefen Temperatur kann man flüssige L u f t gefahrlos über die H ä n d e gießen, ohne dabei das Gefühl von Kälte zu haben, da sich zwischen der warmen H a u t und der kalten Flüssigkeit sofort eine schützende dünne Dampfhaut bildet, welche die Kälte nur schlecht leitet {„LEIDENFROSTsches Phänomen"). Ho 11 eman-W ibeig , Anorganische Chemie. 40.—46. Aull.
5
Kapitel VI
Das Periodensystem der Elemente (I. Teil) Am Beispiel des Sauerstoffs, Wasserstoffs und Stickstoffs haben wir gesehen, daß jedes einzelne Element ganz c h a r a k t e r i s t i s c h e c h e m i s c h e E i g e n s c h a f t e n besitzt und Verbindungen ganz b e s t i m m t e r Z u s a m m e n s e t z u n g bildet. Es wäre nun recht unbefriedigend, das chemische Verhalten der übrigen 98 bis jetzt bekannten Elemente in gleicher Weise der Reihe nach zu behandeln, ohne die Elemente untereinander zu v e r g l e i c h e n und nach Z u s a m m e n h ä n g e n und c h e m i s c h e n A n a l o g i e n zu suchen. So nimmt es nicht wunder, daß im Laufe des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Versuche unternommen worden sind, die Elemente nach ihren chemischen Eigenschaften in Gruppen einzuteilen und Gesetzmäßigkeiten für diese Einordnung zu finden. Der erste Versuch dieser Art rührt von D Ö B E R E I N E R (S. 42) her, der im Jahre 1829 nachwies, daß sich verschiedene Elemente ihrem chemischen Verhalten nach zu Gruppen von je 3 Elementen {„Triaden") zusammenfassen lassen, in welchen die Atomgewichtsunterschiede jeweils annähernd gleich sind {„Triadenregel"); z. B.: C1 Br J
35.5^.. , 79.9 126.9>47.0
S Se Te
0
79.0>46'9 l27.6> 4 8-6
Ca Sr Ba
40.1, 87.6>47"5 137.4> 4 9 -8
Damit wurde zum erstenmal der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen E i g e n s c h a f t e n und A t o m g e w i c h t e n eingeführt. Eine Weiterentwicklung dieses Gedankens war erst nach Erweiterung der Kenntnis der Atomgewichte möglich. I m Jahre 1 8 6 4 entdeckte der englische Chemiker J O H N A. R. N E W L A N D S ( 1 8 3 8 — 1 8 9 8 ) , daß bei der Anordnung der Elemente nach steigendem Atomgewicht jeweils nach 7 Elementen ein Element folgt, das dem Anfangsgliede der Reihe chemisch ähnlich ist {„Gesetz der Oktaven"). 1869 haben dann der russische Chemiker D M I T R I I W A N O W I T S C H M E N D E L E J E F F ( 1 8 3 4 — 1 9 0 7 ) und der deutsche Forscher LOTHAR M E Y E R ( 1 8 3 0 — 1 8 9 5 ) unabhängig voneinander diese Beziehungen schärfer formuliert und zum „Periodensystem der Elemente" 1 zusammengefaßt, dessen Grundprinzip ebenfalls die Ordnung der Elemente nach dem A t o m g e w i c h t ist. Auf dieses Periodensystem gehen letztlich alle heute in Gebrauch befindlichen Formen des Periodensystems zurück. Im folgenden wollen wir uns zunächst auf die Ableitung einer übersichtlichen g e k ü r z t e n F o r m des Periodensystems beschränken.
1. G e k ü r z t e s P e r i o d e n s y s t e m Ordnet man die in der Atomgewichtstabelle (S. 27) aufgeführten Elemente nacb steigender Größe des Atomgewichts, d. h. nach der Reihenfolge der Atomnummern (S. 28), so erhält man die folgende Reihe: 1
Häufig sprachlich unrichtig als „Periodisches System der Elemente" bezeichnet.
Gekürztes Periodensystem 1H
2 He
3 Li
4 Be
5B
6C
7N
80
9F
67
10 Ne 11 Na 12 Mg 13 AI
16 S 17 C1 18 Ar 19 K 20Cai21 So 22 Ti 23 V 24 Cr 25 Mn 26 Fe 31 Ga 32 Ge 33 As 34 Se 35 Br 36 Kr 37 Rb 38 Sr j 39 Y
14 Si 15 P
27 Co 28 Ni 29 Cu 30Zn i
40 Zr 41 Nb 42 Mo 43 Tc 44 Ru
45 Rh 46 Pd 47 Ag 48 Cd j 49 In 50 Sn 51 Sb 52 Te 53 J 54 Xe 55 Cs 56 Ba j 57 La 58 Ce 59 Pr 60 Nd 61 Pm 62 Sm 63 Eu 64 Gd 65 Tb 66 Dy 67 Ho 68 Er 69 Tm 70 Yb 71 Lu 72 Hf 73 Ta 74 W 75 Re 76 Os 77 Ir 78 Pt 79 Au 80 Hg j 81 Tl 82 Pb 83 Bi 88 Ra I 89 Ao 90 Th 91 Pa 92 U
84 Po 85 At 86 Rn 87 Fr
93 Np 94 Pu 95 Am 96 Cm 97 Bk 98 Cf 99 E 100Fm lOlMv
Ein Vergleich der p h y s i k a l i s c h e n u n d c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der so geordneten Elemente führt zu der interessanten Feststellung, daß sich diese Eigenschaften beim Fortschreiten vom einen zum nächsten Element in g a n z g e s e t z m ä ß i g e r W e i s e ändern und daß jeweils nach einer gewissen Anzahl von Schritten eine E l e m e n t r e i h e w i e d e r k e h r t , die in i h r e n E i g e n s c h a f t e n der v o r a n gehenden Elementreihe ähnelt. Als Beispiel hierfür sei etwa die Elementfolge H e l i u m (He) bis A r g o n (Ar) herausgegriffen. H e l i u m (Atomnummer 2) ist ein reaktionsträges Gas, das sich zum Unterschied von anderen Elementen mit keinem anderen Element chemisch zur Umsetzung bringen läßt. Das achte auf Helium folgende Element N e o n (Atomnummer 10) ist wieder ein solches „Edelgas", ebenso das an achter Stelle hinter dem Neon (Ne) stehende Element A r g o n (Atomnummer 18). Die z w i s c h e n den Edelgasen Helium und Neon einerseits und Neon und Argon andererseits stehenden Elemente 3 ( L i t h i u m ) b i s 9 ( F l u o r ) bzw. 11 ( N a t r i u m ) bis 17 (Chlor) zeigen eine ü b e r e i n s t i m m e n d e A b s t u f u n g i h r e r E i g e n s c h a f t e n . So sind z. B . die auf das Helium und Neon unmittelbar folgenden Elemente L i t h i u m (Li) und N a t r i a m (Na) beide silberglänzende Leichtmetalle, die sich mit Wasser lebhaft unter Wasserstoffentwicklung umsetzen, während die vor den Edelgasen Neon und Argon stehenden Elemente F l u o r (F) und C h l o r (Cl) beide erstickend riechende Gase darstellen, die mit den vorerwähnten Leichtmetallen lebhaft unter Bildung salzartiger Verbindungen analoger Zusammensetzung (LiF, LiCl, NaF, NaCl) reagieren. Ordnet man demnach die Elemente Helium bis Argon in zwei waagerechte „Perioden" wie folgt an: „ T. _ „ _ ^ ^ _ & '
He Ne
Li Na
Be Mg
B C N AI Si P
O F Ne S Cl Ar,
so weisen die u n t e r e i n a n d e r s t e h e n d e n Elemente {„Homologe") weitgehende Ä h n l i c h k e i t e n in Eigenschaften und Verbindungsformen auf. Die übrigen, auf das Argon noch folgenden Elemente lassen sich nur d a n n in überzeugender Weise in die damit vorgezeichneten acht verschiedenen senkrechten „Gruppen" einordnen, wenn man die in der oben wiedergegebenen Element-Zusammenstellung gestrichelt umrahmten Elemente u n b e r ü c k s i c h t i g t läßt. Denn erst die Elemente 36 ( K r y p t o n , Kr), 54 ( X e n o n , X e ) und 86 ( R a d o n , Rn) haben wieder Edelgas-Charakter; und von den zwischen Argon und Krypton, Krypton und Xenon, Xenon und Radon stehenden Elementen zeigen nur die den Edelgasen nachfolgenden je zwei und die den Edelgasen vorangehenden je f ü n f Elemente Eigenschaften, die eine eindeutige Einordnung in die obigen sieben Gruppen zwischen den Edelgasen rechtfertigen. Man kommt so zu folgender Anordnung: Ar Kr Xe Rn
K Rb Cs Fr
Ca Sr Ba Ra
; Ga j In i Tl j
Ge Sn Pb
As Sb Bi
Se Te Po
Br J At
Kr Xe Rn 5*
Das Periodensystem der Elemente (I. Teil)
68
in welcher die gestrichelte senkrechte Linie zum Ausdruck bringt, daß an dieser Stelle eine Reihe dazwischenliegender Elemente — Scandium (Sc) bis Zink (Zn), Yttrium (Y) bis Cadmium (Cd), Lanthan (La) bis Quecksilber (Hg) und Actinium (Ac) bis Mendelevium (Mv) — ausgelassen worden sind. Man nennt die so erhaltene Elementanordnung „gekürztes Periodensystem der Elemente". Es läßt sich in besonders übersichtlicher Form — unter Einfügung des Wasserstoffs (Atomnummer 1) und des später (S. 555ff., 585) noch zu besprechenden Neutroniums Nn (Atomnummer 0) — wie folgt wiedergeben: Gekürztes Periodensystem der Elemente 0 o Nn 0 2 He
I 3 Li
II 4 Be
III 5 B
I 1 H IV 6 C
10 Ne
11 Na
12 Mg
13 AI
18 Ar
19 K
20 Ca
36 Kr
37 Rb
ß
54 Xe
7
2
V 7 N
VI 8 0
VII 9 F
II 2 He VIII 10 Ne
14 Si
15 P
16 S
17 CI
18 Ar
3
31 Ga
32 Ge
33 As
34 Se
35 Br
36 Kr
4
38 Sr
49 In
50 Sn
51 Sb
52 Te
53 J
54 Xe
5
55 Cs
56 Ba
81 T1
82 Pb
83 Bi
84 Po
85 At
86 Rn
Q
86 Rn
87 Fr
88 Ra
0
I
II
1
2
7
III
IV
V
VI
VII
VIII
Dieses gekürzte Periodensystem der Elemente ist ein Teil des später (S. 439ff.) zu behandelnden vollständigen Periodensystems der Elemente und enthält nur die sogenannten „Hauptgruppen" des Gesamtsystems. Es umfaßt s i e b e n waagerechte P e r i o d e n (,,Periodennummer" 1 bis 7) und — abgesehen von der ersten, „kurzen Periode" — a c h t 1 senkrechte G r u p p e n („Gruppennummer" I bis VIII). Über den einzelnen Elementsymbolen ist die zugehörige „Atomnummer" angegeben. Auf die tiefere Bedeutung der Periodennummer, Gruppennummer und Atomnummer werden wir später (S. 139) noch zu sprechen kommen. In der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links nimmt im gekürzten Periodensystem der M e t all charakter, in umgekehrter Richtung der N i c h t m e t a l l charakter zu. Eine scharfe Grenze läßt sich dabei nicht ziehen, weil der Übergang stetig erfolgt. Die an der Stelle der gestrichelten Linie ausgelassenen „Übergangselemente" sind ausnahmslos M e t a l l e . Ihre Einordnung in sogenannte „Nebengruppen" wird uns erst bei der Besprechung des Gesamtsystems (S. 439ff.) beschäftigen. Der folgenden Behandlung der H a u p t g r u p p e n - E l e m e n t e (S. 71 ff.) legen wir die durch das gekürzte Periodensystem gegebene Einteilung in acht charakteristische Elementgruppen zugrunde. 1
Die nullte und achte Gruppe sind miteinander identisch.
Verbreitung der Elemente
69
Um eine überzeugende Einordnung der Elemente in das Periodensystem zu ermöglichen, muß an einzelnen Stellen das Prinzip der Aufeinanderfolge nach steigendem Atomgewicht durchbrochen werden. So findet sich in den Hauptgruppen des gekürzten Periodensystems das A r g o n (Ar) v o r d e m K a l i u m (K) und das T e l l u r (Te) v o r d e m J o d (J), obwohl nach dem Atomgewicht die Reihenfolge u m g e k e h r t sein sollte 1 ; in gleicher Weise muß später bei den Nebengruppen (S. 439ff.) entgegen dem Atomgewicht das K o b a l t (Co) v o r d a s N i c k e l (Ni) und das T h o r i u m (Th) v o r d a s P r o t a c t i n i u m (Pa) gestellt werden. Daraus geht hervor, daß in Wirklichkeit n i c h t d a s A t o m g e w i c h t , sondern eine a n d e r e — mit dem Atomgewicht in Zusammenhang stehende — Größe die Reihenfolge der Elemente bedingt. Hiervon wird auf S. 135ff., 144f. und 555ff. die Rede sein. Weiterhin war es bis vor wenigen Jakren erforderlich, an einzelnen Stellen des Periodensystems Plätze für bisher noch unbekannte Elemente f r e i z u l a s s e n : bei den Hauptgruppen für ein Element 85 in Gruppe VII und ein Element 87 in Gruppe I, bei den Nebengruppen für die Elemente der Ordnungszahl 43 und 61 2 . Die Berechtigung hierfür werden wir ebenfalls später (S. 144f.) kennenlernen.
2. Verbreitung der Elemente Die Verbreitung der im Periodensystem zusammengefaßten Elemente auf unserer Erde ist eine ganz unterschiedliche. So bestehen die uns zugänglichen Teile der Erdkugel („Erdrinde") — nämlich die Luft {„Atmosphäre"), das Meer („Hydrosphäre") und eine etwa 1 6 k m ( = lOMeilen) dicke Schicht 3 des äußeren Gesteinsmantels der Erde („LithoSphäre") — zur Hälfte ihres Gewichts aus Sauerstoff und zu einem Viertel aus Silicium. I n das restliche Viertel teilen sich in der Hauptsache 8 weitere E l e m e n t e : Lithosphäre spez.Getv.3-- 2 HCl + 43.8 kcal.
(4)
Man nennt daher das Chlor-Wasserstoff-Gemisch auch „Chlorknallgas". Da die Wärmeentwicklung nicht so stark ist wie bei der Umsetzung des aus W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f bestehenden Knallgases (vgl. S. 45), ist die Explosion von C h l o r k n a l l g a s nicht so gewaltig wie die von S a u e r s t o f f k n a l l g a s . Zur e x p l o s i o n s f r e i e n Vereinigung von Chlor und Wasserstoff vgl. S. 90. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung des L i c h t s oder der Wärme beruht darauf, daß unter der Einwirkung dieser Energiezufuhr eine Spaltung einzelner Chlormoleküle in die Chlora t o m e erfolgt (vgl. S. 85): 57.8 kcal + Cl2 2 Cl. (5) Die so gebildeten Chloratome reagieren nach den Gleichungen Cl + H 2 — > - HCl + H 1.0 kcal (6) H + Cla HCl + Cl + 44.8 kcal (7) unter Wärmeentwicklung und Rückbildung von Chloratomen — die von neuem gemäß (6) in die Reaktion eintreten — weiter („Kettenreaktion"), bis sich die Reaktionsgeschwindigkeit infolge des raschen Temperaturanstiegs zur Explosion steigert. Eine einmal eingeleitete Reaktionskette bricht dann ab, wenn die Träger der Reaktion (H bzw. Cl) beispielsweise durch eine Wandreaktion beseitigt werden. Dies tritt bei geeigneten Versuchsbedingungen verhältnismäßig selten ein, so daß dann mehrere Millionen Chlorwasserstoffmoleküle gemäß (6) und (7) gebildet werden können, bevor die Kette abreißt. Gleichung (6) und (7) ergeben addiert die Gesamtgleichung (4).
Das Bestreben des Chlors, sich mit Wasserstoff zu verbinden, ist so groß, daß es auch vielen Wasserstoffverbindungen den Wasserstoff unter Chlorwasserstoffbildung entreißt. Taucht man z. B. einen mit T e r p e n t i n ö l (C10H16) getränkten Filtrierpapierstreifen in einen mit Chlorgas gefüllten Glaszylinder, so entzündet sich das Terpentinöl unter Entweichen dicker Rußwolken (Kohlenstoff): C10H16 + 8 Cl2 — 1 0 C + 16 HCl.
Leitet man S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H2S) in eine wässerige Lösung von Chlor, so scheidet sich Schwefel aus: H 2 S + C12
v 2 HCl + S .
Auch W a s s e r kann durch Chlor in entsprechender Weise unter Sauerstoffentwicklung zersetzt werden: _„ , _ „ ^ HaO + Cl2
2 HCl + 0 .
(8)
e*
84
Die Gruppe der Halogene
Die Reaktion verläuft jedoch nur unter der Einwirkung des S o n n e n l i c h t e s mit genügender Geschwindigkeit (vgl. S. 122). Zur Verhinderung dieser zersetzenden Wirkung des Lichtes bewahrt man Chlorwasser in braunen Flaschen auf. Als „naszierender" Sauerstoff (vgl. S. 48) ist der nach (8) gebildete Sauerstoff besonders reaktionsfähig. Daher besitzt feuchtes Chlor s t a r k o x y d i e r e n d e W i r k u n g , was man zum B l e i c h e n (oxydative Zerstörung von Farbstoffen) und zum D e s i n f i z i e r e n (oxydative Zerstörung von Bakterien) benutzt. Bringt man z. B. eine rote Rose oder eine Tulpe in feuchtes Chlorgas, so verschwindet zuerst das empfindliche Blattgrün und dann auch der rote Blütenfarbstoff. Man benutzt diese B l e i c h w i r k u n g des Chlors zum Bleichen von Leinen, Baumwolle, J u t e , Papierstoff usw. Allerdings müssen mit Chlor gebleichte Gewebe und Faserstoffe durch ,,Antichlor" (S.216) von den noch anhaftenden Chlor-Resten befreit werden, u m eine nachträgliche Zerstörung durch das aggressive Chlor zu verhüten. Daher wird die Chlorbleiche mehr und mehr durch die Bleiche mit W a s s e r s t o f f p e r o x y d (S. 178 ff.) verdrängt, welche die Faser weniger angreift und zudem schneller und nachhaltiger wirkt. Die d e s i n f i z i e r e n d e W i r k u n g des Chlors wird unter anderem zur Sterilisierung von Trinkwasser und zur Desinfektion des Wassers in öffentlichen Schwimmanstalten benutzt. Auch Abwässer werden zur Beseitigung von Geruchs- und Fäulnisstoffen „gechlort".
b) Photochemische Reaktionen Wie wir auf S. 83 feststellten, wird die bei Zimmertemperatur im Dunkeln unendlich langsam verlaufende Reaktion der Cblorwasserstoffbildung aus den Elementen durch B e s t r a h l u n g mit kurzwelligem Licht bis zur Explosion gesteigert. Im folgenden wollen wir uns etwas näher mit dem Mechanismus solcher „photochemischer Reaktionen" befassen. Wie wir heute wissen, reagiert nicht nur die M a t e r i e , sondern auch die E n e r g i e in Form von Atomen, d. h. kleinsten, nicht weiter teilbaren Teilchen („Quanten"). Die Atome des L i c h t s z. B., welche „Photonen" oder „Licht quan teil" genannt werden (vgl. S. 140ff.), stellen ein E n e r g i e q u a n t u m E dar, das der F r e q u e n z v1 der betreffenden Lichtart proportional ist: E — h-v. Der Proportionalitätsfaktor h heißt „ P L A N C K sches Wirkungsquantum" und h a t — wenn E in cal ausgedrückt werden soll — den Wert 1.583 XlO - 3 4 cal • sec. Danach gibt es also energieärmere („leichtere") und energiereichere („schwerere") Lichtatome je nachdem die Frequenz v des betrachteten Lichtes klein oder groß ist, während für eine Lichtart von g e g e b e n e r Frequenz alle Atome gleiche Energie (gleiches „Gewicht") besitzen. R o t e s Licht der Wellenlänge 7000 Ä ( = Frequenz 4.282 X10 1 4 sec - 1 ) kann z. B. nur in Energiequanten („Energiepaketchen") der Größe h • v = (1.583 X10- 3 4 ) X (4.282 X 1014) = 6.778 X lO" 2 0 cal abgegeben oder aufgenommen werden. Dagegen stellen die Atome von g r ü n e m L i c h t der Wellenlänge 5500 A ( = Frequenz 5.451 XlO 14 sec - 1 ) eine um 27°/ 0 größere Energiemenge von je (1.583 X10" 3 4 ) X (5.451 X10 1 4 )=8.626 X10- 2 0 cal dar. 6.022X10 23 (vgl. S.29f.) „ r o t e " Lichtquanten („1 Mol" rotes Licht der Wellenlänge 7000A) sind einer Energiemenge von (6.022 X10 23 ) X (6.778 X 10~20) = 40810 cal äquivalent, „1 Mol" grünes Licht der Wellenlänge 5500 A entspricht einer Energiemenge von (6.022 X10 23 ) X (8.626 X10- 2 0 ) = 51940 cal. I n der nachfolgenden Tabelle sind solche „Lichtäquivalente" für die einzelnen Lichtarten in kcal angegeben: 1 Die Frequenz v eines einfarbigen („monochromatischen") Lichtes hängt mit dessen Wellenlänge A durch die Beziehung v • /.= c (c = Lichtgeschwindigkeit) zusammen. Die Frequenz gibt also die Zahl der Wellenlängen an, die das Licht in 1 Sekunde zurücklegt.
Freie Halogene
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Licht Wellenlänge (Ä) | 3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 7000 7500 8000
Farbe
Komplementärfarbe
Energiewert des Lichtäquivalents (kcal)
Ultraviolett Violett Blau Blaugrün Grün Gelb Orange Rot Dunkelrot Ultrarot
Weiß Gelbgrün Gelb Rot Purpur Blau Blaugrün Blaugrün Blaugrün Weiß
81.6 71.4 63.5 57.1 51.9 47.6 44.0 40.8 38.1 35.7
Genau wie sich Atome oder Moleküle der Materie nur in ganzzahligem Verhältnis miteinander umsetzen können („stöchiometrische Gesetze"; S. 12ff.), können auch M a t e r i e und E n e r g i e nur in g a n z z a h l i g e m Verhältnis ihrer kleinsten Teilchen miteinander reagieren. Für den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und e l e k t r i s c h e r E n e r g i e werden wir diese Folgerung später noch kennenlernen (,,FAHADAYSche Gesetze"; S. 93f.). Für den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und L i c h t wird sie durch das „photochemische Äquivalenzgesetz" zum Ausdruck gebracht, welches besagt, daß 1 Materie-atom oder -molekül nur mit 1 Lichtquant (oder einem ganzzahligen Vielfachen davon) in Reaktion treten kann und umgekehrt. Will man z. B. die Reaktion CLj + 57 8 kcal
2C1
erzwingen, welche die Vorbedingung für den Ablauf der Chlorknallgasreaktion ist (S. 83), so ist zur Spaltung je Mol Chlor 1 Mol Lichtquanten aufzuwenden, wobei die Energie dieser Lichtquanten h-v je Mol den Wert von 57.8 kcal überschreiten muß. Nach der obigen Tabelle ist dies bei b l a u e m (X = 4500 Ä) und k u r z w e l l i g e r e m Licht der Fall, nicht dagegen bei gelbem oder rotem Licht. So kommt es, daß die Chlorknallgasexplosion nur durch blaues oder kurzwelligeres, nicht aber durch gelbes oder rotes Licht ausgelöst wird. Ganz allgemein reichen die Quanten des sichtbaren Lichts, wie aus der Tabelle hervorgeht, für chemische Vorgänge aus, deren molarer Umsatz nicht mehr als 70 kcal erfordert. V o r a u s s e t z u n g für die c h e m i s c h e W i r k s a m k e i t e i n e r b e s t i m m t e n Lichtarfc i s t , daß sie vom r e a k t i o n s f ä h i g e n S y s t e m auch a u f g e n o m m e n („absorbiert") wird. Ein f a r b l o s e r , d. h. im sichtbaren Gebiet nicht absorbierender Stoff kann durch sichtbares Licht selbst dann nicht chemisch beeinflußt werden, wenn der Zahlen wert des Lichtäquivalents den für einen molaren Umsatz dieses Stoffes erforderlichen Energiebetrag überschreitet. Z. B. sind zur Spaltung von S i l b e r b r o m i d in Silber und Brom — einer Reaktion, die sich bei der Belichtung einer photographischen Platte abspielt — 23.7 kcal erforderlich: 23.7 kcal + AgBr
Ag + V 2 Br.2 •
Die Spaltung sollte daher gemäß der oben angeführten Tabelle schon durch ultrarotes Licht bewirkt werden können. Da aber Silberbromid, wie seine gelbe Farbe zeigt, erst im Blauen zu absorbieren beginnt (s. oben), bleibt das langwelligere Licht unwirksam. Will man die photographische Platte auch für anderes als blaues — z. B. rotes oder ultrarotes — Licht empfindlich machen, so muß man der Silberbromidschicht Farbstoffe (,,Sensibilisatoren") zufügen, welche dieses Licht zu absorbieren und dessen Energie auf das Silberbromid zu übertragen vermögen (S. 463f.). Auch bei M a t e r i e - r e a k t i o n e n — z.B. bei Umsetzungen von Gasen — treten zusammenstoßende Moleküle nicht immer dann miteinander in Reaktion, wenn ihre Energie zur Umsetzung ausreicht, sondern nur dann, wenn sie sich zugleich in einem „reaktionsbereiten" Zustand (S. 101 f.) befinden.
Die Gruppe der Halogene
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c) Das Fluor
Vorkommen. Wie das Chlor kommt auch das Fluor in der Natur n u r in F o r m v o n V e r b i n d u n g e n vor, vor allem als Flußspat C a F 2 , Kryolith A1F3 • 3 N a F = Na 3 AlF 6 und Apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • Ca(F,Cl) 2 = Ca B (P0 4 ) 3 (F,Cl). Darstellung. Zur Darstellung des Fluors kann man wie beim Chlor die Wasserstoffverbindung — hier also den F l u o r w a s s e r s t o f f H F — verwenden. D a Fluor aber wesentlich reaktionsfähiger als Chlor ist und den Wasserstoff fester als alle anderen Elemente bindet, gelingt die Zerlegung des Fluorwasserstoffs nicht wie dort auf chemischem, sondern n u r a u f e l e k t r o c h e m i s c h e m W e g e (vgl. S. 168): 128.4 kcal + 2 HP —>- H 2 + F 2 .
Als Elektrolyt ist in diesem Falle k e i n e w ä s s e r i g e Fluorwasserstofflösung brauchbar; denn Fluor entzieht selbst dem Wasser sofort den Wasserstoff: F a + H20
> 2 H F + 7a 0 S ,
so daß man bei der Elektrolyse wässeriger Lösungen kein Fluor, sondern Sauerstoff erhält. Deshalb muß man w a s s e r f r e i e n , f l ü s s i g e n F l u o r w a s s e r s t o f f verwenden, in welchem man zur Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit (flüssiger Fluorwasserstoff leitet wie Wasser den elektrischen Strom praktisch nicht) K a l i u m f l u o r i d (KF) auflöst. Auch w a s s e r f r e i e S c h m e l z e n von Salzen des Typus K F • H F (Smp. 217°) oder K F • 2 H F (Smp. 72°) oder K F • 3 H F (Smp. 66°) lassen sich zur elektrolytischen Zersetzung benutzen. Am bequemsten ist die Verwendung des letztgenannten Salzes, da dieses tiefer ff Flußspafstopfc.i als die beiden anderen Salze schmilzt, so daß die Elektrolyse bequem bei 100° durchgeführt werden kann. Fluor Hupferrohr
Zur Fluordarstellung nach diesem Verfahren benutzt man zweckmäßig ein — zugleich als Kathode dienenF/t/fcp3fsfvckchen | r-—< des — Gefäß der nebenstehenden Form (Fig. 38) aus kXJ ßinne Kupfer, Magnesium oder Monelmetall (Legierung aus flußspat-Stärka Brei Kupfer und Nickel), welches die Salzschmelze aufnimmt, in die ein Nickeldraht als Anode eintaucht. KF-3HF-Schmeke Das Elektrolysegefäß trägt oben eine Rinne, in welcher mit einem Brei aus Flußspat und Stärke drei Flußspat-N/cUe/draht stückchen eingekittet sind. Auf diesen Flußspatstücktfupferrohr (Anode) chen ruht lose ein Deckel aus Kupfer, durch den ein Kupferrohr führt. Das Kupferrohr schützt den Anodenit B & E/M / r e f a r a u m g e g e n das Eindringen von Wasserstoff und verT \ ^ (Mafhods) hütet so eine — explosionsartig vor sich gehende — -' - ! -I Vereinigung des anodisch gebildeten Fluors und kathodisch gebildeten Wasserstoffs. Die Anode ist mit einem Fig. 38. Fluordarstellung durch Flußspatstopfen im Kupferrohr befestigt. Das gebildete Schmelzelektrolyse Fluor entweicht durch ein Ansatzrohr des Kupferrohrs, der Wasserstoff unter dem Deckelrand hindurch. Alle genannten Gefäß- und Dichtungsmaterialien sind verhältnismäßig beständig gegenüber dem aggressiven Fluor. Decke/
Physikalische Eigenschaften. Das Fluor ist ein in dicker Schicht schwach grünlichgelb gefärbtes Gas von durchdringendem, äußerst angreifendem Geruch. Bei —187.9° verdichtet es sich zu einer hellgelben Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.108, welche bei —218.0° erstarrt. Chemische Eigenschaften. Fluor ist das r e a k t i o n s f ä h i g s t e aller Elemente. Mit W a s s e r s t o f f verbindet es sich — auch im Dunkeln — schon bei gewöhnlicher Temperatur unter Entzündung oder gar heftiger Explosion. S c h w e f e l und P h o s p h o r setzen sich schon bei der Temperatur der flüssigen Luft lebhaft mit Fluor um. K o h l e n s t o f f , der mit Chlor erst bei der hohen Temperatur des elektrischen Lichtbogens
Freie Halogene
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reagiert, vereinigt sich in feinverteiltem Zustande bereits bei Zimmertemperatur mit Fluor unter Flammenerscheinung. Ebenso entzünden sich z. B. die A l k a l i - und E r d a l k a l i m e t a l l e im Fluorstrom bei Raumtemperatur unter Bildung von Fluoriden des Typus MeF bzw. MeF 2 (Me = Metall). Auch sonst reagiert Fluor schon in der Kälte — lebhafter noch in der Wärme — mit allen anderen Elementen außer Sauerstoff und Stickstoff, die nur auf dem Umwege über Verbindungen oder bei elektrischer Anregung mit Fluor zur Umsetzimg gebracht werden können (S. 128f., 232f.). Manche Metalle, z . B . K u p f e r oder M a g n e s i u m , werden in der Kälte oder bei wenig erhöhter Temperatur nur oberflächlich angegriffen, da sie sich mit einer Schicht von Fluorid bedecken, welche den weiteren Angriff von Fluor verhindert. Darauf beruht die Möglichkeit, diese Metalle zum Bau von Fluor-Entwicklungsapparaten (s. oben) zu verwenden. Bei stärkerem Erhitzen erfolgt aber auch bei ihnen eine durchgreifende Reaktion. Selbst G o l d und P l a t i n werden bei Rotglut von Fluor stark angegriffen. Wegen der großen Affinität zu Wasserstoff entreißt das Fluor auch allen W a s s e r S t o f f v e r b i n d u n g e n lebhaft den Wasserstoff. Die Reaktion ist dabei weit heftiger als beim Chlor. So reagieren beispielsweise S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H2S) oder Amm o n i a k (NH a ) unter Flammenbildung: 2 N H 3 + 3F 2
N2 + 6 H F ;
ebenso wird W a s s e r lebhaft zersetzt (S. 86): H 2 0 + F 2 -—>- V 2 0 2 + 2 H F .
Bei geeigneten Yersuchsbedingungen treten bei dieser Reaktion mit Fluor auch Fluorierungsprodukte der an Wasserstoff gebundenen Elemente auf, z. B, NF 3 (S. 232) und 0 F a (S. 128). Die Chemie des Fluors ist in neuerer Zeit namentlich durch den deutschen Chemiker O T T O R U F F ( 1 8 7 1 — 1 9 3 9 ) ausgebaut worden. Die Entdeckung des Fluors ( 1 8 8 6 ) verdanken wir dem französischen Chemiker H E N R I M O I S S A N ( 1 8 5 2 — 1 9 0 7 ) .
d) Das Brom Vorkommen. Wie Fluor und Chlor kommt auch das Brom in der Natur n i c h t in f r e i e m , sondern nur in g e b u n d e n e m Zustande vor, und zwar findet es sieh gewöhnlich mit Chlor zusammen in Form analoger Verbindungen, wobei es an Menge wesentlich (1: 300) hinter diesem zurücksteht. Entdeckt wurde es im Jahre 1826 von dem französischen Chemiker A N T O I N E J E R Ö M E B A L A R D als Bestandteil des Meerwassers. Wegen seines angreifenden Geruchs nannte man es B r o m 1 . Darstellung. Brom ist w e n i g e r r e a k t i o n s f ä h i g als Chlor. Daher kann das Chlor das Brom aus seinen Verbindungen verdrängen. Läßt man z. B. Chlor auf eine Lösung von Kaliumbromid einwirken, so wird unter Bildung von Kaliumchlorid Brom in Freiheit gesetzt: 2KBr + Cl2 — 2 KCl + Br 2 .
Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Brom nach diesem Verfahren benutzt man als Ausgangsbromid hauptsächlich das Doppelsalz KBr • MgBr 2 • 6 H 2 0 (Bromcarnallit), weil sich das Brom in dieser Form in größerer Menge in den Endlaugen {„Mutterlaugen") der Kaliumchloridgewinnung (S. 430) vorfindet: MgBr, + Clg — > MgCl2 + Br2 . Man verfährt dabei so, daß man diese bromhaltigen Endlaugen durch einen mit Zwischenböden versehenen „Abtreibturm" herabrieseln läßt und von unten her einen Chlorstrom entgegenleitet, welcher sich mit der Mutterlauge innig vermischt und das Brom austreibt. Das gewonnene Rohbrom enthält stets ein wenig Chlor, das durch Abdestillieren des Rohbroms über festem Kaliumbromid in Brom übergeführt und so entfernt werden kann (Cl 2 +2KBr-> 2KC1+Br 2 ). 1
bromos (ßpconoj) = Gestank.
Die Gruppe der Halogene
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Im übrigen können zur Darstellung des Broms die gleichen Methoden angewendet werden wie beim Chlor. Beispielsweise läßt sich im Laboratorium Brom leicht durch Einwirkung von Schwefelsäure und Braunstein auf Kaliumbromid gewinnen: 4HBr + Mn0 2
MnBr2 + 2H 2 0 + Br2 .
Physikalische Eigenschaften. Brom ist neben Quecksilberdas einzige bei gewöhnlicher Temperatur f l ü s s i g e Element. E s siedet bei 58.8°, erstarrt bei —7.3° und stellt eine tiefbraune, lebhaft rotbraune Dämpfe entwickelnde, schwere, erstickend riechende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 3.119 (20°) dar. Mit fallender Temperatur hellt sich seine Farbe auf (vgl. S. 65), und bei 20° abs. (— 253° C) ist es orange. Eingeatmet rufen seine Dämpfe eine starke Reizung der Schleimhäute und Entzündungserscheinungen hervor. In Wasser ist Brom löslich (3.55 g in 100 g Wasser bei 20°). Die entstehende, 1 / 4 -molare Lösung {„Bromwasser") verhält sich wie Chlorwasser, zerfällt also im direkten Sonnenlicht unter Bildung von BromWasserstoffsäure und Sauerstoff: H 2 0 + Br2 — > 2HBr + 7 2 0 2 .
Chemische Eigenschaften. Die chemischen Eigenschaften des B r o m s sind denen des C h l o r s analog, nur reagiert Brom w e n i g e r e n e r g i s c h . Während z.B. das Chlor sich im Licht bereits bei gewöhnlicher Temperatur mit W a s s e r s t o f f verbindet, ist dies beim Brom nicht der Fall. Immerhin ist sein Verbindungsbestreben im flüssigen, also konzentrierten Zustand noch recht stark. Wirft man z. B. A r s e n - oder A n t i m o n p u l v e r auf flüssiges Brom, so erfolgt wie beim Chlor Vereinigung unter Feuerer scheinung. Ebenso kann Brom wie Chlor verschiedenen W a s s e r s t o f f V e r b i n d u n g e n den Wasserstoff entziehen. So benutzt man z. B. die Reaktion von Brom mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zur Bromwasserstoffdarstellung (S. 99, 193): H 2 S + Br2
2HBr + S.
Bemerkenswert ist, daß von den Alkalimetallen das N a t r i u m selbst bei 200° von Brom nur schwach angegriffen wird, während das im Periodensystem darunterstehende K a l i u m mit Brom explosionsartig reagiert. I n analoger Weise setzt sich das Kalium auch mit W a s s e r weit heftiger um als das Natrium. Während also in der rechten Hälfte des Periodensystems die Reaktionsfähigkeit der Hauptgruppen-Elemente in der Richtung von unten nach oben zunimmt (Brom —>- Chlor), ist dies bei den links im Periodensystem stehenden Hauptgruppen-Elementen in der Richtung von oben nach unten (Natrium — K a l i u m ) der Fall.
e) Das Jod Vorkommen. Die Hauptquelle für die technische Gewinnung von J o d bilden die Mutterlaugen des C h i l e s a l p e t e r s (S.426f.), die das J o d in der Form v o n N a t r i u m j o d a t (NaJ0 3 ) enthalten. Ferner enthält die durch Verbrennen von T a n g ( M e e r e s a l g e n ) gewonnene Asche Jodide, da diese Algen das im Meerwasser — hauptsächlich in organischer Bindung — vorhandene J o d (0.0002°/ 0 ) anreichern. I n solcher Asche wurde auch das J o d im J a h r e 1 8 1 1 von dem Pariser Salpetersieder BERNARD COURTOIS entdeckt. Die elementare N a t u r des Jods wurde allerdings erst 1 8 1 5 von GAY-LUSSAC (S. 17) erkannt, der es nach der violetten Farbe seines Dampfes benannte 1 . Darstellung. Aus den Jodiden der A s c h e v o n M e e r e s a l g e n kann das J o d wie das Chlor aus Chloriden durch Elektrolyse oder durch Erhitzen mit Braunstein und Schwefelsäure gewonnen werden. Die Hauptmenge des Jods wird aber heute aus dem N a t r i u m j o d a t d e r C h i l e s a l p e t e r - M u t t e r l a u g e n dargestellt. Zu diesem Zweck wird die dem Natriumjodat (NaJOg) zugrundeliegende Jodsäure (HJO s ) durch s c h w e f l i g e S ä u r e (H 2 S0 3 ) zu Jodwasserstoffsäure (HJ) reduziert: 1
ioeides (¡COEISI1);) = veilchenfarbig.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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H J 0 3 + 3 H 2 SO s — > - H J + 3 H 2 S 0 4 .
(1)
Zur Rückoxydation dieses Jodwasserstoffs zu Jod bedarf es in diesem Falle keines besonderen Oxydationsmittels wie Braunstein oder Chlor, da die in der Lösung vorhandene Jodsäure den Jodwasserstoff zu Jod zu oxydieren vermag: HJ03 + 5 H J — > • 3H20 + 3 J2.
(2)
Gibt man daher nur 5 / 6 der nach Gleichung (1) erforderlichen Menge an schwefliger Säure zu, so daß je Mol gebildeten Jodwasserstoffs 1 / s Mol Jodsäure unangegriffen zurückbleibt — wie dies Gleichung (2) verlangt —, so erhält man direkt das gewünschte J o d : 2HJO3 + 5 H 2 S 0 3
5H2S04 + Ha0 + J2.
Physikalische Eigenschaften. Jod ist bei gewöhnlicher Temperatur fest und bildet grauschwarze, metallglänzende Schuppen vom spezifischen Gewicht 4.942. Es schmilzt bei 113.7° zu einer braunen Flüssigkeit und siedet bei 184.5° unter Bildung eines violetten Dampfes. Trotz des verhältnismäßig hohen Siedepunktes ist Jod schon bei Zimmertemperatur merklich flüchtig; bei Temperaturerhöhung nimmt die Verflüchtigung des Jods stark zu, so daß es — falls man nicht zu schnell erhitzt — zu sublimieren pflegt, bevor es schmilzt. Man benutzt die Sublimation zur Reinigung des Jods. I n Wasser löst sich Jod nur in sehr geringen Mengen (1: 5500 bei 10°) und mit schwach bräunlichgelber Farbe („Jodwasser", 1 / 1000 -molar). Leichtlöslich ist es dagegen mit dunkelbrauner Farbe in wässerigen Lösungen von Kaliumjodid und Jodwasserstoff; dabei bilden sich die Anlagerungsverbindungen K J • J 2 und H J • J a . Auch in zahlreichen organischen Lösungsmitteln wie Alkohol (10°/0ige Lösung: „Jodtinktur"), Äther und Aceton löst es sich leicht mit b r a u n e r Farbe. Andere organische Lösungsmittel wie Schwefelkohlenstoff (CS2), Chloroform (CHC13) und Tetrachlorkohlenstoff (CC14) lösen das Jod mit v i o l e t t e r Farbe. In diesen violetten Lösungen ist das Jod in Form von J 2 -Molekülen gelöst, während die braunen Lösungen Verbindungen des Jods mit dem Lösungsmittel enthalten. Chemische Eigenschaften. Das J o d ist in seinen chemischen Eigenschaften dem C h l o r und B r o m sehr ähnlich, nur reagiert es w e i t w e n i g e r h e f t i g als diese. Direkt und lebhaft verbindet es sich z. B. mit den Elementen S c h w e f e l , P h o s p h o r , E i s e n und Q u e c k s i l b e r . Dagegen ist z. B. die Tendenz zur Vereinigung mit W a s s e r s t o f f so gering, daß der Jodwasserstoff beim Erwärmen leicht bis zu einem bestimmten Gleichgewicht in Jod und Wasserstoff zerfällt (S. 100). Charakteristisch für Jod ist die beim Zusammenbringen mit S t ä r k e l ö s u n g auftretende i n t e n s i v e B l a u f ä r b u n g . Durch diese „Jodstärke-reaktion" lassen sich geringste Jodmengen nachweisen. Die Färbung, die auf der Bildung einer Einschlußverbindung (vgl. S. 74f.) zwischen Jod und Stärke beruht, verschwindet beim Erwärmen und tritt — falls nicht zu lange erwärmt wurde — beim Abkühlen wieder auf.
2. W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n d e r H a l o g e n e a) Chlorwasserstoff a) Darstellung Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlorwasserstoff dienen in der Hauptsache zwei Verfahren. Das eine geht von K o c h s a l z , das andere von den E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor aus. Aus Kochsalz. Läßt man auf K o c h s a l z bei erhöhter Temperatur konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e einwirken, so erfolgt in 2 Stufen ein Austausch des Natriums im Natriumchlorid durch den Wasserstoff der Schwefelsäure (,,Sulfat-Salzsäure-Prozeß"):
90
Die Gruppe der Halogene NaCl + H 2 S 0 4 NaCl + N a H S 0 4
80
-v HCl + N a H S 0 4 (Natriumhydrogensulfat) °V HCl + N a 2 S 0 4 (Natriumsulfat)
2NaCl + H 2 S 0 4 — ^ 2HCl + N a 2 S 0 4 .
(1) (2) (3)
Beide Stufen können auch e i n z e l n — als „Berliner Salzsäureverfahren" (1) und „Mannheimer Salzsäureverfahren" (2) — zur Chlorwasserstofferzeugung herangezogen werden. Ein Großteil des in der T e c h n i k hergestellten Chlorwasserstoffs wird nach diesem Chlorid-Schwefelsäure-Verfahren gewonnen, das zugleich auch die gebräuchlichste L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Chlorwasserstoffgewinnung darstellt. Aus den Elementen. Besonders reinen Chlorwasserstoff erhält man durch S y n t h e s e a u s d e n E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor, die ihrerseits neben Alkalilauge bei der Chloralkali-Elektrolyse (S. 82) erhalten werden: H2 + Cls — >- 2 HCl + 43.8 kcal. In der Technik benutzt man zu dieser Chlorwasserstoffsynthese einen im Prinzip dem DANiELLSchen H a h n (S. 43) entsprechenden, aus zwei ineinander gesteckten Rohren bestehenden Q u a r z b r e n n e r . Durch das innere Rohr strömt das Chlor, durch den Mantelraum der Wasserstoff. Das Chlor brennt dann ganz ruhig im Wasserstoff, ohne daß es zu einer Chlorknallgas-Explosion (S. 83) kommt. An Stelle von Wasserstoff können auch Wasserstoffverbindungen (z. B. Kohlenwasserstoffe; vgl. S. 83) verwendet werden. So fallen in der Technik große Mengen von Chlorwasserstoff bei der Chlorierung organischer Verbindungen an. ß) Eigenschaften Chlorwasserstoff ist ein farbloses Gas von stechendem Geruch, das sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten läßt (kritische Temperatur: 51.3°). Flüssiger Chlorwasserstoff siedet bei —85.05° und erstarrt bei —114.22°. Bemerkenswert ist die außerordentlich große Löslichkeit des Chlorwasserstoffs in Wasser. 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 507 Raumteile Chlorwasserstoffgas von Atmosphärendruck. Die wässerige Lösung führt den Namen C h l o r w a s s e r s t o f f s ä u r e oder Salzsäure. Sie wird technisch in sehr großem Maßstabe hergestellt. Eine bei 15° an Chlorwasserstoff gesättigte wässerige Lösung ist ,,42.7°/ 0 ig", d. h. sie enthält 42.7 Gewichtsteile Chlorwasserstoff in 100 Gewichtsteilen Lösung; ihr spezifisches Gewicht beträgt 1.21. Verdünntere Salzsäuren haben kleinere spezifische Gewichte. Es besteht dabei ein zufälliger Zusammenhang zwischen Prozentgehalt und spezifischem Gewicht derart, daß die beiden ersten Stellen nach dem Komma des spezifischen Gewichts (d) verdoppelt den Prozentgehalt (°/0) ergeben ( % = 200 [d—1]): spez. Gewicht: Prozentgehalt:
1.06 12
1.12 24
1.16 32
1.19 38 .
Die „konzentrierte Salzsäure" des Handels hat meist das spezifische Gewicht 1.19. Sie raucht stark an feuchter Luft und wird daher auch „rauchende Salzsäure" genannt. Ebenso raucht auch das Chlorwasserstoffgas stark an feuchter Luft, indem es mit dem Wasserdampf der Luft Nebel von Salzsäuretröpfehen bildet. Erhitzt man eine k o n z e n t r i e r t e Salzsäurelösung, so gibt sie — während der Siedepunkt steigt — zunächst weit mehr Chlorwasserstoff als Wasserdampf ab, so daß die Lösung an Chlorwasserstoff verarmt. Mit fortschreitender Destillation nimmt der Wasserdampfgehalt des abgegebenen Dampfes zu, bis schließlich bei 110° der Dampf dieselbe Zusammensetzung erreicht wie die — inzwischen verdünnter gewordene — Lösung (20°/0 HCl, 80°/0 H 2 0). Von hier ab geht dann o h n e Ä n d e r u n g d e r S i e d e t e m p e r a t u r dieses Gemisch k o n s t a n t e r Z u s a m m e n s e t z u n g (,,azeotropes Gemisch") über. Zu der gleichen Lösung von 2 0 % HCl und 8 0 % H 2 0 gelangt man, wenn man eine v e r d ü n n t e Salzsäure der Destillation unterwirft; in diesem Falle enthält der entstehende Dampf zunächst mehr Wasser als die Lösung.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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b) Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n v o n r e i n e m , w a s s e r f r e i e m C h l o r w a s s e r s t o f f sind ganz andere als die seiner w ä s s e r i g e n L ö s u n g . So löst z. B. die wässerige Lösung Zink, Eisen und viele andere Metalle unter Entwicklung von Wasserstoff auf (vgl. S. 39): Zn + 2HC1 —>- ZnCl2 + H 2 und rötet blaues Lackmuspapier, während weder der reine verflüssigte Chlorwasserstoff noch das reine flüssige Wasser diese Reaktionen geben. Gleiches gilt von den p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n . So leitet z . B . die wässerige Lösung gut den elektrischen Strom unter Bildung von Chlor am positiven und Wasserstoff am negativen Pol, während reiner Chlorwasserstoff und reines Wasser praktisch Nichtleiter sind. Der Chlorwasserstoff muß sich demnach in der wässerigen Lösung irgendwie verändert haben. a) Qualitative Beziehungen Welcher Art diese Veränderimg ist, ergibt sich bei einer Bestimmung des Molek u l a r g e w i c h t s des gelösten Chlorwasserstoffs, z. B. nach der Gefrierpunktsmethode. Es stellt sich dabei nämlich heraus, daß die Gefrierpunktserniedrigung At der wässerigen Lösung rund doppelt so groß ist, als sie sich gemäß der Gleichung At = E • n (S. 58) aus der Molmenge n des aufgelösten Chlorwasserstoffs — bei Zugrundelegung des Molekulargewichts 36.5 — errechnet. Das bedeutet, daß die Lösung doppelt so viele (2 n) Teilchen enthält, als der aufgelösten Zahl (n) von Chlorwasserstoffmolekülen entspricht. Jedes Chlorwasserstoffmolekül muß sich also in der wässerigen Lösung in zwei Teilchen aufgespalten haben. Diese beiden Teilchen können nach der Formel nur das W a s s e r s t o f f - und das C h l o r a t o m sein. Die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der Lösung zeigt andererseits, daß die beiden Teilchen e l e k t r i s c h g e l a d e n sind, und zwar wandern bei der elektrischen Stromleitung die Chlorteilchen zur positiv geladenen und die Wasserstoffteilchen zur negativ geladenen Elektrode (vgl. Fig. 39, S. 93), was eine negative Aufladung der Chloratome und eine positive Aufladung der Wasserstoffatome nahelegt. Somit sprechen alle Anzeichen für die Annahme einer Spaltung ungeladener Chlorwasserstoffmoleküle in positiv geladene Wasserstoffteilchen (Symbol: H + oder H") und negativ geladene Chlorteilchen (Symbol: CT oder CT): HCl
H+ + C r
oder
HCl
H' + Cl'.
Die Spaltung wird „elektrolytische Dissoziation" genannt. Warum sie erst beim Auflösen in Wasser erfolgt, werden wir später (S. 151 f.) erfahren; hier wollen wir uns mit der Vorstellung begnügen, daß sich das Wasser als „Dielektrikum" (Wasser hat eine große Dielektrizitätskonstante) zwischen die geladenen Bestandteile des Chlorwasserstoffmoleküls schiebt und diese dadurch voneinander trennt. Die Erscheinung der elektrolytischen Dissoziation ist nicht auf die Salzsäure beschränkt, sondern a l l g e m e i n e r A r t . Zahlreiche Verbindungen erleiden in wässeriger Lösung eine derartige Spaltung in geladene Teilchen. Es war daher zweckmäßig, für letztere einen besonderen Namen — den Namen „Ionen"1 — einzuführen, und zwar nennt man die positiv geladenen Teilchen „Kationen", weil sie bei der Elektrolyse zur negativen K a t h o d e wandern, und die negativ geladenen Teilchen „Anionen", weil sie von der positiven A n o d e angezogen werden. Unter den elektrolytisch dissoziierenden chemischen Stoffen — die man auch unter der Bezeichnung „Elektrolyte" zusammenfaßt — lassen sich drei große Gruppen unterscheiden: die „Säuren", die „Basen" und die „Salze". 1
ion (tcov) = wandernd.
Die Gruppe der Halogene
92
Unter Säuren versteht man solche Stoffe, die wie der Chlorwasserstoff i n w ä s s e r i g e r L ö s u n g p o s i t i v g e l a d e n e W a s s e r s t o f f - i o n e n b i l d e n . Beispiele für solche Säuren sind etwa die S a l p e t e r s ä u r e (HN0 3 ), die S c h w e f e l s ä u r e (H 2 S0 4 ) und die P h o s p h o r s ä u r e (H 3 P0 4 ) : HN0 3 H" + NO/ H 2 S 0 4 ^ = ^ 2 H - + S0 4 " H 3 P 0 4 ^ 1 3 H - + P04"\ Die bei der Dissoziation auftretenden W a s s e r s t o f f - i o n e n (vgl. hierzu S. 151 f. und 174ff.) bedingen den s a u r e n G e s c h m a c k der Säuren (daher ihr Name) und färben ein in die Lösung eingetauchtes b l a u e s L a c k m u s p a p i e r („Reagens auf Säuren") rot. Das Gegenstück zu den Säuren bilden die Basen, welche die Eigenschaft haben, umgekehrt r o t e s L a c k m u s p a p i e r („Reagens auf Basen") zu bläuen. Diese Blaufärbung sowie der l a u g e n h a f t e G e s c h m a c k der Basen wird durch negativ geladene H y d r o x y l - i o n e n (OH') bedingt, und man definiert dementsprechend Basen als Stoffe, die i n w ä s s e r i g e r L ö s u n g n e g a t i v g e l a d e n e H y d r o x y l - i o n e n b i l d e n (vgl. hierzu S. 152 und 174ff.). Beispiele hierfür sind das N a t r i u m h y d r o x y d N a O H (wässerige Lösung: N a t r o n l a u g e ) , das C a l c i u m h y d r o x y d Ca(OH) 2 (wässerige Lösung: K a l k w a s s e r ) und das A l u m i n i u m h y d r o x y d A1(0H) 3 : NaOH T ~ N a - + OH' Ca(OH) 2 ^I±:Ca" + 2 OH' Al(OH)3 AI'" + 3 OH'. Die Salze schließlich leiten sich von den Säuren durch Ersatz des W a s s e r s t o f f s durch einen positiven B a s e r e s t und von den Basen durch Ersatz des H y d r o x y l s durch einen negativen S ä u r e r e s t ab und dissoziieren dementsprechend in wässeriger Lösung in B a s e - K a t i o n e n und S ä u r e - A n i o n e n . Als Beispiele seien etwa angef ü h r t : N a t r i u m n i t r a t N a N 0 3 , C a l c i u m n i t r a t Ca(N0 3 ) 2 , A l u m i n i u m n i t r a t A1(N0 3 ) 3 , N a t r i u m s u l f a t N a 2 S 0 4 , C a l c i u m s u l f a t CaS0 4 , A l u m i n i u m s u l f a t A1 2 (S0 4 ) 3 , N a t r i u m p h o s p h a t N a 3 P 0 4 , C a l c i u m p h o s p h a t Ca 3 (P0 4 ) 2 und A l u m i n i u m p h o s p h a t A1P0 4 : NaN0 3 Na" + N0 3 ' Ca(N03)2 Ca" + 2N0 3 ' Na 2 S0 4 2 Na + S0 4 " CaS0 4 Ca" + S0 4 ". Die verschiedene stöchiometrische Zusammensetzung der Salze wird dabei durch die Anzahl der positiven und negativen Ladungen der Kationen und Anionen bedingt, da deren Vereinigung ja elektroneutrale Moleküle ergeben muß. J e nach der Zahl der durch Base-Kationen ersetzbaren Wasserstoffatome spricht m a n v o n „einbasigen",
„zweibasigen",
„dreibasigen"1
(oder
,,einwertigen",,,zweiwertigen"
usw.) Säuren ; Salpetersäure ist danach eine einbasige, Phosphorsäure eine dreibasige Säure. I n gleicher Weise unterscheidet man je nach der Zahl der durch Säure-Anionen ersetzbaren Hydroxylgruppen „einsäurige", „zweisäurige", „dreisäurige" (oder ,,einwertige'", „zweiwertige" usw.) Basen. Sind nicht alle Wasserstoffatome einer mehrbasigen Säure durch Base-Kationen bzw. nicht alle Hydroxylgruppen einer mehrsäurigen Base durch Säure-Anionen ersetzt, so spricht man von „sauren" (,,Hydrogen"-, „Bi"-) bzw. „basischen" („Hydroxy"-)SSü\z&a.\ z. B. N a H S 0 4 : „saures Natriumsulfat" („Natriumhydrogensulfat", „Natriumbisulfat"), A1(0H)S0 4 : „basisches Aluminiumsulfat" („Aluminiumhydroxysulfat"). — D i e Theorie der elektrolytischen Dissoziation („Ionenlehre") w u r d e v o n d e m schwedischen P h y s i k o c h e m i k e r SVANTE ARRHENIÜS (1859—1927) i m J a h r e 1884 a u f g e s t e l l t .
Häufig sprachlich unrichtig als einbasisch, zweibasisch usw. bezeichnet.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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Die Annahme einer elektrolytischen Dissoziation stieß anfangs auf vielfachen Widerspruch, da man den Unterschied zwischen A t o m e n und I o n e n nicht genügend beachtete. So wurde beispielsweise der Einwand gemacht, daß in Kaliumjodidlösungen (KJ) — welche farblos und beständig sind — kein freies Kalium und kein freies Jod vorhanden sein könne, weil Kalium Wasser sofort unter Wasserstoffentwicklung zersetzt (S. 37 f.) und Jodlösungen braungelb sind (S. 89). Hierzu ist zu bemerken, daß die Lösung nach der Ionenlehre ja gar keine freien Kaliumund J o d - a t o m e , sondern freie Kalium- und Jod-ionen enthält, die infolge ihrer elektrischen Ladung einen a n d e r e n E n e r g i e - i n h a l t als die Atome besitzen und sich daher auch c h e m i s c h u n d p h y s i k a l i s c h a n d e r s als diese verhalten müssen. Die neuere Theorie des Atombaus hat diese Ansicht vollständig bestätigt, und wir werden später (S. 147) den Unterschied zwischen Atomen und Ionen noch näher kennenlernen.
Die bisherigen Betrachtungen waren mehr q u a l i t a t i v e r Art. I m folgenden wenden wir uns den q u a n t i t a t i v e n Beziehungen zu und betrachten speziell die Größe der elektrischen I o n e n l a d u n g und den D i s s o z i a t i o n s g r a d von Elektrolyten. ß) Quantitative Beziehungen Ionenladung Taucht man in eine wässerige Salzsäurelösung zwei Platinelektroden ein und legt an die Elektroden eine elektrische Spannung an, so wandern (Fig. 39) die Wasserstoffionen zur negativen und die Chlor-ionen zur positiven Elektrode, wo dann eine E n t l a d u n g zu freiem Wasserstoff bzw. Chlor erfolgt. Die a b g e s c h i e d e n e n M e n g e n Wasserstoff und Chlor entsprechen dabei einer von dem englischen Naturforscher M I C H A E L F A R A D A Y (1791—1867) im Jahre 1834 aufgefundenen und unter dem Namen „1. FARADAYsches Gesetz" bekannten Gesetzmäßigkeit: Die Gewichtsmenge eines elektrolytisch gebildeten Stoffs ist der durch den Elektrolyten geflossenen Elektrizitätsmenge direkt proportional, ^ ' M ^ 0 ^ Schickt man also z. B. doppelt soviel elektrischen + Strom durch eine Salzsäurelösung, so wird auch Wasserstoff Chtor doppelt soviel Wasserstoff an der Kathode und doppelt soviel Chlor an der Anode gebildet. Daraus geht hervor, daß alle Wasserstoff-ionen bzw. alle Chlor-ionen eine gleich große positive bzw. -H+ CI-negative Ladung tragen. Vergleicht man weiter die Mengen gebildeten , Wasserstoffs und Chlors m i t e i n a n d e r , so stellt man Salzsäure fest, daß auf 1 Grammatom (1.008g) Wasserstoff jeFig. 39. Elektrolyse von Salzsäure weils auch 1 Grammatom (35.457 g) Chlor entsteht. Somit unterscheiden sich die Ladungen des Wasserstoff-und Chlor-ions n u r i m V o r z e i c h e n , n i c h t a b e r in d e r G r ö ß e voneinander, was ja auch schon daraus folgt, daß das Chlorwasserstoffmolekül HCl nach außen hin neutral ist. Wie groß die elektrische Ladung eines einzelnen Wasserstoff- oder Chlor-ions (das „elektrische Elementarquantum") ist, ergibt sich aus dem experimentellen Befund, daß zur Abscheidung eines Grammatoms — d. h. von 6.022 X10 23 Atomen — Wasserstoff bzw. Chlor eine Elektrizitätsmenge von 96490 Coulomb (Ampere-Sekunden) = 26.803 Ampere-Stunden („2 Faraday") erforderlich ist. Jedes W a s s e r s t o f f - bzw. C h l o r - i o n trägt danach e i n e E l e m e n t a r l a d u n g von 96490: (6.022 X 1023) = 1.602 x 10" 19 Coulomb (vgl. S. 136), im einen Falle mit positivem, im anderen mit negativem Vorzeichen. Nimmt man statt Salzsäure Schwefelsäure, so sind auch hier zur Abscheidung eines Grammatoms Wasserstoff 96490 Coulomb erforderlich. Die Wasserstoffatome der Schwefelsäure tragen somit die gleiche Elementarladung von 1.602 XlO - 1 9 Coulomb wie in der Salzsäure. Daher müssen die S u l f a t - i o n e n (S0 4 ") der Schwefelsäure z w e i solche Ladungen aufweisen, da nur dann das ganze Molekül H 2 S 0 4 nach außen hin
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Die Gruppe der Halogene
neutral ist. In der Tat sind zur Entladung eines Mols Sulfat-ionen 2 X96490 Coulomb erforderlich 1 ; und entsprechend müssen bei der Elektrolyse z. B. einer wässerigen Kupfersulfatlösung (CuS0 4 Cu" + SO " ) zur kathodischen Abscheidung von 1 Grammatom K u p f e r 2 X 96490 Coulomb aufgewandt werden. Indem man nun das durch die Zahl der Ladungen dividierte Formelgewicht eines Ions, d. h. den auf 1 Einheitsladung entfallenden Gewichtsanteil als „Äquivalentgewicht" (S. 161) des Ions bezeichnet, lassen sich diese experimentellen Befunde in einfacher Weise durch das ,,2.F,VRADAYSChe Gesetz" zum Ausdruck bringen: Die durch gleiche Elektrizitätsmengen abgeschiedenen Gewichtsmengen chemischer Stoffe verhalten sich wie deren Äquivalentgewichte. In Übereinstimmung mit diesem Gesetz wird die Einheit der elektrischen S t r o m m e n g e , das „Coulomb", als diejenige Elektrizitätsmenge definiert, die zur elektrolytischen Abscheidung von 1/F = 1/96490 Grammäquivalent eines Stoffes (z. B. von 107.880/96490 = 0.001118 g Silber aus einer Silbersalzlösung) erforderlich ist (vgl. S.93). Eine S t r o m s t ä r k e von 1 Coulomb/Sekunde wird als 1 „Ampere" bezeichnet. Die beiden F A R A D A Y s c h e n Gesetze sind ohne Annahme einer a t o m i s t i s c h e n Struktur der E l e k t r i z i t ä t nicht zu deuten. In derselben Weise, in der die s t ö c h i o m e t r i s c h e n Gew i c h t s g e s e t z e zur Entwicklung einer A t o m t h e o r i e für die M a t e r i e zwangen, führten daher die s t ö c h i o m e t r i s c h e n E l e k t r i z i t ä t s g e s e t z e zwangsläufig zur Aufstellung einer A t o m t h e o r i e für die E l e k t r i z i t ä t . Den ersten Schritt hierzu tat im Jahre 1881 der deutsche Natur-
f o r s c h e r HERMANN V. HELMHOLTZ ( 1 8 2 1 — 1 8 9 4 ) .
Dissoziationsgrad Ein Elektrolyt kann praktisch v o l l s t ä n d i g oder t e i l w e i s e oder praktisch überh a u p t n i c h t in Ionen gespalten sein, d. h. das Gleichgewicht (vgl. S. lOOff.) BA K + A' (B' = Kation; A' = Anion) kann mehr oder weniger nach rechts oder links verschoben sein. Dementsprechend unterscheidet man starke, mittelstarke und schwache Elektrolyte (vgl. S. 107). Die S a l z s ä u r e HCl ist z. B. eine s t a r k e S ä u r e , da sie in wässeriger Lösung praktisch vollkommen in Ionen dissoziiert ist; die B l a u s ä u r e HCN wird dagegen als s c h w a c h e S ä u r e bezeichnet, da sie in wässeriger Lösung weitgehend in Form undissoziierter HCN-Moleküle vorhegt. Die Stärke eines Elektrolyten pflegt man durch den sogenannten „Dissoziationsgrad" a auszudrücken, welcher angibt, welcher B r u c h t e i l (oc ^ 1) der insgesamt gelösten Moleküle des Elektrolyten in Ionen dissoziiert ist (vgl. S. 107). Dieser Dissoziationsgrad läßt sich nach verschiedenen Methoden ermitteln. Eine einfache Methode ist die Messung des o s m o t i s c h e n D r u c k s P bzw. der — diesem Druck proportionalen — S i e d e p u n k t s e r h ö h u n g oder G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g At. Denn diese Größen ermöglichen ja gemäß den Beziehungen P - V = n • R • T (S. 54) bzw. At = E • n (S. 58) die Ermittlung der in einer untersuchten Lösung vorhandenen Gesamt-Molzahl n. Diese Zahl n hängt ihrerseits aber — wenn die Anzahl Mole des gelösten Elektrolyten vor der D i s s o z i a t i o n mit m und die Zahl der bei der D i s s o z i a t i o n je Molekül entstehenden I o n e n mit z bezeichnet wird — mit dem Dissoziationsgrad oc durch die Gleichung bzw-
n = m(l — »)-{-z-m-oi
= m-\-m(z — 1) a
1 Die entladenen Sulfat-ionen sind nicht beständig, sondern reagieren gleich mit dem Wasser in sekundärer Reaktion unter Bildung von Sauerstoff und Rückbildung von Schwefelsäure: SOj + H 2 0 —>- H 2 S 0 4 + VjOz- Hierauf ist die früher erwähnte (S. 13) Sauerstoffentwicklung bei der Elektrolyse von schwefelsäurehaltigem Wasser zurückzuführen.
Waaserstoffverbindungen der Halogene
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zusammen, da m Mole eines Elektrolyten bei der Dissoziation m (1 — 0.01) und s.arke solche, die praktisch 1000/oig (a — 1) dissoziiert sind. Dissoziationsgrad a und Dissoziationskonstante K hängen bei einem in zwei Ionen zerfallenden („binären") Elektrolyten durch die Gleichung = K
'
V
(14)
(„OSTWALDschcs Verdünnungsgesetz") zusammen, worin v das Volumen in Litern darstellt, in dem 1 Mol des Elektrolyten gelöst ist. Denn wenn von 1 Mol des Elektrolyten BA der Definition von H-Intervall {pK = px ± 1) eine HA (K = 10~°) in Abhängigkeit vom p H -Wert große Änderung des MolVerhältnisses HA /A" (10: 1 bis 1 : 10). Diesen Umstand nutzt man im Laboratorium einerseits bei den sogenannten „Indikatoren" und andererseits bei den sogenannten „Puffergemischen" aus. Indikatoren sind schwache Säuren (analoges gilt für Basen), bei denen AH eine a n d e r e F a r b e besitzt als A - , z. B . : HA ^ ^ (rot)
H+ + A" . (gelb)
Ändert man daher in einer mit etwas Indikator versetzten Lösung die Wasserstoffionenkonzentration (z.B. bei der Neutralisation; S. 116ff.), so beobachtet man in einem bestimmten „Umschlagsbereich" {pu ~ Pk i^-) einen Umschlag der Indikatorfarbe, da hier (vgl. schräg schraffiertes Gebiet in Fig. 41) die Mischfarbe des HA-A - -Gemisches auftritt, während außerhalb dieses Gebietes wegen des starken Überwiegens der einen Farbkomponente die Farbe als reine Farbe von HA bzw. A~ empfunden wird. Auf diese Weise kann man mit Hilfe von Indikatoren 1 den />H-Wert einer Lösung ermitteln. Puffergemische sind Substanzgemische, deren pn-Weit in wässerigen Lösungen recht u n e m p f i n d l i c h gegen S ä u r e - oder B a s e z u s a t z ist. Nach Fig. 41 lassen sich äquimolekulare Mischungen schwacher Säuren HA und ihrer Alkalisalze A~ (analoges gilt 1
indicare = anzeigen.
110
Die Gruppe der Halogene
von den Basen) gut als solche Puffergemische verwenden. Denn g r o ß e Ä n d e r u n g e n i m Molverhältnis HA/A - (Neutralisation von HA durch Basezusatz: HA -f- OH —>- A~ + H 2 0 ; Bildung von HA durch Säurezusatz: A" + H + — H A ) haben in dem schraffierten Gebiet nur eine g e r i n g e Ä n d e r u n g des pn-Wertes zur Folge. Erwähnt sei zum Schluß noch das D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t des W a s s e r s : HÖH < > H + + OH - . Die Dissoziationskonstante K hat hier bei 25° den außerordentlich kleinen Wert C
HJ0
Hierin ist die Konzentration c Hj o des Wassers — die wegen des äußerst geringen Dissoziationsgrades praktisch der Gesamtkonzentration an Wasser gleichkommt — bei r e i n e m W a s s e r gleich 9971: 18 = 55.3 Mole/Liter, während sie in v e r d ü n n t e n w ä s s e r i g e n L ö s u n g e n , bei denen 1 Liter etwas mehr oder etwas weniger als 997 g Wasser enthalten kann, ein wenig, aber nicht viel von 55.3 verschieden ist. Man pflegt daher diese praktisch konstante Größe mit der Dissoziationskonstante K zusammenzuziehen (55.3 X 1.8 x l O - 1 8 = 1.0 XlO -14 ) und kommt so zu der Beziehung ch+ " "OH- = km = 10- 1 4 ,
(15)
die man als „Ionenprodukt des Wassers" (bei 25°) bezeichnet. In reinem, neutralem Wasser, welches äquivalente Mengen an Wasserstoff- und Hydroxyl-ionen enthält {„Neutralpunkt"), beträgt die Wasserstoffionen- ( = Hydroxylionen-)konzentration danach 10~7, entsprechend einem />H-Wert (^ 0H -Wert) von 7 (— log 10 -7 =7). 1 Liter ( = 1 kg) Wasser enthält hiernach nur 1/100oo mg freie Wasserstoffionen. Ist die Wasserstoffionen-konzentration größer als 10 -7 , so ist die Hydroxylionen-konzentration gemäß (15) kleiner als 10~7 und umgekehrt. S a u r e L ö s u n g e n sind also bei 25° C2 durch die Bedingung c I t - > 10 -7 bzw. < 7, a l k a l i s c h e L ö s u n g e n durch die Bedingung cH+ < 10 -7 bzw. /;H > 7 charakterisiert. Entsprechend dem außerordentlich kleinen Wert des Ionenprodukts des Wassers können in einer wässerigen Lösung niemals g r ö ß e r e Mengen an Wasserstoff- und Hydroxyl-ionen g l e i c h z e i t i g nebeneinander bestehen. Gibt man daher eine Säure und eine Base zusammen, so wird — falls die beiden nicht sehr schwach, d. h. außerordentlich wenig dissoziiert sind — der im Unterschuß vorhandene Partner praktisch quantitativ gemäß H + + O H - — H 2 0 neutralisiert (S. 96).
c) Die Beschleunigung der Gleichgewichtseinstellung Liegt ein Zerfallsgleichgewicht ABz^iiA + B ganz auf der r e c h t e n Seite der Reaktionsgleichung ( K = k /k groß), so wird die Substanz A B nur d a n n rasch zerfallen, wenn die Geschwindigkeitskonstante k_y g r o ß ist; wir nennen die Substanz in diesem Falle „instabil". Ist aber k_y unmeßbar k l e i n , so ist die Verbindung beständig, obwohl sie nach der Lage des Gleichgewichts eigentlich zerfallen müßte; wir sprechen hier von einer „metastabilen" Substanz. Als „stabil" bezeichnen wir eine Substanz AB nur dann, wenn das obige Zerfallsgleichgewicht ganz auf der l i n k e n Seite der Reaktionsgleichung liegt (K = kjk_ klein). Auch ganze c h e m i s c h e S y s t e m e können stabil, metastabil oder instabil sein. Z.B. dürfte bei gewöhnlicher Temperatur eigentlich kein S a u e r s t o f f n e b e n W a s s e r stoff und k e i n S c h w e f e l d i o x y d n e b e n S a u e r s t o f f bestehen, da das Gleichgewicht ganz auf der Seite des W a s s e r s ( 2 H 2 + 0 2 — v 2 H 2 0) b z w . S c h w e f e l t r i o x y d s (2S0 2 + Oa —>- 2 S0 3 ) liegt. Ebenso müßten sich bei Zimmertemperatur eigentlich 1 8
Gewicht eines Liters Wasser bei 25° in Gramm. Mit steigender Temperatur nimmt das Ionenprodukt des Waasers zu.
Das chemische Gleichgewicht
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a l l e o r g a n i s c h e n S u b s t a n z e n an der Luft o x y d i e r e n , so daß ein pflanzliches und tierisches Leben unmöglich wäre, wenn es sich hier nicht um metastabile Zustände handeln würde, die unter normalen Bedingungen nur mit u n m e ß b a r k l e i n e r G e s c h w i n d i g k e i t in den wahren stabilen Zustand übergehen. Ein m e t a s t a b i l e s System ist einem Wagen vergleichbar, der auf einem Bergabhang stehenbleibt, weil die Bremse angezogen ist. Erst wenn die Bremse gelöst, die Reibung also beseitigt ist (vgl. unten), setzt sich der Wagen — den auf ihn einwirkenden Kräften folgend — in Bewegung 1 . Bei chemischen Reaktionen kann die „Reibung" durch K a t a l y s a t o r e n (vgl. S. 35) und durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g vermindert oder aufgehoben werden. So verbrennen z. B . die metastabilen Nahrungsmittel im menschlichen Körper unter dem Einfluß von Katalysatoren, explodiert das metastabile Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch beim Erhitzen. a) Beschleunigung durch Katalysatoren Genau wie ein auf einem Bergabhang stehender Wagen beim Lösen der Bremse von selbst stets nur b e r g a b w ä r t s , nie b e r g a u f w ä r t s fahren kann, die Aufhebung der Reibung also nur die G e s c h w i n d i g k e i t der Gleichgewichtseinstellung, nicht dagegen die Gleichgewichtslage beeinflußt, wird auch durch die Zugabe eines Katalysators nur die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t , nicht aber die G l e i c h g e w i c h t s l a g e einer chemischen Umsetzimg geändert. Der deutsche Physikochemiker WILHELM OSTWALD (1853 bis 1933), dem wir eine eingehende Erforschung der katalytischen Erscheinungen verdanken, hat die Wirkungsweise eines Katalysators sehr anschaulich mit der Wirkung eines Schmiermittels auf ein Räderwerk verglichen, welches sich ungeölt nur mit großer Reibung und daher sehr langsam bewegt. Ölt man die Achsen, so erfolgt der Ablauf des Räderwerks schneller, während die treibende Kraft (etwa die Spannung einer Feder) durch das Ölen keineÄnderung erfährt. Wie eine Taschenuhr ohne F e d e r a n t r i e b durch das Ölen allein nicht in Bewegung gesetzt werden kann, vermag auch ein Katalysator Reaktionen ohne T r i e b k r a f t („Affinität") nicht in Gang zu bringen, sondern lediglich die einer vorhandenen Triebkraft entgegenwirkenden „chemischen Reibungen" zu vermindern und damit langsam (gegebenenfalls unmerklich) ablaufende Reaktionen zu b e s c h l e u n i g e n . Es ist höchst wahrscheinlich, daß die katalytischen Wirkungen nicht alle auf gleiche Weise erklärt werden können. Die beiden wichtigsten Hypothesen sind: 1. die Annahme der Bildung leicht reagierender Z w i s c h e n p r o d u k t e , 2. die Annahme einer reinen O b e r f l ä c h e n w i r k u n g . Nach der e r s t e n H y p o t h e s e verläuft eineReaktion etwa des Typus A -\-Bz^±zAB bei Anwesenheit eines Katalysators K nach dem Schema A + K T"^ AK AK + B
K + AB
A+ B AB derart, daß ein Z w i s c h e n p r o d u k t AK gebildet wird, welches sofort nach seiner Entstehung unter R ü c k b i l d u n g des K a t a l y s a t o r s weiterreagiert. Die beiden T e i l r e a k t i o n e n sind dabei dadurch charakterisiert, daß sie zusammengenommen mit g r ö ß e r e r G e s c h w i n d i g k e i t ablaufen als die d i r e k t e Reaktion. Man nennt derartig wirkende Katalysatoren „Überträger". Ein hierher gehörendes Beispiel ist etwa die Übertragung von Sauerstoff auf Schwefeldioxyd ( S 0 2 + 1 / 2 0 2 —->- S 0 3 ) durch Stickstoffoxyde (S. 207). Man beobachtet diese Überträgerwirkung von Katalysatoren 1 Noch zutreffender ist vielleicht der Vergleich mit einem auf einem Bergabhang in einer Mulde stehenden Wagen. Der Wagen muß erst aus der Mulde herausgezogen werden (Aufwand der „Aktivierungsenergie"; vgl. S. 101), damit er den Berg hinunterrollen kann.
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Die Gruppe der Halogene
vor allem bei der „homogenen Katalyse", bei der reagierende Stoffe und Katalysatoren eine e i n z i g e P h a s e (Gas- oder Lösungsphase) bilden. Die „heterogene Katalyse", bei der G a s - oder Lösungsreaktionen durch f e s t e Katalysatoren beschleunigt werden, ist meist durch die z w e i t e H y p o t h e s e , die Annahme einer O b e r f l ä c h e n w i r k u n g , zu deuten. Nach dieser Hypothese werden die reagierenden Stoffe durch A d s o r p t i o n (S. 298f.) an der Oberfläche des Katalysators in einen reaktionsbereiteren Zustand übergeführt, in dem sie befähigt sind, schneller als im „unaktivierten" Zustand zu reagieren. Die Festigkeit der Adsorptions-Bindung muß dabei naturgemäß sehr spezifisch abgestuft sein, damit das adsorbierte Molekül zwar durch die Oberflächenbindung in einen gegenüber dem Normalzustand reaktionsfähigeren, ,,angeregten" Zustand versetzt wird, andererseits aber nicht infolge zu fester Bindung eine stabile chemische O b e r f l ä c h e n - V e r b i n d u n g mit dem festen Katalysator bildet 1 . Auch muß die Art der Bindung eine leichte Loslösung des R e a k t i o n s p r o d u k t e s vom Katalysator ermöglichen, was ebenfalls dazu beiträgt, daß für jede chemische Reaktion ganz spezifische Katalysatoren erforderlich sind. Die Tatsache, daß die Wirkung fester Katalysatoren häufig durch minimale Mengen von „Kontaktgiften" („Hemmungsstoffen") aufgehoben werden kann, zeigt, daß wahrscheinlich nicht die ganze Oberfläche des festen Katalysators, sondern nur bestimmte „aktive Stellen" (z. B . Spitzen, Ecken, Kanten, Gitterstörungen) des Katalysators — welche bei der „Vergiftung" durch anderweitige Adsorption blockiert werden — für die Katalysatorwirkung verantwortlich zu machen sind (S. 395). Durch Zugabe bestimmter Fremdetoffe {„Aktivatoren", „Promotoren"), die an sich für die fragliche Reaktion gar nicht katalytisch wirksam zu sein brauchen, kann die Wirkung eines Katalysators häufig in s e h r b e d e u t e n d e m M a ß e verstärkt werden. So beschleunigt beispielsweise fein verteiltes Eisen die Bildung von Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff (3H 2 + N 2 —>- 2NH 3 ) weit weniger als ein Gemisch von Eisen und Aluminiumoxyd (vgl S. 227), da das schwerschmelzende Aluminiumoxyd die Eisenteilchen bei der erhöhten Reaktionstemperatur der Ammoniaksynthese am allmählichen Zusammensintern (,,Rekristallisieren") hindert und so deren große unregelmäßige Oberfläche stabilisiert. Die Entwicklung solcher aus mehreren Stoffen bestehender „Mischkatalysatoren", die den Ausgangspunkt der modernen katalytischen Großindustrie bildet, ist hauptsächlich den systematischen Untersuchungen des deutschen Naturforschers A. M I T T A S C H zu danken. Meist läßt sich bei der heterogenen Katalyse k e i n e s c h a r f e G r e n z e zwischen einer Adsorptionsverbindung und einer wahren chemischen Zwischenverbindung und damit zwischen der ersten und zweiten Art der Katalysatorwirkung ziehen. ß) Beschleunigung durch Temperaturerhöhung Ein anderes Mittel zur Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Umsetzung ist die E r h ö h u n g der R e a k t i o n s t e m p e r a t u r , und zwar steigert bei Raumtemperatur eine T e m p e r a t u r e r h ö h u n g um j e 10° nach einer von VAN'T H O F F erkannten Regel die Reaktionsgeschwindigkeit im allgemeinen auf das zweib i s v i e r f a c h e . Eine chemische Reaktion verläuft daher bei 100° mindestens 2 1 0 = 1000 mal schneller als bei 0°, so daß Reaktionen, die bei 100° in einer Stunde ablaufen, bei 0° mindestens 40 Tage erfordern. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung der Temperatursteigerung beruht meist auf einer L o c k e r u n g oder gar S p r e n g u n g der Bindung zwischen den Atomen der reaktionsträgen Moleküle. Die hierfür erforderliche Energie kann statt in Form von W ä r m e vielfach auch in Form anderer Energie, z. B . L i c h t e n e r g i e (S. 84f.) zugeführt werden. 1 Auf die Bildung solcher Oberflächen-Verbindungen ist z. B. die Passivierung (S. 383, 507 f., 533) vieler Metalle an der Luft oder in oxydierenden Säuren zurückzuführen.
Das chemische Gleichgewicht
113
Zum Unterschied vom K a t a l y s a t o r , welcher die Lage eines Gleichgewichts n i c h t v e r ä n d e r t , also die Geschwindigkeit der „Hin"- und ,,Rück"-Reaktion in gleicher Weise beschleunigt, beeinflußt die T e m p e r a t u r ä n d e r u n g — vgl. Gleichung (9), S. 105 — den G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d (S. 114f.). Daher läßt sich das Mittel der Geschwindigkeitssteigerung durch Temperaturerhöhung immer dann nicht anwenden, wenn es mit einer Verschlechterung der Gleichgewichtslage der erwünschten Reaktion verbunden ist (exotherme Reaktionen; vgl. S. 114f.).
d) Die Verschiebung von Gleichgewichten a ) Qualitative Beziehungen Das Prinzip von L E CHATELIER Ein Gas oder ein gelöster Stoff ist nach der allgemeinen Zustandsgieichung p • v = n • R • T durch drei Größen charakterisiert: den D r u c k p (bzw. das V o l u m e n v), die M o l m e n g e n und die T e m p e r a t u r T. Dementsprechend kann man ein im chemischen Gleichgewicht befindliches homogenes System durch Veränderung dieser Größen, also durch V e r g r ö ß e r n ( V e r k l e i n e r n ) d e s R e a k t i o n s d r u c k s , durch V e r g r ö ß e r n ( V e r k l e i n e r n ) d e r M o l m e n g e der Reaktionspartner oder durch E r h ö h e n ( E r n i e d r i g e n ) d e r R e a k t i o n s t e m p e r a t u r stören und verschieben. Nach welcher Seite der chemischen Reaktionsgleichung hin die Gleichgewichtsverschiebimg bei derartigen äußeren Eingriffen erfolgt, geht qualitativ aus dem im J a h r e 1884 von dem französischen Chemiker H E N R Y L E C H A T E L I E R ( 1 8 5 1 — 1 9 3 6 ) formulierten „Prinzip des kleinsten Zwanges" hervor: Übt man auf ein im Gleichgewicht befindliches System durch Änderung der äußeren Bedingungen einen Zwang aus, so verschiebt sich das Gleichgewicht derart, daß es dem äußeren Zwange ausweicht. Das Gesetz gilt sowohl für p h y s i k a l i s c h e wie für c h e m i s c h e G l e i c h g e w i c h t e . Beispiele ersterer Art sind z. B. die V e r ä n d e r u n g d e s S c h m e l z p u n k t e s mit dem Druck und das V e r d a m p f e n e i n e r F l ü s s i g k e i t beim E r w ä r m e n : Ü b t man auf ein bei 0° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Eis einen D r u c k aus, so tritt S c h m e l z e n des Eises ein, weil beim Übergang von Eis in Wasser eine V o l u m e n Verminderung (S.51) erfolgt und so dem äußerenDruck ausgewichen wird. E r h i t z t man ein bei 100° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Wasserdampf, so erfolgt V e r d a m p f u n g des Wassers, weil der Übergang von flüssigem in dampfförmiges Wasser W ä r m e v e r b r a u c h t (S. 50) und so dem äußeren Zwang der Wärmezufuhr ausgewichen wird. I n ganz entsprechender Weise lassen sich auch die Verschiebungen voraussehen, welche die Ausübung eines äußeren Zwangs bei c h e m i s c h e n Gleichgewichten zur Folge haben muß. F o l g e r u n g e n des Prinzips von L E C H A T E L I E R Veränderung der Konzentration eines Reaktionspartners. F ü g t man zu einem im chemischen Gleichgewicht befindlichen System A + B
G+ D
n e u e n S t o f f A hinzu, so verschiebt sich das Gleichgewicht nach r e c h t s , da hierdurch dem äußeren Zwang der Konzentrationsvergrößerung von A durch Verbrauch von A ausgewichen wird. Wie weit die Verschiebimg geht, ergibt sich aus dem M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z , da auch die Stoffkonzentrationen des n e u s i c h e i n s t e l l e n d e n Gleichgewichts natürlich wie vorher der Beziehung
H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 40.—46. Aufl.
8
Die Gruppe der Halogene
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genügen müssen. Befanden sich also vorher in der Volumeneinheit a Mole A, b Mole B, c Mole C und d Mole D und erhöhen wir die Konzentration des Stoffs A um a oe auf a + a', so wird, wenn wir die bis zur neuen Gleichgewichtseinstellung umgesetzte Molmenge des Stoffs A mit x bezeichnen, das neue Gleichgewicht durch die Beziehung (a
(c + X) + o' -
(d
+
x)
(b -
X)
x)
c
wiedergegeben, aus der sich x errechnen läßt. Fügt man also z. B . zu einer Säure HA (A = Säurerest) oder einer Base B O H (B = Baserest): HA
- CIO3 + 0 2 . Eigenschaften. Dichlorhexoxyd ist eine tiefbraunrote Flüssigkeit, die bei 3.5° erstarrt und bei 203° (extrapolierter Siedepunkt) siedet. Bei Zimmertemperatur ist es in reinem Zustande recht beständig; beim Zusammenbringen mit organischen Stoffen e x p l o d i e r t es aber mit großer Heftigkeit. Beim Erwärmen dissoziiert es in die einfachen Moleküle C103 (C1206 z^ni: 2 CIO3), welche sich ihrerseits leicht in Chlordioxyd und Sauerstoff spalten (C10 3 —^C10 2 + O). Mit Wasser reagiert Dichlorhexoxyd als gemischtes Anhydrid unter Bildung von Chlorsäure und Überchlorsäure (C1206 -f H 2 0 HC10 3 + HC10 4 ).
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Die Gruppe der Halogene
8) Dichlorheptoxyd Darstellung. Dichlorheptoxyd C1207 entsteht als Anhydrid der Überchlorsäure (2HC10 4 C1207 + H 2 0) bei der E n t w ä s s e r u n g von Ü b e r c h l o r s ä u r e mit P h o s p h o r p e n t o x y d (P 2 0 6 + H 2 0 — ^ 2 H P 0 S ) : 2HC104 + P 2 0 6 — C 1 2 0 7 + 2HP0 3 und kann — sofern gewisse Vorsichtsmaßregeln wegen der explosiven Natur des Oxyds beachtet werden — direkt abdestilliert werden. Eigenschaften. Dichlorheptoxyd ist eine farblose, flüchtige, ölige Flüssigkeit vom Siedepunkt 83° und Erstarrungspunkt —92°. Bei Berührung mit einer Flamme oder durch Schlag e x p l o d i e r t es heftig. Unter gewöhnlichen Bedingungen ist es aber beständiger als die übrigen Chloroxyde; so greift es z. B. Schwefel oder Phosphor oder Papier in der Kälte nicht an.
c) Oxyde des Fluors Vom Fluor sind bis jetzt mit Sicherheit nur zwei Oxyde, Difluoroxyd (F 2 0) und Difluordioxyd (F 2 0 2 ), dagegen keine Sauerstoffsäuren bzw. deren Salze bekannt. a) Difluoroxyd Darstellung. Leitet man F l u o r in eine verdünnte N a t r i u m h y d r o x y d l ö s u n g , so erhält man nicht wie beim Chlor eine u n t e r h a l o g e n i g e S ä u r e (X 2 + NaOH — ^ NaX + HOX), sondern deren A n h y d r i d : 2F 2 + 2NaOH 2NaP + FaO + H 2 0. D i f l u o r o x y d zeigt also nicht wie D i c h l o r o x y d (S. 122) die Fähigkeit, mit Wasser gemäß X 2 0 + H 2 0 2HOX eine unterhalogenige Säure (,,unterfluorige Säure") zu bilden. Eigenschaften. Das Difluoroxyd (Saurestoffdifluorid) F 2 0 ist ein farbloses, die Atmungsorgane heftig angreifendes Gas, welches sich bei —144.8° zu einer intensiv gelben Flüssigkeit (Smp. —223.8°) verdichtet. Seine Bildungswärme beträgt etwa —8 kcal/Mol. I n Wasser ist F 2 0 etwas löslich (6.8 ccm in 100 ccm Wasser bei 0°). Die Lösung zeigt keine s a u r e n , wohl aber s t a r k o x y d i e r e n d e Eigenschaften. Bei Einwirkung des Gases auf Alkalilaugen entstehen keine „Hypofluorite" (F 2 0 + 2NaOH —->2NaOF -j- H 2 0), sondern deren Zerfallsprodukte F l u o r i d und S a u e r s t o f f : F 2 0 + 2 N a O H — v 2 N a F + 0 2 + H 2 0 . Im Vergleich zum Fluor ist Difluoroxyd w e n i g e r r e a k t i o n s f ä h i g ; beim E r w ä r m e n reagiert es aber mit zahlreichen Nichtmetallen und Metallen unter Fluoridbildung. Ein Gemisch von Wasserdampf und Difluoroxyd explodiert auf Zündung: OF 2 + H 2 0 — > - 0 2 + 2 H F + 74.8 kcal. Zum Unterschied vom Dichloroxyd ist Difluoroxyd n i c h t e x p l o s i v , sondern zerfällt beim Erwärmen oder Belichten allmählich unter Bildung von F l u o r und S a u e r s t o f f . ß) Difluordioxyd Darstellung. Unterwirft man ein äquimolekulares Gemisch von F l u o r und S a u e r s t o f f in einem mit flüssiger Luft gekühlten Gefäß der Einwirkung einer e l e k t r i s c h e n G l i m m e n t l a d u n g , so scheidet sich an den gekühlten Wänden eine Verbindung der Formel F 2 0 2 als orangefarbener fester Beschlag a b : Fa+ O j ^ i ^ O , . Eigenschaften. Die Substanz schmilzt bei —163.5° zu einer kirschroten Flüssigkeit vom (extrapolierten) Siedepunkt —57°. Unterhalb —100° läßt sie sich bei vermindertem
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Sauerstoffverbindungen der Halogene
Druck unzersetzt destillieren. Bei höherer Temperatur zerfällt das gasförmige — schwach braun gefärbte — Difluordioxyd in Umkehrung der obigen Bildungsgleichung in die Elemente.
d) Sauerstoffsäuren und Oxyde des Broms Vom Brom sind mit Sicherheit nur zwei S a u e r s t o f f s ä u r e n bekannt: die unter bromige Säure HBrO und die Bromsäure HBr0 3 . Weiterhin existieren drei Oxyde: das Dibromoxyd Br 2 0, Bromdioxyd Br0 2 und Bromtrioxyd Br0 3 . Die unterbromige Säure HBrO und ihre Salze, die Hypobromite (MeBrO), entstehen in Analogie zu den entsprechenden Verbindungen des Chlors (S. 121) durch Schütteln von Bromwasser mit Quecksilberoxyd: 2Br 2 + 2HgO + H 2 0
> HgO • HgBr2 + 2HOBr
bzw. Umsetzung von Brom mit A l k a l i l a u g e : Br, + 2 NaOH
>- NaBr + NaOBr + H 2 0.
Die Hypobromitlösungen sind wie die Hypochloritlösungen ausgeprägte B l e i c h - und O x y d a t i o n s m i t t e l , sind gelb gefärbt, haben einen eigentümlichen aromatischen Geruch und d i s p r o p o r t i o n i e r e n sich beim E r w ä r m e n unter Bildung von B r o m i d undBromat: 3 B r O ' — > 2 B r ' + BrO¿ . Durch Erhitzen des beim Eindampfen der Lösung hinterbleibenden B r o m i d - B r o m a t Gemisches mit Holzkohlepulver (Reduktion des Bromat-Anteils zu Bromid) werden technisch Alkalibromide gewonnen: 2BrOg + 3C >- 2Br' + 3C0 2 . In analoger Weise lassen sich auch Alkalijodide darstellen.
Die Bromsäure HBrOj läßt sich analog der Chlorsäure (S. 124) durch Umsetzung von B a r i u m b r o m a t mit verdünnter Schwefelsäure gewinnen. Ihre Salze geben wie die Chlorate leicht Sauerstoff ab und verpuffen beim Erhitzen mit oxydierbaren Substanzen. Das Dibromoxyd Br 2 0 entsteht analog dem Dichloroxyd (S. 126) bei der Einwirkung von Brom auf Q u e c k s i l b e r o x y d : 2Br a + HgO
HgBr2 + Br 2 0.
Verfährt man hierbei so, daß man Bromdampf über erwärmtes Quecksilberoxyd leitet, so erhält man ein zur Hauptsache aus Brom und nur zu wenigen Prozenten des Bromgehalts aus Dibromoxyd bestehendes Gasgemisch. Der Gehalt des Reaktionsprodukts an Dibromoxyd läßt sich auf über 40°/0 des Bromgehalts steigern, wenn man die Umsetzung von Brom und Quecksilberoxyd in T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f vornimmt. In reinem Zustande wird Dibromoxyd bei der Zersetzung von B r o m dioxyd (S. 130) gewonnen. Dibromoxyd ist nur bei tiefen T e m p e r a t u r e n (bis herauf zu —40°) beständig. Es stellt bei diesen Temperaturen einen braunen, festen, im Hochvakuum unter Zersetzung sublimierbaren Stoff von stechendem, chlorkalkähnlichem Geruch dar. Beim Erwärmen auf über —40° beginnt es zu zerfallen. Beim Schmelzpunkt (—17.5°) ist die Zersetzung schon recht lebhaft. Sie führt zu Brom und S a u e r s t o f f , so daß die zunächst schwarzbraune Flüssigkeit bald die rotbraune Farbe des flüssigen Broms annimmt. In reinem Tetrachlorkohlenstoff löst sich Dibromoxyd mit moosgrüner Farbe. Beim Schütteln dieser Lösung mit Natronlauge entsteht H y p o b r o m i t : Br¡¡0 + 2 N a O H — 2 N a O B r + HsO.
Br 2 0 ist also das Anhydrid der unterbromigen Säure. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 40. — 46. Aufl.
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Die Gruppe der Halogene
Das Bromdioxyd Br02 entsteht bei der Einwirkung einer G l i m m e n t l a d u n g auf ein Gemisch von B r o m und S a u e r s t o f f : Br2 + 2 0 , — 2 B r O j (1) als ein bei tiefen Temperaturen beständiger, fester, eigelber Körper. Bei r a s c h e m Erwärmen unter n o r m a l e m D r u c k auf Zimmertemperatur erfolgt unter Flammenerscheinung in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) spontane Zersetzung in die Elemente. Bei l a n g s a m e m Erwärmen unter N o r m a l d r u c k erfolgt von —3° ab eine kontinuierliche Abgabe von Sauerstoff. Im H o c h v a k u u m verläuft die thermische Zersetzung ganz anders, nämlich unter Bildung eines braunschwarzen und eines weißen Körpers. Der erstere ist Dibromoxyd (S. 129), der letztere Bromtrioxyd (5 Br0 2 — Br 2 0 + 3 Br0 3 ).
e) Sauerstoffsäuren und Oxyde des Jods Unterjodige Säure. Schüttelt man eine wässerige J o d l ö s u n g mit Q u e c k s i l b e r o x y d , so erhält man vorübergehend die freie unterjodige Säure H J O (2 J 2 + 2HgO + H 2 0 —>-HgO • H g J 2 -f- 2HJO). Sie ist sehr unbeständig und zersetzt sich rasch unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g in J o d und J o d s ä u r e (3HJO —>- 2 H J + H J 0 3 ; H J 0 3 + 5 H J —>- 3 H 2 0 + 3 J 2 ). Etwas beständiger sind ihre Salze, die Hypojodite, die analog den Hypochloriten und Hypobromiten durch Einwirkung von J o d auf A l k a l i l a u g e n gewonnen werden können. Nach kurzer Zeit gehen aber auch sie unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g in J o d i d und J o d a t über. Jodsäure. Die Jodsäure kann durch Oxydation von J o d mit konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e oder C h l o r in wässeriger Lösung gewonnen werden: J 2 + 6H 2 0 + 5C12 2HJ0 3 + 10HCl. Die im letzteren Falle gleichzeitig gebildete S a l z s ä u r e muß durch S i l b e r o x y d aus dem Gleichgewicht entfernt werden (2HC1 + Ag 2 0 —>- 2AgCl -j- H 2 0), da Jodsäure die Salzsäure rückwärts zu Chlor oxydiert. Aus den Salzen, den Jodaten, kann die Säure durch Erwärmen mit S c h w e f e l s ä u r e in Freiheit gesetzt werden: NaJ0 3 + H 2 S0 4 H J 0 3 + NaHS0 4 . Die Jodsäure kristallisiert in farblosen, durchsichtigen Kristallen von saurem, herbem Geschmack und ist ein k r ä f t i g e s O x y d a t i o n s m i t t e l . Ihre S a l z e — die sich durch Einwirkung von J o d auf h e i ß e A l k a l i l a u g e n darstellen lassen — haben im allgemeinen die Formel MeJ0 3 . Man kennt aber auch s a u r e S a l z e der Zusammensetzung M e J 0 3 • H J 0 3 und M e J 0 3 - 2 H J 0 3 . Die Jodate sind viel b e s t ä n d i g e r als die Chlorate und Bromate, stellen aber immer noch ausgesprochene O x y d a t i o n s m i t t e l dar. So detonieren sie im Gemisch mit brennbaren Substanzen durch Schlag. Uberjodsäure. Oxydiert man J o d a t e mit H y p o c h l o r i t in alkalischer Lösung, so entstehen Per jodate: HJ0 3 + HCIO —>- HJ0 4 + HCl. Diese Perjodate leiten sich aber nicht analog den Perchloraten (MeC104) nur von der e i n f a c h e n Ü b e r j o d s ä u r e H J 0 4 („Meta-perjodate" MeJ0 4 ) ab, sondern auch von den w a s s e r r e i c h e r e n Formen H J 0 4 • H 2 0 = H 3 J 0 6 („Meso-perjodate" Me 3 J0 6 ) und H J 0 4 • 2 H 2 0 = H B J0 6 („Ortho-perjodate" Me 6 J0 6 ). Von den f r e i e n Überjodsäuren kennt man nur die O r t h o v e r b i n d u n g H 6 J 0 6 , farblose, an der Luft zerfließende Kristalle, welche sich schon beim Schmelzpunkt (130°) unter Abspaltung von Wasser und Sauerstoff und Bildung von Dijodpentoxyd ( 2 H 8 J 0 6 — > - 5 H 2 0 + J 2 0 6 + 0 2 ) zersetzen und sehr stark oxydierend wirken. Von den Salzen sind die O r t h o p e r j o d a t e Me6JO„ recht beständig, während sich die M e t a p e r j o d a t e MeJO| beim Erhitzen vielfach explosionsartig zersetzen.
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Verbindungen der Halogene untereinander
Dijodtetroxyd. Das Dijodtetroxyd J 2 0 4 entspricht in seiner Bruttozusammensetzung dem Chlordioxyd C102. Es entsteht analog diesem (S. 126) bei der Einwirkung von heißer k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e auf J o d s ä u r e als gelbes, körniges Pulver und ist in kaltem Wasser nur wenig löslich. Beim Erhitzen auf über 100° zersetzt es sich unter Bildung von Dijodpentoxyd, dem Anhydrid der Jodsäure, und J o d : 5J 2 0 4 — 4 J 2 0 6 + J 2 . Entsprechend löst es sich auch in heißem Wasser unter Bildung von Jodsäure und Jod. Dijodpentoxyd. Zum Unterschied von der Chlorsäure und Bromsäure läßt sich die J o d s ä u r e durch Erwärmen auf 180 bis 200° in ihr Anhydrid überführen: 2HJ0 3 — v HjO + Jü0 5 . Das so entstehende Dijodpentoxyd stellt ein weißes kristallines Pulver dar, das erst oberhalb von 300° in die Elemente zerfällt: 43 kcal + J a 0 5
v J2 + 27a 0 2
und mit Wasser wieder Jodsäure bildet. Im Gegensatz zu allen anderen Halogenoxyden ist es eine e x o t h e r m e Verbindung.
5. Verbindungen der Halogene untereinander Die Verbindungen der Halogene u n t e r e i n a n d e r haben im einfachsten Fall die Formel X Y ; doch sind auch einzelne Verbindungen bekannt, die sich um zwei, vier oder sechs Halogenatome von dieser Formel unterscheiden: X Y 3 , X Y 6 und X Y , . Bei den Verbindungen der Zusammensetzung X Y sind alle Kombinationen bis auf die Verbindung J F bekannt, wie aus folgender Zusammenstellung hervorgeht, in welcher auch die reinen Halogene mit aufgenommen sind: Fluor
Fluor
FF Farbloses Gas Smp. - 218.0° Sdp. - 187.9°
Chlor
C1F Farbloses Gas Smp. - 165.6° Sdp. - 100.1°
Brom
BrF Hellrotes Gas Smp. 33° Sdp. ~ + 20»
Jod
-
Chlor
Brom
Jod
CIC1 Gelbgrünes Gas Smp. - 102.4° Sdp. 34.0° BrCl BrBr (Nur imGleichgewicht TiefbrauneFlüssigkeit mit Br a und Cl2) Smp. 7.3° Smp. - 54° Sdp. + 58.8« Sdp. (26 mm) - 50° JC1 Rubinrote Nadeln Smp. + 27.2° Sdp. + 97.4°
JBr Rotbraune Kristalle Smp. + 36° Sdp. + 116°
JJ Grauschwarze Schuppen Smp. + 113.7« Sdp. + 184.5°
Die D a r s t e l l u n g dieser Verbindungen erfolgt ganz allgemein aus den E l e menten : X s + Ya ^=±1 2 X Y .
9»
132
Die Gruppe der Halogene
So erhält man z. B. das Chlorfluorid C1F durch Vereinigung von Chlor und Fluor bei 250°, Bromfluorid B r F durch Sättigen von Brom mit Fluor bei 10°, Bromchlorid BrCl (im Gleichgewicht mit Brom und Chlor) durch Einleiten von Chlorgas in flüssiges Brom, Jodchlorid JC1 (das außer in der S. 131 angeführten stabilen «-Form auch als metastabile ^-Modifikation vom Schmelzpunkt 13.9° vorkommt) durch Überleiten von Chlor über Jod und Jodbromid J B r durch Einwirkung von Brom auf Jod. F a r b e , S c h m e l z - u n d S i e d e p u n k t nehmen bei gegebenem erstem Halogen mit dem Atomgewicht des zweiten, d. h. in der Richtung von oben nach unten und von links nach rechts in der umstehenden Tabelle zu. So variiert die Farbe von Fluor bis Jod, den beiden äußersten Gliedern, von farblos bis grauschwarz, der Schmelzpunkt von —218 bis + 1 1 4 ° und der Siedepunkt von —188 bis +185°. U n b e s t ä n d i g k e i t u n d R e a k t i o n s f ä h i g k e i t nehmen mit zunehmender Entfernung der Halogene im Periodensystem, also in der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links in der umstehenden Tabelle zu. So ist z. B. das Chlorfluorid reaktionsfähiger als Fluor, so daß seine Darstellung große Schwierigkeiten macht; Bromfluorid ist bereits so unbeständig, daß eine genaue Bestimmung seiner physikalischen Daten nicht möglich ist; und Jodfluorid schließlich ist offensichtlich so zersetzlich, daß seine Darstellung bisher überhaupt noch nicht geglückt ist. In gleicher Weise steigt die Reaktionsfähigkeit vom Jod über das Jodbromid zum Jodchlorid hin. Bei der Einwirkung von überschüssigem Halogen Y 2 auf die einfachen Verbindungen X Y entstehen h ö h e r e H a l o g e n v e r b i n d u n g e n (vgl. S. 197): X Y + n Y
! i ±
XY2d +
1
(n = 1, 2 un 3). Die Neigung zu dieser Anlagerung steigt mit zunehmendem Atomgewicht von X und abnehmendem Atomgewicht von Y. So bildet z. B. C h l o r das Fluorid C1F3, B r o m die Fluoride BrF 3 und BrF 6 und J o d die Fluoride J F 5 und JF 7 , während bei den Chloriden nur das J o d ein höheres Chlorid JC13 bildet: C1F3 Farbloses Gas Smp. - 82.6° Sdp. + 1 2 . 1 " BrF3 Farblose Flüssigkeit Smp. + 8.8» Sdp. + 127.6°
! BrF5 Farblose Flüssigkeit Smp. - 61.3° Sdp. + 40.5°
JF5
I |
: Farblose Flüssigkeit ! Smp. + 9.4° | Sdp. + 100.5°
JFr Farbloses Gas Smp. 5.5° Sblp. 4.5°
JCls Gelbe Nadeln Smp. 101° (16 at Druck)
Die F l ü c h t i g k e i t der höheren Halogenide steigt mit z u n e h m e n d e m H a l o g e n geh a l t . Ihre chemische Reaktionsfähigkeit ist durchweg sehr groß.
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die Umsetzung von Bromtrifluorid mit M e t a l l f l u o r i d e n MeF (Me z.B. = Na, K oder Ag), die zur Bildung komplexer Tetrafluobromid-ionen BrF4~ führt: MeF + BrFg > MeBrF4. Auch im flüssigen Bromtrifluorid selbst sind infolge elektrolytischer Dissoziation solche Fluobromidionen BrF4~~ neben Fluobromonium-ionen BrFa + enthalten: 2 BrFa — >- BrF a + + BrF4~. In Form von Salzen starker Säuren HMeF4 (Me z.B. = Au), HMeF, (Me z.B. = P, Sb, Nb, Ta) oder H2MeFe (Mez.B. = Sn) lassen sich die Fluobromomum-ionenstabilisieren: [BrF2]AuF4, [BrF 2 ] PF„ [BrF2] 2SnF6.
Vergleichende Übersieht über die Gruppe der Halogene
133
6. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Halogene Wie aus den vorangegangenen Abschnitten hervorgeht, zeigen die Halogene untereinander eine große Ähnlichkeit und eine ganz gesetzmäßige Abstufung in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften. Folgende Tabelle f a ß t diese graduelle Änderung der Eigenschaften mit steigendem Atomgewicht nochmals kurz zusammen: Fluor Atomgewicht Spezifisches Gewicht Schmelzpunkt Siedepunkt Farbe im Gaszustand Thermischer Dissoziations-11000° abs. . grad in % /2000°abs. . Nichtmetallcharakter Allgemeine Reaktionsfähigkeit Affinität zum Wasserstoff Affinität zum Sauerstoff
19.000 1.1081 - 218.0° — 187.9° fast farblos
Chlor 35.457 1.571 - 102.4° - 34.0° gelbgrün 0.035 52 >- nimm t >- nimm t >- nimm t >- nimm t
Brom
Jod
79.916 126.92 3.119 4.942 - 7.3° + 113.7° + 58.8° + 184.5° rotbraun violett 0.23 2.8 72.4 89.5 ab — >ab >ab - > zu
Physikalische Eigenschaften. Fluor ist ein G a s , Chlor ein leicht zu v e r f l ü s s i g e n d e s G a s , Brom f l ü s s i g und J o d f e s t . Die Farbe vertieft sich vom Fluor zum J o d hin derart, daß das Fluor praktisch f a r b l o s , das J o d dagegen im festen Zustande bereits g r a u s c h w a r z ist. Die Festigkeit der Bindung zwischen den Halogenatomen verringert sich zum J o d hin, welches bei hohen Temperaturen schon weitgehend in a t o m a r e r Form vorhegt, während sich Fluor auch bei sehr hohen Temperaturen thermisch n i c h t i n d i e A t o m e a u f s p a l t e n läßt. Alle vier Halogene sind N i c h t m e t a l l e , jedoch nimmt der nicht metallische (metallische) Charakter zum J o d hin ab (zu); beim J o d fällt schon ein äußeres Kennzeichen der Metalle, der M e t a l l g l a n z , ins Auge. Chemische Eigenschaften. Die V e r w a n d t s c h a f t z u m W a s s e r s t o f f nimmt mit fallendem Atomgewicht des Halogens zu. F l u o r verbindet sich schon im Dunkeln bei niedriger Temperatur mit Wasserstoff unter Bildung einer thermisch außerordentlich beständigen Verbindung; J o d dagegen reagiert erst in der Wärme bei Anwesenheit eines Katalysators und liefert eine thermisch instabile Wasserstoffverbindung. Entsprechend der größeren Verwandtschaft zum Wasserstoff vermag jedes l e i c h t e r e Halogen das s c h w e r e r e aus seiner Wasserstoffverbindung zu v e r d r ä n g e n ; so setzt elementares Fluor sämtliche anderen Halogene in Freiheit (F 2 + 2 H B r ->- 2 H F + Br 2 usw.), Chlor zersetzt nur die Wasserstoff Verbindungen desBroms und Jods, Brom nur die des Jods. Die V e r w a n d t s c h a f t z u m S a u e r s t o f f nimmt umgekehrt vom Fluor zum Jod hin zu, so daß die Oxyde des J o d s am b e s t ä n d i g s t e n und zum Unterschied von den endothermen übrigen Halogenoxyden e x o t h e r m e Verbindungen sind. Dementsprechend kann auch ein Halogenatom von höherem Atomgewicht ein leichteres Halogen aus dessen Sauerstoffverbindung in Freiheit setzen: KC10 3 + l / 2 J 2 - >- K J 0 3 + 7.0,. Die a l l g e m e i n e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t nimmt zum Fluor hin zu. F l u o r ist überhaupt das r e a k t i o n s f ä h i g s t e aller Elemente. Die übrigen Halogene sind zwar noch sehr reaktionsfreudig, aber in der Richtung vom Chlor zum J o d hin zunehmend weniger aktiv als Fluor. — 1
Gilt für verflüssigtes Fluor (Chlor) beim Siedepunkt.
134
Die Gruppe der Halogene
Auch die V e r b i n d u n g e n d e r H a l o g e n e zeigen gesetzmäßige Abstufungen in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften, wie folgende Tabelle am Beispiel der H a l o g e n w a s s e r s t o f f e zeigt: Fluorwasser- Chlorwasser- Bromwasser- Jodwasserstoff stoff stoff stoff Schmelzpunkt • Siedepunkt • Thermischer Dissoziations-l 300° C grad in % JIOOO» C Scheinbarer elektrolytischer Dissoziationsgrad in 0.1 n-Lösung (18°) . . Bildungswärme (25°, 1 at, Gase), kcal.
- 83.1° + 19.5° —
0.1 + 64.2
- 114.8° - 84.9° 0.0000003 0.014
- 86.9° - 66.8° 0.003 0.6
- 50.7» - 35.4° 19 33
0.926 + 21.9
0.935 + 11.6
0.95 + 1.3
So nehmen z. B. in Übereinstimmung mit dem S. 133 über die Verwandtschaft der Halogene zum Wasserstoff Gesagten die B i l d u n g s w ä r m e n der Halogenwasserstoffe mit steigendem Atomgewicht des Halogens ab, die t h e r m i s c h e n D i s s o z i a t i o n s g r a d e zu. Die S ä u r e s t ä r k e der wässerigen Halogenwasserstoffsäuren wächst mit steigendem Atomgewicht des Halogens: Fluorwasserstoffsäure ist eine verhältnismäßig schwache, Jodwasserstoffsäure eine sehr starke Säure. Auffällig ist der hohe Schmelz- und Siedepunkt des F l u o r w a s s e r s t o f f s , der sich nicht in die Reihe der Schmelz- und Siedepunkte der übrigen Halogenwasserstoffe einpaßt. Dies rührt von der P o l y m e r i s a t i o n des Fluorwasserstoffs h e r ; denn Fluorwasserstoff h a t ja nicht wie die übrigen Halogen Wasserstoffe die Formel H X , sondern die polymere Formel (HX) n (S. 97). Wäre er m o n o m e r , so m ü ß t e er f l ü c h t i g e r als Chlorwasserstoff sein. Auch sonst nimmt das F l u o r gegenüber den anderen Halogenen in gewissem Maße eine S o n d e r s t e l l u n g ein. So ist z. B. das Silberfluorid in Wasser ziemlich löslich, das Calciumfluorid unlöslich, während die übrigen Silberhalogenide und Calciumhalogenide gerade entgegengesetzte Löslichkeitsverhältnisse zeigen. Allerdings nimmt die Löslichkeit bereits vom Silberjodid zum Silberchlorid hin etwas zu und vom Calciumjodid zum Calciumchlorid hin etwas ab; beim Übergang vom Chlor zum Fluor fällt also lediglich die sehr starke Zunahme einer Eigenschaftsänderung ins Auge, die — zwar schwach ausgeprägt, aber doch gleichsinnig — schon bei den übrigen Halogenen feststellbar ist. Gleiches beobachtet man ja (s. Tabelle) auch beim elektrolytischen Dissoziationsgrad.
Kapitel IX
Die Elektronentheorie der Valenz Bei der Rückschau auf alles bisher Besprochene tauchen zahlreiche, bisher noch anbeantwortete Fragen auf. Warum sind z. B. die Edelgase so reaktionsträge und die im Periodensystem (S. 68) benachbarten Halogene und Alkalimetalle so reaktionsfreudig? Warum hat Natriumchlorid die Formel NaCl und nicht etwa die Zusammensetzung Na2Cl oder NaCl2 und Ammoniak die Formel NHS und nicht etwa die Zusammensetzung NH2 oder NH4? Warum sind die Edelgase atomar, Stickstoff, Sauerstoff und Chlor dagegen molekular aufgebaut? Warum ist Natrium chlorid fest, Chlor dagegen gasförmig? Warum leiten sich vom Natriumchlorid Sauerstoffverbindungen des Typus NaClO, NaC10a, NaC103 und NaC104, dagegen keine der Formel NaC105, NaC106 usw. ab? Warum spaltet Kaliumchlorat in wässeriger Lösung in die Ionen K + -)- C103~ und nicht in die Ionen KC1+ + 0 3 ~ oder KC10 + + 0 2 ~? Warum leitet eine wässerige Lösung oder eine Schmelze von Natriumchlorid den elektrischen Strom, gelöster oder flüssiger Sauerstoff dagegen nicht? Warum ist NaCl fest, FC1 dagegen ein Gas ? Warum ist das H 2 0Molekül gewinkelt, das C02-Molekül dagegen gestreckt, das ClOg-Ion pyramidenförmig, das NOg-Ion dagegen eben ? Auf alle diese Fragen gibt uns die „ E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z " eine ein. fache und befriedigende Antwort. Wir wollen uns daher im folgenden etwas ausführlicher mit den Grundlagen und Aussagen dieser Theorie befassen.
1. Der Bau der Atome a) Allgemeines
Fußend auf Experimentalversuchen,
die vor allem auf die Physiker
LENARD ( 1 8 6 2 — 1 9 4 7 ) , E B N E S T R U T H E R F O R D ( S . 5 6 9 ) u n d CHARLES THOMSON R E E S
PHILIPP WILSON
zurückgehen, hat der dänische theoretische Physiker N I E L S B O H R im Jahre 1 9 1 3 ein Atommodell entwickelt, da9 auch heute noch trotz mancher Unzulänglichkeiten (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie) ein recht anschauliches und brauchbares Bild vom Atombau vermittelt. Nach dieser B O H R sehen Theorie bestehen die Atome aus einem positiv geladenen Atomkern und einer n e g a t i v geladenen Atomhülle. Der Atomkern befindet sich im Mittelpunkt des Gesamtatoms und verkörpert stets mehr als 99.9% der gesamten Masse des ganzen Teilchens. Sein Durchmesser beträgt durchschnittlich nur den etwa zehn t a u s e n d s t e n Teil des D u r c h m e s s e r s des G e s a m t a t o m s . 1000 Kubikmeter Eisen z . B . enthalten demnach weniger als 1 Kubikmillimeter Atomkerne; dieses Kubikmillimeter wiegt rund 8000 Tonnen, während der übrige Raum von 1000 Kubikmetern praktisch masseleer ist. Der absolute Durchmesser der Atomkerne liegt in der Größenordnung von 10" 1 1 mm. In einem Kubikmillimeter finden also 1033 Atomkerne bequem Platz. Wie phantastisch groß diese Zahl ist, geht aus folgendem Zahlenbeispiel hervor: Die Zahl der seit Christi Geburt bis auf den heutigen Tag vergangenen Sekunden ist nur ein winziger B r u c h t e i l von 1033. Selbst wenn man für jede seit Beginn unserer Zeitrechnung verlaufene Sekunde einen Zeitraum von 1000 Milliarden J a h r e n setzt (das Alter des Weltalls liegt in der
136
Die Elektronentheone der Valenz
Größenordnung von 10 Milliarden Jahren), so beträgt die Zahl der in dieser unvorstellbar langen Zeitspanne verflossenen Sekunden erst rund den t a u s e n d s t e n T e i l der in einem Kubikmillimeter unterzubringenden Zahl von 10 33 Atomkernen. Es ist eine bewundernswerte Leistung des Physikers und Chemikers, daß er nicht nur von der Existenz solch winziger Atomkerne weiß, sondern daß er auch genauestens die Gew i c h t e und den inneren Auf b a u dieser— ihrerseits aus noch kleineren Partikeln aufgebauten (S. 555ff.) — Teilchen kennt. Die positive L a d u n g des Atomkerns ist stets ein g a n z e s V i e l f a c h e s jener E l e m e n t a r l a d u n g von 1.602 x l 0 ~ 1 9 Coulomb ( = 4.803 x l 0 ~ 1 0 elektrostatischen Einheiten), die wir S. 93 schon aus elektrolytischen Versuchen ableiteten. Bemerkenswert ist dabei, daß j e d e s c h e m i s c h e E l e m e n t durch eine ganz b e s t i m m t e Anz a h l solcher positiver Einheitsladungen je Atomkern charakterisiert ist. Und zwar variiert die „Kernladungszahl" nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse von 0 bis 101, entsprechend 102 bis jetzt bekannten verschiedenen Atomarten (Näheres S. 555ff.). Atomhülle. Da die Atome nach außen hin neutral erscheinen, muß die p o s i t i v e Ladung jedes Atomkerns durch eine entsprechende Menge n e g a t i v e r Elektrizität kompensiert werden. Dies geschieht dadurch, daß eine der Zahl der positiven Kernladungen numerisch gleiche Anzahl von „Elektronen" den Atomkern umgibt. Jedes dieser Elektronen weist eine negative Einheitsladung von 1.602 X l O - 1 9 Coulomb auf und besitzt ein gegenüber dem Gewicht des Atomkerns verschwindendes Atomgewicht von 0.00055. In der S. 137 folgenden Tabelle, die mit der früher (S. 67) wiedergegebenen Anordnung der Elemente nach w a c h s e n d e m A t o m g e w i c h t übereinstimmt und auf die wir noch ausführlicher zu sprechen kommen (S. 138f.), sind die Elemente nach steig e n d e r K e r n l a d u n g s - und E l e k t r o n e n z a h l ihrer Atome angeordnet. Danach weist z. B . der Kern des Wasserstoffatoms 1 positive Ladung auf, die durch 1 negatives Elektron in der Außenhülle kompensiert wird; das Phosphoratom besteht aus einem Atomkern mit 15 positiven Ladungen und aus 15 Elektronen in der Atomhülle usw. Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der Elemente hängen gesetzmäßig mit dem B a u der E l e k t r o n e n h ü l l e zusammen. Die Kenntnis dieses Aufbaus ist daher die notwendige Voraussetzung für ein Verständnis des chemischen Verhaltens der Elemente.
b) Die Elektronenhülle Die Elektronen der Atomhülle umgeben den Atomkern nicht regellos, sondern verteilen sich g e s e t z m ä ß i g auf insgesamt 7 r ä u m l i c h e „ S c h a l e n " , die von innen nach außen als 1., 2., 3. Schale usw. (Schale der ,,Hauftquantenzahl" n — 1, 2, 3 usw.) oder mit den Buchstaben K bis Q des Alphabets als K-, L-, M-Schale usw. bezeichnet werden. Man nahm früher mit BOHR an, daß die Elektronen in diesen Schalen planetengleich um denKern als „Sonne" rotieren. Heute ist man von diesem anschaulichen Modell wieder abgekommen. Im Prinzip kann man sich aber immer noch des anschaulichen Schalenmodells bedienen, wenn man sich dabei nur dessen bewußt bleibt, daß die verschiedenen „Elektronenschalen" lediglich bildliche Symbole für verschiedene Energiezustände der Elektronen (nach der „Wellenmechanik" z. B. für verschiedene dreidimensionale Schwingungszustände von „Elektronenwolken") darstellen. Jede Schale vermag im Maximum 2 • n 2 Elektronen aufzunehmen (vgl. S. 445). Die innerste,erste Schale (n = 1) ist demnach nach Einbau von 2 • l 2 = 2 , die nächstäußere, z w e i t e Schale (n = 2) nach Aufnahme von 2 • 2 2 = 8 Elektronen gesättigt usw. Folgende Tabelle gibt für die nach steigender Kernladungszahl angeordneten Elemente die Verteilung der Elektronen auf die verschiedenen Elektronenschalen wieder. Vor jedem Elementnamen ist die Kernladungszahl und das Elementsymbol angegeben:
Der Bau der Atome Element
137
1. Schale 2. Schale 3. Schale 4. Schale 5. Schale 6. Schale 7. Schale
0 Nn Neutronium - : Cl: Ö: Cl:
Sauerstoff ist daher zum Unterschied vom „einwertigen" („einbindigen") Chlor „zweiwertig" („zweibindig"). Dementsprechend sind auch die beiden Sauerstoffatome eines S a u e r s t o f f m o l e k ü l s zum Unterschied von den Chloratomen des Chlormoleküls nicht durch eine „einfache Bindung" (ein gemeinsames Elektronenpaar), sondern durch eine „Doppelbindung" (zwei gemeinsame Elektronenpaare) miteinander verknüpft : Ö: + :Ö
>- Ö::Ö
Beim S t i c k s t o f f m o l e k ü l muß die Verknüpfimg der beiden Stickstoffatome sogar durch eine „Dreifachbindung" erfolgen, da nur auf diesem Wege Achterschalen für die Stickstoffatome zu erzielen sind: : N: • + .: N:
>- : N : : : N :
In ganz analoger Weise treten die Atome Chlor, Sauerstoff und Stickstoff auch gegenüber dem die Heliumschale erstrebenden W a s s e r s t o f f ein- bzw. zwei- oder dreiwertig auf, während sich das K o h l e n s t o f f a t o m mit seinen vier Außenelektronen
Die chemische Bindung
151
sowohl gegenüber Wasserstoff als auch gegenüber anderen Elementen als v i e r w e r t i g erweist: H H H:N: H H:C1: H:C: H H:0: H H Der Chemiker vereinfacht diese „Elektronen!ormeln" homöopolarer Verbindungen meist in analoger Weise wie bei den heteropolaren Verbindungen dadurch, daß er jedes gemeinsame („anteilige") Elektronenpaar, also jede Atombindung durch einen vom betrachteten Atom ausgehenden V a l e n z s t r i c h („Valenzstrichformeln") kennzeichnet (a). Vielfach ist es dabei zweckmäßig, auch die u n b e a n s p r u c h t e n („freien", „einsamen") Elektronenpaare durch — quergerichtete — Striche wiederzugeben (b). Für die gewöhnliche Bezeichnung von Verbindungen genügt allerdings auch hier wieder die bloße Aneinanderreihung der Elementsymbole (c): Cl-Cl
IC1-C1I
Cl2
H—0—H
H-O-H
H20
H H-N-H
H
H-II-H
NH 8
0=0
0=0
os
N=N
|N=N|
(a)
(b)
N, (o)
Wie ein Vergleich dieser Formeln mit den Formeln für Ionenverbindungen (S. 148) zeigt, bringen die Valenzstrichformeln — z. B. von Natriumchlorid (Na—Cl) und Chlor (Cl—Cl) — zum Unterschied von den Elektronenformeln ([Na]+ :C1:
bzw.
: Cl: Cl :j nicht zum Ausdruck, daß es sich in den beiden Fällen um g a n z v e r s c h i e d e n e T y p e n von Bindungsarten handelt, daß also im einen Fall ein Aufbau aus I o n e n , im anderen ein Aufbau aus A t o m e n vorliegt. Die I o n e n b i l d u n g Der Aufbau aus A t o m e n statt aus I o n e n bedingt, daß Stoffe wie C h l o r w a s s e r s t o f f oder A m m o n i a k zum Unterschied vom Natriumchlorid oder Natriumhydrid im flüssigen r e i n e n Zustande N i c h t l e i t e r sind. Daß sie demgegenüber in w ä s s e r i g e r L ö s u n g den elektrischen Strom leiten, beruht auf der Bildung von Ionen durch R e a k t i o n mit dem Lösungsmittel. So erfolgt beim Auflösen von C h l o r w a s s e r s t o f f in W a s s e r ein Übergang von positiv geladenen Wasserstoff-ionen („Protonen") vom C h l o r w a s s e r s t o f f zum W a s s e r hin: H H 1 H :Ö: :C1: H + :Ö: H H Dabei entstehen aus den Wassermolekülen p o s i t i v g e l a d e n e , den s a u r e n Char a k t e r der Chlorwasserstofflösung bedingende „Hydronium-ionen" H 3 0 + , während die C h l o r a t o m e als n e g a t i v g e l a d e n e A n i o n e n zurückbleiben. Die Ionen einer
152
Die Elektronentheorie der Valenz
wässerigen Salzsäure entstammen also in Wirklichkeit nicht einer D i s s o z i a t i o n des Chlorwasserstoffs (S. 91) gemäß HCl^=i:H++ Cr,
(1)
sondern einer c h e m i s c h e n R e a k t i o n zwischen Chlorwasserstoff und Wasser: HCl + H , 0
H 3 0+ + Cl".
(2)
Der Kürze halber pflegt man aber statt der ausführlicheren Gleichung (2) gewöhnlich die gekürzte Gleichung (1) zu schreiben. Man muß sich dabei aber bewußt bleiben, daß die W a s s e r s t o f f - i o n e n hier wie bei anderen Säuren in Wirklichkeit H y d r o n i u m ionen sind. Löst man A m m o n i a k in W a s s e r auf, so erfolgt der P r o t o n e n ü b e r g a n g umgekehrt vom W a s s e r zum A m m o n i a k hin: H
H H : N : + H :Ö: H H
^
H :N: H
+
[:Ö:H]"
H
Dadurch kommt es zur Bildung von „Hydroxyl-ionen" OH - , welche den b a s i s c h e n C h a r a k t e r der Ammoniaklösung bedingen (S. 92). Wir werden später (S. 174ff.) ausführlicher auf die sich so ergebende neue D e f i n i t i o n von Säuren und Basen eingehen. Das Tetraedermodell Zum Unterschied von der Ionenbindung ist die Atombindung r ä u m l i c h ger i c h t e t . Wir können sie uns bildlich vorstellen als eine die beiden verbundenen Atome umkreisende Bahn eines Elektronenpaares. Daher werden sich die Elektronenbahnen der vier Elektronenpaare eines Oktetts wegen der gleichnamigen Ladung der Elektronen gegenseitig abstoßen, so daß eine Richtung nach den v i e r E c k e n eines T e t r a eders hin resultiert (Fig. 51). Dementsprechend bilden z. B . die 4 Wasserstoffatome des Methanmoleküls CH4 ein r e g e l m ä ß i g e s T e t r a e d e r , in dessen Mittelpunkt der Kohlenstoff sitzt, während das A m m o n i a k NH 3 , bei dem eine der 4 Bindungen unbeansprucht ist, die Form einer flachen d r e i s e i t i g e n P y r a m i d e (Grundfläche: 3 Wasserstoffatome ; Spitze: 1 Stickstoffatom) und das W a s s e r H 2 0 , das nur 2 Kovalenzen betätigt, die Form eines g l e i c h s c h e n k l i g e n D r e i e c k s (Spitze: 1 Sauerstoffatom ; Grundlinie : 2 Wasserstoffatome) besitzt (Fig. 52). Der Valenzwinkel beträgt in allen drei Fällen, übereinstimmend mit dem Tetraedermodell, abgerundet 110° (CH4 : 110°; NH 3 : 108°; H 2 0 : 105°). Analoges gilt für die vom CH4, NH 3 und H 2 0 durch Austausch (,,Substitution") der Wasserstoffatome gegen andere Atome oder Atomgruppen („Substituenten", „Liganden") ableitbaren Abkömmlinge („Derivate"). Wie ein Vergleich dieser Moleküle mit den Ionengittern der Fig. 51. Tetraedermodell der Valenzrichtung Salze (S. 147) zeigt, bilden die Verbindungen mit Atombindungen im allgemeinen k e i n e R i e s e n m o l e k ü l e , sondern abgeschlossene k l e i n e r e T e i l c h e n , da infolge des Fehlens von Ionenkräften keine Veranlassung zur Zusammenlagerung der Einzelmoleküle zu Riesenverbänden besteht. Dementsprechend sind die h o m ö o p o l a r aufgebauten Stoffe zum Unterschied von den schwerflüchtigen S a l z e n meist f l ü c h t i g e Verbindungen. Immerhin können auch die homöopolaren Stoffe gelegentlich schwer- bis n i c h t f l ü c h t i g sein. Z. B . dann, wenn das durch Atombindungen zusammengehaltene Molekül an sich s e h r groß b i s r i e s e n g r o ß ist. Als Beispiele seien hier die später
Die chemische Bindung
153
noch zu besprechenden „Atomgitter" des D i a m a n t e n (S. 294f.) u n d des Q u a r z e s (S. 328) erwähnt. Auch kann die Flüchtigkeit durch A s s o z i a t i o n der Moleküle infolge D i p o l w i r k u n g herabgesetzt werden, worauf wir im folgenden Abschnitt über das Dipolmoment näher eingehen wollen. Während man bei den Elektronen eines f r e i e n Atoms zwischen a- und p-Bahnen verschiedenen Energieinhalts unterscheiden muß (vgl. S. 139 f.), wird diese Unterscheidung bei den Elektronen g e b u n d e n e r Atome weitgehend gegenstandslos. So besetzen etwa die 8 Elektronen des M e t h a n s CH4 keine energieverschiedenen und p-Bahnen, sondern ein n e u e s Energieniveau, dessen vier energiegleiche und nach den Ecken eines regulären Tetraeders gerichtete Bahnen als „BastardBahnen" (engl.: „hybrid orbitals") bezeichnet werden und dessen Bildung aus dem s- und p-Niveau mit einem E n e r g i e g e w i n n verknüpft ist 1 .
CHt
NH3
H20
Fig. 52. Bäumliche Atomanordnung im Methan-, Ammoniak- und Wassermolekül
Das Dipolmoment Sind die durch eine Atombindung miteinander verbundenen Atome voneinander v e r s c h i e d e n (AB), so verteilt sich das gemeinsame Elektronenpaar in der Regel nicht s y m m e t r i s c h (a), sondern u n s y m m e t r i s c h (b) auf die beiden Bindungspartner, da die Elektronenaffinität der beiden Atome verschieden ist; schematisch: A: B (a)
A
B . (b)
Auf diese Weise fallen die Schwerpunkte der positiven und negativen Ladungen des Moleküls nicht zusammen, so daß das Molekül einen mehr oder minder p o l a r e n C h a r a k t e r annimmt. Zahlenmäßig wird dieser polare Charakter durch das elektrische „Dipolmoment" (x (vgl. I I , S. 49ff.): H=e-l
(3)
zum Ausdruck gebracht (e = Ladung; l = Abstand der Ladungsschwerpunkte). So besitzt z. B. der C h l o r w a s s e r s t o f f HCl ein D i p o l m o m e n t , weil das gemeinsame Elektronenpaar mehr dem C h l o r als dem W a s s e r s t o f f angehört: (+) (-) H :C1:
Wäre die Verbindung eine i d e a l e I o n e n v e r b i n d u n g , so müßte das Dipolmoment(3) (4.803 X 10- 10 ) X (1.28 X 10"8) = 6.15 X10~ 18 elektrostatische Einheiten • cm = 6.15 „Debye"2 betragen, weil der Abstand der beiden Atomkerne im HCl-Molekül 1.28 Ä beträgt und bei idealem Ionenaufbau jedem Ion eine elektrische Elementarladung von 4.803 x l O " 1 0 elektrostatischen Einheiten ( = 1.602 X10- 1 9 Coulomb) zukäme. I n Wirk1 Setzt man die Bindekraft einer «-Bindung willkürlich mit 1 an, so beträgt die relative Bindefestigkeit einer p-Bindung 1.732 und die einer s-p-Bastardbindung 2 (vgl. Anm. 1 auf S. 446). a Man hat für 10 - 1 8 elektrostatische Einheiten des Dipolmoments die Bezeichnung „Debye" (D) eingeführt, weil die Entdeckung der permanenten molekularen elektrischen Dipole dem niederländischen Physiker P E T E R D E B Y E ZU verdanken ist und weil alle Zahlen werte des Dipol moments in dieser Größenordnung liegen.
154
Die Elektronentheorie der Valenz
lichkeit sind aber die elektrischen Ladungen k l e i n e r , da das gemeinsame Elektronenpaar dem Chloratom nicht v ö l l i g , sondern nur b e v o r z u g t angehört. Dementsprechend beträgt das gefundene Dipolmoment nur 1.04 Debye. Selbstverständlich kann man dann rückwärts aus der Größe des gefundenen Dipolmoments hier wie in anderen Fällen Rückschlüsse auf die Ladungsverteilung und damit den i n n e r e n B a u des Moleküls ziehen. Bei einem aus zwei g l e i c h a r t i g e n A t o m e n bestehenden Molekül (z. B. H 2 , J 2 , N 2 ) ist das Dipolmoment natürlich gleich N u l l . Die Atombindungen mit polarem Charakter stellen Ü b e r g ä n g e zwischen der reinen Ionenund der reinen Atombindung (vgl. S. 156f.) dar und haben dazu geführt, auch bei der A t o m w e r t i g k e i t zwischen einer mehr „elektropositiven" und einer mehr „elektronegativen" Wertigkeit zu unterscheiden. So ist z. B. der S t i c k s t o f f im S t i c k s t o f f - f l u o r i d NF S der e l e k t r o positivereBestandteil und daher „elektropositiv dreiwertig", während er i m S t i c k s t o f f - c h l o r i d NC1„ den e l e k t r o n e g a t i v e r e n Bestandteil bildet und daher als „elektronegativ dreiwertig" bezeichnet wird (vgl. S. 232 f.).
In derselben Weise, in der sich entgegengesetzt geladene I o n e n anziehen, können sich auch I o n e n und D i p o l e sowie D i p o l e u n t e r e i n a n d e r anziehen und auf diese Weise Molekülaggregate bilden. Die Kraft K, mit der dies geschieht, läßt sich für die verschiedenen Fälle durch die Gleichungen _el-el
Ion-Ion ~
r2
Ion-Dipol ~~
e1-/i3 ^
_ IhjJH
-"-Dipol-Dipol
—
yi
wiedergeben (e — Ladung des Ions; ¡i — Moment des Dipols; r = Abstand der sich anziehenden Ladungen). Man ersieht daraus, daß die „Dipolkräfte" bei gleichen Abständen r gemäß dem größenordnungsmäßigen Unterschied zwischen e und ¡x s e h r v i e l k l e i n e r als die „Ionenkräfte" sind und zudem mit wachsendem Abstand der Ladungen entsprechend der höheren Potenz von r sehr v i e l r a s c h e r a b k l i n g e n als diese. Die Dipolkräfte {„VANDER WAALsscheKräfte") bedingen u.a. die A s s o z i a t i o n vieler Substanzen im flüssigen Zustande und die Bildung zahlreicher A n l a g e r u n g s k o m p l e x e (vgl. S. 161). y) Die Metallbindung Das Metallgitter Kombiniert man zwei im Periodensystem der Elemente l i n k s stehende Atome etwa zwei N a t r i u m a t o m e , miteinander, so kann w e d e r durch den Übergang eines Elektrons vom einen zum anderen Atom (Na • + • Na —>- [Na] + [: Na] - ) n o c h durch gemeinsame Beanspruchung eines Elektronenpaares seitens beider Natriumatome (Na • -(- • Na —>- Na: Na) eine stabile Achterschale für letztere geschaffen werden. Dies ist vielmehr nur dadurch möglich, daß b e i d e Natriumatome ihr Elektron abg e b e n und daß die so entstehenden beiden p o s i t i v e n N a t r i u m - i o n e n durch die beiden n e g a t i v e n E l e k t r o n e n zusammengehalten werden: Na • + • Na
>- [Na]+ : [Na]+.
Diese Art der Bindung wird „Metallbindung" genannt. Die durch die Zahl der abgegebenen Valenzelektronen bedingte L a d u n g des Metall-ions gibt die „Metallwertigkeit" wieder. Wie bei der Ionenbindung liegen naturgemäß auch hier k e i n e g e r i c h t e t e n K r ä f t e vor, so daß sich die Anziehung zwischen Elektronen und Metallionen nicht auf z w e i A t o m e beschränkt, sondern — ähnlich wie bei der Ionenbindung — zur Bildung eines „Metallgitters" führt, bei welchem ein Ionengitter von Metallionen in ein „Elektronengas", d. h. ein Fluidum leichtverschieblicher Elektronen eingebettet ist. So haben wir uns z. B. das N a t r i u m m e t a l l , wie der in Fig. 53 wiedergegebene Ausschnitt aus dem Natriumgitter zeigt, als ein ,,kubisch-raum-
Die chemische Bindung
155
zentriertes" Gitter von Natrium-ionen vorzustellen, das von den Valenzelektronen der Natriumatome wie von einem Gas erfüllt ist. Lediglich im D a m p f z u s t a n d e kommen auch einfache Na 2 -Moleküle vor (S. 420). Die l e i c h t e B e w e g l i c h k e i t des Elektronengases bedingt den metallischen Charakter, vor allem die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der festen Metalle. Die Leitfähigkeit ist dabei zum Unterschied von der Leitfähigkeit der Salze n i c h t mit einer c h e m i s c h e n Z e r s e t z u n g des Leiters verbunden, da ja bei dem Vorgang der elektrischen Leitung das Metallionengerüst e r h a l t e n bleibt und lediglich eine Wanderung der E l e k t r o n e n (Abfluß zum positiven, Nachlieferung vom negativen Pol der Stromquelle) erfolgt. Leiter dieser Art nennt man „Leiter 1. Klasse" (vgl. S. 147). Die Geschwindigkeit, mit der sich die Elektronen in einem metallischen Leiter unter dem Einfluß einer angelegten Spannung bewegen, ist — entgegen einem weitverbreiteten Irrtum — sehr klein. Fließt z. B. in einem Kupferdraht von 1 mm2 Querschnitt ein Strom von 1 A, so beträgt die Strömungsgeschwindigkeit der Elektronen weniger als 1 / 10 mm pro Sekunde1, entsprechend einer S t u n d e n g e s c h w i n d i g k e i t von nur rund 30 cm. Da sich allerdings beim Einschalten des Stroms alle Elektronen des Leiters g l e i c h z e i t i g in Bewegung setzen (so wie sich beim Rangieren eines Eisenbahnzuges alle Wagen bewegen, wenn der letzte angestoßen wird), ist dieWirkung des Stromes auch an entfernten Stellen sofort zu beobachten.
O Nafriumfonen Fig. 63. Ladungsschwerpunkte der Ionen des Natriumgitters
Die Legierungen Es ist leicht einzusehen, daß bei der Kombination z w e i e r verschiedener Atomsorten zu einem M e t a l l g i t t e r nicht wie bei der reinen Atom- oder Ionenbindung ein c h a r a k t e r i s t i s c h e s k o n s t a n t e s A t o m v e r h ä l t n i s resultieren m u ß . Z. B. kann bei passender Abmessung der Ionenradien wie im Falle der Mischkristallbildung bei S a l z e n (S. 149f.) eine — begrenzte oder unbegrenzte — s t a t i s t i s c h e V e r t e i l u n g beider Partner über das ganze Gitter ohne gesetzmäßigen Verteilungsplan erfolgen; wir sprechen dann von „Legierungen" (Beispiel: Gold-Silber-Legierungen). Es kann die Verteilung der beiden Legierungspartner andererseits aber auch wie im Falle der Doppelsalze (S. 149) nach b e s t i m m t e n V e r t e i l u n g s g e s e t z e n erfolgen. Dann resultiert zwar eine s t ö c h i o m e t r i s c h e Z u s a m m e n s e t z u n g („intermetallische Verbindung" ; Beispiel: CaSn3), aber die „Wertigkeit" der Elemente in diesen „Verbindungen" hat natürlich nichts mit den n o r m a l e n W e r t i g k e i t e n der Elemente zu tun, da sie ja nicht wie bei der Ionen- und Atombindung binärer Verbindungen durch die Zahl der Valenzelektronen zwangsläufig gegeben ist, sondern mehr ein formaler Ausdruck der durch r ä u m l i c h e A n o r d n u n g s g e s e t z e bedingten Formel ist. Diese räumlichen Anordnungsgesetze scheinen weitgehend durch das Verhältnis der Gesamtzahl der L e i t u n g s e l e k t r o n e n zur Gesamtzahl der M e t a l l k a t i o n e n bedingt zu werden, da in sehr vielen Fällen b e s t i m m t e n derartigen Z a h l e n v e r h ä l t n i s s e n ganz b e s t i m m t e G i t t e r s t r u k t u r e n entsprechen („Regel von HujlE-ROTHEBY"). So weisen z. B. die drei Komponenten des Messings CuZn, Cu6Zn8 und CuZn8 entsprechend ihren verschiedenen Verhältniszahlen (1 + 2): (1 + 1) = 3 : 2 bzw. (5 • 1 + 8 • 2): (5 + 8) = 1
Die Strömungsgeschwindigkeit v der Elektronen (in mm/sec) errechnet sich, wie leicht abzuleiten, aus der Beziehung» = n -v -q -e(i = Stromstärke in Ampere, n = Zahl der Leitungselektronen je mm8, q = Querschnitt des Leiters in mm2, e = 1.602 • 10~18 = Ladung des Elektrons in Coulomb). Die Größe n ergibt sich gemäß n — w -2 aus der Metallwertigkeit w des metallischen Leiters (S. 156f.) und der Zahl z der Metallatome je mm» (2 = 6.022 -1020 A\M\ d = Dichte, M = Molekulargewicht des Metalls).
Die Elektronentheorie der Valenz
156 Zahl der Leitungselektronen je Metallatom
Gitterstruktur
Beispiele
2 1 : 1 4 (3 : 2)
kubisch-raumzentriertes Gitter
21:13
kompliziertes kubisches Gitter
21:12 (7:4)
hexagonale dichteste Kugelpackung
CuïZn", Ag'Cd11, AgjAl" 1 , CuiSiIV, Cu*SnIV, Ni°Al m CuiZnii, CujAli", F e»Zni\, Co»Zn«, P « , Cu^Sn™ C^Zn», Cu*SnIV, A^Zn* 1 , AgiAl™, Fe°Zn« Cu'Si t v
2 1 : 1 3 bzw. (1 + 3 • 2): (1 + 3) = 7 : 4 und in Übereinstimmung mit vielen Legierungen gleicher Verhältniszahl ein kubisch-raumzentriertes bzw. kompliziertes kubisches bzw.hexagonal dichtest gepacktes Gitter auf (s. obige Tabelle). Wie aus den in Spalte 3 der Tabelle durch römische Ziffern zum Ausdruck gebrachten Metallwertigkeiten hervorgeht, steuern die Metalle durchweg eine ihrer Gruppennummer im Periodensystem (S. 68 und 444) entsprechende Zahl von Valenzelektronen (Leitungselektronen) zum Elektronengas bei. Die Elemente der nullten Nebengruppe (z. B. Fe, Ni, Co, Pt) sind dementsprechend im Legierungsgitter nullwertig, was sich in der Tat durch magnetische Messungen (S. 600) beweisen läßt. 8) Übergänge zwischen den verschiedenen Bindungsarten Zwischen den G r e n z f ä l l e n der reinen Ionen-, reinen Atom- und reinen Metallbindung sind Ü b e r g ä n g e möglich, und bei der M e h r z a h l der anorganischen Verbindungen liegen solche Ü b e r g a n g s b i n d u n g e n vor. Ionenbindung/Atombindung. I n einer Ionenverbindung A B kann das K a t i o n A+ infolge seiner positiven Ladung die E l e k t r o n e n h ü l l e d e s A n i o n s B~ z u s i c h h e r ü b e r z i e h e n {„Deformation" der Elektronenhülle), so daß diese nicht mehr a l l e i n d e m A n i o n , sondern teilweise auch dem K a t i o n mit angehört. E s entsteht dann ein Ü b e r g a n g s z u s t a n d , der im G r e n z f a l l in die A t o m b i n d u n g übergeht (vgl. S. 153 f.): ( + ) Na"; Be" —>- Mg") bedingte Verringerung der deformierenden Wirkung durch eine entsprechende Z u n a h m e der K a t i o n e n l a d u n g (Na* — >- Mg"; Mg"—v AI'") wieder kompensiert wird. Die Deformierbarkeit eines A n i o n s nimmt bei gegebenem Kation mit der Größe des R a d i u s und der n e g a t i v e n L a d u n g zu. Daher besitzen z. B. die S u l f i d e weniger Salzcharakter als die C h l o r i d e und O x y d e und die J o d i d e weniger Salzcharakter als die B r o m i d e .
Die chemische Bindung
157
Metallbindung/Ionenbindung. Ersetzen wir im N a t r i u m c h l o r i d NaCl nicht wie im vorigen Fall das N a t r i u m , sondern das Chlor der Reihe nach durch die übrigen Elemente der 3. Periode des Periodensystems: NaCl, Na2S, Na„P, NaxSi, NaxAl, NaxMg, NaNa, Ionenbindung
Metallblndung
so kommen wir von der reinen I o n e n b i n d u n g über l e g i e r u n g s a r t i g e Übergangstypen hinweg zur reinen Metallbindung. Schematisch läßt sich dieser Übergang analog dem vorher formulierten wie folgt wiedergeben: [A]+[:B]~ v [A] + : B •—[A]+:[B]+. Ioncnbindung
Übergangebindung
Metallblndung
Es erfolgt also dabei ein allmählicher Übergang von gebundenen Elektronen in freie Leitungselektronen. Atombindung/Metallbindung. In analoger Weise kann auch ein allmählicher Übergang der Atombindung in die Metallbindung erfolgen: [A:B] Atombindung
(+) (+)
. [A : B]
>-
[A]+:[B] + ,
Übergangsbindung
wie man etwa an der Reihe der Elemente C1C1, SS, PP, SiSi, Atombindung
AI AI,
Metallbindung
MgMg,
NaNa
Metallbindung
sieht, die vom homöopolaren Chlor über das bereits den elektrischen Strom leitende Nichtmetall Silicium zum m e t a l l i s c h e n Natrium führt.
b) Verbindungen höherer Ordnung Verbindungen, wie die bis jetzt besprochenen, bei denen durch entsprechenden Elektronenausgleich für die beteiligten Bindungspartner erstmals Edelgasschalen erreicht werden, heißen „Verbindungen erster Ordnung". Die Fähigkeit der Atome zur Bindung anderer Atome ist aber nach Bildung dieser Verbindungen noch n i c h t erschöpft. Insbesondere sind die K a t i o n e n und Anionen von Salzen imstande, durch Aufnahme von Atomen und Atomgruppen in „Komplex-ionen" („Verbindungen höherer Ordnung") überzugehen. a) Komplexbildung am Anion Die k o o r d i n a t i v e Bindung Das Chlor-ion im Natriumchloridmolekül enthält vier freie E l e k t r o n e n p a a r e : [Nal+[:ä:]~, die zur Auffüllung unvollständiger Elektronenschalen anderer Atome dienen können. Lagern wir etwa an diese Elektronenpaare 1, 2, 3 oder 4 S a u e r s t o f f atome an, deren Elektronensextett dabei zu einem O k t e t t ergänzt wird, so gelangen wir zu folgenden vier Verbindungen höherer Ordnung: : C1:0 : Na+
: 0 : C1: 0 : Na+
:Ö:C1:Ö:
Na+
: 0: : Ö: C1: Ö: " : Ö: "
die wir als Natrium-hypochlorit, -chlorit, -chlorat und -perchlorat bereits kennengelernt haben (S. 120).
Die Elektronentheorie der Valenz
158
Auch bei diesen neu in das Molekül eintretenden Atomen erfolgt die Bindung wie bei der Atombindung durch ein g e m e i n s a m e s E l e k t r o n e n p a a r . Die Bindung u n t e r s c h e i d e t sich aber insofern von der A t o m b i n d u n g , als bei letzterer j e d e s der beiden v e r b u n d e n e n A t o m e ein E l e k t r o n zur B i n d u n g b e i s t e u e r t (A • + • B —>-+ A_: B), während hier b e i d e E l e k t r o n e n v o n e i n e m A t o m s t a m m e n (A: + B — > A : B). Formal kann m a n sieh das Zustandekommen der Bindung so vorstellen, daß zunächst wie bei der Ionenbindung der Übergang eines Elektrons vom einen zum anderen Atom hin erfolgt (1), worauf sich die entstandenen Teilchen durch eine normale Atombindung miteinander verknüpfen (2): + A • + -B + A- + - B — •> A: B A: + +
B
(1)
(2)
A:+ B A:B (3) Wie die Gesamtgleichung (3) zeigt, f ü h r t die beschriebene Anlagerung eines Atoms an ein freies Elektronenpaar im Endeffekt zu einer p o s i t i v e n L a d u n g f ü r das e l e k t r o n e n p a a r - l i e f e r n d e und einer n e g a t i v e n L a d u n g für das e l e k t r o n e n p a a r - a u f n e h m e n d e Atom 1 . Die zustandegekommene Bindung unterscheidet sich somit von der reinen Atombindung und wird daher als „koordinative Bindung" („semipolare Doppelbindung"; vgl. S. 159) von dieser unterschieden. Die Zahl und Art der infolge koordinativer Bindungen an einem Atom auftretenden fiktiven Ladungen („formale Ladungszahlen") läßt sich bei einer gegebenen Elektronenformel — wie man am Beispiel (3) nachprüfen kann — leicht in der Weise ermitteln, daß man die zu jedem gebundenen Atom gehörenden Elektronen zusammenzählt (wobei gemeinschaftliche Elektronenpaare halb zum einen und halb zum anderen Atom zu rechnen sind) und die so erhaltene Elektronenzahl mit der Zahl der Elektronen des n e u t r a l e n freien Atoms vergleicht (s. auch die folgenden Beispiele).
I n ähnlicher Weise wie an das C h l o r i d - i o n Sulfid-ion
Phosphid-ion
:S:
können z. B. auch an das
Cl:
und S i l i c i d - i o n
: Si:
Sauer-
1-
stoffatome angelagert werden. Die Endglieder [XOJ" haben dabei, wenn wir zugleich die bei der koordinativen Bindung auftretenden formalen Ladungszahlen (s. oben) berücksichtigen, folgende E l e k t r o n e n f o r m e l n : : Ö: : -0 :+++ Cl: -0 :
Na+
Perchlorat
:Ö: - ++ -
: Ö: Na+ Na+
:0:S :0:
:Ö:P:Ö: :Ö:
: Ö:
Sulfat
Na+ Na+ Na+
Phosphat
: 0: : Ö: Si: 0 : : 0:
Na+ Na+ Na+ Na +
(4)
Silicat
Die Valenzstrichformel Schreiben wir die Elektronenformeln (4) in V a l e n z s t r i c h f o r m e l n um, indem wir f ü r j e d e A t o m b i n d u n g (gemeinsames Elektronenpaar) und f ü r j e d e I o n e n b i n d u n g (Plus-Minus-Zeichen) je einen Valenzstrich zeichnen (vgl. S. 148 und S. 151), so kommen wir zu den Formelbildern: O^Cl-O-Na
x
Ox (F
/O-Na x
O-Na
/O-Na 0=Pf-0-Na \0-Na
.O-Na /O-Na ^ O—Na * X)-Na
(5)
1 Bei symmetrischer Verteilung des bindenden Elektronenpaares sind die Ladungen gleioh Elementarladungen, andernfalls (vgl. S. 153 f.) kleiner.
Die ohemische Bindung
159
Wie leicht ersichtlich, ergeben diese — früher ausschließlich und heute noch weitgehend verwendeten — Valenzstrichformeln hier wie überhaupt bei Verbindungen höherer Ordnung ein vollkommen f a l s c h e s B i l d von dem Aufbau der Moleküle. So scheinen die vier obigen Verbindungen nach den V a l e n z s t r i c h f o r m e l n (5) eine voneinander ganz v e r s c h i e d e n e K o n s t i t u t i o n zu haben, während sie nach den E l e k t r o n e n f o r m e l n (4) in Wirklichkeit alle vier ein vollkommen g l e i c h a r t i g u n d s y m m e t r i s c h a u f g e b a u t e s A n i o n [X0 4 ] , 1 _ enthalten, welches beim Auflösen in Wasser als g e s c h l o s s e n e s G a n z e s auftritt. Es ist daher zweckmäßig, mindestens bei den Verbindungen höherer Ordnung v o n V a l e n z s t r i c h f o r m e l n g a n z a b z u s e h e n und an deren Stelle die E l e k t r o n e n f o r m e l n zu setzen. Man kann dabei diese Elektronenformeln dadurch w e i t g e h e n d v e r e i n f a c h e n , daß man alle Elektronen und Ladungen wegläßt und die Verbindungen durch „ Komplexformeln" : o 0 C1 0 Na 0
o O S O Na s 0
o 0 P 0 Na, 0
' 0 0 Si 0 0
zum Ausdruck bringt. Die „komplexe Schreibweise" wurde von dem deutschschweizerischen Chemiker A L F R E D W E R N E R (1866—1919) schon lange vor Kenntnis der Elektronenformeln eingeführt. Will man für Verbindungen höherer Ordnung unbedingt V a l e n z s t r i c h f o r m e l n gebrauchen, so symbolisiert man die gemäß (3) aus e i n e r A t o m - u n d e i n e r I o n e n b i n d u n g bestehende koordinative Bindung — die man zum Unterschied von der aus z w e i I o n e n b i n d ü n g e n (S. 148) bestehenden „polaren Doppelbindung" zwei A t o m b i n d u n g e n
(z.B. [ C a ] + + [ : 0 : ]
(S. 150) aufgebauten ,,nichtpolaren Doppelbindung"
j und der aus (z.B.
0::0)
auch als „halbpolare Doppelbindung" („semipolare Doppelbindung") bezeichnet — zweckmäßig nicht durch einen D o p p e l s t r i c h , sondern durch einen vom elektronenpaar-abgebenden zum elektronenpaar-aufnehmenden Atom hinweisenden P f e i l ; z . B . :
0\s/0Na
( V \ONa ' Die von der Elektronentheorie der Valenz geforderte semipolare Doppelbindung (vgl. auch II, S. 66) läßt sich durch verschiedene physikalische Methoden, z. B. den R a m a n e f f e k t (vgl. S. 315ff.) und den P a r a c h o r (S. 496f.) nachweisen.
Die in den V a l e n z s t r i c h f o r m e l n (5) zum Ausdruck kommende Gesamtwertigkeit der Zentralatome ist gleich der S u m m e der aus den Elektronenformeln (4) zu entnehmenden B i n d u n g s - u n d L a d u n g s z a h l e n (Chlor im Perchlorat: 4 + 3 = 7-wertig; Schwefel im Sulfat: 4 + 2 = 6-wertig; Phosphor im Phosphat: 4 + 1 = 5-wertig; Silicium: 4 + 0 = 4-wertig). Die Zahl der vom Zentralatom betätigten A t o m b i n d u n g e n heißt auch „Koordinationszahl", ,,Zähligkeit" oder „koordinative Wertigkeit". Sie beträgt in den obengenannten vier Fällen jeweils 4. ß) Komplexbildung am Kation Bis jetzt befaßten wir uns mit solchen Verbindungen höherer Ordnung, die durch Anlagerung von Atomen an das A n i o n einer Verbindung erster Ordnung entstehen. Es gibt aber auch zahlreiche höhere Verbindungen, die durch Anlagerung von Atomen oder Atomgruppen an das K a t i o n einer Verbindung erster Ordnung Zustandekommen. Je nachdem, ob die Bindung dabei bevorzugt durch k o o r d i n a t i v e V a l e n z e n (S. 157f.) oder durch e l e k t r o s t a t i s c h e K r ä f t e (S. 153f.) bewirkt wird, unterscheidet man in diesem Falle zwischen „Durchdringungs"- und „Anlagerungs"-Komplexen (vgl. auch S. 317 und 391).
Die Elektronentheorie der Valenz
160
Durchdringungskomplexe
Liegt beispielsweise ein Salz MeX 2 mit dem Kation [Me] + + vor, so können sich an dieses Kation Atome oder Moleküle mit a b g e s c h l o s s e n e r A c h t e r s c h a l e wie Cl~, HäO, NH 3 , CN" U S W . : H
:C"l:
H:Ö:H
H:N:H
:C:::N:
derart anlagern, daß sie mit ihren freien Elektronenpaaren um das Metall-ion herum eine neue, dem Zentral-ion und den Addenden g e m e i n s a m a n g e h ö r e n d e Elektronenschale bilden („Durchdringungskomplexe"). Besonders bevorzugt sind dabei A c h t e r , Zwölfer- und Sechzehnerschalen 1 : [Cu]++ + 4 : NH 3 — > - [Cu (: NH 3 ) 4 ]+ + [ P t ] + + + + + 6 :C1—[Pt(:Cl)6]-" [ W ] + + + + + 8 : CN" — > - [ W ( : C N ) 8 ]
.
Maßgebend für diese Bevorzugung der Koordinationszahlen 4, 6 und 8 sind vor allem r ä u m l i c h e Gründe (S. 161), daneben aber in vielen Fällen auch die Tendenz, auf diesem Wege zu der Elektronenschale des nächsthöheren E d e l g a s e s zu gelangen. So erreicht z. B. das v i e r w e r t i g e P l a t i n (Atomnummer 78), das 78 — 4 = 74 Elektronen besitzt, in dem oben angegebenen Komplex-ion [PtCl6] 2~ durch die Aufnahme von 6 X 2 = 12 Elektronen die Elektronenkonfiguration des Edelgases R a d o n (Atomnummer 86): 74 + 12 = 86. Zur gleichen Edelgasschale kommt das um 4 Elektronen ärmere v i e r w e r t i g e W o l f r a m (70 Elektronen) im obigen komplexen Cyanid [W(CN)g]4~ durch die Aufnahme von 8 x 2 = 16 Elektronen: 70 + 16 = 86. Weitere Beispiele solcher Art sind die Komplex-ionen [Fe(CN)6]4~ (vgl. S. 543) und [Co(NH3)6]3+ (vgl. S. 540), die die Edelgasschale des K r y p t o n s (Atomnummer 36) aufweisen. Lassen allerdings die räumlichen Verhältnisse den Einbau einer entsprechenden Elektronenzahl nicht zu, so wird vielfach die nächsthöhere Edelgasschale n i c h t ganz e r r e i c h t oder etwas ü b e r s c h r i t t e n . So müßte z. B. das zweiwertige K u p f e r - i o n (27 Elektronen) zur Erreichung der Kryptonschale (36 Elektronen) eine u n g e r a d e Zahl von 9 Elektronen aufnehmen. Durch die Anlagerung von 4 Ammoniakmolekülen, entsprechend 4 x 2 = 8 Elektronen, kommt es in dem oben angegebenen Komplex-ion [CU(NH3)4]2+ der stabilen Edelgasschale nahe. In Form des — wesentlich beständigeren (vgl. S. 454, 455) —Komplex-ions [Ch^CNJJ 8- , welches e i n w e r t i g e s Kupfer (28 Elektronen) enthält (Cu+ + 4CN" — [ C u ( C N ) 4 ] 3 ) , wird die Kryptonschale völlig erreicht: 28 -f- 8 = 36. In analoger Weise sind die vom d r e i w e r t i g e n Eisen bzw. zweiwertigen Kobalt abgeleiteten Komplexionen [Fe(CN) 6 ] 3- und [Co(NH 3 ) 6 ] 2+ , die 35 bzw. 37 Außenelektronen je Zentralatom enthalten, wesentlich unbeständiger als die oben angeführten, die Kryptonschale (36 Außenelektronen) aufweisenden Komplexionen [Fe(CN)8]4~ und [Co(NH3)6]3+ des zweiwertigen Eisens und d r e i w e r t i g e n Kobalts (S. 540). Näheres über die Theorie der Komplexverbindungen auf S. 445ff. Nomenklatur. Zur r a t i o n e l l e n B e z e i c h n u n g von K o m p l e x v e r b i n d u n g e n gibt man zuerst den Namen des K a t i o n s und dann den Namen des A n i o n s an. Die Nennung der Bestandteile des k o m p l e x e n Ions erfolgt dabei in folgender R e i h e n f o l g e : 1. Zahl der Liganden, 2. Art der Liganden, 3. Zentralatom. Für die Angabe der Z a h l der L i g a n d e n verwendet man die griechischen Zahlworte. Die B e n e n n u n g der L i g a n d e n erfolgt bei S ä u r e r e s t e n durch Anhängen der Endung -o an den Namen der Acidogruppe (z. B. „Chloro" Cl', „Cyano" CN', , , S u l f a t o " S 0 4 " , „ H y d r o x o " OH'), bei n e u t r a l e n Molekülen durch Spezialbezeichnungen (z. B. „Aquo" H 2 0 , „Ammin" NH S ); erstere werden dabei stets vor den letzteren genannt. Die W e r t i g k e i t des Z e n t r a l a t o m s wird als römische Zahl in Klammern beigefügt. Als Ani onbestandteil erhält das Zentralatom die Endung -at. 1 Der Übersichtlichkeit halber sind bei den angegebenen Beispielen nur die B i n d u n g s Elektronenpaare angegeben.
Die chemische Bindung Beispiele:
161
[Cu(NH 3 ) 4 ]S0 4 „Tetrammin-kupfer(II)-sulfat",
K a [PtCl6] „Kalium-hexachloro-platinat( IV)", K 4 [ W(CN)8 ] ,, Kalium-oktacyano-wolframat( IV)", [CrCl2(H20)4]Cl ,,Dichloro-tetraquo-chrom(111)-chlorid".
Daneben sind häufig einfachere Bezeichnungsweisen oder auch Trivialnamen in Gebrauch, z. B. ,,Kalium-eisen(II)-cyanid" oder „gelbes Blutlaugensalz" für die Verbindung K 4 [Fe(CN) a ]
(„Kalium-hexacyano-ferratf 11)").
Anlagerungs komplexe Von den Durchdringungskomplexen sind die „Anlagerungskomplexe" zu unterscheiden, bei denen die Bindung der Addenden nicht durch e c h t e k o o r d i n a t i v e V a l e n z e n , sondern durch I o n e n - D i p o l - oder I o n e n - I o n e n - K r ä f t e (,,Nebenvalenzen") bewirkt wird. Beispiele für Ionen-Dipol-Komplexe sind zahlreiche H y d r a t e , A m m o n i a k a t e , A l k o h o l a t e (allgemein: „Solvale"), bei denen Ionen durch Anlagerung von Dipolmolekülen des L ö s u n g s m i t t e l s Komplex-ionen bilden (,,Solvatation"). Derartige Komplexe sind um so b e s t ä n d i g e r , j e g r ö ß e r das D i p o l m o m e n t p (S. 153f.) des Lösungsmittels und je k l e i n e r der A b s t a n d r ist, bis zu dem sich der Dipol dem Ion nähern kann (S. 154). So kommt es, daß sich die Solvatbildung im kristallisierten Zustand meist auf K a t i o n e n beschränkt; denn die A n i o n e n sind in der Regel zu groß, um eine genügende A n n ä h e r u n g von Ion und Dipol zuzulassen, so daß die ausgeübten Anziehungskräfte zu k l e i n sind. Die Z a h l der von einem K a t i o n angelagerten Dipolmoleküle wird bedingt durch den auf der Oberfläche des Zentral-ions zur Verfügung stehenden P l a t z und durch die Möglichkeit einer r e g e l m ä ß i g e n A n o r d n u n g der — sich meist gegenseitig abstoßenden — Addenden. Die drei einfachsten Körper von h o h e r S y m m e t r i e sind das T e t r a e d e r , das O k t a e d e r und der W ü r f e l . Dementsprechend findet man j e nach dem GrößenVerhältnis von K a t i o n und Addend vor allem die Koordinationszahlen 4 (vier E c k e n eines Tetraeders), 6 (sechs E c k e n eines Oktaeders) und 8 (acht Ecken eines Würfels), während die u n g e r a d e n Koordinationszahlen 5 und 7, für die k e i n e s y m m e t r i s c h e A n o r d n u n g möglich ist, sehr selten vorkommen. Als spezielle Beispiele für Ionen-Dipol-Komplexe seien die Ionen [ F e ( H 2 0 ) 4 ] + + , [Fe(NH 3 ) 6 ] + + u n d [ B a ( H 2 0 ) 8 ] + + a n g e f ü h r t . Die Ionen-Ionen-Komplexe sind in der Regel b e s t ä n d i g e r als die Ionen-DipolKomplexe und gehen im G r e n z f a l l in die besonders stabilen D u r c h d r i n g u n g s k o m p l e x e (S. 160f.) über. Ein Beispiel für einen solchen Ionen-Ionen-Anlagerungskomplex ist das Ion [FeF e ] , das zur Fällung von Alkalifluoriden aus wässeriger Lösung dienen kann (Fe+ + + + 6 F ~ — > - [FeF 8 ] ).
c) Das Äquivalentgewicht Dividiert man das F o r m e l g e w i c h t einer Atomgruppe oder eines Atoms durch die zugehörige I o n e n - (S. 148), A t o m - (S. 150), M e t a l l - (S. 154) bzw. G e s a m t w e r t i g k e i t (S. 159), so erhält man das sogenannte „Äquivalentgewicht": Äquivalentee wicht =
Fcmnelgewicht^ _ Wertigkeit
(1)
Die dem Ä q u i v a l e n t g e w i c h t numerisch entsprechende G r a m m - m e n g e heißt „1 Grammäquivalent" oder auch kurz „1 V a l " . 1 Val Sulfat-ionen bezeichnet also 9 6 . 0 6 : 2 = 48.03 g S 0 4 " ; 16.00: 2 = 8.00 g 0 2 stellen 1 Grammäquivalent Sauerstoff dar; 26.97 : 3 = 8.99 g AI entsprechen 1 Grammäquivalent Aluminiummetall; das Äquivalentgewicht des Chlors in der Überchlorsäure beträgt 35.457 : 7 = 5.065. Holl eman - WI h er ß, Anorganische Chemie. 40.— 4Ö. Aufl.
11
162
Die Elektronentheorie der Valenz
Lösungen, die je Liter 1 Val einer Substanz enthalten, werden ,,1-normale Lösungen" genannt. In einer 1-normalen Nitratlösung sind demnach 62.008: 1 = 62.008 g N0 3 ', in einer 1-normalen Carbonatlösung 60.010: 2 = 30.005 g C 0 3 " gelöst. Unter einer „1-normalen Säure (Base)" versteht man eine Säure-(Base-)Lösung, die je Liter 1 Val Wasserstoff-ionen (Hydroxyl-ionen) abzugeben imstande ist. Eine 1-normale Phosphorsäurelösung enthält demnach 98.00: 3 = 32.67 g H 3 P 0 4 , eine 1-normale Calciumhydroxydlösung 74.10: 2 = 37.05 g Ca(OH)2 je Liter. Bei Atomen kann die Beziehung (1) wie folgt geschrieben werden: Äquivalentgewicht X Wertigkeit = Atomgewicht.
(2)
In dieser Form läßt sie sich zur B e s t i m m u n g des A t o m g e w i c h t s eines Elements benutzen, indem man das Äquivalentgewicht und die Wertigkeit des Elements bestimmt. Das Ä q u i v a l e n t g e w i c h t ermittelt man dabei zweckmäßig als die Grammmenge. welche 1 Val ( = 1.008 g) Wasserstoff bzw. 1 Val ( = 8.000 g) Sauerstoff zu binden oder aus einer Verbindung zu verdrängen vermag; denn da 1 Val gemäß (2) der auf eine Wertigkeitseinheit entfallende Anteil des Atomgewichts ist, kann 1 Val einer Substanz immer nur durch 1 Val einer anderen Substanz gebunden oder verdrängt werden. Durch Einsetzen des so gefundenen Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s und des aus der Dulong-Petitsehen R e g e l (S. 78f.) folgenden a n g e n ä h e r t e n A t o m g e w i c h t s in (2) ergibt sich dann die W e r t i g k e i t des Elements als a n g e n ä h e r t e ganze Zahl. Das genaue A t o m g e w i c h t erhält man schließlich gemäß (2) durch Multiplikation des genau bestimmten Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s mit der g a n z z a h l i g e n W e r t i g k e i t . So beträgt z. B. das genaue Äquivalentgewicht des Calciums 20.04 (20.04 g Calcium machen aus einer Säure 1 Val Wasserstoff frei). Da die spezifische Wärme des Calciums 0.17 cal/g beträgt, besitzt das Calcium nach der DuLONG-PETiTschen Regel das angenäherte Atomgewicht 6 . 2 : 0 . 1 7 = 3 7 . Somit ist Calcium z w e i w e r t i g ( 3 7 : 2 0 = 1.9), und das genaue Atomgewicht des Calciums ergibt sich zu 20.04 x 2 = 40.08. K o m m t ein Element in m e h r e r e n W e r t i g k e i t s s t u f e n vor, so besitzt es natürlich gemäß (2) auch m e h r e r e Ä q u i v a l e n t g e w i c h t e . Diese stehen nach (2), übereinstimmend mit dem Gesetz der multiplen Proportionen (S. 14), im Verhältnis e i n f a c h e r g a n z e r Z a h l e n zueinander.
Kapitel X
Die Gruppe der Chalkogene Zur Gruppe der C h a l k o g e n e (6. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente) g e h ö r e n d i e E l e m e n t e Sauerstoff
( 0 ) , Schwefel
(S), Selen
(Se) u n d Tellur
(Te). D e n
Namen Chalkogene ( = E r z b i l d n e r ) tragen diese Grundstoffe, weil sie maßgeblich am Aufbau der natürlichen E r z e beteiligt sind. Das ebenfalls zur 6. Gruppe zählende Polonium ist ein kurzlebiges radioaktives Zerfallsprodukt des Urans (S. 568) und kommt in der Natur nur in geringen Mengen vor.
1. D e r Sauerstoff Den Sauerstoff selbst haben wir auf S. 31 ff. bereits behandelt. Bei dieser Gelegenheit waren wir auch auf den Begriff der O x y d a t i o n (und später den der R e d u k t i o n ) eingegangen. Auf Grund der im vorangehenden Kapitel entwickelten E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z läßt sich nun die Erscheinung der Oxydation und Reduktion auf breiterer Grundlage diskutieren. Hiermit wollen wir uns im folgenden beschäftigen.
a) Oxydation und Reduktion a) Ableitung eines neuen Oxydations- und ßeduktionsbegriffs Nach der ursprünglichen Definition (S. 35) bedeutete die Oxydation eine V e r e i n i g u n g m i t S a u e r s t o f f . Verbindet sich nun z. B. ein Metallatom Me mit einem Sauerstoffatom 0 (Me + 0 —>- MeO), so beruht die Oxydbildung nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z auf einem Ü b e r g a n g v o n E l e k t r o n e n (©) vom M e t a l l a t o m zum S a u e r s t o f f a t o m : Me Me++ + 2 Q 20 + 0 >- 0— Me + 0 >- Me++0—. Das S a u e r s t o f f a t o m entzieht dem Metallatom Elektronen, da es das Bestreben hat, sich durch Aufnahme zweier Elektronen eine A c h t e r s c h a l e aufzubauen (S. 145ff.). Nun haben auch a n d e r e S t o f f e dieses Bestreben. Daher kann man dem Metall auch mit Hilfe z . B . von C h l o r seine Valenzelektronen entreißen: © + Cl'—>- Cl".
Es liegt nahe, den dabei sich ergebenden Gesamtvorgang Me + Cl2 —>• MeCl2 e b e n f a l l s als eine O x y d a t i o n des Metalls zu bezeichnen. In der Tat hat man schon früher von einer „Oxydationswirkung" des Chlors und von einem „Verbrennen" von Metallen im Chlorstrom gesprochen. Die Schwierigkeit, daß solche sauerstoff-freien Oxydationsmittel wie das Chlor entgegen der ursprünglichen Definition keine s a u e r s t o f f - ü b e r t r a g e n d e n Mittel sind, umging man durch eine Erweiterung des Begriffs eines Oxydationsmittels, indem man in Analogie zur wasserstoff-entziehenden Wirkung des Sauerstoffs ganz allgemein w a s s e r s t o f f - e n t z i e h e n d e Mittel (Chlor ist z. B. ein solches Mittel: Cl2 + H 2 — > - 2HCl) als O x y d a t i o n s m i t t e l bezeichnete (S. 61). 11*
164
Die Gruppe der Chalkogene
Nach der neuen D e f i n i t i o n besteht die Oxydation in einem Entzug von Elektronen und die oxydierende Wirkung eines Oxydationsmittels in dessen elektronenentziehender Wirkung. In diese Definition fügen sich das Chlor und andere sauers t o f f - f r e i e O x y d a t i o n s m i t t e l nunmehr zwanglos ein. Der elektronen-entziehende Stoff braucht dabei kein n e u t r a l e s A t o m , sondern kann z. B. auch ein g e l a d e n e s I o n sein. So haben beispielsweise d r e i f a c h g e l a d e n e E i s e n - i o n e n das Bestreben, durch Aufnahme je eines Elektrons in z w e i f a c h g e l a d e n e ü b e r z u g e h e n : © + Fe+++
>- Fe++.
Daher bezeichnet man auch E i s e n ( I I I ) - s a l z e als O x y d a t i o n s m i t t e l . Ebenso kann der Entzug von Elektronen auch ohne direkte Zuhilfenahme chemischer Stoffe elekt r o l y t i s c h mittels einer Anode erfolgen {„anodische Oxydation"), da die Anode als positive Elektrode ganz allgemein der Lösung Elektronen entzieht und sie an den positiven Pol der Stromquelle abführt. Die gleiche Entwicklung hat der Begriff der Reduktion durchgemacht. Ursprünglich (S. 44) bedeutete die Reduktion das R ü c k g ä n g i g m a c h e n der O x y d a t i o n 1 . Läßt man z. B. auf ein Metalloxyd bei erhöhter Temperatur W a s s e r s t o f f einwirken, so wird es zu Metall reduziert (MeO + H 2 — > - Me +H2O). Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z beruht dieser Vorgang darauf, daß das Metall die bei der Oxydation a b g e g e b e n e n E l e k t r o n e n wieder z u r ü c k e r l a n g t : Me++0— + 2 H — > - Me + H+O ~H+ bzw. Me ++ -|-2H—> Mo + 2H+, indem der vorher u n g e l a d e n e Wassers t o f f unter Bildung von W a s s e r 3 t o f f - i o n e n seine Außenelektronen an das Metall abgibt : 2H —•> 2H+ + 2 © Me++ + 2 ©
>- Me
2 H + Me++
>- 2H+ + Me,
worauf sich die gebildeten Wasserstoff-ionen mit den Sauerstoff-ionen des Metalloxyds zu Wasser vereinigen (2H+ + O — v H 2 0). Statt durch W a s s e r s t o f f kann nun die Zufuhr von Elektronen z. B. auch mittels N a t r i u m erfolgen: ^ + Q> N& weshalb man ein Metalloxyd auch mit Hilfe von N a t r i u m zum Metall r e d u z i e r e n kann. Somit ergibt sich die Reduktion nach der erweiterten Definition als eine Zufuhr von Elektronen und ein Reduktionsmittel als ein elektronen-zuführendes Mittel. Auch g e l a d e n e I o n e n — z. B. zweifach geladene Chrom-ionen, die das Bestreben haben, in dreifach geladene überzugehen — : Cr++
Cr+ + + +
©
können daher Reduktionsmittel sein. Ebenso stellt bei einer Elektrolyse die K a t h o d e ein Reduktionsmittel dar (,,kathodische Reduktion"), weil die Kathode als negative Elektrode diejenige Elektrode ist, welche die vom negativen Pol der Stromquelle kommenden Elektronen der Lösung zuführt. — Die entwickelten Definitionen der Oxydation bzw. Reduktion und des Oxydationsmittels bzw. Reduktionsmittels können zu der Gleichung Reduktionsmittel
Oxydation
KeduUtion
Oxydationsmittel + Elektronen
zusammengefaßt werden. Man nennt ein dieser Definitionsgleichung entsprechendes elektronen-abgebendes und -aufnehmendes System auch „Reduktions-OxydationsSystem" (,,korrespondierendes Redox-Paar") oder abgekürzt „Redoxsystem": Red. 1
reducere = zurückführen.
Ox. +
©.
Der Sauerstoff
165
ß) Die elektrochemische Spannungsreihe Das Normalpotential Wie aus dem Vorstehenden leicht ersichtlich ist, kann es bei einem chemischen Vorgang k e i n e O x y d a t i o n o h n e e i n e g l e i c h z e i t i g e R e d u k t i o n geben und umgekehrt. Denn e i n Stoff muß j a die Elektronen a b g e b e n (Reduktionsmittel; oxydierter Stoff), ein a n d e r e r muß sie a u f n e h m e n (Oxydationsmittel; reduzierter Stoff). Da nun nicht j e d e r Stoff an j e d e n anderen Stoff Elektronen abzugeben imstande ist, gibt es keine a b s o l u t e n Oxydations- und Reduktionsmittel. Vielmehr ist die Oxydations- oder Reduktionswirkung einer Substanz eine F u n k t i o n des zu oxydierenden oder zu reduzierenden Stoffs. Taucht man z. B . einen Z i n k s t a b in eine K u p f e r s u l f a t l ö s u n g , so überzieht er sich mit Kupfer, weil das Zink bestrebt ist, an Kupfer-ionen Elektronen abzugeben: Zu 2 0 + Cu"
>- Zn" + 2 © Cu
Zn + Cu" — - > - Z n " + Cu.
(1)
(2) (3)
Zink reduziert also die Kupfer-ionen zu metallischem Kupfer. Taucht man aber umgekehrt einen K u p f e r s t a b in eine Z i n k s u l f a t l ö s u n g , so ist das Kupfer nicht imstande, die Zink-ionen zu Zink zu reduzieren. Wohl aber wirkt es beispielsweise gegenüber S i l b e r - i o n e n a l s Reduktionsmittel: Cu 2 e + 2 Ag' Cu + 2Ag'
>- Cu" + 2 Q >- 2 Ag Cu" +
2Ag.
Will man diese unterschiedliche Oxydations- und Reduktionswirkung z a h l e n m ä ß i g erfassen, so muß man nach der t r e i b e n d e n K r a f t des Elektronenübergangs fragen. Die Tatsache, daß Zink an Kupfer-ionen Elektronen abzugeben imstande ist, daß also zwischen dem Zinksystem (1) und dem Kupfersystem (2) ein elektrischer Strom fließt, zeigt, daß zwischen beiden Systemen eine S p a n n u n g („Potentialdifferenz") besteht. Denn ein S t r o m — handele es sich um einen W a s s e r - , W ä r m e - , G a s - oder E l e k t r i z i t ä t s s t r o m — fließt nur beim Vorhandensein eines ,,Niveau"-Unterschieds (Höhen-, Temperatur-, Druck-, P o t e n t i a l d i f f e renz), nämlich v o m h ö h e r e n z u m t i e f e r e n N i v e a u h i n . Die zwischen Zink und Kupfer vorhandene Spannung oder Potentialdifferenz läßt sich beim bloßen Eintauchen eines Zinkstabs in eine Kupfersulfatlösung experimentell nicht messen, weil sich der Elektronenaustausch zwischen Atom und Atom, also innerhalb a t o m a r e r D i m e n s i o n e n abspielt. T r e n n t man aber das Zinksystem (1) r ä u m l i c h von dem Kupfersystem (2), indem man — vgl. Fig. 54 — einen Zinkstab in eine Zinksulfatlösung und einen Kupferstab in eine Kupfersulfatlösung eintaucht und die beiden Lösungen durch eine poröse Seheidewand („Diaphragma") voneinander scheidet („DANiELL-Element"), so kann das Zink seine Elektronen nur auf dem Wege über einen das Zink mit dem Kupfer verbindenden ä u ß e r e n S c h l i e ß u n g s d r a h t an die Kupfer-ionen abgeben. Der chemische Vorgang ist dabei d e r s e l b e (3) wie im Reagensglas; die vorhandene Potentialdifferenz läßt sich aber zum Unterschied von dort durch Anlegen einer Gegenspannung an die beiden Elektroden m e s s e n . Sie hat im vorliegenden Fall, falls die Konzentration an Zink- und Kupfer-ionen je 1 Gramm-ion pro Liter beträgt, den Wert 1.11 Volt. Und zwar besitzt das Z i n k das h ö h e r e , das K u p f e r das t i e f e r e Potential, da die Elektronen in der Richtung des Pfeils (Fig. 54) vom Zink zum Kupfer hin fließen (vgl. Fig. 58, S. 173). Die P o t e n t i a l d i f f e r e n z zwischen den beiden E l e k t r o d e n kann mit der D r u c k d i f f e r e n z zwischen zwei mit Gas von verschiedenem Druck gefüllten G a s b e h ä l t e r n verglichen
166
Die Gruppe der Chalkogene
werden. Wie sieh beim öffnen eines Verbindungsrohrs zwischen beiden Behältern der Gasdruok durch Fließen eines Gasstroms vom Behälter mit höherem zum Behälter mit niederem Druck ausgleicht, fließt auch hier bei leitender Verbindung von Zink und Kupfer das „Elektronengas" (vgl. S. 154) vom Zink, der Stelle höheren „Elektronendrucks", zum Kupfer, der Stelle niederen „Elektronendrucks" (vgl. E. W I B E R G , „Die. chemische Affinität'1).
Kombiniert man das K u p f e r statt mit Zink mit S i l b e r (S. 165), so fließt der Strom in u m g e k e h r t e r Richtung (Fig. 55), und die Potentialdifferenz hat bei Anwendung 1-molarer Ionenlösungen den Wert 0.46 Volt. Z i n k und S i l b e r lassen sich ihrerseits in analoger Weise zu einem „galvanischen Element" zusammenstellen, dessen „elektromotorische Kraft" (EMK) gleich 1.57 Volt, also gleich der Summe der beiden anderen Potentialdifferenzen (1.11 + 0.46 = 1.57) ist und dessen Elektronenstrom vom Zink zum Silber fließt. Eine W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e , d. h. eine von Wasserstoff bei Atmorfusserer SMiessvngsdrahts Zh Apfl/b/sufaf/ösung
Fig. 54.
Galvanisches Zink-Kupfer-Element
VT
Ha-
Äusserer ScMiessungsdraht^
1.11
Volt willkürliche Null-Linie des Potentials 0J5
08)
Voli
Cu-
ffupferstab SHbermtrattösung
m
Volt
/igÄt/p/ersv/faf/ösung ^Diaphragma
Fig. 65. Galvanisches Silber-Kupfer-Element
+ Fig. 56. Wahl eines willkürlichen Nullpunktes der Spannungsreihe
sphärendruck umspülte und in eine 1-normale Wasserstoffionenlösung eintauchende Platinelektrode („Normal-Wasserstoffelektrode") liefert mit Z i n k bzw. K u p f e r bzw. S i l b e r galvanische Elemente der elektromotorischen Kraft 0.76 bzw. 0.35 bzw. 0.81 Volt, wobei der Elektronenstrom im ersten Fall vom Metall zum Wasserstoff, in den beiden letzten Fällen vom Wasserstoff zum Metall fließt. Auch an der Grenzfläche der Kathoden- und Anodenflüssigkeit tritt jeweils eine kleine Potentialdifferenz (,,Diffusionspotential") auf. Bezüglich dieser Potentialdifferenz, die hier außer acht gelassen wurde, vgl. die Lehrbücher für physikalische Chemie.
Trägt man die obigen Ergebnisse nach Art der Fig. 56 maßstäblich auf, so erhält man eine „elektrochemische Spannungsreihe", in welcher jedes h ö h e r s t e h e n d e Element an die t i e f e r s t e h e n d e n Elemente Elektronen abzugeben imstande ist, und aus welcher die jeweilige P o t e n t i a l d i f f e r e n z eines galvanischen Elements, die ein Maß für die „freie Energie" (S. 46) des dem Element zugrunde liegenden elektrochemischen Vorgangs — ausgedrückt in „Elektronenvolt" (S. 507) — darstellt, ohne weiteres zu entnehmen ist. Natürlich sind bei der geschilderten Versuchsanordnung nur P o t e n t i a l d i f f e r e n z e n meßbar. Die a b s o l u t e n Potentialwerte der einzelnen Elektroden bleiben hierbei
Der Sauerstoff
167
unbekannt. Ihre Kenntnis ist aber auch nicht erforderlich, da bei galvanischen Elementen nur die elektromotorische G e s a m t kraft interessiert. Es genügt daher, einen w i l l k ü r l i c h e n N u l l p u n k t festzusetzen, so wie man etwa zur T e m p e r a t u r m e s s u n g statt des absoluten Nullpunktes die Temperatur des schmelzenden E i s e s und zur H ö h e n m e s s u n g statt des Erdmittelpunktes die Höhe des M e e r e s s p i e g e l s als willkürlichen Nullpunkt wählt. Bei der S p a n n u n g s r e i h e hat man sich dahin entschieden, das Potential einer N o r m a l - W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e bei 25° als N u l l p u n k t festzulegen (vgl. Fig. 56); man h ä t t e aber genau so gut auch das Potential des S i l b e r s oder K u p f e r s zum Nullpunkt der Skala machen können. Zur Unterscheidung voneinander erhalten die Potentiale aller in der Spannungsreihe ü b e r dem Wasserstoff stehenden Elemente ein n e g a t i v e s , die aller d a r u n t e r stehenden Elemente ein p o s i t i v e s Vorzeichen. Zink, Kupfer und Silber haben demnach, bezogen auf die Wasserstoffelektrode als Nullelektrode, in 1-molarer Metallionenlösung bei 25° „Normalpotentiale" von—0.76 bzw. + 0.35 bzw. + 0 . 8 1 Volt. Spannungsreihe von Metallen Nebenstehende erweiterte Spannungsreihe enthält eine Zusammenstellung der N o r m a l p o t e n t i a l e e 0 Red. Ox. + © «0 (Volt) einiger wichtiger Metalle, geordnet nach der Höhe -Zn" + 2 © - 0.76 Zn steht, d. h. je negativer (positiver) sein Normal->Cr"' + 3 © - 0.71 Cr - + 2 © - 0.28 Co" Co s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l und lassen sich dem+ 2 © - 0.25 Ni" Ni nach besonders l e i c h t o x y d i e r e n („unedle MeSn" + 2 © - 0.14 Sn talle") ; dagegen sind die am E n d e der Reihe stehenPb" + 2 © - 0.13 Pb den Metalle nur s c h w e r z u o x y d i e r e n („edle Me2H" + 2 © + 0.00 talle") und wirken in Form ihrer Ionen umgekehrt H, als s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l . Cu" + 2 © + 0.35 Cu - - Au" + 3 © + 1.42 m i t t e l (Oxydationsmittel) auftreten. Da sich aus den - > Pt" + 2 © + 1.60 20 Systemen der oben angegebenen Spannungsreihe Pt insgesamt (20 X 19) : 2 = 190 Kombinationen bilden lassen, sind wir an H a n d der obigen Tabelle in der Lage, nahezu z w e i h u n d e r t chemische Reaktionen vorauszusagen. Greifen wir etwa die Reduktion von Wasserstoff-ionen zu elementarem Wasserstoff, also die E n t w i c k l u n g v o n W a s s e r s t o f f a u s S ä u r e n heraus, so kommen hierfür nur die in der Spannungsreihe ü b e r d e m S y s t e m 2H" + 2 © — > H 2 s t e h e n d e n M e t a l l e Blei bis Kalium, nicht aber die darunter stehenden Metalle Kupfer bis Platin in Frage. So kann man z. B. durch Einwirkung von Z i n k oder E i s e n auf Säuren W a s s e r s t o f f erzeugen (S. 39): Zn 2 © + 2H'
>- Zn" + 2 © >- H g
Zn + 2H"
>- Zn" + H 2 ,
während die reduzierende K r a f t von K u p f e r und S i l b e r zur Entladung von Wasserstoff-ionen nicht ausreicht, so daß sich diese Metalle in Säuren nicht unter Wasserstoffentwicklung auflösen, sondern umgekehrt aus den Lösungen ihrer Salze durch
168
Die Gruppe der Chalkogene
Wasserstoff (unter Druck) ausgefällt werden können. In ähnlicher Weise kann man z. B. K u p f e r aus Kupfersalzlösungen durch E i s e n (vgl. S. 451) und S i l b e r aus Silbersalzlösungen durch Z i n k (vgl. S. 457), nicht aber etwa C a d m i u m aus Cad miumsalzlösungen durch B l e i niederschlagen. Auch für Nichtmetalle läßt sich eine Spannungsreihe aufstellen. Auch hier befinden sich o b e n die s t a r k e n R e d u k t i o n s - u n d u n t e n die s t a r k e n O x y d a t i o n s m i t t e l . So ist nach der nebenstehenden Tabelle z. B. das Spannungsreihe F l u o r ein viel stärkeres Oxydationsmittel als etwa von N i c h t m e t a l l e n C h l o r oder B r+o — m +oder J o d und der S c h w e f e l Red.
Ox. +
Te" Se" S" 2 J' 2Br' 2C1' 2F'
->-
©
Te + 2 © Se + 2 © S + 2 © J2 + 2 © Br 2 + 2 © Cl2 + 2 © P» + 2 ©
«o(Volt) + + + +
0.92 0.78 0.51 0.53 1.07 1.36 2.85
Wasserstoff ( H S H ) ein stärkeres Reduktionsmittel +—
als o d w a s s e r s t o f f ( H J ) oder C h l o r w a s s e r s t o f f + J— ->(HCl). Jedes Halogen läßt sich nur durch solche ->Oxydationsmittel aus seinen Ionen freimachen, welche ->in der Spannungsreihe darunterstehen. Daher kann ->z. B. das B r o m aus Jodiden J o d und das Chlor aus Bromiden B r o m in Freiheit setzen, nie umgekehrt. Das F l u o r , welches das p o s i t i v s t e P o t e n t i a l aller Oxydationsmittel überhaupt besitzt, kann dieser Stellung in der Spannungsreihe gemäß überhaupt n i c h t auf c h e m i s c h e m W e g e , sondern nur durch eine Anode entsprechend positiven Potentials, also durch a n o d i s c h e O x y d a t i o n aus Fluoriden gewonnen werden (S. 86). Weiterhin können Redoxsysteme in Ionen-Umladungen und in komplizierteren chemischen Vorgängen bestehen. Auch hierfür seien in den nachfolgenden beiden Spannungsreihen einige Beispiele gegeben: Spannungsreihe von I o n e n u m l a d u n g e n Red. Cr" v Sri"' Cu' Fe" Hga" Pb" Co"
Ox.
- < -
+
©
Cr'" + © V" + © Sil"" + 2 © ->Cu" + © Fe'" + © -V 2 H g ' + 2 © ->Pb"" + 2 © -Co'" + © ->-
-- Mg(OH)2 + H 2 ) eine S c h u t z s c h i c h t um das Metall bildet (Fig. 57), welche den weiteren Angriff des Wassers verhindert, so daß die Reaktion gleich nach Beginn zum Stillstand kommt. Löst man die Hydroxydschicht durch Zugabe von S ä u r e oder eines •Magnesium anderen Lösungsmittels auf, so geht die Wasserstoffentwicklung weiter. Metalle wie die A l k a l i - oder E r d a l k a l i m e t a l l e , die r . ~6chufzschicht l ö s l i c h e H y d r o x y d e bilden, können keine solche Schutzschicht ausbilden und reagieren daher mit Wasser lebhaft unter Wasserstoffentwicklung. .'h/asser Auch bei der Einwirkung von M e t a l l e n auf S ä u r e n kann häufig die Wasserstoffentwicklung entgegen den Aussagen der Spannungsreihe wegen Ausbildung einer u n l ö s l i c h e n S c h u t z s c h i c h t ausbleiben. So löst sich z. B. B l e i nicht in verdünnFig. 57. Passivität des Magnesiums gegenüber Wasser ter S c h w e f e l s ä u r e , weil das dabei sich bildende B l e i s u l f a t (Pb -f- H2SO4—>• P b S 0 4 + H 2 ) als schützende Deckschicht die weitere Einwirkung der Schwefelsäure unterbindet (vgl. S. 363).
Bei Kenntnis der Normalpotentiale e0 kann man die Beziehung zwischen P o t e n t i a l und I o n e n k o n z e n t r a t i o n — vgl. (9), (10) und (11) — dazu verwenden, um durch Messung des Einzelpotentials e einer in eine Lösung unbekannter Ionenkonzentration eintauchenden Elektrode die Ionenkonzentration cIon (genauer: Ionenaktivität a[on; S. 107 f.) der Lösung zu ermitteln. Man benutzt dieses Prinzip besonders häufig zur Bestimmung der W a s s e r s t o f f i o n e n k o n z e n t r a t i o n einer Lösung (,,potentiometrische pH-Bestimmung"). y ) Die elcktrolytische Zersetzung Die in den vorangehenden Abschnitten behandelte Theorie der galvanischen Elemente ermöglicht nunmehr auch ein besseres Verständnis für den Vorgang der e l e k t r o l y t i s c h e n Z e r s e t z u n g e n , da es sich bei der Elektrolyse um eine U m k e h r u n g der in einem galvanischen Element f r e i w i l l i g a b l a u f e n d e n Redox-Reaktionen handelt. Schalten wir beispielsweise eine in Zinksulfatlösung tauchende Zinkelektrode mit einer in Kupfersulfatlösung eintauchenden Kupferelektrode zu einem DANiELL-Element zusammen, so „fließt" bei leitender Verbindung der beiden Elektroden durch einen äußeren Schließungsdraht der Elektronen-,,Strom" gemäß dem vorhandenen PotentialGefälle" vom „höheren" (—0.76 Volt) zum „tieferen" ( + 0.35 Volt) Potential,.Niveau" (Fig. 58): Zn ->- Zn" + 2 © 2 e + cu"
Cu
Zn + Cu" — Z n " + Cu.
Das Zink reduziert mit anderen Worten die Kupfer-ionen zu metallischem Kupfer. Dabei wird eine elektrische Arbeitsmenge verfügbar, die durch das Produkt aus Potentialdifferenz und fließender Elektrizitätsmenge (Volt X Coulomb = Joule) gegeben ist. Der u m g e k e h r t e Vorgang, d. h. die Abscheidung von Zink und die Auflösung von Kupfer, läßt sich nur dann erzwingen, wenn man durch Einschaltung einer Stromquelle von genügender Spannung in den äußeren Stromkreis der Zinkelektrode ein „höheres" (d. h. n e g a t i v e r e s ) Potential als —0.76 und der Kupferelektrode ein „tieferes" (d. h. p o s i t i v e r e s ) Potential als + 0.35 Volt erteilt und damit in Umkehrung der Stromrichtung von Fig. 58 dem K u p f e r Elektronen e n t z i e h t , dem Zink Elektronen a u f z w i n g t (Fig. 59). Denn dann n i m m t gemäß dem zwischen Stromquelle und Elektrode vorhandenen Potential-,,gefalle" die vorher nach außen hin e l e k t r o n e n -
173
Der Sauerstoff
a b g e b e n d e Zinkanode E l e k t r o n e n auf und wird damit zur K a t h o d e , während die vorher e l e k t r o n e n - a u f n e h m e n d e Kupferkathode jetzt E l e k t r o n e n a b g i b t und damit zur Anode wird: Zn" + 2 Q Cu Z n " + Cu
»- Zn >• Cu"
+ 2 0
v Zn + C u " .
Insgesamt geht damit unter gleichzeitiger Abscheidung von Zink Kupfer in Lösung. Die für eine solche elektrolytische Zersetzung erforderliche „Zersetzungsspannung" muß, wie aus Fig. 59 hervorgeht, ganz allgemein mindestens e t w a s g r ö ß e r a l s die
0,76 V Zn
finode
Nt/HL/me des Potentials
Kathode Cu
Dektron enslrom
Fig. 58.
0,35 V t
Elektromotorische Kraft des DANIELL-Elements
e l e k t r o m o t o r i s c h e K r a f t (S. 166) des f r e i w i l l i g a b l a u f e n d e n V o r g a n g s sein. Das Mehr an Spannung ( A E ) dient dabei zur Überwindung des OHM sehen Widerstandes W der Zelle und damit zur Aufrechterhaltung einer bestimmten Stromstärke
Ii I
0,76 V Zn
Kathode
Nu/Z-Linie des Potent/als
ftnode Cu 0,35 V
Stromquelle + E/ektronenstrom
Fig. 59. Elektromotorische Kraft und Zersetzungsspannung
/ gemäß dem „Ohmschen Gesetz" (AE = J • W). Im Falle unseres D A N I E L L sehen Elements muß also die Zersetzungsspannung größer als 0.76 + 0.35 = 1.11 Volt sein. Die bei der Elektrolyse angewandte Stromquelle (vgl. Fig. 69) wirkt gewissermaßen als „Elektronenumlaufpumpe". Sie „saugt" an der Anode (Kupfer) die Elektronen mit „Unterdruck" ab, „komprimiert" sie auf höheren „Druck" (die hierfür erforderliche Energie wird bei chemischen Stromquellen durch einen freiwillig ablaufenden Vorgang — beim Bleiakkumulator z. B. durch die Reaktion Pb + P b 0 2 + 2H2SO,, •—> 2 P b S 0 4 + 2H a O + Energie; S. 363 — geliefert) und „preßt" die Elektronen mit diesem höheren „Druck" in die Kathode (Zink) ein. Würde man
Die Gruppe der Chalkogene
174
die beiden Pole der Stromquelle direkt miteinander verbinden („Kurzschluß"), so flössen die Elektronen unausgenutzt vom höheren zum tieferen Potential. Dadurch, daß man das galvanische Element in der aus Fig. 59 hervorgehenden Weise zwischen die Pole der Stromquelle einschaltet, zwingt man die Elektronen der Stromquelle, bei ihrem „ F a l l " vom negativen zum positiven Pol Arbeit zu leisten, d. h. den im galvanischen Element freiwillig ablaufenden Vorgang umzukehren. Die hineingesteckte Arbeit speichert sich dabei in Form der Elektrolyseprodukte (im Falle des DANIELL-Elements also in Form der gegenüber den Ausgangsstoffen Z n " und Cu energiereicheren Endprodukte Zn und Cu " ) auf. Entfernt man die Elektronenpumpe (Stromquelle) aus dem äußeren Stromkreis (Fig. 58), so kehrt sich entsprechend dem zwischen Zink und Kupfer vorhandenen Potentialgefälle automatisch die Stromrichtung um, indem jetzt wieder das elektronen-affinere Kupfer dem weniger elektronen-affinen Zink die Elektronen entzieht. Befinden sich in einer L ö s u n g m e h r e r e e n t l a d b a r e I o n e n s o r t e n , so h ä n g t R e i h e n f o l g e d e r E n t l a d u n g von der Größe der verschiedenen E i n z e l p o t e n t i a l e a b . E i n e wässerige N a t r i u m chloridlösung enthält beispielsweise N a t r i u m - , W a s s e r stoff-, Chlor- u n d H y d r o x y l 2,7V ionen. I h r e Einzelpotentiale haben in 1-molarer Natriumchloridtv .--'Elektronenstrom Anode lösung die W e r t e e N a = — 2 . 7 , ! |0*v M///-Linie Cl, £ h , = — 0 . 4 , e c i , = + 1 - 4 , e0 , = des Potentials 1 1 »i Na > 1 . 4 ! V o l t . F ü h r t m a n daher Kathode in die L ö s u n g e t w a zwei P l a t i n elektroden ein und legt a n die Elektroden eine steigende S p a n n u n g an, so wird (vgl. £/ektronenstrom' F i g . 6 0 ) der E l e k t r o n e n s t r o m zu Fig. 60. Potentialverhältnisse bei der Elektrolyse eine]fließen beginnen, sobald die 1-molaren wässerigen Natriumchlorid-Lösung Einzelpotentiale von W a s s e i r s t o f f und C h l o r überschritten werden. Die N a t r i u m - u n d H y d r o x y l - i o n e n bleiben unentladen als N a t r o n l a u g e , N a O H , zurück.
die
H!
Man b e n u t z t die Verschiedenheit der Abscheidungsspannungen v o n Metallen u n d Nichtmetallen in der A n a l y s e häufig zur T r e n n u n g u n d B e s t i m m u n g von K a t i o n e n „Polarographie"). und Anionen ( , , E l e k t r o a n a l y s e " und Bei ungünstiger Lage der Potentiale lassen sich häufig durch K o n z e n t r a t i o n s ä n d e r u n g e n , Anwendung von Ü b e r s p a n n u n g s e l e k t r o d e n usw. die für eine erfolgreiche Elektrolyse erforderlichen Potentialverhältnisse schaffen. So kann man z. B . bei der Elektrolyse wässeriger N a t r i u m c h l o r i d l ö s u n g e n durch Anwendung von Q u e c k s i l b e r k a t h o d e n und h o h e n N a t r i u m c h l o r i d k o n z e n t r a t i o n e n die Abscheidung von N a t r i u m statt W a s s e r s t o f f erzwingen (S. 425), weil unter diesen Versuchsbedingungen das N a t r i u m p o t e n t i a l e = e0 + 0.059 log
infolge Vergrößerung von c Vll . und Verkleinerung von cKa (AmalgamcNa
bildung) so weit nach der p o s i t i v e n und das W a s s e r s t o f f p o t e n t i a l (e = 0.059 logc H . — »/) infolge der großen Überspannung (rj) an Quecksilber so weit nach der n e g a t i v e n Seite hin verschoben wird, daß Natrium und Wasserstoff in der Spannungsreihe (S.167) ihre Plätze tauschen. 8 ) Ableitung eines neuen Säure- und Basebegriffs D e r Begriff der S ä u r e und B a s e h a t eine ähnliche E n t w i c k l u n g d u r c h g e m a c h t wie der Begriff des R e d u k t i o n s m i t t e l s und O x y d a t i o n s m i t t e l s . 1 Das Einzelpotential für den Vorgang 2 OH' 1/ 0 beträgt in neutraler 2 2 + H20 + 2 0 Lösung theoretisch -f- 0.8 Volt. Normalerweise erfordert aber die Abscheidung von Sauerstoff je nach A r t d e r E l e k t r o d e noch eine zusätzliche „Überspannung", die bei größeren Stromdichten mehr als 1 Volt betragen kann (s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Analoges gilt für den Wasserstoff (vgl. oben).
Der Sauerstoff
175
Früher verstand man unter einer Säure einen Stoff, der in wässeriger Lösung untei Bildung von Wasserstoff-ionen dissoziiert (S. 92): HCl H* + Cl'. Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z beruht die Säurewirkung eines Stoffes darauf, daß er an die Moleküle des Wassers P r o t o n e n a b g i b t und so zur Bildung von H y d r o n i u m - i o n e n Veranlassung gibt (S. 151 f.): HCl + H 2 0 H30" + Cl'. Definieren wir nun dementsprechend ganz allgemein eine Säure als einen Stoff, der imstande ist, an Wasser Protonen abzugeben, so steht — ähnlich wie beim Begriff des Reduktionsmittels — nichts im Wege, auch g e l a d e n e I o n e n als Säuren zu bezeichnen. Denn die saure Reaktion z. B. von H y d r o g e n s u l f a t e n (MeHS0 4 ) in wässeriger Lösung beruht ja auf einem ganz analogen Protonenübergang: HS0 4 ' + H 2 0 H 3 0' + S0 4 ". Und in gleicher Weise erklärt sich auch die saure Wirkung wässeriger A m m o n i u m salzlösungen (NH 4 X) durch die Bildung von Hydronium-ionen (vgl S. 563): NH4' -f H 2 0 H 3 0 • + NH3. (1) Dementsprechend unterscheidet man heute zwischen ,,Neutral-säuren" (z. B. HCl), „Anion-säuren" (z. B. HS0 4 ') und „Kation-sauren" (z. B. NH 4 '). Unter einer Base verstand man früher einen Stoff, der in wässeriger Lösung unter Bildung von Hydroxyl-ionen dissoziiert (S. 92). Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z dagegen beruht die Basewirkung eines Stoffes darauf, daß er von Wassermolekülen Protonen aufnimmt und so zur Bildung von H y d r o x y l - i o n e n Veranlassung gibt (S. 142): NH3 + H 2 0 NH4" + OH'. Dementsprechend können auch g e l a d e n e I o n e n Basen sein, z. B.: CIO' + H 2 0 HCIO + OH', (2) [Fe(HsO)4(OH) a] • + H 2 0 [Fe(H20)60H]" + OH', und wir können daher auch hier zwischen „Neutral-basen" (z.B. NH 3 ), „Anion-basen" (z.B. CIO') und „Kationbasen" (z. B. [Fe(H 2 0) 4 (OH) 2 ]') unterscheiden. Die häufig als Base-Prototyp angesehenen M e t a l l h y d r o x y d e Me(OH)n sind nur ein spezieller Fall von A n i o n b a s e n , bei welchem sich der P r o t o n e n ü b e r g a n g vom Wasser zum Anion wegen der Gleichheit der linken und rechten Seite der Reaktionsgleichung (OH' + H 2 0 ^ Z ± : H 2 0 + OH') n a c h a u ß e n h i n n i c h t b e m e r k b a r m a c h t (vgl. S. 563). Der früher (S. 96 f., Höf.) als Hydrolyse bezeichnete Vorgang ist, wie aus den Gleichungen (1) und (2) hervorgeht, nichts anderes als die Säure-(Base-)Wirkung von Ionen-säuren (-basen). Vgl. auch S. 389, 390. Die im vorstehenden entwickelte, von dem dänischen Physikochemiker J O H A N N E S N. B R Ö N S T E D (1879—1947) stammende Definition der Säuren und Basen läßt sich zu der Gleichung Säuren ^ Basen + Protonen (3) zusammenfassen, welche ganz der Definitionsgleichung von Reduktions- und Oxy. dationsmitteln (S. 164) entspricht. Wie die Redoxsysteme lassen sich auch die durch die obige Gleichung definierten „Säure-BaseSysteme" .korrespondierende Säure-Base-Paare") in eine „Spannungsreihe" einordnen, wobei als ordnendes Prinzip in diesem Falle der Säure-exponent (S. 109) der Säure fungiert (vgl. E. W I B E R G , ,,Die chemische Affinität"). In dieser Reihe kann wie bei der elektrochemischen Spannungsreihe bei den Einheiten der Konzentration von Säure und korrespondierender Base eine Protonenabgabe nur von einem höherstehenden an ein tief erstehendes System erfolgen. Durch Veränderung der Konzentration der Säure-Base-Partner läßt sich — analog wie bei den Redoxsystemen — die saure oder basische Wirkung eines Stoffes (,,Acidität" und ,,Basizität") und damit seine Stellung in dieser Säure-Base-Reihe willkürlich ändern. Dementsprechend ist die saure oder basische Wirkung einer Substanz keine gegebene Stoffeigenschaft, sondern eine Funktion des Reaktionspartners. Säuren und Basen im absoluten Sinne gibt es also ebensowenig wie absolute Reduktions- und Oxydationsmittel (vgl. S. 165).
176
Die Gruppe der Chalkogene
Die Definition der Säuren und Basen gemäß (3) ist nicht auf das Lösungsmittel W a s s e r („Aquosystem") beschränkt, sondern gilt auch für a n d e r e L ö s u n g s m i t t e l , z. B. f l ü s s i g e s A m m o n i a k („Ammonosystem"). An die Stelle der in wässeriger Lösung durch Protonenabgabe bzw. -aufnähme entstehenden H y d r o n i u m - und H y d r o x y l ionen treten dann natürlich a n d e r e I o n e n . So entspricht z. B. im flüssigen Ammoniaksystem dem Hydronium-ion H 3 0" das A m m o n i u m - i o n NH 4 ' und dem Hydroxyl-ion OH' das A m i d - i o n N H 2 ' ; z . B . : HCl + NH3 NH4- + Cl' (NeutralsiUire)
c i y + XH3
CH4 + NH2-,
(Aliionha^e)
Die N e u t r a l i s a t i o n besteht bei diesem Ammoniaksystem in einer Vereinigung von A m m o n i u m - und Amid-ionen zu A m m o n i a k : NH 4 ' + NH2' 2NHS. Sie erfolgt z . B . beim Zusammengeben von A m m o n i u m c h l o r i d und N a t r i u m a m i d in flüssigem Ammoniak und entspricht ganz der Vereinigung von H y d r o n i u m und H y d r o x y l - i o n e n zu W a s s e r : Hj.0" + OH' 2JLfi beim Zusammengeben wässeriger Lösungen von Salzsäure und Natriumhydroxyd.
b) Ozon Der Sauerstoff kommt außer in der normalen Form von 0 2 -Molekülen ( : 0 : : 0 : ) auch in der energiereicheren Form von O s -Molekülen (: O : : 0 : O:) als Ozon vor. a) Darstellung Ozon wird ganz allgemein durch E i n w i r k u n g v o n S a u e r s t o f f a t o m e n auf S a u e r s t o f f m o l e k ü l e dargestellt: O + 02 0 3 + 24.6 koal. Die verschiedenen Bildungsweisen unterscheiden sich dabei in der Art und Weise der Erzeugung von Sauerstoffatomen. Am gebräuchlichsten ist die Bildung von Sauerstoffatomen aus Sauerstoff. Die in diesem Falle zur Aufspaltung der Sauerstoffmoleküle erforderliche Energie beträgt 59.1 kcal je Grammatom Sauerstoff, so daß sich für das Ozon in summa eine negative Bildungswärme von 34.5 kcal ergibt: 59.1 kcal + 7 2 0 2 0 (1) O + 02 0 3 + 24.6 kcal (2) 34.5 kcal + P/2O2 03. (3) Die Spaltung der Sauerstoffmoleküle nach (1) kann z. B. durch Zufuhr t h e r m i s c h e r E n e r g i e (Erhitzen von Sauerstoff auf hohe Temperatur) erzwungen werden. Diese Methode führt aber nur zu s e h r g e r i n g e n O z o n a u s b e u t e n , da erhöhte Temperatur gleichzeitig den endothermen Zerfall des Ozons nach Gleichung (2) begünstigt, so daß sieh das Gesamtgleichgewicht (3) mit steigender Temperatur nur langsam nach rechts verschiebt. So befindet sich selbst bei 2000° erst etwa 1 Vol-°/ 0 Ozon im Sauerstoffgleichgewicht, von dem beim raschen Abkühlen nur etwa x / 10 °/ 0 übrigbleibt, weil mit fallender Temperatur der exotherme Gesamtzerfall des Ozons nach (3) fortschreitet. Es ist daher zweckmäßiger, die Sauerstoffatome bei n i e d r i g e r T e m p e r a t u r durch Zufuhr e l e k t r i s c h e r oder o p t i s c h e r oder c h e m i s c h e r E n e r g i e nach Gleichung (1) zu erzeugen und nach (2) weiterreagieren zu lassen, da sich bei niedrigen Temperaturen das — an und für sich ganz auf der Seite des Sauerstoffs liegende — Z e r f a l l s g l e i c h g e w i c h t (3) bei A b w e s e n h e i t v o n K a t a l y s a t o r e n nur ä u ß e r s t
177
Der Sauerstoff
l a n g s a m einstellt, so daß das einmal gebildete Ozon als m e t a s t a b i l e V e r b i n d u n g erhalten bleibt. Die Zufuhr von e l e k t r i s c h e r E n e r g i e erfolgt besonders bequem im „ S I E H E N H sehen Ozonisator" (Fig. 61). Dieser besteht im Prinzip aus zwei ineinander gestellten (konaxialen) Glasrohren, deren Außen- bzw. Innenwand mit Wasser gekühlt und mit den Enden eines Induktoriums — bei Großanlagen mit den Hochspannungsklemmen eines Transformators — leitend verbunden ist. In dem engen Ringraum zwischen den Glasrohren treten bei Anlegen einer genügend hohen Spannung (mehrere tausend Volt) „stille" oder „dunkle" elektrische Entladungen auf, durch welche ein trockener Sauerstoff- oder Luftstrom geleitet wird. Das den Ozonisator verlassende Gasgemisch besteht, wenn von reinem Sauerstoff ausgegangen wird, im besten Falle zu 15°/ 0 aus Ozon. Bei Zufuhr von L i c h t e n e r g i e ist die Spaltung des Sauerstoffmoleküls (118.2 kcal + 0 2 — > - 2 0 ) gemäß dem früher (S. 84f.) über photochemische Reaktionen Gesagten nur mit kurzwelligem Ultraviolett der Wellenlänge < 2500 Ä (Energiewert des Lichtäquivalents: > 114.3 kcal) möglich. So bildet sich Ozon z.B. bei Bestrahlung von Sauerstoff mit Licht der Wellenlänge 2090 Ä (Zinkfunken), welches von Sauerstoff absorbiert wird. In gleicherweise erklärt sich der kleine Ozongehalt in den höheren, der intensiven ultravioletten Strahlung des Sonnenlichtes ausgesetzten Schichten der Atmosphäre sowie der in der Umgebung einer brennenden künstlichen „Höhensonne" (S.478) oder in der Nähe eines radioaktiven Präparats (S. 572) stets wahrnehmbare Ozongeruch. Auch c h e m i s c h e E n e r g i e kann zur Erzeugung der für die Kühlwasser Ozonbildung erforderlichen Sauerstoffatome dienen (A + 0 2 —>- AO + 0). So entsteht z. B. Ozon bei der langsamen Oxydation von feuchtem, weißem Phosphor an der Luft. Fig. 61. SIEMENS scher Außer dem molekularen S a u e r s t o f f können auch a n d e r e Ozonisator sauerstoffhaltige Stoffe zur Gewinnung der für die Ozonbildung nach (2) notwendigen Sauerstoffatome benutzt werden, z. B. das Wasser. E l e k t r o l y s i e r t man z. B. wässerige Lösungen ( 2 0 H ' —>- H 2 0 + 0 f 2 0 ) oder läßt man Fluor auf Wasser einwirken (F 2 + H 2 0 —>- 2 H F + O), so bildet sich primär atomarer Sauerstoff. Daher ist der so entwickelte Sauerstoff — bei Abwesenheit oxydierbarer Substanzen — stets o z o n h a l t i g . Gleiches gilt von dem bei der Zersetzung leicht zerfallender höherer Sauerstoffverbindungen (z. B. Wasserstoffperoxyd H 2 0 2 , Übermangansaure HMn0 4 usw.) entstehenden Sauerstoff. ß ) Physikalische Eigenschaften Reines Ozon — das aus Ozon-Sauerstoff-Gemischen durch Verflüssigung mit flüssiger Luft und anschließende fraktionierte Destillation gewonnen werden kann — ist im Gaszustande deutlich blau, im flüssigen Zustande (Sdp. —111.5°) schwarzblau und im festen Zustande (Smp. — 192.5°) schwarz. In Wasser löst es sich nur wenig; mit flüssigem Sauerstoff ist es im flüssigen Zustande nicht in jedem Verhältnis mischbar. Charakteristisch ist der Geruch des Ozons1, der noch bei einer Konzentration von 1 Teil Ozon in 500000 Teilen Luft wahrnehmbar ist. y) Chemische Eigenschaften Als e n d o t h e r m e Verbindung hat Ozon große Neigung, unter Bildung von Sauerstoff zu z e r f a l l e n : 20, 330» 0 , + 69.0 kcal. 1
ozein (ö£siv) = riechen.
H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie.
40.— 46. Aufl.
12
178
Die Gruppe der Chalkogene
So k o m m t es, d a ß k o n z e n t r i e r t e s Ozon selbst bei —120° sehr explosiv ist. I n v e r d ü n n t e m Zustande erfolgt der Zerfall bei gewöhnlicher T e m p e r a t u r n u r a l l m ä h l i c h . Beschleunigt wird die Zersetzung durch K a t a l y s a t o r e n wie Mangandioxyd, Bleidioxyd, N a t r o n k a l k . Ebenso wird die Zerfallsgeschwindigkeit d u r c h B e s t r a h l e n mit längerwelligem Ultraviolett und durch E r w ä r m e n erhöht. So zersetzt sich selbst verdünntes Ozon — auch bei Abwesenheit von K a t a l y s a t o r e n — schon bei 100° r e c h t schnell. Die charakteristischste Eigenschaft des Ozons ist sein starkes O x y d a t i o n s v e r m ö g e n : 0 3 —>- 0 2 + O. So verwandelt es z. B. bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r schwarzes Bleisulfid in weißes Bleisulfat ( P b S + 4 0 — > P b S 0 4 ) , weißes Blei(II)-hydroxyd in braunes Bleidioxyd (PbO + 0 - — > - P b 0 2 ) , blankes Silber in schwarzes Silberperoxyd (2 Ag + 2 0 — A g 2 0 2 ) , Phosphor, Schwefel u n d Arsen in Phosphorsäure (2 P + 5 0 —>- P 2 0 5 ) , Schwefelsäure (S + 3 0 —>- S0 3 ) u n d Arsensäure (2 As + 5 0 — > AS 2 0 5 ). Beim Einleiten in eine neutrale K a l i u m j o d i d l ö s u n g wird — u n t e r gleichzeitigem A u f t r e t e n einer a l k a l i s c h e n R e a k t i o n — J o d ausgeschieden: 2 J' + O + H
2
0—J
2
+ 2 OH'.
Auch o r g a n i s c h e Stoffe werden von Ozon k r ä f t i g oxydiert. Man darf daher z. B. Ozon nicht durch G u m m i s c h l ä u c h e leiten, d a diese in wenigen Augenblicken zerstört werden. Ebenso werden organische F a r b s t o f f e (z. B. Indigo u n d Lackmus) gebleicht und M i k r o o r g a n i s m e n vernichtet. I n größeren K o n z e n t r a t i o n e n wirkt Ozon verätzend auf die Atmungsorgane. Ozon wird technisch z. B. zur L u f t v e r b e s s e r u n g u n d - s t e r i l i s a t i o n (Theater, Schulen, Hospitäler, K ü h l r ä u m e , Schlachthäuser, Brauereien) u n d zur E n t k e i m u n g v o n T r i n k w a s s e r verwendet. Die Wasserentkeimung durch Ozon ist allerdings nach E i n f ü h r u n g des viel einfacheren u n d billigeren Verfahrens der Sterilisierung d u r c h C h l o r s t a r k zurückgegangen.
c) Wasserstoffperoxyd Außer dem — schon besprochenen (S 48 ff.) — Wasser, H 2 0 , gibt es noch eine zweite, sauerstoffreichere Wasserstoffverbindung des Sauerstoffs: das Wasserstoffperoxyd, H 2 0 2 . a ) Darstellung D a s W a s s e r s t o f f p e r o x y d wird technisch d u r c h H y d r o l y s e leicht zugänglicher Derivate gewonnen: o - l - x + HolH O - j - X + HOjH
^ 0—H O-H
XOH XOH '
Als Ausgangsderivat verwendete m a n f r ü h e r hauptsächlich N a t r i u m - bzw. B a r i u m p e r o x y d ( N a 2 0 2 ; B a 0 2 ) . Diese Oxyde lassen sich leicht d u r c h E r h i t z e n von N a t r i u m bzw. Bariumoxyd a n der L u f t gewinnen (S. i80f.) u n d sind in wässeriger Lösung bis zu einem bestimmten Gleichgewicht gemäß Na 2 0 2 + 2 HÖH H 2 0 2 + 2NaOH Ba0 2 + 2HÖH T - * " H 2 0 2 + Ba(OH)2
bzw.
hydrolytisch gespalten. D u r c h Abfangen der dabei gebildeten Lauge mittels einer geeigneten Säure (Eintragen von Bariumperoxyd in gekühlte 20°/ 0 ige Schwefelsäure oder konzentrierte Phosphorsäurelösung oder Kieselfluorwasserstoffsäure) k a n n das Gleichgewicht vollkommen zugunsten der Wasserstoffperoxydbildung verschoben u n d das
Der Sauerstoff
179
Barium als schwerlösliches Salz ausgefällt werden ( B a 0 2 + H 2 SO, •—s» BaSO, + H 2 0 2 ) . H e u t e benutzt man als Ausgangsderivat zur Wasserstoffperoxydgewinnung fast ausschließlich P e r o x y - d i s c h w e f e l s ä u r e H 2 S 2 0 8 (S. 214f.) oder ihre Salze, also Verbindungen, in welchen die beiden Wasserstoffatome des Wasserstoffperoxyds durch S u l f o n s ä u r e r e s t e — S 0 3 H bzw. deren Anion — S 0 3 ' ersetzt sind. Sie gehen bei der Hydrolyse über die Stufe der P e r o x y - m o n o s c h w e f e l s ä u r e H 2 S 0 8 hinweg in W a s s e r s t o f f p e r o x y d über: 0 - so3IR -;- HO - H _ H I 0 1 — 0 -
S0 3 H
Peroxy-dischwefelaäure
O-H I r
,
O—I—SOGH + HO— |H
_HJS0( — ^
Peroxy-monoschweiels&ure
O-H I O-H
Wasserstoffperoxyd
Da die Peroxy-dischwefelsäure H 2 S 2 0 8 ihrerseits durch anodische Oxydation von S c h w e f e l s ä u r e unter gleichzeitiger kathodischer Wasserstoffentwicklung entsteht (S. 214) und die Schwefelsäure bei der Hydrolyse immer wieder z u r ü c k g e w o n n e n wird, läuft das ganze Verfahren letzten Endes auf eine Umwandlung von Wasser in Wasserstoff und Wasserstoffperoxyd hinaus: 2H2S04
E'ektroly9e
H2S208 + 2 H 2 0
H y d r °' Y 8 e
2H20
>-
>• H 2 S 2 0 8 + H 2 >- H 2 0 2 + 2 H 2 S 0 4 H202 + H 2 .
Aus den bei der Hydrolyse resultierenden wässerigen Lösungen kann das Wasserstoffperoxyd durch fraktionierte Destillation im Vakuum leicht in Form verhältnismäßig konzentrierter Lösungen erhalten werden. Zu Anfang geht bei dieser Vakuumdestillation fast nur Wasser über, so daß sich der Rückstand an Wasserstoffperoxyd anreichert; zum Schluß destilliert reines Wasserstoffperoxyd ab. In den Handel kommt es gewöhnlich als 3- oder 30°/0ige Lösung, letztere unter dem Namen „Perhydrol". ß) Physikalische Eigenschaften In reinem, wasserfreiem Zustande bildet Wasserstoffperoxyd eine farblose, in sehr dicker Schicht jedoch blaue Flüssigkeit (Sdp. 157.8°), welche bei starker Abkühlung zu Kristallen vom Schmelzpunkt — 1.7° erstarrt. Unter vermindertem Druck kann es unzersetzt destilliert werden. y ) Chemische Eigenschaften Wasserstoffperoxyd zeigt ein starkes Bestreben, unter großer Wärmeentwicklung in W a s s e r u n d S a u e r s t o f f zu zerfallen: 2H202
2 H 2 0 + 0 2 + 46.2 kcal.
Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist die Zerfallsgeschwindigkeit allerdings unmeßbar klein, so daß Wasserstoffperoxyd sowohl in reinem wie in gelöstem Zustande praktisch beständig ( m e t a s t a b i l ) ist. Durch K a t a l y s a t o r e n (z. B. feinverteiltes Silber, Gold, Platin, Braunstein, Staubteilchen, Alkali, Aktivkohle, Kaliumjodid. Stoffe mit rauher Oberfläche) wird jedoch die Zersetzungsgeschwindigkeit so beschleunigt, daß gegebenenfalls s t ü r m i s c h e S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g , bei hochkonzentrierten Lösungen sogar e x p l o s i o n s a r t i g e r Z e r f a l l eintritt. Das gleiche ist beim E r h i t z e n der Fall. Die Wirkung der Zersetzungskatalysatoren kann mehr oder minder weitgehend durch P h o s p h o r s ä u r e und verschiedene organische Säuren — vor allem B a r b i t u r s ä u r e und H a r n s ä u r e — aufgehoben werden. Daher stabilisiert man Wasserstoffperoxydlösungen durch Zusatz derartiger A n t i - K a t a l y s a t o r e n . Will man reine Wasserstoffperoxydlösungen z u s a t z f r e i aufbewahren, so muß man p a r a f f i n i e r t e Glasgefäße verwenden, um eine Abgabe von A l k a l i aus dem Glas zu verhindern. 12*
Die Gruppe der Chalkogene
180
Die charakteristischste Eigenschaft des Wasserstoffperoxyds ist seine o x y d i e r e n d e W i r k u n g : H 2 0 2 —>• H 2 0 + 0 . So oxydiert es — ähnlich wie Ozon — z.B. Bleisulfid zu Bleisulfat (PbS + 4 0 —>- P b S O j , Eisen(II)-salze zu Eisen(III)-salzen (2FeO + 0 —>- Fe 2 0 3 ), schweflige, salpetrige und arsenige Säure zu Schwefelsäure (H 2 S0 3 + 0 —>- H 2 S0 4 ), Salpetersäure (HN0 2 4- 0 —>- HNO„) und Arsensäure (H 3 As0 3 + 0 — H 3 As0 4 ), Jodwasserstoff zu Jod ( 2 H J + 0 —>- H 2 0 + J 2 ), Schwefelwasserstoff zu Schwefel (H 2 S + O —>• H 2 0 + S). Die Umwandlung von f ä r b l o s e m Titandioxyd Ti0 2 in g e l b e s Titanperoxyd Ti0 3 in schwefelsaurer Lösung 1 ist ein empfindlicher Nachweis für Wasserstoffperoxyd. Weniger ausgeprägt ist die r e d u z i e r e n d e (sauerstoff-entziehende) W i r k u n g des Wasserstoffperoxyds: H 2 0 2 + 0 —>• H 2 0 + 0 2 . Sie tritt nur gegenüber ausgesprochenen O x y d a t i o n s m i t t e l n auf. So wird z. B. die violette Permangansäure HMn0 4 (Anhydrid: Mn 2 0 7 ) in saurer Lösung zu farblosem Mangan(II)-salz reduziert (Mn a 0 7 —>• 2MnO + 5 0 ) , Chlorkalk zu Calciumchlorid ( C a C l 2 0 — ^ CaCl2 + 0), Silberoxyd zu Silber (Ag 2 0 —>- 2 Ag + 0), Quecksilberoxyd zu Quecksilber (HgO — H g + 0), Bleidioxyd zu Blei(II)-salz (Pb0 2 —>- PbO + 0), Ozon zu Sauerstoff (0 3 —>- 0 2 + 0 ) . Als S ä u r e ist Wasserstoffperoxyd etwas stärker als Wasser. Die Dissoziationsbeträgt bei 20° C 1.5 X 10~12. In 1-molarer Lösung liegt H>0, danach eine Wasserstoffionen-konzentration von rund 10 - 6 vor. Wasserstoffperoxyd findet in der Hauptsache als B l e i c h m i t t e l zum Bleichen von Haaren („Blondfärben"), Stroh, Federn, Schwämmen, Elfenbein, Stärke, Leim, Leder, Pelzwerk, Wolle, Baumwolle, Seide, Kunstfaserstoffen, Fetten, ölen usw. Verwendung, und zwar entweder als solches in wässeriger Lösung oder — z. B. im „Persil" und allen modernen Wasch- und Bleichmitteln — gebunden als „ P e r b o r a t " NaB0 2 • H 2 0 2 . Außerdem wird es wegen seiner desinfizierenden Wirkung viel für medizinische und kosmetische Zwecke gebraucht; so ist z. B. das „Ortizon" eine feste Additionsverbindung von Wasserstoffperoxyd und Harnstoff. konstante K =
^
X Cho '' C
8) Salze Wichtige Salze des Wasserstoffperoxyds sind das Natriumperoxyd Na 2 0 2 und das Bariumperoxyd Ba0 2 . Natriumperoxyd Darstellung. N a t r i u m p e r o x y d wird technisch durch V e r b r e n n e n von N a t r i u m an der Luft dargestellt: 2Na + 0 2
Na 2 0 a + 119.2 kcal.
Und zwar führt man zwecks Vermeidung einer zu großen lokalen Wärmeentwicklung (Wiederzerfall des gebildeten Peroxyds) das Natrium bei 300—400° in Aluminiumgefäßen einem trockenen, kohlendioxydfreien Luftstrom entgegen, so daß nach Einsetzen des Prozesses das noch frische Natrium zuerst in s a u e r s t o f f a r m e r , verbrauchter Luft verbrennt und sich erst später mit s a u e r s t o f f r e i c h e r Luft vollends umsetzt („Gegenstromprinzip"). Auch Drehtrommeln werden zur technischen Darstellung verwendet. Eigenschaften. Natriumperoxyd ist ein blaßgelbes, fast unzersetzt schmelzbares (Smp. 460°) Pulver von s t a r k o x y d i e r e n d e n Eigenschaften. So reagiert es z. B. explosionsartig mit Stoffen wie Schwefel, Kohlenstoff oder Aluminiumpulver und ist in Mischung mit organischen Substanzen sehr feuergefährlich. Löst man Natriumperoxyd unter i n t e n s i v e r K ü h l u n g in Wasser, so erhält man eine Lösung, die infolge 1
In schwefelsaurer Lösung liegt TiOs als Ti0(S0 4 ) und TiOa als Ti0 a (S0 4 H), vor (S. 502).
Der Schwefel
181
hydrolytischer Spaltung wie ein Gemisch aus Natronlauge und Wasserstoffperoxyd wirkt (S. 178): N a 2 0 2 + 2 HÖH
H 2 0 2 + 2NaOH.
O h n e K ü h l u n g löst sich das Natriumperoxyd unter lebhafter S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g , da infolge der durch die starke Lösungswärme (exotherme Bildung des Hydrats N a 2 0 2 • 8 H 2 0 ) bedingten Temperatursteigerung das Wasserstoffperoxyd unter der gleichzeitigen katalytischen Wirkung des gebildeten Alkalis rasch in Wasser und Sauerstoff zerfällt (H 2 0 2 —>- H ä O + V 2 0 2 ): N a 2 0 2 + H 2 0 — 2 N a O H + VaO.,. (1) Infolge des bei der Umsetzung (1) gebildeten Natriumhydroxyds wirkt Natriumperoxyd an feuchter Luft k o h l e n d i o x y d - b i n d e n d (2NaOH + C0 2 v Na 2 C0 3 + H 2 0). Daher benutzt man natriumperoxydhaltige Präparate unter dem Namen „Oxon" für A t e m g e r ä t e (Feuerwehrleute, Taucher) und zur L u f t e r n e u e r u n g in abgeschlossenen Räumen (z. B. Unterseebooten), da es für diese Zwecke in doppelter Weise — k o h l e n d i o x y d - b i n d e n d und s a u e r B t o f f - e r z e u g e n d — wirksam ist: N a 2 0 2 + C0 2 >• Na 2 C0 3 + 1 / ¡ 0 2 .
Verwendung. Wegen seiner stark oxydierenden und damit auch bleichenden Wirkung findet Natriumperoxyd in ausgedehntem Maße Verwendung zur Herstellung von B l e i c h b ä d e r n für alle Arten von tierischen und pflanzlichen P r o d u k t e n : Wolle, Seide, Federn, Haare, Borsten, Horn, Knochen, Elfenbein, Wachs, öle, Fette, Stroh, Holz, Schwämme. Die in der wässerigen Lösung vorhandene Natronlauge wird dabei durch Schwefelsäure (OH' + H ' —>- H 2 0 ) oder durch Magnesiumsulfat (2 OH' 4- Mg" —>• Mg(OH) 2 ) unschädlich gemacht. Zeitweilig war Natriumperoxyd ein Bestandteil einiger moderner Waschmittel; seit 1939 dürfen aber natriumperoxydhaltige Waschmittel bei uns nicht mehr hergestellt werden. Wichtig ist das Natriumperoxyd noch als Ausgangsmaterial für die Herstellung anderer Peroxyverbindungen. Bariumperoxyd B a r i u m p e r o x y d wird technisch durch Erhitzen von lockerem, porösem B a r i u m o x y d (S. 417) im Luftstrom bei 500—600° und 2 Atmosphären Druck gewonnen: 2BaO + 0 2
2 B a 0 2 + 37.2 kcal.
(2)
Da die Bildungsreaktion (2) mit W ä r m e a b g a b e und V o l u m e n v e r m i n d e r u n g verbunden ist, verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r und f a l l e n d e m D r u c k nach l i n k s . Man kann daher den Sauerstoff der Luft bei niedriger Temperatur und erhöhtem Druck binden und bei höherer Temperatur und erniedrigtem Druck wieder entbinden. Hiervon hat man früher zur technischen Darstellung von Sauerstoff aus L u f t Gebrauch gemacht (S. 31). Bariumperoxyd wird hauptsächlich zur Gewinnung verdünnter Wasserstoff pero xydlösungen (S. 178 f.), daneben als Sauerstoffträger zur Entzündung von Zündsätzen — z . B . Thermitgemischen (S. 383 f.) — verwendet.
2. D e r S c h w e f e l a) Elementarer Schwefel a) Vorkommen Der Schwefel kommt wie der homologe Sauerstoff in der Natur sowohl in freiem wie in gebundenem Zustande vor. Mächtige Lager von f r e i e m S c h w e f e l finden sich hauptsächlich in I t a l i e n (Sizilien), N o r d a m e r i k a (Louisiana und Texas) und J a p a n (Hokkaido). A n o r g a n i s c h g e b u n d e n e r S c h w e f e l findet sich hauptsächlich in Form von Sulfiden (Salze des Schwefelwasserstoffs H 2 S) und Sulfaten (Salze der Schwefelsäure
182
Die Gruppe der Chalkogene
H 2 S0 4 ). Die Sulfide bezeichnet man je nach ihrem Aussehen als K i e s e , B l e n d e n und G l ä n z e ; die meistverbreiteten unter ihnen sind der Eisenkies (Schwefelkies, Pyrit) FeS 2 > der Kupferkies CuFeS 2 , der Bleiglanz PbS und die Zinkblende ZnS. Die wichtigsten Sulfate der Natur sind C a l c i u m s u l f a t (Gips CaS0 4 2 H 2 0 und Anhydrit CaS0 4 ), M a g n e s i u m s u l f a t (Bittersalz MgS0 4 7 H 2 0 und Kieserit MgS0 4 • H 2 0 ) , Bariumsulfat (Schwerspat BaS0 4 ), S t r o n t i u m s u i f a t (Cölestin SrS0 4 ) und N a t r i u m s u l f a t (Glaubersalz N a 2 S 0 4 1 0 H 2 0 ) . Als Bestandteil der E i w e i ß s t o f f e (II, S. 277ff.) findet sich der Schwefel auch o r g a n i s c h g e b u n d e n im P f l a n z e n - und T i e r r e i c h . Der bei der Verwesung von Tierleichen oder beim Faulen von Eiern auftretende üble Geruch rührt beispielsweise hauptsächlich von S c h w e f e l v e r b i n d u n g e n (Schwefelwasserstoff, Mercaptanen) her, die sich bei der Eiweißfäulnis bilden. S t e i n k o h l e n — die ja pflanzlichen Ursprungs sind (S. 309) — enthalten 1 bis 1 1 / 2 °/ 0 Schwefel, teils in organischer Bindung, teils in Form von Schwefelkies. ß) Gewinnung Die technische Gewinnung von Schwefel erfolgt teils aus natürlichem Vorkommen, teils durch Oxydation von Schwefelwasserstoff oder durch Reduktion von Schwefeldioxyd : Oxvdatton « Reduktion (O)
->- S
Aus n a t ü r l i c h e n
(C)
so,
Vorkommen
In S i z i l i e n , das bis 1914 der Hauptproduzent von Schwefel war, findet sich der Schwefel in Form eines von gediegenem Schwefel durchsetzten Gesteins. Der Schwefelgehalt schwankt zwischen 8 und 40°/ 0 und beträgt im Mittel etwa 25°/ 0 . Aus diesem Schwefelgestein wird der Schwefel durch A u s s c h m e l z e n gewonnen. Die hierfür erforderliche Wärme erzeugt man in etwas primitiver Weise durch Verbrennen eines Teils des Schwefels. Zwei Arten von Öfen Luftschächte Lehmdecke sind für diesen Zweck in Gebrauch: die „Calcaroni" und die „Forni". ßchu/efe/gestein
Die Calcaroni (Fig. 62) sind runde, mit Gips ausgemauerte Gruben von etwa 15 m Durchmesser und 3 —5 m Tiefe, deren Sohle gegen eine mit einem Stichloch versehene Mauer geneigt ist. In ihnen --Rost wird das Schwefelgestein unter Aussparung einiger Luftschächte zu M e i l e r n aufgeschichtet, die entgeschmo/zener zündet werden. Nach einigen Stunden werden die 'Schu/efet Luftschächte geschlossen und der Meiler mit einer Lehmdecke versehen. Ein Teil des Schwefels L - ''Stich/och brennt dann unter Wärmeentwicklung langsam ab, während gleichzeitig unverbrannter Schwefel zum Schmelzen kommt und durch einen Rost zu Fig. 62. Querschnitt durch einen Calcarone Boden sickert. Durch das Stichloch wird zweibis dreimal täglich der geschmolzene Schwefel in nasse Holzformen abgelassen, in denen er zu Barren von 50—60 kg erstarrt. Das Ausschmelzen eines Meilers dauert je nach Größe 1—3 Monate. Die Schwefelausbeute beträgt etwa 50°/ 0 , die zum Schmelzen des Schwefels ausgenutzte Wärmeenergie weniger als 3°/ 0 . Die Forni, die aus 4—6 miteinander nach dem Prinzip der Kalk-Ringöfen (S.407f.) zu einem Ring verbundenen gemauerten Kammern bestehen, gestatten eine wesentlich b e s s e r e A u s n u t z u n g der Wärmeenergie. Während bei den Calcaroni die heißen Verbrennungsgase unausgenutzt ins Freie entweichen, werden hier die Abgase durch einen Kanal in die nachfolgenden Kammern geleitet, so daß sie hier ihre Wärme abgeben können. Die einzelnen Kammern lassen sich dabei beliebig als B r e n n k a m m e r und S c h m e l z k a m m e r schalten. Die erste Kammer dient z. B. als Brennkammer, in der zweiten wird durch die heißen Verbrennungsgase der Schwefel zum Schmelzen gebracht, in der dritten das Material vorgewärmt. Nach dem Ausschmelzen der Schmelzkammer wird diese dann als Brennkammer geschaltet, wobei die nicht
Der Schwefel
183
vollkommen ausgeschmolzenen Schwefelrückstände zur Verbrennung kommen, und in dieser Weise das Feuer jeweils um eine K a m m e r weiterverlegt. Die nicht beanspruchten K a m m e r n können unterdessen geräumt und beschickt werden. Die Schwefelausbeute beträgt bis zu 8 0 % . Die Reinigung des Rohschwefels erfolgt durch Destillation aus gußeisernen Retorten und Verdichtung der Schwefeldämpfe in großen gemauerten Kammern. Sorgt man dafür, daß die Temperatur in den Kammern unterhalb der Schmelztemperatur des Schwefels bleibt, so schlägt sich der Schwefel in F o r m eines feinen gelben Pulvers („Schwefelblumen", ,,Schwefelblüte") nieder. Bei höheren Temperaturen sammelt sich am Boden der K a m m e r n flüssiger Schwefel an, den man in hölzernen Formen zu , , S t a n g e n s c h w e f e l " erstarren läßt.
In L o u i s i a n a und T e x a s , wo der Schwefel in Tiefen von 150 bis 240 m unter einer 25 bis 60 m tiefen Schwimmsandschieht vorkommt und daher nicht bergmännisch abgebaut werden kann, wird der Schwefel nach einem von H . F R A S C H eingeführten Verfahren durch A u s s c h m e l z e n m i t ü b e r h i t z t e m W a s s e r d a m p f gewonnen. Diesem Verfahren ist die außerordent'Äusseres Rohr. liche Steigerung der amerikanischen Schwefelerzeugung (1900 lieferte Italien rund 90°'„ der Welterzeugung, während heute umgekehrt Amerika 80°/ 0 der — inzwischen vervielfach,'-Miff/eres ffohr ten—Weltproduktion erzeugt) zu verdanken. In Sizilien konnte dieses Verfahren des Aus-Inneres flohr schmelzens von Schwefel mit Wasserdampf schon deshalb keine größere Bedeutung erlanOberMzter überhitzter gen, weil die dazu erforderliche Wärmeener- lOasserdgmpf U/asserdampf gie durch Einfuhr ausländischer Kohle erzeugt werden müßte und sich der Schwefel aus dem sizilianischen Gestein mit Wasserdampf Schwefe/ nur unvollständig (die Rückstände enthalten / im Mittel noch 12 bis 15°/ 0 Schwefel) ausschmelzen läßt. geschmolzener ., , geschmolzener Schwefel ^ ' Schwefe/ Das „FRASCH-Vertahren" beruht darauf, daß Geisse Prvss/uft in das Schwefellager ein etwa 25 cm weites Eisenrohr eingetrieben wird, welches innen konaxial Fig. 63. Fußkörper der Schwefelpumpe zwei weitere Rohre von 15 bzw. l 1 / ^ cm lichter von FRASCH Weite trägt. Durch das ä u ß e r e Rohr wird überhitzter Wasserdampf von 170° eingepreßt, welcher unten (Fig. 63) den umgebenden Schwefel (Smp. 119°) schmilzt. Durch das i n n e r e Rohr tritt heiße Preßluft von 40 Atmosphären Druck ein, durch welche der geschmolzene Schwefel im m i t t l e r e n Rohr hochgepreßt wird. Der oben flüssig auslaufende Schwefel erstarrt in Bretterverschlägen zu riesigen Schwefelklötzen. Da er bereits sehr rein ist — braucht er nicht durch Destillation gereinigt zu werden.
Aus
Schwefelwasserstoff
Steigende Bedeutung gewinnt in Deutschland die Gewinnung von Schwefel aus dem in technischen, aus Kohle gewonnenen Gasen ( L e u c h t g a s , K o k e r e i g a s , W a s s e r g a s , S y n t h e s e g a s usw.) enthaltenen, dem Schwefelgehalt der Kohle entstammenden S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (vgl. S. 192). Die Umwandlung dieses Schwefelwasserstoffs in Schwefel erfolgt ganz allgemein durch Verbrennen mit Sauerstoff in Gegenwart von Katalysatoren. Wichtige Katalysatoren für diese Oxydation sind z. B . B a u x i t (AlOOH), A k t i v k o h l e (C) und E i s e n h y d r o x y d (Pe(OH) 3 ). Die Überführung von Schwefelwasserstoff in Schwefel mit Hilfe von B a u x i t als Katalysator („CLAts-Prozeß") wird zweckmäßig im sogenannten Cla us-Ofen vorgenommen.
184
Die Gruppe der Chalkogene
Nach dem „älteren C LAUS-V zu S c h w e f e l verbrannt:
erfahren" wird der Schwefelwasserstoff mit Luft d i r e k t
3H2S + 1.502 — 3 S
+ 3 H 2 0 ( g ) + 159 k c a l .
Der hierfür benutzte „CLAUS-Ofen" (Fig. 64) besteht aus einem von einem Eisenmantel umgebenen Mauerwerk m i t einem durchlochten Zwischenboden, auf dem die K o n t a k t m a s s e aufgeschichtet ist. Die mit L u f t vermischten schwefelwasserstoffhaltigen Gase treten von oben in den Ofen ein und durchstreichen die K o n t a k t s c h i c h t . Die bei der Schwefelbildung freiwerdende Reaktionswärme verursacht in der obersten K o n -ßauxittaktschicht eine T e m p e r a t u r von 500°, ftata/ysator Mauerwerk . welche nach unten hin rasch a b n i m m t . m/t E/senman/e/ Der gebildete Schwefel t r o p f t teils flüssig durch den Zwischenboden a b , um auf dem Schwefe/, auszufließen, Uasserdampf, unteren, schrägen Boden Zo/ischenbodenteils entweicht er gasförmig und wird in Stickstoff äi'3 Lochplatten besonderen Kondensationskammern als gme/gter ßoc/en ,,Schwefelblume" gewonnen. Fig. 64.
Querschnitt durch einen CLAUS-Ofen
Ein Nachteil des älteren C l a t j s Verfahrens ist der Umstand, daß die gesamte Verbrennungswärme im K o n t a k t frei wird und hier nur schwierig zu beherrschen ist. Der „neuere CLAUS-Prozeß" beseitigt diese Schwierigkeit, indem er den Verbrennungsvorgang in zwei S t u f e n zerlegt: H 2 S + 1.5 0 2 •—>- S 0 2 + H a O + 124 kcal S02 + 2H2S 3 S + 2H20 + 35 kcal 3H2S+1.502
3S
+ 3 H 2 0 + 159 k c a l ,
(1) (2) (3)
von denen nur die z w e i t e (2) eines Katalysators bedarf. Das Verfahren arbeitet so, daß ein D r i t t e l des Schwefelwasserstoffs mit L u f t bis zu S c h w e f e l d i o x y d verbrannt wird (1). Hierbei wird der g r ö ß t e T e i l der Reaktionswärme a u ß e r h a l b d e s K o n t a k t s durch einfache Verbrennung frei und kann im Dampfkessel zur Dampferzeugung ausgenutzt werden. Die restlichen z w e i D r i t t e l des Schwefelwasserstoffs werden m i t dem gebildeten S c h w e f e l d i o x y d über verbesserten B a u x i t k o n t a k t e n in einem turmartigen CLAUS-Ofen umgesetzt (2). Da hierbei nur noch die restliche Wärmemenge von 35 kcal im K o n t a k t frei wird, kann im Vergleich zum älteren Verfahren mehr als die h u n d e r t f a c h e Menge Schwefelwasserstoff je Zeiteinheit umgesetzt werden (älteres V e r f a h r e n : 2 bis 3 m 3 H 2 S , neueres V e r f a h r e n : 200 bis 300 m 3 H 2 S je Stunde und K u b i k m e t e r K o n t a k t m a s s e ) . Der gebildete Schwefel ist s e h r r e i n (durchschnittlich 99.5°/ 0 ig).
Bei Verwendung von A k t i v k o h l e als Katalysator wird das mit Luft vermischte schwefelwasserstoffhaltige Gas durch einen mit 2 m3 Aktivkohle (S. 299 f.) beschickten Behälter geleitety wobei sich der gebildete Schwefel auf der Kohle niederschlägt. Die Abtrennung des Schwefels von der Kohle erfolgt durch Extraktion mit Ammoniumsulfidlösungen oder anderen Lösungsmitteln (z. B. Schwefelkohlenstoff, Monochlorbenzol, Dichlorbenzol) oder durch Abtreiben mit überhitztem Wasserdampf. Man bedient sich dieses Verfahrens der Schwefelwasserstoffv er brennung z. B. zur E n t s c h w e f e l u n g des zur Ammoniaksynthese dienenden Stickstoff-WasserstoffGemisches (S. 225 f.). Ein weiteres Verfahren der Verbrennung von Schwefelwasserstoff zu Schwefel besteht darin, daß man das schwefelwasserstoffhaltige Gas über E i s e n h y d r o x y d leitet, welches den Schwefelwasserstoff als Eisensulfid bindet (4), und dann das gebildete Eisensulfid an der Luft unter Schwefelabscheidung in Eisenhydroxyd rückverwandelt (5): F e a 0 3 + 3 H2S
Fe2S3 + 3 H 2 0
(4)
F e 2 S 3 + 1.5 0 2
v Fe8Q3 + 3 S
(5)
3HjS + l.ö0 2
^ 3 S + 3HaO.
(6)
185
Der Schwefel
Das Verfahren dient zur E n t s c h w e f e l u n g von L e u c h t g a s und K o k e r e i g a s (S. 310); der gebildete Schwefel wird mit Schwefelkohlenstoff extrahiert oder — nach genügender Schwefelanreicherung — mitsamt der Eisenhydroxydmasse an die Schwefelsäurefabriken zur S c h w e f e l s ä u r e e r z e u g u n g (S. 206) abgegeben. Im einzelnen verfährt man bei dieser Art der Schwefelgewinnung aus Schwefelwasserstoff so, daß man die Eisenhydroxydmasse (natürliches „Raseneisenerz" — S. 535 — oder künstliche, bei der Bauxitverarbeitung — S. 379f. — abfallende „Luxmasse") auf flachen, übereinanderliegenden Holzrosten („Hordenreiniger11) oder in Türmen („Turmreiniger") ausbreitet und entweder a b w e c h s e l n d „sättigt" (4) und ,,wiederbelebt" (5) oder dem über das Eisenhydroxyd streichenden schwefelwasserstoffhaltigen Gas von vornherein Luft beimischt, so daß Absorption und Wiederbelebung n e b e n e i n a n d e r verlaufen.
Aus S c h w e f e l d i o x y d Auch das in manchen technischen Gasen, z. B. Konvertergasen (S. 4 5 0 f , 541) und Röstgasen (S. 206) enthaltene S c h w e f e l d i o x y d kann zur Schwefelgewinnung nutzbar gemacht werden, indem man das Schwefeldioxyd in einen mit K o k s beschickten heißen Generator einbläst, wobei Reduktion zu Schwefeldampf erfolgt: S02 + C ^
C0 2 + S.
Y) Physikalische Eigenschaften Der Schwefel kommt in mehreren festen, flüssigen und gasförmigen Zustandsformen vor, von denen im folgenden die wichtigsten angeführt seien: oc-Schwefel rhombisch, gelb
95.6° v
^p.
119.0"
ß-Schwefel monoklin, gelb
[X-Schwefel - t e [ c htflüssig CSj-löslich
444.0» >
braun, zähflüssig, CS,-unlöslich
• CuS). Beim Verreiben von Q u e c k s i l b e r mit Schwefelblumen in einem Mörser entsteht schwarzes Quecksübersulfid (Hg + S —>- HgS).
b) Wasserstoffverbindungen des Schwefels a) Schwefelwasserstoff Vorkommen. In manchen vulkanischen Gegenden findet sich der Schwefelwasserstoff in den der Erde entströmenden Gasen. Weiter stellt er den wichtigsten Bestandteil der ,,Schwefelquellen" (z. B. in Aachen und Wiessee) dar. Schließlich bildet er sich bei der Fäulnis schwefelhaltiger organischer Stoffe (Eiweiß); so rührt z. B. der üble Geruch fauler Eier größtenteils vom Schwefelwasserstoff her. Darstellung. Wie das Wasser kann auch der Schwefelwasserstoff a u s d e n E l e m e n t e n synthetisiert werden: H2+S
>- H 2 S + 4.8 kcal.
(1)
Man verfährt dabei am besten so, daß man ein Gemisch von Schwefeldampf und Wasserstoff durch ein auf 600° erhitztes Glasrohr leitet. Bequemer erhält man den Schwefelwasserstoff im Laboratorium dadurch, daß man ihn aus seinen S a l z e n (Sulfiden) im KiPPschen Apparat mit S a l z s ä u r e in Freiheit setzt: FeS + 2 HCl
>- FeCl2 + H 2 S .
Als Sulfid dient gewöhnlich E i s e n s u l f i d , das technisch durch Zusammenschmelzen von Eisen und Schwefel gewonnen wird (S. 535). Da es meist noch etwas metallisches Eisen enthält, ist dem so bereiteten Gas etwas Wasserstoff beigemengt, was aber bei den meisten Verwendungen nicht stört. Zur Darstellung r e i n e n Schwefelwasserstoffs verwendet man zweckmäßig C a l c i u m - oder B a r i u m s u l f i d . T e c h n i s c h kann Schwefelwasserstoff aus L e u c h t g a s , K o k e r e i g a s und anderen, aus Kohle hergestellten Gasen gewonnen werden, welche mehrere Zehntel Volumenprozente Schwefelwasserstoff enthalten. Die Abtrennung erfolgt zweckmäßig durch Lösungen s c h w a c h e r B a s e n B, welche den Schwefelwasserstoff a b s o r b i e r e n und beim Erhitzen wieder a b g e b e n : Absorption
B + H2S
BIT + HS'.
Abgabe
So arbeitet z . B . das „Thylox-Verfahren" mit Thioarsenit-lösungen, das „ G I R D L E R Verfahren" mit Alkoxy-aminen und das — in Deutschland meist benutzte — „Alkazid• Verfahren" mit Lösungen aminosaurer Salze.
Der Schwefel
193
Physikalisehe Eigenschaften. Schwefelwasserstoff ist ein farbloses, „nach faulen Eiern" riechendes, stark giftiges Gas, das sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit kondensieren läßt, welche bei —60.34° siedet und bei —85.53° erstarrt. 1 Liter Wasser löst bei 0° 4.65 und bei 20° 2.61 Liter H 2 S ; die entstehende Lösung heißt „Schwefelwassersto ffwasser". Chemische Eigenschaften. Bei hoher Temperatur zerfällt S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Umkehrung seiner Bildung aus den Elementen (1) wieder weitgehend (bei 1000° zu etwa 1 / 4 , bei 1500° zu etwa 2 / 3 , bei 1700° zu etwa 3 / 4 ) in S c h w e f e l und W a s s e r s t o f f . An der Luft entzündet, verbrennt er je nach der Luftzufuhr mit blauer Flamme zu Wasser und S c h w e f e l d i o x y d oder zu Wasser und S c h w e f e l : H 2 S + H/ 2 0 2
^ H 2 0 + S0 2 ;
H2S + V 2 0 2
>- H 2 0 + S .
Die wässerige Lösung zersetzt sich an der Luft und am Licht schon bei gewöhnlicher Temperatur allmählich in dieser Weise unter Schwefelabscheidung. Will man daher Schwefelwasserstoffwasser unzersetzt erhalten, so muß man es in völlig gefüllten und gut verschlossenen Flaschen im Dunkeln aufbewahren. Der Schwefelwasserstoff hat in wässeriger Lösung den Charakter einer s e h r schwachen zweibasigen Säure: HjS
H' + HS' -7^-t. 2H' + S".
Die erste Dissoziationskonstante K t =
Ch
x CHh C
hat den Wert 1.02 X 10 - 7 , die zweite H,S (25°). Die G e s a m t d i s s o z i a t i o n wird demnach
13 d e n Wert 1.3 X 10 chs' 2 durch die Konstante K = — =Kl • K2—1.3 x 10~20 wiedergegeben. Aus den Kon^S etanten geht hervor, daß der Schwefelwasserstoff in 0.1-molarer Lösung zu etwa 1 /io°/o H ' + H S ' dissoziiert ist, während der Dissoziationsgrad der Spaltung nach H2S 2H" + S " wegen des pH-Wertes 4 einer 0.1-molaren H 2 S-Lösung (s. oben) in der Größenordnung von nur 10~ 10 °/0 liegt (entsprechend einer Konzentration von rund 10" 13 Gramm-ionen S " » 10 11 S"-ionen je Liter). Als z w e i b a s i g e Säure bildet der Schwefelwasserstoff zwei Reihen von Salzen: Hydrogensulfide (saure Sulfide) der Formel Me I HS und Sulfide (normale Sulfide) der Zusammensetzung Me2S. Die H y d r o g e n s u l f i d e sind in Wasser alle sehr leicht löslich. Von den n o r m a l e n S u l f i d e n lösen sich die A l k a l i s u l f i d e gleichfalls leicht in Wasser; dabei erleiden sie als Salze einer schwachen Säure (vgl. S. 115 f.) starke (in 1-normaler Lösung etwa 90°/0ige) H y d r o l y s e gemäß
K2 =
S" + HÖH
HS' + OH'.
(2)
Der gleichen hydrolytischen Spaltung unterliegen die E r d a l k a l i s u l f i d e , und noch leichter hydrolysieren A l u m i n i u m s u l f i d (A12S3) und C h r o m s u l f i d (Cr2S3). Die meisten a n d e r e n M e t a l l s u l f i d e sind in Wasser so w e n i g l ö s l i c h (vgl. S. 194f.), daß die hydrolytische Zersetzung ausbleibt, weil infolge der geringen Sulfidionen-konzentration das Hydrolysengleichgewicht (2) ganz nach links verschoben ist. Schwefelwasserstoff ist sowohl im gasförmigen wie im gelösten Zustande ein verhältnismäßig starkes R e d u k t i o n s m i t t e l : H
2
S — S + 2H
bzw.
S"—>-S + 2 e .
So reagiert er z. B. lebhaft mit F l u o r , C h l o r und B r o m , weniger energisch mit J o d (vgl. S. 83, 87, 88, 99): H a S + X2 3«- 2HX + S bzw. S" + X, 2X' + S H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 40. — 46. Aull.
13
194
Die Gruppe der Chalkogene
und führt verschiedene Sauerstoffverbindungen, z. B . S c h w e f e l d i o x y d (bei Gegenwart von Wasser) oder k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e , in niedrigere Oxydationsstufen ü b e r : 2 HjS + SO, — 2 H , 0 + 3 S H 2 S 0 4 + H 2 S — > - HaSOg + H 2 0 + S ,
so daß man Schwefelwasserstoff nicht mit konzentrierter Schwefelsäure trocknen kann. Salze. Das Natriumsulfid Na2S wird technisch durch R e d u k t i o n von Natrium sulfat mit K o h l e bei Dunkelrotglut dargestellt: Na 2 S0 4 + 4C
>- Na 2 S + 4 C 0 .
Es ist in Wasser mit s t a r k a l k a l i s c h e r R e a k t i o n (2) löslich und kristallisiert aus der Lösung unterhalb von 48° in Form hygroskopischer, quadratischer Prismen der Zusammensetzung Na2S • 9H 2 0 aus. Technisch wird es in der organischen Chemie als R e d u k t i o n s m i t t e l (z. B. bei der Herstellung von Schwefelfarbstoffen) verwendet. Das Kaliumsulfid K 2 S wird zweckmäßig durch Sättigen von K a l i l a u g e mit Schwefelwasserstoff (3) und Vermischen der so gewonnenen K a l i u m h y d r o g e n sulfidlösung mit einer äquivalenten Menge K a l i l a u g e (4) gewonnen: KOH + H 2 S KHS + KOH
>- KHS + H 2 0 K2S + H 2 0 .
(3) (4)
Es ist in Wasser leicht löslich und kristallisiert aus der Lösung mit 5 Mol Kristallwasser. An der Luft geht es wie das Natriumsulfid leicht in T h i o s u l f a t über: 2K 2 S + 2 0 2 + H 2 0 —>• K 2 S 2 0 3 + 2 KOH.
Das „Kaliumsulfid" des Handels wird durch Zusammenschmelzen von P o t t a s c h e und Schwefel gewonnen. Es enthält K a l i u m p o l y s u l f i d e (S. 195), K a l i u m t h i o s u l f a t und K a l i u m s u l f a t und heißt wegen seiner leberbraunen Farbe auch „Schwefelleber". Beim Sättigen einer verdünnten wässerigen Ammoniaklösung mit S c h w e f e l wasserstoff entsteht analog (3) Ammoniumhydrogensulfid NH 4 HS: NH 3 + H 2 S — > - NH4- + S H ' .
Diese Lösung reagiert aber bei Zugabe einer äquivalenten Menge Ammoniak nicht analog (4) unter Bildimg von Ammoniumsulfid (NH4)2S weiter. Die im Laboratorium für analytische Zwecke (s. unten) viel benutzte, aus 2 Mol Ammoniak und 1 Mol Schwefelwasserstoff gewonnene „Ammoniumsulfid"-lösung („farbloses Schwefelammon") enthält also kein (NH4)2S, sondern ein äquimolekulares Gemisch von NH4HS und NH3. Beim Stehen an der Luft färbt sich die farblose Lösung infolge Bildung von Ammoniumpolysulfiden (S. 195) bald gelb („gelbes Schwefelammon"): S" + V 2 0 2 + 2H" — > • S + H 2 0 S" + x S — M S x + i]".
(5)
Rascher erhält man diese gelbe Lösung durch unmittelbares Auflösen von Schwefel gemäß (5). Das wahre Ammoniumsulfid (NH 4 ) 2 S läßt sich durch Vermischen von 2 Mol Ammoniak und 1 Mol Schwefelwasserstoff bei — 18° unter Ausschluß von Wasser als weiße Kristallmasse erhalten: 2 N H 3 + H 2 S >- (NH 4 ) 2 S. Es zerfällt bereits bei Zimmertemperatur in Ammoniak und Ammoniumhydrogensulfid, welches seinerseits leicht in Ammoniak und Schwefelwasserstoff dissoziiert (Dissoziationsdruck bei 20° 355 mm): (NH 4 ) 2 S
\TT
' > NH 4 HS
WTT
H 2 S.
Andere Metallsulfide werden bei den einzelnen Metallen beschrieben. Anwendung des Schwefelwasserstoffs in der Analyse. Man benutzt die Schwerl ö s l i c h k e i t der M e t a l l s u l f i d e in der analytischen Chemie dazu, um Metalle aus
195
Der Schwefel
wässeriger Lösung gruppenweise zu fällen. Denn je nach der Größe des L ö s l i c h k e i t s p r o d u k t e s (S. 120) eines Sulfids fällt letzteres bereits in s a u r e r L ö s u n g („Schwefelwasserstoffgruppe") oder erst in b a s i s c h e r (ammoniakalischer) L ö s u n g („Schwefelammongruppe") aus: pa x c Aus der Dissoziationskonstante K = — ä ; 10~20 des Schwefelwasserstoffs CH
sS
geht hervor, daß die Sulfidionen-konzentration einer gesättigten Schwefelwasserstofflösung (ch„s ~ 0.1) in Gegenwart einer 1-normalen starken Säure (cH- = 1) rund 10 - 2 1 (entsprechend 1 S"-ion je ccm) beträgt. Daher lassen sich aus e i n e r sauren L ö s u n g vom />H-Wert 0 nur solche Metallsulfide quantitativ ausfällen, deren Löslichkeitsprodukt so k l e i n ist, daß es trotz dieser minimalen S"-Konzentration noch erheblich überschritten wird. Das ist der Fall bei A r s e n s u l f i d As2S3 (gelb), A n t i m o n s u l f i d Sb 2 S 3 (orangerot), Z i n n s u l f i d SnS (braun), Q u e c k s i l b e r s u l f i d HgS (schwarz), B l e i s u l f i d PbS (schwarz), W i s m u t s u l f i d Bi 2 S 3 (braunschwarz), K u p f e r s u l f i d CuS (schwarz) und C a d m i u m s u l f i d CdS (gelb). So besitzt z. B. das Bleisulfid das Löslichkeitsprodukt c P b - X cS" «=» 10~28; es fällt daher beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in eine saure Lösung aus, sobald die Konzentration der Blei-ionen den Wert c P b " = 10 - 2 8 : 10~21 = 10 - 7 — d.h. Viooooooo Mol Blei-ionen je Liter —überschreitet. Sind die Löslichkeitsprodukte r e l a t i v groß, so fallen die betreffenden Sulfide erst in b a s i s c h e r (ammoniakalischer) L ö s u n g quantitativ aus, in welcher die S"-Konzentration größer ist. Das ist z.B. der Fall bei N i c k e l s u l f idNiS (schwarz), K o b a l t s u l f i d CoS (schwarz), E i s e n s u l f i d FeS (schwarz), M a n g a n s u l f i d MnS (fleischfarben) und Z i n k s u l f i d ZnS (weiß). So weist z. B. das Eisensulfid FeS das Löslichkeitsprodukt c,v - X cs" äs 10~19 auf. Es könnte daher in saurer Lösung erst bei einer — experimentell nicht erreichbaren—Eisenionen-konzentration von c F e - = 10~ 1 9 :10 - 2 1 = 102 — also von 100 Mol Eisen-ionen je Liter — ausfallen. Setzt man aber die Wasserstoffionen-konzentration vermittels Ammoniak (H' + NH, —>- NH 4 ') herab, benutzt man also Ammoniumsulfid statt Schwefelwasserstoff als Fällungsmittel, so erfolgt z. B . bei einer Wasserstoffionen-konzentration von 10~8 (schwach alkalische Lösimg) die Ausfällung des Eisensulfids schon bei einer Eisenionen-konzentration von 1 0 - 1 9 : 10~5 = 10- 14 , weil dann c8~ = 10~ 21 : (10~8)2 = 10~6 ist. Die Löslichkeitsprodukte der E r d a l k a l i - und A l k a l i s u l f i d e sind so groß, daß sie selbst in ammoniakalischer Lösung nicht mehr erreicht werden (vgl. auch S. 193). Hier muß man andere Fällungsmittel zur Ausfällung verwenden („Erdalkaligruppe"; „Alkaligruppe"). ß) Polyschwefelwasserstoöe Schmilzt man A l k a l i s u l f i d e Me2S mit Sch wefel oder digeriert man Alkalisulf idlösun gen m i t S c h w e f e l , so nehmen die Alkalisulfide Schwefel auf unter Bildung gelber bis braunroter „Polysulfide" („Alkali-sulfane") der allgemeinen Formel Me2S x , worin x die Werte 2, 3, 4, 5 und höher annehmen kann. Die Bildung dieser Polysulfide kann man sich so vorstellen, daß an die freien Elektronenpaare des Sulfidschwefels unter Kettenbüdung Schwefelatome angelagert werden: :S: Sulfid
"
:S:S: Disulfid
"
:S:S:S: Trisulfid
"
l"
:S:S:S:S:| Tetrasulfid
r
:S:S:S:S:S: Pentasulfid
Diese Formeln entsprechen ganz den Kettenformeln des e l e m e n t a r e n Schwefels, nur daß im letzteren Fall die Ketten wegen des Fehlens zweier Elektronen (Wegfall der beiden negativen Ladungen) zu Ringen geschlossen sind (vgl. S. 187). Einen analogen kettenförmigen Bau besitzen die Anionen der P o l y t h i o n a t e Me 2 S x 0 6 (vgl. S. 216), bei denen an die je drei freien Elektronenpaare der beiden endständjgen Schwefelatome der obigen Polysulfid-Reihe je drei Sauerstoffatome angelagert sind. 13*
196
Die Gruppe der Chalkogene
S ä u e r t man Lösungen solcher Alkalipolysulfide an, so erhält man nicht die zugrunde liegenden P o l y s c h w e f e l W a s s e r s t o f f e H 2 S X (Polysulfane), sondern nur deren Zerfallsprodukte S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l : N a 2 S x + 2 HCl
»- 2NaCl + H 2 S + (x -
1)S.
Läßt man aber u m g e k e h r t die Lösung des P o l y s u l f i d s unter Kühlung zu überschüssiger k o n z e n t r i e r t e r S a l z s ä u r e fließen oder zersetzt man die festenPolysulfide mit w a s s e r f r e i e r A m e i s e n s ä u r e , vermeidet man also ö r t l i c h e a l k a l i s c h e R e a k t i o n , so scheidet sich ein gelbes „Rohöl" (H 2 S 4 , H 2 S 5 , H 2 S,) ab, das durch Destillation unter m i l d e n B e d i n g u n g e n in seine Bestandteile zerlegt werden kann, während bei K r a c k d e s t i l l a t i o n (Zersetzungsdestillation) die schwefelärmeren Glieder H 2 S 2 und H a S , entstehen. In reinem Zustande wurden so bis jetzt gewonnen: der Dischwejelwasserstojj H 2 S 2 , eine blaßgelbe, bewegliche, Augen und Schleimhäute stark reizende, bei 70.7° siedende und bei — 89.6° erstarrende Flüssigkeit v o m spezifischen Gewicht 1.376, der Trischwefelwasserstofj H 2 S 3 , eine hellgelbe, bei tiefer Temperatur farblose, kämpf erähnlich riechende, bei — 5 2 ° schmelzende und sich vor Erreichen des Siedepunktes (—90°) zersetzende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.496, der Tetraschwefelwasserstoff H2S4, eine kräftig hellgelb gefärbte, stechend riechende, glasig erstarrende (Smp. ~ — 85°), in Benzol unbeschränkt lösliche Flüssigkeit von der Konsistenz des Olivenöls und dem spezifischen Gewicht 1.588, der Pentaschwefelwasserstojf H 2 S 6 , ein gelbes, sich schon bei 40" zersetzendes Öl v o m spezifischen Gewicht 1.660 und der Hexaschwefelwasserslojf H 2 S e , ein kräftig gelb gefärbtes, viskoses, leicht stechend riechendes und wie H 2 S 6 glasig erstarrendes Öl vom spezifischen Gewicht 1.699. Alle diese Polyschwefelwasserstoffe werden durch A l k a l i l a u g e n h e f t i g z e r s e t z t : H A
H 2 S + (x—1) s .
Ihre Empfindlichkeit gegenüber Alkalien ist dabei so groß, daß sie nur in Glasgefäßen gewonnen und aufbewahrt werden können, deren Innenwände zuvor durch Behandlung mit Säure auch v o n S p u r e n A l k a l i b e f r e i t worden sind. Der Zerfall in Schwefelwasserstoff und Schwefel ist e x o t h e r m . Dementsprechend gehen die niedrigeren Glieder beim Auflösen v o n Schwefel nicht in schwefelreichere Verbindungen über.
c) Halogenverbindungen des Schwefels S c h w e f e l b i l d e t H a l o g e n i d e d e s T y p u s S X 2 ( S F 2 , f a r b l o s e s G a s , S d p . — 3 5 ° ; SC12» g r a n a t r o t e F l ü s s i g k e i t , S d p . 59°), S X 4 ( S F 4 , f a r b l o s e s G a s , S m p . — 1 2 4 ° , S d p . — 4 0 ° ; SC1 4 , b l a ß g e l b e F l ü s s i g k e i t , S m p . ~ — 3 0 ° , z e r s e t z l i c h ) u n d S X 6 ( S F 6 , f a r b l o s e s G a s , Smp. —50.5°, Sblp. —63.8°). Außerdem kennt man noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen des Schwefels v o m T y p u s OSXg („TMonylhalogenide"; O S F a , farbloses Gas, S m p . — 1 1 0 ° , Sdp. — 3 0 ° ; OSCl 2 , f a r b l o s e F l ü s s i g k e i t , S d p . 7 6 ° ; O S B r 2 , r o t g e l b e F l ü s s i g k e i t , z e r s e t z l i c h ) u n d Oj.SX Ä {„Sulfurylhalogenide"; 0 2 S F 2 , farbloses Gas, S m p . — 1 3 5 . 7 ° , S d p . — 5 5 . 2 ° ; 02SC12, farblose Flüssigkeit, Sdp. 69.3°), sowie die d e m T y p u s O S X 2 formal entsprechenden Schwefelv e r b i n d u n g e n S S X 2 ( S 2 F 2 , f a r b l o s e s G a s , S m p . — 1 2 0 . 5 ° , S d p . — 3 8 ° ; S 2 C1 2 , o r a n g e g e l b e Flüssigkeit, S m p . —76.5°, Sdp. 137.1°; S2Br2, tiefrote Flüssigkeit, S m p . — 4 6 ° , zersetzlich). Den Verbindungen S X 2 kommt die Elektronenkonfiguration I zu. Die Thionylhalogenide OSX 2 und Sulfurylhalogenide 0 2 S X 2 leiten sich davon durch Anlagerung eines (Formel I I ) bzw. zweier (Formel III) Sauerstoffatome an das Schwefelatom ab: : Ö:
:Ö :
: X : S: X :
:X:S:X:
:X:S:X:
(I)
(II)
": Ö : " (III)
Ersatz des Schwefelatoms in Formel I durch längere Schwefelketten führt zu einer Verbindungsklasse X 2 S< („Halogensulfane"), die sich von den Polysulfanen H 2 S X (s. oben) durch Ersatz der Wasserstoffatome durch Halogenatome ableitet und deren Kettenlänge beträchtlich sein kann (im Falle der Chlorsulfane C12S ( z. B. bis x = 100). Die oben erwähnte Verbindung S2C12 ist ein Spezialfall dieser Körperklasse, deren Glieder leicht entstehen, wenn man in heißen Schwefel Chlor einleitet oder Lösungen von Schwefel in S2C12 erhitzt.
Der Schwefel
197
Lagert man an die freien Elektronenpaare des Schwefels im Molekül I s t a t t je e i n e s S a u e r s t o f f a t o m s (mit 6 Außenelektronen) z w e i H a l o g e n a t o m e (mit je 7 Außenelektronen) an, so kommt man zu den Tetrahalogeniden (IV) und Hexahalogeniden (Va) 1 : X X
XX
• X:S:X «
• • XX
« X:S:X «
» X : S: X « X X
• X : S : X« X X
(I)
(IV)
(Va)
(Vb)
7
7
7
7
7
7
6
6
Die zusätzlichen Halogenatome sind danach durch „Einelektronenbindungen" 2 und daher schwächer gebunden, was sich bei den Tetrahalogeniden in der leichten Abspaltbarkeit von Halogen (SC14 ^ SCI 2 + Cl2) zu erkennen gibt. Dagegen zeigt die große Beständigkeit des Schwefelhexafluorids SF a , daß ihm wohl nicht die Formel Va, sondern die Formel Vb mit einer Z w ö l f e r - E l e k t r o n e n s c h a l e (S. 160) des Schwefels zukommt, bei der jedes Fluoratom durch eine normale Kovalenz gebunden ist. Auch die Bildung der S. 132 beschriebenen höheren Halogenhalogenide XY(Y 2 ) n (n = 1, 2 und 3) erfolgt wohl durch Anlagerung je zweier Halogenatome Y an die drei freien Elektronenpaare des Zentralhalogens X : YY YY YY Y: X:
nY:X:|7,
«Y:X:
«Y:X:|,7 YY 7
7
In gleicher Weise dürfte die Bildung von „Polyhalogeniden" MeX(X 2 ) (n = 1, 2, 3 und 4) bei der Einwirkung von H a l o g e n auf A l k a l i h a l o g e n i d e zu erklären sein: r
7?
J
J
:
J :
1-
77 J
J
: J : j " j
77 J.'
J.'
-
r
7 j
i
n
J
-
r
7 7 j
7 J . 7J • t J
' J
7 7 J»'
j
J7
V
7 J * .. *J 7 J
J
7 ' J.'
Dischwefel-dicklorid S 3 Cl a e n t s t e h t als orangegelbe, a n feuchter L u f t rauchende Flüssigkeit v o n widerlichem, s t e c h e n d e m u n d z u Tränen r e i z e n d e m Geruch, w e n n m a n trockenes C h l o r über geschmolzenen S c h w e f e l l e i t e t : 2 S + C l 2 — > - S2C12. E s v e r m a g große Mengen Schwefel z u lösen (S. 196) u n d f i n d e t daher beim Vulkanisieren d e s K a u t s c h u k s (II, S. 406) Verwendung. Schwefeldicblorid SClj bildet sich aus den E l e m e n t e n oder b e i m Mischen äquimolekularer M e n g e n v o n S2C12 u n d flüssigem Chlor: S 2 C1 2 + Cl 2 — > 2 SC12. A n f a n g s z e i g t d i e Mischung eine gelbe Farbe, die jedoch nach w e n i g e n T a g e n in die rote F a r b e des Schwefeldichlorids umschlägt. B e i weiterer Einwirkung v o n flüssigem Chlor g e h t d a s Schwefeldichlorid i n Schwefeltetrachlorid SC14 ü b e r : SC12 + Cl 2 — > • SC14. Schwefeltetrachlorid ist nur bei tiefen Temperaturen beständig, bildet hier weißgelbe, bei e t w a — 3 0 ° s c h m e l z e n d e Kristalle u n d zerfällt b e i m E r w ä r m e n auf Zimmertemperatur vollständig in Schwefeldichlorid u n d Chlor. 1 Der leichteren Lesbarkeit halber sind in den Elektronenformeln die f r e i e n Außenelektronen der Halogenatome nur durch die beigesetzte arabische Zahl zum Ausdruck gebracht. 2 Unter,,Einelektronenbindungen", bei welchen zwei Substituenten X durch e i n Elektronenpaar des Zentralatoms Z gebunden werden, hat man sich wahrscheinlich Brückenbindungen des Typus
« X : Z : X 6 -< »- 6 X : Z : X « vorzustellen, wie sie z. B. auch als „Wasserstoffbrücken" (S. 223) in zahlreichen wasserstoffhaltigen Verbindungen auftreten. Es entfällt also bei der „Einelektronenbindung" im Z e i t d u r c h s c h n i t t auf jede der beiden beteiligten Bindungen f o r m a l 1 Elektron.
198
Die Gruppe der Chalkogene
Schwcfelhexafluorid SF 6 bildet sich unter starker Wärmeentwicklung durch unmittelbare Vereinigung der E l e m e n t e : S + 3F 2 — S F 6 . Es ist ein färb- und geruchloses, nicht entzündbares Gas, das auffallenderweise chemisch fast so i n d i f f e r e n t wie Stickstoff ist. So kann es z. B . mit W a s s e r s t o f f erhitzt werden, ohne daß Fluorwasserstoffentsteht. Schmelzende A l k a l i e n zersetzen es nicht. SogarNatrium kann im SF 6 -Gas geschmolzen werden, ohne daß seine Oberfläche infolge Natriumfluoridbildung blind wird; erst bei seinem Siedepunkt wird es vom Schwefelhexafluorid angegriffen. Als Nebenprodukt bei der Einwirkimg von Fluor auf Schwefel entsteht ein Fluorid S 2 F 1 0 (SF 6 —SF 5 ) vom Schmelzpunkt —92° und Siedepunkt + 2 9 ° . Es ist ebenfalls bemerkenswert beständig, aber doch reaktionsfähiger als SF 6 . Analoge Fluoride werden vom Selen und Tellur gebildet (Te 2 F 1 0 : schwere, farblose, leichtbewegliche Flüssigkeit vom Smp. —33° und Sdp. + 53°).
d) Oxyde des Schwefels Schwefel bildet vier Oxyde der Zusammensetzung SOn (n = 1, 2, 3 und 4) und zwei Oxyde der Zusammensetzimg SaOa n + i (n = 1 und 3), wie aus folgender Tabelle hervorgeht, in der die Oxyde nach steigender Oxydationszahl (S. 169) des Schwefels angeordnet sind: Oxydationszahl + 2
Oxyde der Formel S0 n SO
Oxyde der Formel SäOäd+i
Schwefelmonoxyd SüO.t
+ 3 + 4 + 5 + 6
—
SOs Schwefeltrioxyd S2OT Dischwefelheptoxyd
+ 6i + 61
Dischwefeltrioxyd
SO» Schwefeldioxyd
SO4 Schwefeltetroxyd
Das nach dieser Tabelle noch zu erwartende Oxyd S 2 0 6 ist bis jetzt unbekannt. Die wichtigsten Oxyde sind das Schwefeldioxyd S 0 2 und das Schwefeltrioxyd S0 3 . Die übrigen Oxyde SO, S0 4 , S 2 0 3 und S 2 0 7 — deren Existenz teilweise noch etwas unsicher ist — erhält man aus diesen Oxyden durch R e d u k t i o n mit S c h w e f e l (S + S 0 2 — ^ 2 S O ; S + S 0 3 — > - S 2 0 3 ) bzw. O x v d a t i o n m i t a k t i v e m S a u e r s t o f f (S0 2 + 2 0 —>- S 0 4 ; 2 S 0 3 + 0 — v S 2 0 7 ). a) Schwefeldioxyd Darstellung. T e c h n i s c h wird Schwefeldioxyd durch V e r b r e n n e n von S c h w e f e l an der Luft: „ . _ ^ __ . n, , ,,, S + 0 2 — > - S0 2 + 70.9 kcal
(1)
sowie vor allem durch E r h i t z e n s c h w e f e l h a l t i g e r E r z e im L u f t - oder S a u e r stoffstrom: 2 F e S a + 5 i / 2 o 2 _ ^ F e 2 0 3 + 4S0 2 dargestellt (Näheres S. 206). Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Schwefeldioxyd als Anhydrid der schwefligen Säure H 2 S 0 3 am bequemsten durch Entwässern der letzteren: H 2 S0 3 -—>- H 2 0 + S0 2 , indem man in käufliche, 40- bis 50°/0ige konzentrierte N a t r i u m b i s u l f i t l ö s u n g 1 Die Verbindungen enthalten Peroxygruppen — 0 — 0 — mit der Oxydationszahl — 1 (statt wie sonst — 2) des Sauerstoffs.
Der Schwefel
199
(NaHS0 3 ) k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e (NaHSO s + H 2 S 0 4 H2S03 + NaHS04) als wasserentziehendes Mittel eintropfen läßt. Statt von schwefliger Säure kann man auch von S c h w e f e l s ä u r e ausgehen, indem man konzentrierte Schwefelsäure durch Erhitzen mit K u p f e r zur schwefligen Säure reduziert: ^ ^ + Cu — ^ CuQ + ^ ^ welche dann wie oben zum Anhydrid entwässert wird. Physikalische Eigenschaften. Schwefeldioxyd ist ein farbloses, stechend riechendes, nicht brennbares und die Verbrennung nicht unterhaltendes Gas. Es läßt sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, die bei —10.0° siedet und bei —72.5° zu weißen Kristallen erstarrt. Die Verdampfungswärme ist sehr hoch und beträgt beim Siedepunkt 96 kcal/kg S 0 2 ; daher tritt beim Verdunsten von flüssigem Schwefeldioxyd eine bedeutende T e m p e r a t u r e r n i e d r i g u n g ein, wovon man bei K ä l t e m a s c h i n e n Gebrauch macht. I n Wasser ist Schwefeldioxyd leicht löslich: 1 Volumen Wasser löst bei 0° rund 80, bei 20° rund 40 Volumina S0 2 . Flüssiges Schwefeldioxyd ist ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für anorganische und organische Stoffe. Viele anorganische Salze leiten in dieser Lösung den elektrischen Strom ähnlich gut wie in Wasser, sind also wie in diesem elektrolytisch dissoziiert. Flüssiges Schwefeldioxyd selbst zeigt nur ein sehr geringes elektrisches Leitvermögen. Chemische Eigenschaften. Die wässerige Lösung des Schwefeldioxyds reagiert sauer und verhält sich auch im übrigen wie eine S ä u r e l ö s u n g (Näheres S. 203f.). I m übrigen ist das Schwefeldioxyd durch seine r e d u z i e r e n d e W i r k u n g ausgezeichnet, die auf seinem Bestreben beruht, sich zur Oxydationsstufe der Schwefelsäure zu oxydieren: S0 2 + O SOs. Leitet man z. B. einen Schwefeldioxydstrom über feinverteiltes, braunes Bleidioxyd (Pb0 2 ), so verwandelt sich dieses unter Erglühen in weißes Bleisulfat P b S 0 4 („Pb0-S03"): Pb0 2 + S0 2
PbS0 4 .
Viele organische Farbstoffe werden reduktiv entfärbt, worauf die Bleichwirkung des Schwefeldioxyds beruht, die man z. B. zum Bleichen von Stroh, Seide, Wolle und anderen Stoffen verwendet, welche die Chlorbleiche nicht vertragen. Auch die wässerige Lösung des Schwefeldioxyds zeigt diese reduzierenden Wirkungen (S. 204). Die o x y d i e r e n d e W i r k u n g des Schwefeldioxyds zeigt sich nur beim Erhitzen mit besonders kräftigen Reduktionsmitteln (Magnesium, Aluminium, Kalium, Natrium, Calcium), da 'die Sauerstoffatome des S0 2 -Moleküls, wie die hohe Bildungswärme (1) zeigt, sehr fest gebunden sind. Dementsprechend unterhält auch Schwefeldioxyd die Verbrennung nicht. Man kann daher z. B. Brände im Innern von Schornsteinen dadurch löschen, daß man unten Schwefel abbrennt; der Schwefel bindet dann allen Sauerstoff, so daß der R u ß nicht weiterbrennen kann. Die f ä u l n i s - u n d g ä r u n g s v e r h i n d e r n d e , d e s i n f i z i e r e n d e Wirkung des Schwefeldioxyds benutzt man zum Ausräuchern von Wein- und Bierfässern („Ausschwefeln"), zur Vertilgung von Ungeziefer usw. Setzt man T h i o n y l c h l o r i d SOCl2 mit A m m o n i a k um, so erhält man ein Schwefeldioxyd, in welchem ein S a u e r s t o f f a t o m durch die zweiwertige I m i d g r u p p e = NH ersetzt ist: ; 2TT01 SO I Cl2 + H 2 |NH — — > - SO(NH). Dieses „Thionylimid" („Sulfinimid") SO(NH) stellt bei Zimmertemperatur ein farbloses Gas dar, das zu einer farblosen, bei — 85° schmelzenden und im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187, 268 f.) sich nach kurzer Zeit zu einer gelben, dann braunen festen Masse polymerisierenden (vgl. Sulfimid, S. 251) Flüssigkeit verdichtet werden kann.
200
Die Gruppe der Chalkogece ß) Schwefeltrioxyd
Darstellung. Schwefeltrioxyd, S0 3 , kann nicht durch Verbrennen von Schwefel an der Luft oder in Sauerstoffatmosphäre gewonnen werden, da die bei der Verbrennung des Schwefels zu Schwefeldioxyd frei werdende bedeutende Wärmemenge (1) die Bildung des als exotherme Verbindung bei höheren Temperaturen in Schwefeldioxyd und Sauerstoff zerfallenden Schwefeltrioxyds verhindert: S0 2 + 7 2 0 2 ^ T i S03(g) + 21.9 kcal.
(2)
Die Vereinigung von Schwefeldioxyd und Sauerstoff nach (2) gelingt nur bei nicht allzu hohen Temperaturen (400—600°). Wegen der in diesem Temperaturgebiet zu geringen Umsetzungsgeschwindigkeit müssen zur Reaktionsbeschleunigung K a t a l y s a t o r e n angewandt werden. Das Verfahren wird technisch in großem Maßstabe bei der Schwefelsäurefabrikation durchgeführt (S. 205ff.). Im Laboratorium gewinnt man Schwefeltrioxyd als Anhydrid der Schwefelsäure durch Entwässern von Schwefelsäure (Erwärmen von konzentrierter Schwefelsäure mit Phosphorpentoxyd als wasserentziehendem Mittel): H2S04 —>- H20 + SO, oder durch Erhitzen von Bisulf aten (z. B. Natriumbisulfat NaHS0 4 ), Pyrosulf aten (z.B. Natriumpyrosulfat Na 2 S 2 0 7 ) oder Sulfaten (z.B. Eisen(III)-sulfat Fe 2 (S0 4 ) 3 ): 2MeHS04 - — H 2 0 + Me2S20, —>- S0 3 + Me2S04 —>- S0 3 + MeaO. Besonders bequem ist die Gewinnung von Schwefeltrioxyd durch E r h i t z e n von käuflicher „rauchender" Schwefelsäure, einer Lösung von Schwefeltrioxyd in konzentrierter Schwefelsäure (S. 207). Physikalische Eigenschaften. Schwefeltrioxyd kommt in drei Modifikationen, einer „eisartigen" und zwei „asbestartigen" Formen, vor. Kühlt man Schwefeltrioxyddampf sb, so kondensiert er sich zu der eisartigen Modifikation (y-S0 3 ), einer eisartig durchscheinenden, bei 16.8° schmelzenden und bei 44.8° siedenden Masse, welche im festen Zustande hauptsächlich aus (S03)3-Molekülen, im flüssigen Zustande aus (S0 3 ) 3 - und S03-Molekülen und im Dampfzustande aus SOs-Molekülen besteht. Bewahrt man das Schwefeltrioxyd längere Zeit unterhalb 25° auf, so wandelt es sich in die a s b e s t a r t i g e Form (/S-S03 und a-S0 3 ) um, weiße, seidenglänzende, verfilzte Nadeln der Molekulargröße (S0 3 ) n und (S0 3 ) p (p > n > 3). Das Schwefeltrioxyd des Handels ist ein Gemisch von • 2 SO) und ist am einfachsten durch Verbrennen von S c h w e f e l in reinem S a u e r s t o f f bei v e r m i n d e r t e m D r u c k (5—10 mm) darstellbar: S + 7.0, ^ S O + 6.56 kcal. Es macht aus Jodwasserstoff J o d frei, ist also ein O x y d a t i o n s - und nicht R e d u k t i o n s m i t t e l , und setzt sich dementsprechend mit weiterem S a u e r s t o f f erst bei erhöhter Temperatur um. Mit H a l o g e n e n reagiert es unter Bildung von T h i o n y l h a l o g e n i d e n (SO + X 2 SOX 2 ), mit W a s s e r unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g zu S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d (3 S O + H 2 0 H 2 S + 2 S0 2 ). Mit A l k a l i e n werden außerdem große Mengen T h i o s u l f a t gebildet (2 SO + 2 O H ' >- S 2 0 3 " + H„0). In flüssiger Luft kondensiert sich SO zu einem orangeroten Körper, der beim Erwärmen unter Aufhellung in gelbe plastische „Polyschwefeloxyde" SnOn-x zerfällt: ( n + x ) SO — > - SnOn-x + x S0 2 . Gleiche Zersetzung erleidet SO bei erhöhtem Druck (Partialdruck > 1 mm). Dischwefeltrloxyd S2O3 entsteht beim Zusatz von S c h w e f e l zu flüssigem S c h w e f e l t r i o x y d als blaugrüne, feste Substanz: S + S03 S203. Unterhalb von 15° ist die Verbindung einige Stunden lang haltbar. Bei höherer Temperatur geht die Substanz einerseits in S c h w e f e l und S c h w e f e l t r i o x y d , andererseits in S c h w e f e l und S c h w e f e l d i o x y d über. Bringt man z . B . S 2 0 3 in ein zugeschmolzenes Rohr, so zersetzt es sich bei20° innerhalb von wenigen Stunden quantitativ nach >• 3 S 0 2 + S. 2 S203 Mit Pyridin und mit Dioxan gibt S 2 0 3 neben elementarem Schwefel dagegen die Additionsverbindungen S0 3 -Pyridin und S0 3 -Dioxan. Von W a s s e r wird die Verbindung unter Bildung von Schwefel, Schwefelsäure und schwefliger Säure zersetzt. Dithionige Säure, H 2 S 2 0 4 , oder Polythionsäuren, H 2 S n O a , entstehen bei der Hydrolyse nicht. S 2 0 3 ist demnach nicht das Anhydrid von H 2 S 2 0 4 . Schwefeltetroxyd SO4 bildet sich neben S 2 0 7 (s.u.) und anderen Schwefelperoxyden bei der Einwirkung einer stillen e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g auf ein Gemisch von S c h w e f e l d i o x y d oder S c h w e f e l t r i o x y d und S a u e r s t o f f : S02 + 02 ^ S04. Es stellt einen farblosen, festen, hochpolymeren Stoff dar, der beim Erwärmen in S 0 3 und 0 2 zerfällt und sich bezüglich seiner Konstitution vom polymeren (S0 3 )x (S. 269) dadurch ableitet, daß die S—O—S-Brücken des letzteren durch S—0 3 —S-Brücken ersetzt sind. Bei der Hydrolyse wird u . a . H 2 S 0 6 gebildet. S 0 4 kann daher als Anhydrid der PeroxyschwefelsäureH 2 S0 5 betrachtet werden. Schwefeltetroxyd ist ein s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l ( S 0 4 + 2 © >- S 0 4 " ) und oxydiert beispielsweise Mangan(II)-salze zu Permanganat (Mn" + 4 H 2 0 >- M n 0 4 ' + 8 H ' + 5 ©), zweiwertiges Kupfer zu dreiwertigem (Cu" v Cu " + Q). Disehwelelheptoxyd SaO» entsteht neben S0 4 (s. o.) und anderen Schwefelperoxyden bei der Einwirkung dunkler e l e k t r i s c h e r E n t l a d u n g e n auf ein Gemisch von S c h w e f e l d i o x y d oder - t r i o x y d und S a u e r s t o f f : 2 S 0 2 + IV, O, ^ S207. Es stellt einen festen, farblosen Stoff dar und unterscheidet sich in seiner Struktur dadurch vom polymeren (S0 3 ) x und (S0 4 )*, daß die S — O—S-Brücken des (S0 3 ) x hälftig durch S — 0 2 —S-Brücken ersetzt sind. Wie S0 4 zerfällt auch S 2 0 7 beim Erwärmen in S0 2 und 0 2 . Bei der Hydrolyse entsteht u. a. H 2 S 2 0 8 . S 2 0 7 kann daher als Anhydrid der Peroxydischwefelsäure H 2 S 2 0 8 angesehen werden.
Die Gruppe der Chalkogene
20
e) Sauerstoffsäuren des Schwefels a) Systematik und Konstitution Der Schwefel bildet vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Formel H%SOn (n = 2, 3, 4 iind 5) und fünf Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung HgSjOn (n = 4, 5, 6, 7 und 8). Ihre Namen und die Namen ihrer Salze gehen aus der folgenden Tabelle hervor, in der die einzelnen Schwefelsäuren nach steigender Oxydationszahl des Schwefels geordnet sind: Oxydations-
Säuren des Typus HäSüOo
S äuren des Typus ] IÜSOB
zahl
Formel
+ 2
H2SO2 Sulfoxylsäure
Name
Salze
H3SO3 Schweflige Säure Sulfite
Sulfate
H2SO4 Schwefelsäure
Peroxyschwefelsäure
Dithionite
H2S2O6 Dithionsäure
Dithionate
HsSaOî Dischwefelsäure
Disulfate
HsSaOg
H2SO5
Salze
H 2 S Î 0 5 Dischweflige Säure Disulfite
+ 6i + 6i
j
HaS^Oi Dithionige Säure
+ 5 + 6
Name
Sulfoxylate
+ 3 + 4
Formel |
Peroxy-dischwefelPeroxy-disulfate säure
Peroxysulfate
Mit Ausnahme der einbasigen 2 Peroxyschwefelsäure sind sie alle zweibasig. Die K o n s t i t u t i o n der einzelnen Säuren bzw. ihrer Salze kann durch die folgenden K o m p l e x f o r m e l n (vgl. S. 159) wiedergegeben werden:
OSO
0 OSO
Sulfoxylat
Suli'it
it
0
Ol"
0
o
S S
Dlthlonit
II
• 0 0 s 02 0
"
Peroxysulfat
Sulfat
0 0 O S S 0
0 0 S O S 0 o Diälllfit
r 0 OSO 0
00
Dithionat
0
0
O S o s o 0
0 .
Di Sulfat
o
o
o
o
o s 0, s o Peroxy-disulfat
Mehr als v i e r Sauerstoffatome vermag das Schwefelatom nicht in d i r e k t e r
Bindung
aufzunehmen, da es als Ion S " ( : S n u r v i e r freie Elektronenpaare besitzt. Beim Übergang vom Sulfat S 0 4 " (I) zum Peroxysulfat S 0 6 " (II) wird daher der Sauerstoff nicht an den S c h w e f e l , sondern an den S a u e r s t o f f des Sulfat-ions angelagert: :O:
: 0
: Ö:S:Ö :Ö :
: Ö : S O:
:0 : "
:Ö
(II)
(Ï) 1
Vgl. Anmerkung 1 auf S. 198.
2
Vgl. Anmerkung 1 auf S. 264.
Der Schwefel
203
Die so entstehende O — O-Gruppierung wird „Peroxy-Oruppe" genannt. Man muß demnach zwischen 0—O-freien Perverbindungen (z. B. P e r c h l o r a t C104') und 0—O-haltigen P e r o x y Verbindungen (z. B. P e r o x y s u l f a t S 0 6 " ) unterscheiden.
Von einzelnen Schwefelsäuren leiten sich weitere Säuren dadurch ab, daß ein S a u e r s t o f f a t o m des Moleküls durch ein S c h w e f e l a t o m ersetzt ist. Auf diese Weise kommt man z. B . von der Schwefelsäure H 2 S 0 4 zur Thio-schwefelsäure H 2 S 2 0 3 und von der Dischwefelsäure H 2 S 2 0 7 zur Thio-dischwefelsäure (Trithionsäure) H 2 S 3 0 6 : O 0 0
0 s s
O S S S 0
Thiosulfat
Thio-disulfat
o
o
o
Die letztere Säure vermag noch Schwefel einzulagern, wobei die sogenannten Polythionsäuren H 2 S 3 + n 0 6 (n = 1, 2, 3) entstehen. Nur vier der genannten Säuren, nämlich S c h w e f e l s ä u r e , D i s c h w e f e l s ä u r e , P e r o x y s c h w e f e l s ä u r e u n d P e r o x y - d i s c h w e f e l s ä u r e sind in f r e i e m Z u s t a n d e isolierbar; die übrigen kennt man nur in w ä s s e r i g e r L ö s u n g oder in Form von S a l z e n . Die schon besprochenen Oxyde SO, S 0 2 , S 0 3 und S 0 4 entsprechen in ihrer Oxydationsstufe den Säuren H 2 S 0 2 , H 2 S 0 3 (bzw. H 2 S 2 0 6 ), H 2 S 0 4 (bzw. H 2 S 2 0 7 ) und H 2 S 0 5 , die Oxyde S 2 0 3 und S 2 0 7 den Säuren H 2 S 2 0 4 und H 2 S 2 0 8 . Echte Säure-anhydride sind aber nur S 0 2 und S 0 3 . Die wichtigsten Oxydationsstufen des Schwefels sind die der schwefligen Säure (Oxydationsstufe 0 2 bzw. S 0 3 " ) und Schwefelsäure (Oxydationsstufe S 0 3 bzw. S 0 4 " ) . Von diesen ausgehend ist die nächstniedere und nächsthöhere Oxydationsstufe durch Reduktion: 2 S0 3 + 2 © — ^ S 2 0 6 " 2 S o 2 + 2 © — ^ S204" bzw. durch O x y d a t i o n : 2 S0 3 " — S 2 0»" + 2 © 2 S0 4 " >- S 2 0 8 " + 2 © gewinnbar. Die so zugänglichen Oxydationsstufen der dithionigen Säure ( S 2 0 4 " ) , Dithionsäure ( S 2 0 6 " ) und Peroxy-dischwefelsäure ( S 2 0 8 " ) lassen sich durch Disproportionierung (Hydrolyse in wässeriger Lösung) in die nächstniedere und nächsthöhere Oxydationsstufe überführen; schematisch: S204" S0 2 + S0 2 " S 2 0„" S0 3 + S0 3 " S208" S0 4 + S0 4 ". Auf diese Weise gelangt man zur n i e d r i g s t e n und h ö c h s t e n Oxydationsstufe des Schwefels, der Sulfoxylsäure (Oxydationsstufe S 0 2 " ) und Peroxyschwefelsäure (Oxydationsstufe S 0 4 ) . ß) Schweflige Säure Löst man S c h w e f e l d i o x y d in W a s s e r auf, so erhält man eine ausgesprochen s a u e r reagierende, den elektrischen Strom leitende Lösimg: S0 2 + H 2 0 ^ H 2 S0 3 . (1) Die sauren Eigenschaften sind dabei auf gebildete s c h w e f l i g e S ä u r e H 2 S 0 3 zurück, zuführen. Allerdings liegt das Gleichgewicht (1) fast ganz auf der l i n k e n S e i t e , so daß der Hauptteil des gelösten Schwefeldioxyds als u n v e r ä n d e r t e s S 0 2 vorhegt und nur wenige Prozente in Form der Säure H 2 S 0 3 vorhanden sind. Beim Erwärmen der Lösimg entweicht das im Gleichgewicht befindliche Schwefeldioxyd, worauf sich das gestörte Gleichgewicht immer wieder neu einstellt. Daher gelingt es n i c h t , aus der wässerigen Lösung die w a s s e r f r e i e S ä u r e H 2 S 0 3 zu isoHeren. Saure Eigenschaften. Als z w e i b a s i g e S ä u r e dissoziiert die schweflige Säure in 2 Stufen: H 2 S 0 3 -- H ' + H S 0 3 ' z^ii: 2H" + S 0 3 " . Die Dissoziationskonstanten betragen bei 18°: cH- x c HSCV _ cH- X Cgo," ia_2
Die Gruppe der Chalkogene
204
Als undissoziierter Anteil (C„H 2 SO,") wird dabei die Gesamtkonzentration an Schwefeldioxyd und undissoziierter schwefliger Säure (cgo, + c H ,so.) verstanden; die eigentliche schweflige Säure H 2 S 0 3 ist also wesentlich stärker, als aus dem Zahlenwert für K1 hervorgeht. Die Salze der schwefligen Säure besitzen die Zusammensetzung M e ¡ S 0 3 (Sulfite; sekundäre Sulfite) bzw. M e ' H S 0 3 (Hydrogensulfite; Bisulfite; saure Sulfite; primäre Sulfite). Man gewinnt sie durch Einleiten von S c h w e f e l d i o x y d in wässerige Lösungen oder Suspensionen von H y d r o x y d e n (z. B . 2 K O H + S 0 2 — > - K 2 S 0 3 + H 2 0 ) oder C a r b o n a t e n (z. B . Na 2 C0 3 + S 0 2 —=>- N a 2 S 0 3 + C0 2 ). Die B i s u l f i t e sind in Wasser alle leicht, die S u l f i t e mit Ausnahme der Alkalisulfite (einschließlich des Ammoniumsulfits) schwer löslich. Technische Verwendung findet vor allem das C a l c i u m b i s u l f i t Ca(HS0 3 ) 2 bei der Zellstoffgewinnung aus Holz („Sulfitzellstoff"; I I , S. 257), da seine Lösungen die Eigenschaft haben, aus dem Holz die inkrustierenden Ligninstoffe herauszulösen, so daß Zellulose zurückbleibt. Durch Wasserabspaltung entstehen aus den Bisulfiten die Disulfite (Pyrosulfite): 2 M e H S 0 3 — > - H 2 0 + Me 2 S 2 0 5 . Auch sie werden technisch verwendet. Reduzierende Eigenschaften. Die wichtigste Eigenschaft der schwefligen Säure und ihrer Salze ist ihre r e d u z i e r e n d e W i r k u n g . Sie beruht auf dem Bestreben der schwefligen Säure, in die höhere Oxydationsstufe der S c h w e f e l s ä u r e überzugehen; schematisch: S0 2 + O >- S0 3 bzw. S 0 3 " -—>- S0 3 + 2 © . So wandeln sich z. B . die Sulfite und die schweflige Säure in wässeriger Lösung schon beim Stehen an der L u f t langsam in Sulfate bzw. Schwefelsäure um. Wässerige Lösungen von H a l o g e n e n werden von schwefliger Säure zu HalogenWasserstoffen reduziert (Cl2 + 2 0 — 2 C 1 ' ) ; aus Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d l ö s u n g e n fällt beim Einleiten von S 0 2 zuerst weißes unlösliches Quecksilber(I)-chlorid (Hg" + 0 — > - Hg"), dann metallisches Quecksilber (Hg* + © — > - Hg) aus; G o l d c h l o r i d wird in Gold übergeführt (Au"' + 3 © — A u ) usw. Oxydierende Eigenschaften. Umgekehrt kann die schweflige Säure gegenüber starken Reduktionsmitteln auch als O x y d a t i o n s m i t t e l wirken, indem sie in Schwefel oder Schwefelwasserstoff übergeht. So wird sie z. B . durch n a s z i e r e n d e n W a s s e r s t o f f (Zink und Salzsäure) und durch Z i n n ( I I ) - c h l o r i d zu Schwefelwasserstoff ( S 0 2 + 6 H — > - 2 H 2 0 + H 2 S ; 3SnCl 2 + S 0 2 + H 2 0 — ^ H 2 S + 3 S n C l 2 0 ) , durch S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zu Schwefel ( S 0 2 + 2 H 2 S — 2 H 2 0 + 3 S ) reduziert (vgl. S. 194). Konstitution. Die Konstitution der S u l f i t e ist e i n d e u t i g (Elektronenformel I ) . Dagegen können der f r e i e n s c h w e f l i g e n S ä u r e zwei F o r m e l n zukommen, j e nachdem die beiden Wasserstoff-ionen — die j a die Heliumschale erstreben — nur an S a u e r s t o f f (Elektronenformel I I a ) oder an S a u e r s t o f f und S c h w e f e l (Elektronenformel I I b ) gebunden sind: H H : O: Na+ -O: :0: :Ö:S:Ö:
:Ö:S:Ö: H (I) (Ha) (Hb) Wahrscheinlich liegt in der Lösung ein „tautomeres Gleichgewicht" zwischen beiden Formen vor, das zugunsten der Formel I I a verschoben ist. Unter „Tautomeric" versteht man dabei die Erscheinung, daß ein und derselbe Stoff im Sinne mehrerer, leicht ineinander übergehender und daher nicht einzeln isolierbarer Strukturformeln reagieren kann. Na+
:Ö:S:Ü:H
^
205
Der Schwefel
Ersetzt man die bewegliehen Wasserstoff-ionen durch schwerer bewegliche Kohlenwasserstoffreste („Alkylgruppen"; vgl. S. 301f.) R, so lassen sich beide Formen g e t r e n n t i s o l i e r e n ; die von der Formel I I a abgeleiteten Verbindungen OS(OR) 2 heißen Schwefligsäure-Ester, die der Formel I I b entsprechenden Verbindungen 0 2 S ( 0 R ) R Alkyl-sulfonsäure-Ester. Die Valenzstrichformeln (vgl. S. 158f.) für die Verbindungen I I a und I I b lauten: OH
(X
•
OH
o /
\H
Danach scheinen die beiden Formen ganz verschiedene Konstitution zu besitzen, während nach den E l e k t r o n e n f o r m e l n die Tautomerie der schwefligen Säure in Wirklichkeit lediglich auf dem P l a t z w e c h s e l e i n e s P r o t o n s beruht.
y) Schwefelsäure Darstellung Zur technischen Darstellung der Schwefelsäure dienen zwei Verfahren: das „ K o n taktverfahren" und das „Bleikammerverfahren". Ersteres ist heute in der Welt führend, letzteres wird nur noch vereinzelt angewandt. Beide Verfahren gehen vom S c h w e f e l d i o x y d aus und oxydieren dieses mit L u f t zu Schwefeltrioxyd, dem Anhydrid der Schwefelsäure. Beim K o n t a k t v e r f a h r e n dienen dabei V a n a d i n Verbindungen, beim B l e i k a m m e r v e r f a h r e n S t i c k s t o f f o x y d e als Sauerstoffüberträger. Kontakt verfahren Bei der Vereinigung von S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f t r i o x y d wird Wärme frei: S 0 2 + V»Og
S 0 3 ( g ) + 21.9 kcal.
zu
Schwefel(2)
Daher verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r zugunsten der l i n k e n S e i t e , d. h. Schwefeltrioxyd zerfällt beim Erhitzen in Schwefeldioxyd und Sauerstoff. So sind z. B . bei 400° 2 % , bei 600° 2 4 % des Schwefeltrioxyds zersetzt. Will man daher Schwefeldioxyd m ö g l i c h s t q u a n t i t a t i v zu Schwefeltrioxyd oxydieren, so muß man bei m ö g l i c h s t t i e f e r T e m p e r a t u r arbeiten. Zweckmäßig wäre nach der Lage des Gleichgewichts eine Reaktionstemperatur von < 400°. Hier ist aber die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t zu g e r i n g . Selbst bei 400—600° verläuft die Reaktion noch viel zu langsam. Glücklicherweise gibt es aber K a t a l y s a t o r e n („Kontakte"), die in diesem Temperaturbereich auf die obige Reaktion (2) bereits ansprechen. So erfolgt z. B . die Umsetzung bei Gegenwart von P l a t i n schon bei 400°, bei Gegenwart von E i s e n o x y d bei 600° mit ausreichender Geschwindigkeit. Heute benutzt man als Katalysator meist V a n a d i n v e r b i n d u n g e n (z. B . Vanadinoxyde; vgl. S. 487), die bei entsprechender Vorbehandlung (geeignete Zusätze, geeignete Trägersubstanzen usw.) dem Platin an Wirksamkeit fast gleichkommen und dabei wesentlich billiger als dieses sind. Die sauerstoffübertragende Wirkung der Vanadinoxyde kann man durch die Bildung von Zwischenverbindungen erklären, etwa nach dem Schema V, O a + 2 VO t V A + S02 0 2 + S02
>- V 2 0 5 >- 2 v o , + S 0 3
(3) (4)
>- S O , .
(5)
Die Geschwindigkeiten der Teilreaktionen (3) und (4) sind dabei in summa größer als die Geschwindigkeit der direkt verlaufenden Reaktion (5). I m einzelnen kann man bei der t e c h n i s c h e n Durchführung des Kontaktverfahrens vier Stufen unterscheiden: 1. D a r s t e l l u n g e i n e s G e m i s c h s v o n S c h w e f e l d i o x y d und L u f t ; 2. R e i n i g u n g d e s G a s g e m i s c h s ; 3. U m s e t z u n g d e s G a s g e m i s c h s a m K o n t a k t ; 4. V e r e i n i g u n g d e s g e b i l d e t e n S c h w e f e l t r i o x y d s m i t W a s s e r zu S c h w e f e l s ä u r e .
206
Die Gruppe der Chalkogene
1. Das S c h w e f e l d i o x y d - L u f t - G e m i s c h wird in der Hauptsache durch „Abrösten" (Erhitzen unter Luftzutritt) von S c h w e f e l k i e s ( P y r i t ) FeS 2 oder auch anderen sulfidischen Erzen (z. B. Kupferkies CuFeS 2 , Bleiglanz PbS, Zinkblende ZnS) erzeugt: 2 F e S 2 + 5 7 2 0 2 >F e 2 0 3 -f 4 S 0 2 . Daneben ist noch die Verbrennung von S c h w e f e l (S + 0 2 >- S0 2 ) und die Verbrennung von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H 2 S + IV2O2 H a O + S 0 2 ) in Gebrauch. Zum Abrösten der sulfidischen Erze dienen R ö s t ö f e n besonderer Konstruktion. I n K g . 71 ist ein solcher Kiesröstofen wiedergegeben, wie er z. B. zum Abrösten von Pyrit benutzt wird. Er enthält mehrere übereinander angeordnete Herdplatten, über welche sich Rührarme bewegen, die an einer zentralen, senkrechten Welle befestigt sind. Der Pyrit wird auf die oberste P l a t t e eingefüllt, von den Rührarmen erfaßt, gleichmäßig über die Platte verteilt und dabei im L u f t strom vorgeröstet. Durch eine Öffnung fällt er auf die nächsttiefere Platte, wo sich die Röstung in gleicher Weise fortsetzt usw. Schließlich kommt der Kies unten abgeröstet an und wird als „Abbrand" (Fe 2 0 3 ) ausgetragen, der zur Eisenerzeugung in die Hochöfen wandert. Bei m o d e r n e n üJelle A n l a g e n erfolgt die Abröstung von Kiesen auch Schwefelkies in großen D r e h r o h r ö f e n oder in S c h w e b e Rührarm r ö s t ö f e n , die ein Vielfaches der Kiesröstöfen zu leisten imstande sind. Herdplatte Öffnung
Das oben aus dem Röstofen abziehende „Röstgas" besteht zur Hauptsache aus S t i c k s t o f f , S a u e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d . Da nach dem Massen Wirkungsgesetz — vgl. (2) — das Mengenverhältnis von 0 3 und S 0 2 und damit die prozentuale Ausbeute an S 0 3 der Wurzel aus dem Partialdruck des Sauerstoffs proportional i s t : Pso, X Po,1!' Pso,
oder
Pso, Pso.
1 •ypo,. K„
stellt man gewöhnlich Röstgase mit einem dreifachen Ü b e r s c h u ß a n L u f t (P/2 s t a t t — wie theoretisch — 1 / 2 Mol 0 2 je Mol S0 2 ) her. 2. Das so erhaltene Röstgas kann nicht direkt über den K o n t a k t geleitet werden, da es V e r u n r e i n i g u n g e n enthält, welche teils m e c h a n i s c h („Flugstaub", der die Kontaktmasse bedeckt), teils c h e m i s c h („Kontaktgifte" wie ArsenFig. 71. Schema eines Kiesröstofens verbindungen, welche den K o n t a k t vergiften) die nach H E R R E S H O F F Wirksamkeit des Katalysators herabsetzen oder lähmen. Es muß daher vor der Umsetzung noch einer sorgfältigen R e i n i g u n g unterzogen werden. Die Befreiung von Flugstaub erfolgte früher ganz allgemein in „Stavhkammern", gemauerten Räumen mit eingebauten Scheidewänden, an denen die Gase wegen des ständigen Richtungswechsels einen großen Teil des Staubes f 2 ^ absetzen. Heute bedient man sich meist der elektrischen Gasreinigung (,,Elektrofiltration"), indem man das ZtveigGas durch ein starkes elektrisches Feld /eitung (50000 — 60000 Volt) leitet, wobei /ionfaktrohre sich die Staubteilchen durch Aufnahme der von der negativen Kathode („Sprühelektrode") ausgesandten Elektronen (l/ärmeausfausch negativ aufladen und an der positiv geladenen Anode („Niederschlagselektrode") niederschlagen. Das A r s e n wird |,| „„„ bei dieser Entstaubung nur d a n n vollf »„ a S0g+02 ..•m^ti'WwiM'H'l'M'H ständig entfernt, wenn die Röstgase .S03 — die den Röstofen mit 600—800° verlassen — gekühlt und einer besonderen elektrischen Gasreinigung („Naß-EGR." im Fig. 72. Kontaktkessel zur katalytischen Gewinnung Gegensatz zur vorher beschriebenen von Schwefeltrioxyd aus Röstgasen „Staub-EGB.") unterworfen werden.
Der Schwefel
207
3. Das gereinigte Schwefeldioxyd-Luft-Gemisch t r i t t nun in den K o n t a k t k e s s e 1 ein, wo sich unter Wärmeentwicklung — vgl. (2) — die U m s e t z u n g v o n S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f z u S c h w e f e l t r i o x y d abspielt. Besonders wichtig ist hierbei die Aufrechterhaltung einer sowohl hinsichtlich der Schwefeltrioxydausbeute als auch hinsichtlich der Reaktionsgeschwindigkeit g ü n s t i g s t e n T e m p e r a t u r (bei Vanadinkontakten: 500°). Es muß also die bei der Umsetzung freiwerdende W ä r m e dauernd abgeführt werden, da sonst die T e m p e r a t u r des Kontaktes s t e i g t und die S c h w e f e l t r i o x y d a u s b e u t e damit s i n k t . Die Wärmeableitung erfolgt zweckmäßig so, daß das kalte Schwefeldioxyd-Luft-Gemisch im Kontaktkessel (Fig. 72) zunächst außen an den mit Kontaktmasse gefüllten Rohren vorbeigeleitet wird, wobei es die in diesen Rohren erzeugte Reaktionswärme aufnimmt und sich gleichzeitig auf etwa 400° vorwärmt. Mit dieser Temperatur tritt es dann in die Kontaktrohre selbst ein, wo die Umsetzung zu Schwefeltrioxyd erfolgt. Durch mehr oder minder starke Zumischung von kaltem Röstgas mittels einer Zweigleitung kann die Temperatur des Kontaktes nach Bedarf reguliert werden. Vor dem ersten Einleiten der Gase muß der Kontaktkessel natürlich auf die Reaktionstemperatur vorgewärmt werden. 4. Die V e r e i n i g u n g d e s k a t a l y t i s c h g e b i l d e t e n S c h wef e l t r i o x y d s m i t W a s s e r zu S c h w e f e l s ä u r e ( S 0 3 + H 2 0 >• H 2 S0 4 ) kann nicht einfach so erfolgen, daß man das den Kontaktkessel verlassende Gasgemisch d u r c h W a s s e r l e i t e t , weil hierbei ein großer Teil des Sch wef eltrioxyds e n t w e i c h t , ohne sich mit dem Wasser umzusetzen. Dagegen absorbiert k o n z e n t r i e r t e (98°/oig e ) S c h w e f e l s ä u r e das Schwefeltrioxyd vollständig und momentan unter Bildung von D i s c h w e f e l s ä u r e ( P y r o s c h w e f e l s ä u r e ) H 2 S 2 0 7 (S. 210). Man verfährt daher so, daß man das Schwefeltrioxyd in 98°/oig e S c h w e f e l s ä u r e einleitet (6) und durch Zufließenlassen von W a s s e r (Hydrolyse der gebildeten Dischwefelsäure) die Schwefelsäurekonzentration k o n s t a n t e r h ä l t (7): S 0 3 + H2S04— ^H2S207 H 2 S 2 Q 7 + H 2 0 — > - H 2 SQ 4 + H 2 SQ 4 S03 + H20
>• I I 2 S 0 4 .
(6) (7) (8)
Insgesamt (8) ergibt sich damit die gewünschte Schwefelsäurebildung. In den Handel gelangt die „Kontaktsäure" als „konzentrierte Schwefelsäure" (98%ige Schwefelsäure) oder als ,,rauchende Schwefelsäure" („Oleum"; ,,Vitriolöl"), d . h . eine Schwefelsäure mit einem Überschuß an Schwefeltrioxyd (6) (vgl. S. 201). Bleikammerver fahren S t a t t durch V a n a d i n Verbindungen (Kontaktverfahren) kann die O x y d a t i o n des Schwefeldioxyds mit L u f t z u Schwefeltrioxyd auch durch S t i c k s t o f f - o x y d e (Bleikammerverfahren)| katalysiert werden. D i e sauerstoffübertragende Wirkung der Sticks t o f f o x y d e k a n n dabei s c h e m a t i s c h durch folgende Gleichungen z u m Ausdruck gebracht werden: Vi 0 2 + NO N02 (9) N 0 2 + S0 2 >- NO + S 0 3 (10) Vi O a + s o 2 — > - S 0 3 .
(11)
D a bei der R e a k t i o n (10) ein Teil des Stickstoffdioxyds bis z u N 2 0 u n d N 2 reduziert wird, welche unter d e n B e d i n g u n g e n des technischen Prozesses k e i n e n Sauerstoff analog (9) mehr a u f z u n e h m e n vermögen, k o m m t m a n bei d e m P r o z e ß nicht wie bei e i n e m rein katalytischen Verfahren m i t einer g e g e b e n e n M e n g e des Sauerstoffüberträgers aus, sondern m u ß die während des Betriebes auftretenden V e r l u s t e an Stickstoff oxyden e r s e t z e n . Wie beim Kontaktverfahren können wir auch beim Bleikammerverfahren mehrere Arbeitsgänge unterscheiden: 1. D a r s t e l l u n g e i n e s S c h w e f e l d i o x y d - L u f t - G e m i s c h s ; 2. R e i n i g u n g d e s G a s g e m i s c h s ; 3. U m s e t z u n g d e s G a s g e m i s c h s zu S c h w e f e l s ä u r e ; 4. K o n z e n t r i e r u n g d e r g e w o n n e n e n S c h w e f e l s ä u r e . 1. und 2. Die beiden ersten Arbeitsgänge erfolgen im Prinzip wie beim Kontaktverfahren. Nur unterbleibt hier die K ü h l u n g des Röstgases bei der Reinigung. 3. Zur Oxydation des Schwefeldioxyds zu Schwefelsäure dient beim Bleikammerverfahren eine in der Hauptsache aus drei Teilen, dem GLOVER-Turm, den Bleikammern und dem GAYLussAC-Turm, bestehende Anlage (Fig. 73).
208
Die Gruppe der Chalkogene
Die etwa 400° heißen Röstgase gelangen von unten her zunächst in den GLOVER-Turm, einen mit säurefestem Material ausgekleideten Bleiturm von 7 —15 m Höhe und 3 m Durchmesser, in welchem dem Gasstrom von oben her über säurefestes keramisches Füllmaterial (prismatische Steine Ringe, Dreiecksprismen, Platten usw.) „nitrose Säure" (S. 243), d. h. eine mit Stickstoffoxyden beladene, mäßig konzentrierte Schwefelsäure (s. unten) entgegenrieselt. Auf diese Weise werden die R ö s t g a s e mit S t i c k s t o f f o x y d e n beladen und zugleich auf etwa 7 0 - 9 0 ° a b g e k ü h l t , während sich die Gloi/erturm Gau-Lussac-Turm Säure infolge Verdampfung von Nitrose Sävre G/ouersäure Wasser und infolge Neubildung von Schwefelsaure (15—20 ü /„ der beim Bleikammerverfahren ent-Stickstoff stehenden Schwefelsäure werden bereits im GLOVER-Turm gebildet) k o n z e n t r i e r t und als „GLOVER-Säure" 80°/ o ige Schwefelsäure) abfließt. Aus
dem
GLOVER-Turm
treten die Röstgase durch Bleirohre in ein System von drei G/oversaure ^Mammerssure Nitrose Säure Kammern miteinemRauminhalt von etwa 5000 m3 bei mittelgro(S0%i3) (60%?) ßen Anlagen ein. Die Wandungen Fig. 73. Schematische Darstellung des Bleikammerverfahrens dieser Kammern sind mit B l e i der Schwefelsäuregewinnung p l a t t e n ausgekleidet, weil Blei das einzige von den billigeren Metallen ist, welches durch Schwefelsäure verhältnismäßig w e n i g a n g e g r i f f e n wird. In den beiden ersten Kammern wird W a s s e r zerstäubt; hier erfolgen die Umsetzungen (9) und (10) zwischen Schwefeldioxyd, Stickstoffoxyd und Sauerstoff sowie die Vereinigung des gebildeten Schwefeltrioxyds mit Wasser zu S c h w e f e l s ä u r e (8). Die Temperatur der ersten Kammer beträgt dabei etwa 70—80°, die der zweiten 50—55°; in der ersten herrscht das Schwefeldioxyd vor, so daß das Gas farblos ist, in der zweiten gewinnen die nitrosen Gase das Übergewicht und führen zu einer schwachen Rotfärbung des Gases. Die letzte Kammer bezweckt die Abkühlung und Trocknung der nitrosen Gase; die Temperatur ist hier nicht wesentlich höher als die Außentemperatur, und die Gase, die fast kein Schwefeldioxyd mehr enthalten, sind klar und tief rot gefärbt. Am Boden der Kammern sammelt sich die „Kammersäure" ( ~ 60°/ 0 ige Schwefelsäure). Zur Rückgewinnung der Stickstoffoxyde werden die Abgase der letzten Kammer in den GAY-LussAC-Turm, einen mit säurefesten Steinen ausgemauerten Bleiturm von 9 —15 m Höhe und 1.5 — 3 m Durchmesser eingeleitet, in welchem ihnen von oben 80°/ 0 ige Schwefelsäure (GLOVER-Säure) über säurefeste Füll- und Verteilungskörper in feiner Verteilung entgegenrieselt. Diese Schwefelsäure a b s o r b i e r t d i e S t i c k s t o f f o x y d e der Abgase unter Bildung von „nitroser Säure" (S. 243), die — mit Kammersäure verdünnt und zum Ausgleich des Verlustes an Stickstoffoxyden mit Salpetersäure vermischt — wieder dem G l o v e r - T u r m zugeführt wird. In größeren Anlagen verwendet man neuerdings a n s t a t t der Bleikammern T ü r m e aus säurefestem Material („Turmverfahren"). 4. Die K a m m e r s ä u r e kann direkt für die Herstellung von S u p e r p h o s p h a t aus Calciumphosphat (S. 270) oder f ü r die Darstellung von A m m o n i u m s u l f a t (S. 435) verwendet werden. Für die meisten anderen Zwecke muß sie erst k o n z e n t r i e r t werden. Dies geschah früher durch Eindampfen in Schalen aus Blei (bis 78°/0 H a S0 4 ), Glas, Porzellan, Quarz oder Platin. Heute konzentriert man, indem man die Säure in einem Turm („QAILLARD-Turm") in feiner Verteilung den heißen Gasen einer Generatorgasflamme entgegenrieseln läßt.
Physikalische Eigenschaften Reine Schwefelsäure ist eine ölige, farblose, beim Abkühlen auf 0° allmählich zu Kristallen vom Schmelzpunkt 10.36° erstarrende Flüssigkeit vom spez. Gewicht 1.836 (15°). Der Schmelzpunkt wird durch geringe Mengen Wasser stark erniedrigt und liegt für eine 98°/0ige Schwefelsäure beispielsweise bei 3.0°. Beim Erwärmen gibt die reine Schwefelsäure einen etwas schwefeltrioxyd-reicheren Dampf ab, bis schließlich bei einem konstanten Siedepunkt von 338° eine 98.3"/^ge Schwefelsäure übergeht. Eine Säure gleicher Zusammensetzung und gleichen Siedepunktes wird erhalten, wenn man
209
Der Schwefel
verdünnte Säure destilliert, da in diesem Falle zuerst fast nur Wasser übergeht. 100%ige Schwefelsäure läßt sich daher nicht durch Destillieren verdünnter Schwefelsäure, sondern nur durch Auflösen der berechneten Menge Schwefeltrioxyd in konzentrierter Schwefelsäure gewinnen. Erhitzt man den Dampf von Schwefelsäure über den Siedepunkt von 338° hinaus, so erfolgt Dissoziation in Wasserdampf und Schwefeltrioxyd: 21.3 kcal + H 2 S0 4 S 0 3 + H 2 0. Bei 450° ist die Dissoziation praktisch vollständig. Bei tiefen Temperaturen hat umgekehrt das Schwefeltrioxyd ein außerordentliches Bestreben, sich mit Wasser unter Bildung von Schwefelsäure zu vereinigen (S. 200). Chemische Eigenschaften Wasserentziehende Wirkung. Auch die konzentrierte Schwefelsäure selbst ist durch eine a u ß e r o r d e n t l i c h große A f f i n i t ä t zum W a s s e r ausgezeichnet. Mischt man Schwefelsäure mit Wasser, so bilden sich unter b e d e u t e n d e r W ä r m e e n t w i c k lung (20.4 kcal/Mol H 2 S0 4 bei Vermischen mit viel Wasser bei 20°) H y d r a t e der feuchter^ Gasstrom
f r
/rockener Gasstrom
*-zur Saugpumpe
j| j|=||yg
Fig. 74.
Vakuum-Exsiccator
Fig. 75.
konz. Schwefelsaure
Waschflasche
Schwefelsäure (vgl. S. 469): H 2 S0 4 • H 2 0 (Smp. 8.5°), H 2 S0 4 • 2H z O (Smp. —38°), H 2 S0 4 • 4 H 2 0 (Smp. —27°), H 2 S0 4 • 6 H 2 0 (Smp. —54°), H 2 S0 4 • 8 H 2 0 (Smp. —62°). Das Vermischen muß wegen der beträchtlichen Wärmeentwicklung stets mit Vorsicht in der Weise geschehen, daß man die Säure in dünnem Strahl und unter Umrühren in das Wasser e i n t r ä g t ; gießt man umgekehrt das Wasser in die Schwefelsäure, so kann die intensive Wärmeentwicklung zum Herausschleudern der aggressiven Flüssigkeit und zum Springen des Glasgefäßes führen. Das Volumen der Gemische von Schwefelsäure und Wasser ist nicht gleich der Summe der Einzelvolumina, sondern etwas kleiner; es tritt also beim Vermischen der beiden Flüssigkeiten eine K o n t r a k t i o n ein. Die größte Kontraktion zeigt eine 97.66°/0ige Schwefelsäure, welche bei 15° das spezifische Gewicht 1.8434 besitzt. Man benutzt die starke wasserentziehende Wirkung der konzentrierten Schwefelsäure im Laboratorium z. B. zum T r o c k n e n von chemischen Substanzen sowie zur Entfernung von Wasser aus chemischen Gleichgewichten. Zum Trocknen f e s t e r und f l ü s s i g e r S u b s t a n z e n dient dabei zweckmäßig ein ,,Exsiccator" (Fig. 74), ein luftdicht verschließbares Glasgefäß, auf dessen Boden sich konzentrierte Schwefelsäure (oder ein anderes Trockenmittel) befindet, welche — besonders wirksam im e v a k u i e r t e n Exsiccator — die Feuchtigkeit der darüber befindlichen, zu trocknenden Substanzen an sich zieht. G a s e trocknet man zweckmäßig durch Hindurchleiten durch eine mit konzentrierter Schwefelsäure gefüllte „Waschflasche" (Fig. 75).
Auf viele organische S t o f f e (Papier, Leinwand, Kleiderstoffe) wirkt konzentrierte Schwefelsäure verkohlend und zerfressend ein, indem sie die Elemente des Wassers daraus abspaltet ( C m H 2 n 0 Q — m C + nH 2 0) und zugleich oxydativ zerH o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie, 40. — 46. Aufl.
14
210
Die G r u p p e der Chalkogene
störend (S. 211) wirkt. Daher sieht rohe konzentrierte Schwefelsäure wegen hineingeratener Teilchen des Verpackungsmaterials gewöhnlich mehr oder weniger braun aus. Saure Wirkung. Die Schwefelsäure ist eine s t a r k e , z w e i b a s i g e Säure. Ihre elektrolytische Dissoziation erfolgt deutlich in zwei Stufen: H 2 S 0 4 H' -f- H S 0 4 ' 2H' -f- S0 4 ". Das e r s t e Wasserstoff-ion ist in Lösungen mittlerer Konzentration, z. B. einer 1-molaren Lösung, zu praktisch 100°/ 0 abgespalten. Die Dissoziation in z w e i t e r Stufe beträgt demgegenüber in einer solchen Lösung nur 1.3%, wie aus dem Zahlen wert der zweiten Dissoziationskonstante K2 = c H so/ gleich 1 hervorgeht.
Ctt • X CoA "
= 0.013 für cH- und
hso/
100°/ 0 ige Schwefelsäure leitet den elektrischen Strom infolge partieller elektrolytischer Dissoziation gemäß 2 H 2 S 0 4 H 3 0 ' + H S 2 0 / . V e r d ü n n t m a n die k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure, so überlagern sich — wenn m a n i m m e r ein bestimmtes Lösungsvolumen b e t r a c h t e t — zwei Einflüsse, die Z u n a h m e d e s D i s s o z i a t i o n s g r a d e s g e m ä ß H 2 S 0 4 + H 2 0 H 3 0 ° + H S O / u n d die A b n a h m e d e r G e s a m t k o n z e n t r a t i o n an Schwefelsäure. Z u n ä c h s t überwiegt die erstere E r scheinung, so d a ß die spezifische Leitfähigkeit m i t steigender V e r d ü n n u n g z u n i m m t . Bei einem Gehalt von e t w a 3 0 % Schwefelsäure kompensieren sich beide E i n f l ü s s e ; hier liegt das M a x i m u m d e r s p e z i f i s c h e n L e i t f ä h i g k e i t (xis« = 0.739 O h m - 1 c m - 1 ) . Bei weiterer V e r d ü n n u n g überwiegt der E i n f l u ß der A b n a h m e der G e s a m t k o n z e n t r a t i o n von Schwefelsäure, so d a ß jetzt die spezifische Leitfähigkeit wieder a b n i m m t , u m bei unendlicher V e r d ü n n u n g den W e r t Null zu erreichen. F ü g t m a n zu reiner Schwefelsäure n i c h t W a s s e r , sondern u m g e k e h r t S c h w e f e l t r i o x y d , konzentriert m a n also die 100°/oige Schwefelsäure noch weiter, so n i m m t die spezifische Leitfähigkeit auch in diesem Falle z u n ä c h s t zu, d a die K o n z e n t r a t i o n d e r — in konzentrierter Schwefelsäure teilweise dissoziierten — P y r o s c h w e f e l s ä u r e ( H 2 S 0 4 + S 0 3 >- H 2 S 2 0 7 ) zun i m m t . Bei einem Z u s a t z von e t w a 15% S 0 3 durchschreitet die L e i t f ä h i g k e i t s k u r v e ein kleines M a x i m u m , d a hier die Z u n a h m e der K o n z e n t r a t i o n an P y r o s c h w e f e l s ä u r e d u r c h die A b n a h m e des Dissoziationsgrades infolge der K o n z e n t r a t i o n s v e r m e h r u n g k o m p e n s i e r t wird. Bei weiterer Zugabe von S 0 3 s i n k t die Leitfähigkeit wieder, u m bei e t w a 4 0 % S 0 3 - Ü b e r s c h u ß sehr gering zu werden.
Als Säure entwickelt die Schwefelsäure bei der Einwirkung auf alle in der Spannungsreihe (S. 167) oberhalb des Wasserstoffs stehenden Metalle W a s s e r s t o f f (Me—^Me" + 2 © ; 2 © + 2H - —>- H 2 ) : Meli + H 2 S 0 4 •—>- M e S 0 4 +
Ha.
Hiervon macht man im Laboratorium zur Darstellung von Wasserstoff Gebrauch. Die Schwefelsäure muß dabei v e r d ü n n t sein, da k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure wegen ihres O x y d a t i o n s v e r m ö g e n s (S. 211) von dem naszierenden Wasserstoff teilweise zu S c h w e f e l w a s s e r s t o f f reduziert wird (H 2 S0 4 + 8 H — H 2 S + 4H 2 0), so daß der entwickelte Wasserstoff Schwefelwasserstoff enthält. Auch darf das Metall kein unlösliches Sulfat bilden, welches als schützende Deckschicht den weiteren Angriff der Säure verhindert (vgl. S. 172). Technisch v o n W i c h t i g k e i t ist d a s Verhalten der Schwefelsäure g e g e n ü b e r E i s e n . Die Ang r e i f b a r k e i t v o n Eisen l ä u f t d e m Leitvermögen (s. oben), also d e r I o n e n k o n z e n t r a t i o n d e r Lösung parallel. So wird Eisen von v e r d ü n n t e r Schwefelsäure s t a r k angegriffen. Mit steigender K o n zentration der Schwefelsäure wird die E i n w i r k u n g auf Eisen geringer, so d a ß Schwefelsäuren m i t einem Gehalt von m e h r als 9 3 % H 2 S 0 4 in Gefäßen aus Guß- oder Schmiede-eisen a u f b e w a h r t und v e r s a n d t werden k ö n n e n . F ü g t m a n zu 100%iger Schwefelsäure Schwefeltrioxyd, so steigt wieder die A n g r e i f b a r k e i t des Eisens, bis der Gehalt an freiem S 0 3 etwa 1 5 % b e t r ä g t . Bei weiterem Z u f ü g e n von S 0 3 s i n k t sie wieder, u m bei einem Gehalt von 4 0 % f r e i e m S 0 3 nahezu unmerklich zu werden. Auch v o n r a u c h e n d e r Schwefelsäure wird d a h e r Eisen nicht angegriffen, falls sie genügend freies S O s e n t h ä l t .
Die in der Spannungsreihe u n t e r h a l b d e s W a s s e r s t o f f s stehenden, weniger stark reduzierend wirkenden Metalle (z. B. Kupfer, Quecksilber, Silber) lösen sich in Schwefelsäure beim Erhitzen nicht unter W a s s e r s t o f f - , sondern unter S c h w e f e l dioxyd-entwicklung (Me —>- Me" + 2 © ; H 2 S 0 4 + 2H" + 2 © — v S 0 2 + 2 H 2 0 ) : Men + 2HjS0 4 — M e S 0 4 + SOa + 2HsO,
Der Schwefel
211
da die Reduktion von Schwefelsäure zu Schwefeldioxyd leichter als die Reduktion von Wasserstoffionen zu Wasserstoff erfolgt. P l a t i n und Gold, die nur sehr geringe reduzierende Wirkung aufweisen, werden von Schwefelsäure nicht angegriffen. Als zweibasige Säure bildet die Schwefelsäure zwei Reihen von Salzen: Hydrogensulfate {Bisulfate; saure Sulfate-, primäre Sulfate) Me I HS0 4 und Sulfate (normale Sulfate ; neutrale Sulfate-, sekundäre SwZ/ate) Me 2 S0 4 . H y d r o g e n s u l f a t e kennt man nur von den Alkalimetallen. Sie sind in Wasser sehr leicht löslich und gehen beim Erhitzen über den Schmelzpunkt zunächst in D i s u l f a t e (Pyrosulfate) und dann in normale S u l f a t e über: 2NaHS04 —>- Na2S20, Na2S04. Die den Disulfaten (Pyrosulfaten) entsprechende Dischwefelsäure (Pyroschwefelsäure) bildet eine durchsichtige, kristalline Masse vom Schmelzpunkt 36°. Sie kristallisiert aus rauchender Schwefelsäure mit bestimmtem Gehalt an freiem Schwefel trioxyd (18—62°/0 S0 3 ) beim Abkühlen aus. Die normalen S u l f a t e sind in Wasser meist leicht löslich. Praktisch unlöslich sind B a r i u m - , S t r o n t i u m - und B l e i s u l f a t ; Calciumsulfat ist etwas löslich. Die Alkali- und Erdalkalisulfate sind thermisch sehr beständig. Die Sulfate dreiwertiger Metalle zerfallen leichter; so kann man z. B. durch Erhitzen von Eisensulfat Fe 2 (S0 4 ) 3 oder Aluminiumsulfat A12(S04)3 leicht S0 3 darstellen: Fe 2 (S0 4 ) 3 — ^ Fe 2 0 3 + 3SO s (vgl. S. 200). Oxydierende Wirkung. Konzentrierte Schwefelsäure wirkt o x y d i e r e n d , da sie das Bestreben hat, in Umkehrimg der reduzierenden Wirkung der schwefligen Säure (vgl. S. 204) in schweflige Säure überzugehen; schematisch S0 3 — > S0 2 + O bzw. S0 3 + 2 © —>• S0 3 " . Auf diese Oxydationswirkung ist ja die oben schon erwähnte Auflösung der in der Spannungsreihe unterhalb des Wasserstoffs stehenden Metalle zurückzuführen. Auch N i c h t m e t a l l e wie Kohle oder Schwefel werden von heißer konzentrierter Schwefelsäure unter Schwefeldioxydentwicklung oxydativ gelöst. Verwendung. In der chemischen Industrie findet die Schwefelsäure mannigfaltigste Verwendung. Die Hauptmenge wird zur Darstellung von K u n s t d ü n g e r — Superphosphat (S. 270), Ammoniumsulfat (S. 435) — verbraucht. Weiter dient sie zur Darstellung der meisten anderen M i n e r a l s ä u r e n — z. B. Salzsäure (S. 87f.), Phosphorsäure (S. 259) —sowie in der organischen Industrie zur Einführung von ,,Sulfogruppen" —S0 3 H an Stelle von Wasserstoff („Sulfurierung"; vgl. II, S. 310) und im Gemisch mit Salpetersäure als ,,Nitriersäure" zum Ersatz von Wasserstoffatomen durch Nitrogruppen —N02 („Nitrierung" ; vgl. II, S. 308) in Cellulose, Glycerin, Benzol u. a. (Darstellung von Schießbaumwolle, Celluloid, Nitroglycerin, Pikrinsäure, Nitrotoluol usw.). Auch als Akkumulatorensäure werden beträchtliche Mengen Schwefelsäure verbraucht. Im chemischen Laboratorium schließlich ist sie eines der am meisten gebrauchten Reagentien. Halogenverbindungen. Ersetzt man in der Schwefelsäure (I) eine oder beide Hydroxylgruppen durch einwertige negative Reste X, so kommt man zu Derivaten, die man als Sulfonsäuren (II) bzw. Sulfurylverbindungen (III) bezeichnet: /OH ,X .X 0 2 S< 0 2 S< 0 2 S< \OH X)H \X (I) (II) (III) Schwefelsäuren
Sulfonsäuren
Sulfurylverbindungen
Im folgenden wollen wir einige Verbindungen betrachten, in denen X = Halogen ist. Andere Derivate werden wir auf S. 248ff. kennenlernen. Chlorsulfonsäure, C1 • S0 2 • OH, wird technisch durch unmittelbare Vereinigung von C h l o r w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l t r i o x y d hergestellt: 14*
212
Die Gruppe der Chalkogene
/Cl »- 0 2 S< \OH Eine andere Darstellungsmethode ist die Einwirkung von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d auf konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e : 02S=0 + H-Cl
HO • S 0 2 ;OH + PCI4! C1 —>• HO • S 0 2 • C1 + PC1 4 0H ( - > PC1 3 0 + HCl). Die Verbindung stellt eine farblose, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit von stechendem Geruch dar, welche bei 152° siedet und bei —80° erstarrt. Mit Wasser reagiert sie heftig unter Bildung von Salzsäure und Schwefelsäure: HO • SO. C1 + H ;OH
HO • S0 2 • OH + HCl.
Sulfurylchlorid, C1 • S 0 2 • Cl, bildet sich durch direkte Vereinigung von C h l o r und S c h w e f e l d i o x y d bei Gegenwart geeigneter K a t a l y s a t o r e n (Kampfer oder Aktivkohle oder Sonnenlicht): S 0 2 + C l 2 — ^ S02C12. Auch durch Erhitzen von C h l o r s u l f o n s ä u r e kann es erhalten werden: HO • S02iCl + Cl • SO?jOH — H O • S0 2 • OH + Cl • S0 2 • Cl. Es ist eine farblose, erstickend riechende, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit, welche bei 69.3° siedet und bei — 5 4 . 1 ° erstarrt. Mit wenig Wasser liefert Sulfurylchlorid Chlorsulfonsäure, mit viel Wasser Schwefelsäure: /IciTälOH ! 02S-^ 0,ß(:
/OH
;
\jci + HjOH
— 0
2
/OH S < ^ OH
Sulfurylfluorid, F • S 0 2 • F , das analog dem Sulfurylchlorid durch unmittelbare Vereinigung von S c h w e f e l d i o x y d und F l u o r oder durch Erhitzen von F l u o r s u l f o n s ä u r e bzw. deren Salzen erhalten werden kann, ist ein färb- und geruchloses Gas (Sdp. — 5 2 ° ; Smp.—120°), das zum Unterschied vom Sulfurylchlorid ähnlich r e a k t i o n s t r ä g e wie Schwefelhexafluorid (S. 198) ist. E s kann mit W a s s e r im geschlossenen Rohr auf 150° erhitzt werden, ohne sich zu zersetzen. Durch L a u g e n wird es nur sehr langsam angegriffen. N a t r i u m läßt sich in ihm schmelzen, ohne seinen Metallglanz zu verlieren. 8) Sulfoxylsäure. Dithionige Säure. Dithionsäure Die dithionige Säure (unter-dischweflige Säure) H 2 S 2 0 4 steht in ihrer Oxydationsstufe (vgl. S.202) um eine Einheit u n t e r h a l b , die Dithionsäure (Unter-dischwefelsäure) H 2 S 2 0 6 um eine Einheit o b e r h a l b der schwefligen Säure H 2 S 0 3 . Dementsprechend gewinnt man erstere durch R e d u k t i o n , letztere durch O x y d a t i o n der schwefligen Säure; s c h e m a t i s c h : 2S0 2 + 2 e 2SO3"
Beduktion >
s204"
(12)
S2O8" + 2 0 .
(13)
Als R e d u k t i o n s m i t t e l dienen zweckmäßig Z i n k (Zn —>- Z n " + 2 0 ; Einwirkung von Zink auf eine mit überschüssiger schwefliger Säure versetzte Natriumhydrogensulfitlösung) oder N a t r i u m ( N a — > - Na' + © ; Einwirkimg von trockenem Schwefeldioxyd auf Natrium) oder der e l e k t r i s c h e S t r o m (kathodische Reduktion einer Hydrogensulfitlösung), als O x y d a t i o n s m i t t e l v i e r w e r t i g e s M a n g a n (Mn"" + 2 © — > - M n " ; Einwirkung von Schwefeldioxyd auf in Wasser aufgeschlämmtes Mangandioxyd-
Der Schwefel
213
hydrat) oder d r e i w e r t i g e s E i s e n (Fe'" + © — > - F e " ; Einwirkung von Schwefeldioxyd auf Eisen(III)-oxydhydrat) oder der e l e k t r i s c h e S t r o m (anodische Oxydation einer Sulfitlösung). Die dithionige Säure H2S2O4 (Unter-dischweflige Säure) undihre Salze (Dithionite bzw. Hypo-disulfite) sind durch ihr s t a r k e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n charakterisiert, da sie in Umkehrung der obigen schematischen Bildungsgleichung (12) wieder in die Stufe der s c h w e f l i g e n S ä u r e überzugehen suchen: S 2 0 4 " — 2 S O a + 2 ©.
So fällen sie z. B. aus Quecksilber(II)-chlorid-, Silbernitrat- und Kupfersulfatlösungen die Metalle aus (Me" + 2 © —>• Me); Jodlösung wird entfärbt (J 2 + 2 © —->- 2 J'). Das Natriumsalz Na 2 S 2 0 4 • 2 H 2 0 findet in' der Küpenfärberei (II, S. 3G3, 489) und im Ätzdruck als Reduktionsmittel, in der analytischen Chemie als Absorptionsmittel für Sauerstoff Verwendung. Die Dithionsäure H^S^Og (JJnter-dischwefelsäure) und ihre Salze (Dithionate bzw. Hypo-disulfate) zeigen keine große Neigung, in Umkehrung der Darstellungsgleichung (13) unter Bildung von schwefliger Säure oder Sulfiten oxydierend zu wirken. Dagegen d i s p r o p o r t i o n i e r e n sie sich leicht in Schwefel- und schweflige Säure; s c h e m a t i s c h : S206"
S 0 3 + S0 3 ".
Konzentriert man z. B. eine wässerige Lösung von Dithionsäure, so zerfällt sie leicht nach H 2 S 2 0 6 —>• H 2 S0 4 + S 0 2 . In entsprechender Weise zerfallen die Salze beim Erhitzen: K 2 S 2 0 6 k 2 s o 4 + S02. Bei der dithionigen Säure ist die Neigung zur entsprechenden Disproportionierung: S204" ^ so 2 + S0 2 " weniger ausgeprägt. Immerhin gelingt es, auf diesem Wege zu Salzen der Sulfoxylsäure H^SOg (Unterschweflige Säure1) zu gelangen, wenn man in einer Na 2 S 2 0 4 -Lösung das im Gleichgewicht befindliche Hyposulfit S0 2 " als schwerlösliches K o b a l t s a l z CoS0 2 oder als Formaldehyd-Additionsverbindung N a H S 0 2 • CH 2 0 („Rongalit"; vgl. S. 214) abfängt. Die f r e i e Sulfoxylsäure gewinnt man in Form ihrer wässerigen Lösung zweckmäßig durch Hydrolyse von Derivaten wie SC12 oder S(OR) 2 (R = Kohlenwasserstoffrest C n H 2 n + 1 ; vgl. S. 301 f.): SCla + 2 HÖH—>- S(OH)j + 2 HCl S(0R) a + 2 HÖH S(OH)a + 2 HÖR .
Sie hat wie die unterchlorige Säure Cl(OH) (S. 121 f.) oder salpetrige Säure NO(OH) (S.242f.) o x y d i e r e n d e Eigenschaften (S(OH) 2 + 2 H ' + 2 © — S + 2H 2 0) und oxydiert beispielsweise Jodwasserstoff zu Jod ( 2 J ' — > J 2 2 ©), Stickstoffwasserstoffsäure zu Stickstoff (2N 3 ' — 3 N 2 + 2 ©), Schwefelwasserstoff zu Schwefel ( S " — > - S + 2©), Eisen(II)-salze zu Eisen(Ill)-salzen (Fe"—>- F e " + ©). Charakteristisch ist die in schwach saurer Lösung vor sich gehende Bildung von T r i t h i o n s ä u r e H 2 S 3 0 6 (S. 216f.) bei der Umsetzung mit s c h w e f l i g e r Säure H 2 S0 3 : s/
OH + H:SO s H i —> OH -f HiSOoH
/SO,H S/ H \&u,±i
+2HaO
(14)
1 Die Bezeichnung unterschweflige Säure (Salze: Hyposulfite) für die Säure H 2 S0 2 , die der rationellen Bezeichnungsweise für Sauerstoffsäuren (S. 121) entspricht, ist weniger gebräuchlich als der Name Sulfoxylsäure (Salze: Sulfoxylate). Dagegen wird die Säure H 2 S 2 0 4 (dithionige Säure), die rationell als unter-dischweflige Säure zu bezeichnen ist, oft einfach unterschwellige Säure genannt.
214
Die Grappe der Chalkogene
und die analoge Bildung von P e n t a t h i o n s ä u r e H 2 S 5 0 6 (S. 216f.) bei der Umsetzung mit der gegenüber der schwefligen Säure um 1 S-Atom reicheren Thioschwefelsäure 8(0H), + 2 HaSsO,
^ H2S506+ 2H20.
(15)
In a l k a l i s c h e r Lösung zersetzt sich die Sulfoxylsäure unter Bildung von S u l f i t und T h i o s u l f a t , indem wahrscheinlich das durch D i s p r o p o r t i o n i e r u n g (16) entstehende Sulfinoxyd H 2 SO: 2 H 2 S 0 2 ^ ± . H2SO + H 2 S0, (16) mit der gleichzeitig gebildeten schwefligen Säure analog (14) zu Thioschwefelsäure weiterreagiert:
(17)
In saurer Lösung geht die so gebildete Thioschwefelsäure gemäß (15) in Pentathionsäure über, so daß kein Thiosulfat aufgefunden wird.
Wie der schwefligen Säure H 2 S 0 3 (S. 204 f.) lassen sich auch der Sulfoxylsäure H 2 S 0 2 m e h r e r e t a u t o m e r e F o r m e l n zuordnen: H H:Ö:S:Ö:H
:Ö:S:Ö:H^±i " H
HO-S-OH
:Ö:SO: H
/OH
Ox
\H
O^
0 = S(
/H
>S< X
H .
(a) (b) (c) Von der ersteren(a) leiten sich z. B. die E s t e r S(OR)2, von der mittleren (b) der R o n g a l i t NaHS0 2 • CH 2 0 (S. 213) und von der letzteren (c) die Sulfone R 2 S 0 2 ab: RO — S — OR
/ONa
Ox
/R
\CH,0H
0^
\R.
0 = S
S
-2F') oder eine Anode entsprechend positiven Potentials verwenden. Technisch erfolgt die Darstellung der Peroxy-dischwefelsäure HoS ä 0 8 und ihrer Salze (Peroxy-disulfate) so, daß man k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure- bzw. Sulfatlösungen mit hoher S t r o m d i c h t e elektrolysiert. Besonders leicht sind dabei K a l i u m - und A m m o n i u m - p e r o x y - d i s u l f a t zu gewinnen, da sie wegen ihrer Schwerlöslichkeit leicht auskristallisieren. Hohe Konzentration und hohe Stromdichte sind deshalb erforderlich, weil bei v e r d ü n n t e n L ö s u n g e n und k l e i n e n S t r o m d i c h t e n infolge der geringen Konzentration entladener Sulfat-ionen letztere nicht m i t e i n a n d e r (18), sondern mit dem W a s s e r unter Bildung von S a u e r s t o f f ( S 0 4 + H 2 0 —>- H 2 S 0 4 + ^ O j ) reagieren. Auf diesem letzteren Vorgang beruht ja die anodische Sauerstoffentwicklung bei der Elektrolyse angesäuerten Wassers (S. 13).
Der Sohwefel
215
Peroxy-dischwefelsäure und Peroxy-disulfate sind s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l ( S 2 0 8 " + 2 e — ^ 2 S0 4 "). So werden z . B . Eisen(II)-salze zu Eisen(III)-salzen ( F e " — F e ' " + e)1Mangan(II)-salzezuBraunstein(Mn" + 2H 2 0 - > M n 0 2 + 4 H ' + 2 © ) bzw. — bei Gegenwart von Silber-ionen als Katalysator — zu Permanganat (Mn" + 4H 2 0 — > Mn0 4 ' + 8 IT + 5 Q), Silbersalze zu Silberperoxyd (2Ag' + 2H 2 0 — A g a O a + 4H" + 2 0 ) oxydiert. Fast alle Peroxy-disulfate sind in Wasser löslich; die Lösungen sind verhältnismäßig beständig. Dagegen unterliegt die freie Peroxy-dischwefelsäure in wässeriger Lösung leicht der H y d r o l y s e : 0 : 0 0 O HO S 0:0 S OH ^ Z i HO S OOH + HO S OH. O i O O O t
Peroxyschwefels&ure
Schwefelsäure
HOjH Die dabei neben Schwefelsäure entstehende Pero xy-monoschwefelsäure (Peroxyschwefelsaure) H2SO5 CA Rosche Säure") läßt sich leicht weiter zu Schwefelsäure und W a s s e r s t o f f p e r o x y d (vgl. S. 179) hydrolysieren: O ; O HO S OiOH — >- HO S OH + HOOH . O | 0 11.011 Die Reaktion ist umkehrbar, so daß man durch Einwirkung von Wasserstoffperoxyd auf kalte, konzentrierte Schwefelsäure Peroxyschwefelsäure erhalten kann. Nimmt man statt Schwefelsäure das Chlorid der Schwefelsäure (Chlorsulfonsäure), so kann man die Peroxyschwefelsäure in reiner Form als schön kristallisierte, weiße, bei 45° schmelzende Substanz erhalten: 0 0 HO S C1 + H;00H >- HO S OOH + HCl. 0 O Bei weiterer Einwirkung von Chlorsulfonsäure entsteht reine Peroxy-dischwefelsäure 0 O 0 0 HO S OOiH + Clj S OH HO S 0 0 S OH + HCl o O 0 0 in Form weißer, bei 60° unter schwacher Zersetzung schmelzender Kristalle. Zum Unterschied von der auf Kalium jodidlösung nur langsam ansprechenden Peroxy-dischwefelsäure scheidet die Peroxy-monoschwefelsäure aus Kaliumjodidlösungen augenblicklich Jod aus. Thioschwefelsäure Das Molekül der Thioschwefelsäure leitet sich von dem der Schwefelsäure durch Ersatz eines S a u e r s t o f f a t o m s durch ein Schwefelatom ab: //
:0: : Ö:S:Ö : :
9:
Sulfat
:Ö: : Ö :S :S: ' :0: Thiosulfat
Man erhält ihre Salze (Thiosulfate) durch Kochen von Sulfitlösungen mit feingepulvertem Schwefel: Na2S03 + S Na2S203 (1») oder durch Oxydation von Disulfiden mit Luftsauerstoff, z . B . : CaS2 + 17 2 0 2 — CaS20, .
216
Die Gruppe der Chalkogene
Die den Salzen zugrunde liegende Säure H a S 2 0 3 ist weder in freiem noch in gelöstem Zustande beständig, sondern zerfällt — in Umkehrung der zur Bildung von Thiosulfaten führenden Reaktion (19) — in schweflige Säure und S c h w e f e l : H2S203 —>- H2S03 + S. Säuert man daher Thiosulfatlösungen an, so bleibt die Lösung nur ganz kurze Zeit klar und scheidet alsbald Schwefel aus. Das wichtigste Thiosulfat ist das in dicken, durchsichtigen, farblosen, monoklinen Prismen kristallisierende Natriumthiosulfat Na 2 S 2 0 3 • 5 H 2 0 , welches bei 48.5° in seinem Kristallwasser schmilzt und sehr leicht übersättigte Lösungen bildet. Es findet mannigfache Verwendung. In der P h o t o g r a p h i e (S. 463) dient es als „Fixiersalz" zum Herauslösen des beim Belichten und Entwickeln unverändert gebliebenen Silberhalogenids aus photographischen Platten und Filmen. In der B l e i c h e r e i (S.84) benutzt man es als „Antichlor" zur Entfernung des Chlors aus chlorgebleichten Geweben, da es Chlor zu Chlorid reduziert (Cl2 + 2 © —>- 2C1'), wobei es selbst in S u l f a t übergeht (S 2 0 3 " + 5H 2 0 —>- 2 S 0 4 " + 10 IT + 8 ©). Mit dem weniger stark oxydierenden J o d (J 2 + 2 0 — 2 J ' ) setzt es sich nur bis zur Oxydationsstufe der T e t r a t h i o n s ä u r e H 2 S 4 0 6 um (2S 2 0 3 "->- S 4 0 6 " + 2 0 ) . Da hierbei die braune — bzw. bei Gegenwart von Stärke blaue (S. 89) — Jodlösung entfärbt wird: 2 S 2 0 3 " + J a — > • S406" + 2 J ' , farblos
braun
farblos
farblos
kann man leicht den Punkt (Äquivalenzpunkt) erkennen, an dem gerade die zur Jod menge äquivalente Menge Thiosulfat zugesetzt ist. Man benutzt daher die Reaktion zur Bestimmung von O x y d a t i o n s m i t t e l n („Jodometrie"), indem man durch Einwirkung dieser Oxydationsmittel auf eine Kaliumjodidlösung eine dem Oxydationswert der Oxydationsmittel äquivalente Jodmenge in Freiheit setzt (2 J ' — > J 2 + 2 Q) und diese mit einer eingestellten Natriumthiosulfatlösung titriert (vgl. S. 117f., 170). Auch R e d u k t i o n s m i t t e l können jodometrisch bestimmt werden, indem man diese auf einen bekannten Überschuß einer eingestellten Jod- Jodkali-Lösung (S. 89) einwirken läßt (J 2 -f 2 6 — > 2 J ' ) und das hierbei nicht umgesetzte Jod mit Thiosulfat bis zur Entfärbung „zurücktitriert" oder indem man die Reduktionsmittel direkt mit der eingestellten Jod-Jodkali-Lösung bis zur bleibenden Jodfärbung titriert. tj) Polythionsäuren Unter dem Namen Polythionsäuren faßt man einige Sauerstoffsäuren des Schwefels von der allgemeinen Formel H 2 S n 0 6 zusammen (n = 3 bis 6). Die einfachste Polythionsäure ist die Trithionsäure (Thio-dischwefelsäure) H 2 S 3 0 6 . Sie leitet sich von der Dischwefelsäure durch Ersatz eines S a u e r s t o f f a t o m s durch ein Schwefelatom ab : 0: : Ö : : 0: 0: Ö:S:Ö:S:Ö: :0 : S:S S: 0 : Ö: Ö : " : Ö: : Ö : Disulfat
Thio-disuUat
Die höheren Glieder der Reihe (Tetra-, Penta- und Hexathionsäure) leiten sich von der Trithionsäure durch Einlagerung weiterer Schwefelatome (Verlängerung der Schwefelkette) ab (vgl. S. 195). Man erhält ein Gemisch der Polythionsäuren, wenn man in eine wässerige Schwefeldioxydlösung Schwefelwasserstoff einleitet (,,WACKENRODERsehe Flüssigkeit"). Wahrscheinlich geht die Reaktion so vor sich, daß die schweflige Säure dabei durch den
Das Selen
217
Schwefelwasserstoff außer bis zur Endstufe des Schwefels (S. 194) intermediär auch bis zur Stufe der Sulfoxylsäure H 2 S 0 2 reduziert wird: H 2 S0 3 + H2S —>- H 2 S0 2 + H 2 0 + S, (20) welche mit überschüssiger schwefliger Säure unter Bildung von T r i t h i o n s ä u r e reagiert (14). Diese geht dann durch Aufnahme des gleichzeitig gebildeten Schwefels (20) in die h ö h e r e n P o l y t h i o n s ä u r e n (hauptsächlichTetra- undPentathionsäure) über. Die einzelnen Polythionsäuren sind ganz allgemein durch Umsetzung von S + + (z. B. SC12, S(01l) 2 ) oder von S 2 + + (z. B. S2C12, S 2 (OE) 2 ) mit schwefliger oder Thioschwefelsäure gewinnbar (S++ + 2 S 0 3 — — > - S 3 0 6 ~ ; S++ + 2 S 2 0 3 ~ — s » S 6 0 , ~ ; S 2 + + + 2 S O 3 - - — • S 4 0 6 — ; S 2 + + + 2 S 2 0 3 — — > • S 6 O g ~ ) . Bezüglich der Bildung von Tetrathionsäure aus Thioschwefelsäure vgl. S. 216. Alle Polythionsäuren sind nicht in f r e i e m Z u s t a n d e , sondern nur in w ä s s e r i g e r L ö s u n g und in Form ihrer S a l z e bekannt. Am beständigsten ist in wässeriger Lösung die T e t r a - , weniger beständig die P e n t a - und T r i - , am unbeständigsten die H e x a t h i o n s ä u r e . Unter den — in reiner Form isolierbaren — S a l z e n zeichnen sich die Alkalipolythionate durch Beständigkeit aus. I n s a u r e r L ö s u n g zersetzen sich die Polythionate allmählich unter Bildung von S c h w e f e l , s c h w e f l i g e r S ä u r e und HaSj+nOj >- nS + H 2 S 3 0 6 , H2S306 + H 2 0 >- H 2 S0 4 + H2S2Os ( S + H 2 S0 3 ). In a l k a l i s c h e r L ö s u n g erfolgt leichter Zerfall unter Bildung von T h i o s u l f a t und S u l f i t . Dieser Zerfall stellt nichts anderes dar als eine Umkehrung der oben angeführten Bildungsreaktionen aus S + + bzw. S 2 + + und S0 3 — bzw. S 2 0 3 — . Schwefelreichere Polythionate geben einen Teil ihres Schwefels leicht an Stoffe ab, die ihrerseits Schwefel aufnehmen können (z.B.S 4 0 6 — + S0 3 — —>• S 3 0 6 — + S 2 0 3 — ; S.O.— + CN~ — • S 3 0 6 — + CNS-).
3. Das Selen a) Elementares Selen Vorkommen. Selen findet sich spurenweise in vielen natürlichen Sulfiden wie Eisenkies (Pyrit) FeS 2 , Kupferkies CuFeS 2 , Zinkblende ZnS sowie als wesentlicher Bestandteil einiger seltener Mineralien. Beim Abrösten sulfidischer Erze reichert es sich im F l u g s t a u b (Se0 2 ist zum Unterschied von SO¡¡ fest) an. Beim Bleikammerverfahren der Schwefelsäurefabrikation findet es sich weiter als elementares Selen im „Bleikammerschlamm", da das Se0 2 zum Unterschied von S0 2 nicht von den Stickstoffoxyden zu Se0 3 oxydiert, sondern umgekehrt von der schwefligen Säure leicht zu elementarem Selen reduziert wird. Darstellung. Als Ausgangsmaterial für die Selengewinnung dient meist der B l e i k a m m e r s c h l a m m . Das darin enthaltene Selen wird durch Erwärmen mit S a l p e t e r s ä u r e zu seleniger Säure oxydiert: Se + 20 s- Se02 und die selenige Säure durch Einleiten von S c h w e f e l d i o x y d in die Lösimg wieder zu Selen reduziert: „ n . o m „ . Se0 >- Se + 2S0 3 . 2 + 2S0 2 Das Selen fällt dabei als amorpher roter Niederschlag aus. Physikalische Eigenschaften. Wie der Schwefel kommt auch das Selen in mehreren, und zwar drei roten und zwei schwarzen Modifikationen vor.
218
Die Gruppe der Chalkogene
Von den r o t e n Formen sind zwei kristallin («-Selen und /?-Selen) und eine amorph. Sie sind alle in Schwefelkohlenstoff löslich, enthalten als Bauelemente Se 8 -Ringe und leiten den elektrischen Strom nicht. Von den s c h w a r z e n Formen ist die eine bei Zimmertemperatur g l a s a r t i g . Sie zeigt bei schwach erhöhter Temperatur (besonders bei etwa 60° C) K a u t s c h u k e l a s t i z i t ä t und wird bei noch höherer Temperatur p l a s t i s c h . Der Aufbau dieser Modifikation ähnelt weitgehend dem Aufbau hocherhitzter Schwefelschmelzen (vgl. S. 186). Mit Schwefelkohlenstoff lassen sich bei Zimmertemperatur etwa 40% des Selens extrahieren. Dies ist der dem A-Schwefel entsprechende, aus Se 8 -Ringen bestehende Anteil. Die übrigen 60% stellen hochmolekulare Ringe mit etwa 500 Selenatomen dar. Erhitzt man das glasige Selen oder die roten Selenformen auf über 72° C, so beginnt ganz langsam eine Umwandlung in die bis zum Schmelzpunkt beständigste, h e x a g o n a l k r i s t a l l i s i e r t e („metallische") Modifikation (Smp. 220.2°, Sdp. 688°). Sie besteht aus langen, parallel angeordneten, gewinkelten Se-Ketten:
(Se—Se-Abstand: 2.32 Ä). Am Rande des Kristalls vereinigen sich die Enden benachbarter Ketten, so daß auch hier ringförmige Moleküle für den Aufbau der Phase charakteristisch sind. Ein gut ausgebildeter Selenkristall leitet den elektrischen Strom nur sehr schlecht. Kristalle, die in ihrem Innern gestört sind, insbesondere solche, die noch geringe Spuren von H a l o g e n enthalten, leiten den Strom wesentlich besser. Solches Selen benutzt man zur Herstellung von „Selen-Gleichrichtern" und „Selen-Photoelementen". Die S e l e n - G l e i c h r i c h t e r bestehen aus einer vernickelten Eisenplatte, auf der eine dünne Schicht halogenhaltigen Selens (0.05 bis 0.1 mm Dicke) aufgebracht ist. Auf diese Selenschicht wird dann als Gegen- oder Deckelektrode eine Schicht aus einer cadmiumhaltigen Legierung aufgetragen. Die Grenzfläche Selen-Cadmium („Sperrschicht") hat die Eigenschaft, einen hohen zusätzlichen Widerstand zu besitzen, wenn die cadmiumhaltige Elektrode A n o d e ist. Der Stromdurchgang ist dann gesperrt. Bei u m g e k e h r t e r Polung (Cadmiumelektrode n e g a t i v ) verschwindet der zusätzliche Widerstand fast völlig, so daß der Gleichrichter unter diesen Bedingungen den Stromdurchgang gestattet. Jede Gleichrichterscheibe kann in der Sperrichtung Spannungen bis zu 35 Volt aushalten. I n einen W e c h s e l s t r o m k r e i s geschaltet, gestattet der Gleichrichter den Stromdurchgang nur in e i n e r Richtung, macht also aus Wechselstrom pulsierenden G l e i c h s t r o m . Dampft man auf die Selenschicht einen s e h r d ü n n e n Cadmiumbelag auf, so daß derselbe l i c h t d u r c h l ä s s i g ist, so beobachtet man, daß sich bei B e s t r a h l u n g die Cadmiumelektrode p o s i t i v und die Eisenelektrode n e g a t i v auflädt. Eine solche Anordnung wirkt wie ein galvanisches Element und wird S e l e n - P h o t o e l e m e n t genannt. Sie läßt sich zur Konstruktion von Geräten wie photographischen Belichtungsmessern benutzen, die unabhängig von äußeren Stromquellen betätigt werden sollen. Im f l ü s s i g e n Zustand ist das Selen schwarz wie das glasige Selen. Es besteht aus Se 8 -Ringen ( ~ 40%) und hochmolekularen Ringen mit einer Gliederzahl von etwa 500 60%). Bei nicht zu langsamem Abkühlen der Schmelze entsteht das g l a s i g e S e l e n (s. oben), da die Ringe relativ stabil sind und sich wegen ihrer verschiedenen Größe nicht zu einem Kristallgitter ordnen können. Gibt man aber zu der Schmelze auch nur spurenweise ein A l k a l i s e l e n i d , z. B. K 2 Se, so tritt beim Abkühlen augenblicklich Kristallisation ein, da die Ringe schnell mit den wenigen vorhandenen Selen-ionen unter Bildung von P o l y s e l e n i d - i o n e n reagieren: Sex - Bing + Se
—• "Se-Se
Se-Se".
Das Selen
219
Aus diesen bilden sich dann l ä n g e r e Ketten, indem verschiedene Polyselenid-ionen miteinander reagieren und ihre dabei freiwerdenden Elektronen an weitere Ringe abtreten, die ihrerseits wiederum in Polyselenid-ionen umgewandelt werden. So setzt sich der Prozeß fort, bis schließlich nur mehr S e l e n k r i s t a l l e und etwas Alkalipolyselenid übrigbleiben. Auch unlöslicher S c h w e f e l (hochmolekulare Ringe) wandelt sich in entsprechender Weise sofort in löslichen Schwefel (S 8 -Ringe) um, wenn er mit einer A l k a l i s u l f i d lösung in Berührung gebracht wird. Im d a m p f f ö r m i g e n Zustand ist Selen gelblich. Nach der Dampfdichtebestimmung sind oberhalb von 900° Se 2 -Moleküle vorhanden. Unterhalb dieser Temperatur findet Assoziation zu größeren Molekülen statt.
b) Verbindungen des Selens I n ihrer Zusammensetzung entsprechen die Verbindungen des S e l e n s denen des S c h w e f e l s . Selen tritt also wie Schwefel z w e i - , v i e r - und s e c h s w e r t i g auf. Die Neigung, in den s e c h s w e r t i g e n Zustand überzugehen, ist g e r i n g e r als beim Schwefel. Daher ist selenige Säure ein s c h w ä c h e r e s R e d u k t i o n s m i t t e l als schweflige Säure und Selensäure ein s t ä r k e r e s O x y d a t i o n s m i t t e l als Schwefelsäure. Selenverbindungen sind ähnlich wie Arsenverbindungen stark g i f t i g . Selenwasscrstoff. SelenWasserstoff kann wie Schwefelwasserstoff direkt a u s den E l e m e n t e n (Überleiten von Wasserstoff über Selen oberhalb von 400°): 18.5 kcal + Se + H2 ^ ± 1 H 2 Se
(21)
oder durch Zersetzen von S e l e n i d e n (z. B . Eisen-, Aluminium- oder Magnesiumselenid) mit S a l z s ä u r e : Se" + 2H' ~" HgSe gewonnen werden. E r stellt ein farbloses, „nach faulem R e t t i c h " riechendes Gas dar, das sich leicht verflüssigen (Sdp. —41.3°) und verfestigen (Smp. — 65.73°) läßt, noch giftiger als Schwefelwasserstoff ist und die Schleimhäute der Nase und der Augen aufs heftigste angreift („ Selenschnupfen "). Als e n d o t h e r m e Verbindung (21) ist Selenwasserstoff u n b e s t ä n d i g e r als Schwefelwasserstoff. Wegen der geringen Z e r f a l l s g e s c h w i n d i g k e i t macht sich der Zerfall in die Elemente aber bei Z i m m e r t e m p e r a t u r nur langsam bemerkbar, so daß die Verbindung bei gewöhnlicher Temperatur m e t a s t a b i l ist. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r verschiebt sich das Gleichgewicht (21) wie bei allen endothermen Reaktionen zugunsten der endotherm entstehenden Reaktionsseite, hier also des S e l e n w a s s e r s t o f f s . Da sich dieses günstiger liegende Gleichgewicht bei der höheren Temperatur aber mit g r ö ß e r e r G e s c h w i n d i g k e i t einstellt, zerfällt der bei Zimmertemperatur metastabile Selenwasserstoff beim Erhitzen leichter. Selenwasserstoff ist eine bedeutend s t ä r k e r e S ä u r e als Schwefelwasserstoff; seine Dissoziationskonstante beträgt für die erste Dissoziationsstufe (H 2 Se < > H ' + HSe') 1.9 X l O - 4 und liegt damit in der Größenordnung der Dissoziationskonstante der salpetrigen Säure (K = 4.5 X 10 - 4 ) und der Fluorwasserstoffsäure (K=7.2 X 10" 4 ). Als z w e i b a s i g e Säure bildet er Hydrogenselenide (saure Selenide) der Formel Me'HSe und normale Selenide (neutrale Selenide) der Formel Me^Se. Die Metallselenide sind wie die entsprechenden Sulfide mehr oder minder stark gefärbt, in Wasser — teils auch in Säuren — unlöslich und durch Einwirkung von Selenwasserstoff auf Metallsalzlösungen darstellbar. Entsprechend seiner geringeren Beständigkeit ist der Selenwasser-
Die Gruppe der Chalkogene
220
stoff ein s t ä r k e r e s R e d u k t i o n s m i t t e l als der Schwefelwasserstoff. Aus wässerigen Lösungen fällt unter der Einwirkung des Luftsauerstoffs bald r o t e s S e l e n aus. Selenhalogenide. Selen bildet mit den Halogenen Verbindungen des Typus SexXÄ (Se2Cl2, dunkelrote Flüssigkeit; Smp. —85°, Sdp.+130°; Se2Br2, dunkelrote Flüssigkeit; Smp.—46.°, Sdp. +227°; Se 2 J 2 , schwarzer fester Körper), SeX4 (SeF 4 , farblose Flüssigkeit; Smp —13.2°, Sdp. + 9 3 ° ; SeCl4, farblose Kristalle; Smp. 305°, Sblp. 180°; SeBr 4 , orangenesPulver;Smp.75°)undSeX 6 (SeF 6 ) farbloses Gas; Smp.—34.6°, Sblp.-46.6°). Dihalogenide der Zusammensetzung SeX 2 sind nur als Dissoziationsprodukte der Tetrahalogenide im Dampfzustande bekannt ( S e C l 4 ^ ± : SeCl 2 +Cl 2 ; SeBr 4 ^r±: SeBr 2 + Br 2 ). Wie der Schwefel bildet das Selen außerdem noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen (SeOF 2 , SeOCl 2 , SeOBr 2 ). Unter diesen ist das bei 8.5° schmelzende und bei 176.4° unter Zersetzung siedende Selenoxychlorid SeOCl2 bemerkenswert. Es ist außerordentlich reaktionsfähig und setzt sich fast mit allen Elementen und Elementverbindungen um, so daß es stark auflösend wirkt. Selendioxyd; selenige Säure. Selendioxyd Se0 2 entsteht durch V e r b r e n n e n v o n S e l e n an der Luft (Se + 0 2 —>• SeOa) und bildet weiße glänzende Nadeln, welche bei 315° sublimieren. Zum Unterschied vom m o n o m e r e n , gasförmigen Schwefeldioxyd 1 (22a) ist es h o c h p o l y m e r (22b): : Ö: S::Ö (a)
:Ö:
:Ö:
:Ö:
:Ö:
Se:Ö:Se:Ö:Se:Ö:Se:Ö:
(22)
(b)
In Wasser löst es sich unter Bildung von seleniger Säure H 2 Se0 3 , die viel b e s t ä n d i g e r als die schweflige Säure H 2 S 0 3 ist und durch Eindunsten der Lösung im Vakuum in Form zerfließlicher, farbloser, an trockener Luft unter Wasserabspaltung verwitternder Prismen gewonnen werden kann. Selenige Säure ist eine s c h w ä c h e r e S ä u r e als schweflige Säure; ihre beiden Dissoziationskonstanten betragen bei 25° K1 — 2.4 X 1 0 - 3 und Kt = 0.5 X 10~8. Als z w e i b a s i g e Säure bildet sie Hydrogenselenite (saure Selenite) Me I HScO s und normale Selenite (neutrale Selenite) Me*SeOs. I n wässeriger Lösung hegen die Selenite in hydratisierter Form als „Hydroxosalze" vor: Se0 3 " • 3H a O = [Se(OH) 6 ]". Die r e d u z i e r e n d e W i r k u n g der selenigen Säure ist weit g e r i n g e r als die der schwefligen Säure, was schon daraus hervorgeht, daß sie von schwefliger Säure zu elementarem Selen reduziert wird (S. 217). Umgekehrt zeigt sie bereits o x y d i e r e n d e W i r k u n g e n ; so scheidet sie aus Jodwasserstofflösungen Jod aus (Se0 2 + 4 H J —>Se + 2 H 2 0 + 2J 2 ) und oxydiert Schwefelwasserstoff zu Schwefel (Se0 2 + 2H 2 S — > Se + 2H ä O + 2S). Von dieser oxydierenden Wirkung macht man namentlich in der o r g a n i s c h e n C h e m i e Gebrauch (vgl. II, S. 211. 212, 402). Zum Unterschied von der schwefligen Säure (S. 204f.) existiert die selenige Säure nur in e i n e r , nämlich der s y m m e t r i s c h e n Form OSe(OH) 2 . Selentrioxyd; Selensäure. Die Oxydation der selenigen Säure bzw. ihrer Salze zur Oxydationsstufe der Selensäure (H 2 Se0 3 + H 2 0 —s- H 2 Se0 4 + 2H° + 2 ©) gelingt nur mit starken Oxydationsmitteln wie C h l o r (Cl2 + 2 © — 2 C 1 ' ) oder C h l o r s ä u r e (CKV + 6 H ' + 6 © — C l ' -f 3H 2 0) oder auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e durch anodische Oxydation. Selensäure H 2 Se0 4 ist ein fester, farbloser, kristallisierter, bei 59.9° schmelzender Stoff. Die 95%ige Lösung ist eine der konzentrierten Schwefelsäure äußerlich gleichende ölige Flüssigkeit. Ihre O x y d a t i o n s w i r k u n g übertrifft die der Schwefel1 S0 2 ist eine der wenigen Ausnahmen von der Doppelbindungsregel (S. 187, 268f.), während S0 3 im Einklang mit dieser Regel analog Se0 2 (22 b) Kottenmoleküle bildet (S. 269).
Das Tellur
221
säure bedeutend. So entwickelt z. B. ein Gemisch von konzentrierter Salzsäure und konzentrierter Selensäure reaktionsfähiges Chlor: H 2 Se0 4 + 2 H C l ^ T Í : H 2 S e 0 3 + H 2 0 + 2C1 (Umkehrung der Bildung von Selensäure aus seleniger Säure und Chlor; s. oben), so daß man damit — ähnlich wie mit Königswasser (S. 241) — Gold und Platin auflösen kann. Wie Schwefelsäure vereinigt sich auch Selensäure begierig mit W a s s e r ; daher wirkt sie wie erstere verkohlend auf organische Substanzen ein. Die wässerige Lösung stellt eine s t a r k e S ä u r e dar. Entwässert man wasserfreie Selensäure mit Phosphorpentoxyd, so entsteht das Selentrioxyd S e 0 3 . E s läßt sich auch durch Einwirkung von S a u e r s t o f f auf S e l e n in einer H o c h f r e q u e n z - G l i m m e n t l a d u n g (Se + 30—>• Se0 3 ) oder durch Einwirkung von Schwefeltrioxyd auf Kaliumselenat ( S 0 3 -f-K 2 Se0 4 —>K 2 S 0 4 + S e 0 3 ) gewinnen und stellt eine kristalline, sehr hygroskopische, farblose Substanz (Smp. 119°) dar, die oberhalb von 185° in Selendioxyd und Sauerstoff zu zerfallen beginnt und in ihren Eigenschaften näher dem Schwefeltrioxyd als dem Tellurtrioxyd steht. Die Selenate entsprechen hinsichtlich Löslichkeit und Kristallform weitgehend den S u l f a t e n . Auch sie sind s t ä r k e r e O x y d a t i o n s m i t t e l als die entsprechenden Schwefelverbindungen und spalten beim Erhitzen ziemlich leicht Sauerstoff ab.
4. D a s Tellur Telluride kommen in der Natur nicht so oft als Beimengungen von Sulfiden vor wie Selenide. Daher ist das Tellur — im ganzen genommen — w e n i g e r v e r b r e i t e t als das Selen. Dagegen findet es sich in einzelnen Erzen (vgl. S. 464) s t ä r k e r a n g e r e i c h e r t als dieses. Auch kommt es in g e d i e g e n e m Zustande vor. Elementares Tellur. Fällt man Tellur aus wässerigen Lösungen von telluriger Säure durch Reduktion mit schwefliger Säure aus, so erhält man es in Form eines b r a u n e n P u l v e r s . Nach dem Schmelzen ist es s i l b e r w e i ß und m e t a l l g l ä n z e n d . Tellur ist nur von geringer Härte und läßt sich leicht pulvern. Den elektrischen Strom leitet es nur wenig. Die Leitfähigkeit wächst etwas bei Belichtung, aber weit weniger als beim Selen. Der Schmelzpunkt liegt bei 452.0°, der Siedepunkt bei 1390°. Der goldgelbe Dampf hat eine der Formel Te2 entsprechende Dampfdichte. Oberhalb von 2000° erfolgt beträchtlicher Zerfall in die Atome. Das K r i s t a l l g i t t e r des hexagonalen („metallischen") Tellurs ist das gleiche wie das des hexagonalen Selens (S. 218) und besteht aus gewinkelten Ketten (Ringen) mit kovalent zweiwertigem Tellur. Dem gelben Schwefel und r o t e n Selen entsprechende Formen des Tellurs konnten bisher noch n i c h t dargestellt werden. Die in der Schmelze vorhandenen Ringgebilde brechen thermisch so leicht und häufig auf, daß beim Abkühlen gleich die extrem langgestreckten Ringe des hexagonalen Tellurs entstehen. Die Tcllurrerbindungen, die weit weniger giftig als die Selenverbindungen sind, entsprechen in ihrer Zusammensetzung den letzteren. Der Tellurwasserstoff TeH 2 ist als stark e n d o t h e r m e Verbindung (34.2 kcal + H 2 + Te Z^Z^L TeH 2 ) nur dann aus den Elementen darstellbar, wenn man nicht gewöhnlichen, sondern a t o m a r e n W a s s e r s t o f f (kathodische Reduktion von Tellur) verwendet. Im übrigen kann man ihn analog dem Schwefel- und Selenwasserstoff durch Zersetzung von T e l l u r i d e n mit S ä u r e n (Al2Te3 + 6HC1 v 3H 2 Te + 2A1C13) als farbloses, unangenehm riechendes, leicht zu verdichtendes (Sdp. —2.3°; Smp. —51°), zersetzliches, giftiges Gas erhalten. Die wässerige Lösung reagiert s a u e r ; die Stärke der Tellurwasserstoffsäure (Kx = 2.3 x 10 -3 ) entspricht etwa der der Arsensäure (Kl = 5 x 10~3). An der Luft zersetzt sich die wässerige Lösung fast augenblicklich unter T e l l u r a b s c h e i d u n g (H2Te + O —>- H a O + Te). Die SalzeMelTe (Telluride) entsprechen in ihren Eigenschaften den Seleniden. An der Luft verbrennt Tellur zu Tellurdioxyd Te0 2 , einer weißen, festen, in Wasser sehr wenig löslichen Substanz, welche gewöhnlich durch Oxydation von Tellur mit konzentrierter Salpetersäure dargestellt wird. Tellurdioxyd besitzt sowohl sauren wie basischen („amphoteren") Charakter und löst sich dementsprechend sowohl in starken Laugen (Bildung von Telluriten: Te0 2 + 2 OH' >- TeO s " + H 2 0) wie in konzentrierten starken Säuren (Bildung von Tellursalzen: Te0 2 + 4H" >- Te"" + 2H 2 0). Die den Telluriten zugrunde liegende, noch nicht in reinem Zustande bekannte tellurige Säure H 2 Te0 3 ist eine s e h r s c h w a c h e , beim Erwärmen in Wasser und Tellurdioxyd zerfallende Säure.
Die Gruppe der Chalkogene
222
Durch starke Oxydationsmittel (z. B. Chlorsäure) werden Tellur und tellurige Säure zu Tellursäure oxydiert, die beim Einengen der Lösung als Orthotellursäure H 6 TeO a auskristallisiert. Die Tellursäure ist eine s e h r s c h w a c h e ( K t = 6 x 10 - 7 ), s e c h s b a s i g e S ä u r e und bildet dementsprechend neben sauren Salzen M e j H e _ n T e O e (z. B. Na 2 H 4 TeO a und Na 4 H 2 Te0 8 ) auch solche der Zusammensetzung MejTeOj (z. B. Ag 8 Te0 6 und Hg 3 Te0 6 ). In der Hitze spaltet Orthotellursäure Wasser ab und geht schließlich oberhalb von 300° in ihr Anhydrid, das gelbe Tellurtrioxyd Te0 3 , über.
5. D a s Polonium Das Metall P o l o n i u m (Smp. 254°, Sdp. 982», d = 9.32), das im J a h r e 1898 von P. und M. C U R I E (S. 669) entdeckt wurde, k o m m t als kurzlebiges r a d i o a k t i v e s Z e r f a l l s p r o d u k t der Uranreihe (S. 568) in der U r a n p e c h b l e n d e vor. Und zwar enthalten 1000 Tonnen Uranpechblende etwa 0.03 g Polonium, so daß Polonium noch rund 4500mal seltener als R a d i u m (S. 417) ist. Bei der Aufarbeitung der Pechblende reichert sich das Polonium mit dem W i s m u t an, von dem es durch f r a k t i o n i e r t e F ä l l u n g d e r S u l f i d e (Poloniumsulfid ist schwerer löslich als Wismutsulfid) getrennt werden kann. P o l o n i u m ist etwa so edel wie S i l b e r ( e p o = + 0 . 8 Volt; eAg = + 0.8 Volt) und wird durch dieses aus seinen Lösungen ausgefällt. Auch durch den e l e k t r i s c h e n S t r o m kann es leioht abgeschieden werden, wobei m a n als K a t h o d e zweckmäßig ein G o l d b l e c h verwendet. In seinen c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n ähnelt es sehr seinem leichteren Homologen, dem T e l l u r . Beispielsweise bildet es wie dieses eine flüchtige W a s s e r s t o f f V e r b i n d u n g , P o H 2 (Smp. - 3 6 . 1 ° , Sdp. +35.3°).
6. Vergleichende Übersicht ü b e r die Gruppe d e r Chalkogene Als Glieder einer G r u p p e d e s P e r i o d e n s y s t e m s b e s i t z e n die E l e m e n t e S a u e r s t o f f , S c h w e f e l , S e l e n u n d Tellur ähnliche, sich m i t s t e i g e n d e m A t o m g e w i c h t graduell abstufende physikalische und chemische Eigenschaften und bilden analog zusammengesetzte Verbindungen. Metallcharakter. D e r n i c h t m e t a l l i s c h e (metallische) C h a r a k t e r d e r E l e m e n t e n i m m t m i t s t e i g e n d e m A t o m g e w i c h t a b (zu). S a u e r s t o f f u n d S c h w e f e l sind a u s g e s p r o c h e n e N i c h t m e t a l l e . D a s S e l e n k o m m t a u ß e r i n t y p i s c h n i c h t m e t a l l i s c h e n (roten) F o r m e n bereits i n einer ( g r a u e n ) M o d i f i k a t i o n vor, die sich durch s t a r k e L i c h t r e f l e k t i o n u n d e i n g e w i s s e s L e i t v e r m ö g e n für d e n elektrischen S t r o m a u s z e i c h n e t ( h e x a g o n a l e s Selen). B e i m T e l l u r ist diese „ m e t a l l i s c h e " M o d i f i k a t i o n s c h o n d i e b e v o r z u g t e Erscheinungsform. Wertigkeit. G e g e n ü b e r e l e k t r o p o s i t i v e n E l e m e n t e n w i e W a s s e r s t o f f o d e r M e t a l l e n s i n d alle E l e m e n t e nur z w e i w e r t i g . G e g e n ü b e r e l e k t r o n e g a t i v e n E l e m e n t e n w i e S a u e r s t o f f , S c h w e f e l oder H a l o g e n e n k ö n n e n sie — m i t A u s n a h m e d e s a u c h hier f a s t
Atomgewicht Spezifisches Gewicht Schmelzpunkt Siedepunkt Farbe (niedermolekulare Form) Metallischer Charakter Affinität zu elektropositiven E l e m e n t e n . . . . Affinität zu elektronegativen Elementen . . . Säurecharakter der Oxyde Wasserstoffverbindungen, S c h m e l z p u n k t . . . . Wasserstoffverbindungen, Siedepunkt 1 2 3 4
Fester Sauerstoff beim Schmelzpunkt. Rhombischer Schwefel. Hexagonales Selen. Monokliner Schwefel.
Sauerstoff
Schwefel
Selen
Tellur
16.000 1.27 1 -218.9° - 183.0° hellblau
32.06 2.06 2 119.0° 4 444.6° gelb nimmt nimmt nimmt nimmt — 85.53° - 60.34°
78.96 4.82» 220.2° 3 688° rot
127.61 6.25 452.0° 1390° braun
0.00" 100.00°
zu ab zu ab I - 65.73° -41.3°
-51° - 2.3°
Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Chalkogene
223
durchweg nur zweiwertigen Sauerstoffs — z w e i - , v i e r - u n d s e c h s w e r t i g auftreten, wobei mit s t e i g e n d e m (fallendem) Atomgewicht die V i e r w e r t i g k e i t (Sechswertigkeit) gegenüber der Sechswertigkeit (Vierwertigkeit) das Übergewicht gewinnt, so daß beispielsweise die s c h w e f l i g e S ä u r e H 2 S0 3 ein s t a r k e s R e d u k t i o n s m i t t e l +4
+6
(S —>- S + 2 ©), die S e l e n s ä u r e H 2 Se0 4 umgekehrt ein s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l (Se + 2 G
Se) ist.
Beständigkeit
der Verbindungen.
Die Beständigkeit analoger Verbindungen mit
e l e k t r o p o s i t i v e n Elementen nimmt in der Richtung vom Sauerstoff zum Tellur hin a b : Der Tellurwasserstoff H 2 Te ist z. B. im Vergleich zum außerordentlich beständigen Wasser H 2 0 sehr zersetzlich. Umgekehrt nimmt die Beständigkeit analoger Verbindungen mit e l e k t r o n e g a t i v e n Elementen in gleicher Reihenfolge zu: Sauerstoffchlorid (Chlormonoxyd) 0C12 und Sauerstoffdioxyd (Ozon) 0 0 2 sind beispielsweise wesentlich unbeständiger als Tellurchlorid TeCl2 und Tellurdioxyd Te0 2 . Säurecharakter. Der Säurecharakter der Oxyde Y 0 2 und Y 0 S (Y = Chalkogen) nimmt mit steigendem Atomgewicht von Y a b : Schwefelsäure ist eine sehr starke, Tellursäure eine sehr schwache Säure. Wasserstof¡Verbindungen.
Die Wasserstoffverbindungen H 2 Y der Chalkogene zeigen
analoge Eigenschaftsabstufungen wie die Wasserstoffverbindungen H X der Halogene. So steigt z. B. der Siedepunkt und Schmelzpunkt mit zunehmendem Atomgewicht von Y, wobei sich auch hier das Anfangsglied nicht in die Reihe einpaßt. Der Säurecharakter nimmt vom H 2 0 zum H 2 Te hin stark zu. Der im Vergleich zu den übrigen Wasserstoffverbindungen zu h o h e S c h m e l z - u n d S i e d e p u n k t d e s W a s s e r s ist ähnlich wie beim F l u o r w a s s e r s t o f f (S. 97) auf eine A s s o z i a t i o n der Wassermoleküle zu größeren Molekülverbänden zurückzuführen. Die Assoziation kommt dabei in beiden Fällen durch Wasserstoff-ionen zustande, die wechselseitig durch freie Elektronenpaare zweier Fluor- bzw. Sauerstoffatome gebunden werden und auf diese Weise eine zwischenmolekulare Bindung (Dipol-Deformations-Wechselwirkung) besonderer Art (,>Wasserstoffbrücke") — vgl. I I , S. 50f., 76f., 255 — verursachen (I, I I ) : H H:F:H:F:
H
H:Ö:H:Ö:
H
H
H:N:H:N: H
(I)
(II)
H (III)
H H:C:H H (IV)
In gleicher Weise erklärt sich die Assoziation des A m m o n i a k s N H 3 (III), des Anfangsgliedes der im folgenden zu besprechenden Stickstoffgruppe. Dagegen sind beim M e t h a n CH 4 (IV) keine Wasserstoffbrücken möglich, weil das Molekül kein freies Elektronen paar mehr enthält, das zur Bindung des Wasserstoffs eines zweiten Moleküls dienen könnte. Daher neigt das Methan auch nicht zur Assoziation und fällt dementsprechend mit seinen physikalischen Daten auch nicht aus der Reihe der übrigen Wasserstoff Verbindungen der vierten Gruppe des Periodensystems heraus.
Kapitel XI
Die Stickstoffgruppe 1. Der Stickstoff Der Stickstoff selbst wurde bereits S. 60ff. besprochen. Im folgenden beschäftigen wir uns mit seinen wichtigsten Verbindungen.
a) Wasserstoffverbindungen des Stickstoffs
Stickstoff und Wasserstoff bilden miteinander drei Verbindungen: Ammoniak NHS, HydrazinN 2H.iimdStickstoffwasserstoffsäureWN3 sowie als Salze der letzteren S ä u r e mit den beiden erstgenannten B a s e n die Verbindungen A mmoniumazid NH4N3 = N4H4 und Hydrazoniumazid N2H5N3 = N5H6. Die weitaus wichtigste unter diesen Verbindungen ist das Ammoniak. a) Ammoniak Darstellung Aus den Elementen Das wichtigste Verfahren zur technischen Darstellung von Ammoniak ist die von dem deutschen Physikochemiker F b i t z H a b e r ( 1 8 6 8 — 1 9 3 4 ) im Laboratoriumsmaßstab ausgearbeitete und von dem deutschen Chemiker und Industriellen C a b l B o s c h ( 1 8 7 4 — 1 9 4 0 ) in die Technik übertragene Synthese aus den E l e m e n t e n („HABER-Boscn-Verfahren"): 3Ha + N 2 ^±12NH3 + 22.1 kcal. (1) Da es sich um eine exotherme und mit Volumenverminderung verlaufende Umsetzung handelt, verschiebt sich das Gleichgewicht dieser Reaktion mit fallender Temperatur und steigendem Druck nach r e c h t s , wie auch aus nebenstehendem Diagramm (Fig. 76) zu entnehmen ist, welches die Ammoniakausbeute (Vol.-°/0 NH3 in einem Gemisch von 3Ha + N2) in Abhängigkeit von der Temperatur bei wo" ¡00" 600° 700' —*• Temperatur verschiedenen Drucken wiedergibt. Eine praktisch quantitative Ammoniakausbeute würde man bei Fig. 76. Abhängigkeit der AmZimmertemperatur zu erwarten haben. Bei dieser moniakausbeute von Druck und niedrigen Temperatur ist aber die Geschwindigkeit Temperatur bei der Synthese aus den Elementen der Umsetzung unmeßbar klein, und K a t a l y s a toren wirken auf die Reaktion der Ammoniakbildung erst ab 400° genügend beschleunigend ein. Daher ist man gezwungen, bei einer Temperatur von mindestens 400, zweckmäßig 500° zu arbeiten; bei 500° beträgt jedoch die Ausbeute an Ammoniak
Der Stickstoff
225
bei 1 Atmosphäre Druck (vgl. Fig. 76, Kurve „1 at") nur noch 0.1 Vol.-°/0. Um die Ausbeute technisch tragbar zu gestalten, ist es daher erforderlich, einen h o h e n D r u c k , zweckmäßig 200 Atmosphären, anzuwenden, wodurch sich die Ausbeute (vgl. Mg. 76, Kurve „200 at") auf 17.6 Vol.-°/o steigert. Die technische Durchführung der Ammoniaksynthese sei im folgenden am Beispiel des in Deutschland üblichen Verfahrens der B a d i s c h e n A n i l i n - u n d S o d a - F a b r i k besprochen (Fig. 77). Ausgangsstoffe. Als Ausgangsstoffe zur Gewinnung von Stickstoff und Wasserstoff dienen L u f t (4N 2 -f 0 2 ) und W a s s e r (H 2 0). In beiden Fällen muß das gewünschte Gas von S a u e r s t o f f befreit werden, welcher das eine Mal p h y s i k a l i s c h b e i g e m e n g t , das andere Mal c h e m i s c h g e b u n d e n ist. Die Entfernung des Sauerstoffs ,, ,, „ nohiensdvr?-
Kohlenoxydujäscher ^ *
AmmoniakXonfekfofen
ßmmcniaku/äscher
fiesfgls
Gasreiniger Gaserzeuger
ßasbehä/ferl Gasbe/ia/Krir ftfe, W, COJ (Hs „C0X , thvasCO)
Fig.
77.
O'miauf-
Schematische Darstellung der technischen Ammoniaksynthese nach
ßmmonia/ru/asser HABER-BOSCH
erfolgt in beiden Fällen durch das billigste Reduktionsmittel der Technik, den Kohlenstoff in Form von K o k s , und zwar setzt sich der Koks bei hoher Temperatur mit Luft bzw. Wasserdampf nach den Gleichungen 4 N a + Oj + 2C
4 N a + 2CO + 53 kcal Generatorgas
31 kcal + H 2 0 + C
H 2 + CO \v
unter Bildung von G e n e r a t o r g a s (S. 305f.) bzw. W a s s e r g a s (S. 306f.) um. Da die erstere Reaktion e x o t h e r m , die letztere dagegen e n d o t h e r m verläuft, kombiniert man beide Reaktionen miteinander (vgl. S. 307), indem man in einem G a s e r z e u g e r („Generator") abwechselnd durch Überleiten von Luft zuerst Generatorgas bildet, wobei sich der Koks auf etwa 1000° erhitzt („Heißblasen"), und dann durch Umschalten auf Wasserdampf Wassergas erzeugt, wobei sich der Koks wieder abkühlt („Kaltblasen").
Entfernung des Schwefelwasserstoffs. Das so erhaltene, in der Hauptsache aus Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenoxyd bestehende Mischgas muß nun zunächst von dem aus dem Schwefelgehalt des Kokses stammenden S c h w e f e l w a s s e r s t o f f befreit werden, da dieser die später benutzten Katalysatoren v e r g i f t e t . Zu diesem Zwecke wird das Gas nach Vermischen mit einer für die Oxydation des Schwefelwasserstoffs zu Schwefel und Wasser (H 2 S + 1 / 2 0 2 —>- H 2 0 + S; vgl. S. 193) ausreichenden L u f t m e n g e bei etwa 40° durch mit A k t i v k o h l e gefüllte „Gasreiniger" geleitet (vgl. S. 184). H o 11 e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie.
40.— 48. Aufl.
15
226
Die Stickstoffgruppe
Der S c h w e f e l scheidet sich dabei an der Kohle ab und wird alle zwei Wochen mit A m m o n i u m s u l f i d l ö s u n g extrahiert. Auch mit Hilfe von A b s o r p t i o n s f l ü s s i g k e i t e n kann der Schwefelwasserstoffgehalt des Mischgases beseitigt werden (vgl. S. i 92). Entfernung des Kohlenoxyds. Die Entfernung des im Mischgas neben Stickstoff und Wasserstoff vorhandenen K o h l e n o x y d s erfolgt in der Weise (vgl. S. 306f ), daß man letzteres bei Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n durch W a s s e r d a m p f unter gleichzeitiger N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu K o h l e n d i o x y d oxydiert („Konver-
tierung"):
CO + HjO
H s + C0 2 + 9.8 kcal,
(2)
welches sich unter D r u c k (25 Atmosphären) leicht durch W a s s e r herauswaschen läßt. D a es sich um eine e x o t h e r m e R e a k t i o n handelt, muß die Gleichgewichtseinstellung bei möglichst n i e d r i g e r T e m p e r a t u r (400°) und dementsprechend in Gegenwart eines Katalysators erfolgen. Um bei der Konvertierung gleich das für die Ammoniaksynthese (1) erforderliche Mischungsverhältnis H 2 : N a = 3 : 1 zu erhalten, wählt man bei der Herstellung des Mischgases gleich von vornherein das richtige MischungsVerhältnis von Wassergas und Generatorgas: 5 [H, + CO] + 2 [2N, + CO] + Waiserga» OeneratorgH
• 12H, + 4 N , .
Im einzelnen verläuft die Konvertierung so, daß man das Mischgas zunächst durch Berieseln mit Heißwasser mit W a s s e r d a m p f sättigt und in den W a s s e r s t o f f k o n t a k t o f e n („Konvertierungaanlage") einführt. Dieser enthält zwei getrennte Kontakträume, in denen der zur Umsetzung erforderliche K a t a l y s a t o r (Eisenoxydkontaktmassen) auf fünf übereinander angeordneten durchlochten Eisenblechen ausgebreitet ist (vgl. Fig. 77). Im ersten Kontaktraum wird bei 550 bis 580° der größte Teil des Kohlenoxyds umgesetzt, im zweiten bei 400 bis 420° der Kohlenoxydgehalt des Gases noch weiter, bis auf etwa l°/ 0 , -Kontaktofen heruntergedrückt. Moderne Kontaktofensysteme verarbeiten 6000 m3 Gas/Stunde, erfordern wenig Bedienung und laufen Jahre hindurch ununter•Hontaktmasse brochen. Das abgekühlte Konvertgas gelangt in einen Gasbehälter, aus welchem es von Kompressoren angesaugt, auf 25 Atm. komprimiert und in die Waschtürme der D r u o k w a s s e r r e i n i g u n g ( , 1 KohlensäureWäscher") gedrüokt wird. Hier löst sich das bei der
Wärmeaustauschröhre
N2+ H2 —: Fig. 78. Kontaktofen für die Ammoniaksynthese
Futterrohr aus u/e/chem Eisen Mantel aus "" Edetstaht __Manfe/ aus gewofint/ctiem Sfahf LUassenstoffdurch/ass Fig. 79. Querschnitt durch einen Kontaktofen für die Ammoniaksynthese
Konvertierung nach (2) gebildete Kohlendioxyd bis auf etwa l°/ 0 heraus. Zur Entfernung des restlichen Kohlendioxyds und des Kohlenoxyds (Kohlenoxyd ist wie Schwefelwasserstoff ein K a t a l y s a t o r g i f t ) komprimiert man nun das Gas weiter auf 200 Atm. und drückt es durch mit a m m o n i a k a l i s c h e r K u p f e r ( I ) - c h l o r i d l ö s u n g (vgl. S. 453) berieselte Waschtürme („KoUenoxydwätcher"). Hierbei wird das Kohlendioxyd bis auf 1/10 °/0> das Kohlenoxyd bis auf
Der Stiokstoff
227
einige 1 / 1 0 0 °/ 0 herausgeholt. Die Entfernung der letzten Spuren Kohlendioxyd erfolgt durch Waschen mit konzentriertem Ammoniakwasser.
Synthese des Ammoniaks. Die Synthese des Ammoniaks aus dem nun vorliegenden reinen Stickstoff-Wasserstoff-Geniisch wird bei 500° und 200 Atm. in 12 m hohen Stahlrohren („Ammoniak-Kontaktöfen") von 1 m Durchmesser (Fig. 78) durchgeführt. Diese enthalten ein System von W ä r m e - a u s t a u s c h r o h r e n , welche von insgesamt etwa 2 m3 Kontaktmasse (Eisen, Aluminiumoxyd und etwas Alkali; vgl. S. 112) umgeben sind. In den Wärme-austauschrohren nimmt das eintretende Gas die Reaktionswärme (1) des austretenden, bereits umgesetzten Gases auf und gelangt dann vorgewärmt in den K o n t a k t r a u m , wo sich unter W ä r m e e n t w i c k l u n g die Ammoniakbildung (1) vollzieht. Eine Zusatzheizung ist dementsprechend während des Betriebes nicht erforderlich. Die Berührungszeit zwischen Kontaktmasse und Gas beträgt nur 1 / i Minute. Daher wird nicht die volle Gleichgewichtsausbeute ( ~ 18°/ 0 ), sondern nur eine Ausbeute von etwa 1 1 % Ammoniak erreicht. Man entzieht dem aus dem Ofen kommenden Gas das Ammoniak durch W a s s e r k ü h l u n g (Verflüssigung des Ammoniaks) bzw. durch A b s o r p t i o n mit W a s s e r („Ammoniakwäscher1'). Das Restgas wird nach Ersatz der umgesetzten Wasserstoff-Stickstoff-Menge durch Frischgas im Kreislauf wieder dem Ammoniak-Kontaktofen zugeführt. Große Schwierigkeiten bereitete bei der Einführung des Ammoniaksyntheseverfahreng in die Technik die Frage des O f e n m a t e r i a l s , da ja der Ofen bei dem hohen Druck von 200 Atmosphären und der hohen Temperatur von 500' gegenüber dem leicht diffundierenden und leicht brennbaren W a s s e r s t o f f dicht und widerstandsfähig sein muß. Die kleinen S t a h l r o h r e der ersten Versuche platzten nach wenigen Stunden Betriebsdauer, da der Wasserstoff den — die Härte des Stahls bedingenden (S. 630) — K o h l e n s t o f f unter den Reaktionsbedingungen der Ammoniaksynthese in gasförmiges Methan verwandelte (C + 2 H j — CH4). Die Schwierigkeit wurde von C A R L BOSCH (S. ¿24) dadurch gelöst, daß er in das Stahlrohr ein Futterrohr aus k o h l e n s t o f f a r m e m , weichem E i s e n einzog (Fig. 79). Dieses legt sich im Betrieb der äußeren Wand so dicht an, daß ein Reißen nicht zu befürchten ist. Um dem hindurchdiffundierenden Wasserstoff die Möglichkeit zu geben, nach außen zu entweichen, ist der äußere Stahlmantel mit dünnen Bohrungen versehen.
Andere Verfahren der Ammoniaksynthese unterscheiden sich vom , , H A B E R - B O S C H Verjähren" in der Herstellung der Ausgangselemente und in der Wahl von Temperatur und Druck. So arbeitet z. B. das „CASALE-Verfahren" (Frankreich, Italien) bei 800 at und 500°, das „FAUSER-Verfahren" (Frankreich, Italien) bei 250 at und 500°, das „CLAUDE-Verfahren" (Frankreich) bei 1000 at und 500°, das „MONT-CENIS-V er fahren" (Deutschland) bei 90 at und 400°. Aus G a s w a s s e r Neben der Ammoniaksynthese, nach der rund 70°/, der Welterzeugung an Ammoniak hergestellt werden, spielt noch die Gewinnung von Ammoniak aus dem Gaswasser der Gasanstalten und Kokereien (S. 3101.) eine technische Rolle. Man gewinnt es aus dieser Flüssigkeit durch Kochen in Gegenwart von K a l k m i l c h Ca(OH) 2 , wobei das gelöste Ammoniak entweicht und die enthaltenen Ammoniumsalze NH 4 X unter Bildung von Ammoniak zersetzt werden: NH4- +
OH'
NH, +
H.O.
Auch im L a b o r a t o r i u m kann man in dieser Weise durch Einwirkung von Basen auf Ammoniumsalze Ammoniak erzeugen (vgl. S. 229). Die Darstellung von Ammoniak durch Umsetzung von K a l k s t i c k s t o f f (S. 412f.) mit W a s s e r unter Druck: CaCNj + 3 H s O — > • CaCO, + 2NH, , welche im ersten Weltkriege erhebliche Bedeutung besaß („Kalkmckstoffverfahren" von R O T H E FRANK-CARO), wird heute kaum noch durchgeführt, da die Ammoniaksynthese billiger ist. 15*
228
Die Stickstoffgruppe
Aus dem gleichen Grunde spielt die Gewinnung von Ammoniak durch H y d r o l y s e N i t r i d e n wie Magnesium- oder Aluminiumnitrid („SERPek-Verfahren"): 2 A1N + 3 H a 0 A 1 2 0 , + 2 NH,
von
technisch heute keine Rolle mehr.
In den Handel kommt Ammoniak verflüssigt in (grau gestrichenen) Stahlbomben und wassergelöst in Form von 25—35°/0igem „konzentriertem Ammoniak". Physikalische Eigenschaften Ammoniak ist ein farbloses Gas von charakteristischem, zu Tränen reizendem Geruch. Es ist entsprechend seinem Molekulargewicht (M = 17) wesentlich leichter als Luft (M äs 29) und läßt sich, da seine kritische Temperatur sehr hoch — bei 132.4° — liegt (kritischer Druck 112 at, kritische Dichte 0.236), leicht zu einer farblosen, leichtbeweglichen, stark licht brechenden Flüssigkeit verdichten, welche bei —33.38° siedet und bei —77.70® zu weißen, durchscheinenden Kristallen erstarrt. Die hohe Verdampfungswärme (327 cal/g beim Siedepunkt, 302 cal/g bei 0°) bedingt seine Ver Wendung in der Kälteindustrie (z. B. zur Erzeugung von künstlichem Eis). In Wasser ist Ammoniak außerordentlich leicht löslich; 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 1176Raumteile, bei 20° 702 Raumteile Ammoniak. Die Lösung reagiert schwach basisch (s. unten). Flüssiges Ammoniak ist ein gutes Lösungsmittel für viele Stoffe, z. B. Salze. Letztere unterliegen dabei wie in Wasser der elektrolytischen Dissoziation. Chemische Eigenschaften Ammoniak ist bei gewöhnlicher Temperatur b e s t ä n d i g , zerfällt aber beim Erw ä r m e n in Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n in Umkehrung der Synthesegleichung (1) — S. 224 — bis zum Gleichgewichtszustand in seine E l e m e n t e : 22.1 kcal + 2NH 3
N2 + 3 H 2 .
Ebenso zersetzt sich Ammoniak beim B e l i c h t e n mit ultraviolettem Licht. An der Luft läßt sich Ammoniak zwar entzünden, brennt aber nicht weiter. In Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n kann die V e r b r e n n u n g von Ammoniak-LuftGemischen schon bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen (300 bis 500°) erreicht werden; hiervon macht man bei der technischen S a l p e t e r s ä u r e g e w i n n u n g (S.239f.) Gebrauch: 2NHS + 2 l J 2 0 2 — 2 N O + 3H 2 0 + 140 kcal. In reinem S a u e r s t o f f verbrennt Ammoniak mit fahlgelber Flamme hauptsächlich zu S t i c k s t o f f und W a s s e r : 2NH 3 + 1 7 g O s
^ N2 + 3 H 2 0 + 183 k c a l .
Bei hohem Druck sind solche Ammoniak-Sauerstoff-Gemische explosibel. Auch durch andere Oxydationsmittel als Sauerstoff — z. B. Wasserstoffperoxyd, Chromsäure, Kaliumpermanganat — wird Ammoniak l e i c h t o x y d i e r t . Leitet man Chlorgas in Ammoniakgas ein, so entzündet es sich unter Bildung von Stickstoff und Chlorwasserstoff (vgl. S. 61): 2NH 3 + 3 C 1 2 — > - N2 + 6HCl ;
der Chlorwasserstoff reagiert dabei unter Bildung von Salmiaknebeln (NH3 -f HCl —>NH4C1; s. S. 229) weiter. Die Wasserstoffatome des Ammoniaks können durch M e t a l l a t o m e ersetzt werden. Man kommt so zu den A miden Me!NH2, Imiden Me|NH und Nitriden MeJN. Unter den Amiden seien die der Alkali- und Erdalkalimetalle erwähnt, die sich durch Ein wirkung von Ammoniak auf die erhitzten Metalle gewinnen lassen (vgl. S. 457): Me 11 + 2 N H 3 — > - Me n (NH 2 ) a + H 2 .
Sie werden von Wasser lebhaft unter Rückbildung von Ammoniak und Bildung von
Der Stickstoff
229
Lauge zersetzt (MeNH 2 + H Ö H —>- MeOH + NH 3 ). Beim Erhitzen gehen sie in I m i d e über; so entstehen z. B. die Erdalkali-imide in dieser Weise aus den Erdalkali-amiden: Me n (NH 2 ) 2 ^ Me n NH + NH 3 . Bei noch stärkerem Erhitzen verwandeln sich die Imide in N i t r i d e : 3Me n NH
>- McJTN2 + NH 3 .
Beispielsweise verbrennt Magnesium im Ammoniakgas unter Bildung von Magnesiumnitrid Mg 3 N 2 . Auch durch direkte Vereinigung der Elemente sind viele Nitride darstellbar: -»T — V 3MeII +, N M TUT e 3 NIKT . 2
2
Die charakteristischste Eigenschaft des Ammoniaks ist seine b a s i s c h e W i r k u n g . Löst man Ammoniak in Wasser auf, so zeigt die Lösung schwach basische Eigenschaften, die auf die Fähigkeit des Ammoniaks zurückgehen, Protonen unter Bildung von „Ammonium-ionen" NH 4 ° aufzunehmen (S. 175): NHs+HOH^i±:NH1'+OH'. (3) Das Gleichgewicht der Reaktion liegt ganz auf der l i n k e n S e i t e ; daher kann man ja (vgl. S. 227) umgekehrt durch Einwirkung von Basen (OH') auf Ammoniumverbindungen ( N H 4 ) Ammoniak erzeugen. Die Gleichgewichtskonstante der Reaktion (3) CNH . X C Q W / („Dissoziationskonstante" des Ammoniaks) hat den Wert K = = 1.75 X 1 0 - 4 C NH, (18°). Danach ist also eine 0.1-molare wässerige Ammoniaklösimg bei Zimmertemperatur nur zu rund l ° / 0 gemäß (3) in Ionen dissoziiert, während eine gleichkonzentrierte Kaliumhydroxydlösung praktisch vollständig ionisiert ist. Stärker ausgeprägt ist das basische Verhalten gegenüber s t ä r k e r e n S ä u r e n . So reagiert z. B. Ammoniakgas heftig mit Chlorwasserstoffgas unter Bildung weißer Nebel von festem A m m o n i u m c h l o r i d NH 4 C1: NH, + HCl — > - NH4- + Cl'. Ebenso bildet es mit Salpetersäure leicht A m m o n i u m n i t r a t N H 4 N 0 3 und mit Schwefelsäure A m m o n i u m s u l f a t (NH 4 ) 2 S0 4 . Das Gleichgewicht liegt in allen diesen Fällen ganz auf der Seite der A m m o n i u m v e r b i n d u n g e n . I n ihren Eigenschaften gleichen diese Ammoniumsalze (S. 435ff.) weitgehend den Alkalisalzen. ß) Hydrazin Darstellung. Die Darstellung von Hydrazin erfolgt am bequemsten durch O x y d a t i o n v o n A m m o n i a k : NH3 + NH3 >• N H 2 — N H 2 . Als Oxydationsmittel benutzt man dabei zweckmäßig N a t r i u m h y p o c h l o r i t . Als Zwischenprodukt tritt bei der Reaktion Chloramin NH 2 C1 a u f : H 2 N|H + HO Gl — H
2
0 + H2NC1,
das sich in Gegenwart starken Alkalis (Bindung des abzuspaltenden Chlorwasserstoffs) mit Ammoniak unter Bildung von H y d r a z i n umsetzt: H2N|C1 + HjNH 2 > NH2—NH2 + HCl. Durch Spuren von S c h w e r m e t a l l s a l z e n wird die Weiteroxydation des Ammoniaks bzw. des Chloramins oder Hydrazins zu S t i c k s t o f f katalysiert. Daher setzt man bei der Reaktion L e i m oder K o m p l e x b i l d n e r zu, welche die in den Reagentien stets vorhandenen Schwermetallspuren b i n d e n . Die Abscheidung des Hydrazins aus der Reaktionslösung erfolgt zweckmäßig als S u l f a t N 2 H 4 • H 2 S 0 4 (S. unten), weil dieses verhältnismäßig s c h w e r l ö s l i c h ist und
230
Die Stickstoffgruppe
sehr put kristallisiert. Zur Entfernung der Schwefelsäure und Darstellung des f r e i e n Hydrazins muß dieses Sulfat mit konzentrierter K a l i l a u g e erwärmt werden, wobei zunächst Hydrazin-hydrat N H 4 H 2 0 (Sdp. 120°; Smp. —40 e ) als schwerbewegliche, an der Luft rauchende, fischartig riechende und alkalisch reagierende Flüssigkeit übergeht. Die E n t w ä s s e r u n g dieses Hydrats gelingt durch Erhitzen mit festem N a t r i u m h y d r o x y d , wobei das wasserfreie Hydrazin übergeht. Physikalische Eigenschaften. Reines Hydrazin stellt bei Zimmertemperatur eine farblose, bei Luftabschluß beständige, an der Luft ziemlich stark rauchende Flüssigkeit von eigentümlichem, schwach an Ammoniak erinnerndem Geruch dar. Der Siedepunkt liegt bei 113.5°, der Schmelzpunkt bei 1.4°. Es läßt sich zunächst ohne Zersetzungserscheinungen erwärmen; erst bei höheren Temperaturen tritt — gegebenenfalls e x p l o s i o n s a r t i g — Zerfall unter Bildung von S t i c k s t o f f und A m m o n i a k ein: 3N,H4 —>- 4 NH, 4- N,. An erhitzten Platin- oder Wolfram drahten entsteht infolge teil weisen kataly tischen Zerfalls des Ammoniaks auch Wasserstoff. H y d r a z i n h y d r a t kann in paraffinierten, verschlossenen Flaschen jahrelang unzersetzt aufbewahrt werden. Chemische Eigenschaften. Als B a s e bildet das Hydrazin wie das Ammoniak S a l z e . Man nennt diese in Analogie zu den Ammoniumsalzen Hydrazoniumsalze. Da das Hydrazin (b) zum Unterschied vom Ammoniak (a) zwei freie Elektronenpaare aufweist, an welche sich Protonen anlagern können: H H H :N:H :N:N:, H H H ) bildet es z w e i Reihen von Salzen, nämlich solche mit 1 und solche mit 2 Äquivalenten Säure: NH,—NH, + HCl >- [NH,—NH,]C1 Hydrazonium-monochlorid, NH2—NH, + 2HCl —>- [NH,-NH,]C1, Hydrazonium-diohlorid. Besonders charakteristisch ist das oben schon erwähnte Hydrazonium-sulfat [N H„] S0 4 , das in kaltem Wasser schwer, in heißem Wasser leicht löslich ist und daher leicht umkristallisiert werden kann. Es bildet farblose, dicke, glänzende Tafeln. Da Hydrazin eine s c h w ä c h e r e B a s e als Ammoniak ist, sind die Hydrazoniumsalze s t ä r k e r h y d r o l y t i s c h g e s p a l t e n als die Ammoniumsalze. Sowohl das freie Hydrazin als auch seine wässerige Lösung wirken s t a r k r e d u z i e r e n d . So oxydiert sich z. B.-das freie Hydrazin schon an der L u f t allmählich zu Stickstoff und Wasser (N 2 H 4 + 0 2 — N s + 2H s O) und reagiert heftig mit den H a l o g e n e n unter Bildung von Stickstoff und Halogenwasserstoff (N 2 H 4 + 2 X 2 —>• N 2 -(4HX). Die wässerige, alkalische Lösung fällt aus Lösungen von Kupfer(II)-salzen Kupfer(I)-oxyd, aus Lösungen von Quecksilber- oder Silbersalzen bei gewöhnlicher Temperatur die Metalle; als Oxydationsprodukt des Hydrazins tritt dabei S t i c k s t o f f auf. S a l p e t r i g e S ä u r e oxydiert Hydrazin in stark saurer Lösung zu S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e (S. 231). y) Stickstoffwasserstoffsäure Darstellung. Die Stickstoffwasserstoffsäure besitzt die Formel N g H und die Konstitution N = N = NH. Die Elektronenformel läßt sich nicht eindeutig festlegen. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Z w i s c h e n z u s t a n d („Mesomerie"; „Resonanz") zwischen den beiden nur in ihrer Elektronenanordnung voneinander verschiedenen („elektronen-isomeren", „elektromeren", „mesomeren") G r e n z f o r m e l n
Der Stiokatoif
231
(vgl. S. 234f. und II, S. 264), die sich beide durch die obige Valenzstrichformel (S. 230) wiedergeben lassen (vgl. S. 158). In der Stickstoffwasserstoffsäure sind demnach 3 Stickstoffatome miteinander verknüpft. Zur Darstellung der Säure geht man daher zweckmäßig von Verbindungen aus, in denen bereits 2 Stickstoffatome miteinander verbunden sind. Als solche kommen in Frage: D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 und H y d r a z i n N 2 H 4 . In beiden Fällen muß noch ein drittes Stickstoffatom eingeführt werden. Im Falle des D i s t i c k s t o f f o x y d s geschieht dies zweckmäßig so, daß man das trockene N a 0 bei 190° auf N a t r i u m a m i d einwirken läßt: N=N==0 + HjjNNa Z£±. N=N=NNa + H,0. Man erhält dabei das N a t r i u m s a l z der StickstoffWasserstoffsäure (Natriumazid). Die Reaktion verläuft im Sinne der obigen Reaktionsgleichung glatt von links nach rechts, da das Wasser aus dem Reaktionsgemisch durch Umsetzimg mit noch unverändertem Natriumamid (NaNH 2 + HÖH —>- NaOH + NH 8 ) sofort entfernt wird. Aus dem Natriumsalz läßt sich die f r e i e S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e durch Destillation mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e und anschließendes E n t w ä s s e r n des Destillats mit C a l c i u m c h l o r i d als rund 90°/0ige Säure gewinnen. Die Umwandlung von H y d r a z i n in StickstoffWasserstoffsäure gelingt duroh Einwirkimg von s a l p e t r i g e r S ä u r e : NJH« + OjiNH — N , H + 211,0. Physikalische Eigenschaften. Die wasserfreie Stickstoffwasserstoffsäure ist eine farblose, leichtbewegliche, bei 37° siedende und bei —80° erstarrende Flüssigkeit von durchdringendem, unerträglichem Geruch. Chemische Eigenschaften. Die Stickstoffwasserstoffsäure ist eine s c h w a c h e S ä u r e von der Stärke etwa der Essigsäure. Ihre Dissoziationskonstante beträgt bei Zimmertemperatur 1.2 XlO - 5 ; eine 0.1-normale Lösung ist demnach zu etwa 1 % dissoziiert. Die S a l z e der StickstoffWasserstoffsäure (Azide) ähneln in ihren äußeren Eigenschaften bisweilen denen der S a l z s ä u r e . So fällt z. B. aus schwach saurer Lösung bei Zugabe von Silbernitrat ein käsiger Niederschlag von S i l b e r a z i d AgN s aus, der dem Silberchlorid AgCl täuschend ähnlich sieht; das Q u e c k s i l b e r ( I ) - s a l z HgN s und das B l e i salz Pb(N 3 ) 2 sind wie die analogen Chloride HgCl und PbCl 2 in Wasser unlöslich bzw. schwerlöslich. Das A m m o n i u m a z i d NH 4 N S = N 4 H 4 und das H y d r a z o n i u m a z i d N a H g Nj = NSH6 sind wegen ihrer Zusammensetzung als reine Stickstoff-WasserstoffVerbindungen erwähnenswert. Feuchtigkeitsempfindliche Azide wie Be(N 3 ) 2 , Mg(N 3 ) if B(N 3 ) 3 , A1(N3)3, Ga(N3)3, Si(N3)4, LiB(N3)4 lassen sich leicht in Äther durch Umsetzung der entsprechenden Wasserstoff- oder Alkylverbindungen mit Stickstoffwasserstoffsäure (MeHn + nHN 3 ^ Me(N3)n + nH 2 ; MeR n + nHN 3 - M e ( N 3 ) n + nRH) oder der entsprechenden Chloride mit Natriumazid (MeCln + nNaN 3 — Me(N3)„ + nNaCl) gewinnen. Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der Stickstoffwasserstoffsäure ist der — durch Erhitzen oder durch Schlag leicht auszulösende — e x p l o s i o n s a r t i g e Z e r f a l l in S t i c k s t o f f u n d W a s s e r s t o f f : 2NSH —>- 3N2 + H2 + 126 kcal. Bei diesem Zerfall werden g r o ß e W ä r m e m e n g e n frei. Auch die S c h w e r m e t a l l s a l z e , z. B. Bleiazid und Silberazid, detonieren bei stärkerem Erhitzen, besonders aber auf Schlag sehr heftig. Daher benutzt man Bleiazid in der Sprengtechnik zur Einleitung der Detonation („Initialzündung") von Schieß- und Sprengstoffen. Die A l k a l i -
232
Die Stickstoffgruppe
und E r d a l k a l i - a z i d e lassen sich unzersetzt schmelzen und verpuffen erst bei stärkerem Erhitzen unter Stickstoffabgabe: 2 N a N 3 —>- 2 N a + 3 N 2 . Man kann diese Zersetzungsreaktion zur R e i n d a r s t e l l u n g von A l k a l i - und E r d a l k a l i m e t a l l e n im Laboratorium benutzen. Die Stickstoffwasserstoffsäure ist ein verhältnismäßig starkes O x y d a t i o n s m i t t e l Daher löst sie wie die Salpetersäure eine Reihe von Metallen (z. B. Zink, Eisen, Mangan, Kupfer) o h n e W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g auf: Me + 3HN 3 Me(N3)2 + N 2 + NH 3 . Als Reduktionsprodukt der Stickstoff Wasserstoffsäure entstehen dabei S t i c k s t o f f und A m m o n i a k (Me + 2 H N 3 —>- Me(N 3 ) 2 + 2 H ; H N • N 8 + 2 H — N H S + N g ). Gegenüber stärkeren Oxydationsmitteln wirkt die Stickstoffwasser st offsäure als R e d u k t i o n s m i t t e l . So oxydieren z . B . C e r ( I Y ) - s a l z e die Säure quantitativ zu Stickstoff, was man zur Analyse der Verbindung benutzen kann. S a l p e t r i g e S ä u r e führt sie in Stickstoff und Distickstoffoxyd über: HN 3 + H N 0 2 — ^ NjO + N 2 + H 2 0 .
b) Halogenverbindungen des Stickstoffs Der Stickstoff bildet zwei Klassen reiner H a l o g e n v e r b i n d u n g e n , von der Zusammensetzung N X j und N3X. Die ersteren leiten sich vom A m m o n i a k , die letzteren von der S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e ab. Außerdem bildet er noch S a u e r s t o f f - H a l o g e n - V e r b i n d u n g e n des Typus NOX („Nitroaylhalogenide"; NOF, farbloses Gas, Smp. —132.6°, Sdp. —59.9°; N0C1, rotgelbes Gas, Smp. —61.5°, Sdp. —5.8°; NOBr, schwarzbraune Flüssigkeit, Smp. —65.5°, Sdp. +19°), des Typus NO2X („Nitrylhalogenide"; N0 2 F, farbloses Gas, Smp. —166°, Sdp. —72.4°; N02C1, farbloses Gas, Smp. —145°, Sdp. —15.0°) und des Typus NO3X („Nitroxyhalogenide"; N0 3 F, farbloses Gas, Smp. —175°, Sdp. —45.9°). Sie leiten sich von der s a l p e t r i g e n S ä u r e NO(OH) und S a l p e t e r s ä u r e N 0 2 ( 0 H ) durch Ersatz der Hydroxylgruppe bzw. des Wasserstoffatoms durch ein Halogenatom ab. Die Halogenverbindungen des Typus NX3 lassen sich ganz allgemein durch Einwirkung von — gewöhnlichem oder aktiviertem — H a l o g e n auf A m m o n i a k herstellen: NH 3 + 3 X 2 — > • NX S + 3 H X , (1) So erhält man Fluorstickstoff NF 3 durch Umsetzung von Fluor mit Ammoniak (NH 3 + 3 F a >NF S + 3 HF) oder durch elektrolytische Zersetzung von geschmolzenem, wasserfreiem Amraoniumhydrogenfluorid (F~ •—>- F + © ; N H , + 6 F s» NF S + 3 HF), Chlorstickstoff NCl, durch Einwirkung von Chlorgas auf eine konzentrierte Ammoniumchloridlösung (NH 3 + 3C12 >- NCI3 -f 3 HCl) oder durch Elektrolyse einer gesättigten Ammoniumchloridlösung (Cl- - — C 1 + © ; N H 3 + 6C1 >- NCl, + 3HCl), Bromstickstoff NBr 3 (in Form eines Ammoniakats NBr 4 • 6 NH 3 ) durch Zusammenleiten eines Brom- und Ammoniakstroms bei 100° (NHS + 3Br 2 NBr 3 + 3HBr) oder durch Einwirkung einer elektrischen Glimmentladung auf ein Brom-Ammoniak-Gemisch (Br 2 >- 2Br; NH 3 + 6Br NBr 3 + 3HBr) und Jodstickstoff N J S (in Form von Ammoniak-Additionsverbindungen wie N J 3 • NH 3 ) durch Einwirkung von Jod auf wässerige oder alkoholische Ammoniaklösungen ( N H 3 + 3 J 2 >NJ S + 3 H J ) oder (in freiem Zustande) durch Überleiten von Ammoniak über Kalium-dibromjodid KJBr 2 (KJBr, ^ KBr + J B r ; NH 3 + 3 JBr ^ N J 3 + 3HBr). Physikalische Eigenschaften. F l u o r s t i c k s t o f f ist ein farbloses, in Wasser und Kalilauge praktisch unlösliches Gas, welches sich durch starke Abkühlung zu einer klaren, leicht beweglichen Flüssigkeit (Smp. —208.5°, Sdp. —129.0°) verdichten läßt und eine positive Bildungswärme von 26 kcal/Mol besitzt. C h l o r s t i c k s t o f f stellt ein dunkelgelbes, stechend riechendes, in Schwefelkohlenstoff und Benzol mit gelber Farbe lösliches ö l (Smp. —91.7°) mit einer stark negativen Bildungswärme (—54.7 kcal/Mol) dar. B r o m s t i c k s t o f f ist bis jetzt noch nicht in freiem Zustande, sondern nur in Form eines Hexa-ammoniakats NBr 3 -6NH 3 bekannt, eines intensiv roten, in Äther und flüssigem Ammoniak unter Bildung farbloser Lösungen löslichen festen Körpers . J o d s t i c k s t o f f ist ein schwarzes, festes Produkt mit stark negativerBildungs wärme. Chemische Eigenschaften. Entsprechend seiner positiven Bildungswärme ist der F l u o r s t i c k s t o f f , der zum Unterschied vom Ammoniak keinerlei basische Eigenschaften besitzt, nicht besonders reaktionsfähig. Erst bei mehr oder minder starkem Erwärmen reagiert er mit Metallen (z. B. Li, Na, K, Cu, Ag, Mg, Ca, Ba, Zn, Cd, Hg, Sn, Pb) und Nichtmetallen (z. B. H 2 , B, Si, As, Sb) unter Fluoridbildung. Die Reaktion mit Wasserstoff erfolgt bei Zündung durch einen Funken mit scharfem Knall und rötlich-violettem Leuchten:
233
Der Stickstoff
2 N F , + 3 H 2 — v Na + 6 H F . Ebenso setzt beim Entzünden eines Fluorstickstoff-Wasserdampf-Gemisohs unter bläulioher Flammenerscheinung eine langsame Reaktion ein, die zur Bildung von Fluorwasserstoff, und salpetriger Säure (Stickstoffoxyd, Stickstoffdioxyd und Wasser; vgl. S. 237, 242) f ü h r t : N K , -•- 3 H O I I — > - N ( O H ) , + 3 H F . Ganz anders setzt sich der C h l o r s t i c k s t o f f mit Wasser u m ; hier treten die Hydroxylgruppen an das Halogen und die Wasserstoffatome an den Stickstoff, so daß Ammoniak und unterchlorige Säure entstehen (vgl. S. 154): N|C1, + 3 H O ; H ^ Z ± : N H 8 + 3H0C1. Da die Reaktion umkehrbar ist, kann man rückwärts durch Einwirkung von Hypochlorit auf wässerige Ammoniak- oder Ammoniumsalzlösungen Chlorstickstoff darstellen. Entsprechend seiner stark negativen Bildungswärme ist der Chlorstickstoff viel unbeständiger und reaktionsfähiger als der Fluorstickstoff. So explodiert er äußerst heftig beim Erwärmen auf über 90°, bei Erschütterungen oder bei Berührung mit vielen chlorierbaren organischen Substanzen (z. B. Terpentinöl, Kautschuk). Mit Chlorwasserstoff reagiert Chlorstickstoff in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) unter Bildung von Chlor und Ammoniak: NClj + 3 HCl N H 3 + 3C1 2 , mit Ammoniak unter Bildung von Stickstoff und Chlorwasserstoff: NC1S + N H , — > - N s + 3HCl. Noch reaktionsfähiger ist B r o m s t i c k s t o f f , der in Form seines Ammoniakats unter Freiwerden von Ammoniak bereits bei —67° schlagartig in Stickstoff und Brom Wasserstoff (als Ammoniumbromid) übergeht: ^ ^ + ^ ^ + 3HB|. J o d s t i c k s t o f f explodiert in trockenem Zustande bereits bei der geringsten Berührung und gehört daher zu den gefährlichsten chemischen Substanzen. I m feuchten Zustande ist er etwas weniger explosiv. Die Halogenverbindungen des Typus NjX entstehen bei der Einwirkung von H a l o g e n oder u n t e r h a l o g e n i g e r S ä u r e auf A z i d e : AgN, + J 2 JN3 + AgJ, N a N , + NaOCl + H Ö H C1N3 + 2 N a O H . F l u o r a z i d FN 3 ist ein gelbgrünes, bei Zimmertemperatur langsam in (NF) 2 (farbloses, stabiles Gas) und N a zerfallendes Gas, C h l o r a z i d C1N3 ein farbloses, explosives Gas, Bromazid BrN s eine farblose, explosive Flüssigkeit und J o d a z i d J N 3 ein farbloser, äußerst explosiver fester Körper.
c) Oxyde des Stickstoffs Stickstoff bildet sechs Oxyde des Typus N 2 0 B (n = 1, 2, 3, 4, 5 und 6): N 2 0, (N 2 0 2 ), N 2 0 3 , N 2 0 4 , N 2 0 6 , NaOg, wie aus folgender Tabelle hervorgeht, in der die Verbindungen nach steigender Oxydationszahl des Stickstoffs angeordnet sind 1 : Oxydationszahl — 1 ±0 + 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 63 + 53 1 2
Oxyde der Formel N , 0 n
Säuren d es Typus H , N 0 « (HNO n - i ) Formel Orthoform | Metaform H,NO
N2 N2O (N 2 0 2 ) T^Z 2 N O N20, N2O4 2NO 2 N8O6 (N.O, ^ 2 NO,)
Name Hydroxylamin
Salze Hydroxylamide
2 Untersalpetrige Säure 2 Hyponitrite
H,NO A
HNO
H3NO,
HNO,
Salpetrige Säure
Nitrite
H,NO 4
HNO,
Salpetersäure
Nitrate
(H.NO.)
HN04
Peroxysalpetersäure
Peroxynitrate
Bezügl. der in der Tab. ebenfalls aufgeführten S a u e r s t o f f s ä u r e n des Stickstoffs vgl. S.238f. 3 Vgl. Anmerkung 1, S. 246. Vgl. Anmerkung 1 auf S. 198.
234
Die Stickstoffgruppe
Von den Sauerstoffverbindungen ist das Oxyd N 2 0 4 bei Zimmertemperatur großenteils nach N 2 0 4 2 N 0 2 dissoziiert; beim N 2 0 2 verschiebt sich das entsprechende Dissoziationsgleichgewicht N 2 0 2 2 N 0 erst bei s e h r t i e f e n T e m p e r a t u r e n nach links, so daß das Oxyd bei Z i m m e r t e m p e r a t u r lediglich in Form des einfachen Moleküls NO auftritt. Die Existenz der Verbindung N a O s und ihres Dissoziationsproduktes NO s ist noch zweifelhaft. a ) Distickstoffoxyd Darstellung. Das Distickstoffoxyd („Stickoxydul") N a O läßt sich durch Umsetzung von A m m o n i a k und S a l p e t e r s ä u r e — trockenes Erhitzen von festem Ammoniumnitrat (NH 4 N0 3 —>- NH 3 + HNO3) — darstellen: ijj + ° j \ N = 0 ;H + HOj
— N = N = - 0 + 2H s O.
Man muß dabei Sorge tragen, daß die Temperatur nicht zu hoch steigt, da unter geeigneten Bedingungen ein explosionsartiger Zerfall des Ammoniumnitrats eintreten kann. Physikalische Eigenschaften. Distickstoffoxyd ist ein farbloses Gas von schwachem, süßlichem Geruch und läßt sich leicht zu einer Flüssigkeit verdichten, welche bei — 89.5° siedet und bei —102.4° zu weißen Kristallen erstarrt. Da es schwach betäubende Wirkung zeigt, kommt es in verflüssigtem Zustande in Stahlflaschen für Narkosezwecke in den Handel. In geringen Mengen eingeatmet, ruft es einen rauschartigen Zustand und eine krampfhafte Lachlust hervor („Lachgas"). In kaltem Wasser ist es ziemlich löslich: 1 Raum teil Wasser absorbiert bei 0° 1.3052, bei 25° 0.5962 Raumteile N 2 0 ; daher muß man es bei der Darstellung über heißem Wasser oder über einer konzentrierten Kochsalzlösung auffangen. Chemische Eigenschaften. Distickstoffoxyd unterhält die Atmung nicht, so daß es bei Narkosen nur bei gleichzeitiger Sauerstoffzufuhr eingeatmet werden darf. Die Verbrennung l e i c h t e n t z ü n d l i c h e r Körper wird dagegen vom Distickstoffoxyd unterhalten. So verbrennen z. B. P h o s p h o r , K o h l e oder ein glimmender H o l z s p a n darin wie in Sauerstoff; Gemische mit W a s s e r s t o f f explodieren beim Entzünden wie Knallgas, nur etwas schwächer: NjO + H, — v Nj + HjO + 87.8 kcal.
Die Verbrennung ist im allgemeinen schwieriger einzuleiten als beim Sauerstoff 1 , weil Distickstoffoxyd bei niedrigen Temperaturen recht beständig — allerdings nur m e t a s t a b i l (N 2 0 N 2 + V 2 0 2 + 19.5 kcal) — ist und erst bei verhältnismäßig hohen Temperaturen zu zerfallen beginnt. Besonders heftig explodieren entzündete Gemische von Distickstoffoxyd und A m m o n i a k : 3N s O + 2NH, —>• 4Nj + 3 H 2 0 + 222 kcal. Die K o n s t i t u t i o n de« Distickstoffoxyds läßt sich durch die beiden mesomeren ElektronenGrenzformeln
(a) "
" (b)
zum Ausdruck bringen CS.316f.), die beide die Valenzstrichformel N = N = 0 ergeben (vgl. S. 158). Die Verhältnisse liegen hier ganz analog wie im Falle der Stickstoffwasserstoffsäure N = N = NH (S.230f.), deren Formel sich von der des Distickstoffoxyds N s N = 0 durch Ersatz des Sauerstoffatoms O durch eine Iminogruppe NH (vgl. S. 437) ableitet. Nach der ersten Elektronenformel (a) leitet sich das Distickstoffoxyd vom Stickstoff durch Anlagerung eines Sauerstoffatoms an das Stickstoff molekül ab: 1
:N:::N: + 0:
: N : : : N : 0 : . Die oxydierende Wirkung des Di-
Die analytische Unterscheidung von N 2 0 und 0 2 kann leicht durch Zugabe von NO erfolgen, da Oa mit letzterem braune Dämpfe von IS02 liefert, während N s O mit NO nicht reagiert.
Der Stickstoff
235
stickstoffoxyds beruht auf der Umkehrung dieses Vorgangs. Nach der zweiten Formel (b) ist das Distickstoffoxyd mit dem Kohlendioxyd : 0 : : C : : 0 : „isnster" (vgl. S. 308). Möglicherweise spielt das kohlendioxyd-isostere D i s t i c k s t o f f o x y d NaO bei der S t i c k s t o f f assimilation der Pflanzen (S. 64) eine ähnlich bedeutsame Rolle wie das K o h l e n d i o x y d C0 2 im Kreislauf des S a u e r s t o f f s (S. 63f.), indem der Luftstickstoff N2 unter Mitwirkung des von den stickstnff-assimilierfähigen Pflanzen (z. B. Leguminosen) erzeugten „L''g-Hämoglobins" (vgl. S. 527) primär wahrscheinlich zu NaO oxydiert wird, welches dann in den Stickstoffkreislauf eintritt. ß ) Stickstoffoxyd Darstellung. Verbindung:
Das Stickstoffoxyd
{„Stickoxyd")
42.1 kcal + N j + 0 2
NO ist eine stark 2NO
endotherme (1)
und läßt sich daher nur bei s e h r h o h e r T e m p e r a t u r — der Temperatur des elektrischen Lichtbogens (— 5000° C) — aus den Elementen erzeugen. Nachstehende Fig. 80 gibt die Ausbeuten an Stickoxyd in Vol.-'/o beim Erhitzen von Luft (4N 2 + OJ) auf verschiedene Temperatuien wieder 1 . Wie daraus hervorgeht, befinden sich bei 2000* abs. rund 1 und bei 3000* abs. rund 5 Vol.-*/« Stickoxyd mit Luft im Gleichgewicht. Will man daher Stickoxyd in einigermaßen befriedigenden Konzentrationen erhalten, so muß man auf über 3000° abs. erhitzen. Da nun bei solchen hohen Temperaturen die Geschwindigkeit der Einstellung des Gleichgewichts (1) ungeheuer groß ist — vgl. Fig. 81, welche für die einzelnen Temperaturen den Logarithmus der Zeit wiedergibt, in welcher eine gegebene Stickoxyd-Menge zur Hälfte zerfallen bzw. eine gegebene Stickstoff-Sauerstoff-Menge zur Hälfte in Stickoxyd umgewandelt ist („Halbwertszeit"; vgl. S. 5~5f.) —, wird sich beim Abkühlen des Reaktionsgemischs jeweils in unmeßbar kleiner Zeit das der niedrigeren Temperatur entsprechende ungünstigere Gleichgewicht einstellen. Nur durch „Abschrecken", d. h. Abkühlen mit größerer als der Zerfallsgeschwindigkeit, läßt sich der Zerfall weitgehend vermeiden, da man dann rasch in Temperaturgebiete gelangt, in denen die Gleichgewichtseinstellung langsam vor sich geht. Unter günstigsten Reaktionsbedingungen läßt sich so die einer Temperatur von 2700* abs. entsprechende Gleichgewichtskonzentration von rund 3 Vol.-% NO erhalten. Bei Temperaturen unter 700* zerfällt Stickoxyd als metastabiler Stoff praktisch nicht mehr (Fig. 80). Die Vereinigung von Stickstoff und Sauerstoff zu Stickoxyd („Luftverbrennung") war früher ein g r o ß t e c h n i s c h e s V e r f a h r e n zur Darstellung von S a l p e t e r s ä u r e , da man Stickoxyd durch Einwirkung von Sauerstoff und Wasser leicht in Salpetersäure überführtn kann: 2NO + H 2 0 + IVJOJ V 2HNO s . Die hierfür benutzten Verfahren („BlRKELASDEY Dt-Verfahren", „SCHÖNE E RR- Verfahren", „PAU UNO-Verfahren") unterschieden sich voneinander nur durch die Art und Weise, in der eine möglichst kurze, aber innige Berührung der Gase mit dem Klammenbogen und eine schnelle Abschreckung erreicht wurden. Wegen des erheblichen Verbrauchs an elektrischer Energie blieb das Luftverbrennungsverfahren in der Hauptsache auf Länder mit billigen Wasserkräften (Norwegen, Schweiz) beschränkt. Heute ist es auch dort durch das billigere Verfahren der Ammoniakverbrennung (s. unten und S. 239f.) verdrängt worden. Lediglich das sogenannte „Nilrumverfahren" der Luftverbrennung (S. 240) ist in Deutschland in begrenztem Umfang noch in Betrieb. Die g r o ß t e c h n i s c h e Erzeugung von Stickoxyd durch k & t a l y t i s c h e A m m o niakverbrennung: 4NH, + 5 0 2 —>- 4NO + 6 H 2 0 dient der S a l p e t e r s ä u r e g e w i n n u n g und soll daher erst bei der Salpetersäure (S. 239f.) ausführlicher besprochen werden. Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Stickoxyd durch R e d u k t i o n von S a l p e t e r Säur
®:
NO,' + 4H- + 3 0
^
NO + 2H a O.
Nach der Spannungsreihe (S. 166ff.) kann diese Reduktion unter den Normalbedingungen von allen Stoffen bewirkt werden, deren Potential n e g a t i v e r als + 0.95 Volt und — zur Vermeidung von Wasserstoffentwicklung — p o s i t i v e r als 0 Volt ist. 1 Die ausgezogene Kurve in Fig. 80 entspricht den Gleichgewichtskonzentrationen von NO bei den verschiedenen Temperaturen. Rechts der Kurve erfolgt somit zusätzliche NO-Bildung, links der Kurve teil weiser NO-Zerfall bis zur Erreichung der für die betreffende Temperatur gültigen Gleichgewichtskonzentration an NO.
Die Stiokstoffgruppe
236
Solche Stoffe sind z. B. K u p f e r (Cu —>• Cu" + 2 © ; e0 = + 0.35 Volt), Q u e c k s i l b e r (2Hg — >- Hg2" + 2 9 ; e0 = + 0.79 Volt) und E i s e n ( I I ) - 8 a l z e (Fe" —>- Fe'" + © ; e„ = + 0.77 Volt). Die Umsetzung verdünnter Salpetersäure mit K u p f e r (3Cu + 2NO,' -f 8H' >• 2NO + 3Cu" + 4H 2 0) ist eine gebräuchliche Stickoxyd-Darstellungsmethode des L a b o r a t o riums. Die Reaktion mit Quecksilber (Schütteln von Quecksilber mit Salpetersäure und konzentrierter Schwefelsäure: 6Hg + 2N0 3 ' + 8H' >- 2 N 0 + 3Hg 2 " + 4H 2 0) dient zur Geh a l t s b e t t i m m u n g von Salpetersäurelösungen (Messung des entwickelten Stickoxydvolumens). Die Umsetzung mit Eisen ( I l ) - s a l z e n Unterschichtung eines Gemischs von Salpetersäure und Eisen(II)-sulfat mit konzentrierter Schwefelsäure: 3Fe" + NOs' + 4H' >• NO + 3Fe"' + 2H 2 0) wird zum q u a l i t a t i v e n Nachweis von Salpetersäure benutzt, da das gebildete
Zerfallsgeschuiindigkeit nimmt ab
|
• ho'
/ m
•fä $ 1
NO-Zerfall
ö=>. %
/
/ /
VsJahr
1 Minute
1
/'•' V NO-Büduno Wm 1500° 2000"
—
1500' 3000' 3500' —abs. Temperatur
V2000 Sekunde
-
2000° • Temperatur
Fig. 80. Temperaturabhängigkeit der StickoxydAusbeute bei der Synthese aus Luft
3000°
Fig. 81. Halbwertszeit der Bildung und des Zerfalls von Stickoxyd
Stickoxyd mit Eisen(II)-sulfat eine tief dunkelbraun gefärbte Anlagerungsverbindung bildet (s. unten).
Physikalische Eigenschaften. Stickoxyd ist ein farbloses Gas und zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtbar, welche bei —151° siedet und bei —163° erstarrt. In Wasser löst es sich nur wenig (0.07 Raumteile NO in 1 Raumteil Wasser bei 0°). Chemische Eigenschaften. Charakteristisch für Stickoxyd ist sein großes Bestreben, sich mit Sauerstoff zu braunem S t i c k s t o f f d i o x y d N0 2 zu verbinden: 2NO + 0 2
2 N 0 2 + 27.1 kcal.
Sobald daher das farblose Stickoxyd mit Luft in Berührung kommt, bildet es braune Dämpfe von N0 2 . Da es sich um eine e x o t h e r m e Reaktion handelt, verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nach l i n k s . So kommt es, daß Stickoxyd oberhalb von 650° nicht mehr mit Sauerstoff in Reaktion tritt (S. 238, 239). Mit Chlor und B r o m reagiert Stickoxyd unter Bildung von N i t r o s y l h a l o g e n i d e n (S. 2 4 3 f . ) :
2 N 0 +
Clg
— ^ 2NOC1 + 29 kcal.
An M e t a l l s a l z e (z. B. Eisen(II)-sulfat, Kupfer(II)-chlorid) lagert es sich leicht unter Bildung — vielfach gefärbter — lockerer A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n an (vgl. oben): NO + FeS0 4
[Fe(N0)]S0 4 ,
die sich durch Erwärmen wieder rückwärts in Stickoxyd und Metallsalz zerlegen lassen (vgl. auch S. 547f.).
Der Stiokstoff
237
Durch s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l , deren Potential in der Spannungsreihe positiver als + 0.95 Volt ist (S. 168) — z. B. durch Chromsäure (e0 = + 1.36 Volt), Ubermangansäure (e0 = + 1.52 Volt), unterchlorige Säure (e0 = + 1.49 Volt) — wird Stickoxyd in Umkehrung der Bildungsgleichung (S.235) zu S a l p e t e r s ä u r e oxydiert: NO + 2H 2 0 ^ ^ N• N , + 0 2 + 42.1 kcal).
durch/ochter
Eine solche kurze Berührungszeit wird besonders einfach durch Anwendung eines Netzkatalysators ermöglicht. Fig. 82 gibt ein auf diesem Prinzip beruhendes „Ammoniak-Verbrennungselement" für kleinere Leistungen wieder. Bei diesem ist zwischen zwei konischen Aluminiumteilen ein feinmaschiges Fig. 83. Ammoniak -Verbrennungsofen zur P l a t i n - oder P l a t i n - R h o d i u m n e t z (3600 Ma- Stickoxydgewinnung mit Eisen-Wismutschen je cm 2 ; Drahtstärke 0.05 mm) eingespannt, oxyd-Kata lysator J Vgl.
Anmerkung 1, S. 240.
240
Die Stickstoffgruppe
durch welches das Ammoniak-Luft-Gemisch mit großer Geschwindigkeit geleitet wird. Größere Anlagen arbeiten mit mehreren übereinander angeordneten Drahtnetzen je Verbrennungselement. Ein anderes, nur vereinzelt angewandtes Verfahren benutzt an Stelle des P l a t i n s ein körniges, mit W i s m u t o x y d versetztes E i s e n o x y d als Katalysator. Der hierbei verwendete Kontaktofen (Fig. 83) weist im Innern zwei durchlochte Zwischenböden auf, von denen der obere nur zur gleichmäßigen Verteilung des oben einströmenden, auf 250—350° vorgewärmten AmmoniakLuft-Gemischs dient, während der untere ( ~ 1 5 m 2 Fläche) mit einer etwa 10—15 cm hohen, auf groben Schamottebrocken ruhenden Kontaktschicht bedeckt ist. „•Luft Konzentriertere als 40—50% ige — bis 66°/oige — Salkreisender petersäurelösungen lassen sich erzielen, wenn man das AmF/ammenring moniak nicht mit L u f t , sondern mit S a u e r s t o f f ver- - Gasab/e/fung brennt oder bei 5 Atmosphären D r u c k arbeitet. Luftverbrennung. Unter den Verfahren der Luftverbren—Ofenu/and nung im Lichtbogen (vgl. S. 235) ist zur Zeit nur noch das „Nitrum-Verfahren" in Betrieb. Bei diesem wird in E/efrfrcde Luftf einem feuerfesten, runden Ofen (Fig. 84) die zu verbrennende Luft durch drei seitliche Düsen t a n g e n t i a l einFig. 84. Stickoxyd-synthese aus geblasen, so daß beim Einschalten des elektrischen Stroms Luft nach dem Nitrum -Verfahren der zwischen den drei Elektroden übergehende Flammenbogen die Form eines z i r k u l i e r e n d e n F l a m m e n r i n g e s annimmt. Der Flammenwirbel bewegt sich kreisend vom Rande nach der Mitte zu, und die stickoxydhaltigen Gase gehen im Zentrum des Ofens ab, um hier sofort a b g e s o h r e o k t zu werden. Umsetzung von Chilesalpeter mit Schwefelsäure. Die Umsetzung von N a t r i u m n i t r a t mit Schwefelsäure: NaNO, + H 2 SO t >- NaHSO, + HNO,, die bis zum Anfang dieses Jahrhunderts fast ausschließlich zur Salpetersäuregewinnung benutzt wurde, spielt in Deutschland heute keine Rolle mehr.
Physikalische Eigenschaften Erhitzt man eine Salpetersäurelösung, so konzentriert sie sich, da der entweichende Dampf prozentual mehr Wasser als die Lösung enthält. Mit steigender Temperatur nimmt der relative Gehalt des Dampfes an Salpetersäure zu, bis schließlich bei 121.8° Dampf und Lösung die gleiche Konzentration von 69.2°/ 0 H N 0 3 aufweisen, so daß von hier ab der Salpetersäuregehalt der Lösung konstant bleibt. Man nennt diese Säure „konzentrierte Salpetersäure" (spez. Gewicht 1.410). Durch Vakuumdestillation mit konzentrierter Schwefelsäure als wasserbindendem Mittel läßt sich die konzentrierte Säure in wasserfreie Salpetersäure überführen. Die r e i n e , w a s s e r f r e i e S a l p e t e r s ä u r e ist eine farblose Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.522, die bei — 41.1° zu schneeweißen Kristallen erstarrt und bei 84° siedet. Beim Sieden — im Licht auch schon bei Zimmertemperatur — erfolgt teilweise Zersetzung unter Bildung von Stickstoffdioxyd: 2HNO s — H , 0
+ 2NO a + 7 2 0 2 .
Das Stickstoffdioxyd bleibt in der Salpetersäure gelöst und färbt sie gelb, bei größerer Konzentration rot. Man nennt die so entstehende, an der Luft rotbraune Dämpfe ausstoßende Lösung „rote rauchende Salpetersäure". Chemische Eigenschaften Chemisch ist die Salpetersäure charakterisiert durch ihre o x y d i e r e n d e n und ihre s a u r e n Eigenschaften. Die oxydierenden Eigenschaften treten vor allem in der k o n z e n t r i e r t e n , die sauren in der v e r d ü n n t e n Säure hervor. Wie schon auf S. 235 f. erwähnt, kann die Salpetersäure unter den Normalbedingungen gegenüber allen Stoffen als O x y d a t i o n s m i t t e l gemäß NO s ' + 4H" + 3 © t ^
NO + 2 H 2 0
wirken, deren Oxydationspotential negativer als + 0.95 Volt ist. So kommt es, daß z. B. K u p f e r ( f 0 = + 0.35 Volt), S i l b e r (F0 = + 0.81 Volt)und Q u e c k s i b e r (E0 =
Der Stickstoff
241
+ 0.79 Volt) von Salpetersäure unter Stickoxydentwicklung gelöst werden (S. 236), während z. B. G o 1 d (e0 = + 1.42 Volt) und P l a t i n ( e 0 = + 1 . 6 0 Volt) nicht angegriffen werden. Unter dem Namen „Scheidewasser" benutzt man daher die Salpetersäure zur Trennung von G o l d und S i l b e r . S c h w e f e l wird von Salpetersäure zu Schwefelsäure, P h o s p h o r zu Phosphorsäure oxydiert. Besonders stark oxydierend wirkt ein Gemisch von konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e und konzentrierter S a l z s ä u r e (1: 3 Raumteile), da es aktives Chlor entwickelt: H N 0 3 + 3HCl
v NOCI + 2C1 + 2H a O.
Es löst fast alle Metalle, auch den „König der Metalle" — das Gold — auf und heißt daher „Königswasser" („aqua regia"). Eigentümlicherweise werden eine Reihe u n e d l e r M e t a l l e (wieAluminium,Chrom, Eisen) von konzentrierter Salpetersäure n i c h t a n g e g r i f f e n (vgl. S. 383, 507f., 533f.). Man erklärt diese Erscheinung („Passivierung") durch die Bildung einer äußerst dünnen, zusammenhängenden O x y d h a u t , die das darunterliegende Metall vor weiterem Angriff der oxydierenden Säure schützt (vgl. S. 172). Als S ä u r e gehört Salpetersäure zu den starken Säuren, da sie in verdünnten Lösungen praktisch quantitativ in Form von Ionen vorliegt: H N 0 3 + H 2 0 H30' + N 0 3 ' . Mit abnehmendem Wassergehalt der Lösung verschiebt sich das Säuregleichgewicht nach links, entsprechend einer Zunahme der Konzentration an undissoziierter Salpetersäure. In der wasserfreien Salpetersäure findet teilweise eine der Ionenbildung in Wasser analoge schwache Ionenbildung nach H N 0 3 + H N 0 3 : ^ r ± : H 2 N 0 3 ° + N0 3 'statt 1 . Das Kation H 2 N0 3 " heißt „Nitronium-Ion" und wird ganz allgemein gebildet, wenn Salpetersäure mit starken Säuren zusammengebracht wird (HN0 3 + H 2 S 0 4 < ~ > H 2 N0 3 ' + H S 0 4 ' ; H N 0 3 + H C 1 0 4 ^ H 2 N 0 3 ' + C104'). J e stärker dabei die zugegebene Säure ist, desto weiter liegt das Gleichgewicht auf der rechten Seite; so ist z. B. das N i t r o n i u m - p e r c h l o r a t als solches isolierbar. Die S a l z e der Salpetersäure (Nitrate) lassen sich durch Umsetzung von S a l p e t e r s ä u r e mit den entsprechenden H y d r o x y d e n oder C a r b o n a t e n darstellen ( 2 H N 0 3 + Na 2 C0 3 — 2 N a N 0 3 + H 2 0 + C0 2 ; H N 0 3 + K O H —>- K N 0 3 + H 2 0) und sind alle in Wasser leicht löslich. Beim Erhitzen zersetzen sie sich unter Sauerstoffabspaltung. Die A l k a l i n i t r a t e gehen dabei in N i t r i t e : KN0 3 — ^ K N O . + V.0 l f die S c h w e r m e t a l l n i t r a t e unter gleichzeitiger Stickstoffdioxydbildung (vgl. S. 237) in O x y d e über: ^ ^ HgO + 2NOa + V.O.. Wegen dieser leichten Sauerstoffabgabe sind die Nitrate bei erhöhter Temperatur ausgezeichnete O x y d a t i o n s m i t t e l . I n w ä s s e r i g e r L ö s u n g wirken sie nur gegenüber s t a r k e n R e d u k t i o n s m i t t e l n (z. B. naszierendem Wasserstoff) oxydierend. Dabei können sie bis zu A m m o n i a k reduziert werden, wovon man in der analytischen Chemie sowohl zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s als auch zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g von Nitraten Gebrauch macht. Erhitzt man N a t r i u m n i t r a t NaNO a längere Zeit mit N a t r i u m o x y d auf 340°, so geht es in Orthonitrat über: N a N 0 3 + Na a 0 — v
Na 3 N0 4 .
Die diesem Orthonitrat zugrunde liegende Orthosalpetersäure H 3 N0 4 ist nicht beständig, sondern geht unter Wasserabspaltung in die normale (Meta-)Salpetersäure über: ] Das m i t d e r K o h l e n s ä u r e H 2 C 0 3 isostere N i t r o n i u m - i o n H 2 N0 3 ' zerfällt wie jene (S. 305) weitgehend unter Bildung des A n h y d r i d s (H 2 N0 3 ' -> H 2 0 + N 0 2 ) . Die so verursachte Verschiebung des obigen Dissoziationsgleichgewichts nach rechts bedingt dann die verhältnismäßig hohe elektrische Leitfähigkeit der wasserfreien Salpetersäure.
H o l l t m a n - W l b e r g , Anorganische Chemie. 40.—46. Aufl.
10
242
Die Stickstoffgruppe
H 3 N0 4 —>- H 2 0 + HN0 3 . Durch Wasser wird das Orthonitrat hydrolytisch zu normalem (Meta-)Nitrat zersetzt: Na 3 N0 4 + 2 H Ö H — > 2 N a O H + N a H 2 N 0 4 — v N a N 0 3 + H 2 0. Auch das N a t r i u m n i t r i t NaN0 2 bildet beim Erhitzen mit N a t r i u m o x y d ein O r t h o s a l z :
NaN0 2 + Na 2 0 — > - Na 3 N0 3 .
Es ist zum Unterschied vom weißen Orthonitrat gelb. ß ) Salpetrige Säure Darstellung. Salpetrige Säure ist nur in verdünnten, kalten, w ä s s e r i g e n L ö s u n g e n und in Form ihrer S a l z e , der Nitrite, beständig. Diese Nitrite lassen sich entweder durch Einleiten eines äquimolekularen Gemischs von N O und N 0 2 in Lauge (vgl. S. 237): N 2 0 3 + 2NaOH 2NaN0 2 + H 2 0
oder durch Erhitzen von Nitraten (S. 241) — zweckmäßig bei Gegenwart eines schwachen Reduktionsmittels wie Blei — : NaN0* + Pb ~ * NaN0* + Pb0 darstellen. Fügt man zu einer sehr v e r d ü n n t e n , kalten Nitritlösung die äquivalente Menge Säure hinzu, so entsteht eine verdünnte Lösung f r e i e r salpetriger Säure:
NaN0 2 + H 2 S0 4 — > - NaHS0 4 +
HN02.
Eigenschaften. Beim Erwärmen — langsam auch schon bei Zimmertemperatur — und beim K o n z e n t r i e r e n zersetzt sich die salpetrige Säure in wässeriger Lösung leicht unter Disproportionierung in Salpetersäure und S t i c k o x y d (2HN0 2 + NO + N0 2 ; 2N0 2 + H 2 0 — HNO a + HN0 3 ): 3HN02
H N 0 3 + 2 NO + H 2 0 .
Entsprechend diesem leichten Übergang in eine höhere und eine tiefere Oxydationsstufe wirkt salpetrige Säure sowohl als Reduktions- wie als O x y d a t i o n s m i t t e l . N0 3 ' + 2H' + 2 9 ) tritt sie gegenAls R e d u k t i o n s m i t t e l (N0 2 ' + H 2 0 über starken O x y d a t i o n s m i t t e l n wie Permanganat (Mn04' + 8H' + 5 © > Mn" + 4H 2 0) oder Bleidioxyd (Pb0 2 + 4 H' + 2 9 Pb" + 2H 2 0) auf. Man benutzt die Reaktion mit Permanganat, um den Gehalt verdünnter Lösungen von salpetriger Säure maßanalytisch zu bestimmen. Als O x y d a t i o n s m i t t e l (N0 2 ' + 2H' + 9 — N O + H 2 0) oxydiert salpetrige Säure beispielsweise Jodide (2J'q^±: J2 + 2 9 ) und Eisen(Il)-salze (Fe" Fe"' + 9 ) . Starke R e d u k t i o n s m i t t e l (z. B. Natriumamalgam, kathodische Reduktion) führen die salpetrige Säure über die Oxydationsstufe +2 +1 +1 desNO hinaus in D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0, untersalpetrige Säure H^N^a, H y -1 -3 d r o x y l a m i n NH 2 OH oder Ammoniak NH 3 über. Als Säure zählt die salpetrige Säure zu den mittelstarken bis schwachen Säuren (K = 4.5 XlO -4 ). Die wässerigen Lösungen ihrer Salze enthalten daher infolge Hydrolyse f r e i e salpetrige Säure und sind infolgedessen wenig haltbar. Bis auf das in kaltem Wasser nur mäßig lösliche gelbe, kristalline Silbernitrit AgN0 2 sind die Nitrite in Wasser alle leicht löslich. Beim Übergießen von Nitriten mit konzentrierter Schwefelsäure entweichen braune Dämpfe von N0 2 (NaN0 2 + H 2 S0 4 —>- NaHS0 4 + HN0 2 ; 2HN0 2 — N 2 0 3 —>- NO + N0 2 ). Hierdurch unterscheiden sich Nitrite von Nitraten. Die Konstitution der N i t r i t e ist eindeutig: : N : 0 : J . Dagegen kann die f r e i e salp e t r i g e Säure in zwei tautomeren Formen vorliegen, da das Proton H + einmal am Stickstoff und einmal am Sauerstoff (überwiegende Form) sitzen kann: j j Ö : : N : Ö: H
Ö::N:Ö: .
Der Stickstoff
243
Dementsprechend leiten sich von der salpetrigen Säure — ähnlich wie bei der schwefligen Säure (S. 204f.) — zwei Reihen organischer Derivate ab: „Salpetrigsäureester" O N ( O R ) und „Nitroverbindungen" R - N 0 2 . Bei der S a l p e t e r s ä u r e , bei der das im Molekül der salpetrigen Säure vorhandene freie Elektronenpaar am Stickstoff mit einem S a u e r s t o f f a t o m besetzt ist:
: O: Ö:: N: 0 : H , besteht diese Tautomeriemöglichkeit n i c h t (vgl. Anmerkung 2, S. 318).
Nitrosoverbindungen. Die salpetrige Säure bildet mit einer Reihe anderer Säuren g e m i s c h t e A n h y d r i d e : ON OH + I i X — O N X , welche man als Nitrosylverbindungen bezeichnet, da die einwertige NO-Gruppe Nitrosylgruppe genannt wird. Erwähnenswert sind die N i t r o s y l s c h w e f e l s ä u r e und das N i t r o s y l c h l o r i d . Nitrosylschwefelsäure (vgl. S. 547) kann aus s a l p e t r i g e r Säure und S c h w e f e l säure oder aus S a l p e t e r s ä u r e und s c h w e f l i g e r Säure gewonnen werden: /0|H + HÖiNO H O /ONO /iH+'HÖiNOj. HO ; ; o2s/ ' o4s/ o 2 s • 2N0C1 + H 2 0 . 16*
244
Die Stickstoffgruppe
Nitrosylchlorid ist ein rotbraunes Gas und läßt sich leicht zu einer gelbroten Flüssigkeit verdichten, welche bei —5.8° siedet und bei —61° zu gelben Kristallen erstarrt. Beim E r h i t z e n auf über 700° zerfällt es in S t i c k o x y d und Chlor: 14.4 kcal + NOC1
NO + V2C12.
Umgekehrt kann Nitrosylchlorid bei t i e f e r e n T e m p e r a t u r e n aus Stickoxyd und Chlor gewonnen werden. y) Hydroxylamin Darstellung. Die Darstellung des Hydroxylamins NHaOH (HsNO) erfolgt zweckmäßig durch R e d u k t i o n höherer O x y d a t i o n s s t u f e n des Stickstoffs. So kann man z. B. die S a l p e t e r s ä u r e mit Hilfe des e l e k t r i s c h e n S t r o m s kathodisch zu H y d r o x y l a m i n reduzieren; schematisch: H 3 N0 4 + 6H - + 6 © — > - H 3 N0 + 3 H 2 0 .
Als Elektrolyten benutzt man hierbei zweckmäßig eine Lösung von Salpetersäure in 50°/oiger Schwefelsäure, als Kathode eine Elektrode aus amalgamiertem Blei. Zur Reduktion der salpetrigen Säure eignet sich besonders die schweflige S ä u r e ; schematisch: H 3 N0 3 + 2 H 2 S O s — H 3 N O + 2H2SO. Nach R A S C H I G verfährt man hierbei so, daß man konzentrierte Lösungen von Nat r i u m n i t r i t und N a t r i u m b i s u l f i t im Molverhältnis 1 : 2 zusammengibt. Als Zwischenprodukt tritt Natrium-hydroxylamin-disulfonat N(S0 3 Na) 2 0H auf (S. 249), das in der Wärme durch Säuren in H y d r o x y l a m i n und B i s u l f a t gespalten wird. In beiden Fällen erhält man nicht das freie H y d r o x y l a m i n , sondern Salze des Typus NH.2OH • H X (HX = Säure). Die freie Base NH2OH gewinnt man aus diesen Salzen durch Zugabe einer die Säure bindenden s t a r k e n Base. Nach L O B R Y D E B R U Y N (der im Jahre 1 8 9 1 erstmals das freie Hydroxylamin darstellte) verwendet man als Base zweckmäßig N a t r i u m m c t h y l a t NaOR (R = CH3) in methylalkoholischer Lösung: NH?OH • H X + NaOR — NH2OH + NaX + HÖR. Es scheidet sich dann das Natriumsalz der Säure H X aus, welches abfiltriert wird, worauf man den gleichzeitig gebildeten leichtflüchtigen Methylalkohol HÖR unter vermindertem Druck abdestilliert. Das hinterbleibende freie Hydroxylamin kann anschließend durch Vakuumdestillation rein erhalten werden. Da die Gewinnung der freien Base wegen der Explosionsneigung des Hydroxylamins nicht gefahrlos ist, stellt man gewöhnlich aber nur die Salze her.
Eigenschaften. Reines Hydroxylamin kristallisiert in langen, dünnen, geruchlosen, durchsichtigen, farblosen Kristallen, die bei 33.1° schmelzen. Der Siedepunkt des flüssigen Hydroxylamins beträgt bei 22 mm Quecksilberdruck 56.5°. Hydroxylamin ist nur in vollkommen reinem Zustande einige Zeit haltbar. Unter gewöhnlichen Bedingungen zersetzt es sich leicht, namentlich bei geringer E r w ä r mung. Gleiches gilt für die wässerige Lösung. Und zwar geht Hydroxylamin in a l k a lischer Lösung vorwiegend in Ammoniak und S t i c k s t o f f (8), in saurer Lösung hauptsächlich in Ammoniak und S t i c k o x y d u l über (9): -1
3NH 2 OH
-3
±0
> NH 3 + N 2 + 3 H 2 0 (alkalisch)
(8)
4 N H 2 O H — > - 2NH 3 + N 2 0 + 3 H 2 0 (sauer).
(9)
-1
-3
+1
Der Zerfall wird in beiden Fällen durch eine Disproportionierung des Hydroxylamins in Ammoniak NH 3 und Dihydroxylamin 1 NH(OH) 2 („untersalpetrige Säure"; Metaform: HNO) bedingt:
-1
-8
+1
2NH2OH — V NH3 + NH(OH)2,
(10)
welch letzteres in alkalischer Lösung mit überschüssigem H y d r o x y l a m i n unter Bildung von S t i c k s t o f f (11), in saurer Lösung (in welcher das Hydroxylamin als Hydroxylammonium-ion 1 In geringem Maße vermag sich das Dihydroxylamin weiter in Hydroxylamin und salpetrige Säure zu disproportionieren: 2NH(OH)a >- NHaOH + N(OH)s.
245
Der Stickstoff
NHjOH" vorliegt und daher dem Angriff des Dihydroxylamins entzogen ist) mit sich selbst unter Bildung von S t i c k o x y d u l reagiert1 (12): NH(OH)2 + NH2OH >- N 2 + 3 H 2 0 (11) NH(OH)2 + NH(OH)2 N 2 0 + 3H 2 0. (12) Die Disproportionierungsgleichung (10) folgt aus der Reaktion alkalischer Hydroxylaminlösungen mit komplexen Metallcyaniden, bei welcher unter Entbindung einer äquivalenten Menge NH 3 das NH(OH)2 als NO' (HN(OH)2 r l i 2 > . HNO NO') in die Komplexe eingebaut wird (vgl. S. 548).
Oberhalb von 100° erfolgt die Zersetzung des reinen Hydroxylamins explosionsartig. Dagegen sind die Salze des Hydroxylamins ziemlich beständig. Beim trockenen Erhitzen zersetzen sich allerdings auch sie unter Disproportionierung in Ammoniak (als Ammoniumsalz) und Stickstoff.
Nach der Elektronentheorie der Valenz kann man dem Hydroxylamin keine eindeutige K o n s t i t u t i o n s f o r m e l zuweisen. Wahrscheinlich liegt eine T a u t o m e r i e der beiden Formeln H H H:N:
v
:O:
H:N:H :0 :
H
(I)
(II)
vor, wonach das Hydroxylamin sowohl als Hydroxylderivat des Ammoniaks (NH 2 OII) wie als Oxyd des Ammoniaks (NH a O) aufzufassen ist.
Als Hydroxylderivat des Ammoniaks bildet Hydroxylamin mit Säuren Salze, die man in Analogie zu den Ammoniumsalzen „Hydroxyl-ammoniumsalze" nennt: NH 2 OH + HCl NH S + HCl
vgl.
>- [NH3OH]Cl >- [NH4]C1
[NH 3 0H] 2 S0 4 2NH 2 OH + H 2 S 0 4 2NH 3 + H 2 S 0 4 — [ N H 4 ] 2 S 0 4 .
Da Hydroxylamin weniger basisch als Ammoniak ist, reagieren die Hydroxylammoniumsalze in wässeriger Lösung s t ä r k e r sauer als die Ammoniumsalze. Der saure Charakter des Hydroxylamins ist nur sehr schwach ausgeprägt. Immerhin gelingt es, durch Einwirkung von Natriummetall ein Salz NaNH 2 0 darzustellen, das dem Natriumnitrit NaN0 2 entspricht, von dem es sich durch Ersatz eines Sauerstoffatoms durch zwei Wasserstoffatome ableitet. Hydroxylamin zeigt große Neigung, in eine höhere Oxydationsstufe überzugehen, und wirkt daher als starkes R e d u k t i o n s m i t t e l . So werden z. B. Kupfer (II)-salze zu Kupfer(I)-salzen, Quecksilber(I)- und Silber(I)-salze zu Metall reduziert. Als Oxydationsprodukt des Hydroxylamins entsteht dabei in der Hauptsache S t i c k s t o f f . Andere Oxydationsmittel (H 2 0 2 , KMn0 4 , NaOCl, J 2 ) oxydieren je nach den Bedin+ 1
+2
+3
+5
gungen zu N 2 0, NO, HN0 2 oder HNOa. Erwähnt sei die Oxydation durch s a l p e t r i g e Säure. Sie führt beim Ammoniak (a), wie auf S. 61 erwähnt, zu Stickstoff, beim H y d r o x y l a m i n (b) — das gegenüber dem Ammoniak noch ein Sauerstoffatom je Molekül enthält — zu D i s t i c k s t o f f o x y d ; die Reaktion ist der Distickstoffoxydbildung aus Ammoniak und S a l p e t e r s ä u r e (S. 234) analog (c): .0 Nr X
Hk H;-^N —>- N = N ÖH H K (a)
Hk Nf j Hi-^NO - v jÖHH; (b)
feNO
.jO Hk ONf | Hi-^I NÖH'HK (c)
Gegenüber starken Reduktionsmitteln wirkt Hydroxylamin als O x y d a t i o n s m i t t e l . So reduzieren z. B. Zinn(II)-, Vanadin(II)- und Chrom(II)-salze das Hydroxylamin zu Ammoniak. 1 Auch in alkalischer Lösung reagiert ein Teil des Dihydroxylamins 10%) gemäß (12) unter Bildung der Oxydationsstufe des Stickoxyduls, hier in Form von H y p o n i t r i t : 2NH(OH) 2 H2Na02 + 2 H 2 0 .
Die Stickstoffgruppe
246
8) Untersalpetrige Säure Die untersalpetrige Säure kommt in zwei verschiedenen Formen, nämlich als monomere Verbindung HNO („Nitroxylwasserstoff"; „Nitroxylsäure") und als dimere Verbindung (HNO), („untersalpetrige Säure" im engeren Sinne) vor 1 . Beide werden durch R e d u k t i o n h ö h e r e r O x y d a t i o n s s t u f e n des Stickstoffs gewonnen. Nitroxylsäure HNO. Läßt man a t o m a r e n W a s s e r s t o f f bei der Temperatur der flüssigen Luft auf S t i c k o x y d einwirken, so scheidet sich an den Wänden des Reaktionsgefäßes die Verbindung HNO als hellgelber, durchscheinender Überzug ab: H + NO
>- HNO.
Bei Entfernung der Kühlung beginnt sich die Substanz bereits bei —95° zu zersetzen, wobei in der Hauptsache u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e (HNO) 2 (80%), daneben D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 (20%) gebildet wird: 2HNO —>• (HNO)ü 2HNO — > - H 2 0 + N 2 0 . Die S a l z e der Nitroxylsäure HNO („Nitroxylate") lassen sich in analoger Weise durch Einwirkung von N a t r i u m auf S t i c k o x y d (Einleiten von Stickoxyd in eine Lösung von Natrium in flüssigem Ammoniak) gewinnen: 6 Na + NO NaNO. Sie sind recht unbeständig und entwickeln beim Lösen in Wasser lebhaft N 2 0 : NaNO + HÖH——>NaOH + HNO ( >• N 2 0 + HjO). Das von der Nitroxylsäure HNO in alkalischer Lösung gebildete, 0 2 -isostere N i t r o x y l a t i o n N O ' ( N : : 0 ) spielt bei der Darstellung von NO-Komplexen mittels Hydroxylamin (vgl. S. 244f.) eine Rolle (S. 548). Untersalpetrige Sälire (HNO)?. Die u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e besitzt die Struktur HON=NOH. Entsprechend dieser Formel erhält man sie ganz allgemein bei solchen Reaktioner, bei denen das Radikal > N O H auftritt. So entsteht sie z. B. bei der O x y d a t i o n von Hyd r o x y l a m i n H 2 NOH mit Kupfer-, Silber- oder Quecksilberoxyd (a), bei der R e d u k t i o n von s a l p e t r i g e r S ä u r e ONOH mit Natriumamalgam (b) und bei der Umsetzung von H y d r o x y l amin mit s a l p e t r i g e r S ä u r e (c): |ö + h 2 | n o h jÖ"+"hJnOH (a)
noh NOH
|2H + ö | n o h |2H + OiNOH (b)
V
NOH NOH
H 2 iNOH
NOH
OjNOH
NOH '
(c)
Am bequemsten ist die Reduktion von salpetriger Säure. Zu diesem Zweck schüttelt man eine Nitritlösung unter Kühlung mit flüssigem Natriumamalgam (Na + HÖH >- NaOH -f H), neutralisiert die Lösung nach Beendigung der Reaktion und fällt die gebildete untersalpetrige Säure mit Silbernitrat als unlösliches, gelbes Silberhyponitrit Ag 2 N 2 0 2 . Die r e i n e u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e bildet weiße, in trockenem Zustande äußerst explosive Kristallblättchen, die sich in Wasser sehr leicht lösen. Die wässerige Lösung reagiert s c h w a c h s a u e r und z e r f ä l l t langsam schon in der Kälte, schneller beim Erwärmen unter Bildung von Distickstoffoxyd N20: 2 ' H2N2O2 ^ H 2 0 + N20. Die Reaktion ist nicht umkehrbar, so daß N 2 0 nicht als Anhydrid der untersalpetrigen Säure angesprochen werden kann. Als z w e i b a s i g e S ä u r e bildet untersalpetrige Säure zwei Reihen von Salzen: sehr zersetzliche „saure Hyponitrite" Me T HN 2 0 2 und beständigere „neutrale Hyponitrite" Me 2 N 2 0 2 . Beide reagieren in wässeriger Lösung infolge weitgehender Hydrolyse a l k a l i s c h . Isomer(S.514) mit der u n t e r s a l p e t r i g e n S ä u r e HON=NOH ist das N i t r a m i d H 2 N — N 0 2 , das sich von der Salpetersäure HO—N0 2 durch Ersatz der Hydroxylgruppe durch eine Amidgruppe ableitet. Es kristallisiert wie die untersalpetrige Säure in weißen Kristallen, die aber viel beständiger als die der untersalpetrigen Säure sind und bei 72—75° unter teilweiser Zersetzung schmelzen. Die w ä s s e r i g e L ö s u n g reagiert s c h w a c h s a u e r und z e r f ä l l t wie die der untersalpetrigen Säure langsam — unter der katalytischen Wirkung von Alkalien momentan — unter D i s t i c k s t o f f oxyd-entwicklung: H2N202 >- N 2 0 + H 2 0 . 1 Obwohl der rationelle Name für die Säure HNO gemäß den allgemeinen Richtlinien (S. 121) unter salpetrige Säure lauten müßte, bezeichnet man gewöhnlich nur die d i m e r e Verbindung (HNO) 2 als solche. Der in Analogie zur Sulfoxylsäure H a SO a (vgl. Anmerkung 1, S. 213) ebenfalls zu rechtfertigende Name Nitroxylsäure für die Verbindung HNO (NO' = Nitroxyl-ion) wird auch für die hydrosalpetrige Säure H a N 0 2 (S. 239) verwendet.
Der Stickstoff
247
e) Schwefelverbindungen des Stickstoffs Unter den Verbindungen des Stickstoffs mit Schwefel seien die den Oxyden NO und N 0 2 formal entsprechenden Verbindungen (NS) 4 (goldgelbe Kristalle, Smp. 178°) und (NS 2 ) 2 (dunkelrote, in stärkeren Schichten schwarz erscheinende, sich schon bei 40° unter Schwefelabscheidung zersetzende Flüssigkeit) erwähnt. Weitere interessante Verbindungen mit Schwefel-Stickstoff-Bindung leiten sich vom Ammoniak NH 3 , Hydroxylamin NH 2 OH, HydrazinN 2 H 4 , DiimidN 2 H 2 und von der Stickstoffwasserstoffsäure N 3 H durch Ersatz eines oder mehrerer Wasserstoffatome durch den einwertigen R e s t — S 0 3 H bzw. den zweiwertigen Rest > S 0 2 der Schwefelsäure (vgl. S. 211) ab. Schwefelstickstoff (NS) 4 . I n analoger Weise, wie durch Verbrennung von Ammoniak Stickoxyd NO gebildet wird (S. 235, 239): 4NH S + 1 0 0
4NO + 6H a O,
entsteht bei der Umsetzung von S c h w e f e l mit A m m o n i a k (Auflösen von Schwefel in flüssigem Ammoniak) Schwefelstickstoff N S : 4NH S + 10S
4NS + 6H 2 S.
Der dabei gleichzeitig auftretende Schwefelwasserstoff wird von überschüssigem Ammoniak als Ammoniumsulfid (NH 4 ) 2 S gebunden und zweckmäßig als Metallsulfid aus dem Gleichgewicht entfernt: (NH 4 ) 2 S + 2 A g J — v Ag 2 S + 2 N H 4 J . Zum Unterschied vom monomeren Stickstoffoxyd ist das Stickstoffsulfid t e t r a m o l e k u l a r : (NS) 4 . Seine M o l e k u l a r s t r u k t u r wird durch die Formel
:N:i:Sf: sSs :S: -
+
N= S = N S k
••
I
:N: S : : N :
I
N = S = N
Elektronenformel1
Valenzstrichformel2
wiedergegeben, die an die Struktur der S 8 -Moleküle des Schwefels (S. 187) anklingt und in welcher der S t i c k s t o f f den e l e k t r o n e g a t i v e n , der S c h w e f e l den e l e k t r o p o s i t i v e n Bestandteil darstellt 3 . Entsprechend dieser Polarität wird der Schwefelstickstoff bei der Hydrolyse primär unter Bildung von 4 Mol A m m o n i a k NH 3 , 2 Mol S u l f o x y l s ä u r e S(OH) 2 und 2 Mol s c h w e f l i g e r S ä u r e S(OH) 4 ( — ^ H 2 S 0 3 + H 2 0 ) zersetzt. Sulfoxylsäure und schweflige Säure reagieren dann j e nach dem p H -Wert der Lösung mehr oder minder vollständig gemäß (14) bzw. (16) (17) — S. 213 f. — unter Bildung von Trithionat, Sulfit und Thiosulfat weiter. Die Bildungswärme des Schwefelstickstoffs ist noch s t ä r k e r n e g a t i v als die des Stickoxyds: (NS)4 — 2 N vgl.
2
+
4S + 128 kcal,
4NO — > - 2N 2 + 2 0 2 + 86 kcal.
Daher z e r f ä l l t d e r Schwefelstickstoff beim E r h i t z e n auf 130° oder durch S t o ß e x p l o s i o n s a r t i g in seine Elemente. 1 Die beiden kovalenten Doppelbindungen des Ringmolekttls sind nicht fixiert. Vielmehr bilden die über die einfache Kovalenz hinaus vorhandenen Doppelbindungselektronen (,,n-Elektronen") eine Art von elektrischem „Ringstrom" um das Molekül, so daß alle Atome an den Doppelbindungen teilhaben. Der Ringstrom macht sich — analoges gilt für die Doppelbindungen des Benzols (S. 302) und seine Derivate — durch einen gegenüber dem berechneten Diamagnetismus wesentlich erhöhten Diamagnetismus (vgl. S. 494) bemerkbar. 2 Gemäß der Elektronenformel sind zwei der vier Doppelbindungen des Moleküls semipolar. 8 Der Schwefelstickstoff ist also als Schwefelnitrid und nicht als S t i c k s t o f f s u l f i d aufzufassen.
Die Stickstoffgruppe
248
Bei der R e d u k t i o n m i t n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f geht der Schwefelstickstoff in eine W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g über, welche zum Unterschied von dem entsprechenden Stickoxyd-Derivat — H N O bzw. (HNO) 2 — t e t r a m o l e k u l a r ist — (HNS) 4 — und die Formel H:N:S:N.H HN-S-NH :S:":S: S S H:N:S:N:H HIST — S — NH Elektronenformel Valenzstrichformel besitzt, wonach sie sich vom S 8 -Molekül des Schwefels (S. 187) durch Ersatz jedes zweiten Schwefelatoms (—S—) durch eine Iminogruppe (—NH—) ableitet 1 . Bei der Hydrolyse geht dieser Tetrahydro-schwefelstickstoff (Thiazylwasserstoff) primär in 4 Mol NH 3 und 4 Mol Sulfoxylsäure S(OH) 2 über, wie durch Hydrolyse in Gegenwart von schwefliger Säure gezeigt werden kann, bei welcher gemäß (14) — S. 213 — als Hauptprodukt Trithionat entsteht. Mit H a l o g e n e n vereinigt sich der Schwefelstickstoff zu „Thiazylhalogeniden", welche zum Unterschied von den monomolekularen Nitrosylhalogeniden das der Formel (NSX) 3 entsprechende Molekulargewicht besitzen und in ihrer Struktur den trimeren Phosphornitrilhalogeriiden (PNX 2 ) 3 (S. 273f.) entsprechen: C1 Cl2 N N N N 11 1 » 1 eis SCI C12P PCl a \ N / \ N / trimeres Thiazylchlorida trimeres Phosphornitrilchlorid2. Die zweite Schwefel-Stickstoff-Verbindung, N 2 S 4 , besitzt die Konstitution 3 y \ N N
I 1 \s/
Sie stellt also kein Analogon zur Sauerstoffverbindung N 2 0 4 dar und besitzt auch nicht wie diese die Neigung, in Radikale NS ä zu dissoziieren. Sulfonsäuren des Ammoniaks. L ä ß t man eine konzentrierte N a t r i u m b i s u l f i t lösung unter Eiskühlung auf N a t r i u m n i t r i t einwirken, so erfolgt nach dem Schema /jÖH + H|S0,H N(^-|0H+"H!S0 3 H \ j o H + HiS03H salpetrige Säure
schweflige Säure
•—v
/SO s H + HÖH S0 3 H + HÖH \ S 0 3 H + HÖH
(1)
Nitridosnlfonsäure
die Bildung des in Wasser leicht löslichen Natriumsalzes der „Nitrido-sulfonsäure" N(S0 3 H) 3 . Durch Zusatz einer kalt gesättigten K a l i u m c h l o r i d - l ö s u n g kann diese Verbindung als schwerlösliches K a l i u m s a l z N(SOK) 3 auskristallisiert werden. I n s a u r e r L ö s u n g unterliegt die Sulfonsäure der H y d r o l y s e . Diese f ü h r t aber nicht in Umkehrung der Bildungsreaktion (1) zur Stufe der s a l p e t r i g e n und 1 Auch ein Derivat S7(NH) des S8-Moleküls ist bekannt („Heptaschwefelimid,"; Smp. 113°). Der Wasserstoff dieser Verbindung ist durch viele einwertige organische und anorganische Reste R (z.B.1 die Acetylgruppe CH3CO oder die Sulfonsäuregruppe S03H) ersetzbar. Die drei Doppelbindungen des Moleküls sind semipolar. 3 Eine der beiden Doppelbindungen des Moleküls ist semipolar.
Der Stickstoff
249
s c h w e f l i g e n S ä u r e zurück, sondern ergibt als Endprodukte A m m o n i a k Ammoniumsalz) und S c h w e f e l s ä u r e (als Bisulfat): /jsÖgH + HOiH N ^ j s Ö ^ H + HÖ|H
/ H + H 2 S0 4 H + H 2 S0 4 .
—>"
N S O ^ H + HO|H
X
Als Zwischenprodukte treten dabei „Imido-sulfonsäure"
(als
(2)
H + H 2 S0 4 imd „Amido-sulfonsäure"
auf:
N(S0 3 H) 3 NH(S0 3 H) 2 NH 2 (S0 3 H) _ + h °so, NHS. (3) NitridoImldoAmidoAmmoniak BulloDsäure eulionaäuxe Bulionsäure Die hydrolytische Abspaltung der e r s t e n Sulfogruppe erfolgt schon beim S t e h e n l a s s e n der sauren Lösung; die w e i t e r e H y d r o l y s e schreitet erst beim K o c h e n mit genügender Geschwindigkeit fort. In Umkehrung der Hydrolysereaktion (3) können die Sulfonsäuren des Ammoniaks auch rückwärts aus Ammoniak und Schwefelsäure gewonnen werden. Allerdings muß man dann unter weitgehendem A u s s c h l u ß v o n W a s s e r arbeiten. Leitet man z. B . S c h w e f e l t r i o x y d in k o n z e n t r i e r t e w ä s s e r i g e A m m o n i a k l ö s u n g e n ein, so entsteht über die Stufe der Amido-sulfonsäure hinweg in sehr guter Ausbeute das Triammonium-salz (s. unten) der I m i d o - s u l f o n s ä u r e : NHS
NH 2 (S0 3 H)
' »- NH(S0 3 H) 2 .
(4)
Die Imido-sulfonsäure NH(S0 3 H) 2 ist nur in Lösung, nicht aber in freiem Zustand bekannt. Sie ist dadurch ausgezeichnet, daß sich nicht nur die Wasserstoffatome der Sulfogruppen —S0 3 H durch Metalle ersetzen lassen, sondern daß auch das am Stickstoff sitzende Wasserstoffatom sauren Charakter besitzt. So entsteht beispielsweise bei Zugabe von gelbem Quecksilberoxyd zum gelben Kaliumsalz NH(S0 3 K) 2 das sehr schwer lösliche, weiße Quecksilbersalz Hg[N(S0 3 K) 2 ] 2 . Auch ein Kaliumsalz K[N(S0 3 K) 2 ] und ein Ammoniumsalz NH 4 [N(S0 3 NH 4 ) 2 ] sind bekannt. Gleiches gilt von der — sehr beständigen und vorzüglich kristallisierenden — Amido-sulfonsäure NH 2 (S0 3 H). Auch ihre Salze reagieren mit einer Reihe von Metalloxyden unter Bildung gut kristallisierter Verbindungen mit Metall-Stickstoff-Bindung: HgN(SOsNa), AgNH(S0 3 K), Au 2 (NS0 3 K) 3 . In besonders bequemer Weise kann die Amido-sulfonsäure gewonnen werden, wenn man statt von salpetriger Säure — vgl. Reaktionen (1) und (3) — von Hydroxylamin ausgeht, welches bereits die beiden Wasserstoffatome am Stickstoff trägt und bei der Umsetzung mit schwefliger Säure (Sättigen einer konzentrierten Lösung von salzsaurem Hydroxylamin mit Schwefeldioxyd) in einer der Reaktion (1) analogen Reaktion in Amido-sulfonsäure übergeht: / H N^H N|OH + HjS0 3 H
/ x
H (5)
S 0 3 H + HÖH .
Sulfonsäuren des Hydroxylamins. Wendet man bei der Einwirkung von Natriumbisulfit auf Natriumnitrit (1) nicht 3 Mol, sondern nur 2 Mol Sulfit je Mol Nitrit an, so entsteht — in analoger Weise wie dort — das Natriumsalz der ,,Hydroxylamindisulfonsäure": yjÖH + HjSOsH N ^ j O H + HiS0 3 H \OH
—>-
/ S 0 3 H + HÖH N^-SO„H+HOH, xOH
(6)
das durch Umsetzung mit K a l i u m c h l o r i d als schwerlösliches K a l i u m s a l z ausgefällt werden kann. Auch hier — vgl. (2) — führt die Hydrolyse in saurer Lösung nicht zur Stufe der s a l p e t r i g e n und s c h w e f l i g e n S ä u r e zurück, sondern ergibt letztlich H y d r o x y l a m i n (als Sulfat) und S c h w e f e l s ä u r e ; als Zwischenstufe tritt dabei — vgl. (3) — „Hydroxylamin-monosulfonsäure" auf:
250
Die Stickstoffgruppe N(S03H)20H
NH(S03H)0H
NH 2 OH.
Die Reaktion dient zur Darstellung von H y d r o x y l a m i n (S. 244). Die Hydroxylamin-monosulfonsäure und die Hydroxylamin-disulfonsäure kommen in je zwei i s o m e r e n Formen vor, da im Hydroxylamin-Molekül einmal der an S t i c k s t o f f gebundene Wasserstoff und einmal der an S a u e r s t o f f gebundene Wasserstoff durch die Sulfogruppe — SO s H ersetzt sein kann: /S03H N^-H
/H Nf-H
\OH
\ 0 SO3H
Hydroxylamln-monosulfons&uxe
Hydroxylamln-iso-monosulfonsfture
/S03H
/SO3H
Nf-S03H
N~H
\OH
NO • SO3H
Hydroxylamin-disulfonsäure
Hydioxylamin-lso-disulfons&ure
Von beiden Formen sind Salze bekannt.
Die Einführung einer Sulfogruppe am Sauerstoff
gelingt z. B. mit C h l o r s u l f o n s ä u r e : H2NO; H + C1;S0 3 H H 2 NO • S 0 3 H . Oxydiert man das Kaliumsalz der Hydroxylamin-disulfonsäure mit Kaliumpermanganat, so erhält man eine schön violette Lösung; sie enthält daa Kaliumsalz der „Nitroso-disulfonsäure" •. 2HO—N(S0 3 K) 2
_+°q>
20=N(S03K)2,
einer Verbindung mit v i e r w e r t i g e m Stickstoff. Im festen Zustande sind die Salze orangegelb und haben die doppelte Molekulargröße. Die Nitroso-disulfonsäure zeigt also die gleiche Neigung zur Dimerisation wie das Stickstoffdioxyd, das sich ja ebenfalls vom vierwertigen Stickstoff ableitet: 2 N 0 2 ^ r i : [N0 2 ] 2 braun
farblos
2 N 0 ( S 0 3 K ) 2 ^ = ± [N0(S03K)2]2. violett gelb Hier wie dort hellt sich die Farbe bei der Dimerisierung auf. Verdünnung (Expandieren des N 2 0 4 -Dampfes, Auflösen des [ N 0 ( S 0 3 K ) 2 ] 2 in Wasser) verschiebt in beiden Fällen entsprechend dem Massen Wirkungsgesetz das Gleichgewicht nach links. Sulfonsäuren des Hydrazins, des Dimids und der Stickstofiwasserstoffsäure. In analoger Weise wie beim A m m o n i a k (4) kann auch beim Hydrazin durch Einwirkung von S c h w e f e l s ä u r e ( S c h w e f e l t r i o x y d ) ein Wasserstoffatom durch den — S0 3 H-Rest ersetzt werden: H 2 N—NH,
+
_ h , O ° V H2N-NH(SO„H).
Es entsteht so ein Salz der „Hydrazin-monosulfonsäure". Die Einführung z w e i e r — SO s H-Reste in das Hydrazin-molekül gelingt mit Hilfe von C h l o r s u l f o n s ä u r e : HN;H + CljSOjH
HN • S 0 3 H + HCl
hA' H -l- C1 S() 3 H
HN • S 0 3 H + H C l '
Während es nicht gelingt, das Hydrazin NH 2 —NH 2 in ein ,,Diimid" N H = N H überzuführen, kann man die obige ,,Hydrazin-disulfonsäure" N 2 H 2 (S0 3 H) 2 zur D i s u l f o n s ä u r e des D i i m i d s („Azo-disulfonsäure") N 2 (S0 3 H) 2 oxydieren. So liefert das Pyridinsalz der Hydrazin-disulfonsäure bei der Behandlung mit verdünnter, stark alkalischer Natriumhypochloritlösung und Zugabe von Kaliumchlorid das gelbe K a l i u m - a z o - d i s u l f o n a t : HN-SOsH
HN • S0 3 H
+ 0
-H.O
N-SO3H
N • SO3H '
welches beim E r w ä r m e n auf 80° sowie beim V e r r e i b e n heftig e x p l o d i e r t . Ebenso wie man das Hydrazin durch Oxydation mit salpetriger Säure in Stickstoffwasserstoffsäure umwandeln kann (S. 231), kann man auch die Hydrazin-sulfonate in die — explosiven — Sulfonate der Stickstoffwasserstoffsäure (,,Azido-sulfonate") überführen: N 2 H s (S0 8 H) + H N 0 2 — > - N 8 (S0 8 H) +
2H20.
Der Phosphor
251
Sulfurylverbindungen des Ammoniaks. Je nachdem man im Ammoniak zwei Wasserstoffatome zweier v e r s c h i e d e n e r Moleküle oder zwei Wasserstoffatome des g l e i c h e n Moleküls durch den zweiwertigen >S0 2 -Rest ersetzt, kommt man zum „Suljamid" (Smp. 92°) oder zum „Sulfimid." (Smp. 165°): Jg>S0
HN=S02.
2
Beide Verbindungen entstehen nebeneinander bei der Einwirkung von trockenem A m m o n i a k auf S u l f u r y l c h l o r i d (2NH 3 + C1 2 S0 2 —>(NH 2 ) 2 S0 2 + 2HC1; N H 3 + C1 2 S0 2 —• N H S 0 2 + 2HCl) oder von A m m o n i a k auf S c h w e f e l t r i o x y d (2NH 3 + S 0 3 — ^ ( N H 2 ) 2 S 0 2 + H 2 0 ; N H 3 + S 0 3 — ^ N H S 0 2 + H 2 0 ; vgl. S. 200f.). Auch hier (vgl. S. 249) zeigen die am Stickstoff gebundenen Wasserstoffatome sauren Charakter. So bildet das Sulfamid in ammoniakalischer Lösung mit Silbernitrat ein Silbersalz S0 2 (NHAg) 2 , und in gleicher Weise liefert das Sulfimid gut ausgebildete Salze wie SOjNNa und S0 2 NAg. Das Sulfimid und seine Salze sind p o l y m e r (trimer oder tetramer) und besitzen im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187) eine der Formel des polymeren Schwefeltrioxyds (vgl. S. 269) entsprechende r i n g f ö r m i g e Struktur ohne Doppelbindungen1: H Jfv
0 2 S/
\S0j
I
|
HN. /NH \S/
02
Oa HN-S-NH
I
I
o2S
so a .
| | HN-S-NH
02
Bei Gegenwart von Schwefelsäure polymerisiert sich Sulfimid zu kettenförmigen Sulfimidsulfonsäuren HO s S — (HNS0 2 ) n — OH. Erhitzt man Sulfamid vorsichtig auf 180—200°, so lagert es sich unter Ringschluß in das Ammoniumsalz des trimeren Sulfimids um: 3S0 2 (NH 2 ) 2 —-»• (S0 2 NH) 3 + 3NH 3 ( S 0 2 N H • NH 3 ) 3 .
2. D e r Phosphor a) Elementarer Phosphor a ) Vorkommen Phosphor kommt in der Natur wegen seiner großen Affinität zum Sauerstoff nicht in f r e i e m Z u s t a n d e , sondern nur in Form von D e r i v a t e n der P h o s p h o r s ä u r e H 3 P 0 4 vor. Die wichtigsten natürlichen Mineralphosphate sind Phosphorit Ca 3 (P0 4 ) 2 und Apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • Ca(Cl,F) 2 , also Calcium-phosphate. Nur vereinzelt finden sich E i s e n - und A l u m i n i um-phosphate: Vivianit (Blaueisenerz) Fe 3 (P0 4 ) 2 • 8 H 2 0 und Wavellit 4A1P0 4 • 2A1(0H) 3 • 9H 2 0, sowie Phosphate der s e l t e n e n E r d e n : z. B. Monazit CeP0 4 . Wichtig ist der Phosphatgehalt mancher E i s e n e r z e , vor allem der lothringischen Eisenerze („Minette") und der nordschwedischen Eisenerze (,,Magneiite"); er fällt bei der Eisenerzeugung als ,,Thomasmehl" (S. 531 f.) an. Weiterhin bilden Verbindungen der Phosphorsäure einen wesentlichen Bestandteil des p f l a n z l i c h e n und t i e r i s c h e n Organismus. So enthält pflanzliches wie tierisches E i w e i ß Phosphor in organischer Bindung. Blut, Eidotter, Milch, Muskelfasern, 1 Analog den ähnlich gebauten Metaphosphimsäuren (S. 274) treten auch die Sulfimide (— N H — S0 2 —)n in tautomeren Formen auf, die hier wie dort dadurch zustande kommen, daß die Wasserstoffatome zwischen Stickstoff und Sauerstoff zu wandern vermögen. Die Hydroxylform des Sulfimids, [— N = SO(OH) — ] n , ist z. B. in Form des Säurechlorids [— N = SOC1 —]n faßbar.
252
Die Stickstoffgruppe
Nerven- und Hirnsubstanz sind besonders phosphorreich. Die Schalen von Krebsen und Muscheln, die Haare, Klauen, Zähne und vor allem die Knochen der Wirbeltiere enthalten Phosphor als Carbonat-apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 Ca(HC0 3 )0H oder Hydroxyl-apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 • Ca(OH) 2 . Reich an Phosphor sind auch die menschlichen und tierischen Exkremente. Ein großer Teil der heutigen P h o s p h a t l a g e r geht auf Ablagerungen von tierischen Ausscheidungen und Anhäufungen von Tierleichen in früheren Zeitepochen zurück. Noch heute beobachtet man auf Inseln des Stillen Ozeans und der Südsee die Entstehung solcher gewaltiger Kotablagerungen in Form der „Guano"bildung, indem dort die Seevögel ein Gemisch von Calciumphosphat und harnsauren Salzen als „Guano" abscheiden, welcher schon lange als S t i c k s t o f f - und P h o s p h a t d ü n g e r bekannt ist und bei der Verwitterung und Verwesung (Zersetzung der organischen Stoffe zu Kohlensäure und Ammoniak) in P h o s p h o r i t übergeht. Besonders wichtige Phosphoritlager finden sich in Nordafrika und in Florida. ß) Darstellung Weißer Phosphor. Der weiße Phosphor (S. 253 f., 255f.) läßt sich aus dem Anhydrid der Phosphorsäure, P 2 0 6 , durch Reduktion mit K o h l e n s t o f f bei hoher Temperatur darstellen: P 2 0 B + 6 C — > • 2 P + SCO.
(1)
Das dazu erforderliche P h o s p h o r p e n t o x y d P 2 0 5 gewinnt man bei der t e c h n i s c h e n Phosphordarstellung in einem Arbeitsgang mit dieser Reduktion, indem man ein Gemisch von C a l c i u m p h o s p h a t (Phosphorit), Q u a r z s a n d und K o k s im e l e k t r i s c h e n Ofen auf 1300—1450° erhitzt. Dabei setzt die Kieselsäure als weniger flüchtige Säure die Phosphorsäure in Freiheit: Ca 3 (P0 4 ) 2 + 3 S i 0 2
>- 3CaSiO a + P 2 0 6 ,
(2)
welche dann durch den Koks gemäß (1) reduziert wird. Als Summe von (1) und (2) ergibt sich damit die Gesamtgleichung: Ca 3 (P0 4 ) 2 + 3 S i 0 2 + SC
>- 3 C a S i 0 3 + 2 P + 5CO.
Elektrischer Ofen
Fig. 85. Darstellung von gelbem Phosphor im elektrischen Ofen
Als elektrischen Ofen benutzt man (Fig. 85) einen mit feuerfesten Steinen ausgemauerten, 20 m hohen Schachtofen aus Eisen, dessen Boden und untere Seitenpartien mit einer Elektrodenmasse aus Koks und Pech ausgefüttert sind. Durch den mit einer gasdicht verschließbaren Einfüllöffnung für das Beschickungsgemisch versehenen, isoliert aufgeschraubten Eisendeckel führt die auf und ab bewegbare Kohlenelektrode. Oben seitlich befindet sich die Austrittsöffnung für die abziehenden Gase, Phosphor und Kohlenoxyd, unten die Abstichöffnung für die Calciumsilicatschlacke. Zwischen den Elektroden des Ofens geht ein Lichtbogen über ;die Phosphat—Koks—QuarzBeschickung wird etwa jede halbe Stunde nachgesetzt, die Calciumsilicat-schlacke etwa alle Stunden abgestochen. Die aus dem Ofen entweichenden, hauptsächlich aus
Der Phosphor
253
Phosphordampf und Kohlenoxyd bestehenden Gase gehen durch eine Staubkammer und treten dann in mehrere hintereinander geschaltete, mit Wasser gefüllte Kondensationsgefäße, in denen sich der Phosphor unten als geschmolzener ,,gelber Phosphor" (00%) und darüber als „Phosphorschlamm" (10%) — d. h. als durch Staubteilchen verunreinigter Phosphor — abscheidet. Der durch Destillation gereinigte Phosphor kommt in Stangenform gegossen als „weißer Phosphor" in den Handel.
Roter Phosphor. Der r o t e P h o s p h o r (S. 254, 256) entsteht aus dem w e i ß e n durch E r h i t z e n auf 250°. Da bei dieser Umwandlung eine erhebliche Wärmemenge frei wird (4.22 kcal/Grammatom = 136 kcal/kg), erhitzt man bei der t e c h n i s c h e n Darstellung, die in geschlossenen eisernen Kesseln erfolgt, ganz l a n g s a m (im Laufe von 20—30 Stunden) auf die Umwandlungstemperatur. Erst nach dem Nachlassen der Wärmeentwicklung wird die Temperatur auf 300—350° gesteigert. Geringe Mengen J o d beschleunigen den Vorgang außerordentlich (vgl. S. 255). Der entstehende violettrote, spröde Phosphorkuchen wird nach dem Erkalten in einer Naßmühle gemahlen, durch mehrstündiges Kochen mit Natronlauge von weißem Phosphor befreit (S. 256), getrocknet und in Blechdosen verpackt. y) Modifikationen Der Phosphor kommt in drei definierten kristallinen Modifikationen als w e i ß e r , v i o l e t t e r („roter") und s c h w a r z e r Phosphor vor. Ihre t h e r m o d y n a m i s c h e S t a b i l i t ä t nimmt in der genannten Reihenfolge zu. Doch ist die U m w a n d l u n g s g e s c h w i n d i g k e i t unter normalen Bedingungen so klein, daß der weiße und violette Phosphor bei Zimmertemperatur und Atmosphärendruck neben dem hier thermodynamisch allein stabilen schwarzen Phosphor als m e t a s t a b i l e Modifikationen existenzfähig sind. Der weiße P h o s p h o r Ausgangsmaterial für die Darstellung aller Phosphormodifikationen ist der weiße Phosphor. Er bildet eine in der Kälte spröde, bei Zimmertemperatur wachsweiche, farblose, durchscheinende Masse, welche bei 44.1° zu einer farblosen, stark lichtbrechenden Flüssigkeit schmilzt und beim schnellen Erhitzen bei 280° unter Bildung eines farblosen Dampfes siedet. In Wasser ist er nur spurenweise, in Schwefelkohlenstoff leicht löslich. Lösung und Dampf enthalten P4-Moleküle, die oberhalb von 800° C in P 2 -Moleküle zerfallen. Bei 1200° und Atmosphärendruck beträgt der Dissoziationsgrad etwa 50%. Oberhalb von 2000° zerfallen auch die P2-Moleküle in P-Atome. Die vier Phosphoratome des P 4 -Moleküls sind t e t r a e d r i s c h in der Weise angeordnet, daß jedes Phosphoratom durch drei e i n f a c h e Bindungen mit drei anderen Phosphoratomen verknüpft ist (Fig. 86). Auf diese Weise weicht der Phosphor im Einklang mit der D o p p e l b i n d u n g s r e g e l Fig. 86. Tetraedrische (S. 187, 268) einer M e h r f a c h b i n d u n g aus 2 , wie sie beim Molekularformel des weißen leichteren Homologen der ersten Achterperiode, dem zweiPhosphors P 4 l . atomigen S t i c k s t o f f N = N auftritt. 1
folgt:
2
Als V a l e n z s t r i c h f o r m e l in die Ebene projiziert lautet die Raumformel P 4 (Fig. 86) wie p
p — p
Die Molekulargröße P 4 ist der k l e i n s t e Molekularverband, zu welchem sich dreiwertige Phosphoratome ohne Ausbildung von Mehrfachbindungen zusammenschließen können. Über h ö h e r m o l e k u l a r e Phosphorstrukturen vgl. S. 254f.
254
Die Stickstoffgruppe
Da drei Phosphoratome jeweils ein gleichseitiges Dreieck (Tetraederfläche) bilden, beträgt der Valenzwinkel 60°. Dieser Bindungswinkel ist anomal klein. Daher ist der weiße Phosphor instabil. Steigert man die Temperatur genügend hoch, so zerfallen die P 4 -Moleküle, und die Atome ordnen sich neu, derart, daß der Bindungswinkel normal (100—110°) wird (s. unten). Bei 200° beginnt diese Umwandlungsreaktion ganz langsam. Bei 250° wird sie schon so schnell, daß die Hauptmenge im Laufe eines Tages reagiert. D e r v i o l e t t e (rote) P h o s p h o r Bei der Umwandlung des weißen Phosphors entstehen zunächst rote schleimige Produkte, die im Laufe der Reaktion fester und fester werden. Auch in ihnen ist jedes Phosphoratom von drei anderen umgeben, aber derart, daß sich ein u n r e g e l m ä ß i g e s , räumliches Netzwerk bildet. Da nur in einem geordneten Kristallgitter die Bindungswinkel und Bindungslängen die optimalen Werte besitzen, folgt, daß in dem amorphen Netzwerk örtliche Spannungen herrschen müssen. E s gibt viele Atome, deren Valenzen nicht in der „richtigen" Weise durch Nachbaratome abgesättigt sind, da sie von anderen benachbarten Atomen des unregelmäßigen Netzwerkes daran gehindert werden, die optimalen Lagen einzunehmen. So ist frisch gebildeter, noch hellrot gefärbter Phosphor instabil und äußerst reaktionsfähig. Bei längerem Erhitzen auf höhere Temperaturen t r i t t eine gewisse Ordnung ein, wobei sich die rote Farbe vertieft. Aber erst bei etwa 450° C werden die durch drei kovalente Bindungen fest fixierten Atome so weit beweglich, daß sie sich zu einem Kristallgitterverband ordnen können. Dieses Gitter ist zunächst immer noch stark gestört, und man muß 1—2 Wochen auf über 550° C erhitzen, um Kristalle zu erhalten, die mit bloßem Auge erkennbar sind. Die gleichen Kristalle gewann erstmals der deutsche Physiker J O H A N N W I L H E L M H I T T O R F (1824—1914), als er Phosphor aus einer Bleischmelze umkristallisierte. Dieser „HiTTORFSche Phosphor" ist violettstichig rot („violetter Phosphor") und kristallisiert monoklin in einem kompliziert gebauten Schichtengitter. Die Kristalle sind tafelförmig ausgebildet und lassen sich wie Glimmer spalten. Ihr spezifisches Gewicht beträgt 2.36, während das der amorphen Produkte geringer ist. Der Schmelzpunkt des HiTTORFschen Phosphors liegt bei etwa 620° C, der des amorphen roten Phosphors je nach seiner Vorgeschichte bis zu 30° tiefer. Die Störung des geordneten Kristallgitters wirkt sich also in gleicher Weise aus wie die Beimengung einer Fremdsubstanz. Der schwarze Phosphor Der schwarze Phosphor ist spezifisch dichter (2.67) als der weiße (1.82) und der violette (2.36). Hoher Druck begünstigt daher seine Entstehung. So wurde er erstmals dadurch hergestellt, daß weißer Phosphor bei 200° C einem Druck von 12000 Atmosphären ausgesetzt wurde 1 . Erhitzt man weißen Phosphor in Gegenwart von metallischem Q u e c k s i l b e r als Katalysator 5 Tage lang auf 380°C und gibt nach Möglichkeit noch I m p f k r i s t a l l e von schwarzem Phosphor hinzu, so entsteht der schwarze Phosphor auch o h n e Anwendung eines äußeren Druckes. Die s c h w a r z e Modifikation ist die bis 550° C t h e r m o d y n a m i s c h s t a b i l s t e . Darüber hinaus bis zum Schmelzpunkt (620° C) stellt der HiTTORFache P h o s p h o r die beständigste Phase dar. Der schwarze Phosphor bildet ein aus parallel übereinander liegenden Doppelschichten gebildetes Gitter rhombischer Symmetrie (Fig. 87). I n der oberen und unteren Schichthälfte liegen parallel zueinander Zickzackketten aus Phosphoratomen. Die dritte noch freie Valenz eines jeden Atoms dieser K e t t e n verknüpft die Ketten der oberen und unteren Schichthälfte miteinander. So entstehen gemäß Fig. 87 1 Bei Anwendung sehr hoher Drucke (100000 at) genügt zur quantitativen Umwandlung von weißem in schwarzen Phosphor schon ein kurzer Stoßdruok.
Der Phosphor
255
gewellte Sechsringebenen. Der Abstand zwischen direkt miteinander verbundenen Atomen beträgt2.18Ä. Es ist auffallend, daß der Abstand zwischen nächst benachbarten Atomen zweier Ketten der gleichen Schichthälfte mit 3.24 Ä verhältnismäßig gering ist. Dies ist auf Bindungskräfte zurückzuführen, die auch für die schwarze Farbe und das hohe elektrische Leitvermögen des schwarzen Phosphors verantwortlich sind. Die hochmolekularen Formen des roten, violetten und schwarzen Phosphors können als solche weder verdampfen noch schmelzen. Werden sie erhitzt, so müssen Molekeln aus nur wenigen Atomen entstehen. Da sich bei dreiwertigen Elementen unter Innehaltung der normalen Valenzwinkel von 100—110° kein niedermolekulares Gebilde konstruieren läßt, in welchem alle Valenzen einfach abgesättigt sind, entstehen unter dieser Zwangslage beim Übergang zur Schmelze und zum Dampf die tetraederförmig gebauten P4-Moleküle des weißen Phosphors (Fig. 86.). M i s c h p o l y m e r i s a t e des P h o s p h o r s Die Umwandlung des weißen in roten I I I ! Phosphor wird durch H a l o g e n e beschleunigt. P•oberhalb P-unterhtlb Besonders wirksam ist hierbei das J o d , wenider ftapierebene ger das Brom, während die Wirkung des Fig. 87. Chlors nur sehr gering ausgeprägt ist. Man Gitterstruktur des schwarzen Phosphors P® kann das Halogen auch in Form von Phosphorverbindungen, z. B. als P 2 J 4 oder PBr 3 zugeben. Das Halogen wird in das amorphe Netzwerk des entstehenden roten Phosphors mit eingebaut, indem einzelne Valenzen im Gitter nicht durch andere Phosphoratome, sondern durch Halogen abgesättigt werden. Das Halogen, insbesondere das Jod, kann nun leichter von einem Phosphoratom abdissoziieren als ein durch drei Bindungen festgehaltenes Phosphoratom. Das abdissoziierte Jod reagiert dann mit weiterem weißem Phosphor und spaltet die P 4 Moleküle auf, so daß sie reaktionsfähig werden und sich an das Netzwerk anlagern und dasselbe vergrößern. Kocht man weißen Phosphor in PBr 3 , so entsteht ein h e l l r o t e r Phosphor ( „ S C B E N C K scher Phosphor"), der je nach den Darstellungsbedingungen 10—30 Atom-% Brom enthält. Dieses Brom läßt sich durch Kochen mit Natronlauge gegen Hydroxylgruppen austauschen. Dagegen läßt sich mit Schwefelkohlenstoff kein PBr a extrahieren. Wird weißer Phosphor unter Wasser aufbewahrt, so verwandelt er sich unter dem Einfluß des Lichtes oberflächlich langsam in weiße, gelbe, orangefarbene und rote Produkte. Sie enthalten bis 12% Wasser. Auch hier handelt es sich um ein Mischpolymerisat, und zwar mit den Elementen des Wassers. S) Chemische Eigenschaften Weißer Phosphor Weißer Phosphor ist chemisch ä u ß e r s t r e a k t i o n s f ä h i g . In feinverteiltem Zustande e n t z ü n d e t er sich an der L u f t schon bei Z i m m e r t e m p e r a t u r , in kompakter Form wenig oberhalb von 50° von selbst, wobei er mit gelbüch-weißer, hell-leuchtender Flamme und intensiver Wärmeentwicklung zu P h o s p h o r p e n t o x y d verbrennt: 2P +
27202
P a 0 6 + 360 kcal.
Wegen dieser leichten Entzündbarkeit darf man den weißen Phosphor nur unter W a s s e r schneiden, zumal brennender Phosphor auf der Haut tiefgehende, gefähr-
Die Stickstofigruppe
256
liehe Brandwunden erzeugt. An f e u c h t e r L u f t oxydiert sich weißer Phosphor vorwiegend zu Säuren der Oxydationsstufe P 2 0 3 (Phosphorige Säure H 3 P0 3 ), P 2 0 4 (Unter-diphosphorsäure H 4 P 2 0 6 ) und P 2 0 6 (phosphorsäure H 3 P0 4 ). Auch das bläuliche L e u c h t e n des weißen Phosphors im Dunkeln („Phosphoreszenz"), das ihm seinen Namen gegeben hat 1 , beruht auf einer Oxydation des Phosphors, indem die vom Phosphor spurenweise abgegebenen Dämpfe durch den Luftsauerstoff zunächst zu P h o s p h o r t r i o x y d P 2 0 3 und dann unter Abgabe von L i c h t — statt wie gewöhnlich von Wärme — zu P h o s p h o r p e n t o x y d P 2 0 5 oxydiert werden (S. 262). Das Leuchten wird durch manche Stoffe — z. B. Schwefelwasserstoff, Schwefeldioxyd, Chlor, Ammoniak — geschwächt oder unterdrückt; auch in reinem Sauerstoff von Atmosphärendruck bleibt das Leuchten aus, während es bei D r u c k v e r m i n d e rung (p0i < 600 mm bei 15°) wieder auftritt. Wegen seiner großen Affinität zum Sauerstoff wirkt der weiße Phosphor als k r ä f tiges R e d u k t i o n s m i t t e l : Schwefelsäure wird durch Erwärmen mit Phosphor zu Schwefeldioxyd, S a l p e t e r s ä u r e zu Stickstoffoxyden reduziert; aus Salzlösungen l e i c h t r e d u z i e r b a r e r (edler) Metalle (z. B. Gold, Silber, Kupfer, Blei) werden in der Wärme die Metalle als solche oder als Phosphide (z. B. Cu3P2) ausgeschieden. Auch mit Halogenen und mit Schwefel reagiert weißer Phosphor lebhaft. In warmer K a l i l a u g e disproportioniert er sich — analog dem Chlor (S. 121) — unter Bildung von Phosphorwasserstoff und Hypophosphit (S. 258, 271): 4P + 3OH' + 3H 2 0
^ PH3 + 3H2P02'-
Weißer Phosphor ist ein s t a r k e s Gift. Schon eine Menge von 0.1 g kann, in den Magen gebracht, einen Menschen töten. Daher ist der Nachweis von weißem Phosphor in der gerichtlichen Chemie von Bedeutung. Er erfolgt nach der „ P r o b e von MITSCHERLICH" zweckmäßig so, daß man den Mageninhalt in einem mit einem LiEBiG-Kühler versehenen Kolben (Fig. 88) mit Wasser erhitzt. Eventuell vorhandener weißer Phosphor verflüchtigt sich dann mit dem Wasserdampf und kommt im Kühlerrohr an der Stelle, an der sich der Wasserdampf kondensiert, mit der am anderen Ende des Kühlerrohres eindringenden Luft in Berührung. Im Dunkeln beobachtet man daher an dieser Stelle einen l e u c h t e n d e n Ring. Als Gegengift gegen eine akute Phosphorvergiftung dient zweckmäßig eine sehr verdünnte K u p f e r s u l f a t l ö s u n g , die den Phosphor als Kupferphosphid bindet (s. oben) und zugleich als Brechmittel wirkt. V i o l e t t e r (roter) Phosphor Der bei hohen Temperaturen (oberhalb von 300° C) hergestellte rote Phosphor und der HiTTORFSche Phosphor sind viel weniger r e a k t i o n s f ä h i g als der weiße Phosphor. So entzünden sie sich z. B. erst oberhalb von 400°, leuchten nicht an der Luft, schlagen keine Metalle aus Metallsalzlösungen nieder, reagieren mit Halogenen und Schwefel erst bei höherer Temperatur als der weiße Phosphor und sind indifferent gegenüber 1
phosphoros (• HCl + HCIO; S. 121), disproportioniert sich der Phosphor in die Stufe des P h o s p h o r w a s s e r s t o f f s und der u n t e r p h o s p h o r i g e n S ä u r e (S. 256,271): 4P + 6H 2 0 >- PH 3 + 3H 3 P0 2 . Im übrigen stehen f ü r die Gewinnung des Phosphins die schon beim Ammoniak (S. 224ff.) besprochenen Methoden zur Verfügung, so z. B. die Darstellung a u s d e n E l e m e n t e n (Erhitzen von Phosphor und Wasserstoff unter hohem Druck auf 300° oder Einwirkung von naszierendem Wasserstoff auf Phosphor — bzw. Phosphorverbindungen —): P + 1V2H2 •—>- PH 3 + 2.3 kcal, die H y d r o l y s e v o n P h o s p h i d e n (z. B. Calcium-, Magnesium-, Aluminium-, Zinn-, Eisenphosphid): P » ' + 3H" — • PH, (3) und die Behandlung von P h o s p h o n i u m s a l z e n mit L a u g e : PH4- + OH' —>- PH 3 + H 2 0. I n reinster Form erhält man das Phosphin nach der letztgenannten Methode. I n den meisten übrigen Fällen ist dem Phosphin D i p h o s p h i n P 2 H 4 beigemengt. Physikalische Eigenschaften. Phosphin ist ein farbloses, giftiges, knoblauchartig („nach Carbid") riechendes Gas, das verflüssigt bei — 87.74° siedet und bei — 133.78° erstarrt. Daß sein Geruch demjenigen gleicht, den man beim Eintragen von C a l c i u m c a r b i d CaC2 in Wasser beobachtet, rührt daher, daß das Calciumcarbid stets Spuren C a l c i u m p h o s p h i d enthält, so daß dem entstehenden — geruchlosen — A c e t y l e n C 2 H 2 (CaC2 -f- 2 H O H —>- Ca(OH) 2 + C 2 H 2 ) P h o s p h i n P H 3 (Ca 3 P 2 + 6 H O H —>- 3Ca(OH) 2 + 2PH 8 ) beigemengt ist. I n Wasser ist Phosphin etwas löslich. Chemische Eigenschaften. Das Phosphin P H 3 unterscheidet sich vom Ammoniak N H 3 vor allem durch sein s t ä r k e r e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n und durch seinen schwächer basischen Charakter. Die s t ä r k e r e n r e d u z i e r e n d e n E i g e n s c h a f t e n gehen z. B. schon daraus hervor, daß sich reines Phosphin an der L u f t bereits bei 150° unter Verbrennung zu Phosphorsäure e n t z ü n d e t : H 3 P + 20 2 —>- H 3 P0 4 und daß es Lösungen von Silbernitrat oder Kupfersulfat zu M e t a l l (im Gemisch mit Metallphosphid) reduziert. Die s c h w ä c h e r e n b a s i s c h e n E i g e n s c h a f t e n erkennt man daran, daß in wässeriger Lösung der Gleichgewichtszustand der S a l z b i l d u n g mit HalogenWasserstoff: X H 3 + W + ± . [XH 4 ]\ der beim A m m o n i a k (X = N) ganz auf der r e c h t e n S e i t e der Reaktionsgleichung liegt, beim P h o s p h i n (X = P) weitgehend nach l i n k s verschoben ist, so daß Phosphoniumchlorid PH 4 C1 (Sblp. —28°), Phosphoniumbromid P H 4 B r (Sblp. 30°) und Phosflhoniumjodid P H 4 J (Sblp. 80°) in wässeriger Lösimg in Phosphorwasserstoff und Halogenwasserstoffsäure zerfallen. Auch im Gaszustande sind die Phosphoniumhalogenide praktisch vollkommen in ihre Komponenten gespalten. Beim später zu besprechenden A r s i n (X = As) liegt das obige Gleichgewicht schon v o l l k o m m e n auf der linken Seite der Gleichung; Arsin bildet daher überhaupt keine „A rsonium"- Verbindungen mehr.
Der Phosphor
259
ß) Diphosphin Diphosphin P 2 H 4 entsteht gewöhnlich — besonders bei der Zersetzung von Phosphiden mit Wasser — als Nebenprodukt der Phosphindarstellung. E s läßt sieh wegen seines höheren Schmelz- (—99°) und Siedepunktes ( + 5 1 . 7 ° ) leicht durch Kühlung als farblose Flüssigkeit vom Phosphin abtrennen. Diphosphin ist zum Unterschied von Phosphin s e l b s t e n t z ü n d l i c h und bedingt die Selbstentzündlichkeit des rohen — Diphosphin enthaltenden — Phosphins. E s zersetzt sich — vor allem im Licht — leicht unter Disproportionierung in P h o s p h o r und P h o s p h i n (vgl. den entsprechenden Zerfall des Hydrazins, S. 230): 3P a H 4 — 4 P H
+ 2P,
3
wobei der entstehende Phosphor je nach den Zersetzungsbedingungen mehr oder weniger Wasserstoff enthält. Häufig entspricht dabei die Bruttozusammensetzung etwa dem Atomverhältnis P : H = 2 : 1 („fester, gelber Phosphorwasserstoff"; vgl. die analoge Verbindung As 2 H, S. 277).
c) Halogenverbindungen des Phosphors Phosphor bildet mit Halogenen Verbindungen des Typus P X 3 , P X 5 und P S X 4 . Außerdem kennt man noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen der Zusammensetzung P O X j . Den T r i h a l o g e n i d e n P X 3 kommt die Elektronenformel I zu. Die O x y h a l o g e n i d e P O X 3 leiten sich davon durch Anlagerung eines Sauerstoffatoms an das freie Elektronenpaar des Phosphors ab (II). Bei den P e n t a h a l o g e n i d e n P X 6 ist wahrscheinlich der Sauerstoff der Oxyhalogenide durch zwei Halogenatome ersetzt (III). Die — schwächere — „Einelektronenbindung" (vgl. S. 197) bedingt dabei wohl die leichte Abspaltbarkeit dieser beiden Halogenatome bei der Verdampfung 1 (vgl. S. 197). < 6 0 C1
C1
eCl:P:Cl 6
6
(I)
C1
01: P : C16
»C1:P:C16.
•
Ö
C1C1 7 7
(II)
(III)
Die T e t r a h a l o g e n i d e P 2 X 4 enthalten eine Phosphor—Phosphor-Bindung: X 2 P — P X 2 . Eine Übersicht über die physikalischen Eigenschaften der einzelnen Verbindungen gibt die folgende Tabelle: PX3
PX 5
X = F
Farbloses Gas Smp. - 1 6 0 » Sdp. - 9 5 »
Farbloses Gas Smp. - 8 3 » Sdp. - 7 5 °
X = C1
Farblose Flüssigkeit Smp. —91» Sdp. 75.9»
Farblose Kristalle Sblp. 100° Smp. 148»
X=Br
Farblose Flüssigkeit Smp. —41.5» Sdp. 176»
Rotgelbe Kristalle Smp. < 1 0 0 ° Sdp. 106»
Rote Kristalle Smp. 61°
Tiefdunkelrote Prismen
X = J
l'Ä
POX 3 Farbloses Gas Smp. - 6 8 ° Sdp. - 4 0 »
Farblose Flüssigkeit Smp. - 2 8 » Sdp. 180»
Farblose Flüssigkeit Smp. 1.3° Sdp. 108.7° Farblose Kristalle Smp. 56° Sdp. 193»
Hellorangefarbene Prismen Smp. 124.5°
1 Im festen Zustand besitzt das Phosphorpentachlorid die Struktur [PC1 4 ] + [PC16] Phosphorpentabromid die Struktur [PBr 4 ] + [ B r ] - .
17*
und das
260
Die Stickstoffgruppe
Als wichtigste Vertreter greifen wir die Chloride heraus. Phosphortrichlorid PClj wird durch Überleiten von trockenem C h l o r g a s erwärmten w e i ß e n P h o s p h o r gewonnen: P + 1V2C12
über
>- PC13 + 76.9 kcal.
Der Phosphor entzündet sich dabei von selbst und verbrennt mit fahler Flamme, während in die gekühlte Vorlage ein Gemisch von Phosphortrichlorid PC13 und etwas Phosphorpentachlorid PC15 destilliert. Um letzteres zu entfernen, fügt man zum Destillat etwas weißen Phosphor hinzu und destilliert erneut (3PC15 + 2P —>- 5PC13). Phosphortrichlorid ist eine farblose, stechend riechende, bei 75.9° siedende und bei —91° erstarrende Flüssigkeit, die von W a s s e r sehr leicht unter Bildung von p h o s p h o r i g e r und S a l z s ä u r e zersetzt wird: PC13 + 3HOH -—>- P(OH)3 + 3HCl und daher an feuchter Luft stark raucht. Durch O x y d a t i o n s m i t t e l (z.B. Chlorat) — langsam auch schon durch molekularen Sauerstoff — wird es in P h o s p h o r - o x y c h l o r i d P0C13 (s. u.), durch S c h w e f e l in P h o s p h o r - t h i o c h l o r i d PSC13 (S. 273) und durch Chlor in P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d PC16 (s. u.) übergeführt. Diese Anlagerungen beruhen auf dem Bindungsbestreben des am Phosphor vorhandenen freien Elektronenpaares (vgl. S. 259). Phosphorpentachlorid PC15 bildet sich entsprechend der letztgenannten Reaktion bei der Einwirkung überschüssigen C h l o r s auf P h o s p h o r t r i c h l o r i d : PC13 + Cl2
PC16 + 29.7 kcal
(1)
als in reinem Zustande weiße, gewöhnlich aber wegen teilweiser Spaltung in Trichlorid und Chlor grünlichweiße Masse. Beim Erhitzen im offenen Rohr sublimiert Phosphorpentachlorid bei 100°, ohne zu schmelzen. Der Schmelzpunkt kann nur in geschlossenem Rohr unter dem eigenen Druck der Dissoziationsprodukte PC13 und Cl2 bestimmt werden und liegt dann bei 148°. Als endotherme Reaktion nimmt die Spaltung in Phosphortrichlorid und Chlor mit steigender Temperatur zu. Bei 180° sind rund 40°/0, bei 250° rund 80°/0 des Phosphorpentachlorids dissoziiert, und bei 300° besteht der Dampf fast völlig aus den Dissoziationsprodukten. Dementsprechend nimmt der bei niedriger Temperatur nahezu farblose Dampf mit steigender Temperatur immer mehr die Farbe des Chlors an. In einer Atmosphäre von Chlorgas oder Phosphortrichlorid-Dampf verdampft Phosphorpentachlorid gemäß dem Massenwirkungsgesetz (Verschiebimg des Gleichgewichts (1) nach rechts) nahezu unzersetzt. Wegen der leichten Abspaltbarkeit von Chlor wird Phosphorpentachlorid vielfach als C h l o r i e r u n g s m i t t e l benutzt. An der Luft zieht Phosphorpentachlorid W a s s e r an und geht in P h o s p h o r o x y c h l o r i d und C h l o r w a s s e r s t o f f über: PCI» + HsO
P0C13 + 2HCl.
(2)
Daher raucht es an feuchter Luft. Mit viel Wasser zersetzt es sich weiter zu P h o s phorsaure: P0C1S + 3 H Ö H — P O ( O H ) s + 3HC1. (3) Phosphor-oxychlorid P0C13 kann — wie aus Gleichung (2) hervorgeht — durch Versetzen von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit der berechneten Menge W a s s e r gewonnen werden. Zur Darstellung ist es aber, um weitere Zersetzung zu Phosphorsäure
Der Phosphor
261
(3) zu vermeiden, zweckmäßiger, Verbindungen einwirken zu lassen, die verhältnismäßig schwer Wasser abgeben; z. B. O x a l s ä u r e (H 2 C 2 0 4 —>- H 2 0 + CO + C0 2 ): PC15 + H2C204 • — P 0 C 1 3 + 2 HCl + CO + C0 2 oder B o r s ä u r e ( 2 H 3 B 0 3 — 3 H 2 0 + B0 3 ). 2 Auch bei der O x y d a t i o n von P h o s p h o r t r i c h l o r i d mit Kaliumchlorat: 3PC13 + KC103 - — 3 P 0 C 1 3 + KCl oder bei der Umsetzung von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit P h o s p h o r p e n t o x y d : 3 PC16+ P 2 0 6 — 5 P 0 C 1 3 entsteht Phosphor-oxychlorid. Phosphor-oxychlorid ist eine farblose, stark lichtbrechende, an feuchter L u f t rauchende Flüssigkeit, die bei 108.7° siedet und bei 1.3° erstarrt.
d) Oxyde des Phosphors Phosphor bildet drei Oxyde - ein Phosphortrioxyd P 2 0 3 , ein Phosphortetroxyd P 2 0 4 und ein Phosphorpentoxyd P 2 0 5 . Ersteres ist das Anhydrid der phosphorigen ( P a 0 3 + 3H20 2 H 3 P 0 3 ) , letzteres das Anhydrid der Phosphorsäure (P 2 0 5 + 3 H 2 0 — ^ 2 H 3 P 0 4 ) ; Phosphortetroxyd kann als gemischtes Anhydrid der phosphorigen und Phosphorsäure angesehen werden (P 2 0 4 + 3 H 2 0 ^ ± : H 3 P 0 3 + H 3 P 0 4 ) . Phosphortrioxyd P3O3. Verbrennt man Phosphor bei beschränktem Luftzutritt und niedriger Temperatur, so entsteht Phosphortrioxyd: 2 P + 17.0 a —>- P 2 0„. Von gleichzeitig gebildetem Phosphorpentoxyd kann es wegen seiner größeren Flüchtigkeit leicht abgetrennt werden. Phosphortrioxyd bildet eine weiße, wachsartige, kristalline, sehr giftige Masse, die bei 22.5° schmilzt und (in Stickstoffatmosphäre) bei 173.1° siedet. Sein Molekulargewicht entspricht im geschmolzenen, gelösten und dampfförmigen Zustande der Formel P 4 0 6 . Diese Formel leitet sich von der des vieratomigen Phosphormoleküls P 4 in der Weise ab, daß jede der sechs P—P-Bindungen des P 4 -Tetraeders (Fig. 86, S. 253) durch eine P—0—P-Bindung ersetzt ist. Die so zustandekommende Struktur mit dreiwertigen Phosphor- und zweiwertigen Sauerstoffatomen ist gemäß Fig. 89 von hoher Symmetrie (tetraedrische Anordnung der Phosphor-, oktaedrische der Sauerstoffatome, symmetrische räumliche Verknüpfung von vier P 3 0 3 -Sechsringen) und findet sich auch bei anderen Verbindungen, z. B. dem Arsenik As 4 0 6 (S. 279) und dem Urotropin N 4 (CH 2 ) 6 (II, S. 106). Die dem „Phosphortrioxyd" (P 2 0 3 ) 2 entsprechende Sauerstoffverbindung des S t i c k s t o f f s , N 2 0 3 (S. 237), ist zum Unterschied von der dimeren Phosphorverbindung m o n o m e r , da hier im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 187) die Ausbildung von Doppelbindungen möglich ist: 0 = N — 0 — N = 0 , was bei der dimeren Formel vermieden wird. Beim Erhitzen auf über 210° d i s p r o p o r t i o n i e r t sich Phosphortrioxyd in roten P h o s p h o r und P h o s phortetroxyd: +8
4 P.O. —
0
2P +
+4 3P 2 0 4 .
(4)
Fig. 89. Räumliche Molekularformel des Phosphortrioxyds (P2Oa)2
Die Stickstoffgruppe
262
Bei 70° entzündet es sich an der L u f t und verbrennt zu P h o s p h o r p e n t o x y d : P 2 0 3 -f 0 2 — > - P 2 0 5 . Diese Vereinigung mit Sauerstoff erfolgt langsam auch schon bei gewöhnlicher Temperatur; dabei beobachtet man eine L e u c h t e r s c h e i n u n g (vgl. S. 255f.). Mit k a l t e m W a s s e r setzt sich Phosphortrioxyd sehr langsam unter Bildung von p h o s p h o r i g e r S ä u r e u m : P 2 0 3 + 3 H 2 0 — > - 2 H 3 P 0 3 . Einwirkung von h e i ß e m W a s s e r führt in heftiger und wenig übersichtlicher Reaktion zur Bildimg von rotem P h o s p h o r , P h o s p h o r w a s s e r s t o f f e n und P h o s p h o r s ä u r e (vgl. S. 257f.). Phosphortetroxyd P3O4. Das gemäß (4) durch Erhitzen von Phosphortrioxyd darstellbare Phosphortetroxyd P 2 0 4 bildet farblose, glänzende Kristalle, die sich in W a s s e r unter beträchtlicher Wärmeentwicklung und Bildung von p h o s p h o r i g e r und P h o s p h o r s ä u r e lösen: P204 + 3H20
>- H 3 P 0 3 + H 3 P 0 4 .
Es entspricht in dieser Beziehung dem Stickstofftetroxyd N 2 0 4 , welches mit Wasser salpetrige und Salpetersäure liefert. Phosphorpentoxyd P j O s . Verbrennt man Phosphor bei genügender Luft- oder Sauerstoffzufuhr, so entsteht unter außerordentlicher Wärmeentwicklung Phosphorpentoxyd : 2 p + ^ p 2 o 6 + 360.8 kcal. T e c h n i s c h erfolgt die Darstellung durch V e r b r e n n u n g von w e i ß e m P h o s p h o r in eisernen Trommeln. Von gleichzeitig gebildeten niederen Phosphoroxyden läßt es sich durch Sublimation im Sauerstoffstrom bei Rotglut befreien. Phosphorpentoxyd bildet gewöhnlich ein weißes, schnee-artiges, geruchloses Pulver. Durch Sublimation (Sblp. 350°) kann es verflüchtigt und an kälteren Stellen in Form stark lichtbrechender Kristalle wieder verdichtet werden. Beim Erhitzen im geschlossenen Raum auf über 400° ivird es pulverig amorph, dann glasig. Bei noch weiterem Erhitzen schmilzt (Smp. 563°) und verdampft dieses Glas; aus dem Dampf scheidet sich beim Erkalten wieder das kristallisierte Phosphorpentoxyd aus. Das Molekulargewicht im Dampfzustande entspricht der Formel P 4 O 1 0 . Diese Formel leitet sich von der PjOß-Formel (Fig. 89) dadurch ab, daß jedes Phosphoratom mit Hilfe seines freien Elektronenpaares 1 noch ein Sauerstoffatom bindet: ^ P : + Ö •' — ^ P : ( ) : • Nach vorheriger Bestrahlung phosphoresziert Phosphorpentoxyd mit grünem Lichtschein; die Intensität des Leuchtens nimmt mit abnehmender Temperatur zu und ist bei —180° glänzend hell. Die charakteristischste Eigenschaft des Phosphorpentoxyds ist sein außerordentliches Bestreben, sich mit W a s s e r begierig zu M e t a p h o s p h o r s ä u r e H P 0 3 und weiter auf dem Wege über Polyphosphorsäuren (S. 268, 269) zu O r t h o p h o s p h o r s ä u r e H 3 P 0 4 ZU vereinigen: P205
2HPO3
Ha0
>
H4P207
— 2 H
3
P 0
4
.
E s ist das kräftigste wasserentziehende Mittel, das man kennt, und wird deshalb in Exsiccatoren (S. 209) und Trockenrohren zum Entfernen auch der geringsten Spuren von Wasserdampf benutzt. Auch zur Wasserabspaltung aus chemischen Verbindungen (z. B . zur Darstellung von Säure-anhydriden: 2 H N 0 3 — > - N 2 0 5 + H 2 0 ; H 2 S 0 4 — > S 0 3 + H 2 0 ) und zur Bindung von Wasser bei chemischen Umsetzungen wird es vielfach verwandt. 1 Jedes kovalent dreiwertige Phosphoratom besitzt noch ein unbeanspruchtes Elektronenpaar, da von den insgesamt 5 Außenelektronen im dreiwertigen Zustande nur 3 Elektronen zur Valenzbetätigung herangezogen sind.
263
Der Phosphor
e) SauerstofFsäuren des Phosphors a) Systematik und Konstitution Der Phosphor bildet vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung HjPO„ {„Ortho-säuren") bzw. — in wasserarmerer Form („Meta-säuren") — HPO„_i (n = 2, 3, 4 und 5) und vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Formel E^P^On (n = 5, 6, 7 und 8). Die Bezeichnungen für die einzelnen Säuren und ihre Salze gehen aus der folgenden Tabelle hervor, in welcher die Verbindungen nach steigender Oxydationszahl des Phosphors angeordnet sind: Oxydationszahl
Säur en des Typus H3PO„ (HPO„-I) For mel Salze Name Orthoform Metaform
+ 1
H 3 P0 2
(HPO)
Unterphospho- Hyporige Säure phosphite
H 3 PO 3
HPO2
Phosphorige Säure
Säu ren des Typus H4PAO„ Formel
Salze
Name
+ 2 + 3
Phosphite
H4P2O6 Unter-diphos- Hypodi phosphate phorsäure
+ 4 + 6
H3P04
Phosphorsäure
HPO3
Phosphate
+ 61 + 51
H4P2O5 Diphosphorige Di phosphite Säure
H4P2OJ Diphosphorsäure
Diphosphate
H4PA08 Peroxy-diphos- Peroxydiphosphate phorsäure N3P05
(HPO 4 ) Peroxyphosphorsäure
Peroxyphosphate
Orthosäuren des Typus H 3 PO„. Der Aufbau der den Säuren H 3 PO n und ihren Salzen zugrundeliegenden Anionen PO n "' läßt sich am einfachsten wie bei den Sauerstoffsäuren des Chlors (S. 157) vom einfachen Ion des Zentralatoms aus ableiten. Das Phosphid-ion P " ' hat die in Formel I wiedergegebene Elektronenkonfiguration. Durch Anlagerung von 1, 2, 3 und 4 Sauerstoffatomen an die vier freien Elektronenpaare dieses Anions entstehen die Anionen II, III, IV und V: —
:P:
:0 :
:P:
:Ö:P:
: Ö :
(I)
Phosphid
: Ö :
(HI)
(II)
(unbekannt)
Hypophosphit
: Ö :P : :Ö:
:0: : Ö :P :Ö : : Ö: "
(IV)
(V)
Phosphit
Phosphat
Von diesen Anionen sind diejenigen mit freien Elektronenpaaren am Phosphor (I—IV) in wässeriger Lösung unbeständig, weil der Phosphor in diesen Verbindungen ein großes Bestreben zeigt, W a s s e r s t o f f - i o n e n des Wassers an die freien Elektronenpaare anzulagern. Löst man also z . B . ein Phosphit der Formel [P0 3 ] ' " i n Wasser auf, so vollzieht sich sofort die Umsetzung: [P0 3 ]'" + HÖH — [ H P 0 3 ] " + OH'. 1
Vgl. Anmerkung 1 auf S. 198.
Die Stickstoffgruppe
264
Das Gleichgewicht dieser Reaktion liegt dabei ganz auf der r e c h t e n Seite. Es gelingt daher nicht, in Umkehrung der Reaktion durch Einwirkung von L a u g e auf das H y d r o g e n p h o s p h i t - i o n [ H P 0 3 ] " das letzte (dritte) Wasserstoffatom der zugrundeliegenden phosphorigen Säure H 3 P 0 3 zu neutralisieren. Die p h o s p h o r i g e S ä u r e H 3 P0 3 ist mit anderen Worten trotz ihrer drei Wasserstoffatome in wässeriger Lösung1 nur eine zweibasige Säure. Analoges gilt etwa vom Phosphid-ion. Bringt man z. B . C a l c i u m p h o s p h i d mit W a s s e r zusammen (vgl. (3), S. 258), so lagern sich an drei — in stark saurer Lösung an alle vier — Elektronenpaare des Phosphors Wasserstoffionen an, so daß P h o s p h o r w a s s e r s t o f f PH 3 bzw. P h o s p h o n i u m - i o n [PH 4 T entsteht. Somit geht die obige Anionenreihe (1) in wässeriger L ö s u n g in die folgende Reihe über: +
H
H
H
H:P:H
H:P:H
: Ö: P : H
H
:Ö:
: Ö:
(I)
Phospbonlum
(II)
Phosphlnoxyd*
:Ö:
—
:Ö:P:Ö.
:Ö:P:H
(2)
:Ö: "
(III)
(IV)
Hypophosphit
(V)
Phosphlt
Phosphat
Wir ersehen daraus, daß eine lückenlose Reihe vom [PH 4 ]* bis zum [ P 0 4 ] ' " hin besteht, daß die Ladung des Ions bei jedem Schritt — entsprechend dem jeweiligen Ersatz eines positiv geladenen Wasserstoff-ions H+ durch ein neutrales Sauerstoffatom 0 : — um je eine positive (negative) Einheit ab-(zu-)nimmt und daß dementsprechend die unterphosphorige Säure H 3 P0 2 in wässeriger Lösung zum Unterschied von der zweibasigen phosphorigen Säure H 3 P 0 3 und der d r e i b a s i g e n Phosphorsäure H 3 P 0 4 eine e i n b a s i g e Säure ist. Die obige Verbindungsreihe () ist auch — bis auf das erste Glied — in Form von F l u o r d e r i v a t e n (Ersatz der Wasserstoffatome durch Fluoratome) bekanDt:
' F F P F F
•
(anbekannt)
r F i F P F 0
Phosphor-oxylluorid
F 0 P F 0
t
Dlfluo-phosphat
0
1"
o
J
0 P F
.
Fluo-phosphat
o
tu
0 P 0
0
Phosphat
Von diesen Fluorderivaten spricht in Aufbau und Ladung das D i f l u o - p h o s p h a t - i o n POF 2 ' dem P e r c h l o r a t - i o n C10 4 ' und das F l u o - p h o s p h a t - i o n P 0 3 F " dem S u l f a t - i o n S 0 4 " ; dementsprechend ähneln sich auch die Reaktionen der genannten isosteren Ionen.
Die Peroxy-monophosphorsäure (Peroxyphosphorsäure) H 3 P0 6 enthält ein Sauerstoffatom mehr als die Phosphorsäure H 3 P 0 4 . Da der Phosphor im Phosphat-ion kein freies Elektronenpaar mehr aufweist — vgl. Formel (2), V —, kann die Bindung des fünften Sauerstoffatoms nur durch eines der vier S a u e r s t o f f a t o m e des Phosphations erfolgen: Ö: P:Ö:Ö: Ö:" Dementsprechend ist die Peroxyphosphorsäure H 3 P0 6 wie die Peroxyschwefelsäure H 2 S C ) B ( S . 2 0 2 ) und zum Unterschied von der Überchlorsäure H C 1 0 4 ( S . 1 5 7 ) eine Peroxy-Verbindung (vgl. S. 203). 1 Bei A u s s c h l u ß v o n W a s s e r (z. B. bei Einwirkung von Natirum) ist natürlich auch das d r i t t e Wasserstoffatom der phosphorigen Säure H 3 P 0 3 durch Metall ersetzbar. Analoges gilt für den Ersatz der nicht sauren H-Atome a n d e r e r Wasserstoffverbindungen (z.B. von N H 3 ; vgl. S. 228f.). 2 Bis jetzt nur in Form von Alkylderivaten POR, bekannt (R = Kohlenwasserstoffrest).
Der Phosphor
265
Metasäuren des Typus HPO„_i. Die vorstehend besprochenen Säuren H3POn kommen auch in einer wasserärmeren Form HPOn _ i (H3POn —>• H 2 0 + HPO n _i) vor. Zur Unterscheidung nennt man die ersteren Ortho-, die letzteren Meto-säuren. Die metaphosphorige Säure HPOz und Metaphosphorsäure HP0 3 entsprechen in ihrer Formel der vom Phosphor-Homologen Stickstoff abgeleiteten salpetrigen Säure HNOa und Salpetersäure HN0 3 . Diese Übereinstimmung ist aber nur äußerlich; denn die Struktur der — in Wahrheit polymeren — Metasäuren des Phosphors und ihrer Salze ist von der der entsprechenden Stickstoffsäuren und ihrer Salze ganz verschieden (S. 268f.). Disäuren des Typus H 4 P Ä 0 n . Die Di- oder Pyrophosphit-ionen unterscheiden sich in ihrer Konstitution von den Di- oder Pyrophosphat-ionen wie die Phosphit-ionen von den Phosphat-ionen. Bei den Diphosphiten ist also je eines der vier um jedes Phosphoratom des Diphosphats gruppierten vier S a u e r s t o f f a t o m e durch Wa s s e r s t o f f ersetzt: 0 0 0 0 OP OP 0 HP 0 PH 0 0 . 0 0 Diphosphit Diphoephat Dementsprechend ist die diphosphorige Säure H 4 P 2 0 5 zum Unterschied von der vierbasigen Diphosphorsäure H 4 P 2 0 7 nur zweibasig. Auch in den beiden anderen Säuren des Typus H4P2On — der Unter-diphosphorsäure H 4 P 2 0 6 und der Peroxy-diphosphorsäure H 4 P 2 0 8 — bleibt wie in allen anderen Phosphorsäuren die K o o r d i n a t i o n s z a h l 4 des Phosphors gewahrt: O O ]"" O O 1"" OPPO OPOOPO O0 J O 0 Hypo-diph03phat Peroxy-dlphosphat Die Formeln der beiden Ionen unterscheiden sich von der des D i p h o s p h a t s dadurch, daß im H y p o - d i p h o s p h a t die im Diphosphat vorhandene S a u e r s t o f f b r ü c k e zwischen den beiden Phosphoratomen f e h l t , während sie im P e r o x y - d i p h o s p h a t durch eine P e r o x y - b r ü c k e ersetzt ist. ß) Phosphorsäure Orthophosphorsäure Darstellung. Zur technischen Darstellung von Phosphorsäure dienen natürliche Mineralphosphate als Ausgangsmaterial. Der Aufschluß dieser Phosphate erfolgt entweder auf nassem oder auf trockenem Wege. Beim nassen Aufschluß wird das gemahlene P h o s p h a t mit verdünnter Schwefelsäure behandelt: Ca3(P04)2 + 3H2S04 —>• 3CaS04 + 2H 3 P0 4 , das dabei entstehende wasserunlösliche Calciumsulfat abfiltriert und die zurückbleibende Phosphorsäurelösung konzentriert. Man erhält so je nach dem Arbeitsverfahren 20—50°/0ige, nicht sehr reine Lösungen. Beim t r o c k e n e n A u f s c h l u ß wird das Mineralphosphat mit K o k s und K i e s e l s ä u r e im Gebläse-Schachtofen (Hochofen) oder im elektrischen Ofen (S. 252f.) verschmolzen: Ca3(P04)2 + 3Si0 2 + 6C >• 3CaSi03 + 5CO + 2P und das hierbei aus dem Ofen austretende, aus Phosphordampf und Kohlenoxyd bestehende Gas mit L u f t ü b e r s c h u ß zu Phosphorpentoxyd verbrannt: 2 P + 2V202 — v p 2 0 6 . Die Verbrennungsgase, die das Pentoxyd in Form von Rauch enthalten, können dann mit Wasser oder mit 50°/0iger Phosphorsäurelösung zu Orthophosphorsäure umgesetzt werden:
266
Die Stickstoffgruppe P206 + 3H20
2H3PO4.
Man gewinnt so 85—90°/oige, recht reine Lösungen. Die Verbrennung des Phosphors zu Phosphorpentoxyd kann statt mit L u f t auch mit überhitztem Wasserdampf erfolgen („LILJENROTH-V erfahren"), wobei gleichzeitig Wasserstoff gewonnen wird: 2P + 5H 2 0 — P 2 0 5 + 5H 2 ; wegen technischer Schwierigkeiten ist dieses Verfahren jetzt aber nicht mehr in Anwendung. Chemisch reine Phosphorsäure läßt sich durch Verbrennen von reinem Phosphor mit L u f t und Umsetzung des gebildeten reinen Phosphorpentoxyds mit Wasser gewinnen. Die früher durchgeführte Oxydation von Phosphor mit Salpetersäure wird technisch nicht mehr ausgeführt. Physikalische Eigenschaften. Phosphorsäure bildet bei gewöhnlicher Temperatur wasserklare, harte, geruchlose, in Wasser äußerst leicht lösliche Kristalle, die bei 42.3° schmelzen und das spezifische Gewicht 1.88 besitzen. In den Handel kommt sie gewöhnlich als sirupöse 85—90°/0ige Lösung (spez. Gewicht 1.70—1.75), da sich stärker konzentrierte Lösungen infolge ihrer Viskosität nicht mehr abhebern lassen. Chemische Eigenschaften. Orthophosphorsäure H 3 P0 4 ist eine dreibasige, m i t t e l s t a r k e Säure und bildet dementsprechend drei Reihen von Salzen: primäre Phosphate Me^üPOi, sekundäre Phosphate Me|HP04 und tertiäre Phosphate MeJP0 4 . Die Dissoziation der Säure erfolgt in drei Stufen: H' + H2PO/
(3)
H2P04'qz^H- + HP04"
H3P04
(4)
HP04"
(5)
H" + P 0 4 " ' .
Die zugehörigen Dissoziationskonstanten haben bei 18° die Werte: K1 = 1.1 X 10~2, = 1 . 2 x 1 0 - ' und Ks = 1 . 8 x l 0 - 1 2 ; oder als Säure-exponenten pK— —log-K (S. 109) geschrieben: pKt = 1.96, pK, = 6.92, pK = 11.74. Hieraus ergibt sich (vgl. S.108 f. und Fig. 41, S. 109) für den Zusammenhang zwischen ^>H-Wert und Phosphat-ionengehalt einer Phosphorsäure- oder Phosphatlösung das untenstehende Bild (Fig. 90). Man ersieht aus demDiagramm, daß beispielsweise in einer Phosphorsäurelösung vom ^>H-Wert 2 die Hälfte der Phosphorsäuremoleküle als H 3 P0 4 und die andere Hälfte als H 2 P0 4 ' vorliegt, während HP0 4 "- und P0 4 "'-ionen praktisch nicht vorhanden sind. Mit zunehmendem />H-Wert der Lösung (also bei Zusatz von Alkali) nimmt das Molverhältnis H 3 P 0 4 : H 2 P 0 4 ' infolge Verschiebung des Gleichgewichts (3) nach rechts ab, bis bei einem />H-Wert von 4.5 praktisch alles in Form von H 2 P0 4 'ionen vorliegt. Weiterer Zusatz von Alkali führt gemäß (4) zur Bildung von HP0 4 "-ionen (£H = 6: 90°/0 H 2 P0 4 ' + 1 0 % H P 0 4 " ; p K = 8: 10°/0 H 2 P 0 4 ' + 9 0 » / 0 Fig. 90. Abhängigkeit der Ionenkonzentrationen vom HP0 4 ") und schließlich — p H - W e r t in einer Phosphorsäure-(Phosphat-)lösung nachdem bei einem ^>H-Wert von 9.5 praktisch das gesamte Phosphat in Form von HP0 4 "-ionen vorliegt — gemäß (5) zur Bildung von P0 4 "'ionen (ps = 12: 50°/0 H P 0 4 " + 50 0 / 0 P0 4 '"). Wie weiterhin aus demDiagramm ersichtlich ist, reagieren wässerige Lösungen von Phosphorsäure stark sauer, von
Der Phosphor
267
primären Phosphaten schwach s a u e r (p H = 4.5), von sekundären s c h w a c h b a s i s c h (pB = 9.5) und von tertiären s t a r k b a s i s c h . Letztere sind nach dem Diagramm nur bei einem pwWert von 14.5, also in s t a r k a l k a l i s c h e r Lösung ohne nennenswerte Hydrolyse auflösbar. I n W a s s e r (pa — 7) erfolgt weitgehende H y d r o l y s e : P 0 4 " ' -f- HÖH — > - H P 0 4 " + OH', wobei die Lösung a l k a l i s c h wird. E i n g e e i g n e t e s P u f f e r g e m i s c h (vgl. S. 109f.) ist nach Fig. 90 ein Gemisch von p r i m ä r e m und s e k u n d ä r e m P h o s p h a t , welches im ^ - G e b i e t 6—8 (90% H 2 P 0 4 ' + 10°/ 0 H P 0 4 " bis 10% H 2 P 0 4 ' + 9 0 % H P 0 4 " ) gut puffert (4). Salze. Die p r i m ä r e n P h o s p h a t e Me r H 2 P0 4 lösen sich alle in Wasser, während von den s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n P h o s p h a t e n Me*HP0 4 bzw. Me^P0 4 nur die A l k a l i s a l z e in W a s s e r , die übrigen lediglich in M i n e r a l s ä u r e n löslich sind. Die A l k a l i p h o s p h a t e gewinnt man gewöhnlich durch Zufügen der entsprechenden Menge P h o s p h o r s ä u r e zu A l k a l i h y d r o x y d - oder A l k a l i c a r b o n a t l ö s u n g e n (H 3 P0 4 + NaOH —>- N a H 2 P 0 4 + H 2 0 ; 2 H 3 P 0 4 + Na 2 C0 3 —>- 2 N a H 2 P 0 4 + H 2 0 + C0 2 ). Das gewöhnlich verwendete Natriumsalz ist das s e k u n d ä r e N a t r i u m p h o s p h a t N a 2 H P 0 4 • 12H 2 0. Es bildet farblose große Säulen oder Tafeln, welche an der Luft unter Bildung eines Dihydrats Na 2 HP0 4 • 2 H 2 0 verwittern und bei 40° schmelzen. Das bei der Umsetzung einer Natriumphosphatlösung mit Ammoniumchlorid entstehende sekundäre N a t r i u m - a m m o n i u m - p h o s p h a t („Phosphorsalz") N a N H 4 H P 0 4 (Na 2 HP0 4 + NH4C1 — N a N H 4 H P 0 4 + NaCl) kristallisiert aus wässeriger Lösung als Tetrahydrat aus und dient in der qualitativen Analyse zur Herstellung charakteristisch gefärbter „Phosphorsalzperlen" zwecks qualitativer Erkennung von Metalloxyden (vgl. S. 376). Über die als Düngemittel wichtigen A m m o n i u m - und Calc i u m p h o s p h a t e vgl. S. 269f. Die u n l ö s l i c h e n P h o s p h a t e entstehen aus den löslichen durch doppelte Umsetzung. Analytisch wichtig sind: der auf Zusatz von Silbernitrat zu PhosphatIösung entstehende gelbe Niederschlag von Silberphosphat ( H P 0 4 " + 3Ag' Ag e P0 4 + H ' ; H' + H P 0 4 " — H a P 0 4 ' ) , der bei Zugabe von Magnesiumsalz, Ammoniak und Ammoniumsalz („Magnesiamischung") ausfallende weiße, kristalline Niederschlag von Magnesium-ammonium-phosphat (HP0 4 " + Mg" + NH 4 ' MgNH 4 P0 4 + H ' ; H ' + NH 3 —>• NH4") und der in salpetersaurer Lösung auf Zusatz von Ammonium-molybdat (NH 4 ) 2 Mo0 4 gebildete gelbe Niederschlag von Ammonium-molybdato-phosphat, (NH 4 ) 3 [P(Mo 3 O 10 ) 4 ] (vgl. S. 518). Beim Glühen gehen die s e k u n d ä r e n Phosphate unter Abspaltung eines Mols Wasser je 2 Mol Phosphat in P y r o p h o s p h a t e (Diphosphate): 2K 2 HP0 4 ~ H ' ° >- K 4 P 2 0, und die p r i m ä r e n Phosphate unter Abspaltung eines Mols Wasser je Mol Phosphat über die Stufe der Pyrophosphate und Polyphosphate in M e t a p h o s p h a t e über (S. 268): 2KH 2 P0 4 >- K 2 H 2 P 2 0, ~ H ' ° v 2KP0 3 . Analog verhalten sich die A m m o n i u m d e r i v a t e solcher Phosphate: >- Mg2P207 + 2NH3 + H 2 0; NaNH 4 HP0 4 NaPOa + NHS + H 2 0. 2 MgNH4P04 Pyrophosphorsäure Bei längerem E r h i t z e n auf 200—300° geht die P h o s p h o r s ä u r e unter Wasserabspaltung in P y r o - ( D i - ) p h o s p h o r s ä u r e über: 2H 3 P0 4 H 4 P 2 0 7 + H 2 0. (6) Die Reaktion entspricht der Bildung von Pyro-(Di-)phosphaten beim Glühen sekundärer Phosphate (s. oben).
268
Die Stickstoffgruppe
Die Pyrophosphorsäure bildet eine farblose, glasige, in kristallisiertem Zustande bei etwa 65° schmelzende Masse, die sieh in Wasser leicht löst und in dieser Lösung unter Wasseraufnahme langsam — schneller beim Kochen, besonders in Gegenwart von Salpetersäure — wieder in Orthophosphorsäure übergeht. Sie ist eine wesentlich s t ä r k e r e S ä u r e als die Orthophosphorsäure (K1 = 1.4 x 1 0 - 1 ; K2 = 3.2 X 10 —2 ; Ka = 1.7 X 1 0 - 6 ; Ki = 6.0 X 10~9) und bildet zwei Reihen von Salzen, des Typus Me 2 H 2 P 2 0 7 („saure Pyrophosphate") und MeJP 2 0 7 („neutrale pyrophosphate"). Die sauren Salze sind meist in Wasser — unter schwach saurer Reaktion — löslich; von den neutralen Salzen lösen sich nur die Alkalisalze, und zwar mit schwach basischer Reaktion. Die Pyrophosphorsäure unterscheidet sich von der Orthophosphorsäure dadurch, daß die Lösungen ihrer Salze mit Silbernitratlösung nicht einen gelben, sondern einen rein weißen Niederschlag (Ag 4 P 2 0 7 ) ergeben, von der Metaphosphorsäure dadurch, daß sie Eiweiß nicht zum Gerinnen bringt und mit Bariumchloridlösung kein schwerlösliches Bariumsalz bildet. Metaphosphorsäure Bei über 300° spaltet auch die Pyrophosphorsäure H 4 P 2 0 ? Wasser ab und geht auf dem Wege über P o l y p h o s p h o r s ä u r e n (s. unten) in die sehr glühbeständige M e t a p h o s p h o r s ä u r e H P 0 3 über: H4P207
2 H P 0 3 + H a O.
(7)
Diese M e t a p h o s p h o r s ä u r e — analoges gilt von ihren durch Erhitzen primärer Phosphate erhältlichen S a l z e n — hat nicht das der Formel H P 0 3 entsprechende Molekulargewicht, sondern ist je nach den Darstellungsbedingungen mehr oder minder p o l y m e r i s i e r t . Die Wasserabspaltung aus der Pyrophosphorsäure bzw. ihren sauren Salzen erfolgt also nicht intramolekular, sondern — in Fortsetzimg der schon bei der Bildung von Pyrophosphorsäure (sauren Pyrophosphaten) aus Orthophosphorsäure (primären Phosphaten) begonnenen „Kondensation"1 (6) — intermolekular unter Bildung h ö h e r m o l e k u l a r e r („Polyphosphorsäuren" H n + 2 P n 0 3 n + 1 ) bis h o c h m o l e k u l a r e r P r o d u k t e („Metaphosphorsäure" H^ +2 Poo0 3X + l = [HP03]a>2: 0' O' HO Q P 0!H + HOi; P OH Q
O' ()' „ ,, ., „ HO P 0 P OH ältere Kondensation 0 0 unter Wasseraustritt
()' O' 0 ' O' O' . . . 00 p 0 0p 0 P0 O P0 O P0- - -
Die Polymerisation des M e t a p h o s p h a t - i o n s P 0 3 ' zu dem obigen hochmolekularen Metaphosphat-ion [ P 0 3 ' ] n — z . B . in Form des„KurrolschtnSalzes"(NaP0 3 ) x , des„MaddrellschenSalzes" (NaP0 3 ) y oder des „Örahamschen Salzes" (NaP0 3 ) z — entspricht ganz der schon erwähnten Polymerisation des S c h w e f c l t r i o x y d s S0 3 zu hochmolekularem „asbestartigem" Schwefeltrioxyd [S0 3 ] n (S. 200). Hier wie dort entspricht das Plymo risationsbestreben der bereits beim Schwefel (S. 187) abgeleiteten Doppelbindungsregel, wonach nur die Elemente der ersten A c h t e r p e r i o d e des Periodensystems Doppelbindungen einzugehen geneigt sind, während die übrigen Elemente lieber durch P o l y m e r i s a t i o n zu größeren Komplexen stabile E d e l g a s s c h a l e n zu erreichen suchen. Vergleichen wir etwa das N i t r a t - i o n N0 3 ' mit dem M e t a p h o s p h a t - i o n P 0 3 ' , so stellen wir fest, daß die Stabilisierung des zunächst elektronen-ungesättigten Gebildes beim ersteren durch Ausbildung einer Doppelbindung:
:Ö: :Ö:N " : Ö:
:Ö: Ö: :N , " : Ö:
Kondensation = Zusammenlagerung von Molekülen unter Wasseraustritt. Bei Kondensation unter R i n g s c h l u ß istauchdie Bildung n i e d e r m o l e k u l a r e r Metaphos phorsäuren [HPOJ n , z. B. von „Trimetaphosphaten" (P0 3 ') 3 möglich (S. 269). 1
2
Der Phosphor
269
beim l e t z t e r e n dagegen durch k e t t e n f ö r m i g e Aneinanderreihung erfolgt, wodurch D o p p e l b i n d u n g e n v e r m i e d e n werden: :Ö: :Ö:P " :Ö:
:Ö: :Ö: :Ö: :Ö:P:Ö:P:Ö:P : 6 : : 6 : :Ö:
.
(8)
Deswegen ist das Nitrat-ion zum Unterschied vom p o l y m e r e n Metaphosphat-ion m o n o m e r . In ganz analoger Weise geht die Polymerisation des S c h w e i e l t r i o x y d s S0 3 zu polymerem Schweieltrioxyd [S0 3 ] n vor sich: :Ö: :Ö:S :Ö:
V
:Ö: :Ö: :Ö: :Ö:S:Ö:S:Ö:S :Ö: :Ö:": Ö:
.
(9)
Der Unterschied ist nur der, daß der Schwefel als im Periodensystem r e c h t s vom Phosphor stehendes Atom e i n e p o s i t i v e K e r n l a d u n g m e h r als der Phosphor aufweist, so daß die Atomgruppierung S0 3 zum Unterschied vom n e g a t i v geladenen P 0 3 ' n e u t r a l ist. Ersetzen wir den P h o s p h o r des Metaphosphat-ions umgekehrt durch das im Periodensystem l i n k s vom Phosphor stehende S i l i c i u m , so trägt das so entstehende Gebilde Si0 3 zwei n e g a t i v e Ladungen: Si0 3 ", da das Silicium eine p o s i t i v e K e r n l a d u n g w e n i g e r als der Phosphor aufweist. Auch dieses M e t a s i l i c a t - i o n Si0 3 " zeigt — wie wir später (S. 325f.) sehen werden — zum Unterschied vom m o n o m e r e n Carbonat-ion C0 3 " die gleiche P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g wie P 0 3 ' und S0 3 : :Ö: :Ö:S1 ":Ö:
:Ö: :Ö: :Ö: :Ö:Si:Ö:Si:Ö:Si :Ö: : 0 : :Ö:
.
(10)
In allen drei Fällen (8), (9) und (10) erfolgt bei k l e i n e m n (z. B. n = 3) die Absättigung der endständigen, koordinativ ungesättigten Atome durch R i n g b i l d u n g : [S0 3 ] 3 , [P0 3 '] 3 , [Si0 3 "] 3 ; bei g r o ß e m n liegen l a n g e K e t t e n m o l e k ü l e vor. Ein solches kettenförmiges Silicat ist z. B. auch der faserige A s b e s t (S. 330). Die A s b e s t ä h n l i c h k e i t des polymeren ,.asbestartigen" Schwefeltrioxyds (S0 3 ) x (S. 200) und des faserigen „Kurrclschen Salzes" (NaP0 3 ) (S. 268) ist also durch den ä h n l i c h e n M o l e k ü l b a u bedingt. Weitere Beispiele für die oben angeführte D o p p e l b i n d u n g s r e g e l sind: C0 2 gegenüber [Sä0 2 ] n (S. 328), 0 2 gegenüber [S 2 ] 4 (S. 187), N2 gegenüber P 4 (S. 253), N 2 0 3 gegenüber [P 2 0 3 ] 2 (S. 261), H2CO gegenüber [H 2 SiO] n (S. 320f., 331f.). Bei starkem Erhitzen verflüchtigt sich die Metaphosphorsäure, ohne sich in das Anhydrid P 2 0 5 und Wasser zu spalten; hierbei findet eine D e p o l y m e r i s a t i o n zu kleineren Molekülen — z . B . [ H P 0 3 ] 2 — statt. In w ä s s e r i g e r L ö s u n g wird die Metaphosphorsäure — in Umkehrung ihrer Bildung aus Orthophosphorsäure (S. 268) — langsam, schneller beim Kochen in Gegenwart starker Säuren, zu O r t h o p h o s p h o r s ä u r e gespalten; als Zwischenprodukte treten dabei größere Bruchstücke („Polyphosphorsäuren"; S. 268) auf. Phosphathaltige Düngemittel Die grüne Pflanze braucht zum Wachstum und Gedeihen außer L i c h t , L u f t , W ä r m e und W a s s e r (S. 36, 63f.) eine Reihe von N ä h r s a l z e n , in denen vor allem die Nichtmetalle S t i c k s t o f f , P h o s p h o r , S c h w e f e l und die Metalle K a l i u m , C a l c i u m , M a g n e s i u m sowie E i s e n enthalten sein müssen. Von diesen Stoffen müssen nach der Ernte im allgemeinen nur S t i c k s t o f f (S. 64,413, 436f.), K a l i u m (S. 431, 432, 433) und P h o s p h o r — gelegentlich auch C a l c i u m (S. 408, 409) — in Form von D ü n g e m i t t e l n dem Boden wieder zugeführt werden; die übrigen Grundstoffe sind fast in jedem Boden reichlich vorhanden. So kommt es, daß P h o s p h a t e als D ü n g e m i t t e l eine wichtige Rolle spielen. U n d zwar verwendet man zur Düngung wenetder C a l c i u m - oder A m m o n i u m p h o s p h a t e (vgl. auch S. 531f.).
270
Die Stickstoflgruppe
Calciumphosphate. Das in der N a t u r vorkommende t e r t i ä r e Calciumphosphat Ca 3 (P0 4 ) 2 ist in Wasser praktisch unlöslich und wird von den Pflanzen nicht ohne weiteres aufgenommen. Es muß daher erst in das wasserlösliche p r i m ä r e Calciumphosphat umgewandelt werden. Dies geschieht durch A u f s c h l i e ß e n des Rohphosphats mit halbkonzentrierter S c h w e f e l s ä u r e : Ca3(P04)2 + 2H 2 S0 4
Ca(H2P04)a + 2CaS0 4 .
Das dabei entstehende Gemisch von p r i m ä r e m C a l c i u m p h o s p h a t und G i p s (CaS0 4 ) heißt „Superphosphat". Die Superphosphatindustrie nimmt als größte Schwefelsäureverbraucherin etwa 6 0 % der Welterzeugung an Schwefelsäure auf.
Der Aufschluß erfolgt im einzelnen so, daß das gemahlene und gesiebte Phosphat mit Schwefelsäure in einem eisernen Mischkessel vermischt und anschließend als dünner Brei in große, gemauerte Aufschließkammern geleitet wird, wo die Masse nach kurzer Zeit erstarrt, indem das entstehende Calciumsulfat das Wasser bindet. Der in der Kammer erstarrte Block wird dann fein zerteilt. Die zum Aufschluß erforderliche Schwefelsäuremenge muß durch Vorversuche ermittelt werden; bei unzureichender S c h w e f e l s ä u r e m e n g e entstünde s e k u n däres P h o s p h a t : Ca3(P04)2 + H 2 S0 4 2CaHP0 4 + CaS0 4 , bei Säureüberschuß Phosphorsäure (vgl. S. 265): Ca3(P04)2 + 3H 2 S0 4 2H 3 P0 4 + 3CaS0 4 .
Liegen carbonatreiche, phosphorsäurearme Phosphate vor, so erfolgt der Aufschluß vorteilhaft statt mit S c h w e f e l s ä u r e mit P h o s p h o r s ä u r e , da dann nicht nur das Calciumphosphat, sondern auch das Calciumcarbonat in primäres Phosphat umgewandelt wird: Ca3(P04)a + 4H 3 P0 4 CaC03 + 2H 3 P0 4
3Ca(H2POt)2 Ca(H2P04)2 + C0 2 + H 2 0.
Man erhält so „Doppelsuperphosphat". Der Gipsgehalt des einfachen Superphosphats fällt hier also weg. Auch auf t r o c k e n e m W e g e kann der Aufschluß von Phosphaten erfolgen, indem man ein Gemisch von P h o s p h a t mit S o d a , K a l k und natürlichen A l k a l i s i l i c a t e n bei 1100—1200° im Drehrohrofen sintert. Das so entstehende G l ü h p h o s p h a t , in dem die Phosphorsäure im wesentlichen als C a l c i u m s i l i c o p h o s p h a t 3 C a N a P 0 4 • Ca 2 Si0 4 vorliegt, kommt — zu Pulver vermählen — als „Rhenaniaphosphat" in den Handel. Es enthält zwar kein wasserlösliches Phosphat, wird aber durch o r g a n i s c h e S ä u r e n , wie sie von den aufsaugenden Wurzelhaaren der Pflanzen ausgeschieden werden, zersetzt, so daß es als Düngemittel Verwendung finden kann. Gleiches gilt von dem bei der Eisenerzeugung als Nebenprodukt anfallenden,,Thomasmehl" (S. 531 f.). I n der Praxis bewertet man solche wasserunlöslichen Phosphordünger nach dem Grad der Löslichkeit in 2°/ 0 iger C i t r o n e n s ä u r e l ö s u n g . Infolge seines Gehaltes an w a s s e r l ö s l i c h e m Phosphat eignet sich S u p e r p h o s p h a t vor allem für schnellwachsende Pflanzen, die ein starkes Bedürfnis für leicht aufnehmbare Phosphorsäure haben. Thomasmehl und R h e n a n i a p h o s p h a t werden von den Pflanzen naturgemäß langsamer aufgenommen und vom Regen weniger leicht ausgewaschen. Daher streut man z. B. Thomasmehl bereits im Herbst und Winter aus, während man das Superphosphat erst im Frühjahr auf die Felder gibt.
Ammoniumphosphate. Unter den drei möglichen Ammoniumphosphaten spielt für Düngezwecke das D i - a m m o n i u m p h o s p h a t (NH 4 ) 2 HP0 4 die Hauptrolle; das M o n o s a l z N H 4 H 2 P 0 4 ist zu stickstoffarm, und das T r i - a m m o n i u m p h o s p h a t geht an der Luft von selbst in das Di-ammoniumsalz ü b e r : (NH 4 ) 3 P0 4 —>- (NH 4 ) a HP0 4 + NH 3 . Die Herstellung des Di-ammoniumphosphats erfolgt durch Einleiten von A m m o n i a k in P h o s p h o r s ä u r e l ö s u n g : H 3 P 0 4 + 2 N H 3 —>- (NH 4 ) 2 HP0 4 . Es bildet den Bestandteil einiger wichtiger Mischdünger, so des „Leunaphos" (Mischung von Ammoniumsulfat und Di-ammoniumphosphat), des „Nitrophoska" (Mischung von Ammoniumsulfat bzw. -chlorid, Di-ammoniumphosphat und Kaliumnitrat) und des „Hakaphos" (Mischung von Harnstoff, Kaliumnitrat und Di-ammoniumphosphat).
Der Phosphor
271
Y) Phosphorige Säure Orthophosphorige Säure H3PO3. Die orthophosphörige Säure wird am bequemsten durch Zersetzung von P h o s p h o r t r i c h l o r i d mit W a s s e r dargestellt: PC13 + 3HÖH P(OH)3 + 3HCl. Die hiernach zu erwartende Konstitution I der phosphorigen Säure stimmt nicht mit dem nur zwei basigen Charakter der Säure überein. Man nimmt daher an, daß sich diese symmetrische Form im tautomeren Gleichgewicht mit der unsymmetrischen Form II befindet: H H :Ö: :Ö: H:Ö:P: H:Ö:P:H , H (I) (II) wobei das Gleichgewicht praktisch ganz auf der Seite der letzteren liegt (S. 263f.). Wie bei der schwefligen (S. 204f.) und salpetrigen Säure (S. 242f.) kennt man auch hier von beiden Formen Alkylderivate, nämlich symmetrische Ester P(Oß)3 und unsymmetrische Ester OPR(OR)2. Die reine orthophosphorige Säure H 3 P 0 3 bildet farblose, in Wasser sehr leicht lösliche Kristalle vom Schmelzpunkt 73.6°. Als z w e i b a s i g e S ä u r e dissoziiert sie in zwei Stufen = 8.0 X 1 0 - 3 ; K2 = 2.6 X 1 0 - 7 ) und bildet zwei Reihen von Salzen: primäre Phosphite M e H [ H P 0 3 ] und sekundäre Phosphite M e 2 [ H P 0 3 ] . Von diesen sind die Alkaliphosphite und das Calciumphosphit in Wasser leicht, die anderen schwer löslich. Charakteristisch für die phosphorige Säure ist ihr s t a r k e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n , da sie das Bestreben hat, in die höhere Oxydationsstufe der P h o s p h o r s ä u r e überzugehen. So reduziert sie sich z. B . beim E r h i t z e n im trockenen Zustande unter gleichzeitigem Übergang in Phosphorsäure selbst zu P h o s p h o r w a s s e r s t o f f (S. 257"f.): H 3 P0 3 + 3 H 3 P0 3
^ H 3 P + 3 H 3 P0 4
(11)
und fällt aus Lösungen von Salzen edlerer M e t a l l e die Metalle aus ( H P 0 3 " — > H P 0 3 + 2 ö ; 2Ag' + 2 © — > - 2Ag). An der L u f t oxydieren sich Phosphite nicht, phosphorige Säure nur langsam zur Stufe der Phosphorsäure. Durch s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l ( z . B . naszierenden Wasserstoff) wird phosphorige Säure in P h o s p h o r w a s s e r s t o f f übergeführt ( H 3 P 0 3 + 6 H — H 3 P + 3 H 2 0 ) . Pyrophosphorige Säure H4P2O5 (Smp. 38°, Zers. 130°) und metaphosphorige Säure HPO2 sind nicht durch Erhitzen der orthophosphorigen Säure, sondern nur auf anderem Wege zugänglich. Sie sind von geringer Bedeutung. S) Unterphosphorige Säure. Unter-diphosphorsäure Unterphosphorige Säure HjPO^. Beim Erwärmen mit W a s s e r disproportioniert sich der w e i ß e P h o s p h o r (vgl. S. 256,258) in geringem Maße zu einer tieferen ( P h o s p h o r w a s s e r s t o f f ) und einer höheren Oxydationsstufe ( u n t e r p h o s p h o r i g e S ä u r e ) : 4P + 6H 2 0 ^ ± 1 PH3 + 3 H 3 P 0 2 . Entfernt man die entstehende unterphosphorige Säure durch Salzbildung aus dem Gleichgewicht, d. h. kocht man den weißen Phosphor nicht mit W a s s e r , sondern mit K a l i l a u g e oder B a r i u m h y d r o x y d l ö s u n g , so verschiebt sich das Gleichgewicht nach rechts, so daß die entsprechenden Salze — K H 2 P 0 2 bzw. B a ( H 2 P 0 2 ) 2 — isolierbar sind. Durch Umsetzung des Bariumsalzes mit Schwefelsäure gewinnt man die freie S ä u r e : Ba(H Ä P0 2 ) s + H 2 S0 4 BaS0 4 + 2H 3 P0 2 .
272
Die Stickstoffgruppe
Beim Eindampfen der wässerigen Lösung kristallisiert die Säure in Torrn farbloser Blätter (Smp. 26.5°) aus. Unterphosphorige Säure ist eine einbasige Säure (K= 8.5 XlO - 2 ) und wirkt wesentlich s t ä r k e r r e d u z i e r e n d als phosphorige Säure, wobei sie in phosphorige bzw. P h o s p h o r s ä u r e übergeht. So reduziert sie sich z. B. beim Erwärmen auf 130—140° selbst zu P h o s p h o r w a s s e r s t o f f : H3P02 + 2 H3P02 ^ H3P + 2H 3 P0 3 ; die dabei gleichzeitig entstehende phosphorige S ä u r e disproportioniert sich bei stärkerem Erhitzen weiter in P h o s p h o r w a s s e r s t o f f und P h o s p h o r s ä u r e (11) (vgl. S. 257f.). Gold, Silber, Quecksilber werden sowohl durch die freie Säure als auch durch deren Salze aus den Lösungen ihrer Salze gefällt. Von der phosphorigen Säure unterscheidet sie sich durch ihr Verhalten gegen Kupfersulfatlösung, indem sie das Kupfersulfat nicht nur bis zu metallischem Kupfer, sondern bis zu ,,Kupferhydrid" CuH reduziert. Die Hypophosphite MeH 2 P0 2 sind in Wasser alle leicht löslich. Unter-diphosphorsäure H4P2O6. Läßt man weißen Phosphor sich an f e u c h t e r L u f t langsam o x y d i e r e n , so geht er nicht nur in Säuren der Oxydationsstufe P 2 0 3 (phosphorige S ä u r e H 3 P0 3 ) und P 2 0 5 (Phosphorsäure H 3 P0 4 ), sondern auch in eine solche der mittleren Oxydationsstufe P 2 0 4 (Unter-diphosphorsäureH 4 P 2 0 6 ) über (S. 255): 2P + 20 2 + 2HaO — H 4 P 2 0 6 . Beim Neutralisieren der erhaltenen Lösung mit Soda Na 2 C0 3 kristallisiert das ziemlich schwerlösliche saure N a t r i u m - h y p o d i p h o s p h a t Na 2 H 2 P 2 0 6 • 6H 2 0 aus. Das Salz kann auch durch Oxydation von rotem Phosphor mit W a s s e r s t o f f p e r o x y d in s t a r k a l k a l i s c h e r Lösung mit guter Ausbeute gewonnen werden. Noch schwerer löslich ist das B a r i u m s a l z . Aus diesem läßt sich mittels verdünnter Schwefelsäure (Ausfällung von schwerlöslichem Bariumsulfat) eine wässerige Lösung der freien Säure herstellen: BaH2P20„ + HaS04 >• BaSO + HP 2 0 6 . Beim Eindampfen der Lösimg kristallisiert die Säure wasserhaltig in Form zerfließlicher Kristalle der Zusammensetzung H 4 P 2 0 6 • 2H 2 0 (Smp. 70°) aus. Trocknen des Hydrats im Vakuum über Phosphorpentoxyd führt zur wasserfreien Verbindung H 4 P 2 0 6 (Smp. 55°, Zers. 100°). Unter-diphosphorsäure ist eine vierbasige Säure (K1 = 6.4 X 1 0 - 3 ; K2 = 1.5 X 10 - 3 ; K3 — 5.4 X l O - 8 ; Kn = 9.4XlO - 1 1 ), welche schwächer reduzierend als die phosphorige Säure wirkt. Bei erhöhter T e m p e r a t u r und bei Gegenwart von Mineralsäuren disproportioniert sie sich in wässeriger Lösung in phosphorige und Phosphorsäure: H4Pa06 + H20 ^=±1 H3POs + H a P0 4 . e) Peroxy-monophosphorsäure. Peroxy-diphosphorsäure Die Salze der Peroxy-diphosphorsäure H 4 P 2 0 8 (Peroxy-diphosphate) lassen sich analog den Peroxy-disulfaten Me2S2Og (S. 214) durch e l e k t r o l y t i s c h e O x y d a t i o n von P h o s p h a t e n gewinnen: 2P0 4 "' — ^ P2Og"" + 2 © . Ebenso entsteht die Peroxy-monophosphorsäure H 3 P0 6 analog der Peroxy-monoschwefelsäure H 2 S0 6 (S. 215) durch Hydrolyse der P e r o x y - d i p h o s p h o r s ä u r e : H4Pa08 + HaO
H3P05 + H s P0 4 .
273
Der Phosphor
Beide Säuren sind unbeständig und gehen leicht unter Sauerstoffabspaltung in Phosphorsäure über; demgemäß wirken sie als O x y d a t i o n s m i t t e l .
f) Schwefelverbindungen des Phosphors Beim Zusammenschmelzen von P h o s p h o r und S c h w e f e l erhält man je nach dem Mengenverhältnis der Ausgangsstoffe die einheitlichen Verbindungen P 4 S 3 , P 4 S 7 und P 4 S 1 0 : Smp. Tetraphosphor-trisulfid P 4 S 3 172.5° Tetraphosphor-heptasulfid P 4 S 7 . . 310° Tetraphosphor-dekasulfid P 4 S 1 0 . . . 290°
Sdp. 408° 523° 514°.
Die Reaktion m u ß in Kohlendioxydatmosphäre und mit rotem Phosphor durchgeführt werden, da sonst wegen der starken Wärmeentwicklung (Bildungswärme von P 4 S 3 : 29.4, von P 4 S 7 : 65.7 kcal/Mol) eine explosionsartige Entzündung der Dämpfe erfolgen würde. Das Trisulfid P 4 S 3 kristallisiert aus Schwefelkohlenstoff, in welchem es leicht löslich ist, in F o r m schwach gelber Prismen. Bei 40 bis 60° zeigt es ein dem Leuchten des farblosen Phosphors ähnliches Leuchten; bei 100° entzündet es sich an der Luft. Da es weniger gefährlich als farbloser Phosphor ist, wurde es eine Zeitlang zur Herstellung von Zündhölzern benutzt, welche an jeder Reibfläche zünden. In Schwefelkohlenstofflösung läßt es sich durch Einwirkung von Schwefel (Licht und J o d als Katalysator) in ein Pentasulfid P 4 S 5 überführen, das sich bei höherer Temperatur in P 4 S 3 und P 4 S 7 disproportioniert. Das Heptasulfid P 4 S 7 ist in Schwefelkohlenstoff sehr schwer löslich und wird zum U n t e r schied von P 4 S 3 , das sich an feuchter L u f t nicht verändert, von Wasser langsam unter Bildung von Schwefelwasserstoff zersetzt. Das Dekasulfid P 4 S 1 0 ist in Schwefelkohlenstoff, in welchem es das der Formel P 4 S 1 0 entsprechende Molekulargewicht besitzt, ziemlich löslich und wird beim Erwärmen mit Wasser in Phosphorsäure und Schwefelwasserstoff übergeführt (P 4 S 1 0 + 1 0 H 2 0 >-P 4 O 1 0 + 10H 2 S). Die Dichte des gelben Dampfes entspricht der Molekulargröße P 2 S 8 . An der L u f t verbrennt das Dekasulfid mit bläulich-weißer Flamme. Von den S c h w e f e l - H a l o g e n - V e r b i n d u n g e n des Phosphors sei nur das Phosphorthiochlorid PSC1 3 , das Analogon des Phosphor-oxychlorids POCl 3 , genannt. Es ist entsprechend dem letzteren z. B. aus P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d und S c h w e f e l w a s s e r s t o f f gewinnbar (PC15 + H a S PSC1 3 -(- 2HCl) und stellt eine farblose, bei — 3 5 ° erstarrende u n d bei 125» siedende Flüssigkeit dar, welche durch W a s s e r in P h o s p h o r s ä u r e , S a l z s ä u r e u n d S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zerlegt wird (PSC1 3 + 4 ^ 0 PO(OH) s + K j S + 3HC1).
g) Stickstoffverbindungen des Phosphors Unter den S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n d e s P h o s p h o r s ist das sogenannte Phosphomitril-dichlorid PNC'Lj hervorzuheben, das durch Erhitzen von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit A m m o n i u m c h l o r i d im Autoklaven auf 120° oder in Tetrachloräthan-lösung auf 135° darstellbar ist: PC15 + N H 3
PNC12 + 3 H C l .
Es besitzt wie die Metaphosphorsäure und ihre Salze die Neigung, sich zu p o l y m e r i sieren. Dieses Polymerisationsbestreben ist nach dem früher Gesagten (S. 268f.) leicht verständlich, da die Elektronenformel des monomeren P h o s p h o r n i t r i l - d i c h l o r i d s PNC12 (I) ganz der des monomeren M e t a p h o s p h a t - i o n s P0 3 '(II) entspricht: :C1: :N:P ":C1: (I) Holl ema n- Wi berg, Anorganische Chemie. 40. —46. Aufl.
:Ö: :Ö:P
,
":Ö: (ii)
lg
274
Die Stickstoffgruppe
so daß hier eine ganz analoge Polymerisation zu [PNCl2]n-Molekülen erfolgen kann (vgl. (8), S.269): :C1: :C1: :C1: :N:P:N:P:N:P ":C1:":C1:":C1: Bei k l e i n e n Werten von n (z. B. n = 3, 4, 5, 6 oder 7) schließen sich auch hier die beiden endständigen Atome zum R i n g (vgl. S. 248): (PNC1,)3 (Smp. 114°, Sdp. 256.5°),
(PNC12)4 (Smp. 123.5°, Sdp. 328.5°), (PNC1,)6 (Smp. 41°, Sdp. 224° bei 13 mm Druck), (PNC1,)9 (Smp. 91°, Sdp. 262° bei 13 mm Druck), (PNC12)J (Smp.—18°, Sdp. 293° bei 13 mm Druck).
Bei mehrstündigem Erhitzen von Phosphornitrilchlorid auf 300° bilden sich Glieder mit sehr großem n, also hochmolekulare Ringe wie im Falle des Schwefels (S. 186) und Selens (S. 218), in denen die Atome nach Art von Fig. 91 angeordnet sind. Die k a u t s c h u k a r t i g e n E i g e n s c h a f t e n dieses hochpolymeren Phosphornitril-dichlorids („anorganischer Kautschuk") sind wie beim normalen Kautschuk (II, S. 405f.) oder beim plastischen Schwefel (S. 187) auf die Kräfte zurückzuführen, die bei der durch Dehnung des Stoffs bewirkten Parallelrichtung der Ketten wirksam werden. Bei der Zersetzung mit Wasser gehen die Phosphornitril-dichloride [PNCl2]n (12a) unter gleichzeitiger Bildung von Salzsäure in Metaphosphimsäuren [PN(OH)2]n (12b) über, die ihrerseits bei weiterer Hydrolyse (200—300°) Metaphosphorsäuren (12c), dann Fig. 91. Ausschnitt aus der Atomanordnung (12d) und schließlich des hochmolekularen Phosphornitril-dichlorids Polyphosphorsäuren Orthophosphorsäure (12e) ergeben: PNC12 Ci
cl\ C 1
C1
N
/
P
OH
n^ J
\sr ii /0H
\ p/
n ^ ' Nsr 11 /C1 +6HA i
/K
HO
\
C 1
H0\ h o
/
\
n
/
P
\
O
\/
o h
(a)
OH
(b)
Phosphornitril-dichlorid
O
V
+ 3H.0 HO | — 3NH/ O^
Metaphosphimeäure
OH
>
.OH
^OH
y > • \OH +
HO x |
HO HO +2Hi!0>
(c) Metaphosphorsäure
(12)
OH 0> \ p / ' HO/ ^OH
^
OH
>0 \)(/
^OH
H(e) H Orthophosphorsäure (d)
Polyphosphorsäure
275
Das Arsen
3. Das Arsen a) Elementares Arsen Vorkommen. Arsen kommt in der Natur gelegentlich gediegen (elementar) als „Scherben kobalt" („Fliegenstein") vor. Hauptsächlich findet es sich aber in Form von Verbindungen, und zwar anionisch (nichtmetallisch) in Form von M e t a l l a r s e n i d e n , kationisch (metallisch) in Form von A r s e n s u l f i d e n und A r s e n o x y d e n . Unter den M e t a l l a r s e n i d e n ist das verbreitetste der Arsenkies {„Giftkies", „Mißpickel") FeAsS (FeAs a • FeS 2 ), ein gemischtes Arsenid-Sulfid. Ganz entsprechend zusammengesetzt sind Glanzkobalt CoAsS und Arsennickelkies NiAsS. Es gibt aber auch schwefelfreie Arsenide, z. B. Arsenikalkies FeAs 2 , Weißnickelkies NiAs2, Rotnickelkies NiAs, Speiskobalt CoAs2. I n der Natur vorkommende A r s e n s u l f i d e sind Realgar {„Rauschrot") As 4 S 4 und Auripigment {„Rauschgelb") As 2 S 3 sowie F a h l e r z e wie Tennantit {„lichtes Fahlerz") 4CU2S • As 2 S 3 und Arsensilberblende {„lichtes Rotgültigerz") 3Ag2S • As2S3. Als Verwitterungsprodukt von Arsenerzen findet sich schließlich noch das A r s e n t r i o x y d As 2 0 3 (als Arsenolith und als Claudetit). Darstellung. Die Darstellung des Arsens erfolgt in der Hauptsache durch Erh i t z e n von A r s e n k i e s oder A r s e n i k a l k i e s unter Luftabschluß in liegenden Tonröhren, wobei Arsen absublimiert und in kalten Vorlagen verdichtet wird: FeAsS
FeS + As.
Physikalische Eigenschaften. Arsen tritt in mehreren monotropen Modifikationen auf. Die beständigste Form ist die rhomboedrisch kristallisierte {„graues" oder „metallisches Arsen"). Die Kristalle sind stahlgrau, metallisch glänzend und leiten den elektrischen Strom. Auffallend ist ihre große S p r ö d h e i t ; sie lassen sich in einer Reibschale leicht pulverisieren. Diese Eigenschaft besitzen auch die entsprechenden Formen des homologen Antimons und Wismuts, weshalb man sie häufig als „Sprödmetalle" bezeichnet. Das G i t t e r des grauen Arsens zeigt eine gewisse Verwandtschaft zu dem des s c h w a r z e n P h o s p h o r s . Es besteht aus Doppelschichten, die durch gewellte Sechsringe gebildet werden. Lediglich die Art der „Wellung" und Aneinanderlagerung der Sechsringe ist ein wenig anders 1 (Fig. 92). Die Übereinanderlagerung der Doppelschichten ist außerordentlich dicht, so daß nächstbenachbarte Atome verschiedener Doppelschichten nicht wesentlich weiter voneinander entfernt sind als benachbarte Atome innerhalb einer Doppelschicht (3.15 bzw. 2.51 Á). Es müssen also zwischen den Doppelschichten noch Kräfte wirksam sein, die zugleich für die hohe Lichtreflektion und das elektrische Leitvermögen verantwortlich zu machen sind. Im schwarzen Phosphor (S. 254f.) waren diese Kräfte innerhalb einer Schicht wirksam. Das graue Arsen (spez. Gew. 5.72) ist eine hochpolymere Substanz und kann daher nur unter Veränderung seiner Struktur schmelzen oder verdampfen. Beim Erhitzen unter Luftabschluß im geschlossenen Rohr schmilzt es bei 817° (36 Atmosphären Dampfdruck). Unter gewöhnlichem Druck sublimiert es, ohne zu schmelzen, bei 633°. Der entstehende Dampf ist durchsichtig zitronengelb und besteht aus den gleichen Gründen wie beim Phosphor (vgl. S. 255) bis gegen 800° C aus As4-Molekülen, oberhalb von 1700° aus As2-Molekülen. Schreckt man A r s e n d a m p f ab, z. B. durch K ü h l u n g m i t f l ü s s i g e r L u f t , so erhält man als metastabile Modifikation das „gelbe A rsen", welches sich in Schwefel1 Und zwar entspricht die räumliche Anordnung der Arsenatome in den einzelnen Schichten ganz der Anordnung der Kohlenstoffatome in den schraffierten Schichten (Fig. 96, S. 294) des Diamantgitters.
18*
276
Die Stickstoffgruppe
kohlenstoff leicht auflöst und aus dieser Lösung beim Abkühlen in durchsichtigen, stark lichtbrechenden, wachsweichen Kriställchen vom spezifischen Gewicht 1.97 auskristallisiert. Das gelbe Arsen leitet den elektrischen Strom nicht und zeigt in Schwefelkohlenstoff ein der Formel As4 entsprechendes Molekulargewicht. Das Verhältnis zwischen gelbem und grauem Arsen entspricht dem zwischen weißem und schwarzem Phosphor. Sicherlich ist das Molekül As4 des gelben Arsens wie das Molekül P 4 des weißen Phosphors (S. 253f.) t e t r a e d e r f ö r m i g gebaut. Da das Arsenatom größer als ein Phosphoratom ist, sind die unter starker Spannung stehenden As—As-Bindungen noch schwächer als die P—P-Bindungen. So brechen die Bindungen schon bei Zimmertemperatur auf, so daß das gelbe Arsen viel weniger beständig ist als der weiße Phosphor und schon bei Zimmertemperatur langsam in graues Arsen übergeht. Die Umwandlungsreaktion ist stark lichtempfindlich. Läßt man z. B. im D u n k e l n eine Lösung des gelben Arsens in Schwefelkohlenstoff auf weißem Filterpapier verdunsten, so zeigt dieses am L i c h t nur für wenige Augenblicke eine gelbe Farbe, um sich • I i i dann sehr schnell b r a u n und schließlich As As As grau zu färben. Die Umwandlung unter dem ^Atf^ ^ A S ^ ^AS^ Einfluß von Licht geht selbst bei —180° | | J | | noch schnell vor sich. As As As As As Kondensiert man Arsendampf auf Flächen, ^ T^r ^ A s ^ ^ A s * ^ As^ ^ die 100—200° warm sind, so erhält man [ f f f schwarzglänzende amorphe Formen {„schwarzes y y Arsen"), die glasartig hart und spröde F> As As AS As sind. Sie enthalten wie das graue Arsen As As As As As Doppelschichten von Arsenatomen. DieÜbereinanderlagerung der Schichten ist nur nicht ^ ^AS*^ ^ A s ^ ^ A S ^ ^As*^ ^ f J J j so dicht und regelmäßig, so daß die oben erA b h !b nie / wähnten zusätzlichen Kräfte nicht wirksam %r Papwebene^3 werden können. Die amorphen schwarzen pjg g 2 Arsenformen, die dem roten Phosphor entGitterstruktur des grauen Arsens As^ sprechen, leiten daher den elektrischen Strom nicht. Erhitzt man das glasartige schwarze Arsen zusammen mit metallischem Quecksilber (vgl. S. 254) auf 100—175° C, so entsteht eine instabile rhombische Arsenmodifikation, die dem gleichen Gittertyp angehört wie der schwarze Phosphor und mit diesem leicht Mischkristalle bildet. Wie der Phosphor bildet auch das Arsen Mischpolymerisate. So ist z. B. in dem bei der Reduktion von Arsenverbindungen in wässeriger Lösung entstehenden ,,braunen Arsen" ein Teil der Valenzen des Arsens durch OH-Gruppen abgesättigt. Chemische Eigenschaften. Beim Erhitzen an der L u f t verbrennt das Arsen mit bläulicher Flamme und unter Verbreitung eines eigentümlichen, knoblauchartigen Geruchs zu einem weißen Rauch von A r s e n t r i o x y d As 2 0 3 . In gleicher Weise verbindet es sich mit vielen anderen Elementen. Mit Chlor vereinigt es sich schon ohne vorherige Erwärmung unter Feuererscheinung. Durch s t a r k o x y d i e r e n d e S ä u r e n (konzentrierte Salpetersäure, Königswasser) wird Arsen zur A r s e n s ä u r e , durch weniger s t a r k o x y d i e r e n d e S ä u r e n (verdünnte Salpetersäure, konzentrierte Schwefelsäure) zu a r s e n i g e r S ä u r e oxydiert.
b) Arsenwasserstoff
Darstellung. Arsenwasserstoff (Arsin) AsH3 entsteht bei der Einwirkung von naszierendem W a s s e r s t o f f (Zink und Schwefelsäure) auf lösliche A r s e n v e r b i n dungen, z. B. AS(OH)3 + 6H v AsH3 + 3H 2 0.
Das Arsen
277
Von dieser Bildungsweise macht man bei der „MARSHSchen Probe" auf Arsen (s. unten) Gebrauch. Zur Darstellung größerer Mengen Arsenwasserstoff geht man—in Analogie zur Darstellung von Ammoniak aus Nitriden (S. 228) oder von Phosphorwasserstoff aus Phosphiden (S. 258) — zweckmäßig von einem A r s e n i d , z . B . Zinkarsenid aus und setzt aus dieser Verbindung durch Einwirkung von verdünnter S c h w e f e l s ä u r e die zugrunde liegende „Säure" AsH 3 in Freiheit: Zn3As2 + 3H 2 S0 4
>- 3ZnS0 4 + 2AsH3.
Als N e b e n p r o d u k t entsteht dabei das schon oberhalb von—100° in AsH 3 und As 2 H (rot, fest, hochmolekular) zerfallende Diarsin As 2 H 4 . Physikalisehe Eigenschaften. Arsenwasserstoff ist ein farbloses, außerordentlich giftiges, unangenehm knoblauchartig riechendes Gas, welches bei —62.48° flüssig und bei —116.93° fest wird. Chemische Eigenschaften. Beim Erhitzen spaltet sich der (metastabile) Arsenwasserstoff in seine B e s t a n d t e i l e : AsH3 As + 1V2H2 + 43.5 kcal. Leitet man daher ArsenwasserWasserstoff-Flamme stoff durch ein an einer Stelle 6 Trichterrohr- Y schwer schmelzbares auf Rotglut erhitztes Glasrohr Glasrohr oder hält man in die Flamme von brennendem Arsenwasserstoff ein gekühltes PorzellanWoulfe'sche Calciumchlorid schälchen, so scheidet sich hinFlasche-ter der erhitzten Stelle des Glasrohres bzw. auf der Unterseite -arsenhaltige Lösunq -Zink des Porzellanschälchens das Arsen als metallisch glänzender Fig. 93. MARSHsche Arsenprobe schwarzer A r s e n s p i e g e l ab. Man benutzt diese Reaktion zum analytischen Nachweis von Arsen („MABSH sehe Probe") bei Arsenvergiftungsfällen. Zu diesem Zwecke erzeugt man (vgl. Fig. 93) in einer WOULFEsehen Flasche oder einem sonstigen Gasentwicklungsgefäß durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Zink Wasserstoff und leitet das Gas zur Trocknung durch ein mit Calciumchlorid gefülltes U-Rohr und dann durch ein schwer schmelzbares Glasrohr. Nach Verdrängung der Luft (Probe auf Knallgas; S. 43) zündet man den Wasserstoff an der ausgezogenen Spitze des Glasrohres an und hält ein glasiertes, kaltes Porzellanschälchen darüber. Sind die verwendeten Reagentien arsenfrei, so darf eich am Porzellanschälchen kein dunkler Fleck von Arsen abscheiden („Blindprobe"). Dann wird durch das Trichterrohr die auf Arsen zu prüfende Lösung eingegossen. Ist Arsen vorhanden, so bildet sich Arsen Wasserstoff, der an der Gasaustrittsstelle in der heißen — nunmehr eine fahlblaue Färbung annehmenden — Wasserstoff-flamme zerfällt, so daß sich an dem Porzellanschälchen ein dunkler glänzender Arsenspiegel abscheidet. Statt dessen kann man auch (Fig. 93) das Rohr mit einer Verengung versehen und hier auf Rotglut erhitzen. Dann setzt sich das durch Zerfall gebildete Arsen hinter der Glasverengung als Arsenspiegel ab. Arbeitet man unter stets gleichen Reaktionsbedingungen, so kann man aus der Größe und Dicke des Spiegels angenähert auf die Menge des vorhandenen Arsens schließen. Außer Arsen bildet auch Antimon bei der geschilderten Arbeitsweise einen Metallspiegel. Das Antimon löst sich aber zum Unterschied vom Arsen nicht in Hypochloritlösung, wodurch es von Arsen unterschieden werden kann (vgl. S. 285 u. S. 289). Bei Anwesenheit von g e n ü g e n d L u f t verbrennt Arsenwasserstoff mit hellblauer Flamme zu Wasser und A r s e n t r i o x y d : 2AsH3 + 3 0 2 •—>• As 2 0 3 + 3 H 2 0 ; bei m a n g e l n d e r L u f t z u f u h r oder beim A b k ü h l e n d e r F l a m m e (s. oben) verbrennt nur der Wasserstoff, so daß es zur Abscheidung von A r s e n kommt: 2AsHs + 1.50g —• 2As + 3H 2 0.
278
Die Stickstoffgruppe
Arsenwasserstoff wirkt in wässeriger Lösung s t a r k r e d u z i e r e n d (AsH 3 + 3 H 0 H 6 H ' + 6 0 ) . So fällt er z. B . aus S i l b e r n i t r a t l ö s u n g metallisches S i l b e r aus: _3 + 1 + 3 ±o AsH3 + 3HÖH + 6Ag" - — A s ( 0 H ) 3 + 6H' + 6Ag.
— > - AS{OH)3 +
Mit f e s t e m S i l b e r n i t r a t dagegen reagiert er unter Bildimg von S i l b e r a r s e n i d : ASH3 + 3Ag" >- AsAg3 + 3H', das mit überschüssigem Silbernitrat die gelbe Doppelverbindung AsAg 3 • 3 A g N 0 3 bildet. Bei Wasserzusatz wird diese unter Bildung von arseniger Säure und Abscheidung von m e t a l l i s c h e m S i l b e r zerlegt (AsAg 3 -f 3 A g ' + 3 H O H ->- As(OH) 3 + 3 H ' + 6Ag). Von dieser Reaktion macht man bei der „GUTZEITsehen Arsenprobe" Gebrauch. Sie wird so ausgeführt, daß man in einem Reagensglas wie bei der MARSHschen Probe durch Einwirkung von naszierendem Wasserstoff auf die arsenhaltige Lösung Arsenwasserstoff erzeugt, diesen durch einen Wattebausch im oberen Ende des Reagensglases von Flüssigkeitsspritzern befreit und dann auf einen Silbernitratkristall einwirken läßt, der auf einem die Mündung des Reagensglases bedeckenden Stück Filtrierpapier liegt. Die Gegenwart von Arsen zeigt sich durch Gelbfärbung, bei Feuchtigkeitszutritt durch Schwärzung des Silbernitrats an. Phosphorwasserstoff und Antimonwasserstoff geben ähnliche Reaktionen.
c) Halogenverbindungen des Arsens Wie Phosphor bildet auch Arsen mit den Halogenen Verbindungen des Typus ASX3 und AsXj: AsFs (farblose Flüssigkeit, Smp. —8.5°, Sdp. 63°), AsCl3 (farblose Flüssigkeit, Smp. —16.0°, Sdp. 130.2°), AsBr3 (farblose Kristalle, Smp. 31.2°, Sdp. 221°), AsJ3 (rote Kristalle, Smp. 141.8°, Sdp. 403°); A S F 5 (farbloses Gas, Smp. —79.8», Sdp. —52.8»), A s C l t ( f a r b l o s e F l ü s s i g k e i t , S m p . ~ — 4 0 » ) ,
ASJ5 (braune Kristalle, Smp. 76"). Die Existenz der beiden letztgenannten Verbindungen ist noch nicht ganz sichergestellt. Arsentrichlorid AsClj kann — wie alle Arsenhalogenide — aus den Elementen gewonnen werden, indem man Arsen im Chlorgas verbrennt: As + lViCl g AsCls. Einfacher erfolgt die Darstellung durch Überleiten von trockenem Chlorwasserstoff über erhitztes (180—200°) Arsentrioxyd: AS203 + 6 HCl >- 2ASC13 + 3H a O. In wässeriger Lösung führt die Reaktion nur zu einem Gleichgewicht, da Arsentrichlorid von Wasser umgekehrt wieder zu arseniger Säure und Salzsäure hydrolysiert wird. Verwendet man allerdings einen genügenden Überschuß an konzentrierter Salzsäure, so kann man das im Gleichgewicht befindliche Arsentrichlorid (zusammen mit Salzsäuredämpfen) durch Abdestillieren aus dem Gleichgewicht entfernen, so daß schließlich alle arsenige Säure in Form von Arsentrichlorid übergeht. Man benutzt diese Methode zur analytischen Abtrennung des Arsens von Antimon und Zinn.
d) Sauerstoffverbindungen des Arsens Arsen bildet zwei S a u e r s t o f f s ä u r e n : die arsenige Säure H 3 As0 3 (Salze: Arsenite Me*As0 3 ) und die Arsensäure H 3 As0 4 (Salze: Arsenate Me|As0 4 ). Außerdem kennt man drei A r s e n o x y d e : das Anhydrid der arsenigen Säure (Arsentrioxyd) A s 2 0 3 ) das Anhydrid der Arsensäure (Arsenpentoxyd) As 2 0 6 und das gemischte Anhydrid der arsenigen und Arsensäure (Arsentetroxyd) As 2 0 4 . o ) Arsentrioxyd. Arsenige Säure Vorkommen. Arsentrioxyd („Arsenik") kommt in der Natur als kubischer Arsenolith (Arsenikblüte) und als monokliner Claudetit vor. Darstellung. Arsentrioxyd entsteht bei der Verbrennung von A r s e n an der L u f t bzw. in S a u e r s t o f f oder bei der Oxydation von A r s e n mit verdünnter S a l p e t e r s ä u r e . T e c h n i s c h wird es im großen durch A b r ö s t e n a r s e n h a l t i g e r E r z e dargestellt:
Das Areen
2 FeAs S + 5 0 2
279
>- Fe 2 0 3 + 2 S 0 2 + As 2 0 3 .
Hierbei verflüchtigt es sich und wird in lange, gemauerte Kanäle {„Giftfänge") geleitet, in denen sich die zunächst noch unreine Substanz zu einem weißen Pulver verdichtet. Die Reinigung durch Sublimation liefert je nach der Temperatur, bei der die Wiederverdichtung erfolgt, ein lockeres weißes Pulver {„Giftmehl") oder ein farbloses, glasiges Produkt {„Arsenglas"). Physikalische Eigenschaften. I n den Handel gelangt das Arsentrioxyd gewöhnlich in der letztgenannten, durchsichtigen, amorphen Form (spez. Gewicht 3.70). Bewahrt man diese längere Zeit auf, so wird sie allmählich porzellanartig undurchsichtig, weil sie sich in ein Agglomerat regulär-oktaedrischer Kriställchen (spez. Gewicht 3.87) verwandelt. Besser erhält man diese kubische Form des Arsentrioxyds, wenn man die amorphe Form in Wasser oder Salzsäure löst und wieder auskristallisieren läßt. Bei dieser Kristallisation beobachtet man im Dunkeln ein deutliches Leuchten (,, Tribolumineszenz"). Die kubische Form ist die bei Zimmertemperatur beständige Modifikation des Arsentrioxyds. Bei 221° geht sie in eine andere m o n o k l i n e Modifikation (spez. Gewicht 4.15) über: 221" A s 2 0 3 monokün •
A s 2 0 3 kubisch -
• As 2 0 3 + 0 2 .
Die vom Arsenpentoxyd abgeleitete Arsensäure H 3 As0 4 ist eine d r e i b a s i g e , mittelstarke Säure: H 3 AS0 4 H' + H2As04' 2H" + HAs0 4 " ^=±1 3H' + As0 4 '" und etwas schwächer als Phosphorsäure. Dementsprechend leiten sich von ihr p r i m ä r e (MeH 2 As0 4 ), s e k u n d ä r e (Me 2 HAs0 4 ) und t e r t i ä r e (Me3As04) Salze (Arsenate) ab. In wässeriger Lösung liegen diese Arsenate wahrscheinlich in hydratisierter Form als „Hydroxosalze" — z. B. H 2 As0 4 ' • 2 H 2 0 = [As(OH) 6 ]' — vor. In ihren Löslichkeitsverhältnissen entsprechen die Arsenate im allgemeinen den Phosphaten. So fällt z. B. bei Zusatz von Ammoniumchlorid, Ammoniak und Magnesiumsalz zu einer Arsenatlösung das mit dem Ammonium-magnesium-phosphat (S. 267) isomorphe weiße, kristalline Ammonium-magnesium-arsenat NH 4 MgAs0 4 aus (HAs0 4 " + NH 4 ' + Mg" •—>• NH 4 MgAs0 4 + H'), das analog ersterem beim Glühen in Magnesiumpyroarsenat übergeht (2NH 4 MgAs0 4 —>• Mg 2 As 2 0 7 + 2NH 3 + H 2 0 ) . Mit Ammoniummolybdat entsteht in stark salpetersaurer Lösung ein gelber, feinkristalliner Niederschlag der Zusammensetzung (NH4)3[AS(MO3O10)4] (vgl. S. 267 und 518f.). Das Silbersalz Ag 3 As0 4 ist zum Unterschied vom gelben Ag 3 P0 4 (S. 267) rotbraun. Technisch wird vor allem das Calc i u m - a r s e n a t für die Zwecke der Schädlingsbekämpfung hergestellt. Die Arsensäure unterscheidet sich von der Phosphorsäure charakteristisch durch ihr O x y d a t i o n s v e r m ö g e n . So führt sie z. B. schweflige Säure in Schwefelsäure über und macht in Umkehrung von (1) aus angesäuerter Jodkaliumlösung Jod frei.
e) Schwefelverbindungen des Arsens Arsen bildet mit S c h w e f e l drei Verbindungen: As 4 S 4 , AS2S3 und As 2 S 5 . Von diesen Sulfiden kommt in der Natur die Verbindung As 4 S 4 als Realgar („Rauschrot", „rote Arsenblende", „Rubinschwefel„Sandarach") und die Verbindung As 2 S 3 als Auripigment („Rauschgelb", „gelbe Arsenblende") vor. Realgar AS4S4 kann künstlich durch Zusammenschmelzen von A r s e n und S c h w e f e l im entsprechenden Mengenverhältnis gewonnen werden. T e c h n i s c h stellt man ihn durch Sublimieren eines Gemenges von A r s e n k i e s FeAsS (FeAsS >• FeS + AS) und S c h w e f e l k i e s FeS 2 (FeS 2 -—>• FeS + S) her. Er bildet eine rote, glasige Masse („Rotglas") und gibt beim Verreiben ein orangefarbenes Pulver. Beim Erhitzen schmilzt (Smp. 320°) und verdampft (Sdp. 665°) er unzersetzt. Der Dampf besteht bis 600° aus As 4 S 4 -Molekülen; oberhalb von 800° sind nur noch As2S2-Moleküle nachzuweisen. Mischungen mit S a l p e t e r setzen sich beim Erhitzen unter starker W ä r m e e n t w i c k l u n g und blendend weißer L i c h t e r s c h e i n u n g zu A r s e n i k und S c h w e f e l d i o x y d um (As 4 S 4 + 1 4 0 >- 2As20 3 + 4 S0 2 ). Rotglas wird hauptsächlich in der Gerberei zur Enthaarung von Fellen (weißes Handschuhleder), in kleineren Mengen in der Malerei und bei Feuerwerkssätzen verwendet.
Die Stickstoffgruppe
282
Auripigment As^Sj läßt sich künstlich durch Zusammenschmelzen von A r s e n und S c h w e f e l in dem der Formel entsprechenden Mengenverhältnis darstellen: 2As + 3S >• As 2 S 3 . Auch entsteht es beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in eine saure Lösung von a r s e n i g e r S ä u r e : 2As(OH) 3 + 3H 2 S >- As 2 S 3 + 6 H 2 0 . Das in der T e c h n i k durch Sublimieren von A r s e n i k und S c h w e f e l erhaltene „Operment" („Oelbglas") enthält nur geringe Mengen Trisulfid und besteht im wesentlichen aus unverändertem Trioxyd; daher ist es zum Unterschied vom reinen Trisulfid giftig. Arsentrisulfid As 2 S 3 stellt eine zitronengelbe Verbindung dar, die bei 300° zu einer roten Flüssigkeit schmilzt und bei Ausschluß von Luft bei 707° unzersetzt siedet. Unter dem Namen „Königsgelb" (reines Arsentrisulfid) und „Operment" (s. oben) wird es als Malerfarbe verwendet. Das in der Natur vorkommende Auripigment weist eine schöne goldglänzende Farbe auf. Da Arsentrisulfid in Wasser und Säuren unlöslich ist, wird es von der Magensäure nicht gelöst, so daß es vom menschlichen Organismus nicht in nennenswerten Mengen aufgenommen wird und daher auch nicht giftig wirkt. Leichtlöslich ist es in A l k a l i s u l f i d - und A m m o n i u m s u l f i d l ö s u n g e n unter Bildung von Thioarseniten (s. unten). Arsenpcntasulfid AS2S5. Leitet man bei Zimmertemperatur in eine stark salzsaure Lösung von A r s e n s ä u r e in raschem Strome S c h w e f e l w a s s e r s t o f f ein, so fällt alles Arsen als gelbes Pulver der Zusammensetzung As2S5 aus: 2H 3 As0 4 + 5H 2 S >• As 2 S 5 + 8 H 2 0 . Die Verbindung kann auch durch Zusammenschmelzen von Arsentrisulfid und Schwefel erhalten werden. Sie ist in Wasser und Säuren unlöslich und läßt sich bei Luftausschluß unzersetzt sublimieren. In A l k a l i s u l f i d l ö s u n g e n ist sie analog dem Arsentrisulfid leicht unter Bildung von Thioarsenaten löslich (s. unten). Thioarsenite und Thioarsenate. Arsentrioxyd und Arsenpentoxyd setzen sich als Säureanhydride leicht mit Alkalien unter Bildung löslicher A r s e n i t e und A r s e n a t e u m : A S J O J + 6 OH' >• 2 A s 0 8 ' " + 3 H 2 0 As t O. + 6 OH' 2As04"' + 3HaO. Noch stärker ausgeprägt ist dieser s a u r e C h a r a k t e r bei den entsprechenden S u l f i d e n . So lösen sich diese z. B. in S u l f i d l ö s u n g e n ganz entsprechend unter Bildung von Thio-arseniten und Thio-arsenaten auf: AsjSj + 6 S H '
2AsS s '" + 3H 2 S
As a S { + 6 S H '
2AsS 4 '" + 3 H s S .
Bei Anwendung von A l k a l i e n an Stelle von Sulfidlösungen entstehen S c h w e f e l - und S a u e r s t o f f s a l z e nebeneinander: As a S a + 6OH'
AsS s "' + AsO s '" + 3 H 2 0 .
Behandelt man A r s e n t r i s u l f i d mit s c h w e f e l h a l t i g e n Sulfidlösungen (z. B. ,,gelbem Schwefelammon", Polysulfidlösungen), so bilden sich infolge Anlagerung von Schwefel nicht T h i o a r s e n i t e , sondern T h i o a r s e n a t e : As a S, + 6SH' + 2 S >- 2AsS 4 "' + 3 H a S . Die den Thioarseniten und Thioarsenaten zugrundeliegenden S ä u r e n H s AsS s und H g AsS 4 sind n i c h t b e s t ä n d i g , sondern zerfallen unter S c h w e i e l w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g und Bildung der „Anhydrosulfide" As 2 S 3 und As a S s : 2H a AsSj
3H 2 S + As a Sj
2H s AsS 4
3 H , S + As 2 S,.
Der Vorgang entspricht der — weniger leicht erfolgenden — Abspaltung von W a s s e r aus den S a u e r s t o f f s ä u r e n unter Bildung der Anhydride As 2 0 3 und As 2 0 6 : 2H,AsO,^=±: 3 H 2 0 + As s O,
2H s As0 4
3H a O + As a O,.
4. Das Antimon a) Elementares Antimon Vorkommen. Antimon findet sich in der Natur analog dem Arsen (S. 275) in Form von A n t i m o n s u l f i d e n , M e t a l l a n t i m o n i d e n und A n t i m o n o x y d e n . Das verbreitetste Erz ist der Grauspießglanz (Antimonglanz, Antimonit, Stibnit) Sb 2 S 3 . Andere S u l f i d e sind z. B. das Schwarzerz (dunkles Fahlerz) 4CuäS • Sb 2 S 3 , die Antimonsilberblende (dunkles Rotgültigerz) 3Ag2S • Sb 2 S 3 , der Bournonit 3(Pb, Cu2)S •
Das Antimon
283
Sb 2 S 3 , der Silberantimonglanz Ag 2 S • Sb 2 S 3 , der Kupferantimonglanz Cu 2 S • Sb 2 S 3 und -der Bleiantimonglanz P b S • Sb 2 S 3 . Unter den M e t a l l a n t i m o n i d e n seien erwähnt: der Breithauptit NiSb, der Ulimannit NiSbS und der Diskrasit Ag 2 Sb. Als Zersetzungsprodukt des Grauspießglanzes tritt der Weißspießglanz (Antimonblüte) Sb 2 0 3 auf. I n Form der Doppelverbindung 2 Sb 2 S 3 • Sb 2 0 3 kommt dieses Oxyd a u c h als Rotspießglanz
(Antimonzinnober,
Antimonblende,
Pyrostibit)
in d e r N a t u r v o r .
Gelegentlich findet sich Antimon auch g e d i e g e n , meist in isomorpher Mischung mit Arsen (Allemontit). Darstellung. Metallisches Antimon kann nach zwei Verfahren aus dem Grauspießglanz gewonnen werden. Bei dem einen Verfahren wird der G r a u s p i e ß g l a n z mit E i s e n in Tiegeln oder Flammöfen verschmolzen (,,Niederschlagsarbeit"), wobei sich der Schwefel mit dem Eisen verbindet: Sb2S3 + 3Fe >• 2Sb + 3FeS. Bei dem anderen Verfahren wird das S u l f i d g e r ö s t e t , wobei es in das beständige, nichtflüchtige T e t r o x y d Sb 2 0 4 übergeht, das sich dann in Flammöfen durch Glühen mit K o k s oder H o l z k o h l e zu Metall reduzieren läßt („Röstreduktionsarbeit"): Sb2S3 + 50 2 •—> Sb 2 0 4 + 3S0 2 Sb204 + 4C > 2Sb + 4CO. Erfolgt das Abrösten bei b e g r e n z t e r L u f t z u f u h r , so entsteht statt des T e t r o x y d s das in der Hitze flüchtige T r i o x y d Sb 2 0 3 , das in Kondensationseinrichtungen niedergeschlagen wird. Das so erhaltene R o h a n t i m o n enthält meist noch Schwefel, Arsen, Kupfer, Blei und Eisen. U m diese Beimengungen zu entfernen, schmilzt man es mit Soda, wobei die Verunreinigungen oxydiert werden und sich in der Schlacke ansammeln. Grauspießglanzerze, welche größere Mengen Gangart enthalten, werden vor der Verarbeitimg auf Antimon so weit erhitzt, daß das verhältnismäßig leicht schmelzende Antimonsulfid (Smp. 546°) auf schräger Unterlage ausfließt („Seigerarbeit"). Das so „ausgeseigerte" Antimonsulfid (92—98°/ 0 Sb 2 S 3 ) wird ,,Antimonium crudum" genannt. Physikalische Eigenschaften. Antimon kommt wie Phosphor und Arsen in mehreren Modifikationen vor. Das gewöhnliche, rhomboedrisch kristallisierte Antimon (,,graues" oder „metallisches Antimon") ist eine silberweiße, stark glänzende, blättriggrobkristalline, spröde und leicht zu pulverisierende Substanz vom spez. Gewicht 6.69. Es leitet den elektrischen Strom gut, schmilzt bei 630.5° C und siedet bei 1640° C. Das K r i s t a l l g i t t e r ist völlig analog dem des g r a u e n A r s e n s (Fig. 92, S. 276) und enthält daher auch die aus gewellten Sechsringen gebildeten Doppelschichten (Sb—SbAbstand: 2.87 Ä). Der Antimondampf besteht nach den Dichtebestimmungen aus Sb 4 und Sb 2 -Molekülen. Die dem r o t e n P h o s p h o r und s c h w a r z e n A r s e n entsprechende Phase („schwarzes Antimon") entsteht durch Aufdampfen von Antimon auf gekühlte Flächen. Da die Antimonatome recht groß sind, ist die Stärke der Bindung zwischen den einzelnen Atomen so gering, daß das amorphe Netzwerk schon bei 0° C beginnt, sich in das Kristallgitter des g r a u e n A n t i m o n s mit seinen streng geordnet übereinanderliegenden und dicht gepackten Doppelschichten umzuwandeln. Die amorphe Phase leitet ebenso wie die amorphe glasige Arsenphase den elektrischen Strom nicht. Eine dem w e i ß e n P h o s p h o r und g e l b e n A r s e n entsprechende, aus Sb4-Molekülen bestehende Modifikation gibt es nicht. Das in der Gasphase existierende Sb 4 Molekül ist also schon so instabil, daß selbst beim Abschrecken mit flüssiger Luft ¿gleich eine Umwandlung in die Doppelschichten der amorphen Phase erfolgt.
284
Die Stickstoffgruppe
Das sogenannte „gelbe Antimon", von dem man früher annahm, daß es aus Sb 4 Molekülen bestehe, ist ein Mischpolymerisat aus Antimon und Wasserstoff und steht daher in Analogie zum festen gelben Phosphorwasserstoff (S. 257, 259). E s entsteht durch Einleiten von Sauerstoff oder Chlor in flüssigen Antimonwasserstoff bei —90° C. Der entstehende gelbe Niederschlag lagert sich schon im Dunkeln bei —80° C in eine schwarze Phase um, die noch nicht näher untersucht ist. Wahrscheinlich besteht sie im wesentlichen aus Antimon mit Fremdsubstanz, insbesondere Wasserstoff, der beim Erhitzen als Antimonwasserstoff entweicht. Das sogenannte „explosive Antimon" entsteht bei der Elektrolyse von Antimonchlorid, -bromid oder -jodid in salzsaurer Lösung bei tiefen Temperaturen. E s ist glasartig amorph und geht beim Ritzen, Pulvern oder schnellen Erhitzen unter Aufglühen und Versprühen explosionsartig in das energieärmere, kristallisierte gewöhnliche Antimon über. Das explosive Antimon baut sich in völliger Analogie zum glasigen Arsen aus jenen Doppelschichten auf, die auch für das kristallisierte graue Antimon charakteristisch sind. Der Abstand zwischen Atomen zweier benachbarter Doppelschichten ist von 3.37 Ä im rhomboedrischen Antimon um 0.35 Ä auf 3.72 A aufgeweitet. Außerdem ist die Art der Übereinanderlagerung der Doppelschichten nicht ganz die gleiche wie in der kristallinen Phase. I m Gegensatz zum Kristall besitzen die Doppelschichten nur eine begrenzte Ausdehnung. Am Rande sind die freien Valenzen durch Fremdatome, insbesondere Halogen (je nach den Darstellungsbedingungen z.B. 7—20 Atom-% Chlor) abgesättigt. Bei der Umwandlung zur kristallinen Phase verdampft die Hauptmenge des Chlors als Antimonchlorid. Chemische Eigenschaften. Bei gewöhnlicher Temperatur verändert sich kristallines Antimon an der L u f t nicht. Beim E r h i t z e n über den Schmelzpunkt verbrennt es m i t bläulich-weißer Flamme zu A n t i m o n t r i o x y d Sb 2 0 3 . Mit C h l o r g a s vereinigt es sich in feingepulvertem Zustande unter Feuererscheinung zum P e n t a c h l o r i d SbCl 6 ; ebenso reagiert es energisch mit den anderen Halogenen. I n n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n wie Salzsäure oder verdünnter Schwefelsäure ist Antimon entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (e 0 = + 0.1 bis + 0.2 Volt) n i c h t l ö s l i c h . I n S a l p e t e r s ä u r e löst es sich — je nach der Säurekonzentration — unter Bildung von a n t i m o n i g e r oder A n t i m o n s ä u r e . I n seinen Verbindungen ist Antimon fast ausschließlich d r e i - und f ü n f w e r t i g . Das f ü n f w e r t i g e A n t i m o n zeigt in saurer Lösung großes Bestreben, in dreiwertiges Antimon überzugehen, und wirkt daher o x y d i e r e n d , z. B. gegenüber Jodidlösungen (Sb + 2 J ' — S b ' " + J 2 ). Formal v i e r w e r t i g tritt Antimon nur in Form des — lediglich in Lösung b e k a n n t e n — T e t r a c h l o r i d s SbCl4 und der sich davon ableitenden Komplexsalze Me|[SbCl 6 ] auf. Antimon wird hauptsächlich zur Darstellung von L e g i e r u n g e n verwendet, da es die Eigenschaft besitzt, weiche Metalle wie Zinn oder Blei bedeutend zu h ä r t e n . Einige wichtige B l e i - A n t i m o n - L e g i e r u n g e n (Letternmetall, Lagermetalle) und Z i n n - A n t i m o n - L e g i e r u n g e n (Britanniametall, Lagermetalle) werden wir beim Blei (S. 358f.) und Zinn (S. 353) kennenlernen.
b) Antimonwasserstoff Darstellung. Der Antimonwasserstoff SbH 3 (Stibin) bildet sich analog dem Arsenwasserstoff ASH3 (S. 276) bei der Einwirkung von n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f auf lösliche A n t i m o n v e r b i n d u n g e n : Sb(OH)s + 6H — S b H
s
+ 3H a O.
Das Antimon
285
Größere Mengen stellt man zweckmäßig durch Eintragen eines A n t i m o n i d s (z. B . einer durch Erhitzen von 2 Gewichtsteilen Magnesium mit 1 Gewichtsteil Antimon erhältlichen Legierung) in kalte verdünnte S a l z s ä u r e dar (vgl. S. 277): Mg3Sb2 + 6 HCl -—>- 3MgCla + 2SbH 3 .
I n beiden Fällen besteht das entstehende Gas zur Hauptsache aus W a s s e r s t o f f , von dem der beigemengte Antimonwasserstoff durch Kondensation mittels flüssiger Luft abgetrennt werden kann. Physikalische Eigenschalten. Antimonwasserstoff ist wie Arsenwasserstoff ein farbloses, übelriechendes, giftiges Gas, das sich bei —17° zu einer Flüssigkeit verdichtet, welche bei —88° erstarrt. Chemische Eigenschaften. Der Antimonwasserstoff ist eine stark e n d o t h e r m e Verbindung (34.8 kcal -)- Sb -f- l l / a H 2 •—>- SbH 3 ). Daher zersetzt er sich explosionsartig in die Elemente, wenn er an einer Stelle entzündet wird. Auch bei gewöhnlicher Temperatur macht sich dieser Zerfall schon bemerkbar, und zwar ist die Zersetzungsgeschwindigkeit in reinen Glasgefäßen zunächst äußerst gering, um dann entsprechend der Menge des abgeschiedenen Antimons zuzunehmen (,,Autokatalyse"). Im übrigen entsprechen die chemischen Eigenschaften des A n t i m o n w a s s e r s t o f f s weitgehend denen des A r s e n w a s s e r s t o f f s . Beim Durchleiten des Antimonwasserstoffs durch das erhitzte Glasrohr des M A R S H sehen Apparates (S.277) entsteht ein A n t i m o n s p i e g e l ; an einer in die fahlgrün brennende Flamme des AntimonwasserstoffWasserstoff • Gemisches gehaltenen kalten Porzellanschale scheidet sich ein Antimonfleck ab. Dieser Antimonfleck unterscheidet sich von dem in gleicher Weise entstehenden Arsenfleck durch dunklere Farbe, Unlöslichkeit in Natriumhypochloritlösung und geringere Flüchtigkeit beim Erhitzen im Wasserstoffström. Mit S i l b e r n i t r a t bildet Antimon Wasserstoff eine braungelbe Doppelverbindung Ag 3 Sb • 3 AgN0 3 (vgl. S. 278), die beim Befeuchten mit Wasser unter Abscheidung von schwarzem Silberantimonid Ag 3 Sb zerlegt wird.
c) Halogenverbindungen des Antimons Die Halogenide des Antimons haben die allgemeine Zusammensetzung SbX3 (SbF s , lose, zerfließliche Kristalle, Smp. 292»; SbCl,, farblose Masse, Smp. 73.4°, Sdp. 223°; SbBr 3 , lose Kristalle, Smp. 96.6°, Sdp. 288»; SbJ 3 , rubinrote Tafeln, Smp. 170°, Sdp. 401°) und (SbF s , farblose, ölige Flüssigkeit, Smp. 7.0°, Sdp. 149.5°; SbCl5, gelbe Flüssigkeit, Smp. Sdp. 140°; SbJ 5 , braune Flüssigkeit, Sdp. 79°). Antimontrichlorid SbCl3 wird erhalten, wenn man feingepulverten heißer, konzentrierter S a l z s ä u r e auflöst: Sb 2 S 3 + 6 HCl >- 2 SbCl3 + 3 H 2 S .
farbfarbSbX, 2.8°,
G r a u s p i e ß g l a n z in
Es stellt eine farblose, durchscheinende, kristallin-blättrige, weiche Masse dar („Antimonbutter"), die bei 73.4° schmilzt und bei 223° siedet. In wenig Wasser löst es sich klar auf. Bei weiterer Zugabe von Wasser scheiden sich infolge Hydrolyse basische Chloride (Oxychloride) ab, z. B. SbOCl (Antimonylchlorid; SbCl3 + H 2 0 SbOCl + 2 HCl) und 2 SbOCl • Sb 2 0 3 (AIgarotpulver; 2SbCl 3 + 3 H 2 0 Sb 2 0 3 + 6HCl). Beim K o c h e n mit W a s s e r geht alles Antimonchlorid in A n t i m o n t r i o x y d Sb 2 0 3 über. Das Algarotpulver wurde früher als Heilmittel verwandt. Auch die anderen Trihalogenide des Antimons werden von Wasser hydrolysiert, am wenigsten das Fluorid. Beständiger gegen Wasser sind die komplexen, aus Antimon-trihalogenid und Alkalihalogeniden entstehenden Halogeno-aniimonite der allgemeinen Zusammensetzung Me I [SbX 4 ], Me*[SbX 6 ] und Me*[SbX,]. Antimonpentachlorid SbCl5 entsteht bei der Behandlung von A n t i m o n t r i c h l o r i d mit Chlori SbCl3 + Cl2 1 = ± . SbCl 5 . Es stellt eine zitronengelbe, rauchende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 2.35 dar, welche bei 2.8° erstarrt und bei 140° unter beginnender Zersetzung inTrichlorid und Chlor siedet. Mit kleinen
Die Stickstoffgruppe
286
Mengen Wasser bildet das Pentachlorid Hydrate wie SbCl 5 • H 2 0 und S b C l 6 - 4 H 2 0 ; von überschüssigem Wasser wird es zu Antimonsäure und Salzsäure hydrolysiert. Mit zahlreichen Metallchloriden vereinigt es sich zu Hexachloro-antimonaten des Typus MeifSbCl,]. Auch das Fluorid SbF 6 bildet solche Komplexverbindungen Me[SbF e ]. Das Bromid SbBr 6 ist nur in Form dieser Doppelverbindungen Me[SbBr 9 ] erhältlich. Die Existenz eines Jodids SbJ 6 ist noch fraglich.
d) Sauerstoffverbindungen des Antimons Antimon bildet zwei S a u e r s t o f f s ä u r e n : Die antimonige Säure H S b 0 2 und die Antimonsäure H S b 0 3 (bzw. H S b 0 3 • 3 H 2 0 = H 7 S b 0 6 = H[Sb(OH) 6 ]; vgl. S. 287, 356). Außerdem kennt man drei A n t i m o n o x y d e : das Anhydrid der antimonigen Säure (Antimontrioxyd) Sb 2 0 3 , das Anhydrid der Antimonsäure (Antimonpentoxyd) Sb 2 0 6 und das gemischte Anhydrid der antimonigen und Antimonsäure (Antimontetroxyd) Sb 2 0 4 . Antimontrioxyd; antimonige Säure. Antimontrioxyd kommt in der Natur sowohl kubisch (Senarmontit) als auch rhombisch (Valentinit, Antimonblüte, Weißspießglanz) kristallisiert vor. Es bildet sich beim V e r b r e n n e n v o n A n t i m o n an der L u f t (2Sb + IV2O2 —>- Sb 2 0 3 ) sowie z. B. bei der H y d r o l y s e von A n t i m o n c h l o r i d in siedender Sodalösung (2SbCl 3 + 3HOH ^ r i i Sb 2 0 3 + 6HC1; 6HC1 + 3Na 2 CO s — 6NaCl + 3C0 2 + 3H 2 0). Antimontrioxyd stellt ein weißes, beim Erhitzen gelb und beim Erkalten wieder weiß werdendes, in Wasser nahezu unlösliches Pulver vom Schmelzpunkt 656° und Siedepunkt 1550° dar. Wie Arsentrioxyd kommt es in zwei enantiotropen Modifikationen vor, deren Umwandlungspunkt bei 570° liegt: 3.2 kcal +
570'
S b 2 0 3 kubisch -
- 2 S b S 4 " ' ) . Anttmontrisulfid SbsSs schmilzt bei 546° und wandelt sich beim Erhitzen unter Luftabschluß in die beständigere grauschwarze Modifikation (Grauspießglanz) um. Zum Unterschied vom weniger basischen Arsentrisulfid A s ^ ist es in starken Säuren löslich (vgl. S. 285). Antimonpentasulfid SbaSs dient als ,,Ooldschwefel" zum Vulkanisieren von Kautschuk und verleiht den so vulkanisierten Gummi waren die charakteristische rote Farbe. Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von Goldschwefel erfolgt durch Zersetzung von N a t r i u m - t h i o a n t i m o n a t („ScHLlPPEsches Salz") mit S ä u r e n : 2 S b S 4 ' " + 6H-
>- Sb 2 S 5 +
3H2S.
Das ScHLiPPEsche Salz wird dabei durch Kochen von G r a u s p i e ß g l a n z - P u l v e r mit S c h w e f e l und N a t r o n l a u g e gewonnen; hierbei setzen sich Schwefel und Natronlauge teilweise zu Natriumsulfid um, welches dann mit dem Antimontrisulfid bei gleichzeitiger Einwirkung von Schwefel Thioantimonat bildet: Sb 2 S 3 + 3 S " + 2 S > 2 S b S 4 " ' . Aus der Lösung kristallisiert beim Erkalten das SCHUPPE sehe Salz als hellgelbes Salz der Formel Na 3 SbS 4 • 9 H 2 0 aus.
5. Das Wismut a) Elementares Wismut Yorkommen. Wismut kommt in der Natur nicht in größeren Mengen vor. Es wird hauptsächlich in Südamerika (Bolivien) und Australien (Tasmanien) gefunden, und zwar sowohl gediegen als auch in Form des S u l f i d s Bi 2 S 3 (Wismutglanz) und des Oxyds Bi 2 0 3 (Wismutocker). Wie Arsen und Antimon kommt es weiterhin gelegentlich in Form von D o p p e l s u l f i d e n vor, z. B. als Bleiwismutglanz PbS • Bi 2 S 3 , Silberwismutglanz Ag2S • Bi 2 S 3 und Kupferwismutglanz Cu2S • Bi 2 S 3 . Darstellung. Zur Darstellung des Wismuts kann man von den oxydischen oder von den sulfidischen Erzen ausgehen. Die o x y d i s c h e n Erze werden in Tiegeln oder Flammöfen mit K o h l e zu Wismut reduziert: 2 B i 2 0 3 + 3C — > - 4 B i + 3CO s .
Die s u l f i d i s c h e n Erze werden wie beim Antimon (S. 283) nach dem R ö s t r e d u k t i o n s v e r f a h r e n verarbeitet (Bi 2 S 3 + 4 1 / 2 0 2 —>- Bi 2 0 3 + 3S0 2 ). Das so erhaltene R o h w i s m u t wird von Beimengungen wie Arsen, Antimon, Blei, Eisen, Schwefel durch oxydierendes Schmelzen befreit; Kupfer läßt sich durch Schmelzen mit Natriumsulfid (Überführung in Kupfersulfid), Silber bzw. Gold durch Extraktion des geschmolzenen Wismuts mit Zinn beseitigen. Physikalische Eigenschaften. Wismut ist ein schwach rotstichiges, silberweiß glänzendes, sprödes, grobkristallines Metall vom Schmelzpunkt 217.0° und Siedepunkt 1560°. Seine G i t t e r s t r u k t u r entspricht der des Arsens (Fig. 92, S. 276) und Antimons, und zwar ist im Wismut die Packung der Doppelschichten noch dichter als beim Arsen und Antimon. Der kürzeste Abstand zwischen den Schichten ist mit 3.47 Á nur um 12% größer als der Abstand zweier benachbarter Wismutatome innerhalb einer Doppelschicht (3.10 Á). Das geschmolzene Wismut zeigt wie das Wasser die auffallende Eigenschaft, sich beim Erstarren auszudehnen, so daß mit geschmolzenem Wismut gefüllte Glaskugeln dabei zersprengt werden. Analog verhalten sich die Halbmetalle Antimon, Germanium (vgl. S. 348), Silicium und Gallium. Das Wismutatom besitzt einen noch größeren Radius als das Antimonatom. Dementsprechend sind seine Bindungen noch schwächer. So ist es nicht verwunderlich, daß vom Wismut keine amorphen Phasen existieren. Mischpolymerisate sind ebenfalls nicht bekannt. Chemische Eigenschaften. Wismut ist bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft beständig. Bei Rotglut verbrennt es mit bläulicher Flamme zu W i s m u t t r i o x y d
Das Wismut
289
Bi 2 0 3 . Mit den H a l o g e n e n sowie mit S c h w e f e l , S e l e n und T e l l u r verbindet es sich in der Hitze direkt; dagegen vereinigt es sich nicht unmittelbar mit S t i c k s t o f f und P h o s p h o r . I n W a s s e r und in n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (Salzsäure, Schwefelsäure) ist Wismut entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (e 0 == + 0.2 Volt) n i c h t l ö s l i c h . I n o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (Salpetersäure, heiße konzentrierte Schwefelsäure) löst es sich unter Bildung von S a l z e n (Nitrat, Sulfat). Metallisches Wismut wird zur Herstellung l e i c h t s c h m e l z e n d e r L e g i e r u n g e n sowie gelegentlich als Zusatz zu Britanniametall und zu Lagermetallen verwendet. Von den leichtschmelzenden Legierungen seien hier erwähnt: das „ROSEsehe Metall" (2 Gewichtsteile Bi, 1 Teil Pb, 1 Teil Sn) vom Schmelzpunkt 94°, das „WOODsehe Metall" (4 Teile Bi, 2 Teile Pb, 1 Teil Sn, 1 Teil Cd) vom Schmelzpunkt 60° und die „Lipowirz-Legierung" (15 Teile Bi, 8 Teile Pb, 4 Teile Sn, 3 Teile Cd) vom Schmelzpunkt 70°. Alle diese Legierungen schmelzen schon in h e i ß e m W a s s e r und können z. B. für elektrische Sicherungen und Sicherheitsverschlüsse verwandt werden. Zur Anfertigung von Abgüssen (Münzen, Klischieren von Holzschnitten usw.) verwendet man zweckmäßig die bei 130° schmelzende Legierung aus 1 Teil Bi, 1 Teil P b und 1 Teil Sn, die infolge ihrer Ausdehnung beim Erstarren auch die feinsten Konturen der Vorlage scharf wiedergibt.
b) Verbindungen des Wismuts Die Verbindungen des Wismuts leiten sich vorwiegend vom d r e i w e r t i g e n Wismut ab. Jedoch kann Wismut vereinzelt auch f ü n f w e r t i g auftreten. Das Wismutoxyd Bi 2 0 3 weist ausgesprochen b a s i s c h e n Charakter auf; daher löst es sich in S ä u r e n unter Bildung von Verbindungen ausgesprochenen S a l z c h a r a k t e r s auf. Wismutwasserstoff (Bismutin) BiH:t (Sdp. 22°) wird in Spuren neben viel Wasserstoff erhalten, wenn man eine pulverförmige W i s m u t - M a g n e s i u m - L e g i e r u n g mit S a l z s ä u r e zersetzt: MgjBij + 6 HCl — > 3MgCl2 + 2BiH s . Seine Bildung läßt sich leicht dadurch nachweisen, daß das entweichende Gas, durch ein erhitztes Glasrohr geleiti. t, wie Arsen- und Antimonwasserstoff einen M e t a l l s p i e g e l ergibt (vgl. S.574). Der Wismutspiegel unterscheidet sich vom A r s e n Spiegel durch seine Unlöslichkeit in Natriumhypochloritlösung, vom A n t i m o n s p i e g e l durch seine Unlöslichkeit in gelber Schwefelammonlösung. Wismuthalogenide, BiX 3 , entstehen beim Auflösen von W i s m u t o x y d in H a l o g e n w a s s e r s t off s ä u r e n : BijOj + 6HX 2BiX, + 3H 2 0. Wismutfluorid BiP a bildet ein wasserunlösliches, weißes, kristallines Pulver (Smp. 730°) — welches bei 500° leicht weiteres Fluor unter Bildung eines Wismut (V)-fluorids BiF 5 (farblose Nadeln, Sblp. 550°) aufnimmt —, Wismutchlorid BiCl 3 eine weiße, kristalline, an feuchter Luft zerfließliche Masse (Smp. 232°, Sdp. 447°), Wismutbromid BiBr 3 gelbe, bei 218° zu einer tiefroten Flüssigkeit (Sdp. 453°, Zers. 500°) schmelzende Kristalle und Wismutjodid Bi J 3 schwarze bis braune, glänzende Kristallblättchen vom Schmelzpunkt 408°. Mit Alkalihalogeniden bilden die Wismuthalogenide Komplexsalze („Tetrahalogeno-bismutate") des Typus Me[BiX 4 ], Durch Wasser werden die Wismuthalogenide unter Bildung von W i s m u t o x y h a l o g e n i d e n („Bismutylhalogenide") hydrolytisch gespalten: BiX, + H 2 0
BiOX + 2HX,
H a i I e m a n - W l b » r g , Anorganisch« Chemie. 4 0 . - 4 6 . Aufl.
19
290
Die Stickstoffgruppe
und zwar Wismutchlorid und Wismutbromid leicht, Wismut] odid wegen seiner geringen Löslichkeit erst beim Kochen. Wismutoxychlorid und -bromid sind weiß; Wismutoxyj odid stellt ein ziegelrotes Pulver dar. Wismutsalze lassen sich durch Auflösen von W i s m u t oder W i s m u t o x y d in Säuren gewinnen. Löst man z. B. gepulvertes Wismut in S a l p e t e r s ä u r e auf, so scheiden sich aus der eingedampften Lösung große, durchscheinende, farblose Kristalle der Zusammensetzung Bi(N0 3 ) 3 • 5 H 2 0 aus. Aus der Lösung von Wismut oder Wismutoxyd in heißer konzentrierter Schwefelsäure kristallisieren feine weiße Nadeln von Bi 2 (S0 4 ) 3 aus. Durch Wasser werden diese Salze zu basischen Salzen hydrolysiert. Ein basisches Nitrat der ungefähren Zusammensetzung Bi(0H) 2 N0 3 dient unter dem Namen „Magisterium bismuti" („Bismutum subnitricum") seit langem als gelindes Darmdesinfiziens sowie in der Wund- und Hautbehandlung. Wismutoxyd; Wismuthydroxyd. Versetzt man eine Wismutsalzlösung mit Alkalihydroxydlösung, so fällt Wismuthydroxyd Bi(OH)3 als weißer, flockiger Niederschlag aus. Beim Erwärmen auf 100° geht dieses Hydroxyd in die wasserärmere Form BiO(OH) über: Bi(OH)3 — B i O ( O H ) + H 2 0. Bei noch stärkerem E r hitzen entsteht das wasserfreie, in der Kälte gelbe, in der Hitze rotbraune Oxyd Bi 2 0 3 (Smp. 817°, Sdp. 1890°), das auch durch Verbrennen von Wismut oder durch Erhitzen von Wismutnitrat oder -carbonat gewonnen werden kann. Das Wismutoxyd Bi 2 0 3 ist zum Unterschied vom sauren Stickstoffoxyd N 2 0 3 und von den a m p h o t e r e n Trioxyden des Arsens und Antimons ein ausgesprochen basisches Oxyd. Es löst sich daher nur in Säuren, nicht dagegen in Laugen; gleiches gilt vom Wismuthydroxyd Bi(OH)3. Wie Arsen- und Antimontrioxyd tritt auch Wismuttrioxyd in mehreren Modifikationen auf. Durch starke O x y d a t i o n s m i t t e l (Chlor, Kaliumpermanganat) kann das Wismuthydroxyd bei Gegenwart von Alkalilauge zu gelbbraunen bis purpurroten Salzen oxydiert werden, die sich wahrscheinlich von der roten, bei 120° Wasser abspaltenden W i s m u t s ä u r e HBi0 3 (Anhydrid: Bi 2 0 5 , Smp. 150°) ableiten. Wismutsulfid Bi 2 S 3 , das in der Natur als stahlgrauer bis zinnweißer, kristalliner, dem Grauspießglanz Sb 2 S 3 im Aussehen sehr ähnlicher Wismutglanz vorkommt, kann künstlich durch Erhitzen von Wismut mit Schwefel (2Bi + 3 S —>- Bi 2 S 3 ) oder durch Einleiten von Schwefelwasserstoff in die saure Lösung eines W i s m u t s a l z e s (2Bi'" -j- 3 S " —>• Bi 2 S 3 ) als dunkelbrauner Niederschlag erhalten werden. Zum Unterschied von Arsen- und Antimontrisulfid löst es sich nicht in Alkalien oder Alkalisulfidlösungen, zeigt also keine sauren Eigenschaften mehr. Bei längerem Stehen (schneller beim Kochen mit Alkalisulfidlösung) geht das gefällte amorphe Sulfid allmählich in die graue k r i s t a l l i n e Form (Smp. 727°) über.
6. Vergleichende Übersicht über die Stickstoffgruppe Wie die Halogene und Chalkogene bilden auch die zuletzt behandelten Elemente S t i c k s t o f f , P h o s p h o r , Arsen, Antimon und Wismut eine natürliche Gruppe des Periodensystems. Hier wie dort beobachtet man dementsprechend mit steigendem Atomgewicht eine graduelle Abstufung der physikalischen und chemischen E i g e n s c h a f t e n , wie aus der nebenstehenden Zusammenstellung (S. 291) hervorgeht. Metallcharakter. Der metallische (nichtmetallische) Charakter der Elemente nimmt in der Richtung vom Stickstoff zum Wismut hin zu (ab). S t i c k s t o f f ist ein reines N i c h t m e t a l l ; Phosphor kommt außer in drei typisch n i c h t m e t a l l i s c h e n Modifikationen (weißer, roter und violetter Phosphor) in einer (schwarzen) Form vor, die bereits
Vergleichende Übereicht über die Stickstoffgruppe Stickstoff
Phosphor
30.98 14.008 Atomgewicht 1.82 2 0.96 1 Spezifisches Gewicht 02 44.1 2 1 0 . 5 ° Schmelzpunkt 280° 2 195.8° Siedepunkt ~450° Umwandlungstemp. amorph-^kristallin Affinität zu elektroposit. Elementen Affinität zu elektronegat. Elementen Basecharakter der Oxyde Salzcharakter der Halogenide Wasserstoffverbindungen. Schmelzpkt. Wasserstoffverbindungen, Siedepunkt -
77.70 1 - 1 3 3 . 7 8 33.38 | - 87.74
Arsen
291
Antimon
Wismut
121.76 74.91 5.72 3 6.69» 817 0 1 630.5° 633° 1640° ~270° ~ 0° nimmt zu nimmt ab nimmt zu nimmt zu nimmt zu -116.93 1 - 8 8 1 - 62.48 - 17 |
209.00 9.80 271.0° 1560°
+22
e l e k t r i s c h e s L e i t v e r m ö g e n und starke L i c h t a b s o r p t i o n besitzt. Beim A r s e n gibt es die gelbe und die schwarze und beim Antimon die schwarze Modifikation als n i c h t m e t a l l i s c h e , den elektrischen Strom nicht leitende Formen. Die rhomboedrisch kristallisierten grauen Modifikationen werden meist schon zu den M e t a l l e n gerechnet. Das rhomboedrische W i s m u t zeigt bereits m e t a l l i s c h e s L e i t v e r m ö g e n . Wertigkeit. Gegenüber e l e k t r o p o s i t i v e n Elementen wie Wasserstoff oder Metallen treten die Elemente der 5. Hauptgruppe des Periodensystems nur d r e i w e r t i g a u f ; gegenüber e l e k t r o n e g a t i v e n Elementen wie Sauerstoff, Schwefel oder Chlor sind sie d r e i - u n d f ü n f w e r t i g , wobei mit steigendem Atomgewicht die Dreiwertigkeit mehr und mehr die Fünfwertigkeit überwiegt. Die Beständigkeit analoger Verbindungen nimmt mit steigendem Atomgewicht des Zentralatoms im ersteren Falle ab, im letzteren zu. So ist z. B. das A m m o n i a k NH 3 gegenüber dem zersetzlichen W i s m u t w a s s e r s t o f f BiH 3 s e h r b e s t ä n d i g , während umgekehrt die Oxyde, Sulfide und Halogenide des S t i c k s t o f f s viel unbeständiger als die des W i s m u t s sind. Basecharakter. Der saure (basische) Charakter der Oxyde E 2 0 3 (E = Element der Stickstoffgruppe) nimmt vom Stickstoff zum Wismut hin ab (zu). N 2 0 3 und P 2 0 3 sind nur Säure-anhydride; As 2 0 3 bekundet neben dem sauren bereits einen schwach basischen Charakter, der sich beim Sb 2 0 3 noch verstärkt; Bi 2 0 3 ist ein ausgesprochenes Baseanhydrid. Entsprechend dieser Abnahme des sauren und Zunahme des basischen Charakters verschiebt sich die Dissoziation der vom Oxyd E 2 0 3 abgeleiteten Hydroxylverbindung E ( 0 H ) 3 : E0 3 "' + 3H'
E(OH) 3
E " + 3OH'
mit steigendem Atomgewicht von E zunehmend von der linken nach der rechten Seite hin 6 . So bilden die N i t r i t e und P h o s p h i t e auch in stark saurer Lösung keine Ionen N " und F " , sondern nur die freien Säuren N(OH) 3 (—>- NOOH + H 2 0) und P(OH) 3 , während die A r s e n i t e , A n t i m o n i t e und W i s m u t i t e in saurer Lösung Verbindungen E X 3 (X = Säurerest) von zunehmendem Salzcharakter bilden, denen das Ion E"° zugrunde liegt. Umgekehrt h y d r o l y s i e r e n die Verbindungen E X 3 entsprechend der abnehmenden Basizität von E(OH) 3 um so leichter, je höher E im Periodensystem steht. So werden NC13 und PC13 von Wasser augenblicklich zersetzt; auch ASC13 geht bei Einwirkung vonWasser leicht in arsenige Säure As(OH) 3 über; SbCl3 erleidet durch 1
Pester Stickstoff beim Schmelzpunkt. Weißer Phosphor. • Metallische Modifikation. 4 Bei 36 at Druck. * Beim ersten (E = N) und letzten Glied (E = Bi) der Reihe ist die w a s s e r ä r m e r e Form EO(OH) bevorzugt, für die das entsprechende Gleichgewicht H' + E 0 2 ' EOOH EO' + OH' gilt. 2
19«
292
Die Stickstoffgruppe
Wasser nicht sofort eine vollständige hydrolytische Spaltung, sondern geht in basische Chloride über, die erst von sehr viel Wasser zu antimoniger Säure umgewandelt werden; und BiCl 3 bildet mit Wasser BiOCl, das bei weiterem Wasserzusatz nicht mehr zersetzt wird. Die Oxyde der f ü n f w e r t i g e n Elemente, E 2 0 6 , sind alle S ä u r e - a n h y d r i d e . Auch hier nimmt der Säurecharakter mit steigendem Atomgewicht von E ab, so daß die vom N 2 0 6 abgeleitete S a l p e t e r s ä u r e HNO s eine s e h r s t a r k e und die vom Bi 2 0 6 abgeleitete W i s m u t s ä u r e H B i 0 3 eine s e h r s c h w a c h e Säure ist. Wasserstoffverbindungen. Auch bei den W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n E H 3 ist die graduelle Abstufung der Eigenschaften sehr deutlich. So nimmt beispielsweise der basische Charakter mit zunehmendem Atomgewicht von E ab, so daß das Gleich-
eewicht
eh3 + H - ^ E H 4 -
beim NH 3 ganz auf der rechten, beim AsH s dagegen bereits ganz auf der linken Seite liegt.
Kapitel X n
Die Kohlenstoffgruppe 1. D e r Kohlenstoff a) Elementarer Kohlenstoff a) Vorkommen K o h l e n s t o f f findet sich in der Natur sowohl in freiem (Diamant; Graphit) als auch in gebundenem Zustande. Gebunden kommt er teils im Mineralreich (,,Litho• sphäre"), teils im Pflanzen- und Tierreich („Biosphäre"), teils in der Luft („Atmosphäre") und im Wasser („Hydrosphäre") vor. Im Mineralreich treffen wir den Kohlenstoff in der Hauptsache in Form von Carbonaten, den Salzen der Kohlensäure H 2 C0 3 an. Wichtige derartige Carbonate sind: Calciumcarbonat CaC03 („Kalkstein", „Marmor", „Kreide"), welches ganze Gebirge bildet, Calcium-magnesium-carbonat CaC03 • MgC03 („Dolomit"), Magnesiumoarbonat MgC03 („Magnesit"), E i s e n c a r b o n a t FeC0 3 („Eisenspat"), Manganc a r b o n a t MnC03 („Manganspat") und Z i n k c a r b o n a t ZnC03 („Zinkspat"). Im Pflanzen- und Tierreich bildet der Kohlenstoff einen grundwesentlichen Bestandteil aller Organismen. Daher nennt man die Kohlenstoffverbindungen auch „organische Verbindungen". Da die Zahl der bis jetzt bekannten, definierten — natürlichen und künstlichen — organischen Verbindungen 600000) im Verhältnis zur Zahl der Verbindungen aller übrigen E l e m e n t e 40000) sehr groß ist, pflegt man die Kohlenstoffchemie als „Organische Chemie" von der „Anorganischen Chemie" abzutrennen und gesondert zu behandeln, obwohl anorganische und organische Chemie nicht wesensverschieden sind. Als Produkte der Verwesung urweltlicher pflanzlicher Organismen finden sich in der Natur die K o h l e n , als Zersetzungsprodukte urweltlicher t i e r i s c h e r Organismen die Erdöle. Der Gehalt der Luft an Kohlendioxyd beträgt zwar durchschnittlich nur 0.03 Volumenprozente. Wegen der großen räumlichen Ausdehnung der Atmosphäre übersteigt aber der in dieser Form vorhandene Kohlenstoff (6.0 XlO 11 1) den im Tier- und Pflanzenreich enthaltenen (2.7 XlO 11 1) um mehr als 100°/0. In noch stärkerem Maße gilt dies vom Meerwasser, das durchschnittlich 0.005 Gew.-°/0 Kohlendioxyd enthält, entsprechend einer Gesamtmenge von 2 . 7 x l 0 l 3 t Kohlenstoff, d.h. dem Hundertfachen des im Tier- und Pflanzenreich gespeicherten Kohlenstoffvorrats. ß) Physikalische Eigenschaften Kohlenstoff kommt in zwei monotropen Modifikationen vor: regulär kristallisiert als Diamant (metastabil) und hexagonal kristallisiert als Graphit (stabil). Feinkristalliner, in amorphem Kohlenstoff eingebetteter Graphit liegt vor im Retortengraphit, Glanzkohlenstoff und Ruß. Im Koks, in der Holzkohle und in der Tierkohle bilden die amorphen Bereiche den Hauptbestandteil. Der amorphe Teil enthält viele Beimengungen, insbesondere Sauerstoff und Wasserstoff, so daß man hier auch von einem Mischpolymerisat mit Kohlenstoff als Hauptkomponente sprechen kann. Diamant und Graphit unterscheiden sich voneinander durch ihre K r i s t a l l s t r u k t u r . Das Kristallgitter des Graphits besteht aus vielen übereinandergelagerten ebenen
294
Die Kohlenstoffgruppe
K o h l e n s t o f f s c h i c h t e n , in welchen die Kohlenstoffatome zu lauter Sechsecken der Kantenlänge 1.42 Ä zusammengefügt sind. Die ausgezogenen Linien in Fig. 94 geben — von oben gesehen — das „Wabennetz" einer solchen Kohlenstoffebene wieder. Die über bzw. unter dieser Ebene gelegene nächste Sechseckebene (gestricheltes Wabennetz in Fig. 94) ist so angeordnet, daß über (unter) der Mitte eines jeden Sechsecks der Ausgangsebene ein Kohlenstoffatom der benachbarten Ebene zu Hegen kommt. Dasselbe wiederholt sich bei den folgenden Ebenen, so daß in summa ein „Schichtengitter" entsteht, welches — von der Seite gesehen — das in Fig. 95 wiedergegebene Aussehen hat. Die einzelnen Schichten haben dabei voneinander einen Abstand von 3.35 A. Da in den Sechseck-ebenen (Fig. 94) jedes Kohlenstoffatom nur mit drei anderen durch eine homöopolare Bindung verbunden ist, betätigt es lediglich drei seiner vier Außenelektronen. Die „vierten" Valenzelektronen bilden untereinanderDoppelbindungen aus. Fig. 94. Sechseckanordnung der Da ein solches Elektron die Wahl hat, mit welchem Kohlenstoffatome innerhalb einer der drei benachbarten überzähligen Elektronen es Ebene des Graphit-Schichtengitters eine Doppelbindung eingeht, erhält es eine gewisse (ausgezogene Linien: Ausgangsebene; gestrichelte Linien: darun- Beweglichkeit. Dies erkennt man an der tiefschwarzen ter- bzw. darüberbefindliche Ebene) Farbe und dem hohen elektrischen Leitvermögen des Graphits. Zwischen den Schichten sind nur schwache V A N D E R W A A T , 3 sehe Kräfte wirksam, was sich in der leichten Spaltbarkeit längs der Ebenen bemerkbar macht.
6.70tÍ
6Í64
ZSO/3
Fig. 95. Kristallgitter des Graphits
Fig. 96. Kristallgitter des Diamanten
Das Kristallgitter des Diamanten unterscheidet sich von dem des Graphits dadurch, daß die Ebenen des Graphits nicht mehr durch „ m e t a l l i s c h e " B i n d u n g , sondern durch homöopolare Bindung zusammengehalten werden, indem die — beim Graphit freibeweglichen — vierten Elektronen der Kohlenstoffatome einer Ebene mit den vierten Elektronen der beiden benachbarten Ebenen — abwechselnd nach oben und unten — zu E l e k t r o n e n p a a r - b i n d u n g e n zusammentreten. Dies führt zu der
Der Kohlenstoff
295
aus Fig. 96 ersichtlichen „Wellung", Parallelverschiebung und engeren Packung der ursprünglichen Graphitebenen; denn nur auf diese Weise findet jedes Kohlenstoffatom einer Ebene in der darüber- bzw. darunterliegenden Ebene einen Bindungspartner, während im Graphitgitter (Fig. 94 und 95) jedes zweite Kohlenstoffatom einer gegebenen Ebene über (unter) einer S e c h s e c k m i t t e der benachbarten Ebene liegt. Da jedes Kohlenstoffatom jetzt v i e r homöopolare Valenzen betätigt, ist jedes Kohlenstoffatom t e t r a e d r i s c h — im Abstand von je 1.54 A — von vier anderen Kohlenstoffatomen umgeben, wie aus Fig. 96 hervorgeht, in der jedes durch O symbolisierte Kohlenstoffatom tetraedrisch mit vier Kohlenstoffatomen • verbunden ist und umgekehrt. Der Abstand der einzelnen Ebenen voneinander beträgt im Diamantgitter nur noch 2.05 Ä. Das F e h l e n d e r „ m e t a l l i s c h e n " B i n d u n g macht den Diamanten zum N i c h t l e i t e r und bedingt seine F e s t i g k e i t und H ä r t e nach allen drei Richtungen des Raumes hin. Zum Unterschied vom „Ionengitter" etwa des Natriumchlorids (S. 146 f. und Fig. 49, S. 147) wird ein Gitter wie das des Diamanten „Atomgitter" genannt, da hier an den Gitterpunkten keine I o n e n , sondern ungeladene A t o m e sitzen. Ersetzt man im Diamantgitter die vierwertigen K o h l e n s t o f f - a t o m e (4. Elementgruppe) durch dreiwertige A r s e n - (5. Elementgruppe), zweiwertige S e l e n - (6. Elementgruppe) oder einwertige Chlor atome (7. Elementgruppe), so geht infolge des Wegfalls eines Teils der Bindungen das „Raumgitter" des Kohlenstoffs (Fig.96) in das „Schichtengitter" des Arsens (Fig. 92, S. 276), das „Fadengitter" des Selens (S. 218) bzw. das „Molekülgitter" des Chlors über, in welchen die Atome entsprechend ihrer geringeren Wertigkeit nicht wie im Falle des Kohlenstoffs mit v i e r , sondern nur noch mit d r e i (As), z w e i (Se) bzw. e i n e m (Cl) Nachbarn kovalent verknüpft sind. Je nachdem, welche Bindungen des Diamantgitters in Wegfall kommen, ergeben sich verschiedene Abarten der Schichten- oder Fadenstruktur. So kann man die beiden verschiedenen Wabennetze des schwarzen Phosphors (Fig. 87, S. 255) und metallischen Arsens (Fig. 92, S. 276) dadurch vom Diamantgitter (Fig. 96) ableiten, daß man räumlich verschieden gelagerte Ebenen aus diesem Baumgitter herausschneidet 1 .
Unabhängig von der gerade vorliegenden Modifikation ist der Kohlenstoff ein geruch- und geschmackloser Stoff, der erst bei 3700° schmilzt und bei 3900° siedet. Im übrigen sind aber die Eigenschaften der beiden Modifikationen ganz verschieden, so daß wir sie getrennt behandeln wollen. Diamant Die Hauptfundstätten des Diamanten liegen im Kongogebiet, an der Goldküste und in Süd- und Südwestafrika. In Form des reinen Diamanten bildet der Kohlenstoff äußerst harte, jedoch ziemlich spröde, farblose, wasserklare, sehr stark lichtbrechende und glänzende Kristalle vom spezifischen Gewicht 3.51. Bei Anwesenheit geringer Beimengungen können die Diamanten auch gelb, rot, braun, blau, violett oder grün aussehen. Auch tiefschwarze Diamanten („Carbonados") kommen vor. Wegen des lebhaften Farbenspiels und hohen Glanzes sind die g e s c h l i f f e n e n reinen Diamanten {„Brillanten") als besonders k o s t b a r e E d e l s t e i n e geschätzt. Die meisten gefundenen Diamanten ( ~ 95%) eignen sich aber nicht zur Verarbeitung auf Schmuckstücke und dienen zu t e c h n i s c h e n Z w e c k e n : zum Schleifen besonders harten Materials (insbesondere des Diamanten selbst), in Form von Bohrerspitzen zum Bohren besonders harter Gesteine, zum Schneiden von Glas, als Achsenlager für Präzisionsapparate, als Ösen zum Ziehen feinster Drähte harter Metalle. Erhitzt man Diamant unter L u f t a b s c h l u ß auf über 1500°, so geht er unter Wärmeentwicklung in G r a p h i t über: C
Diamant ^
1
C
Graphlt +
0 2 kcal
"
Die schraffierten Ebenen in Fig. 96 geben die räumliche Anordnung der Atome des A r s e n Schichtengitters (Fig. 92, S. 276) wieder.
296
Die Kohlenstoffgruppe
Die umgekehrte Verwandlung von Graphit in Diamant ist bis jetzt nur sehr unvollkommen gelungen. Wie aus den Kristallgittern von Diamant und Graphit hervorgeht (S. 294), haben die Kohlenstoffebenen im Diamant einen viel kleineren Abstand voneinander als im Graphit. Zur Umwandlung in Diamant muß daher der Graphit einem a u ß e r o r d e n t l i c h h o h e n D r u c k ausgesetzt werden. Das erreicht man dadurch, daß man z . B . Graphit in g e s c h m o l z e n e m E i s e n oder g e s c h m o l z e n e m S i l i c a t auflöst und die Schmelze dann a b s c h r e c k t , wobei sich der Kohlenstoff im Innern unter sehr hohem Druck ausscheidet. Die dabei erhaltenen Diamantkriställchen sind winzig und unansehnlich und stimmen zudem in ihren Eigenschaften nicht ganz mit denen echter Diamanten überein. Beim Erhitzen an der L u f t verbrennt der Diamant bei über 800° langsam, in reinem Sauerstoff unter hellem Aufleuchten zu K o h l e n dioxyd: C + 02
>- C 0 2 + 94.2 kcal.
Niehtoxydierende Säuren und Basen greifen ihn nicht an. Graphit Graphit kommt je nach der Herstellungstemperatur in den verschiedensten äußeren Erscheinungsformen vor, die sich voneinander in der Größe und gegenseitigen Anordnung der Kristalle unterscheiden. Scheidet man z. B . den Kohlenstoff aus kohlenstoffhaltigen Substanzen durch Erhitzen auf verhältnismäßig n i e d r i g e T e m p e r a turen 400°) ab, so erhält man ihn in kleinen Kristallen vom Durchmesser 20 A, die locker zu schwammartig porösen, im Mikroskop sichtbaren Flöckchen zusammengefügt sind (Ruß, Holzkohle, Tierkohle). Bildung bei h ö h e r e n T e m p e r a t u r e n 800°) führt zu einer festeren Verfilzung der kleinen Kristalle (Koks, Glanzkohlenstoff). Abscheidung bei verhältnismäßig h o h e n T e m p e r a t u r e n 1500°) liefert dichte, aber immer noch regellos orientierte, kristalline Aggregate größerer, etwa 40 Ä im Durchmesser betragender Kriställchen (Retortengraphit), die dem natürlichen Graphit schon näher kommen und z. B . wie dieser den elektrischen Strom schon gut leiten. Bei s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n 2500°) erhält man größere Kristalle von zunehmender Orientierung (künstlicher Graphit), die sich nur wenig vom geordneten Gitter des natürlichen Graphits unterscheiden. Das s p e z i f i s c h e G e w i c h t der verschiedenen Graphitsorten variiert zwischen 1.8 (Ruß) und 2.2 (Graphit), die V e r b r e n n u n g s w ä r m e zwischen 8.13 (Ruß) und 7.84 (Graphit) kcal/g C, die F a r b e zwischen schwarz (Ruß) und grau (Graphit). Die außerordentliche Oberflächenentwicklung der feinstkristallinen, lockeren Graphitformen (bis zu 800 m 2 Oberfläche je g Substanz) macht diese zu wertvollen A d s o r p t i o n s m i t t e l n („Aktivkohle", S. 299f.). Wegen der verschiedenen Eigenschaften der einzelnen Graphitsorten besprechen wir die verschiedenen Formen gesondert. Ihre Erforschung verdanken wir u. a. dem d e u t s c h e n C h e m i k e r ULKICH HOFMANN.
Natürlicher Graphit wird vor allem auf der Insel Ceylon, auf Madagaskar, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Ostsibirien und — in weniger großen Mengen — bei Passau gefunden. Er bildet eine graue, undurchsichtige; schuppige, leicht spaltbare Masse, die sich fettig anfühlt, schwachen Metallglanz aufweist und stark abfärbt. Zum Unterschied von Diamant ist Graphit s e h r w e i c h und ein g u t e r L e i t e r der E l e k t r i z i t ä t und W ä r m e . Chemisch ist der Graphit reaktionsfähiger als der Diamant. So verbrennt er z. B . an der Luft und im Sauerstoff schon bei 700° zu Kohlendioxyd. Interessant ist seine Reaktion mit F l u o r und mit o x y d i e r e n d e n S ä u r e n : Erhitzt man G r a p h i t mit F l u o r auf über 450°, so entsteht unter Aufsprengung der Kohlenstoffebenen in der Hauptsache K o h l e n s t o f f t e t r a f l u o r i d CF 4 . Erwärmt man aber nur auf 450°, so bleiben die Kohlenstoff ebenen erhalten, und jedes Kohlenstoff-
Der Kohlenstoff
297
atom einer solchen Ebene bindet mit seinem freien vierten Elektron kovalent ein Fluoratom (^G • + • F : —>- ^ C : F : j , so daß eine Verbindung der Bruttozusammensetzung CF („Kohlenstoffmonofluorid", „Graphitfluorid") entsteht. Ihr G i t t e r besteht aus Kohlenstoffschichten, die in ihrer Wellung und ihren Abmessungen (C—C-Abstand: 1.54 A) ganz den schraffierten Kohlenstoffschichten des Diamantgitters (Fig. 96) entsprechen und deren vierte Valenzen gemäß Fig. 97 abwechselnd nach oben und unten mit Fluoratomen abgesättigt sind (C— F-Abstand: 1.4 Ä). Der Ebenenabstand des Schichtengitters beträgt 6.6 Ä, ist also doppelt so groß wie beim Graphit (3.35 Ä) und mehr als dreimal so groß wie beim Diamant (2.05 Ä). Die Verbindung ist im reinen Zustande farblos (silberweiß-durchsichtig) und leitet zum Unterschied vom Graphit erwartungsgemäß den elektrischen Strom nicht mehr, da die freien Elektronen des Graphitgitters hier durch die kovalente Bindung der FluorOF atome blockiert sind. Beim Erhitzen auf 500° geht Fig. 97. Molekularstruktur des das Kohlenstoffmonofluorid CF unter Abgabe von Kohlenstoffmonofluorids (Graphitfhiorids) (CF)«, CF 4 , CJF,; und höheren Kohlenstoff-fluoriden in Graphit über. Analog der Bildung von Graphitfluorid CF bei der Umsetzung von Graphit und Fluor erhält man durch Oxydation von G r a p h i t mit K a l i u m c h l o r a t in einer Lösung von konzentrierter Schwefelsäure und Salpetersäure ein G r a p h i t o x y d („Graphitsäure"), das im Grenzfall die zu erwartende Zusammensetzung CjO besitzt und dessen Gitter sich von dem des Graphitfhiorids wahrscheinlich durch Ersatz je zweier einwertiger Fluoratome durch ein zweiwertiges Sauerstoffatom ableitet. Ebenso kann man durch vorsichtige O x y d a t i o n von G r a p h i t unter k o n z e n t r i e r t e n S ä u r e n „Graphitsalze" (Bisulfat, Phosphat, Perchlorat, Nitrat, Selenat, Hydrogenfluorid) herstellen: Graphit—>- [Graphit] n+ -f n@, wobei allerdings nicht wie beim Graphitfluorid die Grenzzusammensetzung CX (X = einwertiger Säurerest), sondern — aus räumlichen Gründen — nur eine maximale Zusammensetzung C 24 X erreicht wird.
Künstlicher Graphit entsteht immer dann, wenn sich aus Kohlenstoffverbindungen bei s e h r h o h e r T e m p e r a t u r Kohlenstoff abscheidet. Technisch wichtig ist das „ACHESON-Verfahren" der Graphitgewinnung, bei welchem K o k s bei Gegenwart von S i l i c i u m im elektrischen Ofen s e h r h o c h e r h i t z t wird. Da die Bindestärke zwischen Siliciumatomen geringer als die zwischen Silicium und Kohlenstoff und diese wiederum geringer als die zwischen Kohlenstoffatomen ist, ist das Silicium im Gitterverband nicht so fest gebunden. Es ist daher bei erhöhter Temperatur leichter beweglich und kann mit der amorphen Kohle reagieren, d. h. in das Netzwerk eingebaut werden. Die eingebauten Siliciumatome bilden dann schwache Stellen des Netzwerkes, wodurch eine Umwandlung desselben in Graphit unter thermischen Bedingungen ermöglicht wird, unter denen sich die amorphe Kohle für sich allein nur langsam in Graphit umwandelt. Da das verdampfende Silicium immer wieder von neuem mit der Kohle reagiert, schematisch: 2000'
- v SiC C,felnirletaUln + >2200° Sl SiC + feinkristallin
C
Graphlt
-»- c,Graphit'
braucht man nur wenig Silicium in Form von Quarzsand (Si0 2 + 2Cvgl. S. 318) zuzugeben.
Si + 2 CO;
298
Die Kohlenstoffgruppe
Künstlicher und natürlicher Graphit finden mannigfache technische Verwendung. Wegen der B e s t ä n d i g k e i t g e g e n ü b e r H i t z e und T e m p e r a t u r w e c h s e l und wegen der guten W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t dient Graphit zur Herstellung von Tiegeln zum Schmelzen von Metallen. Die Eigenschaft a b z u f ä r b e n wird bei der Herstellung von Bleistiften (Variierung der Härte durch Tonzusatz) benutzt. Die g u t e e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t und c h e m i s c h e W i d e r s t a n d s f ä h i g k e i t machen ihn als Material für Elektroden sowie für viele andere Zwecke der Elektrochemie und Elektrotechnik geeignet. Wegen seiner W e i c h h e i t benutzt man ihn als hitzebeständiges Schmiermittel und wegen seiner s c h w a r z e n F a r b e als hitzebeständiges Schwärzungsmittel für Öfen usw. Auf seiner Fähigkeit, schnelle Neutronen abzubremsen, beruht seine Verwendung als M o d e r a t o r in K e r n r e a k t o r e n (vgl. S. 594). Retortengraphit (Retortenkohle) scheidet sich bei der L e u c h t g a s f a b r i k a t i o n und K o k s g e w i n n u n g (S. 310f.) in dichten, festen Massen ab, indem die beim Erhitzen der Steinkohle entweichenden kohlenstoffhaltigen Gase an den sehr heißen (1500°) Retortenwänden teilweise unter Kohlenstoffbildung zerfallen. Retortengraphit ist zum Unterschied vom gewöhnlichen Graphit sehr h a r t , da in ihm die submikroskopischen Kriställchen dicht und regellos miteinander verwachsen sind, so daß keine regelmäßig orientierten größeren Kohlenstoffebenen wie beim Graphit vorliegen, längs derer j a allein eine leichte Spaltung und Parallelverschiebung möglich ist. Wie Graphit l e i t e t auch der Retortengraphit gut den e l e k t r i s c h e n S t r o m , weshalb er zur Herstellung von Kohlestiften für Bogenlampen und von Elektroden benutzt wird. Glanzkohlenstoff wird am besten durch Zersetzung von Kohlenwasserstoffen bei 800° an glatten Oberflächen (z. B. glasiertem Porzellan) gewonnen. In seinen Eigenschaften nimmt er eine Mittelstellung zwischen dem Graphit und den ganz feinkristallinen Kohlenstoffsorten (z. B . Ruß) ein. Koks entsteht als Rückstand beim starken Erhitzen von S t e i n k o h l e n in feuerfesten Retorten. Man unterscheidet „Gaskoks" und „Hüttenkoks". Gaskoks wird bei der Leuchtgasdarstellung, also beim Erhitzen „gasreicher" Kohlen („Gaskohlen") gewonnen (S. 311) und ist meist locker, so daß man ihn in der Regel nur zu Feuerungszwecken verwendet. Hüttenkoks entsteht beim Erhitzen „gasarmer" Kohlen („Kokskohlen") und ist verhältnismäßig dicht und fest, so daß er inHochöfen (S. 527 ff.) zu gebrauchen ist. Ruß („Lampenschwarz") bildet sich, wenn man gasförmige oder durch Vergasen flüssiger oder fester Stoffe entstehende flüchtige KohlenstoffVerbindungen bei ungenügendem L u f t z u t r i t t verbrennt und den in der leuchtenden Flamme vorhandenen Kohlenstoff durch K ü h l u n g der F l a m m e an wassergekühlten Metallplatten u. dgl. abscheidet. Technisch wichtig sind „Kienruß" (aus harzreichen Hölzern), „ölruß" (aus Öllampen), „Nafhthalinruß" (aus Naphthalin C 10 H 8 ), „Anthracenruß" (aus Anthracen C 14 H 10 ), „Acetylenruß" (aus Acetylen C 2 H 2 ). Ruß dient in großem Umfange als schwarzer Farbstoff (Darstellung von Druckerschwärze und Tusche, Färben von Lackleder, Gummihandschuhen, Grammophonplatten usw.) und als Füllstoff für Kautschuk. y) Adsorption an Aktivkohle D i e LANGMuiRsche
Adsorptionsisotherme
Die im I n n e r n eines festen Stoffs befindlichen Atome oder Moleküle üben na oh allen drei R i c h t u n g e n des Raumes ihre gegenseitigen A n z i e h u n g s k r ä f t e — die ja den Zusammenhalt des festen Stoffs bedingen — aus. Dagegen werden die Bindungskräfte der an der O b e r f l ä c h e befindlichen Teilchen nur nach dem I n n e r n des festen Stoffs hin beansprucht, während sie n a c h a u ß e n hin frei wirksam bleiben (vgl. S. 391 f.). So kommt es, daß die festen Stoffe befähigt sind, Gase oder gelöste Stoffe an ihrer valenz-ungesättigten O b e r f l ä c h e anzureichern. Man nennt diese Verdichtung an
Der Kohlenstoff
299
der Oberfläche „Adsorption". Sie spielt bei der heterogenen Katalyse an festen Stoffen (S. 112, 395) eine wesentliche Rolle. Die O b e r f l ä c h e eines Stoffs wächst mit dessen Zerteilung. Ein Würfel von 1 cm Kantenlänge, der eine Oberfläche von 6 cm2 aufweist, ergibt beispielsweise bei der Zerlegung in 1018 Würfel der Kantenlänge 10-® cm (100 Ä) eine Oberfläche von 6 X 10 - 1 2 X 1018 cm2 = 600 Quadratmeter (vgl. S.393). Dementsprechend ist ein festes Adsorptionsmittel um so w i r k s a m e r , j e feiner v e r t e i l t es ist. Wichtige derartige feinverteilte Adsorptionsmittel sind z.B. die oberflächenreichen Kieselgele (S. 338f.) und Aktivkohlen (s. unten), die beide eine Blattstruktur aufweisen. Gewöhnlich beschränkt sich eine Adsorption auf die Bildimg einer einmolekularen O b e r f l ä c h e n s c h i c h t , da dann die Bindekräfte der Oberflächenatome des festen Stoffs abgesättigt sind. J e höher bei gegebener Temperatur der D r u c k des zu adsorbierenden Gases oder die K o n z e n t r a t i o n des zu adsorbierenden gelösten Stoffs in der an das Fig. 98. Adsorptionsisotherme feste Adsorptionsmittel angrenzenden Gasoder Lösungsphase ist, desto größer ist auch die an der festen Oberfläche adsorbierte St off menge, da es sich um einen Gleichg e w i c h t s z u s t a n d handelt. Die adsorbierte Stoffmenge kann aber mit steigendem Druck bzw. steigender Konzentration nur so lange zunehmen, bis die ganze f e s t e O b e r f l ä c h e b e l e g t ist. Daher nähert sich entsprechend Fig. 98 die je Flächeneinheit des Adsorptionsmittels adsorbierte Stoffmenge einem bestimmten S ä t t i g u n gswert, nämlich dem der einmolekularen Oberflächenbesetzung. Mathematisch wird diese Beziehung durch die „LANCMi'iBSche Adsorptionsisotherme" . c 0 = h1 c +r~rfca zum Ausdruck gebracht, in welcher a die je Oberflächeneinheit adsorbierte Grammmenge und c die K o n z e n t r a t i o n (bzw. den Partialdruck) des zur Adsorption kommenden Stoffs bedeutet, während kx und k2 K o n s t a n t e n sind, die bei gegebener Temperatur von der Natur und Beschaffenheit des A d s o r p t i o n s m i t t e l s („Adsorbens") und a d s o r b i e r t e n S t o f f s (,,Adsorbendum") abhängen und damit die Verschiedenheiten der „Oberflächenaffinität" zwischen Adsorbens und Adsorbendum zum Ausdruck bringen. Für kleine Konzentrationen c (c k2) wird a ä j klf d. h. konstant. Nach einer Faustregel werden Gase um so leichter adsorbiert, je leichter sie zu verflüssigen sind, also je höher ihr Siedepunkt liegt. Aktivkohlen Für Adsorptionszwecke geeignete „Aktivkohlen" („A-Kohle") werden durch verhältnismäßig gelindes Erhitzen von organischen Stoffen wie Holz („Holzkohle"), tierischen Abfällen („Knochenkohle", „Blutkohle", „Tierkohle") oder Rohrzucker („Zuckerkohle") dargestellt. Die für die Verwendung als Adsorptionsmittel erforderliche große Oberf l ä c h e n e n t w i c k l u n g der Kohle erreicht man dabei z. B. dadurch, daß man vor dem Erhitzen Fremdstoffe wie Zinkchlorid hinzusetzt, die das Zusammensintern der Kohle verhindern und nachträglich leicht herausgelöst oder verflüchtigt werden können, oder
300
Die Kohlenstoffgruppe
dadurch, daß man die Oberfläche nachträglich durch Überleiten von Wasserdampf (C + H 2 0 CO + H 2 ) oder Luft (C + V2Oa CO) bei 700—800° „anoxydiert" und so durch „Aufrauhen" vergrößert. Nach dem ersten Verfahren wird z. B. die hochaktive Holzkohle „Carboraffin", nach dem letzteren die hochaktive Holzkohle „Supranorit" gewonnen. Aktive Holzkohle wird u. a. zur Entfuselung von Spiritus und als Desodorisierungsmittel bei der Wundbehandlung, K n o c h e n k o h l e zur Entfernung von Farbstoffen und Verunreinigungen aus Lösungen (z. B. zur Entfärbung von Rohrzuckerlösungen), B l u t - und T i e r k o h l e in der Medizin zur Entgiftung und Entgasung des Darmkanals verwendet. Darüber hinaus benutzt man Holzkohle auch für metallurgische Zwecke (z. B. Raffination von Kupfer) und als Bestandteil des ,,Schwarzpulvers" („Schießpulver"), K n o c h e n k o h l e („Beinschwarz") als schwarzen Farbstoff (z. B. für Schuhwichse, als Lederschwärze, Huf schwärze, Malerfarbe). Auf der Fähigkeit, viele g i f t i g e G a s e bevorzugt aus der Luft zu a d s o r b i e r e n , beruht die Verwendung der aktiven Kohle in den „Gasmasken". Der „Gasmaskeneinsatz" enthält hinter einem zum Zurückhalten feinzerstäubter N e b e l t e i l c h e n dienenden C e l l u l o s e f i l t e r u. a. eine Schicht von A k t i v k o h l e zur Adsorption g i f t i g e r G a s e aus der Luft. K o h l e n o x y d wird von den Gasmaskenfiltern nur dann zurückgehalten, wenn sie besondere O x y d a t i o n s m i t t e l (z. B. Silberpermanganat AgMn0 4 oder„Hopcalit", ein Oxyd-Peroxyd-Gemisch vonMangan, Silber, Kobalt und Kupfer) enthalten, welche das Kohlenoxyd zu K o h l e n d i o x y d oxydieren. S) Chemische Eigenschalten Kohlenstoff ist ein reaktionsträges Element, das erst bei verhältnismäßig hohenTempe raturen oder bei anderweitiger Energiezufuhr mit anderen Elementen in Reaktion tritt. So vereinigt sich z. B. der W a s s e r s t o f f mit Kohlenstoff nur dann zum Acetylen, wenn man zwischen Kohleelektroden in einer Wasserstoffatmosphäre einen Lichtbogen übergehen läßt: ^ ^ + 2Q + ^ ^ Von den Halogenen reagiert das reaktionsfähige F l u o r bereits bei gewöhnlicher Temperatur. So kommt Ruß im Fluorgas ins Glühen und verbrennt bei Gegenwart überschüssigen Fluors zu Kohlenstofftetrafluorid: C + 2F2
>- CF 4 + 163 kcal.
Dagegen vereinigt sich Kohlenstoff mit C h l o r nur unter ähnlichen Versuchsbedingungen wie bei der obenerwähnten Acetylensynthese unter Bildung von Hexachloräthan C2C1„ und Hexachlorbenzol CgCl6. Das dem Kohlenstofftetrafluorid entsprechende Kohlenstofftetrachlorid (II, S. 148) muß auf anderem Wege (Chlorieren von Schwefelkohlenstoff : CS2 + 2 Cl2 —>- CC14 + 2 S) gewonnen werden. Mit S a u e r s t o f f und mit W a s s e r d a m p f reagiert Kohlenstoff je nach der Sauerstoff-(Wasserdampf-)Menge und Temperatur unter Bildung von Kohlenmonoxyd (S. 305ff.) oder Kohlendioxyd (S. 303ff.): c + 7 2 0 2 — > - CO + 26.4 kcal 1 CO + VsOj C0 2 + 67.6 kcal C+
0 8 -—>• C 0 2 + 94.0 kcal
31.4 kcal + C + H 2 0 — > - CO + H 2 CO + H 2 0 >- C0 2 + H 2 + 9.8 kcal 21.6 kcal + C + 2 H a O — > - C 0 2 + 2H a .
Daß bei der Verbrennung des Kohlenstoffs zu Kohlenoxyd w e i t w e n i g e r W ä r m e entwickelt wird als bei der weiteren Verbrennung des Kohlenoxyds zu Kohlendioxyd, rührt daher, daß zur Bildung des g a s f ö r m i g e n Kohlenoxyds aus dem f e s t e n Kohlenstoff eine Sprengung der Kohlenstoffbindungen des Graphitgitters erforderlich ist. Der hierfür erforderliche Energie1
Die Wärmetönung bezieht sich hier und in allen anderen Fällen auf Graphitkohlenstoff.
301
Der Kohlenstoff
aufwand 150 kcal/Grammatom C) wird der bei der Bildung des Kohlenoxyds frei werdenden Energie entnommen, so daß die nach außen hin beobachtbare Wärmemenge gering oder — wie im Falle der Einwirkung von Wasserdampf auf Kohlenstoff — sogar negativ ist. Bei der Weiteroxydation des g a s f ö r m i g e n Kohlenoxyds zu g a s f ö r m i g e m Kohlendioxyd fällt diese Trennungsarbeit fort, so daß hier mehr W ä r m e nach außen frei wird. Die Festigkeit der Kohlenstoffbindungen innerhalb der Kohlenstoffschichten des Graphitgitters ist ganz allgemein für die R e a k t i o n s t r ä g h e i t des festen Kohlenstoffs verantwortlich; auch der h o h e S i e d e p u n k t wird dadurch bedingt.
Beim Überleiten von Schwefeldampf über glühende Holzkohle bildet sich Schwefelkohlenstoff (II, S. 189): 20.9 kcal + C + 2 S
>- CS a .
Von den Elementen der Stickstoffgruppe vereinigt sich nur der S t i c k s t o f f unter den Bedingungen der Acetylensynthese mit Kohlenstoff: 72.8 kcal + 2 C + N ,
>- C 2 N 2 .
Das dabei gebildete Cyangas C2N2 (II, S. 166) geht bei gleichzeitiger Gegenwart von Wasserstoff in Cyanwasserstoff HCN (wässerige Lösung: Blausäure; II, S. 92 f.) über: CjN, + H , — * - 2 H C N + 11.4 koal.
Unter den Elementen der vierten Gruppe des Periodensystems verbindet sich das Silicium bei 2000° mit Kohlenstoff zu Siliciumcarbid (S. 333; vgl. S. 297) SiC („Carborundum"): Si + C — > • SiC + 26.7 kcal.
Auch die Vereinigung von Metallen geht erst bei hoher Temperatur vor sich. Unter diesen Metall-Kohlenstoff-Verbindungen („Carbide") ist das Calciumcarbid CaCs (S. 412) besonders wichtig.
b) Wasserstoffverbindungen des Kohlenstoffs Der Kohlenstoff bildet zahlreiche Wasserstoffverbindungen, die in Band I I dieses Lehrbuches näher betrachtet werden. Erwähnt sei hier nur, daß man k e t t e n f ö r m i g e und ringförmige Kohlenwasserstoffe unterscheidet, je nachdem die Kohlenstoffatome eine Kette oder einen Ring bilden. Die k e t t e n f ö r m i g e n („aliphatischen", „acyclischen") Kohlenwasserstoffe teilt man ein in „gesättigte" Kohlenwasserstoffe („Alkane"), in welchen die Kohlenstoffatome nur durch einfache Bindungen miteinander verknüpft und alle freien Valenzen mit Wasserstoff abgesättigt sind: H
H H
H H H
H H H H
H-C-H
H—C—¿—H
H—C—C—C—H
H - c L c L - C - C —H,
A
A h
AAA
AAAA
Methan
Äthan
Propan
allgemein: C n H 2 n + a ,
Butan
und in „ungesättigte" Kohlenwasserstoffe, in denen eine oder mehrere Doppelbindungen („Alkene") oder Dreifachbindungen („Alkine") vorkommen; z. B . : H H ¿=C
A
H Ätylen
und
H—C=C—EL Aoetylen
302
Die Kohlenstoffgruppe
Unter den r i n g f ö r m i g e n („cyclischen") Kohlenwasserstoffen sind die sogenannten „aromatischen" Kohlenwasserstoffe von besonderer Wichtigkeit, die sich v o m Kohlenstoffgerüst des Benzols: ^ HC
CH
ni
ÄH W
ableiten. Die Kohlenwasserstoffe mit wenigen Kohlenstoffatomen je Molekül (z. B. CH 4 , C 2 H 6 , C 3 H 8 , C 4 H 1 0 ) C 2 H 4J C 2 H 2 ) sind gasförmig, diejenigen mit größerer Zahl von Kohlenstoffatomen je Molekül („höhere Kohlenwasserstoffe") flüssig oder fest. Eine wichtige Eigenschaft der Kohlenwasserstoffe ist ihre unter starker Wärmeentwicklung erfolgende Verbrennung zu Kohlendioxyd und Wasser: CmHn + ^m + y ) ° i
m CO
a + Y
H
a ° + Energie.
Daher dienen g a s f ö r m i g e K o h l e n w a s s e r s t o f f e — als solche (Acetylen, Methan, Propan, Butan) oder im Gemisch mit anderen Gasen (in Form von Leuchtgas, Kokereigas) — sowie f l ü s s i g e K o h l e n w a s s e r s t o f f e (Benzol, Benzin, Petroleum) t e c h n i s c h in ausgedehntem Maße als Heiz- und Treibstoffe. Ihre Synthese aus Wasserstoff und Kohle („Kohlehydrierung"; S. 312f.) bzw. Wasserstoff und Kohlenoxyd ( „ F I S C H E R TROPSCH-V erfahren" \ S. 308f.) wird in großtechnischem Maßstabe durchgeführt. Auch im L a b o r a t o r i u m bedient man sich von jeher der Heizwirkung der Kohlenwasserstoffe. In diesem Zusammenhang sei kurz auf die Verbrennung des L e u c h t g a s e s im B U N S E N B r e n n e r , die gebräuchlichste Art der Wärmeerzeugung im c h e m i s c h e n L a b o r a t o r i u m , eingegangen. Die brennbaren Bestandteile des L e u c h t g a s e s (S. 310) sind: W a s s e r s t o f f H a , M e t h a n CH 4 , K o h l e n o x y d CO und kohlenstoffreiche „schwere Kohlenwasserstoffe." ( Ä t h y l e n C 2 H 4 , A c e t y l e n C 2 H a , B e n z o l C6H8). Zündet man ein solches Gas an, so erhält man eine l e u c h t e n d e F l a m m e . Das Leuchten rührt daher, daß K o h l e t e i l c h e n , die duroh thermische Zers e t z u n g oder u n v o l l s t ä n d i g e V e r b r e n n u n g von Kohlenwasserstoffen entstanden sind, in der Flamme zum G l ü h e n kommen. Hält man in die leuchtende Flamme einen k a l t e n G e g e n s t a n d , so schlagen sich auf diesem die Kohleteilchen in Form von K u ß ab. Will man demnach eine n i c h t l e u c h t e n d e , rußfreie Flamme erzeugen, so muß man für g e n ü g e n d e L u f t z u f u h r Sorge tragen, damit v o l l s t ä n d i g e V e r b r e n n u n g erfolgt. Diesem Zweck dient der „BuNSEN-Brenner" (Fig. 99). Bei diesem entströmt das H e i z g a s einer im Fuße des Brenners angebrachten D ü s e und s a u g t hierbei durch r e g u l i e r b a r e Ö f f n u n g e n L u f t an. So entsteht im Innern des über der Düse befindlichen B r e n n e r r o h r e s {„Schornstein") ein L u f t - L e u c h t g a s - G e m i s c h , das beim E n t z ü n d e n in einer auf dem o b e r e n B a n d e des B r e n n e r r o h r e s aufsitzenden F l a m m e verbrennt. Bei dieser F l a m m e (Fig. 100) kann man einen dunklen I n n e n k e g e l und einen bläulichen A u ß e n k e g e l unterscheiden. Der I n n e n k e g e l besteht aus f r i s c h e m L u f t - L e u c h t g a s G e m i s c h und ist daher verhältnismäßig k a l t (~300°). Die V e r b r e n n u n g dieses Gemisches erfolgt erst am B a n d e des I n n e n k e g e l s , wo sich die A u s s t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t des Gases (welche die Flamme von unten nach oben zu treiben sucht) und die F o r t p f l a n z u n g s g e s c h w i n d i g k e i t d e r V e r b r e n n u n g (welche die Flamme dem frischen Gas entgegen in das Brennerrohr hineinzuziehen trachtet) gerade die Waage halten. Die vom Leuchtgas am Brennerfuß angesaugte L u f t („Primärluft") reicht nun nicht aus, um das g a n z e L e u c h t g a s zu verbrennen. Der u n v e r b r a n n t gebliebene, hauptsächlich aus K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f bestehende Rest des Leuchtgases, der sich mit K o h l e n d i o x y d und W a s s e r d a m p f im „Wassergasgleichgewicht" (S. 307) befindet (CO + H 2 0 i z ^ z ; C 0 2 + H2), bildet den A u ß e n k e g e l der Flamme. Seine V e r b r e n n u n g erfolgt am B a n d e d e s A u ß e n k e g e l s mit der v o n a u ß e n kommenden Luft („Sekundärluft"). Die T e m p e r a t u r der BUNSEN-Flamme ist naturgemäß an den K e g e l r ä n d e r n , den eigentlichen Verbrennungszonen, am h ö c h s t e n und beträgt maximal etwa 1500°. Wegen des Gehaltes an K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f und des Fehlens von S a u e r s t o f f wirkt der
303
Der Kohlenstoff
i n n e r e T e i l des Außenkegels nahe dem heißen Außenrande des Innenkegels s t a r k r e d u z i e r e n d (,,Reduktionszone"), während der ä u ß e r e R a n d des Außenkegels wegen des hier vorhandenen ü b e r s c h ü s s i g e n L u f t s a u e r s t o f f s s t a r k e O x y d a t i o n s Wirkung zeigt („Oxydationszone"). Ändert man die S t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t des Leuchtgases im BUNSEN-Brenner, so verändert sich natürlich auch die L a g e der K e g e l . V e r r i n g e r t man sie, so schreitet die Verbrennung von oben nach unten fort, der Flammenkegel wandert im Brennerrohr bis zur
yerörvnmr&mitSetona&rMf .•Schornstein ßussenfaoe/ (sauers/off-freies Hetzgas) Döse IfainnfwnffmrtftxnSrM ¡—Gas
fnnenfreoef (Heizgas / Luff)
•ßrennerfbss Fig. 99. BÜNSEN-Brenner
Fig. 100.
BUNSEN-Flamme
Austrittsstelle des Gas-Luft-Gemisches, der Brenner ,,schlägt durch". V e r g r ö ß e r t man sie zu stark, so entfernt sich die Flamme vom oberen Bande des Brennerrohres, die Flamme wird „ausgeblasen".
c) Sauerstoffverbindungen des Kohlenstoffs Der Kohlenstoff bildet drei gasförmige Sauerstoffverbindungen: das Kohlenmonoxyd CO, das Kohlendioxyd C0 2 und das Kohlensuboxyd C 3 0 2 . Wir besprechen hier nur die beiden ersteren; das Kohlensuboxyd wird in Band I I (S. 146) behandelt. a) Kohlendioxyd Vorkommen. Kohlendioxyd C0 2 kommt in der Natur sowohl frei als auch gebunden vor. In f r e i e m Z u s t a n d e bildet es einen Bestandteil der Luft (0.03°/0) sowie vieler Mineralquellen {„Sauerbrunnen", „Säuerlinge", „Sprudel"); auch strömt es in einigen Gegenden (besonders in der Nähe von Vulkanen) aus Rissen und Spalten des Erdbodens aus. In g e b u n d e n e m Z u s t a n d e findet es sich vor allem in Form von Calciumcarbonat CaCOs und Magnesiumcarbonat MgCO s . Darstellung. T e c h n i s c h gewinnt man Kohlendioxyd durch Verbrennen von K o k s mit L u f t (vgl. S. 305f.): C + Oj
>- C0 2 + 94.0 kcal
oder als Nebenprodukt beim K a l k b r e n n e n (S. 407f.): 42.7 kcal + CaC0 3
>- CaO + C0 2 .
I n beiden Fällen ist das Kohlendioxyd mit viel S t i c k s t o f f vermengt. In r e i n e r F o r m läßt es sich aus diesem Gasgemisch isolieren, indem man es in Türmen einer über Koks herabrieselnden K a l i u m c a r b o n a t l ö s u n g entgegenleitet, welche das Kohlendioxyd bindet: KaCOa + COa + H a O
2 KHCOg
304
Die Kohlenstoffgruppe
und beim K o c h e n (Umkehrung der vorstehenden Reaktion) wieder abgibt. Auch die n a t ü r l i c h e n Gasquellen werden vielfach zur Kohlendioxydgewinnung ausgenutzt. Im L a b o r a t o r i u m setzt man das Kohlendioxyd als Anhydrid der Kohlensäure (H2COa H 2 0 + C0 2 ) zweckmäßig aus den Salzen der K o h l e n s ä u r e , den Carbonaten, durch Einwirkung von Säuren in Freiheit (z. B. Zersetzung von Marmor CaC08 durch Salzsäure im K I P P sehen Apparat): CaCOj + 2 HCl — v CaCl2 + H,0 + C02. Physikalische Eigenschaften. Kohlendioxyd ist ein farbloses, nicht brennbares, die Atmung und Verbrennung nicht unterhaltendes Gas von etwas säuerlichem Geruch und Geschmack. Sein spezifisches Gewicht (1.9768 g/Liter bei 0° und 760 mm) ist etwa anderthalb mal so groß wie das der Luft. Daher sammelt es sich an Orten, wo es entweicht (z. B. Gärkellern, Grotten, Brunnenschächten usw.), am Boden an, was wegen der erstickenden Wirkung von Kohlendioxyd beachtet werden muß. Bekannt ist die „Hundsgrotte" von Neapel, in der z. B. Hunde wegen des dem Boden entströmenden Kohlendioxyds ersticken, während Menschen dort ungehindert atmen können. Kohlendioxyd läßt sich leicht verflüssigen, da seine kritische Temperatur (31.3°) relativ hoch liegt (kritischer Druck 72.9 at, kritische Dichte 0.464 g/cm3). So kann man es beispielsweise bei 0° schon durch einen Druck von 34.3, bei —20° durch einen Druck von 19.3 und bei —50° durch einen Druck von 6.6 Atmosphären zu einer farblosen, leichtbeweglichen Flüssigkeit verdichten. Kühlt man flüssiges Kohlendioxyd in einem geschlossenen Glasgefäß ab, so erstarrt es zu einer eisähnlichen Masse, welche bei —56.7° unter einem Eigendruck von 5 Atmosphären schmilzt. Bei Atmosphärendruck sublimiert festes Kohlendioxyd bei —78.5°, ohne zu schmelzen. Zur E l e k t r o n e n formel des Kohlendioxyds vgl. S. 317. Kohlendioxyd kommt in verflüssigter Form in Stahlbomben in den Handel, öffnet man das Ventil einer solchen, mit der Öffnung schräg nach unten gerichteten Stahlflasche, so fließt das flüssige Kohlendioxyd aus. Die dabei unter starkem Wärmeverbrauch sofort einsetzende Verdunstung eines Teils der Flüssigkeit kühlt den restlichen Teil rasch bis auf den Sublimationspunkt von —78.5° ab, so daß man eine schneeige Masse („Kohlensäuresrhnee") erhält. Die sehr hohe Sublimationswärme dieses Schnees (136.9 cal/g bei —78.5°) macht ihn — zweckmäßig im Gemisch mit Flüssigkeiten (z. B. Äther, Alkohol oder Aceton) — als Kältemittel geeignet. In den Handel kommt festes Kohlendioxyd als „Trockeneis". 1 Liter Wasser löst bei 15° 1 Liter und bei 0° 1.7 Liter Kohlendioxyd von Atmosphärendruck. Die entstehende Lösung reagiert schwach sauer (s. S. 305). Chemische Eigenschaften. Kohlendioxyd ist eine sehr beständige Verbindung, die erst bei sehr hohen T e m p e r a t u r e n (bei 1205° zu 0.032, bei 2367° zu 21.0 und bei 2606° zu 61.7°/ 0 ) in K o h l e n m o n o x y d und S a u e r s t o f f zerfällt: 67.6 kcal + C02 CO + ViOa. Dementsprechend ist C0 2 ein sehr schwaches — die Verbrennung und Atmung daher nicht unterhaltendes — Oxydationsmittel, während umgekehrt CO (bei hoher Temperatur) ein starkes Reduktionsmittel darstellt. Nur s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l wie Wasserstoff, Kohle, Phosphor, Magnesium, Natrium, Kalium können in der Hitze Kohlendioxyd zu Kohlenoxyd reduzieren. Die bei der Reaktion mit Wasserstoff und mit Kohle sich einstellenden Gleichgewichte: COs + H„ ^ r CO + HgO und COs + C
CO -f CO
spielen als „Wassergasgleichgewicht" (S. 307) und „BOÜDOÜARD-Gleichgewicht" (S. 306) bei vielen technischen Prozessen eine Rolle.
Der Kohlenstoff
305
Die w ä s s e r i g e Lösung des Kohlendioxyds rötet Lackmus schwach, reagiert also e t w a s sauer. Das kommt daher, daß sich Kohlendioxyd mit Wasser in geringem Betrage 0.1°/ 0 ) zu Kohlensäure H 2 C0 3 umsetzt: C02 + H20
H2C03.
(1)
Diese Kohlensäure H 2 C0 3 ist an sich eine m i t t e l s t a r k e Säure; ihre Dissoziationsk o n s t a n t e K1 =
C
H-
X
C
HCO,'
BETRÄGT 5
X
10
-4
J)A
ABER
9 9 . 9 0 ^ ¿ e 3 gelösten K o h l e n -
^HXO, dioxyds nicht als H 2 C0 3 , sondern als unverändertes C0 2 vorhegen, wirkt die G e s a m t lösung als s c h w a c h e Säure. Gewöhnlich pflegt man bei der Kohlensäure die „scheinbare Dissoziationskonstante" anzugeben, indem man als undissoziierten Säureanteil die Konzentration CHJCO.+CO, ersetzt. Dann bekommt K1 den um 3 Zehnerpotenzen kleineren Wert 3.15 X 1 0 " 7 . K2 = c h - X Cco »" beträgt 5.2 X 1 0 - " . "^HCO,' Die Bestimmung des in einer wässerigen Kohlendioxydlösung als wahre Säure H 2 C 0 3 vorliegenden Anteils gelingt auf Grund des Umstandes, daß bei Zusatz von Natronlauge die schon vorhandene wahre Kohlensäure H 2 C 0 3 wie alle Säuren m o m e n t a n neutralisiert wird, während die weitere Neutralisation langsamer erfolgt, da die Wiedereinstellung des gestörten Gleichgewichts (1) Zeit erfordert.
In wasserfreiem Zustande läßt sich die Kohlensäure nicht isolieren, da beim Entwässern (Verdampfen oder Gefrieren der Lösimg) wegen Überschreitung der Löslichkeit das A n h y d r i d C0 2 entweicht. Als z w e i b a s i g e Säure bildet die Kohlensäure zwei Reihen von Salzen: Hydrogencarbonate („primäre Carbonate"; „saure Carbonate"; „Bicarbonate") Me I HC0 3 und Carbonate {„sekundäre Carbonate"; „neutrale Carbonate") Me£C0 3 . Alle H y d r o g e n c a r b o n a t e sind bis auf das Natriumhydrogencarbonat NaHC0 3 in Wasser leicht löslich. Von den normalen C a r b o n a t e n lösen sich nur die Alkalicarbonate leicht, alle übrigen schwer in Wasser. Beim Erhitzen gehen die Hydrogencarbonate unter Kohlendioxydabspaltung in normale Carbonate über: 2 MeHCOs Me 2 C0 3 + H 2 0 + C 0 2 ; umgekehrt kann man durch Einleiten von Kohlendioxyd in wässerige Carbonatlösungen Hydrogencarbonate erhalten (S. 410, 428). Ansäuern von Carbonatlösungen führt zu Kohlendioxydentwicklung, da die primär in Freiheit gesetzte Kohlensäure H 2 C0 3 in H 2 0 + C0 2 zerfällt, so daß bald die Lösliehkeit des Kohlendioxyds in Wasser überschritten wird. ß) Kohleomonoxyd Darstellung T e c h n i s c h erzeugt man Kohlenmonoxyd in großem Umfang in Form von Generatorgas und Wassergas bei der Umsetzung von Kohlenstoff mit Luft bzw. Wasserdampf. Zur Darstellung von „Generatorgas" {„Luftgas") wird in großen Öfen {„Generatoren") L u f t von unten her durch eine 1—3 m hohe K o k s Schicht geleitet (vgl. S. 225). Im unteren Teil dieser Schicht verbrennt der Kohlenstoff, da hier L u f t ü b e r s c h u ß vorhanden ist, unter starker Wärmeentwicklung zu K o h l e n d i o x y d : C + Oa
C 0 2 + 94.0 kcal.
(2)
Hierbei erhitzt sich die Koksschicht auf über 1000°. Das gebildete K o h l e n d i o x y d setzt sich dann bei dieser hohen T e m p e r a t u r im darüberliegenden, noch unverbrauchten Teil der Koksschicht mit K o h l e n s t o f f zu K o h l e n o x y d um: 41.2 kcal + C 0 2 + C ^ ± 1 2 C O ,
(3)
so d a ß sich bei K o k s ü b e r s c h u ß und h o h e n T e m p e r a t u r e n insgesamt die R e a k t i o n
2 C + 0 2 ^ = 2 : 2 0 0 + 52.8 kcal H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie.
40. — 46. Aufl.
(4) 20
Die Kohlenstoffgrnppe
306
abspielt. Das Gemisch des so gebildeten Kohlenoxyds mit dem Stickstoff der Verbrennungsluft (vgl. S. 225) wird als G e n e r a t o r g a s bezeichnet. Die Reaktion (3) führt bei jeder Temperatur zu einem bestimmten G l e i c h g e w i c h t , das unter dem Namen „BOI'DOI'ABD-Gleichgewicht" bekannt ist. Und zwar verschiebt sich das Gleichgewicht, da es sich um eine e n d o t h e r m e und mit V o l u m e n v e r m e h r u n g verbundene Reaktion handelt, mit s t e i g e n d e r (fallender) T e m p e r a t u r und f a l l e n d e m (steigendem) D r u c k nach r e c h t s (links). Bei A t m o s p h ä r e n d r u c k entsprechen z. B . den nachfolgenden T e m p e r a t u r e n die angegebenen V o l u m e n p r o z e n t e von Kohlenoxyd und Kohlendioxyd im Gleichgewicht (vgl. Fig. 101): C02 CO
450° 98 2
500° 95 5
600° 77 23
700" 42 68
800° 10 90
900° 3 97
950° C 1.5 V o l . - % 98.5 V o l . - % .
Wie daraus hervorgeht, liegt das Gleichgewicht bei 400° praktisch ganz auf der Seite des K o h l e n d i o x y d s und bei 1000° praktisch ganz auf der Seite des K o h l e n m o n o x y d s . Dementsprechend erhält man bei der Umsetzung von ü b e r s c h ü s s i g e m K o k s mit L u f t bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n vorwiegend C 0 2 , bei h o h e n T e m p e r a t u r e n vorwiegend CO. Bei Verwendung eines L u f t ü b e r s c h u s s e s (völlige Verbrennung des Kohlenstoffs zu Oxyden) wird das Verhältnis von Kohlenoxyd zu Kohlendioxyd infolge der Abwesenheit von freiem Kohlenstoff naturgemäß nicht mehr durch das BOUDOUARD - Gleichgewicht (3), sondern durch das D i s s o z i a t i o n s gleichgewicht des Kohlendio x y d s : 67.6 kcal + C 0 2 CO + V 2 0 2 (S. 304) bedingt. Da in diesem Falle das Gleichgewicht auch bei h o h e n Temperaturen ganz auf der l i n k e n Seite liegt, erhält man hier auch bei hohen T e m p e r a t u r e n praktisch nur C 0 2 . Das BOUDOUARD - Gleichgew i c h t (3) spielt ganz allgemein bei allen technischen Prozessen eine Rolle, bei denen S a u e r s t o f f Verbindungen mit überschüssiger K o h l e r e d u z i e r t werden. Läßt sich also z. B. ein Metalloxyd bei verhältnismäßig n i e d r i g e r T e m p e r a 900 1000 t u r reduzieren, so wird in der Haupt> 7emperaft/r sache K o h l e n d i o x y d entstehen: 2MeO + C ->• 2Me + C 0 2 , während Fig. 101. Volumenprozente Kohlenoxyd und Kohlendioxyd eine nur bei h o h e n T e m p e r a t u r e n im BouDouARD-Gleichgewicht bei 1 Atmosphäre Druck durchführbare Reduktion hauptsächlich zur Bildung von K o h l e n m o n o x y d führt: MeO + C —>- M e + CO. Bei m i t t l e r e n T e m p e r a t u r e n (etwa bei der Reduktion von Eisenoxyden im Hochofen) erhält man G e m i s c h e v o n K o h l e n o x y d u n d K o h l e n d i o x y d . Berücksichtigen muß man allerdings,daß mit f a l l e n d e r T e m p e r a t u r die Einstellung des Gleichgewichtes (3) nur bei Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n noch mit g e n ü g e n d e r G e s c h w i n d i g k e i t erfolgt. Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist die Reaktionsgeschwindigkeit bereits so gering, daß das K o h l e n o x y d — obwohl es sich nach der Lage des Gleichgewichtes (3) vollkommen in K o h l e n s t o f f und K o h l e n d i o x y d disproportionieren sollte — als m e t a s t a b i l e r S t o f f vollkommen b e s t ä n d i g ist.
Zur Herstellung von Wassergas leitet man W a s s e r d a m p f über stark erhitzten K o k s (vgl. S. 225). Dabei erfolgt die endotherme Reaktion 31.4 kcal + C + H 2 0
CO + H 2 .
(5)
Das gebildete K o h l e n o x y d kann sich bei niedrigen T e m p e r a t u r e n mit weiterem W a s s e r d a m p f zu K o h l e n d i o x y d umsetzen: CO + H a O
C 0 2 + H 2 + 9.8 kcal,
(6)
307
Der Kohlenstoff
so daß bei W a s s e r d a m p f ü b e r s c h u ß und weniger hohen T e m p e r a t u r e n neben der Reaktion (5) auch als Summe von (5) und (6) die Reaktion stattfinden kann.
2 L 6 koal
+
C
+
2H
'° ^
C0
° +
2H
*
Das „Wassergasgleichgewicht" (6), dessen Gleichgewichtskonstante bei 830° den Wert 1 besitzt, verschiebt sich mit s t e i g e n d e r (fallender) T e m p e r a t u r nach links (rechts), da es sich um eine e x o t h e r m e Reaktion handelt. Führt man daher die Umsetzung von Kohle mit Wasserdampf bei v e r h ä l t n i s m ä ß i g niedrigen T e m p e r a t u r e n durch, so erhält man in der Hauptsache K o h l e n d i o x y d und Wasserstoff, während bei hohen T e m p e r a t u r e n ( > 1000°) K o h l e n o x y d und Wasserstoff entstehen. Die Mengenverhältnisse von Kohlenoxyd und Kohlendioxyd bei den verschiedenen Temperaturen entsprechen dabei, solange noch unverbrauchter Koks vorhanden ist, im Gleichgewichtszustand z u g l e i c h dem oben schon behandelten BouD O U A R D - G l e i c h g e w i c h t (3), da ja bei Gegenwart von Kohle selbstverständlich auch dieses Gleichgewicht erfüllt sein muß. Da die Bildung des W a s s e r g a s e s nach (5) ein e n d o t h e r m e r Vorgang ist, muß der Koka vor dem Überleiten des Wasserdampfes auf etwa 1000° erhitzt und die durch die Reaktion (5) verbrauchte Wärme immer wieder nachgeliefert werden. Dies geschieht durch Kombination mit dem e x o t h e r m e n Prozeß (2) oder (4) der K o h l e v e r b r e n n u n g (vgl. S. 225), und zwar in d i s k o n t i n u i e r l i c h e m oder in k o n t i n u i e r l i c h e m Betrieb. Bei der d i s k o n t i n u i e r l i c h e n Arbeitsweise leitet man a b w e c h s e l n d Luft und Wasserdampf über den Koks und erzeugt die für die Wassergasbildung erforderliche Wärme je nach der Luftzufuhr entweder nach (2) durch Verbrennung der Kohle zu Kohlendioxyd (das man entweichen läßt) oder nach (4) durch Erzeugung von Generatorgas (das man getrennt vom Wassergas auffängt). Bei der k o n t i n u i e r lichen Arbeitsweise bläst man entweder W a s s e r d a m p f und L u f t (bzw. Sauerstoff) g l e i c h zeitig über den Koks, wobei man das „Mischgas" (durchschnittliche Zusammensetzung: 50°/o Na, 30°/ o CO, 1 5 % H 2 , 5 % C0 2 ) erhält; oder man gibt (bei Verwendung von Braunkohle) durch Ü b e r h i t z e n dem Wasserdampf die erforderliche Wärme mit und führt die Wasserstoffbildung bei verhältnismäßig niedriger Temperatur gemäß (7) durch (S. 39).
Generatorgas (durchschnittliche Zusammensetzung: 70°/ 0 N 2 , 25°/ 0 CO, 4°/ 0 C0 2 , und etwas H 2 , CH4, 0 2 ) und Wassergas (durchschnittliche Zusammensetzung: 50°/ 0 H 2 , 40°/ 0 CO, 5 % C0 2 , 4 — 5 % N2 und etwas CH4) werden einerseits als Heiz- und K r a f t g a s e , andererseits zur Gewinnung von ,,Synthesegasen" (s. unten) benutzt. Bei der Verwendung zu Heiz- und K r a f t z w e c k e n bedient man sich der unter s t a r k e r W ä r m e e n t w i c k l u n g erfolgenden V e r b r e n n u n g von K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f zu K o h l e n d i o x y d (CO + 1 l i O i — C 0 2 + 67.6 kcal) bzw. W a s s e r (H2 + V 2 0 2 -—>- H 2 0 + 68.3 kcal). Der Heizwert des Wassergases 3000 kcal/m3) ist dabei rund dreimal größer als der des Generatorgases 1000 kcal/m3), da ersteres in der Hauptsache die brennbaren Gase CO und H 2 enthält (5), während letzteres zu rund 2 / s (vgl. S. 225) aus nicht brennbarem Stickstoff besteht. Die Verwendung zu „Synthesegasen" gründet sich auf den Gehalt an W a s s e r s t o f f , S t i c k s t o f f undKohlenoxyd, die sich in verschiedenster Weise zu wichtigen H-,N-, Cund O-haltigenProdukten — z. B. Ammoniak NH3 (S. 224ff.), Methan CH4 (II, S.25), Methylalkohol CH3OH (S. 308f.), T r e i b s t o f f e n CmHn (S. 309) — umsetzen lassen. Entsprechend dieser vielseitigen Verwendung von Generatorgas und Wassergas ist es für gewöhnlich gar nicht nötig, das Kohlenoxyd aus diesen Gasen zu isolieren. Soll es dennoch geschehen, so bringt man das kohlenoxydhaltige Gas unter D r u c k mit salzsaurer K u p f e r ( I ) -chloridlösung zusammen, wobei dem Gasgemisch das Kohlenoxyd entzogen wird (vgl. S. 226 f., 453); bei vermindertem Druck gibt die Lösung das Kohlenoxyd wieder ab. Auch kann man z. B. die zwei Stufen (2) und (3) der Generatorgaserzeugung g e t r e n n t durchführen, indem man zuerst nach (2) K o h l e n d i o x y d erzeugt, dieses vom S t i c k s t o f f abtrennt (S. 303f.) und dann gemäß (3) durch Überleiten über erhitzten K o k s in reines K o h l e n o x y d überführt. Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Kohlenoxyd als „Anhydrid" der Ameisensäure H 2 C0 2 (II, S. 78) durch Eintropfenlassen von konzentrierter Ameisensäure in 100° warme k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e : H 2 C0 2 — > - H 2 0 + CO. 20*
Die Kohlenstofigruppe
308
Eigenschaften Kohlenoxyd ist ein färb- und geruchloses, die Verbrennung nicht unterhaltendes, aber selbst brennbares, giftiges Gas, das entsprechend seinem Molekulargewicht (M = 28) etwas leichter als Luft ( I ® 29) ist. Bei—191.5 wird es flüssig, bei—204.0° fest. Eine Verflüssigung bei gewöhnlicher Temperatur ist auch durch noch so hohen Druck nicht möglich, da seine kritische Temperatur bei —140.2° liegt (kritischer Druck: 34.6 a t ; kritische Dichte: 0.311). Nach der Elektronenformel (vgl. S. 313, 316) ist das Kohlenoxyd CO mit dem Stickstoff Na is08ter:
: C : : : O: :N:::N:, wobei man unter ,,isosteren" Molekülen Moleküle mit g l e i c h e r A t o m - u n d E l e k t r o n e n z a h l versteht. Isostere Verbindungen zeichnen sich, falls auch die Kernladungssummen übereinstimmen 1 (Isosterie im engeren Sinne), vielfach durch eine auffallendeÄhnlichkeitinden physikalischen Eigenschaften aus, wie die folgende Tabelle am Beispiel der Verbindungspaare CO/N2 und C0 2 /N,0 (vgl. S. 234f. und 316f.) zeigt:
Schmelzpunkt (abs.) Siedepunkt (abs.) Kritische Temperatur (abs.) Kritischer Druck (Atm.) Flüssigkeitsdichte Löslichkeit in Wasser bei 0° (1 Gas/1 H A O)
CO
Na
C02
N2O
69 82 133 35 0.793 0.033
63 77 126 34 0.796 0.023
216 195 305 73 1.031 1.710
171 184 310 72 0.996 1.305
Über weitere Fälle von Isosterie vgl. z. B. S. 377 fl.
Kohlenoxyd verbrennt an der Luft mit charakteristischer b l ä u l i c h e r F l a m m e und starker W ä r m e e n t w i c k l u n g zu Kohlendioxyd 2 (vgl. S. 300): CO + 7 2 0 2 —->- C0 2 + 67.6 kcal.
Wegen dieses starken Bestrebens zur Vereinigung mit Sauerstoff dient es in der Technik als R e d u k t i o n s m i t t e l zur Reduktion von Metalloxyden (Fe 2 0 3 , CuO usw.) zu Metallen. Einige edle Metalle (z. B. Palladium) werden durch Kohlenoxyd schon bei Z i m m e r t e m p e r a t u r aus wässeriger Salzlösimg ausgefällt: P d " + H 2 0 + CO —>- Pd + 2 H ' + C 0 2 . Die hierbei durch die Metallabscheidung bedingte D u n k e l f ä r b u n g der Lösung dient als empfindlicher N a c h w e i s auf Kohlenmonoxyd. Außer mit S a u e r s t o f f vereinigt sich Kohlenoxyd in der Hitze auch mit vielen anderen Nichtmetallen, z. B. W a s s e r s t o f f (vgl. unten), S c h w e f e l ( — K o h l e n o x y sulfid COS), C h l o r ( — P h o s g e n COCl2). Von g r o ß t e c h n i s c h e r B e d e u t u n g ist die Umsetzung mit W a s s e r s t o f f . Leitet man ein Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff über geeignete K a t a l y s a t o r e n , so entstehen je nach den Versuchsbedingungen (Mischungsverhältnis, Druck, Temperatur, Katalysator) ganz verschiedene Hydrierungsprodukte. So erhält man z. B. beim Arbeiten unter Druck (250 Atmosphären) unter Verwendung eines chromoxydhaltigen Zinkoxyds als Katalysator bei 350° nahezu ausschließlich M e t h y l a l k o h o l (vgl. II, S. 38): CO + 2H 2
1
CHsOH (fl.) + 30.8 kcal.
Keine Ähnlichkeit in den physikalischen Eigenschaften ist natürlich zu erwarten, wenn sich die Kernladungssummen voneinander unterscheiden, d. h. die Moleküle als Ganzes verschiedene Ladungen tragen. So sind mit dem Kohlenoxyd : C: : : O: und Stickstoff : N : : : N : beispielsweise auch die Ionen [ : C : : : N ( C y a n i d - i o n ) , [: N: : : 0 : ] + (Nitrosyl-ion) u n d [ : C : : : C : ] — (Acetylid-ion) isoster, die in Form ihrer Salze wie NaCN, N0C10 4 oder BaC2 dem Kohlenoxyd und Stickstoff physikalisch naturgemäß nicht vergleichbar sind. Analoges gilt für die mit dem C0 2 und N 2 0 isosteren Ionen N 3 ' (Azid-ion) und NCO' (Cyanat-ion) bzw. CNO' (Fulminat-ion). 2 Für die Reaktion zwischen CO und O, ist ein gewisser F e u c h t i g k e i t s g e h a l t erforderlich. So brennt t r o c k e n e s Kohlenoxyd in t r o c k e n e r Luft nicht (vgl. S. 435).
309
Der Kohlenstoff
Die dazu erforderliche Apparatur entspricht weitgehend der AmmoniaksyntheseApparatur (S. 226f.). Bei geringer Abwandlung des Katalysators (Herstellung unter Zusatz gewisser Mengen Alkali) entstehen neben dem Methylalkohol in größeren Mengen auch h ö h e r e A l k o h o l e C n H 2 n + 1 O H : nCO + 2 n H a — > - C n H 2n + 1 OH + (n - 1) H a O. Unter diesen findet sich vor allem der I s o b u t y l a l k o h o l C 4 H 9 OH (II, S. 44), der durch katalytische Abspaltung von Wasser Isobuten C 4 H 8 liefert, welches einerseits zu einem Octen C 8 H 16 kondensiert und weiter zu einem ungewöhnlich klopffesten T r e i b s t o f f C 8 H 1 8 („Iso-octan") hydriert werden kann (II, S. 34), andererseits bei der Polymerisation zu höhermolekularen Körpern guttapercha-ähnliche K u n s t s t o f f e („Ofpanole") liefert ( I I , S. 116). Beim Arbeiten ohne Druck und bei ungefähr 180° entstehen sauerstoff-freie, gesättigte (C n H 2 n + 2 ) und ungesättigte (C n H 2n ) aliphatische K o h l e n w a s s e r s t o f f e („Benzinsynthese von Fischer und Tropsch") : nCO + (2n + 1) H2 — C n H 2 n + 2 + nH 2 0 nCO + 2nH2 > C n H 2n + nH 2 0. Die Primärprodukte dieser Benzinsynthese (vgl. I I , S. 34) sind bei Verwendung von aktivierten Eisen-, Kobalt- und Nickelkatalysatoren gewöhnlich rund 2 0 % Methan CH 4 , rund 1 0 % leichte Kohlenwasserstoffe (Propan C 3 H 8 , Butan C 4 H 1 0 , Propen C 3 H 6 , Buten C 4 H 8 ), rund 4 0 % bis 200° siedende Kohlenwasserstoffe („Benzin"), rund 2 0 % bis 320° siedende Kohlenwasserstoffe („Dieselöl") und rund 1 0 % feste Kohlenwasserstoffe („Paraffin"). Durch „Krackung", d. h. Zersetzungsdestillation (II, S. 33, llOf.) der Reaktionsprodukte kann die Ausbeute an niedermolekularen Benzinen weiter verbessert werden.
d) Natürliche Kohle und ihre technische Verwertung Die n a t ü r l i c h e K o h l e (vgl. I I , S. 303), die sich vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Rußland und in Deutschland in riesigen Lagern vorfindet, ist k e i n r e i n e r K o h l e n s t o f f , sondern ein in der Hauptsache aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel bestehendes kompliziertes G e m i s c h k o h l e n s t o f f r e i c h e r V e r b i n d u n g e n , das durch langsame V e r m o d e r u n g („Inkohlung") fossiler Überreste von Pflanzen unter Luftabschluß entstanden ist. Bei dieser Zersetzung wurden vor allem die Elemente W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f weitgehend als M e t h a n CH 4 , K o h l e n d i o x y d C 0 2 u n d W a s s e r H 2 0 abgespalten, so daß sich im Rückstand der K o h l e n s t o f f mehr und mehr a n r e i c h e r t e . Noch heute können wir den Beginn einer solchen Verkohlung in der Tor/bildung beobachten. Ein fortgeschritteneres Stadium der Verkohlung stellt die aus der Tertiärzeit stammende Braunkohle dar, deren Struktur ihre pflanzliche Herkunft noch deutlich erkennen läßt. Noch älter als die Braunkohle ist die aus der Carbonzeit stammende Steinkohle, und das älteste Glied der Reihe ist schließlich der Anthrazit. Die Zunahme des Kohlenstoff- und Abnahme des Sauerstoff- und Wasserstoffgehaltes sowie die damit parallel laufende Erhöhung des Heizwertes je Kilogramm gehen aus folgender Tabelle hervor: Zusammensetzung (°/ 0 ) Holz Torf Braunkohle Steinkohle Anthrazit
C
0
H
Heizwert (kcal je kg)
50 55-65 65-75 75-90 > 90
44 30-40 20-30 5-18 2-3
6 5.5-7 5-6 4-6 2-3
4000 5-6000 6-7000 7-8000 8 - 9000
310
Die Kohlenstoffgruppe
Die Braun- und Steinkohlen dienen wegen ihres Gehaltes an den wichtigen Elementen Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel als u n e n t b e h r l i c h e s A u s g a n g s m a t e r i a l d e r c h e m i s c h e n I n d u s t r i e . Die beiden wichtigsten Verfahren zur Nutzbarmachung der enthaltenen Elemente sind: die t r o c k e n e D e s t i l l a t i o n und die H y d r i e r u n g . a) Trockene Destillation von Kohle Erhitzt man Kohle ohne Luftzutritt in geschlossenen Gefäßen, so zersetzt sie sich in g a s f ö r m i g e , f l ü s s i g e und f e s t e P r o d u k t e . Diese Zersetzungsprodukte haben eine verschiedene Zusammensetzung, je nachdem man bei verhältnismäßig n i e d r i g e r ( < 600°) oder bei verhältnismäßig h o h e r T e m p e r a t u r ( > 1000°) arbeitet. Im ersteren Fall spricht man von „Verschuldung", im letzteren von „Verkokung" der Kohle. Die Schweiimg wird vor allem bei der B r a u n k o h l e , die Verkokung bei der S t e i n k o h l e durchgeführt (vgl. II, S. 303f.). Verkokung Die gasförmigen Produkte ( ~ 10%) bei der Verkokung von Steinkohle („Steinkohlen-Rohgas") enthalten alle die Gase, die durch Kombination der Elemente C, O, H, N und S denkbar und bei der hohen Arbeitstemperatur beständig sind. Es finden sich also darin: W a s s e r s t o f f H 2 , W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n des Kohlenstoffs (Methan CH 4 , Äthylen C 2 H 4 , Benzol C6H6), des Sauerstoffs (Wasserdampf H 2 0), des Stickstoffs (Ammoniak NH 3 ) und des Schwefels (Schwefelwasserstoff H 2 S), S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (Kohlenmonoxyd CO, Kohlendioxyd C0 2 ), S t i c k s t o f f N 2 und S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n (Cyangas (CN)2, Blausäure HCN) sowie S c h w e f e l v e r b i n d u n g e n (Schwefelkohlenstoff CS2). Die prozentuale Zusammensetzung aus diesen Bestandteilen ändert sich mit der Dauer der Destillation; und zwar nimmt, wie die untenstehende (nur die Hauptprodukte berücksichtigende) Fig. 102 zeigt, mit zunehmender Erhitzungsdauer der W a s s e r s t o f f g e h a l t auf Kosten der K o h l e n w a s s e r st off Verbindungen zu. Erhitzt man l ä n g e r e Z e i t , so erhält man das „Kokereigas", welches im Durchschnitt etwa 55 Vol.-°/0 H 2 , 2 5 % C H 4 , 10—12°/ 0 N 2 , 4—6°/0 CO, 2°/ 0 C m H n und 2 % C0 2 enthält. Erhitzt man w e n i g e r l a n g e , so entsteht das „Leuchtgas", welches im gereinigten Zustande durchschnittlich aus 50 °/0 H 2 , 32Va°/0 C H i> 7 °/o CO, 5°/ 0 N 2 , 3V2°/o c m H n , 2°/ 0 C0 2 und Spuren Sauerstoff besteht und beim Vermischen mit W a s s e r g a s (im Verhältnis 3: 2) das „Stadtgas" (durchschnittliche Zusammensetzung: 50°/0 H 2 , 2 0 % CH 4 , 17% CO, 8 % N 2 , 3 % C0 2 , 2 % CmH„) ergibt. Die flüssigen Produkte 10%) der Verkokung von Steinkohle sind „Ammoniakwasser" (vgl. S. 227) und „Steinkohlenteer". Ersteres ist eine wässerige Lösung von Am m o n i a k u n d A m m o n i u m s a l z e n (Ammoniumcarbonat, Ammoniumsulfid). Der Steinkohlenteer bildet eine schwarze, öligzähflüssige Masse, die aus etwa 10 000 hauptsächlich der a r o m a t i s c h e n R e i h e angehörenden C-, H-, O-, N- und S-haltigen o * g s « 20 & 28 32» Substanzen (z.B. Benzol C 6 H 6 ,ToluolC 7 H 8 , X lc)1 Fig. 102. Abhängigkeit der Kokereigasy C 8 H 10 , Naphthalin Cj^Hg, Anthrazen Zusammensetzung von der Verkokungsdauer C 14 H 10 , Phenol C 6 H 6 0, Thiophen C 4 H 4 S,
Der Kohlenstoff
311
Pyridin CSH5N) sowie aus pechartigen Rückständen besteht. Auf seiner Verarbeitung baut sich eine c h e m i s c h e G r o ß i n d u s t r i e auf (vgl. LI, S. 303f.). Als fester Rückstand 80°/ 0 ) hinterbleibt bei der Verkokimg der Steinkohle der kohlenstoffreiche, aber immer noch Wasserstoff ( ~ l ° / 0 ) , Sauerstoff ( ~ 1 % ) , Stickstoff 2 % ) und Schwefel l°/ 0 ) enthaltende „Koks". E r dient entweder direkt oder nach vorheriger Umwandlung in Generatorgas oder Wassergas als B r e n n s t o f f . Verschwelung Führt man die trockene Destillation der Kohle bei verhältnismäßig n i e d r i g e r T e m p e r a t u r (unterhalb von 600°) durch, so nimmt vor allem die Menge des wertvollen T e e r s gegenüber den gasförmigen Produkten zu. Dieser „Tieftemperaturteer" enthält zum Unterschied vom „Hochtemperaturteer" in der Hauptsache nicht a r o m a t i s c h e , sondern a l i p h a t i s c h e KohlenwasserstoffVerbindungen. Man nennt ihn auch ,,Urteer", weil er der bei der Destillation von Kohle p r i m ä r entstehende Teer ist, welcher bei der Verkokung erst s e k u n d ä r in den Hochtemperaturteer übergeht (Umwandlung der aliphatischen in aromatische Verbindungen). Im übrigen führt die Schwelung wie die Verkokung insgesamt zu g a s f ö r m i g e n {„Schwelgas"), f l ü s s i g e n {„Schwelwasser", „Leichtöle", „Schwelteer") und f e s t e n {„Schwelkoks") Zersetzungsprodukten. Das bei der Schwelung von Braunkohle gebildete Schwelgas besteht aus Wasserstoff (10—30°/ 0 ), Stickstoff (10—30°/ 0 ), Methan (10—25%), Kohlenoxyd (10—25%), Kohlendioxyd (10—20°/ 0 ), Schwefelwasserstoff (1—3°/ 0 ), Sauerstoff (0.1—3%) und Kohlenwasserstoffen (1—2%). Es dient zum H e i z e n der S c h w e l ö f e n oder wird nach Entfernung von Kohlendioxyd und Schwefelwasserstoff als F e r n g a s abgegeben bzw. — mit Wassergas vermischt — als S t a d t g a s (Leuchtgas) verwendet. Die aus dem Schwelgas isolierbaren L e i c h t ö l e dienen gereinigt als M o t o r e n betriebsstoff. Unter den flüssigen Produkten der Schwelung bildet das S c h w e l w a s s e r , eine gelbliche, milchig - trübe Flüssigkeit von etwas teerigem Geruch, die Hauptmenge. Sie enthält nur geringe Mengen an Ammoniak und organischen Substanzen und läßt sich nicht nutzbringend verwerten. Der S c h w e l t e e r stellt eine braune bis schwarze, bei 25—35° schmelzende Masse dar, die zur Hauptsache aus gesättigten und ungesättigten K o h l e n w a s s e r s t o f f e n der aliphatischen Reihe besteht. Der feste Rückstand bei der Braunkohlenschwelung ist der „Grudekoks", ein körniges, mattschwarzes Produkt, das bei der Entzündimg ohne Flamme, Rauch oder Rußbildung langsam verglüht und ein geschätztes H e i z m a t e r i a l für kleine Haushaltungsöfen darstellt. Solcher bei tieferen Temperaturen geTemperatur wonnener Koks ist ärmer an Kohlenstoff und reicher an den übrigen Elementen als der HochtemperaturFig. 103. Abhängigkeit der Kokskoks, wie die nebenstehende Fig. 103 zeigt, welche die zusammensetzung von der Verkokungstemperatur Abhängigkeit der Zusammensetzung des Kokses von der Herstellungstemperatur wiedergibt. Bei der V e r s c h w e l u n g v o n Holz erhält man als g a s f ö r m i g e s Produkt „Holzgas" (hauptsächlich C 0 2 , CO, CH4 und H 2 ), als f l ü s s i g e s Produkt „Holzgeist" (Methylalkohol), „Holzessig" (Essigsäure) und „Holzteer" und als f e s t e s Produkt „Holzkohle".
312
Die Kohlenstoffgruppe
(3) Kohlehydrierung Setzt man K o h l e oder kohlenstoffreiche Stoffe wie Teere oder Schweröle unter einem Druck von rund 250 Atmosphären und in Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n bei 450° mit W a s s e r s t o f f um, so brechen die komplizierten Kohlenstoffverbindungen des Ausgangsmaterials unter Wasserstoffaufnahme auseinander, so daß aus den hochmolekularen, wasserstoffarmen Ausgangsprodukten n i e d e r m o l e k u l a r e , W a s s e r s t o f f re iche Kohlenwasserstoffe {„Benzine") entstehen („Kohleverflüssigung"). Diese Druckhydrierung (vgl. II, S. 33f.) wird technisch in größtem Maßstab zur Gewinnung s y n t h e t i s c h e r T r e i b s t o f f e durchgeführt. Und zwar erfolgt die technische Hydrierung in zwei S t u f e n , indem man das Ausgangsprodukt zunächst in ein Zwischenprodukt, das M i t t e l ö l , überführt {„Sumpfphase"), welches dann in Dampfform {„Gasphase") weiter zu Benzin hydriert wird. Sumpfphase. Zur Hydrierung in der Sumpfphase (vgl. Fig. 104) wird das ö l oder der Teer oder die feingemahlene, mit Schweröl (vgl. unten) zu einer breiigen Paste Trpnn- und
Sumofatese
Fig. 104.
Trpnn• und
Gasphase
Schematische Darstellung der technischen Kohlehydrierung
verriebene K o h l e mit dem feinpulvrigen K a t a l y s a t o r versetzt, erhitzt und durch Hochdruckpressen in die „Sumpföfen" (18 m hohe Stahlrohre von rund 1 m Durchmesser) hineingepreßt. Hier setzt sich der Kohlebrei bei 450° und 200—300 Atmosphären Druck mit W a s s e r s t o f f teilweise schon zu l e i c h t e r s i e d e n d e n , hauptsächlich aber zu s c h w e r e r f l ü c h t i g e n und n i c h t f l ü c h t i g e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n um. Bei der Destillation der Reaktionsprodukte erhält man bis 170° „Benzin", von 170—325° „Mittelöl" und oberhalb von 325° „Schweröl". Das Schweröl dient zum Anreiben neuer Kohlepaste, das M i t t e l ö l gelangt, soweit es nicht als solches verwendet wird, zur weiteren Hydrierung in die Gasphase. Wegen des S c h w e f e l g e h a l t e s der Kohle müssen die Kohlehydrieröfen nicht nur wie die Ammoniakhydrieröfen (S. 226f.) beständig gegen W a s s e r s t o f f , sondern auch beständig gegen S c h w e f e l sein. Daher sind sie innen mit Chrom-Wolframstahl ausgekleidet, welcher geringe Mengen Molybdän und Vanadin enthält. Auch die K a t a l y s a t o r e n müssen „schwefelfest" sein. Weiterhin lassen sich nur b i l l i g e Katalysatoren gebrauchen, da sie ja im Kohlebrei v e r t e i l t werden und daher n i c h t r ü c k g e w i n n b a r sind. Man verwendet z. B. Schwefelverbindungen des Molybdäns und Wolframs.
Gasphase. Zur weiteren Hydrierung in der Gasphase wird das aus der Sumpfphase kommende M i t t e l ö l verdampft und im ,,Benzinofen" nochmals bei 450° und 200 bis 300 Atmosphären Druck mit W a s s e r s t o f f umgesetzt. Da die Stoffe jetzt im Gaszustand sind, kann der Katalysator bei diesem Arbeitsgang in festen Brocken fest im Ofen angeordnet werden. Das Mittelöl geht jetzt weitgehend in l e i c h t -
Der SMBKAL-RAMAN-Effekt
313
s i e d e n d e , zum Teil sogar in g a s f ö r m i g e Produkte über. Bei der sorgfältigen D e s t i l l a t i o n der Reaktionsprodukte erhält man: „Gas" (Methan, Äthan, Propan, Butan), „Benzin" („Leunabenzin") und unverändertes „Mittelöl", das zum Teil wieder in den Betrieb zurückwandert. Die Gase Propan und Butan gelangen verflüssigt als ,,Flüssiggas" für H e i z - und T r e i b z w e c k e in den Handel. Die Ausbeute an Benzin beträgt 0.6 t je Tonne Braunkohle; die Gewinnung des Hydrier-Wasserstoffs nach dem Wassergasverfahren (S. 38f.) erfordert allerdings nochmals 1 1 Kohle. Durch V a r i a t i o n der A r b e i t s b e d i n g u n g e n (Druck, Temperatur, Katalysatoren usw.) gelingt es, die Ausbeuten an Hydrierprodukten mehr nach der Seite der h ö h e r m o l e k u l a r e n (Schmieröl, Heizöl, Dieselöl) oder der Seite der n i e d e r m o l e k u l a r e n Kohlenwasserstoffe (Leuchtöl, Benzin) zu verschieben.
2 . D e r SMEKAL-RAMAN-Effekt Nach der Elektronentheorie der Valenz muß dem K o h l e n o x y d CO die E l e k tronenformel _ +
:C:::0:
(1)
mit einer d r e i f a c h e n K o v a l e n z zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff zukommen, da nur auf diese Weise beide Atome eine abgeschlossene Neonschale erreichen. Berücksichtigt man die gleichzeitig dabei auftretenden L a d u n g e n (vgl. S. 157ff.), so läßt sich diese Elektronenformel (1) durch die V a l e n z s t r i c h f o r m e l (2a) mit v i e r w e r t i g e m Kohlenstoff wiedergeben, während man früher annahm, daß umgekehrt der Sauerstoff dem Kohlenstoff seine Wertigkeit aufzwinge und das Kohlenoxyd daher durch die Valenzstrichformel (2b) mit zweiwertigem Kohlenstoff auszudrücken sei: C=0 C=0 (2) (a) (b) Zur experimentellen Prüfimg einer Frage wie der hier angeschnittenen kann man den SMEKAL-RAMAN-Effekt heranziehen, auf den wir im folgenden etwas näher eingehen wollen. a ) W e s e n des SMEKAL-RAMAN-Effekts a) Experimentalbefund Bestrahlt man eine k o l l o i d e L ö s u n g (S. 333ff.) von der Seite her mit monochromatischem, sichtbarem L i c h t und betrachtet die Lösung senkrecht zur Einfallsrichtung des Lichtstrahls, so stellt man fest, daß das einfallende Licht teilweise s e i t l i c h g e s t r e u t wird {„T YNDALL-Effekt", S. 334), wobei das g e s t r e u t e Licht die Wellenlänge des e i n f a l l e n d e n Lichtes besitzt. Ersetzt man die kolloide Lösung durch eine e c h t e L ö s u n g oder eine r e i n e F l ü s s i g k e i t , so läßt sich — zwar nicht mit dem bloßen Auge, wohl aber mit optischen Mitteln — auch hier eine S t r e u u n g des L i c h t e s feststellen. Die Zerlegung dieses gestreuten Lichtes in einem S p e k t r o g r a p h e n (Fig. 105) führt nun zu dem interessanten Ergebnis, daß das Streulicht zwar in der Hauptsache die gleiche Frequenz wie das einfallende monochromatische Licht besitzt („unv er schob ene Streustrahlung", „TYNDALL - Streuung"), daß aber daneben (vgl. Fig. 106 a) noch a n d e r e S p e k t r a l - l i n i e n erscheinen, die in dem ursprünglichen Licht nicht vorhanden waren, wobei diese Linien im allgemeinen nach k l e i n e r e n F r e q u e n z e n (entsprechend größ e r e n W e l l e n l ä n g e n ) hin verschoben sind (,,verschobene Streustrahlung", „RAMANStreuung"). Bestrahlt man die gleiche Flüssigkeit mit einem a n d e r e n monochromati-
Die Kohlenstoffgruppe
314
schenLicht von anderer Frequenz,so erhält man das gleiche Bild, und zwar besitzen die verschobenen Linien — und das unterscheidet diesen Effekt von dem schon länger bekannten „Fluoreszenzeffekt" yabsorb liegen in der Größenordnung von 1012 bis 1014 je Sekunde, entsprechend Wellenlängen von 106 bis 104 A oder Energiemengen von
Der SiiEKAL-RAMAN-Effekt
315
0.1 bis 10 kcal je Mol (vgl. S. 84f.). Damit sind die beim RAMAN-Effekt absorbierten Energiemengen in ihrer Größe den bei der Bestrahlung von Stoffen mit u l t r a r o t e m L i c h t (Wellenlänge 106 bis 104 A) absorbierten Energiebeträgen äquivalent. Hieraus geht hervor, daß die aufgenommene Energie zur Anregung von Schwingungen der Atome innerhalb des Moleküls dient (vgl. S. 145). Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, entsprechen U l t r a r o t s p e k t r u m (S. 146) und RAMAN-Spektrum einander. Der Unterschied ist nur der, daß die zur Anregung von Molekülschwingungen dienenden Energiequanten im Falle der Bestrahlung mit ultrarotem Licht in Form ungeteilter L i c h t q u a n t e n , im Falle der Bestrahlung mit sichtbarem Licht dagegen in Form von Anteilen größerer Quanten aufgenommen werden. Das Ultrarotspektrum, das sonst nur als Absorptionsspektrum in dem meßtechnisch schwer zugänglichen ultraroten Gebiet zu beobachten ist, ist somit beim R A M A N - Spektrum in das experimentell bequem meßbare Gebiet des sichtbaren Lichts übertragen und tritt hier als Streuspektrum auf. Zu diesem Vorzug kommt noch als zweiter der, daß manche Linien, die im Ultrarot nicht auftreten („optisch inaktive" Linien) im RAMAN-Spektrum vorkommen, und daß umgekehrt manche „ramaninaktive" Linien im Ultrarotspektrum zu finden t „ t sind, so daß sich Ultrarot- und • > * «-• •—* < * • f • RAMAN-Spektrum in willkomme-
symmetrische
asymmetrische
ner Weise ergänzen. l/a/enzschu/inouno Defbrmationsschujinouni} Die in einem Molekül 107angeregten Schwingungen Schwingungsmöglichkeiten eines dreiatomigen , ° . , . . , s. 6 gestreckten Moleküls können zweierlei Art sein: es können die Atome in der V a l e n z r i c h t u n g gegeneinander schwingen („Valenzschwingungen") oder es können die Winkel zwischen den A t o m e n deformiert werden („Deformationsschwingungen"). So bestehen z. B. bei einem aus drei Atomen bestehenden gestreckten Molekül die in Fig. 107 wiedergegebenen Schwingungsmöglichkeiten. Das gleiche ist der Fall bei einem gewinkelten dreiatomigen Molekül. J e d e der drei Schwingungsarten gibt Veranlassung zu einer für das b e t r e f f e n d e Molekül c h a r a k t e r i s t i s c h e n RAMAN-Linie, da die Anregung einer bestimmten Schwingung je nach der Bindefestigkeit, Masse und räumlichen Lagerung der Atome einen ganz b e s t i m m t e n E n e r g i e b e t r a g erfordert. Die angeregten Schwingungen erfolgen dabei im Rhythmus der Frequenz des absorbierten Lichtes. Die Zahl der Schwingungen, die zwei angeregte Atome je Sekunde gegeneinander ausführen, ist also numerisch gleich der anregenden RAMAN-Frequenz. Die R A M A N -Frequenzen v stellen mit ihrer Größenordnung von 1012 bis 10 1 4 je Sekunde unbequem große Zahlen dar. Deshalb ist man übereingekommen, sie durch die Lichtgeschwindigkeit c ( = 2.997924 x 1010 cm/sec) zu dividieren: v./c = co. Sie geben dann die Anzahl Wellenlängen des absorbierten Lichtes an, welche auf eine Strecke von 1 cm entfallen1 („Wellenzahl"; vgl. S. 144), und bedeuten zugleich die Zahl der Atomschwingungen in einer V3 x io10 Sekunde. Ihre Größenordnung liegt damit zwischen 102 und 104. Hat also z. B. eine RAMAN-Frequenz den Wert 1231, so bedeutet dies, daß 1231 Wellenlängen des absorbierten Lichtes zusammen eine Strecke von 1 cm ergeben und daß die vom absorbierten Licht angeregten Atome in einer dreißigmilliardstel Sekunde 1231 Schwingungen gegeneinander ausführen.
b) Anwendung des SMEKAL-RAMAN-Effekts Da Lage und Zahl der RAMAN-Linien durch den speziellen Bau der Moleküle bedingt werden, lassen sich in nicht zu verwickelten Fällen aus dem RAMAN-Spektrum einer Substanz umgekehrt auch wieder R ü c k s c h l ü s s e auf die r ä u m l i c h e Anordnung der A t o m e und die A r t der Bindungen im Molekül ziehen. Daher stellt der SMBKAL-RAMAN-Effekt für den Chemiker ein wertvolles H i l f s m i t t e l zur Lösung 1
Vgl. Anmerkung 1, S. 84.
Die Kohlenstoffgruppe
316
chemischer K o n s t i t u t i o n s p r o b l e m e dar, wie im folgenden an Hand einiger Anwendungsbeispiele gezeigt sei. a ) Lage der Rahan-Linien Bringen wir zwei durch eine elastische Feder miteinander verbundene Kugeln zur Schwingung gegeneinander, so ist die Z a h l d e r S c h w i n g u n g e n je Zeiteinheit um so größer (kleiner), je l e i c h t e r (schwerer) die K u g e l n und je s t ä r k e r (schwächer) die F e d e r k r a f t ist. Gleiches gilt für die Schwingungen zweier A t o m e gegeneinander. Die RAMAN-Frequenz muß also um so g r ö ß e r e Werte annehmen, je k l e i n e r d i e M a s s e n der A t o m e und je f e s t e r d i e B i n d u n g e n zwischen den Atomen sind. Die Erfahrung bestätigt diese Erwartung, wie folgende Tabelle zeigt, die die durchschnittlichen RAMAN-Frequenzen co für eine Anzahl einfach, doppelt und dreifach verbundener Atome (X) wiedergibt:
x=x
X—X < 1200
x=x
1200—1800
1800—2400
>
X — H 2400
^C—0—
1050
^>0 = 0
1720
- C = N
2240
~C—H
2900
^0—N^
1000
\ C = N —
1660
—C=C—
2200
)>N—H
3340
W
950
^>C=C/
1640
2330
-O—H
3400
^C—C1
660
0 = 0
1555
Cl—H
2880
-)C— Br
580
Br—H
2550
70-J
550
J—H
2220
N = N
Wie aus der Tabelle hervorgeht, kann man den RAMAN-Frequenzbereich je nach der Art der Bindung (einfache, doppelte, dreifache Bindung) und der Beteiligung des besonders leichten Wasserstoffatoms (X = H) in vier Unterbereiche 1 ( < 1200; 1200—1800; 1800—2400; > 2400) unterteilen, innerhalb derer den einzelnen Bindungstypen gemäß der Art der Bindungspartner X und der Festigkeit der Bindung charakteristische Mittelwerte zukommen. Um diese Mittelwerte herum schwanken die R A M A N Frequenzen der angegebenen Bindungstypen je nach der Art der an den freien Valenzen sitzenden Substituenten. Die in der Tabelle zum Ausdruck kommende Gesetzmäßigkeit gestattet bereits wichtige Schlußfolgerungen bezüglich der Konstitution vieler chemischer Verbindungen. Beispielsweise findet man für das Kohlenoxyd CO eine RAMAN-Frequenz von 2155. Daraus geht eindeutig hervor, daß Kohlenstoff und Sauerstoff durch eine d r e i f a c h e und nicht durch eine zweifache kovalente Bindung (S. 308, 313) miteinander verknüpft sind, daß also die aus der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z zwangsläufig folgende Elektronenformel : C : : : O:
die richtige ist. Von den für das D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 möglichen beiden Formeln N\ II > 0 W (a)
und
N=N=0
(4)
(b)
trifft nach dem RAMAN-Spektrum nur die letztere zu. Und zwar ist diese Formel (4 b) durch die Resonanz-Elektronenstruktur 1 Diese Unterbereiche sind natürlich nicht scharf abgegrenzt und können sich gegenseitig überschneiden, wie das Beispiel des Jodwasserstoffs zeigt.
D e r SMEKAL-RAMAN-Effekt
317
wiederzugeben (vgl. S. 234f.), da die beiden gefundenen Valenzschwingungsfrequenzen (1287 und 2223) die Anwesenheit von zweifachen und dreifachen Kovalenzen anzeigen. Analoges gilt für das isostere K o h l e n d i o x y d C0 2 , das die beiden Valenzschwingungsfrequenzen 1336 und 2350 aufweist (: C>: C: : :Ö: ¡O-C-O:« >• : 0 : : : C : Ö : ) . I n ähnlicher Weise bestätigt das Raman-Spektrum die früher abgeleiteten Elektronenformeln der Phosphorsäuren H s PO n (vgl. S. 264): • H " O • " O + + + 0:P:0 H H: P: O H H : P : O H2 - ö . Ö Ö (a) (b) (o) So findet man bei der unterphosphorigen Säure H 3 P 0 2 (a) und bei der phosphorigen Säure H 3 P 0 3 (b) eine bei 2415 bzw. 2485 liegende, das Vorliegen einer P h o s p h o r W a s s e r s t o f f - B i n d u n g anzeigende RAMAN-Frequenz, welche bei der Phosphorsäure H 3 P 0 4 (c) fehlt, während sie beim Phosphorwasserstoff P H 3 naturgemäß auftritt (co = 2407). Weiterhin findet sich im Bereich 1200—1800 keine RAMAN-Linie, woraus sich ergibt, daß die Moleküle der Phosphorsäuren in Übereinstimmung mit den E l e k t r o n e n f o r m e l n (vgl. S. 263f.) und entgegen den Valenzstrichformeln (vgl. S. 158) k e i n e k o v a l e n t e n , sondern s e m i p o l a r e D o p p e l b i n d u n g e n (S. 159) enthalten. H e t e r o p o l a r e n Bindungen entsprechen k e i n e RAMAN-Linien, weil hier ja die elastische Federkraft fehlt, die die Voraussetzung für Atomschwingungen bildet. Während also z. B. die Moleküle HCl, H B r und H J je eine RAMAN-Linie aufweisen, ergeben die davon abgeleiteten S a l z e KCl, K B r und K J keine RAMAN-Linien. Dementsprechend bietet der RAMAN-Effekt die Möglichkeit, die S a l z n a t u r von Verbindungen zu prüfen, da die RAMAN-Linien um so s c h w ä c h e r ausfallen, je p o l a r e r die Bindung zwischen Metall und Molekülrest ist. So ergeben etwa die Halogenide von Hg, P, As, Sb, C, Si, Ti und Sn I V s t a r k e RAMAN-Linien, während beispielsweise die Halogenide BiCl 3 , ZnCl 2 , CdJ 2 und AuCl s nur s c h w a c h e und die Chloride des Na, K, N H 4 , Ba, Ag, Cu, Cd, Mg und Sn 11 überhaupt k e i n e RAMAN-Linien zeigen. I n ähnlicher Weise deutet das Auftreten einer Kobalt-Stickstoff-Frequenz bei der Komplexverbindung [Co(NH 3 ) 6 ] Cl3 darauf hin, daß hier die Ammoniakmoleküle durch e c h t e K o v a l e n z e n mit dem Kobaltatom verknüpft sind {„Durchdringungskomplex" ; S. 160f.), während das Fehlen dieser Frequenz bei der Verbindung [Co(NH 3 ) 6 ]Cl 2 anzeigt, daß hier die Ammoniakmoleküle nur durch D i p o l k r ä f t e gebunden sind („Anlagerungskomplex"; S. 161). ß ) Zahl der RAMAN-Linien
Auch aus der Z a h l der RAMAN-Linien eines Stoffes lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die K o n f i g u r a t i o n seiner Moleküle ziehen. E s läßt sich zeigen, daß ein aus n Atomen ( w > 2) bestehendes Molekül insgesamt 3 n - 6 verschiedene Möglichkeiten der Schwingung besitzt (n - 1 Valenz- und 2n - 5 Deformationsschwingungen). So sind z. B. bei einem v i e r a t o m i g e n Molekül 3 - 4 — 6 = 6 und bei einem f ü n f a t o m i g e n Molekül 3 - 5 — 6 = 9 verschiedene Schwingungsarten denkbar. J e nach der S y m m e t r i e des Moleküls können nun einzelne dieser Schwingungsfrequenzen e i n a n d e r g l e i c h sein, so daß die entsprechenden Linien a u f e i n a n d e r f a l l e n . Ist beispielsweise in einem vieratomigen Molekül das Zentralatom X mit d r e i g l e i c h e n L i g a n d e n Y besetzt (XY 3 ), so ergibt dieses Molekül bei p y r a m i d e n f ö r m i g e m Aufbau s t a t t 6
318
Die Kohlenstoffgruppe
nur 4 und bei ebenem Aufbau statt 6 nur 3 Linien, da im ersteren Fall 2, im letzteren 3 Linien mit anderen Linien zusammenfallen („entartete Schwingungen"). Auf diese Weise ist es mit Hilfe des RAMAN-Effekts möglich, bei solchen Molekülen zwischen pyramidenförmigem und ebenem Aufbau zu unterscheiden. So zeigt das Experiment, daß die Ionen C103' und S 0 3 " p y r a m i d e n f ö r m i g , die Ionen N0 3 ' und C0 3 " dagegen eben gebaut sind. Dies ist deshalb von Interesse, weil damit die Aussagen der E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz bestätigt werden. Nach der Elektronentheorie der Valenz besitzen nämlich die ersteren und die letzteren Ionen eine voneinander v e r s c h i e d e n e K o n s t i t u t i o n (a), während sie nach den Valenzstrichformeln (b) gleich gebaut zu sein scheinen 1 : :Ö: ++ :C1: 0 0:
0 II
o=ci—o—
: 0: + 6
(«)
0 5:
(a)
II
0=N—0—
(6)
(b)
Denn im ersteren Fall (C103', S 0 3 " ) sind die drei Sauerstoffatome durch je eine einfache K o v a l e n z mit dem Zentralatom verknüpft, so daß nach dem T e t r a e d e r modell (vgl. NH3-Konfiguration in Fig. 52, S. 153) die Form einer P y r a m i d e entsteht. Im letzteren Fall dagegen (N0 3 ', C0 3 ") ist eines der drei Sauerstoffatome zum Unterschied von den beiden übrigen durch eine doppelte K o v a l e n z mit dem Zentralatom verbunden2, so daß bei Zugrundelegen des T e t r a e d e r n : odells (Ersatz zweier Substituenten im CH4-Modell — Fig. 52, S. 153 — durch einen in der Mitte der gestrichelten Verbindungslinie angeordneten Liganden) eine ebene Anordnung der vier Atome zustande kommt.
3. Das Silicium a) Elementares Silicium
Vorkommen. Das Silicium ist nach dem Sauerstoff das m e i s t v e r b r e i t e t e Element, und zwar besteht der uns zugängliche Teil der Erdrinde zu etwa l / 4 (25.8°/0) seines Gewichtes aus Silicium. Da der Sauerstoff die Hälfte (49.4%) des Gewichtes der Erdrinde ausmacht, ist damit das Silicium ebenso häufig wie alle übrigen 99 Elemente zusammengenommen (vgl. S. 69). Silicium findet sich nie in freiem Zustande, sondern nur gebunden in Form von Salzen verschiedener, sich vom Anhydrid Si0 2 ableitender K i e s e l s ä u r e n mSi0 2 • nH 2 0 {„Silicate"). Besonders weitverbreitet sind dabei A l k a l i - , E r d a l k a l i - , Aluminiumund E i s e n s i l i c a t e (S. 329f.). Auch das freie S i l i c i u m d i o x y d Si0 2 kommt in der Natur in verschiedenster Form (als Sand, Quarz, Bergkristall, Amethyst usw.) vor (S. 323). Darstellung. T e c h n i s c h läßt sich Silicium in kompakten Stücken durch Reduktion von Quarz mittels K o h l e oder besser Calciumcarbid im elektrischen Ofen darstellen: Si0 2 + 2C
>- Si + 2CO
Si0 2 + CaC2
>- Si + 2CO + Ca.
Die zwei Doppelbindungen der Valenzstrichformeln (b) sind gemäß den Elektronenformeln (a) im Falle (5) beide semipolar, im Falle (6) dagegen teils semipolar, teils nichtpolar (vgl. S. 169>. a Die Doppelbindung kann keinem bestimmten Sauerstoffatom zugeordnet werden. Der wirkliche Zustand wird am besten als eine Überlagerung von drei Strukturen, die sich durch die drei Lagemöglichkeiten für die Doppelbindung unterscheiden, beschrieben („Resonanz"). Vgl. Anm. 1, S. 247. 1
Das Silicium
319
I m L a b o r a t o r i u m verwendet man zweckmäßig M a g n e s i u m als Reduktionsmittel: Si0 2 + 2Mg >- Si + 2MgO + 84 kcal. Da die Reaktion beim Entzünden des Gemischs unter starker Wärmeentwicklung stürmisch verläuft, muß man sie durch Zumischen eines Überschusses an Quarzsand oder an Magnesiumoxyd mäßigen. Man erhält bei dieser Darstellungsweise das Silicium als reaktionsfähiges braunes P u l v e r , welches durch Auflösen in g e s c h m o l z e n e m A l u m i n i u m und Erkaltenlassen dieser Lösung in k r i s t a l l i s i e r t e s S i l i c i u m verwandelt werden kann. D i r e k t erhält man dieses kristallisierte Silicium, wenn man ü b e r s c h ü s s i g e s A l u m i n i u m statt Magnesium zur Reduktion des Quarzes verwendet, so daß sich das gebildete Silicium: 3SiOs + 4 AI 3Si + 2 A1203 + 162 kcal gleich im Aluminiumüberschuß auflösen kann. Die Trennung von Aluminium und auskristallisiertem Silicium erfolgt hier wie im vorigen Fall mit S a l z s ä u r e , welche das Aluminium löst und das Silicium ungelöst zurückläßt. S t a t t Siliciumdioxyd kann auch S i l i c i u m f l u o r i d (in Form des Salzes SiF 4 • 2 K F = K 2 [SiF 6 ]; S. 323) mit überschüssigem Aluminium bei Rotglut umgesetzt werden: 3SiF 4 + 4 AI •—> 3Si + 4A1F3. Man erhält dabei das Silicium in schönen Kristallblättchen. Physikalische Eigenschaften. Das reine kristallisierte Silicium bildet dunkelgraue, undurchsichtige, stark glänzende, harte, spröde Oktaeder vom spezifischen Gewicht 2.33, Schmelzpunkt 1410° und Siedepunkt 2630°. Es leitet den elektrischen Strom (s. Germanium, S. 348f.), wobei die Leitfähigkeit mit steigender Temperatur zunimmt. Die Gitterstruktur ist die gleiche wie die des Diamanten (Si—Si-Abstand: 2.34 Ä). Das pulverförmige, braune bis graubraune Silicium unterscheidet sich von dem kristallisierten durch die Teilchengröße, die Oberflächenausbildung und insbesondere durch eine starke S t ö r u n g d e s G i t t e r a u f b a u s , verbunden mit einem Gehalt an Fremdsubstanz, insbesondere S a u e r s t o f f . Chemische Eigenschaften. Die feinverteilte Form des Siliciums reagiert naturgemäß leichter als die grobkristalline, welche nicht besonders reaktionsfähig ist (vgl. S. 393). An der L u f t verbrennt Silicium erst bei sehr hoher Temperatur zu Siliciumdioxyd. Mit F l u o r vereinigt es sich schon bei Zimmertemperatur unter Feuererscheinung (Si + 2F 2 — S i F 4 ) , mit den übrigen H a l o g e n e n beim Erhitzen. S t i c k s t o f f verbindet sich bei 1400° mit Silicium unter Nitridbildung (Si 3 N 4 ). Viele M e t a l l e gehen beim Erhitzen mit Silicium im elektrischen Schmelzofen in „Silicide" (intermetallische Verbindungen — S. 155 — von Metall und Silicium; z . B . Ca 2 Si, CaSi, CaSi 2 ) über. I n allen S ä u r e n (ausgenommen salpetersäurehaltige Flußsäure) ist Silicium praktisch unlöslich. Dagegen löst es sich sehr leicht unter Wasserstoffentwicklung in heißen Laugen: g i + 3 H a 0 — ^ H 2 Si0 3 + 2H 2 unter Bildung von Silicat (Si0 3 ").
b) WasserstofFverbindungen des Siliciums Darstellung. Der einfachste Silicium Wasserstoff, das „Monosilan" SiH 4 , entsteht mit 100%iger Ausbeute bei der Umsetzung ätherischer Lösungen von S i l i c i u m t e t r a c h l o r i d und L i t h i u m a l a n a t (vgl. S. 388): SiCI4 + LiAIH4 >- SiH4 + LiAlCl4. In analoger Weise f ü h r t die Einwirkung von Lithiumalanat auf D i s i l i c i u m h e x a c h l o r i d mit 90%iger Ausbeute zu „Disilan" Si 2 H 6 : 2812018 + 3LiAlH4 v 2 Si2Hs + 3LiAlCl4. Auch durch Zersetzung von M a g n e s i u m s i l i c i d Mg 2 Si mit Säuren lassen sich Siliciumwasserstoffe gewinnen: j ^ g j + 4 H C I — • 2 MgCL, + SiH4.
320
Die Kohlenstoffgruppe
Besonders günstig wird hierbei die Ausbeute (75°/ 0 ), wenn man f l ü s s i g e s A m m o n i a k als Reaktionsmedium und B r o m w a s s e r s t o f f als Säure verwendet. Außer Monosilan undDisilan—und Wasserstoff, dem Hauptreaktionsprodukt—entstehen bei der Darstellungsmethode im wässerigen System in kleineren Mengen auch höhere Siliciumwasserstoffe, wie der deutsche Chemiker A L F R E D S T O C K (1876—1946) gezeigt hat, dem wir den Ausbau der Siliciumwasserstoffchemie verdanken: Si3H8 („Trisilan"), Si4H10 („Tetrasilan") und wahrscheinlich auch Si6H12 („Pentasüan") und Si6H14 („Hexasilan"), also Silane von einer der Zusammensetzung der gesättigten aliphatischen Kohlenwasserstoffe CnH2n+2 (S. 301) entsprechenden Zusammensetzung SinH2n +2. Die Mengen der einzelnen Bestandteile nehmen dabei mit steigendem Molekulargewicht rasch ab; so enthält das beim Arbeiten mit wässeriger Salzsäure in 25%iger Ausbeute entstehende Silangemisch 4 0 % SiH4, 3 0 % Si2H6, 15% Si3H8, 10% Si4H10 und 5 % höhere Silane.
Für n = oo geht die Formel S i n H 2 n + 2 der SiliciumWasserstoffe in die Grenzformel Si M H.^ + 2 = (SiH 2 ) rj über. Dieses dem Äthylen (CH2)a (S. 301) entsprechende „Polysilen" (SiH2)oo läßt sich durch Zersetzung von C a l c i u m s i l i c i d CaSi mit w a s s e r f r e i e r S ä u r e (Eisessig oder alkoholische Salzsäure) als hellbrauner, fester, an der Luft entzündlicher, wasserzersetzlicher Körper erhalten: CaSi + 2HCl —>- CaCl2 + SiH 2 . Es besitzt wohl einen kettenförmigen Aufbau: SiH 2 —SiH 2 —SiH 2 —SiH 2
.
Ebenso ist auch ein dem Acetylen (CH)2 (S. 301) entsprechendes „Polysilin" (SiH)a, bekannt (vgl. S. 350). Physikalisehe Eigenschaften. Mono- und Disilan sind Gase (SiH 4 : Smp. —184.7°, Sdp.—112.1°, SiD 4 : Smp.—186.4", Sdp. —112.3°; Si 2 H 6 : Smp.—129.4°, Sdp. —14.8°, Si 2 D 6 : Smp. —130.3°, Sdp. —16.0°), Tri- und Tetrasilan F l ü s s i g k e i t e n (Si 3 H 8 : Smp. —116.9°, Sdp. +52.9°, Si 3 D 8 : Smp.—116.8°; Si 4 H 14 : Smp.—91.6°, Sdp. +108.4°, Si 4 D 1 0 : Smp. —89.6°). Die Beständigkeit der Verbindungen nimmt mit steigender Zahl der Siliciumatome ab. Während Monosilan bei Luft- und Feuchtigkeitsabschluß erst bei 450° und Disilan erst gegen 300° in Silicium und Wasserstoff zerfällt, zersetzen sich Penta- und Hexasilan schon bei Zimmertemperatur so leicht, daß ihre Reindarstellung bis jetzt noch nicht gelungen ist (Sdp. > 100°). Chemische Eigenschaften. Chemisch sind die Silane durch ihre E m p f i n d l i c h k e i t g e g e n ü b e r L u f t und W a s s e r charakterisiert, wobei die Reaktionsheftigkeit vom Mono- zum Hexasilan hin stark zunimmt. An der L u f t verbrennen sie mit heftigem Knall zu S i l i c i u m d i o x y d : SiH4 + 2 0 2 — S i 0
2
+
2H20.
W a s s e r zersetzt sie — vor allem bei Gegenwart von Alkali — zu K i e s e l s ä u r e und Wasserstoff: ^ + ^ ^ + ^ Durch Einwirkung von Halogen (heftige Reaktion) oder von H a l o g e n Wasserstoff en (Reaktion bei über 100° und Anwesenheit von Aluminiumhalogenid als Katalysator) lassen sich die Wasserstoffatome der Reihe nach durch Halogenatome austauschen: ^Si-j-H + H j X - V ^ S i — X + H a . Die entstehenden H a l o g e n s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e wie SiH 3 Cl(Smp. — 118°, Sdp. — 30.4°), SiHaC)a (Smp. —122°, Sdp. + 8.3»), SiHCl3 („Silico-chloroform"; Smp. —127°, Sdp. 31.8°) und SiCl4 (Smp. — 70°, Sdp. 57.6°) werden durch Wasser unter Abspaltung von Halogenwasserstoff und Einführung von Sauerstoffatomen schnell zersetzt: SiH3-j-Cl + H - f O-j-H + Cl-i-SiH3 SiH2==Cl2 + H 2 |0 0|H 2 + Cl 2 H=SiH+Cl + H-j-O-j-H + Cl-j-SiH==Cl2 + H 2 |0 OiH, + Cl,#=Si==Cl2 + H 2 |0
v SiH 3 — O— SiH3 + 2 HCl S i H 2 = 0 + 2 HCl >- 0 = S i H — O — S i H = 0 + 6HC1 >- 0 = S i = 0 + 4 HCl.
Das Silìci am
321
Die entstehenden Silicium-Wasserstoff-Sauerstoff-Verbindungen, welche „Siloxane" genannt werden ( S i H 3 - 0 - S i H 3 : Disil-oxan; SiH a O: Sil-oxan oder Prosiloxan; SiHO. O-SiHO: Dioxo-disil-oxan), p o l y m e r i s i e r e n sich sofort, falls sie D o p p e l b i n d u n g e n enthalten (vgl. S. 187). So ist z. B. das D i s i l o x a n (SiH 3 ) 2 0, das dem M e t h y l ä t h e r (CH 3 ) 2 0 (II, S. 56) der Kohlenstoffchemie entspricht und daher auch als „Silico-methyläther" bezeichnet wird, ein bei Zimmertemperatur und Sauerstoffausschluß unverändert haltbares, monomeres, farbloses Gas (Smp. — 144°, Sdp. —15.2°), während das dem F o r m a l d e h y d CHaO (II, S.104f.) entsprechende gasförmige P r o s i l o x a n („Silico-formaldehyd") SiH 2 0, das D i o x o d i s i l o x a n SiHO—O—SiHO („Silico-ameisensäure-anhydrid") und das S i l i c i u m d i o x y d SiO s in feste, farblose, hochpolymere Körper übergehen (vgl. S. 325 ff. und 331 f.). Ganz entsprechend wie die Siloxan-Grundkörper verhalten sich die durch Austausch der Wasserstoffatome H gegen Kohlenwasserstoffreste (Alkylgruppen) R davon abgeleiteten „Alkylsiloxane" Ii 2 SiO, R 2 S i 2 0 3 usw. Ihre Polymerisationsprodukte spielen technisch als „Silicone" (S. 331 f.) eine immer bedeutsamer werdende Rolle.
c) Halogenverbindungen des Siliciums Silicium bildet eine Reihe von Halogenverbindungen der allgemeinen Zusammensetzung SijjXgn+g, welche sich von den entsprechenden Silanen durch Ersatz aller Wasserstoffatome durch Halogenatome ableiten. Der Index n kann dabei z . B . die Werte 1 (SiCl4), 2 (Si2Cl6), 3 (Si3Cl8), 4 (Si4Cl10), 5 (Si6Cllä), 6 (Si6Cl14), 10 (Si10Cl22), 25 (Si25Cl52) oder ex? (Si„oCl200 + 2 = [SiCl2]«) annehmen. Die einfachen Glieder SlX 4 erhält man durch direkte Vereinigung der Elemente: Si + 2Cl a —>- SiCl4, die höheren aus den niederen durch Halogenentzug, z. B. mittels Siliciums. So reagiert Siliciumtetrachlorid bei 1100—1300°C mit Silicium (z. B. in Form des hocherhitzten Silitstabes (S. 333) eines „Abschreckrohres") bis zu einem Gleichgewicht unter Bildung von monomolekularem, gasförmigem „iSiliciumdichlortd" SiCla (SiCI4 + Si >~ 2 SiCl2), das bei langsamer Abkühlung wieder rückwärts in SiCl4 und (kristallines) Si zerfällt, beim Abschrecken dagegen mit dem im Gleichgewicht befindlichen Siliciumtetrachlorid höhere Siliciumchloride bildet (SiCl4 + (n—1) SiCla — v S Ä + 2 ) : (n + 1} SiCJi + ( n _ 1 } s . 2 S i n C l 2 n + 2_ Da die Beständigkeit der Siliciumhalogenide vom Jodid zum Fluorid hin zunimmt, lassen sich die Jodide leicht in die Bromide und Chloride, die Chloride leicht in die Fluoride umwandeln usw.: S i 2 J , + 3Br a >- Si 2 Br e + 3 J 2 ; Si2Cla + 3ZnF 2 >- Si 2 F 6 + 3ZnCl 2 . X = F
|
X = C1
X = Br
X =
J
Typus SiX 4
Farbloses Gas Smp. —90.2° Sb p. - 95.7°
Farblose Flüssigkeit Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Smp. - 70.4° Smp. 6.2° Smp. 120.5° Sdp. + 57.6° Sdp. 152.8° Sdp. 287.5°
Typus Si 2 X,
Farbloses Gas Smp. - 18.7° Sblp. - 19.1°
Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Smp. 2.5» Smp. 95° Sdp. 147° Sdp. 265°
Typus Si 3 X 8
Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Smp. - 67° Sdp. ~ 215°
Typus Si 4 X 1 0
Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Sdp. (15 mm) 150°
Typus Si 1 0 X 2 2
Farbloses, zähes ö l Sdp. (Hochvakuum) 215°
Typus S i j j X j j
Farbloses, plastisches, dehnbares Harz
Farblose Kristalle Smp. 250°
Typus [ S i X s ] „ Fester weißer Stoff Fester weißer Stoff Fester brauner Stoff H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie.
4 0 . - 4 6 . Aufl.
21
322
Die Kohlenstoffgruppe
In vorstehender Tabelle (S.321) sind die E i g e n s c h a f t e n einer Reihe von Siliciumhalogeniden zusammengestellt. Alle Verbindungen werden von W a s s e r schon bei gewöhnlicher Temperatur rasch unter Bildung von K i e s e l s ä u r e , H a l o g e n w a s s e r s t o f f und gegebenenfalls ( n > l ) W a s s e r s t o f f zersetzt: Si n X 2 n + 2 + 2nH g O—>- n S i 0 2 + (2n + 2)HX + (n — 1)H 2 . Die höheren Glieder d i s p r o p o r t i o n i e r e n sich beim Erhitzen in h a l o g e n r e i c h e r e und h a l o g e n ä r m e r e Körper. So bildet sich bei der thermischen Zersetzung von Si10Cl22 bei v C1 J l v Ol J i v C1 J i v C1 . 300° in inerter Gasatmosphäre neben den chlor>SKCI N m / U X S K reicheren Verbindungen SiCl4, Si2ClB, Si3Cl8 und I I I I Si4Cl10 eine feste, gelbe, chlorärmere Substanz >Siv C1 yHU Cl >Si x C1 , S i x der Zusammensetzung (SiCl)« (,,Siliciummono/ Cl\Si ^01NSK C l N S i / C l N chlorid"), der im Einklang mit ihrer blättrigen A Cl J i v Cl 1 x x Struktur und in Analogie zum Kohlenstoffmono/CI^SK Cl Si/Cl fluorid (CF)m (S. 297) wahrscheinlich die nebenstehende Molekularstruktur (idealisiert) zukommt. I n analoger Weise ist durch Erhitzen von Si 2 J 6 ein glänzend orangeroter, schuppiger Körper der Zusammensetzung (SiJ)«, („Siliciummonojodid") gewinnbar, während „Siliciummonojluorid" (SiF) x (farblos) und „Siliciummonobromid" (SiBr)«, (gelb) durch Einwirkung von Magnesium auf SiFBr 3 bzw. SiBr 4 dargestellt werden können. I m folgenden sei nur das S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d näher beschrieben: Siliciumtetrafluorid SiFi. Siliciumtetrafluorid ist bequemer als durch Synthese aus den Elementen (Si -f- 2 F 2 — > - SiF 4 + 360 kcal) durch Einwirkung von F l u ß s ä u r e auf S i l i c i u m d i o x y d : SiOa + 4 H F
SiF + 2 H 2 0
(1)
bei Gegenwart w a s s e r e n t z i e h e n d e r Mittel (Verschiebung des Gleichgewichtes (1) zugunsten der SiF 4 -Bildung) zugänglich. In der Praxis verfährt man zweckmäßig so, daß man auf ein Gemisch von gepulvertem C a l c i u m f l u o r i d (Flußspat) CaF 2 und Q u a r z s a n d Si0 2 konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e einwirken läßt, wobei letztere zunächst Flußsäure in Freiheit setzt (CaF2 + H 2 S0 4 — C a S 0 4 + 2 HF) und dann als wasserentziehendes Mittel die obige Umsetzung (1) zwischen Si0 2 und H F begünstigt. Auch auf S i l i c a t e , d. h. die Salze der sich vom Anhydrid Si0 2 ableitenden Kieselsäuren, wirkt die Flußsäure unter Bildung von gasförmigem S i l i c i u m t e t r a f I u o r i d ein. Hierauf beruht einerseits die ä t z e n d e W i r k u n g der Flußsäure auf Glas (S. 98), andererseits die Entfernung von Silicium aus Silicaten durch „Abrauchen mit Flußsäure" zwecks nachfolgender a n a l y t i s c h e r B e s t i m m u n g der in den Silicaten enthaltenen Metalle.
Siliciumtetrafluorid ist ein farbloses, an feuchter Luft stark rauchendes Gas von stechendem und erstickendem Geruch. Führt man es durch starke Abkühlung in den festen Zustand über, so sublimiert es beim Erwärmen unter 1 Atmosphäre Druck bei —95.7°; unter 2 Atmosphären Druck schmilzt es vor dem Übergang in den gasförmigen Zustand bei —77° zu einer Flüssigkeit, welche unter 181 cm Quecksilberdruck bei — 65° siedet. Als stark exotherme Verbindung (s. oben) ist Siliciumtetrafluorid s e h r b e s t ä n d i g und bei Ausschluß von Feuchtigkeit recht r e a k t i o n s t r ä g e . Dagegen wird es in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) von W a s s e r leicht unter Abscheidung gallertartiger K i e s e l s ä u r e und Bildung von F l u ß s ä u r e hydrolytisch zersetzt, wobei sich die Flußsäure mit noch unverändertem Siliciumtetrafluorid zu „Fluokieselsäure" H 2 [SiF 6 ] vereinigt: SiF 4 + 2 H F
>- H a [SiF,l.
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Das Silicium
Wegen dieser — insgesamt durch die Gleichung 3SiF 4 + 2 H 2 0 —>• Si0 2 + 2H 2 SiF 6 wiederzugebenden — Zersetzung durch Wasser kann Siliciumtetrafluorid bei der Darstellung nicht über Wasser, sondern nur über Quecksilber aufgefangen werden. Fluokieselsäure IL[SiF 6 ]. Die auf dem ebengenannten Wege durch Einwirkung von S i l i c i u m f l u o r i d auf W a s s e r — auch technisch — zugängliche F l u o k i e s e l säure H 2 [SiF 8 ] ist in r e i n e m , w a s s e r f r e i e m Z u s t a n d e n i c h t b e k a n n t . Stellt man sie durch Einwirkung konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e auf ihre S a l z e („FluoSilicate") wasserfrei dar: Ba[SiF 6 ] + H 2 S 0 4 — > - B a S 0 4 + H 2 [SiF 8 ], so erfolgt weitgehender Z e r f a l l unter Bildung von S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d und F l u o r w a s s e r s t o f f ( H 2 S i F 6 — v SiF 4 + 2HF). In wässeriger Lösung treten dagegen keine merklichen Mengen freier Flußsäure auf, so daß die Lösung Glas nicht ätzt. Kühlt man konzentriertere Lösungen ab, so scheidet sich unter anderem ein D i h y d r a t der Fluokieselsäure in Form farbloser harter Kristalle vom Schmelzpunkt 19° ab. Beim Eindampfen wässeriger Fluokieselsäurelösungen entweicht sowohl S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d als auch F l u o r w a s s e r s t o f f . Ist die Lösung 13.3°/ 0 ig, so enthält der Dampf gerade 2 H F auf l S i F 4 , so daß die Fluokieselsäure scheinbar unzersetzt destilliert. Bei größeren Konzentrationen geht mehr SiF 4 , bei kleineren mehr H F in den Dampf über. Dampft man daher eine k o n z e n t r i e r t e Fluokieselsäurelösung ein, so reichert sich die zurückbleibende Lösung an F l u ß s ä u r e an und vermag daher Glas zu ätzen und Siliciumdioxyd aufzulösen. Aus einer v e r d ü n n t e n Fluokieselsäurelösung scheidet sich beim Eindampfen umgekehrt S i l i c i u m d i o x y d aus, da sich hier das S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d anreichert, welches von Wasser hydrolysiert wird.
Die Fluokieselsäure ist eine s t a r k e S ä u r e , welche mit Hydroxyden oder Carbonaten unter Bildung von F l u o s i l i c a t e n Me|[SiF6] reagiert. Die Fluosilicate — die auch durch direkte Vereinigung der Komponenten zugänglich sind (SiF 4 + 2MeF —>Me 2 [SiF 6 ])—sind meist wasserlöslich. Schwerlöslich sind die Fluosilicate der A l k a l i m e t a l l e (außer Lithium) und das B a r i u m f l u o s i l i c a t . Die Fluokieselsäure und ihre Salze sind g i f t i g und werden als bakterien- und insektentötende Mittel angewandt.
d) Sauerstoffverbindungen des Siliciums a ) Siliciumdioxyd Vorkommen. Das Siliciumdioxyd ist in der Natur w e i t v e r b r e i t e t und findet sich hier sowohl in k r i s t a l l i s i e r t e r wie in a m o r p h e r Form. K r i s t a l l i s i e r t kommt es in drei verschiedenen Kristallarten vor: als „Quarz", als „Tridymit" und als „Cristobalit". Die häufigste Erscheinungsform ist dabei der Quarz. A b a r t e n des Quarzes sind z. B. „Bergkristall" (wasserklar), „Rauchquarz" (braun), „Amethyst" (violett), „Citrin" (gelb), „Morion" (schwarz), „Rosenquarz" (rosa). Schönkristallisierte Stücke hiervon dienen als S c h m u c k s t e i n e . Weiterhin findet sich Quarz als Gemengebestandteil zahlreicher G e s t e i n e (z. B . Granit, Gneis, Glimmerschiefer, Sandstein, Quarzsand). In a m o r p h e r F o r m kommt Siliciumdioxyd w a s s e r h a l t i g als „Opal" und erdig als „Kieselgur" vor. Gealterte (wasserärmere) Opale sind der „Chalcedon" und seine Abarten („Achat", „Onyx", „Karneol", „Chrysopras", „Heliotrop", „Jaspis", ,J?euer~ stein"), die bereits k r i s t a l l i n e Struktur erkennen lassen und ebenfalls als S c h m u c k s t e i n e Verwendung finden. K i e s e l g u r entstammt dem Kieselgehalt vorzeitlicher Infusorien (Aufgußtierchen) und Diatomeen (Kieselalgen) und wird daher z. B. auch „Infusorienerde" genannt. Physikalische Eigenschaften. Siliciumdioxyd existiert in mehreren e n a n t i o t r o p e n M o d i f i k a t i o n e n . Die s t a b i l e n Modifikationen sind: ot-Quarz („Niederquarz"), ß-Quarz („Hochquarz"), ß-Tridymit und ß-Cristobalit. Die Umwandlungspunkte liegen, wie Fig. 108 zeigt, bei folgenden Temperaturen: 575°
«-Quarz