Lateinamerika Jahrbuch 2001 9783964567369

Allgemeiner Länderteil sowie Aufsätze zu den Themen: Parteien zwischen Volatilität und Beharrung - Sozialpolitik #NAME?

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German Pages 340 [342] Year 2001

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Table of contents :
INHALT
Teil I: Aufsätze
Ist diesmal alles anders? Die neue Welle regionaler Integration in Lateinamerika aus europäischer Perspektive
Erst kürzlich in der Staatsbürgerschaft angekommen
Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie
Standortpolitik – neue Rollen für Regionen und Kommunen in Lateinamerika
Teil II. Entwicklungen in Ländern und Regionen
Basisdaten – Kennziffern – Chronologien 2000
Kennziffern der Klein- und Kleinststaaten im Karibischen Raum
Technische Erläuterungen zu der Datenbank IBEROST AT
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
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Lateinamerika Jahrbuch 2001
 9783964567369

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Lateinamerika Jahrbuch 2001

Institut für Iberoamerika-Kunde - Hamburg Lateinamerika Jahrbuch - Band 10

Institut für Iberoamerika-Kunde • Hamburg

LATEINAMERIKA JAHRBUCH 2001 Herausgegeben von Klaus Bodemer, Heinrich-W. Krumwiede, Detlef Nolte und Hartmut Sangmeister

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 2001

Institut für Iberoamerika-Kunde • Hamburg

Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lateinamerika Jahrbuch ... / Institut für Iberoamerika-Kunde, Hamburg - Frankfurt am Main : Vervuert Erscheint jährlich. - Aufnahme nach 1992 ISSN 0943-0318 1992© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2001 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Konstantin Buchholz Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier Printed in Germany ISBN 3-89354-429-1

INHALT Seiten

Teil I: Aufsätze Peter Nunnenkamp Ist diesmal alles anders? Die neue Welle regionaler Integration in Lateinamerika aus europäischer Perspektive

9

Berlindes Astrid Küchemann Erst kürzlich in der Staatsbürgerschaft angekommen. Wege, Vorschläge, Errungenschaften und Herausforderungen der Frauenbewegung in Lateinamerika

30

Jörg Faust Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie

57

Christian von Haldenwang Standortpolitik - neue Rollen für Regionen und Kommunen in Lateinamerika

82

Teil II: Entwicklungen in Ländern und Regionen Basisdaten - Kennziffern - Chronologien 2000 Cono Sur

100

Mercosur Argentinien Chile Paraguay Uruguay

101 109 128 146 151

Brasilien

160

Andenregion

180

Bolivien Ekuador Kolumbien Peru Venezuela

181 191 200 209 220

Mexiko

234

Zentralamerika

252

Costa Rica El Salvador Guatemala Honduras Nikaragua Panama

256 263 269 275 283 291

Karibischer Raum

298

Dominikanische Republik Haiti Kuba

299 303 308

Kennziffern zu den Klein- und Kleinststaaten im Karibischen Raum

317

Lateinamerika allgemein

331

Kennziffern zur demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Gesamtwirtschaftliche Eckdaten 2000 Außenwirtschaftliche Eckdaten 2000

331 334 335

Technische Erläuterungen zu der Datenbank IBEROST AT

336

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

340

Teil I

Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

Peter Nunnenkamp

Ist diesmal alles anders? Die neue Welle regionaler Integration in Lateinamerika aus europäischer Perspektive 1. Spaghetti all' Iberoamericana Der Regionalismus hat weltweit Hochkonjunktur. Schon Mitte der neunziger Jahre gab es kaum noch Länder, die sich nicht mindestens einer regionalen Gruppierung angeschlossen hatten (Wei/Frankel 1998). Am Übergang zum 21. Jahrhundert waren über 130 präferenzielle Handelsabkommen in Kraft, von denen die meisten in den letzten zehn Jahren vereinbart worden sind (Busse u.a. 2000: 17). Das Ergebnis ist ein kaum überschaubares „Spaghetti bowl phenomenon" (Bhagwati 1998: 290). Das Geflecht bi- und plurilateraler Präferenzabkommen ist selbst dann äußerst verworren, wenn man sich - wie im Folgenden - auf Lateinamerika beschränkt. Abgesehen von der Einbindung Mexikos in die NAFTA 1 hat dieses Geflecht vier Verknüpfungspunkte: 2 • den 1991 durch den Vertrag von Asunción gegründeten MERCOSUR (Mercado Común del Sur), der mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay die mit Abstand größte regionale Gemeinschaft bildet; '

Zur Darstellung und Bewertung der NAFTA, die in diesem Beitrag nicht näher behandelt wird, vgl. Preusse (2000a).

2

Zum Folgenden vgl. ausführlich Inter-American Development Bank (2000). Anstelle von regionalen Integrationsgemeinschaften wird teilweise von subregionalen Gemeinschaften in Lateinamerika gesprochen, um diese von Integrationsbestrebungen abzugrenzen, die sich auf Amerika insgesamt erstrecken.

9

Lateinamerika Jahrbuch 2001



die Andengemeinschaft, ursprünglich 1969 als Andenpakt gegründet, deren Mitglieder Bolivien, Ekuador, Kolumbien, Peru und Venezuela den Integrationsprozess in den neunziger Jahren wiederbelebten; • die 1973 vereinbarte CARICOM (Caribbean Community), die trotz der inzwischen 15 Mitglieder (einschließlich Haiti) die - wirtschaftlich gesehen kleinste regionale Gemeinschaft darstellt; • und den CACM (Central American Common Market), der schon 1960 von Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nikaragua beschlossen wurde und in dem in den neunziger Jahren - ähnlich wie in der Andengemeinschaft - ein neuer Anlauf zur wirtschaftlichen Integration unternommen wurde. Diese regionalen Gruppierungen unterhalten jeweils Präferenzabkommen mit Ländern innerhalb und außerhalb Lateinamerikas.3 Teilweise haben auch einzelne Mitgliedsstaaten zusätzlich bilaterale Abkommen vereinbart. Venezuela und Kolumbien sind zum Beispiel neben ihrer Mitgliedschaft in der Andengemeinschaft durch bilaterale Präferenzabkommen mit Chile, der CARICOM und dem CACM verbunden und haben zudem mit Mexiko die sogenannte G-3 (Group of Three) gegründet. Chile seinerseits hat seit 1992 zehn Abkommen mit NAFTA-Mitgliedern (Kanada und Mexiko), dem MERCOSUR, dem CACM und allen Mitgliedern der Andengemeinschaft vereinbart. Obwohl sich das „Spaghetti bowl phenomenon" keineswegs auf Lateinamerika beschränkt, stellt sich gerade für diese Region die Frage nach Motiven und Erfolgsaussichten. Früheren Integrationsversuchen in Lateinamerika ist wenig Erfolg beschieden gewesen (Schirm 1997).4 Es gelang kaum, den intraregionalen Handel zu intensivieren. Überdies kam es zu erheblichen Verteilungskonflikten zwischen den Mitgliedsländern, die wenig Neigung zeigten, nationale Entwicklungsziele der regionalen Integration zu opfern. In den achtziger Jahren waren die Illusionen verflogen, die zuvor mit der regionalen Integration in Lateinamerika verbunden gewesen waren (Devlin/Ffrench-Davis 1999: 261). Vor diesem Hintergrund gilt es zu diskutieren, ob die jüngste Welle des Regionalismus in Lateinamerika mehr als alten Wein in neuen Schläuchen bietet (Abschnitt 2). Diese Frage zu bejahen, hieße in erster Linie, dass die aktuellen Integrationsbestrebungen - im Gegensatz zu den früheren Versuchen - es Lateinamerika erleichtern, an der wirtschaftlichen Globalisierung erfolgreich teil3

Übersichten finden sich in Edwards (1995: 143ff.) und Inter-American Development Bank (2000: 48).

4

Eine detaillierte Studie der regionalen Integration zwischen Entwicklungsländern fasst die bis 1990 in Lateinamerika gemachten Erfahrungen wie folgt zusammen: ,A ... group of Integration schemes recorded a promising start, but soon stagnated (LAIA) or even disintegrated again (CACM, Andean Pact)" (Langhammer/Hiemenz 1990: 18). Die Latin American Integration Association (LAIA) folgte 1980 auf die zuvor gescheiterte Latin American Free Trade Association (LAFTA).

10

Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

zunehmen. Als wesentliche Beurteilungskriterien kommen die Standortattraktivität für ausländische Direktinvestitionen (Abschnitt 3) und die Entwicklung des Außenhandels (Abschnitt 4) in Betracht. Die Implikationen einer regionalen Integration, die bessere Erfolgschancen als in der Vergangenheit bietet, reichen über Lateinamerika hinaus. Hierauf hätte sich nicht zuletzt die europäische Handelspolitik einzustellen (Abschnitt 5). Die EU setzt auf politische Initiativen, um auf den lateinamerikanischen Märkten Boden gut zu machen. Allerdings ist es keineswegs sicher, dass sich die Erwartungen erfüllen, die auf beiden Seiten des Atlantiks mit interregionalen Präferenzabkommen verbunden werden.

2. Auf neuen (Um-)Wegen zu alten Zielen? Die den Integrationsprozessen in Lateinamerika unterliegenden Motive sind ähnlich wie in Europa - nicht nur im ökonomischen Bereich zu suchen. Im MERCOSUR etwa wird die ökonomische Integration instrumentalisiert, um Länder mit einer konfliktreichen Vergangenheit politisch zusammenzuführen (Devlin/ Ffrench-Davis 1999: 273). Im Außenverhältnis soll regionale Integration als politisches Druckmittel dienen; man hofft durch Bündelung der wirtschaftlichen Kräfte und durch eine engere politische Abstimmung mehr Gewicht in multilateralen Foren zu erlangen. Gleichzeitig soll die Verwundbarkeit gegenüber exogenen Schocks reduziert werden. Vor allem Brasilien ist bestrebt, durch regionale Integration an politischem Gewicht zu gewinnen. Der Eintritt Mexikos in die NAFTA 1994 veranlasste Brasilien, das Projekt einer südamerikanischen Integration wiederzubeleben (Bulmer-Thomas 1997: 271; Calcagnotto/Nolte 2000). Indem zuvor der Zusammenhalt innerhalb Südamerikas gestärkt wird, sieht man sich besser gerüstet, in Verhandlungen mit Nordamerika über eine gesamtamerikanische Freihandelszone einzutreten. Hierzu gehört auch das Vorhaben, innerhalb kurzer Frist (laut Erklärung von Brasilia vom September 2000 spätestens bis Anfang 2002) eine Freihandelszone zwischen MERCOSUR und Andengemeinschaft zu verwirklichen.5 Die regionale Vormachtstellung Brasiliens birgt aber auch Konfliktpotenzial. Dies haben bereits die Turbulenzen gezeigt, die die brasilianische Währungskrise in den Jahren 1998/99 innerhalb des MERCOSUR ausgelöst hat. Die brasilianische Diplomatie erlitt zudem einen Rückschlag, als das mit dem MERCOSUR assoziierte Chile Ende 2000 im Alleingang bilaterale Verhandlungen über Handelspräferenzen mit den Vereinigten Staaten aufnahm (The 5

„Brazil... saw MERCOSUR as the first step towards the creation of a SAFTA [South American Free Trade Agreement] that would have political as well as economic dimensions" (Bulmer-Thomas 1997: 271).

11

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Economist 2000: 62). Schon zuvor hatte Chile Vorbehalte gegen eine Vollmitgliedschaft im MERCOSUR, solange dieser auf einen Außenzoll gegenüber Drittländern insistiert, der den chilenischen Außenzoll deutlich überschreitet. Ähnliche Einwände gegen den von Brasilien favorisierten Ansatz einer südamerikanischen Integration finden sich auch in vereinzelten Kommentaren von mexikanischer Seite, wonach dieser Ansatz die Vereinbarung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone verzögern und in wirtschaftlicher Abschottung enden könne (Calcagnotto/Nolte 2000: 183). In den chilenischen und mexikanischen Vorbehalten spiegelt sich ein traditionelles ökonomisches Dilemma des Regionalismus wider. Das wirtschaftliche Hauptziel der regionalen Integration in Lateinamerika liegt - wie schon bei den zuvor gescheiterten Integrationsversuchen - in der Steigerung der Wohlfahrt der beteiligten Volkswirtschaften. Wohlfahrtsgewinne hofft man durch intraregionale Spezialisierung, Skalenvorteile, einen intensiveren Wettbewerb und grenzüberschreitende Investitionen (einschließlich des Zustroms von Direktinvestitionen aus Drittländern) zu erzielen. Beim Regionalismus gehen engere Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Integrationspartnern jedoch zumindest teilweise zu Lasten von Außenseitern; die intraregionale Handelsschaffung wird mit einer Handelsumlenkung auf Kosten von Drittstaaten erkauft (Bhagwati 1993).6 Umlenkungseffekte sind auch im Hinblick auf ausländische Direktinvestitionen möglich. Das komplexe Geflecht bi- und plurilateraler Präferenzabkommen, das sich in Lateinamerika und auch anderswo herausgebildet hat, sorgt zudem bei Handels- und Investitionspartnern für Intransparenz und erhöht damit deren Transaktionskosten. Ob der Regionalismus per Saldo positive Wohlfahrtseffekte zeitigt, hängt vom relativen Gewicht gegenläufiger Effekte ab, das sich von Fall zu Fall unterscheiden kann. Eine signifikante Handelsumlenkung steht dann nicht zu befürchten, wenn sich „natürliche" Handelspartner zusammenschließen, deren Handel mit Drittländern schon vor der Integration vergleichsweise unbedeutend war. Positive Wohlfahrtseffekte werden auch dann begünstigt, wenn die intraregionale Liberalisierung mit einem Abbau von Handelsschranken gegenüber Drittländern verbunden wird. Die Frage lautet folglich, ob die neue Welle des Regionalismus in Lateinamerika bessere Aussichten auf positive Wohlfahrtseffekte bietet als der frühere lateinamerikanische Regionalismus, bei dem die Handelsumlenkung dominierte und dynamische Integrationseffekte weitestgehend ausblieben (Foders 6

12

Aus ökonomischer Sicht bietet der Regionalismus nur den drittbesten Weg, um Wohlfahrtsgewinne aus dem internationalen Handel zu ziehen (Nunnenkamp 2000a). Abgesehen davon, dass „jedes Land im Alleingang liberalisieren [kann], um Wohlfahrtsgewinne zu realisieren" (Gundlach 2000: 19), hat der - zweitbeste - multilaterale Weg zur Handelsliberalisierung gegenüber dem Regionalismus den Vorteil, dass das WTO-Prinzip der Meistbegünstigung einer handelspolitischen Diskriminierung vorbeugt.

Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

2000: 99). Für die These, dass sich der gegenwärtige Regionalismus vom früheren systematisch unterscheidet, werden zwei Hauptargumente ins Feld geführt: • Die regionale Integration habe seit den neunziger Jahren den Charakter eines „offenen Regionalismus" (Devlin/Ffrench-Davis 1999). • Die neueren Abkommen seien breiter angelegt als die traditionellen Präferenzabkommen (Inter-American Development Bank 2000: 46). Die Diagnose eines „offenen Regionalismus" stützt sich auf die tief greifende Revision der Außenhandelspolitik in Lateinamerika. Im Gegensatz zur zuvor vorherrschenden Importsubstitutionsstrategie ging die neue Regionalisierungswelle in vielen lateinamerikanischen Ländern mit einem unilateralen Abbau von Importbarrieren einher. Der durchschnittliche Zollsatz in Lateinamerika sank von 45% in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auf 13% in 1995; gleichzeitig fiel der Anteil der Importe, die durch nicht-tarifäre Maßnahmen erschwert wurden, von 31% auf 11% (Devlin/Ffrench-Davis 1999: 270). Die gegenwärtige regionale Integration wird deshalb als Teil einer generellen Öffnung Lateinamerikas zum Weltmarkt angesehen, die die Aussichten auf eine erfolgreiche Teilhabe an der Globalisierung verbessert. Die Integrationsprozesse in Lateinamerika beschränken sich nicht länger auf klassische Handelspräferenzen im Güterbereich. Die meisten der seit den frühen neunziger Jahren vereinbarten Abkommen werden vielmehr der sogenannten zweiten Generation zugeordnet (Inter-American Development Bank 2000: 46ff.). Sie umfassen neben der Liberalisierung grenzüberschreitender Güterströme auch Vorgaben für nationales Regierungshandeln, welches die Austauschbeziehungen zwischen den Partnern einer regionalen Integration zumindest indirekt beeinflusst. Beispiele sind: Regeln zum staatlichen Beschaffungswesen, die Definition und Durchsetzung von Eigentumsrechten, die Deregulierung im Dienstleistungssektor, die Wettbewerbspolitik, der Schutz ausländischer Investitionen und Verfahren zur Streitschlichtung. Teilweise werden zudem Gemeinschaftsprojekte im Transport-, Energie- und Telekommunikationswesen auf regionaler Ebene konzipiert und Kooperationen im Wissenschafts- und Technologiebereich angestrebt (Calcagnotto/Nolte 2000). Trotz dieser markanten Unterschiede gegenüber früheren Integrationsversuchen kann man bezweifeln, dass bei der gegenwärtigen regionalen Integration wirklich alles anders ist. Intraregionale Verteilungskonflikte gehören keineswegs der Vergangenheit an; sie dürften z.B. bei der Verwirklichung von Gemeinschaftsprojekten „unvermeidbar" sein (Calcagnotto/Nolte: 187). Die Integrationsprozesse, zumal im MERCOSUR als der wichtigsten Gemeinschaft, waren mehrfach schweren Belastungsproben ausgesetzt. Die Integrationsziele standen im Zweifel hinter nationalen Interessen zurück. Der Vertrag von Asunciön wurde seit 1995 wiederholt durch einseitige Importbeschränkungen verletzt (IRELA 1997: 7; Preusse 2000b).

13

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Abgesehen von kurzfristigen Rückfällen in eine „beggar-my-neighbour"Politik zeigen sich auch bei den neuen Integrationsbestrebungen die aus früheren Zeiten wohl bekannten Diskrepanzen zwischen politischen Absichtserklärungen und ökonomischen Realitäten. Der MERCOSUR kann auch hierfür als Beispiel dienen. Zehn Jahre nach dem Vertrag von Asunciön ist weder das Ziel der Freihandelszone (interne Liberalisierung) noch jenes der Zollunion (gemeinsamer Außenzoll) erreicht, ganz zu schweigen vom Ziel eines Gemeinsamen Marktes (mit Freizügigkeit auch für Faktorwanderungen und mit wirtschaftspolitischer Koordination).7 In sensiblen Sektoren wie der Automobilindustrie, die etwa ein Viertel des Intra-MERCOSUR-Handels ausmacht, ist die Verwirklichung eines „offenen Regionalismus" wiederholt verschoben worden (Preusse 2000b: 9f.; Sangmeister 1999a). Hinzu kommt, dass die dem lateinamerikanischen Geflecht von Präferenzabkommen zugrunde liegenden Zielvorstellungen teilweise inkompatibel sind. Costa Rica ist z.B. als Mitglied des CACM dem Ziel einer Zollunion verpflichtet; das hielt das Land aber nicht davon ab, mit Mexiko 1994 ein bilaterales Präferenzabkommen zu vereinbaren, Jwhich] makes it virtually impossible for the CACM to achieve a CET [common external tariff]" (Bulmer-Thomas 1997: 274). Ein ähnliches Konsistenzproblem stellt sich bei gleichzeitiger Mitgliedschaft in der Andengemeinschaft und in der G-3 (Kolumbien und Venezuela). Insgesamt gesehen bietet die neue Welle der regionalen Integration in Lateinamerika zweifellos mehr als alten Wein in neuen Schläuchen. Durch die Kombination von unilateraler Handelsliberalisierung und Regionalismus sind die Chancen auf positive Wohlfahrtseffekte gestiegen. Die (Um-)Wege zu einer Einbindung in die globale Arbeitsteilung bleiben gleichwohl verworren. Zum einen kann man bezweifeln, ob sich die hohen Erwartungen realisieren lassen, die Lateinamerika in die regionale Integration gesetzt hat. Zum anderen ist es weiterhin strittig, wie weit der lateinamerikanische Regionalismus zu Lasten der Handelspartner außerhalb Lateinamerikas geht, zu denen nicht zuletzt Europa gehört. Die folgende Analyse der Entwicklung von Direktinvestitionen und Außenhandel in den neunziger Jahren soll diese offenen Fragen näher beleuchten.

3. Regionalismus als Magnet für Direktinvestitionen? Die Erwartung Lateinamerikas, durch regionale Integration an Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen (FDD zu gewinnen, gründet sich auf eine in der Literatur gängige Argumentation, die die UNCTAD (2000a: 21) wie folgt

7

14

Preusse (2000b: 10) konstatiert: „A conceptional mismatch in macroeconomic policies ... has become openly visible with the 1998 Brazilian crisis"-, ähnlich auch IRELA (1999a: 5): „Argentina's constitutional commitment to maintaining dollar parity in a convertibility system put Argentina in a delicate position in the face of the crisis and devaluation in Brazil."

Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

zusammenfasse 8 „Economic integration increases market size and enhances economic growth. As market size and economic growth are in turn important determinants of FDI inflows, regional integration is often expected to stimulate FDI". In diesem Zusammenhang wird häufig auf Erfahrungen mit der europäischen Integration und der Gründung der NAFTA verwiesen, die beide mit steigenden FDI-Zuflüssen einhergegangen seien. Vor überzogenen Hoffnungen ist gleichwohl zu warnen. Die angeblichen Vorbilder der EU und der NAFTA stützen die These integrationsbedingter FDIZuflüsse nur bedingt. In beiden Fällen blieben die Effekte zeitlich begrenzt. Die EU attrahierte zwar im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktprogramms einen signifikant steigenden Anteil der weltweiten FDI-Ströme. Hiervon profitierten die einzelnen Mitgliedsstaaten aber in höchst unterschiedlichem Maß (Hiemenz u.a. 1994: 51 ff.). Mit Vollendung des Binnenmarktprogramms fiel der EU-Anteil überdies schnell wieder zurück (Nunnenkamp 1996: 15). Ähnlich war es in Mexiko: Zwar zog Mexiko im Jahr der NAFTA-Gründung (1994) fast dreimal so hohe Direktinvestitionen an wie im Durchschnitt der Vorjahre; in den folgenden Jahren stagnierte der Zustrom jedoch, und 1999 erhielt Mexiko nur etwa halb so viele Direktinvestitionen wie Argentinien und wenig mehr als Chile (UNCTAD 2000b: 285).9 Ferner ist es keineswegs gesichert, dass jede Integrationsgemeinschaft ähnlich wie die EU und die NAFTA - zumindest zeitweise erheblich an Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen gewinnt.10 Bei einem Zusammenschluss kleiner Länder mag die Marktgröße zu gering bleiben, um Investoren anzulocken, die Skalenerträge realisieren wollen. In welchem Maß sich die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsaussichten verbessern und deshalb zusätzliche Direktinvestitionen getätigt werden, dürfte davon abhängen, ob die Wirtschaftspolitik über die regionale Integration hinaus die Standortvorteile der Mitgliedsländer stärkt. Zwischen den Mitgliedsländern kann es in dieser Hinsicht erhebliche Unterschiede geben, woraus wiederum folgt, dass sich die Direktinvestitionen innerhalb einer regionalen Gemeinschaft ungleich verteilen können. Diese Überlegungen finden sich weitgehend bestätigt, wenn man die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionsbestände in lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften in den neunziger Jahren betrachtet (Schaubild 1):

8

Vgl. ähnlich Inter-American Development Bank und IRELA (1996: 57ff.) sowie Hiemenz u.a. (1994: 48f.).

9

Der Anteil aller drei NAFTA-Staaten an den weltweiten FDI-Zuflüssen stieg von 24% in der 1. Hälfte der neunziger Jahre auf 32% in der 2. Hälfte der neunziger Jahre, lag damit aber weiterhin unter dem Anteil von 40% in 1984-89 (UNCTAD 2000a: 22; UNCTAD 2000b: Annex table B1).

10

Vgl. ähnlich Blomström/Kokko (1997: 39): „The relation between regional integration agreements and foreign direct investment is neither self-evident nor straight forward."

15

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Schaubild 1 Bestand ausländischer Direktinvestitionen in lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften, 1999 gegenüber 1990 (1990=100) vH

600 ,

gemeinschaff

Lateinamerika

Asien"

Welt

"ohne Guyana, Montserrat und Surinam. - b süd-, ost- und südostasiatische Entwicklungsund Schwellenländer. Quelle: UNCTAD (2000b: Annex table B.3).



Festzuhalten ist zunächst, dass ein politisch gestalteter (d.h. institutionalisierter) Regionalismus 11 keine notwendige Bedingung für steigende Direktinvestitionen darstellt. Die asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer verzeichneten sogar einen etwas höheren Anstieg der Direktinvestitionsbestände als Lateinamerika insgesamt, obwohl in Asien - im Gegensatz zu Lateinamerika - von einem institutionalisierten Regionalismus kaum die Rede war. • Ein institutionalisierter Regionalismus ist auch nicht hinreichend, um für Direktinvestitionen besonders attraktiv zu werden. Weder dem CACM noch der CARICOM ist es gelungen, Direktinvestitionen in einem Maß anzulocken, das den weltweit zu beobachtenden Anstieg merklich übertroffen hätte; gegenüber dem Anstieg der Direktinvestitionen in allen Entwicklungsund Schwellenländern (von 1990-99 um das 3,8-fache) fielen beide Integrationsgemeinschaften sogar deutlich zurück. In allen lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften zeigen sich drastische Unterschiede in der Standortattraktivität, wenn man den Anstieg der dor-

"

16

Zur Gegenüberstellung von „policy driven and market driven integration etwa Inter-American Development Bank/IRELA (1996: 58).

processes"

vgl.

Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

tigen Direktinvestitionsbestände als Maßstab heranzieht.12 Im CACM zum Beispiel verzehnfachten sich die Bestände in Nikaragua, wohingegen sie sich in Guatemala nicht einmal verdoppelten. In der CARICOM verzeichnete der Spitzenreiter (St. Vincent) einen fünfmal so hohen Anstieg der Direktinvestitionsbestände wie das Schlusslicht (Haiti). Der überdurchschnittlich starke Anstieg in der Andengemeinschaft ist hauptsächlich auf die Verzehnfachung der Bestände in Venezuela zurückzuführen. Im MERCOSUR unterschied sich die Entwicklung selbst zwischen den beiden kleineren Mitgliedsländern: In Uruguay stiegen die Direktinvestitionsbestände um das 2,2-fache, in Paraguay hingegen um das 5,5-fache. Dort wo Direktinvestitionen erfolgreich angelockt wurden, hat dies möglicherweise weniger mit regionaler Integration zu tun als häufig unterstellt. Dies gilt etwa für die Beobachtung, dass vier Fünftel der Direktinvestitionen in Argentinien nach Gründung des MERCOSUR getätigt wurden (Inter-American Development Bank/IRELA 1996: 62). Es ist sehr fraglich, ob die wesentliche Ursache für den dortigen Anstieg der Direktinvestitionen im Vertrag von Asunciön zu suchen ist; vielmehr dürften die nationalen Wirtschaftsreformen entscheidend gewesen sein, die Argentinien gleichzeitig in Angriff genommen hatte.13 Für die zentrale Bedeutung der nationalen Wirtschaftspolitik spricht auch, dass der Boom ausländischer Direktinvestitionen in Brasilien erst später einsetzte. Stabilisierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen wurden dort bis 1994 verzögert; erst mit dem durch den Piano Real eingeleiteten Kurswechsel gewann Brasilien wieder an Attraktivität für ausländisches Risikokapital (Nunnenkamp 1997a). Die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in Lateinamerika in den neunziger Jahren bestärkt insgesamt gesehen die Vermutung, dass regionale Integration für sich genommen weder notwendig noch hinreichend ist, um attraktive Standortbedingungen zu schaffen. Die Integration bietet bestenfalls ein Potenzial neuer Investitionsmöglichkeiten, dessen Ausnutzung von der wirtschaftspolitisch gestaltbaren Standortattraktivität der einzelnen Mitgliedsstaaten abhängt.

4. Verstärkter Handel mit Drittstaaten? Die regionale Integration ist mit einem wachsenden Außenhandel Lateinamerikas einhergegangen. Die Exporte und Importe Lateinamerikas stiegen in den neunziger Jahren jahresdurchschnittlich um 8,4 bzw. 11,3% (Inter-American Development Bank 2000: 115f.). Kaum zu entscheiden ist dagegen, in wel12

Zu allen länderspezifischen Angaben für den Zeitraum 1990-99 vgl. UNCTAD (2000b: Annex table B3).

13

Zu den nationalen Reformmaßnahmen vgl. ausführlich Edwards (1995).

17

Lateinamerika Jahrbuch 2001

chem Maß die neue Welle des Regionalismus ursächlich für die Handelsexpansion war. Die Handelseffekte, die auf unilaterale Importliberalisierung zurückzuführen sind, lassen sich von den Effekten der regionalen Integration nicht klar trennen. Auch die strittige Frage, ob die handelsschaffenden Wirkungen des Regionalismus über die handelsumlenkenden Wirkungen dominieren, ist nicht eindeutig zu beantworten. Gleichwohl lassen sich aus der Entwicklung des Außenhandels in den neunziger Jahren wichtige Anhaltspunkte gewinnen. Festzuhalten ist zunächst, dass in allen lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften ein erhebliches Potenzial für Handelsumlenkung bestand. In keinem Fall haben sich „natürliche" Handelspartner zusammengeschlossen, deren Handel mit Drittländern vergleichsweise unbedeutend war. Im Gegenteil: Anfang der neunziger Jahre machte der Handel mit Nicht-Mitgliedern 85-95% des Gesamthandels von Andengemeinschaft, CACM, CARICOM und MERCOSUR aus (Schaubild 2). Der Handel innerhalb dieser Gemeinschaften war nicht nur im Vergleich zum Intra-EU-Handel (1998: etwa 60% des Gesamthandels) marginal, sondern auch im Vergleich zum Handel innerhalb der NAFTA. Schaubild 2 Intraregionaler Handel in lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften 3 , 1990/91 und 1998/99 (Prozent des Gesamthandels) vH

gemeinSchaft

Lateinamerika

NAFTA

"Summe der Exporte und Importe innerhalb der jeweiligen regionalen Gemeinschalt; "1997 statt 1998/99. Quelle: Inter-American Development Bank (2000). Die relative Bedeutung des Handels innerhalb der Gemeinschaft stieg bis zum Ende der neunziger Jahre in allen vier Fällen, wenn auch in höchst unterschiedlichem Maß. Der Bedeutungszuwachs beschränkte sich im CACM und in der CARICOM auf weniger als drei Prozentpunkte. Auch die Verdoppelung des Anteils des Handels unter den Mitgliedern der Andengemeinschaft ist an18

Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

gesichts des niedrigen Ausgangswertes wenig spektakulär; noch in den Jahren 1998/99 verzeichnete die Andengemeinschaft von allen regionalen Gruppen den geringsten Anteil des Gemeinschaftshandels. Nur im MERCOSUR machte der Gemeinschaftshandel am Ende der neunziger Jahre mehr als ein Fünftel des Gesamthandels aus. Vor diesem Hintergrund ist es kaum überraschend, dass sich gerade am Beispiel des MERCOSUR eine kontroverse Debatte um die integrationsinduzierte Handelsumlenkung zu Lasten von Nicht-Mitgliedern entzündete (vgl. auch Sangmeister 1999b: 81 ff.). Ein wichtiges Indiz dafür sieht Yeats (1998) darin, dass das Wachstum des Handels innerhalb des MERCOSUR sich auf Produkte (wie z.B. Automobile und Autoteile) konzentriert habe, die auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig seien. Dem wird nicht nur entgegengehalten, dass der MERCOSUR generell offener für Importe aus Drittländern geworden sei, sondern auch, dass dynamische Integrationseffekte auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer zu berücksichtigen seien. Schaubild 3 Handelsbilanzsaldo lateinamerikanischer Integrationsgemeinschaften mit Drittländern*, 1990/91 und 1998/99" (Prozent) • 1990/91

J

01998/99

Andengemeinschaft

CACM

Caricom

Mercosur

Lateinamerika insgesamt

•40

-30

-20

-10

0

10

20

30

a

Exporte minus Importe in Prozent des Gesamthandels der jeweiligen Gemeinschaft mit allen Nicht-Mitgliedern. - " 1 9 9 6 / 9 7 statt 1998/99. Quelle: Inter-American Development Bank (2000).

Es bleibt spekulativ, ob die dynamischen Integrationseffekte - wie von Devlin/ Ffrench-Davis (1999: 279) behauptet - um ein Vielfaches bedeutsamer sind als unmittelbare Handelsumlenkungseffekte. Möglicherweise werden beide Effekte

19

Lateinamerika Jahrbuch 2001

überschätzt. Hierauf deutet hin, dass die Anteile des innergemeinschaftlichen Handels beim Export weitaus stärker gestiegen sind als beim Import. Dieses Muster findet sich für alle vier regionalen Gemeinschaften und auch für Lateinamerika insgesamt (Inter-American Development Bank 2000: 115f.). Dies bedeutet, dass sich die Handelsbilanzsituation gegenüber der Summe aller Drittländer für die lateinamerikanischen Ländergruppen „verschlechtert" hat.lm Fall des CACM und der CARICOM weitete sich das Handelsbilanzdefizit gegenüber den Nicht-Mitgliedsländern zwischen Anfang und Ende der neunziger Jahre aus (Schaubild 3). Der 1990/91 noch hohe Handelsbilanzüberschuss der Andengemeinschaft schrumpfte drastisch, während der vormalige Handelsbilanzüberschuss des MERCOSUR gegenüber den Nicht-Mitgliedsländern 1998/99 sogar in ein Defizit umschlug. Diese Veränderungen der Handelsbilanzsituation gegenüber Drittländern bestätigen zum einen, dass sich die regionalen Integrationsgemeinschaften für Importe vom Weltmarkt geöffnet haben, wobei die mit dem Regionalismus einhergehende unilaterale Importliberalisierung eine zentrale Rolle gespielt haben dürfte. Zum anderen lässt das vergleichsweise schwache Wachstum der Exporte in Drittländer vermuten, dass es den Integrationsgemeinschaften weiterhin an Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten mangelte. Schaubild 4 Entwicklung der Importe in lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften, 1990-1999* • Andengemeinschaft • '.• I • :



i

CACM

Mercosur

i

•• -'

alle Entwicklungsländer

asiatische Entwicklungsländer



Welt

0

1

2

• Importe von außerhalb der jeweiligen Integrationsgemeinschatt

3 • gesamte Importe

' Importe in 1998/99 dividiert durch Importe in 1990/91; ohne CARICOM wegen fehlender Daten. Quelle: Inter-American Development Bank (2000); IMF (2000).

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Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

Gegen eine die Handelsschaffung dominierende Handelsumlenkung spricht ferner, dass die Importe, die von außerhalb der jeweiligen Gemeinschaft bezogen wurden, in den neunziger Jahren durchweg fast genauso stark gewachsen sind wie die Gesamtimporte der regionalen Gemeinschaften (Schaubild 4).14 Die Importe aus Drittländern waren 1998/99 im Fall der Andengemeinschaft doppelt so hoch wie 1990/91; im CACM und im MERCOSUR stiegen die Importe aus Drittländern im gleichen Zeitraum sogar um das 2,6-fache. Damit lag das Wachstum der Importe aus Drittländern in allen lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften über dem weltweiten Importwachstum und auch über dem Wachstum der Importe von Entwicklungs- und Schwellenländern in anderen Regionen. Die Evidenz für die neunziger Jahre spricht also für einen „offenen Regionalismus" in Lateinamerika, aus dem auch Drittländer Nutzen ziehen konnten.

5. Chancen in Lateinamerika: Wo bleibt Europa? Der „offene Regionalismus" in Lateinamerika stellt nicht nur die dortigen Volkswirtschaften vor neue Herausforderungen, sondern auch die Handels- und Investitionspartner außerhalb der Region. Direktinvestoren aus Europa, Asien und Nordamerika müssen ihre Strategien an geänderte Standortbedingungen in Lateinamerika anpassen. Exporteuren aus diesen Regionen bieten sich durch die Importliberalisierung neue Marktchancen. Auf politischer Ebene versucht man durch interregionale Abkommen die Investitions- und Handelsbeziehungen mit Lateinamerika zu intensivieren. Diese drei Aspekte werden im Folgenden aus europäischer Perspektive beleuchtet: Direktinvestitionen: Multinationale Unternehmen haben sich in Lateinamerika traditionell vor allem engagiert, um durch Produktion vor Ort die von den Gastländern errichteten Importbarrieren zu überwinden. Die Durchdringung der geschützten lokalen Märkte sicherte eine hohe Rentabilität, so dass die Auslandsfirmen die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit der dortigen Produktionsstätten in Kauf nahmen (UNCTAD 1998: 253). Die neue Welle regionaler Integration und die unilaterale Handelsliberalisierung in Lateinamerika haben die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für Direktinvestitionen verändert. Die Integrationsbestrebungen bewirken zwar - wie in Abschnitt III erörtert - nicht notwendigerweise steigende Direktinvestitionen, dürften aber die Investitionsstrategien multinationaler Unternehmen beeinflussen. So konstatieren Boving und Ott (1997: 9) in einer Untersuchung für den Deutschen Industrie- und Handelstag, dass die Unternehmen „bei der strategischen Investitionsplanung in Lateinamerika vermehrt in Regionen denken ... müssen" (vgl. ähnlich auch Inter-American Development Bank/IRELA

Z u m M E R C O S U R vgl. ä h n l i c h Laird ( 1 9 9 8 : 1 4 8 ) .

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1996: 57). Darüber hinaus verbessern sich wegen der Handelsliberalisierung die Chancen für eine im Weltmaßstab wettbewerbsfähige Produktion in lateinamerikanischen Gastländern. Die Motivation für Direktinvestitionen müsste sich deshalb von einer ausschließlichen Ausrichtung auf die Binnenmärkte der Gastländer zu einer stärkeren Weltmarktorientierung verschieben. Die in Lateinamerika tätigen Tochterunternehmen würden enger in die globalen Beschaffungs- und Absatznetze der multinationalen Unternehmen eingebunden. Es deutet einiges darauf hin, dass der strategische Anpassungsbedarf für europäische Direktinvestoren in Lateinamerika besonders ausgeprägt war und von diesen relativ spät in Angriff genommen worden ist. Nach Untersuchungen von Inter-American Development Bank und IRELA (1998) war für deutsche, französische und spanische Direktinvestoren in Lateinamerika eine besonders starke Ausrichtung auf die Binnenmärkte der Gastländer kennzeichnend. Es waren vorwiegend US-amerikanische Direktinvestoren, die die Einbindung mexikanischer Tochterunternehmen in globale Produktionsnetze vorantrieben. Auch in karibischen Gastländern waren Unternehmen aus den Vereinigten Staaten führend beim Aufbau exportorientierter Produktionsstätten; europäische und asiatische Unternehmen hingen weit zurück, wenn es darum ging, die Kosten vorteile der dortigen Standorte auszunutzen (UNCTAD 1998: 258). Für Lateinamerika insgesamt ist zu beobachten, dass US-amerikanische Direktinvestoren relativ schnell und stark auf die geänderten Standortbedingungen reagierten. Nach Angaben von IRELA belief sich der Zustrom von Direktinvestitionen aus den Vereinigten Staaten schon in den Jahren 1993-95 auf durchschnittlich US$ 11,6 Mrd.; die Direktinvestitionen der EU in Lateinamerika machten in diesem Zeitraum nur gut ein Drittel der amerikanischen Direktinvestitionen aus. Erst 1997 erreichten die Direktinvestitionen der EU fast das Niveau der amerikanischen Direktinvestitionen (vgl. auch UNCTAD 1999: 63). Nach Beobachtungen von Inter-American Development Bank und IRELA (1998: 17f.) zeigten französische Unternehmen bis Mitte der neunziger Jahre kaum Interesse an Lateinamerika, und auch deutsche und britische Unternehmen nahmen neue Investitionschancen in der Region erst verspätet wahr. Handel: Die Bedeutung Lateinamerikas für europäische, nordamerikanische und asiatische Exporteure ist im Zeitraum 1991-98 zwar ähnlich stark gestiegen (IMF, versch. Jgg.); aber die vergleichsweise schwache Ausrichtung der EU-Exporte auf lateinamerikanische Bestimmungsländer bestand am Ende der neunziger Jahre fort (Tabelle 1). Auch einzelne regionale Gemeinschaften absorbierten einen Anteil an den nordamerikanischen Gesamtexporten, der ein Vielfaches des entsprechenden Anteils an den Gesamtexporten der EU betrug. Von einer integrationsinduzierten Handelsumlenkung in Lateinamerika müssten die nordamerikanischen Exporteure also stärker betroffen gewesen sein als ihre europäischen Wettbewerber. Allerdings dürfte die Handelsumlenkung weder in Nordamerika noch in Europa signifikante Wohlfahrts- und Ein-

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Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

kommenseffekte gehabt haben; dazu war der Anteil aller vier regionalen Gemeinschaften an den Gesamtexporten dieser Handelspartner (mit zusammengenommen 6% an den nordamerikanischen Exporten und 2% an den EUExporten) zu gering.15 Tabelle 1 Die Bedeutung lateinamerikanischer Integrationsgemeinschaften für europäische, nordamerikanische und asiatische Exporteure* 1998 (Prozent) Bestimmungsregion

Japan und asiatische Entwicklungsländer 0,37 Andengemeinschaft 0,38 1,83 0,96 0,18 CACM 0,08 CARICOM 0,11 0,59 0,11 MERCOSUR 1,26 2,64 0,93 Lateinamerika 16,33 3,44 2,68 insgesamt" (8,96) (0,48) (0,68) a Anteil an den Gesamtexporten der EU, Kanadas und der Vereinigten Staaten sowie Japans und der asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer. - " In Klammern: Mexiko. EU

Kanada und USA

Quelle: IMF (versch. Jgg.).

Die dominierende Position Nordamerikas auf den lateinamerikanischen Gütermärkten zeigt sich darin, dass in den neunziger Jahren fast die Hälfte der Gesamtimporte Lateinamerikas aus den Vereinigten Staaten und Kanada stammte; auf die EU entfielen lediglich 17% (Tabelle 2). Eine vergleichbare Diskrepanz zwischen den Importmarktanteilen Nordamerikas und der EU bestand auch in der Andengemeinschaft, dem CACM und der CARICOM. Nur im MERCOSUR hatte die EU eine etwas stärkere Marktposition als die Vereinigten Staaten und Kanada. Die Fokussierung der europäischen Exporteure auf die größte regionale Gemeinschaft in Lateinamerika spiegelt sich auch in dem überdurchschnittlich starken Wachstum der Importe des MERCOSUR aus der EU wider. Für alle anderen Ländergruppen verweist Tabelle 2 auf ein relativ geringes Wachstum der Importe aus der EU. Am Importwachstum gemessen fielen die europäischen Exporteure nicht nur hinter die nordamerikanische Konkurrenz zurück, sondern auch (und zumeist in noch stärkerem Maß) hinter die asiatischen Wettbewerber. Abgesehen vom MERCOSUR haben die europä-

15

Ähnlich argumentieren Diao und Somwaru (2000) am Beispiel des MERCOSUR. Die Simulationen dieser Autoren ergaben, dass die EU-Exporte in den MERCOSUR im steady state gegenüber dem Basisszenarium um 11% sinken würden, wenn der MERCOSUR alle internen Zölle abschafft, ohne die Außenzölle gegenüber Drittländern zu senken. Für die Vereinigten Staaten bzw. Asien ergäbe sich in diesem Fall eine Exporteinbuße im Mercosur von 10 bzw. 15%.

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ischen Exporteure also an Boden verloren, ähnlich wie es über weite Strecken der neunziger Jahre für die europäischen Direktinvestoren zu beobachten war. Tabelle 2 Die Handelsposition der EU, Nordamerikas und Asiens auf den Importmärkten lateinamerikanischer Integrationsgemeinschaften, 1990-1999 ( P r o z e n t ) Anteil an den Gesamt- Andengemeinimporten, 1990-99:" schaft EU 19,1 USA + Kanada 38,6 10,4 Asien Wachstum der Importe (1990-99) aus:c EU 5,0 USA + Kanada 7,3 Asien 11,5 ' 1990-97. -

6

CACM

10,0 45,7 7,6

CARICOM" MERCOSUR nachrichtl.: Lateinamerika 16,0 26,4 17,1 49,1 23,9 48,0 7,4 10,9 9,4

5,9 13,4 10,7

-1,4 3,1 7,1

Periodendurchschnitt in Prozent. -

c

14,8 13,2 13,4

10,1 13,9 15,4

Jahresdurchschnittliche Rate in Prozent.

Quelle: Inter-American Development Bank (2000).

Interregionale Abkommen: Dem - im Vergleich zu anderen Partnern Lateinamerikas - geschwundenen Gewicht Europas (IRELA 1999b: 11) versucht man in den letzten Jahren mit politischen Initiativen entgegenzuwirken. Frühere Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und verschiedenen lateinamerikanischen Ländergruppen haben den Gewichtsverlust zwar nicht verhindern können (Bulmer-Thomas 1997: 272).16 Gleichwohl verbinden sich mit der neuen Generation interregionaler Abkommen sowohl in Lateinamerika als auch in Europa hoch gesteckte Erwartungen: • Lateinamerika hofft durch bilaterale Abkommen die seit langem beklagte Diskriminierung auf den EU-Märkten zu überwinden (Nunnenkamp 2000b). Den lateinamerikanischen Entscheidungsträgern dürfte zudem bewusst sein, dass „Latin American countries cannot expect to secure their reintegration into the world economy through intra-regional trade expansion alone" (Bulmer-Thomas 1997: 275). Im Kontext der Einbindung in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung strebt Lateinamerika nach stärker diversifizierten Außenbeziehungen, um die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu reduzieren.

16

24

Der heutigen Andengemeinschaft räumte die E U 1 9 9 0 im R a h m e n des Generalized System of Preferences Handelspräferenzen für nicht-traditionelle Exporte ein. Eine ähnliche Vereinbarung wurde mit den zentralamerikanischen Staaten getroffen. Den C A R I C O M Mitgliedern wurde im R a h m e n des Lome-Abkommens für verarbeitete Produkte ein unbeschränkter Zugang zu den EU-Märkten gewährt.

Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive



Die EU sieht seit der Gründung der NAFTA Handlungsbedarf. Lateinamerika wird nach dem sogenannten verlorenen Jahrzehnt wieder als eine der wichtigsten Wachstumsregionen wahrgenommen (Krumwiede/Nolte 1999). Seitdem findet zwischen den Vereinigten Staaten und der EU „eine Art Wettlauf um die Bildung einer Freihandelszone mit Lateinamerika statt" (Bodemer 1999: X). Der EU geht es darum, die lateinamerikanischen Märkte nicht der nordamerikanischen Konkurrenz zu überlassen. Die von beiden Seiten angestrebte Neuordnung der wirtschaftlichen Beziehungen hebt sich in mehrerer Hinsicht von den traditionellen Handels- und Kooperationsabkommen ab. Zum einen zielt die EU verstärkt auf Reziprozität beim Abbau von Handelsbarrieren. Der Forderung nach Reziprozität sahen sich zum Beispiel die CARICOM-Mitglieder im Rahmen der Neuregelung des Lome-Abkommens gegenüber (Jessen/Rodriguez 1999: 29f.). Zum anderen handelt es sich bei den interregionalen Vereinbarungen, die zum Teil bereits abgeschlossen sind (EU-Mexiko) und zum Teil noch verhandelt werden (EUMERCOSUR, EU-Chile), um neuartige Abkommen, die neben den üblichen Handelsfragen auch Regeln für Dienstleistungen, Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen, Eigentumsrechte und Wettbewerbsfragen beinhalten. Trotz dieser Neuerungen können die Implikationen der interregionalen Abkommen auch in Zukunft nur in einer Hinsicht als sicher gelten: Sie werden das weltweite Geflecht bilateraler Präferenzen weiter komplizieren. Es bleibt hingegen fraglich, ob sich die Hoffnungen erfüllen werden, die Lateinamerika und die EU mit den Abkommen verbinden.17 Über den Gehalt geplanter Abkommen, insbesondere den Grad der Handelsliberalisierung zwischen EU und MERCOSUR, lässt sich zur Zeit nur spekulieren. Einige Indizien deuten aber darauf hin, dass hoch gesteckte Erwartungen der lateinamerikanischen Länder enttäuscht werden: • Die Erfahrungen anderer Regionen mit präferenziellen Handelsabkommen sind eher ernüchternd. Ob sich die Handels- und Investitionsbeziehungen mit der EU intensiviert haben, bestimmte sich weniger aus dem jeweiligen Präferenzstatus und der Institutionalisierung des bilateralen Verhältnisses als aus der nationalen Wirtschaftspolitik der EU-Partner. So haben zum Beispiel die asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer den Mangel an engen institutionellen Bindungen an die EU durch eine weltmarktorientierte Industrialisierungsstrategie wettgemacht. Institutionalisierte Beziehungen sind in der Vergangenheit weder notwendig noch hinreichend gewesen, um die EU-Gütermärkte zu erobern und Direktinvestitionen aus der EU anzulocken. • Das im März 2000 mit Mexiko vereinbarte bilaterale Abkommen sieht vor, dass die EU bis 2003 alle Importe von Industriegütern aus Mexiko liberalisiert. Gleichwohl wird das Abkommen Mexiko voraussichtlich nur geringe

"

Vgl. zum Folgenden ausführlicher Nunnenkamp (1997b; 2000b) und die dort angegebene Literatur.

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Handelseffekte bescheren, weil schon vorher nur niedrige Zollbarrieren der EU bestanden (Busse u.a. 2000). • Die EU tut sich erheblich schwerer, mit dem MERCOSUR ein bilaterales Abkommen abzuschließen (IRELA 2000). Im Gegensatz zum Abkommen mit Mexiko stellt die Agrarpolitik der EU im Verhältnis zum MERCOSUR einen großen Stolperstein dar. Es ist unwahrscheinlich, dass die EU in absehbarer Zeit signifikante agrarpolitische Zugeständnisse machen wird. Angesichts der agrarpolitischen Probleme der EU-Osterweiterung dürfte die EU gegenüber dem MERCOSUR weiter auf Zeit spielen.18 Es bleibt höchst zweifelhaft, ob der MERCOSUR durch bilaterale Verhandlungen mit der EU bessere Ergebnisse erreichen kann als im multilateralen WTO-Rahmen. Aber auch die Hoffnungen, die die EU an ein bilaterales Abkommen mit dem MERCOSUR knüpft, könnten enttäuscht werden. Weil Landwirtschaft und Fischzucht etwa zwei Fünftel der Gesamtexporte des MERCOSUR in die EU ausmachen (IRELA 1999b: 13), hält man im MERCOSUR ein Abkommen für wenig nützlich, wenn der Agrarhandel nicht liberalisiert wird. Deshalb droht inzwischen auch Brasilien, die Verhandlungen zu blockieren (Financial Times Deutschland, 22.6.2000: 16). Die begründeten Zweifel an der Bereitschaft der EU, ihre Agrarpolitik grundsätzlich zu überdenken, könnten also das Abkommen mit dem MERCOSUR insgesamt gefährden. Mit einem Scheitern würde die EU sich selbst vermutlich am meisten schaden. Abgesehen von der immensen Belastung, die die Agrarpolitik für Konsumenten und Steuerzahler in der EU verursacht, entfielen die reziproken Importerleichterungen, die man vom MERCOSUR erwartet und die zumindest im Fall des Abkommens mit Mexiko erheblich stärkere Handelseffekte zugunsten der EU entfalten dürften, als die EU-Konzessionen zugunsten Mexikos.19 Der politische Schaden käme zu den entgangenen wirtschaftlichen Vorteilen hinzu. Die Hinhaltetaktik der EU nährt die Skepsis der lateinamerikanischen Partner, ob ihnen von der EU wirklich eine gewachsene Bedeutung zugemessen wird. Die handelspolitische Realität stößt sich hart an der Rhetorik der EU, wonach man - im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten - im Verhältnis zu Lateinamerika nicht nur die eigenen Interessen verfolge (vgl. auch IRELA 1999b: 4). Mit einer solchen Glaubwürdigkeitslücke dürfte es der EU kaum gelingen, ein Gegengewicht gegen die dominante Stellung der Vereinigten Staaten in Lateinamerika zu bilden.

18

Die Auseinandersetzung über sensible Handelsfragen ist von der EU wiederholt (zur Zeit auf Mitte 2001) verschoben worden. Im Sommer 1997 hieß es noch, dass hierüber im Jahr 1998 verhandelt werden solle (IRELA 1997).

19

Das EU-Mexiko Abkommen bewirkt nach Schätzungen von Busse u.a. (2000) einen Anstieg der EU-Exporte nach Mexiko um US$ 2,5 Mrd., während sich für die mexikanischen Exporte in die EU lediglich ein Anstieg um US$ 210 Mill. ergibt.

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Nunnenkamp: Die neue Welle regionaler Integration aus europäischer Perspektive

6. Fazit Die neue Welle des Regionalismus in Lateinamerika bietet mehr als alten Wein in neuen Schläuchen. Im Unterschied zu früheren Integrationsversuchen ist der heutige Regionalismus mit einer unilateralen Importliberalisierung in den meisten lateinamerikanischen Ländern einhergegangen. Dennoch ist zu bezweifeln, dass sich die hohen Erwartungen realisieren lassen, die in die regionale Integration gesetzt werden. Die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in Lateinamerika in den neunziger Jahren zeigt, dass regionale Integration weder notwendig noch hinreichend ist, um attraktive Standortbedingungen zu schaffen. Im Handelsbereich spricht vieles für einen „offenen Regionalismus" in Lateinamerika. Das relativ schwache Wachstum der lateinamerikanischen Exporte in Drittländer deutet jedoch darauf hin, dass es den Integrationsgemeinschaften weiterhin an internationaler Wettbewerbsfähigkeit mangelt. Auf die veränderten Investitionsbedingungen in Lateinamerika haben europäische Direktinvestoren vergleichsweise spät reagiert. Die dominierende Position der Vereinigten Staaten auf den meisten lateinamerikanischen Importmärkten besteht fort. Während asiatische Wettbewerber durchweg Boden gutmachen konnten, sind die europäischen Exporteure nur im MERCOSUR nicht weiter hinter die nordamerikanische Konkurrenz zurückgefallen. Es ist fraglich, ob das Gewicht Europas in Lateinamerika - wie von beiden Seiten erhofft - durch interregionale Präferenzabkommen nachhaltig gestärkt wird. Die Aussichten auf einen Ausbau der gegenseitigen Handelsbeziehungen werden dadurch beeinträchtigt, dass die EU auf ihrer protektionistischen Agrarpolitik beharrt. Die EU müsste den lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaften nicht nur rhetorisch eine gewachsene Bedeutung zumessen, um zu einem glaubwürdigen Partner zu werden.

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Berlindes Astrid Küchemann

Erst kürzlich in der Staatsbürgerschaft angekommen Wege, Vorschläge, Errungenschaften und Herausforderungen der Frauenbewegung in Lateinamerika 1.

Einleitung

Die ausgeprägte Ungleichheit in der Verteilung von Ressourcen und Vermögen ist ein charakteristisches Merkmal aller lateinamerikanischen Gesellschaften. Damit einher gehen extreme soziale und ökonomische Benachteiligungen von Frauen und ethnischen Gruppen. Für die Mehrheit der Bevölkerung in Lateinamerika führte wirtschaftliches Wachstum zu keiner realen Erhöhung von Löhnen und Kaufkraft. Noch immer müssen auf dem lateinamerikanischen Kontinent 78,2 Millionen Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen (UNIFEM 2000a: 1). Die Kürzungen in den öffentlichen Haushalten und die Last des Schuldendienstes - infolge des Preisrückgangs von Exportgütern und teilweise auch durch nachlassende Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt stiegen die Auslandsschulden - haben einen Rückgang der Investitionen im sozialen Bereich zur Folge und führen zu einer stetigen Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Armen, vor allem für Kinder, Heranwachsende und Frauen. Kennzeichnend für Lateinamerika sind zudem fortschreitende Dezentralisierungsprozesse sowie Reformen des öffentlichen Sektors; diese Entwicklung bedeutet gleichermaßen Herausforderungen und Chancen für die Demokratisierung, für die Verwirklichung von Partizipation im öffentlichen Bereich, für die Beseitigung der Armut ebenso wie für das empowerment (d.h. die Ermächtigung zu eigenverantwortlichem Handeln) der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter. In den zurückliegenden Jahren haben die Frauen Lateinamerikas große Fortschritte erzielt; sie treten zunehmend in Erscheinung, ihr Bildungsniveau

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Küchemann: Frauenbewegung in Lateinamerika

ist gestiegen, ihre Erwerbstätigkeit hat zugenommen und sie sind verstärkt in der Politik aktiv. Das höhere Bildungsniveau der Frauen und ihre stärkere Beteiligung am Arbeitsmarkt haben aber weder zu einem Anstieg ihrer Einkommen geführt, noch zu einem Abbau der Einkommensunterschiede gegenüber den Männern; der Eigentumserwerb von Frauen hat sich genauso wenig verbessert wie ihr Zugang zu Krediten, Technologie und Führungspositionen. Frauen erhalten in Lateinamerika nur 75% der Löhne, die Männer verdienen, und sie haben lediglich 16% der Führungspositionen inne (PNUD 1999). Das entschiedene Auftreten der Frauenbewegung in Lateinamerika führte dazu, dass das Thema Frauenrechte von politischen Entscheidungsträgern, von den Medien und der öffentlichen Meinung aufgegriffen wurde, und nicht zuletzt auch von den lateinamerikanischen Frauen selbst. Die Entstehung der lateinamerikanischen Frauenbewegung war von den kulturellen Besonderheiten jedes Landes geprägt, aber auch von ihrer jeweiligen Geschichte auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. In der Tat war ihr Entwicklungsprozess insofern einzigartig, als sie sich angesichts der sehr unterschiedlichen Gegebenheiten in den lateinamerikanischen Gesellschaften vor gänzlich unterschiedliche Aufgaben gestellt sah. In den sozialen Bewegungen lateinamerikanischer Frauen finden sich daher ganz unterschiedliche Gruppen, mit diversen Themenschwerpunkten und Aktionsformen, die ihren jeweiligen materiellen Voraussetzungen entsprechen sowie der unterschiedlichen Bedeutung von Erwerbstätigkeit, Familie, Hausarbeit und Kinderbetreuung. Die Mehrzahl der lateinamerikanischen Staaten hat seit 1995 Pläne für Chancengleichheit aufgestellt oder Politiken zur Gleichstellung von Mann und Frau entwickelt sowie auf nationaler Ebene Instrumente geschaffen beziehungsweise umgestaltet mit dem Ziel, die Rechte der Frauen zu fördern und zu verteidigen. Durch die Bildung von Koalitionen und Verhandlungen mit dem Staat haben die unterschiedlichen Gruppen von Frauen, welche die sogenannte Frauenbewegung und feministische Bewegung ausmachen, Fortschritte erzielt. Infolge öffentlicher Debatten und Medienberichte werden die Rechte der Frauen in der lateinamerikanischen Öffentlichkeit zunehmend anerkannt, insbesondere wenn es um Gewalt gegen Frauen geht. Dennoch existiert Ungleichheit zwischen den Geschlechtern weiterhin in allen Bereichen sozialer und ökonomischer Entwicklung. Es wäre jedoch äußerst schwierig, ja gewagt, wenn nicht sogar unmöglich, im Rahmen dieses Beitrags der ganzen Komplexität der Frauenbewegung und des Feminismus in Lateinamerika gerecht werden zu wollen. Die vorliegende Arbeit möchte nur einen bescheidenen Beitrag zu diesem komplexen Thema liefern und begnügt sich daher mit einer allgemeinen Darstellung des spezifischen Verlaufs der Frauenbewegung und des Feminismus in Lateinamerika;1 Perspektive der feministischen Bewegung ist die Veränderung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Ihr Hauptaktionsfeld ist der Kampf für die Freiheit und Gleichheit der Frauen. Die feministische Bewegung ist Teil der Frauenbewegung, die alle möglichen Organisationsformen von Frauen umfasst, die für verschiedene Ziele kämpfen.

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dargestellt und diskutiert werden die von den Frauenbewegungen besetzten Themen, die wesentlichen Erfolge sowie die Herausforderungen, denen sie sich im neuen Jahrtausend werden stellen müssen. 2. Entstehung und Verlauf des lateinamerikanischen Feminismus 2.1 Allgemeiner Kampf versus spezifischer Kampf (die sechziger und siebziger Jahre) Wie auch in den übrigen Teilen der Welt entstand die zeitgenössische feministische Bewegung in Lateinamerika zu Beginn der sechziger Jahre, allerdings nur zögerlich. Zwischen 1960 und 1980 hatten in mehreren Ländern des lateinamerikanischen Subkontinents Militärdiktaturen die Macht übernommen, die jegliche demokratische und progressive Bewegung mit Gewalt und Terror unterdrückten. Für die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder war es eine Zeit strenger Zensur und politischer Repression. Während in der übrigen Welt die feministische Bewegung bereits erkennbar aktiv war, stand sie in Lateinamerika erst ganz am Beginn. Die Frauenfrage stieß hier zumindest auf Interesse und Neugierde, die in entsprechenden Zeitschriften und Artikeln vorwiegend alternativer Verlage zum Ausdruck kamen. Es bildeten sich Gruppen von Interessierten, die sich eingehender mit der Thematik beschäftigten. Zu dieser Zeit war die gemeinhin übliche Bedeutung des Begriffs Feminismus jedoch ziemlich fern der gesellschaftlichen Realität Lateinamerikas. Für die Vertreter der Linken und anderer Sektoren der Zivilgesellschaft war der Feminismus kleinbürgerlichen Besorgnissen entsprungen, die Regierungen sahen in der Bewegung einen Anschlag auf Moral und gute Sitten. So wurde zum Beispiel im Jahre 1967 die brasilianische Zeitschrift „Realidade" von der Zensur mit der Begründung beschlagnahmt, gegen die guten Sitten verstoßen zu haben. Die Zeitschrift hatte eine ganze Ausgabe dem Thema „Die Frau in Brasilien" gewidmet und darin über eine Nonne berichtet, die einer Kirchengemeinde vorstand sowie über eine junge ledige Mutter, die öffentlich zu ihrer Situation stand; weitere Themen waren Abtreibung und Trennung - Scheidung gab es zu dieser Zeit nicht (Teles 1993: 115). Entscheidend für die Durchsetzung feministischer Ideen in Lateinamerika war das Jahr 1975, das von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Frau deklariert worden war. Dass dieses Jahr in besonderem Maße für die Frauen in Lateinamerika von Bedeutung war, wird von lateinamerikanischen Feministinnen einmütig bestätigt (vgl. u.a: Sarti 1988; Ríos 1989; Cleary 1989; Conas 1992). In einer Zeit, in der in Lateinamerika demokratische Freiheiten weitgehend eingeschränkt waren und sich praktisch keine Möglichkeiten politischer Partizipation boten, wurden durch Initiative der Vereinten Nationen Voraussetzungen für Diskussionen und neue Organisationsformen geschaffen; hier konnten sich nun feministische Ideen und Frauenaktionen manifestieren. Während eine Vielzahl von Frauen in Europa und in den USA der Initiative der Vereinten Nationen misstrauisch gegenüberstand, war sie für Lateinameri-

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ka ausgesprochen hilfreich, erwies sie sich doch für die Frauen als exzellentes legales Instrument, um öffentlich wirksam zu werden, außerhalb der kleinen Zirkel mit ihren heimlichen Aktionen. Die Festlichkeiten anlässlich des Internationalen Jahres der Frau waren Wegbereiter für die ersten Z u s a m m e n s c h l ü s s e von Frauengruppen. Die Frauenbewegung wurde allmählich von der Öffentlichkeit wahrgenommen, d a sie in hohem Maße Antworten auf die Erwartungen der Epoche gab: auf den Wunsch, sich auszudrücken und zu sprechen, auf den Wunsch, Probleme anzugehen und zu handeln (Teles 1993: 85). A b 1975 beginnen die feministischen Ideen - Forderung nach Gleichberechtigung und Thematisierung der Unterdrückung der Frau - in der öffentlichen Meinung Lateinamerikas zunehmend auf Resonanz zu stoßen. Auf lokaler und nationaler Ebene finden die ersten Frauentreffen statt, und es werden einige Frauenzentren gegründet; auch die Presse beginnt, sich mit Frauenfragen zu beschäftigen. Mit „Brasil Mulher" (1975) und „Nös Mulheres" (1976) in Brasilien sowie „FEM" (1976) in Mexiko erscheinen die ersten Zeitschriften für Frauen. In allen Ländern der Region werden zahlreiche Frauenorganisationen gegründet, die entweder autonom arbeiten oder Verbindungen zu politischen Parteien, Gewerkschaften oder Stadtteilbewegungen haben. In Mexiko w a r e n dies beispielsweise Movimiento Feminista Mexicano (1976) und Mujeres de Asamblea de Barrios-, in Argentinien Agrupación de Mujeres Socialistas (1975), Derechos Iguales para la Mujer Argentina (1976), Madres de la Plaza de Mayo (1977) und Movimiento de Mujeres Socialistas (1979), in Peru Centro de la Mujer Peruana Flora Tristan und Movimiento Manuela Ramos (1979). Ebenfalls seit 1975 wurde auch der Internationale T a g der Frau (8. März) wieder begangen. Planung und Durchführung dieser Veranstaltung boten den Frauen - Hausfrauen, Arbeiterinnen, Bäuerinnen und Intellektuellen - Gelegenheit für Zusammenkünfte und Gespräche über ihren Kampf im Allgemeinen und ihre spezifischen Forderungen. Bereits in den siebziger Jahren beteiligten sich Frauen auch engagiert an einigen in Lateinamerika sehr bedeutenden sozialen B e w e g u n g e n sowie an Demonstrationen zugunsten streikender Industrie- und Minenarbeiter. Feministische Gruppen arbeiteten jetzt gemeinsam mit Frauengruppen aus d e n Stadtteilen; Beispiele sind die Clubes de Mäes oder die Associagöes de Donas de Casa, die mit Unterstützung der Kirche in den Wohnvierteln der A r m e n gegründet worden waren. Diese Gruppen kamen z u s a m m e n , um typisch weibliche Aktivitäten zu pflegen, Handarbeiten, wie beispielsweise Stricken und Häkeln, oder sie beschäftigten sich mit religiösen Fragen. Diese bereits seit langem existierenden Gruppen machten erst jetzt auch verstärkt frauenspezifische Forderungen geltend; aus einigen dieser Gruppen sind sogar Bewegungen hervorgegangen, die auf nationaler Ebene bekannt wurden, wie zum Beispiel 1978 in Brasilien die Protestbewegung Movimento do Custo de Vida gegen die hohen Lebenshaltungskosten. Die feministischen Gruppen verstärkten zudem ihre Interaktion mit Berufsverbänden und gewerkschaftlich organisier-

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ten Frauen, seitdem auch in diesen Bereichen Frauenkongresse und berufsspezifische Frauentreffen durchgeführt wurden. Die Themen „weibliche Erwerbstätigkeit" und „Arbeiterinnen" wurden zu dieser Zeit Gegenstand zahlreicher Diskussionen und für eine bestimmte Zeitspanne sozusagen zum „Gegenstand des Feminismus" (Sarti 1988). Bei allen Veranstaltungen zum Internationalen Tag der Frau waren Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau, die Doppelbelastung der Frau durch Familie und Beruf und die generelle Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt Gegenstand von Diskussionen. Dabei wurde einerseits die Strategie verfolgt, weibliche Erwerbstätigkeit zu diskutieren, ein Thema, das von allen akzeptiert war. Bei gemeinsamen Veranstaltungen sollte der Zusammenhalt vorrangig sein und polemische Themen, wie Abtreibung und Sexualität, sollten daher vermieden werden. Andererseits wurde von der dominierenden Richtung in der damaligen feministischen Bewegung dem Thema Arbeiterinnen Vorrang gegeben, denn es herrschte die Ansicht vor, nur jene Frau könne gesellschaftliche Veränderungen im Sinne des Feminismus bewirken, die einer doppelten Unterdrückung ausgesetzt sei, nämlich der Unterdrückung durch Klassenzugehörigkeit und Geschlecht. In vielen Ländern Lateinamerikas war es auch die von autoritären Regimen geprägte politische Lage, die den Zusammenschluss demokratischer Frauen begünstigte. So war zum Beispiel in Brasilien eines der wesentlichen Themen die Forderung nach Kinderkrippen, die eine starke kollektive Mobilisierung von Frauen zur Folge hatte. Die Forderung nach Kinderkrippen wurde gemeinsam von Arbeiterinnen, von Frauen aus den Vorstädten und von Feministinnen erhoben, wenn auch aus verschiedenen Gründen und mit unterschiedlichen Absichten. Mit Krippenplätzen sollten Bedingungen für die Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt geschaffen werden, besonders wichtig für die wirtschaftlich schlechter gestellten Frauen, die sich keine Hausangestellten leisten konnten, um sie in ihren Funktionen als Hausfrau und Mutter zu ersetzen. Während für die Feministinnen die Forderung nach Kinderkrippen Teil einer Neudefinition familiärer Rollen und somit Teil des Kampfes der Frauen für ihre Unabhängigkeit war (Rosenberg 1984), galt dies nicht notwendigerweise auch für die Frauen der Vorstädte. Deren Beteiligung am Kampf für Kinderkrippen ergab sich nur aus ihrem sozialen Engagement in den Stadtteilbewegungen, die Frauenfragen nicht explizit thematisieren. Aber die Beteiligung an diesem Kampf bedeutete für die Frauen der Stadtteilbewegungen, sich in einem für sie neuen, öffentlichen Raum zu bewegen, was ihnen eine neue, über ihren privaten Bereich hinausgehende Erfahrung verschaffte. Während die Feministinnen aus Opposition zu ihrer traditionellen Rolle als Mutter am Kampf für Kinderkrippen teilnehmen und diese Rolle durch die Übertragung der Kindererziehung an öffentliche Institutionen neu definieren, engagiert sich eine Vielzahl der anderen Frauen gerade in ihrer traditionellen Rolle als Mutter in diesen Bewegungen. Durch ihre Kämpfe für Verbesserungen in den Stadtteilen, für Kinderhorte, Gesundheitsposten und Schulen -

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Verbesserungen, die eng mit ihren täglichen Problemen als Familienmütter verbunden sind - suchen sie Erziehung und Ernährung ihrer Kinder sowie die Lebensbedingungen ihrer Familien zu verbessern. Die Rolle als Mutter legitimiert ihre Aktivitäten im öffentlichen Raum, sei es das Ausüben einer bezahlten Tätigkeit oder politisches Handeln (Sarti 1988) und motiviert sie, den häuslichen Bereich zu verlassen, während die Feministinnen mit dem Verlassen der häuslichen Sphäre die Mutterrolle verändern wollen. Es waren also Forderungen nach besserer Versorgung in den Stadtteilen, die bis zu den achtziger Jahren Frauen in Bewegungen und Aktionen zusammenführten. Geschlossenheit ohne ausdrückliche Anerkennung der Verschiedenheit war zumindest bis Anfang der achtziger Jahre kennzeichnendes Merkmal der Frauenbewegung, erst dann bildeten sich Gruppen, die sich mit Fragen der Geschlechtergleichstellung und dem Kampf für Demokratie beschäftigten. In den feministischen Gruppen gab es zwei Haupttendenzen (Sarti 1988; Teles 1993). Die eine Richtung richtete ihre Aufmerksamkeit auf das öffentliche Handeln der Frauen und beschäftigte sich in erster Linie mit Arbeits- und Rechtsfragen sowie mit der Umverteilung der Macht zwischen den Geschlechtern. Diese Richtung agierte vor allem als pressure group. Die andere Strömung beschäftigte sich vor allem mit dem weiten Feld der Subjektivität, mit zwischenmenschlichen Beziehungen, d.h. vorzugsweise mit der privaten Welt. Diese Richtung manifestierte sich in erster Linie in Studienzirkeln, Diskussionsrunden oder sonstigen informellen Gruppen. 2.2

Die Herausforderung, mit der Verschiedenheit zu leben, ohne ihre Besonderheit zu verneinen (die achtziger Jahre)

In dem Maße, in dem die diktatorischen Regime sich öffnen, der Übergang zu zivilen und demokratischen Regierungen beginnt und die ersten Schritte für die Redemokratisierung der lateinamerikanischen Gesellschaften eingeleitet werden, entsteht Raum für Diskussionen von allgemeinem Interesse. Zugleich verliert der alte Gegensatz „allgemeiner Kampf versus spezifischer Kampf", der den Beginn der Frauenbewegung geprägt hatte, an Schärfe, und es gelingt den Frauen, sich jetzt verstärkt ihren eigenen Problemen zuzuwenden. Es entsteht ein feministischer Diskurs, der in erster Linie die Beziehung zwischen den Geschlechtern zum Inhalt hat. Mit Beginn der achtziger Jahre war die Frauenbewegung innerhalb der aufstrebenden politischen Kräfte in Lateinamerika bereits hinreichend konsolidiert. Feministische Gruppen waren in allen Ländern des Subkontinents vertreten, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und Deutlichkeit; ihr Vordringen in Berufsverbände, Parteien und Gewerkschaften legitimierte die Frauen als besonderes gesellschaftliches Subjekt. Über alles wurde gesprochen: über Gesundheit, Erziehung, Hausarbeit, Diskriminierung der Frau auf dem Arbeitsmarkt, Kinderkrippen, Sexualität, Abtreibung, Verhütungsmittel und Bevölkerungspolitik, Vergewaltigung, lesbische Liebe sowie, wenn auch zögerlich, über Probleme der indigenen und schwarzen Frauen. Die Radikalisierung

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der Bewegung setzte zu dem Zeitpunkt ein, an dem die Beziehungen der Geschlechter mit größerer Offenheit und Direktheit thematisiert wurden. Die Bewegung, die konsolidiert erschien, begann jedoch, sich in innere Kämpfe zu verstricken und zeigte zunehmend Schwierigkeiten, ihre Einheit zu wahren, sobald ihr Charakter als Oppositionsbewegung gegen die Diktatur keinen Sinn mehr machte, d. h. in dem Moment, in dem große Teile der lateinamerikanischen Gesellschaften ihre ersten Schritte in Richtung Demokratie unternahmen. Angesichts sich öffnender neuer politischer Räume ist das Merkmal Opposition als einheitsstiftendes Element nicht mehr ausreichend. Es treten ernste Schwierigkeiten auf, die Einheit in der Verschiedenheit zu wahren, innere Differenzen zu respektieren, besonders dann, wenn sie nicht offen zum Ausdruck kommen. Das Entstehen der Homosexuellenbewegung und ihre Verflechtung mit der Bewegung der Schwarzen ließ die Schwierigkeit noch deutlicher hervortreten, mit verschiedenen Richtungen innerhalb der feministischen Bewegung umzugehen (Carneiro/Santos1985). In den achtziger Jahren kommt es auch zu erheblichen Differenzen zwischen der feministischen Bewegung und legalen oder heimlich agierenden politischen Parteien der Linken. Während die Feministinnen Autonomie anstrebten, die es den Frauen ermöglichen sollte, ihre Forderungen, Wünsche und Gefühle auszudrücken, versuchten die Parteiführer der feministischen Bewegung ihre programmatische Linie aufzuzwingen, ohne dabei die besondere Situation der Frauen zu berücksichtigen, ihre Situation in Familie und Ehe, am Arbeitsplatz und im Beruf, aber auch ohne Berücksichtigung frauenspezifischer Themen, wie Erziehung, Mutterschaft, Abtreibung und Sexualität. Die militant gewordenen Feministinnen waren in den politischen Parteien nicht länger opportun. Von Seiten der Parteiführungen wurde befürchtetet, die von den militanten Feministinnen aufgeworfenen Fragen könnten zu Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse führen. Die Parteiführer argumentierten, frauenspezifische Themen seien lediglich für eine Elite der Frauen von Interesse, nicht aber für die Frauen im allgemeinen. Während viele Feministinnen sich mit den Führungen ihrer Parteien auseinandersetzten und darüber diskutierten, ob Parteiaustritt der Preis für Autonomie sei, gaben andere feministische Gruppen ihren geschlechterdifferenzierten Ansatz auf und organisierten sich themenspezifisch. Während die Gruppen abnahmen, welche die Unterdrückung der Frau zum Thema hatten (Moraes 1985), gewannen jene Bewegungen an Stärke, deren Aktionen spezifischer waren, die sachverständiger und professioneller vorgingen. Besonders zu erwähnen sind die Gruppen, welche feministische Forderungen zu verwirklichen suchten, die angesichts der Probleme in den Bereichen Gesundheit, Sexualität und Reproduktion erhoben worden waren. Diese Gruppen, die medizinische und psychologische Dienste anboten, formierten sich im Protest gegen die Gesundheitspolitik der Regierung. Mit diesen Angeboten beabsichtigten sie jedoch nicht, Aufgaben des Staates zu übernehmen, sondern sie wollten deutlich machen, dass die staatlichen Gesundheitsdienste in frauenspezifischen

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Bereichen unzureichend waren. Zudem sollten dem Staat Aktionsmöglichkeiten aufgezeigt werden, die auf die besonderen Bedürfnisse der weiblichen Bevölkerung abgestimmt sind. In mehreren Ländern Lateinamerikas kommt es zum Zusammenschluss der sogenannten SOS-Mulheres sowie zur Formierung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen von Frauen und Feministinnen. Ebenfalls in den achtziger Jahren wird in ganz Lateinamerika das Thema Frau zunehmend Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, besonders im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften. Innerhalb eines akademischen Milieus, das sich nur wenig mit Frauenfragen beschäftigt, ja diesen sogar feindlich gesinnt ist, sind es zu Beginn lediglich Initiativen Einzelner, die aber zunehmen und sich schließlich institutionalisieren. In sehr vielen Universitäten bilden Frauen Studienzentren zu Frauenthemen, Frauen sind zunehmend in wissenschaftlichen Verbänden vertreten und nehmen an Tagungen teil. Auf dem Buchmarkt kommt es zu einer geradezu explosionsartigen Zunahme von Veröffentlichungen, die sich mit der Situation der Frau befassen, in Büchern, Artikeln, Zeitschriften und Zeitungen; es entstehen erste Dokumentationszentren für feministische Organisationen und Frauenbewegungen in Lateinamerika, wie z.B. in Peru „Mujer e Sociedad" (1980), in Mexiko „La Doble Jomada", in Bolivien „Nosotras", in Uruguay „Cotidiano Mujer" (1985) und „Fempress" in Chile. In den achtziger Jahren beteiligen sich Frauen auch an Wahlkämpfen, wobei sie sich zur Unterstützung männlicher und weiblicher Kandidaten organisieren, die für die Frauenfrage eintreten, oder eigene Kandidaturen anmelden. Die ersten Vorschläge der Frauenbewegungen für öffentliche Politiken werden erst mit dem Übergang zu demokratischen Regierungen unterbreitet. In Brasilien beginnen die Frauen nach der langen Zeit der Militärdiktatur anlässlich der Gouverneurswahlen des Jahres 1982 in einen Dialog mit dem Staat zu treten. Während des Wahlkampfes können die Frauen demokratische Kandidaten dazu bewegen, das Thema Gewalt gegen Frauen in ihre Wahlprogramme aufzunehmen. Dieser Druck und der erfolgreiche Kampf der Frauen führten 1983 in Säo Paulo zu der Einrichtung des Conselho Estadual da Condigäo Feminina. Die Aktivitäten dieses ersten und anderer, nachfolgend eingerichteter Beiräte für Frauenfragen sind überraschend. Hatten die Aktionen der Frauenräte zunächst nur symbolischen Charakter, indem sie dafür sorgten, dass sich die Gesellschaft der Unterschiede zwischen den Geschlechtern bewusst wurde, gelang es ihnen ganz allmählich, die verkrusteten staatlichen Verwaltungsstrukturen aufzubrechen, um effektive, an Frauen gerichtete Politiken zu ermöglichen. Heute sind solche Beiräte für Frauenfragen überall in Brasilien vertreten, auch auf kommunaler Ebene. Auf Initiative des Conselho Estadual da Condigäo Feminina in Säo Paulo und gemeinsam mit der Secretaria de Seguranga Pública do Estado (dem bundesstaatlichen Ministerium für öffentliche Sicherheit) wurde im August 1985 in Säo Paulo die erste Delegada Policial de Defesa da Mulher (Polizeikommissariat zur Verteidigung der Frau) geschaffen, die nationales und internationales Ansehen genießt und als Anlaufstelle für Frauen dient, die Opfer

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von Vergewaltigungen, Misshandlungen oder anderer Gewalttaten geworden sind. Sehr schnell sind solche Polizeikommissariate auch in anderen Ländern Lateinamerikas verpflichtend geworden (Küchemann 1999). Allein in Brasilien gibt es gegenwärtig 307 ausschließlich für Frauen zuständige Kommissariate. 2 Mit der Einrichtung des Conselho Nacional dos Direitos da Mulher (Nationaler Rat für die Rechte der Frauen) in Brasilia, ebenfalls im Jahre 1985, erhofften sich die brasilianischen Frauen einen weiteren demokratischen Erfolg, dieses Mal auf föderaler Ebene. Als Ergebnis einer äußerst wichtigen Initiative soll der Conselho Nacional dos Direitos da Mulher auf nationaler Ebene gewährleisten, dass die Forderungen und Rechte der brasilianischen Frauen anerkannt werden; zudem hat er die Aufgabe, die Gleichheit zwischen den Geschlechtern anzuregen, zu fördern und zu garantieren, entsprechend dem Plan für die Weltfrauendekade (1975-85), der auf der Zweiten Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen (1980) bestätigt wurde. Während der achtziger Jahre betreten auch die Frauen auf dem Land die politische Bühne, mit geändertem Erscheinungsbild und neuen Zielsetzungen. Tatsächlich ist in Lateinamerika die Partizipation der Frauen auf dem Land am politischen Geschehen nichts Neues. Im Verlauf der lateinamerikanischen Geschichte haben Frauen immer wieder ihre Ehemänner in deren Kampf ersetzt, wenn sie als Anführer der Landarbeiter im Auftrag der Grundbesitzer ermordet worden waren. Das Ungewöhnliche an der neuen Bewegung ist die Tatsache, dass bei den Zusammenkünften die spezifische Situation der Landarbeiterinnen diskutiert wird. Fragen, die für alle Teilnehmerinnen von Interesse sind, beziehen sich auf die Aufwertung von Frauenarbeit auf dem Lande, auf gewerkschaftliche Organisation von Frauen, auf die aktive Beteiligung von Frauen an ländlichen Kooperativen und anderen Verbänden sowie auf die Forderung, dass Landbesitztitel auch Frauen mit Familien und Ledigen zugestanden werden sollen. Frauen beginnen nicht nur in der Gewerkschaftsbewegung aktiv zu werden, sondern sie gründen auch Kommissionen für Frauenangelegenheiten und agieren verstärkt als Vorsitzende von lokalen und regionalen Gewerkschaften (Küchemann 1991). Ab 1981 wurden die ersten Frauenkonferenzen in Lateinamerika abgehalten. Insgesamt fanden im Verlauf der achtziger Jahre vier lateinamerikanische Frauenkonferenzen statt: die erste 1981 in Bogota, die zweite 1983 in Lima, 2

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Die Einrichtung dieser Polizeikommissariate ist in erster Linie auf die autonome Vorgehensweise der Frauenbewegung zurückzuführen, die all die Jahre hindurch häusliche und sexuelle Gewalt denunziert hatte, eine Gewalt, die Jahrtausende hindurch im Verborgenen blieb oder als gesellschaftliches Problem stigmatisiert wurde, dessen Ursachen Armut oder Alkoholismus seien. Durch die von der Frauenbewegung aufgedeckten exemplarischen Fälle von sexueller und häuslicher Gewalt wurde offenkundig, dass die Beziehung zwischen Männern und Frauen von Autoritarismus und Aggressivität geprägt waren, und zwar unabhängig von sozialer Schicht oder Rasse. Mit den Polizeikommissariaten zur Verteidigung der Frau wurde dem Urteil der Justiz entgegengetreten, bei Tötungsdelikten an Frauen den Vorwand gelten zu lassen, sie seien zur Verteidigung der Ehre geschehen (Teles 1993; Küchemann 1999).

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die dritte Konferenz wurde 1985 in Bertioga/Säo Paulo abgehalten und die vierte 1987 in Mexiko. Sie waren für die Feministinnen von großer Bedeutung, und auch im folgenden Jahrzehnt fanden wiederholt solche Treffen statt. 2.3

Zwischen Kritik und Verhandlungsbereitschaft: die Haltung gegenüber dem Staat (die neunziger Jahre)

Hatte die feministische Bewegung vor dem Hintergrund des Autoritarismus der siebziger und achtziger Jahre in ihrem Streben nach Demokratie überwiegend Geschlossenheit gezeigt, zerfällt sie mit Beginn der neunziger Jahre in Einzelgruppierungen und Sektionen. Mit der politischen Öffnung der autoritären Regime entstehen neue Rahmenbedingungen für Allianzen, und vorhandene Differenzen werden deutlicher. Die Frauenbewegung wird jetzt heterogener und zeigt eine starke Tendenz zur Institutionalisierung, vor allem durch Partizipation an staatlichen Einrichtungen. Der Dialog mit dem Staat und das Eindringen in den Staatsapparat machen die Anerkennung der Frauenbewegung sowie deren Legitimität als gesellschaftliche Kraft deutlich und schaffen zudem Voraussetzungen, Machtpositionen zu besetzen, um Einfluss auf bedeutsame politische Entscheidungen ausüben zu können. Eine der wesentlichen Änderungen war eine neue Haltung der Frauen gegenüber dem Staat sowie gegenüber internationalen Foren; hatten sich die Frauen zuvor dem Staat gegenüber ablehnend verhalten, so nahmen sie jetzt eine kritisch-verhandlungsbereite Haltung ein. Dies bedeutete aber auch Abkehr von einer eher defensiven Autonomie und einer an Konfrontation ausgerichteten Logik und Dynamik (wie sie zu Beginn der Frauenbewegung aus Gründen der Selbstbehauptung und angesichts der Diktaturen in Lateinamerika notwendig gewesen waren) und Hinwendung zu einem auf Verhandlungen zielenden Selbstverständnis, gegründet auf einer starken, handlungsbereiten Autonomie, die dialogfähig ist (Älvarez 1998: 5). Die erstaunliche Vielfalt der Wahrnehmungen, Visionen, Aktionen und Strategien des Feminismus der neunziger Jahre macht es unmöglich, diesen als Einzelbewegung zu betrachten. In der Tat handelt es sich nicht nur um eine Bewegung von Frauen oder um eine feministische Bewegung, sondern um unzählige Bewegungen. Der lateinamerikanische Feminismus der neunziger Jahre, der als ein diskursives Feld von Wirkung und Aktion (Älvarez 1998) innerhalb eines weiten, heterogenen, polyzentrischen, vielschichtigen und polyphonen Feldes (Guzmän 1991) bezeichnet werden kann, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der feministischen Bewegung der achtziger Jahre, die von massiven Demonstrationen auf der Straße und von sichtbaren, konkreten und dauerhaften Mobilisierungen geprägt war. Die feministische Bewegung der neunziger Jahre geht tendenziell über Organisationen und Gruppen hinaus, die eine soziale Bewegung strictu sensu ausmachen. Die Räume, in denen Frauen handeln und handeln können, haben sich in so hohem Maße erweitert, dass es Frauenbewegungen und feministische Ideen gegenwärtig in den verschiedensten Winkeln der lateinameri-

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kanischen Länder gibt. Heutzutage sind Feministinnen nicht nur bei Straßenkundgebungen, in Selbstfindungsgruppen oder in Büros öffentlicher Erziehungseinrichtungen zu finden; sie sind auch in Gewerkschaften und Studentenbewegungen, in Parteien und Parlamenten vertreten, sie beteiligen sich an Aufgaben der Exekutive und arbeiten in Ministerien, sie bewegen sich auf den Fluren der UNO und in Akademien, arbeiten in formellen und informellen Netzwerken spezialisierter und professioneller NROs und sind in den Medien sowie im Internet präsent. Auch die Ziele des feministischen Kampfes sind vielfältiger geworden. Heute beteiligt sich die feministische Bewegung, die in all den zuvor genannten Bereichen präsent ist, nicht mehr nur an klassischen politischen Kämpfen mit dem Ziel, die öffentliche Politik zu beeinflussen, bei der Gesetzgebung, bei der Berücksichtigung der Geschlechterfrage in Entwicklungsprojekten und -Programmen, sondern sie nimmt gleichzeitig aus unterschiedlichsten Perspektiven an Diskussionen über Begriffe und Bedeutungen teil (wie zum Beispiel Bürgerrechte, Entwicklung, reproduktive Gesundheit, Demokratie). Die Bereiche, in denen Frauen heute präsent sind, werden zunehmend vielfältiger. Die Diskurse und strategischen Auseinandersetzungen der autonomem Gruppierungen der Frauenbewegung über angemessenere Ziele, Wege und Strategien zur Förderung einer vom Feminismus inspirierten sozio-kulturellen Veränderung werden in der Öffentlichkeit wahrgenommen und mit Spannung verfolgt. Es handelt sich dabei um Gruppen, die sich auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene gut artikulieren. Einige sind gut ausgestattet, verfügen über professionelles Personal, eigene Büroräume und über finanzielle Mittel. Andere Gruppierungen bestehen aus nichtprofessionellen, aber engagierten Mitgliedern, die sich freiwillig in ihrer Freizeit an der Arbeit beteiligen. Trotz dieser Unterschiede planen all diese Gruppierungen Studienprojekte und praktische Aktionen, um den Kampf der Frauen erfolgreich fortzuführen. Die Präsenz von Feministinnen und Mitgliedern der Frauenbewegung in den vielfältigen öffentlichen, offiziellen und alternativen Räumen zeigt sich nicht nur auf der informellen Ebene, sondern sie ist auch sehr viel stärker als in den achtziger Jahren in den Medien formell verankert. NROs sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten waren maßgeblich an der Herausbildung und Konsolidierung verschiedener Artikulationsformen der Bewegungen beteiligt; sie bildeten die Knotenpunkte in dem diskursiven Netzwerk des zerstreuten feministischen Lagers. Oder mit anderen Worten, die feministischen NROs „waren von fundamentaler Bedeutung für die Aufrechterhaltung dessen, was man als politisch-kommunikatives Netz der sozialen Bewegung bezeichnen könnte - die Kapillare zwischen den Feministinnen und ihren Verbündeten, Frauen und Männer, die heute Positionen in vielen Bereichen der Gesellschaft besetzt halten" (Älvarez 1998: 3). Der von einigen Feministinnen geäußerte Pessimismus, die Frauenbewegung habe durch ihr Agieren auf den unterschiedlichsten Ebenen als soziale Bewegung innerhalb der Zivilgesellschaft an Terrain verloren, scheint nicht ge-

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rechtfertigt. Im Vergleich zu vorangegangenen Dekaden verfügt der lateinamerikanische Feminismus gegenwärtig über Voraussetzungen und Instrumente, um sich als unabhängige Kraft zu behaupten, nicht nur im Hinblick auf bestehende Organisationsformen des Feminismus, sondern auch im Hinblick auf die Ideale einer radikalen Veränderung der Gesellschaft. Der von den Feministinnen mit Nachdruck propagierte Slogan Gleichheit bei Anerkennung der Unterschiede kommt heute mehr denn je zum Tragen, und zwar in dem Maße, in dem nicht nur autonome Organisationsformen und die von den Feministinnen besetzten Räume respektiert werden, sondern auch institutionalisierte Organisationsformen und staatliche Einrichtungen, in denen Tausende von Frauen agieren.

3. Die Eroberung des Rechts auf Gleichheit Die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung von Mann und Frau ist in der feministischen Bewegung Lateinamerikas immer wieder ausführlich diskutiert worden. Jahrzehnte hindurch haben die lateinamerikanischen Frauen gemeinsam mit der internationalen Frauenbewegung die Idee vertreten, dass die Einbeziehung auch der Frauen bei der Achtung der Menschenrechte entscheidend für demokratischen Fortschritt sei. Wenn Demokratie Gleichheit bedeutet, ist es für ein Demokratisierungsvorhaben zwingend notwendig, die Gleichheit der Geschlechter im Gesetz und im Alltag zu garantieren, denn Demokratie ist nicht möglich, wenn eine Hälfte der Bevölkerung nicht über die gleichen Lebensbedingungen verfügt, nicht die gleichen fundamentalen Rechte und Freiheiten besitzt wie die andere Hälfte. In diesem Sinne war der Kampf der Frauen darauf gerichtet, das vorherrschende Gleichheitsmodell zu dekonstruieren und zu transformieren, das Modell eines universalen Subjekts, wie es implizit in der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte von 1948 enthalten ist. Ein genereller Schutz des Menschen, der für jegliche Person gelten soll, kann in dieser abstrakten und verallgemeinernden Form der tatsächlichen (Un-)Gleichheit nicht Rechnung tragen. Unter dem Slogan Gleichheit bei Anerkennung der Unterschiede haben die Frauen versucht, der internationalen Gemeinschaft wertvolle Beiträge zu liefern, von denen ein guter Teil seit Beginn der siebziger Jahre und vor allem in den neunziger Jahren Eingang gefunden hat in internationale Abkommen, Konventionen, Grundsatzerklärungen und Aktionspläne. 3.1

Völkerrechtlich verbindliche internationale und panamerikanische Instrumente

Von den völkerrechtlich verbindlichen internationalen und panamerikanischen Instrumenten, welche die Staaten dazu verpflichten, ihren Bürgern und Bürgerinnen statuierte Rechte einzuräumen und zu gewährleisten, welche für die Aufnahme von Frauenrechten in die Menschenrechte Fortschritte bedeuten, sind folgende hervorzuheben:

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Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1979) Die Antidiskriminierungskonvention, die sowohl die Beseitigung der Diskriminierung der Frau als auch deren rechtliche Gleichstellung als verpflichtende Ziele nennt (CLADEM 1992), ist ein großer Fortschritt, da sie das Rechtssubjekt spezifiziert und dessen Besonderheiten und Eigentümlichkeiten sichtbar werden lässt. Aus dieser Perspektive heraus verlangen bestimmte Rechtssubjekte oder bestimmte Verletzungen des Rechts spezifische und differenzierte Antworten. Die Anerkennung der Unterschiede und Verschiedenheit gewährleistet den Frauen (und gleichermaßen den Kindern, ethnischen Minderheiten und Folteropfern) folglich eine besondere Behandlung. Frauen stehen grundsätzlich alle Rechte und Chancen zu, die auch Männer wahrnehmen können. Die von biologischen und geschlechtsspezifischen Unterschieden herrührenden Fähigkeiten und Bedürfnisse sollen anerkannt und angeglichen werden, ohne den Frauen die Gleichheit der Rechte und Möglichkeiten abzuerkennen. Die Konvention sieht die Möglichkeit affirmativer Aktionen3 als wichtige staatliche Mittel zur Beschleunigung des Prozesses der Geschlechtergleichstellung vor. Die Konvention verbindet auf diese Weise das Verbot der Diskriminierung mit kompensatorischen Politiken, die den Gleichstellungsprozess beschleunigen, indem Verbote und Strafen mit positiven Förderungsmaßnahmen verbunden werden (Piovesan 1998: 143). Mit der Ratifizierung der Antidiskriminierungskonvention verpflichten sich die Mitgliedstaaten, nach und nach jegliche Form der geschlechterspezifischen Diskriminierung zu beseitigen und die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu gewährleisten. Die von allen Ländern Lateinamerikas und der Karibik unterzeichnete Konvention ist eines der wenigen völkerrechtlich verbindlichen Instrumente, auf dessen Grundlage die Staaten der Region ihre nationale Gesetzgebung anzupassen beginnen. • Gesamtamerikanische Konvention zur Vorbeugung, Ahndung und Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (1994) Die Verabschiedung dieser Konvention, die auch unter dem Namen „Übereinkunft von Belem/Parä" ( Convengäo de Beiern do Parä) bekannt ist, war ein weiterer großer Forlschritt bei der Achtung der Menschenrechte für die lateinamerikanischen Frauen. Diese Konvention enthält eine wichtige Liste von 3

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Affirmative Aktionen sind temporäre Sondermaßnahmen zur beschleunigten Herbeiführung der Gleichstellung des Status von Männern und Frauen. Diese Maßnahmen werden bei Erreichung des vorgesehenen Ziels beendet. Sie haben insofern einen kompensatorischen Charakter, als sie darauf abzielen, die in der Vergangenheit bestehenden Benachteiligungen auszugleichen, welche die Lebensbedingungen der Frauen in der von Diskriminierung geprägten Geschichte beeinträchtig haben. Mit affirmativen Aktionen sollen Pluralität und gesellschaftliche Verschiedenheit garantiert werden. Eine solche affirmative Maßnahme zugunsten der Frauen, die auf Anregung von Frauen und anderen progressiven Gruppen durchgeführt wurde, war die gesetzliche Verankerung von Frauenquoten (mindestens 25% in Brasilien und 30% in Argentinien) in den Wahlvorschlägen der Parteien.

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Rechten, die den Frauen zu gewährleisten sind, damit diese ein Leben frei von Gewalt führen können. Die Konvention von Beiern ist das erste internationale Instrument zum Schutz der Menschenrechte, welches mit Nachdruck die Gewalt gegen Frauen als allgemeines Phänomen anerkennt, ein Phänomen, von dem sehr viele Frauen betroffen sind, unabhängig von ihrer Rassen-, Klassenoder Religionszugehörigkeit und unabhängig von ihrem Alter und sonstigen Bedingungen. Auf der Grundlage dieser Konvention werden bedeutende Strategien zum internationalen Schutz der Menschenrechte für Frauen entwickelt; hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Petitionsrecht gegenüber der Panamerikanischen Kommission zum Schutz der Menschenrechte. 3.2

Programme und Aktionspläne der UN-Konferenzen

Die Bedeutung der UN-Initiativen zum Schutz der Menschenrechte für Frauen soll an dieser Stelle hervorgehoben werden, obgleich sie im Gegensatz zu Verträgen und Konventionen völkerrechtlich nicht verbindlich sind. Zu nennen sind: • Die Aktionspläne der vier Weltfrauenkonferenzen Der Aktionsplan der Ersten Weltfrauenkonferenz, die 1975 in Mexiko City stattfand, schlägt vor, den Begriff Gleichberechtigung von Männern und Frauen inhaltlich neu zu fassen; der Begriff solle auch eine Gleichheit von Chancen und Verantwortlichkeiten beinhalten, welche die Entwicklung und die Partizipation der Frau fördern, unter Berücksichtigung ihrer Situation als Mutter, Arbeiterin und Staatsbürgerin. Wesentliche im Aktionsprogramm enthaltene Maßnahmen sind unter anderen Alphabetisierung, berufliche und technische Weiterbildung, Zugang zu allen Bereichen formaler Bildung, Beschäftigungsmöglichkeiten, zivile und politische Rechte für Frauen sowie Studien mit dem Ziel, die Situation und Lebensqualität der Frau zu verbessern. Der Aktionsplan, der auf der 1985 in Kopenhagen stattfindenden Zweiten Weltfrauenkonferenz aufgestellt wurde, bewertete die Ergebnisse des Aktionsplans der Ersten Weltfrauenkonferenz und nahm weitere Themen auf, wie Arbeit, Gesundheit und Erziehung. In dem Aktionsplan der 1980 in Nairobi stattfindenden Dritten Weltfrauenkonferenz wurden Kriterien und konkrete Maßnahmen genannt, um auf rechtlicher und gesellschaftlicher Ebene die Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen zu beenden. Die geforderte Gleichberechtigung war nicht länger nur abstrakte und formale Aussage, sondern konkreter Status, der die Verschiedenheit der Frauen berücksichtigt. Der von der 1994 in Peking stattfindenden Vierten Weltfrauenkonferenz verabschiedete Aktionsplan zeichnete ein düsteres Bild von Armut und Arbeitslosigkeit, von Umweltproblemen, Gewalt und der Benachteiligung von Frauen; aufgrund dieser Bedingungen wurde es für zwingend notwendig gehalten, eine auf die Menschen ausgerichtete Entwicklung in Frieden und Sicherheit voranzutreiben. Der Aktionsplan, der in weitgehender Übereinstim-

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mung aufgestellt wurde, nimmt Bezug auf praktisch alle aktuellen Probleme; er geht davon aus, dass der Reden genug sei und es der Aktionen bedürfe; er fordert konkrete Politiken zum Schutz des Wertes der Gleichheit, einer Gleichheit, die auf dem Respekt vor der Verschiedenheit beruht. Der Aktionsplan sieht sich der Idee verpflichtet, Verschiedenheit als Äquivalenz und nicht als Superiorität oder Inferiorität zu leben. • Die Internationale Menschenrechtskonferenz in Wien (1993) Im Rahmen dieser Konferenz wurde erneut die Bedeutung der universellen Anerkennung des Rechts auf Gleichheit zwischen den Geschlechtern hervorgehoben; die Vereinten Nationen sollten alle Mitgliedstaaten ermutigen, bis zum Jahre 2000 die „Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" zu ratifizieren. Für die Frauen war die Konferenz in Wien von großem Nutzen, da in dem Konferenzdokument die Entwicklung der Menschenrechte der Frauen ihren deutlichsten Ausdruck fand. Das Dokument legt fest, dass die Rechte der Frauen und Mädchen unveräußerlicher, und unteilbarer Bestandteil der universellen Menschenrechte sind

integraler (CLADEM

1992). Dies bedeutet, es gibt keine Menschenrechte, ohne die vollständige Beachtung der Rechte der Frauen. •

Regionales Aktionsprogramm für die Frauen Lateinamerikas und der Karibik (1995-2001) Das regionale Aktionsprogramm wurde 1994 von den Mitgliedstaaten der CEPAL angenommen und lieferte Inhalte für den Weltaktionsplan von 1995. Das Programm enthält acht strategische Bereiche, auf die man sich thematisch als Aktionsfelder für nationale Politiken in der Region geeinigt hatte. Wie die Aktionspläne der Weltfrauenkonferenzen ist auch das regionale Aktionsprogramm völkerrechtlich nicht verbindlich, im Gegensatz zu den Beschlüssen der Regionalen Konferenz zur Lage der Frau in Lateinamerika und der Karibik, eine von den Regierungen der Region gegründete zwischenstaatliche Institution, die seit 1997 alle drei Jahre zusammentritt, um Analysen, Fortschrittskontrollen und Evaluierungen durchzuführen. Das Exekutivorgan der Regionalen Konferenz, in dem gegenwärtig elf Länder vertreten sind (Ocampo 1998), tagt regelmäßig zwei Mal im Jahr, um die auf der Grundlage des Regionalen Aktionsprogramms geschlossenen Verträge zu erfüllen; es wird damit zu einer politischen und technischen Instanz und zugleich eine permanente Verbindungsstelle. 3.3

Nationale Instrumente

Zur Förderung der Gleichstellung der Frau gibt es heute in Lateinamerika eine Vielzahl nationaler Instrumente. In allen Ländern der Region sind dem Regierungsapparat zugeordnete Instanzen vorhanden, die sich dem Thema Gleichberechtigung widmen. Zu nennen sind staatliche Einrichtungen wie Ministerien und Ministerialabteilungen, die für Frauenfragen zuständig sind. Grundsätzlich gibt es vier Typen solcher Institutionen:

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• •

• •

Ministerien und Ministerien gleichgestellte autonome Einrichtungen mit Exekutivfunktionen. Organe und Stabsstellen, die direkt bei dem Staatspräsidenten angesiedelt sind, die Politiken entwickeln, formulieren und koordinieren, aber ohne diese selbst durchzuführen. Abteilungen, Organe oder abteilungsübergreifende thematische Fachbereiche innerhalb eines Ministeriums. Autonome Einrichtungen, wie beispielsweise die Föderation kubanischer Frauen, die zwar das Land Kuba offiziell vertritt, aber den Status einer Nichtregierungsorganisation hat.

3.3.1 Nationale Pläne für Chancengleichheit Mit den Nationalen Plänen zur Chancengleichheit wurde ein weiteres Instrument geschaffen, um die Gleichberechtigung der Frau voranzubringen. Diese Pläne tauchten unter den unterschiedlichsten Namen im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts auf, insbesondere in den Jahren vor der Vierten Weltfrauenkonferenz. Die Pläne beinhalten im Allgemeinen Entwürfe für staatliche Politiken, die von verschiedenen Ministerien ausgeführt werden sollen, koordiniert von der Instanz, die für Frauenpolitik zuständig ist. Einige dieser Pläne haben in Form spezifischer Maßnahmen Eingang in die regulären Staatshaushalte gefunden. Aber in den meisten lateinamerikanischen Staaten ist die Institutionalisierung dieser Pläne mangels erforderlicher Mittel über den Status eines Instruments für „advocacy" nicht hinausgekommen, einer „Anwaltschaft", die Verstöße gegen den Begriff der Gleichstellung der Geschlechter ahndet oder deren Umsetzung fördert. Hervorzuheben sind Chile, Paraguay und Costa Rica, in deren Nationalen Plänen für Chancengleichheit Haushaltsmittel vorgesehen sind sowie Implementierungsmechanismen und spezifische Durchführungsbestimmungen (Ocampo 1998: 319). Um die Gleichheit der Geschlechter voranzutreiben, besteht die Hauptaufgabe gegenwärtig darin, die rein legale und formale Gleichheit in eine materielle, reale und unmittelbare Gleichheit umzuwandeln, durch Formen gesellschaftlicher Einbindung, die geeignet sind, den Ausschluss und die NichtSichtbarkeit von Frauen zu bekämpfen. In den meisten lateinamerikanischen Ländern sind die nationalen Instrumente zur Gleichstellung der Geschlechter zwar politisch legitimiert worden, aber dies impliziert bedauerlicherweise keinen stabilen und kontinuierlichen Einsatz dieser Instrumente; zudem mangelt es an der Bereitstellung der hierfür notwendigen menschlichen Ressourcen (mit entsprechender beruflicher und technischer Qualifizierung) und der regelmäßigen und hinreichenden Ausstattung mit finanziellen Mitteln.

4. Die Fokussierung der Geschlechterfrage in der Politik Die mit dem Feminismus entstehenden Organisationen von Frauen sowie ihre damit verbundene gesellschaftliche Präsenz stellen das klassische Paradigma

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der Modernität in Frage, indem sie jene Werteordnung problematisieren, die das Fundament des Projektes der Modernität bildet und es überhaupt erst ermöglicht. Der Feminismus fördert eine globale Infragestellung hierarchischer Beziehungen und der Unterdrückung der Frau, die in der Organisation rechtsstaatlich verfasster Gesellschaften gegenwärtig ist. Indem der Feminismus die historische Herausbildung der in den Gesellschaften verankerten Geschlechterdisparitäten aufzeigt, wird das Bestehen einer natürlichen Ordnung angeprangert, die ein auf der Vormachtstellung des Mannes gegründetes System der Geschlechterbeziehungen perpetuiert. Feministische Theoretikerinnen hatten die Geschichte der Unterdrückung der Frau zunächst mit dem Begriff Patriarchat beschrieben, aber es stellte sich später heraus, dass dieser Begriff eher eine Kategorie politischen Inhalts war und weniger ein Instrument zur Erklärung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Erst mit der Formulierung des Gender-Ansatz.es als analytischer Kategorie werden die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen zugeordnet. Mit dem Gender-Ansatz, der die soziokulturellen Rahmenbedingungen bestehender Geschlechterdisparitäten umfassend berücksichtigt, ist die feministische Fachliteratur qualitativ ein gutes Stück vorangekommen; mit diesem Ansatz gewinnen zwei philosophische Grundprinzipien wieder an Wert: „das Prinzip, das die Unterschiedlichkeit der Menschen beinhaltet und das Prinzip, das die Gleichheit der Verschiedenen anerkennt" (Lagarde 1991: 56). Damit wird ein neues Paradigma geschaffen, um die Jahrtausende hindurch bestehende Unterdrückung der Frau zu erklären sowie die Postulate, welche die Mechanismen für Herrschaft und Ausgrenzung legitimieren. Wichtige Grundlage für das theoretische Konzept des Gender-Ansatzes war die von Maxime Molyneux (1984,1985) durchgeführte Studie zur Lage der Frau im postrevolutionären Nikaragua. Die von ihm vorgeschlagene Typologie praktischer Erfordernisse und strategischer Interessen wurde nach kurzer Zeit von anderen Feministinnen übernommen und verbessert. Zahlreiche Autorinnen (wie z. B. Barbiere 1991; Anderson 1997) haben dazu beigetragen, dass der Gencfer-Ansatz zu einer akzeptierten Analysekategorie für die Erklärung der Unterdrückung der Frau geworden ist, mit dem sich auch Begründungen für affirmative Aktionen zur Gleichstellung von Männern und Frauen gewinnen lassen. Die Unterscheidung zwischen Geschlecht und Gender, einem vieldiskutierten Begriff, war außerordentlich nützlich, um Gender als ein gesellschaftliches, psychologisches und historisches, von kulturellen Bedingungen geprägtes Phänomen zu begreifen, welches die gesamten Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft umfasst. Diese im Laufe der Geschichte herausgebildeten Beziehungen beruhen nicht auf Gleichheit, sondern sind von Unterdrückung, Herrschaft und Macht geprägt, Merkmale, welche auch in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zum Ausdruck kommen. Diese Merkmale werden nicht nur im individuellen Bereich sichtbar, sind mehr als nur individuelle Eigenarten, sie sind vielmehr in allen menschlichen Beziehungen anzutreffen, d.h. auch in Beziehungen zwischen Männern und Männern sowie zwischen

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Frauen und Frauen. Der Gencfer-Ansatz ermöglicht das Verständnis, dass Männer und Frauen nicht aufgrund ihrer anatomischen Voraussetzungen in unterschiedliche Bereiche und Hierarchien gestellt sind, sondern aufgrund der von den Gesellschaften vorgenommenen Symbolisierung dieser Voraussetzungen. Das Thema der Ungleichheit der Geschlechter gewann in den achtziger und mehr noch in den neunziger Jahren in den Debatten über die Entwicklungszusammenarbeit Bedeutung, vor allem als Folge der von den Vereinten Nationen initiierten internationalen Konferenzen, aber auch durch die nachfolgend entstandenen Abkommen, Verträge, Konventionen und völkerrechtlichen Verpflichtungen. Die Aktionen feministischer Frauenorganisationen, deren Zahl mit zunehmender Präsenz in der internationalen Öffentlichkeit wuchs, haben wesentlich dazu beigetragen, dass das Geneter-Thema auf der Agenda der Entwicklungszusammenarbeit blieb und auch darüber hinaus Bedeutung gewann. Innerhalb des Systems der Vereinten Nationen, in Organen der Regierung und der Zivilgesellschaft, in akademischen Zentren, bei unabhängigen Forschern und bei Beratern besteht Einverständnis darüber, dass sich öffentliche Politiken unterschiedlich auf Frauen und Männer auswirken. Das bedeutet, dass heute alle ernsthaften wirtschafts- und sozialpolitischen Überlegungen auch Fragen der Geschlechterbeziehungen mit berücksichtigen, oder mit anderen Worten, die Forderung nach Gleichstellung der Geschlechter. Einverständnis besteht zudem darin, dass wirtschaftliches Wachstum nicht automatisch Gleichheit zur Folge hat, und es daher gilt, Gleichheit durch differenzierte und spezifische Politiken zu fördern. In allen Ländern Lateinamerikas wurden spezialisierte Einrichtungen geschaffen, um Gencfer-relevante Programme und Politiken zu entwickeln und zu monitorieren. In einigen Ländern, wie zum Beispiel in Brasilien und Chile, waren diese Einrichtungen auf Veranlassung von Gruppierungen der feministischen Bewegung geschaffen worden; in anderen Ländern wurden solche staatlichen Einrichtungen für und über Frauen-/Gender-Fragen eher aus pragmatischen oder offen opportunistischen Gründen geschaffen, wie zum Beispiel in Kolumbien die Consejería para la Juventud, la Mujer, y la Familia oder in Peru das Ministerio de Promocíon de la Mujer y del Desarrollo Humano (PROMUDEH) unter Fujimori (Álvarez 1998: 5). Ein praktischer Grund war beispielsweise die Tatsache, dass die Vergabe bilateraler und multilateraler Mittel der Entwicklungszusammenarbeit immer öfter mit dem Nachweis verknüpft wird, dass sich die Regierung mit der Rolle der Frau in der Entwicklung beschäftigt. Die Mittelvergabe hängt häufig von der Gender-Sensibilität des Regierungsapparates ab. Die starke Zunahme an der Gencter-Thematik ausgerichteter staatlicher Politiken ist zum großen Teil auf diese Tatsache zurückzuführen.

5. Die Frauenbewegung und die feministischen Nichtregierungsorganisationen In dem Reorganisationsprozess des feministischen Lagers während der neunziger Jahre hat die „Neue Agenda" staatlicher Politiken eine große Rolle ge-

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spielt. Die „Neue Agenda" sieht in den NROs „Instrumente für Demokratisierung" und „wesentliche Komponenten einer florierenden Zivilgesellschaft" (Älvarez 1998: 6); von den internationalen Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit wurden daher erhebliche Mittel für feministische NROs zur Verfügung gestellt, die für fähig erachtet wurden, als Vermittler für die Beteiligung Zivilgesellschaft an den offiziellen Vorbereitungen und paralleder weiblichen len Tagungen der UN-Konferenzen tätig zu werden. Die Fachliteratur definiert NROs im allgemeinen als „vermittelnde Organisationen, die sich typischerweise aus beruflich qualifizierten Personen der Mittelschicht zusammensetzen, die sich aus politischen oder humanitären Gründen dafür entschieden haben, mit (oder für) Arme und Marginalisierte zu arbeiten" (Pearce 1997: 259, zitiert bei Älvarez 1998: 3). Es handelt sich um unterstützende Institutionen, die internationale Mittel an Basisgruppen weiterleiten und bei der Entwicklung von Gemeinschaften helfen, denen sie selbst nicht angehören (Fischer 1998: 4, zitiert bei Älvarez 1998: 3). Im Rahmen des Kampfes der Zivilgesellschaft für Demokratisierung und gegen Autoritarismus und soziale Ungerechtigkeit kam es in Lateinamerika in den siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre zu einem wahren Boom von NROs. In dieser Zeit, in der diktatorische Regime an der Macht waren, hing die gesellschaftliche Bedeutung der NROs - und insofern auch die ihre Existenz sichernde (auch finanzielle) Unterstützung - weniger von konkreten Resultaten ihrer Aktionen ab, sondern eher vom ethischen Inhalt, dem moralischen Wert, der symbolischen, Demokratie, Freiheit und Emanzipation fördernden Kraft ihres Projekts. Heute ist die Situation jedoch eine andere. Gute Absichten und hochgesteckte Ideale reichen nicht mehr aus, um die unerlässlichen Bedingungen für die Existenz von NROs zu sichern. Sei es wegen fehlender Mittel, sei es wegen der von den Geberorganisationen erhobenen Forderungen: „Die NROs begannen damit, an die Stelle der Spontaneität, der Informalität und der gutgemeinten, aber unorganisierten Aktion eine besser organisierte treten zu lassen und Verfahren zu übernehmen, die bereits in Organisationen üblich waren, die sich an instrumenteller oder marktwirtschaftlicher Rationalität orientieren". Das Bemühen um Professionalisierung hat ernste Probleme für die feministischen NROs geschaffen, zu deren charakteristischen Merkmalen es gehörte, die Gleichheit ebenso aufzuwerten wie die Teilnahme an Entscheidungen und Aktionen, die horizontale Verteilung von Macht, den Aktivismus, die Militanz und das Wissen des Volkes. Wie sollte eine Professionalisierung erfolgen, ohne dabei die dem Feminismus zugrundeliegenden radikalen Ideen aufzugeben und ohne den autonomen Status zu verlieren? Diese Fragen wurden vor allem von Feministinnen gestellt, die sich mit der autonomen Richtung identifizierten und von denjenigen, die Wert darauf legten, zwischen NROs und der feministischen Bewegung zu unterscheiden. Nicht allein die Legitimität der NROs wurde in Frage gestellt, sondern auch die Praxis der professionalisierten Feministinnen; die Argumentation lautete, dass die Frauenfrage „als ein zu lö-

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sendes Makro-Problem nicht in fragmentarischer Form angegangen werden kann" (Teles1993:129), wie dies in akademischen Disziplinen und bei den Politiken der Regierung üblich ist, und infolgedessen auch nicht als rein technischprofessionelles Problem behandelt werden könne. Darüber hinaus könne eine individualisierte Praxis die Stärke der Frauenbewegung als Ganzes schwächen. Die vorherrschende Charakterisierung von NROs - wie sie sowohl in akademischen Diskursen als auch innerhalb der Bewegung vorgenommen wird berücksichtigt oftmals nicht die Besonderheit der im feministischen Bereich arbeitenden NROs. Wie Sonia Älvarez richtig bemerkt, „wird bei einer Unterscheidung zwischen NROs und Frauenbewegung der hybride Charakter der meisten feministischen NROs unterschätzt und zudem übersehen, dass in den verschiedenen Ländern Unterschiede hinsichtlich Ausdehnung und „NROisierung" bestehen. Ebenso wenig wird die Unterschiedlichkeit der Aktivitäten und Praktiken der NROs berücksichtigt. (...) Obwohl es zutrifft, dass in den feministischen NROs der meisten lateinamerikanischen Länder in der Tat akademisch gebildete Frauen aus der Mittelschicht tätig sind und viele der feministischen NROs üblicherweise mit Frauen der Basis arbeiten, so unterscheiden sie sich doch von den gemischten und nichtfeministischen NROs durch zwei wesentliche Aspekte. Erstens übt die Mehrheit der feministischen NROs ihre Arbeit nicht nur aus, um anderen zu helfen, sondern hofft auf diese Weise die Geschlechterbeziehungen verändern zu können, die ihr eigenes Leben als Frau einschränken. Zweitens versteht sich die große Mehrheit der professionell tätigen feministischen NROs als integraler Teil einer umfassenderen Bewegung von Frauen, der andere Feministinnen (nichtorganisierte oder in anderen Organisationstypen agierende) angehören sowie Frauengruppen der Basis, für die sich die feministischen NROs engagieren" (Älvarez 1998: 3). In diesem Zusammenhang zitiert Älvarez eine peruanische Feministin, der zufolge die NROs in Peru eine doppelte Identität besäßen („Wir sind Zentren, und wir sind eine Bewegung), und sie zieht Parallelen zum doppelten Charakter und zur hybriden Identität der feministischen NROs, die „allgemein im politischen Bereich und besonders im Bereich staatlicher Politiken für die Wirksamkeit der NROs von fundamentaler Bedeutung waren, aber auch im Bereich der Politik im weiteren Sinne, der das Kulturelle und Symbolische, Machtstrukturen und Beziehungen zwischen den Geschlechtern umfasst, die dort entstehen und kontinuierlich neu gestaltet werden. (...) Das Verbundensein mit der Basis, den unterschiedlichen Gruppierungen des feministischen Lagers und mit der Zivilgesellschaft hat es ermöglicht, dass die im Bereich der öffentlichen Politiken bedeutenden technischen Leistungen der NROs die politische Unterstützung der Gesellschaft im politisch-kulturellen Bereich haben, in dem die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen entsteht und beseitigt wird" (Älvarez 1998: 4). Zudem muss berücksichtigt werden, dass Ausdehnung und Intensität der „NROisierung" innerhalb der feministischen Bewegung in den verschiedenen Ländern der Region stark variieren und Besonderheiten sowie unterschiedliche politische Zusammenhänge widerspiegeln, vor deren Hintergrund sich die

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Gruppen, Prioritäten und Präferenzen der internationalen Zusammenarbeit entwickelt haben. Der Eingliederungsprozess der NROs in das feministische Lager zeigt, dass sich auch die feministischen NROs den Erfordernissen der Zeit und der Umstände anpassten. Die meisten NROs, die Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre in Erscheinung traten, richteten ihre Aktivitäten in erster Linie auf breitenwirksame Erziehung, berufliche Weiterbildung und empowerment, mit dem Ziel, die Bewusstseinsbildung der den unteren Gesellschaftsschichten angehörenden Frauen zu fördern. Einige NROs verfolgen diese Ziele auch heute noch; die Mehrzahl konzentriert ihre Arbeit jedoch auf die Förderung und das Monitoring von Gesetzgebungen und Politik. Auf lokaler und auch internationaler Ebene werden vorrangig Gender-Projekte der Regierungen durchgeführt, öffentliche Politiken evaluiert und notwendige soziale Dienste für Frauen erbracht, vor allem für jene Frauen, die vom vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell ausgeschlossen sind. Ein gemeinsames Merkmal aller feministischen NROs besteht darin, auch weiterhin die Bewusstseinsbildung zu fördern, die in Zivilgesellschaft und Kultur hineinwirken soll, um die Beziehungen der Macht und/oder die Beziehungen der Geschlechter zu verändern, so dass sich die Bedingungsfaktoren der in Lateinamerika real existierenden Demokratien verbessern. Aber nicht nur die guten Absichten der NROs sind von Bedeutung und ihre Bemühungen um eine enge Verbindung mit der Frauenbewegung. Für die lateinamerikanischen Regierungen, die bemüht sind, ihre dem Weltmarktstandard entsprechende Modernität zu beweisen, sind Politiken für Frauen gegenwärtig in Mode. In ganz Lateinamerika gehört es inzwischen zu dem Diskurs der Regierenden, die mit der Gleichstellung der Geschlechter einhergehende Modernisierung des Staates zu fordern. Aber trotz der führenden Rolle lokaler und internationaler feministischer lobbies bei der Schaffung internationaler genderspezifischer Normen (welche die staatlichen ,pro-gender-Diskurse" indirekt beeinflusst haben), wird die Eingliederung der Frau in den Entwicklungsprozess keineswegs immer vom Feminismus inspiriert. In einigen Durchführungsorganisationen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und bei zahlreichen Funktionären der zuständigen Regierungsbehörden wurde der Begriff Gender zu dem angemessensten Terminus des technischen Planungsvokabulars, zu einem neutralen Indikator für Modernität und Entwicklung, einem Begriff, der an die Stelle eines Terrains oder Herrschaftsbereichs getreten ist, die von ungleichen Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern vermint sind. Dieser Prozess hatte zur Folge, dass Staaten und intergouvernamentale Organisationen die lokalen und internationalen feministischen NROs vor allem aufgrund technischer Kapazitäten (in Gender-Fragen) konsultieren, und weniger wegen ihrer Eigenschaften als hybride Organisationen der Zivilgesellschaft und der feministischen Bewegung, welche die uneingeschränkte Staatsbürgerschaft der Frauen fördern; es geht also um technische Funktionen und weniger um staatsbürgerliche Rechte. Wegen des Mangels an Fachpersonal innerhalb der Regierungsinstitutionen, das mit der Gender-Thematik hinreichend

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vertraut ist, werden immer häufiger NROs mit Erfahrungen im Politikbereich gesucht, um im Auftrag von Regierungsinstitutionen Gender-Politiken zu evaluieren, entsprechende Daten zu sammeln und gencterspezifische Projekte und Programme durchzuführen (Älvarez 1998:7). Ausschlaggebend für die Auftragsvergabe an feministische NROs war jedoch nicht immer deren Fähigkeit, als Vermittlerinnen für Sektoren der Zivilgesellschaft fungieren zu können, sondern die Absicht, die bereitgestelltenfinanziellenMittel bestmöglich zu verwenden. Obwohl sich die meisten feministischen NROs darüber im Klaren sind, niemanden zu repräsentieren, trifft dies nicht immer für Teile der staatlichen Institutionen und/oder der Regierungsbehörden zu, deren Aufgabe die Fokussierung der Geschlechterfrage in den öffentlichen Politiken ist. Für viele Regierungsbehörden scheinen die professionalisierten NROs zu einem angenehmen Ersatz der Zivilgesellschaft geworden zu sein (Älvarez 1998). Diese Einschätzung bedeutet für die feministischen NROs zweifelsohne eine große Herausforderung, damit sie nicht ihre hybride Identität verlieren, auf die sich bislang „die kritische Kapazität der feministischen NROs stützte, aus einer genderspezifischen Perspektive heraus .pathologische' Versionen von Regierungspolitiken zurückzuweisen, alternative Interpretationen der Rechte der Frauen zu fördern und das empowerment der Frauen zu unterstützen" (Älvarez 1998:11).

6. Die feministische Bewegung in Lateinamerika zu Beginn des neuen Jahrtausends: Erfolge und Herausforderungen Mit Beginn des Jahres 2001 können die lateinamerikanischen Feministinnen eine Reihe von Erfolgen verbuchen: • Es stehen mehr Daten über die Lebensbedingungen von Frauen zur Verfügung, so dass genauere Vorschläge zu deren Verbesserung möglich sind. • Die Beteiligung von Frauen in politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bewegungen in den verschiedenen Ländern des Kontinents hat sich intensiviert. • Die Solidarität zwischen den feministischen Organisationen auf nationaler und regionaler Ebene hat zugenommen. • Signifikante Fortschritte in Gesetzgebung und Rechtsprechung sind erkennbar. • Institutionen speziell für Frauen wurden geschaffen (Frauenräte, Frauenbüros, Frauenkommissionen, Polizeikommissariate zur Verteidigung der Frau und Frauenhäuser, in denen misshandelte Frauen Zuflucht finden etc.). • Es besteht ein nationales, regionales und internationales Instrumentarium zum Schutz der Menschenrechte der Frauen. • Feministinnen nehmen an der Planung und Durchführung von genderspezifischen Entwicklungsprogrammen, Entwicklungsprojekten und öffentlichen Politiken teil. Trotz dieser Fortschritte sieht sich die feministische Bewegung in Lateinamerika noch gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Einige der aktuellen Herausforderungen sollen abschließend genannt werden.

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6.1

Staatsbürgerrechte für Frauen, Kinder und junge Frauen

Trotz der Fortschritte, die im Hinblick auf Gesetzesreformen für die Rechte der Frauen erzielt wurden, sind noch zusätzliche Anstrengungen notwendig, um den Frauen den tatsächlichen Zugang zur Rechtsprechung zu ermöglichen und die Anwendung bestehender Gesetze sicherzustellen. Besonders indigene, schwarze und junge Frauen sind tendenziell stärkeren Diskriminierungen ausgesetzt und verfügen über weniger Möglichkeiten, am politischen Leben teilzunehmen. Hinsichtlich des wirtschaftlichen empowerment der Frauen und ihres Anteils an Führungspositionen haben viele Länder der Region affirmative Maßnahmen durchgeführt, wie zum Beispiel die gesetzlich verankerte Quotenregelung, die zu einer wachsenden Teilnahme von Frauen an politischen Prozessen und Wahlverfahren führen soll. Aber dies allein ist nicht ausreichend; erforderlich sind eine bessere Vorbereitung und stärkere Förderung weiblicher Kandidatinnen sowie wirksame Strategien, um Einfluss auf politische Programme auszuüben, die Perspektiven der Frau widerspiegeln, und somit spürbare Veränderungen in den Führungsstrukturen der Politik herbeizuführen. Mit besonderer Besorgnis werden in ganz Lateinamerika Lebensqualität und Perspektiven der jüngeren Bevölkerungsgruppen betrachtet, insbesondere die Perspektiven von Mädchen und jungen Frauen (UNIFEM 2000a). Regierungen und Zivilgesellschaft haben öffentlich die dringende Notwendigkeit anerkannt, sich den Herausforderungen und Schwierigkeiten dieser Altersgruppe stellen zu müssen; zu diesen Schwierigkeiten gehören sexueller Missbrauch und sexuelle Ausbeutung, frühzeitige Schwangerschaft, risikoreiche Abtreibung, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, Depression, Straffälligkeit und Drogenmissbrauch. Weitere Schwierigkeiten sind sinkende Qualität und sinkende Bedeutung der Erziehung sowie eingeschränkte Lebensmöglichkeiten und Perspektiven vor allem der armen jungen Mädchen und Frauen. Ungleiche Geschlechterbeziehungen und von Kindheit an sich verfestigende Stereound die typen sind wesentliche Herausforderungen für das empowerment Schaffung von Chancengleichheit für die Frauen.

6.2

Die Technokratisierung des Gencter-Ansatzes durch die Regierungen

Seit 1995 wurden in den meisten lateinamerikanischen Ländern Pläne zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen oder Politiken zu deren Gleichstellung entwickelt und Institutionen geschaffen, die sich mit der herrschenden Ungleichheit zwischen Männern und Frauen auseinandersetzen. Die verschiedenen Gruppen der Frauenbewegung und feministischen Bewegung haben bei Verhandlungen und in Zusammenarbeit mit dem Staat Fortschritte erzielt. In Debatten und in den Medien erkennt die Öffentlichkeit die Rechte der Frauen zunehmend an, vor allem jene Rechte, die sich auf Gewalt gegen Frauen beziehen. Insbesondere seit der Konvention von Belem/Parä sind bei der Gesetzgebung Fortschritte erzielt worden, die dazu beitrugen, dass in allen Ländern Lateinamerikas Rechtsreformen eingeleitet wurden. Ei-

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nige Verbesserungen gab es auch bei der Verfügbarkeit von Informationen, die unerlässlich sind, um die Gender-Frage und die Entwicklung von Wirtschafts- und Sozialpolitiken zu untersuchen und langfristig zu sichern. In den vergangenen Jahren zeigte sich auch auf globaler Ebene - in Einklang mit dem Aufruf der Vereinten Nationen und den Resolutionen der UN-Vollversammlung - zunehmend Kompromissbereitschaft hinsichtlich der Akzeptanz des Gender-Ansatzes. Die Umsetzung dieses Ansatzes ist aber noch nicht allzu weit fortgeschritten, und es besteht die Tendenz, den Ansatz technokratisch umzusetzen und somit der Radikalität zu berauben, die dem GenderAnsatz als solchem innewohnt. Entwicklungsprogramme und Entwicklungsprojekte beschäftigen sich bestenfalls mit den Grundbedürfnissen von Frauen, nicht aber mit deren strategischen Interessen; vorrangig an den pragmatischen Interessen des Staates ausgerichtet, fehlt ihnen die politische Durchsetzungskraft, um die reale und substantielle Gleichheit zwischen Männern und Frauen in unserer Gesellschaft zu verwirklichen. 6.3

Mittelvergabe für affirmative Aktionen

Zwar sind in Lateinamerika Erfolge in Richtung auf einen anhaltenden Prozess zur Förderung von empowerment und gleicher Rechte für Frauen erzielt worden, aber es müssen noch viele Herausforderungen bewältigt und Hindernisse überwunden werden. Einige der auf der Weltfrauenkonferenz in Peking eingegangenen Verpflichtungen erfordern eine deutliche Unterstützung durch finanzielle Mittel, Programme und adäquate Leistungen. Wie zuvor gezeigt wurde, existiert eine Vielzahl möglicher Instrumente, um die reale und substantielle Gleichheit zu legitimieren und zu fördern, unter Berücksichtigung und Anerkennung von Unterschieden und Verschiedenheit der Bedürfnisse und Interessen von Frauen. Noch am Anfang steht allerdings die Entwicklung von Indikatoren, die geeignet sind, unterschiedliche Lebensbedingungen von Frauen und Männern und deren Veränderungen zu messen. Der erst kürzlich erfolgten Institutionalisierung solcher Indikatorensysteme fehlt es an notwendiger Kontinuität, Stabilität und finanzieller Unterstützung. Gemessen an den erforderlichen Ressourcen, der politischen Macht, an den institutionellen Grundlagen und an dem Zugang zu politischen Entscheidungen auf der Makroebene sind die Mechanismen zur Verteidigung der Frau im allgemeinen noch schwach; und die Möglichkeiten bleiben beschränkt, den Gender-Ansatz wirksam umzusetzen und die Politik affirmativer Aktionen voranzutreiben. Häufig sind die von der Regierung zur Verfügung gestellten Mittel für frauenspezifische Programme knapp bemessen und unzureichend, um die erwünschte Wirkung nachhaltig erzielen zu können. Zudem werden NROs und Frauengruppen in Lateinamerika gegenwärtig mit einer Kürzung der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel konfrontiert und in einigen Fällen sehen sie sich sogar in ihrer Existenz bedroht und somit am Ende aller feministischen Bemühungen, autonom und richtungweisend zu agieren.

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6.4.

Wie kann man Reformen vorschlagen, ohne dabei die Radikalität der Bewegung zu verlieren?

Zu Beginn des neuen Jahrtausends ist die feministische Bewegung nicht länger eine soziale Bewegung im klassischen Sinne; sie weist jedoch gelegentlich noch typische Merkmale der sogenannten neuen sozialen Bewegungen der achtziger Jahre auf, wie Massendemonstrationen auf der Straße und sichtbare Mobilisierungen zur Erlangung ihrer Rechte. Das Aktionsfeld, in dem Feministinnen sich heute bewegen, hat sich in starkem Maße erweitert und verändert; auch das Feld ihrer (weiblichen und männlichen) Verbündeten hat sich neu gestaltet. Heute müssen Feministinnen weder politische Führer, noch Gewerkschaftsführer und noch weniger Regierungen von der Notwendigkeit überzeugen, frauenspezifische Fragen auf die Agenda zu setzen. Infolge vielfältiger lokaler, regionaler und globaler Politiken, die implizit den Gender-Ansatz enthalten, ist die Nachfrage nach spezifischen Fachkenntnissen über die Frau und Gender-Fragen gewachsen - Kenntnisse, die in zunehmendem Maße von feministischen Organisationen angeboten werden, die über immer mehr Fachwissen und technische Fähigkeiten verfügen. Angesichts dieser neuen Situation sahen sich die Akteurinnen des lateinamerikanischen feministischen Lagers vor die Notwendigkeit gestellt, ihre bisherigen Vorgehensweisen zu überdenken; diese Vorgehensweisen waren entwickelt worden, um autoritären politischen Bedingungen entgegenzutreten, die sozialer Gerechtigkeit und Gleichstellung der Geschlechter ausgesprochen feindselig gegenüber standen. Heute sind viele Regierungen entschlossen, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern; zu diesem Zweck wurde eine beeindruckende Zahl von Politiken, Programmen und Plänen entwickelt, mit dem festen Ziel, die Bedingungen der Frauen zu verbessern. Sogar jene Feministinnen, welche der Vision von Virginia Vargas nicht zustimmen, die Bewegung müsse eine kritisch-verhandelnde Haltung gegenüber dem Staat einnehmen (Valente 1998), sahen sich zu einer Neupositionierung gegenüber den formalen politischen Arenen gezwungen. Der feministische Diskurs ist in aller Munde und damit zu einer großen Herausforderung für die Feministinnen geworden. Wie soll man mit Regierungen verhandeln, welche jetzt die eigene Sprache zu sprechen scheinen? Wie soll man vorgehen, damit der feministische Diskurs und der Gender-Ansatz die nur legal und formal existierende Gleichheit zu einer materiellen, realen und substantiellen Gleichheit werden lassen, mittels gesellschaftlicher Partizipationsformen, die Ausgrenzung und Unsichtbarkeit der Frau bekämpfen, ohne technokratisch instrumentalisiert zu werden? Wie soll man Reformen vorschlagen, ohne Autonomie und Radikalität zu verlieren, aus der die feministische Bewegung Kraft schöpft, um Regierungsmaßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen überwachen zu können? Trotz der Professionalisierung und Institutionalisierung eines großen Teils der Feministinnen war und bleibt der Feminismus revolutionär in der Auseinandersetzung mit der herrschenden Ordnung und in der kritischen Reflexion, die zur Entzauberung dieser Ordnung

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führt. Die Frage, wie man eine kritisch-verhandelnde Rolle gegenüber dem Staat einnehmen und Politiken für eine reale und substantielle Gleichheit vorschlagen könne, ohne Autonomie und Radikalität zu verlieren, ist in der Tat eine große Herausforderung für das beginnende Jahrtausend. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Marie-Louise Sangmeister-Piehn

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Faust: Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie

Jörg Faust

Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie A bandit leader with sufficient strength to control a territory has an incentive to settle down, to wear a crown, and to become a public good providing autocrat.

Mancur Olson

1.

Einleitung

Im Anschluss an das Ende des Porfiriato begann 1911 in Mexiko die erste große Revolution des 20. Jahrhunderts, aus deren Wirren ein autokratisches System entstand, das zu den stabilsten seiner Art gehörte und dessen Zerfall sich nur sehr langsam vollzog. Der Niedergang des Regimes der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) begann gegen Ende der sechziger Jahre und wurde endgültig erst mit der Wahl von Vicente Fox im Jahre 2000 besiegelt. Parallel zu den politischen Umbrüchen des vergangenen Jahrhunderts erlebte Mexiko auch gesamtwirtschaftlich tiefgreifende Veränderungen. Nach dem autoritären Modernisierungsschub des Porfiriato stagnierte die wirtschaftliche Entwicklung zunächst aufgrund der Revolution. Mit der Errichtung autoritärkorporatistischer Verteilungsstrukturen begann erneut eine lange Phase wirtschaftlichen Wachstums. Doch die hieraus resultierenden langfristigen Verteilungskonflikte um politische und ökonomische Rechte kulminierten letztlich in der Schuldenkrise von 1982. Nach einer Dekade schmerzhafter Anpassungen kam es 1994 zur Etablierung der NAFTA, dem Kern der reformierten Modernisierungsstrategie des PRI-Regimes. Doch nur wenige Monate später wurde Mexiko, zuvor noch international gepriesener Reformschüler, von einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise getroffen, die den Niedergang des PRI-Regimes beschleunigte. Vor dem Hintergrund dieser knappen Skizze stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen politischer Herrschaft und wirtschaftlicher Entwicklung im Mexiko des 20. Jahrhunderts. Unter welchen Bedingungen entstand ein vergleichsweise stabiles autokratisches Regime, und wieso war es dazu in der Lage, während eines langen Zeitraums gesamtwirtschaftliches Wachstum 57

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zu fördern? Warum endete diese Phase Ende der siebziger Jahre, und welches sind die politischen Ursachen für die bis Mitte der 90er Jahre andauernde makroökonomische Instabilität? Und schließlich, warum erstreckte sich die allmähliche Erosion der mexikanischen Autokratie über mehrere Jahrzehnte? Will man zur Beantwortung dieser Fragen beitragen, so ließe sich eine umfangreiche Monographie schreiben, die anhand einer Vielzahl von Fakten von der Einzigartigkeit dieses Staates in aller Detailliertheit berichten würde. Eine andere Strategie ist diejenige der empirischen Reduktion, um theoretische Erkenntnisse an der Entwicklung eines Falles anwenden zu können. Alle Staaten sind einzigartig, doch setzen wir sie zueinander in Beziehung, und das tun wir schon mit der Behauptung ihrer Einzigartigkeit, so reduzieren wir die Komplexität der Realität und nehmen theoretische Positionen ein. Die Offenlegung und kritische Reflexion solch theoretischer Positionen bringen dabei den Kenntnisstand über die Zusammenhänge zwischen politischer Herrschaft und wirtschaftlicher Entwicklung voran. Im Folgenden werden daher zunächst die Gemeinsamkeiten autokratischer Systeme betont und hierauf aufbauend die Wechselwirkungen zwischen politischer Herrschaft und wirtschaftlicher Entwicklung im Mexiko des 20. Jahrhunderts erläutert. Eine empirisch umfangreiche Aufarbeitung wird diese knappe Studie nicht leisten können. Vielmehr zielt sie darauf, die politische und wirtschaftliche Entwicklung Mexikos in ein institutionenökonomisches Modell autokratischer Herrschaft einzubetten.

2. Wirtschaftliche Entwicklung und autokratische Herrschaft Wirtschaftliches Wachstum kann entweder über die Erhöhung des Inputs bei gleichbleibender Produktivität oder über eine Verbesserung des Verhältnisses von Output zu Input erzeugt werden. Es setzt sich somit zu einem Teil aus Ressourcenmobilisierung und zu einem anderen Teil aus Produktivitätsverbesserungen zusammen. Ressourcenmobilisierung kann etwa über die Integration von Rohstoffen, Arbeitskräften oder Kapital in den gesamtwirtschaftlichen Kreislauf stattfinden, es kann aber auch über territoriale Expansion oder externe Kreditaufnahme erreicht werden. Ressourcenmobilisierung ist abhängig vom Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen, während die Steigerung von Produktivität in hohem Maße an die Existenz von nachhaltigem Wettbewerb gebunden ist. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive erfüllt nachhaltiger, also nicht nur sporadischer Wettbewerb eine Reihe von Funktionen (vgl. Bartling 1992: 2-3): die effiziente Verwendung von Produktionsmitteln, die Orientierung an Konsumentenbedürfnissen, die Verteilung nach wirtschaftlicher Leistung sowie hohe Innovations- und Imitationsanreize. Letztlich ist Wettbewerb über seine Verteilungs- und Innovationsfunktion ein dezentraler Steuerungsmechanismus zur Dispersion von gesellschaftlicher Macht. Gleichwohl wird nachhaltiger Wettbewerb von einer Reihe von verhaltensbedingten und marktstrukturellen Gefahren bedroht. Aus rationaler Perspektive des Einzelnen ist es oftmals lohnend,

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Faust: Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie

sich dem Wettbewerb zu entziehen, was aus kollektiver Perspektive zur Beschädigung der Wettbewerbsfunktionen führt. Preis- und Mengenkartelle führen zu Marktbeherrschung und zur Erosion von Wettbewerb. Auch weisen viele Märkte strukturelle Defizite auf, die Wettbewerbsversagen provozieren: natürliche Monopole, inverse Angebotskurven 1 und externe Effekte können zu Wettbewerbsversagen führen. Wettbewerb auf Finanzmärkten, deren typische Transaktionen "Geschäfte mit der Zukunft" sind, wird durch Informationsasymmetrien bedroht. A u s normativer Perspektive ist es daher notwendig, Regeln zu erstellen, die nachhaltigen Wettbewerb garantieren. Wirtschaftspolitik nach Eucken (1968 4 ) muss daher in erster Linie Wettbewerbspolitik sein (1968 4 ). 2 Jedoch ist Politik oftmals ein Verschieben von Eigentumsrechten, weg von den weniger Informierten und Schwachen hin zu den gut Informierten und Einflussreichen. Entsprechend werden sich Wirtschaftssubjekte organisieren und versuchen, Regeln zu erstellen oder zu verändern, die den Wettbewerb zu ihren Gunsten außer Kraft setzen (Olson 1982). Die dadurch ermöglichte Vermachtung von Märkten führt zu höheren Gewinnen als unter Wettbewerbsbedingungen, wobei die Differenz zwischen Wettbewerbspreis und Monopolpreis als Rente bezeichnet wird (vgl. Boeckh/Pawelka 1997). Gleichzeitig bedingen vermachtete Märkte ein geringeres Angebot an Gütern als unter Wettbewerbsbedingungen. Zudem fehlen Anreize zur Innovation und Imitation, und die gesellschaftliche Machtdispersion wird abnehmen. Autokratische Herrschaftssysteme zielen auf die Extraktion solcher Renten für den Autokraten sowie seiner staatlichen und gesellschaftlichen Klientel, der autokratischen Herrschaftskoalition (Pritzl/Schneider 1998). Denn in Autokratien ist das staatliche Gewaltmonopol nicht dem Wettbewerb unterworfen, sondern durch die Herrschaftskoalition exklusiv verregelt. Gleichfalls ist die Gewaltenteilung bzw. Gewaltenhemmung zumindest stark eingeschränkt, lediglich innerhalb der autokratischen Herrschaftskoalition m a g ein informales System der checks and balances existieren. Gegenüber den ausgeschlossenen Bürgern jedoch sind diskretionäre Eingriffe möglich. Die autokratische Herrschaftskoalition wird dem g e m ä ß solche Regeln erstellen, die ihr Monopolrenten einbringen. Dies geschieht über die Ausschaltung politischen Wettbewerbs, und zieht die Erosion eines wettbewerbsorientierten Preissystems nach sich (vgl. W e e d e 1984). Eine autokratische Regierung neigt dazu, Monopolstellun'

Das Angebot an Arbeit ist ein solcher Fall. Bei „normalem" Angebotsverlauf müsste eine Senkung des Preises (Lohn) eine S e n k u n g des Angebots an Arbeit nach sich ziehen. Doch vielfach beobachten wir gerade in Niedriglohnbranchen eine umgekehrte Entwicklung; für den Arbeiter ist ein ruinöser Lohnverfall die Folge.

2

Ein Kartellamt kann wettbewerbsschädigendes Verhalten sanktionieren, eine Finanzaufsichtsbehörde den Finanzmarkt transparenter gestalten. Eine wettbewerbskonforme Umweltpolitik kann externe Effekte in die Kostenfunktion der Unternehmen zurückführen, Mindestlöhne garantieren einen Preisverfall in Niedriglohnbranchen, und natürliche Monopole können so reguliert werden, dass Marktmacht nicht ausgenutzt w e r d e n kann.

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gen zu vergeben, Preise festzusetzen oder anderweitig freien Marktzutritt zu behindern. Die Erstellung solcher Regeln hingegen wird vernachlässigt, die bei marktstrukturell bedingtem Wettbewerbsversagen die Probleme von inversen Angebotskurven, negativen externen Effekten und natürlichen Monopolen beheben. Da moderne Ökonomien nur über die Existenz eines monetären Tauschsystems funktionsfähig sind, ist es von zentraler Bedeutung für die autokratische Herrschaftskoalition, das Finanzsystem an ihre Interessen anzupassen. Der Finanzsektor in Autokratien spiegelt meist am deutlichsten die Interessen der autokratischen Herrschaftskoalition wider. Gleichwohl resultieren aus der Unterdrückung von politischem Wettbewerb auch Kosten. Erstens entstehen Repressionskosten der Überwachung und Sanktionierung. Zweitens ist die autokratische Herrschaftskoalition mit Renten zu versorgen. Drittens muss die Masse der politisch Ausgeschlossenen ökonomisch „versorgt" werden, um deren Anreize niedrig zu halten, sich gegen das autokratische Regime zu erheben. Zusammengenommen führt dies dazu, dass auch eine autokratische Herrschaftskoalition ein vitales Interesse an gesamtwirtschaftlichem Wachstum hat. Hierzu wird sie versuchen, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen, um zwischen den Bürgern Vertragssicherheit herzustellen, damit die Transaktionskosten für wirtschaftliche Tätigkeiten reduziert werden (vgl. Olson 1993: 569). Doch Autokratien können nur in geringem Maße auf produktivitätsförderliche Strategien zurückgreifen. Sie sind durch ihre eigenen Herrschaftscharakteristika vielmehr dazu gezwungen, stärker auf Wachstum durch Ressourcenmobilisierung zu setzen. Autokratien werden sich deswegen bemühen, brachliegende Produktionsfaktoren in den Wirtschaftskreislauf zu integrieren. Doch hieraus erwachsen für Autokratien eine Reihe von miteinander verquickten Stabilitätsproblemen. Da Autokratien auf Ressourcenmobilisierung angewiesen sind, verleitet sie dies oftmals zu 1) riskanteren Strategien als rechtsstaatlich eingehegte Demokratien, die durch politischen Wettbewerb gekennzeichnet sind.3 Sind interne Ressourcen erschöpft oder würden sie ein größeres Oppositionspotenzial nach sich ziehen, In der liberalen D e m o k r a t i e wird d a s natürliche M o n o p o l der Legislative und Exekutive durch freie und faire W a h l e n und d e n d a r a n g e k o p p e l t e n P a r t e i e n w e t t b e w e r b r e g e l m ä ß i g a u s g e schrieben, w a s W e t t b e w e r b u m d e n Markt der Legislative und Exekutive bedeutet

(Dahl

1 9 7 1 ) . Z u d e m w e r d e n in der liberalen D e m o k r a t i e die G r u n d r e c h t e d e m politischen W e t t b e w e r b e n t z o g e n , und eine u n a b h ä n g i g e Gerichtsbarkeit w a c h t über die Einhaltung gesetzten R e c h t s ( H o l m e s 1 9 9 5 ) . D a r ü b e r hinaus sind die wichtigsten politischen Spielregeln in der D e m o k r a t i e auf D a u e r a n g e l e g t und reduzieren damit die Unsicherheit der Bürger. A u c h in der Demokratie stellt gesellschaftliches rent-seeking

über lobbying

ein e r n s t z u n e h m e n d e s

P r o b l e m dar, d a s sich negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt (Olson

1982;

W e e d e 1 9 9 7 ) . D o c h sind es g e r a d e die Spielregeln der liberalen D e m o k r a t i e , die auf die Beg r e n z u n g politischer und gesellschaftlicher M a c h t a k k u m u l a t i o n zielen und damit ausuferndes rent-seeking

60

z u verhindern s u c h e n .

Faust: Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie

so kann man beobachten, dass autokratische Herrschaftskoalitionen oftmals dazu übergehen, Wachstum über Verschuldung zu finanzieren oder über territoriale Expansion neue Ressourcenquellen zu erschließen. Dies provoziert jedoch makroökonomische Anfälligkeit bzw. Verwundbarkeit gegenüber externen Einflüssen. 2) Die Autokratie ist in stärkerem Maße als die liberale Demokratie vom potentiellen Protestpotenzial der systematisch von den Privilegien der Herrschaftskoalition ausgeschlossenen Bevölkerungsteile bedroht. Durch die Verteilungsmechanismen der Autokratie wird langfristig die Spaltung der Gesellschaft begünstigt. Zwar werden das Problem soziopolitischer Fragmentierung und die Defizite bei der Erstellung kollektiver Güter bei einer Vergrößerung der autokratischen Herrschaftskoalition verringert. Gleichwohl mildert dies lediglich das Inklusivitätsproblem der Autokratie, beseitigt wird es nicht. Gelingt ein Umsturzversuch, so bedeutet dies meist eine fundamentale Veränderung der politischen Spielregeln, egal ob das Nachfolgeregime dabei erneut autokratisch ist oder der Übergang zur Demokratie gelingt. 3) Gesamtwirtschaftlich zunächst erfolgreiche Autokratien geraten in eine Modernisierungsfalle. Die Ausdifferenzierung der Sozialstruktur wird neue soziale Gruppen schaffen, welche die politische und ökonomische Berücksichtigung ihrer Interessen einfordern. Hierdurch wird das Regime mit neuen Verteilungskonflikten konfrontiert. Entweder es reagiert hierauf mit Repression, oder die Renteneinkommen werden unter einer größeren Gruppe von Profiteuren verteilt werden müssen. Das hieraus entstehende Verteilungsproblem kann erneut nur durch wirtschaftliches Wachstum gelöst werden. Die Neigung, in einer solchen Situation riskante internationale Wachstumsstrategien zu fahren, wird zunehmen. 4) Im Unterschied zu liberalen Demokratien verfügen die meisten der modernen Autokratien über keinen institutionalisierten Nachfolgemechanismus, da sie meist auf konkrete Personen oder Führungscliquen zugeschnitten sind. Gehen die Profiteure der Autokratie von einer langen Lebensdauer des Regimes aus, so werden sie in der Gegenwart aufgrund eines größeren Planungshorizontes geringere Monopolgewinne verlangen. Mit dem Eindruck des nahenden Endes des Regimes wächst jedoch die Unsicherheit darüber, wie die Spielregeln reformiert werden. Die Transaktionskosten für politisches wie ökonomisches Handeln steigen durch den sinkenden Planungshorizont der autokratischen Herrschaftskoalition. Die Profiteure der Autokratie werden nun versuchen durch eine Zunahme an diskretionären Eingriffen ihre Renten kurzfristig zu maximieren (Clague u.a. 1996; Olson 2000: 27). Das Streben nach wirtschaftlicher Günstlingswirtschaft und Korruption nehmen mit der geringeren Lebenserwartung der Autokratie zu, was wiederum die Legitimation der Autokratie weiter untergraben dürfte.

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3. Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie 3.1 Vom Ende des alten Autokraten Das politische Regime der Partei der Institutionalisierten Revolution hat seinen Ursprung im autoritären System unter General Porfirio Diaz, der Mexiko über 30 Jahre lang regierte. Das Porfiriato (1877-1911), dessen Ende zugleich der Beginn der ersten großen sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts war, scheint die Logik autokratischen Regierens zu bestätigen.4 Zwar gab es auch im Porfiriato Arrangements zwischen nationalen und regionalen Eliten, doch die geringe Ausdifferenzierung der mexikanischen Sozialstruktur begünstigten eine vergleichsweise kleine und exklusive Herrschaftskoalition. Insgesamt lässt sich das Porfiriato als ein zentralistisch angelegtes und repressives Modernisierungsregime mit stark oligarchischem Charakter einstufen. Doch versäumte es der Autokrat, eine Nachfolgeregelung zu etablieren, und mit dem voranschreitenden Alter des Generals stieg die Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft des Regimes an. In wirtschaftlicher Hinsicht vollzog sich unter dem Regime Porfirio Diaz eine lange Phase wirtschaftlichen Wachstums. Die territoriale Ausdehnung des staatlichen Gewaltmonopols ermöglichte der Herrschaftskoalition einen Zugriff auf die Produktionsfaktoren. Durch den staatlich forcierten Modernisierungsprozess konnten die Mitglieder der Herrschaftskoalition durch die hierbei errichteten Rentenstrukturen in überproportional hohem Maße vom Wirtschaftswachstum profitieren. Die herausragende Gruppe der Profiteure bestand dabei aus den Finanzintermediären, welche gleichsam in einem staatlich geduldeten Kartell das Finanzkapital an die Unternehmer verteilten (Haber 1991: 24). Daneben profitierten auch Teile der Bürokratie, die wachsende Anzahl von Großgrundbesitzern, Teile der Unternehmerschaft sowie ausländische Investoren von der Wirtschaftspolitik des Porfiriato. Die Transaktionskosten für die übrigen Wirtschaftssubjekte blieben zwar deutlich unter dem Niveau der politischen Instabilität der Vorgängerregime. Sie waren jedoch aufgrund der Rechtsunsicherheit gegenüber staatlicher Willkür nach wie vor hoch. Die meisten Indizien deuten darauf hin, dass es sich im Porfiriato vor allem um Wachstum durch Ressourcenmobilisierung handelte (Haber 1989; 1991). Direkt- und Finanzinvestitionen waren dabei die maßgeblichen Quellen von Modernisierungsfinanzierung und Technologietransfer. Vor allem nach der Entspannung an der Schuldenfront um die Jahrhundertwende (Aggarwal 1996:175, 182-187) stieg das Vertrauen ausländischer Investoren weiter, die zudem durch Steuervergünstigungen angelockt wurden. Zur Mobilisierung externer Finanzressourcen förderte das Regime Bankengründungen, doch gleichzeitig war der Markt für langfristiges Investitionskapital von einer Gruppe von Finanzintermediären monopolisiert (Newell/Rubio 1984: 13; Haber 1991). Gleichfalls setzte das autokratische Regime auf eine Strategie des exportorientierten Wachstums. 4

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Zum Porfiriato vgl. Mols 1981: 56-65; Haber 1989; Blanquel 1995 3 .

Faust: Aufstieg u n d Niedergang der mexikanischen Autokratie

Investitionen im Bergbau und in der Landwirtschaft trugen hierzu bei, da sich die Ausfuhren maßgeblich auf landwirtschaftliche Produkte, commodities und Rohstoffe konzentrierten. Die Investitionen in die Infrastruktur implizierten sinkende Transaktionskosten für die Exportwirtschaft. Gleichzeitig schützten hohe Zölle die für den nationalen Markt produzierenden Unternehmer (Hansen 1971:18). Trotz des volkswirtschaftlichen Wachstums schritt während des Porfiriato die sozioökonomische Fragmentierung der mexikanischen Gesellschaft voran. Die ungleiche Einkommensverteilung führte dazu, dass der Binnenmarkt nicht zur Quelle volkswirtschaftlichen Wachstums wurde. Die Abhängigkeit gegenüber externen Faktoren nahm zu.5 Die Vergabe von Monopolstellungen, die Kartellierung in der entstehenden Schwerindustrie und im Bergbau verhinderten die Entstehung wettbewerbsintensiver Marktstrukturen (vgl. Hansen 1971: 13; Haber 1991). Die Kommerzialisierung und Modernisierung des Agrarsektors wurde durch die Verdrängung von Kleinbauern durch Großgrundbesitzer begünstigt, die Rechte ersterer zu Gunsten letzterer erheblich eingeschränkt. Die von der Herrschaftskoalition durchgesetzten Steuern und Abgaben trafen in überproportional hohem Maße die von der Verteilungskoalition Ausgeschlossenen. Das Porfiriato war somit einerseits durch wachsende gesellschaftliche Spaltung, andererseits jedoch auch durch Modernisierung und Ausdifferenzierung gekennzeichnet (Mols 1981: 59ff.). Während sich die Lebensbedingungen von großen Teilen der Landbevölkerung verschlechterten, erfolgte eine gesellschaftliche Ausdifferenzierung in einigen Städten im Norden und im Zentrum. Neben die zunehmende Ungleichverteilung des Volkseinkommens zwischen Norden und Süden trat eine weitere Konfliktlinie zwischen urbaner und ruraler Entwicklung. Das hieraus erwachsene Legitimationsdefizit des autokratischen Regimes wurde durch das Nachfolgeproblem weiter verschärft (vgl. Mols 1981: 63; Blanquel 19953: 121). Da gleichwohl keine Nachfolgeregeln existierten und keine Öffnung der Herrschaftskoalition geduldet wurde, verkürzte sich der Zeithorizont der Mitglieder der Verteilungskoalition zur Maximierung ihres Einkommens. Die Legitimation des Regimes nahm weiter ab, als Mexiko 1907/8 eine ökonomische Krise erfasste, die zwar extern ausgelöst wurde, deren Ursprung jedoch in der Wirtschaftsstrategie des Porfiriato lag. Auslöser für den Zusammenbruch der Autokratie war schließlich, dass Dlaz bei den anstehenden Wahlen für 1910 trotz anfänglicher Versprechen für mehr Demokratie keine freie Wahl des Vizepräsidenten zuließ. Insgesamt lässt sich das Porfiriato mit der Logik autokratischer Herrschaft interpretieren. Mittels der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, der 5

Der Nachfragerückgang nach mexikanischen Exportprodukten und die Aufwertung der mexikanischen Währung im Zuge der Übernahme des Goldstandards (1905) führte zu rückgängigen Exporterlösen. Daraufhin wurden Lohnsenkungen in der Landwirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe durchgesetzt, um die hohen Exportprofite aufrecht zu erhalten, die Entwicklung des Binnenwachstums stagnierte (vgl. Hansen 1971: 20-23).

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Öffnung gegenüber ausländischen Investitionen und der Herausbildung eines wettbewerbsfeindlichen Finanzsystems erlangte die Herrschaftskoalition Zugriff auf wachstumsgenerierende Produktionsfaktoren. Doch die der Autokratie eigene Tendenz zur Auflösung wettbewerbsorientierter Preissysteme erforderte eine Strategie des Wachstums über Ressourcenmobilisierung. Diese war zwar mittelfristig erfolgreich, doch langfristig sank die Legitimation des Regimes aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen gesellschaftlicher Ausdifferenzierung einerseits und gesellschaftlicher und politischer Fragmentierung andererseits. Die Vernachlässigung des Binnenmarktes bei gleichzeitiger Exportorientierung führte zu hoher Verwundbarkeit gegenüber externen Schocks. Die Unfähigkeit zu institutionellen, wettbewerbsfördernden Reformen sowie das Nachfolgeproblem reduzierten die politische Legitimation und lösten letztlich die politische Erhebung von 1910 aus.

3.2 Von der Revolution und politischem Lernen Die auf das Porfiriato folgende mexikanische Revolution kam einem Staatszerfall gleich.6 Die soziale Spaltung bei gleichzeitiger Modernisierung der mexikanischen Gesellschaft führte zu einer Konkurrenz einzelner Gruppierungen um das politische Herrschaftsmonopol. Da jede Gruppierung jedoch offensiv danach trachtete, dieses exklusiv für sich zu vereinnahmen, konnte zunächst kein kooperatives Arrangement entstehen. Vielmehr finanzierten sich die einzelnen Revolutionsführer, die meist eher politischen Unternehmern als revolutionären Ideologen entsprachen, über Raub oder Kredite regionaler Produzenten. In der Hoffnung, ihr regionales Herrschaftsmonopol auf die nationale Ebene ausdehnen zu können, erwarteten sie eine Kompensation ihrer Kosten durch zukünftige Renten. Da jedoch keine der Gruppierungen sich unter Ausschluss der anderen durchsetzen konnte, herrschten teils anarchische Zustände. Zwar wurden viele Betriebe nicht physisch zerstört, doch die Transaktionskosten für langfristig orientierte wirtschaftliche Aktivitäten stiegen aufgrund der Erwartungsunsicherheit. Die Revolution bedingte damit eine Reduktion der Investitionsneigung und Kapitalflucht seitens der Unternehmer und Finanzintermediäre (Haber 1991:27). Nach den Erfahrungen des Porfiriato als einer hochgradig exklusiven Autokratie und der darauffolgenden anarchischen Situation kann die Postrevolution hingegen als eine Phase des Lernprozesses interpretiert werden (vgl. Mols 1981 Kap. 7). Die durch die politische Unsicherheit drastisch ansteigenden Transaktionskosten für wirtschaftliche Aktivitäten erhöhten langfristig die Anreize für kollektive Akteure, mittels der Etablierung fester politischer Spielregeln die Grundlage für Wohlstandsmehrung zu schaffen. Keine der rivalisierenden Gruppen verfügte jedoch über genügend Machtpotenzial, den anderen 6

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Zur mexikanischen Revolution vgl. Knight 1986, im Überblick vgl. Tobler 1992.

Faust: Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie

die eigenen Ordnungsvorstellungen zu oktroyieren, die Bildung einer großen Interessenkoalition bot sich an. Begünstigend wirkte sich hierbei die wachsende Überlegenheit der nördlichen Anführer der Revolution aus, denen es im Verlaufe der 20er Jahre gelungen war, „die durch die Revolution hervorgerufenen Mobilisierungseffekte unter Kontrolle zu bringen" (Tobler 1992: 23). Gleichzeitig versuchte diese neue Elite jedoch, sich der Loyalität jüngst entstandener Interessen in der mexikanischen Gesellschaft zu versichern. Angesichts der Unmöglichkeit, ein hochgradig exklusives Regime durchzusetzen, waren die Anreize zur Bildung einer größeren Herrschaftskoalition gewachsen. Das ökonomische und politische Gewinnpotential einer stabilen staatlichen Rahmenordnung überstieg offensichtlich die Kosten der bei einer Vergrößerung der Herrschaftskoalition notwendigen Teilung ökonomischer wie politischer Privilegien. Ein erstes starkes Indiz hierfür ist die durch Präsident Plutarco Calles veranlasste Gründung einer Revolutionspartei, welche die Organisation gesellschaftlicher Interessen unter staatlicher Obrigkeit vorantreiben sollte, um damit institutionalisierte Konfliktregelung zu ermöglichen (vgl. Lauth 1991: 355). Das Kalkül der konkurrierenden Interessengruppen bestand letztlich darin, die Kosten politischer Konfliktaustragung durch deren Verschiebung vom Schlachtfeld hin zum politischen Parkett nachhaltig zu senken. Wenngleich das gesellschaftliche Gewaltpotential hierdurch nicht sofort beseitigt wurde und gewaltsame Aufstände immer wieder die politische Stabilität beeinträchtigten, trieb der von oben initialisierte Organisationsprozess während Calles' maximato (1928-1935) die Konsolidierung des staatlichen Gewaltmonopols dennoch voran. Unter der darauffolgenden Präsidentschaft von Lázaro Cárdenas (1934-1940) gelang es, das System zu festigen (vgl. Hellmann 19832: 37). Dabei lässt sich auch die vom Präsidenten eingeschlagene und sozialreformerisch verbrämte Strategie aus der Logik autokratischer Herrschaft interpretieren. Das Arrangement aus staatlicher Bürokratie und Partei mit dem Präsidenten an der Spitze konnte nur dann die Kontrolle über die gesellschaftliche Konfliktaustragung gewinnen, wenn es nicht den Restriktionen dominierender Interessengruppen unterworfen war. Angesichts der sich erneut abzeichnenden Verkrustung des Regimes zielte Cárdenas' Strategie auf ein stabilisierendes Arrangement gesellschaftlicher Kräfte. Die Kontrolle sollte einer zentralistisch und funktional aufgebauten Partei und Bürokratie zukommen, beide unter Führung des Staatspräsidenten. Diese Strategie der Subordination der gesellschaftlichen Kräfte unter Staat und Partei wurde erfolgreich vorangetrieben. Die korporatistischfunktionale Neuordnung der Partei ersetzte ihre ursprünglich stärker territoriale Gliederung und ermöglichte somit eine stärkere Kontrolle lokaler Kaziken durch die nunmehr zentralistisch organisierten Verteilungsmechanismen (Centeno 1994:52ff.). Zweitens gab die Verstaatlichung des mexikanischen Erdölsektors und die zunehmende Kontrolle über den Finanzsektor dem Staat herausragende Instrumente zur Verteilung ökonomischer Renten in die Hand. Drittens

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wurden unter Cárdenas mittels einer umfassenden Landreform Teile der sozialen Versprechungen der Verfassung von 1917 eingelöst und damit die soziale Sprengkraft in den ruralen Regionen temporär entschärft (Mols 1981:90). 3.3 Vom „milagro

mexicano"

Das mexikanische Wunder umfasst die Zeitspanne der vierziger, fünfziger und sechziger Jahre, die nicht nur durch hohe Wachstumsraten, sondern auch durch einen für eine Autokratie vergleichsweise hohen Grad an politischer Legitimation gekennzeichnet war. Beide Faktoren können auf die Herrschaftsmerkmale der mexikanischen Autokratie zurückgeführt werden. Das autokratische System: Rivalisierende Interessengruppen wurden unter die Befehlsgewalt des Staates gestellt. Der umfassende postrevolutionäre Elitenpakt, der die Herausbildung des Regimes der Partei der Institutionalisierten Revolution erst ermöglichte (vgl. Knight 1992), kann als maßgeblicher Grund für die politische Stabilität interpretiert werden. Ihren institutionellen Niederschlag fand dieses Elitenarrangement im zentralistisch ausgerichteten Korporatismus mexikanischer Prägung, an dessen Spitze der konfliktmoderierende Staatspräsident sowohl der Partei als auch der Bürokratie vorstand (vgl. Weldon 1997). Nach 1946 wurde dabei die Partei trotz der bestehenden Überlappungen mit der Bürokratie jedoch eher das ausführende Organ der bürokratischen Steuerungselite, dem eigentlichen Machtzentrum des mexikanischen Staates (Centeno 1994: 55). Politischer Wettbewerb wurde im Unterschied zum Porfiriato lediglich der Kontrolle des Regimes unterworfen, nicht jedoch grundsätzlich eliminiert. Innerhalb der Regimestrukturen und innerhalb der Partei wurden unterschiedliche inhaltliche Strömungen über die Ausgestaltung von Politikfeldern solange geduldet, wie sie nicht in Systemopposition übergingen. Griffen die Kooptationsmechanismen nicht mehr, so wurde auf das Instrument der Repression gesetzt. Die Aufteilung der Partei in vier und nach der Domestizierung des Militärs schließlich in drei Hauptsektoren sowie deren Unterorganisationen sollte gleichsam eine regimekonforme Steuerung von Meinungsvielfalt gewährleisten. Der PRI versuchte somit, möglichst viele gesellschaftliche Interessen in sich zu vereinigen und gewährte im Austausch gegen politische Loyalität materielle Leistungen sowie begrenzte politische Mobilität. Über das ausdifferenzierte institutionelle System sollten neue Interessen möglichst früh wahrgenommen werden, um diese sodann gemäß der Herrschaftslogik des autoritären Korporatismus regimestabilisierend einzubinden. Außerhalb des Regimes wurde Systemopposition ebenfalls nicht grundsätzlich eliminiert, sondern lediglich in ihren Entfaltungsmöglichkeiten massiv und teils auch mit repressiven Mitteln behindert. Der PRI beanspruchte dabei jedoch keine Monopolstellung, wohl aber eine dominante Stellung in der Parteienlandschaft. Oppositionsparteien, wie der Partido Acción Nacional (PAN) wurden zugelassen, in ihrer Entfal-

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Faust: Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie

tung jedoch massiv behindert (vgl. Nohlen 1993). Wahlen hatten zwar eine wichtige Legitimationsfunktion, doch Wahlmanipulation, Stimmenkauf, eingeschränkte Versammlungs- und Informationsfreiheit sowie Gewaltanwendung gegenüber hartnäckiger Opposition verhinderten ein freies und faires Wählervotum. Das autoritäre Regime des PRI gewährte keine Rechtsstaatlichkeit und keine Gewaltenteilung im Sinne einer liberalen Demokratie. Doch die Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Partei sowie die für ein autokratisches System vergleichsweise hohe Anzahl eingebundener Interessen implizierten ein informales System der checks and balances. Dieses verhinderte das Entstehen einer derart exklusiven Herrschaftskoalition wie im Porfiriato. Trotz der herausragenden Stellung des Präsidenten war ein Regieren gegen die unterschiedlichen Fraktionen der bürokratischen Elite und der Partei kaum möglich. Denn diese verfügten über die Konfliktbearbeitungs- und Verteilungsmechanismen zur Bedienung unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen und bildeten damit das institutionelle Fundament politischer Stabilität. Eine der wichtigsten Lehren aus dem Porfiriato und der Revolution war die kooperative Verregelung des Nachfolgeproblems. Die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten disziplinierte diesen, da er während und nach seiner Amtszeit auf Bürokratie und Partei angewiesen war, was eine Renaissance des mexikanischen caudillismo verhinderte, die Herausbildung eines kompetitiven Parteiensystems jedoch erschwerte (Centeno 1994: 53). Zudem kam dem scheidenden Präsidenten eine gewichtige Rolle bei der Auswahl seines Nachfolgers zu. Nachdem potentielle Nachfolger im engsten Zirkel der politischen Elite ausgehandelt worden waren, herrschte ein informaler Konsens darüber, dass nach der Kandidatenwahl durch den Präsidenten diese Entscheidung zu akzeptieren sei. Trotz aller schwelenden Konflikte im Vorfeld und nach der Nominierung bestand dieser Konsens bis in die 80er Jahre. In Kombination mit dem inklusiven Charakter des PRI wirkte sich diese Nachfolgeregelung dahingehend aus, dass trotz des Primats der bürokratischen Staatselite keine der bedeutenden Regimefraktionen dauerhaft aus dem politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen wurde. Die Verteilung politischer Macht auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen bedingte die eskalationshemmende Inklusivität des Regimes. Die Erwartungssicherheit der Akteure hinsichtlich der Berücksichtigung ihrer Interessen wurde erhöht und senkte die Anreize zum Ausstieg aus der Regimekoalition. Die Umschreibung des der Nachfolgeregelung zu Grunde liegenden Elitenpaktes als der Gründung einer „revolutionären Familie" mag zwar die Kooperationsbereitschaft innerhalb der mexikanischen Elite unzulässig überdehnen. Gleichwohl minderte die temporäre Lösung des Nachfolgeproblems die Gefahr der Eskalation in erheblichem Maße. Autokratische Herrschaft und wirtschaftliche Entwicklung: Um die Stabilität einer derart inklusiven Autokratie aufrecht zu erhalten, musste die Entwicklungsstrategie staatsinterventionistischer Natur sein. Die Wirtschaftspolitik

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basierte auf einer Wachstumsstrategie, die stärker durch Ressourcenmobilisierung denn durch Produktivitätssteigerungen gekennzeichnet war. Dies stellte im Anschluss an die Revolution auch solange kein Problem dar, solange es genügend brachliegende Produktionsfaktoren gab, die in einer stärker geschlossenen Ökonomie erst in den gesamtwirtschaftlichen Produktionskreislauf eingegliedert werden konnten. Die staatsinterventionistische Entwicklungsstrategie manifestierte sich in der Kontrolle des Finanzsektors und dem Aufbau eines Netzes von Entwicklungsbanken, die auf die funktionalen Interessengruppen zugeschnitten waren und deren Zugang zu Kapital an die Gewährleistung politischer Loyalität anknüpften (vgl. Glade/Anderson 1963). Weiterhin wurde der parastaatliche Sektor ausgedehnt, was ebenfalls die staatliche Kontrolle über die Verwendung produktiver Ressourcen vorantrieb. Auch das umfangreiche Instrumentarium aus Preisbindungen, Subventionen, Außenhandelsbeschränkungen etc. verhinderte die Entfaltung von Wettbewerbspreisen, war zugleich aber auch die notwendige Voraussetzung dafür, dass der PRI die Verteilung von Privilegien (Renten) im Sinne der politischen Interessen des Regimes einsetzen konnte. Gleichwohl achtete das Regime darauf, den Privatunternehmen ein Maß an marktwirtschaftlichem Gestaltungsspielraum zu belassen, um sich deren Unterstützung zu sichern. Der staatsinterventionistische Kapitalismus mexikanischer Prägung integrierte einerseits Arbeitnehmerschaft, Mittelstand, Bürokratie und Landbevölkerung in die jeweiligen Säulen des korporatistischen Systems (vgl. Lauth 1991). Andererseits waren Großunternehmer und private Finanzintermediäre nur geringfügig eingegliedert, besaßen diese doch genügend eigenes Organisationskapital, um ihre Interessen zu artikulieren. Während die Partei stärker den Interessenausgleich von Mittelschicht, Landbevölkerung und Arbeitnehmerschaft organisierte und dabei der staatlichen Elite gleichsam „rechenschaftspflichtig" war, organisierte letztere den Ausgleich zwischen Unternehmern und Partei, was ihre zentrale Stellung im politischen System zementierte. Die aus diesem Arrangement resultierende mexikanische Sozialpyramide war durch Klientelismus und Neopatrimonialismus gekennzeichnet. Die einzelnen Säulen des Systems wiesen starke vertikale Abhängigkeiten auf, die sich in typischen Patron-Klient-Verhältnissen äußerten. Die Verteilung von Ressourcen zwischen den Interessengruppen und innerhalb der korporatistischen Säulen erfolgte über politische Zuweisung, nicht über den dezentralen Mechanismus des Wettbewerbs. Korruption und Klientelismus kam gleichsam die Funktion eines politisch kontrollierten Tauschmarktes zu, was sich systemstabilisierend auswirkte (vgl. Morris 1992). Die formalen und informalen Mechanismen der Dezentralisierung in Mexiko waren dabei zentripetal angelegt. Zwar delegierten der Zentralstaat und die Parteispitze einen Teil ihres Sanktionsmonopols an lokale/regionale Organisationen oder Kaziken. Doch mussten sich diese ihre Freiräume dadurch erkaufen, dass sie die politische Loyalität der

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ihnen unterstellten Bevölkerung gegenüber dem Regime zu sichern hatten. Insgesamt organisierte die Partei somit die Verteilung von Vorteilen und Prämien (Renten), wofür sie umgekehrt diffuse und bei den Wahlen konkrete Unterstützung erhielt (Mols 2001: 227). Das binnenmarktorientierte und durch den staatlichen Zugriff auf produktive Ressourcen garantierte Entwicklungsmodell führte bis Anfang der siebziger Jahre im lateinamerikanischen Vergleich gleichwohl zu den höchsten Wachstumsquoten, die mit entsprechender politischer Stabilität einhergingen. Die soziale und politische Befriedung ergänzt um günstige internationale Rahmenbedingungen führten zu einem Modernisierungsschub. In Teilen des Dienstleistungssektors, im Bergbau und in Teilen der Industrie gingen damit auch Produktivitätsverbesserungen einher, doch insgesamt überwog Ressourcenmobilisierung. Denn einerseits wurde über die Integration vorher ungenutzter Ressourcen der Input stark erhöht, zum anderen konnten aufgrund des auf Ausgleichszahlungen beruhenden Elitengefüges nur mühsam wettbewerbsorientierte und damit produktivitätssteigernde Reformen durchgeführt werden. Wachstum, Produktivität und Einkommensverteilung in Mexiko 0 Wachstum des Volkseinkommens im 20. Jahrhundert 1900- 1913- 1929- 19501973- 1980- 1989-1994 1913 1950 1973 1980 1989 1993 2,6 0,8 4,0 6,5 6,4 3,0 1,4 0 Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens im 20. Jahrhundert 1900- 1913- 1929- 19501973- 1980- 1989-1994 1950 1989 1913 1929 1973 1980 -0,8 0,1 1,6 3,3 3,5 1,9 1,1 Gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung (0 Wachstum/Jahr) 1950-1994 1950-1973 1980-1989 1989-1994 1973-1980 0,7 -0,24 -2,5 -0,6 Quelle: Hofman 2000: 30, 32, 110, für weitere Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung siehe ebenfalls Hofmann 2000. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität wird hier mittels des Indikators der Double Augmented Total Factor Productivity geschätzt, demjenigen Anteil wirtschaftlichen Wachstums, der nicht auf die Erhöhung der Inputfaktoren zurückgeführt werden kann.

Verteilung des Volkseinkommens 1958-92 (%) 1977 1950 1963 1968 1984 Untersten 20% 2,8 2,9 3,6 6,1 4,1 Obersten 20% 59,8 64,1 63,7 54,5 55,9 Gini 52,6 55,5 57,7 50,0 50,6

1989 3,2 59,3 55,0

1992 4,1 55,4 50,4

Quelle: Deininger/Squire Data Set - Worldbank.

Gebunden war der Erfolg der Wirtschaftspolitik jedoch an die Verfügbarkeit von Ressourcen, um sich der politischen Loyalität der unterschiedlichen sozioöko-

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nomisch wie regional geprägten Interessen Vertreter und ihrer jeweiligen Klientel zu versichern und um über hohe Wachstumsraten den sozialen Sprengstoff des hohen Bevölkerungswachstums aufzufangen. Die gesellschaftliche Fragmentierung wurde zwar nicht beseitigt, konnte aber bis in die sechziger Jahre zumindest entschärft werden, da die anwachsenden Mittelschichten, Arbeitnehmerschaft und Privatsektor am Wirtschaftswachstum partizipierten. Unternehmerschaft und Mittelschichten arrangierten sich mit dem Regime. Die politische Mobilität wurde zudem durch die begrenzte Amtszeit des Präsidenten und der Abgeordneten gefördert, da hierdurch unterschiedliche Regimefraktionen die Möglichkeit hatten, mit ihren Vertretern und deren spezifischer Klientel einflussreiche Positionen in Staat, Partei und parastaatlichem Sektor einzunehmen und somit an der Rentenverteilung zu partizipieren. Die Inklusionsmechanismen des PRI-Regimes ermöglichten bis in die 60er Jahre somit eine Entschärfung des systemdestabilisierenden Potentials erfolgreicher Modernisierungsprozesse (vgl. Croissant/Faust 1999). Somit lässt sich festhalten, dass auch für den Zeitraum des „milagro mexicano" die Logik autokratischer Herrschaft greift. Die Vermachtung des staatlichen Gewaltmonopols durch eine autokratische Herrschaftskoalition schlug sich in einer ressourcenmobilisierenden und tendenziell wettbewerbsfeindlichen Wachstumsstrategie nieder. Die für ein autokratisches Modernisierungsregime vergleichsweise hohe Inklusivität sowie die Verregelung der Nachfolge entschärften jedoch die endogenen Stabilitätsprobleme der Autokratie. Damit stiegen die Lebenserwartung des Regimes und aufgrund dieser Erwartungssicherheit auch die Anreize, längerfristig zu investieren. Zudem ermöglichte der staatliche Zugriff auf produktive Ressourcen, die Verteilung von Privilegien so zu steuern, dass das systemdestabilisierende Potenzial von Kleinbauern, Arbeiterschaft und Mittelschichten temporär entschärft werden konnte. 3.4

Vom langen Ende einer Autokratie (1968-2000)

3.4.1 Die Modernisierungsfalle Mit der Ausdehnung der Mittelschichten und der Urbanen Arbeiterschaft aufgrund des anhaltenden Wachstumsprozesses wurde es für das Regime gleichwohl in den 60er Jahren immer schwieriger, das Prinzip der Massendomination über „diejenigen aufrechtzuerhalten, die anfingen, infolge erfahrener Modernisierung dem Massenstatus zu entwachsen" (Mols 1981: 112). Neben spezifischen Protestaktionen einzelner Interessengruppen können die Gewinne der bürgerlich-liberalen Oppositionspartei PAN als Indizien für zunehmende politische Unzufriedenheit herangezogen werden. Solange diese Opposition jedoch keine ernste Bedrohung darstellte, reagierte das PRI-Regime seltener mit Repression, sondern meist mit einer Mischung aus geringfügigen politischen Zugeständnissen und politischer Kooptation.

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Langfristig öffnete sich jedoch durch den gesamtwirtschaftlichen Erfolg des autoritär-korporatistischen Systems eine Modernisierungsfalle (Maihold 1996). Die starre, von oben verordnete Versäulung war immer weniger dazu in der Lage, die Forderungen nach mehr soziökonomischer, aber auch politischer Mobilität regimekonform zu kanalisieren. Zudem wurde das gesamtwirtschaftliche Wachstum immer ungleicher zu Gunsten der politischen Elite und den Unternehmern verteilt. Die hieraus resultierende Verringerung sozialer Mobilität förderte nun bei den benachteiligten Gruppen die Übertragung latenter Unzufriedenheit in aktive, systemablehnende Opposition. Die Forderungen nach mehr politischer Partizipation nahmen in den Studentenprotesten der späten 60er Jahre konkrete Formen an (Croissant/Faust 1999: 134f.). Die Niederschlagung der Studentenproteste hinterließ jedoch „neben der Legitimationskrise eine ungelöste Partizipationsproblematik, die sowohl die Mittelschichten als auch die unteren Schichten betraf" (Lauth 1991: 365). Damit geriet das Regime in das Verteilungsdilemma erfolgreicher Modernisierungsautokratien. Denn da ökonomische und politische Rechte zu Gunsten der autokratischen Herrschaftskoalition verteilt werden, kann den politischen und wirtschaftlichen Forderungen der aus Modernisierungsprozessen erwachsenen Interessengruppen nur in begrenztem Maße nachgegeben werden. Um kurzfristig die Stabilität des Systems zu erhöhen, wird auf ökonomische Legitimationsmuster gesetzt, was die Wahrscheinlichkeit gesamtwirtschaftlich destabilisierender Wirtschaftsstrategien erhöht. 3.4.2 Das Bröckeln der Pyramide: 1970-82 Der 1970 angetretene Präsident Luis Echeverría versuchte zunächst mittels einer sozial reformistischen Rhetorik, einer tercermundistischen Außenpolitik und teils auch sozialen Zugeständnissen die Legitimation des Regimes zu erhöhen. Hierdurch erlitt jedoch die informale Koalition zwischen Staatsbürokratie und Unternehmerschaft bzw. Vermögensbesitzern nachhaltigen Schaden. Letztere verloren zunehmend an Vertrauen in das Regime und fürchteten eine Umverteilung des Volkseinkommens zu ihren Lasten. Die Unternehmer begannen nun damit, politisch motiviert Investitionen zurückzuhalten. Da die Regierung aufgrund wachsender sozialer Unzufriedenheit jedoch aus Legitimationsgründen auf ihre sozialreformistische Haltung nicht verzichten wollte, erhöhte sie die Staatsausgaben. Hierdurch sollte der Rückgang der privaten Investitionen ausgeglichen bzw. über die Verteilung ökonomischer Privilegien und den Ausbau des Staatsapparates der politische Legitimationsschwund kompensiert werden.7 Diese kostspielige Kooptation führte zu wachsender Verschuldung, denn weder Steuereinnahmen noch parastaatliche Unternehmen 7

Zwischen 1970 und 1982 erhöhte sich die Summe parastaatlicher Unternehmen, staatlicher Verwaltungs- und Planungseinheiten von 354 auf 1155, was die Versorgung eines großen Teils der lohnabhängigen Schichten in regimeabhängigen Strukturen gewährleistete (vgl. Pardo 1991:82).

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reichten aus, um die steigenden Ausgaben zu finanzieren (Schröder 1992:61ff.). Das mexikanische Wachstum während der ersten Hälfte der 70er Jahre war noch stärker als zuvor durch Ressourcenmobilisierung gekennzeichnet. Die Ausgabenpolitik verursachte zudem erhebliche intrabürokratische Konflikte, da Finanzministerium und Zentralbank eher eine monetaristisch orientierte Politik befürworteten (Centeno 1994:151,182). Gleichwohl stieg die Auslandsverschuldung an und zudem begannen die Vermögensbesitzer nunmehr, zusätzlich verunsichert durch das Ende des Bretton-Woods-Systems, Kapital aus Mexiko abzuziehen, um damit ihren politischen Druck zu verstärken. Die Regierung geriet immer mehr zwischen die Mühlsteine der aufbrechenden gesellschaftlichen und intrabürokratischen Konflikte, die hieraus erwachsene Wirtschaftspolitik erwies sich nicht als problemlösend. Sie endete vielmehr in der „kleinen" Krise von 1976, einer massiven Abwertung gegenüber dem Dollar. Die Nachfolgeregierung unter López Portillo sah sich daher erstmals gezwungen, mit dem IMF zu verhandeln, dessen Kreditzusagen an Empfehlungen gebunden waren, die auf die Reduzierung des Staatseinflusses zielten (Schröder 1992: 73). Um nicht in dem sich abzeichnenden intraelitären Konflikt über die anstehenden Verteilungsmaßnahmen an Handlungsfähigkeit zu verlieren, gründete López Portillo in einer Art „bürokratischem Staatsstreich" ein Planungs- und Kontrollministerium, das er mit seiner camarilla besetzte. Die Konzentration von Planungs- und Budgetkompetenzen in der Secretaría de Programación y Presupuesto setzte dabei das intrabürokratische Kräftegleichgewicht außer Kraft (Centeno/Maxfield 1992: 82f.; Centeno 1994: 88ff.). Allmählich vollzog sich der Übergang von einer eher autokratisch-inklusiven zu einer stärker autokratisch-exklusiven Herrschaftskoalition. Die Politik der Regierung konzentrierte sich einerseits darauf, die Konfrontation mit der iniciativa privada zu entschärfen. Um die Gewinne der Unternehmer zu erhöhen und den Auflagen des IMF nachzukommen, wurde bis 1977 ein Sparkurs gefahren, wobei die staatlich inkorporierten Gewerkschaften die damit einhergehende restriktive Lohnpolitik vermittelten (Lauth 1991: 471 ff.). Um den damit einhergehenden Legitimationsentzug bei der lohnabhängigen Bevölkerung abzufedern, setzten 1977 politische Liberalisierungsschritte ein. Insbesondere die Wahlreformen waren aber letztlich so konstruiert, dass sie dem PRI gleichwohl bequeme Mehrheitsverhältnisse sicherten. Die Repräsentationschancen der Oppositionsparteien verbesserten sich, „ohne dass die dominante Stellung des PRI angekratzt wurde" (Nohlen 1993: 202). Das hierdurch erneut entstehende Legitimationsdefizit konnte aber temporär durch die neuen Erdölfunde im Golf von Mexiko entschärft werden. Im Zusammenspiel mit der Erdölkrise verschafften sie der Regierung nunmehr den notwendigen Spielraum, die unbequemen Empfehlungen des IMF zu ignorieren und ganz auf eine Strategie der Ressourcenmobilisierung zu setzen. Die Konsequenzen sind bekannt: Steigendes Wachstum über wachsende Erdölverkäufe und an-

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steigende Staatsverschuldung, was dann aufgrund der Veränderung der internationalen Rahmenbedingungen zur Krise von 1981/82 führte. Eine riskante Wirtschaftsstrategie, die auf die Bedienung von Rentenansprüchen zielte, hatte in die wirtschaftliche Misere geführt. Die noch unter López Portillo erfolgte Verstaatlichung des Bankensektors bedingte zudem einen nachhaltigen Vertrauensverlust der Vermögensbesitzer in das Regime. Sinkende private Investitionstätigkeit und Kapitalflucht beendeten im Zusammenspiel mit dem Staatsbankrott das „milagro mexicano". Insgesamt waren die 70er Jahre somit gekennzeichnet durch die kostspielige Kooptation von gesellschaftlichen Akteuren, die eine Berücksichtigung ihrer Interessen einforderten. Wachstum wurde durch Ressourcenmobilisierung provoziert, wettbewerbskonforme Reformen waren aufgrund der angewachsenen Zahl von Vetospielern in Staat und Gesellschaft nicht möglich, ohne die Stabilität des Regimes zu gefährden. Das mexikanische System entwickelte immer stärkere Züge eines Rentier-Staates. Der Beginn der Schuldenkrise von 1982 traf eine Gesellschaft, deren politisches Regime es trotz jahrzehntelangem Wachstum nur in geringem Umfang verstanden hatte, die tiefen Konfliktlinien innerhalb der mexikanischen Gesellschaft zu überwinden. 3.4.3 Exklusive Verteilungskoalition und Regimezerfall: 1982-2000 Die Krise der 80er Jahre resultierte maßgeblich daraus, dass nicht mehr genügend Ressourcen zur Verfügung standen, um das notwendige Wachstum für das Rentenverteilungssystem zu generieren. Die Investitionskrise wurde zur zentralen Bedrohung der politischen Stabilität (Ross Schneider 1998: 196). In der Phase ökonomischer Stagnation und eines zunehmenden Legitimationsverlustes zerfiel die „revolutionäre Familie". Eine Verteilungskoalition aus Vermögensbesitzern und technokratischer Steuerungselite bildete sich allmählich heraus, wobei letztere sich in hohem Maße aus dem von López Portillo geschaffenen Planungsministerium rekrutierte. Zusammen mit Teilen der Verwaltung aus Finanz- und Wirtschaftsministerium sowie der Zentralbank sah diese Gruppe im schwindenden Vertrauen der Kapitalbesitzer die zentrale Bedrohung für die Regimestabilität.8 Jene Perzeption einer Vertrauenskrise führte zu einer Politik, in der sich die Regierung durch die Vergabe ökonomischer Privilegien an potentielle Investoren den Rückgewinn politischer Legitimation erhoffte. Der seit 1982 amtierende Präsident De la Madrid und ehemalige Minister der Secretaría de Programación y Presupuesto orientierte sich zunächst an der Blaupause des IMF. Neben deutlichen Einsparungen im Staatshaushalt, wurden vor allem die Unternehmer hofiert, verfügten diese doch über das not-

Zur Zusammensetzung, zur Rekrutierung und zum Wandel der technokratischen Steuerungselite in Mexiko vgl. Hernández 1987; Centeno/Maxfield 1992; Centeno 1994.

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wendige Kapital für den Umbau der mexikanischen Wirtschaftsstruktur. 9 Die Handelsliberalisierung und der Beitritt zum GATT zielten auf eine stärker exportorientierte Entwicklungsstrategie und wurden gegen den Willen von Teilen der Partei durchgesetzt (Amparo Casar/Gónzalez 1990). Die Strukturanpassungen der Regierung de la Madrid gingen jedoch einher mit erheblichen sozialen Kosten für das Gros der Bevölkerung. Sinkende Lohnkosten sowie nachlassende Inlandsnachfrage begünstigten die Exportorientierung der Unternehmer. Damit einher ging die wachsende Unzufriedenheit der lohnabhängigen Schichten, gespeist noch zusätzlich durch das Versagen des Staates bei der Bewältigung der Erdbebenfolgen von 1985. Da der Staat aber nur in geringem Umfang mit materiellen Ausgleichszahlungen auf wachsende Unzufriedenheit reagieren konnte, wurden, ähnlich wie zu Beginn des sexenios von López Portillo, erneut politische Liberalisierungsschritte eingeleitet (Nohlen 1993: 202). Das aus dieser zwiespältigen Strategie der Legitimationsschaffung resultierende Konfliktpotential entlud sich 1987 in der bis dato schwersten Krise des Regimes. Die ökonomischen Reformen hatten zwar Exportüberschuss und Haushaltsentlastung erreicht, begünstigten jedoch eine Abwertungs-Inflationsspirale zu Lasten der Lohnabhängigen. Erst 1987 gelang es mit dem Pacto de Solidaridad Económico zwischen Staat, Unternehmern und Gewerkschaften diese Spirale zu stoppen. 1 0 Gleichwohl hatte sich bis dato auch innerhalb des Regimes eine sozialreformerische Fraktion gebildet, die für politische Reformen und sozialen Ausgleich eintrat. Als dann Sahnas de Gortari, der Planungsminister und einer der maßgeblich Verantwortlichen für die neue Allianz zwischen Technokratie und Unternehmerschaft zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde, zerbrach der Elitenkonsens und damit die fúr die politische Stabilität so wichtige Nachfolgeregelung. Die Reformer traten aus der Partei aus, gründeten ein Wahlbündnis und forderten den PRI in den Präsidentschaftswahlen von 1988 heraus. Teile der Partei versagten d e n PRI-Kandidaten die Gefolgschaft, indem sie die Massenmobilisierung im Vorfeld der Wahlen vernachlässigten, so dass Salinas nur mit Hilfe von Wahlrranipulation das Präsidentenamt erlangte (vgl. Lauth/Wagner 1993). Die Regierung Salinas sah sich somit gleich zu Beginn ihrer Amtszeit mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. Die Bevölkerung war dabei, sich 9

Mit einer Vertassungsreform im Jahre 1982 wurde die hierarchische Beziehung von Eigentum aufgelöst, die darin bestanden hatte, dass kein privates Eigentum gejen den Willen des Staates bestehen dürfe (Schröder 1992: 86).

,0

Wenngleich auf den ersten Blick als Konzertation zwischen unabhängiger Akteuren interpretierbar, so war doch insbesondere der Spielraum der im autoritären Korpjratismus integrierten Arbeitnehmerschaft gering, und auch klein- und mittelständische Unte'nehmer hatten nur wenige Möglichkeiten, ihre Interessen einzubringen. Die Gewerkschaftsführer gehorchten wiederum der Logik des autoritär-korporatistischen Systems, da sie abhäigig von den staatlichen Akteuren waren, und vermittelten in einer Art top-down-Merfahren cie ungünstigen Bedingungen an die Gewerkschaftsmitglieder und übrigen Lohnempfänger.

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endgültig vom Regime abzuwenden, das elite settlement war zerstört, Teile der Partei versagten der Administration ihre Gefolgschaft. Gleichzeitig galt es, die Partnerschaft mit den Kapitalbesitzern nicht zu gefährden. Auf diese Herausforderungen reagierte die technokratische Steuerungselite unter Salinas mit einem Bündel an strategischen Maßnahmen, die jedoch alle die gleiche Stoßrichtung hatten: die Konsolidierung der Herrschaft der technokratischen Steuerungselite durch die Vertiefung des Bündnisses mit der Unternehmerschaft und die Fortsetzung der Annäherung an die USA. Die erfolgreiche Umsetzung dieses angestrebten Bündnisses konnte jedoch nur gelingen, wenn es der Regierung 1) erstens gelang, nationalen und internationalen Unternehmern Anreize für Investitionen zu geben, 2) zweitens die möglichen Vetospieler innerhalb der Partei und der Verwaltung auszuschalten und 3) drittens das Oppositionspotential der Bevölkerung zu entschärfen.11 Ad1): Die Anreize für Investitionen wurden zum einen durch die Kapitalbilanzöffnung und die Privatisierung der Banken geschaffen. Dies ermöglichte es den Unternehmern, Kapital aufzunehmen und in Mexiko zu investieren. Hohe Gewinnmöglichkeiten wurden durch Privatisierung und Deregulierung geschaffen, welche jedoch vielfach durch die politische Konstruktion oligopolistischer und teils monopolistischer Marktstrukturen Rentengewinne ermöglichten. Die Liberalisierung in der Landwirtschaft begünstigte ebenfalls große Betriebe zu Lasten der mexikanischen Kleinbauern. Die Bankenprivatisierung wurde dergestalt abgewickelt, dass ein enges Oligopol entstand, welches zu nicht wettbewerbskonformen Preisen im Finanzsektor führte (Schamis 1999; Kessler 1999). Darüber hinaus zielte das Nordamerikanische Freihandelsabkommen auf die Stabilisierung der Beziehung zwischen Staat und Unternehmerschaft. Zum einen verbesserte das Handelsabkommen die Zugangsmöglichkeiten zum US-Markt und damit eine Erhöhung der Exporte. Zum zweiten ist NAFTA auch als Investitionsabkommen zu verstehen, das den Zufluss von Kapital sichern sollte. Letztlich diente NAFTA als institutionelle Absicherung der veränderten, binnenmarktfernen und exportorientierten Entwicklungsstrategie, um somit das Vertrauen potentieller Investoren zu erhöhen. Die AbwertungsInflationsspirale konnte durch die Kombination zweier Maßnahmen gestoppt werden. Zum einen wurden die Lohn-Preis-Abkommen zwischen Staat, Gewerkschaften und Unternehmern regelmäßig erneuert, um hierdurch Preisstabilität zu erhalten. Ergänzt wurde dies um die Kopplung des mexikanischen Peso an den US$. Damit erhielten potentielle Investoren eine weitere staatliche Garantie gegen den Währungsverfall. Ad 2): Kompensationszahlungen an die lohnabhängigen Schichten mit hohem Protestpotential erfolgten hauptsächlich über zwei Schienen. Erstens erlangten die Mittelschichten im Zuge der makroökonomischen Stabilisierung und der über das neue Währungsregime erreichten Aufwertung trotz stagnie"

Zur Wirtschaftspolitik unter Salinas vgl. im Überblick Faust/Schwane 1995; Faust 2 0 0 0 .

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render Lohnentwicklung mehr Planungssicherheit und zudem die Möglichkeit, sich "billig" zu verschulden und Importgüter zu einem vergleichsweise günstigen Preis zu konsumieren. Zweitens erhöhte die Regierung über assistentielle Programme, vor allem PRONASOL und PROCAMPO die Sozialausgaben. Die hierfür notwendigen haushaltspolitischen Spielräume schaffte die Regierung Salinas durch die Annäherung an die USA und das hieraus resultierende Brady-Abkommen von 1989. Darüber hinaus verbesserte sich die Haushaltssituation temporär durch die Privatisierungserlöse. Die politische Liberalisierung schritt weiter voran, Teilregime wie Interessenartikulation und Interessenaggregation wurden liberalisiert, um den Forderungen nach mehr demokratischer Partizipation zu begegnen.12 Ad 3): Bereits zu Beginn seiner Amtszeit begann Salinas traditionelle Parteikader zu disziplinieren. Die Partei hatte die Gewerkschaften in die pactos económicos zu integrieren und im Zuge von Wahlen zu mobilisieren. Der PRI verlor gegenüber der vor allem in der Technokratie ansässigen camarilla des Präsidenten drastisch an Einfluss. Dies manifestierte sich u.a. auch darin, dass im Rahmen von PRONASOL und PROCAMPO Verteilungsstrukturen direkt aus der Exekutive aufgebaut wurden (vgl. Otero 1996). Insgesamt verschob sich damit das Machtgefüge zwischen Exekutive und Partei weiter zu Gunsten ersterer. Gleichwohl hatte diese Exklusion traditioneller Parteikader sowie linksliberaler Reformer zur Konsequenz, dass die Unzufriedenheit innerhalb des Regimes anstieg (Centeno/Maxfield 1992). Wirtschaftliches Wachstum wurde somit erneut durch Ressourcenmobilisierung über Direktinvestitionen und kurzfristig angelegtes Portfoliokapital erlangt. Die Vergabe von Renten über die politische Konstruktion von Marktreformen, welche Preise zu Gunsten von Großunternehmerschaft und Finanzkapital verzerrten, sowie die Aussicht auf NAFTA ermöglichte den temporären Rückfluss von Investitionskapital. Über Wachstum, die Inflationsdrosselung, eine stabile Währung sowie die Zunahme an Sozialausgaben gewann das Regime gleichzeitig bei Teilen der Lohnabhängigen an Legitimation zurück. Zieht man noch die politischen Liberalisierungsschritte hinzu, so lässt sich erklären, warum die Strategie der Regierung Salinas zunächst als erfolgreiche Reformpolitik interpretiert wurde. Gleichwohl war diese Politik zum Scheitern verurteilt. Die Vernachlässigung der Interessen der Landbevölkerung, das wachsende Nord-Süd-Gefälle, die Spaltung der mexikanischen Ökonomie in einen sich modernisierenden Exportsektor und einen stagnierenden Binnenmarkt sowie die Fragmentierung 12

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Auch nahm die Wahlmanipulation ab, doch gleichzeitig waren vertikale und horizontale Gewaltenkontrolle nur schwach ausgeprägt. Der Präsident griff teilweise mit verfassungsmäßig nicht konformen Mitteln ein, um eine für ihn günstige politische Konstellation auf der Ebene der Bundesstaaten herzustellen. Zur Demokratisierung während des sexenios von Salinas vgl. im Überblick u.a. Mols/Franke 1997, Boylan 2 0 0 1 .

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innerhalb des Regimes verhinderten die Stabilisierung des politischen Systems. Der Aufstand in Chiapas und die wachsende Gewaltbereitschaft bei der Austragung intraelitärer Konflikte verdeutlichten den Zerfall des Regimes. Das Nachfolgeproblem der Autokratie manifestierte sich 1994 mit der Ermordung des PRI-Präsidentschaftskandidaten. Die riskante makroökonomische Wachstumsstrategie der externen Ressourcenmobilisierung scheiterte aufgrund der sich verringernden "Lebenserwartung" des Regimes, des sich damit reduzierenden Planungshorizontes der Akteure und der im Zuge des W a h l k a m p f s von 1994 wieder ansteigenden Verschuldung. Die Zerfallserscheinungen mündeten kurz nach Amtsantritt des neuen Präsidenten Zedillo in die Währungs- und Wirtschaftskrise der Jahre 1994/95. Wenngleich massive Kapitalflucht und Spekulation gegen den Peso der Auslöser für die Krise waren, so liegen deren Ursachen in der Wirtschaftspolitik der Regierung Salinas (vgl. Faust 2000). s t a m m e n d e PräsiWenngleich der neue, abermals aus der SPP-camarilla dent Ernesto Zedillo mit der Legitimation vergleichsweise fairer W a h l e n angetreten war, so wurden der ihm unterstehende PRI und die Staatsbürokratie doch für die ökonomische Misere verantwortlich gemacht. Mit einer vergleichsweise kleinen camarilla ausgestattet, inmitten eskalierender Verteilungskonflikte zwischen den Regimeeliten positioniert und mit einer massiven Rezession konfrontiert, versuchte die Regierung Zedillo nunmehr politische und ökonomische Reformen einzuleiten. Wettbewerbsfreundliche Regulierung, die Fortführung der Zentralbankreformen, Reformen im Finanzsektor und makroökonomische Austeritätspolitik kennzeichneten u.a. die Reformen Zedillos. Politische Reformen zielten u.a. auf eine stärkere Unabhängigkeit der Justiz und der Bundeswahlbehörde (IFE). Diese Reformstrategie entstand aus der politischen Defensive und suchte den Zerfallserscheinungen des politischen Regimes und des mexikanischen Staates insgesamt zu begegnen. Während die Verluste des PRI auf regionaler und lokaler Ebene sowie die Parlamentswahlen von 1997 die Erosion des postrevolutionären Regimes beschleunigten, verlor der mexikanische Staat selbst an Durchsetzungsfähigkeit. Insgesamt wandelte sich die Funktionslogik der klientelistischen Strukturen. Ursprünglich waren Klientelismus und Korruption als informale und regimekonforme Verteilungsstrukturen systemstabilisierend, d a Partei und Staat miteinander verschmolzen. Unter Salinas und danach im Zuge der auf Demokratisierung gerichteten Reformpolitik Zedillos wurden diese informalen Strukturen nun gegen den Staat gewendet, d a dieser seinen Rentenverpflichtungen nicht mehr nachkam (Morris 1999). Die hohe Unsicherheit während der Phase des institutionellen Wandels der 90er Jahre führte somit dazu, dass illegale Mechanismen den gesellschaftlichen Interessengruppen dazu dienten, angesichts der kurzen „Restlaufzeit" des Regimes ihre Einkommen zu maximieren. Die durch die Wirtschaftskrise noch beschleunigte urbane Kriminalität und der Aufstand in Chiapas waren hingegen manifeste Zeichen der Erosion des staatlichen Ge-

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waltmonopols, die durch die Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten im Zuge der Wirtschaftsreformen verursacht wurden. Mithin war das Ende des PRI-Regimes gekennzeichnet durch staatsaverse Dezentralisierungserscheinungen, die mit dem Zerfall des korporatistischen Regimes einhergingen (Cornelius 2000). Die vorangeschrittene Spaltung des Regimes, ein Präsident, der die Kontrolle über die Partei verloren hatte und die Nachfolgeregelung außer Kraft setzte, bedeuteten gleichzeitig den Verlust der wichtigsten Mobilisierungsinstrumente für die Präsidentenwahl 2000. Zudem präsentierte der PAN mit Vicente Fox einen populistisch integrierenden Kandidaten, der für politisch tiefgreifenden und ökonomisch allenfalls moderaten Wandel stand und somit auch die Interessen der Kapital- und Vermögensbesitzer berücksichtigte. Die Wahlniederlage des PRI im Sommer 2000 besiegelte das Ende des PRI-Regimes.

4. Zusammenfassung Ziel dieser Untersuchung war es, die Auswirkungen politischer Herrschaft auf die wirtschaftliche Entwicklung im Mexiko des 20. Jahrhunderts darzustellen und in ein institutionenökonomisches Modell autokratischer Herrschaft einzubetten. Folgende Ergebnisse können festgehalten werden. 1) Ressourcenmobilisierung dominierte die wirtschaftlichen Wachstumsphasen, was mit der Logik autokratischer Wirtschaftspolitik übereinstimmt. Die Möglichkeit zu diskretionären Eingriffen und der Verteilung von Renten an eine autokratische Herrschaftskoalition führen zur Verzerrung von Preissystemen zu Gunsten partikularer Interessen und hemmten damit die Verteilungs-, Effizienz-, Innovations- und Imitationsfunktionen wirtschaftlichen Wettbewerbs. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität war am höchsten während der Phase, in welcher das PRI-Regime durch einen hohen Grad an Inklusivität gekennzeichnet war. Offensichtlich hatte die Integration vieler Interessen in das Regime bei gleichzeitig zentralistischer Steuerung einen positiven Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung. Während der zentralistische Aufbau des Systems eine Orientierung an makroökonomischer Stabilität begünstigte, sorgte der höhere Grad an regimeinternem „Wettbewerb" für eine vergleichsweise „effizientere" Verteilung produktiver Ressourcen. 2) Autokratische Herrschaft war auch in Mexiko mit dem Problem konfrontiert, Modernisierungsprozesse systemkonform zu integrieren. Trotz langer Phasen gesamtwirtschaftlichen Wachstums konnte die sozioökonomische Fragmentierung nicht entschärft werden. Sowohl das autokratische Regime Porfirio Diaz' als auch der autoritäre Korporatismus des PRI-Regimes gerieten in eine Modernisierungsfalle. Das hieraus entstandene Verteilungsdilemma konnte jedoch mit den Spielregeln autokratischen Regierens nicht aufgelöst werden. Gesellschaftliche Modernisierung untergrub die politische Stabilität der autokratischen Herrschaftssysteme, die autokratisch verordneten Verteilungsmechanismen konnten nicht an die wachsende gesellschaftliche Komplexität angepasst werden. 78

Faust: Aufstieg und Niedergang der mexikanischen Autokratie

3) Die Währungs- und Finanzkrisen der 70er, 80er und 90er Jahre verdeutlichen weiterhin, dass die tieferen Ursachen makroökonomischer Instabilität innenpolitischer Natur waren. Die höhere Kapitalmobilität führte zu einer Orientierung an den Interessen von Vermögensbesitzern und potentiellen Investoren, um über die Mobilisierung von Kapital Wachstumseffekte zu generieren. Die notwendige Haushaltsdisziplin sowie eine wettbewerbsförderliche Regulierung blieben jedoch aufgrund der binnenpolitischen Verteilungskonflikte aus, die mexikanische Volkswirtschaft wurde zunehmend verwundbar gegenüber externen Veränderungen. 4) Sowohl am Beispiel des Porfiriato als auch am Beispiel des PRI-Regimes lässt sich weiterhin das Nachfolgeproblem moderner Autokratien illustrieren. Die Ungewissheit über die Zukunft des Regimes verringerte den Planungshorizont der Wirtschaftssubjekte und schaffte Anreize für die Opposition, sich gegen das Regime zu wenden. Im Hinblick auf das PRI-Regime lässt sich konstatieren, dass mit der Erosion des postrevolutionären Elitenpaktes aufgrund des durch den Modernisierungsprozess bedingten Verteilungskonflikts auch das Vertrauen in die Gültigkeit der zentralistisch und stärker inklusiv angelegten Verteilungsmechanismen verschwand. 5) Die Erosion autokratischer Herrschaft in Mexiko zog - wenngleich in unterschiedlicher Intensität - sowohl nach dem Porfiriato als auch mit dem Ende des PRI-Regimes eine Phase staatsaverser Dezentralisierung nach sich. Mit dem Zerfall zentralistisch angelegter Autokratien wurden zentrifugale gesellschaftliche Kräfte freigesetzt, die sich nicht mehr nur gegen das Regime, sondern auch gegen den mit diesem verschmolzenen Staat wandten. Hieraus ergibt sich wohl die zentrale Herausforderung für die gegenwärtige Phase der Demokratisierung. Denn ob in Mexiko eine konsolidierte Demokratie erwächst, ist keineswegs sicher. Zu stark ist die gesellschaftliche Fragmentierung und zu massiv sind die staatszersetzenden Effekte von Korruption und Kriminalität, als dass ein rascher Siegeszug des demokratischen Rechtsstaates zu erwarten wäre. Gleichwohl sind demokratische Partizipationsmechanismen bereits etabliert. Doch steht gleichberechtigt neben diesen das illiberale Legat autokratischer Herrschaft, dass sich in gesellschaftlicher Fragmentierung und in staatsaverser Dezentralisierung manifestiert. Die Herausforderung für Mexiko liegt daher in der Schaffung eines stabilen Rechtsstaates, doch wird dieser nur dauerhaft bestehen, wenn institutionelle Reformen die gesellschaftliche Spaltung zwischen Stadt und Land, zwischen Norden und Süden und zwischen Arm und Reich verringern.

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Lateinamerika Jahrbuch 2 0 0 1

Christian von Haldenwang

Standortpolitik - neue Rollen für Regionen und Kommunen in Lateinamerika1 1. Einleitung: Weltmarktorientierung und Strukturanpassung Die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder hat in den vergangenen zwei Dekaden energische Schritte in Richtung einer vertieften Weltmarktintegration unternommen, aber die Bilanz dieser Bemühungen fällt zwiespältig aus. In einer jüngst veröffentlichten Studie zur Entwicklung der neunziger Jahre macht die CEPAL „Licht und Schatten" aus (Ocampo/Bajraj/Martin 2001). Positiv vermerkt werden vor allem die Senkung der Inflationsraten und Haushaltsdefizite, die Steigerung der Exporte sowie Fortschritte bei der regionalen Integration. Im Hinblick auf wirtschaftliches Wachstum, Abbau sozialer Ungleichheit und Wettbewerbsfähigkeit weist die Studie jedoch auf fortbestehende Defizite hin. Für die meisten Länder Lateinamerikas gilt, dass die in der vergangenen Dekade erzielten Pro-Kopf-Wachstumsraten (im Durchschnitt 1,4 Prozent jährlich) völlig unzureichend waren, um der zunehmenden Polarisierung von Einkommen und Besitz wirksam entgegensteuern zu können. „Growth is good for the poor", lautet zwar der Titel einer vielbeachteten Studie der Weltbank, in der auf der Basis umfangreichen statistischen Datenmaterials festgestellt wird, dass die Einkommen des ärmsten Fünftels der Bevölkerung proportional zum Wachstum des jeweiligen BIP steigen (vgl. Dollar/Kraay 2000). Offensichtlich ist jedoch nicht jedes Wachstum gut genug, um einen effektiven Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten. Dies wird interessanterweise durch ein weiteres, kürzlich veröffentlichtes Arbeitspapier der Weltbank bestätigt, aus dem hervorgeht, dass Anpassungsprogramme des IWF und der Weltbank die Auswirkungen von Wachstum auf die Einkommen der Armen verringert haben - in positiver wie

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Dieser Artikel stützt sich teilweise auf Erkenntnisse aus Studien zur Standortpolitik in Deutschland sowie zur institutionellen Modernisierung in Lateinamerika, die in ausführlicherer Form an anderer Stelle dokumentiert sind. Vgl. Haldenwang 1999b; 2001.

von Haldenwang: Standortpolitik - neue Rollen tür Regionen und Kommunen

negativer Richtung.2 Die Frage nach der Art des Wachstumsmusters hat somit auch unter den Bedingungen der neoliberal inspirierten Weltmarktintegration nichts von ihrer Bedeutung verloren. Auf der Suche nach den Ursachen für die insgesamt unbefriedigende Entwicklung ist die internationale Forschung bei der institutionellen Ausstattung der lateinamerikanischen Länder fündig geworden (vgl. dazu u.a. Burki/Perry 1998; Pritzl 1999; Fuhr 2000). Beklagt wird das Fehlen von zentralen Voraussetzungen für eine Beschleunigung der gesellschaftlichen Lernprozesse und für eine langfristige Verstetigung und Verbreiterung von Wirtschaftswachstum. Die unzureichende Definition und der fehlende Schutz von Eigentumsrechten erschweren die vertragsförmige Gestaltung von Wirtschaftsbeziehungen und die Bildung von Vertrauen - einer zentralen Ressource für Entwicklung. Verweise auf Mängel im Justizwesen und bei der Regulierung der Märkte, auf langwierige und komplizierte bürokratische Verfahren, auf Korruption und Klientelismus und auf die mangelhafte Bereitstellung öffentlicher Güter und staatlicher Basisdienstleistungen sind mittlerweile Gemeinplätze in der Entwicklungsdebatte. Sie machen deutlich, dass die Wettbewerbsfähigkeit lateinamerikanischer Unternehmen nicht nur eine Frage des Zugangs zu den Märkten der OECD-Länder ist, wie sie bei internationalen Konferenzen häufig im Mittelpunkt steht, sondern vor allem auch ein Standortproblem. Diese an sich richtige Erkenntnis darf allerdings nicht auf simple Kausalketten verkürzt werden: Genauso wenig, wie Märkte allein für Entwicklung sorgen, entsteht eine wettbewerbsorientierte Unternehmerschaft allein aufgrund institutioneller Eingriffe. Vielmehr stehen Institutionen und gesellschaftliche Entwicklung in einem dynamischen und komplexen Wechselverhältnis (vgl. North 1990; Chang 1996: 7-90). Institutionen geben Entwicklungspfade vor. Sie fokussieren gesellschaftliche Lernprozesse und beschleunigen sie hierdurch. Institutionen stabilisieren Erwartungen und ermöglichen damit dauerhafte und diversifizierte Beziehungsmuster. Sie wirken gleichzeitig aber auch strukturkonservierend und können gesellschaftliche Innovationen bremsen oder gar blockieren. Erfahrungen mit dem Strukturwandel in altindustriell geprägten Räumen, etwa dem Ruhrgebiet (z.B. Meise 1998; Kilper 1998), zeigen, wie schwierig es ist, traditionelle Leitbilder und eingeschliffene Verhaltensmuster zu überwinden. Sie zeigen allerdings auch, dass wichtige Fortschritte häufig mit der Herausbildung neuer Institutionen verknüpft sind, die bestehende Standards und Sichtweisen verändern und neue Akteure in die Entscheidungsprozesse einbinden. In diesem Artikel wird argumentiert, dass nicht nur die zentralstaatlichen Institutionen der makroökonomischen und -politischen Steuerung für die Gestaltung des Strukturwandels von Bedeutung sind, sondern zunehmend auch die Institutionen der subnationalen (regionalen und lokalen) Ebenen. Entwicklung wird auf der Makroebene durch stabile ökonomische und politische Rahmenbe2

Vgl. Easterly 2000: 8: „Expansion under adjustment contraction under adjustment lending is less anti-poor".

lending is less pro-poor,

while

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dingungen gefördert. Sie ist darüber hinaus aber auf die Schaffung bzw. Stärkung von Institutionen angewiesen, die den Strukturwandel der Wirtschaftsräume vorantreiben, indem sie die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte erhöhen kurz: indem sie Standortpolitik betreiben. Dies ist so, weil sich mit der Deregulierung der Märkte, der Modernisierung der Investitionsregime und der Liberalisierung des Außenhandels die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen wie auch für Standorte grundlegend verändert haben. Beide sind dem internationalen Wettbewerb nun sehr viel direkter ausgesetzt und zunehmend in internationale Wirtschaftsbeziehungen eingebunden. Länder, die hierauf zügig mit politischen und administrativen Reformen auf lokaler und regionaler Ebene reagieren, haben mittelfristig bessere Aussichten, ihr wirtschaftliches Wachstum auf eine breitere Grundlage zu stellen, wie es für eine stärker armutsorientierte und gleichzeitig wissensbasierte Entwicklung notwendig wäre. Diese These soll im Folgenden ausgeführt und begründet werden. Hierzu ist es notwendig, in einem ersten Schritt die Tendenzen der institutionellen Entwicklung auf regionaler und lokaler Ebene zu skizzieren, wie sie nicht nur in Lateinamerika, sondern u.a. auch in den OECD-Ländern beobachtet werden können. Neben der Stärkung der Kommunen und Regionen im Rahmen von Dezentralisierungsprozessen zeigt sich in beiden Ländergruppen ein Trend zur Herausbildung von Institutionen, die zwischen unterschiedlichen Akteuren vermitteln, Informationen bereitstellen und Netzwerksteuerung betreiben (Abschnitt 2). Diese Entwicklungstendenzen können als Reaktionen auf neue Anforderungen an die politisch-administrativen Systeme aufgefasst werden (Abschnitt 3). In diesem Zusammenhang wird erstens die These vertreten, dass die politische Steuerung verbessert werden muss, um die Strategiefähigkeit politischer Entscheidungssysteme zu erhöhen und die Möglichkeiten der Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Akteuren auszuschöpfen (3.1.). Zweitens wird argumentiert, dass Verwaltungsreformen notwendig sind, mit denen die Kunden- und Bürgernähe der öffentlichen Institutionen erhöht und die Auswirkungen des Verwaltungshandelns auf die Zielgruppen zum zentralen Maßstab erhoben werden (3.2). Drittens wird gezeigt, dass die notwendige Anpassung der Unternehmen und Produktionssysteme neue Anforderungen an eine standortbezogene Wirtschaftsförderung stellt (3.3). Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen wird die Stärkung der subnationalen Ebenen als zentrale Aufgabe der „zweiten Phase der Anpassung" in Lateinamerika identifiziert (Abschnitt

4).

2. Tendenzen der institutionellen Entwicklung auf den subnationalen Ebenen In Lateinamerika und den OECD-Ländern Europas können vergleichbare Tendenzen der institutionellen Entwicklung auf den subnationalen Ebenen beobachtet werden, allerdings vor dem Hintergrund unterschiedlicher institutioneller

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von Haldenwang: Standortpolitik - neue Rollen für Regionen und Kommunen

Ausgangsbedingungen: Zum einen setzen immer mehr Länder auf den Aufbau bzw. die Stärkung von lokalen bzw. regionalen Institutionen mit umfangreichen Aufgaben und Entscheidungskompetenzen. Häufig herausgestellte Ziele derartiger Reformen sind der Abbau von Bürgerferne und die Erhöhung der Effizienz in der öffentlichen Verwaltung. Zum anderen bilden sich, oftmals aufgrund örtlicher Initiativen, immer mehr „weiche" Institutionen heraus, die über wenig formalisierte Entscheidungskompetenzen verfügen und vor allem Informations-, Planungs- und Vermittlungsleistungen übernehmen. Erklärtes Ziel solcher Institutionen ist die Bewältigung des Strukturwandels durch eine verbesserte Abstimmung der betroffenen (öffentlichen wie privaten) Akteure. Die Dezentralisierung von Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcen sowie die Stärkung von Kommunen und Regionen ist seit Jahrzehnten weltweit ein zentrales Element von Staatsreform und Verwaltungsmodernisierung. In den 90er Jahren hat dieser Prozess und die ihn begleitende Debatte allerdings einige neue Impulse erhalten. Hierzu zählt in theoretischer Hinsicht die verstärkte Zuwendung zu Konzepten der Neuen Institutionenökonomie, verbunden mit einer Reformulierung des Subsidiaritätsprinzips.3 In praktischer Hinsicht haben Fragen des regionalen Strukturwandels und der lokalen Wirtschaftsförderung zunächst in den OECD-Ländern, in letzter Zeit aber auch verstärkt in den Entwicklungsländern zu einer neuen Dezentralisierungsdynamik beigetragen. Zusätzlich befördert wurde dieser Prozess hier wie dort durch die fiskalischen und Verschuldungskrisen der 80er und 90er Jahre, die neue Modelle administrativer Steuerung und Finanzierung von öffentlichen bzw. Infrastrukturleistungen hervorbrachten. In den meisten lateinamerikanischen Ländern haben Regionen (Departements, Provinzen, Bundesstaaten) und Kommunen im Zuge von politischen und administrativen Dezentralisierungsprozessen in den letzten Dekaden Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcenverantwortung hinzugewonnen, zunächst vor allem in den Bereichen der schulischen Ausbildung, medizinischen Versorgung sowie der lokalen Infrastruktur und Versorgungswirtschaft. Bürgermeister, Gemeinderäte, Gouverneure etc. werden heute in vielen Fällen nicht mehr ernannt, sondern direkt gewählt. Gleichzeitig ist die Relevanz der untergeordneten Gebietskörperschaften für die örtliche Wirtschaft gestiegen. Die sich hieraus für Regionen und Kommunen ergebenden standortpolitischen Herausforderungen werden jedoch vielerorts nur zögerlich angenommen. Häufig sind die vorhandenen finanziellen Anreizstrukturen nach wie vor wenig förderlich für eine aktivere Rolle der subnationalen Ebenen, auch wenn bei der fiskalischen Dezentralisierung in den letzten Jahren Fortschritte gemacht worden sind (Burki/Perry 2000).

In institutionenökonomischer Formulierung besagt das Subsidiaritätsprinzip, dass eine Leistung auf der untersten Ebene erbracht werden soll, auf der Kosten und Nutzen noch vollständig internalisiert werden können. Vgl. Simon 2000 für eine eingehende Diskussion des Begriffs im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Außerdem zur Dezentralisierung aus institutionenökonomischer Perspektive: Oates 1999; Eckardt 1998: 1-69.

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In vielen Ländern der Europäischen Union stand in den letzten Jahren dagegen die Stärkung der mittleren Ebenen des Staates im Vordergrund. Leitbild war hierbei das „Europa der Regionen", das die mittleren Ebenen zu zentralen Akteuren einer am Subsidiaritätsprinzip orientierten Aufgabenverteilung macht. Die Entwicklung wurde durch die regionale Ausrichtung der Europäischen Strukturfonds erheblich gefördert (Haldenwang 1999b: 6-8). Sie basiert allerdings auf ausdifferenzierten und handlungsfähigen lokalen Strukturen. Gerade die Kommunen sind denn auch in den letzten Jahren zu Trägern von neuen Elementen der Verwaltungsmodernisierung geworden, die unter dem Begriff des New Public Management diskutiert werden und als wesentliches Element die Dezentralisierung von Fach- und Ressourcenverantwortung auf untergeordnete Verwaltungseinheiten beinhalten. Ein übergreifendes Element des institutionellen Wandels in den OECDLändern ist daneben die Herausbildung von Institutionen, deren Funktion darin besteht, den Strukturwandel von Regionen zu steuern, ohne dass sie notwendigerweise über umfangreiche „harte" Entscheidungskompetenzen und organisatorische Apparate verfügen (vgl. OECD 1997 und 2000). Derartige Institutionen übernehmen heute eine Vielzahl, teils neuer, standortpolitischer Funktionen, die dazu beitragen, die Transaktionskosten von Unternehmen zu senken und Lernprozesse zu beschleunigen: 4 • Standortmarketing und Unternehmensakquisition; • Außenwirtschaftsförderung und Hilfe beim Aufbau von überregionalen Unternehmenskooperationen; • Koordinierung bzw. Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen (insbesondere in den für zwischenbetriebliche Kooperation wesentlichen Sektoren Transport und Kommunikation); • Förderung und Beratung von Unternehmensgründungen; • Bereitstellung von Risikokapital; • Flächenmanagement und Aufbau von Standortinformationssystemen, häufig verbunden mit der Übernahme von Planungs- bzw. Raumordnungskompetenzen, gerade auch auf der für städtische Ballungszentren wichtigen interkommunalen Ebene; • Transfer von organisatorischem Know-how für die Umstrukturierung der Betriebe; • Entwicklung strategischer Leitbilder für den Strukturwandel sowie • Projektmanagement im Rahmen von regionalen Entwicklungsprogrammen. Gegenüber einer ausschließlich zentralstaatlichen Steuerung bietet die Dezentralisierung von standortpolitischen Leistungen wichtige Vorteile: Auf regionaler und lokaler Ebene bestehen häufig genauere Informationen über die Engpässe der Entwicklung und die Nachfrage von Unternehmen. Dort, wo diese Informationen nicht vorliegen, können sie regional und lokal aufgrund der Nähe zu den

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Vgl. hierzu am Beispiel deutscher Erfahrungen Haldenwang 1999b: 14.

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Zielgruppen oft leichter erhoben werden. Auf Basis solcher Informationen ist es zudem eher möglich, standortpolitische Leistungen auf die spezifischen Bedingungen von Wirtschaftsräumen zuzuschneiden und damit ihre Effizienz gegenüber einem rein zentralstaatlichen Angebot zu erhöhen. Dies ermöglicht einen Wettbewerb um die bessere Lösung zwischen den Wirtschaftsräumen und trägt dazu bei, institutionelle Lernprozesse zu beschleunigen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in Lateinamerika beobachten (vgl. z.B. Meyer-Stamer 2000: 42-46; Schmitz 2000). Sie sind aber bislang noch eher punktueller Natur, auch wenn sie auf breiter Front diskutiert werden. Insgesamt dominieren in Lateinamerika nach wie vor politische Steuerungsmuster, bei denen zentralstaatliche oder bundesstaatliche Ministerialbürokratien mit ihren nachgeordneten Institutionen die örtlichen Infrastruktur- und Entwicklungsvorhaben kontrollieren. Eine lokal bzw. regional integrierte, zwischen den betroffenen Akteuren koordinierte Politik des Aufbaus von Wettbewerbsfähigkeit findet nur in Ausnahmefällen statt. Im Vergleich zu den OECD-Ländern stellt sich für die Entwicklungsländer die Diskussion insofern anders dar: Hier geht es im Zuge von Dezentralisierungsprozessen häufig nicht um den Umbau, sondern vordringlich um den Aufbau leistungsfähiger Verwaltungen auf der regionalen und lokalen Ebene. Dies kann die Einführung moderner Verwaltungsprinzipien vor Ort erleichtern, führt andererseits jedoch nicht selten zu Kompetenzüberlappungen und redundanten Parallelstrukturen, wenn auf der zentralstaatlichen Ebene die Reformen nicht mit dem gleichen Eifer vorangetrieben werden. Ministerialbürokratien und ihre nachgeordneten Sektorinstitutionen müssen Durchführungskompetenzen und Ressourcenverantwortung abgeben, gleichzeitig jedoch neue Monitoring- und Kontrollaufgaben übernehmen. Der erhöhte Abstimmungsbedarf dezentraler Strukturen erfordert zudem die Einrichtung neuer Koordinierungsinstanzen auf allen Ebenen des politischen Systems. Eine dezentralisierte Verwaltungsstruktur ist daher nicht zwangsläufig leistungsfähiger oder partizipativer: Wenn die Vergabe von Posten und Ämtern politische Macht begründet (Klientelismus) und die Bereitstellung von Leistungen für den Anbieter mit zusätzlichen privaten Einkünften verbunden ist (Korruption) besteht keine Gewähr dafür, dass die Verlagerung von Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcenverantwortung auf Kommunen und Regionen gesamtgesellschaftliche Effizienz- bzw. Demokratiegewinne nach sich zieht. So gelten in den föderalen Systemen Argentiniens und Brasiliens einzelne Provinzen bzw. Bundesstaaten bis heute als Basen traditioneller Herrschaftsstrukturen (Bodemer 2000; Diniz 2000). Auch in Kolumbien hat die Dezentralisierung nicht zu der erhofften Demokratisierung des politischen Systems geführt (Restrepo 1999; Helfrich-Bernal 1999).

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Um nur ein Beispiel zu n e n n e n : Innovative S t ä d t e wie Porto A l e g r e o d e r Curitiba in Brasilien sind n a c h g e r a d e zu Wallfahrtsorten ambitionierter l a t e i n a m e r i k a n i s c h e r K o m m u n a l pDlitiker (und e u r o p ä i s c h e r S o z i a l w i s s e n s c h a f t l e r ) g e w o r d e n .

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Fast genauso alt wie die Dezentralisierung ist deshalb die Warnung vor allzu hohen Erwartungen. Gerade die Befürworter dezentralisierender Reformen haben in diesem Zusammenhang immer wieder auf Gefahren und Risiken verwiesen (vgl. z.B. de Mattos 1989). Allerdings besteht die Alternative zu einer Stärkung lokaler und regionaler Institutionen nicht einfach, wie zuweilen in der Diskussion suggeriert wird, in einer Beibehaltung zentralstaatlicher Steuerung: Diese muss in den Entwicklungsländern j a ihrerseits grundlegend reformiert werden, u m den veränderten Anforderungen staatlicher Regulierung unter den Bedingungen der Weltmarktintegration zu entsprechen. Ein Vergleich dezentraler und zentralstaatlicher Strukturen, der diesen Sachverhalt außer Acht lässt, greift daher notwendig zu kurz. Vielmehr kommt es darauf an, Entwickungspotenziale durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen auf allen Ebenen des politischen Systems zu realisieren.

3. Aktuelle Herausforderungen Damit diese Verbesserung mittelfristig erzielt werden kann, müssen zusätzliche Anstrengungen der institutionellen Modernisierung unternommen werden. Dabei ist es in vielen Fällen jedoch zunächst erforderlich, in eine erneute Diskussion über die Ziele gesellschaftlicher Entwicklung einzutreten. Diese Diskussion ist in den vergangenen Jahrzehnten durch die Hegemonie des neoliberalen Modells der Weltmarktorientierung teilweise überdeckt worden, bricht nun jedoch angesichts ausbleibender Erfolge des Modells wieder hervor. Sie darf allerdings nicht dazu missbraucht werden, Reformblockaden der Status-quoGruppen zu rechtfertigen und die alten Fronten der staatszentrierten versus marktzentrierten Entwicklung wiederaufzubauen. Die Suche nach einem neuen Wachstumsmuster für Lateinamerika sollte stattdessen, wie eingangs geschildert, darauf ausgerichtet sein, wirtschaftliche Entwicklung sozial, sektoral und territorial auf eine breitere Grundlage zu stellen. Erfolge bei der Armutsbekämpfung sind auf anderem Wege, also ohne eine Strategie des breitenwirksamen Wachstums, schwerlich zu erreichen. •



B8

In sozialer H i n s i c h t ist es wichtig, die Beschäftigungs- und Einkommenswirksamkeit des Wirtschaftswachstums zu erhöhen. Bestehende Zielkonflikte zwischen (notwendigen) unternehmerischen Modernisierungsprozessen und der Beschäftigungsintensität des Wachstums können, wie neuere Untersuchungen zeigen (vgl. hierzu Altenburg/Qualmann/Weller 1999; Stallings/Peres 2000), durch einen systemischen Ansatz von KMU-Förderung, Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitik durchaus überwunden werden. In s e k t o r a l e r H i n s i c h t kommt der Diversifizierung der Produkt- und Exportpalette in den lateinamerikanischen Ländern besondere Bedeutung zu, um das Wachstum zu stabilisieren, die Verwundbarkeit gegenüber externen Preisschocks zu verringern und die Übernutzung der natürlichen Ressourcen zu verhindern. Es gilt, bestehende Wertschöpfungsketten zu vertiefen und neue aufzubauen. Hierfür sind technologische Lernprozesse, die an

von Haldenwang: Standortpolitik - neue Rollen für Regionen und Kommunen

vorhandene Kompetenzen und Ressourcen anschließen, von besonderer Bedeutung (vgl. Stamm 1999; Stiglitz 2000). • In territorialer Hinsicht sind mit der Außenöffnung der lateinamerikanischen Volkswirtschaften neue Bedingungen für die wettbewerbsorientierte Entwicklung von Wirtschaftsräumen geschaffen worden: In vielen Fällen entstehen neue, auch grenzüberschreitende Beziehungen zwischen Unternehmen sowie öffentlichen Akteuren. Die Diversifizierung von Wirtschaftsräumen dürfte nicht zuletzt aufgrund der regionalen (suprastaatlichen) Integration (MERCOSUR, NAFTA) weiter zunehmen. Der Wettbewerb um Innovationen und Investitionen hat sich internationalisiert und intensiviert. Deswegen ist es wichtig, die Entwicklungspotenziale auch der weniger dynamischen Regionen mit ihren oftmals noch kaum integrierten Produktionssystemen zu stärken und diese an die globalisierten Märkte heranzuführen (vgl. Hein 2000). In den folgenden drei Abschnitten sollen die Leitlinien und Ausgangsbedingungen für (1) die Reform der politischen Steuerung, (2) die Modernisierung der öffentlichen Verwaltungsapparate und (3) die Umstellung der Wirtschaftsförderung skizziert werden. 3.1 Reform der politischen Steuerungsinstrumente Der Ruf nach politischer Steuerung von Entwicklungsprozessen, ganz gleich auf welcher Ebene staatlichen Handelns, muss sich in der aktuellen Debatte mit zwei schwerwiegenden Einwänden auseinandersetzen: dem Argument der Steuerungsunfähigkeit moderner Gesellschaften und dem Argument des Staatsversagens, insbesondere in Entwicklungsgesellschaften. Das Argument der Steuerungsunfähigkeit moderner Gesellschaften bestreitet die Möglichkeit, über politische Handlungen gesellschaftliche Zustände zielgerichtet verändern zu können.6 Die Komplexität funktional ausdifferenzierter Gesellschaftssysteme lasse, so vor allem die moderne Systemtheorie, die Steuerung eines (etwa des wirtschaftlichen) Subsystems durch ein anderes (die Politik) nicht zu: „Die funktional differenzierte Gesellschaft operiert ohne Spitze und ohne Zentrum" (Luhmann 1997: 803). Auch die Systemtheorie sieht jedoch die Notwendigkeit, Präferenzen über die Grenzen der gesellschaftlichen Teilsysteme hinweg zu transportieren: Politik, Recht, Wirtschaft usw. sind strukturell aneinander gekoppelt, sie sind in der Lage und darauf angewiesen, sich wechselseitig zu „irritieren". Die Politik bedient sich dabei des Mediums der Legitimität zur Erzeugung kollektiv verbindlicher Entscheidungen.7 Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass wirtschaftliche Entwicklung nicht vermittels politischer Entscheidungen herbeigeführt werden kann, wohl aber durch diese zielgerichtet 6

Messner 1995: 69-167 fasst diese Debatte zusammen.

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Luhmann 1995: 407-495 bezeichnet in diesem Zusammenhang .Macht' und .Recht' als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Für die Politik ist jedoch die Anerkennung von Steuerungsleistungen als gesellschaftlich funktional die entscheidende Erfolgsbedingung - d a s ist Legitimität. Vgl. Haldenwang 1999a: 368-371.

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und mit Bezug auf das gesellschaftliche Gemeinwohl beeinflusst wird. Zur Debatte steht daher nicht das Ob politischer Steuerung, sondern vielmehr das Wie. An dieser Stelle greift das Argument des Staatsversagens, das von der Neuen Institutionenökonomie ins Feld geführt wird (Brücker 1996: 151-156; Chang 1996: 7-54). Nach Maßgabe der klassischen Wohlfahrtsökonomie kann staatliche Intervention die gesellschaftliche Wohlfahrt steigern, wenn Marktversagen vorliegt. Hierbei werden drei Fälle unterschieden: • Öffentliche Güter, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann, werden von den privaten Märkten nicht in ausreichender Menge bereitgestellt. • Die Bereitstellung von Gütern ist mit positiven oder negativen externen Effekten verbunden, was zu einer Diskrepanz zwischen der privaten und der gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Struktur führt. • Es bestehen keine Wettbewerbsmärkte, etwa aufgrund monopolistischer oder oligopolistischer Strukturen und der Verdrängung von Wettbewerbern. Die Neue Institutionenökonomie weist nun darauf hin, dass auch staatliche Interventionen stets mit Kosten verbunden sind. Es ist daher nicht immer gewährleistet, dass die Bilanz der öffentlichen Eingriffe für die gesellschaftliche Wohlfahrt positiv ist. In einigen Fällen können vormals öffentliche Güter infolge des technologischen Fortschritts nun von den Märkten bereitgestellt werden. Der Ausgleich spezifischer externer Effekte bringt häufig andere externe Effekte mit sich. Staatliche Maßnahmen zur Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen können ihrerseits zu Marktverzerrungen führen. In Fällen, wo die Kosten der öffentlichen Intervention höher sind als jene der Nicht-Intervention, spricht man von Staatsversagen. Staatsversagen ist kein Argument gegen politische Steuerung an sich. Diese muss zwar, zumal unter den Bedingungen der Weltmarktintegration, die Leistungen der Märkte im Hinblick auf gesellschaftliche Lernprozesse und Einkommenserwirtschaftung angemessen berücksichtigen und fördern. Damit ist ihr Aufgabengebiet jedoch nicht zureichend beschrieben: Die Bereitstellung öffentlicher Güter, die Stabilisierung makroökonomischer und -politischer Rahmenbedingungen, die Regulierung der Verfügungsrechte und die Senkung der Transaktionskosten von Unternehmen sind auch aus Sicht der Neuen Institutionenökonomie legitime Gegenstände öffentlichen Handelns. Allerdings plädiert der Ansatz dafür, • staatliche Maßnahmen einer strengen und transparenten Kosten-NutzenRechnung zu unterwerfen; • auf veränderte Rahmenbedingungen (etwa infolge technologischen Fortschritts) flexibel mit einem Neuzuschnitt des staatlichen Leistungsangebotes zu reagieren sowie • die informationellen Grundlagen öffentlicher wie auch privater Entscheidungen durch Koordination der staatlichen Akteure, öffentlich-private Kooperation und Partizipation der gesellschaftlichen Gruppen zu verbessern.

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Angesichts der unbefriedigenden Entwicklungsleistungen der lateinamerikanischen Staaten und des hartnäckigen Fortbestands von undemokratischen und ineffizienten Politikmustern in vielen Ländern der Region werden diese Forderungen zweifellos auf allgemeine Sympathie stoßen. Allerdings besteht hier die Gefahr zirkulärer Argumentation, wie sie häufig auch in den Politikempfehlungen der internationalen Finanzorganisationen oder hochrangiger Expertenkommissionen zutage tritt: Denn jener Staat, der so heftig kritisiert wird, ist ja in erster Linie gefragt, wenn es darum geht, tiefgreifende Reformen durchzusetzen, auch wenn die Initiative hierzu von externen oder nicht-staatlichen Akteuren kommen mag. Gerade für Länder mit hohem Reformbedarf (etwa jene des Andenraums) gilt, dass das skizzierte Programm die bestehenden Institutionen fast zwangsläufig überfordert. Muss daher in Lateinamerika vor den Problemen der politischen Steuerung von Entwicklungsprozessen resigniert werden? Keineswegs, aber es besteht auch wenig Anlass dazu, den politischen Reformprozess unter Hinweis auf die demokratische Konsolidierung in einigen Ländern für beendet zu erklären. Vor allem scheint es erforderlich, politische Steuerung selbst auf eine breitere institutionelle Basis zu stellen. Hier spielen makropolitische Reformen (z.B. im Wahl- und Parteiensystem, im Wettbewerbsrecht, bei der Bankenaufsicht) eine wichtige Rolle (vgl. u.a. Graham u.a. 1999; UNDP 1997; Burki/Perry 1998), aber eben auch die Stärkung der subnationalen Ebenen. In den meisten Ländern Lateinamerikas sind im Rahmen von Verfassungsreformen oder Gesetzesänderungen die formalen Bedingungen für eine entwicklungspolitisch wichtigere Rolle der Kommunen und Regionen geschaffen worden. Häufig liegen Kompetenzen und Ressourcenverantwortung für standortpolitische Leistungen (Infrastruktur, Wirtschafts- und Exportförderung) jedoch noch bei der zentralstaatlichen Ministerialbürokratie, die ihrerseits, wie erwähnt, erhebliche interne Koordinierungsdefizite aufweist. Viele untergeordnete Gebietskörperschaften verfügen auch nicht über die notwendigen personellen und technischen Kompetenzen. Institutionelles Lernen in Form von Aus- und Fortbildung sowie der Verbreitung von good practice ist noch wenig entwickelt. Deutliche Defizite bestehen zudem in der interkommunalen Zusammenarbeit zur Lösung von spezifischen standortpolitischen Problemen - etwa in metropolitanen Ballungszentren. Auch der Ausbau von internetgestützten Kommunikationsplattformen, die intensivere Austauschprozesse ermöglichen, schreitet in Lateinamerika vergleichsweise langsam voran. Wichtig wäre zudem, dass die kommunalen Spitzenverbände ihr Leistungsangebot im Hinblick auf Information, Kommunikation und Fortbildung erweitern. Ein wichtiges Hindernis für eine effektivere politische Steuerung auf regionaler und lokaler Ebene besteht nicht zuletzt darin, dass die zivilgesellschaftlichen Verbände, vor allem die Organisationen der verfassten Wirtschaft, oft zu schwach sind, um als kompetente und repräsentative Ansprechpartner der öffentlichen Hand wirken zu können. Dies fördert die Binnenorientierung der öffentlichen Verwaltungen und führt dazu, dass sich traditionelle Politikmuster in

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den Kommunen und Regionen reproduzieren. Die Dezentralisierung standortpolitischer Kompetenzen muss daher auch Anreize für die politische Beteiligung von Bürgern und Interessengruppen schaffen. 3.2 Modernisierung der öffentlichen Verwaltung Standortpolitik muss von Verwaltungen mit hoher Kunden- bzw. Bürgerorientierung umgesetzt werden. Langwierige, komplizierte und teure bürokratische Verfahren sowie mangelhafte öffentliche Leistungen sind negative Faktoren sowohl für die Einwerbung externer Investitionen als auch für die Bestandspflege und Modernisierung der ansässigen Unternehmen und die Förderung von wettbewerbsorientierten Existenzgründungen. Weil relevante Leistungen zunehmend von lokalen und regionalen Institutionen erbracht werden, müssen auf diesen Ebenen besondere Reformanstrengungen unternommen werden. Das gilt für OECD- und Entwicklungsländer gleichermaßen. In der internationalen Debatte hat sich in den 90er Jahren das Konzept des New Public Management als Bezugsrahmen einschlägiger Reformbemühungen herauskristallisiert (vgl. Damkowski/Precht 1998; Naschold/Oppen/Wegener 1998; Haldenwang 1999b: 29-46). Es handelt sich dabei weniger um ein kohärentes Modell der Verwaltungsreform als um eine Ableitung von Grundsätzen und Leitlinien aus den empirischen Erfahrungen besonders innovativer Gebietskörperschaften bzw. Verwaltungseinheiten. Kernelemente des Konzepts sind • die Umstellung der Verwaltung von der bürokratischen Regel- auf die Ergebnissteuerung, bei der die Wirkung des Verwaltungshandelns auf die Zielgruppe zum entscheidenden Qualitätskriterium wird; • die interne Dezentralisierung von Fach- und Ressourcenverantwortung in Verbindung mit der Einführung von Kontraktmanagement und Produktbeschreibungen sowie • eine erhöhte Kunden- bzw. Bürgerorientierung der Verwaltung, was neue Mechanismen der Partizipation und Nachfrageermittlung und der Personalführung einschließt. Nach anfänglicher Euphorie ist mittlerweile in den OECD-Ländern eine gewisse Ernüchterung bezüglich der Möglichkeiten des New Public Management eingezogen. So ist deutlich geworden, dass die Partizipation der Nutzer von Verwaltungsleistungen auch bei erheblich erweiterten Einflusschancen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Reformresistenz öffentlicher Verwaltungen wird heute realistischer eingeschätzt, zumal Mischformen (etwa zwischen kameralistischer Haushaltsführung und Kosten-/Leistungsrechnung) oder die Durchführung von Pilotprojekten den Beteiligten ein hohes Maß an Flexibilität, Arbeitseifer und Frustrationstoleranz abverlangen. Auch die Erfordernisse des strategischen Managements einer dezentralisierten und ergebnisgesteuerten Verwaltung durch die Verwaltungsspitzen und die politischen Gremien sind anfänglich teilweise wohl unterschätzt worden. Gleichwohl werden die Vorzüge und grundlegenden Merkmale des „Neuen Steuerungsmodells", wie es in der deutschen Debatte bezeichnet wird, allge-

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mein und gerade auch im Hinblick auf die Bereitstellung standortpolitisch relevanter Leistungen anerkannt. Besonders die Tatsache, dass im Rahmen des Modells gleichzeitig Effizienzsteigerungen (etwa durch den Einsatz von Kostenzentren) und Qualitätsverbesserungen (vor allem durch den Wandel von der Obrigkeitsverwaltung zum Dienstleistungsunternehmen) erzielt werden können, hat dazu beigetragen, dass die skizzierten Prinzipien moderner Verwaltung heute weltweit gelten. Von der Geltung von Prinzipien zu ihrer praktischen Anwendung ist es allerdings nicht selten ein weiter und steiniger Weg. Bei der Umsetzung von neuen Konzepten öffentlicher Verwaltung sind besonders die angelsächsischen und skandinavischen Länder Vorreiter. Generell kann jedoch beobachtet werden, dass dort, wo die lokale Ebene umfangreiche öffentliche Leistungen bereitstellt und politisch verantworten muss, Reformvielfalt und -dynamik normalerweise deutlich höher sind, während gerade die zentralstaatlichen Ministerialbürokratien sich gemeinhin schwer tun, moderne Verwaltungsprinzipien durchzusetzen. Dies liegt zum einen an der engeren Beziehung zwischen Bürgern und öffentlicher Hand auf der lokalen Ebene, zum anderen an der geringeren Größe und Komplexität der Verwaltungsapparate sowie drittens an der Tatsache, dass Haushaltsengpässe untergeordneter Gebietskörperschaften die Neigung zu effizienzsteigernden Reformen befördern können. Auf der anderen Seite werden Reformen gebremst, wenn • Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcenverantwortung nicht in einer Hand liegen, • die Anreizstrukturen zu schwach sind, um Reformen effektiv anzustoßen (z.B. in Fällen, wo untergeordnete Gebietskörperschaften sich vornehmlich über zentralstaatliche Transfers finanzieren), • die notwendigen Investitionsmittel nicht bereitstehen bzw. • der jährlichen Haushaltsplanung unterworfen sind und keine mittelfristige Planung stattfindet sowie • der zentrale Bereich des Aufbaus von Wissen durch Aus- und Fortbildung vernachlässigt wird, was eine effektive Umsetzung der neuen Instrumente verhindert. Im Hinblick auf Lateinamerika fällt es schwer abzuschätzen, ob die (durchaus existierenden) modernen, bürgerorientierten Verwaltungen Vorboten einer neuen Ära sind oder nicht vielmehr Inseln im Meer der bürokratischen Ineffizienz. Nach wie vor drängt sich in den meisten Ländern der Eindruck auf, dass Reformen eher auf das Wirken von Einzelpersonen zurückzuführen sind als auf günstige institutionalisierte Anreizstrukturen. Eine nachhaltig wirksame Verbesserung der öffentlichen Leistungsangebote lässt sich nur in Einzelfällen beobachten. Hier fehlen allerdings noch vergleichende Untersuchungen, die auf die neueren Entwicklungen in Ländern wie Brasilien, Chile, Bolivien etc. Bezug nehmen.

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3.3 Wirtschaftsförderung: Vom Einzelunternehmen zum Produktionssystem Zur Realisierung von Entwicklungspotenzialen ist es notwendig, die bestehenden Instrumente der Wirtschaftsförderung zu überprüfen. In den meisten lateinamerikanischen Ländern erstreckt sich Wirtschafts- (und Exportförderung in erster Linie auf die großen bzw. modernen Unternehmen, während die Kleinstund Kleinunternehmen vornehmlich aus einer Perspektive der Armutsbekämpfung und Beschäftigungssicherung unterstützt werden, sofern sie überhaupt in den Genuss von Beratung, Krediten und ähnlichen Leistungen kommen. Diese Förderansätze sind in der Regel unterschiedlichen zentralstaatlichen Ministerien und Durchführungsorganisationen zugeordnet, die ihre Politiken kaum miteinander koordinieren. Dort, wo Förderinstrumente dezentralisiert sind, setzt sich die institutionalisierte Trennung der Perspektiven nicht selten auf den unteren Ebenen fort. Angesichts der Tatsache, dass die geringe Verflechtung der Unternehmen und das Fehlen moderner KMU in Lateinamerika (wie auch in anderen Entwicklungsregionen) als zentrale Entwicklungshemmnisse hervorgehoben werden (vgl. Altenburg/Qualmann/Weller 1999: 3-13; Altenburg 2000), ist dies ein beklagenswerter Befund. Eine Politik, die auf die Förderung einzelner Unternehmen durch zentralstaatliche Institutionen und Instrumente setzt, begünstigt einerseits große gegenüber kleineren Investitionen, weil erstere sichtbarer (damit politisch ertragreicher) und leichter zu bearbeiten sind und zudem für kleinere Unternehmen der Zugang zu den Förderinstrumenten mit relativ höheren Transaktionskosten verbunden ist. Damit wächst auch die Gefahr von Mitnahmeeffekten. Andererseits erschwert ein solcher Ansatz die Beurteilung des Beitrages, den eine geförderte Investition für die Entwicklung eines Wirtschaftsraumes leistet. Wenn eine Wirkungsanalyse stattfindet (häufig ist der geordnete Mittelabfluss das einzige Erfolgskriterium), steht die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze im Mittelpunkt, während die positiven und negativen externen Effekte der Investition für den Standort oft unberücksichtigt bleiben. Eine naheliegende, in der Praxis jedoch noch wenig umgesetzte Schlussfolgerung besteht darin, den Standortbezug der Wirtschafts- und Exportförderung zu erhöhen, um die Verflechtung der Unternehmen mit Blick auf integrierte Produktionssysteme zu vertiefen, die Bandbreite und Zahl der geförderten Unternehmen zu erhöhen und wettbewerbsorientierte Existenzgründungen anzuregen. Eine solche Herangehensweise setzt den verstärkten Einsatz von lokalen und regionalen öffentlichen Akteuren und Verbänden der verfassten Wirtschaft in der Wirtschaftsförderung voraus. Der skizzierte Ansatz plädiert keineswegs für eine vollständige Verlagerung von Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcenverantwortung in der Wirtschaftsund Exportförderung auf Regionen und Kommunen, im Gegenteil: Es macht aus mehreren Gründen Sinn, wichtige Kompetenzen bei den zentralstaatlichen Institutionen zu belassen: (1) Die zunehmende Regulierung der globalen Handelsregime (vor allem im Rahmen der WTO) verlangt von den Staaten, dass sie

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ihre Wirtschaftsförderung nachweislich den internationalen Standards anpassen. Diese Anpassung vollzieht sich über nationale Rahmengesetzgebungen. (2) Die Einheitlichkeit von Förderkriterien und die Festlegung von Obergrenzen verhindern einen volkswirtschaftlich unerwünschten Subventionswettlauf zwischen Kommunen bzw. Bundesstaaten und erhöhen die Transparenz der Förderung. (3) Ein zentralstaatliches Angebot von Leistungen kann zudem Skalenvorteile bieten, etwa bei der Informationsbeschaffung über ausländische Märkte. Gleichwohl können regionale und lokale Akteure erheblich dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Standorten zu verbessern: • Sie bündeln Informationen über Marktchancen und Förderinstrumente und stellen diese vor Ort zur Verfügung. Dies kommt vor allem den kleinen Unternehmen zugute. • Sie verbessern im Rahmen der politischen Steuerung die Abstimmung der unterschiedlichen Förderinstrumente mit Blick auf die Entwicklung des Wirtschaftsraums. • Sie identifizieren aufgrund ihrer größeren Zielgruppennähe Kooperationsmöglichkeiten zwischen Wettbewerbern (horizontale Kooperation) bzw. zwischen großen Unternehmen und ihren Zulieferern (vertikale Kooperation). • Sie initiieren Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten Akteuren, etwa im Rahmen öffentlich-privater Investitionsvorhaben oder, im Bereich der FuE, zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen. • Sie fördern im Rahmen zentralstaatlicher Vorgaben private Investitionen und Existenzgründungen, die an Potenzialen des Wirtschaftsraums ansetzen. Damit dieser Aufgabenbereich von den regionalen und lokalen Akteuren tatsächlich wahrgenommen wird, ist es erforderlich, Anreize für Standortpolitik zu schaffen. Ein sehr effektiver Anreiz besteht darin, die untergeordneten Gebietskörperschaften durch fiskalische Dezentralisierung am Erfolg der unternehmerischen Aktivitäten auf ihrem Gebiet zu beteiligen, indem ihnen z.B. Anteile am Gewerbesteueraufkommen zugesprochen werden.

4. Schlussbemerkung: die Stärkung der subnationalen Ebenen als zentrales Element der „zweiten Anpassungsphase" Die lateinamerikanischen Länder stehen heute vor der zentralen Herausforderung, die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten und Unternehmen und gleichzeitig die Breitenwirksamkeit des Wachstumsmusters zu erhöhen. Diesen Prozess als aufholende Entwicklung zu beschreiben, hieße, die tatsächlichen Chancen, die sich aus der Globalisierung für Lateinamerika ergeben, zu überzeichnen und die Risiken zu verkennen. Angesichts sinkender Partizipation der lateinamerikanischen Volkswirtschaften an den globalen Handels- und Kapitalströmen ist es realistischer, die anstehenden Reformen vor dem Hintergrund einer drohenden Abkoppelung Lateinamerikas von der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu sehen. Dies gilt für einige Länder (Mexiko, Chile, Brasilien, Costa Rica) weniger als für andere (etwa den nördlichen Andenraum). Es steht jedoch

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außer Frage, dass Lateinamerika insgesamt als Nachzügler der wissensbasierten, weltmarktorientierten Entwicklung zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund sind auch die Freiheitsgrade der lateinamerikanischen Länder im Hinblick auf die grundsätzliche Gestaltung ihres jeweiligen Entwicklungspfades eher begrenzt: Die schon erwähnte zunehmende Regulierung der Weltmärkte8 sowie die Abhängigkeit der meisten Länder des Kontinents von internationalen Kapitalzuflüssen und Technologieimporten lässt vermeintlich einfachere bzw. vorteilhaftere Lösungen der Abkoppelung oder antizyklischen Wirtschaftssteuerung nicht (mehr) zu. Die Erfahrungen Sarneys in Brasilien, Alfonsins in Argentinien, de la Madrids in Mexiko und Betancurs in Kolumbien haben dies bereits in den 80er Jahren mit aller Deutlichkeit gezeigt. Demgegenüber stellt die Bildung regionaler Freihandelszonen (insbesondere MERCOSUR sowie NAFTA) trotz aller Schwierigkeiten in der konkreten Ausgestaltung ein wichtiges Element der weltmarktorientierten Entwicklung dar, weil sie die Heranführung von Unternehmen an die globalen Märkte erleichtert und aufgrund größerer Märkte Spezialisierungen erlaubt. Vor allem jedoch müssen in Lateinamerika heute erhöhte Anstrengungen unternommen werden, den Aufbau von Wissen durch Investitionen in Bildung, Informationsmanagement sowie FuE voranzutreiben. Vieles deutet darauf hin, dass diese Sachverhalte und der damit verbundene Anpassungsdruck zunehmend in das Bewusstsein der politischen Akteure rücken. Die Mehrzahl der lateinamerikanischen Gesellschaften ist jedoch noch weit davon entfernt, sich jenseits politischer Sonntagsreden auf ein neues, breitenwirksames Wachstumsmuster und die damit verbundenen Prioritätensetzungen zu verständigen. Vielerorts bestimmen Strategien der Reformvermeidung nach wie vor das Bild. In Ländern wie Brasilien und Kolumbien sind die von traditionellen Kräften kontrollierten politischen Parteien und nationalen Parlamente entscheidend daran beteiligt, Reformen zu verzögern oder zu verwässern. Versuche, derartige Blockaden zu überwinden, ziehen nicht selten ernsthafte politische Krisen nach sich: Die jüngsten Entwicklungen im Andenraum (Bolivien, Ekuador, Kolumbien, Peru, Venezuela), aber auch die Korruptionsskandale in Argentinien und Brasilien machen deutlich, dass die Auseinandersetzung um die neuen Spielregeln der gesellschaftlichen Entwicklung noch in vollem Gange ist. Der Ausgang ist ungewiss. Es wäre allerdings naiv, anzunehmen, dass die anstehende .zweite Phase' der Anpassung in allen Fällen konflikt- und krisenfrei zu bewerkstelligen sein wird. Auf der anderen Seite lassen sich aber durchaus auch ermutigende Signale identifizieren. Insbesondere auf der lokalen und regionalen Ebene wird heute in einer Vielzahl von Initiativen mit neuen Formen politischer Steuerung und neuen Instrumenten der Standortpolitik experimentiert. Die institutionelle Entwicklung

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Dass diese Regulierung die Entwicklungsländer keineswegs immer begünstigt, hat zuletzt Liebig 2001 am WTO-Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung (TRIPS) nachgewiesen.

von Haldenwang: Standortpolitik - neue Rollen für Regionen und Kommunen

in d e n K o m m u n e n u n d R e g i o n e n eilt d e r R e f o r m n a t i o n a l s t a a t l i c h e r

Regulie-

rungsmuster dabei häufig voraus. Damit diese T e n d e n z e n jenseits punktueller E r f o l g e z u einer e f f e k t i v e n B e s c h l e u n i g u n g

des notwendigen

institutionellen

W a n d e l s b e i t r a g e n , ist e s n o t w e n d i g , d e n D r u c k auf d i e n a t i o n a l s t a a t l i c h e n A k t e u r e z u e r h ö h e n . D i e s ist z u n ä c h s t u n d v o r a l l e m e i n e A u f g a b e d e r l o k a l e n u n d r e g i o n a l e n A k t e u r e u n d der g e s e l l s c h a f t s p o l i t i s c h e n O r g a n i s a t i o n e n . A b e r a u c h die internationale Gemeinschaft der Staaten und entwicklungspolitischen Organ i s a t i o n e n sollte d e m A s p e k t d e r institutionellen R e f o r m e n a u f allen E b e n e n d e s politischen S y s t e m s zukünftig noch m e h r Gewicht b e i m e s s e n .

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Teil II Entwicklungen in Ländern und Regionen

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Mercosur

Mercosur Offizieller Name: Oberstes Organ: Präsidentschaft: Gründungsdatum: Mitgliedsstaaten: Assoziierte Staaten:

Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Sudens) Consejo del Mercosur (Rat des Mercosur) 1. Halbjahr 2001: Paraguay, 2. Halbjahr 2001: Uruguay 1. Halbjahr 2002: Argentinien, 2. Halbjahr 2002: Brasilien 26.3.1991 (Tratado de Asunción) Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay Bolivien, Chile

Bevölkerung (ohne Bolivien und Chile); 211,4 Millionen (2000); Grunddaten: Bruttoinlandsprodukt : US$ 1.221 Mrd.; durchschnittliche reale Wachstumsrate 19911999: 3,3%; Anteil an den globalen Exporten: 1,5% (1998); Anteil an den globalen Importen: 1,9% (1998); durchschnittlicher Außenzoll: 13,5% (2001); Intraregionaler Handel: 27% (2000); bedeutendster extra-regionaler Handelspartner: EU (25%), USA (16%).

Chronologie 2000 Nach dem krisenreichen Vorjahr stand 2000 im Zeichen des Versuchs, eine Wiederbelebung C.Relanzamiento") des Mercosur sowie eine Intensivierung der Außenbeziehungen zu erlangen. Obwohl der Handelsaustausch im Mercosur eine Erholung vonweisen konnte, blieb die Krisenstimmung zwischen den Mercosur-Partnern aufgrund der in Rezession befindlichen Länder Argentinien, Paraguay und Uruguay bestehen. Während Brasilien die Finanzkrise im Jahr 1999 fast unbeschadet überstanden hat und einen Anstieg des BIP von 4,5% im Jahr 2000 verzeichnete, hatte das am schwersten von der Abwertung des brasilianischen Real betroffene Argentinien dagegen ein Nullwachstum des BIP zu verbuchen. Die Uneinigkeiten zwischen Argentinien und Brasilien über die neue gemeinsame Automobilpolitik des Mercosur, die zu konstanten Verhandlungen und Konflikten führte und erst Ende des Jahres endgültig verabschiedet werden konnte, verhinderten den Ausbau eines der wichtigsten Handelsbereiche des Mercosur, der 25% des Mercosur-Handels ausmacht. Die Lage spitzte sich zu, als im März aufgrund der wachsenden Abwanderung argentinischer Unternehmen nach Brasilien, das mit besonders günstigen Konditionen lockt Beschwerden einiger argentinischer Provinzen und des Industrieverbandes laut wurden. Durch eine vorübergehende Einigung im Automobilsektor und der Verpflichtung des argentinischen Präsidenten DE LA RUA gegenüber dem Integrationsprozess, entschärfte sich die Situation Ende März. Positive Impulse erhielt das Integrationsbündnis ab April, als die Mitgliedsstaaten Vereinbarungen für eine Wiederbelebung des Mercosur durch wirtschaftliche Förderungen trafen und den Willen einer makroökonomischen Harmonisierung durch gemeinsame wirtschaftliche Zielwerte ab kommenden Jahres zeigten. Die Vertiefungsbestrebungen kamen jedoch durch die politische Krise in Paraguay zum Stillstand. Hier hatten Anhänger des Exgenerals Uno OVIEDO im Mai einen Putschversuch unternommen, der jedoch dank des entschiedenen Eintretens der Mercosur-Regierungen für die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung scheiterte. Neben den Verhandlungen im Automobilsektor kam es im Verlauf des Jahres wegen Geflügelfleisch, Reis und Milch erneut zu Handelsdisputen zwischen den Mitgliedstaaten. Die brasilianische Regierung drohte sogar Argentinien Mitte des Jahres beim Geflü-

101

Lateinamerika Jahrbuch 2001

gelkonflikt mit einer Klage vor der WTO. Trotz der Verhandlungsbemühungen kam eine Verständigung im Zuckerbereich zwischen Argentinien und Brasilien nicht zustande. Die Beilegung des im letzten Jahres entstandenen Konflikts im Textilsektor zwischen Argentinien und Brasilien durch das Mercosur-Schiedsgericht und der Wille der Mietgliedstaaten, künftig das Streitbeilegungssystem verbessern zu wollen, trugen zur Vertiefung der Integration bei. Trotz der Einigung für die Festlegung makroökonomischer Zielwerte und der Verabschiedung einer gemeinsamen Automobilpolitik des Mercosur beim Gipfeltreffen in Florianópolis (Brasilien) Ende des Jahres, herrschte im Mercosur wegen der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verwerfungen in Argentinien steigende Krisenstimmung. Um die drohende Zahlungsunfähigkeit Argentiniens abzuwenden, kam es Ende Dezember zur Bereitstellung eines internationalen Hilfskredits in Höhe von US$ 41 Mrd. Im Gegensatz zu den geringen Fortschritten in der Vertiefung innerhalb des Mercosur, zeigte das Jahr 2000 eine Intensivierung der Außenbeziehungen des Wirtschaftsblocks, wobei Brasilien eine Führungsrolle übernahm. Entsprechend ging es der brasilianischen Regierung auf dem ersten Südamerika-Gipfel in Brasilia insbesondere darum, vor den Verhandlungen mit den USA über die gesamtamerikanische Freihandelzone ALCA im April 2001 die gemeinsame Position Südamerikas zu stärken. Hierfür vereinbarte der Mercosur mit der Andengemeinschaft, noch bis 2002 eine Freihandelszone zu unterzeichnen. Neben den unterzeichneten Rahmenabkommen über Freihandel mit Südafrika und dem gegenseitigen Interesse an einem Freihandelsabkommen mit Mexiko, fanden auch die ersten drei Verhandlungsrunden für das künftige Assoziierungsabkommen mit der EU statt. Die Außenbeziehungen des Mercosur gelangten an einen kritischen Punkt, als das assoziierte Chile, das Mitte des Jahres die Vollmitgliedschaft im Mercosur angekündigt hatte, einen Rückzieher machte und die Aufnahme von Freihandelsverhandlungen mit den USA ankündigte. Der Vorschlag seitens der USA, die ALCA noch vor 2003 zu verwirklichen und die Andeutungen Argentiniens und Uruguays, ebenfalls mit den USA in Verhandlungen treten zu wollen, erhöhten die Spannungen zwischen den MercosurStaaten. Bei dem Gipfeltreffen in Florianópolis verpflichteten sich die Mercosur-Staaten jedoch, keine Alleingänge zu unternehmen. Ingesamt betrachtet zeigt sich, dass die interne Krise der letzten Jahre im Mercosur noch nicht überwunden ist, sich vielmehr im Jahr 2000 weiter verschärft hat. Ohne die notwendige Vertiefung des bisher erfolgreichsten Integrationsprozesses in Lateinamerika besteht die Gefahr, dass sich der Mercosur nur als Sprungbrett für die Integration in die ALCA oder allenfalls für eine südamerikanische Interessengemeinschaft erweist. Januar 13.1.

16.1.

102

Die brasilianische Regierung CARDOSO ernennt den Generalsekretär der Außenhandelskammer, José BOTAFOGO GONQALVES, zum „Sonderbotschafter des Mercosur" und schafft somit ein neues Amt, dass sich exklusiv mit Mercosur-Angelegenheiten befassen soll. Der Kandidat Ricardo LAGOS (Concertación de Partidos por la Democracia) gewinnt die zweite Runde der chilenischen Präsidentschaftswahlen mit 51,3% der Stimmen gegen Joaquin LAVIN (Alianza por Chile) mit 48,7% der Stimmen. Beide Kandidaten hatten im Dezember 1999 ein Stimmenpatt erreicht waren.

Mercosur

Februar 2.-3.2.

Regierungsvertreter aus Brasilien und Mexiko treffen zusammen, um einen Verhandlungsprozess für die Unterzeichnung eines festen Präferenzabkommens im Rahmen des ALADI-Prozesses zu etablieren, ähnlich wie Mexiko dies schon mit Argentinien und Uruguay vereinbart hatte. Im Mittelpunkt der Verhandlungen soll die Liberalisierung des Automobilsektors stehen, ein Vorhaben, das schon seit 1998 ansteht.

23.2.

Im Kontext des Minister-Treffens zwischen der Europäischen Union und der Rio-Gruppe in Vilamoura (Portugal), findet parallel ein politischer Dialog zwischen der EU, dem Mercosur, Chile und Bolivien statt. Die Minister des Mercosur und der EU präsentieren eine gemeinsame Erklärung über interregionale politische Kooperation und deuten auf die Notwendigkeit hin, Fortschritte in den im April beginnenden Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zu erlangen, die u.a. Verhandlungen in den wichtigen Agrar- und Dienstleistungssektoren vorsehen.

März 2.3.

Die Handels- und Industrieminister von Südafrika und der Außenminister Brasiliens treffen sich in der Stadt Cabo und äußern ihr gegenseitiges Interesse, die Handelsbeziehungen sowohl auf bilateraler als auch auf regionaler Ebene zwischen dem Mercosur und der Südafrikanischen Republik zu verstärken.

10.3.

Das Schiedsgericht zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen den MercosurStaaten fällt seinen dritten Schiedsspruch beim Handelskonflikt zwischen Brasilien und Argentinien wegen der Errichtung von Schutzmaßnahmen dieses Landes auf den Import bestimmter Textilprodukte. Ergebnis: Argentinien muss die Schutzmaßnahmen suspendieren. Mit einem Jahres-Umfang von rund US$ 400 Mio. zählt der bilaterale Warenaustausch im Textilbereich zu den wichtigsten Außenhandelszweigen beider Länder.

Mitte

Angesichts der wachsenden Besorgnis um die Abwanderung argentinischer Unternehmen nach Brasilien, wo niedrigere Produktionskosten und Steuererleichterungen geboten werden, und der Befürchtung, dass der Real von neuem abgewertet werden könnte, rufen Gouverneure der wichtigsten argentinischen Provinzen nach scharfen Gegenmaßnahmen. Carlos RUCKAUF, der Gouverneur von Buenos Aires, stellt abtrünnigen Unternehmungen harte Sanktionen in Aussicht und kündigt eine aggressive Kampagne für die Förderung der Produkte seiner Provinz an. Nach Angaben des argentinischen Industrieverbandes sind im Krisenjahr 1999 mehr als einhundert nationale Unternehmen wegen der besseren Konditionen ins Nachbarland Brasilien abgewandert, was die Handelskonflikte zwischen beiden Ländern weiter verschärft.

23.3.

Brasilien und Argentinien einigen sich auf eine gemeinsame Automobilpolitik und schließen ein Abkommen, das noch von den zwei anderen MercosurPartnern - Paraguay und Uruguay - genehmigt werden muss. Das Abkommen wird jedoch seitens dieser beiden Länder als kritisch angesehen, da sie keine eigene Produktion in diesem Bereich und niedrigere Zollsätze haben, woraufhin sie Entschädigungen und Senkung der Zollsätze beantragen.

103

Lateinamerika Jahrbuch 2001

April 4.-5.4.

Bei der 37. Sitzung der Grupo del Mercado Comün (GMC) des Mercosur wird der aktuelle Zustand der Zollunion und die Wiederbelebung des Mercosur („relanzamiento") diskutiert, woraufhin erneut auf die Notwendigkeit einer makroökonomischen Koordinierung zwischen den Mercosur-Partnern hingewiesen wird. Für die Wiederbelebung des Mercosur soll ein Arbeitsprogramm erstellt werden, dass Investitions-, Produktions-, und Exportförderungen sowie eine institutionelle Verstärkung des Mercosur, Verbesserungen des Streitbeilegungsmechanismus sowie die Vollendung des gemeinsamen Außenzolls vorsieht und den Marktzugang sichern soll.

6.-7.4.

Auf der ersten in Buenos Aires abgehaltenen Verhandlungsrunde für ein EUMercosur Assoziationsabkommen wird die generelle Vorgehensweise der drei Verhandlungsebenen - politischer Dialog, Kooperation und Handel - festgelegt. Das Hauptorgan der Verhandlungen, der „Ausschuss für Biregionale Verhandlungen", bildet drei technische Arbeitsgruppen für den Handelsbereich und drei Untergruppen für spezifische Kooperationsbereiche.

25.4.

Ein brasilianischer Handelsrichter verhindert die Einfuhr von Reis aus Argentinien und Uruguay. Das Urteil stellt eine nicht-tarifäre Handelsbeschränkung dar und wird - auch von der brasilianischen Regierung - als eine mit dem Mercosur-Recht unvereinbarende Entscheidung angesehen. Das ReisimportVerbot wird von dem brasilianischen Obersten Gerichtshof am 8.6. wieder aufgehoben.

28.4.

Auf einem Ministertreffen Brasiliens und Argentiniens in Buenos Aires vereinbaren beide Nachbarstaaten, bis März 2001 gemeinsame wirtschaftliche Zielwerte festzulegen, in erster Linie für die Bereiche Staatsverschuldung und Inflation. Die von den Ministern verabschiedete „Erklärung von Buenos Aires" zielt darauf ab, die nichttarifären Handelsbarrieren innerhalb des Mercosur bis Ende Juni zu beseitigen. Ab September 2000 soll ein bilateraler Austausch statistischer Daten über Verschuldung, Haushaltdefizite und Inflation institutionalisiert und einem aus Experten der Zentralbanken sowie der Wirtschaftsministerien der beiden Länder zusammengesetzten makroökonomischem Überwachungsgremium vorgelegt werden. Paraguay und Uruguay sollen an dieser Vereinbarung beteiligt werden.

Anfang

Nach einem neuen Vorschlag der beiden zentralen Mercosur-Staaten einigen sich schließlich die vier Mitgliedstaaten auf ein gemeinsames Abkommen über den Automobilsektor, das im Juni unterzeichnet werden und am 1. August in Kraft treten soll.

18.5.

Der Ex-Armeechef Lino OVIEDO löst erneut in Paraguay eine politische Krise aus. Anhänger OVIEDOS versuchen Paraguays Regierung zu stürzen. Der Regierung von Präsident Luis GONZALEZ MACCHI gelingt es jedoch, die Lage mit Hilfe loyaler Einheiten unter Kontrolle zu bringen. MACCHI proklamiert einen Tag danach den „letzten und entscheidenden Kampf gegen die Stifter politischer Kriminalität, soziale Instabilität und wirtschaftlichen Rückgang".

104

Mercosur

Juni 9.6.

In Anlehnung an die im April unterzeichnete „Erklärung von Buenos Aires" treffen sich die Finanzminister der Mercosur-Staaten und ihrer assoziierten Partner - Bolivien und Chile - in Buenos Aires und vereinbaren die Festlegung gemeinsamer Zielvorgaben für die Entwicklung makroökonomischer Kennzahlen der Haushaltrechnung, Staatsverschuldung und Inflation.

11.6.

Der paraguayische Putschgeneral Lino OVIEDO wird in Foz do Iguagu (Brasilien) festgenommen und soll möglicherweise wegen einer Reihe von Anklagen, unter anderem wegen Mordes, nach Paraguay ausgeliefert und vor Gericht gestellt werden.

13.-16.6.

Der Ausschuss für Biregionale Verhandlungen EU-Mercosur beginnt seine zweite Verhandlungsrunde in Brüssel, wo auch die technischen Gruppen für Handel und die Untergruppe für finanzielle und technische Kooperation zusammentreffen.

30.6.

In Buenos Aires findet das 18. Gipfeltreffen des Mercosur statt. Die Regierungschefs verpflichten sich, keine handelsbeschränkenden Maßnahmen zu ergreifen und mit der „Sozialcharta von Buenos Aires" für den Mercosur, Bolivien und Chile zur Bekämpfung der Armut beizutragen. Wie beim Automobilsektor, sollen demnächst Verhandlungen für eine Einigung im Zuckerbereich stattfinden. Im Bereich der Außenbeziehungen werden die im vorherigen Jahr gescheiterten Verhandlungen mit der Andengemeinschaft wieder eröffnet. Es sollen außerdem Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit Mexiko sowie die Unterzeichnung eines Rahmenabkommens für Freihandel- mit Südafrika folgen. Nicht zuletzt wird eine stärkere Teilnahme Chiles im Mercosur hervorgehoben.

Juli 14.7.

28.7.

Chiles Präsident Ricardo LAGOS kündigt bei seinem Staatsbesuch in Brasilien an, dass sein Land in den nächsten Tagen den offiziellen Antrag für eine Aufnahme zum Mercosur stellen werde, um noch bis zum Jahresende Vollmitglied zu werden. Das bisher größte Hindernis für eine weitere Integration sind die unterschiedlichen Importzölle in Chile und dem Mercosur. Während in Chile alle Importe mit 9% verzollt und ab 2003 auf 6% reduziert werden sollen, liegt der durchschnittliche gemeinsame Außenzoll im Mercosur bei 13%. Die brasilianische Regierung droht damit, die argentinische Regierung vor den WTO-Schlichtungsausschuss zu zitieren, wenn die am 25.7. eingeführte Maßnahme zur Beschränkung von brasilianischen Geflügel-Importen nicht aufgehoben wird. Die nach Meinung der argentinischen Regierung zu Dumping-Preisen eingeführten Geflügel-Importe sorgen schon seit Anfang des Jahres für Spannungen im Handel zwischen beiden Ländern.

August 8.8.

Die erst Ende Juni unterzeichnete Neuauflage der Handelsordnung für den Automobilsektor des Mercosur wird von Brasilien vorübergehend suspendiert. Laut dem brasilianischen Entwicklungsminister Alcides TAPIAS, habe man damit auf die Verletzung der Vertragsbestimmungen durch Argentinien rea-

105

Lateinamerika Jahrbuch 2001

giert. Die neue Automobilhandelsordnung war Anfang August in Kraft getreten. Kurz davor hatte Argentinien eine Verordnung erlassen, die die argentinischen Produzenten von Autoteilen begünstigte. Mittelpunkt der Auseinandersetzungen ist der Prozentsatz von nationalen Autoteilen, die jedes in Argentinien produzierte Fahrzeug haben muss. Bei einer Reise durch Argentinien, Brasilien und Uruguay bestätigt der neu gewählte mexikanische Präsident Vicente Fox sein Interesse, mit den Mercosur-Staaten Verhandlungen eröffnen zu wollen, um ein Freihandelabkommen zu schließen. 31.8.-1.9. Auf Initiative des brasilianischen Staatspräsidenten CARDOSO erfolgt erstmalig in Brasilia ein Gipfeltreffen zwischen den zwölf südamerikanischen Staatsund Regierungschefs. Die Agenda des Treffens konzentriert sich auf verschiedene Schlüsselbereiche: Demokratie, Handel, regionale Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie Drogenhandel und Kriminalität. Die Gespräche werden jedoch von der Entwicklung in Kolumbien und der Zusage milliardenschwerer US-amerikanischer Hilfe für den Plan Colombia überlagert. Ziel der brasilianischen Regierung ist es, für das 3. hemisphärische Gipfeltreffen in Quebec (April 2001) eine gemeinsame südamerikanische Verhandlungsposition aufzubauen. Der Mercosur und die Andengemeinschaft erklären sich bereit, noch bis 2002 eine gemeinsame Freihandelszone zu bilden.

September 3.9.

Die argentinische Regierung beschließt, die am Jahresende auslaufende Beschränkung von Zuckerimporten aus Brasilien durch Zollsätze (die durchschnittlich bei 23% liegen) bis zum 31.12.2005 zu verlängern. Das sorgt für weitere Spannungen mit der brasilianischen Regierung, da der Zuckerbereich noch in Verhandlungen steht und sie auf eine maximale Verlängerung bis Ende 2001 hingewiesen hatte.

22.9.

Bei einem Staatsbesuch in Argentinien erklärt der Außenhandelskommissar der EU, Pascal LAMY, das Interesse der EU an einer weiteren Öffnung der Märkte und einer größeren Integration zwischen dem Mercosur und der EU. Bei dem sensiblen Thema der europäischen Agrarpolitik, die von den Mercosur-Staaten wegen der Subventionspolitik stark kritisiert wird, deutet der Kommissar jedoch an, dass die Subventionen im Agrarbereich zwar reduziert werden, eine völlige Eliminierung jedoch mittelfristig nicht zu erwarten wäre.

Oktober 6.10.

Ein Korruptionsskandal im argentinischem Senat, an dem Teile der Regierung beteiligt sein sollen, droht die Regierungskoalition Alianza zu sprengen und verursacht den Rücktritt des argentinischen Vizepräsidenten Carlos „Chacho" ALVAREZ. Auf brasilianischer Seite zeigt man sich besorgt wegen der dadurch möglichen Verzögerung der Verhandlungen auf MercosurEbene, u.a. wegen der Handelskonflikte im Automobil-, Geflügel- und Zuckerbereich.

31.10.

Die wirtschaftlichen Indikatoren über Staatsverschuldung, Inflation und Haushaltsdefizit der Mercosur-Staaten werden in der Sitzung der Wirtschaftsminis-

106

Mercosur

ter und Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedsstaaten zum ersten Mal in Rio de Janeiro zusammengetragen und veröffentlicht. Auf Initiative der Europäischen Kommission findet in Brüssel ein Treffen der Organisationen der Zivilgesellschaften der EU und des Mercosur statt. Ziel der Zusammenkunft ist es, die Zivilgesellschaften beider Blöcke an den EUMercosur-Assoziierungsverhandlungen mitwirken zu lassen und ein Diskussionsforum zu eröffnen. November 7.-10 11

In Brasilia findet die dritte Verhandlungsrunde zwischen dem Mercosur und der EU statt. Kritik herrscht auf beiden Seiten hinsichtlich der geringen Fortschritte der letzen beiden Runden. Erstmals erfolgt ein echter Informationsaustausch über Handelsthemen, und es wird entschieden, mit der Vorbereitung von gemeinsamen Verhandlungstexten in verschieden Handelsbereichen für die nächsten Runden zu beginnen.

20.11.

Chile nimmt seine Ankündigung zurück, bis Ende des Jahres dem Mercosur beizutreten. Als Grund dieser Entscheidung werden die unterschiedlichen Außenzölle und der Wille der chilenischen Regierung angegeben, weiterhin mit anderen Ländern und Ländergruppen autonom zu verhandeln.

21.11.

Nach zähen Verhandlungen gelangen Brasilien und Argentinien zu einer Einigung im Automobilsektor. Der gemeinsame Außenzoll für KFZ-Einfuhren wird demnach auf 35% festgelegt. Mindestens 30% der Einzelbauteile oder 44% der Teilkomponenten für PKWs (bzw. 25-37% bei LKWs) müssen für Autos „Made in Mercosur" aus dem Mercosur-Staat stammen, wo die Endmontage stattfindet. Die Übergangsfrist beträgt zwei Jahre für PKWs und drei Jahre für LKWs. Auf dem im Dezember stattfindenden Mercosur-Gipfel, soll die gemeinsame Automobilpolitik des Mercosur verabschiedet werden.

29.11.

Der chilenische Präsident LAGOS kündigt überraschend die Aufnahme von Verhandlungen für ein bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA an. Die Verhandlungen sollen auch ohne fesf-frac/c-Authorisierung des US-Präsidenten beginnen.

Dezember 1.12.

Als Reaktion auf die chilenische Ankündigung, mit den USA ein Freihandelsabkommen abschließen zu wollen, setzt die brasilianische Regierung eine Suspendierung der Beitrittsverhandlungen Chiles zum Mercosur durch und droht mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen. Besondere Verstimmung herrscht darüber, dass Chile seine Partner im Mercosur nicht zuvor über die anstehenden Verhandlungen mit den USA informiert hat.

6.12.

Die Verhandlungen zwischen Chile und USA werden offiziell aufgenommen. Zugleich unterstützt die chilenische Regierung den Vorschlag der USA, bei dem im April 2001 stattfindenden ALCA-Gipfel in Quebec den Verhandlungszeitplan für die gesamtamerikanische Freihandelszone von ursprünglich 2005 auf 2003 zu verkürzen. Parallel dazu zeigen Kreise im argentinischen Wirtschaftsministerium Interesse daran, dem chilenischen Vorbild zu folgen und bilaterale Verhandlungen mit den USA zu führen. Demgegenüber setzt sich jedoch das Außenministerium mit seiner Position durch, in der ALCA-Frage 107

Lateinamerika Jahrbuch 2001

mit einer gemeinsamen Verhandlungsposition des Mercosur gegenüber den USA aufzutreten. 11.12.

Das brasilianische Außenhandelsamt DECOM fordert seine Regierung auf, für einige zu Dumpingpreisen importierte Milchprodukte aus Argentinien und Uruguay einen Zollsatz von 46% zu erheben. Dies löst einen neuen Handelskonflikt aus, der beim nächsten Mercosur-Gipfeltreffen geklärt werden soll.

14.-15.12. Das 19. Gipfeltreffen des Mercosur in Florianópolis (Brasilien) findet in einer Atmosphäre von Spannungen statt. Die brasilianische Regierung erreicht, dass die für 2001 programmierte Absenkung des durchschnittlichen Zolls von 14% auf 11% nur um 0,5% gesenkt wird. Aufgrund der Asien-Krise war der Zollsatz 1997 - auf drei Jahre befristet - um drei Prozentpunkte erhöht worden. Bezüglich des Konflikts im Milchsektor erklärt die brasilianische Regierung ihren Willen, mit Argentinien und Uruguay zu einer Einigung zu gelangen, um die Antidumpingmaßnahme nicht anwenden zu müssen. Verhandlungen hierüber sollen im Februar 2001 stattfinden. Neben den eher defensiven Maßnahmen gehen vom Mercosur-Gipfel auch positive Impulse aus. So werden gemeinsame makro-ökomische Zieldaten für die Mercosur-Staaten und die beiden assoziierten Länder festgelegt. In den Jahren 2002 bis 2005 soll die jährliche Inflationsrate in den Mercosur-Staaten nicht über 5% liegen, der staatliche Ausgabenüberschuss 3% des BIP nicht überschreiten und die Staatsverschuldung ab 2010 weniger als 40% des BIP (derzeit 52%) betragen. Die gemeinsame Automobilpolitik des Mercosur wird festgeschrieben und vom Consejo Mercado Común (CMC) verabschiedet. Im Bereich der Außenbeziehungen wird mit Südafrika, dessen Präsident als Gast am MercosurGipfel teilnimmt, ein Rahmenvertrag für ein zukünftiges Freihandelsabkommen unterzeichnet. 18.12.

Der IWF und andere internationale Finanzorganisationen stellen Argentinien ein wirtschaftliches Hilfspaket in Höhe von US$ 39,7 Mrd. für drei Jahre zur Verfügung. Begründet wird die Maßnahme mit der Sorge, dass das Land wegen seines weiterhin hohen Haushaltsdefizits bei gleichzeitiger Rezession, hoher Auslandsverschuldung sowie steigender Zinssätze schon im kommenden Jahr seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen könnte.

Horacio E.

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Coronado

Argentinien

Argentinien Amtlicher Name:

República Argentina

Präsident:

Fernando DE LA RÚA

Im Amt seit:

10. Dezember 1999

Vizepräsident:

vakant (Stand 26.6.2001)

Nächste Präsidentschaftswahlen: 2003 Regierungskoalition: „ALIANZA": Unión Cívica Radical (UCR) und Frente por un País Solidario (Frepaso) Kabinett (Stand Mai 2001): Inneres: Ramón Bautista MESTRE (UCR); Äußeres: Adalberto RODRÍGUEZ GIAVARINI (UCR); Verteidigung: José Horacio JAUNARENA (UCR); Wirtschaft: Domingo Felipe CAVALLO (ApR)*; Infrastruktur und Wohnungsbau: Carlos Manuel BASTOS (UCR); Justiz und Menschenrechte: Jorge Enrique DE LA RÜA (UCR); Erziehung: Andrés Guillermo DELICH (UCR); Arbeit: Patricia BULLRICH (UCR); Gesundheit: Héctor José LOMBARDO (UCR); Soziales und Umwelt: Juan Pablo CAFIERO (Frepaso); Kabinettschef: Chrystian COLOMBO (UCR). Wichtigste Opposltionsparteien/-bündnisse im Parlament: Partido Justiciaiista (PJ) [Peronisten]; Acción por la República (ApR). Sitzverteilung im Parlament: (Stand 26.06.2001) Abgeordnetenhaus (257 Sitze): ALIANZA: 114 (UCR 81 Sitze, Frepaso 33 Sitze); PJ: 98; ApR: 9; andere: 36. Senat (72 Sitze): ALIANZA: 21 (UCR: 20; Frepaso: 1); PJ: 33; Provinciales: 15; 3 Sitze sind nicht vergeben. Die nächsten Wahlen zum Senat finden im Oktober 2001 statt. * Am 20.3. trat Domingo Felipe CAVALLO als Wirtschaftsminister an die Stelle von Ricardo LÓPEZ MURPHY, der wiederum eine Woche vorher Luis MACHINEA ersetzt hatte. CAVALLO war Minister unter MENEM, Begründer des argentinischen Currency Board und ist nun mit besonderen Vollmachten ausgestattet, was die Frage aufwirft, wer In der Regierung eigentlich die Fäden in der Hand hat.

Chronologie 2000 Ein Jahr nach dem Machtwechsel (Dezember 1999) befand sich Argentinien in einer tiefen Krise. Das Land litt unter andauernder Rezession, sozialen Konflikten, die sich nicht selten in offener Gewalt entluden sowie einem Korruptionsskandal im Senat, der die ganze Regierung erschütterte, den Präsidenten veranlasste, das Kabinett umzubilden und den Vizepräsidenten, zurückzutreten. Im Jahr 2000 stagnierte das BIP, das BIP pro Kopf reduzierte sich um 1,2%. Im Rest Lateinamerikas stieg das BIP im Durchschnitt um 4%, das BIP pro Kopf um 2,4%. Zwar waren in den letzten beiden Quartalen des Jahres 2000 geringfügig steigende Tendenzen zu konstatieren, ein Ende der Rezession war aber noch nicht in Sichtweite. In den Städten betrug die Arbeitslosigkeit am Ende des Jahres 15,1% - in Lateinamerika hatten nur Jamaika, Kolumbien und Panama mit höherer Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Betrug die Inflation der Region im Schnitt 8,6%, verzeichnete Argentinien eine Deflation von 0,7%.

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Lateinamerika Jahrbuch 2001

Besonders deutlich war die wirtschaftliche Talsohle in der Automobilindustrie spürbar. Im Jahresvergleich wies die Produktion im N o v e m b e r einen Rückgang v o n 10,9% auf, der Verkauf sogar einen R ü c k g a n g v o n 44,7% - der Export allerdings stieg u m 35,5%. A m E n d e des Jahres erhoffte m a n sich von einem als „finanzielle Panzerung" bezeichneten Kreditpaket in Milliardenhöhe einen A u s w e g aus der Misere. U m Herr der Lage zu werden, implementierte die Regierung diverse neoliberale Reformen: Flexibilisierung d e s Arbeitsrechts, teilweise Liberalisierung der sozialen Sicherungssysteme, Subventionskürzungen - um nur einige zu nennen. Das Volk reagierte mit A u f m ä r s c h e n , Streiks und Blockaden von Fernstraßen; es k a m zu Z u s a m m e n s t ö ß e n , zu Verletzten und zu Toten. Nach Zahlen des Ministeriums für Soziale Entwicklung waren 3 7 % der städtischen Bevölkerung des Landes arm. In einigen Regionen (Provinzen Jujuy, Corrientes, Formosa, Teile des Chaco) betrug der Anteil der A r m e n a n der Bevölkerung über 6 0 % . U n d in B u e n o s Aires hat das A u s m a ß der Kriminalität seinen bisherigen Höchststand erreicht. 1999 w u r d e n im Durchschnitt knapp 3.000 Delikte pro T a g gemeldet, 70% d a v o n Eigentumsdelikte. Im Z u s a m m e n h a n g mit der Verabschiedung der G e s e t z e zur Flexibilisierung d e s Arbeitsrechts entstand noch d a z u ein schlimmer Verdacht im Senat: Mehrere Senatoren, sowie Mitglieder von Kabinett und Geheimdienst w u r d e n mit Bestechungsgeldern in Verbindung gebracht. Es konnte nichts bewiesen werden, aber die Regierung geriet ins W a n k e n , Ministerposten w u r d e n neu besetzt und Vizepräsident Carlos „Chacho" ALVAREZ trat aus Protest g e g e n m a n g e l n d e Transparenz von seinem A m t zurück. Der Verdacht war u m s o schlimmer, als die neue Regierung es sich auf die F a h n e n geschrieben hatte, den unter Carlos Saúl MENEM schier unübersichtlichen S u m p f aus Klüngel und Korruption trockenzulegen. Die Aufarbeitung der unter der Militärdiktatur b e g a n g e n e n Menschenrechtsverbrechen schritt voran, aber der W e g , der noch zurückzulegen ist, ist lang. Die Justiz war bemüht, nachzuweisen, dass d e m Kindsraub ein systematischer Plan z u g r u n d e lag. Gelänge ihr dies, w ä r e es möglich, strafrechtlich g e g e n die Verantwortlichen vorzugehen. Da fast alle Verbrechen in diversen A m n e s t i e n berücksichtigt sind, ist eine R e k o n struktion der G e s c h e h n i s s e jener Jahre im R a h m e n der juicios de la verdad das Einzige, was die Gerichte bisher tun können. Die Ermittlungen der Attentate auf die israelische Botschaft (1992) und die A M I A (1994) traten ebenfalls auf der Stelle. Anders im Fall der E r m o r d u n g des chilenischen General PRATS durch den Geheimdienst seines Landes im Jahr 1974. Der Täter konnte gefasst, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. G e g e n seine Auftraggeber - vor allem General Pinochet - wird noch ermittelt. A m Ende des J a h r e s sorgte der Fall der G e f a n g e n e n von La T a b l a d a für Aufsehen. Unter der Führung v o n GORRIARAN MERLO hatte ein G r u p p e Bewaffneter 1989 eine Kaserne überfallen, weil sie einen Putschversuch des Militärs befürchteten. Der Angriff w u r d e z u m Gemetzel; offensichtlich w u r d e n die Angreifer erwartet und sahen sich einer Übermacht gegenüber, der sie nichts entgegenzusetzen hatten. Es k a m zu Folterungen und Hinrichtungen. Die überlebenden Angreifer sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden, die Militärs k a m e n quasi ungeschoren davon. Über zehn J a h r e nach diesen Ereignissen sahen die Inhaftierten in einem Hungerstreik die letzte Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und die Regierung z u m Handeln zu zwingen. N a c h über 100 T a g e n - die G e f a n g e n e n waren a m E n d e ihrer Kraft - lenkte die Regierung ein und verkürzte fast alle Haftstrafen. In der Außenpolitik ist auf zahlreiche Konflikte mit d e m brasilianischen N a c h b a r n zu verweisen, in deren Z e n t r u m A u ß e n h a n d e l und regionale Integration standen. Das Vot u m Argentiniens g e g e n K u b a bei der V e r s a m m l u n g der M e n s c h e n r e c h t s k o m m i s s i o n der Vereinten Nationen sorgte für Misstöne. W a s das Verhältnis zu Großbritannien betrifft,

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Argentinien

sind die im Südatlantik gelegenen Malwinen/Falkland-Inseln eine Wunde, die immer noch nicht verheilt ist; immer noch sind beide Nationen von der Legitimität ihres Anspru:hs auf die Inseln überzeugt. Mit Chile unterzeichnete die Regierung Abkommen zur Föroerung der militärischen und wirtschaftlichen Kooperation. Januar Anfang

Präsident DE LA RÚA legt dem Parlament ein Reformpaket zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts vor: An die Stelle von branchenweiten Kollektivverträgen treten Verhandlungen auf Unternehmensebene, zu Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses steht eine drei- bis sechsmonatige Probezeit und automatische Verlängerungen von Arbeitsverträgen laufen aus. Für die Gewerkschaften würden derartige Maßnahmen entscheidende Machteinbußen bedeuten, und dementsprechend ist aus ihren Reihen mit starkem Widerstand zu rechnen.

2.1.

Laut der Wirtschaftsprüfungsbehörde (Auditoria General de la Nación) ist es unter Maria Julia ALSOGARAY im Sekretariat für Natürliche Ressourcen und Nachhaltige Entwicklung zum Abschluss massiv überteuerter Verträge gekommen (von bis zu 344% ist die Rede). Der Senat bestätigt die Beförderungen von 269 Offizieren, gegen deren Beförderung das Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) Einspruch erhoben hatte. Alle Betroffenen werden mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Verbindung gebracht - begangen teils während der Militärdiktatur (1976-83), teils danach.

4.1.

Die Provinzen Catamarca und San Miguel de Tucumán bitten die Bundesregierung um Unterstützung bei der Neustrukturierung ihrer Schulden (US$ 1,2 Mrd. bzw. US$ 413 Mio.). Im Gegenzug versprechen sie die Anwendung von Austeritätspolitiken zum Ausgleich der Haushalte.

5.1.

Per Dekret verbietet die Regierung Paraguays für 60 Tage die Einfuhr aller Waren aus Argentinien, deren Wert unter US$ 500 liegt. Dies diene dem Schutz der einheimischen Industrie und der Bekämpfung von Schmuggel und Geldwäsche. Aus Protest blockieren Händler für zwei Stunden den Grenzübergang zwischen Clorinda und Asunción. Die Justiz weist die vom spanischen Richter Baltasar GARZÓN ausgestellten Haftbefehle gegen 48 zu Zeiten der Militärdiktatur verantwortliche Militärs als unvollständig zurück. Am 1.2. sendet GARZÓN dem zuständigen Bundesrichter Gustavo LITERAS weitere Unterlagen zu. Der venezolanische Präsident Hugo CHÁVEZ bedankt sich für die Hilfe, die Argentinien anlässlich einer verheerenden Schlammlawine in Caracas (Dezember 1999) zur Verfügung gestellt hatte, und zeichnet argentinische Militärs aus, die vor Ort geholfen haben.

6.1.

Ein Abgesandter der Regierung des Iran ersucht Außenminister RODRÍGUEZ GIAVARINI um eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen. Nachdem pro-iranische Terroristengruppen mit den Attentaten auf die israelische Botschaft (1992) und das jüdische Kulturzentrum und Sozialwerk AMIA (1994) in Verbindung gebracht worden waren, hatte das argentinische Außenministerium 1998 die letzten iranischen Diplomaten des Landes verwiesen.

111

Lateinamerika Jahrbuch 2001

7.1.

Auf Befehl der Bundesrichterin Maria SERVINI DE CüBRiA werden in Mar del Plata sechs ehemalige Unteroffiziere der Marine unter dem Vorwurf des zwölffachen Kindsraubs während der Diktatur (1976-83) verhaftet. Während jener Zeit hatte das Militär in mehreren Fällen die Neugeborenen inhaftierter, linksgerichteter Dissidentinnen entführt. Die Frauen wurden nach der Geburt ermordet, die Kinder regierungstreuen Militärs „geschenkt". Dieses Verbrechen ist in den Amnestiegesetzen nicht berücksichtigt, eine strafrechtliche Verfolgung der Schuldigen also möglich. Bereits in Haft deswegen befinden sich die ehemaligen Mitglieder der Junta, General Jorge Rafael VIDELA und Admiral Emilio Eduardo MASSERA.

Mitte

Nach Angaben des Consulting-Unternehmens Towers Perrin hat sich die soziale Ungleichheit verschärft. 1994 verdiente ein hochdotierter Manager 28mal soviel wie ein Arbeiter, 1999 das 44-fache.

11.1.

Das Außenministerium verweigert dem Schoner „Golden Fleece", der unter britischer Flagge fährt, aber in Port Stanley auf den Falkland-Inseln/Malwinen registriert ist, die Einfahrt in den Hafen von Ushuaia. Erteile man die Erlaubnis, sei dies gleichzusetzen mit der Anerkennung des britischen Hoheitsanspruches über die Inseln.

19.1.

Als Antwort auf die ablehnende Haltung der Gewerkschaften gegenüber der geplanten Reform des Arbeitsrechts (vgl. Anfang Januar) entzieht DE LA RÜA diesen per Dekret die Kontrolle über Krankenkassen im Wert von US$ 360 Mio. und unterstellt diese dem Gesundheitsministerium. Die Auditoria Ciudadana de la Calidad de la Democracia nimmt ihre Arbeit auf. Die Behörde soll als Bindeglied zwischen dem einzelnen Bürger und den staatlichen Institutionen fungieren und den Respekt vor den Bürgerrechten gewährleisten.

Ende

Einer Umfrage des Justizministeriums zufolge sind 30% der Bewohner von Buenos Aires schon einmal Opfer einer Straftat geworden - meist von Raubüberfällen auf offener Straße.

20.1.

Laut einer Gallup-Studie belegt Argentinien Platz 71, was die Verbreitung der Korruption betrifft. Auf Platz eins liegt Dänemark als am wenigsten korruptes Land und auf dem letzten Platz (99) Kamerun. Korruption sei v.a. in der Baubranche sowie bei der Herstellung und dem Verkauf von Waffen verbreitet.

27.1.

Das Abgeordnetenhaus ratifiziert ein Gesetz, das Terroristen Strafminderung und Zeugenschutz zusichert, wenn diese bereit sind, andere Terroristen zu denunzieren und gegen sie auszusagen. Man erhofft sich von diesem Gesetz eine Beschleunigung der Ermittlungen bezüglich der Attentate auf die israelische Botschaft und die AMIA (vgl. 6.1.).

30.1.

Der IWF gewährt Argentinien eine Kredittranche in Höhe von US$ 7,4 Mrd., die über drei Jahre als Sfand-öy-Kredit gewährt werden - US$ 2,9 Mrd. davon im Jahr 2000. Dieser Kredit soll es Argentinien erleichtern, im Ausland jene US$ 18 Mrd. zu erhalten, die benötigt werden, um den Zahlungsverpflichtungen für das laufende Jahr nachzukommen.

Februar Anfang

112

Die Regierung beschließt, kleinen oder mittelständischen Betrieben für die Dauer eines Jahres monatlich US$ 100 für jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz zu zahlen. Die Regelung tritt im März in Kraft.

Argentinien

1.2.

Infrastrukturminister GALLO setzt ein mit den USA zur Liberalisierung des Luftraums unterzeichnetes Abkommen außer Kraft. Ziel dieser Maßnahme ist die Stärkung des Flag Carriers Aerolíneas Argentinas. Die Gesellschaft wurde 1990 privatisiert und schreibt seit Jahren nur noch rote Zahlen. Es gibt Gerüchte, das spanische staatliche Konsortium SEPI (Sociedad Estatal de Participaciones Industriales) - Besitzer von 85% der Aktien - wolle das Unternehmen in den Konkurs entlassen. Die Zeitung „La Nación" beziffert die Verschuldung des Unternehmens auf US$ 800 Mio.

3.2.

Drei Polizisten und fünf Zivilisten, die des Mordes an dem Fotojournalisten José Luis CABEZAS angeklagt sind, erhalten lebenslange Haftstrafen. Unter den Verurteilten befindet sich Gregorio Ríos, einst Chef der Leibwache von Alfredo Nallib YABRÁN. CABEZAS, der für das Nachrichtenmagazin „Noticias" arbeitete, war am 25. Januar 1997 mit Handschellen gefesselt, vom Polizisten Gustavo PRELLEZO durch Genickschuss hingerichtet und anschließend verbrannt worden. In einer Fotodokumentation hatte er die bonaerenser Polizei angeklagt, mit Banden gemeinsame Sache zu machen, die Drogenhandel, Einbrüche und Überfälle organisieren. Er hatte ferner erstmals eine Fotografie des zwielichtigen, bis dato unbekannten Unternehmers YABRÁN veröffentlicht - Besitzer privater Postunternehmen und von Domingo CAVALLO vor dem Parlament als Kopf einer mafiaähnlichen Organisation bezeichnet, „deren Einfluss bis in höchste Kreise der Regierung reichte."

6.2.

Die Beauftragte für Soziale Entwicklung, Cecilia FELGUERAS, und die Abgesandte Argentiniens in der UNO, Susana GATTO, unterzeichnen eine Vereinbarung, in der sie das Programa de Asistencia Médica Integral (PAMI), die für Rentner zuständige Krankenversicherung, der Aufsicht der UNO unterstellen. DE LA RÚA wirft seinem Vorgänger vor, die Versicherung mit einem Schuldenberg von US$ 1,5 Mrd. hinterlassen zu haben; dies entspräche der Hälfte des jährlichen Gesundheitsetats.

13.2.

Als Protest gegen die Regierungsbeteiligung des Rechtspopulisten Jörg HAIDER zieht Argentinien seinen Botschafter aus Wien zurück. Es bittet die anderen Mercosur-Länder, diesem Beispiel zu folgen.

Ende

Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ist die Anzahl der Armen im Großraum Buenos Aires zwischen Oktober 1998 und Oktober 1999 um 130.000 auf 3.167.000 Menschen angewachsen (40% der Bevölkerung). Eine Studie von Equis/INDEC kommt zu dem Ergebnis, der Anteil der Armen bei Kindern betrage sogar 57,3%.

24.2.

Die Abgeordnetenkammer, in der die regierende ALIANZA über eine Mehrheit verfügt, ratifiziert die Reform des Arbeitsrechts (vgl. 19.1.) mit 133:88 Stimmen. Die Verabschiedung des Gesetzes im von der Opposition dominierten Senat steht noch aus. Unter der Führung von Hugo MOYANO demonstrieren am selben Tag rund 20.000 Angehörige des MTA (Movimiento de Trabajadores Argentinos) gegen das neue Gesetz. MTA ist eine Gruppierung innerhalb der von Rodolfo DAER geführten CGT (Confederación General del Trabajo) und die Demonstration Ausdruck eines Machtkampfes innerhalb der CGT.

26.2.

In Buenos Aires werden die paraguayischen Staatsbürger Luis Alberto ROJAS und Fidencio VEGA verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, im März 1999 den Vizepräsidenten ihres Landes, Luis Maria ARGANA ermordet zu haben.

113

Lateinamerika Jahrbuch 2001

März 1.3.

DE LA RÚA hält die Eröffnungsrede vor d e m Parlament. Er strebe ein „sanfte" Revolution an, wolle d e r Korruption im Staat ein Ende bereiten und die Verwaltung effizienter gestalten. Die peronistische Opposition bittet er u m Unterstützung bei der geplanten Reform des Arbeitsrechts (vgl. 24.2.).

7.3.

In e i n e m Interview mit der Tageszeitung „La Nación" betont Ex-Präsident MENEM, dass eine Dollarisierung der Wirtschaft aus ihrer Talsohle heraushelfen könne, spricht der geplanten Arbeltsreform (vgl. 1.3.) seine Unterstützung aus und kündigt an, im Jahr 2003 erneut für die Präsidentschaft zu kandidieren.

8.3.

Bundesrichter Claudio BONADIO verurteilt Alfredo ASTIZ zu drei M o n a t e n Haft; die Strafe wird zur B e w ä h r u n g ausgesetzt. ASTIZ, einst Angehöriger d e r Marine, habe unter der Militärdiktatur b e g a n g e n e Verbrechen verteidigt, gerechtfertigt und beschönigt. In einem Interview mit der Zeitschrift „3puntos" (14.1.1998) hatte er u.a. gesagt: „Ich habe nie gefoltert. Das w a r nicht m e i n e Aufgabe. O b ich getötet hätte, wenn es mir befohlen w o r d e n w ä r e ? Natürlich. Die A r m e e hat mich gelehrt, zu zerstören. [...] Technisch g e s e h e n bin ich in diesem Land d e r a m besten dafür geeignete Mann, einen Politiker oder einen Journalisten zu töten."

14.3.

Innenminister STORANI gibt bekannt, die v o m spanischen Richter GARZÓN gestellten Auslieferungsanträge (vgl. 6.1.) seien sinnlos, d a die Bestrafung der Verbrecher der argentinischen Justiz obliege. Für Straferlass sei im modernen Argentinien kein Platz mehr.

16.3.

A n der Frage der Reform des Arbeitsrechts und der Antwort der G e w e r k schaft darauf zerbricht die peronistische Gewerkschaft C G T (vgl. 24.2.). MOYANO sieht in Streiks und Demonstrationen die einzig a d ä q u a t e Antwort auf das Reformprojekt, DAER zeigt sich verhandlungsbereit. Von nun an führt der L K W - F a h r e r H u g o MOYANO die „rebellische" C G T und Rodolfo DAER die „offizielle". Eine T r e n n u n g und spätere Wiedervereinigung der C G T ist in der jüngeren Geschichte d e s Landes bereits m e h r m a l s v o r g e k o m m e n .

18.3.

Nach 100 T a g e n liegt die Unterstützung der Bevölkerung für die Regierung bei 68,6%, verglichen mit 73,6% bei der A m t s ü b e r n a h m e . Unmut ist spürbar, d a sich keine Lösungen in Bezug auf Arbeitslosigkeit, innere Unsicherheit u n d fallende Gehälter abzeichnen (Angaben des Centro de Estudios de la Opinión Pública).

21.3.

Die Regierung beschließt einen Plan zur A r m u t s b e k ä m p f u n g in H ö h e v o n U S $ 2 5 0 Mio. Der Plan k o m m t 455.000 Familien zugute, d e n e n monatlich weniger als U S $ 6 7 pro Kopf zur V e r f ü g u n g stehen.

23.3.

Generalleutnant Martin BALZA (bis z u m 9.12.1999 Generalstabschef des Heeres) sagt vor Bundesrichter Adolfo BAGNASCO aus, dass d e m Kindsraub (vgl. 7.1.) ein systematischer Plan z u g r u n d e gelegen h a b e n m ü s s e - schon aufgrund der Befehlsstruktur innerhalb der Streitkräfte. Bereits 1995 und 1999 hatte sich BALZA kritisch zu den V e r b r e c h e n der Militärs in den J a h r e n 197683 geäußert. Z e h n T a g e zuvor hatte der amtierende Generalstabschef des Heeres, General Ricardo BRINZONI, dies bezweifelt, aber betont, das sei nur seine persönliche Meinung.

26.3.

Auf der Jahreskonferenz der Interamerikanischen Entwicklungsbank in den U S A wird beschlossen, Argentinien einen Kredit von U S $ 5 Mrd. zu g e w ä h ren. Die S u m m e soll der weiteren Deregulierung von Bank- und F i n a n z w e s e n

114

Argentinien

dienen. Davon erhofft man sich sinkende Zinsen und somit wachsende Liquidität und Investitionsbereitschaft.

31.3.

Aldo Rico, seit drei Monaten Minister für Innere Sicherheit der Provinz Buenos Aires, muss zurücktreten, nachdem er versucht hatte, DE LA RÜA mittels eines Fotos mit ehemaligen Putschisten in Verbindung zu bringen. Seit seiner Ernennung war Rico umstritten: Ende der 80er Jahre hatte er zwei Aufstände der „Carapintadas" (Soldaten mit schwarz bemalten Gesichtern) gegen die demokratische Regierung angeführt (1987 und 1988). Mittels einer vom Präsidenten unterzeichneten Resolution werden die Mitglieder des Obersten Militärgerichtshofes (Consejo Supremo de las Fuerzas Armadas) ihres Amtes enthoben. Das Militärgericht hatte versucht, Bundesrichter BAGNASCO die Fälle des Kindsraubs (vgl. 23.3.) zu entziehen und der Militärgerichtsbarkeit zu unterstellen.

April Anfang

13.4.

14.4.

17.4.

Beim Ranking des Institute for Management Development (IMD), das eine jährliche Rangliste von 47 Volkswirtschaften aufstellt, landet Argentinien für das Jahr 1999 auf Platz 33; 1997 hat es noch Platz 28 erreicht. Die Abgeordnetenkammer verabschiedet auf Drängen der USA und gegen den Widerstand der Banken ein Gesetz zur Bekämpfung der Geldwäsche. Das Gesetz ruft eine Dienststelle für Finanzinformationen (Unidad de Información Financiera) ins Leben, die direkt dem Justizministerium unterstellt ist und verdächtige Kapitalbewegungen untersuchen wird. Der Akt der Geldwäsche an sich wird zum Verbrechen erklärt, das mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann. BAGNASCO erlässt wegen mutmaßlicher Beteiligung am systematischen Kindsraub einen Haftbefehl gegen General i.R. Jorge OLIVERA ROVERE, während der Militärdiktatur stellvertretender Oberbefehlshaber der ersten Heeresdivision. Auf dem Friedhof von Lomas de Zamora (im Süden von Buenos Aires) werden 88 anonyme Gräber von Opfern der Militärdiktatur gefunden. Nach Angaben der Gerichtsmedizin handelt es sich bei den Begrabenen überwiegend um Jugendliche, die per Kopfschuss hingerichtet wurden. Justizminister GIL LAVEDRA enthebt Alfredo AYALA, der auf Bundesebene für den Strafvollzug zuständig ist, seines Amtes. AYALA war in den Verdacht geraten, gemeinsame Sache mit Banden inhaftierter Delinquenten zu machen und diesen das Verlassen der Gefängnisse zu regelrechten Raubzügen zu ermöglichen.

18.4.

Bei der jährlichen Anhörung der UN-Menschenrechtskommission in Genf unterstützt Argentinien die Verurteilung Kubas wegen Menschenrechtsverletzungen. Am nächsten Tag kündigt Kuba die Abberufung seines Botschafters aus Buenos Aires an.

19.4.

Vor dem Kongressgebäude protestiert die „rebellische" CGT gegen die Diskussion der Reform des Arbeitsrechts im Senat (vgl. 16.3.). Die Bundespolizei geht gewaltsam gegen die Demonstranten vor; dreißig von ihnen werden verletzt - vier davon erleiden Schussverletzungen. Die peronistische Opposition im Senat nimmt die brutale Unterdrückung zum Anlass, die Diskussion des umstrittenen Gesetzes zu vertagen.

115

Lateinamerika Jahrbuch 2001

24.4.

Im Rahmen der „Gerichtsverfahren zur Findung der historischen Wahrheit" (juicios de la verdad) lädt die Richterin Cristina GARZÓN DE LASCANO aus Córdoba den Gefreiten i.R. Miguel Angel PÉREZ, den Oberstleutnant i.R. Enrique Pedro MONES RUIZ und den Major i.R. Gustavo Adolfo ALSINA vor, um sie im Zusammenhang mit den Toden von 30 politischen Gefangenen in der Strafvollzugsanstalt Nr. 1 (Córdoba) zwischen April und Oktober 1976 - also im ersten Jahr der Militärdiktatur - zu befragen. PÉREZ gibt eine Erklärung ab, die der Richterin und der Staatsanwältin unwahrscheinlich erscheint, MONES RUIZ und ALSINA verweigern die Aussage. Alle drei verbleiben 48 Stunden in Haft - zum „Nachdenken" über ihre Aussagen. Am folgenden Tag werden Oberstleutnant i.R. Osvaldo QUIROGA, Oberstleutnant i.R. Francisco DALOIA, Brigadegeneral i.R. Vicente MELLI und Carlos YANICELLI (einst Chef des Geheimdienstes der Polizei von Córdoba) zu nämlichem Sachverhalt befragt, verweigern ebenfalls die Aussage und verbleiben 48 Stunden in Haft. Am 28. schließlich ist General i.R. Luciano Benjamín MENÉNDEZ vorgeladen und verweigert die Aussage mit der Begründung, die zivile Justiz sei inkompetent, es sei ein verfassungsmäßiger Grundsatz, dass niemand verpflichtet sei, gegen sich selbst auszusagen, und das Prinzip der juicios de la verdad sei fragwürdig. MENÉNDEZ war während der Militärdiktatur der Kommandierende der Dritten Heeresdivision und Symbol der Unterdrückung in Córdoba. Er verbleibt für 4'/2 Tage in Haft. Das Militär zeigt sich beunruhigt über die Ereignisse und stellt sich zögernd hinter die Vorgeladenen. Im Rahmen besagter Gerichtsverfahren ist eine strafrechtliche Verfolgung nicht möglich; sie dienen lediglich der Wahrheitsfindung. Die ehemaligen Militärs können nicht als Angeklagte, nur als Zeugen vorgeladen werden. Vor strafrechtlicher Verfolgung werden die Täter durch das unter ALFONSÍN 1986 erlassene „Schlusspunktgesetz" (Ley de Punto Final) und das ein Jahr später erlassene „Gesetz des pflichtgemäßen Gehorsams" (Ley de Obedencia Debida) sowie durch zahlreiche unter MENEM erlassene Amnestien geschützt.

26.4.

Der Senat ratifiziert das Projekt zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts (vgl. 19.4.). Die peronistische Opposition erteilt dem Gesetz unter der Bedingung ihren Segen, dass es nicht zu Gehaltskürzungen komme und dass US$ 160 Mio. für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Am 11.5. wird die Reform nach erneuter Verabschiedung im Abgeordnetenhaus endgültig zum Gesetz.

Anfang

Das Defizit des öffentlichen Haushalts im April betrug US$ 630 Mio. Dem IWF gegenüber hat die Regierung sich verpflichtet, dass das Fiskaldefizit im 2. Quartal maximal US$ 700 Mio. betrage. Das Wirtschaftsministerium beteuert jedoch, das angestrebte Ziel erreichen zu können.

1.5.

Hebe DE BONAFINI (Vorsitzende der „Madres de la Plaza de Mayo"), Adolfo PÉREZ ESQUIVEL (Träger des Friedensnobelpreises) und Estela DE CARLOHA (Vorsitzende der „Abuelas de la Plaza de Mayo") nehmen an den Feierlichkeiten zum 1. Mai in Kuba teil. In ihrer Rede verurteilt DE BONAFINI das Votum Argentiniens gegen Kuba (vgl. 18.4.).

2.5.

Jorge KOGAN, für das Transportwesen zuständiger Staatssekretär, gibt vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss bekannt, dass Aerolíneas Argentinas 1999 Verluste in Höhe von US$ 240 Mio. gemacht habe. Für

116

Argentinien

2000 sei möglicherweise mit einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu rechnen. Um Aerolíneas Argentinas vor dem Bankrott zu bewahren, werden Subventionen in Höhe von US$ 500-600 Mio. veranschlagt (vgl. 1.2.). 4.5.

Bundesrichter BAGNASCO hebt den Haftbefehl gegen Ex-General OLIVERA RIVERE (vgl. 14.4.) auf; es gebe keine Beweise dafür, dass das Konzentrationslager „Automotores Orletti" seinem Befehl unterstanden habe. In jenem Lager war es zu mehreren Fällen von Kindsraub gekommen.

5.5.

Nach Aufrufen der „rebellischen" CGT (vgl. 19.4.) und der CTA (Central de Trabajadores Argentinos) unter Víctor DE GENNARO kommt es zum 24stündigen Generalstreik - dem ersten unter der neuen Regierung. Betroffen ist v.a. das Transportwesen.

7.5.

Bei den Wahlen zum Bürgermeisteramt der Stadt Buenos Aires erhält Aníbal IBARRA ( U C R )

49,41%

der Stimmen,

D o m i n g o CAVALLO ( A p R )

33,08%

und

Raúl GRANILLO OCAMPO (PJ) 1,6%. Angesichts des Stimmenvorsprungs von IBARRA verzichtet CAVALLO auf eine Stichwahl. Am 6.8. tritt IBARRA sein Amt an. 10.5.

Das Abgeordnetenhaus entzieht Antonio Domingo Bussi mit 182:2 Stimmen bei zwei Enthaltungen seinen Status als Abgeordneter, und somit seine Immunität. Bussi wird des Völkermords während der Militärdiktatur (1976-83), der Entführung und der unrechtmäßigen Bereicherung angeklagt. Lediglich seine Immunität als Abgeordneter stand bis zu diesem Moment einer strafrechtlichen Verfolgung im Wege.

Mitte

Aufgrund der Kürzung von Erdölsubventionen am 2.5. blockieren Arbeitslose die Nationalstraße 34 in der Nähe von General Mosconi (Provinz Salta). Bei gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizeikräften kommt es zu Dutzenden von Verletzten. Auch in Cutral-Có (Provinz Neuquén) und in Resistencia (Provinz Chaco) gipfeln soziale Konflikte in Blockaden und gewaltsamen Konfrontationen zwischen Demonstranten und Ordnungskräften.

21.5.

Trotz wachsender sozialer Spannungen verpflichten sich die Gouverneure von neun Provinzen (Formosa, Jujuy, Catamarca, Río Negro, Tucumán, Tierra del Fuego, Chubut, Chaco und Neuquén) zu drastischen Sparmaßnahmen (u.a. Gehaltskürzungen, Entlassungen und vermehrte Steuereinnahmen) und erhalten im Gegenzug von der Bundesregierung Unterstützung bei der Umstrukturierung ihrer Schulden.

24.5.

In Brasilien wird ein militärisches Dokument veröffentlicht, das erstmals die „Todesflüge" bestätigt. Während der Militärdiktatur (1976-83) wurden Regimegegner lebend oder tot aus Flugzeugen in den Südatlantik oder den Rio de la Plata geworfen, um die Leichen verschwinden zu lassen. Das Dokument bestätigt erstmals, dass im Cono Sur eine militärische Zusammenarbeit („Plan Cóndor") bestanden hatte. Bereits Ende April hatte der Oberste Gerichtshof Brasiliens beschlossen, dem argentinischen Bundesrichter BONADIO Zugang zu geheimen Dokumenten zu gewähren, die sich auf das Verschwinden dreier argentinischer Staatsbürger vor 20 Jahren in Brasilien bezogen.

29.5.

Präsident DE LA RÚA legt ein Paket bestehend aus Sparmaßnahmen sowie Ansätzen zur Verschlankung der öffentlichen Verwaltung vor. Im Visier der Sparmaßnahmen befinden sich u.a. die Gehälter jener Staatsbediensteten, die mehr als US$ 1.000 im Monat verdienen. Sie müssen Gehaltskürzungen

117

Lateinamerika Jahrbuch 2001

von

12-15% hinnehmen, was

140.000 der 255.000 Staatsbediensteten

be-

trifft. Ferner soll bei den Pensionen ehemaliger Militärs, bei sog. „Privilegierten-Pensionen" und bei Doppeleinkommen im Staatsdienst eingespart werden. Die Maßnahmen sollen den öffentlichen Haushalt im laufenden Jahr um US$ 590 Mio. entlasten. Vier Tage später verkündet Vizepräsident ALVAREZ ein Dekret, das die Deregulierung der staatlichen Krankenkassen zum 1.1.2001 vorsieht, die bisher von den Gewerkschaften verwaltet werden. Juni Anfang

Nach Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Tendencias Económicas haben in den ersten fünf Monaten des Jahres 52.843 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren - so viel wie nie zuvor in der vergangenen Dekade.

6.6.

In Rom beginnt in Abwesenheit der Angeklagten das Verfahren gegen sieben ehemalige argentinische Militärs - die Generäle Carlos Guillermo SUÁREZ MASÓN und Omar Santiago RIVEROS, sowie Juan Carlos GIRARDI und die Unteroffiziere Julio Roberto ROSSIN, Alejandro PUERTAS, José Luis PORCHETTO und Omar MALDONADO. Sie werden beschuldigt, während der Militärdiktatur acht italienische Staatsbürger in Argentinien entführt und ermordet zu haben. Insgesamt sind in der Zeit von 1976-83 über 400 Italiener der Diktatur zum Opfer gefallen.

9.6.

Es kommt zum zweiten Generalstreik innerhalb von 35 Tagen (vgl. 5.5.). Der Streik wird ausgerufen von der „offiziellen" und der „rebellischen" CGT sowie der CTA. Es ist das erste Mal, dass alle drei gewerkschaftlichen Dachverbände gemeinsam zur Arbeitsniederlegung aufrufen. Anlass für den Streik sind die jüngsten Sparmaßnahmen (vgl. 29.5.), die Wirtschaftspolitik, die Rolle des IWF und die Deregulierung der Krankenkassen. Im Verlauf des Tages kommt es im ganzen Land zu Straßenblockaden, Unruhen und Gewaltakten; in Neuquén werden die Bürogebäude der privatisierten Erdölfirma Repsol VPF in Brand gesetzt.

11.-13.6.

Präsident DE LA RÚA besucht erstmals offiziell die USA. Vor Führern der New Yorker Finanz- und Geschäftswelt verteidigt er die jüngsten Sparmaßnahmen. Er räumt ein, die Wachstumsprognosen zu Beginn des Jahres mit 4% zu optimistisch beziffert zu haben; die OECD prognostiziert ein Wachstum von lediglich 2,6%. Bei einem Treffen mit US-Präsident Bill CLINTON legt dieser ihm eine Liberalisierung des Luftraums über Argentinien nahe (vgl. 1.2.). DE LA RÚA gibt die Haltung der Gewerkschaften als Grund seines Zögerns an. Außerdem besucht der Präsident das United States Holocaust Memorial Museum in Washington, DC und entschuldigt sich bei Vertretern der jüdischen Gemeinden Argentiniens und der USA für die Zuflucht, die sein Land flüchtigen Nazis gewährt hat.

14.6.

Das Sparpaket von Präsident DE LA RÚA wird im von der Opposition dominierten Senat abgelehnt und Teile der Dekrete annulliert - möglicherweise ein Versuch, verlorenes Terrain zurückzugewinnen.

16.6.

Bundesrichter BAGNASCO lässt Víctor Adrián ALDERETE verhaften. ALDERETE war unter MENEM Präsident der Rentner-Krankenversicherung PAMI (vgl. 6.2.) und gilt als Symbol der Korruption unter der Vorgängerregierung.

22.6.

Der Versuch der ALIANZA, die vom Senat annullierten Dekrete im Abgeordnetenhaus ratifizieren zu lassen, scheitert und noch am selben Tag weist ein

118

Argentinien

23.6.

25.6.

27.6.

28.6.

18.7.

19.7.

30.7.

Arbeitsrichter die Kürzungen der Gehälter als verfassungswidrig zurück. Am nächsten Tag legt die Regierung Berufung ein, der am 26.6. auch stattgegeben wird. Damit sind die Gehaltskürzungen rechtsgültig. In der Provinz Mendoza schließen die regierende ALIANZA, die Opposition, Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Vertreter der Universitäten und andere Akteure des öffentlichen Lebens einen Solidarpakt, um mittel- und langfristige Strategien zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Provinz auszuarbeiten. In der Provinz Buenos Aires werden zwei Bolivianer von einer Bande Vermummter überfallen und bis zur Bewusstlosigkeit gefoltert. Seit Anfang April sind 79 bolivianische Familien Opfer ähnlicher Überfälle geworden. Es ist ungewiss, ob Fremdenhass das Motiv der Überfälle ist, oder ob dahinter ein Plan steht, die Bolivianer aus ihren Siedlungen zu vertreiben und mit den Grundstücken zu spekulieren. Andere Quellen vermuten, Polizisten seien an den Überfällen beteiligt. Laut einem Bericht der Interamerikanischen Entwicklungsbank ist das BIP von Buenos Aires vergleichbar mit dem von Frankreich oder Österreich, das von Provinzen wie Santiago del Estero oder Formosa hingegen mit dem von Georgien oder Nikaragua. Ähnliche Diskrepanzen zwischen Hauptstadt und Provinzen gibt es im Bildungswesen und bei der mittleren Lebenserwartung. Vizepräsident ALVAREZ verteilt im Senat eine Liste aller 3.156 Angestellten des Senats. Dies ist als Angriff auf Korruption und Klüngelwirtschaft im Senat zu verstehen. Er vermutet, dass unter diesen Angestellten über 1.000 ñoquis sind - Angestellte, die keine Funktion erfüllen, aber trotzdem ein Gehalt beziehen. Die Regierung akzeptiert einen von SEPI am 2.5. vorgelegten Plan zur Rettung von Aerolíneas Argentinas unter der Bedingung, dass es nicht zu Entlassungen komme. Die Kosten des Plans betragen US$ 650 Mio., die von den Aktionären aufgebracht werden müssen: 5% vom argentinischen Staat, 10% von den Angestellten und 85% von Interinvest/SEPI. Die Weltbank gewährt Argentinien einen Kredit von US$ 3 Mrd. zur Bekämpfung der Armut.

Umfangreiche Proteste der Arbeitslosenbewegung „General San Martin" aus der Provinz Chaco wegen der Arbeits- und Sozialpolitik. Die Regierung kündigt das Sozialhilfeprogramm „Integraler Kampf gegen Armut - Solidarität" an. Mit einem monatlichen Betrag in Höhe von US$ 100 wird Familien geholfen, die unter der Armutsgrenze leben - nach Angaben des Ministeriums für Soziales ca. drei Millionen Menschen. Der Arzt Andrés CARRASCO, unabhängiger Forscher, wird zum Vorsitzenden des Nationalen Wissenschaftsrats (CONICET) ernannt. CARRASCO, bereits der zweite Vorsitzende unter der neuen Regierung, soll einen Reformplan für CONICET im Sinne der Sparmaßnahmen vom 29.5. durchsetzen. Der Kardiologe Rene FAVALORO begeht Selbstmord. Als Grund werden finanzielle Probleme in der von ihm ins Leben gerufenen Stiftung für Herzkrankheiten vermutet. FAVALORO war der erste Herzchirurg, der eine Herztransplanta-

119

Lateinamerika Jahrbuch 2001

tion in Argentinien vorgenommen hatte. Er galt weltweit als Pionier der Bypass-Operation. August 2.8.

Demonstration in La Quiaca (Jujuy) an der Grenze mit Bolivien. Die Einwohner protestieren gegen ein Dekret von DE LA RÚA, das die Schaffung einer Freihandelzone in der Region unterbindet. Die Region gilt als eine der ärmsten in Argentinien.

3.8.

Die Regierung fordert für das Strafermittlungsverfahren im Fall AMIA einen Beobachter der OAS- Menschenrechtskommission an. Die Verwandten der Opfer des Anschlages auf das jüdische Kulturzentrum und Sozialwerk haben gegen die Unfähigkeit der argentinischen Justiz geklagt, die Schuldigen ausfindig zu machen (vgl. 6.1.).

9.8.

Vicente Fox QUESADA, der neugewählte aber noch nicht im Amt befindliche Präsident Mexikos, besucht Argentinien. Er begründet seine Reise durch den Cono Sur als „Signal Mexikos in Richtung Lateinamerika". Auf dem römischen Flughafen wird der argentinische Major i.R. Jorge OLIVERA verhaftet. Gegen ihn liegt wegen des „Verschwindenlassens" französischer Staatsbürger während der Militärdiktatur ein internationaler Haftbefehl der französischen Justiz vor.

11.8.

In den USA wird wegen des Verdachts auf Maul- und Klauenseuche ein vorübergehendes Importverbot für argentinisches Rindfleisch erlassen. In die USA und nach Kanada gehen 25% der argentinischen Rindfleischexporte. Bundesrichter BAGNASCO erlässt einen Haftbefehl gegen Ex-General RIVEROS, dem Beteiligung am systematischen Kindsraub vorgeworfen wird. Mit ihm sind es schon sechs Generäle, die wegen Kindsraub in Haft sind (vgl. 7.1.

20.8.

Bundesrichter Jorge URSO erhebt wegen illegaler Waffenexporte nach Kroatien und Ekuador Anklage gegen die früheren Minister für Äußeres und Verteidigung, Guido Di TELLA und Antonio Erman GONZÁLEZ, sowie gegen den Stellvertreter des Verteidigungsministers, Juan Carlos OLIMA. Ein Korruptionsverdacht entsteht im Senat. Senatoren sollen Bestechungsgelder für die Ratifizierung der im April beschlossenen Arbeitsreform (vgl. 26.4.) bekommen haben. Der Ursprung der Gelder soll im Geheimdienst SIDE (Servicio de Inteligencia del Estado) liegen. Gegen den Chef des Geheimdienstes, Fernando de SANTIBAÑES (UCR), und Arbeitsminister Alberto FLAMARIQUE (UCR) werden von der Oficina Anticorrupción Ermittlungen eingeleitet.

und 23.3.).

Frepaso entwirft ein Projekt zur Reform des SIDE. Der SIDE und seine Ausgaben sollen vom Parlament überprüft und kontrolliert werden. Das Verhältnis zwischen Vizepräsident ALVAREZ und SANTIBAÑES ist zunehmend gespannt. 24.8.

In Mexiko wird der ehemalige Marineoffizier Miguel Angel CAVALLO von INTERPOL festgenommen. Der frühere Leiter der Escuela de Mecánica de la Armada, eines der Verhaftungs- und Folterzentren während der Militärdiktatur, lebte in Mexiko als Unternehmer unter falschem Nahmen. Der spanische Richter GARZÓN (vgl. 14.3.) hatte für CAVALLO einen Auslieferungsantrag we-

gen Völkermord, Folter und Terrorismus gestellt.

120

Argentinien

30.8.

Als Fördermaßnahme für die nationale Industrie wird von der Regierung eine Verordnung verabschiedet, die staatliche und privatisierte Unternehmen zum Kauf von im Land hergestellten Produkten verpflichtet sofern der Wert der Geschäftsoperation über US$ 150.000 liegt („El Compre Argentino").

September 3.9.

Präsident DE LA RÚA unterzeichnet ein Dekret zur Deregulierung des bislang von Telefónica Argentina und Telecom Argentina beherrschten Telekommunikationsmarktes. Die Regierung erhofft sich von der Marktöffnung ausländische Investitionen.

5.9.

Bundesrichter Carlos LIPORACI will eine Anklage gegen acht Senatoren im Korruptionsskandal des Senats erheben. Er verlangt die Aufhebung der parlamentarischen Immunität für in Verdacht geratene Senatoren (vgl. 20.8.). Drei Tage darauf stimmen beide Kammern des Parlaments einem Gesetz zu, das die Immunität der Kongressabgeordneten und Senatoren limitiert.

8.9.

Beim „Encuentro Eucarístico Nacional" in Córdoba - aus Anlass des 2000jährigen Kirchenjubiläums - entschuldigen sich die Bischöfe für die von Kirchenmitgliedern im Verlauf der argentinischen Geschichte begangenen „Sünden", insbesondere für die Haltung des Episkopats während der Militärdiktatur (1976-83). Schon 1996 hatte die Bischofskonferenz sich in einem Schreiben für die Position der katholischen Kirche in jenen Jahren entschuldigt; allerdings war dieses Schreiben von vielen Beobachtern als „zu lau" bezeichnet worden. Mit 5.700 preisgünstigen PCs startet der „Plan Argentina Digital". Der Banco Nación stellt US$ 1 Mrd. für Kredite zu günstigen Konditionen zur Verfügung, damit sich jeder einen Computer mit Internetzugang leisten kann.

12.9

Román ALBORNOZ, leitender Angestellter des SIDE und Vertrauensperson von SANTIBAÑES, tritt zurück. Er wurde beschuldigt, im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal im Senat Informationen über vom Geheimdienst gezahlte Bestechungsgelder in der Öffentlichkeit zu verbreiten (vgl. 5.9.). Der Chef des Heeresgeneralstabes, General Ricardo BRINZONI, entschuldigt sich in der Öffentlichkeit für während der Militärdiktatur von Militärs begangene Verbrechen gegen die Menschenrechte (vgl. 23.3.).

16.9

Der Vorstand des IWF stimmt einer Erhöhung des vereinbarten maximalen Fiskaldefizits zu: US$ 600 Mio. mehr für 2000. Das maximale geschätzte Defizit für 2001 liegt jetzt bei US$ 4,1 Mrd. Der IWF erkennt die Mühe der argentinischen Regierung an, eine Strukturreform sowie ein Konsolidierungsprogramm zu implementieren.

19.9

Die mutmaßlichen Mörder des früheren paraguayischen Vizepräsidenten ARGANA fliehen aus einem Gefängnis in Buenos Aires (vgl. 26.2.). Dabei werden drei ehemalige Polizisten als Geiseln genommen, die der Teilnahme am AMIA-Attentat verdächtigt werden. Der Ausbruch zieht den Rücktritt des Polizeichefs von Buenos Aires, Roberto GALVARINO, nach sich.

20.9

Jorge OLIVERA (vgl. 9.8.) wird nach 43 Tagen Auslieferungshaft in Rom freigelassen. Das italienische Gericht soll eine gefälschte Todesurkunde von Marie Anne ERIZE TISSEAU akzeptiert haben. Die französische Justiz hatte die Auslieferung von OLIVERA wegen des vermuteten Mordes an dieser Frau beantragt.

121

Lateinamerika Jahrbuch 2001

23.9.

Rücktritt des Ministers für Bildung und Kultur, Juan José LLACH. An seine Stelle tritt Hugo Oscar JURI (UCR), Rektor der Universität von Cordoba.

Oktober 5.10.

DE LA RÚA versucht, seine Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen und bildet das Kabinett um. Der wegen der Wirtschaftskrise unter Beschuss geratene Wirtschafts- und Finanzminister MACHINEA hatte seine Unterstützung erfahren: Das Infrastrukturministerium sollte in ein Staatssekretariat umgewandelt und dem Wirtschaftsministerium unterstellt werden. In der Folge tritt der bisherige Infrastrukturminister Nicolás GALLO (UCR) zurück. SANTIBAÑES, Chef des SIDE und persönlicher Freund des Präsidenten, behält zunächst seinen Posten. Arbeitsminister FLAMARIQUE (Frepaso) wird Chef des Präsidialamts und an seine Stelle tritt Patricia BULLRICH (UCR). Der bisherige Chef des Präsidialamts, Jorge DE LA RÚA (UCR), übernimmt das Justizressort von Ricardo GIL LAVERDA (UCR). Chrystian COLOMBO (UCR), bis dato Präsident des Banco Nación, wird neuer Kabinettschef, nachdem Rodolfo TERRAGNO (UCR) zurückgetreten war.

6.10.

Vizepräsident ALVAREZ tritt zurück. Er hatte eine schonungslose Aufklärung des Korruptionsskandals gefordert und war nicht mit der Kabinettsumbildung einverstanden. Seiner Meinung nach hat DE LA RÚA die Schlüsselfiguren des Skandals (SANTIBAÑES und FLAMARIQUE) geschont. Der Rücktritt löst eine Koalitionskrise innerhalb der ALIANZA aus.

8.10.

Arbeitsminister FLAMARIQUE tritt zurück. Carlos BECERRA (UCR) wird an seiner Stelle das Ressort leiten. Rücktritt des Interimspräsidenten des Senats, José GENOUD (UCR). Er gehört zu den im Korruptionsskandal kompromittierten Senatoren und hätte gemäß der Verfassung nach dem Rücktritt von Vizepräsident ALVAREZ (vgl. 6.10.), der zugleich Präsident des Senats war, an die Spitze des Senats treten sollen. Am 11.10. wird der Fraktionsvorsitzende Mario LOSADA (UCR) zum neuen Senatspräsidenten gewählt. Beginn des Gerichtsverfahrens wegen des Mordes am chilenischen General PRATS und seiner Frau Sofia CUTHBERT. Nach dem Militärputsch (1973) war der Armeechef unter der Regierung ALLENDE ins argentinische Exil gegangen. 1974 wurden er und seine Frau Opfer eines Bombenattentats in Buenos Aires. Des Verbrechens angeklagt ist Lautaro Arancibia CLAVEL, einst Agent des chilenischen Geheimdienstes DINA. Am 21.11. wird er zu lebenslanger Haft verurteilt.

9.10.

15.10.

Im Falle der prekären Finanzlage von Aerolíneas Argentinas (vgl. 2.5. und 12.6.) wird eine Übereinkunft zwischen Vertretern des argentinischen Wirtschaftsministeriums und Repräsentanten des spanischen Hauptaktionärs SEPI erreicht. Die argentinische Regierung soll sich mit US$ 30 Mio. an einer Kapitalspritze in Höhe von US$ 682 Mio. beteiligen. Sparmaßnahmen (z.B. Gehaltskürzungen) sind vorgesehen, jedoch soll es nicht zu massiven Entlassungen kommen.

16.10.

Der auf des hält

122

kolumbianische Präsident Andrés PASTRANA besucht Argentinien. Er hofft Unterstützung durch die argentinische Regierung bei der Durchführung „Plan Colombia". Die argentinische Regierung bietet humanitäre Hilfe an, aber am Prinzip der Nichtintervention fest.

Argentinien

Confederaciones Rurales Argentinas (CRA), Federación Agraria Argentina (FAA) und Coninagro - drei der fünf großen landwirtschaftlichen Interessenverbände - protestieren mit einem sechstägigen Streik gegen die hohen Produktionskosten in Argentinien und gegen die Einbußen, die ihnen aus der Maul- und Klauenseuche (vgl. 11.8.) erwachsen. 20.10.

Die Regierung verabschiedet wirtschaftliche und politische Reformmaßnahmen, um das durch Rezession und die politisch-institutionelle Krise angespannte Klima des Landes zu verbessern. Das Reformpaket, das fiskalische, finanzielle und weitere Maßnahmen für die Produktionsbereiche umfasst, soll Direktinvestitionen anlocken.

21.10.

Geheimdienstchef SANTIBAÑES tritt zurück. Das Amt übernimmt Carlos BECERRA, bis dato Generalsekretär des Kabinetts. Dessen Posten wiederum wird mit Horacio JAUNARENA (UCR) besetzt.

26.10.

In einem Gipfeltreffen in Spanien sichert der spanische Ministerpräsident José Maria AZNAR Argentinien politischen und wirtschaftlichen Beistand zu.

27.10.

Wirtschaftsminister MACHINEA vereinbart in Madrid eine Verlängerung der Konzession für die Erdgasförderung in Loma la Lata (Neuquén) an Repsol YPF bis zum Jahr 2027. Das Untenehmen bezahlt dafür US$ 300 Mio. Im Rahmen der Verfahrens im Fall PRATS (vgl. 9.10.) stellt Bundesrichter Juan José GALEANO einen Auslieferungsantrag für General i.R. Augusto PINOCHET sowie vier einst führende Mitglieder und zwei ehemalige Agenten der DINA.

November Anfang

Über 3.000 Arbeitslose protestieren in La Matanza (Provinz Buenos Aires). Auch in Tartagal (Provinz Salta) sowie den Provinzen Chaco und Neuquén verleihen Demonstranten ihrem Unmut gegenüber der sozialen Krise mit Blockaden von Bundesstrassen Ausdruck und fordern Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungssystem. Am 11.11. enden die Demonstrationen mit einem Toten - ein Opfer der Repression durch die Polizei. Mitte des Monats kommt es erneut zu Blockaden in den Provinzen Chaco, Neuquén, Tucumán, Mendoza, Santa Fe und Jujuy. In der Provinz Chaco fordern die Proteste einen Toten und einen Verletzten.

2.11.

Bundesrichter Gabriel CAVALLO macht Juan Antonio DEL CERRO („Colores") und Julio SIMÓN („Turco Julián") wegen Kindsraub (vgl. 11.8.) im Fall Claudia POBLETE den Prozess. Claudia ist Tochter der „Verschwundenen" Gertrudis Maria HLACZIK und José Liborio POBLETE. Im Februar 2000 wurde Claudia von den Abuelas de Plaza de Mayo gefunden und Anklage gegen ihre Adoptiveltern erhoben.

3.11.

Der ehemalige Präsident Raúl ALFONSÍN (UCR) äußert im Fernsehen, dass ein zweijähriges Zinsmoratorium für die argentinische Wirtschaft wünschenswert wäre. 2001 kommen auf Argentinien Schuldentilgungen in Höhe von US$ 20 Mrd. zu. Die Äußerung des Ex-Präsidenten und Vorsitzenden der UCR löst eine wirtschaftliche und politische Krise aus. DE LA RÚA versucht, dem Vertrauensverlust der Wirtschaft gegenzusteuern und betont, dass seine Regierung ihre internationalen Zahlungsverpflichtungen einhalten werde. Der Direktor des IWF, Horst KÖHLER, kündigt ein Finanzpaket als Rückendeckung für die argentinische Wirtschaft an. Unter Mitwirkung der Weltbank, der

11.11.

123

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank und weiterer Geldgeber könnte ein Volumen von US$ 20 Mrd. erreicht werden. 15.11.

Es kommt zu Blockaden in den Provinzen Chaco, Neuquén, Tucumän, Mendoza, Santa Fe und Jujuy. In der Provinz Chaco fordern die Proteste einen Toten und einen Verletzten (vgl. 11.11.).

16.11.

Nach langwierigen Verhandlungen besiegeln Regierung und Provinzen einen Fiskalpakt. Das Abkommen sieht ein Einfrieren der Zahlungen der Zentralregierung an die Provinzregierungen vor. Statt der Subventionszahlungen der Zentralregierung werden die Provinzen einen Fond in Höhe von US$ 225 Mio. für Sozial- und Arbeitspolitik erhalten. Die Einsparungen im öffentlichen Haushalt sind Teil eines Sparprogramms, das Voraussetzung ist, um ein als „Panzerung" (blindaje) bezeichnetes Kreditpaket zu erhalten.

21.11.

Mit einem 36-stündigen Generalstreik wird gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung protestiert. Der Streik richtet sich gegen Sparmaßnahmen, von denen der IWF die Vergabe der „Panzerung" (vgl. 16.11.) abhängig macht.

24.11.

Der Oberste Gerichtshof lehnt die Möglichkeit ab, das Urteil der politischen Gefangenen von La Tablada zu revidieren. Die Anwälte der Inhaftierten berufen sich auf die Amerikanische Menschenrechtskonvention (Pacto de San José de Costa Rica) und postulieren eine Revision der lebenslangen Haftstrafen der politischen Gefangenen, die 1989 die Kaserne La Tablada überfallen hatten. Die elf Gefangenen befinden sich seit zwei Monaten im Hungerstreik und das nationale und internationale Echo beunruhigt die Regierung.

30.11.

Per Dekret dereguliert DE LA RÜA die Krankenkassen ab 1.1.2001. Am 2.6. war dies bereits geschehen, jedoch hatte die peronistische Opposition das damals von Vizepräsident ALVAREZ unterzeichnete Dekret im Parlament blockiert.

Dezember 6.12.

8.12.

E i n r ö m i s c h e s G e r i c h t v e r u r t e i l t in A b w e s e n h e i t SUÀREZ MASON u n d RIVEROS

zu lebenslangen und fünf weitere Offiziere zu je 24-jährigen Haftstrafen (vgl. 6.6.). Die Regierung Spaniens kündigt als einziges europäisches Land seine Beteiligung in Höhe von US$ 1 Mrd. an der „Panzerung" (vgl. 21.11.) an.

Mitte

Der ehemalige Präsident Nikaraguas, Daniel ORTEGA, und Literaturnobelpreisträger José SARAMAGO kritisieren die argentinische Regierung ob ihres mangelnden Interesses, eine Lösung für die Gefangenen von La Tablada (vgl. 24.11.) zu finden, und erklären sich solidarisch mit den Inhaftierten. SARAMAGO stellt sich als Vermittler zur Verfügung.

14.12.

Der Haushalt 2001 wird im Parlament verabschiedet. Am Jahresende weist der Haushalt 2000 Passiva in Höhe von US$ 6,4 Mrd. auf. Für 2001 wird ein Defizit in Höhe von fast US$ 7 Mrd. bei einem BIP-Wachstum von 2,5% eingeplant. Obwohl die Kosten für die Verwaltung des Staates im nächsten Jahr um US$ 32 Mio. gesenkt werden konnten, vergrößert sich das Loch im Staatshaushalt, da die Regierung 2001 US$ 1,6 Mrd. mehr an Schuldendiensten zu zahlen haben wird als im Jahr 2000. Das Budget für das Militär entspricht in etwa dem für Erziehung, ist aber deutlich höher als das für Gesundheit vorgesehene.

124

Argentinien

21.12.

Die Präsidenten Argentiniens und Chiles, Fernando DE LA RÜA und Ricardo LAGOS unterzeichnen in San Pedro de Atacama ein bilaterales Bergbauabkommen zur Förderung von Gold, Silber und Kupfer. Auf beiden Seiten der Anden sollen in 370 Förderstätten mittelfristig rund 12.000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

29.12.

Nach 116 Tagen Hungerstreik werden die Strafen von elf der politischen Gefangenen von La Tablada (vgl. 13.12.) per Dekret vermindert. Neun der Begünstigten werden das Gefängnis im Mai 2002 verlassen können, Claudia ACOSTA im Mai 2003 und Roberto FELICETTI im Mai 2006. Die Strafen von GORRIARÄN MERLO und seiner Frau Maria SIVORI bleiben unverändert. MERLO war Anführer des Movimiento Todos por la Patria (MTP), der Bewegung, die den Überfall auf die Kaserne durchgeführt hat. Bei dem Überfall waren 39 Menschen umgekommen und zahlreiche verwundet worden oder verschwunden, viele von ihnen Mitglieder des MTP. Ein Dekret ändert das Rentenversicherungssystem: Die staatlichen Rentenzuschüsse werden gekürzt; Frauen können (bei geringeren Rentenzahlungen) in den Vorruhestand treten und Arbeitnehmer, die ein neues Beschäftigungsverhältnis eingehen, haben 60 Tage Frist, um einer Rentenversicherung beizutreten. Ebenfalls per Dekret wird ein Infrastrukturgesetz verabschiedet. Für die nächsten fünf Jahre werden US$ 20 Mrd. für eine Reihe öffentlicher Bauprojekte zur Verfügung gestellt. Laut INDEC liegen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung (Personen, die weniger als 35 Stunden pro Woche arbeiten) am Jahresende bei je 14,7%. Alejandra Castro de Klede und Markus Kneißler

125

Lateinamerika Jahrbuch 2001

ARGENTINIEN Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Buenos Aires 2.766.889 Argentinischer Peso

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

1990 32,53 30.6 60.4 86.5 21 2,9 1.5 27 71.5

1998 36,125 28.2 62,3 89.3 19.3

1999 36.577 27,9 62,6 89,6 19.2 2.1

55 125 34.8 38 69.6 370 94.4

122.2 25.2 28 71.6 373 95.7

132,8 18.6 22 73.3 96.7

133.4 20.9 24.3 73.3 401.6 96.7

76.962 2.940 9.897 13.182 -4.774 2.465 788 9.297

100.000 3.130 14.800 6.846 4.552 -2.145 1.836 6.013

298.131 8.020 31.094 38.493 -14.697 1 7.818 4.177 24.876

281.942 7.600 27.348 30.732 -11.500 13.952 11.100 26.407

66.8 9.4 25.3 23.8 6.4 41,2 29,5 52,4

77.1 3.2 14.0 19.7 8.1 36.0 26,8 55.9

70.7 11.9 19.9 17.4 5.7 28,7 19.1 65,6

69.6 13.7 17.7 17.4 4.4 32,3 17,0 63,3

27.151 10.175 4.178 2.329 37,3 4.2 100.8

62.730 47.403 6.184 2.717 37.1 -2.4 2.314.0

144.050 76.799 21.573

155.429 84.568 23.700

58.2 3.9 0.9

70.0 -3,5 -2.0

54,5 1.5 1,3

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. USS) Bestand an Währungsreservern (in Mio. USS) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. USS) davon: Zinszahlungen (in Mio. USS) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 -0.7 1990 -2001 4.9 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 6.2

126

1980 28,09 30,5 61,4 82,9 24.1 3,3 13 33.8 53.2

Argentinien

ARGENTINIEN BSP pro Kopf und reale Wachstumsrate des BIP 8140 8020

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Jahre IBSP

-Wachstumsraten

Auslandsverschuldung 180 S» w

160

*

140

^

120

g>

100

3 0 2 E ,36 Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 2,1 1990 -2001 1.8 2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarlsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnml- jahrl Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 0.5 1990 -2001 4,2 Ourchschnittl. jährt. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 2

91,4

88 104,9 16,1 21,1 74 826,4 91

5.313 2.210 2.042 1.796 209 284 135 343

8.322 3.010 3.090 3.940 -1.212 1.289 1 206 954

8.624 3.070 2.924 3.691 •1.300 1.454 0 800

51,9 17,6 28,1 30,5 9,6 21,0 11.8 69,5

60,4 18,2 16,8 21.4 10.5 16,2 10,5 73,3

60.0 16,5 32,8 23,5 7,9 18,4 9.0 73,8

57,0 15,6 34,1 35,6 7,5 18,1 7,7 74,4

2.975 2.271 488 256 6,2 1.1 13,8

6.678 3.988 345 224 6.2 8,1 0,8

6.689 5.413 235 554 7,6 4,1 0,6

7.000 5.783 257 626 8.8 3,5 1.0

103,6 20,6 25 74

297

Lateinamerika Jahrbuch 2001

298

Dominikanische Republik

Dominikanische Republik Amtlicher Name: Präsident: Im Amt seit:

República Dominicana Rafael Hipólito MEJÍA DOMÍNGUEZ 15. August 2000

Vizepräsidentin:

M i l a g r o s ORTÍZ BOSCH

Nächste Präsidentschaftswahlen: 2004 Kabinett (Stand Juli 2001): Äußeres: Hugo TOLENTINO DIPP; Inneres: Rafael SUBERVI BONILLA; Verteidigung: Jose Miguel SOTO JIMENEZ; Leiter der Präsidialamtsbüros: Sergio GRULLÓN; F i n a n z e n :

F e r n a n d o ALVAREZ BOGAERT; E r z i e h u n g / B i l d u n g :

Milagros

ORTÍZ

BOSCH; Industrie und Handel: Angel LOCKWARD; Arbeit: Milton RAY GUEVARA; Soziales und Gesundheit: Jose RODRÍGUEZ SOLDEVILLA; Verkehr und Kommunikation: Miguel VARGAS MALDONADO; Landwirtschaft: Eligió JAQUEZ CRUZ; Tourismus: Ramón Alfredo BORDAS. Z e n t r a l b a n k p r ä s i d e n t : F r a n c i s c o M . GUERRERO PRATS

Im Parlament vertretene Parteien: Partido Revolucionario Dominicana (PRD); Partido de la Liberación Dominicana (PLD); Partido Reformista Social Cristiano (PRSC). Sitzverteilung im Kongress ab 16. Mai 1998: Abgeordnetenhaus (149 Sitze): PRD: 83; PLD: 49; PRSC: 17. Senat (30 Sitze): PRD: 24; PLD: 4; PRSC: 2.

Chronologie 2000 März 9.3.

Ein Komplott gegen Joaquin BALAGUER, Ex-Präsident und hochbetagter Kandidat des PRSC für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen, wird aufgedeckt. Ihm sollten nicht gestattete Medikamente eingeflößt werden, die ihn arbeitsunfähig machen oder sogar töten sollten.

April 9.4.

Der Sozialdemokrat Hipólito MEJÍA steht in der Wählergunst Umfragen zufolge weiterhin vorn; Ex-Präsident Joaquín BALAGUER nimmt Platz zwei ein, nachdem er den Kandidaten des Partido de la Liberación Dominicana, Danilo MEDINA, in sein Lager holt. MEDINA erhält die Unterstützung des noch amtierenden Präsidenten Leonel FERNÁNDEZ.

26.4.

Ein Streik der Transportarbeiter nur drei Wochen vor der Präsidentenwahl bringt heftige Spannungen in der Junta Central Electoral (JCE) mit sich. Durch den Streik wollen die Mitarbeiter die Bezahlung der Schulden durch die Regierung erreichen. Außerdem wollen sie bewirken, dass die Regierung die Zuständigkeit für die Transportwege innerhalb des neuen wiederhergestellten

299

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Verkehrssystems von Santo Domingo an die Autoridad Metropolitana Transporte abgibt.

de

Mal 13.5.

PSD-Kandidat Hipólito MEJIA liegt nach allen Umfragen zehn Punkte vor dem konservativen Joaquín BALAGUER. Die Chancen für den Kandidaten der Regierungspartei, Danilo MEDINA, seinen zu schwinden.

16.5.

Wahltag für die Präsidentschaftswahlen. Es sind die am strengsten überwachten Wahlen in der Geschichte des Landes, die von rund 8.000 Beobachtern verfolgt werden. Nach vier Tagen liegt das amtliche Endergebnis der Stimmenauszählung vor: Hipólito MEJIA geht mit 49,87% der Stimmen als klarer Sieger hervor. Der neugewählte Präsident verspricht, dass er seine politischen Bemühungen auf vier Punkte konzentrieren werde: die Bildungspolitik, das Gesundheitswesen, den Wohnungsbau und die Arbeitsmarktpolitik. Sein künftiges Kabinett soll aus einer Allparteienkoalition durch „die Besten des Landes" gebildet werden.

Juni 8.6.

Die Regierung legt dem Nationalkongress eine Gesetzesnovelle vor, der zufolge Ausländer ohne Ausweispapiere in Krankenhäusern nicht mehr medizinisch behandelt werden sollen. Vertreter der dominikanischen Ärztevereinigung sowie Beamte der Gesundheitsbehörden hatten gegen diese Vorlage scharf protestiert.

August 15.8.

Amtseinführung des neuen Präsidenten Hipölito MEJIA. Als absolut vorrangig kündigt er die Bekämpfung der Armut im Lande an; allerdings muss sich der neue Präsident auch den wirtschaftspolitischen Problemen und einer Staatsverschuldung in Höhe von mehr als 15,800 Mio. Pesos stellen. Unter den Staatsgästen befindet sich auch der Präsident von Costa Rica, Miguel Angel RODRIGUEZ. Gesprochen wird u.a. über einen schon seit längerem diskutierten Freihandelsvertrag zwischen beiden Ländern.

16.8.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) hat die Regierung der Dominikanischen Republik wegen illegaler Verschleppungen gerügt. Die Kritik betriff v.a. eingebürgerte Haitianer. Die Kommission will bei dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof in Costa Rica Beschwerde gegen die Dominikanische Republik einlegen.

September 13.9.

300

Präsident Hipólito MEJIA besucht Costa Rica. Im Mittelpunkt der Gespräche mit seinem Gastgeber, Miguel Angel RODRÍGUEZ, steht der Abschluss eines Freihandelsvertrags.

Dominikanische Republik

28.9.

Präsident Hipólito MEJÍA nimmt an einem Treffen der Präsidenten v o n Zentralamerika, Belize und der Dominikanischen Republik mit d e m kanadischen Premierminister, J e a n CHRÉTIEN teil.

Oktober 19.10.

Bei seinem Staatsbesuch in V e n e z u e l a unterschreibt Hipólito MEJIA gemeins a m mit Präsident H u g o CHÁVEZ den „Acuerdo Energético de Caracas", der es der Dominikanischen Republik ermöglichen soll, venezolanisches Erdöl zu Vorzugspreisen einzuführen.

November 6.-7.11.

das u.a. Öffentliche Proteste g e g e n ein neues Gesetzespaket (e/ paquitazo), S t e u e r e r h ö h u n g e n und den Wegfall von staatlichen Subventionen vorsieht. A u c h Oppositionspartei P L D gibt bekannt, dass sie dieses Projekt nicht unterstützen werde. Eine W o c h e darauf wird die Gesetzesnovelle mit den S t i m m e n des P R S C im A b g e o r d n e t e n h a u s in erster Lesung verabschiedet. Auf Bruttogehälter entfällt fortan ein Steuersatz von 4,5% (bisher 3%).

Dezember 11.12.

Der stellvertretende US-Landwirtschaftsminister, A u g u s t SCHUHMACHER JR., gibt die Schaffung eines Fonds in Höhe von U S $ 8 Mio. bekannt. Damit soll die dominikanische Landwirtschaft angekurbelt w e r d e n . Die Initiative liegt im eigenen Interesse, d e n n die Nachfrage nach dominikanischen Agrarprodukten ist in den USA sehr hoch.

17.12.

Präsident MEJIA lässt sich auf einen Vorschlag von J o a q u i n BALAQUER ein: Nach der Meinung des Ex-Präsidenten soll MEJiA die Reform der V e r f a s s u n g hinauszögern, damit alle gesellschaftlichen G r u p p e n an dieser wichtigen Entscheidung teilhaben können. Zunächst soll eine juristische K o m m i s s i o n eingesetzt werden.

21.12.

Präsident MEJIA besucht die USA. A n der North Carolina die Ehrendoktorwürde verliehen.

University

wird ihm

27.-29.12. Das Parlament beschließt ein neues S t e u e r s y s t e m ( P a q u e t e de Medidas). Es beruht auf d e m s o g e n a n n t e n „Acuerdo de Caballeros", e i n e m politischen K o m p r o m i s s , der durch eine Übereinkunft zwischen Ex-Präsident J o a q u i n BALAGUER, d e m Vertreter des P R D , Hatuey DE CAMPS und Präsident Hipölito MEJIA zustande g e k o m m e n war.

Liane

Suárez

301

LateinameriKa Jahrbuch 2U01

DOMINIKANISCHE REPUBLIK Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Santo Domingo 48.734 Dominikanischer Peso

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate

1980 5,697 42,3 54,6 50,5 32,9 4,2 32,5 15,5 38,8

1990 7,11 37 59,5 58,3 28,2 3,4 24,8 29 46,2

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %)

55 105 76,2 92 64,2 1760 73,9

63 92,9 50,8 78 69,1 671 79,4

82,8

65 98 45 56 71 465,1 82

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$)

6.631 1.170 1.271 1.919 -720 673 93 279

7.074 870 1.832 2.233 -280 351 133 68

15.853 1.770 5.851 6.262 -338 784 699 507

17.125 1.910 5.531 7.193 -429 1.148 1.353 689

77,0 7,6 25,1 15,4 20,1 28,3 15,3 51,6

79,6 5,1 25,1 15,3 13,4 31,4 18,0 55,2

74,9 8,2 25,8 16,9 11,6 32,8 16,6 55,6

72.6 8,1 26,1 16,7 11,5 34,3 17,0 54,2

2.002 1.220 379 179 25,3 6,1 16,8

4.372 3.420 232 86 10,4 -5,8 50,5

4.451 3.530 375 202 4,2 7.3 7,8

4.800 3.665 360

Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

1999 8,404 33,1 62,5 63,9 23,9 2,4

13,1 2,3 1,9

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (In %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 3,1 1990 -2001 5,7 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 9.8

302

1998 3,254 34,1 61,7 63,7 24,8 2,9

39,5 70,8

4,4 7,3 7,5

Haiti

Haiti Amtlicher Name: République d'Haïti Präsident: Jean-Bertrand ARISTIDE Im Amt seit: 7. Februar 2001 Nächste Präsidentschaftswahlen: 2005 Kabinett (Stand Juni 2001 ): Premierminister: Jean Marie CHERESTAL; Äußeres: Joseph Philippe ANTONIO; Wirtschaft und Finanzen: Faubert GUSTAVE; Handel und Industrie: Stanley THÉARD; Justiz: Gary LISSADE; Bildung: Gaston Georges MERISIER; Kultur: Guy PAUL; Soziales: Eudes ST. PREUX CRAAN; Gesundheit: Henri Claude VOLTAIRE ; Landwirtschaft: Sébastien HILAIRE; Öffentliches Bauwesen/Transport/ Kommunikation: Ernst LARAQUE; Planung und internationale Kooperation: Marc Louis BAZIN; Frauenfragen: Ginette RIVIÈRE LUBIN; Haitianer in Übersee: Leslie VOLTAIRE; Verwaltung: Webster PIERRE; Tourismus: Martine DEVERSON; Inneres: Henri-Claude MÉNARD. Parteien im Parlament (neben Fanmi Lavalas und Espace de Concertation): Mouvement Chrétien pour une Nouvelle Haiti (MOCHRENA); Parti Louvri Baryé (PLB); Organisation du Peuple en Lutte (OPL); Koodinasyou Resistans Grandanse (KOREGAESKANP). Abgeordnetenhaus (82 Sitze): Fanmi Lavalas: 72; MOCHRENA: 3; PBL: 2; Espace: 2; ESKANP- KOREGA: 1; OPL: 1; parteilos: 1 Senat (27 Sitze): Fanmi Lavalas: 26; PLB: 1

Chronologie 2000 Das Geschehen in Haiti war im Jahr 2000 von der Vorbereitung und Durchführung der Parlaments- und Kommunalwahlen (Mai und Juli) sowie den Präsidentschaftswahlen im November geprägt. Aufgrund politischer Auseinandersetzungen über die Besetzung der Wahllommissionen und erheblichen Schwierigkeiten im Verlauf des Registrierungsprozesses und einer Gewaltwelle, musste der Wahltermin mehrfach verschoben werden. Der este Wahlgang konnte schließlich am 21. Mai 2000 durchgeführt werden. Internationale und nationale Beobachter bestätigten einen relativ reibungslosen Verlauf am Wahltag selbst. Offensichtliche Manipulationen zugunsten der Partei Fanmi Lavalas bei der E'mittlung der Ergebnisse für den Senat lösten einen politischen Konflikt aus, der bis zum Ende des Jahres ungelöst blieb. Sowohl die internationale Gemeinschaft als auch die nationale Opposition weigerten sich, die Ergebnisse anzuerkennen. Die Opposition boykottierte die Teilnahme an der zweiten Wahlrunde im Juli, und die internationale Gemeinschaft sah von einer Beobachtung der Stichwahl ab. Irr Oktober des Jahres 2000 begann der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen. Trotz intensiver Vermittlungsbemühungen durch die Organisation Amerikanischer Staaten (0AS) wurden die Verhandlungen zwischen der Opposition und Fanmi Lavalas über die Ergebnisse der Parlaments- und Kommunalwahlen ohne Einigung abgebrochen. Die Opposition boykottierte in der Folge dieser Ereignisse die Präsidentschaftswahlen. Ohne ernstzunehmende Gegner ging Jean-Bertrand ARISTIDE am 26. November als eindeutiger Seger aus den Wahlen hervor. Die Opposition erkannte den gewählten Präsidenten nicht an. Die anhaltende politische Krise, die die dringliche Behandlung der sozioökono-

303

Lateinamerika Jahrbuch 2001

mischen Probleme des Landes weiterhin blockiert, ist durch eine zunehmende Militanz und Gewaltbereitschaft in Teilen der Bevölkerung sowie die mangelnde Kooperationsund Gesprächsbereitschaft der politischen Akteure gekennzeichnet. Januar 24.1. Ende

Beginn der Wählerregistrierung für die Parlaments- und Kommunalwahlen. Die Vereinigten Staaten räumen nach mehr als fünf Jahren ihren permanenten Militärstützpunkt in Haiti. Künftig sollen statt der bisher dort stationierten US-amerikanischen Streitkräfte wechselnde Einheiten zur Unterstützung humanitärer Einsätze nach Haiti entsandt werden.

Februar Ende

Vertreter der OAS beginnen mit der Beobachtung des Wahlprozesses.

März 3.3.

9.3.

15.3.

Die für den 19. März geplante erste Runde der Parlaments- und Kommunalwahlen wird aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten ohne Angabe eines neuen Termins verschoben. Gleichzeitig wird die Frist für die Registrierung der Wähler um zwei Wochen verlängert. Der Wahlrat gibt den 9. April und 21. Mai als neue Termine für die erste und zweite Runde der Wahlen bekannt. Präsident PREVAL dementiert diese Ankündigung und wirft dem Wahlrat eigenmächtiges Handeln vor. Die Mandate der Polizeimission der Vereinten Nationen, Mission de Police Civile des Nations Unies en Haiti (MIPONUH), und der zivilen Menschenrechtsmission, Mission Civile Internationale en Haiti (MICIVIH), laufen aus. Die Einsetzung der neuen Mission, Mission Internationale Civile d'Appui ä Haiti (MICAH), verzögert sich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten.

April 3.4.

11.4.

Der bekannteste Journalist des Landes, Jean L. DOMINIQUE, und ein Wachmann der Radiostation Radio Haiti Inter werden von unbekannten Tätern ermordet. DOMINIQUE war durch sein Engagement gegen die Diktatur und für die Demokratie in ganz Haiti bekannt geworden. Nach Konsultationen mit Präsident PREVAL bestimmt der Wahlrat den 21. Mai als Termin für die erste Runde der Parlaments- und Kommunalwahlen. Ein möglicher zweiter Wahlgang in Stimmbezirken ohne Mehrheitsentscheidung soll am 25. Juni durchgeführt werden.

Mai 21.5.

304

Erste Runde der Parlaments- und Kommunalwahlen. Trotz zahlreicher technischer und logistischer Schwierigkeiten sowie einer angespannten Sicherheitslage liegt die Wahlbeteiligung bei rund 60%.

Haiti

Juni Mitte

Der Vorsitzende des Wahlrats, Léon MANUS, flieht in die Vereinigten Staaten. Nach eigenen Aussagen hatte er sich zu diesem Schritt veranlasst gesehen, nachdem er aufgrund seiner Weigerung, die unkorrekt ausgezählten Wahlergebnisse durch seine Unterschrift zu legitimieren, Morddrohungen erhalten hatte. Zwei weitere, der Opposition nahestehende Mitglieder des Wahlrats treten von ihren Posten zurück.

Mitte

Die ursprünglich für den 25. Juni vorgesehene zweite Runde der Wahlen wird auf den 9. Juli verschoben.

7.7.

Die OAS suspendiert die Aktivitäten der internationalen Wahlbeobachtungsmission. Trotz nationaler und internationaler Proteste findet der zweite Wahlgang der Parlaments- und Kommunalwahlen statt.

9.7.

August 7.8.

Ein Mitarbeiter der Mission der Vereinten Nationen in Haiti (MICAH) wird von unbekannten Tätern erschossen.

16.8.

Präsident PRÉVAL veröffentlicht die umstrittenen Ergebnisse der Parlamentsund Kommunalwahlen im Staatsanzeiger „Le Moniteur". 17 von 18 Sitzen im Senat sowie 72 von 83 Sitzen im Abgeordnetenhaus werden damit von der Fanmi Lavalas gestellt. Auch rund 80% aller Bürgermeister sowie die Mehrheit der Gemeinde- und Stadträte sind Mitglieder der Partei von Jean-Bertrand ARISTIDE.

17.8.

OAS-Generalsekretär César GAVIRIA trifft zu einem dreitägigen Besuch in der Hauptstadt Port-au-Prince ein. Ziel der Reise ist es, einen Dialog zwischen den politischen Kräften des Landes über den umstrittenen Ausgang der Parlaments- und Kommunalwahlen einzuleiten sowie die Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahl im November abzustimmen.

28.8.

Trotz massiver Proteste aus dem In- und Ausland und andauernden politischen Auseinandersetzungen über die Wahlergebnisse tritt das neugewählte Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.

September Anfang

11.9.

Die Regierung hebt die Preise für Öl und Benzin um 44% an. Daraufhin ruft die Opposition zu einem eintägigen Generalstreik auf. Die Tankstellen in Portau-Prince bleiben für drei Tage geschlossen. Der ehemalige Polizeipräsident von Port-au-Prince sowie drei weitere ehemalige Angehörige der Police National d'Haiti (PNH) werden wegen ihrer Beteiligung an der Ermordung von elf Personen in einem Vorort der Hauptstadt im Jahr 1999 zu jeweils dreijährigen Haftstrafen verurteilt. Zwei weitere Polizisten werden freigesprochen.

305

Lateinamerika Jahrbuch 2001

20.9.

Beginn des Gerichtsprozesses zum Raboteau-Massaker (vgl. Mitte November).

21 .-29.9.

Luigi EINAUDI, stellvertretender Generalsekretär der OAS, hält sich zu Vermittlungsgesprächen zwischen den politischen Parteien über die Lösung der Krise im Land auf.

Oktober 9.10.

Jean-Bertrand ARISTIDE schreibt sich als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im November in das offizielle Register ein.

13.-21.10. Die dritte OAS-Vermittlungsmission unter Führung von Luigi EINAUDI befindet sich erneut zu Verhandlungen mit Vertretern der politischen Parteien in Haiti. Erstmals treffen sich Funktionäre der Fanmi Lavalas und der Convergence Démocratique zu direkten Gesprächen, die jedoch nach kurzer Zeit abgebrochen werden. November Mitte

Mehr als 30 hochrangige Militärs, darunter der Anführer des Militärputsches gegen Jean-Bertrand ARISTIDE im Jahr 1991, General Raoul CEDRAS, und der Chef der paramilitärischen FRAPH, Emmanuel CONSTANT, werden wegen ihrer Verantwortung für und Beteiligung an einem Massaker in dem Elendsviertel Raboteau am Rande der Stadt Gonaives im Jahr 1994 zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

25.11.

Knapp 20 Monate nach seiner Ernennung per Dekret durch Präsident PREVAL bestätigt das Parlament Jacques-Edouard ALEXIS im Amt des Premierministers. Aus den Präsidentschaftswahlen geht Jean-Bertrand ARISTIDE als eindeutiger Sieger hervor. Nach den offiziellen Angaben des Wahlrats entfielen rund 92% der abgegebenen Stimmen auf ARISTIDE; die Wahlbeteiligung lag bei 60%. Bis auf eine kleine Delegation der CARICOM-Staaten sowie ein Bündnis verschiedener internationaler NGOs befanden sich keine offiziellen internationalen Wahlbeobachter im Land.

26.11.

Ende

Generalsekretär Kofi ANNAN gibt bekannt, das die Mission der Vereinten Nationen in Haiti (MICAH) wegen der anhaltenden politischen Instabilität ihre Tätigkeit nach Ablauf des Mandats am 6. Februar 2001 endgültig einstellen wird.

Dezember Mitte

Die Convergence Démocratique beschließt auf einem Treffen der in diesem Bündnis zusammengeschlossenen Parteien der Opposition aus Protest gegen die Wiederwahl von Jean-Bertrand ARISTIDE und die andauernde politische Krise eine Parallelregierung zu benennen.

19.12.

Das Parlament ratifiziert ein bilaterales Drogenbekämpfungsabkommen mit den Vereinigten Staaten. Astrid Nissen

306

Haití

HAITI Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Port au Prince 27.750 Gourde 1980 5,353 41,8 53,9 23,7 36,7 5,9 70,9 8,2 21,8

1990 6,473 44,4 51,9 29,5 35,8 5,1 67,8 9 23,2

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %)

12 96 122,8 200 51 7180 30,6

41 74,8 85,4 130 53,1 12500 39,7

47,8

43 83,1 74 131 54,5 13158 45

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. USS) Kapitalbilanz (in Mio. USS) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. USS) Bestand an Währungsreservern (in Mio. USS)

1.462 270 306 481 -101 66 13 27

2.981 410 318 515 -22 29 8 3

3871 410 479 1.021 -38 45 11 109

3.599 460 541 1.167 -597 83 30 133

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %)

81,9 10,0 16,9 8.1 34.0 27,0 39,0

93,4 7,7 12,2 -1,1 33,3 21,8 15,7 45,0

100,4 6,5 10.7 -6,9 30,4 20,1 7,1 40,5

101,6 1,1 10,5 -2,7 29.7 21.1 7,1 49,2

Auslandsverschuldung (in Mio. USS) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. USS) Schuldendienst (in Mio. USS) davon: Zinszahlungen (in Mio. USS) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 -0,2 1990 -2001 -1,7 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 23.3

302 242 26 8 6,2 7,6 17,8

889 751 33 15 10,1 -0,1 21,3

1.048 980 43 13 9,1 3,1 10,6

1.166 1.049 56 21 3,0 2,2 8.7

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Janren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990

17,5

1990 -2001

2,1

1998 7,647 41,5 55 34,5 31,3 4,3

1999 7,803 40,2 56,1 33,7 34 3,1

1,9

70,5 116 53,6

307

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Kuba Amtlicher Name: Präsident: im Amt seit: Nächste Wahlen: Regierung:

República de Cuba Fidel Alejandro CASTRO RUZ 1959 2003 Partido Comunista de Cuba (PCC) - Politbüro

Kabinett (Stand Juni 2001): Äußeres: Felipe PÉREZ ROQUE; Inneres: Abelardo COLOMÉ IBARRA; Justiz: Roberto DÍAZ SOTOLONGO; Wirtschaft und Planung: José Luis RODRÍGUEZ GARCÍA; A u ß e n h a n d e l :

Raúl

DE LA NUEZ RAMÍREZ; B i n n e n h a n d e l :

Barbara

CASTILLO

CUESTA; Auslandsinvestitionen und wirtschaftliche Zusammenarbeit: Marta LOMAS MORALES; Finanzen: Manuel MILLARES RODRÍGUEZ; Arbeit und Soziales: Alfredo MORALES CARTAYA; Bildung: Luis Ignacio GÓMEZ GUTIÉRREZ; Hochschulbildung: Fernando VECINO ALEGRET; L a n d w i r t s c h a f t : A l f r e d o JORDÁN MORALES; Z u c k e r w i r t s c h a f t : U l i s e s ROSALES DEL

TORO; Kultur: Abel PRIETO JIMENEZ; Tourismus: Ibrahim FERRADAZ; Basisindustrie: Marc o s PORTAL LEON; L e i c h t i n d u s t r i e : J e s u s PEREZ OTHÓN; I n f o r m a t i k u n d K o m m u n i k a t i o n :

Roberto GONZALES PLANAS; Bauwesen: Juan Mario JUNCO DEL PINO; Transport: Alvaro PEREZ MORALES; W i s s e n s c h a f t / T e c h n o l o g i e / U m w e l t : R o s a E l e n a SIMEÓN NEGRIN; Ö f f e n t -

liches Gesundheitswesen: Carlos DOTRES MARTINEZ; Lebensmittelindustrie: Alejandro ROCA IGLESIAS; Fischerei: Alfredo LÓPEZ VALDÉS; Rechnunsgswesen: Lina Olinda PEDRAZA RODRÍGUEZ ; E i s e n - u n d S t a h l e r z e u g u n g : F e r n a n d o ACOSTA SANTANA.

Parlament: Asamblea Nacional del Poder Popular (601 Sitze). Letzte Wahl des Parlaments am 11. Januar 1998, bei der keine andere Partei zugelassen wurde.

Chronologie 2000 In Kuba war das Berichtsjahr eher von außen- als von herausragenden innenpolitischen Ereignissen geprägt. Den Jahresauftakt bildete die „Episode Lomé", da die kubanische Regierung im März einen Antrag auf Aufnahme in den neuen Kooperationsvertrag zwischen der Europäischen Union (EU) und den AKP-Staaten stellte, diesen aber wegen „unakzeptabler Vorbedingungen" seitens der EU einen Monat später überraschend wieder zurückzog. Ungeachtet der anhaltenden politischen Differenzen mit Europa trat Kuba im Dezember 2000 als 78. Vollmitglied und einziges Land ohne vertragliche Bindung an die EU der Gruppe der AKP-Staaten bei. Fortschritte gab es auch auf bilateraler Ebene im Rahmen der Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland durch die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit und die Unterzeichnung eines Umschuldungsabkommens im Mai. Das Verhältnis zu den USA zeichnete sich durch ein Wechselbad zwischen Konflikt und Entspannung aus. Das deutlichste Anzeichen für einen allmählichen Sinneswandel in den USA zugunsten einer Annäherung an den Karibikstaat war zweifellos die graduelle Aufhebung des Exportverbots für Medikamente und Lebensmittel im Oktober, auch wenn als Zugeständnis an die Exilkubaner die Reisebeschränkungen verschärft wurden. Dies geschah nach der Beendigung des Konflikts um den Verbleib des Flüchtlingsjungens Eliân GONZALEZ, der Ende Juni zu seinem Vater in Kuba zurückkehrte. Obwohl Fidel CASTRO die „Episode Eliän" als Sieg verbuchen konnte, blieben die Beziehungen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in den USA spannungsreich. So kritisierte Fidel

308

Kuba

CASTRO im zweiten Halbjahr wiederholt die Machenschaften der „kubanisch-amerikanischen Mafia" und die engen Verbindungen beider Präsidentschaftskandidaten zur reaktionären Cuban-American National Foundation (CANF) in Miami. Von zentraler außenpolitischer Bedeutung w a r a u c h die weitere Festigung der Allianz mit d e m v o m Ex-Putschisten Hugo CHAVEZ regierten Venezuela. Fidel CASTRO persönlich reiste im Oktober nach Caracas und unterzeichnete einen für K u b a lukrativen Erdölpakt, der die Energieversorgung für die nächsten J a h r e weitgehend sichern dürfte. A u c h politisch-ideologisch konnten die b e s t e h e n d e n Affinitäten der seit l a n g e m befreundeten Staatschefs CASTRO und CHÄVEZ konsolidiert werden. Konfliktiv blieb hingegen das Verhältnis Kubas zu den zentralamerikanischen Staaten, insbesondere zu El Salvador und P a n a m a , die sich weigerten, d e n für mehrere Sabotageakte und Attentatsversuche in K u b a verantwortlichen Luis POSADA CARRILES auszuliefern. Diese außenpolitische Dynamik des Jahres 2000 bildete einen deutlichen Kontrast zur stabilen internen Situation, die nach d e m relativ turbulenten Vorjahr (siehe Jahrbuch 2000) durch keine spektakulären Ereignisse gekennzeichnet war. O b w o h l die offene und verdeckte Repression g e g e n Dissidenten anhielt, kam es im Gegensatz zu 1999 zu kein e m nennenswerten Eklat zwischen Regime und Opposition. Die innenpolitische Lage war vielmehr gekennzeichnet von der Fortsetzung der Reformblockade und einer anhaltenden Stagnation, die durch die weitere Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation begünstigt wurde. Offiziellen Z a h l e n a n g a b e n zufolge verzeichnet das Bruttoinlandsprodukt einen deutlichen Anstieg v o n 5 , 5 % . W ä h r e n d sich die T o u r i s m u s b r a n c h e z u m eigentlichen W a c h s t u m s z w e i g entwickelt hat, konnten auch im zweitbedeutendsten Wirtschaftssektor - der Zuckerproduktion - im Vergleich zu den Vorjahren bessere Ergebnisse erzielt werden.

Januar 4.1.

Mehrere kubanische Organisationen legen einem Gericht in H a v a n n a eine Schadenersatzklage g e g e n die USA in Höhe von U S $ 121 Mrd. w e g e n der Folgen des Embargo vor. Eine erste Klage, auf die in den U S A nicht reagiert wurde, war bereits 1999 vorgelegt worden.

25.-27.1.

Der kubanische Außenminister Felipe PÉREZ ROQUE trifft bei einem Staatsbesuch in Russland unter anderem mit seinem Amtskollegen Igor IVANOV zusammen.

30.-31.1.

In Havanna findet das dritte internationale S y m p o s i u m z u m T h e m a „Globalisierung und Entwicklung" statt, das mit einer Abschlussrede des kubanischen Staatschefs Fidel CASTRO endet und an d e m n e b e n nationalen Experten a u c h Vertreter internationaler Finanzorganisationen wie die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank teilnehmen.

Februar Anfang

Ein US-Gericht lehnt den Antrag eines französisch-kubanischen Joint Venture ab, das den M a r k e n n a m e n „Havanna Club" g e g e n ü b e r d e m US-amerikanischen Konzern Bacardi schützen wollte.

6.2.

Kuba unterzeichnet ein U m s c h u l d u n g s a b k o m m e n mit J a p a n über U S $ 125 Mio. kurzfristiger Schulden, das d e m Land die A u f n a h m e von n e u e n Krediten ermöglicht. Bereits 1998 hatte sich K u b a mit seinem wichtigsten bilateralen

309

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Gläubiger auf eine Umstrukturierung der Außenhandelsschuld in Höhe von US$ 750 Mio. geeinigt. März 2.3.

Mit dem Rückhalt der AKP-Staaten stellt Kuba einen offiziellen Antrag auf Aufnahme in das Post-Lome-Abkommen zwischen der EU und den AKPStaaten.

23.3.

Ein US-Bundesgericht lehnt den von den in Miami lebenden Verwandten des sechsjährigen Eliän GONZALEZ eingebrachten politischen Asylantrag für den kubanischen Flüchtlingsjungen in erster Instanz ab.

26.3.

Während einer fünfstündigen Rede in Havanna warnt Staatschef Fidel CASTRO Tschechien vor einer möglichen Verschlechterung der bilateralen Beziehungen für den Fall, dass die Regierung an der von den USA unterstützten Resolution zu Kuba in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen festhalten sollte.

April 12.-14.4.

In Havanna findet das erste Gipfeltreffen der Gruppe der 77 (G-77), der wichtigsten Interessenvertretung der Entwicklungsländer, statt. Vor 42 Staatschefs und Vertretern aus über 100 Ländern spricht sich Fidel CASTRO in seiner Eröffnungsrede gegen die gegenwärtige Weltwirtschaftsordnung aus und plädiert für die Abschaffung des IWF in seiner jetzigen Form.

18.4.

Zum achten Mal wird in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen mit 21 Stimmen eine, diesmal von der Tschechischen Republik und Polen eingebrachte, Resolution zu Kuba verabschiedet. Gefordert wird unter anderem die Freilassung der Dissidenten und die Zusammenarbeit der kubanischen Regierung mit der UN-Menschenrechtskommission.

22.4.

In einer spektakulären und von den Medien ausgeschlachteten nächtlichen Polizeiaktion wird der Flüchtlingsjunge Eliän GONZALEZ aus dem Haus seiner Verwandten in Miami befreit und zu seinem leiblichen Vater auf eine Militärbasis bei Washington gebracht. In 101 kubanischen Gemeinden finden Wahlen zur Kommunalen Volksversammlung statt. Seit der Änderung des Wahlgesetzes im Rahmen einer Verfassungsänderung 1992 werden die von der einzig zugelassenen Kommunistischen Partei ernannten Einheitskandidaten direkt vom Volk gewählt.

23.4.

29.4.

Die kubanische Regierung zieht ihr Aufnahmegesuch in das Post-LomeAbkommen wieder zurück, mit der offiziellen Begründung, es habe „unakzeptable Vorbedingungen" seitens der EU für eine Mitgliedschaft gegeben. Eine Woche zuvor hatte Kuba einen Besuch der Troika in Havanna abgesagt, nachdem die EU während der Abstimmung über die Resolution zu Kuba in der UN-Menschenrechtskommission dafür gestimmt hatte.

30.4.

Die Teilwahlen zur Kommunalen Volksversammlung in Kuba werden fortgesetzt. Die offizielle Wahlbeteiligung wird mit über 98% beziffert.

310

Kuba

1.5.

Am alljährlichen Aufmarsch zum Tag der Arbeit, der mit einer Ansprache von Fidel CASTRO endet, nehmen nach offiziellen Angaben über eine Million Kubaner teil. Im Mittelpunkt stehen dabei die Forderungen nach einer Rückkehr des Flüchtlingsjungens Eliän GONZALEZ.

14.5.

Das kommunistische Parteiorgan „Granma" beschuldigt ein der katholischen Kirche nahestehendes unabhängiges Zentrum in der Provinz Pinar del Rio, zusammen mit der polnischen Regierung gegen die kubanische Revolution zu konspirieren.

15.5.

Zwei der 1997 verhafteten Mitglieder der Dissidentenorganisation „Gruppe der Vier", Marta Beatriz ROQUE und Felix BONNE, werden vorzeitig aus der Haft entlassen. Aus Anlass der im Dezember 1999 wiederaufgenommenen Entwicklungskooperation zwischen beiden Ländern reist die deutsche Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie WIEZCOREK-ZEUL, zu einem ersten offiziellen Besuch eines Kabinettsmitglieds seit Beginn der Revolution nach Kuba. Neben ihren Gesprächen mit Fidel CASTRO und hochrangigen Regierungsvertretern trifft sie auch mit Dissidenten zusammen.

20.-25.5.

Juni 1.6.

Ein Berufungsgericht im US-amerikanischen Atlanta lehnt den Antrag auf politisches Asyl für den Flüchtlingsjungen Eliän GONZALEZ in zweiter Instanz ab.

19.6.

Der amerikanische Senat lehnt eine u.a. vom ehemaligen Außenminister Henry KISSINGER und anderen führenden Persönlichkeiten des Landes unterstützte Initiative zur Einsetzung einer parteienübergreifenden Kommission für eine Revision der bisherige Kuba-Politik mit 59 zu 41 Stimmen ab.

23.6.

Die EU und 77 AKP-Staaten unterzeichnen in Cotonou/Benin das LomeNachfolgeabkommen, ohne Kuba. Im amerikanischen Kongress wird eine erste Einigung zwischen Republikanern und Agrar-Lobbyisten über die vom republikanischen Kongressmitglied George NETHERCUTT eingebrachte Gesetzesinitiative (4461) zur Aufhebung der Exportbeschränkungen für Lebensmittel und Medikamenten in die von Embargos betroffenen Staaten Iran, Kuba, Libyen und Sudan erzielt. Staatliche Exportkredite sollen allerdings nicht gewährt werden, so dass die Waren nur gegen Barzahlung ausgeliefert werden können.

27.6.

28.6.

Nach einem siebenmonatigen Tauziehen zwischen Kuba und den USA sowie einer scharfen internen Auseinandersetzung in den USA kehrt der Flüchtlingsjunge Eliän GONZALEZ zu seinem leiblichen Vater nach Kuba zurück. Der Ausgang des Konflikts wird von Fidel CASTRO als Sieg verbucht und für interne Propagandazwecke genutzt.

Juli Anfang

Im Zusammenhang mit dem Streit zwischen einem französisch-kubanischen Gemeinschaftsunternehmen und dem US-Konzern Baccardi über die Ver-

311

Lateinamerika Jahrbuch 2001

wendung des Markennamens „Havanna Club" ruft die EU den Schlichtungsausschuss der W T O an. 5.7.

Während des 21. Gipfeltreffens der CARICOM Organisation in San Vicente unterzeichnet Kuba mit der Karibischen Gemeinschaft ein Handelsabkommen mit der Organisation, das eine Aufhebung der Zollbeschränkungen für zahlreiche Produkte vorsieht.

8.7.

Während des Besuchs des Präsidenten des Olympischen Komitees der USA in Havanna unterzeichnen Kuba und die USA ein erstes Abkommen über Zusammenarbeit im Bereich des Sports.

8.-10.7.

Während der 10. Treffens der Hispano-Kubanischen Kommission für Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Havanna einigen sich beide Seiten auf die Bildung von zwei Joint Ventures zwischen den staatlichen Fluggesellschaften Iberia und Cubana Aviación.

Mitte

Während eines kurzen Kuba-Aufenthalts führen drei US-Senatoren - zwei Demokraten und ein Republikaner - in Havanna ein zehnstündiges Gespräch mit Staatspräsident Fidel CASTRO und treffen sich mit Dissidenten.

21.7.

Das US-Repräsentantenhaus stimmt einer Aufhebung des Exportverbots für Lebensmittel und Sanktionen nach Kuba mit einer deutlichen Mehrheit von 301 gegen 116 Stimmen zu.

August 2.-5.8.

Auf Einladung von Fidel CASTRO reist der Präsident des Ministerrats der AKPStaaten, Anicet-Georges DOLOGUÉLÉ, ZU Sondierungsgesprächen über einen möglichen Beitritt Kubas in die Gruppe der AKP-Staaten nach Havanna. Dort spricht er sich explizit für eine Vollmitgliedschaft des Landes in der Organisation aus.

Ende

Mit der Begründung, sie verfügten lediglich über ein Touristenvisum, nimmt die kubanische Sicherheitspolizei drei schwedische Journalisten fest, die sich zuvor mit Dissidenten getroffen hatten, und verweist sie des Landes. Die schwedische Außenministerin Anne LINDH verurteilt das Vorgehen der kubanischen Ordnungskräfte und bezeichnet das Regime als „Diktatur".

30.8.

In einer Protestnote weist das kubanische Außenministerium die Vorwürfe des US-State Department vom 28. August zurück, wonach sich Kuba nicht an die Verpflichtungen des 1995 geschlossenen Migrationsabkommens halte. Die kubanische Regierung bezichtigt ihrerseits die USA, alle kubanischen Flüchtlinge, auch die illegal einreisenden, prinzipiell aufzunehmen, was ebenfalls gegen die Übereinkunft verstoße. Noch am gleichen Tag wird dem kubanischen Parlamentspräsidenten Ricardo ALARCÓN die Einreise in die USA zwecks Teilnahme an einer internationalen Konferenz untersagt.

September 3.9.

312

Während eines Besuchs des Präsidenten von Weißrussland in Kuba unterzeichnen beide Länder ein Freundschaftsabkommen, das unter anderem eine engere Zusammenarbeit im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, Drogenhandel, Terrorismus und Waffenschmuggel vorsieht.

Kuba

7.-9.9.

Fidel CASTRO nimmt am Millenniums-Gipfel der Vereinten Nationen in New York teil, wo er sich für eine weitgehende Reform des UN-Systems ausspricht und den seinerzeit noch amtierenden US-Präsidenten Bill CLINTON während eines offiziellen Empfangs mit Handschlag begrüßt.

13.-14.9.

Auf Einladung der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) reist die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta MENCHÚ ZU einem Besuch nach Havanna, wo sie Gespräche mit Vertretern von Ministerien und kubanischen Organisationen führt.

17.-19.9.

Im Rahmen einer Lateinamerika-Reise trifft der chinesische Außenminister Tang JIAXUAN in Havanna mit Fidel CASTRO, Carlos LAGE, Felipe PÉREZ ROQUE und anderen Regierungsvertretern zusammen.

18.9.

Der kubanische Dissident Jesús YÁÑEZ PELLETIER, Vizepräsident des 1987 gegründeten Comité Cubano Pro Derechos Humanos, stirbt im Alter von 83 Jahren in Havanna.

21.-23.9.

Die britische Vizeaußenministerin Baroness Patricia SCOTLAND trifft in Kuba mit Außenminister Felipe PÉREZ ROQUE und kubanischen Abgeordneten zusammen.

Oktober 2.-5.10.

18.10.

Der de facto Vizepräsident Carlos LAGE reist nach Japan. Im Mittelpunkt seiner Gespräche steht die endgültige Lösung der Schuldenfrage mit seinem nach Russland bedeutendsten westlichen Gläubiger. Der US-amerikanische Kongress verabschiedet, mit beachtlichen Einschränkungen, ein Gesetz zur Aufhebung des Exportverbots für Lebensmittel und Medikamente nach Kuba. Als Zugeständnis an die mächtige Lobby der Anticastristen werden die Reisebeschränkungen nach Kuba verschärft und staatliche Exportkredite verboten. Die kubanische Regierung lehnt das Gesetz rigoros ab und bezeichnet es als wirkungslos.

26.-30.10. Nach 40 Jahren reist Fidel CASTRO zu einem ersten offiziellen Staatsbesuch nach Venezuela, inzwischen sein wichtigster Handelspartner. In Caracas hält der kubanische Regierungschef eine Rede vor dem Parlament, wird mit dem Simön-Bolivar-Orden ausgezeichnet und unterzeichnet mit seinem engsten lateinamerikanischen Verbündeten, Staatspräsident Hugo CHAVEZ, ein umfassendes bilaterales Abkommen. Wichtigster Bestandteil des fünfjährigen Kooperationsvertrags ist die Lieferung von venezolanischem Erdöl nach Kuba zu günstigen Konditionen.

November 6.11.

Nach der Inspektion von über 29.000 Staatsbetrieben des Landes ruft der Vizepräsident des Staatsrates Carlos LAGE DÄVILA die Bevölkerung auf, sich aktiv am Kampf gegen Wirtschaftsdelikte und Korruption zu beteiligen.

8.11.

In den USA finden Präsidentschaftswahlen statt, die erst im Dezember, nach einer langwierigen, mehrfachen Stimmenauszählung in einigen Bundesstaaten, ein Ergebnis zugunsten des Republikaners George W. BUSH hervorbringen. Die Wahl von BUSH könnte das Verhältnis USA-Kuba nachhaltig verändern.

313

Lateinamerika Jahrbuch 2001

9.11.

Die UN-Generalversammlung verabschiedet mit nur drei Gegenstimmen im neunten Folgejahr eine von Kuba eingebrachte Resolution zur Verurteilung des US-Embargo.

10.11.

Die kubanische Regierung bietet den USA an, im Falle einer zweiten Wahlrunde, Wahlbeobachter in den von den Interessen der Exilkubanern dominierten Bundesstaat Florida zu entsenden.

17.-18.11. In Panama findet das 10. Iberoamerikanische Gipfeltreffen statt. Es kommt zu einem erneuten Eklat zwischen Spanien und Kuba, diesmal über die Aufnahme der Verurteilung der spanischen Separatistengruppe ETA in die Abschlusserklärung des Treffens. Ein weiterer Streit zwischen Fidel CASTRO und den Präsidenten von El Salvador und Panama entsteht über die Auslieferung des Saboteurs Luis POSADA CARRILES nach Kuba. 20.-22.11. Anlässlich des Besuchs des Außenministers von Paraguay, Juan Esteban AGUIRRE, in Kuba unterzeichnen beide Länder ein Handelsabkommen, das die Aufhebung des Einfuhrzolls für 300 Exportprodukte aus Paraguay vorsieht. Beide Länder hatten erst vor kurzem ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen. Es handelte sich deshalb um den ersten Besuch eines paraguayischen Ministers seit 1959. 21.-23.11. Eine Delegation von Vertretern des kubanischen Finanzministeriums und der Zentralbank führt in Paris Gespräche mit einigen europäischen Gläubigern und Japan über die Umschuldung der kubanischen Außenstände in Höhe von US$ 3,5 Mrd. 28.-30.11. Der Vorsitzende der bundesdeutschen Kultusministerkonferenz, Willi LEMKE, besucht in Kuba mehrere Bildungseinrichtungen und führt Gespräche mit Vertretern des kubanischen Außen-, Bildungs- und Kulturministeriums. Dezember 1.12.

Nach mehrtägigen Verhandlungen unterzeichnen Kuba und Uruguay in Montevideo ein präferentielles Handelsabkommen (Acuerdo de Complementaciön Econömica), das u.a. die Aufhebung der Zollbarrieren für den Import von Fleisch, Milch und Medikamenten aus Uruguay vorsieht.

4.-6.12.

Mit dem Ziel, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu festigen, reist eine Delegation des französischen Senats zu Gesprächen nach Kuba, wo sie unter anderem mit dem Präsidenten des kubanischen Parlaments, Ricardo ALARCÖN, und dem Vizepräsident des Staatsrats, Carlos LAGE, zusammentrifft.

9.12.

Fidel CASTRO enthüllt zusammen mit dem Liedermacher Silvio RODRIGUEZ im Zentrum von Havanna ein Denkmal zu Ehren des verstorbenen Beatle John LENNON.

11.-12.12. Ohne konkrete Ergebnisse und in einem Klima gegenseitiger Anschuldigungen enden die halbjährlichen - und während des Konflikts um Eliän im Sommer unterbrochenen - Gespräche über Migrationsfragen zwischen Kuba und den USA. 14.12.

314

Der Ministerrat der Gruppe der 77 AKP-Staaten bescheidet positiv über die Aufnahme Kubas als Vollmitglied der Organisation und einziges Land, das nicht dem Cononou-Abkommens mit der EU angehört. Der kubanische Beitritt

Kuba

erfordert eine Änderung der Gründungscharta der Organisation (GeorgetownAbkommen). 14.-18.12. Die Reaktivierung der historischen Allianz unter neuem, pragmatischem Vorzeichen steht im Mittelpunkt des Besuchs von Wladmimir PUTIN in Kuba. Der russische Präsident ist der erste, der dem sozialistischen Inselstaat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 seine Aufwartung macht. Wichtigstes Ergebnis seiner Reise ist die Unterzeichnung von sieben kleineren Kooperationsabkommen und einer gemeinsamen politischen Erklärung. 21.12.

In seiner halbjährlichen Plenarsitzung verabschiedet die nationale kubanische Volksversammlung ANPP den Haushalt für 2001 und zieht eine weitgehend positive Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung im Jahr 2000. Susanne Gratius

315

Lateinamerika Jahrbuch 2001

KUBA Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

La Habana 110.861 Kubanischer Peso

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

1990 10,625 23,1 68,6 73,7 17,6 1,7 18,1 30 51,9

82 122 19,6 22 73,6 700 92,6

97,7 132 10,7 13 75 275 95,2

1998 11,103 21,7 69,1 75 13,3 1,5

1999 11,15 21,2 69,2 77,1 13 1,3

11,3 0,9 0,5

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. USS) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in USS) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. USS) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. USS) Leistungsbilanz (in Mio. USS) Kapitalbilanz (in Mio. USS) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. USS) Bestand an Währungsreservern (in Mio. USS) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. USS) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. USS) Schuldendienst (in Mio. USS) davon: Zinszahlungen (in Mio. USS) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 1990 -2001 -3.7 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001

316

1980 9,71 31,9 60,5 68,1 14 2 23,6 28,5 47,7

102,9 7 9 76,2 96,4

13.685 1.406

-396 207 54.8 31,0 2.4 13.0 53.0 34,0

11,4 34.1 23,6 54.5

71,6 2.4 1.0 26,0 6.2 46,2 37,3 47,6

4.545 4.545

11.200

-0,5

1.5 2,9

92 104,6 7.2 9,4 76,1 189 97

Karibischer Raum

Kennziffern der Klein- und Kleinststaaten im Karibischen Raum

Lateinamerika Jahrbuch 2001

ANTIGUA UND BARBUDA Hauptstadt: Räche (in qkm): Währung:

St. John's 442 East Caribbean Dollar 1980 3,061

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980-1990 1990 -2001

1998 0,067 23,9 74,6 36,4 21.1 1,7

36,6 17 1.7

100 104,7 20.6 23.6 73,8 1305 96

95 103,1 16.7 20 74.8

95 100.7 17,1 20 74.3

89

89

110 1.860 104 132 -19 16 20 8

392 5 580 345 341 -31 5 61 28

617 8.520 458 501 -89 71 27 64

655

65.3 19,3 34,8 15.4 7.1 18,1 5,3 74,8

47,6 18.0 32.4 34,4 4.2 20,1 3.4 75,7

68.2 25,7 32.2 24.1 4.0 18.9 2.3 77,1

51,0 22,8 45,9 26.2 4.0 19,2 2,2 76.8

262

406 338

34,6 16,5 2,1

1999 0,067

0,1 0,5 0,9

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 5,2 1990 -2001 3,3 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 2.8

318

1990 0,064 35,1 59 35,4 20,1 1,8 75 o o 17

95 31,5 71,3 2313

8,6 19,0

14 3 4,1 2,5 7,0

3,5 3,3

463 516 -62 49 26 69

4,6 1,6

Karibischer Raum

BAHAMAS Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Nassau 13.864 Bahamian Dollar 1980 0,21 38,6 57,6 75,1 24,2 3,3 5,8 13,5 80,7

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

1990 0,256 32 62,1 83,6 19,6 2,1 5,2 15,2 79,6

1998 0,294 30,6 65,6 87,7 19,7 2,3

1999 0,298

94 105 18,4 19,2 73,9 684,9 98

88,1 17,9 2,2

0,44 2 1,7

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %)

110,9 30 35 68.2 1066 93,4

94,1 115,4 28,4 29 71,8 775 94,7

98 105,9 17,3 21 73,5

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. USS)

1.335 6.180 5.752 5.694 -75 5 4 92

3.105 11.730 1.784 1.653 -37 59 -17 158

3.384 11.428 1.892 2.330 -594 789 234 346

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %)

61.7 12,5 18,3 25,8

63,6 13,0 22,3

Auslandsverschuldung (in Mio. USS) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. USS) davon: Zinszahlungen (in Mio. USS) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 2.8 1990 -2001 0,3 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 1.9

227 108 25 8 1.9 6,5 12.1

266 266 45 19 2,5 1.1 4.7

95,5

11.662

600 145

11,9 2,6 8,3 2,7 89,1 334 325 23 3,5 0.7 1.3

339

5,5 3,2

319

Lateinamerika Jahrbuch 2001

BARBADOS Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Bridgetown 431 Barbados Dollar

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %)

1980 0,249 29,7 60,2 40,2 16,6 2 9,9 20,9 69,2

1990 0,258 24,8 63,6 44,8 15.7 1,7 6.3 21,8 71,9

1998 0,266 22,2 67,7 48,9 13,6 1,8

1999 0,267

98

100 135,1 11,7 13 74,9 877 99,5

100 126,6 14,2 18 75,9

100 134,6 14,9 0,4 76.5 781,25

860 3.350 574 613 -17 49 2 81

1.710 6.520 873 878 -8 38 10 117

2.268 7.020 2.471 2.620 -56 56 15 253

2.490 7.164 2.466 2.712 -125 149 17 312

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %)

62.5 14.9 24.5 22,6 9.9 22.5 11.9 67,5

63,6 20,2 18,8 16,2 5,2 18,3 8,0 76,5

61,3 32,9 18,5 16,1 6.6 20.8 9,8 72,6

62,9 22.7 19,4 14,3 7.0 20,6 9.3 72,4

Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 1,5 1990 -2001 0,8 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 2.2

166 98 25 11 4,2 4,7 14,4

683 504 141 49 15,1 -4,8 3,1

431 388 113 20 6,2 4,4 1,7

528 99 167 38 6,7 2,5 1.6

Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

0,31 0,3 0,3

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio US$)

320

49,5 14,2 1,8

21 29 72.3 1167

99

Karibischer Raum

BELIZE Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Belmopan 22.966 Belize Dollar 1980 0,146 46,6 48,6 49,4 39,1 5.7 38,5

1990 0,189 44,4 51,9 47,5 35,2 4,4 33,6 19 47,4

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarlsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %)

72 116,6 41,4 70 70,8 2200 82.5

80 109,8 33,6 49 73,2 1565 89,1

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$)

195 1.380 110 133 -9 11 0 13

403 2.190 245 248 15 21 17 69

680 2.660 327 390 -60 23 14 44

707 2.730 334 390 -58 89 25 65

71.9 17.2 24.1 10,9 27,4 30,9 23,9 41,7

54,9 14,5 28,4 30.6 20,7 25.4 14.9 53,8

67,3 19,9 23,9 16,9 18.4 19,9 15,2 61,7

68,0 17,5 24,2 16,2 19,6 19,9

63 47 4 3

154 137 20 7 7,5 10,6 3,0

338 282 46

430

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990

0,48

1990 -2001

2,7

1998 0,239 39,7 55,6 52,7 30,8 3,6

1999 0,247

53,4 30,9 3,5

2,5

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 4.7 1990 -2001 4,4 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 2.4

15,2

121,1 28,4 36 74,6

84 121,4 26 31,1 74,8 1883,2

92,7

12,9 4,0 0,9

60,5

2,5 1,5

321

Lateinamerika Jahrbuch 2001

DOMINICA Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Roseau 750 East Carribean Dollar

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

1980 0,073

1998 0,073 30,1 67,1 70.3 20,8 1.9

127,6 18,4 23 73.2 2188 97

125,6 15 17 76,1

0 5

166 2.260 89 134 -44 14 13 15

255 3.150 138 151 -31 11 7 28

259 3.170 152 183 -38 48 18 31

92,4 27,3 50,9 -19.7 30.7 20,9 4,8 48,4

64.7 20.5 40.8 14.8 25,0 18.6 7,1 56,4

58,6 20,9 25,4 20.5 20,2 22.5 8,8 57,3

61,0 21,3 27,3 17.7 18.5 22.5 8,4 59,0

14

88 80 6 2 5,6 5,3 3,2

109 91 10 3 6,7 3,5 1,4

82

63,4 24,8 3,9

1999 0,073

70,3 18 1,9

0,1 1,2 0

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitszifter (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 4.3 1990 -2001 2,2 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 1.9

322

1990 0,072 40,9 53,3 67,7 23 2,7

96,8 12,6

7800

59 800 16 55 -14

14,3

94 123.8 21 25 77,3 2028 82

12 7,8 0.4 0.0

Karibischer Raum

GRENADA Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

St. George's 345 East Carribean Dollar 1980 0,09

1990 0,094 35,9

32,9 25,4 3,8

34,2 25,9 3,1

95,3 39,4

111,7 30,8 37 69,7 1992 96

113,1 13,6 17 72

84 970 38 60 0 12 0 13

221 2.320 93 139 -46 22 13 18

343 3.190 165 237 -85 87 51 47

335 3.450 214 263 -51 65 46 51

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %)

84,6 20,4 27,1 -5,0 24,7 13.1 3,8 62,2

60,7 21,5 38,1 17,8 13,4 18,0 6,6 68,6

74,4 15,9 40,6 17,1 8,4 22,2 7.1 69,4

68.2 14,5

Auslandsverschuldung (in Mio. USS) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. USS) Schuldendienst (in Mio. USS) davon: Zinszahlungen (in Mio. USS) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 5,8 1990 -2001 3,4 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 2.1

16 12 2 1 5,9 -0,4 21.8

103 90 3 2 3,0 5,2 2.7

183 113 9

9

5,0 4,8 1,2

4,1 8,2 1,0

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990

0,13

1990 -2001

0,3

1998 0,096 35,4 58,3 37,1 25,5 3,5

1999 0,097

37,5 29 3,4

0.7

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. USS) Kapitalbilanz (in Mio. USS) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. USS) Bestand an Währungsreservern (in Mio. USS)

66,9 4400

80 112,8 14,3 25 71,4 2041 98

17,3 8,1 22,2 7,2 69,7

323

Lateinamerika Jahrbuch 2001

Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Georgetown 215 Guyana Dollar

GUYANA

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %)

1980 0,759 40,8 55,5 30,5 30,3 3,5 26,6 26 47,2

1990 0,795 33,6 63 33,2 25,7 2,6 21,8 25,2 53

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %)

72 109 68,2 90 61 6200 94,7

79,1 95.5 63.8 90 62,7 5882 97,2

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. USS) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. USS) Bestand an Währungsreservern (in Mio. USS)

603 770 409 494 -129 85 1 13

397 350 592 632 -150 164 7 28

721 780 691 785 -85 43 46 276

649 760 602 702 -60 45 48 277

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %)

55.4 24.2 32.8 20,4 23,4 35.8 12.1 40.9

72.4 13,6 31,1 14.0 38,1 24,9 10.3 37,0

43.5 19,3 28,7 37.2 34.7 32,5 11.1 65,3

41,4 23,3 28,0 35,3 23,7 30,1 12,0 46.2

Auslandsverschuldung (in Mio. USS) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. USS) Schuldendienst (in Mio. USS) davon: Zinszahlungen (in Mio. USS) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 -3,1 1990 -2001 4,7 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 15.6

810 607 89 31 21.6 1,7 14,0

1.945 1.757 295 120 117,6 -3,0 63,6

1.653 1.369 136

1.196

19,5 -1,5 4,6

17,5 1,8 7,5

Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

324

1998 0,849 31 65 37,1 21,6 2,3

1999 0,856

106,7 57,4 76 64.1

107,9 56,8 76 63.7

2,3

1,24 0,5 0,6

98,3

105

Karibischer Raum

JAMAIKA Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Kingston 10.990 Jamaican Dollar 1980 2,133 40,3 53,1 46,8 27,6 3,7 31,2 16,4 52,3

1990 2,404 35,2 57,5 51,5 25,2

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %)

86 119 33,4 39 70,7 2040 75,9

83,4 110,1 25,2 32 73,2 1754 82

21,2 24 74,7 86

84 113,8 24,5 19,6 74,7 735 85

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mic. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$)

2.652 1.220 1.363 1.408 -136 267 28 105

4.239 1.650 2.217 2.390 -312 348 138 168

6.418 2.200 3.164 3.970 -255 325 287 709

C.133 2.330 3.214 4.017 -273 141 664 555

63,8 20,3 15,9 15,9 8,2 38,3 16,6 53,5

62,2 14,0 27.9 23,8 6,5 43,2 19,5 50,4

60,0 21,6 31,5 18,4 8,0 33,7 15,1 58,4

66,5 17,8 31,9 15,7 8,2 32,8

1.913 1.430 280 159 19,0 -5,8 27,3

4.671 3.934 662 260 26,9 5,5 22,0

3.995 3.079 537

3.050 2.905 559

15,9 0,1 7,9

17,4 0,4 5,9

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990

3,89

1990 -2001

0,9

2,9 26,1 22,6 51,3

1998 2,576 31,9 61,7 55,1 23,1 2,6

1999 2,598 76,9 55,1 21,4 2,2

1,2

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Infationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 2 1990 -2001 0,1 Du'chschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 25.8

59,0

325

Lateinamerika Jahrbuch 2001

SAINT KITTS UND NEVIS Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Basseterre 269 East Carribean Dollar 1980 0,044

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980-1990 1990 -2001

26,8

22

3,3

2,7

100

100 97,3

1998 0,041 29,3

1999 0,041

34,1 19,9 2,3

34,1 23 2,3

0,06

-1,2

-0,3

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Brunoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. USS) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. USS) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. USS) Bestand an Währungsreservern (in Mio. USS) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. USS) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. USS) Schuldendienst (in Mio. USS) davon: Zinszahlungen (in Mio. USS) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 6 1990 -2001 4.3 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 2.3

326

35,9

1990 0,042 34,9 54,7 34,6

26,1

112,6 22

100 112,5 24 27,6 67,6 854,7 98

42.8 67.2 1106 92

70 850

48 1.090 32 47 -3 1 1

157 3.600 82 132 -47 2 49 16

291 6.060 142 225 -68 188 87 46

235 6.420 106 183 81 86 42 49

71.2 20.9 38,1 7.9 15.9 26.6 15.2 57,5

41,4 2.4 56.2 24,5 6.4 29,1 12,8 64,4

38,1 42,3 45,4 19,6 4,6 24,3 9.7 71,1

64,7 21.5 45,5 13,8 4,2 25,5 10,3 70,3

8

45 44 3 2 2,9 2,1 4,2

115 111 10

17

7,2 3,6 3,3

16.0 2,8 1.8

2778

15,1 17.7

Karibischer Raum

SAINT LUCIA Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Castries 616 East Carribean Dollar 1980 0,116

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

1998 0,152 34,9 59,2 37,6 22,1 2,4 23,5 18,9 57,6

1999 0,154

112 19 24 71 2857 93

119,2 17 19 71,9

118,2 14,8 18,5 70,4 2128 82

133 840 87 135 -33 31 31 8

397 2.480 282 320 -57 4 45 45

610 3.660 380 422 -64 42 42

634 3.770 424 448 -90 94 93 72

75.4 17,5 34,3 7,1 14,4 23,6 10,5 62,0

71,1 14,7 25,8 14,2 14,5 18,1 8,1 67,3

68,8 15,1 19,3 16,1 8,1 18,9 5,9 72,9

65,9 16,1 21,2 18,0 8,2 19,2 6,1 72,6

14

80 73 6 3 2.1 23,5 4,7

184 127 16

16

4,2 2,8 3.6

3,7 3,1 6,1

37,3 30,6 4,4

37,6 22 2,1

0,24 2 1.6

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl, Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 1990 -2001 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001

1990 0,134 34,9 54,7 37,2 27,8 3,3

86,8

68 2775

19,5 6.2 4,9 5.7

327

Lateinamerika Jahrbuch 2001

ST. VINCENT UND GRENADINEN Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Kingstown 389 East Carribean Dollar

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

1980 0,098

1998 0,113 29,2 67,3 52,1 18 2,2

100,6 20,9 26 70,5 2183 84

105,5 21,5 19 73.1

93 106,7 18 23 73,4 1149

60 640 39 63 -9 7 1 7

198 1.740 130 152 -24 19 8 27

316 2.550 161 234 -94 21 44 38

329 2.700 180 242 -43 8 38 42

89,0 23.0 38,2 -12,0 14,3 26,5 10,5 59,2

63.8 17.5 29.7 18.7 21,2 22,9 8.5 55.9

73.0 18,3 31,7 8,7 11,1 20,9 6.9 68,0

71,8 18,4 28,6 8,4 10,7 19,6 6,5 69,7

11 10 0 0 1.0 2,0 17.2

59 57 4 2 2,8 5.0 7.6

420 101 23 3

466

13,7 5,2 2,1

8,0 4,0 -1,8

27,2 28,3 3,6

1999 0,114

52,1 19

0,17 1 0.7

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarlsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 6,9 1990 -2001 3,5 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 2.2

328

1990 0,107 35,4 59,5 40,6 21,2 2,6

103,6 31 67,1 4182

14

Karibischer Raum

SURINAM Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Paramaribo 163.820 Surinaamse Gulden

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Aiter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Ferlilitätsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %) Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990

0,71

1990 -2001

0,3

1980 0,355 41,1 54,4 55 27,6 3,9 23,7 19,8 60,3

1990 0,402 36,1 59,7 65,5 29 2,6 3,7 19,3 77

1998 0,412 31.6 63,1 72,6 24,7 2,4

1999 0,413

88 104.1 41,6 52 66,4 1264

98 102,9 34,2 38 68,7 1332 94,9

109,4 28,2 32 70,1

109,4

891 2.590 1.094 1.174 32 19 18 221

317 1.330 869 840 67 -17 -77 39

355 1.660 435 573 -189 62 9 165

57,7 21,3 26,4 21,0 9,1 38,9 18,6 52,0

52,6 25,2 21,4 22,2

71.5 18,7 14,3 9.8

11,2 27,3 13,3 61,5

9,1 27,8 10,8 63,1

27 28

126

212 152 13

264

2,5 1,8 15,4

5.5 -6,8 98,8

1

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarlsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Alphabetisierungsquote (in %) 3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$) Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %) Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 -1,2 1990 -2001 2,3 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 33.4

576 -123 49 -6 125

7,5 -7,0 10,7 28,7 11,8 60,6

32

247 -7,4 14,1

0,1 21,7

329

Lateinamerika Jahrbuch 2001

TRINIDAD UND TOBAGO Hauptstadt: Fläche (in qkm): Währung:

Port ol Spain 5.182 Trinidad and Tobago Dollar

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN Bevölkerungszahl (in Mio.) davon: unter 15 Jahren (in %) davon: im Alter von 15-65 Jahren (in %) Städtische Bevölkerung (in %) Geburtenrate Fertilitàtsrate Erwerbspersonen in der Landwirtschaft (in %) Erwerbspersonen in der Industrie (in %) Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor (in %)

1998 1,285 27,5 66,2 73,1 15,1 1,8 8,1 28,2 63,7

1980 1,082 34,3 60,3 63,1 28,6 3,3 10,9 38,6 51,2

1990 1,215 33,5 60,3 69,1 21,9 2,4 12,3 27,2 60,5

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser (in %) Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarlsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr) Kindersterbeziffer (0-5 Jahre) Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren) Einwohner je Arzt Atphabetisierungsquote (in %)

93 113 35 40 68 1377 88,5

96 112,6 17,8 24 71,1 1389 91,4

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio. US$) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in US$) Ausfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Einfuhr von Waren u. Dienstleistungen (in Mio. US$) Leistungsbilanz (in Mio. US$) Kapitalbilanz (in Mio. US$) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. US$) Bestand an Währungsreservern (in Mio. US$)

6.236 5.410 3.139 2.434 357 139 185 2.813

5.068 3.720 2.289 1.427 459 -520 109 494

6.382 4.230 2 930 3.254 -644 690 828 783

6.998 4.390 3.135 3.940 -334 635

Privater Verbrauch (in % des BIP) Staatsverbrauch (in % des BIP) Bruttoinlandsinvestitionen (in % des BIP) Bruttoinlandsersparnis (in % des BIP) Anteil der Landwirtschaft am BIP (in %) Anteil der Industrie am BIP (in %) davon: Verarbeitendes Gewerbe (in %) Anteil des Dienstleistungssektors am BIP (in %)

45,9 12.0 30.6 42.1 2.2 60.2 8.6 37.7

59,0 11.9 12,6 29.1 2.6 47,8 8,7 49,6

66,0 12,3 22,1 15,8 1.8 47,5 9.7 50,7

64,4 13,0 22.2 15,6 1,8 46,8

Auslandsverschuldung (in Mio. US$) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. US$) Schuldendienst (in Mio. US$) davon: Zinszahlungen (in Mio. US$) Schuldendienst in % der Exporterlöse Wachstumsrate des BIP (in %) Inflationsrate (in %) Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate des BIP (in %) 1980 -1990 -2,1 1990 -2001 2,6 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in %) 1990 -2001 5.9

829 712 230 54 6,8 6,2 17,5

2.512 1.782 449 216 19,3 1,5 11.1

2.193 1.570 311

1.850 1.485 411

7,3 4.1 5.6

13,1 4,2 3,7

Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2050 (in Mio.) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in %) 1980 -1990 1990 -2001

330

1999 1,293

73,1 16,7 1,5

1,89 1,3 0,6

113,9 15,9 18 72,7 93,4

96 113,6 16,2 19,8 73,8 1333 98

Lateinamerika

LATEINAMERIKA Hauptstadt: F l ä c h e (in qkm):

20.428.466

Währung:

1. DEMOGRAPHISCHE KENNZIFFERN B e v ö l k e r u n g s z a h l (in Mio.)

1980

1990

1998

1999

360,3

438,9

501,7

509,2

davon: unter 15 Jahren (in % )

39,6

36

32,5

davon: im Alter von 15-65 Jahren (in % )

55,9

59,2

62.4

62,6

Städtische Bevölkerung (in % )

64,9

71

74.5

74,9

Geburtenrate

31,2

26,9

23,3

Fertilitätsrate

4,1 34,3

3,1

2,7

2,3

E r w e r b s p e r s o n e n in der Landwirtschaft (in % )

25,5

E r w e r b s p e r s o n e n in der Industrie (in % )

25,8

24

E r w e r b s p e r s o n e n im Dienstleistungssektor (in % )

39,9

50,5

119,5

Geschätzte Bevölkerung im Jahre 2 0 5 0 (in Mio.)

810

Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung (in % )

1980 - 1 9 9 0

2

1990 -2001

1.7

2. SOZIALE KENNZIFFERN Bevölkerung mit Z u g a n g zu Trinkwasser (in % )

56

69

111,4

109,6

118,4

60,5

40,9

30,8

Kindersterbeziffer (0-5 Jahre)

78,5

49,4

37,7

Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren)

64,7

68

69.7

Einwohner je Arzt

1230

730

79.7

84,8

87.8

787.863

1.149 0 8 0

2.039.960

2.110

2.250

3.880

3.840

Ausfuhr von W a r e n u. Dienstleistungen (in Mio. U S $ )

114.160

169.224

301.914

337.023

Einfuhr v o n W a r e n u. Dienstleistungen (in Mio. U S $ )

129.049 -30.194

148.231

359.033

359.629

-1.578

-85.200

-55.600

Kapitalbilanz (in Mio. U S $ ) davon: ausl. Direktinvestitionen (in Mio. U S $ )

35.021

16.012

169.643

123.410

5.810

B e s t a n d an W ä h r u n g s r e s e r v e r n (in Mio. U S $ )

48.417

7010 55.784

57.000 149.847

141.612

65,0 13,4

66,7

68,0

14,3

19,5

21,8

13,1 20,9

Tägl. Kalorienangebot (in % der Mindestbedarfsnorm) Säuglingssterblichkeitsziffer (0-1 Jahr)

Alphabetisierungsquote (in % )

38

3. WIRTSCHAFTLICHE KENNZIFFERN Bruttoinlandsprodukt (in Mio U S $ ) Bruttosozialprodukt pro Kopf (in U S $ )

Leistungsbilanz (in Mio. U S $ )

Privater Verbrauch (in % d e s BIP) Staatsverbrauch (in % d e s BIP)

67,9

2.055.020

63.000

Bruttoinlandsinvestitionen (in % d e s BIP)

9,8 24,2

Bruttoinlandsersparnis (in % d e s BIP)

22,3

21,6

19,0

18,9

Anteil der Landwirtschaft a m B I P (in % )

10,3 39,7

8,6 35,7

7,8 28,7

8,1 29,4

28,0

22,8

20,5

21,2

50,1

55,7

63,6

62,5

257.259

475.867

779.007

144 791

355.117

786.019 424 246

429.982

46.295

45.604

129.000

147.000

davon: Zinszahlungen (in Mio U S $ )

24.601

21.962

Schuldendienst in % der Exporterlöse

36,2

24,5 -0,4

38,0

41,9

2.3 12,3

0,4

Anteil der Industrie am B I P (in % ) davon: Verarbeitendes G e w e r b e (in % ) Anteil d e s Dienstleistungssektors a m B I P (in % ) A u s l a n d s v e r s c h u l d u n g (in Mio. U S $ ) davon: öffentliche Verschuldung (in Mio. U S $ ) Schuldendienst (in Mio. U S $ )

W a c h s t u m s r a t e d e s B I P (in % )

6,5

Inflationsrate (in % )

661,7

8,8

Durchschnittl. jährl. Wachstumsrate d e s B I P (in % ) 1980 - 1 9 9 0 1 9 9 0 -2001 Durchschnittl. jährl. Inflationsrate (in % ) 1990 - 2 0 0 1

1.7 3,4 113

331

Lateinamerika Jahrbuch 2001

LATEINAMERIKA BSP pro Kopf und reale Wachstumsrate des BIP 3290 CO

3

Q.

O Q. D. CO CD

1990 1991

1992 1993 1994 1995 1996 1997 Jahre IBSP

1998

-Wachstumsraten

Bruttoinvestitionen und Ersparnis (in % des BIP)

Jahre — I n v e s t i t i o n e n - • - Ersparnis

332

1999

Lateinamerika

ATFINAMFRIKA Außenhandel und Kapitalbilanz vi

co =)

« 3

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dl TJ

.S '5. *

© cd

d) T3 O CO

W 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Jahre I

I Warenexport ^ B Warenimport

Saldo der Kapitalbilanz!

Auslandsverschuldung 900 w 3 •g c

786,0 779,0

800 652,5 676,3

700 600

549,0 588,3

f~