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German Pages 314 [316] Year 2019
LATEINAMERIKA JAHRBUCH 1992
Institut für Iberoamerika-Kunde • Hamburg Lateinamerika Jahrbuch • Band 1
Institut für Iberoamerika-Kunde • Hamburg
LATEINAMERIKA JAHRBUCH 1992 Herausgegeben von Albrecht von Gleich, Wolfgang Grenz, Heinrich-W. Krumwiede, Detlef Nolte und Hartmut Sangmeister
Vervuert Verlag - Frankfurt am Main 1992
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lateinamerika Jahrbuch 1992, Albrecht von Gleich, Wolfgang Grenz. Heinrich-W. Krumwiede. Detlef Nolte und Hartmut Sangmeister (Hrsg.). Frankfurt am M a n : Vervuert, 1992 I S B N 3-89354-420-8 NE: Albrecht von Gleich [Hrsg.]; Lateinamerika Jahrbuch ... / Institut für Iberoamerika-Kunde, Hamburg. Frankfurt am Main: Vervuert Erscheint jährlich. - Aufnahme nach 1992 I S S N 0943-0318 1992© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1992 Umschlaggestaltung: Konstantin Buchholz Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany
INHALT
Seiten
Vorstellung
7
Teil I: Aufsätze Hartmut Sangmeister Das Verschuldungsjahrzehnt: Krisenmanagement und Strukturanpassung in Lateinamerika
13
Klaus Eßer Lateinamerika: Von der Binnenmarktorientierung zur Weltmarktspezialisierung
43
Wolf Grabendorff Die Europäische Integration: Kosten und Nutzen für Lateinamerika
55
Dieter Nohlen Lateinamerika zwischen Präsidentialismus und Parlamentarismus
86
Nikolaus Werz Internationale Parteienföderationen und Lateinamerika
100
Teil II: Entwicklungen in Ländern u n d Regionen Übersichten über regionale Integrationsbündnisse und -prozesse -
Gemeinsamer Zentralamerikanischer Markt (MCCA) Andenpakt (Abkommen von Cartagena) Karibische Gemeinschaft und Karibischer Gemeinsamer Markt (CARICOM) Organisation Ostkaribischer Staaten (OECS) Lateinamerikanisches Wirtschaftsbündnis (SELA) Lateinamerikanische Integrationsvereinigung (ALADI) Amazonaspakt Rio-Gruppe Dreier-Gruppe Gemeinsamer Markt der Länder des Cono Sur (MERCOSUR) Nordamerikanisches Freihandelsabkommen (NAFTA/TLC)
129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139
Informationen zu einzelnen Ländern: Basisdaten - Kennziffern - Chronologien 1991 Cono Sur
140
Argentinien Chile Paraguay Uruguay
141 150 159 163
Brasilien
170
Andenregion
182
Bolivien Ekuador Kolumbien Peru Venezuela
183 189 195 204 214
Mexiko
222
Zentralamerika
234
Costa Rica Guatemala Honduras Nikaragua Panama El Salvador
237 241 246 250 255 259
Karibischer Raum
264
Gesamt-Chronologie (außer Haiti und Kuba) Chronologie Haiti Chronologie Kuba Länderkennziffern zu 16 Klein- und Kleinststaaten der Region
265 279 284 290
Lateinamerika allgemein (Kennziffern zur demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung mit Graphiken)
306
Technische Erläuterungen zu der Datenbank IBEROSTAT
309
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
314
Vorstellung In einer Zeit, in der nach eindrucksvollen Erfolgen der Demokratie Gefahren sichtbar werden, das politische Pendel könnte in Lateinamerika erneut in Richtung autoritäre Regime ausschlagen, und sich der Kontinent in einer Phase des wirtschaftlichen Umbruchs befindet, dessen Ausmaß nur mit den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise vergleichbar ist, zeigt sich in der deutschen Öffentlichkeit ein großes Interesse an der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Lateinamerikas und ihren Perspektiven. Nach der allseits betriebenen Politik der Öffnung nach außen, der Stärkung der Marktkräfte und der Reduzierung des Staatseinflusses stellt sich die Frage, ob sich ein tragfähiges Wirtschaftsmodell verfestigen kann, das den Ansprüchen internationaler Wettbewerbsfähigkeit, dauerhaften Wachstums und der Bewältigung der Armutsproblematik Rechnung tragen kann. Gelingt die wirtschaftliche Stabilisierung nach den schmerzlichen Maßnahmen der Anpassungspolitik? Kann die Verschuldungskrise als überwunden angesehen werden? Welchen Beitrag können die Integrationsbestrebungen in Lateinamerika zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung beisteuern? Welchen Platz wird Lateinamerika bis zum Ende des Jahrhunderts im Beziehungsgeflecht der großen Wirtschaftsblöcke einnehmen? Im politischen Bereich ist die Euphorie, die nach der Rückkehr zur Demokratie während der 80er Jahre in vielen Ländern zu verzeichnen war, verflogen. Die Krisenzeichen mehren sich. Die gewählten Regierungen sehen sich in vielen Ländern mit einem massiven Vertrauensverlust konfrontiert, der sich mittelfristig zu einer Legitimationskrise der politischen Systeme entwickeln kann. Zugleich gibt es positive Anzeichen, was die Stärkung der demokratischen Institutionen und des Staatsbürgerbewußtseins betrifft. Die These, daß es die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sind, die die Demokratien gefährden, ist nur teilweise richtig. Mindestens ebenso bedeutsam sind Strukturdefekte der politischen Systeme und Fehlverhalten zentraler politi7
Lateinamerika Jahrbuch 1992
scher Akteure. Überspitzt läßt sich die Gegenthese aufstellen: Wären die Reformen im politischen Bereich in den vergangenen Jahren ähnlich umfassend ausgefallen wie im wirtschaftlichen Bereich, dann ständen die lateinamerikanischen Demokratien heute vermutlich auf einem solideren Fundament. Reformbedarf besteht in verschiedenen Bereichen: Stärkung des Rechtsstaats, Aufbau effizienter politischer Institutionen, innere Demokratisierung und organisatorische Stärkung der Parteien, Förderung einer starken, unabhängigen Presse, kritische Revision der traditionellen Regierungssysteme (Präsidialsysteme versus parlamentarische Demokratien), der Wahlorganisation etc. Dem wachsenden Interesse an zentralen Fragen der Entwicklung in Lateinamerika steht die Sorge gegenüber, die Anliegen dieses Kontinents könnten in der deutschen und europäischen Außen- und Entwicklungspolitk von den Problemen in Mittel- und Osteuropa mehr und mehr verdrängt werden. Die Länder Lateinamerikas haben auf die tiefgreifenden Veränderungen in Europa und die deutsche Vereinigung positiv und im Bewußtsein traditioneller Verbundenheit reagiert. Nicht zu unrecht weisen sie aber auch darauf hin, daß die von ihnen nunmehr befolgten politischen und wirtschaftlichen Prinzipien durchaus dem entsprechen, was ihnen von europäischer Seite als Voraussetzung für eine engere Zusammenarbeit genannt worden war. Auch wird von lateinamerikanischer Seite immer wieder darüber geklagt, die Information über ihre Länder - namentlich in der deutschen Öffentlichkeit - sei unzulänglich und die Berichterstattung durch die Presse oft nicht genügend differenziert. Überlegungen dieser Art haben das Institut für Iberoamerika-Kunde bewogen, ein seit langem gehegtes Vorhaben zu realisieren und alljährlich in einem Sammelband aktuelle und komprimierte Informationen und Analysen über Lateinamerika einem größeren Leserkreis zu präsentieren. Dabei kann auf eine fast 30jährige Erfahrung im systematischen Sammeln und Erschließen von aktuellen Daten und Materialien in Zusammenarbeit mit anderen Instituten und Wissenschaftlern in Deutschland und in Verbindung mit internationalen Institutionen, wie der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) mit ihren Datenbanken, zurückgegriffen werden. Die Anlage des Jahrbuches entspricht der Ausrichtung und Arbeitsweise des Instituts, indem versucht wird, Analysen von aktuellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen mit der Präsentation von Daten und Fakten zu kombinieren. Im Vordergrund stand die Idee, eine vergleichende Betrachtung der Entwicklung in den lateinamerikanischen Ländern zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde eine Länder-Datenbank aufgebaut. Hinzu kommt eine Chronologie der wichtigen Ereignisse in den einzelnen Ländern während des vorausgegangenen Jahres. - Diese drei Elemente sollen es dem Leser erleichtern, sich einen Überblick sowohl über die Region als Ganzes als auch über die wichtigsten Länder zu verschaffen. Während die Themen im analytischen Teil von Jahr zu Jahr wechseln, wobei durchaus unterschiedliche Auffassungen und Standpunkte zu Worte kommen sollen, wird der statistische Teil in seinem Grundbestand fortgeschrieben. Von Zeit zu Zeit sollen 8
Vorstellung
Sonderstatistiken hinzugefügt werden. Der in Vorbereitung befindliche direkte Zugriff auf Daten der internationalen Sammelstellen wird es ermöglichen, das Jahrbuch künftig jeweils um die Mitte des Kalenderjahrs und mit aktuelleren Statistiken erscheinen zu lassen. Ein Unternehmen wie das vorliegende Jahrbuch ist auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit anderen Instituten und Kollegen angewiesen. Um die Kräfte zu bündeln und die Informationsbasis zu verbreitern, hat das Institut für Iberoamerika-Kunde deshalb Heinrich-W. Krumwiede (Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen) und Hartmut Sangmeister (Institut für international vergleichende Wirtschafts- und Sozialstatistik, Universität Heidelberg) für die Mitherausgabe gewonnen. Die Herausgeber hoffen, daß das Jahrbuch seinen Platz unter den deutschsprachigen Publikationen über Lateinamerika findet. Sie verbinden damit die Bitte um Kritik und Anregungen.
Die Herausgeber
9
Teil I
Hartmut Sangmeister
Das Verschuldungsjahrzehnt Krisenmanagement und Strukturanpassung in Lateinamerika 1. Dimensionen der lateinamerikanischen Auslandsverschuldung Die achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts werden in der Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas vermutlich als das "Verschuldungsjahrzehnt" verzeichnet werden. Denn kaum ein anderes Thema hat die wirtschaftspolitische Diskussion dieser Dekade in gleichem Maße bestimmt wie das Problem der Auslandsverschuldung. Zwar haben die meisten lateinamerikanischen Staaten eine lange Tradition der Kreditaufnahme im Ausland und damit einhergehender Zahlungs(bilanz)schwierigkeiten; aber die Verschuldungskrise der achtziger Jahre unterscheidet sich sowohl hinsichtlich der Dimension der involvierten Kredite von den historischen Vorläuferkrisen als auch im Hinblick auf die dramatischen Konsequenzen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Lateinamerikas. Am 13. August 1982 hatte sich Mexiko gegenüber seinen ausländischen Kreditgebern als zahlungsunfähig erklärt, da das bislang praktizierte Schuldenmanagement nicht länger fortführbar war: die revolvierende Finanzierung des fälligen Schuldendienstes durch ständige Neukreditaufnahme. Mit dem Zahlungsverzug des Großschuldners Mexiko wurde erstmalig auch einer breiteren Öffentlichkeit das Verschuldungsproblem Lateinamerikas bewußt, das sich seit Mitte der siebziger Jahre mit beängstigender Dynamik entwickelt und verschärft hatte, und nun das gesamte internationale Finanzsystem bedrohte. Hatte die gesamte Auslandsverschuldung 13
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Lateinamerikas 1970 lediglich knapp 16 Mrd. US$ betragen, so stieg sie innerhalb einer Dekade um mehr als das Fünfzehnfache, mit der Folge, daß im Jahre 1980 bereits die Summe von ca. 243 Mrd. US$ ausländischen Gläubigern geschuldet wurde (vgl. Tabelle 1). Vor allem in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre war es mit einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von ca. 28 Prozent zu einem rasanten Anstieg der lateinamerikanischen Kreditverpflichtungen gegenüber dem Ausland gekommen. Das lateinamerikanische "Verschuldungswachstum" der siebziger Jahre bedeutete, daß eine Erhöhung des Bruttosozialprodukts (BSP) um je 1 Million US$ mit einer durchschnittlichen Zunahme der Auslandsverschuldung um jeweils 324 Tausend US$ einherging, die Volkswirtschaften der Region also in großem Stile auf Pump lebten (Sangmeister 1991c, S.181). Im Jahre 1981 wurde mit einer Neuverschuldung von 61 Mrd. US$ ein historischer Rekord aufgestellt - und wenig später schnappte die "Schuldenfalle" zu. Nach 1982 wuchs der lateinamerikanische Schuldenberg dann nur noch vergleichsweise geringfügig. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die Auslandsverschuldung Lateinamerikas im Jahre 1987 mit 446 Mrd. US$, um am Ende der achtziger Jahre (1988-89) vorübergehend leicht abgebaut zu werden (vgl. Abbildung 1). Im Jahre 1990 haftete Lateinamerika für 431 Mrd. US$ ausländischer Kreditforderungen, und damit für mehr als ein Drittel der auf 1,28 Billionen US$ geschätzten Auslandsschulden aller Entwicklungsländer. Wie Abbildung 2 zeigt, sind die lateinamerikanischen Auslandsschulden in wenigen Ländern konzentriert. Allein auf die drei "Großschuldner" Argentinien, Brasilien und Mexiko entfielen 1990 knapp zwei Drittel der externen Kreditverpflichtungen Lateinamerikas; rechnet man noch diejenigen Länder hinzu, die im Ranking der lateinamerikanischen Auslandsverschuldung den vierten und fünften Platz einnehmen (Venezuela, Peru), dann sind damit etwa 80 Prozent der regionalen Auslandsschulden berücksichtigt (vgl. Tabelle 2). Das Verschuldungsproblem Lateinamerikas ist also im wesentlichen ein Problem von nur fünf oder sechs Hauptschuldnerländern, das freilich erhebliche Auswirkungen auch auf die weniger stark exponierten Schuldnerländer der Region hat, die in den Sog der Krise geraten sind. Nach den Kriterien der Weltbank werden Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen (d.h. mit einem Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt im Jahre 1990 von über 610 und weniger als 7.620 US$) als "ernstlich verschuldet" ( severely indebted) klassifiziert, wenn mindestens drei der folgenden vier Schuldenlastquoten im Dreijahresdurchschnitt über den angegebenen Schwellenwerten liegen: -
Gesamtverschuldung in Prozent des BSP > 50 Prozent, Gesamtverschuldung in Prozent der Exporterlöse > 275 Prozent, Schuldendienst in Prozent der Exporterlöse > 30 Prozent, Zinszahlungen in Prozent der Exporterlöse > 20 Prozent.
Entsprechend diesen Kriterien ist Lateinamerika in den Jahren 1982-88 als "ernstlich verschuldet" einzustufen (vgl. Tabelle 3). Die auf die Exporterlöse bezogenen Verschuldungsmaße erreichten allerdings schon in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre teilweise alarmierende Werte, die auf eine krisenhafte Entwicklung hindeute14
Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
ten: die Zahlungsverpflichtungen aus der Auslandsverschuldung begannen, den Exporterlösen davonzulaufen. Die derzeit verfügbaren Daten lassen erkennen, daß die positive Entwicklung der Schuldenlastindikatoren, die sich 1987-90 abzeichnete, seit 1991 teilweise schon wieder unterbrochen ist. Infolge des deutlich verlangsamten Wirtschaftswachstums in den Industrieländern ist die Nachfrage nach lateinamerikanischen Exportgütern rückläufig, so daß sich die auf die Ausfuhrerlöse bezogenen Verschuldungs- und Schuldendienstindikatoren seit 1991 wieder verschlechtern. Von den 28 Staaten, die in dem Debtor Reporting System der Weltbank die Regionalgruppe "Lateinamerika und Karibik'' bilden, sind derzeit zwei als SILICs ( severely indebted low-income countries), acht als SIMICs ( severely indebtet middle-income countries) sowie acht als MIMICs ( moderately indebted middle-income countries) klassifiziert (World Bank 1991a, vol.1, S.116). Die SIMIC- bzw. MIMIC-Gruppen werden jeweils etwa hälftig durch "Problemschuldner" des iberoamerikanischen Raums gebildet, so daß sich mit einiger Berechtigung die Verschuldungskrise der Entwicklungsländer im wesentlichen als eine Krise Lateinamerikas bezeichnen läßt. Im Unterschied zu dem Verschuldungsproblem der zweiten wichtigen "Krisenregion", Afrika südlich der Sahara (wo staatlichen Schuldnern hauptsächlich staatliche Gläubiger gegenüberstehen), ist das lateinamerikanische Verschuldungsproblem durch die herausragende Bedeutung der öffentlichen Hand als Schuldner gegenüber privaten Gläubigern charakterisiert. 1991 waren 93 Prozent der langfristigen Auslandsschulden Lateinamerikas öffentliche (oder öffentlich garantierte) Verpflichtungen (1980: 75 Prozent), die zu 62 Prozent (1980: 76 Prozent) gegenüber privaten Kreditgebern (Anleihezeichnern, Banken, Lieferanten etc.) bestanden. Waren die Auslandsschulden der öffentlichen Hand Lateinamerikas zu Beginn der achtziger Jahre zu knapp 50 Prozent auf staatliche Unternehmen, zu etwa 30 Prozent auf die Zentralregierungen und zu 12 Prozent auf staatliche Entwicklungsbanken entfallen (und im übrigen auf die Zentralbanken sowie regionale und kommunale Administrationen), so hat sich die Schuldnerstruktur bis Ende der neunziger Jahre deutlich verändert. Um die Verhandlungsmacht gegenüber den Gläubigern zu stärken, haben die Zentralregierungen und Zentralbanken vielfach die Auslandsverpflichtungen der untergeordneten staatlichen Körperschaften und Unternehmen übernommen, so daß sie inzwischen für 50 Prozent bzw. 30 Prozent der externen Kreditforderungen einstehen. Der private Sektor, auf den zu Beginn der achtziger Jahre (1981) mit ca. 60 Mrd. US$ noch fast 30 Prozent der langfristigen lateinamerikanischen Auslandsschulden entfallen waren, reduzierte seine Verpflichtungen bis zum Beginn der neunziger Jahre (1990) auf 26 Mrd. US$, und damit auf lediglich 6 Prozent der Gesamtverschuldung. Auf der Gläubigerseite der lateinamerikanischen Auslandsverschuldung vollzog sich im Verlaufe der achtziger Jahre eine zunehmende "Offizialisierung". Hielten 1980 öffentliche (bi- und multilaterale) Kreditgeber mit 31 Mrd. US$ erst rund 18 Prozent der langfristigen Auslandsforderungen gegenüber Lateinamerika, so verdoppelte sich dieser Anteil innerhalb einer Dekade nahezu; 1991 stellten die Kreditforderungen öffentlicher Gläubiger in Höhe von 122 Mrd. US$ etwa 35 Prozent der latein15
Lateinamerika Jahrbuch 1992
amerikanischen Auslandsschulden dar. Der Forderungsbestand privater Kreditgeber erreichte 1987 mit 243 Mrd. US$ seinen Höhepunkt, um seitdem jährlich um 10 bis 20 Mrd. US$ abgebaut zu werden. Ausländische Geschäftsbanken, die zeitweilig über 240 Mrd. US$ lang- und kurzfristige Kreditforderungen gegenüber staatlichen und privaten Schuldnern in Lateinamerika hatten, bauten ihr Engagement bis Ende 1990 fast um die Hälfte auf 126 Mrd. US$ ab. Waren Mitte der achtziger Jahre mehr als 50 Prozent der ausstehenden langfristigen Auslandskredite an Lateinamerika auf kommerzielle Banken entfallen, so reduzierte sich dieser Anteil bis 1990 auf nur noch 30 Prozent; das Lateinamerika-Risiko hat sich also für die beteiligten Geschäftsbanken deutlich vermindert. Zudem haben die Geschäftsbanken erhebliche Rückstellungen für eventuelle Forderungsausfälle im lateinamerikanischen Kreditgeschäft gebildet, die z.B. bei den großen US-Banken (Citicorp, Manufacturers Hanover, BankAmerica, Chase Manhatten) 1990 fast 40 Prozent ihrer langfristigen Kreditforderungen erreichten (World Bank 1990b, vol.1, S.87).
2. Binnen- und außenwirtschaftliche Konsequenzen Der Rückzug ausländischer Banken aus dem lateinamerikanischen Kreditgeschäft hatte zur Folge, daß sich der Zufluß externen Kapitals zeitweise dramatisch verringerte. Hatten kommerzielle Banken vor dem offenen Ausbruch der Verschuldungskrise jährlich Kredite in Höhe von über 38 Mrd. US$ ausgezahlt (im Durchschnitt der Periode 1980-82), so verringerte sich dieser Betrag in den Jahren 1983-90 auf durchschnittlich 9,8 Mrd. US$ p.a.. Da der Rückgang der kommerziellen Kreditgewährung durch ein stärkeres Engagement öffentlicher Gläubiger bei weitem nicht ausgeglichen wurde (die bi- und multilateralen öffentlichen Kreditgeber steigerten ihre Auszahlungen an Lateinamerika lediglich von 7,4 Mrd. US$ p.a. im Durchschnitt der Vorkrisenjahre 1980-82 auf durchschnittlich 9,7 Mrd. US$ p.a. 1983-90), ebbte der kreditfinanzierte Kapitalzufluß in die Region deutlich ab. Bei Tilgungszahlungen in Höhe von jährlich fast 16 Mrd. US$ im Durchschnitt der Jahre 1983-90 (gegenüber 22 Mrd. US$ 1980-82) erreichte die durchschnittliche Nettokreditaufnahme während dieser Periode lediglich noch 8,9 Mrd. US$ pro Jahr; die tatsächliche Nettokreditaufnahme sank im Jahre 1989 auf den Tiefstpunkt von 0,8 Mrd. US$ (vgl. Tabelle 4). Verstärkt wurde diese negative Entwicklung des Kapitalzuflusses nach Lateinamerika durch einen vorübergehend akzentuierten Rückgang der ausländischen (Netto-) Direktinvestitionen, auf bis zu 3,3 Mrd. US$ im Jahre 1984; noch 1981 hatten ausländische Direktinvestoren fast 8 Mrd. US$ angelegt. Die externen Finanzierungsbeiträge, die Lateinamerika insgesamt durch (Netto-)Kreditaufnahme, Direktinvestitionen und ausländische Finanzierungszuschüsse zuflössen, erreichten 1986 lediglich noch 10 Mrd. US$. Im Durchschnitt der Jahre 1980-82 hatte das Ausland Lateinamerika Nettofinanzierungsbeiträge in Höhe von 38 Mrd. US$ p.a. zur Verfügung gestellt, 1983-90 waren es hingegen nur noch 16 Mrd. US$ pro Jahr. 16
Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
Stellt man den empfangenen Nettofmanzierungsbeiträgen die Zinszahlungen und Gewinnüberweisungen an das Ausland gegenüber, dann wird das Ausmaß des Nettoressourcentransfers (NRT) erkennbar. Dieser NRT bildet den entwicklungspolitisch brisanten Kern des Verschuldungsproblems; denn NRT aus den Schuldnerländern bedeutet, daß knappe inländische Ressourcen an die ausländischen Forderungsinhaber transferiert werden und damit ceteris paribus der internen Verfügbarkeit entzogen sind, d.h., die Verwendungsansprüche an das Bruttoinlandsprodukt (BIP) müssen reduziert werden (zur MakroÖkonomik externer Verschuldungsprozesse vgl. Sangmeister 1992, S.342f.). Abbildung 4 zeigt den Swing, der sich im Verlaufe der achtziger Jahre bei der Entwicklung der externen Finanzierungsbeiträge und des NRT ergab. Vor allem infolge drastisch steigender Zinszahlungen auf die Auslandsschulden leistete Lateinamerika ab 1982 einen NRT zugunsten der übrigen Welt, der sich bis Ende 1990 auf 163 Mrd. US$ summierte. Dieser Betrag entspricht etwa der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung Schwedens oder einem Fünftel des lateinamerikanischen BIP im Jahre 1989. Der negative NRT bedeutete während der Periode 1982-90 eine durchschnittliche jährliche Belastung von rund 18 Mrd. US$ p.a. bzw. 2,5 Prozent des aggregierten BSP Lateinamerikas; in Chile betrug der negative NRT über 4 Prozent des BSP, in Brasilien und Mexiko über 3 Prozent (Sangmeister 1991c, S.185f.). Den Höhepunkt erreichte der negative NRT aus Lateinamerika im Jahre 1988 mit über 26 Mrd. US$. Damit lag der NRT pro Kopf der lateinamerikanischen Bevölkerung bei 63 US$ - durchaus keine quantité negligeable in einer Region, in welcher der Pro-Kopf-Konsum 1988 bei 1.160 US$ lag - , das Pro-Kopf-Einkommen bei 1.690 US$ (World Bank 1991b, S.8 und S.12). Die Entwicklungshilfe, die Lateinamerika von den OECD-Ländern erhielt, nimmt sich im Vergleich zu dem gleichzeitig zu leistenden NRT an die Gläubiger bescheiden aus: 1988 belief sich die bi- und multilaterale Official Development Assistance (ODA) an Lateinamerika auf 3,6 Mrd. US$ oder 8,7 US$ per capita (World Bank 1990a, S.217). Insgesamt erhielt Lateinamerika in den Krisenjahren 1983-89 ODA-Leistungen von den OECD-Ländern in Höhe von 24,9 Mrd. US$ (World Bank 1991c, S.243) - das sind etwa 7 Prozent des Schuldendienstes in Höhe von 343 Mrd. US$, den die lateinamerikanischen Länder während dieser Periode an die Gläubiger zu leisten hatten, die überwiegend in den OECD-Ländern residieren. (So entfielen beispielsweise im September 1990 von den Bankenforderungen gegenüber Brasilien in Höhe von rund 72 Mrd. US$ 34 Prozent auf US-amerikanische Geschäftsbanken, 17 Prozent auf japanische, je 11 Prozent auf französische und britische, knapp 8 Prozent auf deutsche, 5 Prozent auf schweizerische Banken - vgl. Banco Central do Brasil 1991, S.101.). Entgegen der entwicklungsstrategischen Erfordernis fortlaufenden Kapitalimports waren etliche lateinamerikanische Schuldnerländer (wie z.B. Brasilien, Mexiko und Venezuela) gezwungen, im Verlaufe der achtziger Jahre per Saldo Kapital zu exportieren. Bei anhaltendem verschuldungsbedingten Kapitalexport aus dem Schuldnerland, der nicht durch einen Leistungsbilanzüberschuß ausgeglichen werden kann, entsteht zwangsläufig ein Zahlungsbilanzproblem. Bei fortschreitender Verminderung der zentralen Währungsreserven tritt schließlich internationale Zahlungsunfähigkeit des Schuldnerlandes ein. So waren im Falle Mexikos die Währungsreserven der 17
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Banco Nacional de México Ende 1982 auf einen Tiefststand von 1,8 Mrd. US$ gesunken - kaum mehr als der Devisenbedarf für die Importe eines Monats; die brasilianische Zentralbank verfügte Ende 1982 lediglich über 4 Mrd. US$. Die unmittelbare Reaktion auf die verschuldungsbedingten Zahlungsbilanzprobleme in den betroffenen Ländern war eine möglichst rasche Anpassung der Außenhandelsströme, um durch Exportsteigerung und Importdrosselung einen Aktivsaldo der Handelsbilanz zu erreichen. Tatsächlich gelang es, die Aufwendungen für Wareneinfuhren kräftig zu reduzieren, so daß bei gleichzeitiger Erhöhung der Ausfuhrerlöse das jahrzehntelange Handelsbilanzdefizit Lateinamerikas ab 1982 in einen beachtlichen Überschuß umgekehrt werden konnte (vgl. Tabelle 5). In den Jahren 1983-90 erzielte Lateinamerika im Warenhandel mit der übrigen Welt einen Aktivsaldo von durchschnittlich 27,5 Mrd. US$ p.a.. Allerdings wurde die nachhaltige Verbesserung der aggregierten Handelsbilanz Lateinamerikas hauptsächlich von nur fünf Ländern der Region - Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko und Venezuela herbeigeführt; allein die brasilianischen Handelsbilanzüberschüsse in Höhe von jährlich 12,1 Mrd. US$ im Durchschnitt der Jahre 1983-90 machten 44 Prozent des lateinamerikanischen Aktivsaldos im Warenverkehr mit der übrigen Welt aus. Auch in Kolumbien, Trinidad und Tobago sowie in Uruguay gelang es in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, einen relativ stabilen Aktivsaldo der Handelsbilanz zu erwirtschaften. Mexiko erzielte ebenfalls von 1982-88 fortlaufend Handelsbilanzüberschüsse; Mexiko rangierte sogar als einziges lateinamerikanisches Land 1991 mit einem Außenhandelsvolumen von rund 92 Mrd. US$ in der GATT-Liste der weltweit führenden Export- und Importnationen auf Platz 20 bzw. 19 (Rosen 1992, S.117).
Zwar steigt durch einen Handelsbilanzüberschuß ceteris paribus die Devisenverfügbarkeit, aber die mittel- bis längerfristige SchuldendienstfäWg/ce/'f kann durch die binnenwirtschaftlichen Konsequenzen der Außenhandelsanpassung nachteilig beeinflußt werden. So wurde die Steigerung der Ausfuhrerlöse z.B. in Brasilien zumindest teilweise durch offene oder verdeckte Subventionen für die Exporteure erzielt, wodurch sich das inflationsfördernde Defizit der öffentlichen Hand vergrößert. Zudem mußten die Ausfuhrmengen zur Erzielung steigender Ausfuhrer/öse überproportional erhöht werden, da die Weltmarktpreise wichtiger lateinamerikanischer Agrarerzeugnisse (z.B. Kakao, Baumwolle, Rindfleisch) und Rohstoffe (z.B. Kupfer, Eisenerz, Bauxit) stark rückläufig waren (IDB 1989, S.118). Die gegenläufige Preisentwicklung bei Ein- und Ausfuhrgütern schlug sich in zeitweise dramatisch verschlechterten Terms of Trade nieder (World Bank 1989, S.151); 1990 lag der Index der Terms of Trade (1980=100) für Lateinamerika und die Karibik um mehr als 20 Prozentpunkte unter dem Stand eine Dekade zuvor (CEPAL 1991, S.770f.). Bei der Bewertung der lateinamerikanischen Handelsbilanzüberschüsse ist schließlich auch zu berücksichtigen, daß für ihr Zustandekommen die Importdrosselung bedeutsamer war als die Steigerung der Exporte. Während der Periode 1980-89 gingen die lateinamerikanischen Importe pro Jahr um durchschnittlich 3,7 Prozent zurück, während die Exporte um 3,6 Prozent p.a. zunahmen (World Bank 1991c, 18
Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
S.231). Die Importquote (d.h. die Wareneinfuhr in Prozent des BSP) ist von etwa 13 Prozent zu Beginn der achtziger Jahre auf unter 9 Prozent im Jahre 1990 abgesunken; die Weltmarktintegration Lateinamerikas, gemessen durch die Außenhandelsquote (Wareneinfuhr plus -ausfuhr in Prozent des BSP), ist im Verlaufe des Verschuldungsjahrzehnts signifikant zurückgegangen (vgl. Abbildung 5). Am weltweiten Außenhandel, der 1990 ein Volumen von ca. 6,5 Billionen US$ erreichte, ist Lateinamerika lediglich mit 3,4 Prozent beteiligt (World Bank 1992, S.245).
Die rigorosen Einfuhrbeschränkungen, die nach dem offenen Ausbruch der Verschuldungskrise in vielen lateinamerikanischen Staaten zwecks Devisenersparnis verhängt wurden, lassen sich zumindest im Kapitalgüterbereich nur für einen begrenzten Zeitraum aufrechterhalten, da für Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen benötigte Ausrüstungen und Anlagen in hohem Maße aus den westlichen Industrieländern importiert werden müssen. Zudem trägt ein wegen Importrestriktionen unterbliebener Technologietransfer dazu bei, die zukünftige internationale Wettbewerbsposition der lateinamerikanischen Volkswirtschaften zu schwächen, mit der Folge sinkender Exportfähigkeit und steigender Importabhängigkeit. Die dirigistische Anpassung des Außenhandels an die verschuldungsbedingten Zahlungsbilanzzwänge war also nur als vorübergehende "Notstandsmaßnahme" zu rechtfertigen.
In der Mehrzahl derjenigen lateinamerikanischen Schuldnerländer, in denen ein maßgeblicher Anteil der externen Kredite auf die öffentlichen Haushalte entfällt (oder von diesen garantiert wird), war das Verschuldungsproblem eng mit einem spezifischen Budgetproblem verknüpft. Denn zur Erfüllung seiner Zins- und Tilgungsverpflichtungen gegenüber den ausländischen Gläubigern muß der Staat über Devisen verfügen, die er von den Exporteuren erwerben kann, indem er dem inländischen privaten Sektor eine entsprechende (reale) Steuerlast auferlegt. Die politisch scheinbar bequemere Alternative, die zunächst vielfach bevorzugt wurde, besteht darin, den externen Schuldendienst durch ein (zusätzliches) Haushaltsdefizit abzudecken, d.h. durch interne Verschuldung. Geht diese Ausweitung der internen Staatsverschuldung mit Geldschöpfung einher, wird die Inflation weiter angeheizt. Die Beschleunigung des Preisauftriebs in vielen lateinamerikanischen Ländern läßt sich zumindest teilweise durch die unangemessenen geld- und finanzpolitischen Reaktionen auf die Schuldendienstprobleme der öffentlichen Hand erklären. So stieg z.B. in den Hauptschuldnerländern Argentinien, Brasilien, Mexiko und Venezuela das Haushaltsdefizit während der achtziger Jahre (im gewogenen arithmetischen Mittel) von 3,5 Prozent des BIP (1983-85) auf 6,1 Prozent (1986-88), während die inländische Staatsverschuldung dieser vier Länder von 12 Prozent des BIP in den Jahren 1981-82 auf 18,4 Prozent in der Periode 1987-88 anwuchs (Guidotti/Kumar 1991, S.3f). Das Verschuldungsjahrzehnt wurde für Lateinamerika auch eine Dekade der galoppierenden Inflation: hatte der jährliche Preisanstieg in der Periode 1965-80 durchschnittlich 31,5 Prozent betragen, so beschleunigte sich die lateinamerikanische Inflationsrate auf 160,7 Prozent p.a. im Durchschnitt der Jahre 1980-90 (World Bank 1991c, S.205). 19
Lateinamerika Jahrbuch 1992
3. Krisenmanagement und Lösungsversuche In dem Maße, in dem das lateinamerikanische Verschuldungsproblem Dimensionen erreichte, die über das zahlungsbilanztechnische Problem einer temporären Zahlungsunfähigkeit mangels Devisen hinausgingen, waren längerfristige, ursachenorientierte Problemlösungsstrategien erforderlich, die auf die strukturelle Anpassung der Volkswirtschaft des Schuldnerlandes an die verschuldungsinduzierte Veränderung der makroökonomischen Rahmenbedingungen abzielen. Gesamtwirtschaftliche Strukturanpassungsprogramme, die zu höherer Produktivität und einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums, zu Ausfuhrsteigerungen und Verbesserungen der Zahlungsbilanz führen sollen, setzen allerdings eine erhebliche wirtschaftspolitische Gestaltungs- und Durchführungskompetenz voraus; zudem können solche Strukturanpassungsprogramme mit hohen sozialen Kosten verbunden sein, wenn sie verteilungspolitisch unausgewogen durchgeführt werden. Und es kann auch erhebliche Zeit verstreichen, bis umfassende Strukturanpassungsprogramme Erfolge zeigen, so daß die innenpolitische Akzeptanz tendenziell immer geringer wird. Es kann daher kaum überraschen, daß die Regierungen lateinamerikanischer Schuldnerländer zunächst überwiegend gezögert haben, eine konsequente, ursachenorientierte Strategie zur Lösung ihrer Verschuldungsprobleme durchzuführen. Vorherrschend waren eher kurzfristig orientierte Strategien des muddling through, die mittels fortlaufender Umschuldungen und Umfinanzierungen geeignet waren, die zahlungstechnischen Probleme der Verschuldungskrise zu managen, aber keinen Beitrag zur Beseitigung der Krisenursachen leisteten. Das Fehlen einer mittel- bis längerfristig angelegten Lösungsstrategie zeigt sich in der hohen Zahl der Umschuldungsabkommen zwischen Schuldnern und Gläubigern: von 1983 bis Herbst 1991 wurden von 19 lateinamerikanischen Schuldnerländern 104 multilaterale Umschuldungsabkommen geschlossen, davon 64 mit kommerziellen Banken und 40 mit öffentlichen Gläubigern (World Bank 1991a, S.73f.). Besonders in der Anfangsphase der Verschuldungskrise gelang es nur selten, Umschuldungsvereinbarungen mit mehrjährigen Laufzeiten zu treffen, so daß beständig Neuverhandlungen erforderlich wurden, die erhebliche Managementkapazitäten banden und hohe Kosten verursachten. Allein Mexiko schloß in den neun Jahren von 1983-91 zwölf multilaterale Umschuldungsabkommen mit Banken und öffentlichen Gläubigern über einen Gesamtbetrag von 132 Mrd. US$.
Im bisherigen Verlauf der lateinamerikanischen Verschuldungskrise lassen sich drei Phasen unterscheiden (Sangmeister 1992, S. 329 f.): In der ersten Phase (August 1982 bis Oktober 1985) werden die Dimensionen und Konsequenzen des Verschuldungsproblems sowohl auf der Gläubiger- als auch auf der Schuldnerseite nicht hinreichend deutlich erkannt. Es überwiegt die Auffassung, daß es sich um eine temporäre Liquiditätskrise handele, die von allein überwunden würde, sobald es wieder zu einem Anstieg der Rohstoffpreise käme, da mit steigenden Exporterlösen die internationale Zahlungsfähigkeit der 20
Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
Schuldnerländer wiederhergestellt werde. Der Internationale Währungsfonds (IWF) konzentriert seine Bemühungen vor allem auf die Stabilisierung der Gläubiger, um das internationale Finanzsystem vor dem befürchteten Zusammenbruch zu bewahren. Die Regierungen der sieben führenden Industrieländer (G-7) einigen sich 1984 auf eine Strategie des fallweisen Vorgehens gegenüber den Schuldnerländern, um durch das Prinzip getrennter Verhandlungen der möglichen Bildung eines Schuldnerkartells zu begegnen. In der zweiten Phase (Oktober 1985 bis März 1989) übernehmen internationale Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank und Inter-American Development Bank/IDB) eine zunehmend aktivere Rolle im lateinamerikanischen Krisenmanagement. US-Finanzminister Baker startet im Herbst 1985 eine Initiative, die 15 hochverschuldeten Entwicklungsländern Hilfe bei der Bewältigung ihrer Probleme durch die Vergabe neuer Kredite von kommerziellen Banken und öffentlichen Institutionen bringen soll. Der Baker-Plan geht davon aus, daß Austeritätspolitik in den betroffenen Ländern allein nicht ausreiche, um das Verschuldungsproblem zu lösen, sondern daß eine Strategie wirtschaftlichen Wachstums und struktureller Anpassung in den Schuldnerländern erforderlich sei, für deren Finanzierung zusätzliche Kredite bereitgestellt werden müßten. Zu den von der Baker-Initiative begünstigten Staaten gehören 10 lateinamerikanische Schuldnerländer, denen Neukredite zur partiellen Finanzierung ihrer bestehenden Zinsverpflichtungen angeboten werden sollen, sofern sie in strukturelle Anpassungsprogramme für ihre Volkswirtschaften einwilligen. Obwohl mehrere Schuldnerländer solchen Anpassungsprogrammen unter der Aufsicht von IWF und Weltbank zustimmen (z.B. Chile, Kolumbien, Uruguay) kommt es zu keiner nachhaltigen Verbesserung der Verschuldungssituation. Es entstehen innovative Finanzierungsinstrumente (wie beispielsweise debt-equity swaps, exit bonds) sowie ein Sekundärmarkt für dubiose Bankforderungen an lateinamerikanische Kreditnehmer, die neue Umschuldungspraktiken zwischen kommerziellen Gläubigern und öffentlichen Schuldnern auf freiwilliger Basis ermöglichen. In der dritten Phase (seit März 1989) setzt sich bei den Gläubigern die Einsicht durch, daß es sich bei der Verschuldungskrise um ein Insolvenzproblem handelt und nicht lediglich um einen vorübergehenden Liquiditätsengpaß. Der Plan des US-Finanzministers Brady greift diese Einsicht auf und fordert von den Gläubigern einen stärkeren Beitrag zur Problemlösung, indem er einen substantiellen Abbau der Schulden bzw. des Schuldendienstes vorschlägt, der von IWF und Weltbank mit Neukrediten unterstützt werden soll. Als erstes lateinamerikanisches Schuldnerland einigt sich Mexiko im Juli 1989 mit seinen kommerziellen Bankgläubigern auf einen "Brady-deal", d.h. auf ein mehrjähriges Debt and Debt Service Reduction Agreement (DDSR), das mit finanzieller Unterstützung von IWF, IDB und Weltbank einen Abbau der mexikanischen Auslandsschulden um rund 10 Prozent sowie substantielle Erleichterungen des Schuldendienstes beinhaltet (El-Erian 1990). Im Rahmen des Brady-Plans unterzeichnen Costa Rica und Venezuela im Jahre 1990 ebenfalls DDSR-Abkommen, Uruguay 1991 (World Bank 1991a, vol.1, S.67).
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Diejenigen lateinamerikanischen Schuldnerländer mit mittlerem Einkommen, deren Kreditverbindlichkeiten hauptsächlich gegenüber öffentlichen Gläubigern bestehen (wie z.B. Bolivien, die Dominikanische Republik, Honduras, Jamaika), sind für DDSR-Abkommen im Rahmen der Bracfy-Initiative nicht vorgesehen, so da@ sie auch keinen Nutzen aus den Finanzierungsprogrammen von IWF und Weltbank zur Reduzierung der kommerziellen Schulden ziehen können. Um dieser Schuldnergruppe entgegenzukommen, hat der Paris Club der öffentlichen Gläubiger 1990 eingewilligt, die Toronto Terms vergünstigter Umschuldungsvereinbarungen auf Bolivien und Guyana anzuwenden, und damit erstmalig auf Länder au@erhalb Afrikas südlich der Sahara.
Während die öffentlichen und kommerziellen Gläubiger strikt darauf achteten, im Rahmen des Paris Club bzw. des Bank Advisory Committee den einzelnen lateinamerikanischen Schuldnerländern mit einer einheitlichen, abgestimmten Verhandlungsstrategie entgegenzutreten, verfolgten die Regierungen der betroffenen Schuldnerländer sowohl kooperative als auch konfrontative Strategien zur Lösung der Krise (vgl. Eberlei 1991, S.11f.). Die Bildung eines lateinamerikanischen Schuldnerkartells kam über wohlfeile Rhetorik - wie etwa bei der lateinamerikanischen "Schuldenkonferenz" vom November 1987 in Acapulco - nie ernsthaft hinaus. Zwischen der strategischen Extremposition "optimale Anpassung an die Gläubigerwünsche" (wie sie vor allem Mexiko und Chile verfolgten) auf der einen Seite, und Konfrontation "gegen das Diktat des IWF" (wie z.B. zeitweise von den Regierungen des brasilianischen Präsidenten José Sarney und des peruanischen Präsidenten Alan Garcia favorisiert) auf der anderen Seite, betrieb die Mehrzahl der Schuldner eine Politik des Durchlavierens mit dem Ziel, rechtzeitig Umschuldungsund Neufinanzierungspakete zusammenzustellen und die Begleichung der realen Kosten der Verschuldungskrise soweit wie möglich ad calendas graecas zu verschieben.
Konnte vor einiger Zeit noch darüber spekuliert werden, ob die lateinamerikanischen Schuldnerländer als "Chaosmächte" möglicherweise mehr Chancen hätten, bei intransingenten Gläubigern politische Resonanz und Entgegenkommen am Verhandlungstisch hervorzurufen (Sangmeister 1991c: S.197), so gibt es derzeit für solche Spekulationen kaum mehr eine Basis. Die relativ günstigen Konditionen, die beispielsweise Mexiko und Chile im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Großschuldnern in den neueren Umschuldungs- und Schuldenreduzierungsabkommen eingeräumt wurden, sind vermutlich durch die Bereitschaft dieser Länder befördert worden, ihre nationale Wirtschaftspolitik an dem von den Gläubigern geforderten neoliberalen Reformprojekt auszurichten (und im Falle Mexikos wohl auch durch das Interesse der USA, politische Unruhen südlich des Rio Grande zu vermeiden).
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Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
4. Gesamtwirtschaftliche Anpassung an das Verschuldungssyndrom Für außenverschuldete Volkswirtschaften, die einen NRT in signifikanter Größenordnung an die übrige Welt zu erbringen haben, führt kein Weg daran vorbei, die internen Verwendungsansprüche an das BIP einzuschränken, zu Lasten des Konsums und/oder zu Lasten der Investitionen. Wie die Eckwerte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigen (Tabelle 6), sank die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote (d.h. der Anteil der Bruttoinvestitionen am BIP) in Lateinamerika nach dem offenen Ausbruch der Verschuldungskrise von ca. 24 Prozent zu Beginn der achtziger Jahre auf einen Tiefststand von unter 17 Prozent (im Jahre 1984), um sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre allmählich wieder auf etwa 20 Prozent zu erholen. Während der siebziger Jahre hatten die Bruttoinvestitionen im lateinamerikanischen Durchschnitt 22,8 Prozent des BIP betragen (World Bank 1991b, S.52). In absoluten Werten (in US-Dollar von 1987) und bezogen auf die Bevölkerungszahl wird die Investitionsschwäche der lateinamerikanischen Volkswirtschaften noch deutlicher: hatten 1980 die (Brutto-)Investitionsausgaben per capita 540 US$ betragen, so erreichten sie 1990 lediglich 340 US$ (World Bank 1991b, S.17). Der Rückgang der Investitionen in Lateinamerika war überwiegend durch Einschränkungen der staatlichen Investitionstätigkeit bedingt. Denn die wachsenden Schuldendienstverpflichtungen der öffentlichen Haushalte gingen zunächst hauptsächlich zu Lasten der öffentlichen (Infrastruktur-)lnvestitionen, da Kürzungen von Transferzahlungen und/oder Subventionen auf politischen Widerstand stießen ebenso wie Versuche, die konsumtiven Verwaltungsausgaben zu vermindern. Der Anteil der öffentlichen Investitionen an den gesamten Bruttoinvestitionen ist von rund 43 Prozent in den Vorkrisenjahren 1980-82 auf knapp 40 Prozent Ende der achtziger Jahre zurückgegangen. Auf die privaten Investitionen, deren Anteil am gesamtwirtschaftlichen Investitionsvolumen sich auf knapp 52 Prozent (1983) reduziert hatte, entfallen inzwischen wieder über 60 Prozent; in Mexiko machten 1989 private Investitionen fast 80 Prozent der Gesamtinvestitionen aus, in Chile über 75 Prozent, während in denjenigen Ländern, die wie Argentinien, Bolivien, Brasilien und Peru nach wie vor mit ernsten Stabilisierungsproblemen zu kämpfen haben, die private Investitionstätigkeit weiterhin verhalten bleibt (Pfeffermann/Madarassy 1991, S.4). Wie Abbildung 6 zeigt, würde die Bruttoinlandsersparnis Lateinamerikas inzwischen eine wesentlich höhere Investitionsquote als die tatsächlich realisierte ermöglichen, wenn nicht die verschuldungsbedingten Transfers an das Ausland zu leisten wären. Zudem hat sich die "Sparlücke", d.h. die Differenz zwischen Bruttoinvestition und Inländerersparnis, am Ende der achtziger Jahre (1987-89) auf rund 1 Prozent des BIP reduziert, während sie zu Beginn der Dekade (1980-82) noch 5 Prozent des BIP betragen hatte. Der Deckungsgrad der Bruttoinvestitionen durch die Inländerersparnis konnte mithin durch die Maßnahmen zur Stimulierung der privaten Ersparnisbildung deutlich verbessert werden.
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Die Regierungen der meisten Schuldnerländer haben relativ lange gezögert, bis sie die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen zu akzeptieren bereit waren, die sich aus der Verschuldungskrise zwangsläufig ergeben - und es bedurfte in vielen Fällen weiterer Zeit und/oder eines Regierungswechsels, bis auf diese Konsequenzen mit angemessenen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen reagiert wurde. So wird es erklärlich, daß die lateinamerikanische Staatsquote, d.h. der Anteil des Staatsverbrauchs am BIP, im Verlaufe der achtziger Jahre keineswegs im erforderlichen Umfange zurückgeschraubt wurde, sondern vorübergehend sogar stieg. Ein wesentlicher Schritt des strukturellen Anpassungsprozesses an die seit dem Ausbruch der Verschuldungskrise veränderten makroökonomischen Bedingungen steht daher in mehreren lateinamerikanischen Schuldnerländern noch bevor oder ist bislang nicht entschieden genug erfolgt: die Reduzierung der staatlichen Konsumquote, damit die öffentliche Investitionsquote als Voraussetzung einer Dynamisierung zukünftigen Wirtschaftswachstums gesteigert werden kann bzw. damit eine weitere Einschränkung der privaten Konsumquote nicht erforderlich wird.
Angesichts des absoluten Konsumniveaus in Lateinamerika birgt eine Reduzierung der privaten Konsumquote, die verteilungspolitisch unausgewogen erfolgt, erheblichen sozialen Sprengstoff. Im statistischen Durchschnitt liegen die (preisbereinigten) privaten Konsumausgaben pro Kopf der lateinamerikanischen Bevölkerung zu Beginn der neunziger Jahre um ca. 7 Prozent unter dem Niveau des Jahres 1980 (1980: 1.270 US$; 1990: 1.180 US$; vgl. World Bank 1991b, S.13). Hinter diesen Durchschnittswerten verbirgt sich das Schicksal der schätzungsweise 108 Millionen Armen Lateinamerikas mit jährlichen Einkommen von unter 420 US$ (World Bank 1992, S.30), deren "Konsumquote" nicht mehr erlaubt als das nackte Oberleben unter menschenunwürdigen Bedingungen. In vielen Staaten Lateinamerikas stellen die Armen einen großen Anteil der Gesamtbevölkerung (z.B. in Panama 25 Prozent, in El Salvador 27 Prozent, in in Paraguay 35 Prozent, in Honduras 37 Prozent, in der Dominikanischen Republik 44 Prozent; vgl. UNDP 1992, S.160f.) und teilweise sogar die Bevölkerungsmehrheit (z.B. in Ecuador 51 Prozent, in Guatemala 71 Prozent, in Haiti 76 Prozent); diesen Menschen darf und kann durch Steuererhöhungen und/oder Kürzungen von Subventionen und Transferzahlungen kein weiterer Beitrag zur Bewältigung der Verschuldungskrise abverlangt werden. Die unumgängliche Korrektur der makroökonomischen Verwendungsstruktur, die sich der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Lateinamerika weiterhin als Aufgabe stellt, muß hauptsächlich an den konsumtiven Staatsausgaben ansetzen sowie unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten austariert erfolgen. Dies setzt eine grundsätzliche Neuabgrenzung der staatlichen Funktionen voraus und macht umfassende Reformen der öffentlichen Verwaltung sowie des Steuersystems erforderlich. Denn von der Einnahmenseite her läßt sich ein spürbarer Beitrag zur Konsolidierung der Staatshaushalte nur erwarten, wenn die Steuertarifsysteme reformiert und materielle Verbesserungen bei der Steuererhebung erreicht werden.
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Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
Bislang haben die Maßnahmen zur Herstellung des Budgetgleichgewichts vorrangig bei Kürzungen auf der Ausgabenseite angesetzt; dies bedeutete in der Praxis, daß hauptsächlich Ausgabepositionen verringert wurden, die für sozial benachteiligte Gesellschaftsgruppen ohne größeres politisches Einflußpotential bestimmt waren. Das Fehlen umfassender Systeme sozialer (Ver-)Sicherung, die von den staatlichen Budgets weitgehend unabhängig sind, hat sich während der Dauerkrise der achtziger Jahre in vielen lateinamerikanischen Staaten katastrophal ausgewirkt. Nach den wirtschaftlichen Reformen, die in der Region erfolgreich eingeleitet wurden, müssen dringend die sozialen Reformen folgen, ohne die sich die "soziale Schuld" der lateinamerikanischen Gesellschaften zu einem mindestens ebenso dramatischen Problem auswächst wie die externe Verschuldung. Daß eine erfolgreiche Wirtschaftsreform sozialer Absicherung bedarf, zeigt beispielhaft die Regierung des chilenischen Präsidenten Aylwin, die nach der Amtsübernahme 1990 den liberalen wirtschaftspolitischen Kurs des vorangegangenen Militärregimes für eine deregulierte, weltmarktorientierte Marktwirtschaft im wesentlichen beibehielt aber zugleich mehr Gewicht auf sozialen Ausgleich und Umverteilung legte; zu diesem Zwecke wurden u.a. die zielgruppenorientierten Sozialausgaben deutlich erhöht - finanziert durch eine vorübergehende Anhebung der Gewinn- und Mehrwertsteuer - sowie Reformen zur Stärkung der Arbeitnehmerposition eingeleitet (vgl. Queisser 1992, S.32). Auch in Venezuela hat Präsident Pérez im Frühjahr 1992, unter dem Eindruck des Putschversuchs aufständischer Militärs vom Februar 1992 und eingedenk wohl auch der Protestwellen des Jahres 1989, eine soziale Absicherung des liberalen wirtschafts- und finanzpolitischen Austeritätskurses angekündigt; die hierfür vorgesehenen Maßnahmen wie Preisstopp für Grundnahrungsmittel, Medikamente, Benzin und Strom sowie verbilligte Immobilienkredite für den Mittelstand stellen allerdings eine Rückkehr zu dirigistischen Konzepten populistischer Wirtschaftspolitik dar.
5. On the move again? "There is no doubt that there is a new Latin America" konstatierte IDB-Präsident Enrique V. Iglesias im Dezember 1991 (IDB 1992a, S.1), und diese Einschätzung wird von vielen Beobachtern innerhalb und außerhalb Lateinamerikas geteilt. Denn die meisten Länder der Region bemühen sich nachhaltig um eine wirtschaftspolitische Neuorientierung, die den Abschied von dem seit einem halben Jahrhundert dominierenden Leitbild industrieller Binnenorientierung bedeutet. Am Ende der década perdida, des verlorenen Jahrzehnts, ist unstrittig, daß die "Schuldenfalle", in die Lateinamerika zu Beginn der achtziger Jahre geraten war, eine grundlegende Restrukturierung der Volkswirtschaften erzwungen hat, einschließlich einer Neuabgrenzung der wirtschafts- und entwicklungspolitischen Rolle des Staates. Dies bedeutet keineswegs einen "Konservativismus der Sorglosigkeit" (Eßer 1992, S.16), keine undifferenzierte Einschränkung der staatlichen Aktivitäten,
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
sondern ihre problemorientierte Umgestaltung. In vielen Problembereichen der lateinamerikanischen Gesellschaften mangelt es an staatlicher Regulierungskompetenz, während in anderen Aktivitätsfeldern staatliche Überverwaltung die Entfaltung privater Initiative hemmt. Spätestens mit der Verschuldungskrise der achtziger Jahre war für die bislang in Lateinamerika favorisierte Strategie staatlich initiierter und extern finanzierter Industrialisierung durch Importsubstitution der SchluOpunkt gekommen, da sie die weitere sozio-ökonomische Entwicklung der Region blockierte (Sangmeister 1991a). Ein gangbarer Ausweg aus der Krise zeichnet sich jetzt zumindest für diejenigen lateinamerikanischen Volkswirtschaften ab, die in eine Phase weltmarktorientierter, vorrangig durch private Initiative strukturierte Entwicklung eintreten und den eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Reformkurs konsequent fortführen. Die Erfolgsaussichten hierfür sind freilich nach Dekaden staatlichen Interventionismus, PaternaIismus und Klientelismus in den meisten Gesellschaften Lateinamerikas durchaus ambivalent einzuschätzen. Denn der Übergang von binnenmarktorientierten Strategien industrieller Importsubstitution zu restrukturierenden Strategien selektiver Weltmarktintegration ist ja nicht lediglich eine Frage des wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels, sondern macht eine grundsätzliche Neudefinition der Funktionen und des Selbstverständnisses der wirtschaftlichen Akteure erforderlich. Ein "Kapitalismus ohne leistungsfähige private Akteure" (Eßer 1992, S.5) kann vermutlich keine tragfähigen Lösungen für die gravierenden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Region produzieren. Ein marktwirtschaftliches System, das wirtschaftlich erfolgreich sowie sozial und ökologisch verträglich sein soll, ist nicht denkbar ohne funktionsfähige Mechanismen organisierten Interessenausgleichs durch Verhandlungen und ohne staatliche Orientierungs- und Steuerungskompetenz, die demokratisch legitmiert sowie funktional integer ist. Gerade hier bestehen aber in sehr vielen Ländern Lateinamerikas nach wie vor erhebliche Defizite: in stark fragmentierten Gesellschaften lassen sich konsensfähige Problemlösungsstrategien nur schwer finden und "schwache" öffentliche Institutionen, die vornehmlich den Eigeninteressen einer "starken" Staatsklasse dienen, sind zur Umsetzung komplexer Industrialisierungs- und Entwicklungsstrategien kaum in der Lage. Nur dann, wenn das wirtschaftliche Reformprojekt mit einer (zumindest partiellen) Lösung der gesellschaftlichen Partizipationskrise verbunden wird, besteht die Chance, eine längerfristig tragfähige Entwicklung einzuleiten. Nach dem Jahrzehnt der Krise, nach wirtschafts- und entwicklungspolitischem Attentismus, mehren sich die Anzeichen, daß Lateinamerika wieder an wirtschaftlicher Dynamik gewinnt. Hatte die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des regionalen BIP im Zeitraum 1983-90 lediglich 1,5 Prozent erreicht, so konnte 1991 eine deutlich höhere Wachstumsrate von 2,7 Prozent registriert werden (IDB 1992b, S.2). In Panama und Venezuela wurde 1991 sogar ein Wachstum des (realen) BIP gegenüber dem Vorjahre von mehr als 9 Prozent erzielt, in Argentinien und Chile von 5 Prozent und mehr, in Mexiko 4,8 Prozent, in Bolivien, El Salvador, Guyana, Jamaika und Uruguay zwischen 3,0 und 3,7 Prozent; in Haiti setzte sich der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung 1991 fort (-4,0 Prozent gegenüber 26
Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
dem Vorjahr), ebenso in Barbados (-2,8), der Dominikanischen Republik (-0,7) und Honduras (-1,9). Auch in Brasilien ist es noch nicht gelungen, die gravierenden makroökonomischen Ungleichgewichte abzubauen und gesamtwirtschaftliches Wachstum wiederherzustellen, so daß das BIP 1991 stagnierte. Läßt man Brasilien und Peru unberücksichtigt, dann ergibt sich für 1991 eine Wachstumsrate des lateinamerikanischen BIP von über 4 Prozent. Die positive Entwicklung verschiedener Indikatoren mag vorsichtigen Optimismus hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas in den neunziger Jahren rechtfertigen, aber das nach wie vor ungelöste Problem der Auslandsverschuldung kann erneut destabilisierend wirken. Zwar zeigen die Schuldenlastindikatoren seit 1989 eine Entschärfung der Situation an, aber es ist nicht auszuschließen, daß mehrere Schuldnerländer Lateinamerikas im Verlaufe der neunziger Jahre wieder mit erheblichen Schuldendienstproblemen zu kämpfen haben werden. Bei vertragsgemäßer Abwicklung der bestehenden langfristigen Kreditverpflichtungen gegenüber dem Ausland müßte Lateinamerika in den Jahren 1992 bis 2000 einen Schuldendienst von 342 Mrd. US$ leisten (vgl. Tabelle 7). Bei dieser Modellrechnung ist unterstellt, daß es zwischenzeitlich lediglich zu neuen Kreditauszahlungen in Höhe von insgesamt 18,7 Mrd. US$ kommt, so daß also der projektierte jährliche Devisenbedarf für Amortisations- und Tilgungszahlungen von durchschnittlich 21,1 Mrd. bzw. 16,8 Mrd. US$ ganz überwiegend durch Außenhandelsüberschüsse und/oder ausländische Direktinvestitionen gedeckt werden müßten. Die ausländischen Investoren zeigen in den letzten Jahren zunehmend wieder Vertrauen in das wirtschaftliche Potential der Region, so daß sich die (Netto-)Direktinvestitionen aus dem Ausland seit 1987 verdoppelt haben, auf schätzungsweise 11,5 Mrd. US$ im Jahre 1991 (Khanna, V.R. 1992, S.174). Auch die Repatriierung von Fluchtkapital könnte dazu beitragen, den verschuldungsbedingten externen Finanzierungsbedarf Lateinamerikas in den neunziger Jahren zu decken. Immerhin wurde der Bestand an lateinamerikanischem Fluchtkapital im Ausland für 1989 auf über 155 Mrd. US$ geschätzt (Marulanda 1991, S.106). Einigen lateinamerikanischen Ländern (vor allem Chile und Mexiko) ist es inzwischen gelungen, in steigendem Maße auch wieder Zugang zu freiwilligen Finanzierungen auf den internationalen Kapitalmärkten zu gewinnen. So konnte beispielsweise die mexikanische Telephongesellschaft TELEMEX 1991 eine Aktienemission über 2,3 Mrd. US$ auf den Kapitalmärkten der westlichen Industrieländer plazieren, die größte Aktienemission eines lateinamerikanischen Landes im Ausland seit den sechziger Jahren (El-Erian 1992, S.182). Aber auch wenn die externen Finanzierungsbeiträge, die Lateinamerika freiwillig vom Ausland zur Verfügung gestellt werden, in den kommenden Jahren weiterhin ansteigen, wären zur Deckung des projektierten Schuldendienstes Handelsbilanzüberschüsse in Größenordnungen erforderlich, wie sie die Region in den kommenden Jahren kaum erwirtschaften kann; denn die für die internationale Konkurrenzfähigkeit unerläßliche Modernisierung der Produktionsanlagen läßt sich nur durch eine entsprechende Ausweitung der Importe realisieren. Ein verringerter Handelsbilanzüberschuß oder gar die Rückkehr zu einem Handelsbilanzdefizit hätten zur Folge, daß sich die chronisch defizitäre Leistungsbilanzsituation weiter verschlech27
Lateinamerika Jahrbuch 1992
terte. Da in der lateinamerikanischen Leistungsbilanz vor allem die Zinszahlungen auf die Auslandsschulden negativ zu Buche schlagen, wirkt ein wesentlicher Verursachungsfaktor des Leistungsbilanzungleichgewichts weiterhin fort. Ohne anhaltenden Nettokapitalimport bleibt daher die Zahlungsbilanzsituation Lateinamerikas auch in den kommenden Jahren prekär, sofern es nicht zu weiteren, umfassenden Schulden- bzw. Schuldendienstreduzierungen kommt. Die Risiken des neoliberalen Reformprojektes sind erheblich (vgl. Sangmeister 1991b, S.15f.) und seine Realisierungschancen hängen nicht zuletzt auch davon ab, wie lange es in den einzelnen Ländern innenpolitisch durchgehalten werden kann. Ausreichende internationale Finanzhilfen zur Ergänzung und Unterstützung der nationalen Reformbemühungen könnten dazu beitragen, deren interne Akzeptanz zu erhöhen. Der Versuch des peruanischen Präsidenten Fujimori, sein wirtschaftspolitisches Sanierungskonzept in einer dictablanda, einer "sanften Diktatur", zum Erfolg zu führen, kann jedenfalls nicht als Vorbild für Lateinamerika dienen.
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Tabelle 2: Die lateinamerikanische Auslandsverschuldung nach Ländern 1 9 7 0 , 1 9 8 0 , 1 9 9 0
Und Argentinien » Belize Bolivien " Brasilien " Olile » Cesta Rica * Dominica Dominikanische Republik 4 Ecuador " El Salvador 4 Grenada Guatemala * Guyana *** Haiti Honduras Janaica » Koluiftien * Mexico » Nicaragua " Panata Paraguay Peru " Trinidad und Tobago Uruguay » Venezuela 44 Uteiiiamerika und Karibik
1970a) Xrd. üSS
Gesamte Auslandsverschuldung 1980 1990 » Xrd. DSS » Hrd. ÜS$
»
5,171 0,004 0,497 5,132 2,569 0,246
18,56 0,01 1,78 18,42 9,19 0,88
27,16 0,06 2,70 70,98 12,08 2,74
11,19 0,03 1,11 29,26 4,98 1,13
61,14 0,16 4,28 116,17 19,11 3,77 0,08
14,18 0,04 0,99 26,95 4,43 0,87 0,02
0,360 0,256 0,182 0,008 0,120 0,083 0,043 0,109 0,982 1,635 5,966 0,155 0,194 0,112 2,665
1,29 0,92 0,65 0,03 0,43 0,30 0,15 0,39 3,52 5,87 21,41 0,56 0,70 0,40 9,56
2,00 6,00 0,91 0,02 1,17 0,79 0,30 1,47 1,90 6,94 57,38 2,17 2,97 0,95 10,04
0,83 2,47 0,38 0,01 0,48 0,33 0,12 0,(1 0,78 2,86 23,65 0,89 1,23 0,39 4,H
4,40 12,11 2,13 0,10 2,78 1,96 0,87 3,48 4,60 17,24 96,81 10,50 6,68 2,13 21,11
1,02 2,81 0,49 0,02 0,64 0,45 0,20 0,81 1,07 4,00 22,46 2,43 1,55 0,49 4,90
0,101 0,316 0,954
0,36 1,13 3,42
0,83 1,66 29,33
0,34 0,68 12,09
2,31 3,71 33,31
0,54 0,86 7,73
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a) Ohne kurzfristige Auslandsverschuldung. .. Nicht verfügbar. • KIHC «» SIHC snic Differenzen in den Summen durch Runden. Quelle: World Bank, World Debt Tables 1991-92, Washington, D.C. 1991. 31
Lateinamerika Jahrbuch 1992
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Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
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Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
Tabelle 7: Projektion des lateinamerikanischen Schuldendienstes 1992-2000 (in Mrd. US-Dollar)
Jahr 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000
Schuldendienst a) Tilgung Zinsen 24,3 23.5 21,0 22,0 21.6 20.7 19,9
23,3 21,6 20,0 18,6 16,9 15,2 13,6
18,1
12,0
19,1
10,4
a) Gemäß Vertragsstand Ende 1990; ohne Berücksichtigung zwischenzeitlich abgeschlossener UmschuldungsabXommen und ohne Berücksichtigung einer eventuellen Neukreditaufnahme während des ProjektionsZeitraums. Quelle: World Bank, World Debt Tables, Run Date 03/03/1992.
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Sangmeister: Das Verschuldungsjahrzehnt
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Abbildung 2: Die größten Schuldner Lateinamerikas Anteile an der Gesamtverschuldung Lateinamerikas 1970 Brasilien (18,4%)
Chile (9.2%)
Anteile an der Gesamtverschuldung Lateinamerikas 1990
Brasilien (27.0%)
Venezuela (7.7%)
Quelle: Tabelle 2
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
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Klaus Eßer
Lateinamerika: Von der Binnenmarktorientierung zur Weltmarktspezialisierung
Einleitung Fast alle Länder Lateinamerikas bemühen sich um eine wirtschaftspolitische Neuorientierung. Die industrielle Binnenorientierung seit 1930 kann nicht mehr fortgesetzt werden: zum einen aufgrund der Verschuldungskrise, zum andern, weil sie seit langem keine dynamische Entwicklung mehr ermöglicht. Der Umbruch ist schwierig, weil fast alle Akteure durch die lange Binnenorientierung geprägt sind. Er wird von politischen Akteuren - Menem, Collor de Mello oder Fujimori - betrieben, die auf Markt- und Freihandelskonzepte setzen. Ihr Ziel ist eine weltmarktorientierte Spezialisierung. In einigen Ländern - Chile und Mexiko - konnte bereits eine wirtschaftliche Konsolidierung im neuen wirtschaftspolitischen Rahmen erreicht werden. Andere Länder, etwa Brasilien, befinden sich in einer turbulenten Transitionsphase. In ihnen zeichnet sich bisher keine Makropolitik ab, aufgrund derer das Vertrauen in- und ausländischer Investoren zunehmen könnte. In der schwierigen Umbruchsphase ist es wichtig, zur Klärung von zwei Fragen beizutragen: Zum einen, warum die industrielle Binnenorientierung nicht fortgesetzt werden kann, zum andern, welche Chancen sich ergeben, wenn eine ganze Region, und zwar gleichzeitig mit fast allen übrigen bisher binnenorientierten Weltregionen, zu einer weltmarktorientierten Spezialisierung übergeht. Im ersten Teil dieses
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
Beitrags wird skizziert, wie die Binnenorientierung die Wirtschaft, den Staat und die Gesellschaft insgesamt geprägt hat, während sie die Entwicklungsdynamik zunehmend lähmte. Die wichtigsten Folgeerscheinungen der Binnenorientierung werden in fünf Punkten zusammengefaßt. Die ersten drei dieser Punkte beziehen sich auf die Wirkungen der industriellen Importsubstitution auf die Unternehmen. Empirische Untersuchungen in verschiedenen Ländern Lateinamerikas, die in den letzten zehn Jahren im Deutschen Institut für Entwicklungspolitik durchgeführt wurden, zeigten diese Wirkungen auf bzw. bestätigten die Ergebnisse der empirischen Arbeiten anderer Institutionen.
Charakteristika der Binnenorientierung Dauerhaft hohe Importe - geringes Wachstum der Exporte Die industrielle Importsubstitution verursachte dauerhaft hohe Einfuhren, und zwar von Maschinen, Ausrüstungen und Zwischenprodukten. Dies war auch dann der Fall, wenn die industrielle Importsubstitution soweit fortgeschritten war, daß sie sich hauptsächlich auf die Investitionsgüterindustrie bezog. Dies trifft auf Brasilien und Argentinien zu. Warum aber nahmen die Importe nicht ab? Die vorliegenden empirischen Untersuchungen verdeutlichen, daß die wichtigste Ursache darin bestand, daß der technologische Lernprozeß im Rahmen der Binnenorientierung sehr langsam ausfiel. Die Unternehmen waren zu einem dynamischen Lernprozeß nicht gezwungen, weil sie kaum Wettbewerbsdruck ausgesetzt waren. Sie übernahmen die jeweils nächste Maschinengeneration aus den Industrieländern und paßten sie an die engere Binnennachfrage an. In vielen Ländern der Region ist dies seit sechs Jahrzehnten, in einigen noch länger der Fall. Die Unentwicklung der Fähigkeit, Technologien zu übernehmen, zu entwickeln und zu nutzen, ist ein wichtiges Merkmal von Unterentwicklung.
Unterforderte Unternehmen Die dauerhaft geschützten Unternehmen entwickelten Charakteristika, die das wirtschaftliche Wachstum nach einer dynamischen Anfangsphase zunehmend verringerten. Der Druck auf die Unternehmen, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern und deren Preise zu senken, fiel gering aus. Eine differenzierte Binnennachfrage bildete sich nicht; vielmehr akzeptierten die meisten Konsumenten schlechte Qualität und hohe Preise. Der Außenschutz erleichterte den größeren Unternehmen die Bildung von Oligopolen und Monopolen, damit eine Ausschaltung des Wettbewerbs untereinander, also der Marktsteuerung. Auch weil der Weltmarkt keinen Druck ausübte und auch keinen verbindlichen Referenzrahmen darstellte, fiel der tech-
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Eßer: Binnenmarktorientierung / Weltmarktspezialislerung
nisch-organisatorische Lernprozeß der Unternehmen langsam aus. Deren internationale Wettbewerbsfähigkeit ist - von Ausnahmen abgesehen - auch nach Jahrzehnten gering. Die Unternehmen waren (einerseits aufgrund des Dauerschutzes unterfordert, andererseits aber im Binnenrahmen blockiert. Weil die Binnenmärkte eng waren und bald kaum noch wuchsen, organisierten sich die Unternehmen in Wirtschaftsverbänden, die hauptsächlich auf die "Umverteilung von oben" gerichtet waren: niedrige Steuern, niedrige Preise für "inputs" aus den Staatsunternehmen oder die Ausweitung der öffentlichen Beschaffungspolitik. Auch viele Gewerkschaften, vor allem die peronistischen in Argentinien, richteten ihre Forderungen hauptsächlich an den Staat. Ein auf "Umverteilung von oben" gerichteter Verbandskorporativismus entstand, der nicht mit dem Staat - wie im Deutschen Reich oder Japan - , sondern gegen diesen agierte. Dieser Verbandskorporativismus knüpfte an den traditionellen Klientelismus an. Die "Umverteilung von oben" heizte die Inflation an. Diese war systemisch, weil sie im skizzierten wirtschafts- und machtpolitischen Rahmen nicht mit dauerhaftem Erfolg bekämpft werden konnte. Sie hatte einen wirtschaftspolitischen "stop and go"-Rhythmus zur Folge, der in vielen Ländern klar erkennbar ist: Fraktionen, welche die Inflation bekämpften, wurden durch solche abgelöst, die auf Wachstum und Verteilung setzten. Die Stabilisierungsprogramme wurden nicht selten durch konservative Militärdiktaturen, die Wachstums- und Verteilungspolitiken dagegen durch populistisch-nationalistische Regierungen betrieben, unter denen die Inflation wieder zunahm.
Nationale Privatwirtschaft zwischen ausländischen Investoren und Staatsunternehmen Weil im Rahmen der Binnenorientierung eine eigenständige technologische Entwicklung nicht einsetzte, zudem wegen der erwähnten Charakteristika der nationalen Privatwirtschaft, versuchten die Regierungen bereits ab Mitte der 50er Jahre, ausländische Direktinvestoren anzuziehen und errichteten selbst zahlreiche Staatsunternehmen. Zwischen den Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne und den Staatsunternehmen jedoch schrumpften die Entfaltungsmöglichkeiten der nationalen Privatwirtschaft weiter. Den ausländischen Konzernen wurden die technologisch komplexeren, damit auch die zumindest teilweise dynamischen Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel die KfzIndustrie oder die Chemie, überlassen. Auch diese Unternehmen wurden unverständlicherweise hochgeschützt. Solange die Binnennachfrage dies erlaubte, entwickelten sie sich dynamisch; dann paßten sie sich manchen Gewohnheiten der nationalen Privatwirtschaft an. Sie setzten auf Forderungen an den Staat, während ihr Gewinn- und sonstiger Finanztransfer die außenwirtschaftliche Flanke ihrer Gastländer zunehmend belastete. 45
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Der Staat baute die materielle Infrastruktur aus und schuf -auch als Gegengewichte zu den ausländischen Konzernen- große Staatsunternehmen, welche die kostspielige Vorwärtsintegration der Industrie vorantrieben, also Grundstoffe, Zwischenprodukte und Investitionsgüter herstellten. Angestrebt wurde eine Kohärenz im Industriesektor -durchaus nicht der Volkswirtschaft insgesamt-, aufgrund derer sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit schließlich erhöhen sollte. Allerdings waren die Staatsunternehmen bald dem Druck der Privatwirtschaft ausgesetzt, die, wie erwähnt, verlangte, zu Vorzugspreisen beliefert zu werden. Zudem wuchs der Druck des Staates, die Abgaben dieser Unternehmen zur Verringerung von Budgetdefiziten zu erhöhen und das Beschäftigungsproblem durch die Staatsunternehmen zu verringern.
Überforderter Staat Auch der Staat wurde durch die Binnenorientierung geprägt. Eine Elite, die über einen starken Staat ein "Projekt der nachholenden Industrialisierung" verfolgt hätte (ein Projekt, das nach Ansicht mancher Wissenschaftler "gescheitert" ist), gab es in keinem Land Lateinamerikas. Im Kern eines solchen Projektes hätte die Entwicklung der nationalen wirtschaftspolitischen, technischen und organisatorischen Kompetenz stehen müssen. Der Staat war zwar interventionistisch, jedoch nicht, um eine bestimmte Entwicklungsstrategie umzusetzen, sondern vielmehr, um die Ansprüche des Verbandskorporativismus zu befriedigen. Nicht selten, ganz besonders in Argentinien, war der Staatsapparat gemäß den Interessenfraktionen, die auf ihn einwirkten, fragmentiert. Zugespitzt läßt sich feststellen, daß den korporativistischen Gruppeninteressen, insbesondere den rentensuchenden Unternehmergruppen, eine rentenorientierte Staatsbürokratie gegenüberstand. Natürlich war ein solcher Staat als Allokationsmechanismus überfordert; eine Industrialisierungsstrategie konnte er weder entwickeln noch durchsetzen.
Aber gerade diesem Staat fiel in den 70er und 80er Jahren die Aufgabe zu, für Wachstum zu sorgen. Als sich nämlich die industrielle Importsubstitution erschöpft hatte, nahm das Investitionsinteresse in- und ausländischer Unternehmen ab. Der Staat betrieb nun ein verschuldungsinduzierendes Wachstum über importintensive Großprojekte der Infrastruktur sowie der Grundstoff-, Rüstungs- und Nuklearindustrie. Außerdem versuchte er, durch Exportsubventionen zur Steigerung der Ausfuhr beizutragen. Folgen waren ein weiterer Anstieg der Inflation und noch mehr der Außenverschuldung. Lateinamerika befand sich gegen Ende der 70er Jahre in einer wirtschaftspolitischen und außenwirtschaftlichen Falle. Als die Risiken der Außenverschuldung deutlich sichtbar wurden, beschleunigte sich die Kapitalflucht in den Norden. Ein Systemumbruch war nun unvermeidbar, wurde jedoch in den meisten Ländern bis gegen Ende der 80er Jahre hinausgezögert.
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Eßer: Binnenmarktorientierung / Weltmarktspezialisierung
Prägung der gesellschaftlichen Entwicklung durch die Binnenorientierung Die gesellschaftliche Entwicklung wurde durch die lange Binnenorientierung geprägt. Anfangs stärkte eine sorglose populistische Lohnpolitik die Nachfrage nach Industrieprodukten. Mit der Erschöpfung der industriellen Importsubstitution setzten Bemühungen der Wirtschaft ein, die Arbeitskosten zu senken. Indem die Reallöhne fielen, verringerte die Wirtschaft aber ihren Wachstumsspielraum weiter. Die Sozialpolitik richtete sich auf die organisierte Bevölkerung einschließlich der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft. Die extrem arme Bevölkerung, die ihre Interessen angesichts eines geringen Organisationsniveau kaum durchzusetzen vermochte, blieb ausgeklammert. Trotz Binnenorientierung nahm, so läßt sich feststellen, die Binnennachfrage zunächst langsam zu, in den letzten Jahrzehnten jedoch immer schneller ab.
Anmerkung zur Intelligenz Auch die Intelligenz wurde durch die Binnenorientierung geprägt. Sie versuchte, die Gegenexpansion zum Industrieländer-Kapitalismus, die am Ende des Ersten Weltkrieges mit der Russischen Revolution begonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Dekolonisierung weltweit Bedeutung gewonnen hatte, auch in Lateinamerika voranzutreiben. Sie vertraute auf meist aus Europa übernommene Ideologien und eigenständige revolutionsstrategische Konzepte. Immerhin gelang es ihr, vor allem mit dem Dependenztheorem, einen Teil der Entwicklungsforscher an deutschen Hochschulen zu beschäftigen. Da jedoch die wirtschaftstheoretische und wirtschaftspolitische Arbeit der Intelligenz unbedeutend blieb, vermochte sie die systemischen Ursachen der rückläufigen Wachstumsdynamik bei Binnenorientierung nicht einzusehen, sondern propagierte noch mehr Staatsintervention, teils auch eine Planwirtschaft. Revolutionäre Regierungen, die Allendes oder die der Sandinisten, bemühten sich wenig um eine solide Wirtschaftspolitik; sie blieben im revolutionären Voluntarismus stecken. Die kubanische Regierung verfügt mehr als drei Jahrzehnte nach der Revolution über kein tragfähiges wirtschaftspolitisches Konzept. Sie selbst betont, sie durchlaufe einen Suchprozeß.
Schlußtoigerungen Welche Schlußfolgerungen ergeben sich zu den Wirkungen der Binnenorientierung? Ergebnis dieses Typs der Dissoziation war nur anfangs ein hohes Wachstum; ein dynamischer gesellschaftlicher Lernprozeß blieb aus. Hier liegt der wichtigste Unterschied zu den ostasiatischen Ländern, die sich am vorherrschenden technischorganisatorisch-sozialen Grobmuster der Industrieländer, und vor allem am Profil Japans, also eines besonders wettbewerbsstarken Landes, orientieren. Sie nutzen das transferierte Know-how, um eine kreative Imitation, eine Steigerung der Aus47
Lateinamerika Jahrbuch 1992
fuhr, einen eigenständigen Entwicklungsstil und ein spezifisch nationales Profil durchzusetzen.
Weltmarktorientierte Spezialisierung Wirtschaftspolitische Neuorientierung Damit zu den Chancen und Problemen, die sich nach der wirtschaftspolitischen Neuorientierung hinsichtlich der weltmarktorientierten Spezialisierung abzeichnen. Nach dem verlorenen Jahrzehnt setzte in Lateinamerika ein Prozeß ein, der in immer mehr Ländern eine entwicklungsblockierende Wirtschaftspolitik ablöst. Günstigere Bedingungen für die Entwicklung der Lern-, Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entstehen. Unter dem Druck, der von der Importliberalisierung ausgeht, setzen in den Unternehmen, sobald ein stabiler Makrorahmen entsteht, Anstrengungen zur Kostensenkung und Prozeßoptimierung ein. Schon deren bisherige Ergebnisse verdeutlichen, wie wenig bisher auf Kosten und Produktivität geachtet werden mußte. Die Privatisierung von Staatsunternehmen stärkt häufig die nationalen Großunternehmen, die nun in Größenordnungen hineinwachsen, die für eine intensive Forschung und Entwicklung sowie die Übernahme der Rolle von Flaggschiffunternehmen auf dem Weltmarkt wichtig sind. Neue Akteure wachsen heran; besonders deutlich ist dies in Chile, wo eine große Zahl "neuer Unternehmer" auftritt. Einige Beobachtungen zu den Chancen der weltmarktorientierten Spezialisierung sollen in fünf Punkten zusammengefaßt werden:
Geschaffener Wettbewerbsvorteil Die Exporte Lateinamerikas sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. In den kommenden Jahren wird die Ausfuhr wahrscheinlich noch schneller zunehmen. Zwar sind nicht viele, aber immerhin wesentlich mehr Unternehmen wettbewerbsfähig als in Osteuropa, wo der Systemumbruch weitaus radikaler ist. Exportiert werden hauptsächlich Primärgüter sowie lohn- oder kapitalintensiv weiterverarbeitete rohstoffbasierte Produkte. Damit stellt sich die Frage, ob die weltmarktorientierte Spezialisierung, wie nicht selten angenommen wird, eine Rückkehr zur Spezialisierung des Kolonialzeittyps darstellt. Hierfür gibt es wenig Anzeichen. Allein die Nutzung der vorhandenen Standortvorteile - der diversifizierten natürlichen Ressourcen und niedrigen Reallöhne - reicht, wenn überhaupt, nur noch kurzfristig aus, um am Weltmarkt erfolg-
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Eßer: Binnenmarktorientierung / Weltmarktspezlalislerung
reich anzutreten. Heute ist die nationale Vorteilsbasis in allen Wirtschaftssektoren hauptsächlich "manmade". Einige Beispiele: Die unterschiedliche Höhe der Deviseneriöse aus der Kupferwirtschaft Chiles und Perus (Chile nimmt trotz ähnlicher Voraussetzungen heute fast fünf Mal mehr ein) verdeutlicht, in welchem Maße der Wettbewerbsvorteil sogar bei Primärgütern nicht mehr naturgegeben ist. Oder: Wird ein im internationalen Vergleich günstiges PreisLeistungsverhältnis bei Agrarprodukten geschaffen, wie etwa für Weintrauben in Chile oder Obstsäfte in Brasilien, können solide Weltmarktpositionen aufgebaut werden. Oder: Wird in einem ressourcennahen Verarbeitungsbereich, zum Beispiel der Weinherstellung Chiles, das international übliche Niveau - das "best-practice"Niveau - erreicht, können bedeutende Exporterfolge auch gegenüber Wettbewerbern aus Industrieländern durchgesetzt werden. Mit anderen Worten: Nicht nur in den technologieintensiven Wachstumsbranchen der Weltwirtschaft, die in Lateinamerika kaum vertreten sind, ist eine weltmarktorientierte Spezialisierung aussichtsreich. Auch ein großer Teil der Industrieländerausfuhr besteht nicht aus technologieintensiven Produkten. Und nicht wenige ressourcennahe Produkte, zum Beispiel Fischwaren oder Möbel, zählen zu den dynamischen Produkten des Welthandels.
Die Entwicklung des nationalen Wettbewerbsvorteils Zwar kommt es auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen an. Diese aber hängt, wie insbesondere neue Forschungsarbeiten zeigen, die sich um eine dynamische Sicht des Wettbewerbs bemühen, wesentlich vom jeweiligen nationalen Wettbewerbsvorteil ab. Nur ein starker Staat aber, auch hierüber besteht in der Forschung mehr Einigkeit als früher, kann die Wettbewerbsbedingungen zugunsten der Wirtschaft deutlich verbessern. Dies gilt insbesondere für die Stärkung der intermediären Strukturen, etwa das Berufsschulwesen, Hochschulreformen, die Förderung der Forschung und Entwicklung in Unternehmen und öffentlichen Institutionen sowie die Entwicklung leistungsfähiger Finanzinstitutionen. Sollen Weltmarktnischen besetzt, Spezialisierungsfelder und schließlich vielleicht sogar Industriekomplexe geschaffen werden, muß der Staat Fachkräfte ausbilden, das technologische Lernen in Unternehmen unterstützen und Informationssysteme für die Wirtschaft aufbauen, etwa, um den Weltmarkt transparenter zu machen. Unternehmen können dann über ihre Firmenstrategien ihre Wettbewerbsfähigkeit fortlaufend erhöhen, wenn eine geeignete "Heimbasis" dies ermöglicht. Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sind die "faktorschaffenden Mechanismen" von Nationen unerläßlich. Der Begriff "Wettbewerbsfähigkeit" wird so verstanden, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in bedeutendem Maße durch den Wettbewerbsvorteil, den Nationen aufbauen, bestimmt wird.
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
Künftig können auch in Lateinamerika zwischen einem relativ autonomen Staat, der nicht mehr durch korporativ organisierte Umverteilung überfordert wird, und wettbewerbsorientierten Unternehmen enge Beziehungen eines neuen Typs entstehen. Wichtigstes Ziel einer neuen synergetischen Partnerschaft ist es, die nationale Position im internationalen Standortwettbewerb auszubauen. Hierzu kann das Markt- und Freihandelskonzept, das den wirtschaftspolitischen Umbruch vorantreibt, immer weniger beitragen. Wenn es erst einmal auf ein produktivitäts- und technologiegetriebenes Wachstum ankommt, wird eine neostrukturalistische Industrie- und Technologiepolitik unerläßlich. Auch die OECD-Länder setzen angesichts der sich verschärfenden internationalen Wachstums- und Standortkonkurrenz immer mehr auf aktive Industrie- und Technologiepolitiken. Binnen-, regional- und weltmarktorientierte Entwicklung Drittens kommt dem Verhältnis von Binnen-, Regional- und Weltmarktnachfrage eine wichtige Bedeutung zu. Die Binnennachfrage ist in der Verschuldungs- und Transitionskrise vollends zusammengebrochen. Über sie kann das Wachstum zunächst kaum belebt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine Politik, die einseitig auf "exportgetriebenes Wachstum" abstellt, verfolgt werden sollte. Vielmehr kommt es darauf an, den Anteil exportierter Waren und Dienstleistungen am Bruttosozialprodukt, also die Exportquote, auf ein international übliches Niveau (von 15 35 %) zu erhöhen. Sobald wie möglich sollte jedoch die Binnennachfrage ausgeweitet werden, etwa durch eine vorsichtige Anhebung der Reallöhne. "Sowohl-als-auch"-Strategien sind den nicht selten Entwicklungsländern empfohlenen "Entweder-Oder-Strategien" vorzuziehen. Es geht um eine binnen-, regional- und weltmarktorientierte Entwicklung. Eine wachsende Binnennachfrage ist in der Regel unerläßlich, um das Beschäftigungsproblem deutlich zu verringern, die Armut, insbesondere die extreme Armut, abzubauen und die Wachstumsdynamik dauerhaft zu sichern. Hinzu kommt, daß die Länder Lateinamerikas auf externe Widerstände und Hemmnisse stoßen würden, sollten sie versuchen, den größten Teil ihrer Ausfuhr allein auf die OECD-Märkte zu richten. Ihre Wachstumsmechanismen verbessern sich durch eine Intensivierung der intraregionalen Kooperation und Integration. Eine neue Integrationsdynamik zeichnet sich bereits ab. Dagegen fiel die Dynamik der bisherigen subregionalen Integrationsprojekte gering aus, weil sie einseitig auf eine Ausweitung des Spielraumes für industrielle Importsubstitution gerichtet waren.
Exogene Faktoren: Weltmarktchancen und -probleme Die externen Faktoren werden in den 90er Jahren angesichts der weltweit zunehmenden Exportorientierung eine wachsende Bedeutung gewinnen. Bisher wurden 50
Eßer: Binnenmarktorientierung / Weltmarktspezialisierung
die endogenen Faktoren betont, weil Lateinamerikas Intelligenz- und nicht nur sietrotz der Binnenorientierung einseitig auf exogen verursachte und externe Hemmnisse abstellte. Ihr Exportpessimismus ergab sich durchaus nicht aus ernsthaften Exportbemühungen in ihren Heimatländern. Es kommt jedoch auf die endogenen Faktoren an, wie gezeigt wurde, um externe Schwierigkeiten und Hemmnisse zu überwinden. Natürlich sind externe Faktoren ebenfalls wichtig; trotz aller Hemmnisse, die aus der Verfassung der Weltwirtschaft resultieren und über die viel geschrieben worden ist, können jedoch Länder, die hohe Exportanstrengungen aufweisen, etwa Chile, ihre Ausfuhr deutlich steigern. Außerdem sind die exogenen Faktoren für eine weltmarktorientierte Spezialisierung durchaus nicht nur nachteilig: Der Welthandelswert nimmt seit langem stärker zu als der globale Produktionswert, wenn auch der Protektionismus im Norden für manche Produkte deutlich zugenommen hat. Zudem wird Lateinamerika angesichts seiner neuen wirtschaftspolitischen Orientierung weitaus mehr als bisher in die internationale Arbeitsteilung einbezogen. Einem massiven Technologietransfer stehen keine unüberwindbaren Widerstände und Hemmnisse im Wege, obwohl die Technologiepolitiken vieler Industrieländer reservierter als früher ausfallen. Wichtiger als eine solche ebenfalls ernst zu nehmende Tendenz sind jedoch Niveau und Entwicklungsdynamik der nationalen Transformationsfähigkeit. Schließlich gibt es keinen unüberwindbaren Kapitalmangel in Lateinamerika. Auch hinsichtlich des Finanzierungsproblems unterscheidet sich die Region deutlich von Osteuropa. Gibt es rentable Investitionsprojekte, findet sich trotz der Krise eine Finanzierung, u.a. aus zurücküberwiesenem Fluchtkapital. Bei weiterer Erhöhung der Rentabilität, die immer noch niedriger als etwa in Ostasien ist, werden auch die ausländischen Direktinvestitionen deutlich wachsen.
Spezialisierungschancen nach Ländergruppen Lateinamerikas Vor diesem Hintergrund ist nach den Chancen der weltmarktorientierten Spezialisierung in den verschiedenen Ländern Lateinamerikas zu fragen: Es ist nicht ausgeschlossen, daß in einigen kleinen und mittelgroßen Ländern "erfolglose Exportökonomien" entstehen. Dies könnte zum Beispiel in Bolivien der Fall sein, wo bereits eine Reihe von Stabilisierungs- und Anpassungsprogrammen (mit IWF und Weltbank) "erfolgreich" verliefen - was angesichts der Größenordnung der Wirtschaft nicht erstaunt. Ein faktorschaffender Prozeß zur Entwicklung eines spezifischen nationalen Wettbewerbsvorteils hat jedoch noch kaum eingesetzt - er kann aber natürlich noch einsetzen. Kommt ein solcher Prozeß in Gang, wie bisher insbesondere in Chile, schreitet der Spezialisierungsprozeß schnell voran. In den industriell fortgeschrittenen Ländern 51
Lateinamerika Jahrbuch 1992
wird es künftig vor allem darauf ankommen, eine industrielle Spezialisierung auch in nicht ressourcennahen Branchen durchzusetzen. Dies ist durchaus möglich, wenn sich auch in keinem Land eine "aufholende Industrialisierung" abzeichnet. Entscheidend für eine dynamische industrielle Entwickung ist nicht, wie bisher angenommen wurde, ein forcierter Aufbau der Investitionsgüterindustrie, sondern die Entwicklung eines nationalen Innovationssystems, das den nationalen Wettbewerbsvorteil und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, stärkt. Kann ein solches nationales Innovationssystem geschaffen werden, erübrigt sich die ideologisch breitgetretene Frage nach der "Unterentwicklung", und zwar auch dann, wenn dieses System zunächst nur eine Entwicklung in ressourcennahen Bereichen ermöglicht.
Wirtschaftspolitische Neuorientierung, Formulierung einer Entwicklungsstrategie und gesellschaftliche Entwicklung Abschließend wird das Gesagte zusammengefaßt; außerdem werden die Schwierigkeiten der Entwicklung einer neuen Entwicklungsstrategie hervorgehoben: Die Binnenorientierung wird aufgegeben und damit auch die unfruchtbare wirtschaftspolitische Zwitterposition zwischen Marktsteuerung und Staatsinterventionismus. Die "Entwicklung nach innen" konnte wegen der engen Binnennachfrage und des rentengerichteten Verbandskorporativismus nicht in eine "Entwicklung von innen heraus" münden. Lern- und Entwicklungsprozesse fallen in Gesellschaften langsamer aus, deren Unternehmen hinter hohen Schutzmauern wettbewerbsscheu bleiben, deren Verbände auf den Staat fixiert sind, nicht aber auf Tarifautonomie oder Mitbestimmung, und deren Herrschaftsformen -die traditionale Diktatur und die traditionelle Demokratie von oben nach unten- nur die organisierte Bevölkerung begünstigen. In solchen Gesellschaften bleibt auch der politische Wille gering, gegen die extreme Armut oder sich ankündigende ökologische Einbrüche anzugehen. Zu einer Bündelung der Kräfte, um eine dynamische Entwicklung durchzusetzen, sind sie keinesfalls in der Lage.
Entscheidend ist in Lateinamerika ein unternehmerischer, staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Lernprozeß, der eine faktorschaffende Strukturbildung ermöglicht und auf die Entwicklung einer national- und regionalbezogenen Form der Sicherung der Wettbewerbs- und Lebensverhältnisse gerichtet ist. Der nationale Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Nationen und Regionalgruppen ist letztlich ein spezifischer gesellschaftlicher Vorteil, den eine Lerngesellschaft aufbaut. Deswegen ist es wichtig, daß die wirtschaftspolitische Neuorientierung mit Reformen in allen Gesellschaftsbereichen einhergeht. Dafür gibt es Anzeichen: 52
Eßer: Binnenmarktorientierung / Weltmarktspezialisierung
Versucht wird, günstigere politische Rahmenbedingungen zu schaffen: Grundrechte, Rechtssicherheit, demokratische Partizipation sowie Meinungsund Informationsfreiheit. Freilich ist die Qualität der Demokratie noch gering, diese ist auch noch unzureichend gesichert. Rückschläge -wie in Haiti- sind wahrscheinlich. Die extreme Armut von häufig mehr als einem Drittel der Bevölkerung wird in einer Reihe von Ländern bereits durch neue Maßnahmenpakete bekämpft: Sonderbeschäftigungsprogramme, den Zielgruppenansatz zur Verbesserung der ungünstigen sozialen Indikatoren (das Konzept der "focalizaciön"), eine armutsbezogene Reform und Entwicklung der sozialen Dienstleistungsinstitutionen oder eine Verbesserung der Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Familienplanung. Außerdem hat eine Diskussion über Politiken und Instrumente zur Verringerung vorhandener und Vermeidung absehbarer ökologischer Ungleichgewichte eingesetzt. In Chile und Mexiko gibt es erste Erfolge beim Ressourcen- und Umweltschutz. Die politischen, sozialen und ökologischen Reformen und die Entwicklung - einschließlich des Wandels - von Wertvorstellungen sind Bedingungen des Erfolges der wirtschaftspolitischen Neuorientierung, und umgekehrt.
Zwar ist in den letzten Jahren weltweit ein breiter Konsens über die allgemeine Richtung gesellschaftlicher Entwicklung entstanden: hin zu einer demokratisch-pluralistisch, sozial und ökologisch abgefederten und verträglichen Marktwirtschaft. Eine Warnung ist jedoch angebracht: Dieses Set allgemeiner Ziele wird sich üblicherweise nur in dem Maße und in der Geschwindigkeit durchsetzen lassen, wie die Entwicklung des nationalen Wettbewerbsvorteils zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft beiträgt. Nur in Ländern, deren Wirtschaft wächst und wettbewerbsfähiger wird, entstehen starke Akteure und Institutionen, die auch in der Lage sind, leistungsfähige Sozialund Umweltpolitiken zu verfolgen. Einige Umweltschützer in Lateinamerika oder Europa übersehen diesen Zusammenhang; in Ländern mit einer chaotischen Wirtschaftspolitik wird auch der Umweltschutz nicht funktionieren. Es ist jedoch durchaus nicht einfach, die Ziele "wirtschaftliches Wachstum", "gerechtere Verteilung" sowie "Umwelt- und Ressourcenschutz" in der politischen Auseinandersetzung und in der konkreten Wirtschaftspolitik miteinander vereinbar zu machen. Dies wird zum Beispiel in Chile bereits deutlich. Probleme im Hinblick auf die Formulierung einer neuen Entwicklungsstrategie ergeben sich daraus, daß die neuen Schlüsseltechnologien sowie die Umweltbelastung, welche von der zweiten industriellen Revolution verursacht wurde, in den Industrieländern eine wirtschafts- und entwicklungspolitische Suchphase ausgelöst haben, die auf eine "nachhaltige Entwicklung" gerichtet ist. Während Lateinamerika und alle 53
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übrigen binnenorientierten Regionen in der zweiten industriellen Revolution steckenblieben, damit auch bei der von dieser verursachten hohen Umweltbelastung, besteht nun eine zusätzliche Herausforderung für die Region darin, die neuen Schlüsseltechnologien zu nutzen, die international üblichen Umweltstandards möglichst schnell zu übernehmen und Elemente eines ressourcenschonenden Entwicklungsstils umzusetzen. Trotz solcher Probleme ist im Hinblick auf die Entwicklung Lateinamerikas ein vorsichtiger Optimismus erlaubt. In einer Reihe von Ländern wird eine tragfähige Wirtschaftspolitik umsetzbar. Trotz aller institutionellen Hemmnisse haben sich die Voraussetzungen für das Entstehen eines modernen Staates deutlich verbessert. Ein schneller Umbruch der Werte und Ziele zeichnet sich ab. Allerdings ist in den 90er Jahren nur in wenigen Ländern eine dynamische industrielle Weltmarktspezialisierung wahrscheinlich. Auch künftig geht es nicht um eine "nachholende Industrialisierung". Vielmehr kommt es darauf an, die nationalen und regionalen Kräfte zu bündeln, um die Bedingungen für eine Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern sowie durch eine geeignete Regulierung die extreme Armut möglichst schnell zu verringern und trotz der Nutzung auch neuer Technologien die Umwelt möglichst zu schützen.
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Wolf Grabendorff
Die Europäische Integration: Kosten und Nutzen für Lateinamerika1 1. Regionale Integration: Erfahrungen und Perspektiven Die absehbaren Folgen der europäischen Integration für Lateinamerika sind weniger tiefgreifend als dies von vielen Lateinamerikanern befürchtet wird. Der Binnenmarkt ist vornehmlich auf die Integration und Entwicklung in der Gemeinschaft selbst ausgerichtet. Bei seinen Konsequenzen für Lateinamerika wird es sich also hauptsächlich um ungeplante Nebenwirkungen handeln. Darüber hinaus werden sie sich auf Lateinamerika vergleichsweise weniger stark niederschlagen als auf andere Regionen mit engeren wirtschaftlichen Bindungen an die EG. Die Auswirkungen der europäischen Integration sollen hier zunächst im historischen Kontext betrachtet werden. Anschließend soll bei der Analyse das Hauptgewicht auf die Betrachtung der positiven und negativen Folgen des Binnenmarktes für Lateinamerika gelegt werden. Dabei stehen die voraussichtlichen Auswirkungen auf bestimmte Produkte und Sektoren, wie Agrarprodukte, Mineralien und Mineralprodukte, Fertigprodukte, sowie Investitionsströme und Dienstleistungen im Vordergrund. Wenn externe Faktoren wie z.B. Osteuropa auch nicht voll berücksichtigt werden können, so macht
Eine frühere Fassung dieses Beitrags erschien in Colin I. Bradford Jr. (Hrsg.): Strategie options for Latin America in the 1990s, Paris: OECD-DC/IDB 1992. Besonderen Dank schulde ich Stefano Mainardl und Peter Slderman für ihre vorzügliche Forschungsassistenz. Der Artikel basiert teilweise auf den Ergebnissen eines von IRELA für die EG-Kommission ausgeführten Forschungsprojektes unter Beteiligung zahlreicher europäischer und lateinamerikanischer Wissenschaftler.
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doch die rasche Veränderung der Weltwirtschaft es erforderlich, solche \ariabeln zumindest mittelfristig in die Analyse einzubeziehen. Für die Beziehungen der EG zu Lateinamerika sind auch die Perspektiven cter Europäischen Politischen Union (EPU), d.h. die Ausdehung der Kompetenzen der Gemeinschaft auf die Bereiche Außenpolitik und Verteidigung von zentraler Bedeutung. Während zuvor ein formloser Prozeß politischer Kooperation zwischen den Regierungen stattgefunden hatte, ist die neue Europäische Union nun mt einem separaten Pfeiler für die Außenpolitik ausgestattet. Fortan wird es gemeinsame außenpolitische Maßnahmen geben, wenngleich derartige Initiativen weiterhin jen einstimmigen Beschluß durch die Mitgliedsstaaten erfordern. Darüber hinaus kann die im Vertrag von Maastricht avisierte Europäische Währungsunion auch noct" zusätzliche Wirkungen von weltweiter Relevanz mit sich bringen. Sie könnte dazu dienen, die allgemeine Sparkapazität innerhalb der EG zu erhöhen. Das würde bedeuten, daß für Drittländer mehr Kapital zur Verfügung steht, insbesondere deshalb, weil sich der Ecu zu einer dem US-Dollar gleichwertigen internationalen Leitwährung entwickeln dürfte. Der Vertrag von Maastricht ist - in Verbindung mit dem neuen Konzept der Assoziierung - der Überwindung des Dissens über die Erweiterung und/oder Vertiefung der Gemeinschaft ein wenig näher gekommen. Die meisten EFTA-Staaten werden der EG bis ungefähr 1995 beitreten können. In der Zwischenzeit werder engere wirtschaftliche Beziehungen geschaffen. Am 2. Mai 1992 wurde von der EG und der EFTA ein Abkommen zur Gründung eines Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ab 1. Januar 1993 unterzeichnet. Dadurch wird der Gemeinsame Markt irweitert und so ein 19 Nationen umfassender Binnenmarkt für Kapital, Waren, Aneit und Dienstleistungen geschaffen, der 43% des Welthandels auf sich vereinigt ind etwa 370 Millionen Verbraucher umfaßt. Am 16. Dezember 1991 unterzeichneten die EG-Mitglieder neue und weitreichende "Assoziierungsabkommen" mit der Tschechoslowakei, Ungarn und Poler. Damit scheint für diese mitteleuropäischen Staaten ein langsamerer Weg bis zir vollen EG-Mitgliedschaft vorgezeichnet zu sein. Die Abkommen fallen im Vergleich zu den Anfang der siebziger Jahre mit der EFTA abgeschlossenen Verträgen bescheidener aus. Aber es wird erwartet, daß sie den derzeitigen Trend, den mitteleuropäischen Handel wieder auf Westeuropa auszurichten, verstärken. Von 1988 bis 1990 stieg der Export der Tschechoslowakei, Polens und Ungarns in die Gemeinschat um 20 bis 50%. Die Tatsache, daß die Handelsbarrieren der EG relativ schnell beseitigt werden müssen, könnte für Lateinamerika eine Handelsverschiebung in cen relevanten Sektoren Stahl, Textilien und Nahrungsmittel nach sich ziehen. Bei voller EG-Mitgliedschaft würde dies unweigerlich zusätzliche indirekte Handelsverschiebungen zum Nachteil Lateinamerikas mit sich bringen. Die bisherige Erfahrung Lateinamerikas mit der geographischen Erweiterjng der EG war keinesweg immer positiv. Mit dem Beitritt Spaniens und Portugals gewann die Region zwar starke Fürsprecher auf den höchsten Ebenen der Gemenschaft, 56
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praktisch gesehen verlor sie jedoch Exportmärkte in EG-Ländern, und zwar für Agrarprodukte aus gemäßigtem Klima, als die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) auf die Iberische Halbinsel ausgedehnt wurde, und für Industrieprodukte, wie z.B. aus dem Textil- und Stahlsektor. Es ist daher durchaus anzunehmen, daß die Aufnahme zentraleuropäischer Staaten in die EG ähnlich nachteilige Auswirkungen haben würde. Von lateinamerikanischer Seite wird vielfach behauptet, daß die "kumulativen" Auswirkungen der Handelsabkommen zwischen der EG, der EFTA und zentraleuropäischen Staaten düstere Aussichten für Lateinamerikas Handelsposition mit sich bringen werden. Dabei wird hervorgehoben, daß zentraleuropäische Billigproduzenten schließlich in der Lage sein könnten, vergleichbare lateinamerikanische Produkte in einem immer größeren europäischen Wirtschaftsraum vom Markt zu verdrängen. Die Europäer gehen eher davon aus, daß diese beiden miteinander verknüpften Integrationsprogramme das Wirtschaftswachstum in Europa zusätzlich anregen, jedoch keine größeren äußeren Handelsbarrieren schaffen werden. Sie werden auch insofern für Lateinamerika positive Folgen haben, als daß sie viele Reformvorschläge, die derzeit in der noch nicht abgeschlossenen Uruguay-Runde des GAT diskutiert werden, vorwegnehmen. Eine offizielle Ausdehnung der EG wird gewiß noch einige oder sogar viele Jahre auf sich warten lassen. Darüber hinaus könnten sich für Lateinamerika, selbst wenn die EG gerade damit begonnen hat, Zentral- und Osteuropa bedeutungsvolle Zugeständnisse zu machen, mehrere nützliche Nebeneffekte ergeben. Zum einen sieht sich Lateinamerika angesichts der Ländern wie Polen und Ungarn großzügig erlassenen Schulden moralisch eher berechtigt, eine vergleichbare Behandlung zu verlangen. Zum anderen könnten die günstigeren Marktzugangsbedingungen für osteuropäische Agrarprodukte in die EG zu noch weitgreifenderen GAP-Reformen führen. Das dürfte die EG dazu ermutigen, noch mehr Reformvorschläge in die Uruguay-Runde des GATT einzubringen, die schließlich auch den lateinamerikanischen Nahrungsmittelexporteuren in der Cairns-Gruppe zugute kommen würden. Will man den Auswirkungsrahmen der europäischen Integration bestimmen, so muß die Stellung Lateinamerikas gegenüber der EG berücksichtigt werden, da sich der Subkontinent ja durch die Europäische Integration besonders bedroht zu fühlen scheint. Lateinamerika sieht sich selbst an letzter Stelle der geopolitischen Prioritäten der EG. Mit Ausnahme von Haiti und der Dominikanischen Republik gehört diese Handelsregion weder den AKP-Staaten (Afrika, Karibik- und Pazifikstaaten) einer der EG besonders nahestehenden, aus den ehemaligen europäischen Kolonien bestehenden Gruppierung - an, die im Rahmen des Lomé-Abkommens von der EG erhebliche Handelskonzessionen und Entwicklungshilfeleistungen erhält. Noch kann Lateinamerika erwarten, die bedeutende wirtschaftliche und politische Aufmerksamkeit zu erhalten, die die EG ihren Nachbarländern zugedenkt - insbesondere den Staaten im Mittelmeerraum und in Osteuropa, wo drohende Migrationen und politische Instabilität die Gemeinschaft zu immer großzügigerem wirtschaftlichen Engagement zwingen. Außerdem fehlt es Lateinamerika an einer Tradition 57
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rasch wachsenden Handels mit der Gemeinschaft, so wie sie die Assoziation der südostasiatischen Staaten (ASEAN) und viele Industriestaaten haben. Vor dreißig Jahren bezog die EG 10% ihrer Importe aus Lateinamerika, an das sie 9% ihrer Exporte lieferte. Heute sind diese Anteile auf jeweils die Hälfte geschrumpft, wobei der Rückgang des bi-regionalen Handels nur den kleiner werdenden Anteil Lateinamerikas am Welthandel widerspiegelt. Namhafte Experten aus Lateinamerika lassen jedoch einen vorsichtigen Optimismus hinsichtlich der Aussichten der Region in den 90er Jahren erkennen - ihrer Ansicht nach eine vielversprechende Dekade für Wirtschaftswachstum vor dem Hintergrund politischer Demokratie und wirtschaftlichen Pragmatismus (Emmerij & Iglesias 1991, 20). Die Diskussion über Importsubstitution versus Exportförderung als angemessene Strategien für Leistungsfähigkeit und Wachstum ist nun endgültig zugunsten der letzteren abgeschlossen. Die Bemühungen vieler lateinamerikanischer Länder um Liberalisierung des Handels und eine Neustrukturierung ihrer Wirtschaft beginnen zunehmend Früchte zu tragen. Nennenswerte Beispiele sind hier v.a. Chile, Mexiko und Argentinien (IRELA, 1992). Nach einem Rückgang der Integrationsbemühungen und -erfolge seit Mitte der siebziger Jahre legt man in Lateinamerika jetzt erneut Gewicht auf die subregionale Integration. Als am vielversprechendsten ist hier der "Mercado Común del Sur" (MERCOSUR) anzusehen, der von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gebildete Integrationsprozeß. Er soll am 31. Dezember 1994 in einen Gemeinsamen Markt münden und wird rund 50% der lateinamerikanischen Bevölkerung, des BIP und der Ausfuhren umfassen. Die Karibische Gemeinschaft (CARICOM) und der Zentralamerikanische Gemeinsame Markt (MCCA) unternehmen ebenfalls erneut Anstrengungen zur Erzielung einer engeren Union, während der Andenpakt eher Zerfallserscheinungen aufweist, weil die Heterogenität seiner Mitgliedsstaaten gemeinsame wirtschaftspolitische Maßnahmen mehr und mehr verhindert. Im Grunde genommen sind mehrere dieser lateinamerikanischen Integrationsprogramme mit einigen Entwicklungsstufen des ursprünglichen Integrationsprozesses in Westeuropa vergleichbar. Dieser diente auch als Modell für die Anfangsphase der lateinamerikanischen Integration in den 60er und 70er Jahren. Die MERCOSURStaaten nehmen sich auch insofern ein Beispiel an der Integrationsgeschichte der Gemeinschaft, als sie mit der stufenweisen Einigung zunächst bei den Sektoren (z.B. Anlagegüter, Eisen und Stahl und Automobilindustrie) beginnen, so wie es die ursprüngliche, 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in Kontinentaleuropa tat. Man muß sicherlich davon ausgehen - insbesondere, da nur ein winziger Teil des Handels in den lateinamerikanischen oder karibischen Integrationsprogrammen intraregional abgewickelt wird - , daß solche Integrationsprozesse nicht als Alternativen zu Handelsbeziehungen mit größeren Wirtschaftseinheiten, wie z.B Nordamerika oder Europa, gesehen werden können. Die subregionale Integration könnte bestehende Handelsstrukturen vielmehr ergänzen, indem sie den Handel zwischen 58
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den Mitgliedsstaaten anregt. Die Integration betrifft selbstverständlich viel mehr als nur den Handel. Solche Programme implizieren auch volkswirtschaftliche Stabilität und politische Koordination, das Zusammenlegen von Ressourcen und das Streben nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit durch die Arbeitsteilung in der Produktion unter den lateinamerikanischen Ländern. Durch die regionale Integration könnte sich auch die gemeinsame Verhandlungsposition der Mitgliedsstaaten gegenüber Dritten wie der EG, Japan und den Vereinigten Staaten außerordentlich verbessern. Lateinamerika wird bei den eigenen Integrationsbemühungen weiterhin von der EG unterstützt werden. Es ist häufig betont worden (Bhagwati 1991, 109), daß die EG zwar das eindeutigste Beispiel für Regionalismus darstellt, sie aber zwischen Regionalismus und Multilateralismus keinen Widerspruch sieht. Daher betrachtet die Gemeinschaft andere regionale oder subregionale Integrationsprogramme weder für sich selbst noch für das weltweite Handelssystem als schädlich. Die EG sieht die Vorteile der Integration und sucht diese Erfahrungen weiterzugeben. Darüber hinaus benötigt sie aus praktischen Gründen größere Regionen als Dialogpartner. Die EG ist daher sehr daran interessiert, Integrationsprozesse in Entwicklungsländern zu unterstützen und wird dies mit speziellen Programmen - wie etwa im Rahmen der Rio-Gruppe - auch weiterhin tun.
2. Die EG und Lateinamerika aus historischer Sicht Durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes wird sich Europa in den 90er Jahren wesentlich verändern. Eine solche Wandlung hält oberflächlichen Vergleichen mit den Veränderungen Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre, als der ursprüngliche Gemeinsame Markt begründet wurde, stand. Beide Integrationsprozesse waren durch einen tiefgreifenden wirtschaftlichen Wandel gekennzeichnet, der die Wirtschaft der beteiligten Staaten schließlich stärkte und neue wettbewerbsfähige und produktive Strukturen hervorbrachte. Heute - wie damals mit dem Gemeinsamen Markt - wird sich die Europäische Integration unweigerlich auf die Wirtschaftsbeziehungen von Drittländern mit der Gemeinschaft auswirken. Das gilt auch für die lateinamerikanischen Staaten. Abgesehen von diesen Parallelen sind die heutigen allgemeinen Bedingungen sowohl in der EG als auch in Lateinamerika bei weitem nicht mit denen vor dreißig Jahren zu vergleichen. In den ersten Jahren des Gemeinsamen Marktes wurden schon bestehende zwischenregionale Beziehungen nicht so sehr beeinträchtigt wie befürchtet. Von den Agrarprodukten abgesehen galt das besonders für den Import, da sich der neugegründete Gemeinsame Markt als sehr offen für den Handel mit Drittländern erwies. Die Liberalisierung dieses Marktes ging mit einer beachtlichen Senkung der gemeinsamen Außenzölle einher. Überdies scheint die EG insgesamt eine wichtige Rolle beim Liberalisierungsprozeß des Welthandels in den 60er Jahren gespielt zu haben.
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Es wird jedoch häufig behauptet, daß Lateinamerika durch die Maßnahmen des Gemeinsamen Marktes daran gehindert wurde, sich durch die Erschließung neuer Absatzmärkte von der Außenhandelsdominanz der Vereinigten Staaten unabhängiger zu machen. Vielfach wird in Lateinamerika die Meinung vertreten, daß sich die Aussichten für intensivere Handelsbeziehungen mit der EG durch die Einführung der GAP, durch die auf Afrika ausgerichtete Handels- und Kooperationspolitik der EG sowie durch die Handelsverschiebungen als Folge des Gemeinsamen Marktes selbst verschlechtert haben. Diese Einschätzungen lassen sich allerdings durch die Außenhandelsstatistik nicht bestätigen. Die Einfuhren der EG aus Lateinamerika erhöhten sich zwischen 1958 und 1963 um insgesamt 38%, während der Import aus anderen Entwicklungsländern im gleichen Zeitraum weniger rasch anstieg: um 25% aus Afrika und um 17% aus Ostasien. Der Welthandel nahm ebenfalls langsamer zu (um 25%). Ferner führte eine rege Nachfrage in der EG dazu, daß sich der Anteil der EG am gesamten Export Lateinamerikas während der 60er Jahre trotz der bereits erwähnten offensichtlich hinderlichen Maßnahmen vergrößerte. Von 17,5% im Jahre 1960 wuchs der Anteil bis auf 19,6% im Jahre 1963 und erreichte 1970 schließlich 19,7% (Lerner Alperstein 1991).
Diese Situation hat sich erst seit Anfang der 70er Jahre geändert. Zu diesem Zeitpunkt sahen sich die EG-Mitgliedsstaaten aufgrund innerer und äußerer Belastungen mit wirtschaftlichen Ungleichgewichten und strukturellen Einschränkungen konfrontiert. Dazu zählten die Ölkrise und ein allmählicher Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten, Japan und den industriellen Schwellenländern in Asien. Zwischen 1974 und 1981 verlief das Wachstum in der EG im Vergleich zu den Vereinigten Staaten und Japan besonders schleppend. Die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten betrugen in den drei Wirtschaftsregionen jeweils 2%, 2,3% und 3,7% (siehe Tabelle 2). Im gleichen Zeitraum stieg die Inflationsrate in der EG bis auf 12%, verglichen mit einer Inflation von etwa 8% in den Vereinigten Staaten und Japan. Die Arbeitslosenquote der EG lag bei über 5%. Dank ihrer Stabilisierungsmaßnahmen gelang es der Gemeinschaft in den 80er Jahren, die erwartete Inflation einzudämmen und den Weg für verstärkte Inlandsinvestitionen und den Export freizumachen. Ferner entstanden durch den Beitritt Spaniens und Portugals größere regionale Unterschiede innerhalb der EG. Keine einzige Provinz auf der iberischen Halbinsel kann sich eines BIP pro Kopf rühmen, das den Durchschnitt in der EG übersteigt. Drei Jahrzehnte europäischer Integration haben weder die wesentlichen regionalen Ungleichheiten zu beheben vermocht noch den technologischen Abstand zu anderen Industriestaaten aufholen können. Der Europäische Binnenmarkt wurde daher konzipiert und in Kraft gesetzt, um diesen Mängeln abzuhelfen, um sowohl die Wirtschaftskraft als auch die institutionellen und politischen Strukturen der Gemeinschaft zu stärken. Dazu hielt man es für notwendig, die Entwicklung zu einem tatsächlich offenen Binnenmarkt schneller voranzutreiben, um die Produktivität zu 60
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erhöhen, günstigere Bedingungen für die Verbraucher in der EG zu schaffen und der Gemeinschaft selbst mehr Zuständigkeiten zu übertragen. Die wirtschaftlichen Bedingungen in Lateinamerika sind heute weitaus weniger vielversprechend als vor dreißig Jahren. Zwischen 1961 und 1965 betrug das durchschnittliche Wirtschaftswachstum etwa 5,3%. Ende der 60er Jahre erzielte Lateinamerika eine jährliche Wachstumsrate von 5.8%. Zwischen 1960 und 1970 stieg das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen um 30%. Darüber hinaus sollten die Auslandsschulden erst später problematische Ausmaße annehmen. 1970 beliefen sich die öffentlichen Auslandsschulden der gesamten Region auf lediglich 21 Milliarden US-Dollar. Auch die Inflation hatte man in Lateinamerika größtenteils unter Kontrolle. Nur in Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay lag die durchschnittliche Inflation über 15%. In den übrigen Staaten Lateinamerikas blieb die jährliche Inflationsrate in den 60er Jahren unter der 5%-Grenze. In deutlichem Gegensatz dazu waren die Wachstumsraten in Lateinamerika während der 80er Jahre so kläglich, daß das Pro-Kopf-Einkommen in der Region von 1981 bis 1988 um 7% zurückging (siehe Tabelle 1 für den allgemeinen Trend und regionalen Vergleich). Die öffentlichen und privaten Auslandsschulden beliefen sich 1990 auf ca. US$ 450 Mrd.. Die meisten Länder verzeichnen inzwischen zwar einen großen Außenhandelsüberschuß, das Verhältnis ihrer Gesamtverschuldung zu ihren Exporteinnahmen verschlechtert sich jedoch zumeist weiter. Nimmt man das gewogene Mittel der Inflationsraten aller Staaten der Region, so ergibt sich für 1988 ein Wert von 660%. Im Jahre 1989 erreichte die Inflation in der Region mit 900 bis 1000% ihren höchsten Stand. Bisher hat man in den meisten Staaten durch Anpassungsprogramme zur Stabilisierung der Gesamtwirtschaft keine dauerhafte Grundlage für einen mehr als nur vorübergehenden wirtschaftlichen Aufschwung schaffen oder die Inflation dauerhaft eindämmen können. Der Pro-Kopf-Verbrauch lag 1990 schätzungsweise 13% unter dem des Jahres 1980. Ferner geht der Konsum der einkommensschwachen Bevölkerung allgemein immer weiter zurück. In den meisten Ländern Lateinamerikas ist die Arbeitslosigkeit in den Städten bei niedrigeren Reallöhnen größer als zehn Jahre zuvor. Die EG hat sich sehr bemüht, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und Lateinamerika in jeder Hinsicht zu verbessern. Der Außenhandel bleibt allerdings das entscheidende Problem der bi-regionalen Beziehungen. Der Handelsverkehr zwischen beiden Regionen ist hinsichtlich des jeweiligen Anteils am gesamten Handel und der Produktpalette ungleich verteilt. Die EG wickelt kaum 5% ihres gesamten Außenhandels mit Lateinamerika ab, während umgekehrt über 20% aller lateinamerikanischen Exportprodukte in die EG geliefert werden. Seit 1970 geht darüber hinaus in beiden Regionen der Trend dahin, eher mit anderen Ländern als bi-regional Handel zu treiben. Dies läßt sich im wesentlichen dadurch erklären, daß die Wirtschaft der EG hinter der von anderen großen Handels61
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partnern Lateinamerikas zurückblieb. Hinzu kommt, daß die Gemeinschaft ihrerseits dem Handel mit Lateinamerika nur eine untergeordnete Bedeutung eingeräumt hat. Die Außenzölle der EG sind zwar erheblich gesunken, jedoch sind etwa 28% der lateinamerikanischen Produkte von nicht-tarifären Handelsbeschränkungen (NTB) betroffen. In Afrika und Asien sind es im Vergleich dazu nur ca. 10% der Exportgüter (Caledön 1990, 23; Grabendorff 1987). Während der vergangenen zehn Jahre hat die EG zunehmend NTBs, wie Anti-Dumping- und Ausgleichsmaßnahmen, zum Nachteil lateinamerikanischer Exporte erlassen (Cepal, 1991). Andererseits haben sich durch Strukturanpassungsmaßnahmen in der Region auch EG-Exporte härteren Einfuhrbeschränkungen unterwerfen müssen. Die Produktpalette weist ebenfalls ein auffallendes Ungleichgewicht auf. Rund 80% der EG-Importe aus Lateinamerika sind Rohstoffe (siehe Anlage, Tabelle 3). Den überwältigenden Anteil (90%) an den Ausfuhrprodukten der Gemeinschaft bilden Anlagegüter, insbesondere Produktionsgüter und Zwischenfabrikate. In einigen Fällen, insbesondere in Zentralamerika, hat sich dieses Ungleichgewicht - nach einer deutlichen Verbesserung in den 70er Jahren - seit den 80er Jahren wieder verschärft. Die Rohstoffe nehmen einen immer größeren Anteil an den Exporten in die EG ein. Angesichts der ungünstigen Nachfrage- und Preisbedingungen für solche Produkte, könnte eine schwankende Nachfrage im Ausland einige Länder in Zukunft sogar noch empfindlicher treffen. Vor diesem Hintergrund können hinsichtlich der Konsequenzen des Europäischen Binnenmarktes für Lateinamerika - im Gegensatz zu den Folgen des ursprünglichen Gemeinsamen Marktes während der 60er und 70er Jahre - zwei Schlußfolgerungen gezogen werden. Erstens wird es für einige Länder Lateinamerikas schwieriger sein, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Je weniger einzelne Länder in der Lage sind, strukturelle Mängel abzustellen und sowohl ihre Produktions- wie Exportstrukturen zu diversifizieren, desto mehr werden sie diese Schwierigkeiten zu spüren bekommen. Zweitens war Lateinamerika für den europäischen Handel und die Auslandsinvestitionen in den 60er Jahren weitaus attraktiver als heute. Diese Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EG und Lateinamerika hatte mehrere Ursachen, von denen die meisten mit den bereits genannten wirschaftlichen Veränderungen in beiden Regionen zusammenhängen
3. Positive und negative Konsequenzen des Europäischen Binnenmarktes für Lateinamerika Das im Juni 1985 von der EG veröffentlichte Weißbuch legte die zur Scheffung eines Binnenmarktes erforderlichen Schritte und den Zeitplan vor. Im allgemeinen ist von einem integrierten Binnenmarkt dieses Umfangs zu erwarten, daß er den Welthandel neu belebt. Dies wird sich in einem stärkeren Wirtschaftswachstum in Europa, einer erhöhten Nachfrage nach zusätzlichen Importgütern und der Ajfhe62
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bung der Mengenbeschränkungen für die Mitgliedsstaaten niederschlagen. Die sich für Europa daraus ergebenden Vorteile bzw. Nachteile wurden in dem inzwischen berühmt gewordenen Cecchini-Bericht erstmals offiziell untersucht. Er beurteilte den wahrscheinlichen makro- und mikroökonomischen Nutzen eines einheitlichen Marktes und schätzte ebenso die Kosten der "Nicht-Verwirklichung Europas" ein. Die Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Beziehungen Europas zu Entwicklungsländern, einschließlich Lateinamerika, werden weder im Weißbuch von 1985 noch in der 1987 unterzeichneten Einheitlichen Europäischen Akte berücksichtigt. Auf makroökomischer Ebene wird dem Cecchini-Bericht zufolge ein mittelfristiger Anstieg des Bruttoinlandsproduktes der Gemeinschaft zwischen 4,5 und 7 Prozent erwartet. Nach den Prognosen des Berichtes werden im Binnenmarkt auch die Verbraucherpreise um 4,5% bis 6% fallen. Das öffentliche Defizit in Europa soll sich überdies insgesamt um 2.2% vermindern, während die Arbeitslosigkeit um 1,5 Prozentpunkte zurückgehen soll. Auf mikroökonomischer Ebene ergeben sich aufgrund des Berichts ebenso eine Reihe von Vorteilen durch den Binnenmarkt. Viele dieser Vorteile sind bereits spürbar, da die Wirtschaftsunternehmen sich bereits vor "1992" auf den Binnenmarkt eingestellt haben. Erstens werden sich die Produktionskosten in der EG durch höhere Skalengewinne auf dem größeren Markt merklich verringern. Zweitens werden die europäischen Unternehmen leistungsfähiger, was für sie auch in Zukunft unbedingt erforderlich ist, da der Binnenmarkt, in dem sie tätig sind, eine immer stärkere Konkurrenz hervorbringt. Die Unternehmen der EG gewinnen bereits durch Rationalisierungsprogramme und Firmenzusammenschlüße innerhalb Europas oder über dessen Grenzen hinaus an Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Mitte der 80er Jahre haben in Europa die grenzüberschreitenden Investitionen, Firmenaufkäufe und Joint Ventures ständig zugenommen. Dies gilt besonders für große und mittlere Unternehmen. Kleine und andere mittlere Unternehmen weiten ihre Handelsaktivitäten innerhalb der EG und international aus, um Markt- oder Produktlücken auszunutzen. Drittens werden sektorale Anpassungen mehr denn je durch den jeweiligen tatsächlichen Nutzen innerhalb des zunehmend integrierten Marktes bestimmt. Ein klares Beispiel dafür ist das traditionell restriktive und ineffiziente öffentliche Auftragswesen der Mitgliedsstaaten. Viertens wird der zukünftige Binnenmarkt durch seine zusätzliche Dynamik neue Produktionsverfahren und Produktinnovationen hervorbringen (Weitz 1990). Dies wird sich ebenso durch die obenerwähnten grenzüberschreitenden Joint Ventures und Firmenaufkäufe ergeben. Die bisherige Zerstückelung des Marktes in der EG behinderte den Fortschritt in verhältnismäßig hochentwickelten Industriezweigen und im Dienstleistungssektor. Diese Bereiche werden von dem Binnenmarkt besonders profitieren, da der Forschungsaufwand und die Portfolios der Kunden jeweils über eine weitaus größere Marktbasis verteilt werden können. Die technologie-intensiven Sektoren sind nach wie vor auf Lieferanten aus Drittländern angewiesen. Das liegt sowohl an den hohen Produktionskosten in der EG als auch an den hohen Schutzschranken um die Mitgliedsstaaten.
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Unabhängig davon, ob sie bereits eingetreten sind oder erst andeutungsweise erkennbar sind, implizieren all diese vom Cecchini-Bericht prognostizierten Folgen des Binnenmarktes für Lateinamerika, sowie für Entwicklungsländer generell sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Die meisten dieser Konsequenzen werden nicht vor Ende der 90er Jahre - wenn der Binnenmarkt wirklich funktioniert - zum Tragen kommen. Als positiv ist v.a. festzustellen, daß der Binnenmarkt innerhalb der EG zunächst höhere Einkommen bedeutet. Dieser wachsende Gemeinschaftsmarkt wird deshalb wohl auch zusätzliche Importgüter aus Nicht-EG-Staaten anziehen. Das könnte die Nachfrage nach Exportgütern aus Lateinamerika steigern. Solche positiven Folgen würden durch eine größere Transparenz des Binnenmarktes wahrscheinlich noch verstärkt. Die lateinamerikanischen Hersteller werden daher genauer über die sich auf dem Binnenmarkt bietenden Möglichkeiten und Marktnischen informiert sein. Auch die Aufhebung oder der Abbau einiger steuerlicher Beschränkungen für den Import aus Ländern, die nicht der EG angehören, bringen positive Auswirkungen mit sich. Im Weißbuch ist der völlige Abbau von Verbrauchssteuern auf sämtliche Produkte mit Ausnahme von Alkohol, Tabak und Mineralöle vorgesehen. Die EG versucht, für wichtigere Rohstoffprodukte vorübergehend (von 1993 bis 1996) eine reduzierte Mehrwertssteuer einzuführen. Dies ist für Lateinamerika von besonderer Bedeutung, da es sich beim weitaus größten Teil der nach Europa exportierten Güter um Rohstoffe handelt. Desweiteren werden die bilateralen Meistbegünstigungsprogramme einzelner EGMitgliedsstaaten, z.B. für Bananen, abgeschafft. Dadurch wird sich der Markt zugunsten konkurrenzfähigerer ausländischer Lieferanten solcher Produkte neu aufteilen, falls nicht neue EG-welte Quoten zum Schutz von EG- bzw. Lome-Produkten eingeführt werden. Vermutlich wird ein Großteil der Gewinne den nicht assoziierten Entwicklungsländern in Lateinamerika und Asien zugute kommen. Das liegt darin begründet, daß diese Staaten ihren Handel gewöhnlich unter marktwirtschaftlichen Bedingungen abwickeln müssen. Dagegen können es sich die AKP-Staaten leisten, weniger wettbewerbsfähige Preise zu halten, da sie beim EG-Marktzugang der Quotenregelung unterliegen. Andere Faktoren könnten sich für lateinamerikanische Anbieter von neuen Gütern und Dienstleistungen jedoch durchaus negativ auswirken. So sind die neuen gemeinschaftsweiten nicht-tarifären Handelshemmnisse (NTB), wie z.B. striktere technische, hygienische und ökologische Vorschriften, für außergemeinschaftliche Anbieter von Waren und Dienstleistungen ernster Anlaß zur Besorgnis. Lateinamerikanische Anbieter könnten sich sehr wohl zu neuen Investitionen gezwungen sehen, um die zur Einhaltung der strengeren Binnenmarkt-Normen erforderliche Modernisierung ihrer Produktionsanlagen vorzunehmen. Beispiele sind die Produktsicherheitsnormen oder neue EG-weite Kraftfahrzeugspezifikationen; letztere treten 1993 in Kraft und könnten lateinamerikanische Ausfuhren von Automotoren beeinträchtigen.
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Zusätzlich lassen sich weitere negative Faktoren erkennen. Erstens werden die Hersteller wichtiger Agrarprodukte in der EG auch nach der GAP-Reform vom Mai 1992 weiterhin geschützt. Dies benachteiligt weite Teile Argentiniens, Chiles, Uruguays und Brasiliens, da sie im Hinblick auf die von der GAP abgedeckten Agrarprodukte aus gemäßigtem Klima international wettbewerbsfähig sind. Als wichtigste Beispiele wären Getreide und Rindfleisch zu nennen. Zweitens wird die Gemeinschaft eher in der Lage sein, mit Drittländern Abkommen über freiwillige Ausfuhrbeschränkungen auszuhandeln. Die EG hat - einfach ausgedrückt - mit zunehmender Größe auch eine entsprechend bessere Verhandlungsposition. Drittens werden europäische Unternehmen auf den Märkten von Drittländern wettbewerbsfähiger sein. Viertens könnte es zu Verschiebungen von EG-Investitionen in andere Entwicklungsländer (v.a. Osteuropa und Ostasien) und sogar innerhalb der EG selbst kommen. Die Investitionen aus den EG-Mitgliedsstaaten nehmen in Lateinamerika zwar zu, es handelt sich dabei aber nicht um einen gesamtregionalen Trend. Gerade die Vorreiterstaaten in Sachen Wirtschaftsreform, wie Chile, Mexiko und Venezuela, ziehen zuerst den Hauptteil der ausländischen Direktinvestitionen an. Die Gründe dafür sind einleuchtend. Diese Länder verfügen über eine stabile Wirtschaft mit voraussehbaren Regelmechanismen und über gesunde Wachstumsperspektiven. Solche Kriterien sind auch gerade für europäische Investoren vorrangig (Emmerij & Iglesias 1991, 204). Auch bei den biregionalen Handelsbeziehungen wird es wahrscheinlich positive und negative Entwicklungen geben. Der Binnenmarkt dürfte durch die wachsenden Einnahmen zur Stützung der lateinamerikanischen Exportpreise beitragen, da die europäischen Verbraucher mehr oder qualitativ bessere Ausfuhrprodukte aus Lateinamerika kaufen werden. Dagegen dürften die Exportpreise aufgrund höherer Produktivität und größerer Skalenerträge in der EG sinken. Für Lateinamerika ist das hauptsächlich deshalb wichtig, weil teure Produktionsgüter und Zwischenfabrikate den weitaus größten Teil der Einfuhren aus der EG ausmachen. Es kann jedoch auch zu einer Verschiebung der Nachfrage im Binnenmarkt zugunsten europäischer Lieferanten kommen, insbesondere dann, wenn die Einfuhren leicht durch eigene Produkte ersetzt werden können. Das könnte dann die Preise einiger Importgüter in der EG drücken. Die Auswirkung der für Lateinamerika negativen Faktoren wird in dem Umfang begrenzt, wie die Region sich den neuen Umständen anpassen kann. Es besteht wenig Zweifel darüber, daß die vegleichsweise höherentwickelten, vielseitigeren und international wettbewerbsfähigeren Nationen in Lateinamerika entsprechend eher dazu in der Lage sind als ihre kleineren und schwächeren Nachbarstaaten. Letztere werden eine größere Unterstützung von der EG und der internationalen Gemeinschaft benötigen. Insgesamt gesehen stehen die optimistischen Prognosen für eine steigende Nachfrage in Europa in klarem Widerspruch zu der offensichtlich immer größeren wirtschaftlichen Kluft zwischen beiden Regionen. Daher lassen sich die Folgen des Binnenmarktes für Lateinamerika am besten anhand spezieller Exportprodukte und Dienstleistungen darstellen.
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4. Die Folgen des Binnenmarktes für lateinamerikanische Exporte Agrarprodukte Beinahe zwei Drittel der Ausfuhren aus Lateinamerika sind Agrarprodukte und Mineralien. Im Handel mit der Gemeinschaft vergrößert sich dieser Anteil sogar noch: in den vergangenen Jahren machten diese Rohstoffe rd. 80% der lateinamerikanischen Ausfuhrprodukte aus. Die Nachfrage nach Agrarprodukten ist im allgemeinen nicht sehr einkommens- oder preiselastisch. Dieser Zustand wurde durch eine zunehmende Zahl von international regulierten Märkten, durch den Protektionismus der Industrieländer und durch häufige Lieferschwierigkeiten noch verstärkt. Die realen Rohstoffpreise haben sich zwar seit Ende der 80er Jahre erholt, jedoch schrumpfen die Anteile Lateinamerikas am Weltmarkt, und die Exporteinnahmen der Region schwanken zunehmend stärker. Falls der Binnenmarkt wie vorgesehen verwirklicht wird, werden sich die Wettbewerbsbedingungen für die aus Lateinamerika exportierten Agrarprodukte und deren Zugang zur EG rasch ändern. Dabei sind allerdings mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Erstens ist es nicht sinnvoll, diese Änderungen isoliert zu betrachten, da diese in Wechselwirkung zu möglichen Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik und somit zu den laufenden GATT-Verhandlungen stehen. Außerdem dürfen die Konsequenzen derzeitiger und zukünftiger Handelsvereinbarungen der EG mit den meisten anderen Entwicklungsländern, insbesondere im Rahmen des Lomeabkommens sowie des Allgemeinen Präferenzsystem (APS), nicht außer acht gelassen werden. Zweitens werden die Folgen des Binnenmarktes neben diesen Faktoren größtenteils von der Art und Qualität der Agrarprodukte und von dem den einzelnen lateinamerikanischen Staaten gewährten Zugang abhängen (siehe Tabelle 5). Drittens wird der Abbau protektionistischer Handelsschranken im Agrarsektor der EG zum Anstieg der Weltmarktpreise für verschiedene Agrarprodukte führen. Kaffee ist traditionsgemäß das wichtigste Einfuhrprodukt der EG aus Lateinamerika, obwohl in den vergangenen vier Jahren Sojaprodukte an die erste Stelle gerückt sind. Die EG bezieht mehr als die Hälfte ihrer Kaffeeinfuhren aus Lateinamerika. Allein Brasilien und Kolumbien liefern fast 40%. Aufgrund eines allgemein größeren Wirtschaftswachstums in der EG wird es zu einer erhöhten Nachfrage nach Kaffee kommen, so daß der Kaffeeimport leicht ansteigen dürfte. Gleichzeitig werden von den Verbrauchern wahrscheinlich immer mehr hochwertige Mischungen bevorzugt. Daher werden die Folgen für lateinamerikanische Exportländer je nach der Qualität der Kaffeemischungen unterschiedlich ausfallen. Die Nachfrage nach den besseren milden Sorten Zentralamerikas wird wahrscheinlich überdurchschnittlich ansteigen. Dagegen werden die preiswerteren ungewaschenen "arabica"- und "robusta"- Kaffeesorten einen eher schwerfälligen Nachfrageanstieg verzeichnen. Der Kaffeeimport der Gemeinschaft wird ebenso durch eine niedrigere durchschnittliche Mehrwertssteuer und durch die Aufhebung der Verbrauchssteuern angeregt. In einigen Mitgliedsstaaten werden jedoch die Verbrauchssteuern speziell
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auf Importgüter angesetzt und steigen im Verhältnis zum Verarbeitungsgrad des Kaffees. Darüber hinaus wird angesichts des Trends zu Firmenfusionen und -aufkaufen unter den Kaffeeröstern, Importeuren und Großhändlern in der EG möglicherweise ein Großteil der potentiellen Gewinne lateinamerikanischer Kaffeexporteure abgeschöpft. Mehrere lateinamerikanische Staaten sind bedeutende Bananenexporteure. Die Bananeneinfuhr der EG ist derzeit sehr unterschiedlich geregelt und wird von Firmen beherrscht, die sämtliche Produktionsstufen bis hin zum Einzelhandel kontrollieren. Darüber hinaus ist der Bananenhandel einer der wenigen Sektoren, die gänzlich von den einzelnen EG-Mitgliedsstaaten reguliert werden. Wenn also der Import innerhalb des Binnenmarktes zunehmend harmonisiert und liberalisiert würde, könnte dies den Billigproduzenten in Zentralamerika, Kolumbien und Ecuador und auch den Verbrauchern in der EG - nur Nutzen bringen. Die Bananenproduzenten auf Kreta, Madeira und den Kanarischen Inseln würden ebenso Einbußen erleiden wie die assoziierten afrikanischen und karibischen Staaten, die gegenwärtig einen Präferenzzugang zum europäischen Markt haben. Die Abschaffung derzeitiger Präferenzregelungen, die durch Frankreich und Großbritanien erweitert wurden, würde gar das endgültige Aus für die Bananenexportindustrie der Karibischen Inseln bedeuten. Konkurrierende lateinamerikanische Hersteller hätten jedoch das Nachsehen, wenn die Gemeinschaft ein den derzeitigen Programmen in Frankreich oder Großbritannien vergleichbares gemeinsames System für den Bananenimport einführte. Unter diesen negativen Umständen würden die Bananenpreise in der EG um 30% bis 40% steigen. Dadurch würde der Preisvorteil der lateinamerikanischen Hersteller gegenüber den AKP-Lieferanten aufgehoben. Vorsorglich sind deswegen bereits mehrere lateinamerikanische Präsidenten in Brüssel vorstellig geworden. Schließlich könnte es ebensogut zu einer Kompromißlösung kommen, die in einer flexiblen generellen Quotenregelung für Lateinamerika und für die Produzenten der AKPStaaten und der EG bestünde. Anders als bei den Bananen haben die lateinamerikanischen Kakaoexporteure höhere Produktionskosten als ihre Konkurrenten aus Westafrika und Asien. Darüber hinaus werden die potentiellen Gewinne lateinamerikanischer Hersteller dank der Liberalisierung des Europäischen Binnenmarktes dadurch beschränkt, daß die Verbraucher der EG die milderen afrikanischen Sorten vorziehen. Beachtung verdient jedoch die Tatsache, daß die lateinamerikanischen Kakaoausfuhren in die EG trotz höherer Zölle und trotz des Präferenzzugangs der AKP-Staaten mit zunehmendem Verarbeitungsgrad gewöhnlich ansteigen. Lateinamerika exportiert bereits zahlreiche andere tropische Produkte in die EG, wie z.B. Früchte, Hölzer, Zierpflanzen und Blumen. Der Export solcher lateinamerikanischer Produkte in die EG könnte - trotz der Beschränkungen zugunsten der AKP-Staaten und Exporteuren wie Israel - sogar noch schneller steigen, wenn der Binnenmarkt ein - wie erwartet - dynamischeres Wirtschaftswachstum mit sich 67
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bringt. Der Holzexport aus Lateinamerika könnte allerdings durch neue ökologische Normen begrenzt werden. Dies könnte jedoch durch höhere Weltmarktpreise für Hartholz wiederum ausgeglichen werden. EG-weite Veterinärbestimmungen, ähnlich denen, die derzeit beim Fleischexport aus Lateinamerika Anwendung finden, könnten mit der Vollendung des Binnenmarktes auch auf Fischprodukte ausgeweitet werden. Für einige Hersteller würde dies höhere Investitionen zur Folge haben, obwohl viele bereits die härteren Bedingungen erfüllen können. Die meisten Produkte aus gemäßigtem Klima und Zucker konkurrieren direkt mit Produkten aus der EG. So wird unabhängig von den Folgen des Binnenmarktes ein Anstieg der Nachfrage nach diesen Produkten in der Gemeinschaft von der Fortführung der Reform der GAP - wie z.B. dem Abbau von Subventionen für die europäischen Bauern und Exporteure - und vom Ergebnis der Uruguay-Runde abhängen. Zucker wäre indirekt ebenso von den GAP-Reformen zum Abbau von Subventionen für die EG-Getreide-Produktion betroffen, da die EG-Bauern bei ausbleibendem parallelen Subventionsabbau in der Zuckerproduktion auf den Zuckeranbau umsteigen würden. Durch die Harmonisierung und Senkung von Verbrauchssteuern würde der Zuckerimport aus Nicht-EG-Staaten aufgrund der geringen Preiselastizität der Nachfrage nicht nennenswert ansteigen. Die Einbeziehung Spaniens und Portugals in das Zucker-Protokoll des Lomeabkommens wird sich in einer allgemeinen Erhöhung des Zuckerkontingents der AKP-Staaten niederschlagen und die Exportaussichten Lateinamerikas somit weiter schmälern. Bei einem weiteren Abbau der derzeitigen GAP-Subventionen für Fleisch würde die Einfuhr von hochwertigen Produkten aus Argentinien und Uruguay zweifellos zunehmen. Indessen ginge aber gleichzeitig der stark gestiegene Tierfutterexport aus Argentinien, Brasilien und Paraguay in die EG zurück.
Mineralien und Mineralprodukte Bei Mineralien gestaltet sich die Situation insofern anders als bei den meisten anderen von Lateinamerika in die EG exportierten Produkten als hier eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den beiden Regionen vorliegt. Der Anteil Lateinamerikas am Mineralienimport der EG steigt bei Kupfer, veredelten Zinn, Eisenerz und einfachem Aluminium. Ferner stammt jedes einzelne der Mineralien in der Regel nur aus einem oder höchstens zwei lateinamerikanischen Staaten. Den größten Anteil am Eisenerzexport Lateinamerikas hat z.B. Brasilien. Mehr als drei Viertel des von der EG importierten Kupfers stammen aus Chile, während Peru für den gesamten Rest aufkommt. Die Kehrseite der Medaille ist, daß sich der Export aus Ländern wie Bolivien (Zink und Zinn), Chile "(Kupfer) und Venezuela (Erdöl) in die EG auf nur ein oder höchstens zwei Mineralien begrenzt. Daher werden jede durch den Binnenmarkt hervorgerufene Änderung der Marktbedingungen entsprechend weitreichende Folgen haben. Darüber hinaus wird die sich durch den Binnenmarkt ändernde Produktionsstruktur den Mineralienexport nicht in gleicher Weise betreffen wie die Agrarprodukte (siehe 68
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Anlage, Tabelle 5). Die meisten anderen Primärproduktexporte leiden unter dem Widerspruch zwischen den leichten Zugangsbedingungen für unverarbeitete Produkte - die wahrscheinlich durch den Binnenmarkt verschärft werden - und dem Wunsch Lateinamerikas an, ihre Exporttätigkeit auf die dynamischeren und mit hochwertigeren Halbfertigprodukte auszuweiten. Natürlich sind die Zölle für letztere höher, und dies wird sich auch durch den Binnenmarkt nicht ändern. Mit dem Binnenmarkt werden strengere EG-Richtlinien im Bereich der Luft- und Wasserverschmutzung wirksam und diesbezüglich neue Maßmahmen, wie z.B. Kürzungen von Energiesubventionen, ergriffen. Es ist daher nicht auszuschließen, daß dies die Schwerindustrie, wie z.B. Mineralveredelung, dazu bewegen wird, Industrieanlagen in weniger reglementierte Länder der Dritten Welt zu verlagern. Viele werden sich vermutlich näher bei Mineral- und Erzabbaugebieten niederlassen. Daraus könnte Lateinamerika doppelten Nutzen ziehen. Zum einen durch höhere Mineralienexporte in die EG, zum anderen könnte dank der entstehenden Verarbeitung die Abhängigkeit von den oligopolistischen Rohstoffmärkten verringert werden. Dieser Trend zur Umsiedlung von Veredelungsanlagen aus der EG nach Lateinamerika ist bereits erkennbar. In den 80er Jahren sank der Kupferexport aus der Region in die EG um beinahe 4%, während der Export von veredeltem Kupfer um 4% anstieg. Der gleiche Trend ist auch bei anderen Metallen zu beobachten. Der Bauxitexport aus Lateinamerika ging in den 80er Jahren um mehr als 9% zurück, während die Aluminiumausfuhren jährlich um 31.6% hochschnellten. Die langfristigen Aussichten verändern sich jedoch insofern, als die europäische Wirtschaft durch den Binnenmarkt anspruchsvoller und wettbewerbsfähiger wird. Dadurch kommt es verstärkt zur Wiederverwertung von Abfallstoffen, zu weniger Materialintensiven Produktionen und zur Verwendung von preiswerterem Ersatzmaterial, wie z.B. dem zunehmenden Ersatz der Kupferdrähte durch Lichtwellenleiter. Alle diese Faktoren dürften daher eher zur Verringerung der lateinamerikanischen Mineralexporte beitragen. Auch die Erdölausfuhren aus Lateinamerika in die EG könnten Einbußen erleiden, da der Binnenmarkt eine stärker integrierte Energiepolitik in der EG zur Folge haben wird und die verschiedenen Energieträger heftiger miteinander konkurrieren werden. Sowohl ein stärker liberalisierter Markt als auch die gemeinschaftlichen EGRegulierungen werden wahrscheinlich zu einem umweltfreundlicheren Energieverbrauch beitragen, indem vorzugsweise Kernenergie und Gas eingesetzt und der Ölverbrauch vermindert wird. Durch den einheitlichen Markt für Stromenergie könnten mögliche Erhöhungen der Öleinfuhren aufgrund eines wachsenden Transportsektors in Europa ausbleiben. Die Ölindustrie ist aber für Länder wie Mexiko und Venezuela von maßgeblicher Bedeutung. Selbst geringe Auswirkungen des Binnenmarktes auf ihren Ölexport können bedeutsam sein. Darüber hinaus könnten die größere Deregulierung des Binnenmaktes und die verstärkte Konkurrenz zum allmählichen Rückgang der bilateralen Öllieferungsverträge führen. Damit würde auch der bisher von der EG vertretene Grundsatz der geographischen Streuung der Energieversorgungsquellen aufgegeben. Lateinamerikanische Hersteller müßten sich erneut auf ihren traditionellen Markt, die Vereinigten Staaten, konzentrieren. 69
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Die Folgen des Binnenmarktes für die Erdölindustrie in Lateinamerika insgesamt sollten jedoch nicht überschätzt werden. Einerseits orientieren sich andere lateinamerikanische Erzeuger - Kolumbien, Ecuador, Trinidad und Tobago - beinahe vollständig am Markt der Vereinigten Staaten und des pazifischen Raums. Andererseits hat Venezuela - nicht aber Mexiko - die heimischen Raffinerien erheblich verbessert und kann es somit durchaus mit strikteren EG-Normen für Ölqualität aufnehmen. Ob Venezuela seinen Anteil am Gemeinschaftsmarkt vergrößern kann, hängt natürlich auch davon ab, mit welchem Erfolg venezolanische Unternehmen mit europäischen Partnern zusammenarbeiten werden.
Fertigerzeugnisse Industrieprodukte sind relativ einkommens- und preiselastisch. Bei steigender Wachstumsrate im Binnenmarkt dürften also theoretisch die Einfuhren von Fertigerzeugnissen in die EG zunehmen. Darüber hinaus sind die Ausfuhren lateinamerikanischer Fertigprodukte während der letzten zehn Jahre überproportional zum gesamten Export in die EG angestiegen. Zwischen 1980 und 1987 stieg der Anteil dieser Produkte von 14% auf 21% des Exports in die EG an. Allerdings stiegen die Fertigwarenimporte der Vereinigten Staaten aus Lateinamerika - speziell aus Mexiko - jedoch im gleichen Zeitraum dreimal so schnell wie die der EG. Die EG hat also relativ wenig zur Diversifizierung der regionalen Exporte beigetragen. Tatsächlich werden nur sehr wenige lateinamerikanische Fertigprodukte in die Gemeinschaft exportiert. Nur Lederwaren, Schuhe und Textilien machten jeweils über 5% vom gesamten Export in die EG aus. Und sogar hier hat Lateinamerika zunehmend Terrain an asiatische Exporteure verloren. Darüber hinaus könnte dieser negative Trend in den kommenden Jahren durch schärfere Konkurrenz aus Osteuropa noch verstärkt werden. Während einer Übergangszeit werden EG-Mitgliedsstaaten mit anfälligeren Industriezweigen voraussichtlich auf eine EG-weite Importbeschränkung (z.B. in Form einer Kontingentenregelung und durch Schutzbestimmungen) drängen und sich energisch für eine Reziprozität bei tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen von Drittländern einsetzen. Das Multifaserabkommen (MFA) der EG ist in dieser Hinsicht besonders komplex. Die Abschaffung der Kontingente in den EG-Mitgliedsstaaten könnte für einige asiatische Staaten positive Konsequenzen haben. Dadurch hätten lateinamerikanische Unternehmen weniger gute Aussichten, ihre Erträge zu erhöhen (ODI 1989). Durch erneute bilaterale Quotenregelungen würde jedoch der Markt zusätzlich geschützt. Länder, die derzeit keirien quantitativen Importbeschränkungen durch die EG unterliegen, wie z.B. Brasilien, Indien und Ungarn, würden offensichtlich mehr Nutzen aus einer solchen Regelung ziehen. Im Binnenmarkt wird es strengere Qualitäts- und Sicherheitsvorschriften geben. Diese werden den Export von Fertigerzeugnissen aus Lateinamerika als solche nicht behindern, um diesen Vorschriften gerecht werden zu können, müssen die la70
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teinamerikanischen Hersteller sie jedoch zunächst einmal kennen und dann entsprechende Investitionen vornehmen. Ab 1. Januar 1992 z.B. dürfen sämtliche in die EG importierten Elektromaschinen eine Höchstgrenze an elektromagnetischen Störemissionen nicht überschreiten; auch Spielzeug wird schärferen Sicherheitsbestimmungen unterliegen. Aufgrund der Binnenmarktregelungen werden die Mitgliedsstaaten ihre Märkte nicht mehr durch mengenmäßige Importbeschränkungen schützen können. So könnte es vermehrt zu Anti-Dumping-Maßnahmen kommen. Je mehr die Entwicklungsländer ihre Produktionsstrukturen ausbauen und Fertigprodukte exportieren, desto eher dürften solche protektionistischen Maßnahmen zur Beschränkung des Exports aus diesen Ländern eingesetzt werden, wie im Handel zwischen der ASEAN und der EG bereits deutlich wird. Nach Angaben des GATT-Sekretariats bestanden seitens der EG im Juni 1991 insgesamt 134 Anti-Dumping-Maßnahmen. Betroffen davon waren u.a. Stahlausfuhren aus Brasilien und Mexiko sowie der Zementexport aus Mexiko und Venezuela. Möglichenweise könnten diese Maßnahmen auch auf einige Nahrungsmittel ausgedehnt werden. Es läßt sich bereits absehen, daß allmählich auch zentraleuropäische Billigproduzenten Zugang zum Binnenmarkt erlangen werden. Das könnte letztlich bedeuten, daß Anzahl und Ausmaß der von der EG gegen nicht-assoziierte Staaten - insbesondere Lateinamerika - eingesetzte Anti-Dumping-Maßnahmen zunehmen. Obschon diese Befürchtung berechtigt ist, sollte indessen aber auch berücksichtigt werden, daß die Anti-Dumping-Maßnahmen der EG während der letzten fünf Jahre generell abgenommen haben. Zumindest wird hier aber deutlich, daß die Handelsverschiebungen sowohl "gerecht" als auch "ungerecht" sein können, und zwar insofern, als eine durch den technologischen Vorsprung der Konkurrenz verursachte Verschiebung als "gerecht" betrachtet wird, während nicht-tarifäre Handelshemmnisse und protektionistische Anti-Dumping-Maßnahmen häufig als "ungerecht" bezeichnet werden. 80% der aus Lateinamerika in die EG exportierten Fertigprodukte stammen aus wenigen lateinamerikanischen Staaten, nämlich Argentinien, Brasilien und Mexiko. Diesen Staaten ist es gelungen, Produkte mit einer starken und stabilen Auslandsnachfrage, wie Büroartikel, pharmazeutische und elektronische Produkte, auf den Markt zu bringen. Relativ gesehen werden jedoch die nachfragestarken Fertigprodukte aus Lateinamerika seit mehr als zehn Jahren von Erzeugnissen aus den industriellen Schwellenländern in Asien immer mehr vom Markt verdrängt, obwohl sich der Export von Produkten mit relativ hohem industriellen Mehrwert gemessen am lateinamerikanischen Gesamtexport von Fertigprodukten seit 1970 verdreifacht hat. Allgemeiner betrachtet ist der Export dieser Erzeugnisse aus Entwicklungsländern im Verhältnis zum Gesamtvolumen der von der EG importierten Fertigprodukte nahezu stabil geblieben. Dabei ist jedoch die Beteiligung Lateinamerikas um die Hälfte, d.h. von nahezu 40% im Jahre 1970 auf kaum 20% am Ende der 80er Jahre 71
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(CCE 1990, 10) gesunken. Für Lateinamerika ist der überproportionale Rückgang der Ausfuhren von nachfragestarken Produkten in die EG besorgniserregend, insbesondere deshalb, weil der Handel mit diesen Gütern im allgemeinen nicht so deutlich von Konjunkturschwankungen beeinträchtigt wird. Sollte es in der Uruguay-Runde schließlich doch noch zu einer Übereinkunft kommen, so könnte Lateinamerika bedeutenden Nutzen daraus ziehen. Dies träfe am stärksten für klare Vorschriften im Hinblick auf Anti-Dumping-Maßnahmen, Subventionen und Sicherheitsbestimmungen zu, wie für gleichbleibende und einheitlich geregelte Herkunftsbestimmungen von Produkten und für technische Handelshemmnisse. Am meisten würden jene lateinamerikanischen Hersteller von einem solchen Abkommen profitieren, die in ihren Sektoren auf dem europäischen Markt konkurrenzfähig sind.
Investitionen und Entwicklungszusammenarbeit Verglichen mit dem eher schleppenden Handelsaustausch gestalteten sich die Investitionsströme aus den Mitgliedsstaaten der EG nach Lateinamerika in den letzten Jahren relativ dynamisch. Dies betont die wachsende Rolle privater Investoren in den biregionalen Wirtschaftsbeziehungen und schlägt sich in rasch zunehmendem Umfang von unternehmensinternen Transaktionen nieder. Verglichen mit den Vereinigten Staaten hat die Gemeinschaft ihre Präsenz v.a. in Argentinien, Brasilien und den Andenpakt-Staaten verstärkt. An dem Gesamtvolumen der direkten Auslandsinvestitionen der EG, Japan und den Vereinigten Staaten in der Region sind heute die großen EG-Mitgliedsstaaten mit rd. 35% beteiligt - im Gegensatz zu weniger als 25% in den späten siebziger Jahren (siehe Anhang: Tabelle 4). Wenn der Binnenmarkt tatsächlich zu einer Produktivitätssteigerung der europäischen Industrie führt und diese dadurch international wettbewerbsfähiger wird, könnte sie auch erfolgreicher mit nordamerikanischen und japanischen Unternehmen in Lateinamerika konkurrieren. Entsprechend würde das Investitionsvolumen der EG-Unternehmen in dieser Region steigen. Außerdem kann der erhöhte Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes dazu führen, daß Firmen in manchen traditionellen Sektoren ihre Produktionsstandorte in kostengünstigere lateinamerikanische Länder verlagern.
Bestimmte Folgen des Europäischen Binnenmarktes könnten sich jedoch weniger günstig für Lateinamerika auswirken. Möglicherweise sehen sich kleine und mittelständische Unternehmen durch den Gemeinsamen Markt dazu genötigt, nicht ausserhalb der Gemeinschaft, sondern in anderen EG-Regionen zu investieren. Dadurch wären sie eher in der Lage, die Skalenertragseffekte eines vergrößerten Marktes zu nutzen. Eine größere Anzahl rechtlicher Kontrollen als Folge harmonisierter EG-Investitionsbestimmungen könnten darüber hinaus Großunternehmen in der Gemeinschaft dazu veranlassen, ihre Investitionen in sich neu entwickelnde 72
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europäische Regionen zu leiten. Für die direkte Auslandsinvestitionstätigkeit der Gemeinschaft in Lateinamerika und anderen Entwicklungsregionen für den Zeitraum nach der Vollendung des Binnenmarktes könnte sich ein Verzögerungseffekt ergeben, wobei nach einer anfänglichen Verlagerung nach innen die Investitionstätigkeit im Ausland wieder verstärkt aufgenommen würde (Pio 1990). Es ist auch möglich, daß Investoren aus der EG Kapitalströme in zentral- und osteuropäische Länder leiten, sobald sich entsprechende Gelegenheiten in diesen neu entstehenden Märkten ergeben. Hier sollte man jedoch zwischen kurz- und langfristig eintretenden Folgen unterscheiden. In den nächsten zwei bis drei Jahren werden diese Länder wohl kaum für neue Investitionen attraktiv werden. Dies ergibt sich sowohl aufgrund der veralteten Produktionsanlagen und einer überholten Infrastruktur als auch aus der Notwendigkeit grundlegender institutioneller Reformen und möglicher politischer Umwälzungen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, daß Ende der 90er Jahre solche Nachteile teilweise überwunden sein könnten; dann dürfte sich das zentral- und osteuropäische Investitionsklima drastisch verbessern. Die in den vergangenen Jahren deutlich gewordene rasche Zunahme von EG-Investitionen nach Lateinamerika mag teilweise in dem Rückzug einiger US-Firmen aus der Region begründet sein. Generell ging der Anteil von Auslandsinvestitionen der Gemeinschaft in Entwicklungsländer in den 80er Jahren deutlich zurück. Währenddessen wurde ein rapider Anstieg von EG-Investitionen in anderen Industriestaaten verzeichnet. Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß erneutes Wirtschaftswachstum in Lateinamerika der einzig ausschlaggebende Faktor für steigende europäische Investitionen sein dürfte, während dem Einfluß des Binnenmarktes und engerer Bindungen zwischen Ost- und Zentraleuropa weniger Bedeutung beigemessen wird (Pio 1990). Natürlich wäre es verfrüht, eine genaue Prognose darüber abzugeben, inwieweit der Binnenmarkt das europäische Investitionsverhalten und die Investitionsformen außerhalb der Gemeinschaft beeinflußt. Wo und in welcher Form die Investoren ihre Gelder anlegen, hängt von zahlreichen Faktoren ab. In einer 1990 von der EG-Kommission durchgeführten Umfrage bei europäischen Industrieunternehmen waren 90% der Befragten der Meinung, daß der europäische Binnenmarkt nur einen geringen oder gar keinen Einfluß auf die europäischen Investitionen im Ausland haben werde. Mittel- bis langfristig wird es jedoch durchaus zu einer verstärkten wirtschaftlichen Kooperation zwischen der EG und Zentral- sowie Osteuropa kommen. Grundlage hierfür bilden die Abkommen mit der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und den baltischen Staaten. Einige EG-Mitgliedsstaaten haben mit Nachdruck erklärt, daß eine Verschiebung der Gelder, die eigentlich für Lateinamerika bestimmt sind, in diese europäische Staaten unbedingt vermieden werden muß. Außerdem wurde eine trilaterale Ost-West-Süd-Kooperation vorgeschlagen, um zu gewährleisten, daß ein Anstieg der Exporte und der Investitionen in einer dieser Regionen nicht überwiegend zu Lasten einer anderen geht. 73
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Dienstleistungen Einige der radikalsten durch den Gemeinsamen Markt bedingten Veränderungen innerhalb der EG werden sich im Dienstleistungssektor vollziehen. Dies trifft insbesondere auf die Bereiche Transport, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen zu. Wenn durch den Gemeinsamen Markt der EG-Binnenhandel im Bereich Dienstleistungen auch nur annähernd in dem Umfang belebt wird, den der Cecchini-Bericht voraussagt, wird Lateinamerika hier mit umfangreicheren Verschiebungen konfrontiert werden als dies beim Warenaustausch der Fall ist. Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, daß EG-Unternehmen auf den heimischen und internationalen Märkten wettbewerbsfähiger sein werden. Ferner werden die technischen Handelsbarrieren für einen Marktzugang in vielen Bereichen des Dienstleistungssektors sehr hoch angesetzt. Zudem halten die lateinamerikanischen Staaten möglicherweise auch an protektionistischen Maßnahmen für einige einheimische Dienstleistungsbereiche fest. Dies könnte gegenseitige Marktzugangsabkommen mit der EG erschweren. Zwar ist Lateinamerika der EG momentan um eine Nasenlänge voraus, was die Öffnung zahlreicher Dienstleistungsbereiche, wie beispielsweise des Luftverkehrs und der Telekommunikation, angeht. Doch ist diese Liberalisierung größtenteils erst eine Folge der jüngsten Wirtschaftsreformen in der Region und gilt keineswegs einheitlich für alle Staaten.
Im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen hat der technologische Fortschritt die Kluft zwischen den Entwicklungsländern und den Industriestaaten noch vertieft. Dieser Trend wird unweigerlich noch verstärkt durch die europäische Integration, die in zunehmendem Maße mit der Liberalisierung dieser oder anderer Aktivitäten im tertiären Sektor, wie Telekommunikation und Informationtechnologie, einhergeht. Zwar haben die den Finanzdienstleistungen und verwandten Bereichen auferlegten Restriktionen in lateinamerikanischen Ländern bislang den Zustrom von europäischen Investitionen behindert, doch werden in einigen Ländern diese Bestimmungen bereits allmählich gelockert. In Mexiko und Kolumbien beispielsweise sind inzwischen ausländische Minderheitsbeteiligungen an Geschäftsbanken zugelassen. Der Bereich Dienstleistungen stellt den am schnellsten wachsenden Sektor im Welthandel dar. Ein Abschluß der zur Zeit laufenden Uruguay-Runde könnte die Liberalisierung der Dienstleistungssektoren in Lateinamerika ebenfalls vorantreiben, v.a. dann, wenn die nationalen Bestimmungen zum Schutz des geistigen Eigentums harmonisiert werden, wodurch der Zustrom von Direktinvestitionen aus dem Ausland erleichtert würde. Lateinamerikanische Länder könnten infolge einer durch die GATT-Runde beschlossene globale Liberalisierung dynamische Gewinne erzielen sofern sie den neuen Normen und Standards Rechnung tragen können. Die jüngste Aufhebung administrativer und steuerlicher Beschränkungen hat zusammen mit einem stabilen volkswirtschaftlichen Umfeld erhöhte EG-Portfolio-Investitionen in Mexiko und Chile bewirkt (Cepal 1991).
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In der EG durchläuft gegenwärtig auch der Transportsektor einen Deregulierungsprozeß mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber US-amerikanischen und asiatischen Transportunternehmen zu stärken. Für lateinamerikanische Speditionsfirmen und Fluggesellschaften, die nach Europa liefern, könnte es schwierig werden, sich neuen, strengeren EG-Bestimmungen für technische Anforderungen, Sicherheit und Umwelt anzupassen. Insgesamt hinken die lateinamerikanischen Dienstleistungsindustrien noch immer hinter anderen Wirtschaftssektoren hinterher, wenn es um die Befriedigung der Nachfrage am Markt geht. Hier besteht die dringende Notwendigkeit einer Modernisierung (Cepal, 1990a). In einem Dienstleistungsbereich herrscht jedoch mit Sicherheit ein klarer Optimismus, nämlich in der Tourismusbranche, wo Lateinamerika weit über dem Durchschnitt der Entwicklungsländer liegt. Die europäische Integration dürfte sowohl höhere Einkommen als auch mehr Freizeit für EG-Bürger mit sich bringen. Darüber hinaus werden durch den Binnenmarkt-bezogenen Wettbewerb und durch eine Lockerung der Transportbestimmungen die interregionalen Flugpreise sinken. Daraus ergibt sich ein verstärkter EG-Auslandstourismus. Lateinamerika und die Karibischen Inseln sind geradezu prädestiniert dafür, die Früchte eines sochen Tourismusbooms in der EG zu ernten, da sie bereits über eine effiziente Touristikinfrastruktur verfügen.
5. Perspektiven für die Beziehungen EG-Lateinamerika Was den eigenen Markt angeht, so ist Lateinamerika in der Lage und hat bereits damit begonnen, tiefgreifendere Maßnahmen für eine regionale Integration zu treffen. Dies hat zweierlei Wirkung. Zum einen macht es die lateinamerikanischen Märkte zunehmend interessanter für europäische Exporteure, Importeure und Investoren. Zum anderen verleiht es der Region eine stärkere Position bei Verhandlungen mit der EG. Insgesamt gesehen hängt die Fähigkeit der lateinamerikanischen Nationen, auf durch den Binnenmarkt verursachte Veränderungen in Europa zu reagieren, hauptsächlich von ihrer eigenen Stabilisierungs- und Anpassungsfähigkeit sowie von ihren subregionalen Integrationserfolgen ab. Ebenso wichtig ist es, daß Lateinamerika den eigenen Integrationsprozeß mit Bemühungen um eine stärkere Präsenz verknüpft. Lateinamerika ist durchaus in der Lage, den Erfolg der ostasiatischen Entwicklungsländer zu wiederholen und die Auswirkungen der europäischen Integration mehr nach ihren eigenen Vortellungen zu gestalten, wenn auch nur in einer begrenzten und spezifischen Form. Als integrierte Region und mit einer aktuellen und stichhaltigen Agenda kann sich Lateinamerika an wichtigen EG-Foren beteiligen und sich damit besser Gehör verschaffen. Fest steht, daß Lateinamerika sich einer politischen Neuorientierung unterzogen hat, um regionale Märkte einheimischem und fremdem Wettbewerb zu öffnen. Ausschließlich nach innen gerichtete Strategien werden zunehmend als politische Fehler gesehen, da sie von einer Fehlinterpretation des Entwicklungsprozesses
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herrühren und durch sie die Wirtschaftsprobleme in Lateinamerika erheblich verschärft wurden (Dornbusch 1991). Dagegen erfreuen sich inzwischen subregionale Integrationsformen einer intensiven Wiederbelebung. Das jüngste und vielversprechendste Beispiel ist hier der MERCOSUR (IRELA, 1991). Darüber hinaus verzeichnen mehr und mehr lateinamerikanische Länder wieder einen moderaten wirtschaftlichen Aufschwung und einen überschaubaren Schuldenüberhang, was sich beispielsweise in weniger schmerzhaften Verhältnissen zwischen Schuldentilgung und Erportaufkommen widerspiegelt. Insgesamt erleichtern und verstärken diese Faktoren die Integration Lateinamerikas in die globalen Märkte und könnten dazu beitragen, einen Wandel der in den letzten zwanzig Jahren enttäuschend verlaufenden Entwicklung der Handelsbeziehungen mit der EG herbeizuführen. Einige Nationen befinden sich diesbezüglich offenbar in einer relativ guten Position. In diesen Ländern wurden nämlich Anpassungsmaßnahmen umgehend und höchst erfolgreich durchgeführt, Märkte zunehmend fremdem und heimischem Wettbewerb geöffnet sowie Preise, Zinsen und Wechselkurse freigegeben. Besonders hervorzuheben sind hier Chile und Mexiko sowie bis zu einem gewissen Grade Argentinien, Kolumbien, Costa Rica und Venezuela. Kleinere und vergleichsweise weniger entwickelte Volkswirtschaften wie Peru, Bolivien und Paraguay werden vermutlich von potentiellen Vorteilen des Binnenmarktes kaum profitieren können und auch kaum in der Lage sein, mögliche negative Effekte abzuwenden oder abzuschwächen. Für diese Staaten sind ad hoc-Maßnahmen notwendig, um Handel und ausländische Investitionen mit Hilfe der Gemeinschaft zu fördern. Die Vereinigten Staaten haben ihrerseits bei der regionalen Integration inzwischen eine Führungsrolle übernommen. Dabei scheinen sie heute weniger an strategischem oder politischem Einfluß interessiert. Vielmehr liegen die Prioritäten der US-Regierung bei der Förderung von Handel und Investitionen sowie beim Schuldenabbau und bei dem Ausbau der "partnerschaftlichen" Beziehungen mit Lateinamerika im Rahmen der Enterprise for the Americas Initiative (EAI) vom 27. Juni 1990. Der Europäische Binnenmarkt wird sich zweifellos auch auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Lateinamerika auswirken. Wenn sowohl die Vereinigten Staaten als auch Lateinamerika auf die gesteigerte Nachfrage aus dem Binnenmarkt erfolgreich reagieren können, werden sie ihre Exporte in die EG erhöhen. Dies wird sich schließlich auch in einem umfangreicheren bilateralen US-lateinamerikanischen Handel niederschlagen (Grabendorff, 1991). Eine produktivere und effizientere EG-Produktionsstruktur wird es EG-Unternehmen ermöglichen, sich im Wettbewerb gegen US-Firmen in den Entwicklungsländern, einschließlich Lateinamerika, erfolgreicher zu behaupten. Ein solcher Wettbewerb wird dort am härtesten sein, wo eine hohe Elastizität der Austauschbarkeit zwischen US-amerikanischen und europäischen Produkten besteht. Dies dürfte am deutlichsten in den Nahrungsmittel-, Automobil- und Haushaltswaren-Sektoren zu erwarten sein. Der Europäische Binnenmarkt wird wahrscheinlich nicht zu einem massiven Aufschwung des Handels der Region mit der EG führen, sondern vielmehr zu einer 76
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"mixed blessing" für die lateinamerikanischen Exporteure werden. Der Binnenmarkt wird die "Warenlotterie" wieder ins Leben rufen: während bei einigen Produkten ein günstigeres Gleichgewicht zwischen Handelsausweitung und -Verschiebung herrschen wird, werden andere Produkte das Nachsehen haben. Neue EG-Standards erschweren zwangsläufig den Marktzutritt einiger lateinamerikanischer Produkte, werden aber selbst den Anstoß für einen deutlichen Aufschwung in Bereichen wie dem Export von verabeiteten Mineralien aus der Region geben. Vorausschätzungen für bestimmte lateinamerikanische Warenexporte in die EG für Anfang der 90er Jahre zeigen, daß der Markt mit der Einführung des Europäischen Binnenmarktes durch eine noch höhere Konzentration einiger wichtiger Produkte gekennzeichnet sein wird. Die sechs führenden Produkte werden wertmäßig rund die Hälfte aller EG-Importe aus Lateinamerika ausmachen. Für Fertigwaren sind die Aussichten weniger günstig. Dagegen bestehen gute Chancen für den erheblich ansteigenden EG-Tourismus. EG-Investitionen in der Region haben kontinuierlich an Bedeutung gewonnen sieht man sie einmal im Verhältnis zu denen aus Japan und den Vereinigten Staaten und zwar sowohl in bezug den derzeitigen Kapitalzustrom als auch auf den gesamten angesammelten Investitionswert. In dem Maße wie der Binnenmarkt die Wettbewerbsfähigkeit von EG-Unternehmen auf internationaler Ebene stärkt, könnte er diesen Trend festigen. Ferner ist es offensichtlich, daß Chile und auch die G-3Staaten kurzfristig gegenüber potentiellen Auslandsinvestitionszielen in Osteuropa von einem günstigen Investitionsklima profitieren. Diese derzeit begünstigten lateinamerikanischen Nationen sollten aus ihrem gegenwärtigen relativen Vorteil durchaus wörtlich Kapital schlagen, solange sie es noch können. Europa und Lateinamerika werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich näher zusammenrücken, aus dem einfachen Grund, weil sie ähnliche Wege zu einer wirtschaftlichen und politischen Integration gewählt haben. In den letzten zehn Jahren stand der Integrationsprozeß in Europa teilweise im Schatten des lateinamerikanischen Fortschritte bei der politischen Demokratisierung, wirtschaftlichen Liberalisierung und subregionalen Integration. Tatsächlich wurden diese Fortschritte in einer weitaus erfolgreicheren Art und Weise erzielt, als dies mit den ursprünglichen europäischen und lateinamerikanischen Integrationsplänen der 60er und 70er Jahre möglich gewesen wäre. Es gibt jedoch eine Kerngruppe - nämlich die G-3-Staaten und Chile - die die bei weitem besten Chancen haben, der NAFTA beizutreten und damit die vollen Handels* und Investitionsvorteile einer Assiziation mit den USA zu nutzen (IRELA, 1991a). Für die übrigen Länder wird es von größter Bedeutung sein, jeden sich bietenden Vorteil aus der EAI zu ziehen. Gleichzeitig müssen sie aber auch ihre wirtschaftlichen Kontakte mit anderen möglichen Partnerregionen, nämlich Japan und der EG, vertiefen. Im Hinblick auf die Europäische Gemeinschaft stellt der Binnenmarkt sicherlich kein Allheilmittel dar. Immerhin besteht aber die Möglichkeit für die lateinamerikanischen Länder, einen größeren potentiellen Nutzen aus dem Binnenmarkt zu ziehen, wenn ihnen selber eine weiter- und tiefergehende Integration 77
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gelingt. Hierdurch kann die Region ihre Verhandlungsposition gegenüber Europa verbessern und leichter die nötige gemeinsame Haltung gegenüber den anderen Wirtschaftsblöcke erreichen. Im übrigen spielt dabei auch der Zeitfaktor eine überaus wichtige Rolle. Während man in Osteuropa vollauf mit den eigenen Reformen beschäftigt ist und die asiatischen Nationen bei der regionalen Integration noch einen Nachholbedarf haben, hat sich das Pendel momentan auf Lateinamerika eingeschwungen.
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
ANNEX: STATISTICS Table 1:
General Economic Indicators of the EC and Other Selected Trading Blocs (1991)
(in US dollars, percentages and absolute values) GDP (Billions of current US $)
Belgium-Luxembourg Denmark
Total Population (millions)
GDP per capita (current US $)
195.2 130.4
10.0 5.2
19,520.0 25,076.9
Real GDP growth (Annual Average 1989-91) 3.0 1.2
Trade (billions of current US J) 2383 67.0
Federal Republic of Germany
1,559.1
63.6
24,514.2
3.8
793.3
France
1,185.4
56.7
20,906.5
2.5
449.4
Greece
68.3
10.1
6,762.4
1.6
30.2
Ireland
42.4
3.5
12,114.3
5.4
45.1
1,130.2
57.8
19,553.6
2.2
352.3
284.9
15.1
18,867.5
3.4
258.6
Italy Netherlands Portugal Spain
68.7
9.8
7,010.2
3.9
42.3
522.9
39.0
13,407.7
3.6
153.0
United Kingdom
1,025.8
57.6
17,809.0
0.4
395.0
EC 12
6,222.5
328.7
18,930.6
2.6
2,824.5
EFTA
674.0
33.3
20,425.6
1.6
430.4
Canada
508.3
27.0
199.0
87.0
0.5 4.1
249.6
Mexico
18,827.8 2,287.4
United States
5,589.1
253.0
22,091.3
0.9
931.1
NAFTA
6.296.4
367.0
17.156.4
1.0
1,266.6
135.5
94.0
1,441.5
2.4
51.3
28.0
27.0
1,039.0
2.3
12.9
375.4
193.5
1,942.0
-0.6
82.3
580.4
354.3
1,637.7
1.0
171.5
3,308.0
124.1
26,655.9
4.8
551.5
Andean Pact CACM Mercosur Latin America' 1 ' Japan East Asian NICs (2) World
85.9
414.9
70.9
5,851.9
6.8
614.6
22,365.9
5,370.0
4,150.0
1.7
7,032.1
Note: Exchange rate variations can effect GDP calculations in current US S. (1) Latin America comprises Argentina, Bolivia, Brazil, Chile, Colombia, Costa Rica, the Dominican Republic, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Honduras, Mexico, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Uruguay, and Venezuela. (2) East Asian NICs comprise Hong Kong, Singapore, South Korea, and Taiwan. Source:
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Grabendorff: EG - Kosten und Nutzen für Lateinamerika
Table 2: Latin America's Trading Partners (millions of US dollars and percentages) LATIN AMERICAN EXPORTS TO:
1985
1991
United States
37,783.9
54,597.9
European Community
20,923.2
Latin America & Caribbean
11,283.1
Japan
% Annual Growth Rate 1985-91
% Share of 1991 Total
63
41.0
28,298.7
5.2
21.2
16,699.8
6.8
12J
5,055.6
8,103.1
8.2
6.1
Asia
4,268.1
8,262.4
11.6
6.2
Middle East
2,899.2
2,187.7
-4.6
1.6
Africa
2,271.5
1392.6
-7.8
1.0
Others
6,308.7
13,711.5
13.8
103
TOTAL
90,793.2
133,253.7
6.6
100.0
1985
1991
% Annual Growth Rate 1985-91
% Share of 1991 Total
LATIN AMERICAN IMPORTS FROM: United States
23,664.3
56391.8
15.6
45.4
European Community
10,880.6
22,234.5
12.6
17.9
Latin America & Caribbean
12,287.6
18,089.3
6.7
14.6
Japan
3,969.9
7,713.4
11.7
6.2
Asia
1,681.8
5,395.6
21.4
43
Middle East
3,384.8
3,347.3
-0.2
2.7
Africa
2,237.3
1,653.8
-4.9
1.3
Others
2,816.6
9359.3
22.2
7.5
TOTAL
60,922.9
12.6
100.0
124,185
Source: IMF, Direction of Trade Statistics, 1992, Washington DC,; and IRELA calculations.
81
Lateinameríka Jahrbuch 1992
Table 3: An Overview of the Impact of the SEM on Latin Americ
Main Factors
Tropical Products and Beverages Coffee
Bananas
Cocoa
Income growth
Moderately positive
Positive
Positive
Price effects
Positive
Positive
Demand shifts
Depends on quality
Possibly, due to a consumer preference for African beans
Tobacco
Negative
Enhanced competitiveness of E C production / measures of market liberalization Vertical integration of production in the EC/increased economies of scale
Potentially negative
Technical and safety standards
Depends on chocolate standards
Environmental regulations Removal of national quotas / preferential bilateral arrangements
82
Positive except for the Caribbean islands
Negative
Grabendorff: EG - Kosten und Nutzen für Lateinamerika
a by explanatory factors and issues (*)
Temperate Zone Agricultural Products Tropical fruits, cut flowers and plants, fish products Strongly positive
Cereals
Meat
Soya
Moderately positive
Moderately positive
Sugar
The impact of the SEM is likely to be influenced and overshadowed by changes in the Common Agricultural Policy, and the outcome of the Uruguay Round.
Potentially negative
Potentially negative
83
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Mineral products
Main Factors
Mineral ores
Income growth
Metal and mineral processing
Oil
Ck we an
er zwischen dem Zusammenbruch der Demokratie und deren Ursachen einerseits sowie zwischen dem Übergang und der Konsolidierung der Demokratien und deren Voraussetzungen andererseits hergestellt wird. Wenn der Präsidentialismus fehlgeschlagen ist, so besteht die Gefahr der Wiederholung. Dies ist die Argumentatiom, der gegenüber einige Feststellungen nötig sind.
92
Nohlen: Präsidentlalismus vs. Parlamentarismus
Zunächst ist es sinnvoll, ganz allgemein an die These von Hirschmann (1986) zu erinnern, der die politische Instabilität als perversive caracteristic of any political regime in the more developed American Countries herausgestellt hat (siehe auch Nohlen, 1984). Sodann sollte man sich darüber im klaren sein, daß sich politische Geschichte nicht ohne weiteres wiederholt. Unterschiede in der Zeit und in den historischen Bedingungen bergen viele Faktoren, die von entscheidender Bedeutung sein können. So ist nicht von der Hand zu weisen, daß die post-autoritäre Wirklichkeit, obwohl wir sie in ihrer Komplexität noch nicht erfaßt haben, sich nicht in den vor-autoritären Gegebenheiten erschöpft - wie es besonders im chilenischen Fall als classic instance ganz deutlich wird: "Die Verfassung von 1980 und die Organgesetze haben die rechtliche Stellung der Parteien und das Wahlsystem verändert, den Ursprung und die Zusammensetzung des Parlaments (speziell des Senats) gewandelt, die Autonomie der Zentralbank herbeigeführt und den nationalen Sicherheitsrat als Verfassungsinstitution eingeführt..." (Palma, 1991). Des weiteren gilt es, die historische Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, daß die Übergänge zur Demokratie, die in Lateinamerika seit 1978 in großer Zahl stattgefunden haben, sich innerhalb präsidentieller Systeme vollzogen, und zwar meist auf Grundlage der gleichen Verfassungsordnungen wie vor dem Zusammenbruch der Demokratien. Das entscheidende Argument in dem hier angesprochenen Zusammenhang von Regierungsform und demokratischer Konsolidierung geht über die Frage der politischen Institutionenordnung hinaus und betrifft vor allem die Regierungseffizienz (Fernández, 1991). Man kann berechtigterweise annehmen, daß die Konsolidierung der Demokratie auch im Falle parlamentarischer Systeme in Gefahr wäre, wenn sich die Regierungen erneut als ineffizient erwiesen, und zwar als Folge der Struktur des Staates, der Funktionsdefizite der öffentlichen Verwaltung (siehe Correa-Freitas/ Franco, 1989), gemessen an den Herausforderungen sozioökonomischer Entwicklung, mit denen es die Regierungen zu tun haben (siehe z.B. Paldam, 1987; Cuzan et al., 1988; Isaacs, 1989).
IX.
Schlußfolgerungen
Aus den vorstehenden Überlegungen ergeben sich einige Folgerungen für die politikwissenschaftliche Analyse:
a) Forschungsdesiderata Das Urteil von Juan J. Linz über den lateinamerikanischen Präsidentialismus scheint uniform und abgeschlossen: Er ist verantwortlich für den Zusammenbruch der De93
Lateinamerika Jahrbuch 1992
mokratien (vorautoritäre Zeit); er erschwert die Redemokratisierung (autoritäre Zeit); er kann die neuen Demokratien nicht konsolidieren (post-autoritäre Zeit). Die Kritik am Präsidentialismus basiert jedoch mehr auf seinem Erscheinungsbild denn auf einer triftigen Analyse. Das heißt nicht, daß es keine Untersuchungen zum Präsidentialismus gäbe - es gibt vielmehr einige ganz hervorragende sondern daß es an umfassenderen und vielschichtigeren Untersuchungen fehlt: umfassend im Sinne des Einschlusses vieler Daten und Erfahrungen zu einem Phänomen, dessen Ausprägung nach historischen Situationen variiert; vielschichtig in dem Sinne, daß die Analyse nicht nur entweder vom Verfassungsrecht oder von der Geschichtswissenschaft getragen wird, sondern auch und zugleich von der Politischen Wissenschaft, der Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften; vielschichtig aber auch im Sinne einer Analyse der Grundlagen, der Struktur und der Funktionsweise des Präsidentialismus. Der lateinamerikanische Präsidentialismus sollte dringend stärker historisch-empirisch untersucht werden. Carlos Restrepo Piedrahita (1986) ist ohne weiteres zuzustimmen: "Der lateinamerikanische Präsidentialismus ist wissenschaftlich noch unerforscht." Die angepeilte Breite der Untersuchungen des Präsidentialismus soll auch dazu beitragen, ressourcenorientiert vorzugehen, d.h. in stärkerem Maße nach den Leistungen des politischen Systemtypes zu fragen, die er während langer Phasen der lateinamerikanischen Geschichte erbracht hat, und nicht nur defizitorientiert, d.h. nach den angenommenen Mängeln. b) Institutionen und Politikberatung In der Debatte, die uns beschäftigt, herrscht unterschwellig ein allzu großes Vertrauen in die Institutionen und in die Politikberatung vor. Hinsichtlich der Institutionen existiert ein doppelter Mythos: einerseits die Vorstellung, daß der Erfolg von Institutionen, den sie in der Wirklichkeit erzielen mögen, in ihrer technischen Qualität begründet liegt. Von daher versteht sich das Interesse und das Vertrauen in die Institutionenreform, wenn in der Politik Probleme auftreten. Der zweite Mythos geht in die umgekehrte Richtung: Es ist der Glaube, die Institutionen seien allein Reflex der sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, ihr Inhalt folglich ein rein formaler. Deshalb wird angenommen, daß die Institutionen keine große Bedeutung für das Funktionieren des politischen Systems haben, und daß politische Reformen im Grunde nur "Angebots-policies symbolischer Güter" seien (Flisfisch, 1989:120). Beide Sichtweisen sind übertrieben. Institutionen sind Ausdruck gesellschaftlicher Erfahrung, tief internalisierter historischer Prozesse und Traditionen. Aber von ihnen hängt keineswegs und ausschließlich die politische Stabilität eines Landes ab. Hinsichtlich der Politikberatung ist eine ähnliche Bemerkung angebracht. Beim heutigen Stand der Wissenschaft stehen unendlich viele technische Lösungen zur Verfügung, um die Politik zu strukturieren, was die Vermutung zuläßt, daß die Qualität eines Regierungssystems von der Sorgfältigkeit abhängt, mit der alle anstehenden Probleme erfaßt werden, und von der Genauigkeit, mit der für die speziellen Proble94
Nohlen: PräskJentlalismus vs. Parlamentarismus
me angemessene Lösungen gefunden werden. Gerne wird jedoch das Spezifische der Politik vergessen, nämlich daß sie von Menschen gemacht wird und historisch bedingt ist, d.h. daß sie nach Raum und Zeit verschiedenartig ist, und daß die Institutionen, wie wir bereits festgestellt haben, demnach keine rein akademischen Schöpfungen sein können.
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Nikolaus Werz
Internationale Parteienföderationen und Lateinamerika* In den 70er und 80er Jahren nahmen internationale Parteienbeziehungen in der Außenpolitik einen größeren Raum ein als in der Gegenwart. Bei den Re-Demokratisierungsprozessen in Griechenland, Portugal und Spanien Mitte der 70er Jahre spielten die Sozialistische und - in geringerem Maße - die Christdemokratische Internationale eine wichtige Rolle. Im Zuge der Ost- und Entspannungspolitik wurden etwa zeitgleich von der SPD Kontakte mit der KPdSU und später der SED aufgenommen (Seidelmann 1990); auch das Gespräch mit eurokommunistischen Parteien wurde gesucht. Ein Grund für die ausgeprägte Bedeutung von Parteienbeziehungen lag in den damals in Lateinamerika und Südeuropa vorherrschenden autoritären Regimen. Unter dem Gebot der internationalen Solidarität und zum Teil gedrängt durch die eigenen Mitglieder intensivierten europäische Parteien ihre Kontakte nach Südamerika. 1976 begann mit der "Konferenz von Caracas" die in der Presse in ihrem tatsächlichen Ausmaß übertriebene "Offensive der Sl" in Lateinamerika. Aber auch die Christdemokratische und Liberale Internationale haben in der Folgezeit vermehrt Aktivitäten auf dem amerikanischen Halbkontinent entfaltet.
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Der Autor dankt Dr. Erich Schmitz, Anton Pfeil und Dr. Friedrich Welsch für Hinweise.
Werz: Internationale Partelenföderationen
Die Geschichte der von Parteien initiierten Verbindungen mit Lateinamerika ist je doch wesentlich älter. Dies liegt einmal daran, daß der Einfluß des europäischen Denkens immer ausgeprägt gewesen ist. Da die Ideenströmungen adaptiert oder umformuliert wurden, ist in dem "Diccionario de Política" (Bobbio, Matteuci: 1981) von einem lateinamerikanischen Liberalismus, Marxismus bzw. einer lateinamerikanischen Sozialdemokratie die Rede. Die in den 30er und 40er Jahren gegründeten national-revolutionären Parteien in der Nachfolge der peruanischen APRA beriefen sich auf eigene Wurzeln. Den sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen warfen sie vor, sich zu stark am europäischen bzw. sowjetischen Vorbild anzulehnen. Allerdings sind die Versuche, lateinamerikanische Parteienföderationen zu gründen, im Anfangsstadium steckengeblieben.
Anfänge und allgemeine Merkmale der Parteienbeziehungen Die ersten Kontakte zwischen lateinamerikanischen Parteien und multinationalen Organisationen datieren aus den 30er Jahren. Die Kommunistische Internationale (Kl) war als erste in Lateinamerika vertreten (Goldenberg 1971, Lowy 1980), es folgten die Sl und die Christdemokratie. Mit Ausnahme der Kl, die bereits in der Zwischenkriegszeit Aktivitäten entfaltete, entstanden bzw. traten die anderen parteipolitischen Internationalen erst nach 1945 auf (Sepülveda Almarza 1986: 941). Die multinationalen Parteiverbände haben die meisten Mitglieder in Westeuropa und Lateinamerika; sehr viel geringer ist ihr Einfluß in Asien oder Afrika. Seit den 60er Jahren nahmen die Initiativen von Sl und Christdemokratie in Lateinamerika zu. Neben den schon bestehenden Kontakten müssen die politischen Stiftungen erwähnt werden, die in der Bundesrepublik Deutschland als eine Reaktion auf die nationalsozialistische Diktatur entstanden und auch über öffentliche Mittel für die Auslandsarbeit verfügen. Die vier großen Parteienstiftungen haben heute Niederlassungen und Projekte in nahezu allen süd- und mittelamerikanischen Ländern (Pinto-Duschinsky 1991). Die wichtigsten Institute und Informationszentren der Christdemokraten sind IFEDEC und CIDAL in Caracas. Diese Einrichtungen, die u.a. Schulungskurse für Christdemokraten aus lateinamerikanischen Ländern anbieten, werden auch mit Mitteln der Konrad-Adenauer-Stiftung bzw. des BMZ gefördert. Während die Christdemokraten in Venezuela Formen einer kontinentalen Partei- und Gewerkschaftsschulung gewählt haben, entfaltet sich die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung eher indirekt über die ILDIS-Institute in verschiedenen Staaten (Santarelli 1987: 4). Vor einigen Jahren entstand die International Democrat Union (IDU) mit einer konservativen Ausrichtung. Ihre Gründung war das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen christdemokratischen Parteien aus der BRD, Österreich, Spanien und Portugal mit konservativen Parteien aus Großbritannien, Frankreich, Skandinavien, Australien, Neuseeland, Kanada und Spanien. Bisher beschränkte sich ihr Wirken je101
Lateinamerika Jahrbuch 1992
doch auf die Reisen einzelner Kommissionen nach Mittelamerika und Chile in den Jahren 1986 und 1987. Die internationalen Parteienverbände weisen seit den 60er Jahren folgende allgemeine Charakteristiken auf (Sepulveda Almarza 1986: 943): -
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Sie sind Anhänger der Demokratie und gegen den Terrorismus sowie die Hegemonie einer Partei - im Unterschied zur kommunistischen bzw. der sog. "schwarzen" Internationale in den 30er und 40er Jahren. Die politische Initiative und die ökonomischen Mittel kamen zunächst aus Europa. Es handelt sich v.a. um Vereinigungen zum Informationsaustausch und zur Abstimmung gemeinsamer Aktivitäten. Sie verfügen weder über einen zentralistischen Aufbau noch über eine gemeinsame Plattform und gleichen Arbeitsgemeinschaften selbständiger Parteien; Einzelpersönlichkeiten spielen eine wichtige Rolle. Anfang der 80er Jahre haben die Internationalen in Ansätzen gemeinsame Aktionen in der Weltpolitik initiiert. So fanden Sitzungen zwischen den Leitungsgremien von CDI, LI und Sl statt, um die Politik gegenüber Mittelamerika abzustimmen. Darüber hinaus bestand ein Konsens über die Konsolidierung der Demokratien in Südamerika.
Auf die Rolle der Parteien in den politischen Systemen Lateinamerikas kann hier nicht eingegangen werden (Lindenberg 1973, Montano 1975, Mc Donald/Ruhl 1989). Verschiedene Arbeiten geben einen deskriptiven Überblick über die Parteienlandschaft (Bernard 1969, Alexander 1973, 1982). Einzelne Nachschlagewerke liegen vor (Day/Degenhardt 1984, O'Maoläin 1985). Im folgenden wird kurz über die Geschichte und das aktuelle Engagement der internationalen Zusammenschlüsse berichtet. Es sei zumindest darauf hingewiesen, daß die "politischen Familien" in Lateinamerika im Vergleich zu Europa ideologisch und programmatisch anders ausfallen. Die Parteinamen stimmen häufig nicht mit den Inhalten und dem Verhalten der Gruppierungen überein (Werz 1989: 559). Die Zugehörigkeit zu einem multinationalen Parteienverband läßt jedoch auf eine gewisse ideologische Affinität schließen.
1. Die Kommunistische Internationale (Kl) Bis zur Kubanischen Revolution (1959) verläuft die Geschichte der kommunistischen Parteien in Lateinamerika parallel zu der der europäischen Kommunisten. Allerdings bestanden bereits marxistische Gruppierungen in verschiedenen Ländern, als die Kl Lateinamerika auf ihrem 6. Kongreß 1928 für die Weltrevolution entdeckte (vgl. Tab. 1). Bereits 1925 wurde ein Südamerikanisches Sekretariat in Buenos Aires eingerichtet, wo ab 1927 "La Correspondencia Sudamericana" erschien. 1929 fand das erste 102
Werz: Internationale Parteienföderationen
und im Grunde genommen einzige Treffen der lateinamerikanischen Sektionen der Kl in Buenos Aires statt (Caballero 1986: 54). Das Befolgen der Instruktionen der Kl hatte zunächst negative Auswirkungen auf die marxistischen Parteien in Lateinamerika: Während der sog. "Dritten Periode" der Kl (1928-1935) verfolgten die kommunistischen Parteien eine ultralinke Politik, was v.a. in Mittelamerika zu militärischpolitischen Niederlagen führte. Während des Zweiten Weltkrieges wechselten sie zur Volksfronttaktik mit anderen progressiven Kräften und konnten vorübergehend in Chile, Ekuador und Kuba Minister in den Regierungen stellen. Die KP Kubas nahm nicht an der bewaffneten Erhebung gegen Batista teil. Die Ausstrahlungskraft der Kubanischen Revolution und das Bekenntnis Fidel Castros 1961 zum Sozialismus führte dann aber auf dem ganzen Halbkontinent zu einer politischen Radikalisierung. Die prosowjetischen KPs wurden durch linke Gruppen in Frage gestellt, die sich weigerten, dem traditionellen marxistischen Etappenschema zu folgen und stattdessen den bewaffneten Kampf zur Erlangung der Macht propagierten. Im Verlauf der 60er Jahre bildeten sich nach einer kontinentalen Kontroverse zwischen den orthodoxen kommunistischen Parteien und der revolutionären Linken die "Movimientos de Izquierda Revolucionaria" (MIR). Höhepunkt dieser ideologischen Konfrontation war die Gründung der "Organización Latinoamericana de Solidaridad" (OLAS) 1967 in Kuba. Als Ergebnis des Dissens innerhalb der Linken und durch die Repression unter den neueren Militärdiktaturen sah sich die kommunistische Bewegung in der Folgezeit stark geschwächt. Die Kl hörte 1943 auf zu existieren. Die Außenbeziehungen bestanden seitdem mit der KPdSU und in Ansätzen auch mit der SED (Biess 1986), wobei die KP Kubas teilweise eine Vermittlerfunktion übernahm. In den 80er Jahren sind die Unterschiede zwischen den lateinamerikanischen Kommunisten gewachsen (Gómez 1986: 55). Auf der Dritten Konferenz der kommunistischen Parteien Südamerikas 1988 in Montevideo wurde u.a. über die "Perestroika" diskutiert. Die Delegierten gelangten zu dem Ergebnis, daß der Parteikurs in jedem Land anders ausfallen könne. In Kuba wuchs - besonders an dem Centro de Estudios Europeos - das Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Sl (Alvarez Somoza 1990, 1991).
2. Die Sozialistische Internationale (Sl) Kleinere sozialistische Gruppierungen, in denen häufig europäische Einwanderer eine führende Rolle spielten, und die politisch bedeutsameren sog. Radikalen Parteien bildeten sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im Südzipfel des Kontinentes (Hübener 1986). Ihre Beziehungen zum internationalen Sozialismus waren gering. Bis Ende der 60er Jahre konzentrierte sich die 1951 in Frankfurt wiedergegründete Sl auf Europa. Lediglich der Partido Populär Socialista und die National Party aus 103
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Jamaika waren Mitglieder (Morales 1982: 10). Zwischen 1955 und 1961 wurde ein Sl-Büro für Lateinamerika mit Sitz in Montevideo gegründet (Allende B. 1983: 112). In den 70er Jahren nahmen die Kontakte zu, und seit dem Treffen von Eastbourne (1969) wurde damit begonnen, Vertreter lateinamerikanischer Parteien zu den SlKongressen einzuladen. Auf Initiative von Willy Brandt, Bruno Kreisky, Olaf Palme und Carlos Andrés Pérez fand 1976 eine Zusammenkunft von Sl-Führern in Venezuela statt. Das Sl-Treffen von Caracas markierte das Ende der eurozentrischen Ausrichtung der Sl und eine Öffnung gegenüber der Dritten Welt (vgl. Tab. 2). Brandt hatte diesen Kurswechsel seit seiner Wahl zum Vorsitzenden 1976 konsequent betrieben (Kopsch 1982). In den folgenden Jahren tagte die Sl in Tansania, Botswana, Santo Domingo und Rio de Janeiro. "Es dauerte nicht lange, und in Lateinamerika und der Karibik hatte die Internationale bald ebensoviel Mitgliedsparteien wie in Europa, wenn auch Beständigkeit und innerer Zusammenhalt noch wesentlich zu wünschen übrigließen" (Brandt 1984: 439). Anfangs wurde das gesteigerte Interesse der Sl von der marxistischen Linken mit Mißtrauen beobachtet und als Versuch einzelner europäischer Länder interpretiert, den USA Märkte streitigzumachen (FDCL 1982). Angesichts der ursprünglichen Haltung der Sl zur Revolution in Nikaragua, wo der bewaffnete Kampf als letztes Mittel der Völker zur Erlangung von Frieden und Freiheit anerkannt wurde, und nach dem Wahlsieg von Ronald Reagan in den USA wurde ihre Rolle jedoch positiv bewertet. Auf dem Sl-Kongreß 1980 in Madrid erfolgte die Gründung eines "Komitees zur Verteidigung der Revolution in Nikaragua", das in den Jahren 1981/82 einzelne Aktivitäten entfaltete. Anfang der 80er Jahre schien sich ein Gegensatz zwischen der Christdemokratie und der Sozialdemokratie in Lateinamerika anzubahnen, nachdem der Christdemokrat Napoleón Duarte die Regierung in El Salvador übernommen hatte. Von einem "Kreuzzug Reagans gegen die Sozialdemokratie in Lateinamerika" wurde gesprochen (Diario de Caracas 26.1.1981). Gleichzeitig traten jedoch Differenzen zwischen den außenpolitischen Anschauungen der europäischen und lateinamerikanischen Parteien sozialdemokratischer Ausrichtung auf. Die PLN in Costa Rica und in geringerem Maße die AD aus Venezuela kritisierten die skandinavischen Sozialdemokraten und Teile der SPD, weil diese die MNR in El Salvador und die FSLN in Nikaragua unterstützten (Facio 1980). In den Jahren 1980/81 schien in Mittelamerika und der Karibik eine Art Allianz zwischen der Sl und der mexikanischen Regierung zu bestehen, um einen größeren außenpolitischen Spielraum gegenüber den USA zu gewinnen (Boersner 1982: 216). Es sei indessen darauf hingewiesen, daß der Krieg um die Malwinen/Falklands (1982) innerhalb der Sl zu ähnlich starken Spannungen geführt hat wie der Konflikt in Mittelamerika. Wegen der Differenzen mit den USA und der Meinungsunterschiede zwischen lateinamerikanischen und europäischen Mitgliedsparteien ist viel über die Rolle der Sl bei den Aufstandsbewegungen in Mittelamerika geschrieben worden. Allerdings besaß in den 80er Jahren auch der Kampf für die Demokratie einen hohen Stellenwert. Angesichts des Sinneswandels der lateinamerikanischen Intellektuellen von 104
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der "Revolution zur Demokratie" konnten demokratische Linksparteien, die zuvor als reformistisch verpönt waren, ihre Position verbessern. Eine Reihe von Parteiführern oder neu gewählten Präsidenten nahmen Kontakte mit der Sl auf. Der relativ hohe außenpolitische Stellenwert der Sl in der damaligen Zeit geht auch daraus hervor, daß innerhalb des nordamerikanischen State Departments eine Abteilung mit der Aufgabe gegründet worden sein soll, die Kontakte zwischen der Sl und ihren Mitgliedsparteien zu beobachten (Jankowitsch 1984: 218). Nach 1982 hat die Bedeutung der Sl in Lateinamerika abgenommen. Folgende Gründe seien dafür erwähnt: a) Der tatsächliche Handlungsspielraum der Sl wurde sowohl in Lateinamerika als auch in den USA überschätzt. Insofern handelte es sich um eine Normalisierung überzogener Erwartungen. b) Im Mittelamerika-Konflikt gewannen andere Akteure (USA, Contadora-Gruppe und später der Arias-Plan) eine größere Bedeutung als die Sl. Auch erwiesen sich die Differenzen zwischen europäischen und lateinamerikanischen Parteien über den bewaffneten Kampf und die Haltung zu den Guerillabewegungen als so erheblich, daß gemeinsame Aktionen erschwert wurden. Die Haltung einzelner sozialdemokratischer Parteien Europas war widersprüchlich: Im Verhältnis zu den Guerilla in Mittelamerika nahmen sie antiimperialistische Positionen ein, während sie zurückhaltender waren, wenn es um Streiks und Arbeitskämpfe in Brasilien oder Argentinien ging. c) Unter den europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten setzte eine gewisse Enttäuschung über die praktische Politik ihrer Kollegen mit sozialdemokratischer Ausrichtung ein. Kritisiert wurden die undemokratischen internen Strukturen und die Unfähigkeit, politische und soziale Reformen umzusetzen. Die lateinamerikanischen Partner weisen einen nationalistischen und antiimperialistischen Diskurs auf, während auch nur gemäßigte Formen von Sozialismus oder zumindest Konzepte zur Umverteilung in ihren Programmen fehlen. d) Das wachsende Interesse der europäischen Sozialisten - besonders der deutschen SPD - an der Abrüstung und an einer Verbesserung der Beziehungen mit dem sozialistischen Lager führte zu einer Abkehr von der Dritten Welt.
Nach dem Wahlsieg von Rodrigo Borja (Izquierda Democrática) in Ekuador und von Carlos Andrés Pérez (Acción Democrática) in Venezuela 1988 schienen sich die Chancen der Sl wieder zu verbessern. Angesichts erheblicher innenpolitischer Schwierigkeiten sah sich Pérez jedoch nicht in der Lage, seine ambitiösen außenpolitischen Pläne umzusetzen.
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3. Die Christ-Demokratische Internationale (CDI) und die Organización Demócrata Cristiana de América (ODCA) Die Organisation lateinamerikanischer Christdemokraten wurde 1947 in Montevideo gegründet. Ihr Sitz ist in Caracas, wo auch die "Informes ODCA" veröffentlicht werden, die Erklärungen und Parteiprogramme christdemokratischer Gruppierungen abdrucken (vgl. Tab. 3). Das "Manifest der Christdemokratie für die lateinamerikanischen Länder", 1981 auf dem 10. Kongreß der ODCA in Caracas verabschiedet, ist nach wie vor in Kraft. Mit dieser Erklärung hat sich die lateinamerikanische Christdemokratie ein reformerisches und kommunitaristisches Profil gegeben. Eingangs heißt es: "Die Abhängigkeit führt zu Ausschluß und Marginalisierung. Unsere Völker können nicht selbst ihre Geschichte lenken und unsere Arbeiter nicht die Ökonomie" (Manifiesto 1981: 3). Und einige Seiten später: "Ein Christ muß aus moralischpolitischen Gründen die Option für die Armen vertreten. Die Armut kann nicht akzeptiert werden, wenn sie Ergebnis von Vernachlässigung und Ungerechtigkeit ist" (ebd.: 7). Das christdemokratische Denken sei in der lateinamerikanischen Tradition und Kultur verankert: "Wir treten für die Befreiung der Völker und die Überwindung der Unterentwicklung durch eine neue ökonomische und soziale Weltwirtschaftsordnung ein, die auf der Solidarität und dem gleichberechtigten Austausch beruht" (ebd.: 28). Besonders im Nord-Süd-Verhältnis und durch den lateinamerikanischen Unterton gibt es Differenzen mit den europäischen Christdemokraten, die die Marktwirtschaft betonen. Von CDU-Mitgliedern gab es deshalb Kritik am Kommunitarismus und Romantizismus des "ODCA-Manifestes" (Weigelt 1983: 62 f). Auch in den Büchern christdemokratischer Politiker zeigt sich die unterschiedliche Interpretation der Weltwirtschaftsordnung. Der venezolanische Ex-Präsident Rafael Caldera entwickelte das Konzept der "internationalen sozialen Gerechtigkeit", und der Chilene Eduardo Frei nahm an den Sitzungen der Brandt-Kommission teil. Das "Léxico socialcristiano" enthält folgende Definition: "Die internationale soziale Gerechtigkeit leitet sich von dem Prinzip universeller Solidarität ab. Ihr Ziel ist es, die Ungleichgewichte zwischen den sozial schwachen und den starken Staaten auszugleichen ..." (Mújica Amador 1987: 73). Die ODCA verfügt über verschiedene Unterorganisationen, wie die Christdemokratische Jugend Amerikas (JUDCA), die Christdemokratischen Frauen Amerikas (MUDCA) und die Christdemokratischen Arbeiter Lateinamerikas (FETRAL-C). Für 1992 war die Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogrammes der ODCA vorgesehen. Die ODCA ist Teil der CDI, die 1961 in Santiago de Chile gegründet wurde. Im Vergleich mit den Parteien sozialdemokratischer Ausrichtung besitzen die lateinamerikanischen Christdemokraten eine größere Homogenität. Während der 60er Jahre gab es eine kritische Phase in Chile, als die MAPU und die IC (Izquierda Cristiana) sich von der Christdemokratischen Partei Chiles abspalteten. Ein ähnlicher Vorgang
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wiederholte sich später in El Salvador, wo ein erheblicher Teil der Führung die Partei aus Unzufriedenheit mit dem Kurs von Präsident Duarte verließ. Die stärkere programmatische Homogenität geht auf die kürzere Parteigeschichte, die geringere Bedeutung und die begrenzteren Zielsetzungen dieser Gruppierungen zurück. Anders als die Sl besaßen die Christdemokraten zunächst eine gewisse Reserve gegenüber der Idee des Internationalismus, weshalb sie sich auch keine so weitreichenden Ziele gesetzt hatten. Die politische Präsenz der Christdemokratie beschränkt sich darüber hinaus auf drei oder vier Länder (Chile, Venezuela, El Salvador und Guatemala). Besonders starke internationale Unterstützung gab es in den 80er Jahren für die Christdemokraten in Chile, als sie sich als gemäßigte Alternative zum Pinochet-Regime abzeichneten.
Die Positionen der ODCA und der CDI mit Blick auf Mittelamerika waren nicht immer einheitlich. Auch bei der Einschätzung der Menschenrechte gibt es Unterschiede, da die Vorstellungen der lateinamerikanischen Christdemokraten in diesem Punkt weitergehen. Schließlich bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Möglichkeit, sowohl Mitglied der CDI als auch der konservativen International Democrat Union (IDU) zu sein. Die ODCA sieht es ungern, wenn eine Partei Mitglied beider Organisationen ist, wie im Falle der Christdemokraten aus Costa Rica geschehen. Die CDI verfügt über 22 Mitgliedsparteien aus Lateinamerika und der Karibik. Anfang 1992 fand die Generalversammlung in Santiago de Chile statt. Der Venezolaner Eduardo Fernández wurde dabei als CDI-Präsident bestätigt.
4. Die Liberale Internationale (LI) Die LI wurde 1949 in Oxford ins Leben gerufen. Ihr erster Präsident war der Spanier Salvador de Madariaga. Die Öffnung gegenüber Lateinamerika, Asien und Afrika setzte 1981 auf dem Kongreß in Rom mit der Proklamation des "New Liberal International Manifestó" ein. In diesem Dokument werden die Probleme der Dritten Welt erwähnt, weshalb der Kongreß von Rom als Annäherung an sozialdemokratische Positionen und als Start zum Gedankenaustausch mit Parteien aus Entwicklungsländern gilt. 1985 nahmen an dem Kongreß von Madrid einige liberale Parteien aus Lateinamerika als Mitglieder bzw. Beobachter teil (vgl. Tab. 4). Außerdem wurde der "Prize of Freedom" an den argentinischen Präsidenten Raúl Alfonsin vergeben. Dessen Partei, die Radikale Bürgerunion (UCR), war zwar nicht Mitglied der LI, es bestanden aber Kontakte.
Auf dem 1988 durchgeführten Kongreß der LI in Pisa nahmen 50 Parteien aus 30 Ländern teil. Einige Beobachter prognostizierten aufgrund der Krise des Sozialis107
Lateinamerika Jahrbuch 1992
mus einen Aufstieg des Liberalismus in den 90er Jahren. Ein Beispiel dafür sind die engen Beziehungen der Sozialdemokratischen Partei Portugals mit der LI. Die PSD verfolgt eine pragmatische Wirtschaftspolitik. Gemeinsam mit europäischen liberalen Parteien und dem National Democratic Institute (NDI) der US-Demokraten hat sie Kongresse zu lateinamerikanischen und internationalen Themen durchgeführt.
1981 trat das von dem spanischen Politiker Adolfo Suárez geführte Centro Democrático y Social (CDS) in die LI ein. Ein Ergebnis war ein neuer Name. Sie heißt nun "Liberal Internacional y Progresista", was als weiterer Indikator gelten kann, daß sie sich sozialliberalen Ideen geöffnet hat. Suárez nahm als Beobachter für die LI am Plebiszit in Chile 1988 teil und versuchte, die Beziehungen mit lateinamerikanischen Parteien zu verstärken. Der Kongreß von Pisa 1988 zeigte auch die wachsende internationale Bedeutung der LI. Sowohl der Vorsitzende der Sl, Willy Brandt, als auch der der CDI, Flaminio Piccoli, hielten eine kurze Ansprache, wobei sie den gemeinsamen Kampf der Demokraten für Frieden und Entwicklung herausstrichen.
Im Juni 1986 wurde die Federación Liberal Centroamericana y del Caribe (FELICA) in Tegucigalpa gegründet. An der Gründung waren die Acción Democrática (El Salvador), die Liberalen Parteien von Honduras, Nikaragua, Panama und "La Estructura" aus der Dominikanischen Republik beteiligt. 1988 wurden auch die UCN aus Guatemala, der National Democratic Congress aus Grenada, die venezolanische Nueva Generación sowie die liberale Partei Haitis (MIDH) und Abspaltungen bzw. Neugründungen der liberalen Partei Panamas (MOLIRENA) und PLA aufgenommen. Die Organisation kämpft für den Rechtsstaat und unterstützt das Projekt eines gemeinsamen mittelamerikanischen Parlamentes (FELICA 1988). Präsident der FELICA war von 1990-92 Jorge Carpió aus Guatemala, 1992 wurde der Venezolaner Germán Febres für zwei Jahre gewählt. 1988 war der Name des Verbandes geändert worden, "um die Übereinstimmung zwischen liberalen Anschauungen und Positionen der Mitte herauszustreichen. Darüber hinaus ging es bei der Namensänderung darum, die Reminiszenzen an rechte Diktatoren abzulegen, die in verschiedenen Ländern regierten und sich eines liberalen Banners bedienten" (Perfiles Liberales 1988: 38). Nun heißt die Organisation: Federación Liberal y Centrista de Centroamérica y del Caribe. Seit 1990 verfügt sie über eine liberale Jugendorganisation (JULICA).
Bisher fehlt ein Zusammenschluß der Liberalen für Lateinamerika. Dies liegt zum Teil daran, daß sich die Liberale Partei Kolumbiens der Sl angeschlossen hat. Auf den beiden letzten Generalversammlungen gab es Diskussionen darüber, die FELICA nach einer geringfügigen Namensänderung auf ganz Lateinamerika auszudehnen. Neben der venezolanischen "Nueva Generación" zeigte die Liberale Partei Kanadas ein gesteigertes Interesse daran. Es wurde jedoch zunächst eine Konsolidierung der Föderation für den nördlichen Teil des Doppelkontinentes unter Einschluß Kanadas beschlossen. 108
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5. Die International Democrat Union (IDU) Die IDU entstand 1983 in London als internationale Assoziation von Mitte-RechtsParteien. Bei der Gründung wurde die Notwendigkeit einer "demokratischen" Internationale in Abgrenzung zu den sozialistischen und kommunistischen Vereinigungen betont. Entscheidend war der Einfluß der englischen konservativen Partei und der nordamerikanischen Republikaner. In dem Grundsatzprogramm wurde der Kampf für liberale Demokratie, freie Marktwirtschaft und gegen den Terrorismus herausgestrichen. Während eines Treffens in Washington 1985 erklärten die Mitgliedsparteien ihre Unterstützung für die Contra in Nikaragua und das SDI-Programm von Präsident Reagan. Nach der Gründung von Regionalorganisationen in Europa und dem pazifischen Raum wurde 1986 die Caribbean Democrat Union (CDU) ins Leben gerufen. Präsident wurde Eduard Seaga von der Labour Party in Jamaika, das Sekretariat befindet sich in Kingston. Bislang beschränkt sich die Mitgliedschaft in der IDU weitgehend auf Parteien aus der angelsächsischen Karibik (vgl. Tab. 5). Einige christdemokratische Parteien Europas - wie die CDU und die CSU - gehören sowohl der CDI als auch der IDU an. Die ODCA beschloß 1987, daß eine Partei entweder der IDU oder der ODCA angehören könne.
6. Die Conferencia Permanente de Partidos Políticos de América Latina (COPPPAL) 1979 wurde in Mexiko die COPPPAL ins Leben gerufen. In der "Erklärung von Oaxaca" bezeichnet sie sich als "Forum für die Reflexion und die Koordination von Aktivitäten" nationalistischer revolutionärer, demokratischer und antimperialistischer Volksparteien Lateinamerikas und der Karibik. Sie beruft sich auf Bolívar und fordert ein "Lateinamerika für die Lateinamerikaner" (Nils Castro 1987: 82). An der Gründung der COPPPAL 1979 waren der mexikanische Präsident José López Portillo, der ekuatorianische Präsident Jaime Roldós und General Omar Torrijos aus Panama beteiligt. Die Initiative ging von der mexikanischen PRI auf die PRD in Panama über, wo sich auch das Sekretariat der COPPPAL befand. Präsident der Organisation war Rómulo Escobar Bethancourt und ihr Sekretär Nils Castro, beide von der PRD aus Panama. 1987 hatte die Gruppierung 34 Parteimitglieder aus lateinamerikanischen und karibischen Staaten (vgl. Tab. 6). Das Spektrum reichte von Befreiungsbewegungen - wie die FSLN in Nikaragua - bis hin zu Parteien mit einer sozialdemokratischen und liberalen Programmatik (Radikale Partei in Chile, Liberale Partei in Kolumbien). Innerhalb der COPPPAL gibt es keine christdemokratischen und kommunistischen Parteien. Sie unterhält Kontakte zur "Asamblea de Organizaciones antiimperialistas de Caribe y Centroamérica", die sich 1986 in Managua konstituierte und zur "Standing Conference of Popular Democratic Parties" (Scope) gehört, die verschiedene Arbeiterparteien aus der Karibik vereinigt. 109
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Die meisten Parteien sind gleichzeitig auch Mitglied der Sl, wobei die COPPPAL jedoch einen lateinamerikanischeren Zungenschlag aufweist (Williams 1984: 266). Eine in mancher Hinsicht ähnliche Initiative war der 1986 von der argentinischen UCR unternommene Versuch, ein "Foro de Partidos Políticos Democráticos Latinoamericanos" in Buenos Aires zu gründen.
7. Coordinación Socialista Latinoamericana (CSL) Die CSL ging aus einer Konferenz hervor, die 1986 die Sozialistische Partei Uruguays organisiert hatte. 15 sozialistische Gruppierungen aus Südamerika nahmen daran teil. Eine zweite Konferenz wurde 1987 in Mexiko von der PSUM durchgeführt. Dort verabschiedeten die Teilnehmer die sog. Deklaration von Mexiko, in der sich die CSL als Vertretung der "Sozialistischen Organisationen Südamerikas mit autonomem Charakter" bezeichnet. Ziele der Organisation seien der Kampf für die Demokratie, die nationale Befreiung und den Sozialismus (CSL 1987: 96). Ihr gehören 16 Parteien an (vgl. Tab. 7).
8. Die Grünen Ein jüngeres Beispiel für die Interdependenzen zwischen Parteien in Europa und Lateinamerika ist das Aufkommen grüner Formationen. Auch wenn in Mittelamerika mit dem "Partido Ecolögico de Centroamerica" in Costa Rica 1986 eine grüne Bewegung auftauchte, befinden sich doch die wichtigsten Organisationen in südamerikanischen Ländern, wobei die städtische Mittelschicht ihr Hauptträger ist. Vor den ökologischen Gruppen formierten sich in der ersten Hälfte der 80er Jahre v.a. in Argentinien, Chile und Costa Rica Friedens- und Menschenrechtsbewegungen (Day 1986: 367 ff). Von gewisser Bedeutung sind die Grünen in Brasilien. In dem "Manifest der Grünen Partei" heißt es: "Brasilien ist eines der Länder mit den größten Naturreichtümern, die es zu verteidigen gilt. Die Natur sieht sich durch die vorherrschenden ökonomischen Modelle, einen entfesselten Kapitalismus, die Ineffizienz des Staates und ein geringes Ausmaß an Organisation und Bewußtsein der Bürger bedroht" (Manifeste 1988: 2). Die Organisation entstand in den 70er Jahren als Bewegung. Unter der Führung des Ex-Guerillero Fernando Gabeira und in Allianz mit der Arbeiterpartei PT erhielt sie 1986 10 % der Stimmen bei den Wahlen im Bundesstaat von Rio de Janeiro. Die Partei der Grünen möchte "die neuen Ideen, die in den letzten Jahren in der brasilianischen Gesellschaft auftauchten", artikulieren und "steht an der Seite aller Bewegungen, die das Leben der Menschen freier und würdiger gestalten wollen". 110
Werz: Internationale Parteienföderationen
In Chile waren die Grünen Teil der Koalition von 16 Oppositionsparteien gegen die Pinochet-Diktatur. Die Zielsetzungen der Grünen Lateinamerikas sind - wie in Europa - pazifistisch und ökologisch. Neben dem Schutz der Natur und von Aktionen gegen die Nuklearindustrie in Argentinien und Brasilien haben sie 1988 eine Intiative zur Senkung der Militärausgaben unternommen. Es bestehen jedoch Grenzen für ökologische Themen in Lateinamerika. Trotz gravierender Umweltprobleme sind die sozialen Ungleichheiten und die Verteilung des Reichtums wichtigere Fragen. In einigen Ländern - wie in Chile - ist der politische Raum bereits von anderen Kräften besetzt. Auch ist die Unterstützung durch die europäischen Grünen nicht so ausgeprägt, wie es sich die lateinamerikanischen Umweltschützer gewünscht hätten. Innerhalb der deutschen Grünen, die weltweit die finanzstärkste ökologische Bewegung konstituieren, besteht eine Strömung gegen einen traditionellen Internationalismus und für regionale und dezentrale Initiativen. Deshalb konzentriert sich der Internationalismus der parteipolitisch konstituierten Grünen auf die Verwendung des gleichen Emblèmes - die Sonnenblume.
Zusammenfassung und Ausblick Im Vergleich mit den 70er und den frühen 80er Jahren hat der Stellenwert internationaler Parteienverbände offensichtlich nachgelassen. Dies liegt u.a. an der politischen Re-Demokratisierung: In allen Ländern - außer Kuba - bestehen Mehrparteiensysteme. Auch wenn es nach wie vor Fälle von kleineren Manipulationen bzw. von eingeschränkten Wahlsystemen gibt, so können doch nahezu alle Parteien an den Urnengängen teilnehmen. Nach dem Niedergang der Diktaturen in Lateinamerika verloren die internationalen Parteienverbände als Foren der Anklage und der internationalen Solidarität an Bedeutung. Die 80er Jahre stellten insgesamt mit der Dominanz konservativer Regierungen in den USA und Großbritannien eine Phase der De-Internationalisierung dar (Kinnock 1988). Hinzu trat das neue Interesse der europäischen Parteien an den Vorgängen im Osten des alten Kontinentes. Nach der Rückkehr zur Demokratie verliert die internationale Komponente offensichtlich an Relevanz, gleichzeitig gewinnt die Auseinandersetzung mit der internen Opposition einen höheren Stellenwert. Die meisten lateinamerikanischen Parteien haben weder die überalterten Innenstrukturen demokratisieren noch ihre Programme aktualisieren können. Einige Grundsatzerklärungen datieren noch aus der populistischen Ära, d.h. den 40/50er Jahren und vermitteln kein realistisches Bild der betreffenden Länder. Die Kluft zwischen den Programmen und der gesellschaftlichen Realität ist erheblich. Darüber hinaus sind die derzeitigen ökonomischen Öffnungsprozesse nur schwer zu vermitteln: Die neoliberale Wirtschaftspolitik beinhaltet zunächst eine weitere Verschlechterung des Einkommens von Teilen der Bevölkerung. Für die Parteibürokratien ist der Privatisierungskurs noch aus einem 111
Lateinamerika Jahrbuch 1992
anderen Grunde unerfreulich. Er bedeutet - bei konsequenter Durchführung - ein Ende der bisherigen Patronage-Praxis und der tradierten populistischen Beziehungsmuster zwischen Politikern und Wählerschaft. Das Besondere an den internationalen Parteienverbänden liegt weniger in den jeweiligen Weltkongressen und den dort verabschiedeten Schlußerklärungen, sondern in den informellen Beziehungen zwischen Politikern, die bei diesen Anlässen u.a. geknüpft werden. Diese Kontakte befähigen einzelne von ihnen zu Vermittlungsmissionen in Krisengebieten, wie die Verhandlungen des SPD-Politikers Wischnewski in Mittelamerika und im Nahen Osten gezeigt haben (Wischnewski 1989: 277 ff.). Ebenso haben Brandt, Palme und Kreisky verschiedentlich vermittelnd gewirkt, u.a. bei der sog. "Revolution der Nelken" in Portugal 1975, während des IranIrak-Krieges und im Nah-Ost-Konflikt. Kontakte, die ursprünglich über die Sl entstanden, wurden in UN-Missionen weitergeführt. Darüber hinaus hat es eine von Land zu Land verschieden ausgeprägte Zusammenarbeit zwischen den deutschen Parteienstiftungen und ihren lateinamerikanischen Partnern bei der personellen und konzeptionellen Durchführung von Wahlkampagnen gegeben. Eine mögliche Begleiterscheinung der internationalen Kontakte könnte die dringend notwendige Demokratisierung der personalistischen Innenstrukturen lateinamerikanischer Parteien sein: Durch das "Einüben" demokratischer Verhaltensweisen und kontroverser Diskussionen könnten die Mitglieder der Jugendorganisationen in der Zukunft möglicherweise ein politisches Verhalten an den Tag legen, das sich von den überkommenen caudillistischen Strukturen unterscheidet. Offensichtlich boten in der Endphase des Kalten Krieges bzw. in den Nord-SüdBeziehungen der 70er und frühen 80er Jahre die internationalen Parteienzusammenschlüsse ein geeignetes Forum im vorpolitischen Raum, bei dem fernab von diplomatischer Rücksichtnahme der Meinungsaustausch gepflegt werden konnte. In besonderem Maße hat die Sl davon profitiert. Das große Prestige, das Palme und Brandt in der Dritten Welt besaßen und besitzen, kommt der Organisation zugute. Der Andrang bei der Sl-Tagung in Berlin 1992 belegt eindrucksvoll, daß nach wie vor die Erwartungshaltung an die Sl sehr viel höher als deren tatsächliche Möglichkeiten ist. Gleichzeitig besteht eine erhebliche Distanz zwischen den Erklärungen von Politikern bei Treffen internationaler Parteienzusammenschlüsse und ihrer Praxis in der Tagespolitik. Dies gilt gerade für das Verhalten von Politikern aus den Industriestaaten gegenüber Lateinamerika und der Dritten Welt, aber auch für die politische Praxis ihrer lateinamerikanischen Kollegen. Wie werden sich die Beziehungen zwischen den Parteien in Lateinamerika und Europa in Zukunft entwickeln? Nach der formalen Re-Demokratisierung und dem Abflauen der ideologischen Konfrontation gewinnen pragmatische Aspekte immer größeren Raum. In Mittelamerika förderte die für 1988 vorgesehene und schließlich 1990/91 durchgeführte Wahl eines zentralamerikanischen Parlamentes, die in dem Abkommen Esquipulas II angekündigt worden war, vorübergehend regionale und internationale Parteienkontakte. Politische und finanzielle Unterstützung für diese Wahlen kamen auch von der EG. 112
Werz: Internationale Partelenföderationen
Ansonsten scheint der Einfluß internationaler Parteienverbände abzunehmen. Es handelt sich nur selten um dauerhafte Beziehungen zwischen den Parteien der Region; häufig beschränken sich die Besuche auf die Zeit der Wahlkämpfe. Von den lateinamerikanischen Partnern wird in Europa nach politischer Beratung gefragt - etwa bei Wahlrechtsreformen, der Verwaltungsstruktur und im Parteiaufbau (Nohlen/Solari 1988). Die Begegnungen vollziehen sich weniger spektakulär als in der Vergangenheit, sie erfolgen bei Arbeitstreffen und über die Beratungstätigkeit politischer Stiftungen. Dies mag auch einer der Gründe dafür sein, warum über Parteienbeziehungen relativ wenig publiziert worden ist, denn solche Kontakte finden abseits der politischen Öffentlichkeit statt.
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
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115
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Abkürzungen AD
Acción Democrática
APRA
Alianza Popular Revolucionaria Americana
CDS
Centro Democrático y Social
CDU
Caribbean Democrat Union
CIDAL
Centro de Información, Documentación y Análisis Latinoamericano
COPPPAL
Conferencia Permanente de Partidos Polftlcos de América Latina
CSL
Coordinación Socialista Latinoamericana
FEUCA
Federación Liberal y Centrista de Centroamérica y del Caribe
FETRAL-C
Frente de Trabajadores Latinoamericanos Demócratas Cristianos
FMLN
Frente Farabundo Marti de Liberación Nacional
FSLN
Frente Sandinista de Liberación Nacional
IC
Internacional Comunista
IDC
Internacional Demócrata Cristiana
IDU
International Democrat Union
IFEDEC
Instituto de Formación Demócrata Cristiana
ILDIS
Instituto Latinoamericano de Investigaciones Sociales
IS
Internacional Socialista
JUDCA
Juventud Demócrata Cristiana de América
JUUCA
Juventudes de los Partidos Liberales y Centristas de Centroamérica y del Caribe
MIR
Movimiento de Izquierda Revolucionaria
MNR
Movimiento Nacionalista Revolucionario
MOURENA
Movimiento Liberal Republicano Nacionalista
MUDCA
Mujeres Demócratas Cristianas de América
NDI
National Democratic Instituto
ODCA
Organización Demócrata Cristiana de América
OLAS
Organización Latinoamericana de Solidaridad
ONG
Organismos No Gubernamentales
Werz: Internationale Parteienfóderatlonen
PCA
Parlamento Centroamericano
PCC
Partido Comunista Cubano
PLN
Partido Liberación Nacional
PRI
Partido Revolucionarlo Institucional
PSCH
Partido Socialista Chileno
PSD
Partido Social Demócrata
SCOPE
Standlng Conference of Popular Democratic Parties
UCR
Unión Cívica Radical
UMDC
Unión Mundial Demócrata Cristiana
117
Lateinamerika Jahrbuch 1992
Tabelle 1: Gründungszeitraum der Kommunistischen Partelen
Gründungsjahr
Parte!
Land
1912/22
Partido Comunista de Chile (PCCh)
Chile
1918
Partido Comunista de la Argentina (PCA)
Argentinien
1920
Partido Comunista del Uruguay (PCU)
Uruguay
1921
Partido Guatemalteco del Trabajo (PTG)
Guatemala
1922
Partido Comunista Brasilero (PCB)
Brasilien
1925
Partido Comunista de Cuba (PCC)
Kuba
1926
Partido Comunista de Colombia (PCC)
Kolumbien
1926/31
Partido Comunista Ecuatoriano (PCE)
Ekuador
1927
Partido Comunista de Honduras (PCH)
Honduras
1928
Partido Comunista Paraguayo (PCP)
Paraguay
1928
Partido Comunista Peruano (PCP)
Peru
1930
Partido Comunista de El Salvador (PCES)
El Salvador
1930
Parti Unifié de Communistes Haitiens (PUCH)
Haiti
1930
Partido del Pueblo de Panamá (PPP)
Panama
1931
Partido Vanguardia Popular (PVP)
Costa Rica
1931
Partido Comunista de Venezuela (PCV)
Venezuela
1934
Partido Comunista Puertorriqueño (PCP)
Puerto Rico
1937
Partido Socialista Nicaragüense (PSN)
Nikaragua
1944
Partido Comunista Dominicano (PCD)
Dominikanische Republik
1946/50
People's Progressive Party (PPP)
Guyana
1950
Partido Comunista de Bolivia (PCB)
Bolivien
1975
Workers' Party of Jamaica (WPJ)
Jamaika
118
Werz: Internationale Partelenföderationen
Tabelle 2: Gründungszeitraum von Parteien mit populistischer, sozialistischer und sozialdemokratischer Ausrichtung
Gründungsjähr
Partei
Land
Ait der Mitgliedschaft in der Sl
1815
Partido Liberal (PL)
Kolumbien
beratendes Mitgl.
1862
Partido Radical
Chile
Mitglied
1892
Unión Cívica Radical (UCR)
Argentinien
1924
Alianza Popular Revolucionaria
Peru
beratendes Mitgl.
1932
St. Kitts-Nevis Labour Party
St. Kitts-Nevis
beratendes Mitgl.
1933
Partido Socialista Chileno (PSCh)
Chile
beratendes Mitgl.
1938
People's National Party (PNP)
Jamaika
Mitglied
Partido Socialista Democrático de Guatemala (PSD)
Guatemala
Mitglied
1939
Partido Revolucionarlo Dominicano (PRD)
Dominikanische Republik
Mitglied
1941
Acción Democrática (AD)
Venezuela
Mitglied
1946
Partido Revolucionario Institucional (PRI)
Mexiko
St. Lucia Labour Party (SLP)
St. Lucia
beratendes Mitgl.
Partido Independentlsta Puertorriqueño (PIP)
Puerto Rico
Mitglied
1949
Partido Justiclalista (PJ)
Argentinien
1951
Partido Liberación Nacional (PLN)
Costa Rica
Mitglied
1961
Frente Sandinista de Liberación (FSLN)
Nikaragua
beobachtendes Mitglied
1967
Movimiento Electoral del Pueblo (MEP)
Venezuela
1971
Movimiento Izquierda Revolucionaria
Bolivien
beratendes Mitgl.
Mitglied
119
Lateinamerika Jahrbuch 1992
GründungsJahr
Partei
Land
Art der Mitgliedschaft in der SI
1974
Alianza Democrática M-19
Kolumbien
beobachtendes Mitglied
1977
Izquierda Democrática (ID)
Ekuador
Mitglied
1979
Working People's Alliance (WPA)
Guyana
beratendes Mitgl.
New Antilles Movement (NAM)
Curaçao
Mitglied
1980
Movimiento Nacional Revolucionario (MNR)
El Salvador
Mitglied
1981
Movimiento Electoral del Pueblo (MEP)
Aruba
Mitglied
1982
Partido Socialista Popular (PSP)
Argentinien
Mitglied
1985
PANPRA
Haiti
beratendes Mitgl.
Konakom
Haiti
beratendes Mitgl.
Partido por el Gobierno del Pueblo (PGP)
Uruguay
beratendes Mitgl.
Partido por la Democracia (PPD)
Chile
beratendes Mitgl.
1988
120
Werz: Internationale Parteienföderationen
Tabelle 3: Gründungszeitraum der christdemokratischen Partelen
(1991 Mitglieder der ODCA)
Gründung»Jahr
Partei
Land
1872
Unión Cívica del Uruguay (heute PDC)
Uruguay
1946
Partido Social Cristiano (COPEI)
Venezuela
Pedro del Corral
Partido Popular Progresista
Surinam
R.P. Leohardus J. Weidmann
Partido Nacional del Pueblo
Curaçao
M.F. Da Costa Gómez
Partido Social Cristiano
Brasilien
Alceu Amoroso Lima
1953
Partido Social Cristiano (heute PDC)
Bolivien
Remo di Natale
1954
Partido Demócrata Cristiano
Argentinien
Junta Promotora: Salvador Busacca Juan T. Lewis Carlos J. Uambi Manuel V. y Juan Ordoñez J. Torres Bas
1956
Movimiento Demócrata Cristiano (heute PDC)
Peru
Héctor Cornejo Chávez
1957
Partido Demócrata Cristiano Movimiento Popular Demócrata Cristiano (heute Partido Social Cristiano)
Chile
Bernardo Leighton
Partido Soclalcristiano Nicaragüense (PSCN)
Nikaragua
1959
Movimiento Demócrata Cristiano
Kuba
José Ignacio Rasco
1960
Partido Demócrata Cristiano Partido Revolucionario Social Cristiano (heute Partido Reformista Social Cristiano)
Paraguay
Jerónimo Irala Burgos
Partido Demócrata Cristiano (PDC)
Panama
1948
Erster Parteiführer
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
Gründungsjähr
Partei
Land
1961
Partido Demócrata Cristiano Partido Reformista Social Cristiano (PRSC)
El Salvador José Napoleón Duarte Dominikanische Republik
1962
Partido Demócrata Cristiano
Costa Rica
Luis Barahona Jiménez
1964
Partido Democracia Cristiana Guatemalteca
Guatemala
Jorge González Campos
Partido Demócrata Cristiano
Ekuador
Osvaldo Hurtado
Partido Demócrata Cristiano
Kolumbien
Francisco d. Paula Jaramillo
1968
Movimiento Demócrata Cristiano (heute PDC)
Honduras
Mario Orlando Orlando Iriarte
1981
Rassemblement démocratique nationa- Malti liste et progressiste (RNDP)
122
Erster Parteiführer
Werz: Internationale Parteienföderationen
Tabelle 4: Gründungszeltraum der Partelen mit liberaler Orientierung
Gründung»Jahr
Mitgliedschaft in der U
FEUCA
Partei
Land
1840
Partido Liberal
Kolumbien
1890
Partido Liberal
Honduras
1892
Unión Cfvlca Radical (UCR)
Argentinien
1885
Liberal Radical
Ekuador
1887
Partido Liberal Radical Auténtico (PLRA)
Paraguay
Mitglied
1903
Partido Liberal
Panama
Mitglied
Mitglied (86)
1946
Partido Liberal Independiente (PU)
Nikaragua
Mitglied
Mitglied
1968
Frente Radical Alfarista (FRA)
Ekuador
1979
Partido Demócrata
Ekuador Mitglied
Mitglied (90)
Mitglied (86) (bis 1992)
Nueva Generación Democrática Venezuela
Mitglied
1980
Nuevo Liberalismo
Kolumbien
1981
Acción Democrática
El Salvador
Mitglied
1982
Partido Liberal de la República Dominicana (früher: "La Estructura")
Dominikanische Republik
Mitglied
1983
Unión del Centro Nacional
Guatemala
Mitglied (UCN)
1984
Partido da Frente Liberal (PFL)
Brasilien
Mitglied
Partido Nacional (Blanco)
Uruguay
1987
Quellen:
Movement pour la Instauraron Haiti de la Democratle en Haití (MIDH) National Democratlc Congress (NDC)
Grenada
Unión Liberal Cubana en exilio
Kuba
Mitglied (86)
Mitglied
Mitglied (88)
Mitglied (88)
Mitglied (88) Mitglied
Mitglied (90)
Movimiento Liberal Republicano Panama Nacionalista (MOURENA)
Mitglied (88)
Partido Liberal Auténtico
Mitglied (88)
Panama
Fundación Friedrich Naumann, Perfiles liberales. Una publicación para la democracia en América Latina, 1(1987)2, S. 12-13. Liberal International, 1947-1988, London 1988, S. 32-33.
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
Tabelle 5: Gründungszeitraum von Parteien mit konservativer Ausrichtung
Partei
Land
Mitgliedschaft In der IDU*
Partido Social Conservador
Kolumbien
Mitglied
1923
Partido Nacional
Honduras
Mitglied
1943
Labour Party
Jamaika
Mitglied
1965
People's Action Movement Party
St. Kitts and Nevls
Mitglied
Gründung*Jahr
New National Party
Grenada
Mitglied
1970
Freedom Party
Dominica
Mitglied
1975
New Democratic Party
St. Vincent und Grenadinen
Mitglied
1979
Partido Conservador
Nikaragua
beratendes Mitgl.
' International Democrat Union
124
Werz: Internationale Partelenföderationen
Tabelle 6: COPPPAL - Mitglieder (1987) Partei
Land
Partido Intransigente (Pl)
Argentinien
Partido Justlcialista (PJ)
Argentinien
Partido Socialista Popular (PSP)
Argentinien
Movimiento Electoral del Pueblo (MEP)
Aruba
People's United Party (PUP)
Belize
Movimiento Nacional Revolucionario (MNR)
Bolivien
Movimiento Izquierda Revolucionaria (MIR)
Bolivien
Partido Liberación Nacional (PLN)
Costa Rica
Partido Izquierda Cristiana (PIC)
Chile
Partido Radical (PR)
Chile
Partido Socialista de Chile (PSCH-Almeyda)
Chile
Partido Socialista de Chile (PSCH-Nuñez)
Chile
Partido Revolucionario Dominicano (PRD)
Dominikanische Republik
Partido Izquierda Democrática (PID)
Ekuador
Partido Roldosista Ecuatoriano (PRE)
Ekuador
Movimiento Nacional Revolucionarlo (MNR)
El Salvador
Partido Socialista Democrático (PSD)
Guatemala
People's National Party (PNP)
Jamaika
Partido Liberal (PL)
Kolumbien
Partido Auténtico de la Revolución Mexicana (PARM)
Mexiko
Partido Popular Socialista (PPS)
Mexiko
Partido Revolucionario Institucional (PRI)
Mexiko
Partido Socialista de los Trabajadores (PST)
Mexiko
Frente Sandlnlsta de Liberación Nacional (FSLN)
Nikaragua
Partido Revolucionarlo Democrático (PRD)
Panama
Partido Aprlsta Peruano (APRA)
Peru
Partido Independentista Puertorriqueño (PIP)
Puerto Rico
Frente Amplio
Uruguay
Partido Colorado
Uruguay
Partido Nacional
Uruguay
Acción Democrática (AD)
Venezuela
Movimiento al Socialismo (MAS)
Venezuela
Movimiento Electoral del Pueblo (MEP)
Venezuela
Quelle:
Nueva Sociedad (1987)89, S. 85-86.
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Lateinamerika Jahrbuch 1992
Tabelle 7: Mitglieder der Coordinación Socialista Latinoamericana (CSL)
Partei
Land
Partido Socialista Popular
Argentinien
Movimiento Bolivla Ubre (MBL)
Bolivien
Partido Socialista (PS)
Bolivien
Partido Democrático Trabalhista (PDT)
Brasilien
Partido dos Trabalhadores (PT)
Brasilien
Partido Socialista Costarricense (PSC)
Costa Rica
Frente Socialista de Ecuador (PSE-PSRE)
Ekuador
Movimiento "Firmes"
Kolumbien
Partido Mexicano Socialista (PMS)
Mexiko
Partido Revolucionario Febrerista (PRF)
Paraguay
Partido Socialista Revolucionarlo (PSR)
Peru
Partido Socialista del Uruguay (PS)
Uruguay
Movimiento al Socialismo (MAS)
Venezuela
Movimiento Electoral del Pueblo (PS de Venezuela) (MEP)
Venezuela
126
Teil II Entwicklungen in Ländern und Regionen
Regionale Integration
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