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German Pages 322 Year 2015
Susanne Kaiser Körper erzählen
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machina | Band 8
Editorial Das lateinische Wort »machina« bedeutet – wie seine romanischen Entsprechungen – nicht nur Maschine, sondern auch List, bezeichnet zugleich den menschlichen Kunstgriff und das technische Artefakt. Die mit diesem Wort überschriebene Reihe versammelt Studien zur romanischen Literatur- und Medienwissenschaft in technik- und kulturanthropologischer Perspektive. Die darin erscheinenden Monographien, Sammelbände und Editionen lassen sich von der Annahme leiten, dass literarische, theatralische, filmische oder andere mediale Produktionen nur mit gleichzeitiger Rücksicht auf ihre materielle Gestalt und ihren kulturellen Gebrauch angemessen zu beschreiben sind. Die Reihe wird herausgegeben von Irene Albers, Sabine Friedrich, Jochen Mecke und Wolfram Nitsch.
Susanne Kaiser, Literaturwissenschaftlerin, geb. 1980, arbeitet nach einigen Jahren in der Wissenschaft seit 2014 als Fachjournalistin mit Schwerpunkt Nahost und Mittelmeerregion u.a. für Die Zeit, taz und Spiegel. Ihr Fokus liegt auf den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Europa und Nordafrika. Forschungs- und Rechercheaufenthalte führten sie an die UC Berkeley, nach Marokko, Tunesien, Ägypten, Libanon und an die Sapienza Universität in Rom.
Susanne Kaiser
Körper erzählen Der postkoloniale Maghreb von Assia Djebar und Tahar Ben Jelloun
Gefördert aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG im Rahmen der Exzellenzinitiative.
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Inhalt
Einleitung: Körper erzählen | 7 1. Fragestellung | 7
2. Erkenntnisinteresse und Forschungsstand | 12 3. Methode und Textkorpus | 29 4. Dank | 32
ERZÄHLERKÖRPER UND IHRE GESCHICHTEN I.
Erzählkultur im Maghreb | 35
1. Die performative Rolle des Körpers in der mündlichen Erzählweise | 41 2. Die Inszenierung mündlicher Erzähltradition im postkolonialen Roman | 44 3. Der Körper als Medium des Erzählens | 47 II.
Ben Jellouns Geschichten im Körper | 53 1. Mit dem Körper erzählte Geschichten | 55 2. Im Körper hausende Geschichten | 64
III.
Djebars Geschichten am Körper | 73 1. Vom Körper bewahrte Geschichten | 73
2. Am Körper rekonstruierte Geschichten | 93 IV. Nostalgische Essentialismen und virtuose Neuschöpfungen | 115
EINVERLEIBTE KOLONIALSPRACHE V.
Französisch als Fremdkörper | 123 1. Gefühlsaphasie | 126
2. Hervorbringung des Körpers aus dem Namen | 135 3. Geburt der Sprache aus dem Körper | 139
VI. Französisch als Behausung und Bekleidung | 155 1. Diebe im Haus der Sprache | 155 2. Im Hemd des Nessus | 164 3. Sprachschleier | 168 VII. Fremdsprache im Körperschema | 177
VERKÖRPERUNGEN DER (POST -)KOLONIALEN GESELLSCHAFT VIII. Divide et impera. Koloniale Körperpraktiken und widerständige Körper | 189 1. Die Eroberung von Land und Körper | 189 2. Algerien in Fragmenten | 197
3. Die postkoloniale Gesellschaft in Allegorien des zergliederten Frauenkörpers | 207 4. Entschleierungspolitik und Vergewaltigungsphantasien | 216 IX. Die Gesellschaft als Körper. Soziale (Fehl-)Konstruktionen | 241
1. Djebars Grenzgängerinnen: Sezierende Blicke und fragmentierte Körper | 244 2. Ben Jellouns Verrückte: Körperzwänge und nervöse Ticks | 257
SCHLUSS UND AUSBLICK X.
Postkoloniale Verkörperungen | 275 1. Körperkonzepte im Vergleich | 275
2. Historische (Kultur-)Anthropologie, postkolonial | 277 3. Inszenierte Verkörperungen | 279 4. Postkoloniale Körperkonzepte in der Literatur | 281 Literaturverzeichnis | 287
1. Primärtexte | 287 2. Sekundärtexte | 288
Einleitung: Körper erzählen
1. FRAGESTELLUNG „Ce livre, vous ne pouvez y accéder sans traverser mon corps“1. Diesen Satz lässt Tahar Ben Jelloun einen Erzähler aus seinem Roman L’enfant de sable (1985) zu seinem Publikum sagen. Mit der Aussage, dass das Buch nur über den Körper des Erzählers zugänglich sei, wird auf die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Körper und Text angespielt, die als Bedeutungsvarianten des Begriffs „Corpus“ auftreten. Was genau der Erzähler damit meint und was überhaupt der Körper mit Literatur gemein haben soll, sind Fragen, mit denen sich der marokkanische Schriftsteller in seinem Werk beschäftigt und hierauf viele Antworten gibt. Dies verbindet ihn mit seiner algerischen Kollegin Assia Djebar, in deren Romanen der Körper ebenfalls außerordentlich präsent ist und ebenso vielschichtig in Erscheinung tritt: thematisch, motivisch, metaphorisch, terminologisch. Auch die Art und Weise, in welcher der Körper narrativ verarbeitet wird, verbindet die beiden Autoren miteinander und lässt eine komparatistische Auseinandersetzung mit ihren Werken als besonders vielversprechend erscheinen. Natürlich haben Djebar und Ben Jelloun noch mehr Gemeinsamkeiten, die implizit oder explizit auch ihre Werke bestimmen, weshalb sich ein Vergleich in jedem Fall lohnt. Beide kommen aus einem Land im Maghreb, das bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts unter französischer Kolonialherrschaft stand. Sie sind noch während der Kolonialzeit geboren und haben als junge Erwachsene die Unabhängigkeit ihres Landes von Frankreich miterlebt. Ihre Muttersprache ist Alge-
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Das Zitat von Ben Jelloun ist zur besseren Lesbarkeit nicht vollständig wiedergegeben. In der korrekten Zitierweise findet es sich im Abschnitt „Ben Jellouns Geschichten im Körper“.
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risch beziehungsweise Marokkanisch, Französisch haben sie erst in der Schule gelernt. Beide gehören so einer Generation von Autoren an, die sich mit dem kolonialen Herrschaftsverhältnis und dessen Nachwirkungen auseinandersetzt. Von beiden Schriftstellern wird gesagt, sie seien die bekanntesten Vertreter der frankophonen Literaturproduktion aus dem Maghreb.2 Die beiden Autoren zeigen darüberhinaus eine große Affinität zu denselben Themen, die sie in enger Verbindung mit dem Körper behandeln. Drei große Themenkomplexe lassen sich besonders gut herausarbeiten, an ihnen orientiert sich die Struktur des Buches: Sowohl Djebar als auch Ben Jelloun verhandeln explizit das Erbe der mündlichen Erzähltraditionen im postkolonialen Roman, indem sie den erzählenden Körper in Szene setzen. Sie diskutieren außerdem das wohl für alle postkolonialen und exilierten Schriftsteller große und wichtige Thema der Sprache, indem sie Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen Körper und Sprache skizzieren. Zentral sind in den Werken beider Schriftsteller zudem Fragen und Probleme der Gesellschaft, die am konkreten Gegenstand des Körpers dargestellt und erörtert werden. Dies zeigt, dass die Vorstellung von Körper und Körperlichkeit nicht von den abstrakten Themen Erzählen, Sprache und Gesellschaft getrennt gedacht wird, sondern ihre Konstruktionen als globales und prinzipielles Konzept durchdringt: Erzählen, Sprache und Gesellschaft sind selbst etwas Körperliches. Im Zusammenhang mit Sprache und Erzählen kommt der Körper so außerdem auf einer selbstreflexiven Ebene ins Spiel. Das vorliegende Buch macht sich die Untersuchung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Umgang mit dem Körper bei Djebar und Ben Jelloun zur Aufgabe. Es lässt sich dabei von den Fragen leiten, was der Körper ist und wie er erzählt wird, wie der Zusammenhang zwischen Körper und Erzählen, Körper und Sprache sowie Körper und Gesellschaft konkret konstruiert wird, welche – gerade auch themenübergreifenden – Konzepte den Körperkonstruktionen zugrunde liegen und mit welchen Darstellungsverfahren diese Konzepte umgesetzt sind. Auf welche Weise wird Erzählen jeweils als etwas Körperliches aufgefasst, inwiefern ist das für das Erzählen grundlegende Medium der Sprache selbst schon als körperlich konstruiert und wie gehen solche Konzepte und Vorstellungen in die Entwürfe von Gesellschaft ein? Hieran schließen viele Detailfragen an, auf die in den drei thematischen Buchteilen unter jeweils anderem Aspekt nach Antworten gesucht wird. Der
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Ben Jelloun wird z.B. von Roland Spiller als berühmtester Autor eingeführt, vgl. 2000, 15. Als bekannteste Schriftstellerin wird Djebar beispielsweise von Elke Richter bezeichnet, vgl. 2008, 9.
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erste Teil mit dem Titel „Erzählerkörper und ihre Geschichten“ untersucht vor einer kurzen kulturgeschichtlichen Einordnung die Art und Weise, wie Djebar und Ben Jelloun unterschiedliche Erzähltraditionen verbinden, indem sie die mündliche, in der Regel dialektarabische Erzählweise, in der mit Stimme, Gesten, Blicken, Händen und Füßen erzählt wird, im Genre des frankophonen3 postkolonialen Romans aufgreifen und das Zusammenspiel reflektieren. Wie verarbeiten die Autoren Brüche in ihrer Auseinandersetzung mit der Tradition der mündlichen Volkskultur des Maghreb und mit welchen narrativen Strategien? Wie reflektieren oder (re-)konstruieren die Texte als Ergebnis des Paradigmenwechsels von der mündlichen Erzählweise zum postkolonialen Roman durch die kolonialen Einflüsse ihre eigene Genealogie und dabei auch die spezifische Rolle des Körpers? Wie werden, etwa im metanarrativen Kommentar, mediale Aspekte des Körpers diskutiert, welche Möglichkeiten aufgezeigt, die Beziehung zwischen Körper und zu erzählender Geschichte zu begreifen? Hier kann gezeigt werden, dass die Bandbreite an zugrunde liegenden Konzepten sehr weit reicht: von einem in der sufischen Tradition Nordafrikas verankerten monistischen Verständnis von Geschichten als Essenz im Körper, die nicht nur durch Erzählen, sondern – bei Djebar – auch über körperliche Sekrete wie Speichel übermittelbar ist, bis hin zu performativen Vorstellungen, welche die Entstehung einer Geschichte im Akt des Erzählens verorten. In Ben Jellouns Werk finden sich
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Ottmar Ette wendet sich in einem Interview (von Karim Khadhraoui am 2. Juni 2010 in Potsdam, verfügbar unter URL http://www.uni-potsdam.de/romanistik/ette/ download/interview_oe_khadhraoui_100602.pdf, letzter Zugriff am 28.02.2014) anlässlich seines Buches ZwischenWeltenSchreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz (2005) mit Verweis auf Amin Maalouf gegen den Begriff der Frankophonie, den er für ausgrenzend hält, da so in „Auteurs Français“ und „Auteurs Francophones“ unterschieden würde. In seiner Monographie entwickelt er den Begriff der „Literaturen ohne festen Wohnsitz“, der sich gleichzeitig gegen die Statik der Terminologie von „Exilliteratur“ und „Migrationsliteratur“ abgrenzt, vgl. 2005, bes. 14. Ettes Erwägungen ist grundsätzlich zuzustimmen, jedoch handelt es sich bei „frankophoner“ Literatur auch um einen historischen Begriff, ohne den unter Umständen nicht deutlich verstanden wird, wovon die Rede ist. Abgesehen davon bezeichnen Djebar und Ben Jelloun ihre Literatur selbst so, siehe beispielsweise im Kapitel „Être une voix francophone“ in Ces voix qui m’assiègent (1999) von Djebar, 25-40, und setzen sich kritisch mit dem Begriff auseinander. In dieser kritischen und reflektierten Form wird der Begriff auch hier verwendet, wobei die Schriftsteller keinesfalls darauf festgelegt werden sollen. Beiden Autoren geht es auch darum, die Eigenheiten ihrer französischen Sprachen in den Vordergrund zu stellen.
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auch Konzeptionen von Geschichten als selbstständig existierenden Wesen, die den Körper der Erzählerin bewohnen, sowie das Motiv der besessenen Dichterin, in deren Körper ein Dschinn haust, der seinem Wirt Geschichten einflüstert. Beide Autoren entwickeln in ihrem jeweiligen erzähltheoretischen Ansatz spezifische Konzepte einer „Verkörperung“ des Erzählens, indem sie Erzählakttheorien miteinander verbinden, die sich eigentlich ausschließen müssten. Scheinbar unproblematisch können so performative Aspekte des Erzählens mit dem Körper, bei dem die Geschichte im Akt des Erzählens überhaupt erst entsteht, neben konventionelleren Ansätzen vom kulturellen Fundus stehen, aus dem beim Erzählen geschöpft wird, oder Vorstellungen von einer Tradierung aufgeführt werden, in der Erzählen oder Gedächtnis für die Geschichte entbehrlich sind, weil diese auch unabhängig davon als „Essenz“ existiert. Ein materielles, körpergebundenes Verständnis findet sich bei Djebar und Ben Jelloun nicht nur in Bezug auf Erzählen, sondern im Zusammenhang mit Sprache allgemein. Im zweiten Teil „Einverleibte Kolonialsprache“ stehen das Verhältnis von Körper und Kolonialsprache beziehungsweise zwischen Körper und Muttersprache und Wechselwirkungen zwischen ihnen im Zentrum. Ausgehend von der Frage, welche körperliche Metaphorik und Metonymik für die französische Sprache herangezogen wird, werden zwei Konzeptionen in den Blick genommen, die bei beiden Autoren besonders bedeutend sind: zum einen die Konstruktion des Französischen als Fremdkörper, zum anderen als Behausung und Bekleidung. In beiden Fällen erscheint die Kolonialsprache ambivalent, sie kann entfremden oder beschützen. Sie wird als Gefühlsaphasie, Nessusgewand, Schleier oder besetztes Haus dargestellt und mit Materialisierungs- und Transformationsprozessen in Zusammenhang gebracht wie Geburt oder Diebstahl. Mit Maurice Merleau-Pontys phänomenologischem Theorieansatz kann gezeigt werden, dass beide Autoren Sprache als etwas verstehen, das zur Sphäre des Körpers gehört und daher in das Körperschema integriert wird. Dies ist vor dem Hintergrund des Status des Französischen als Fremd- und Kolonialsprache mit besonderen, sowohl negativen als auch positiven Implikationen für den Körper sowie affektiven Transformationen des Körpers verbunden. Gerade durch ihr Verfremdungspotential birgt die Kolonialsprache auch ganz neue, produktive Möglichkeiten für den Körper, beispielsweise die Eroberung neuer Räume. Der dritte Teil „Verkörperungen der (post-)kolonialen Gesellschaft“ sucht im ersten Schritt Antworten auf die Fragen, wie die koloniale und postkoloniale Gesellschaft anhand des Körpers dargestellt wird. Wie wird der Körper bei den Eroberungsfeldzügen imaginiert und wie dies in der Literatur verarbeitet? Welche Beziehung wird zwischen Körper, Land und Gemeinschaft hergestellt?
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Durch diesen Abschnitt leiten die zwei Thesen, dass Djebar und Ben Jelloun Kolonialdiskurse aufgreifen, in denen eine metaphorische Verbindung hergestellt wird zwischen Land oder Gemeinschaft und Körper, vor allem dem Körper der Frau. Eine dezidierte Eroberungsmetaphorik bezieht sich mithin auf beides, auf Frauenkörper und auf Territorium oder Gemeinschaft. In der Folge, und das ist die andere These, betrifft eine koloniale Eroberungsstrategie des divide et impera, des Gegeneinanderausspielens von einzelnen Gruppen, ebenfalls sowohl Land oder Gemeinschaft als auch Körper, wie beide Autoren in ihren Texten darstellen.4 In einem zweiten Schritt wird im dritten Teil die soziale Konstruktion des Körpers, vor allem der postkolonialen Gesellschaft, genauer untersucht. Hier geht es darum, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse Algeriens und Marokkos anhand des Körpers dargestellt werden. Im Zentrum stehen damit nicht mehr die politischen Herrschaftsverhältnisse der Kolonialgesellschaft, sondern die alltäglichen Machtverhältnisse in der postkolonialen Gemeinschaft. In diesem Abschnitt soll mit verschiedenen Gesellschaftstheoretikern, vor allem Pierre Bourdieu, aber auch Michel Foucault, Judith Butler, Mary Douglas oder Marcel Mauss, gezeigt werden, wie Djebar und Ben Jelloun für ihre Gesellschaftskritik den Körper in je spezifischer Weise in Szene setzen und anhand von Körpersprache, Habitus, Blickpraktiken oder Tanztechniken darstellen, wie Gesellschaft verhandelt, Kontrolle ausgeübt oder Macht infrage gestellt wird. Sie lassen den Körper als soziales Ausdrucksmedium so die Geschichte ihrer Gesellschaft erzählen. Den Körper im Roman als Medium zu inszenieren, ist ein wirkungsvolles Mittel, um komplexe und dabei anschauliche Einsichten in eine Gesellschaft zu gewähren, die auf diese Weise in ihrer Verkörperung gezeigt wird – so die dem Abschnitt zugrundeliegende These. Sozialordnungen, Machtverhältnisse, Hierarchien, Normen und Werte werden in sezierenden Blicken und fragmentierten Körpern, Körperzwängen oder nervösen Ticks dargestellt. Verhandelt wird damit unter anderem, wie Ordnung innerhalb einer Gesellschaft etabliert und aufrecht erhalten wird, wie sich das Subjekt zwischen freiem eigenem Willen und determinierenden Einwirkungen von Außen konstituiert, oder wie Grenzgänger und außerhalb der sozialen Ordnung existierende Verrückte Widerstand leisten oder Transgressionsversuche unternehmen.
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Jürgen Osterhammel beschreibt die koloniale Herrschaftspolitik des divide et impera in seinen Standardwerk von 1995 Kolonialismus: Geschichte, Formen, Folgen.
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2. ERKENNTNISINTERESSE UND FORSCHUNGSSTAND Die Relevanz des Körper-Themas ergibt sich jedoch nicht nur aus den Werken selbst, sondern ist auch über das Feld der Literatur und Literaturwissenschaft hinaus von Interesse, zum Beispiel für die Sozial- und Geschichtswissenschaften oder die Philosophie. In den Literaturwissenschaften lässt sich ein kulturwissenschaftlich inspirierter Trend zur Aufmerksamkeit für den Körper seit den 1980er Jahren beobachten,5 der auch als „Wiederkehr des Körpers“6 bezeichnet wurde. So ist beispielsweise der literarische Text unter kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten fruchtbar gemacht worden, indem er als Beitrag zur „Geschichte von Körper-Inszenierungen“ untersucht wurde, wie es sich das DFG-Graduiertenkolleg „Körper-Inszenierungen“ zur Aufgabe gemacht hatte.7 Gerade auch im Zusammenhang mit Performativität und mit den sich hieraus ergebenden Anknüpfungspunkten zwischen Philosophie, Sprach-, Theater- und Literaturwissenschaft hat sich der Körper für die Beschäftigung mit literarischen Werken als fruchtbar erwiesen.8 Für das Feld der postkolonialen Literatur scheint der Körper eine besondere Relevanz zu haben, die sich so erklären lässt, dass die Differenz zwischen der kolonialen Herrschaftsklasse und der kolonisierten Bevölkerung in erster Linie körperlich markiert war. Es ist der Körper zu allererst, der bei der Begegnung mit der Kolonialmacht für die Unterdrückten eine Rolle spielte: Prozesse des othering (Spivak) beziehen sich auf die körperliche Erscheinung und rassistisch motivierte Misshandlungen sind auf diese zurückzuführen. Der Körper ist in
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Vgl. hierzu beispielsweise die Übersicht von Assmann 2011, 91f., 118f.
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In dem gleichnamigen Sammelband von Kamper und Wulf aus dem Jahr 1982.
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Das DFG–GK „Körper-Inszenierungen“ (406) bestand von 1997-2006 an der Freien Universität Berlin. Siehe zu diesem Ansatz auch den Aufsatz des mit dem Graduiertenkolleg assoziierten Germanisten Klaus Scherpe „Kanon – Text – Medium. Kulturwissenschaftliche Motivationen für die Literaturwissenschaft“, 1999, bes. 29. Mit der Methode, durch Texte Einsichten in soziale Praktiken für eine Kulturgeschichte des Körpers zu gewinnen, ist außerdem der New Historicism verbunden. Vgl. hierzu besonders Stephen Greenblatts Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare (1980) und die von Greenblatt mitbegründete Zeitschrift Representations. Vgl. zu beiden Ansätzen außerdem Assmann 2011, 23f. und 118f.
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Siehe beispielsweise die Monographien Körper mit Gesicht. Rhetorische Performanz und postkoloniale Repräsentation in der Literatur am Ende des 20. Jahrhunderts (2006) von Sigrid Köhler und Sprechende Körper – Poetik der Ansteckung (2009) von Elisabeth Strowick.
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dieser Begegnung Disziplinierungen, Kontrollausübung und Zuschreibungen wie „inferior“, „triebgesteuert“, „impulsiv“ oder „unkontrolliert“ ausgesetzt.9 Die koloniale Erfahrung und ihre Nachwirkungen sind so vor allem eine körperliche Erfahrung, wie Frantz Fanon in Peau noir, masques blancs (1952) vor Augen führt. Zumindest in einem Teil der (post-)kolonialen Literatur, zu dem auch Djebars und Ben Jellouns Texte zählen, tritt damit ein spezifisch (post-)kolonialer Körper auf. Was genau ist dieser postkoloniale Körper, den die beiden Schriftsteller entwerfen? Die literaturwissenschaftliche Forschung, die sich auf Djebar und/oder Ben Jelloun konzentriert, hat den Körper längst als produktiven Ansatzpunkt für sich entdeckt. Doch lässt sie genau diese Fragen nach der Spezifik des Körperlichen, wie Djebar und Ben Jelloun sie entwickeln, außen vor. Wie wird der Körper genau vorgestellt und verstanden? Was ist das für ein Körper, an dem Dinge wie Sprache, Gesellschaft oder Literatur ausgehandelt werden? Was macht ihn spezifisch postkolonial? Sicherlich wird und wurde Körperlichkeit in vielen wissenschaftlichen Arbeiten zu postkolonialen Kulturen herausgearbeitet, dies jedoch weder systematisch noch, um zu einem besseren Verständnis vom Körper selbst beizutragen. Genau umgekehrt dient er meist als Gradmesser für andere Themen. Welche Vorstellungen der Konstruktion des Körpers zugrunde liegen, wird kaum oder nur am Rande gefragt; im Gegenteil wird der Körper als gegebene Konstante angeführt. Jedoch sind Auffassungen vom Körper ja in erheblichem Maß kulturell und historisch variabel. Eine Theorie von Maurice Merleau-Ponty aus der Phénoménologie de la perception (1945) soll helfen zu veranschaulichen, wie die Autoren den Körper in ihrer Literatur begreifen. Im Körperschema, das im zweiten Teil des Buchs noch ausführlicher diskutiert wird, kommen Wahrnehmung vom materiellen, aus einzelnen Teilen zusammengesetzten Körper und Vorstellung vom eigenen Körper zusammen und werden als Einheit empfunden. Damit ist noch kein spezifisches Körperschema benannt, das soll bei Ben Jelloun und Djebar jeweils
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Vgl. zur allgemeinen Bedeutung des Körpers in und nach der Kolonialzeit den Lexikon-Eintrag „Post-Colonial Body“ in Post-Colonial Studies. The Key Concepts, Ashcroft 2007, 166. Zu weiterführender Literatur siehe Abschnitt „Postkoloniale Körperkonzepte in der Literatur“, Fn. 545. Mit Bezug auf Julia Clancy-Smiths Artikel „Islam, Gender and Identities in the Making of French Algeria, 1830-1962“ untersucht Mary Ellen Wolf in ihrem Aufsatz „After-Images of Muslim Women: Vision, Voice, and Resistance in the Work of Assia Djebar“ (2010, 23-46) unter anderem die kolonialen Zuschreibungen zum weiblichen, muslimischen Körper, der als „minderwertig“, „rückständig“ und „different“ gesehen wird, vgl. 23.
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herausgearbeitet werden. Spezifischer müsste gefragt werden (Merleau-Ponty tut dies anhand von pathologischen Fallstudien), was alles zur materiellen Seite des Schemas gehören kann (zum Beispiel Gliedmaßen, aber auch Prothesen, Blindenstöcke oder für unseren Kontext der Schleier), welche Prozesse die Schematisierung im einzelnen beinhaltet (beispielsweise Amputation oder Verschleierung) und wie Selbst- und Fremdwahrnehmung variieren können (wird die Prothese als Teil des Körpers empfunden? Wie ist es beim Schleier? Kann der eigene Körper fremd sein?). Solche spezifischen Körperschemata sollen in den Entwürfen der Autoren gefunden und eingehender reflektiert werden: Aus welchen Teilen setzt sich der Körper zusammen, welche werden als zugehörig empfunden, welche nicht? Hier können beispielsweise ein Haus oder Geschichten als in die Körpersphäre gehörend vorgestellt werden, während die Stimme gleichzeitig als etwas Körperfremdes empfunden wird. Wie wird die Interaktion des Körpers mit der Umwelt wahrgenommen, wie Gelerntes und Soziales oder Kulturtechniken in das Körperschema integriert, also etwa eine Fremdsprache oder Blicke? Wie wird durch Einwirkungen der sozialen Umwelt, gewissermaßen als Gegenprozess zur Integration in das Körperschema, etwas bereits Inkorporiertes wie einzelne Körperteile, zum Beispiel die Beine, aus dem Körperschema wieder ausgegliedert und plötzlich als etwas Fremdes wahrgenommen? Mit dem Desiderat, den postkolonialen Körper genauer verstehen zu wollen, ist ein methodisches Postulat verbunden, das gleichzeitig eine Kritik an der vorangegangenen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Körper bei Djebar und Ben Jelloun darstellt. Die Körper-Thematik ausschließlich mit europäischen Diskursen aufzuarbeiten, kann beim Verständnis kultureller Konzepte, die zu einem guten Teil nicht europäisch sind, nicht ausreichend sein. Hier soll ein anderer Ansatz verfolgt und, wann immer die Texte darauf schließen lassen, auch außereuropäische Ideen, Theorien, Vorstellungen oder Diskurse des Körpers einbezogen werden. Die bisherigen Arbeiten reflektieren nicht systematisch, als was und wie der Körper jeweils in den Texten begriffen wird, und können daher auch nicht tiefergehend zeigen, wie die Autoren die erzählerische, sprachliche oder soziale Interaktion des Körpers mit seiner Umwelt in Szene setzen. Ein großes Problem zeigt sich außerdem bei der Beurteilung von Gesellschaften, wie sie in literarischen postkolonialen Texten dargestellt werden: Obwohl viele der wissenschaftlichen Arbeiten auf Edward Said (Orientalism von 1978) verweisen, argumentieren doch die meisten mit orientalistischen Topoi, Denkmustern oder Terminologien. Natürlich liefern die Autoren in manchen Fällen die Vorlage für solche Bewertungen, weil sie selbst schon orientalistische Zuschreibungen unreflektiert
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übernehmen und sich so selbstorientalisieren. Djebars Polemiken sind dafür ein gutes Beispiel, wenn sie etwa den statischen Körper der Muslimin mit dem beweglichen der Europäerin kontrastiert. Die wissenschaftliche Beschäftigung versäumt es dabei, sich klar von den Darstellungen der Autorin abzugrenzen und diese kritisch zu hinterfragen. Häufige klassisch orientalistische Topoi, die herangezogen werden, sind die Statik, Ethnologisierung und Enthistorisierung von muslimischen Gesellschaften und Körpern sowie monolithische Vorstellungen vom Islam.10 So werden Djebars oder Ben Jellouns Aussagen als exemplarisch für die islamische (und nicht eine muslimische) Gesellschaft gesehen und nicht als das, was sie sind: Die persönlichen künstlerischen Zeugnisse von zwei einzigartigen Schriftstellern, die zunächst für sich selbst stehen und darüber hinaus auf eine konkrete gesellschaftliche und historische Situation Bezug nehmen. Keinesfalls aber repräsentieren sie den Islam als solchen.11 Hier zeigt sich, dass der Orientalismus noch lange nicht überwunden ist. Bengt Novén hat beispielsweise eine der wenigen Monographien zu Ben Jelloun vorgelegt, die das Körper-Thema schon im Titel trägt. Auch der Anfang von Les mots et le corps. Étude des procès d’écriture dans l’œuvre de Tàhar Ben Jelloun (1996) lässt einiges erwarten, wenn festgestellt wird: „L’élément premier, obstiné et obsessionnel de l’écriture de Tahar Ben Jelloun c’est le corps“12. Es wird aber schnell deutlich, dass der Fokus der Monographie tatsächlich weniger auf der konzeptuellen Konstruktion des Körpers liegt, also auf der Frage danach, wie der Körper gedacht und verstanden wird, als vielmehr auf seiner sprachlichen Repräsentation: „C’est précisément ce procès de transformation corporelle, de genèse dynamique des avatars du corps provenant d’un écrire, pour parler comme Blanchot, que notre étude voudrait saisir. [...] Le ‚corps‘ chez Tahar Ben Jelloun serait un aspect de cet en deçà du langage.“13 Natürlich kann es beim Thema des Körpers in der Literatur immer nur um einen diskursiven und keinen materiellen Körper aus Fleisch und Blut gehen. Insofern kann die literarische Konstruktion des Körpers nur über die Sprache erschlossen werden. Jedoch folgt daraus keineswegs, wie Novén dies annimmt, dass der Körper einzig als semiotisches Phänomen betrachtet werden könnte, das der literarischen Sprache
10 Siehe zu den gängigen orientalistischen Stereotypen, Said 2003, z.B. 284-328. 11 Ein Beispiel zum besseren Verständnis: Wenn europäische Autobiographien familiäre Verhältnisse, etwa eine schwierige Beziehung zum Vater, thematisieren, würde dies nicht als gültige Aussage über die westliche Gesellschaft als Patriarchat verstanden werden, sondern als persönliches Zeugnis und Problem einer Autorin. 12 Novén 1996, 11. 13 Ebd., 13f. Hervorhebung im Original.
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zu- und untergeordnet sei: „Le corps chez Tahar Ben Jelloun est donc un phénomène sémiotique qui ramène, en dernier ressort, au langage.“14 Wenn Philosophie und Soziologie sich mit der Frage beschäftigen, was der Körper ist, wie er vom Selbst und von Anderen wahrgenommen wird und wie er sozial interagiert, dann etablieren sie Diskurse, die das Wesen des Körpers in unserem Verständnis entstehen lassen. In der Literatur ist dies nicht anders. Den Körper als bloßen semiotischen Referenten zu begreifen verkennt das performative Potential von Diskursivität. Novéns Arbeit schneidet viele interessante Aspekte des Körperlichen zumindest terminologisch an – darunter zerstückelte Körper, die Gleichsetzung von Körper und Stadt oder Inkorporierung. Der Verfasser versäumt jedoch, die Aspekte in die Tiefe zu verfolgen und konsequent zu Ende zu denken. Vielmehr wird eine Vielzahl von Theorien an das Werk Ben Jellouns herangetragen, anstatt sich auf Sinn- und Interpretationsangebote des Autors einzulassen. Novén versteht die Texte allein vor diesem theoretischen Hintergrund und zeigt weder auf, wo sie über die Theorie hinausgehen, noch, wo sie sich in produktiver Differenz zu ihr lesen lassen. Ben Jellouns Literatur geht so, scheint es, vollständig in der herangezogenen Theorie auf und besitzt abgesehen von der Komposition verschiedener Ansätze kaum einen eigenen Mehrwert. Insbesondere im Zusammenhang mit der psychoanalytischen Perspektive, die Novén einschlägt,15 wird dies deutlich. Sie führt den Verfasser der Studie in Anlehnung an Jacques Lacan zu der Annahme, die Darstellung der Stadt Fes als zerstückelter Körper in L’écrivain public (1983) korrespondiere mit einem „stade archaïque qui reste sous forme de traces dans la psyché“. An dieser Stelle und an vielen anderen im Verlauf der Studie wird der Körper nicht mehr nur der Sprache untergeordnet, sondern in der für Theorien der Psychoanalyse typischen Weise auch der Psyche. Nicht hinterfragt wird dabei, ob eine derartige cartesische dualistische Denkweise überhaupt dem Verständnis des Körpers entspricht, das Ben Jelloun in seiner Literatur entwickelt. Die psychoanalytische Betrachtungsweise verstellt so eher den Blick auf die Auseinandersetzung des Autors mit dem Körper, als diese besser zu erklären. Wenn es beispielsweise um das spannende und komplexe Thema der Inkorporierung geht, begrenzt der psychoanalytische Theorieansatz die vielschichtigen Darstellungen mit dem starren Raster der Kategorien Melancholie, Schizophrenie und Narzissmus, unter das
14 Ebd. 11. 15 Vgl. Novén 1996, 15: „Il nous semble donc qu’une approche d’inspiration psychanalytique offre la possibilité de décrire le procès scriptural dans son rapport avec le corporel.“
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der Text subsumiert wird. Symptomatisch dafür, wie Novén am Körperlichen bei Ben Jelloun vorbeiargumentiert, ist das Bild, das er für seine Beschreibung von „Inkorporierungsprozessen“ findet: das der Statue.16 Das produktive und dynamische Bewohntsein oder Behaustwerden des Körpers durch Figuren und Geschichten, das Ben Jelloun in immer neuen Dimensionen darstellt, wird hier auf ein Bild gebracht, das durch seine Statik überhaupt nicht zu den Ideen des Autors passt: Dans L’enfant de sable, Ahmed décrit également comment il loge en lui les personnages qu’il invente. [...] Cette incorporation, cet enrichissement intérieur qui fait indifféremment apparaître le corps de l’écrivain comme statue voilée et comme maison vide est donc le point nodal du procès d’écriture chez Tahar Ben Jelloun.17
Wie die Metapher der Statue in diesem Zitat exemplarisch verdeutlicht, bleibt Novén in seiner Analyse in Bezug auf den Körper an der Oberfläche und wagt weder einen Blick unter das, was er selbst als optisch „Sichtbares“ festlegt, noch zieht er Schlussfolgerungen aus seinen Feststellungen. Obwohl der Körper auf diese oberflächliche und auf Begriffe reduzierte Weise in einigen Arbeiten thematisiert wird,18 fällt auf, dass er als Sujet immer nur einen Teilaspekt der Fragestellung darstellt und eher für Aufsätze als für eigenständige Werke von Interesse ist. So gibt es kaum Monographien zum Körper bei Ben Jelloun oder Djebar und gar keine, die in einem komparatistischen Ansatz beide Autoren mit dieser Perspektive (oder überhaupt) vergleicht.19 Zu Ben Jelloun gibt es neben Novéns bereits aufgeführter Studie noch Monographien mit einer Körperthematik von Axel Hammas, Images et écritures du corps
16 Vgl. ebd. 173-176. Dieses Bild findet er bei Chanfrault 1989, nennt jedoch den Urheber nicht. 17 Ebd. 174. 18 Novén lässt sich für seinen Ansatz beispielsweise von dem kurzen Artikel „La Connotation du corps et ses référents érotiques dans l’œuvre de Tahar Ben Jelloun“ von Ridha Bourkhis (1992, 275-282) inspirieren, der sich selbst wiederum auf Bernard Chanfraults Aufsatz „Figure du corps et problématique de l’oralité dans L’Enfant de sable et La Nuit sacrée de Tahar Ben Jelloun“ (1989, 41-59) bezieht, ohne den Zitaten Seitenzahlen beizufügen. Der Aufsatz von Chanfrault geht ebenfalls semiotischpragmatisch (41) vor und untersucht die Motive der Statue und des Spiegels (45). 19 Ein solches komparatistisches Experiment, bei dem Ben Jelloun, Djebar und noch weiteren Autoren verglichen werden, wagen Erickson 2008, 37-95, und Hayes 2000, 165-214.
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dans l’œuvre romanesque de Tahar Ben Jelloun (2003), und Françoise LeflaiveVernet, Corps et écriture à travers l’œuvre de Tahar Ben Jelloun (1999), sowie zwei unveröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten von Mehdi Ait Ahmed, Le langage du corps dans La nuit sacrée de Tahar Ben Jelloun (1989) und La poétique du corps chez Tahar Ben Jelloun à travers Harrouda, L’écrivain public et La nuit sacrée (1994). Auffällig ist dabei, dass alle diese Arbeiten sich dem Thema über einen strukturalistisch-linguistischen Ansatz nähern, der mit einer psychoanalytischen Perspektive verbunden wird.20 Außerdem verwenden sie
20 So Hammas 2003, 13, und Leflaive-Vernet, die in ihrer Monographie Corps et écriture à travers l’œuvre de Tahar Ben Jelloun von der Feststellung ausgeht, dass der Körper „n’est perçu ni par lui ni par nous comme un thème au sens de la critique traditionnelle mais comme un élément impliqué dans le processus de l’écriture. On devine que c’est l’étude de textes qui nous permettra de cerner les relations corps/écriture“ (Leflaive-Vernet 1999, 26). Diese Annahme trifft aber natürlich auf alle Themen in der Literatur zu. Dennoch ist sie für Leflaive-Vernet Anlass genug für „une approche linguistique centrée sur le sens qui tienne compte du dialogisme culturel“ (26). Ihre zentrale These lautet dabei: „le texte est un corps en marche animé d’une symétrie dynamique“ (27). Dieses/n „corpus“ unterzieht sie einer Wortfeldanalyse mit dem Ziel der „délimitation des sèmes et des classes sémantiques“ (33). Gestützt auf die Semantik-Theorien des französischen Linguisten François Rastier ordnet LeflaiveVernet Ben Jellouns Sprache im Folgenden binäre Oppositionen zu. So kommt es, dass der Eigenname Harrouda, nach welchem ein Roman Ben Jellouns von 1973 benannt ist, folgendermaßen interpretiert wird: „Les deux occurrences nous incitent, dans la mesure où il s’agit les deux fois du corps d’une femme: Harrouda, à isoler dans le sémème corps le sème /humain/ ainsi que /féminin/“ (39). Sie liest Harrouda also nicht in der Systematik des Textes, sondern trägt zwei Seme an das Semem „Körper“ dieser schillernden und facettenreichen Figur heran, die nicht zu ihrer Charakterisierung führen, sondern davon weg. Dass die Verfasserin die binären Oppositionen in einer „Symétrie dynamique“ wieder aufzulösen versucht, „de dépasser les contradictions inhérentes à un dualisme (esprit/corps) ou tout au moins à une dualité (deux langues, deux lieux d’énonciation...) paralysante pour l’écrivain ‚bilingue‘“ (91), ist an sich zu befürworten. Jedoch arbeitet sich Leflaive-Vernet hier an der eigenen Weltsicht ab, denn sie ist ja diejenige, die diese Oppositionen an den Text heranträgt. Sie dekonstruiert damit einen Teil ihres eigenen Ansatzes. In derselben Logik argumentiert sie, wenn es um die Diskussion von Kultur und kulturellen Zuschreibungen geht: „C’est ainsi que la mentalité musulmane récuse violemment l’idée de [...]“ (95) oder „La conception occidentale de l’identité est [...]“ (96) sind häufig gebrauchte Wendungen, deren Wahrheitsgehalt nicht weiter überprüft wird. Dass die daran an-
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binäre Oppositionen zur Erklärung der Texte und applizieren auf eurozentrische Weise universalisierende Ansichten auf Ben Jellouns Literatur.21 Bei Hammas finden sich, ebenso wie bei Novén, überaus interessante Ansätze, wie beispielsweise das Körperschema zur Erklärung des Körpers.22 Jedoch setzt er sich weder mit Maurice Merleau-Pontys Theorie auseinander (er nennt ihn nicht einmal),
schließende Applikation psychoanalytischer Theorien nicht sinnvoll funktionieren kann, liegt nicht zuletzt an den ungenügenden Vorbedingungen: „Après ces considérations culturelles qui relèvent de la sémiotique des cultures, nous nous proposons de rentrer un peu plus avant dans le tissu du texte en évoquant des motifs qui signifient pour nous de manière concrète l’interaction du visuel et de l’écriture, puis la linéarité du signifiant et d’autres réalités scripturaires, enfin la ‚légèreté‘ de (ou des) l’énonciateur(s) de référence. Nous commençons par le motif du miroir multiple parce qu’il est lié aux origines et à la fin de l’homme“ (98). Warum der Spiegel für Anfang und Ende des Menschen signifikant ist, wird mit Verweis auf den Urheber dieses Gedankens nicht geklärt. Offen bleibt vor allem, inwiefern dies für Ben Jellouns Texte im Besonderen relevant sein könnte und nicht einfach auf alle Texte anwendbar ist. 21 So rollt Hammas in Images et écritures du corps dans l’œuvre romanesque de Tahar Ben Jelloun beispielsweise die „Menschheitsgeschichte des Körpers“ auf zehn Seiten auf: „L’histoire de l’être humain a été souvent marquée par l’opposition plus ou moins implicite du corps à l’esprit, doublée d’une autre, plus explicite celle-ci, de l’homme à la femme. [...] Ce dualisme s’ouvre notamment sur des oppositions qui démontrent si besoin est, l’écart qui s’est créé et n’a cessé de s’accroitre entre les différentes composantes de l’être. Pur/impur, haut/bas, noble/vil, éternel/éphémère..., ce sont là des oppositions où le corps occupe évidemment tous les états malheureux et dysphoriques, et où l’esprit est toujours glorifié et valorisé“ (78f.). Angefangen bei der Antike stellt der Verfasser Schlaglichter der Körpergeschichte bis heute dar und nimmt dabei ausschließlich auf europäische Denker Bezug. Es folgt ein Extrakapitel „Le corps et l’Islam“ außerhalb der historischen Einordnung, als hätte der Islam mit der (europäischen) Geschichte nichts zu tun. Auch bei ihm finden sich zahlreiche nicht weiter belegte Allgemeinplätze, wie: „L’instinct sexuel: Contrairement au Christianisme qui n’a jamais considéré avec faveur l’instinct sexuel, l’Islam, lui, n’en fait pas un tabou“ (92) oder: „L’identité du ‚je‘ s’est affirmée depuis longtemps en Occident, trouvant même dans l’acte de confession chrétienne un facteur propice qui favorisa son émancipation“ (270). Er kommt über diesen Ansatz zur Psychoanalyse und konzentriert sich genau wie Leflaive-Vernet auf das Motiv des Spiegels, ohne dieses Vorgehen aus dem literarischen Text heraus zu begründen (vgl. 277-349). 22 Ebd., 108-111.
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noch verwendet er die Theorie produktiv im Zusammenhang mit Ben Jelloun. Sie steht einfach unverbunden vor der literarischen Analyse. Die Monographien zum Körper bei Djebar sind Anna Roccas Assia Djebar, le corps invisible. Voir sans être vue (2004) sowie die unveröffentlichte Doktorarbeit La femme et son corps dans l’œuvre d’Assia Djebar (1985) von AnneMarie Sardier-Gouttebroze. In Roccas Arbeit geht es, wie der Titel besagt, um den verschleierten und auf diese Weise „unsichtbaren“ weiblichen Körper. Sie lotet exemplarisch an drei von Djebars Romanen, L’amour, la fantasia (1985), Vaste est la prison (1995) und Les nuits de Strasbourg (1997), die Bedeutungsdimensionen des Schleiers zwischen den beiden Polen Unsichtbargemachtwerden und Geschütztsein aus. Die zentrale These ihrer Studie lautet, dass Djebar als Insiderin der algerischen Gesellschaft, die bei Rocca einzig in ihrer patriarchalen Dimension zur Geltung kommt, den weiblichen Körper innerhalb dieser Dichotomie inszeniert und beide Pole immer wieder destabilisiert: Assia Djebar opère de l’intérieur du système patriarcal, afin de le subvertir. Elle ne réclame pas la visibilité du corps féminin en lieu et place de l’invisibilité passive imposée par les règles de sa société sur le corps de la femme algérienne. Bien plutôt, l’auteur déstabilise la dichotomie entre la visibilité et l’invisibilité du corps de la femme, et modifie la notion de passivité présente dans l’idée d’invisibilité depuis l’intérieur de sa société.23
Einen wichtigen Part übernimmt bei der „Subversion des patriarchalen Systems“ nach Rocca die Darstellung von Sexualität und der weiblichen Wiederaneignung von eigenem Körper und Begehren. Die Romanistin lässt sich dabei von der Frage leiten, wie diese Wiederaneignung möglich wird „dans une société qui érige en principes l’invisibilité du corps féminin, le silence de la femme, et l’hostilité entre les sexes“24. Der Leserin erschließt sich dabei nicht, ob Rocca selbst die algerische Gesellschaft so charakterisiert oder sich dabei auf Djebar bezieht.25 Mit ihren pauschalen Zuschreibungen zeichnet Rocca ein wenig diffe-
23 Rocca 2004, 16. 24 Ebd. 25 Dies ändert sich auch im Verlauf ihrer Analyse nicht: An keiner Stelle markiert Rocca die pauschalen Zuschreibungen an die Gesellschaft als ihre eigenen oder die der Autorin, deren Texte sie untersucht. Sie stehen vielmehr als unreflektierte und undifferenzierte Behauptungen im Raum und lassen den Eindruck entstehen, dass Roccas Beurteilung der algerischen Gesellschaft und Kultur, die als homogene Masse erscheint,
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renziertes Bild von der algerischen Gesellschaft, die bei Djebar trotz stellenweiser Polemik wesentlich widersprüchlicher und vielschichtiger dargestellt wird. Die Verfasserin kann damit den Gesellschaftsentwürfen der Autorin nicht gerecht werden, die sich besonders in Bezug auf das Geschlechterverhältnis immer wieder heterogen und ambivalent zeigen.26 In auffallend vielen Beiträgen steht der Körper im Vordergrund, wenn es um die sexuelle und soziale Befreiung der Frau vom patriarchalen System und seinen als verkrustet dargestellten Wertvorstellungen geht. So widmen sich dieser Aufgabe aus feministischer Perspektive die Aufsätze von Fatma HaddadChamakh, „Parole(s) de femme(s) saisie(s) à travers la différence sexuelle et la différence culturelle: Assia Djebar“ (2004, 153-161), Sofiane Laghouati, „Quand le corps s’écrie/s’écrit? Manifestations et enjeux des corps féminins dans l’œuvre d’Assia Djebar“ (2007, 79-90), Laurence Huughe und Jennifer Curtiss Gage, „‚Ecrire comme un voile‘: The Problematics of the Gaze in the Work of Assia Djebar“ (1996, 867-876), Mildred Mortimer, „Reappropriating the Gaze in Assia Djebar’s Fiction and Film“ (2000, 213-228) oder Jane Hiddleston, „Feminism and the Question of ‚Woman‘ in Assia Djebar’s Vaste est la prison“ (2004, 91-104).27 Die häufigsten Sujets und Motive, die in den Blick genommen werden, sind Sexualität, Schleier, Sichtbarkeit des weiblichen Körpers, Blicke, Stimme und das weibliche Kollektiv. Eine Ausnahme bildet Mary Ellen Wolfs „After-Images of Muslim Women: Vision, Voice, and Resistance in the Work of Assia Djebar“ (2010, 23-46), das sich zwar aus feministischer Perspektive mit Djebars Werken beschäftigt, viel stärker aber auch postkoloniale mikrohistorische Studien einbezieht. In ihrer Arbeit steht die Macht der Bilder und die Politik des Abbildens im Zentrum, vor deren Hintergrund auch das Motiv des Blicks zu sehen ist. Eine gute Grundlage für die vorliegende Analyse bilden Monographien, in denen das Körperthema im Vergleich mit mehreren Autoren aufgearbeitet
aus einer eurozentrischen Haltung heraus entsteht. Die Rolle der ehemaligen Kolonialmacht in Bezug auf das Geschlechterverhältnis wird gar nicht angesprochen. 26 So gibt es zum Beispiel viele Passagen bei Djebar, in denen nicht der Kampf zwischen den Geschlechtern im Vordergrund steht, sondern Solidarität und Loyalität im antikolonialen Widerstand (vgl. z.B. exemplarisch L’amour, la fantasia, 167-178). 27 Im Vergleich mit Abdelkébir Khatibi diskutiert Alfonso de Toro die Werke Djebars unter diesen Gesichtspunkten in seinem Aufsatz „Au-delà de la Francophonie: représentations de la pensée hybride au Maghreb (Abdelkebir Khatibi – Assia Djebar)“, 63-86.
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wird,28 so besonders John Ericksons Islam and Postcolonial Narrative (2008)29 und Jarrod Hayes’ Queer Nations: Marginal Sexualities in the Maghreb (2000)30 zu Djebar und Ben Jelloun sowie Nada Elias Trances, Dances and Vociferations. Agency and Resistance in Africana Women’s Narratives (2001)31 zu Djebar. Auf diese Studien wird zurückgegriffen. Alle drei wenden sich dezidiert gegen eine durch binäre Oppositionen strukturierte Weltsicht und zeigen, wie sich die Texte der beiden Autoren (und anderer) kategorisch solchen hegemonialen und totalisierenden Prozessen des „institutionalisierten Denkens“32 verweigern, wie sie universalisierenden, konformistischen und reduktionistischen Systemen eigen sind – seien diese kolonialistisch oder nationalistisch. Mit einem diskursanalytischen Ansatz, der sich auch auf postkoloniale und feministische Theoriebildung stützt, werden narrative Strategien des „counterdiscourse“33 herausgearbeitet und gezeigt, dass und wie diese eng an den Gegenstand des Körperlichen geknüpft sind. Ein Beispiel hierfür ist die Neuschreibung von Geschichte als gelebte Körpergeschichte34, als „Queering the Nation“35 oder als „re-membering or anamnesis“36. In etwas anderer Stoßrichtung diskutiert Claudia Gronemann Djebars Werke im Vergleich mit anderen Schriftstellern, wobei auch der Körper berücksichtigt wird. Ihre Monographie Postmoderne – postkoloniale Konzepte der Autobiographie in der französischen und maghrebinischen Literatur. Autofiction – Nouvelle Autobiographie – Double Autobiographie – Aventure du texte (2002) beschäftigt
28 Ebenfalls im Vergleich mit anderen Autoren untersuchen die Werke von Djebar in Hinblick auf den Körper Typhaine Leservot in Le corps mondialisé. Marie Redonnet; Maryse Condé; Assia Djebar (2007), Sofiane Laghouati in Écrire: le corps comme territoire entre les langues la ‚diglossie littéraire‘ dans l’œuvre de Claude Ollier et d’Assia Djebar (2008) und Nina Niederl in Körper, Kleider, Kommunikation. Kleidung als Vehikel für das Frauen-Bild in muslimischer Literatur (2011). 29 Besonders Erickson 2008, 37-95. 30 Besonders Hayes 2000, 165-214. 31 Besonders Elia 2001, 11-42. 32 Erickson 2008, ix. 33 Ebd., 1; Elia 2001, 3; Hayes spricht von „combat literature[, that] confronts the literary with other discourses (such as official proclamations, the media, and political, academic, and religious texts) in dialogic encounters“, Hayes 2000, 2. 34 Vgl. Elia 2001, bes. 9, sonst passim. 35 Vgl. Hayes 2000, 20, der darin „a sort of literary history of the Maghreb in reverse“ sieht. 36 Erickson, 29; Hervorhebung im Original.
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sich mit dem postmodernen und postkolonialen autobiographischen Schreiben. Ausgegangen wird von der These, dass mit dem Schreiben die literarische Konstitution von Subjektivität einsetzt und sich dies insbesondere bei postkolonialer Literatur zeigt.37 Da die Autoren „jenseits ihrer Muttersprache“38 schreiben, sei ihnen die Autobiographie als „literarische ‚Rückgewinnung‘ des Ich“39 von vornherein unmöglich, sie müssten sich in jener Sprache erst konstituieren. Der Körper spielt in Gronemanns Betrachtungen nur im Zusammenhang mit dem Schreiben eine Rolle – es handelt sich ja um eine Arbeit zur Autobiographie –, etwa wenn sie auf das „Sichtbarwerden“ der schreibenden Frau und in diesem Zusammenhang auf die Fragen von Schleier und Entblößung eingeht.40 Beson-
37 Vgl. Gronemann 2002b, 118. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Vgl. ebd., 142. Auch bei Gronemann gibt es die Tendenz, in ihrer Diskussion der algerischen Gesellschaft ihre eigenen Ansichten nicht klar von denen Djebars zu trennen, wenn sie zum Beispiel konstatiert: „Mit der gesellschaftlichen Öffnung islamischer Länder wandelt sich jedoch auch die Funktion des Schleiers, da er die Frauen zwar schützt, zugleich aber auch benachteiligt, sie nicht nur für die Männerwelt, sondern auch in der Gesellschaft unsichtbar macht und ihnen den Zugang zu einem dem Wandel gemäßen modernen Rollenverständnis versperrt“ (2002b, 142f.). Mehrere Annahmen dieses Zitats müssten kritisch hinterfragt werden: Gab es in der Geschichte der „islamischen Länder“ jemals eine Zeit der gesellschaftlichen Geschlossenheit oder muss nicht vielmehr davon ausgegangen werden, dass, abgesehen vielleicht von fern abgelegenen Bauerndörfern, Gesellschaften grundsätzlich immer im kulturellen, wirtschaftlichen oder sonstigen Austausch mit anderen stehen und standen? Insbesondere bei der Terminologie wäre eine klare Zurechenbarkeit (Djebar oder Gronemann) wichtig, weil der Terminus „Öffnung“ etwa einen Rückgriff auf die Begriffe der kolonialen Ideologie darstellt. Es handelt sich dabei um einen Topos der britischen Eroberer, die in der Form eines „Freihandelsimperialismus“ zwischen 1830 und 1880 China, Japan, Siam (Thailand), das Osmanische Reich und das zu dieser Zeit von letzterem unabhängige Ägypten zur Öffnung ihrer Märkte für die Produkte der britischen Industrie zwangen (vgl. hierzu Osterhammel 1995, bes. 24 und 39). Politisch selbstständige Staaten wurden den wirtschaftlichen und strategischen Interessen der Kolonialmacht gefügig und durch die Öffnung ihrer Ökonomien einem „informal empire“ zugänglich gemacht. Dies konnte durchgesetzt werden durch diplomatischen Druck, militärische Drohungen und punktuelle Flotteninterventionen, wie etwa im „Opiumkrieg“, durch den das Chinesische Kaiserreich 1842 „geöffnet“ wurde (ebd. 24). Gleichzeitig ist „Öffnung“ auch ein Euphemismus, den sich die islamischen Eroberer
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ders interessant ist der Abschnitt zu „Rekodifizierungen des Körpers“41, in welchem Gronemann zu dem Ergebnis kommt, dass [d]iese mit der Schrift verlorene Körpergebundenheit daher von Djebar rekodifiziert [wird], sowohl über die Darstellung von Frauenkörpern wie auch des Schreibakts als einer Körpertechnik selbst: Einerseits inszeniert die Autorin den eigenen körperbetonten Schriftumgang, andererseits werden die weiblichen Körper, mediale Träger des kulturellen Gedächtnisses, als Schrift entworfen.42
Gronemann zeigt, wie Djebar den weiblichen Körper als medialen Träger des kulturellen Gedächtnisses inszeniert, indem sie Frauenstimmen, deren mündliche Struktur oder Polyphonie darstellt.43 Die Autorin revidiere so „die in der französischen Schrift vollzogene Auslöschung von Körperlichkeit“44. Im Gegensatz zu den Arbeiten von Novén, Leflaive-Vernet, Hammas oder Rocca geht Gronemann bei ihrer Erörterung des Verhältnisses von Körper und Schreiben mit
auf die Fahnen geschrieben hatten, als sie beispielsweise das hauptsächlich von Berbern bevölkerte Nordafrika für die Religion des Islam um das Jahr 700 n. Chr. herum „öffneten“, also eroberten. Der arabische Begriff „fatḥ“ bedeutet sowohl „Islamische Eroberung“ als auch „Öffnung“ und dabei wurde fast immer Gewalt angewandt oder angedroht. Zurück zum Zitat müsste weiterhin gefragt werden, ob es nicht etwas verkürzt und eindimensional ist, den Schleier als ein Phänomen mit zwei Funktionen, Schutz und Benachteiligung, zu verstehen. Was ist beispielsweise mit dem Schleier als politischem Symbol oder sogar als strategisches Mittel des Kampfes im Algerienkrieg? Auf wen geht ferner der Begriff des „modernen Rollenverständnisses“ zurück und was wird hierunter verstanden, ein europäisches? Warum aber sollte sich eine nicht-europäische Gesellschaft an den Errungenschaften der europäischen Moderne messen lassen müssen, als würde die Geschichte hier am weitesten fortgeschritten sein und sich auch in anderen Teilen der Welt auf dieses zivilisatorische Telos hin entwickeln (siehe hierzu exemplarisch den Aufsatz über die Debatte zu „Multiplen Modernen“ von Shmuel N. Eisenstadt „Multiple Modernen im Zeitalter der Globalisierung“)? Werden Gemeinschaften in Europa denn in der Praxis überhaupt den eigenen Vorstellungen von einem modernen, das heißt in diesem Fall geschlechtergerechten, Rollenverständnis gerecht? 41 Gronemann 2002b, 158. 42 Ebd., 161. 43 Vgl. ebd., 159-161. 44 Ebd., 162.
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binären Oppositionen reflektiert um. Sie macht so die diskursive und mediale Pluralität der Autorin in der Idee des „transmedialen Raums“ stark: Mit der Reflexion auf die Übergange von Körper und Schrift markiert Djebars Text einen Akt der Transgression von Sprache in rein linguistischem Verständnis, wobei sie die Überlagerung von französischer Schrift und den Körpermedien einer mündlichen Kultur zum Ausdruck bringt. In dieser Form von Transmedialität schreibt die Autorin die algerische Geschichte, d.h. die ‚Sprache‘ der Körper ihrer Vorfahren in den Text ein. Im Text verschmelzen die zuvor getrennten Räume von Körper und Schrift zu einem transmedialen Raum.45
Bei Gronemann wird es nicht so dargestellt, als bewege sich Djebar in ihren Texten zwischen zwei Polen, wie mündlich und schriftlich, und würde sie auf diese Weise in Frage stellen. Gezeigt wird dagegen, wie die Autorin aus einer vermeintlichen Opposition etwas vollkommen Neues entstehen lässt. Dieses Potential bei Djebar und Ben Jelloun stellen auch die Arbeiten von Elke Richter Ich-Entwürfe im hybriden Raum – das Algerische Quartett von Assia Djebar (2008) und von Roland Spiller Tahar Ben Jelloun. Schreiben zwischen den Kulturen (2000) in den Vordergrund. Bei beiden handelt es sich um Monographien zu einem der beiden Autoren, die den Körper als Teilaspekt oder in einzelnen Abschnitten behandeln.46 Richters Studie zu Djebars autobiographi-
45 Ebd., 164. 46 Als Teilaspekt behandelt den Körper außerdem Claudia Nieser in ihrer Monographie Hagars Töchter. Der Islam im Werk Assia Djebars (2011), vgl. bes. 49-51, 61f., 119121, 138-142, 150-155, 171-178, 183-185, 211-217. Die Verfasserin liest eine „Poetik der Beweglichkeit“ bei Djebar als Strategie des Widerstandes gegen islamischen Fundamentalismus, wobei letzterer pauschal als „Unbeweglichkeit“ definiert wird, vgl. 20. Eine weitere Monographie, die den Körper als Teilaspekt aufgreift, ist die von Rachida Saigh Bousta zu Ben Jelloun Lecture des récits de Tahar Ben Jelloun. Écriture, mémoire et imaginaire (1999) in Bezug auf Sexualität, vgl. bes. 17-46, 85-89, 115-148. Im Vergleich mit anderen frankophonen Autoren aus dem Maghreb wird der Körper außerdem als Teilaspekt diskutiert bei Alfonso de Toro im Kapitel „Tahar Ben Jelloun: L’enfant de sable ou le ‚trouble dans le genre‘“ in seiner Monographie Épistémologies ‚Le Maghreb‘. Hybridité – Transculturalité − Transmédialité – Transtextualité − Corps – Globalisation – Diasporisation (2009), 205-221, bei Marta Segarra in ihrer Monographie Leur pesant de poudre. Romancières francophones du Maghreb (1997), bes. 167-177 zu Djebar und allgemeiner zum Körper 57-92, und bei Jean Déjeux in seiner Monographie La littérature féminine de langue française au
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schen Werken nimmt in vielen Abschnitten auch den Körper vor dem Hintergrund der Autobiographie in den Blick. Hierauf wird zurückgegriffen und Annahmen zum Körper bei Djebar im Verhältnis zum Schreiben und Erzählen, aber auch zu gesellschaftlichen Fragen diskutiert.47 In Roland Spillers Tahar Ben Jelloun. Schreiben zwischen den Kulturen wird das Thema des Körpers ebenfalls angesprochen, im Gegensatz zu Gronemann oder Richter aber nicht systematisch erörtert. Beispielsweise geht Spiller auf eine Leser-Typologisierung bei Ben Jelloun ein, nach der das Lesen „Lektüre des Körpers“ ist, das heißt „symbolische Auseinandersetzung mit den darin vom Leben eingezeichneten Spuren von Lust, Sehnsüchten, Enttäuschungen und Verletzungen“48. Diese Lesart stellt aber nur den letzten Unterpunkt neben vier anderen Kategorien dar. Um Körperliches geht es bei Spiller im Zusammenhang mit Ben Jelloun besonders im Rahmen seiner Diskussion von Männlichkeit und
Maghreb (1994), bes. 97-111. Im Zusammenhang mit Schrift behandelt auch Beatrice Schuchardt das Körperthema in Schreiben auf der Grenze. Postkoloniale Geschichtsbilder bei Assia Djebar (2006), 318-324. In Ridha Bourkhis’ Tahar Ben Jelloun: la poussière d’or et la face masquée (1995) gibt es ebenfalls einen kurzen Abschnitt zum Körper zusammen mit anderen Themen, vgl. 115-126. 47 Auch bei Richter bleibt manchmal unklar, ob undifferenzierte Vorstellungen der Autorin oder solche aus der Sekundärliteratur einfach übernommen werden sollen, wenn Richter beispielsweise konstatiert: „Mit einer Inszenierung des Körpers greift Assia Djebar in ihrem autobiographischen Text eines der bedeutendsten Themen maghrebinischer Literatur auf, vor allem einer Literatur von Frauen [...]. Es ist im Wesentlichen eine Auseinandersetzung mit der Gewalt, den Restriktionen und Tabus, denen der weibliche Körper in der arabisch-islamischen Kultur ausgesetzt ist. Ihre Ursache haben diese Repressionen in muslimischen Körper-Bildern“ (Richter 2008, 144f.). Mit Bezug auf Marta Segarra verortet Richter den Körper des autobiographischen Ich bei Djebar zwischen „diesen Kulturen, es ist ein Körper zwischen westlichen und arabisch-islamischen Traditionen, zwischen Freiheit und Klaustration, zwischen Verschleierung und Entschleierung, zwischen Mobilität und Bewegungslosigkeit“ (145). Sicherlich stellt Djebar es in vielen Fällen so dar. Allerdings lässt sich die Zuschreibung zu auf der einen Seite „westlich“ (und damit verbunden „Freiheit“, „Entschleierung“, „Mobilität“) und auf der anderen Seite „arabisch-islamisch“ („Klaustration“, „Verschleierung“, „Bewegungslosigkeit“) in ihren Texten überhaupt nicht sicher treffen. In ihrer Literatur vertritt die Autorin keine homogene Thesen und Ansichten, sondern präsentiert auch auf konzeptueller Ebene ein heterogenes Werk voller Widersprüche, Dilemmata und offener Fragen. 48 Spiller 2000, 304.
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Weiblichkeit49, von Blicken50 sowie von Mündlichkeit, Schriftlichkeit und ḥalqa („Erzählrunde“)51. Auch auf diese Arbeit greife ich zurück und setze mich mit Spillers Überlegungen zum Körper in Ben Jellouns Werken auseinander. Im Vergleich mit anderen Autoren behandelt Marta Segarra in ihrer Monographie Leur pesant de poudre. Romancières francophones du Maghreb (1997) das Sujet des Körpers bei Djebar etwas eingehender. Ihre Überlegungen stützt sie auf eine der ersten und bis heute ganz seltenen Studien, die es zum Körper im Islam von Autoren aus dem Maghreb gibt, nämlich auf die 1975 erschienene Doktorarbeit La sexualité en Islam des Tunesiers Abdelwahab Bouhdiba. Mit Bezug auf Diskurse aus dem Maghreb zeigt Segarra interessante Parallelen zwischen Literatur und Wissenschaft auf: Le besoin de se purifier, d’enlever cette souillure, conduit, selon Bouhdiba, à une ‚attention constante portée à son propre corps. L’éducation musulmane est un dressage qui rend attentif de manière permanente au fonctionnement de la vie végétative‘ [...]. Les romans maghrébins [...] mettent en œuvre ce corps féminin, mais la portée de celui-ci est tellement grande qu’il s’agit parfois d’un corps ‚absent‘, ‚esquivé‘ ou simplement ‚esquissé‘.52
Segarra wahrt jedoch kaum Distanz zu Bouhdibas theoretischen Reflexionen oder den literarischen Konstruktionen des weiblichen Körpers, sondern behandelt diese als genaue Abbildungen der gesellschaftlichen Verhältnisse und nicht als das, was sie sind: Diskurse, die in Dialog miteinander treten. Es finden sich viele pauschalisierende Sätze bei Segarra (und Bouhdiba), wie beispielsweise: „l’islam ne partage pas du tout le mépris chrétien envers le corps“53. Damit wird impliziert, dass es nur je eine einzige Körpervorstellung gibt in zwei so alten und heterogenen Weltreligionen wie dem Islam und dem Christentum. Segarras Verdienst bleibt es dennoch, und das gleiche gilt für Bouhdiba, Pionierarbeit auf dem Gebiet der Ideen und Vorstellungen vom Körper geleistet zu haben. Nicht ohne Grund beziehen sich viele der wissenschaftlichen Arbeiten implizit oder explizit auf Segarra, wie etwa die von Richter, wenn es um den Körper geht. Bei ihr wird beispielsweise, meines Wissens zum ersten Mal, eine Unterscheidung von passiven und aktiven Blicken getroffen („Regardées et regardeuses“, 75-92) und das subversive Potential hervorgehoben, über das insbesondere der aktive
49 Siehe ebd., 309f. 50 Siehe ebd., 310-317, 246-261, 343-349, und etwas allgemeiner 54-70. 51 Siehe ebd., bes. 293-309, und allgemeiner 48f. 52 Segarra 1997, 57. 53 Ebd.
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Blick verfügt. Außerdem findet sich bei ihr eine Besprechung von Djebars im Jahr 1991 erschienenen Roman Loin de Médine, in der Segarra die darin dargestellte Geschichte der weiblichen Transmission seit den Anfängen des Islam analysiert. Dieser Abschnitt ist interessant für den ersten Teil des Buchs, in dem weibliche Überlieferung mit dem Körper thematisiert wird. Segarra zeigt in ihrer Erörterung, dass die sich auf den ersten Blick darstellende Unterscheidung in männliche Schriftlichkeit und weibliche Mündlichkeit bei genauerer Betrachtung nicht so einfach zu treffen ist und es sich tatsächlich nicht um eine Opposition handelt.54 Etwas zahlreicher, aber immer noch überschaubar sind die Aufsätze, die es zum Körper bei Ben Jelloun und/oder Djebar gibt. Sie berücksichtigen in der Mehrheit jedoch nur zwei Aspekte. Auf der einen Seite gibt es Artikel, die sich mit zumeist männlichen oder kolonialen Blicken beschäftigen,55 auf der anderen Seite solche, denen es um das Verhältnis von Körper und Schreiben geht.56 Die übrigen widmen sich in erster Linie Fragen nach Identität, Geschlecht, der sozialen Stellung der Frau oder psychoanalytischen Deutungen des Körpers.57 Bei keinem der aufgeführten Titel zu Körper-Themen in der Literatur der beiden Autoren wird systematisch danach gefragt, um was für einen Körper es sich handelt, den Djebar und Ben Jelloun konstruieren und konzeptualisieren.
54 Vgl. ebd., 167-176. 55 Etwa Gronemann 2008, Gronemann 2009, Huughe 1996, Mortimer 2000, Wolf 2010, Spiller 2008, Zimra 1999. 56 So bei Benhaïm 2009, Waterman 1998, Ouedghiri 2002, Rocca 2005, Bouanane 2009 oder Kulessa 2006. 57 Lievois 2006, Chanfrault 1989, Poel 1998, Laghouati 2007, Semsch 2007, Spiller 2004, Maazaoui 1995, Bourkhis 1992. Siehe außerdem den Sammelband Scènes des genres au Maghreb. Masculinités, critique queer et espaces du féminin/masculin (2013) von Claudia Gronemann und Wilfried Pasquier. Ausnahmen bilden Rebecca Saunders Aufsatz „Decolonizing the Body: Gender, Nation, and Narration in Tahar Ben Jelloun’s L’enfant de sable“ (2006), Mohamed Bahis „La ville e(s)t la femme: Deux corps agresses“ (2004) sowie Trudy Agars Aufsatz „Villes impénétrables, villes de fitna: la ville sexuée chez Yasmina Khadra et Assia Djebar“ (2013), in welchen es um Gender als Kolonisierung des Körpers bzw. um Gewalt gegen Frauenkörper und Stadt geht. Als Teilaspekt wird der Körper außerdem behandelt bei Flores 2000, Haddad-Chamakh 2004, Hiddleston 2004, Kelly 2001, Mortimer 2005, Ruhe 1998, Cazenave 1991, Geesey 1990.
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3. METHODE UND TEXTKORPUS Gerade im Zusammenhang mit Literaturen, die schon durch ihren postkolonialen Kontext nicht in Nationalliteraturen aufgehen,58 ist es meines Erachtens wichtig, sich mit dem Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen auseinanderzusetzen, deren Materialisierung die Werke sind, das heißt mit der Kultur und dem kulturellen Kontext. Unter Kultur verstehe ich dabei nicht nur, wo die Autoren herkommen, wo sie hingegangen sind und welchen Einflüssen sie dabei ausgesetzt waren, sondern vor allem auch, was sie in ihrer Literatur zu ihrer Kultur machen. Wenn also Djebar beispielsweise auf den persischen Sufi Rûmi (1207-1273) Bezug nimmt, dann wird dies nicht in orientalistischer Manier als Teil ihrer eigenen Tradition gewertet, sondern als Teil ihrer Kultur, die auch alle Diskurse umfasst, die die Autorin je rezipiert hat und die mit oder ohne explizite Intention Eingang in ihre Texte gefunden haben. Die Methodik der Studie muss diesen Voraussetzungen also gerecht werden und zur Beantwortung der Fragestellung geeignet sein. Mein Vorgehen ist daher, eine Analyse der je spezifischen narrativen und thematischen Aufarbeitungen des Körpers vorzunehmen, dabei sowohl Konzeption als auch Umsetzung in den Blick zu nehmen und die Körperkonzepte und -schemata einerseits systematisch und andererseits im Kontext zu untersuchen, um schließlich die Resultate in einem Vergleich zusammenzuführen. Für die systematische Auseinandersetzung mit dem Körper bedeutete dies, nach übergeordneten Kategorien zu suchen, unter denen sich die Konzepte zusammenbringen lassen, sowie sich die Einbettung im Text anzuschauen und dabei nach ihrer Funktion an einer bestimmten Stelle im Werk und nach dem Zusammenhang mit anderen Stellen zu fragen. Die Konzepte zu kontextualisieren bedeutet, sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen und nach einschlägigen Diskursen zu suchen, auf welche die Autoren zurückgreifen beziehungsweise zu welchen sie beitragen. Diese können so unterschiedlichen Bereichen entstammen wie dem Sufismus, der griechischen Mythologie oder dem Kolonialismus. Außerdem sollen die Konzepte vor dem Hintergrund von Theorieansätzen aus philosophischer, soziologischer, kulturwissenschaftlicher und kulturanthropologischer, islamwissenschaftlicher oder theaterwissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Körper betrachtet werden, um schwer verständliche oder einzuordnende Konstruktionen des Körpers besser verstehen zu können. Die Studie verfolgt also einen interdisziplinären und diskursanalytischen Ansatz. Das ist so zu verstehen, dass die einschlägigen Diskur-
58 Vgl. hierzu auch Ette 2005, passim, bes. 15.
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se aus dem postkolonialen Archiv, als welches die Texte verstanden werden, aufgenommen und mit entsprechenden außerliterarischen Diskursen verglichen werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage nach der jeweiligen Inszenierung des Körpers und nach der Funktion, die sie erfüllt. Einen weiteren produktiven Zugang zu Körperkonzepten verspricht die Analyse von Metaphern und Metonymien, die eine besondere Rolle in den Romanen spielen. Hierbei gilt es vor allem, die wörtliche Bedeutung in den Vordergrund zu stellen, da sich in den Werken von Djebar und Ben Jelloun eine grundsätzliche Tendenz erkennen lässt, nach der Metaphern und Metonymien an ihre wörtliche Bedeutung zurückgebunden werden. Hierbei geht es darum, sich auf die Konzepte und Vorstellungen vom Körper einzulassen, wie sie von den Autoren angeboten werden – und die Konzepte nicht am Ende doch den eigenen Vorstellungen unterzuordnen. Das scheint bei der Beschäftigung mit Literatur aus dem Maghreb, wie sie bisher im größten Teil der Forschung stattgefunden hat, das immer wiederkehrende Problem zu sein: Es fehlt an islamwissenschaftlicher und arabistischer Perspektive und dies führt dazu, dass die Literatur immer nur vor einem in der Regel europäisch-romanistischen Hintergrund interpretiert wird. Damit wird vonseiten der Wissenschaft aber eher eine Aussage über die eigene Vorstellung vom Körper getroffen. Die im Text angebotenen Interpretationsmöglichkeiten und Bedeutungsdimensionen bleiben damit von vornherein limitiert. So stellt etwa André Benhaïm fest: „For Djebar, language is foremost a physical, corporeal element. It is a muscle, an organ – heart and lungs. It is a limb – a hand or a foot. But her last metaphor also expresses how language expands the body [...]“59. Trotz dieser Erkenntnis, dass die Körperlichkeit von Sprache für Djebar eine Tatsache darstellt, bleibt Benhaïm beim Begriff der Metapher und nimmt Djebars dargestellte Körpervorstellung letztlich doch nicht ernst, sondern ordnet sie seiner eigenen unter. Diese Vorgehensweise bei der Interpretation soll hier vermieden werden. Stattdessen soll die Analyse über die metaphorische Interpretation hinausgehen und durch Wörtlichnehmen von dargestellten Assoziationen neue Bedeutungsdimensionen aufzeigen. Beispielsweise hieße das, bei dem Vergleich von Sprache mit einem Haus nicht, wie Lese- und Interpretationsgewohnheiten nahelegen, das Haus als Metapher für Sprache zu verstehen, sondern Sprache wörtlich als etwas „Haushaftes“ zu begreifen, worin sich der Körper einrichten kann und das sogar in das Körperschema aufgenommen wird. Genau in diesem Spannungsverhältnis zwischen metaphorischer und wörtlicher Bedeutung kommen die Körperkonzepte zur vollen Entfaltung. Darüberhinaus erscheint es sinnvoll,
59 Benhaïm 2009, 133.
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leitmotivisch wiederkehrende Konzepte wie etwa das Haus über die thematischen Grenzen der Bereiche Geschichten, Sprache und Gesellschaft hinweg zu verfolgen, die in den Romanen ohnehin fließend sind. Hierbei spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass bei der französischen Terminologie das Konzept der arabischen Übersetzung mitgedacht wird. Den engen Kern des zu untersuchenden Korpus bilden die Romane L’amour, la fantasia (in Zitaten mit L’amour abgekürzt) von Djebar und L’enfant de sable (in Zitaten mit L’enfant abgekürzt) von Ben Jelloun, die beide im Jahr 1985 erschienen sind. Neben allgemeineren Gesichtspunkten, unter denen die beiden Werke gut miteinander verglichen werden können – angefangen bei der zeitgleichen Entstehung, über die ähnlich komplexen narrativen Strukturen bis hin zum Fokus auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft – liegt der Grund für diese Auswahl vor allem in der Fülle an je spezifischen und doch vergleichbaren Körperkonzepten, die in dieser Konstellation und verdichteten Form in keinem anderen Roman von Ben Jelloun und Djebar zu finden sind. Für die Beantwortung der oben skizzierten Fragestellungen, die sich hauptsächlich aus der Lektüre der Werke ergeben haben, scheinen diese beiden Romane somit am geeignetsten, da die meisten Annahmen an ihnen gezeigt und belegt werden können. Gemäß der hier angewandten Methode der Systematisierung und Kontextualisierung sollen aber auch andere Romane für die Analyse herangezogen werden, in erster Linie Djebars Loin de Médine (1991, in Zitaten mit Loin abgekürzt) und Nulle part dans la maison de mon père (2007, in Zitaten mit Nulle part abgekürzt). Der erste Roman dient als Folie für die Konstruktion der historischen Übermittlung über den Körper, weil er gewissermaßen das Gegenmodell zu der in L’amour, la fantasia dargestellten Transmission entwirft. Auf den zweiten Roman wird zurückgegriffen, weil er die Gesellschaftsentwürfe aus L’amour, la fantasia weiterentwickelt und so zu tieferen Einsichten in die sozialen Körperkonstruktionen führt. Dass keine weiteren Romane von Ben Jelloun aufgenommen werden, liegt daran, dass sie die Skizzierung des Körpers in der thematischen Eingrenzung nicht in der Form weiter erhellen oder erweitern können, wie dies bei Djebar der Fall ist. Den äußeren Ring für die Auseinandersetzung mit Körperkonzepten bilden Kontexte, auf die rekurriert wird, um bestimmte Konstruktionen und Konzeptionen noch näher zu beleuchten oder zu ergänzen, wenn sie aus den Primärtexten stammen und doch über diese hinausdeuten. Dies können andere literarische Werke der Autoren sein wie Gedichte, vor allem Ben Jellouns La maison des autres (1982) oder Sortir du ventre de la mère (1986), Paratexte wie Interviews
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und Zeitungsartikel oder wissenschaftliche Abhandlungen wie Djebars Doktorarbeit Ces voix qui m’assiègent (1999, in Zitaten mit Ces voix abgekürzt).
4. DANK Ich danke meinen Betreuerinnen Prof. Dr. Irene Albers aus der Romanistik und Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Prof. Dr. Regula Forster aus der Semitistik und Arabistik sowie Prof. Dr. Birgit Krawietz aus der Islamwissenschaft. Außerdem meiner Lesegruppe zur Ideengeschichte der arabischen Welt und allen anderen, die mit mir mein Projekt besprochen haben. Sie haben mich tatkräftig unterstützt, Skripte (mehrfach) gelesen, hinterfragt und kritisiert, Themen, Theorien und Ansätze mit mir diskutiert, Anregungen gegeben, bei der thematischen und methodischen Eingrenzung geholfen und mit mir über Strukturen und Argumente nachgedacht. Außerdem danke ich der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für die ideellen und finanziellen Ressourcen, die mir für meine Arbeit zur Verfügung gestellt worden sind. Das Stipendium ist aus Mitteln der Exzellenzinitiative finanziert worden. Ich möchte der DFG dafür danken, dass Sie durch diese Mittel nicht nur meine Arbeit im engeren Sinne ermöglicht hat, sondern auch die Teilnahme an (internationalen) Konferenzen, Forschungs- und Rechercheaufenthalte im arabischen Raum und in den USA (UC Berkeley) sowie die Organisation von Tagungen und Workshops. Dem DAAD gilt mein Dank für die Finanzierung von Auslandsaufenthalten, unter anderem von einem Sprachkurs in Tunis.
Erzählerkörper und ihre Geschichten
I. Erzählkultur im Maghreb
Im Kapitel „Un air de ney“ in Nulle part dans la maison de mon père gibt Assia Djebar eine Erzählung von Jalal al-Din Rûmi60 wieder, einem persischen Sufi und Zeitgenossen von Franz von Assisi. Sie gibt an, dass die Geschichte entweder aus Rûmis Mathnawi61 oder Les Odes mystiques62 stammt. Rûmi erzählt diese Geschichte, um zu veranschaulichen, dass eine der ersten Schöpfungen Gottes die Rohrfeder war. Die Geschichte beginnt damit, dass der Prophet Mohammed63 seinem Schwiegersohn Ali seine Geheimnisse anvertraut. Ali, der die ihm auferlegte Diskretion als Bürde empfindet, sucht daraufhin einen abgelegenen Brunnen auf, wo sich das Folgende zuträgt: Pris d’une soudaine ivresse mystique (d’être tout à la fois dépôt et fardeau, âme et corps habités par ces révélations), il murmura, scanda, chanta, ne s’adressant qu’à l’eau miroitante, si profonde, moirée, endiamantée du silence de la terre, et il s’allégea, cria vers elle, dans l’insondable silence du puits, se déchargeant ainsi de tous les mystères que le Pro-
60 Sämtliche Namen werden in der Schreibweise der Autoren wiedergegeben, sofern sich die Argumentation auf die Autoren bezieht. Bei einigen unbekannteren arabischen, persischen oder türkischen Eigennamen und Werkstiteln wird zusätzlich die DMGUmschrift angefügt. 61 Bei Rûmis Mathnawi handelt es sich um ein didaktisch-poetisches Lehrgedicht mit einem Umfang von 25.000 Versen, das in einer Zeitspanne zwischen 1256 und 1273 entstanden ist. Die offensichtlich fehlerhafte Schreibweise von Djebar wird nicht übernommen. 62 Die „mystischen Oden“ finden sich in Rûmis Diwan-e Schams-e Tabrizi, der 35.000 Zeilen enthält und in einem Zeitraum von dreißig Jahren bis zu Rûmis Tod im Jahr 1273 entstand. 63 Nach Djebars Transkription.
36 | E RZÄHLERKÖRPER UND IHRE G ESCHICHTEN phète (‚que le Salut soit sur Lui!‘) lui avait confiés. Au terme de cette transmission libératrice, une goutte de sa salive tomba, telle une perle ou un grain de semence, tout au fond de l’eau enténébrée. (Nulle part, 262)64
64 Es gibt eine von Clément Huart übersetzte und herausgegebene Version von Šams-uddīn Aḥmad Aflākīs Manāqib al-ʻārifīn mit dem Titel Les saints des derviches tourneurs. Šams-ud-dīn Aḥmad Aflākī lebte im 14. Jahrhundert und war der intellektuelle Biograph von Rûmi. Die französische Übersetzung könnte die Grundlage von Djebars Wiedergabe von Rûmis Text sein, hierauf lassen wörtliche Anleihen daraus schließen. Die Geschichte um den Speicheltropfen lautet in Huarts Übersetzung folgendermaßen: „350. Les compagnons distingués (que Dieu magnifie leur mention!) ont rapporté
qu’un jour notre Maître, en commentant les mystères renfermés dans cette tradition du prophète: ‚La première chose créée par Dieu a été la plume de roseau‘, faisant allusion aux idées contenues dans ce passage du Qoràn: ‚N. Par la plume de roseau, et par ce qu’ils écrivent!‘, raconta ceci: Un jour, l’Élu de Dieu (que Dieu le bénisse et le salue!) expliquait à ‘Ali (que Dieu ennoblisse son visage!), en comité secret, les mystères des Frères de la pureté; il lui dit: ‚Ne révèle à aucun profane ces mystères immenses, ne les divulgue pas, et observe l’obéissance‘. Pendant quarante jours entiers, il supporta ce fardeau, comme une femme enceinte: mais enfin, pris d’agitation, il ne pouvait plus respirer. Finalement, comme un homme hors de lui, il sortit dans la campagne, y trouva un puits profond, y enfonça la tête et commença à répéter un à un tous ces secrets. Par suite de son ivresse mystique, de l’écume lui vint à la bouche; cette écume, mélangée à sa salive, tomba dans l’eau du puits; quand elle fut épuisée, ce souverain trouva le mystère contenu dans cette formule: ‚Interrogez-moi sur ma tranquillité‘. Quelques jours après, il poussa dans ce puits un roseau qui grandit de jour en jour et prit de la taille; un berger intelligent, informé de cette situation, coupa ce roseau, y fit quelques trous et se mit à en jouer la nuit et le jour comme un amoureux, et à faire paître ses moutons [au son de l’instrument], à tel point que le jeu de la flûte du berger devint célèbre et se répandit parmi les tribus arabes; tous les Bédouins, à l’Occident comme à l’Orient, désiraient contempler ce spectacle et entendre cette musique; ils pleuraient de plaisir en entendant le son de la flûte, et en jouissaient. Les chameaux firent de même cercle autour de lui, et s’arrêtaient de paître. De bouche en bouche la nouvelle de cette histoire parvint aux oreilles du prophète; il ordonna de faire venir le berger. Quand celui-ci commença à préluder, tous les Compagnons, pris de frénésie, ressentaient de grands troubles et s’évanouissaient. ‚Ces mélodies sont, dit le prophète, le commentaire des secrets que j’ai communiqués à ‘Ali en comité secret [...]‘“ (Aflākī 1978, 7f). Das im Sufismus oftmals herangezogene Motiv der Schwangerschaft
im Zusammenhang mit dem Bewahren von Geheimnissen oder Geschichten im Körper („Pendant quarante jours entiers, il supporta ce fardeau, comme une femme
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Der Speicheltropfen enthält die Essenz der Geheimnisse, so dass diese nicht, wie Ali denken mag, mit dem Klang seiner Worte im Brunnen verhallen, sondern als etwas Materielles erhalten bleiben. Aus dem Speichel erwächst ein Schilfrohr, das von einem Hirten geschnitten und zu einer ney, einer Flöte, verarbeitet wird. Der magische Klang dieses Instruments zieht Menschen und Tiere in seinen Bann und versetzt sie in einen mystischen Trancezustand. So drehen sich, wie Djebar schreibt, die Derwische in ihrer Trancepraxis bis heute zu diesem Klang und verkörpern auf die Art das Mysterium. Als der Prophet selbst von dem Hirten hört, lädt er ihn ein und erkennt in seiner Musik „le commentaire des mystères que [il a] confiés en dépôt à Ali“ (Nulle part, 263). In dieser kurzen Sequenz bei Djebar verdichten sich einige Konzepte, die zentral sind für die Frage nach Inszenierungen des Körpers und seiner Rolle beim Erzählen beziehungsweise im Tradierungsprozess. In welchem Verhältnis steht der Körper der Erzählerfigur zu ihren Geschichten? Wird sie als originäre Autorität eingeführt, die ihre Geschichten mehr oder weniger frei erfindet? Oder kommen die Geschichten gemäß der mündlichen Tradition performativ im Akt des Erzählens zustande, wobei die Erzählerfigur aus einem kulturellen Fundus schöpft, und sind so Teil des kollektiven Gedächtnisses? Oder eine dritte Möglichkeit: Werden Geschichten als etwas Autonomes verstanden, das über eine gewisse Materialität verfügt und in Interaktion zum Körper tritt? Für alle drei Varianten finden sich Beispiele und Belege in den Romanen. Das vorliegende Zitat ist ein Beispiel für die dritte Möglichkeit, die eine materielle Basis von Geschichten impliziert und somit als Konzept auf der Grenze zwischen Körper und Sprache liegt. So heißt es in dem Zitat, dass Körper und Seele von den Enthüllungen „bewohnt“ werden und Ali den Zustand der „Besessenheit“ nur durch Murmeln, Skandieren und Singen überwinden kann. Könnte an dieser Stelle noch angenommen werden, es handele sich hierbei um eine Metapher, so wird im weiteren Verlauf des Zitats deutlich, dass dies nicht der Fall ist. Spätestens mit dem Speicheltropfen wird klar, dass Sprache als etwas verstanden wird, das über eine körperliche Dimension verfügt, welche die Essenz („grain de semence“, „Samenkörnchen“) der Geheimnisse trägt. Über diese körperliche Essenz sind die Geheimnisse tradierbar, sie gehen über vom Brunnenwasser in das Schilfrohr und machen die besondere Qualität der Rohrflöte65
enceinte“) wird im Teil über Sprache im Abschnitt „Geburt der Sprache aus dem Körper“ aufgegriffen. 65 Siehe zur Symbolik der Rohrflöte als Seele in Rûmis Auftakt „Lied der Rohrflöte“ seines Mathnawi Annemarie Schimmels Meine Seele ist eine Frau. Das Weibliche im Islam, 1995, 113.
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aus, die hieraus hergestellt wird. Auch in der Sprache der Musik sind die Geheimnisse noch erkennbar, sie besitzt daher die gleiche Macht den Körper der Zuhörer zu affizieren, wie die Worte des Propheten Mohammed den Körper Alis zu affizieren vermochten. Die Derwische als erneute Verkörperungen des Geheimnisses setzen ihre Affizierung in Bewegung, in Tanz, um. Trotz der Transformationen der Geheimnisse über verschiedene Trägersubstanzen bleibt ihre Essenz erhalten. In der Idee, dass ein abstraktes Konzept wie ein Geheimnis nicht ausschließlich an Sprache gebunden ist, sondern auch körperlichen Sekreten wie Speichel und in der Folge außerdem einem Schilfrohr und einer Rohrflöte innewohnen kann, kommt eine Vorstellung von Körper und Geist, Seele oder Sprache zum Ausdruck, die jenseits des cartesischen Dualismus liegt. Für das Verständnis eines solchen Konzeptes ist es daher sinnvoll, einigen Fragen nachzugehen: Handelt es sich bei der Darstellung um eine Metapher beziehungsweise Allegorie oder liegt ihr ein metaphysisches Verständnis zugrunde? Wie fügt sich das Konzept in die Systematik der Texte und den Gesamtzusammenhang der verschiedenen Vorstellungen von Körper? Welche Kontexte können zu ihrer Erklärung herangezogen werden: Auf welche Quellen greifen die Autoren zurück und auf welche Motive? Zu welchen kulturellen Kontexten lassen sich Verbindungen aufzeigen? Mit welchen theoretischen – philosophischen, theologischen, soziologischen, kulturanthropologischen, postkolonialen etc. – Überlegungen zum Körper können die Konzepte erklärt werden? Für das Einstiegsbeispiel bedeutet dies, nach der Bedeutung von Rûmis Geschichte für Djebars Text zu fragen. In welcher Tradition beziehungsweise in welchen Traditionen verortet sich die Autorin mit ihrer Darstellung von Speichel, um das zentrale Körpermotiv herauszugreifen? Speichel wird in der Geschichte als Übertragungsmedium dargestellt, welches das Geheimnis in seiner Materialität übertragen kann. Er ist somit gleichzeitig Verkörperung und Medium des Geheimnisses. Da Djebar mit Rûmi einen Sufi zitiert, ließe sich die Darstellung von Speichel als Rekurs auf volksreligiöse Einflüsse des Sufismus auf Körpervorstellungen in Nordafrika verstehen. Demnach würde ein metaphysisches, monistisches Konzept mystisch-religiöser Prägung dem Verständnis von Körper zugrunde liegen.66 Nach Malek Chebel nimmt Speichel im nordafrikanischen Volksglauben im Verhältnis von Körper und Seele eine zentrale Stellung ein, da ihm das Potential beigemessen wird, die Qualitäten des Individuums und
66 Siehe dagegen zum sogenannten Leib-Seele-Problem aus überwiegend europäischer Perspektive die Studie von Karl Popper und John Eccles Das Ich und sein Gehirn, 2005, insbesondere zur historischen Entwicklung die Seiten 188-257.
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den „souffle vital“67 übertragen zu können. Dieser „Lebenshauch“ ist vergleichbar mit dem Begriff des Pneumas in der antiken griechischen Philosophie und Medizin.68 Auch die Tatsache, dass es sich bei der Geschichte um eine fromme Erzählung über den Propheten Mohammed handelt, lässt auf eine religiöse Bedeutung der Darstellung schließen. Indem sie die Geschichte im Roman aufgreift, könnte es Djebar folglich um eine Einbettung ihrer eigenen Konzepte in die islamische nordafrikanische Tradition gehen. Zieht man jedoch die intra- und intertextuelle Systematik als Deutungsgrundlage heran, so setzt die säkulare Muslimin Djebar den Akzent wesentlich häufiger auf die Reflexion von Schreib- und Lektüreprozessen und damit einhergehende ästhetische Empfindungen als auf eine Verortung in der (volks-)religiösen Tradition. So reflektiert sie zum Beispiel auch die Lektüre des Koran an verschiedenen Stellen in ihren Romanen unter poetologischen Gesichtspunkten,69 wobei es ihr nicht um ein Heilsversprechen oder die tiefere religiöse Bedeutung der Suren geht, sondern um die ästhetische Erfahrung der Sprache, durch welche die Bedeutung hervorgebracht wird. Auch im Sufismus und in der islamischen Tradition im Allgemeinen spielen ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle, denkt man beispielsweise an die Rezitationspraxis.70 Der Unterschied ist jedoch, dass sie der Weg zu einer tieferen mystischen oder religiösen Erfahrung sind, während bei Djebar umgekehrt religiöse Praktiken und Texte einem rein ästhetischen Zweck unterworfen werden. Rûmi legt nahe, seine Geschichte als Illustration für Gottes Erschaffung der Rohrfeder zu verstehen. Interessanterweise geschieht mit dem Schilfrohr alles mögliche; geschrieben aber wird damit nicht. Die ganze Anekdote dient als Allegorie für die Erfindung der Schrift und des Schreibens. Für den Prozess des Schreibens in der Metonymie der Rohrfeder wird so ein Ursprungsmythos konstruiert, nach welchem Geschichten zunächst eine körperliche Basis haben wie die Geheimnisse des Propheten im Speichel. Auch die Weitergabe durch Sprache birgt eine körperliche Erfahrung, Materialität oder Interaktion. Mag zwischen der Schaffung der Rohrfeder und der Begebenheit um die Transformation der Geheimnisse eine allegorische Beziehung bestehen, so gilt
67 Vgl. Chebel 1984, 101. 68 Vgl. neben Chebels Le Corps dans la tradition au Maghreb außerdem „Le souffle dans l’Islam“ von Deny und Massignon 1943-1945, 436-438, auf welche Chebel selbst rekurriert. 69 Vgl. etwa Nulle part, 118 oder 402f. 70 Siehe zur Materialität und Ästhetik des Koran die Einführung Der Koran von Michael Cook (2002).
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dies nicht für die Binnenebene der Geschichte, das heißt, wie die Geheimnisse über Speichel, Schilfrohr, Rohrflöte, Musik und Tanz weitergegeben werden. Der Speichel steht nicht für das Geheimnis, sondern enthält es. Er kann folglich nicht durch ein beliebiges anderes Motiv wie etwa einen Vogel ersetzt werden. Speichel und Geheimnis verbindet eine materielle Beziehung, die substantieller und nicht metaphorischer Art ist. Djebar verändert dies in ihrer Darstellung von Rûmis Geschichte nicht, sondern belässt es bei der wörtlich gemeinten, an den Körper gebundenen Materialität von abstrakten Dingen wie Geheimnissen. Sie konzipiert das Verhältnis zwischen körperlich-Materiellem und Sprachlichem, Geistigem oder Seelischem somit monistisch, im Gegensatz zu Rûmi allerdings unabhängig von einem religiösen Bedeutungszusammenhang.71 Die Beziehung zwischen Körper und Sprache inszenieren die beiden Dichter als „verkörperte Sprache“. Hiermit ist jedoch nicht im Sinn neuerer Forschungsansätze zur Sprache gemeint, dass diese immer nur in verkörperter Weise existieren kann.72 Vielmehr wird Sprache als etwas konstruiert, das über eine materielle Essenz verfügt. Rûmis mystische Geschichte hat in Djebars Darstellung und Kontextualisierung jedoch eine Entleerung der religiösen Semantik erfahren und ist als ästhetische Fiktionalisierung des Körpers zu verstehen. Dass am Ende der hier dargestellten Tradierungskette die Rohrfeder steht, gibt zudem eine Antwort auf die Frage, welchen Zweck Rûmis Geschichte für Djebars Roman erfüllt. Der letzte Schritt der Tradierung besteht darin, die über den Körper weitergegebenen Geschichten aufzuschreiben. In dieser Rolle sehen sich sowohl Djebar als auch Ben Jelloun: Erzählungen aus der mündlichen Tradition als „Stimmen des Volkes“ und „öffentliche Schreiber“, wie sich beide selbst inszenieren, aufzuschreiben und zu bewahren.
71 Siehe zum monistischen Körperverständnis im nordafrikanischen Sufismus auch Scott Kugles interessante Beschäftigung mit der Hagiographie heiliger Frauen im Kapitel „Body Politicized: The Belly of Sayyida Amina“ aus Sufis & Saints’ Bodies: Mysticism, Corporeality, & Sacred Power in Islam. Kugle führt ein für den vorliegenden Kontext besonders passendes Beispiel auf, in welchem Lalla ʿAwish (nach Kugles Transkription) das Wunder vollbringt, einem Mann ihr Wissen zu übermitteln, indem sie Brot mit ihrem Speichel benetzt und den Mann hiervon essen lässt, vgl. 2007, 110. 72 Wie etwa das Projekt B9 „Verkörperte Sprache – entkörperte Sprache. Stimme und Computer als Medien der Kommunikation“ des SFB 447 Kulturen des Performativen an der Freien Universität Berlin annimmt, wonach jede sprachliche Äußerung und deren Aufnahme an den Körper gebunden ist.
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R OLLE DES K ÖRPERS MÜNDLICHEN E RZÄHLWEISE
PERFORMATIVE
IN DER
Die Volksliteratur im Maghreb blickt auf eine Jahrhunderte alte Tradition der mündlichen Vermittlung zurück. Das Geschichtenrepertoire umfasst Mythen, Sagen, Märchen, Legenden, Anekdoten, Gedichte, Lieder und die literarische Verarbeitung von makro- und mikrohistorischen Ereignissen.73 Ab dem 20. Jahrhundert gehören auch Kinofilme zum Inventar der Erzähler. Djebar betont, dass geschlechtergetrennt erzählt wurde: In nichtöffentlicher Sphäre wurden Volksliteratur und Geschichte im Kreis der Frauen tradiert, im öffentlichen Raum war die Weitergabe von Männern dominiert.74 Die zum Teil von professionellen Geschichtenerzählern bestrittene Art der öffentlichen Erzählung, die ḥalqa („Erzählrunde“)75, war als Institution vor allem in Marokko und Syrien verwurzelt – zumindest in Marokko ist sie es bis heute, in Syrien lässt sich dies aufgrund des Bürgerkriegs nur schwer sagen. In Marrakesch hat es der zentrale Platz „Djemaa El Fna“ 2001 in das UNESCO-Weltkulturerbe „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ geschafft. Hier jedoch ist die ḥalqa vor allem Folkloretheater und Touristenattraktion, wie viele Marokkaner kritisieren. In der ḥalqa erzählen ein oder mehrere Erzähler auf einem öffentlichen Platz einem Kreis von Zuhörern Geschichten. Sie treten dabei in Dialog zu ihrem Publikum und binden es in die Erzählungen ein. Diese spontane Form der mündlichen Erzählkultur wird immer noch gepflegt, besonders in großen Städten wie Rabat oder Casablanca. Dabei treten längst auch Frauen als öffentliche professionelle Erzählerinnen auf.
73 Vgl. beispielsweise Heiler 2005, 16, oder Gronemann 2002b, 161. 74 Besonders prägnant in Ces voix, 72-77. 75 Ḥalqa meint einen Kreis, hiervon abgeleitet nennt man den in der Regel männlichen Geschichtenerzähler in der marokkanischen Varietät des Arabischen ḥlaiqī (standardarabisch ḥakawātī).
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Abbildung 1: Die unter anderem für ihre Erzähler berühmte „Djemaa El Fna“ in Marrakesch
Foto: Susanne Kaiser, 2010
Abbildung 2: Die ḥalqa ist immer noch fester Bestandteil der Erzählkultur in Marokko: Eine Erzählerin schlägt hier in Casablanca das Publikum in ihren Bann
Foto: Susanne Kaiser, 2014
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Das wichtigste Medium einer mündlichen Darbietung ist der Körper, der durch Stimme, Gestik, Mimik oder Körperhaltung die Erzählung konstituiert, begleitet oder konterkariert. Doch ist nicht allein der Körper der Erzählerin entscheidend für das Zustandekommen einer Geschichte, ebenso kommt es auf die Körper der Zuhörer an, die im interaktiven Zusammenspiel durch Zurufe, eigene Versionen, Beschwerden über Handlungsverläufe oder Ähnliches die Erzählung mitkonstituieren und so ihren Verlauf mitbestimmen.76 Die Erzählung ist also nicht Werk einer einzelnen Autorin, sondern wird kollektiv und performativ zustande gebracht. Ganz im Gegensatz zur schriftlich fixierten Literatur ist das mündliche Erzählgut auf das Gedächtnis der Erzähler angewiesen. Schriftlichkeit stellt für die Verbreitung und ständige Verfügbarkeit von Literatur einen entscheidenden Vorteil dar, weil das Speichermedium unabhängig vom Körper existiert.77 Dieser Unterschied hat insbesondere für die Tradierung über einen langen Zeitraum weitreichende erzähltechnische Konsequenzen. In der mündlichen Tradition ist die Erinnerung und somit der Körper das einzige Medium der Überlieferung. Mnemotechniken sind daher entscheidend und machen die Spezifik dieser Erzählweise aus. Walter Ong, der mit Orality and Literacy (1982) das Standardwerk zum Vergleich von Oral- und Skripturalkultur geschrieben hat, zeigt verschiedene Memorialtechniken am Beispiel von Odyssee und Ilias auf – beide sind, so Ongs These, mündlich und kollektiv entstandene Werke, die zu einem späteren Zeitpunkt verschriftlicht wurden. Stilistisch dominieren nach Ong klangliche und rhythmische Mittel wie Onomatopoetika, Alliterationen oder Assonanzen den Text. Der mündliche Stil zeichnet sich darüber hinaus durch häufige Rekurse auf einen kulturellen Fundus78 aus. Sprichwörter und Formeln,
76 Vgl. die für mündliche Kulturen grundlegende Studie von Walter Ong Orality and Literacy (1982). Für den marokkanischen Kontext beschäftigt sich Jamin-Mehl in ihrer Doktorarbeit Zwischen oraler Erzähltradition und modernem Schreiben mit Ong und anderen Forschern zur Mündlichkeit wie beispielsweise Paul Zumthor (2003), vgl. 64-73. 77 In der arabisch-islamischen Tradition gehört in vielen Bereichen die ständige Zirkulation aus schriftlicher Fixierung und mündlicher Performanz zum Umgang mit Texten, so etwa in der Rechtslehre oder dem Koranstudium. 78 Alois Hahn verwendet den Begriff des kulturellen Fundus im Zusammenhang mit Kulturtechniken. Aus einer soziologischen Perspektive beleuchtet Hahn in Körper und Gedächtnis (2010) das Verhältnis von Individualität und Kollektivität in Bezug auf „habituelle Gedächtnisbestände“, die einerseits zur Ausstattung einer Person gehören, gleichzeitig aber auch Komponenten eines Kulturzusammenhangs sind, vgl. 105. Er versteht Kultur in dieser Hinsicht als Medium, da sich bestimmte Techniken nur reali-
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deren Inhalte nach Belieben angepasst werden können, strukturieren die Erzählung. In Bezug auf semantische Stilfiguren wird bevorzugt auf Tropen wie Metonymie oder Synekdoche zurückgegriffen, die sich durch ihre Bildlichkeit als Ordnungsprinzipien besonders eignen. Außerdem sind für den mündlichen Diskurs parataktische, parallelistische oder antithetische im Gegensatz zu komplexen analytischen Strukturen von Vorteil.79 Die zentrale Rolle des Körpers bestimmt nicht nur die Erzählweise, die ohne den Körper als Speichermedium in der mündlichen Erzähltradition nicht denkbar wäre, sondern hat auch Einfluss auf die zu vermittelnden Inhalte. In verbal organisierten Literaturtraditionen, die auf ein kodifizierendes Zeichensystem wie Schrift verzichten, werden Fakten zur besseren Erinnerung in „die unmittelbare Nähe menschlicher Aktivitäten“80 gerückt. Dies könnte erklären, warum vor allem dem Körper als Gegenstand der Erzählung eine übergeordnete Rolle zukommt, ist er doch das zentrale Medium mündlicher Kulturen. In Ben Jellouns und Djebars auf die mündliche Erzählung rekurrierenden Romanen wird vielleicht aus diesem Grunde eher die konkrete körperliche Realität von Ereignissen und Gegebenheiten erzählt. Abstrakte philosophische Betrachtungen spielen hingegen nur eine geringe Rolle.
2. D IE I NSZENIERUNG
MÜNDLICHER IM POSTKOLONIALEN R OMAN
E RZÄHLTRADITION
Seit ungefähr Mitte des 20. Jahrhunderts, das heißt mit der Unabhängigkeit der drei Maghrebstaaten Marokko und Tunesien (1956) sowie Algerien (1962) bildete sich im Zug der Entkolonisierung und der damit verbundenen neugewonnenen Selbstständigkeit eine neue intellektuelle Elite, die sich mit der Frage nach der eigenen Identität auseinandersetzte. Auch in Bezug auf Literatur hatte Frankreich das dominierende System geschaffen, das jedoch in der École d’Alger um die sogenannten Pieds-noirs Albert Camus, Gabriel Audisio und Emmanuel Roblès erste Brüche erfuhr, da diese es sich zum Ziel gesetzt hatten, eine einheimische schriftliche Literatur zu fördern.81 Die École d’Alger beeinflusste die
sieren, wenn sie von einzelnen Personen verwendet werden, nicht aber Bewusstsein oder Körper der Person selbst entstammen, sondern einem „kulturellen Fundus“, aus dem die Gemeinschaft schöpft. 79 Vgl. Ong 2002 [1982], 37-41. 80 Jamin-Mehl 2003, 71. Sie greift damit zurück auf Ong 2002 [1982], 42f. 81 Vgl. hierzu Heiler 2005, 25.
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Literaturproduktion nachhaltig auch über die Grenzen Algeriens hinaus. Mit dem Ausdrucksmedium der französischen Sprache wurde auch die Gattung des Romans übernommen, die ersten Texte erschienen in Algerien ab 1930, einige wenige auch schon zehn Jahre zuvor.82 Die erste Phase des frankophonen algerischen Romans etwa setzte sich überwiegend mit dem Mimetismus und der Akkulturation der alteingesessenen algerischen Bevölkerung gegenüber der französischen herrschenden Schicht auseinander.83 Dabei sahen sich die ersten Romane dem Vorwurf einer exotisierenden und das Volkstümliche exponierenden Schreibweise ausgesetzt, die weit entfernt war von der algerischen oder marokkanischen Lebenswirklichkeit. Die frühen Werke blieben stattdessen französischen Sujets verhaftet, es handelte sich überwiegend um Abenteuer- und Liebesgeschichten mit Lokalkolorit.84 Großen Erfolg verzeichnete der Postkolonialroman im Algerien der Unabhängigkeit und in Marokko im Umfeld der Literaturzeitschrift Souffles, die in den 1960er Jahren von Intellektuellen gegründet worden war. Er wurde zur dominanten Gattung und erlebte eine nachhaltige Konjunktur. Programmatisch für die explizit junge und sich dezidiert für Entkolonisierung und gegen Exotismus und Folklore positionierende Literatur um die Zeitschrift Souffles war einerseits der Bruch mit der Tradition und andererseits die Aufwertung der eigenen Kultur in Form einer radikalen Erneuerung und neuen „Authentizität“.85 Hierzu
82 Vgl. ebd., 33f., Khadda 1999, 103-123. 83 Vgl. Heiler 2005, 33-36. Zu den frühen Werken gehören zum Beispiel Mohammed Ben Chérifs Roman Ahmed Ben Moustapha, goumier (1920), Abdelkader HadjMamous Zohra, le femme du mineur (1925), Chukri Khodjas’ Mamoun, l’ébauche d’un idéal (1928), Mohammed Ould Cheikhs Myriem dans les palmes (1936) oder Rabah Zenatis Bou-el-Nouar, le jeune algérien (1945). Siehe zu den Anfängen der frankophonen maghrebinischen Schriftliteratur z.B. Grimm und Arend-Schwarz 1994, 469-479; Heiler 2005, 13-32. Der Begriff der „maghrebinischen Literatur“ ist natürlich tendenziell homogenisierend und wenig differenziert. Dass er dennoch verwendet wird, ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass es sich bei Texten aus diesem Teil der Welt um eine von der Wissenschaft immer noch eher marginal behandelte Literatur handelt, die aus diesem Grund unter eher groben Kategorien zusammengefasst wird. Dennoch wurde und wird der Begriff auch von den betroffenen Autoren selbst geführt, beispielsweise von Ben Jelloun („littérature maghrébine d’expression française“, Ben Jelloun 1984, 250), und ist in der wissenschaftlichen Beschäftigung – in Frankreich, USA oder Deutschland – nach wie vor Common sense. 84 Vgl. Heiler 2005, 33-36. 85 Vgl. ebd., 143.
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gehörte auch, sich das eigene kulturelle Erbe wiederanzueignen. Im Gegensatz zur Négritude-Bewegung sollte dies jedoch nicht nur die Besinnung auf die Wurzeln bedeuten, sondern vorwärtsgerichtet und mit neuen Impulsen verbunden sein und so der Folklorisierung durch die Franzosen eine moderne Form der kulturellen Authentizität entgegen stellen. Die Stoffe der Volkserzählung, welche im Maghreb seit Jahrhunderten unter anderem aufgrund der Diglossie zwischen Standardarabisch und den einzelnen regionalen Varietäten des Arabischen keine schriftliche Tradition hatten, wurden von der sich neu erfindenden maghrebinischen Schriftliteratur vereinnahmt und in einer anderen Sprache als der jeweiligen Volkssprache schriftlich fixiert. Konventionen und Grenzen, seien diese nationaler, literarischer, linguistischer oder kultureller Art, wurden im métissage culturel aufgebrochen und transgrediert. Gattungen und Genres wurden gemischt, die Textstruktur durchsetzt mit Übergängen zwischen Drama, Poesie und Prosa, mit Bezügen auf die sufische Tradition des Islam und auf volkstümliche Mythologeme sowie mit Wechseln zwischen oralem und skripturalem Register.86 Die Spannungen, die zunächst in der Konkurrenz zwischen mündlicher Populärkultur und nur von und für elitäre Kreise geschriebener frankophoner Schriftliteratur herrschten, wurden von der neuen Postkolonialliteratur aufgenommen. Die Stoffe der Volkskultur hat man nicht nur inhaltlich verarbeitet, sondern auch formal in die Strukturen des Textes eingebettet. Vor allem diese experimentelle Verbindung von europäischen Gattungen mit Stoffen der Volkskultur sowie Strukturen der mündlichen Tradition ist Ausdruck der Suche nach einem eigenen, nicht durch europäische Fremdbestimmung oder arabischen Nationalismus vorgezeichneten Weg der (literarischen) Kultur in Nordafrika. Gerade am Motiv des Körpers lässt sich diese Entwicklung besonders gut nachvollziehen. Mit Blick auf die Vermittlung von literarischen Stoffen der Volkskultur hat ab Mitte des 20. Jahrhunderts ein Medienwechsel stattgefunden. Der Körper als unangefochtene Vermittlungsinstanz der Erzählung bekam Konkurrenz durch die schriftliche Fixierung von Literatur.87 Aleida Assmann hat für die Übersetzung von lebendigen Körpern in abstrakte Zeichen den Begriff der
86 Vgl. ebd., 144. 87 Vgl. beispielsweise Gronemann 2002b, 158-165, die von der Verdrängung des Körpers als primärer Vermittlungsinstanz spricht. Die Verdrängung der mündlichen lokalen Traditionen geht unter anderem auch auf die französische Kolonialpolitik zurück. So berichtet Fanon 1961 in Les damnés de la terre von systematischen Verhaftungen mündlicher Erzähler ab 1955 durch das französische Regime aufgrund ihrer kolonialkritischen Geschichten und deren schneller und wirksamer Verbreitung über Mundzu-Mund-Propaganda, vgl. [1961] 2002, 229.
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Exkarnation geprägt. Sie zeigt in ihrer Studie „Exkarnation: Gedanken zur Grenze zwischen Körper und Schrift“ anhand der europäischen Entwicklung des Literatur- und Schriftsystems und den damit einhergehenden theoretischen und ideologischen Debatten, wie die Entkoppelung von Körper und Schrift „bis hin zur kategorischen Trennung“88 als Verlust des Körpers und der Sinnlichkeit wahrgenommen wird. Dieses Gefühl bringen auch Tahar Ben Jelloun und Assia Djebar mit der Verschriftlichung von Literatur in Zusammenhang, so nennt Djebar diese Entwicklung in Ces voix qui m’assiègent den „Tod der Stimme“ und alles Körperlichen: „Écrire, ce serait tuer la voix, l’épuiser, lui faire rendre souffle, la dépouiller de son ton, de son accent, de son écho, de son déplacement d’air [...]“89. In ihren Rekursen auf die mündliche Erzählung unternehmen die beiden Autoren in ihren postkolonialen Romanen den Versuch einer Rekonstruktion des Körpers in der Schriftliteratur. Ihre Evokation der mündlichen Erzählsituation mittels verschiedener narrativer Techniken nimmt die Tradition der Volksliteratur wieder auf und setzt sie mit gattungsspezifischen Modifikationen fort. Der Versuch der „Wiederbelebung des Körpers“ kann jedoch nicht über den Bruch hinwegtäuschen, den die mündliche Volkskultur durch die Einführung eines konkurrierenden Massenmediums erfahren hat. Den Autoren ist die Entfremdung von der mündlichen Tradition natürlich bewusst. So konstatiert Ben Jelloun, dass er selbst im Gegensatz zu seinen Erzählerfiguren kein mündlicher Erzähler sei, jedoch versuchen wolle, etwas von der Atmosphäre mündlicher Erzählungen einzufangen: „Je ne suis pas un écrivain oral, je ne suis pas de tradition culturelle orale, mais j’essaie de recréer la magie, la folie de l’imaginaire qui se conte, s’éparpille et se perd.“90
3. D ER K ÖRPER
ALS
M EDIUM
DES
E RZÄHLENS
Djebars und Ben Jellouns Inszenierungen von Mündlichkeit sollen aber nicht nur vor dem historischen Kontext beleuchtet, sondern auch im Licht aktueller theoretischer Debatten gesehen werden, die sich mit dem Verhältnis von erzählendem Körper und erzählter Geschichte befassen. Dies dient der begrifflichen Verortung von Djebars und Ben Jellouns Konzepten und zeigt gleichzeitig, dass und wie die Autoren konzeptuell über die wissenschaftlich erörterten Möglichkeiten hinausgehen, das Verhältnis von Körper und Geschichte zu begreifen.
88 Assmann 1993, 155. 89 Ces voix, 254. 90 Ben Jelloun 1984, 250.
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Mit der Life Performance beschäftigt sich klassischerweise die Theaterwissenschaft. Einen großen Stellenwert in aktuellen Diskussionen im Rahmen der Performativitätsforschung nimmt die Frage nach medialen Aspekten ein. Das Medium, über das im Theater etwas dargestellt wird, ist wie in der mündlichen Erzählung der Körper. Diskussionen aus der Theaterwissenschaft, die sich mit dem Schauspielerkörper beschäftigen, lassen sich analog auf die mündliche Erzählung anwenden, um den Körper als Medium und in seiner Medialität in den Blick zu nehmen.91 Schauspieler und Erzähler agieren unter ähnlichen Voraussetzungen, die mit Begriffen wie Ereignishaftigkeit, Improvisation und Performativität, Interaktion, Publikum und Bühnenraum umschrieben werden können. Die Thematik erfordert einen Rückgriff auf die philosophische Beschäftigung mit dem sogenannten Leib-Seele-Problem, weshalb die Wiedergabe einiger Eckpunkte der theaterwissenschaftlichen Debatte in Hinblick auf die Konzepte von Djebar und Ben Jelloun besonders interessant ist. In der Diskussion um den Status des (Schauspieler-, Performer- oder auch Erzähler-)Körpers ist vor allem die Frage relevant, ob der Körper in seiner künstlerischen Vermittlerrolle ein Medium sein kann.92 Je nach Standpunkt ergeben sich hieraus die fortführenden Fragen: Wenn der Körper als solches verstanden werden kann, was für eine Art von Medium ist er? Wenn der Körper nicht als Medium verstanden werden kann, als was ist er zu bezeichnen und wie ist seine Rolle zu begreifen? Über die zwei Pole der wissenschaftlichen Positionen geben zwei Aufsätze besonders Aufschluss. Zum einen zielt die Kernaussage der theoretischen Ausführungen der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte in ihrem Beitrag „Was verkörpert der Körper des Schauspielers?“ von 2004 darauf ab, den Körper nicht als Medium zu verstehen. Zum anderen nimmt die Arbeit von Kati Röttger, ebenfalls Theaterwissenschaftlerin, „Intermedialität als Bedingung von Theater: Methodische Überlegungen“ von 2008 eine Relativierung von Fischer-Lichtes Konzept vor und versucht, den Medienbegriff für den Körper durch Modifizierungen zu etablieren. Basierend auf Merleau-Pontys phänomenologischer Philosophie einer antidualistischen und antitranszendentalistischen Vermittlung zwischen Leib und Seele, wonach der Geist nicht anders als verkörpert existieren kann, kritisiert Fischer-Lichte die theaterwissenschaftliche Theoriebildung, die den Körper als
91 Mit der theaterwissenschaftlichen Debatte um die Frage, ob beim Körper von einem Medium gesprochen werden kann, habe ich mich auch im Rahmen eines Aufsatzes über die Rolle der mündlichen Erzählerfigur der ḥalqa beschäftigt, vgl. Kaiser 2011. 92 Vgl. hierzu ausführlich Röttger 2004, passim.
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Medium verstehen will, als dualistisch.93 Der Körper als Medium und somit der semiotische Körper impliziere ein Zeichenapriori, eine präexistente Figur, die durch den Körper der Schauspielerin in Erscheinung trete. Eben dies ist nach Fischer-Lichte nicht möglich, sie ist der Auffassung, [...] dass der phänomenale Leib des Schauspielers nicht als Medium und Zeichen für die sprachlich konstituierte Figur dient, sondern dass die Figur, die auf der Bühne erscheint, als eine je spezifische ohne das je besondere In -der -Welt -Sein des Schausp ielers/ Performers nicht zu denken und zu haben ist, dass sie jenseits seines individuellen phänomenalen Leibes, den sie nicht auszulöschen, zum Verschwinden zu bringen, ‚zum Analogon‘ zu ‚depotenzieren‘ vermag, keine Existenz hat. Dies eben meint der radikal neudefinierte Begriff der Verkörperung.94
Fischer-Lichte setzt dem Begriff des Körpers den des Leibes entgegen95 und dem Begriff des Mediums den der Verkörperung. Hierfür greift sie auf Csordas’ Begriff des embodiment zurück: Der Erklärungsmetapher von ‚Kultur als Text‘ setzt er [Csordas – S.K.] den Begriff des embodiment entgegen, dem Konzept der Repräsentation das der ‚gelebten Erfahrung‘, des ‚Erlebens‘. Unter Berufung auf Merleau-Ponty wirft Csordas den Bestimmungen des Kulturbegriffs, welche die verschiedenen Kulturwissenschaften vorgenommen haben, vor, dass ‚none have taken seriously the idea that culture is grounded in the human body‘. Diese Einsicht stellt für ihn die fundamentale Voraussetzung dar, unter der allein sinnvoll über Kultur und über den Körper gehandelt werden kann.96
Fischer-Lichte schließt somit die Möglichkeit der Repräsentation durch den Körper aus, an ihre Stelle tritt ein performatives Konzept der Ereignishaftigkeit und Konstitution im Geschehen. In den Prozessen der Verkörperung „wird der Leib ein anderer. Er transformiert sich, schafft sich neu. Der Leib ist nicht, er wird: Der Leib ereignet sich.“97 Die Darstellung einer Figur durch den Körper
93 Vgl. Fischer-Lichte 2004, 151. Sie bezieht sich auf Merleau-Ponty, Waldenfels und Kapust 1994, 172-203. 94 Fischer-Lichte 2004, 159. 95 Für die Unterscheidung von „Körper haben und Leib sein“, auf die sich Fischer-Lichte bezieht, vgl. Helmuth Plessner ([1928] 1981): Die Stufen des Organischen und der Mensch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 96 Fischer-Lichte 2004, 159f. 97 Ebd., 161.
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der Schauspielerin bezeichnet Fischer-Lichte als „Spannung zwischen dem phänomenalen Leib und dem semiotischen Körper“98. Eine naheliegende Frage wird von Fischer-Lichte nicht aufgeworfen, von Röttger aber gestellt: Warum kann überhaupt von einer Figur wie zum Beispiel Hamlet gesprochen werden, die durch unterschiedliche Schauspieler verkörpert wird? Fischer-Lichte selbst führt den Begriff der Figur an und versucht, ihre Wiedererkennbarkeit mit Familienähnlichkeiten zwischen den jeweiligen Verkörperungen der Figur zu erklären. Konkret bedeutet dies, dass bestimmte Merkmale zusammengenommen eine Figur ergeben, nicht aber notwendigerweise bei jeder Verkörperung dieser Figur vollständig präsent sein müssen. Der Körper muss also über eine mediale Dimension verfügen, wenn davon gesprochen wird, dass er eine Figur vermitteln kann, die auch jenseits des einmaligen Ereignisses der Verkörperung Geltung hat. Fischer-Lichtes Dualismuskritik erscheint berechtigt insoweit, als jeder Körper immer mehr ist als ein reines Medium.99 Röttger kritisiert Fischer-Lichtes Medienbegriff grundsätzlich als zu statisch und argumentiert für eine theoretische Annäherung des Medienbegriffs an den von Fischer-Lichte vertretenen Verkörperungsbegriff, indem sie den Vermittlungscharakter stärker hervorhebt.100 Sie plädiert für eine Verschiebung des Akzents von der statischen Trägerfunktion des Mediums zu einer aktiven Übertragungsfunktion, wie es vor ihr auch schon andere im Umfeld der Beschäftigung mit dem Medienbegriff erwogen haben.101 Ausgehend von den Überlegungen des Phänomenologen Waldenfels zur Medialität des Körpers, wonach Medien menschliche Erfahrung modalisieren, kann Röttger so eine Mittelposition begründen und zu dem Schluss kommen, dass „Körper medialisieren und Medien verkörpern“102 . Röttgers Einwand erscheint plausibel, allerdings gehen Fi-
98
Fischer-Lichte 2012, 61.
99
Nach ihrer Verwendung des Medienbegriffs, wonach einem Medium bloß instrumentelle oder semiotische Funktion zukommt. Durch die Annahme einer graduellen Medialität könnte zwischen konventionellerem Theater und Performances unterschieden werden, wobei bei Letzteren, um bei Fischer-Lichtes Terminologie zu bleiben, nur der „Leib“ des Performers in Erscheinung tritt.
100 Vgl. Röttger 2008, 117-121. 101 Vgl. z. B. Sybille Krämer (2003): „Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? Thesen über die Rolle medientheoretischer Erwägungen beim Philosophieren“, in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Münker, Stefan; Roesler, Alexander; Sandbothe, Mike, Hg. Frankfurt a. M.: Fischer, 78-90. 102 Röttger 2008, 119.
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scher-Lichte und Röttger in ihren Überlegungen auch von zwei unterschiedlichen Medienbegriffen aus, wodurch sich die Frage, folgt man Röttgers weniger statischem Medienbegriff, von „Ist der Körper ein Medium?“ zu „Was ist der Körper für ein Medium?“ verschiebt. Für Tahar Ben Jellouns und Assia Djebars Konzepte stellt sich weniger die Frage, ob der Körper auf einer begrifflichen Ebene als Medium verstanden werden kann, als vielmehr, wie beide Autoren das Verhältnis von Körper und Geschichten, Erzähltradition und dem einzelnen Erzählakt sehen. Bei beiden Autoren liegen die Pole der möglichen Beziehungen zwischen Körper und Geschichte wesentlich weiter auseinander, wobei die unterschiedlichen Konzepte problemlos nebeneinander, auch im Widerspruch zueinander, aufgeführt werden. Diese reichen vom performativen Zustandekommen durch ein Miteinander verschiedener Körper beim Erzählen über konventionelle Erzählkonzepte bis hin zu Körpern als von Geschichten behausten Orten.
II. Ben Jellouns Geschichten im Körper
Ben Jellouns L’enfant de sable ist eines der wenigen Werke, die sich mit der männlich dominierten Erzähltradition der ḥalqa auseinandersetzen. Es treten jedoch auch Erzählerinnen auf, die zahlenmäßig und in Bezug auf die Erzählzeit eine Minderheit darstellen. Der Roman konstituiert sich aus zahlreichen Rückgriffen auf Techniken der mündlichen Erzählweise und vermittelt so den Eindruck einer sich im Prozess des mündlichen Erzähltwerdens befindenden Geschichte. Die Erzählstrukturen sind komplex, Elemente nordafrikanischer mündlicher und klassisch arabischer sowie westlicher Schrifttradition unauflöslich miteinander verwoben. Die Hauptstruktur bildet die Erzähltechnik der Verschachtelung, bestehend aus Rahmenerzählung und Binnenhandlung, die jeweils aus unterschiedlichen Erzählsträngen und Anekdoten zusammengesetzt sind.103 Das Vorbild hierfür liefert die Geschichtensammlung Tausendundeine Nacht104 (arabisch Alf laila wa-laila105 ).106
103 Ich unterscheide im Folgenden drei Ebenen und Diskurse voneinander: 1. die Ebene der Rahmenhandlung, deren auktorialer Diskurs die mündlichen Erzähler einführt, 2. die Ebene der Binnenhandlung, die aus der Perspektive der mündlichen Erzähler erfolgt und 3. die Ebene des Tagebuchs und der Briefe, die auf der Ebene der Binnenhandlung geschrieben werden und somit eine weitere Unterebene darstellen. In L’enfant de sable ließen sich noch weitere Diegesen unterscheiden, jedoch würde dies die vorliegende Analyse ohne tieferen Erkenntnisgewinn nur unnötig verkomplizieren. 104 Das Korpus von Tausendundeine Nacht ist selbst das Ergebnis eines viele Jahrhunderte währenden Prozesses von schriftlicher Fixierung indischer, persischer und arabischer Erzählungen, wobei immer wieder – beispielsweise bei der ersten Übersetzung aus dem Arabischen ins Französische durch Antoine Galland unter dem Titel Les mille et une nuits: contes arabes (in 12 Bänden in Paris von 1704-1708 erschienen, vgl. etwa Klinkenberg 2009, besonders 113-116) neue Geschichten hinzugefügt
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In der Rahmenhandlung von L’enfant de sable werden mehrere Versionen einzelner Elemente der Binnenhandlung diskutiert. Ben Jelloun skizziert so die Entstehungsgeschichte von aus der mündlichen Tradition kommenden Erzählungen, von denen verschiedene Abwandlungen existieren. Auch auf inhaltlicher Ebene orientiert sich L’enfant de sable an Tausendundeine Nacht: Gegenstand der Binnengeschichte ist die Metamorphose der Hauptfigur107 , die als achte Tochter geboren und als erster Sohn aufgezogen wird, vom Mann Ahmed zurück zur Frau, die von einer Laienerzählerin „Zahra“ genannt wird. In Tausendundeine Nacht wird innerhalb der „Geschichte von Kamar Ez-Zamân“ in der 193. Nacht108 die Geschichte von Marzuwân erzählt, der von seiner Mutter als Frau verkleidet wird, damit er ungehindert seine Milchschwester Prinzessin Budûr besuchen kann, die von einem Eunuchen bewacht wird. Die Motive des Gestaltwandels und der als Mann verkleideten Frau109 sind aber auch schon früher als in
und alte Geschichten variiert und verändert wurden, vgl. ebd., 111-126; Walther 1987, 28-54. Umfassend informiert The Arabian Nights Encyclopedia über Tausendundeine Nacht (Marzolph 2004). 105 Herausgegeben beispielsweise von Muḥammad Qiṭṭa al-Adawī: Alf laila wa-laila. Bagdad: Maktabat al-Muṯannā, 1965. Ins Deutsche unter anderem von Enno Littmann in sechs Bänden nach der arabischen Calcuttaer Ausgabe von 1839 übersetzt unter dem Titel Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten, Littmann 1966. 106 Die Verschachtelungstechnik ist gleichzeitig ein Merkmal postmodernen Erzählens, so beispielsweise in Italo Calvinos Se una notte d’inverno un viaggiatore... (1979). Hierauf verweist Spiller 2000, 298. 107 Bei Tahar Ben Jelloun ändert sich im Laufe des Romans das Genus, mit welchem die Protagonistin bezeichnet wird, vgl. L’enfant, 126. Ich verwende im Folgenden aus Gründen der Einfachheit ausschließlich das weibliche Genus in Verbindung mit dem männlichen Namen Ahmed. 108 In der Übersetzung von Littmann 1966, Bd. 2, 402-407. 109 Siehe zur Crossdressing-Debatte in Bezug auf die klassisch-arabische Dichtung, die als Gegenstück zur panegyrischen Liebesdichtung hohen Stils auch Genres der Satire und Spottdichtung mit obszöner Thematik entwickelte, Julia Ashtiany (2008): ‘Abbasid Belles-Lettres. Cambridge: Cambridge Univ. Press; Geert J. van Gelder (1988): The Bad and the Ugly. Attitudes Towards Invective Poetry (Hija’) in Classical Arabic Literature, Leiden: Brill; Ewald Wagner (1965): Abū Nuwās: eine Studie zur arabischen Literatur der frühen ‘Abbāsidenzeit, Wiesbaden: Steiner, insbesondere 360-384. Zum Thema der Androgynie im Werk der zeitgenössischen libanesischen Autorin Hudā Barakāt siehe Barbara Winckler (2011): Grenzgänge. Androgynie − Wahnsinn – Utopie im Romanwerk von Hudā Barakāt, Wiesbaden: Reichert.
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Tausendundeine Nacht verbreitet, zum Beispiel im indischen Nationalepos Mahâbhârata (4. Jh. v. Chr.) oder in Ovids Metamorphosen.110 In der Rahmenerzählung von L’enfant de sable treten mehrere Erzähler auf, die alternierend oder im Dialog versuchen, das verschwundene Tagebuch der Hauptfigur zu rekonstruieren (vgl. L’enfant, 70). Pluralität der Versionen und Erzählerpolyphonie resultieren aus dem Verlust des schriftlichen Originals – ein traditionelles Motiv für das Geschichtenerzählen, das auch von postmodernen Autoren aufgegriffen und als solches vorgeführt wurde, wie beispielsweise Umberto Eco mit Il nome della rosa (1982) zeigt. Das Erzählen des Erzählens nimmt in L’enfant de sable mindestens ebenso viel Raum ein wie die erzählte Geschichte selbst. Dies erweist sich als ein zentrales Merkmal von sowohl postmoderner als auch von postkolonialer Literatur aus dem Maghreb seit den 1970er Jahren.111 Rückgriffe auf Techniken und Motive der mündlichen Erzählweise finden sich in L’enfant de sable vor allem in der Rahmenerzählung wieder. Der Diskurs der Binnenhandlung, das Erzählen der dargestellten Erzähler, weist zumindest partiell formale Strukturen der mündlichen Erzählform auf, die deutlich von denen des geschriebenen Tagebuchs zu unterscheiden sind. Auf der Ebene des Rahmendiskurses erfolgt die Inszenierung der mündlichen Erzählsituation durch eine besonders plastische Darstellung der Körper der Erzähler und die Simulation von Ereignishaftigkeit des Erzählvorgangs, beispielsweise durch dialogische Strukturen. Zwei wesentliche, einander zuwiderlaufende Tendenzen der Konzeption des Verhältnisses von Erzählerkörper und Geschichten beim Prozess des Erzählens lassen sich hierbei ausmachen. Zum einen wird die Verbindung von Körper und Geschichte so konstruiert, dass Geschichten gemäß der mündlichen Tradition performativ im Akt des Erzählens zustande kommen. Zum anderen begreifen die Erzähler in Selbstthematisierungen ihren Körper als Behausung für Geschichten, die sie sich folglich als etwas Autonomes vorstellen, das über eine gewisse Materialität sowie ein eigenes Wesen verfügt und in Interaktion zum Körper tritt.
1. MIT DEM KÖRPER ERZÄHLTE GESCHICHTEN Die Rahmenhandlung in L’enfant de sable wird von einem Geschichtenerzähler eröffnet, der wohl auf der Djemaa El Fna (ǧāmiʿ al-fanāʾ), dem zentralen und hierfür einschlägig bekannten Marktplatz in Marrakesch, Zuhörer um sich ver-
110 Vgl. zu dieser Kontextualisierung von L’enfant de sable Spiller 2000, 297, und Rothe 1996, 472. 111 Auf den Zusammenhang verweist Spiller 2000, 298f. Vgl. auch Heiler 2005, 57f.
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sammelt hat. Im Zentrum des Erzählkreises steht die Lebensgeschichte der Hauptfigur Ahmed, die der Erzähler deren Tagebuch entnommen hat, das er kurz vor ihrem Tod von ihr persönlich erhalten haben will. Im Verlauf der Geschichte treten noch weitere Erzähler auf, im Wesentlichen zwei unterschiedliche Erzählertypen, die sich hinsichtlich ihrer Erzählintention unterscheiden und hierdurch den Fortgang der Geschichte beeinflussen: Den einen geht es darum, die Wahrheit zu erzählen, weil sie von der Geschichte überzeugt oder angeblich Angehörige der Hauptfigur sind. Die anderen, die als Zuhörer den Anfang der Geschichte mitverfolgt haben, überlegen sich nach dem Verschwinden des ersten Erzählers mögliche Versionen für das Ende von Ahmeds Geschichte, die also explizit fiktiv sind. Unabhängig von der Intention verlieren alle früher oder später die Kontrolle über die Binnenhandlung und damit ihre Autorität als Erzähler. Dies stellt, wie Spiller bemerkt, einen zentralen Unterschied zu Tausendundeine Nacht dar, denn Schehrezâd112 ist zum einen die einzige Autorität für ihre Erzählungen, zum anderen hängt ihr Leben vom erfolgreichen und kontrollierten Erzählen von Geschichten ab.113 Verschiedene Strategien in L’enfant de sable sollen dabei zu dem Eindruck führen, dass man es mit tatsächlichen, verkörperten Erzählern zu tun hat. So wird nach einem Anfang in medias res auf der Ebene der Binnenhandlung der erste Erzähler vom Diskurs der Rahmenhandlung eingeführt, indem beschrieben wird, in welcher Haltung er sich zum Erzählen befindet: „Le conteur assis sur la natte, les jambes pliées en tailleur, sortit d’un cartable un grand cahier et le montra à l’assistance“ (L’enfant, 12). Auch die Zuhörerschaft wird beschrieben, zum einen vom Diskurs der Rahmenhandlung (vgl. L’enfant, 13), zum anderen in den Worten des Erzählers, wenn er sein Publikum anspricht: „Débarrassez-vous de cette fébrilité malsaine qui court dans votre regard“ (L’enfant, 13). Der Erzähler setzt dem Publikum die Bedingungen für den Erzählprozess auseinander: „Ce livre, je l’ai lu, je l’ai déchiffré pour de tels esprits. Vous ne pouvez y accéder sans traverser […] mon corps“ (L’enfant, 12f.). Obwohl er, angeblich, im Besitz des materiellen Mediums der Geschichte – nämlich des Tagebuchs – ist, verweist er auf ein anderes Medium, das den Inhalt des Tagebuchs vermitteln wird: „mon corps“. Er überführt den geschriebenen Text dadurch zurück in die mündliche Erzählweise, ohne dabei eine strikte Trennung beider Traditionen vorzunehmen. Es lassen sich in Bezug auf den ersten Erzähler, der die Binnenhandlung erzählt, sowohl Konzepte medialer und konzeptioneller Mündlichkeit (der
112 Transkription nach Littmanns Tausendundeine Nacht, da Schehrezâd auch in allgemeineren Kontexten genannt wird, die von Ben Jelloun und Djebar unabhängig sind. 113 Vgl. Spiller 2000, 299.
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Erzähler erzählt und bedient sich der typischen mündlichen Strukturen) finden als auch solche medialer Mündlichkeit kombiniert mit konzeptioneller Schriftlichkeit (der Erzähler liest Passagen aus dem Tagebuch). Im Erzähler vereinigen sich somit mündliche und schriftliche Kultur, Körper und Text. Dass es Ben Jelloun in L’enfant de sable um die Verschränkung nicht nur von mündlicher und schriftlicher, sondern auch von arabischer und französischer Tradition geht, wird zusätzlich in der sprachlichen Umsetzung deutlich. Arabische Begriffe aus dem Wortfeld der Literatur werden als Konzepte wörtlich ins Französische übersetzt, wodurch ihre Bildlichkeit herausgestellt und ihre metaphorische Selbstverständlichkeit durchbrochen wird. So sind beispielsweise die einzelnen Kapitel, die den einzelnen Erzählsitzungen auf dem Marktplatz entsprechen, mit „porte“ überschrieben. Während der französische Begriff ausschließlich einen Durchgang bezeichnet, hier genauer ein Stadttor, bedeutet das arabische Äquivalent „bāb“ auch „Kapitel“. Der arabische Begriff erscheint in einem arabischsprachigen Text also als eine Selbstverständlichkeit, im französischsprachigen Roman jedoch als ungewöhnlich. Dadurch wird ein neuer Zusammenhang zwischen altbekannten Konzepten hergestellt: Die literarischen Übersetzungsprozesse zwischen Arabisch und Französisch werfen neues Licht auf beide Sprachen und reflektieren die Konzepte aus der jeweils anderen Perspektive. Ben Jelloun macht auf diese Art das ungleiche Aufeinandertreffen der französischen und arabischen Kultur in der Kolonialzeit fruchtbar für seine Literatur. Performatives Erzählen im Dialog Der Erzähler auf dem Marktplatz evoziert explizit die ḥalqa, indem er die räumliche Nähe anderer Erzähler thematisiert. Er steht in Dialog mit seinem Publikum, wobei dessen Interventionen zunächst nur in den Wiederholungen des Erzählers Ausdruck finden: „Appelons-le Ahmed. Un prénom très répandu. Quoi? Tu dis qu’il faut l’appeler Khémaïss? Non, qu’importe le nom. Bon, je continue: […]“ (L’enfant, 17). Außerdem schwört der Erzähler seine Zuhörer auf die Geschichte ein, indem er sie zum Treuepakt verpflichtet und sich im Gegenzug für den faktualen Status seiner Geschichte verbürgt: „Que ceux qui partent avec moi lèvent la main droite pour le pacte de la fidélité. Les autres peuvent s’en aller vers d’autres histoires, chez d’autres conteurs“ (L’enfant, 16). Der Treuepakt soll nicht nur die Autorität des Erzählers untermauern, sondern den Zuhörern auch die Bedeutung der Erzählung und ihrer aktiven Anteilnahme daran verdeutlichen. Ohne das Publikum gibt es keine Geschichte, wie der Erzähler versichert: „J’ai besoin de vous. Je vous associe à mon entreprise“ (L’enfant, 16). Durch die zunächst noch kontrollierte schrittweise Aufgabe von Autorität über die Erzählung überträgt der Erzähler den Zuhörern einen Teil der
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Verantwortung und bringt sie dadurch dazu, sich einzubringen. So wird sichergestellt, dass die Erzählung zum Ereignis wird und der Prozess des Entstehens nicht vorhersagbar verläuft. Zunächst lässt der Erzähler Unsicherheit über den Fortgang der Geschichte erkennen: „Mais je vois dans vos yeux l’inquiétude. Vous ne savez pas où je vous emmène. N’ayez crainte, moi non plus je ne le sais pas“ (L’enfant, 21). Im Gegensatz zu Schehrezâds beherrschter Erzählweise in Tausendundeine Nacht – von wohlgesetzten Cliffhangern hängt schließlich ihr Leben ab – konstituiert sich L’enfant de sable gerade aus Kontrollverlusten, die das Alternieren der Erzähler bewirken. Die Zuhörer, die sich selbst als „Zuschauer“ verstehen, ergreifen als Kollektiv das Wort, als ihnen das Ausmaß ihrer Teilhabe am Zustandekommen der Erzählung bewusst wird: „Nous ne sommes plus des spectateurs; nous sommes nous aussi embarqués dans cette histoire qui risque de nous enterrer tous dans le même cimetière“ (L’enfant, 24). Der Erzähler regt sein Publikum außerdem zum Einbringen eigener Versionen an, indem er auf Leerstellen114 im Tagebuch verweist, aus welchem er zeitweise vorliest: C’est une période que nous devons imaginer, et, si vous êtes prêts à me suivre, je vous demanderai de m’aider à reconstituer cette étape dans notre histoire. Dans le livre, c’est un espace blanc, des pages nues laissées ainsi en suspens, offertes à la liberté du lecteur. A vous! (L’enfant, 41f.)
Die Zuhörer kommen nun nicht mehr kollektiv, sondern als individuelle Stimmen der Aufforderung zum Improvisieren nach und verhandeln miteinander über den Fortgang der Geschichte:
114 Der Begriff der „Leerstelle“ ist in der neueren Erzählforschung vor allem mit Wolfgang Iser verbunden. Leerstellen eröffnen sich, wenn „Textsegmente unvermittelt aneinanderstoßen, [und so] die erwartbare Geordnetheit des Textes unterbrechen“, Iser [1976] 1994, 302. Auf diese Weise wird die „Beteiligung des Lesers am Vollzug des Textgeschehens“ ermöglicht (ebd., 314). Lesende beteiligen sich an der Sinnkonstitution, indem sie ihr Weltwissen, ihre Vorstellungskraft, Wertvorstellungen und Kombinationsgabe einbringen. Bei Ben Jelloun handelt es sich hier um eine Leerstelle, die von der mündlichen Erzählerfigur explizit als „weißer Raum“ im vermeintlichen Tagebuch benannt wird. Die mündliche Erzählung, wie sie bei Ben Jelloun vorgeführt wird, konstituiert sich zum großen Teil aus solchen Leerstellen und lebt von der direkten Aufforderung an das Publikum, den Akt des Erzählens mit zu vollziehen und die Erzählung kollektiv zum Event zu machen.
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– Je pense que c’est le moment où Ahmed prend conscience de ce qui lui arrive et qu’il traverse une crise profonde. Je l’imagine […]. – Moi, je ne crois pas à cette histoire de crise. Je pense […]. – Non! Ce qui s’est passé est simple. Moi, je le sais. Je suis le plus âgé de cette assistance, peut-être même plus que notre vénéré maître et conteur, que je salue respectueusement. Cette histoire, je la connais. Je n’ai pas besoin de deviner ou de donner des explications... […]. (L’enfant, 42)
Die Geschichte kommt so, wie Spiller es nennt, in „basisdemokratischer Praxis“115 zustande. Gleichzeitig wird aber die Frage aufgeworfen, ob eine solche Geschichte überhaupt zu erfinden sei. Auf diese Weise wird den Spekulationen anderer Zuhörer ein Ende gesetzt. Rufe nach der Wahrheit und dem tatsächlichen Geschehen werden immer lauter: – Cela ne nous avance pas, cher doyen! Je te dis cela parce que notre histoire piétine. Sommes-nous capables de l’inventer? Pourrions-nous nous passer du livre? – Moi, si vous permettez, je vais vous dire la vérité: c’est une histoire de fou! [...] Puisque tu dis avoir la preuve dans ce livre que tu caches, pourquoi ne pas nous le donner... Nous verrons bien si cette histoire correspond à la vérité ou si tu as tout inventé pour te jouer de notre temps et de notre patience!... (L’enfant, 42f.)
Dem Erzähler wird die Autorität über die Geschichte aberkannt und dem geschriebenen Text als einziger zuverlässiger Quelle zuerkannt. Doch weiß der Erzähler die Kontrolle über den Fortgang der Geschichte vorerst zurückzugewinnen, indem er die Beteiligung der Zuhörer als Test ihres Interesses ausgibt und von nun an aus dem Buch rezitiert: „C’est le vent de la rébellion qui souffle! Vous êtes libres de croire ou de ne pas croire à cette histoire. Mais, en vous associant à ce récit, je voulais juste évaluer votre intérêt... La suite, je vais la lire [...]. Écoutez!“ (L’enfant, 43). Auffällig ist hier der Wechsel des Erzählstils, den das jeweilige Medium des Erzählens mit sich bringt. Unter formalen Aspekten betrachtet ändern sich, je nachdem, ob Körper von Erzählern und Publikum oder das Tagebuch die Binnenerzählung vermitteln, die Strukturen von Syntax, Register, Stilmitteln und Ähnlichem. Die Performanz des mündlichen Erzählers hängt außerdem davon ab, ob dieser die Geschichte der Binnenhandlung wiedergibt oder ob er die Erzählsituation kommentiert, beispielsweise in Erklärungen des weiteren Erzählverfahrens.
115 Ebd., 307.
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Der Einstieg in die Binnenhandlung, der auch den Anfang von L’enfant de sable bildet, erfolgt über die Beschreibung des Gesichts der Hauptfigur: Il y avait d’abord ce visage allongé par quelques rides verticales, telles des cicatrices creusées par de lointaines insomnies, un visage mal rasé, travaillé par le temps. La vie – quelle vie? une étrange apparence faite d’oubli – avait dû le malmener, le contrarier ou même l’offusquer. On pouvait y lire ou deviner une profonde blessure qu’un geste maladroit de la main ou un regard appuyé, un œil scrutateur ou malintentionné suffisaient à rouvrir. (L’enfant, 7)
Der Erzähler stellt die Merkmale des Gesichts dar, aus denen die Verwundung der Protagonistin ablesbar ist. Der soziale Prozess des Lesens von Körpermerkmalen und Körpersprache wird gewissermaßen zum Prozess des Erzählens des Körpers umgekehrt. In der Sprache des Erzählers wird der Körper für die Zuhörer wiederum in seiner sozialen Dimension decodierbar. Gleichzeitig erweist sich der Körper als idealer Einstieg in die Geschichte, weil sich das über einen längeren Zeitraum Erlebte der Hauptfigur in einzelnen Körpermalen materialisiert hat und auf diese Weise anschaulich und kompakt dargestellt werden kann. Die Geschichten um Ahmed verdichten sich an ihrem Körper (ähnliche Erzählkonzepte der spurenhaften Rekonstruktion von Geschichten am Körper finden sich auch bei Djebar, wie der nächste Abschnitt zeigen wird). Auf die seelische Wunde verweist der Erzähler zum einen direkt mit dem Begriff der Wunde, zum anderen deutet er sie durch die Beschreibung von Spuren am Körper wie etwa tiefen Falten an. Erzählt wird anhand des Stilmittels der Metonymie, die Geschichte der Binnenhandlung wird durch die anamnestische Rekonstruktion der Wunde entfaltet. Dieser Einstieg bietet sich grundsätzlich für die mündliche Erzählung an, weil die Zuhörerschaft der Erzählung durch die konkrete Motivik besser folgen kann. Die Sätze sind kurz, parataktisch strukturiert und parallelistisch angeordnet, außerdem gibt es viele Wiederholungen oder Umformulierungen, die der kürzeren Aufmerksamkeitsspanne von Zuhörern geschuldet und typisch für das mündliche Erzählen sind. Regelmäßige rhetorische Fragen („La vie – quelle vie?“) fordern immer wieder die Konzentration des Publikums. Wenn der Erzähler auf die Erzählsituation Bezug nimmt, spricht er sein Publikum mit traditionellen Formeln an: „Amis du Bien, sachez que nous sommes réunis par le secret du verbe dans une rue circulaire [...]“ (L’enfant, 15). Mit der Metapher des Weges für den Erzählprozess greift der Erzähler auf ein traditionelles mnemotechnisches Mittel der räumlichen Ordnung zurück, das nach Cicero auf Simonides zurückgeht. In De oratore schildert Cicero, wie Simonides bei einem Festmahl
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die von einem eingestürzten Dach Getöteten identifizieren kann, weil er sich an ihre Sitzordnung erinnert.116 Durch die räumliche Vorstellung von der Geschichte, die durch verschiedene Tore zugänglich ist, bringt der Erzähler seine Zuhörer dazu, ihm auch durch komplexere narrative Strukturen wie beispielsweise Perspektivwechsel117 oder verschiedene Erzählstränge zu folgen. Bereits in der titelgebenden Metapher des Sands, über welchen der Weg führt, wird auf das mündliche Erzählen Bezug genommen, das keine Spuren hinterlässt: Nos pas inventent le chemin au fur et à mesure que nous avançons; derrière, ils ne laissent pas de trace, mais le vide, le précipice, le néant. Alors nous regarderons toujours en avant et nous ferons confiance à nos pieds. Ils nous mèneront aussi loin que nos esprits croiront à cette histoire. (L’enfant, 15f.)
Da die mündliche Erzählung nichts Materielles hinterlässt, auf das zurückgegriffen werden könnte, ist sie auf genaues Zuhören und kollektive Beteiligung des Publikums angewiesen, das bei ihrer (Re-)Konstruktion mitwirkt. Insofern ist die auf den ersten Blick als Widerspruch erscheinende Metapher eines Wegs, der beim Gehen erfunden werden muss, gar kein Widerspruch: Die Geschichte wird gleichzeitig nacherzählt und neu erfunden, sie wird performativ hervorgebracht und stammt doch aus einem festen Erzählrepertoire. Insofern ist es von Vorteil, wenn das Publikum an die Geschichte glaubt und sich mit Hingabe beteiligt. Ähnlich der theoretischen Ausführung der Theaterwissenschaftlerin Röttger über den Körper beim Schauspiel, wonach dieser eine Rolle sowohl verkörpert als auch medialisiert, konzipiert Ben Jelloun an dieser Stelle das Verhältnis von Erzählerkörpern und Geschichte. Ben Jelloun skizziert das Zustandekommen der Geschichte sowohl aus performativen, spontanen Elementen, die durch körperliche Interaktion gegeben sind und den diskutierten allgemeinen Merkmalen einer mündlichen Erzählung entsprechen, als auch aus Rückgriffen auf einen kulturellen Fundus, der hier – so scheint es zunächst – in Form eines geschriebenen Texts erscheint. Schriftliche Strukturen im Tagebuch? Im Gegensatz zur mündlichen Rhetorik sind die formalen Strukturen des geschriebenen Tagebuchs komplex und abstrakt. Besonders augenfällig ist der
116 Aleida Assmann führt dieses Beispiel als Ursprungserzählung der Erfindung von Mnemotechniken an, vgl. 2006, 35. 117 Vgl. zum Beispiel den Wechsel zwischen mündlicher Erzählung und Vorlesen aus dem Tagebuch (L’enfant, 54).
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Wechsel an der Stelle, an welcher der Erzähler nicht mehr aus seiner Erinnerung erzählt, sondern vorgibt den Text vorzulesen: La suite, je vais la lire... Elle est impressionnante. J’ouvre le livre, je tourne les pages blanches... Écoutez! ‚Il est une vérité qui ne peut être dite, pas même suggérée, mais vécue dans la solitude absolue, entourée d’un secret naturel qui se maintient sans effort et qui en est l’écorce et le parfum intérieur, une odeur d’étable abandonnée, ou bien l’odeur d’une blessure non cicatrisée qui se dégage parfois en des instants de lassitude où l’on se laisse gagner par la négligence, quand ce n’est pas le début de la pourriture, une dégénérescence physique avec cependant le corps dans son image intacte, car la souffrance vient d’un fond qui ne peut non plus être révélé; on ne sait pas s’il est en soi ou ailleurs, dans un cimetière, dans une tombe à peine creusée, à peine habitée par une chair flétrie, par l’œil funeste d’une œuvre singulière simplement désintégrée au contact de l’intimité engluée de cette vérité telle une abeille dans un bocal de miel, prisonnière de ses illusions, condamnée à mourir, étranglée, étouffée par la vie [...]‘. (L’enfant, 43f.)
Auch in dieser Passage geht es um die Wunde der Hauptfigur Ahmed, die aus ihrer Perspektive als Tagebucheintrag in wechselnden Bildern beschrieben wird. Doch im Gegensatz zur Strategie der mündlichen Erzählung steigt der Text nicht mit einer konkreten Illustration etwa des Gesichts ein, sondern mit der Skizzierung einer abstrakten „inneren Wahrheit“. Wenn diese auch bild- und sinnenreich geschildert wird, so sind es doch vor allem Bilder und olfaktorische Eindrücke, die entweder schwer vorstellbar sind (wie „innere Rinde“), oder die zu kompliziert und ohne direkten Bezug zur „Wahrheit“ der Verwundung formuliert werden (wie „unheilvoller Blick eines einzigartigen Werks, das durch die Berührung mit der klebrigen Intimität der Wahrheit, die wie eine Honigbiene [... und so weiter] in seine bloßen Bestandteile aufgelöst wird“). Nicht nur die Kombination der Bilder macht ihre Unzugänglichkeit aus, auch das sehr poetische und im alltagssprachlichen Gebrauch unübliche Register erschwert das unmittelbare Verständnis. Die vorhergehenden kurzen Sätze des mündlichen Erzählers stehen in deutlichem Kontrast zu dem langen, analytischen Satz der Tagebuchpassage, dessen Struktur sich erst bei mehrmaligem Lesen offenbart. Das Kapitel, das sich fast vollständig aus Tagebuchauszügen zusammensetzt, endet mit einer metaleptischen Transgression der Diegesen: Die Hauptfigur tritt aus dem „Samstagstor“ heraus, welches die Ebene der Binnenhandlung beschließt, in die (fiktive) Wirklichkeit der Rahmenhandlung: „La porte du samedi se ferme sur un grand silence. Avec soulagement Ahmed sortit par cette porte“ (L’enfant, 48). Dies ist das erste Anzeichen für den endgültigen Kontrollverlust
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des Erzählers, der nicht mehr Herr über die Strukturen der Erzählung und damit dem Ende nahe ist. Die Geschichte droht sich zu verselbstständigen. Wie sich hier andeutet, wird er wenig später abgesetzt, weil er Wahrheit und Glaubwürdigkeit der Geschichte nicht mehr garantieren kann und das Publikum nach einer Autorität über die Erzählung verlangt: Pendant que le conteur lisait cette lettre, un homme, […] traversant en son milieu le cercle, le contournant, agitant un bâton comme s’il voulait protester ou prendre la parole pour rectifier quelque chose. Il se mit au centre, tenant à distance le conteur avec sa canne, il s’adressa à l’assistance: Cet homme vous cache la vérité. Il a peur de tout vous dire. Cette histoire, c’est moi qui la lui ai racontée. […] Je ne l’ai pas inventée. Je l’ai vécue. Je suis de la famille. (L’enfant, 67)
Der Erzähler wird als Lügner entlarvt, der seine Geschichte nicht aus dem Tagebuch hat, sondern nur vom Hörensagen kennt. Derjenige, der behauptet, ihm die Geschichte erzählt zu haben, ersetzt ihn von nun an. Der heterodiegetische wird damit von einem homodiegetischen Erzähler abgelöst, der die Geschichte als Familienangehöriger selbst miterlebt hat. Der neue Erzähler hat neben dem echten Tagebuch, in dessen Besitz er angibt zu sein, also auch noch seine persönliche Erfahrung anzubieten und kann so seine Geschichte als authentische verkaufen. Er diskreditiert hierfür den alten Erzähler: Notre conteur prétend lire dans un livre qu’Ahmed aurait laissé. Or, c’est faux! Ce livre, certes, existe. Ce n’est pas ce vieux cahier jauni par le soleil que notre conteur a couvert avec ce foulard sale. D’ailleurs ce n’est pas un cahier, mais une édition très bon marché du Coran. C’est curieux, il regardait les versets et lisait le journal d’un fou, victime de ses propres illusions. Bravo! Quel courage, quel détournement! Le journal d’Ahmed, c’est moi qui l’ai; c’est normal, je l’ai volé le lendemain de sa mort. [...] Notre conteur est très fort! Ce qu’il nous a lu est digne de figurer dans ce cahier. (L’enfant, 70)
Der erste Erzähler hat statt aus dem Tagebuch aus einer alten Koranausgabe vorgelesen. Trotz des Betrugs kehrt der zunächst flüchtige Erzähler schon nach kurzer Zeit in den Erzählkreis zurück und nimmt die Rolle eines Zuhörers ein. Der Rollentausch zwischen Erzähler und Zuhörer ist damit vollendet. Und noch etwas Merkwürdiges ereignet sich: Obwohl der neue Erzähler seine Position erzwungen hat, indem er die Glaubwürdigkeit des alten in Frage und seine eigene in den Vordergrund stellte, will er die Geschichte des alten Erzählers nun nicht weiter anzweifeln, sondern sie lediglich fortsetzen. Er räumt seinem Vorgänger dabei sogar ein Mitspracherecht ein: „Je ne fais que poursuivre ton his-
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toire. Je t’ai peut-être bousculé. Excuse mes gestes d’impatience. C’est le chant qui t’a ramené. Il nous ramène tous à la terre. Approche-toi; viens plus près de moi. Tu pourras intervenir dans cette histoire“ (L’enfant, 71). Durch die Begebenheiten wird an dieser Stelle eine ganz neue Deutungsdimension für das bereits Erzählte eröffnet, das mit den neuen Informationen – insbesondere der Tatsache, dass der alte Erzähler offenbar keine schriftliche Grundlage zur Verfügung hatte – einer Revision unterzogen werden muss.
2. I M K ÖRPER
HAUSENDE
G ESCHICHTEN ‚Bâtir un visage comme on élève une maison‘ BEN JELLOUN, L’ENFANT DE SABLE, 93
Wie ist zu erklären, dass der Erzähler aus dem Tagebuch vorliest, ohne es zu besitzen? Handelt es sich ganz einfach um einen virtuosen Geschichtenerzähler, der meisterhaft improvisieren kann? Erinnert sei noch einmal an die bereits diskutierte Szene, in welcher sich beim Wechsel zwischen der mündlichen Erzählweise und dem Vorlesen auch der Erzählstil grundlegend ändert. Der Erzähler müsste also nicht nur über eine schnelle Eingebungskraft im Lesetempo verfügen, sondern den imaginierten Fortgang der Geschichte gleichzeitig in einer schriftlichen Struktur präsentieren. Die verblüffende Tatsache, dass der Erzähler etwas anderes vorgelesen hat, als er vor Augen hatte, lässt eine weitere Deutung zu. Denn offenbar hat er mit seiner Geschichte nicht einfach etwas erfunden, sondern wiedergegeben, was sich tatsächlich so zugetragen zu haben und in einem schriftlichen Dokument niedergelegt zu sein scheint, wie sein Nachfolger bestätigt („C’est curieux, il regardait les versets et lisait le journal“, L’enfant, 70). Wie also ist er zu der Geschichte gekommen? Seinen Selbstkonzeptualisierungen zufolge, die ganz im Kontrast zu der Darstellung von Erzählen als augenblicklich ablaufendem, performativem Prozess stehen, ist nicht er zu der Geschichte gekommen, sondern die Geschichte zu ihm: „Moi, je ne conte pas des histoires uniquement pour passer le temps. Ce sont les histoires qui viennent à moi, m’habitent et me transforment. J’ai besoin de les sortir de mon corps pour libérer des cases trop chargées et recevoir de nouvelles histoires“ (L’enfant, 16). In der Vorstellung des Erzählers handelt es sich bei Geschichten um Wesen, die autonom existieren und ein Eigenleben führen. Sein Körper dient dabei als Medium, auf welches die Geschichten angewiesen sind, um sich Gehör zu verschaffen und gewissermaßen selbst hervor zu bringen. In dieser Konzeption hat die Erzählerfigur keinerlei schöpferischen Anteil am Er-
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zählten. Ihr Körper wird von den Geschichten bewohnt, ja regelrecht behaust, und sie transformieren ihre Wohnstätte, wie es ihnen passt. Um die Eindringlinge wieder los zu werden und in den „Fächern“ ihres Körpers Platz für neue Geschichten zu schaffen, muss die Erzählerfigur erzählen. Ganz im Gegensatz zu der vom Diskurs der Rahmenhandlung suggerierten mündlichen, performativen Erzählsituation kommt die Geschichte in dieser Konzeption nicht durch ein ereignishaftes Zusammenspiel aus verschiedenen Komponenten zusammen, sondern dadurch, dass der Erzähler eine bereits in ihrer endgültigen Form bestehende Geschichte hervorholt. Es handelt sich also gewissermaßen um den impliziten Pol der bereits aufgeführten theaterwissenschaftlichen Debatte um den Körper als Medium, gegen welchen Fischer-Lichte sich mit ihrer Position wendet – in auf die Spitze getriebener Form. Es ist anzunehmen, dass Fischer-Lichte bei ihrer Abgrenzung wahrscheinlich nicht diese Konzeption vom Körper als „Medium“ im Sinn hatte, die Ben Jelloun seine mündlichen Erzähler konstruieren lässt. In ihrer Konzeption geht sie davon aus, dass Geschichten Produkte von Menschen und keine eigenständigen Wesen sind. Dennoch gibt es einige Parallelen zu diesem Medienbegriff, der den Körper als Ort für Geschichten begreift. Der Körper der Erzählerfigur ist in seiner medialen Dimension statisch und relativ limitiert hinsichtlich seiner Möglichkeiten, die Geschichte zu beeinflussen oder zu verändern. Die Geschichte ist präexistent und daher in einem bestimmten Maß festgelegt. Geschichten, die sich selbst erzählen So wenig Einfluss der Erzähler auf die Geschichten hat, so sehr verändern diese umgekehrt seinen Körper und „transformieren“ ihn, wie es in dem Zitat heißt. Er kann sich der Wirkung der Geschichte kaum entziehen und keine Distanz zu ihr aufbauen. Trotz seines Erzählerstatus befindet er sich in derselben Position wie sein Publikum, das von ihm als ebenso kontrolllos geschildert wird, wie er selbst es ist. So beispielsweise in Bezug auf die Erzählzeit, die nicht seiner Kontrolle obliegt. Der Erzähler kann lediglich eloquent die Zeit überbrücken, bis die Geschichte sich selbst erzählt und sich hierfür seines Körpers bedient. Angesichts einer Verzögerung muss der Erzähler sein Publikum beschwichtigen: „Soyez patients; creusez avec moi le tunnel de la question et sachez attendre, non pas mes phrases – elles sont creuses – mais le chant qui montera lentement de la mer et viendra vous initier sur le chemin du livre à l’écoute du temps et de ce qu’il brise“ (L’enfant, 13). Die Geschichte wird hier nicht als etwas konzipiert, das untrennbar an Sprache geknüpft ist, sondern als von Sprache unabhängige Entität verstanden. Sprache ist wie der Körper nur ein Medium, auf das die Geschichte zurückgreift, um sich Gehör zu verschaffen. Wie der Körper wird Sprache als
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statisches Medium dargestellt, das keinen Anteil am Inhalt hat und ihn nicht durch seine medialen Qualitäten modifizieren oder beeinflussen kann. So wird es ja auch von den Medien in der angeführten theoretischen Mediendiskussion angenommen, am stärksten in der Position der performativen Verkörperung Fischer-Lichtes. In Bezug auf die in dem Zitat anklingende Dekonstruktion von Autorschaft lässt sich L’enfant de sable als postmoderne Erzählung verstehen, Spiller hebt aber gleichzeitig die Ambivalenz hervor, die Ben Jellouns Schreibweise inhärent ist.118 Spillers Argument für eine postmoderne Lesart stützt sich auf die Dekonstruktion von auf Ursprung, Zentrum und metaphysischer Transzendenz beruhenden Weltmodellen, die durch den Verlust des Originals und damit des sinnstiftenden, teleologischen Diskurses und durch das Vorhandensein mehrerer Versionen der Geschichte gegeben ist. Gleichzeitig sind dies aber auch Merkmale der mündlichen Erzähltradition, die Produktions- und Tradierungsprozesse in die Geschichten einfließen lässt. Hier stehen mehrere, an sich schon polyphone Versionen nebeneinander, ein einziger Ursprung ist nicht mehr auszumachen. In der mündlichen Erzähltradition steht der Akt des Erzählens auch als Gegenstand der Erzählung im Vordergrund. Tahar Ben Jellouns Erzählweise lässt sich demnach sowohl der marokkanischen mündlichen als auch der europäischen schriftlichen Tradition der Postmoderne zurechnen. Der Rekurs auf verschiedene Traditionen zeigt sich auch in Bezug auf die Konstruktion des Erzählerkörpers: Performative Konzepte reihen sich problemlos neben metaphysische. Mit seinen Erzählerfiguren dekonstruiert Ben Jelloun das Konzept von Autorschaft im Sinne der Postmoderne: Die Autorin hat keinerlei Autorität über ihre Schöpfung und passt sich so in die poststrukturalistische Theoriebildung vom „Tod des Autors“ (Barthes, Foucault, Kristeva, auch Eco). Gleichzeitig gelingt es Ben Jelloun, auch die postmoderne Konstruktion zu überwinden, indem er, quasi durch die Hintertür, ein Konzept metaphysischer Transzendenz als Erklärungsmodell heranzieht, als eines von vielen. Er macht damit einen Teil der islamischen Poetikgeschichte zu seiner Kultur und lässt aus mehreren Traditionen etwas Neues entstehen; typisch postkolonial also. Besessene Dichter: Einflüstern, Einspucken und Gebären Im angeführten Zitat ist auch von einem geheimnisvollen und nicht weiter erläuterten „chant“ die Rede, der Erzähler und Publikum gleichermaßen in Bann zieht. Der Erzähler beschreibt diesen Bann als körperliche Affizierung: „J’ai été inondé par le parfum du paradis, un parfum tellement fort que j’ai failli suffo-
118 Vgl. Spiller 2000, 298.
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quer. [...] J’ai lu toute la première page et je fus illuminé. Les larmes de l’étonnement coulaient toutes seules sur mes joues. Mes mains étaient moites; mon sang ne tournait pas normalement“ (L’enfant, 12). Er führt seine Affizierung auf die Lektüre des Tagebuchs zurück, die, wie wir später erfahren, niemals stattgefunden hat. Der mündliche Erzähler stellt sich mit seinem Verständnis vom eigenen Körper als Medium für eigenwillige Geschichten in die Tradition der arabischen Dichtung, die die Dichterin als von Dschinn besessen versteht. In islamischer Zeit reicht sie bis zum Propheten Mohammed und die Frage nach der Quelle seiner Inspiration zurück.119 Nach dieser Vorstellung hausen Dschinn im Körper einer Erzählerin und flüstern ihr Geschichten ein. 120 So entwirft beispielsweise, wie Johann Christoph Bürgel in „Der Dichter und sein Dämon“ schreibt, der altarabische Dichter Imruʾ al-Qais121 , einer der letzten Poeten aus vorislamischer Zeit, in einer seiner Kassiden folgendes Bild von sich: „Wählen lassen mich die Geister ihre Verse und ich erküre von ihnen, was immer ich will.“122 Im Gegensatz zu Ben Jellouns mündlichem Erzähler stellt Imruʾ al-Qais seine Dschinn eher als Gefolgschaft dar, die in seinem Dienst steht und ihn mit Versen versorgt. Er aber ist die dichterische Autorität, die aus den Versen auswählt und so als Autor des fertigen Gedichts gelten kann. In einem anderen Gedicht heißt es: „Ich bin der gefürchtete Dichter, umgeben von dem Gefolge meiner Dämonen, die überliefern und in Töne setzen, was ich singe.“123 In diesem Zitat betont er seine Autorität noch stärker, die Dschinn erscheinen beinahe als seine Lakaien, in jedem Fall aber seine Mittler und nicht umgekehrt. Ganz andere Dichtertypen stellt der ungarische Orientalist Ignaz Goldziher in seinem grundlegenden Artikel „Die Ǵinnen der Dichter“ (1891) vor. So schreibt er, dass „der Dämon“ derjenige sei, „der dem Menschen, zuweilen in mechanischer Weise die Kraft der dichterischen Rede verleiht.“124 Auch vollkommene Laien auf dem Gebiet der Dichtkunst, die „nie vorher ein dichterisches Wort
119 Vgl. beispielsweise Bürgel 2006, 43f. 120 Vgl. beispielsweise Tobias Nünlists „Von Berittenen und Gerittenen: Aspekte des Dämonenglaubens im Bereich des Islams“, 2011, 155 und bes. 157-162. 121 Der vollständige Name lautet Imruʾ al-Qais Ibn Ḥuǧr al-Kindī und er lebte wahrscheinlich von 497-545 n. Chr. 122 Imruʾ al-Qais (hg. 1969): Dîwân, ed. Imraʾ al-Qais. Ibrahim, Muhammad A., Hg., Kairo, Nr. 77. Zitiert nach Bürgel 2006, 43. Leider ist bei Bürgel nicht ersichtlich, woher er die deutsche Übersetzung nimmt. 123 Ebd., Nr. 78, 7. Zitiert nach Bürgel 2006, 43. 124 Goldziher 1891, 685.
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hervorgebracht“125 hätten, konnten demnach zu großen Dichtern werden. Eine dieser „mechanischen Weisen“ ist das „Einspucken“, das neben dem Einflüstern auch als Möglichkeit der Inspiration der Dichterin in Frage kommt. Hiermit ist oftmals die erste Initiierung in die Dichtkunst verbunden.126 An dieser Stelle sei an die von Djebar aufgegriffene Geschichte Rûmis erinnert, in welcher ein Speicheltropfen die zentrale Rolle bei der Tradierung von Geheimnissen spielt und die vor dem Hintergrund zu verstehen ist, dass dem Körpersekret Speichel Eigenschaften der Übertragung von Geist, Seele, Fähigkeiten oder eben auch Geheimnissen oder Geschichten zugeschrieben werden. Als Übertragungsmedium fungiert Speichel hier auch zwischen Dschinn und Dichterin. Interessanterweise belehrt Goldziher zufolge der arabische Adab-Dichter alǦāḥiẓ (776-868/69) aus Basra darüber, dass „Ǵinn-Gedichte des Wohllautes künstlerischer Dichtung entbehren. Man schreibt ihnen demnach häufig durch disharmonische Lautverhältnisse unangenehm klingende Verse zu.“127 Führt man sich Ben Jellouns schriftstellerischen Werdegang vor Augen, so verwundert es nicht, dass er seine Erzähler gerade in die Tradition der Dschinn-Dichtung stellt. Vielmehr scheint er sie damit am eigenen Vorbild zu konstruieren, entwickelte er doch im Rahmen seiner Arbeit bei der Literaturzeitschrift Souffles die Poetik der guérilla linguistique128 mit. Diese hatte, wie der Name bereits verrät, einen subversiven und unter anderem auch disharmonischen Umbau der französischen Sprache zum Ziel. Ein weiterer Bezugspunkt ergibt sich in Hinsicht auf das bei Ben Jelloun verhandelte Thema der Wahrheit und Authentizität der Quelle für die erzählte Geschichte. Die Wahrheit ist einerseits Gegenstand der Binnenhandlung, in der es mit Ahmeds Erziehung zum Mann um die Verschleierung von Wahrheit geht. Andererseits liefert sie auf der Ebene des Erzählgeschehens auch den Grund für die Auseinandersetzung zwischen Erzählern und Publikum, das die Wahrheit immer wieder einfordert und sie so zum zentralen Wert des Erzählens erhebt. In der arabischen Tradition wurde die Frage nach der Quelle und damit nach der Wahrheit mit den Offenbarungen des Propheten Mohammed diskutiert. Der Prophet wurde aufgrund seiner poetischen Verkündungen ebenfalls für einen von Dschinn besessenen Dichter gehalten. Mohammed wandte sich gegen diese Zuschreibung, unter anderem mit der Sūrat aš-Šuʿarā’ („Sure der Dichter“, Sure
125 Ebd., 685. 126 Vgl. z.B. Fritz Meier 1992, 991-993; außerdem Bürgel 2006, 47. 127 Goldziher 1891, 689f. 128 Der Begriff geht auf Mohammed Khaïr-Eddine zurück und wird im Teil über Sprache am Anfang des Kapitels „Französisch als Fremdkörper“ ausführlicher erklärt.
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26), in welcher die Glaubwürdigkeit der Dichter in Frage gestellt wird.129 Im Gegensatz zu seiner eigenen göttlichen Inspiration und dem damit verbundenen Wahrheitsanspruch bezeichnete er die Inspirationsquelle der Dichter als satanisch und ihre Dichtkunst als Lüge.130 Das Unterscheidungskriterium bezog sich dabei nicht auf die Art der Inspiration, die dieselbe war – in beiden Fällen erfolgte sie durch Einflüsterung –, sondern auf ihre Quelle, das heißt, ob es sich beim einflüsternden Geist um einen Engel wie etwa den Erzengel Gabriel oder einen Dämon handelte.131 Der Prophet begründete damit eine neue, islamisch legitimierte Poetik, welche Ideologie und traditionelle Funktion der Dichter untergrub und sich von deren paganer Poetik absetzte.132 Der Konflikt der Konzepte zwischen schriftlichem Tagebuch und eigenmächtigen Geschichten in L’enfant de sable orientiert sich an der historischen Auseinandersetzung zwischen Koran und Dschinn-Inspiration. Im Gegensatz zum historischen Vorbild wird der Konflikt in L’enfant de sable jedoch zugunsten der Dschinn entschieden, denn die Existenz des Tagebuchs bleibt bis zum Ende zweifelhaft und gelangt so selbst über den Status eines Gerüchts oder einer Geschichte, die man sich erzählt, nicht hinaus. Bei Ben Jelloun findet sich darüberhinaus häufig der in der islamischen, vor allem mystischen Literaturtradition verankerte Topos des „Gebärens“, das neben Einflüstern und Einspucken eine weitere Möglichkeit der „mechanischen“ Weitergabe von Geschichten darstellt (ausführlich im Teil über Sprache im Abschnitt „Geburt der Sprache aus dem Körper“). In L’enfant de sable empfängt die einzige mündliche Erzählerin Fatouma, die gegen Ende auftritt, Ahmeds Lebensgeschichte von einer anderen Frau: „cette femme l’avait déposé en moi juste avant de mourir“ (L’enfant, 165). Anschließend wird eine Geburtsszene geschildert, bei der, so lässt sich vermuten, die Geschichte auf die Welt gebracht wird. Ähnliches schildert Ben Jelloun in einem Gedicht, in welchem ein Dichter sein Werk gebiert: „Le corps s’ouvre et libère le poème“ (Les amandiers sont morts de leurs blessures, 99). Wegen der Fähigkeit, Geschichten aus seinem Leib hervor zu holen, wird er von Anderen für verrückt gehalten: „– Il est fou le poète! habité par les jnouns!“ (Les amandiers sont morts de leurs blessures, 98).
129 Siehe zu Lüge und Dichtung Marco Schöllers Aufsatz „Lüge, Wahrheit und Dichtung im Islam“, 2001, passim. 130 Vgl. beispielsweise Bürgel 2006, 44; außerdem Meiers „Some Aspects of Inspiration by Demons in Islam“, 1992, bes. 993. 131 Vgl. beispielsweise Meier 1992, 990 und 992f. 132 Es gibt aber ebenso Belege dafür, dass Mohammed Dichter gegen Anfeindungen verteidigte und sogar für seine Zwecke einsetzte, vgl. etwa Meier 1992, 991.
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Ben Jelloun spielt hier auf die semantische Breite der arabischen Wurzel „ǧ-n-n“ an, die sowohl „wahnsinnig“ als auch „von Dschinn besessen“ bedeuten kann.133 Die verschiedenen grammatischen Formen und Vokalisierungen verändern die Konnotation: als Partizip „maǧnūn“ bedeutet der Begriff „wahnsinnig“ oder „liebeskrank“, als Passiv „ǧunna“ auch „besessen“. Ebenso stammt der Begriff „ǧinn“ von dieser Wurzel ab. Dass der Dichter als „maǧnūn“ und damit für gleichermaßen verrückt wie besessen erachtet wird, ist ebenfalls ein Topos der islamischen Literaturtradition.134 Einen solchen wahnsinnigen Dichter konstruiert Ben Jelloun in Moha le fou, Moha le sage (1978), einem Roman, der zum großen Teil aus wirren Gedanken und gleichzeitig scharfsinnigen Beobachtungen Mohas besteht. Heiler konstatiert in ihrer kurzen Beschreibung von Ben Jellouns Moha, dass die Figur des weisen Narren auf den Archetypen „Djoha“ aus der mündlich vermittelten Volksliteratur zurückgeht.135 Im zweiten Teil des Zitats findet sich die Wendung „habité par les jnouns“, die wörtlich aus dem Arabischen ins Französische übernommen ist. Das Bewohntwerden des Körpers von Dschinn – oder wie in L’enfant de sable von Geschichten – ist sowohl im volksreligiösen Glauben des Islam als auch in der Literatur verankert, wie Nünlist im Abschnitt „Der Mensch als Haus für die ǧinn“ zeigt. Ausgehend von der Feldforschung eines Sozialanthropologen in Syrien über Dämonenglauben greift Nünlist den Begriff des „bayt maskūn“136 auf, des „bewohnten Hauses“. Mit diesem Terminus werden nicht nur von Dschinn bewohnte Häuser bezeichnet, sondern er wird auch im Zusammenhang mit Menschen verwendet, die „behaust“ werden.137 Nünlist zeigt auch eine direkte Gleichsetzung von Haus und Körper auf, die er Berichten über das Eindringen von Dschinn in ein Haus beziehungsweise einen Körper entnimmt.138 Diese Vorstellung spielt insbesondere vor dem Hintergrund von Krankheiten wie Epilepsie eine große Rolle und wird in Bezug auf den Körper der Epileptikerin
133 Beziehungsweise ist die Semantik in einer religiösen Vorstellung gar nicht so breit, weil wahnsinnig und besessen unter Umständen einfach dasselbe sind. 134 Vgl. z.B. Bürgel 2006, 44; auch Nünlist 2011, 156f. Eine Monographie zu diesem Topos gibt es beispielsweise von Michael Dols mit dem Titel Majnūn. The Madman in Medieval Islamic Society, 1992. 135 Vgl. Heiler 2005, 170. Hierüber liegt eine Monographie von Auguste Mouliéras mit dem Titel Les fourberies de Si Djeh’a. Contes kabyles vor (Paris, 1987). 136 Nach Nünlists Transkription, vgl. 2011, 160. 137 Vgl. ebd., 160. 138 Vgl. ebd., 161f.
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Fatima in L’enfant de sable im 3. Teil über Gesellschaft im Abschnitt „Ben Jellouns Verrückte: Körperzwänge und nervöse Ticks“ diskutiert. Das Konzept des Hauses wird von den mündlichen Erzählern in L’enfant de sable aber nicht nur in Bezug auf den Körper als Ort für Geschichten angewandt. Auch umgekehrt werden Haus und Geschichte gleichgesetzt und vom Körper bewohnt oder besser von mehreren Körpern, denn der ganze Erzählkreis mitsamt dem Publikum wohnt der Geschichte ein. Die Geschichte als Haus verfügt dabei selbst über körperliche Eigenschaften. Dies deutet bereits der Titel „Le conteur dévoré par ses phrases“ an, der Erzähler wird von seinen Sätzen verschlungen. Die Geschichte verleibt sich den Erzähler ein. Die Körperlichkeit der Geschichte deutet sich außerdem zu Beginn des kurzen Kapitels an, wenn davon die Rede ist, dass etwas oder jemand die Erzählrunde wie eine Hand zusammenhält: „Quelque chose ou quelqu’un nous retient, en tout cas une main lourde et sereine nous lie les uns aux autres [...]“ (L’enfant, 107). Es kommt nicht nur zu einer Vertauschung von Behausendem und Behaustem, sondern zu einer Überlagerung beider Möglichkeiten des Bewohnens zwischen Erzähler und Geschichte: Fragmentaire mais non dépourvu des sens, l’événement s’impose à ma conscience de tous les côtés. Le manuscrit que je voulais vous lire tombe en morceaux à chaque fois que je tente de l’ouvrir et de le délivrer des mots [...]. Fragmentaire, il me possède, m’obsède et me ramène à vous qui avez la patience d’attendre. Le livre est ainsi: une maison [...]. Nous allons habiter cette grande maison. (L’enfant, 108)
Der Erzähler wird gleichzeitig von den Fragmenten der Handschrift besessen (im Sinne von besitzen und besetzen) und wohnt im Tagebuch, von dem wir wissen, dass seine Existenz ungewiss ist. Die konzeptuelle Überlagerung deutet auf eines hin: auf die Symbiose zwischen Geschichte und Körper, die mehr und mehr zu einer Einheit verschmelzen. Dies ist nicht allein Ausdruck der unauflöslichen Reziprozität von Erzählenden und Erzähltem und der Thematisierung von Erzählen als Gegenstand des Erzählens durch das Konzept der Zirkularität, die Ben Jelloun vorführt. Vielmehr deutet sich hier etwas an, das im Folgenden herausgearbeitet werden wird: ein Konzept des Erzählens, welches die Geschichte und Sprache im Allgemeinen als Teil des Körpers begreift und mit Merleau-Pontys Körperschematheorie verständlich gemacht werden kann. Dass es sich hierbei um eine wechselseitige Einverleibung handelt, zeigt auch die Tatsache, dass die Grenzen zwischen Geschichte und erzählender Person sukzessive verwischt und wesenhafte Eigenschaften vertauscht werden. So erhalten Geschichten, wie soeben gezeigt, anthropomorphe Züge und Erzählerkörper nehmen Eigenschaf-
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ten eines Buches an, das es nicht gibt. Sie werden damit selbst zur Verkörperung der Geschichte: Ce livre, je l’ai lu, je l’ai déchiffré pour de tels esprits. Vous ne pouvez y accéder sans traverser mes nuits et mon corps. Je suis ce livre. Je suis devenu le livre du secret; j’ai payé de ma vie pour le lire. Arrivé au bout, après des mois d’insomnie, j’ai senti le livre s’incarner en moi [...]. (L’enfant, 12)
Die Einverleibung vollzieht sich so, dass sich die Geschichte in den Körper der Erzählerfigur „einleibt“. Je mehr Zeit die erzählende Person mit ihrer Geschichte verbringt, desto stärker verwächst sie mit ihr. Sie kann demnach aus dem Tagebuch vorlesen, nicht weil sie in dessen Besitz ist, sondern weil sie selbst zu diesem Buch geworden ist. Der Körper der Erzählerfigur unterliegt durch den Einfluss der Geschichte einer Metamorphose, die parallel zur erzählten Metamorphose der Hauptfigur verläuft. Die Erzählerfigur verkörpert so die Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes. Dies ist eine Spezifik von Ben Jellouns, aber auch Djebars Körperkonzepten: Es lässt sich nur schwer eine Grenze zwischen körperlichen und sprachlichen Phänomenen ziehen; Sprache wird immer wieder an den Körper rückgebunden. Gleichzeitig werden metaphysische Vorstellungen präsentiert, die mal als Metapher fungieren und mal als Realität zu verstehen sind. Die Gleichsetzung von Geschichten und Menschen zeigt sich auch an einer anderen Stelle gegen Ende der Erzählung: Eine Verwandte von Ahmed wählt für deren Lebensgeschichte eine Erzählerin aus. In einer früheren Version war es die Geschichte, die zur Erzählerin kam. Am Ende wird ein alternativer Anfang dargeboten, die zirkuläre Geschichte könnte hier von vorne beginnen.
III. Djebars Geschichten am Körper
1. V OM K ÖRPER
BEWAHRTE
G ESCHICHTEN
La mémoire du corps est difficile à effeuiller, touffue [...], seule la mémoire du corps est fidèle, seul le présent du corps qui dort puis se réveille, qui dure, puis sommeille inaltéré, seul il ne se multiplie pas. DJEBAR, LES ALOUETTES NAÏVES, 203
Assia Djebar setzt sich in ihren Werken sowohl mit der traditionellen als auch der neu zu verhandelnden weiblichen Partizipation in Literatur und Geschichtsschreibung auseinander.139 Als Historikerin einerseits und Frau andererseits verkörpert sie zwei unterschiedliche Zugänge zur Historiographie, wie sie es darstellt: die männlich dominierte, gelehrte, schriftliche Geschichtsschreibung auf der Basis von Quellenstudien einerseits und die mündliche Vermittlung140 von Geschichte und Geschichten141 innerhalb der Gemeinschaft der Frauen ande-
139 Vgl. zu Geschichtsschreibung bei Djebar u.a. Schuchardt 2006, passim; Arend 2005, passim; Dahan 2008, passim; Fielder 2000, passim; Richter 2004, 206-222. 140 Die sprachlichen Dichotomien zwischen männlichem, schriftlichem Französisch und weiblichem, mündlichem Arabisch sind besonders ausgeprägt in Djebars L’amour, la fantasia und werden in Vaste est la prison dekonstruiert, wie Richter in ihrer Analyse zeigt (vgl. 2008, 163 sowie 165f.). Siehe zu Oppositionen und Spannungen im Zusammenhang mit postkolonialem Schreiben außerdem Gale 2002, vor allem 534. 141 Hierzu Richter 2008, 210, 258-260. Schuchardt 2006, bes. 173-177.
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rerseits.142 In ihren Romanen versucht sie, beide Ansätze zu verbinden und Frauen eine „Stimme“ im schriftlichen Medium zu verleihen, um so weibliche Teilhabe an der Produktion historischer Diskurse zu etablieren, „[...] que donc ces femmes de l’Histoire ont pu s’inscrire corps et voix dans mon texte“143 . Dass Djebar als Historikerin den Roman für ihre historischen Darstellungen wählt, schließt an die nicht unbedeutende Tradition im Maghreb an, Geschichtsschreibung und fiktionale Gattung zu verbinden und so den positivistischen Standpunkt gegenüber maghrebinischer Geschichte in Frage zu stellen.144 Djebar verwendet in Ces voix qui m’assiègent 145 den Begriff der Anamnese für ihre Art der Neu- und Umschreibung von Geschichte.146 Ihre réécriture147 der historischen Ereignisse, die entweder in Diskursen vorwiegend männlicher Franzosen148 oder männlicher Gelehrter aus dem Maghreb149 repräsentiert sind, entwickelt sie so an der individuellen Fallstudie und verbindet diese mit der Makrogeschichte.150 Anamnestisch zu schreiben bedeutet für Djebar, anhand von kör-
142 Vgl. hierzu Richter 2008, 92, 128f., 158, 162, 206, 200-230, 237, 256. Zu Stimme und Schrei siehe außerdem Rosk 2001, passim; Goodman 1995, passim; CalleGruber 2001, 47-51. 143 Ces voix, 52. 144 Vgl. zu dieser Tradition exemplarisch Michel de Certeaus Histoire et psychanalyse entre science et fiction (Certeau 2002, passim). Vgl. im Zusammenhang mit Djebar auch Richter 2008, 258-260. Siehe außerdem Schuchardts Diskussion des von Hayden White verfolgten Ansatzes der Parallelsetzung von Geschichtsschreibung und Literatur durch die gleichen Erzählmuster, 2006, 22-26. 145 Ces voix qui m’assiègent ist Djebars Doktorarbeit und liest sich als Kommentar ihrer Poetik und zu ihren Werken, gleichzeitig kann dieser Text aber auch selbst als literarisches Werk betrachtet werden, da er zum Beispiel eigene Gedichte enthält, die nicht weiter kommentiert, sondern einfach eingestreut werden. 146 Siehe zum Begriff der Anamnese und des Re-membering gegen Amnesie auch Erickson 2001, 29. 147 Siehe zum Begriff der Réécriture z.B. Kühn 2011, bes. 42-53. 148 Beispielsweise Bugeaud, Massignon, Julien, Camps, Berque, Braudel, Ageron. 149 Die berühmtesten sind Ibn Ḫaldūn, al-Ḥasan Muḥammad al-Wazzān al-Fāsī (unter anderem auch als Leo Africanus bekannt), Ibn Abī Ḍiyāf, an-Nāṣir as-Salāwī, Lacheraf, Laroui, Abun-Nasr, Harbi. 150 Die Gegenüberstellung von „the word of the oppressor and that of the oppressed, between the written (French) and verbal (Arabic, Berber) speech, between the masculine and the feminine ways of seeing, thinking, and being“ greift Erickson auf, 2008, 38.
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perlichen Symptomen die kollektive Vergangenheit Algeriens151, Nordafrikas152 oder die Anfänge des Islam153 aufzuarbeiten und die Erinnerung an diese lebendig zu halten. Das zentrale Motiv ihrer Literatur ist der Körper als kulturelles und kollektives Gedächtnis. Sie verflicht in ihren Texten historische Dokumente wie Chroniken, Augenzeugen- oder Tatsachenberichte mit fiktiven Elementen, welche die historischen Quellen auffüllen, interpretieren oder selektiv gelesen in einen neuen Kontext stellen. Rita Faulkner nimmt den Begriff der Anamnese auf und zeigt in „Psychoanalysis and Anamnesis in the National Allegory of Nawal El Saadawi and Assia Djebar“ unter Rekurs auf Freud, wie das Erzählen und Erinnern von Symptomen in einen Heilungsprozess vom Trauma der nationalen Vergangenheit eingebunden ist. Djebar versucht demnach in ihren Texten durch ständige Wiederholungen und Neuschreibungen bestimmter Ereignisse die „individual and national neurosis of Algeria“154 zu verarbeiten. Sie etabliert so durch ihre Interpretationen der „historical ruins on the body, the land, and in society“155 eine Perspektive der Gegenwart auf die Vergangenheit, die zugleich Fiktionalisierung der Spuren des kulturellen Gedächtnisses, der „historical ruins“, und Andenken an die Kollektiv- und Individualgeschichte darstellt. Faulkner diskutiert die Funktion der Anamnese bei Djebar auch als Widerstand gegen Amnesie, wonach insbesondere im postkolonialen Kontext anamnestisches Schreiben zur Strategie wird, dem autoritativen und offiziellen historischen Diskurs durch die Hegemonialmacht eine Bestandsaufnahme des in der Geschichtsschreibung marginalisierten Körpers als counter-memory156 entgegenzusetzen. Faulkner zieht hierfür Anne Donadeys Analyse „Between Amnesia and Anamnesis: Re-Membering the Fractures of Colonial History“ heran, in der es in Bezug auf Djebars anamnestische Schreibweise als Gegennarrativ heißt:
151 Vgl. vor allem L’amour, la fantasia. 152 Vgl. vor allem Vaste est la prison. 153 Vgl. vor allem Loin de Médine. 154 Faulkner 2008, 69. Faulkner setzt Djebars Konzept der Anamnese in Beziehung zu dem psychoanalytischen Begriff Freuds und zeigt anhand der historischen Bedeutungen des Begriffs, u.a. als „medicine to help the memory“, dass die medizinische Anamnese genutzt wurde „by some writers to denote those signs that help to discover the past state of a patient’s body“. 155 Ebd., 70. 156 Ebd., 71, nimmt hier Bezug auf Donadey 1999, 112. Richter nennt das Konzept des counter-discourse als Vorbild für counter-memory, vgl. 2008, 210.
76 | E RZÄHLERKÖRPER UND IHRE G ESCHICHTEN It is a strategy especially embraced by women writers, for whom self-portraiture (the autobio-graphical genre) is transformed into a piecing together of a collective history. In a context in which one’s history has been written by the hegemonic dominant, anamnesis becomes a way of resisting the occlusions created by official history, of recovering the traces of another, submerged history in order to create a counter-memory.157
Den Begriff der Anamnese im Sinne Freuds zu verstehen ist für eine psychoanalytische Deutung von Djebars Schreibtechniken als Traumabewältigungsstrategien sicherlich gewinnbringend. Im vorliegenden Kontext interessiert aber vielmehr Djebars eigener Begriff der Anamnese, wie sie ihn in Ces voix qui m’assiègent im Kapitel „Anamnèse...“ ausformuliert (138-150) – und wie sie dieses Konzept als Gegennarrativ in ihren Romanen einsetzt. Für Djebar besteht das Hauptanliegen ihres Schreibens im Festhalten der weiblichen Genealogie ihrer Vorfahrinnen und insbesondere von deren Körpern. Djebar versteht den Begriff der Anamnese demnach zunächst in seiner Grundbedeutung als Vorgeschichte und Erinnerung, wobei Vorgeschichte gerade nicht im platonischen Sinne als Erinnerung der Seele an den Zustand vor der Vereinigung mit dem Körper bei der Geburt zu verstehen ist, sondern ganz im Gegenteil als maßgeblich an den Körper gebundene Erinnerung („mémoire du corps“158 , Les alouettes naïves, 203). Sie begreift Anamnese aber auch nicht als auf die Erfahrungen eines Individuums ab der Geburt bis zu einem bestimmten Zeitpunkt beschränkt, sondern als kollektive Geschichte von Individuen und deren Vorfahrinnen, die das Leben der Einzelnen übersteigt. Sie legt ihr Augenmerk somit auf einen über das Individuum hinausgehenden historischen Begriff der Anamnese, die sie in erster Linie als Körpergeschichte auffasst. Vor allem geht es ihr darum, die Erinnerung an den Schmerz lebendig zu halten, den sie für symptomatisch für die Lebenssituation der Frauen in Algerien hält und dessen Ursache sie in den Traditionen der patriarchalen Gesellschaftsordnung sieht, wie sie im Kapitel „Anamnèse...“ in Ces voix qui m’assiègent darlegt.159 Die Schwierigkeit liegt für die Autorin darin, die Äußerungen des Körpers – Stimmen, Schreie, Wehklagen, Laute, Rhythmen und Bewegungen der Frauen – nicht durch das nach Djebar mit Männlichkeit assoziierte Medium der Schrift zu fixieren und zu limitieren.160 Ihr Anliegen beschränkt sich folglich nicht darauf, das Thema der Erinnerung aufzugreifen, sondern erstreckt sich auf
157 Donadey 1999, 111f.; siehe auch Faulkner 2008, 71. 158 Siehe zur „mémoire du corps“ bei Djebar Chikhi 2007, 46-48. 159 Vgl. außerdem beispielsweise das Kapitel „Transes“ in L’amour, bes. 208. 160 Vgl. Ces voix, bes. 142 und 148.
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eine programmatische Umsetzung: Sie selbst möchte erinnern und den im Diskurs Marginalisierten eine Stimme verleihen.161 Ihr Begriff von „mémoire“ scheint dabei über das bloße Andenken, dass ja auch „männliche Schrift“ leisten könnte, hinauszugehen und tatsächlich ein lebendiges Erinnern zu implizieren. Ihr Schreibvorhaben ist in diesem Punkt problematisch: Gerade weil Erinnerung nur verkörpert und an ein lebendiges Bewusstsein gebunden existieren kann, dabei einzig durch Wiederholung immer wieder neu hergestellt wird und daher eine grundsätzlich andere Zeitstruktur aufweist als das Gedächtnis, zum Beispiel in Form von Schrift162 , kann sie nicht in Schrift übertragen werden und dabei Erinnerung bleiben.163 Zu bedenken wäre in diesem Zusammenhang, ob Djebar auch in Bezug auf den Begriff der Erinnerung ein Konzept verfolgt, nach welchem das Erinnerte über eine materielle Basis verfügt, also in seiner Substanz konserviert wird und daher keine wesentliche Transformation erfährt, wenn es in einem Gedächtnismedium wie ihrem Text gespeichert wird. Hierzu gibt Djebar jedoch so gut wie keine Hinweise, sondern stützt ihr Vorhaben vielmehr auf Konzepte von Luce Irigaray, die in eine ganz andere Richtung zielen. Für die Erklärung, wie die Umsetzung von anamnestischem Schreiben – und dies betrifft auch die Grundproblematik des Körpers in der Literatur im Allgemeinen – dennoch gelingen soll, zieht Djebar einige Gedanken der Psychoanalytikerin zur Opferung der Mutter als Ursprung von Kultur164 heran
161 Das an dieser Stelle auftretende Problem der Repräsentation von Marginalisierten, die nicht für sich selbst sprechen können und daher vertreten werden müssen, wird im Verlauf des Abschnitts thematisiert. 162 Gemäß der kategorialen Unterscheidung von Erinnerung und Gedächtnis bei Assmann 2011, 182. 163 Erinnerung in diesem engeren Sinn kann demnach zwar Gegenstand ihrer Romane sein, nicht aber Djebars eigenes Schreibprogramm, weil es sich nicht um ihre eigenen Erinnerungen handelt. Obwohl Djebar häufig den Begriff „mémoire“ verwendet, der eher Gedächtnis oder Andenken als Erinnerung meint, gibt es in ihren Texten zahllose Hinweise darauf, dass es ihr tatsächlich um die Aufrechterhaltung von Erinnerung durch Schreiben geht und nicht um die Transformation von Erinnerung in ein Gedächtnis. 164 Irigarays Konzepte werden dabei weder genau erläutert, noch gibt Djebar Textstellen oder Werke an – wahrscheinlich bezieht sie sich hier auf Irigarays Studie Le Corps-à-corps avec la mère von 1981. Obwohl es sich bei Ces voix qui m’assiègent um Djebars überarbeitete Doktorarbeit handelt, werden nicht nur herangezogene Begriffe, sondern auch Zitate zwar als solche von der Autorin gekennzeichnet, nicht aber ihre genaue Referenz angegeben. Interessanterweise geht Djebar in ihren Ro-
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und bringt diese mit ihrem eigenen Anamneseverständnis zusammen. Demnach darf es beim Schreiben des körperlichen Ausdrucks nicht darum gehen, die von Irigaray postulierte Erinnerung an das „corps à corps avec la mère“165, das nach Djebar als Verbindung zwischen den Generationen den Ausgangspunkt der Anamnese darstellt, durch die „langue paternelle“ zu ersetzen. Vielmehr müsse eine Sprache gefunden (wörtlich „découvrir“, also im Sinne von „entdeckt“) werden, die „ne barr[e] pas le corporel, mais qui parl[e] corporel“166 . Für Djebar stellt diese Schwierigkeit, Wahrnehmungen des Körpers in Sprache zu übersetzen, eine doppelte Herausforderung dar, da sie die Übertragung ins Französische und somit in eine andere als die von ihr als körperlicher empfundene Muttersprache167 vornehmen muss. Doch gibt sich die Autorin passagenweise optimistisch, dass eine Subversion des Französischen (das im folgenden Zitat in der Metapher des Marmors umschrieben wird) durch die Materialität der gesprochenen dialektarabischen Sprache gelingen kann: Son marbre se morcelle: le son muselé des langues orales derrière elle, des langues muettes en hors-champ, mises dès l’enfance hors du centre de la lettre, leur son, leur mouvement, le trop-plein de leur vie masquée ressurgissent dans ce français-là, et produisent dans sa chair une effervescence.168
Djebar setzt die „Laute und Bewegungen“ der gesprochenen Sprache mit Körperlichkeit gleich, versucht diese in die französische Schriftsprache zu übertragen und so eine am Körper orientierte Schreibweise zu entwickeln. Mir geht es im Folgenden nicht darum, Djebars rhetorische Strategien genauer zu untersuchen (etwa auf körperimitierende Rhythmen, Klänge oder Onomatopoetika), um beurteilen zu können, ob sie ihrem eigenen Programm des „körperlichen Schreibens“ gerecht werden kann.169 Diskutiert werden soll vielmehr, wie Djebar selbst
manen viel wissenschaftlicher vor und nennt – meistens jedenfalls – von Zitaten auch die entsprechenden Quellen. 165 Zu Djebars Wortspiel „corps à corps avec l’Histoire“ vgl. Richter 2008, 91 Fn. 12. 166 Irigaray zitiert nach Ces voix, 147. 167 Ich gebrauche den Begriff „Muttersprache“ im Verständnis der Autoren, die ihn auf ihre eigene Art problematisieren, wie im Teil über Sprache im Abschnitt „Gefühlsaphasie“ genauer gezeigt wird. 168 Ces voix, 149. 169 Im Übrigen glaube ich nicht, dass man über die Analyse der rhetorischen Strategien zu einem tragfähigen Urteil über die Körperlichkeit und Erinnerungsfähigkeit von Sprache gelangen, sondern höchstens auf Ähnlichkeiten aufmerksam machen kann.
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implizit und explizit Möglichkeiten und Grenzen des anamnestischen Schreibens einschätzt und welche Rolle der Körper dabei in der Darstellung spielt. Interessant ist der Vergleich zwischen den beiden Werken Loin de Médine und L’amour, la fantasia, da das jeweilige Sujet eine unterschiedliche Darstellungsweise von weiblicher Mündlichkeit erfordert. Während Loin de Médine die Anfänge der mündlichen Tradition in den Geschehnissen zur Zeit des Propheten Mohammed verortet und die daran anschließende Überlieferungskette unmittelbarer Zeugenschaft als bruchlos und somit erfolgreich nachvollzieht, stehen in L’amour, la fantasia gerade das Scheitern und der Bruch in der Oraltradition durch die hundertdreißig Jahre währende französische Kolonisierung im Mittelpunkt. Frauenkörper überliefern Geschichte In Loin de Médine erzählt Djebar die Geschichte der Ereignisse im Umfeld des Propheten Mohammed und stützt sich dabei vor allem auf die Schriften einiger früher islamischer Historiker, Ibn Hicham (Ibn Hišām), Ibn Saad (Ibn Saʿd) und Tabari (aṭ-Ṭabarī)170. Im Zentrum ihres Romans stehen allerdings die Frauen um Mohammed – seien es die Ehefrauen, Töchter, andere Verwandte oder Bekannte – und die maßgebliche Rolle, die sie durch mündliche Überlieferungen für die Historiographie gespielt haben. Den Ursprung islamischer Überlieferung konstruiert Djebar als explizit auch weibliche Erinnerung, die der männlichen, insbesondere der schriftlichen Tradition, an die Seite gestellt oder entgegengesetzt wird. Weibliche mündliche und männliche schriftliche Praktiken werden so dargestellt, dass sie einander ergänzen, sich ablösen oder einander aufnehmen und im anderen Medium fortsetzen. Der Text erscheint dabei selbst wie die Verschriftlichung einer langen heterogenen Überlieferungskette, die verschiedene Stränge und Versionen in sich aufnimmt: Chroniken und andere schriftliche Zeugnisse, die ihrerseits bereits mündliche Berichte verschriftlicht haben, Zitate, Stimmen, die mündliches Erzählen oder Erzählerinnen beschreiben, und Zeugnisse in direkter Rede finden sich zu einem Ganzen kompiliert. Historiographische Texte gibt Djebar zusammen mit ihrer Interpretation wieder, oft in mehreren Varianten. Außerdem deutet sie auf Leerstellen hin und füllt diese mit fikti-
Viel interessanter scheint mir Djebars eigene Auseinandersetzung mit ihrer Programmatik. 170 Ibn Hicham und Ibn Saad lebten im 2./3. Jh. n.d.H (8./9. Jh. n. Chr.) und Tabari im 3./4. Jh. n.d.H. (9./10. Jh. n. Chr.), alle drei gehören bis heute zu den berühmtesten islamischen Historikern aus der frühen Zeit nach der Hidschra.
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ven Inhalten auf, ebenfalls meistens in mehreren Versionen.171 Einer der Gründe dafür, dass Djebar ihren Roman im Kontext der Anfänge des Islam situiert, liegt sicherlich in der Tatsache, dass die Darstellung einer unproblematischen Reziprozität von Mündlichkeit und Schriftlichkeit erst durch zeitliche und lokale Distanz möglich wird. Außerdem bietet sich die Geschichte des Islam thematisch an, da Mündlichkeit und Schriftlichkeit hier von Anfang an in enger Beziehung zueinander stehen. So beginnt der Koran als schriftliches Zeugnis in der von manchen für die früheste Sure gehaltenen Sūrat al-ʿAlaq (Sure 96) mit dem Imperativ „Iqra’!“ („Lies laut!“)172 . Schriftlichkeit wird durch die Rezitationspraxis in vielen Kontexten nicht von Mündlichkeit entkoppelt.173 In L’amour, la fantasia bindet Djebar das Lesen ebenfalls explizit an den Körper, jedoch in einem anderen Sinn und eher langfristig gedacht. Für die Ich-Erzählerin bedeutet „Lesen“, womit auf Arabisch auch allgemein „Studieren“ gemeint sein kann, vor allem eine größere Bewegungsfreiheit für den Körper:174
171 Djebar kennzeichnet fiktive Passagen dabei durch Wendungen wie „Ou peut-être [...]“ (vgl. Loin, z.B. 279). 172 Der erste Vers lautet: „Iqra’ bismi rabbika llaḏī ḫalaq“ („Trag vor im Namen deines Herrn, der erschaffen hat“, Übersetzung nach Paret). 173 Aleida Assmann diagnostiziert für die „westlichen Kulturen“ im Gegensatz dazu in ihrer Studie über das Verhältnis von Körper und Schrift „Exkarnation: Gedanken zur Grenze zwischen Körper und Schrift“ den Verlust der Sinnlichkeit, der sukzessive mit der Verschriftlichung, dem Buchdruck und zuletzt mit der Entwicklung zum Leiselesen in der europäischen Tradition einhergeht (vgl. 1993, bes. 147). Ihre Diagnose scheint dabei stark am nordeuropäischen Protestantismus orientiert. Für katholische Gesellschaften z. B., wo die Liturgie noch bis 1965 nur auf Latein gehalten wurde und die Alphabetisierung viel länger gedauert hat, müsste dies schon wieder relativiert werden. Ebenso stellen Erich Schön (1993) in Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des Lesers. Mentalitätswandel um 1800 und Ivan Illich (1991) in Im Weinberg des Textes: Als das Schriftbild der Moderne entstand dem späten Phänomen des Leiselesens (erst im 18. Jahrhundert wurde im Zuge von Alphabetisierungskampagnen und damit einhergehenden Disziplinierungsversuchen des Körpers die laute Stimme durch leises Lesen ersetzt) die reiche sinnliche Erfahrung des mittelalterlichen Lesens entgegen. 174 Vgl. zur Bedeutung der französischen Schulbildung für den Körper der IchErzählerin, beispielsweise in Bezug auf das Verschleierungsgebot, die Interpretation von Richter 2008, 117f. und 146.
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‚Elle lit‘, c’est-à-dire, en langue arabe, ‚elle étudie‘. Maintenant je me dis que ce verbe ‚lire‘ ne fut pas par hasard l’ordre lancé par l’archange Gabriel, dans la grotte, pour la révélation coranique... ‚Elle lit‘, autant dire que l’écriture à lire, y compris celle des mécréants, est toujours source de révélation: de la mobilité du corps dans mon cas, et donc de ma future liberté. (L’amour, 254)
An den Anfang der in Loin de Médine dargestellten mündlichen Überlieferungen stellt Djebar die Zeugenschaft und konstruiert damit einen Ursprung von wahren Begebenheiten, die den Kern aller folgenden Erzählungen und Versionen bilden. Ähnlich wie bei Ben Jelloun spielt also auch bei Djebar das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion eine große Rolle. Die ersten Überlieferinnen berufen sich darauf, die Begebenheiten selbst erlebt zu haben: „J’étais là, je vous l’affirme. Et c’est pourquoi je ne vous dis pas: ‚Telle m’a raconté que telle a raconté.‘ Non, je me trouvais là!“ (Loin, 112). Die teilweise anonymen Zeuginnen werden in Djebars Text so zu Autoritäten des isnad175 und nicht die berühmten Historiker Ibn Hicham, Ibn Saad und Tabari. Deren Chroniken und Biographien stellen jeweils nur schriftliche Bestandsaufnahmen des weiblichen isnad dar beziehungsweise werden von Djebar als offengelegte Quellen für ihre Fiktionen genutzt. So sind dem letzten Abschnitt von Loin de Médine direkte Zitate aus den Chroniken von Ibn Saad und Tabari vorangestellt, der Teil selbst ist mit „Parole vive“ überschrieben und beginnt mit einer „Voix“-Passage, die das ganze Werk durchziehen. Djebar kontrastiert in ihren Texten so die schriftlichen Quellen mit dem „lebendigen Wort“ (vgl. Loin, 249-300). Eines der letzten Kapitel lautet „Celle qui préserve parole vive“ (Loin, 291-298) und diejenige, welche die Erinnerung am Körper lebendig hält und so das lebendige Wort bewahrt, ist Aïcha. Bei ihr handelt es sich um die jüngste der neun Ehefrauen des Propheten Mohammed und außerdem um die „mère des Croyants“ (Loin, 297), weil sie die erste rawiya ist, das heißt erste Überlieferin oder Erzählerin (vgl. Loin, 296f.).
175 Isnad meint die Überlieferungskette. Gegenstand der Überlieferung sind hauptsächlich die ḥadīṯe, das heißt also die Aussprüche des Propheten. Auf die ḥadīṯTradition, die auch von Männern mündlich übermittelt war, geht Djebar jedoch überhaupt nicht ein, sondern stellt zumeist männliche Schriftlichkeit und weibliche Mündlichkeit gegenüber. Wie die Autorin es dennoch schafft, die Zuschreibungen nicht zu verfestigen und letztlich keine Opposition aus männlich-schriftlich und weiblich-mündlich werden zu lassen, zeigt Segarra 1997, 167-176.
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Die männliche Schrifttradition scheitert auch an der Tatsache, dass Mohammed abtar176 ist, das heißt keine (überlebenden) männlichen Nachfahren hat. Hierzu wird die Anekdote erzählt, wie der Prophet auf seinem Totenbett seine Töchter nach einem Schreiber schickt, um seinen Nachfolger bekannt zu geben. Als jede daraufhin mit einem anderen zurück kommt, stirbt Mohammed, ohne die Nachfolge geklärt zu haben (Loin, 57). Die Szene veranlasst die Erzählerin zu folgender Bewertung: Oui, si Fatima [die Tochter des Propheten – S.K.] avait été un fils, la scène ultime de la transmission aurait été autre: quelle que fût l’épouse mandée par le mourant, elle n’aurait pas manqué d’amener ‚le‘ fils, sinon son fils. Le fils aurait été le scribe, cela est certain, même s’il n’est pas du tout certain que Mohammed l’aurait désigné pour la lourde tâche de guider la Umma [die islamische Glaubensgemeinschaft – S.K.]. [...P]uisque Fatima, étant une fille, ne fut pas le scribe, au moment où la mort approchait à Médine... (Loin, 58)
Da Mohammed keinen Sohn hatte, der den letzten Willen hätte aufschreiben können, bleibt die Auslegung den Frauen und einzigen Zeuginnen überlassen. So wird die Tochter des Propheten, Fatima, kurze Zeit später die maßgebliche Autorität sein, wenn es um die Interpretation eines der ḥadīṯe geht, die das Erbe Mohammeds regeln, welches der erste Kalif Abou Bekr Fatima streitig machen will: Indem sie „nein“ sagt, „‚Non‘ au premier calife pour son interprétation littérale du ‚dit‘ du Prophète“ (Loin, 85), beansprucht sie die Nachfolge und Auslegetradition für sich. Die Opposition zwischen schreibenden Männern und mündlich bezeugenden Frauen wird in Loin de Médine an vielen Stellen aufrecht erhalten, so auch, als Abou Bekr seinen letzten Willen aufschreiben lassen will. Er lässt seinen Schreiber die bereits diktierten Sätze wiederholen, als „une petite toux de femme se fait entendre derrière le rideau du vestibule: c’est Aïcha qui s’impatiente, qui écoute le dialogue [...]“ (Loin, 243). Es gibt noch weitere Szenen, in denen Frauen, meistens Aïcha, hinter dem Vorhang lauschen und das Gehörte später überliefern177: „Quelqu’un toussa derrière le rideau de l’entrée. Tout près, Aïcha écoutait le dialogue entre les deux hommes: elle en témoignera plus tard“ (Loin, 179)178. Oftmals ist es ein Hüsteln, das die Lauschende verrät
176 Vgl. hierzu Loin, 56-62. Abtar bedeutet wörtlich „abgeschnitten“, aber auch „verstümmelt“. 177 Wie bei Ben Jelloun gibt es von einem mündlich übermittelten Ereignis immer mehrere Versionen, weil die Überlieferungskette je nach isnad auf verschiedene Überlieferer zurückführt, vgl. Loin, 246-248. 178 Vgl. beispielsweise auch Loin, 245.
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und das beschrieben wird, um der Leserin die Situation nahe zu bringen. Das Beschreiben von Körperäußerungen wird hier als Erzähltechnik sowohl von den intradiegetischen Erzählerinnenfiguren eingesetzt als auch auf der Ebene des übergeordneten Diskurses von der impliziten extradiegetischen Erzählerin. Durch die Beschreibung des Hüstelns wird eine unmittelbar wirkende körperliche Präsenz erzeugt, bevor die Interpretation oder Erklärung der körperlichen Äußerung folgt. Das wichtigste Medium der Überlieferinnen ist der Körper, dessen Sinneseindrücke wiedergegeben werden: „[...J]e tiens à vous raconter ce que mes yeux ont vu, ce que mes oreilles ont entendu...“ (Loin, 114). Die häufige Wendung „Je me souviens“ zeigt außerdem den Stellenwert, den Erinnerung und mnemotechnische Praktiken zu ihrer Bewahrung haben. So erzählen sich die Frauen gegenseitig Ereignisse und etablieren auf diese Weise den lebendigen Diskurs: „Oum Salem [...] me rapporta une étrange nuit [...] qu’elle avait vécue.“ (Loin, 188; Kursivierung im Original). Durch die vielen verschiedenen Stimmen, Erzählungen und deren Verschachtelungen ergeben sich im Roman unzählige Diegesen und deren Mischungen. Der Prozess der Überlieferung wird selbst auch wieder zum Gegenstand der Übermittlung, wie bei Ben Jelloun der Prozess des Erzählens als Gegenstand in die Erzählung eingeht. Mit einem Unterschied allerdings: Lassen sich bei Ben Jelloun Rahmen- und Binnenhandlung annähernd unterscheiden, ist dies bei Djebar aufgrund der komplexen Strukturen nicht ohne weiteres möglich. Für die Mund-zu-Mund-Überlieferung von Ereignissen über große Entfernungen und Zeiträume hinweg ist es außerdem wichtig, möglichst genau am intersubjektiv nachvollziehbaren Geschehen zu bleiben und möglichst wenig eigene Interpretation einfließen zu lassen. Daher übermitteln die Erzählerinnen auch Szenen, die sie nicht verstehen und deuten können, indem sie ihre Sinneseindrücke genau wiedergeben: Alors l’incident a eu lieu, je l’ai vu sans même le comprendre, sans l’oublier plus tard, ce qui me pousse à devenir moi, l’affranchie, la libérée de Aïcha, transmettrice. Oui, l’incident, grave, anodin, je ne sais, survint en cet instant, j’ose en porter témoignage! J’ai aperçu le visage de Hichem apparaître une seconde dans l’entrebâillement de la porte – la clarté de la nuit aveuglant le seuil – Hichem semblait bousculé par-derrière [...]. Visage, me dis-je, épouvanté. J’ai entendu la voix de Hichem, l’intrus a disparu; reste le ton d’effroi de son intervention hâtive. Je vois, comme dans un songe, Oum Ferwa s’emmitoufler la tête, celle-ci ensevelie dans une soie blanche, mais un large et long foulard rouge ou marron, je ne sais, dans sa main qui s’agite. Tout encombrée de ce tissu, je la vois ouvrir la porte – dehors la nuit, presque translucide; ou est-ce déjà les approches
84 | E RZÄHLERKÖRPER UND IHRE G ESCHICHTEN de l’aube? Elle sort, d’un pas, hors du seuil. La porte restée ouverte, je me retrouve, tout près de Aïcha. Muette, celle-ci regarde, regarde... Oui, ô Seigneur, cet incident, je tiens à le transmettre. [...] Je tiens à témoigner, même une seule fois, puisque jamais les femmes de Médine ne le rapporteront! (Loin, 261f.; meine Hervorhebungen)
Die Übermittlerin referiert detailgetreu die Wahrnehmungen, die sich ihr körperlich einprägen, vor allem solche, die sie von Körpern der anderen Akteure hat. Außerdem markiert sie alle perzeptiven Unsicherheiten und interpretativen Auffüllungen, zum Beispiel durch den Einschub „me dis-je“ oder die Frage „ou estce déjà les approches de l’aube?“ Es handelt sich dabei nicht um ein somatisches Gedächtnis, das sie reaktiviert, sondern um eine in Sprache gefasste Zeugenschaft. Eine gewisse Wertung der Ereignisse wird also vorgenommen, wenn auch aus dem Beispiel der Zeitpunkt der Überführung des Wahrgenommenen in Sprache nicht ersichtlich ist. Ist die Versprachlichung erst im Moment des Zeugnisablegens erfolgt oder im selben Moment, in dem die Protagonistin Zeugin des Geschehens wurde? Wie im übergeordneten Diskurs wird die Technik der Übermittlung offengelegt und so der Eindruck erweckt, der Wahrheitsgehalt würde so wenig wie möglich durch Ungenauigkeiten oder eigene Auslegungen verschleiert. Auch für die erste rawiya Aïcha ist der Körper bereits im Kindesalter das wichtigste Medium der Erinnerung und späteren Überlieferung. Nur durch die Körperlichkeit der Erinnerung kann deren Bewahrung gelingen, wie die folgenden Abschnitte zeigen: Il est midi ce jour-là à La Mecque. C’est Aïcha, cette fois, qui plus de dix ou quinze ans plus tard, se souvient et raconte [...]. Elle, à cette heure, elle n’a pas neuf ans et elle regarde: ce qui s’incruste dans sa mémoire, qu’elle décrira plus tard, c’est l’homme, le Nabi, le futur époux [die Rede ist von Mohammed – S.K.] – arrivant au moment de la grande chaleur [...]. Ses parents comprennent que l’Exceptionnel survient... (Loin, 267f.) Aïcha la [Esma – S.K.] voit se défaire lentement de sa ceinture. Ceinture longue et large, qui lui entoure la taille rebondie. Esma s’empêtre dans ses mouvements: elle est en sueur, elle est rosie par la chaleur, mais elle sourit, un sourire secret. [...] Elle reprend le bout de linge [...] entre des dents. De ses doigts, elle tire, dans le sens de la longueur. Et la ceinture, si large, se déchire en deux; lente déchirure du tissu avec un son de plainte infinie. Aïcha ne comprend pas. (Loin, 268f.) [P]ersonne ne prête attention à la fillette rousse qui, elle, regarde, les yeux dévorant cette réalité soudain pétrifiée par l’excès de chaleur. Elle regarde, et elle sait que c’est pour ne
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pas oublier. Ne pas oublier plus tard. [...] Aïcha se remémore. Elle s’est sentie si légère, si décidée en même temps [...]. Aïcha garde dans l’oreille le bruit de la déchirure lente – son voluptueux, charnel, un peu rêche – de la large, de la longue ceinture. (Loin, 270f.)
Die körperliche Wahrnehmung setzt sich im Gedächtnis fest („s’incruste dans la mémoire“), wobei der Begriff „verkrusten“ impliziert, dass es nicht um einen dynamischen Prozess des Erinnerns geht, sondern um einen statischen, festen Aggregatzustand der Erinnerung. Aïcha kann so später zum Verständnis der Szene gelangen, die sich vor ihren Augen als Kind abspielt und die sie in diesem Alter noch nicht begreift: dass und warum Esma, die Tochter Abou Bekrs, ihren Gürtel teilt und dem Propheten eine Hälfte überlässt. In diesem Fall ließe sich von einem somatischen Gedächtnis sprechen: Nur über das Geräusch des Zerteilens, das Aïcha als Erinnerung in ihrem Körper bewahrt hat („garde dans l’oreille le bruit“) und das nicht spezifischer beschrieben werden kann, wird die Szene für sie zugänglich und mittels ihres späteren Wissens in ihrer vollständigen semantischen Bedeutung dekodierbar. Auch mit einem materiellen Verständnis von substantieller Überlieferung ließe sich die Szene erklären. Wörtlich verstanden würde Aïcha dann tatsächlich das Geräusch, nicht die Erinnerung daran, in ihrem Ohr aufbewahren und ihren Körper als Speichermedium verwenden. Djebars Konzepte können hier also in einer ähnlichen Weise interpretiert werden wie Ben Jellouns, allerdings gibt es wesentlich weniger explizite Hinweise für eine solche Lesart. Körper und körperlicher Ausdruck spielen außerdem eine wichtige Rolle bei der Entscheidung darüber, was übermittelt werden soll. So scheinen Situationen intensiver Affizierung besonders überlieferungswürdig, wobei nicht nur die Überlieferung des emotionalen Ereignisses, sondern auch der damit verbundenen Gefühle erreicht werden soll. Im folgenden Beispiel steht der Schmerz im Vordergrund, der sich durch Fatimas Lamento auf die anderen Frauen überträgt, während der eigentliche Anlass erst später erzählt wird. Die fast schon unspektakuläre Begebenheit, dass Fatimas Mann eine zweite Frau heiraten möchte, wird auf diese Weise zu einem unerhörten Ereignis überhöht: ‚Ô Dieu! Que la douleur pleuve sur moi Car si elle pleuvait sur les jours, Les jours deviendraient soudain des nuits!‘ Quelle souffrance insupportable, tandis que toutes les femmes écoutent, que les unes redisent les vers de la lamentation, que l’une d’entre elles, en arrière, décide même de les transcrire, elle, la seule savante en ces jours, alors que les autres les rapportent de
86 | E RZÄHLERKÖRPER UND IHRE G ESCHICHTEN bouche à bouche pour en donner, dès le lendemain, plusieurs variantes. – Ô quelle douleur! soupire Oum Aymann la Noire qui se tord les mains, parce qu’elle ne supporte pas de souffrir encore, alors que la brûlure du départ de l’Aimé reste béante. [...] Ce sera seulement deux ou trois jours après que – son dialogue filial ainsi développé dans une affliction qui se rythmait, qui se chantait, peut-être qui aurai pu se danser – la fille bienaimée dira ‚non‘. ‚Non‘ aux gens de Médine. ‚Non‘, tout le temps. ‚Non‘, six mois durant, au point d’en mourir. Six mois, ses derniers six mois de vie, Fatima sera celle qui dit ‚non‘, en plein cœur de Médine. (Loin, 66; Kursivierung im Original)
Dies ist ein gutes Beispiel für die Komplexität der Erzählstruktur. Fatimas Lamento ist durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Die Erzählerin, die Fatima zitiert, wird ihrerseits von der übergeordneten Erzählerin in direkter Rede wiedergegeben, wie durch den Kursivdruck kenntlich gemacht ist. Sie übermittelt, dass und wie die Frauen Fatimas Lamento in mehreren Versionen und Varianten überliefern werden. Ohne dass auch nur erwähnt würde, was die Ursache hierfür ist, steckt Fatimas Schmerz sie an und lässt sie in das Wehklagen einstimmen. Die Erzählerin beschreibt die Atmosphäre des Schmerzes als derart affizierend und für alle körperlich spürbar, dass sie vom gleichen Rhythmus ergriffen werden, den Schmerz „heraussingen“ und ihn „beinahe tanzen“ könnten. Die Erzählerin selbst setzt dabei auf somatische Stilmittel, wenn sie im Modus der rhythmischen und lyrischen Wiederholung schreibt, wie Fatima in Medina „nein“ sagen wird. Dieselbe mnemotechnische Wendung, die sich dem Körper besonders gut einprägt, wendet auch Mohammed an, wenn er selbst zeitlich vorher, in der Systematik des Texts aber später in Medina „nein“ sagt und sich auf dieselbe Begebenheit bezieht wie seine Tochter Fatima: – Ô Musulmans, je ne vous interdis pas ce que Dieu vous a permis! Et je ne vous permets pas ce que Dieu vous a interdit! Non... Mais que, dans un même lieu, se trouvent réunies la fille de l’Envoyé de Dieu avec la fille de l’ennemi de Dieu, cela, je ne le permettrai jamais! [...] Je le répète, Musulmans, je n’interdis pas aujourd’hui ce que Dieu vous a permis! Mais, au nom de Dieu, la fille de l’Envoyé de Dieu ne se rencontrera pas dans un même lieu avec la fille de l’ennemi de Dieu, cela, non, jamais!... Jamais! Le dernier mot, ou son écho, résonne longtemps dans la mosquée pleine [...]. (Loin, 74)
Die Parallele besteht darüber hinaus nicht nur auf Inhaltsebene, sondern auch auf den verschiedenen Erzählebenen. Die Erzählerin der Mohammed-Sequenz gebraucht ebenfalls das Stilmittel der Wiederholung, das Ong als spezifisch für die
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mündliche Erzählung qualifiziert.179 Wie Ben Jelloun stellt auch Djebar nicht nur mediale, sondern ebenfalls konzeptuelle Mündlichkeit dar: À qui Mohammed a-t-il dit ‚non‘ ce jour-là, à Médine? À Ali, son cousin, gendre et fils adoptif? ‚Si tu veux épouser une autre femme, alors tu dois divorcer d’avec ma fille!‘ [...]. À qui Mohammed a-t-il dit ‚non‘ ce jour-là, à Médine? Aux hommes de Médine, à tous ceux qui l’écoutent [...]? – Ô Croyants, je ne vous interdis pas ce que Dieu vous a permis! Je ne vous permettrai pas ce que Dieu vous a défendu!... Mais... (Loin, 74)
Der Prophet als erster Vermittler zwischen Gott und den Menschen wird damit zum Vorbild für die Mnemotechniken der Überlieferung, die nach ihm von den Überlieferern übernommen werden. Materialität der Erinnerung: Milch für die Gläubigen Rawiyas sind dabei nicht nur in der Lage, Gefühle zu reproduzieren, sondern auch den lebendigen Körper zu evozieren, indem sie auf den körperlichen Ausdruck wie zum Beispiel Gesten nicht nur sprachlich rekurrieren, sondern diesen selbst annehmen: Elle rappelait les paroles, les gestes de bienvenue, avec au centre notre Messager [der Prophet – S.K.], lui qui nous a quittées désormais. Elle rapportait ses discours, les manifestations vives ou discrètes de sa joie. Pendant qu’elle parlait ainsi, entre deux prières, il me semblait que le Messager était en expédition, qu’il allait d’un moment à l’autre nous revenir! (Loin, 93; Kursivierung im Original)
Diese rawiya kann so virtuos mit ihrem Körper erzählen, dass bei der das Ereignis referierenden Erzählerin der Eindruck entsteht, der Prophet würde in einer Erscheinung für kurze Zeit aus dem Reich der Toten zurückkehren. Auch hier wird ein metaphysisches Konzept angedeutet und es so dargestellt, als würde sich die historische Begebenheit selbst übermitteln und hierfür den Körper der rawiya in Anspruch nehmen. Im Gegensatz zu Ben Jellouns Geschichten, die sich nach Aussage der mündlichen Erzähler tatsächlich selbst erzählen, verbleibt Djebars Geschichte jedoch im Als-ob-Modus und gibt nur vage Hinweise für eine solche Lesart. An einer anderen Textstelle lässt sich an der Metaphorik im Zusammenhang mit der Erinnerung zeigen, dass Djebar ihre Erzählerinnen,
179 Vgl. Ong 2002 [1982], 39-41.
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genau wie Ben Jelloun, mit einer materialistischen Vorstellung von Überlieferbarem ausstattet. So bezeichnet eine Erzählerin eine der rawiyas als besonders begabt, weil „[s]a mémoire est gonflée, telle une outre type mesada, c’est-à-dire des plus grandes... Elle se laisse aller à évoquer devant moi tant et tant de souvenirs!“ (Loin, 184; Kursivierung im Original). Hier kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass der Körper einer großen rawiya, einer mesada, wie es im Zitat heißt, als Speichermedium für Geschichten fungiert und sich das Gedächtnis mit Geschichten füllt und daher anschwillt, wie die Metaphorik impliziert. Auf Bitten der referierenden Erzählerin, die mesada möge ihre Erinnerungen teilen, sprudeln diese aus ihrem Gedächtnis hervor. Auf dieselbe Metaphorik des Anschwellens greift Djebar auch im Zusammenhang mit Aïcha zurück. In diesem Kontext wird die Erinnerung als Milch konzipiert, mit welcher die „mère des Croyants“ die Glaubensgemeinschaft nährt: Son rôle commence; sa vie de femme est éteinte depuis deux ans; son cœur de fille frémit puis refroidit tandis que Abou Bekr est enterré chez elle. Déchirement au cours duquel, Aïcha, âgée de vingt ans juste, su durcit, puis se dresse. Elle est consciente. Elle remercie Dieu et son Messager. Le dos tourné aux deux tombes qui lui seront familières, elle voit son destin se dessiner: oui, nourrir la mémoire des Croyants, entreprendre cette longue patience, cet inlassable travail, distiller ce lait goutte à goutte. Préserver, pour toutes les filles d’Ismaël, parole vive. Vivre ainsi ancrée en soi-même, tous les jours de sa vie à venir, immobile certes, mais gonflée d’une parole à jaillir. (Loin, 297f.; meine Hervorhebungen)
In Bezug auf die Milch-Metaphorik liegt dem zu Übermittelnden ganz explizit die Vorstellung zugrunde, dass es in seiner Materialität vom Körper der Überlieferin verarbeitet werden muss, um überliefert werden zu können. Hier sind nicht nur hochentwickelte Mnemotechniken gefragt, sondern die körperlichen Qualitäten der Mutter, die Erfahrenes in Milch umwandeln und es so an ihre Kinder weitergeben kann. In etwas anderer Stoßrichtung verarbeitet Djebar hier das Konzept, das Rûmi in Bezug auf Speichel anführt. Die Mutter-Metaphorik und ihre Implikationen werden im Teil über Sprache im Abschnitt „Geburt der Sprache aus dem Körper“ genauer untersucht. Leider schreibt Malek Chebel, der mit Le corps dans la tradition au Maghreb (1984) bisher die einzige umfassendere Studie zum Körperverständnis in Nordafrika vorgelegt hat, in seinem Kapitel „Des superfluités du corps“180 nichts über die Vorstellungen, die mit Milch ver-
180 Chebel 1984, 95-107.
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bunden sind. So bleibt an dieser Stelle nur der Verweis auf Marta Segarra, die in ihrer Beschäftigung mit Djebar Julia Kristevas Milch-Konzept heranzieht und Djebar so in eine feministische Perspektive rückt (in die Djebar sich mit Irigaray aber auch selbst einordnet).181 Eine weitere Parallele zu Ben Jelloun besteht in der Tatsache, dass es sich bei einer Erzählerin und Übermittlerin, wie Djebar sie konstruiert, um kein selbstgewähltes Dasein handelt, sondern um eine Berufung, die im historischen Kontext von Loin de Médine göttlicher Natur ist. Djebar erzählt also gewissermaßen die religiöse Gegengeschichte zu Ben Jellouns Dschinn-Poetik, wobei ihr subversives Verdienst darin besteht, Frauen zu relevanten Handlungsträgern zu machen. So wird im Kapitel „Deuxième rawiya“ geschildert, dass eine Erzählerin sich mit der Aufgabe, die Überlieferungskette nach dem Tod ihrer Schwester fortzusetzen, konfrontiert sieht und damit überfordert fühlt: Comment pourrai-je devenir une rawiya? soupirai-je, vraiment désespérée. Non, je ne reprendrai pas la chaîne. Je suis pas femme de parole: chaque présence d’une autre, d’un autre me pousse au silence, et ce, malgré mon âge devenu vénérable. Un puits se creuse en moi. Quand quelqu’un m’interroge, je ne peux que murmurer; ma mémoire, je la sens prête à dévider le fil telle une tisseuse vaillante, mais qu’y puis-je, ma voix s’en va! [...] Je ne suis femme que du soliloque [...]. Non, me dis-je à moi-même, je ne suis pas capable d’être une rawiya! Pas moi. (Loin, 94f.; Kursivierung im Original)
Die Erzählerin hegt Zweifel daran, die Richtige für die Aufgabe der Übermittlung zu sein, weil sie als Eigenbrötlerin das Selbstgespräch dem Sprechen vor der Gemeinschaft vorzieht. Wie zur Bestätigung ihrer Selbstzweifel taucht plötzlich eine Fremde wie eine dea ex machina auf, die mit dem Segen des Propheten in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen und die nächste rawiya wird: „Est venue enfin celle qui pourra succéder à ma sœur; je l’appellerai la seconde rawiya... [...] Elle arriva un jour à Médine [...] face au Messager, de prouver son ardeur croyante“ (Loin, 96; Kursivierung im Original). Etwas widersprüchlich, aber für Djebar ja durchaus nicht ungewöhnlich, ist, dass wir nur aus der Erzählung der Erzählerin von der nächsten rawiya wissen. Ob die kursiven Textpassagen mediale Mündlichkeit oder tatsächlich Text darstellen sollen, bleibt unklar.
181 Vgl. Segarra 1997, 175. Segarra interpretiert die zitierte Szene vor dem Hintergrund, dass das Symbol der Milch und anderer Körpersekrete wie Tränen bei Kristeva eine „semiotische Kommunikation“ bedeutet, die nicht der rationalen männlichen Logik der Vatersprache entspricht, sondern sich durch andere Mittel wie Rhythmus, Gesten etc. vermittelt (in „Stabat mater“, Histoires d’amours, Kristeva 1983, 225-247).
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So wird diese Erzählerin unfreiwillig ebenfalls zur rawiya. Tatsächlich erfüllt sie die neben dem Bedürfnis nach Weitergabe wichtigste Voraussetzung einer rawiya, wie sie selbst sagt: „ma mémoire, je la sens prête à dévider le fil telle une tisseuse vaillante“ (s.o.). Nach ihrem Verständnis ist das Gedächtnis ein Werkzeug, das den Faden der Erinnerung herstellt beziehungsweise weiterspinnt. Faden der Überlieferung Auch in diesem Fall ist es entweder möglich, die Vorstellung von der „Erinnerung als Faden“ als Metaphorik zu verstehen, welche die sprachliche Überlieferung in die materielle Welt und an den Körper bindet.182 Oder die Aussage wird wörtlich genommen und eröffnet so ein Konzept, das über die bloße Fadenmetaphorik hinausreicht und den Körper als Medium begreift, das Erinnerung bündelt, in Substanz transformiert und auf diese Weise übermittelbar macht. Der Vergleich zwischen Erinnerung und Faden sowie Geschichtenerzählerin und Spinnerin stellt eine Analogie zwischen Text- und Textilproduktion her.183 Die semantische Nähe zwischen Stoff in seiner Materialität und dem Material, aus dem Erzählungen oder Ideen bestehen, hat in vielen Kulturen Tradition.184 We-
182 In diesem metaphorischen Verständnis untersucht beispielsweise Benhaïm in seinem Aufsatz „Shadowing Assia Djebar“ den Zusammenhang zwischen den zwei bei Djebar wichtigen Körperpraktiken Laufen und Weben und ihrer Poetik: „Weaving recalls the physical, corporeal practices which appear to be at the origins of Djebar’s poetics: walking and sewing“, 2009, 125. 183 Vgl. hierzu die Studien von Carmen Janssen Textile in Texturen – Lesestrategien und Intertextualität bei Goethe und Bettina Brentano von Arnim (2000), Sigrid Köhler Körper mit Gesicht – rhetorische Performanz und postkoloniale Repräsentation in der Literatur am Ende des 20. Jahrhunderts (2006), Erika Greber Textile Texte – poetologische Metaphorik und Literaturtheorie; Studien zur Tradition des Wortflechtens und der Kombinatorik (2002). 184 Ein prägnantes Beispiel ist die Etymologie des lateinischen Verbs „texere“, das wörtlich „weben“ und im übertragenen Sinn „abfassen“ bedeutet. Ein aktuelleres Beispiel für die Analogie von Text und Gewebtem findet sich auch im Clifford Geertz’ Kulturbegriff und dem Konzept der dichten Beschreibung in The Interpretation of Cultures: „The concept of culture I espouse [...] is essentially a semiotic one. Believing, with Max Weber, that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it to be therefore not an experimental science in search of law but an interpretive one in search of meaning“ (1973, 5. Siehe auch Müller-Funk 2010, 239f.). Geertz sieht eine Analogie zwischen Weben und Schreiben insofern, als Kultur durch Schreiben zu-
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ben, Spinnen, Sticken, Stricken etc. sind in der antiken Mythologie und Literatur zentrale Motive, sei es in Ovids Metamorphosen in der Figur der Kunstweberin Arachne, im Mythos der zungenlosen Philomela, die sich mittels eines gewebten Tuchs verständigt, oder Ariadne, deren Faden Theseus aus dem Labyrinth des Minotaurus lenkt. Auch die webende Penelope in Homers Odyssee, die ihren Teppich immer wieder auflöst, oder die Parzen, die drei Schicksalsspinnerinnen, sind bekannte mythologische Figuren.185 Fast immer sind es Frauen, die mit der Herstellung von Textilien in Zusammenhang gebracht werden.186 In der Moderne findet sich die dezidiert weibliche Metaphorik der Überlieferung und Erinnerung beispielsweise in Virginia Woolfs Texten. Bei ihr sind es in Analogie zu Djebars Sinnbild Näherin und Wäscheleine, die als für Unordnung stehende Gedächtnismetaphern fungieren, wie Aleida Assmann anhand eines Zitats aus Orlando (1928) herausstellt: In beiden Bildern kommt die erratische Assoziation als strukturbildendes Prinzip der Erinnerung zum Ausdruck: ‚Die Erinnerung ist eine Näherin, und zwar eine ziemlich launische. Sie fährt mit ihrer Nadel herein und heraus, auf und nieder, hierhin und dorthin. Wir können nie wissen, was als nächstes kommt und darauf folgt.‘ Die alltäglichsten Handlungen vermögen unversehens ‚tausend seltsame, unverbundene Fragmente aufzurufen, mal hell, mal blaß, ausgespannt, auf und niederschwingend, sich senkend, prangend
sammengewebt wird (mit Barthes wäre an einem solchen Prozess auch die Leserschaft beteiligt). Durch diese Analogie wird Schreiben selbst zur kulturellen Praktik der Selbst- oder Fremdbeschreibung einer Kultur, die erst durch den Akt des Schreibens entsteht. Durch dieses Verständnis von Kultur rückt Geertz die Ethnographie von der Vorstellung einer naturwissenschaftlichen Beobachtungswissenschaft in die Nähe der hermeneutisch orientierten Textwissenschaft, wobei Kultur nicht als zu lesender, sondern als zu schreibender Text aufgefasst wird. 185 Vgl. zum Zusammenhang von Weben und Rhapsodie bei Djebar Ernstpeter Ruhes „Die Versetzung des Mythos in den Roman. Assia Djebar und die Musen des Jenseits“, (2005, v.a. 26f. Siehe auch „Les mots, l’amour, la mort. Les mythomorphoses d’Assia Djebar“, 1998, passim). 186 Vgl. zur Konstruktion von Weiblichkeit über Metaphern der Textilproduktion Janssen 2000, passim, die sich u.a. auf die Studien von Mary Daly (1981), Gynäkologie: eine Meta-Ethik des radikalen Feminismus, und Marta Weigle (1982), Spiders and Spinsters: Women and Mythology, stützt.
92 | E RZÄHLERKÖRPER UND IHRE G ESCHICHTEN wie die Unterwäsche einer vierzehnköpfigen Familie auf der Leine in einer frischen Brise‘.187
Im Unterschied zu Woolfs chaotisch verfahrender Näherin evoziert Djebar das Bild einer Weberin, die ihren Faden abspult („dévider le fil“), der auf diese Weise gebündelt und eindimensional erscheint. Die Näherin in Woolfs Assoziation geht hingegen kreativer mit ihrer Erinnerung um und lässt ein willkürliches und zufälliges Flickwerk entstehen. So schöpft sie das performative Potential von Erinnerung aus, das auch mit einer Neuschaffung von Vergangenem verbunden ist. Die Wäscheleine ist in diesem Sinnbild nur das Medium, das die Erinnerung trägt, die immer in Bewegung bleibt. Bei Djebar ist der Faden die Erinnerung, ihre Essenz bleibt damit materiell bestehen und immer gleich. Das kreative, schöpferische Potential von Erinnerung ist durch das Bild sowohl des Spinnens als auch des Abspulens begrenzt. Erst die Anordnung des Fadens im gewebten Textil ergibt ein Muster, das variabel sein kann, jedoch wie der Prozess des Spinnens auf Konventionen der Webtechnik angewiesen bleibt. In Loin de Médine stellt Djebar dar, dass und wie die Weitergabe historischer Stoffe im Modus der Mündlichkeit über das Medium des Körpers über Jahrhunderte funktioniert, weil es immer gelingt, das wahrgenommene Geschehen in seiner Essenz zu erhalten. Als Autorin ist Djebar selbst der schriftlichen Tradition verpflichtet, die eine viel breitere Rezeption ermöglicht und ihre Darstellungen von weiblicher Mündlichkeit und Historiographie eine große Leserschaft erreichen lässt. Djebar thematisiert den latenten Widerspruch jedoch mit keinem Wort in Loin de Médine, obwohl dies ihrer üblichen selbstkritischen Haltung zu ihrem Status als schreibender Frau entsprechen würde. Dass eine unproblematische Darstellung von mündlicher Tradition daher vielleicht durchaus von der Autorin intendiert ist, wird von der Tatsache gestützt, dass Loin de Médine im Jahr 1991 und damit sechs Jahre nach L’amour, la fantasia entstanden ist. Es gibt also schon ein von Djebar selbst geschaffenes Vorbild für den reflektierten und weniger essentialistischen Umgang mit der Darstellung von mündlicher Überlieferung. In L’amour, la fantasia geht Djebar der Frage nach, was mit Erinnerungen und ihrer Tradierung passiert, wenn es durch die Kolonialzeit zu einem Bruch in der mündlichen Übermittlung kommt, etwa weil Kriege die Überlieferungskette abreißen lassen oder ein neues Medium durch die Kolonialmacht eingeführt wird und sich aufgrund der kulturellen Hegemonie durchsetzen kann.
187 Assmann 2006, 161. Sie zitiert hier Virginia Woolfs (1928) Orlando. A Biography, Harmondsworth 1975, 55.
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Auch in L’amour, la fantasia verwendet Djebar die Technik der Kompilation von zwei grundsätzlich unterschiedlichen Quellenarten und Zugängen zur Geschichte: Auf der einen Seite werden historische Quellen der ehemaligen Besatzungsmacht Frankreich ausgewertet, etwa Berichte, Chroniken und persönliche Briefe von historischen Persönlichkeiten. So beispielsweise von den französischen Offizieren Bugeaud, Bosquet oder Pélissier, aber auch unbekannter einfacher Soldaten. Auf der anderen Seite werden marginalisierte weibliche Stimmen rekonstruiert und, wie Djebar es nennt, „exhumiert“188 , das heißt ausgegraben und dem Vergessen entrissen.189 Jarrod Hayes spricht in Queer Nations: Marginal Sexualities in the Maghreb (2000) in diesem Zusammenhang davon, dass Assia Djebar articulates a model for writing history that also resurrects ghosts and brings them back to haunt the present. What she digs up, however, are women’s role in history as well as their suffering and resistance, which have [...] been hidden from history in colonial and nationalist historiographies.190
Walter Benjamin zieht in seinem Denkbild „Ausgraben und Erinnern“ (um 1932), wie der Titel besagt, ebenfalls die Metapher des Ausgrabens für den Prozess des Erinnerns heran. Erinnerung ist nach Benjamin sowohl aktive Rekonstruktion als auch passive Disposition, die sich im Begriff des Mediums treffen: Die Sprache hat es unmißverständlich bedeutet, daß das Gedächtnis nicht ein Instrument für die Erkundung des Vergangenen ist, vielmehr das Medium. Es ist das Medium des Erlebten wie das Erdreich das Medium ist, in dem die alten Städte verschüttet liegen. Wer sich der eigenen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß sich verhalten wie ein Mann, der gräbt. Vor allem darf er sich nicht scheuen, immer wieder auf einen und denselben Sachverhalt zurück zu kommen – ihn auszustreuen wie man Erde ausstreut, ihn umzuwühlen, wie man Erdreich umwühlt. [...] So müssen wahrhafte Erinnerungen viel weniger berichtend verfahren als genau den Ort bezeichnen, an dem der Forscher ihrer habhaft wurde.191
188 Bsp. „travail d’exhumation“, Ces voix, 48. 189 Vgl. zum repräsentativen Sprechen für das Kollektiv der Frauen bei Djebar Richter 2008, 186-190. 190 Hayes 2000, 183. 191 Benjamin 1991, 400; siehe auch Assmann 2006, 164f.
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A. Assmann zeigt an diesem Zitat Benjamins, dass der Begriff der Erinnerung in dem Fragment keine faktisch objektive Qualität besitzt. Sie selbst führt das Denkbild weiter, indem sie zu Bedenken gibt, dass Erinnerungen auch „nachdem sie aus Schichten und Querlagen herausgeschält und geborgen wurden, [sich] von diesem Milieu niemals vollständig ablösen [lassen]“.192 Djebar verfährt in der von Benjamin postulierten Weise, „wahrhafte Erinnerungen“ nicht berichtend darzustellen, sondern den Ort zu bezeichnen, „an dem der Forscher ihrer habhaft wurde“. Mit dem Unterschied jedoch, dass es sich nicht immer um die eigenen Erinnerungen handelt, welche die Autorin rekonstruiert. Vor allem für die historischen Passagen, die mit den autobiographischen abwechseln, zieht sie Chroniken und Berichte heran und versucht, die Erinnerungen von Opfern des Kolonialismus aus ihnen herauszulesen. Auch durch Interviews – fingierte oder tatsächlich geführte, bleibt dabei offen – stößt sie auf erinnerungswürdige Schicksale. Die Orte des Geschehens, oft handelt es sich um Schauplätze von Gräueltaten durch französische Besatzer, schildert Djebar dabei besonders detailreich. Sie setzt sich bei ihrer Rekonstruktionsarbeit kritisch mit den diskursdominierenden historischen Dokumenten aus französischen und algerischen Archiven auseinander, welche die Ereignisse aus der Herrschaftsperspektive darstellen und das französische Geschichtsbild nachhaltig geprägt haben, „comme si ‚archives‘ signifiait empreinte de la réalité“ (L’amour, 251). Dieses Vorrecht, das die kolonialen Chronisten für sich in Anspruch nehmen und das der Postkolonialtheoretiker Homi Bhabha „right of representation“193 nennt, ist nach Djebar mitverantwortlich für das Vergessen, „fosse commune de l’oubli“ (L’amour, 59), weil es die einseitige Perspektive festschreibt und zur dominanten, einzig validen erklärt. Die algerische Perspektive hingegen kommt zum einen nicht zur Geltung, weil sie die Sichtweise der Unterdrückten darstellt, die ebenfalls unterdrückt wird. Zum anderen konnte sie sich schlechter behaupten, weil sie oftmals nur in mündlicher Form historische Ereignisse verarbeitete und daher keine Zeugnisse außerhalb der lebendigen Menschen produziert hat. Die verheerenden Auswirkungen sowohl des Eroberungs- als auch des Unabhängigkeitskriegs auf die algerische Bevölkerung beziehen sich also gleichermaßen auf deren Perspektive, die mit den Menschen vernichtet wurde. Die französische hegemoniale Sichtweise der historischen Ereignisse florierte hingegen in
192 Assmann 2006, 165. 193 Bhabha 2006, 42.
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einem regelrechten Schreibfieber,194 wie Djebar bitter feststellt: „Une fièvre scripturaire a saisi en particulier les officiers supérieurs. Ils publient leurs souvenirs dès l’année suivante“ (L’amour, 66). In eine ähnliche Richtung geht Frantz Fanons Peau noir, masques blancs (1952). Hier entwickelt er das Argument, dass die antillische Weltsicht durch eine weiße Maske gefiltert sei: „Aux Antilles, cette vision du monde est blanche parce qu’aucune expression noire n’existe.“195 Der einheimischen (ehemaligen) Kolonialbevölkerung bleibt demnach gar nichts anderes übrig, als die „weiße Weltsicht“ zu teilen, weil die „schwarze“ nicht mehr existiert. Fanons Gesellschaftskritik lässt sich gleichermaßen auf Algerien beziehen. Die „algerische Weltsicht“ allgemein und das Geschichtsbild im Besonderen sind demnach französisch überprägt, weil eine algerische Tradition der Geschichtsschreibung seit der Kolonisierung in der ursprünglichen Form nicht mehr vorhanden ist. In der Schule wurde im Fach Geschichte die französische Sicht der Dinge unterrichtet, was so weit ging, dass die einheimischen Schüler in den Kolonien die Gallier als ihre Vorfahren kennenlernten. In jedem Geschichtsbuch, sei es in Algerien, auf den Antillen oder in Senegal, fand sich der Satz „nos ancêtres, les Gaulois“, den die Kinder auswendig lernen und laut aufsagen mussten.196 Wer prägt das kulturelle Gedächtnis Algeriens? Als nachhaltigste Waffe der Eroberungsfeldzüge bezeichnet Djebar daher den Diskurs, durch welchen Algerien in kleine, geographische, linguistische, kulturelle, biologische Bereiche eingeteilt, vermessen, benannt, erschlossen und angeeignet wurde. Nach dem Postkolonialtheoretiker Nicholas Dirks handelt es sich bei einer solchen epistemologischen Parzellierung und „classification“ um eine „totalizing form of control“197. Diese Form der Kontrolle vollzieht sich in einem Zirkel, in welchem die koloniale Wissenserschließung zunächst durch Eroberungsfeldzüge ermöglicht wird und gleichzeitig aber wieder die Bedingungen für
194 Algerische Geschichtsschreiber, die es auch zu jeder Zeit gab, werden in L’amour, la fantasia überhaupt nicht erwähnt. Sehr anschaulich beschreibt deren Rolle während und nach der Kolonialzeit James McDougall (2009) in History and the Culture of Nationalism in Algeria. 195 Fanon [1952] 1975, 124. 196 Siehe hierzu beispielsweise die kritische Auseinandersetzung von Janice Gross, „Revisiting ‚nos ancêtres les Gaulois:‘ Scripting and Postscripting Francophone Identity“ (2005). 197 Dirks 2006, 59.
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neue Eroberungen schafft.198 Die genaue Dokumentation der Klassifizierungsprozesse verleiht der Einnahme Algeriens darüber hinaus einen wissenschaftlichen und offiziellen Status, nämlich den einer Expedition im Auftrag der Wissenschaft zur Erschließung neuer Erkenntnisse. Nach Djebar hat dieser wissenschaftliche Anschein zur Folge, dass die epistemologische Aneignung den Aspekt der tatsächlich gewaltvollen Eroberung überdeckt: Le mot lui-même, ornement pour les officiers qui le brandissent comme ils porteraient un œillet à la boutonnière, le mot deviendra l’arme par excellence. Des cohortes d’interprètes, géographes, ethnographes, linguistes, botanistes, docteurs divers et écrivains de profession s’abattront sur la nouvelle proie. Toute une pyramide d’écrits amoncelés en apophyse superfétatoire occultera la violence initiale. (L’amour, 67)
Die Eroberung geht mit der Zerstörung der einheimischen Kultur einher, welcher Djebar ein kurzes Kapitel zwischen den Darstellungen der Eroberungsfeldzüge widmet. Es trägt den Titel „Biffure...“ (L’amour, 69), „Ausstreichung...“. In dieser kurzen Passage wird die Frage gestellt, was von der Vergangenheit bleibt: „Hors du puits des siècles d’hier, comment affronter les sons du passé? ... Quel amour se cherche, quel avenir s’esquisse malgré l’appel des morts, et mon corps tintinnabule du long éboulement des générations-aïeules“ (L’amour, 69). Nicht ganz einfach sind Übersetzung und Auslegung dieser Stelle: Im Wesentlichen beschäftigt die Erzählerin hier die Frage, wie nach einem langen Zeitraum die Auseinandersetzung mit den Lauten der Vergangenheit erfolgen soll und welche Zukunft sich abzeichnet, wenn von den lange verschütteten Ahnengenerationen nur noch ein leises Klirren („tintinnabuler“) im Körper überdauert. Djebar bringt hier zum Ausdruck, wie weit die Zerstörung der Strukturen der algerischen Gesellschaft durch Eroberungskriege und Kolonialzeit reicht. Nicht nur ganze Familien, Dörfer und Bevölkerungsgruppen wurden ausgelöscht,199 sondern mit ihnen auch das kulturelle Gedächtnis Algeriens, das zum großen Teil durch die mündliche Tradition gepflegt wurde. Dieser tiefe Bruch zeichnet sich besonders zwischen den Generationen ab, so dass der Erzählerin, „coupée des mots de [s]a mère par une mutilation de la mémoire“ (L’amour, 13), nur das Schweigen bleibt. Die Metaphorik der Verstümmelung in Bezug auf die Erinnerung verbindet Aspekte der physischen mit solchen der epistemologisch-kulturellen Eroberung, die im Gedächtnis der einzelnen Person zusammenführen. Die verschiede-
198 Vgl. ebd., 58. 199 Vgl. exemplarisch das Kapitel „Femmes, enfants, bœufs couchés dans les grottes...“, 94-115.
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nen Aspekte der Unterwerfung, epistemologische, kulturelle oder physische, sowie deren Wechselwirkungen nimmt die Autorin im ganzen Roman in den Blick. So finden sich die Punkte metaphorisch verknüpft in einem der zyklisch konstruierten Kapitel mit der Überschrift „Corps enlacés“, in welchem es, anders als der Titel suggeriert, nicht um tatsächlich körperliche Umarmungen geht. Es handelt sich vielmehr um eine Metapher für den Umgang mit der Vergangenheit, die „umarmt“ werden und damit körperlich habhaft werden soll. So heißt es über die Stimme der Erzählerin Chérifa: „La voix de Chérifa enlace les jours d’hier. Trace la peur, le défi, l’ivresse dans l’espace d’oubli. Sursauts de prisonnière rétive dans le camp béant au soleil“ (L’amour, 201). Während bei Ben Jelloun die Erzählerfiguren ihre Geschichten tatsächlich verkörpern, ist bei Djebar der Bezug zum Körper hier nur durch das Verb „enlacer“ gegeben, das eher ein Festhalten an Vergangenem impliziert. Hierdurch wird Distanz geschaffen zwischen den Körpern der Erzählerinnen und dem Erzählten. Gefühle und Ereignisse der Vergangenheit sind nicht unmittelbar in der Erinnerung präsent, sondern müssen in der Vergessenheit aufgespürt werden. Die Distanz zur eigenen algerischen Vergangenheit wird narratologisch dadurch ausgedrückt, dass erzählte Ereignisse durch verschiedene Instanzen vermittelt sind. Die Erzählerin schreibt die mündliche Erzählung einer ihr Fremden auf und hinterfragt im selben Zug die Möglichkeit und Glaubwürdigkeit der direkten Rede, in der sie das Erzählte wiedergibt. Sie verweist so auf die Vermitteltheit durch das Schriftmedium. Ihre Metasprache ist außerdem das Französische, das sowohl für die schriftliche als auch die mündliche Erzählerin eine Fremdsprache darstellt und auf diese Weise den Inhalt verfremdet: „La voix raconte? Même pas. [...] Petite sœur étrange qu’en langue étrangère j’inscris désormais, ou que je voile. La trame de son histoire murmurée, tandis que l’ombre réengloutit son corps et son visage, s’étire comme papillon fiché, poussière d’aile écrasée maculant le doigt“ (L’amour, 201). Der französische Text wird zum Medium für das Medium Körper, das selbst nur noch ein Murmeln hervorbringt. Drückt in Loin de Médine die Metapher des Webens für die Überlieferung von Geschichte die Kontinuität aus, mit der mündlich Überliefertes die Zeit zu überdauern vermag, so wird hier durch die Metapher des Schmetterlingsflügelstaubs im Gegenteil die Fragilität von Mündlichkeit zum Ausdruck gebracht. Von dem einst stabilen Faden, der die Jahrhunderte durchlief, bleibt am Ende der Kolonialzeit nur schwacher Staub, der kaum noch die Substanz von Vergangenem trägt, sondern lediglich als Spur auf es verweist. Auch die Situierung der Erzählerinnen deutet ihre Marginalisierung und Bedeutungslosigkeit an, oft sitzen sie in dunklen Räumen und erzählen hinter vorgehaltener Hand:
98 | E RZÄHLERKÖRPER UND IHRE G ESCHICHTEN La conteuse demeure assise au centre d’une chambre obscure, peuplée d’enfants accroupis, aux yeux luisants [...]. La voix lance ses filets loin de tant d’années escaladées, la paix soudain comme un plomb. Elle hésite, continue, source égarée sous les haies de cactus. Les mots s’évaporent... (L’amour, 201)
Nur zögernd gibt die Erzählerin ihre Geschichten preis. Ihre Stimme steigt wie aus einer fernen Vergangenheit und aus einer „verirrten Quelle“ auf. Die Worte verflüchtigen sich, sobald sie ausgesprochen sind. Die Verfremdungseffekte durch den Medien- und Sprachwechsel von mündlich zu schriftlich und von Arabisch zu Französisch, so stellt Djebar heraus, kommen nicht nur dadurch zustande, dass die Übertragung auf linguistischer Ebene problematisch ist. Auch ist an jede Sprache eine spezifische Körperlichkeit geknüpft, die bei der Übersetzung verloren geht beziehungsweise durch eine fremde Körperlichkeit ersetzt wird. Das folgende Beispiel zeigt die jeweilige Verbindung zwischen Körper und Sprache: Ânonner en se balançant, veiller à l’accent tonique, à l’observance des voyelles longues et brèves, à la rythmique du chant; les muscles du larynx autant que du torse se meuvent et se soumettent à la fois. La respiration se maîtrise pour un oral qui s’écoule et l’intelligence chemine en position d’équilibriste. [...] Cette langue que j’apprends nécessite un corps en posture, une mémoire qui y prend appui. [...] Quand j’étudie ainsi, mon corps s’enroule [...]. Quand j’écris et lis la langue étrangère: il voyage, il va et vient dans l’espace subversif [...]. (L’amour, 260f.)
Djebar stellt hier zwei verschiedene Körperlichkeiten gegenüber, die mit der jeweiligen Sprache zusammenhängen. Zum einen wird das Erlernen des klassischen Arabisch in der Koranschule beschrieben, das dem Körper bei der Rezitation einen spezifischen Habitus abverlangt. Der Rhythmus des Arabischen beschwert den Körper und erfordert Haltung und Spannung. Der Körper zieht sich zusammen und wird kompakt. Dem gegenüber steht das Französische, das den Körper mit Leichtigkeit erfüllt und in einen imaginativen Zustand versetzt. Der Körper weitet sich auf den subversiven Raum aus, den das Französische der algerischen Muttersprachlerin bietet. Das Spezifische des Französischen als Sprache der Imagination liegt darin, auch begründet durch ihre Fremdheit, dass sie keine tatsächlich materielle Körperlichkeit, keine „réalité charnelle“, besitzt, wie die Erzählerin festhält: „J’écris et je parle français au-dehors: mes mots ne se chargent pas de réalité charnelle. J’apprends des noms d’oiseaux que je n’ai jamais vus [...]. En ce sens, tout vocabulaire me devient absence [...]“ (L’amour,
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261). Alle französischen Worte verweisen so immer nur auf semantische Leerstellen und eine Wirklichkeit, die jenseits der Wahrnehmbarkeit, jenseits Algeriens liegt. Dies lässt die Sprache insgesamt daher ephemer erscheinen, weil sie nicht an eine bekannte Semantik gebunden ist, sondern an eine imaginative, flüchtige. In Loin de Médine wird die Vergänglichkeit des einzelnen Körpers dadurch überwunden, dass kollektiv Sinneseindrücke und Gefühle in einem Zusammenspiel von Körper und Sprache erinnert werden und so die Grundlage für die mündliche Vermittlung bilden. Eine ähnliche Vorstellung vom Bewahren der Sinneswahrnehmungen über den Körper hinaus findet sich in L’amour, la fantasia im Kapitel „Chuchotements...“. Hier wird dem aufmerksamen Zuhören und Beobachten während der mündlichen Weitergabe von Geschichte ein höheres Potential der Kulturvermittlung beigemessen als beispielsweise der Weitervererbung durch Reproduktion: „Ne subsiste du corps ni le ventre qui enfante, ni les bras qui étreignent, qui s’ouvrent dans la rupture de l’accouchement. Ne subsiste du corps que ouïe et yeux d’enfance attentifs, dans le corridor, à la conteuse ridée qui égrène la transmission, qui psalmodie la geste des pères, des grandspère, des grands-oncles paternels.“ (L’amour, 250). Da das Kapitel jedoch mit „Flüstern“ überschrieben ist, scheint es Djebar hier nicht um eine nostalgische Rekonstruktion von mündlicher Tradition zu gehen. In dem Flüstern ist eher eine Vorstufe zum Verstummen und zum Ende der mündlichen Überlieferung zu sehen, wie wenige Zeilen später klar wird: Chuchotements des femmes: dans les couches, une fois la chandelle éteinte, pendant les nuits de l’alerte, une fois les braises des braseros refroidies... [...] La voix attend dans les entrailles de la mutité, les râles sont avalés, les plaintes transmuées. [...] Temps des asphyxiées du désir, tranchées de la jeunesse où le chœur des spectatrices de la mort vrille par spasmes suraigus jusqu’au ciel noirci... Se maintenir en diseuse dressé, figure de proue de la mémoire. L’héritage va chavirer – vague après vague, nuit après nuit, les murmures reprennent avant même que l’enfant comprenne, avant même qu’il trouve ses mots de lumière, avant de parler à son tour et pour ne point parler seul... ‚Huit des chefs des trois principales fractions‘, écrit le commandant français qui évoque les otages. ‚Quarante-huit prisonniers pour l’île Sainte-Marguerite: hommes, femmes, enfants, parmi eux une femme enceinte‘, rectifient les chuchotements qui se tissent aujourd’hui à l’endroit où la zaouia a brûlé, au milieu des vergers plus rares. [...] Les vergers brûlés par Saint-Arnaud voient enfin leur feu s’éteindre, parce que la vieille aujourd’hui parle et que je m’apprête à transcrire son récit. (L’amour, 250f.)
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Interessanterweise steht das Bild, das die Erzählerin hier evoziert, im krassen Gegensatz zur Kapitelüberschrift: Es ist schrill und laut, von der mündlichen Tradition bleibt nur ein groteskes Zerrbild. Djebar macht damit noch einen weiteren Kontrast auf, nämlich den zwischen der erfolgreichen mündlichen Tradition vergangener Zeiten und ihrem tatsächlichen Zustand zur Zeit während und nach dem ersten Eroberungskrieg in Algerien ab 1830. Die Chronistin selbst ersetzt die mündliche Erzählerin als „Bugfigur der Erinnerung“ („figure de proue de la mémoire“) und versucht durch das Aufschreiben der Erzählungen die Erinnerung zu bewahren, deren Überlieferungskette durch die Kolonialmacht zerstört wurde. Unvermittelt setzt der Bericht des französischen Befehlshabers SaintArnaud ein, der von einem Brandanschlag durch die französische Besatzungsmacht auf eine Zaouia, ein islamisches Kloster, und die dabei gefangengenommenen Menschen handelt. In dem Motiv des Brandes wird der Kausalzusammenhang zwischen der Kolonisierung und dem Untergang der mündlichen Tradition deutlich: Mit den Menschen sterben auch ihre Geschichten (beziehungsweise werden verschleppt).200 Auch verdichten sich physische und epistemologische Gewalt zu ein und derselben. So kann der Brand nach Djebar nur dadurch gelöscht werden, dass eine inzwischen alt gewordene Überlebende hierüber Zeugnis ablegt und die Chronistin den Augenzeugenbericht der Analphabetin niederschreibt. Die Unumkehrbarkeit des Zerstörungsprozesses manifestiert sich in der abschließenden Bemerkung über die Erinnerungskette, die zeigt, dass die Erzählerin über kritischen Abstand zu den eigenen Traditionen und Werten verfügt und ihnen nicht uneingeschränkt positiv und nostalgisch gegenübersteht. Tradition empfindet sie demnach auch als beschwerend und bindend, vor allem für Frauen: Chaîne de souvenirs: n’est-elle pas justement ‚chaîne‘ qui entrave autant qu’elle enracine? Pour chaque passant, la parleuse stationne debout, dissimulée derrière le seuil. Il n’est pas séant de soulever le rideau et de s’exposer au soleil. Toute parole, trop éclairée, devient voix de forfanterie, et l’aphonie résistance inentamée... (L’amour, 252)
Die doppelte Semantik der Kette zeugt von der Verschiebung der Sichtweise durch die französische Kolonialzeit in Bezug auf die Beurteilung von mündlicher Tradition durch nachfolgende Generationen: Wurde in Loin de Médine die Verwurzelung in der Tradition als unhinterfragt und selbstverständlich betrachtet, ja Mündlichkeit sogar als einziges Mittel der weiblichen Partizipation an
200 Vom Brand einer Zaouia sind allerdings nicht nur Menschen und die mündliche Überlieferung betroffen. Genauso verbrennen die Schriftensammlungen.
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Geschichtsschreibung angesehen, treten nun kritische Aspekte in den Vordergrund, die das Verhaftetsein in Traditionen beklagen. Am Ende bleibt nur die Aphonie, das Schweigen, das nach Djebar zum letzten Widerstand gegen die Kolonialmacht wird. Die Neuschreibung von Geschichte als Körpergedächtnis Djebar verfolgt zwei Strategien, um zu der französischen Perspektive der Eroberung Algeriens ein Gegennarrativ zu etablieren. Eine besteht darin, die Quellen des französischen Militärs, die sie für L’amour, la fantasia konsultiert hat, gegen den Strich zu lesen, auf diese Weise unterschwellige Bedeutungszusammenhänge transparent zu machen und eine Umdeutung aus der Perspektive der „subalternen“201 Kolonisierten vorzunehmen.202 In den Postcolonial Studies ist das von Ranajit Guha und Gayatri Chakravorty Spivak entwickelte Projekt der Subaltern Studies mit dieser Methode verbunden. Während Guha durch eine Neuinterpretation britischer Quellen zu einer Umdeutung der Geschichte kommt, bei der aus 201 „Subaltern“ meint eine Kategorie, die Gramsci im Zusammenhang mit seinem Konzept der kulturellen Hegemonie entwickelt hat und die sich auf gesellschaftlich marginalisierte oder ausgegrenzte Gruppen bezieht. Der Begriff wurde vor allem von Postkolonialtheoretikern wie beispielweise Ranajit Guha oder Gayatri Chakravorty Spivak aus dem Umfeld der Subaltern Studies Group aufgenommen und weiterentwickelt. Breitere Bekanntheit erfuhr der Terminus vor allem durch Spivaks Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“ (1988). 202 Quellen und Theorien gegen den Strich zu lesen ist eine historische Methode, die sich auch im Umfeld der Postcolonial Studies durchgesetzt hat und durch Homi Bhabha, Gayatri Spivak oder Stuart Hall bekannt geworden ist. Diese stützen sich auf eine an Jacques Lacan orientierte Psychoanalyse und sprach- beziehungsweise diskursanalytische Verfahren von Michel Foucault und Jacques Derrida, wobei insbesondere Derridas Begriff der Dekonstruktion eine zentrale Rolle spielt. Ziel ist es, durch Nutzbarmachung der „resources of deconstruction ‚in the service of reading‘“ eine „strategy rather than a theory of reading“ zu entwickeln „that might be a critique of imperialism“ (Spivak 1986, 230). Dies bedeutet im Konkreten, Geschichte von unten gegen die Herrschaftsperspektive zu etablieren und so subalterne und marginalisierte Gruppen in den Blick zu nehmen. Die postkoloniale Dekonstruktion richtet sich dabei vorwiegend kritisch gegen den Universalitätsanspruch der europäischen Moderne als Wissenssystem. Es gibt aber auch frühere Vorbilder außerhalb der eigentlichen Postcolonial Studies für die Umdeutung von Quellen, u.a. Du Bois über die afroamerikanische Bevölkerung, in The Souls of Black Folk (1903); Hobsbawm über italienische Banditen, u.a. in Bandits (1969); und Thompson über die englische Arbeiterklasse, in The Making of the English Working Class (1963).
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den Banditen der Kolonialdokumente Widerstandskämpfer werden, stellt Djebar – genau wie Spivak – auch die Frage nach den durch Fremdherrschaft und patriarchale Gesellschaft doppelt marginalisierten Frauen.203 Durch Djebars selektiven Umgang mit den Quellen werden marginale Aspekte hervorgehoben, außerdem werden die Texte gegeneinander ausgespielt, um kritische Gegenstimmen aus dem Lager der Eroberer zu Wort kommen zu lassen.204 Als zweite Strategie setzt Djebar den historischen Dokumenten von zumeist hochrangigen Militärs die Mikro- und Individualgeschichte von subalternen und marginalisierten Frauen entgegen. Einerseits kommen diese durch Interviews und Dialoge zu Wort, andererseits werden ihre Schicksale aus den französischen Quellen herausgelesen und fiktional aufgefüllt. Djebar wendet in diesem Fall also dieselbe Technik der historisch-diskursiven Unterfütterung an wie in Loin de Médine. Im folgenden Beispiel finden sich beide Strategien vereint. Basierend auf einem Bericht von Oberst (später Marschall) Aimable-Jean-Jacques Pélissier über die „Ausräucherungstaktik“ gegenüber der Bevölkerungsgruppe der Ouled Riah, die in Höhlen vor den französischen Truppen Zuflucht gefunden hatte, fügt die Erzählerin ihre eigenen, in der Auseinandersetzung mit der Quelle entstandenen, fiktionalen Assoziationen hinzu: „Il faut partir, l’odeur est trop forte. Le souvenir, comment s’en débarrasser? Les corps exposés au soleil; les voici devenus mots. Les mots voyagent. Mots, entre autres, du rapport trop long de Pélissier“ (L’amour, 109). Der Aspekt, der von der Erzählerin besonders hervorgehoben wird, ist die körperliche Symptomatik von Pélissiers Opfern, im konkreten Fall der Verwesungsgeruch der Leichen, die aus den Höhlen ans Tageslicht gebracht wurden. Durch diese anamnestische Beschreibung des Leichengeruchs schafft Djebar ein sinnaffizierendes Moment, welches die anonymen Opfer in ihrer Körperlichkeit erfahrbar machen will. Den Opfern schafft sie so ein Denkmal auf der Mikroebene ihrer Körper und nicht etwa nur auf der ideologischen Makroebene ihres heldenhaften Widerstandes oder einer ähnlichen großen Erzählung. Elia bewertet die von Djebar beschriebene Szene gar als Sieg des Körpers über Worte, wenn sie schreibt, dass „[o]nce again, bodies, even in death, prove stronger than words“205 . Allerdings ist ihr einziger Zugang zu den so anschaulich erzählten Ereignissen der Text von Djebar, der ausschließlich aus
203 Vgl. zur besonderen weiblichen Situation der „double colonization“, Ashcroft 2007, 166. Außerdem Guha und Scott 1999, 18-76, 333-337; Spivak 1988, 294-308. Zu Djebar in Bezug auf die doppelte Marginalisierung von Frauen siehe vor allem Hayes 2000, 182-214. 204 Vgl. z.B. L’amour 103. 205 Elia 2001, 32.
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Worten besteht. Auch Elia selbst braucht für diese Feststellung Worte. Wenn also bei ihr der Eindruck entsteht, sie hätte es tatsächlich mit Körpern zu tun, ist dies offensichtlich Djebars Wortgewalt zu verdanken. Außerdem zeigt Djebar hier, wie aus Fakten Diskurse werden, die selbst wieder Fakten schaffen. Sie übersetzt diese wiederum durch ihre Interpretation des französischen Berichts in einen faktualen Zusammenhang zurück und „exhumiert“ so die unbekannten Körper (gemäß ihrem eigenen Programm). Die Autorin hat es sich darüberhinaus zur Aufgabe gemacht, auch die Stimmen ans Licht zu bringen, die durch die französische Unterdrückung verschüttet und nicht gehört wurden. Im Abschnitt „Les voix ensevelies“ kommen in den „Voix“Kapiteln vor allem Widerstandskämpferinnen oder Unterstützerinnen zu Wort, oftmals in direkter Rede. Auch hier konzentriert sich die Erzählerin wieder auf anamnestische Beschreibungen, beispielsweise auf das Symptom des Händezitterns einer im Widerstand aktiven Krankenpflegerin, das auf ein Kriegstrauma hindeutet: „Je restai avec lui [dem Arzt – S.K.] et ses malades; j’ai appris à faire des piqûres (or maintenant, je ne peux plus à cause de ma santé: mes mains tremblent)“ (L’amour, 186). Die Hand ist ein sehr häufiges Motiv in L’amour, la fantasia und wird von der Autorin immer wieder angeführt, um an ihr die Narration zu entfalten. Es sind vereinzelte Hände, die entweder tatsächlich vom Körper abgetrennt sind oder durch die Perspektive seziert in den Blick genommen werden. Ganz am Ende der Erzählung wird beschrieben, wie der Roman L’amour, la fantasia dadurch seinen Anfang nimmt, dass der Erzählerin eine Hand entgegengestreckt wird.206 Es handelt sich dabei um eine abgetrennte Frauenhand, die der Maler Eugène Fromentin im Staub findet, aufhebt und wieder wegwirft, ohne sie jemals zu malen: Eugène Fromentin me tend une main inattendue, celle d’une inconnue qu’il n’a jamais pu dessiner. [...] Il évoque alors un détail sinistre: au sortir de l’oasis que le massacre, six mois après, empuantit, Fromentin ramasse, dans la poussière, une main coupée d’Algérienne anonyme. Il la jette ensuite sur son chemin. Plus tard, je me saisis de cette main vivante, main de la mutilation et du souvenir et je tente de lui faire porter le ‚qalam‘. (L’amour, 313)
Anhand dieser verstümmelten Spur einer Frau entwickelt die Erzählerin ihren Erinnerungsdiskurs und „exhumiert“ damit Stimmen von Frauen, von denen nur
206 Siehe zur Darstellung von Händen bei Djebar im Zusammenhang mit dem autobiographischen Schreibprozess Gronemann 2002b, 163.
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noch ein kleiner Teil ihres Körpers geblieben ist. Wie Djebar die Hand in Szene setzt und zum Anfang einer Erzählung macht, kann als paradigmatisch für L’amour, la fantasia und die Schreibweise der Autorin gesehen werden. Dass es sich bei dem Versuch der Repräsentation subalterner und marginalisierter Stimmen um eine problematische Angelegenheit handelt, zeigt nicht nur Spivaks Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“ als Antwort auf das Anliegen der Subaltern Studies Group und die daran anschließende Debatte.207 Auch Djebar selbst hinterfragt ihr Unterfangen immer wieder kritisch und zieht die Möglichkeit, den Ungehörten eine authentische Stimme zu verleihen, an vielen Stellen in Zweifel. Die fiktiven Interviews, die sie mit vom Krieg traumatisierten Frauen führt, schildert Djebar als befreiend und erleichternd für die Frauen, die sich die schrecklichen Ereignisse von der Seele reden. Was jedoch scheitert, ist die Weitervermittlung dieser traumatischen Erlebnisse: Elle parle lentement. Sa voix déleste la mémoire; s’échappe le souvenir à tire-d’aile vers la fillette de cet été 56, l’été de la dévastation... Est-ce que ses mots l’expulsent? [...] Libérant pour moi sa voix, elle se libère à nouveau [...]. Je ne m’avance ni en diseuse, ni en scripteuse. [...E]t j’offre quoi, sinon nœuds d’écorce de la mémoire griffée, je cherche quoi, peut-être la douve où se noient les mots de meurtrissure... (L’amour, 202)
Die Erinnerung wird mit Körpermetaphorik zum Ausdruck und mit dem Adjektiv „zerkratzt“ und dem Substantiv „Wunde“ in Verbindung gebracht. Auf diese Weise vollzieht die Erzählerin vergangene Erlebnisse anhand der gegenwärtigen Anamnese der Interviewpartnerin Chérifa nach. Die tatsächlichen Ereignisse bleiben jedoch unerzählt und müssen von Lesenden selbst aufgefüllt werden.
207 Das Anliegen der Subaltern Studies Group ist es Anfang der 1980er Jahre, wie bereits angedeutet, ein neues Geschichtsnarrativ zu entwickeln, das entgegen der nationalistischen Historiographie den Fokus auf subalterne Gruppen legt und ihnen eine Stimme verleiht, wie vor allem Guha es fordert: „The voice, unheeded for a long time by those who lived within the walled city of institutional politics and academic scholarship, rang out of the depths of a parallel and autonomous domain which was only partially penetrated by the elite nationalism“, Guha und Said 1998, 134. Unter den berühmtesten Mitgliedern und Assoziierten finden sich auch Partha Chatterjee, Dipesh Chakrabarty, Edward Said und Gayatri Chakravorty Spivak, wobei vor allem die letzten drei die Möglichkeit, subalternen und von Politik und Geschichtsschreibung marginalisierten Gruppen und Individuen tatsächlich eine eigene Stimme zu verleihen, wesentlich kritischer sehen als Guha, weil diese nie aus ihrer Position des Vertretenwerdens herauskommen.
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Warum lässt die Erzählerin immer wieder Leerstellen entstehen? Auch dies scheint sich in ihre Auffassung zu fügen, dass es unmöglich ist, von der Geschichtsschreibung Marginalisierte tatsächlich vertreten und eine bruchlose Weitergabe realisieren zu können. Erzählt werden kann nur der Körper der Gegenwart mit seinen Blessuren – die in der Vergangenheit liegenden traumatischen Ereignisse bleiben unzugänglich. Wenn auch das ursprüngliche Ereignis nicht rekonstruiert werden kann, so schreibt die Erzählerin dennoch gegen die kollektive Amnesie an. Wiederum wird die französische Schrift zum verhüllenden, aber nicht schützenden Medium: Chérifa! Je désirais recréer ta course [...]. Ta voix s’est prise au piège: mon parler français la déguise sans l’habiller. A peine si je frôle l’ombre de ton pas! Les mots que j’ai cru te donner s’enveloppent de la même serge de deuil que ceux de Bosquet ou de Saint-Arnaud. En vérité, ils s’écrivent à travers ma main, puisque je consens à cette bâtardise, au seul métissage que la foi ancestrale ne condamne pas: celui de la langue et non celui du sang. Mots torches qui éclairent mes compagnes, mes complices; d’elles, définitivement, ils me séparent. Et sous leur poids, je m’expatrie. (L’amour, 202f.)
Das Ergebnis ihres Versuchs, Marginalisierten eine Stimme zu verleihen, bezeichnet Djebar mit dem negativ konnotierten Substantiv der „bâtardise“. Sie bezieht dies auf ihre Sprache, die Produkt eines Hybridisierungsprozesses ist, bei welchem die in arabischer Muttersprache erzählten Erlebnisse von Frauen in die französische Sprache übersetzt werden. Das mit dem Akt des Verrats assoziierte Schreiben wird außerdem als „métissage“ bezeichnet, mit einem Begriff also, der in den Postcolonial Studies als identitätskonstituierende Schreibstrategie ausgemacht wurde.208 Weniger positiv bewertet Benhaïm diesen Begriff in Djebars Roman: „The woman writer can only speak the women’s revolt and liberation using the foreigner’s language. This acknowledgement makes us hear
208 So etwa Murdoch 1993 in Bezug auf Djebar: „[N]egotiating the cultural codes of métissage is what ultimately lies at the heart of this postcolonial paradigm. Given her position as a bicultural, postcolonial subject, Djebar undoes centuries of overdetermination, while at the same time putting into place a self which draws on the complicitous dialectic of the colonial encounter in order to express the multivalency of its subjective codes” (hier 72). Hierauf nimmt auch Erickson 2008 Bezug, siehe 54; vgl. außerdem exemplarisch zur métissage in der frankophonen maghrebinischen Literatur den Sammelband Repenser le Maghreb et l’Europe: hybridations, métissages, diasporisations (Bensmaïa 2010).
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the cross-breeding, the métissage, in a more dreadful sound – like a ‚mé-tissage‘, or ‚mis-weaving‘“209 . Hier sind einmal mehr die beiden Ebenen angesprochen, die für die Kriegserlebnisse der Frauen und deren Aufarbeitung eine Rolle spielen: die Ebene des Bluts, das heißt der Aspekt der physischen Kolonisierung, und die Ebene der Sprache, das heißt der Aspekt der epistemologischen Eroberung. Mit der ersten Ebene ist das verbunden, was die Frauen tatsächlich erlebt haben, nämlich Vergewaltigung und andere Gewalt durch die französischen Soldaten, die in der eigenen Gemeinschaft ein Tabu darstellen. Der Begriff „Bastard“ bezieht sich vor diesem Hintergrund auf das ungewollte Produkt der Gewalterfahrung. Auf der Ebene der Sprache kann hingegen der Versuch einer Versöhnung unternommen werden, denn auf dieser Ebene wird, so Djebar, eine Vermischung der Kulturen zumindest von der eigenen Gemeinschaft nicht verdammt. Spurensuche am Körper: Narben und Kriegstrauma Auch im Kapitel „Murmures...“ geht es um die traumatischen Erlebnisse von Frauen, ohne dass diese jedoch explizit beschrieben würden. Erzählt werden die körperlichen Symptome und Verhaltensweisen, die auf das Erlittene hindeuten. Im folgenden Beispiel beschreibt die Erzählerin in Sinneseindrücken die Küchenarbeit ihrer Interviewpartnerin Djennet. Es wird schnell klar, dass diese detailliert dargestellten rhythmischen Bewegungen des Körpers eine Strategie der Ablenkung von der Auseinandersetzung mit traumatischen Ereignissen und Angstgefühlen sind. Dass die Erzählerin dabei gerade nicht auf konkrete Inhalte zu sprechen kommt, lässt die Unsagbarkeit des Erlebten und die Angst vor Konsequenzen in den Vordergrund rücken: Djennet se saisit du pilon de cuivre posé devant ses pieds nus, près de ses mules abandonnées: – Occuper mes mains, ô prophète aux yeux doux, ô Lla Khadidja sa bien-aimée! Occuper mes doigts pour desserrer les dents de l’angoisse!... Commencent les bruits réguliers du pilon qui écrase gousses d’ail, puis herbes fraîches. Malgré le rythme lourd, Djennet entend la voix de la réfugiée hagarde [...]. Elle se lève lentement, elle va et vient, mains soudain trop active; elle se rassoit. Elle recale le pilon entre ses pieds nus aux orteils teintés par le henné cramoisi. La soirée se poursuit, la voix de la vieille couchée au fond, corps écrasé sur le matelas de crin et sous un drap blanc [...], la voix de la réfugiée reprend, antienne incohérente ou monologue de magicienne. [...] Djennet continue son travail de percussion: l’ail est écrasé, le coriandre est réduit en poudre, le cumin est devenu poussière, mais Djennet, dans l’odeur des épices et des herbes
209 Benhaïm 2009, 132; Kursivierung im Original.
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embaumant la pièce assombrie, décide de ne cesser qu’avec le délire de la voix de pénombre... (L’amour, 217f.)
Die regelmäßige Monotonie der Küchenarbeit transportiert die Unordnung der unsicheren Kriegszeiten in die Ordnung und Regelmäßigkeit des Rhythmus, das unkontrollierbare Gefühl der Angst in kontrollierte Bewegung. Die Küchenarbeit ist dabei nicht Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck, und hört daher nicht auf, als die Kochvorbereitungen abgeschlossen sind. Sie soll das wirre monologische Stammeln der im Nebenzimmer versteckten Frau übertönen, deren Klage parallel zur Küchenarbeit Djennets rhythmisch konstruiert ist. Auch bei der Skizzierung dieser Frau beschränkt sich die Erzählerin darauf, auf die körperlichen Symptome als Metonymie für das Erlebte einzugehen. Um wen es sich bei ihr handelt, können Lesende nur mutmaßen. Wenige Seiten später wird jedenfalls die Geschichte einer Frau aus der Ich-Perspektive erzählt, die sich daran erinnert, wie ihr Haus von französischen Soldaten überfallen und abgebrannt wurde (vgl. L’amour, 230-232). Als die Frau sich mit ihrer kleinen Tochter in einen nahegelegenen Teich rettet, wird ihr Haar von der herabregnenden Glut in Brand gesteckt, wovon ihr Kopf schwere Narben davonträgt. Nach diesem Vorfall erleidet sie einen Schock und verliert für Monate den Verstand und ihre Erinnerung. Sie beschließt vor oder nach ihrem Wahnsinn, auch dies wird nicht eindeutig gesagt, zu Djennet zu gehen, weshalb der Schluss nahe liegt, dass sie diejenige ist, die sich chronologisch daraufhin, systematisch aber vorher bei ihr versteckt hält. Aus der Perspektive dieser Ich-Erzählerin, die ihre Geschichte ebenfalls vorwiegend anamnestisch anhand der Spuren der Vergangenheit auf ihrem Körper erzählt, erfahren wir auch etwas über die Erlebnisse, die zu ihrem Aufenthalt in Djennets Haus führen. Da die Erzählerin jedoch aus der Retrospektive berichtet, kann sie nicht ihre ursprüngliche Wahrnehmung wiedergeben, sondern nur die bereits von Wahnsinn, Amnesie und Trauma geprägten Erinnerungen schildern. Rita Faulkner beschreibt diesen Prozess des Erinnerns als „[t]races or ruins [...] carried over (as in a metaphor) after the original experience and create a present perspective on the past that is often not a true representation of the past“210 . In Djebars konstruktivistischem Geschichtsverständnis geht es nicht darum, tatsächliche Ereignisse möglichst originalgetreu zu rekonstruieren – was immer eine „wahrhafte Repräsentation“ nach Faulkner wäre. Die Autorin will eine lebendige, das heißt sich im Nachhinein verändernde und entwickelnde, Erinnerung darstellen (und schaffen), die an die Spuren am Körper gebunden
210 Faulkner 2008, 70.
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ist.211 Auch Erinnerungsarbeit ist demnach immer ein kreativer, dynamischer und niemals abgeschlossener Prozess, der proportional zur Narbenbildung des Körpers verläuft. Diese Konzeption impliziert ein Verständnis von Erinnerung, das somatische und psychische Eindrücke in direkter Abhängigkeit voneinander beziehungsweise sogar als ein und dieselbe Sache begreift. Sie unterscheidet sich hierin von anderen Denktraditionen, die Körper und Seele als voneinander getrennt verstehen und in einer festen Hierarchie gegenüberstellen, in welcher etwa der Körper als Gefängnis der Seele oder umgekehrt die Seele als Gefängnis des Körpers fungiert.212 Im letzten „Corps enlacés“-Kapitel unternimmt die Erzählerin einen erneuten Versuch, die Stimme für eine der marginalisierten Frauen zu ergreifen. Sie wechselt hierfür zwischen zwei Absätzen in die Perspektive der zweiten Person Singular und geht auf diese Weise einen Dialog mit ihrer Interviewpartnerin Lla Zohra ein, ohne dass diese jedoch antwortet. Hier findet sich also ein ganz ähnliches Erzählverfahren wie bei Ben Jelloun, nur dass es bei ihm auch die Variante gibt, dass das Publikum antwortet. Bei Djebar wird aus der Du-Perspektive nicht Lla Zohras Geschichte wiedergegeben, sondern die der Umstände, unter denen Lla Zohra sich der Erzählerin anvertraut hatte:
211 Was nicht bedeuten soll, dass die weibliche Erinnerung für Djebar keine tiefere Wahrheit oder Authentizität als die offizielle/männliche Geschichtsschreibung besäße. Djebar verfolgt ja, im Gegensatz etwa zu A. Assmann, die über das kulturelle Gedächtnis schreibt, den Anspruch die Geschichte neu- oder umzuschreiben. 212 A. Assmann beschreibt in Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (1999) die Konstruktionen des Verhältnisses von Seele und Körper in der Geschichte zumeist der Denktradition, die sich auf das Gebiet Europas beschränkt (vgl. 2006, bes. 244-248). Als typischer Querdenker konstruiert beispielsweise Nietzsche Seele und Körper in einem hierarchischen Verhältnis, in welchem die Seele den Part des Gefängnisses übernimmt, entgegen dem klassischen Verständnis vom Körper als Gefängnis der Seele: Narben bewahren demnach als Körpergedächtnis vergangene Erlebnisse. Die Spuren der Vergangenheit sind so in den Körper eingeschrieben und zu einem späteren Zeitpunkt durch das Gedächtnis dekodierbar. Durch den Schmerz, der zum „mächtigsten Hilfsmittel der Mnemotechnik“ wird, verbleiben Erlebnisse damit als statisches Faktum im Gedächtnis ([1887] 1999, 295; vgl. auch Assmann 2006, 245). Siehe zur Herkunft der Idee, die Nietzsches Abgrenzung von der traditionellen Gegenüberstellung von Körper und Seele zugrunde liegt, Assmann 2006, 244-246, bes. Fn 4.
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J’écoute l’écheveau de la généalogie se dévider [...]. Sa voix creuse dans les braises d’hier. [...] J’ai accepté, petite mère, de te conduire jusqu’à ta ferme, en pleine montagne. Après deux heures de marche sur des sentiers épineux, nous avons trouvé le sanctuaire, tu l’appelles ‚le refuge‘, empruntant le mot français à peine déformé: des murs encore debout se dressent dans les décombres. [...] Là, ta voix a poursuivi le récit. [...] Tu t’es assise, le voile rabaissé à la taille, parmi les ajoncs et les herbes de printemps. Ton visage finement ridé mais austère [...]“ (L’amour, 233f.).
Die Erzählerin kommentiert dabei ihre eigene Rolle in dem vom Krieg gezeichneten Überlieferungsprozess: „[...] Dire à mon tour. Transmettre ce qui a été dit, puis écrit. Propos d’il y a plus de un siècle, comme ceux que nous échangeons aujourd’hui, nous, femmes de la même tribu. Tessons de sons qui résonnent dans la halte de l’apaisement...“ (L’amour, 234f.). Djebar skizziert hier die Verdrängung der mündlichen Tradition, die mit der Vernichtung von Körpern und Landschaften einhergeht, indem sie die Trümmer der Zerstörung („des murs encore debout se dressent dans les décombres“) mit „Lautscherben“, das heißt also den Trümmern der Mündlichkeit („Tessons de sons qui résonnent dans la halte de l’apaisement“) gleichsetzt. Djebar lässt die Ruinen des Krieges auf diese Weise auch in der Sprache aufragen und zeigt so einmal mehr die Untrennbarkeit zwischen physischer und epistemologischer Gewalt, Körper und Sprache. Gleichzeitig eröffnet sie in der Metapher der Lautscherbe einen Zugang zur vergangenen Erzählkultur, indem sie die Spuren der Vergangenheit – Ruinen, Relikte, Fragmente und Scherben – mit den Überresten der mündlichen Tradition identifiziert. So wie von den einstigen Bauwerken der Vergangenheit noch ihre Ruinen zeugen, deuten auf die einstige mündliche Tradition noch die nichtsemantischen Artikulationen, die bloßen Laute, hin. Nicht der Text wird hier also in die Tradition der mündlichen Erzählung gestellt, sondern mündliche Sprachüberreste als deren Vermächtnis proklamiert. A. Assmann zieht den Kunsthistoriker Jacob Burckhardt heran für die Unterscheidung zwischen Texten und Spuren, die sie für grundlegend für seine Art der Kulturgeschichte hält. Im Gegensatz zu Texten als bewussten Artikulationen einer Epoche versteht er demnach Spuren als unintendierte und indirekte Informationen, die das unwillkürliche Gedächtnis einer Epoche als stumme Zeugen unverstellt dokumentieren. Ihnen wird somit die höhere Authentizität und Wahrhaftigkeit beigemessen als Texten.213
213 So Assmann 2006, 209. Sie paraphrasiert hier in ihrer Terminologie Burckhardt 1984, 173-184.
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Verwobene Geschichten Interessant ist, wie Djebar es versteht, trotz der teilweise sehr pessimistischen Ausblicke für die mündliche Überlieferung während und nach der Kolonialzeit französische Schrifttradition und algerische Oraltradition zueinander ins Verhältnis zu setzen und eine gemeinsame, verwobene Geschichte aufzuzeigen. In Djebars Umgang mit den unterschiedlichen Quellen, in der Art, wie sie die Wege von Motiven und Geschichten durch algerische und französische Medien zurück verfolgt, lässt sich deutlich die Arbeit der Historikerin erkennen. So geht sie beispielsweise der Geschichte um den Mord an zwei jungen algerischen Prostituierten nach, der sich in einem Haus in der Oase Laghouat abgespielt hat.214 Ein französischer Leutnant, der Augenzeuge des Mordes war, erzählt Eugène Fromentin im Sommer 1853 die Geschichte. Dieser schreibt sie auf, anstatt sie zu malen, wie Djebar bemerkt, „[c]omme si la main de Fromentin avait précédé son pinceau, comme si la transmission s’était coagulée dans les seuls vocables...“ (L’amour, 237). Djebar liest in Fromentins Unterlagen diese Episode um den Mord und lässt ihre Erzählerin die Geschichte, freilich im schriftlichen Medium L’amour, la fantasia, in einem mündlichen, dialektalen Dialog mit Lla Zohra erzählen. Sie zeigt damit die entangled histories215 zwischen Algerien und Frankreich auf und überführt die Geschichte auf der Ebene der Darstellung von der Makroebene der berühmten Persönlichkeiten (Fromentin) zurück auf die Mikroebene der minority histories216 (des Schicksals der
214 Die Analyse dieser Episode wird Gegenstand des Buchteils über Gesellschaft im Abschnitt „Entschleierungspolitik und Vergewaltigungsphantasien“ sein. 215 Entangled history ist wie sein französisches Pendant histoire croisée (Michael Werner und Bénédicte Zimmermann) ein Konzept der transkulturellen Beziehungsgeschichte, das auf Sidney Wilfred Mintz’ Geschichte des Zuckers, Sweetness and Power. The Place of Sugar in Modern History, 1985, zurückgeht. Sein Ansatz zielt darauf ab, entgegen einer „geteilten Geschichte“ Verflechtungen zwischen verschiedenen Regionen in den Vordergrund zu rücken und Austauschbeziehungen und gegenseitige Einflussnahmen zu beleuchten. Diese Transferprozesse funktionieren dabei nicht einseitig von kolonisierenden zu kolonisierten Ländern, sondern auch umgekehrt von den Kolonien in die Metropolen. 216 Minority histories ist ein Konzept von Dipesh Chakrabarty in Abgrenzung zur marxistischen Teleologie in Bezug auf die Untersuchung von subalterner Geschichte. Demnach wird die Betrachtung der Subalternen aus dem großen Kontext des marxistischen Klassenkampfs und des Verhältnisses zur Bourgeoisie gelöst und nicht mehr nur als Teil der Entwicklung zum Kommunismus verstanden, sondern für sich selbst
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Prostituierten) und von der Schriftlichkeit in die Mündlichkeit: „Je traduis la relation dans la langue maternelle et je te la rapporte, moi, ta cousine“ (L’amour, 237). Besonders problematisch in Bezug auf Fragen der Darstellbarkeit und der Stellvertretung sind die „Conciliabules“, die „vertraulichen Gespräche“, in denen das Thema der Vergewaltigung angesprochen wird. Bereits die Fragen der Erzählerin an die interviewten Frauen werden nur andeutungsweise und mit größter Einfühlsamkeit gestellt („Dire le mot secret et arabe de ‚dommage‘, ou tout au moins de ‚blessure‘: – Ma sœur, y a-t-il eu, une fois, pour toi ‚dommage‘?“, L’amour, 282). Ebenso vage fällt die Antwort auf eine solche Frage aus mit einem totum pro parte: „J’ai subi la France“ (L’amour, 282). Der konkrete Vergewaltiger wird zur Nation abstrahiert, die er repräsentiert, um von der schambesetzten persönlichen Dimension abzulenken und die persönliche Schande in einem kollektiv erlittenen Leid aufgehen zu lassen. Bevor die Erzählerin ihre Fragen stellen kann, erläutert sie, wie sie ihren Körper auf die Antworten vorbereitet: Il faudrait, pour l’expliciter, préparer mon corps tel qu’il se présente, assis en tailleur sur des coussins ou à même le carrelage: mes mains ouvertes pour adoucir l’humilité, mes épaules incurvées pour prévenir la défaillance, mes hanches prêtes à recevoir la brisure de l’émotion, mes jambes recroquevillées sous la jupe pour m’empêcher de fuir, hurlant en pleine course, sous les arbres. (L’amour, 282)
Die Frauen immunisieren ihrerseits ihre Körper nach einer erlittenen Vergewaltigung, um die Situation erträglich zu machen. Zuallererst muss die Ordnung wiederhergestellt werden, um sich für die Begegnung mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu wappnen: Les soldats partis, une fois qu’elle s’est lavée, qu’elle a réparé son désordre, qu’elle a renoué sa natte sous le ruban écarlate, tous ces gestes reflétés dans l’eau saumâtre de l’oued, la femme, chaque femme, revient, une heure ou deux heures après, marche pour affronter le monde, pour éviter que le chancre ne s’ouvre davantage dans le cercle tribal. (L’amour, 283)
Angesichts dieser Schicksale stellt sich die Frage umso mehr, wie den Opfern eine Stimme gegeben werden kann und wie sie angemessen repräsentiert werden
betrachtet. Vgl. das Kapitel „Minority Histories, Subaltern Pasts“ in Provincializing Europe, Chakrabarty 2008, 97-113.
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können: „Vingt ans après, puis-je prétendre habiter ces voix d’asphyxie? [...] Quels fantômes réveiller, alors que, dans le désert de l’expression d’amour (amour reçu, ‚amour‘ imposé), me sont renvoyées ma propre aridité et mon aphasie“ (L’amour, 283). Nur wenige Seiten später schließt die Erzählerin an: „Écrire ne tue pas la voix, mais la réveille, surtout pour ressusciter tant de sœurs disparues“ (L’amour, 285). Die großen Zweifel, die Djebar in Bezug auf die Möglichkeit der Stellvertretung der marginalisierten Stimme hegt, werden an diesen einander widersprechenden Stellen in besonderem Maß deutlich. Im zweiten Zitat betont sie noch einmal die Notwendigkeit, die Stimme zu ergreifen, und ihre Überzeugung, dass nur durch das Aufschreiben der Geschehnisse die Stimme der Marginalisierten lebendig gehalten werden kann und es die Aufgabe von Schriftstellern ist, zu erinnern und (das Zeugnis) zu bezeugen.217 Djebar reflektiert aber auch ihre eigenen Möglichkeiten, nach dem Bruch, den die Kolonialzeit für die mündliche Tradition in der Muttersprache bedeutet, noch zu einem authentischen Ausdruck zu gelangen und Erinnerungen an die eigene Kindheit festzuhalten. Sie versteht sich selbst dabei als von Kindheit an von den Auswirkungen des Kolonialismus geprägt: Laminage de ma culture orale en perdition: expulsée à onze, douze ans de ce théâtre des aveux féminins, ai-je par là même été épargnée du silence de la mortification? Écrire les plus anodins des souvenirs d’enfance renvoie donc au corps dépouillé de voix. Tenter l’autobiographie par les seuls mots français, c’est, sous le lent scalpel de l’autopsie à vif, montrer plus que sa peau. Sa chair se desquame, semble-t-il, en lambeaux du parler d’enfance qui ne s’écrit plus. Les blessures s’ouvrent, les veines pleurent, coule le sang de soi et des autres, qui n’a jamais séché. (L’amour, 223f.)
Durch das Erlernen der französischen Sprache im Kindesalter fühlt sich die Erzählerin aus dem Kreis der weiblichen Erzählungen vertrieben, so dass ihr nur das schriftliche Medium bleibt, um später ihre Kindheitserinnerungen aufzuschreiben. Die so aus französischen Worten entstehende Autobiographie wird mit Metaphern aus der Pathologie beschrieben, als Autopsie bei lebendigem
217 Erinnert sei aber gleichzeitig an eine weiter oben zitierte Passage aus dem fast 15 Jahre später entstandenen Ces voix qui m’assiègent, in der es in fast dem gleichen Wortlaut, nur mit entgegengesetzter Bedeutung, heißt: „Écrire, ce serait tuer la voix“ (im Abschnitt „Die Inszenierung mündlicher Erzähltradition im postkolonialen Roman“).
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Leib, die vom Körper mehr zeigt, als nur die nackte Haut.218 Die Sprache der Kindheit wird dabei mit sich vom Körper ablösenden Hautfetzen assoziiert. Wie sich die Kultur der Eroberer dabei regelrecht in ihrem Körper einrichtet und dabei die Muttersprache verdrängt, beschreibt die Erzählerin in folgender Szene: Après plus d’un siècle d’occupation française – qui finit, il y a peu, par un écharnement –, un territoire de langue subsiste entre deux peuples, entre deux mémoires; la langue française, corps et voix, s’installe en moi comme orgueilleux préside, tandis que la langue maternelle, toute en oralité, en hardes dépenaillées, résiste et attaque, entre deux essoufflements. Le rythme du ‚rebato‘ en moi s’éperonnant, je suis à la fois l’assiégé étranger et l’autochtone partant à la mort par bravade, illusoire effervescence du dire et de l’écrit. (L’amour, 299f.)
Auch hier wird die Muttersprache mit Fetzen in Verbindung gebracht. Dass es sich im konkreten Beispiel auch noch um zerlumpte Fetzen handelt, untermauert die desolate Verfassung und den marginalen Status des arabischen Dialekts. Trotz ihrer Marginalität begehrt die Muttersprache in der Erzählerin gegen die Eroberersprache auf. Der Widerstreit von Sprachen und Kulturen löst in ihr ein Gefühl von Schizophrenie aus, sie empfindet sich gleichzeitig als belagerte Fremde – aus der Perspektive der Eroberer – und als Einheimische, die als letzten Widerstand den Tod wählt. Beide Perspektiven ergeben sich durch das Medium der gesprochenen beziehungsweise dasjenige der geschriebenen Sprache. Die Wirkmacht der Sprachen auf den Körper geht aber über das Gefühl der Schizophrenie weit hinaus: Das Französische bewirkt in der Logik der Fetzenmetaphorik einen pathologischen Zustand des Körpers, der als enthäutet und aufgeschnitten bezeichnet wird, und einen pathologischen Zustand des arabischen Dialekts, der als verwahrlost dargestellt wird. Mit Haut und Kleidung werden die zwei wesentlichen identitätsstiftenden Schutzhüllen des Körpers verletzt und seine Integrität nachhaltig beschädigt.219 Am Ende von L’amour, la fantasia klingt in der Metareflexion über das Schreiben auf Französisch mit all seinen hybriden Facetten auch ein Versuch der Versöhnung zwischen den beiden Sprachen und den beiden Kulturen an, die untrennbar miteinander verwoben sind und als deren Produkt die Autorin sich
218 Vgl. hierzu noch ausführlicher den Buchteil über Sprache im Abschnitt „Sprachschleier“. 219 So auch das zentrale Argument des 2. Buchteils über Sprache im Abschnitt „Sprachschleier“.
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selbst versteht. So schließt das „[é]crire la langue adverse“ positiv gewendet auch einen Austausch- und Vermittlungsversuch ein: Sur les plages désertées du présent, amené par tout cessez-le-feu inévitable, mon écrit cherche encore son lieu d’échange et de fontaines, son commerce. Cette langue était autrefois sarcophage des miens; je la porte aujourd’hui comme un messager transporterait le pli fermé ordonnant sa condamnation au silence, ou au cachot. (L’amour, 300)
Die weniger positiv besetzte Metapher des geschlossenen Briefs mit der Verurteilung der Erzählerin zeigt jedoch auch, dass mit einer Versöhnung auch die Angst vor dem Verrat an der eigenen Kultur verbunden ist.
IV. Nostalgische Essentialismen und virtuose Neuschöpfungen
Assia Djebars Umgang mit der mündlichen Tradition unterscheidet sich sehr deutlich von Tahar Ben Jellouns Herangehensweise an dieses Thema und variiert außerdem von Werk zu Werk. Während Ben Jelloun insbesondere performative Aspekte von Erzählen und den Körper als Medium thematisiert, geht es bei Djebar eher um die Frage, ob und wie mündliche Tradition grundsätzlich vonstatten geht wie in Loin de Médine oder während und nach der Kolonisierung durch Frankreich überhaupt gelingen kann wie in L’amour, la fantasia. Vor allem zeigt die Autorin, welche Rolle der Körper als Gedächtnis hierbei spielt. Beide Schriftsteller verbindet das Anliegen, Erzählen nicht als Elitenphänomen und -kultur auszuweisen, sondern als Kunst der einfachen Bevölkerung darzustellen. Auch narrativ setzen beide dieses Programm um, indem sie ihre Erzählungen vorwiegend am Körper entwickeln und nicht (nur) an großen abstrakten Ideen und intellektuellen Gedankenspielen, wie sie beispielsweise in Darstellungen heldenhaften Widerstandes gegen den Kolonialismus und damit implizierten nationalistischen Ideologien vielfach umgesetzt wurden.220 Auch die Auseinandersetzung mit Schriftlichkeit und Mündlichkeit geschieht immer im Zusammenhang mit dem Körper. Allerdings besteht – und dies gilt für beide Autoren – ein eklatanter Unterschied zwischen dem erzählten Gegenstand und der rhetorischen Umsetzung ihrer Erzählungen. Werden komplexe Sachverhalte wie die mündliche Tradition auf der Inhaltsebene am Körper und damit für jeden leicht zugänglich dargestellt, so fällt der eigene Umgang mit Sprache umso komplexer
220 So beispielsweise in dem 1974 in Algier gegründeten Centre National des Études Historiques (C.N.E.H.), in welchem die Geschichtsschreibung des antikolonialen Widerstands in den Dienst des postkolonialen Regimes gestellt wurde. Vgl. hierzu Faath und Mattes 1988, 45-61. Siehe zum C.N.E.H. außerdem Heiler 2005, 56.
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aus. Sowohl Ben Jelloun als auch Djebar stellen dabei wesentlich häufiger mediale Mündlichkeit dar, beschreiben also etwa mündliche Erzähler, und vernachlässigen konzeptuelle Aspekte, das heißt, sie versuchen nicht, ihren Text wie gesprochene Sprache wirken zu lassen. Auch auf der Ebene der dargestellten direkten mündlichen Rede werden Kriterien von Mündlichkeit häufig nur in hoch stilisierter Form berücksichtigt, wie etwa im Lamento der Fatima, und fast nie in alltäglicher, im Sinn einer normativen Grammatik fehlerhaften Weise.221 Mündlichkeit wird also bei beiden zum größten Teil im Modus der französischen Schriftsprache verhandelt, was als Hinweis darauf gesehen werden kann, wie weit die postkoloniale Literatur bei allen Rehabilitierungsversuchen von der mündlichen Tradition entfernt ist. Beide Autoren inszenieren sich als Stimmen des Volkes,222 ohne aber tatsächlich den Anspruch zu verfolgen, von diesem auch gelesen zu werden. Ben Jelloun versteht sich dabei als „écrivain public“,223 als öffentlicher Schreiber, der die Geschichten Anderer niederschreibt, selbst aber nur geringen kreativen Anteil daran hat. Den Medienwechsel von mündlich zu schriftlich durch die Kolonialzeit problematisiert er nicht als Bruch in der mündlichen Tradition, sondern stellt eine immer schon da gewesene Reziprozität aus Schriftlichkeit und Mündlichkeit in den Vordergrund seiner Erzählung. Seine Mündlichkeitsrekurse wirken aufgrund des unproblematischen Umgangs mit der Oraltradition oftmals nostalgisch und sind tendenziell orientalisierend, etwa in Bezug auf die Rhetorik der Geschichtenerzähler, wenn diese in für den Orientalismus typischen Verweisen eine geheimnisvolle Exotik mit Lokalkolorit evozieren. Auf der anderen Seite steht hinter Ben Jellouns narrativem Konzept auch ein Modell, das Erzählen weniger als erlern- und vererbbare Kulturtechnik begreift, sondern vielmehr als performativen, ständig im Geschehen und in Veränderung begriffenen Prozess. Verschiedene narrative Strategien, wie die plastische Dar-
221 Vorbild für den genau entgegengesetzten Umgang mit der Tradition ist zum Beispiel der Autor Driss Chraïbi, der Mündlichkeit vor allem in ihrer konzeptuellen Dimension umsetzt, indem er seine Figuren sich in grammatisch und stilistisch gesprochener Weise artikulieren lässt, ohne dabei Mündlichkeit zum Gegenstand der Erzählung zu erheben. Seine Figuren drücken sich dabei meistens einfach, dialektal und im Sinn einer normativen Grammatik unkorrekt aus, besonders in Une enquête au pays (1982) oder La civilisation, ma mère! (1972). 222 Vgl. hierzu exemplarisch den Abschnitt „Être une voix francophone“ aus Ces voix, 25-29. 223 Vgl. zu Ben Jellouns Selbstverständnis als „écrivain public“ Spiller 2000, 101, 274279; Jamin-Mehl 2003, 218, 270f., 305-324.
IV. N OSTALGISCHE E SSENTIALISMEN UND VIRTUOSE N EUSCHÖPFUNGEN
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stellung von Erzählerkörpern, Dialoge zwischen Zuhörern und Erzählern, Kontrollverluste und Alternieren der Erzähler, formale rhetorische Strukturen des mündlichen Erzählens sowie die Transgression der Ebenen verleihen dem Text einen dynamischen, nichtlinearen, prozesshaften Charakter und sollen beim Lesen den Eindruck einer ḥalqa entstehen lassen. Durch diese Strategien wird in L’enfant de sable insofern der performative Prozess des mündlichen Erzählens inszeniert, als schriftlicher Text jedoch bleibt er durch seine Fixiertheit beliebig oft wiederholbar. Dieser Widerspruch wird in den Konzepten des Erzählers deutlich, der seinen Körper als passives Medium versteht. Wenn auch die Rolle des öffentlich Erzählenden Tradition hat, so doch nicht zwangsläufig der Inhalt sowie die Art und Weise des Erzählens, wodurch sich die Frage nach einem Bruch und nach authentischer Vermittlung gar nicht erst stellt. Besonders interessant in Bezug auf die Frage nach einem Traditionsbruch ist Ben Jellouns Konzeption der unabhängig von Medien existierenden und sich selbst erzählenden Geschichten in der Tradition der Dschinn-Dichtung, weil nach dieser Vorstellung Erzählen nicht an eine von Mensch zu Mensch weitergegebene Erinnerungskette geknüpft ist. Nach diesem Verständnis könnten Geschichten auch einfach eine Generation von Erzählern auslassen und erst die nächste wieder heimsuchen. Insofern kann auch die Kolonialzeit ihnen keinen Schaden zufügen, weil sie weder auf das Gedächtnis der Einzelnen angewiesen, noch überhaupt auf eine bestimmte Kultur oder Epoche beschränkt sind. Mit diesen Konzepten aus der orientalischen Literaturtradition, die er für seine Zwecke modifiziert und dabei im Modus der Andeutung anstatt der genauen Explikation verfährt, diskutiert Ben Jelloun für seine Zeit der postkolonialen Ära aktuelle Fragen nach Authentizität und Wahrheit, nach dem „Essentiellen“ seiner Kultur. Er tut dies, indem er dieselbe Fragestellung aufwirft, für die bereits zur Zeit der Entstehung des Islam nach Antworten gesucht wurde: nämlich die Frage nach Wahrheit und Lüge, Dichtung und Fiktion. Er löst damit das Thema aus dem spezifischen Kontext der Kolonialzeit und stellt es in einen allgemeineren, anthropologischen Zusammenhang. Djebar hingegen ist die Unmöglichkeit der unvermittelten Wieder- und Weitergabe ständig bewusst, bei welcher der Inhalt vom Medium unberührt vermittelt wird. An vielen Stellen in ihrem Werk wird die Frage aufgeworfen, was mit Erinnerung geschieht, wenn das Medium Schaden erleidet und gewechselt wird. Ihr geht es als Historikerin und politisch engagierter Autorin auch um eine authentische Wiedergabe von Erinnerungen an vergangene Ereignisse, die über die reine Fiktion hinaus Gültigkeit besitzt. Sie konstruiert hierfür den individuellen Körper als Gedächtnis, in den sich die kollektive Erinnerung einschreibt. Ihre Intention beschränkt sich dabei nicht darauf, den ungehörten und marginalisier-
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ten Opfern des Kolonialismus oder des Patriarchats durch ihre Texte ein Andenken zu schaffen. Vielmehr möchte sie deren Erinnerungen konservieren und für die Nachwelt zugänglich machen. Daher entwirft sie ihr Programm der anamnestischen Schreibweise, welches das Ziel verfolgt, nicht nur den Körper als Erinnerungsort in der Sprache des schriftlichen Mediums festzuhalten, sondern durch die Sprache selbst die Erinnerung zu bewahren. Die häufige Beschränkung darauf, lediglich körperliche Symptome zu beschreiben ohne eine deduktive Rekonstruktion der mit ihr verbundenen Erinnerung zu verfolgen, zeigt, dass Djebar oftmals von ihrem eigenen poetischen Projekt abweicht. Die Verstümmelungen und Spuren am Körper stehen dann nicht für das Vergangene, sondern enthalten es, so dass das Vergangene unter Umständen gar nicht mehr erzählt werden muss oder kann. Hier findet sich auch wieder der Gedanke, dass Erlebtes und Erzählbares in seiner Essenz am Körper erhalten bleiben kann. Im direkten Vergleich von Loin de Médine und L’amour, la fantasia fällt auf, dass mit den verschiedenen Thematiken auch unterschiedliche Problematiken verbunden sind. So geht es in Loin de Médine um eine Neuschreibung der Geschichte aus weiblicher Perspektive, das heißt, dass die bisher von der Historiographie marginalisierte historische Rolle der Frau Hauptgegenstand der Erzählung ist. Problematisiert wird dabei an vielen Stellen nicht, wie und ob eine mündliche Geschichtsvermittlung überhaupt gelingen kann, sondern wie und ob sie sich gegen männliche Herrschaft und einen von ihr konstruierten männlichen Zugang zur Geschichte durchsetzen kann. Durch die Situierung der Erzählung zur Zeit der Anfänge des Islam wirken Djebars Rekonstruktionen von mündlicher Erzähltradition oftmals ähnlich wie bei Ben Jelloun nostalgisch. Djebar allerdings weist diese dabei deutlich als Konstruktionen aus, die übergeordnete Erzählinstanz in Loin de Médine vermittelt so einen größeren Abstand zum Erzählten als bei Ben Jelloun. Außerdem klingt in Loin de Médine wie auch in L’enfant de sable manchmal ein Essentialismus an, der historische beziehungsweise vergangene Ereignisse als wahre und gewissermaßen objektiv bestehende Entitäten diskutiert. Einen ganz anderen Ansatz hingegen verfolgt Djebar in L’amour, la fantasia. In diesem Roman geht es zwar auch um die Neuschreibung von Geschichte aus herrschaftskritischer Perspektive, allerdings wird Herrschaft in Bezug auf Geschichtsschreibung dabei eher mit der Kolonialmacht identifiziert, die männlich konnotiert ist, als mit dem algerischen Patriarchat. Es reiht sich mit dieser Schreibweise in die Tradition des 1965 zum ersten Mal erschienenen Programms
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Décoloniser l’histoire224 des algerischen Historikers und Unabhängigkeitsaktivisten Mohamed Chérif Sahli ein. Die spezifische Umsetzung bei Djebar findet über eine Körpergeschichte statt, sie gibt damit dem Konzept der minority histories (Dipesh Chakrabarty) den Vorzug vor einer großen Ideengeschichte von Kolonialismus und Widerstand. Konkret bedeutet dies, dass Djebar durch eine anamnestische Schreibweise die Mikrogeschichte225 der algerischen Frauen festhält, die dabei kaum je direkt in einen großen Zusammenhang gestellt wird, sondern für sich selbst steht. In L’amour, la fantasia werden wesentlich kritischere Positionen vertreten in Bezug auf die Möglichkeiten einer weiblichen Partizipation an Geschichte und Geschichtsschreibung, Gesellschaft oder Politik, als in Loin de Médine. Die doppelte Unterdrückung und Marginalisierung der Frauen durch Kolonialmacht und Patriarchat wird so als nahezu unüberwindbar skizziert. Entsprechend skeptisch steht Djebar ihrem eigenen Vorhaben gegenüber, dies in der nachkolonialen Zeit zu ändern. Ihr stehen dabei freilich andere Mittel und Medien zur Verfügung als den Frauen und ihrer mündlichen Tradition, die Djebar repräsentieren möchte. Hierdurch ergibt sich – und dies gilt auch für Ben Jelloun – ein Authentizitätsproblem, welches kontrovers und niemals abschließend diskutiert wird. Auf der anderen Seite sind gerade Djebars und Ben Jellouns Texte Beispiele für eine gelungene und kreative Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen kulturellen Einflüssen, die bei beiden Autoren als Bewegung und nicht als statisches Aufeinandertreffen dargestellt werden. So finden sich komplexe Übersetzungsprozesse auf vielen Ebenen der Texte, zwischen Körper, Mündlichkeit und Schrift oder zwischen Arabisch, sei es klassisch oder dialektal, und Französisch. Die Sprachen und ihre Konzepte werden dabei von beiden Autoren virtuos gemischt, umgebaut und neugeschöpft.
224 Der vollständige Titel von Sahlis ([1965] 1986) historischer Analyse lautet Décoloniser l’histoire. L’Algérie accuse. Le complot contre les peuples africains. 225 Djebar schreibt keine Mikrogeschichte im klassischen Sinn wie etwa Natalie Zemon Davis, sondern thematisiert stärker den Aspekt der Erinnerung.
Einverleibte Kolonialsprache
V. Französisch als Fremdkörper
Zu kaum einem Gegenstand wurde in der Wissenschaft zur maghrebinischen Postkolonialliteratur so viel publiziert wie zur Sprache. Ganze Monographien widmen sich diesem Thema, aber auch Sammelbände, Aufsätze oder Unterkapitel, manchmal neben anderen Fragestellungen.226 Die intensive Beschäftigung mit Sprache rührt auch daher, dass Autoren und andere Intellektuelle aus dem Maghreb seit den Anfängen der frankophonen Literatur ihr Schreiben auf Französisch und andere mögliche Ausdrucksformen kritisch hinterfragen und reflektieren. Am bekanntesten sind neben dem frühen Sprachprogramm der Zeitschrift Souffles ab Mitte der 1960er Jahre, zum Beispiel in Form der Poetik der guérilla
226 Vgl. z.B. Déjeux 1994, passim; Gronemann 2002a, passim; Toumi 2002, passim; Heiler 2005, explizit 16f., sonst passim; Mayer 1997, passim; Jamin-Mehl 2003, passim; Ruhe 2001, passim; Asholt und Djebar 2010, passim; Richter 2008, passim; Spiller 2000, passim; Gehrmann und Gronemann 2006, 103-125; Erickson 2008, 4965. Aufschluss über die Bedeutung der Sprache für die Literatur in der ersten Zeit nach der Unabhängigkeit geben außerdem folgende Podiumsdiskussionen: „Les écrivains algériens débattent des problèmes de la culture. 1. Déplayer le chemin“, in: El-Moudjahid 113 und 114 (2. und 19. Febr. 1962). „Rencontre au Maroc de l’Orient et de l’Occident“, in: Confluent 23-24 (Sept.-Okt. 1962). „Le problème de la langue dans la littérature maghrébine“, in: Confluent 47-49 (Jan., Febr., März 1965). „Haddad, Chraïbi, Memmi et Taos nous disent: Pourquoi ils écrivent en français; par qui ils ont été influencés; quels sont les thèmes de la littérature maghrébine“. Alger Ce-Soir (4. Febr. 1965). Die Debatte wurde noch weiter geführt, wie u.a. folgende Monographien zeigen Jalil Bennani (1985): Du bilinguisme. Paris: Denoel und Abdellah Labdaoui (1993): Les nouveaux intellectuels arabes. Paris: L’Harmattan.
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linguistique227 , Abdelkébir Khatibis Roman Amour bilingue (1983) und Jacques Derridas Sprachreflexion „Le monolinguisme de l’autre“ (1996). Der Begriff guérilla linguistique steht für den grammatischen, lexikalischen und syntaktischen Umbau der französischen Sprache, die auf diese Weise dem angemessenen Ausdruck und den ästhetischen Auffassungen der autochthonen Kultur angepasst wird. Als Teil des Programms der kulturellen Entkolonisierung, das die Autoren der Zeitschrift Souffles verfolgten, prägte Khaïr-Eddine den Begriff der guérilla linguistique. Was er darunter versteht, zeigen seine französischsprachigen Gedichtbände wie zum Beispiel Nausée noire (1964), Ce Maroc! (1975) oder Corps négatif (1968), die mit berberischen Begriffen durchsetzt sind. Mehrsprachigkeit, die Möglichkeiten authentischen Ausdrucks in neuen Medien und Sprachen sowie Genderfragen bestimmen die Auseinandersetzung thematisch. Unter dem Gesichtspunkt der Mehrsprachigkeit wird in erster Linie das Verhältnis von den gesprochenen Sprachen der breiten Bevölkerung (wie dem algerischen oder marokkanischen Dialekt, den Berbersprachen etc.) zu den Elitensprachen des klassischen und Standardarabischen sowie kolonialen Französisch unter die Lupe genommen. Im Zentrum stehen dabei die Hybridisierungsprozesse und -phänomene. Die komplexe Frage, in welcher Sprache man nach der Kolonialzeit wie schreiben könne und solle, stellt sich bis heute. Auf eine umfassende Darstellung muss schon aus diesem Grund verzichtet werden, außerdem sind für den vorliegenden Kontext auch nicht alle Aspekte von Bedeutung. Wesentlich aber sind einige Zusammenhänge, die mit Konzeptualisierung und Verhältnis von Körper und Sprache in Verbindung stehen. Wichtig ist hierbei zu verstehen, welche Bedeutung die jeweilige Sprache und ihre Verwendung für die Autoren hat. Französisch als Literatursprache bedeutet wegen des postkolonialen Kontextes nicht nur, in einer Fremd- oder Zweitsprache zu schreiben. In erster Linie heißt es, sich in einer von der Kolonialmacht gewaltsam durchgesetzten, hegemonialen Sprache auszudrücken; und gleichzeitig auch, mit der eigenen Literaturtradition, ihren Medien, ihren Metaphern und Konzepten zu brechen. Die koloniale Sprachpolitik, durch die der kolonisierten Bevölkerung das Französische als dominante Schrift- und Verwaltungssprache nahegebracht wurde,228 bewirkte nicht nur die Entwertung der
227 Vgl. zu den Transkulturationsprozessen der französischen Sprache Heiler 1990, 4749; Heiler 2005. 143-148; Heiler 1993, 80-91. 228 In diesem Kontext wird häufig von Zwang gesprochen. Dies trifft insbesondere mit Blick auf die Methoden zu, jedoch zeigt das Beispiel der italienischen Kolonialherrschaft in Libyen, dass mit der Möglichkeit, die Sprache der Kolonialmacht zu lernen, auch Privilegien verbunden wurden. In Libyen nämlich war die libysche Be-
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lokalen Muttersprachen, sondern auch die Missachtung und Zerstörung der mit ihr verbundenen Traditionen, kulturellen Praktiken und mündlichen Überlieferungen. Die schriftlosen Literaturformen und ihre Stoffe drohten verloren zu gehen.229 Die französischsprachige Literaturproduktion im Maghreb entstand zu einer spannungsreichen Zeit: Auf der einen Seite setzten die Kolonialmächte auf Akkulturation und Assimilation, auf der anderen Seite wollten nationalistische Kräfte die „eigene Identität“ durch eine Rückkehr zur vorkolonialen Kultur, die als von Europa unbeeinflusste, homogene arabische Zivilisation idealisiert wurde, wiederbeleben und zementieren.230 Es gibt viele Gründe für das Entstehen einer frankophonen Literaturproduktion, von der Erreichung eines größeren Publikums über die absichtliche Abkehr von der eigenen literarischen Tradition bis hin zur Möglichkeit, über säkulare Themen zu schreiben.231 Auch ist das Schreiben im arabischen Dialekt für die wenigsten eine Alternative gewesen, da an keine bestehende schriftliche Literaturtradition angeknüpft werden konnte und sich diese Literatur daher im Akt des Schreibens ganz neu erfinden musste.232 Viel interessanter als die Gründe für die
völkerung über längere Zeit vom italienischen Bildungssystem und der Sprache ausgeschlossen, weil die italienische Herrschaftselite Emporkömmlinge fürchtete, die ihre Ausbildung für den Widerstand einsetzen könnten. Die Verweigerung der italienischen Sprache wird in der italienisch-libyschen Aufarbeitung der Kolonialzeit häufig als Vorwurf formuliert. Vgl. hierzu beispielsweise Mohammed Jerarys (2003) Analyse „The Libyan Cultural Resistance to Italian Colonization. The Consequences of Denying the Values of Others“. 229 Vgl. allgemein zu Sprachen in kolonialen Kontexten das Kapitel „Sprache, Kultur, Gewalt“ in Assmann 2011, 51-58. 230 Vgl. hierzu z.B. Segarra 1997, 15. 231 Vgl. ausführlicher zur Bedeutung der jeweiligen Literatursprache, etwa der arabischen Sprache für die weibliche Partizipation an der Literaturproduktion, für das Schreiben über Tabuthemen oder von Autobiographien, sowie zu den sich neu eröffnenden Möglichkeiten durch eine andere Sprache Gronemann 2002a, 271f.; Gronemann 2006, 107-111, 116-118; Mayer 1997, passim; Richter 2008, bes. 117134. 232 Solche Versuche gibt es allerdings, beispielsweise in Mohamed Choukris zusammen mit Paul Bowles verwirklichten Übersetzungsprojekten. Die erste literarische Textsammlung im marokkanischen Dialekt „Tqarqib Ennab, Khbar Bladna“ („Klatsch, Nachrichten unseres Landes“) ist von Youssouf Amine Elalamy 2006 in Tanger bei Elena Prentice erschienen. Djebar hingegen verfolgt das entgegengesetzte Ziel: „Oui, faire réaffleurer les cultures traditionnelles mises au ban, maltraitées, long-
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frankophone Literaturproduktion sind ihre Folgen, vor allem sich ergebende Sprachspannungen und -dilemmata. Die Begegnung der Kulturen hat mit einer neuen französischen Sprache auch neue Körperkonzepte hervorgebracht. In der Literatur verbinden sich alle möglichen Vorstellungen vom Körper aus Nordafrika und darüber hinaus mit der französischen Sprache, wobei die neuentwickelten und neuentstandenen Konzepte besonders aufmerksam reflektiert werden. Oftmals finden auch poetologische Diskussionen Eingang in die literarischen Texte, die seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts geführt werden über die Frage, in welcher Sprache geschrieben werden soll. So, wie in der mündlichen Tradition die Genealogie des Erzählens in den Erzählungen selbst reflektiert wird, wird im schriftlichen Medium des literarischen Textes auch das Medium Sprache diskutiert und auf diese Weise eine Metaebene eröffnet. Sprache ist so – das gilt vor allem für Djebars Romane – gleichzeitig Medium und Motiv. Bei Tahar Ben Jelloun beschränken sich die Sprachreflexionen eher auf Paratexte, Gedichte oder Kurzgeschichten. Besonders auffällig, anschaulich und aufschlussreich sind Allegorien, Metaphern, Metonymien oder Synekdochen, in denen Sprache als Teil des Körperschemas konstruiert wird.
1. GEFÜHLSAPHASIE Auf Französisch zu schreiben bedeutet, auf die Ausdrucksmöglichkeiten der ersten Sprache, der „Muttersprache“ zu verzichten. Das erste Mal kamen Djebar und Ben Jelloun in der Schule mit dem Französischen in Berührung – dies war der Ausgangspunkt für die anschließende sprachliche und später auch literarische Sozialisation in dieser Sprache. Das Französische ist daher mit Inhalten und Kontexten der Schule verbunden und dem, was dort vermittelt wird. Djebar beschreibt beispielsweise im Kapitel „Être une voix francophone“ in Ces voix qui m’assiègent, dass ihre Sprachen in bestimmte Zuständigkeitssphären aufgeteilt sind und sich allgemein in einen Bereich der Bildung („Schule“) und einen Bereich des Gefühlslebens („Zuhause“) unterteilen lassen: „Je suis, sans nul doute, une femme d’éducation française [...] du temps de l’Algérie colonisée [...] et de sensibilité algérienne, ou arabo-berbère, ou même musulmane [...]“233. Der Unterschied zwischen den beiden Sprachen geht so weit, dass sie jeweils für unterschiedliche Kontexte verwendet werden und daher auch an fundamental
temps méprisées, les inscrire, elles, dans un texte nouveau, dans une graphie qui devient ‚mon‘ français.“ (Ces voix, 29). 233 Ebd., 26.
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verschiedene Register geknüpft sind. Hier spielt das Artikulationsmedium eine Rolle, das ebenfalls kontextabhängig ist. Als Diglossie wird die sprachliche Situation bezeichnet, in der eine Aufteilung in eine mündliche Umgangssprache (im Maghreb Arabisch und Berberisch) und in eine schriftliche Bildungssprache (Französisch beziehungsweise Standardarabisch) vorherrscht. Djebar gibt der Auseinandersetzung mit der besonderen sprachlichen Situation im kolonialen und postkolonialen Algerien in jedem ihrer Texte Raum. Vor allem geht es ihr dabei darum, die besondere affektive Qualität der Muttersprache heraus- und der Fremdsprache gegenüberzustellen, die eher mit Rationalität und Abstraktionsvermögen assoziiert wird. Mit eben jener affektiven Qualität verbindet auch A. Assmann die Muttersprache als erste erlernte Sprache, wenn die Kulturwissenschaftlerin sie als „das Organ unserer primären Welterfahrung und -beheimatung“ 234 bezeichnet. Sinneseindrücke, Empfindungen und Gefühle, Einstellungen, Werte und Normen, die das Kind zusammen mit Sprache lernt und erfährt, sind untrennbar mit dieser ersten Sprache verknüpft. Daher ist sie mit dem Gefühl von Heimat und Geborgenheit verbunden, wie bereits im Begriff „Muttersprache“ zum Ausdruck kommt. Dies bedeutet umgekehrt für später erlernte Sprachen, dass diese mit weniger Affekten und Empfindungen assoziiert sind und sie daher auch weniger gut ausdrücken können. Dies kann einen Mangel darstellen, gleichzeitig aber auch als Möglichkeit begriffen werden. Von Vorteil ist eine gefühlsmäßige Stumpfheit in der Sprache zum Beispiel in Bezug auf negative Gefühle. So lassen sich sehr persönliche Inhalte viel besser auf Französisch verfassen, weil die Scham über das Exponieren beziehungsweise das Exponieren selbst als viel weniger drastisch empfunden wird. Diese Grenzen und Möglichkeiten lotet Djebar in ihrer Literatur aus und kommentiert ihr Vorgehen dabei. Das Französische kommt demnach für die Autorin auch nach Jahren im französischsprachigen, teils selbst gewählten, teils den politischen Umständen im Algerien der 1990er Jahre geschuldeten Exil nie der Muttersprache gleich, wenn es um das Empfinden und Ausdrücken von Gefühlen geht: „J’écris donc, et en français, langue de l’ancien colonisateur, qui est devenue néanmoins et irréversiblement celle de ma pensée, tandis que je continue à aimer, à souffrir, également à prier (quand parfois je prie) en arabe, ma langue maternelle“235. Das Französische bleibt immer die Sprache des rationalen und abstrakten Denkens. Djebar legt sich jedoch hinsichtlich der Bewer-
234 Assmann 1991, 14; das Zitat findet sich in längerer Version auch bei Gronemann 2002a, 280. 235 Djebar 2001, 9.
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tung dieser Tatsache ungern fest. Daher finden sich zahlreiche Widersprüche in ihren Äußerungen zum literarischen Schaffen auf Französisch. Sie konstruiert die Sprache sowohl affirmativ als Medium der unbegrenzten Ausdrucksmöglichkeiten als auch sprachskeptisch als unzureichende, limitierende und gleichzeitig einzige in Betracht kommende Ausdrucksform. In ganz unterschiedlichen Metaphern, Konzepten oder Motiven bringt Djebar ihr Verhältnis zu dieser Sprache in weiten Passagen, manchmal sogar in ganzen Kapiteln ihrer Romane zum Ausdruck. Für die mit dem Französischen verbundene Gefühlsarmut entwirft sie die „aphasie amoureuse“, die „Liebessprachlosigkeit“, deren Wirkung die Autorin ausführlich skizziert.236 Djebar bezeichnet als „aphasie amoureuse“ in L’amour, la fantasia einen Effekt, den die französische Sprache in bestimmten intimen Situationen hat. Gemeint ist damit eine plötzliche Sprachlosigkeit, die immer dann auftritt, wenn es um den Ausdruck von Gefühlen der Liebe und Zuneigung geht. Sie veranschaulicht dies im gleichbetitelten Kapitel anhand einer Anekdote aus der Kindheit der Ich-Erzählerin, die zunächst nichts mit Sprache zu tun hat, sondern mit der Macht von Blicken. Die Ich-Erzählerin berichtet, wie bei einer Zusammenkunft der weiblichen Familienmitglieder auf der Straße unter den älteren Verwandten Panik ausbricht, als ein Mann sich ihnen nähert. Aufgeregt versuchen sie, ihre auf die Schultern herabgerutschten Schleier in Ordnung zu bringen. Doch dann wird Entwarnung gegeben, beim Näherkommen erkennen die Frauen, dass es sich bei dem Mann um einen Franzosen handelt und daher keine Gefahr für ihre „pudeur“ von ihm ausgeht: „La pudeur habituelle n’est plus nécessaire. Le passant, puisqu’il est Français, Européen, chrétien, s’il regarde, a-t-il vraiment un regard?“ (L’amour, 179). Die eigentlich rhetorische Frage, ob ein Franzose überhaupt über den jede Muslimin einschüchternden „regard“ verfüge, wird mit der Begründung verneint, dass sein Blick unwissend sei und nicht „berühren“ könne: „Car il ne sait pas. Son regard, de l’autre coté de la haie, au-delà de l’interdit, ne peut toucher. Aucune stratégie de séduction ne risque de s’exercer; dès lors, pour ces promeneuses d’un entracte furtif, pourquoi se cacher?“ Was er sieht, wird als „Schimäre“ abgetan: „Non, il s’imagine les voir...“ (L’amour, 180). Dadurch, dass der Blick die Frauen nicht treffen, der Mann sie also nicht wirklich sehen kann, sondern dies allenfalls denkt, kann auch keinerlei „stratégie de séduction“ ihre Wirkung entfalten. Die Notwendigkeit sich zu verstecken und zu verschleiern ist damit hinfällig, die Macht des Blicks kann die kulturellen Grenzen nicht überwinden. Die Konstruktion des Anderen, die dadurch zustande
236 Vgl. L’amour, 179-184. Siehe zur „aphasie amoureuse“ beispielsweise auch Richter 2008, 90, 125-133, 162.
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kommt, dass jemand nicht zur Gemeinschaft gezählt wird, weil er ihre geltenden kulturellen Codes nicht versteht, bewirkt so für beide Seiten eine affektive Immunität. Und die hat Tradition: Später beschreibt Djebar, dass bereits im 17. Jahrhundert der „chevalier d’Aranda“ – gemeint ist der Aragonese Emanuel d’Aranda, der die Zeit von 1640-42 als Sklave in Algier verbrachte und nach der Freilassung seine Erinnerungen hierüber festhielt – über die Algerierinnen bemerkte: „‚Les femmes ne sont pas scrupuleuses devant les esclaves chrétiens, car elles disent, qu’ils sont aveugles‘“ (L’amour, 183). Die affektive Immunität zwischen Algeriern und Franzosen beschränkt sich aber nicht auf den Blick, sondern betrifft vor allem auch die Sprache, worauf die Erzählerin eigentlich hinaus will: „Ainsi de la parole française pour moi“ (L’amour, 180). Das Französische hat dabei durchaus einen ambivalenten Status: Auf der einen Seite Sprache der unbegrenzten Möglichkeiten, Sprache der „embrasure pour le spectacle du monde et des richesses“, wird sie auf der anderen Seite zur Sprache der Unmöglichkeit des Gefühlsausdrucks, zum „Stachel“, der sich gegen die Sprecherin richtet: „Voici qu’en certaines circonstances, elle devenait dard pointé su ma personne“ (L’amour, 180). So bleibt jeder Versuch der Annäherung im Gespräch mit einem Fremden auf Französisch („la langue étrangère“) wirkungslos, da die Worte zunächst eine neutrale Zone durchqueren müssen: „Le commentaire, anodin ou respectueux, véhiculé par la langue étrangère, traversait une zone neutralisante de silence...“ (L’amour, 181). Im Gegensatz zum Blick ist bei der Sprache dabei unwichtig, ob der Fremde aus dem eigenen oder einem anderen Kulturkreis stammt, der Fremdheitseffekt geht in diesem Fall von der Sprache aus. Die Unmöglichkeit der Kommunikation betrifft gleichermaßen die Metaebene und lässt die Erzählerin überlegen, wie man seinem Gegenüber klarmachen könne, dass französische Worte aufgrund ihrer Qualität in der geschilderten Situation grundsätzlich nichts von ihren Sprechern zu übermitteln vermögen: „les mots ainsi chargés se désamorçaient d’euxmêmes, ne m’atteignaient pas de par leur nature même, et qu’il ne s’agissait dans ce cas ni de moi, ni de lui ? Verbe englouti, avant toute destination“ (L’amour, 181). Die einzige gemeinsame Sprache, die nach dem Versagen des Verbalen noch zur Kommunikation der Gefühlszustände in Frage kommt, ist die Sprache des Körpers. Durch „Zusammenfahren“, „Erstarren“ oder „Verschließen des Blicks“ wird der Gesprächspartner auf seine Indiskretion hingewiesen und die Unangemessenheit des Annäherungsversuchs zu verstehen gegeben: Qu’un homme se hasardât à qualifier, tout haut et devant moi, mes yeux, mon rire ou mes mains, qu’il me nommât ainsi et que je l’entendisse, apparaissait le risque d’être désar-
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Was von der Erzählerin als besonders aufdringlich und indiskret empfunden wird, ist die Bezugnahme auf ihren Körper. Dass sie sich hierdurch „benannt“ fühlt, scheint im Widerspruch zu der restlichen Konzeption in dem Kapitel zu stehen, die eher darauf abzielt, das Französische als gefühlsstumpf zu beschreiben. Das Gefühl der Indiskretion kommt dadurch zustande, dass die Konvention im Arabischen nach Djebar indirektere und subtilere Komplimente vorsieht und die französische Konvention vor diesem Hintergrund als die aufdringlichere erscheint. Hier wird genau der entgegengesetzte Effekt beschrieben als in der Anekdote über den Blick des Europäers: Die Erzählerin muss sich der Wirkung der Sprache verschließen, die sie als unangemessen empfindet, und dies durch ihre Körpersprache zum Ausdruck bringen. Der verbale Rückzug wird von der Erzählerin mit dem Anlegen eines symbolischen Schleiers in Verbindung gebracht, „une reprise du voile symbolique“ (L’amour, 181), der durch das Gefühl der Unsichtbarkeit vor Zudringlichkeiten schützen soll. Französisch und die Europäisierung des Körpers Die Erinnerung an die Kolonialzeit trägt nicht unwesentlich zur „impossibilité en amour“ bei: „la mémoire de la conquête la renforça“ (L’amour, 183). So beschreibt die Erzählerin, wie die ersten erlernten französischen Worte in der Schule einen Effekt auf das sich gerade entwickelnde Gefühlsleben haben und später die „aphasie amoureuse“ bewirken: Lorsque, enfant, je fréquentai l’école, les mots français commençaient à peine à attaquer ce rempart. J’héritai de cette étanchéité; dès mon adolescence, j’expérimentai une sorte d’aphasie amoureuse: les mots écrits, les mots appris, faisaient retrait devant moi, dès que tentait de s’exprimer le moindre élan de mon cœur. (L’amour, 183)
Die französische Sozialisation bewirkt so auch eine „Europäisierung des Körpers“ und es sind nicht etwa die europäischen Manieren oder Körperpraktiken, sondern es ist explizit die französische Sprache, die diesen Einfluss auf den Körper übt: [J]e parlais, j’étudiais donc le français, et mon corps, durant cette formation, s’occidentalisait à sa manière. Dans les cérémonies familiales les plus ordinaires, j’éprouvais du mal à m’asseoir en tailleur: la posture ne signifiait plus se mêler aux autres femmes pour
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partager leur chaleur, tout au plus s’accroupir, d’ailleurs mal commodément. (L’amour, 181).
Die Erzählerin berichtet von alltäglichen Familienversammlungen, bei denen es ihr von Mal zu Mal schwerer fällt, im Schneidersitz bei den anderen Frauen zu sitzen. Geselligkeit, Herzlichkeit und Wärme der Frauen treten allmählich in den Hintergrund, weil das Bewusstsein über die unbequeme Haltung immer dominanter wird. Hier ist ein zentraler Zustand angesprochen, in welchem sich die autobiographischen Erzählerinnen bei Djebar grundsätzlich befinden. Sie sind hin- und hergerissen zwischen den beiden Kulturen ihres Landes und spüren die Zerrissenheit vor allem am Körper. Die französische Kultur dringt in der vorliegenden Schilderung über die Sprache in den Körper ein und verändert ihn. Djebar stellt in ihrer gesamten Beschäftigung mit Sprache fast nie dar, dass eine Protagonistin an der Sprache selbst, ihrer Grammatik, einem bestimmten Register oder ihrer phonetisch und semantisch richtigen Verwendung scheitert.237 Immer sind es körperliche Auswirkungen und Phänomene der Sprache, welche von den Erzählerinnen wahrgenommen und als Problem empfunden werden. Gleichzeitig bedeutet die französische Sprache jedoch auch eine Befreiung für den Körper, wie es in einem anderen Kapitel, in „L’école coranique“, dargestellt wird: „À l’âge où le corps aurait dû se voiler, grâce à l’école française, je peux davantage circuler [...]“ (L’amour, 253). Die pubertierende Ich-Erzählerin muss sich beispielsweise nicht verschleiern, wenn sie den öffentlichen Raum betritt, weil sie zur Schule geht. „– Elle lit!“ (L’amour, 254), lautet die Verteidigung der Mutter auf die Frage einer Nachbarin nach dem Schleier. Wie bereits im Abschnitt „Vom Körper bewahrte Geschichten“ im Zusammenhang mit dem Befehl „Iqra’!“ („Lies!“) des Erzengels Gabriel an Mohammed angedeutet, wirkt die lapidare Antwort „elle lit!“ auf die Ich-Erzählerin wie eine Offenbarung für den Körper: „‚Elle lit‘, autant dire que l’écriture à lire [...] est toujours source de révélation: de la mobilité du corps [...]“ (L’amour, 254). Sprachdilemma Das Gefühl der Zerrissenheit ist in einem Motiv im Kapitel „L’aphasie amoureuse“ besonders anschaulich dargestellt, in welchem das „Kollektiv der Frauen“ und die westlich geprägte Protagonistin polarisiert werden. Die traditionellen
237 Womit sich aber andere Autoren beschäftigen, zum Beispiel Chraïbi in seinen Romanen, die fast immer das Scheitern an der französischen Sprache vorführen, vgl. auch Fn. 221.
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Youyou-Rufe, die zu jedem Fest gehören, bringt die Protagonistin nicht mehr über die Lippen: Fêtes nocturnes sur les terrasses [...]. Elles rythmaient la rencontre par leurs clameurs vrillées qui s’élançaient en gerbes. Ce cri ancestral de déchirement – que la glotte fait vibrer de spasmes allègres – ne sortait du fond de ma gorge que peu harmonieusement. Au lieu du fuser hors de moi, il me déchirait. (Nulle part, 182)
Die Ich-Erzählerin verliert mit fortschreitendem Alter und französischer Sozialisation die Verbindung zu diesem „Ahninnen-Schrei“ – und damit auch zu den Vorfahrinnen. Der Schrei, der ein wiederkehrendes Motiv in Djebars Texten darstellt,238 zerreißt die Erzählerin innerlich, weil er in ihrem Körper stecken bleibt. Die Aphasie beschränkt sich demnach nicht allein auf den Ausdruck von Liebe in der französischen Sprache, sondern kann auch jegliche andere Artikulationsform von anderen Gefühlen betreffen, beispielsweise Freude beim YouyouRuf. Als stimmlich artikulierte Äußerung steht der Schrei genau auf der Grenze zwischen einer rein körperlichen und einer sprachlichen Ausdrucksweise. Er wird einerseits mittels der Stimme artikuliert und verfügt wie Sprache über eine kontextabhängige Semantik; mit ihm werden Freude, Trauer, Protest ausgedrückt. Außerdem bedarf es einer ganz spezifischen Artikulation, die den Youyou von anderen Lauten unterscheidet. Bei den Youyous handelt es sich nicht um beliebige Schreie oder Rufe, sondern solche, die durch eine bestimmte Technik zustande kommen und bestimmte alternierende Tonhöhen und –längen haben müssen. Andererseits stellt der Youyou aber im Gegensatz zu sprachlichen Artikulationen selbst kein arbiträres, abstraktes Zeichen dar. Wenn er im Halse stecken bleibt, bedeutet dies also die Unfähigkeit zu einer mit Weiblichkeit assoziierten Ausdrucksform. Der Schrei als Phänomen zwischen rein körperlichem und sprachlichem Ausdruck ist besonders geeignet, den Zustand der Erzählerin zu versinnbildlichen, die sich zwischen verschiedenen Sprachen und Körperpraktiken nach einer einzigen authentischen Ausdrucksform sehnt und stattdessen zu keinem intuitiven Ausdruck mehr fähig ist. Außerdem handelt es sich bei den Youyous um eine althergebrachte Tradition, von der sich die Erzählerin auf der Ebene des Körpers durch dessen französische Sozialisation immer mehr verabschiedet:
238 Siehe zum Schrei als Symbol des mündlichen Ausdrucksmodus und als Ausdrucksmedium von Schmerzen und Qualen für den weiblichen Körper Richter 2008, 163165.
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De l’agglutinement de ces formes tassées, mon corps de jeune fille, imperceptiblement, se sépare. A la danse des convulsions collectives, il participe encore, mais dès le lendemain, il connaît la joie plus pure de s’élancer au milieu d’un stade ensoleillé, dans des compétitions d’athlétisme ou de basket-ball. Ce corps n’est cependant pas encore armé pour affronter les mots des autres. (L’amour, 182)
Die Spannungen und Widersprüche, die sich aus der Sozialisation in zwei Kulturen ergeben, werden hier deutlich. Die kulturelle Entfremdung des Körpers aus dem als Kollektiv gedachten Kreis der algerischen Frauen („agglutinement de ces formes tassées“) wird durch die Betätigung in europäischen Sportarten eher als Befreiung empfunden, während der sprachliche Integrationsprozess in das Französische im Gegensatz dazu als Verlust und Limitierung wahrgenommen wird. Der zu großen körperlichen Nähe der Frauen untereinander steht also die zu geringe körperliche Affizierung durch die französische Sprache gegenüber, ohne dass eine Vermittlung zwischen den beiden körperlichen Zuständen möglich wäre. Der einzige Ausweg aus der Aphasie bietet sich in der vollständigen Verweigerung der Sprache, zumindest gilt dies für die Fälle, in welchen die Unmöglichkeit des Gefühlsausdrucks das persönliche Gespräch mit einem Franzosen beherrscht. Die Erzählerin konstruiert ihr potentielles Gegenüber dabei als „le sexe doublement opposé“ (L’amour, 182) und meint damit den Anderen im Sinn des Geschlechts („sexe opposé“) sowie im Sinn der Kultur beziehungsweise des „Stammes“, wie durch den archaisierenden Begriff „clan opposé“ nahegelegt wird. Djebar umschreibt diesen Ausweg mit dem Oxymoron des beredten Schweigens: „Seule éloquence possible [...]: le silence [...], parce qu’ainsi seulement il se déclare. Entre l’homme et moi, un refus de langue se coagulait“ (L’amour, 182). Nur in der Sprachlosigkeit wird die Nähe zwischen einer Algerierin und einem Franzosen somit möglich und die kulturelle Differenz überwindbar. Im Umgang mit Männern der eigenen Herkunftssprache („de ma langue d’origine“, L’amour, 183) hingegen birgt gerade die Aphasie verschiedene Möglichkeiten der intimen Interaktion. So kann von männlicher Seite ein Annäherungsversuch gewagt werden, wenn er auf Französisch erfolgt, eben weil das Französische nicht so affektbehaftet ist. In Djebars Verständnis ist es der Mann, der sich auf diese Art verschleiert („C’était lui, [...] qui se voilait“, L’amour, 184).239 Um auf die Annäherung einzugehen und die Distanz zu verringern, so beschreibt die Erzählerin, greift sie auf die gemeinsame Mutterspra-
239 Siehe zum Konzept der sprachlichen Verschleierung den Abschnitt „Sprachschleier“.
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che zurück und verzichtet so auf das von der Konvention geforderte Einverständnis signalisierende Mienenspiel: Si je désirais soudain [...] diminuer la distance entre l’homme et moi, il ne m’était pas nécessaire de montrer, par quelque mimique, mon affabilité. Il suffisait d’opérer le passage à la langue maternelle: revenir [...] au son de l’enfance, c’était envisager que [...], pourquoi pas, [...] l’amour pouvait surgir entre nous comme risque mutuel de connaissance. (L’amour, 184)
Konzeptuell wird die Muttersprache also in die Nähe der Körpersprache gerückt. Im letzten Absatz des Kapitels werden Muttersprache und die Personen, die sie teilen, ausdrücklich mit Heimat, Herkunft und Zugehörigkeit in Zusammenhang gebracht: S’agit-il d’ami ou d’amoureux issu de ma terre, expulsé d’une enfance identique, langé des mêmes bruits originels, oint par la même chaleur des aïeules, écorché à l’identique arête de la frustration des cousins, des voisins, des ennemis intimes, plongé encore dans le même jardin des interdits, dans le même enfouissement de la léthargie, oui s’agit-il pour moi de frères ou de frères-amants, je peux enfin parler, partager des litotes, entrecroiser des allusions de tons et d’accents, laisser les courbures, les chuintements de la prononciation présager des étreintes... Enfin la voix renvoie à la voix et le corps peut s’approcher du corps. (L’amour, 184)
Diese fast nostalgische Affirmation des Eigenen, der Heimat und der Herkunft, die als immer unerreichbarer dargestellt werden, widerspricht Djebars Anspruch, das Denken in Dichotomien aufzulösen, die ja auch den traditionellen Orientalismus ausmachen. So hält die Autorin selbst an den binären Oppositionen fest, am deutlichsten in ihren Konstruktionen des Eigenen und des Anderen sowie des Weiblichen und des Männlichen. „Der Franzose“ wird bei Djebar zum doppelt Anderen, weil er einem anderen Geschlecht und einer anderen Kultur angehört. Sie bestätigt damit aber gerade ihre Position als selbst doppelt marginalisiert, Frau und Algerierin, statt einer polaren Konstruktion entgegen zu wirken. Die hier angedeutete Problemlosigkeit im Umgang mit der Muttersprache innerhalb der algerischen Gemeinschaft erscheint zudem als Widerspruch zu der sonst so kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Gesellschaft. Die Idealisierung der Muttersprache, so scheint es, kann nur vor der Folie der Polemik gegen das Französische erfolgen.
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2. HERVORBRINGUNG DES KÖRPERS AUS DEM NAMEN Einen ganz anderen Aspekt der französischen Sprache stellt Djebar in „Mon père écrit à ma mère“ heraus, ebenfalls ein Kapitel aus L’amour, la fantasia. Hier wird das Französische vor allem als subversiv und als Möglichkeit der Transgression konservativer Werte skizziert. Djebar stellt die sprachlichen Gepflogenheiten dar, die im Dorf der Mutter der Ich-Erzählerin üblich sind. So unterliegt beispielsweise der Name des Ehepartners einem gesellschaftlichen Tabu und wird in Gesprächen außerhalb der Familie vermieden. An seine Stelle tritt das arabische Personalpronomen. Jeder Satz, der mit Prädikat in der dritten Person Singular ohne explizites Subjekt konstruiert wird, bezieht sich daher auf den Partner, wie jedes Mitglied der Gemeinschaft weiß.240 Die Regel der „double omission nominale des conjoints“ (L’amour, 54) ist verbindlich vor allem für alle verheirateten Frauen des Dorfes, welche die „wichtigen Unterhaltungen“ (L’amour, 54) führen. Aber auch Männer vermeiden es, den Namen ihrer Frau direkt vor Dritten zu nennen, sondern wählen umständlichere Bezeichnungsformen wie „die Mutter meiner Kinder“. Was nach Djebars Beschreibungen durch das Namenstabu verhindert werden soll, ist die Evokation der materiellen körperlichen Anwesenheit einer Person durch ihren persönlichen Namen. Der Name steht also nicht einfach in metonymischer Beziehung zur ganzen Person, sondern ruft vor allem ihre körperliche Erscheinung ins Bewusstsein. Als die Mutter der Ich-Erzählerin Französisch lernt, ist sie gezwungen im Gespräch mit französischen Bekannten direkt auf ihren Mann Bezug zu nehmen, da der kulturelle Code ihres Heimatdorfes außerhalb dieses Kontextes unverständlich ist. Die Erzählerin stellt sich vor, welche Überwindung dies ihre Mutter gekostet haben muss, „combien il a dû coûter à sa pudeur de désigner, ainsi directement, mon père“ (L’amour, 55). Sie beschreibt die Veränderungen, die solche Gespräche bei der Mutter bewirken, als sukzessives Öffnen einer „Schleuse“ („une écluse s’ouvrit en elle“, 55). Die Metapher der Schleuse impliziert, dass das Arabische das Schamgefühl reguliert und wie ein Damm die Schamwelle hoch hält. Das Schamgefühl ist also eng an die arabische Sprache gebunden. Der Einfluss der französischen Konzepte bewirkt hingegen, wie eine Schleuse, die Durchlässigkeit des Arabischen – und hat damit auch Folgen für das Schamgefühl und die Höhe der Schamwelle, die beide unmittelbar mit dem Arabischen zusammenhängen. Als die Mutter Jahre später über den Sommer mit ihrer Familie in den Heimatort zurückkehrt, nennt sie den Vornamen ihres Mannes gegenüber gleichaltrigen Verwandten auch auf Ara-
240 Vgl. hierzu bei Djebar beispielsweise auch Erickson 2008, 45f.
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bisch beinahe mit Selbstverständlichkeit und einem Anflug von Überlegenheit. Sie hält sich nur noch als Zugeständnis an die Älteren an das Tabu der direkten Bezugnahme: [M]a mère, bavardant en arabe avec ses sœurs ou ses cousines, évoquait presque naturellement, et même avec une pointe de supériorité, son mari: elle l’appelait, audacieuse nouveauté, par son prénom! Oui, tout de go, abruptement allais-je dire, en tout cas ayant abandonné tout euphémisme et détour verbal. Avec ses tantes ou ses parentes plus âgées, elle revenait au purisme traditionnel, par pure concession cette fois: une telle libération du langage aurait paru, à l’ouïe des vielles dévotes, de l’insolence ou de l’incongruité... (L’amour, 55)
Im Gegensatz zur Diskussion des Französischen in „L’aphasie amoureuse“ steht in diesem Kapitel von L’amour, la fantasia das subversive Potential der französischen Sprache im Vordergrund und die Transgressionen, die hierdurch möglich werden. Djebar kontrastiert den „purisme traditionnel“ mit der „audacieuse nouveauté“ und „libération du langage“, kurz: die „starre Tradition“ mit der „Fortschrittlichkeit“ der Mutter, die sich nur noch pro forma an die Regeln hält, sich aber tatsächlich mittels der französischen Sprache längst von ihnen befreit und eine innere Transgression vollzogen hat. Mit den sprachlichen Fortschritten der Mutter verändert sich auch die Beziehung der Eltern und ihre Wirkung auf Andere: Au fur et à mesure que le discours maternel évoluait, l’évidence m’apparaissait à moi [...]: mes parents, devant le peuple des femmes, formaient un couple, réalité extraordinaire! [...Q]uand ma mère évoquait les menus incidents de notre vie villageoise [...], mon père [...] semblait dresser sa haute silhouette au sein même de ces conciliabules des femmes cloîtrées dans les patios vieillis. (L’amour, 55)
Je besser die Mutter die französische Sprache beherrscht, desto mehr werden sie und ihr Mann von anderen als Paar wahrgenommen. Die körperliche Erscheinung der Eltern wird von Djebar als unmittelbare Wirkung von Sprache illustriert. Wie im vorhergehenden Abschnitt bereits angedeutet, hat die französische Sozialisation in Djebars Konzepten auch eine Europäisierung des Körpers zur Folge. Was die Autorin hier beschreibt, geht aber noch darüber hinaus. Die Verbindung aus arabischem Namen und französischem Konzept hat einen besonderen Effekt: Weil der Name für den Körper steht und daher mit einem Tabu behaftet ist, lässt seine explizite Nennung, die Transgression des Tabus, den Körper in besonders auffälliger Weise vor den Augen der Zuhörer entstehen.
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Der Körper des Vaters materialisiert sich nahezu im Kreis der Frauen („semblait dresser sa haute silhouette“) und ist so dem „anonymat du genre masculin, neutralité réductrice“ (L’amour, 56) enthoben. Die Erscheinung als hybrides Produkt aus beiden Sprachen bricht in die als geschlossen und zeitlos dargestellte Wirklichkeit der Frauen ein. Vor den Augen der Erzählerin wird der Patio zur Bühne, auf der gesellschaftliche Werte verhandelt und neu geprägt werden. Denn die „présence“ des Vaters „dans le cours de ces murmures“ (56) löst „unmerkliche Revolutionen“ (56) aus, wobei sich das Gesicht der Mutter von den Gesichtern der anderen Frauen deutlich abhebt, wenn sie den Namen ihres Mannes ausspricht: „[...] même quand ses interlocutrices souriaient à demi, ou avaient l’air mi-gênées, mi-indulgentes, je pensais qu’une distinction nouvelle éclairait le visage maternel“ (56). Doch birgt das Zusammentreffen der beiden Kulturen auch das Potential für einen handfesten Skandal: „Un jour, survint un prodrome de crise. Le fait, banal dans un autre monde, devenait chez nous pour le moins étrange“ (56). Bei dem Ereignis, das hier ausgeführt wird, handelt es sich um den Namen der Mutter auf einer an sie adressierten Postkarte des Vaters: La révolution était manifeste: mon père, de sa propre écriture, et sur une carte qui allait voyager de ville en ville, qui allait passer sous tant et tant de regards masculins, y compris pour finir celui du facteur de notre village, un facteur musulman de surcroît, mon père donc avait osé écrire le nom de sa femme qu’il avait désignée à la manière occidentale: ‚Madame untel...‘; or, tout autochtone, pauvre ou riche, n’évoquait femme et enfants que par le biais de cette vague périphrase: ‚la maison‘. (L’amour, 57)
Die Transgression der in der Gemeinschaft gültigen Norm besteht sowohl in der Tatsache, dass der Name der Frau auf einer Postkarte genannt wird, als auch in der Art und Weise, wie dies geschieht. Der Vater schreibt die Mutter nämlich „à la manière occidentale“ an, das heißt mit der Anrede „Madame“ gefolgt vom „nom d’état civil“. Die Verwendung eines Familiennamens ist von der französischen Kolonialmacht im Maghreb eingeführt worden und entspricht nicht der arabischen Namensverwendung, die einer anderen Systematik folgt.241 Es handelt sich folglich abermals um ein französisches Konzept, welches die Namensnennung und den damit verbundenen Normbruch ermöglicht. Doch das eigentlich Skandalöse an der Postkarte ist die mit der Namensnennung verbundene Preisgabe von Belangen, die in der arabischen Gemeinschaft als Privatangele-
241 Vgl. hierzu z.B. den Eintrag „Arabische Personennamen“ in Eichler 1995, Teilband 1, 873-875.
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genheit betrachtet werden und daher innerhalb der familiären Sphäre bleiben sollten. Durch das öffentliche Bekenntnis des Mannes zu seiner Frau exponiert er sie: Ihr Name und so auch ihr Körper werden fremden Blicken preisgegeben. Im Zentrum des Skandals stehen dabei besonders männliche muslimische Blicke, für welche der Körper durch das französische Konzept, durch den Namen, sichtbar wird. Die Transgression findet also zwischen den Kulturen und durch ihre Verbindung statt, denn ein preisgegebener Name ist überhaupt nur in dem von Djebar skizzierten Kontext relevant. Richter spricht in diesem Zusammenhang von einer Ausweitung des Blickverbots vom „konkreten Körper der Frau auf den Schrift-Körper“ und vom „‚gestohlenen‘ Blick“242 , der mehrfach in L’amour, la fantasia thematisiert wird. So verbindet die Ich-Erzählerin an anderer Stelle den unrechtmäßigen Blick auf ihren „Schrift-Körper“, das heißt auf Beschreibungen ihres Körpers in einem an sie gerichteten und von einem Fremden gelesenen Brief, mit dem Bösen Blick: Le regard de ce voyeur m’a communiqué un malaise. Cet homme, fasciné par les mots nus de l’autre, qui parlent de mon corps, cet homme me devient un voleur; pire, un ennemi. N’ai-je pas fait preuve d’étourderie, de grave négligence? Une culpabilité me hante: le mauvais œil, est-ce donc cela, l’œil du voyeur?... (L’amour, 90)
Auch hier fällt auf, wie stark die Wahrnehmung des Körpers an Sprache geknüpft ist. Vor allem die Verbindung aus Adjektiven, die im gewöhnlichen Sprachgebrauch den Körper näher bestimmen, mit Substantiven, die sich metareferentiell auf Sprache beziehen, lässt dies deutlich werden. „Worte“, die auf den Körper referieren, werden als „nackt“ beschrieben und nehmen so vor den Blicken eines Fremden selbst die körperlichen Qualitäten an, von denen sie handeln. Der Blick des Fremden auf die vertraulichen Worte fühlt sich für die Erzählerin an wie ein direkter Blick auf ihren nackten Körper. Vor diesem Hintergrund ist vielleicht verständlicher, was die Ich-Erzählerin im Kapitel „L’aphasie amoureuse“ als Zudringlichkeit beschreibt, die sie empfindet, wenn auf Französisch Bezug auf ihren Körper genommen und eine geradezu intime Grenze damit überschritten wird. Für die Eltern der Erzählerin bedeutet die gegenseitige direkte Bezugnahme, sich öffentlich zu ihrer Liebe zu bekennen: „se nommaient réciproquement, autant dire s’aimaient ouvertement“ (L’amour, 58). Dieses öffentliche Liebesbekenntnis wird von der Erzählerin nicht ohne Stolz als erste Emanzipationsbestrebung in der von Traditionen konservierten algerischen Welt präsentiert, die
242 Richter 2008, 138.
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Bewegung in das Leben der „eingeschlossenen“ Frauen bringt: „J’ai été effleurée, fillette aux yeux attentifs, par ces bruissements de femmes reléguées“ (L’amour, 58). Das französische Modell stellt sich hier, anders als in „L’aphasie amoureuse“, als Vorbild dar und als Möglichkeit der Transgression des Wertesystems. In beiden Kapiteln skizziert die Erzählerin die Wirkung der französischen Sprache auf ihr Gefühls- und Liebesleben (oder das ihrer Eltern), die je nach Argumentation negativ als Abstumpfung der Empfindung oder positiv als Befreiung aufscheint.
3. GEBURT DER SPRACHE AUS DEM KÖRPER Auch Ben Jelloun stellt einen direkten Zusammenhang her zwischen Sprache und Körper und setzt den materiellen, körperlichen Aspekt von Sprache als Motiv des Erzählens ein. Die Begegnung mit der Kolonialsprache Französisch nimmt dabei wie bei vielen Autoren postkolonialer Literatur eine zentrale Stellung ein. Ben Jelloun greift für die Auseinandersetzung mit dieser Begegnung unter anderem auf Metaphern von Liebe und Geburt zurück, denen dabei immer auch ein Moment der Fremdheit inhärent ist. Er diskutiert vor diesem Hintergrund Körper und Sprache als Verhältnis, in welchem der Körper 1. durch Schreiben ersetzt, 2. durch Schreiben hervorgebracht oder 3. mit Sprache als Körper der Geliebten gleichgesetzt wird. Sprache allgemein und das Schreiben auf Französisch im Besonderen stellt Ben Jelloun genau wie Djebar als ambivalent dar. Zum einen sieht er im Schreiben eine grundsätzliche Verpflichtung zur témoignage für die „Stimmlosen“, vor allem für die Mutter.243 Zum anderen bedeutet das Französische aber auch Distanz zu den eigenen Wurzeln, die für Ben Jelloun bis zum Verrat reicht.244 Wie anderen Autoren seiner Generation blieb ihm in Bezug auf die literarische Sprache aufgrund der besonderen Sprachsituation im Maghreb eigentlich keine Wahl, wie er in einem Interview erläutert: Chez moi, à Tanger, on parlait l’arabe et à l’école primaire bilingue on parlait et on écrivait en français. J’avais dix ans à l’époque et j’ai donc imaginé que la langue arabe était faite pour parler dans la rue, pour communiquer, et le français pour l’imagination et la création littéraire. Alors, naturellement, j’ai commencé à écrire en français. Pour moi,
243 Vgl. hierzu Jamin-Mehl 2003, 213-26, 257, 271, 305-24; Spiller 2000, 274-279. 244 Vgl. zum sprachlichen Verrat bei Ben Jelloun ebenfalls Jamin-Mehl 2003, 140-144, 223f., 229-231, 305f; Spiller 2000, 240f.
140 | E INVERLEIBTE K OLONIALSPRACHE c’était plus facile. D’autant plus que l’arabe que nous parlions à la maison est très différent de l’arabe classique, celui du Coran, que je maîtrise mal.245
Die ambivalente Beziehung zur Sprache entsteht durch einen Entfremdungsprozess, der mehrere Stufen durchläuft: Entfremdung vom Körper der Mutter, Entfremdung von der Muttersprache, Entfremdung vom Leben durch Schreiben. Den Anfangspunkt markiert die eigene Geburt, wie Ben Jelloun in dem Prosagedicht Sortir du ventre de la mère (1986) beschreibt: Sortir du ventre de la mère... Au commencement la séparation. Sortir du ventre de la mère est le premier des exils. On passe sa vie à vouloir renouer avec le corps de la mère. Et puis on finit par se faire déposer dans le corps froid de la terre. On renonce au désir impossible. La nostalgie s’incline face à l’exil suprême. Entre temps l’écriture remplit de sable les heures vides, les nuits sans sommeil, et sème les coquelicots dans les cimetières. Alors l’exil devient un déplacement, quelque chose d’irréversible. On a beau revenir sur ses pas, aller d’un lieu à l’autre, on reste „séparé“. C’est ce manque qui nous fait écrire des histoires vraies ou fausses, des contes invraisemblables et on continue de croire que les mots se substituent à la vie, on oublie qu’ils sont menteurs et dangereux. C’est pour cela qu’on se couvre avec eux comme on se couvre d’un drap – linceul – d’étoiles. (Sortir du ventre de la mère, 5)
Bereits in Ben Jellouns allgemeinem Sprachbegriff lässt sich das Entfremdungspotential von Sprache erkennen. In der kurzen Gedichtzeile „on continue de croire que les mots se substituent à la vie, on oublie qu’ils sont menteurs et dangereux“ offenbart sich ein Zeichenbegriff, der als paradigmatisch für Ben Jellouns Literatur- und Sprachverständnis gelten kann. Zunächst fällt das ungleiche Verhältnis von „Leben“ und „Worten“ ins Auge. In der Warnung davor, das Leben durch Worte zu ersetzen,246 werden „vie“ und „mots“ in Opposition zueinander gesetzt und ein Bezug von Geschichten auf das Leben angenommen, der einem Wahrheitsanspruch unterliegt.247 Leben wird so als das Echte, Authenti-
245 Chaigneau 1987, 27. November; siehe auch Spiller 2000, 80. 246 Ben Jelloun bringt seine Leser mit der Warnung vor dem Lügenpotential von Worten, die nicht anders als sprachlich erfolgen kann, in eine paradoxe Situation. 247 Die Gegenüberstellung von Leben und Worten nach der Geburt wird in mehreren von Ben Jellouns Werken aufgegriffen, vgl. beispielsweise in L’écrivain public: „Alors j’écris au lieu de vivre. [...] Je devrais un jour m’arrêter d’écrire, cesser ce va-et-vient entre la vie et ses simulacres, aller dans le silence et la solitude un peu
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sche und unabhängig von Sprache, quasi objektiv, Bestehende konstruiert. Worte hingegen sind Zeichen, die es repräsentieren und dabei wahr oder unwahr sein können. Das lyrische Ich warnt davor, das Leben ausschließlich in Worten zu führen, auf Geschichten zu reduzieren und darüber das eigene, „reale“ Leben zu vergessen. Begründet wird die Warnung damit, dass Worte im Gegensatz zum Leben eben nicht „wahr“ seien, sondern „menteurs et dangereux“. Hier zeigt sich bereits ein Widerspruch zwischen Geschichten, die wahr oder falsch sein können, und Worten, die im Gegensatz zum „Leben“ grundsätzlich nicht wahr sind. Einmal mehr beschäftigt Ben Jelloun das Problem der Wahrheit in Literatur und Sprache, wie auch in seinen Rekursen auf die Sure der Dichter in L’enfant de sable, in welcher Dichtung zur Lüge erklärt wird.248 Mit der Hypothese einer vorsprachlichen Wirklichkeit („vie“ in Opposition zu „mots“), die durch ein Wahrheitsverhältnis mit Begriffen verbunden ist, konstruiert Ben Jelloun eine Position realistischer Sprachauffassung, wie sie in der Beschäftigung mit Sprache seit Platon bis ins Mittelalter hinein vertreten wurde. Die Ordnung der Sprache ist demnach an die Ordnung des Seins gebunden, die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken gibt die Welt so wieder, wie sie tatsächlich ist. Erst die kritische Revision des Sprachrealismus durch den Nominalismus im Mittelalter erbrachte, dass Sprache einer eigenen Ordnung folgt.249 Bei Ben Jelloun allerdings verkehrt sich die Vorstellung der Wahrheit von Begriffen ins Gegenteil („menteurs“). Sprache wird demnach als etwas verstanden, das die Ordnung des Seins als Unordnung wiedergibt. Auch das große Problem, mit dem sich die Sprachrealisten konfrontiert sahen, nämlich wie es nach ihrem Verständnis möglich sein soll, etwas Unwahres zu sagen,250 verkehrt sich bei Ben Jelloun: Wie ist es möglich, etwas Wahres zu sagen? Das ontologische Primat, das er dabei vom Leben vor Worten als seinen Zeichen annimmt, entspricht dem scholastischen Zeichenbegriff. Gleichzeitig wird implizit ein Zeichenverständnis angesprochen, nach welchem das Leben in Worten fortgesetzt und so in der Sprache erschaffen wird, auch wenn diese Form der schriftstellerischen Existenz als Trugschluss abgetan wird. Hierin könnte man die in der Philosophie seit dem
plus au bout de moi-même. Comme pour le mal de tête qui s’empare de moi régulièrement depuis que je suis né“ (160). Und weiter: „Encore un mot: à force de remplir la vie et le corps des personnages que tu inventes pour écrire, tu as perdu la chair et la terre de ton corps. Tu vis peut-être dans leur univers, mais tu ne vis pas ta propre vie“ (185). 248 Vgl. den Abschnitt „Im Körper hausende Geschichten“. 249 Vgl. Bertram 2011, 52. 250 Vgl. zur realistischen Sprachauffassung ebd., 20-52.
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Idealismus über den linguistic turn im 20. Jahrhundert bis hin zu radikalkonstruktivistischen und performativen Ansätzen vertretene Auffassung erkennen, dass die Welt – auch in ihrer Materialität – durch sprachliche Praxis konstruiert wird und so auch Fiktionen nicht vom tatsächlichen Leben zu unterscheiden sind. In Ben Jellouns Sprachbegriff kommen explizit die Idee der vorsprachlichen und implizit die der durch Sprache erschaffenen Wirklichkeit zusammen, wobei der Autor die erste Position zu vertreten scheint.251 Vielleicht forciert Ben Jelloun aber auch einen Widerspruch, wenn er davon ausgeht, dass das Leben durch Worte ersetzbar wäre, wenn Worte es nur wahrhaftig repräsentieren könnten („on continue de croire que les mots se substituent à la vie, on oublie qu’ils sont menteurs”). Dahinter steht die Erwartung, dass Worte wesenhafte Qualitäten von dem, was sie repräsentieren, selbst verkörpern. Dass sie es nicht tun, wie die dem Subjekt „mots“ beigefügten Attribute „menteurs“ und „dangereux“ suggerieren, führt zu einer sprachskeptischen Haltung, die die Unmöglichkeit des echten Ausdrucks von als außersprachlich verstandenen Sachverhalten wie beispielsweise Gefühlen in Sprache annimmt. Eine sprachskeptische Position in Bezug auf das Französische ergibt sich auch vor dem postkolonialen Hintergrund und ist in der Konkurrenz der Sprachen zu erkennen, die Ben Jelloun und Djebar konstruieren, beispielsweise im Konzept der bereits diskutierten „aphasie amoureuse“. Die Gedichtzeile ist für eine weniger verkürzte theoretische Verortung natürlich viel zu vage, deutlich geworden sein sollte aber Ben Jellouns ambivalentes Verhältnis zur Sprache und zum Schreiben. Seinem Sprachbegriff ist außerdem die Entfremdung vom Leben durch Worte immanent, die mit dem Exil gleichgesetzt wird. Der Begriff von Fremdheit und Exil spielt also genau wie jener der Ambivalenz bereits auf der Ebene des allgemeinen Sprachverständnisses eine Rolle und nicht erst im Verhältnis der Muttersprache zur Fremdsprache Französisch.252
251 In der jüngeren Sprachphilosophie, beispielsweise im postformalistischen Holismus, wird das Verhältnis zwischen Welt und Sprache nicht als auf die eine oder andere Weise antagonistisch – Sprache referiert auf Welt im Gegensatz zu Welt ist durch Sprache konstruiert – verstanden, sondern der Versuch der Vermittlung und Weiterentwicklung unternommen (so vor allem Merleau-Ponty, Derrida, Davidson, McDowell; vergleiche hierzu die Diskussion in In der Welt der Sprache Bertram 2008, passim). 252 Wobei dies andererseits schwer zu trennen ist, weil Ben Jelloun über sein Sprachverständnis ja auch schon auf Französisch schreibt.
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Ben Jelloun erläutert die Bedeutung, die Schreiben für ihn hat, im Zusammenhang mit dem Körper, genauer mit der Thematik der Geburt. Die mit Entfremdung assoziierte eigene Geburt wird in der Geburt eines Fremdkörpers – des Textes – weitergesponnen. Das Werk als „Geborenes“ Ähnlich wie Djebar konstruiert Ben Jelloun in seinem Gedicht eine Verbindung zwischen dem Schreibprozess und der ursprünglichen, nicht wiederherzustellenden körperlichen Einheit mit der Mutter. Schreiben stellt er als zum Scheitern verurteilte Kompensationshandlung für diese Trennung dar, die sinnlos und destruktiv erscheint. Dies kommt in den Metaphern von „leeren Stunden“ und „schlaflosen Nächten“, die „mit Sand gefüllt“ werden, und vom „Mohn, der auf Friedhöfen ausgesät wird“, zum Ausdruck. Die Trennung bezeichnet er als „le premier des exils“, es folgen demnach noch weitere. In der zweiten Strophe ersetzt Ben Jelloun die Metapher des Exils mit dem Begriff des „déplacement“, mit welchem er die Endgültigkeit der Trennung zum Ausdruck bringt. Außerdem ist mit dem Begriff des „déplacement“ eine Bewegung „d’un lieu à l’autre“ als end- und hoffnungslose Suche nach dem Verlorenen verbunden. Im Verlust liegt der Impetus für das Schreiben, das folglich ebenfalls die Suche zum Gegenstand hat und selbst als endlose Bewegung vollzogen wird. Tatsächlich bildet scheinbar zielloses Umherirren eines der zentralen Motive für einen Großteil von Ben Jellouns Literatur. Er ruft damit ein Mitte der 70er Jahre von Deleuze und Guattari entwickeltes Schreibprogramm auf, welches das Nomadentum zur Schreibmaxime erhebt und dabei verkennt, dass Nomaden sich sehr zielgerichtet fortbewegen.253 Deleuze und Guattari entwarfen das Programm einer „Littérature mineure“ an Kafkas Werken und definierten diese als Literatur einer Minderheit, die sich einer großen Sprache bedient wie die Minderheit der deutschsprachigen Prager Juden, hier vergleichbar mit frankophonen Maghrebinern254 . Kafka beschreibt in einem Brief an Max Brod seine schriftstellerische
253 Gemeint ist Deleuzes und Guattaris Werk Kafka. Pour une littérature mineure (1975). Es ist anzunehmen, dass Ben Jelloun Deleuzes und Guattaris Schriften kannte, da er selbst zu dieser Zeit in Paris lebte und als Journalist für Le Monde schrieb. In einem Artikel für Die Zeit erklärt er, dass Kafka sich im Gegensatz zu Schriftstellern aus ehemaligen Kolonien nicht für seine Literatursprache Deutsch habe rechtfertigen müssen (Ben Jelloun 1989) – auch dies ein Hinweis auf Ben Jellouns Vertrautheit mit dem Werk von Deleuze und Guattari. 254 Im Verhältnis zu Franzosen stellen diese keine zahlenmäßige, sondern eine politische Minderheit dar.
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Situation als Zustand zwischen „der Unmöglichkeit, nicht zu schreiben, der Unmöglichkeit, deutsch zu schreiben und der Unmöglichkeit, anders zu schreiben“255. Dies trifft unter etwas anderen Bedingungen auch auf Ben Jelloun zu, der sich in einer ähnlichen Situation der sprachlichen Unmöglichkeiten befindet und für den das Schreiben auf Französisch ein ebensolches Dilemma darstellt wie für Kafka das Schreiben auf Deutsch. Deleuze und Guattari fassen die Bewegung an den Rändern einer Sprache mit den Begriffen der De- und Reterritorialisierung. Der Versuch, die „Disjonction entre contenu et expression“256 zu überwinden, kann demnach nur im Akt der Reterritorialisierung gelingen. Dies bedeutet, sich das sprachliche Territorium wiederanzueignen, indem man zum „nomade et [...] immigré et [...] tzigane de sa propre langue“257 wird. Schreiben wird hierdurch zum autoreferentiellen Akt der Kompensation, der den Mangel, den er kompensieren will, überhaupt erst schafft – und das Nomadentum zu seinem Erzählprinzip. Ben Jellouns Poetologie nimmt im zitierten Prosagedicht ihren Anfang hingegen, wie gesehen, nicht im Schreiben, sondern in der Geburt, in welcher die Ursache für die Suche und das anschließende Schreiben liegt. Das Nomadentum geht dem Schreiben somit kausal voraus und wird im Geschichtenerzählen fortgesetzt. Für die Frage, wie Worte dem Leben und vor allem auch dem Körper gerecht werden können, entwickelt Djebar das Schreibprogramm der Anamnese. Hierbei geht es darum, eine Sprache französischen Ausdrucks zu erfinden, welche die Erinnerung an das „corps à corps avec la mère“ bewahrt. Die gleiche Frage spricht auch Ben Jelloun an, wenn er konstatiert, dass Geburt und körperliche Trennung von der Mutter durch Worte kompensiert werden. Im Gegensatz zu Djebar scheint er nicht davon auszugehen, dass die Ersetzung gelingen kann, sie stellt vielmehr die einzig denkbare Lebensform dar. Wohl aber unterscheidet Ben Jelloun zwischen Mutter- und Fremdsprache, wobei er Muttersprache als an den Körper der Mutter gebunden versteht. So führt er im Artikel „La langue mère“ in Le monde (vom 17. Januar 1981) aus, dass die Sprache der Mutter für ihn mit ihrem Gesicht, der Stimme, den Gesten, dem Atem assoziiert ist. Umso größere Distanz zur Mutter bedeutet das Schreiben auf Französisch, wie folgende Passage verdeutlicht:
255 Brief an Max Brod, Juni 1921 (vgl. Franz Kafka (1975): Briefe 1902-1924. Frankfurt, 337f.). Siehe auch Deleuze 1975, 29. 256 Ebd., 36. 257 Ebd., 35.
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Mettre un enfant au monde, n’est-ce pas une façon pour elle de prendre la parole? Cet enfant aura avec la langue maternelle un rapport quasi religieux: naturel et pudique. Il évitera la trahison et la transgression. Pour tout désir de vagabondage, pour toute déviance, il ira se ‚perdre‘ ailleurs, dans le territoire d’une autre langue. Ainsi, le conflit restera du côté du non-dit, du côté de l’inconscient.258
Muttersprache wird in Opposition zur Fremdsprache eine fast schon religiöse Bedeutung beigemessen und die Beziehung des Kindes zu ihr als „naturel et pudique“ bezeichnet. Damit rückt Ben Jelloun die Muttersprache in eine Sphäre der Ursprünglichkeit, in der Sprache als heilig, unschuldig und natürlich erscheint. Auch darin ist ein Hinweis auf das realistische Sprachverständnis zu sehen, nach dem Begriffe Gegenstände nicht willkürlich bezeichnen, sondern auf naturnotwendige Weise mit ihnen zusammenhängen. Allerdings entwirft Ben Jelloun im Zusammenhang mit der Muttersprache eine Position realistischer Sprachauffassung, die eine wahrhafte Bezugnahme auf die außersprachliche Wirklichkeit zulässt. Worte der Muttersprache vermögen demnach die Dinge in ihrem Wesen zu erfassen. Durch den Begriff der Natur in diesem Kontext wird ein Bezug zu der in Platons Kratylos-Dialog vertretenen Physei-These hergestellt, nach welcher „jegliches Ding [...] seine von Natur ihm zukommende richtige Benennung [habe]“259 . Genau wie im Kratylos wird die Frage nach dem Ursprung der Sprache aufgeworfen, worauf die Begriffe „religieux“, „naturel“ und „pudique“ deuten. In der Muttersprache kann es keinen Verrat und keine Transgression geben, weil ihre Worte in einem naturgegebenen Verhältnis zu den Dingen stehen. Der reinen Muttersprache entgegengesetzt erscheint die Fremdsprache profan, künstlich und unrein, sie ermöglicht sowohl Verrat als auch Transgression. Das macht sie für Schriftsteller zum idealen Ausdrucksmedium. In der Fremdsprache zu schreiben, bedeutet gleichzeitig Freiheit und Konflikt. Ben Jelloun erkennt dieses Potential des Französischen und erörtert seinen Stellenwert in Interviews, Artikeln und seinen literarischen Texten. Im Gegensatz zu Djebar versucht er gar nicht erst, das Gefälle („zone neutralisante“ bei Djebar; L’amour, 181) zwischen dem, was der „sensibilité algérienne“260 Djebars entspricht, und dem französischsprachigen Ausdruck zu überwinden, sondern die sich bietenden Möglichkeiten der Verfremdung zu nutzen. In einem deutschsprachigen Artikel für Die Zeit zitiert der Autor die Worte seines tunesischen Schriftstellerkollegen Mustafa Tlili, um die
258 Ben Jelloun 1981, 17. Januar; siehe auch Jamin-Mehl 2003, 203. 259 Platon 1981, 383. 260 Ces voix, 26.
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Bedeutung der Distanz zur Fremdsprache zu illustrieren: „‚Ich liebe die außergewöhnliche Schönheit der französischen Sprache, die ich meinen eigenen Ansprüchen unterwerfe. Es gibt eine Distanz zwischen mir und ihr. Diese Kluft, dieser Spielraum ist meine Quelle der Inspiration. [...]‘“261. Distanz bedeutet für Ben Jelloun größere schriftstellerische Freiheit, denn durch sie wird der „Regelverstoß [...] leichter; er findet auf dem Terrain einer anderen Kultur statt“262 . Aber nicht nur Regelverstöße gegen die eigene Kultur, die durch die Fremdsprache möglich werden, stellen ein befreiendes Kriterium dar, sondern auch Unterwerfung und Subversion der anderen Kultur. Hierbei geht es nicht allein um künstlerische Maximen, sondern um eine Wiederaneignung im territorialen Sinne.263 Die geographische Terminologie, durch die sich die Schriftsteller im „Terrain einer anderen Kultur“ (siehe oben), im „territoire d’une autre langue“264 oder in einer „zone“ (Djebars Begriff, vgl. L’amour, 181) verorten, zeigt, dass und wie auch postkoloniale Territorialansprüche auf dem Gebiet der Sprache verhandelt werden. Das sprachliche Exil wird so zum produktiven Schaffensraum. Ben Jelloun geht es aber noch um einen anderen Zusammenhang zwischen Schreiben und Geburt: Nicht nur führt die eigene Geburt, wie gesehen, zum Schreiben, sondern der Schreibprozess wird selbst auch mit Gebären assoziiert. Es entsteht so ein zirkulärer Prozess, der den Vorgang der Geburt im Schreiben wiederholt und perpetuiert. So wie die Mutter durch die Geburt eines Kindes das Wort ergreift („Mettre un enfant au monde, n’est-ce pas une façon pour elle de prendre la parole?“), versteht auch Ben Jelloun seine Werke als Geburten. Dieses Verständnis stimmt mit seinem anthropomorphen Begriff von Geschichten überein, das Gegenstand des vorherigen Kapitels war. Seine Terminologie ist auch in Kommentaren über die Textproduktion am Wortfeld der Geburt orientiert.265 So beginnt der Roman Harrouda (1973), für den eine Prostituierte titelgebend ist, mit einer Ejakulation von Worten: „Sur l’effigie de ce sexe nous éjaculons des mots“ (Harrouda, 13). Die Schöpfung des Textes und die (potentielle) Zeugung neuen Lebens nehmen somit denselben Anfang. Rachida Saigh-Bousta
261 Ben Jelloun 1989, 89. 262 Ebd. 263 Dies belegt unter anderem das folgende Zitat: „In der Sprache des früheren Kolonisators zu schreiben stimuliert und gibt ein Gefühl der Freiheit“ (Ben Jelloun 1989, 89). 264 Ben Jelloun 1981, 17. Januar. 265 Vgl. zu Schreiben und Geburt bei Ben Jelloun Jamin-Mehl 2003, 217, 254-259.
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verdeutlicht diese Verschränkung von Körper und Text, indem sie die Zeugungsmetaphorik aufnimmt und weiterdenkt: „Le sexe et le texte fêtent ainsi leurs noces du délire à travers la prostituée sublime qui offre l’hospitalité de sons corps à l’écriture“266 . Harroudas Körper ist nach dieser Lesart sowohl Gegenstand der Erzählung als auch der Text selbst, der ihren Namen trägt. Dieselbe Gleichsetzung von Körper und Text findet sich in L’enfant de sable. So konstatiert Ahmed: „mon corps était cette page et ce livre“ (L’enfant, 116). Auch in L’écrivain public gibt es Menschen, „qui écrivent [...] pour [...] faire un enfant dans le dos du temps“ (L’écrivain public, 104). Und weiter heißt es: „Ton corps, tu devrais aller le chercher dans une bibliothèque poussiéreuse; tu le trouverais peut-être, froid, coincé entre deux gros volumes d’une quelconque encyclopédie!“ (L’écrivain public, 185). Parallelen lassen sich sowohl zwischen der Entstehung eines Werks und der Erschaffung eines Lebens ziehen, als auch zwischen der zunehmenden Verselbständigung des Textes während des Schreibens, die vonseiten des Erzählers als zunehmender Kontrollverlust wahrgenommen wird, und dem Heranwachsen des Kindes nach der Geburt: „Je suis en train d’écrire un roman et je suis incapable de savoir moi-même où je vais, ni ce que va devenir ce texte, encore moins ce qu’il va donner plus tard“267 . Nach seiner Fertigstellung entfremdet sich das Werk vom Autor und entzieht sich mehr und mehr dessen Zugriff: „A partir du moment où le livre est terminé, qu’il est édité, il devient un produit un peu étranger à celui qui l’a écrit“ (L’écrivain public, 50). Ben Jelloun spricht außerdem vom Verlust der Vaterschaft am Werk nach der Veröffentlichung: „L’auteur dans tout cela est un élément certes responsable, mais qui perd petit à petit, symboliquement, la paternité de son produit“ (50). Hierzu passt auch das im ersten Teil besprochene Konzept in L’enfant de sable, nach welchem Geschichten den Körper bewohnen und aus diesem herausgebracht werden müssen, um Platz zu schaffen. In L’écrivain public geht für den öffentlichen Schreiber das Füllen von Büchern mit einem Entleeren des Körpers einher: „Je remplis des livres en vidant mon corps“ (L’écrivain public, 190) und „à force de remplir la vie et le corps des personnages que tu inventes pour écrire, tu as perdu la chair et la terre de ton corps“ (L’écrivain public, 185). Nach der hier vertretenen Vorstellung ist der Körper nicht einfach nur ein Speichermedium für Geschichten, die nach Belieben kommen und gehen, wie von Ben Jelloun in L’enfant de sable dargestellt. Sie werden aus der Materie des Körpers gebildet.
266 Saigh-Bousta 1989, 68; siehe auch Jamin-Mehl 2003, 254. 267 Ben Jelloun 1978, 50; siehe auch Jamin-Mehl 2003, 217.
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Jamin-Mehl vergleicht die Werkgenese daher mit dem Geburtsvorgang, wobei ihr Argument ist, dass jeweils ein Teil des Selbst „abgestoßen“ wird.268 Wie jedoch bereits die Analyse im Kapitel über Geschichten gezeigt hat, geht es in Ben Jellouns Erzählverständnis nicht um einen Teil des eigenen Körpers, der beim Erzählen abgespalten wird, sondern um einen Fremdkörper, um eine unabhängig vom Körper existierende Geschichte. Die Assoziation der Werkgenese mit dem Geburtsvorgang ist vielmehr dem Autor Ben Jelloun selbst zuzuschreiben, der ganz explizite Vergleiche zwischen beiden anstellt. Er beschreibt darüber hinaus auch, wie Geschichten in den Körper gelangen. Im Gegensatz zur Fortpflanzung ist es nicht der Zeugungsakt, der den Anfang markiert, sondern die Geschichten dringen in den Körper ein. In Harrouda beispielsweise erinnert sich der kindliche Protagonist an einen Hammambesuch, bei dem sein Körper angesichts der Reizüberflutung durch das Zeichengewirr geradezu überläuft: „Mon corps était trop étroit pour contenir l’ensemble des signes qui assiégeaient les lieux“ (Harrouda, 33). Zeichen, Worte oder Stimmen, die den Körper bedrängen und in ihn eindringen wollen, spielen auch bei Djebar eine Rolle, wobei die Autorin denselben Begriff „assiéger“ verwendet (wie zum Beispiel im Titel Ces voix qui m’assiègent). Weitere von Jamin-Mehl genannte Beispiele für die Parallelen von Schreiben und Geburt bei Ben Jelloun finden sich im Prosagedicht Au café und in L’enfant de sable. In Au café ist es ein verrückter Dichter, der sein Werk in einer Ecke gefesselt auf dem Boden liegend gebiert: „Le corps s’ouvre et libère le poème“ (Les amandiers sont morts de leurs blessures, 99)269. In L’enfant de sable trägt die einzige weibliche Erzählerfigur, Fatouma, die Geschichte als Schrei in ihrem Körper, „le torse gonflé, enceinte de ce cri“ (L’enfant, 165). Sie bringt den Schrei durch Pressen hervor: „en poussant de toutes mes forces j’arriverais à l’expulser de mon corps“ (L’enfant, 165). Auch in diesem von Jamin-Mehl herangezogenen Beispiel geht es nicht um einen Teil des eigenen Körpers, der durch die Geburt herausgebracht wird. Ein Blick auf die Umstände der Schwangerschaft führt vor Augen, wie etwas ganz und gar Fremdes im Körper der Erzählerin „abgelegt“ und aus diesem schließlich „ausgetrieben“ wird: J’avais en moi, dans ma poitrine, une chose consignée, déposée par des mains familières, j’avais retenu un cri, long et douloureux, je savais que ce n’était pas le mien; [...] ce cri prisonnier là dans ma cage thoracique était celui d’une femme. Le besoin de le sortir et de l’expulser de mon corps devenait urgent à mesure que la foule où je me trouvais gran-
268 Jamin-Mehl 2003, 256. 269 Siehe Jamin-Mehl 2003, 256.
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dissait. Je savais, toujours par intuition, que cette femme l’avait déposé en moi juste avant de mourir. (L’enfant, 164f.; meine Hervorhebungen)
Ein erster Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Schrei um die Geschichte handelt, die anschließend von der Erzählerin berichtet wird, findet sich darin, dass das Bedürfnis den Schrei herauszubringen proportional zur Menschenmenge und damit zur potentiellen Zuhörerschaft wächst. In diesem Beispiel sind die Terminologie der Geburt und die Konzeption eigenständiger, präexistenter Geschichten vereint. Beim Schrei handelt es sich sowohl bei Ben Jelloun als auch bei Djebar, wie bereits diskutiert,270 um ein immer wiederkehrendes Motiv. Während bei Ben Jelloun jedoch gleich eine ganze Geschichte als Schrei hervorgebracht wird, tritt er in Djebars Konzeption selten als semantisch geordnete Entität in Erscheinung, sondern ganz im Gegenteil als semantisch entleerter oder verstümmelter Laut, der entweder im Körper feststeckt oder unkontrolliert aus ihm herausdrängt. Die Geburtsmetaphorik ist, wie Annemarie Schimmel in Meine Seele ist eine Frau. Das Weibliche im Islam (1995) zeigt, ein alter Topos der islamischen, vor allem mystischen Literaturtradition. Besonders im Mathnawi des sufischen Autors Rûmi271 wird die seelisch-geistige Entwicklung des Menschen durch Schwangerschaft und Geburt symbolisiert. So wird „der Körper [...] durch die Verbindung mit dem Geist schwanger und bringt gute Werke hervor“272 . Schimmel verweist darauf, dass daher im Türkischen ein Gedicht als dogus, „Geborenes“, bezeichnet werden kann, wenn es durch plötzliche Inspiration im Geist des Mystikers erzeugt wird.273 Die Figur der Mutter symbolisiert demnach die geistige und spirituelle Entwicklung des Menschen, der gleich „einer schwangeren Frau, die in sich das Mysterium trägt“274 bei jedem Schritt wächst. Die Mutter als Ausdruck der „für den mediterranen Kulturraum typischen Mutterbindung“ zu werten, wie Spiller unterstellt,275 geht an diesem Deutungsreichtum vorbei. Der Vergleich zwischen Schwangerschaft und Geburt und der Herstellung von etwas Wertvollem findet sich außerdem in der Alchemie. So führt bei-
270 Vgl. zum Schrei, der nicht hervorgebracht werden kann, den Abschnitt „Gefühlsaphasie“. 271 Schreibweisen nach Djebars Transkription. 272 Schimmel 1995, 96. 273 Vgl. ebd., 96. 274 Ebd., 94. 275 Vgl. Spiller 2000, 74.
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spielsweise ein alchemistisches Traktat diesen Vergleich auf, das Maria der Koptin (Māriya al-Qibṭiyya) zugeschrieben wird, der christlichen Sklavin und Konkubine Mohammeds. In der Risālat at-Tāǧ wa-ḫilqat al-maulūd (The Letter of the Crown and the Nature of Creation) wird die Transmutation von unedlen Metallen zu Gold als Geburt eines Königs gedeutet, der nur geboren wird, wenn unter den richtigen Umständen ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Komponenten hergestellt werden kann.276 Französisch als Geliebte Vor dem Hintergrund der Geburtsmetaphorik lässt sich auch die Metapher der Geliebten für die französische Sprache verstehen, aus deren Verbindung mit dem – meistens männlichen – Autor das Werk entsteht. Sprache als Geliebte darzustellen ist ebenfalls ein in der postkolonialen maghrebinischen Literatur verbreiteter Topos. Am bekanntesten ist vielleicht Khatibis Auseinandersetzung mit der Begegnung zwischen dem Arabischen und dem Französischen in seinem Roman Amour bilingue (1983), in welchem er die beiden Sprachen als Protagonisten inszeniert. Im Vorwort zu La mémoire tatouée (1971) hebt Khatibi die Ambivalenz hervor, die das Schreiben auf Französisch mit sich bringt: „Langue que j’aime – je le répète – comme une belle et maléfique étrangère“277 . Das Französische ist zugleich verführerisch und unheilvoll und in jedem Fall eine Fremde. Die Verführungsmetaphorik in Bezug auf die französische Sprache gehörte besonders im Umfeld der Zeitschrift Souffles zum Diskurs über Literatursprache. In der ersten Zeit nach der Unabhängigkeit stand in den 1960er Jahren dabei noch das kämpferische und gewaltvolle Moment im Vordergrund, wie der Nachruf Ben Jellouns auf seinen Radaktions- und Schriftstellerkollegen Mohammed Khaïr-Eddine zeigt: „Mohammed Khaïr-Eddine s’était très tôt emparé de la langue française avec une passion violente, l’aimant d’un amour féroce, sans concession, sans prudence“ („Khaïr-Eddine ou la fureur de dire. Hommage à l’occasion de la mort de Khaïr-Eddine“, 2). In den Literaturdebatten dieser Zeit wurde die „Vergewaltigung der französischen Sprache, [...] syntaktische Verrenkungen, Wildwuchs des Vokabulars, wollüstiges Schwelgen in Obszönitäten,
276 Vgl. Holmyard 1927, passim. Kugle führt in seiner Untersuchung hagiographischer Schriften über wunderwirkende Heilige auch einen Fall an, in welchem der Heilige in seinen Unterweisungen metallische Metaphern für die Seele verwendet. Für dessen Schüler bedeuten die Lektionen ein „alchemistische Elixier“, das durch eine einzige Berührung das Grundmetall ihrer Seelen in pures Gold verwandeln kann, vgl. 2007, 113. 277 Khatibi 1971, 13.
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der aggressiv-konvulsivische Umgang mit dem Französischen“278 als Mittel der Revolte gegen die französische Herrschaftskultur verstanden, wie Regina KeilSagawe schreibt. In den späteren Jahren überwiegt der Aspekt der Liebe zur französischen Sprache, dennoch bleibt die Beziehung zu ihr nicht ohne Konflikte. Ben Jelloun, der sich in dieser Hinsicht als polygamer Schriftsteller versteht, beschreibt das Konfliktpotential seiner Liebe: „Écrire est un bonheur, c’est aussi une douleur dans n’importe quelle langue pourvu qu’on puisse écrire. J’ai souvent dit que j’entretiens avec la langue française un rapport amoureux donc conflictuel. J’ai écrit un texte où je fais l’éloge de la polygamie linguistique“279 . Das Arabische nimmt in dieser polygamen Konstruktion die Rolle des Unterschwelligen und Unkontrollierbaren ein, das das Schreiben auf Französisch stört: „Mais je sens que quelque chose que je ne contrôle pas traverse mes poèmes et qui serait une inspiration et un souffle enracinés dans la culture arabe“280 . In der Kurzgeschichte Le polygame aus dem Band Le Premier amour est toujours le dernier (1995) führt Ben Jelloun in der Manier Khatibis genauer aus, welchen Part welche Sprache in der Dreiecksbeziehung einnimmt: Ma première femme, c’est ma mère qui me l’a donnée. J’étais encore enfant quand j’ai épousé la fille de ma mère. Je trouvais sa beauté naturelle, évidente, mais difficile à cerner. [...] Ma seconde femme, je l’ai trouvée tout seul, ou presque. Elle m’était offerte, mais il fallait la séduire, jouer et intriguer avec elle pour la mériter et la garder. [...] Arrivé à la quarantaine, je fais bon ménage avec l’une et l’autre. Mes deux femmes ne se comprennent pas. Il y a un problème de communication. Elles sont obligées de passer par moi pour se parler ou même se disputer. J’ai une préférence pour la seconde, parce qu’elle est étrangère à la tribu, et on m’a appris à être courtois et hospitalier avec les étrangers, particulièrement avec les étrangères. Ma courtoisie n’est qu’une apparence. En fait, je suis violent. J’aime faire plier cette étrangère. Mais je dois avouer que, souvent, c’est elle qui prend le dessus. Elle me domine et je me laisse faire. Je sais: toute résistance est inutile. La preuve: c’est elle qui parle pour moi et dit les mots et la terre natale. [...] Amoureux, polygame et fidèle! cela l’énerve. Il m’arrive de quitter la grande maison. Je profite du sommeil de la première pour emmener l’étrangère se promener dans les ruelles de la médina. Elle ne porte ni djellaba ni voile sur le visage. Elle marche en me donnant le bras; elle est nue. [...]
278 Keil 1989, XXV. 279 Ben Jelloun 1984, 251. 280 Ebd., 250.
152 | E INVERLEIBTE K OLONIALSPRACHE Ma première épouse ne se laisse pas facilement dépouiller de ses robes. Elle est fière et muette dans son orgueil. [...] Elle me rappelle, non sans violence, ses origines, nobles et sacrées [...]. (Le Premier amour est toujours le dernier, 197-200)
Die Muttersprache als erste Frau ist mit den bereits bekannten Attributen von Natürlichkeit, Reinheit und Heiligkeit besetzt, wohingegen die Zweitfrau Französisch als nackt und mit dem Reiz des Fremden ausgestattet geschildert wird. Ben Jelloun kontrastiert abermals Züchtigkeit und Vertrautheit der Einen mit den Freiheiten und Möglichkeiten der Anderen. Die Beziehungsmetaphorik ist variabel, mal werden die Sprachen als Erst- und Zweitfrau konstruiert, mal als Ehefrau und Geliebte: „Mein Weib ist arabisch, französisch meine Mätresse, und ich betrüge sie beide“281 . Hier betont Ben Jelloun nicht mehr das für den Schriftsteller glückliche, wenn auch fordernde Zusammenleben mit zwei Sprachen unter demselben Dach, sondern hebt das subversive Element des zweigleisigen Sprachgebrauchs hervor. Auch Djebar bezieht im Polygamiediskurs Stellung, und zwar gegen die männliche Position. Als Ausgleich für das männliche Recht auf vier legitime Ehefrauen stünden Frauen im Gegenzug vier Sprachen zu: Pour les fillettes et les jeunes filles de mon époque [...], tandis que l’homme continue à avoir droit à quatre épouses légitimes, nous disposons de quatre langues pour exprimer notre désir, avant d’ahaner: le français pour l’écriture secrète, l’arabe pour nos soupirs vers Dieu étouffés, le libyco-berbère quand nous imaginons retrouver les plus anciennes de nos idoles mères. La quatrième langue, pour toutes, jeunes ou vieilles, cloîtrées ou à demi émancipées, demeure celle du corps que le regard des voisins, des cousins, prétend rendre sourd et aveugle [...]. (L’amour, 254)
Die Zuordnung von Sprachen zu bestimmten Bereichen des Lebens, wie ansatzweise im Abschnitt zur „aphasie amoureuse“ diskutiert, wird hier um zwei erweitert und präzisiert. Auf die als spezifisch weiblich dargestellte vierte Sprache, nämlich die Körpersprache, geht Djebar im Folgenden genauer ein, indem sie die sinnliche und „polygame“ Dimension von Sprache anhand von Stimme, Hand und Blick hervorhebt:
281 So zitiert Spiegelredakteur Gunar Ortlepp Ben Jelloun in seiner Rezension „Ich war das Leben, die Lust, die Begierde“ von Ben Jellouns „Die Nacht der Unschuld“ (La nuit sacrée, 1987) leider ohne weiterführende Angaben, vgl. Ortlepp 1988, 228.
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Dans nos villes, la première réalité-femme est la voix [...]; puis vient l’écriture dont les lettres lianes forment entrelacs amoureux, sous la griffure du roseau en pointe. Par contre un besoin d’effacement s’exerce sur le corps des femmes qu’il faut emmitoufler, enserrer, langer, comme un nourrisson ou comme un cadavre. Exposé, il blesserait chaque regard, agresserait le plus pâle désir, soulignerait toute séparation. La voix, elle, entre en chacun comme un parfum, une gorgée d’eau pour gosier d’assoiffé; et lorsqu’elle se goûte, elle devient plaisir pour plusieurs, simultanément: secrète jouissance polygame... Quand la main écrit, lente posture du bras, précautionneuse pliure du flanc en avant ou sur le côté, le corps accroupi se balance comme dans un acte d’amour. Pour lire, le regard prend son temps, aime caresser les courbes, au moment où l’inscription lève en nous le rythme de la scansion: comme si l’écriture marquait le début et le terme d’une possession. (L’amour, 255)
Auch Djebar vergleicht so die Entstehung eines Werkes mit dem Liebesakt, wobei das Schreiben mit allen Sinnen vollzogen und dem Rhythmus des Körpers unterworfen wird. Die Schriftstellerin geht ganz in ihrer Bewegung auf und produziert dabei den Text.
VI. Französisch als Behausung und Bekleidung
1. DIEBE IM HAUS DER SPRACHE La langue est ma maison HÉLÉ BÉJI
So lautet der Titel eines Aufsatzes der tunesischen Schriftstellerin Hélé Béji, der eine typische Metapher für Sprache zum Gegenstand hat: das Haus.282 Auch in Ben Jellouns und Djebars Auseinandersetzung mit der ehemaligen Kolonialsprache Französisch spielt die Metapher des Hauses eine wichtige Rolle. Gerade Ben Jelloun greift für poetologische Reflexionen häufig auf das Wortfeld des Bewohnens und Bewohntwerdens zurück, wie bereits die Diskussion seiner Erzählerfiguren im Abschnitt „Im Körper hausende Geschichten“ gezeigt hat. Der Vergleich zwischen Sprache und Haus wird häufig herangezogen, um die Bedeutung von Sprache für den Menschen hinsichtlich seiner Position in der Welt zu veranschaulichen. So lautet ein arabisches Sprichwort „Die Sprache ist das Haus des Menschen“, wie der tunesische Schriftsteller Moncef Ghachem schreibt.283 Für Aleida Assmann stellt Muttersprache, wie bereits erläutert, „das Organ unserer primären Welterfahrung und –beheimatung“284 dar, für Martin Heidegger ist Sprache das „Haus des Seins”285 . Im postkolonialen Kontext bietet sich der Vergleich besonders an, weil die Sprache genau wie das Haus einschließlich seiner Konnotationen von Heimat und der Bindung an einen be-
282 Béji 1985, 22. 283 In seinem Text „Rhaïs Hugo” (in Keil 1989, 263). 284 Assmann 1991, 14. 285 Heidegger [1959] 2003, 267. Vgl. hierzu auch Bertram 2011, 210.
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stimmten Ort zum Schauplatz des kolonialen Kampfes um Territorium wurde. Sie wird so auch als Verhandlungsort von kolonialen und postkolonialen Belangen verstanden, wie die im letzten Abschnitt angesprochene geographische Terminologie von „Terrain einer anderen Kultur“286, „territoire d’une autre langue“287 oder „zone“ (L’amour, 181) nahelegt. In dem zitierten Artikel für Die Zeit fordert Ben Jelloun mit der Metapher des Hauses seine sprachlichen Rechte ein: Lange Zeit war die französische Sprache ein großes Haus mit offenen Fenstern und Türen. Dichter, Philosophen und Erzähler aus anderen Ländern machten Halt und ließen sich nieder. Niemanden schockierte das. Es wurde nicht einmal beachtet. Man fand es normal. Guillaume Kostrowitzky änderte seinen Namen: Er wurde Apollinaire; Ionesco, Cioran, Adamov, Beckett, Julien Green behielten ihren. Sie schreiben auf französisch, und das stellt niemanden vor Probleme. Jedenfalls wurde von ihnen keine Rechtfertigung für eine solche ‚Anomalie‘ verlangt, so wie niemand es gewagt hätte, Kafka zu fragen, warum er nicht auf tschechisch, sondern auf deutsch schreibe. Ganz im Gegenteil, man sah darin eine Bereicherung, einen eigenständigen und unschätzbaren Beitrag. Diese Schriftsteller haben sich entschieden, in einer anderen als ihrer Muttersprache zu schreiben. Maghrebiner, Libanesen oder Antillesen mußten häufig gar nicht wählen. Sie fingen an, in der Sprache des anderen zu schreiben, weil sie gar nicht anders konnten. Während des Algerienkrieges bemächtigten sich Kateb Yacine, Mohammed Dib, Mouloud Mammeri, Mouloud Feraoun und eine Reihe anderer der Sprache des Kolonisators, um Freiheit und Würde für das algerische Volk zu fordern.288
In diesem Artikel legt Ben Jelloun dar, dass „das Haus Descartes’“ postkolonialen Schriftstellern nicht so ohne weiteres offen steht. Weil das Französische als Literatursprache nicht ganz aus freien Stücken gewählt, sondern Resultat des Kolonialverhältnisses ist, unterliegt das Schreiben auf Französisch einem hohen Rechtfertigungsdruck, wovon die Debatte über die adäquate postkoloniale Literatursprache zeugt. Ben Jelloun und Djebar kontern den Druck, indem sie beispielsweise die Assoziation von Haus mit Heimat subvertieren: Das französische Haus wird von Dieben, Einbrechern oder Hausbesetzern heimgesucht, als welche sich die Autoren selbst illustrieren.
286 Ben Jelloun 1989, 89. 287 Ebd. 288 Ben Jelloun 1989, 89.
VI. F RANZÖSISCH ALS B EHAUSUNG UND B EKLEIDUNG
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Diebe und Einbrecher Im Prosagedicht La maison des autres (1982) bringt Ben Jelloun die Metaphern für die französische Sprache als Geliebte und als Haus zusammen. In diesen Metaphern wird es möglich, der Sprache Gewalt anzutun, indem die Geliebte „missbraucht“ und in das Haus „eingebrochen“ wird: Ne me dites pas pourquoi j’écris en français, mais pourquoi et comment j’habite cette langue. Certes, c’est encore une histoire d’amour, une histoire où les conflits sont violents et fréquents. Rien n’est acquis. La séduction est un travail quotidien, une exigence plus qu’une esthétique. Qui n’a pas fait un jour l’expérience d’habiter quelque temps dans une maison qui n’est pas la sienne, une maison laissée avec ses objets, ses meubles, les affaires des propriétaires, avec leur odeur, les traces de leur présence, et l’usure qui marque le temps de leur passage? C’est une expérience étrange où la volupté d’être dans les draps et lieux d’autres pensées, d’autres imaginaires, est grande. Elle est mêlée souvent d’un sentiment de fragilité et de fébrilité. On prend possession de l’espace des autres et on se surprend en train de s’insinuer voire de violer leur intimité alors qu’ils ont cru l’avoir effacée ou du moins rangée ou voilée avant leur départ. On se sent coupable. Pas pour longtemps la jouissance du voyeur qui ne voit pas mais imagine l’emporte en subtilité sur le gêne ou même le sentiment de honte. Écrire dans une autre langue que celle de la mère, c’est comme habiter un lieu par effraction. Il y a là du privilège, et rien n’est évident: on ne peut cesser l’entreprise de séduction: Les mots sont travaillés par les mains de l’artisan. Quand on abuse de cette langue, c’est qu’on tente de réduire la marge de l’étrangeté. On se permet donc de la maltraiter comme si elle nous appartenait de manière naturelle. (La maison des autres, 8; meine Hervorhebungen)
Der Text eröffnet mit der Aufforderung, nicht die Frage zu stellen, warum das lyrische Ich auf Französisch schreibt, sondern die, warum und wie es in dieser Sprache „wohnt“. Im Folgenden wird beschrieben, wie das Französische als „Haus eines Anderen“ für eine Zeitlang bewohnt wird, wobei die Natur des Wohnverhältnisses zunächst noch offen bleibt. Der Aspekt der Fremdheit wird besonders hervorgehoben in der Beschreibung des fremden, teilweise noch mit Geruch und Gebrauchsspuren der eigentlichen Besitzer behafteten Inventars. Das Eindringen in eine fremde Intimität und die Inbesitznahme des fremden Raums ist mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden („On se sent coupable“, „le sentiment de honte“). Erst in der nächsten Strophe kommt der Aspekt der Gewalt ins Spiel und es wird deutlich, dass das Wohnverhältnis durch einen Einbruch zustande kommt. Der frankophone Autor Ben Jelloun verschafft sich
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demnach mit Gewalt Zugang zur französischen Sprache, um das Gefühl der Fremdheit zu überwinden, indem er sich das fremde Eigentum gewaltsam zu Eigen macht („[...] on abuse de cette langue, c’est qu’on tente de réduire la marge de l’étrangeté. On se permet donc de la maltraiter [...]“). Wird in La maison des autres das Verhältnis zur französischen Sprache noch mit Schamgefühlen assoziiert, so spitzt Ben Jelloun in einem einige Jahre später geführten Interview seinen subversiven Umgang mit Sprache auf die sich selbst zugeschriebene Metapher des Diebes zu: „Ich nehme das marokkanische Universum und transponiere es in die französische Sprache, die außerordentlich subtil ist und die ich sehr liebe: in sie habe ich mich eingeschlichen wie ein Dieb“289. Sicherlich ist diese Metapher nicht ganz treffend, denn als frankophoner Autor bedient sich Ben Jelloun nicht nur aus der französischen Sprache, sondern bereichert sie zugleich – um sein „marokkanisches Universum“ zum Beispiel. Dennoch drückt das Bild des Diebes auf sehr anschauliche Weise das Gefühl aus, welches das Verhältnis des postkolonialen Schriftstellers zur ehemaligen Kolonialsprache bestimmt. Hausbesetzer Auch bei Djebar gibt es Auseinandersetzungen mit dem Schreiben auf Französisch, in denen die Metapher des Hauses subversiv umgedeutet wird vom Heim im Sinne von Heimat zur besetzten Bleibe. In Ces voix qui m’assiègent greift sie Jacques Derridas berühmte Zeile „Je n’ai qu’une langue, ce n’est pas la mienne“ aus Le monolinguisme de l’autre (1996) auf und wandelt sie für ihre Zwecke ab: „– Je n’ai qu’une écriture: celle de la langue française [...]“290. Auch Derrida evoziert das Bild des Hauses mit einem Wortspiel aus „in der Sprache bleiben“ und „Sprache als Bleibe“: „[...] Mon monolinguisme demeure, et je l’appelle ma demeure, et je le ressens comme tel, j’y reste et je l’habite. Il m’habite. [...]“291 . Von der „Bleibe“ kommt Derrida zum „Bewohnen“ und „Bewohntwerden“ von Sprache. Er stellt so das Wohnverhältnis zwischen Sprechern und Sprache reziprok dar, wie auch Ben Jelloun dies in Bezug auf Erzähler und Geschichten in seinem zehn Jahre früher erschienenen Roman L’enfant de sable tut (vgl. „Im Körper hausende Geschichten“). Derrida tritt in Le monolinguisme de l’autre in
289 Reif 1989, 992. 290 Ces voix, 42; Kursivierung im Original. 291 Derrida 1996, 13.
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Dialog mit seinem Freund Khatibi, auf dessen Werke er explizit Bezug nimmt,292 und schließt damit an den postkolonialen Poetik- und Sprachdiskurs der 1970er und 80er Jahre an.293 Djebar schreibt über ihre zehn Jahre lange schriftstellerische Pause in den 1970er Jahren, dass diese ihr im Nachhinein wie der Versuch vorkommt, aus der französischen Sprache auszubrechen („de sortir de la langue française“294 ). Die Wiederaufnahme des Schreibens schildert sie als erneutes Eindringen in die Sprache, die für sie keine rechtmäßige Bleibe darstellt: Y repénétrer comme hôtesse, sinon comme occupante avec droit d’hérédité. Ainsi, le français est en train de me devenir vraiment maison d’accueil, peut-être même lieu de permanence où se perçoit chaque jour l’éphémère de l’occupation. Mais enfin, j’ai fait le geste augural de franchir moi-même le seuil, moi librement et non plus subissant une situation de colonisation. Si bien que cette langue me semble désormais maison que j’habite et que je tente de marquer chaque jour – tout en sachant que le sol qui la porte, je n’y ai pas droit d’emblée. Mais si je ne prétends pas au jus soli, du moins, au risque d’un jeu de mots facile, je peux rechercher mon droit non de sol, mais de soleil!...295
In dieser kurzen Passage skizziert Djebar den Abstiegsprozess der frankophonen Autorin von der Hausherrin zur Obdachlosen. Bereits der Begriff „repénétrer“ drückt aus, dass die Autorin beim Wiedereinstieg in das Schreiben auf Französisch den Zugang zu dieser Sprache erzwingt, die als wenig gastfreundlich dargestellt wird. Dennoch spricht sie von sich in der Sprache von „hôtesse“. Noch im selben Satz wird der Begriff jedoch ersetzt durch „occupante avec droit d’hérédité“. Aus der Hausbesitzerin wird so eine Hausbesetzerin mit einem „Recht auf Erbe“, wobei Djebars Metaphorik keine eindeutige Zuordnung zulässt, wer was von wem und in welchem Fall erbt. Die Terminologie des Französischen als Haus changiert zwischen „Heim“ im Sinne einer sozialen Einrich-
292 Derrida setzt sich vor allem mit Khatibis Amour bilingue auseinander und zitiert auch daraus, vgl. beispielsweise das Eingangszitat auf Seite 11 oder das längere Zitat im Text auf Seite 64f. (vgl. bei Khatibi 1983, 77 bzw. 75). 293 Siehe zur Intertextualität zwischen Derrida und anderen maghrebinischen Autoren auch den Aufsatz von Gronemann „,Mehrsprachigkeit‘ als Sprachreflexion und Mediensimulation in der maghrebinischen Literatur“, 2002a. 294 Ces voix, 43. 295 Ebd., 44; Kursivierung im Original.
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tung („maison d’accueil“) und „festem Wohnsitz“ („lieu de permanence“).296 In beiden Fällen ist der Aufenthalt dort prekär, weil das Wohnverhältnis illegal ist („occupation“). Obwohl das alte Kolonialverhältnis überwunden scheint und die Autorin die französische Sprache tagtäglich „bewohnt“ und „prägt“ („marquer“), denkt sie doch, kein Recht auf „Grund und Boden“ („sol“) zu haben, auf dem das Haus der französischen Sprache steht.297 Das Aufrufen des „ius soli“ am Ende des Zitats spielt auf den von Djebar oft diskutierten Status des Französischen als Muttersprache an. Demnach hat die frankophone Autorin keinen legalen Status in der Sprache, wenn sie nicht in diese hinein geboren wurde. Mit einem Wortspiel formt sie daher das ius soli zum „droit non de sol, mais de soleil“ um, und macht so aus dem „Recht des Bodens“ das „Recht der Sonne“, wonach allen unter der Sonne Geborenen eine universelle Staatsbürgerschaft zustehen würde. Häuser in Bewegung Im Zusammenhang mit ihren fiktiven Figuren gebraucht Djebar gleichfalls die Metapher des Hauses für den französischsprachigen Text. Über den Begriff der „Konstruktion“ verbindet sie Text und Haus, die sie für ihre Figuren errichtet: [...D]ans mes phrases ou dans les structures même de ma construction – celle-ci conçue par moi dans une alternance entre mon besoin d’architecture et mon aspiration à la musique –, malgré donc cette langue devenue „paternelle“, le mouvement de mes personnages – eux, les êtres de ma généalogie et leurs femmes qui, en un sens, me regardent, me défient, attendent aussi de moi que je les tire, que je les fasse entrer, malgré moi, malgré elles, dans la maison de cette langue étrangère –, ce mouvement devient mon seul maître, qui me procure élan. [...] Une langue de mouvement, de mon mouvement qui s’invente tout le long du roman à écrire... Peu à peu, le rythme lent s’emporte, je ne sais plus si ce sont les autres en moi (les mères, les sœurs, les aïeules) qui nous emportent – la langue et moi sa cavalière – ou si c’est la langue d’écriture, ni dominée ni ensauvagée,
296 Mit dem Begriff der „Literaturen ohne festen Wohnsitz“ charakterisiert Ette die Texte von Autoren, die „transkulturell, transligual und transareal“ schreiben und daher weder in Nationalliteraturen aufgehen, noch pauschal der Weltliteratur zugeschlagen werden könnten, vgl. Ette 2005, bes. 15. Ettes Anliegen ist es demgegenüber, eine „Poetik der Bewegung“ voranzutreiben, vgl. bes. 42. 297 Genau dieser Frage, ob eine Sprache Eigentum sein kann und wenn ja, wessen, geht auch Derrida in Le monolinguisme de l’autre nach, vgl. besonders die aneinandergereihten Fragen in Derrida 1996, 35f.
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simplement habitée, donc transformée, qui nous emmène, nous entraîne. Nous? Moi et les autres femmes, toutes celles, bien sûr, de ma mémoire populeuse.298
Djebar verbindet hier die mit Männlichkeit assoziierte französische Sprache und die in ihrer oben diskutierten Typologie der vier Sprachen als spezifisch weiblich qualifizierte Körpersprache. Das Französische nennt sie „Vatersprache“ („langue paternelle“) und stellt ihre Initiation in diese Sprache an der Hand ihres Vaters dar, der sie in die französische Schule bringt – eine Szene, die Djebar immer wieder aufgreift und um- oder neuschreibt.299 Weibliche Körpersprache wird als Bewegung der Figuren skizziert und in Opposition zum statischen Französisch gesetzt. Die Figuren blicken die Autorin erwartungsvoll an und wollen in das Haus der französischen Sprache eingelassen werden. Diese Beschreibungen erinnern an Ben Jellouns Darstellungen seiner Figuren als unabhängige Wesen, die sich, einmal erschaffen, vom Autor entfremden und ein Eigenleben zu führen beginnen. Indem Djebar die lebendigen, sich bewegenden Figuren in die „maison de cette langue étrangère“ einlässt und deren Bewegung sich auf das Haus überträgt, ergibt sich zusammen mit dem Rhythmus beim Schreiben eine „langue de mouvement“, die sich durch das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten selbst zu erfinden scheint. Diese Charakterisierung des Schreibprozesses passt im weitesten Sinn in Djebars Programm des anamnestischen Schreibens, insofern körperliche Aspekte lebendiger Frauen, nämlich Bewegung, mit der französischen Schriftsprache verbunden werden. Was dabei genau impulsgebend für die Erfindung dieser Sprache ist, ob es „les autres en moi (les mères, les sœurs, les aïeules)“ sind oder die bewohnte und auf diese Weise transformierte Schriftsprache ist, lässt Djebar als offene Frage stehen. Ihr Schreiben verweigert sich einer klaren Zuordnung von Subjekt, Objekt und Prädikat, also von sich als Autorin, die schreibt, ihren Figuren, die geschrieben werden, und einer Sprache, die das Medium des Schreibens darstellt. Vielmehr beruft sie sich
298 Ces voix, 150. 299 Vgl. z.B. den Anfang von L’amour, la fantasia (11), den Anfang des Kapitels „La tunique de Nessus“ (297) oder Djebars Analyse in Ces voix qui m’assiègent (46). Vgl. hierzu außerdem Richters Diskussion der Szene als symbolischer Übergang vom arabischen in den französischen Sprachraum (2008, 117-134). Vgl. auch die Interpretation der Szene hinsichtlich ihres mythologischen Gehalts von E. Ruhe 2005, 22-24. Der Vater spielt für Djebars Texte ebenso wie für die Forschungsliteratur, die sich mit ihnen beschäftigt und oftmals auf Derrida rekurriert, eine wichtige Rolle, vgl. beispielsweise Benhaïm 2009, passim; Gale 2002, passim; Gronemann 2010, passim; Mortimer 1988, 301-307; Segarra 1997, 93-99, bes. 98.
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auf die „mémoire populeuse“ und stellt als Subjekt des Schreibprozesses sowohl sich selbst als auch das weibliche Kollektiv als auch die französische Schriftsprache nebeneinander.300 Auch Ben Jellouns Hauskonzeptionen bezeichnen nicht statisch die französische Sprache, sondern bestehen aus beweglichen Metaphern. Sprachen, Menschen, Geschichten oder Texte können als Haus fungieren, wie ich im Kapitel über Geschichten in Bezug auf das Verhältnis von Körper, Haus und Geschichten ausgeführt habe. Für den Zusammenhang zwischen der Hausmetapher und der französischen Sprache steht der Aspekt der Bewegung im Vordergrund, der für das Kapitel über Geschichten eine eher untergeordnete Rolle spielt. Djebar und Ben Jelloun versuchen beide, ihre Fiktionalisierungen von Schreibkonzepten auch selbst umzusetzen, daher können mit dem Bewegungsaspekt auch jene Konzepte erklärt werden, die hinter dem virtuosen Umbau der französischen Sprache durch die Autoren stehen. Im Kapitel „Le conteur dévoré par ses phrases“ in L’enfant de sable wird das Tagebuch mit einem Haus für Geschichten verglichen: Le manuscrit que je voulais vous lire tombe en morceaux à chaque fois que je tente de l’ouvrir et de le délivrer des mots [...]. Fragmentaire, il me possède, m’obsède et me ramène à vous qui avez la patience d’attendre. Le livre est ainsi: une maison où chaque fenêtre est un quartier, chaque porte une ville, chaque page est une rue; c’est une maison d’apparence, un décor de théâtre [...]. Nous allons habiter cette grande maison. C’est [...] l’heure de l’écriture, le moment où les pièces et le murs, les rues et étages de la maison s’agitent ou plutôt sont agités par la fabrication des mots qui viennent s’entasser, puis s’étaler, se mettre dans un certain ordre, chacun est, en principe, à sa place [...]. Nous, nous serons à l’intérieur des murs, dans la cour, dans la place ronde, et de ce cercle partiront autant de rues que de nuits que nous aurons à conter pour ne pas être engloutis par le flot des histoires [...]. (L’enfant, 108f.)
Das Manuskript zerfällt bei jedem Versuch, es zu öffnen und daraus zu lesen, in Fragmente, die den Erzähler heimsuchen. Auch eine Handschrift ist nach diesem Verständnis kein abgeschlossenes, feststehendes Ganzes, sondern ein bewegliches Haus, das beim Erzählen verändert und neu konstruiert wird. Ben Jelloun ordnet genauso wenig wie Djebar Erzähler, Publikum und Geschichten klar
300 Vor diesem Hintergrund analysiert Richter Djebars autobiographische Romane in Bezug auf die kollektive Erzählperspektive und gemeinschaftliche Autorisierung der Stimme, vgl. hierzu vor allem den Abschnitt „Kollektive Diegese“ in Richter 2008, 186-190.
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ihren jeweiligen Aufgaben zu. In seiner Hausmetapher bewohnen Erzähler und Publikum gleichberechtigt den Innenhof des Manuskripts und erzählen gemeinsam die Geschichte, wie das Personalpronomen in der ersten Person Plural zeigt, zu welchem der Erzähler zeitweise wechselt („nous aurons à conter“). Das Haus wird so dargestellt, als wäre es in ständiger Bewegung und würde von autonom agierenden Worten und Sätzen umgebaut und neu zusammengesetzt („agités par la fabrication des mots qui viennent s’entasser“), während die Erzählrunde sich in seinem Innern aufhält. Erzähler und Publikum müssen ständig erzählen, um nicht von der Flut von Geschichten verschlungen zu werden, wie die Kapitelüberschrift „Le conteur dévoré par ses phrases“ es nahelegt. Ben Jelloun kehrt so das ursprünglich konstruierte Verhältnis von Innen und Außen um, die Geschichten, die den Körper des Erzählers bewohnen, nehmen nunmehr den Erzähler in sich auf. Das Motiv eines beweglichen Hauses scheint dabei sorgfältig gewählt, gerade weil die erste Assoziation mit einem Haus wahrscheinlich nicht Beweglichkeit ist. Ben Jelloun gelingt es aber, das Bild des bewegten Hauses plausibel zu evozieren. Er überwindet auf diese Weise die Vorstellung von einem statischen, konservativen und normativen Französisch, an welches sich Sprecherin und Schreiberin anpassen müssen, zugunsten einer form- und prägbaren, offenen Sprache, die von Sprecherin und Schreiberin frei gestaltet werden kann. Die Hausmetaphorik ist in L’enfant de sable grundsätzlich präsent, alleine zwei Kapitelüberschriften tragen das Haus im Titel („Rebelle a toute demeure“ und „Bâtir un visage comme on élève une maison“). Am Schluss von L’enfant de sable greift Ben Jelloun erneut den Vergleich zwischen Geschichte und Haus auf, nun allerdings wird das Haus als alle Zeiten überdauerndes Monument dargestellt, welches die Erinnerung an die Geschichten bewahrt, die sich in ihm zugetragen haben: Une histoire, c’est comme une maison, une vieille maison, avec des niveaux, des étages, des chambres, des couloirs, des portes et fenêtres, des greniers, des caves ou des grottes, des espaces inutiles. Les murs en sont la mémoire. Grattez un peu une pierre, tendez l’oreille et vous entendrez bien des choses! Le temps ramasse ce que porte le jour et ce que disperse la nuit. Il garde et retient. Le témoin, c’est la pierre. L’état de la pierre. Chaque pierre est une page écrite, lue et raturée. Tous se tient dans les grains de la terre. (L’enfant, 206f.).
Das Haus ist daher auf die Interpretation und Auslegung seiner Spuren durch ein menschliches Wesen angewiesen, das ihm die Geschichten entlocken kann, die in Steinen und Erde bewahrt sind. Dieses Konzept, das eine objektive und wahre
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Vergangenheit zum Ausgangspunkt einer Geschichte hat, steht in vollkommenem Widerspruch zu dem dynamischen Verständnis von Sprache und Geschichten, das Ben Jelloun vorher konstruiert. Gleichzeitig fügt es sich nahtlos in Ben Jellouns Gesamtkonzept, welches die ganze Bandbreite an möglichen Vorstellungen von Körper und Erzählen zwischen Performativität und Essentialismus abdeckt.
2. IM HEMD DES NESSUS Eine weitere Möglichkeit, das Verhältnis von Körper und französischer Sprache zu denken, besteht darin, sie als Kleidungsstück zu konstruieren, das den Körper einhüllt und als solches eine Wirkung entfaltet. In „La tunique de Nessus“ aus L’amour, la fantasia ist das Französische ein Geschenk, das der Vater seiner Tochter macht. Das Kapitel beginnt daher mit der bekannten Initiationsszene, in welcher die Ich-Erzählerin an der Hand des Vaters zur französischen Schule geführt wird. Die Gabe der französischen Sprache stellt sich jedoch als Nessushemd heraus – und bringt unbeabsichtigt Unheil für die Beschenkte. In der griechischen Mythologie ist das Nessushemd ein Geschenk Deianeiras an ihren Mann Herakles. Es handelt sich dabei um ein Hemd, dass vom Blut des Kentauren Nessus benetzt ist. Beim Versuch, Deianeira zu entführen wird dieser von Herakles mit einem Giftpfeil getötet, der im Blut der Hydra getränkt war. Im Sterben stellt Nessus seine Rache sicher, indem er Deianeira sein Blut als Liebeszauber anpreist. Deianeira fällt darauf herein und als sie später den Liebeszauber aus Eifersucht auf eine andere Frau anwendet und Herakles ein entsprechend präpariertes Gewand zukommen lässt, leidet ihr Mann beim Überstreifen durch die Wirkung des Gifts Höllenqualen und verlangt seinen eigenen Tod auf dem Scheiterhaufen. Auch Deianeira nimmt sich das Leben. In der Metapher des Nessushemds kommt zum Ausdruck, mit welcher Ambivalenz die Erzählerin der ehemalige Kolonialsprache gegenübersteht – jedenfalls wirkt es auf den ersten Blick so und wird vom Titel suggeriert. Einerseits entgeht sie durch die Sozialisation in der französischen Sprache und Schule, die der Vater ihr als einzigem algerischen Mädchen ihrer Altersklasse ermöglicht, dem Schicksal der „claustration“ (L’amour, 298). In diesem Sinn ist das Französische als Geschenk des Vaters an die Tochter zu sehen. Andererseits geht mit dem Geschenk aber auch die Entfremdung der Ich-Erzählerin aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld einher. Hédi Abdel-Jaouad charakterisiert die „Sprache der Anderen“ daher als „at once a gift and a burden [...]. It is both a source
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of liberation [...] and alienation“301 und Mortimer kommt zu dem gleichen Schluss: „The day that Assia Djebar’s father escorted her to school [...] he set her on a bilingual, bicultural, indeed an ambiguous journey that freed her from the female enclosure but sent her into a form of exile away from the majority of her sisters“302 . Das Französische erweist sich als Idiom der neuen Möglichkeiten und Freiheiten und gleichzeitig als Sprache des Verlusts an Identität und kultureller Integrität. Djebar nennt die Berührung mit dem französischen Bildungssystem daher auch metaphorisch „mariage forcé“ (L’amour, 298), die der Vater für seine Tochter im „camp ennemi“ (298) arrangiert habe. Statt auf den Titel „Nessushemd“ einzugehen, wirft sie immer neue Metaphern für die französische Sprache auf: Le français m’est langue marâtre. Quelle est ma langue mère disparue, qui m’a abandonnée sur le trottoir et s’est enfuie? [...] Sous le poids des tabous que je porte en moi comme héritage, je me retrouve désertée des chants de l’amour arabe. Est-ce d’avoir été expulsée de ce discours amoureux qui me fait trouver aride le français que j’emploie? Le poète arabe décrit le corps de son aimée [...]... La luxuriance de cette langue me paraît un foisonnement presque suspect [...]... Richesse perdue au bord d’une récente déliquescence! (L’amour, 298).
In der Metapher der „Stiefmuttersprache“ werden vor allem die negativen Aspekte der sprachlichen Situation in der Postkolonialzeit ausgedrückt. Von der abwesenden „langue mère“ bleibt demnach nur das Erbe der Tabus, nicht aber die „amour arabe“. Und auch die französische „Stiefmuttersprache“ kann diese Leerstelle nicht füllen, die Erzählerin empfindet sie als „karg“. Diesem mit dem Französischen verbundenen Begriff „aride“ stehen „luxuriance“ und „richesse perdue“ gegenüber, die mit dem Arabischen assoziiert werden. Richter zeigt auf, wie Djebar die algerische Kolonialgeschichte als Ursache für die individuelle Situation im „entre-deux der Sprachen“303 inszeniert und die individuelle Autobiographie mit der kollektiven Geschichte Algeriens verbindet. Im Zentrum steht dabei die Parallelisierung der Kampfhandlungen zwischen Algerien und Frankreich mit dem Kampf der Sprachen im Individuum, wie folgendes Zitat aus „La tunique de Nessus“ belegt:
301 Abdel-Jaouad 1987-88, 28. Siehe auch Gale 2002, 528. 302 Mortimer 1988, 302. Siehe ebenfalls Gale 2002, 527. 303 Richter 2008, 159.
166 | E INVERLEIBTE K OLONIALSPRACHE Après plus d’un siècle d’occupation française – qui finit, il y a peu, par un écharnement –, un territoire de langue subsiste entre deux peuples, entre deux mémoires; la langue française, corps et voix, s’installe en moi comme un orgueilleux préside, tandis que la langue maternelle, toute en oralité, en hardes dépenaillées, résiste et attaque, entre deux essoufflements. (L’amour, 299)304
In „La tunique de Nessus“ werden die Oppositionen des bereits in Hinsicht auf Sprache und Körper analysierten Kapitels „L’aphasie amoureuse“ erneut aufgegriffen. Und nicht nur diese: Für Gale verdichten sich in „La tunique de Nessus“ alle Oppositionen der autobiographischen Abschnitte von L’amour, la fantasia zum Symbol des Nessushemds.305 Gale betrachtet das ambivalente Geschenk damit als Schlüssel zu Djebars Roman, da in ihm die für postkoloniale Literatur typischen Paradoxien, Dichotomien, Ambiguitäten und Spannungen verkörpert sind.306 Die Ambivalenz des Geschenks und die Tatsache, dass es vergiftet ist, nimmt Gale zum Aufhänger für ihren nun folgenden Vergleich. Sie sieht eine Parallele zwischen Nessushemd und pharmakon, wie Platon es im Theut-Mythos des Phaidros skizziert und Derrida in „La pharmacie de Platon“ interpretiert.307 In Platons Dialog macht der Gott Theut dem ägyptischen König Thamus die Schrift zum Geschenk, die als pharmakon Erinnerung und Weisheit des Volkes verbessern soll. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile weist der König das Geschenk jedoch zurück mit der Begründung, die Schrift mache das Volk nur umso vergesslicher.308 Für Derrida stellt die Ambivalenz des Begriffs pharmakon, das sowohl mit „Heilmittel“ als auch „Gift“ zu übersetzen ist, in Bezug auf Schrift den Ausgangspunkt seiner Logozentrismuskritik dar. So wie Djebar ihre Beziehung zur französischen Schriftsprache darstellt, entpuppt sich die Metapher des Nessushemds bei genauerem Hinsehen und beim Versuch der direkten Übertragung als nicht sehr treffend und polemisch im Vergleich zum tatsächlichen Gegenstand des Kapitels. Das Geschenk der französischen Sprache an die Ich-Erzählerin wird gleichzeitig als Entwurzelung und als Befreiung skizziert. Der beschenkte Herakles aber kommt nicht in den Genuss von Vorteilen des Geschenks. Außerdem ist das „Geschenk“ im Mythos
304 Siehe auch Richter 2008, 159f. 305 Vgl. Gale 2002, 525f. 306 Auch Richter sieht in dem Kapitel Kondensat und Fazit der in den vorhergehenden Kapiteln in L’amour, la fantasia entwickelten Gedankengänge zu Djebars sprachlicher Identität, vgl. 2008, 235. 307 In „La pharmacie de Platon” aus La Dissémination, vgl. Gale 2002, 526. 308 Vgl. ebd., 526f.
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auch kein echtes, da sich Deianeira vor allem für sich selbst einen Vorteil von der Gabe erhofft, während der Vater des autobiographischen Ichs bei Djebar seiner Tochter mit dem Geschenk der französischen Sprache wirklich neue Möglichkeiten eröffnet und auch eröffnen möchte. Will man eine konkrete Zuordnung der einzelnen in dem Kapitel beschriebenen Charaktere und Gegenstände zu Personen und Dingen des Mythos vornehmen, besteht die einzige Korrespondenz in der Tatsache, dass der und dem Beschenkten unbeabsichtigt Unheil gebracht wird. Andere Rückübertragungsversuche der Metapher, wie Gale sie vornimmt – beispielsweise Djebar in der Rolle der Schenkerin (ihrer Literatur nämlich) –, mögen einzelne Aspekte sinnvoll zusammenführen, treffen aber für das Gesamtbild weniger plausible Zuordnungen.309 Die Metapher des pharmakon, wie Gale sie auf Djebars Text anwendet, würde auf die geschilderten Umstände somit sicherlich besser passen – nur verwendet die Autorin diese Metapher nicht. Das Missverhältnis zwischen Titel und Inhalt des Kapitels wertet Gale als Teil von Djebars postkolonialem Schreibprogramm, welches klassische Mythen manipuliert und transformiert.310 Ganz so einfach scheint das aber nicht zu sein. Gale führt nicht aus, wie Djebar genau diese Transformation vornimmt und was sie bedeutet, sowohl für den Mythos als auch für L’amour, la fantasia. Mit Djebars Mythentransformationen hat sich vor allem E. Ruhe eingehender beschäftigt und hierfür den Begriff der „mythomorphose“ eingeführt.311 So interpretiert er die Szene der Initiation an der Hand des Vaters beispielsweise als weibliche Variante des Prometheus-Mythos.312 Die Nessus-Geschichte allerdings findet unter dem Gesichtspunkt der Mythentransformation auch in Ruhes Analysen keine Berücksichtigung. Versteht man die Überschrift „La tunique de Nessus“ nicht als Metapher für die individuelle sprachliche Sozialisationsgeschichte der Ich-Erzählerin, sondern versucht sie vor dem Hintergrund der kollektiven algerischen Vergangenheit und der Situation der Schriftsteller als Allegorie zu lesen, so gibt der Nessus-Mythos kein polemisches oder diffuses Bild mehr ab. Dann lassen sich deutliche Parallelen zwischen dem Mythos und der Geschichte der französischen Sprache im kolonialen und postkolonialen Algerien ziehen. Besonderes Augenmerk verdient hier die Weitergabe des Bluts auch über den Tod hinaus und die damit im Zusammenhang stehende Täuschung. Herakles sammelt das Blut der Hydra auf,
309 Vgl. ebd., 534. 310 Vgl. ebd., 533. 311 Vgl. den Aufsatz „Les mots, l’amour, la mort. Les mythomorphoses d’Assia Djebar“ (Ruhe 1998). 312 In Djebars Version also als Promethea-Mythos, vgl. Ruhe 2005, 22f.
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nachdem er sie getötet hat, und tränkt seine Pfeile darin. Er setzt diese als tödliche Waffe gegen den Kentauren Nessus ein, die sich am Ende gegen ihn selbst richten wird. Das giftige Blut gelangt also von der Hydra zu Herakles, von diesem durch einen Pfeil zu Nessus, vermischt sich mit dessen Blut und geht durch eine List über zu Deianeira, die es an Herakles zurückgibt. Damit das Blut Herakles schaden kann, sind zwei Täuschungen nötig: Nessus täuscht Deianeira über die Eigenschaften seines Bluts und Deianeira täuscht Herakles über die Motive ihrer Gabe. Sowohl Hydra als auch Nessus gelingt es so, sich über den eigenen Tod hinaus an Herakles zu rächen. Das Blut wird folglich von allen Trägern als Waffe oder Werkzeug eingesetzt, wobei Deianeira die Einzige ist, die hierdurch nicht zum Ziel gelangt, da sie in Unkenntnis der tatsächlichen Wirkung handelt. Wenn die Metapher im individuellen Fall der Protagonistin und ihres Vaters also nicht aufgehen mag, so hat sie kollektiv betrachtet als allegorische Geschichte über Blut, Waffengewalt, Beherrschung und Täuschung doch sehr viel gemeinsam mit der Geschichte Algeriens. Ordnet man unter diesem Gesichtspunkt die französische Sprache dem Blut der einstigen Hydra (der französischen Kolonialmacht) zu, wird Djebar zu Herakles und das Französische zur Waffe, die sich gegen die patriarchisch geprägte arabische Muttersprache (Nessus) und nach der Vermischung mit dieser gegen ihre eigene Trägerin richtet.
3. SPRACHSCHLEIER Wie aber ist das genau zu verstehen: Wogegen wendet sich das Schreiben auf Französisch und inwiefern empfindet die Autorin es als am Ende gegen sich selbst gerichtet? Die „langue de l’autre“ eröffnet ihren Sprechern ja auch neue Möglichkeiten, so beispielsweise die weibliche Partizipation an der Literaturproduktion, das Schreiben über Tabuthemen313 und von weiblichen Autobiographien314 , wie es im vorkolonialen arabischsprachigen Literatursystem nicht üb-
313 Gegen die Annahme, subversives Schreiben über Tabuthemen sei ausschließlich frankophon möglich, argumentiert Mustapha Hamil mit Autoren wie Mohammed Choukri oder Mohammed Zafzaf, die in ihren Romanen Tabus erfolgreich auf Arabisch brechen, vgl. 2005,152f. 314 Vgl. zum Status von Djebars Literatur in Bezug auf die literarische Gattung der Autobiographie exemplarisch Richters Ich-Entwürfe im hybriden Raum, 2008, und Gronemanns Postmoderne - postkoloniale Konzepte der Autobiographie in der fran-
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lich war.315 In diesem Sinn richtet sich die französischsprachige Literaturproduktion gegen die zu der Zeit noch starre und elitäre arabische Literatursprache. Gleichzeitig bedeutet die neugeschaffene Möglichkeit des Schreibens ganz grundsätzlich und auf Französisch im Besonderen einen Tabubruch in zweifacher Hinsicht. Zum einen empfindet Djebar das Schreiben über sich selbst als Verletzung des – „arabischen“ – Schamgefühls, das keine Selbstenthüllungen zulassen soll. Vor diesem Hintergrund (neben der strengen algerischen Zensur) wird auch verständlich, warum Fatima Zohra Imalayène unter dem Pseudonym Assia Djebar schreibt. Die Tabu-Thematik gehört zu den im Zusammenhang mit maghrebinischer Literatur am häufigsten diskutierten316 und soll hier daher nur im für das Verständnis notwendigen Umfang aufgegriffen werden. Der andere Tabubruch bezieht sich auf den „Verrat“ an der „arabischen Identität“, die in den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit kontrovers verhandelt wurde. Schreiben und Selbstentblößung Richter bringt den zweifachen Tabubruch der französischen Autobiographie auf den Punkt: „Ist [die autobiographische Aussage] schon im Kontext der eigenen Kultur eine mise à nue, so kommt sie hier einer freiwilligen Auslieferung an die Feinde gleich, das heißt an diejenigen, die im Jahrhundert zuvor das Land in Besitz genommen, es geplündert und ‚vergewaltigt‘ haben [...].“317 Richter greift das Motiv der Nacktheit auf, mit der Djebar unter anderem das Schreiben über sich selbst in L’amour, la fantasia assoziiert.318 Im Kapitel „La mise à sac“ beschreibt Djebar, wie durch den Übersetzungsprozess vom Algerischen ins Französische offenbar wird, dass und wie Sprechen über sich und sich Entblößen zusammenhängen:
zösischen und maghrebinischen Literatur, 2002b; außerdem Gronemann 2006, passim. 315 Vgl. hierzu beispielsweise ausführlicher Richter 2008, vor allem 117-134. 316 Vgl. z.B. die explizit dem weiblichen Schreiben gewidmete Monographie La littérature féminine de langue française au Maghreb von Jean Déjeux 1994, passim. Als Teilaspekt wird die Tabuthematik auch aufgegriffen z.B. bei Segarra 1997, 27-40; Richter 2008, 30-32; implizit außerdem bei Rocca 2005, passim, und ChauletAchour 1998, passim. Siehe auch die Studie Au-delà de toute pudeur. La sexualité féminine au Maroc, zur weiblichen Schande von Soumaya Naamane-Guessous 2007, passim. 317 Richter 2008, 162; Hervorhebungen im Original. 318 Vgl. hierzu auch Gale 2002, 530.
170 | E INVERLEIBTE K OLONIALSPRACHE Parler de soi-même hors de la langue des aïeules, c’est se dévoiler certes, mais pas seulement pour sortir de l’enfance, pour s’en exiler définitivement. Le dévoilement, aussi contingent, devient, comme le souligne mon arabe dialectal du quotidien, vraiment ‚se mettre à nu‘. Or cette mise à nu, déployée dans la langue de l’ancien conquérant, lui qui, plus d’un siècle durant, a pu s’emparer de tout, sauf précisément des corps féminins, cette mise à sac du siècle précédent. (L’amour, 224)
Djebar verrät nicht, um welchen dialektarabischen Begriff es sich handelt, der sowohl die Referenz auf sich selbst als auch die Selbstentblößung bezeichnet. Nur auf Französisch stellt sie den Zusammenhang her und gelangt von „parler de soi-même“ über „dévoilement“ zu „se mettre à nu“. Gemeint sein könnte der Begriff „ẓahara“ und seine Ableitungen, der ein breites Feld an Bedeutungen umfasst, darunter „s’offrir à la vue“, „exprimer publiquement“, „se découvrir“ „exhiber“ und „publier un livre“.319 Sogar die Bedeutung „exhumer“ findet sich, ein Begriff den Djebar auch im Zusammenhang mit der Rekonstruktion marginalisierter weiblicher Stimmen programmatisch gebraucht (siehe Abschnitt „Am Körper rekonstruierte Geschichten“) und der ohne den Zusammenhang des arabischen Lemmas auf Französisch sehr ungewöhnlich erscheint. Explizit begriffserklärend beschäftigt sich die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi in La Peur-Modernité. Conflit Islam démocratie (1992) mit dem Begriff der Nacktheit (ʿaura) sowie dem komplementären Term des Schleiers (ḥiǧāb) und zeigt die große Bandbreite an metaphorischen Verwendungsweisen der beiden Konzepte. Sie leitet den Begriff ʿaura etymologisch aus dem Bereich der „stratégie militaire“320 her. Demnach verweist er in diesem Kontext auf eine ungeschützte Stelle, eine „Blöße“: „Est-ce un hasard si une maison sans sécurité est dite ’awra, nue, comme une femme sans hijab? Tous les mots pour dire une cité ou une maison exposée sans défense sont les mêmes dans notre langue arabe qui décrivent une femme dévoilée.“321 Auch bei Djebar findet sich
319 Laut Dictionnaire pratique Arabe-Français. Contenant tous les mots employés dans l’Arabe parlé en Algérie et en Tunisie, ainsi que dans le style épistolaire, les pièces usuelles et les actes judiciaires (Beaussier 1931, 626-628). 320 Mernissi 1992, 15f. 321 Ebd., 15; Hervorhebungen im Original. Mernissi führt ihre etymologische Deduktion aus dem militärischen Bereich nicht genauer aus. Nach Reinhard Schulzes Herleitung geht der Begriff im Koran auf die Grundbedeutung „Mangel, Defekt“ zurück: „In Koran 24:58 bezeichnet ʿawra den Zustand der Nacktheit, die dann als ‚Mangel‘ empfunden wird, wenn sie von aussen beobachtet wird. Eine allgemeine Definition beschreibt ʿawra als die Sache, die der Mensch aus Scham verhüllt. Ter-
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eine Begriffserklärung des arabischen Dialekts in Bezug auf das Wortfeld von ʿaura. Jedoch nennt Djebar auch hier nicht den arabischen Begriff, den sie beschreibt, sondern nur seine Übersetzungen im Französischen, wie die Textstelle aus Femmes d’Alger dans leur appartement (1980) zeigt: Le corps avance hors de la maison et pour la première fois il est ressenti comme ‚exposé‘ à tous les regards [...]. L’arabe dialectal transcrit l’expérience d’une façon significative: ‚je ne sors plus protégée (c’est-à-dire voilée, recouverte)‘ dira la femme qui se libère du drap; ‚je sors déshabillée ou même dénudée‘. Le voile qui soustrayait aux regards est de fait ressenti comme ‚habit en soi‘, ne plus l’avoir, c’est être totalement exposée. (Femmes d’Alger dans leur appartement, 152; Hervorhebung im Original)
Diesen Zusammenhang zwischen Schreiben einerseits und Exponiert- und Schutzlossein andererseits, auf Arabisch konzeptuell verbunden, übersetzt Djebar wörtlich ins Französische. Hayes sieht in dieser Schreibweise des „disclosure, uncovering, digging up, revelation, and unveiling both secrets and transgressions“322 eine Taktik, die „maghrebinische Nation“ queer und feministisch zu denken. Die paradigmatischen Gattungen der literarischen Entschleierungen sind für ihn Historiographie und Autobiographie. Djebar allerdings bewertet ihre eigene Schreibweise nicht so positiv. Sie treibt die Metaphorik für das autobiographische Schreiben über den Begriff der Nacktheit hinaus, indem
minologisch ergab sich daraus die Bestimmung, dass ʿawra der Teil des Körpers ist, den zu enthüllen verboten ist, oder den man nicht sehen dürfe“ (2010, 125; Kursivierung im Original). Welche Teile des Körpers zur ʿaura gehören und eine Blöße darstellen, ist dabei kulturell und historisch variabel, vgl. Schulze 2010, v.a. 131. Vgl. auch die Diskussion bei Krawietz 2012, 16f. (nach der Paginierung des noch unveröffentlichten Manuskripts). Erst als spätere Bedeutung ergibt sich eine Nähe zum militärischen Bereich, nämlich wenn es um ʿaura als schützenswertes Gut geht. Nach Schulze wird „der Umgang mit ʿawra, also die Verhüllung (sitr) nicht als Glaubensakt verstanden, sondern als rechtliche Massnahme zum Schutze eines Rechtsguts“ (2010, 126; Kursivierung im Original). In diesem Sinne definiert auch Birgit Krawietz das islamische juristische Konzept ʿaura als “the shameful part of the gendered human body that has to be covered and protected” (2012, 3, nach der Paginierung des noch unveröffentlichten Manuskripts). Auch Saba Mahmood greift den Aspekt der Schutzlosigkeit unter anderen in ihrer Herleitung des Begriffs auf, vgl. 2005, 106f. Eine allgemeine Übersicht über den Begriff ʿaura gibt das Lexikon Islam. The Key Concepts, Ali 2008, 12-14. 322 Hayes 2000, 199.
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sie die gesteigerte Form von „nackt“ zu „montrer plus que sa peau“ strapaziert und den hiermit assoziierten Begriff der Autopsie aufwirft: Tenter l’autobiographie par les seuls mots français, c’est, sous le lent scalpel de l’autopsie à vif, montrer plus que sa peau. Sa chair se desquame, semble-t-il, en lambeaux du parler d’enfance qui ne s’écrit plus. Les blessures s’ouvrent, les veines pleurent, coule le sang de soi et des autres, qui n’a jamais séché. (L’amour, 224)
Djebar spricht die negative affektive Wirkung des Selbstzeugnisses auf die Autobiographin an. Sie überträgt das in sozialer Dimension relevante Konzept der Entblößung durch Wörtlichnehmen der Metapher „montrer plus que sa peau“ in eine pathologische Terminologie. Die Metapher der autobiographisch exponierten „Fetzen“ aus Kindheit und Leben323 der Erzählerin wird zurückübertragen in Haut- und Fleischfetzen des Körpers. Die Autobiographie („parler d’enfance“) fühlt sich für die Erzählende an, als würden sich Haut und Fleisch abschälen, Wunden und Venen öffnen und Blut fließen. Die „reelle Bedrohung“, welche die Autobiographie für den Körper darstellt, beschreibt Djebar in dem Kapitel „Violence de l’autobiographie“ aus Ces voix qui m’assiègent: [J]e ressors de cette exposition du moi en texte publié: ainsi, je me rétracte devant l’exhibition au premier instant risqué; ainsi, glissant dans une nouvelle vulnérabilité qui s’ajoute au risque bien réel du corps de femme, de la main de femme qui écrit sur soi, sur moi, sur nous, je finis par sortir de la mise sous silence; je finis par m’en sortir.324
Die Gefahr für den weiblichen Körper und insbesondere für die Hand, die schreibt, treibt Djebar in einer Anekdote auf die Spitze: Nach der Publikation von L’amour, la fantasia leidet die Autorin an einer Tendinitis, also einer Sehnenentzündung, von rechtem Arm und Schulter. Sie konsultiert jedoch keinen Arzt, da sie hinter ihrem Leiden keine medizinische Ursache vermutet, ausgelöst durch übermäßiges Schreiben, sondern die Veröffentlichung ihrer Autobiographie: „[I]ntérieurement, je savais que j’étais en train de payer le prix... de quoi? De la publication d’un livre autobiographique?“325 So wie Ben Jelloun das fertige Werk als (fremden) Teil seines Körpers begreift (vgl. „Geburt der Sprache aus dem Körper“), skizziert Djebar einen Zusammenhang zwischen Werk und Körper. Im Gegensatz zu Ben Jelloun verselbstständigt sich dieser Teil bei
323 Hierauf kommt Djebar auch in Ces voix qui m’assiègent zu sprechen (vgl. 108). 324 Ebd., 106. 325 Ebd., 107.
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Djebar jedoch nicht nach der „Absonderung“, sondern bleibt im Gegenteil psychosomatisch verbunden mit dem Rest des Körpers. Ihre Geschichten werden zum Teil ihres Körpers. Autobiographie und Autopsie Aus diesem Grunde geht Djebar nicht zu der ersten öffentlichen Disputation einer Abschlussarbeit über ihre Literatur, die eine ihrer Studentinnen angefertigt hatte, „parce que, me semblait-il, cela signifiait que j’allais assister, moi vivante, à ma propre autopsie!“326 . Ihr Körper erscheint hier verdoppelt: gleichzeitig Objekt und beobachtendes Subjekt der Autopsie, die so am lebendigen Leibe vollzogen wird. Djebars Überlegungen zum autobiographischen Schreiben erfolgen im Kontrast zu der kritischen Revision ihrer zu einem früheren Zeitpunkt entstandenen fiktiven Texte. Im Gegensatz zur autobiographischen Entblößung lässt das reine Romanschreiben einen Zustand der Verhüllung entstehen, wie Djebar in der späteren Auseinandersetzung mit ihrem Frühwerk erkennt: „Je me dis à présent que j’écrivais tout en restant voilée. Je dirais même que j’y tenais: de l’écriture comme voile!“327 . Djebar überträgt ein gesellschaftliches Konzept der muslimischen Kultur, und zwar den Schleier, auf ihre Literatur und illustriert dies in der für sie typischen selbstorientalisierenden Manier mit Beschreibungen der Sitten und Bräuche ihres Heimatdorfes. Im Zentrum steht dabei der Gang der bis auf die Augen verschleierten Mutter durch die Stadt mit ihrem Kind an der Hand – eine von Djebar ebenso wie die Szene an der Hand des Vaters vielfach evozierte und immer wieder neu beschriebene Szene.328 Die Gültigkeit der Schleiermetaphorik für ihre Werke begründet sie mit der Feststellung: „Il y a mille façons de se voiler“329 und gibt den internalisierten Schleier als natürliche Weise aus, sich in der Kultur, aus der sie stammt, zu verhalten: Ainsi, au début de ma pratique d’écrivain, mon rapport à la langue française déployée en narration s’approchait assez justement de cette image de la Mauresque s’avançant voilée
326 Ebd., 104. 327 Ebd., 97. 328 „Et j’avais évoqué [...] mon expérience de petite fille sortant dans la rue avec une dame (ma mère), citadine enveloppée de son voile de soie blanc, une voilette de gaze brodée sur le visage, et moi fillette à la main accrochée au pan rêche de la soie immaculée, prenant conscience des regards voyeurs des villageois sur cette citadine voilée qui se rendait, chaque jeudi, au hammam...“ (ebd., 43). 329 Ebd., 98.
174 | E INVERLEIBTE K OLONIALSPRACHE en pleine rue. Car si écrire c’est s’exposer, s’afficher à la vue des autres, se voiler même écrivant a été, pour moi, un mode naturel.330
Dass der Schleier nicht unbedingt dem „natürlichen“ Selbstverständnis der algerischen Frau aus Djebars Generation entspricht, zeigt die Tatsache, dass die Autorin selbst den Schleier als Kleidungsstück nie getragen hat. Zur Verschleierung ihrer Literatur trägt aber nicht nur bei, dass die Romane aus Djebars erster Schaffensphase fiktiver sind als jene, die nach der zehnjährigen schriftstellerischen Pause entstanden sind. Auch der Umstand, dass die Autorin auf Französisch schreibt, bewirkt den Effekt des „verschleierten Schreibens“: „J’ai utilisé jusque-là la langue française comme voile. Voile sur ma personne individuelle, voile sur mon corps de femme; je pourrais presque dire voile sur ma propre voix“331. Die Wirkungsweise der französischen Sprache erklärt sich so, dass sie als „langue de l’autre“332 immer einen gewissen Grad an Fremdheit behält und so als Schleier „non de la dissimulation ni du masque, mais [...] voile-barrière“333 , hinter dem sich die Autorin versteckt, fungieren kann: Ainsi pour moi, en une première étape de mon trajet d’écrivain: l’écriture, je la voulais loin de moi, comme si dans ses creux, ses pleins et ses déliés, je me cachais plutôt en elle, consciente de la curiosité extralittéraire en quelque sorte que mes écrits pouvaient susciter au préalable – un peu, après tout, comme la silhouette citadine maternelle défilant au centre du village, devant les paysans...334
Der Verschleierungseffekt, den die französische Sprache hat, zeigt einige Parallelen zu dem Konzept der „aphasie amoureuse“. Im Fall der Liebesaphasie steht das Französische im Kommunikationsprozess wie eine Barriere zwischen Senderin und Empfängerin, die auch auf den Körper wirkt. Die Schleiermetaphorik bringt damit das gleiche Phänomen zum Ausdruck wie die Aphasiemetapher – mit dem Unterschied, dass sie eine kulturelle Semantik aufruft, die spezifisch islamisch ist.
330 Ebd., 98. 331 Ebd., 43; Kursivierung im Original. 332 So auch der Titel eines Kapitels in Ces voix qui m’assiègent, unter welchem u.a. das Thema der „écriture comme voile“ abgehandelt wird (vgl. 41). 333 Ebd., 43. 334 Ebd., 43.
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Maskerade durch Sprache und Schleier Die Schleiermetaphorik im Zusammenhang mit der französischen Sprache ist aber auch Gegenstand von Djebars autobiographischem Werk. In Nulle part dans la maison de mon père lässt Djebar ihre Ich-Erzählerin im Kapitel „Dans la rue“ ihre ersten alleine unternommenen Ausflüge in die Öffentlichkeit der Stadt rekapitulieren. Für die Jugendliche ist es nur möglich, alleine und unverschleiert in der Stadt umherzulaufen, weil sie von ihren Landsleuten für eine Europäerin gehalten wird. Zu diesem Eindruck trägt unter anderem die französische Sprache bei, in der sie sich verständigt. Den Anschein, den ihr das Französische verleiht, möchte sie bei ihren Spaziergängen um jeden Preis bewahren: Surtout ne pas parler au-dehors sa [...] langue maternelle; si vous passiez inaperçue dans la rue [...]; surtout ne pas user de cette langue d’intimité avec un homme arabe: aussitôt, il vous scruterait, son respect naturel envers une Européenne de tout âge se changerait en hostilité vis-à-vis d’une jeune fille de sa communauté; il vous dévisagerait, l’air de dire: ‚L’impudique! Sans voile, et pas même les cheveux dissimulés!‘ [...] Pas question de vous dévoiler devant eux, ni de révéler votre identité: alors que vous l’étiez de fait, dévoilée! Mais aussi ‚masquée‘, oui, masquée par la langue étrangère! Tandis que, au-dehors, votre langue maternelle vous aurait trahie, elle vous aurait dénoncée [...]. (Nulle part, 337)
Die überwiegend männlichen Landsleute begegnen dem Mädchen mit Höflichkeit und Respekt, solange sie es nicht für eines der „eigenen Gemeinschaft“ halten. Um diesen Schein zu wahren, ist die Jugendliche gezwungen, ihre algerische Identität zu dissimulieren. Dies gelingt ihr mithilfe der französischen Sprache, die sie wie eine „Maske“ aufsetzt und so den fehlenden Schleier kompensiert. Beziehungsweise ist gerade der fehlende Schleier ein wesentlicher Bestandteil der Maskerade, wie ein Beispiel von Frantz Fanon zeigen wird. Sprache ist in Djebars Darstellung das maßgebliche Kriterium dafür, ob und wie der unverschleierte Körper des Mädchens von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Art der Sprachverwendung bestimmt die Erscheinung, weil der wahrgenommene Körper unter dem Gesichtspunkt der fremden Kultur anders bewertet und damit auch anders gesehen wird.335 Sehen als kulturelle Praktik hängt bei Djebar ganz entscheidend von der Sprache ab.
335 Bei Djebar findet sich aber auch das entgegengesetzte Beispiel, in welchem gerade der Schleier zum Garanten für die Freizügigkeit in der Öffentlichkeit wird. In Femmes d’Alger dans leur appartement schreibt sie: „Enveloppant totalement le corps et les membres, il permet à celle qui le revêt et qui circule au-dehors sous son couvert, d’être à son tour voleuse possible dans l’espace masculin“ ([1980] 2001, 150f.).
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Frantz Fanon beschreibt eine ähnliche Verschleierungstaktik in Sociologie d’une révolution (1959 ursprünglich unter dem Titel L’an V de la révolution algérienne erschienen) im Kapitel „L’Algérie se dévoile“. Hier geht es nicht um Sprache, die wie ein Schleier wirkt, sondern um den Schleier als Kleidungsstück, der im algerischen Befreiungskampf funktionalisiert wird zum „moyen de lutte“ und zur „technique de camouflage“336 – nämlich unter anderem dadurch, dass er weggelassen wird. Der algerische Widerstand macht sich die Entschleierungsobsession der Kolonialmacht zunutze,337 indem er barhäuptige Frauen für den Waffenschmuggel einsetzt. Die Strategie sieht so aus, dass eine Algerierin, die der Konvention entsprechend verschleiert sein müsste, keinen Schleier trägt oder ihn sogar ablegt. Auf diese Weise „transformée radicalement en Européenne“338 und „noyée dans le milieu“339 kann sie ungehindert die Grenzposten zwischen Kasbah und Ville nouvelle passieren: Porteuse de revolvers, de grenades, de centaines de fausses cartes d’identité ou de bombes, la femme algérienne dévoilée évolue comme un poisson dans l’eau occidentale. Les militaires, les patrouilles françaises lui sourient au passage, des compliments sur son physique fusent çà et là, mais personne ne soupçonne que dans ses valises se trouve le pistolet-mitrailleur qui, tout à l’heure, fauchera quatre ou cinq membres d’une des patrouilles. Il faut revenir à cette jeune fille, hier dévoilée, qui s’avance dans la ville européenne sillonnée de policiers, de parachutistes, de miliciens. Elle ne rase plus les murs comme elle avait tendance à le faire avant la Révolution. [...] Les épaules de l’Algérienne dévoilée sont dégagées. La démarche est souple et étudiée: ni trop vite, ni trop lentement. Les jambes sont nues, non prises dans le voile, livrées à elles-mêmes et les hanches sont ‚à l’air libre‘.340
Die hier von Fanon geschilderte Verschleierungstaktik besteht also darin, sich gerade nicht zu verschleiern und auf diese Weise nicht wahrgenommen zu werden. In Djebars Darstellung übernimmt Sprache diese Funktion.341
336 Fanon [1959] 1972, 44. 337 Hierzu noch ausführlicher im Teil über Gesellschaft unter Abschnitt „Entschleierungspolitik und Vergewaltigungsphantasien“. 338 Fanon [1959] 1972, 40. 339 Ebd., 40. 340 Ebd., 41f. 341 Vgl. zu Ben Jellouns „verschleiertem Schreiben“ die Diskussion bei Hayes 2000, 193f.
VII. Fremdsprache im Körperschema
Tahar Ben Jelloun und Assia Djebar buchstabieren das Verhältnis zwischen der ehemaligen Kolonialsprache Französisch und dem Körper in vielschichtigen Metaphern, Allegorien und Anekdoten aus: als Aphasie, im Gebrauch des Namens, als Geburt, Nessushemd oder Schleier. Die französische Sprache ist in diesen Figuren als Teil des Körpers gedacht und wirkt als seine Verlängerung, Schutzhülle oder ihm schadender Fremdkörper. Insbesondere in den Behausungs- und Bekleidungsmetaphern zeigt sich, dass und wie Sprache als etwas verstanden wird, das zum Körperschema gehört. Das heißt zur Korrelation von der Wahrnehmung vom materiellen, aus einzelnen Teilen zusammengesetzten Körper und der Vorstellung vom eigenen Körper. So unterliegt Sprache denselben Mechanismen wie ein Kleidungsstück, die zur Wahrnehmung des Körpers als Ganzes, als einheitliches Schema, durch ein übergeordnetes Ich zusammenspielen. Im Folgenden unternehme ich den Versuch, dieses eng an den Körper gebundene Verständnis von Sprache mit zwei Theorien zu fassen, die sich jeweils mit dem Körperschema beschäftigen, mit den Funktionsweisen und wie es zustande kommt. Sie stehen direkt oder indirekt in der phänomenologischen Tradition. Zum einen wird ein kleiner Teilkomplex von Maurice Merleau-Pontys Phénoménologie de la perception (1945) herangezogen. In besagtem Abschnitt geht es neben grundsätzlichen Annahmen zum Prozess der Körperwahrnehmung als Ganzes vor allem um die Frage, wie an sich nicht zum Körper gehörende Teile, etwa Prothesen oder Instrumente, in den Wahrnehmungsbereich integriert werden. Zum anderen beziehe ich Saba Mahmoods Studie The Politics of Piety: The Islamic Revival and the Feminist Subject (2005) in die Überlegungen ein, um Wechsel- und Rückwirkungen zwischen Körper und Teil veranschaulichen zu können.
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Die Einverleibung von Instrumenten Merleau-Ponty geht im Abschnitt „La spatialité du corps propre et la motricité“ aus der Phénoménologie de la perception anhand von Studien zu motorischen Pathologien der Frage nach, wie der Körper als Einheit empfunden wird, wie sich seine Außengrenzen konstituieren und wie sie sich verschieben, wenn Teile hinzukommen oder verloren gehen. Zunächst heißt es: „[M]on corps tout entier n’est pas pour moi un assemblage d’organes juxtaposés dans l’espace. Je le tiens dans une possession indivise et je connais la position de chacun de mes membres par un schéma corporel où ils sont tous enveloppés.“342 Beim Körperschema handelt es sich nicht einfach nur um einen anderen Begriff für eine Ansammlung von verschiedenen Komponenten, die einzeln für sich bedeutend sind, sondern um mehrere Elemente, die durch ihre Stellung zueinander bestimmt sind. Sie bilden so ein einheitliches Ganzes, als welches sie wahrgenommen werden, das nicht vom Ich zu unterscheiden ist. Fällt eine Komponente weg, verändert sich hierdurch das Ganze. In dieses Körperschema können auch Gegenstände eingebunden werden, die in keiner organischen Einheit mit dem Körper stehen, wie Werkzeuge oder Instrumente. Für ein in das Körperschema integriertes Instrument gilt dann das gleiche, es wird als zum Körper gehörend wahrgenommen. In dieser Beziehung hört es auf, ein bloßes Ding, ein Werkzeug, zu sein. Von der Körperschematheorie aus gedacht, kann nämlich kein Körperteil als Instrument verstanden werden, auch beispielswiese die Hände nicht, wie Bernhard Waldenfels ausführt: Wäre der Körper ein Instrument, dann bräuchte ich einen weiteren Körper, der den Körper als Instrument gebraucht. Die Antwort, die man auf dieses Problem zu geben pflegt, lautet: der Leib wird unmittelbar bewegt, ohne daß sich etwas, ein Werkzeug, vermittelnd zwischen Ich und Körper schiebt.343
Auch Merleau-Ponty zeigt an einer Reihe von Beispielen, dass Werkzeuge und Instrumente als untrennbar mit dem Körper verbunden wahrgenommen werden: „Le bâton de l’aveugle a cessé d’être un objet pour lui, il n’est plus perçu pour lui-même, son extrémité s’est transformée en zone sensible, il augmente l’ampleur et le rayon d’action du toucher, il est devenue l’analogue d’un regard.“344 Der Blindenstock wird zur Verlängerung des Körpers, seine Außenkante zur empfindsamen Körpergrenze, mit welcher der Blinde seine Umwelt un-
342 Merleau-Ponty 1945, 114; Kursivierung im Original. 343 Waldenfels 2000, 41. Hervorhebung im Original. 344 Merleau-Ponty 1945, 167.
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vermittelt spürt und wahrnimmt. Er ist so in der Lage, den einen dysfunktionalen Sinn durch einen neuen Sinn zu ersetzen. Dies ist möglich durch Gewohnheit, die Körperraum und Ausdehnung des Werkzeugs verschmelzen lässt: S’habituer à un chapeau, à une automobile ou à un bâton, c’est s’installer en eux, ou inversement, les faire participer à la voluminosité du corps propre. L’habitude exprime le pouvoir que nous avons de dilater notre être au monde, ou de changer d’existence en nous annexant de nouveaux instruments.345
Die Gewohnheit gründet dabei weder im Denken noch im objektiven Leib, sondern „dans le corps comme médiateur d’un monde“346. Dies veranschaulicht Merleau-Ponty mit einem eindrücklichen Beispiel, dem des geübten Organisten, der auch auf einer ihm unbekannten Orgel mit einer anderen Anzahl an Klaviaturen und einer ihm fremden Anordnung der Register spielen kann und hierfür lediglich eine Stunde Übungszeit braucht. Dies gelingt nicht etwa, weil er eine Vorstellung von dem Instrument gewinnt, indem er es analysiert. Er verleibt sich das Instrument ein: Il s’assied sur le banc, il actionne les pédales, il tire les jeux, il prend mesure de l’instrument avec son corps, il s’incorpore les directions et les dimensions, il s’installe dans l’orgue comme on s’installe dans une maison. [...] Entre l’essence musicale du morceau telle qu’elle est indiquée dans la partition et la musique qui effectivement résonne autour de l’orgue, une relation si directe s’établit que le corps de l’organiste et l’instrument ne sont plus que le lieu de passage de cette relation. Désormais la musique existe par soi et c’est par elle que tout le reste existe.347
Der Körper des Organisten und die Orgel sind zu einer untrennbaren Einheit geworden und bilden so für die Musik einen „Ausdrucksraum“ („espace expressif“)348 , in dem diese scheinbar unmittelbar in Erscheinung treten kann. Um dieses Zusammenwirken einzelner Komponenten – von Künstler, Instrument und materieller, codierter Seite der Kunst, etwa der Partitur – zu einem Ganzen, zum Kunstwerk, zu illustrieren, zieht Merleau-Ponty ein Beispiel aus der Literatur heran. Marcel Proust stellt in Du côté de chez Swann dar, wie der Geiger aus der Außenperspektive betrachtet nur mehr zum Handlanger des künstlerischen
345 Ebd., 168. 346 Ebd., 169. 347 Ebd., 170. 348 Ebd.
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Akts wird, bei dem sich die Musik selbst hervorbringt: „Comme si les instrumentalistes beaucoup moins jouaient la petite phrase qu’ils n’exécutaient les rites exigés d’elle pour qu’elle apparût...“ und „[s]es cris étaient si soudains que le violoniste devait se précipiter sur son archet pour les recueillir“349 . Prousts Beispiele erinnern an Tahar Ben Jellouns im ersten Kapitel besprochene Erzähler, die im erzählerischen Ritus den Geschichten dazu verhelfen, sich selbst hervorzubringen. Allerdings wird bei Merleau-Ponty Kunst nicht als autonome Entität oder gar eigenständiges Wesen wie bei Ben Jelloun begriffen, sondern als Produkt des Zusammenwirkens mehrerer Komponenten, die sich nicht in die Kategorien Leib, Körper und Welt unterscheiden lassen350 und nicht mit einem entweder rein intellektualistischen oder einem rein empiristischen Ansatz erfassbar sind.351 Führt man diesen Gedanken der grundsätzlichen Ununterscheidbarkeit weiter, so kann auch Sprache etwas sein, das in das Körperschema integrierbar ist.352 Hinsichtlich dieser Annahme lassen sich Ähnlichkeiten finden zwischen Merleau-Pontys Beispielen für seine phänomenologische Annäherung an den Körper und Ben Jellouns Beispielen für seinen Begriff von Sprache. Beide verwenden die Metapher des Hauses, Merleau-Ponty („il s’incorpore les directions et les dimensions, il s’installe dans l’orgue comme on s’installe dans une maison“, 170) um herauszustellen, wie die Konstitution des Körperschemas vonstattengeht, und Ben Jelloun („Ne me dites pas pourquoi j’écris en français, mais pourquoi et comment j’habite cette langue. [...] On prend possession de l’espace“, La maison des autres, 8) um zu verbildlichen, was der Erwerb einer Fremdsprache bedeutet. Sowohl Ben Jellouns als auch Djebars Beschreibungen von Sprache legen nahe, diese der Sphäre des Körpers zuzurechnen.
349 In Du Coté de chez Swann II, 187 und 193; zitiert nach ebd., 170 Fn. I. 350 Insofern sieht Merleau-Ponty sich auch nicht mit der Leib-Seele- oder Leib-KörperProblematik konfrontiert, die ja auf der Annahme der grundsätzlichen Verschiedenheit von Leib und Welt gründet, vgl. hierzu Mergenthaler 2001, 123. Jedoch bleibt das Problem der Sprache bestehen: Merleau-Ponty versucht zwar durch Begriffe wie „Ambiguität“, „Zweideutigkeit“ und „Mehrdeutigkeit“ der traditionellen cartesischen dualistischen Terminologie der Unterscheidung in Körper und Seele oder Geist (res extensa und res cogitans) zu entrinnen, verfällt aber zwangsläufig in Descartes’ Sprache zurück. Vgl. hierzu beispielsweise Waldenfels 2000, 42f. 351 Vgl. Merleau-Ponty 1945,, 171f. 352 Im Folgenden bleibt unberücksichtigt, was Merleau-Ponty zur Sprache gesagt hat. Vgl. hierzu aber beispielsweise Bertram 2008, 182-209.
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Sie unter Aspekten von Merleau-Pontys Körperschema-Theorie zu beleuchten, soll verständlicher machen, wie Sprache als Teil des Körpers wahrgenommen werden kann, wie sie angeeignet und „einverleibt“ wird. So beschreibt Djebar beispielsweise, dass mit zunehmendem Erwerb der französischen Sprache auch eine Veränderung des Körpers einhergeht: „[J]e parlais, j’étudiais donc le français, et mon corps, durant cette formation, s’occidentalisait à sa manière“ (L’amour, 181. Vgl. außerdem Abschnitt „Gefühlsaphasie“). Die „Okzidentalisierung“ des Körpers bedeutet vor allem eine neue Wahrnehmung der gewohnten Praktiken und Techniken wie beispielsweise des Schneidersitzes, der plötzlich als unbequem empfunden wird (vgl. L’amour, 181). Ein Beispiel aus Ben Jellouns L’enfant de sable ist die sprachliche Sozialisation von Ahmed, allerdings in Bezug auf die Muttersprache Arabisch und nicht die Fremdsprache Französisch. Das Sprachelernen wird als Vorgang geschildert, bei welchem in der Wahrnehmung des Kindes Sprache in ihrer Materialität mit dem Körper interagiert. Im Hammam wird der kindliche Körper von Ahmed durch Gesprächsfetzen und derbe Ausdrücke der Frauen beschmutzt: Les mots et phrases fusaient de partout et, comme la pièce était fermée et sombre, ce qu’elles disaient était comme retenu par la vapeur et restait suspendu au-dessus de leurs têtes. Je voyais des mots monter lentement et cogner contre le plafond humide. Là, comme des poignées de nuage, ils fondaient au contact de la pierre et retombaient en goulettes sur mon visage. Je m’amusais ainsi; je me laissais couvrir de mots qui ruisselaient sur mon corps mais passaient toujours par-dessus ma culotte, ce qui fait que mon bas-ventre était épargné par ces paroles changées en eau. J’entendais pratiquement tout, et je suivais le chemin que prenaient ces phrases qui, arrivées au niveau supérieur de la vapeur, se mélangeaient et donnaient ensuite un discours étrange et souvent drôle. [...] Tout ce qui s’y dessinait n’était pas forcément intelligible. [...] Il y avait des mots qui tombaient souvent et plus vite que d’autres, comme par exemple: la nuit, le dos, les seins, les pouce... à peine prononcés, je les recevais en pleine figure. [...] Lorsque ma mère me savonnait, elle était étonnée de constater combien j’étais sale. Et moi, je ne pouvais pas lui expliquer que le savon que coulait emportait toutes les paroles entendues et accumulées le long de cet après-midi. Quand je me retrouvais propre, je me sentais nu, comme débarrassé de frusques qui me tenaient chaud. (L’enfant, 33-36)
In der Wahrnehmung des Kindes materialisieren sich die gesprochenen Worte und haben so Einfluss auf die ontologische Beschaffenheit der materiellen Welt. Nachdem sie den Mund der Frauen verlassen haben, geraten sie auf ihren Eigenschaften zugeschriebenen Wegen – leichtere Worte steigen zum Beispiel zur Decke auf und fallen von dort als Tropfen herab – in die Körpersphäre von Ah-
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med. Da manche Worte schmutzig sind, wie das Kind bemerkt, als sein Körper mit ihnen in Berührung kommt, wird es selbst auch schmutzig. Dies fällt auch der Mutter auf, die Ahmed abseift. An dieser Stelle wird die als Imagination des Kindes interpretierbare Darstellung von Sprache als materielle Substanz durchbrochen. Die zunächst als Metaphorik der Tagträumerei zu verstehende Beschreibung der Erfahrung mit Sprache wird weitergetrieben und überstrapaziert. Dieser Punkt ist erreicht, als die Wahrnehmung der Mutter als Garant der intersubjektiven Wirklichkeit verdeutlicht, dass tatsächlich die wörtliche Bedeutung gemeint sein muss, denn natürlich kann eine Metapher einen Körper nicht in materieller Weise beschmutzen. Worte haben nach dieser Konzeption einen unmittelbaren somatischen Effekt und müssen nicht erst decodiert werden. Daher macht es keinen Unterschied, ob das Kind die Worte der Frauen begreift oder nicht, sie wirken dennoch auf seinen Körper. Das Kind fühlt sich nach der Waschung nackt und der Wärme der Worte beraubt – ein Hinweis darauf, dass diese bereits in das Körperschema integriert wurden und ihr Fehlen daher als Mangel bemerkt wird. In diesem Beispiel wird eine Möglichkeit aufgezeigt, wie Sprache auf materielle Weise eine Symbiose mit dem Körper eingehen kann und nicht etwa psychosomatisch wirkt, wie man bei dem Beispiel der Gefühlsaphasie auch annehmen könnte. Vor dem Hintergrund der Körperschema-Theorie gewinnen außerdem beispielsweise die Metapher des Diebes bei Ben Jelloun353 beziehungsweise die der Hausbesetzerin bei Djebar354 neue Bedeutung. Dadurch, dass sie sich unberechtigterweise Zugang zu einem Haus verschaffen, das ihnen nicht gehört, und es besetzen, bleibt ein gewisser Grad an Fremdheit in der Beziehung zum Haus bestehen, über den auch jahrelange Gewohnheit nicht hinwegtäuschen kann. Diese Metapher verdeutlicht daher in anschaulicher Weise das Identitätsproblem, an dem sich die Autoren abarbeiten: Wenn die Integration der Fremdsprache in das Körperschema ein Erfolg war und ihr dennoch ein Moment der Fremdheit inhärent bleibt, so bedeutet dies für den Körper Entfremdung von sich selbst, wie sie auch durch eine Prothese bewirkt werden kann.355 Der somatische Effekt der Gefühlsaphasie ist eine Folge davon, die sich ambivalent auswirkt: Einerseits als Gefühlsmangel empfunden, kann sie andererseits aber auch schützend wie ein Schleier wirken, der sich über die autobiographische Preisgabe von
353 Vgl. Reif 1989, 992. 354 Vgl. Ces voix, 44. 355 Die vor diesem Hintergrund umso bedeutsamere Metapher der Prothese wählt Jacques Derrida ja für seinen bereits zitierten Aufsatz über Einsprachigkeit Le monolinguisme de l’autre – ou la prothèse d’origine.
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persönlichen und intimen Details legt und diese als weniger beschämend erscheinen lässt, wie Djebar in „De l’écriture comme voile“ (vgl. „Sprachschleier“) zeigt. Gerade die Verschleierung als Körperpraktik ist ein gutes Beispiel, um die Auswirkungen eines dem Körperschema einverleibten Teils auf den Körper zu illustrieren. Dies spielt eine Rolle etwa beim Nennen des Namens in der Öffentlichkeit (vgl. „Hervorbringung des Körpers aus dem Namen“). Auch die „Okzidentalisierung“ des Körpers durch die französische Sozialisation und damit die Revision althergebrachter Körpertechniken und -praktiken ist Ergebnis eines Wechselwirkungsprozesses. Körperschema und Selbstkultivierung Welche Wirkungen ein einzelner Teil des Körperschemas auf den Rest des Körpers – hier verstanden als allumfassendes Ganzes im Sinne von Merleau-Ponty – entfalten kann, zeigt sich in Saba Mahmoods Politics of Piety (2005). In ihrer Studie untersucht Mahmood die Wirkungsweise von Körpertechniken und -praktiken in der religiösen Selbsterziehung von Musliminnen der „FrauenMoscheebewegung“ (bei Mahmood „Women’s Mosque Movement“) in Kairo. Die der Studie zugrunde liegende These ist, dass zur Glaubenspraxis gehörende Attribute und Techniken wie Schleier oder Gebet nicht nur Ausdruck von Frömmigkeit sind, sondern vor allem auch zur Frömmigkeit erziehen.356 Gerade der Schleier spielt eine wichtige Rolle bei der Verkörperung von Tugenden und ist daher für die Mehrheit der befragten Frauen a necessary component of the virtue of modesty because the veil both expresses ‚true modesty‘ and is the means through which modesty is acquired. They [the participants – S.K.] draw, therefore, an ineluctable relationship between the norm (modesty) and the bodily form it takes (the veil) such that the veiled body becomes the necessary means through which the virtue of modesty is both created and expressed.357
So mag sich der Schleier, wenn er das erste Mal angelegt wird, noch ungewohnt und sogar peinlich für die Trägerin anfühlen. Doch mit zunehmender Gewohnheit kehrt sich diese anfängliche Wahrnehmung um, so dass sich bei der Gläubi-
356 Diese These stammt nicht ursprünglich von Mahmood, sondern sie entwickelt ihre Gedanken unter Rekurs auf bekannte Konzepte, darunter Pierre Bourdieus Habituskonzept, Michel Foucaults Selbsttechniken- und Marcel Mauss’ Körpertechnikenbegriff sowie Judith Butlers Agencykonzept, vgl. vor allem Mahmood 2005, 17-34, 118-122, 134-139, 161-167. 357 Ebd., 23; meine Hervorhebung.
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gen ohne den Schleier das Gefühl von Nacktheit und Scham einstellt, wie eines der Mitglieder der Moscheebewegung erläutert: In the beginning when you wear it, you’re embarrassed [...] and don’t want to wear it because people say that you look older and unattractive, that you won’t get married, and will never find a husband. But you must wear the veil, first because it is God’s command [...], and then, with time, because your inside learns to feel shy without the veil, and if you take it off, your entire being feels uncomfortable [...] about it.‘358
Durch die Integration des Schleiers in das Körperschema wird auch die an ihn gebundene Semantik, hier Schamhaftigkeit, einverleibt. Dass die Praxis der Verschleierung ein geeignetes Mittel zur „cultivation of the ideal virtuous self“359 sein kann, bedeutet einen direkten Zusammenhang zwischen Körper, Instrument, Wahrnehmung und Selbstbild, die im Körperschema vereint sind. Einen solchen Effekt schildert Djebar in der bereits diskutierten PostkartenSzene, in welcher die Eltern der Ich-Erzählerin sich mit fortschreitender Französisierung auch in der Öffentlichkeit mit Vornamen anreden (vgl. „Hervorbringung des Körpers aus dem Namen“). Die Praktik des Namens, ob und wie man mit Namen angesprochen oder in Abwesenheit genannt wird, und wie man selbst Andere bezeichnet, gehört in meiner Argumentation auch zum Körperschema. Daher verändern sich mit zunehmender Französischpraxis der Mutter Selbstund Fremdwahrnehmung der Eltern. Weil sie in der Öffentlichkeit direkt namentlich aufeinander Bezug nehmen, erscheinen sie sich selbst und anderen als verbunden – aufgrund der Ungewöhnlichkeit sogar exklusiv und auffällig verbunden. Das besagte Zitat aus L’amour, la fantasia sei hier zur Erinnerung noch einmal aufgegriffen: Au fur et à mesure que le discours maternel évoluait, l’évidence m’apparaissait à moi [...]: mes parents, devant le peuple des femmes, formaient un couple, réalité extraordinaire! [...Q]uand ma mère évoquait les menus incidents de notre vie villageoise [...], mon père [...] semblait dresser sa haute silhouette au sein même de ces conciliabules des femmes cloîtrées dans les patios vieillis. (L’amour, 55)
Im Gegensatz zum „verschleierten Schreiben“ entspricht die offene Namensverwendung einer „Entschleierung des Sprechens“ und auf diese Weise auch einer Entschleierung der Beziehung der Eltern, die hierdurch offensichtlich wird.
358 Ebd., 157; Hervorhebung im Original. 359 Ebd., 2.
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Ein weiteres bereits besprochenes Beispiel dafür, wie Djebar die unmittelbare Wirkung von Sprache auf die körperliche Erscheinung darstellt, ist die Verwendung des Französischen als „Sprachschleier“, der seiner Trägerin freizügiges Bewegen in der Öffentlichkeit garantiert. Als Mittel der Dissimulation nimmt der Sprachschleier in diesem Beispiel besonders Einfluss auf die Parameter der öffentlichen Wahrnehmung und erst über diesen Umweg auch auf die Selbstwahrnehmung: als Blick der Anderen nämlich, der ebenfalls Bestandteil des Körperschemas ist. Waldenfels geht auf Merleau-Ponty aufbauend davon aus, daß das Körperschema nicht einfach ein Schema ist, das einmal erlernt ist und dann gebraucht wird, sondern es bedeutet eine Artikulation und Gliederung der Leiblichkeit, die sich allmählich entfaltet – und dies nicht nur in der Weise, daß ich selber mich auf bestimmte Weise erfahre, sondern so, daß auch das Gesehenwerden, der Blick des Anderen in diese Körperschematik eingeht.360
Waldenfels zitiert aus Merleau-Pontys Spätwerk Das Sichtbare und das Unsichtbare (Le Visible et l’invisible, 1964), um zu zeigen, wie genau das Körperschema entsteht und welche Rolle der Aspekt des Sozialen, besonders der Blick von Anderen, dabei spielt. Als Beispiel für die Konstitution des Körperschemas in der Interaktion mit Anderen führt Merleau-Ponty „eine Frau auf der Straße“ an, „die spürt, daß man auf ihre Brust schaut und ihr Kleid kontrolliert [...]. Ihr Körperschema ist Für-sich-für-Andere – Es ist das Scharnier zwischen Für-sich und Für-Andere [...]. Einen Leib haben bedeutet, gesehen werden (es bedeutet nicht nur das), es heißt, sichtbar sein“361 . Waldenfels zeigt an Merleau-Pontys Beispiel, wie die Gliederung des Körpers im Körperschema als Wechselwirkungsprozess zustande kommt und von vornherein vom Anderen her gedacht wird, nicht nur so wie mein Leib sich mir darstellt, sondern wie die Anderen mich sehen und wie ich selber erfahre, daß und wie die Anderen mich sehen. Die Frau erfährt und spürt an sich selbst den indiskreten Blick, durch den sie sich beobachtet fühlt. [...] Das Körperschema, die Art und Weise, wie der Körper sich gliedert, ist zugleich ein Ausdruck dessen, wie Andere mich sehen. – Denken wir an die Kleiderkultur: Ohne Kleider wäre keine Kultur zu denken; auch ‚nackt sein‘ bedeutet nicht einfach, ‚ohne Kleider sein‘ oder
360 Waldenfels 2000, 122. 361 Merleau-Ponty 1986, 244 (frz. 243). Mit minimalen Abänderungen zitiert nach Waldenfels 2000, 121; Hervorhebung bei Waldenfels.
186 | E INVERLEIBTE K OLONIALSPRACHE ‚unbekleidet sein‘, sondern es bedeutet eine bestimmte Form, sich zu zeigen oder nicht zu zeigen, ein gleichzeitiges Sichverhüllen und Sichenthüllen.362
Mit dem Aspekt des Blicks im Körperschema, insbesondere mit den sozialen Interaktionen, Handlungsformen oder Maßnahmen, die zu seiner Internalisierung führen, beschäftigt sich das nächste Kapitel.
362 Waldenfels 2000, 121f; Hervorhebung im Original.
Verkörperungen der (post-)kolonialen Gesellschaft
VIII. Divide et impera Koloniale Körperpraktiken und widerständige Körper
La colonie, la division elle l’enfante: elle est inscrite dans son corps, chacun des sexes est divisé, chacun de sa postérité est écartelé, chacun de ses cadavres ou de ses aînés est renié! DJEBAR, NULLE PART, 38
1. DIE EROBERUNG VON LAND UND KÖRPER Im Kapitel „La prise de la ville“ aus L’amour, la fantasia schildert Djebar den ersten Vorstoß einer französischen Flotte auf Algier am 13. Juni 1830: Aube de ce 13 Juin 1830, à l’instant précis et bref où le jour éclate au-dessus de la conque profonde. Il est cinq heures du matin. Devant l’imposante flotte qui déchire l’horizon, la Ville Imprenable se dévoile, blancheur fantomatique [...]. Triangle incliné dans le lointain et qui, après le scintillement de la dernière brume nocturne, se fixe adouci, tel un corps à l’abandon, sur un tapis de verdure assombrie. [...] Premier face à face. La ville [...] surgit dans un rôle d’Orientale immobilisée en son mystère. L’armada française va lentement glisser devant elle en un ballet fastueux [...]. L’homme qui regarde s’appelle Amable Matterer. Il regarde et il écrit, le jour même: ‚J’ai été le premier à voir la ville d’Alger comme un petit triangle blanc couché sur le penchant d’une montagne‘. (L’amour, 14f.)363
363 Trudy Agar untersucht in ihrem Aufsatz „Villes impénétrables, villes de fitna: la ville sexuée chez Yasmina Khadra et Assia Djebar“ (2013) ebenfalls diese Passage vor dem Hintergrund der Allegorie „femme-nation“, vgl. 24-28. Der Aufsatz ist nach meiner Beschäftigung mit der Körperallegorie erschienen, so dass ich ihn erst für die Druckfassung zur Kenntnis nehmen konnte.
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Sofort fällt die Körpermetaphorik im Zusammenhang mit der Einnahme Algiers ins Auge, die Djebar bei Matterer findet und für ihre Beschreibungen übernimmt. Die Stadt wird als weiblicher, orientalischer Körper in Szene gesetzt, der sich vor den Augen der Eroberer enthüllt. „Blancheur fantomatique“ ist eine Wendung, die Djebar sonst einsetzt, wenn sie über von Kopf bis Fuß in weiße Seide gewandete Frauen ihrer Heimat schreibt.364 Besonders prägnant ist darüberhinaus die Formulierung „triangle incliné“ bei Djebar beziehungsweise „triangle blanc couché“ bei Matterer, die der Landnahme eine sexuelle Stoßrichtung verleiht. Der Blick der männlichen Eroberer dringt zur fremden Stadt vor wie zum sorgfältig verhüllten weiblichen Geschlecht. Dabei spielt es für Matterer auch eine Rolle, dass er der erste ist, der das noch jungfräuliche Algier sieht. Die gewaltsame Einnahme der Stadt wird mit der Vergewaltigung eines weiblichen Körpers gleichgesetzt und als solche inszeniert, wie auch Murdoch über diese Szene in Djebars Roman bemerkt: „The first chronicler, Amable Matterer, [...] is present, about to write, and the story again suggests an equivalent relationship between military conquest and desire, the women a metonymical representation of an Algeria taken against her will.“365 Körper in Karten Bei der weiblichen Körperallegorik für Land, Nation oder Gemeinschaft – bekannt sind beispielsweise Darstellungen der Nation als Marianne, Britannia oder Germania – handelt es sich um einen europäischen Topos, der wahrscheinlich durch den Kolonialismus in die Länder Nordafrikas exportiert wurde.366 Verbreitet waren bereits in der Frühen Neuzeit Landkarten, auf denen Länder oder ganze Kontinente in Frauengestalt abgebildet waren, wie die folgende Karte zeigt:
364 Vgl. beispielsweise Ces voix, 99; L’amour, 164; Vaste est la prison, 173-175. 365 Murdoch 1993, 78. Vgl. zur Gleichsetzung der Eroberung von algerischen Frauen und algerischem Boden außerdem Erickson 2008, 47f., und zur Feminisierung Algeriens in Kultur und Politik Woodhull 1993, 16-24; Murdoch 1993, 78-80, 84. 366 Vgl. Braun und Mathes 2007, 314-316.
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Abbildung 3: „Europa Regina“, Die Landkarte zeigt Europa als Königin und wurde in dieser Form wahrscheinlich in Sebastian Münsters Cosmographia abgedruckt, und zwar in der Edition von 1570
Bildnachweis: Wikipedia, „Europa regina“
Die Landkarte „Europa Regina“ zeigt Europa als Königin, deren Haupt die Iberische Halbinsel und deren Herz Böhmen ist. Es handelt sich hierbei um die erste personifizierte Darstellung des europäischen Kontinents, die zum „‚Urbild‘ eines neuen Typus von Europadarstellungen“367 wurde. Zum ersten Mal wurde sie 1537 vom Kartographen Johannes Putsch als Holzschnitt entworfen und in die-
367 Werner 2009, 243.
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ser oder einer ähnlichen Version vielfach nachgedruckt.368 In der allegorischen Ausdeutung der Darstellung durch die Kunsthistorikerin Elke Anne Werner umfasst die Frauengestalt, die durch die Insignien Reichsapfel und Zepter als Repräsentantin des Kaisertums gekennzeichnet ist, in ihrer geographischen Form das ganze christliche Europa. Sie verkörpert so das aus dem Mittelalter tradierte Konzept der politischen Einheit aller Christen, die res publica christiana, die zur ideellen Grundlage des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation wird. Durch die Darstellung Spaniens als gekröntes Haupt erscheint Europa triumphans als Verkörperung des habsburgischen Anspruchs auf Universalmonarchie. Nach Werner lassen sich in der Art der Abbildung aber noch weitere Deutungsebenen auftun. So verweist die Tatsache, dass die Königin als junge Frau, umgeben von Wasser, illustriert ist, auf einen europäischen Gründungsmythos, nämlich die Entführung Europas durch Zeus als Stier. In der Illustration Europas, als ganze Figur und darüberhinaus als Herrscherin im Gegensatz zu den anderen erkennbaren Weltteilen Asien und Afrika, lässt sich der Anspruch auf Weltherrschaft und kulturelle Überlegenheit über die anderen Kontinente ablesen, die durch ihre amorphe Erscheinung den unzivilisierten Naturzustand verkörpern. Die Personifikation ruft außerdem den Topos vom Herrscher auf, der sich sein Königreich zur Frau nimmt. Dies impliziert auch das nach rechts geneigte Haupt der Königin, die in ihrer Körperhaltung mit den Darstellungskonventionen von Ehepaarbildnissen übereinstimmt, nach welchen die Frau links vom Mann, diesem zugewandt, abgebildet ist. Bekräftigt wird diese Deutung zudem durch die Geste der rechten Hand, die einem imaginären männlichen Gegenüber den Reichsapfel und somit die Macht darzureichen scheint.369 In der Visualisierung Europas als Körper einer Königin hat man ein wirkmächtiges Bild geschaffen, in welchem das neuzeitliche Europa als politischgesellschaftliche Einheit vorgestellt wird. Nicht nur wollten die Habsburger mittels der Körpermetapher „das doppelt Fiktive ihres eigenen politischen Anliegens [...] überwinden“370 , womit das politische Konstrukt der universitas christiana und der Anspruch auf Universalmonarchie gemeint sind. Auch ist die Metapher des politischen und sozialen Körpers ein Mittel der Selbstvergegenwärtigung von Kollektiven, wie Werner mit Rekurs auf die Studie Der fiktive Staat: Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas von
368 Vgl. zu kartographischen Darstellungen Europas Borgolte 2001, 16, und BennholdtThomsen 1999, 22. Zur genaueren Geschichte dieser Darstellung und ihrer Adaptionen siehe außerdem Werner 2009, 243-249. 369 Vgl. Werner 2009, 244f. 370 Ebd., 245.
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Albrecht Koschorke, Susanne Lüdemann, Thomas Frank und Etel Matala de Mazza konstatiert.371 Demnach dient die Körpermetaphorik, deren Wirkungsgeschichte die Autoren in der europäischen Tradition von Platon und Paulus bis hin zur Biopolitik des 20. Jahrhunderts nachvollziehen, nicht nur der Veranschaulichung. Ihr wird vor allem auch institutionsbildende Wirkung beigemessen: „Aus der imaginären Selbstvergegenwärtigung von Kollektiven als Körperschaften erwachsen politische und rechtliche Regulative, die für die europäische Staatsentwicklung grundlegend sind“372 . Der Gedanke der imaginären Einheit, die durch das Körperbild im Zusammenhang mit „unsichtbaren“, nicht als Gestalt erkennbaren Entitäten wie Staat, Gesellschaft oder Kirche evoziert wird, ist nicht nur für die Durchsetzung von innereuropäischen Machtansprüchen und die Schaffung innerer Einheit von Belang. Auch vor dem Hintergrund der Legitimierung von Kolonial- und Zivilisierungsmissionen ist die Körpermetaphorik bedeutungsvoll. Die Personifikation von Europa als Königin ist Ausdruck des Herrschaftsanspruchs gegenüber den übrigen Erdteilen. Bereits um 1340 entwarf der Geistliche Opicinus de Canistris eine symbolische Landkarte, in der Europa in Männer- und Nordafrika in Frauengestalt abgebildet sind.
371 Vgl. ebd., 246. 372 Koschorke 2007, 11; das Zitat findet sich in längerer Fassung auch bei Werner 2009, 246.
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Abbildung 4: Symbolische Weltkarte in einem Manuskript von Opicinus de Canistris 1335-1342, linke Hälfte der Karte
Bildnachweis: Meister der Kartographie, 319
Der Topos von Europa als „Braut der Fürsten“373 wird in dieser Karte aufgerufen, gewinnt aber durch die Art der Darstellung eine andere Bedeutung als die soeben ausgeführte. Nicht der menschliche Herrscher nimmt sein personifiziertes Reich in der Allegorie des weiblichen Körpers in Besitz, sondern das männlich personifizierte Europa nimmt das weibliche Afrika zur Frau. Bereits im Mittelalter existierte also die Vorstellung von nordafrikanischem Gebiet als weiblichem Körper, die so auch die Möglichkeit seiner Einnahme – gewaltsam
373 So der Titel des Aufsatzes von Wolfgang Schmale „Europa, Braut der Fürsten: Die politische Relevanz des Europamythos im 17. Jahrhundert“, der die Heiratsmetaphorik von Herrscher und seinem Reich, das er zur Frau nimmt, zum Gegenstand hat, vgl. 2004, vor allem 253-267.
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oder durch Heirat – einbezieht. Vor dem Hintergrund europäischer imperialer Machtbestrebungen lässt die Allegorie die gewaltsame Ausdehnung Europas auf andere Kontinente wie die produktive Vereinigung zwischen zwei vielleicht nicht gleichen, aber doch zusammengehörenden Entitäten erscheinen. Gleichzeitig wirkt die mit dem Körperbild suggerierte Unteilbarkeit von Kontinent, Staat oder Religion, welche die Habsburger unter Karl V. für sich nutzen konnten, auch für andere Kontinente, die mit der Körpermetapher dargestellt sind. Algerien in Frauengestalt Dies wurde vor allem in der Kolonialzeit bedeutsam, als es darum ging, sich der Kolonialmacht und ihrem System als Einheit entgegenzustellen. Die Integrität des Körpers, die es zu bewahren gilt, war als wirkmächtiges Bild auch für den antikolonialen Widerstand brauchbar. Die weibliche Körperallegorie wurde unter anderem für den in Nordafrika aufkeimenden Nationalismus um die Mitte des 20. Jahrhunderts vereinnahmt, wie die folgende Darstellung zeigt: Abbildung 5: The nation liberates herself – Algeria in arms. Frontcover von al-Madanīs Hāḏihi hīya l-Ǧazāʾir, 1956
Bildnachweis: McDougall 2009, 171
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Hier wird die algerische Nation in Form einer Frau illustriert. Der kartographische Aspekt fehlt in der Allegorie, da die Visualisierung der Gemeinschaft und nicht des Bodens im Zentrum steht. Es handelt sich bei dem Bild um das Frontcover von Haḏihi hīya l-Ǧazāʾir (Das ist Algerien, 1956; meine Übersetzung) des arabischsprachigen algerischen Historikers Aḥmad Taufīq al-Madanī (18981983),374 einem der ersten Historiographen der algerischen Nationalgeschichte. Es zeigt die algerische Nation als bewaffnete Frau, die sich selbst befreit. Die weibliche Nationalallegorie wurde typischerweise zur Visualisierung des nationalen Widerstandes verwendet. Der Nationalismus griff hierfür europäische Darstellungsmuster auf und entwickelte sie für seine Zwecke weiter, wobei die Mobilisierung gegen den Kolonialismus im Vordergrund stand. Sowohl bei der weiblichen Repräsentationsfigur als auch beim Nationalismus handelt es sich um Importe aus Europa, wie die Historikerin Beth Baron in ihrem Aufsatz „Nationalist Iconography. Egypt as a Woman“ (1997) und dem darauf basierenden Buch Egypt as a Woman (2005) herausstellt. Ihre Untersuchung der ikonographischen Darstellungen von gerade im Entstehungsprozess begriffenen arabischen Nationen konzentriert sich auf Ägypten, das in dem von Baron analysierten Zeitraum zwischen 1870 und 1930 für gewöhnlich ebenfalls in Frauengestalt visualisiert wurde. Diese neuaufkommenden Darstellungen stehen im Zusammenhang mit der Entschleierung der ägyptischen Frau durch die Kolonialpolitik: Die Adaption der weiblichen Repräsentationsfigur für die ägyptische Nation ist nach Baron eine direkte Folge der kolonialen Entschleierungspolitik.375 Die entschleierte Frau, die als Symbolfigur für die Frauenbefreiungsmission des zivilisierten und modernen Europas376 dienen sollte, wurde im Gegenteil zum Symbol für die Nation „in its struggle for independence“377 . So wie der Kolonialismus „sich der Frauen bemächtigen“ wollte, „bemächtigte sich der Nationalgedanke“ letztlich „des weiblichen Körpers“378. In der arabischen Aneignung der weiblichen Nationalallegorie kann demnach eine Strategie der Aneignung und Umkehrung der
374 Siehe ausführlicher zu dem wissenschaftlich nur selten behandelten algerischen Historiker McDougall 2009, 20, 22-27, 36f., 49, 57, 66f., 73, 209, 226, 228-233. 375 Vgl. Baron 1997, 105. Siehe hierzu auch Braun und Mathes 2007, 314-316. 376 Zeugnis von dieser Selbstdarstellung legt beispielsweise Hauptmann Charles Richard ab: „L’Europe, qui représente la civilisation, ne pouvait rester ainsi plus long-temps inactive devant l’Afrique qui représente la barbarie“, 1846, 165. 377 Baron 1997, 110. 378 So bemerken von Braun und Mathes abschließend in ihrem Kapitel zur „[w]eibliche[n] ‚Emanzipation‘ im Kolonialismus“ in Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen, 2007, 309-316, hier 316.
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wirkmächtigen kolonialen Bilderpolitik gesehen werden. Nicht berücksichtigt wird bei den Autorinnen, dass auch der schon früh prominent gewordene ägyptische Feminismus von Hudā aš-Ša‘rāwī eine Rolle spielte, der sich mit einem säkularen Nationalismus gut vertragen hat. Entschleierung nur als koloniale Politik anzusehen, entspricht also einer etwas verkürzten Sichtweise.
2. ALGERIEN IN FRAGMENTEN Bei der Verkörperung von Einheit in der Gesellschaft, der Religionsgemeinschaft oder der Nation, die in der Körpermetaphorik suggeriert wird, handelt es sich in der Kolonialzeit nicht einfach nur um ein beliebiges Bild, sondern um einen ernstzunehmenden politischen Faktor. Einheitlichkeit und Konformität spielten sowohl bei der Durchsetzung kolonialer Belange durch Frankreich für das Auftreten als absolute, unteilbare Macht eine entscheidende Rolle als auch für den antikolonialen Widerstand, der dieser Macht Unteilbarkeit, Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit entgegensetzten musste. Hiervon zeugt die von Frankreich verfolgte Eroberungs- und Beherrschungsstrategie des divide et impera379, die darauf angelegt war, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu zerstören und die Bevölkerung beherrschbar zu machen. Beispielsweise wurden verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt und aufgewiegelt,380 vornehmlich Araber gegen Berber,381 aber auch Nomaden gegen Sesshafte,382
379 Der Ursprung der lateinischen Wendung divide et impera wird fälschlicherweise Machiavellis Il Principe zugeordnet und hat so auch Eingang in Enzyklopädien gefunden, vgl. beispielsweise den Wikipedia-Eintrag „Divide et impera“ oder in der Encyclopédie des citations den Eintrag „diviser pour régner“, Dupré 1960, 515: „Maxime politique dont l’auteur est inconnu. Elle fut celle du Sénat de la Rome antique, de Louis XI, de Catherine de Médicis, etc... Elle à été citée par Machiavel [...]“. Tatsächlich schneidet Machiavelli die politische Maxime nur implizit an und lehnt sie als langfristige Herrschaftsstrategie sogar ab, vgl. z.B. Vogt 1940, 44, und Schneider 1996, 317. 380 Vgl. zur Rolle der divide et impera-Politik im Kolonialismus allgemein Osterhammel 2006, 63f., 71, 77. Konkret für den Fall Algerien setzt sich Fanon in Les damnés de la terre, vor allem im Kapitel „De l’impulsivité criminelle du NordAfricain à la guerre de Libération nationale“, mit den geschürten Konflikten innerhalb der algerischen Gesellschaft auseinander, vgl. [1961] 2002, 283-297. 381 Vgl. hierzu beispielsweise Sahli 1986 [1965], 163-169. Siehe auch zur Politik der Spaltung, Heiler 2005, 138.
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Notabeln gegen die einfache Bevölkerung,383 Frauen gegen Männer384 oder Muslime gegen religiöse Minderheiten.385 Ursprünglich war die Strategie des divide et impera vor allem darauf angelegt, algerisches Land für französische Siedler386 günstig erwerben zu können. Das Land war fest in der Hand der einheimischen Bevölkerung, die im Kollektiv verbunden nicht daran dachte, Teile des Besitzes – nämlich die besonders fruchtbaren und ertragreichen Böden – zu veräußern. Die Idee der französischen Kolonialpolitik war daher, den kollektiven Verbund aufzusplittern in der Hoffnung, so auch das Land parzellieren und einzelne Landbesitzer zur Aufgabe ihres Eigentums bewegen zu können. Marschall Bugeaud, dem von Frankreich die Eroberung Algeriens von 1836 bis zur vollständigen Unterwerfung elf Jahre später übertragen wurde, schrieb 1846 in einem Brief an General de La Rue über die Vorgehensweise bei der Besiedelung Algeriens: „En les divisant, nous détruirons chez eux la force d’ensemble et la nationalité“387. Mohamed Chérif Sahli hat sich in seiner historischen Analyse der Kolonisierung von Algerien und seinem Programm der Entkolonisierung Décoloniser l’histoire (1965) mit den Mechanismen der Kolonialpolitik auseinandergesetzt, deren Eroberungsstrategie er folgendermaßen resümiert: „Affaiblir et morceler la société algérienne pour faciliter l’achat des terres par les Européens. L’obstacle à éliminer, c’étaient les structures collectives, source de cohésion
382 Vgl. hierzu beispielsweise Sahli 1986 [1965], 171-179. 383 Vgl. hierzu beispielsweise Laroui 1977, 340. 384 Dieser Themenkomplex ist vielleicht am besten aufgearbeitet durch Leila Ahmeds berühmte und wegweisende Studie Women and Gender in Islam: Historical Roots of a Modern Debate, in welcher sie Qāsim Amīns 1899 erschienenes Werk „Die Befreiung der Frau“ (Taḥrīr al-Mar’a) untersucht, vgl. 1992, bes. 142-145, 155-164. 385 Vgl. hierzu beispielsweise Sahli [1965] 1986, 196-205. 386 Tatsächlich war die Mehrheit der Siedler in Algerien nicht aus Frankreich eingewandert, sondern kam aus Spanien, Italien und Malta. Auch Marokko war nicht nur von Frankreich, sondern ebenfalls von Spanien kolonisiert. Was also im Folgenden als „Gemeinschaft der Franzosen“ der „Gemeinschaft der Einheimischen“ gegenübergestellt wird, die ebenfalls zu jeder Zeit heterogen war und auch aus Berbern und bis zur Unabhängigkeit großen jüdischen Gemeinden bestand, entstammt der an manchen Stellen zugespitzten homogenisierenden Terminologie der Primärliteratur. Vgl. zur Zusammensetzung der Bevölkerungen im Maghreb Clancy-Smith 2011, passim. 387 Brief vom 5. März 1846. Zitiert nach Clancy-Smith 2011, 193.
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sociale et nationale, rempart de la propriété, pratiquement inaliénable“388. Die ursprünglich auf Landerwerb abzielende „destruction des structures collectives de la société algérienne par le morcellement des terres et la constitution de la propriété individuelle“389 wurde zur Maxime der Eroberung Algeriens auch über das reine Besiedelungsunternehmen hinaus. Sahli offenbart das herrschaftspolitische Potential der französischen divide et impera-Strategie: „Le jeu de l’oppresseur est alors d’une étonnante simplicité. Maintenir les partis dans la division et les affaiblir. Empêcher la concentration de leurs forces, soit par l’union, soit par le développement de l’un aux dépens de l’autre“390. Wichtiger Ansatzpunkt war der Körper, auf welchen die divide et impera-Politik abzielte. Sowohl der Kollektivkörper, das heißt der symbolische Körper als Metapher für die Gemeinschaft, als auch der natürliche Individualkörper standen im Zentrum der strategischen Aufmerksamkeit. Dem Zusammenhang zwischen natürlichem und politischem beziehungsweise sozialem Körper sind der Mediävist Ernst Kantorowicz in The King’s Two Bodies (1957)391 und die britische Sozialanthropologin Mary Douglas in Purity and Danger (1966) und später in Natural Symbols (1970)392 nachgegangen. Kantorowicz’ Augenmerk liegt auf der mittelalterlichen Vorstellung von der Korrelation zwischen dem natürlichen, sterblichen (Body natural) und dem politischen, unsterblichen Körper (Body politic)393 des Königs, die untrennbar miteinander verbunden sind. Hieraus entwickelt er die Geschichte des modernen Staates, in welchem zwischen öffentlicher Funktion und ausübender Person unterschieden wird. Ausgehend von Kantorowicz’ These der zwei Körper entwirft Douglas ihre Theorie der Wechselbeziehung zwischen vorgestelltem Sozialkörper und physischem Körper. Im Kapitel „The Two Bodies“ führt sie aus: The social body constrains the way the physical body is perceived. The physical experience of the body, always modified by the social categories through which it is known,
388 Ebd., 193. Der angenommene „nationale“ Zusammenhalt vor der Kolonialzeit ist hier mit Vorsicht zu genießen, da Sahli als Nationalist diesen sicherlich übertreibt. 389 Ebd., 205. 390 Sahli [1947] 1969, 106. 391 Der vollständige Titel lautet The King’s Two Bodies: A Study in Mediaeval Political Theology, vgl. Kantorowicz [1957] 1997. 392 Die vollständigen Titel lauten Purity and Danger: An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo, 1966, und Natural Symbols: Explorations in Cosmology, 1970. 393 Kantorowicz [1957] 1997, 7.
200 | V ERKÖRPERUNGEN DER ( POST -) KOLONIALEN G ESELLSCHAFT sustains a particular view of society. There is a continual exchange of meanings between the two kinds of bodily experience so that each reinforces the categories of the other.394
Das Wissen um Zusammenhang und Wechselseitigkeit zwischen kollektivem und individuellem Körper, wie Kantorowicz und Douglas es um die Mitte des 20. Jahrhunderts formulieren, bedeutet einen entscheidenden strategischen Vorteil, den sich die französischen Eroberer bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zunutze machen konnten. Der französische Hauptmann Charles Richard schildert in seiner Untersuchung der Aufstände von Dahra395 (1845-1846) die Praktiken seiner Truppe, die zur Niederschlagung der Unruhen zur Anwendung kamen: Nous croyons fermement que l’idée de ces villes de tentes, où nous emprisonnerions la population arabe, porte en elle la paix du pays. Cette idée est simple, facile à exécuter, immédiatement praticable, car à la rigueur on pourrait d’abord se passer de fossé. L’essentiel est, en effet, de grouper ce peuple, qui est partout et qui n’est nulle part; l’essentiel est de nous le rendre saisissable. Quand nous le tiendrons, nous pourrons alors faire bien des choses qui nous sont impossibles aujourd’hui, et qui nous permettront peutêtre de nous emparer de son esprit après nous être emparés de son corps. Nous pensons que la zemala est un des moyens les plus puissants que nous ayons de lutter contre la fatale tradition de Moulé-Sâa.396
394 Douglas [1970] 2003, 65. 395 Bei Richard oftmals als „Dhara“ bezeichnet, eine Schreibweise, die algerischer Dialekt sein könnte. Im Tunesischen gibt es dieses Phänomen jedenfalls, so heißt das „Meerestor“ in Tunis beispielsweise „Bab al-bhar“ statt „Bab al-bahr“. 396 Richard 1846, 191; meine Hervorhebung. Dieses Zitat ist in kürzerer Fassung vom algerischen Historiker, Soziologen und Schriftsteller Mostefa Lacheraf aufgenommen worden, der sich in seinem Aufsatz „Constantes politiques et militaires dans les guerres coloniales d’Algérie (1830-1960)“ mit dem Report von Charles Richard über den Dahra-Aufstand auseinandersetzt, vgl. 1960-61, 780f. In noch kürzerer Fassung übernimmt Bourdieu das Zitat von Lacheraf in Le déracinement. La crise de l’agriculture traditionnelle en Algérie, vgl. [1964] 1980, 15 und 27. Michael Gilsenan übersetzt das Zitat von Bourdieu ins Englische in Recognizing Islam: Religion and Society in the Modern Middle East (2000, 142). Dieses wird so von Timothy Mitchell in Colonizing Egypt (1991, 95) übernommen und ist titelgebend für das Kapitel „After We Captured their Bodies“.
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Richard beschreibt, dass die Aufständischen, bei denen es sich offensichtlich um Nomaden handelte, in Konzentrationslagern festgesetzt wurden. Sie wurden dabei in kleine Gruppen aufgeteilt, ein taktisches Mittel, um den Widerstand zu brechen. Mostefa Lacheraf übersetzt „zémala“ als „campement, agglomération de tentes, avec un sens plus militaire que civil“397. Indem die Nomaden auf diese Weise zur Sesshaftigkeit gezwungen wurden, konnten sie sich schwerer der Kontrolle entziehen. Doch der wichtigste Aspekt im Kampf um die Eroberung und Unterwerfung der algerischen Bevölkerung war die Kontrolle über den Körper. Auf diesem Wege erhofften sich die französischen Kriegsstrategen den algerischen „esprit“ in ihre Gewalt zu bekommen („nous permettront peut-être de nous emparer de son esprit après nous être emparés de son corps“). Bei der Trennung zwischen „Geist“ und „Körper“ zum Zweck der Unterwerfung unter die koloniale Disziplinargewalt handelte es sich um etwas fundamental Neues, wie Timothy Mitchell in Colonizing Egypt argumentiert.398 Es wurde nicht nur versucht, den imaginären Kollektivkörper durch praktische Maßnahmen wie örtliche Trennung und Fixierung zu zergliedern und wahrnehmbar auf die individuellen Körper zu reduzieren. Auch die Integrität der einzelnen Person war Ziel der Unterdrückungspolitik, Körper und Geist wurden als unterschiedliche Entitäten behandelt und es wurde versucht, durch die eine sich der anderen zu bemächtigen. So wurde auch die körperliche Folter eingesetzt „[to] conquer the minds and souls of women and men“399 , wie sich der ehemalige Armeeminister unter de Gaulle, Pierre Messmer, über die französischen Methoden während des Algerienkrieges in einem Interview äußert. Die von Richard beschriebene Internierung von Nomaden in Lagern findet sich auch in L’amour, la fantasia. Hiervon betroffen ist bei Djebar die Bevölkerung eines Dorfes in den Bergen der Dahra-Region, von der sich einige männliche Mitglieder dem bewaffneten Widerstand der Maquisarden angeschlossen haben. Als den Franzosen dies bekannt wird, brennen Soldaten das Dorf nieder und wiederholen ihr Vorgehen jedes Mal, sobald die Dorfbewohner ihre Häuser wiederaufgebaut haben. Nach dem dritten Mal werden andere Maßnahmen von Seiten der Kolonialmacht gegen die Beharrlichkeit der algerischen Dorfgemeinschaft ergriffen:
397 Lacheraf 1960-61, 780, siehe die mit einem Asterisken versehene Erklärung unterhalb von Fn. 100. 398 Vgl. Mitchell 1991, 95-127. 399 Pierre Messmer in Marie-Monique Robins Escadrons de la mort, l’école française, 174. Zitiert nach Lazreg 2008, 16.
202 | V ERKÖRPERUNGEN DER ( POST -) KOLONIALEN G ESELLSCHAFT La France décida de faire descendre tout le peuple jusqu’à la plaine. [...] Ils nous ont installés dans une sorte de réduit: ciment sur ciment, des murs aussi gris que le sol... Nous avons dû passer la nuit là, dans le froid et l’urine des enfants. [...] Nous sommes sortis. Ils nous ont regroupés, femmes et enfants d’un côté, les quelques vieux de l’autre. Ils nous conduisirent aux abords du village où ils nous installèrent des tentes. Là, pensaient-ils, ils nous surveilleraient mieux. (L’amour, 168f.)
Von Richards Ausführungen ist bekannt, dass das Aufteilen der Bevölkerung in Gruppen und die Unterbringung in Zelten Teil der divide et impera-Strategie war und dazu dienen sollte, das Volk, „qui est partout et qui n’est nulle part“400, leichter überwachen zu können. Bei Djebar steht der Überwachungsaspekt im Konjunktiv („ils nous surveilleraient mieux“401 ) und wird zusätzlich durch die Wendung „pensaient-ils“ relativiert. Denn die anschließenden Schilderungen zeigen, dass es trotz der kolonialen Körperpraktiken Möglichkeiten gab, das Vorgehen der Feinde zu unterwandern und Widerstand zu leisten (vgl. L’amour, 169-174). Körperpraktiken des Widerstands Doch der Widerstand hat seinen Preis: Der Bruder der Ich-Erzählerin bezahlt ihn mit seinem Leben, er wird auf der Flucht vor den Augen seiner Schwester erschossen. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieses traumatischen Erlebnisses widersetzt sich die Ich-Erzählerin noch erbitterter den französischen Soldaten und fürchtet auch die Folter nicht. Dies wird als umso bemerkenswerter dargestellt, als es sich bei ihr nicht nur um ein Kind, sondern zudem um ein Mädchen handelt (vgl. z.B. L’amour, 174). Ihre Partizipation in der Maquisarden-Truppe ist zunächst genuin weiblich, sie pflegt Kranke in einem provisorischen Krankenhaus und näht Uniformen (vgl. L’amour, 186 und 188). Jedoch weigert sie sich, einen der Widerstandskämpfer zu heiraten, wie von ihren Landsleuten von ihr als alleinstehender weiblicher Person erwartet wird (vgl. L’amour, 187). Als sie in französische Gefangenschaft gerät, verweigert sie zunächst die Nahrungsaufnahme und verlangt nur Wasser für die Ablution: – Je ne bois pas avant de m’être lavé la figure! Ils m’ont apporté de l’eau. J’ai fait mes ablutions. Ils m’ont représenté le café. – Je ne bois pas! ai-je dit. Ils ont voulu me donner des biscuits. – Je ne mange pas! J’ai pris les biscuits et je les ai posés à terre. – Tu les as mis là pour tes frères? ironisa l’un d’entre eux. – Mes frères, répliquai-je, ne sont pas
400 Richard 1846, 191. 401 Beziehungsweise steht „surveiller“ im Conditionnel, das es im Deutschen nicht gibt.
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comme vous, poussés seulement par la faim! – Qui vous apportait la nourriture? Nousmêmes! Qui vous apportait des vêtements? Nous-mêmes! (L’amour, 190f.)
Die Anspielung auf den Hunger als Motiv der Aufgabe ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass es sich bei Gefangenenwärtern, Folterknechten und anderen Handlangern der französischen Armee um „Goumiers“402 handelte, das heißt algerische Milizsoldaten, die sich für Nahrung und Geld auf die Seite der Gegner geschlagen hatten. Die Unabhängigkeit der Maquisarden wird durch die Betonung der Selbstversorgung noch stärker hervorgehoben. Die gleiche Szene wiederholt sich Tag für Tag in dem Konzentrationslager403 , in das sie gebracht wird: Le matin, ils m’apportèrent le café. Je demandai à me laver d’abord: ils me firent sortir dans une cour, jusqu’à la fontaine. Je me lavai sous leurs yeux: je m’aspergeai le visage, les bras jusqu’aux coudes: comme pour les ablutions. Je libérai mes cheveux qui n’étaient plus aussi longs, je me peignai et j’arrangeai ma coiffure. Et eux tous qui restaient là à me regarder! [...] Dans ma cellule, je goûtai une gorgée de café, pas plus! Même si la faim me tenaillait, je voulais leur montrer, montrer devant la France, que j’étais rassasiée! (L’amour, 194)
Das Mädchen widersteht auch der Folter und verrät ihre „Brüder“ nicht trotz Peitschenhieben, Stromschlägen, einer Zelle in der prallen Sonne und der Androhung von Vergewaltigung. Nach fast einem Jahr in Gefangenschaft tritt sie in den Hungerstreik: „L’essentiel, pour moi, vis-à-vis des Français, était de leur montrer que je n’avais pas besoin d’eux!“ (L’amour, 199). Mit ihrem ganzen Körper revoltiert sie gegen die Behandlung durch die Kolonialmacht und gegen die Versuche, ihre körperliche Integrität zu beschädigen und sie zu brechen: „[J]e résistai tout entière: mes jambes, mes bras, ma tête, tout mon corps frappait sur le sol“ (L’amour, 198). Als Mitarbeiter des Roten Kreuzes nach den Gefangenen sehen, antwortet das Mädchen auf die Frage, was sie in den Bergen zu suchen gehabt habe: „Je combattais! [...] Pour ma foi et mes idées!“ (L’amour, 199)
402 „Goumier“ ist die französisierte Form des dialektalen arabischen Begriffs qūm (hocharabisch qaum), der „Volk“ bedeutet und das eigene, algerische Volk bezeichnet. 403 Siehe zu der Errichtung von Konzentrationslagern im Algerienkrieg (euphemistisch „Centre d’Hébergement“ genannt), die der Umerziehung beziehungsweise laut Lazreg der Gehirnwäsche dienten, Lazreg 2008, 46-50.
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Während der gesamten Zeit der Inhaftierung setzt sie ihren Körper ein, um Frankreich ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren. Durch die Unabhängigkeit von Nahrung, Schmerzempfinden oder Angst erhält sie mit der körperlichen Freiheit auch die Freiheit ihrer Ideale aufrecht, trotz der Gefangenschaft. Mit dem Wasser, das ihr zu Verfügung steht, stillt sie nicht ihre primären körperlichen Bedürfnisse wie Durst, sondern vollzieht die rituelle Waschung und stellt somit ihre eigene Kultur und Religion über die allen Menschen eigenen Bedürfnisse. Sie widersetzt sich mithilfe ihrer moralischen Stärke den Foltertechniken, die sie auf ihre körperlichen Bedürfnisse reduzieren sollen, um ihren Widerstand zu brechen. Das an religiösen Werten orientierte Vorbild des Mädchens steht im Kontrast zum französischen Umgang mit Gefangenen und lässt diesen noch unmenschlicher erscheinen. Djebar kehrt so das von den Franzosen aufgestellte Verhältnis von Barbaren und Zivilisierten um. Barbaren und Zivilisierte im Gewaltsystem Die Strategie der Umkehrung verfolgt sie konsequent in L’amour, la fantasia, unter anderem stellt sie dem Roman ein Zitat voran, in welchem Araber mit Tieren gleichgesetzt werden. Es stammt aus Baron Auguste Théodore Hilaire Barchou de Penhoëns Mémoires d’un officier d’État-major: Expédition d’Afrique von 1835 und lautet: „L’expérience était venue à nos sentinelles: elles commençaient à savoir distinguer du pas et du cri de l’Arabe, ceux des bêtes fauves errant autour du camp dans les ténèbres“404. Demnach gleichen arabischer Gang und Laute so sehr der Fortbewegungs- und Artikulationsart des durch die Gefechte wildgewordenen Viehs, dass einige Erfahrung notwendig ist, um beide voneinander unterscheiden zu können. Was dem vorangestellten Zitat dann allerdings folgt, ist unter anderem der Bericht über die unmenschliche Vorgehensweise der Franzosen bei der Eroberung Algeriens und die Menschlichkeit ihrer algerischen Opfer, die in deutlichen Kontrast zueinander gesetzt sind. Djebar greift eine Auseinandersetzung in der Dahra-Region auf, in welche sich die letzten Eroberungsgefechte verlagert hatten. Einer der noch verbliebenen unbesiegten Bevölkerungsgruppen, die der Ouled Riah, ergibt sich nicht der Kolonialgewalt und leistet erbitterten Widerstand. Gemeint ist das Kapitel „Femmes, enfants, bœufs couchés dans les grottes...“, aus dem im Kapitel über Geschichten ein kleiner Ausschnitt als Beispiel für Djebars Programm der anamnestischen Schreibweise aufgeführt ist (vgl. „Vom Körper bewahrte Geschichten“). Für dieses Kapitel ist ein anderer Aspekt von Bedeutung, nämlich das würdevolle Verhalten, mit welchem nach Djebars Darstellung die Bevölke-
404 Penhoën 1835, 199; in L’amour, 9.
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rungsgruppe kollektiv in den Tod geht und das anhand der Positionen ihrer erstarrten Körper posthum rekonstruiert werden kann. Nach gescheiterten Verhandlungen über die Unterwerfung der Ouled Riah greift der diensthabende Oberst Pélissier auf ein letztes Mittel zurück, um sie doch noch zur Aufgabe zu zwingen: Er lässt Feuer vor dem Eingang zu den Grotten legen, in welchen die Frauen und Männer mit ihren Kindern, Tieren und Hab und Gut Schutz gesucht haben. Der Rauch treibt sie nicht aus den Höhlen, sondern die mehr als Tausend Angehörigen der Ouled Riah ersticken samt Kindern und Vieh. Als Kundschafter einige Tage später die Höhlen untersuchen, bietet sich ihnen ein schreckliches Bild. Besonders eine Szene wird deutlich hervorgehoben. Die Kundschafter berichten von einem Mann, der noch im Todeskampf seine Frau und sein Kind vor einem wildgewordenen Ochsen beschützt in genau jenem Moment, da sie alle der Erstickungstod ereilt: ‚J’ai vue un homme mort, le genou à terre, la main crispée sur la corne d’un bœuf. Devant lui était une femme tenant son enfant dans ses bras. Cet homme, il était facile de le reconnaître, avait été asphyxié, ainsi que la femme, l’enfant et le bœuf, au moment où il cherchait à préserver sa famille de la rage de cet animal‘. (L’amour, 106)
Der Unterschied zwischen dem Ochsen und der Familie wird ausdrücklich herausgestellt. Während das Tier in Panik auf alles und jeden in seiner Umgebung losgeht und nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann, verhält der Mann sich sozial und stellt das Leben seiner Familie über sein eigenes. Auch in Todesangst handelt er menschlich. Er begeht damit eine für den später um das Ereignis entstehenden Diskurs bemerkenswerte Tat, weil er die Rolle des unfreiwilligen Opfers, die ihm die Franzosen zugedacht haben, ablegt und sich stattdessen freiwillig opfert. Djebar betont diesen Unterschied zwischen OpferSein und Opfer-Bringen, wobei das erste als Ausdruck von sozialen Machtverhältnissen mit Passivität, Fremdbestimmung, Abhängigkeit, Ohnmacht und Hilflosigkeit assoziiert wird. Das zweite hingegen ist in einer ethischen oder religiösen Dimension als aktive, freiwillige Entscheidung zu begreifen, die mit Anerkennung bedacht wird, wie Aleida Assmann in Der lange Schatten der Erinnerung (2006) ausführt.405 Aus den Ruinen des Empires Marschall Hubert Lyautey, unter anderem als Militärgouverneur in Marokko stationiert, schrieb über fünfzig Jahre nach dem Dahra-Aufstand über den Zu-
405 Vgl. Assmann 2006, 76f.
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stand der Gesellschaft Algeriens: „In Algeria we found ourselves in the presence of an anatomized, inorganic state of society [...]“. Die koloniale Realität in Marokko schildert er als „[...] a scattering of tribes killing each other“406, die – entgegen seiner Darstellung – nicht die Ursache für den Kolonialismus war, sondern dessen Absicht und Folge, wie der marokkanische Historiker und Schriftsteller Abdallah Laroui im Kapitel „An Atomized Society“ in seiner Auseinandersetzung mit der maghrebinischen Kolonialvergangenheit in The History of the Maghrib407 herausstellt. Insbesondere an den rechtlichen Maßnahmen zeigt Laroui die Mechanismen der divide et impera-Politik auf. Laut einem französischen Senatsbeschluss vom 14. Juli 1865 wurde jedem Algerier ein Status zwischen Untertan („sujet“) und Staatsbürger („citoyen“) eingeräumt, sofern er bereit war, dem islamischen Personenstandsrecht („statut personnel“) zu entsagen.408 Laroui sieht in dieser Politik „the very essence of the colonial process: to destroy indigenous society and then to accept individuals one by one into a new society organized by and for foreigners“409. Dies wird bestätigt durch die Aussage über den Anti-Partisanenkampf des Generals Jacques Allard, der unter de Gaulle das Kommando in Algerien hatte: „Destruction and Construction. These two terms are inseparable. To destroy without building up would mean useless labor; to build without first destroying would be a delusion“410.
406 Hubert Lyautey in Parole d’action, Madagascar – Sud-Oranais – Oran – Maroc (1900-1926). Paris: Colin, 1944, 172. Leicht abgewandelt zitiert nach Laroui 1977, 339. Die Originalzitate lauten: „Alors que nous nous sommes trouvés en Algérie devant une véritable poussière, d’un état de choses inorganiques [...]“ und „une poussière de tribus qui s’entretuent“, zitiert nach Laroui 1970, 315. 407 Hier wird die englische Fassung von Larouis Werk verwendet, da es auf Vorträgen beruht, die der Autor an der UC Berkeley auf Englisch gehalten und dann ins Französische übersetzt hat. Laroui selbst sieht die 1977 erschienene englische Übersetzung als beste Version an (persönliche Mitteilung von Nils Riecken, der sich mit Laroui darüber unterhalten hat). 408 Laroui bezieht sich hier auf Sahli [1965] 1986, 110f., vgl. Laroui 1977, 340. 409 Laroui 1977, 340. 410 Zitiert nach Lazreg 2008, 16.
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3. DIE POSTKOLONIALE GESELLSCHAFT IN ALLEGORIEN DES ZERGLIEDERTEN FRAUENKÖRPERS Djebar bringt den fragmentierten Status der postkolonialen algerischen Gesellschaft und insbesondere der Frau in einer Allegorie zum Ausdruck.411 Hierfür nimmt sie eine Geschichte aus Tausendundeine Nacht auf, die in der 19.-24. Nacht erzählt wird, „Die Geschichte von den drei Äpfeln“412, in welcher es um eine zerstückelte Frau geht. In „La femme en morceaux“413 , einer Erzählung aus der Sammlung Oran, langue morte (1997), lässt Djebar diese Geschichte von der Lehrerin Atyka im Jahr 1994 an einer Grundschule in Algier erzählen. Algerien befindet sich zu dieser Zeit seit drei Jahren in Bürgerkriegswirren zwischen der Regierung und islamistischen Gruppierungen, die in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts besonders viele zivile Opfer forderten und bis heute nicht vollständig überwunden werden konnten. Der Lehrerin widerfährt dasselbe Schicksal, das auch die Protagonistin ihrer Geschichte ereilt: Sie wird von Islamisten vor den Augen ihrer Schüler enthauptet. Djebar blendet auf diese Weise den historischen Archetypen der zerstückelten Frau und die moderne Wiederholung der Geschichte übereinander. Frauenköpfe erzählen In Rahmen- und Binnenhandlung414 ist der Anlass für den Mord das unschickliche Verhalten der Frau. In Tausendundeine Nacht wird er als tragischer Unfall
411 Vgl. zur zentralen Rolle des fragmentierten weiblichen Körpers in der maghrebinischen Literatur Segarra 1997, 61-73. Zur Konstruktion und Destruktion von Identität am Motiv des „corps morcelé“ siehe außerdem Lievois 2006, passim. Bei Schuchardt finden sich Aspekte der Fragmentierung im Rahmen der Untersuchung von Djebars postkolonialer Ästhetik, vgl. 2006, 179-236. 412 Littmann 1966, Bd. 1, 227-312. 413 Oran, langue morte, 163-215. Zu zergliederten Frauen als Motiv der Konstruktion und Destruktion von Identität siehe Katrien Lievois’ „Des femmes en morceaux: construction et destruction de l’identité du personnage et du narrateur dans l’œuvre d’Assia Djebar“, 2006, wobei die Kurzgeschichte „La femme en morceaux“ auf gerade einmal einer knappen Seite abgehandelt wird, vgl. 256f. 414 Genaugenommen besteht die Binnenerzählung in Tausendundeine Nacht auch wiederum aus Rahmen- und Binnenhandlung, da ja Schehrezâd die Geschichte erzählt. Im Fall von „La femme en morceaux“ bedient sich Djebar also durch die Erzählung von Tausendundeine Nacht durch die Lehrerin Atyka der klassischen Verschachtelungsstruktur.
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dargestellt. Ein Mann schenkt den ehebrecherischen Verleumdungen eines Sklaven Glauben, bringt daraufhin seine Frau um, zerstückelt ihre Leiche und wirft die sorgfältig eingewickelten Überreste in den Tigris. Die Gesellschaftskritik der Erzählung richtet sich jedoch nicht gegen den Mann, denn aufgrund von tragischen Umständen hatte er allen Grund, dem Sklaven zu glauben, und nach der Richtigkeit seines Handelns im Fall der Schuld der Frau wird nicht gefragt. Sie richtet sich vielmehr gegen das Regime, das heißt gegen das brutale und willkürgeleitete Kalifat Haroun el Raschids (Hārūn ar-Rašīd) aus dem Geschlecht der Abbasiden, der von 786 bis 809 n. Chr. Kalif war. Dieser betraut seinen Wesir und langjährigen Kindheitsfreund Djaffar le Barmékide (Ǧaʿfar alBarmakī, 767-803) mit der Aufklärung der Todesumstände binnen drei Tagen, andernfalls würde der Wesir an Stelle des Schuldigen hingerichtet. Bei diesem Handlungsstrang handelt es sich um den eigentlich tragischen, „[u]n drame plus important que ce fait divers de la femme coupée en morceaux“ (Oran, langue morte, 164). Nicht so in der Geschichte um Atyka, in welcher der Mord deutlich als unbegreifliches Verbrechen kritisiert wird. Die politischen Umstände thematisiert und verurteilt Djebar nur mittelbar über die Tat, die so nicht als mikrokosmische und unbedeutende Wiederholung der höherrangigen Ereignisse erscheint, sondern durch den de facto abwesenden Staat möglich wird. In beiden Geschichten ist der zerstückelte Frauenkörper Gegenstand und Ausdruck der politischen Aushandlungsprozesse. In Tausendundeine Nacht wird ein von dem Rest der Gesellschaft losgelöster Souverän skizziert, welcher die politischen Geschicke in Händen hält. Der Frauenkörper ist hier nur der Aufhänger für seine Politik, selbst aber nicht von Bedeutung. Dies wird durch die Tatsache hervorgehoben, dass an seinem Schicksal nichts mehr zu ändern ist, er wird tot aufgefunden. Lediglich die deduktive Rekonstruktion der Tat und Überführung des Täters bleibt und hier kann der Souverän immerhin die Ordnung restituieren. In der Geschichte um Atyka hingegen ist die Hinrichtung der Lehrerin detailliert ausgeführt, der Körper selbst wird auf diese Weise als Träger politischer Bedeutung und der sich gerade im Prozess befindenden Aushandlung inszeniert. An Atykas Körper wird ein Exempel statuiert, das die gesellschaftliche Stellung der Frau und ihre politischen Partizipationsrechte betrifft. In dieser Konstellation ist die herrschende staatliche Ordnung nicht vorhanden, die einzelnen Interessengruppen stehen auf einer Ebene gegeneinander. Nicht gefragt wird daher, anders als bei der Geschichte aus Tausendundeine Nacht, nach der Verurteilung und gerechten Strafe der Täter. Djebar skizziert in der Erzählung die chaotischen Zustände, die Laroui als Vermächtnis der Kolonialherrschaft kritisiert, wobei er freilich zu dieser Zeit noch nicht den erst später einsetzenden Bürgerkrieg in Algerien gemeint haben konnte.
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Ein weiterer Unterschied zwischen Rahmen- und Binnengeschichte in Bezug auf die Bedeutsamkeit des Frauenkörpers besteht darin, dass in Tausendundeine Nacht die zerstückelte Frau nie zu Wort kommt. Lediglich Schehrezâd, die ja die Geschichte erzählt, ergreift für sie die Stimme. In der Atyka-Episode dagegen lässt Djebar den abgetrennten Kopf der Lehrerin die Geschichte zu Ende führen. Nicht den Schluss der Geschichte um die zerstückelte Frau erzählt Atyka weiter, sondern die Geschichte von der Erzählerin Schehrezâd. Als Tochter des Wesirs des persischen Königs Schehrijâr415 ist Schehrezâd selbst der Willkürherrschaft ihres Königs ausgeliefert, wird zuletzt jedoch freigelassen, weil sie sich als geschickte Erzählerin erweist und auf diese Weise ihr Leben rettet. Was Schehrezâd also zu einer Zeit erreicht, in welcher der Frauenkörper kein politisches Gewicht hat, bleibt Atyka Ende des 20. Jahrhunderts verwehrt. Die Lehrerin wird ermordet, gerade weil sie ihren Schülern Geschichten erzählt. Hierfür wird sie von den selbsternannten islamistischen Sittenwächtern verurteilt: „– Vous êtes bien Atyka F., soi-disant un professeur, mais qui raconte, paraît-il, à ces jeunes gens, des histoires obscènes? [...C]est elle, elle ‚la professeur‘ [...], elle, la condamnée!“ (Oran, langue morte, 209). Die dreifache Wiederholung des Personalpronomens „elle“ hebt die außerordentliche Bedeutung der Tatsache, dass die Lehrerin weiblich ist, zusätzlich hervor. Derselbe Terror und dieselbe Zerstückelung wiederfährt auch dem Land, wie Djebar in Nulle part dans la maison de mon père thematisiert: „Je suis sans lieu là-bas depuis [...] une autre explosion ne se soit déclenchée sur cette même terre: en mille morceaux ce territoire [...]“ (Nulle part, 427). Frauenhände erinnern Die Verbindung zwischen Land und Frauenkörper sowie der Aspekt der Fragmentierung von Land und Gesellschafts- sowie Individualkörper infolge der Kolonisierung sind bei Djebar außerdem verkörpert in einer abgetrennten Frauenhand, die in einer prägnanten Szene im letzten kurzen Abschnitt von L’amour, la fantasia gefunden wird. Das Kapitel ist überschrieben mit „Air de Nay“ und trägt damit fast den gleichen Titel wie der viele Jahre später veröffentlichte und im Teil über Erzählerkörper und Geschichten diskutierte Abschnitt „Un air de Ney“416 aus Nulle part dans la maison de mon père. Der Zusammenhang zwi-
415 Transkription ebenfalls nach Littmanns Tausendundeine Nacht. 416 Die unterschiedliche Umschrift „Nay“ und „Ney“ (nach DMG Nāy) beruht wahrscheinlich darauf, dass Djebar in L’amour, la fantasia einen arabischen Kontext zitiert, in Nulle part dans la maison de mon père hingegen den Begriff vor dem persischen Hintergrund Rûmis verwendet.
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schen Titel und Inhalt ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich und erschließt sich erst durch die Kenntnis des später entstandenen Werkes. Der Maler Eugène Fromentin stößt 1853 auf seiner Reise durch den Sahel in Laghouat auf die Überreste eines von den Franzosen an Einheimischen verübten Massakers. Hiervon zeugt die Hand einer Algerierin, die Fromentin auf dem Weg aus der Oase findet. Diese Hand dient, so die Argumentation im Teil über Erzählerkörper und Geschichten im Abschnitt „Am Körper rekonstruierte Geschichten“, Djebar als pars pro toto, an welchem sie anamnestisch ihre Narration entfaltet. Für den vorliegenden Abschnitt ist eher die symbolische Funktion von Bedeutung, welche die Hand als abgetrennte Gliedmaße hat.417 In ihr verdichtet sich das Ausmaß der Zerstückelung des Landes, auf welchem sie in schon symbiotischer Verbindung mit diesem gefunden wird. Fromentin befreit sie kurz aus dem Staub und lässt sie sogleich wieder in diesem versinken: En juin 1853, lorsqu’il quitte le Sahel pour une descente aux portes du désert, il visite Laghouat occupée après un terrible siège. Il évoque alors un détail sinistre: au sortir de l’oasis que le massacre, six mois après, empuantit, Fromentin ramasse, dans la poussière, une main coupée d’Algérienne anonyme. Il la jette ensuite sur son chemin. Plus tard, je me saisis de cette main vivante, main de la mutilation et du souvenir et je tente de lui faire porter le ‚qalam‘. (L’amour, 313)
Djebar ergreift diese Hand, die sie in einem Oxymoron als lebendig bezeichnet, weil sie die Erinnerung418 an die Verstümmelungen eines ganzen Volkes trägt. Und als Spur eines menschlichen Körpers diese lebendig hält. Ihr Anliegen ist es, die Hand zum Sprechen zu bringen und sie den „qalam“ führen zu lassen, das heißt also die Rohrfeder. Der Begriff „qalam“ ist der einzige indirekte Hinweis auf die Verbindung des Inhalts mit der Überschrift, weil sowohl die Rohrfeder als auch die Flöte „Nay“ aus Schilfrohr hergestellt werden. Vor dem Hintergrund der später entstandenen „Ney“-Episode, in der Rûmi die Überlieferung eines Geheimnisses des Propheten über verschiedene körperliche und materielle Vermittlungsinstanzen erzählt, erschließt sich, dass Djebar der Frauenhand eine eben solche Vermittlerrolle zugedacht hat. Wie bereits im Kapitel über Geschichten unter dem Aspekt von Körper und Erzählen diskutiert, soll Rûmis Geschichte, in welcher das Geheimnis über einen Speicheltropfen, ein hieraus
417 Vgl. hierzu auch Woodhull 1993, 84, und Erickson 2008, 59f. Außerdem greift Lievois diese Szene auf, ohne näher darauf einzugehen, vgl. 2006, 254. 418 Nach Djebars Verständnis des Begriffs, vgl. die Diskussion im Abschnitt „Vom Körper bewahrte Geschichten“.
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erwachsendes Schilfrohr und schließlich eine daraus geschnitzte Flöte übertragen wird, Gottes erste Schöpfung – die der „plume de roseau“ – illustrieren. Als „Rohrfeder“ übersetzt, zeigt der Begriff „plume de roseau“ damit zwei Wege der Übertragung auf, wobei nicht entschieden werden kann, bei welchem Weg es sich um den ursprünglicheren und bei welchem um die Allegorie handelt. Ist die durch die Rohrfeder implizierte Übermittlung durch Schreiben eine Allegorie für die nicht-codierte, rein körperlich-materiell stattfindende Übertragung, wie die Geschichte sie nahelegt, oder verhält es sich genau umgekehrt? Die gleiche Verflechtung entspinnt sich um die abgetrennte Frauenhand. In ihrer Materialität wird sie überhaupt nur in sprachlicher Form vorstellbar, weil Fromentin von seinem Fund schriftlich berichtet, wodurch Djebar von der Hand Kenntnis nehmen und die Begebenheit ebenfalls aufschreiben kann. So heißt es in Fromentins Un été dans le Sahara von 1857: Une main se détachait de l’un des cadavres et ne tenait plus au bras que par un lambeau déchiré, sec, dur et noir comme de la peau de chagrin. Elle était à demi fermée, crispée comme dans une dernière lutte avec la mort. Je la pris et l’accrochai à l’arçon de ma selle; c’était une relique funèbre à rapporter du triste ossuaire d’El-Aghouat.419
Im Gegensatz zu Fromentin allerdings stellt Djebar die Hand in einen neuen Zusammenhang und misst ihr explizit transmissive Fähigkeiten bei. Die abgetrennte Hand erzählt so genau wie der abgetrennte Kopf der Lehrerin Atyka eine Geschichte, nämlich die Geschichte L’amour, la fantasia, in der es im weiteren Sinn darum geht, wie es überhaupt zu der Fragmentierung von Land und Körpern kommen konnte. Fromentin belässt es bei den Beschreibungen dessen, was er sieht, ohne sich eingehender mit der Frage nach Ursachen zu beschäftigen oder die Eindrücke wenigstens in Bildern zu verarbeiten, um sie zu erhalten. Im Unterschied zu dem Kopf der Lehrerin lässt Djebar die Hand jedoch nicht direkt sprechen, sondern hebt deren Bedeutung als Fetisch für ihr eigenes Erzählen heraus: „Eugène Fromentin me tend une main inattendue, celle d’une inconnue qu’il n’a jamais pu dessiner“ (L’amour, 313). Genau wie in der Rûmi-Episode geht es hier also um einen Ursprungsmythos: Ganz am Ende von L’amour, la fantasia erzählt die Autorin die Schlüsselszene für den Anfang des Romans. Auf diese Weise stellt sie eine zirkuläre Struktur her, wie sie auch aus Ben Jellouns L’enfant de sable bekannt ist (siehe „Im Körper hausende Geschichten“), die Geschichte könnte nunmehr von vorne beginnen. In dem Kontext der AtykaGeschichte und der Rûmi-Episode wird aber auch ersichtlich, dass Djebars
419 Fromentin 1857, 287f.
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Schreibweise nicht einfach nur die anamnestische Rekonstruktion einzelner Fallgeschichten vollzieht. Die Körperteile selbst verfügen über ihre Geschichte, die ihnen essentiell innewohnt. Dies wiederum lässt Djebars Begriff der „Exhumierung“ stärker und wörtlicher erscheinen, ihre Subjektposition beim Schreiben hingegen schwächer. Männlich sozialisierter Frauenkörper als Allegorie für die Nation Ben Jelloun thematisiert den Kolonialismus in L’enfant de sable im Gegensatz zu Djebar nicht explizit, sondern stellt stattdessen die Konsequenzen der kolonialen Vergangenheit in den nachkolonialen Lebensverhältnissen dar. Hier zeigt sich also ein wesentlicher Unterschied zwischen Djebar und Ben Jelloun: Während bei Djebar die im engeren Sinne postkoloniale Perspektive stark ausgeprägt ist durch explizite Bezüge auf die Kolonialzeit, finden sich bei Ben Jelloun in keinem einzigen seiner literarischen Texte explizite Verarbeitungen des Kolonialismus-Themas. Erst in einer allegorischen Lesart, für die es allerdings umso mehr Belege gibt, erschließt sich der koloniale Kontext. Dabei zeigt Ben Jelloun etwa in Cette aveuglante absence de lumière von 2001, welches das Gewaltregime von Hassan II zum Gegenstand hat, dass er sich methodisch gar nicht so sehr von Djebar unterscheidet, wenn es um die Rekonstruktion von Geschichte geht. Über oral history Quellen nähert er sich in diesem Roman schreibend den Verbrechen an, die im berüchtigten Gefängnis Tazmamart geschehen sind. Heiler weist auf die Möglichkeit hin, die Fortsetzung La nuit sacrée (1987) von L’enfant de sable als „historische Parabel der Geschichte Marokkos [...],“ zu lesen, „in der auf die Unterdrückung durch den Kolonialismus ein langwieriger Befreiungsprozess folgt, wobei die Wege, die Zahra hin zu ihrer weiblichen Natur beschreitet, die Etappen der Entkolonisierung nachzeichnen“420. Heiler führt die konkreten Aspekte einer solchen Lesart nicht näher aus und begründet auch den Begriff der historischen Parabel nicht. Dieser erscheint für Ben Jellouns Roman eher unpassend, weil er im Gegensatz etwa zu Menenius Agrippas berühmter „Parabel vom Magen und den Gliedern“ keinerlei Lehre aus der Geschichte anzubieten hat, sondern den Umgang mit dem kolonialen Erbe lediglich darstellt. Plausibel aber ist der Hinweis auf eine über die wörtliche Bedeutung hinausgehende Lesart, welche die Befreiung vom Vater als Prozess der postkolonialen Selbstfindung deutet. Wenn die allegorische Lesart bei La nuit sacrée einen Sinn ergibt, so ist ihre Vorgeschichte L’enfant de sable ebenfalls nicht nur als hermetische Auseinandersetzung mit patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zu
420 Heiler 2005, 175.
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verstehen, sondern kann gleichzeitig als Verkörperung der Kolonialzeit in der Allegorie des männlich sozialisierten Frauenkörpers gelesen werden, der die Geschichte der Entfremdung der unterdrückten Gesellschaft von den eigenen Wurzeln durch die Kolonialmacht und die anschließende Befreiung erzählt. Spiller hatte dieselbe Idee und bezeichnet die Suche der Protagonistin „nach der eigenen Identität“ als „historische[n] master-plot“, der „die Entkolonisierung [repräsentiert]“421. Auch Hayes erwägt zu Beginn seines Kapitels „Becoming a Woman“ aus Queer Nations die Möglichkeit, Ahmeds Wandel zur Frau in L’enfant de sable als Allegorie der Nation zu verstehen.422 In seiner Analyse kommt er am Ende darauf zurück.423 Für diese Lesart lassen sich besonders auf der Ebene des Körpers zahlreiche Hinweise im Roman finden, so beispielsweise in der Parallelsetzung von Ahmed und Marokko in der Geburtsanzeige Ahmeds, wenn es heißt: „‚Vive Ahmed! Vive le Maroc!‘“ (L’enfant, 30). Da es im nächsten Kapitel ebenfalls um die körperliche Symptomatik der väterlichen Erziehungsmethoden geht – dann unter dem Aspekt der postkolonialen sozialen Herrschaftspraktiken –, beschränke ich mich hier auf die Motive des zerstückelten Körpers und der Maske in ihrer allegorischen Funktion. Beide hängen zusammen und untermauern die allegorische Lesart, da es sich bei ihnen um spezifisch mit dem Kolonialismus verbundene Themenkomplexe handelt. Mit der Maske als Phänomen der Kolonialzeit beschäftigt sich Fanon in Peau noir, masques blancs (1952). Darin macht er deutlich, wie sich eine entfremdete Selbstwahrnehmung bei Kolonisierten – sein Beispiel bezieht sich auf die Nachfahren der Sklaven in der Karibik – durch den Einfluss von Unterdrückung und Rassismus entwickelt. Die Selbstwahrnehmung kolonisierter Menschen erfolgt wie durch eine „weiße Maske“, die als Verkörperung der dominanten „weißen“ Kultur das Körperschema der „schwarzen“ Bevölkerung prägt: Et puis il nous fut donné d’affronter le regard blanc. Une lourdeur inaccoutumée nous oppressa. Le véritable monde nous disputait notre part. Dans le monde blanc, l’homme de couleur rencontre des difficultés dans l’élaboration de son schéma corporel. La connaissance du corps est une activité uniquement négatrice. C’est une connaissance en troisième personne.424
421 Spiller 2004, 306. Kursivierung im Original. 422 Vgl. Hayes 2000, 165. Andersherum liest Saunders die Produktion von Gender in L’enfant de sable als Kolonisierung des Körpers, vgl. 2006, passim. 423 Vgl. Hayes 2000, 178-181. 424 Fanon [1952] 1975, 89.
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Einflüsse von Jean Paul Sartres und Merleau-Pontys Phänomenologie sind in Fanons Denken deutlich zu erkennen. Insbesondere der Blick der Anderen spielt für Fanons Theorie der Konstitution des Selbst eine wichtige Rolle. Die Erfahrung des Körpers aus der dritten Person wird bei Fanon durch den Aspekt der Hautfarbe, die durch den „weißen Blick“ deutlich als anders hervortritt, zur Erfahrung des Körpers als dreifach gespaltener: „Alors le schéma corporel, attaqué en plusieurs points, s’écroula, cédant la place à un schéma épidermique racial. Dans le train, il ne s’agissait plus d’une connaissance de mon corps en troisième personne, mais en triple personne. [...] J’existais en triple [...]“425 . Der Begriff der Maske, den Fanon abgesehen vom Titel im gesamten Werk nie explizit gebraucht, ist so verbunden mit der Spaltung des Körpers als Resultat der sichtbaren Andersartigkeit: „Son regard libérateur, glissant sur mon corps [...] me fixe, dans le sens où l’on fixe une préparation par un colorant. Je m’emportai, exigeai une explication... Rien n’y fit. J’explosai. Voici les menus morceaux par un autre moi réunis.“426 Der sezierende Blick des Anderen (Fanon denkt sich hier wohl einen Mann) bewirkt, dass der eigene Körper nicht mehr als Einheit, sondern in einzelnen Teilen oder Merkmalen wahrgenommen wird, und behindert auf diese Weise die Entwicklung eines integren Körperschemas. Mit einer Beschreibung, die genau zu Fanons Ausführungen passt, beginnt L’enfant de sable: [...] Il évitait de s’exposer à la lumière crue et se cachait les yeux avec son bras. La lumière du jour, d’une lampe ou de la pleine lune lui faisait mal: elle le dénudait, pénétrait sous sa peau et y décelait la honte ou des larmes secrètes. Il la sentait passer sur son corps comme une flamme qui brûlerait ses masques, une lame qui lui retirerait lentement le voile de chair qui maintenait entre lui et les autres la distance nécessaire. Que serait-il en effet si cet espace qui le séparait et le protégeait des autres venait à s’annuler? Il serait projeté nu et sans défenses entre les mains de ceux qui n’avaient cessé de le poursuivre de leur curiosité, de leur méfiance et même d’une haine tenace [...]. (L’enfant, 7)
Beschrieben wird gemäß der Überschrift „Homme“ ein „Mann“ oder „Mensch“, der sich durch seine Andersartigkeit als verletzlich empfindet. Es handelt sich um die Protagonistin Ahmed, die zurückgezogen in einer Dachkammer lebt, um den neugierigen, misstrauischen oder bösartigen Blicken der Anderen zu entgehen. Aus diesem Grund scheut sie auch jede Art von Licht, das ihre Andersartigkeit sichtbar werden lässt. Zu dem Zeitpunkt in ihrem Leben, der zu Beginn
425 Ebd., 90. 426 Ebd., 88.
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geschildert wird, befindet sie sich in einem Zustand der Zersetzung ihres Körpers und des zunehmenden Kontrollverlusts über ihre Körpersprache, über Gestik, Mimik und Bewegung (vgl. L’enfant, 10). Daher genügt bereits ein leichter Lichtstrahl, um ihre sorgfältig sozialisierten Masken zum Verschwinden zu bringen. Ihre Empfindungen werden geschildert: wie das Licht den Körper seziert und somit den Blick der Anderen antizipiert, der wie Fanons „weiße Maske“ im Körperschema verinnerlicht ist. In diesem Zustand lebt sie seit dem Tod des Vaters, der allegorisch gedeutet die Unabhängigkeit Marokkos von der französischen Herrschaft markiert. Die Befreiung aus der Fremdherrschaft bedeutet für Ahmed als Verkörperung der marokkanischen Gesellschaft einen Bruch, der sich auf der Ebene des Körpers vollzieht: „Mais, depuis qu’entre lui et son corps il y avait eu rupture, une espèce de fracture, son visage avait vieilli et sa démarche était devenue celle d’un handicapé“ (L’enfant, 10). Erst mit dem Ende der Kolonialzeit werden die Folgeschäden deutlich, welche die Sozialisation in einer aufgezwungenen Kultur am Körper verursacht haben. Die Spaltung zwischen männlicher Erziehung und weiblicher Biologie, zwischen französischer Akkulturation und marokkanischer „Identität“427 bewirkt, dass die Protagonistin, zwischen beiden hin- und hergerissen, schneller altert und sich wie mit einem schweren Handicap bewegt. Körperbewegungen, die während der Kindheit internalisiert wurden, lassen sich nicht mehr intuitiv steuern, sondern haben sich zum Nachteil Ahmeds verselbstständigt und übernehmen mehr und mehr die Kontrolle.428 Erst im Tod kann dieser hybride Zustand endgültig überwunden werden und der Wahrheit Platz machen, die hinter den Masken der anderen Kultur versteckt ist: „Sa mort sera à hauteur du sublime que fut sa vie, avec cette différence qu’il aura brûlé ses masques, qu’il sera nu, absolument nu, sans linceul, à même la terre qui rongera peu à peu ses membres jusqu’à rendre à lui-même, dans la vérité qui fut pour lui un fardeau perpétuel“ (L’enfant, 11). Mit „Masken“, die für die Sozialisation im anderen Geschlecht, in der anderen Kultur stehen, werden verschiedene sozial determinierte Merkmale des Körpers bezeichnet, die jeweils ein biologisches Merk-
427 Ben Jellouns Verständnis von Erziehung und Biologie, das der allegorischen Deutung zugrunde liegt und so das Fundament für den marokkanischen Identitätsbegriff darstellt, wird im Abschnitt „Ben Jellouns Verrückte: Körperzwänge und nervöse Ticks“ aufgegriffen. Im Schlussteil werden dann die Ergebnisse aus beiden Abschnitten zusammengeführt. 428 Siehe hierzu vor allem das nächste Kapitel, Abschnitt „Ben Jellouns Verrückte: Körperzwänge und nervöse Ticks“.
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mal verdecken. Beispielsweise wird das weibliche Gesicht von der männlichen Stimme verdeckt, welche die raffinierteste von allen Masken429 darstellt: [M]on visage enroulé dans le voile de cette voix, est-elle de moi ou est-ce celle du père qui l’aurait insufflée, ou simplement déposée pendant que je dormais en me faisant du bouche à bouche? Tantôt je la reconnais, tantôt je la répudie, je sais qu’elle est mon masque le plus fin, le mieux élaboré, mon image la plus crédible [...] et mon visage est celui de cette voix. (L’enfant, 45)
Die Frage nach dem Ursprung der Stimme – ob es die eigene ist oder die des Vaters – ist allegorisch gelesen die Frage danach, wie die dominante Kultur ihren Weg in die kolonisierte Gesellschaft genommen hat und ob die zweite eine Mitverantwortung trägt. Die Beziehung zwischen Gesicht und Stimme wird als Besitzverhältnis bezeichnet, nach welchem das Gesicht der Stimme gehört. Auch dies deutet auf das Kolonialverhältnis hin, in welchem die herrschende und den Unterdrückten aufgezwungene Kultur von Individuen und ihren Objekten Besitz ergreift. Nicht nur Ahmeds Körpersprache ist ein Flickenteppich aus fremden Merkmalen, die kein Zusammenspiel ergeben, auch ihre Erinnerung ist nicht ihre eigene. Allegorisch ausgedeutet ist die marokkanische Gesellschaft damit „porteur d’une mémoire non accumulée dans un temps vécu, mais donnée à l’insu des uns et des autres“ (L’enfant, 46) und verfügt damit über ein kulturelles Gedächtnis, dessen Entstehungsprozess sie zum größten Teil gar nicht selbst miterlebt hat. Das Projekt der Entkolonisierung besteht für Ahmed nach dem Tod ihres Vaters darin, die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen und seine Einzelteile zu einem ganzen zusammenzuflicken. Dieser Prozess wird mit dem prägnanten Begriff „reconquête“ (L’enfant, 126)430 ausgedrückt, einer Metapher also, die explizit auf den Kolonialismus verweist.
4. ENTSCHLEIERUNGSPOLITIK UND VERGEWALTIGUNGSPHANTASIEN Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt für die Strategie des divide et impera war die Befreiung der Frau, die sich in einer aggressiven Entschleierungspolitik
429 Der Begriff der Maske fällt noch weitere Male im Laufe der Geschichte, vgl. L’enfant, 85, 86, 159, 166, 172, 182. 430 Für „Wiederzusammensetzen“ verwendet Ben Jelloun die Begriffe „raccommoder“ und „rapiécer“, vgl. L’enfant, 94.
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manifestierte und eine weitere Rechtfertigung für den Kolonialismus lieferte.431 Besonders in Ägypten unter Lord Cromer wurde die Frauenfrage zur kolonialen Agenda erklärt, war doch die Stellung von Frauen in islamischen Gesellschaften eines der deutlichsten Anzeichen dafür, dass der „Islam as a social system has been a complete failure“432. Ausdruck der weiblichen „position of marked inferiority“ waren nach Cromer die Praxis der Verschleierung und der Geschlechtersegregation, der daher der Kampf angesagt wurde. Gleichzeitig diente aber gerade die Entschleierungspolitik dazu, die kulturelle Geschlechtersegregation in eine gesellschaftspolitische Spaltung der Geschlechter zu wenden, wie Fanon im Kapitel „L’Algérie se dévoile“ aus Sociologie d’une révolution feststellt: Dans le programme colonialiste, c’est à la femme que revient la mission historique de bousculer l’homme algérien. Convertir la femme, la gagner aux valeurs étrangères, l’arracher à son statut, c’est à la fois conquérir un pouvoir réel sur l’homme et posséder les moyens pratiques, efficaces, de déstructurer la culture algérienne.433
Der Verschleierungsdiskurs in Ägypten sowie Lord Cromers Verhältnis zu Frauenrechten wird bei Leila Ahmed diskutiert, und zwar in der bereits genannten Studie Women and Gender in Islam: Historical Roots of a Modern Debate, besonders im Kapitel „The Discourse of the Veil“ und „The First Feminists“.434 Sogar die christliche Mission machte die Verschleierungspraxis zum Thema. Gewarnt wurde im Zusammenhang mit dem Schleier unter anderem vor einem
431 Vgl. zur allgemeinen Positionierung Djebars in Bezug auf die koloniale Entschleierungspolitik Erickson 2008, 44f. 432 Cromer [1908] 2010, 564. Das Zitat findet sich in deutscher Übersetzung bei Braun und Mathes 2007, 312. 433 Fanon [1959] 1972, 20. 434 Vgl. Ahmed 1992,144-168 und 169-188. Ahmed zeigt die Doppelmoral auf, mit der für die Erreichung imperialer Ziele argumentiert wurde. Cromer und andere griffen die Sprache des in Europa aufkommenden Feminismus auf und richteten diese gegen die Kultur und Religion der kolonisierten Länder. Gleichzeitig war Cromer in Großbritannien Mitbegründer und zeitweise Vorsitzender der „Men’s League for Opposing Women’s Suffrage“ und setzte sich in Ägypten gegen die Ausbildung von Frauen zu Ärztinnen ein, vgl. ebd., 153. Unter anderem ließ er eine Institution in Ägypten, die Ärztinnen ausbildete, zu einer Hebammenschule umfunktionieren, weil der Beruf des Arztes natürlicherweise Männern vorbehalten sei. Siehe außerdem die Diskussion zur „kolonialen Emanzipation“, die auch auf Cromer und Ahmed rekurriert, bei Braun und Mathes 2007, 312f.
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„most terrible and injurious effect upon the mental, moral and spiritual history of all Mohammedan races“435. Muslimische Frauen seien, so die dramatische Missionarsrhetorik, „buried alive behind the veil“436 . Mit kolonialen Blickpolitiken und Blickpraktiken in Algerien seit der Eroberung hat sich Julia Clancy-Smith in „Islam, Gender, and Identities in the Making of French Algeria, 1830-1962“ auseinandergesetzt. Sie analysiert das Verhältnis der Eroberer zur Kultur des Islam und die darauf aufbauende koloniale Propaganda. Nach Clancy-Smith war der Blick ein bedeutendes und daher kontrovers debattiertes Mittel der Eroberung und Kontrolle Algeriens: [T]he construction of French Algeria was as much the forging of a gaze – or spectrum of gazes fixed upon Muslim women – as it was the assembling of mechanisms for political and economic control. Moreover, that gaze, its discourses and representations, constituted a critical force in the complex cultural politics of French Algeria as well as in the metropole’s relations with its fractious African territory.437
Clancy-Smith zieht einen Kommentar des bereits erwähnten Verantwortlichen für die Eroberung Algeriens heran, des späteren Marschalls Bugeaud, um zu veranschaulichen, zu welch frühem Zeitpunkt der Status der muslimischen Frau auf den höchsten politischen Ebenen zu verhandeln begonnen wurde: „[T]he Arabs elude us because they conceal their women from our gaze“438. Als sich der koloniale Blick auf muslimische Frauen zum festen Bestandteil des imperialen Unterfangens verstetigt hatte, verlagerte sich der Diskurs um „den Islam“ bei vielen französischen Autoren „from the battlefield into the bedroom“439. Dabei fungierte „die arabische Frau“ in ihrer visuellen und diskursiven Repräsentation als „an inverted image or negative trope for confirming the European settlers’ distinct cultural identity, while denying the political existence of the other“440 . Maskerade der Kolonialherren Dieser Wandel in der Art, wie Kolonialherren Kolonisierte sahen und beherrschten, schlug sich nieder in Fotografien und Postkarten, die verschleierte und gleichzeitig entkleidete arabische Frauen zeigten. Die Postkarten, die der algeri-
435 Ahmed 1992, 154. 436 Ebd., 154. 437 Clancy-Smith 1998, 155. 438 Ebd., 154. 439 Ebd., 155. 440 Ebd.
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sche Autor Malek Alloula (übrigens mit Assia Djebar verheiratet gewesen) in seiner bekannten Studie Le harem colonial. Images d’un sous-érotisme (1981) unter die Lupe genommen hat, waren seit den 1890er Jahren in der französischen Öffentlichkeit in Umlauf. Sie bedienten die orientalistischen Fantasien der in Algerien lebenden männlichen Franzosen, denen jeder Kontakt zu muslimischen Frauen außer Prostituierten verwehrt war. Gleichzeitig konnten sich die zu Hause Verbliebenen ein Bild von der Eroberung machen. Arabische und berberische Prostituierte wurden hierfür in lasziven Posen und mit prächtigen folkloristischen Roben als Haremsdamen in Szene gesetzt. Die Bilder boten auf diese Weise „visually erotic access to the inaccessible“441 . Auch in der Literatur kann ein ähnlicher Prozess in Bezug auf die französische Imagination Algeriens beobachtet werden. 1886 erschien Hector Frances Sous le Burnous, ins Englische unter dem bezeichnenden Titel Musk, Hashish, and Blood übersetzt, das als authentischer Reisebericht aufgemacht ist und vor allem Pornographie enthält. Der Bericht beginnt mit der Darstellung der Vergewaltigung und anschließenden Ermordung einer jungen Algerierin durch den autobiographischen Erzähler. Anschließend werden zahllose sexuelle Eskapaden mit Töchtern der Ouled Nail geschildert, einem Volk der Sahara, dessen Frauen in der Kunst des Singens, Tanzens und Musizierens ausgebildet waren und unter französischer Besatzung aufgrund ihrer Fähigkeiten zu Prostituierten gemacht wurden.442 Djebar nimmt Bezug auf die Fiktion von France, indem sie die Geschichte vom Mord an zwei Mädchen der Ouled Nail aufgreift, die sie wiederum in Fromentins Sahara-Bericht gelesen hat. Hierfür verbindet sie seine Perspektive mit der weiblicher Nachfahrinnen der Bevölkerungsgruppe der Ouled Nail: Dire à mon tour. Transmettre ce qui a été dit, puis écrit. Propos d’il y a plus de un siècle, comme ceux que nous échangeons aujourd’hui, nous, femmes de la même tribu. [...] Laghouat, été 1853. Le peintre Eugène Fromentin a séjourné, l’automne et le printemps précédents, dans un Sahel endormi, tel de nôtre aujourd’hui, petite mère. [...] Fromentin (comme moi qui t’écoute tous ces jours) entend son ami raconter: [...] ‚Dans cette maison qui, depuis la prise de la ville, a changé de maître, habitaient deux Naylettes fort jolies [...]‘. (L’amour, 234f.)
Wie bereits im ersten Buchteil ausführlich besprochen, versteht sich Djebar darauf, mündliche und schriftliche Zeugnisse aus unterschiedlichen Perspektiven unauflösbar miteinander zu verweben. Sowohl bei Fromentin, dessen Perspekti-
441 Ebd., 157. 442 Vgl. ebd., 157f.
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ve die dritte Person Singular ist, als auch bei den direkten Nachfahrinnen aus der ersten und zweiten Person Singular, spielt die mündliche Weitergabe der Begebenheit, aber auch das anschließende schriftliche Festhalten eine Rolle. Nach der Einleitung in die Geschichte in Form eines Zitates von Fromentin setzt Djebars Fiktion ein: „Fatma et Mériem, les ‚naylettes‘, vivent en danseuses prostituées à l’oasis“ (L’amour, 235). Der bedeutendste Unterschied zwischen dem nun Folgenden und dem von Fromentin Geschilderten liegt genau wie bei der Beschreibung der Frauenhand darin, dass Djebar, bevor sie die Geschichte erzählt, danach fragt, wie die beiden Mädchen zu Prosituierten werden konnten: Elles ont tout au plus vingt ans. Quinze ans auparavant, l’émir Abdelkader a attaqué ElMahdi, près de Laghouat, pour tenter de soumettre les seigneurs du Sud et unifier sa résistance contre le Chrétien... Ont-elles, dans cette guerre civile, perdu leur père, certains de leurs frères? Supposons-le; lorsque nous rencontrons ces deux femmes dans cette embardée du passé, elles tirent commerce de leur beauté en fleurs... (L’amour, 235)
Djebar macht den französischen Eroberungskrieg Algeriens und in der Folge die bittere Armut der Frauen, die ihre Väter, Männer, Söhne oder Brüder verloren hatten, für das Geschäft mit der Prostitution verantwortlich. Fromentin hingegen hält sich an die Geschichte seines Freundes und erzählt, dass es bei der Belagerung Laghouats zu einem Massaker an der Bevölkerung durch französische Soldaten kam, bei welchem auch die Prostituierten Fatma und M’riem (bei Djebar „Mériem“) umgebracht wurden. Zwei französische Offiziere, die einige Zeit zuvor die Dienste der beiden Mädchen in Anspruch genommen hatten, versuchten noch, deren Leben zu retten, kamen jedoch zu spät. Obwohl es Fromentins Bericht nicht an Empathie für den Tod der Mädchen mangelt – so heißt es an einer Stelle „Les deux pauvres filles“, an einer anderen „Les malheureuses“443 – beschreibt er die Freier der beiden als edle und heldenhafte Beschützerfiguren und zieht die Richtigkeit des aus der Not entstandenen Prostitutionsverhältnisses an keiner Stelle in Zweifel.444 Ein Detail, das Fromentin beschreibt, greift Djebar auf und hebt es durch Hyperbeln besonders hervor: „‚– Mériem, en expirant dans mes bras, laissa tomber de sa main un bouton d’uniforme arraché à son meurtrier!‘ soupire le lieutenant arrivé trop tard.“ (L’amour, 237; bei Fromentin 142; meine Hervorhebungen). Die kursiv gesetzten Elemente hat Djebar hinzugedichtet, der Tod in den Armen, das Ausrufezeichen, das Seufzen des Offiziers sind nicht Bestandteil der Version Fromentins. Wiederum ist es
443 Fromentin 1857, 141 und 142. 444 Vgl. ebd., 140f.
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eine ausgestreckte Hand, die über den Tod hinaus versucht, etwas zu übermitteln. Im vorliegenden Fall handelt es sich um den abgerissenen Uniformknopf des Mörders, den das Mädchen wie zur letzten Anklage festhält. Djebar stellt die transmissive Funktion von Händen deutlich heraus, indem sie die Weitergabe des Knopfes anhand der Hand Fromentins im Vergleich zu der Hand der sterbenden Prostituierten zeigt: Six mois après, l’officier donne ce trophée [le bouton] à Fromentin qui la garde. Fromentin ne dessinera jamais le tableau de cette mort des danseuses. Est-ce cet objet palpé qui transforme le peintre des chasses algériennes en écrivain du deuil?... Comme si la main de Fromentin avait précédé son pinceau, comme si la transmission s’était coagulée dans les seuls vocables... La main de Mériem agonisante tend encore le bouton d’uniforme: à l’amant, à l’amie de l’amant qui ne peut plus qu’écrire. Et le temps s’annihile. Je traduis la relation dans la langue maternelle et je te la rapporte, moi, ta cousine. Ainsi je m’essaie, en éphémère diseuse, près toi, petite mère assise devant ton potager. (L’amour, 237)
Im Knopf essentialisiert sich das Geschehene. Der Vergleich offenbart Verwunderung über die Art, wie Fromentin das Ereignis festhält. Im Gegensatz zu der Prostituierten, die noch im Angesicht des Todes den Knopf weitergibt, gelingt es Fromentin nicht, das Erlebte in einem Bild festzuhalten und so seine Essenz zu bewahren. In der Schrift, auf welche er zurückgreift, scheint die Essenz des Übermittelten zu gerinnen. Durch die Ich-Erzählerin wird der körperliche Aspekt wieder in die Überlieferung des Ereignisses eingebracht, indem diese den gelesenen Bericht ihrer Kusine in der Muttersprache erzählt und dabei die Ephemerität ihrer Worte betont. Die Instrumentalisierung von Frauenkörpern Der erste koloniale Autor, der explizit einen triangulären Zusammenhang herstellt zwischen Wissen, Kolonialherrschaft und der Notwendigkeit, in die abgeschiedene Welt einheimischer Frauen vorzudringen, ist Eugène Dumas mit seiner in der Revue Africaine (1856-1961) erschienenen Studie „La femme arabe“ (1912).445 Clancy-Smith sieht in Dumas’ literarischem Vorhaben – „to tear off the veil that still covers the morals, customs, and beliefs‘ of Arab society“446 – eine Aufforderung zur Vergewaltigung und Exponierung. In der Ära nach 1871 wurde „die arabische Frau“ von ethnographischer Seite, beispielsweise von
445 Vgl. Clancy-Smith 1998, 163. 446 Ebd., 164.
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Adrien Leclerc und Louis Milliot zu Anfang des 20. Jahrhunderts, als Symbol für die unwandelbar traditionelle einheimische Kultur Algeriens in den Fokus der wissenschaftlichen Beschäftigung gerückt. Zur gleichen Zeit entdeckten aber auch arabische Nationalisten und muslimische Liberale den Frauenkörper als „terrain for debating issues of identity, cultural authenticity, and moral integrity“447 . Während des Algerienkrieges (1954-1962) erkannte der FLN448 die Bedeutung „der algerischen Frau“ für ihre Zwecke, wie ein in der Résistance Algérienne erschienener Text zeigt, den Fanon im Anhang zu „L’Algérie se dévoile“ abgedruckt hat: Sur la terre algérienne qui se libère chaque jour un peu plus de l’étreinte colonialiste, on assiste à une dislocation des vieux mythes. Parmi les ‚choses incompréhensibles‘ du monde colonial, était cité abondamment le cas de la femme algérienne. Les études des sociologues, des islamologues, des juristes, abondent en considérations sur la femme algérienne. Tour à tour décrite comme esclave de l’homme ou comme souveraine incontestée du foyer, le statut de l’Algérienne fait question pour les théoriciens. D’autres, pareillement autorisés, affirment que la femme algérienne ‚rêve de se libérer‘, mais qu’un patriarcat rétrograde et sanguinaire s’oppose à ce désir légitime. La lecture des derniers débats à l’Assemblée Nationale française indique le prix qui est attaché à une approche cohérente de ce ‚problème‘. La majorité des interpellateurs évoquent le drame de l’Algérienne et réclament sa promotion. Seul moyen, ajoute-t-on, de désarmer la rébellion. C’est une donnée constante chez les intellectuels colonialistes que de transformer le système colonial en ‚cas sociologique‘. Tel pays, dira-t-on, appelait, sollicitait la conquête. C’est ainsi, pour prendre un exemple célèbre, que l’on a décrit un complexe de dépendance chez le Malgache. La femme algérienne, elle, est ‚inaccessible, ambivalente, à composante masochiste‘. Des conduites précises sont décrites qui illustrent ces différentes caractéristiques. La vérité est que l’étude d’un peuple occupé, soumis militairement à une domination implacable, requiert des garanties difficilement réunies. Ce n’est pas le sol qui est occupé. Ce ne sont pas les ports ni les aérodromes. Le colonialisme français s’est
447 Ebd., 173. 448 Bei der Front de Libération Nationale handelt es sich um eine 1954 von Ahmed Ben Bella in Kairo gegründete Widerstandsgruppe, die für die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich kämpfte und sich später unter Präsident Ben Bella zu einer sozialistisch ausgerichteten Einheitspartei entwickelte. Unter Präsident Houari Boumedienne (1965-1978) sollten Sozialismus und Islam politisch verbunden werden. Bis heute ist der FLN die einflussreichste algerische Partei.
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installé au centre même de l’individu algérien et y a entrepris un travail soutenu de ratissage, d’expulsion de soi-même, de mutilation rationnellement poursuivie.449
Der Text offenbart, von wie vielen unterschiedlichen Seiten der Frauenkörper vereinnahmt wird: von Soziologen, Islamkundlern, Juristen, Feministen oder ganz allgemein „kolonialistischen Intellektuellen“. Dabei wird hervorgehoben, dass sich die kolonialen Herrschaftspraktiken gerade nicht auf das Land Algerien mit seinen Böden, Häfen oder Flugplätzen erstreckten, sondern sich „im Zentrum des Individuums selbst festgesetzt“ hatten. Fanon moniert, dass die damals übliche Formel „Ayons les femmes et le reste suivra“450 (in der deutschen Übersetzung noch deutlicher als „Wenn wir die Frauen gewonnen haben, dann haben wir den Kampf gewonnen“451 übersetzt) auf einer soziologischen und ethnologischen Vereinnahmung der Frau aufbaut, die einem an sich politischen Programm einen wissenschaftlichen Anschein verleihen sollte. Neben der Verwissenschaftlichung der algerischen Frau existierte aber auch weiterhin die alltägliche sexistische und rassistische Haltung, welche die Frau nicht als Schlüssel zur algerischen Gesellschaft begriff, sondern zur Kriegsbeute erklärte.452 Von dem Vorwurf der Instrumentalisierung von Frauen, den Fanon dem französischen Propagandaapparat macht, kann er sich allerdings selbst auch nicht freisprechen. Der Aufsatz „L’Algérie se dévoile“ erweckt den Eindruck, dass für Fanon der Widerstand gegen das französische Regime ein persönliches Anliegen ist und ihm hierfür jedes Mittel – auch die Instrumentalisierung von Frauen – recht ist. Dass algerische Frauen in seiner Vorstellung keine explizit eigenständige Rolle für den Widerstand einnehmen, ist bereits im Titel impliziert, der die individuelle Frau hinter dem Kollektiv „Algerien“ verschwinden lässt, obwohl de facto sie es ist, die den Schleier ablegt. Sie tat dies jedoch nicht selbstbestimmt und aufgrund eigener Überlegungen, vielmehr wurde die Entscheidung, „d’engager les femmes comme éléments actifs dans la Révolution algérienne“453 auf der rein männlichen Führungsebene des FLN getroffen. Den
449 Fanon [1959] 1972, 48. 450 Ebd., 18. 451 Fanon 1969, 21. 452 Vgl. Fanon [1959] 1972, 22f., insbesondere folgende Stelle: „Dans les grandes agglomérations, il est tout à fait banal d’entendre un Européen confesser avec aigreur n’avoir jamais vu la femme d’un Algérien qu’il fréquente depuis vingt ans. À un niveau d’appréhension plus diffus, mais hautement révélateur, on trouve la constatation amère que ‚nous travaillons en vain‘... que ‚l’Islam tient sa proie‘“. 453 Ebd., 30.
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Einsatz der von Fanon erläuterten und bereits im Abschnitt „Sprachschleier“ diskutierten Entschleierungstechnik, die auf eine Verwirrung der Wahrnehmung von Kontrollposten setzte und so den ungehinderten Waffenschmuggel sicherte, planten eben keine Frauen. Religiöse Empfindungen von Frauen wurden zugunsten des Befreiungskampfes einfach übergangen, bei Fanon werden sie überhaupt nicht thematisiert. So ist der Schleier bei ihm nichts weiter als ein beliebiges Kleidungsstück, „[v]oile enlevé puis remis, voile instrumentalisé, transformé en technique de camouflage, en moyen de lutte“454. Bedeutung misst Fanon ihm lediglich als politischem Mittel bei. Die einzelne Frau musste mit den Konsequenzen, die die Entschleierung für ihr Körpergefühl hatte, selbst zurechtkommen: Impression de corps déchiqueté, lancé à la dérive; les membres semblent s’allonger indéfiniment. Quand l’Algérienne doit traverser une rue, pendant longtemps il y a erreur de jugement sur la distance exacte à parcourir. Le corps dévoilé paraît s’échapper, s’en aller en morceaux. Impression d’être mal habillée, voire d’être nue. Incomplétude ressentie avec une grande intensité. Un goût anxieux d’inachevé. Une sensation effroyable de se désintégrer. L’absence du voile altère le schéma corporel de l’Algérienne. Il lui faut inventer rapidement de nouvelles dimensions à son corps, de nouveaux moyens de contrôle musculaire. Il lui faut se créer une démarche de femme-dévoilée-dehors. Il lui faut briser toute timidité, toute gaucherie (car on doit passer pour une Européenne) tout en évitant la surenchère, la trop grande coloration, ce qui retient l’attention. L’Algérienne qui entre toute nue dans la ville européenne réapprend son corps, le réinstalle de façon totalement révolutionnaire. Cette nouvelle dialectique du corps et du monde est capitale dans le cas de la femme.455
Für Fanon ist es selbstverständlich, dass die kulturelle oder religiöse Selbstbestimmung von Algerierinnen hinter dem für ihn höheren Gut der Freiheit zurückzutreten hatte. Dass Frauen an der Beurteilung, was als höherer kollektiver Wert einzuschätzen ist, nicht beteiligt waren, zeigt, dass sie von den männlichen Verantwortlichen oder Theoretikern wie Fanon nicht als Subjekte wahrgenommen wurden. „Aktiv an der Revolution beteiligt“ zu sein heißt in diesem Verständnis für die Frau, männliche Anordnungen von „verantwortlichen Funktionären“ auf eigenes Risiko auszuführen und innerhalb dieses Rahmens von Fanon als bedeutend herausgehoben zu werden: „Et c’est en fonction des dangers concrets qu’elle affronte qu’il faut comprendre les victoires insurmontables qu’elle a
454 Ebd., 44. 455 Ebd., 42f.
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dû remporter pour pouvoir dire à son responsable, à son retour: ‚Mission terminée... R.A.S. [rien à signaler]‘“.456 Nicht nur das französische Regime bemächtigte sich also der Körper der Frauen und machte sie so zum Objekt im politischen Spiel um die Macht in Algerien. Auch der FLN bediente sich dieser Mittel und sogar Theoretiker wie Fanon hatten ihren Anteil hieran, obwohl er als Martinikaner selbst unter der politischen und gesellschaftlichen Marginalisierung durch Andere zu leiden hatte – zur Sensibilität gegenüber der politischen Minderheit der Frauen hat das aber offenbar nicht beigetragen. Dass Frauen einer doppelten Marginalisierung unterlagen, der politischen und der geschlechtlichen,457 wird hier sehr deutlich. Entschleierung, Vergewaltigung und Eroberung Als Psychiater beschäftigen Fanon vor allem die Entschleierungs- und Vergewaltigungsphantasien der Kolonisatoren und die psychosozialen Bedingungen, die sie produzierten.458 Der koloniale Diskurs, der Frauenkörper und die Eroberung von Territorium gleichsetzt, ist jedoch viel älter als die Psychoanalyse. Neben Edward Saids grundlegender Studie zur Konstruktion orientalistischer Stereotype in Orientalism (1978) hat Anne McClintock den Diskurs vom 19. Jahrhundert zurückverfolgt bis Francis Bacon, über Leo Africanus und Christoph Kolumbus bis zu Ptolemäus.459 In ihrer Untersuchung Imperial Leather: Race, Gender, and Sexuality in the Colonial Context (1995) verwendet sie den Begriff „porno-tropics“ für die europäische kartographische Vorstellung, die noch unerschlossenes Land mit einer vom Eroberer zu deflorierenden Jungfrau gleichsetzte.460 Hierfür zieht sie einen Brief von Kolumbus heran, den dieser 1492 verfasste und in welchem er die Rundung der Erde mit einer weiblichen Brust vergleicht.461 Nicholas Dirks bemerkt in Colonialism and Culture (1992) über den Zusammenhang zwischen Körper und Land, der in Zeiten der Entdeckung und Eroberung der Welt durch Europa hergestellt wurde: Marking land and marking bodies were related activities; not only did land seem to determine much of a putatively biological nature, bodies themselves became markers of foreign lands. Before places and peoples could be colonized, they had to be marked as ‚for-
456 Ebd., 43. 457 Wie in Abschnitt „Am Körper rekonstruierte Geschichten“ argumentiert. 458 Vgl. Fanon [1959] 1972, 22-29. 459 Vgl. McClintock 1995, 22. 460 Vgl. hierzu auch Gillen 2007, 180. 461 Vgl. McClintock 1995, 21f.
226 | V ERKÖRPERUNGEN DER ( POST -) KOLONIALEN G ESELLSCHAFT eign‘, as ‚other‘, as ‚colonizable‘. If geography and identity seem always to have been closely related, the age of discovery charted out new possibilities for this relationship.462
Durch die enge Verbindung zwischen Körper und Land, die sich gegenseitig hervorbringen und determinieren, wird verständlich, warum der weibliche Körper Teil des kolonialen Projekts in Algerien werden konnte. Die Andersartigkeit des Körpers der Algerierin war durch den Schleier besonders gekennzeichnet, der als auffälligstes kulturelles Merkmal auch mit der ganzen Gesellschaft und dem Land in Verbindung gebracht wurde. Jeder Versuch der Entschleierung war ein Versuch der Aneignung des Anderen, der symbolischen Aneignung von Land und Gesellschaft und der tatsächlichen Aneignung des Frauenkörpers. Ärger und Verunsicherung angesichts des Eindrucks der Unnahbarkeit, den der Schleier vermittelte, herrschte auch auf ganz alltäglicher Basis in vielen Köpfen männlicher Europäer vor, wie Fanon zeigt. Eine Strategie der Annäherung war es daher, den Frauenkörper zum Allgemeingut zu erklären. Fanon gibt unter anderem die Aussage eines französischen Rechtsanwalts wieder, nach dessen Ansicht sich Algerier schuldig machten „de couvrir tant de beautés étranges“463. Was zunächst als scherzhaft gemeinte Anzüglichkeit missverstanden werden könnte, lässt schnell die aggressive Absicht dahinter erkennen: „Quand un peuple [...] recèle de telles réussites, de telles perfections de la nature, il se doit de les montrer, de les exposer. À l’extrême [...] on devrait pouvoir les obliger à le faire“464. Fanon deutet die Gewalttätigkeit gegen algerische Frauen anders als die gegen Männer als Besitzanspruch: Dévoiler cette femme, c’est mettre en évidence la beauté, c’est mettre à nu son secret, briser sa résistance, la faire disponible pour l’aventure. Cacher le visage, c’est aussi dissimuler un secret, c’est faire exister un monde du mystère et du caché. Confusément, l’Européen vit à un niveau fort complexe sa relation avec la femme algérienne. Volonté de mettre cette femme à portée de soi, d’en faire un éventuel objet de possession. Cette femme qui voit sans être vue frustre le colonisateur. Il n’y a pas réciprocité. Elle ne se livre pas, ne se donne pas, ne s’offre pas.465
Bei der Politik der Entschleierung, aber auch bei den alltäglichen Entschleierungsphantasien, ging es also darum, Kontrolle auszuüben und die Frustration zu
462 Dirks 2006, 60. 463 Fanon [1959] 1972, 25. 464 Ebd. 465 Ebd., 25f.
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kompensieren, die der Schleier bei der männlichen französischen Kolonialbevölkerung erzeugte. Die eigene Sichtbarkeit wurde vor dem Hintergrund der Unsichtbarkeit der Anderen als Nacktheit und Exponierung empfunden. Die gleiche Ohnmacht verbanden die Franzosen auch mit den Kasbahs, den Altstädten, die mit ihrer unübersichtlichen Architektur und abschreckenden Geschlossenheit genau so unzugänglich wirkten wie die Frauen. Eine Frau konnte notfalls mit Gewalt entschleiert werden, ein ganzer Stadtteil jedoch war eine sehr viel komplexere Angelegenheit. Die Strukturen der Altstadt waren für die Franzosen undurchdringlich und auch sprachlich nur schwer zu erfassen. Die Sprache der (französischen) Architektur konnte vor den Strukturen der Altstadt nur kapitulieren oder Chaos hervorbringen. Daher musste man auf andere, anschaulichere Metaphern ausweichen. Sich die Kasbah als Körper vorzustellen und ihr so eine konkrete Gestalt zu verleihen, konnte Ordnung in ein unübersichtliches System bringen. Gleichzeitig wurde so die Möglichkeit der Einnahme suggeriert. Dies erklärt, warum über Kasbahs häufig in Körpermetaphorik gesprochen wurde. Sogar Fanon bedient sich manchmal dieser Sprache, obwohl er an anderen Stellen die koloniale Metaphorik mit großer Sensibilität behandelt oder selbst explizit analysiert.466 Zu Beginn von „L’Algérie se dévoile“ macht er seine Perspektive als Insider der algerischen Gesellschaft deutlich, indem er sich in Bezug auf den Schleier von der Außenperspektive distanziert, die den „Ausländer“ charakterisiert: „Pour le touriste et l’étranger, le voile délimite à la fois la société algérienne et sa composante féminine“467 . Obwohl Fanon sich davon distanziert, die verschleierte Frau als pars pro toto für die ganze Gesellschaft zu begreifen, ist nicht klar, ob er die Schleiermetaphorik lediglich aufgreift oder selbst einführt. Sein Diskurs über den Schleier ist reich an Metaphorik, die Schleier und Gesellschaft miteinander in Verbindung bringt.468 Auf diese Weise beschreibt Fanon auch die Kasbah, und da es diesmal um eine „autochthone“ Perspektive geht, liegt der Schluss nahe, dass Fanon selbst die Schleiermetaphorik an die Topologie heranträgt: „Le manteau protecteur de la Kasbah, le rideau de sécurité presque organique que la ville arabe tisse autour de l’autochtone se retire“469.
466 Körpermetaphorik im Zusammenhang mit Städten zu verwenden, entspricht auf der anderen Seite nicht nur dem kolonialen Sprachgebrauch. Es ist nicht auszuschließen, dass Fanon hier auch arabische Sprachgewohnheiten aufgreift. 467 Fanon [1959] 1972, 17. 468 Ein weiteres Beispiel ist das folgende: „Le haïk délimite de façon très nette la société colonisée algérienne“, ebd., 18. 469 Ebd., 34.
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Auch der Körper wird als Metapher für die Darstellung der Kasbah von Fanon herangezogen: „Alger n’est plus la ville arabe, mais la zone autonome d’Alger, le système nerveux du dispositif ennemi“470 . Sicherlich geht es Fanon darum, mit der Metapher des Nervensystems die Kommunikationswege innerhalb der Kasbah zu veranschaulichen, er nimmt jedoch gleichzeitig den französischen Diskurs auf, der auf die Angreifbarkeit durch Visualisierung der Schwachstellen abzielt. So findet sich die Altstadt in ihrer Darstellung als Nervensystem oder Blutkreislauf auch beispielsweise bei Jean-Claude Racinet. Als Hauptmann, der aktiv am Putschversuch der OAS (Organisation de l’armée secrète)471 gegen die Regierung des französischen Staatspräsidenten de Gaulle im April 1961 beteiligt war, ging es Racinet darum, Algerien als französische Kolonie zu halten. In Les capitaines d’avril (1976) hat er seine Eindrücke des Putsches festgehalten und bedient sich zur Beschreibung der Kasbah einer ähnlichen Körpermetaphorik wie Fanon: „Dans les venelles de la Casbah, dans les rues des quartiers périphériques, les grandes artères de la Cité, nos parachutistes s’essayaient aux techniques de l’‚agit-prop‘.“472 Die Körpermetaphorik stellt nicht nur den Versuch dar, Ordnung in ein chaotisches System zu bringen oder Zusammenhänge zu veranschaulichen, sondern soll die Möglichkeit der Eroberung der Altstadt aufzeigen, die „wie eine Frau“ zu nehmen sei: „L’Algérie était à prendre, comme une femme“.473 Die sprachliche Engführung zwischen Körper und Kasbah verfolgt bei Racinet also eindeutig das koloniale Anliegen der Unterwerfung, das in der konkreten, angreifbaren Gestalt des Körpers einfacher zu realisieren scheint. Fanon analysiert auch den Wunsch nach Vergewaltigung, der die Besonderheiten der Beziehung der männlichen Franzosen zur kolonisierten Gesellschaft zutage treten lässt: „Avec la femme algérienne, il n’y a pas de conquête progressive, révélation réciproque, mais d’emblée, avec le maximum de violence, possession, viol, quasi-meurtre. L’acte revêt une brutalité et un sadisme paranévrotiques même chez l’Européen normal“474 . Tatsächlich ist es nicht beim Wunsch
470 Ebd., 36. 471 Die OAS war eine Geheimorganisation, die der algerischen Unabhängigkeitsbewegung nachempfunden war und Terror als legitimes und erfolgversprechendes Mittel zur Erreichung ihrer politischen Bestrebungen ansah. Ziel der OAS unter der Führung einiger französischer Generäle war es, Algerien als französische Kolonie zu erhalten, wovon auch ihr Wahlspruch „L’Algérie est française et le restera“ zeugt. 472 Racinet 1976, 89. 473 Ebd., 92. 474 Fanon [1959] 1972, 28.
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geblieben, wie es bei Fanon den Anschein hat, weil er nur Zivilisten beschreibt. Algerische Frauen mussten durchaus Angst vor Vergewaltigungen durch französische Soldaten haben. Nicht nur in Einzelfällen kam es zu Übergriffen, sondern es gab teilweise auch systematische Vergewaltigungen, die als Mittel eingesetzt wurden, den kollektiven Widerstand zu brechen. Nach von Braun und Mathes stellt die Vergewaltigung von Frauen in Kriegssituationen den Versuch dar, den Kollektivkörper des Gegners über seine Repräsentationsfigur zu kontrollieren und ihm Schaden zuzufügen.475 Die amerikanische Soziologin mit algerischem Hintergrund Marnia Lazreg zählt in ihrem viel beachteten Werk Torture and the Twilight of Empire (2008) sowohl systematische Vergewaltigungen als auch die (öffentliche) Zurschaustellung des nackten Körpers zu kolonialen Foltermethoden:476 „Torture was intimately linked to colonial history and to the nature of the colonial state. It had been used in the aftermath of the invasion of Algeria in 1830 when rape, beatings with a matraque, exposure of naked bodies, and starvation were frequent“.477 Mit der Nacktheit, beispielsweise eines politischen Gefangenen, sollte gleich in mehrfacher Hinsicht der antikoloniale Widerstand gebrochen werden, wie Lazreg konstatiert: „Stripping kills two birds with one stone: It tears up the prisoner’s cultural garb, and assaults him with exposure to French culture assumed to be compatible with (the torture of) nakedness.“478 Diese Art der Folter richtet sich gegen die einheimische Kultur, indem sie die Verkörperung ihres Anliegens vollzieht. Durch den Akt des Ausziehens entledigt sich die Gefangene ihrer Kleidung und damit auch der sichtbaren Attribute ihrer Kultur. Sie steht vor ausnahmslos bekleideten Männern in französischer Landestracht und ist ihren die Anatomie genauestens sezierenden Blicken und Händen vollständig ausgeliefert. Die sexuelle Dominanz der Kolonialmacht war ein wichtiger Faktor der Unterwerfungsstrategie, die über die Macht verfügte, den widerständigen Körper zu brechen. In Gefangenenlagern waren die Wachen angehalten, männliche Gefangene zu Frauen „herabzuwürdigen“ und sie mit sexuellen Übergriffen zu bedrohen oder
475 Braun und Mathes 2007, 290. 476 Im Gegensatz zur französischen politischen Führung der von Lazreg diskutierten Epoche, die keinen Zusammenhang zwischen Vergewaltigung und Folter herstellte. Während in der französischen Öffentlichkeit die Folter immerhin von einigen französischen Aktivisten angeprangert wurde, wurden Vergewaltigungen tabuisiert. Vgl. Lazreg 2008, 130. 477 Ebd., 3; Kursivierung im Original. 478 Ebd., 123.
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diese auch in die Tat umzusetzen.479 Foltersitzungen zur Informationsbeschaffung sollten den Geschlechtsakt imitieren, wie Lazreg einen Geheimdienstoffizier zitiert, der diese Methode einem Kollegen erläutert: ‚An interrogation is like making love. An essential rule is to take your time, know how to hold yourself long enough till you reach the crucial moment, keep up pain till it reaches its climax. Most of all do not go beyond this threshold or your partner will die on you. If you can motivate him, he’ll talk. Well, you know, orgasm. Otherwise, he’ll pass out. If you love women, lieutenant, you should understand.‘480
Diese Angriffe zielten nicht nur auf den Körper ab, sondern sollten sich auch auf das Privatleben und insbesondere die Familie nachhaltig auswirken, weil die Sexualität zwischen Verheirateten und die Zeugung von Nachkommen nach den traumatischen Erlebnissen nicht mehr problemlos möglich war.481 Entschleierungsspektakel Frauen, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten, wurden zwar ebenso gefoltert wie Männer, für Zivilistinnen jedoch sah das französische Regime noch eine zweite Strategie vor. Durch die bereits angesprochene „Emanzipation“ sollten algerische Frauen aus der starken Einheit des Familienverbundes entfremdet werden. Wie mit einem „Trojanischen Pferd“482 sollte auf diese Weise die Umstrukturierung der algerischen Gesellschaft von innen her bewirkt werden. In vielen Dörfern und Städten wurden Handbücher zur Anleitung der schrittweisen Entschleierung verteilt.483 Die Kampagne sollte offiziell die „Homogenität“ der algerischen Gesellschaft überwinden helfen, die tatsächlich jedoch alles andere als homogen war. Auch schon vor der Jahrzehnte währenden divide et impera-Politik war sie durch große soziale und ethnische Differenzen geprägt. Zu französischen Propagandazwecken wurden großangelegte Entschleierungsspektakel inszeniert, bei denen „bekehrte“ Algerierinnen vor großem Publikum und internationalen Pressevertretern auf einem Podium den Schleier ablegen und sich so von der Tradition befreien sollten. Die Frauen hatten nie zuvor einen Schleier getragen und ließen sich auf das Theater nur ein, weil ihnen
479 Vgl. ebd., 126. 480 Ebd., 127. 481 Vgl. ebd., 128. 482 Ebd., 145. 483 Vgl. ebd., 148.
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mit der Exekution inhaftierter Verwandter gedroht wurde oder sie als Angestellte in französischen Haushalten um ihre Anstellung fürchten mussten.484 In L’amour, la fantasia findet sich eine Geschichte mit dem Titel „La mariée nue de Mazouna“, in welcher es um die öffentliche Entblößung einer Braut aus einflussreicher Familie am Tag nach der geplanten Hochzeit geht. In diesem Beispiel sind es jedoch nicht die Franzosen, die eine Einheimische entschleiern, sondern Djebar stellt einen inneralgerischen Konflikt dar, der über den Frauenkörper ausgetragen wird. Sie zeigt damit, dass der Frauenkörper nicht nur von der Kolonialgewalt vereinnahmt wurde, sondern grundsätzlich den Schauplatz für männliche Kämpfe abgab und somit grundsätzlich marginalisiert war. Bei der Braut handelt es sich um die Tochter Badra des Kaids Ben Kadrouma, des Obersten von Mazouna, die mit dem Sohn des Aghas Si M’hamed, des Vorstehers der Region Ouarsenis, verheiratet werden soll. Sowohl der Agha als auch der Kaid sind Verbündete der französischen Eroberer, letzterer weil er als Nachfahre der Kulugli von der türkischen Herrschaftsschicht zur Zeit des Beyliks abstammt, dessen Amtssitz im Westen Mazouna war. Unter Emir Abdelkader, dem legendären Widerstandskämpfer der ersten Stunde für die algerische Freiheit, wurden die türkischen Familien verschleppt als Vergeltung für die Weigerung der Janitscharen485 , sich dem Kampf gegen Frankreich anzuschließen. Im Jahr 1845, in welchem die Geschichte spielt, kämpfen die Franzosen im DahraGebirge gegen die aufständischen Berbergruppen unter der Führung des Scherifen486 Mohamed Ben Abdallah, genannt „Bou Maza“. Dieser führt den Widerstand in den Bergen an, der sich auch gegen den Kaid von Mazouna und den Agha von Ouarsenis als Kollaborateure des Gegners richtet. Die Tochter Badra des Kaids träumt heimlich von einer Ehe mit Bou Maza: „– Si le Chérif, répliqua-t-elle, venait demander ma main à mon père, telle que je suis maintenant, je dirais que je suis prête: prête pour l’épouser sur-le-champ!“ (L’amour, 125). Sie gibt damit die Stimmung der Bevölkerung Mazounas wieder, die im Agha einen Verräter und in Bou Maza einen Helden sieht. Zu ihrem Schrecken wird sie von ihrem Vater jedoch dem Sohn des Aghas versprochen, die Väter besiegeln auf
484 Vgl. ebd., 150f. 485 Janitscharen gab es seit dem 14. Jahrhundert und sie waren ursprünglich die Leibwache des osmanischen Sultans, in der türkischen Herrschaftselite im Maghreb stellten sie im 19. Jahrhundert eine eigene gesellschaftliche Schicht dar. 486 Kaid, Agha und Scherif (qā’id, āġā und šarīf) bezeichnen Führungspersönlichkeiten, wobei mit „Kaid“ generell ein Oberhaupt gemeint ist, die osmanische Bezeichnung „Agha“ sich auf einen Befehlshaber bezieht und der „Scherif“ als Nachfahre des Propheten eine religiöse Führungspersönlichkeit darstellt.
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diese Weise ein gemeinsames Bündnis gegen Bou Maza. Am Tag der geplanten Hochzeit holt der Agha seine reich mit Schmuck und wertvollen Gewändern ausgestattete Schwiegertochter mit einem prunkvollen Hochzeitszug ab. Dieser gerät auf dem Weg zur neuen Heimat der Braut in einen Hinterhalt und wird von Bou Mazas Truppen überfallen, die Männer werden getötet und Badra wird zusammen mit den anderen Frauen der Hochzeitsgesellschaft entführt. Sie und ihre Schwägerin verbringen die Nacht in Bou Mazas Zelt, ohne dabei jedoch wie für Kriegsbeute üblich ihre Jungfräulichkeit einzubüßen. Die Gründe hierfür lässt Djebar offen: „Personne ne sut, le lendemain, si les deux vierges dédaignèrent le Chérif, quand il prit place face à elles, ou si ce fut lui qui, devant ces proies révoltées ou fascinées, répugna à utiliser la force“ (L’amour, 134). Die Schwägerin Badras, die Tochter des getöteten Agha, hält während der Nacht ihren Dolch umklammert und droht ihren Vater zu rächen, sie wird daher aus dem Zelt entfernt. Obwohl Badra, deren außerordentliche Schönheit im Roman betont wird, den Rest der Nacht mit dem Scherifen alleine verbringt, rührt dieser sie nicht an, sehr zum Erstaunen der Amme: „‚Comment un homme peut-il résister devant la beauté étincelante de ma petite Badra...?‘“ (L’amour, 135). Als die Amme das Zelt betritt, nachdem Bou Maza es verlassen hat, findet sie Badra in derselben Position vor wie am Abend zuvor, unter der Last des schweren Schmucks schwitzend. Die Amme nimmt ihr diesen ab und ist dabei hin- und hergerissen zwischen der Erklärung, dass der Schmuck Badra vor den sexuellen Übergriffen des Rebellenführers gerettet habe (vgl. L’amour, 136), und Mitleid angesichts der Ehrverletzung, weil er sie gerade nicht angerührt hat. Und auch für Badra scheint die Scham über die Schmähung schwerer zu wiegen, als die Erleichterung über die gerettete Jungfräulichkeit: „– Je suis morte! soupira-telle, je suis morte! La suivante, après avoir couché la pucelle, songea que Badra, mortifiée, avait pleuré... ‚Il a dédaigné la perle la plus rare de Mazouna!‘ se répéta-t-elle“ (L’amour, 136). Dennoch beurteilt die amerikanische Romanistin Adlai Murdoch Badras Situation während der Nacht im Zelt als „resistance before her captor Mohamed ben Abdallah, a.k.a. Bou Maza“ und sieht in der Szene „a model for the maintenance of female subjective integrity in the face of a patriarchal desire for her subjection”487. Demnach impliziert Badras refusal to succumb to the desire and will of the male Other [...] the effective elaboration of an oppositional discourse, engendering through this process of signification a position of enunciation which negates the ambiguous ground which seeks to define her as a thing to be possessed, a portion of the spoils of war. By encoding and enacting the terms of her
487 Murdoch 1993, 85.
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resistance to the paternal dictates of the conqueror, Badra nullifies her status as female object, and turns this attempt at an imposition of alterity into a paradigm of postcolonial feminine resistance.488
Dieser Auffassung schließt sich auch Donadey an.489 Vor dem Hintergrund, dass Badra heimlich von einer Ehe mit Bou Maza träumt und dass sie ihre Unversehrtheit als verletzend empfindet, ist diese Interpretation der Ereignisse unverständlich. Denn nicht sie leistet Widerstand, vielmehr widersteht Bou Maza der wegen ihrer beeindruckenden Schönheit als groß geschilderten Versuchung, sie als Kriegsbeute in Besitz zu nehmen. Warum er so handelt, wird nicht explizit thematisiert, auf seine Motive kann daher nur anhand seines Handelns geschlossen werden. Eine Erklärung könnte sein, dass es sich bei Badra um die Tochter eines Mannes handelt, der sich zwar mit Verrätern eingelassen hat, jedoch gleichzeitig noch über so viel Ansehen, Macht und Reichtum verfügt, dass mit ihm über Lösegeld verhandelt werden kann. Dies legt der folgende Dialog nahe zwischen Bou Maza und dem Kaid von Mazouna, der mit einer Delegation von Notabeln gekommen ist, um seine Tochter auszulösen: – Combien ce chien, fils de chien et valet des Chrétiens t’a-t-il donné comme dot pour ta fille, toi qui as servi de plus glorieux maîtres? Le caïd Ben Kadrouma, tête inclinée en position de suppliant, avait dû avouer le chiffre: – Tu paieras le double pour reprendre ta fille et retrouver ton honneur! Chacun des notables avait ensuite discuté de la rançon pour chacune des femmes qui attendaient un peu plus loin. Dédaigneux, le Chérif avait laissé ses lieutenants entrer dans les palabres. L’amour, 136f.)
Entgegen der Annahme Murdochs, Badra gelänge es, durch ihren körperlichen Widerstand dem Objektstatus einer unterworfenen Frau zu entkommen, wird hier über Badras jungfräulichen Körper und sein Gegengewicht in Geld verhandelt. Die einzige Möglichkeit, dieser geldwerten Objektivierung zu entkommen, hätte für Badra darin bestanden, ihren Körper zu „entwerten“, das heißt sich Bou Maza freiwillig hinzugeben und so kein Geld mehr wert zu sein. Vielleicht liegt in dieser Möglichkeit auch der Grund für ihr Unglück über ihre Unversehrtheit, zumal sie hierdurch von ihrem körperlichen Zustand her immer noch in der Lage ist, die geplante Bündnisehe mit dem Sohn des Aghas einzugehen. In diesem Kontext könnte auch die Vermutung der Amme verstanden werden, dass der
488 Ebd., 85. 489 Vgl. Donadey 1998, 113.
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Schmuck Badra vor einem Übergriff bewahrt habe, denn gerade hierauf hatte Bou Maza es abgesehen. Insofern hat sie nicht das tatsächlich ihren Körper schmückende Gold gerettet, welches sie die Nacht über trotz seines beträchtlichen Gewichts nicht abgenommen hatte, sondern die Aussicht auf Lösegeld für ihren unversehrten weiblichen Körper. Murdochs Ansatz, die Nacht im Zelt als feministisches Aufbegehren zu lesen, widerspricht außerdem Djebars Stil, weiblichen Widerstand darzustellen. In der Regel lässt Djebar ihre Protagonistinnen den festgelegten gesellschaftlichen und politischen Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht überschreiten, sondern zeigt Wege des Widerstandes innerhalb dieses Rahmens auf. Darin genau besteht die Authentizität und Glaubwürdigkeit ihrer weiblichen Figuren, die selten große Heldinnen sind, sondern oft auf einer kleinen und alltäglichen Basis agieren. Exemplarisch hierfür kann die bereits besprochene Kurzgeschichte „La femme en morceaux” gesehen werden, in welcher die Lehrerin Atyka nicht etwa unwahrscheinlicherweise den Kampf gegen die Islamisten aufnimmt und durch größere körperliche Stärke oder eine schlaue Finte ihr Leben rettet. Ihr Widerstand besteht vielmehr in ihrer Beharrlichkeit, der dadurch Ausdruck verliehen wird, dass sie die begonnene Geschichte und damit den Grund für den Mord auch über ihren Tod hinaus erzählt. Hierdurch gelingt es Djebar, ihre Protagonistin ins Recht zu setzen und sie sich nicht außerhalb davon bewegen zu lassen. Das ihr widerfahrene Unrecht erscheint auf diese Weise umso immenser. Und auch für Badra gibt es eine solche kleine Möglichkeit des Widerstandes gegen die patriarchalen Strukturen. Die ganze Episode ist nach der kurzen Sequenz betitelt, um die es im Folgenden gehen wird. Bevor die gefangenen Frauen von Mazouna gegen das Lösegeld getauscht werden, sollen sie den Männern von Bou Maza ihren Schmuck übergeben, der zusammengenommen genauso viel Wert ist, wie die Summe der Auslöse. Wie auf einer Bühne tritt jede einzelne Frau, „face et corps dissimulés“ (L’amour, 140), vor den Chaouch, eine Art Amtsdiener, und entledigt sich in einer langsam zelebrierten körperlichen Performanz ihrer Schmuckstücke, die auf einer Liste verzeichnet und in einer Kiste verwahrt werden. Nach über einer Stunde des Schauspiels ist Badra als Letzte noch übrig. Ihren Auftritt inszeniert sie sorgfältig: Soudain, un brusque suspens, un arrêt intervint: de la tente du chef, sortait la mariée, le visage découvert. Elle portait avec ostentation tous ses bijoux. Ses mains réunies présentaient le diadème. Elle arrivait la dernière, d’une démarche raide. Elle semblait porter à elle seule tous les bijoux de la ville [...]. Badra s’approcha les yeux baissés, comme si elle connaissait le trajet. [...] Le chérif, qui allait s’éloigner, s’immobilisa, dominant la scène
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bariolée [...]. Badra hésita devant Aïssa ben Djinn qui n’osa aucun commentaire; les yeux admiratifs, il devenait, à son tour, spectateur impassible. (L’amour, 140)
Dieser Auftritt Badras verfehlt nicht seine Wirkung. Die gesamte Aufmerksamkeit ist ihr zuteil, sie zwingt sogar Bou Maza und seinen sonst durch nichts zu erschütternden Gehilfen Aïssa ben Djinn zum reglosen Verharren und Zuschauen. Es fällt ins Auge, dass Badra im Gegensatz zu allen anderen Frauen keinen Gesichtsschleier trägt. Dieses Detail ist nicht zufällig genannt, wie gleich deutlich werden wird. Nachdem sie nur durch ihre körperliche Präsenz die Körper der anderen diszipliniert und für Ruhe und Konzentration gesorgt hat, kann die eigentliche Performanz beginnen: D’un geste ample, comme elle l’aurait fait dans sa chambre nuptiale, elle déposa son diadème, puis ses boucles trop lourdes, puis les quatre, cinq, six colliers de perles, puis les broches, une dizaine au moins, puis... ‚Allah! Allah!‘ soupirait le chaouch, qui demanda une autre caisse. Le scribe, les yeux éblouis autant par la splendeur des bijoux que par l’éclat de la mariée elle-même, oubliait d’inscrire le décompte. La jeune fille n’eut plus sur elle que sa robe légère aux plis relâchés et que son gilet aux amples manches de gaze. D’un mouvement bref, elle ôta, pour le déposer avec les autres bijoux, le bonnet brodé d’or et de forme conique – libérée, son épaisse chevelure auburn ruissela dans son dos. Puis, se baissant prestement, elle retira ses mules de velours vert, également brodées d’or. Reprenant le même mouvement de ballerine, plus souplement encore, elle fit glisser sur ses hanches la ceinture de lourds sequins. Puis se pliant de nouveau, elle saisit ses anneaux de cheville pour les offrir, comme furtivement, au chaouch ébahi. On entendit alors un bruit de sabots. Bou Maza s’éloignait sur son cheval. – Cela suffit, Allah est grand! s’exclama Aïssa, les yeux brillants car il ne se rassasiait pas du spectacle. – Cela suffit! hurla une voix de femme perdue dans le groupe des captives. – Va-t-elle se mettre nue? ajouta une autre sur le devant. Alors, le pépiement collectif fusa, hostile. En deux enjambées, la nourrice fut là. Elle entoura de ses bras la frêle adolescente, enveloppée de sa robe émeraude, les cheveux au vent, le visage levé au ciel et qui répétait tout bas comme pour elle seule: – Je suis nue! Louange à Dieu, je suis nue! Louange... (L’amour, 140f.)
Die anderen Frauen bleiben verschleiert und schamhaft, während sie zur Hergabe ihrer Wertsachen gezwungen werden. Sie erhalten damit die gesellschaftlichen Konventionen zwischen Mann und Frau aufrecht. Badra jedoch hält nicht daran fest und macht so deutlich, dass sie sich in einer Situation befindet, die sich außerhalb des sozialen Interaktionsrahmens abspielt, in der gemeinsame
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Regeln, Werte, Normen und Konventionen gelten. Sie führt das Unrecht des Diebstahls vor, indem sie sich langsam Stück für Stück ihres Schmucks und ihrer Kleidung entledigt, bis nur noch ihr „nackter“ Körper bleibt, jedenfalls wird er als solcher wahrgenommen. Sie zwingt die Anderen unterdessen nicht nur, ihr dabei zuzusehen, sondern auch, sie vor Beschämung davon abzuhalten. Sogar Bou Maza muss sich abwenden und kann das Spektakel nicht bis zuletzt verfolgen, trotz ihrer Schönheit. Gleichzeitig befreit sie sich von den Attributen der männlich dominierten Kultur und ist sichtlich erleichtert von ihrem Befreiungsschlag. Dadurch, dass Badra mit wohlbedachten Gesten ihren Schmuck ablegt, wie sie es auch in der Hochzeitsnacht getan hätte, werden Eheritual und Raub gleichgesetzt. Während also alle anderen Frauen durch ihren Schleier den Diebstahl gesellschaftlich akzeptabel erscheinen lassen, vollzieht Badra im Gegenteil eine Kriminalisierung der arrangierten Bündnisehe. Auf diese Weise gelingt es ihr, ihren Widerstand gegenüber dem Feind zu einer Kritik an den gesellschaftlichen, patriarchalen Strukturen im Allgemeinen auszuweiten, ohne ein Wort zu verlieren, nur durch ihre körperliche Performanz. In dem Kapitel „La razzia du capitaine Bosquet, à partir d’Oran“ stellt Djebar in sehr dichten Beschreibungen hinsichtlich des hier diskutierten Gegenstands einen Überfall der französischen Armee auf eine feindliche algerische Stellung dar. Dieser Abschnitt geht dem Kapitel „La mariée nue de Mazouna“ chronologisch und in der Systematik des Textes voraus und weist einige Parallelen hierzu auf. Wieder geraten Frauen als Kriegsbeute in – diesmal französische – Gefangenschaft und leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Widerstand. Wiederum ist es die sehr schöne Tochter oder Schwiegertochter eines Agha, diesmal des Agha der Gharabas, die durch ihr unverschleiertes Gesicht und ihren unverhohlenen Blick ihren Peiniger nicht als soziales Gegenüber anerkennt: „La plus vieille, face découverte, dévisage avec morgue les Français qui regardent. [...] S’approchant de son chef, il scrute les femmes silencieux: la vieille ne baisse pas les yeux. [...] – La fille est vraiment belle! [...]“ (L’amour, 79f.). Wieder werden Männer dargestellt, die von der Schönheit einer Frau geblendet sind und mit dieser nicht zurechtkommen, im Fall der Franzosen den von Fanon festgehaltenen Entschleierungsphantasien zum Trotz. Hauptmann Bosquet, einer der verantwortlichen Offiziere des Überfalls, wird sogar als jemand beschrieben, der ohne Frau auskommt, weil er mit dem Krieg verheiratet ist: „Bosquet, comme Montagnac, restera célibataire: nul besoin d’épouse, nulle aspiration à une vie rangée quand le plaisir guerrier se ravive, taraudé par les mots“ (L’amour, 82). Seine Sexualität richtet sich nur auf das zu erobernde Territorium, welches er wie in einer Vergewaltigung in Besitz nimmt: „Notre capitaine s’adonne à l’illusion de ce divertissement viril: faire
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corps avec l’Afrique rebelle, et comment, sinon dans le vertige du viol et de la surprise meurtrière?...“ (L’amour, 82). Liebe und Krieg werden über das gesamte Kapitel parallelisiert und zusammengeführt, um Bosquets Lebenswelt zu beschreiben. Djebar lässt dabei offen, ob sie diese Entsprechung in den Briefen, die er nach Hause schickt und die sie dem Kapitel zugrunde legt, findet oder ihm andichtet. Für die zweite Variante spricht, dass der Titel des ganzen Romans mit L’amour, la fantasia490 die Parallele bereits vorwegnimmt und an vielen Stellen aufgreift.491 Die Briefe aus den Feldlagern liest Djebar wie Liebesbriefe, die das Land wie einen Körper und die Landnahme wie eine Vergewaltigung skizzieren: Cette correspondance au jour le jour, qui part des bivouacs, offre une analogie avec des lettres d’amour; la destinatrice devient soudain prétexte pour se dévisager dans l’obscurité de l’émoi... Traces semblables de la guerre, de l’amour [...]. Les lettres de ces capitaines [...] parlent, dans le fond, d’une Algérie-femme impossible à apprivoiser. Fantasme d’une Algérie domptée: chaque combat éloigne encore plus l’épuisement de la révolte. Ces guerriers qui paradent me deviennent, au milieu des cris que leur style élégant ne peut atténuer, les amants funèbres de mon Algérie. Le viol ou la souffrance des anonymes ainsi rallumés devraient m’émouvoir en premier; mais je suis étrangement hantée par l’émoi même des tueurs, par leur trouble obsessionnel. Leurs mots, couchés dans des volumes perdus aujourd’hui dans des bibliothèques, présentent la trame d’une réalité ‚monstre‘, c’est-à-dire littéralement offerte. Ce monde étranger, qu’ils pénétraient quasiment sur le mode sexuel, ce monde hurla continûment vingt ou vingt-cinq années durant, après la prise de la Ville Imprenable... [...] Y pénètrent comme en une défloration. L’Afrique est prise malgré le refus qu’elle ne peut étouffer. (L’amour, 84f.)
Besonders markant sind dabei Begriffe wie „Algérie-femme“ oder „amants funèbres“, welche als Chiasmus gelesen die Frau mit ihrem Liebhaber und Algerien mit dem Tod zusammenbringen. Djebar setzt die konkrete Vergewaltigung der anonymen Menschen mit dem sexuellen Eindringen in die sich darbietende fremde Welt gleich, das von den Eroberern wie eine Entjungferung vollzogen wird. „L’Afrique est prise“, konstatiert die Autorin, allem Widerstand zum Trotz. Gleichzeitig hebt sie jedoch die Uneinnehmbarkeit der „Algérie-femme“
490 Mit „Fantasia“ ist hier sowohl ein Zitat von Beethovens Opus 27 bezeichnet als auch das orientalische Reiterspiel. 491 So endet zum Beispiel das zweite Kapitel mit der Frage: „Mais pourquoi, au-dessus des cadavres qui vont pourrir sur les successifs champs de bataille, cette première campagne d’Algérie fait-elle entendre les bruits d’une copulation obscène?“ (L’amour, 32).
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hervor, die besonders Bosquet frustriert. Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch, denn auch wenn es zur gewaltsamen Eroberung kommt, ist dem „Liebhaber“ die Liebe der „Algérie-femme“492 alles andere als sicher. Daher verschafft das Aufeinandertreffen mit dem Gegner im Gefecht Bosquet auch keine echte Befriedigung, denn es bleibt für ihn „impossible d’éteindre l’ennemi dans la bataille“ (L’amour, 82). Seine Frustration kompensiert er umso aggressiver durch die Verstümmelung wehrloser Opfer, „par femmes mutilées, par bœufs et troupeaux dénombrés [...]“ (L’amour, 82). Die Zerstückelungswut gelangt auch in diesem Kapitel durch die abgetrennte Gliedmaße einer Frau zum Ausdruck, die Bosquet wie beiläufig in einem Brief nach Hause erwähnt. Es ist diese Beiläufigkeit, die Djebar auch bei Fromentin kritisiert und für die menschliche Körperteile, für ein paar Schmuckstücke abgetrennt, nicht mehr als ein natürliches Abfallprodukt des Krieges darstellen: Parmi ces relations fiévreuses, des scories surnagent: ainsi ce pied de femme que quelqu’un a tranché pour s’emparer du bracelet d’or ou d’argent ornant la cheville. [...] Bosquet [...] évoque ce pied coupé de femme anonyme, coupé à cause du ‚khalkhal‘... Soudain les mots de la lettre entière ne peuvent sécher, du fait de cette incise: indécence de ces lambeaux de chair que la description n’a pu taire. (L’amour, 82f.)
Neben der Strategie des Widerstandes, den Feind nicht als soziales Gegenüber anzuerkennen, indem die Regeln der Gemeinschaft wie die Verhüllung des Körpers oder das Senken des Blicks nicht mehr aufrecht erhalten werden, zeigt Djebar auch solche auf, die im Gegensatz dazu gerade an kulturellen Werten festhalten, um sich vom Gegner abzugrenzen. Einige der gefangenen Frauen ignorieren die französischen Soldaten einfach, geben sich teilnahmslos und versuchen sich unsichtbar zu machen: Les femmes prisonnières ne peuvent être ni spectatrices, ni objets du spectacle dans le pseudo-triomphe. Plus grave, elles ne regardent pas. [...C]es Algériennes s’enduisent le visage de boue et d’excréments, quand on les conduit dans le cortège du vainqueur. L’élégant chroniqueur ne s’abuse point: elles ne se protègent pas seulement de l’ennemi,
492 Hayes zeigt an einem Zitat aus Le blanc de l’Algérie (1996), dass „Djebar has questioned the fact that Algeria is always personified as a woman: ‚Ainsi, l’Algérie en homme, en homme de paix, dans une dignité rétablie est ce pensable? Pourquoi pas, pourquoi toujours ma mère, ma sœur, ma maîtresse, ma concubine, mon esclave Algérie? Pourquoi au féminin?‘“, 2000, 196f. Hayes zitiert Le blanc de l’Algérie, 120f.
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mais du chrétien, à la fois conquérant, étranger et tabou! Elles se masquent toutes comme elles peuvent, et elles le feraient avec leur sang, si besoin était... (L’amour, 83)
Beide Strategien haben gemeinsam, dass der Körper als bevorzugtes Werkzeug des Widerstandes eingesetzt wird. An Djebars Theatermetaphorik lässt sich der Unterschied zwischen den beiden Vorgehensweisen zeigen. Während beispielsweise Badra selbst die Regie der Aufführung in die Hand nimmt und damit die Rollen vertauscht – sie wird zum Mittelpunkt des Spektakels, ihr Wächter „à son tour, spectateur impassible“ –, nehmen die hier illustrierten Frauen am Theater weder als Darstellerinnen noch als Zuschauerinnen teil; sie boykottieren es ganz einfach. Diese Strategie, Anerkennung zu verwehren, ist ebenso erfolgreich und ebenfalls eine Möglichkeit, den kleinen Spielraum, der den unterworfenen Frauen bleibt, mit Widerstand zu füllen. So resümiert Djebar: „L’indigène, même quand il semble soumis, n’est pas vaincu. Ne lève pas les yeux pour regarder son vainqueur. Ne le ‚reconnaît‘ pas. Ne le nomme pas. Qu’est-ce qu’une victoire si elle n’est pas nommée?“ (L’amour, 83). Mit der Frage, was ein Sieg sei, wenn er nicht so genannt wird, führt Djebar implizit Hegels Dialektik von Herr und Knecht ins Feld, nach welcher die beiden Kategorien Herr und Knecht nur relational und in Abhängigkeit voneinander zu denken sind. Wenn der Knecht sich nicht wie einer verhält, sondern sich weigert, ist auch die Herrschaft des Herren nichts wert. Der Herr ist folglich darauf angewiesen, dass der Knecht mitspielt. Der algerische Historiker und Unabhängigkeitskämpfer Mohamed Chérif Sahli gibt ein Zitat des französischen Historikers Camille Rousset (1821-1892) wieder, der das von Djebar beschriebene Phänomen als Augenzeuge miterlebt hat: „Si les gens d’Alger étaient pour les Français un spectacle, les Français ne semblaient pas en être un pour eux; on eût dit vraiment qu’ils ne s’apercevaient pas de leur présence. C’était cette dédaigneuse indifférence des vaincus qui étonnait les vainqueurs davantage“493.
493 Sahli [1947] 1969, 92.
IX. Die Gesellschaft als Körper Soziale (Fehl-)Konstruktionen
Das koloniale Herrschaftsverhältnis nimmt in den Romanen von Djebar und Ben Jelloun einen großen Raum ein. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Marokko und Algerien in und nach der Kolonialzeit waren aber natürlich nicht ausschließlich vom Kolonialismus geprägt. Genauso bedeutend für die Literatur sind die „zivilen“ sozialen Verhältnisse. Besonders beschäftigt beide Autoren das Patriarchat, das als traditionell, starr und gesamtgesellschaftlich akzeptiert dargestellt wird. Auch für ihre Gesellschaftskritik setzen Djebar und Ben Jelloun den Körper jeweils in Szene und zeigen anhand von Körpersprache, Habitus, Blickpraktiken oder Tanztechniken, wie Gesellschaft verhandelt, Kontrolle ausgeübt oder Macht infrage gestellt wird. Sie lassen den Körper als soziales Ausdrucksmedium die Geschichte ihrer Gesellschaft erzählen. Der Körper im Roman ist ein Medium, das soziale Verhältnisse, Prozesse und Veränderungen darstellt – wie sie ausgedrückt, wahrgenommen und ausgehandelt werden. Auf diese Weise werden komplexe und gleichwohl anschauliche Einsichten über Gesellschaft vermittelt, die in ihrer Verkörperung gezeigt wird. Nach Pierre Bourdieu kann der Zusammenhang zwischen Körper und Gesellschaft kaum überschätzt werden, wie er in seiner Theorie des Habitus darlegt. Er versteht den Menschen als ein Wesen, das primär körperlich in der Welt ist und als solches wahrgenommen wird. Dies bildet den Ausgangspunkt für seine Soziologie der Praxis, von welchem aus soziales Handeln und Verhalten immer in ein körperliches Agieren eingebunden verstanden wird, das selten bewusst, sondern zumeist intuitiv verläuft. Der sozialisierte Körper stellt demnach, wie Bourdieu im Kapitel „La connaissance par corps“ aus Méditations pascaliennes (1997) schreibt, eine Existenzform der Gesellschaft dar – die Gesellschaft ist dem Körper „einverleibt“: „Nous apprenons par corps. L’ordre social s’inscrit dans les corps à travers cette confrontation permanente, plus ou moins dramatique, mais qui fait toujours une grande place à l’affectivité et, plus
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précisément, aux transactions affectives avec l’environnement social“494 . Der Habitus einer Person ist dabei nicht angeboren, sondern erworben. Er unterliegt der Sozialisation und befindet sich im gesamten Verlauf des Lebens im Prozess des Werdens. Dies bedeutet, dass der Habitus ständiges Resultat der Vergangenheit des Individuums ist und die Vergangenheit durch diesen in die Gegenwart fortwirkt. Bourdieu begreift den Habitus als „social fait corps“, als „social incorporé“495 oder wie die Soziologin Beate Krais schreibt, als „inkorporierte Geschichte“496 . Mit seinem Habitusentwurf grenzt Bourdieu sich von zwei gegenläufigen Theorien menschlichen Handelns ab: zum einen von der Idee des finalistischen Handelns, wonach der Mensch vollkommen frei und bewusst handelt wie im Idealismus. Zum anderen von der Idee der Handlungsweise als mechanischer Folge äußerer Ursachen, wonach der Mensch wie im Strukturalismus (vor allem nach Lévi-Strauss und Althusser) nur noch auf die Rolle eines „porteur (Träger) de la structure“497 reduziert wird.498 Am Habitus lässt sich also der soziale Status einer Person erkennen und ist gleichzeitig durch den Habitus beeinfluss- und veränderbar, wobei der Mensch in seiner Handlungsfreiheit jedoch immer an die sozialen Bedingungen und das Bewusstsein hierüber gebunden ist. Djebar und Ben Jelloun zeigen in L’enfant de sable, L’amour, la fantasia und Nulle part dans la maison de mon père am Körper, wie sich eben diese Zwischenposition des Subjekts zwischen freiem eigenem Willen und determinierenden Einwirkungen von Außen verhandeln lässt. In den Romanen wird Gesellschaft nicht hermetisch als ursprünglich, vor dem Kolonialismus existierend und von diesem unbeeinflusst skizziert. Sie wird im Gegenteil als hybride Kolonial- oder Postkolonialgesellschaft dargestellt, in der jedoch die Gemeinschaft der Franzosen und die der einheimischen Bevölkerung jeweils unter sich bleiben, aber einige Berührungspunkte haben. Im Abschnitt zu kolonialen Körperpraktiken standen zwei Aspekte im Zentrum, die mit einiger Kontinuität in den mit dem Kolonialismus verbundenen Körperkonzepten verfolgt werden konnten: zum einen der Gesichtspunkt der konzeptuellen Korrelation zwischen Körper und Gemeinschaft und zum anderen derjenige der Fragmentierung, die sich auf Körper und Gemeinschaft gleichermaßen bezieht.
494 Bourdieu 1997, 168f. 495 Bourdieu und Wacquant 1992, 103. 496 Krais 2011, 39. 497 Bourdieu 1992, 251; Kursivierung im Original. 498 Vgl. zu Bourdieu auch Benjamin Moldenhauers Die Einverleibung der Gesellschaft. Der Körper in der Soziologie Pierre Bourdieus, Moldenhauer 2010; siehe außerdem Müller-Funk 2010, 216-236; Gugutzer 2004, 66-74 und Krais 2011, passim.
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Beide Kontexte, der Zusammenhang zwischen Körper und Kollektiv (Mary Douglas) sowie das Konzept des fragmentierten Körpers, sind auch für die Gesellschaftsentwürfe virulent. Dass es konzeptuelle Parallelen zwischen den beiden Themenkomplexen „Praktiken des Kolonialismus“ und „Gesellschaftspraktiken“ gibt, heißt, dass sowohl die Korrelation zwischen Körper und Gemeinschaft als auch die Fragmentierung offensichtlich durchgängige Motive sind. Sie lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen und Themengebieten nachvollziehen. Sozialordnungen, Machtverhältnisse, Hierarchien, Normen und Werte werden in ihrer Verkörperung beschrieben: in sezierenden Blicken und fragmentierten Körpern, Körperzwängen und nervösen Ticks. Verhandelt wird damit, wie Ordnung innerhalb einer Gesellschaft geschaffen und aufrecht erhalten wird, wie Widerstand und Transgressionsversuche durch Grenzgänger praktiziert werden und wie „Verrückte“ außerhalb der sozialen Ordnung existieren. Spiller spricht in diesem Zusammenhang von einem „Laboratorium alternativer Ordnungen“499 . Die Fragmentierung spielt auf allen drei Ebenen eine Rolle: Sie kann pädagogisches Mittel sein, der Abspaltungsversuch aus dem Kollektiv oder das Resultat einer gescheiterten Sozialisation und Zeichen des Wahnsinns. Insbesondere das soziale Geschehen innerhalb der Familie ist dabei aufschlussreich und wird am häufigsten dargestellt, weil die Familie als „innerste[r] sozialer Verhandlungsraum neuer Weltmodelle“500 den Mikrokosmos der Gesellschaft darstellt. Gerade die Phasen von Erziehung und kindlicher Sozialisation sind als konfliktbeladene Prozesse auf dem Weg zum Erwachsenendasein mit der Übernahme oder Ablehnung der vermittelten Sozialordnung verbunden und eignen sich daher besonders für die kritische Diskussion von gesellschaftlichen Werten, Normen oder Machtverhältnissen. Ähnlich wie zum Thema der Sprache sind zum Thema des Körpers im Zusammenhang mit der muslimisch-arabischen Gesellschaft spätestens seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts unzählige Monographien, Sammelbände und Aufsätze erschienen, wobei insbesondere die Bedeutung des Blicks und des verschleierten Körpers im islamischen Kontext eine zentrale Rolle einnimmt.501 Dies spiegelt die Tatsache wider, dass der Blick als Medium in den Romanen überproportional häufig eingesetzt wird, wenn es um Körperpraktiken der Erziehung, Disziplinierung, Sanktion oder der Transgression geht.
499 Spiller 2008, 56. 500 Ebd., 53. 501 Vgl. hierzu Segarra 1997, 75-92; Richter 2008, 134-153; Rocca 2004, passim; Clerc 1997, 37-50; Huughe 1996, passim; Mortimer 2000, passim; Spiller 2008, passim, explizit 310-317, 246-261, 343-349 und 54-70.
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1. DJEBARS GRENZGÄNGERINNEN: SEZIERENDE BLICKE UND FRAGMENTIERTE KÖRPER Bei Djebar gibt es besonders viele Beispiele für Blicke, die eine pädagogische Funktion erfüllen. Solche Blicke weisen meistens auf die Sichtbarkeit von etwas hin, das nach gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen unsichtbar sein sollte. Auch Ben Jellouns L’enfant de sable beginnt damit, dass sich die erwachsene Ahmed vor den Blicken der Außenwelt abschottet, weil ihr gesamter Körper von der Norm abweicht. Der Anfang von Djebars (teilweise) autobiographischen Romanen L’amour, la fantasia und Nulle part dans la maison de mon père steht im Zeichen der Furcht vor den Blicken der Anderen. Geschildert werden in beiden Fällen die Kindheitserlebnisse der Ich-Erzählerin in der Öffentlichkeit an der Hand des Vaters oder der Mutter. Das Mädchen wird von ihren Eltern in die Gesellschaft eingeführt und erlebt das Blickverhalten als prägend. Im ersten Kapitel in L’amour, la fantasia „Fillette arabe allant pour la première fois à l’école“ wird der erste Gang zur Schule an der Seite des Vaters skizziert, der sofort mit sozialen Konsequenzen verbunden ist, weil die Ich-Erzählerin das einzige arabische Mädchen an der französischen Schule ist: „Dès le premier jour où une fillette ‚sort‘ pour apprendre l’alphabet, les voisins prennent le regard matois de ceux qui s’apitoient, dix où quinze ans à l’avance: sur le père audacieux, sur le frère inconséquent. Le malheur fondra immanquablement sur eux“ (L’amour, 11). Durch die Anführungszeichen des Prädikats „sort“ wird der Begriff als einer gekennzeichnet, der wörtlich aus dem Algerischen übersetzt ist. Die mit ihm verbundene Semantik wird damit als „algerische“ markiert. Djebar konstruiert so bereits auf syntagmatischer Ebene den Sachverhalt, dass das Mädchen das Haus verlässt, als problematische Angelegenheit, die weniger die französische als die algerische Gemeinschaft betrifft. Auch terminologisch wird das unangemessene Verhalten benannt und auf das unausweichliche „malheur“ verwiesen, das folgen wird – gemeint ist die mit der Pubertät einsetzende Sorge um die sexuelle Integrität des Mädchens. Im Zentrum der kindlichen Sozialisation steht der Blick, den die Nachbarn gewissermaßen präventiv viele Jahre vor dem befürchteten „Unglück“ annehmen und der auf diejenigen fällt, die gegen eine Norm verstoßen. Die Mechanismen der sozialen Überwachung und Kontrolle sind mit diesem Blick verbunden, der jede Bewegung des Körpers in der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt und sichtbar werden lässt. Die von Djebar geschilderten Ich-Erzählerinnen fühlen sich daher grundsätzlich beobachtet, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen. Djebar zeigt dabei, wie die Blicke der Anderen den Heranwachsenden mit zunehmender Erfahrung mit dem sozialen Blickregime in Fleisch und Blut
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übergehen. Auf diese Weise spüren sie Blicke automatisch auf ihrem Körper, sobald sie die öffentliche Sphäre betreten, auch wenn sie diese gar nicht sehen können, wie ein Beispiel aus Nulle part dans la maison de mon père zeigt: „Je marche les yeux baissés; […] Il n’y a que des hommes dans la rue. […] Les regards des hommes arabes, sur l’autre trottoir, me visent seule“ (Nulle part, 98). Trotz des gesenkten Blicks weiß die Ich-Erzählerin, dass die Männer auf der gegenüberliegenden Straßenseite sie anblicken. Sie hat den männlichen Blick internalisiert oder, in Merleau-Pontys Terminologie, sie hat ihn in ihr Körperschema aufgenommen. Michel Foucault hat dieses Phänomen mit dem Begriff des panoptischen Effekts beschrieben, der daraus entsteht, dass Menschen sich beobachtet fühlen, die beobachtende Person aber nicht sehen können. Sie passen ihr Verhalten an diesen abstrakten, internalisierten Blick an.502 Der nicht zu lokalisierende Blick markiert eine soziale Grenze, die nicht übertreten werden darf. Er wird zum gefühlten Blick. Bei Djebar bleibt die Grenze gewahrt durch die Unsichtbarkeit von weiblichen Personen in der Öffentlichkeit, sei es durch ihre Abwesenheit, sei es durch entsprechende Kleidung und andere Vorkehrungen: „Voilez le corps de la fille nubile. Rendez-la invisible. Transformez-la en être plus aveugle que l’aveugle, tuez en elle tout souvenir du dehors“ (L’amour, 11).503 Im ersten Kapitel von Nulle part dans la maison de mon père, „La jeune mère“, ist es nicht der Körper des kleinen Mädchens, der mit Blicken auf der Straße konfrontiert wird, sondern der der Mutter. Um das Haus verlassen zu können, muss die junge Mutter neben dem Schleier auch ihr Kind an der Hand mit sich führen – als Gewährsperson für die tugendhaften Absichten: „Toute jeune femme, enveloppée de pied en cap dans un voile de satin blanc, a besoin d’un enfant pour aller rendre quelque visite d’après-midi dans la petite cité“ (Nulle part, 14). Außerdem wird ein spezieller Habitus von jungen Frauen auf der Straße erwartet, an den sich auch die Mutter hält: „Dans la rue, la dame blanche marchera, regard fixé au sol, ses cils palpitant sous l’effort: moi je ne me sens pas seulement sa suivante, mais l’accompagnatrice qui veille sur ses pas“ (Nulle part, 14). Die Körper von Mutter und Tochter verschmelzen vor den
502 Vgl. Foucault 1975, 197-230. Vgl. zum panoptischen Effekt durch Blicke bei Djebar Huughes und Gages „‚Écrire comme un voile‘: The Problematics of the Gaze in the Work of Assia Djebar“, Huughe 1996. Auch Schuchardt greift den panoptischen Blick auf, bleibt dabei aber sehr wage und assoziativ, vgl. 2006, 219-227. 503 Vgl. zum Widerstand gegen die Unsichtbarkeit durch den Schleier, der sich bei Djebar durch Schreiben als Individualisierungsstrategie manifestiert, Hayes 2000, 189.
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Augen der Männer zu einem einzigen Körper: „Les regards des hommes [...] se posent sur nous deux [...]; ils nous réunissent“ (Nulle part, 15). In dieser Einheit mit dem Kind ist der Körper der Mutter unantastbar. Doch das Gebot der Unsichtbarkeit gilt nicht nur für den männlich dominierten Raum der Straße, sondern prägt auch die Öffentlichkeit der Frauen, die innerhalb des Hauses stattfindet. Djebar stellt in vielen Szenen das Kollektiv der Frauen, die wie ein Körper agieren und mit einer Stimme sprechen, den Individualisierungsbestrebungen der Ich-Erzählerin gegenüber. Beispielsweise sind junge Frauen bei Versammlungen kaum als eigene Personen wahrnehmbar. Weder fallen sie durch individuelle Sprache auf noch durch eigenen Körperausdruck. Gestik, Mimik und Gesprochenes verlaufen nach traditionellen Mustern so synchron zueinander und immer gleich, dass die Worte kaum noch ausgesprochen zu werden brauchen: [À] peine si elles échangent, d’une voix imperceptible, quelques salutations avec leurs voisines. Les questions sont formulées selon des termes convenus, avec des remerciements à Dieu et au Prophète. Quelquefois, l’ordre des politesses est si peu inchangé que, d’un bout à l’autre de la pièce, une visiteuse se contentera de remuer ses lèvres à l’intention d’une autre [...]. Et de même, dans l’autre sens; salutations et bénédictions s’entrecroisent dans un échange presque mimé. (L’amour, 220)
Jedes Abweichen vom kollektiven Ritus durch einen individuellen Habitus, Gestik, Mimik oder Stimmführung fällt sofort auf und wird als Revolte interpretiert: „Chaque rassemblement [...] transporte son tissu d’impossible révolte; chaque parleuse – celle qui clame trop haut ou celle qui chuchote trop vite – s’est libérée“ (L’amour, 221). Auf die individuellen Tanzeinlagen der IchErzählerin beispielsweise, welche die Romane durchziehen, antwortet das Kollektiv der Frauen mit einer einzigen Stimme aus der Perspektive der ersten Person Plural, wie hier in Vaste est la prison (1995): Elle n’a pas encore compris: elle ne comprendra jamais car elle ne sera jamais de nos maisons, de nos prisons, elle sera épargnée de la claustration et, par là, de notre chaleur, de notre compagnie! Elle ne saura jamais que si le luth et la voix suraiguë de la pleureuse aveugle nous font lever et presque entrer en transes, c’est pour le deuil, le deuil masqué. Elle danse, elle, pour nous, c’est vrai; devant nous, en effet, mais quoi, elle dit sa joie de vivre; comme c’est étrange, d’où vient-elle, d’où sort-elle, vraiment, elle, l’étrangère! (Vaste est la prison, 279)
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Die Masse der sich synchron bewegenden und sprechenden Frauen steht wie ein einziger Körper dem Tanz der Ich-Erzählerin gegenüber, der keinen klaren Regeln zu folgen scheint. Unisono wird diese zum „Fremd-Körper“ erklärt, der sich aus dem Kollektiv entfremdet hat, wie Richter bemerkt.504 Soziale Blickregime Die nicht genau zu lokalisierenden Blicke der Öffentlichkeit lassen das Gefühl der ständigen Beobachtung und sozialen Kontrolle entstehen, bleiben dabei aber selbst fast unsichtbar und erzielen auf diese Weise ihren Effekt. Genau wie das Kollektiv der Frauen wird auch das Kollektiv der Blickenden als anonyme, nicht weiter differenzierbare Masse skizziert. Etwas anders verhält es sich mit expliziten Blicken, die selbst als soziale Sanktion fungieren und so auf einen Grenzübertritt hinweisen. Gewissermaßen ist dieser Blick der Vorläufer zum gefühlten Blick, weil er überhaupt erst einen Normbruch verdeutlichen soll. Djebar beschreibt häufig einen Blick, der auf einen bestimmten Teil des Körpers fällt und auf diese Weise seine Integrität verletzt, indem er ihn in einzelne Bestandteile auflöst. Dieser Blick seziert und fragmentiert den Körper. Auf einen einzigen Teil konzentriert sich die gesamte Aufmerksamkeit und macht diesen so zum Träger kultureller und sozialer Bedeutung. Sowohl Djebar als auch Ben Jelloun tendieren dazu, solche expliziten Blicke nicht direkt darzustellen, sondern als abstrakte Blicke zu konstruieren. Das klingt zunächst paradox: ein expliziter abstrakter Blick. In Nulle part dans la maison de mon père ist im Kapitel „La bicyclette“ besonders anschaulich illustriert, wie im Laufe des Sozialisationsprozesses der IchErzählerin Blicke als Erziehungsmethode eingesetzt werden und was sie bewirken. Als die Protagonistin vier oder fünf Jahre alt ist, lernt sie von einem französischen Jungen vor dem Haus Fahrradfahren. Ihr Vater kommt vorbei, übersieht seine Tochter absichtlich („Il a fait comme s’il ne me regardait pas“, Nulle part, 54) und befiehlt ihr dann mit strenger Stimme ins Haus zu gehen. Im Haus wendet sich der Vater mit lauter Stimme an die Mutter und nicht direkt an das Mädchen: „– Je ne veux pas, non, je ne veux pas […], je ne veux pas que ma fille montre ses jambes en montant à bicyclette!“ (Nulle part, 55). Der väterliche Ärger ist also durch die Beine der Ich-Erzählerin ausgelöst worden, die beim Fahrradfahren zu sehen waren.505 Bemerkenswert an der Art der Darstellung ist, dass der tatsächliche Blick gar nicht illustriert wird. Im Gegenteil tut der Vater ja
504 Vgl. Richter 2008, 83. 505 Vgl. zu einer Szene aus Ombre sultane (1987, 139, 147f.), in welcher der Vater die Sichtbarkeit der Beine der Ich-Erzählerin bestraft.
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zunächst so, als habe er seine Tochter gar nicht wahrgenommen. Dass es um einen Blick geht, wird erst in dem Moment deutlich, in welchem der Vater ausspricht, dass die Beine der Tochter exponiert waren. Sprache ersetzt in diesem Fall Körpersprache und übernimmt deren Funktion in der Vermittlung sozialer Normen. Der Vater konstruiert auf diese Weise einen potentiellen Blick, den Blick der Öffentlichkeit auf die Beine seiner Tochter. Dieser bleibt in seiner konkreten Gestalt genauso unsichtbar und subtil wie der panoptische kollektive Blick. Als pädagogische Methode macht sich dieser konstruierte Blick ebenfalls das panoptische Prinzip zunutze. Damit seine Tochter ihn versteht, spricht der Vater das Tabu aus, die Beine in der Öffentlichkeit unverhüllt zu lassen. Er wendet sich hierfür nicht direkt an seine Tochter, sondern an die Mutter, die er damit für die moralische Erziehung des Kindes verantwortlich macht. Er muss die persönliche Beziehung zu seiner Tochter außer Acht lassen, um sein Anliegen verständlich zu machen, denn er tritt hier als Repräsentant des männlichen Kollektivs auf: „C’était déclarer que tout garçon, tout adulte, tout vieillard est forcément un voyeur lubrique devant l’image nue de deux jambes de fillette, séparées du reste de son corps et pédalant dans une cour!“ (Nulle part, 58). Der männliche sezierende Blick ist mit einer sexuellen Implikation verbunden, die im Gegensatz zu dem väterlichen Blick steht. Wenn die Tochter aufgrund ihres Alters auch die Reaktion des Vaters nicht nachvollziehen kann, spürt sie dennoch die unerwartete Anwesenheit des männlichen Kollektivs in der plötzlichen Andersartigkeit des Vaters: Il me semble m’être dit pour la première fois: ‚Mon père est-il le même? Peut-être devient-il soudain un autre?‘ [...] Je crois que j’ai tenté d’effacer ce malaise, et même l’impression qu’un autre, un inconnu, survient qui prend l’apparence de mon père... Un être sans identité, doté d’une voix nouvelle pour cet éclat incontrôlé, cette colère d’aveugle et ce ton qui pourtant me faisait honte? (Nulle part, 55f.)
Interessanterweise empfindet die Tochter ihren Vater gleichzeitig als jemanden, der für sie seine Identität verloren hat und von blinder Wut beherrscht wird. Dies bringt das zwiespältige Moment der Situation zum Ausdruck. Einerseits wird der Vater als Repräsentant von Männlichkeit zum Fremden für die Tochter, andererseits agiert er als Vater blind gegenüber dem sexuellen Reiz ihrer Beine und wütend über das mögliche sexuelle Interesse anderer Männer und die damit verbundene Schande. Mit der gefühlsmäßigen Ambivalenz der Tochter hat der Vater sein pädagogisches Ziel erreicht. Die Ich-Erzählerin schämt sich ohne die genauen Zusammenhänge zu erkennen: „Je n’y comprenais rien. [...] Non, je n’ai eu en tête aucune image précise: tout de même, ma mère ne semblait nulle-
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ment mesurer mon trouble, ma honte – alors que, c’était presque sûr, le père s’était soudain changé en un autre!” (Nulle part, 56). Somit empfindet sie ein Gefühl, das sie zum Verstecken der mit Scham in Verbindung gebrachten Körperteile nötigen soll. Der Vater überwindet für die erteilte Lektion nicht nur seine eigene Individualität, sondern stellt auch die der Tochter in Frage. Deren Beine werden von ihm nicht länger wie üblich wahrgenommen, etwa mit ihren nützlichen Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihre Anwesenheit rechtfertigen, wie die IchErzählerin herausstellt: „Mes jambes, et alors? Il faut bien que je marche avec: chaque enfant a des jambes!“ (Nulle part, 57). Stattdessen sieht der Vater in ihnen nur noch ein symbolisch aufgeladenes Objekt. Djebar inszeniert die Lektion des Vaters sehr wirksam, indem sie nur die Perspektive der Tochter schildert. Sie zeigt auf diese Weise, wie der Körper zum Gegenstand von sozialer Bedeutung wird und wie über ihn verhandelt wird. Wie die Beine der Ich-Erzählerin, die für das Mädchen natürlich mehr bedeuten als ein gesellschaftliches Tabu, auf einen gemeinschaftlichen Gegenstand reduziert werden, wird auch in dem Gefühl der Spaltung des Körpers zum Ausdruck gebracht: Il y avait surtout ce mot arabe pour ‚jambes‘ dans la phrase, et j’étais froissée de sentir qu’il avait ainsi délimité ma personne, retranché de moi quelque chose qui n’était à lui; or c’était moi! […] Les avoir ainsi séparées de ma personne, c’était, je m’en rendais compte, insultant, mais pourquoi? (Nulle part, 57)
Die Abtrennung findet auf zwei Ebenen statt: Auf der Ebene von Körpersprache trennt der sezierende Blick den Teil vom Körper ab, den er fokussiert. Dies wird hier durch die sprachliche Ebene vermittelt und auf dieser stellvertretend vollzogen, indem der Vater den Begriff „Beine“ auf Arabisch verwendet und auf diese Weise aus dem ansonsten französischen Satz heraushebt. Die Sprache antizipiert damit die sezierende Wirkung des Blicks, um den es geht. Außerdem enthüllt der Vater die Beine so ein zweites Mal, da sich der Begriff deutlich von dem französischen Rest des Satzes abhebt. Als Sprache der größeren Affektivität zielt der arabische Begriff außerdem darauf ab, die Gefühle des Mädchens zu treffen: „Et, dans cet interdit qui m’était échu, le mot ,jambes‘ faisait tache!“ (Nulle part, 58). Durch die Wahl des arabischen Terminus wird bereits auf syntagmatischer Ebene die Angelegenheit als arabisch-islamisch markiert. In dem Maß, in welchem der thematisierte Blick nicht die persönliche Beziehung des Vaters zur Tochter widerspiegelt, sondern einen Teil der algerischen Gesellschaft repräsentiert, werden die Beine der Tochter ebenfalls zu einem Teil dieser Gesellschaft verobjektiviert. Die Wechselbeziehung zwischen individuellem physischem
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Körper und vorgestelltem kollektiven Sozialkörper (Mary Douglas)506 wird in dieser Darstellung offenbar. Somatik der Sprache, Pathologie des Blicks Bei Djebar kommt durch ihre Metaphorik aber noch ein materieller Aspekt hinzu, der pädagogischer Körpersprache und Sprache über Körpersprache einen somatischen Effekt beimisst, den beispielsweise auch eine unmittelbar körperlich spürbare Ohrfeige hätte. Der thematisierte Blick fühlt sich nicht nur wie eine Sektion am Körper der Ich-Erzählerin an, sondern bewirkt eine Wunde, die den Körper „wie eine Tätowierung“ dauerhaft prägt: „Je me rappelle cette blessure qu’il m’infligea (peut-être, en fait, la seule blessure que m’infligea jamais mon père), comme s’il m’en avait tatouée, encore à cette heure où j’écris, plus d’un demi-siècle plus tard!“ (Nulle part, 57) und weiter: „[...] cette fameuse phrase que j’inscris ici comme un fer chauffé à blanc sur mon corps entier“ (Nulle part, 58). Der auf den Körper geschriebene Satz brandmarkt die Beine, verwundet sie und bewirkt so ihre künftige Verhüllung, weil jeder Blick, der auf das nackte Fleisch fällt, wieder Scham und Schmerz verursacht. Sprache hat so eine somatische Wirkung, wie sie im Zusammenhang mit Sprache als Teil des Körpers bereits implizit diskutiert wurde (vgl. den 2. Teil, vor allem die Abschnitte „Gefühlsaphasie“, „Hervorbringung des Körpers aus dem Namen“ und „Geburt der Sprache aus dem Körper“). Die Materialität der gesellschaftlichen Einschreibungsprozesse und -mechanismen zeigt sich auch in der Annahme der IchErzählerin, der Vater müsse in Kontakt mit Mikroben oder Ähnlichem gekommen sein, um so plötzlich derart verändert zu agieren: „Je crois même avoir supposé que mon père avait été en contact avec quelque microbe, un mal sans nom – parce que laid, parce que noir. Une tourbe, une immondice!“ (Nulle part, 56). Sie kann sich die unvermittelte Verhaltensänderung nur durch die Einwirkung kleiner Fremdkörper erklären, die vom Körper des Vaters Besitz ergriffen haben und auf diese Weise auch auf ihren Körper übergehen. Als Erklärungsmodell für soziale Verhandlungsprozesse über den Körper ist diese Vorstellung des Mädchens sehr anschaulich. Die väterliche Erziehungsmethode wird außerdem als Auslöser eines pathologischen Zustands des Körpers gesehen, bei welchem die Beine in eine Art Lähmungszustand versetzt werden, sobald das Mädchen seine eigenen Wege gehen will: „comme si ce malaise, cette griffure, cette obscénité verbale devait me paralyser à jamais tout en m’éloignant d’eux – eux, un couple acceptant, admirant néanmoins la société de leurs voisins [...], tout devenant pour eux presque exemplaire, digne d’être suivi, copié [...]“ (Nulle
506 Vgl. Douglas [1970] 2003, vor allem 65-81.
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part, 58). Die Fremdheit, welche die Protagonistin seit dem Blick des Vaters gegenüber ihren Beinen empfindet, spricht dafür, dass dieser Teil des Körpers als nicht mehr intuitiv zum Körperschema gehörend wahrgenommen wird, sondern die Einheit nachhaltig gestört ist. Obwohl die Methoden des Vaters als so effektiv dargestellt werden, dass die Tochter kaum eine andere Wahl hat, als seinen Willen zu befolgen, weil sie nicht mehr Herrin über ihren eigenen Körper ist, ist gleichzeitig subversives Potential in ihnen angelegt. Die Rache des Körpers folgt Jahre später: Ce trouble, ce trauma, le ressuscitant si tard, je découvre toutefois que mon corps, sourdement, à la préadolescence et à l’adolescence – mais dans l’internat de jeunes filles, un lieu fermé, un ‚harem‘ nouvelle manière –, prendra sa revanche: de dix à seize ans ou dixsept ans, au collège, par des entraînements prolongés au basket-ball et à l’athlétisme... (Nulle part, 59)
Durch Sport gelingt es der Ich-Erzählerin, sich in kurzen Hosen507 über das Verhüllungsgebot des Vaters hinwegzusetzen und die Beine wieder in ihrer ursprünglichen Funktion zu nutzen, nämlich als (Fort-)Bewegungsmittel. Sie überwindet damit die Behinderung, die das väterliche Fahrradverbot für ihren Körper beim Entwickeln und Ausprägen von Körpertechniken bedeutet hat. Gleichzeitig findet die Ich-Erzählerin einen Weg, das Kolonialverhältnis, das sich im Widerstreit ihrer Körpertechniken manifestiert, auf ihre Weise zu verhandeln. Der Vater „bewahrt“ seine Tochter ja vor allem vor dem französischen Einfluss in Form der fremden Körpertechnik Fahrradfahren, vor der „Kolonisierung des Körpers“. Die Ich-Erzählerin ersetzt die ihr verbotene kulturfremde Körpertechnik des Fahrradfahrens einfach durch eine andere – Basketballspielen. Die Wiederaneignung von körperlicher Einheit Komplementär zum sezierenden, meist männlichen Blick taucht bei Djebar immer wieder die Darstellung einer Verschleierungsform auf, die nur ein Auge frei lässt, eine Art „sezierter“ Blick: „Elle adoptait la manière de cacher son
507 Der Bedeutung von genderneutraler Kleidung im Sport für die Befreiung des weiblichen Körpers geht Krawietz nach in „Shame at Large“, bes. 7 (nach der Paginierung des noch unveröffentlichten Manuskripts), aufbauend auf der Studie von Kateryna Kobchenko, „Emancipation Within the Ruling Ideology: Soviet Women in Fizkul’tura in the 1920s and 1930s“, in: Euphoria and Exhaustion: Modern Sport in Soviet Culture and Society, Frankfurt a. M. 2010.
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visage des paysannes, c’est-à-dire en n’y voyant que d’un œil“ (Nulle part, 163). Huughe und Gage sind der Frage nachgegangen, welche kulturellen Funktionen und Implikationen mit verschiedenen Verschleierungs- und Blicktechniken bei Djebar verbunden sind und warum Frauen nicht nur nicht gesehen werden, sondern selbst nicht sehen sollen.508 Demnach bedeutet Sehen auch die Einnahme von öffentlichem Raum, wie sie an einem Beispiel aus Les Alouettes naïves (1967) zeigen.509 Die von patriarchalen Strukturen unterdrückte Protagonistin eignet sich mithilfe einer „metonymischen Technik“510 den männlichen öffentlichen Raum an, indem sie als umherwandelndes Augenpaar alles Gesehene in sich aufnimmt: „Elle marchait et elle n’était que regard...“ (Les Alouettes naïves, 70).511 Im genau vierzig Jahre später erschienenen Nulle part dans la maison de mon père gibt es eine ähnliche Szene, in der sich die mittlerweile zur jungen Frau heranwachsende Protagonistin die Straße zurückerobert, von der sie im Laufe ihrer Sozialisation mehr und mehr verbannt wurde: „Marcher seule, [...] voir sans me lasser le spectacle de cette capitale populeuse, encore paisible malgré son trafic et son tumulte; je n’étais que regard, comme un chasseur d’images, renouvelant à satiété sa moisson“ (Nulle part, 336). In der Manier eines Jägers streift die Frau durch die Stadt auf der Suche nach Beute für ihren Blick. In diesem Akt der Wiederaneignung geht sie ganz in ihrem Blick auf.512 Dem durch den einäugigen Schleier eingeschränkten weiblichen Blick stellt Djebar also ein pars pro toto entgegen, in welchem sich der ganze Körper im Blick konzentriert und der Blick sich über den Körper ausdehnt. Diese extensive, mit Macht verbundene absolute Sicht stellt die Subversion der Sehbehinderung dar. Das pars pro toto, das Djebar hierfür einsetzt, ist ein besonderes: der Blick steht nicht für den ganzen Körper, sondern umfasst diesen und hält ihn so in einer Intensität, in einer Spannung. Die Integrität des Körpers wird auf diese Weise rehabilitiert, indem nicht der Urzustand vor der Sektion des Blicks beziehungsweise des Körpers durch Blicke restituiert wird, sondern die Einheit im sezierten Körperteil wiederhergestellt wird. Bei Djebar reduzieren sich die Pro-
508 Für eine weiterführende Lektüre sei an dieser Stelle auf ihren Aufsatz verwiesen: Huughe 1996, besonders 868-870. 509 Vgl. außerdem zur Eroberung des Außenraums durch sekludierte Protagonistinnen Richter 2008, 152f. 510 Der Begriff „metonymic operation“ stammt von Huughe 1996, 868. 511 Vgl. ebd., 868. 512 Vgl. zum Thema der Wiederaneignung des öffentlichen Raums durch Frauen, die den kolonialen Blick erwidern, bei Djebar Nada Elias Trances, Dances and Vociferations, 2001, 30.
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tagonistinnen selbst auf einen Körperteil, üben so Kontrolle über ihn aus und geben ihm die Bedeutung zurück, die ihm zuvor geraubt wurde. Eine ähnliche Aufwertung von Körperteilen und körperlichen Eigenschaften findet sich auch bei Ben Jelloun, jedoch nicht zum Vorteil der Protagonistin: Sie verliert die Kontrolle über die einzelnen Glieder und Eigenschaften ihres Körpers, die mehr und mehr ein Eigenleben führen. Mehr hierzu im nächsten Abschnitt. Bei Djebar sind Sport und Tanz von besonderer Relevanz, weil sie als autotelische Körpertechniken am besten geeignet sind, körperliche Einheit im „FlowEffekt“513 herzustellen. Durch Training und Bewegung testen die Protagonistinnen Möglichkeiten und Grenzen ihres Körpers aus und nehmen so die Möglichkeit wahr, den Körper für sich selbst zu beanspruchen. Im Kapitel „Corps mobile“ in Nulle part dans la maison de mon père wird dargestellt, wie sich bei der Ich-Erzählerin ein Gefühl der Freiheit einstellt, sobald sie ganz für sich alleine und nur mit Shorts bekleidet trainieren kann: „Le stade, surtout. Là, et moi seule. Toute seule au soleil, en short ou quelquefois en jupe, je bondis, je m’élance. Sur ce stade, ma liberté m’inonde, corps et âme, telle une invisible et inépuisable cascade“ (Nulle part, 203). Die Ich-Erzählerin beschreibt detailliert, wie viel Technik nötig ist, um das Ziel – den Korb – mit dem Ball zu treffen: Ainsi, je cours, je ‚dribble‘ d’un côté, de l’autre, imaginant la joueuse adverse, multipliant les ruses contre l’adversaire virtuelle; après un premier demi-cercle, ainsi courbée, allant et venant d’un coté puis de l’autre, l’ultime effort s’épuisait dans un brusque jaillissement de mon corps vers l’azur, dans la détente des jambes, des hanches, des bras dressés vers le ciel soudain si vaste. La force des muscles ainsi décuplée projetait le ballon avec la violence maximale, pas toujours avec l’exactitude efficiente: le ballon entre sec dans le panier, ou au contraire le rate de justesse! (Nulle part, 204)
Um die entsprechenden komplexen Körpertechniken zu beherrschen, braucht es ein hohes Maß an Körperkontrolle und viel Übung. Marcel Mauss definiert (Erhard Schüttpelz meint: erfindet)514 den Begriff der Körpertechniken in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts als traditionelle, wirksame Handlungen und meint damit beispielsweise Schwimmen oder Gehen. Es handelt sich hierbei um hochentwickelte Techniken, die zur Erreichung eines bestimmten Ziels eingesetzt werden. Der Mensch benutzt seinen Körper auf diese Weise als „erstes und
513 Vgl. Mihály Csíkszentmihályis Flow. The Psychology of Optimal Experience: Csíkszentmihályi 2008. 514 Vgl. Schüttpelz 2010, ab 105 passim.
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natürlichstes Instrument“.515 Durch den „Gebrauch“ des eigenen Körpers im Mauss’schen Sinne beim Basketball oder Tanzen stellt die Ich-Erzählerin einen Bezug zu ihrem Körper her, lernt seine Eigenschaften und Grenzen kennen und macht ihn sich so zu eigen. Mauss betont aber auch, dass Körpertechniken dem Menschen nur bedingt zur freien Verfügung stehen – von den einmal erlernten Techniken kann er sich nur schwer wieder befreien oder sie grundlegend verändern. Sie bleiben im Körpergedächtnis. So sagt Mauss über eine längst überholte Schwimmtechnik: „[E]nfin je fais encore ce geste: je ne peux pas me débarrasser de ma technique“516 . Umso wichtiger sind die heimlich praktizierten sportlichen Übungen der IchErzählerin während der Pubertät, da sie ihr körperliches Selbstbewusstsein und die Beschäftigung mit dem eigenen Körper dauerhaft prägen. Djebar stellt Sport so als Möglichkeit des Widerstandes gegen die übliche Erziehung von Mädchen dar, die ein anderes Körpergefühl und -bewusstsein ausbilden soll. Dafür spricht auch, dass die Ich-Erzählerin ständig Angst hat, vom Vater beim Sporttreiben erwischt zu werden. Die väterliche Erziehung ist das Gegenmodell zu dem selbst gewählten Weg: „Dans ce début d’adolescence, je goûte l’ivresse des entraînements sportifs. Tous les jeudis, vivre les heures de stade en giclées éclaboussées. Une inquiétude me harcèle: je crains que mon père n’arrive en visite!“ (L’amour, 253). Djebar führt außerdem eine Gegenfigur ein zum Typ Frau, der seinen Körper beherrscht, ihn bewegen kann und zur Erreichung von Zielen einzusetzen weiß: die von paternalistischen Körperidealen geprägte Frau, die sich ausschließlich im Haus aufhält und ausgiebige Bewegung scheut. Sie hat wenig Bezug zu ihrem Körper. In Ombre sultane schildert Djebar eine (stereo-)typische Ehefrau, die vor allem durch Bewegungslosigkeit charakterisiert ist. Als „photographie d’album“ (Ombre sultane, 41) und „nature morte“ (Ombre sultane, 17) nimmt die Protagonistin Hajila ihren Körper nicht als Einheit wahr, wie Richter bemerkt,517 sondern in seinen Einzelteilen: „Ta main, inerte. Ne pas fermer le robinet. Écouter les gouttes d’eau... Main sur le robinet de cuivre: ‚ta‘ main. Front sur un bras nu tendu: ‚ton‘ front, ‚ton‘ bras“ (Ombre sultane, 16).518 Auch das weibliche Kollektiv wird von Djebar in seiner Bewegungslosigkeit kritisch inszeniert und mit den häufig geschilderten, eigenwilligen Tanzeinlagen der Ich-Erzählerin kontrastiert:
515 Vgl. Mauss [1950] 2007, 371f. 516 Ebd., 367. 517 Vgl. Richter 2008, 152. 518 Das Zitat führt Richter auf, ebd., 152.
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Moi, je dédaigne cette apathie qui paraît les juguler; sitôt que le rythme sourd, ces dames le plus souvent séquestrées, écrasées par leur marmaille, pourraient enfin se défouler dans la joie rageuse, une furia non contrôlée: eh bien non! Il semble qu’une règle de décence les retienne encore alors qu’elles sont entre elles, à l’écart des regards masculins. Mais, moi, je ne danse que pour moi [...]. J’aspire à une danse de chasseresse, si possible d’antilope (pour les fuir toutes avec leur passivité?). (Nulle part, 216)
Sorgfältige Körperkontrolle hält die Frauen davon zurück, sich im Rhythmus der Musik zu verlieren und einer unkontrollierten Tanzwut hinzugeben. Der IchErzählerin hingegen gelingt es, sich durch den Tanz „einer Jägerin“ vom internalisierten männlichen Blick zu befreien. Sie betont, dass sie ausschließlich für sich selbst tanzt und nicht für die Blicke Anderer, während die anderen Frauen sich in Zurückhaltung üben, obwohl sich gar keine Männer in ihrer Gesellschaft befinden, die einen Blick auf ihre Körper werfen könnten. Doch ist den Frauen der männliche Blick bereits so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihr ganzer Habitus von ihrer möglichen Außenwirkung bestimmt wird. Der Fixierung auf das Äußere stellt Djebar die Erkundung des Inneren gegenüber, auf die sich die Ich-Erzählerin als Jugendliche beim Entwickeln eines eigenen Tanzstils konzentriert: [M]a mère [...] ne sait pas que, depuis quelque temps, j’aime danser seule, entre quatre murs, sur plusieurs rythmes: une danse que j’improvise, non pour me voir ni m’admirer, seulement pour sentir le flux sonore me pénétrer par la plante des pieds, puis courir le long de mes jambes, remonter en moi, mon corps cherchant lentement le tempo, je rêve ma propre image [...]: dans une fête, devant dix paires, cent paires d’yeux de matrones, d’hommes, de bêtes, j’oublierai tout sauf cette onde qui s’insinuera en rythme lent ou vif par mes orteils jusqu’à mes reins, mon dos, mes épaules! (Nulle part, 211f.)
Der Ich-Erzählerin gelingt es, sich gegen die Blicke der Anderen abzuschotten, weil sie die Musik als „Klangwelle“ tief im Inneren ihres Körpers spürt und dieses Gefühl in Bewegung umsetzt. An dieser Stelle wird ein direkter Bezug zwischen dem aktiven, kreativen Umgang mit dem Körper und der Befreiung aus sozialen Zwängen hergestellt, wie ihn das gesamte „Corps mobile“ Kapitel thematisiert. Deshalb improvisiert die Ich-Erzählerin auch und hält sich nicht an ein traditionelles, auswendig gelerntes Schrittrepertoire. Sie erfindet ihre eigenen Tanztechniken. In Schüttpelz’ Überlegungen zu Körpertechniken steht der Aspekt von Veränderung durch Erfindung stärker im Vordergrund als bei Mauss. „Laufen, Klettern, Hocken“ sind demnach „kulturell erworbene Techniken, die
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durch Erziehung und Erfindung verändert werden können.“519 Eine solche Veränderung von traditionellen Körpertechniken durch kreatives Praktizieren führt Djebar vor. Hierdurch wird die symbolische Ordnung erschüttert, die mit den Körpertechniken verbunden ist. Djebar führt diesen performativen Prozess, der durch die Ich-Erzählerin und ihren Körper in Gang gesetzt wird, nur andeutungsweise aus, beispielsweise in erstaunten oder schockierten Reaktionen der anderen Frauen (vgl. z.B. Nulle part, 215; Vaste est la prison, 279). Durch ihre performativen Improvisationen wendet sich die Protagonistin gegen das Tanzen als Körpersprache, bei welchem jeder konventionalisierten Geste und Bewegung eine kulturelle Semantik zugeordnet werden kann. Ihr Tanz soll nur auf sich selbst verweisen und auf diese Weise die symbolische Ordnung unterwandern. Sie kultiviert den Selbstzweck. Die Körpertechniken des Tanzstils der Ich-Erzählerin werden wie die Basketballtechniken detailreich ausformuliert: Je danse d’abord lentement comme une paonne, puis légèrement ensuite, à gestes déliés, comme une almée, pour finir, nerveuse, tressaillant des épaules, rendant lianes mes bras nus sur le point de se coucher au sol, je reprendrai toutefois de la hauteur, tanguerai sous l’inclinaison alanguie de tout mon corps, paraîtra soudain le renflement lent et discret des seins renversés face au ciel, et cette gravitation, cette pâmoison, cet effeuillement, les spasmes ourlés et déroulés de ce corps de femme encore à naître, de vierge silencieuse, de flamme vive, de fleur pas encore ouverte... (Nulle part, 214)
Bei aller Körperbeherrschung und technischen Perfektion geht es beim Tanzen für die Ich-Erzählerin immer auch darum, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und sich so einem kontrollierten Kontrollverlust hinzugeben: [J]e dansais pour regarder mon reflet au fond des miroirs et, à force de m’abandonner au staccato – assez lent, puis vif, puis endiablé, puis furieux –, je ne voyais plus en face de moi pour finir, que mon visage qui enfin pleurait, comme si la danse n’avait été qu’un prétexte, comme si le corps avait tenté de se démultiplier pour chasser de lui-même l’obscure cause de toute peine. (Nulle part, 219)
519 Schüttpelz 2010, 102. Mauss hingegen schließt ein kreatives Potential im Umgang mit Körpertechniken nicht aus, betont aber, dass die Aneignung durch Imitation und Erziehung den Regelfall darstellt, vgl. [1950] 2007, 384f. Er scheint hierbei vor allem die Neuerfindung von Körpertechniken im Sinn zu haben, während es Schüttpelz um den individuellen Spielraum geht, der sich bei der Sozialisation von Körpertechniken für Veränderung bietet.
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Der individuelle Tanz, dessen einziger Zweck es ist, sich in ihm wie im Rausch zu verlieren und ganz in ihm aufzugehen, ist nicht etwa von den französischen Mitschülerinnen der Ich-Erzählerin inspiriert, wie es bei ihrem europäischen Kleidungsstil der Fall ist. Die Ich-Erzählerin führt ihre Tanzwut auf ihre Vorfahrinnen zurück, die in ihr weiterleben: „Étaient-ce les transes de la grand-mère [...] qui me poursuivaient? Était-ce ce qui restait d’elle en moi [...]?“ (Nulle part, 219). Die kontrollierten Kontrollverluste in Form von Trancen sind das Vermächtnis des weiblichen Teils der Familie. Ein Kapitel mit dem Titel „Transes“ ist in L’amour, la fantasia dem regelmäßig zelebrierten, minutiös beschriebenen Ritual gewidmet, in welchem die Großmutter eine feste Abfolge von Körpertechniken anwendet, um sich selbst in Trance zu tanzen. Ziel ist es, die bestehenden sozialen Zwänge für den Augenblick außer Kraft zu setzen: „[O]r, par cette liturgie somptueuse ou dérisoire, qu’elle déclenchait régulièrement, elle semblait protester à sa manière… […]. Dans cet antre de musiques et de sauvagerie, elle puisait, sous les yeux de nous tous rassemblés, sa force quotidienne“ (L’amour, 208).
2. BEN JELLOUNS VERRÜCKTE: KÖRPERZWÄNGE UND NERVÖSE TICKS Im Gegensatz zu Djebars autobiographischen Romanen beginnt Ben Jellouns L’enfant de sable nicht mit der frühen Kindheit der Protagonistin, sondern mit Ahmeds Krise als Resultat der männlichen Sozialisation des biologisch weiblichen Körpers. In L’enfant de sable liegt der Fokus daher eher auf Effekten, die am Körper sichtbar und durch Erziehung und sanktionierende Blicke verursacht worden sind. So eröffnet der Roman mit der Beschreibung von Ahmeds Gesicht, das vom Leben gezeichnet ist: Il y avait d’abord ce visage allongé par quelques rides verticales, telles des cicatrices creusées par de lointaines insomnies, un visage mal rasé, travaillé par le temps. La vie [...] avait dû le malmener, le contrarier ou même l’offusquer. On pouvait y lire ou deviner une profonde blessure qu’un geste maladroit de la main ou un regard appuyé, un œil scrutateur ou malintentionné suffisaient à rouvrir. (L’enfant, 7)
Die Geschichte ihres Lebens hat sich in Ahmeds Gesicht eingeschrieben und ist hieraus ablesbar. Die Zeichen – tiefe Falten, Dreitagebart, verlebte Züge – verweisen auf eine Wunde, die durch die kleinste Geste, durch jeden aufdringlichen oder indiskreten Blick wieder aufbrechen kann. Die Krise, in der Ahmed sich zu
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Beginn des Romans befindet, wird dadurch ausgelöst, dass sie die Blicke der Anderen auf ihren dysfunktionalen Körper nicht mehr ertragen kann. Ständig muss sie befürchten, als Frau entlarvt oder ganz einfach für die Irregularitäten ihres Körpers forschend oder strafend gemustert zu werden. Genau wie bei Djebar wird die Subtilität der Blicke dadurch evoziert, dass sie nicht konkret dargestellt, sondern abstrakt konstruiert werden: Il évitait de s’exposer à la lumière [...]. La lumière du jour, d’une lampe ou de la pleine lune lui faisait mal: elle le dénudait, pénétrait sous sa peau et y décelait la honte ou des larmes secrètes. Il la sentait passer sur son corps comme une flamme qui brûlerait ses masques, une lame qui lui retirerait lentement le voile de chair qui maintenait entre lui et les autres la distance nécessaire. Que serait-il en effet si cet espace qui le séparait et le protégeait des autres venait à s’annuler? (L’enfant, 7)
Das Zitat, das bereits im Zusammenhang mit L’enfant de sable als Allegorie der Kolonialgesellschaft unter dem Aspekt der Maske herangezogen wurde, veranschaulicht, wie Blicke hier konstruiert werden. So wie in der Fahrrad-Szene bei Djebar wird kein direkter Blick dargestellt, vielmehr geht es um einen Blick, der abstrakt bleibt. Stattdessen wird das Licht angeführt, welches die Protagonistin fürchtet und das ihr wie ein Skalpell ins Fleisch fährt und es verbrennt. Auch hier ist die Enthüllung des verwundeten Körpers mit Schamgefühlen und Schmerz verbunden. Das Licht antizipiert den sezierenden und enthüllenden Blick der Anderen und übernimmt stellvertretend dessen Wirkungsweise. Die Furcht vor dem Licht ist Zeichen von Ahmeds schon fortgeschrittenem Wahnsinn, insbesondere ihres Verfolgungswahns. Ganz unabhängig von der tatsächlichen An- oder Abwesenheit anderer Menschen fürchtet sie die Sichtbarkeit ihres Körpers und empfindet diese als Schmerz am Körper. Hieraus kann geschlossen werden, dass sie die mit sozialen Normen, Erwartungen oder Tabus verbundenen Blicke so weit internalisiert hat, dass sie ihr hierauf abgestimmtes Verhalten nicht mehr unter Kontrolle hat und auch in völliger Einsamkeit den Zwang nicht ablegen kann, sich gesellschaftlichen Vorstellungen anzupassen. Der soziale Zwang ist für sie zum Selbstzwang geworden. Durch den Verfolgungswahn haben sich ihre Sinne geschärft und ihren Körper durchlässig werden lassen für äußere Reize: Il avait développé ces allergies; son corps, perméable et irrité, les recevait à la moindre secousse, les intégrait et les maintenait vives au point de rendre le sommeil très difficile, sinon impossible. Ses sens ne s’étaient pas détraqués comme on aurait pu le penser. Au contraire, ils étaient devenus particulièrement aigus, actifs et sans répit. Ils étaient déve-
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loppés et avaient pris toute la place dans ce corps que la vie avait renversé et le destin soigneusement détourné. (L’enfant, 8f.)
Eine weitere Parallele zu Djebar findet sich in Bezug auf das Verhältnis der Sinne zum ganzen Körper. In L’enfant de sable umspannen die Sinne den gesamten Körper, im Gegensatz zu Djebars Konzeptionen jedoch mit der gegenteiligen Funktion. Wird bei Djebar der ganze Körper zum Blick als konzentrierte Subversion der patriarchalen Raumordnung, steckt hinter Ben Jellouns totum pro parte hingegen eine Tücke des Körpers, der sich gegen Ahmed wendet. Dadurch, dass ihren Sinnen nichts entgeht, kann Ahmed sich nicht gegen ihre Umwelt abschotten, sondern ist dieser ausgeliefert. Ihr Körper reagiert auf die kleinsten Einwirkungen von Außen mit Ausschlägen und Allergien. Sämtliche äußeren Reize dringen unvermittelt über die Sinne in ihren Körper, die so als direkte Verbindung mit Ahmeds Innerem dargestellt werden. Ihren Körper hat sie kaum noch unter Kontrolle, er wird von zahllosen Ticks heimgesucht: „[I]l n’arrivait plus à maîtriser son corps, ses gestes et la métamorphose que subissait son visage à cause des nombreux tics nerveux qui risquaient de le défigurer [...]“ (L’enfant, 10). Auch in ihrer Art zu gehen offenbart sich die Krise, die sie durchlebt: Depuis quelque temps, sa démarche n’était plus celle d’un homme autoritaire, maître incontesté de la grande maison, un homme qui avait repris la place du père et réglait dans les moindres détails la vie du foyer. Son dos s’était légèrement courbé, ses épaules étaient tombées en disgrâce; devenues étroites et molles, elles n’avaient plus la prétention de recevoir une tête aimante ou la main de quelque ami. Il sentait un poids difficile à déterminer peser sur la partie supérieure de son dos, il marchait en essayant de se relever et de se renverser. Il traînait les pieds, ramassant son corps, luttant intérieurement contre la mécanique des tics qui ne lui laissait aucun répit. (L’enfant, 10)
Ihr Körper ist als Spätfolge der Erziehung zwischen männlicher Sozialisation und biologisch weiblichem Körper von Fehlfunktionen gezeichnet, die in einer Spannung zwischen Kontrollzwang und einer Übermacht von Ticks begründet liegen. Die Ticks folgen dabei einer „Mechanik“, die bereits Fremdbestimmtheit und Verselbstständigung von Ahmeds Körper andeutet. Dies betrifft insbesondere ein wichtiges Medium ihrer Ausdrucksfähigkeit, die Körpersprache: „J’ai perdu la langue de mon corps; d’ailleurs je ne l’ai jamais possédée“ (L’enfant, 96). Ein intuitiver Körperausdruck ist Ahmed nicht möglich, er wird von verschiedenen äußeren Einflüssen und inneren Zwängen verhindert.
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Kontrollverlust und verselbständigte Eigenschaften Neben dem Vater und seinen Erziehungsmethoden werden Blut und verselbstständigte Eigenschaften implizit als die Faktoren angeführt, welche Ahmeds körperliche Selbstbestimmung verhindern. Die Erziehung durch den Vater wird mit einer körperlichen Prägung in Zusammenhang gebracht, wie sie auch bei Djebar (als „fer chauffé à blanc sur mon corps“, Nulle part, 58) illustriert ist: „‚L’empreinte de mon père est encore sur mon corps. Il est peut-être mort mais je sais qu’il reviendra [...]‘“ (L’enfant, 66). Der Begriff des „Abdrucks“ impliziert, dass der Prozess der Erziehung unwiderrufliche und unumkehrbare Konsequenzen für den Körper hat und diesen dauerhaft und über den Tod des Vaters hinaus prägt. Diese Vorstellung von sozialer Formung findet sich auch in Michel Foucaults Gesellschaftskonzepten, in denen der Körper als Ort der Einschreibung von Macht und symbolischen Ordnungen begriffen wird.520 Ben Jellouns Körperkonzept geht aber über einen bloßen Prozess der gesellschaftlichen Einschreibung, die mit der Geburt beginnt und aus dem Körper ein soziales Wesen werden lässt, hinaus. Mit der im Zusammenhang mit dem „Abdruck“ des Vaters ebenfalls genannten Komponente des Bluts ist der grundlegende Gedanke verbunden, dass Ahmeds Entwicklung bereits vor der Geburt festgelegt war und nicht erst durch soziale Konstruktion determiniert wird: „Cette empreinte est mon sang, le chemin que je dois suivre sans m’égarer“ (L’enfant, 66). Das materielle Erbe der Vorfahren im Körper der Protagonistin wird als Autorität für ihren bereits vorbestimmten Weg zitiert. Im Unterschied zu Foucault konstruiert Ben Jelloun seine Protagonistin nicht als mit sowohl männlichen als auch weiblichen Eigenschaften ausgestattete Gesamterscheinung, deren Körper trotz aller Möglichkeiten der Zuordnungen in die eine oder andere Kategorie eine Einheit bildet. In L’enfant de sable wird vielmehr eine Protagonistin vorgeführt, deren männliche und weibliche Eigenschaften als sich zunehmend verselbstständigende Prinzipien auftreten, die je-
520 Vgl. Foucault 1976. Siehe auch Judith Butlers in ihrem Aufsatz „Foucault and the Paradox of Bodily Inscriptions“ geübte Kritik an Foucaults Vorstellung, die auf ontologischer Ebene zwischen prädiskursivem und konstruiertem Körper unterscheidet: Butler 1989. Als Ort der Einschreibung in Form einer „écriture du corps“ begreift auch Spiller den Körper in L’enfant de sable, wobei er den Akzent auf die Produktion von Geschichten legt: „Da die Geschichte der Geschlechter eine von Gewalt und Entfremdung ist, haben sie diese Gewalt inkorporiert, sie ist lesbar, in ihren Körpern, besonders in den Gesichtern. [...] Körper und Leib sind keine passiven Speicher, in denen die kollektive Gewalt eingeschrieben ist, sondern sie produzieren daraus immer neue Geschichten“, 2004, 311. Hervorhebung im Original.
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weils versuchen, den Körper ganz unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Weibliche wird dabei als körpereigen konstruiert, das Männliche hingegen als körperfremd. Ahmeds Krise entwickelt sich nicht allmählich, sondern setzt unvermittelt als Bruch mit ihrem Körper ein: „La situation s’était brusquement détériorée alors que rien ne laissait prévoir une telle évolution. [...] Mais, depuis qu’entre lui et son corps il y avait eu rupture, une espèce de fracture, son visage avait vieilli et sa démarche était devenue celle d’un handicapé“ (L’enfant, 10). Das Motiv der Gespaltenheit des Körpers und seiner Zusammensetzung aus heterogenen, antagonistischen Einzelteilen spiegelt sich auch in der Textstruktur in der fragmenthaften Kompilation von Erzählerdiskursen, Tagebucheinträgen und Briefen. Lässt sich bereits in der Passivität der Protagonistin und der Dominanz aller Anderen über ihren Körper eine konzeptuelle Ähnlichkeit zu Ben Jellouns Erzählerfiguren und ihren Geschichten erkennen,521 tritt diese bei der Konstruktion der Eigenschaften deutlich zutage. Wie die Geschichten der Erzähler werden Eigenschaften als etwas Autonomes dargestellt, das eine eigenständige Beziehung zum Körper eingehen und mit diesem sogar verwachsen kann, ontologisch aber von ihm verschieden ist. Geschlechtsspezifische Eigenschaften werden einzelnen Körperteilen zugeschrieben, wobei immer wieder die Frage nach ihrer tatsächlichen Zugehörigkeit und Herkunft gestellt wird: [...J]e suis et ne suis pas cette voix qui s’accommode et prend le pli de mon corps, mon visage enroulé dans le voile de cette voix, est-elle de moi ou est-ce celle du père qui l’aurait insufflée, ou simplement déposée pendant que je dormais en me faisant du bouche à bouche? (L’enfant, 45)
Die Stimme repräsentiert in einem pars pro toto den männlichen Part der Eigenschaften. Sie wird metaphorisch mit einem Schleier assoziiert, der sich über das Gesicht legt und dessen weibliche Attribute durch männliche ersetzt. Dieser Schleier der Männlichkeit ermöglicht es Ahmed, sich frei in der Öffentlichkeit zu bewegen und männliche Privilegien für sich in Anspruch zu nehmen. Die Gleichzeitigkeit der gegensätzlichen geschlechtlichen Merkmale wird nicht als Nebeneinander im Körper dargestellt, sondern als Übereinander. Die Idee, dass die Stimme beziehungsweise die Sprache als Schleier fungieren kann, findet sich auch bei Djebar, wenn es um die Freizügigkeit in der Öffentlichkeit geht, die nur durch die französische Sprache und die damit einhergehende Dissimulation der
521 Kritik an Ben Jellouns Darstellungen passiver Frauenfiguren als Opfer patriarchaler Gewalt übt Mustapha Hamil in „The Politics of Representation: Woman as Victim in Tahar Ben Jelloun’s La nuit de l’erreur“, vgl. Hamil 2005.
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algerischen Zugehörigkeit möglich wird (vgl. „Sprachschleier“). Wie Ahmed zu dieser Stimme kommt, wird nicht als über einen längeren Zeitraum währender Prozess beschrieben, sondern als einmaliger Akt, bei welchem der Vater ihr die Eigenschaft einhaucht. Der Vater wird so als übermenschliche Autorität dargestellt, dem nicht mehr nur die Mittel der Erziehung zur Verfügung stehen, sondern der in einem quasireligiösen Schöpfungsakt in die Natur des Körpers eingreifen und sie verändern oder erweitern kann. Diese Stimme modelliert das Gesicht Ahmeds zur Maske522 der Männlichkeit und lässt die Weichheit der Haut einem Bart weichen: Tantôt je la reconnais, tantôt je la répudie, je sais qu’elle est mon masque le plus fin, le mieux élaboré, mon image la plus crédible; [...] elle raidit le corps, l’enveloppe d’un duvet qui devient tôt des poils. Elle a réussi à éliminer la douceur de ma peau, et mon visage est celui de cette voix. (L’enfant, 45)
Die Stimme hat sich so einen Teil des Körpers angeeignet und die ursprünglich weiblichen zugunsten männlicher Eigenschaften verdrängt. Sie wird als etwas Körperfremdes dargestellt, das sich des Körpers im Verlauf der Geschichte bemächtigt und mehr und mehr Kontrolle über ihn erlangt. Als Ahmed sich entschließt, als Frau zu leben und auf diese Weise über ihren Körper zu verfügen, gelingt es ihr nicht, die Selbstkontrolle in Bezug auf den erlernten männlichen Habitus aufzugeben. Der Kontrollzwang, zu dem sich die Dissimulationstechniken in Bezug auf ihr Geschlecht entwickelt haben, unterliegt gerade nicht ihrer Kontrolle. Oder anders formuliert: Sie wird die männliche Stimme, die der Vater ihr gegeben hat, nicht wieder los: La voix est ainsi: elle ne me trahit pas... et, même si je voulais la révéler dans sa nudité, la trahir en quelque sorte, je ne pourrais pas, je ne saurais pas et peut-être même que j’en mourrais. Ses exigences, je les connais: éviter la colère, les cris, l’extrême douceur, le murmure bas, bref l’irrégularité. (L’enfant, 45f.)
Die Stimme wird hier als etwas dargestellt, das in erworbene männliche Eigenschaften einerseits und einen biologischen weiblichen Kern andererseits unterteilt ist. Die männlichen Eigenschaften wie Stimmhöhe, Klangfarbe, Lautstärke etc. sind sozialisiert und unterliegen somit theoretisch der Kontrolle der Protagonistin. Zur weiblichen „körperlichen Basis“ der Stimme („sa nudité“) hingegen hat die Protagonistin keinen Zugang. Auch wenn sie das Simulieren von
522 An späterer Stelle ist auch von „costume d’homme“ die Rede, vgl. L’enfant, 97.
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Männlichkeit abstellen könnte, würde sie die Stimme nicht in einen Zustand der „Nacktheit“ zurückversetzen können. Der weibliche „Kern“ ist untrennbar mit den männlichen Eigenschaften verwachsen und von ihnen geprägt: „[...L]a voix [...] a subi une telle métamorphose qu’en ce moment j’essaie de retrouver son grain naturel” (L’enfant, 100). In dieser Konzeption lässt sich Bourdieus Habituskonzept erkennen, in dem Materialität des Körpers und erworbene Eigenschaften unauflösbar und dialektisch miteinander verflochten sind. Im Haus des Körpers Die Gleichzeitigkeit von Kontrollzwang und Kontrolllosigkeit der Protagonistin wird in einem Bild veranschaulicht, das auch das Verhältnis von Körper und Geschichten sowie von Körper und Sprache illustriert: das Haus. Es ist für Ben Jellouns Roman das Schlüsselmotiv. Mit der Metapher des Hauses kann Ahmed ihren prekären Status als Subjekt im eigenen Körper verdeutlichen: „Je suis moimême [...] le maître de maison [...] et l’invité“ (L’enfant, 44f.). Wie Geschichtenerzähler, die mal ihren Körper mit Geschichten teilen müssen und mal selbst Geschichten bewohnen, und wie postkoloniale Autoren, die wie Diebe zeitweilig das Haus der französischen Sprache besetzen, ist die Protagonistin gleichzeitig Herrin und Gast im Haus des Körpers. Zwei Kapitel beschäftigen sich außerdem allegorisch mit dem Körper als Haus: zum einen „Rebelle à toute demeure“ (8392), das Ahmeds Aufbegehren gegen den eigenen Körper und den Anfang ihrer Suche nach dem weiblichen Selbst markiert, und zum anderen „‚Bâtir un visage comme on élève une maison‘“ (93-106), in dem die mit der Selbstsuche verbundenen Schwierigkeiten und das Scheitern der Protagonistin thematisiert wird, das sich durch zunehmenden Verfall ihres Körpers und erste Anzeichen des Wahnsinns abzeichnet. Zunächst wird das historische Vorbild für einen Mann im Frauenkörper zitiert, nämlich das des Kriegsherrn Antar, der bis zu seinem Lebensende als beispielhafter Anführer mit allen hierzu erforderlichen männlichen Qualitäten gilt. Bis sich am Tag seines Todes herausstellt, „que cette terreur et cette force logeaient dans un corps de femme“ (L’enfant, 84). Nicht also eine Frau ist es, die mit harter Hand ein Heer von Kriegern befiehlt und dafür strategische Androgynie einsetzt,523 sondern die mit Männlichkeit assoziierten Eigenschaften „terreur“ und „force“ suchen sich einen Frauenkörper und machen aus diesem einen Gewaltherrscher. Auf die gleiche Weise wird Ahmeds Körper bewohnt, beispielsweise von Einsamkeit, „c’est la solitude, [...] qui m’a élu comme territoire,
523 Auch Ahmed profitiert von ihrer männlichen Erscheinung, vgl. ebd., beispielsweise 42, 50 oder ab 87.
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comme demeure paisible [...]“ (L’enfant, 88). Außerdem von Elend und Wut: „J’arrête ici, car je sens monter en moi la colère, et je ne peux pas me permettre le luxe de faire cohabiter dans la même blessure la détresse [...] et la colère [...]“ (L’enfant, 89). Die Dissoziation zwischen Eigenschaften und Körper setzt mit Ahmeds Pubertät ein, wo sich die weibliche Biologie zunehmend bemerkbar macht, etwa durch die erste Regelblutung. In dem entsprechenden Tagebucheintrag wird die Regelblutung als Auslöser für die Krise der Verortung im eigenen Körper und für den Beginn der geschlechtlichen Metamorphose dargestellt. Die ab diesem Zeitpunkt auftretende Schizophrenie äußert sich zunächst in der Sprache der Tagebuchschreiberin: „Je suis l’architecte et la demeure; l’arbre et la sève; moi et un autre; moi et une autre“ (L’enfant, 46). Das schizophrene Moment wird hervorgehoben, indem das Synthese implizierende „est“ im ursprünglich von Rimbaud stammenden Zitat „Je est un autre“524 durch das homophone dissoziierende „et“ ersetzt wird. Außerdem fällt ins Auge, dass nicht zwei, sondern drei unterschiedliche Entitäten genannt werden: „moi“, „un autre“ und „une autre“. Dies impliziert eine unabhängig von Geschlecht bestehende Identität und bekräftigt die These von geschlechtlichen Eigenschaften als autonomen Entitäten. Da es jedoch im ganzen Roman auch eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Körper und Ich gibt,525 bleibt die Frage, wer, was oder wo dieses Ich ist. Die Regelblutung als „résistance du corps au nom“ (L’enfant, 46) wird als Trägersubstanz der Erinnerung verstanden, der Erinnerung an ein fremdes, ungelebtes Leben. Die Protagonistin bezeichnet sich als „porteur d’une mémoire non accumulée dans un temps vécu, mais donnée à l’insu des uns et des autres“ (L’enfant, 46). Ausgelöst durch die biologischen Veränderungen des Körpers sucht Ahmed nach der verpassten weiblichen Sozialisation. Außerdem ist von dem Blut als „[e]mpreinte[...] d’un état de fait de mon corps“ die Rede, welcher der „architecture de l’apparence“ (L’enfant, 46) zuwiderläuft. Hier zeigt sich erneut eine interessante Vertauschung der Konzepte, denn im Zusammenhang mit der männlichen Sozialisation durch den Vater wird dieselbe Terminologie von Blut und Prägung verwendet. Sowohl Blut als auch Prägung können also beides bestimmen, soziale Formung und Biologie des Körpers. In der Systematik des Romans nimmt zeitgleich mit der Schizophrenie die Korrespondenz zwischen Ahmed und einer oder einem mysteriösen Fremden ihren Anfang (L’enfant, ab 59). In der Brieffreundin lässt sich leicht ein Alter Ego der Protagonistin erkennen, das den komplementären Part – die gesuchte
524 Rimbaud (1975): Brief an Paul Demeny, 15. Mai 1871, zweiter Seherbrief. 525 Vgl. beispielsweise L’enfant, 99.
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Weiblichkeit – repräsentiert. Die partielle Selbstentfremdung ist eine notwendige Konsequenz aus der Selbstsuche, denn Ahmed „[...] avait besoin qu’un regard étranger se posât sur son visage et son corps en mutation ou dans le retour vers l’origine, vers les droits de la nature“ (L’enfant, 90). Die Suche nach Ursprung und Wahrheit auf der Ebene der Binnenhandlung steht im Kontrast zur Dekonstruktion von Ursprung und Linearität auf der Rahmenebene. Die Brieffreundin als veräußerlichtes Selbst übernimmt bei diesem Vorhaben die Funktion eines Spiegels. Ihrem Gesicht und so auch dem eigenen sollen die ursprünglichen Züge wiedergegeben werden: „J’ai écrit beaucoup de lettres que je ne vous ai pas envoyées. A chaque fois j’hésitais et me demandais de quel droit je vous poursuivais de mes questions et pourquoi cet acharnement à rendre à votre visage l’image et les traits de l’origine“ (L’enfant, 91). Das Projekt der Selbstfindung besteht nicht nur aus der einfachen Suche und Rückkehr zum Ursprung, wie die Protagonistin von sich selbst fordert und auf eine Tafel geschrieben hat: „Retourne à ta demeure!“ (L’enfant, 94). Vielmehr geht es darum, wie die Kapitelüberschrift besagt, sich ein „Gesicht zu konstruieren, wie man ein Haus baut“ und die Einzelteile des Körpers zu einem Ganzen zusammenzufügen: „[...] ce corps à raccommoder, cette étoffe usée à rapiécer, cette voix déjà grave et enrouée, cette poitrine éteinte et ce regard blessé [...]“ (L’enfant, 94). Die Zergliederung des Körpers manifestiert sich auch in der Bewegung. In einer ganz ähnlichen Szene wie bei Djebar wird die Beziehungslosigkeit der Protagonistin zu ihrem Körper beschrieben, für den sie kein Gefühl hat: Ma tête est lourde. Où la poser. La déposer. La consigner; la mettre dans une boîte en carton ronde où on range les chapeaux. La placer sur le velours bleu nuit. [...] Passer la main sur les yeux pour les fermer. Peigner soigneusement les cheveux, ne pas tirer dessus. Calmement. Ne pas s’énerver. Marcher pieds nus. Attention de ne pas réveiller les objets, l’horloge cassée, un chien de faïence borgne [...] (L’enfant, 103).
Wie Gebrauchsgegenstände müssen die einzelnen Glieder des Körpers mit großer Konzentration und Anstrengung bedient werden. Außerdem werden zum Körper gehörende Teile mit körperfremden Dingen wie einer kaputten Uhr, einem einäugigen Porzellanhund und dergleichen mehr verwechselt. Werden Augen, Haare etc. wie Gegenstände beschrieben, so versucht die Protagonistin beim Barfußgehen gleichzeitig, die herumliegenden Gegenstände nicht „aufzustören“. Sie misst ihnen mehr menschliche Qualität bei als den Gliedern ihres eigenen Körpers. Hier wird das Gegenteil der Integration in das Körperschema von körperfremden Dingen vorgeführt, hier geht es um das Ausgliedern von körpereigenen Teilen, wodurch ein intuitiver Gebrauch des Körpers unmöglich
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wird. Der Körper verteilt sich auf den Raum und bildet eben keine gefühlte Einheit, kein integres Selbstbild. Umso wichtiger auf der Suche nach dem Selbst ist es, die „premières sensations du corps que ni la tête ni la raison ne contrôlent“ (L’enfant, 96) wiederzufinden. Die einzige Hoffnung der Protagonistin ist dabei ihr Alter Ego, durch die Vereinigung mit ihm erhofft sie sich einen unmittelbaren, nicht von der Vernunft gesteuerten Körpergebrauch: „Croyez-vous que vos émotions sauront me réapprendre à vivre? C’est-à-dire à respirer sans penser que je respire, à marcher sans penser que je marche, à poser ma main sur une autre peau sans réfléchir [...]?“ (L’enfant, 99). Bei aller Hoffnung, die mit der Existenz des Alter Egos verbunden ist, scheint der Protagonistin gleichzeitig das Scheitern ihrer Selbstsuche vor Augen zu stehen. Ihr Körper hält für die Suche nach weiblichen Eigenschaften keine Antworten bereit, da diese durch eine entsprechende soziale Formung herausgebildet werden, die Ahmed nicht erfahren hat. Sie müsste solche Eigenschaften für sich neu erfinden und die Suche aufgeben. Die Tücke des Körpers wird deutlich im Vergleich mit einer „leeren, seelenlosen Bleibe“: ‚Comment vous répondre alors que je ne me suis pas encore retrouvé et que je ne connais que des émotions inversées, venant d’un corps trahi, réduit à une demeure vide, sans âme...? Je suis volontairement coupé du reste du monde. Je me suis exclu moi-même de la famille, de la société et de ce corps que j’ai longtemps habité. [...]‘ (L’enfant, 99)
Hier findet sich wieder eine Parallele zu einem Körperkonzept, das auch der Erzählerfigur zugrunde liegt. Auch die Erzählerfigur als Medium verliert den Bezug zu ihrem Körper, als sie von Geschichten bewohnt wird. Genauso verkörpert Ahmed etwas ihm Fremdes, das von außen – besonders durch den Vater – an ihren Körper herangetragen wurde. Weiblichkeit als Defekt Den Dissoziationsprozessen von Ahmeds Körper entsprechen die Zersetzungsprozesse am Haus, die von der Mutter – selbst bereits dem Wahnsinn verfallen – als Strafe Gottes für den Eingriff in die Natur verstanden werden: Les choses se dégradèrent petit à petit: les murs de la grande maison étaient fissurés, les arbres de la cour moururent d’abandon, la mère vécut cette déchéance comme une vengeance du ciel pour avoir détourné la volonté de Dieu, elle sombra dans un mutisme et une folie tranquille [...]. (L’enfant, 93)
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In Bezug auf Mutter und Schwestern verkörpert Ahmed die unsichtbare und doch allgegenwärtige männliche Herrschaft: „[I]nvisible, il continuait malgré tout de régner. La nuit, on entendait ses pas mais personne le voyait. Portes et fenêtres étaient fermées sur un mystère pesant“ (L’enfant, 93). Das Haus wird so zum Mikrokosmos der Gesellschaft und Ahmeds Körper zum Medium der perfiden Herrschaftsmechanismen, die wie beim panoptischen Prinzip wahrnehmbar und doch nicht sichtbar sind. Ahmed hat die Unterdrückung am eigenen Leib erfahren und gibt sie vermittels ihres Körpers als Herrschaft über Mutter und Schwestern weiter. Diesen Zusammenhängen liegt die innere Logik zugrunde, dass „[ê]tre femme est une infirmité naturelle dont tout le monde s’accommode. Être homme est une illusion et une violence que tout justifie et privilégie. Être tout simplement est un défi“ (L’enfant, 94). Die allgemeine Feststellung beschreibt Ahmeds Verfassung zwischen dem „natürlichen“ Gebrechen der Weiblichkeit und der Illusion privilegierter, gewalttätiger Männlichkeit. Eine solche mit Weiblichkeit in Verbindung gebrachte „infirmité“ verkörpert Fatima, die Frau, die Ahmed heiratet. Als Epileptikerin ist sie gleich mit einer zweifachen „Verkrüppelung“ geschlagen, mit Weiblichkeit und Krankheit. Aus diesem Grund gedenkt Ahmed ihr auch die Rolle der „épouse et de femme au foyer“ (L’enfant, 73) an ihrer Seite zu. Im Fatima gewidmeten Kapitel „La porte emmurée“ wird zunächst vorgeführt, warum Weiblichkeit als Gebrechen verstanden wird: Deux vieilles femmes, sèches et grises, le regard funeste, le geste précis et bref, accompagnèrent Fatima. [...] Enveloppée dans une djellaba blanche, elle avait les yeux baissés; et, même si elle avait osé lever haut son regard, les deux femmes l’en auraient empêché. La pudeur, c’est cela! Ne pas regarder l’homme en face; ne pas soutenir son regard par soumission, par devoir, rarement par respect ou à cause de l’émotion. Les deux femmes lui tenaient chacune un bras, elles le lui serraient et lui faisaient mal. Elles hâtaient le pas et l’entraînaient dans une marche rapide, décidée. Mais elle n’était décidée pour rien. Elle ne pouvait même pas rêver de l’amour. (L’enfant, 73)
In der Szene wird beschrieben, wie die Braut Fatima zu ihrem Bräutigam Ahmed geführt wird, welche Konventionen dabei eingehalten werden müssen und wie sich dies darin äußert, dass jede ihrer Bewegungen Regulativen und Disziplinierungen unterliegt. Ihr Körper wird jedoch nicht nur von den äußeren Zwängen der weiblichen Unterwürfigkeit eingeschränkt, die in einem bestimmten Habitus wie dem gesenkten Blick zum Ausdruck kommen soll. Innere Zwänge beherrschen Fatimas Körper gleichermaßen. Die Krankheit der Epilepsie wird so paral-
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lel zum weiblichen Habitus konstruiert und auf diese Weise der Zusammenhang zwischen Weiblichkeit und Krankheit deutlicher hervorgehoben: Son corps la trahissait, la lâchait en pleine jeunesse. Les démons de l’au-delà lui rendaient souvent visite, s’introduisaient dans son sang, le troublaient, le faisaient tourner trop vite ou de manière irrégulière. Son sang perturbait sa respiration, elle tombait et perdait connaissance. Son corps s’en allait, loin de sa conscience. Il se livrait à des gesticulations incontrôlées, se débattait tout seul, avec le vent, avec les démons. On la laissait seule débrouiller les fils de tous ces nœuds. Son corps, lentement, revenait à elle, reprenait sa place, fatigué, battu, endolori. Elle restait étendue à même le sol et se reposait. (L’enfant, 73f.)
Für die epileptischen Anfälle, bei denen Fatima das Bewusstsein verliert und ihr Körper von unkontrollierten Krämpfen beherrscht wird, werden Dämonen verantwortlich gemacht. Diese fahren in Fatimas Blut und treiben dort ihr Unwesen, indem sie es zu schnell oder zu langsam fließen lassen. Um die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen, muss Fatima gegen die Dämonen ankämpfen. Neben von Dschinn besessenen Dichtern konstruiert Ben Jelloun in der Figur der Fatima so noch eine weitere traditionelle Form der Besessenheit: Die Epileptikerin wird im islamischen Schrifttum ebenso wie Wahnsinnige und Dichter als jemand dargestellt, in deren Körper Dämonen eindringen und auf diese Weise die Fallsucht erzeugen.526 Im Gegensatz zur Besessenheit der Dichterin handelt es sich bei der Besessenheit der Epileptikerin jedoch nicht um eine inspirierte Form der Verbindung zwischen Dschinn und Körper, aus der ein Kunstwerk hervorgeht. Im Gegenteil bedeutet sie nur Zerstörung für den Körper der Besessenen. Fatimas Körper wird so auch als gezeichnet von den regelmäßigen Heimsuchungen beschrieben: Était-elle belle? Je me le demande encore aujourd’hui. Il faut avouer que son visage avait pris des rides précoces, creusées par les crises fréquentes et de plus en plus violentes. Les traits de ce visage souvent crispé avaient gardé peu de leur finesse. Ses yeux clairs, quand ils n’étaient pas mouillés par les larmes, donnaient à son regard une lumière douce. Elle avait un petit nez. Les joues étaient couvertes d’éternels boutons de jeunesse. Ce que je ne pouvais aimer, c’était sa bouche qui se tordait au moment de la crise et qui gardait en elle
526 Vgl. Nünlists Diskussion verschiedener Quellen von islamischen Gelehrten, in welchen Epileptiker im Zentrum stehen, im Kapitel „Zum Eindringen von Dämonen in den menschlichen Körper“, 2011, 157-159.
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un rictus comme une énorme virgule dans une page blanche. Son corps était ferme malgré sa jambe droite menue. Ferme et dur. (L’enfant, 75)
Entgegen der parallelen Konstruktion von Weiblichkeit und Krankheit zu Beginn des Kapitels hat die Weiblichkeit in den folgenden Beschreibungen aus Ahmeds Perspektive in der Ehe keinen Platz in Fatimas Körper, sondern wird vollkommen von der Krankheit verdrängt. Ahmed seziert Fatimas Körper mit einem kühlen, distanzierten Blick, der abgesehen von Mitleid keinerlei Gefühlsregungen erkennen lässt: Les seins étaient petits avec quelques poils autour du mamelon. Quand il m’arrivait de la serrer dans mes bras, pour la consoler de sa détresse, pas pour exprimer un quelconque désir sexuel, je sentais ce corps réduit à un squelette actif qui se débattait contre des fantômes ou les bras d’une pieuvre invisible. Je le sentais chaud, brûlant, nerveux, décidé à vaincre pour vivre, pour respirer normalement, pour pouvoir courir et danser, nager et monter [...]. Je le sentais lutter contre la mort avec les moyens du bord: les nerfs et le sang. Elle avait souvent des hémorragies. Elle disait que son sang se fâchait et qu’elle n’était pas digne de le garder pour en faire quelque chose de bien. Elle ne voulait pas avoir d’enfant, même si ses nuits étaient peuplées de rêves de marmailles. (L’enfant, 75)
Fatimas Blutungen sind im Gegensatz zu Ahmeds keine Menstruationsblutungen, sondern werden von den häufigen Anfällen verursacht. Ihr von der Krankheit entstellter Körper wird als sexuell wenig anziehend geschildert. Außerdem ist für es Fatima ausgeschlossen, Nachkommenschaft zu zeugen, obwohl sie sich Kinder wünscht. Sie wird somit als ebenso dysfunktionale Frau dargestellt wie Ahmed, mit dem Unterschied, dass sie im Gegensatz zu Ahmed von keinerlei Vorteilen ihres Zustands profitiert. Ahmed bringt trotz der Ähnlichkeiten ihrer Situationen wenig Verständnis für Fatimas Zustand auf. Bald schlägt das anfängliche Mitgefühl in Hass um, Fatima wird Ahmed immer lästiger: Ensuite je me mis à perdre patience. Je n’étais plus maître de mon univers et de ma solitude. Cet être blessé à mes côtés, cette intrusion que j’avais installée moi-même dans mes secrets et mon intimité, cette femme courageuse et désespérée, qui n’était plus une femme, qui avait traversé un chemin pénible, ayant accepté de tomber dans un précipice, en défigurant son être intérieur, le masquant, l’amputant, cette femme qui n’aspirait même pas à être un homme, mais à être rien du tout, une jarre creuse, une absence, une douleur étalée sur l’étendue de son corps et de sa mémoire [...], cette femme m’empêchait de dormir. [...] C’était là mon miroir, ma hantise et ma faiblesse. (L’enfant, 77)
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Ahmed empfindet Fatima als Eindringling in ihre Welt, weil sie um ihr Geheimnis und ihre „infirmité“ weiß. Wie ein Spiegel führt Fatima mit ihrer Krankheit Ahmed ihren eigenen Defekt täglich vor Augen und durchbricht so die Scheinwelt, die Ahmed sich errichtet hat. Anstatt sich mit Fatima im gemeinsamen Schicksal zu solidarisieren, verurteilt Ahmed sie für ihr Gebrechen: „Je ne la supportais pas. Je désirais sa mort. Je lui en voulais d’être infirme, d’être femme, et d’être là, par ma volonté, ma méchanceté, mon calcul et la haine de moimême“ (L’enfant, 80). Die letzten Worte Fatimas vor ihrem Tod bringen die Gemeinsamkeiten der beiden Frauen noch einmal zum Ausdruck: „Nous sommes femmes avant d’être infirmes, ou peut-être nous sommes infirmes parce que femmes..., je sais notre blessure... Elle est commune... Je m’en vais...“ (L’enfant, 80). Mit der doppelten „infirmité“ beider Frauen führt Ben Jelloun seine Gesellschaftskritik am Frauenbild wie eine Travestie vor. Die postkoloniale Erfindung des Körpers „‚Bâtir un visage comme on élève une maison‘“ ist das letzte Kapitel, das von einem professionellen Geschichtenerzähler erzählt wird. Nach dessen Verschwinden erzählt sich die Geschichte von selbst weiter oder wird von Laienerzählern, nämlich den ehemaligen Zuhörern, weitergeführt. Auch inhaltlich ist hier ein Bruch markiert: Ahmed verlässt ihr Haus und begibt sich auf Wanderschaft. Die folgenden beiden Kapitelüberschriften „L’homme aux seins de femme“ und „La femme à la barbe mal rasée“ lassen bereits vermuten, dass sie sich mit ihrem nicht eindeutig zuzuordnenden Körper arrangiert. Die Suche nach weiblicher Identität, die zur Zeit von Ahmeds Isolation im Haus eine Suche am und im Körper ist, verlagert sich nach außen und wird zu einer Neuerfindung des Körpers im Zusammenspiel mit der sozialen Umwelt. Den Rahmen hierfür bietet der Wanderzirkus, dessen Hauptattraktion die Travestie ist. Hier kann Ahmed als „Amirat Lhob“ („Prinzessin der Liebe“) mal ihre männlichen, mal ihre weiblichen Eigenschaften inszenieren und ihre Zuschauer in Verblüffung versetzen, wenn beide Merkmale gleichzeitig verwirklicht sind. Im Modus der Maskerade, im Spiel mit der Wahrnehmung, im Oszillieren zwischen Wahrheit und Illusion findet Ahmed somit ihr wahres Selbst. Während alle anderen Schausteller sich als Mann oder Frau verkleiden müssen, kann Ahmed einfach sie selbst sein und erzielt denselben oder sogar einen noch besseren Effekt. Sie schlägt auf diese Weise auch Profit aus ihrem Körper, den sie jedoch vollständig an ihre Herrin abtreten muss, die sie für den Wanderzirkus angeworben hat. Dennoch ist sie zunächst zufrieden mit ihrer Situation, scheint sich in ihrem sowohl männlichen als auch weiblichen Körper eingerichtet zu haben und ist hierdurch auch ihrem weiblichen „Selbst“ näher als zuvor: „Son corps trouvait une joie et un bonheur
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d’adolescent amoureux. [...] Tantôt homme, tantôt femme, notre personnage avançait dans la reconquête de son être. Il ne dormait plus avec les acrobates mais dans la roulotte des femmes; elle mangeait et sortait avec elles. On l’appelait Lalla Zahra“ (L’enfant, 126f.). Dies zeigt sich auch im Wechsel des Erzählers vom Personalpronomen „il“ zu „elle“, dem inhaltlich der Wechsel vom Männer- in den Frauenwohnwagen entspricht sowie der nunmehr weibliche Name „Zahra“. Ahmed findet ihre körperliche Identität somit nicht in einer biologischen oder sozialisierten Essenz des Körpers, sondern in seiner Erfindung und Inszenierung. Vor dem Hintergrund der Diskussion um postkoloniale Identitäten ist dieses Ergebnis nicht verwunderlich, sondern fügt sich in das Projekt der Dekolonisierung und Entessentialisierung von Konstrukten wie Identitäten oder Nationalitäten. Dennoch ist Ahmeds Wahnsinn nur für kurze Zeit überwunden, bald erhält sie wieder Briefe ihres Alter Egos und konstatiert gegenüber ihrer Herrin: „Ça doit être un fou qui me poursuit“ (L’enfant, 128). In der Herrin stellt Ben Jelloun die Verkörperung von weiblicher Macht und das Gegenstück zur devoten und verrückten Mutter Ahmeds dar: Il est des femmes dans ce pays qui enjambent tous les ordres, dominent, commandent, guident, piétinent: la vieille Oum Abbas. Les hommes la redoutent et pas seulement son fils. Elle prétend avoir eu deux maris simultanément [...]. Chose rare et étrange, mais quand on la connaît un peu cela ne paraît point étonnant. J’évoque aussi la figure de ce tempérament fort et brutal pour amadouer la présence de ma mère [...]. (L’enfant, 131f.).
So wie Ahmed mit ihrem irregulären, von der Norm abweichenden Körper nur im Wanderzirkus akzeptiert wird, wo sie kein heimlicher, sondern ein offensichtlicher Freak ist, kann auch Oum Abbas nur in einer Heterotopie herrschen, dem Ort einer verkehrten Welt, und patriarchale Ordnung und männlichen Wahnsinn von Brutalität und Lüsternheit umkehren. Im bizarren und heruntergekommenen Wanderzirkus, „où tout baigne dans la dérision, sans réelle ambiguïté“ (L’enfant, 120), wird die geschlechtliche Uneindeutigkeit Ahmeds der Lächerlichkeit preisgegeben. Gleichzeitig durchbricht Ahmeds Körper aber auch die einvernehmliche Illusion der Zirkuswelt, die von einer „willing suspension of disbelief“ lebt: „Tout est faux, et c’est ça notre truc, on ne le cache pas“ (L’enfant, 120). Dies kann ihr Körper freilich nicht erfüllen und erzeugt daher Erstaunen und Mitleid, weil plötzlich etwas Wahres und gleichzeitig Unglaubliches in die Welt der Täuschung einbricht. In den Randzonen der Gesellschaft, als Verrückte, Freaks oder Prostituierte, ist bei Ben Jelloun der Ort für Frauen als selbstbestimmte Wesen.
Schluss und Ausblick
X. Postkoloniale Verkörperungen
1. KÖRPERKONZEPTE IM VERGLEICH Der Körper beherrscht das Erzählen im Werk von Djebar und Ben Jelloun thematisch, motivisch, metaphorisch und terminologisch, wie die Analyse des Korpus bestehend aus L’amour, la fantasia, L’enfant de sable, Loin de Médine und Nulle part dans la maison de mon père sowie zusätzlich herangezogener Kontexte gezeigt hat. Die den Darstellungen zugrunde liegenden oder explizit diskutierten Körperkonzepte lassen sich dabei konsequent über die drei großen Themenkomplexe Erzählen, Sprache und Gesellschaft verfolgen, die Djebar und Ben Jelloun besonders beschäftigen. Bei der Lektüre ihrer Romane und besonders in der intensiven Auseinandersetzung mit ihren Konzepten entsteht so der Eindruck, dass Körperbeschreibungen, Körperdarstellungen oder Körperbilder sorgfältig konstruiert und inszeniert sind. Beispielsweise fällt auf, dass die von Ben Jelloun gestaltete mündliche Erzählerfigur ihre Protagonistin Ahmed nach dem Vorbild ihrer eigenen Vorstellung vom Körper und seinem Verhältnis zu Geschichten erschafft: Beide – Erzählerfigur und Protagonistin – haben den Status eines schwachen, fremdbestimmten Subjekts, dessen Körper immer nur als Medium für die erzählerischen oder gesellschaftlichen Aushandlungen Anderer fungiert – von personifizierten Geschichten, verselbstständigten Eigenschaften oder dem Vater und anderen sozialen Akteuren. Der kreative Anteil eines autonomen Subjekts, sei es der kunstschaffende im Rahmen des Erzählens oder der situationsverändernde im Rahmen von sozialer Handlungsmacht, wird so auf mehreren Ebenen, aber immer am Körper, in Frage gestellt. Ein weiteres semantisches Feld, das sich themenübergreifend in den Körperkonstruktionen spiegelt, ist das des Hauses. So wird der Körper als behaust dargestellt, von Geschichten wie im Fall der Erzähler, von Dämonen wie im Fall der Epileptikerin oder von Eigenschaften wie im Fall des sozialen Mannes im biologischen Frauenkörper. Der Körper kann seinerseits einer Geschichte ein-
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wohnen oder sich in Sprache einrichten. So ergibt die nähere Auseinandersetzung mit einem Kontext auch immer neue Bedeutungszusammenhänge für die jeweils anderen Themen, während die komplexen Konzepte an semantischer Breite und Schärfe zunehmen. In der Metapher des Hauses verdichten sich so die unterschiedlichsten Erklärungsansätze, wie der Körper mit seiner Umwelt verbunden ist und interagiert. Mit der französischen Sprache als Haus ist zugleich der metaphysische Kontext der Dschinnbehausung des Körpers aufgerufen, welcher der ganzen Konstruktion eine parasitäre, schadhafte und so auch subversive Wendung gibt, ohne dass diese Bedeutungsdimension explizit genannt sein müsste. Ein anderes Beispiel ist, wie Ben Jelloun die Auswirkungen und Ausprägung von Erziehung und Biologie auf den Körper beziehungsweise im Körper konzipiert. Angeboten wird eine Bandbreite an Möglichkeiten, das körperliche In-der-Welt-sein Ahmeds zu begreifen. Als Ursachen für die Zustände und Veränderungen ihres Körpers werden gleichzeitig Vorherbestimmung durch die Macht der Vorfahren und des Blutes („grain“, „sang“), biologische Faktoren, dämonische Fremdmächte in verselbstständigten Eigenschaften (besonders „la voix“) und soziale Determination ins Feld geführt. Die Ahmeds Körper zugrunde liegenden Konzepte sind nun gleichermaßen das Fundament für Ben Jellouns Konstruktion des marokkanischen Identitätsbegriffs in der allegorischen Lesart. Ben Jelloun greift damit verschiedene Diskurse über „Wesen“ und „Identität“ der Nationen im Maghreb vor, während und nach der Kolonialzeit auf, die vor allem nach der Unabhängigkeit die Diskussionen bestimmten.527 So deuten die Konzepte von Blut und Biologie in Richtung der kulturessentialistischen und quasi-naturalistischen Positionen des auf Tradition pochenden Nativismus,528 die von Nationalisten vertreten wurden. Die Fremdbestimmung des Körpers durch dämonische Mächte und soziale Faktoren verweist hingegen eher auf den nachkolonialen Zustand der Nation als historisch bedingten, der als offen, dynamisch, durch Entkolonisierung veränderbar und keinem Essentialismus verhaftet angesehen wurde. Der zweite Identitätsbegriff entspricht dem, der von den Autoren im Umfeld der Literaturzeitschrift Souffles vertreten wurde.529
527 Vgl. hierzu Heiler 2005, 39-68 und 139-148. 528 Vgl. ebd., 56. 529 Vgl. ebd., 143-148.
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2. HISTORISCHE (KULTUR-)ANTHROPOLOGIE, POSTKOLONIAL Die Bedeutung des Körpers für Djebars und Ben Jellouns Romane ist, wie gesehen, kaum zu überschätzen. Die Romane definieren sich ganz explizit über den Körper, sie stellen sich in eine körperzentrierte Literaturtradition oder erheben sogar den Anspruch, selbst körperlich zu sein, wie Djebars anamnestisches Schreibprogramm zeigt. Der Körper fungiert hierbei ausdrücklich als das Spezifische, er wird als das benannt, was die Kolonisierte gegenüber dem Kolonisierer ausmacht oder die Frau gegenüber dem Mann. Bei Djebar kommt in der Reduzierung auf den Körper daher gleich in zweifacher Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal zur Geltung: Der Körper wird als spezifisch kolonisierte und spezifisch weibliche Wirklichkeit konstruiert.530 Die semantische und konzeptuelle Ausgestaltung des Körpers im Roman ist so zugleich als narrative und als subversive Strategie gegen den kolonialen und patriarchalen Reduktionismus zu verstehen. Oder wie Djebar es in Ces voix qui m’assiègent angesichts der französischen orientalistischen Kunsttradition Gautiers, Maupassants oder Delacroix’ ausdrückt: „Dans le corps et sa mise en espace, dès lors que l’odalisque soudain descend du cadre. Déplacement surtout dans le regard. Et ce regard d’autrui est réapproprié.“531 Der Körper wird in der Literatur als primäres kolonisiertes und weibliches Prinzip vorgeführt. So wird auch die koloniale Eroberung immer als Eroberung des Körpers verstanden und inszeniert, wie in der Gleichsetzung von Land, Gemeinschaft und Körper deutlich wird. Durch Sprache erfolgt die kulturelle Eroberung, die ebenfalls auf der Ebene des Körpers verhandelt wird, indem ihre Wirkung auf ihn gezeigt wird – etwa durch das Gefühl der Distanz, das sich sowohl negativ im Verlust als auch positiv in neuen Möglichkeiten auswirken kann und mit einer bestimmten Somatik verbunden ist. Am Körper zu erzählen, das heißt aus Körpermotivik, theoretischen Überlegungen über den Körper und Metareflexionen etwa zur Rolle des Körpers beim Erzählen die Erzählung zu entwickeln, bedeutet auch, sich bei der Entfaltung der Narration an einem konkreten Gegenstand zu orientieren und eine komplexe und abstrakte Konzeption wie die Poetik an eine Terminologie des Körpers zu binden. Hierin kann ebenfalls eine herrschaftskritische und subversive Schreibstrategie gesehen werden: Zum einen wird mit dem Körper ein Bindeglied zur mündlichen Tradition im schriftlichen Text etabliert und damit eine Alternative zur (jüngeren) französischen Literaturtradition angeboten. Zum anderen erzählen die Autoren anhand
530 Siehe den 1. Teil, Abschnitt „Am Körper rekonstruierte Geschichten“. 531 Ces voix, 79.
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des Körpers eine „Mikrogeschichte“ nach dem Vorbild von Carlo Ginzburg, Emmanuel Le Roy Ladurie oder Natalie Zemon Davis. Sie wenden sich damit gegen die etablierte französische Geschichtsschreibung, die historische Wahrheit für sich allein beansprucht. Und zwar sowohl gegen die großen Narrative der Nationalgeschichte, wie sie etwa Jules Michelet (1798-1874) hervorgebracht hat, als auch gegen das zwar sozialgeschichtliche, dennoch aber makroskopische und quantitative Modell, das vor allem von Fernand Braudel vertreten wurde und die Historiographie in Frankreich, besonders die „Annales“-Gruppe, von den 50ern bis in die 70er Jahre beherrscht hat.532 Von ihren frühen Verfechtern wurde die Mikrogeschichte auch mit dem Begriff „Mutter-Historie“ als Pendant zur „Vater-Historie“533 bezeichnet, weil dieser Begriff „‚zur kleinen, schwachen, weiblichen, gefühlsbetonten‘ Welt der Mutter passe“534. Die Mikrogeschichte war damit lange Zeit einer eben solchen Marginalisierung durch die federführenden Historiker ausgesetzt wie die frankophone maghrebinische Literatur zunächst in Frankreich. Und auch hier fällt die Assoziation mit Weiblichkeit und Körper beziehungsweise Gefühl, mit Schwäche, Begrenztheit und Belanglosigkeit ins Auge. In den 70er und 80er Jahren kam die historiographische Wende in Frankreich und es setzte sich als „nouvelle histoire“ die von Braudel an den Rand verwiesene Mentalitätsgeschichte durch, die auch unter dem Begriff der historischen Anthropologie firmierte.535 In den Bänden der „Annales“ wurde unter Jacques Le Goff nun ein mikroskopischer Fokus bevorzugt und damit dem Thema des Körpers neben anderen wie Familie oder Beziehungen zwischen den Geschlechtern historiographisches Gewicht verliehen.536 Die Hinwendung zur Mikrogeschichte erfolgte also zu einer Zeit, in der auch die Romane L’amour, la fantasia und L’enfant de sable entstanden. Von welcher Disziplin die Impulse für eine Mikrobetrachtung ausgingen, der Historiographie oder Literatur, ist schwer zu sagen. Viel interessanter ist auch, dass sich die Parallele überhaupt ziehen lässt.
532 Vgl. Ginzburg 1993, 175f. Djebars Ausbildung zur Historikerin erfolgte in der Zeit in Frankreich, als die „Annales“-Gruppe die Historikerszene dominierte. 533 Vgl. ebd., 175. 534 Ebd., 171, Ginzburg greift hier die Definition von González y González auf. 535 Vgl. ebd., 178. 536 Eine eigene Körpergeschichte legte Le Goff selbst allerdings erst 2003 mit Une histoire du corps au Moyen Âge vor.
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Als „Stimmen des Volkes“, als welche Djebar und Ben Jelloun sich beide verstehen,537 knüpfen die Autoren mit dem Körperthema, ob intendiert oder nicht, an die historische Anthropologie an. Im Unterschied zu ihr nehmen sie allerdings eine literarische Perspektive ein. Es geht in ihren Werken daher nicht (oder weniger) darum, historische Quellen gegen den Strich zu lesen, wie Ginzburg dies etwa in seinem berühmten Il formaggio e i vermi (1976) anhand von Protokollen der Heiligen Inquisition vorgeführt hat. Der Beitrag zur Mentalitätsgeschichte besteht vielmehr darin, durch Fiktionen von Geschichte(n) anhand des Körpers die Möglichkeiten der Vorstellungen vom Körper und seiner engen Verbindung mit Geschichte(n) aufzuzeigen. Indem die Autoren körperliche Wirklichkeiten von Menschen in Marokko und Algerien während und nach der Kolonialzeit (re-)konstruieren, begegnen sie dem von Intellektuellen vertretenen postkolonialen Anspruch der „Geschichte von unten“, der „Minority Histories“ und „Subaltern Pasts“, kurz: der „Dekolonisierung der Geschichte“.538 Denn gerade Vorstellungen vom Körper und von körperlichen Wirklichkeiten sind es, die durch den Kolonialismus aufgrund ihrer Flüchtigkeit als erste in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht in irgendeiner Form, wissenschaftlich oder literarisch, aufgearbeitet werden. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass auch die Diskussionen in der Literatur genau wie in den akademischen Postcolonial Studies – mögen sie auch noch so verdienstvoll sein – über die Köpfe der Betroffenen hinweggeführt werden.539 Ben Jelloun und Djebar werden nicht zuletzt aufgrund der Sprache vorwiegend in Frankreich und anderen westlichen Ländern gelesen.
3. INSZENIERTE VERKÖRPERUNGEN Doch was ist das Spezifische an Djebars und Ben Jellouns literarischen Körperkonzepten? Eine Besonderheit im Umgang mit dem Körper als Motiv in den
537 Vergleiche hierzu die Diskussion in Abschnitt „Nostalgische Essentialismen und virtuose Neuschöpfungen im Vergleich“. 538 Vergleiche hierzu den Abschnitt „Am Körper rekonstruierte Geschichten“, besonders Fn. 202, und „Nostalgische Essentialismen und virtuose Neuschöpfungen im Vergleich“. 539 Wie den Vertretern der Postcolonial Studies bewusst ist, was die seit den 1980er Jahren geführte Diskussion um das Vermögen der Subalternen, die Stimme zu erheben, zeigt. Vgl. hierzu die Diskussion im Abschnitt „Am Körper rekonstruierte Geschichten“.
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Romanen stellt der performative Charakter der Inszenierung dar: Der Körper wird aufgeführt. Bei Ben Jelloun fällt besonders die Inszenierung der Marktplatzerzähler auf, die in ihrer körperlichen Präsenz und den typischen Erzählposen beschrieben werden. Die Aufführung spielt auch auf der Ebene der Binnenhandlung eine Rolle, weil Ahmeds körperliche Erscheinung sorgfältig inszeniert werden muss; beispielsweise bei der Beschneidungszeremonie vor Zuschauern (vgl. L’enfant, 31f.). Den Höhepunkt von L’enfant de sable bildet ebenfalls eine für den Marktplatz typische Aufführung, nämlich die Travestieshow des Wanderzirkus, in der Ahmed auftritt. Auch Djebar weiß den Körper in Szene zu setzen, wie etwa der Anfang des Kapitels „La prise de la ville“ aus L’amour, la fantasia zeigt, in dem die Einnahme der als Körper imaginierten Stadt Algier wie ein Ballett vor dem geistigen Auge abläuft. Spezifisch an Djebars Texten ist, dass vor allem Frauen ihren eigenen Körper zur Aufführung bringen, im Gegensatz zu Ben Jellouns Frauenkörpern, die grundsätzlich von anderen in Szene gesetzt werden: Ahmed als Mann vom Vater, Fatima als Braut von Verwandten, Ahmed als Transvestit von der Inhaberin des Wanderzirkus. Djebars Frauen führen ihre Körper oftmals in Situationen vor, in welchen sie zu bestimmten Handlungen oder Verhaltensweisen gezwungen werden sollen. So verwandelt beispielsweise Badra in „La mariée nue de Mazouna“ aus L’amour, la fantasia die Prozedur des Schmuckraubs in ein unangenehmes Spektakel, in dessen Zentrum ihr entschleierter Körper steht. Was Ben Jelloun und Djebar mit ihren Körper-Inszenierungen auf- und vorführen, ist in der Terminologie jüngerer Wissenschaftsansätze seit den 1990er Jahren die transformative Kraft des Performativen, die nach Judith Butler soziale Wirklichkeit hervorbringt. Die Autoren zeigen in den Worten Butlers, wie „social agents constitute social reality through language, gesture, and all manner of symbolic social sign“540. Der Körper wird in den benannten Szenen nicht als Medium dargestellt, durch welches etwas schon Bestehendes zum Ausdruck gebracht wird, sondern als selbstreferentielle Verkörperung vorgeführt, die hervorbringt, was sie vollzieht.541 Dies verdeutlichen beispielsweise die improvisierten Tanzeinlagen von Djebars IchErzählerin, die, wie gezeigt, Freiheit und Transgression für die Protagonistin bedeuten und in der patriarchalen Welt der dargestellten Gemeinschaft gerade nicht als ihr Ausdruck zu werten sind.
540 Butler 1988, 519; Hervorhebung im Original. 541 Siehe zu Butler in Bezug auf L’enfant de sable auch das Kapitel „Tahar Ben Jelloun: L’enfant de sable ou le ‚trouble dans le genre‘“ aus Épistémologies ‚Le Maghreb‘ (2009) von de Toro, 205-221.
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Diese Einheit zwischen Körper und Bedeutung, Körper und Sprache, Körper und Geist, die unter anderem mit dem Begriff der Verkörperung bezeichnet wird,542 liegt als Tendenz den Körperkonstruktionen insgesamt zugrunde. So etwa in den monistischen Vorstellungen, welche manche Körperkonzepte prägen: in Geheimnissen, die sich in ihrer Substanz übertragen lassen, oder in Eigenschaften, die in der Substanz von „grain“ oder „sang“ begründet liegen. Interessant sind für die Frage nach der Schnittstelle von Bedeutung und Körper daher auch die Konzepte von Übermittlung, die über Substanz, über Dschinn oder auch über metonymische Codierungen funktioniert – über Sinne, Wunden und Tätowierungen oder Körpersprache wie etwa dramatische Gesten. Ein Geist-Körper-Dualismus wird in solchen Konzepten nicht nur transgrediert, sondern manchmal auch ad absurdum geführt. In Ben Jellouns besessenen Erzählern etwa bekommt der kreative „Geist“ als das ontologisch Andere zum Körper in der Figur des Dschinn eine ganz neue Bedeutungsdimension. Andere Konzepte sind weniger auf Materialität und Substanz beschränkt, Sprache zum Beispiel wird als Teil eines Körpers konstruiert, der sich im Körperschema selbst als Zusammenspiel mehrerer Komponenten im Ganzen wahrnimmt. Der Körper wird hier von Anfang an als belebt und „beseelt“ verstanden, ohne dualistisch gedacht zu sein.
4. POSTKOLONIALE KÖRPERKONZEPTE IN DER LITERATUR Der hohe Grad an Reflexivität der literarischen Körperkonstruktionen verdankt sich der kolonialen und postkolonialen Situation, aus der heraus die Autoren schreiben. Diese zieht einen besonderen Effekt im Zusammenhang mit kulturellen Konzepten nach sich. Dadurch, dass die Autoren aufgrund ihrer Sozialisation in mindestens zwei unterschiedlichen Kulturen zwei Perspektiven gleichzeitig einnehmen und diese auch in die Texte einfließen lassen, sind die kulturellen Konzepte immer auch einer distanzierten Beobachtung durch die jeweils andere Perspektive ausgesetzt. Hieraus ergibt sich eine produktive Verfremdung, so beispielsweise in der Übertragung arabischer Konzepte in französische Begriffe. Für die Vorstellungen vom Körper bedeutet dies gleichzeitig eine kritische Revision sowie eine gegenseitige Bereicherung und Befruchtung der unterschiedlichen Konzepte. Die Autoren können so ein reiches und vielfach reflektiertes Bild vom Körper entwerfen, das ihn nicht nur als ganzheitliches System aus
542 Vgl. die Diskussion des Begriffs im Abschnitt „Der Körper als Medium des Erzählens“.
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unter anderem organischer Materie, Gefühlen, Sprache, Phänomenologie und Handlungsmacht erscheinen lässt, sondern zudem als Verbindung aus europäischen und nordafrikanischen Komponenten versteht. Insofern möchte ich den Blick weg von der in der Beschäftigung mit postkolonialen Kontexten, Identitäten und Körpern so oft diagnostizierten Fragmentierungen lenken,543 hin zum Aspekt der Zusammensetzung zu einem Ganzen. Dieses Körperganze – und hier ergibt sich eine Parallele zum Textkörper – mag aus heterogenen, sogar dysfunktionalen Elementen bestehen. Und doch wird es grundsätzlich als mehr als die Summe seiner Teile dargestellt. Es wird dabei kein abgeschlossenes, statisches Ganzes konstruiert, sondern vielmehr ein sich ständig im Prozess befindendes, dynamisches und offenes Ganzes, das sich nicht auf eine einzige Identität, einen einzigen Körper festschreiben lässt, sondern immer schon (die) andere Kultur(en) inkorporiert hat. Das Kapitel über Gesellschaft zeigt, dass nicht nur durch den Kontakt mit der Kolonialmacht und ihren Eroberungsstrategien wie der des divide et impera ein fragmentarisches Selbstbild zustande kommt, sondern genauso durch pädagogische oder disziplinierende Maßnahmen in der „eigenen“ Gesellschaft. In dem Fahrrad-Beispiel aus Nulle part dans la maison de mon père ist es gerade nicht die fremde Körpertechnik des Fahrradfahrens, die fragmentierend auf das Körperschema der Protagonistin wirkt, sondern die Erziehungsmethode des Vaters. Ganz im Gegenteil wird westlichen Sportarten hier sogar das Potential beigemessen, das Gefühl der körperlichen Ganzheit wiederherzustellen. Selbst Ben Jellouns weniger optimistisch skizzierten Protagonistin Ahmed gelingt es, die disjunkten Teile ihrer Persönlichkeit und ihres Körpers immer wieder zusammenzusetzen, so etwa, wenn sie Briefkontakt zu ihrem Alter Ego herstellt oder in der Travestie alle Geschlechtsmerkmale gleichzeitig aufführt. Freilich konstruiert Ben Jelloun dabei keine selbstbestimmte Existenz, sondern eine fremdgelenkte, aus der Ahmed immer wieder aufs Neue versuchen muss, Sinn herzustellen. Dies soll nicht heißen, dass (postkoloniale, postmoderne) Fragmentierung keine Rolle (mehr) spielt oder gar überwunden wäre, sondern eher zeigen, dass ganzheitliche Aspekte des Körpers ebenfalls präsent sind und immer wieder bewusst in den Mittelpunkt gerückt werden, so dass eine platte kausale Zuschreibung von Fragmentierung zu Kolonisierung und Ganzheitlichkeit zu ursprünglichem Zustand nicht aufgeht. Die vorliegende Studie über Körperkonzepte in Romanen von Djebar und Ben Jelloun hat sich auf wenige wesentliche Aspekte im Zusammenhang mit dem Körper konzentriert. Hierdurch wurden andere wichtige Gesichtspunkte wie
543 So beispielsweise bei Erickson 2008, bes. 54; Murdoch 1993, bes. 72; oder Richter 2008, 152.
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Sexualität, Krankheit oder Tod vernachlässigt. Sie soll einen qualitativen Beitrag leisten zur Beschäftigung mit dem Körper in der Literatur, zu Körperkonzepten in Nordafrika und zur Körper- und Ideengeschichte. Der Körper ist ein ideales Medium zur Verhandlung komplexer Sachverhalte und abstrakter Begriffe wie Erzählkultur, Sprache und Gesellschaft mit all ihren Facetten von Sozialordnung, Normen und Werten, Machtverhältnissen, denn er ist konkret, individuell und doch jedem eigen. Die Analyse des Körpers als literarischer Gegenstand erbringt tiefere konzeptuelle Einsichten in diese Themengebiete, die über die expliziten Reflexionen in den Texten hinausgehen. So kann mit der Untersuchung der Literatur gleichzeitig ein Beitrag zur kulturwissenschaftlichen, kulturanthropologischen, historischen, ethnologischen oder allgemein philosophischen Beschäftigung mit dem Körper geleistet werden. Die Auswertung der Literatur Djebars und Ben Jellouns als Verdichtung von Konzepten ist besonders wichtig und produktiv vor dem Hintergrund, dass es zu Körperkonzepten in Nordafrika noch kaum wissenschaftliche Studien gibt.544 Aufbauend auf der vorliegenden Studie könnten weiterführende und vergleichende – literaturwissenschaftliche, aber auch beispielsweise theater- und filmwissenschaftliche oder soziologische und ethnologische – Untersuchungen angestellt werden zu Vorstellungen vom Körper, seinem Verhältnis zur Sprache, seiner Rolle in der Gesellschaft, seinem Anteil bei der Produktion von Kunst und zu vielen anderen Aspekten. Für die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Körper wäre die Frage besonders interessant, ob es einen generellen Zusammenhang gibt zwischen der großen Präsenz des Körperthemas in der Literatur und der Tatsache, dass die Literatur unter dem Eindruck des Kolonialismus auf der Seite der (ehemals) Kolonisierten entstanden ist. Hierfür würde sich ein Vergleich der Literatur von Autoren aus unterschiedlichen (ehemaligen) Kolonien anbieten, der idealerweise nicht nur auf frankophone Gebiete und nicht nur auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt bleibt. Die angenommene spezifische Präsenz des Körpers in einem Teil der (post-)kolonialen Literatur könnte darauf zurückgeführt werden, dass der Körper eine wichtige Rolle bei der Be-
544 Hervorzuhebende Ausnahmen bilden hier Le corps dans la tradition au Maghreb (1984) von Malek Chebel und Corps et traditions islamiques. Les usages sociaux du corps (2000) von Hafsi Bedhioufi. Außerdem wird der Körper als Teilaspekt behandelt in Au-delà de toute pudeur. La sexualité féminine au Maroc (2007) von Soumaya Naamane-Guessous und in der Doktorarbeit La sexualité en Islam (1975) von Abdelwahab Bouhdiba. Die Studie Sufis & Saints’ Bodies: Mysticism, Corporeality, & Sacred Power in Islam (2007) von Scott Kugle nimmt unter anderem Heilige aus dem Maghreb in den Blick.
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gegnung mit der Kolonialmacht spielte. Die körperliche Erscheinung ist entscheidend für Prozesse des othering (Spivak) und rassistisch motivierte Misshandlungen, Disziplinierungen oder die Kontrolle des kolonisierten Körpers, der als inferior angesehen wurde.545 Die koloniale Erfahrung der Kolonisierten und deren Nachwirkungen war also primär körperlicher Art, wie Fanon eindrücklich in Peau noir, masques blancs (1952) zeigt. Auch die Exhibition des Körpers im Rahmen der „Völkerschau“ auf Kolonial- und Weltausstellungen (etwa in Paris 1889) oder in Museen trug zur Reduzierung auf die äußere Erscheinung des Körpers von Kolonisierten bei. Es ist somit durchaus naheliegend anzunehmen, dass es sich eine Strömung postkolonialer Literatur zur Aufgabe gemacht hat,
545 Vgl. hierzu beispielsweise den allgemeinen Eintrag „Post-Colonial Body“ in PostColonial Studies. The Key Concepts, Ashcroft 2007, 166. Als weiterführende monographische Studien oder Sammelbände zum postkolonialen Körper in der Kunst sind vor allem zu nennen: Annie E. Coombes (1994): Reinventing Africa: Museums, Material Culture, and Popular Imagination in Late Victorian and Edwardian England, New Haven: Yale University Press. Ralph J. Crane und Radhika Mohanram (1996): The Postcolonial Body, Hamilton, N.Z.: South Pacific Association for Commonwealth Literature and Language Studies. Leigh Dale und Simon Ryan (1998): The Body in the Library, Amsterdam: Rodopi. Rebecca Fine Romanow (2006): The Postcolonial Body in Queer Space and Time, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars. Ketu H. Katrak (2006): Politics of the Female Body: Postcolonial Women Writers of the Third World, New Brunswick, N.J.: Rutgers University Press. Michelle Keown (2005): Postcolonial Pacific Writing: Representations of the Body, New York: Routledge. Gail Ching-Liang Low (1996): White Skins/Black Masks: Representation and Colonialism, New York: Routledge. Anne McClintock (1995): Imperial Leather: Race, Gender, and Sexuality in the Colonial Contest, New York: Routledge. Anne Maxwell (1999): Colonial Photography and Exhibitions: Representations of the ‚Native’ and the Making of European Identities, New York: Leicester University Press. Radhika Mohanram (1999): Black Body: Women, Colonialism, and Space, Minneapolis: University of Minnesota Press. Maria Isabel Romero Ruiz (2012): Women’s Identities and Bodies in Colonial and Postcolonial History and Literature, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars. Silvia del Pilar Castro Borrego und María Isabel Romero Ruiz (2011): Cultural Migrations and Gendered Subjects: Colonial and Postcolonial Representations of the Female Body, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars. Flora Veit-Wild und Dirk Naguschewski (2005): Body, Sexuality, and Gender, Amsterdam: Rodopi. Robert Young (1995): Colonial Desire: Hybridity in Theory, Culture, and Race, New York: Routledge.
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