Kritische Gesamtausgabe: Band 6 Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums 9783110810677, 9783110156386


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German Pages 562 [564] Year 1998

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Table of contents :
Einleitung des Bandherausgebers
I. Historische Einführung
1. Universitätsschriften
2. Herakleitos der dunkle, von Ephesos
3. Kurze Darstellung des theologischen Studiums
II. Editorischer Bericht
Rezension von: Zwey Schreiben die Errichtung einer akademischen Lehranstalt in Berlin betreffend
Rezension von: Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der Universität Halle nach Berlin und Soll in Berlin eine Universität seyn?
Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende
Herakleitos der dunkle, von Ephesos, dargestellt aus den Trümmern seines Werkes und den Zeugnissen der Alten
Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811)
I. Teil. Von der philosophischen Theologie
II. Teil. Von der historischen Theologie
III. Teil. Von der praktischen Theologie
Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Zweite umgearbeitete Ausgabe (1830). Nebst den Marginalien aus Schleiermachers Handexemplar
I. Teil. Von der philosophischen Theologie
II. Teil. Von der historischen Theologie
III. Teil. Von der praktischen Theologie
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Namensregister
Register der Bibelstellen
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Kritische Gesamtausgabe: Band 6 Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums
 9783110810677, 9783110156386

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Friedrich Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe I. Abt. Band 6

W G DE

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Hermann Fischer und Gerhard Ebeling, Heinz Kimmerle, Günter Meckenstock, Kurt-Victor Selge

Erste Abteilung Schriften und Entwürfe Band 6

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Universitätsschriften Herakleitos Kurze Darstellung des theologischen Studiums

Herausgegeben von Dirk Schmid

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche

Bibliothek



ClP-Einheitsaufnahme

Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe / Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Im Auftr. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hrsg. von Hermann Fischer ... — Berlin ; New York : de Gruyter Teilw. hrsg. von H a n s - J o a c h i m Birkner. — Abt. 1. Schriften und Entwürfe Bd. 6. Universitätsschriften; Herakleitos; Kurze Darstellung des theologischen Studiums / hrsg. von Dirk Schmid. - 1998 ISBN 3 - 1 1 - 0 1 5 6 3 8 - 5

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter G m b H & C o . , D - 1 0 7 8 5 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Rudolf Hübler, Berlin Satz und Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & B a u e r - G m b H , Berlin Gefördert im Rahmen des Akademienprogramms durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sowie das Land Schleswig-Holstein

Inhaltsverzeichnis Einleitung des Bandherausgebers

IX

I. Historische Einführung X 1. Universitätsschriften X a) Schleiermachers Rezension von Zwey Schreiben die Errichtung einer akademischen Lehranstalt in Berlin betreffend XI b) Schleier mach ers Rezension von Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der Universität Halle nach Berlin und Soll in Berlin eine Universität seyn? XIII c) Gelegentliche Gedanken über Universitäten XIV 2. Herakleitos der dunkle, von Ephesos XXV 3. Kurze Darstellung des theologischen Studiums XXXV a) Kurze Darstellung des theologischen Studiums (1. Auflage 1811) XXXIX b) Kurze Darstellung des theologischen Studiums (2. Auflage 1830) LXIII c) Schleiermachers Marginalien aus seinem Handexemplar der zweiten Auflage LXXV1I IL Editorischer Bericht Rezension von: Zwey Schreiben die Errichtung einer Lehranstalt in Berlin betreffend

LXXXI akademischen 1

Rezension von: Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der Universität Halle nach Berlin und Soll in Berlin eine Universität seyn?

7

Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende Vorrede 1. Vom Verhältnis des wissenschaftlichen Vereins zum Staate . 2. Von Schulen, Universitäten und Akademien 3. Nähere Betrachtung der Universität im Allgemeinen 4. Von den Fakultäten 5. Von den Sitten der Universität und von der Aufsicht 6. Von der Erteilung der gelehrten Würden Anhang über eine neu zu errichtende Universität

15 19 21 30 42 52 68 79 86

VI

Inhaltsverzeichnis

Herakleitos der dunkle, von Ephesos, dargestellt aus den Trümmern seines Werkes und den Zeugnissen der Alten 101 Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811) 243 Vorrede 247 Einleitung 249 I. Teil. Von der philosophischen Theologie Einleitung 1. Von den Grundsätzen der Apologetik 2. Von den Grundsätzen der Polemik Schluß IL Teil. Von der historischen Theologie Einleitung 1. Von der exegetischen Theologie 2. Von der historischen Theologie im engeren Sinne oder der Kirchengeschichte 3. Von der geschichtlichen Kenntnis des Christentums in seinem gegenwärtigen Zustande Schluß

256 259 262 264 265 271 279 287 297

Hl. Teil. Von der praktischen Theologie Einleitung 1. Von der Theorie des Kirchenregiments 2. Von der Theorie des Kirchendienstes Schluß

300 304 309 314

Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Zweite umgearbeitete Ausgabe (1830). Nebst den Marginalien aus Schleiermachers Handexemplar Vorerinnerung zur ersten Ausgabe Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe Inhalt Einleitung

317 321 322 323 325

I. Teil. Von der philosophischen Theologie Einleitung 1. Grundsätze der Apologetik 2. Grundsätze der Polemik Schlußbetrachtungen über die philosophische Theologie IL Teil. Von der historischen Theologie Einleitung

338 342 346 350 353

Inhaltsverzeichnis 1. Die exegetische Theologie 2. Die historische Theologie im engeren Sinn oder die Kirchengeschichte 3. Die geschichtliche Kenntnis von dem gegenwärtigen Zustande des Christentums 1. Die dogmatische Theologie IL Die kirchliche Satitik Schlußbetrachtungen über die historische Theologie

VII

365 380 393 395 408 413

1IL Teil. Von der praktischen Theologie Einleitung 1. Die Grundsätze des Kirchendienstes 2. Die Grundsätze des Kirchenregimentes Schlußbetrachtungen über die praktische Theologie

417 424 434 445

Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Namensregister Register der Bibelstellen

447 450 468 474

Einleitung des

Bandherausgebers

Der vorliegende Band „Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums" der Kritischen Gesamtausgabe (KGA) Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (1768—1834)1 eröffnet hinsichtlich der Bandzählung der Ersten Abteilung die Reihe von Bänden, in denen die Schriften und Entwürfe aus Schleiermachers Berliner Zeit von 1807 bis 1834 zur Veröffentlichung kommen. Schleiermacher, seit dem Wintersemester 1804/05 Theologieprofessor und Universitätsprediger an der Friedrichs-Universität zu Halle an der Saale, büßt im Strudel der geschichtlichen Ereignisse, in denen Preußen im Gefolge der militärischen Niederlage gegen Napoleon u. a. auch seine Universitätsstadt Halle verliert, seine dortige berufliche Stellung ein. Er hält sich bereits von Ende Mai bis Anfang Oktober 1807 in Berlin auf, kehrt dann noch einmal nach Halle zurück, bis er schließlich im Dezember des Jahres 1807 endgültig nach Berlin übersiedelt. Dort findet er seit 1809 als reformierter Prediger an der Dreifaltigkeitskirche und seit 1810 zugleich als Professor der Theologie an der neugegründeten Friedrich-WilhelmsUniversität eine neue Wirkungsstätte. Der vorliegende Band KGA 1/6 enthält, im Titel unter der Überschrift „Universitätsschriften" zusammengefaßt, zwei Rezensionen Schleiermachers aus den Jahren 1807 und 1808 zu universitätstheoretischen und -politischen Schriften sowie seinen eigenen diesbezüglichen Beitrag „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn" von 18082, sodann die im selben Jahr erschienene altphilologische Ab1

1

Zitatnachweise und Belegverweise ohne Angabe des Autors beziehen sich, wenn sich aus dem Zusammenhang nichts anderes ergibt, auf Friedrich Schleiermacher. In dem vorliegenden Band sind zwei Texte Schleiermachers nicht aufgenommen worden, die man unter rein inhaltlichem Aspekt den Universitätsschriften zuordnen könnte. Es handelt sich hierbei um die beiden Denkschriften „Ueber die Einrichtung der theologischen Facultät" und „Entwurf zu Errichtung eines Universitäts Gottesdienstes in Berlin", die Schleiermacher der Einrichtungskommission für die Universität in Berlin vorgelegt hat. Die Manuskripte befinden sich bei den Akten des Kultusministeriums im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (Rep- 76. V. a. Sekt. 2. Tit. I. Nr. 4). Beide Texte sind, orthographisch modernisiert, abgedruckt bei Rudolf Köpke: Die Gründung der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1860 (Neudruck Aalen 1981), S. 211-214. 214-216. Auf ihre kritische Edition im vorliegenden Band wurde verzichtet, weil es sich bei ihnen um die, durch ihre Veröffentlichung bei Köpke lediglich besonders prominent gewordenen, Vertreter einer umfänglichen, besonderen Gattung des schriftlichen Nachlasses Schleiermachers handelt, nämlich um literarische Dokumente seiner amtlichen Tätigkeit, vor allem in den Bereichen Universität, Schule, Akademie und Kirche. Die Sammlung, Sichtung und

χ

Einleitung des

Bandherausgebers

Handlung „Herakleitos der dunkle, von Ephesos" und schließlich die beiden von Schleiermacher veranstalteten Auflagen seiner gedruckten theologischen Enzyklopädie „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" von 1811 bzw. 1830, einschließlich der handschriftlichen Randnotizen (Marginalien) aus seinem Handexemplar der zweiten Auflage. Diese Marginalien werden hier überhaupt zum ersten Mal3, die beiden Rezensionen sowie die Erstauflage der „Kurzen Darstellung", als solche und für sich, erstmals wieder seit ihrem Erstdruck veröffentlicht.

1. Historische 1.

Einführung

Universitätsschriften

Im sogenannten Vierten Koalitionskrieg gegen Napoleon 1. erleidet Preußen in den Jahren 1806/07 an der Seite Sachsens und Rußlands eine schwere militärische und politische Niederlage. Die Siege Napoleons über die preußisch-sächsische Armee in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806, über die preußische Armee bei PreußischEylau im Februar 1807 sowie über die Armee des russischen Zaren im Juni 1807 bei Friedland entscheiden den Krieg militärisch. Preußen ist gezwungen, Frieden zu schließen, und büßt im Friedensvertrag von Tilsit vom 9. Juli 1807 seine gesamten westelbischen Besitzungen und große Teile ehemals polnischer Gebiete ein. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen wird die Friedrichs-Universität zu Halle nach der Besetzung der Stadt durch französische Truppen bereits im Oktober 1806 von Napoleon vorläufig geschlossen und geht dann nach dem Frieden von Tilsit endgültig in den Besitz des neugegründeten Königreichs Westfalen über. Preußen verliert damit seine größte und bedeutendste Universität; ihm verbleiben lediglich die beiden kleineren und peripher gelegenen Hochschulen in Frankfurt an der Oder und in Königsberg. Der Verlust der Hallenser Universität löst eine breit und aufgeregt geführte öffentliche literarische Diskussion aus, vor allem natürlich in den Preußischen Landen, aber auch über ihre Grenzen hinaus. In ihr

3

Bearbeitung dieser Texte wird noch eine geraume Zeit in Anspruch nehmen. Erst dann kann darüber entschieden werden, in welchem Maße und in welcher Gestalt diese Texte und Dokumente innerhalb der KG Α veröffentlicht werden. Die Edition zweier Texte aus diesem Bereich, so interessant sie auch, gerade im Hinblick auf die „Gelegentlichen Gedanken", sein mögen, wäre eine völlig willkürliche Auswahl. Nicolaas Groot (Wedenschap en Theologie bij Friedrich Schleiermacher, Diss. Leiden 1994) hat eine Reihe dieser Marginalien in seiner Untersuchung zu Schleiermachers Theologie- und Wissenschaftsbegriff herangezogen und zitiert.

Historische Einführung

XI

geht es unmittelbar und vordergründig um die Frage, wie die erlittene Einbuße einer Universität für Preußen zu kompensieren sei; ob eine der beiden verbliebenen Universitäten ausgebaut werden solle oder aber eine neue Universität zu gründen sei und, wenn ja, an welchem Orte; insbesondere zieht bald schon die konkrete Frage die Aufmerksamkeit auf sich, ob denn Berlin, das schnell als Ort einer möglichen Universitätsneugründung ins Gespräch gebracht worden zu sein scheint, eine geeignete Stätte sein könne oder nicht. Doch kommen im Zusammenhang der Diskussion solcher vorrangig anstehender Fragen zugleich die weitergehenden Probleme einer Reform der bestehenden Universität im allgemeinen zur Sprache. Diese Problemstellung wiederum ist noch einmal eingebettet in den Umkreis der Debatten um eine allgemeine Bildungsreform, die im Zuge der Aufklärungsbewegung bereits seit dem späteren 18. Jahrhundert geführt worden sind. Schließlich münden in die Diskussion um die künftige Zahl, Lage und Gestalt der preußischen Universitäten auch die weiterreichenden Diskussionsgesichtspunkte ein, die sich aus der — durch den militärisch-politischen Zusammenbruch Preußens nur allzu deutlich gewordenen — Notwendigkeit einer umfassenden Reform der gesamten Gesellschaft, der Strukturen ihrer sozialen, politischen und rechtlichen Verfaßtheit, ergeben. An dieser öffentlichen Debatte beteiligt sich auch Schleiermacher mit drei literarischen Produktionen4: In zwei kurzen, anonym (bzw. streng genommen: kryptogrammatisch) erschienenen Rezensionen vom Dezember 1807 bzw. Januar 1808 setzt er sich mit drei Schriften auseinander, die ihrerseits Diskussionsbeiträge zur Universitätsfrage darstellen, und steuert dann mit seinem Buch „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende" aus dem Jahre 1808 seinerseits eine eigene und ausführliche öffentliche Stellungnahme bei. a) Schleiermachers Rezension von Zwey Schreiben die Errichtung einer akademischen Lehranstalt in Berlin betreffend Im Jahre 1807 erscheint im Verlag Wilhelm Dieterici in Berlin und im Verlag J. G. Mittler in Leipzig anonym ein Buch mit dem Titel „Zwey Schreiben die Errichtung einer akademischen Lehranstalt in Berlin betreffend". Die Schrift gibt sich, wie bereits der Titel andeutet, die Gestalt 4

Zum weiteren Kontext der Bildungs- und Universitätsreform gehört natürlich auch noch Schleiermachers Rezension von Zöllners Ideen über National-Erziehung (1804), in: ]ALZ, Nr. 13-15 vom 15.-17. Januar 1805, Sp. 98-114; Schriften aus der Hallenser Zeit 1804-1807, hg. v. H. Patsch, Berlin/New York 1995, KG A 1/5, S. 1-25.

XII

Einleitung des

Bandherausgebers

zweier Schreiben unterschiedlicher Autoren. Das erste Schreiben trägt die Unterschrift „Halle, den 12. Oct. 1807. F. S."; es umfaßt vierzehn Druckseiten (S. 3 — 16). Das Antwortschreiben ist unterzeichnet „Berlin, den 18. Oct. 1807. G. S."; es ist mit seinen vierundzwanzig Seiten (S. 17—40) etwas umfänglicher als das erste. Ob es sich hierbei wirklich um die beiden Briefe zweier unterschiedlicher Verfasser handelt oder aber um einen fiktiven Schriftwechsel, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Schleiermacher geht in seiner Rezension wie selbstverständlich von letzterem aus. In diesem Fall könnte es sich bei dem Verfasser um den Geheimrat Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760-1831) handeln.5 Mit Sicherheit läßt sich das freilich nicht mehr ermitteln.6 Der Hallenser Schreiber befürwortet aus seiner Sicht die Neugründung einer Universität in Berlin, ja äußert sich passagenweise geradezu begeistert zu diesem Projekt. Seine beiden Hauptgesichtspunkte sind, daß zum einen die Residenzstadt Berlin mit ihren zahlreichen kulturellen Einrichtungen und dem insgesamt städtisch-bürgerlichen Lebensstil einen allgemein kultivierenden und vielseitig bildenden Einfluß auf die studentische Jugend haben wird und daß zum anderen Berlin aufgrund der dort bereits vorhandenen Infrastruktur (Bibliotheken, wissenschaftliche Einrichtungen u. ä.) eine kostengünstige Lösung wäre. Der Berliner trägt in seinem Antwortbrief seine Bedenken dagegen vor.7 Für ihn überwiegen die Fleiß und Gesittung der Studenten gefährdenden, zahllose Gelegenheiten zu Ablenkungen, Zerstreuungen und lasterhaftem Zeitvertreib bietenden Einflüsse der Residenz- und Großstadt8 Berlin bei weitem ihre Vorteile. Auch wirtschaftlich gesehen steht dem finanziellen Vorteil hinsichtlich der Gründungskosten der Nachteil erheblich höherer Lebenshaltungskosten für die Studierenden entgegen. Dadurch, daß das zweite Schreiben die Gründe des Hallensers für Berlin als Standort einer neuen Universität wirksam zu entkräften trachtet und seine eigenen Bedenken unerwidert am Schluß stehen, scheint das Werk insgesamt, bei aller Behutsamkeit, eine Ausrichtung gegen das Projekt einer Universitätsgründung in der preußischen Hauptstadt zu erhalten. Schleiermachers Rezension der „Zwey Schreiben" erscheint in der Nummer 294 der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung' (JALZ) vom 17. Dezember 1807, in den Spalten 535 f. Der Druck ist zweispaltig zu 5

6

7

8

Vgl. Bibliographie der Schriften Schleiermachers, bearbeitet v. W. v. Meding, Sehl A 9, Berlin/New York 1992, S. 36 Eine Anfrage bei den Verlagen bzw. ihren Nachfolgern hat ergeben, daß Archivbestände aus jener Zeit offensichtlich nicht mehr existieren. Sollten die Initialen „F." und „G." vor dem „S." (Schmalz?) etwa „Für" und „Gegen" bedeuten? Um sich keine falschen Vorstellungen zu machen: Selbst diese Großstadt kann man 1807 nach der eigenen Angabe des Verfassers des zweiten Schreibens in einer knappen Stunde zu Fuß durchqueren (vgl. a. a. O., S. 27).

Historische

Einführung

XIII

je 75 Zeilen gesetzt, Schleiermachers Beitrag füllt die gesamte linke Spalte und reicht in der rechten Spalte bis Zeile 45; der Satzspiegel für die gesamte Seite beträgt ca. 17,5 cm in der Breite und 22 cm in der Höhe. Die Rezension ist unterschrieben mit dem Kryptogramm „Pr. Η.", das möglicherweise für „Prediger" oder „Professor" „Halae" oder „Halle" stehen könnte. Daß es sich jedenfalls um eine Rezension aus der Feder Schleiermachers handelt, diese Erkenntnis verdanken wir der Forschungstätigkeit von Karl Bulling9, der das Archiv der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung gesichtet hat. Über die Entstehung der Rezension wissen wir schlechterdings nichts. Sie ist am 5. Dezember 1807 bei der Redaktion der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung eingegangen10 und zwölf Tage später gedruckt erschienen. Eine weitere Veröffentlichung dieses Drucktextes Schleiermachers hat es seit seinem Urdruck meines Wissens nicht gegeben. b) Schleiermachers Rezension von Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der Universität Halle nach Berlin und Soll in Berlin eine Universität seyn? Im Jahre 1807 erscheint im Verlag Wilhelm Dieterici in Berlin und im Verlag J. G. Mittler in Leipzig anonym das „Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der Universität Halle nach Berlin", das bereits im Titel Bezug nimmt auf das zweite der „Zwey Schreiben die Errichtung einer akademischen Lehranstalt in Berlin betreffend" (Berlin/Leipzig 1807). Das Sendschreiben trägt die Unterschrift „Berlin, den 30sten November 1807". Die zwanzig Druckseiten (paginiert: [3]—22) umfassende Schrift unterstützt nachdrücklich die von „G. S." bereits geäußerten moralischen und ökonomischen Bedenken gegen den Universitätsstandort Berlin und plädiert selbst für eine Zusammenlegung der verlorenen Hallenser mit der Hochschule in Frankfurt an der Oder. Ebenfalls anonym erscheint in Berlin mit dem Druckdatum 1808, möglicherweise aber noch Ende 1807 erschienen, die einhundertunddreizehn Seiten starke Abhandlung „Soll in Berlin eine Universität seyn? Ein Vorspiel zur künftigen Untersuchung dieser Frage". Sie zählt zunächst die Vorteile auf, die die Neugründung einer Universität in Berlin hätte: Die Tatsache, daß die Residenzstadt bereits zahlreiche Bibliotheken, wis9

10

Vgl. Karl Bulling: Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens 1804—1813, Claves Jenenses 11, Weimar 1962, S. 174. 350 Vgl. Bulling: Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung, S. 174

Einleitung des Bandherausgebers

XIV

senschaftlicbe Institute und gelehrte Männer aufzuweisen hat, würden Kosten und Mühen für den Aufbau einer Hochschule verhältnismäßig gering halten; Berlin selbst würde zweifelsfrei von der Errichtung eines großen Lehrinstituts profitieren.u Diesem kürzeren ersten Teil schließt sich dann die ausführliche Entkräftung der genannten Argumente für eine Berliner Universität und die Auflistung weiterer dagegensprechender 12 Gesichtspunkte an , unter denen wiederum der Hinweis auf den die Moralität der studentischen Jugend gefährdenden Einfluß der großen Stadt einen bedeutenden Stellenwert besitzt. In beiden Fällen konnte die Anonymität der Verfasser beider Veröffentlichungen nicht aufgeklärt werden.13, Schleiermacher rezensiert beide Schriften zusammen in einer Besprechung, die in der Nummer 23 der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung (JALZ) vom 27. Januar 1808, in den Spalten 183 f erscheint. Dabei fällt die Besprechung des „Sendschreiben an Herrn G. S." insgesamt sehr knapp aus; den weitaus größeren Teil nehmen die Bemerkungen zu „Soll in Berlin ein Universität seyn?" ein. Der Druck der Rezension ist zweispaltig zu je 75 Zeilen gesetzt, der Satzspiegel für die gesamte Seite beträgt ca. 17,5 cm in der Breite und 22 cm in der Höhe; Schleiermachers Beitrag füllt in der linken Spalte die Zeilen 34 bis 70, in der rechten Spalte die Zeilen 1 bis 70. Die Rezension ist unterschrieben mit dem Kryptogramm „Pr. Η.", das möglicherweise für Prediger oder Professor Halae oder Halle stehen könnte. Karl Bulling hat aufgrund seiner Einsichtnahme in das Archiv der Allgemeinen Jenaischen Literaturzeitung den Nachweis geführt, daß Schleier mach er der Autor dieser Rezension ist.14 Über die Entstehung der Rezension wissen wir nichts. Sie ist am 26. Januar 1808 bei der Redaktion der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung eingegangen15 und sofort am nächsten Tag gedruckt worden. Sie dürfte wohl erst im Januar geschrieben worden sein. Seit seinem Urdruck hat es eine erneute Veröffentlichung dieses Drucktextes Schleiermachers meines Wissens nicht gegeben. c) Gelegentliche Gedanken über Universitäten Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende" erscheinen mit dem Druckdatum 1808 in Berlin im Verlag der Realschul11 12 13 14 15

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Soll in Berlin eine Universität Soll in Berlin eine Universität Anm. 6 Bulling: Die Rezensenten der Bulling: Die Rezensenten der

seyn?, S. 5 — 25 seyn?, S. 26—115 Jenaischen Jenaischen

Allgemeinen Allgemeinen

Literaturzeitung, Literaturzeitung,

S. 178 S. 178

Historische

Einführung

XV

buchhandlung seines Verlegers und Freundes Georg Keimer. Oer Druck umfaßt, außer den acht Seiten Titelei und Vorrede, 176 im Satzspiegel von 7 cm Breite und 12,5 cm Höhe bedruckte Seiten zu in der Kegel 24 Zeilen, die Seiten 1 — 160 in 10 Bögen (A—K) zu je 16, die Seiten 161 — 176 in 2 Bögen (L—M) zu je 8 Seiten. Entstehung Schleiermachers Schrift „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn" dürfte nicht allein durch die allgemeine öffentliche Debatte um die preußische Universitätspolitik im Gefolge des Verlustes der Hallenser Lehranstalt veranlaßt worden sein. Es läßt sich vielmehr wahrscheinlich machen, daß ihr darüberhinaus ein genauer benennbarer Auslöser zugrundeliegt16: In seiner Kabinettsorder vom 4. September 1807 beauftragt König Friedrich Wilhelm III. seinen Kabinettschef Beyme mit der Errichtung der Universität in Berlin und stattet ihn hierfür mit allen nötigen Vollmachten aus. Eine der ersten Maßnahmen Beymes besteht nun darin, die Erstellung schriftlicher Gutachten über Gestalt und Organisation der Universität im allgemeinen und einzelner Fachgebiete im besonderen zu veranlassen. Er wendet sich zu diesem Zweck an die Hallenser, oder eben ehemaligen Hallenser, Professoren Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760—1831), insbesondere im Hinblick auf die Konzeption der Juristischen Fakultät, Ludwig Friedrich Froriep (1779—1847), Johann Christian Reil (1758—1813), beide in Sonderheit hinsichtlich der Gestaltung der Medizinischen Fakultät, Friedrich August Wolf (1759-1824) und Christian Gottfried Schütz (1747-1832), die beide sowohl das Ganze der Universität als auch die Planung der Philosophischen Fakultät in ihrem Gutachten bedenken sollen, sowie schließlich an drei Berliner, die einen Plan für das Gesamtunternehmen der Berliner Universität entwerfen sollen: den Oberkonsistorialrat Johann Wilhelm Heinrich Nolte (1767—1832), den Direktor der Berliner Charite und Leibarzt der Preußischen Königin Luise Christoph Wilhelm Hufeland (1762—1836) und den Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762—1814). Man sieht: Schleiermacher ist, obwohl selbst Hallenser Professor und bereits von Beyme für einen Lehrstuhl der neuen Berliner Theologischen Fakultät vorgesehen, nicht unter denjenigen, die um ihre offizielle Stellungnahme gebeten werden. Gleichzeitig dürfte er aber insbesondere von Friedrich August Wolf, aber auch von den anderen Hallenser Kollegen von der an sie ergangenen Aufforderung zur Erstellung von Gutachten erfahren haben. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß dies 16

Zum Folgenden vgl. Max Lenz: Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1-4, Halle a. d. S. 1910, Bd. 1, S. 80 f f . 122 ff

XVI

Einleitung des

Bandherausgebers

der Auslöser dafür gewesen ist, daß Schleiermacher sich entschließt, eine Art eigenes Gutachten in der Gestalt einer Druckschrift über Universitäten im allgemeinen und über eine neuzugründende im besonderen in die Debatte zu werfen.17 Dabei kann, neben der unbezweifelbaren Sorge um die Sache, auch das Gefühl, übergangen worden zu sein, als stimulierendes Motiv eine Rolle gespielt haben. Wann Schleiermacher den Plan faßt, sich auf dem Wege einer literarischen Veröffentlichung an den vorlaufenden Konzeptionen und Planungen zur Gründung und Gestaltung einer Universität in Berlin zu beteiligen, und wann er damit beginnt, einen solchen Plan in die Tat umzusetzen, wissen wir nicht genau. Wir besitzen lediglich ein einziges Zeugnis, das die Arbeit an den gelegentlichen Gedanken dokumentiert. Hierbei handelt es sich um einen Hallenser Brief aus dem Nachlaß Schleiermachers an Georg Reimer vom 6. November 1807. Darin heißt es: „Ich bin jezt, wenn mir nicht mein Kopf schlechte Späße macht was er zuweilen thut ziemlich im Arbeiten drin sowol an den Predigten als an der andern kleinen Schrift mit der ich gern möglichst eilen möchte. Ich schikke sie Dir sobald sie fertig ist denn ich möchte Dir nicht gern zureden sie hier drukken zu lassen [...]."18 Reimers Antwort auf diesen Brief enthält bereits die Vermutung, es handele sich bei der „kleinen Schrift" um Schleiermachers Universitätsschrift. Reimer antwortet am 11. November 1807 aus Berlin: „Du sprichst in Deinem Briefe von einer kleinen Schrift die Du einsenden würdest, und setzest es als bekannt voraus, daß ich davon wüßte; ich vermuthe also es sei der Plan zur Errichtung einer Universität. Ich will sie gern hier drucken lassen, und zwar um deshalb damit Du durch den Druck nicht dort noch unnöthig aufgehalten werdest; sonst habe ich nichts gegen den Druck in Halle."19 Demzufolge hätte Schleiermacher also spätestens seit Anfang November 1807 in Halle an den gelegentlichen Gedanken' gearbeitet. Als terminus a quo eines denkbaren Arbeitsbeginns wäre, ohne daß es dafür einen ausdrücklichen Beleg gäbe, Schleiermachers Rückkehr nach Halle von seinem Berliner Sommer auf enthalt — vermutlich am 10. oder 11. Oktober 180720 — zu erwägen. Jedenfalls hätte er wohl erst in Halle von seinen Kollegen erfahren können, daß sie um die Erstellung von 17 18

19

20

Vgl. Lenz, Bd. 1, S. 122 ff SN 761/1, Bl. 89r. Die Transkription des Briefwechsels Schleiermacher/Reimer ist mir freundlicherweise von Andreas Arndt und Wolfgang Virmond zur Verfügung gestellt worden. SN 358, Bl. 152r; vgl. Lenz Bd. 1, S. 124. Bei Lenz liegt ein Druckfehler in der Datierung vor: „11. November 1809[!]". Den Nachweis für dieses Datum führt überzeugend Lenz, Bd. 1, S. 124 (Anm. 1); vgl. außerdem Schleiermachers Brief aus Berlin vom 18. September 1807 an Gaß (Br. Gaß S. 72).

Historische Einführung

XVII

Gutachten gebeten worden seien. Wann die Arbeit abgeschlossen worden ist, ob Schleiermacher das Manuskript bereits vor seiner eigenen Abreise aus Halle, Anfang Dezember 180721, zum Druck nach Berlin geschickt oder es bei seiner Umsiedlung selbst dorthin mitgenommen oder gar erst in Berlin vollendet hat, wissen wir beim Stand unserer gegenwärtigen Quellenlage nicht. Zwischen Schleiermacher und Keimer muß es aber noch zu weiteren schriftlichen oder mündlichen Unterredungen über das Projekt der, Gelegentlichen Gedanken' gekommen sein, die entweder schon, da Keimer sich ja als bereits eingeweiht in den Plan der literarischen Unternehmung Schleiermachers ausweist, zeitlich vor dem zitierten Briefwechsel oder aber auch erst danach stattgefunden haben können. In diesen Unterredungen geht es darum, daß Schleiermacher beabsichtigt, seine Universitätsschrift anonym erscheinen zu lassen, Keimer ihn aber davon überzeugen kann, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen. Schleiermacher berichtet seinem Freund Karl Gustav Brinckmann in einem Brief vom 1. März 1808 aus Berlin: „Laß mich Dir zuerst eine kleine Apologie halten für die kleine Schrift über Universitäten. Meine Absicht war sie ganz anonym herauszugeben, und dies bitte ich Dich ja nicht zu vergessen wenn Du sie liesest. Freilich habe ich nicht gehofft unendeckt zu bleiben, wie ich denn fürchte, daß mir das nie gelingen wird, aber dennoch macht es einen großen Unterschied in der Art die Sachen zu sagen. Wie man manches von einem Andern spricht hinter seinem Kücken, ganz unbesorgt darum, ob er es wieder erfahren wird oder nicht, was man ihm doch um keinen Preis selbst grade ins Gesicht sagen würde, so scheint es mir auch hiemit. Keimer überredete mich hernach die Anonymität fahren zu lassen, weil die Schrift sonst zu lange für das größere Publikum unter einer Menge unbedeutender ähnlichen Inhalts sich verbergen würde: ein Grund dem ich nachgeben mußte. Damals war aber nicht mehr Zeit irgend etwas zu ändern. So hat man schon vorzüglich die paar Federstriche über Engel getadelt21, die mir sehr zweckmäßig schienen um die regierenden Laien aufmerksam darauf zu machen, wie wenig der Mann sich eignete einen solchen Plan zu entwerfen; die ich aber gewiß in meiner eignen Person anders würde gefaßt haben. Einige Freunde hier haben geurtheilt die ganze Schrift überzeuge so sehr davon daß Berlin nicht der Ort für eine Universität sei, daß der Anhang den Eindruck nicht wieder verlöschen könne. Das wäre freilich sehr gegen meine Ab21 22

Vgl. KG A 1/5, Einleitung S. XXVIIf und besonders Anm. 93 Vgl. ζ. B. die anonym erschienen Rezension in den Neuen Theologischen Annalen, hg. von L. Wachler, Marburg [18081, S. 665—687, hier S. 667: „Das ganze bündige Räsonnement hätte durch die bitteren Seitenblicke auf Frankfurt an der Oder und auf Engel, welcher ehemals die Errichtung einer großen Unterrichts-Anstalt in Berlin vorgeschlagen hat, nicht entstellt werden sollen."

XVIII

Einleitung

des

Bandherausgebers

sieht, und sollte dieser Eindruck allgemein sein, so würde es mir Leid thun nicht noch ein paar Bogen an den Anhang gewendet zu haben. Meine Hauptabsicht indeß war nur den Gegensaz zwischen den deutschen Universitäten und den französischen Spezialschulen recht anschaulich, und den Werth unserer einheimischen Form einleuchtend zu machen, ohne eben gegen die andere direct zu polemisiren."23 Dem Brief läßt sich zugleich entnehmen, daß zum Zeitpunkt seiner Abfassung, am 1. März 1808, die gelegentlichen Gedanken' bereits erschienen sind, wenn auch vermutlich noch nicht allzu lange. Nur so erklärt sich, daß Schleiermacher einerseits damit rechnet, Brinckmann könne sie bereits lesen, aber andererseits noch nicht gelesen haben („wenn Du sie liesest"); wahrscheinlich versendet Schleiermacher mit seinem Brief an Brinkmann allererst ein Exemplar der gelegentlichen Gedanken' an seinen schwedischen Freund. Andererseits müssen aber die von Schleiermacher in dem Brief erwähnten Freunde schon die Zeit gehabt haben, die Schrift zu lesen und sich darüber mit dem Autor auszutauschen. Das spräche vielleicht für einen Erscheinungstermin bis etwa Mitte Februar 1808. Für diesen Zeitraum kann man vielleicht weiterhin ins Feld führen, daß Schleiermacher am 29. März brieflich das Gerücht kolportiert, der Freiherr vom und zum Stein solle seine Universitätsschrift gelesen haben.14 Schließlich verzeichnet auch der Meßkatalog „Allgemeines Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse [...] entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige noch herauskommen sollen", das Buch als zur Ostermesse 1808 bereits erschienen.25 Und endlich sehen wir Schleiermacher seit dem 8. März dann intensiv mit dem nächsten literarischen Projekt beschäftigt: der Ausarbeitung des „Herakleitos" 26 Zur

Wirkungsgeschichte

Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken" haben einige Beachtung gefunden. Wie man seinem eigenen, schon zitierten Brief an Brinkmann vom 1. März 1808 entnehmen kann, wird das Buch im Umkreis der Berliner Freunde und Bekannten seines Autors offenkundig gelesen und, u. a. mit dem Autor, besprochen. Auch über die Grenzen Berlins und Preußens hinweg schenken Weggefährten der neuen Veröffentlichung 23 24 25 26

Br. 4, S. 149 Br. 4, S. 155 Vgl. Bibliographie der Schriften Schleiermachers, S. 35 Vgl. unten XXVII-XXIX

Historische

Einführung

XIX

ihre Aufmerksamkeit. So wissen wir beispielsweise von Schleiermachers ehemaligem Berliner Freund und Mitbewohner Friedrich Schlegel, daß er die ,Gelegentlichen Gedanken' zur Kenntnis genommen hat. Aus Dresden schreibt er am 9. Juni 1808 an Schleiermacher: „Deine Schrift über die Universitäten las ich mit vielem Interesse; freilich aber sind Deine Ideen nicht auf alle deutschen Länder gleich anwendbar."27 Darüberhinaus scheint das Buch Eingang auch in diejenigen Kreise der politischen Elite gefunden zu haben, die für die Zukunft Preußens die Verantwortung zu übernehmen bereit sind oder sie längst übernommen haben. Folgendes weiß Schleiermacher selbst zu berichten: „Meine Universitätsgedanken soll Stein gelesen haben oder wenigstens haben lesen wollen. Die Vorliebe für Berlin ist darin nur sehr mäßig, aber doch scheinen sie ihm nicht gefallen zu haben, sonst würde ich wol schon ein Wort darüber gehört haben. In dieser Hinsicht hätte ich sie also umsonst geschrieben, denn ich wünschte wirklich man sollte manches für die Organisation daraus lernen."28 Endlich nehmen sich auch übliche Rezensionsorgane der Schrift Schleiermachers an: Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken" werden besprochen in den ,Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur für Philologie, Historie, Literatur und Kunst', 1. Jg. 1808, Heft 3, S. 297—305. Die anonym erschienene Rezension stammt von Friedrich Karl von Savigny.29 Savigny (1779—1861), als Schwager von Clemens und Bettina Brentano und Achim von Arnim mit der romantischen Bewegung verbunden, seit 1800 zunächst in Marburg, seit 1803/04 in Landshut als außerordentlicher, ab 1808 als ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft tätig, wird 1810 Schleiermachers Kollege an der Berliner Universität. Seine Rezension der Schleiermacherschen Universitätsschrift beginnt im Ton der Bewunderung für den Autor und des Lobes für seine Schrift, ein Ton, der, trotz mancher eingeschalteter Kritik im einzelnen, doch die freundliche und zustimmende Gesamtstellungnahme der Rezension repräsentiert: „Schon der Nähme eines so geistreichen, gemüthvollen Schriftstellers läßt ein bedeutendes Wort über einen Gegenstand erwarten, dessen ernstliche Erwägung gerade jetzt so wichtig ist: und wie schön wird diese Erwartung durch die Schrift selbst gerechtfertigt/"30 Savigny begründet seine hohe Einschätzung gleich eingangs in einer bündelnden Charakteristik des Ansatzes Schleiermachers, dessen wesentliches und eben Lob heischendes 27 28 19

30

Br. 3, S. 424 Brief vom 29. März 1808; Br. 4, S. 155 Die Rezension findet sich wiederabgedruckt in: F. K. Savigny: Vermischte Schriften, Bd. 4, Berlin 1850, S. 256-269. Heidelbergische Jahrbücher der Literatur für Philologie, Historie, Literatur und Kunst, 1. Jg. 1808, Heft 3, S. 297

XX

Einleitung des

Bandherausgebers

Merkmal er darin erblickt, daß Idealität und Geschichtlichkeit beide ihre rechte Berücksichtigung erfahren: „Besonders erfreulich ist es, daß der Verf. durch die Erforschung des idealen Zustandes der Universitäten keinesweges von der Würdigung der bestehenden Einrichtungen abgezogen worden ist; überall gelingt es ihm, die tiefe Bedeutung alter Sitte aufzuzeigen, worauf die aufgeklärte Menge schon längst als auf veraltete Formen mitleidig herabzusehen gewohnt ist. Die Erscheinung einer Schrift in diesem Geiste ist eben jetzt doppelt interessant, wo von Vielen die Fortdauer der besten unter unsern Universitäten in Zweifel gezogen wird Im weiteren Verlauf geht die Rezension dann die einzelnen Abschnitte der Universitätsschrift durch, faßt ihren Inhalt kurz und knapp zusammen, markiert Einwände oder Mißverständlichkeiten und hebt Einzelnes lobend hervor. So finden etwa im ersten Abschnitt über das Verhältnis von Universität und Staat einerseits Schleiermachers Bemerkungen über die Sprache als natürliche Grenzen von Staat und Universität32, andererseits Schleiermachers Kritik an der wissenschaftlichen Abschottungspolitik der einzelnen Staaten — „die wissenschaftliche Sperre"33 — die besondere Unterstützung des Rezensenten.34 Im zweiten Abschnitt über Schulen, Universitäten und Akademien sei die „ganze Entwicklung" der Idee der Universität „trefflich". „Nicht so befriedigend" hingegen scheine dem Rezensenten „die Darstellung der Akademie".35 Zum einen bemängelt Savigny hier, daß Schleiermacher der Nachweis nicht gelungen sei, daß es über den wissenschaftlichen Austausch unter den Meistern eines Faches hinaus auch einer „äußeren Anstalt" in Gestalt einer Akademie dazu bedürfe; zum anderen wünscht er sich, Schleiermacher „hätte sich erklärt, wie eine solche Anstalt, welche nicht, wie die Universität, durch eine bestimmte Aufgabe, und durch die erfrischende Berührung mit den Jünglingen lebendig erhalten wird, in die Länge bestehen könnte, ohne zu einer todten Form zu werden."36 31

32 33 34

35 36

A. a. O., S. 297. Nicht öffentlich, nämlich brieflich äußert sich Savigny übrigens deutlich zurückhaltender vor allem hinsichtlich der ideal-philosophischen Betrachtungsweise der Schleiermacherschen Universitätsschrift: „Was mir an der Schrift am meisten zuwider, obgleich nicht ganz klar ist, geht mehr das wissenschaftliche überhaupt als die Universität an: es ist eine philosophische Einseitigkeit, die immer auf ein engherziges Verkennen vieles Vortrefflichen führt." (Brief an Jacob Grimm aus dem Jahr 1808; zitiert nach Adolf Stoll: Der junge Savigny. Kinderjahre, Marburger und Landshuter Zeit Friedrich Karl von Savignys, Berlin 1927, S. 333) Vgl. unten 23,19-30 und 25,7-14 Unten 26,30 Vgl. Heidelbergische Jahrbücher der Literatur für Philologie, Historie, Literatur und Kunst, 1. Jg. 1808, Heft 3, S. 299 A. a. O., S. 300 A. a. O., S. 300

Historische

Einführung

XXI

Ungeteilte Zustimmung findet dann wieder der gesamte dritte Abschnitt über die Universitäten im Allgemeinen37, an dem noch Schleiermachers „Charakteristik des wahren Kathedervortrags" besonders hervorgehoben wird.39 Mit der „allgemeinen Ansicht der Facultäten", wie Schleiermacher sie im vierten Abschnitt entfaltet, erklärt sich Savigny „völlig einverstanden" und rühmt Schleiermacher als einen „sehr gründlichen Verth eidiger'* der hergebrachten und allseits verachteten und verworfenen Organisationsform der Universitäten.39 Kritik findet hier lediglich Schleiermachers historische Herleitung der drei oberen Fakultäten als Stiftungen des Staates.*0 Als bemerkenswert und bedeutend werden im einzelnen noch Schleiermachers Stellungnahmen zum Honorarwesen41, zu Seminarien42, Stipendien43 und zur „Nothwendigkeit demokratischer Verfassung der Universitäten"44 herausgestellt. So „wahr und geistreich" habe noch niemand über „das Wesen und den Werth der academischen Freyheit gesprochen" — so kommentiert Savigny Schleiermachers fünften Abschnitt zu Sitte und Aufsicht der Universität.45 Er bemängelt nur, daß Schleiermacher insgesamt noch zu defensiv vorgegangen sei,46 und gibt beispielsweise den über Schleiermachers Vorstellungen hinausgehenden Vorschlag zu bedenken, die Studenten selbst an der Wahrnehmung universitärer Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit zu beteiligen 47 Der sechste Abschnitt über die Erteilung der akademischen Grade sei „am wenigsten befriedigend in der ganzen Schrift" 4* Allerdings räumt der Rezensent die besondere Schwierigkeit ein, die darin besteht, „Vorschläge zu thun, bey einer Einrich[/]tung, die so sehr zu einer todten Form zusammengesunken ist, daß sie von Grund auf neu erbaut werden müßte."49 Angesichts dieser besonderen Schwierigkeit attestiert Savigny denn auch dem seiner Ansicht nach schwächsten Teil der Schrift, daß sich „auch hier der ernste gründliche Sinn" zeige, „der die ganze Schrift erfüllt".50 Auf den Anhang über eine neu zu errichtende Universität geht Savigny in seiner Rezension nicht ein. 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50

Vgl. a. a. A. a. O., A. a. O., Vgl. a. a. Vgl. a. a. Vgl. a. a. Vgl. a. a. A. a. O., A. a. O., Vgl. a. a. Vgl. a. a. A. a. O., A.a.O., A. a. O.,

O., S. 300 f S. 300; vgl. unten S. 301 O., S. 301 f; unten O., S. 302; unten O., S. 302; unten O., S. 302; unten S. 303; vgl. unten S. 303 O., S. 303 O., S. 304 S. 304 S. 304 f S. 305

47,35-50,16 53,14-19 59,23-60,6 60,7-61,43 62,1-16 67,22-68,26

XXII

Einleitung des

Bandherausgebers

Eine weitere Rezension zu Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken" findet sich unter dem Titel „Ueber deutsche Universitäten. Ein Wort der Zeit" im Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 132 bis 135 vom 2. — 5. Juni 1808, S. 525 f. 529 f. 533 f. 538 f. Die Rezension, ohne Namensnennung erschienen, ist im einzelnen nicht sonderlich aussagekräftig; sie gibt weitgehend lediglich den Gedankengang Schleiermachers wieder, dabei grob der Einteilung der rezensierten Schrift folgend51. Notierenswert ist lediglich die Betonung, mit der der Rezensent den eigentümlich deutschen Charakter der unterschiedlichen Bildungseinrichtungen52, des „philosophisch-systematischen Geiste[s]"53 sowie die „Eigenheit der neuern deutschen Bildung"54 hervorhebt. Schon einleitend, noch vor Eintritt in die eigentliche Besprechung des Buches, weist der Rezensent auf die Besonderheit der deutschen Institution der Universität hin: „Institute dieser Art, von diesem Umfange, von diesem liberalen, ächt philosophisch-systematischen Geiste treffen wir bey keiner andern Nation, selbst bey den gebildetsten nicht an [...]. Dies weist auf eine genaue Verbindung mit dem Geiste der Nation hin; aus ihm müssen sie unmittelbar entsprossen seyn, denn woher sonst ihre auffallende Eigenthümlichkeit?"55 Dieser Hochschätzung der nationalen Eigentümlichkeit durch den Rezensenten steht freilich in seiner eigenen Perspektive die geistigpolitische Situation gegenüber, die den Universitäten nicht eben günstig zu sein scheint: „Man hält sie [nämlich: die Universitäten] für alte gothische Ueberbleibsel einer Zeit, welche man seit Kurzem gewohnt ist barbarisch zu schelten, hält sie des Zeitgeistes für unwürdig, sieht sie für Schulen der Pedanterie und der Ungesittetheit an, und glaubt wenigstens, daß eine gänzliche Reform derselben statt finden müsse; ... wenn man sie nicht gar für bloße Gerüste eines Gebäudes zu halten geneigt ist, welches nun so weit vollendet dasteht, daß das Gerüste füglich abgebrochen werden könnte."56 Angesichts einer derart gezeichneten geistig-politischen Situation steht die Rezension von Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken" ganz offensichtlich im Dienst eines bewahrenden Interesses und stellt in diesem Sinne ihrerseits einen Beitrag zur universitätspoli51

52 53 54 55 56

Die Rezension behandelt S. 526 den ersten Abschnitt (das Verhältnis von Staat und Universität), S. 529 f und S. 533 f gemeinsam den zweiten und dritten Abschnitt (die Betrachtung der Universität im allgemeinen und in ihrem Verhältnis zu Schule und Akademie), S. 534 f die Fakultäten, S. 538 f den fünften Abschnitt (die Klage über die Sitten an der Universität) und S. 539, im letzten, kurzen Absatz, gedrängt den sechsten Abschnitt (die akademischen Würden) und den Anhang zur Neuerrichtung einer Universität in Berlin. Vgl. a. a. O., S. 529 A. a. O., S. 529 A. a. O., S. 533 A. a. O., S. 525 A. a. O., S. 525

Historische Einführung

XXIII

tischen Debatte dar, einen Beitrag, der sich eben im wesentlichen darauf beschränkt, einen anderen reden zu lassen. Auch die anonym veröffentlichte Rezension zu Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken", die in den Neuen Theologischen Annalen 1808 (hg. v. L. Wachler, Bd. 1, Marburg, November 1808, S. 665-687) veröffentlicht wird57, beschränkt sich weitgehend darauf, den Gedankengang der rezensierten Schrift ausführlich zu referieren. Sie läßt dabei kaum eine eigene Profilierung in der Besprechung erkennen. Die eingestreuten, kleineren, teils ergänzenden, teils modifizierenden oder Widerspruch anmeldenden Bemerkungen betreffen marginales Einzelnes. So macht der Rezensent etwa, nachdem er Schleiermachers Votum, die Professoren der Juristischen und der Theologischen Fakultät sollten von Gesetz wegen von Zeit zu Zeit Vorträge aus dem Gebiet der reinen Wissenschaft halten,5* zitiert hat, den Vorschlag, „daß jeder Professor wenigstens alle zwey Jahre Einmal öffentliche Vorlesungen über einen alten Classiker zu halten verpflichtet wäre, damit die Achtung gegen alle classische Literatur, die Basis unserer heutigen, allgemeiner begründet, und unter allen Classen der Studirenden recht absichtlich verbreitet und erhalten würde."59 Am Ende der Rezension meint man fast, dem Rezensent sei seine breite Darstellung selbst peinlich geworden: „Der würdige Schleiermacher wird die fast über die Gebühr ausführliche Anzeige seiner Gelegenheitsschrift verzeihen; das viele Trefliche, was sie enthält, sollte auf diesem Wege allgemeiner [...] verbreitet werden und in Gemüther Eingang finden, welche Sinn und Empfänglichkeit für diese Angelegenheit haben und durch deren Mitwirkung realisirt werden kann, was zu wünschenswerth ist, um blos Entwurf, oder Wunsch, oder Ideal zu bleiben."60 Die gelegentlichen Gedanken scheinen dann noch zu Lebzeiten ihres Autors in den Rang eines zu beachtenden Standardwerkes zur Universitätsfrage gelangt zu sein. Jedenfalls verzeichnet Wilhelm Traugott Krug in seinem fünfbändigen Allgemeinen Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften61 Schleiermachers Universitätsschrift unter den 57

Schleiermachers Universitätsschrift wird in dieser Rezension in Verbindung mit dem Werk „Coup-d'oeil sur les universites et le mode d'instruction publique de l'Allemagne protestante, en particulier du royaume de Westphalie" von Charles Villers (Kassel 1808) besprochen. Beide Schriften werden allerdings, nach einer kurzen vergleichenden Charakteristik (a. a. O., S. 665 — 667), gesondert nacheinander abgehandelt. Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich lediglich auf die Ausführungen zu Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken".

58

Vgl. unten 57,20-26 Neue Theologische Annalen 1808, S. 680 A. a. O., S. 687 W. T. Krug: Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, Bd. 1—5, Faksimile-Neudruck der zweiten, verbesserten und vermehrten Auflage Leipzig 1832-1838, Stuttgart/Bad Canstatt 1969, Bd. 4, S. 307

59 60 61

XXIV

Einleitung

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Bandherausgebers

Literaturangaben zum Artikel „Universität". Er führt dabei allerdings die folgende, wenn nicht alles täuscht: nicht ganz vorbehaltlose Belobigung an: „Auch enthalten Schleiermachers gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn [...] viel Gutes." Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken" sind auffallend häufig wieder gedruckt worden. Das erste Mal seit ihrer Erstveröffentlichung geschieht das 1846 im Rahmen der Sämmtlichen Werke (Friedrich Schleiermacher's sämmtliche Werke. Dritte Abtheilung: Zur Philosophie, Erster Band, Berlin 1846, S. 535—644). Im 19. Jh. scheint das Werk dann nicht noch einmal publiziert worden zu sein. Zahlreiche Veröffentlichungen finden sich hingegen im 20. Jh., und zwar an folgenden Orten:62 Fichte, Schleiermacher, Steffens über das Wesen der Universität. Mit einer Einleitung hg. v. E. Spranger, Philosophische Bibliothek Bd. 120, Leipzig 1910, S. 105—203; Neuausgabe 1919 unter dem Titel: Über das Wesen der Universität. Drei Aufsätze von J. G. Fichte, F. Schleiermacher, H. Steffens aus den Jahren 1807-1809; Schleiermacher: Über Universitäten im deutschen Sinne, neu hg. v. O. Braun, Leipzig 1911; Schleiermachers Werke. Auswahl in vier Bänden, hg. v. O. Bräunt J. Bauer, Bd. 4, Leipzig 1911, S. 533—642; derselbe Band auch als Band 139 der Philosophischen Bibliothek; eine zweite Auflage 1928, davon ein Nachdruck Aalen 1967 und ein weiterer Aalen 1983; Friedrich Schleiermacher, bearbeitet v. R. Wickert, Greßlers Klassiker der Pädagogik Bd. 28, Langensalza 1912, S. 383—410 (Auszüge); Werke Schleiermachers, ausgewählt und eingeleitet v. H. Mulert, Berlin 1924, S. 281 -370; Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neubegründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus, hg. v. E. Anrieh, Darmstadt 1956, S. 219—308; dasselbe auch als Band der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 1956, als photomechanischer Nachdruck Bad Homburg 1959 und abermals als Band der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 1964; Friedrich Schleiermacher. Pädagogische Schriften, hg. v. E. Weniger, Bd. 2, Düsseldorf/München 1957, S. 81 — 139; davon eine zweite Auflage 1966 und eine unveränderte Neuausgabe als Ullstein Buch Frankfurt a.MJ Berlin 1984; Ausgewählte pädagogische Schriften von F. D. E. Schleiermacher, hg. v. E. Lichtenstein, Paderborn 1959, S. 244—255 (Auszüge); davon eine zweite Auflage 1964, eine dritte 1983; 62

Ich folge hier dankbar weitgehend der Aufstellung bei v. Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, S. 35.

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Einführung

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Idee und Wirklichkeit einer Universität. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, hg. v. W. Weischedel, Berlin 1960, S. 106-192; Gelegentliche Gedanken über Universitäten von J. J. Engel, J. B. Erhard, F. A. Wolf, J. G. Fichte, F. D. E. Schleiermacher, K. F. Savigny, W. v. Humboldt, G. F. W. Hegel, hg. v. E. Müller, Leipzig 1990, S. 159253. Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken" sind seit ihrem Erstdruck, das kann man der Aufstellung entnehmen, nur ein einziges Mal allein für sich, ansonsten aber entweder im Zusammenhang von Sammelausgaben seiner Werke (sechsmal) bzw. seiner Paedagogica (siebenmal) oder aber innerhalb von thematischen Sammelbänden zur Univeritätstheorie (achtmal) veröffentlicht worden. Dabei läßt sich chronologisch eine Häufung von Editionen zum einen für den Zeitraum von 1910 bis 1924, zum anderen für die Jahre 1956 bis 1967 ausmachen. Interessanter Weise fallen die dreißiger und vierziger Jahre gänzlich aus; offenbar war, trotz ihrer auffallenden Titelgebung („[...] Universitäten in deutschem Sinn"), eine Universitätstheorie für den Nationalsozialismus nicht gut instrumentalisierbar, deren durchgehender behutsam-bedächtiger Konservativismus sich allen revolutionären Absichten eines grundlegenden Umbaus der deutschen Hochschulen widersetzt und deren durchgehender Bezug auf einen solchen Begriff von Wissenschaft, für den mit der Selbstzweckhaftigkeit von Wissenschaft zugleich deren staatliche Unabhängigkeit konstitutiv ist, sich allen Usurpationsversuchen der Universität durch Staat und Politik hemmend und störend entgegenstellt.

2. Herakleitos der dunkle, von Ephesos Am 14. Juni 1834, ungefähr vier Monate nach Schleiermachers Tod am 12. Februar, hält Friedrich Adolf Wilhelm Diesterweg in der pädagogischen Gesellschaft in Berlin einen Gedenkvortrag über Schleiermachers akademische Lehrmethode63, in dem er zweimal, ziemlich zu Beginn des Vortrags und an seinem Ende, Schleiermachers vielfältige Bedeutung auf eine Formel bringt, die neben seiner bedeutsamen Wirksamkeit als Theologieprofessor, als religiös-kirchlicher Redner (Prediger) und als Philosoph auch den Altphilologen und klassischen Altertumskundler Schleiermacher umfaßt und würdigt: Er, „der Unvergeßliche", so Diesterweg, werde „gewöhnlich als Alterthumsforscher und Philosoph, als Geistli63

Vgl. F. A. W. Diesterweg: ten in der pädagogischen

Ueber die Lehrmethode Schleiermachers. Ein Vortrag, gehalGesellschaft zu Berlin den 14ten Juni 1834, Berlin 1834

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Einleitung des

Bandherausgebers

eher und Professor aufgefaßt"64; und er werde „in allen folgenden Zeiten und zwar in der verschiedensten Hinsicht: als Forscher des Alterthums und als Kenner der Philosophie der Gegenwart, als Theologe und als Volksredner, als Theoretiker wie als Methodiker, den Sternen erster Größe unseres Geschlechtes beigezählt werden"65. Schleiermachers in diese allgemeine Würdigung aufgenommener Ruhm als Altphilologe und Altertumskundler begründet sich auf dreierlei: zunächst, und wohl auch vor allem, auf seine jeweils mit ausführlichen Einleitungen versehene Platon-Üb erSetzung66, sodann auf seine altphilologisch-philosophiehistorischen Akademieabhandlungen, insbesondere zur Geschichte der vorsokratischen griechischen Philosophie und zu Problemen der Aristotelesforschung 67 und schließlich auf seine Abhandlung zur Philosophie des Vorsokratikers Heraklit, die er unter dem Titel „Herakleitos der dunkle, von Ephesos, dargestellt aus den Trümmern seines Werkes und den Zeugnissen der Alten" im Jahre 1808 drucken läßt. Sie stellt nach Art und Umfang eine Singulariät innerhalb des Schleiermacherschen CEuvre dar, handelt es sich doch um den einzigen Fall eines außerhalb des institutionellen Rahmens von Vorträgen innerhalb der historisch-philologischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin entstandenen und gedruckten altphilologisch-philosophiehistorischen Aufsatzes, der zudem noch mit seinen über zweihundert Druckseiten den Umfang einer Monographie besitzt. In ihm unternimmt Schleiermacher den Versuch, die Philosophie des Herakleitos auf dem Wege philologisch-historischer Kritik der antiken Quellen zu rekonstruieren. Schleiermachers Abhandlung ist erschienen im Ersten Band des von Friedrich August Wolf und Philipp Buttmann neu gegründeten und herausgegebenen „Museum der Alterthums-Wissenschaft", auf den Seiten 313 bis 533. Diese Angabe ist allerdings ungenau; denn der erste Band des „Museum" erscheint, wie auch der einzige weitere, zweite Band, in 64 65 66

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A. a. O., S. 6 A. a. O., S. 24 Deren Edition ist innerhalb der KG Α für die IV. Abteilung vorgesehen. Schleiermachers sämtliche Einleitungen zu den einzelnen Dialogen Piatons sind samt anderen Texten Schleiermachers zu Piaton günstig greifbar bei F. D. E. Schleiermacher: Über die Philosophie Piatons. Geschichte der Philosophie. Vorlesungen über Sokrates und Piaton (zwischen 1819 und 1823). Die Einleitungen zur Übersetzung des Piaton (1804-1828), hg. v. P. M. Steiner, Philosophische Bibliothek Bd. 486, Hamburg 1996 Die Edition der Akadmieabhandlungen ist für den Band KG Α Uli vorgesehen; vgl. einstweilen SW III/2—3. Bei den thematisch hier interessierenden Abhandlungen handelt es sich um Arbeiten zu Diogenes von Apollonia, Anaximandros, Demokritos, Sokrates, Hippon, Piatons Ansicht von der Heilkunst, einer Glosse im Platonlexikon des Timaios, dem Verhältnis der verschiedenen Ethiken des Aristoteles und den griechischen Scholien zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles.

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Einführung

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drei Stücken. Von diesen trägt ausschließlich das Erste Stück das Druckdatum Berlin 1807.6S Bereits das Zweite Stück weist auf seinem eigenständigen Titelblatt die Jahresangabe 1808 auf, seine Vorrede ist zudem auf November 1807 datiert. Schleiermachers Abhandlung über Herakleitos füllt dann den größten Teil der dritten Lieferung69, deren Titelblatt lautet „Ersten Bandes Drittes und letztes Stück. Berlin, in der Realschulbuchhandlung. 1808". Schleiermachers „Herakleitos" ist also erst im Jahre 1808 erschienen, und zwar wohl gegen Ende August.70 Im Inhaltsverzeichnis des „Museum der Alterthums-Wissenschaft" werden alle Titel ohne Angabe der Verfasser mitgeteilt; in den meisten Fällen, und so auch im Falle des „Herakleitos" Schleiermachers, sind die einzelnen Beiträge aber jeweils an ihrem Ende namentlich gekennzeichnet. Der Druck, übrigens, sofern nicht überhaupt Griechisch, in lateinischer Antiqua gesetzt, umfaßt 14 Druckbogen zu je 16 Seiten. Es handelt sich dabei um die Nummern 21—34 der Druckbogen für den ersten Band des „Museum der Alterthums-Wissenschaft". Die erste Seite des Bogens 21 enthält das Titelblatt von Schleiermachers Aufsatz; den letzten Bogen 34 füllt die Abhandlung nur bis zur einschließlich dreizehnten Seite. Die einzelne Druckseite beinhaltet in der Regel 29 Zeilen, der Satzspiegel beträgt etwa 8 cm in der Breite und 15,2 cm in der Höhe. Schleiermachers Abhandlung entsteht in der Zeit etwa vom Spätherbst 1807 in Halle bis Mitte Juni 1808 in Berlin; der Hauptteil der Ausarbeitung scheint allerdings erst zwischen Anfang März und Mitte Juni 1808 in Berlin erfolgt zu sein. Wann die eigentliche Arbeit genau beginnt, wissen wir freilich nicht präzise. Das früheste Zeugnis findet sich in einem Brief Schleiermachers an Georg Reimer vom 6. November 1807 aus Halle. Schleiermacher beklagt dort die Langsamkeit, mit der der Druck seiner Timotheosschrift71 vonstatten geht, konzediert dann aber, die Langsamkeit sei ihm recht lieb, denn so gewinne er mehr Zeit 68

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Im Ersten Stück des Ersten Bandes ist im übrigen auf den Seiten 1 — 145 die „Darstellung der Alterthums-Wissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Werth" von Friedrich August Wolf (gekennzeichnet lediglich mit „W.") gleichsam als programmatische Eröffnung der neuen Zeitschrift abgedruckt. Es schließen sich im Dritten Stück des Ersten Bandes noch folgende Beiträge an: Das Grab der Claudia Semne, S. 534—554, von W. Uhden; Giambattista Vico über den Homer, S. 555 — 570; Vermischte Bemerkungen (Gelehrter Reisenden), S. 571 —577 und Philologische Aufgaben, S. 578-584. Jedenfalls schickt der Herausgeber des „Museum der Alterthums-Wissenschaft" Friedrich August Wolf mit einem Brief vom 22. August 1808 die letzten Bogen des dritten Stücks an Immanuel Bekker. Vgl. Friedrich August Wolf. Ein Leben in Briefen, hg. v. S. Reiter, Ergänzungsband I. Die Texte, hg. v. R. Sellheim, Halle 1956, S. 15 Ueber den sogenannten ersten Brief des Paulos an den Timotheos. Ein kritisches Sendschreiben an ]. C. Gaß, Berlin 1807; KGA 1/5, S. 153-242

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Einleitung des

Bandherausgebers

für den Heraklit, den er allerdings doch erst in Berlin ganz in Ordnung bringen könne.72 Die nächsten expliziten Äußerungen, die wir besitzen, entstammen dann schon dem März 1808; sie zeigen im übrigen, daß Schleiermachers Untersuchung offensichtlich von Anfang an für das Museum der Alterthumswissenschaften bestimmt ist: „Jezt size ich tief im alten Heraklit, dessen Fragmente und Philosopheme ich für das Museum der Alterthumswissenschaften darstelle. Was begegnet dem Menschen alles! Vor wenigen Jahren noch hätte ich es für unmöglich gehalten in Verbindung mit Wolf auf dem Gebiet der Philologie aufzutreten. Aber die Virtuosen in diesem Fache sind so sparsam mit ihren Arbeiten, daß die Stümper wol auch herbeigeholt werden müssen."73 — „Ich bearbeite [...] den Heraclitus mit seiner Philosophie, soviel man davon wissen [/] und nachweisen kann, für das dritte Stük des Museum [...]."74 Zu diesem Zeitpunkt, am 8. März, scheinen die Arbeiten noch nicht so weit gediehen zu sein, daß Schleiermacher bereits den Umfang seiner Schrift abzuschätzen in der Lage wäre: „[...] wie weit mein Heraclit das dritte [Stükk des Museums] ausfüllen wird, kann ich noch nicht übersehen."75 Auch erbittet er sich von Boeckh zu diesem Zeitpunkt erst, am 8. März, die Dissertation von Friedrich Creuzer, derer er notwendig für die Bearbeitung der Fragmente des Heraklit bedürfe76 Danach schweigen die Quellen über den weiteren Gang der Arbeit. Erst ihr Ende läßt sich dann wieder relativ genau bestimmen. Am 18. Juni 1808 nämlich teilt Schleiermacher gegenüber Boeckh mit, der Heraklit „ist nun für diesmal, was mich betrifft, fertig, nur den Druk lasse ich noch unvollendet zurük."77 Zieht man in Betracht, daß auch noch die anderen, Schleiermachers Aufsatz folgenden, wenn auch sehr 72 73 74 75

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Vgl. SN 761/1, Bl. 89r~v Berlin, 1. März 1808; Br. 4, S. 150 Berlin, 8. März 1808; Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 16 f Berlin, 8. März 1808; Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 17 — Möglicherweise bezieht sich auch ein defektes Brieffragment Schleiermachers an Reimer auf die Arbeit am Heraklit (vgl. SN 761/3, Bl. 9). Textrekonstruktionsvorschlag: „[Von dem Heraklit] ist noch immer nur Ein Bogen [fertig geschrieben], worüber Wolf, wie mir Buttmann [schreibt,] schimpfte. Gewiß findest Du [den Heraklit bei] Deiner Rückkunft noch nicht fertig [...]." Da das defekte Fragment nicht datiert ist, kann es, sollte die Beziehung auf den Heraklit zutreffen, lediglich belegen, daß Schleiermachers Ausarbeitung sich offenkundig schwieriger darstellt als gedacht, jedenfalls nicht so rasch vor sich geht, wie vom Herausgeber Wolf geplant oder erhofft wird. Vgl. Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 16 — Gemeint ist Creuzers, auf dem Titelblatt übrigens anonym erschienene, Untersuchung Philosophorum veterum loci de Providentia divina itemque de fato emendantur, explicantur, Heidelberg 1806, auf die Schleiermacher in der Tat dann an einigen Stellen des gedruckten „Herakleitos" Bezug nimmt. Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 34

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viel kürzeren Beiträge des Dritten Stücks des Ersten Bandes des „Museum"78 gesetzt werden mußten, dürfte Schleiermachers „Herakleitos" wohl kaum vor Juli 1808 im Druck erschienen sein, wahrscheinlich aber erst im August.79 Die Entstehung der Schrift, mindestens aber ihre Veröffentlichung im neugegründeten „Museum der Alterthums-Wissenschaft" dürfte mitveranlaßt sein durch Schleiermachers Bekanntschaft mit dem Herausgeber des „Museum", Christian Wilhelm Friedrich August Wolf (1759— 1824). Schleiermacher hat in seiner Hallenser Studienzeit in den Jahren 1787— 1789 bei Wolf, der seit 1783 als junger Professor an der dortigen Universität tätig ist, die klassischen Autoren der Antike studiert80 und ist dann seit Beginn seiner eigenen akademischen Lehrtätigkeit in Halle im Jahr 1804 Wolfs Kollege. Die Beziehungen zu dem zweiten Herausgeber, Philipp Buttmann (1764—1829), Direktor der Königlichen Bibliothek in Berlin, seit 1806 außerordentliches, ab 1808 ordentliches Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, sollten sich übrigens nach Schleiermachers Umsiedlung nach Berlin schnell zu einer engen fachlichen Zusammenarbeit, ja freundschaftlichen Bekanntschaft entwickeln.81 Es ist gut möglich, daß die Idee für das Arbeitsvorhaben, die Philosophie des Herakleitos kritisch aus den Quellen zu erheben, sich hinsichtlich seiner Aufgabenstellung und Bedeutung kristallisiert und Konturen gewinnt im Zusammenhang mit den Vorlesungen zur Geschichte der griechischen Philosophie, die Schleiermacher für den Winter 1806/ 78 79

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S.o. Anm. 69 S. o. Anm. 70 — Die von v. Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, S. 34 zitierte Mitteilung aus „Allgemeines Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse [...] entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige noch herauskommen sollen", daß der Band zur Ostermesse 1808 erschienen sei, dürfte sich ja doch wohl auf den Ersten Band des „Museum der Alterthums-Wissenschaft" insgesamt bzw. auf dessen Erstes und wahrscheinlich auch Zweites Stück beziehen; das Dritte Stück mit Schleiermachers „Herakleitos" hingegen hat mit ziemlicher Sicherheit nicht schon zur Ostermesse vorgelegen (vgl. oben Anm. 70). Vgl. Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers, Bd. 1/1, 3. Auflage, hg. v. M. Redeker, Berlin 1970, S. 41; Friedrich Wilhelm Kantzenbach: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, rowohlts monographien 126, Reinbek bei Hamburg 1967, S. 26 Vgl. ζ. B. Schleiermacher briefliche Mitteilung vom 26. Februar 1810: „Ich kann leider gar nicht herausgreifen über das was zu meinen vorliegenden Arbeiten unmittelbar gehört, und eine mit Spalding, Heindorf, Buttmann und einigen anderen gemeinsame griechische Leetüre ist alles wissenschaftliche was ich außerdem betreiben kann." (Br. 4, S. 177 f ) — Es ist auch kein Zufall, daß Schleiermacher Buttmann nach dessen Tod die Gedenkrede in der Akademie gehalten hat (vgl. Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1830, S. Xl-XXll; SW UI/3, S. 116129).

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07 in Halle geplant hat. Jedenfalls schreibt er am 4. Dezember 1806, zu einem Zeitpunkt also, als die politischen Ereignisse jegliche Vorlesungen in Halle längst verhindert haben: „Ich finde es jezt ganz tollkühn, daß ich diesen Winter Geschichte der griechischen Philosophie lesen wollte; es würde zwar wol irgendwie gegangen sein, aber wenn ich wirklich diesen Winter alle die Lektüren mache, die ich mir vorgesezt habe, so soll es doch nächstens besser gehn. [...] Dann will ich mich recht in die Reliquien der alten Philosophie hineinbegeben "81 Ob diese Lektüren, die Reliquien der alten Philosophie betreffend, bereits unter dem Aspekt eines konkreten Herakleitos-Forschungsprojektes gestanden haben, bleibt ungewiß und ist wohl eher unwahrscheinlich. Der Lektüregang dürfte wohl aber doch die materialen Voraussetzungen für Schleiermachers „Herakleitos" ebenso wie für manche der späteren Akademieabhandlungen mindestens teilweise schon bereitgestellt haben. Die für das Wintersemester 1806/07 geplanten Vorlesungen zur Geschichte der alten Philosophie holt Schleiermacher dann tatsächlich im Sommer 1807 in Berlin nach. Im Zuge dieser Vorlesungen gehen ihm, wie er im Rückblick am 8. März 1808 an Boeckh mitteilt, „eine ganze Reihe solcher Aufgaben"83 historisch-philologischer Forschung auf wie die Untersuchung der Heraklitischen Fragmente. Daß Schleiermacher sich dann ausgerechnet an die Rekonstruktion der Lehre gerade dieses Philosophen macht, scheint mehr oder weniger das Ergebnis einer zufälligen Auswahl aus der Fülle anstehender Forschungsaufgaben zu sein. Denn gegenüber August Boeckh teilt er in eben demselben Brief mit, er habe zu spät erfahren, daß auch Friedrich Creuzer an einer Untersuchung der Heraklitischen Fragmente sitze, sonst hätte er „die Reihe von Monographien dieser Art, welche mir vorschwebt, mit einem Andern eröfnet"84. Diese Art der Monographien, wie sie Schleiermacher vorschweben, ist diejenige kritischer historisch-philologischer Forschung zur antiken oder auch mittelalterlich-scholastischen Philosophie.85 Solche Forschung ist u. a. dadurch charakterisiert, daß sie sich der Mühe unterzieht, im Detail zu betrachten, woraus ein großer umfassender Gesamtblick sich

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Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 3 Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 17 Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 17 Vgl. Schleiermachers spätere briefliche Äußerung vom 4. ]uli 1812: „Ich habe nun schon zweimal Geschichte der Philosophie gelesen zu meiner großen Belehrung und könnte mit mehr solchen Monographien wie der Heraclit im Museum auch aus der Zeit des Mittelalters hervortreten. Zwei kleine griechische, den Anaximandros und den Diogenes von Apollonia, habe ich schon ausgearbeitet für die Akademie." (Br. 4, S. 186)

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erst ergeben kannS6, und daß sie gerade deshalb stets durch andere Detailforschung historisch korrigierbar, kritisierbar oder gar ersetzbar wird. Beide Momente finden sich in einer hellsichtigen Selbstcharakteristik und Selbsteinschätzung Schleiermachers hinsichtlich seines „Herakleitos" aus eben jenem Brief, in dem er Boeckh den Abschluß seiner Arbeit mitteilt: „Etwas schwerfällig, wie ich pflege, werden Sie auch dieses finden, und für Ast87 wird es wieder einzeln zusammengeforscht sein, nicht aus der Total Anschauung der Hellenischen Philosophie, die freilich nur der Kundige darin erkennen wird, aber die auch in dem philologischen Museum äußerlich wenigstens nicht dominiren durfte. Komt mir nun Creuzer noch mit vielen Fragmenten, die ich zurükgelassen, so werde ich einen kleinen Schrek haben des unerwarteten wegen. Aber daß ich einige Irrthümer glüklich beseitiget und einige Dunkelheiten aufgeklärt, wird er mir auch so wol nicht abstreiten."88 Ob es Reaktionen und Beurteilungen aus Schleiermachers eigenem Umfeld auf seine Abhandlung gegeben hat, wissen wir nicht im einzelnen. Friedrich August Wolf notiert am 22. August 1808 brieflich, die letzten Bogen des „Museum der Alterthums-Wissenschaft" seien so gefüllt worden, daß sich die Leser nach Schleiermachers Abhandlung „ein

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Bereits in seiner Stolper Zeit hat Schleiermacher die im Programm historisch-philologischer Detailforschung enthaltene Beschränkung in ihrer Stärke empfunden: „Das Einzige worin ich es vielleicht zu etwas hätte bringen können für die Welt ist wol die Philologie in jenem höheren Sinne, wie sie Schelling nimmt, und jeziger Zeit wol Niemand besser darstellt als Friedrich Schlegel. Meine Ideen würden wol nicht so viel umfassend sein als die seinigen, und meine Construction nicht so groß, aber die Ausführung vielleicht in mancher Hinsicht tüchtiger und brauchbarer. Allein diese höhere Philologie hat keine andere Basis als die niedere, und ohne große Virtuosität in dieser schwebt jene nur in der Luft, und kann vielleicht sehr wahr sein, aber sich nicht beweisen, und bleibt immer dem Unglück ausgesezt, daß ihre Gebäude nur für Luftschlösser gehalten werden. Hier fehlt es mir nun noch gar sehr, und ich werde mich deshalb nie an etwas Großes wagen können, wie Wolf oder Schlegel [...], sondern nur an solche Einzelheiten wie den Piaton; wiewol auch hier den gründlichen Lesern der Zweifel bleiben wird, daß auf dem Gebiete der niederen Philologie noch Entdeckungen gemacht werden können, die das ganze Gebäude der höheren Kritik, das ich auszuführen denke, untergraben." (14. Dezember 1803, Br. 4, S. 89 f) (Georg Anton) Friedrich Ast (1776—1841), Philologe, u.a. Forschungen zu Piaton, seit 1805 Professor in Landshut, später in München; Schleiermacher besaß u. a. seine Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, Landshut 1808, und seinen Grundriß einer Geschichte der Philosophie, Landshut 1807, in der Ast übrigens auf S. 63 f in den drei Abschnitten 52—54 die Philosophie des Herakleitos nur ganz knapp behandelt: Er benennt als Elemente die Lehre vom Feuer als Urwesen, den Gedanken der Notwendigkeit (Heimarmene) und der Vernunft (Logos), der Gegensätzlichkeit und die Heraklitische Lehre von der Seele, und zwar das Ganze, ohne eine einzige Stelle antiker Autoren als Quelle zu benennen. Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 34

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wenig durch Varietäten erholen" könnten*9 Henrik Steffens moniert am 21. November 1808 gegenüber dem Autor: „Herakleitos habe ich noch nicht"90 Die Gliederung der ganzen Abhandlung erschließt sich nicht unmittelbar und auf den ersten Blick. Denn Schleiermacher hat seinem Aufsatz keinerlei Zwischenüberschriften gegeben, ihn aber gleichwohl in einer zwiefachen, jeweils mit römischen Ziffern bezeichneten Reihe gegliedert. Die Abhandlung zerfällt so zunächst in die beiden Hauptteile der römisch gezählten Abschnitte I. bis IV einerseits und l. bis VI. andererseits. Der erste Teil stellt eine Art Einleitung dar, die sich den historischen und methodischen Vorfragen einer möglichen Rekonstruktion der Lehre des Herakleitos widmet. Im Abschnitt I. (S. 315—322) wird zunächst etwas Allgemeines über die Quellenlage, die Arten von Quellen und ihre Gewichtung gesagt. Der Abschnitt IL (S. 322—337) diskutiert in der Exegese derjenigen antiken Textstellen, die Herakleitos als den Dunklen bezeichnen, angesichts dieser Dunkelheit zugleich die methodische Frage der Rekonstruierbarkeit der Lehre dieses Philosophen. Der Abschnitt III. (S. 337—348) sichtet die antiken Nachrichten über Ursprünge und Prägungen der Philosophie des Herakleitos (etwa im Umfeld des Artemiskultes, der Orphik oder des Pythagoreismus), wiederum im Hinblick auf den möglichen methodischen Gewinn, den eine solche geschichtliche Verortung des Herakleitos für die Rekonstruktion seiner Philosophie haben könnte. Der letzte Abschnitt des einleitenden Teils (IV. S. 348—356) vertritt die auf dem Wege der Exegese einschlägiger Notizen antiker Autoren gewonnene These, daß Herakleitos lediglich ein einziges Buch geschrieben habe, nämlich Περί φύσεως (De natura); auch diese These hat, neben ihrer historiographischen Bedeutung, im Rahmen des einleitenden Teils einen propädeutisch-methodischen Sinn: Alles, was sich aus den unterschiedlichen Zeugnissen der Alten an Einzelnem als Bestandteil der Lehre des Herakleitos erheben läßt, muß als in einem Werk vereinigt gedacht werden können. Der zweite Hauptteil bietet dann die Darstellung der rekonstruierten Philosophie des Herakleitos. Dabei werden die verschiedenen Fragmente in den Abschnitten I. bis VI. zu den folgenden Themenkreisen geordnet91:1. das unaufhörliche Fließen (S. 356—369; 11. Ontologie: das erste Prinzip und die Entstehung und Verwandlung der Dinge (S. 369— 384); III. Kosmologie: Meteorologie, Astronomie etc. (S. 384—407); IV. 89 90 91

F. A. Wolf. Ein Leben in Briefen, Ergänzungsband I, S. 15 Br. 4, S. 166 Vgl. auch die entsprechenden Formulierungen der Gliederungspunkte bei Giovanni Moretto: L'Eraclito di Schleiermacher, in: Atti del Symposium Heracliteum 1981, cura di L. Rosetti, Bd. 2, Rom 1984, S. 77—104, hier S. 95 (erneut veröffentlicht in Giovanni Moretto: lspirazione e Libertä. Saggi su Schleiermacher, Neapel 1986, S. 181—220, hier S. 211)

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die Harmonie der Gegensätze und die είρμαμένη (S. 407—443); V. die Lehre von der έκπύρωσις, deren Authentizität Schleiermacher allerdings bestreitet (S. 443—471); und VI. Anthropologie: Leben und Tod, Erkenntnis, Leib und Seele (S. 471 —531). Schleiermacher beendet seine Abhandlung mit einer kurzen Schlußbemerkung und dem Hinweis auf noch ausstehende Forschungsaufgaben zur Philosophie des Herakleitos (S. 532 f). Schleiermachers Arbeit zur Rekonstruktion der Philosophie des Herakleitos ist natürlich nicht die erste ihrer Art gewesen. Schleiermacher hat auf Vorläufer, wenn auch nur mit eingeschränktem Nutzen, zurückgreifen können. Ein Vorbild für seine Bearbeitung der Heraklitfragmente könnte für Schleiermacher in der Ausgabe der Fragmente des Parmenides bestanden haben, die Georg Gustav Fülleborn veranstaltet hat und die Schleiermacher in seiner Bibliothek besessen hat.92 Erwähnt wurde bereits die Dissertation von Friedrich Creuzer93, die Schleier mach er benutzt hat und auf die er im „Herakleitos" an einigen Stellen, in der Sache zumeist distanziert-kritisch, im Ton freundlich, eingeht. Im Drucktext namentlich genannt werden noch die „Poesis philosophica" von Henricus Stephanus94, die auf den Seiten 129 bis 140 unter der Überschrift Έκ των 'Ηρακλείτου τον Έφεσίον eine Sammlung von Heraklitzitaten bietet, und die „Bibliotheca Graeca" von Johann Albrecht Fabricius, deren Beitrag „Heraclitus"95 freilich nicht beansprucht, detaillierte inhaltliche Ausführungen zur Philosophie Heraklits, womöglich gar vollständig, zu bieten, sondern nur philologisch-historische Hilfskenntnisse und -mittel zur Verfügung stellt. Bei Fabricius finden sich dann noch weitere Hinweise auf Forschungsliteratur von Gottfried Olearius96, Johann Franz Buddeus97 und Dieterich Tiedemann98, von der wir aber nicht wissen, ob Schleiermacher sie tatsächlich benutzt hat. 92

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Vgl. Parmenides: Fragmente [gr./dt.], gesammelt, übersetzt und erläutert v. G. G. Fülleborn, Züllicbau 1795 [SB 1429]; vgl. dazu Giovanni Moretto: L'Eraclito di Schleiermacher, in: Atti del Symposium Heracliteum 1981, cura di L. Rosetti, Bd. 2, Rom 1984, S. 77—104, hier S. 87 (erneut veröffentlicht in Giovanni Moretto: Ispirazione e Liberia. Saggi su Schleiermacher, Neapel 1986, S. 181—220, hier S. 196). S.o. Anm. 76 Henricus Stephanus (Henri Estienne): Poesis philosophica (Ποίησις φιλόσοφος), vel saltern reliquiae poesis philosophicae Empedoclis, Parmenidis, Xenophanis, Cleanthis, Timonis, Epicharmi. Adjuncta sunt Orphei illius carmina qui α suis appelatus fuit ö θεολό ο. Item Heracliti et Democriti loci quidam et eorum epistolae, Genf 1573 Johann Albrecht Fabricius: Bibliotheca Graeca, sive Notitia scriptorum veterum Graecorum, 4. Auflage, hg. v. G. C. Harles, Bd. 2, Hamburg 1791, S. 623—628 Gottfried Olearius: De principio rerum naturalium ex mente Heracliti Physici, cognomento Σκοτεινος, exercitatio, Leipzig 1697 Johann Franz Budde(us): Theses theologicae de atheismo et superstitione, Jena 1717, S. 77-83 (bes. S. 80-83) Dieterich Tiedemann: Geist der speculativen Philosophie, Bd. 1, Marburg 1791, S. 194-223

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Sieht man sich die genannte Literatur an und vergleicht sie mit Schleiermachers eigener Untersuchung, fällt schon rein quantitativ der Unterschied als bedeutend ins Auge: Stephanus zitiert, ohne weitergehende Erörterungen, 32 Stellen antiker Autoren: zweimal Sextus Empiricus, sechs Stellen aus Clemens Alexandrinus, dazu noch drei Stellen, die bei Clemens und Theodoretos gemeinsam vorkommen, einmal Theodoretos, zweimal Diogenes Laertios, zwei Zitate aus den Homerallegorien, fünfmal Stobaios und elfmal Plutarch." Olearius bietet auf gerade einmal 23 Druckseiten eine Aneinanderreihung von knapp 90 Stellen klassisch-antiker Autoren. Buddeus', freilich thematisch ganz auf die Gotteslehre beschränkte, Ausführungen zu Herakleitos weisen auf je ein Dictum aus der Apologia pro Christianis von Justinus Martyr, aus Aristoteles ohne jede Stellenangabe, und Diogenes Laertios; hinzutritt ein summarischer Verweis auf die sogenannten Briefe Heraklits, wiederum ohne spezifizierte Stellenangabe. Tiedemann rekurriert in seiner vierzig Seiten umfassenden historischen Darstellung der Philosophie des Herakleitos auf immerhin etwa 110, in den Anmerkungen nachgewiesenen Fundorte, an denen sich innerhalb der antiken Literatur Aussagen zu Leben und Lehre des Vorsokratikers finden. Dabei ist Tiedemann unter den genannten Autoren der einzige, der immerhin einige kritische Erörterungen zu den einzelnen Lehrelementen aufzuweisen hat, Erörterungen allerdings, die sich ausschließlich auf der Ebene inhaltlicher Gesichtspunkte bewegen, denen also die gesicherte philologische Grundlage fehlt; bezeichnenderweise wird kein Text im griechischen Original geboten. Schleiermacher hingegen zitiert, thematisiert und erörtert auf 219 Druckseiten rund 450 Stellen antiker griechischer und lateinischer Autoren. Seine Abhandlung enthält außerdem noch zahlreiche Verweise auf die philologische und historische Forschung. Sie diskutiert zudem ausführlich die einzelnen Bestandteile der Philosophie des Herakleitos hinsichtlich ihrer historisch-philologischen Authentizität. Diese Leistung Schleiermachers würdigt auch die kurze zeitgenössische Rezension, die anonym in: Neue Leipziger Literaturzeitung, 139. Stück, 1808, Sp. 2218 f , erschienen ist: „Ungeachtet es nicht an Vorgängern fehlte, welche einzelne Sätze des Ephesiers oder sein ganzes System zu erläutern suchten, so findet man doch nirgends noch eine so vollständige Sammlung von Fragmenten desselben [...], wenigstens der wichtigsten, eine so ausführliche Erläuterung der Lehren des H[erakleitos]., wie in diesem Aufsatze." (Sp. 2218) Bei den Fragmenten werde „das Hera99

Vgl. schon das Urteil Friedrich Creuzers: „Stephanus quidem in ,poesi philosophica' credi vix potest quot qualiaque [sc. Fragmente des Heraklitj omiserit." (Philosophorum veterum loci de Providentia divina itemque de fato emendantur, explicantur, Heidelberg 1806, S. 14)

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kleitische von den Worten der ein Bruchstück anführenden Schriftsteller genau unterschieden und die Verbesserungs- oder Erklärungsversuche anderer Gelehrter geprüft" (Sp. 2219). Oer Rezensent spricht von „den trefflichen mit nöthiger Umsicht ertheilten Erläuterungen der physischen Theorie des H[erakleitos].", fügt allerdings milde kritisierend hinzu: „Gern hätten wir am Schluss als Resultat der ganzen Untersuchung eine kurze Uebersieht von H[erakleitos] Lehren gelesen." (Sp. 2219) Der historisch bedeutendste Unterschied von Schleiermachers „Herakleitos" im Gegenüber zur Vorgängerliteratur dürfte freilich darin bestehen, daß hier überhaupt ein umfassendes Bewußtsein für die allererst zu leistende Arbeit historischer Rekonstruktion auf dem Wege philologischer Kritik vorliegt. So gesehen ist es zutreffend, wenn Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff in seiner „Geschichte der Philologie" Schleiermacher als den Erwecker der historischen Forschung zu den Vors ο kr atikern benennt.100 Schleiermachers „Herakleitos" ist seit seiner Ersterscheinung lediglich ein einziges Mal wieder veröffentlicht worden, nämlich im Jahr 1838 im Rahmen der Sämmtlichen Werke (Dritte Abtheilung: Zur Philosophie, Zweiter Band, Berlin 1838, S. 1 — 146).

3. Kurze Darstellung des theologischen Studiums Schleiermachers „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen", zu seinen Lebzeiten, ähnlich wie die ,Glaubenslehre'101, in zwei gänzlich verschiedenen Auflagen in den Jahren 1811 und 1830 erschienen, enthält, wie das Vorwort der Erstauflage selbst sagt, Schleiermachers „ganze dermalige Ansicht des theologischen Studiums"102. Sie entfaltet in den vier großen Teilen: Einleitung, Philosophische, Historische und Praktische Theologie Schleiermachers Gesamtverständnis von Theologie als einer universitären Wissenschaft

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Bei Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Geschichte der Philologie, Einleitung in die Altertumswissenschaft, hg. ν. A. Ger ekelE. Norden, Bd. 1, Heft 1, Leipzig/Berlin 1921, S. 51 (= U. v. Wilamowitz-Moellendorff: Geschichte der Philologie, Nachdruck der 3. Auflage (1927), Leipzig 1959, S.51) heißt es über Schleiermacher: „Seine Theologie war zwar nicht auf historische Forschung gerichtet, aber wohl seine Philosophie. Sein deutscher Piaton hat mit dem Nimbus auch die Nebel verscheucht, die, eigentlich seit Piatons Tod, das echte Bild verhüllten, und schon mit den Abhandlungen über Diogenes von Apollonia und Herakleitos hat er das Studium der Vorsokratiker erweckt." Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche (1821/22 und 1830/31), KG A 1/7,1-2 und KG A 1/13 Unten 247,18; 321,19

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einschließlich ihrer Teildisziplinen,103 Sie tut dies, nicht indem sie Grundkenntnisse materialer Art bietet, sondern indem sie die Aufgaben der Theologie im Ganzen wie ihrer einzelnen Teile formal bestimmt. Schleiermacher selbst hat seine „Kurze Darstellung" entsprechend als eine formale theologische Enzyklopädie charakterisiert.104 Die „Kurze Darstellung" ist, wie ihr Untertitel ausdrücklich ausweist, zum Zweck von einleitenden Vorlesungen über das Gesamtgebiet der Theologie entworfen worden und auch im Zusammenhang solcher Vorlesungen entstanden. Solche Vorlesungen sind unter dem akademischen Disziplinentitel der Theologischen Enzyklopädie regelmäßiger und obligatorischer Bestandteil des universitären Lehrprogramms bis in das 20. Jahrhundert hinein gewesen. Auch Schleiermacher hat in seiner Lehrtätigkeit als Professor an den Universitäten Halle (1804—1807) und Berlin (1810—1834) häufig theologisch-enzyklopädische Vorlesungen ge5 halten:™ In Halle (unter dem Titel ,Encyclopaedia et Methodologia studii theologici' angekündigt): — Wintersemester 1804/05 (vierstündig; 30 Hörer; Beginn: 22. 10. 1804) — Sommersemster 1805 — Offensichtlich hatte Schleiermacher im Sommer 1806 auch für das WS 1806/ 07 eine Vorlesung zur Enzyklopädie geplant106; unter den im „Catalogus Praelectionum" der Friedrichs-Universität zu Halle aufgeführten Vorlesungsankündigungen findet sich allerdings keine entspre-

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Emanuel Hirsch hat von ihr geurteilt: „Dies kleine Werk ist der einzige bedeutende Versuch, den Gesamtorganismus aller theologischen Wissenschaften im systematisch durchdachten Zusammenhange von einer klaren und einfachen Grundanschauung her zur Darstellung zu bringen." (E. Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 1—5, fotomechanischer Abdruck der 1964 in 3. Auflage in Gütersloh erschienenen Ausgabe, Münster 1984, hier: Bd. 5, S. 348) — Zur wissenschaftstheoretischen Programmatik vgl. H. Scholz: Einleitung, in: KD (Scholz), S. X1I-XXI1I; H.-J. Birkner: Vorwort, in: ThEnz (Strauß), S. VII—XI; ders.: Schleiermachers „Kurze Darstellung" als theologisches Reformprogramm, in: Schleiermacher im besonderen Hinblick auf seine Wirkungsgeschichte in Dänemark. Vorträge des Kolloquiums am 19. und 20. November 1984, hg. v. H. Hultberg/K. F. Johansen/Th. Jorgensen/F. Schmöe, Kopenhagener Kolloquien zur deutschen Literatur Bd. 13 (= Text & Kontext. Sonderreihe Bd. 22), Kopenhagen/München 1986, S. 59—81; wiederabgedruckt in: ders.: Schleiermacher-Studien, hg. v. H. Fischer, SehlA 16, Berlin/New York 1996, S. 285-305 Unten 247,21-248,3; 321,22-322,2; 333,14-17 Der folgenden Übersicht liegt im wesentlichen zugrunde: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, bearbeitet v. A. Arndt/W. Virmond, SchlA 11, Berlin/ New York 1992, S. 300-328. Vgl. Br. Gaß S. 53

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chende Mitteilung. Freilich sind dann sowieso auch sämtliche Kollegien der politischen Situation zum Opfer gefallen: Pflegen der Besetzung Halles durch französische Truppen wurde die Universität Halle geschlossen. Berlin (wenn nicht anders angegeben unter dem Titel,Theologische Encyclopädie' bzw. ,Encyklopädie'): — 1807/08 „Eine allgemeine encyclopädische Uebersieht des theologischen Studiums"; die Vorlesung wird öffentlich in der Zeitung „Berlinische Nachrichten" am 29. Dezember und dann noch einmal leicht — im Hinblick auf Titel und 'Wochentermin — korrigiert am 31. Dezember annonciert. Sie hat also wohl erst im Januar 1808 begonnen. Dazu paßt auch die Tagebucheintragung Schleiermachers vom 6. Januar 1808: „Angefangen zu lesen Ethik u theol. Encyclopädie".107 — Wintersemester 1810/11 „Encyklopädie der theologischen Wissenschaften" (zweistündig; 17 Hörer; 29. 10. 1810-19. 3. 1811) — Wintersemster 1811/12 (dreistündig; 26 Hörer; 21.10. 1811 — 18. 3. 1812) — Wintersemester 1813/14 (dreistündig); diese Vorlesung ist ausgefallen108; vermutlich ist die Universität in dem Kriegswinter 1813/14 zu schwach frequentiert worden.109 — Wintersemester 1814/15 (vierstündig; 57 Hörer; 24. 10. 1814— 18. 3. 1815) — Wintersemester 1816/17 (vierstündig; 26 Hörer; 28. 10. 1816— 21. 3. 1817); von dieser Vorlesung existiert im Schleiermacher-Nachlaß eine Nachschrift von Ludwig Jonas: „Theologische Encyclopaedie nach dem Vortrage des Herrn Dr. Schleiermacher, Wintercursus 1816/17, Jonas" (SN 547/1; 150 Blatt) — Wintersemester 1819/20 (fünfstündig; 66 Hörer; 19.10. 181918. 3. 1820) — Sommersemester 1824 (fünfstündig); diese Vorlesung fällt aus. Stattdessen hält Schleiermacher ein nicht angekündigtes Kolleg zur Praktischen Theologie. — Sommer semester 1827 (fünfstündig; 169 Hörer; 7. 5. 1827— 31.8. 1827)

Köpke: Gründung der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, S. 58. 141, setzt den Beginn der Vorlesung für den 7. Januar an. 108 Vgl. Br. Gaß S. 114 109 γ gl auch die Formulierungen Schleiermachers in zwei Briefen an Graf Alexander zu Dohna aus Berlin vom 27.03.1813 bzw. 17.04.1813, die allerdings die Situation bereits des Sommersemesters 1813 betreffen: „Für die Universität wird diesen Sommer wenig oder nichts zu thun sein [...]." — ,,[•••] da Collegia wahrscheinlich gar nicht zu Stande kommen [...]•" (Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, hg. v.J.L. ]acobi, Halle 1887, S. 47. 50) 107

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— Sommer semester 1829 (fünfstündig; 118 Hörer; 4.5. 28. 8. 1829) - Wintersemester 1831/32 (fünfstündig; 90 Hörer; 7.11. 31.3.1832)

1829— 1831-

Schleiermacher hat demnach in dreißig Jahren seiner universitären Lehrtätigkeit elfmal Theologische Enzyklopädie gelesen.λ 10 Sie gehört damit nach Dogmatik und Christlicher Sittenlehre zu den von Schleiermacher am häufigsten vorgetragenen Kollegien. Die Vorlesungsankündigungen zu den Wintersemestern 1811/12, 1814/15, 1816/17, 1819/20 und zu den Sommersemestern 1824, 1827 und 1829 weisen dabei jeweils ausdrücklich, wenn auch nicht immer mit Titelnennung, auf die gedruckte Theologische Enzyklopädie als zugrundegelegtes Lehrbuch hin; für das Wintersemester 1831/32 wird in der Ankündigung expressis verbis auf die Zweitauflage der ,Kurzen Darstellung' als Lehrbuchgrundlage hingewiesen. Diese ausdrücklichen Hinweise in den Vorlesungsankündigungen dürften so zu verstehen sein, daß Schleiermacher in der Tat den Text seines Kompendiums „in der Hand seiner Zuhörer voraussetzte" m ; jedenfalls finden sich in den erhaltenen Vorlesungsnachschriften von Jonas und von Strauß keinerlei Hinweise darauf, daß Schleiermacher seinen Hörern die Paragraphen-Leitsätze etwa diktiert hätte. Schleiermachers „Kurze Darstellung" ist natürlich nicht der einzige Fall eines gedruckten Leitfadens für einleitende Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie. Der obligatorische Charakter dieser Vorlesungen hat vielmehr entsprechend auch eine erkleckliche Anzahl gedruckter literarischer Produkte hervorgebracht,112 Schleiermacher selbst hat von den zeitgenössischen Veröffentlichungen in der Zeit vor der Publikation seiner eigenen Darstellung nach eigenem Bekunden113 vor allem zwei Werke benutzt, nämlich zum einen Johann August Nösselts „Anweisung zur Bildung angehender Theologen", dreibändig in zweiter Auflage 1791 in Halle erschienen, und Gottlieb Jakob Plancks zweibändige „Einleitung in die theologischen Wissenschaften" (Leipzig 1794—1795). Beide 110

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Scholz: Einleitung, S. XIV gibt zwölfmal an; diese Abweichung erklärt sich daraus, daß es Scholz entgangen ist, daß neben der Vorlesung aus dem Wintersemester 1813/ 14 (vgl. a. a. O., S. XIII) auch die vom Sommersemester 1824 ausgefallen ist. — Entsprechendes gilt auch von Birkner: Vorwort, S. VII. Birkner: Vorwort, S. XI Zeitgenössische Literatur zur Theologischen Enzyklopädie findet sich u. a. bei: ]. T. L. Danz: Encyklopädie und Methodologie der theologischen Wissenschaften, Weimar 1832, S. 130-136. Vgl. Br. Gaß S. 2: „Dem letzten [sc. dem, daß der Kollegvortrag noch zu wenig detailliert ist] suche ich abzuhelfen, indem ich ζ. E. vor der Encyclopädie allemal etwas aus unseres ehrlichen Nösselts Anweisung oder Plancks nicht minder geschwätziger Einleitung lese [...]."

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Werke hat er auch in seiner Bibliothek besessen.114 In späterer Zeit, insbesondere nachdem er seinen eigenen Leitfaden zur Veröffentlichung gebracht hatte, dürfte Schleier mach er freilich keinen ausgiebigen Gebrauch mehr von anderen gedruckten Theologischen Enzyklopädien gemacht haben. Jedenfalls läßt Schleiermachers letzte Vorlesung aus dem Wintersemester 1931/32, die uns durch die Nachschrift von David Friedrich Strauß erschlossen ist115, keinerlei Bezugnahmen auf andere literarische Enzyklopädien erkennen, und bezeichnenderweise beginnt ja schon die „Vorrede" zur ersten Auflage der ,Kurzen Darstellung' mit dem Geständnis Schleiermachers, es sei ihm „immer ungemein schwierig erschienen nach Anleitung eines fremden Handbuchs akademische Vorträge zu halten"116.

a) Kurze Darstellung des theologischen (1. Auflage 1811)

Studiums

Die Erstausgabe von Schleiermachers gedruckter Theologischer Enzyklopädie erschien unter dem Titel „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen entworfen von F. Schleiermacher" im Jahr 1811 in Berlin. Das Buch wurde im Verlag der Realschulbuchhandlung von Schleiermachers Freund und Verleger Georg Reimer publiziert. Der Angabe des Verfassernamens auf dem Titelblatt folgt unmittelbar, petit gesetzt, die ausführliche Erläuterung seiner öffentlichen Funktionen: „der Gottesgelahrtheit Doctor und öffentlicher]. ord[entlicher]. Lehrer an der Universität zu Berlin, evang[elisch]. reformierter], Prediger an der Dreifaltigkeitskirche daselbst, ordentliches]. Mitglied der Königl[lich], Preußischen]. und corresp[ondierendes], der Königlich]. Baierischen Akademie der Wisssenschaften." Der Druck umfaßt, abgesehen von den vier Seiten Titelblatt und Vorrede, 92 Seiten zu in der Regel 25 Zeilen. Der Satzspiegel beträgt 14,1 cm in der Höhe und 8 cm in der Breite. Der Gesamtseitenumfang verteilt sich auf 5 Druckbogen zu je 16 und einem sechsten Bogen von 12 Seiten. Im Meßkatalog „Allgemeines Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse [...] entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige 114

115

Vgl. Schleiermachers Bibliothek. Bearbeitung des faksimilierten Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, besorgt v. G. Meckenstock, Sehl A 10, Berlin/New York 1993, S. 237. 245 (SB 1383. 1480) Vgl. ThEnz (Strauß) Unten 247,3 f; 321,3 f

XL

Einleitung

des

Bandherausgebers

noch herauskommen sollen" ist das Buch bereits für die Ostermesse 1810 angekündigt, und zwar unter dem Titel „Darstellung des theolog. Studiums. Zum Behuf einl. Vorlesungen entworfen". Ein Jahr später weist der Meßkatalog dann Schleiermachers „Kurze Darstellung" unter ihrem endgültigen Titel als zur Ostemesse 1811 bereits erschienen aus,117 Der Preis für die „Kurze Darstellung" beträgt 10 Groschen.118 Das Autorenhonorar wird Schleiermacher nach Auskunft des Hauptbuch Reimer am 16. April 1811 ausgezahlt oder gutgeschrieben; es beträgt 75 Reichsthaler.119 Entstehung Schleiermachers Plan, einen Leitfaden der Theologischen Enzyklopädie zur Veröffentlichung im Druck auszuarbeiten, ist alt. Er entsteht praktisch sofort mit dem Beginn seiner ersten Vorlesung in dieser Disziplin im Wintersemester 1804/05 in Halle. Denn bereits am 4. November 1804 schreibt Schleiermacher an Georg Reimer: „Auch die theologische Encyclopädie ist mir wichtig und ich denke fast sie zu einem stehenden Collegio zu machen. Vielleicht ist auch die das Erste worüber ich etwas drucken lasse. Denn ein oder das andere aphoristische Compendium 120 möchte ich doch schreiben, es ist eine hübsche Gattung." Man sieht, daß die zeitlich noch unbestimmte Idee einer Veröffentlichung von allem Anfang an zugleich mit einer konkreten Vorstellung über die Gestalt und das Genre dieser Veröffentlichung verbunden ist, die dem genau entspricht, was die „Kurze Darstellung" in ihrer Erstausgabe von 1811 dann tatsächlich geworden ist: ein aphoristisches Kompendium. Schleiermacher muß sein noch vages Vorhaben gegenüber seinem theologischen Briefpartner Joachim Christian Gaß mitgeteilt haben und findet von dieser Seite schnell ermutigenden Zuspruch. Gaß schreibt am 13. Juli 1805 aus Stettin an Schleiermacher: „Ist also der dritte Band vom Piaton fertig, so dächte ich, geben Sie uns immer den Leitfaden zur Encyclopädie, um so mehr, da er Ihre Ansicht der Theologie enthält. An der rechten Ansicht fehlt es überall, und ehe diese nicht hergestellt, kann die obwaltende Verwirrung sich nicht lösen."111 Gerade aber im Hinblick auf den programmatischen Charakter seiner Theologischen Enzyklopädie scheinen Schleiermacher schon bald, nämlich nach Beendigung 117 118 119 120 121

Vgl. Bibliographie der Schriften Schleiermachers, S. 37 Vgl. Dattz: Encyklopädie, S. 135 Vgl. Schleiermachers Bibliothek, S. 262 Br. 4, S. 105 Br. Gaß S. 25

Historische

XLI

Einführung

seiner zweiten Vorlesung im Sommersemester 1805, wieder Zweifel gekommen zu sein hinsichtlich der beabsichtigten aphoristischen Form und ihrer Angemessenheit. Am 6. September 1805 schreibt er an Gaß: „Ebenso hat mich die Wiederholung der encyclopädischen Vorlesungen sehr in meiner ganzen Ansicht bestärkt; und ich werde Sie um Erlaubniß bitten, Ihnen was davon, diesmal in einer etwas reiferen Gestalt als im vorigen Jahre, zu Papier gekommen ist, gelegentlich mitzutheilen. Es kann Ihnen wenigstens die Basis werden, um unsere Gedanken über diese Gegenstände etwas ausführlicher und ordentlicher auszutauschen. Denn gedrukkt möchte wol nicht eher etwas davon werden, bis ich einmal das Collegium satt bin und die Vorlesungen in extenso drukken lasse. Denn bei Aphorismen würde, wenn sie ins große Publikum kämen, Mißverstand fast unvermeidlich sein."122 Von solchen Zweifeln ist dann aber ein paar Wochen später, am 25. Oktober 1805, gegenüber seinem Freund und Verleger Keimer keine Rede mehr: „[...] ein sehr kleines Handbuch zu meinen Vorlesungen über theologische Encyclopädie arbeite ich gewiß noch die folgenden Jahre aus, und vielleicht schon im nächsten darauf eine Dogmatik."123 An eine unmittelbar bevorstehende Ausarbeitung scheint noch nicht gedacht zu sein. Abermals ein paar Wochen später konkretisiert sich dann die zeitliche Vorstellung derart, daß Schleiermacher nun mit Bestimmtheit daran denkt, im Zusammenhang seiner beabsichtigten Vorlesung im Wintersemester 1806/07 das Kompendium drucken zu lassen; gleichzeitig ist ersichtlich, daß der Text des projektierten Leitfadens teilweise bereits im Zuge der beiden schon gehaltenen Vorlesungen entstanden sein muß. Auch ist zu diesem Zeitpunkt bereits die spätere Gliederung der ,Kurzen Darstellung' in drei Hauptteile zuzüglich einer allgemeinen Einleitung erkennbar. Dieses alles läßt sich jedenfalls dem Brief Schleiermachers an Gaß vom 16. November 1805 entnehmen: „Da es Ihnen Vergnügen zu machen scheint, so schikke ich Ihnen zugleich meine Encyclopädie, soviel davon vorhanden ist. Leider werden Sie gleich sehen, daß der erste Theil nicht vollendet ist, der zweite gänzlich fehlt und vom dritten nur die erste Hälfte vorhanden ist. Wahrscheinlich würde Sie der zweite Theil auch wegen des Zusammenhangs mit Ihrer Arbeit am meisten interessiren, und gerade von diesem können Sie Sich nur die allgemeinste Idee aus der Einleitung herausnehmen. Mir ist nun vorzüglich daran gelegen zu wissen, ob Sie die in der allgemeinen Einleitung gegebene Darstellung des Ganzen und die Anordnung und Gliederung des historischen Theils billigen. Ziemlich fest bin ich entschlossen, wenn ich künftigen Winter das Collegium wieder lese, eine ganz kleine TJebersieht in 122 123

Br. Gaß S. 28 Br. 2, S. 70 (dort fälschlich auf 1806 datiert); Original: SN 761/1,

Bl. 33r

XLII

Einleitung des Bandherausgebers

drukken zu lassen. Weniger bei diesem Collegio um der Zuhörer willen, als um die ganze Ansicht auf eine recht unschuldige Art ins Publikum zu bringen und die akademischen Theologen gewissermaßen zu nöthigen, daß sie einige Rücksicht darauf nehmen, wenn auch keine andere, als daß sie den hingeworfenen Handschuh im Namen ihres alten Schlendrians (der noch bei uns in einer officiellen Anweisung für die angehenden Theologen gewaltig spukt124) ritterlich aufnehmen."125

124

Gemeint ist: Anweisung für angehende Theologen zur Uebersicht ihres Studiums und zur Kenntniß der vorzüglich für sie bestimmten Bildungsanstalten und anderer academischer Einrichtungen auf der königlich-preußischen Friedrichs-Universität, hg. v. der theologischen Facultät, Halle 1805. In der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 77~78 von 1806, Sp. 1 — 13, erscheint eine Rezension der „Anweisung" der Halleschen theologischen Fakultät von 1805, die in mancher Hinsicht mit Schleiermachers kritischen Einwänden gegen die „Anweisung" übereinkommt; Schleiermacher wird daher von verschiedener Seite für den Autor dieser Rezension gehalten. „Ich habe darauf überall unverholen erklärt, daß ich im Wesentlichen mit dem Recensenten ganz einstimmig wäre, daß es mir aber leid thäte, wenn man mir eine solche Unschikklichkeit zutraute." (Halle 25. April 1806, Br. Gaß S. 45) Im Intelligenzblatt der Hallischen Allgemeinen Literaturzeitung (Nr. 71 vom 14. Mai) 1806, Sp. 568 veröffentlicht die theologische Fakultät Halle eine förmliche Erklärung gegen die Rezension ihrer „Anweisung" folgenden Wortlauts: „Was über die von der hies, theol. Fac. im ]. 1805 herausgegebene, nicht in den Buchhandel gekommene ,Anweisung' vor Kurzem in einem öffentlichen Blatte geschrieben worden ist, veranlaßt uns zu erklären, daß diese Schrift mit der vollkommensten Uebereinstimmung darum so und nicht anders abgefaßt sei, weil es nach unserm einstimmigen und auf gemeinschaftliche reiflich angestellte Ueberlegung sich gegründeten Urtheile für die hier studirenden Theologen, deren Bedürfniß uns am besten bekannt ist, gerade so am zweckmäßigsten war. Daß aber unser vereintes Bestreben auch bei diesen Rathschlägen kein anderes sei, als dadurch ein gründliches Studium der Theologie und der damit in Verbindung stehenden Wissenschaften ohne irgend einen Zwang zu befördern, ist schon aus dieser Schrift selber deutlich zu ersehn, und für alle, die uns kennen, bedarf es hierüber ohnehin keiner Versicherung. Halle, den 5. Mai 1806. Nösselt. Knapp. Niemeyer. Vater. Schleiermacher." (Zitiert nach: Br. Gaß S. 52; vgl. auch Br. 4, S. 125 f) — Zu Schleiermachers Haltung in dieser Angelegenheit vgl. auch Br. Gaß S. 52 f. Exemplarisch ist auch Schleiermachers Einschätzung Nösselts: „Der Mann ist mir ein rechter Beweis, wie man sehr gelehrt sein kann und sehr großen Ruf haben, und doch wenig leisten. Denn was hat die Welt nun an den wenigen Opusculis und an der ,Bücherkenntniß'? Seine Methode als akademischer Lehrer scheint mir nun vollends nicht rühmlich. Es war wenig lebendige Anregung darin, wie denn überhaupt der Mann weniger Geist und Talent hatte, als jezt Gott sei Dank erlaubt ist; und von seinen zahlreichen dankbaren Schülern wird wol keiner sein, der da rühmen könnte, daß er ihm eben den Tempel der Weisheit aufgeschlossen." (Halle 6. April 1807, Br. Gaß S. 64) — „[...] es würde mir lieb gewesen sein, wenn ich irgend eine Veranlassung bekommen hätte, mich öffentlich über die Sache zu erklären. In meinen Vorlesungen habe ich indirect Gelegenheit genug dazu, und am stärksten wird sie nächsten Winter sein, wo ich wieder Encyclopädie lese und wol auch drukken lasse, was wegen dieser Geschichte nur um so sicherer geschieht." (Halle Sommer 1806, Br. Gaß S. 53)

125

Br. Gaß S. 36 f

Historische Einführung

XLIII

Möglicherweise bezieht sich Schleiermachers Anspielung auf ,Ihre Arbeit' auf die Ausarbeitung eines Manuskripts zu einem Grundriß der Apologetik, den Gaß zwischen dem 6. und 13. September 1805 an Schleiermacher geschickt hat.126 Sollte das zutreffen, hieße das, daß zu diesem Zeitpunkt der zweite Teil der Theologischen Enzyklopädie, im Unterschied zur ,Kurzen Darstellung' beider Auflagen, noch nicht die Historische Theologie, sondern wohl die Philosophische Theologie, deren Bestandteil in Schleiermachers Konzeption die Apologetik ist, ausgemacht hätte. Oer Historischen Theologie wäre wohl zu diesem Zeitpunkt noch der erste Teil gewidmet gewesen, der offensichtlich bereits am stärksten ausgearbeitet war und nach dessen Beurteilung durch Gaß es Schleiermacher entsprechend am meisten drängt. Für diese Vermutung über den damaligen Aufbau der Theologischen Enzyklopädie Schleiermachers spricht ein weiteres Indiz: Gaß hält in Breslau im Winter 1810/ 11 zweimal wöchentlich öffentliche Vorlesungen für Kandidaten und Hilfsprediger über das Studium der Theologie, wobei er sich ganz offensichtlich auf das ihm von Schleiermacher seinerzeit zur Verfügung gestellte Konzept der Theologischen Enzyklopädie stützt127; unter dem 20. Februar 1811 schildert er nun Schleiermacher gegenüber seine Vorlesungstätigkeit folgendermaßen: „Ich fing im November an und werde mit dem März schließen. In dieser Zeit werde ich den historischen und philosophischen Theil Ihrer Encyklopädie vollenden; die praktische Theologie hatte ich mir vorgenommen im künftigen Winter besonders und ausführlich vorzutragen."128 Auch hier also scheint die Abfolge der drei Teile der Theologischen Enzyklopädie die von Historischer, Philosophischer und Praktischer Theologie gewesen zu sein. Die zeitliche Vorstellung, den Leitfaden für den Winter 1806/07 für den Druck auszuarbeiten, scheint sich bei Schleiermacher in der Folge verfestigt zu haben. Am 21. Dezember 1805 teilt Schleier mach er Georg Reimer mit, er gedenke „zur Michaelismesse [...] mit einem kleinen theologischen Compendium aufzutreten"129. Ob Schleiermacher dabei tatsächlich an eine Theologische Enzyklopädie gedacht hat, kann allerdings nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Es könnte sich dabei auch um ein dogmatisches Kompendium handeln. Denn drei Wochen zuvor, am 1. Dezember 1805, schreibt Schleiermacher an Ehrenfried v. Willich: „Durch die Dogmatik komme ich immer mehr auch für das Einzelne auf's Reine mit meiner Ansicht des Christenthums, aber ich bin überzeugt, wenn ich nun in ein paar Jahren ein kleines Handbuch drucken

126 127 128 129

Vgl. Br. Gaß S. 33 Vgl. Br. Gaß 85. 91 Br. Gaß S. 92 Br. 2, S. 48

XLIV

Einleitung

des

Bandherausgebers

lasse, so wird es den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit sein."130 Die Formulierung läßt freilich erkennen, daß Schleiermacher das Projekt einer kurzgefaßten Dogmatik erst für eine zwar absehbare, aber doch unbestimmte Zukunft ins Auge faßt. Es ist daher doch wahrscheinlich, daß es sich bei dem für den kommenden Herbst projektierten „theologischen Compendium" um die geplante Druckfassung einer Theologischen Enzyklopädie handelt. Mit der Durchführung seines literarischen Planes rechnet Schleiermacher so fest, daß er Georg Reimer gegenüber am 21. Februar 1806 das durch die Veröffentlichung künftig einmal anfallende Honorar bereits für die Zurückzahlung eines Kredites veranschlagt, den er für sich und seinen Freund und Kollegen Henrik Steffens aufgenommen hat und den er nach der Ostermesse 1807 zurückzuzahlen versprochen hat: „Hiebet ist darauf gerechnet daß ich bis dahin zwei Bände Plato und ein kleines Compendium zur theologischen Encyclopädie fertig mache."131 Das Vorhaben bleibt zeitlich auch noch im Sommer 1806 für den „nächsten Winter" bestehen, „wo ich wieder Encyclopädie lese und wol auch drukken lasse"132. Die militärischen und politischen Ereignisse des Vierten Koalitionskrieges gegen Napoleon scheinen mit dem Ausfall der für das Wintersemester 1806/07 angekündigten Vorlesung zur Theologischen Enzyklopädie auch die Verschiebung der geplanten Veröffentlichung eines theologisch-enzyklopädischen Kompendiums bewirkt zu haben. Mit dem Verlust des öffentlichen Lehramtes an der Hallenser Universität schieben sich andere literarische Projekte und Unternehmungen in den Vordergrund: die historisch-exegetische Untersuchung zum 1. Timotheus133 brief , die aktuell veranlaßten Universitätsschriften134, die philologisch-philosophiehistorische Abhandlung zum Vorsokratiker He135 raklit . Angesichts der Verschiebung mahnt Gaß bereits am 14. Dezember 1806: „Auf Ihre Bearbeitung der prima ad Timotheum bin ich recht begierig [...]. Denken Sie doch auch an Ihre Encyclopädie."136 Für die Zeit von 1807 bis Anfang 1809 klafft in den brieflichen Äußerungen hinsichtlich des literarischen Projekts der Theologischen Enzyklopädie eine Lücke, die sicherlich die fehlende Beschäftigung Schleiermachers mit diesem Projekt richtig widerspiegelt. Zwar hält 130 131 132 133 134 135 136

Br. 2, S. 44 SN 761/1, Bl. 42r-v Br. Gaß S. 53 S.o. Anm. 70 S.o. S. X-XVIII; s. u. S. 1-6. 7-13. S.o. S. XXV-XXX; s. u. S. 101-241 Br. Gaß S. 62

15-100

Historische

Einführung

XLV

Schleiermacher noch vor Eröffnung der Universität zu Beginn des Jahres 1808 in Berlin erneut eine Vorlesung über Theologische Enzyklopädie, die öffentlichen und privaten Zeit- und Lebensumstände Schleiermachers verhindern aber zunächst, das Projekt einer Veröffentlichung seiner theologisch-enzyklopädischen Ansichten in Gestalt eines Kompendiums weiter zu verfolgen. Schleiermacher ist einerseits in die Vorbereitungen zur Gründung der Universität involviert und andererseits von der Gründung eines eigenen Hausstandes137 in Beschlag genommen; auch binden berufliche Verpflichtungen einen Teil seiner Kräfte: Schleiermacher tritt im Mai 1809 offiziell sein Predigtamt an der Dreifaltigkeitskirche an. Sobald aber die Eröffnung der Berliner Universität für Schleiermacher in greifbare Nähe rückt, kommt auch der Plan, ein theologischenzyklopädisches Kompendium zu schreiben, sofort und offensichtlich mit zweifelsfreier Priorität wieder zum Vorschein: „Bleibt es dabei, daß die Universität, wie es hier die meisten hoffen, Michaeli eröffnet wird, dann siehst Du mich noch diesen Sommer ein Büchlein schreiben, nur ein kleines akademisches Handbuch [...]", so schreibt Schleiermacher am 28. März 1809 an seine Braut Henriette v. Willich.138 Die Perspektive einer erneuerten universitären Lehrtätigkeit scheint ohnehin auf Schleiermacher eine große beflügelnde Wirkung ausgeübt zu haben: In einem Zeitraum von drei oder vier Jahren ungestörter universitärer Tätigkeit glaubt er im Stande zu sein, seine „ganze theologische Ansicht in einigen kurzen Lehrbüchern niederzulegen" und dadurch, wie er hoffe, „eine theologische Schule zu gründen, die den Protestantismus wie er jezt sein muß ausbildet und neu belebt"139. Bekanntlich verzögert sich die Eröffnung der Berliner Universität über das Jahr 1809 hinaus bis in den Herbst des Jahres 1810. Beharrlich hält Schleiermacher in dieser Wartezeit am Plan einer Veröffentlichung von so etwas wie der ,Kurzen Darstellung' fest; die Theologische Enzyklopädie hat unverändert den ersten Rang innerhalb möglicher theologisch-literarischer Projekte inne: „Denn nachgerade muß ich doch daran denken meine theologischen Ansichten in Lehrbüchern niederzulegen. Ich werde mit einer Encyclopädie anfangen, die wahrscheinlich noch 137

138 139

Am 18. Mai 1809 findet Schleiermachers Trauung mit Henriette v. Willich in Sagard auf Rügen statt (vgl. Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 38). Die Eheschließung zieht einen Wohnungswechsel in die Kanonierstraße Nr. 4 und die Einrichtung eines Haushaltes dort nach sich. Br. 2, S. 235 Brief vom 17. Dezember 1809, Br. 4, S. 172 — Zur Bildung einer theologischen Schule vgl. auch die spätere Äußerung Schleiermachers: „Das Vorlesungen-Halten bringt mich sehr vorwärts; ich habe wirklich Aussicht noch eine Art von gelehrtem Theologen zu werden und fange an mir eine Schule zu bilden aus der viel Gutes hervorgehen kann." (Brief vom 4. Juli 1812, Br. 4, S. 186)

XLVI

Einleitung

des

Bandherausgebers

dies Jahr erscheint [...]", heißt es in einem Brief unter dem 26. Februar 1810.140

Am 1. September 1810 schreibt Schleiermacher an Gaß: „Die Encyklopädie ist auch noch nicht geschrieben [...]."141 Woraus man entnehmen kann, daß der Plan, sie zu schreiben, so konkret geworden ist, daß seine NichtVerwirklichung zwischenzeitlich zum ganz realen drängenden Zeit- und Arbeitsproblem avanciert ist. Die Äußerung macht es zugleich wahrscheinlich, daß die tatsächliche Ausarbeitung der Druckfassung der ,Kurzen Darstellung' wohl erst mit dem Beginn der Vorlesung zur Theologischen Enzyklopädie im Wintersemester 1810/11 von Schleiermacher in Angriff genommen worden sein dürfte. Die Vorrede der ,Kurzen Darstellung' ist datiert mit „im Decemb. 1810". Am 29. Dezember 1810 schreibt Schleiermacher an Gaß: „Die theologische Encyklopädie ist nun endlich fertig geworden, und ich bin neugierig, ob sie eine neue Quelle von Verkezerungen werden wird. Mir sind die Sachen nun durch die vielfache Bearbeitung so familiär geworden, daß ich nichts darin finde, was Anlaß dazu geben könnte. Nur daß viele Gespenster darin seien, werden die Leute sagen theologische Disciplinen, die es nie gegeben habe und nie geben werde. Da werde ich nun den Beweis durch die That zu führen haben, was aber freilich zum Theil erst nach Erscheinung meiner Ethik geschehen kann."142 Schleiermacher hat sich rückblickend am 12. Juni 1813 an Friedrich Schlegel über den literarischen Produktionsprozeß der ,Kurzen Darstellung' dahingehend geäußert, „wie ungeheuer schwer ein Kompendium ist"143. Die Mühe scheint sich dann freilich im Hinblick auf seine eigene Vorlesungstätigkeit durchaus gelohnt zu haben: „[...] ich habe diese Woche wieder angefangen zu lesen. Bei der Encyklopädie schmekke ich doch die Süßigkeit eines Compendiums; die Vorträge werden gewiß verständlicher.", so schreibt Schleiermacher am 29. Oktober 1814.144 Mit einer solchen erleichternden Wirkung als Vorlesungsgrundlage erfüllt die „Kurze Darstellung" den Zweck, dem sie ausweislich ihres Titels dienen soll: „zum Behuf einleitender Vorlesungen". Dabei muß sich diese Mitteilung inhaltlich nicht ausschließlich auf Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie beziehen. In einem Fall jedenfalls scheint die Ausarbeitung der,Kurzen Darstellung' sich auch auf Schleiermach ers Dogmatik-Vorlesung aus dem Sommersemster 1811 ausgewirkt zu haben; denn Schleiermacher schreibt über diese Vorlesung: „[...] die Einleitung war ganz neu, '40 141 142 143 144

Br. 4, S. 177 Br. Gaß S. 78 Br. Gaß S. 87 Br. 3, S. 430 Br. Gaß S. 121

Historische

Einführung

XLVII

indem ich alles hierhergehörige aus der philosophischen Theologie hier beigebracht habe."145 Dieses Vorgehen ist von Schleiermacher offenbar von Anfang an geplant gewesen, denn es findet sich bereits explizit in der Vorlesungsankündigung formuliert: „Die dogmatische Theologie, nebst vorausgeschickten philosophischen Untersuchungen über die christliche Religion, trägt Herr Professor Schleiermacher in fünf Stunden wöchentlich vor."146 Zur

Wirkungsgeschichte

Schleiermachers gedruckter Leitfaden einer Theologischen Enzyklopädie hat früh eine relativ starke Beachtung gefunden. Anfang des Jahres 1812 schreibt Schleiermacher an Gaß: „Dein werther College Augusti hat zu meinen Bekannten von mir in Weimar gesagt: mit meiner theologischen Encyklopädie könne es mir doch unmöglich Ernst sein. Fühle ihm doch gelegentlich darüber auf den Zahn, wie er es gemeint hat, und was ihm eigentlich daran so determinirt spaßhaft vorkommt. Du kannst ihm immer sagen, mir sei es so Ernst damit, daß ich es ordentlich für eine Probe halte, ob es Jemand mit der Theologie ernstlich und im rechten Sinne meint, wenn es ihm wenigstens ernsthaft vorkommt."147 Dazu stellt Gaß in seinem Antwortbrief an Schleiermacher vom 23. Februar 1812 richtig: „Meinem Collegen Augusti thust Du Unrecht. Wir haben längst über die Encyklopädie gesprochen, und er hat mir nicht nur sehr gerathen darüber zu lesen, sondern auch geäußert, er hoffe auf dem historischen Wege dahin zu kommen, wohin Du durch Speculation gedrungen seiest, welches jedoch auf die Encyklopädie nicht zu passen scheint, sondern wohl mehr von der gegenwärtigen Behandlung des orthodoxen Lehrbegriffs gelten mag. Jene Aeußerung in Weimar war mir schon bekannt und bezog sich eigentlich auf das Sendschreiben an den Timotheus, welches er eingesteht anfangs als einen Scherz angesehen zu haben, nämlich um damit die wunderliche Art zu verspotten, wie damals über das Entstehen der Evangelien raisonirt ward."148 Sogar bis in höchste Kreise hinein ist Schleiermachers Werk Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden. Schleiermacher berichtet brieflich: „Was die Darstellung des theologischen Studiums betrift so weiß ich recht gut daß bei Hofe darüber geklatscht worden ist; daß meine dortigen Freunde es mit den gehörigen Anmerkungen begleitet dem Könige 145 146 147 148

Brief vom 11. Mai 1811, Br. Gaß S. 94 Schleiermachers Briefwechsel, S. 306 Brief vom 5. Januar bis 9. Februar 1812, Br. Gaß S. 103 Br. Gaß S. 106

XLVIII

Einleitung des Bandherausgebers

in die Hände gespielt haben und daß dieser gesagt hat gelehrte Leute bei der Universität sollten doch verständlicher schreiben. Aber ein Handbuch ist nur für die Zuhörer denen es in den Vorlesungen erklärt wird, es soll grade ihnen die Sachen vorher unverständlich machen die sie leider großentheils schon zu verstehen glauben und soll ihnen hernach dienen um an jeden Paragraphen eine Masse von Erinnerungen anzuknüpfen." 149 Insbesondere im Kreise der theologischen Freunde und Schüler findet die „Kurze Darstellung" natürlich manngifache Beachtung gerade in ihrer epochalen programmatischen Bedeutung. So äußert sich Gaß noch 1822 gegenüber dem Autor der ,Glaubenslehre': „Nächst dem muß ich Dir noch herzlich danken für den zweiten Band der Dogmatik. [...] Es kann sein, daß sie außer dem Kreise Deiner Schüler Wenigen zusagt [...]. Das aber soll mir auch Niemand abstreiten, daß mit Deiner Dogmatik eine neue Epoche nicht nur in dieser Disciplin, sondern im ganzen theologischen Studium beginnen wird, und wenn dies auch nicht plötzlich und auf einmal, so wird es doch künftig geschehen. So weit ich es vermag, suche ich dies gern zu befördern und lese darum diesen Winter über Deine kurze [/] Darstellung, weil doch von dieser ausgegangen werden muß, wenn von dieser Ansicht aus eine neue Schule in der Theologie sich bilden soll. Freilich wird diese ihre Freunde immer nur unter den jüngeren Theologen finden, aber auch um so besser gedeihen und sicher fortbestehen."150 Und August Detlev Christian Twesten moniert Schleiermacher gegenüber unter dem 23. März 1823, daß die „Kurze Darstellung" nicht ihrer eigentlichen epochalen Bedeutung angemessen gewirkt habe, wofür er auch dem Verfasser eine Mitschuld zuspricht: „Überhaupt ist bei allem, was Sie schreiben, gewiß mehr die Kürze, als die Ausführlichkeit zu bedauern [...]. So hätte schon Ihre Enzyklopädie weit tiefer eingreifen müssen, wenn die Kürze derselben sie nicht vielen zu einem verschlossenen Buch gemacht hätte."151 Neben solchen privaten Äußerungen hat die „Kurze Darstellung" auch eine ordentliche öffentliche Beachtung in Gestalt mehrerer Rezensionen gefunden. Die früheste Rezension, anonym publiziert, erschien in der ,Allgemeinen Literatur-Zeitung vom Jahre 181V (Nr. 171 — 173 vom 24. bis 26. Juni, Bd. 2, Leipzig/Halle 1811, Sp. 409-429). Hier erfährt Schleiermachers „Kurze Darstellung" eine ausführliche und detaillierte Besprechung. Die Rezension ist übersichtlich gegliedert: Nach einer kurzen Ge149

150 151

Brief an Alexander von Dohna vom 27.März 1813, Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, hg. v. J. L. Jacobi, Halle 1887, S. 47; vgl. auch Meisner 2, S. 151 Brief vom 16. November 1822, Br. Gaß S. 195 f Georg Heinrici: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, Berlin 1889, S. 380

Historische

Einführung

XLIX

samtcharakteristik des rezensierten Buches152 und einer knappen ersten Orientierung über die sachliche Aufgliederung der Theologie bei Schleiermacher in die drei großen Teile Philosophische, Historische und Praktische Theologie153, geht die Rezension dem Aufbau der „Kurzen Darstellung" folgend die einzelnen Teile und deren einzelne Abschnitte durch.154 Sie ist dabei auf der einen Seite darum bemüht, die jeweiligen Hauptzüge der Ausführungen Schleiermachers zu den einzelnen Disziplinen darzustellen, geht aber auf der anderen Seite immer wieder auch, teils zustimmend, vorwiegend aber negativ-kritisch, auf Details ein und moniert dabei Undeutlichkeiten in der Formulierung und innere Widersprüche in der Sache oder formuliert selbst äußere sachliche Einwände. Der Rezensent erblickt die Bedeutung der „Kurzen Darstellung" — einem „Aggregat von meistens sehr gehaltreichen Aphorismen" — darin, daß in diesem Buch „der berühmte Vf. [...] seine ganze dermalige Ansicht des theologischen Studiums concentrirt" habe155. Freilich habe es dem Verfasser gefallen, „seinem Gemälde fast eben so viel Schatten als Licht zu geben."156 Die Schattenseite besteht für den Rezensenten zunächst und durchgängig in Form und Stil der Darstellung: „So angenehm sich der Leser von neuen hellen Geistesblicken überrascht sieht, so schwer wird es ihm doch, manche Ansicht mit der nöthigen Klarheit und Bestimmtheit sich auszudeuten. Nicht nur die aphoristische Form der Darstellung erschwert die Einsicht in den Sinn des Vfs., sondern auch der nicht selten zu kunstvoll und vornehm klingende pretiöse Ausdruck, welcher zuweilen inhaltschwere wie triviale Gedanken unter einer gleichen mystisch-scholastischen Hülle verbirgt und ihnen das Ansehen dunkler Orakelsprüche giebt f...]."157 Diese formale und stilistische Eigentümlichkeit müsse „besonders an einem Lehrbuche für Anfänger eines Studiums auffallen."158 Da Schleiermacher zudem darauf verzichtet hat, in seiner Enzyklopädie „auch einen kurzen Auszug der einzelnen dargestellten Disciplinen zu geben"159, also keine materiale, sondern lediglich eine formelle Enzyklopädie gegeben hat, zieht der Rezensent schon am Ende seiner einführenden Gesamtcharakteristik den Schluß, 152 153 154

155 156 157 158 159

Vgl. Sp. 409 f. Vgl. Sp. 410. Zur Einleitung vgl. Sp. 411—413; zur Philosophischen Theologie vgl. Sp. 413 — 416 (Apologetik: Sp.414; Polemik: Sp. 414—416); zur Historischen Theologie vgl. Sp. 417-423 (Exegetische Theologie: Sp. 418-420; Kirchengeschichte: Sp. 420 f; Dogmatische Theologie: Sp.421f; Statistik: Sp.422f); zur Praktischen Theologie vgl. Sp. 425-429 (Kirchenregiment: Sp. 426 f; Kirchendienst: Sp. 427-429). Sp. 409. Sp. 409. Sp. 409. Sp. 409. Sp. 410.

L

Einleitung des

Bandherausgebers

daß die „Kurze Darstellung" insgesamt „wohl wenig geeignet" sein möchte „für angehende Theologen, welche, noch unbekannt mit allem Materialen der 'Wissenschaft, die ihnen dargebotene hohle Form schwerlich zu deuten und zu benutzen wissen werden"160. Er fügt allerdings sofort hinzu, daß sie „viel angemessener" sein würde für diejenigen, „die bereits ihren theologischen Cursus beendigt haben,"161 Was die Gesamtgliederung der theologischen Disziplinen bei Schleiermacher anbelangt, so erwecken bereits einleitend zwei Neuerungen das besondere Befremden des Rezensenten: zum einen die neue Disziplin der Philosophischen Theologie, insbesondere sofern sie aus Apologetik und Polemik sich bilden solle und Dogmatik und Ethik als „die bisherigen Haupttheile der Theologie [...] hier gar keine Erwähnung gefunden haben"161; und zum anderen die Theorie des Kirchenregiments als neuer praktisch-theologischer Disziplin.163 So beziehen sich die sachlich bedeutendsten kritischen Bemerkungen des Rezensenten denn auch auf die beiden Disziplinen der Philosophischen und Praktischen Theologie, während er im zweiten Teil zur Historischen Theologie „weit mehr ausgezeichnetes und treffendes gesagt" findet164. Zu Schleiermachers allgemeiner Einleitung der „Kurzen Darstellung" klagt die Rezension zunächst die fehlende Klärung grundlegender Begriffe ein: „Was eine positive Wissenschaft sey, was Religion, und zwar bestimmte Religion dem Vf. sey, wird nicht gesagt."165 Auch das Verständnis des Kirchenregiments bleibt dem Rezensenten unklar: Vergebens sucht man aber hier eine genaue Bestimmung dieses Regiments, um nicht, wie gewöhnlich, die unabhängige Ausübung der Kirchengewalt dadurch angedeutet zu sehn [...]."166 Der Verdacht, als solle das Kirchenregiment in der Tat in diesem Sinne zu verstehen sein, scheint für den Rezensenten durch den für ihn auffälligen Sachverhalt bestärkt zu werden, daß Schleiermacher „zu einer Zeit, wo glücklicherweise alle eigentlichen Kirchenfürsten verschwunden sind, wieder mit der Idee eines solchen hervortritt (§. 9.) [...]. Ob und in wie fern nur Einer oder mehrere solcher Fürsten in der Kirche existiren können, wird nicht gesagt."167 Schließlich bleibt dem Rezensenten das von Schleiermacher in § 22 der allgemeinen Einleitung anvisierte Verfahren der Philosophischen Theologie zur Bestimmung des Wesens des Christentums und die Bedeu160 161 162 163 164 165 166 167

Sp. 410. Sp. 410. Sp. 410. Vgl. Sp. 410. Sp. 417. Sp. 411. Sp. 411. Sp. 411 f.

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Einführung

LI

tung, die dafür der Ethik zukommt, dunkel: Er sehe nicht, „wie das Wesen des Christenthums oder irgend eine in der Geschichte sich darstellende Kirche anders als empirisch erkannt werden könne, und wie die Stiftung und das Bestehn solcher Vereine als ein nothwendiges Element in der Entwicklung des Menschen aus der Ethik nachgewiesen werden 16S soll." Dabei mißversteht der Rezensent offensichtlich Schleiermachers Absage an ein lediglich empirisches Verfahren als Befürwortung einer willkürlichen apriorischen Konstruktion169 Beides, die Dunkelheit bezüglich der Aufgabe und Funktion der Ethik, die „Idee der Religion und der Kirche als veränderliche Größe" 170 festzustellen , und das Mißverständnis, als solle das Wesen des Christentums durch eine willkürliche Konstruktion ermittelt werden, bestimmt auch die Stellungnahme des Rezensenten zum ersten Teil der „Kurzen Darstellung" zur Philosophischen Theologie: „Allein weder über das Wesen und die allgemeinen Formen dieser Ethik des Vfs., noch über die Idee, ihre Quelle und ihren Gehalt findet man hier näheren Aufschluß, und so sieht man sich in einem mystischen Dunkel befangen, aus welchem alles Hinweisen auf jenes Irrlicht einer unbestimmten Idee keinen Ausweg zu zeigen vermag."171 Die Willkür in der Wesensbestimmung des Christentums hat in Verbindung mit dem für Schleiermachers Gesamtverständnis von Theologie konstitutiven Begriff des Kirchenregiments für den Rezensenten mögliche gefährliche Folgen: „Da nun jeder nur nach seiner eigenen selbstgeschaffnen Idee vom Christenthum seine Thätigkeit im Kirchenregiment bestimmen kann, so wird er leicht verleitet werden können, manches für Abweichungen von seiner Idee zu halten, was doch dem Christenthum an sich nicht zuwider ist, ja es wird ihm nicht schwer werden, in jenem Grundsatze eine Beschönigung und Rechtfertigung aller Aeußerungen der Intoleranz, selbst aller möglichen Gräuel der Inquisition und Kezzerverfolgung zu finden."172 — Im Hinblick auf die Apologetik äußert sich der Rezensent teils lobend, teils tadelnd zu ihrer Abgrenzung als Disziplin: Zum einen sei „hier die sonst so wenig umfassende Wissenschaft dieses Namens besonders aus dem Gebiete der Dogmatik bereichert"; zum anderen zeige sich, „wie wenig manche hieher gezogene Gegenstände ζ. B. die Untersuchung über den Kanon, welche doch ganz historisch geführt werden muß, in einer sogenannten philosophischen Theologie an ihrer rechten Stelle sind."173 — Hinsichtlich der Polemik zeigt sich der Rezensent nicht einverstanden 168 169 170 171 172 173

Sp. Vgl. Sp. Sp. Sp. Sp.

412. Sp. 412. 413. 413. 413. 414.

LH

Einleitung

des

Bandherausgebers

mit ihrer bei Schleiermacher ganz nach innen, auf das Christentum selbst, gerichteten Aufgabenbestimmung: „Auch ist kein befriedigender Grund angegeben, weshalb gegen den Atheismus und gegen einen antireligiösen Verein keine Polemik statt finden solle, da diese gerade die gefährlichsten Feinde des Christenthums sind, die es völlig zu annihiliren streben"174. Bezüglich des zweiten Teils zur Historischen Theologie moniert der Rezensent u. a. im Hinblick auf die Exegetische Theologie, daß das Verhältnis von Judentum und Christentum nicht richtig, nämlich nicht im Sinne der geschichtlichen Zusammengehörigkeit und Kontinuität beider Religionen, angegeben werde,175 und im Blick auf die eigentliche Dogmatik, daß Schleiermacher es versäumt habe, das Wie und die Kriterien der Ermittlung des zu einer bestimmten Zeit geltenden Lehrbegriffs anzugeben. 176 Die auffällige Neuzuordnung der Dogmatik zur Historischen Theologie wird erwähnt, aber nicht besonders hervorgehoben oder diskutiert. Die Rezension zum dritten Teil der ,Kurzen Darstellung' über die Praktische Theologie bemängelt die fehlende Einsehbarkeit des für das Verständnis der praktisch-theologischen Disziplin im Gesamtzusammenhang der theologischen Wissenschaft bei Schleiermacher in der Tat grundlegenden § 3 der Einleitung zum dritten Teil: „Warum jede Einwirkung auf die Kirche ohne wissenschaftlichen Geist nur eine unbewußte ist, und jede ohne Interesse am Christenthum nur eine zufällige (§. 3.), ist aus dem Vorhergehenden nicht einzusehn."177 — Das besondere kritische Interesse des Rezensenten findet der Abschnitt über die Theorie des Kirchenregiments. Seine Darstellung läßt die offenkundige Befürchtung erkennen, mit dieser Theorie seien vereinheitlichende Tendenzen intendiert. Dies zeigt sich zum einen an der Auswahl dessen, was er von Schleiermachers Theorie des Kirchenregiments zur Sprache bringt, zum anderen gerade an den mit Zustimmung zitierten Passagen, die innerhalb der Theorie des Kirchenregiments die Freiheit und Beweglichkeit der Entwicklung des Kirchlichen im Hinblick auf Lehre und Kirchenverfassung hervorheben: Relativ ausführlich werden Schleiermachers Ausführungen zu Kirchenzucht und Kirchenbann mitgeteilt und als „unbefriedigend" beurteilt.178 Die Bindung an das kirchliche Symbol einerseits und die Freiheit der Lehrentwicklung werden als „sonderbare[r] Widerspruch" deklariert179. Zustimmend zitiert der Rezensent das Zugeständ174 175 176 177 178 179

Sp. 415. Vgl. Sp. 418. Vgl. Sp. 421. Sp. 425. Vgl. Sp. 426. Sp. 426.

Historische Einführung

LIII

nis Schleiermachers18°, „daβ nach Erforderniß von Ort und Zeit der Cultus sich mannichfaltig gestalten könne, und daß also statutarisch seine Freyheit und Beweglichkeit begründet werden müsse."181 Ebenso verfährt er mit der von Schleiermacher aufgestellten „Forderung, daß die Kirchengewalt sich selbst beweglich erhalten müsse, um der fortschreitenden Einsicht zu entsprechen"161. — Die Frage von Freiheit und kirchlicher Autorität bestimmt auch die Rezension zur Theorie des Kirchendienstes. Wie im Verhältnis von Lehrfreiheit und Bindung an das kirchliche Symbol, so diagnostiziert der Rezensent auch im Blick auf das — für das kirchenleitende Handeln des Klerikers konstitutive — Verhältnis von „individueller Selbstthätigkeit als Prediger" und der Funktion als „Repräsentant der constituirten kirchlichen Autorität als Liturg" „das unsichre Schweben zwischen Gegensätzen, welches dem Anfänger in einem Studium, der feste Principien in der Wissenschaft sucht, höchst rath- und trostlos erscheinen muß."183 Auffällig und lehrreich an dieser insgesamt ablehnend-kritischen Rezension ist zweierlei: Zum einen legt sie nur zu deutlich den Finger auf solche Stellen, die einem damaligen Leser, ohne im Hintergrund die Kenntnis des philosophisch-theologischen Systems zu haben, die damalige Hörer der Vorlesungen oder heutige Leser der Nachlaßtexte Schleiermachers haben können, schier unverständlich bleiben müssen. Dies betrifft, neben vielen Einzelheiten, vor allem das sogenannte kritische Verfahren Schleiermachers in der Philosophischen Theologie und die Konzeption seiner Philosophischen Ethik. Zum anderen zeigt die Rezension, daß man Schleiermachers „Kurze Darstellung" als Gesamtprogramm einer Klerikalisierung der Theologie verstehen oder mißverstehen kann: Schleiermachers Begriff des Kirchenregiments sowie das Ideal des Kirchenfürsten werden vom Rezensenten offenkundig in diesem Sinne begriffen.184 In Schleiermachers Einschätzung, daß eine theologische Schulbildung die Lehre erleichtere, erblickt der Rezensent die Gefahr einer vereinheitlichenden kirchlichen Doktrination und Gängelung der freien theologischen Forschung am Horizont.185 Gegen Schleiermachers „ganz grundlose Behauptung, daß sich ohne religiöses Interesse kein fortgesetztes Studium des Kanons denken lasse"186, meint der Rezensent die freie, bloßem philologischem und historischem Interesse verpflichtete Erfor180 γ^ι jjg Formulierung: „Uebrigens gesteht der Vf. zu" (Sp. 426). 181 182 183 184 185 186

Sp. 426. Sp. 427. Sp. 427. Vgl. Sp. 411. Vgl. Sp. 410. Sp. 420.

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LIV

schung der neutestamentlichen Schriften verteidigen zu müssen.187 Diese Beispiele mögen genügen, um den durchgehenden Zug der Rezension zu belegen, daß sie in Schleiermachers theologisch-enzyklopädischem Programm Gefahren klerikalisierend-vereinheitlichender Tendenzen erblickt. Für das Verständnis dieser durchgehenden Kritik ist die Bestimmung der eigenen theologischen Position des Rezensenten hilfreich: Der Rezensent stützt sich auf die ,,gesunde[...] Vernunft" und die „christlichen Religionsurkunden"188 als Begründungsinstanzen, Quellen und Kriterien theologischer Argumentation. Mit Zustimmung referiert er Schleiermachers Erklärung „für die Nothwendigkeit einer historischen Interpretation des Kanons"189; er besteht allerdings gegen Schleiermacher auf der Unterscheidung von rein historisch-grammatikalischer Interpretation und eigentlicher „Erklärung" im Sinne einer „philosophischen Beurtheilung des durch jene gefundenen Inhalts"190 der christlichen kanonischen Schriften.191 Zur Erklärung krankhafter Elemente und Entwicklungen innerhalb des Christentums hält er es für nötig, „fälschlich für christlich gehaltene, schwärmerische, mystische Principien aufzusuchen."192 Die Unterscheidung von Klerus und Laien lehnt er als für die protestantische Kirche im eigentlichen Sinne nicht bestehend ab.193 Er begrüßt die theologiegeschichtliche Entwicklung hin zu einer größeren Freiheit der Lehrbildung194 und äußert auch für die weitere Zukunft den Wunsch, „daß gründliches, von echt religiösem Sinne geleitetes Forschen im Gebiet der theologischen Wissenschaften nie wieder von lähmenden Fesseln eines despotischen Schulzwanges und den Folgen desselben, einer scholastischen Barbarey und Intoleranz befangen 195 werde." — Alle diese Hinweise lassen vermuten, daß man den Verfasser der Rezension dem Kreis eines dem Erbe der Neologie verpflichteten gemäßigten Rationalismus wird zurechnen können. Von daher ist die Rezension ein interessantes Dokument für die Art und Weise, in der Schleiermachers „Kurze Darstellung" gerade auf den einen Teil der beiden großen theologischen Strömungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirken konnte: nämlich als Manifest einer vom rationalistischen Standpunkt aus gesehen konservativ-restaurativen Kirchlichkeit.

187 188 189 190 191 192 193 194 195

Vgl. Sp. Sp. Sp. Vgl. Sp. Vgl. Vgl. Sp.

Sp. 420. 415. 419. 419. Sp. 419. 422. Sp. 423. Sp. 426. 427. 410.

Historische Einführung

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Unter dem Titel „Theologische Encyklopädie" erschien in der ,[Neuen] Leipziger Literatur-Zeitung für das Jahr 1812' (Nr. 102—103 vom 27. und 28. April, Leipzig 1812, Sp. 809—822) eine Doppelrezension von Schleiermachers ,Kurzer Darstellung'196 und Johann Ernst Christian Schmidt: Theologische Encyklopädie, Gießen 1811197. Die Arbeit Schmidts würdigt der Rezensent als akademisches Lehrbuch, schätzt seinen Wert für die Wissenschaft selbst aber eher gering ein. Die Theologie habe „durch diese Schrift, so viel wir sehen können, Nichts gewonnen"198. Dies verhalte sich nun ganz anders bei Schleiermachers ,Kurzer Darstellung'. Schleier mach er trete „auch diesmal, wie ihn das philosophische und theologische Publicum schon genügsam kennt, als wissenschaftlicher Reformator auf"199. Der Rezensent erblickt entsprechend überall „die strengste systematische Ordnung und Gleichförmigkeit" und die „Einheit des Ganzen"200. Den Charakter der Wissenschaftlichkeit sieht der Rezensent vor allem dadurch realisiert, daß Schleiermacher „das ganz neue Gebäude seiner formalen theologischen Encyklopädie auf den Begriff der christlichen Theologie als seinen einigen Grund gestützt" habe201. Aus diesem Begriff würden dann die drei Hauptzweige der philosophischen, historischen und praktischen Theologie „abgeleitet" und unter einander „zu einem organischen Ganzen verbunden"201. Dieser klugen und insgesamt höchst angemessenen Gesamteinschätzung der Besonderheit des Schleiermacherschen Werkes durch den Rezensenten folgt eine in verständnisvollem Ton gehaltene Zusammenfassung der drei Teile der ,Kurzen Darstellung'203, der sich dann eine Kritik fundamentaler Art anschließt204. Diese Kritik bezieht sich auf den als Ableitungsgrund vorausgesetzten Theologiebegriff. Diesem zufolge müsse nämlich „die Theologie um der Kirche willen nothwendig vorhanden gedacht werden"205. Darin erblickt der Rezensent die Gefahr, daß „hierdurch die Kirche zur Gesetzgeberin und Beherrscherin der Theologie" erhoben werde206. Über die allgemeine Gefahr hinaus sei eine solche Inbeziehungnahme von Theologie und Kirche „nicht im Geiste des Protestantismus"207. Der gefahrenbergende und kritikwürdige zugrundelie196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 106 207

Vgl. Vgl. Sp. Sp. Sp. Sp. Sp. Vgl. Vgl. Sp. Sp. Sp.

Sp. 814-822 Sp. 810-814 814 814 814 815 815 Sp. 815-819 . Sp. 819-822 819 819 820

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gende Begriff von Theologie wirke sich nachteilig auf den ganzen Entwurf der Enzyklopädie aus208. Für diese These führt der Rezensent dann Beispiele aus allen drei Teilen der ,Kurzen Darstellung' an109. Beispielsweise herrsche in der Praktischen Theologie „eine übermässig strenge Kirchengewalt"210. Resümierend stellt der Rezensent fest, er selbst würde nicht, wie bei Schleiermacher, „die kirchliche Bestimmung der christlichen]. Theologie für die encyklopädische Beschreibung von dieser zur Hauptsache machen"111. Er schließt mit einem eigenen Vorschlag zur Einteilung der Theologie, deren Eingangs- und Grundunterscheidung die Differenz von reiner und angewandter Theologie ist, eine Unterscheidung, in der noch einmal das Interessse des Rezensenten für eine von der Kirchlichkeit zunächst ganz unabhängig zu haltende Theologie sich ausspricht.112 Ebenfalls anonym ist die Rezension, die in den ,Theologischen Annalen, herausgegeben von Ludwig Wachler (Bd. 1, Marburg/Frankfurt am Main 1812, S. 95—100) publiziert wurde. Die recht kurz gehaltene Rezension beschränkt sich in der Hauptsache darauf, in teilweise wörtlicher, ansonsten aber enger Anlehnung an den Text der ,Kurzen Darstellung' die Hauptgedanken Schleiermachers zu referieren. „Ree. will sich bemühen, den höchst interessanten Gedanken ganz, so viel wie möglich mit eignen Worten des Verfs. hier darzulegen."213 Dabei zeichnet sich die Rezension durch eine sympathisierende und durch Verständnis und Nachempfindung gekennzeichnete Art der Darstellung aus, die vermuten läßt, daß der Rezensent mit Schleiermacher und seinen Gedanken bereits anderwärtig vertraut ist. Auf die Diskussion von Einzelheiten und jegliche kritische Erörterung wird verzichtet. Lediglich zu Beginn und am Ende der Rezension kommt es zu einleitenden und beschließenden wertenden Aussagen des Rezensenten, die noch einmal den durchgängig zustimmenden Ton der Rezension expressis verbis bestätigen: Vornehmlich interessant sei das Buch dadurch, „daß es des geistreichen Verfs. dermalige Ansicht des theologischen Studiums enthält, die schon durch ihre Abweichung vom Gewöhnlichen aufregen, wirken und besseres erzeugen kann."214 Der Hervorhebung wert ist, daß hier das Exzeptionelle der Schleiermacherschen Disposition der Theologie in ihrer Gesamtheit gerade nicht als anstößig im negativen Sinne, sondern Schleiermachers ei-

208 209 210 211 212 213 214

Vgl. Sp. 821 Vgl. Sp. 821 f Sp. 822 Sp. 822 Vgl. Sp. 822 S. 96 S. 96

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gener Einschätzung aus der „Vorrede" entsprechend215 als im guten Sinne provokativ und richtungweisend bewertet ist. Und so schließt die Rezension denn auch mit dem Wunsch, daß die „Kurze Darstellung" die ihr gehörige Aufmerksamkeit erlangen und Wirksamkeit entfalten und ihr Verfasser einzelne Teile seines enzyklopädischen Entwurfs noch ausführlicher ausarbeiten möge: „Möge denn dieser kurze Auszug dazu beitragen recht viele denkende Theologen auf diese kleine Schrift, die außerdem noch neben bei so manche interessante Ansichten und scharfsinnige Bestimmungen enthält, aufmerksam zu machen; und möge der geistvolle Verf. durch seine Vorträge über dieselben in mancher edlen Jünglingsbrust die schöne Ansicht des theologischen Studiums, die hier nur ihren Grundzügen nach gezeichnet ist, beleben! — Ree. kann schließlich sich den Wunsch nicht versagen, daß es dem Verf. gefallen möge, nach den hier gegebenen Winken ein oder anderes Fach der theologischen Wissenschaften, und am liebsten den philosophischen und practischen Theil, wofür er am meisten Virtuosität besitzen möchte, für das größere Publikum weitläuftiger bearbeitet, herauszugeben!"116 „Zwey der angesehensten Theologen treten zugleich auf, um ihre Begriffe von der Theologie vorzulegen."217 So beginnt die gemeinsame Rezension zu Schleiermachers „Kurze Darstellung" und Johann Ernst Christian Schmidts „Theologische Encyklopädie" (Gießen 1811), die anonym im 5. Jahrgang der Heidelbergischen Jahrbücher der Litteratur im Jahr 1812 (Nr. 33, Heidelberg 1812, S. 513-532) erscheint. Daß es sich bei dem Autor der anonymen Rezension um den Heidelberger Professor Friedrich Heinrich Christian Schwarz handelt, beurteilt schon Heinrich Scholz im Jahre 1910 als „höchst wahrscheinlich und nahezu gewiß"2XB und kann heute, soweit ich sehe, als communis opinio der Forschung gelten. Hauptindiz ist, daß in dieser Rezension eine Kritik formuliert wird, die sich zehn Jahre später in der von Schwarz veröffentlichten 219 Rezension zu Schleiermachers ,Glaubenslehre' erneut findet. Der Hauptteil der Rezension ist Schleiermachers ,Kurzer Darstellung' gewidmet110: „Obgleich das Buch von kleinem JJmfang ist, so erfodert doch die Originalität des Verf. und die Größe des Inhalts (denn in 215 216 217 218 219

220

Vgl. unten 247,15-21 (bes. 20 f) S. 100 Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur, 5. Jg., Nr. 33, Heidelberg 1812, S. 513 Scholz: Einleitung, S. XVIII Daß Schwarz der Autor dieser Rezension zur ersten Auflage der Glaubenslehre ist, geht aus Schleiermachers Brief an Graf Alexander zu Dohna vom 7. Januar 1823 hervor: „Die Recension meiner Dogmatik [...] ist von Herrn Schwarz in Heidelberg." (Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, S. 78) Vgl. Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur, 5. Jg., Nr. 33, Heidelberg 1812, S. 513-530

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einer Encyclopädie muß das Wesen der Theologie selbst erscheinen), daß es sorgfältig betrachtet werde."121 Die Besprechung der Enzyklopädie von Schmidt beschränkt sich dagegen lediglich auf die letzten zweieinhalb Seiten der Rezension.221 Der Rezensionsabschnitt zu Schleiermacher zerfällt seinerseits noch einmal in zwei etwa gleich lange Teile, deren erster zunächst schlicht einen Auszug der einzelnen Teile der,Kurzen Darstellung' gibt113 Hier enthält sich der Rezensent weitgehend aller, sei es zustimmenden, sei es ablehnenden, Kommentierung, sieht man einmal davon ab, daß er hier und da Frage- und Ausrufungszeichen in Klammern in das teilweise wörtliche Referat der Hauptgedanken 214 Schleiermachers einfügt Der zweite Teil der Rezension enthält dann eine recht ausführliche kritische Würdigung115, deren Grundton trotz mancher freundlichen Worte insgesamt doch distanziert, ja in Grundfragen geradezu von scharf ablehnender Haltung geprägt ist. Diese Mischung aus Anerkennung und Distanzierung kommt plastisch in dem Absatz zum Ausdruck, mit dem die Besprechung zu Schleiermachers Enzyklopädie schließt: „So wenig wir nun auch dem System dieser theologischen Encyclopädie zugethan seyn können, so stark spricht uns doch der Geist in demselben an, welcher zum kräftigeren Denken anregt, und die Theologen auf weitere Ideen bringen wird. Möchte sie besonders zu einer gesunden Lehre über das tiefere Ethische führen, die auf eine unbegreifliche Weise immer in der Kirche, und selbst auch von den Reformatoren, ist vernachläßigt worden! Darum machten wir hauptsächlich auf diesen dunkeln Punct aufmerksam, den diese Darstellung der Theologie doch wenigstens anerkennt, und ganz anders, als er bisher ist anerkannt worden."116 Damit betont der Rezensent abschließend noch einmal, worin er insgesamt das sachlich Bedeutsamste, aber zugleich auch Diskussions- und Fragwürdigste der Schleiermach ersehen Konzeption der theologischen Enzyklopädie erblickt: die den Hintergrund dieser Konzeption bildende Philosophische Ethik des Verfassers und die sachliche Bedeutung, die ihr für die Philosophische Theologie und über diese für die gesamte theologische Enzyklopädie und deren Verfahren zukommt. „Auf die Ethik weiset jeder Theil [der 'Kurzen Darstellung'] hin. Diese wäre also das tiefste Prinzip, worin unsere ganze Theologie wurzelt, und wodurch sie hervorgetrieben wird. Wir bedauern 221 222 223

224 225 226

S. 513 Vgl. S. 530-532 Vgl. S. 513 — 521. Die Seiten 513—515 sind dabei der Allgemeinen Einleitung, S. 515 f der Philosophischen, S. 516—519 der Historischen und S. 519—521 der Praktischen Theologie in Schleiermachers ,Kurzer Darstellung' gewidmet. Vgl. ζ. B. S. 517. 518. 519 u.ö. Vgl. S. 521-530 S. 530

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aber, daß dieses Buch nichts von diesem über Allem liegenden Grund eröffnet. Wir sehen nur so viel, daß von demselben aus die Gegensätze verschwinden sollen, die uns sohin unauflöslich scheinen, und deren Auflösung doch in allen Zweigen gefodert wird. Der Theolog soll über dem Christenthume stehen, und zugleich mitten in demselben; er soll es als Exoteriker mit [/] aller Skepsis und Kälte des Kritikers betrachten, und zugleich als Esoteriker zur höchsten Wärme durch dasselbe begeistert seyn; er soll in dem Allgemeinen des Christenthums die Verschiedenheiten, nothwendige oder zufällige, in ihrer Entfernung von der Idee hell und klar durchschauen, und soll doch mit ganzer Seele seiner besondern Kirchenpartey angehören; er soll alles, was Parteygeist betrifft, ja das ganze Christenthum selbst als eine einzelne Form unter mehreren Religions formen, die nur irgend in der Geschichte der Menschheit aufgerollt werden, tief unter seiner lichten Höhe erblicken, und zugleich soll derselbe Theolog die Fülle des christlichen Gefühls in seinem Gemüthe tragen, und vielleicht als Kleriker in dem untersten Kirchendienste mit Enthusiasmus, erfoderlichen Falls in polemischem Feuer arbeiten. Die ganze Theologie soll droben aus den höchsten Regionen der Vernunft erwachsen, um hier unten in dem Gange der Dinge aus dem bisherigen Unvollkommnen das Vollkommnere herbeyzuführen, und endlich in der Idee eines Kirchenfürsten alles zu vollenden. Sie soll auf das Positive der Offenbarung sich stützend, im Zeitenverlauf — Christum (wenn uns dieser Ausdruck des Apostel Paulus hier erlaubt ist) vom Himmel herabholen. — So liegen uns wenigstens die Gegensätze in diesem theologischen System vor, und so müssen wir bekennen, daß uns jener erste Punct, der in der Ethik liegt, der erste Lebenspunct, woraus sowohl das Gemüth, als das Wissen des Theologen erwachsen soll, gänzlich im Dunkel bleibt."227 Der Art entsprechend, wie der Rezensent die grundlegende Bedeutung der Philosophischen Ethik für das theologisch-enzyklopädische Programm versteht, schätzt er den wissenschaftlichen Wert der,Kurzen Darstellung' zwar hoch, den kirchlichen Wert hingegen gering ein. Hinsichtlich der Kirchlichkeit steht der Rezensent nicht an, das Buch geradezu als unkirchlich, unprotestantisch, ketzerisch, ja als sündhaft zu beurteilen: „Daß es Originalität, Geist, erregende Kraft, Eröffnung neuer und größerer Ansichten in sich schließt, also im Dienste der Wissenschaften sich als trefflich auszeichnet, zeigt schon obiger Auszug; weniger aber können wir die kirchliche Seite der reformirten oder vielmehr protestantischen Partey [/] darin erkennen. Nach dieser wäre eigentlich nichts entfernter, als die Begründung der christlichen Theologie durch irgend eine Philosophie, wir wollen nicht bloß sagen, durch irgend ein philoso127

S.S22f

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phisches System, sondern durch das Philosophiren selbst; namentlich ist am weitesten von unserm Kanon entfernt eine Begründung durch eine Vernunftwissenschaft, durch eine höhere Ethik. Denn höher als alle Vernunft ist der heilige Geist, welcher den Glauben gibt und wirkt, in wem er will, durch das Evangelium; und wer nun diesen Glauben hat, der mag nichts von Philosophie, er bedauert vielmehr selbst einen Piaton, denn er hat nun als Christ eine der Art nach ganz verschiedne, dem Grunde nach unendlich höhere, der Kraft nach über allen Zweifel erhabne und ewig beseligende Erkenntniß Gottes, durch welche allein auch eine Theologie möglich ist; denn nur der Wiedergebohrne kann Theolog seyn. Er schaut nun in der Thatsache des Christenthums den Finger Gottes, er glaubt fest, und ohne Beweis, daß Gott in Christus Mensch geworden, seine Kirche gestiftet, Lehrer verordnet hat [...]; alle diese Einsichten verdankt er der Erleuchtung des heiligen Geistes durch das geoffenbarte Wort. Da ist so wenig zu denken, daß man von oben herab durch eine höhere Ansicht in das Christenthum kommen könne, daß sogar jeder Versuch eines solchen Gedankens als in der Wurzel unchristlich, als das Werk der Erbsünde, in deren Dünkel sich der Mensch gerne eine eigne Vernunftkraft vorzaubert, verworfen und verabscheut werden muß [...]. So lehren die Symbole der Protestanten, so lehrt auch in den Hauptpuncten die katholische Kirche, und so ist es besonders seit Augustinus allgemeine Kirchenlehre geworden [...]."228 Indem der Rezensent die Funktion sowohl der Philosophischen Ethik wie der Philosophischen Theologie für das Theologieverständnis Schleiermachers im Sinne eines begründenden Fundamentes der christlichen Gehalte versteht, muß ihm die „Kurze Darstellung" nicht nur als im Widerspruch mit fundamentalen christlich-kirchlichen Lehren erscheinen, sondern zugleich als in sich selbst widersprüchlich: „Gleich der erste Satz nimmt die Theologie als eine positive Wissenschaft an, und bald nachher wird sie doch als so abhängig von der Philosophie angesehen, daß die Ethik sie durch und durch bestimmen soll, und daß das ganze historische Studium nur einestheils um der philosophischen Wurzel willen und nur als Auslegerin der reinen Wissenschaft da sey, anderntheils freylich auch um des Practischen willen, welches der Zweck des Ganzen seyn soll, aber doch kein andrer seyn kann, als wiederum eine Idee der philosophischen Ethik zu realisiren. Somit wird also, genau betrachtet, alles Positive unter der Hand abgestreift: dann gehört aber das Ganze nicht mehr zu einer positiven Theologie irgend einer bestimmten Religion, nämlich des Christenthums, wie doch jener erste §. verheißt, sondern es steht alles außerhalb der historisch-positiven Religion

228

S. 524 f

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und unsrer Kirche."229 Widersprüchlich und unausgeglichen bleiben für den Rezensenten das Christliche und das Philosophische als die unvereinbaren Gegensätze stehen, angesichts derer er gegen Ende der Rezension, bei der Besprechung der Theorie des Kirchendienstes, fast resigniert ausruft: „Ueberall erneuert sich uns der Wunsch, der Verf. möge uns doch etwas angegeben haben, wie das große Postulat zu lösen: ein Christ zu seyn, der seiner Religionsparthey mit voller Seele angehört, und doch außer dem Christenthum zu stehen, den Kirchendienst als Philosoph, und weder als Schauspieler, noch geistlos, sondern mit aller christlichen Seele zu verrichten!"230 Die von Schwarz formulierte Kritik ist für Schleiermacher im übrigen offensichtlich so eindrücklich gewesen, daß er noch in seinem letzten Kolleg zur Theologischen Enzyklopädie, im Wintersemester 1831/32, darauf zu sprechen kommt. Anläßlich der Interpretation von § 33 der zweiten Auflage der ,Kurzen Darstellung', in dem es um den Ausgangspunkt der Philosophischen Theologie geht, führt Schleiermacher aus: „In der früheren Ausgabe stand blos, daß die philosophische Theologie sich über das Christenthum stellen müsse. Dieß sah ein Recensent so an, als ob es hieße, sich über Christum stellen. Daher ist jezt ein Zusaz gemacht worden, daß dieß nur im logischen Sinne zu nehmen sey, denn es ist ein allgemeiner Sprachgebrauch, daß man den allgemeinen Begriff, (wie hier des Gottesbewußtseyns und der Glaubensgemeinschaft) den höheren nennt." 231 Unter dem Sammeltitel „Blicke auf die deutsche theologische Literatur der Jahre 1811 bis 15" gibt J. M. D. L. Deegen, Pastor zu Kettwig, in dem von ihm selbst herausgegebenen „Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur" im Jahr 1819 einen Überblick über die wichtigsten Neuerscheinungen, innerhalb dessen auch Schleiermachers „Kurze Darstellung" folgende kurze Notiz erfährt: „Die neuen Encyclopädieen und Methodologieen, welche unser Zeitraum geliefert hat, bestehen nur in einigen Compendien, unter denen jedoch: G. J. Plancks Grundriß der theologischen Encyclopädie, zum Gebrauch bei seinen Vorlesungen und F. Schleiermachers kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen alle Beachtung verdienen. Erstere hat den Vorzug größerer Klarheit und Ausführlichkeit; letztere, nur 92 Seiten betragend, enthält zwar, wie jede Schrift dieses Verfassers, manchen inhaltschweren Gedanken, ist aber, nicht nur durch die aphoristische Form der Darstellung, sondern auch durch den oft kunstvollen und kostbaren Ausdruck, für den Anfänger zu dunkel. Das Schema, nach welchem der 229 230 231

S. 527 S. 529 ThEnz (Strauß) S. 36

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Einleitung des

Bandherausgebers

Verfasser eine JJebersicht des ganzen Gebiets der Theologie giebt, ist neu und eigentümlich, und ganz abweichend von der gewöhnlichen Eintheilung."232 Wörtliche Anklänge in der Formulierung erwecken im übrigen den Verdacht, diese kurze Notiz könnte von der Rezension aus der „Allgemeine[n] Literatur-Zeitung" von 1811 abhängig sein. Neben diesen Rezensionen sei schließlich noch auf ein besonderes Dokument der Wirkungsgeschichte von Schleiermachers ,Kurzer Darstellung' von 1811 hingewiesen. Es handelt sich um Johann Sebastian Drey: Kurze Einleitung in das Studium der Theologie, Tübingen 1819. Diese Theologische Enzyklopädie des Tübinger katholischen Theologen ist — möglicherweise bis in die Gestaltung des Titelblatts hinein — „stark von Schleiermachers Schrift beeinflußt"233. Das Vorwort nennt — neben Planck234 — Schleier mach er ausdrücklich235 und gibt eine nachempfindende Charakterisierung des formalen Charakters der gedruckten Enzyklopädie Schleiermachers: „Einem andern liegt der Gedanke näher, daß die Wissenschaft ein organisches Ganzes ist, bey dem es vorzüglich darauf ankommt, daß das Einzelne im Geiste des Ganzen, das Ganze selbst aber im natürlichsten Zusammenhange seiner Theile dargestellt und aufgefaßt wird. Ein solcher lenkt die Aufmerksamkeit mehr auf das Formale, läßt die Haupttheile der Wissenschaft aus einem gemeinschaftlichen Haltungspunct hervorgehen, weis't ihr lneinandergreifen nach, zeigt hinwieder ihre Beziehung auf die positive Grundlage der Wissenschaft, und bezeichnet in dieser Hinsicht überall die größere oder geringere Vollständigkeit, mit welcher sich der Einzelne nach Maßgabe seiner praktischen Bestimmung diesen oder jenen Theil der Wissenschaft anzueignen hat. In diesem Geiste ist ζ. B. Schleiermachers kurze Darstellung verfaßt."236 Von Schleiermachers ,Kurzer Darstellung' dürfte Dreys Gesamtverständnis der Theologie als einer positiven Wissenschaft237 inspiriert sein, wenn er den Begriff auch, wie Schleiermacher selbst, vermutlich von Schellings „Vorlesungen über das akademische Studium" übernommen hat. Weitere Einflüsse Schleiermachers auf Dreys „Einleitung" zeigen sich in der Hermeneutik: Hier folgt Drey den Ausführungen Schleiermachers zur grammatischen, historischen und individuell-divinatorischen Interpretation,238 Schließlich dürfte sich auch die Einteilung Deegen, ]. M. D L.: Blicke auf die deutsche theologische Literatur der Jahre 1811 bis 15. Erste Hälfte, Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur, hg. v. J. M. D L. Deegen, Bd. 1, Es sen/Duisburg 1819, S. 1—45, hier: S. 5 233 Birkner: Schleiermachers „Kurze Darstellung", S. 62 234 V g/. Drey: Kurze Einleitung, S. III 235 Vgl. Drey: Kurze Einleitung, S. IV 236 Drey: Kurze Einleitung, S. IV 237 Vgl. ζ. B. a. a. O., S. VI 238 Vgl. Drey: Kurze Darstellung, S. 105-107

232

Historische

Einführung

LXIII

der Praktischen Theologie in die beiden Hauptstücke Kirchenregi239 240 ment und Kirchendienst Anregungen der gedruckten Theologischen Enzyklopädie Schleiermachers verdanken. Schleiermachers „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" ist in ihrer Erstauflage seit dem Urdruck nicht wieder als solche veröffentlicht worden. In die Sämmtlichen Werke ist lediglich die zweite Auflage von 1830 eingegangen. Oer Text der einzelnen Paragraphen der Erstauflage findet sich aber als petit gedruckte Anmerkungen zu den Paragraphen der Zweitauflage in der von Heinrich Scholz veranstalteten Ausgabe der ,Kurzen Darstellung', die erstmals im Jahre 1910 erschien.241

b) Kurze Darstellung des theologischen (2. Auflage 1830)

Studiums

Die zweite, gänzlich neu geschriebene Auflage seiner gedruckten Theologischen Enzyklopädie erschien im Jahre 1830 unter dem Titel „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Entworfen von Dr. F. Schleiermacher. Zweite umgearbeitete Ausgabe", und zwar im Verlag von Schleiermachers Freund und Verleger Georg Reimer in Berlin. Im Unterschied zum Titelblatt der Erstauflage ist die ausführliche Auflistung der öffentlichen Amter und Funktionen Schleiermachers242 fortgelassen und an ihre Stelle die schlichte Angabe des Doktortitels vor dem Namen des Verfassers getreten. Der Druck umfaßt neben Titelei und Vorerinnerungen 145 Seiten. Er besteht aus 8 Bogen (1 — 8) zu je 16 und zwei Bogen (9—10) zu je 8 Seiten; ein einzelnes Blatt, auf dessen Vorderseite sich die letzte Druckseite 145 befindet, ist angeklebt. Die Druckseite enthält in der Regel je nach Anteil der beiden verwendeten unterschiedlich großen Schriftgraden zwischen 28 und 30 Zeilen. Der Satzspiegel beträgt etwa 8,6 cm in der Breite und 15,4 cm in der Höhe. Der Preis für die „Kurze Darstellung" in ihrer zweiten Auflage beträgt 16 Groschen 243 Das Honorar wird Schleiermacher am 31. Dezember 1832 gutgeschrieben; es beträgt 142,15 Reichstaler.244

239 Vg/ E)rey: Kurze Einleitung, 240 241 242 243 244

S.

223—236

Vgl. Drey: Kurze Einleitung, S. 236-249 S. u. S.LXXVlf S.o. S. XXXIX Vgl. Danz: Encyklopädie, S. 135 Vgl. Schleiermachers Bibliothek, S. 263

LXIV

Einleitung des

Bandherausgebers

Entstehung Die zweite Auflage der ,Kurzen Darstellung' erscheint Mitte November 1830. Jedenfalls erhält Schleiermacher nach Auskunft des Hauptbuchs Reimer am 17. November 1830 erstmalig eine Lieferung von 12 Exemplaren.1*5 An Gaß schreibt Schleiermacher am 18. November 1830: „Seit einigen Tagen ist nun die zweite Ausgabe der Encyklopädie fertig [.,.]."246 Das „Allgemeine[...] Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse [...] entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige noch herauskommen sollen" weist das Buch als zur Ostermesse 1831 erschienen aus.247 Schleiermacher dürfte die Omarbeitungen zur zweiten Auflage gut einen Monat vor Erscheinen des Buches, also etwa kurz vor Mitte Oktober, abgeschlossen haben. Jedenfalls ist die „Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe" unterschrieben mit „Berlin, im October 1830"; und unter Donnerstag, dem 14. Oktober 1830, notiert Schleiermacher in sein Tagebuch (SN 450/2): „Der Drukk d[er] Encycl[opädie]. geht an." Wann Schleiermacher mit den Vorbereitungen und der Ausarbeitung zur Zweitausgabe seines enzyklopädischen Grundrisses begonnen hat, wissen wir schlechterdings nicht mit Sicherheit zu sagen. Die Quellen fließen hier nur äußerst spärlich248, und was wir an einigen Stellen aufzuweisen haben, sind nichts weiter als argumenta e silentio. Es muß grundsätzlich auch damit gerechnet werden, daß über Jahre hin, in denen Schleiermacher Vorlesungen über den Text der ersten Ausgabe der ,Kurzen Darstellung' gehalten hat, langsam und allmählich Ideen für Umstellungen und Neuformulierungen, für Ergänzungen und Korrekturen einzelner Paragraphen und Paragraphengruppen sich bildeten und möglicherweise auch schon stellenweise zur Ausarbeitung kamen; handschriftliches Material, das diesen Prozeß dokumentieren könnte, haben wir nicht. Es bleibt uns nichts, als den wenigen möglichen Indizien nachzugehen und sie auszubreiten, die sich im engeren zeitlichen Rahmen vor dem Erscheinen der zweiten Auflage der ,Kurzen Darstellung' finden lassen. 245 246

247 248

Vgl. Schleiermackers Bibliothek, S. 263 Br. Gaß S. 228 — Am 29. November ist bereits das nächste literarische Projekt abgeschlossen: Schleiermacher erhält die ersten vier Exemplare seiner ,Reden in vierter Auflage (vgl. Schleiermachers Bibliothek, S. 263); sie erscheinen bereits mit dem Druckdatum 1831. Vg/. Bibliographie der Schriften Schleiermachers, S. 74 Vgl. schon die Feststellung von Heinrich Scholz: „Nachrichten über den Gang und den Zeitraum der Ausarbeitung [...] sind nicht vorhanden." (KD [Scholz] S. X X / )

Historische

Einführung

LXV

Im Sommersemester 1829 liest Schleiermacher wieder über Theologische Enzyklopädie, und zwar — wie das Vorlesungsverzeichnis ausdrücklich zur Kenntnis gibt — nach seinem Lehrbuch. Das fünfstündige Kolleg, morgens von 6 bis 7 Uhr vor 118 eingeschriebenen Hörern gehalten, beginnt am 4. Mat 1829 und endet am 28. August des Jahres.249 Zwei Tage vor Vorlesungsbeginn, am 2. Mai, erhält Schleier mach er nach Auskunft des Hauptbuchs Reimer250 ein Exemplar seiner ,Kurzen Darstellung' ausgeliefert. Möglich ist, daß Schleiermacher das Buch einem Hörer geschenkt hat; es ist aber ebenso gut denkbar, daß Schleiermacher sich ein neues Exemplar seiner Enzyklopädie kommen läßt, um sich im Zuge der Vorlesung Notizen für die Umarbeitung für eine eventuelle Zweitauflage machen zu können. Freilich: An eben diesem 2. Mai 1829 schreibt Schleiermacher an Gaß über das unmittelbar bevorstehende Vorlesungsprogramm, ohne seine Vorlesung zur Theologischen Enzyklopädie überhaupt mit einem Wort zu erwähnen, geschweige denn, mitzuteilen, daß er irgendetwas Besonderes damit verbände, nämlich etwa eine Neuaugabe seines gedruckten Leitfadens in Angriff zu nehmen oder doch vorzubereiten .251 Gesichtspunkte für die zeitliche Ansetzung der Ausarbeitung der zweiten Auflage der ,Kurzen Darstellung' ergeben sich möglicherweise aus Schleiermachers Neubearbeitung seiner gedruckten Dogmatik „Der christliche GlaubeDer erste Band der zweiten Auflage der Glaubenslehre' erscheint 1830. Er enthält einige Verweise auf Schleiermachers „Kurze Darstellung", die sich allesamt auf deren erste Auflage beziehen252 Die Arbeit an der zweiten Auflage des ersten Bandes der Glaubenslehre' geht also Schleiermachers Ausarbeitung der zweiten Auflage der ,Kurzen Darstellung' offensichtlich voraus. Damit ergibt sich ein vorläufiger terminus a quo für den Arbeitsbeginn an der ,Kurzen Darstellung'. Denn am 23. April 1830 schreibt Schleiermacher an Bleek: „Der erste Band der Dogmatik ist nun, was mich anbetrifft, fertig, ich habe gestern den lezten Strich gemacht und die Druckerei ist auch nur noch um ein paar Bogen zurück."253 Anfang Mai dürfte der Band dann gedruckt vorgelegen haben 254 Schleiermacher scheint während der Arbeit am ersten Band der ,Glaubenslehre' noch nicht an eine überarbeitete 249 250 251

252 253 254

Vgl. Schleiermachers Briefwechsel, S. 325 Vgl. Schleiermachers Bibliothek, S. 262 Die Brief stelle lautet: „Uebermorgen fange ich an zu lesen, aber ich weiß noch nicht, wie ich durchfinden werde. Die Lehre vom Staat habe ich seit zehn Jahren nicht vorgetragen, und Einleitung in das Neue Testament noch gar nicht. Wenn nur nicht die Dogmatik zu sehr dabei liegen bleibt!" (Berlin 2. Mai 1829, Br. Gaß S. 211) Vgl. ζ. B. CG2 Bd. 1, § 1, Ziffer 1; § 2, Ziffer 2 u.ö. Br. 4, S. 395 Vgl. den Brief an Gaß vom 8. Mai 1830, Br. Gaß S. 222

LXVI

Einleitung

des

Bandherausgebers

Zweitauflage seiner ,Kurzen Darstellung' gedacht zu haben. Dafür spricht jedenfalls, daß Schleiermacher im Zusatz 2. zu § 2 der zweiten Auflage von „Der christliche Glaube" — nachdem er dort die Begriffe Ethik und Religionsphilosophie erklärt hat — auf eine ebensolche Erklärung von Apologetik verzichtet und stattdessen vielmehr auf die „Kurze Darstellung" von 1811, S. 14 §14, verweist. Hätte er zu diesem Zeitpunkt schon eine Neuausgabe der ,Kurzen Darstellung' für die unmittelbare Zukunft projektiert, so hätte er damit von vornherein die unmittelbar bevorstehende Veralterung seiner Zweitauflage der ,Glaubenslehre' in Kauf genommen. Für die Vermutung, daß sich der Plan zur Ausarbeitung einer Zweitauflage der ,Kurzen Darstellung' zeitlich erst nach Fertigstellung des ersten Bandes der Zweitausgabe der ,Glaubenslehre' ergeben hat und in Angriff genommen wurde, spricht auch, daß sich für die Zeit, in der Schleiermacher an der zweiten Auflage des ersten Bandes der Glaubenslehre' arbeitet, keinerlei brieflicher Hinweis auf eine projektierte Zweitauflage der ,Kurzen Darstellung' findet, andere literarische Unternehmungen aber sehr wohl erwähnt werden: „Mit der Dogmatik geht es schauderhaft langsam, zumal nun auch die Correctur des Gesangbuches Zeit wegnimmt und zugleich die Monologen wieder abgedrukkt werden."155 Noch in seinem Brief vom 23. Juli 1830 an Gaß äußert Schleiermacher sich über seine bevorstehenden literarischen Projekte, wiederum ohne daß eine Zweitausgabe der,Kurzen Darstellung' Erwähnung fände; genannt werden vielmehr lediglich das ,Sendschreiben an von Coelln und Schulz', das Sendschreiben „Ueber das Berliner Gesangbuch" an Bischof Ritsehl und der zweite Teil der ,Glaubenslehre'.256 Im Spätsommer und Herbst 1830 ist Schleiermacher dann auf Reisen: Am 30. August ist Abreisetag.257 Über Hof, Nürnberg und Augsburg ist Schleiermacher in Lindau eingetroffen und schreibt von dort am 08.09.1830 an de Wette, er werde am nächsten Tage Weiterreisen, u. a. nach Basel, Freiburg, Baden und dann weiter nach Stuttgart.258 Am 7. Oktober trifft Schleier mach er wieder in Berlin ein.159 Bis etwa eine Woche vor Reiseantritt scheint Schleiermacher vorwiegend an dem ,Sendschreiben an von Coelln und Schulz' gearbeitet zu haben; am 22. August 1830 schickt er jedenfalls die abgeschlossene Arbeit an Ull255 256 257 258

259

30. Mai 1829 an Gaß, Br. Gaß S. 214 f Vgl. Br. Gaß S. 226 Vgl. Tagebuch SN 450, 68 Vgl. den Brief aus Lindau vom 8. September 1830, Br. 4, S. 401 — Wahrscheinlich wird man Schleiermachers Äußerung aus dem darauffolgenden Frühjahr 1831, er habe in Tübingen Steudels Bekanntschaft gemacht (vgl. Br. 4, S. 404) auf diese Reise beziehen können, so daß Schleiermacher von Stuttgart aus auch Tübingen besucht hätte. Vgl. Tagebuch SN 450, 83

Historische Einführung

LXVII

mann, die dann zwischen dem 9. und 23. Oktober, also nach Schleiermachers Wiederkunft, gedruckt wird.260 Es ist allerdings schwer vor stellbar, Schleiermacher sollte den Text der neuen Ausgabe seiner ,Kurzen Darstellung' innerhalb einer Woche zwischen seiner Rückkehr nach Berlin am 7. und dem von Schleiermacher notierten Beginn des Druckes am 14. Oktober 1830, geschrieben haben. Er muß also doch wohl den größten Teil bereits vor seiner Abreise am 30. August fertiggestellt haben. Dafür spräche am Ende auch ein undatiertes Brieffragment Schleiermachers. Darin heißt es: „Mein fast vierzehntägiges befinden das noch immer nicht ganz gehoben ist hat mich gehindert die Encyclopädie so weit zu fördern als ich hoffte; indeß wird doch sehr bald nach meiner Rükkunft der Druck anfangen können,"261 Die „Rükkunft" könnte sich auf Schleiermachers große Spätsommer- und Herbstreise 1830 beziehen. Dann hieße das, daß Schleiermacher bereits vor seiner Reise an der neuen Ausgabe der ,Kurzen Darstellung' gearbeitet, die Ausarbeitung aber erst nach dem 7. Oktober 1830 zum druckfertigen Abschluß gebracht hätte.

Umarbeitungen

zur zweiten

Außage

Die Omarbeitungen, die Schleiermacher bei der Zweitauflage vorgenommen hat, sind erheblich. Das Buch ist, darin dem Fall der Glaubenslehre' vergleichbar, praktisch neu geschrieben worden. Dabei hat sich der Text der ,Kurzen Darstellung' insgesamt erheblich verlängert. Gleichzeitig ist aber interessanterweise die Zahl der Paragraphen geringer geworden; statt 392 in der ersten sind es nunmehr 338 in der zweiten Auflage. Für den vermehrten Textumfang sind nicht zuletzt die von Schleiermacher neu hinzugefügten kleingedruckten Erläuterungen zu den Paragraphenleitsätzen verantwortlich. Schleier mach er schreibt selbst über die kürzere Erstauflage von 1811: „[...] jene Schrift ist zu kurz und aphoristisch, als daß es nicht nöthig sein sollte, dem dort gesagten mit einigen Erläuterungen zu Hülfe zu kommen."161 In ihrem Kontext bezieht sich diese Äußerung lediglich auf die in der ,Kurzen Darstellung' 263 gegebene Defintion der Dogmatik ; aber vielleicht ist es kein Zufall, 260 261

262 263

Vgl. dazu KGA 1/10, S. XCII1—XCVI. SN 761/5, Bl. lr — In dem Brieffragment ist die Rede von dem „Gfroererschen Werk": gemeint sein könnte August Friedrich Gfrörer: Kritische Geschichte des Urchristentums, Bd. 1, das allerdings erst Stuttgart 1831 erschienen ist. Gleichwohl läßt sich schwerlich eine spätere Datierung des Fragments denken, die jenseits des terminus ad quem vor Druckbeginn am 14. Oktober 1830 liegen sollte. CG2§ 1, Ziffer 1 Vgl. KD1 S. 56, §3; unten 288,5-9

LXVIII

Einleitung des

Bandherausgebers

daß die Formulierung dann doch auffällig allgemein ausfällt. In dieser Allgemeinheit jedenfalls liest sie sich geradezu wie ein Programm für die Einarbeitung der Erläuterungen zu den Paragraphenleitsätzen in der zweiten Auflage. Schleiermacher gibt selbst in seiner „Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe"264 erste Hinweise auf die Art der Umarbeitung von der ersten zur zweiten Auflage: „wiewol Ansicht und Behandlungsweise im Ganzen durchaus dieselben gebieben" seien, habe er „im einzelnen vieles zu verändern" gefunden; diese Veränderungen beziehen sich auf „Ausdrukk" und „Stellung".265 Ausdrücklich erwähnt Schleiermacher ferner die Einführung der durchgehenden Paragraphenzählung, die eine erhebliche Erleichterung der Zitationsmöglichkeit bedeutet: „Daß in der ersten Ausgabe jeder Abschnitt seine Paragraphen besonders zählte, verursachte viel Weitläufigkeit beim Citiren, und ist deshalb geändert worden."266 Zu Verbesserung und Erhöhung der Benutzerfreundlichkeit gehört im übrigen auch, von Schleiermacher hier nicht erwähnt, daß er der neuen Ausgabe im Gegensatz zur Erstauflage ein Inhaltsverzeichnis beigegeben hat. Schleiermacher hat also die „Kurze Darstellung" sowohl sprachlichstilistisch überarbeitet („Ausdrukk") als auch den Stoff teilweise neu angeordnet („Stellung"). So ist, wenn auch einzelne Phrasen immer wieder einmal unverändert oder nur geringfügig modifiziert auftauchen, kein Paragraphenleitsatz in der Formulierung unverändert geblieben, vielfach vielmehr sogar gänzlich neu geschrieben; so sind im Detail immer wieder Umstellungen einzelner Paragraphen oder kleinerer Paragraphengruppen in der thematischen Reihenfolge vorgenommen worden 267 Von diesen Umstellungen ist allerdings die Gesamtgliederung weitestgehend unberührt geblieben: Erhalten sind die drei großen Teile Philosophische, Historische, Praktische Theologie; jeder dieser Teile besitzt einen Einleitungs- und einen Schlußabschnitt; die von diesen eingerahmten inhaltlichen Abschnitte sind, von Formulierungsfragen abgesehen268, zwischen 264 265 266 267

26B

Unten 322,5-19 Unten 322,9 f.8 f.11 Unten 322,15-17 Davon kann man sich überzeugen durch ein detailliertes Studium der beiden in der vorliegenden Ausgabe mitgegebenen Verweisungsapparate zu den beiden Auflagen der ,Kurzen Darstellung'. Im übrigen vergleiche man die gleichlautende Feststellung von Heinrich Scholz, derzufolge Schleiermacher „bei der zweiten Bearbeitung hin und her Paragraphenkomplexe umgestellt" habe (KD (Scholz), Vorrede S. X). Von Einzelheiten abgesehen kann man, was die Formulierung lediglich der Überschriften anbelangt, folgende zwei Regelmäßigkeiten der Umarbeitung erkennen: Das leicht altertümelnde, an griechisch-lateinische Gepflogenheiten gemahnende „Von ..." wird in den Überschriften der Abschnitte, nicht jedoch der drei großen Teile, aufgegeben; statt „Schluß" heißt es jetzt jeweils „Schlußbetrachtungen über die ...".

Historische

LXIX

Einführung

beiden Auflagen ihrem Thema nach identisch. In einem Fall ist die Gliederung gegenüber der Erstauflage formal verfeinert: Innerhalb des zweiten Teils zur Historischen Theologie ist der dritte Abschnitt zur Kenntnis des gegenwärtigen Christentums noch einmal in die beiden Unterabschnitte „Die dogmatische Theologie" und „Die kirchliche Statistik" unterteilt. An einer einzigen Stelle gibt es eine auffallende Umstellung: Innerhalb der Praktischen Theologie sind die beiden Abschnitte zur Theorie des Kirchenregiments und zur Theorie des Kirchendienstes in ihrer Reihenfolge vertauscht worden. Die Reihenfolge der ersten Auflage — erst Kirchenregiment, dann Kirchendienst — entspricht der sachlichen Ordnung vom Ganzen (Kirche) zum Partikularen (Gemeinde); die Umstellung — erst Kirchendienst, dann Kirchenregiment — kann man von daher, insbesondere wenn man Schleiermachers Eintreten für eine demokratisch-synodale Kirchenverfassung hinzunimmt, als programmatisch gewollt verstehen: Am Anfang steht die Einzelgemeinde bzw. die Theorie des auf sie bezogenen pfarramtlichen Tätigkeitsfeldes. Damit orientiert sich die Reihenfolge der zweiten Auflage zugleich an dem Vorrang, den die durchschnittlich-normale gemeindepfarramtliche Tätigkeit gegenüber der statistisch-exzeptionellen Tätigkeit in den kirchenleitenden Ämtern besitzt. So könnten für diese Umstellung am Ende schlicht auch pragmatische Erwägungen Schleiermachers gesprochen haben: Bei der Benutzung der ,Kurzen Darstellung' als Vorlesungsgrundlage kommt nun das, was den durchschnittlichen zukünftigen Geistlichen hinsichtlich seiner späteren Tätigkeiten vornehmlich betrifft, zuerst; wird man mit dem Stoff innerhalb der Vorlesung nicht fertig oder muß man gegen Ende hin straffen und verkürzen, hat man immerhin das für die spätere Berufsausübung in der Regel Wichtigere vermitteln können.

Zur

Wirkungsgeschichte

Die vollständige Wirkungsgeschichte der ,Kurzen Darstellung' in ihrer Zweitauflage zu bieten, hieße, die Geschichte der wissenschaftlichen Disziplin Theologische Enzyklopädie im 19. und 20. Jahrhundert zu schreiben. Für das 19. Jahrhundert liegt eine Skizze dieser Rezeptionsgeschichte vor bei Alfred Eckert.269 Wir beschränken uns hier auf die Wirkung und Aufnahme, die Schleiermachers Buch zu seinen Lebzeiten oder noch kurz nach seinem Tod auf den unmittelbaren Schüler- und Freundeskreis hervorruft und findet.

269

Vgl. Alfred Eckert: Theologie, Bd. 1-2,

Einführung in die Prinzipien und Methoden Leipzig 1908-1909, Bd. 1, S. 23-51.

der

evangelischen

LXX

Einleitung

des

Bandherausgebers

Vorlesungen über Theologische Enzyklopädie auf der Grundlage der zweiten Auflage der ,Kurzen Darstellung' hat Schleier mach er lediglich noch einmal gehalten, nämlich im Wintersemester 1831/1832: „Die theologische Encyclopädie trägt nach seiner kurzen Darstellung des theol. Studiums (2. Aufl.) in fünf Stunden wöchentlich von 9—10 Uhr Hr. Prof. Dr. Schleiermacher privatim vor". Diese Vorlesung beginnt am 7. November 1831 und endet mit der 96. Stunde am 31. März 1832.170 Der prominenteste der 90 Hörer ist David Friedrich Strauß, dem wir eine inzwischen edierte Vorlesungsmitschrift verdanken. In dem Begleitbrief vom 18. November 1830, mit dem Schleiermacher ein Exemplar der zweiten Auflage seiner „Kurzen Darstellung" an Gaß verschickt, erbittet er von ihm zugleich eine erste Einschätzung der vorgenommenen Umarbeitungen: „Ich bitte mir nun, versteht sich so bald Gesundheit und Geschäfte Dir Muße lassen, Deine Meinung aus, die mir Deiner Vorlesungen wegen hier noch besonders wichtig ist, ob meine Aenderungen auch Besserungen sind, und ob die kleinen Zusäze dem Leser helfen, ohne einen Drüberleser zu geniren"27X Gaß antwortet darauf am 29. Dezember des Jahres: „Zuvörderst, mein theurer Freund, muß ich Dir recht herzlich danken für die überschickte neue Ausgabe der kurzen Darstellung. Sie ist zwar auch wie Deine Dogmatik dasselbe Buch geblieben, aber auch zugleich ein ganz neues geworden und durch die beigefügten Erläuterungen zugänglich auch für die, welche vor lauter Klagen über die Dunkelheit und unverständliche Kürze gar nicht zum Studium desselben kommen konnten oder wollten. Hoffentlich wird sie nun auch beitragen, das wahre Wesen der christlichen Theologie in ihrer Selbständigkeit klar zu machen. Daß Lücke in Göttingen darüber liest, kann sehr ausgebreitete Folgen haben, und ich denke mir, daß dasselbe von Twesten in Kiel und Ulimann in Halle geschehen und durch solches Zusammenwirken die Regsamkeit in dem theologischen Studium mit der Zeit sehr gewinnen wird."271 Zugleich kündigt Gaß in demselben Brief an, er werde „noch eine Einleitung zum Verständniß und zur Erleichterung des Selbststudiums über die kurze Darstellung" schreiben „und sie an die ,Theologischen Studien und Kritiken' schicken.272' Zu einer solchen Veröffentlichung scheint es dann aber nicht gekommen zu sein. Ein Dokument der frühen Rezeptionsgeschichte von Schleiermachers Systembildung, darunter auch maßgeblicher Elemente seiner Theologischen Enzyklopädie, stellt das Buch von Carl Wilhelm Vetter dar, dessen erster Band bei Georg Reimer in Berlim im Jahr 1830 unter dem 270 271 272 273

Schleiermachers Br. Gaß S. 228 Br. Gaß S. 230 Br. Gaß S. 231

Briefwechsel,

S. 328

Historische Einführung

LXXI

Titel „Das Verhältniß der philosophischen zur christlichen Sittenlehre, in Beziehung auf die formale Beschaffenheit beider Wissenschaften" erschienen ist; ein zweiter Band erscheint 1834. Vetter ist ausweislich des Titelblatts evangelischer Pfarrer zu Jenkau in Schlesien. Schleiermacher hat die Abhandlung oder jedenfalls einen Teil von ihr gekannt, wie aus seinem Brief an Gaß vom 8. Mai 1830 hervorgeht, dem er u. a. die 274 durchgelesene Abhandlung Vetters beilegt. Da Vetter aber mit Ausnahme der ,Glaubenslehre'275 nicht auf einzelne Veröffentlichungen Schleiermachers hinweist, zudem viele Bestimmungen und Begriffe entfaltet oder übernimmt, die so in keiner zeitgenössischen Veröffentlichung Schleiermachers zu finden sind, sondern dem entsprechen, was Schleiermacher in den Vorlesungen vorgetragen hat (vor allem in der Philosophischen Ethik und der Christlichen Sittenlehre, aber auch in der Dialektik), müssen auch die Bezüge auf die Theologische Enzyklopädie sich nicht auf deren gedruckte Gestalt der ,Kurzen Darstellung' beschränken; sie können auch der Bekanntschaft Vetters mit Schleiermachers Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie entspringen. Da Schleiermacher aber diesen Vorlesungen in seiner Berliner Zeit — mit Ausnahme der ersten Vorlesung von 1810/11 — stets das gedruckte Kompendium als Lehrbuch zugrundelegt, dürfen Vetters Ausführungen in jedem Fall als Wirkungsgeschichte der ,Kurzen Darstellung' gelten. Um das Verhältnis von philosophischer und christlicher Sittenlehre zu bestimmen, wird zunächst der Begriff der ersten aus dem Begriff der Philosophie überhaupt, dann der Begriff der zweiten aus dem Begriff der Theologie überhaupt aufgestellt. Im ersten Fall tauchen wesentliche Elemente eines Systems der Wissenschaften bei Schleiermacher auf: Die Philosophie umfaßt das gesamte Gebiet der eigentlichen Wissenschaft; sie zerfällt in die beiden Hauptdisziplinen Ethik und Naturwissenschaft, denen eine Transzendentalphilosophie als Fundamentaldisziplin vorgeordnet ist und die sich beide jeweils in einen spekulativen und einen empirischen Teil gliedern.176 Bei der Bestimmung des Begriffs der christlichen Sittenlehre aus dem „Begriff der Theologie überhaupt"277 kommen dann folgende Übereinstimmungen mit Schleiermachers theologisch-enzyklopädischen Bestimmungen zur Geltung279: Erstens, die Theologie wird insgesamt als positive Wissenschaft verstanden 279 „Das Beiwort positiv [...] soll bezeichnen: 1) daß ihr eigentlicher Inhalt keinesweges erst durch einen Akt des Wissens selbst erzeugt wird, wie dies in

274 275 276 277 278 279

Vgl. Br. Gaß S. 224 Vgl. a. a. O., S. 27 f Vgl. a. a. O., S. 1-20 A. a. O., S. 20; Überschrift des § 5 Vgl. insgesamt a. a. O., S. 20—28 Vgl. a. a. O., S. 23

Einleitung

LXXII

des

Bandherausgebers

der Philosophie geschieht, sondern daß dieser ihr eigenthümliche Inhalt ein für alle Mal als eine geschichtliche Erscheinung gegeben ist, wie ja in der That das in die Welt getretene Christenthum eine solche Erscheinung ist; 2) aber soll dieses Beiwort andeuten: daß die einzelnen Theile der Theologie keinesweges unter sich zu einer bestimmten Einheit dadurch verbunden sind, daß sie sämmtlich aus einem obersten Princip auf dialektische Weise abgeleitet werden, sondern nur dadurch gehören sie unter sich zusam[/]men, daß sie sämmtlich nur eine gemeinschaftliche Beziehung auf ein historisches Faktum, die christlich-theologischen Disciplinen also auf das in der Welt erschienene Christenthum ausdrük280 ken." Zweitens, Vetter übernimmt sowohl die Gesamtgliederung der Theologie als auch die Aufgabenbestimmung ihrer Teile: Die „gesammte Theologie" gliedert sich „in die drei großen Gebiete [•·.], in die philosophische, [/] historische und praktische"281. Die Philosophische Theologie hat ihre Aufgabe darin, „das Wesen des Christenthums" festzuhalten, und umfaßt die beiden Hauptteile „Apologetik und Polemik"282. Die Praktische Theologie ist „ihrem Wesen nach Technik" und beinhaltet die „Regeln" darüber, auf welchem Wege „das, was als das Wesen des Christenthums erkannt ist, auch auf Erden intensiv und extensiv realisirt werde"283. Die Historische Theologie gibt den gesamten bisherigen geschichtlichen Verlauf des Christentums bis zur Gegenwart wieder und liefert damit die Kenntnisse, die nötig sind, um die Gegenwart, auf die gewirkt werden soll, vollständig begreifen zu können284; sie umfaßt die Geschichte des Lehrbegriffs und der kirchlichen Verfassung.285 Drittens, der Ort der christlichen Sittenlehre, auf deren Begriff Vetters Darlegungen ja abzielt, entspricht ganz dem in Schleiermachers Theologischer Enzyklopädie: Die christliche Sittenlehre gehört in die Historische Theologie286, und zwar in deren Teil, der die Entwicklung des Lehrbegriffs bzw. genauer dessen gegenwärtige Gestalt zum Thema hat287, also in die theologische „Disciplin, welche wir in einem weitern Sinne Dogmatik nennen"288. David Friedrich Strauß, im Wintersemester 1831/32 Hörer des letzten Kollegs Schleiermachers zur Theologischen Enzyklopädie, würdigt in einer bereits 1832 entstandenen Studie zur „Encyclopädie der theolo280 281 282 283 284 285 286 287 288

A.a. O., A.a.O., A. a. O., A. a. O., Vgl. a. a. Vgl. a. a. Vgl. a. a. Vgl. a. a. A. a. O.,

S. 23 f S. 28 f S. 29 S. 30 O., S. O., S. O., S. O., S. S. 32

30 f 31 31 31 f

Historische

Einführung

LXXIII

gischen Wissenschaften" von Karl Rosenkranz289 auch Schleiermachers „Kurze Darstellung" als den, freilich unbefriedigend bleibenden, Versuch, die theologischen Wissenschaften aus einem organisierenden Prinzip zu begreifen. Strauß schreibt: „Auf dem Gebiete der Theologie hatte schon vorher [nämlich: vor Hegel auf philosophischem Gebiet] Schleiermacher in seiner kurzen Darstellung des theologischen Studiums versucht, dem blos gewohnheitsmäßigen Aneinanderreihen der Disciplinen in den bisherigen Encyclopädien ein Ende zu machen, und Alles aus Einem Grundgedanken abzuleiten; allein da dieser Grundgedanke nicht der immanente Begriff der christlichen Religion und Theologie, sondern nur ein äußerer Zweck der letzteren, nämlich die Kirchenleitung, war, und überhaupt der ganze Standpunkt nur im Formalen, mithin außerhalb der Sache selbst, genommen wurde: so konnte kein wahrhafter Organismus, sondern nur ein, wenn auch äußerst klug eingerichtetes, Aggregat der theologischen Wissenschaften herauskommen "29° Dieselbe Kritik wiederholt Strauß im Kern sieben Jahre später in seinem Aufsatz „Schleiermacher und Daub"291, wiederum bei gleichzeitiger Würdigung der partiellen wissenschaftlichen Leistung, die er folgendermaßen charakterisiert: „Während einerseits in jede einzelne theologische Disciplin durchdringende Blicke geworfen werden: so sind sie anderseits zugleich sämmtlich in strenger Einheit zusammengehalten; und wie der Gedanke, so verkündigt auch die Darstellung den wissenschaftlichen Meister. Die gedrängten Sätze — in der zweiten Auflage durch kurze Anmerkungen zweckmäßig erläutert — enthalten theils jeder einzelne für sich eine Masse von Anregungen; theils ist jeder gegen alle andern abgewogen, gravitirt gleichsam mit allen, und eröffnet nach allen Seiten die fruchtbarsten Perspectiven. Das Ganze steht als ein symmetrisches Gebäude vor uns, dessen einzelne Gemächer nett und wohnlich, und dessen Grundriß zugleich so einfach ist, daß wir von jedem Gemache aus dessen Verhältniß zum Ganzen übersehen."192 Neben solchen gewissermaßen in Zustimmung und Kritik exzeptionellen Stellungnahmen zu Schleiermachers ,Kurzer Darstellung', wie sie bei Gaß, Vetter oder Strauß zu finden sind, gibt es natürlich auch die sozusagen gewöhnliche Rezeption durch die Fachgenossen. Als Beispiel sei verwiesen auf Johann Traugott Leberecht Danz: Encyklopädie und Methodologie der theologischen Wissenschaften, Weimar 1832. Schleiermachers „Kurze Darstellung" erscheint hier häufiger in den Anmerkun289

290 291 292

Vgl. David Friedrich Strauß: Rosenkranz, Encyclopädie der theologischen Wissenschaften [1832], in: ders.: Charakteristiken und Kritiken, Leipzig 1839, S. 213 — 234 A. a. O., S. 214 Vgl. Strauß: Charakteristiken und Kritiken, Leipzig 1839, S. 3~212, hier: S. 52 A.a. O., S. 48 f

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Einleitung

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Bandherausgebers

gen, ohne daß sich aber irgendwo ein eigentlich prägender Einfluß spürbar machte. Insofern dokumentiert die „Enzyklopädie" von Danz die ganz unspektakuläre, sozusagen wissenschaftsgeschichtlich alltägliche Weise der Rezeption der ,Kurzen Darstellung': Man weist auf das Buch hin und zitiert es neben vielen anderen im gelehrten Apparat als ein Stück zeitgenössisch-gegenwärtiger Gebrauchsliteratur zur Theologischen Enzyklopädie. Natürlich hat Schleiermacher mit der Zweitausgabe seiner ,Kurzen Darstellung' andererseits auch wieder ausgesprochen prägend auf die literarische Produktion zur Theologischen Enzyklopädie wirken können. Das markanteste Beispiel dürfte Carl Rudolph Hagenbach: Encyclopädie und Methodologie der Theologischen Wissenschaften, Leipzig 1833, darstellen. Hagenbachs Enzyklopädie ist ein außerordentlich erfolgreiches und verbreitetes Lehrbuch gewesen, das zu Lebzeiten seines Verfassers zehn Auflagen erlebte. Von dem Buch gilt hinsichtlich der Beziehung auf Schleiermachers Theologische Enzyklopädie das Urteil Alfred Eckerts: „Das Werk nährt sich ganz an Schleiermachers Geist und Gedanken, denn auch die Vierteilung in exegetische, historische, systematische und praktische Theologie bedeutet für die beiden ersten Disziplinen wenigstens kein grundsätzliches Abweichen von ihm. [...] Nur darin ist er [nämlich: Hagenbach] von seinem Meister abgewichen, daß er nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt der Disziplinen entwickelt."293 Aus dem Umkreis der Schüler und Freunde Schleiermachers ist noch auf die Würdigung hinzuweisen, die Friedrich Lücke der ,Kurzen Darstellung' hat zukommen lassen194: Lücke sieht in Schleiermachers kurzer Darstellung' von 1811 das Werk, in dem sich der „Geist der neuen Universität", der sich in der Berliner Gründung Ausdruck und Gestalt verschafft hat, seinerseits „auf theologischem Gebiete" manifestiert295. „Schleiermacher läßt auch seine nächsten Vorgänger weit hinter sich. Zum ersten Male erscheint hier die Theologie als ein organisches Ganzes, auf eine bewunderungswürdige Weise architektonisch construirt von ihrem praktischen Ausgangspuncte, dem Bedürfnisse einer gesetzmäßigen Leitung der christlichen Kirche und dem nothwendigen Interesse des Theologen daran, — bis zu ihrem praktischen Gipfelpuncte, der Theorie und Technik der kirchlichen Praxis. Alle wesentlichen Elemente der Theologie, die religiösen und wissenschaftlichen, die praktischen und theoretischen, die positiven und philosophischen mit gleicher Anerken-

293

294

Eckert: Einführung in die Prinzipien und Methoden der evangelischen Theologie, Bd. 1, S. 27 Friedrich Lücke: Erinnerungen an Dr. Friedrich Schleiermacher, Theologische Studien und Kritiken 7, 1834, S. 745-813 (bes. S. 772 - 774) A. a. O., S. 772

Historische Einführung

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nung aufnehmend, scheidend, verbindend, ordnend, führt Schleiermacher mit kunstreichem Geiste ein prachtvolles, eben so wohl gegründetes, als vollständiges, innerlich zusammenhängendes Gebäude auf. [...] Man weiß nicht, was man an der Schrift mehr bewundern soll, den großartigen Grundriß, wonach das Ganze angelegt ist, oder die Kühnheit und Originalität der Ausführung. [...] Da die Idee der Theologie, von der Schleiermacher ausging, größer war als die damalige Wirklichkeit, so enthält seine Darstellung mehr eine Theologie der Zukunft, als der Gegenwart. In diesem Sinne ist es zum Theil ein wahrhaft prophetisches Werk, welches bei lebendigem Fortschritte in unsrer Wissenschaft und Kirche je länger je mehr in Erfüllung gehen wird."296 Lücke macht im folgenden ßuf revolutionierend-neue und originelle Einzelheiten der ,Kurzen Darstellung' aufmerksam und fährt dann fort: „Man hat der Darstellung die epigrammatische Kürze vorgeworfen. Aber sie soll eben nur Sätze enthalten, welche nur die Meister in der Wissenschaft ohne weitere Erklärung verstehen können. Und, obgleich ich selber wünschen möchte, daß die neue Ausgabe v[omJ. ][ahre]. 1830 noch mehr Erläuterungen enthielte, so muß ich doch bekennen, daß mir für akademische Compendien die Form der kurzen, selbst räthselhaften Sätze ungleich geeigneter erscheint, als die ausführliche, welche das Bedürfniß erläuternder Vorlesungen eher erstickt, als weckt. Insofern scheint mir Schleiermachers Darstellung auch in Hinsicht der Form ausgezeichnet."197 Selbst eine frühe internationale Rezeption der ,Kurzen Darstellung' läßt sich ausmachen: Henrik Reuterdahl (1795 — 1870), schwedischer Theologe, später Propst, übernimmt in seiner „Inledning litt Theologien" (Lund 1837) von Schleiermacher die Dreiteilung von Philosophischer, Historischer und Praktischer Theologie. Dabei präsentieren dann die von Reuterdahl entfalteten Bestandteile der Philosophischen Theologie: Religionspsychologie — Religionsgeschichte und -philosophie — Apologetik — Polemik19*, eine inhaltliche Anknüpfung an Schleiermacher ebenso wie bereits eine eigenständige produktive Erweiterung. Schleiermachers „Kurze Darstellung" hat schließlich, jedenfalls in einem belegbaren Fall, über den Tod des Verfassers hinaus „zum Behuf einleitender Vorlesungen" gedient: Im Wintersemester 1842/43 hält Schleiermachers Nachfolger August Detlev Christian Twesten in Berlin Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie, denen er Schleiermachers „Kurze Darstellung" als Leitfaden und Lehrbuch zugrunde legt.

296 297 298

A.a. O., S. 772 f Λ. a. O., S. 774 Vgl. Scholz: Einleitung,

S.

XXlIf

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Einleitung

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Bandherausgebers

Schleiermachers „Kurze Darstellung" ist in ihrer Zweitauflage seit der Erstveröffentlichung im Jahre 1830 verschiedentlich wieder zum Abdruck gekommen299, zum ersten Mal bereits 1843 in den Sämmtlichen Werken (Erste Abtheilung: Zur Theologie, Erster Band, Berlin 1843, S. 1 — 132). Weitere Abdrucke finden sich bei F. Schleiermacher: Kleinere theologische Schriften, Bd. 1, Bibliothek theologischer Klassiker Bd. 47, Gotha 1893, S. 1 — 119, und F. E. D. Schleier mach er: Zur Darstellung des theologischen Studiums. Zum Behuf einleitender Vorlesungen, Bibliothek der Gesamt-Litteratur des In- und Auslandes 833. 834, Halle a.d.S. [1895]; davon erschien im Jahr 1910 — wiederum ohne Angabe der Jahreszahl — eine Neuausgabe. Eine Ausnahmeerscheinung bildet innerhalb der Druckgeschichte der ,Kurzen Darstellung' die von Heinrich Scholz veranstaltete Ausgabe. Sie trägt den Titel „Schleiermachers Kurze Darstellung des theologischen Studiums. Erste Auflage 1811. Zweite Auflage 1830. Kritische Ausgabe" und erschien erstmalig 1910 als Zehntes Heft der Reihe „Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus" in Leipzig; von dieser Ausgabe wurde 1935 ein Neudruck veranstaltet. Unter dem leicht veränderten Titel „Friedrich Schleiermacher. Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Kritische Ausgabe hg. v. H. Scholz" kam 1961 ein bei der Verlagsbuchhandlung Georg Olms (Hildesheim) erstellter photomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1910 zur Publikation. Im selben Jahr und unter dem selben Titel erschien auch die erste Ausgabe der Scholzschen Edition bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, von der es seither insgesamt fünf unveränderte reprographische (photomechanische) Abdrucke gegeben hat (1969, 1973, 1977, 1982 und 1993). Einen weiteren, vom Titelblatt abgesehen: unveränderten, Abdruck seiner ,Kurzen Darstellung' von Scholz veranstaltete der Georg Olms Verlag (Hildesheim/Zürich/New York) im Jahr 1982. 3 0 0 Scholz bietet in seiner Ausgabe den Text der zweiten Auflage von 1830 und als Anmerkungen zu den jeweiligen einzelnen Paragraphen auch den Text der entsprechenden Paragraphen der Erstauflage von 1811. Dabei sind ihm allerdings einige irreführende Zuweisungen von erster und zweiter Auflage unterlaufen. Die Erstauflage ist zudem bei der Art, wie sie geboten wird, nur mit äußerster Mühe rekonstruierbar. Der Text beider Auflagen weist zahlreiche Fehler oder unnötige Korrekturen auf. So gesehen vermag die Scholzsche Edition den Anspruch einer kritischen Ausgabe nicht voll einzulösen. Gleichwohl kommt ihr das Verdienst zu, Schleiermachers 199

300

Ich folge hier dankbar weitgehend der Aufstellung von Wichmann v. Meding in: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, S. 37. Den Hinweis auf diese bei v. Meding nicht aufgeführte Ausgabe verdanke ich meinem Kollegen Martin Rößler.

Historische

Einführung

LXXVII

„Kurze Darstellung" über Jahrzehnte hin präsent gehalten zu haben. — Der vorerst letzte Abdruck der zweiten Auflage der Kurzen Darstellung' findet sich schließlich in F. D. E. Schleiermacher: Theologische Schriften, hg. v. K. Nowak, Texte zur Philosophie-und Religionsgeschichte, Berlin 1983, S. 267-348. Schleiermachers „Kurze Darstellung" hat als ein grundlegendes Dokument einer neuzeitlichen Wissenschaftstheorie der Theologie auch international einige Beachtung gefunden. Eine englische Übersetzung erschien bereits 1850 unter dem Titel „Brief outline of the study of theology, drawn up to serve as the basis of introductory lectures"301. Einige wenige Auszüge aus dieser Übersetzung werden außerdem mitgeteilt in dem Quellensammelb and „Friedrich Schleiermacher. Pioneer of modern theology", den Keith Clements in der Reihe The making ofmodern theology veranstaltet hat301 Dabei muß man allerdings aus den irreführenden Mitteilungen des Herausgebers303 als Leser den falschen Eindruck gewinnen, als bekäme man hier Texte aus Schleiermachers erster Auflage von 1810, und nicht der Zweitaußage geboten. Aus unserem Jahrhundert sind die beiden 1966 und 198 8304 veranstalteten Übertragungen von Terrence N. Tice zu nennen. Unter dem Titel „Lo studio della teologia. Breve presentazione"30S erschien 1978 eine mit einer ausführlichen Einleitung versehene Übersetzung ins italienische, der die deutsche Ausgabe von Heinrich Scholz zu Grunde liegt. Ebenfalls auf der Grundlage der Scholzschen Edition ist Schleiermachers „Kurze Darstellung" 1994 unter dem Titel „Le Statut de la theologie. Bref expose" in das Französische übersetzt worden.306

c) Schleiermachers Marginalien aus seinem der zweiten Auflage

Handexemplar

Im Schleiermacher-Nachlaß bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften findet sich unter der Signatur SN 47/1 Schleiermachers Handexemplar der zweiten Auflage der ,Kurzen Dar301 302 303 304

305 306

Translated from the German by William Farrer, Edinburgh 1850 London u. a. 1987, S. 144-156 Vgl. a. a. O., S. 143 Brief outline on the study of Theology, Richmond (Ν. Υ.) 1966, bzw. Brief outline of theology as a field of study, translated with essays and notes by Terrence N. Tice, Schleiermacher Studies and Translations 1, Lewiston (Ν. Y.)/Queemston/Dyfed 1988 Editoriale e traduzione di R. Osculati, postface di A. Agnoletto, Brescia 1978 Traduction: Bernard Kaempf avec la collaboration de Pierre Bühler. Avant-propos de Pierre Bühler et Pierre Gisel. Postface de Hans-Joachim Birkner, Genf/ Paris 1994 — Bei dem Nachwort von Birkner handelt es sich um die französische Übersetzung seines Aufsatzes: Schleiermachers „Kurze Darstellung" als theologisches Reformprogramm, in: Schleiermacher in besonderem Hinblick auf seine Wirkungsgeschichte in Däne-

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Einleitung des

Bandherausgebers

Stellung des theologischen Studiums' von 1830. Dabei handelt es sich um eine als durchschossener Druck gestaltete Ausgabe. Auf den eingebundenen leeren Blättern finden sich, nach inhaltlichen Gesichtspunkten gezählt, dreiundsiebzig handschriftliche Notizen Schleiermachers. Der archivalische Titel innerhalb des Schleiermacher-Nachlasses lautet: „Eigenhändige Zusätze, Notizen und Marginalien zu ,Kurze Darstellung des theologischen Studiums"'. In dem technischen Sinne, in dem der Begriff bereits in KGA 1/7.3 hinsichtlich der Notizen aus Schleiermachers Handexemplar der ,Glaubenslehre' verwendet worden ist, sind auch im vorliegenden Band diese „Zusätze, Notizen und Marginalien" einheitlich unter dem Begriff der Marginalien subsumiert. Das Handexemplar enthält zehn, den zehn Druckbogen der,Kurzen 307 Darstellung' entsprechende, geheftete Lagen; die Bindung zwischen den Lagen (bzw. Druckbogen) ist aufgelöst. Das Ganze ist eingelegt in einen verschnürbaren festen Pappeinband der Zeit im Format etwa 23,7 cm X 19,5 cm. Die einzelnen Lagen sind derart durchschossen, daß abwechselnd je ein (vier Seiten bildendes) leeres Doppelblatt und ein vier Druckseiten bildendes Doppelblatt des jeweiligen Druckbogens aneinandergelegt werden. Das Format der auf diese Weise entstehenden, den einzelnen Druckseiten jeweils gegenüberliegenden leeren Seiten beträgt ca. 23,5 cm in der Höhe und 18,5 cm in der Breite. Das Papier ist gelblich gefärbt. Lediglich das jeweils äußerste Doppelblatt der drei letzten Lagen weist eine bläuliche Färbung auf und besitzt ein geringfügig kleineres Format von 23 cm Höhe. Die Marginalien unterscheiden sich hinsichtlich Tinte, Schreibart und Schriftgröße von einander. Sie dürften daher kaum in einem Zuge und Arbeitsgang niedergeschrieben worden sein. Zweifelsfrei aber stammen sie alle von Schleiermachers Hand. Die meisten von ihnen sind in einer bräunlichen oder in einer deutlich dunkleren, fast schwarzen Tinte geschrieben, zu denen es dann jeweils blassere Varianten gibt. Weiterhin lassen sich zwei unterschiedliche Federbreiten ausmachen. Eine ganze Reihe der Randnotizen ist relativ groß, sauber und sorgfältig geschrieben; ihr Schriftzug ist schwungvoll-schön und in der Regel etwas rechtsläufig. Andere sind kleiner und krakeliger in ihrem Schriftzug, häufig gleichzeitig viel schmaler im Strich und fast senkrecht anstelle der Rechtsläufigkeit. Sie erwecken den Eindruck, in größerer Eile auf das Papier geworfen zu sein.

307

mark. Vorträge des Kolloquiums am 19. und 20. November 1984, hg. v. H. Hultberg/ K. F. Johansen/T. Jorgensen/F. Schmöe, Kopenhagen/München 1986, S. 59—81; wiederabgedruckt in: ders.: Schleiermacher-Studien, hg. v. H. Fischer, SchlA 16, Berlin/New York 1996, S. 285-305. S.o. S. LXIII

Historische

Einführung

LXXIX

Schleiermachers Notizen befinden sich auf der bei den ungeraden Drucktextseiten diesen links gegenüberliegenden, bei geraden Drucktextseiten rechts gegenüberliegenden leeren durchschossenen Seiten. Davon ausgenommen sind vier Marginalien, die Schleiermacher jeweils auf der Vorderseite des äußersten Blattes einer gehefteten Lage notiert hat30S, denen also keine Textseite korrespondiert. Die Marginalien erläutern den gedruckten Text der einzelnen Paragraphen der ,Kurzen Darstellung'. Dabei hat Schleiermacher in der Kegel keine ausdrückliche Zuweisung seiner Notizen zum Drucktext vorgenommen. Lediglich in zwei Fällen gibt es eine eindeutige Einweisung durch entsprechende Zeichen309; in mehreren Fällen beinhaltet der Text der Marginalie selbst deren Verortung, so ζ. B. wenn in ihm die Nummer desjenigen Paragraphen genannt ist, auf den sich die Randnotiz bezieht. In den übrigen Fällen ist die Zuweisung der Marginalien zum Text der ,Kurzen Darstellung' eine Sache der Interpretation. Allerdings zeigt der Ort der Marginalien auf der dem Text jeweils gegenüberliegenden Seite bereits in etwa den inhaltlichen Bezugspunkt der Marginalie auf den gedruckten Text an. Insgesamt ist dabei freilich die Tendenz zu beobachten, daß Schleiermacher die Notizen in der Regel gegenüber dem Text, auf den sie sich beziehen, etwas höher ansetzt. Der terminus ante quem non für die Entstehung der Marginalien ist das Erscheinen der zweiten Auflage der ,Kurzen Darstellung'. Wie bereits oben erwähnt, erhält Schleiermacher am 17. November 1830 erstmalig eine Lieferung von 12 Exemplaren. Unter dem 17. Februar 1831 findet sich im Hauptbuch Reimer auf der Soll-Seite zu Schleiermachers Rechnungsführung eine Verbuchung von 0,2,6 Reichstalern für einen „Einband" 310 Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich hierbei um die Kosten für die buchbinderische Herstellung des durchschossenen Drucks der zweiten Auflage der ,Kurzen Darstellung' und/oder den verschnürbaren Pappeinband handeln könnte. Dann wäre damit zugleich der früheste Zeitpunkt benannt, ab dem Notizen im Handexemplar denkbar wären. Allein, für eine ganze Reihe der Marginalien läßt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie erst im Zuge der Vorlesung, bzw. deren Vorbereitung, entstanden sind, die Schleiermacher im Wintersemester 1831/32 über Theologische Enzyklopädie gehalten hat. Diese Vorlesung ist durch die edierte Nachschrift aus der Feder von David Friedrich Strauß ziemlich gut dokumentiert.3n Für ein gutes Drittel nun 308 309 310 311

S. u. 324,5 f; 420,13-17; 432,26-29; 439,29 f S. u. 361,27; 367,26 f Schleiermachers Bibliothek, S. 348 Vgl. Theologische Enzyklopädie (1831/32). Nachschrift v. W. Sachs, Sehl A 4, Berlin/New York 1987

David Friedrich Strauß, hg.

LXXX

Einleitung des

Bandherausgebers

der Marginalien Schleiermachers finden sich derart wörtliche oder thematische Anklänge oder Übereinstimmungen zu Schleiermachers Ausführungen in der Vorlesung, daß diese Notizen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang dieser Vorlesung, also während des Winters 1831/32 oder allenfalls kurz vor Vorlesungsbeginn, niedergeschrieben worden sind. In einem Fall müssen wir sogar annehmen, daß Schleiermacher eine Marginalie erst nach der gehaltenen Vorlesungsstunde zu Papier gebracht hat: „Eingeschoben habe ich hier eine Behandlung der Frage was die Theologie für eine Wendung genommen haben würde ohne Kanon [...],"312 So notiert Schleiermacher neben der kleingedruckten Erläuterung des § 4; sieht man sich die Straußsche Nachschrift an, so findet man, daß Schleiermacher exakt zwischen seinen Ausführungen zu § 4 und §5 einen solchen Exkurs angebracht hat.313 1st aber für einen namhaften Anteil der Marginalien eine Entstehung im Zusammenhang mit der Vorlesung aus dem Wintersemester 1831/32 mehr als wahrscheinlich, legt sich am Ende die Vermutung nahe, sie könnten doch wohl alle am ehesten diesem Zusammenhang ihre Entstehung verdanken. Inhaltlich verteilen sich die Marginalien auf die einzelnen Abschnitte der ,Kurzen Darstellung' folgendermaßen: Von den nach inhaltlichen Gesichtspunkten gezählten 73 Notizen entfallen 17 auf die Einleitung, dabei allein 16 auf die ersten sieben Paragraphen; keine einzige auf den Ersten Teil zur Philosophischen Theologie; der größte Anteil mit 36 Notizen auf den Zweiten Teil zur Historischen Theologie, wobei sich Einleitung (12), eigentliche Kirchengeschichte (11) und Dogmatik und Statistik (10) die Marginalien ziemlich gleichmäßig teilen, nur die Exegetische Theologie mit lediglich 3 Einträgen deutlich zurückfällt; schließlich 14 auf den Dritten Teil zur Praktischen Theologie, wobei der Abschnitt über das Kirchenregiment mit 12 Randnotizen den Löwenanteil aufweist, der Abschnitt zum Kirchendienst sowie die Schlußbetrachtung zur Praktischen Theologie je eine Marginalie zu verzeichnen haben. Die restlichen sechs Marginalien gehören zu den vier Fällen, in denen eine direkte Textzuweisung aufgrund ihres Ortes auf dem äußersten Deckblatt einer gehefteten Lage nicht erfolgen kann. Auffällig an dieser Art der Verteilung ist, neben dem Fehlen jeglicher Notiz innerhalb der Philosophischen Theologie, die Konzentration in den drei Bereichen allgemeine Einleitung, Historische Theologie314 (mit Ausnahme der Exegese) und Kirchenregiment. 312 313 314

Unten 328,19-22 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 5~8 Das Urteil von Hendrik Johan Adriaanse — „Diese Marginalien sind freilich weder quantitativ noch qualitativ sehr ergiebig." (Hendrik Johan Adriaanse: Der Herausgeber als Zuhörer. Ein Schleiermacher-Kollegheft von Ludwig Jonas, in: Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, hg. v. G. Meckenstock in Verbin-

II. Editorischer

Bericht

Für den vorliegenden Band KGA 1/6 gelten die allgemeinen editorischen Grundsätze für die Erste Abteilung315 und — im Falle der Marginalien aus Schleiermachers Handexemplar der zweiten Auflage der kurzen Darstellung des theologischen Studiums' — die editorischen Grundsätze für die Edition von Handschriften Schleiermachers316. Die editorischen Grundsätze sehen insbesondere vor, die Texte Schleiermachers hinsichtlich Orthographie und Interpunktion in ihrer historischen Gestalt zu bewahren. Das schließt die Bereitschaft ein, nebeneinander steh ende unterschiedliche Schreibweisen ein und desselben Wortes, mitunter innerhalb ein und desselben Textes, ζ. B. „Zwek" neben „Zwekk" und „Zweck", „Parthey" neben „Parthei", ebenso stehenzulassen wie die keinen oder nur kaum erkennbaren Regeln folgende Satzzeichensetzung unverändert zu belassen. Schleiermachers, wenn man so sagen will, anarchische Tendenz hinsichtlich Schreibung und Zeichensetzung ist schon August Wilhelm Schlegel aufgefallen, wenn er, mit Korrekturarbeiten zum ersten Band der Platon-Übersetzung Schleiermachers befaßt, an ihn im April 1804 schreibt: „Ihre Orthographie befolge ich genau, wiewohl ich sie nicht zu rechtfertigen weiß; es wäre leicht Ihnen zu zeigen, daß Sie keine festen Grundsätze befolgen. — In Absicht auf Interpunction habe ich Ihrem Manuscript nachhelfen müssen. Hätte ich überall in denjenigen Fällen Kommas setzen wollen, wo Sie selbige dann und wann einmal gesetzt, so hätte ich noch viel mehr hinzuzufügen gehabt; da ich aber aus einem Briefe von Ihnen an Reimer ersehen habe, daß Sie die Kommas hassen, so bin ich dabey so sparsam als möglich gewesen."3,17 Die Stelle aus dem Brief an Georg Reimer, auf die Schlegel hierbei anspielt, lautet: „Ich empfehle Dir besonders die Kommata deren mir wie ich glaube der Sezer viele andichtet die ich nicht gemacht habe. Besser zu wenig als zu viel; überhaupt komme ich immer mehr auf den Grundsaz der höchsten Sparsamkeit in den Interpunktionszeichen zurück, und

315 316 317

dung mit ]. Ringleben, TBT 51, Berlin/New York 1991, S. 103-124, hier: S. 105 Anrn. 6) — vermag ich, insbesondere, aber bei weitem nicht ausschließlich, im Hinblick auf Schleiermachers Randnotizen zur sogenannten Historik, nicht zu teilen. Vgl. KGA 1/1, S. IX-XIII Vgl. KGA 1/1, S. XIII-XVI Br. 3, S. 386 f

LXXXII

Einleitung

des

Bandherausgebers

sehe besonders aus jeder Probe immer deutlicher daß es für meine Schreibart sehr nachtheilig ist wenn sie zerschnitten wird."318 In den wenigen Fällen, in denen eine Schreibart oder eine grammatische Form so fremd oder falsch erscheint, daß Lesern der Verdacht kommen könnte, es läge ein vom Editor übersehenes Versehen vor, habe ich im textkritischen Apparat die zeitgeschichtlich-bedingte Richtigkeit oder — gemesssen am Status sprachlicher Ungeregeltheit in den Zeiten vor Konrad Duden — besser: Belegbarkeit von Schreibweise oder Formbildung nachgewiesen durch einen Hinweis auf Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Bd. 1—5, Leipzig 1774— 1786. Im übrigen gelten für die Edition der einzelnen Schriften in dem vorliegenden Band noch die folgenden besonderen Kegelungen: a) Schleiermachers

Rezensionen

Im Sachapparat werden die Bezüge Schleiermachers auf die rezensierten Schriften nachgewiesen. Dabei erfolgt der Nachweis in der Regel so, daß von Schleiermacher zitierte oder paraphrasierte Textstellen nach Seiten- und Zeilenzahl der rezensierten Schrift angegeben werden; der Text der Quelle wird, unter Angabe lediglich der Seitenzahl, nur in den Fällen mitgeteilt, in denen Schleiermachers Anspielung und Bezugnahme locker ist oder stärker wertenden und interpretierenden Charakter trägt oder Schleier mach ers Text ohne Kenntnis des Wortlautes der rezensierten Schrift ganz oder teilweise unverständlich bliebe.

b) Gelegentliche Gedanken über Universitäten Die gelegentlichen Gedanken' weisen eine insgesamt schlechte Druckqualität auf. Insbesondere gibt es eine ganze Reihe beschädigter Buchstaben; sie sind hier stillschweigend korrigiert, also ohne daß in diesen Fällen ein Nachweis im textkritischen Apparat erfolgt wäre. Auf dem rechten Seitenrand werden neben den Seitenzahlen der Originalausgabe die Seitenzahlen aus den Sämmtlichen Werken (SW III/ 1, S. 537—644) kursiv mitgeteilt. 318

Br. 3, S. 381; zur Programmatik Schleiermachers punktion vgl. außerdem auch Br. 4, S. 78 f

hinsichtlich Orthographie

und Inter-

Editorischer

Bericht

LXXXIII

c) Herakleitos der dunkle, von Ephesos 1. Text. Schleiermacher verwendet eine ganze Reihe unterschiedlicher Weisen der Zitatkennzeichnung. Deutsche Zitate werden in aller Regel von ihm mit Anführungsstrichen ein- und ausgeleitet; wo hierbei versehentlich Anführungszeichen fehlen, sind sie ergänzt worden, im textkritischen Apparat erfolgt darüber eine Mitteilung. Bei griechischen und lateinischen Zitaten ist Schleiermacher hingegen sehr unterschiedlich verfahren. Es gibt Zitate mit oder ohne Anführungszeichen; die innerhalb griechischer Zitate von Schleiermacher noch einmal hervorgehobenen wörtlichen Herakleitos-Zitate sind durch Sperrung gekennzeichnet und manchmal, wenn auch weitaus seltener, zusätzlich noch durch Anführungsstriche ausgewiesen. Häufiger sind dann zwar die Zitatanfänge mit Anführungszeichen versehen, aber nicht das Ende wörtlicher Anführung oder umgekehrt. Durch vorsichtige und behutsame Eingriffe, die allesamt im textkritischen Apparat nachgewiesen sind, habe ich hier versucht, die größten und gröbsten Unausgeglichenheiten an der jeweiligen einzelnen Textstelle zu beseitigen. Auf eine durchgehende Vereinheitlichung der Zitationspraxis für den gesamten Text hingegen habe ich verzichtet. Auf dem rechten Seitenrand werden neben den Seitenzahlen der Originalausgabe die Seitenzahlen aus den Sämmtlichen Werken (SW III/ 2, S. 3 — 146) kursiv mitgeteilt. 2. Sachapparat. Den allgemeinen editorischen Grundsätzen für die Erste Abteilung der KGA gemäß werden im Sachapparat Zitate, Paraphrasen und Anspielungen parallel in der von Schleiermacher (wahrscheinlich) benutzten und in einer heute gebräuchlichen Ausgabe nachgewiesen. Dabei wird in der Regel im Sachapparat lediglich ein präziser Stellennachweis erbracht. In den Fällen aber, in denen Schleiermacher auf eine Stelle verweist, ohne sie (sei es als Paraphrase, Übersetzung oder wörtliches Zitat) selbst anzuführen, wird im Sachapparat über die Stellenangabe hinaus auch der Text der Quelle mitgeteilt. Dies geschieht ferner auch dann, wenn der Text der Quelle für das Verständnis des Schleiermacherschen Textes unerläßlich ist und wenn im Falle der Übersetzung oder Paraphrasierung der Text der Quelle in inhaltlich bedeutsamer Weise von Schleiermachers Übersetzung oder Paraphrase abweicht bzw. inhaltlich bedeutsame andere Interpretationen zuläßt. Im Hinblick auf die Ausgaben der antiken Autoren ergibt sich nicht selten das Problem, daß die Texte der von Schleiermacher benutzten Ausgabe und der heute üblichen Edition im Wortlaut differieren. In diesen Fällen wird der Parallelnachweis in der heute gebräuchlichen Ausgabe durch die Formel „vgl." eingeleitet. Von dieser Regelung ausgenom-

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Einleitung

des

Bandherausgebers

men sind lediglich die Abweichungen in der Zeichensetzung, sofern sie inhaltlich ohne Belang sind. Die Namensansetzung der antiken griechischen und lateinischen Autoren und ihrer Werktitel erfolgt in der Regel nach: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, hg. v. K. Ziegler/W. Sontheimer, Bd. 1—5, München 1979. Einen gewissen Sonderfall bildet lediglich Sextus Empiricus, bei dem die lateinische Namensform allgemein üblich ist.319 Bei der Angabe von Buch-, Kapitel- oder Abschnittszählung griechischer und lateinischer Autoren werden, unabhängig vom Usus der benutzten Quelle, vereinheitlicht römische Zahlen für die Buch-, arabische Ziffern für die Kapitel- und Abschnittsangabe verwendet (ζ. B. Nemesios: De natura hominis 2 = Kapitel 2 oder Plotinos: Enneades IV 8, 1 = Buch IV, Kapitel 8, Abschnitt 1). Bei Abweichungen in der Buch-, Kapitel- oder Abschnittszählung zwischen der von Schleiermacher benutzten und einer heute gängigen Ausgabe wird die heutige Zählung dem Parallelnachweis ohne weiteren Zusatz vorangestellt (ζ. B. Aristoteles: Topica VIII 3, Opera ed. Casaubon 1, S. 169 a; VIII 5 ed. Ross 159 b). Weichen die beiden jeweils herangezogenen Ausgaben im Hinblick auf den Titel der in Rede stehenden Schrift ab, wird der heute gängige Titel dem zweiten Nachweis vorangestellt (ζ. B. Plutarchos: De auditione 12, Opera 2, S. 43; vgl. De audiendo, Moralia I, S. 87). Wird eine Schrift heute einem anderen Autor zugeschrieben als zu Schleiermachers Zeiten, wird beim Nachweis in der heute üblichen Ausgabe neben dem Verfasser auch noch einmal der Titel mitgeteilt (ζ. B. Ammonius: In Aristotelis Categorias, Ed. Aldina S. 1; Johannes Philoponos: In Aristotelis Categorias, ed. Busse, CAG XIII/ 1, S. 2) Insbesondere die alten Venetianischen Drucke des 16. Jh.s haben die Eigentümlichkeit, lediglich die rechten Seiten und zwar fortlaufend zu paginieren, also nicht die Seiten, sondern die Blätter zu zählen, so daß Vorder- und Rückseite ein und dieselbe (bzw. streng genommen: die Rückseiten gar keine) Seitenzahl haben. Schleiermacher hat sich in diesen Fällen so beholfen, daß er den Seitenzahlen die Kleinbuchstaben a für die Vorder- und b für die Rückseite hinzugefügt hat. Diese Kennzeichnung der Seitenzählung wird im Sachapparat übernommen, aber durch ein in Klammern gesetztes „= r" (recto) für α bzw. „= v" (verso) für b präzisiert, um so die Bedeutung der Kleinbuchstaben von derjenigen zu unterscheiden, die die Buchstaben ζ. B. bei der Zitation von Platonstellen besitzen (nämlich Abschnitte innerhalb einer paginierten Seite 319

Auch der Kleine Pauly hat zwar die griechische Namensform Sextos Empeirikos als Stichwort für den Lexikonartikel, verwendet aber ansonsten im Zitatnachweis die lateinische Namensfassung.

Editorischer

Bericht

LXXXV

zu bezeichnen). In wenigen Fällen steht im übrigen die Seitenzahl bei Schleiermacher ohne Kleinbuchstabe für die paginierte vordere Blattseite, in anderen Fällen fehlt die Spezifizierung, obwohl die Rückseite gemeint ist. In beiden Fällen wird im Sachapparat die Seitenangabe durch den einfachen Zusatz r bzw. ν ergänzt. Die Stellenangaben bei Piaton erfolgen, wie allgemein üblich, nach der sog. Stephanuszählung. Bei Aristoteles werden den Seitenangaben heute gängiger Editionen in Klammern die Seitenzählung und Spaltenbezeichnung (a—b) der von 320 Immanuel Bekker herausgegebenen Akademieausgabe hinzugefügt, ζ. B. Aristoteles: Ethica Eudemia ... ed. Rackham S. 270 (1223 b); wo heutige Ausgaben selbst ohne eigene Seitenzählung nur die Bekkerzählung aufweisen, tritt diese an die Stelle des Seitennachweises, also ζ. B. Aristoteles: Physica ... ed. Ross 253 b.

d) Kurze Darstellung des theologischen (1. Auflage 1811)

Studiums

1. Sachapparat. Insbesondere im Hinblick auf die ,Kurze Darstellung' ist daran zu erinnern, daß die Editionen innerhalb der Ersten Abteilung der KGA keine kommentierten Ausgaben bilden, der Sachapparat vielmehr, den allgemeinen editorischen Grundsätzen entsprechend, Nachweise oder Erläuterungen zu Anspielungen Schleiermachers nur dann bietet, „wenn die Anspielung als solche deutlich, der fragliche Sachverhalt eng umgrenzt und eine Erläuterung zum Verständnis des Textes nötig ist"321. Gerade der enigmatische, aphoristische Stil der Erstauflage läßt immer wieder die Frage entstehen: Woran oder an wen denkt Schleier mach er hier? Die Beantwortung dieser Fragen aber sprengt in der Regel den enggesteckten Rahmen des Sachapparates; sie gehört vielmehr in den Aufgabenbereich historischer Interpretation und ausführlicher Kommentierung. 2. Verweisungsapparat. Der ,Kurzen Darstellung' ist neben dem textkritischen Apparat und dem Sachapparat noch ein Verweisungsapparat mitgegeben, in dem auf die inhaltlich und/oder textlich jeweils entsprechenden Paragraphen der zweiten Auflage von 1830 hingewiesen wird. Dabei wird, entgegen Schleiermachers eigenem Gebrauch in der Erstauflage, den Paragraphennummern ein Paragraphenzeichen (§) vor-

320 321

Aristoteles: Opera [gr.], Akademie-Ausgabe, KGA 1/1, S. XII

Bd. 1-5,

Berlin

1831-1870

LXXXVI

Einleitung des

Bandherausgebers

angesetzt. Das verwendete Siglum ,Erl' für ,Erläuterung' meint die innerhalb der zweiten Außage in kleinerem Druck gesetzten Erläuterungen zu den Leitsätzen der einzelnen Paragraphen. e) Kurze Darstellung des theologischen (2. Auflage 1830)

Studiums

1. Text. Auf dem rechten Seitenrand werden neben den Seitenzahlen der Originalausgabe die Seitenzahlen aus den Sämmtlichen Werken (SW I/1,S. 3-132) kursiv mitgeteilt. 2. Sachapparat. Was zum Sachapparat zur ersten Auflage der ,Kurzen Darstellung' erinnert worden ist, gilt entsprechend auch bezüglich der Zweitauflage. Zu ergänzen wäre allerdings, daß hier aufgrund der gegenüber der Erstauflage sehr viel ausführlicheren Paragraphentexte einschließlich ihrer Erläuterungen der Fall sehr viel häufiger vorliegt, daß ein erläuterungsbedürftiger Sachverhalt als solcher deutlich und eng umgrenzt ist. 2. Verweisungsapparat. Der ,Kurzen Darstellung' ist neben dem textkritischen Apparat und dem Sachapparat noch ein Verweisungsapparat mitgegeben, in dem auf die inhaltlich und/oder textlich jeweils entsprechenden Paragraphen der ersten Auflage von 1811 hingewiesen wird. Im Unterschied zum Verweisungsapparat der Erstausgabe wird hier nicht nur die Paragraphennummer genannt, sondern auch der Text der ersten Auflage in Petitdruck geboten. Bei der Verweisung wird, entgegen Schleiermachers eigenem Gebrauch, den Paragraphennummern auch der Erstauflage ein Paragraphenzeichen (§) vorangesetzt. Das verwendete Siglum ,Erl' für ,Erläuterung' bezeichnet die innerhalb der zweiten Auflage in kleinerem Druck gesetzten Erläuterungen zu den Leitsätzen der einzelnen Paragraphen. f) Die Marginalien aus Schleiermachers der ,Kurzen Darstellung'

Handexemplar

Die handschriftlichen Notizen (Marginalien) Schleiermachers aus dem durchschossenen Handexemplar der ,Kurzen Darstellung' von 1830 werden wie Anmerkungen Schleiermachers zum Text behandelt und sind entsprechend in die Zeilenzählung jeder Seite aufgenommen. Textkritischer Apparat und Sachapparat zu den Marginalien sind in die entsprechenden Apparate zum Drucktext integriert. 1. Text und textkritischer Apparat. Die Marginalien werden lediglich summarisch den Paragraphen der ,Kurzen Darstellung' zuge-

Editorischer

Bericht

LXXXVII

wiesen bzw., wo dies möglich ist, den jeweiligen Erläuterungen der Paragraphenhauptsätze. Der Grund für diese eher grobe Zuweisung besteht darin, daß es zwar in einigen Fällen möglich ist, den Text der Marginalien aus inhaltlichen Gründen genauer auf einzelne Formulierungen des gedruckten Textes zu beziehen, in sehr vielen Fällen jedoch der Bezug von Text und handschriftlicher Randnotiz sehr viel weniger eindeutig ist?12 Dabei läßt sich aus der Positionierung der Marginalie kein Schluß auf ihre genauere Textzuordnung ziehen: Alle Marginalien stehen in etwa gleich jeweils auf der dem Text gegenüberliegenden freien Seite des durchschossenen Druckes, zumeist etwas höher auf der Seite angesetzt als der Drucktext, auf den sie sich beziehen. Deshalb kann die Mehrdeutigkeit der Bezugnahme der handschriftlichen Notiz auf den gedruckten Text nicht auf editorischem Wege zur Eindeutigkeit gebracht werden; sie muß auf inhaltlich-interpretatorischem Wege gesucht werden, zu dem die Edition keinen eigenen Beitrag, sondern den Ausgangspunkt darstellt. Davon ausgenommen sind diejenigen handschriftlichen Randnotizen, denen Schleiermacher selbst einen genauen Ort und Bezugspunkt im gedruckten Text zugewiesen hat. In diesen Fällen reproduziert die Edition die Zuweisung und weist im textkritischen Apparat Schleiermachers Art der Zuweisung nach. Der Textkritische Apparat weist den genauen Zeichenbestand der handschriftlichen Notizen nach. Dabei werden folgende von Schleiermacher verwendete Abbreviaturen stillschweigend aufgelöst: d

der, die, d a s )

-en, -er

-kt

-keit

-l od

-lieh

Ρ 6

perge

üb, Ueb

über, Ueber

u

und

oder aus

Im textkritischen Apparat werden ebenfalls nicht eigens aufgeführt die durch Hochstellung des letzten Buchstabens gekennzeichnete Darstellung von Flexionsformen bei abgekürzten bzw. in Abbreviatur geschriebenen Wörtern (ζ. B. geschichtl" für geschichtlichen). Wo der Buchstabenbestand der handschriftlichen Randnotiz so schmal ist, daß sich mehrere Lesemöglichkeiten anbieten, werden im textkritischen Apparat Textzeugen für die vorgenommene Entzifferung 322

Ein schönes Beispiel für diese Mehrdeutigkeit (unten 325,8-10).

ist gleich die erste Marginalie zu § 1

LXXXVIII

Einleitung

des

Bandherausgebers

mitgeteilt, in Fällen, die auch aufgrund solcher Bezeugungen nicht eindeutig entscheidbar sind, auch Lesevarianten. Textzeugen sind in erster Linie der gedruckte Text der ,Kurzen Darstellung' selbst und die Vorlesungsnachschrift Strauß. 2. Sachapparat. Im Sachapparat zu den Marginalien taucht häufiger ein schlichter Verweis auf die Nachschrift von David Friedrich Strauß zu Schleiermachers Enzyklopädievorlesung von 1831/32 in der Form ,Vgl. ThEnz (Strauß) S.' auf. Finden sich dazu keine weiteren Erläuterungen, so indiziert der Verweis, daß die Marginalie eine wörtliche und/oder thematische Entsprechung in Schleiermachers Vorlesung hat. Der Hinweis hat also Signalfunktion, den Leser darauf aufmerksam zu machen, daß die Marginalie im Zusammenhang mit der Vorlesung steht und wahrscheinlich in diesem Zusammenhang überhaupt entstanden ist.

Der vorliegende Band ist im Rahmen meiner editorischen Tätigkeit als wissenschaftlicher Angestellter der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen an der Schleiermacher-Forschungsstelle der Theologischen Fakultät der Christian-Albrecht-Universität Kiel entstanden. Der erfolgreiche Abschluß des Editionsprojekts wäre kaum denkbar ohne die günstigen Arbeitsbedingungen und die vorzügliche Arbeitsatmosphäre, die die Kieler Forschungsstelle unter ihrem Direktor Prof. Dr. Dr. Günter Meckenstock mir geboten hat. Für den einen und den anderen wertvollen Hinweis danke ich Dr. Hermann Patsch (München). Ein Dank gilt auch Priv.-Doz. Dr. Klaus Fitschen (Kiel), der mir die Büchse der ,Pandora' öffnete, und heraus kamen nicht ,Lug und Trug ... und schmeichelnde Worte zum Leid den erwerbsamen Männern'323, sondern die Software zur Benutzung des Thesaurus Linguae Graecae. Für unermüdliche geduldige Hilfe bei zahllosen bibliographischen Recherchen bedanke ich mich herzlich bei Dipl.-Bibl. Rolf Langfeldt (Kiel). Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Kiel, insbesondere Gundula Haß, gilt mein Dank für die Bearbeitung vieler, nicht eben leicht zu erfüllender, Fernleihwünsche. Insbesondere im Zuge meiner Arbeit am ,Herakleitos' weilte ich einige Male in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen; für die dort erfahrene Aufnahme, die stets zuvorkommend-hilfsbereite Behandlung und Unterstützung, die auch außergewöhnliche Maßnahmen für einen Auswärtigen 323 Ygi Hesiodos: Werke und Tage 77. 82 (nach der Übersetzung von Albert von Schirnding, Sammlung Tusculum, München/Zürich 1991, S. 89)

Editorischer

Bericht

LXXXIX

umfaßten, bedanke ich mich herzlich, insbesondere bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sonderlesebereichs. Dank sage ich auch Hanne-Lore Heße, die sich der Mühe unterzog, den Text der Erstauflage der ,Kurzen Darstellung' abzuschreiben. Für die tatkräftige und engagierte Unterstützung bei den verschiedenen im Zuge der Drucklegung anfallenden Korrekturdurchgängen und insbesondere beim Klebeumbruch gehört mein herzlicher Dank Elisabeth Blumrich, Hanne-Lore Heße, Prof. Dr. Dr. Günter Meckenstock und Dr. Martin Rößler. Die beiden Letztgenannten haben sich überdies in mannigfaltigster Weise durch Rat und Tat um den vorliegenden Band verdient gemacht; nicht zuletzt auch dadurch, daß sie es dem Editor durch ihr Dasein und Sosein leichtgemacht haben, sein Werk gerne zu tun. Dirk Schmid

Rezension von: Zwey Schreiben die Errichtung einer akademischen Lehranstalt in Berlin betreffend (jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1807, 4. Jahrgang, 4. Band, Nr. 294 vom 17. Dezember 1807, Spalten 5 3 5 - 5 3 6 )

V e r m i s c h t e S c h r i f t e n . B e r l i n , b. Dieterici u. L e i p z i g b. Mittler: 535 Zwey Schreiben die E r r i c h t u n g einer akademischen L e h r a n s t a l t in B e r l i n b e t r e f f e n d . 1807. 40 S. 8. 5

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Der Entwurf, welcher den Gegenstand dieser kleinen Schrift ausmacht, hat gewiß schon viel Aufmerksamkeit von manchen Seiten erregt. Erhalten sich die laufenden Gerüchte darüber, und sieht man vielleicht vorläufige Anstalten dazu treffen: so wird er auch gewiß noch manche Federn beschäftigen. Darum ist es, wiewohl immer noch gar nichts officielles darüber bekannt gemacht ist, und öffentliche Äußerungen also noch etwas voreilig zu seyn scheinen könnten, doch um so erfreulicher, daß die erste Flugschrift darüber in einem so durchaus ruhigen und besonnenen Tone abgefaßt, der auch nicht den Gedanken aufkommen läßt, als könne irgend eine Nebenabsicht dabey obwalten, kurz daß sie die Stimme eines gewiß sehr achtungswerthen Mannes ist, der es mit den Wissenschaften und zumal auch mit dem Wohl der studirenden Jugend sehr wohl meint. Möchte der Vf. in dieser Hinsicht nur Nachfolger finden! Wenn diese ihn dann auch an Gründlichkeit und Vielseitigkeit der Ansicht des interessanten Gegenstandes nicht übertreffen: so wird doch jeder eine andere Seite herausheben und die Sache dadurch zur Beurtheilung und Behandlung reif werden. Sehen wir die Schrift zugleich als ein kleines Kunstwerk an, was sie ihrer sauber gehaltenen Schreibart wegen gar wohl verdient: so möchten wir sagen, der erste Brief, der als von einem hallischen Gelehrten an einen Freund in Berlin gerichtet vorgestellt wird, sey für diese Situation nicht zart genug abgefaßt. Der Mann beschreibt sich und seine Collegen als arme Vertriebene; äußert, er habe seine Lage, auch während des Flors von Halle, schon als eine sehr beschränkte angesehen, aus der er erlöst

1 b.] Abk. für bei und S. 12,17 f

1 Mittler] Müller

24 Berlin] Bayern Vgl. Zwei Schreiben, S. 10,3

2f Diese Titelwiedergabe folgt orthographisch dem Originaltitelblatt der in Berlin bei Dieterici erschienenen Ausgabe; der von Mittler in Leipzig veranstaltete Druck weicht demgegenüber in einer Kleinigkeit ab: Statt „Zwey" heißt es „Zwei". — Das Titelblatt nennt keinen Autor, doch handelt es sich bei dem Verfasser vielleicht um den Geheimrat Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760—1831). 23f Vgl. Zwey Schreiben, S. 3~16. Das Schreiben trägt als fingiertes Datum „Halle, den 12. Oct. 1807" und die Unterschrift „F.S." (vgl. Zwey Schreiben, S. 16). Die Bedeutung der Unterschrift ist ungeklärt. 25 f Vgl. Zwey Schreiben: „uns arme Vertriebene" (S. 4). 26—1 Vgl. Zwey Schreiben: „Ich habe Ihnen schon oft meine Wünsche zu erkennen gegeben, aus dem be-

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Rezension

von:

„Zwey

Schreiben"

zu werden gewünscht habe, und nimmt eine sehr demüthige Stellung gegen die Berliner, als ob er nun erst sollte unter die edelsten Gelehrten Deutschlands versetzt werden, ja fast als ob nicht nur der Studenten, sondern auch der Lehrer Geschmack und Geist noch einen ganz anderen Schwung bekommen sollte durch diese Versetzung. Hier scheint zuviel von dem vornehmen Selbstgefühl der Residenzbewohner durchzuschmecken. Natürlicher aus der Seele eines Universitätsgelehrten würde der Vf. geschrieben haben: es sey zu bedauern, daß bey einer Veränderung, die mit so manchen Vortheilen verbunden wäre, gerade die Lehrer sich in mancher Hinsicht nicht allzuwohl befinden würden, indem sie einer so durchaus unabhängigen, ungenirten, ihren Beschäftigungen angemessenen Lage sich in der Hauptstadt schwerlich erfreuen könnten, und auch die schönen Verhältnisse mit einer größeren Anzahl namhafter Gelehrten dadurch erschwert würden, daß diese der Gesinnung nach doch größtentheils mehr Geschäftsmänner und Weltmänner wären, als Gelehrte. Gewiß werden die angesehensten hallischen Lehrer nicht gelten lassen wollen, daß dieser Brief aus ihrer Seele geschrieben sey, und sich nicht freuen, daß er in ihrer Sache geschrieben worden. J a Ree. möchte hinzufügen, daß nicht leicht ein gemachter Mann in der literarischen Welt sich in einer ähnlichen Lage so ausdrücken würde, wie diesem Briefschreiber widerfahren ist. In dem zweyten Schreiben aus der Residenz herrscht hingegen ein wahrhaft bescheidener Ton. Bescheiden setzt der Vf. den Fall, es sey höheren Ortes noch nichts über den Entwurf entschieden, damit es nicht anmaßend scheine, ihn noch auf diese Art zu prüfen; bescheiden fügt der Vf. für seine Meinung noch ökonomische Gründe hinzu, ohnerachtet er vorher die Hoffnung geäußert, die Staatsmänner würden sich nicht durch ökonomische Gründe bestimmen lassen. Noch bescheidener zieht er sich am Ende, falls seine Gründe nicht

engten Kreise meines hiesigen Lebens erlöset [...] zu werden" (S. 4). 1—5 Vgl. Zwey Schreiben: „In dem königlichen Berlin, in diesem schönen Tempel der Wissenschaft und Kunst; in der Mitte der edelsten Gelehrten Deutschlands sollen wir unsre gehemmte Wirksamkeit wiederfinden!" fS. 3J 21 f Vgl. Zwey Schreiben, S. 17—40. Das Schreiben trägt das Datum „Berlin, den 18. Oct. 1807" und die Unterschrift „G. S." (vgl. Zwey Schreiben, S. 40), die möglicherweise für „Geheimrat Schmalz" steht. 22—25 Vgl. Zwey Schreiben: „Doch scheint es nicht, daß darüber schon etwas fest beschlossen sey; und ist nicht zu vermuthen, daß die Sache nicht vorher von allen Seiten reiflich werde erwogen werden. [...] Ohne Zweifel wird man darüber auch mehrere Stimmen zu hören geneigt seyn, und dann erst, nach sorgfältiger Abwägung der Gründe für und wider entscheiden, was geschehen soll." (S. 17 f) 25 f Vgl. Zwey Schreiben, S. 37,5-38,20. 2 6 - 2 8 Vgl. Zwey Schreiben: „Oekonomische Rücksichten allein werden die Staatsmänner, die hierbei zu rathen haben, gewiß nicht bestimmen." (S. 37) Dieser Aussage schließt sich unmittelbar die Diskussion ökonomischer Argumente gegen Berlin als Universitätsort an. 28—2 Vgl. Zwey Schreiben: „So ist auch zu hoffen, daß, wenn künftighin den Unterthanen der Preußischen Monarchie zum Studieren nur die Wahl zwischen Königsberg und Berlin gelassen

Rezension von: „Zwey Schreiben"

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wirken sollten, auf den Wunsch zurück, daß die Freyheit, Söhne auch auswärts studiren zu lassen, nicht werde beschränkt werden; eine Beschränkung, die vernünftigerweise überall und für jeden Fall sollte aufgehoben werden. 5 Als Gründe gegen den Entwurf hebt der Vf. vorzüglich hervor das Geräusch und die Zerstreuungen der Hauptstadt, die Schwierigkeit, welche arme Studirende finden würden zu subsistiren, und die positiven Anreizungen zur Unsittlichkeit. Gewiß sind diese Einwürfe recht stark herausgehoben, aber doch wird das Unzureichende davon wohl Nieman10 den ganz entgehen. Das gute Berlin wird leider für eine lange Zeit wohl still genug seyn; es hat immer Gegenden gehabt, die einsam genug waren, und man möchte lieber rathen, öffentliche Gebäude in diesen Gegenden dem akademischen Gebrauche zu weihen, als mitten in der Stadt gele|gene. Die Versuchung, in die das Schauspiel führt, würde sehr gemä15 ßiget werden, wenn einige angesehene Lehrer sich vereinigten, interessante Vorlesungen — man müßte nur nicht grausam seyn, und solche nehmen, die täglich gehalten werden — in eine Zeit zu verlegen, die den Besuch des Theaters nicht mehr gestattet. Wer Universitäten kennt, wird überdieß wissen, daß nicht allzuviel von Vergnügungen zu befürchten ist, 20 die immer nur mit baarem Gelde können erkauft werden. Den Ärmeren werden sich in Berlin auch mehrere Hülfsquellen eröffnen, und überdieß würde es ein Vortheil seyn, wenn nicht mehr so viel ganz hülflose, die doch größtentheils auch schlecht erzogen sind, studirten, als bisher. Die Reizungen zur Unsittlichkeit denkt sich der Briefschreiber wohl auch 25 nicht in dem richtigsten Verhältniß; er weiß nicht, wieviel deren von Hauswirthen und Gastwirthen in und bey kleinstädtischen Universitäten angewendet werden. M a n könnte auch denken, daß für die Personen aller Art, welche von den Ausschweifungen Anderer leben wollen, tausend junge Leute, deren doch nur Wenige bedeutend genutzt werden 30 können, in Berlin eben kein so großer Gegenstand der Nachstellung seyn würden, und gute polizeyliche Anordnungen könnten in diesem Stücke viel thun. Bedeutender sind ein paar andere Bemerkungen, auf die der

9 f Niemanden] Vgl. Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Bd. 1—5, Leipzig 1774—1786, Bd. 3, Sp. 809 werden sollte, den Eltern die Freyheit nicht werde beschränkt werden, ihre Söhne auch auf auswärtige Universitäten zu senden." (S. 40) 5 f Vgl. Zwey Schreiben, S. 19,17-23,3. 6i Vgl. Zwey Schreiben, S. 37,7-20. 7 f Vgl. Zwey Schreiben, S. 33,12-36,20. 14 Vgl. Zwey Schreiben, S. 23,4-24,11. 23 f Vgl. Zwey Schreiben, S. 33,12-36,20.

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Rezension

von: „Zwey

Schreiben"

Vf. aber weniger Gewicht legt, daß nämlich der akademischen Freyheit dort ein gänzlicher Untergang droht, und daß viel Unzweckmäßigkeit in den Vorträgen zu erwarten ist, wenn man nicht verhindern kann, daß auch Andere als Studirende ihnen beywohnen. Es ist in der That ein Verdienst, auf diese beiden Puncte recht früh aufmerksam gemacht zu haben. Wegen des letzten muß man sich freylich lediglich auf die Lehrer verlassen, daß sie nicht um weniger Fremden willen von der Bahn abgehen, auf welcher sie die Masse ihrer eigentlichen Zuhörer führen müssen. Das aber müßte schon ein ganz schlechter Schlag von Studenten seyn, dem man nicht einen Ehrenpunct daraus machen könnte, Vorlesungen nicht zu besuchen, an denen auch Frauenzimmer Theil nehmen. Was endlich die akademische Freyheit betrifft, so müßte in der That ernstlich darauf Bedacht genommen werden; denn sie ist ein wichtiger Punct, wenn uns eine kräftige Generation erwachsen soll. Aber sollte man nicht wünschen, daß ein Mann von des Vfs. Einsicht und Weltkenntniß lieber für den Fall, der ihm doch auch der wahrscheinlichste seyn muß, Vorschläge gethan hätte, als daß er uns nur die Schwierigkeiten aufzeigt? Und gewiß lassen sich sehr zweckmäßige Vorschläge thun, in Bezug auf Alles, was diesem Entwurf einzelnes entgegenzustehen scheint, wie über alles ganz eigenthümlich Vortreffliche, was aus ihm erwachsen kann, wovon aber der hallische Briefschreiber in unserer Schrift wenig gesehen oder wenigstens gesagt hat. Pr. H.

2 Unzweckmäßigkeit] Unzweckmäßigkeit 1 f Vgl. Zwey Schreiben: „Ich gestehe Ihnen auch, m[ein]. Fr[eundj., daß es mir leid thun würde, wenn die Freyheit, in welcher, nach der bisherigen Verfassung, unsre Jünglinge ihre akademische Zeit zubringen, durch deren Vermischung mit andern Bürgern des Staats verloren gehen sollte." (S. 30) — „Die Freyheit, die ihnen allerdings auch in einer Stadt, wie Berlin, bleibt, ist nicht die, und kann nicht die werden, die sie in der Sphäre einer kleinen Provinzialstadt genießen." (S. 32) Ii Vgl. Zwey Schreiben, S. 39,1—40,7. 10£ Vgl. Zwey Schreiben: „[...] so wird ohne Zweifel verordnet werden, daß diejenigen Vorlesungen, welche den Studierenden bestimmt sind, ganz von denen abgesondert werden, welche jetzt schon für Männer, und selbst für Frauenzimmer gehalten, und zuweilen mit großen Verheißungen angekündigt werden." (S. 39) 11 f Vgl. zur akademischen Freiheit Zwey Schreiben, S. 30,14—32,6. 23 Das Kryptogramm „Pr. H." läßt sich nicht mit Sicherheit auflösen; möglicherweise steht es für „Professor" oder „Prediger" „Halae" bzw. „Halle".

Rezension von: Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der Universität Halle nach Berlin und Soll in Berlin eine Universität seyn? Ein Vorspiel zur künftigen Untersuchung dieser Frage (Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1808, 5. Jahrgang, 1. Band, Nr. 23 vom 27. Januar 1808, Spalten 183-184)

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V e r m i s c h t e S c h r i f t e n . N o . 1. B e r l i n , b. Dieterici u. L e i p z i g , b. 183 Mittler: S e n d s c h r e i b e n a n H e r r n G . S. ü b e r d i e V e r l e g u n g d e r U n i v e r s i t ä t H a l l e n a c h B e r l i n . 1807. 22 S. 8. N o . 2. B e r l i n , b. Amelang: Soll in B e r l i n e i n e U n i v e r s i t ä t seyn? Ein Vorspiel zur k ü n f t i g e n U n t e r s u c h u n g d i e s e r F r a g e . 1808. 115 S. 8. No. 1. Sehr unbedeutend und dabey höchst nachlässig, fast in einer gemeinen Schreibart geschrieben. Der Vf. wendet sich an die zweyte Hälfte des Vfs. der z w e y S c h r e i b e n (S. 1807. No. 294) um noch einiges hinzuzufügen. Die in Berlin Studirenden, meint er, würden einen zu guten Ton bekommen, zu sehr verfeinert werden, und sich dann auf dem Lande und in Provincialstädten nicht gefallen. Als wenn nicht die wissenschaftlich Gebildeten überall, wohin sie kommen, auch die Sitten und die Lebensweise verbessern sollten, und eben deßhalb die besten haben müßten. Doch Jeder sieht, wie schief dieß gedacht und gesagt ist. Dann meint er auch, die Armen würden von dieser Universität ausgeschlossen seyn, und das sey ein empörender, der Menschheit unwürdiger Gedanke. Als ob nicht in einem und demselben Lande sich immer eine theuere Universität bildete, und eine wohlfeilere, auf welche die Armen gehen müssen, wenn man ihnen nichts schenken will. Wahrlich, das heißt das Mitleid bis zum Lächerlichen treiben. Der dritte Gedanke auf diesen Blättern ist, daß die Universität alle Hülfsmittel hinwegnehmen werde, worauf andere öffentliche Anstalten Anspruch haben, und daß dagegen Frankfurt an der Oder, wegen Einschränkung der Meßfreyheit ein j u s q u a e s i t u m (so!) auf die neue Universität habe, die also zu der alten gelegt werden

1 b.] Abk. für bei

4 b.] Abk. für bei

9 S.] Abk. für Siehe

8f Vgl. Zwey Schreiben, S. 16—40. 9 Die Mitteilung in Klammern verweist auf Schleiermachers eigene Rezension der Zwey Schreiben, die in der Nr. 294 der JALZ im ]ahr 1807 erschienen ist; s.o.S.3 — 6. 10—12 Vgl. Sendschreiben, S. 4,17—9,18. 15 — 17 Vgl. Sendschreiben, S. 10,7—14,22; bes.: „Ich will nicht befürchten, es werde jemand den inhumanen Gedanken hegen: der Arme solle von Berlin wegbleiben und auf eine kleinere, wohlfeilere Universität gehen. Berlin soll ein Muster einer Universität, es soll die Haupt-Universität des Preußischen Staats seyn, und von dieser Wohlthat soll der Arme, eben weil er arm ist, ausgeschlossen werden? Empörender, der Menschheit unwürdiger Gedanke!" (S. 14) 2 1 - 2 3 Vgl. Sendschreiben, S. 16,22-18,22. 2 3 - 1 Vgl. Sendschreiben, S. 19,10—22,10. 24f Vgl. Sendschreiben: „Jus quäsitum" (S. 22). Möglicherweise ist das von Schleiermacher demonstrativ gesetzte „so!" in der Weise zu verstehen, daß es auf den Sachverhalt hinweisen soll, daß ein ius quaesitum seinem Begriff nach ein

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Rezension von: „Sendschreiben" und „Soll in Berlin"

solle! — Wenn doch, wer nichts verständigeres zu sagen weiß, lieber nicht spräche über dergleichen Dinge! No. 2 hat zwar in der That mehr untersucht, als beide Vorgänger, nennt sich aber doch mit Recht nur ein Vorspiel zur künftigen Untersuchung. Es ist allerley hier angeregt, aber auch nur angeregt; dabey fehlt es dem Vf. hie und da an Festigkeit und Consequenz in seinen Betrachtungen, und er spricht nicht ohne Parteylichkeit gegen den Anschlag der Errichtung einer Universität in Berlin. Wo er es ζ. B. braucht, sagt er, | es komme alles darauf an, daß nur die Studenten guter Art wären und Fleiß hätten, so würden sie den Mangel der in Berlin vorhandenen Hülfsmittel an einem anderen Orte leicht verwinden; wo es dagegen darauf ankommt, die Nachtheile des Projects zu zeigen, da geht er von der Voraussetzung aus, nur wenige Studenten würden sich in Berlin an ihre Bücher bannen lassen, und die großen und schönen Formen der Hauptstadt würden ihnen die kleineren ihrer Vaterstadt oder ihres künftigen Aufenthaltes verleiden. Warum bringt er nicht die Wirkungen des Fleißes und der erhöhten Selbstständigkeit für beide Fälle auf gleiche Weise in Anschlag? Diese Ungleichheit findet sich in den wichtigsten Puncten, wie in Nebendingen, überall. Gewisse Dinge, hat er die Gabe, ganz schief darzustellen. So nennt er die Einheit des Geistes, das nähere Zusammenhalten, welches die Folge seyn würde, wenn Berlin die Hauptuniversität und die fast einzige wäre, diese nennt er die Einheit im Berlinismus. Den Vortheil ζ. B., welcher einer Univ. daraus erwachsen könnte, daß in Ber-

15 künftigen] künstigen

23 Univ.] Abk. für Universität

solches Recht ist, das man gerade nicht haben kann, sondern um das man nachsucht. 8 — 11 Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „So glaubt man, daß es bei den Lehrern vorzüglich auf Tüchtigkeit, und bei den Schülern vorzüglich auf Fleiß und Selbstdenken ankomme, und daß beide den Mangel an Hülfsmitteln, bei rechtem Eifer für die Sache, mehr als zur Notdurft zu überwinden wissen werden." (S. 28 f) 12—14 Vgl. Soll in Berlin eine Universität seynl·. „[...] der nicht ganz Arbeitsscheue wird [in einer Mittelstadt] nur selten aus seinen Collegien oder von seinen Büchern verlockt. Hier in Berlin möchte selbst der Fleißigste mit den täglichen Aufforderungen zur Zerstreuung, und den täglich dargebotenen neuen und unerhörten Curiositäten, einen ungleichen Kampf zu bestehen haben." (S. 60) 14—16 Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „lein einfach erzogener Jünglingj könnte durch die großen Formen, die sich seinem Gemüth eindrücken, auf Lebenszeit einen Ekel an den kleinen Formen seiner Vaterstadt oder seines Vaterdorfes erhalten." (S. 43) 20—22 Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „Die Einheit in der Bildung, wenn sie wünschenswerth oder möglich seyn sollte, wird wahrscheinlich mehr von den Lehrern, als von der Stadt, worinn diese ihre Vorlesungen halten ausgehen; und gienge sie von dieser aus, so fragt sich, ob die Einheit im Berlinismus der Nation zuträglich seyn würde" (S. 45). Vgl. auch a. a. O., S. 84,16. 22—4 Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „Eine gute Universität muß in allen Fächern mit guten Lehrern besetzt seyn und nicht erst darauf warten, ob in der Nähe domicilirende Gelehrte sich an

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Rezension von: „Sendschreiben"

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und „Soll in Berlin"

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lin schon eine große Menge wahrer Gelehrten aus den verschiedensten Fächern wirklich sind, verwirft er deßhalb, weil für gute Docenten doch überall müsse gesorgt werden, und weil die Universität ihnen nicht nachziehen könne; und von der Bibliothek sagt er, die wäre freylich nothwendig, aber darum würde auch gewiß auf jeden Fall für eine gesorgt werden. Aber das ist es ja eben, daß es nicht möglich ist, irgendwo eine Bibliothek gleich auf der Stelle zu schaffen. Man erkundige sich nur, wie weit die neuen russischen Universitäten, ohnerachtet der ungeheuern Summen, die sie aufwenden, schon damit gekommen sind! Ist dieß nicht ein sehr bedeutender Grund, um eine neue Universität dahin zu legen, wo schon eine Bibliothek ist? Eben so, wenn ein Reichthum von sehr emergirenden Docenten in allen einzelnen Fächern etwas sehr Wünschenswertes ist, und dabey von keinem N a c h z i e h n die Rede, sondern die Univers, sich erst etabliren und e i n z i e h e n soll: ist dieß nicht ein wichtiger Grund, um sie da einzurichten, wo es eine Menge solcher Docenten giebt, die aber auch ihrerseits der Universität nicht anderswohin würden nachziehen können? So wichtige Puncte so schief und oberflächlich behandeln, heißt weniger ein Vorspiel einer Untersuchung geben, als die Untersuchung aus der Hand zu spielen suchen, und verräth einen Mann, der der Sache nicht so gewachsen ist, daß er ein wünschenswert e r Rathgeber bey ihrer Entscheidung seyn könnte. Auch schreibt unser Vf. den Univers, in Mittelstädten Vorzüge zu, die sie nicht besitzen. Ζ. B. daß der Professor fast alle seine Zuhörer kenne, und ihre Aufführung beobachte. Dieß ist auf einer etwas besuchteren Anstalt nicht möglich. Der Prof. lernt die ausgezeichnetsten Jünglinge kennen als Lehrer, und die ausgelassensten als Obrigkeit; von den übrigen weiß er um so weniger Rechenschaft zu geben, je weniger Klätscherey und müssiges Neuigkeitstragen auf seiner Universität eingerissen ist. Das Übel des Lectionengebens der Studenten ist gewiß schon in Halle nicht geringer gewesen,

4 wäre] ware 5 auf jeden Fall] auf jedem Fall 27 Univers.] Abk. für Universitäten

14 Univers.] Abk. für Universität

sie anschließen werden. Wer Beruf zum acadetnischen Docenten hat, wird die Universität, wo sie sich auch befinde, aufsuchen [...]. Auch außer einer Universität können und sollen geschickte Männer leben und wirken; [...] nachziehen kann sie aber selbst den Geschicktesten nicht, sie würde sich sonst zu einer ewigen Wanderung verdammen." (S. 33 f) 4—6 Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „Eine Bibliothek aber ist es [nämlich: für eine Universität notwendig], und darum wird gewiß, die Universität sey wo sie wolle, dafür gesorgt werden." (S. 32) 22—24 Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?, S. 70,17—19 („in einer Stadt von beschränktem Umfange [...], wo die Professoren fast alle ihre Zuhörer kennen, ihre Aufführung beobachten"). 28 f Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „[Der Student in einer großen oder Residenzstadt wie Berlin] sucht, statt von seinem Wechsel sparsam zu leben, sich durch allerlei Künste, Einschieichung in

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Rezension von: „Sendschreiben"

und „Soll in Berlin"

als es in Berlin seyn würde, und ist nur an ganz kleinen Orten zu vermindern. — Es giebt noch andere Schiefheiten auch in der Schreibart; auch der letzte Gedanke ist eine, von einer Nachuniversität, die der Vf. lieber als eine eigentliche in Berlin etablirt wissen will, und die Vorwürfe, welche er dabey der dortigen A k a d e m i e der Wissenschaften m a c h t ; wie er sich überhaupt den Unterschied zwischen Universität und Akademie nicht recht deutlich gedacht zu haben scheint. Sonst sagt er auch recht gute beherzigungswerthe Sachen über den Werth des Studentenlebens, über die Duelle, über die akademische Freyheit. M a n c h e Schwierigkeit einer Universität in Berlin setzt er recht gut aus einander. Aber will sich denn N i e m a n d die M ü h e geben, weder die Wege anzugeben, wie diese Schwierigkeiten a m besten zu lösen sind, n o c h auch die Art, wie m a n

Familien, Lectionen geben u[nd]. d[er]. gl[eichenj. seinen pecuniären Zustand zu verbessern, und sich, zu allerhand Nebenausgaben, Geld zu verschaffen." (S. 79) 2 Möglicherweise denkt Scbleiermacher hier an Abnormitäten und Fehler in der Syntax; vgl. ζ. B. Soll in Berlin eine Universität seynf, S. 87,5 f („so beruht der erste [Punkt] auf die [!] Maxime") und S. 87,10—13 („Der Wissenschaft selbst und ihre [!] Cultur im höheren Sinne, sollen und werden sich unter jeder Bedingung die widmen [...]"). 3f Vgl. Soll in Berlin eine Universität seynf, S. 107,8 — 115,13. Der Begriff „Nachuniversität" fällt hier nicht, stellt also einen Interpretationsbegriff Schleiermachers für die Ausführungen des Verfassers dar. 4 f Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „Was sie [nämlich: die Akademie der Wissenschaften zu BerlinJ gethan hat, ist folgendes: Sie hat ihre Mitglieder und andre veranlaßt, Abhandlungen über scientifische Gegenstände allerlei Art zu schreiben, die sie ohnehin geschrieben und der Welt mitgetheilt haben würden; sie hat diese Abhandlungen drucken lassen und an — ihre Mitglieder vertheilt, welche (da die meisten dieser Aufsätze für sie ohne Interesse sind) sie selten einmal gelesen haben. Für die übrige Welt ist alles das Gute und Neue, was etwa in diesen Memoires vorkommen mag, verloren; ja es ist den Verfassern nicht einmal erlaubt, ihre Abhandlungen auf einem bessseren Wege zur Kunde des Publikums zu bringen. — Schildre ein andrer weitläufiger diese Akademie!" (S. 112 f) 7 i Vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?: „Ein Mann, der durch sein Knaben- und Jünglingsalter nie von Zucht und Aufsicht frei geworden, steht da ohne Selbstvertrauen, ohne Willenskraft, lauernd auf fremdes Urtheil, überall Mißbilligung scheuend und den Beifall nicht achtend, mit entwickelter Neigung zur List, Heuchelei und allen Lastern der Schwäche, mit einem Worte, ohne Charakter. Wenn man sonach den Knaben und angehenden Jüngling führen, durch Rath, Urtheil und Strafe seine Handlungen leiten und ihm so die Ordnung und Sitte zur Gewohnheit machen muß: so muß es doch vor seinem Eintritt ins bürgerliche Leben und zum selbstständigen Handeln eine Zeit geben, wo er, ohne Kappund Leitzaum, seine Kräfte prüfen und sich selbst darüber verständigen muß, was er von sich und was die Welt von ihm zu erwarten habe, eine Zeit, worinn sich sein Charakter entwickeln kann. Dazu geben dem Studierenden die Universitätsjahre die glückliche Gelegenheit, und die Verhältnissse zu seinen Commilitonen sind für ihn die Schule der Lebensklugheit." (S.68—70) 9 Zu den Duellen, die der Verfasser ausdrücklich verteidigt, vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?, S. 73,4— 77,3; vgl. auch S. 65,16 —19. 9 Zur akademischen Freiheit, deren Bedeutung der Verfasser schätzt und würdigt, vgl. Soll in Berlin eine Universität seyn?, S. 72,4 — 73,3; auch S. 70,9—14.

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Rezension von: „Sendschreiben" und „Soll in Berlin"

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alle Vortheile benutzen müßte, recht mit Liebe ins Licht zu setzen? Will man immer nur durch kleine Schriften der Regierung übles Spiel machen beym Publicum, ohne daß auch sie einmal etwas Reelles fände, wovon sie Gebrauch machen könnte? Pr. H .

5 Das Kryptogramm „Pr. H." läßt sich nicht mit Sicherheit auflösen; möglicherweise steht es für „Professor" oder „Prediger" „Halae" bzw. „Halle".

Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende (1808)

Gelegentliche Gedanken über

Universitäten in deutschem Sinn.

Nebst einem Anhang über e i n e n e u zu e r r i c h t e n d e ,

von

F. S c h l e i e r m a c h e r .

Berlin 1808. In d e r R e a l s c h u l b u c h h a n d l u n g

Vorrede.

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Nur ein kleines Vorwort für die kleine Schrift. Schon durch die Art, wie sie sich bezeichnet, will sie gern diejenigen abweisen, welche hier etwa aus irgend einem Mißverstand eine wissenschaftliche erschöpfende Behandlung des Gegenstandes suchen möchten. Es wäre falsche Bescheidenheit, wenn, was | so gemeint ist, sich nur für etwas gelegentliches ausgeben wollte; wie es Anmaßung wäre und leere Prahlerei, wenn was nur gelegentlich entstanden ist und nur so wirken soll, sich wissenschaftlich geberden wollte. Die Sache verträgt allerdings eine strenge und gründliche Behandlung; das wissenschaftliche Feld, wohin sie gehört, mag auch dem Verfasser nicht ganz fremd sein, und er hofft, daß die hier vorgetragenen Gedanken selbst größtentheils auch dort eine Stelle würden finden müssen. Nur hier macht er gar nicht Anspruch auf wissenschaftliche Reife oder strenge Darstellung. Er trägt seine Ansicht ohne diesen Grad der Vollendung vor, gelegentlich und soviel möglich leicht hingeworfen als ein verständliches Wort, zur Beherzigung für eine Zeit, welche während der Zerstörung so vieles Alten auch so manche neue Keime entwikkelt. Wer bei Pflanzung oder Erneuerung wissenschaftlicher Anstalten mitzuwirken hat, kann sich doch nicht genug vorsehn, ob er auch den Gegenstand, über den er zu rathschlagen hat, und seine einzelnen Theile in ihrer wahren Beziehung aufgefaßt habe. Schon seit langer Zeit werden die entgegengeseztesten Ansichten über diese Sache aufgestellt. Jede enthält unstreitig etwas wahres und ist beherzigungswerth; aber wenn es doch nur Eine Seite ist, die sie nach Neigung oder nach Umständen heraushebt, so muß doch die Vorstellung des Ganzen, die sich bloß

9—13 Anspielung auf die von Schleiermacher innerhalb der Güterlehre seiner Philosophischen Ethik entwickelte Theorie der Wissenschaft und ihrer Organisation; vgl. für die Hallenser Zeit das „Brouillon zur Ethik" von 1805/06, SN 115, S. 18. 58~60 (hg. v. H.-J. Birkner, Hamburg 1981, S. 25. 93 — 96); ein späteres Berliner Manuskript zur „Ethik" von 1812/13 enthält im Dritten Teil der Güterlehre („Von den vollkommenen ethischen Formen") einen eigenen Abschnitt „Von der nationalen Gemeinschaft des Wissens", SN 116, S. 106-114 (hg. v. H.-]. Birkner, 2. Aufl., Hamburg 1990, S. 107-116).

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hieraus bildet, unsicher störrig und verschroben ausfallen; denn einzelne Beziehungen können nie das M a a ß der Sache selbst sein, ja auch ihr eignes M a a ß nicht in sich haben. Und leider, wie schwer ist es nicht zu vermeiden, daß Neigung, daß besondere Verhältnisse, daß oft sogar ein fremdartiges Bedürfniß nicht Einfluß erhalte auf die Ueberlegungen de5 rer, die eben zu handeln haben. Drum soll auch derjenige nicht unwillkommen seine Stimme vernehmen lassen, der M u ß e hat, sich vor dem Gegenstand niederzulassen, und ihn, wie er sich seit langer Zeit verschiedentlich unter uns gestaltet hat, von allen Seiten zu betrachten. Denn auch, | wo neues gebaut wer- 10 den soll, ist es von der größten Wichtigkeit zu wissen, was von dem bisherigen wesentlich oder zufällig, und was vielleicht gar in Irrthum und Mißverständniß gegründet gewesen, und also verwerflich ist, wie sich dessen in allen Zweigen des menschlichen Thuns und Wirkens immer finden muß. 15 Eine solche Betrachtung eignet sich am meisten zur öffentlichsten Mittheilung, weil sie nicht nur für die Wenigen angestellt wird, welche auf diesem Gebiet schaffen, umbilden, regieren sollen, sondern für Alle, die einen lebhaften Antheil an der Sache nehmen. Diese Alle daher möchte sich der Verfasser einladen, ihm bei seiner Beschauung zuzu- 20 schauen, | und dadurch aufgeregt zu werden, den Gegenstand, es sei nun so wie er oder besser als er, auf jeden Fall aber gründlicher als zuvor zu erkennen.

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V o m V e r h ä l t n i ß des w i s s e n s c h a f t l i c h e n Vereins zum S t a a t e .

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M a n kann annehmen, daß fast allgemein die Voraussezung gemacht wird, es solle unter den Menschen nicht nur Kenntnisse aller Art geben, sondern auch eine Wissenschaft. Die Ahndung von ihr, das Verlangen nach ihr regt sich überall. Selbst die, welche ihr Geschäft am allermeisten nach hergebrachter G e w o h n h e i t behandeln, berufen sich auf die Voreltern; was gar keinen Sinn hat, wenn nicht das dunkle Gefühl darin liegt, diese müßten bei dem gleichen Verfahren nicht bloß das R e c h t der Gewohnheit für sich gehabt haben, sondern vielmehr einen höheren Grund. Eben so die, welche in menschlichen Dingen irgend etwas durch die Kraft des bloßen Instinkts weiter fördern, berufen sich darauf, daß Andern obliegen müsse, ihr T h u n zu erklären, und verständig zu rechtfertigen. Dies alles weiset auf die Wissenschaft hin. | D a ß aber diese durchaus nicht Sache des Einzelnen sein, nicht von Einem allein zur Vollendung gebracht und vollständig besessen werden kann, sondern ein gemeinschaftliches Werk sein muß, wozu Jeder seinen Beitrag liefert, so daß Jeder in Absicht ihrer von allen übrigen abhängig ist, und nur einen herausgerissenen Theil sehr unvollkommen allein besitzen k a n n , auch das m u ß gewiß allgemein einleuchten. Wie genau hängt doch alles zusammen und greifet in einander auf dem Gebiete des Wissens, so daß man sagen kann, je mehr etwas für sich allein dargestellt wird, um desto mehr erscheine es unverständlich und verworren, indem streng genommen jedes Einzelne nur in der Verbindung mit allem übrigen ganz kann durchschaut werden, und daher auch die Ausbildung jedes Theiles von der aller übrigen abhängig ist. Diese nothwendige und innere Einheit aller Wissenschaft wird auch gefühlt überall, w o sich bestimmte Bestrebungen dieser Art zeigen. Alle wissenschaftlichen Bemühungen ziehen einander an, und wollen in Eines zusammen gehen, und schwerlich giebt es auch auf irgend einem andern Gebiete des menschlichen T h u n s eine so ausgebreitete Gemeinschaft, eine so ununterbrochen fortlaufende Ueberlieferung von den | ersten Anfängen an, als auf dem der Wissenschaft. Freilich nicht, als ob nicht auch hier die Bemühungen der Menschen gesondert und mannigfaltig getheilt, ja hie und da sogar gewaltsam und willkührlich auseinander gerissen wären. Was verschie-

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dene Völker gleicher Zeit wissenschaftlich betreiben hängt oft äußerlich gar wenig zusammen; und noch mehr erscheinen ganze Zeitmassen von einander gesondert. Allein wer die Sache etwas im G r o ß e n ansieht, dem k a n n auch hier in dem fortschreitenden Bestreben, alles Getrennte allmählig zusammenzubringen, die vorherrschende Gewalt einer inneren Einheit nicht entgehen. Bei diesem Z u s a m m e n h a n g e nun kann es nur ein leerer Schein sein, als o b irgend ein wissenschaftlicher M e n s c h abgeschlossen für sich in einsamen Arbeiten und Unternehmungen lebe. Vielmehr ist das erste Gesez jedes auf Erkenntniß gerichteten Bestrebens, Mittheilung; und in der Unmöglichkeit wissenschaftlich irgend etwas auch nur für sich allein ohne Sprache hervorzubringen, hat die Natur selbst dieses Gesez ganz deutlich ausgesprochen. D a h e r müssen sich rein aus dem Triebe nach Erkenntniß, w o er nur wirklich erwacht ist, auch alle zu seiner zwekmäßigen Befriedigung nöthige Verbin|dungen, die verschiedensten Arten der Mittheilung und der Gemeinschaft aller Beschäftigungen von selbst gestalten; und es wäre irrig zu glauben, daß alle dergleichen Anstalten, wie es jezt scheint, nur das Werk des Staats sein könnten. Niemand wird angeben können, wie dieser darauf g e k o m m e n seyn sollte, das Wissen, wenn es ursprünglich ganz zerstreut gewesen wäre, auf solche Weise zu sammeln. Nur da werden alle Unterrichtsanstalten eigentlich vom Staate ausgehn müssen, w o über ein noch ganz rohes Volk eine kleine Anzahl eines gebildeten bildend herrscht, und den Trieb des Wissens erst in jenem erwekken will. M a n sehe nur, wie schon im S c h o o ß e der Familie die Elemente zum Unterricht und zur Gemeinschaft der Kenntnisse sich selbst bilden; wie zweifelhaft es im allgemeinen bleibt auch von den größeren Vorkehrungen, o b sie von selbst entstanden, oder vom Staat, oder von der Kirche gegründet sind. Ergiebt sich nicht aus allem, daß wir um der Natur der Sache getreu zu bleiben, alle solche Veranstaltungen als etwas ursprüngliches, aus freier Neigung, aus innerem Triebe entstandenes ansehen müssen?

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Aber freilich je mehr sie sich ausbilden, um desto mehr erfordern sie Hülfsmittel, Werkzeuge man|cher Art, Befugniß der Verbundenen, auch als solche mit Andern auf eine rechtsbeständige Art zu verkehren. Dies alles kann freilich nur durch den Staat erlangt werden, und daher 35 ergeht an ihn die Anmuthung, diejenigen, die sich zum Behuf der Wissenschaft mit einander verbunden haben, wie wir uns ausdrükken, als eine moralische Person anzuerkennen zu dulden und zu schüzen. Bei deutschen Völkerschaften und Verfassungen k a n n diese Zumuthung am wenigsten befremdlich sein, da wir bei ihnen beständig eine Menge freier 40 Vereinigungen zu allerlei Z w e k k e n bestehen und entstehen sehen, die der Staat nicht nur duldet, so lange sie sich als unverdächtig ausweisen, so daß man ihnen, um Verfolgung gegen sie zu erregen, immer etwas

1. Verhältnis zum Staate

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u n b ü r g e r l i c h e s , s t a a t z e r s t ö r e n d e s e r w e i s e n m u ß , s o n d e r n d e n e n er a u c h V o r r e c h t e m a n c h e r A r t e i n r ä u m e t , w i e sie z u s a m m e n g e s e z t e n P e r s o n e n , d i e ja d o c h g r ö ß e r s i n d als E i n z e l n e , w o l g e z i e m e n m ö g e n . W i e es a b e r a u c h m i t a n d e r n V e r e i n i g u n g e n v i e l f ä l t i g g e s c h i e h t , d a ß w e n n d e r S t a a t v o n i h r e r N ü z l i c h k e i t ü b e r z e u g t ist, er sie sich a l l m ä h l i g s o a n e i g n e t , u n d sie in sich a u f n i m m t , d a ß m a n h e r n a c h n i c h t m e h r u n t e r s c h e i d e n k a n n , o b sie f r e i f ü r | sich e n t s t a n d e n o d e r v o n d e r v e r w a l t e n d e n M a c h t g e s t i f t e t w o r d e n s i n d , d a s s e l b i g e ist a u c h , w i e w i r s e h e n , sogar mit den wissenschaftlichen Verbindungen geschehen; wiewol, w e n n die E r f a h r u n g nicht so klar vor Augen stände, jeder zweifeln m ö c h t e , o b w i r k l i c h , bei d e m g e n a u e n Z u s a m m e n h a n g a l l e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e s t r e b u n g e n d e r s e l b e n g e b i l d e t e n Z e i t , d i e j e n i g e n , d i e inn e r h a l b e i n e s g e w i s s e n S t a a t e s e n t s t a n d e n s i n d , sich g u t w i l l i g v o n d e n ü b r i g e n t r e n n e n , u n d d a g e g e n d e m S t a a t , d e r i h n e n e i g e n t l i c h f r e m d ist, sich s o g e n a u w ü r d e n a n s c h l i e ß e n w o l l e n . U n d f r e i l i c h f e h l t es a u c h n i c h t a n e i n e r e b e n so in d i e A u g e n f a l l e n d e n W i d e r s e z l i c h k e i t d e s w i s s e n s c h a f t l i c h e n V e r e i n s g e g e n d i e s e zu g e n a u e V e r b i n d u n g . D a s w a h r e u n d natürliche v o n der Sache scheint a b e r dieses zu sein. Alle w i s s e n s c h a f t l i c h e n T h ä t i g k e i t e n , w e l c h e s i c h in d e m G e b i e t Einer Sprache bilden, h a b e n eine natürliche g e n a u e V e r w a n d s c h a f t , verm ö g e d e r e n sie n ä h e r u n t e r sich, als m i t i r g e n d a n d e r e n z u s a m m e n h ä n g e n , u n d d a h e r ein e i g n e s g e w i s s e r m a ß e n a b g e s c h l o s s e n e s G a n z e s in d e m g r ö ß e r e n G a n z e n b i l d e n . D e n n w a s in E i n e r S p r a c h e w i s s e n s c h a f t l i c h e r z e u g t u n d d a r g e s t e l l t ist, h a t T h e i l a n d e r b e s o n d e r e n N a t u r d i e s e r S p r a c h e ; w e n n es sich | n i c h t g a n z u n m i t t e l b a r a u f E r f a h r u n g e n u n d V e r r i c h t u n g e n b e z i e h t d i e ü b e r a l l n o t h w e n d i g d i e s e l b e n sein m ü s s e n , w i e im Gebiete der M a t h e m a t i k u n d der experimentalen Naturlehre, so läßt es sich n i c h t g e n a u e b e n s o in e i n e a n d e r e S p r a c h e ü b e r t r a g e n , u n d b i l d e t d a h e r u n t e r sich v e r m ö g e d e s Z u s a m m e n h a n g e s m i t d e r S p r a c h e ein g l e i c h a r t i g e s G a n z e s . F ü r d i e W i s s e n d e n b l e i b t es a l l e r d i n g s e i n e n o t h wendige A u f g a b e auch die T r e n n u n g zwischen diesen verschiedenen Gebieten wieder a u f z u h e b e n , die S c h r a n k e n der S p r a c h e zu d u r c h b r e c h e n , u n d w a s d u r c h sie g e s c h i e d e n z u sein s c h e i n t v e r g l e i c h e n d a u f e i n a n d e r z u r ü k z u f ü h r e n ; e i n e A u f g a b e , in w e l c h e r vielleicht d i e w i s s e n s c h a f t l i c h e B e s c h ä f t i g u n g m i t d e n S p r a c h e n ihr h ö c h s t e s Z i e l f i n d e t . Allein d i e s e A u f g a b e ist o f f e n b a r f ü r d i e G e m e i n s c h a f t d e s W i s s e n s d i e h ö c h s t e viell e i c h t n i e a u f z u l ö s e n d e , u n d e b e n d a d u r c h b e w ä h r t sich n u r d e s t o m e h r j e n e A b s o n d e r u n g als e i n e u n u m g ä n g l i c h e . D e n k e n w i r u n s a l s o a u f a l l e n Punkten aus freiem Triebe nach Erkenntniß wissenschaftliche Verbind ü n g e n e n t s t e h e n d , so w e r d e n sich d i e s e z u n ä c h s t s o w e i t z u v e r e i n i g e n s t r e b e n als d a s G e b i e t e i n e r u n d d e r s e l b e n S p r a c h e r e i c h t . D i e s w i r d d e r e n g s t e B u n d sein, u n d jede d a r ü b e r h i n a u s g e h e n d e G e m e i n s c h a f t n u r eine weitere. |

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Gelegentliche

Gedanken

über

Universitäten

D e m Staat a b e r leuchtet a u c h ein, d a ß Kenntnisse u n d sogar Wiss e n s c h a f t e n e t w a s h e i l s a m e s u n d t r e f l i c h e s s i n d . W i e g r o ß o d e r k l e i n er a u c h sei, w i e r e c h t o d e r u n r e c h t er d a r a n t h u e ein e i g n e r sein zu w o l l e n ; er k a n n als s o l c h e r n u r d u r c h e i n e M a s s e v o n K e n n t n i s s e n b e s t e h n , d i e sich m ö g l i c h s t d e r T o t a l i t ä t n ä h e r t , s o w e n i g s t e n s d a ß v o n a l l e n Z w e i g e n d e s W i s s e n s e i n i g e S p u r , einiges B e w u ß t s e i n in i h m v o r k o m m e d u r c h l e b e n d i g e n S i n n , d u r c h N a c h f r a g e , d u r c h williges A u f n e h m e n , w e n n d e n n a u c h z u e i n e r e i g e n t h ü m l i c h e n A r t d e r V o l l e n d u n g n u r einiges in i h m g e d e i h t . W e n i g s t e n s ein a n s t ä n d i g e s u n d e d l e s L e b e n g i e b t es f ü r d e n S t a a t e b e n s o w e n i g als f ü r d e n E i n z e l n e n , o h n e m i t d e r i m m e r b e s c h r ä n k t e n F e r t i g k e i t a u f d e m G e b i e t e d e s W i s s e n s d o c h e i n e n allgem e i n e n Sinn zu v e r b i n d e n . F ü r alle d i e s e K e n n t n i s s e n u n m a c h t d e r S t a a t natürlich u n d n o t h w e n d i g eben die Voraussezung wie der Einzelne, d a ß sie in d e r W i s s e n s c h a f t m ü s s e n b e g r ü n d e t sein, u n d n u r d u r c h sie r e c h t k ö n n e n f o r t g e p f l a n z t u n d v e r v o l l k o m m n e t w e r d e n . E r s u c h t sich d a h e r in e i n e n l e b e n d i g e n Z u s a m m e n h a n g z u sezen m i t allen B e s t r e b u n g e n , die z u d i e s e r V e r v o l l k o m m n u n g f ü h r e n ; er n i m m t sich d e r A n s t a l t e n a n , d i e er selbst m ü ß t e g e s t i f t e t h a b e n , w e n n er sie | n i c h t g e f u n d e n h ä t t e ; u n d d a a u c h d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e Verein ein B e d ü r f n i ß h a t v o m S t a a t e ges c h ü z t u n d b e g ü n s t i g e t z u w e r d e n , s o w e r d e n b e i d e ein B e s t r e b e n h a b e n sich m i t e i n a n d e r z u v e r s t ä n d i g e n u n d zu e i n i g e n . D e r S t a a t a b e r a r b e i t e t n u r f ü r sich, er ist, w i e er g e s c h i c h t l i c h e r s c h e i n t , d u r c h a u s z u n ä c h s t s e l b s t s ü c h t i g , u n d will a l s o a u c h d i e U n t e r s t ü z u n g , d i e er d e r W i s s e n s c h a f t b i e t e t , n i c h t ü b e r s e i n e G r e n z e n h i n a u s w i r k s a m sein l a s s e n . W e n n n u n d e r S t a a t d a s G e b i e t s e i n e r S p r a c h e g a n z e r f ü l l t , so s t r e b t a u c h die w i s s e n s c h a f t l i c h e n ä h e r e V e r e i n i g u n g n i c h t ü b e r seine G r e n z e n h i n a u s ; u n d so g e h t d i e V e r b i n d u n g z w i s c h e n b e i d e n o h n e a l l e n Z w i e s p a l t v o r sich, s c h n e l l e r o d e r l a n g s a m e r , je n a c h d e m b e i d e T h e i l e l e b e n d i g e r ü b e r z e u g t s i n d , o d e r n u r m a n g e l h a f t e r e i n s e h e n , w i e sie e i n e r d e s a n d e r n b e d ü r f e n , u n d w a s sie e i n a n d e r leisten k ö n n e n . W e n n a b e r d e r S t a a t dieses G e b i e t n i c h t a u s f ü l l t : s o h a b e n er u n d d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e Verein bei i h r e r a b z u s c h l i e ß e n d e n V e r b i n d u n g ein v e r s c h i e d e n e s I n t e r e s s e . D i e wissenschaftlichen M ä n n e r wollen den Staat u n d seine Unterstüzungen n u r g e b r a u c h e n , u m in d e m g r ö ß e r e n G e b i e t d e r S p r a c h e r e c h t k r ä f t i g w i r k e n zu k ö n n e n zu ihrem Z w e k k e ; die engeren G r e n z e n des Staates w o l l e n sie n i c h t | f ü r die i h r i g e n a n e r k e n n e n ; u n d m ü s s e n sie i h m f ü r seine U n t e r s t ü z u n g e n D i e n s t e l e i s t e n , so s e h e n sie d i e s e n u r als e t w a s untergeordnetes an. Die Regierungen hingegen sind n u r u m so m e h r e i f e r s ü c h t i g a u f e i n a n d e r , als sie e i n a n d e r n ä h e r s t e h e n , u n d f ü r c h t e n von der weiter strebenden wissenschaftlichen Verbindung Gleichgültigkeit f ü r den Staat, oder gar Vorliebe f ü r f r e m d e Einrichtungen, u n d and e r e n a c h t h e i l i g e E i n f l ü s s e a u f d e n G e i s t d e r U n t e r t h a n e n ; sie t h u n d a h e r d a s m ö g l i c h e u m d e n n ä h e r e n V e r e i n a u c h d e r G e l e h r t e n in d e n G r e n z e n

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des Staates e i n g e s c h r ä n k t zu halten. U m g e k e h r t , wenn ein S t a a t das G e biet mehrerer S p r a c h e n u m f a ß t e : so würde er alle G e l e h r t e n in seinem U m f a n g e einladen sich gleich n a h e zu vereinigen und a u c h als s o l c h e ein G a n z e s zu bilden. D i e s e a b e r würden o f f e n b a r zwei P a r t h e i e n darstellen, jede Z u n g e w ü r d e die Begünstigung des G e w a l t h a b e r s der anderen a b z u ringen suchen, und aufrichtige Verbrüderung w ü r d e nur unter denen statt finden die E i n e S p r a c h e reden. D a ß es u n n a t ü r l i c h ist, w e n n ein S t a a t sich ü b e r die G r e n z e n der S p r a c h e hinaus v e r g r ö ß e r n will, h a t neuerlich ein g r o ß e r H e r r s c h e r selbst b e h a u p t e t , so d a ß m a n sich nur wundern m u ß , w a s d o c h für eine dringende N o t h w e n d i g k e i t selbst | ein so klares B e w u ß t s e y n wie das seinige beherrschen k o n n t e . O b es eben so unnatürlich ist, wenn das G e b i e t einer und derselben S p r a c h e sich in so viele kleine S t a a t e n zertheilt, als D e u t s c h l a n d erleidet, das sei dahingestellt. Wenigstens scheint es r a t h s a m wenn sie in einer g e n a u e n Verbindung bleiben, und t h ö r i c h t w e n n jeder von ihnen seine wissenschaftlichen E i n r i c h t u n g e n abgeschlossen für sich besizen will. D e n n nur äußerlich und erzwungen k ö n n e n diese ein G a n z e s bilden, welches je kleiner der Staat desto lächerlicher werden wird, w e n n es sich vollständig gestalten will; der N a t u r der S a c h e nach k ö n n e n sie i m m e r nur T h e i l e des weiter greifenden Vereins sein, und müssen sich, je m e h r sie sich a b s o n dern wollen, u m so m e h r des w o h l t h ä t i g e n Einflusses der übrigen T h e i l e und damit zugleich ihrer N a h r u n g und G e s u n d h e i t b e r a u b e n . In der T h a t wunderlicher und von dem was das g e m e i n e W o h l e r f o r d e r t entfernter k a n n w o l nichts sein, als wenn ein deutscher S t a a t sich m i t seinen wissenschaftlichen Bildungsanstalten einschließt. V i e l m e h r inniger sollte sich die G e m e i n s c h a f t , in welcher solche S t a a t e n stehen m ü s s e n , nirgends aussprechen als in wissenschaftlichen D i n g e n ; und w e n n gar die natürlic h e R i c h t u n g dahin gehen sollte, d a ß sie eben so Eins | w ü r d e n , wie die S p r a c h e i m m e r m e h r E i n e wird, w o gäbe es w o l ein leichteres sichreres und natürlicheres Vorbereitungsmittel hiezu, als w e n n a u f dem wissenschaftlichen G e b i e t , welches in so genauer W e c h s e l w i r k u n g s o w o l mit dem Staate als mit der S p r a c h e steht, die vielseitigste treuste eifersuchtsloseste G e m e i n s c h a f t gestiftet w ü r d e , durch w e l c h e die innere Einheit des äußerlich getrennten recht k l a r zu T a g e k ä m e ? und w o d u r c h soll denn endlich k l a r und leidenschaftlos entschieden w e r d e n , wie lange diese A b s o n d e r u n g d a u e r n , und wie weit sie gehen soll, als durch die möglichst weit verbreitete wissenschaftliche Bildung, w e l c h e die B e s o n nenheit erhält, von k e i n e m einzelnen Interesse geblendet wird, und die kleinlichen L e i d e n s c h a f t e n und Vorurtheile allmählig ausrottet? 7—9 Diese Anspielung, vermutlich auf Napoleon I., konnte nicht nachgewiesen werden. 9—11 Vermutlich Anspielung auf die Expansionspolitik Napoleons über die französischen Sprachgrenzen hinaus.

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Dennoch haben sich wenige von unsern vaterländischen Regierungen von allen Fehlern in dieser Hinsicht frei gehalten; sondern anstatt daß jede bei sich sollte gepflegt haben was sie konnte, und überall Regie546 rung und Volk mitgenießend und benuzend froh und stolz gewesen sein über alles, was sich irgendwo im Umfang des deutschen Vaterlandes bildete, haben je länger je mehr zwei ganz entgegengesezte Maaßregeln 13 überhand genommen. Einige | Regierungen nemlich wetteiferten mit einander darin, die ihnen untergebenen Bildungsanstalten zum Mittelpunkt alles wissenschaftlichen Verkehrs für ganz Deutschland zu machen, indem sie darauf bedacht waren, von weit umher alles was sich wissenschaftlich auszeichnet an sich zu ziehen, sollten auch andere Staaten dadurch in Dürftigkeit versezt werden. Wenn hiebei nur ein wahrer Wetteifer zum Grunde gelegen hätte, ja nicht hinter dem zurükbleiben zu wollen was man thun konnte; wenn dabei die gute Meinung gewesen wäre für die kleinern Staaten, die hierauf nicht zu viel verwenden konnten mit zu arbeiten, Anstalten für sie mit zu unterhalten, und Talente für sie mit zu belohnen: so wäre nicht viel dagegen zu sagen gewesen. Die Absicht war aber eigentlich zuerst, daß jeder Staat in Befriedigung seiner wissenschaftlichen Bedürfnisse sich unabhängig machen wollte von jedem andern, da doch die wahre Unabhängigkeit hierin nur die sein kann, wenn zu des gemeinschaftlichen Gutes Erhaltung und Vermehrung Jeder nach Verhältniß reichlich beiträgt, jenes aber nur eine hochmüthige verderbliche Prahlerei ist. Dann wollte man auch durch geistiges Uebergewicht dem Staate M a c h t und Ansehn verschaffen über sein eigentliches Gebiet | 14 hinaus. Dies ist freilich die friedlichste und schönste Art der Eroberung; aber der Wissenschaft kann es leicht gefährlich werden, wenn das bloße Geld den Gelehrten zur Lokspeise gemacht wird. Und werden diese Eroberungen im Mißverhältniß mit der natürlichen Wichtigkeit des Staates oder in einem kleinlichen Stile betrieben: so ist das überhaupt lächerlich oder krankhaft. Die andere Maaßregel ist die wissenschaftliche Sperre, wenn nemlich die Regierungen das wissenschaftliche Verkehr mit dem Auslande beschränken oder aufheben, und ihre Bürger hindern auf jede Art wie sie es wünschen an den wissenschaftlichen Bemühungen benach547 barter Staaten Theil zu nehmen. Geschieht dies, w o die Kirche den Staat beherrscht, wie bis neuerlich größtentheils im katholischen Deutschland: so ist das ein bedauernswürdiger Beweis eines finstern Zustandes. Ver-

34 f Anspielung auf die durch den Reicbsdeputationshauptschluß von 1803 maßgeblich veränderte Situation, in der der rechtlich abgesicherte und institutionalisierte ebenso wie der allgemeine Einfluß des Katholizismus auf die deutschen Staaten einen erheblichen Schlag erhält durch die Auflösung der geistlichen Territorien, die Säkularisation von Kirchengut und die Neuordnung der politisch-territorialen Landkarte Deutschlands und die dadurch verstärkte Aufhebung konfessionseinheitlicher Staaten.

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sucht diese Sperre ein mäßiger Staat, der von größeren umgeben ist, und fühlt, daß er sich auf alle Weise anstrengen und alle Mittel zu Hülfe nehmen muß um seine Selbstständigkeit so lange als möglich gegen sie zu behaupten: so ist zu beklagen daß man sich so gewaltig verrechnen kann bei so löblicher Absicht, indem doch geistige Beschränktheit, die aus solcher Absonderung | entstehen muß, niemals die Selbstständigkeit 15 sichern oder vermehren kann. Wenn aber gar ein selbst mächtiger Staat, und der auch jenes Erobern mit Erfolg betreibt, wenig zufrieden mit dem was er in diesem Fache schon geleistet hat, bis er das Fehlende ersezen kann, auch noch die Sperre verordnet: so ist das offenbar ein Hochmuth, eine Illiberalität, eine niedrige und geldsüchtige Oekonomie, die auch auf die Absicht jener Eroberungen ein noch nachtheiligeres Licht wirft, und mehr als irgend etwas eine solche Regierung bei allen Gebildeten der Nation verhaßt machen muß. Allein in einem noch wesentlicheren Punkte pflegt der Staat, indem er sich der wissenschaftlichen Anstalten annimmt, von der Art, wie sie müssen geleitet und geordnet werden, eine ganz andere Ansicht zu haben, als die Gelehrten, welche zum Behuf der Wissenschaft selbst näher unter sich verbunden sind. Beide Theile würden gewiß sehr einig sein, wenn der Staat von den Foderungen eines alten Weisen, wenn auch nicht die erste, daß die Wissenden herrschen sollen, doch die zweite, daß die Herrschenden wissen sollen, recht wollte gelten lassen in ihrem vollen Sinne. Die Staatsmänner, auch diejenigen, welche das gemeine Wesen am meisten | fortbilden, erscheinen sich und Anderen mehr den Künstlern 16 ähnlich, als daß sie wissenschaftlich zu Werke gingen, indem sie den Staat handhaben. Glücklich ahndend, das Rechte herausfühlend, bringen sie unbewußt hervor, und gestalten mit geschikter Hand nach einem 548 ihnen einwohnenden Urbilde, wie jeder Künstler nach dem seinigen. Das ist leicht zu erkennen, und aufrichtig zu loben, und so herrschen sie allerdings nicht als Wissende. Aber daß dieser künstlerische Sinn doch bei denen am gebildetsten und richtigsten sein wird, welche entweder selbst die Thatsachen und Erfahrungen wissenschaftlich anzusehn verstehn, oder wenigstens Darstellungen derselben, die diesen Endzwekk haben, zu benuzen; daß der Staatsmann, wie Jeder der künstlerisch etwas hervorbringt, aus dem Schaze der Wissenschaft mittelbar oder un-

7—14 Möglicherweise liegt eine Anspielung auf Schleiermachers eigene Erfahrung mit dem preußischen Staat vor, der es ihm verweigerte, eine Professur außerhalb Preußens in 'Würzburg anzunehmen; vgl. die Cabinetsordre an Schleiermacher vom 24.04.1804 (Br. 3, S. 390) und Schleiermachers eigene kurze Schilderung in seinem Brief an Friedrich Schlegel vom 26.05.1804 (Br. 3, S. 399). 2 0 - 2 2 Vgl. Piaton: Politeia 473 c~d, Opera, ed. Societas Bipontina, Bd. 1~12, Zweibrücken 1781—1787, Bd. 7, S. 52 f; Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, hg. v. G. Eigler, Darmstadt 1970-1983, Bd. 4, S. 444

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Gelegentliche Gedanken über Universitäten

mittelbar für seine Kunst schöpfen muß, wie gewiß auch er ihn seinerseits durch seine Werke wiederum bereichert; daß wahre Verbesserungen in allen Zweigen der Staatsverwaltung nur um so sicherer eingeleitet werden und gedeihen können, als die Herrschenden und soviel möglich auch die Beherrschten die wahre Idee des Staates überhaupt sowol, als auch dieses bestimmten richtig aufgefaßt haben, und mit dem | Bewußtsein derselben Beispiele aus dem ganzen Gebiet der Geschichte zu benuzen wissen, und daß also auf jede Weise wahrhaft gewußt werden muß, wenn gut geherrscht werden soll: dies sollte wenigstens um so mehr anerkannt werden, da schon die Erfahrung zeigt, daß wenn man sich auf irgend einem Gebiet von dieser Einsicht entfernt, in demselben entweder ein tumultuarischer anarchischer Zustand sich bildet, wie im ehemaligen Polen und in manchem anderen Reiche, welches bei vielen Kenntnissen nur gar wenig Wissenschaft besizt, oder auch ein Kastenwesen entsteht, eine ärmliche Empirie, die sich streng und ängstlich an die Tradition anschließt, im offenbaren Mißverhältniß mit andern besser geleiteten und daher fortschreitenden Zweigen. Allein eben dies wird doch oft gar nicht anerkannt, sondern vielmehr der Einfluß, den die Wissenschaft auf den Staat zu gewinnen sucht, gehaßt und gefürchtet. Der Staat ist alsdann natürlich nur von dem unmittelbaren Nuzen der Kenntnisse überzeugt und ergriffen. Ausgebreitete Bekanntschaft mit

Thatsachen Erscheinungen und Erfolgen aller Art sucht er zu begünstigen, und wenn er sich der wissenschaftlichen Anstalten annimmt, sie 18 vorzüglich hierauf zu lenken. Denjenigen hingegen, welche sich | zum Behuf der Wissenschaft freiwillig vereinigen, k o m m t es auf ganz etwas anderes an, als allein auf die Masse der Kenntnisse. Was sie vereiniget ist das Bewußtsein von der nothwendigen Einheit alles Wissens, von den Gesezen und Bedingungen seines Entstehens, von der Form und dem Gepräge wodurch eigentlich jede Wahrnehmung, jeder Gedanke, ein eigentliches Wissen ist. Und eben dieses Bewußtsein suchen sie vornemlich zu erwekken und zu verbreiten, durch welches allein auch in allen Kenntnissen und in jeder Erweiterung derselben die Wahrheit und die Sicherheit kann erhalten werden. D a r u m arbeiten sie überall schon bei einer mäßigen Summe von Kenntnissen darauf hin, ihnen diesen wissenschaft-

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12 f Polen, durch die drei Teilungen zwischen Rußland, Österreich und Preußen von 1772, 1793 und 1795 aufgelöst, als Großherzogtum Warschau von Napoleon kurz nach dem Frieden von Tilsit in der Gestalt eines Rumpfstaates wieder gegründet, ist aufgrund der weitgehenden Rechte einer breiten Adelsschicht (Magnaten und Kleinadel) im 17. und 18. )h. im zunehmenden Maße in den Zustand der faktischen Unregierbarkeit geraten. Dazu hat insbesondere das seit 1505 verbriefte Recht beigetragen, daß alle Beschlüsse im Sejm, dem aus König, Klein- und Großadel gebildeten Reichstag, einstimmig gefaßt werden müssen (liberum veto).

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liehen Charakter zu geben. Wo nur erst das nothdürftigste über einen Gegenstand in Erfahrung gebracht ist, ziehn sie ihn in das Gebiet der Wissenschaft, suchen die Einheit darin auf, aus welcher alles mannigfaltige begreiflich wird, trachten das Ganze in jedem Einzelnen zu sehen, und wiederum jedes Einzelne nur im Ganzen. So auch jeden Menschen, den sie sich ähnlich bilden wollen, führen sie, auch nur mäßig ausgerüstet, gleich auf diesen Hauptpunkt wissenschaftlicher Einheit und Form, üben ihn in dieser Art zu | sehen, und lassen ihn nur, nachdem er sich 19 so festgesezt hat, noch tiefer in das Einzelne hineingehn, weil er alles wirklich wissen soll im strengeren Sinn, und sonst alles Anhäufen einzelner Kenntnisse nur ein unsicheres Umhertappen wäre, was immer nur in Bezug auf eine bessere Behandlung einen vorläufigen Werth haben könnte. Der Staat hingegen verkennt nur zu leicht den Werth dieses Bestrebens, und je lauter sich die Speculation — so wollen wir immer nennen, was sich von wissenschaftlichen Beschäftigungen überwiegend nur auf die Einheit und die gemeinschaftliche Form alles Wissens bezieht — je lauter sich diese gebehrdet, desto mehr sucht der Staat sie zu beschränken, und allen seinen Einfluß, den aufmunternden und den einengenden, 550 dazu zu gebrauchen, daß die realen Kenntnisse, die Massen des wirklich ausgemittelten, auch ohne Hinsicht darauf ob jenes Gepräge der Wissenschaft ihnen aufgedrückt ist oder nicht, allein gefördert werden, und als die einzig ächten Früchte alles auf Erkenntniß gehenden Bestrebens erscheinen. Dieser Richtung nun muß der wissenschaftliche Verein nothwendig entgegenstreben, und die edleren Mitglieder desselben werden daher immer darnach trachten, sich möglichst zur Unabhängigkeit | vom 20 Staat heraufzuarbeiten, indem sie theils ihre Vereinigung der Gewalt und Anordnung des Staates zu entziehen, theils ihren eigenen Einfluß auf denselben zu erhöhen suchen. Wo möglich flößen sie dem Staate eine würdigere und wissenschaftlichere Denkungsart ein; wo aber nicht, so suchen sie wenigstens sich selbst je länger je mehr Glauben und Ansehn zu verschaffen. Jemehr aber die wissenschaftlich Gebildeten so in den Staat verflochten sind, daß das wissenschaftliche bei ihnen vom politischen überwogen wird, und nicht zum klaren Bewußtsein kommt, desto eher werden sie sich diesen Eingriffen des Staates fügen; und je genauer sich in diesem Sinn beide Theile verbinden, um desto mehr isolirt sich ein solcher Theil des größeren wissenschaftlichen Nationalvereins von allen übrigen, die ihre eigenthümlichen Principien fester halten, und sinkt zu einer bloßen Veranstaltung für den Gebrauch des Staates herab. Vorzüglich wo der Staat schon das gesammte Gebiet der Sprache zu Einem Ganzen verbunden hat, und also sehr mächtig und glänzend ist,

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Gelegentliche

schlägt dieser K a m p f Und wenn m a n d e m hen will, so ist gewiß wenigstens in dieser w ä r e es a u c h nur u m

Gedanken über

Universitäten

g e w ö h n l i c h z u m N a c h t h e i l der W i s s e n s c h a f t aus. entgegengesezten Z u s t a n d einige Vorzüge zugestedies keiner der | geringsten, d a ß alsdann der S t a a t H i n s i c h t die W i s s e n s c h a f t freier gewähren l ä ß t , sich mit ihr zu s c h m ü k k e n .

A u f dasjenige, w a s in dieser D a r s t e l l u n g flüchtig hingeworfen ist, werden wir öfters zurükweisen müssen; denn o h n e die v o r n e h m s t e n M o m e n t e dieser G e g e n w i r k u n g e n zwischen S t a a t und W i s s e n s c h a f t im Auge zu h a b e n , ist es nicht m ö g l i c h , die äußeren S c h i k s a l e der lezteren zu begreifen, o d e r w e n n eine b e s t i m m t e A u f g a b e gelöset werden soll, einen, dem jedesmaligen Verhältniß zwischen S t a a t und W i s s e n s c h a f t angemessenen G a n g einzuschlagen. A m wenigsten aber k a n n m a n sonst verstehen, w a r u m der S t a a t die Universitäten grade so, wie w i r sehen, zu behandeln pflegt, und w a r u m diese so sehr n a c h der U n a b h ä n g i g k e i t von i h m t r a c h t e n , und es als die vortheilhafteste L a g e a n s e h n , wenn sich der S t a a t in ihre V e r w a l t u n g wenigst m ö g l i c h einmischt. D o c h wir müssen zuerst sehen, w e l c h e n Plaz eigentlich die Universitäten e i n n e h m e n in d e m wissenschaftlichen Verein, und welches ihr vorzüglichstes G e s c h ä f t e ist.

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Von S c h u l e n , U n i v e r s i t ä t e n u n d A k a d e m i e n .

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Unter A k a d e m i e n werden hier, was m a n gelehrte Gesellschaften n e n n t , von aller A r t verstanden, und die Verbindung in w e l c h e r sie unter einander stehen sollten, und innerlich g e w i ß auch stehen. Von Schulen a b e r denken wir hier nur an diejenigen, die m a n wenigstens ansehn k a n n als w ä r e n sie u n m i t t e l b a r aus dem B e d ü r f n i ß und T r i e b n a c h E r k e n n t n i ß e n t s t a n d e n , also nur die gelehrten, deren Vorsteher n o t h w e n d i g v o l l k o m m e n wissenschaftlich gebildete M ä n n e r sein m ü s s e n , und in denen Kenntnisse mitgetheilt werden, die u n m i t t e l b a r in das G e b i e t der Wissenschaft fallen.

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A l s d a n n sind dieses die drei H a u p t f o r m e n , in w e l c h e sich jetzt alle Vereinigungen zum B e t r i e b der W i s s e n s c h a f t e n gestalten. Sie k o m m e n z w a r überall im neueren E u r o p a vor; a b e r auch deshalb k ö n n t e m a n w o l D e u t s c h l a n d als den M i t t e l p u n k t der Bildung a n s e h n , weil in anderen L ä n d e r n z w a r einzelne dieser F o r m e n , Schulen b e s o n d e r s und A k a d e m i e n , in e i n e m g r ö ß e r e n Styl v o r k o m m e n , alle drei neben einander a b e r

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nirgends so rein heraustreten als bei uns. Auch könnte man wol sagen, | der ganze Typus der sich darin zeigt, sei ursprünglich deutsch, und schließe sich genau der Bildung anderer auch aus Deutschland hervorgegangener Verhältnisse an. Die Schule als das Zusammensein der Meister mit den Lehrburschen, die Universität mit den Gesellen, und die Akademie als Versammlung der Meister unter sich. Doch für die Meisten, die von einer tiefen Verachtung für alles Zunftwesen durchdrungen sind, heißt dies wol wenigstens das was erst beschrieben werden soll, durch dunkleres erläutern, wo nicht gar die wissenschaftlichen Anstalten herabwürdigen durch Gleichsezung mit diesen verschrienen Formen, denen aber doch auch gar viel Schönes zum Grunde liegt. Betrachten wir also diese drei Verbindungen, Schule, Universität und Akademie lieber für sich, und fragen, was doch jede bedeutet, und wie sie unter sich zusammenhängen. Denn ohne sie alle drei verstanden zu haben, möchte es uns schwerlich gelingen über das Wesen und die zwekmäßige Einrichtung der einen, auf die es uns ankommt, einig zu werden. Die Wissenschaft, wie sie in der Gesammtheit der gebildeten Völker als ihr gemeinschaftliches Werk und Besizthum vorhanden ist, soll den Einzelnen zur Erkenntniß hinanbilden, und der Einzelne soll auch wiederum an seinem Theil die Wissenschaft weiter bilden. Dies sind die beiden Verrichtungen auf welche alles gemeinschaftliche Thun auf diesem Gebiet hinausläuft. Man sieht leicht, wie die erste von ihnen in der Schule ganz die Oberhand hat und in der Akademie dagegen die andere. Die Schulen sind durchaus gymnastisch, die Kräfte übend, und besizen ihren fremden Namen mit Recht. Den Knaben von besserer Natur und hervorstechenden Gaben, welche die Vermuthung erregen, er könne für die Wissenschaft empfänglich sein, oder wenigstens eine Masse von Kenntnissen vortheilhaft verarbeiten, diesen übernehmen sie, und versuchen auf alle Weise, ob dem wirklich also sei. Zweierlei aber ist, woran sich zeigen muß, ob ein Mensch für diese höhere Bildung sich eigne, auf der einen Seite ein bestimmtes Talent, welches ihn an ein einzelnes Feld der Erkenntniß fesselt, auf der andern der allgemeine Sinn für die Einheit und den durchgängigen Zusammenhang alles Wissens, der systematisch philosophische Geist. Zusammentreffen muß beides, wenn der Mensch sich zu etwas ausgezeichnetem bilden soll. Auch das entschiedenste Talent wird ohne diesen Geist keine Selbstständigkeit haben, und nicht weiter gedeihen können, als daß es ein tüchtiges Organ wird für Andere, die das wissenschaftliche Princip in sich haben. Und der systematische Geist ohne ein bestimmtes Talent wird sich mit seinen Productionen in einem sehr engen Kreise herumdrehen, und sich in wunderlichen Auswüchsen Wiederholungen und Umbildungen immer des nemlichen höchst allgemeinen erschöpfen, weil er eben keines Stoffes recht Meister ist.

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Dies hindert aber nicht, daß nicht auch bei der Vereinigung beider, bei Einigen das Talent hervorherrsche, bei Andern der allgemeine wissenschaftliche Geist. Beides aber bedarf, wo es nicht in einem ganz ausgezeichneten Grade vorhanden ist, um erwekt und ans Licht gebracht zu werden, bald mehr bald minder eines absichtlich angebrachten Reizes, einer kunstmäßigen Behandlung. Und so muß die Schule auf beides wirken. Sie muß elementarisch auf der einen Seite den gesammten Inhalt des Wissens in bedeutenden Umrissen vorführen, so daß jedes schlummernde Talent zu seinem Gegenstande sich kann angelokkt fühlen, und muß auf der andern dasjenige besonders herausheben und mit vorzüglichem Fleiß behandeln, worin die wissenschaftliche Form der Einheit und des Zusam-| 26 menhanges am frühsten kann deutlich angeschaut werden, und was aus demselben Grunde zugleich das allgemeine Hülfsmittel alles andern Wissens ist. Aus dieser Ursache sind mit Recht Grammatik und Mathematik die Hauptgegenstände auf Schulen, ich möchte sagen die einzigen, die mit einem Anklang von Wissenschaftlichkeit können vorgetragen wer554 den. Zugleich muß aber auch die Schule methodisch alle geistigen Kräfte so üben, daß sie bestimmt auseinander treten und ihre verschiedenen Functionen klar eingesehen werden, und sie so stärken, daß jede sich eines gegebenen Gegenstandes mit Leichtigkeit ganz bemächtigen kann. Dies vereinigt durch die einfachsten und sichersten Operationen zu bewirken, ist das Ziel der Schulen. Gewiß wird keine auch bei der besten Einrichtung und Leitung dies alles in gleicher Vollkommenheit leisten, sondern die eine mehr in diesem, die andere mehr in jenem Theile sich Vorzüge erwerben. Aber nur um desto nöthiger wird es sein, daß man überall den Gesammtzwekk vor Augen behalte, damit jede auf dem Wege zu der ihr angemessenen Virtuosität sich vor verderblicher Einseitigkeit bewahren könne; und desto mehr ist eine höchste allgemeine Lei27 tung zu wünschen, um von jeder solchen Anstalt ganz den Nu|zen für das wissenschaftliche Gebiet zu ziehen, den sie gewähren kann. In der Akademie hingegen finden sich die Meister der Wissenschaft vereinigt; und wenn nicht Alle auf gleiche Weise Mitglieder derselben sein können, so sollen wenigstens Alle durch sie repräsentirt werden, und zwischen den Mitgliedern und den übrigen des Namens würdigen Gelehrten ein solcher lebendiger Zusammenhang statt finden, daß die Arbeiten der Akademie wirklich als das Gesammtwerk ihrer aller können angesehen werden. Jeder muß darnach streben, dieser Verbindung anzugehören, weil das Talent, was Einer in sich ausgebildet hat, ohne die Ergänzung der übrigen doch nichts wäre für die Wissenschaft. Darum bilden Alle ein Ganzes, weil sie sich Eins fühlen durch den lebendigen Sinn und Eifer für die Sache des Erkennens überhaupt, und durch die Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang aller Theile des Wissens; eben darum aber sondern sie sich auch wieder in verschiedene Ab-

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theilungen, weil jeder Zweig des Wissens einer noch engern Vereinigung bedarf, um gründlich und zwekkmäßig bearbeitet zu werden. Je feiner diese Verzweigung sich vervielfältiget und je lebendiger dabei die Einheit des Ganzen bleibt, | ohne sich in eine leere Form zu verlieren, so daß in jedem Einzelnen die Theilnahme an den Fortschritten des Ganzen und der Eifer für sein besonderes Fach einander gegenseitig beleben, und also die engste Gemeinschaft zwischen den verschiedenen Theilen der Wissenschaft in den Schooß der Akademie auf das leichteste unterhalten wird; um desto vollkommner ist die Einrichtung des Ganzen. Wie viele Akademien nach dieser Idee Deutschland wol haben sollte? Eine höchstens oder zwei, eine nördliche und eine südliche, die aber auch in der innigsten Verbindung stehn, und überall, theils wo ein natürlicher Zusammenfluß von Gelehrten aller Art entstünde, theils wo ein Ort für ein besonderes wissenschaftliches Gebiet sich vorzüglich eignete, ihre Töchter haben müßten. So lange eine solche Vereinigung, nach welcher der Natur der Sache wegen alles strebt, noch nicht erfolgt ist, können sich also unsere zerstreuten gelehrten Gesellschaften nur als Bruchstükke ansehn, und nur durch das lebhafteste Verkehr unter einander sich ihr Daseyn bis zu diesem Zeitpunkt, der vielleicht nicht mehr fern ist, erhalten. Mit dieser Ansicht von Schulen und Akademien stimmt auch das ganze Verfahren dieser Anstalten | zusammen. Die Schulen geben in den öffentlichen Prüfungen eine Ausstellung, die ganz gymnastisch ist, und nur zeigen kann, wie weit die intellectuellen Kräfte für das Wissen geübt sind. Literarische Productionen aber kommen ihnen als solchen gar nicht zu, weil nichts öffentlich erscheinen soll, was nicht die Wissenschaft weiter fördert. Darum sieht man auch immer den Programmen oder Einladungsschriften der Vorsteher das Mißverhältniß an, indem sie entweder gar nicht verdienen aufgestellt zu werden, oder wenn das, sich für das Publicum nicht eignen, welches sie doch zunächst in Anspruch nehmen. Daher in vieler Hinsicht ein vortrefliches Zeichen für eine Schule ist, wenn dergleichen gar nicht von ihr gefertiget werden. Dagegen fordert man von jeder Akademie, daß sie Werke hervorbringt, nemlich nicht große, das Ganze umfassende oder gar revolutionäre Bücher, sondern Sammlungen von Aufsätzen, welche einzelne noch unerforschte Gegenstände beleuchten, eigene Entdekkungen darlegen, neuerfundene Methoden ans Licht bringen oder prüfen. Denn so durch viele kleine Beiträge die Wissenschaften, welche schon Umfang und Sicherheit in gewissem Maaß gewonnen haben, zu fördern, das ist die Sache der Akademie; und je mehr | Gehalt und Zusammenstimmung sich in ihren Werken zeigt, um desto mehr Verdienst wird man ihr zuschreiben. In demselbigen Sinne läßt auch die Akademie Aufgaben zur Auflösung ergehen, theils um sich für einzelne Fälle, wo der Versuche nicht genug gemacht werden

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können, oder wo Untersuchungen erforderlich sind, die sich nicht an jedem Ort anstellen lassen, auch außerhalb ihrer Mitte Hülfe zu verschaffen — daher mit Recht die eigentlichen Mitglieder ausgeschlossen sind von der Preisbewerbung — theils auch um auszuspüren, wer, noch nicht zu ihr gehörend, sich mit wissenschaftlichen Gegenständen aus einzelnen Gebieten ernsthaft und erfolgreich beschäftiget, damit sie sich aus diesen von Zeit zu Zeit würdige Genossen aneignen könne. Was ist nun aber die Universität zwischen beiden, der Schule und der Akademie? M a n könnte denken, daß diese beiden sich in alle wissenschaftlichen Verrichtungen theilten, und jene ganz überflüssig wäre zwisehen ihnen. So urtheilen auch gewiß M a n c h e unter uns, schwerlich mit ächt deutschem Sinn; denn diese Ansicht ist ja die herrschende eines anderen Volkes, welchem, je mehr es sich in sich selbst consolidirte, um 31 so mehr alles ausgegan|gen ist was einer Universität ähnlich sieht, und nichts übrig geblieben als Schulen und Akademien in unzähliger Menge und in den mannigfaltigsten Formen. Allein man übersieht hiebei offenbar einen sehr wesentlichen Punkt. Die Schulen beschäftigten sich nur mit Kenntnissen als solchen; die Einsicht in die Natur der Erkenntniß überhaupt, den wissenschaftlichen Geist, das Vermögen der Erfindung 557 und der eigenen Combination suchen sie nur vorbereitend anzuregen, ausgebildet aber wird dies alles nicht in ihnen. Die Akademien aber müssen dies alles bei ihren Mitgliedern voraussezen; nur von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt aus, und durch das Bewußtsein desselben — das spricht ihre ganze Organisation aus, wenn sie auch keine Veranlassung finden es ausdrücklich zu erklären — wollen sie die Wissenschaften fördern; auch kann dies nur so auf eine übereinstimmende Weise geschehen. Wie leer müßten die Werke einer Akademie sein, wenn sie überall bloße Empirie triebe, und an keine Principien in jeder Wissenschaft glaubte! Wie leer wäre der ganze Gedanke einer gemeinschaftlichen Beförderung aller Wissenschaften, wenn diese Principien nicht wiederum zusammenstimmten und Ein Ganzes bildeten! und wie jämmer32 lieh die Ausführung, wenn etwa die Mitglieder über alle diese Principien uneins wären! Offenbar also wird vorausgesezt, jedes Mitglied einer 9—11 Vgl. ζ. B. Heinrich Stephani: Grundriß der Staats-Erziebungs-Wissenschaft, Weißenfels/Leipzig 1797, S. 88. 140—150; Julius Eberhard Wilhelm Ernst von Massow: Ideen zur Verbesserung des öffentlichen Schul- und Erziehungswesens mit besondrer Rücksicht auf die Provinz Pommern, in: Annalen des Preußischen Schul- und Kirchenwesens, hg. v. F. Gedike, Bd. 1, Berlin 1800, S. 76-143. 181-260. 361-395, hier: S.126f. 12—16 Gemeint sind die Verhältnisse in Frankreich; vgl. Schleiermachers Brief an Brinckmann vom 1. März 1808: „Meine Hauptabsicht indeß war nur den Gegensaz zwischen den deutschen Universitäten und den französischen Spezialschulen recht anschaulich, und den Werth unserer einheimischen Form einleuchtend zu machen, ohne eben gegen die andere direct zu polemisiren." (Br. 4, S. 149)

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Akademie sei über die philosophischen Principien seiner Wissenschaft mit sich selbst und den übrigen verstanden, jedes behandle sein Fach mit philosophischem Geist, und eben dieser in Allen sich ähnliche Geist in seiner Vermählung mit dem jedem Einzelnen eigenthümlichen Talent m a che nur Jeden zu einem wahren Gliede der Vereinigung. Soll dieser Geist dem Menschen von ohngefähr k o m m e n im Schlaf? soll nur das wissenschaftliche Leben aus dem Nichts entstehen, nicht wie jedes andere durch Erzeugung? soll nur dieses in seinen ersten zarten Aeußerungen keiner Pflege bedürfen, und keiner Erziehung? Hier also liegt das Wesen der Universität. Diese Erzeugung und Erziehung liegt ihr o b , und damit bildet sie den Uebergangspunkt zwischen der Z e i t , w o durch eine Grundlage von Kenntnissen, durch eigentliches Lernen die J u g e n d erst bearbeitet wird für die Wissenschaft, und der, w o der M a n n in der vollen K r a f t und Fülle des wissenschaftlichen Lebens nun selbst forschend das Gebiet der Erkenntniß erweitert oder schöner anbaut. Die Universität hat es also vorzüglich mit der Einleitung eines Prozesses, mit | der Aufsicht über seine ersten Entwikkelungen zu thun. Aber nichts geringeres ist dies als ein ganz neuer geistiger Lebensprozeß. D i e Idee der Wissenschaft in den edleren, mit Kenntnissen mancher Art schon ausgerüsteten Jünglingen zu erwekken, ihr zur Herrschaft über sie zu verhelfen auf demjenigen Gebiet der Erkenntniß, dem jeder sich besonders widmen will, so daß es ihnen zur N a t u r werde, alles aus dem Gesichtspunkt der Wissenschaft zu betrachten, alles Einzelne nicht für sich, sondern in seinen nächsten wissenschaftlichen Verbindungen anzuschauen, und in einen großen Z u sammenhang einzutragen in beständiger Beziehung auf die Einheit und Allheit der Erkenntniß, daß sie lernen in jedem D e n k e n sich der Grundgesetze der Wissenschaft bewußt zu werden, und eben dadurch das Vermögen selbst zu forschen zu erfinden und darzustellen, allmählig in sich herausarbeiten, dies ist das Geschäft der Universität. H i e r a u f deutet auch dieser ihr eigentlicher N a m e , weil eben hier nicht nur mehrere, wären es auch andere und höhere, Kenntnisse sollen eingesammelt, sondern die Gesamtheit der Erkenntniß soll dargestellt werden, indem man die Principien und gleichsam den Grundriß alles Wissens auf solche Art zur Anschauung bringt, | daß daraus die Fähigkeit entsteht, sich in jedes Gebiet des Wissens hineinzuarbeiten. Hieraus erklärt sich die kürzere Z e i t , welche jeder auf der Universität zubringt als auf der Schule; nicht als o b nicht um Alles zu lernen mehr Z e i t erfordert würde, sondern weil man das Lernen des Lernens wol a b m a c h e n k a n n in kürzerer; weil eigentlich was auf der Universität verlebt wird, nur Ein M o m e n t ist, nur ein Act vollbracht wird, daß nemlich die Idee des Erkennens, das höchste

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Bewußtsein der Vernunft, als ein leitendes Prinzip in dem Menschen aufwacht. Hierauf weisen alle E i g e n t ü m l i c h k e i t e n hin, welche die Universität von der Schule auf der einen, von der Akademie auf der andern Seite unterscheiden. Auf der Schule geht man nach den Gesezen des leichtesten Fortschrittes von einem Einzelnen zum Andern über, und ist wenig bekümmert darum, o b J e d e r überall etwas Ganzes vollende. Auf der Universität dagegen ist man hierauf so sehr bedacht, daß man in jedem Gebiet das Encyclopädische, die allgemeine Übersicht des Umfanges und des Z u s a m m e n h a n g e s als das nothwendigste voranschikt, und zur Grundlage des gesammten Unterrichts m a c h t . Und die Hauptwerke der Universität als solcher sind Lehrbücher, Compendien, deren Endzwekk nicht | ist die Wissenschaft im Einzelnen zu erschöpfen oder zu bereichern, w o auch weder das leichteste noch das schwerste noch das seltenste den Vorzug genießt bei der Auswahl, sondern deren Verdienst in der höhern Ansicht, in der systematischen Darstellung besteht, und welche dasjenige am meisten herausheben, worin sich am faßlichsten die Idee des Ganzen darstellt, und wodurch Umfang und innere Verbindung desselben am anschaulichsten wird. Ferner in den Akademien k o m m t alles darauf an, daß das Einzelne vollkommen richtig und genau herausgearbeitet werde im Gebiet aller realen Wissenschaften; dagegen die reine Philosophie, die Speculation, die Beschäftigung mit der Einheit und dem Z u s a m m e n h a n g aller Erkenntnisse und mit der Natur des Erkennens selbst durchaus zurüktritt. Gewiß nicht als etwas für das reale Wissen geringfügiges, oder gar an sich verwerfliches und nichtiges. D e n n , wie man sich auch anstelle, alles einzelne Wissen ruht doch immer auf jenem Allgemeinen; es giebt kein wissenschaftlich hervorbringendes Vermögen ohne speculativen Geist, und beides hängt so zusammen, daß wer keine bestimmte philosophische Denkungsart sich gebildet hat, auch nichts tüchtiges und merkwürdiges wissenschaftlich selbstständig her-| vorbringen wird, sondern er wird immer, bewußt oder unbewußt, auch da, w o er durch einen wunderbaren Instinkt erfindet, von einer speculativen Richtung der Vernunft abhängen, die sich vielleicht nur in Andern deutlich offenbart. Auch wird eines Jeden philosophische Denkungsart sich in der Sprache, in der M e t h o d e , in der Darstellung, bei jedem wissenschaftlichen Werke aussprechen. Sondern deswegen tritt die Philosophie hier zurükk, weil, wenn auf akademische Weise die Wissenschaften gemeinschaftlich sollen gefördert werden, alles rein philosophische schon so muß in Richtigkeit gebracht sein, daß fast nichts mehr darüber zu sagen ist. Diese Voraussezung scheint freilich bisher nirgends unter uns vollkommen begründet gewesen zu sein, und man würde vielleicht nicht zu viel einräumen, wenn man gestände, eine solche völlige Einigung und Befriedigung in Sachen der Philosophie könne sogar unter Einem Volk, wenn es ihm wirklich Ernst ist mit der Sache, nie als wirklich

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vollendet gegeben sein, sondern nur durch eine immer fortschreitende Annäherung und Verständigung. Allein jede Akademie macht dennoch diese Voraussezung nothwendig, wenigstens in so fern, daß es ihr natürlich ist, dasjenige, was in dieser Hinsicht schon | geschehen ist, als die 37 Hauptsache anzusehn, und was noch übrig ist, als das kleinere. Eine speculative Abtheilung kann sie eigentlich nur in dem Sinne haben, daß sie, voraussezend, es gebe unter Einem Volke nur Eine philosophische Denkungsart, die Einerleiheit dessen, was zu verschiedenen Zeiten verschieden ausgedrükt worden ist, darstellt, die in einer und derselben Zeit gegen einander tretenden Differenzen beleuchtet, was sich philosophisch geberdet und doch nur Polemik gegen die Philosophie ist, in seiner Blöße zeigt, kurz durch historische und kritische Behandlung des auf diesem Gebiete vorhandenen jene Annäherung und Selbstverständigung der Nation befördert. Selbst hervorzubringen aber und neue Wege einzuschlagen auf dem Gebiete der eigentlichen Philosophie, dies scheint der Akademie weniger zuzukommen. Dagegen ist für die Universität allgemein anerkannt der philosophische Unterricht die Grundlage von allem was dort getrieben wird; und weil eben diese höchsten Ansichten vorzüglich mitgetheilt werden sollen, und zwar auf die individuellste Weise, so müssen sie auch in ihrer Differenz von allem, was gleichartiges neben ihnen besteht, dargestellt werden, daher auf und zwischen Universitäten vorzüglich die philosophischen Streitigkeiten ihren Plaz haben, und auf ih- 561; 38 nen vornemlich die philosophischen Schulen sich bilden. So ist die Universität in Absicht ihres Hauptzwekkes etwas ganz eigenthümliches von Schule und Akademie gleich wesentlich verschiedenes; allein äußerlich, das will nicht sagen zufällig, sondern so wie es für jedes Innere nothwendig ein Aeußeres giebt, äußerlich hat sie eben so nothwendig etwas ähnliches von beiden; sonst würde es auch wunderliche Sprünge geben in dem wissenschaftlichen Leben der einzelnen M e n sehen. Der wissenschaftliche Geist als das höchste Prinzip, die unmittelbare Einheit aller Erkenntniß kann nicht etwa für sich allein hingestellt und aufgezeigt werden in bloßer Transcendentalphilosophie, gespensterartig, wie leider M a n c h e versucht und Spuk und unheimliches Wesen damit getrieben haben. Leerer läßt sich wol nichts denken, als eine Philosophie, die sich so rein auszieht, und wartet, daß das reale Wissen, als ein niederes, ganz anders woher soll gegeben oder genommen werden; und vergeblicher für die Wissenschaft würde wol nichts die Jünglinge in

30—36 Polemische Wendung u.a. wohl gegen Johann Gottlieb Fichte (1762 — 1814; vgl. Br. 4, S. 53) und Karl Leonhard Reinhold (1758—1823; vgl. Ein Brief von Schleiermacher an Friedr. Heinrich Jacobi. Mitgetheilt von B. Jacobi, in: Der Kirchenfreund für das nördliche Deutschland, Bd. 2, H. 5, 1837, S. 373-378, hier: S. 377)

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den schönsten Jahren vorzüglich beschäftigen, als eine Philosophie, die keine bestimmte Leitung für das künftige wissenschaftliche Leben in allen Fächern gäbe, | sondern höchstens diente den Kopf aufzuräumen, was man ja schon an der gemeinen Mathematik rühmt. Sondern nur in ihrem lebendigen Einfluß auf alles Wissen läßt sich die Philosophie, nur 5 mit seinem Leibe, dem realen Wissen zugleich läßt dieser Geist sich darstellen und auffassen. Daher werden auf der Universität auch Kenntnisse mitgetheilt, höhere zum Theil und andere, die in dem Plan der Schule gar nicht lagen. In so fern entsteht also Zulernen, und die Universität ist zugleich Nachschule. Eben so ist sie auch Vorakademie. Der wissen- 10 schaftliche Geist, der durch den philosophischen Unterricht gewekkt ist, und durch Wiederanschauung des vorher schon erlernten aus einem höheren Standpunkt sich befestiget und zur Klarheit k o m m t , muß seiner Natur nach auch gleich seine Kräfte versuchen und üben, indem er von dem Mittelpunkt aus sich tiefer in das Einzelne hineinbegiebt, um zu 15 forschen, zu verbinden, eignes hervorzubringen und durch dessen Richtigkeit die erlangte Einsicht in die Natur und den Zusammenhang alles Wissens zu bewähren. Dies ist der Sinn der wissenschaftlichen Seminarien und der praktischen Anstalten auf der Universität, welche alle durchaus akademischer Natur sind. Daher auch beide Benennungen 20 wieder in die Universität hineinspielen, und sie oft hohe Schule genannt wird, und dann wieder Akademie. Daher es Unverstand ist, zu behaupten, Universitäten dürften solche Anstalten nicht haben, weil sie nur für Akademien gehörten. Dies scheint im Wesentlichen, wie aus der Betrachtung ihrer Haupt- 25 züge hervorgeht, das Verhältniß jener drei verschiedenen Anstalten zu dem gemeinschaftlichen Z w e k k e zu sein; und in der T h a t , wenn sie wohl eingerichtet sind und recht in einander greifen, so scheint gar nichts zu fehlen, sondern dieser Z w e k k vollständig durch sie erreicht werden zu müssen. Um desto verderblicher aber muß es auch sein, wenn sie ihr 30 Gebiet und ihre Grenzen verkennen. Verderblich, wenn die Schulen sich hinauf versteigen wollen und spielen mit philosophischem Unterricht, um vorzuspiegeln, als sei es nur ein leerer Schein mit dem wesentlichen Unterschiede zwischen ihnen und den Universitäten. Denn nicht sicherer können die Zöglinge verdorben werden für leztere, und für das wissen- 35 schaftliche Leben überhaupt, als wenn man sie anleitet, auch die höchste Wissenschaft, die nur Geist und Leben sein kann, und sich sehr wenig äußerlich gestaltet, nur so anzusehen wie eine Summe einzelner Säze und | Angaben, die man eben so erwerben und besizen kann wie andere

22—24 Polemik vermutlich gegen die Schrift Soll in Berlin eine Universität seynf Ein Vorspiel zur künftigen

Untersuchung

dieser Frage, Berlin 1808, S. 30—32; s. o. 9—13.

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Schulkenntnisse. Verderblich, wenn die Universitäten ihrerseits jenes Vorgeben wahr machen, und in der That nur fortgesezte Schulen werden, indem sie zwar voreiligerweise Akademien vorstellen und vollendete Gelehrte treibhäuslich bei sich ausbilden wollen durch immer tieferes Hineinführen in das Detail der Wissenschaften, dabei aber, was ihnen 563 eigentlich obliegt, nemlich den allgemeinen wissenschaftlichen Geist zu wekken und ihm eine bestimmte Richtung zu geben, darüber vernachlässigen. Verderblich, wenn die Akademien von Partheigeist ergriffen sich in speculative Streitigkeiten einlassen, oder eben so verderblich, wenn sie in ein nicht allzuwol begründetes reales Wissen eingehüllt, hochmüthig herabsehend auf jene Zwistigkeiten, denen etwa die Lebhaftigkeit der mittheilenden Begeisterung den Anschein des Leidenschaftlichen giebt, sich wenig darum kümmern, ob diejenigen, die sie zur Bereicherung der Wissenschaften unter sich aufnehmen, durch diese speculativen Untersuchungen hindurchgegangen sind oder nicht. Woher aber diese Mißverständnisse so häufig? Gewiß großentheils aus Mangel an inniger Einheit | in allem was für die Wissenschaft und 42 durch sie unter uns da ist. Wer nur in Einer dieser Formen des wissenschaftlichen Vereins lebt, dem kann es gar leicht begegnen, daß er, durch Vorurtheile verleitet, vergessend was ihm die andern früher gewesen sind, sie für nichts hält, und die seinige zu allem machen will. Diese Vorurtheile finden sich auch überall. Was ist gewöhnlicher, als daß akademische Gelehrte auf den Schulmann als auf einen Unglüklichen in hartes Joch verdammten herabsehn, der, um nur seine Pflicht zu erfüllen, sich unvermeidlich gewöhnen müsse pedantisch an Kleinigkeiten zu haften, und der in den Vorhof der Wissenschaften eingezwängt, die höchsten Genüsse derselben für immer entbehre? was gewöhnlicher, als daß sie den Universitätslehrer als einen sich vornehmer dünkenden Schulmann betrachten, der gleichsam nur ihr Diener sei, bestimmt die Wissenschaften, wie sie sie ihm übergeben, fortzupflanzen, und ihrem Gange demüthig zu folgen als der Unsterblichen Fußtritte? So verschreit wiederum der Schulmann die Akademiker als Müßiggänger, weil sie wenig thäten im Vergleich mit ihm zur Ausbreitung des Reiches der Wissenschaften, und klagt über die Universitätslehrer, als über anmaßende | Undankbare, die oft die bessere Hälfte von dem wieder verdürben, was 43; 564 er gebaut hat. Diese wiederum beweisen den Schulmännern Geringschäzung, als solchen die nur am Buchstaben kleben, und denen der Geist ihrer eignen Wissenschaft größtentheils fremd bleibt, und schildern die Akademien als Versorgungs- oder Mitleidsanstalten für zudringliche falschberühmte oder abgelebte Gelehrte. Wie verkehrt ist dieses Alles! Der tüchtige Vorsteher einer gelehrten Schule muß als Gegengewicht gegen das was er beständig auszuüben hat, und selbst als Leitung dafür, eine Umsicht des Ganzen besizen, durch die er in seiner Person die Aka-

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Gelegentliche

Gedanken

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demie repräsentirt; er bedarf derselben wissenschaftlichen Besonnenheit, desselben reinen Beobachtungsgeistes, wie Einer der die Wissenschaft weiter fördert, und die Entwiklung der Jugend, die er leitet, ist wol schwieriger als irgend eine einzelne Untersuchung. Wie der Akademiker in einsamer Meditation alle vorhandene Resultate erwägen, alle Andeutungen benuzen, und so neue Entdekkungen fördern, und wie der Universitätslehrer immer in demselben Kreise sich umdrehend mit der erkenntnißlustigen Jugend leben und sie auf alle Weise erregen, dies sind 44 freilich zwei sehr verschiedene Beschäftigungen: | aber von der einen aus über die andere als über etwas weit geringeres hinwegsehen, das kann doch nur der, welcher gar nicht beide mit einander verbindet. Und es ist unmöglich, daß dies dem ausgezeichnetem Gelehrten begegne. Denn auch der stillste emsigste Forscher muß eben in seinen glüklichsten Augenblikken, in denen der Entdekkung, welche doch allemal auch zu einer neuen lebendigem Ansicht des Ganzen führt, sich zu der belebendsten begeisterten Mittheilung aufgelegt fühlen, und wünschen, sich im Geiste der Jünglinge ausgießen zu können. Und kein bedeutender Universitätslehrer kann wol eine Zeitlang seinen Lehrstuhl würdig ausgefüllt haben, ohne auf Untersuchungen und Aufgaben gestoßen zu sein, die ihm den großen Werth einer Vereinigung fühlbar machen, in der Jeder bei Allen Unterstüzung und Hülfe findet auf seinem wissenschaftlichen 565 Wege. Um aber diese gegründete gegenseitige Werthschäzung bei Allen immer zu erhalten, müßte eine genauere Gemeinschaft gestiftet sein zwischen den öffentlichen Bildungsanstalten; die vortreflichsten Schulmänner, Universitätslehrer und Akademiker müßten gemeinschaftlich an der Spize der wissenschaftlichen Angelegenheiten stehen, dann würde sich 45 wahrer Gemeinsinn für ihre | ganze Sache von ihnen aus unter allen Gelehrten immer weiter verbreiten. Geschieht das nicht? wird man fragen; vereinigt nicht der Staat Gelehrte aus allen diesen verschiedenen Klassen in den Verwaltungsräthen, durch welche er die Sache des öffentlichen Unterrichtes leitet? Wohl; aber als Staatsdiener vereiniget er sie da mit andern Geschäftsmännern, unter ihm eigenthümlichen, ihnen aber fremden Formen, zu einer Aufsicht die alles immer vorzüglich in Beziehung auf den Staat betrachtet. Von hier aus giebt es für die Verhältnisse dieser Anstalten eine ganz andere Ansicht; und jemehr bei so beamteten Gelehrten ihr Verhältniß als Staatsdiener überwiegt, was so natürlich erfolgen muß, um desto leichter tragen sie dann auch diese Ansicht auf ihren eigentlich wissenschaftlichen Wirkungskreis über, alles schäzend und behandelnd nach seinem unmittelbaren Einfluß auf den Staat, und, wie auch die Erfahrung lehrt, gewiß nicht zum Vortheil der geistigen Verbesserung. Es ist dem ganzen Gang neueuropäischer Bildung angemessen, daß die Regierungen auch der Wissenschaften sich aufmunternd annehmen, und die Anstalten

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zu ihrer Verbreitung in Gang bringen mußten, wie es mit Künsten und | Fertigkeiten aller Art der Fall zu sein pflegt. Allein hier wie überall 46 k o m m t eine Zeit, wo diese Vormundschaft aufhören muß. Sollte diese nicht für Deutschland allmählig eintreten, und wenigstens in dem prote5 stantischen Theile desselben bald rathsam sein, daß der Staat die Wissenschaften sich selbst überlasse, alle innern Einrichtungen gänzlich den Gelehrten als solchen anheimstelle, und sich nur die ökonomische Verwaltung, die polizeiliche Oberaufsicht, und die Beobachtung des unmittelbaren Einflusses dieser Anstalten auf den Staatsdienst vorbehalte? Die 566 10 Akademien, denen die Regierungen immer nur einen mittelbaren Einfluß auf ihre Z w e k k e zutrauten, sind von jeher freier gewesen, und haben sich wol dabei befunden. Aber Schulen und Universitäten leiden je länger je mehr darunter, daß der Staat sie als Anstalten ansieht, in welchen die Wissenschaften nicht um ihret sondern um seinetwillen betrieben wer15 den, daß er das natürliche Bestreben derselben, sich ganz nach den Gesezen welche die Wissenschaft fodert zu gestalten, mißversteht und hindert, und sich fürchtet, wenn er sie sich selbst überließe, würde sich bald alles in dem Kreise eines unfruchtbaren vom Leben und von der Anwendung weit entfernten Lernens und Leh|rens herumdrehen, vor lau- 47 20 ter reiner Wißbegierde würde die Lust zum Handeln vergehn, und niemand würde in die bürgerlichen Geschäfte hinein wollen. Dies scheint seit langer Zeit die Hauptursache zu sein, weshalb der Staat sich zu sehr auf seine Weise dieser Dinge annimmt. Und allerdings kann man nicht läugnen, daß wenn den Reden zu glauben wäre, die bisweilen einige 25 Philosophen führen, so würden diese alle ihre Schüler, und sie wissen die Jugend sehr zu fesseln, von aller bürgerlichen Thätigkeit zurükhalten. Allein warum sollte man das, und warum dem vorübergehenden

24—27 Vgl. ζ. B. Johann Gottlieb Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit. In öffentlichen Vorlesungen, gehalten zu Erlangen im Sommer-Halbjahre 1805, Berlin 1806: „Welchem Studirenden aber die Ueb erzeugung aufgegangen, daß der eigentliche Zweck seines Studirens verfehlt sey, wenn nicht die Idee in ihm eine innere Gestalt und ein selbstständiges Leben bis zur höchsten Fertigkeit ausbilde, derselbe wird mit seinem Abgange von der Universität sein Studiren und seine wissenschaftlichen Uebungen keinesweges schließen. Selbst falls er durch äußere Gründe genöthigt würde, ein bürgerliches Geschäft zu übernehmen [!], wird er alle an ihm zu ersparende Zeit und Kraft der strengern Wissenschaft widmen, und kein Mittel höherer Ausbildung, das ihm dargeboten wird, sich entgehen lassen [...]." (Siebente Vorlesung, S. 139 f; GA 1/8, S. 112) Fichte hat verschiedentlich das spekulativ-wissenschaftliche Leben in solchen Tönen zu schildern gewußt, daß dagegen alle anderen Gestalten bürgerlichen Lebens verblassen müssen: vgl. ζ. B. noch Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Dargestellt von J. G. Fichte, in Vorlesungen, gehalten zu Berlin, im Jahre 1804—5, Berlin 1806: „Welchen hohen Genuß diese Wissenschaft ihren Geweihten gewähre, ist schon oben beschrieben; hier ist nur noch das hinzuzusetzen, daß der Genuß an ihr geistiger, und eben darum durchdringender und höher ist, als jeder andere aus der Idee [...] und daß dieses ohne

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Reiz einen so dauernden Einfluß zuschreiben? So ist von jeher gesprochen worden, und von jeher sind die jungen M ä n n e r aus den Schulen der Weisen unmittelbar in die Säle der Gerichtshöfe und die Verwaltungskammern geströmt, um die Menschen beherrschen zu helfen. Schauen und T h u n , wenn sie auch gegen einander reden, arbeiten einan5 der immer in die Hände; das Verhältniß zwischen denen, welche sich der bloßen Wissenschaft widmen, und den übrigen bestimmt die Natur selbst immer richtig und sehr ebenmäßig. M a n vergleiche nur den großen Haufen derer, welche durch die Schulen und Universitäten hindurchgehn, mit der kleinen | Anzahl derer, welche endlich die Akademie eines 10 Volkes bilden, und betrachte, wie viele auch von den lezteren noch zugleich angesehene Staatsdiener sind, um sich hierüber für immer zu beruhigen, und zu gestehen, daß der Staat Vorsprung genug hat durch die vielen Vortheile die er allein bieten kann, und durch die Gewalt mit welcher politisches Talent, w o es sich irgend findet, immer durchzubre- 15 chen weiß. N ä h r t aber der Staat durch falsche Besorgnisse und darauf gegründete Anordnungen jene Mißverständnisse der mit der Verbreitung der Wissenschaften beschäftigten Gelehrten unter sich: so werden die Schulen ungründlich; auf den Universitäten wird die Hauptsache unter einer Menge von Nebendingen erstikt; die Akademien werden verächt- 20 lieh, wenn sie sich je länger je mehr mit lauter unmittelbar nüzlichen Dingen beschäftigen, und der Staat beraubt sich selbst auf die Länge der wesentlichsten Vortheile, welche ihm die Wissenschaften gewähren, indem es ihm je länger je mehr an solchen fehlen muß, die Großes auffassen und durchführen, und mit scharfem Blikk die Wurzel und den Zu- 25 sammenhang aller Irrthümer aufdekken können.

3. N ä h e r e B e t r a c h t u n g d e r U n i v e r s i t ä t im A l l g e m e i n e n . Die Vergleichung der Universität mit den Schulen und Akademien hat uns ihren wesentlichen Charakter gezeigt, vermöge dessen sie nothwendig in die Mitte tritt zwischen beide, daß nemlich durch sie der wissenschaftliche Geist in den Jünglingen soll gewekt, und zu einem klaren

Zweifel die höchste Seligkeit ist, welche der Sterbliche mag." (S. 126; GA 1/8, S. 239)

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Bewußtsein gesteigert werden. Und dies haben wir fast o h n e Beweis, wie es denn h ö c h s t anschaulich ist für sich, hinzugenommen, daß hiezu die formelle Speculation allein nicht hinreiche, sondern diese gleich verkörpert werden müsse in dem realen Wissen. Auch genügt hiezu nicht etwan eine beliebige Auswahl von Kenntnissen, wie auf Schulen zur gymnastischen Uebung. Denn der wissenschaftliche Geist ist seiner N a t u r nach systematisch, und so kann er unmöglich in einem Einzelnen zum klaren Bewußtsein gedeihen, wenn ihm nicht auch das G e s a m m t g e b i e t des Wissens wenigstens in seinen Grundzügen zur Anschauung k o m m t . N o c h weniger können sich in den Einzelnen der allgemeine Sinn und das besondere Talent vereint zu einem eigenthümlichen intellectuellen Leben ausbilden, wenn nicht auf der Universität Jeder | dasjenige findet, was sein besonderes Talent anregen kann. Die Universität muß also alles Wissen umfassen, und in der Art, wie sie für jeden einzelnen Z w e i g sorget, sein natürliches inneres Verhältniß zu der G e s a m m t h e i t des Wissens, seine nähere oder entferntere Beziehung auf den gemeinschaftlichen Mittelpunkt ausdrükken. Nur Eine Abweichung hievon, scheint es, k a n n man gestatten, d a ß nemlich dasjenige überwiegend hervorgezogen werde, wohin sich überhaupt das Talent der Nation vorzüglich neigt; eine Abweichung, die sich auch nur in den der Akademie sich nähernden Veranstaltungen der Universität zeigen dürfte. So müßte es sein, wenn ohne fremden Einfluß der wissenschaftliche Trieb allein die Universitäten errichtete und ordnete. Sehen wir aber, wie sie sind, so finden wir alles ganz anders. Wissenschaftlich angesehen erscheint das meiste höchst unverhältnißmäßig, dem unbedeutenden ein großer R a u m vergönnt, vieles, was an sich gar nicht zusammenzugehören scheint, äußerlich verbunden, wichtiges dagegen verkürzt, oder n o c h ganz neu aussehend, als o b es erst hinzugekommen wäre, vieles auch so behandelt, als wäre es gar nicht für die bestimmt in denen wissenschaftlieher Geist sich entwikkeln | will, sondern für die, denen er ewig fremd bleiben m u ß . O f f e n b a r geht dieser Geist nicht in J e d e m auch nicht in allen denen auf, die wol fähig und geneigt sind eine schöne M a s s e von Kenntnissen zu sammeln, und in gewissem Sinne zu verarbeiten. D e s h a l b soll schon die gelehrte Schule nur eine Auswahl junger Naturen in sich fassen, und aus diesen selbst wiederum nur eine Auswahl zur Universität senden; allein weil sie nur vorbereitend ist, und nicht bestimmt diese Gesinnung selbst schon ans Licht zu bringen, so kann sie auch über den G r a d der wissenschaftlichen Fähigkeit nicht zuverlässig und definitiv entscheiden. Sie schließt aus der Lust und Leichtigkeit, mit welcher die von ihr dargebotenen Kentnisse aufgefaßt werden, aus der mehr oder minder aufkei2 2 wissenschaftliche] wissenschastliche

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menden Vorliebe für den wissenschaftlichen Gehalt in denselben. Aber das alles ist ziemlich trüglich, und das sicherste davon grade am wenigsten in eine äußerlich gültige Form zu bringen. Wie oft findet man erstaunlichen Fleiß und große Lust und Liebe, die sich nur für den Kenner durch etwas gar unbewußtes thierisches unterscheidet, bei gar wenig Geist und Talent. J a bei M a n c h e n öfnet sich grade in dieser entscheidenden Z e i t eine | taube Blüthe, die nur zu leicht für fruchtbar gehalten wird. Und wiederum wenn die Schule sich in ihrem Urtheil die größte Strenge zum Gesez machen wollte: wie M a n c h e , die sich erst später entwikkelt hätten, würden dann voreilig der ferneren Pflege beraubt. Kurz, es ist unvermeidlich, daß Viele zur Universität k o m m e n , die eigentlich untauglich sind für die Wissenschaft im höchsten Sinne, ja daß diese den größeren Haufen bilden, weil in der T h a t dies weit weniger nachtheilig sein k a n n , als wenn ein einziges großes und entschiedenes Talent die wohlthätigen Einflüsse dieser Anstalt ganz entbehren müßte. Der Gedanke, schon auf der Schule oder beim Abgehn von derselben eine Trennung festzusezen zwischen denen, welche der höchsten wissenschaftlichen Bildung fähig, und denen, die für eine untergeordnete Stuffe bestimmt sind, und für leztere eigene Anstalten zu stiften, w o sie ohne die philosophischen Anleitungen der Universität gleich für ihr bestimmtes Fach der Erkenntniß mehr handwerksmäßig und traditionell weiter gebildet würden, dieser G e d a n k e ist J e d e m furchtbar und schreklich der an der Bildung der Jugend einen lebendigen Antheil nimmt. Nicht in eine Zeit gehört er, w o jede Aristokratie der N a t u r der Sache nach unter-| gehen muß, sondern in eine solche, w o man sie erst recht pflegen und erweitern will. O d e r meint m a n , angehende Jünglinge, welche sich auf gelehrten Schulen auch nur mit einigem Erfolge gebildet haben, sollten sich selbst zu einer Zeit, w o sie unmöglich schon sich selbst zu erkennen vermögen, das Urtheil einer solchen Herabsezung sprechen, und nicht vielmehr nach aller Herrlichkeit der Wissenschaft ihre H a n d ausstrekken wollen? Solche verdienten wirklich ganz verstoßen und verunehrt zu werden! Nein, man lasse zusammen die treflicheren und die minderen Köpfe erst die entscheidenden Versuche durchgehen, welche auf der Universität angestellt werden, um ein eignes wissenschaftliches Leben in den Jünglingen zu erzeugen, und erst wenn diese alle ihres höchsten Z w e k k e s verfehlt haben, werden sich von selbst die Meisten auf die untergeordnete Stuffe treuer und tüchtiger Arbeiter stellen. Solcher bedarf der wissenschaftliche Verein gar sehr; denn die wenigen wahrhaft herrschenden und bildenden Geister können gar viele O r g a n e in Thätigkeit sezen. D a r u m müssen die Universitäten so eingerichtet sein, daß sie zugleich höhere Schulen sind, um diejenigen weiter zu fördern, deren Talente, wenn sie auch selbst auf die höchste Würde der | Wissenschaft Verzicht leisten, doch sehr gut für dieselbe gebraucht werden können. Und zwar

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d a r f sich dies nicht als eine b e s o n d e r e V e r a n s t a l t u n g ä u ß e r l i c h unterscheiden lassen, weil ja auch beide Klassen v o n L e r n e n d e n nicht ä u ß e r lich unterschieden sind, sondern sich erst d u r c h die T h a t selbst von einander trennen sollen. N o c h m e h r a b e r b e d a r f der S t a a t von diesen K ö p fen der zweiten Klasse. E r k a n n sehr w o h l einsehen, d a ß die o b e r s t e n G e s c h ä f t e in j e d e m Z w e i g e n u r denen mit Vortheil a n v e r t r a u t w e r d e n , w e l c h e von w i s s e n s c h a f t l i c h e m Geiste d u r c h d r u n g e n sind, und wird d o c h d a n a c h streben müssen, d a ß ihm a u c h der g r ö ß t e T h e i l von jenen untergeordneten Talenten a n h e i m falle, w e l c h e a u c h o h n e diesen h ö h e ren G e i s t ihm durch wissenschaftliche B i l d u n g und eine M a s s e von Kenntnissen b r a u c h b a r sind. D a h e r m u ß er nun aus d e m s e l b e n G r u n d e dafür sorgen, d a ß die Universitäten zugleich h ö h e r e S p e c i a l s c h u l e n sein für alles dasjenige, w a s von den in seinem D i e n s t n u z b a r e n K e n n t n i s s e n zunächst mit der eigentlichen w i s s e n s c h a f t l i c h e n Bildung z u s a m m e n h ä n g t ; und w e n n es auch auf diesem G e b i e t e nicht e b e n so n o t h w e n d i g ist, ist es d o c h natürlich genug, auch hier die ä u ß e r e U n t e r s c h e i d u n g zu vermeiden. | S o weit ist also alles gut, und auch dies leztere nicht als ein M i ß b r a u c h , oder als eine Verunreinigung rein w i s s e n s c h a f t l i c h e r A n s t a l t e n anzusehen; sondern vielmehr vortreflich, weil a u f diese Weise d o c h a u c h in der g r ö ß e r e n M a s s e der G e b i l d e t e n so viel als j e d e m m ö g l i c h ist aufgeregt werden k a n n , wenigstens v o m Sinn für w a h r e E r k e n n t n i ß , weil denen, die eine solche Schule g e m a c h t h a b e n , wenigstens eingeprägt bleiben m u ß das G e f ü h l der A b h ä n g i g k e i t der K e n n t n i s s e , die sie d o r t eins a m m e l t e n von den höheren w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e s t r e b u n g e n , und weil die Bildungsanstalten für den D i e n s t des S t a a t e s durch ihre V e r b i n d u n g mit den rein wissenschaftlichen e m p f ä n g l i c h e r bleiben müssen für jede Verbesserung, und in sich selbst lebendiger. U n d dieses ist unstreitig d a s Wesen der deutschen Universitäten, wie sie seit langer Z e i t w i r k l i c h sind. W e n n a b e r hie und da die Regierungen a n f a n g e n , den politischen T h e i l dieser Anstalten für die H a u p t s a c h e a n z u s e h e n , hinter w e l c h e r das eigentlich wissenschaftliche in j e d e m streitigen Falle z u r ü k s t e h e n müsse: so ist das schon ein sehr verderblicher M i ß v e r s t a n d ; und w e n n sie gar w ü n s c h e n , der F o r m der Universität ganz ü b e r h o b e n zu sein, und an die allgemeinen gelehrten Schulen | gleich die Specialschulen für die verschiedenen F ä c h e r des Staatsdienstes a n k n ü p f e n zu k ö n n e n , so ist dies ein trauriges Z e i c h e n d a v o n , d a ß m a n den Werth der h ö c h s t e n Bildung für den Staat v e r k e n n t , und d a ß m a n den b l o ß e n M e c h a n i s m u s d e m L e b e n vorzieht. J a , w o ein S t a a t die U n i v e r s i t ä t e n , den M i t t e l p u n k t die Pflanzschule aller E r k e n n t n i ß zerstörte, und alle d a n n nur n o c h gleichs a m wissenschaftliche B e s t r e b u n g e n zu vereinzeln und aus i h r e m lebendigen Z u s a m m e n h a n g herauszureißen suchte: da d a r f m a n nicht zweifeln, die Absicht oder wenigstens die u n b e w u ß t e W i r k u n g eines solchen

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Verfahrens ist Unterdrükkung der höchsten freiesten Bildung und alles wissenschaftlichen Geistes, und die unfehlbare Folge das Ueberhandnehmen eines handwerksmäßigen Wesens, und einer kläglichen Beschränktheit in allen Fächern. Unüberlegt handeln diejenigen, oder sind von einem undeutschen verderblichen Geiste angestekt, die uns eine Umbildung und Zerstreuung der Universitäten in Specialschulen vorschlagen; so wie in jedem Lande, wo jene Form von selbst ausstürbe, oder wo, auch wenn die Regierung es nicht hinderte, doch nie eine wahre Universität zu Stande käme, sondern alles immer schulmäßig bliebe, die Wissenschaft gewiß im | Rükgang und der Geist im Einschlafen begriffen sein müßte. Wie nun, so lange der Staat die Grenzen des rechtmäßigen Einflusses, den ihm die Wissenschaft gestatten kann, nicht überschreitet, der Unterricht auf der Universität sich gestalten muß, das läßt sich an jeder nur noch mittelmäßig eingerichteten leicht erkennen. Das Allgemeinste nemlich ist Allen gemein, und Alle beginnen damit, und trennen sich erst späterhin auf dem Gebiet des Besondern, nachdem in Jedem sein eigenthümliches Talent und mit demselben die Liebe zu dem Geschäft erwacht ist, in welchem er es vorzüglich kann geltend machen. Alles also beginnt mit der Philosophie, mit der reinen Speculation, und was etwa noch propädeutisch als Uebergang von Schule zu Universität dazu gehört. Nur beruht das Leben der ganzen Universität, das Gedeihen des ganzen Geschäftes darauf, daß es nicht die leere Form der Speculation sei, womit allein die Jünglinge gesättigt werden, sondern daß sich aus der unmittelbaren Anschauung der Vernunft und ihrer Thätigkeit die Einsicht entwikkele, in die Nothwendigkeit und den Umfang alles realen Wissens, damit von Anfang an der vermeinte Gegensaz zwischen Vernunft und Erfahrung, zwischen Speculation und Empirie vernichtet, und so das wahre Wissen nicht nur möglich gemacht, sondern seinem Wesen nach wenigstens eingehüllt gleich mit hervorgebracht werde. Denn ohne hier über den Werth der verschiedenen philosophischen Systeme zu entscheiden, ist doch klar, daß sonst gar kein Band sein würde zwischen dem philosophischen Unterricht und dem übrigen, und gar nichts bei demselben herauskommen, als etwa die Kenntniß der logischen Regeln,

4—6 Vgl. ζ. B. Stephani: Grundriß der Staats-Erziehungs-Wissenscbaft, S.88. 148—150; Massow: Ideen zur Verbesserung des öffentlichen Schul- und Erziehungswesens, S. 126 f. 252 f; Engel: [Denkschrift über Begründung einer großen Lehranstalt in Berlin], in: R. Köpke: Die Gründung der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Nebst Anhängen über die Geschichte der Institute und den Personalbestand, Neudruck der Ausgabe Berlin 1860, Aalen 1981, S. 147-153, hier: S. 151 f.

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und ein in seiner Bedeutung und Abstammung nicht verstandener Apparat von Begriffen und Formeln. Die Aussicht also muß eröfnet werden schon durch die Philosophie in die beiden großen Gebiete der Natur und der Geschichte, und das Allgemeinste in beiden muß nicht minder Allen gemein sein. Von der höhern Philologie, sofern in der Sprache niedergelegt sind alle Schäze des Wissens und auch die Formen desselben sich in ihr ausprägen, von der Sittenlehre, sofern sie die Natur alles menschlichen Seins und Wirkens darlegt, müssen die Haupt-Ideen Jedem einwohnen, wenn er auch seine besondere Ausbildung mehr auf der Seite der Naturwissenschaft sucht; so wie sich kein wissenschaftliches Leben denken läßt für den, dem jede Idee von der Natur fremd bliebe, die Kenntniß | ihrer allgemeinsten Prozesse und wesentlichsten Formen, der Ge- 59 gensaz und Zusammenhang in dem Gebiete des organischen und unorganischen. Daher das Wesen der Mathematik, der Erdkenntniß, der Naturlehre und Naturbeschreibung Jeder inne haben muß. Jemehr aber ins Besondere hinein, in Geschichtsforschung, Staats und Menschenbildungskunst, in Geologie und Physiologie, desto mehr auch beschränkt sich Jeder auf das Einzelne, wozu er berufen ist; und an diese Beschränkung wendet sich hernach der Staat mit seinen besondern Instituten für die, welche an der politischen und religiösen Fortbildung, so wie an der physischen Erhaltung und Vervollkommnung der Bürger arbeiten sollen; Institute welche, wenn sie der Universität nicht ganz fremd und verderbliche Auswüchse auf ihr sein sollen, sich selbst abhängig erklären und erhalten müssen von der wissenschaftlichen Behandlung der Natur und der Geschichte, und mithin von der Philosophie. Weil aber selbst hierin, und ohnerachtet an diesem Unterricht Viele theilnehmen, denen der philosophische die wahre Weihe nicht gegeben hat, dennoch der äußere Unterschied, um auch von dieser Seite die Ein- 574 heit des Ganzen nicht zu stören, mög|liehst vermieden wird, weil in je- 60 dem Unterricht, wenn er noch einigermaßen dem Charakter der Universität treu bleibt, die wissenschaftliche Darstellung die Hauptsache ist, und das Detail nur Werth hat als Belag, als Handhabe, als roher Stoff für die Versuche in eigner Combination und Darstellung: so ist auch die Lehrweise mit geringen Abstufungen überall dieselbe. Wenige verstehen die Bedeutung des Kathedervortrages; aber zum Wunder hat er sich, ohnerachtet immer von dem größten Theile der Lehrer sehr schlecht durchgeführt, doch immer erhalten, zum deutlichen Beweise, wie sehr er zum Wesen einer Universität gehört, und wie sehr es der Mühe lohnt, diese Form immer aufzusparen für die Wenigen, die sie von Zeit zu Zeit recht zu handhaben wissen. Ja man könnte sagen, der wahre eigenthümliche Nuzen, den ein Universitätslehrer stiftet, stehe immer in gradem Verhältniß mit seiner Fertigkeit in dieser Kunst.

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Jede Gesinnung, die wissenschaftliche wie die religiöse, bildet und vervollkommnet sich nur im Leben, in der Gemeinschaft Mehrerer. Durch Ausströmung aus den Gebildetem, V o l l k o m m e n e m , wird sie zuerst aufgeregt und aus ihrem Schlum|mer erwekt in den Neulingen; durch gegenseitige Mittheilung wächst sie und stärkt sich in denen die einander gleich sind. Wie nun die ganze Universität ein solches wissenschaftliches Zusammenleben ist: so sind die Vorlesungen insbesondere das Heiligthum desselben. M a n sollte meinen, das Gespräch könne am besten das schlummernde Leben wekken und seine ersten Regungen hervorlokken, wie denn die bewundernswürdige Kunst des Alterthums in dieser Gattung noch jezt dieselben Wirkungen äußert. Es mag auch so sein zwischen Zweien, oder w o aus einer ganzen Menge Einer als Repräsentant derselben mit Sicherheit kann aufgestellt werden, oder wenn Einzelne die niedergeschriebenen treflichen Werke dieser Art genießen, und gleichsam das Dargestellte an sich wiederholend durchleben. Allein es muß wol nicht so sein unter Vielen und in der neueren Zeit, weil doch ohnerachtet so mancher erneuerten Versuche das Gespräch nie als allgemeine Lehrform auf dem wissenschaftlichen Gebiet aufgekommen ist, sondern die zusammenhangende Rede sich immer erhalten hat. Es ist auch leicht einzusehen warum. Unsere Bildung ist weit individueller als die alte, das Gespräch wird daher gleich weit persönlicher, so daß kein Einzelner im | Namen Aller als Mitunterredner aufgestellt werden kann, und das Gespräch eine viel zu äußerliche nur verwirrende und störende Form sein würde. Aber der Kathedervortrag der Universität muß allerdings, weil er Ideen zuerst zum Bewußtsein bringen soll, doch in dieser Hinsicht die Natur des alten Dialogs haben, wenn auch nicht seine äußere Form; er muß darnach streben, einerseits das gemeinschaftliche Innere der Zuhörer, ihr Nichthaben sowol als ihr unbewußtes Haben dessen, was sie erwerben sollen, andererseits das Innere des Lehrers, sein Haben dieser Idee und ihre Thätigkeit in ihm recht klar ans Licht zu bringen. Z w e i Elemente sind daher in dieser Art des Vortrages unentbehrlich und bilden sein eigentliches Wesen. Das eine möchte ich das populäre nennen; die Darlegung des muthmaßlichen Zustandes, in welchem sich die Zuhörer befinden, die Kunst sie auf das Dürftige in demselben hinzuweisen und auf den lezten Grund alles Nichtigen im Nichtwissen. Dies ist die wahre dialektische Kunst, und je strenger dialektisch, desto populärer. Das andere möchte ich das productive nennen. Der Lehrer muß alles was er sagt, vor den Zuhörern entstehen lassen; er muß nicht erzählen was er weiß, sondern sein eignes Erkennen, die | T h a t selbst, reproduciren, damit sie beständig nicht etwa nur Kenntnisse sammein, sondern die Thätigkeit der Vernunft im Hervorbringen der Er2 v e r v o l l k o m m n e t ] vervollkommnet

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kenntniß unmittelbar anschauen und anschauend nachbilden. Der Hauptsiz dieser Kunst des Vortrags ist freilich die Philosophie, das eigentlich speculative; aber alles Lehren auf der Universität soll ja auch hievon durchdrungen sein, also ist doch dies überall die eigentliche Kunst des Universitätslehrers. Zwei Tugenden müssen sich in ihr vereinigen; Lebendigkeit und Begeisterung auf der einen Seite. Sein Reproduciren muß kein bloßes Spiel sein, sondern Wahrheit; so oft er seine Erkenntniß in ihrem Ursprung, in ihrem Sein und Gewordensein vortragend anschaut, so oft er den Weg vom Mittelpunkt zum Umkreise der Wissenschaft beschreibt, muß er ihn auch wirklich machen. Bei keinem wahren Meister der Wissenschaft wird das auch anders sein; ihm wird keine Wiederholung möglich sein, ohne daß eine neue Combination ihn belebt, eine neue Entdekkung ihn an sich zieht; er wird lehrend immer lernen, und immer lebendig und wahrhaft hervorbringend dastehn vor seinen Zuhörern. Eben so nothwendig ist ihm aber auch Besonnenheit und Klarheit, um was die Begeisterung wirkt | verständlich und gedeihlieh zu machen, um das Bewußtsein seines Zusammenseins mit den Neulingen immer lebendig zu erhalten, daß er nicht etwa nur für sich, sondern wirklich für sie rede, und seine Ideen und Combinationen ihnen wirklich zum Verständniß bringe und darin befestige, damit nicht etwa nur dunkle Ahndungen von der Herrlichkeit des Wissens in ihnen entstehen, statt des Wissens selbst. Kein Universitätslehrer kann wahren Nuzen stiften, wenn er von einer dieser Treflichkeiten ganz entblößt ist; und die rechte gesunde Fülle der Anstalt besteht darin, daß was etwa einem Lehrer, der von der einen Seite sich vorzüglich auszeichnet, an der andern menschlicher Weise abgeht, durch einen Andern ersezt werde. Diese beiden Tugenden des Vortrags sind die wahre Gründlichkeit desselben, nicht eine Anhäufung von Literatur, welche dem Anfänger nichts hilft, und vielmehr in Schriften muß niedergelegt als mündlich mitgetheilt werden; aus ihnen fließt die ächte Klarheit, nicht besteht sie in unermüdetem Wiederkäuen, in preiswürdiger Dünne und Dürre des Gesagten; aus ihnen die wahre Lebendigkeit, nicht aus dem Reichthum gleichbedeutender Beispiele, und gleichviel ob guter oder schlechter, nebenherlaufender Einfälle und | polemischer Ausfälle. Wunderbar genug ist die Gelehrsamkeit eines Professors zum Sprüchwort geworden. Je mehr er besizt, desto besser freilich; aber auch die größte ist unnüz ohne die Kunst des Vortrages. Uebet der Lehrer diese an seinen Schülern gehörig aus, so kann es wenig schaden, wenn sie ihn auch bisweilen darauf ertappen, etwas Einzelnes auf dem Gebiet seiner Wissenschaft nicht zu wissen; sie werden dennoch wissen, daß er die Wissenschaft als solche vollkommen besizt. Ja man kann immer hoffen, daß einem jungen Universitätslehrer die Gelehrsamkeit noch komme: wenn er aber jenes Talent der Mittheilung nicht in den Jahren hat, wo er seinen Zuhörern am nächsten

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Gelegentliche Gedanken über Universitäten

steht, so wird er es späterhin schwerlich erlangen. Was hilft alle Gelehrsamkeit, wenn statt des ächten Kathedervortrags nur der falsche Schein, die leere Form davon vorhanden ist! Nichts jämmerlicheres zu denken als dieses. Ein Professor, der ein ein für allemal geschriebenes Heft immer wieder abliest und abschreiben läßt, mahnt uns sehr ungelegen an jene Z e i t , w o es noch keine Drukkerei g a b , und es schon viel werth war, wenn ein Gelehrter seine Handschrift Vielen auf einmal dictirte, und w o der mündliche Vortrag zugleich statt der Bücher | dienen mußte. Jezt aber k a n n niemand einsehn, warum der Staat einige M ä n n e r lediglich dazu besoldet, damit sie sich des Privilegiums erfreuen sollen, die Wohlthat der Drukkerei ignoriren zu dürfen, oder weshalb wol sonst ein solcher M a n n die Leute zu sich bemüht, und ihnen nicht lieber seine ohnehin mit stehenbleibenden Schriften abgefaßte Weisheit auf dem gewöhnlichen Wege schwarz auf weiß verkauft. Denn bei solchem Werk und Wesen von dem wunderbaren Eindrukk der lebendigen Stimme zu reden, m ö c h t e wol lächerlich sein. Soll aber der Vortrag den geforderten C h a r a k t e r haben: so dürfen freilich die eigentlichen Vorlesungen nicht das einzige Verkehr des Lehrers mit seinen Schülern sein. Steife Zurückgezogenheit und Unfähigkeit, auch außerhalb des Katheders noch etwas für die studierende Jugend zu sein, hängen auch gewöhnlich mit den schon gerügten Untugenden des Vortrages zusammen. Wenn der Lehrer mit Nuzen anknüpfen soll an den Erkenntnißzustand der Z u h ö r e r ; wenn er ihnen helfen soll die Abweichungen zu vermeiden, zu welchen sie hinneigen; wenn er sich glüklich hindurcharbeiten soll durch die unter ihnen herrschenden Unfähigkeiten im A u f f a s s e n : so müssen noch andere Arten und Stuffen des Z u s a m m e n lebens mit ihnen ihm zu Statten k o m m e n , um ihn in der nöthigen Bekanntschaft mit den immer abwechselnden Generationen zu erhalten. M a n sage nicht, daß dies der Z a h l wegen unmöglich sei. Es schließt sich an die Vorlesungen eine Kette von Verhältnissen, an denen, je vertrauter sie werden, schon von selbst desto Wenigere theilnehmen, Conversatorien, Wiederholungs und Prüfungsstunden, solche, in denen eigne Arbeiten mitgetheilt und besprochen werden, bis zum Privatumgang des Lehrers mit seinen Z u h ö r e r n , w o das eigentliche Gespräch dann herrscht, und w o er, wenn er sich Vertrauen zu erwerben weiß, durch die Aeußerungen der erlesensten und gebildetsten Jünglinge von allem Kenntniß erlangt, was irgend auf eine merkwürdige Weise in die M a s s e eindringt und sie bewegt. Nur indem er allmählig diese Verhältnisse knüpft und benuzt, k a n n der Lehrer die herrliche Sicherheit der Alten, welche immer den rechten Flekk trafen in ihren Unterredungen, verbinden mit der edlen Bescheidenheit der Neueren, welche eine schon angefangene und selbstständig fortgehende individuelle Bildung jedes Einzelnen immer voraussezen müssen. |

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Man sieht, diese Gabe der Mittheilung läßt noch die mannigfaltig- 68 sten Verschiedenheiten zu. Dem Einen wird besser gelingen das Scheinwissen zu demüthigen, und das Bedürfniß wahrer Wissenschaft zu erregen, dem Andern, die Grundzüge derselben anschaulich darzustellen; der Eine wird Mehreren durch Begeisterung die erste Weihe geben, der Andere mehr sie durch Besonnenheit befestigen; der Eine wird geschikter sein, indem er nur scheint es mit dem Einzelnen und Mannigfaltigen zu thun zu haben, doch immer zu der innersten und höchsten Einheit die Betrachtung zurückzuführen; ein Anderer wird mit seinem Talent mehr 579 dem Einzelnen angehören, und es auch da vorwalten lassen, wo er an das Allgemeinste und Höchste geheftet zu sein scheint. Jeder aber wird ein vortreflicher Lehrer sein, bei welchem sich, wie auch das Eine oder das Andere überwiege, doch alles Nothwendige lebendig vereint findet; und die Universität muß auch darin Universität sein, daß sie alle diese Verschiedenheiten in sich zu vereinigen strebt, damit jeder Zögling im Stande sei, einen solchen Lehrer zu finden, wie ihn unter den gegebenen Umständen und bei den gemachten Fortschritten seine Natur begehrt. | Allein wie lebendig und glücklich auch dieses Bestreben sei, ein völ- 69 liges Gleichgewicht, so daß für jedes Bedürfniß auf gleich vollkommene Art gesorgt sei, wird doch auf Einer solchen Anstalt wol nie erreicht werden. Jede wird sich zu jeder Zeit auf irgend eine Seite hinneigen. Die Eine wird sich auszeichnen durch lebendigere Erregung des wissenschaftlichen Geistes im Allgemeinen, aber in den meisten Fächern vielleicht zurükbleiben in gründlicher Ausführung des Einzelnen, die Andere umgekehrt dieses mehr leisten als jenes; die Eine wird vorzüglicher sein in rein philosophischer Hinsicht, die Andere als Vorakademie oder als Aggregat von Specialschulen; die Eine mehr ihren Zöglingen vorarbeiten, und dagegen die freie höhere Combination ihnen selbst überlassen, die Andere sie mehr zu dieser anleiten, aber alles was irgend Sache des Fleißes ist, ihnen selbst zumuthen. J a ziemlich lange behaupten oft Universitäten denselben Charakter, daß die Eine mehr speculative Köpfe bildet, die aber wohlthun werden, die realen Wissenschaften anderwärts zu suchen, und eine Andere lange Zeit fast nur Rotüriers erzieht, weil schon ein entschiedenes Talent dazu gehört, um auf ihr einen höheren wissenschaftlichen Geist zu | entwikkeln, welches dann die beiden schon ge- 70 fährlichen Extreme der Einseitigkeit sind, zwischen welchen die übrigen besser schwanken. Dies deutet darauf, daß nothwendig auch innerhalb des Gebietes einer und derselben Nationalbildung eine Mehrheit von

33 Rotüriers bezeichnet in abwertender Weise die Angehörigen der Rotüre, der Schicht der Nichtadeligen bzw. Bürgerlichen und fungiert hier wohl als Gegenbegriff zur eigentlichen, nämlich spekulativen Geistesaristokratie.

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Gelegentliche

Gedanken

über

Universitäten

580 Universitäten sich finden muß, und daß das möglichst freie Verkehr und der unbeschränkteste Gebrauch von jeder nach eines Jeden Bedürfniß nicht zu entbehren ist. Wie natürlich diese Wahrheit ist, geht freilich schon daraus hervor, daß die Universitäten in der Mitte stehen zwischen den gelehrten Schulen und der Akademie. Acht und dreißig davon zu 5 besizen, wie die deutsche Nation bis jezt geduldet hat, mag freilich ein großes Unglükk sein, und die Ursach, warum so wenige zu etwas tüchtigem gediehen sind: aber wie soll nun das rechte Maaß gefunden werden? Man finde nur zuerst das rechte Maaß der gelehrten Schulen, man bringe dann mehr Einigungsgeist unter die Deutschen, daß nicht jeder Gau auch 10 hierin etwas besonderes für sich haben wolle, und dann lasse man mehr die Sache selbst gewähren, künstle nicht, und wolle nicht Leichen frisch erhalten, so wird sich allmählig das rechte finden. Doch immer noch 71 besser hier das Maaß überschritten, als den Gedanken an | eine deutsche Centrai-Universität aufkommen lassen, oder den an eine gänzliche Um- 15 Schmelzung der alten Form, zwei Extreme, von denen jedes das größte Unglükk wäre, welches nach allen bisherigen den Deutschen noch begegnen könnte.

4. Von den

Facultäten.

Man hat schon oft und viel gesagt, unsere vier Facultäten, die theologische, juridische, medicinische und philosophische, und noch in dieser Ordnung obenein, gäben den Universitäten ein gar groteskes Ansehn.

14 £ Angedeutet ist der Gedanke einer deutschen Zentraluniversität in Friedrich August Wolfs Einschätzung, eine in Berlin entstehende Lehranstalt könne „für Deutschland etwas Aehnliches, wie in Paris das Institut national und ecole polytechnique zusammen" werden (Vorschläge, wie ohne irgend einen neuen Aufwand, statt der jetzt verlernen zwei am besten dotirten Universitäten, ein großes, für hiesige Lande, und für ganz Deutschland wichtiges litterarisches Institut gestiftet, und in kurzer Zeit in Gang gebracht werden könnte, in: Köpke S. 154 — 159, hier: S. 157). 15 f Gemeint ist die Umwandlung der Universität in Spezialschulen (vgl. oben 46,4—6 und den Sachapparat dazu). 16—18 Anspielung auf die geschichtlichen Ereignisse der Napoleonischen Zeit mit der Niederlage Österreichs und Preußens, der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und der tiefgreifenden politischen Umgestaltung deutscher Staaten im Zuge der Säkularisierung und Mediatisierung. 21—23 Hierbei handelt es sich nicht um ein

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4. Von den

Fakultäten

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Und das ist auch gewiß unläugbar. Wenn man es aber dennoch als einen großen Vortheil ansieht, den Umschaffungen oder bedeutende Veränderungen solcher Anstalten gewähren können, daß man dabei zugleich dieser Formen sich entledigen und bessere dafür einführen werde: so über5 eile man sich doch ja nicht, damit man nicht etwas ganz willkührliches an die Stelle dessen seze, was sich auf eine natürliche Art gebildet, und eben seiner Natürlichkeit wegen so lange erhalten hat; sondern | suche 581; 72 doch erst die Bedeutung dieser bisherigen Formen recht zu verstehen. Durch das bisher Gesagte sollte dies Verständniß schon sehr erleich10 tert und vollständig eingeleitet sein. Es kann wol von unserm Gesichtspunkt aus Niemanden entgehen, daß diese Formen, wie grotesk sie auch sein mögen, wenigstens sehr repräsentativ sind, und sich ganz genau auf das Gewordensein und den jezigen Zustand der Universitäten beziehen. Offenbar nemlich ist die eigentliche Universität, wie sie der Wissenschaft 15 liehe Verein bilden würde, lediglich in der philosophischen Facultät enthalten, und die drei anderen dagegen sind die Specialschulen, welche der Staat entweder gestiftet, oder wenigstens, weil sie sich unmittelbar auf seine wesentlichen Bedürfnisse beziehen, früher und vorzüglicher in seinen Schuz genommen hat. Die philosophische hingegen ist für ihn ur20 sprünglich ein bloßes Privatunternehmen, wie der wissenschaftliche Verein überhaupt ihm eine Privatperson ist, und nur durch die innere N o t wendigkeit, und durch den rein wissenschaftlichen Sinn der in jenen Facultäten Angestellten subsidiarisch herbeigeholt worden, weshalb sie denn die lezte ist von allen. In der ganzen Form also spiegelt sich die 25 Geschichte | der Universitäten in ihren Grundzügen ab. Die positiven 73 Facultäten sind einzeln entstanden durch das Bedürfniß, eine unentbehrliche Praxis durch Theorie durch Tradition von Kenntnissen sicher zu fundiren. Die juridische gründet sich unmittelbar in dem staatbildenden Instinkt, in dem Bedürfniß, aus einem anarchischen Zustande — anar30 chisch, weil die Gesezgebung nicht gleichmäßig fortgeschritten war mit der Kultur — einen rechtlichen hervorgehen zu lassen, in dem Gefühl,

11 Niemanden] Vgl. Adelung: Wörterbuch Bd. 3, Sp. 809 Zitat, sondern um eine zusammenfassende und interpretierende Formulierung Schleiermachers, die sich der Sache nach auf alle diejenigen Universitätsschriften beziehen kann, die sich negativ zur bestehenden Fakultätsverfaßtheit und für eine Umgestaltung der bisherigen Fakultätseinteilung aussprechen; vgl. ζ. B. Johann Benjamin Erhard: Über die Einrichtung und den Zweck der höhern Lehranstalten, Berlin 1802, S. 217—235; Friedrich Benedict Weber: Versuch über die Errichtung und Einrichtung der Universitäten, aus der Zweyten Abtheilung des Handbuches der Staatswirthschaft besonders abgedruckt, Berlin 1805, S. 29—31; Friedrich August Wolf: Ideen, Vorschläge und nähere Bestimmungen der ersteren, in: Köpke S. 168-180, hier: S. 175.

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Gelegentliche Gedanken über Universitäten

daß dies nur geschehen k ö n n e , indem man zu dem Besiz eines Systems vollständiger unter sich übereinstimmender Geseze zu gelangen suchte, und zu höheren Principien, nach welchen in zweideutigen Fällen die Geseze auszulegen wären. Die theologische hat sich in der Kirche gebildet, um die Weisheit der Väter zu erhalten, um, was schon früher geschehen war, Wahrheit und Irthum zu sondern, nicht für die Z u k u n f t verloren gehen zu lassen, um der weiteren Fortbildung der Lehre und der Kirche eine geschichtliche Basis, eine sichere bestimmte R i c h t u n g und einen gemeinsamen Geist zu geben; und wie der Staat sich näher mit der Kirche verband, mußte er auch diese Anstalten sanctioniren und unter seine O b h u t nehmen. D i e medicinischen Schulen haben sich seit | uralten Zeiten gegründet auf das Bedürfniß theils den Z u s t a n d des Leibes zu erkennen und zu modificiren, theils auf eine mehr oder minder dunkle geheimnißvolle Ahndung von den innigen Verhältnissen der gesammten übrigen Natur zu dem menschlichen Leibe. D a h e r waren sie von Anfang an theils überwiegend gymnastisch, theils magisch und mystisch. Durch Vereinigung beider Z w e i g e gewannen diese Bemühungen allmählig ein mehr kunstmäßiges Ansehn, und in dem M a a ß als sie anfingen durch Beobachtungen und Versuche in die verschiedenen Zweige der Naturwissenschaft sich hineinzuarbeiten, und also großer äußerer Unterstüzungen zu bedürfen, mußte der Staat sich ihrer ebenfalls annehmen. S o sind diese Anstalten entstanden; der tiefe richtige Sinn, der sich immer mehr über das Schlechte hervorarbeitet, hat die Neigung zu dem bloß handwerksmäßigen und empirischen besiegt, und der wissenschaftliche Geist, wir dürfen sagen vorzüglich der deutschen N a t i o n , das immer klarer werdende Gefühl von dem innern Z u s a m m e n h a n g e alles Wissens, hat sie in Einen Körper endlich vereiniget, wobei natürlich, wenn dies nicht als ein bloß zufälliges und äußeres Nebeneinandersein erscheinen sollte, auch jener

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Z u s a m m e n h a n g , | jene gemeinschaftliche Begründung sich äußerlich darstellen mußte, was denn durch die philosophische Facultät geschieht. 30 In dieser Einen ist daher allein die ganze natürliche Organisation der Wissenschaft enthalten, die reine transcendentale Philosophie und die ganze naturwissenschaftliche und geschichtliche Seite, beide vorzüglich mit denen Disciplinen, welche sich am meisten jenem Mittelpunkt der Erkenntniß nähern; aber doch auch die mehr ins besondere gehenden 35 schließen sich so lange an die philosophische Facultät an, als sie nicht zum Behuf eines bestimmten Z w e k k e s pragmatisch behandelt werden. J e n e drei Facultäten hingegen haben ihre Einheit nicht in der Erkenntniß unmittelbar, sondern in einem äußeren Geschäft, und verbinden, was zu diesem erfordert wird, aus den verschiedenen Disciplinen. Diese Eine 40 also stellt allein dar was der wissenschaftliche Verein für sich als Universität würde gestiftet haben, jene drei aber was durch anderweitiges Bedürfniß entstanden und wobei die reinwissenschaftliche Richtung äußer-

4. Von den Fakultäten

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lieh untergeordnet ist. Die Ordnung, welche sie unter sich beobachten, beweiset offenbar das dominirende Verhältniß des Staats auch in den öffentlichen wissenschaftlichen Anstalten; und genauer angesehen zeigt | sich darin theils das geschichtliche Vorantreten der Kirche vor den Staat, 76 5 theils die alte löbliche Weise, die Seele dem Leibe voranzustellen. Was sich unstreitig sehr bald, gewiß sobald als wahrer Nuzen dadurch wird gestiftet werden können, von selbst machen wird, das ist eine Umbildung der juridischen Facultät. Die bloße Kenntniß eines positiven Gesezbuches als solchen, welches doch immer mit Unrecht ein festste10 hendes und unveränderliches ist, und von den wissenschaftlichen M ä n nern soll fortgebildet werden, nicht sie sich unterwerfen, hat zu wenig wissenschaftlichen Charakter. Hier müssen also die Politik, die Staatswirthschaft, die philosophische und historische Kenntniß der Gesezgebung selbst mehr heraustreten. Was sollen aber andere Veränderungen, 15 wie man sie hie und da entwerfen und ausführen sieht? Was man damit meint ist Willkühr, Spielerei; und was man damit bewirkt ist wol etwas übleres; und es ist zu fürchten, daß man nicht ungestraft Einrichtungen vertilgen kann, die für sich schon geschichtliche Denkmäler sind, und die, wenn gleich von Vielen nicht verstanden, den Geist der Nation aus20 sprechen. Entsteht je eine Universität durch eine freie Vereinigung von Gelehrten, dann wird von selbst das, | was jezt in der philosophischen 584; 77 Facultät vereiniget ist, die erste Stelle finden, und die Institute, welche Staat und Kirche bitten werden damit zu verknüpfen, werden ihre untergeordnete Stellen einnehmen. So lange dies nicht geschieht, sondert sie 25 sich am besten dadurch von den übrigen ab, daß sie die lezte ist, besser als wenn sie sich zwischen die andern stellt und sich dadurch mit ihnen vermischt, oder wol gar als wenn sie — damit das nicht als Eins und also weniger erscheine als die übrigen drei, was doch weit mehr ist als sie — sich spalten wollte in mehrere Abtheilungen. Gewiß würden dann

14 f Vgl. ζ. B. Massow: Ideen zur Verbesserung des öffentlichen Schul- und Erziehungswesens, S. 253—255, der eine weitergehende Verlagerung eines Teils auch der theoretischen Ausbildung der Juristen von der Universität auf Justiz-Referendarien-lnstitute propagiert, um eine bessere Praxisorientierung zukünftiger Juristen zu erreichen. Diese Verlagerung ist in Ansätzen in Preußen schon seit 1795 in der allgemeinen Gerichtsordnung verwirklicht gewesen, die beispielsweise Kollegien durch Gerichtspräsidenten, -direktoren und -rate vorsieht. — Johann Benjamin Erhard: Über die Einrichtung und den Zweck der höhern Lehranstalten, S. 231—235, plädiert gar für die Auflösung der Juristischen Fakultäten und die Eingliederung ihrer wissenschaftlichen Materie in eine Fakultät der Wohlfahrtskunde (Facultas salutis publicae). 27—29 Möglicherweise polemische Anspielung auf Friedrich August Wolf, der eine Einteilung der gesamten Universität in 8 Sektionen und dabei die Auflösung der philosophischen Fakultät vorgeschlagen hat; neben der theologischen, juridischen und medizinisch-chirurgischen Sektion hätten demnach die folgenden fünf Abteilungen dem Gebiet der herkömmlichen philosophischen Fakultät entsprochen:

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Gelegentliche

Gedanken

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Universitäten

die einzelnen Disciplinen den wissenschaftlichen Charakter immer mehr verlieren, und sich den pragmatischen Instituten nähern. Und für die reine Philosophie ist in dieser Vereinigung mit den realen Wissenschaften zu Einem äußerlichen Ganzen so schön ausgesprochen die Freiheit, bald mehr einzeln für sich herauszutreten, bald mehr an den realen WissenSchäften, als außer ihnen, sich darzustellen, eine Freiheit, ohne welche sie nicht gedeihen und sich in ihrem wahren Wesen zeigen kann, und die nicht mehr bestehen könnte, wenn ein äußeres Zeichen der Trennung festgestellt wäre. | 78 Erhalte sich also nur die philosophische Facultät dabei, daß sie alles zusammenfaßt, was sich natürlich und von selbst als Wissenschaft gestaltet, so mag sie immerhin die lezte sein. Was ist auch hier an dem Range gelegen? Sie ist doch die Erste deshalb, weil Jedermann ihre Selbstständigkeit einsehen und gestehen muß, daß sie nicht wie die übrigen, sobald man von einer bestimmten äußeren Beziehung hinwegsieht, in ein ungleichartiges mannigfaltiges zerfällt und aufgelöst werden kann. Sie ist auch deshalb die Erste und in der That Herrin aller übrigen, weil alle Mitglieder der Universität, zu welcher Facultät sie auch gehören, in ihr müssen eingewurzelt sein. Dies Recht übt sie fast überall aus über die ankommenden Studierenden; von ihr werden zunächst Alle geprüft und aufgenommen, und dies ist eine sehr löbliche und bedeutende Sitte. 585 Nur scheint sie noch erweitert werden zu müssen, um ihre Bedeutung ganz zu erfüllen. Es ist gewiß verderblich, daß die Studierenden gleich anfänglich sich können irgend einer andern Facultät einverleiben. Alle müssen zuerst sein und sind auch der Philosophie Beflissene; aber Alle sollten eigentlich auch in dem ersten Jahre ihres akademischen Aufent79 haltes nichts anderes sein dürfen. Das alte | Unwesen, die Knaben in der Wiege für ein gewisses Geschäft zu bestimmen, ist immer noch nicht ausgerottet; denn für das wissenschaftliche Leben ist die gelehrte Schule nur die Wiege. Was für Vorstellungen von seinem künftigen Beruf, von dem Verhältniß desselben zu dem ganzen großen Gebiet der Wissenschaften und des durch sie unmittelbar befruchteten Lebens, kann der angehende Jüngling wol von dort her mitbringen? Die allgemeinen Uebersichten, theologische, juridische, mit welchen man die Abgehenden hie und da zu versenden pflegt, sind nur Huldigungen, welche man verkehrter Weise jener Verkehrtheit der voreiligen Bestimmung darbringt, und ein Raub, der schwerlich ungestraft an den Universitäten begangen wird. Gewiß sind die Fälle selten, wo sich eine bestimmte Richtung des

„Philosophische Wissenschaften, mathematische, philologisch-antiquarische, historische, [•••], Natur-Wissenschaften" (Wolf: Ideen, Vorschläge und nähere Bestimmungen der ersteren, Köpke S. 175).

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Talentes schon auf der Schule offenbart, und mit Recht k a n n man sagen, d a ß in jedem solchen Falle nur desto n o t h w e n d i g e r sei, den Jüngling, wenn er f ü r die Wissenschaft gedeihen soll, eine Zeitlang im Allgemeinen derselben aufzuhalten, damit sein allgemeiner Sinn nicht ganz u n t e r d r ü k t werde von der vorherrschenden Gewalt des besonderen Talents. M ö c h t e m a n doch bald dahin k o m m e n , die Jünglinge nur zum Studiren überh a u p t | der Universität zuzuschikken. Wenn sie sich ein Jahr n e h m e n dürfen, u m sich in den Principien festzusezen, und sich von allen w a h r haft wissenschaftlichen Disciplinen eine Uebersicht zu verschaffen: so wird diese Zeit nicht verloren sein; w ä h r e n d derselben wird am sichersten ihre Gesinnung, ihre Liebe, ihr Talent sich entwikkeln; sie werden untrüglicher ihren rechten Beruf entdekken, und des großen Vortheils genießen, ihn selbstständig gefunden zu haben. Nicht anders aber sollten auch alle Universitätslehrer in der philosophischen Facultät eingewurzelt sein. Besonders k a n n m a n bei der juridischen und theologischen Facultät nie sicher sein, d a ß nicht das Studium allmählig immer mehr einer handwerksmäßigen Tradition sich nähere, oder in ganz unwissenschaftlicher Oberflächlichkeit verderbe, wenn nicht alle Lehrer zugleich auf dem Felde der reinen Wissenschaft eignen Werth und N a m e n haben, und eine Stelle als Lehrer verdienen. M a n sollte daher nicht nur ausschließend solche wählen, sondern es m ü ß t e gesezmäßig sein, d a ß jeder Lehrer dieser Facultäten, wenn auch nicht zugleich Mitglied der philosophischen, doch als außerordentlicher Lehrer bei irgend einem Zweige derselben verpflichtet wäre, und von Zeit zu Zeit Vorträge aus dem reinen | wissenschaftlichen Gebiete hielte, die in gar keiner unmittelbaren Beziehung auf seine Facultät ständen. N u r dadurch k ö n n t e m a n auch äußerlich sicher sein, die lebendige Verbindung dieser Doctrinen mit der wahren Wissenschaft, ohne welche jene gar nicht auf die Universität gehören k ö n n t e n , zu erhalten. Und in der T h a t verdient ja wol jeder Lehrer des Rechts oder der Theologie ausgelacht und von der Universität ausgeschlossen zu werden, der nicht Kraft und Lust in sich fühlte, auf dem Gebiet, es sei nun der reinen Philosophie oder der Sittenlehre oder der philosophischen Geschichtsbetrachtung oder der Philologie, etwas eignes mit ausgezeichnetem Erfolg zu leisten. Wenn übrigens schon die philosophische Facultät a m besten t h u t Eine zu bleiben, und wenn sie sich zum Behuf gewisser Geschäfte in Unterabtheilungen spalten müßte, dies ja nicht auf eine zu bestimmte und bleibende Art, kurz ja nicht so zu t h u n , d a ß die Einheit als das Wesentlichere d a r ü b e r verloren gehe: so ist ja wol deutlich, d a ß auch das allgemeine Streben der Universität darauf gehn m u ß , sich nicht zu sehr ins Einzelne hinein bestimmt zu theilen, jeden Lehrer etwa streng in den Grenzen seiner Facultät zu halten, oder gar in dieser ihn ganz bestimmt | auf ein gewisses Fach einzuschränken. Vieles fällt freilich von

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selbst weg, w e n n jeder L e h r e r einer Facultät zugleich, w e n n a u c h nicht eben so genau, der p h i l o s o p h i s c h e n a n g e h ö r t , und in dieser selbst die Sectionen nicht streng geschieden sind. A b e r w a r u m sollte a u c h ein Lehrer gehindert w e r d e n , einmal das G e b i e t einer a n d e r n F a c u l t ä t zu betreten? G r e n z e n d o c h alle an einander und b e r ü h r e n sich in m e h r e r e n Punkten, so d a ß es an Veranlassungen nicht fehlt, aus einer in die andern h i n ü b e r z u s c h w e i f e n . Ergreift diese ein G e l e h r t e r r e c h t , und begnügt er sich nicht d a m i t , nur für sein eignes S t u d i u m zu leihen was er von dort her b r a u c h t : so m u ß er gewiß e t w a s recht e i g e n t h ü m l i c h e s und geistreiches h e r v o r g e b r a c h t h a b e n auf dem fremden G e b i e t , w e n n er sich entschließt es öffentlich vorzutragen. D i e E i f e r s u c h t der Facultäten a u f einander wegen ihres G e b i e t e s ist e t w a s mit R e c h t veraltetes und lächerliches. W e m e i n m a l öffentlich die W ü r d e eines wissenschaftlichen Lehrers gegeben und sein T a l e n t dazu a n e r k a n n t ist, der m u ß es a u c h üben k ö n nen, a u f w e l c h e m G e b i e t er will. D i e Z e i t , w ä h r e n d der einem Gelehrten diese G a b e der M i t t h e i l u n g zu G e b o t e steht, ist zu b e s c h r ä n k t ; die G a b e 83

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selbst ist zu zart und zu s c h w e r ganz in die | G e w a l t zu b e k o m m e n , als d a ß m a n nicht jede gute Stunde und alles w a s sie eingiebt vollständig genießen und a u c h benuzen sollte. E b e n d e s h a l b ist auch der w a h r e Geist der Universität der, auch innerhalb jeder Facultät die g r ö ß t e Freiheit herrschen zu lassen. O r d n u n gen v o r s c h r e i b e n , w i e die Vorlesungen auf e i n a n d e r folgen müssen, das g a n z e G e b i e t u n t e r die Einzelnen b e s t i m m t vertheilen, das sind T h o r h e i ten; nicht e i n m a l ein solches P r i v a t a b k o m m e n der L e h r e r unter sich w ä r e w ü n s c h e n s w e r t h . Es w ä r e i m m e r eine B e f ö r d e r u n g der S t a g n a t i o n , dahingegen neues L e b e n in einen jeden Z w e i g der W i s s e n s c h a f t e n k o m m t , wenn er wieder von A n d e r n , und vorzüglich von solchen die sich mit andern Z w e i g e n m e h r a b g e g e b e n h a b e n , aufs neue bearbeitet wird.

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D a r u m lasse keiner sein T a l e n t so b e s t i m m t und äußerlich binden, oder binde es selbst. M ä n n e r von Geist und Fleiß, und denen das G e s c h ä f t w e r t h und lieb ist, welches sie a u f der Universität t r e i b e n , k ö n n e n unm ö g l i c h in dieser H i n s i c h t eines äußerlichen Gesezes bedürfen; sie h a b e n in sich was sie t r e i b t so viel zu thun als sie k ö n n e n , und sie müssen sich selbst ihr G e s e z sein. A u c h ist dies natürlich viel zu eigenthümlich, um

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von einem A n d e r n oder im Allgemeinen | gegeben zu w e r d e n , da es so genau von d e m Verhältniß des L e h r e r s zu seinen Schülern a b h ä n g t . J e fester diese i h m a n h a n g e n , je m e h r sie sich in i h r e m wissenschaftlichen Streben allgemein v o n ihm gefördert fühlen, d u r c h ein desto größeres G e b i e t werden sie von ihm w o l l e n geführt sein; je m e h r sie dagegen in ihm nur eine b e s o n d e r e V i r t u o s i t ä t b e w u n d e r n , u m desto weniger werden sie w ü n s c h e n , d a ß er sich aus deren G e b i e t h i n a u s versteige, sondern

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so e t w a s vielmehr mit einer leisen S c h a d e n f r e u d e ansehn.

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Daher ist es auch gewiß mehr schulmäßig als im wahren Geiste der Universität, wenn die Nominalprofessuren zu stark hervortreten. Einem Lehrer vorschreiben, daß er in einem bestimmten Zeiträume dasselbe wieder vortrage, heißt ihm sein Geschäft zuwider machen, und also 5 Schuld sein, daß sein Talent nur desto schneller ablaufe. Auch ist es natürlich, daß wer noch auf andere Weise als auf dem Katheder für die Wissenschaft arbeitet, sich einrichten muß, damit seine Arbeiten sich nicht allzusehr hindern, wenn er anders mit Lust und Interesse vortragen soll, und sich also solchen Geboten unmöglich fügen kann. Freilich sagt 10 man, es müsse doch dafür gesorgt werden, daß in einem solchen | Zeit- 85 räum, als man für einen gewöhnlichen Aufenthalt auf der Universität rechnen kann, alles Wesentliche eines jeden Gebietes wirklich vorkomme. Gewiß richtig! aber ist nur eine gehörige Fülle von Lehrern rechter Art vorhanden, so hat es damit keine Noth. Und sollte es ja; nun 15 wol, so weise man Jedem sein besonderes Fach an, aber nur in so fern, daß wenn innerhalb des bestimmten Zeitraums keiner sich gefunden habe, der es in dem gehörigen Umfang vorgetragen hätte, dieser alsdann 589 dazu verpflichtet sei. Und diese Anweisung sei so wenig rechtlich verclausulirt und so lose als möglich, so daß ohne alle Weitläuftigkeit zwei 20 Lehrer die Gewährleistung welche sie übernommen haben, gegen einander vertauschen können. So wird Jeder seine Freiheit behalten, und das Ganze dadurch nicht vernachlässiget werden, sondern nur gewinnen. J e mehr nun jeder Lehrer auf diese Art seinen Kreis selbst bestimmen und nach Belieben bald erweitern bald verengern kann, um desto 25 mehr söhnt man sich auch aus mit dem so sehr verschrieenen Honorar. Auch dies muß doch wunderbar genug mit dem Geist und Wesen unserer Universitäten zusammenhängen, weil es sich so beständig, troz | mancher spöttischen Ausfälle der neuesten Verfeinerung, erhalten hat, und man kann wol sagen, daß das die schlechtesten Universitäten und die schlech30 testen Parthien jeder Universität sind, wo am meisten das Honorar umgangen wird. Zuerst gehört es zu den wenigen Einrichtungen, worin sich die Universität als aus einer ganz freien Privatvereinigung von Gelehrten entstanden darstellt. Weil dies nun ihre natürlichste und schönste Seite ist, so hat auch gewiß das Verhältniß, sich seinen Unterricht bezahlen zu 35 lassen, nie einem Lehrer, der es nicht selbst durch niedrige Gesinnung entweihte, in der Achtung der Jünglinge geschadet, noch kann es ihm selbst erniedrigend erschienen sein, da es zugleich das Gefühl seiner Abhängigkeit vom Staat verringert. Daher soll sich auch der Staat in dies Verhältniß gar nicht mischen; er soll das Betragen gegen die Aermeren

9—13 Vgl. ζ. B. Erhard: Ueber die Einrichtung und den Zweck der höhern Lehranstalten, S. 180. 184.

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Gelegentliche

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dem guten Ton der Lehrer überlassen. Will er vorschreiben, was oder wie oft Jeder auch unentgeldlich vortragen soll: so mahnt dies an die schlechtesten Einrichtungen kleiner Schulen, wo das gemeinere öffentlich und das seltnere und höhere in Privatstunden zu lernen ist. Viel besser 87 werden die Lehrer selbst finden, was sich von Zeit zu Zeit dazu | eignet, ein solches Gastmahl für eine auserlesene Anzahl zu sein. 590 Hieher gehören denn auch die Seminarien, welche mit den meisten Facultäten, der medicinischen, der theologischen, und der philologischen Section der philosophischen verbunden zu sein pflegen, und fast überall als eigene Anstalten erscheinen, welche ganz besonders vom Staate gestiftet und begünstiget sind. Die Lehrer, welche ihnen vorstehen, werden dafür noch besonders besoldet, und größtentheils (nur in den klinischen Anstalten der Mediciner ist es nicht üblich) genießen auch die Jünglinge, welche daran Theil nehmen, namhafte Vortheile. Es ist schon oben erwähnt, daß diese Seminarien dasjenige sind, wodurch sich die Universität der Akademie nähert, und daß die eignen darstellenden Versuche, die ins Einzelne gehenden Studien und Untersuchungen der Jünglinge darin sollen geleitet werden. Daher der innerste Kreis der reinen Philosophie auch nichts von dieser Art aufzuzeigen hat, sondern für ihn die Stelle jener Anstalten eigentlich die Disputirübungen vertreten sollten, welche den Zwekk haben, sich in den philosophischen Principien und in den allgemeinen Ansichten recht festzusezen. Die Seminarien aber schließen 88 sich an die Disciplinen an, welche | mehr in das Besondere gehen, und sind dasjenige Zusammensein der Lehrer und Schüler, worin die lezteren schon als producirend auftreten, und die Lehrer nicht sowol unmittelbar mittheilen, als nur diese Production leiten unterstüzen und beurtheilen. Daß in den Seminarien Höheres, als im gewöhnlichen Laufe der Vorlesungen vorkommt, unmittelbar gelehrt werden soll, ist nothwendig eine ganz falsche Ansicht. Denn auf alles unmittelbare Lehren haben auf der Universität Alle ein gleiches Recht; die Seminarien sind aber ihrer Natur nach immer nur für einen Ausschuß bestimmt. Zwischen ihnen und den Vorlesungen liegen noch die Conversatorien, in welchen die Reaction des Jünglings zuerst dem Lehrer sichtbar wird; er unterscheidet das minder faßlich vorgetragene, und giebt es dem Lehrer zur Umarbeitung und Erläuterung zurükk; er bringt Zweifel und Einwendungen vor, um sie 591 sich lösen zu lassen. Diese fast wesentliche Form fehlt freilich häufig genug, aber die Lükke muß gewiß sehr fühlbar werden, wo sich nicht etwa eine solche freiere Vereinigung mit in den Seminarien verstekt. Schon bei dieser mehr gegenseitigen Mittheilung erscheinen gewiß nur diejenigen, in welchen der wissenschaftliche Geist sich wirklich regt. Na-

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türlich ergiebt sich hier Gelegenheit genug, den Jünglingen Arbeiten an- 89 zuweisen, und sie zu Untersuchungen aufzufordern, wodurch sie mehr Licht in einzelne Gegenden ihres Wissens bringen, und die Nebel, von denen sie umfangen sind, zerstreuen, oder die Unbeholfenheit in ihren 5 geistigen Thätigkeiten, welche sie drükt, überwinden können. Nur die ernsteren, hinlänglicher Kräfte sich bewußten, werden den anstrengungsvollen Weg nicht scheuen; und wenn sie das Bedürfniß fühlen, auch auf diesem die Gemeinschaft mit dem Lehrer fortzusezen, so ist das Seminarium gemacht. Eigentlich also muß jedem Lehrer, welchem es gelingt, 10 eine Anzahl der Jünglinge seines Faches näher an sich zu ziehn, diese Leitung ihrer eignen Arbeiten von ihnen selbst übertragen werden, jeder muß sich sein Seminarium selbst bilden. Diesem natürlichen Gange tritt der Staat in den Weg, wenn er für jede Facultät Ein Seminarium stiftet, und dieses mit besonderen Begünstigungen Einem Lehrer überträgt. 15 D a r a n , daß der Staat gewöhnlich auf Lebenszeit verleiht, und daß auch wenn er eine solche Anstalt zuerst stiftet, doch die in Deutschland so sehr herrschende Achtung für das Alter sie dem ältesten übertragen wird, der zu einem solchen näheren persönlichen Verkehr mit der Jugend, wenn alles | übrige gleich gesezt wird, der Regel nach der minder ge- 90 20 schikte ist, daran wollen wir nicht einmal denken; das größte und sichtbarste Uebel ist, daß wenn Ein Lehrer mit solchen Begünstigungen versehen ist, der Antheil an den eignen Arbeiten der Jünglinge dadurch ein M o n o p o l wird, und die andern außer Stand gesezt werden, ihr Verhältniß zu den Jünglingen zur Vollendung zu bringen, und so viel zu nuzen 25 als sie könnten. Eben so wenn der Staat eine bestimmte Anzahl von 592 Studirenden, oft schon bald nach ihrer Ankunft auf der Universität, als Seminaristen begünstiget: so zieht er nicht nur die Jünglinge auf eine unreine Art zu dem Lehrer ausschließend hin, der diese Begünstigungen zu vertheilen hat; sondern er verfällt auch in den so allgemein dafür 30 anerkannten Fehler, reine Aufmunterungen, die nur selten wirklich aufmuntern, Belohnungen, ehe noch etwas geschehen ist, zu vertheilen. Auf diese Art sollte es wol keine Seminarien geben, sondern der Staat sollte die Unterstüzungen, welche er jeder Facultät zu diesem Behuf bestimmt hat, gemeinsam niederlegen, und jeder Lehrer, welcher einen Kreis von 35 engeren Schülern zu eignen, wahrhaft wissenschaftlichen Arbeiten, unter sich vereinigen will und kann, müßte den tüchtigsten unter | ihnen einen 91 Theil davon können zufließen lassen. Nur wenn der traurige Fall eintreten sollte, daß kein Lehrer von selbst, und ohne eine besondere Belohnung, Beruf hierzu fühlte, müßte die gesammte Anstalt oder der Staat 40 zutreten. Vielleicht sind die bestehenden Seminarien zum Theil auf diese Art, zum Theil aus dieser Voraussezung entstanden; auf jeden Fall aber müßte das M o n o p o l in demselben Augenblikk aufgehoben werden, w o sich ein anderer Concurrent zu diesem Geschäft findet.

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N a c h ähnlichen G r u n d s ä z e n , d a ß n e m l i c h der S t a a t nie A u f m u n t e rungen und W o h l t h a t e n vertheilen soll, sondern nur B e l o h n u n g e n und E h r e n z e i c h e n , m u ß a u c h das g a n z e Stipendienwesen beurtheilt, und a u f seinen ursprünglichen Z w e k k zurükgeführt werden, da es nur durch die allmählig eingerissene Weichlichkeit in ein B e n e f i c i e n w e s e n ist v e r w a n delt w o r d e n . D e r Student müsse k e i n e andere Stipendien m i t b r i n g e n , als die er a u f der Schule schon verdient h a t , und diese müssen nur so lange dauern, bis er sich a u f der Universität neue verdienen k a n n , d a m i t er nicht, o h n e d a ß es b e m e r k t und g e a h n d e t werde, aus einem treflichen Schüler ein schlechter Student w e r d e . Alle Unterstüzungen müssen nur dem geprüften, und für ausgezeichnet | e r k a n n t e n , ertheilt werden, und ein E h r e n z e i c h e n begleite sie, so d a ß sich der R e i c h e e b e n so w o l d a r u m b e w e r b e als der A r m e , und nur den Vortheil d a v o n einem Andern gern überlasse. N u r so wird der ursprüngliche Z w e k k erreicht, und D e m ü t h i gungen und Unterscheidungen vermieden, w e l c h e nirgend weniger an ihrer Stelle sind als a u f der Universität. Alles dies sezt freilich v o r a u s , d a ß die L e h r e r der Universität sind wie sie sein sollen. Allein w i e k ö n n t e m a n a u c h eine andere Voraussezung als diese bei den wesentlichsten E i n r i c h t u n g e n zum G r u n d e legen? Es m a g vielleicht andere D i n g e g e b e n , w e l c h e gedeihen k ö n n e n , w e n n a u c h diejenigen, die d a r a n a r b e i t e n , nur durch einen ä u ß e r n Z w a n g gehalten und getrieben werden; dieses W e r k a b e r nicht, sondern es k a n n nur durch L u s t und L i e b e b e s t e h e n , und w a s o h n e diese a u c h die vortreflichsten äußeren G e b o t e und S t a t u t e n thun k ö n n e n , k a n n i m m e r nur ein leerer Schein werden. Wer sich die A u f g a b e sezt, eine Universität so einzurichten, d a ß sie gehen und D i e n s t e leisten m ü ß t e , w e n n auch die L e h r e r k a u m m i t t e l m ä ß i g w ä r e n , und nicht v o m besten W i l l e n , der unt e r n i m m t ein t h ö r i c h t D i n g . D e n n w a s für den Geist sein und ihn k r ä f t i gen soll, das m u ß a u c h aus der K r a f t des Geistes h e r v o r g e h e n . | D a r u m ist nun freilich die erste S o r g e die, wie b e k o m m t m a n L e h rer, w e l c h e den rechten Sinn h a b e n , und welchen alle die nöthigen K r ä f t e mit g r o ß e m G e s c h i k k zu G e b o t e stehen? W i r h a b e n die wesentlichsten Z w e i g e der Universität b e t r a c h t e t ; a b e r wie erneuern sie sich nun in jedem v o r k o m m e n d e n Fall a m besten? D i e E r f a h r u n g scheint zu verrathen, d a ß gerade dieser wichtige P u n k t n o c h nicht a u f eine der Idee und dem Wesen des G a n z e n angemessene Art ist eingerichtet gewesen. E s finden sich überall der M i ß g r i f f e zu viele, als d a ß m a n dies glauben k ö n n t e ; und m a n d a r f nicht a n n e h m e n , d a ß die A n z a h l tauglicher M ä n ner zu diesem G e s c h ä f t so gering w ä r e , als die A n z a h l treflicher L e h r e r wirklich ist; ja es lassen sich ganze Perioden unterscheiden, w o eine Universität mit fast lauter ausgezeichneten, und andere w o sie mit minder als m i t t e l m ä ß i g e n M ä n n e r n besezt ist. D i e s scheint seinen G r u n d darin zu h a b e n , d a ß die Regierung die S o r g e für die Besezung dieser Ä m t e r

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gewöhnlich Einem bedeutenden Staatsmanne überläßt. H a t dieser das rechte Talent und den wahren Eifer für die Sache, so wird es ihm nicht fehlen vortrefliche Männer zusammenzubringen; folgt ihm ein anderer Uebelgewählter, so werden auch dessen schlechte | Wahlen allmählig statt jener treflichen eine Reihe von unbedeutenden Männern aufstellen. Ja es ist zu besorgen, daß nur in einem kleinen Staate, der unmöglich die Universität als für seine Bedürfnisse daseiend ansehen kann, der Aufsicht führende Staatsmann lediglich auf die wissenschaftliche Qualität sehen wird; je größer aber der Staat, desto mehr wird er sich verleiten lassen durch die so allgemeine herrschende Ansicht, und den talentvollsten Gelehrten, denen es aber um die Wissenschaft selbst zu thun ist, solche Männer vorziehn, welche sich als Freunde und Meister in der Kunst gezeigt haben, die Wißbegierde der Jünglinge nur zum vermeinten Besten des Staats zu bearbeiten. Sollte man also nicht dieser so schwer zu vermeidenden falschen Richtung, und jener für das Gedeihen der Universität so üblen Veränderlichkeit derselben zuvorzukommen suchen, indem man die Besezung der Lehrstellen weniger von Einer Person abhängig machte? Spricht nicht die Natur der Sache dafür, daß wenn die Wissenschaft nicht untergehn soll, an der Wahl ihrer eigentlichsten Erhalter und Fortpflanzer auch der wissenschaftliche Verein einen bedeutenden Antheil nehmen müsse? | Man sagt freilich, der Curator der Universitäten sei ja nothwendig immer ein wissenschaftlich gebildeter Mann, und nicht minder diejenigen, welche ihm zunächst an die Hand gehen, Mitglieder gewöhnlich des höchsten Kirchenraths oder Schulrathes; allein hier tritt nun die Besorgniß ein, daß diese Alle je länger je mehr sich vorzüglich als Staatsdiener betrachten werden, und der Wunsch, daß der Antheil des wissenschaftlichen Vereins an dieser Angelegenheit bestimmter und abgesonderter von dem des Staates hervortreten möge. Auch darauf kann man freilich erwiedern, es stehe jeder Universität frei, diese Wahl dem Wesentlichen nach ganz in ihre eignen Hände zu bringen und sich aus sich selbst zu erneuern. Denn sie könne aus ihren eigenen Zöglingen Privatdocenten bilden, und wenn diese eine Zeitlang mit Erfolg aufgetreten wären, und sich Verdienste erworben hätten, würde der Staat sie gewiß nicht übergehen; und wenn er es auch thäte, würden sie doch wirksamer sein auf der Universität als die von ihm angestellten Lehrer. Das heißt aber zu wenig aus der Natur der Sache gesprochen. Ein Privatdocent als solcher wird es nie über einen öffentlich sanctionirten Lehrer, auch nicht über einen solchen, der ihm wissenschaftlich weit | nachsteht, davon tragen; bleibt er immer ausgeschlossen von der Theilnahme an der innern Leitung des Ganzen, so muß ihm Muth und Lust vergehen, und er wird sich entweder hinwegbegeben oder sein Talent wird ungenuzt verwelken. Ist also der Staat nicht daran gebunden, solche Männer aufsteigen und einrük-

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ken zu lassen, so ist mit dieser Freiheit des Lehrens wenig gewonnen für die Sache der Wissenschaft. Auf der andern Seite aber wäre es warlich nicht gut, wenn eine Universität sich so ganz aus sich selbst erneuerte, wie es auch sonst keine gedeihlichen Früchte giebt, wenn in einem Boden immer nur der Same ausgestreut wird, den er selbst hervorgebracht hat; oder wie in Familien, die immer nur unter sich verkehren und heirathen, die Manieren sich versteinern und der Geist verschwindet, so würde auch eine solche Universität immer einseitiger werden und trokkener. Eine jede muß vielmehr auf jede Weise auch von den andern auf sich einwirken lassen, und es müsse keiner je an Lehrern fehlen, welche in mehreren wissenschaftlichen Gemeinheiten gelebt haben, um das fremde Gute und die Früchte eines vielseitigen Verkehrs auch den nur daheim erzogenen mitzutheilen. | 97; 596 Die Universität selbst muß freilich am besten wissen was sie bedarf, so oft ihr eine Lükke entsteht, oder sie Gelegenheit bekommt, sich zu erweitern; und da man bei ihren Mitgliedern Bekanntschaft voraussezen darf mit allem was sich merkwürdiges auf dem vaterländischen Gebiete der Wissenschaften regt, so muß sie auch wissen wo sie ihren Bedarf finden kann. Allein leider möchte wol Niemand dafür stimmen, ihr jede Wahl allein zu überlassen; die Universitäten sind im Ganzen so berüchtiget wegen eines Geistes kleinlicher Intrigue, daß wol jeder bei einer solchen Einrichtung von der Parteisucht, von den in literarischen Fehden gereizten Leidenschaften, von den persönlichen Verbindungen, die nachtheiligsten Folgen befürchten wird. Der Regierung und ihren Repräsentanten, denen freilich diese Versuchungen ganz fremd sind, fehlt dagegen als solchen gar Vieles was zur richtigen Beurtheilung gehört, und auch wenn sie schon erworbenen Ruhm zum M a a ß s t a b nehmen, werden sie sich oft irren. Am meisten Schwierigkeit scheinen in beider Hinsicht zu verursachen die Lehrstellen der reinen Philosophie. Denn dieses Gebiet liegt dem Staate am entferntesten, und am wunderlichsten müßte es ihm selbst 98 vorkommen, wenn er entscheiden sollte, wer | nun der ächteste Philosoph sei, der am meisten begünstiget und hervorgezogen zu werden verdiene. Auch giebt es nichts verhaßteres auf diesem Gebiete, nichts was gutes Vernehmen und gegenseitiges Vertrauen so sehr schwächen muß, als wenn eine Regierung Partei nimmt in Sachen der Philosophie, indem sie eines oder das andere der streitenden Systeme ausschließt oder zurüksezt. Auf der andern Seite aber sind die Universitäten selbst immer der Kampfplaz, w o am heftigsten, und bisweilen bis zur Vernichtung, dieser Streit der Systeme geführt wird, so daß man, wenn ihnen selbst die EntScheidung überlassen wäre, die heftigsten Bewegungen fürchten müßte. Hier scheint kaum eine andere Hülfe zu sein, als eben in jener Freiheit des Lehrens. Wer sich Bahn macht, dem vergönne man R a u m ; wem es

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gelingt, nachdem er sich in der gehörigen Form auf einer Universität niedergelassen, den größten Beifall zu erwerben und zu bewahren, und 597 das Talent zur Speculation aufzuregen, den bekleide man mit dem Charakter des öffentlichen Lehrers ohne Rüksicht auf sein System, ja selbst 5 ohne Scheu vor den Streitigkeiten, die unter gewissen Umständen auf diesem Gebiet einmal nicht zu vermeiden sind. Nur hafte kein öffentlicher Flekk auf seinem sittlichen | Ruf, nur sei zugleich von ihm bekannt, 99 daß er auch irgend ein Feld des realen Wissens bearbeitet. Vielleicht ist dies das einzige Gebiet, wo ein Melden, ein Ansuchen um die öffentliche 10 Lehrerstelle von Seiten der Concurrenten statt finden dürfte, und die Entscheidung zwischen mehreren fast gleich qualificirten überließe vielleicht der Curator am besten derjenigen Klasse der National-Akademie, welche am wenigsten in die Streitigkeiten der Parteien verflochten zu sein und den reinsten Sinn für jedes Talent an sich zu haben pflegt, 15 nemlich der philologischen. Auf jedem andern Gebiet scheint es weniger schwierig zu sein, wie sich am besten der Staat und der wissenschaftliche Verein in das Geschäft der Besezung zu theilen haben. Für Stellen, an denen das Interesse des Staates als solchen sich unmittelbar ausspricht, möge der Curator 20 vorschlagen, mit Zuziehung derjenigen Mitglieder des ihm zugeordneten höchsten Studienrathes, welche auf diesem Gebiet die höchsten gelehrten Würden erworben haben — denn Andere sollten nie eine Stimme haben in Sachen der Universitäten — und wählen sollte die Facultät, in welche der Anzustellende eintreten wird mit Zuziehung derjenigen Section der | 25 philosophischen, an welcher ihre Mitglieder Theil haben, oder in welche 100 der Anzustellende auch eintreten will. Für solche Lehrstellen aber, welche den wissenschaftlichen Charakter am strengsten beibehalten, schlage die Universität selbst vor etwa drei, wie sie in der Stimmenmehrheit auf einander gefolgt sind, und unter diesen wähle mit ähnlicher Zuziehung 30 der Curator. Durch eine Einrichtung dieser Art, wie sie sich auch für

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jede Universität eigen modificire, scheint das Gleichgewicht am besten gesichert, und die meisten üblen Einflüsse abgehalten zu werden. Aber wäre es nicht fast eben so nöthig zu fragen, wie kann man sich am besten zur rechten Zeit der treflichen Lehrer wieder entledigen? Warlich, Niemand spielt eine traurigere Rolle als ein Universitätslehrer, der sich als solcher überlebt hat, der dies fühlt, und doch noch genöthigt ist sein Geschäft fortzutreiben, um nicht in einen dürftigen Zustand zu gerathen! Hier sieht man, wie wichtig es einem Staate ist, nur wenig Universitäten zu haben, weil so am besten ein Lehrer während seiner blühendsten Zeit für die spätere einigermaßen sorgen kann, und vor

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Polemik gegen Fichte (vgl. Br. 4, S. 53).

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Gelegentliche

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allem wolbegabte, so daß die Anstalt jedem Verdienten eine ehrenvolle und bequeme | Zurükziehung gewähren könne. Aber eben so wichtig ist gewiß in dieser Hinsicht ein richtiges und freundliches Verhältniß zwischen den Universitäten und der Akademie. Die Gabe der Mittheilung, wie sie der Universitätslehrer haben muß, ist ein zartes Talent, das nur in dem schönsten Zeitpunkte des Lebens sich findet; und wenn sonst Philosophen den rechten natürlichen Anfang und das Ende der Zeugungskraft zu bestimmen sich nicht scheuten, so könnte man auch für dieses Talent wol festsezen, daß es in der Regel zwischen dem fünfundzwanzigsten und dreißigsten Jahre anfängt sich zu entwikkeln, und rasch seiner schönsten Blüthe zueilt, und daß, wer das fünfzigste Jahr zurükgelegt hat, einer schnellen Abnahme desselben entgegensehen kann. Nicht sowol der aus der Wiederholung entstehende Ueberdruß, wie man meint, bewirkt diese Abnahme; eine solche Wirkung hat der wahre geistvolle Lehrer auf einer wohl eingerichteten Universität erst sehr spät zu befürchten: sondern je mehr die Jugend schon einem ganz anderen Zeitalter angehört als der Lehrer, je weniger er sich ihr in Gedanken assimiliren und eine bestimmte Liebe und Freude mit ihr gemein haben kann, um desto mehr muß sich die Neigung und das Geschikk verlieren | sich mit ihr in nähere Verhältnisse einzulassen, und um desto unerfreulicher und unfruchtbarer wird das Geschäft. Wird aber Jemand sagen, wer dieses Talent nicht mehr besize der sei der Wissenschaft abgestorben? und die Akademie würdige sich herab zu einer Verpflegungsanstalt, wenn sie solche Männer unter sich aufnehme? Ist nicht auch in demselben Maaß erst die in einzelnen schwierigen Untersuchungen so oft störende und übereilende Lebhaftigkeit der Fantasie verschwunden, und dagegen die Besonnenheit in ihrer vollen Kraft? Vollbringt nicht eben diese in solchen Jahren noch die herrlichsten Werke? Auch sehnt sich jeder wahrhaft wissenschaftliche Lehrer auf der Universität am meisten in späteren Jahren, je gründlicher er seine Wissenschaft gelehrt hat, um destomehr nach der Muße des Akademikers, um seine Forschungen ruhiger verfolgen und die schönsten Früchte seiner Meditation zur Reife bringen zu können. Auch an solchen pflegt es nicht zu fehlen unter den Universitätslehrern, welche sich zum Geschäftsleben hinneigen wenn ihre Lehrgabe anfängt zu verblühen. Für beide muß es einen ehrenvollen und verfassungsmäßigen Uebergang geben, wenn die Universität nicht in dem Maaß erkranken soll, als | mehrere ihrer Mitglieder anfangen schwach zu werden für ihr Geschäft. Denn sollen sie gedeihen, so muß der Lehrer wie der Schüler eine, nur langsamer, vorübergehende Erscheinung sein. Man sieht leicht, die natürliche Richtung der Universitäten geht dahin, den allmählig vorherrschend gewordenen Einfluß des Staates wie2 8 herrlichsten] herrlichsten

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der in seine natürlichen Grenzen zurükzuweisen, und dagegen immer mehr den Charakter des wissenschaftlichen Vereins in diesen ihm zunächst angehörigen Anstalten hervortreten zu lassen. Dies muß also auch von ihren öffentlichen Handlungen gelten, und von den Formen, unter welchen die Universität oder ihre wesentlichen Glieder, die Facultäten, als ein Ganzes auftreten. Es muß sich allmählig immer genauer trennen, was zum innern häuslichen Leben der Anstalt selbst gehört, von allem wobei sie selbst oder ihre einzelnen Glieder nur als Mitglieder der bür- 600 gerlichen Gesellschaft anzusehen sind. In allem was zu jenem Gebiet sicher gehört, muß die Universität sich frei und unabhängig ihr Hausrecht selbst bilden, und es nach Beschaffenheit der Umstände verändern können; der Staat kann sich dabei keiner Leitung anmaaßen, sondern nur Mitwissenschaft fodern und Aufsicht führen, damit dieses Gebiet nicht überschritten werde. | Nur von den Vortheilen und Besizthümern, 104 welche er verliehen hat, mag er Rechenschaft fordern und verlangen, daß sie durch von ihm dafür anerkannte Sachverständige, aus deren Z a h l aber doch die Universität muß auswählen können, verwaltet werden. Alles übrige ist Vormundschaft, welche nur in der Kindheit der Wissenschaft an ihrer Stelle sein kann, und gegen welche die natürliche Widersezlichkeit um so stärker sein muß, je mehr die Universität ihre Mündigkeit fühlt und zu festen Ansichten und einem gründlichen Stil ihres Lebens gelangt ist. Was aber die Formen betrift, unter welchen sie öffentlich auftritt und ihre Rechte und Ordnungen bildet: so ist die wissenschaftliche Gesinnung unserer Zeit ihrer Natur nach durchaus demokratisch, und das Bewußtsein lebendig, daß alle wissenschaftlichen M ä n n e r dem Geiste nach einander gleich sind, und die Geschäfte eines Jeden gleich wesentlich dem Ganzen angehören. J e mehr also die Verfassung sich frei gestalten kann, um desto demokratischer wird sie sich bilden. Es sei nun, daß eine persönliche Repräsentation aller eigentlichen Mitglieder den öffentlichen Körper constituire, oder ein engerer Ausschuß; der Geist wird immer derselbe sein und auch der Form nach wird ein Ausschuß immer nur | entstehen können durch freie Wahl, um diejenigen 105 in vorzügliche Thätigkeit zu sezen, welche man für die Geschiktesten hält den gemeinsamen Willen Aller zu Tage zu fördern und auszusprechen. Wo ein regierender Ausschuß durch bestimmtere Qualificationen feststehend gebildet wird, da muß sich gewiß auch in andern Dingen die zum Grunde liegende aristokratische Gesinnung mit ihren vielfältigen Nachtheilen offenbaren, vorzüglich durch Tyrannei gegen aufkeimende Verdienste, durch Haschen nach äußerem Ansehen, durch einen ver- 601 schrobenen, unwissenschaftlich vornehmen T o n . Die innere demokratische Gesinnung hindert aber nicht, daß die Verfassung äußerlich eine monarchische Form habe, wie wir sie überall und gewiß zu großem Nuzen der Universitäten finden. Denn diejenigen, welche mit ihr verkehren,

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wenden sich natürlich zunächst an den, von dem die Ausfertigung ausgeht, sei es nun die mündliche oder die schriftliche. Ist dies nun nur ein untergeordneter Beamter, so wird dadurch nur zu sehr eine minder achtungsvolle Behandlung des ganzen Körpers erleichtert. Daher ist es sehr dienlich, daß Einer, der übrigens innerhalb nur der Erste ist unter Gleichen, außerhalb mit der Würde des ganzen Körpers bekleidet, diesen gegen die | Staatsbehörden, gegen die Einzelnen, und vorzüglich auch gegen die Jünglinge repräsentire. Dies ist die wahre Idee eines Rectors der Universität, welcher, um dem demokratischen Charakter des Ganzen nichts zu vergeben, aus dem repräsentirenden Körper und von demselben nach bestimmten Formen und auf eine bestimmte Zeit muß wählbar sein. Wo ihn der Staat aber ernennt, vielleicht auf lange Zeit oder lebenslänglich, vielleicht gar auch innerlich ihn mit größern Vorrechten begabt als nur der Erste zu sein unter Gleichen, da ist schon die wahre wissenschaftliche Freiheit gefährdet, und ein verderbliches Uebergewicht soleher Ansichten zu fürchten, welche die Wissenschaft zum bloßen Dienst des Staates herabwürdigen. Denselben demokratischen Charakter muß auch die Geschäftsführung einer jeden einzelnen Facultät haben. Wo ein Präsidium ist, ist es wechselnd entweder durch Wahl, oder was bei einer kleineren Anzahl natürlicher ist, durch Reihenfolge, und hebt innerhalb die Gleichheit Aller nicht im mindesten auf. Wenn man irgend, sei es dem Lebensalter oder dem Geschäftsalter, oder aus sonst einem Grunde einem Einzelnen einen innern Vorzug einräumt: so muß das Ganze nothwendig den Charakter der Schwächlichkeit bekommen, der dem Alter eigen ist, oder leiden durch die Abhängigkeit von der Beschränktheit eines Einzelnen.

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5. Von den S i t t e n d e r U n i v e r s i t ä t , und v o n d e r A u f s i c h t . Dies ist die größte Klage, welche seit langer Zeit geführt wird über die deutschen Universitäten, daß im Ganzen rohe und allen Umgebenden lästige Sitten, daß eine höchst unordentliche Lebensweise der den Wis-

12—14 Schleiermacher spielt hier wohl auch auf eigene Erfahrungen an der Universität Halle an: Dort war August Hermann Niemeyer 1805 zum Rector perpetuus ernannt worden (und blieb es bis 1816).

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senschaften obliegenden J ü n g l i n g e fast unzertrennlich scheint von ihrer ursprünglichen G e s t a l t und Verfassung, und d a ß aus dem in ihr gegründeten M a n g e l an Aufsicht ü b e r eine bis zum U e b e r m u t h m u t h i g e J u g e n d nicht nur eine M e n g e kleinen Frevels und S t ö r u n g e n der R u h e e n t s t e h e n , sondern a u c h viele von den vortreflichsten E i n r i c h t u n g e n d a d u r c h vergeblich g e m a c h t w e r d e n , und selbst das B e s t e a u f der Universität o h n e Nuzen bleibt: so d a ß m a n zweifeln m ü ß t e , meinen Viele, o b nicht denn o c h wegen dieses Einen P u n k t e s eine U m a r b e i t u n g der ganzen bisherigen F o r m zu w ü n s c h e n w ä r e . | Alles durcheinander, w a s den G e g e n s t a n d dieser B e s c h u l d i g u n g aus-

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m a c h t , ist unter dem N a m e n der a k a d e m i s c h e n Freiheit b e k a n n t und verschrieen, von den M e i s t e n gefürchtet, w e n n es in ihre N ä h e k o m m e n sollte, und der B e s c h r e i b u n g n a c h g e h a ß t von denen, die sie nicht k e n nen, oder die vergeßlich und u n d a n k b a r sind gegen ihre J u g e n d , Vielen a b e r eine erfreuliche und a n m u t h i g e E r i n n e r u n g an die reichste und k r ä f tigste Z e i t des L e b e n s , und Wenigen, w e l c h e in den Z u s a m m e n h a n g eingeweiht sind, ein interessanter G e g e n s t a n d , und die dabei v o r k o m m e n den Schwierigkeiten zu lösen eine wichtige A u f g a b e . Sie h a t zwei Seiten, diese Freiheit der S t u d e n t e n , w e l c h e wir abgesondert b e t r a c h t e n w o l l e n . D i e eine ist die Freiheit, w e l c h e sie in Vergleich mit der Schule, von der sie h e r k o m m e n , a u f der Universität genieß e n , in Bezug v o r n e m l i c h a u f ihre geistigen B e s c h ä f t i g u n g e n . Sie sind dabei keiner Art des Z w a n g e s u n t e r w o r f e n ; nirgends werden sie hingetrieben und nichts ist ihnen verschlossen. N i e m a n d befiehlt ihnen diese o d e r jene L e h r s t u n d e n zu b e s u c h e n ; n i e m a n d k a n n ihnen V o r w ü r f e m a c h e n , w e n n sie es nachlässig thun oder unterlassen. U e b e r alle ihre B e schäftigungen giebt es keine Aufsicht, | als nur so viel sie selbst einem L e h r e r freiwillig ü b e r t r a g e n . Sie wissen w a s von ihnen g e f o r d e r t wird, w e n n sie die Universität verlassen, und w a s für Prüfungen ihnen d a n n bevorstehen; aber mit w e l c h e m E i f e r sie nun diesem Z i e l e n t g e g e n a r b e i ten w o l l e n , und wie g l e i c h f ö r m i g oder ungleich ihn vertheilen, das bleibt ganz ihnen selbst anheimgestellt. M a n sorgt dafür, d a ß es ihnen an H ü l f s m i t t e l n nicht fehle, u m i m m e r tiefer in ihr S t u d i u m einzudringen; wie gut o d e r schlecht sie sie a b e r benuzen, d a r ü b e r zieht sie, wenn es auch b e m e r k t wird, wenigstens n i e m a n d u n m i t t e l b a r zur R e c h e n s c h a f t . So h a b e n sie also volle Freiheit sich der T r ä g h e i t zu überlassen und den nichtswürdigen Z e r s t r e u u n g e n , und k ö n n e n a n s t a t t eines l ö b l i c h e n Fleißes die s c h ö n s t e Z e i t ihres L e b e n s u n v e r a n t w o r t l i c h v e r s c h w e n d e n . U n d was für ein g r o ß e r S c h a d e ist es nicht, meint m a n , w e n n a u f diese A r t viele J ü n g l i n g e o h n e bedeutenden Nuzen von der Universität z u r ü k k e h ren, da sie allerdings viel würden gelernt h a b e n , w e n n sie in besserer Z u c h t und O r d n u n g w ä r e n gehalten w o r d e n , und einem h e i l s a m e n Z w a n g u n t e r w o r f e n gewesen.

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Allerdings würden M a n c h e mehr lernen auf diese Art: allein man vergißt, daß das Lernen an | und für sich, wie es auch sei, nicht der Z w e k k der Universität ist, sondern das Erkennen; daß dort nicht das G e d ä c h t n i ß angefüllt, auch nicht b l o ß der Verstand soll bereichert werden, sondern daß ein ganz neues Leben, daß ein höherer, der wahrhaft wissenschaftliche Geist soll erregt werden, wenn er anders k a n n , in den Jünglingen. Dieses aber gelingt nun einmal nicht im Z w a n g ; sondern der Versuch kann nur angestellt werden in der Temperatur einer völligen Freiheit des Geistes, schon an und für sich, vornemlich aber unter Deutschen und mit Deutschen. So wie nur durch Liebe und Glauben, und dadurch daß man ihn empfänglich a n n i m m t für beides, der Mensch kann unter das Gesez der Liebe und des Glaubens gebracht werden, nicht durch irgend eine G e w a l t oder durch einen Z w a n g äußerer Uebungen; so auch zur Wissenschaft und zum Erkennen, welches ihn befreit v o m Dienst jeder Autorität, kann er nur k o m m e n , indem man lediglich durch die Erkenntniß und durch kein anderes Mittel auf ihn wirkt, indem man schon die Kraft in ihm voraussezt, welche ihn entbindet irgend einer Autorität zu dienen, als nur in so fern sie sein eignes Erkennen wird, und also aufhört Autorität zu sein. Und nun wir Deutsche noch | besonders, wir geschworenen Verehrer der Freiheit nicht nur, sondern der Eigenthümlichkeit eines J e d e n , die wir nie etwas gehalten haben von einer allgemeinen Form und N o r m des Wissens wie des Glaubens, noch von einer einzigen unfehlbaren M e t h o d e dazu zu gelangen für Alle, wie k ö n n e n wir anders als annehmen, daß dieser höhere Geist des Erkennens in J e d e m auf eine eigene Weise hervorbreche? wie können wir anders als annehmen und durch unsre Einrichtungen darthun, daß dieser Prozeß durchaus auf keine mechanische Weise könne gehandhabt werden, sondern einen ganz entgegengesezten Charakter, nemlich den der Freiheit, in allen seinen Theilen an sich tragen müsse? D a r u m können wir alles was dazu gehört nicht anders als höchst zart behandeln; darum sind wir überzeugt es müsse J e d e m von den Anleitungen die dazu führen eine große Mannigfaltigkeit dargeboten werden, und versezen eben darum alle, denen wir zum Erkennen verhelfen wollen, in eine so große Gemeinschaft der geistigen Anregungen aller Art; darum sezen wir voraus, J e d e r müsse am besten wissen, wie viel von diesen Anregungen er vertragen und sich aneignen könne; darum wollen wir gern R a u m lassen Allem

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was J e d e m von innen | k o m m t , als den ersten Spuren und Andeutungen dessen was wir zu erreichen streben, und wollen Keinen darin beschränken, wie er beides mit einander mische und sich in jedes vertiefe; darum lassen wir J e d e n , soviel es in einer Gemeinschaft möglich ist, auswählen 40 die schönsten und kräftigsten Stunden, und ihn die anderen nuzen wie er will und kann.

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So hängt dieser Theil der studentischen Freiheit innig zusammen mit unserer nationalen Ansicht von der Würde der Wissenschaft, und es müßte uns unmöglich sein, diejenigen anders zu behandeln, welche wir für bestimmt halten Wissende zu werden. Guter Rath darf nicht fehlen, und die Einrichtung der Universitäten giebt Veranlassung genug ihn zu ertheilen; aber auch die mindeste Spur von Zwang, jede noch so leise bewußte Einwirkung einer äußeren Autorität ist verderblich. Bei einer mechanischen schulmäßigen Einrichtung würde es ein Wunder sein, gesezt auch die Lehrer wären alle vortreflich, und alles übrige ebenfalls, wenn diejenigen, die wirklich fähig sind zur Erkenntniß zu kommen, auf der Universität und durch sie dazu gelangten; denn je mehr sich der Geist der Wissenschaft regt, desto mehr wird sich auch der Geist der Freiheit | regen, und sie werden sich nur in Opposition stellen gegen die 113 ihnen zugemuthete Dienstbarkeit. Und diejenigen, welche die Natur für die Wissenschaft bestimmt hat, sind doch die würdigsten die eigentlichsten Glieder der Universität; alles ist um ihretwillen da, alles muß sich auf sie beziehen, und nichts darf gelitten werden, was ihnen schlechthin zuwider sein müßte. Wir haben freilich gesehn, daß die größere Anzahl immer aus solchen bestehen wird, welche nicht bestimmt sind in das Innerste der Wissenschaft einzudringen; aber eben so auch, daß es in dem Geiste der Universität liegt, keinen äußeren Unterschied in der Behandlung beider festzusezen, sondern von der Voraussezung auszugehn, als würden Alle sich zu jener Höhe erheben lassen. Darum müssen Alle sich dieser Freiheit erfreuen, und hievon ist um so weniger etwas nachzulassen, da ja gar nicht folgt, daß diejenigen, die freilich nicht den rechten Nuzen aus 606 ihr ziehen, sie deshalb mißbrauchen müssen als eine Lokkung zur Trägheit und Zerstreuung. Ist doch auf jeder Universität bei weitem die größte die Anzahl der gar nicht genialischen oder sich eigenthümlich und auszeichnend entwikkelnden, aber doch treuen und fleißigen Jünglinge. Und das ist | auch ganz natürlich. Denn diejenigen, in welchen 114 sich keine höhere Kraft regt, und oft wild und verworren genug äußert, ehe sie aus der Gährung in die Klarheit des Bewußtseins übergeht, diese sind desto lenksamer durch alles was ihnen edel erscheint. Auf sie ist zu wirken durch die Macht der Liebe und der Ehre, in ihnen ist lebendig zu erhalten die Anhänglichkeit an das Haus, an den Staat, an den Beruf den sie sich vorgesezt haben, an alles was Gesez und Ordnung heißt. Wenn also Eltern und Pfleger Jünglinge zur Universität senden, in denen sie den Genius vermissen, welcher die Freiheit schlechthin fodert; so mögen sie nur dafür sorgen, sie hinzusenden aufs festeste gebunden durch alle diese schönen Bande. Die Universität kommt ihnen ja auf alle Weise zu Hülfe. Sie bietet religiöse Anstalten dar, welche nicht etwa nur um dieser untergeordneten Glieder willen, sondern eben so sehr auch für die

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edelsten und treflichsten, um die Wissenschaft und die innerste Kraft des sittlichen Lebens auf das festeste zu binden, nirgends fehlen sollten; sie vergegenwärtiget in den Entlassungen derer, welche die öffentlichen Zeugnisse ihrer fortgeschrittenen Bildung ausstellen, die Zeit, wo Jeder 115 anfängt zu erndten, was er gesäet hat; sie besizt | eben in ihren Seminarien, ihren Preisaufgaben, ihren dargebotenen Belohnungen und Ehrenzeichen sehr kräftige Ermunterungen zum Fleiß und Erwekkungen der Ehrliebe. Giebt es aber auf der Universität Jünglinge, welche weder durch diese Mittel zu einem regelmäßigen Studium zu bringen sind, noch Kraft jener Freiheit selbst, und der durch sie sich entwikkelnden innern Lust und Liebe, zur Wissenschaft unmittelbar, den dargebotenen Unter607 rieht nuzen: so sind dies unstreitig solche, welche gar nicht auf eine Universität, und gar nicht, auch nicht als treue Arbeiter in das Gebiet der Wissenschaft gehören, welche entweder ganz abgeneigt sind der Erkenntniß, oder gar auch einer niedrigen Denkungsart hingegeben. D a ß sich dies eher zeigt in diesem Reiche der Freiheit und vielleicht schneller die Oberhand gewinnt, das ist weder für sie selbst, für ihre Sittlichkeit und ihren persönlichen Werth, noch auch für die Gesellschaft ein Verlust zu nennen, welche es lieber darauf wagen muß, daß solche die schon einen unrichtigen Weg eingeschlagen hatten, die Zeit verlieren, oder eiliger in ihr Verderben gehn, als daß sie denen, auf welchen ihre schönsten Hofnungen ruhen, das Mittel entziehen sollte, diese wirklich zu erfüllen. 116 Mögen diejenigen zusehn, | welche ihre Pflegebefohlenen in diesen reichen und üppigen Boden verpflanzen, wo freilich ganz umkommt, was seiner nicht bedurft hätte, um zu gedeihen! Die Freiheit aber mit jedem den Versuch zu machen, wie er ihm zusagt, darf weder der Staat noch der wissenschaftliche Körper beschränken. Wenn der lezte schon auf den gelehrten Schulen über der angehenden Jünglinge geistigen Zustand Gutachten ausstellt, welche ihren Pflegern als Rath und Wink dienen können; wenn der erstere die gesezliche Nothwendigkeit die Universität besucht zu haben nicht über die Gebühr auch auf solche Geschäfte ausdehnt, die mit der Wissenschaft gar nicht zusammenhängen; wenn er das Vorurtheil nicht beschüzt, als seien die Universitäten das einzige Mittel um zu einem gewissen sehr mäßigen Grade einer ziemlich oberflächlichen geistigen Bildung zu gelangen: so ist alles geschehen was geschehen konnte, um diejenigen vor der Universität zu bewahren, denen sie verderblich sein muß. Doch betrachten wir nun auch die andere Seite der studentischen Freiheit. Diese nemlich ist Freiheit in Vergleich mit dem Zustande, welcher auf die Universität folgt, wenn Jeder in die bürgerlichen und in

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die gewöhnlichen geselligen Verhältnisse eintritt. Das Wesentliche dieser 117 Freiheit recht zu fassen ist eigentlich nicht leicht. Der eigene Gerichts- 608 stand ist wol nur ein sehr weniges oder gar nichts davon. Auch kann man nicht sagen, daß den Studenten etwa Vergehungen gegen die Geseze nachgesehen würden, welche in andern Verhältnissen der Strafe nicht entgehen könnten. Vielmehr genießen sie hierunter keiner andern Begünstigungen, als welcher sich die Jugend überhaupt erfreut, ja sie sind noch Strafen ausgesezt, welche härter sind als alle sonst gewöhnlichen, weil sie, wenigstens der Absicht des Gesezes nach, einen entscheidenden Einfluß auf die künftige Lebenszeit haben. Eben so wenig ist die Sache in andern bestimmten Vorrechten zu suchen, welche die Studenten als ein eigen privilegirter Stand genössen. Genau genommen möchte das Wesen dieser Freiheit nur darin bestehen, daß die Studenten unter sich von fast alle dem sich frei halten, was sonst in der Gesellschaft Convenienz ist, daß sie sich an die Sitten nicht binden, denen hernach Jeder in dem Stande, welchen er wählet, sich fügen muß, sondern daß sich auf der Universität die verschiedensten Sitten und Lebensweisen auf das freieste entfalten können. Auf der Straße leben und wohnen auf antike Art; sie mit Musik | und Gesang, oft ziemlich rohem, erfüllen, wie die Südländer; 118 schlemmen, wie der Reichste so lange es gehen kann, oder einer Menge von gewohnten Bequemlichkeiten bis zu cynischer Unordnung entsagen wie der Aermste, ohne eines von beiden zu sein; die Kleidung aufs sorgloseste vernachlässigen, oder mit zierkünstlerischer Aufmerksamkeit eigent ü m l i c h daran Schnörkeln; eigne Sprachbildung, eigene geräuschvolle Arten Beifall oder Tadel zu äußern, und ein vorzüglich auf diese ungestörte Mannigfaltigkeit sich beziehender, gewissermaßen öffentlich eingestandener und gestatteter Gemeingeist, dies ist unstreitig das Wesen der studentischen Freiheit, und alles was sich sonst noch daran hängt nur zufällig.

So die Sache angesehen, möchte man fast zuerst fragen, warum denn diese Freiheit so übel berüchtiget ist, und warum es sie denn nicht geben soll? Die kleinen Unordnungen und die Verschwendung väterlicher 609 Güter, welche daraus in einzelnen Fällen entstehen, sind Kleinigkeit gegen das was die Jugend der begüterten Stände, auch ohne alle Universität 35 in andern Verhältnissen ausübt. Die kleinen Unbequemlichkeiten, welche den Einwohnern eines Universitätsortes daraus erwachsen, müssen eben als ein lokales Uebel angesehen werden, deren | eines oder das andere es 119 doch überall giebt, und nachtheiligen Folgen dieser Art vorzubeugen ist eine Aufgabe theils für die Polizei, theils für den Einfluß, welchen sich 40 Lehrer und Vorgesezte müssen zu erwerben suchen. Wenn doch diese Freiheit sich so von selbst bildet, daß sie von dem innersten Geiste der Universität unzertrennlich zu sein scheint; wenn doch hier die Mannigfaltigkeit und Eigenthümlichkeit der Sitten um so stärker heraustritt, als

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in anderen Ständen die Gleichförmigkeit und Charakterlosigkeit überhand nimmt: so scheint sie ja ein heilsames Gegengewicht, welches man müßte gewähren lassen, wenn nicht die wichtigsten Gründe entgegenstehn. M a n nehme hinzu, daß in der Art, wie die meisten Menschen sich eingestanden ungern den lästigen Formen fügen, wie die niedern Stände den höhern schmeicheln und sich schmiegen, diese Jünglinge, welche die Wahrheit und das Wesen der Dinge und des Lebens suchen, zunächst nichts anderes sehen können, als Feigherzigkeit, Trägheit, niedrigen Eigennuz. Soll man ihnen nicht vergönnen hiegegen den Einspruch so stark und so praktisch als möglich auszudrükken. D o c h es ist warlich auch sehr leicht einzusehen, warum diese Freiheit statt finden muß, und daß sie | Beziehungen von der größten Wichtigkeit hat. Im allgemeinen ist die Zeit, wo der Mensch sein besonderes Talent unterscheiden lernt, wo er sich seinen Beruf bildet, und aus dem Zustande des persönlichen Unterworfenseins, des Gehorsams, in ein selbstständiges Dasein übergeht, zugleich auch die, wo sein Charakter sich festsezt, wo sein Gemüth eine bestimmte Richtung nimmt, und ein bleibendes Verhältniß von Neigungen sich entwikkelt. D a ß also hier der Uebergang zur Selbstständigkeit, daß das Werden des Lebens durch freie Wahl sich auch äußerlich ausprägt, ist natürlich, und es zeigt sich dies auch mehr oder weniger in allen Verhältnissen. Bei denenjenigen aber, die sich der Erkenntniß ergeben haben, soll ja diese Entwiklung nicht nur die eigenthümlichste sein, weil sie sonst auf einer niedrigeren Stuffe zurükbliebe als ihrem Streben nach Erkenntniß ziemt; sondern sie muß auch, damit nicht das alte abgedroschene sich bewähre, daß die Gelehrtesten am wenigsten sehen was vor den Füßen liegt, ebenfalls eine Sache des Erkennens sein, sie müssen sich selbst wie sie werden auf das bestimmteste finden. Darum eben sorgt man sie aus der Familie zu entfernen, damit nicht das Gemeinsame derselben die persönliche Eigenthümlich|keit zu überwältigen scheine; darum hält man sie noch zurück von der Verbindung mit dem Staate, damit sie dieser großen Gewalt nicht eher anheimfallen, bis sie ihr eigenthümliches Dasein, so wie es einem Erkennenden geziemt, festgestellt haben. Dies alles aber würde umsonst sein, wenn sie sich nicht eine Zeitlang in einer Lage befänden, wo sie ganz ihrem eigenen sittlichen Gefühl überlassen sind, w o nichts bloß Aeußeres, wie eine in der Gesellschaft, welcher sie noch nicht angehören, gebildete Schiklichkeit für sie allerdings wäre, ihre Neigungen zurükhält, wo sie jede Weise und Ordnung des Lebens versuchen und sehen können, wie mächtig jede Lust und Liebe in ihnen zu werden vermag. Dadurch allein werden sie fähig in der Folge ihre Stellung und ihre Lebensweise richtig zu wählen, und keine andere Verbindungen zu knüpfen, als die ihrer Natur angemessen sind. Die durch diese Freiheit hier zu weit geführt werden, die ihr eignes sittliches Gefühl nicht in solchen Schranken

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hält, daß sie ihrer Würde nicht verlustig gehen, das sind offenbar auch die, welche gar nicht auf die Universität gehörten, welche diese Würde, deren sie so leicht verlustig gehen, nie besessen haben, und deren, wie man meint hier erst verderbte, Sittlich|keit nichts gewesen ist als ein 122 erzwungenes Werk äußerer Zucht und Gewöhnung. Denn wer in der 611 That Wahrheit sucht, und Andere sollten doch nicht sein Mitglieder dieser Anstalt, der ist auch in sich selbst sittlich und edel; bei ihm wird auch die Erkenntniß vorzüglich Eingang finden, die ihn das Niedrige als nichtseiend und leer verwerfen lehrt; und wenn ein solcher auch in mancherlei Verirrungen hineingeworfen wird, und so die Gewalt der Natur an sich selbst erfährt, so werden auch diese nicht an ihm verloren, und noch weniger von solcher Art sein, daß man aufhören müßte ihn zu achten und zu lieben. Die aber keiner andern als einer von außen hervorgebrachten Sittlichkeit fähig sind, werden auch keiner wahren Erkenntniß fähig sein, ja auch nicht der Einsicht und Bildung, welche selbst in den mehr Untergeordneten auf der Universität soll hervorgebracht werden. Wenn sie also Schaden leiden durch die Art wie sich diese Unfähigkeit offenbart, so ist er nicht den für ihre wahren Mitglieder n o t wendigen Einrichtungen dieser Anstalt zuzuschreiben. Aber es lohnt wol, daß man nicht nur das Innere sondern auch das mehr Aeußerliche dieser Freiheit betrachte, nicht nur was sie für den Cha|rakter ist, sondern auch was für die Sitten. Die Sitten sind der 123 Ausdrukk der innern Sittlichkeit, und inwiefern sie sich als etwas gemeinsames bilden, und als eine Norm für Mehrere, sind sie der Ausdrukk ihrer gemeinsamen Sittlichkeit, ein Werk des Bewußtseins, welches jede Gesellschaft und jede Abtheilung derselben hat von ihren Verhältnissen. Soll nun die Sittlichkeit reiner werden, und das Bewußtsein klarer: so müssen auch die Sitten und das was für anständig gilt, nicht unveränderlich sein, sondern bildsam, und müssen auch wirklich gebildet werden. Hier ist nun eben der Vorzug und die Eigenthümlichkeit von Deutschland, daß von jeher die Bildung der Sitten nicht ausgegangen ist von den äußerlich höheren Ständen, deren Hoheit ja eben auch nur Sitte ist, und also in Frage steht, sondern von denen, welchen vermöge ihres Geschäftes die ursprünglich bildende Kraft der Erkenntniß einwohnen muß. Diese haben theils in ihrem Kreise unmittelbar den freieren Stil des 612 Lebens eingeführt, der sich von da aus verbreitet hinauf und hinabwärts; theils prüfend entschieden, was von dem vorhandenen oder anderwärts neu entstehenden verworfen zu werden verdiene oder angenommen. Die also auf der Universität sich zur | Erkenntniß bilden, sind zugleich die 124 welche in Zukunft auch die Sitten bilden sollen. Können wir nun von diesen verlangen, daß sie immer nur aus Gehorsam in Gehorsam gehen sollen, aus dem des väterlichen Hauses in den der Convenienz ihrer künftigen Verhältnisse? sollen sie von Anfang an und immer dem unter-

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worfen sein, was sie bilden sollen? Vielmehr kann ja der Uebergang von dem Gehorsam zu ihren bildenden Einflüssen nur der sein, durch eine Periode, in welcher sie sich frei fühlen von solchem Z w a n g , in welcher Jeder, eine große Mannigfaltigkeit vor sich habend, seine eigenen Sitten sich frei bildet, wie er sie seinen jezigen Verhältnissen angemessen findet; nicht damit sie so bleiben, was ja auch nicht geschieht, sondern damit er lerne, auch in künftigen Verhältnissen die Sitte, die er findet, ihnen angemessener gestalten. Darum ist die Universität so nothwendig zugleich ein Sammelplaz von Menschen aus den verschiedensten Gegenden; darum arbeitet diese Freiheit, wie sie sich unter uns gestaltet hat, so vorzüglich auf das hin, was uns grade am meisten fehlt, auf den liberalen Ausdrukk des Eigenthümlichen auch in einer gemeinsamen Form. Wer Gelegenheit gehabt hat zu beobachten, dem wird auch nicht entgangen 125 sein, | wie sich die studentische Freiheit als ein wirksames Mittel zu diesem Z w e k k e bewährt, wie sehr sie, zumal wenn auch die Erkenntniß der Jünglinge auf diesen Punkt gerichtet wird, hilft das Wesentliche und Wahre vom Zufälligen und Leeren unterscheiden, und finden lehrt, was auf der einen Seite nothwendig geschehen muß, und was auf der andern höchstens geschehen kann unter den gegebenen Umständen. D a ß die Jünglinge sich hernach anfänglich scheu zeigen und verle613 gen, daß ihre ersten Versuche in der Gesellschaft oft linkisch ausfallen, ist kein Unglükk, und der Fehler würde sich noch eher verlieren, wenn das Verhältniß der Studenten zur Gesellschaft auf der Universität selbst richtiger organisirt wäre. Die Studirenden bedürfen einer großen Abgeschiedenheit von den übrigen; sie dürfen in die Leerheit des gewöhnlichen geselligen Verkehrs nicht hineingezogen werden. Auf der andern Seite aber kann sich nie eine Klasse von Menschen ungestraft ganz isoliren. Das rechte M a a ß ist auch hier ein natürliches. Wenn der Umgang der Lehrer mit den Schülern lebendig und auf den rechten Ton gestimmt ist; wenn die Ausgezeichnetem, die allein daran Theil nehmen können, 126 auch von allen andern | Seiten so qualificirt sind, daß ihnen ein bedeutender Einfluß auf ihre Gefährten nicht entgehen kann; wenn die Aelteren die rechte Gewalt ausüben über die Neulinge, alles ohne dem Wesen der studentischen Freiheit zu nahe zu treten: so wird auch hier das Rechte immer mehr erreicht werden, und das nach jedem vernünftigen M a a ß stab rohe und ungeschlachte Wesen sich immer mehr verlieren. Wohl! wird auch dies alles zugegeben, so klagt man noch über zwei große und wesentliche Uebel, welche jene Freiheit begleiten, und von welchen Unrecht wäre ganz zu schweigen.

37—24 Zur ersten Klage vgl. ζ. B. Soll in Berlin eine Universität seynS. 80. Die zweite Klage über das Duell läßt sich literarisch überaus häufig belegen; vgl. ζ. B. Gottfried

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Das eine ist, daß die Studenten alles nichtstudentische in diesen einen großen Gegensaz als Philisterwesen zusammenwerfen, und sich jede nur nicht offenbar straffällige Verhöhnung dagegen erlauben. Dieser herrschenden Stimmung liegt aber etwas sehr wahres zum Grunde, nemlieh der Gegensaz zwischen dem höchsten bildenden Princip, welches sie in sich zu entwikkeln da sind, und der rohen gemeinen der Bildung widerstrebenden Masse, der sich ihnen desto stärker aufdringt, je weniger sie selbst noch in dem lebendigen bildenden Verhältniß zu dieser Masse stehn. Die Verachtung und Härte gegen die widerstrebende sittliche und geistige Rohheit | sollte man ihnen nur recht tief einprägen, und 127 es ihnen zum Ehrenpunkt machen, in dieser Hinsicht immer Studenten zu bleiben. Wenn sie aber glauben das bildende Princip nur unter sich, 614 und überall sonst die verächtliche Masse zu finden: so ist das der Ausbruch des Uebermuthes der zurükgedrängt werden muß, und die natürliche Folge jener zu starken Isolirung. Aber im Ganzen kann man auch der Gesammtheit dieser Jünglinge Gerechtigkeitssinn nicht absprechen; das achtungswerthe, was sich ihnen als solches offenbart, wissen sie zu ehren. Man zeige ihnen nur recht viel Edles in recht freien Formen; man sorge nur dafür, daß sie nicht unter denen, die ihnen die Nächsten sind, unter ihren Lehrern, das Gemeine haufenweise erblikken: so wird auch hier der Mißbrauch leicht beseitiget werden, ohne daß das Gute verloren geht. Das andere ist der Zweikampf, und dieser ist eine höchst natürliche und unvermeidliche Erscheinung. Diejenigen, welche die Wissenschaft suchen und in noch nichts anderes verflochten sind, sind dem Staate mehr als sonst irgend ein Einzelner fremd, und können nicht gewohnt sein einander aus dem Gesichtspunkte des Bürgers zu betrachten. Auch insofern sie damit beschäftiget sind, ihrer Person die | höchste Würde zu 128 verschaffen und sich innerlich durch Erkenntniß über alle Andere zu erheben, müssen sie, hinzugenommen das Feuer der Jugend, am reizbarsten sein gegen Kränkungen, die ihrer Person widerfahren, und können weniger als Andere in Ehrensachen Recht und Genugthuung vom Gesez nehmen, da dies fast überall Erörterungen vorschreibt, welche das reizbare Gefühl aufs Neue empören — oder Abstufungen in der äußern Würde, und dem gemäß auch Verschiedenheiten in der Zurechnung und Strafe der Beleidigungen annimmt, welche sie sich nicht können gefallen

Christian Voigt: Etwas über die Mittel wider die Zweykämpfe und Sittenverderbniß auf Akademien, in: ders.: Gemeinnützige Abhandlungen, Leipzig 1792, S. 415 — 428; Heinrich Ludwig Willibald Barkhausen: Ueber das sicherste Mittel, die Duelle besonders auf hohen Schulen zu verhüten, Lemgo 1799; Erhard: Ueber die Einrichtung und den Zweck der höhern Lehranstalten, S. 163 f. 237 f.; Weber: Versuch über die Errichtung und Einrichtung der Universitäten, S. 112 — 119.

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lassen. Dazu k o m m t , daß so wie in den Augen der der Wissenschaft Beflissenen ihre Person den höchsten Werth hat, sie auf der andern Seite noch durch keine besondere Verbindung verpflichtet sind, ihrer zu schonen, und daß also für das höchste Gut auch der höchste Preis geboten und gewagt wird. Es liegt zu Tage, daß die Sühne für persönliche Beleidigungen die Aufgabe ist, welche der Staat noch am wenigsten zu lösen weiß, und in allen Ständen offenbart sich die Neigung sich selbst zu helfen. Aus dem Gesagten erhellt nun wol, daß so lange es noch irgend einen Stand giebt, bei welchem der Z w e i k a m p f die übliche Form dieser Selbsthülfe ist, gewiß auch auf der | Universität keine andere wird gebräuchlich sein, und daß in Zukunft wie bisher alle Anstalten ihn abzuschaffen vergeblich sein werden, bis etwa auf einem andern Wege die Gesezgebung und das herrschende Ehrgefühl einander näher gekommen sind. Tragische Ausgänge sind auch so selten, daß man bei weitem weniger Aufheben von der Sache machen würde, wenn nicht unter den bürgerlichen Ständen eine panische Furcht herrschte vor dem Gedanken an das Klirren der Degen. D a ß jedoch großer Mißbrauch mit dem Zweikampf getrieben wird, läßt sich nicht läugnen, auch wenn man die Sache selbst als unvermeidlich ansieht. Aber eben gegen diese Mißbräuche ließe sich viel thun, wenn man nicht so hartnäkkig darauf bestände, alle Mittel die man in Händen hat, nur an der vor der Hand unmöglichen Abstellung zu verschwenden. Vorzüglich müßten alle gymnastischen Uebungen und namentlich das Fechten unter öffentlicher Autorität kunstmäßig bis zur höchsten Vollkommenheit getrieben werden. Dadurch würde der Z w e i k a m p f nicht nur minder gefährlich werden, sond e m auch indem Jeder sich den Ruf der Gewandtheit, der Stärke, des Muthes schon durch die Uebungen erwerben könnte, würden die Tref-

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lichsten es am leichtesten verschmähen dürfen, für | jede Kleinigkeit Gen u g t u u n g zu fordern, weil doch Niemand es auslegen könnte als Feigherzigkeit, und so würde das Ehrgefühl selbst von innen heraus sich 30 allmählig berichtigen. J a auch viele Veranlassungen zum Schlagen würden wegfallen. Denn auch hier zeigt sich welch eine gefährliche Sache es ist, wie ein alter Weiser sagt, die Seele zu üben ohne den Leib. Weil es auf den Universitäten so Viele giebt, die dieses thun, so entsteht eben daraus auch das Entgegengesezte, daß Viele wiederum den Leib üben 35 ohne den Geist, und in diesen bildet sich dann das äußere Ehrgefühl des Standes welchem sie angehören auf eine desto herbere und leidenschaftlichere Art bis zur wirklichen Schlagesucht. Ist hierin das Gleichgewicht hergestellt, so werden nur noch wenige Fälle übrig bleiben für unvermeidlichen Zweikampf. Anerkennen kann der Staat, und selbst die Cor- 40

3 2 f Vgl. Piaton: Timaios 88 b~c,

Opera Bd. 9, S. 427; Werke Bd. 7, S. 196.

6. Erteilung der gelehrten Würden

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poration der Universität insofern sie gerichtliche Functionen ausübt, freilich auch diese nicht; aber sie wird dann die Maaßregel, die Z w e i k ä m p f e so viel möglich zu ignoriren, wenigstens auf diejenigen nicht mehr anwenden dürfen, welche die gymnastischen Uebungen verabsäumt und sich geschlagen haben ohne ausgelernte Fechter zu sein, auch auf diejenigen nicht, welche den bei weitem | zufälligeren Schuß dem Gefecht vorziehen. Dadurch würde, bei gehöriger Wachsamkeit, ohne dem Ehrgefühl zu nahe zu treten, dieses gefährliche Spiel bald in die möglichst engen Schranken zurükgewiesen werden.

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6. Von E r t h e i l u n g d e r g e l e h r t e n W ü r d e n .

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Dies ist unstreitig die am meisten veraltete Parthie unserer Universitäten. Die scholastische Form der Disputationen ist zu einem leeren Spielgefecht geworden: und da man es auch mit dem übrigen durchgängig nicht sonderlich genau genommen hat, so ist der Credit fast aller auf der Universität ertheilten Würden tief unter den Punkt der Satire herabgesunken. Es fehlt nur noch, daß man es als einen M a a ß s t a b der größten Schnelligkeit angäbe, wie ein Student sich in einen D o c t o r der Philosophie verwandelt. Der größte Beweis aber dieses allgemeinen Mißcredits ist, daß häufig der Staat diese Würden nicht einmal für zureichend hält, um den Besizern ohne weitere Prüfung die Praxis in den Gerichtshöfen oder auch die ärztliche zu verstatten, was in der T h a t eine solche Unzufriedenheit desselben mit den Universitäten voraussezt, daß man sich nur wundern muß, wie er sie doch sonst anerkennt und unterstüzt. Fast nur in den ehemaligen kleinen Reichsländern und Reichsstädten die selbst keine Universitäten haben, gleichsam als o b dies nur bei minderer Kenntniß der Sache möglich wäre, hat sich noch die Achtung für diese Würden erhalten, welche der Idee derselben angemessen ist. Und doch geschehen diese öffentlichen Erklärungen großentheils für den Staat und in Beziehung auf ihn. So geht es, wenn ein Institut das klare Bewußtsein

25 Vorausgesetzt ist die geschichtliche Situation nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803, durch den alle geistlichen Territorien (außer Mainz), 45 der 51 Reichsstädte und zahlreiche kleinere Reichsstände ihre politisch-territoriale Eigenständigkeit verlieren.

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seines Zwekkes sich nicht erhält, und also verfehlt, sich allmählig nach M a a ß g a b e desselben umzubilden. Dann ist ihm späterhin nicht anders mehr zu helfen als durch große durchgreifende Reformen; und nur durch diese könnte auch den Graden, welche die Universität ertheilt, ihr verlorenes Ansehn wieder verschafft werden. Die wahre Bestimmung der gelehrten Würden ist leicht einzusehn, wenn man sich an das bisher Gesagte hält. Soll es einen wissenschaftlichen Verein geben als eine äußere Gesellschaft: so muß es auch eine äußere Handlung geben, durch welche der Einzelne aus der übrigen 133 Masse abgesondert und in | denselben aufgenommen wird. D a nun auf der gelehrten Schule diese Sonderung nicht streng und eigentlich erfolgen kann, sondern auch zur Universität noch alle diejenigen müssen zugelassen werden, welche sich auf der Schule nur ein vorläufiges Recht erworben haben, nach dieser Aufnahme zu streben: so kann diese Handlung nur nach zurükgelegter Laufbahn auf der Universität erfolgen. Natürlich aber ist die Aufnahme selbst und die Entscheidung über die Würdigkeit auf das genaueste verbunden, und die leztere kann nur dadurch entstehen, daß durch die T h a t selbst ein einstimmiges Urtheil des Aufzunehmenden und derer welche den wissenschaftlichen Verein dabei repräsentiren sich bilde. Hieraus erklärt sich auch die Form dieser Handlungen im Allgemeinen. Es muß dadurch documentirt werden, daß der Einzelne den Geist der Wissenschaft als Princip in sich aufgenommen hat; dies geschieht durch das Gespräch, durch die Disputation, wodurch er veranlaßt wird, seine Denkungsart und das Innere seiner Ansichten zu eröf618 nen, und zu zeigen, welcher Combinationen er fähig ist. Dabei liegt der alte Saz zum Grunde, daß die dialektische Consequenz bewähren müsse, 134 o b etwas Aufgestelltes in wissenschaftlichem Geist hervorge| bracht sei oder nicht. Es soll aber auch ferner documentirt werden die Fähigkeit des Aufzunehmenden die Wissenschaft weiter zu bilden. Darum muß er auch bewähren, wie er in einem einzelnen Felde des realen Wissens einheimisch, und mit dessen Fortschritten sowol als dessen Bedürfnissen bekannt ist; und dies soll eben geschehen, durch die abzufassenden Dissertationen oder durch die eigentlichen mündlichen Prüfungen. So kann es nicht fehlen daß in dem Aufzunehmenden, wenn nicht eine von beiden Parteien bösen Willen hat, ganz dasselbe Urtheil entsteht wie in seinen Richtern. Denn mit dem Produkt zugleich, welches ihnen die Anschau-

25—28 Anspielung auf die bei Piaton mehrfach belegte These, daß das Wissen sich von

der bloßen Meinung dadurch unterscheide, daß der wahrhaft Wissende gesprächsweise einen ,λόγος' (Rede und Antwort, Rechenschaft, Begründung) für sein Wissen geben können müsse; Schleiermachers Formulierung am nächsten kommt die Stelle Politeia 534 b, Opera Bd. 7, S. 167; Werke Bd. 4, S. 614; vgl. außerdem Theaitetos 202 b~c, Opera Bd. 2, S. 177; Werke Bd. 6, S. 188; Symposion 202 a, Opera Bd. 10, S. 228; Werke Bd. 3, S. 312.

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ung von seinem Z u s t a n d e giebt, muß sich auch sein eignes Selbstgefühl dem analog entwikkeln. Die eigentliche A u f n a h m e besteht nur in symbolischen G e b r ä u c h e n , welche die Handlung beschließen. So erscheint die Sache ganz einfach; allein sie wird weit verwikkelter, wenn man sie näher betrachtet. Auf die Universität nemlich gehen Viele, die sich zwar nicht durch lebendige Vereinigung des wissenschaftlichen Geistes und des Talentes zu wahren Mitgliedern des wissenschaftlichen Vereins ausbilden, aber doch vermöge ihres Talentes eine | M e n g e 135 von Kenntnissen einsammeln und Fertigkeiten erlangen, und so viel Ehrfurcht und Anhänglichkeit gewinnen für das was auf dem eigentlich wissenschaftlichen Gebiet vorgeht, daß man erwarten k a n n , sie werden sich in der Anwendung ihrer Talente durch die wissenschaftlichen Geister leiten lassen.' Dies sind Arbeiter auf dem Gebiet der Wissenschaft. O b nun diese als Mitglieder des Vereins sollen angesehen, und also auch, wiewol in einem andern Sinne und auf andere Weise, darin aufgenommen werden, oder o b er sie nur durch vortheilhafte Zeugnisse seinen Mitgliedern als brauchbare Werkzeuge für bestimmte Fächer empfehlen soll, das hängt schon davon ab, in wie strengem oder weitem Sinne der 619 Begriff dieses Vereins gefaßt wird, und k a n n recht sein so oder so. Aber auch unter den wahren Mitgliedern zeigt sich ein Unterschied für den wissenschaftlichen Verein. Ihr Talent nemlich k a n n , wie wir zu sagen pflegen, mehr praktisch sein oder mehr theoretisch, und dann auch ihre Gesinnung und Lebensweise mehr gelehrt oder mehr politisch. D i e lezteren werden, wie sehr sie auch vom wissenschaftlichen Geiste durchdrungen sind, dennoch mehr darnach streben, das E r k a n n t e auf eine reale Weise darzustellen, | die Wissenschaft mit dem Leben zu einigen, und ihre Früchte in dasselbe überzutragen, als daß sie an ihr selbst arbeiten und bilden sollten. Nur diejenigen aber, welche sich das lezte zum Geschäft machen, werden die höchsten sein für den wissenschaftlichen Verein; nur sie werden die Stellen ausfüllen auf der Universität und in der Akademie, und wenn sie an öffentlichen Geschäften Theil nehmen, dieses, eben wie jene das Lehren, nur als N e b e n s a c h e ansehn. Sie allein sind also die eigentlichen D o c t o r e s , von denen aber auch in einem höheren Grade muß gefordert werden, daß sie von dem Z u s t a n d e einer besonderen Wissenschaft genaue Kenntniß, und in der H a n d h a b u n g derselben großes Geschikk beweisen. Hier sind nun vorzüglich die Proben der Gelehrsamkeit an ihrer Stelle, und müssen eigentlich immer von der Art sein, daß sie etwas merkwürdiges bleiben für dieses Gebiet. Ein D o c t o r , welcher nicht gleich bei seinem Eintritt in diese Würde eine Spur von seinem Dasein zeichnet welche allgemeine Aufmerksamkeit erregt, und während der E p o c h e , in der sich die Wissenschaft eben befindet, nie ganz verschwinden kann, ein solcher ist eigentlich seines Namens unwürdig. Was der zu Erhebende mit einer solchen Probe noch weiter ver-|

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binden will, zum Beweise seines Talentes für das Lehrgeschäft, welches ihm natürlich anheim fällt, das hängt am besten von ihm selbst ab, ob ein gelehrtes Gespräch oder eine kleine Anzahl von Vorlesungen über 620 einen bestimmten Gegenstand. Oder wenn er dennoch die Form der Disputation wählen wollte, die eigentlich hieher am wenigsten gehört, und nur in den scholastischen Zeiten der Theologie, aus den sie herübergenommen ist, alles in allem sein konnte: so müßte ihr nur der Z w e k k untergelegt werden, daß er als Schiedsrichter der eigentlich Streitenden die G a b e zeigte, den Gang ihrer Rede so zu leiten, daß der Gegenstand klar werden müßte, und zu verhüten, daß sie sich nicht durch Mißverständniß immer tiefer verwikkelten. Welches ist nun aber weiter das richtige Verhältniß der Facultäten in Absicht auf die Ertheilung dieser Würden? D a ß jene Zeugnisse, oder wenn es als mehr angesehen werden soll der niedrigste Grad, von jeder Facultät für sich ertheilt wird, versteht sich von selbst, da es hiebei nur auf die innerhalb ihres besonderen Gebietes erworbenen Kenntnisse ank o m m t . Dasselbige gilt von der höchsten Würde der Doctoren, inwiefern 138 diese von dem vorangehenden mittleren Grade sich sondert und | allemal auf ihn gepfropft wird. Ohnstreitig ist dies das richtigste, da Jeder, sobald er den wissenschaftlichen Geist in sich lebendig fühlt, auch nach den äußerlichen Zeichen dieses Vorzuges streben wird, jenes andere aber, ob Neigung und Talent mehr auf das praktische hingehe oder auf das theoretische, sich gewöhnlich erst später entscheidet. Dann also hat man es wiederum nur mit dem Gebiet jeder besonderen Facultät bei Erlangung dieser höchsten Würde zu thun, und jede kann also auch unter dieser Voraussezung für sich verfahren. O b aber auch jene eigentlich erste Würde, da sie zugleich die Aufnahme in den gesammten wissenschaftlichen Verein ist, und dabei alles auf den Geist und das Vermögen der Erkenntniß überhaupt ankommt, ob diese zu ertheilen auch die Sache der einzelnen mehr positiven Facultäten sein kann, die nur durch ihre Verbindung mit der philosophischen den wissenschaftlichen Verein repräsentiren können, und sie nicht vielmehr wo nicht ausschließlich doch vorzüglich von der philosophischen Facultät ausgehn muß, dies ist 621 gewiß sehr zu überlegen. Am nächsten scheint hier die theologische Facultät sich an das zu halten was die Natur der Sache erfordert. Die 139 niedrigste Bewährung pflegt sie nur durch Zeugnisse zu | beurkunden; von zwei verschiedenen Graden zeigen sich fast nur noch da Spuren wo sie sich mehr als Specialschule, und nicht auf eine lebendige Weise mit den andern und der philosophischen zu einer Universität vereiniget zeigt.

6 aus den] Vgl. Adelung:

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Bei Ertheilung ihrer D o c t o r w ü r d e aber sezt sie in der Regel die philosophische voraus, und läßt leztere allein auch bei sich den niederen G r a d vertreten, natürlich in Voraussezung der von ihr selbst eingeholten Z e u g nisse. O f f e n b a r wenigstens müßte überall bei dieser ursprünglichen Aufnähme die philosophische Facultät mit zugezogen werden, da keine andere als sie für sich allein die Einheit des wissenschaftlichen Vereins unmittelbar repräsentirt. Innerhalb dieser Facultät selbst aber tritt wiederum mit wenigen Abänderungen dasselbe Verhältniß ein, welches zwischen ihr und den andern Facultäten statt findet, weil sie nemlich in sich selbst auch ein Centrum hat, die Philosophie im engen Sinne, und nach außen mehrere Seiten, die realen Wissenschaften. Zeugnisse k a n n sie nur ausstellen über geschichtliche und naturwissenschaftliche Kenntnisse; denn wer von der höheren Philosophie nur Kenntnisse h a t , ohne den wissenschaftlichen Geist, abgerechnet d a ß nach solchen k a u m J e m a n d fragen wird, der hat sie auch nur | geschichtlich. Z w e i G r a d e aber m ü ß - 140 ten in ihr auch unterschieden werden, indem Alle, welche von der Universität aus entweder in die Staatsverwaltung oder in die N a t u r b e a r b e i tung für den Staat in einem großen Sinne eingreifen wollen, billig den wissenschaftlichen Geist in sich müssen ausgebildet haben, dennoch aber manches entbehren können, was dem, der den Beruf des Lehrers fühlt, nicht fehlen darf. In beiden Graden wird J e d e r immer einen bestimmten Zweig des realen Wissens angeben k ö n n e n , von dem er vorzüglich ausgehn will; weshalb denn außer den Philosophen im engeren Sinne auch diejenigen vorzüglich seine R i c h t e r sein m ö g e n , welche diesen Z w e i g bearbeiten, wiewol auch das nicht das rathsamste sein m ö c h t e , da doch 622 in der Folge kein Gebiet dem Aufgenommenen verschlossen ist; auf jeden Fall aber werde, wer die Würde eines D o c t o r s erhält, zum D o c t o r der Philosophie schlechthin ernannt, ohne einen Beisaz, der auf eine einzelne Disciplin hinweiset. Denn die Facultät, welche vorzugsweise die Einheit aller Wissenschaften repräsentirt, die ohnedies von allen Seiten her genugsam verdunkelt wird, m u ß auch in ihren feierlichen Handlungen diese Einheit bestimmt aussprechen. D o c t o r e n der Geschichte oder der Aesthetik zu ernennen, ist fremd und lächerlich, und | wird gewiß, wenn 141 man es auch willkührlich einführt, nicht bleibend sein und geschichtlich werden. Was aber nicht wesentlich zu sein scheint bei diesen Handlungen, sondern nur dem früheren Z u s t a n d e der R o h e i t und Unwissenschaftlichkeit unserer Sprache angemessen, das ist der durchgängige G e b r a u c h der lateinischen in allen diesen Geschäften. G e w i ß hat diese Einrichtung, weil die größere Menge sich dabei zu mancherlei Verfälschungen versucht fühlen mußte, nicht wenig beigetragen, die gelehrten Würden selbst um ihren guten R u f zu bringen. J e mehr wir auch Fortschritte machen, um desto mehr muß gewiß jene schon längst abgeschlossene

Gelegentliche

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Sprache sich zur wissenschaftlichen Darstellung für uns, außer auf dem philologischen und vielleicht mathematischen Gebiet, unbrauchbar zeigen. Was für Gewinn soll auch entstehn, wenn, was deutsch vortreflich gesagt werden könnte, in römischer Sprache mittelmäßig auftritt? Es ist genug, wenn außer jenen Gebieten die römische Sprache rein und zierlich bei solchen öffentlichen Gelegenheiten erscheint welche mehr eine populäre und schöne, als eine wissenschaftliche und gründliche Darstellung fordern, und wo sich der Redner nach Belieben in dem Gebiet antiker Gesinnung und Ansicht halten darf. | 142 So ohngefähr gestalten sich die gelehrten Würden rein aus dem Gesichtspunkt des wissenschaftlichen Vereins angesehen; was für Rüksich623 ten aber hat wol der Staat darauf zu nehmen, oder überhaupt gar keine? Es gesellt sich doch zu der wissenschaftlichen Vereinigung und nimmt sich ihrer an, oder untergiebt ihr die von ihm selbst gestifteten Unterrichtsanstalten, um gewiß für die Geschäfte, wozu es deren bedarf Manner von Kenntnissen und von höherer Bildung zu finden. Stimmt dies wol zusammen damit, daß er doch hernach dem Urtheil dieses Vereins nicht traut, und sich nicht darnach richtet? Es läßt sich unterscheiden für den Staat ein niederer Dienst und ein höherer. Wie wohl es gethan ist, auch diejenigen, welche eigentlich für den höheren bestimmt sind, sich dennoch zunächst eine lange Zeit im niedern Gebiet herum treiben zu lassen; oder wie richtig die Meinung sein mag, daß wer nur lange genug den niedern Dienst verrichtet hat, auch wol geschikt sein werde für den höheren: dies gehört nicht hieher zu untersuchen; die Verschiedenheit in der Sache aber ist einleuchtend und bekannt. Im niedern Staatsdienst giebt es ein ansehnliches Gebiet, welches Kenntnisse wissenschaftlicher Art erfodert. Wenn die Universität im Namen des wissen143 schaftlichen Vereins einem | Einzelnen das Zeugniß ausstellt, daß er diese besizt: so weiß ich nicht was für einen Sinn die Prüfung noch haben soll, welche der Staat durch Beamte über ihn verhängt; so wie, wenn er sich auf das Zeugniß der leztern verlassen will, nicht einzusehen ist, warum er den Besuch der Universität zur Pflicht macht. Diese hinzukommende Prüfung sollte zur Qualification des Einzelnen gar nicht gehören; sondern nur um zu erfahren, wozu er sich besonders eignet, und wieviel er schon von den kleinen Fertigkeiten und Notizen mitbringt, welche allenfalls auch erst durch die Uebung dürfen erworben werden. Für den höheren Dienst bedarf es nicht nur einer Masse wolerworbener Kenntnisse, sondern auch Uebersicht des Ganzen, richtiges Urtheil über die Verhältnisse der einzelnen Theile, ein vielseitig gebildetes Combinationsvermögen, einen Reichthum von Ideen und Hülfsmitteln. Soll dies alles

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zuverlässig sein und g e o r d n e t , so m u ß , w e r sich dieser G a b e n r ü h m t , in das H e i l i g t h u m der W i s s e n s c h a f t eingedrungen sein. D a r u m e r ö f n e t es auch der S t a a t seinen künftigen D i e n e r n , und will sie nur aus diesem e m p f a n g e n . Sollten nun nicht eben hierüber auch die Z e u g n i s s e der wissenschaftlichen A n s t a l t e n , wenn sie z w e k m ä ß i g und streng ertheilt w e r den, das erste sein, w o r a u f der Staat sich ver|läßt? D a s V o r u r t h e i l , als o b es e t w a einem adlich g e b o r n e n , o d e r ü b e r h a u p t der K l a s s e , w e l c h e auf die h ö h e r e n G e s c h ä f t e A n s p r u c h m a c h t , k a u m anstehe einen gelehrten G r a d a n z u n e h m e n , und ein solcher sich d a d u r c h s c h o n selbst von den G e s c h ä f t e n ausschließe und zum S c h u l s t a u b e v e r d a m m e , k a n n w o h l k a u m gerechtfertigt werden, sondern m u ß v e r s c h w i n d e n , w e n n S t a a t und Universität sich selbst und gegenseitig verstehen. V i e l m e h r sollte der h ö h e r e Staatsdienst gerade nur solchen eröfnet sein; diejenigen, w e l c h e sich mit dieser W ü r d e ausschließlich in die politische L a u f b a h n b e g e b e n , sollten überall an die Spize der G e s c h ä f t e gestellt zu w e r d e n H o f n u n g h a b e n , und auch die, w e l c h e mit der W ü r d e der L e h r e r bekleidet sich vorzüglich den W i s s e n s c h a f t e n w i d m e n , sollte d o c h der S t a a t als Aufseher, als R a t h g e b e r bei allem, was in ihr b e s o n d e r e s Fach einschlägt, zu g e b r a u c h e n wissen. D o c h diese A e n d e r u n g in der g e g e n w ä r t i g e n Praxis m ü ß t e n die Universitäten selbst vorbereiten; sie müssen ihre g o t h i s c h e n F o r m e n b e l e b e n , sie müssen mit den W ü r d e n die sie ertheilen, nicht länger ein Spiel treiben und sie m i ß b r a u c h e n lassen zu leeren N a m e n .

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Anhang über e i n e n e u zu e r r i c h t e n d e

Universität.

Man sagt, der preußische Staat fühle das Bedürfniß, auch für seinen verminderten Umfang die verlorene ehemalige Friedrichs-Universität 5 durch eine andere neu zu errichtende zu ersezen, und man sagt, es sei beschlossen, in Berlin solle sie errichtet werden. Großentheils in dieser Hinsicht sind die vorstehenden Gedanken gerade jezt niedergeschrieben und bekannt gemacht worden, und sie würden ihren Zwekk verfehlen, wenn nicht von einigem wenigstens die Anwendung auf den vorliegen- 10 den Fall hinzugefügt würde. Das Gefühl, welches diesen Entwurf erzeugt hat, ist gewiß sehr richtig und achtungswerth. Es beweiset, daß Preußen den Beruf, den es lange geübt hat, auf die höhere Geistesbildung vorzüglich zu wirken und in dieser seine Macht zu suchen, nicht aufgeben, sondern vielmehr von 15 146 vorne anfangen | will; es beweiset ferner ganz bestimmt, was wol eben so viel werth ist, daß Preußen sich nicht isoliren will; sondern auch in dieser Hinsicht mit dem gesammten natürlichen Deutschland in lebendiger Verbindung zu bleiben wünscht. Zwei Provincial-Universitäten hat es bereits. Königsberg für die außerdeutschen, oder vielmehr, da es ja jezt 20 keine Beziehung mehr giebt, in welcher das eigentliche Preußen weniger deutsch wäre als Brandenburg, für die nördlichen, Frankfurt für die süd-

4—7 Zu Schleiermachers Kenntnis der Gerüchte um eine bevorstehende Universitätsgründung in Berlin zur Zeit der Abfassung der „Gelegentliche Gedanken" vgl. seine Briefe vom 18. September 1807 an Gaß (Br. Gaß, S. 72), 31. Dezember 1807 an Charlotte von Kathen (Br. 2, S. 106) und Boeckh (Briefwechsel mit Boeckh und Bekker S. 18 f); vgl. auch Br. 4, S. 143. 145. 155. 4f Preußen büßt im Frieden von Tilsit von 1807 seine gesamten westelbischen Besitzungen und große Teile ehemals polnischer Gebiete ein. Die FriedrichsUniversität zu Halle wird im Zuge der Besetzung der Stadt durch französische Truppen bereits im Oktober 1806 von Napoleon vorläufig geschlossen und geht dann nach dem Frieden von Tilsit in den Besitz des neugegründeten Königreichs Westfalen über. 20—22 Anspielung auf das Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation durch die Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. am 6. August 1806, womit zugleich auch die Unterscheidung zwischen solchen Territorien des preußischen Staates, die Bestandteil des Reichs sind (ζ. B. Brandenburg), und solchen, die außerhalb des Reichsgebietes liegen (ζ. B. das eigentliche Preußen), staatsrechtlich hinfällig wird.

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liehen Provinzen. A b e r m e h r k ö n n e n a u c h diese beiden A n s t a l t e n ihrer N a t u r nach nicht werden; a u c h F r a n k f u r t ist zu a b g e l e g e n , u m irgend A u s l ä n d e r an sich zu ziehn, die für eine g r o ß e Universität von der h ö c h sten W i c h t i g k e i t sind, u m die A n l a g e zu einer h a r t m a n i e r i r t e n intellectuellen E x i s t e n z , wie sie im eigentlichen P r e u ß e n so sehr a u f f ä l l t , und wie m a n sie auch a u f den k ö n i g l i c h - s ä c h s i s c h e n Universitäten findet, in S c h r a n k e n zu h a l t e n . F r a n k f u r t w a r nur gut zu einer M i s s i o n s a n s t a l t für die P o l e n , u m w e l c h e sich P r e u ß e n h o f f e n t l i c h jezt weniger b e k ü m m e r n w i r d . Auch m ü ß t e diese Universität, u m sie b e d e u t e n d zu m a c h e n , d u r c h a u s neu geschaffen w e r d e n , und w a r u m sollte der S t a a t die K r ä f t e ,

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w e l c h e dazu g e h ö r e n , an einem übel gelegenen O r t und an | der U m b i l - 147 dung einer d u r c h a u s untergeordneten und in vieler H i n s i c h t schlechten A n s t a l t , was i m m e r eine eben so u n d a n k b a r e als schwierige A r b e i t ist, v e r s c h w e n d e n , da er mit fast gleicher A n s t r e n g u n g Neues e r b a u e n k a n n ? A b e r w a r u m gerade in Berlin? P o t s d a m freilich k a n n w o l k a u m einem S a c h k u n d i g e n einfallen, da eine Universität in einer kleinen S t a d t mit dem privilegirtesten M i l i t ä r und d e m H o f e dicht z u s a m m e n , der alle Kleinigkeiten n o t h w e n d i g e r f a h r e n m ü ß t e , in der N ä h e der H a u p t s t a d t eigentlich der wunderlichste G e d a n k e ist, den m a n h a b e n k a n n . Allein B r a n d e n b u r g , H a v e l b e r g , mittlere Städte n a h e an der G r e n z e , also gelegen für die Ausländer, und w o m a n zum Besten der U n i v e r s i t ä t a l l m ä h l i g g r o ß e Fonds einziehn k ö n n t e , dergleichen sollten einem J e d e n weit eher in den Sinn k o m m e n , als Berlin. Sollte also bei einer so auffallenden W a h l eine H i n s i c h t a u f Vortheile entschieden h a b e n , w e l c h e Berlin allein darbietet? Diese sind freilich leicht zu sehn, in so fern es in den preußischen Staaten der reichste S a m m e l p l a z ist von G e l e h r s a m k e i t , von T a l e n ten, von K u n s t ü b u n g e n aller A r t , in so fern es viele Institute in sich f a ß t , w e l c h e die Universität unterstüzen und w i e d e r u m | durch die V e r b i n d u n g 148 mit ihr neuen G l a n z oder einen h ö h e r n C h a r a k t e r b e k o m m e n k ö n n t e n , in so fern es zugleich die gebildetsten F o r m e n des L e b e n s darstellt, und die h ö c h s t e n W ü r d e n , zu denen sich der a n s t r e b e n d e J ü n g l i n g in j e d e m F a c h e e m p o r s c h w i n g e n k a n n , ihm dicht unter die Augen bringt. Allein 627 dies sind Vortheile, deren alle Universitäten, w e l c h e für die W i s s e n s c h a f t und den S t a a t den meisten Nuzen gestiftet h a b e n , i m m e r e n t b e h r t e n . D a g e g e n h a t Berlin für eine s o l c h e Anstalt eigne, nicht zu v e r k e n n e n d e N a c h t h e i l e , die aus der Weitläuftigkeit der S t a d t , der T h e u r u n g der B e dürfnisse, der Leichtigkeit der Z e r s t r e u u n g e n , der M a n n i g f a l t i g k e i t andringender Versuchungen, der Ofensizerei vieler J ü n g l i n g e , die hier schon auf Schulen erzogen, hier auch studiren, und hier gleich in die Verwaltung treten würden, und eigentlich von allen Seiten, k ö n n t e m a n w o l sagen, unausbleiblich entstehen m ü s s e n , N a c h t h e i l e , w e l c h e d e m g r o ß e n P u b l i c u m a m meisten in die Augen leuchten, und w e l c h e es der neuen A n s t a l t , die ohnehin mit mannigfaltiger E i f e r s u c h t zu k ä m p f e n

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hätte, schwer machen würden, Vertrauen zu gewinnen. Sollte also jezt wol der Zeitpunkt sein, um jener mehr glänzenden als wesentlichen Vor149 theile willen einen | mißlichen Kampf zu wagen mit diesen Nachtheilen? Wer einen so bedeutenden Verlust gemacht hat, der darf nicht leichtsinnig speculiren, sondern muß mit sichern Unternehmungen von neuem anfangen, um seinen Kredit zu heben. Schon unter der vorigen Regierung, zu einer Zeit, wo der preußische Staat durchaus kein Bedürfniß hatte, eine neue Universität zu errichten, wurde ein Plan gemacht zu einer großen Lehranstalt in Berlin, welche eigentlich keine Universität sein, aber doch die Dienste der Universitäten leisten sollte, von einem sehr gebildeten Schriftsteller, der Prinzenlehrer gewesen war und zugleich das Schauspiel dirigirte. An Feinheit und an Pracht, wie an höfischer Vornehmigkeit wird es also dem Entwurf nicht gefehlt haben. Zur Ausführung ist er indeß nicht gekommen, wenn man nicht eine und die andere, um diese Zeit entstandene Specialschule, ansehn will als Versuche mit solchen einzelnen Theilen dieses Ganzen, — 628 denn auf einen Mittelpunkt und dessen lebendige Kraft mag wol wenig gerechnet worden sein — den Anfang zu machen, bei denen man am wenigsten in Grenzstreitigkeiten käme mit den bestehenden Universitäten. Die Hauptabsicht war ohnstreitig die gothische Form und das | 150 Zunftwesen der alten Universitäten allmählig zu untergraben, vorzüglich aber den sogenannten Studentengeist zu tilgen, der von Furchtsamen für höchst furchtbar und verderblich gehalten wurde. Mit solchen Bildungsversuchen aus heiler Haut, ohne daß ein bestimmtes Bedürfniß bestimmte Maßregeln natürlich erzeugte, und ohne daß man von dem Umzubildenden eine vollständige Ansicht genommen hätte, um sich zu überzeugen, wie das wesentliche Gute und die dermaligen Mißbräuche sich gegen einander verhalten und worin beide gegründet sind, ist es immer

7—12 Anspielung auf Johann Jakob Engel (1741 — 1802), Schriftsteller, Dramatiker und Philosoph; seit 1776 in Berlin, zunächst als Professor am Joachimsthalschen Gymnasium, dann in der königlichen Familie tätig als Erzieher mehrerer Prinzen und Prinzessinnen, u. a. des späteren Königs Friedrich Wilhelm III.; seit 1786 Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin; 1787—1794 Oberdirektor des Berliner Nationaltheaters. Von Engel existiert eine Denkschrift zur Errichtung einer Lehranstalt in Berlin, die er, mit einem Brief vom 13. März 1802 versehen, an den Geheimen Kabinettsrat Beyme sendet (Editionen: Köpke S. 147—153; Gelegentliche Gedanken über Universitäten von Engel, Erhard, Wolf, Fichte, Schleiermacher, Savigny, v. Humboldt, Hegel, hg. v. Emst Müller, Leipzig 1990, S. 5 — 17). Ob es darüber hinaus einen verlorengegangenen weiteren, früheren Entwurf Engels, gar aus der Zeit der vorigen Regierung Friedrich Wilhelms II. (1786—1797), gegeben hat, ist umstritten, aber nicht sehr wahrscheinlich (vgl. Köpke S. 19—21; Max Lenz: Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1-4, Halle a.d.S. 1910 Bd. 1, S. 35 f). 15 Ζ. B. die 1790 gegründete „Thierarzeneischule" (unten 91,7 f) oder die 1799 eingerichtete „Bauschule" (unten 98,32).

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eine b e d e n k l i c h e S a c h e . Wer Z e i t und K r a f t übrig h a t und es nicht scheut mit wichtigen D i n g e n auch zu spielen, der m a g dergleichen w a g e n . Soll m a n aber w o l g l a u b e n , d a ß eine weise R e g i e r u n g unter den gegenwärtigen U m s t ä n d e n einen so entstandenen Plan h e r v o r s u c h e n w e r d e , dessen Erfinder g e w i ß d u r c h reife E i n s i c h t in das streng w i s s e n s c h a f t l i c h e G e biet nicht vorzüglich glänzte, sondern vielmehr d u r c h einseitiges P o p u l a risiren für diesen G e g e n s t a n d sich m i ß e m p f i e h l t , und dessen H a u p t a b sicht w a r einen Geist zu u n t e r g r a b e n , den m a n mit m ö g l i c h s t e r Beseitigung seiner A u s w ü c h s e und verkehrten A e u ß e r u n g e n , jezt m e h r als je suchen sollte sorgfältig zu b e w a h r e n als Ei|nigungsmittel für den besten T h e i l des künftigen G e s c h l e c h t e s und als G e w a h r s a m für ä c h t vaterländischen Sinn? G e w i ß das wollen wir nicht d e n k e n , u m so weniger da a u c h jene ganze M e t h o d e die realen W i s s e n s c h a f t e n aus d e m Z u s a m m e n hang mit der P h i l o s o p h i e herauszureißen, und e n t w e d e r a u f willkührliehe T h e o r i e n zu b a u e n , oder in b l o ß e E m p i r i e v e r w a n d e l n zu w o l l e n , sich unter uns w o l längst überlebt hat. E s scheint also nichts übrig zu bleiben, u m eine s o l c h e W a h l für das L o k a l e einer neuen Universität zu erklären, wenn sie sich d o c h in Berlin nicht eben wesentlich besser befinden wird als a n d e r s w o , als d a ß irgend eine N o t h w e n d i g k e i t vorhanden ist, w e s h a l b sie nur in Berlin ü b e r h a u p t bestehen k a n n ; und diese ist leicht aufzuzeigen. D e n n w e n n sie sogleich gestiftet und in T h ä t i g k e i t gesezt werden soll, und w e n n ihre L a g e allerdings eine s o l c h e ist, d a ß sie sich bei einem k r ä n k l i c h e n A n f a n g kein langes L e b e n versprechen darf: w o h e r soll sie a n d e r s w o alle die H ü l f s mittel n e h m e n , w e l c h e einer blühenden Universität n o t h w e n d i g sind? H ä t t e sie a u c h G e l d k r ä f t e in U e b e r f l u ß , so sind d o c h B i b l i o t h e k e n , S a m m l u n g e n von alten D e n k m ä l e r n , b o t a n i s c h e G ä r t e n , a n a t o m i s c h e , m i n e r a l o g i s c h e und | z o o l o g i s c h e K a b i n e t t e u n m ö g l i c h im A u g e n b l i k k e herbeigeschafft; und wie k ö n n t e in unsern T a g e n eine Universität mit Auszeichnung in die S c h r a n k e n treten w o l l e n , der es an diesen wesentlichen A t t r i b u t e n fehlte? D i e s ist gewiß eine so einleuchtende U r s a c h e , d a ß n a c h keiner andern weiter gesucht werden darf. Wenn also nicht um irgend einer besondern P r a c h t und H e r r l i c h k e i t willen, sondern nur d a m i t sie u n m i t t e l b a r leben und rasch gedeihen k ö n n e , die Universität in Berlin w o h n e n soll: so scheinen die M a a ß r e geln, die zu ergreifen sind, einander so u n t e r g e o r d n e t w e r d e n zu müssen, d a ß m a n z u n ä c h s t für alles dasjenige sorge, w a s der Universität z u m selbstständigen D a s e i n n o t h w e n d i g ist; d a n n d a r a u f d e n k e , wie die besondern N a c h t h e i l e zu vermeiden sind, mit denen eben Berlin ihr vorzüglieh d r o h t , und nur erst nach diesem und in so fern dieses n ö t h i g e r e nicht darunter leidet, dürfte m a n in B e t r a c h t u n g ziehen, w i e nun a u c h w i e d e r u m die b e s o n d e r n Vortheile, w e l c h e Berlin d a r b i e t e t , recht zu benuzen w ä r e n .

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Was das erste betrifft: so scheint zunächst schon die Art, wie die gesuchten nothwendigen Hülfsmittel in Berlin vorhanden sind, der Un153 abhängigkeit der Universität nicht günstig zu sein, wenn man | nicht 630 durch Machtsprüche eingreifen will in die Ordnungen anderer Anstalten, und das würde ihr wiederum H a ß zuziehen. Wo die Universität keinen andern Gebrauch zu machen hat als der dem qualificirten Publicum überhaupt verstattet ist, da ist sie in der That auch nur als eine Vermehrung desselben anzusehn, und die Sache hat keine Schwierigkeit. So müßten, was die Bibliothek betrifft, die Studirenden besondere Lesezimmer haben in dem Universitätsgebäude, und die Bücher von der Bibliothek allemal auf den Namen eines Professors oder der Universität überhaupt dorthin geholt werden. Nur müßte man freilich allmählig auf eine eigne Handbibliothek aus solchen Werken denken, nach denen die Nachfrage besonders häufig sein muß, und die doch auf der Königlichen Bibliothek für das übrige Publikum nicht fortdauernd können entbehrt werden. Bei andern Instituten könnte man es für die beste Auskunft halten die gegenwärtigen Aufseher derselben zu Professoren ihrer Wissenschaft bei der Universität zu ernennen, und was könnte man in der That dieser besseres wünschen als einen W i l l d e n o w zu besizen für die Botanik, und einen K a r s t e n für die Mineralogie. Allein theils ist damit 154 nicht für immer geholfen, wenn neben der | Universität noch die Bergakademie bestehen soll, und das medicinisch-chirurgische Collegium; und es wären dadurch entweder der Universität oder diesen beiden Corporationen, die unter ganz anderer Aufsicht stehen, und eine ganz andere Bestimmung haben, die Hände gebunden für die Zukunft; theils ist es dem ächten Geist einer Universität zuwider, daß nur Einer ausschließend

19 Karl Ludwig von Willdenow (1765 — 1812): 1785 — 1789 Studium der Medizin in Halle; 1798 ordentlicher Professor der Naturgeschichte am königlichen Collegium medicum et chirurgicum; seit 1801 Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und öffentlicher Lehrer der Botanik beim Forstdepartement; 1809 ordentlicher Professor der Botanik an der Universität und Direktor des Botanischen Gartens. 20 Dietrich Ludwig Gustav Karsten (1768—1810): 1782 — 1786 Studium der Bergwerkswissenschaft an der Bergakademie in Freiberg; 1786—1788 Studium der Rechte in Halle; ab 1789 verschiedene amtliche Tätigkeiten in Berlin, zuletzt als Staatsrat und Leiter des preußischen Bergwesens; seit 1803 außerordentliches, seit 1808 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften. 21 f Die Bergakademie wurde 1770 unter Friedrich II. dem Großen gegründet als Hochschule für Bergbauwesen und Hüttenkunde. Die Gründung fällt in die Zeit, in der auch andernorts entsprechende Bergakademien ins Leben gerufen wurden (1765 Freiberg in Sachsen, 1775 Clausthal-Zellerfeld). 22 Das Collegium medico-chirurgicum wurde 1724 von Friedrich Wilhelm I. gegründet als Fachschule für die Ausbildung vor allem von Stabs- und Regiments-, aber auch einfachen Landärzten. Zur Zeit der Universitätsschrift Schleiermachers hatte sie sich bereits zu einer Art Universität der Naturwissenschaften erweitert, an der Chemie, Physik, Botanik, Zoologie, Mathematik und sogar Philosophie gelehrt wurde.

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befugt oder in Stand gesezt sein soll eine Wissenschaft zu lehren. Hier entsteht also die freilich schwierige, aber doch auch nicht unauflösliche Aufgabe, solche Instructionen zu entwerfen und solche Garantien zu geben, daß die Universität nichts aufgeben müsse was ihre Natur wesentlieh erfordert, und doch auch in frühere bestimmte Rechte so wenig als möglich eingegriffen würde. Aehnliches würde vielleicht geschehen müssen in Absicht des anatomischen Kabinets und der Thierarzenei- 631 schule, wiewol leztere sich wol am leichtesten und vortheilhaftesten auf gewisse Weise mit der Universität vereinigen ließe. Doch nicht nur in Beziehung auf die Hülfsmittel, sondern auch auf die Personen der Lehrer und Schüler, ist es eine Aufgabe die leicht verfehlt werden kann, der Universität ihre Unabhängigkeit gleich anfangs zu sichern. Wenn man nemlich etwa | das Personal der Lehrer, ich will 155 nicht sagen ausschließend, aber doch g r ö ß t e n t e i l s aus solchen Gelehrten zusammensezen wollte, die bereits in andern Verhältnissen in Berlin leben: so würde es, wie vortreflich auch die Männer sein mögen, mit dem freien Dasein der Universität nur schlecht bestellt sein. Es ist bekannt, wie gefangennehmend das Geschäftsleben ist, zumal ein genau ausgearbeitetes und spizfindig eingerichtetes, und Gelehrte, die einmal in dieses eingelebt sind, werden immer ihre Anstellung bei der Universität nur als eine Nebensache ansehn, nicht viel anders als die Vorlesungen welche sie schon jezt zu halten gewohnt sind. Hiezu kommt, daß sie durch ihre andern Geschäfte mit der Zeit beschränkt sind auf eine Weise, die mit der natürlichen Ordnung der studirenden Jünglinge nicht wol vereinbar ist. Dasselbe gilt von denen, welche auf höheren oder besonderen Schulen als Lehrer angesezt sind, und diese müßten sich überdies noch zwei ganz verschiedene Methoden des Lehrens aneignen, was schwerer sein mag als man glaubt. Von solchen Collisionen darf die Universität nicht abhängen; und überhaupt, wäre sie für die meisten Lehrer nur eine Nebensache, so würde sie es bald auch für die Schüler sein; sie würde troz alles | Vortreflichen was sie in sich vereinigte, nur 156 wenig Vertrauen finden und auch wenig verdienen, weil sie bald gewissen administrativen Collegien gleichen würde, in denen es auch nie an vortreflichen Männern gefehlt, über die man doch aber immer geklagt hat, eben weil sie für alle diese Männer nur eine Nebensache waren. Gewiß ist es durchaus nothwendig Lehrer anzusezen, welche kein ande- 632

7 Das anatomische Kabinett oder anatomisch-zootomische Museum ist die ursprünglich private anatomische Sammlung des Geheimrats Dr. Johann Gottlieb Walter (1734—1818), die 1803 vom preußischen Staat angekauft wurde. Daneben gab es in Berlin noch das Theatrum anatonicum; es wurde 1713 von Friedrich Wilhelm I. gegründet und 1724 dem Collegium medico-chirurgicum übergeben. 7f Die Tierarzneischule wurde 1790 unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. gegründet.

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res als gelehrtes Geschäft treiben und auch nicht nöthig haben sich um ein anderes, am wenigsten administratives, zu bewerben, und welche zugleich schon als Universitätslehrer Uebung und Ansehn haben, und zwar in solcher Anzahl, daß das Wesentliche in jeder Facultät durch sie allein könnte gedekt werden; und nur in diesem Fall wird man sagen können, daß die Universität auf festen Füßen steht. Endlich darf die Universität auch nicht, und zwar unter den gegenwärtigen Umständen am wenigsten, abhängen von der Wohlhabenheit der Eltern, welche glauben ihre Söhne für einen Aufenthalt in Berlin hinreichend versorgen zu können. Auf diesem Wege würde man nur eine kleine Anzahl zierlicher und vornehmer, oder üppigreicher und lokkerer Studirenden b e k o m m e n , deren größter Theil den Lehrern, welche es mit der Wissenschaft redlich meinten, eben nicht | viel Lust und Liebe einflößen würden. N o c h keine Universität hat ohne einen Unterstüzungsfonds bestanden, und ein solcher müßte vorzüglich für Berlin herbeigeschaft werden. Würde er nach den oben aufgestellten Grundsäzen verwaltet: so würde die Besorgniß wegfallen, daß durch Unterstüzungen nur ungeschickte und unerzogene Arme herbeigelokt würden. Besonders zweckmäßig aber wäre es für Berlin, wenn alle Unterstüzungen nicht sowol in baarem Gelde beständen als in unentgeldlicher und zugleich ehrenvoller Darreichung wesentlicher Bedürfnisse, Wohnung, Speisung, Heizung. Dadurch würde auch am leichtesten der Privatreichthum angelokt werden zu diesen Unterstüzungen beizutragen. Allein nicht nur für das wahre Bedürfniß muß gesorgt werden, sondern auch für die großentheils ungegründete Furcht der Auswärtigen vor einer unmäßigen Theurung in Berlin muß etwas geschehen. Viel thut freilich schon die H o f n u n g , daß jeder Fleißigste und nicht nur der Aermste an den öffentlichen Unterstüzungen Antheil nehmen kann. D a n n sorge man dafür, daß unter öffentlicher Autorität wenigstens für den Anfang einige Personen die Vermittlung zwischen den Studirenden und den Hausbesizern und Speisewirthen übernehmen, billige Con|trakte abschließen, und die verschiedenen Preise welche sie halten können, gehörig bekannt machen, damit J e d e r die Sicherheit habe bald und leicht zu finden was seinen Vermögensumständen angemessen ist. Auch dieses muß man noch verhüten, daß nicht zu sehr überhandnehme das Unterrichtertheilen der Studirenden, um sich Erleichterung zu verschaffen. Dies ist freilich in Berlin verderblicher als anderswo. A m besten aber geschähe dies durch Vorkehrungen, die nicht von der Universität ausgehen müßten, sondern von der Behörde welcher die Aufsicht über den Unterricht überhaupt obliegt. Wie dieses schon eine Zerstreuung ist: so möchte man im Allgemeinen die mannigfaltigen Gelegenheiten zu Zerstreuungen aller Art oben an stellen unter den Nachtheilen die in Berlin vorzüglich zu befürchten sind. Auch hiemit möchte es aber so arg nicht sein als man

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glauben will. D a s Sehenswürdige der Stadt selbst und ihrer Umgebungen, und alles was man unter dem Namen der Merkwürdigkeiten begreift, ist nur gefährlich durch die Neuheit, also nur für die erste Zeit, und es giebt gewiß keine Universität, wo nicht den Meisten über solchen 5 Neuigkeiten ein Theil von dieser verloren ginge. Natürlich wird sich auch die Universität in einem | Theile, und wahrscheinlich nicht in der glänzendsten Mitte der Stadt zusammendrängen, und der Fleißige leichter was in den übrigen vorgeht, ignoriren können. Von allen Ergözungen aber und Lustbarkeiten, welche eben so viel Aufwand fordern als sie 10 Zeit kosten, die theatralischen und musikalischen Darstellungen an der Spize von diesen, ist eben des Aufwandes wegen wenig zu besorgen. Wenn nur der Studirende außer Stand gesezt ist seine nothwendigen Bedürfnisse fortdauernd unbezahlt zu lassen, und den größten Theil seiner Zuschüsse an dergleichen Vergnügungen zu verwenden, so wird er bald 15 auf ein für seine Zeit gar leidliches M a a ß gebracht sein. Und dies ist gewiß zu erreichen, wenn nur die Geseze über das Kreditwesen der M i n derjährigen wirklich in Anwendung gebracht werden. Dies ist in der T h a t in Berlin leichter als anderswo, weil keine Klasse von Bürgern genöthigt sein wird, fast ganz von den Studirenden zu leben und also um 20 ihre Gunst zu buhlen. Auch werden schon alle diejenigen jungen Leute sich mehr vor nicht ganz ehrenvollen Schulden hüten, die nun beim Abgang von der Universität ihren Gläubigern nicht entgehen, sondern in Berlin bleiben, um dort ihre erste Anstellung zu suchen, und dadurch wird | bald eine ernstere Ansicht von dieser Sache herrschend werden. 25 Nur daß man ja nicht auf den unseligen Gedanken einer Zahlungskommission k o m m e ! Doch man hat ja wol gesehn, wie wenig Eingang, allen eingezogenen Nachrichten zufolge, sie anderwärts gefunden und wie noch viel weniger sie ausgerichtet hat. Auch ist nichts in der Welt dem Wesen einer Universität mehr zuwider. Soll die Bildung des Charakters 30 mit der des wissenschaftlichen Geistes gleichmäßig fortschreiten; soll der Jüngling sich in dem M a a ß und Verhältniß seiner Neigungen kennen lernen: so muß er Freiheit haben auch in seinen Ausgaben jezt dieses jezt ein ganz entgegengeseztes Verhältniß einzuführen; er muß die Bequemlichkeiten sowol als die Gefahren der Ordnung wie der Unordnung und 35 was sonst hieher gehört, kennen lernen, damit, wenn er ins thätige Leben

16 f Vgl. die Bestimmungen im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (Textausgabe, Frankfurt a. M./Berlin 1970): Grundsätzlich besitzt niemand Kreditwürdigkeit, der nicht vertragsfähig ist (vgl. Erster Theil, Eilfter Titel, § 674). Hinsichtlich der Vertragsfähigkeit werden die Minderjährigen wie Unmündige behandelt (vgl. Erster Theil, Fünfter Titel, § 14). Dieser allgemeinen Bestimmungen ungeachtet gelten für Studierende besondere Rechte, die es ihnen innerhalb eng gesteckter Grenzen erlauben, Schulden zu machen (vgl. Zweyter Theil, Zwölfter Titel, §§ 99—126).

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tritt, er nicht erfahrungslos erscheine, sondern als ein gemachter Mann, der auch über seine eigene Lebensweise sicher ist. Diese Freiheit ist nothwendig, Mißbrauch im Einzelnen wird immer statt finden; aber den giebt es ja auch in den späteren Perioden des Lebens, und übel wäre uns gerathen, und schlecht wäre es um die Regierung jeder Angelegenheit bestellt, wenn uns nichts übrig bliebe | als um des Mißbrauchs willen dem unentbehrlichsten Gut zu entsagen. Sollte unsre Gesezgebung und Polizei noch nirgends so weit gediehen sein, daß man ihr die reine Aufgabe vorlegen dürfte, den Mißbrauch möglichst einzuschränken ohne die Aufopferung wesentlicher Vortheile? Dasselbige gilt auch wol von den Ausschweifungen vorzüglich des Geschlechtstriebes und der Spielsucht, von welchen man unsägliches Unheil fürchtet für eine Universität die in Berlin wäre. Freilich gefährliche Klippen! allein wol nicht viel gefährlicher in Berlin als an jedem andern Orte. Es werden immer, so lange Berlin eine Hauptstadt bleibt und seinen ehemaligen Charakter nicht ganz verläugnet, viele junge Leute sich dort aufhalten, die reicher sind und mehr üppige Verwöhnungen haben als die Studirenden, und daher werden auch diejenigen Klassen, welche von der Sittenlosigkeit der Jugend leben, ihre Nachstellungen mehr auf jene richten, als auf diese. Dagegen in kleineren Städten die Studenten fast die einzige Jugend sind, welche in Betracht kommt, und alle Künste der Verführung ausschließend gegen sie gerichtet werden; Ein Umstand, durch welchen jener Unterschied reich|lich aufgewogen wird; wie denn in einer Residenz freilich alles Böse glänzender und verführerischer ist als an andern Orten, aber auch zumal was von dieser Art das ausgesuchteste ist und das glänzendste die Geldkräfte eines Studenten der seiner Natur nach überall Liberalität übt, gar bald übersteigt. Daher scheint in dieser Hinsicht nur zweierlei nothwendig zu sein. Einmal, daß die Wachsamkeit der Polizei gegen alle Anstalten der Verführung geschärft werde, daß sie sich es ζ. B. zum Gesez mache, welches gar nicht ausgesprochen werden darf, ihr sonst so oft vernachlässigtes Recht gegen Spielhäuser mit der größten Strenge auszuüben, sobald Studenten darin angetroffen werden; daß ferner bekannt gemacht würde, Klagen in Unzuchts-Sachen sollten gegen eine gewisse Klasse junger Leute, unter welche sich die Studenten ganz natürlich subsumiren müßten, gar nicht angenommen werden, und was für ähnliche gute Maaßregeln sich sonst nehmen ließen. Dann aber auch müßte alles mögliche geschehen, um die Studenten vor niedrigen Arten des Umganges und der Vergnügungen zu bewahren, und strenge Ehrbegriffe auch in dieser Hinsicht unter ihnen

7 unentbehrlichsten] unentbehrlich,/sten Vgl. den textkritischen Apparat 9 dürfte, den] dürfte-/den Vgl. den textkritischen Apparat zu Zeile 7

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aufrecht zu erhalten. | Denn freilich in dem M a a ß als sie sich mit dem 163 niedrigen auf dem Gebiete des Umganges und der Vergnügungen behelfen müßten, würden sie auch den niedrigsten Arten der Verführung Preis gegeben und dann sicher verloren sein. 5 Beide Vorschläge hängen zusammen mit zwei wichtigen Fragen, die wir nicht ganz unerörtert lassen können; die eine ist die, unter welcher Obrigkeit sollen die Studenten stehen? die andre die, wie sollen sie in der Gesellschaft angesehen werden? Was die erste betrift: so ist wol jezt Niemand, der nicht die Unzwekmäßigkeit der eigenen Universitätsge10 richte einsähe, und man kann sagen, daß sie auf preußischen Universitäten schon seit langer Zeit vorzüglich ist gefühlt worden. Es würde hier zu weit führen die Sache historisch zu beleuchten, und zu zeigen, wie weit die gegenwärtigen Umstände von denen unterschieden sind, unter welchen diese Einrichtung ursprünglich ist getroffen worden. Auf der 15 andern Seite muß es allerdings ein Mittel geben gefährliche Subjecte zu warnen und sogar zu entfernen, wenn sie auch noch nichts begangen haben, was eine so strenge Ahnung von Seiten gewöhnlicher Gerichtshöfe veranlassen könnte. Daher | scheint man beides verbinden zu müs- 164 sen. Die Studenten seien in allem was sich zu einer gerichtlichen Klage 20 qualificirt, der gewöhnlichen Obrigkeit unterworfen; aber es gebe zugleich eine disciplinarische Commission aus den Vorstehern der Universität zusammengesezt, welche nicht nur als Polizeimaaßregel mancherlei Strafen, nicht ausgeschlossen die Entfernung der Studenten von der Universität, ausschließend verfügen könne, sondern an welche auch die O b 25 rigkeit angewiesen sein muß, Klagesachen gewisser Art, nachdem sie sie

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gehörig eingeleitet, immer zurükzuweisen, und dann unter ihrer Autori- 637 tät die Entscheidung der Commission zu publiciren und auszuführen. Wer diese Maaßregel genauer durchdenkt, wird sehn, wie durch sie eine Menge von Schwierigkeiten bei weitem am leichtesten gehoben werden. Nur so lange noch ein mehrfacher Gerichtsstand besteht, darf die Obrigkeit der Studenten keine andere sein als die der sogenannten Eximirten. Sie ist die Obrigkeit ihrer Lehrer, und größtentheils das Forum des Standes, dem sie entgegengehn. J a schon deshalb kann es nicht anders sein, weil man doch den Adlichen unter ihnen dies Vorrecht nicht streitig machen könnte, und unter | den Studenten selbst alle Spuren von Unter- 165 schied des Standes soviel möglich müssen vertilgt werden.

17 Ahnung] Vgl. Adelung:

Wörterbuch

Bd. l,Sp.

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31 Vgl. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Zweyter Theil, Achter Titel, 5 3: „Personen des Bürgerstandes in und außer den Städten, welche durch ihre Aemter, Würden, oder besondere Privilegien, von der Gerichtsbarkeit ihres Wohnorts befreyt sind, werden Eximirte genannt."

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ΟέΙβξβηύίβΗβ Gedanken

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Universitäten

Was aber die zweite Frage betrift über die Gesellschaftsverhältnisse der Studirenden: so kann freilich weniger die Rede davon sein was geschehen solle, als was wahrscheinlich geschehen werde, und nach welcher Seite hin man dem gemäß die öffentliche Meinung müsse zu lenken suchen. Viele besorgen, der Student werde sich sehr zurükgesezt fühlen in Berlin, und als ein armseliges, ganz unbedeutendes Wesen erscheinen, und das wäre allerdings ein großer Nachtheil. Allein wird nicht jeder bessere Lehrer es sich zur Pflicht machen, seine ausgezeichneteren Schüler in seinen gesellschaftlichen Kreis zu ziehen und ihnen auch dadurch seine Achtung und seine nähere T h e i l n a h m e zu beweisen? werden nicht sehr Viele empfohlen sein an Bekannte des väterlichen Hauses? Für alle diese wäre gesorgt genug in dieser Hinsicht, und vielmehr bei der großen gesellschaftlichen Leichtigkeit Berlins nur zu befürchten, daß sich hieran schon zuviel gesellschaftliche Zerstreuungen anknüpfen möchten, und daß durch zu vielfaches und frühes Schmiegen in die gesellschaftlichen 166

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Verhältnisse und die eingeführten | Sitten der C h a r a k t e r der studentischen Freiheit verschwinden und die wohlthätigen Einflüsse derselben verloren gehen möchten. Auf der andern Seite wäre dies gesellschaftliche Verkehr freilich nicht allgemein; die so Vorgezogenen würden leicht von ihren Genossen zu weit entfernt, und die zurükgesezten eben dadurch genöthigt, sich entweder ganz zu isoliren, oder sich Gesellschaften von untergeordneter niedriger Art aufzusuchen. D a r u m wäre es in Berlin ganz nothwendig, auch wieder das Untersichsein der Studenten, w o der eigene und freie Stil des Lebens seinen Plaz hat, und ihren eigenen Gemeingeist zu befördern, nothwendig sie fühlen zu lassen, daß sie schon als Studenten, als diejenigen, auf denen die wichtigsten Hofnungen des Vaterlandes ruhen, eines Grades von öffentlicher Achtung und Aufmerksamkeit genießen, deren sie sich nicht unwürdig machen dürfen, und deshalb zwekmäßig, daß man die landschaftlichen Verbindungen, welche sich um so zuverlässiger bilden werden als das G a n z e den Charakter der Universität trägt und als die gymnastischen Uebungen an der Tagesordnung sind, mit Klugheit dulde und leite, daß man nicht jede Art sich

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äußerlich auszuzeichnen verbiete, | und daß man erlaube, daß bei gewissen Gelegenheiten die Studenten als C o r p o r a t i o n öffentlich auf eine ehrenvolle Art erscheinen und repräsentiren dürfen. Auf solche Weise wird 35 man am besten ihr ganzes Verhältniß zur übrigen Gesellschaft in die rechte Temperatur sezen. Indem auf diese Weise der eigenthümliche Geist der Universität und die nothwendige Freiheit der Studirenden beschüzt und erhalten werden, verschwinden zugleich zum Theil wenigstens die üblen Folgen davon, 40

6 unbedeutendes] unbededeutendes

16 eingeführten] eingesührten

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d a ß i m m e r ein ansehnlicher T h e i l der J ü n g l i n g e seinen A u f e n t h a l t n i c h t verändert und a u f der Universität wie a u f der S c h u l e d e m elterlichen H a u s e einverleibt bleibt. D e n n um an der A c h t u n g , w e l c h e die C o r p o r a tion genießt, T h e i l zu n e h m e n , werden sie sich zu dieser halten m ü s s e n , indem der leichte S p o t t über diejenigen, die sich ausschließend a u c h in der Universitätsperiode an die Familie halten w o l l e n , von dem ä c h t e n S t u d e n t e n s i n n , w e n n er sich frei e n t w i k k e l n darf, unzertrennlich ist. A u c h die V e r w a n d l u n g der öffentlichen Unterstüzungen in Speisung und B e h a u s u n g wird Einiges beitragen, um E i n z e l n e aus d e m b e s c h r ä n k t e n Familienleben herauszureißen, und d a r u m sollte | m a n vorzüglich a u c h allen für B e r l i n e r b e s t i m m t e n Beneficien diese E i n r i c h t u n g geben.

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Sind nun im Allgemeinen die ursprünglichen E i n r i c h t u n g e n in d e m Sinne festgesezt, u m das u n a b h ä n g i g e Bestehen der Universität zu sichern und die nachtheiligen Verhältnisse, die in Berlin für sie eintreten, m ö g liehst zu b e s c h r ä n k e n : dann erst und w e n n sich das Wesentliche so bew ä h r t h a t , k a n n m a n fragen, wie nun a u c h die b e s o n d e r n Vortheile, w e l c h e Berlin d a r b i e t e t , möglichst k ö n n e n benuzt w e r d e n . Z u e r s t ist unstreitig Berlin der O r t , an w e l c h e m sich a u c h in Z u k u n f t die Universität a m vortreflichsten m i t D o c e n t e n versorgen k a n n , mit A u s n a h m e des eigentlich speculativen F a c h e s , für welches m a n w a h r scheinlich i m m e r a m besten thun wird, sie von a u s w ä r t s zu h o l e n . W a s a b e r die übrigen Z w e i g e betrift, so ist o b e n auseinander gesezt w o r d e n , wie bei M a n c h e m der seine erste wissenschaftliche Bildung vollendet h a t , unentschieden sein k a n n , o b er mehr T a l e n t und Neigung h a b e , seine Einsicht und G e s i n n u n g in der Verwaltung des S t a a t e s geltend zu m a c h e n , oder a u f d e m Lehrstuhl. A n d e r w ä r t s m u ß dies o f t übereilt o d e r n a c h b l o ß ä u ß e r e n B e z i e h u n g e n entschieden w e r d e n ; und ist die W a h l e i n m a l g e m a c h t , so ist sie meistentheils u n w i d e r r u f l i c h . An e i n e m O r t e hingegen, w e l c h e r beides, das C e n t r u m der V e r w a l t u n g und die Universität in sich f a ß t , h a t J e d e r Gelegenheit sich h i n r e i c h e n d zu prüfen; er k a n n sich beide S c h r a n k e n öfnen lassen, und sich so lange in beiden versuchen, bis der innere Z w i e s p a l t ihm selbst überzeugend entschieden ist, und sich das eine T a l e n t bedeutend über das andere h e r a u s g e h o b e n hat. J a a u c h die kürzesten Blüthen der L e h r g a b e dürfen an einem s o l c h e n O r t nicht verloren gehen; sondern in w e m sich, w e n n er einmal wissenschaftlich d u r c h d r u n g e n ist, vielleicht m i t t e n in den G e s c h ä f t e n der Verwaltung irgend eine eigenthümliche A n s i c h t so weit e n t w i k k e l t h a t , d a ß er fühlt, er k ö n n e eine klare durchgreifende aufregende D a r s t e l l u n g davon geben; o d e r w e r in seinen wissenschaftlichen N e b e n s t u n d e n irgend einen einzelnen Z w e i g einer W i s s e n s c h a f t mit G r ü n d l i c h k e i t und mit s o l c h e m E r f o l g getrieben h a t , d a ß er g l a u b t durch seine E n t d e k k u n g e n oder seine eigenthümliche M e t h o d e a u f d e m K a t h e d e r nüzlich zu w e r den, der k a n n es besteigen. E b e n so h a b e n wir gesehen, wie gar o f t ,

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besonders bei denen die als | Lehrer auf der geschichtlichen Seite der Wissenschaft stehen, wenn das vergängliche Talent des eigentlichen für die Universität gehörigen Lehrens zu verblühen anfängt, die Neigung zur praktischen und politischen Anwendung der Wissenschaft wieder die Oberhand gewinnt. Nirgends läßt sich nun dieser natürlichen Umwandlung milder und leichter entgegenkommen durch einen allmähligen Uebergang, als in der Hauptstadt, so daß auf der einen Seite auch noch die lezten Aeußerungen der Lehrgabe genuzt werden können, und auf der andern Keiner, dessen Lust und Kraft nicht mehr der Universität gehört, ihr, weil er seine rechte Stelle nicht finden kann, eine unnüze Last sei. Aber freilich wird dieser Vortheil nur in dem M a a ß erreicht werden können, als der Staat das Vertrauen hat, daß, wer in der Wissenschaft gelebt hat, und von Ideen durchdrungen ist, auch die n o t w e n d i gen empirischen Einzelheiten schnell auffassen, sich leicht in die Kenntniß der Sachen versezen, und durch ein höheres Talent die Länge der Dienstzeit ersezen kann; nur in dem M a a ß als er in der Organisation seiner ganzen Verwaltung den wesentlichen Unterschied zwischen dem 171 kleinen Dienst und dem großen stärker hervortreten läßt als bisher; und nur in dem M a a ß , als gleich die Ertheilung der gelehrten Würden, als der unentbehrlichen Qualification sowol für einen angehenden Universitätslehrer, als für einen der in den großen Staatsdienst treten will, auf 641 einen solchen Fuß gesezt wird, daß sie wieder allgemeinen Kredit gewinnen, und das Vorurtheil keine Nahrung findet, daß wer sich mit ihnen befasse, dadurch zugleich seine Unfähigkeit und Unlust zu Geschäften bekunde. Dann könnte eine Universität in Berlin vor allen andern den Vorzug haben, immer lauter frische kräftige lehrlustige und in dem rechten Verhältniß zur studirenden Jugend stehende Lehrer zu besizen. Nächstdem kann sie sich auch auszeichnen durch einen Reichthum an Lehrern auch für das besonderste und für die vom Mittelpunkt der Erkenntniß am weitesten entfernten technischen Disciplinen. M a n denke hiebei zunächst an die schon in Berlin bestehenden Specialschulen, die chirurgische Schule, die Bauschule, die Bergwerksschule, denn Akademien wünschten wir sie nicht nennen zu müssen, wo Unterricht bis ins kleinste des äußern Apparats und der Hülfsfertigkeiten für einzelne Wis-

31 Specialschulen] Speeialschulen 32 Gemeint ist das Collegium medico-chirurgicum; vgl. oben 90,22 und den Sachapparat dazu. 32 Gemeint sind die Bauakademie, die 1799 unter Friedrich Wilhelm III. zur Ausbildung von Architekten und Ingenieuren gegründet wurde, und die Bergakademie (vgl. oben 90,21 f und den Sachapparat dazu). Die nicht korrekten Bezeichnungen Schleiermachers an dieser Stelle — jeweils 'Schule' anstelle von Akademie — sind beabsichtigt: vgl. unten 98,32-99,4.

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senschaften | ertheilt wird, U n t e r r i c h t , w e l c h e r eigentlich a u c h dem Stu- 172 direnden offen stehn m u ß , d a m i t er selbst seine ä u ß e r l i c h s t e n T a l e n t e versuchen und v e r h ä l t n i ß m ä ß i g ausbilden k a n n , und a u c h die ä u ß e r l i c h e Seite des wissenschaftlichen G e b i e t e s k e n n e n lernt. A u f eine m e h r zufällige und unsichere Weise k ö n n t e n diese A n s t a l t e n der Universität nüzlich w e r d e n , w e n n nur die bei ihnen angesezten L e h r e r E r l a u b n i ß erhielten, die wesentlichen Disciplinen ihrer A n s t a l t a u c h bei der Universität vorzutragen. Vielleicht a b e r k ö n n t e n o c h e t w a s g r ö ß e r e s ausgerichtet w e r d e n , wenn m a n die Anstalten selbst a u f eine gewisse Weise m i t der U n i versität vereinigte. J e z t h a b e n sie ein gar b e s o n d e r e s A n s e h n . N e b e n d e m Fach w e l c h e m sie zunächst gewidmet sind, h a b e n sie n o c h L e h r e r in allgemeinen W i s s e n s c h a f t e n , die mit j e n e m zunächst z u s a m m e n h ä n g e n , w a s sich in der N ä h e der Universität h e r n a c h w u n d e r l i c h a u s n e h m e n wird. M a n sollte sie vielleicht in zwei T h e i l e theilen; der eine w ä r e die Schule, und b e a r b e i t e t e diejenigen, w e l c h e sich diesem Fach g e w i d m e t 642 h a b e n o h n e n a c h wissenschaftlicher Bildung zu streben. D e r a n d e r e h ö here w ü r d e mit der Universität vereinigt; die Z ö g l i n g e w ä r e n S t u d e n t e n in vollem Sinn, | die Lehrer P r o f e s s o r e n , und der U n t e r r i c h t g a n z in den 173 der Universität a u f g e n o m m e n . D i e niedere Klasse k ö n n t e eben so mit den gelehrten Schulen in Verbindung gesezt w e r d e n , und diese mit der Universität selbst durch solche Mittelglieder in eine n ä h e r e G e m e i n s c h a f t treten, so d a ß beide, o h n e von ihrer E i g e n t h ü m l i c h k e i t e t w a s aufzugeb e n , d o c h a u c h wieder als ein G a n z e s anzusehn w ä r e n , und die H a u p t stadt a u c h hierin das b e s t i m m t e s t e sinnliche Bild von d e m Einssein aller T h e i l e im G a n z e n aufstellte. Dasselbige k ö n n t e endlich a u f der a n d e r n Seite a u c h geschehen in Beziehung auf die A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n . Z w i s c h e n dieser und der Universität giebt es, wie wir s c h o n gesehen h a b e n , eine n a t ü r l i c h e G e m e i n s c h a f t ; der Universitätslehrer a r b e i t e t sich a l l m ä h l i g in die A k a demie hinüber und ein g r o ß e r T h e i l der A k a d e m i k e r h a t i m m e r n o c h Z e i t e n , w o es ihn drängt im Einzelnen die F u n c t i o n e n eines Universitätslehrers zu versehen. D i e s e G e m e i n s c h a f t k ö n n t e hier a u f eine h ö c h s t w ü n s c h e n s w ü r d i g e Weise organisirt w e r d e n , ebenfalls o h n e d a ß beide Anstalten äußerlich Eins w ü r d e n und a u f h ö r t e n , das E i g e n t h ü m l i c h e ihres Z w e k k e s und We|sens a u f das b e s t i m m t e s t e a u s z u s p r e c h e n , sondern nur so, d a ß durch die Einzelnen, w e l c h e m i t R e c h t beiden a n g e h ö r e n , für das L e b e n ein a l l m ä h l i c h e r U e b e r g a n g statt f ä n d e und eine freundschaftliche Verbindung beider A n s t a l t e n , in w e l c h e r sich w i e d e r u m die Einheit der ganzen wissenschaftlichen O r g a n i s a t i o n sinnlich darstellte. D i e Einflüsse, w e l c h e wir der A k a d e m i e und den A k a d e m i k e r n a u c h a u f die Universität zugeschrieben h a b e n , und ihre überall u n b e s c h r ä n k t zu erhaltende Freiheit sich selbst zu erneuern, sichert hinlänglich gegen die wunderliche A n s i c h t , als w ü r d e dann die A k a d e m i e nur eine Versor-

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gungsanstalt sein für abgelebte Professoren; vielmehr wird sie durchaus in der wissenschaftlichen Republik erscheinen als die ehrwürdige Versammlung der Aeltesten. Nur muß auch die Universität indem sie diese wie die vorige Verbindung sucht, nicht erscheinen als thäte sie es aus einseitigem Bedürfniß, als würde sie ohne diese Stüzen ärmlich und un5 scheinbar sein, und als sollten zu ihrem Besten andere Anstalten von ihrer Selbstständigkeit aufopfern. Vielmehr muß auch sie unabhängig auftreten und selbstständig, und die Verbindung muß eine von beiden Theilen gewünschte Annäherung sein. | Denn was abgedrungen wird auf diesem Gebiet ist sicher als Unrechtes Gut nie gedeihlich. Darum, wenn 10 man nicht alles verderben will, denke man doch ja anfänglich auf nichts anders, als nur eine Universität zu stiften, die soviel möglich für sich bestehe. J a , um recht deutlich zu machen, daß es zunächst nicht die Hinsicht auf diese künftigen Vortheile ist, was die Universität nach Berlin bringt, sondern der Drang des Augenblikkes: so erkläre man doch 15 am liebsten, sie solle nur provisorisch in Berlin sein, und denke darauf ihr Kräfte zu sammlen, damit sie alles, was ihr nothwendig ist, eigen habe. Sieht man dann, daß die eigenthümlichen Nachtheile von Berlin sich nicht besiegen lassen: so werde man ja nicht geblendet durch die etwanigen Vortheile, sondern die Universität wandere so bald sie kann. 20 Es wird ja wol nicht nöthig sein, steht zu hoffen. Aber durch die Kundmachung dieses Entschlusses, und die Anstalten, um ihn nöthigenfalls zu realisiren, wird die Universität Vertrauen auf ihre Moralität gewinnen, und nach Maaßgabe ihrer Unabhängigkeit wird sich auch die Stimmung bilden, durch welche sie sich in Besiz der lezt erwähnten Vortheile sezen kann. Und dann ist eine | wissenschaftliche Organisation gegründet, die ihres Gleichen nicht hat, und durch ihre innere Kraft sich ein weiteres Gebiet unterwerfen wird, als die jezigen Grenzen des preußisehen Staates bezeichnen, so daß Berlin der Mittelpunkt werden muß für alle wissenschaftlichen Thätigkeiten des nördlichen Deutschlandes, so weit es protestantisch ist, und die Bestimmung des preußischen Staates für die Zukunft von dieser Seite einen sichern und festen Grund gewinnet. Bei einer solchen Aussicht müssen ja wol kleinliche Rüksichten und Besorgnisse verschwinden, und es bleibt nur zu wünschen, daß die Regierung, welche diesen Entwurf gefaßt hat, sich bald im Stande fühle, ernstlieh zur Ausführung zu schreiten.

17 sammlen] Vgl. Adelung:

Wörterbuch

Bd. 3, Sp.

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Herakleitos der dunkle, von Ephesos, dargestellt aus den Trümmern seines Werkes und den Zeugnissen der Alten (1808)

Museum der

Alterthums-Wissenschaft Herausgegeben von

Friedrich August Wolf und

Philipp Buttmann.

Ersten Bandes Drittes und letztes Stück.

Berlin, in der Realschulbuchhandlung.

1808

6 - 8 Christian Wilhelm Friedrich August Wolf, 1759-1824, Altphilologe, seit 1783 Professor an der Universität Halle; Schleiermacher studierte bei ihm klassische Philologie und Philosophie. - Karl Philipp oder Philipp Karl Buttmann, 1764-1829, Philologe, Direktor der Königlichen Bibliothek in Berlin, seit 1806 außerordentliches, ab 1808 ordentliches Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1810 zum Professor an der Universität berufen. Schleiermacher hat ihm nach dessen Tod in der Akademie die Gedenkrede gehalten.

Herakleitos d e r d u n k l e , von E p h e s o s , dargestellt aus den T r ü m m e r n seines W e r k e s und den Zeugnissen der Alten.

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"Wenn gleich schon Mehrere versucht haben die Weisheit dieses Mannes, 315; 3 auf welche allein auch wir uns beschränken wollen, und die unzuverlässigen Erzählungen von seinem Leben, seinen äußern Verhältnissen und seiner Todesart an ihren Ort gestellt sein lassen, ihrem Wesen und Umfange nach darzustellen, so daß es im Einzelnen an Vorgängern und zum Theil sehr lobenswerthen nicht fehlt: so muß doch auch dieses neue Unternehmen damit anfangen, seine Ansprüche auf Nachsicht geltend zu machen, für den Fall, daß noch nicht über Alles ein befriedigendes Licht sollte verbreitet werden. Auch liegen die Schwierigkeiten desselben als solche zu Tage, daß schon ein Verfahren zu entwerfen, Regeln auszumitteln und sich zu entschließen, wo man zunächst festen Fuß fassen soll, eine Arbeit ist. Denn zuerst ist des Vorhandenen so wenig, verhältnißmäßig nemlich gegen die durch die würdigsten und größten unter den Alten erregte so große Vorstellung von dem Manne, | daß die rühmliche Begierde mehr 316 zu entdekken, als wir über ihn wissen, nur zu leicht ausartet in eine gefährliche Kühnheit der Muthmaßungen und Verküpfungen; so daß der Forscher, auch wenn er den ersten Einschritt mit der größten Behutsamkeit gemacht hat, sich doch immerfort gebunden erhalten muß mit den festesten Ketten an das unmittelbar gegebene, auch dieses seinem verschiedenen Werthe nach vorsichtig abwägend. Da uns nun nichts irgend zusammenhangendes noch weniger Gan- 4 zes übrig geblieben ist von den Werken des Mannes, den Briefen aber, welche unter seinem Namen gehen, niemand einigen Glauben beimessen wird, so wenig den in späterem Dialekt geschriebenen, als dem einen und desto unbedeutenderen ionischen: so ist dies vorhandene nur zwiefach, zuerst eine mäßige Anzahl sämmtlich kleiner Bruchstükke, welche als aus seinen Werken an verschiedenen Orten beigebracht werden; und dann die Berichterstattungen und Erwähnungen der Alten von seiner Denkart und Lehre. 1—6 Schleiermacher denkt vermutlich u. a. an Henricus Stephanus (Henri Estienne): Poesis philosophica (Ποίησις φιλόσοφος), vel saltern reliquiae poesis philosophicae Empedoclis, Fartnenidis, Xenophanis, Cleanthis, Timonis, Epicharmi. Adjuncta sunt Orphei illius carmina qui α suis appelatus fuit ö θεολόγος. Item Heracliti et Democriti loci quidam et eorum epistolae, Genf 1573, S. 129—140; Gottfried Olearius: De principio rerum naturalium ex mente Heracliti Physici, cognomento Σκοτεινος, exercitatio, Leipzig 1697; Johann Albrecht Fabricius: Bibliotheca Graeca, sive Notitia scriptorum veterum Graecorum, 4. Auflage, hg. v. G. C. Harles, Bd. 1-12, Hamburg 1790-1809, Bd. 2, S. 623-628; Dieterich Tiedemann: Geist der speculativen Philosophie, Bd. 1, Marburg 1791, S. 194—223; s. auch oben S. XXXUlf

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Herakleitos

Was also die ersten betrifft: so verdanken wir sie größtentheils späteren Schriftstellern, unter welchen vorzüglich hervorragen sowol an Ansehn als an Menge des aufbehaltenen P l u t a r c h o s , S e x t u s der Empiriker und C l e m e n s von Alexandria. Von dem lezteren nun ist leider | 317 nicht zu läugnen, daß er auch sonst nicht selten pflegte hintergangen zu sein durch untergeschobene Schriften und Stellen. Von S e x t u s ferner ist zwar gewiß, daß er das Werk des Herakleitos von der Natur muß in Händen gehabt haben, da er nicht nur Stellen, welche, schon von Aristoteles mitgetheilt, acht sein müssen, (adv. M a t h . VII, 132) sondern auch den Zusammenhang, in welchem sie vorkommen, angeführt hat; aber auf der andern Seite erklärt er sich (adv. M a t h . VII, 5—7. I X , 360. X , 233.) über wichtige Theile seines Inhaltes so schwankend, und nur die Meinungen Anderer zusammenstellend, daß man ihm unmöglich eigenes und genaues Studium des Werkes zuschreiben kann, und also immer besorgt bleiben muß, ob er nicht zum Theil wenigstens die von ihm angeführten Worte auch nur aus Anführungen Anderer entlehnt, wie es dem Herakleitos besonders häufig ergangen zu sein scheint. P l u t a r c h o s giebt uns dagegen allerdings zu viele Kleinigkeiten, als daß er sie nicht in seinen Herakleitischen Büchern selbst sollte gelesen haben; ob aber diese Bücher immer ächte gewesen, darüber muß man zweifelhaft wer5 den, wenn man (adv. C o l o t . II. p. 1115.) liest, daß er eine Schrift des Herakleitos Z o r o a s t r e s überschrieben anführt. Nun will man zwar 318 vertheidigend sagen (s. F a b r . B i b l . G r a e c . | E d . H a r l . V o l . II. p. 626.) hier sei ein jüngerer Herakleitos, ein Peripatetiker gemeint; allein es bleibt wenig wahrscheinlich, daß Plutarchos, der den Ephesier so oft und fast immer, auch noch kurz nach dieser Stelle, ohne Beinamen anführt, einen jüngeren wenig bekannten und sonst unseres Wissens gar nicht von ihm erwähnten auf dieselbe Art und ohne ihn irgend zu unterscheiden sollte genannt haben. Daher man vielmehr fürchten muß, Plutarchos habe einer untergeschobenen Schrift geglaubt; wodurch denn wieder unsicher wird, ob nicht auch manche von ihm angeführte Stellen nur solchen angehören. Sonach würden alle Darstellungen und Folgerungen, die nur auf den Bruchstükken ruhten, nicht frei von Verdacht und

6—12 Sextus Empiricus (Sextos Empeirikos): Adversus Mathematicos VII 132—133. Vll 5 - 7 . IX 360. X 233, Opera, ed. ]. A. Fabricius, Leipzig 1718, S. 398 f. 370 f. 620. 672; Opera, edd. H. Mutschmann/J. Mau, Bd. 1—3, Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, Leipzig 1958—1961, Bd. 2, S. 32 f. 3 f. 287. 351 — Sextos Empeirikos: skeptischer Philosoph des 2. Jh. n. Chr., seine Schriften entstehen ca. 180—200 n. Chr. 21 f Plutarchos: Adversus Colotem, Quae exstant omnia, Bd. 1—2, Frankfurt a. M. 1599-1600, Bd. 2, S. 1115; vgl. Moralia, Bd. 1-7, Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, Leipzig 1953 — 1978, Bd. 612, S. 189 23 f Fabricius: Bibliotheca Graeca, hg. Harles Bd. 2, S. 626

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nicht hinreichend begründet sein, als nur insofern sie unmittelbar von den wenigen Stellen gehalten werden, die schon Piaton und Aristoteles uns überliefert haben. Darum ist nun freilich vortreflich, daß zu den Bruchstükken noch hinzukommen vielfältige Zeugnisse und Berichterstattungen der Alten. Nur ist leider auch hier ein wesentlicher Unterschied zu machen zwischen den früheren und späteren Zeugen. Denn bekanntlich ist die stoische Schule dem Herakleitos in vielem gefolgt, und beide werden zu häufig als übereinstimmend genannt, als daß es hiezu einzelner An-| führungen bedürfte; so daß auch die meisten, welche D i o g . L a e r t . (IX, 319 15.) als Ausleger des Herakleitos namhaft macht, Stoiker gewesen, wie ich denn auch noch immer geneigt bin, auch den an die Spize derselben gestellten A n t i s t h e n e s troz der Stelle VI, 19. für den Kyniker zu halten. Keinesweges aber darf man glauben, daß die Stoiker die Herakleitische Lehre rein aufgenommen hatten, sondern umbildend; und so mag denn von den Auslegern manches ähnliche aber doch nicht gleiche am leichtesten sein verfälscht, und bald mehr bald minder bewußt zur Angemessenheit mit der späteren Schule umgedeutet worden, zumal der Schrift- 6 steller durch seine Dunkelheit quälte und reizte. Nun ist offenbar, daß die späteren Sammler alle, der Verf. des Buches d e p l a c . p h i l . , Theodoretos und Stobäos, denn ihre Sprache verräth sie, ihre Nachrichten mehr von Auslegern und Commentatoren entnehmen als aus dem Werke selbst, und daher alles bei ihnen zum mindesten doch durch den Einfluß der spätem Sprache entstellt erscheint. Vor den Zeiten der Stoa aber und der andern auch wol mehr allegorisirenden als rein historischen und grammatischen Ausleger des Herakleitos haben wir fast nur Piaton und Aristoteles zu nennen, als Zeugen und Gewährsmänner für die Lehre desselben, und auch diese beiden | sind wiederum nicht leicht zu gebrau- 320 chen. Denn was den P i a t o n betrifft, so sind seiner ausdrüklichen Zeug-

10 f Diogenes Laertios IX 15, De vitis, dogmatibus et apophthegmatibus clarorum philosopborum libri X, cum subiunctis integris annotationibus I. Casauboni, T. Aldobrandini et M. Casauboni Latinam Ambrosii versionem complevit et emendavit M. Meibomius, Amsterdam 1692, S. 556; Vitae philosophorum, ed. H. S. Long, Bd. 1—2, Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, 2. Auflage, Oxford 1966, Bd. 2, S. 444, nennt Antisthenes, Herakleides, Kleanthes, Sphairos, Nikomedes, Dionysios und Diodotos. Antisthenes (ca. 455—360 v. Chr.), Schüler des Sokrates, eröffnete im Gymnasion Kynosarges eine eigene Schule, die zum Ausgangspunkt der kynischen Philosophie wurde. Diogenes Laertios VI 19, ed. Meibomius S. 325; ed. Long Bd. 2, S. 256, führt daneben drei weitere Philosophen namens Antisthenes auf, darunter einen ,Heraklitischen' (και άλλοι Άντισθένεις τρεις, 'Ηρακλείτειος εις). 20 De placitis philosophorum ist ein vermutlich um 100 n. Chr. entstandenes Werk, als dessen Verfasser heute allgemein Aetios gilt und von dem lediglich ein Auszug unter dem Namen des Plutarchos erhalten ist, nach dem das Werk üblicherweise zitiert wird. 21 Anspielung auf Mt 26,73

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nisse vom Herakleitos nur wenige, und wo ihm sonst die Lehre des Mannes offenbar vorzüglich vorgeschwebt hat, im Theätetos und Kratylos, da muß man sich sehr hüten, im ersten nicht auf den Herakleitos zu ziehen, was nur vom Protagoras gemeint ist, und im lezteren nicht den Meister zu verwechseln mit den Anhängern, die, wie es scheint ( D i o g . I X , 6 am Ende) nicht aus mündlichem Unterricht, sondern nur aus der Schrift des Mannes geschöpft haben, und daher vielleicht auch übertrieben und mißverstanden. Von A r i s t o t e l e s aber ist sehr leicht zu sehen, daß er kein fleißiger Leser des Herakleitos gewesen, da er sich ungleich und nicht selten widersprechend über dessen Ansichten ausdrükt, da er ihn häufig nicht erwähnt, wo man es doch erwarten muß und gerade am neugierigsten wäre den Mann zu vernehmen, und da er zweifelhaft spricht, wo ein genaues Studium ihn gründlich mußte belehrt haben, welches alles die Folge nachweisen wird. Daher Aristoteles anzusehen ist, nicht nur als deren Vorgänger, welche dem Manne nicht beharrliche Anstrengung genug widmen wollten, um sich den Lobnamen Delischer Schwimmer ( D i o g . L a e r t . II, 22.) an seinem Werke zu verdienen; son321; 7 dern auch, indem er die Lehren | des Ephesiers in seine eigene Sprache überträgt, hat er unrühmlich zu späteren Mißdeutungen den Weg gezeigt. Demohnerachtet nun bilden die Anführungen und die Zeugnisse des Piaton und Aristoteles die einzige sichere Grundlage, worauf eine Darstellung Herakleitischer Lehre beruhen kann, und das richtige Verfahren scheint zu sein, daß man, lediglich von diesen ausgehend, die übrigen Bruchstükke, welche schon ganz vollständig gesammelt zu haben wir uns nicht anmaßen wollen, sondern gewiß noch manche Nachlese übrig lassen für einen späteren Bearbeiter 1 , in dem M a a ß für ächt 1

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Als solchen hat sich schon angekündigt Creuzer, und es ist keinesweges unsere Meinung, seine Arbeit zurükdrängen oder entbehrlich machen zu wollen, sondern vielmehr sie hervorzulokken. | 30

lf Zu Piatons Theaitetos s.u. 134,12f. 14-21; 165,17-19; 177,17; 208,20; vgl. weiter Piaton: Theaitetos 179 d — 181 b, Opera, ed. Societas Bipontina, Bd. 1 — 12, Zweibrücken 1781-1787, Bd. 2, S. 128-132; Werke in acht Bänden, hg. v. G. Eigler, Darmstadt 1970-1983, Bd. 6, S. 116-120. - Zum Kratylos s.u. 134,13f; 157,19; 192,16-20; 238,16 — 18 5—7 Diogenes Laertios IX 6, ed. Meibomius S. 551; ed. Long Bd. 2, S. 439:

τοσαύτην δέ δόξαν έσχε τό σύγραμμα, ώς και αίρετιστάς άτι' αύτοΰ γενέσθαι, τονς κληθέντας 'Ηρακλείτειους. 16f S.u. 112,7f 28—30 Friedrich Creuzer,

1771 — 1858, Philologe und Altertumsforscher, seit 1800 Professor in Marburg, seit 1804 in Heidelberg, hat bereits zu der Zeit der Abfassung des „Herakleitos" an einer Untersuchung zu den Fragmenten dieses vorsokratischen Philosophen gearbeitet, worüber sich Schleiermacher in einem Brief an August Boeckh vom 8. März 1808 als — allerdings zu spät — informiert erklärt; vgl. Briefwechsel mit Boeckh und Bekker, S. 17.

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anerkenne und benuze, als sie mit jenen zusammenhangen oder wenigstens übereinstimmen, und eben so wiederum den späteren Zeugnissen nicht mehr Gewicht beilege, als sie natürliche Verbindung zeigen mit den so anerkannten Bruchstükken. Wer auf diese Weise aus beiden, Zeugnissen und Bruchstükken, einen Kranz geschikt und bedeutsam zu flechten wüßte, ohne eine hinein gehörige Blume liegen zu lassen, von dem würden wir glauben müssen, daß er uns wahres | lehre, und alles wahre, 322 was wir noch wissen können über die Weisheit des Ephesiers. II. Nur erregt bei der Ausführung eines solches Entwurfes wieder neue Bedenken die berühmte Dunkelheit des Mannes, die ihm jedoch erst in späteren Zeiten — und das Buch d e m u n d o z . B . möchte ich schon deshalb dem Arist. absprechen, weil es den Herakleitos ( c a p . V. p. 3 7 4 Ε. E d . C a s a u b . ) σ κ ο τ ε ι ν ό ς nennt — den eben erwähnten Beinamen erwarb, welchen auch wir ihm nicht entziehen, sondern ihn lieber als einen treflich abwehrenden Schild uns vorhalten wollten. Denn diese Dunkelheit muß uns nicht nur mißtrauischer machen gegen jede Auslegung; sondern je weniger uns noch der Zusammenhang vor Augen liegt der vorhandenen Bruchstükke mit dem übrigen, um desto mehr müssen 8 wir auch zweifeln, ob wir den Sinn derselben recht getroffen, oder nicht vielmehr falsch gegriffen haben in dieser Dunkelheit. D a r u m muß uns vorzüglich daran gelegen sein, zu wissen von welcher Art sie eigentlich gewesen, und es ist für keinen geringen Vortheil zu achten, daß sie selbst wenigstens uns hell genug ist, und wir ziemlich sicher entscheiden können, was für eine Bewandniß es damit eigentlich gehabt habe, daß sie nemlich nur eine grammatische gewesen sei, im ersten Anfang der philosophischen Prosa höchst natürlich und verzeihlich. Neuerlich freilich 323 scheinen auch Männer, welche sich vorzüglich mit diesen Gegenständen beschäftiget haben, vielmehr zu der Meinung derjenigen späteren unter den Alten sich zu neigen, welche den Herakleitos beschuldigen, er h a b e absichtlich so sehr als möglich seine Lehre zu verhüllen gesucht. Nur verehren jene Unsrigen den Mann zu sehr, um dies der Eitelkeit oder dem Eigensinn zuzuschreiben, sondern suchen es in anderen heiligeren Bewegungsgründen, weshalb sie aber auch freilich ihre Ansicht auf eine eigene und neue Weise zu rechtfertigen haben. Wir wenigstens haben bei den Alten nur jenes gefunden. So beschuldiget ein T a t i a n u s ( O r a t . a d G r a e c . E d . O x o n . P. 11.) ihn des eitlen Hochmuthes, und „will ihn

9 Das „I." fehlt irrtümlicherweise. 11 — 13 Aristoteles: De mundo 5, Opera, [ed. 1. Casaubon], Bd. 1-2, Leiden 1590, Bd. 1, S. 374 e; ed. W. L. Lonmer, Paris 1933, S. 76 (396 b) — Περί κόσμου ist ein pseudoaristotelisches Werk, das erstmals von Apuleius im 2. Jh. n. Chr. für ein Werk des Aristoteles gehalten worden ist. 26—30 Anspielung auf Friedrich Creuzer; vgl. den Sachapparat zu 110,28—30 und 122,15—20 35—2 Tatianus: Oratio ad Graecos 4, Tatiani Oratio ad Graecos. Hermiae Irrisio gentilium philoso-

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nicht loben, daß er sein Gedicht geheimnißvoll in dem Tempel der Artemis verborgen, damit es später von dort aus erschiene." Fast als ob Herakleitos es angelegt hätte auf die schlechte Fabel, welche Tatianus hernach erzählt, daß nemlich Euripides das ganze Werk in dem Artemistempel allmählig auswendig gelernt, und so nach Athen gebracht habe. Wer 5 weiß nun, wen der Mann anerkannt hat, als solche οΐς μέλον έστι περί τούτων, und wer diese Fabel ausgesponnen hat aus der früheren Erzäh324 lung, die wir bei D i o g . L a e r t . II, 22 und I X , 11 finden, oder aus wel-| chem Verunglimpfer er, wie er selbst verunglimpfen wollte, jene Beschuldigung genommen haben mag! Eben so denken einige freilich nicht ge- 10 nannte bei D i o g . I X , 6. „er habe absichtlich dunkler geschrieben, damit 9 nur die stärkeren Geister sich dem Buche nahen möchten, und es nicht allverbreitet und deshalb gering geschäzt würde." Als ob damals auch das verständlichste philosophische Werk so leicht in Aller Hände gekommen wäre, und ein Schriftsteller der sich auszeichnen wollte, hätte zur 15 Dunkelheit und Schwerfälligkeit fliehen gemußt. Wer erkennt hier nicht die Mißdeutung einer späteren Zeit, in welcher die früheren seltenen Bücher einen großen Werth hatten, in Vergleich mit den späteren zumal in gemeine Leserei übergegangenen Productionen der Sokratischen Schulen. Und läuft es nicht ebenfalls auf eine Beschuldigung der Eitelkeit 20 hinaus, was P l o t i n sagt, (Enn. IV, 8, 1.) Herakleitos habe vernachlässiget seine Rede bestimmt genug vorzutragen, weil er vielleicht gewollt, man solle sich mit ihm mühen, wie er sich selbst gemüht habe, um die Lehre zu finden? Anders, recht wie im Mißmuth, und als wäre er durch

phorum, [Ed. Oxoniensis], ed. W. Worth, e theatro Sheldoniano, Oxford 1700, S. 11; Oratio ad Graecos 3, ed. }. Κ. T. Otto, Corpus Apologetarum Christianorum Saeculi Secundi 6, unveränderter Neudruck der Ausgabe Jena 1851, Wiesbaden 1969, S. 12 — Tatianus: christlicher Apologet des 2. Jh. n. Chr. 7i Diogenes Laertios II 22, ed. Meibomius S. 93: Φασί δ' Εύριπίδην αύτφ [scilicet: Σωκράτη] δόντα τοΰ 'Ηρακλείτου σύγραμμα έρεσθαι, Τί δοκεΐ; τον δε φάναι, "Α μέν συνήκα, γενναία' οίμαι δέ και α μή συνήκα· πλήνΔηλίον γέ τίνος δεϊται κολυμβητοϋ. Vgl. ed. Long Bd. 1, S. 66 — Diogenes Laertios IX 11, ed. Meibomius S. 555: τά δέ περί Σωκράτους και οσα έντυχών τω συγράμματι εϊποι, κομίσαντος Εύριπίδου καθά φησιν 'Αρίστων έν τφ περί Σωκράτους εΐρήκαμεν. Vgl. ed. Long Bd. 2, S. 442 11 — 13 Diogenes Laertios IX 6, ed. Meibomius S. 551: έπιτηδεύσας άσαφέστερον γράψαι, όπως oi δυνάμενοι προσίοιεν αύτφ, και μή έκ τοϋ δημώδους εύκαταφρόνητον ή. Vgl. ed. Long Bd. 2, S. 439 2 1 - 2 4 Plotinos: Enneades IV, 8, 1, Opera omnia, Basel 1580, S. 468: Ό μέν yäp 'Ηράκλειτος, δς ήμΐν παρακελευεται ζητεΐν τοΰτο, άμοιβάς τε αναγκαίας τιθέμενος έκ των έναντίων, όδόν τε άνω και κάτω ειπών και μεταβάλλον αναπαύεται και κάματος έστι τοις αότοϊς μοχθεϊν και άρχεσθαι εικάζειν έδωκεν άμελήσας σαφή ήμΐν ποιήσαι τον λόγον, ώς δέον ίσως παρ' αύτφ ζητεΐν, ώσπερ και αυτός ζητήσας εύρεν.; vgl. Opera, edd. Ρ. Henry! H.-R. Schwyzer, Bd. 1-3, Paris/Brüssel/Leiden 1951-1973, Bd. 2, S.224f. - Plotinos, neuplatonischer Philosoph, ca. 205—270 n. Chr.

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übelgelungene Bemühungen erbittert, sagt C i c e r o (de f i n . II, 5. de n a t . d e o r . I, 26. besonders aber eben daselbst III, 14.) dem Herakleitos auf den Kopf zu, er sei zu | dunkel und absichtlich dunkel, und habe nur 325 nicht gewollt verstanden sein; eben wie wir es oft einem, dem wir Talent 5 genug zutrauen, als Eigensinn sich nicht herabstimmen zu wollen auslegen, wenn es ihm nicht gelingt, sich uns verständlich zu machen. Das sei nun dem vornehmen Römer verziehen seiner Bequemlichkeit wegen, da er sich nicht gern verreden wollte über das Verhältniß der Herakleitischen Meinung vom Feuer zu der stoischen. C l e m e n s ( S t r o m . V, 10 p. 676.) erwähnt der Dunkelheit des Herakleitos freilich in Verbindung mit mehreren Schriftstellern, von denen manche wol absichtlich dunkel oder wenigstens verstekt geschrieben haben. Aber sein Zwek, die allegorisirenden Auslegungen der heiligen Schriftsteller durch eine ähnliche absichtliche Dunkelheit derselben, die er voraussezen will, zu rechtferti15 gen, macht ihn verdächtig, für eine schwache Sache, wie es zu geschehen pflegt, auch unpassende Beispiele zusammengerafft zu haben. Deutlich aber sagt schon er nirgends, die Dunkelheit des Herakleitos sei absieht- 10 lieh gewesen. S e x t u s (adv. M a t h . I, 3 0 1 . ) führt sie auf eine solche Weise an, daß das Beispiel für seinen Zwek nur dann recht brauchbar 20 wird, wenn die Dunkelheit nicht eine absichtlich veranstaltete ist, sondern ihren Grund hat in der Natur der Sache oder in dem Zustande der 9 V] VI

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1—4 Cicero: De finibus bonorum et malorum II 5, Opera omnia, ex recensione ]. Gronovii, ed. ]. A. Ernesti, Bd. 1~4, Leipzig 1737—1738, Bd. 4, S. 121 f: quod [scilicet: ut non intellegatur] duobus modis sine reprehensione fit: si aut de industria facias, ut Heraclitus, cognomento qui σκοτεινός perhibetur, quia de natura nimis obscure memoravit: aut cum rerum obscuritas, non verborum, facit, ut non intellegatur oratio [...].; vgl. ed. H. Rackham, The Loeb Classical Library, London/ Cambridge (Mass.) 1951, S. 94 — Cicero: De natura deorum I 26, Opera Bd. 4, S. 492: [...] nec consulto dicis occulte, tamquam Heraclitus: sed /.../ ne tu quidem intellegis.; vgl. I 74 ed. A.S. Pease, [Reprint der Ausgabe Cambridge (Mass.) 1955], Bd. 1-2, Darmstadt 1968, Bd. 1, S. 388 f 1 f. 7 - 9 Cicero: De natura deorum III 14, Opera Bd. 4, S. 582: Sed omnia vestri, Balbe, solent ad igneam vim referre, Heraclitum, ut opinor, sequentes: quem ipsum non omnes interpretantur uno modo, qui quoniam, quid diceret, intellegi noluit, omittamus [...].; vgl. III 35 ed. Pease Bd. 2, S. 1030 f 9—12 Clemens von Alexandreia (Alexandrinus): Stromata V 8, Opera quae extant, ed. J. Potter, Venedig 1757, S. 676: ώς και τό 'Ηρακλείτου Περί φύσεωςος και δι' αυτό τοΰτο σκοτεινός προσηγόρευται. Opera, ed. W. Dindorf, Bd. 1-4, Oxford 1869, Bd. 3, S. 40. An weiteren Schriftstellern werden ebd. genannt die Pythagoreer, Pherekydes, Euphorion, Kallimachos und Lykophron. — Die von Schleiermacher vermutlich benutzte Ausgabe ist im übrigen text- und seitenidentisch mit der Ausgabe Opera quae extant, ed. ]. Potter, e Theatro Sheldoniano, Oxford 1715; vermutlich ist diese Ausgabe Potters im Druckhaus Zatta in Venedig bewußt nachgesetzt worden. 12—15 Vgl. Clemens: Stromata V 8, Opera ed. Potter S. 675 f ; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 39 f 18—1 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos I 301, Opera ed. Fabricius S. 283; edd. Mutschmann/Mau Bd. 3, S. 77

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Sprache. Auf lezteres | nun weiset, ohne irgend eines anderen Grundes auch nur zu erwähnen, er der solche beiläufige Erwähnungen nicht scheut, A r i s t o t e l e s ganz deutlich hin, indem er ( R h e t . III, 5.) die Schreibart des Herakleitos als auf eine eigene Art fehlerhaft anführt, weil nemlich schwer sei, zu interpungiren, indem man gar oft nicht wisse, ob ein Wort zum vorigen zu ziehen sei oder zum folgenden, wozu er bald vom Anfange des Werkes her ein Beispiel beibringt. Grade so urtheilt D e m e t r i o s (de e l o c u t . §. 192. p. 78.) daß Herakleitos größtentheils dunkel werde durch den Mangel an Verbindung, so daß man nicht wisse, wo jeder Saz anfange und endige. So wie nun der Verfasser dieser Schrift offenbar als einer urtheilt, der es selbst versucht hat, so können auch wir noch jezt nicht nur auf diese Zeugnisse gestüzt, sondern auch aus eigener Erfahrung behaupten, daß die Dunkelheit des Herakleitos wirklich größtentheils hierin ihren Grund hat. Denn das Zeugniß dieser beiden Männer wird ganz augenscheinlich bestätiget durch die Beschaffenheit der meisten noch vorhandenen Bruchstükke, indem nicht nur viele derselben uns ähnliche Schwierigkeiten darbieten, sondern auch in solchen, wo offenbar von den Hauptlehren des Herakleitos die Rede ist, kein Unbefangener ein Bestreben bemerken kann diese verhüllen zu wol327 len; son|dern unumwunden, was er angeschaut hat, giebt er uns wieder. Auch kann man von demjenigen, welcher gesagt, „den Unverstand sei es besser zu verbergen" wol vielleicht bezeugen müssen, es sei ihm schwer geworden die Weisheit ans Licht zu bringen, nicht aber darf man von 11 ihm vernünftigerweise glauben, er habe es in der That für besser angesehen, auch sie zu verhüllen. Und darum stehe dieses zuerst hier unter allen seinen Bruchstükken.

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1. Ά μ α θ ί η ν γαρ ά μ ε ι ν ο ν , ώς φησιν Ηράκλειτος, κ ρ ύ π τ ε ι ν . έργον δέ εν άνέσει και παρ' οϊνον. ( P l u t . S y m p o s . III. Ed. F r c o f . Τ. II, p. 644.) Die lezten Worte nemlich, wiewol sie ähnlich

27 1.] 1)

29 Τ. II] Τ. I

3—7 Aristoteles: Rhetorica III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 336 b; Ars Rhetorica, ed. W. D. Ross, Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1959, S. 154 (1407 b). — Das Beispiel lautet: τοΰ λόγου τοϋδε έόντος αίει άξύνετοι άνθρωποι γίνονται; s. u. 209,27—210,4. 7—10 Demetrios von Phaleron (Demetrius Pbalerius): De elocutione (περί ερμηνείας) 192, ed. J. G. Schneider, Altenburg 1779, S. 77 f: το δέ άσύνθετον και διαλελυμένον όλον ασαφές παν άδηλος γαρ ή εκάστου κώλου άρχή δ ιό τήνλυσιν, ώσπερ τά Ηρακλείτου· και γαρ ταΰτα σκοτεινά ποιεί το πλείστον ή λύσις; Ort style, ed. W. R. Roberts, The Loeb Classical Library, London/Cambridge (Mass.) 1965, S. 418 f — Demetrios von Phaleron: vor 344 v. Chr. geboren, Staatsmann und Philosoph, Schüler des Aristoteles. 27—29 Plutarchos: Symposiaca III 1, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 644; vgl. Moralia Bd. 4, S. 79

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aus einer andern Schrift des Plutarchos (de e r u d . m u l i e r . ) S t o b ä o s anführt άμαθίαν, ώς φησιν 'Ηράκλειτος, και άλλως κρύπτειν έργον εστίν, εν οινω δε χαλεπώτερον (Serm. XVII. E d . L u g d . p. 165.) halte ich nicht für Herakleitisch, sondern für eine Wendung, welche Plutarchos dem Spruche giebt seinem Zwekke gemäß, wie er ihn anderwärts (de a u d i t . T.II. p. 43. Τάχα μεν γαρ ουδέ άμαθίαν κρύπτειν άμεινον, ώς φησιν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς , άλλ' εις μ έ σ ο ν τιθέναι χαί θεραπεύειν) nur anführt, um ihm, in einem weiteren Sinne vielleicht, zu widersprechen. Und zwar ist diese Anführung vollständiger, wenn | man anders, wie ich wol 328 möchte, dem S t o b ä o s trauen darf, der an einer Stelle, wo mehr Herakleitisches zusammen steht, S e r m . III, p. 48. den Spruch auch ionischer so anführt Κ ρ ύ π τ ε ι ν ά μ α θ ί η ν κ ρ έ σ σ ο ν ή ε ς τ ό μ έ σ ο ν φ έ ρ ε ι ν. „Unverstand ist besser zu verbergen als zur Mittheilung zu bringen." — Ganz ohne Zusaz hat noch einmal P l u t a r c h o s dasselbe ( q u o d v i r t . d o c . p o s s . p. 439.) Ά μ α θ ί α ν γάρ Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς φησι κρύπτειν άμεινον. Allein den Vorzug, wörtlicher angeführt zu haben, muß man doch wol dem späteren Sammler zugestehen, der grade hier aus einer guten Quelle scheint geschöpft zu haben.

Eben so wenig schikken sich ja zu einer absichtlichen Dunkelheit seine häufigen Klagen über die Unfähigkeit zu verstehen, welche sich bei den meisten Menschen finde, wenn er doch selbst gesonnen war, seine Leser nach Vermögen in den Fall des Nichtverstehens zu sezen; nicht viel besser 25 die Aufmunterungen sich anzustrengen, und auch um kleinen Gewinns willen große Mühe zu übernehmen, am allerwenigsten aber die Drohun-

3 Serm. XVII] Serm. XVIII 1—4 Stobaios (Johannes Stobaios): Sermones 17, Sententiae ex thesauris Graecorum delectae, [Editio Lugdunensis], Genf 1609, S. 165; Anthologii libri duo posteriores, 18, ed. O. Hense, Bd. 1—3, 2. Auflage, Berlin 1958, Bd. 1, S. 521 — Stobaios zitiert hier die ansonsten unüberliefert gebliebene Schrift De eruditione mulierum ( Ότι και γυναίκα παιδεντέον) des Plutarch. — Bei den meist als „Sermones" zitierten „Sententiae" des Philosophen Johannes Stobaios aus dem 5. Jh. n. Chr. handelt es sich um die Bücher 3—4 eines großen Zitaten- und Exzerptenwerkes, dessen erster Teil, die Bücher 1—2, die „Eclogae" sind. Der ursprüngliche Titel des Gesamtwerkes lautet vermutlich Έκλογαί 'Αποφθέγματα Ύποθήκαΐ. Die als Editio Lugdunensis von Schleiermacher zitierte und benutzte Ausgabe ist vermutlich die in Genf (Aurelia Allobrogum) 1609 „pro Francisco Fabro, Bibliopola Lugdunensi" gedruckte Lizenzausgabe einer 1608 in Lyon erschienenen Edition. 6—8 Plutarchos: De auditione 12, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 43; vgl. De audiendo, Moralia Bd. 1, S. 87 11 — 14 Stobaios: Sermones 3, Ed. Lugdunensis S. 48; 1 ed. Hense Bd. 1, S. 129 15 — 17 Plutarchos: Quod virtus doceri possit, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 439; vgl. An virtus doceri possit, Moralia Bd. 3, S. 124

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12 gen gegen diejenigen, welche falsches in Umlauf sezen. Und so mögen diese gleich zu seiner Rechtfertigung hier mit einander folgen. So klagt Herakleitos, daß die Menschen mit sehenden Augen nicht sehen: | 329

2. Ο ύ γ α ρ φ ρ ο ν έ ο υ σ ι τ ο ι α ύ τ α π ο λ λ ο ί , ό κ ό σ ο ι έ γ κ υ ρ σ ε ύ ο υ σ ι ν , ο ύ δ έ μ α θ ό ν τ ε ς γ ι ν ώ σ κ ο υ σ ι ν , έ α υ τ ο ι σ ι δε 5 δ ο κ έ ο υ σ ι , κατά τον γενναΐον Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν . C l e m . S t r o m . II, 2. p. 432. Nach όκόσοι ist entweder μοί ausgefallen, oder man muß mit G a t a k e r όκόσοις, dann aber auch έγκυρσεύωσι schreiben. An dieser sonst nicht vorkommenden Form aber wage ich ohne Autorität nicht zu rühren. Das τοιαύτα auf einen eben dargestellten 10 wesentlichen Punkt seiner Lehre bezogen, wäre dann das Ganze so zu fassen „Solches aber ist nicht die Gesinnung oder Einsicht der Meisten, wie viele mir aufstoßen" oder „auf wie vielerlei Dinge sie auch stoßen, noch auch erkennen sie es, wenn man es ihnen vorträgt, sondern dünken es sich nur." 15 Und Clemens redet hier gerade davon, daß man den Unreinen nicht das Heilige vorwerfen müsse; wenn nun diese Worte bei Herakleitos eben so wären gemeint gewesen, und Clemens hätte also bei ihm nicht nur die Gründe für seine Regel gefunden, sondern auch die Regel selbst, warum sollte er sie nicht mit angeführt haben? Ferner

330

20

3. Ά λ λ α γαρ άτεχνώς οΐμαι άρμόττει τοις ομοίως ύμιν άντιλέγουσιν, άπερ Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ό Έ φ έ σ ι ο ς εΐρηκεν, Ά ξ ύ ν ε τ ο ι ά κ ο ύ σ α ν τ ε ς | κωφοΐς έοίκασι· φάτις αύτοϊσι μαρτυρεί π α ρ ε ό ν τ α ς ά π ε ΐ ν α ι . T h e o d o r e t . Vol. IV, p. 712. E d . H a l . aus welchem C l e m e n s zu verbessern, der S t r o m . V, 14, p. 718 das- 25 selbe hat, nur daß er ganz unverständlich statt άπεΐναι liest άπΐέναι. „Unverständig Hörende gleichen Tauben: von ihnen giebt Zeugniß der Spruch, daß auch Anwesende abwesend sind." 4 2.] 2)

21 3.] 3)

4 - 7 Clemens: Stromata II 2, Opera ed. Potter S. 432; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 149 f 7—9 [Thomas Gataker: Annotationes ad Marcum Aurelium Antoninum, in:] Marci Antonini Imperatoris de rebus suis, sive de eis quae ad se pertinere censebat, libri XII. Locis baud paucis repurgati, suppleti, restituti [...] ac commentario perpetuo explicati atqe illustrati, studio operaqe Thomae Gatakeri, Utrecht 1697, S. 128 — Gatakers Ausgabe des Werkes des Marcus Aurelius Antoninus enthält auf jeder Folioseite mindestens etwa Zweidrittel Annotationes. Sie wurde in Gatakers Opera critica, Bd. 1, Utrecht 1698, aufgenommen, ohne daß dieser Band eine eigenständige, durchgehende Seitenzählung erhalten hat. 21—24 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio I, Opera omnia, ex recensione Jacobi Sirmondi, ed J.L. Schulze, [Ed. Halensis], Bd. 1—5, Halle 1769—1774, Bd. 4, S. 712; SC 57, S. 122 — Theodoretos: 393 — 466 n. Chr., Bischof von Kyrrhos. 25—27 Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 718; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 95

Herakleitos

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Die gewöhnlichen kleinen Ionismen fehlen hier an beiden Orten, ob diese 13 aber da sind oder nicht ist schlechthin unbedeutend, da sie eben so leicht konnten verloren gehn als ersezt werden. 5

4. 'Απίστους τινάς είναι έπιστύφων Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς φησιν, ά κ ο ΰ σ α ι ο υ κ έ π ι σ τ ά μ ε ν ο ι ο ύ δ ' ε ι π ε ί ν , ωφεληθείς δήπουθεν παρά Σαλομώντος. ( C l e m . S t r o m . 11,5, p. 442.) „Nicht wissend zu hören noch zu reden." Wahrscheinlich gehört auch irgendwie hieher

10

15

5. Κ ύ ν ε ς γ α ρ κ α ι β α ΰ ζ ο υ σ ι ν , ö v α ν μή γ ι ν ώ σ κ ω σ ι κ α θ ' Ή ρ ά κ λ ε ί τ ο ν . „Denn die Hunde bellen auch an wen sie nicht kennen." P l u t . a n s e n i sie g e r . r e s p . Τ. II, p. 787, wo, man mag das γαρ και dem Herakleitos geben oder als Anführungsformel dem Plutarchos, von nichts anderem kann die Rede gewesen sein, als in Bezug auf das | neue Lehrgebäude von dem Neid und Widerwillen, 331 der das Fremde anficht. Und wie unbarmherzig wären bei so bösem Willen die Aufforderungen, die uns Clemens und Theodoretos aufbehalten haben.

20

25

6. Τοΰτο και 'Ηράκλειτος ό Έ φ έ σ ι ο ς τό λ ό γ ι ο ν - nemlich wieder ein alttestamentisches Έ ά ν μή πιστεύσητε, ού μή συνήτε — παραφράσας ειρηκεν, Έ ά ν μή έ λ π η τ α ι , ά ν έ λ π ι σ τ ό ν ο υ κ έ ξ ε υ ρ ή σ ε ι ά ν ε ξ ε ρ ε ύ ν η τ ο ν . έ ό ν και ά π ο ρ ο ν . Clem. S t r o m . II, 4. p. 437. Dasselbe schreibt T h e o d o r e t . Vol. IV, p. 716 Έ ά ν μή έ λ π ί ζ η τ ε , ά ν έ λ π ι σ τ ό ν ο ύ χ ε ύ ρ ή σ ε τ ε ά ν ε ξ ε ύ ρ η τ ο ν έ ό ν κ α ι ά π ο ρ ο ν , so daß man lesen möchte έ λ π η σ θ ε und έ ξ ε υ ρ ή σ ε τ ε . „Wenn ihr nicht hofft, werdet ihr das ungehoffte nicht finden, da es unfindbar ist und unzugänglich." — Und 7. Χ ρ υ σ ό ν γ ά ρ ο ί δ ι ζ ή μ ε ν ο ι , φησιν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς , γ ή ν π ο λ λ ή ν ό ρ ύ σ σ ο υ σ ι , και ε ύ ρ ί σ κ ο υ σ ι ν ο λ ί γ ο ν . Clem.

21 έόν] ον

23 εύρήσετε] έυρήσετε

4—6 Clemens: Stromata II 5, Opera ed. Potter S. 442; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 161 9—11 Plutarchos: An seni sit gerenda res publica, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 787; vgl. Moralia Bd. 5/1, S. 31 18—22 Clemens: Stromata II 4, Opera ed. Potter S. 437; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 155 19 Jes 7,9 22—24 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio I, Opera ed. Schulze [Ed. Halensisj Bd. 4, S. 716 (Q: άνεξεννητον; der textkritische Apparat bietet Schleiermachers Lesart als Konjekturvorschlag); SC 57, S. 127 28—1 Clemens: Stromata IV 2, Opera ed. Potter S. 565; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 317

Herakleitos

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S t r o m . IV, 2. p. 565, und T h e o d o r e t . a. a. O. „Denn die Goldsuchenden, sagt Herakleitos, graben viel Erde auf und finden weniges." 14 Aber welches Urtheil spricht er sich selbst mittelbar wenigstens falls er durch gesuchte Dunkelheit zum Mißverstand verleitete, in folgenden Worten (Clem. S t r o m . V, 1. p. 649) 332

5

8. Δ ο κ ε ό ν τ ω ν γ α ρ ό δ ο κ ι μ ώ τ α τ ο ς γ ι | ν ώ σ κ ε ι φ υ λ ά σ σ ε ι ν και μ έ ν τ ο ι και δίκη κ α τ α λ ή ψ ε τ α ι ψευδών τ έ κ τ ο ν α ς κ α ι μ ά ρ τ υ ρ α ς ό Έ φ έ σ ι ό ς φησιν, die ersten möchte ich nicht mit dem Uebersezer des C l e m e n s erklären p r o b a t o r u m 10 p r o b a t i s s i m u s n o u i t s e r v a r e ; noch wüßte ich sie gelinder zu heilen als so δοκεόντα γαρ ... γινώσκειν φυλάσσει. „Das Scheinbare vermeidet der Treflichste im Erkennen, und Strafe wird ergreifen, welche Falsches erfinden und bezeugen." Wie wenige Stellen giebt es dagegen welche scheinen eine absichtliche 15 Dunkelheit vertheidigen zu sollen! Denn gleich die (Plut. de P y t h . o r a c . Vol. II, p. 397.)

333

9. Σ ί β υ λ λ α δε μ α ι ν ο μ έ ν ω σ τ ό μ α τ ι κ α θ ' Ήράκλειτον α γ έ λ α σ τ α κ α ι ά κ α λ λ ώ π ι σ τ α κ α ι α μ ύ ρ ι σ τ α φ θ ε γ γ ο μ έ ν η χιλίων ετών έξικνεΐται τη φωνη δια τον θεόν. „Die Sibylle aber 20 mit wahnsinnigem Munde nach Herakleitos unbelachtes, ungeschmüktes, ungesalbtes redend reicht über tausend Jahre mit ihrer Stimme des Gottes wegen" — bei welcher die Zeitbestimmung doch offenbar mehr dem P l u t a r c h o s als dem H e r a k l e i t o s angehört — wiewol das δια τον θεόν wieder Herakleitisch zu sein scheint 25 nach C l e m e n s , der sich offenbar auf unsere selbige Stelle bezieht S t r o m . I, 15, p. 358. Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς γαρ | ούκ ανθρωπίνως φησιν, άλλα σ υ ν θ ε ώ μάλλον Σιβύλλην (so muß man lesen mit Sylb.

6 Strom. V] Strom. VI 1—3 Tbeodoretos: Graecamm affectionum curatio, Disputatio I, Opera ed. Schulze [Ed. Halensis] Bd. 4, S. 716: Χρυσόν oi διζήμενοι γήν πολλήν όρύσσουσι, και εύρίσκουσιν ολίγον; SC 57, S. 127 6-9 Clemens: Stromata V 1, Opera ed. Potter S. 649; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 8 10 f Clemens: Stromata V 1, Opera ed. Potter S. 649: Eorum enim, qui sunt probati, probatissimus novit servare. 16—20 Plutarchos: De Pythiae oraculis 6, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 397; Moralia Bd. 3, S. 31 26—1 Clemens: Stromata 1 15, Opera ed. Potter S. 358; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 57 28 f Clemens: Opera, ed. F. Sylburg, Heidelberg 1592, S. 131,22. — Friedrich Sylburg, Bibliothekar und Philologe, 1536—1596. — Sylburgs Lesart erscheint in der Ausgabe Potters als Emendationsvorschlag von William Lowth.

119

Herakleitos statt Σ ι β ύ λ λ η )

πεφάνθαι

— die g a n z e Stelle a b e r , wie

thut, dem sogenannten Herakleitos zuzuschreiben, nach

Freret

welchem

das Büchlein π ε ρ ί α π ί σ τ ω ν genannt wird, verräth wenig A u f m e r k s a m k e i t a u f die S c h r e i b a r t s o w o l als a u f die g a n z e n t g e g e n g e s e z t e 5

T e n d e n z jener Schrift: soll, w e n n sich ja H e r a k l e i t o s als ein ύ π ε ρ ή φ α ν ο ς m i t d e r Seherin verglic h e n h a t , d o c h n u r die u n g e s c h m ü k t e S c h r e i b a r t r e c h t f e r t i g e n , n i c h t die

15

u n v e r s t ä n d l i c h e , u n d w a s w a h r s c h e i n l i c h diese Stelle i m Sinne h a b e n d , I a m b l i c h o s d e m y s t . S e c t . I I I . c a p . V I I I . sagt και λ ό γ ο υ ς μ ε ν π ρ ο -

ιο ϊεμένη, ού μετά διανοίας δε των λεγόντων, άλλα μαινομένω φασί σ τ ό μ α τ ι ist e n t w e d e r n u r eine s c h l e c h t e U m s c h r e i b u n g v o n j e n e m , u n d heißt „ n i c h t a b e r mit d e r K u n s t d e r R e d n e r , " o d e r w e n n m a n g e w a l t s a m λ ε γ ο μ έ ν ω ν lesen w o l l t e , s o k ö n n t e d o c h d a s g a r n i c h t e r w e i s l i c h zu d e m L o b e g e h ö r e n , w e l c h e s d e r E p h e s i e r ihr beigelegt h a t . M e h r n o c h f ü h r t 15

m a n zu d i e s e m B e h u f a n , w a s P l u t a r c h o s in d e r s e l b e n Schrift p . 4 0 4 aufbehalten hat

10. Οΐμαι δε γινώσκειν τό παρ' Ήρακλείτω λεγόμενον ώς ώναξ ού τό μ α ν τ ε ΐ ό ν έ σ τ ι τό έν Δ ε λ φ ο ΐ ς ο υ τ ε λ έ γ ε ι ουτε 20

κρύπτει

άλλα

σημαίνει.

„Der König, deß | das Orakel

ist bei d e n D e l p h i e r n , e r k l ä r t n i c h t , n o c h v e r b i r g t er, s o n d e r n d e u t e t

1 Σιβύλλη] Σιβύλλη 1—3 Nicolas Freret: Observations sur les recueils de predictions ecrites, qui portoient le nom de Musee, de Bacis et de la Sibylle (1749), Les Mimoires de Littirature, tires des registres de l'Academie Royale des Inscriptions et Belles-Lettres, Bd. 23, Paris 1756, S. 187—212, hier: S. 193 Anm. f [zur zitierten Stelle Plutarchos: De Pythiae oraculis 6]: „Cet Heraclite n'est pas le philosophe Ephesien surnommi le Tenebreux, mais un autre Heraclite dont nous avons un recueil de narrations fabuleuses." Auf die Abhandlung Frerets ist Schleiermacher vermutlich aufmerksam gemacht worden durch Fabricius: Bibliotheca Graeca, hg. v. Harles Bd. 1, S. 290 (Anm. cc). — Freret (1688—1749), eigentlich Advokat, war ein bedeutender französischer Gelehrter auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung, Geographie und Philologie der Antike. 3 Das anonyme Buch Περί απίστων (De incredibilibus), in 39 Kapiteln erhalten und in Rom 1641 (hg. v. L. Allatius) zum ersten Mal gedruckt, wird bereits im 12. Jh. von Eustathios in seinem Kommentar zu Homers Odyssee einem Autor namens Herakleitos zugeschrieben, der zur Unterscheidung von Herakleitos dem Dunklen häufig Heraclitus Grammaticus oder Paradoxographus genannt wird; vgl. Fabricius: Bibliotheca Graeca, hg. v. Harles Bd. 1, S. 192. — In den Opuscula mythologica, Amsterdam 1688, von Thomas Gale, die Schleiermacher besessen hat, ist eine von Gale überarbeitete Fassung der von Allatius (Allacci) veranstalteten Ausgabe von Περί απίστων enthalten. 9—11 Iamblichos: De mysteriis III 8, ed. T. Gale, Oxford 1678, S. 68; Les Mysteres d'Egypte, ed. E. des Places, Paris 1966, S. 108 — Iamblichos aus Chalkis, Neuplatoniker des 4. Jh. n. Chr. 15 — 19 Plutarchos: De Pythiae oraculis 21, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 404 (Q: οστ' όναξ); vgl. Moralia Bd. 3, S. 47

334

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Herakleitos

Aber wer darf wol bei σημαίνείν an absichtliche Verhüllung denken, denn was wäre dann wol κρύπτειν? und führt nicht der Zusammenhang beim Plutarch vielmehr selbst dahin, daß von solchen Dingen die Rede gewesen, welche mit dürren Worten ausgesprochen werden nicht können, aber verhelt doch auch nicht sein wollen? Es ist uns noch eine, weil sie so ganz abgerissen dasteht, ziemlich unverständliche Stelle dieser Art im Gedächtniß.

5

11. Οΐδα εγώ και Πλάτωνα προσμαρτυροϋντα Ήρακλείτω γράφοντι Έ ν τό σ ο φ ό ν μ ο υ ν ο ν λ έ γ ε σ θ α ι ουκ έ θ έ λ ε ι και έ θ έ λ ε ι , Ζ η ν ό ς ό ν ο μ α ( C l e m . S t r o m . V, 14, p. 718), was ich so verstehe: „Das Eine Weise allein will ausgesprochen nicht werden und doch auch werden, der Name des Z e u s ; " nicht wie der Uebersezer des C l e m e n s : Q u o d u n u m s a p i e n s e s t s o l u m t a r n e n d i c i non vult, idemque Jovis nomen amat. Ist hier nicht, wie man auch übrigens erkläre, das was nicht ausgesprochen sein will, der Name des Zeus, also gewiß das Höchste? Kurz, wer 16 nicht etwa, die Ansicht des T h e o p h r a s t o s im Sinne habend, der uns bei D i o g . L a e r t . I X , 6. versichert, „Herakleitos habe aus unmuthigem 335 Trübsinn manches nur halb vollendet gelassen, | manches an verschiedenen Orten verschieden dargestellt," solche Stellen als Entschuldigungen darüber ansehn will, daß er nicht genug ins Einzelne hineingeht, worüber auch zwei andere Autoritäten bei D i o g e n e s (IX, 8 und 11) klagen, was aber doch das weniger richtige zu sein scheint, dem leuchtet gewiß ein, Herakleitos habe sich solche Sprüche für diejenigen Stellen seines Werkes aufgespart, wo er mit seiner Weisheit an die Grenzen des didaktisch auszusprechenden gekommen war, um statt der eigentlichen Mythen, die ihm abgingen, mit solchen geheimnißvollen Sprüchen wie mit goldenen Nägeln seine Philosophie am Himmel zu befestigen. Aerger freilich als das bisherige in dieser Art scheint eine Stelle zu sein, welche uns ebenfalls C l e m e n s aufbewahrt hat ( S t r o m . V, 13, p. 699) und welche man vielleicht gern für eine untergeschobene Stelle halten würde, wenn sie nicht grade so viel von der Dunkelheit an sich hätte, derentwegen Herakleitos angeklagt wird. Sie lautet aber so:

8 - 1 4 Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 718; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 95. — Die lateinische Übersetzung in der von Schleiermacher benutzten Ausgabe stammt von John Potter, der dabei allerdings auf die Übersetzung von Gentian Hervet zurückgegriffen hat. 17 Theophrastos (ca. 352 — 287 v. Chr.), Schüler und Nachfolger des Aristoteles. 18—20 Diogenes Laertios IX 6, ed. Meibomius S. 551: Θεόφραστος δε φησινύπό μελαγχολίας τα μεν, ημιτελή, τά δ' άλλοτε άλλως έχοντα γράψαι. Vgl. ed. Long Bd. 2, S. 439 3 0 - 3 Clemens: Stromata V 13, Opera ed. Potter S. 699; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 69

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Herakleitos

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12. ' Α λ λ ά τά μ ε ν της γ ν ώ σ ε ω ς β ά θ η κ ρ ύ π τ ε ι ν ά π ι σ τ ί η α γ α θ ή , καθ' Ήράκλειτον ά π ι σ τ ί η γ ά ρ δ ι α φ υ γ γ ά ν ε ι μή γινώσκεσθαι. 5

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Vieldeutig ist hier alles. Man sehe nur wie vielerlei Sinn uns schon die Ausleger des C l e m e n s bringen, ohnerachtet sie alle άπιστίη nur | durch 336 i n c r e d u l i t a s übersezen. Wenn man es nun aber hineinspielen könnte in den Sinn von Undeutlichkeit; dann hätten wir es ja, daß es eine vortrefliche Undeutlichkeit wäre — oder daß die Undeutlichkeit vortreflich dazu wäre — die Tiefen der Einsicht zu verbergen; denn durch die Undeutlichkeit — άπιστίη wird man doch wol lesen müssen — entgingen sie dem, daß sie nicht erkannt würden. Nur daß ich dann dem Manne zurufen möchte, noch besser aber doch du Guter, wenn sie so unbedingt nicht erkannt zu werden wünschen, geschieht das durch Schweigen, welches du also uns angerühmt und selbst ausgeübt haben solltest. Darum 17 kann ich keinen andern Sinn finden für dieses Bruchstük, als daß es sich anschließt an seinen Tadel früherer Weisen und Dichter, von denen er anderwärts ohnedies sagt „Keiner von Allen auf deren Reden er getroffen, habe noch etwas richtig eingesehen," und daß er in gleichem Sinne auch dies gesagt habe „solche Unzuverlässigkeit nemlich, die dem Scheine folgend einiges zwar richtig vorbringt, anderes aber falsch, sei nur gut um die Tiefe der Wahrheit zu verbergen. Denn bei solcher Unzuverlässigkeit müsse sie nothwendig immer entschlüpfen, daß sie nicht erkannt werde." Wenn wir nur nicht zu nachgiebig den Herausgebern des C l e m e n s gefolgt sind, indem wir | die Worte Άλλά.,.άγαθή schon 337 als Worte des Herakleitos bezeichnet haben. Denn sie können gar wol dem C l e m e n s angehören, ja dem Zusammenhange nach muß man sogar schließen, daß er nur seine Erklärung und Anwendung der Worte selbst des Herakleitos voranschikt; und der Ausdruk γνώσεως βάθη hat wol auch einen verdächtigen christlichen Klang. Bleiben nun die Worte άπιστίη...γινώσκεσθαι dem Herakleitos: so möchte ich zwar ebenfalls άπιστίη lesen, die Stelle aber gehört dann mehr zu denen, welche über das Nichtverstehen klagen und die Ursachen desselben aufdekken, und ist so ohngefähr zu fassen, „Durch seine Unglaublichkeit entschlüpft" — das Wahre nemlich — „dem Erkanntwerden." III. Will man dennoch ein absichtliches Verhüllen annehmen: so kann man, da die Ausflucht ganz wegfällt, Herakleitos habe vielleicht nur undeutlich geredet, weil er seiner Sache nicht recht sicher gewesen, wol kaum anders als glauben, daß er nicht sowol selbstentdektes und

28 f Vgl. Rom 11, 33: Ώ βάθος πλούτου και σοφίας και γνώσεως θεοΰ; vgl. auch 1 Kor

2,10

122

Herakleitos

a n g e s c h a u t e s v o r g e t r a g e n h a b e , als v i e l m e h r in heiligen M y s t e r i e n offenb a r t e s , u n d a u c h d a s g a n z e B u c h m e h r im T e m p e l v e r b o r g e n als n u r niedergelegt, w e l c h e s g l a u b h a f t und g r ü n d l i c h a u s g e f ü h r t zu sehen uns 338; 18

w o l v e r l a n g t e 2 . | D e n n alle Z e u g n i s s e s c h e i n e n ü b e r e i n z u s t i m m e n , ihn als E r f i n d e r a n z u s e h e n . P h i l o in d e r Schrift q u i s

r e s . d i v . h a e r . an

5

einer Stelle a u f die w i r n o c h e i n m a l z u r ü k k o m m e n , sieht es als b e k a n n t a n und a u c h u n t e r den H e l l e n e n a l l g e m e i n a n g e n o m m e n , d a ß H e r a k l e i t o s , w a s er a n die Spize seiner P h i l o s o p h i e stellt, a u c h selbst e r f u n d e n h a b e . D a r u m s c h r e i b e n i h m a u c h s p ä t e r e keinen L e h r e r zu, a u ß e r a u f eine o f f e n b a r f a l s c h e Weise, w i e e t w a A m m o n i u s

(in A r i s t . C a t e g .

10

p. 1.) den P y r r h o n , und U n g e n a n n t e b e i m S o t i o n ( D i o g . I X , 5 . ) den X e n o p h a n e s , w a s sich d u r c h die T h a t w i d e r l e g t ; o d e r a u f eine h ö c h s t v e r d ä c h t i g e , w i e bei S u i d a s (ν. Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ) den P y t h a g o r e e r H i p p a sos, w a s o f f e n b a r v o n s o l c h e n h e r r ü h r t , die g e r n alles a u f den P y t h a g o r a s 338

2

Der gelehrte C r e u z e r wolle dies ja nicht als eine | feindselige Ausforderung 15 ansehn, sondern nur wie es gemeint ist, als den Wunsch, daß er doch ja recht deutlich bestimmen möge, in wie fern er glaubt, daß die Philosophie des Herakleitos sich mehr aus den Symbolen des Artemisdienstes als durch die unmittelbare Anschauung der Natur entwikkelt habe, und ihm für diese, wie uns scheint klarere und für sich bestehende Anschauungen der Sinn erst aufgegan- 20 gen sei durch jene dunkleren Symbole. |

5—9 Philon: Quis verum divinarum haeres sit 43, Omnia quae extant opera, Paris 1640, S.510; Opera, Bd. 1-8, ed. M. C. E. Richter, Leipzig 1828, Bd. 3, S.47. - Unten 182,31—36 10 f Ammonios: Εις τάς δέκα κατηγορίας [In Aristotelis Categorias], Ed. Aldina, Venedig [1503], unpaginiert [S. 1 des Textes]; Johannes Philoponos: In Aristotelis Categorias commentarium, ed. A. Busse, CAG XIII 1, Berlin 1898, S. 2 — Welche Ausgabe Schleiermacher tatsächlich benutzt hat, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, da die älteren Ausgaben mehrheitlich unpaginiert sind, Schleiermachers Angabe der Seitenzahl also kein sicheres Kriterium zur Identifizierung der Ausgabe bietet. 11 f Diogenes Laertios IX 5, ed. Meibomius S. 550 f: ήκουσέ τε ούδενός, αλλ' αύτόν έφη διζήσασθαι, και μαθεϊν πάντα παρ' έαυτοΰ. Σωτίων δέ φησιν ειρηκέναι τινάς Ξενοφάνους αότόν άκηκοέναν Vgl. ed. Long Bd. 2, S. 439 — Pyrrhon von Elis, um 360—271 v. Chr., gilt als Begründer des antiken philosophischen Skeptizismus; Sotion: peripatetischer Philosoph des 2. Jh. v. Chr.; Xenophanes: Dichter und Philosoph, 580/565 — nach 478 v. Chr. 13 f Suidas: Lexicon, ed. L. Küster, Bd. 1 -3, Cambridge 1705, Bd. 2, S. 72: τινές δέ αύτόν έφασαν διακοΰσαι Ξενοφάνους και Ίππάσου του Πυθαγορείου; Suidae Lexicon, ed. Α. Adler, Bd. 1-5, Lexicographi Graeci I 1—5, [stereotyper Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1928-1938], Stuttgart 1971, Bd. 2, S. 583 f - Die Suda, Σοΰδα, ist der Titel des umfangreichsten erhaltenen byzantinischen Lexikons; bis etwa 1930 hat man es für das Werk eines Autors mit Namen Suidas gehalten. 15—21 Schleiermacher bezieht sich hier auf die nur kurz angerissene Auffassung bei Friedrich Creuzer: Philosophorum veterum loci de Providentia divina itemque de fato emendantur, explicantur, Heidelberg 1806: Atque in hoc philosopho [sc. Heraclitus] singularibus difficultatibus se impediri sentiant necesse est ii, quicunque ad eum explicandum sua studia conferant, quoniam is, sicut in magnae Deae Ephesiae penetralibus scriptum illud suum reposuit, ita quoque ipsius intelligentiam latere voluit verborum translatorum symbolorumque involucris, quo ab ejus lectione arcerentur pro-

Herakleitos

5

ίο

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zurükführen wollten. Aristoteles nennt freilich öfters den Herakleitos in Verbindung mit Hippasos, was wol das einzige historische Fundament jener Sage sein möchte; aber er thut es | ohne auch nur einmal das Wortchen έ τ α ΐ ρ ο ς hinzuzufügen, wodurch er sonst dergleichen Verhältnisse leicht andeutet; sondern eben wie er unsern Weisen auch mit Empedokles und Anaxagoras zusammenstellt, wegen Uebereinstimmung in Meinungen, die doch oft nur eine scheinbare ist. Nun wäre etwa noch C l e m e n s übrig, der S t r o m . V I , 2. p. 7 4 6 sagt, aus den Orphischen Versen

339

"Εστίν ΰδωρ ψυχή θάνατος, ύδάτεσσι δ' άμοιβή Έ ξ ύδατος γαίη· τό δέ έκ γαίης πάλιν ΰδωρ Έ κ του δέ ψυχή μέγαν αιθέρα άλλάσσουσα. habe Herakleitos seine Verwandlungslehre genommen. Aber diese Verse, die sonst nirgends vorkommen, werden gewiß Jedem verdächtig sein, ob 19 sie nicht aus einer ganz späten und verwerflichen Werkstätte gekommen sind. Und wenn nun C l e m e n s bald darauf p. 7 5 2 sagt, w o er eben Entwendungen zu beschuldigen begriffen ist, Herakleitos habe sehr vieles vom Orpheus genommen: haben wir wol Ursache etwas anderes zu glauben als daß er nur aus dieser Stelle weiter fortschließt, oder daß er höchstens etwa noch ein Paar ähnliche vor sich gehabt hat? Und ist es recht, deshalb gleich im Allgemeinen zu sagen, Herakleitos werde ein Schüler der Orphiker genannt? Ein älteres Zeugniß für die Eigenthümlichkeit seiner Lehre ist zwar nicht gradezu beweisend, aber doch | nicht 340 minder gewichtig, daß nemlich A r i s t o t e l e s w o er den Herakleitos anführt als Beispiel felsenfester Ueberzeugung auch in Sachen der bloßen Meinung ( E t h . N i e . V I I , 5 und wiederholt M a g n . M o r . I I , 6) eigentlich nur einen solchen als Beispiel brauchen konnte, der sich seine Meinungen selbst gemacht, wie er denn auch irgend eines fremden Ursprunges, weder didaktischen noch mysteriösen, mit keinem Worte erwähnt.

10 Έξ] Ε'ξ

11 Έκ] Ε'κ

fani. (S. 14) Die große epbesinische Göttin ist Diana, das römische Pendant der Artemis. 8—11 Clemens: Stromata VI 2, Opera ed. Potter S. 746 (Q: όλον statt μέγαν); vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 138 1 5 - 1 7 Clemens: Stromata VI 2, Opera ed. Potter S. 752:

σιωπώ δέ Ήράκλειτον τον Έφέσιον, ος παρ' Όρφέως τά πλείστα εϊληφεν.; vgl.

Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 149 8. 17 Von der mythischen Gestalt des Sängers und Musikers Orpheus werden seit dem 7.16. vorchristlichen Jh. Gedichte, Sagen und Erzählungen überliefert. Diese Überlieferung inauguriert eine ganze Reihe sogenannter orphischer Dichtungen und eine philosophische Schule. 23—25 Aristoteles: Ethica Nicomachea VII 5, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 50 g; ed. I. Bywater, Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1959, S. 134 (1146 b). — Magna Moralia II 6, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 104 e; ed. G. C. Armstrong, The Loeb Classical Library, London/Cambridge (Mass.) 1958, S. 592 f (1201 b)

124

Herakleitos

Diese Ausdrükke des Aristoteles, daß „Einige wie Herakleitos eben so fest auf das trauen was sie meinen, als Andere auf das was sie wissen," werfen nun Licht auf andere Nachrichten in denen dies bestimmter ausgesprochen wird, und verschaffen einigen Bruchstükken Glauben, in denen Herakleitos sich uns selbst so zeigt. Hieher ist zu rechnen die 5 Beschreibung die D i o g . L a e r t . gleich anfangs giebt (IX, 1.) er sei „über die Maßen hochsinnig gewesen, und ein Verächter der Uebrigen." So nennt ihn auch T a t i a n u s einen Hochmüthigen (Or. a d G r . p. 11.) Hätte er nun Erlaubtes irgend woher umgebildet, so sollte, wenn auch er selbst nirgends seinen Vorbildern und Quellen die Ehre wollte gegeben 10 haben, uns auch nicht einmal eine Spur erhalten worden sein, daß Jemand es darauf angelegt den Hochmüthigen zu beschämen, auch nicht 341 aus jenen | Zeiten, welche ordentlich Jagd machten auf die Abkunft der Meinungen? Diogenes verbindet mit jener Beschreibung des Mannes eine 20 Anführung aus seinem Werk, welche zu oft vorkommt, um nicht ächt 15 zu sein, und gleich hier ihren Plaz finden mag. 13. Π ο λ υ μ α θ ί η ν ό ο ν ο ύ δ ι δ ά σ κ ε ι . - C l e m e n s ( S t r o m . I,

19, p. 373) hat ήδει γαρ, οϊμαι, ώς άρα ήδη πολυμαθή νόον έχει· ο διδάσκει καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν , was schon die Herausgeber so verbessert, ώς άρα ήδη πολυμαθή ν ό ο ν έ χ ε ι ν ού διδάσκει. Eben so 20 A t h e n ä o s (XIII, p. 610 C a s a u b . ) πολυμαθή ν ό ο ν έ χ ε ι ν ού διδάσκειν. Allein an beiden Orten muß man, wie auch Schweighäuser schon im Athen, gethan, mit G a t a k e r ( a d A n t o n , p. 10) aus unserer Stelle verbessern πολυμαθίη. Das έ χ ε ι ν ist vielleicht

1—3 Aristoteles:

Ethica Nicomachea

VII 5, Opera ed. Casaubon

Bd. 2, S. 50 g: ένιοι

yap

πιστεύουσιν ουδέν ήττον οϊς δοξάζουσιν, ή έτεροι οίς έπίστανται δηλοΐδέ

'Ηράκλει-

τος.; vgl. ed. Bywater

Meibomius

S. 548: μεγαλόφρων

S. 134 (1146

δέ γέγονε

b)

6 f Diogenes

παρ' όντιναοϋν,

Laertios

IX 1, ed.

και υπερόπτης·; vgl. ed. Long Bd. 2,

S. 437 8 Tatianus: Oratio ad Graecos 4, Ed. Oxoniensis S. 11; 3 ed. Otto S. 12 14—17 Diogenes Laertios IX 1, ed. Meibomius S. 548; ed. Long Bd. 2, S. 437 17—20 Clemens: Stromata I 19, Opera ed. Potter S. 373 (die Emendation, wohl von John Potter, ebd. Anm. 3); vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 77 21 f Athenaios von Naukratia (Athenaeus Naucratitis): Deipnosophistae XIII 91, ed. I. Casaubon(us), Lyon 1598, S. 610; vgl. The deipnosophists, ed. C. B. Gulick, Bd. 1 — 7, The Loeb Classical Library, London/ Cambridge (Mass.) 1957—1967, Bd. 5, S. 288 — Vermutlich hat Schleiermacher die Stelle nicht wirklich nach Casaubons Ausgabe zitiert, sondern nach Schweighäusers „Animadversiones" (vgl. die folgende Sachapparatnotiz). 22—24 Johannes Schweighäuser: Animadversiones in Athenaei Deipnosophistas post Isaacum Casaubonum, Bd. 1—9, Straßburg 1801-1807, Bd. 7, Straßburg 1805, S. 309 - [Thomas Gataker: Annotationes ad Marcum Aurelium Antoninum, in:] Marci Antonini Imperatoris de rebus suis, sive de eis quae ad se pertinere censebat, libri XII. Locis haud paucis repurgati, suppleti, restituti /.../ ac commentario perpetuo explicati atqe illustrati, studio operaqe Thomae Gatakeri, Utrecht 1697, S. 10 (Opera critica Bd. 1)

Herakleitos

5

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auch nur Einschub eines älteren Anführers oder Auslegers, dem die Redensart νουν διδάσκειν, mit Recht von seinem Sprachgebrauch aus, nicht gefallen wollte. Doch vielleicht ist auch die Anführung im Diogenes nicht ganz acht, sondern P r o c l u s hat uns die ursprünglichen Worte erhalten, bei welchem ( C o m m e n t , in T i m . p. 31) vorkommt τί γαρ θαυμαστόν; ή των γεγονότων γνώσις πολυμαθείη νόον ού φ ύ ε ι , φησιν ό γενναίος ' Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς , wo man nur das Fragezeichen von θαυμαστόν weg | hinter γνώσις ver- 342 sezen muß. „Vielwisserei bildet nicht Vernunft." Denn das φύει in diesem Sinn wird nicht leicht ein späterer gemacht haben. Dagegen kann das διδάσκει sehr gut statt seiner aus dem folgenden genommen sein. Nemlich Diogenes fährt fort ' Η σ ί ο δ ο ν γ α ρ α ν έ δ ί δ α ξ ε και Π υ θ α γ ό ρ η ν , αύθις τε Ξ ε ν ο φ ά ν ε ά τ ε και Έ κ α τ α ΐ ο ν . Ε ί ν α ι γ α ρ ε ν τ ό σ ο φ ό ν κ . τ . λ . „Sonst hätte sie auch den Hesiodos belehrt und den Pythagoras, und wiederum den Xenophanes und Hekatäos." Denn die lezten Worte auf welche wir doch noch einmal zurük kommen, können wir hier übergehen, theils weil sie offenbar verdorben und schwer wiederherzustellen sind, indem der Text hier aus der wörtlichen Anführung übergeht in die indirekte Rede, theils weil sie, wie man eben hieraus sieht, nicht unmittelbar hieher gehören, sondern nur um den Gegensaz 21 gegen die Vielwisserei mit aufzustellen, von dem welchen Diogenes hier unmittelbar ausschreibt aus einer späteren Stelle sind herbeigezogen worden. Den Pythagoras aber hat auch C l e m e n s ( S t r o m . I, 21, p. 396) in des Herakleitos Werk erwähnt gefunden Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς γαρ μεταγενέσ τ ε ρ ο ς ών Πυθαγόρου μέμνηται αύτοΰ έν τω συγγράμματι. Daher möchten sich an jene Worte | vielleicht unmittelbar die anschließen, welche Diogenes anderwärts (VIII, 6) gar pomphaft anführt 14. Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ό φυσικός μονονουχί κέκραγε καί φησι, Πυθαγόρης Μνησάρχου ίστορίην ήσκησεν ανθρώπων 5 Comment.] Coment. 4—7 Proklos: Commentarius in Timaeum, [Ed. Basiliensis] Basel 1534, S. 31 (Q: hat kein Fragezeichen, sondern Komma); vgl. In Platonis Timaeum Commentaria, ed. E. Diehl, Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, Bd. 1—3, reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1903-1906, Amsterdam 1965, Bd. 1, S. 102 - Proklos: 8. Februar 412 — 17. April 485 n. Chr., neuplatonischer Philosoph. 12—14 Diogenes Laertios IX 1, ed. Meibomius S. 548; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 437. — Die Fortsetzung des Zitats findet sich unten 206,25 — 27. 25—27 Clemens: Stromata I 21, Opera ed. Potter S. 396; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 105 29—2 Diogenes Laertios VIII 6, ed. Meibomius S. 492 (Q: 'Ηράκλειτος γονν ό [...]); vgl. ed. Long Bd. 2, S. 395

343

126

Herakleitos

μ ά λ ι σ τ α π ά ν τ ω ν , και έκλεξάμενος ταύτας τάς συγγραφάς, έποιήσατο έαυτοϋ σοφίην πολυμαθίην κακοτεχνίην. „Pythagoras, Mnesarchos Sohn, hat Wissenschaft geübt am meisten unter allen Menschen, und er hat sich eine Weisheit gebildet, Vielwisserei und schlechte Kunst." Was nun Diogenes oder vielleicht 5 schon sein Ausgeschriebener mit dieser Stelle wollen, nemlich des Pythagoras Schriftstellerthum beweisen, das wird nicht dadurch ausgerichtet. Denn die Worte sind offenbar aus des Herakleitos Werk ursprünglich von einem Andern zu einem andern Zwek angeführt, um nemlich zu zeigen wie Herakleitos den Pythagoras be- 10 handle. Dieser nun faßte, was zwischen dem ersten und lezten Saze stand und nicht zu seinem Zwekke gehörte in den Worten κ α ι . . . συγγραφάς zusammen, die wir nun nicht mehr entziffern können, und die Diogenes oder wer hier redet, mißverstand, an denen aber wol kein Kundiger den fremden Charakter verkennen und sie etwa 15 für Herakleitische halten wird. | 344 Und hier wäre wol auch der rechte Ort die Frage zu entscheiden, wenn es jemand könnte, ob ein anderes Fragment ohne Namen beim S t o b a e o s (Serm. X X X I V . Ed. L g d . p. 216.) etwa ein Herakleitisches sein mag. G a t a k e r hat hierüber (ad A n t o n , p. 10.) vielleicht zuerst einen 20 22 Wink gegeben. Wir sezen es hieher, jedoch weniger um zu entscheiden als nur um die Sache aufs Neue zur Sprache zu bringen. Π ο λ υ μ α θ ί η κ ά ρ τ α μ έ ν ώ φ ε λ έ ε ι , κ ά ρ τ α δέ β λ ά π τ ε ι τ ο ν έ χ ο ν τ α · ώ φ ε λ έ ε ι μ έ ν τ ο ν δ ε ξ ι ό ν ά ν δ ρ α , β λ ά π τ ε ι δέ τ ο ν ρ η ϊ δ ί ω ς φ ω ν ε ΰ ν τ α π α ν έ π ο ς κ α ι έ ν π α ν τ ί δ ή μ ω . 25 Χ ρ ή δέ κ α ι ρ ο ύ μ έ τ ρ α ε ι δ έ ν α ι - σ ο φ ί η ς γ ά ρ ο ύ τ ο ς δ ρ ο ς , ο ι δέ έ ξ ω κ α ι ρ ο ύ ρ ή σ ι ν μ ο υ σ ι κ ή ν π ε π ν υ μ έ ν ω ς ά ε ί σ ω σ ι ν , ο ύ π α ρ α δ έ χ ο ν τ α ι έ ν ά ρ γ ί η γ ν ώ μ η ν , α ι τ ε ι ν δ' έ χ ο υ σ ι μ ω ρ ί α ς . Statt οί δέ muß man lesen οι δέ und statt αιτειν wahrscheinlich αιτίην; aber auch die Worte ού παραδέχονται έν 30 άργίη γνώμην verstehen wir nicht, wenn wir nicht etwa lesen wollen ένεργείη γνώμην. Manchen Herakleitischen Klang hat diese Stelle allerdings; aber auch manches Fremde, und weshalb man sie könnte für gemacht halten, wie denn άνήρ δεξιός und σοφίης όρος uns verdächtig klingen. 35

18—29 Stobaios: Sermones 34, Ed. Lugdunensis S. 216; ed. Hense Bd.l, S.686f 20 £ [Thomas Gataker: Annotationes ad Marcum Aurelium Antoninum, in:] Marci Antonini Imperatoris de rebus suis, sive de eis quae ad se pertinere censebat, libri XII. Locis haud paucis repurgati, suppleti, restituti [...] ac commentario perpetuo explicati atqe illustrati, studio operaqe Thomae Gatakeri, Utrecht 1697, S. 10

Herakleitos

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Will m a n n u n diese R e d e u n s e r m Ephesier zu|schreiben: s o ist ihr aller- 345 dings ihr Plaz auch hier a n z u w e i s e n , theils als Erklärung, w i e i h m Vielwisserei k ö n n e eine κ α κ ο τ ε χ ν ί η sein — d e n n g e w i ß g a n z verkehrt scheint A i d o b r. statt d e s s e n κ α λ ο τ ε χ ν ί η lesen zu w o l l e n — w i e w o l auch s o die B e z i e h u n g auf d e n P y t h a g o r a s nicht recht einleuchtet, theils als eine nur scheinbar für, in der T h a t aber w i d e r absichtliche D u n k e l heit sprechende Stelle. A n das bisherige, den Selbstgelehrten u n d Erfinder b e z e i c h n e n d e reihen sich mehrere Urtheile des H e r a k l e i t o s über a n d e r e Weisen u n d Dichter, zuerst über d e n H o m e r o s , v o r n e m l i c h w e i l er d e n Streit h i n w e g g e w ü n s c h t — m a n sehe A r i s t . E t h . E u d e m . V I I , 1. P l u t . d e I s i d . V o l . II, p. 3 7 0 und S c h o l . V e n e t . a d I l i a d . X V I I I , 107, die sich einer stattlichen W i d e r l e g u n g befleißigen. O b aber d a s s e l b e g e m e i n t sei in einer Stelle des D i o g e n e s (IX, 1) „daß H o m e r o s verdiene aus d e n Spielen h e r a u s g e w o r f e n u n d g e s c h l a g e n zu w e r d e n " bleibt z w e i f e l h a f t w e g e n des mit ihm in Verbindung gesezten A r c h i l o c h o s . Besser versteht m a n , w a s 23 die eben a n g e f ü h r t e n Scholien a d Ii. X V I I I , 2 5 1 s a g e n , H e r a k l e i t o s h a b e den H o m e r o s , sicher a u c h tadelnd, e i n e n Sterndeuter g e n a n n t 3 , | 3

20

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Dasselbe sagt auch E u s t a t h . zu dieser Stelle. Nun will man freilich sagen, auch hier sei der Grammatiker | Herakleitos gemeint. Dies ist aber gewiß falsch, da E u s t a t h . sonst w o er einen spätem Herakleitos anführt, dies ausdrüklich sagt, einmal Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ούχΐ ό σ κ ο τ ε ι ν ό ς , und ein anderes Mal

3 ί Diogenes Laertios VIII 6, ed. Meibomius S. 492 Anm. 27 teilt die Lesart Aldobrandinis als namentlich gekennzeichnete Notiz mit. — Thomaso Aldobrandini, Bruder von Papst Clemens VIII, lebte in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s, die genauen Lebensdaten sind allerdings unbekannt; Fixpunkt ist das Jahr 1594, in dem seine Ausgabe von Diogenes Laertios erschien. 11 Aristoteles: Ethica Eudemia VII 1, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 161 a; The Eudemian Ethics, ed. H. Rackham, The Loeb Classical Library, London/Cambridge (Mass.) 1961, S. 362 (1235 a) - S. u. 181,14-19. 11 f Plutarchos: De Iside et Osiride 48, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 370; Moralia Bd. 2/3, S. 48 12 f Scholia ad Iliadem XVIII (= Σ) 107, in: Homert llias, ed. J. B. C. d'Anesse de Villoison, Venedig 1788, S. 416: 'Ηράκλειτος τήν των όντων φύσιν κατ" έριν συνεστάναι νομίζων μέμφεται "Ομηρον, σύγχυσιν κόσμου δοκών αύτόν ενχεσθαι, προς δν άν τις ειποι ότι ου λέγει νΰν τήν έναντίωσιν έριν, άλλα τήν έχθραν, όθεν επιφέρει και χόλος· ού γάρ ή των πραγμάτων έναντίωσις τούς φρονίμονς έξίστησι των λογισμών.; Scholia Graeca in Homert Iliadem, ed. H. Erbse, Bd. 1-7, Berlin 1969-1988, Bd. 4, S. 457 14f Diogenes Laertios IX 1, ed. Meibomius S. 549: τόν τε "Ομηρον έφασκεν άξιον έκ τών αγώνων έκβάλλεσθαι και ραπίζεσθαι; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 437 17 f Scholia ad Iliadem XVIII (= Σ) 251, Homert llias ed. Villoison S. 420; ed. Erbse Bd. 4, S. 481 19 Eustathios: In Homert Iliadis et Odysseae libros, [zu XVIII (= Σ) 251], [Editio Romana], Bd. 1—4, Rom 1542 — 1551, Bd. 3, S. 1142; Commentarii ad Homert Iliadem pertinentes, ed. M. van der Valk, Bd. 1-4, Leiden/New York/Kopenhagen/Köln 1971-1987, Bd. 4, S. 172 - Eustathios: byzantinischer Gelehrter des 12. Jh., Erzbischof von Thessalonike. 19 f Fabricius: Bibliotheca Graeca, ed. Harles Bd. 1, S. 194

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Herakleitos

346 aus einem ähnlichen Tadel des Hesiodos bei P l u t a r c h o s ( C a m i l l . Vol. I, p. 137, 138) er habe nemlich nicht gewußt, daß „alle Tage nur eine und dieselbe Natur haben," wo die Worte φ ύ σ ι ν η μ έ ρ α ς ά π ά σ η ς μ ί α ν sich sehr einer wörtlichen Anführung zu nähern scheinen. So scheint er auch von den berühmten Sieben Mehrere besonders beurtheilt zu haben, wenn sich D i o g e n e s mit Recht auf ihn beruft in Beziehung auf den T h a i e s (1,23.) und auf den P i t t a k o s (1,76). Auf den B i a s aber führt er ein freigebiges Lob wörtlich an (I, 88).

5

15. Και ό δυσάρεστος Ηράκλειτος μάλιστα αυτόν έπήνεσε γράψας, Έ ν Π ρ ι ή ν η Βίας έ γ έ ν ε τ ο ό Τευτάμεω, ου ίο π λ ε ί ω ν λ ό γ ο ς ή τ ώ ν ά λ λ ω ν . „In Priene war Bias, der Sohn des Teutames, der höher zu rechnen ist als die Uebrigen." Unter welchen übrigen wol kaum schon die bestimmte Zahl der Sieben gemeint ist. Schwerlich läßt sich denken, wie und weshalb dem Herakleitos Urtheile 15 wie diese sollten untergeschoben sein; und so bleibt unläugbar, daß er 347 der erste gewesen ist, der indem er | selbst hervorbringend sich als Weisen darstellte, zugleich auch Kritik über Andere geübt hat. Und vielleicht sollen den strengen Charakter derselben rechtfertigen die Worte bei Diogenes (IX, 2) 20

16. ΰ β ρ ι ν χ ρ ή σ β ε ν ν ύ ε ι ν μ ά λ λ ο ν ή π υ ρ κ α ΐ η ν , „Uebermuth thut mehr Noth zu löschen als Feuersbrunst." denen ich lieber diese Bedeutung als eine politische beilegen möchte. 24 In ein allgemeines zusammengefaßt, scheinen seine Urtheile vor uns zu liegen theils in einer erst später zu betrachtenden Stelle bei S e x t u s , 25 ε ι ς ö κ α ί τ ι ς Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς έ π ο ν ή σ α τ ο . Beide Stellen führt F a b r i c i u s selbst anderwärts an und stellt doch jene Behauptung auf. |

7 I, 23] I, 20

10 Βίας έγένετο] so DV; OD: έ γ έ ν ε τ ο

1—4 Plutarchos: Camillas 19, Quae exstant omnia, Bd. 1, S. 137f; Vitae Parallelae, Bd. 1—3, Bibliotbeca Scriptorum Graecorutn Et Romanorum Teubneriana, Leipzig 1964-1973, Bd. 1/1, S. 216 f 6 f Diogenes Laertios I 23, ed. Meibomius S. 16; ed. Long Bd. 1, S. 9 7 Diogenes Laertios I 76, ed. Meibomius S. 47; ed. Long Bd. 1, S. 32 — Pittakos, geboren 651/50 v. Chr., Staatsmann, gehört in die Reihe der berühmten Sieben Weisen des Altertums. 8—11 Diogenes Laertios 1 88, ed. Meibomius S. 54; vgl. ed. Long Bd. 1, S. 39 — Bias, Staatsmann und Richter, zählt, wie Thaies von Milet (1. Hälfte des 6. Jh. v. Chr.) auch, zu den berühmten Sieben Weisen des Altertums. 19—21 Diogenes Laertios IX 2, ed. Meibomius S. 549; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 437 26 f Fabricius: Bibliotheca Graeca, ed. Harles Bd. 1, S. 192

Herakleitos

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theils in einem durch S t o b ä o s aufbehaltenen Bruchstükke, welches zwar gewiß ächt ist, aber auch unverständlich genug.

17. Ό κ ό σ ω ν λ ό γ ο υ ς ή κ ο υ σ α ο ύ δ ε ι ς ά φ ι κ ν ε ΐ τ α ι ές τ ο ϋ τ ο ώ σ τ ε γ ι ν ώ σ κ ε ν ή γ ά ρ θ ε ό ς ή θ η ρ ί ο ν οτι σ ο φ ό ν 5

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έ σ τ ι π ά ν τ ω ν κ ε χ ω ρ ι σ μ έ ν ο ν . S t o b . S e r m . I I I , p. 48. So scheint kaum möglich einen Sinn aufzufassen, sondern man muß wenigstens das zu Gute machen, daß in einigen Handschriften der lezte Saz οτι σοφόν u. s. w. unmittelbar nach dem ώστε γινώσκει folgt, die Worte aber ή γάρ θεός ή θ η ρ ί ο ν nur am Rande stehen. Dann versteht man doch so viel „So vieler Reden er auch gehört, Keiner sei doch dahin gediehen, daß er einsehe | wie das Weise von allem abgesondert ist," nemlich das wahre Erkennen etwas durchaus anderes als die πολυμαθίη, das Wissen um vielerlei einzelnes als solches. O b nun aber den Sinn der Worte ή γάρ θ ε ό ς ή θηρίον die doch schwerlich ganz falsch sein können, das folgende ganz mit fortgerissen, oder ob Herakleitos ohngefähr gemeint, sondern auf dem gewöhnlichen Wege müsse man entweder ein Gott sein, der allein in Allem Einzelnen sein könne, oder man sei ein Thier, in jedes Einzelne als solches für sich hingegeben, dieses müssen wir wol unentschieden lassen.

348

IV. Aber auch diese Urtheile über Andere, da sie sich doch mehr oder weniger auf die von ihnen aufgestellte Ansicht der Natur bezogen, können sehr wol in des Herakleitos Buch von der Natur enthalten gewesen sein; und da das nemliche von allen irgend ächte Farbe haltenden 25 Bruchstükken gilt, auch außer jenem offenbar falschen Zoroastres nirgend ein anderes Werk namhaft gemacht wird als das über die Natur, vielmehr D i o g e n e s , sonst ein fleißiger Aufzähler von Büchern (IX, 5 und 11) nur von Einem Werke des Herakleitos redet, auch C l e m e n s dasselbige beweiset, indem er in zwei bereits angeführten Stellen in der 25 30 einen ( S t r o m . V, 8, p. 676) das Werk unter der Ueber|schrift περί φύ- 349 σεως anführt, in der andern aber ( S t r o m . I, 21, p. 396) geradezu nur sagt έν τω συγγράμματί: so wollen wir überhaupt nur dieses Eine Werk als Herakleitisch annehmen, wenn auch D i o g e n e s ( P r o o e m . s g m . 16)

1—5 Stobaios: Sermones 3, Ed. Lugdunensis S. 48; vgl. 1 ed. Hense Bd. 1, S. 129 27 f Diogenes Laertios IX 5 und 11, ed. Meibomius S. 551. 555; ed. Long Bd. 2, S. 439. 442, nennt Περί φύσεως bzw. To σύγραμμα. 30 f Clemens: Stromata V 8, Opera ed. Potter S. 676; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 40 - Vgl. oben 113,9~12 (Sachapparat). 31 f Clemens: Stromata 1 21, Opera ed. Potter S. 396; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 105 33—2 Diogenes Laertios I 16 (= Prooemium segmentum 16), ed. Meibomius S. 11; ed. Long Bd. 1, S. 6, werden namentlich aufgeführt Melissos, Parmenides, Anaxagoras, Zenon, Xenophanes, Demokritos, Aristoteles, Epikuros und Chrysippos.

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Herakleitos

unsern Ephesier nicht namentlich unter denen aufführt, welche ihre Weisheit in einer einigen Schrift niedergelegt haben. Auch soll uns nicht irre machen die Stelle im S u i d a s (ν. Ηράκλειτος) και εγραψε πολλά ποίητικώς, da sie offenbar aus Mißdeutung irgend einer Stelle entstanden ist, in welcher nur gesagt wurde daß Herakleitos größtentheils in poetischem Stil geschrieben habe. Schreibt doch derselbe (ν. άνάριθμος) dem Herakleitos auch ein auf ihn gedichtetes Epigramm zu, eben so fälschlich als ihm S t o b . E e l . P h y s . I, p. 282. Ed. H e e r , der sein sollende Vers beigelegt wird Έ κ πυρός γε τά πάντα και εις πυρ πάντα τελευτα, welcher offenbar von Einem der den Gegensaz recht in der Kürze aufstellen wollte, jenem Xenophanischen ( E b e n d . S. 294) έκ γαίης τε τά πάντα και εις γήν πάντα τελευτα nachgebildet ist. Leider nur sind auch über dieses Eine Werk wunderliche Meinungen genug zu berühren. Hieher ist wol zuerst zu rechnen die von D i o g e n e s (IX, 5) ohne Quelle, aber doch deshalb wol nicht als allgemein bekannt 350 und | angenommen, erwähnte Eintheilung desselben in drei λόγους, in die Rede vom Ganzen, in die politische und in die theologische. Eine solche Eintheilung scheint gar nicht im Geiste der damaligen Zeit, und noch weniger im Geiste dieser Philosophie, welche, ganz vom Ineinanderfließen aller Dinge ergriffen und fast berauscht, am wenigsten muß im Stande gewesen sein, dasjenige so streng zu sondern was für sie am meisten in einander fließen mußte, wie nicht nur leicht gezeigt werden kann und uns anderwärts von selbst sich ergeben wird daß die Abhandlung vom Ganzen und die theologische mußten in einander geflossen 26 sein, sondern auch aus einem merkwürdigen Bruchstük erhellt, wie dem Herakleitos auch das politische und theologische verfloß.

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18. Ξ ύ ν ν ό φ λ έ γ ο ν τ α ς ι σ χ υ ρ ί ζ ε σ θ α ι χ ρ ή τω ξ υ ν ω πάντ ω ν , ο κ ω σ π ε ρ ν ό μ ω π ό λ ι ς και π ό λ ι ς (man muß wol lesen πολύ) ί σ χ υ ρ ο τ έ ρ ω ς . Τ ρ έ φ ο ν τ α ι γάρ π ά ν τ ε ς οί α ν θ ρ ώ π ι ν ο ι ν ό μ ο ι υπό ε ν ό ς τ ο υ θ ε ί ο υ . Κ ρ α τ ε ί γάρ τ ο σ ο ύ τ ο ν 30

9 Έκ] Εκ 3ί Suidas: Lexicon, ed. Küster Bd. 2, S. 72; ed. Adler Bd. 2, S. 584 8—10 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae 1 11, Eclogarum physicarum et ethicarum libri II, ed. A. H. L. Heeren, Bd. l~2 (in 4), Göttingen 1792-1801, Bd. 1, S. 282; vgl. Anthologii libri duo priores qui inscribi solent Eclogae physicae et ethicae I 10, ed. K. Wach smuth, Bd. 1—2, 2. Auflage, Berlin 1958, Bd. 1, S. 120 I i i Stobaios: Eclogae physicae et ethicae l 11, ed. Heeren Bd. 1, S. 294; vgl. I 10 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 123 1 4 - 1 7 Diogenes Laertios IX 5, ed. Meibomius S. 551; ed. Long Bd. 2, S. 439: τό δέ φερόμενον αντοΰ βιβλίον έστι μέν άπό τοΰ συνέχοντος περί φύσεως- διήρηται δ' εις τρεις λόγους, εϊς τε τον περί τοΰ παντός, και πολιτικόν, και θεολογικόν. 27—6 Stobaios: Sermones 3, Ed. Lugdunensis S. 48; vgl. 1 ed. Hense Bd. 1, S. 129 f

Herakleitos

όκόσον

5

ίο

έ θ έ λ ε ι , και έ ξ α ρ κ ε ΐ π ά σ ι και

131 περιγίνεται.

„Die mit Vernunft reden müssen beharren auf dem gemeinschaftlichen Aller, wie eine Stadt auf dem Gesez und noch weit fester. Denn alle menschlichen Geseze werden genährt von dem einen göttlichen. | Denn dieses herrscht so weit es will, und genüget allem und überwindet alles." S t o b . S e r m . I I I , p. 48. Man könnte vielleicht Verdacht auf dieses Fragment werfen, weil D i o g e n e s (IX, 2) ganz ähnliches mit ganz andern Worten anführt.

351

19. Μ ά χ ε σ θ α ι χ ρ ή τ ο ν δ ή μ ο ν ύ π έ ρ ν ό μ ο υ οκως ύ π έ ρ τείχεος. aber sie sind wol verschieden genug um neben einander bestehen zu können. Und wer kennt die Manier des Herakleitos genau genug, um zu wissen ob nicht diese Stelle zwischen dem ersten und lezten Saz des Stobäischen Bruchstükkes gestanden hat.

15 Hiezu kommt noch, daß unter allen aufbehaltenen Trümmern sich auch keine Spur von ausgebildeter Theologie zeigt, sondern nur wenige Andeutungen von der allgemeinsten Art. Und sollte dieser ganze Theil so ganz untergegangen sein? Müßte nicht der Verfasser der homerischen Allegorien, bei dem doch Anführungen aus Herakleitos vorkommen, 20 tausend erwünschte Gelegenheiten gefunden haben, sich aus diesem Theile zu bereichern? und sollte nicht die eigenthümliche Ansicht des Mannes noch vielerlei dargeboten haben für das Verlangen des Skeptiker S e x t u s , Widersprüche aufzustellen in der Lehre von den Göttern, so daß er sich gewiß diesen Theil ganz besonders | würde zu eigen gemacht 25 haben? aber in dem ganzen Abschnitt seines Werkes (adv. M a t h . I X , c a p . II.) der von den Göttern handelt, gedenkt er des Herakleitos auch nicht ein einiges Mal. Daß aber das Werk über die Natur eine eigene Abhandlung vom Staat soll enthalten haben, scheint damit zusammenzufallen, daß Einige den Herakleitos überhaupt nicht für einen bloßen Phy30 siologen gehalten haben, sondern auch, oder gar mehr, für einen Sittenund Staatslehrer. Dieses lehrt uns S e x t u s , der zwar (adv. M a t h . V I I , 5—7) selbst den Herakleitos unter denjenigen nennt, welche nur den naturwissenschaftlichen Theil der Philosophie dargestellt haben, dabei

6 Serm. III] Serm. IV 7 — 1 0 Diogenes Laertios IX 2, ed. Meibomius S. 549 (Q: [...] τον νόμος [...]); ed. Long Bd. 2, S. 437 2 5 f Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos IX 13 — 194, Opera ed. Fabricius S. 551 — 593; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 2 1 5 — 2 5 5 . Die genannten Abschnitte des Neunten Buches werden auch als dessen Kapitel Π bzw. β unter dem Titel Περί θεών bezeichnet. 31—3 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 5. 7, Opera ed. Fabricius S. 370. 371; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 3 f

27; 352

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Herakleitos

aber hinzufügt, dies sei nicht allgemeine Meinung, sondern es sei die Frage aufgeworfen worden, ob nicht Herakleitos keinesweges bloß ein physischer, sondern auch ein ethischer Philosoph gewesen. Sehr zu wünschen wäre freilich gewesen, daß er, dem das Werk vor Augen lag, ein beurtheilendes Wort über diese Ansicht gesagt hätte. Soviel aber scheint doch aus seinem Stillschweigen bei dieser Gelegenheit zu erhellen, daß er von dieser dreifachen Eintheilung nichts gewußt hat. Woher sie aber stammen mag, dies ist schwer zu errathen. Man könnte sie für eine ganz späte Conjectur halten von solchen, welche, überzeugt Herakleitos habe 353 nur Ein Werk verfaßt, eben | jene einzelnen Andeutungen nicht unmittelbar physischen Inhaltes und jene Aeußerungen über ihn, daß er auch ein Sittenlehrer gewesen, und vielleicht jene andere ( H e r a c l . a l l e g . h o m . G a l . p. 442) „daß er die natürlichen Dinge, die nur dunkle Andeutungen geben können, theologisire" mißverstehend, oder vielleicht gar eines jüngeren Herakleitos Lob der zwölf Götter ( D i o g . I X , 17) mit dem älteren Werke schmählich verwechselnd, welche sage ich dieses alles in Uebereinstimmung bringen wollten mit des Werkes bekannter Ueberschrift Von der Natur, und daraus schlossen, dieses müsse ganz ausweichende Theile enthalten haben. Doch das möchte wol eine zu kühne Muthma28 ßung, und eher zu glauben sein, die Eintheilung rühre her von den Auslegern und Commentatoren des Herakleitos besonders aus der stoischen Schule, welche dadurch die verschiedenen, in dem Werke selbst aber keinesweges getrennten Massen haben zu bezeichnen gesucht. Denn daß Vieles was späterhin, als die philosophischen Disciplinen sich trennten, dem ethischen Theil würde zugeordnet worden sein, in dem Werke befindlich war, ist unläugbar, und daß für den Ausleger wol Veranlassung gewesen, das was Herakleitos von der Gottheit lehrte zu trennen von 354 seiner Lehre von der Welt, ließe sich vielleicht auch deutlich genug machen. Was aber jene Meinung selbst betrifft, welche den Herakleitos seinem Wesen nach mehr für einen Ethiker halten will als für einen Physiker: so widerspricht sie zu deutlich den ältesten und sichersten Zeugnissen. Denn A r i s t o t e l e s führt ihn nicht nur immer mit unter den Physi-

12—14 Herakleides: Allegoriae Homert, Opuscula mythologica, physica et ethica, ed. T. Gale, Amsterdam 1688, S. 442 f; Heraclite: Allegories d'Homere, Texte etabli et traduit par Felix Buffiere, Collection des Universites de France, Paris 1962, S. 29 f; vgl. unten 498, 21—28 — Gemeint ist der in der Überlieferung als Herakleides deklarierte Verfasser der sogenannten Homerallegorien. In der neueren Forschung gelten sie als Werk eines Grammatikers und Philosophen Herakleitos aus hellenistischer Zeit. Schon Schleiermacher weist unten 138,24—26 darauf hin, daß die „Verwechselung der Namen Herakleitos und Herakleides [...] bekanntlich öfter vorkommt". 1 4 f Diogenes Laertios IX 17, ed. Meibomius S. 557: γεγόνασι δε Ήράκλειτοι πέντε· πρώτος, αυτός ούτος· δεύτερος, ποιητής λυρικός, ού έστι των δώδεκα θεών έγκώμιον; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 444

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kern auf, sondern er oder einer der doch gewiß aus seinem Munde geredet hat, könnte unmöglich, wenn er irgend den Geist des Werkes so aufgefaßt hätte, die ethische Philosophie so bestimmt auf Pythagoras und Sokrates zurükgeführt haben, wie M a g n . m o r . I, 1 und M e t a p h . XII, 4 geschieht, wobei von keinem übrig gebliebenen Commentator etwa durch eine Hinweisung auf den Herakleitos nachgeholfen wird. Ein solcher gänzlicher Mißverstand aber von Seiten des Aristoteles wäre wirklich nur in dem undenkbaren Falle denkbar, wenn Herakleitos über die sittlichen Gegenstände durchaus nur in jenen von der Natur hergenommenen Allegorien geredet hätte, welche Di o d o t o s einer von seinen Auslegern überall finden will, wie Diogenes (IX, 15) von ihm berichtet, er habe behauptet alles naturwissenschaftliche sei nur beispielsweise vorgebracht und das Buch handle vom Staat. Dies ist unstreitig, wenn nicht ein ungeheurer hier doch nicht zu vermuthender Mißverstand von Seiten des Diogenes die Sache | sehr verschlimmert hat, einer von den stärksten 355 nach einer ungewohnten Seite hin sich verbreitenden parasitischen Auswüchsen der Sucht des Allegorisirens, und schon durch eine aufmerksame Betrachtung des wenigen übriggebliebenen muß das umgekehrte 29 erhellen, daß nemlich das ethische nur beispielsweise und gelegentlich könne vorgekommen sein, das Buch aber von der Natur gehandelt habe. Auf jene Ansicht bezieht sich auch der Ruhm den derselbe Mann über das Herakleitische Werk in einem Senarius ausgesprochen hat, welchen Diogenes (IX, 12) sonderbar genug für eine Ueberschrift ausgiebt, άκριβές οίάκισμα πρός σταθμήν (wofür Buttmann mit Recht erinnert σταθμόν zu lesen) βίου. Und gewiß eben so wenig war auch γνώμη ήθών eine Ueberschrift, sondern nur ein ähnliches Lob des ethisirenden Inhaltes. Was nun gar die dritte an derselben Stelle angeführte Ueberschrift Μοϋσαι betrifft, so denke man ja nicht daß sie diesem Werke angehört habe, oder wolle vielleicht ein anderes neunfach getheiltes aus ihr erweisen, sondern erinnere sich nur der Stelle (Soph. p. 242. e.) wo

3—5 Aristoteles: Magna Moralia I1, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 85 b—c; ed. Armstrong S. 448 (1182 a) - Metaphysica XII4, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 567 f-g; ed. W. Jaeger, Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1957, S. 269 (1078 b) 10—13 Diodotos: stoischer Philosoph, gestorben um 60 v. Chr., Lehrer Ciceros. — Diogenes Laertios IX 15, ed. Meibomius S. 556: Διόδοτος' δς οϋ φησι περί φύσεως είναι το σύγραμμα, άλλα περί πολιτείας· τα δε περί φύσεως έν παραδείγματος ειδει κεϊθαι.; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 444 22 Senarius: ein sechsgliedriger iambischer Vers. 22—25 Diogenes Laertios IX 12, ed. Meibomius S. 555; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 442 24 f Der Hinweis auf Philipp Buttmann konnte nicht nachgewiesen werden. Es ist nicht auszuschließen, daß es sich um eine mündliche Mitteilung Buttmanns an Schleiermacher handeln könnte. 25 f Als eine Überschrift wird es aber angeführt bei Diogenes Laertios IX 12, ed. Meibomius S. 555; vgl. ed. Long Bd. 2, S.442. 30—1 Piaton: Sophistes [Sophista] 242 d~e, Opera Bd. 2, S. 252; Werke Bd. 6, S. 310

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Herakleitos

P i a t o n den Herakleitos Μ ο υ σ α ι Ί ά δ ε ς nennt, woraus sie höchst ungeschikterweise entstanden ist. Es bleibt also dabei, daß wir alle Bruchstükke, so fern sie acht sein sollen, darauf ansehn müssen, daß sie einen Plaz eingenommen | haben in diesem Einen Werke, welches wesentlich eine Darstellung der Natur enthielt, und daß wir trachten müssen zu erkennen, wie Alles auch das mannigfaltigste darunter als in einem und demselben Werke vorgetragen auch in Einem Sinne gedacht und wie aus Einem Gusse gleichartig und einklingend sein muß.

I. Womit nun könnten wir diese Darstellung sicherer anfangen, als mit dem was PI a t o n der älteste und sicherste Zeuge überall als das Wesen der Herakleitischen Weisheit aufstellt, daß „alles sich wie Ströme bewege" ( T h e a e t . 160. d.) daß „alle Dinge gehen und nichts fest bleibe" ( C r a t y l . 401. d. 402. a.) daß er alles Seiende einem strömenden Fluß vergleiche, und daß also niemals irgend etwas eigentlich sei, sondern 30 alles immer nur werde ( T h e a e t . 152. e.). Dieses alles geht ganz bestimmt den Herakleitos an aus beiden Gesprächen, weiter gehend aber hüte man sich ja, daß man nicht eine Holztaube greife statt der zahmen, den Protagoras etwa oder den Kratylos mit andern unsicher herumfahrenden und gar nicht zu behandelnden Herakleiteern ( T h e a e t . 179. d. e.) anstatt des Herakleitos selbst. Eben so bezeichnet die Aristotelische M e t a p h y s i k (I, 6.) die Herakleitischen Meinungen so, „daß alles wahr-| 357 nehmbare immer fließe," und der Ausleger A l e x a n d r o s (in A r i s t . T o p . p. 43. E d . Aid.) und offenbar aus diesem S u i d a s (ν. θέσις) daß nach Herakleitos alles unaufhörlich fließe und immer werde, nichts aber niemals sei, ganz genau dem Piaton einstimmig, wie auch A m m o n i u s 16 Theaet. 152] Theaet. 162 12 f Piaton: Theaitetos 160 d, Opera Bd. 2, S. 87; Werke Bd. 6, S. 60 13 f Piaton: Kratylos 401 d. 402 a, Opera Bd. 3, S. 267; Werke Bd. 3, S. 454. 456 1 4 - 2 1 Piaton: Theaitetos 152 d~e. 179 d~e, Opera Bd. 2, S.69f. 128 f; Werke Bd. 6, S. 34. 116 21—23 Aristoteles: Metaphysica 1 6, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 489 b: ώς απάντων των αισθητών άει ρεόντων; ed. Jaeger S. 18 (987 a) 23 £ Alexandros von Aphrodisias (Alexander Aphrodisiensis): In Topica Aristotelis commentarii, [Ed. Aldina] Venedig 1513, [zu I 11] S. 43: πάντα συεχώς ρεΐ και άεΐ γίνεται, ουδέποτε δε ούδέν έστι καθ" 'Ηράκλειτο ν; vgl. In Aristotelis Topicorum libros octo commentaria, ed. M. Wallies, CAG II 2, Berlin 1891 S. 79 - Suidas: Lexicon, ed. Küster Bd. 2, S. 189; vgl. ed. Adler Bd. 2, S. 709 26 f Ammonios: In Aristotelis De interpretatione [zu 1], [Ed. Aldina], Venedig 1551, S. 8; In Aristotelis De interpretatione commentarius, ed. A. Busse, CAG IV 5, Berlin 1897, S. 9: oiov τό πάντα κινεΐσθαι και στάσεωςμηδαμώς τά δνταμετέχειν, ώσπερ έλεγεν 'Ηράκλειτος

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(in A r i s t . de i n t e r p r . V e n . 1551. p. 8) und H e r a k l e i d e s ( A l l e g . h o m . p. 465.) έπειδή ρύσει τινι και άεννάω κινήσει τό παν οικονομείται, wo, ohne jedoch den Herakleitos zu nennen, vieles herakleitisirt; und viele Andere könnten noch angeführt werden ganz auf dieselbige Weise. Diesen gültigsten Zeugnissen folgend nehmen wir nun auch an was P l u t a r c h o s (Ei a p . D e l p h . II. p. 392. H ü t t . c a p . X V I I I , V o l . I X , p. 239) sagt 20. Π ο τ α μ ω γ α ρ ο υ κ έ σ τ ι δ ί ς έ μ β ή ν α ι τ ω α ύ τ ω καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν , οΰτε θνητής ουσίας δις άψασθαι κατά ε ξ ι ν α λ λ ά όξύτητι και τάχει τής μεταβολής σ κ ί δ ν η σ ι κ α ι π ά λ ι ν σ υ ν ά γ ε ι , μάλλον δέ ούδέ πάλιν ούδέ ύ σ τ ε ρ ο ν ά λ λ ' άμα σ υ ν ί σ τ α τ α ι κ α ι α π ο λ ε ί π ε ι κ α ι π ρ ό σ ε ι σ ι κ α ι ά π ε ι σ ι · ό θ ε ν ούδ' εις τό είναι περαίνει τ ό γιγνόμενον αυτής τω μηδέποτε λ ή γ ε ι ν μηδ' ήττάσθαι την γ έ ν ε σ ι ν . „Denn man vermag nicht zweimal in denselben Fluß zu steigen nach Herakleitos, noch sterbliches Wesen zweimal berührend zu treffen," nemlich dieses κατά εξιν soll | dar- 358 auf deuten, daß die Erinnerung wol auch nach Herakleitos rein wiederholen kann was die Wahrnehmung gehabt hat, und gehören eben deshalb dem Plutarchos, „sondern in der Veränderung, Schnelligkeit und Heftigkeit zerstreut es und sammlet sich wieder, oder 31 vielmehr nicht w i e d e r noch h e r n a c h , sondern zugleich geht es zusammen und läßt wieder los, strömt zu und strömt ab, so daß auch das Werdende desselben nie zum Sein gelangt, weil nie aufhört noch zu überwinden ist die Erzeugung." Hier erkennen wir wenigstens in den ausgezeichneten Worten σκίδνησι — συνάγει und συνίσταται — άπεισι mit ziemlicher Gewißheit eigne Herakleitische; denn die Worte μάλλον ... άμα welche mit Recht nebst den mit ihnen verloren gegangenen συνίσταται και άπολείπει aus Euseb. hergestellt sind, sind offenbar ein wegen des πάλιν eingeschobener Zusatz des Plutarchos um den Herakleitos auch in der Sprache consequent zu machen, wie denn das ganze Kapitel diese Lehre auf die Spize zu stellen sucht. In den folgenden scheint mehr Plutarchos zu reden, jene kurzen an einander gedrängten Gegensäze aber scheinen ganz in Herakleitos Stil zu sein, und sind vielleicht nicht

20 sammlet] vgl. Adelung:

Wörterbuch

Bd. 3, Sp. 1592

1—3 Herakleides: Allegoriae Homert, Opuscula mythologica ed. Gale, S. 465; Heraclite: Alligories d'Homere ed. Buffiere, S. 50 6—14 Plutarchos: De Ei [Elj apud Delphos 18, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 392 (Q: es fehlt der Abschnitt μάλλον δέ bis άπολείπει Kai); vgl. Moralia Bd. 3, S. 19 — Die bei Q fehlende Passage ergänzt Schleiermacher nach: Plutarchi quae supersunt omnia, ed. ]. G. Hutten, Bd. 9, Tübingen 1797, S. 239. Hutten

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Herakleitos

unglüklich nachgeahmt in einer Stelle gegen das Ende des ersten Briefes ( S t e p h . P o e s . p h i l . p. 147). | 359

Offenbar mehr mit seinen eigenen als mit des Herakleitos Worten sagt dasselbe P l u t a r c h o s (de s e r a n u m . v i n d . I I , p. 559). „Oder sollen wir unvermerkt in den Herakleitischen Fluß alle Dinge hineinwerfen, in 5 welchen er nicht zugiebt zweimal hineinzusteigen, weil alles bewege und verändere die umwandelnde Natur." In einer andern Stelle hingegen ( q u a e s t . n a t . I I , p. 912) welche ähnlich lautet „In denselbigen Fluß zweimal kannst du nicht hineinsteigen, wie Herakleitos sagt, denn andere Wässer strömen zu," scheinen wenigstens diese lezten Worte έ τ ε ρ α 10 γαρ έ π ι ρ ρ ε ΐ ύδατα Herakleitisch zu sein, wie uns E u s e b i o s lehrt, welcher ( P r a e p . e v a n g . X V , 20) auch erst mittelbar vom Kleanthes beibringt, dieser habe, als er die Lehren des Zenon mit denen anderer Physiker verglichen, gesagt „Zenon erkläre die Seele wie Herakleitos, welcher um deutlich zu machen daß die Seelen jedesmal nur durch Ein- 15 32 athmen vernehmend werden (οτι αί ψ υ χ α ί άναθυμιώμεναι νοεραι άει γίνονται) sie den Flüssen vergleicht" (welches freilich entweder eine unrichtige Auslegung ist, oder eine unstatthafte den Sinn verdunkelnde Zusammendrängung des Berichterstatters, wenn man nicht statt εϊκασεν αύτάς τοις ποταμοΐς lesen will εΐκασεν αύτάς τοις έν τοΐς ποτα- 20 μοΐς, was doch nur noch ungeschikt wäre und nicht mehr unrichtig) also sprechend, |

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21. Π ο τ α μ ο ΐ σ ι τ ο ΐ σ ι ν α υ τ ο ΐ σ ι ν έ μ β α ι ν ο υ σ ι ν έ τ ε ρ α και έ τ ε ρ α ύδατα έ π ι ρ ρ ε ΐ . „Den in denselben Fluß hineingestiegenen strömt immer anderes und anderes Wasser zu" 25 wo die wörtliche Anführung zu deutlich angegeben ist durch das λέγων οΰτως und zu sicher, da wir annehmen müssen daß wir sie nur aus der zweiten Hand haben seit dem Kleanthes. Und so müssen wir denn auch als richtig annehmen was spätere Zeugen wiederholen in demselben Sinne, S e x t u s z.B. ( P y r r h . H y p o t . I I I , 115), Herakleitos vergleiche 30 der heftigen Strömung eines Flusses die leichte Beweglichkeit unserer 12 evang. XV] evang. XIV verweist seinerseits auf Eusebios, Wyttenbach und Xylander. 1 f Henricus Stephanus (Henri Estienne): Poesis philosophica S. 147 4—7 Plutarchos: De sera numinis vindicta [De his qui sero a numine puniuntur] 15, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 559; Moralia Bd. 3, S. 422 f 7—11 Plutarchos: Quaestiones naturales 2, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 912; Aetia physica, Moralia Bd. 5/3, S. 3 11—17 Eusebios: Praeparatio evangelica X V 20, ed. F. Viger, Paris 1628, S. 821; SC 338, S. 324 12 f Kleanthes: stoischer Philosoph, gestorben 232/31 v. Chr. durch Freitod; Zenon, 333/32—262 v. Chr., der Begründer der Stoa. 30—1 Sextus Empiricus: Pyrrhoniae Hypotyposes III 115, Opera ed. Fabricius S. 156 f; edd. Mutschmann/Mau Bd. 1, S. 165

Herakleitos

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Materie, wo wir zwar nicht gradezu behaupten wollen ό ξ ε ΐ α ρύσις sei der eigene Ausdruk des Herakleitos, aber doch aufmerksam machen auf die darin liegende Nebenbedeutung, durch welche auch der Bewegung selbst, daß ich so sage, ausdrüklich die Ruhe genommen wird, zumal auch in der angezogenen Plutarchischen Stelle όξύτης und ταχύτης neben einander stehen. Eben so auch versichern P l a c . P h i l . I, 23 und S t o b . E e l . P h y s . I, p. 3 9 6 im Wesentlichen einstimmig

'Ηράκλειτος ήρεμίαν μεν και στάσιν έκ των δ λ ω ν άνήρει (wo 10

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man fast glauben möchte, beide hätten Einer Quelle folgend, eine falsche Lesart vor sich gehabt, und sollten | eigentlich geschrieben 361 haben έκ των όντων, was einen weit reinem Sinn giebt, er habe Ruhe und Bewegung gleichsam aus dem Verzeichniß des Seienden ausgestrichen. Allein nicht nur Diogenes (IX, 8) sagt ebenfalls και ρεΐν τ ά ο λ α ποταμού δίκην, sondern auch H e r m i a s ( I r r i s . 33 g e n t . E d . O x o n . p. 223) läßt den Herakleitos sagen α ρ χ ή των δλων τό πυρ, und L u c i a n in einer offenbar nachahmenden Stelle (Vit. a u c t . ) sagt λ έ γ ω δέ τάς έκπυρώσιας και την τοϋ ό λ ο υ σύμφορη ν, wo er vielleicht genauer gesagt hätte των δλων, so daß man fast glauben möchte, dieser sonst ungewöhnliche Ausdruk τά ο λ α als Bezeichnung der Gesammtheit der erscheinenden Dinge sei eigenthümlich Herakleitisch.)

Und in demselben Sinne S i m p l i c i u s (in P h y s . A r i s t . f o l . 17. a.) der aber wiederum die Sache etwas verwirren würde, indem er sagt die unmittelbare alles verändernde Strömung habe Herakleitos angedeutet δια 25 τοϋ εις τον αύτόν ποταμόν δις μή αν έμβήναι, wenn er nicht um eigene

10 |eigentlich] |lich ; das eigent- lediglich als Kustos unter der letzten Zeile der den Druckbogen abschließenden vorhergehenden Seite 15 p. 223] p. 303 ; vgl. unten 144,7 21 Herakleitisch.)] Herakleitisch. 6—8 Plutarchos: Placita philosophorum I 23, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 884; Moralia Bd. 5/2.1, S. 74 — Stobaios: Eclogae physicae et ethicae 1 20, ed. Heeren Bd. 1, S. 396; I 19 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 162 13 f Diogenes Laertios IX 8, ed. Meibomius S. 552; ed. Long Bd. 2, S. 440 14—16 Hermias: lrrisio gentilium philosophorum 13, Tatiani Oratio ad Graecos. Hermiae lrrisio gentilium philosophorum, [Ed. Oxoniensis], ed. W. Worth, e theatro Sheldoniano, Oxford 1700, S. 223; 6 ed. J. C. Th. v. Otto, Corpus Apologetarum Christianorum saeculi secundi 9, Jena 1872, unveränderter Neudruck Wiesbaden 1969, S. 20 — Hermias, genannt Philosophus, der Philosoph, christlicher Apologet des 2. oder 3. Jh. 16—18 Lukianos: Vitarum auctio 14, Opera, cum nova versione T. Hemsterhusii et J. M. Gesneri, edd. T. Hemsterhuis/J. F. Reitz, Bd. 1—4, Amsterdam/ Utrecht 1743-1746, Bd. 1, S. 554; Opera, ed. M. D. MacLeod, Bd. 1-4, Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1972—1987, Bd. 2, S. 35 — Lukianos aus Samosata: ca. 120 — nach 180 n. Chr. 22—25 Simplikios: In Aristotelis De physico [zu I 2], Commentarii in octo Aristotelis Physicae libros, ed. F. Asulanus [Ed. Aldina], Vene-

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Worte des Herakleitos zu geben mehr gesagt hätte als zur Sache gehört, in welchem Sinne er sich auch in den folgenden Worten berichtigend erklärt. Indessen kann man doch daraus, daß er hier wo er zum ersten Mal über diesen Gegenstand spricht nichts ausführliches beibringt, fast 362 sicher den Schluß machen daß er | das Werk des Herakleitos nicht mehr vor sich gehabt, was auch andere Stellen bestätigen. Wundern aber muß man sich, wie A r i s t o t e l e s (Phys. V I I I , 3. p. 254. Ed. Cas.) sagen kann „die Behauptenden daß nicht nur Einiges, Anderes aber nicht, sondern daß Alles und immer sich bewege, dies aber unserer Wahrnehmung entgehe, bestimmten zwar nicht genau welcherlei Bewegung sie meinten oder ob alle Arten u. s. w." Vielleicht hat auch A l e x . A p h r o d . weil ihm doch vorkam als ob Herakleitos diesen Vorwurf nicht verdiene, lieber geglaubt, wie S i m p l i c i u s (ad A r i s t . P h y s . f. 276. a.) uns berichtet, Aristoteles meine hier nicht den Herakleitos, sondern die Atomistiker. Denn daß Herakleitos selbst ein Atomistiker gewesen, ist gewiß dem Alexandros nicht in den Sinn gekommen, und auch wir wollen hier gleich bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit erklären, daß wir nicht das geringste Gewicht legen auf die nirgend und 34 durch nichts unterstüzte Aussage bei S t o b . E c l . P h y s . I, p. 350. 'Ηράκλειτος προ τοΰ ενός δοκεΐ τισι ψήγματα καταλείπειν und P l a c . P h i l . 1,13. Ηράκλειτος ψηγμάτιά τινα έλάχιστα και άμερή εισάγει. Die bei S t o b ä o s bald folgenden Worte Ηρακλείδης θραύσματα scheinen bei dieser Lage der Sache hinreichend um zu glauben, daß ursprüng363 lieh diesen Aussagen nur eines früheren | Sammlers Verwechselung der Namen Herakleitos und Herakleides, welche bekanntlich öfter vorkommt, zum Grunde gelegen. Und ganz auf die Pseudoplutarchische scheint sich auch die P s e u d o g a l e n i s c h e zu beziehn Των τεσσάρων στοιχείων πράγματα (lies θραύσματα) βραχύτατα οίον στοιχεία άπό dig 1526, S. 17 α (= r); In Aristotelis Physicorum libros quattuor commentaria, ed. H.Diels, CAG IX-X, Berlin 1882-1895, CAG IX, S.77 - Simplikios: neuplatonischer Philosoph des 6. nachchristlichen ]h., Verfasser mehrerer Aristoteleskommentare. 7—11 Aristoteles: Physica VIII 3, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 254 b-c (vgl. a-c): καί φασί τίνες κινεΐσθαι των όντων ού τα μεν τά δ' ού, αλλά πάντα καί αεί, αλλά λανθάνει ν τοΰτο τήν ήμετέραν αϊσθησιν προς ους καίπερ ού διορίζοντας ποίαν κίνησιν λέγουσιν, ή πάσας, ού χαλεπόν άπαντήσαι.; ed. W. D. Ross, Scriptorum Classicorum

Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1956, 253 b 13 — 15 Simplikios: In [ad] Aristotelis De physico [zu Vlll 3], Ed. Aldina S. 276 a (= r); ed. Diels, CAG X, S. 1196 19 f Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 15, ed. Heeren Bd. 1, S. 350; 114 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 143 20 f Plutarchos: Placita philosophorum I 13, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 883; Moralia Bd. 5/2.1, S. 71 22 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 15, ed. Heeren Bd. 1, S. 350; I 14 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 143 27—3 Galenos: [De historia philosophical Περί φιλοσόφου ιστορίας, Opera omnia, Bd. 1—5, Basel 1538, Bd. 4, S. 427 - Galenos aus Pergamon: 129—199 n. Chr., Arzt und Philosoph, Verfasser zahlreicher Hippokrateskommentare.

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στοιχείων ή ψήγματα νομίζουσιν είναί τίνες τό λ ε γ ό μ ε ν ο ν έ λ ά χ ι στα. ' Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς εισάγει ταΰτα ν ο ή σ ε ι μόνον ληπτά. P h i l . h i s t . E d . B a s . IV, p. 427. Doch um zu der Aristotelischen Stelle zurükzukehren, so möchten wir vereinigend glauben, er habe, wie er oft ungleichartiges 5 auf bloßen Schein zusammenstellt, ursprünglich beide im Sinne gehabt, zulezt aber allerdings mehr an den Demokritos gedacht. Denn dieses daß die Wahrnehmung sich täusche über Ruhe und Bewegung kann sich allerdings auch Herakleitos aneignen, und wir glauben damit nicht dem Piaton zu widersprechen, welcher desselben Behauptung gleich sezt mit 10 jener, daß die Wahrnehmung die Erkenntniß sei, und welcher auch wol nur von den Nachfolgern des Herakleitos sagen wollte, daß sie auch in ihrer Seele überall nichts festes und bleibendes leiden möchten. Denn S e x t u s sagt (adv. M a t h . V I I , 126) auf eine Art welche offenbar beweiset daß er aus dem Herakleitischen Werke Bericht erstattet „Herakleitos 15 habe, ähnlich den früher erwähnten Naturforschern, die Wahrnehmung 364 für unzuverlässig gehalten zur Erkenntniß der Wahrheit, und die Vernunft als Unterscheidungsmittel aufgestellt;" welches freilich kein treuer Bericht ist, sondern der Ausleger verallgemeinert zu sehr die Meinung des alten Weisen und greift in dessen dichterisch schwebenden Vortrag 20 unsanft genug ein mit seiner späteren Kunstsprache und dialektischen 35 Bestimmtheit. Richtig ist aber gewiß das unmittelbar folgende, und deutlich sagt S e x t u s , daß er uns die eigenen Worte des Herakleitos wiedergiebt: 25

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22. ά λ λ α την μέν αΐσθησιν ε λ έ γ χ ε ι λέγων κατά λ έ ξ ι ν , κ α κ ο ί μ ά ρ τ υ ρ ε ς ά ν θ ρ ώ π ο ι σ ι ν ο φ θ α λ μ ο ί και ώτα β α ρ β ά ρ ο υ ς ψ υ χ ά ς ε χ ό ν τ ω ν . „Schlechte Zeugen sind den Menschen die Augen und Ohren der mit rohen Seelen begabten." Ganz anders ist freilich S e x t u s Umschreibung, „dies wolle sagen, es zieme nur rohen Seelen den vernunftlosen Sinneseindrükken zu glauben," fast als hätte er statt εχόντων gelesen εχουσιν. Allein S t o b ä o s wiederholt dasselbe ( S e r m . IV, p. 55) κακοί γίνονται οφθαλμοί και ώτα αφρόνων ανθρώπων βαρβάρους ψυχάς έχόντων, wo man nur μάρτυρες einsezen muß und das bloß erklärende αφρόνων hinauswerfen, welches vielleicht, unschädlich dem Sinne, ανθρώπων statt

6 Demokritos von Abdera: ca. 460— 380/70 v. Chr., Hauptvertreter der atomistischen Philosophie. 9 - 1 2 Piaton: Theaitetos 160 d~e, Opera Bd. 2, S. 87f; Werke Bd. 6, S. 60 13—17 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 126, Opera ed. Fabricius S. 397; edd. MutschmannlM.au Bd. 2, S. 31 22—26 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 126, Opera ed. Fabricius S. 397; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 31 30—32 Stobaios: Sermones 4, Ed. Lugdunensis S. 55 (Q: [...] ψυχάς βαρβάρους [...]); vgl. ed. Hense Bd. 1, S. 233

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άνθρώποίσιν nach sich | gezogen hat, so daß man leicht die buchstäbliche Uebereinstimmung wieder auffindet. Unter eben solcher Einschränkung ist denn auch zu verstehen der Ausspruch bei D i o g e n e s (IX, 7) και τ η ν δ ρ α σ ι ν ψ ε ύ δ ε σ θ α ι , nemlich nur da, wo es gegen die allgemeine Anschauung des Flusses aller Dinge mit dem Scheine einer Beharrlichkeit und eines Bestehens des einzelnen täuscht. In einem anderen Zusammenhang, wo wahrscheinlich nicht mehr von der Wahrnehmung überhaupt die Rede war, muß also gesagt gewesen sein was uns P o l y b i o s (L. XII.) aufbewahrt hat

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23. άληθινωτέρας δ' ούσης ού μικρω της όρώσεως καθ' Ήρά- ίο κλειτον, ο φ θ α λ μ ο ί γ α ρ των ώ τ ω ν α κ ρ ι β έ σ τ ε ρ ο ι μάρτυρ ε ς , welches leztere leicht eigne Worte unsers Ephesiers sein mögen.

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Vielleicht gehören hieher noch ein Paar andere Stellen: ( P l u t . de f a c . l u n . V o l . I I , p. 943.) „Und richtig sagt Herakleitos daß im Hades die Seelen riechen" και καλώς Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ε ϊ π ε ν οτι αί ψυχαί όσμώνται 15 καθ' αδην, wovon ich jedoch nicht weiß wieviel wirklich und buchstäblich dem Herakleitos zugehört. Es ist aber hiemit zu vergleichen A r i s t o t . d e s e n s u e t s e n s i l i c. 5, p. 4 1 2 E d . C a s . „weshalb d e n n " — weil nemlich der Geruch entstehe durch eine rauchartige trokne Ausdünstung, von der unten | mehr — „auch Herakleitos so sich ausgedrükt hat 20 24. daß wenn alles Seiende Rauch würde, die Nase doch es unterscheiden würde." ώς εί πάντα τά οντα κάπνος γ έ ν ο ι τ ο , ρ ί ν ε ς α ν δ ι α γ ν ο ΐ ε ν . Gewiß nicht durchaus mit Herakleitischen Worten, aber doch einen Saz desselben ganz getreu wiedergebend und in den lezten Worten nicht ohne Spuren seiner eigenthümlichen dunklen Art. A l e x . A p h r o d . erklärt, die Nase würde alsdann alles wahrnehmen, weil der rauchartige Dunst ihr eigenthümlicher Gegenstand ist. M a n könnte aber auch glauben es habe mehr Nachdrukk

4 IX, 7] IX, 5 4 Diogenes Laertios IX 7, ed. Meibomius S. 552; ed. Long Bd. 2, S. 440 9—12 Polybios: Historiae XII 27, Polybii Megalopolitani Historiarum quidquid superest, recensuit, digessit J. Schweighäuser, Bd. 1-8 in 9, Leipzig 1789-1795, Bd. 3, S. 435 (Q: [...] κατά τον Ήράκλειτον [...]); vgl. Historiae, Bd. 1—5, ed. Th. Buettner-Wobst, Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, [stereotyper Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1889-1905] Stuttgart 1964-1967, Bd. 3, S. 228 - Polybios: hellenistischer Historiker, ca. 200 — nach 120 v. Chr. 13 — 16 Plutarchos: De facie in ore lunae, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 943; vgl. Moralia Bd. 5/3, S. 84 17—23 Aristoteles: De sensu et sensili 5, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 412 e; De sensu et sensibilibus, ed. P. Siwek, in: Aristoteles: Parva Naturalia, ed. P. Siwek, Collectio Philosophica Lateranensis 5, Rom 1963, S. 2 — 126, hier: S. 34 (443 a) 26—28 Alexandres: In librum de sensu et sensili, Ed. Aldina,

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in dem διαγνοΐεν gelegen, und der Sinn sei gewesen, die Nase würde alsdann doch noch alles unterscheiden, indeß für alle andere alles nur Ein verworrenes wäre. 5

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So, könnte man meinen, habe Herakleitos in einer durchgeführten Zusammenstellung dem Geruch einen Vorzug eingeräumt vor allen übrigen Sinnen, eben weil er nicht ein Bestehendes als solches, sondern nur die Ausdünstung, das Uebergehen aus einem gebundenen Zustande in einen andern, also am abschließendsten und unmittelbarsten das Werden selbst wahrnehme, und habe deshalb auch den Seelen im Zustande der möglichsten Abgelöstheit vom Leibe, im Hades, noch diese Art der Wahrnehmung beigelegt. Vielleicht aber auch bezieht sich dies auf kei- 367 nen Vorzug, sondern er hat nur die Unzuverlässigkeit der Sinne auch daraus nachgewiesen, weil jeder nur sein bestimmtes Gebiet habe und also für sich selbst ganz unzureichend sei 4 . Denn schwerlich möchte Plu- 37 tarchos jene Worte richtig und genau angewendet haben, deren Meinung nach dem Zusammenhang seiner Rede diese müßte gewesen sein, daß im Hades die Seelen durch den Geruch sich nähren würden anstatt durch Speise. Doch es ist um so vergeblicher hierüber etwas entscheiden zu wollen da T h e o p h r a s t o s am Anfang seines Buches d e s e n s i b u s auch den Herakleitos unter diejenigen zählt welche in Erklärung der einzelnen Sinne ganz zurükbleiben, und hernach von ihm auch nichts wieder anführt. Indeß eben das Allgemeine ist für uns hier merkwürdig genug, was nemlich Theophrastos unserm Ephesier und dem Anaxagoras gemeinschaftlich zuschreibt, offenbar aber in einer Formel, welche mehr dem ersten als dem lezten angehört, sie hätten sich vorgestellt τ ή ν α ΐ σ θ η σ ι ν έ ν α λ λ ο ι ώ σ ε ι γ ί ν ε σ θ α ι „die Wahrnehmung werde | uns 368 in dem Uebergange der Dinge aus einer Form in die andere," ein Gesichtspunkt, von welchem aus ganz vorzüglich gesagt werden konnte, 4

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So möchte ich Plac. Phil. IV, 8, p. 899 'Εμπεδοκλής. Ηρακλείδης παρά τάς συμμετρίας των πόρων τάς κατά μέρος αισθήσεις γίνεσθαι του οικείου των αισθητών έκάστη άρμόζοντος statt Ηρακλείδης immerhin lesen Ηράκλειτος. |

Venedig 1527, S.llOr ed. Ρ. Wendland, CAG III, Berlin 1901, S. 92 19—21 Theophrastos: De sensibus 2, Venedig 1552, S. 1 ν; Theophrastus and the Greek Physiological Psychology before Aristotle, ed. G. M. Stratton, Amsterdam 1964, S. 66: περί εκάστης δέ των [sc. αισθήσεων] κατά μέρος οί μέν άλλοι σχεδόν άπολείπουσιν [sc. Παρμενίδης, Πλάτων, 'Αναξαγόρας und 'Ηράκλειτος/. - Theophrastos: ca. 352—287 ν. Chr., Schüler und Nachfolger des Aristoteles. 23—26 Theophrastos: De sensibus 2, S. 2 r; ed. Stratton S. 66 23 f Anaxagoras: vorsokratischer Philosoph, 500/ 496—428 v. Chr. 29—31 Plutarchos: Placita philosophorum IV 8, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 899; vgl. Moralia Bd. 5/2.1, S. 120

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das Erkanntwerden sei ein Leiden, und der mit der Ansicht von dem Fluß aller Dinge genau zusammengehört. Daß demzufolge Herakleitos die Sinne sofern sie ein Bestehen des Einzelnen zu verkündigen scheinen tadeln mußte, ist klar; wie aber Aristoteles ihm den Vorwurf kann gemacht haben, daß er nicht bestimme mit welcherlei Bewegung alles sich bewege, dies ist nicht zu begreifen, da nicht nur in mehreren Bruchstükken und späteren Zeugnissen diese Bewegung ausführlich beschrieben wird, sondern auch Aristoteles eigene Meinung dahin geht, daß jedem verschiedenen, dem Herakleitos in der allgemeinen Verwandlung entstehenden, zugleich eine eigenthümliche örtliche Bewegung zukomme, und S i m p l i c i u s ganz in seinem Sinne wenn auch genau genommen nicht ganz richtig redet, wenn er sagt (in 38 A r i s t . P h y s . f. 310. a.) „auch die welche nur Ein Element und Ein Prinzip annehmen, unter welche auch Herakleitos gehöre, sezten die Ortsbewegung als die erste. Denn die Verdichtung und die Verdünnung zeigten auch eine örtliche Bewegung an." Es Iäßt sich also nicht denken daß 369 Aristoteles schon den allbekannten Ausdrukk des Heraklei|tos όδός άνω και κάτω unrichtig oder unvollständig sollte verstanden haben. Ja wenn er kann geglaubt haben, Herakleitos habe sich über jene Bewegung nicht genauer erklärt: so haben wir grade heraus zu sagen kein einziges wahrhaft Herakleitisches Wort mehr übrig; und es ist gar nicht abzusehen was doch in seinem Werke über die Natur gestanden habe, wenn es nicht durch und durch eine nähere Entwiklung jener Grundanschauung gewesen ist. Oder man müßte annehmen Aristoteles habe den Herakleitos noch weit weniger gelesen als wir irgend zu fürchten wagten. II. Auf welche Weise nun diese Verwandlung der Dinge in dem Werke des Herakleitos dargestellt worden, darüber sind im Wesentlichsten Alle einig, so wie aber nach dem Einzelnen gefragt wird, weichen sie von einander ab. Zuerst nemlich stimmen Alle darin zusammen, daß nach ihm das Feuer der Anfang aller Dinge sei, und aus ihm alles Andere durch Verdichtung und Verdünnung entstehe, wie auch wieder in Feuer aufgehe und endige. So S i m p l i c i u s (ad A r i s t . P h y s . f o l . 6. a.) „Hippasos aber der Metapontiner und Herakleitos der Ephesier sezten auch die Welt als Ein Bewegtes und Begrenztes. Aber sie machen das Feuer zum Anfang, und aus Feuer machen sie die Dinge durch

4 - 6 Oben 138,7-11; Aristoteles: Physica VIII 3, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 254 b~c; ed. Ross 253 b 11 — 16 Simplikios: In Aristotelis De physico [zu VIII 9j, Ed. Aldina S. 310 a (= r); ed. Diels, CAG X, S. 1319 3 2 - 4 Simplikios: In Aristotelis De physico [zu 1 2], Ed. Aldina S. 6 a (= r); ed. Diels, CAG IX, S. 23 f 33 Hippasos: pythagoreischer Philosoph; Nachrichten über Leben und Lehre gelten der Forschung als durchweg unzuverlässig.

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Verdichtung und Verdünnung, und lösen sie auch wieder auf in 370 Feuer, so daß dies die einzige zum Grund liegende Natur wäre. Denn alles, sagen sie, sei nur verwechseltes gegen Feuer" π υ ρ ό ς ά μ ο ι β ή ν . Wo wir nun nicht dafür haften wollen daß Hippasos wirklich den Herakleitos durch diese ganze Ansicht begleitet habe, sondern vielmehr glauben, seine Art das Feuer als die Grundursache aller Dinge anzusehn möge eine ganz andere gewesen sein als die 39 Herakleitische. Wie denn, wo von dem beständigen Fluß unmittelbar die Rede ist, Aristoteles nirgend unseres Wissens den Hippasos ausdrüklich dem Herakleitos beigesellt, und sich auch in den spätem Sammlern keine Spuren zeigen, daß sie dieses bei den Alten gefunden. Eben so D i o g e n e s (IX, 8.)

Πυρ τό στοιχεΐον, και πυρός άμοιβήν τά πάντα, αραιώσει και 15

πυκνώσει γινόμενα. So verbessert R o s s i u s ( C o m m e n t . L a e r t . p. 172.) Wiewol man auch — denn eine Handschrift beweiset hier wenig — da hier überall das Verbum fehlt, jeden Saz vereinzeln und denn auch stehen lassen könnte αραιώσει και πυχνώσει τά γινόμενα nemlich γίνεσθαι.

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Und nur nicht überall findet sich dasselbe. D a ß man freilich nicht auf gleiche Weise wie aus dem | Wasser sagen kann die Dinge entstehen aus dem Feuer durch Verdichtung und Verdünnung, indem dem Wasser zwar beides, dem Feuer aber nur das eine begegnen kann, leuchtet ein, und vielleicht hat auch deshalb A r i s t o t e l e s ( P h y s . I. c. 6. p. 201.) in der 25 Stelle „und Alle gestalten dieses Eine durch Gegensäze, wie durch Dichtigkeit und Dünnheit und durch mehr und weniger" zu jener Formel πυκνότητι και μανότητι noch die andere και τω μάλλον και ήττον hinzugefügt. Allein überall liegt in den Worten, daß das Feuer ά ρ χ ή sei, eine durchaus spätere Ansicht zum Grunde, wie denn auch keine Spur 30 zu finden ist daß Herakleitos sich dieses Ausdrukkes bedient habe, vielmehr leicht wäre zu zeigen daß derselbe ihm nicht geziemen konnte. Und wunderliche Dinge sind denen begegnet die hievon angefangen ha-

13—15 Diogenes Laertios IX 8, ed. Meibomius S. 552 (Q: Πϋρ είναι στοιχεΐον {...]); vgl. ed. Long Bd. 2, S. 440 15 f Ignatius Rossius: Commentationes Laertianae, Rom 1788, kommentiert S. 172—174 den von Schleiermacher angeführten Text aus Diogenes Laertios; dabei bietet er zunächst auf S. 172 den Text (Πυρ είναι στοιχειν [...] τα γινόμενα); die von Schleiermacher gemeinte Textemendation findet sich auf S. 174: Sed in loco Laertii, quem exponere institui, scribas velim γινόμενα absque articulo τα, quem etiam codex Arundellianus [...] ac Basileae editus Uber praeterit. 24—28 Aristoteles: Physica I 6, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 201 e; ed. Ross 189 b

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ben, wie S i m p l i c i u s (in A r i s t . P h y s . f. 310. a.) meint „die welche nur Eine άρχή annähmen wie auch Herakleitos, bewürkten das Entstehen und Vergehen durch Verdünnung und Verdichtung, was denn eigentlich dasselbe wäre wie Mischung und Scheidung σύγκρισις και διάκρισις, nur daß es von jenen schiklicher so genannt würde," wodurch die we40 sentlichsten Verschiedenheiten der ältesten Systeme aufgehoben würden. 372 Oder H e r m i a s ( I r r i s . Ed. O x o n . p. 223) sagt αρχή των ολων | τό

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πυρ· δύο δέ αύτου πάθη, άραιότης και πυκνότης, ή μέν ποιούσα, ή δέ πάσχουσα, ή μεν συγκρίνουσα, ή δέ διακρίνουσα, worin alle möglichen Verwirrungen unter einander gewälzt sind. Daher möchte es 10 gerathener sein nicht von diesem Anfange anzufangen, sondern absehend von ihm zuerst nur die Verwandlungsweise der Dinge unter sich zu betrachten. Diese nun wird unter der allgemeinen Voraussezung, daß durch theilweise Verlöschung des Feuers die Gesammtheit der Dinge entstehe bald so beschrieben (Plac. P h i l . I, 3. Vol. II, p. 877. Vgl. S t o b . Ecl. 15 p h y s . I, p. 304) „daß zuerst das Diktheilige in sich selbst sich zusammenziehend Erde werde, dann diese Erde vom Feuer wiederum aufgelokkert darstelle was seiner Natur nach Wasser sei, verdunstend aber Luft werde." Also eine plözliche Erstarrung und Verdichtung, aus dieser aber eine stufenweise Verdünnung und Verflüchtigung. Bald wiederum als 20 eine stufenweise Verdichtung des Feuers, aus dieser aber als eine plözliche Verflüchtigung des Starren, der Erde, in Feuer. So folgende Darstellung des M a x . T y r . (Diss. X L I . E d . M a r k l . p. 489) Ζη πυρ τον γης

θανατόν και άήρ ζή τον πυρός θανατόν υδωρ ζή τον άέρος θανατόν, γ ή τον ύδατος. Wo offenbar das im Tode der Erde lebende Feuer den 25 373 unmittelbaren Uebergang aus ersterer in lezteres andeu|tet. Und daß hier Lehren des Herakleitos mit deutlicher Beziehung auf Stellen aus seinem Werke und diese nachbildend angeführt werden leidet keinen Zweifel. Eben so S i m p l i c i u s (in E p i c t . E n c h i r . Ed. V e n e t . 1528 f. 72.) „Denn

15 Stob. Ecl.] Stob. Ed. 1—5 Simplikios: In Aristotelis De physico [zu III 9], Ed. Aldina S. 310 a (= r); ed. Diels, CAG X, S. 1319 7—9 Hermias: Irrisio gentilium philosophorum 13, Ed. Oxoniensis S. 223; 6 ed. Otto S. 20 15 — 19 Plutarchos: Placita philosophorum 1 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 877; Moralia Bd. 5/2.1, S. 57 15 f Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 11, ed. Heeren Bd. 1, S. 304; 1 10 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 126 2 3 - 2 5 Maximus Tyrius: Dissertationes XLI 4, ed. ]. Markland, 2. Auflage, London 1740, S. 489 f (Q: Ζή [...} θάνατον, [...] ζή [...] θάνατον ύδωρ ζή [...] θάνατον[...]); Dissertationes, ed. Μ. Β. Trapp, Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, Stuttgart/Leipzig 1994, S. 334 29—3 Simplikios: [In Epicteti Enchiridion] Έξήγησις εις τό τον 'Επικτήτου Έγχειρίδιον, [ed. G. Α. Ν. da Sabio[, Venedig 1528, S. 72 r-v. 26 ν; Commentaire sur le Manuel d'Epictete, ed. I. Hadot, Leiden/New York/Köln 1995, S. 375. 259

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aus dem Feuer wird Luft und aus der Luft Wasser, und aus dem Wasser Erde und wiederum Feuer; und nach dem Frühling Sommer und Herbst und Winter und wiederum Frühling;" wiewol er kurz zuvor eine gegenseitige Verwandlung von Luft und Wasser in einander aufgestellt hatte. Wiewol nun hier Herakleitos nicht einmal genannt wird, und man also eher an Stoiker denken könnte: so ist doch dieser Theil der Physiologie 41 bei ihnen so ganz Herakleitisch, daß man ohne besondere Anzeigen keine bedeutende Abweichung anzunehmen Ursache hat. Anderwärts endlich finden wir beschrieben (Diog. I X , 9.) Πυκνούμενον γαρ τό πυρ έξυγραίνεσθαι, συνιστάμενόν τε γίνεσθαι ύδωρ· πηγνύμενον δε τό υδωρ είς γήν τρέπεσθαι, και ταύτην όδόν επί. τό κάτω είναι· πάλιν τε αύτήν την γ ή ν χεΐσθαι, έξ ής τό υδωρ γίνεσθαι, und dann, heißt es weiter, werde das meiste auf die Ausdünstung aus dem Meere zurükgeführt αύτη δέ έστιν ή επί τό άνω οδός.

Also offenbar gleichmäßig abgestufft Verdünnung und Verdichtung. In diesem Zwiespalt | der späteren Zeugen und Ermangelung der frühe- 374 ren ist es nun um so erfreulicher, daß wir zu einem eigenen Bruchstükke des Herakleitos unsere Zuflucht nehmen können, welches wiewol nur 20 wenige Züge, gleichsam die ersten Grundstriche des gesammten Naturgemäldes enthaltend, doch hinreicht den aufgedekten Streit zu schlichten. Wir verdanken es dem C l e m e n s ( S t r o m . V, 14. p. 711.) und sezen es hiehier, ohne uns für jezt bei dem Zwekke aufzuhalten, zu welchem er es anführt. 25

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25. Κ ό σ μ ο ν τ ο ν α υ τ ό ν α π ά ν τ ω ν ο ύ τ ε τ ι ς θ ε ώ ν ο υ τ ε α ν θρώπων έ π ο ί η σ ε ν ά λ λ ' ην αεί και έ σ τ α ι , πυρ ά ε ί ζ ω ο ν , ά π τ ό μ ε ν ο ν μ έ τ ρ α κ α ι ά π ο σ β ε ν ν ύ μ ε ν ο ν μ έ τ ρ α , welche Leseart, wie sie C l e m e n s giebt, wol eben so gut ist, als was S t e p h . (Poes. p h i l . p. 132) aus Eusebius corrigirt μέτρω. — Uebrigens haben wir diesen ersten Absaz des Bruchstükkes nur deshalb auch hiehergesezt um den wahrscheinlich nahen Zusammenhang mit dem folgenden nicht aus den Augen zu rükken. C l e m e n s fährt aber fort, „Daß er aber zugleich auch gelehrt, die Welt sei entstan-

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29 μέτρω.] μέτρω

9—15 Diogenes Laertios IX 9, ed. Meibomius S. 553 f; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 441. Den deutsch paraphrasierten Teil des Zitats führt Schleiermacher griechisch unten 152,1 —3 an. 22-28. 32-3 Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 711 (Q: άλλ' ήν και έστιν, και έσται πυρ). 712; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 84 28 f Henricus Stephanus (Henri Estienne): Poesis philosophica S. 132

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den und vergänglich, zeiget deutlich das folgende, Π υ ρ ό ς τ ρ ο π α ί π ρ ώ τ ο ν θ ά λ α σ σ α , θ α λ ά σ σ η ς δέ τό μ ε ν ή μ ι σ υ γή τό δέ ήμισυ πρηστήρ.| 375 Hier muß nun Jedem auffallen die merkwürdige Abweichung des Werkes 42 selbst von den späteren Beschreibungen der Herakleitischen Lehre, daß jenes von dem hernach allgemein gewordenen Kanon der vier Elemente nichts weiß, und keine solche vierfache Abstufung kennt von Feuer in Luft, von Luft in Wasser und von Wasser in Erde, sondern nur Feuer, Meer und aus diesem, zum Theil wenigstens, Erde. Sehr natürlich aber ist daß Herakleitos diese vier Formen so fest nicht halten konnte sondern sie ihm desto mehr in einander flössen je mehr ein Uebergang aus einer in die andere wahrzunehmen war. Daher ist es auch unnöthig und falsch, wenn in der eben angeführten Stelle des Diogenes G e s n e r ( C o m m e n t a r . s o c . G o t t . V o l . I.) die Luft einschiebend lesen will τό πυρ έξυγραίνεσθαι και άέρα γίνεσθαι, συνιστάμενον δέ αέρα γίνεσθαι ϋδωρ. κ. τ. λ. So ist ihm θάλασσα nicht nur das Meer mit allem ihm zugehörigen Gewässer, sondern auch die immer feuchtes aufnehmende und herablassende niedere Atmosphäre, die dem lebendigen Beobachter der Natur so tausendfältig nicht nur mechanisch gemischt und dem Auge sich vermischend sondern auch lebendig Eins erscheinen muß mit dem unteren Meere. Dasselbige wird auch angedeutet in der vorhin mitgetheilten 376 Stelle des Stobäus (Eel. P h y s . I, p. 304) | durch die sonst schwer verständlichen Worte „έπειτα την γήν ... φ ύ σ ε ι ϋ δ ω ρ άποτελεΐσθαι." Daß in dieser Bedeutung θάλασσα zu nehmen ist, geht nicht nur von selbst hervor aus dem gänzlichen Stillschweigen von der Luft in dieser Darstellung, sondern auch aus der Erklärung des C l e m e n s , der sie gern hineinbringen möchte, schimmert es durch „das Feuer wandle sich durch Luft in das Feuchte, welches, gleichsam den Saamen der ganzen Weltbildung, er θάλασσα nennt; aus diesem aber werde wieder Erde und Himmel und das darin enthaltene." Daher auch kaum zu glauben ist daß wir eine wörtlich angeführte Stelle des Herakleitos besizen in den Worten des P l u t a r c h o s (de EI ap. D e l p h . I I , p. 392.)

10 vier] Vier 13 Oben 145,9—8; Diogenes Laertios IX 9, ed. Meibomius S. 553 f; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 441 13 — 16 Johann Matthias Gesner: De animabus Heracliti et Hippocratis ex hujus libro I De diaeta disputatio, Commentarii Societatis Regiae Scientiarum Gottingensis, Bd. 1, Göttingen 1752, S. 67—156, hier: S. 85 22—24 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 11, ed. Heeren Bd. 1, S. 304; 1 10 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 126 - Oben 144,15 f 2 6 - 3 0 Vgl. unten 147,10-20 3 2 - 2 Plutarchos: De Ei apud Delphos 18, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 392; Moralia Bd. 3, S. 19

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ώς Ηράκλειτος έλεγε, πυρός θάνατος άέρι γένεσις και αέρος θάνατος υδατι γένεσις

sondern nur dieser Gebrauch von θάνατος und γένεσις ist gewiß dem 43 Herakleitos entnommen, aber als die Gegenstände an welchen dieser 5 Gegensaz aufgezeigt worden schoben sich dem Plutarchos wahrscheinlich seine bekannte vier Elemente unter. Und schwer ist zu glauben wenn die Stelle worauf wir uns gründen nur die erste Anlage war, daß in einer ausführlichen Beschreibung dieses Prozesses Herakleitos auch das verschiedene in der θάλασσα zusammengefaßte auf Empedokleische 10 Weise vereinzelt | habe. Jene Erklärung von θάλασσα hatte C l e m e n s 377 von ächten und verständigen Auslegern des Herakleitos, aber er verstand nicht, daß dieses Feuchte beides Wasser und Luft sollte unter sich befassen, und das ,,δι' αέρος τρέπεται εις ύγρόν" ist wol sein eigen oder einer schlechteren Quelle entschöpft. Doch es ist besser für den Leser, 15 seine erklärenden und verbindenden Worte, wie sie auf die mitgetheilten Herakleitischen folgen, hier beizufügen.

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Δυνάμει γάρ λέγει - δτι πυρ ύπό του διοικούντος λόγου και θεοΰ τά σύμπαντα δι' άέρος τρέπεται εις ύγρόν, τό ώς σπέρμα της διακοσμήσεως, ο καλεί θάλασσαν, έκ δέ τούτου αύθις γίνεται

γή καΐ ούρανός και τά εμπεριεχόμενα. Es ist schwer hier nicht helfen zu wollen, aber auch zu helfen ist schwer, und wer weiß ob C r e u z e r (Philos. v e t t . loci de p r o v i d . H e i d e l b . 1806) wirklich geholfen hat. Denn wer weiß ob die Worte και θεοΰ nicht von dem Rande hineingewandert sind? Oder wer weiß auch, ob nicht τά σύμπαντα, das sämmtliche ursprüngliche Feuer, das sein soll was verwandelt wird, und die Worte δτι πΰρ zu dem vorigen gehören? Denn mit dem δυνάμει γάρ λέγει steht es doch auf jeden Fall so, daß es sich nur auf das vorstehende Herakleitische beziehen kann, nicht auf den Saz δτι πΰρ τρέπεται εις ύγρόν; | denn verwandelt 378 wird das Feuer wirklich, ενεργεία. Nun kann C l e m e n s entweder zu den Worten θαλάσσης δέ τό μεν ήμισυ γή κ. τ. λ. sich gedacht haben έστι, und deshalb hinzugefügt Δυνάμει γάρ λέγει „er meint nemlich dem Vermögen nach ist das halbe Meer Erde," und dann 44 finge erst die Erklärung des Ganzen an bei dem δτι πΰρ „weil nemlieh das Feuer u. s. w." Er kann aber auch gleich in Bezug auf das

10 Erklärung] Erklärnng 10—20 Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 712; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 84 f 22 Friedrich Creuzer: Philosophorum veterum loci de Providentia divina itemque de fato emendantur, explicantur, Heidelberg 1806, S. 26 f — Creuzer schlägt vor zu lesen: ύπό τον διοικούντος τά σύμπαντα λόγον και θεοΰ.

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Ganze und auf seine eigenen vorhergehenden Worte gesagt haben, Δυνάμει γαρ λέγει ότι πυρ nemlich ό κόσμος; und dann müßte man nach πυρ interpungiren, und lesen ύπό δε του κ. τ. λ. Doch vielleicht wäre diese Anmerkung unnöthig geworden, wenn C r e u z e r eine wörtliche Uebersezung nach seinem Sinne beigefügt hätte.

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Von diesem Meere nun sagt Herakleitos „des Feuers Verwandlungen sind zuerst Meer, des Meeres aber zur Hälfte Erde zur Hälfte πρηστήρ." Daß des lezteren Wortes Bedeutung hier nicht auf eine so bestimmte einzelne atmosphärische Erscheinung zu beschränken ist wie bei Aristoteles ( M e t e o r o l . I I I , 1. p. 353. E d . C a s . ) wo es den entzündeten und gefärbten 10 Wirbelwind bedeutet, über den die Naturforscher mehr wissen mögen, dies leuchtet ein. Vielmehr ist offenbar, da des Herakleitischen Meeres Verwandlung halb in Erde geschieht und halb in diesen | πρηστήρ, daß wie die Erde die Verdichtung ist oder der Niederschlag aus dem wässrigen Theile des Meeres, so πρηστήρ die Verdünnung oder Verflüchtigung 15 seines luftigen Theiles, das Gebiet aller troknen und feurigen atmosphärischen Erscheinungen, genau zu reden das erscheinende Feuer selbst, wie es sich in der Atmosphäre bildet. Denn so sagt uns J o h . P h i l o p . (ad A r i s t . de a n i m . 1,2.) wieder von Herakleitos und Hippasos was wir nur auf den ersten beziehen wollen 20 Πΰρ δέ ου την φλόγα φασίν αϋτη γάρ υπερβολή πυρός (dieses nur möchte schwerlich ächt Herakleitisch sein)" αλλά τήν ξηράν άναθυμίασιν, ήν και σεισμούς ποιεΐν, και άνέμους, και τά άλλα σσα κινητικώτατα ήτιάσατο έν τοις μετεώροις 'Αριστοτέλης. Ganz unserer aufgestellten Bedeutung von πρηστήρ gemäß. O b 25 aber Herakleitos außerdem noch eine einzelne feurige Lufterscheinung πρηστήρ genannt habe wie S t o b ä o s (Eel. P h y s . L. I, c p . 30, p. 594) erzählt, oder ob hier wieder eine Uebertragung des stoischen auf Herakleitos vor sich gegangen, d a P l a c . P h i l . III, 3. hier ganz von Herakleitos schweigt, wagen wir nicht zu entscheiden. Gewiß 30

23 και άνέμους] και άνέμους 9—11 Aristoteles: Meteorologica III 1, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 353 c~d; ed. H. D. P. Lee, The Loeb Classical Library, London/Cambridge (Mass.) 1952, S. 236 (371 a) 18—24 Johannes Philoponos: Commentaria in libros De anima Aristotelis, ed. V. Trincavelli [Ed. Aldina], Venedig 1535, [zu I 2] unpaginiert [S. 38]; vgl. In Aristotelis De anima libros commentaria, ed. M. Hayduck, CAG XV, Berlin 1897, S. 87 — Johannes Philoponos: Philosoph und Theologe des 5. Jh., Vertreter eines christlichen Aristotelismus. 27 ί Stobaios: Eclogae physicae et ethicae [liber] I [caput] 30, ed. Heeren Bd. 1, S. 594; I 29 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 232 29 f Vgl. Plutarchos: Placita philosophorum III 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 893 (Q: fälschlich als 900 paginiert); Moralia Bd. 5/2.1, S. 102 f. Genannt werden lediglich Anaximandros, Metrodoros, Anaxagoras, die Stoiker und Aristoteles.

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aber wird Niemand eine solche Stelle als Zeugen auftreten lassen wollen gegen unser Bruchstükk. Diese Worte des Herakleitos zeigen uns also ganz bestimmt die stufenweise Verwandlung | nach der Seite des Starren, zugleich aber auch auf 380 5 der mittleren Stuffe das Zusammensein beider Verwandlungen, auf der einen Seite die Fortschreitung in das starre und kalte, auf der andern den Rükgang ins warme und flüchtige. Wie nun bei einer solchen Theilung nach beiden Seiten diese mittlere Stuffe sich befindet, das lernen wir aus einer andern Stelle, die C l e m e n s noch in derselben fortlaufenden Rede 10 anführt 26. Θ ά λ α σ σ α δ ι α χ έ ε τ α ι και μ ε τ ρ έ ε τ α ι ε ί ς τ ο ν α υ τ ό ν λ ό γ ο ν , ό κ ο ΐ ο ς π ρ ό σ θ ε ν ή ν ή γ ε ν έ σ θ α ι γ ή . „Das Meer wird ausgegossen und gemessen nach demselben Verhältniß, welches zuvor Statt hatte ehe es Erde war." 15 So daß jenes Meer also nicht verschwindet durch die Zertheilung, sondern immer gleichförmig wieder hergestellt wird. C l e m e n s leitet diese Worte ein durch den unmittelbar an seine Erklärung des vorigen Bruchstükkes sich anknüpfenden Saz 20

όπως δε πάλιν αναλαμβάνεται και έκπυροΟται, nemlich wol Erde und Himmel und das darin enthaltene, σαφώς δια τούτων δηλοΐ „Θάλασσα κ. τ. λ.

Hieraus sollte man schließen diese Worte wären aus einer Stelle genommen, in welcher der Rükgang, der Weg nach oben, zunächst be|schrieben 381 wurde, und vielleicht für die mittlere Stuffe das frühere zugleich wieder25 holt, und gezeigt, wie dennoch das Meer theils durch Ausdünstung aus der Erde sich herstellend, theils durch die erste Verwandlung aus dem Feuer entstehend immer dasselbige zuerst angegebene Verhältniß zeige. Wenigstens das μετρέεται ες τον αυτόν λόγον kann wol nur als das 46 Resultat beider vereinigten Prozesse für diese mittlere Stuffe angesehen 30 werden, weil es sich sonst verdoppeln, nicht aber gleich bleiben würde. Eben dasselbige nur allgemeiner und wahrscheinlich mit eigenen Worten des Herakleitos besagt eine Stelle des P i a t o n (Sophist, p. 242 e.)

12 όκοΐος] δκοιος

9—12.16—21

Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 712 (Q: πρώτον statt πρόσθεν; Schleiermacher folgt mit seiner Lesart einer Texttradition bei Eusebios, die Potter ebd. Anm. 7 mitteilt); vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 85 3 2 - 1 Piaton: Sophistes 242 e, Opera Bd. 2, S. 252; vgl. Werke Bd. 6, S. 310

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27. δ ι α φ ε ρ ό μ ε ν ο ν γ α ρ ά ε ι ξ υ μ φ έ ρ ε τ α ι „denn sich trennend einigt es sich immer." Nemlich auseinander gehend nach beiden Seiten, gehe es auch von beiden immer wieder zusammen in dieselbige Gestalt. Weil aber die Beschreibung des Rükganges nach oben, wie sie den hier dargestellten Stellen entspricht, uns fehlt, und manche Spuren auf eine wiederholte Darstellung deuten: so muß uns doch ungewiß bleiben, ob, was außer der stuffenweisen Verwandlung spätere Berichte erzählen von einer plötzlichen Umbildung des Feuers in Erde und der Erde wieder in Feuer, nur Mißverstand ist, oder abgekürzte Beschreibung desselben 382 Prozesses, oder ob nicht Hera|kleitos außer jenem außer Zweifel gesezten allmähligen Uebergang auch noch einen unmittelbaren der am meisten entgegengesezten Gestaltungen in einander angenommen hat, und vielleicht auch hierauf sich bezieht, was Theophrastos gesagt haben soll, daß er Manches an verschiedenen Orten verschieden erzähle. Wenn man erwägt wie ganz deutlich dieser Darstellung die einfache Anschauung der allgemeinsten atmosphärischen sowol als auf der Oberfläche der Erde vor sich gehenden Naturwirkungen zum Grunde liegt, und wie es auch an Erscheinungen davon nicht fehlt, daß auch aus dem starrsten unmittelbar das Feuer hervorbricht als Wärme oder als Flamme in mancherlei Selbsterhizungen und Selbstentzündungen: so wird dies in der That nicht unwahrscheinlich. Nur möchte es schwer werden, Erscheinungen nachzuweisen in welchen auch aus dem bloßen Feuer plötzlich das starre, die Erde, hervorgeht; wenigstens fehlt es unsers Wissens an 47 allen Spuren, daß irgend Herakleitos sich auf meteorische Steine berufen, was uns doch von Anaxagoras aufbewahrt worden, oder daß er beobachtet wie aus dem Rauch unmittelbar feste Körperchen sich absezen. Und eine völlige Gleichförmigkeit in beiden Prozessen müssen wir seiner Darstellung schlechthin zuschreiben, genöthiget durch eine Stelle, welche 383 T e r t u l l i a n u s (adv. M a r c . | II, c. 28) wahrscheinlich nicht mehr aus der ersten Hand anführt und wunderlich anwendet „Si i g n o r a v i t D e u s m e u s e s s e a l i u m s u p e r se, e t i a m t u u s o m n i n o n o n s c i v i t e s s e a l i u m i n f r a se. Q u o d e n i m ait H e r a c l i t u s ille t e n e b r o s u s e a d e m via s u r s u m et d e o r s u m . " Wie wunderlich auch von Andern andere einzelne Säze, sobald sie irgend sprichwörtlich werden konnten, mögen aus ihrem Kreise herausgerissen worden sein, zeigt auch ein sol2 immer."] immer," 3 0 — 3 4 Tertullianus: Adversus 1770-1776, Bd. 1, S. 117 (Q: mius Florens Tertullianus: ca. sogenannten antignostischen

Marcionem II 28, 1, Opera, ed. ]. S. Semler, Bd. 1—6, Halle „deus" statt „Deus"); vgl. SC 368, S. 168 - Quintus Septi160 — nach 220 n. Chr., Theologe aus Karthago, einer der Väter.

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ches Beispiel zur Genüge. Dieselbige Stelle aber ist uns in der Ursprache und wahrscheinlich wörtlich aufbewahrt worden in den Werken des H i p p o k r a t e s (de a l i m e n t i s Ed. C h a r t . V I , p. 297). 5

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28. ό δ ό ς ά ν ω κ ά τ ω μ ί η . Der Sinn, in welchem der Verfasser diesen Spruch gebraucht hat, ist aus dem Zusammenhang in dem allzuaphoristischen Büchlein nicht zu entnehmen. Der Commentar des G a l e n o s erwähnt freilich auch nicht, daß hier etwas Herakleitisches sei. Allein offenbar sind Herakleitisirende Gedanken und Ausdrükke viele in dem Büchlein, wie ζ. Β. ξύμφωνα και διάφωνα öfter vorkommt, und anderes Vereinigen von Gegensäzen, und die Uebereinstimmung mit der Stelle des Tertullianus ist zu auffallend. Denn daß όδός άνω für den Gang feuerwärts | und όδός κάτω für den 384 Gang erdwärts eigner Sprachgebrauch des Herakleitos gewesen ist, kann wol bei so vielfältigen und so übereinstimmenden Anführungen der Alten Niemand in Zweifel ziehen. Und was können jene Worte anders sagen sollen, als daß beide Wege einander durchaus gleich und entsprechend wären? wenn sie nicht gar Jemand brauchen wollte um den schnellen und kurzen Weg neben dem langsamen ganz zu läugnen, buch- 48 stäblich übersezend „denn es giebt nur Einen Weg nach oben und nach unten." III. Diese streitige und gewiß, weil eine genauere Vorstellung von dem Fluß aller Dinge nur durch sie bestimmt werden kann, gar nicht unwichtige Frage, ob Herakleitos auch einen unmittelbaren Uebergang aus Erde in Feuer und somit auch aus Feuer in Erde angenommen, welche vielleicht ein kleines Bruchstükk von wenigen Zeilen ähnlich unserm 26sten würde aufgelöst haben, könnten wir doch auch ohne das entscheiden, wenn uns nur statt der verdächtigen zulezt angeführten Stelle des Stobäos, die ohnedies nur sehr dürftiges von Donner und Bliz enthält, mehrere irgend sichere Zeugnisse aufbewahrt worden wären von des Herakleitos meteorologischen Erklärungen. Denn hier müssen ja wol alle verschiedenen Verwandlungen vorgekommen sein. Und es läßt sich gar nicht | denken daß nicht Herakleitos hier mit seinen Erklärungen 385 26 26sten] 36sten 3 f Hippokrates: De alimento 45, Hippocratis et Galeni Opera, ed. R. Cbarterius, Bd. 1-13 (in 9), Paris 1639-1689, Bd. 6, S. 297; vgl. Nutriment, ed. W. H. S. Jones, in: Hippokrates I, The Loeb Classical Library, Cambridge (Mass.)/London 1984, S. 335—361, bier: S. 358 — Hippokrates aus Kos, ca. 460—370 v. Chr., gilt als der berühmteste Arzt des Altertums. 27 f Oben 148,27f; Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 30, ed. Heeren Bd. 1, S. 594: 'Ηράκλειτοςβροντήνμέν, κατά συστροφάς άνέμων και νεφών, και έμπτώσεις πνευμάτων εις τά νέφη, άστραπάς δέ, κατά τάς των θυμιωμένων εξάψεις, πρηστήρας δέ κατά νεφών έμπρήσεις και σβέσεις.; 129 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 232

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sollte ins Einzelne gegangen sein. Schon die Worte des Diogenes έκ δέ τούτου τά λοιπά σχεδόν πάντα επί την άναθυμίασιν άνάγων την από της θαλάττης lassen auf eine große Mannigfaltigkeit von Thatsachen schließen, welche unter dieser Darstellung sind begriffen gewesen. Es liegt aber auch in der Natur der Sache. Das Werden der Erde aus dem 5 Wasser, wie Herakleitos wol alle Niederschläge und Absäze ansehen mußte, geht auf eine ganz allmählige und unscheinbare Weise vor sich, aber der Prozeß rükwärts zum Feuer, und des Feuers Herablassung zu den niederen Regionen des Wassers und der Erde umfaßt alle Erscheinungen, welche von je her am meisten die Aufmerksamkeit der Men- 10 sehen auf sich gezogen haben, und denjenigen ganz vorzüglich fesseln mußten, der grade auf die Verwandlungen der Dinge, auf das Uebergehen aus einem Zustand in den andern allen Werth sezte. Nun aber wissen wir von alle dem so gut als gar nichts. Denn ein Wink den uns N i k a n 49 d r o s ( A l e x i p h a r m . v. 171 sqq.) giebt mit oder vielmehr durch seinen 15 Scholiasten, ohne den wol hier schwerlich Jemand den Herakleitos gewittert hätte,

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Κ α ί τε σύ γ' άγλεύκην βάψαις ίόεντα θάλασσαν, Ή ν τε καί άτμεύειν άνέμοις πόρεν Έ ν ν ο σ ί γ α ι ο ς | Σύν πυρί· καί γαρ δη πνοιαΐς συνδάμναται έχθραΐς 20 Πυρ μεν άείζωον, καί άχύνετον έτρεσεν υδωρ Ά ρ γ έ σ τ α ς καί ρ' ή μεν άκοσμήεσσα φιλοργής Δεσπίζει νηών τε καί έμφθορέων αίζηών Ύ λ η δ' έχθομένοιο πυρός κατά θεσμόν ακούει. S c h o l . ότι δέ δουλεύει ή θάλασσα καί τό πϋρ άνέμοις κατά 25 θείον νόμον δηλονότι, τούτο δέ καί Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς καί Μ ε ν ε κράτης εΐρηκε. Und hernach έκτίθεσθαι ούν βούλεται δια τούτων καί 'Ηράκλειτος, οτι πάντα έναντία εστίν άλλήλοις κατ' αύτόν τη γάρ θαλάσση ύπόκεινται τά πλοία - τω δέ πυρί ή υλη. 30 Diese Stelle kann anstatt zu befriedigen nur Neugierde erregen, ob hier wirklich auf Herakleitische Physik Rüksicht genommen ist, und in welcher Beziehung wol unser Ephesier gesagt habe, daß das Feuer den Win13 aus einem] aus einen

18 σύ γ'] σύγ'

19 Ή ν τε] Ή ν τ ε

1—3 Diogenes Laertios IX 9, ed. Meibomius S. 5 5 3 ; ed. Long Bd. 2, S. 441 14—24 Nikandros: Alexipharmaka, Verse 171 — 177, ed. ]. G. Schneider, Halle 1792, S. 9; vgl. Theriaca et Alexipharmaca, ed. O. Schneider, Leipzig 1856, S. 284 f — Die Alexipharmaka sind ein in Hexametern geschriebenes, 630 Verse umfassendes Lehrgedicht. 25—30 Scholia in Nicandri Alexipharmaca [zu Vers 172. 174. 175], ed. Schneider S. 42 (Q weicht an einigen Stellen geringfügig in der Wortstellung ab); vgl. ed. M. Geymonat, Testi e documenti per lo studio dell'antichitä 48, Mailand 1974, S. 85 f

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den diene. Auf jeden Fall scheint das Beiwort ά ε ί ζ ω ο ν hier ganz unrichtig angebracht. Wer ist nun aber über diesen Mangel welcher uns drükt härter anzuklagen als Aristoteles, der, da es ihm sonst so viel Freude gewährt die 5 abweichenden Meinungen der alten Physiker anzuführen, in seinen meteorologischen Büchern des Herakleitos so gut als gar nicht gedenkt? In der T h a t läßt er uns nur die "Wahl, entweder zu glauben, daß es ihm zu viel M ü h e gemacht sich in die Naturbeschreibungen | des Herakleitos 387 hineinzulesen, oder, daß er sich allerdings gar stark hineingelesen, daß 10 es ihm aber besser gefallen habe zu verschweigen als aufzudekken, woher er das meiste vielleicht in diesem Theile seiner Lehre genommen. Denn die Lehre zum Beispiel von der doppelten Ausdünstung ( M e t e o r o l . I, 3.) der feuchten welche er άτμις, und der troknen welche er άναθυμίασίς nennt, von jener sagend, sie sei δυνάμει ο ί ο ν υδωρ, von dieser 50 15 sie sei δυνάμει ο ί ο ν πυρ, muß nothwendig sein Herakleitisch gewesen ihrem Wesen nach. Denn das Uebergehen des Meeres und zwar zunächst seines flüchtigen Theils in jenes Gebiet der höheren glänzenden Erscheinungen kann ja wol nichts anders sein als ein Trokkenwerden desselben, so wie umgekehrt die Ausgießung des Meeres aus dem Feuer uns be20 schrieben wird als ein Feuchtwerden des lezteren; und der Uebergang des Luftmeeres in Feuer wird also nothwendig eine trokkene Verflüchtigung, so wie das Aufgelöstwerden der Erde in Wasser ein feuchtes E m porsteigen ist. Dies nun stimmt freilich nicht genau mit Aristoteles überein, der beide Dünste aus der Erde ableitet. Allein wenn wir annehmen 25 daß Herakleitos außer der allmähligen Verwandlung auch noch eine schnellere gelehrt und also beides bei ihm vorgekommen, ein Wasserwerden der Erde und ein Feuerwerden | derselben: so hätte er auch von der 388 Erde sagen gekonnt, ihre Verwandlung sei theils Wasser, theils Feuer, und würde aus der Erde selbst zweierlei Erhebungen oder Dünste gehabt 30 haben, einen feuchten durch welchen sie in Wasser, und einen troknen durch welchen sie in Feuer verwandelt wird. Und dieses nun stimmt ganz genau mit dem überein was Aristoteles vorträgt; ja man kann sogar hieraus am besten eine Verwirrung in der Terminologie erklären, welche ihn sonst im Vortrag seiner eigenen Meinungen nicht leicht beschleicht. 35 Denn da er zuerst offenbar das Wort άτμις für das seiner Natur nach warme und feuchte bestimmt hatte; was δυνάμει, nicht gerade dem Ursprünge nach, ο ί ο ν υ δ ω ρ ist, und dagegen das Wort άναθυμίασις für das seiner Natur nach warme und trokkene τό δυνάμει ο ί ο ν πυρ: so kann er sich doch hernach nicht entschließen die aus der Erde hervorge-

12—15 Aristoteles: Meteorologica I 3, Opera ed. Casaubott Bd. 1, S. 327 f; ed. Lee S. 20 (340 b) - S. u. 154,6-12.

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henden, ihr Wasserwerden darstellenden Dünste eben so zu benennen wie die aus dem Wasser aufsteigenden, welche freilich für den Herakleitos in seiner eigenthümlichen Sprache immer noch θάλασσα waren, sondern braucht nun offenbar auch άναθυμίασις für etwas was ύγρόν και θερμόν ist. D o c h die Sache wird offenbar deutlicher werden wenn wir 5 die beiden Stellen des Aristoteles hieher sezen, zuerst M e t e o r . I, 3. (Ed. C a s . p. 3 2 7 . F.) άλλα | δει νοήσαι τοΰ λεγομένου και καλουμένου ύφ' ήμών άέρος; τό μεν περί την γήν οίον ύγρόν και θερμόν είναι δια τό άτμίζειν τε και άναθυμίασιν έ χ ε ι ν γης, τό δ' υπέρ τούτο θερμόν ήδη και ξ η ρ ό ν έστι και άτμίδος μεν φύσις ύγρόν και θερμόν, άναθυ- ίο μιάσεως δέ θερμόν και ξηρόν. και έστιν άτμίς μέν δυνάμει οίον υδωρ· άναθυμίασις δέ δυνάμει οίον πυρ. Und hiemit zu vergleichen M e t e o r o l . I, 4. p. 3 2 8 . D. θερμαινομένης γαρ της γης ύπό του ήλίου τήν άναθυμίασιν άναγκαΐον γίνεσθαι μη άπλήν, ώς τίνες οΐονται, άλλα διπλήν, τήν μέν άτμιδωδεστέραν, τήν δέ πνευματοδεστέραν 15 τήν μέν τοϋ έν τή γη και έπί τή γή ύγρου άτμίδα (oder wie ich gern um den Widerspruch zu lindern lesen möchte άτμιδώδη), τήν δ' αυτής τής γης, ούσης ξηράς καπνώδη. M a n sehe nur wie hier gegen die Weise des Aristoteles alle Erklärungen einen starken Geschmakk haben nach dem Herakleitischen Fließen, und wie er sich möglichst hütet eine be- 20 stimmte φύσις zu constituiren, man vergleiche noch die folgenden Worte πρώτον μέν γαρ ύπό τήν έγκύκλιον φοράν έστι τό θερμόν και ξηρόν δ λέγομεν πυρ - άνώνυμον γαρ (weil er nemlich πρηστήρ wol nicht mehr so gebrauchen konnte) τό κοινόν έπί πάσης τής καπνώδους διακρίσεως mit dem oben aus J o h . P h i l o p . beigebrachten, und man wird 25 wol schwerlich anstehen können hier ein | möglichst treues Abbild Herakleitischer Naturanschauung zu finden. Dann aber folgt auch daß Herakleitos unmittelbaren Uebergang der Erde in das erscheinende Feuer angenommen, welches zwar auf seinem Wege hinaufwärts durch das Gebiet des oberen Meeres hindurchgehen muß, aber ohne auch nur ein 30 scheinbares Stehenbleiben auf dieser Stuffe darzustellen; und es fehlte uns nur noch daß wir nicht auch noch für das von späteren Zeugen ebenfalls berichtete unmittelbare Heraustreten der Erde aus dem Feuer bestimmte Erscheinungen nachzuweisen haben. Nur möchten wir keinesweges so verstanden sein, als habe Aristoteles auch die Terminologie 35 von dem Ephesier herübergenommen; vielmehr sind wir überzeugt daß άναθυμίασίς kein Herakleitisches Wort ist, sondern in die späteren Be-

6—12 Aristoteles: Meteorologica I 3, Opera ed. (340 b) 13—25 Aristoteles: Meteorologica vgl. ed. Lee S. 28 (341 b) 25 Oben 148,18 in libros De anima Aristotelis, ed. Trincavelli vgl. ed. Hayduck, CAG XV, S. 87

Casaubon Bd. 1, S. 327 f; vgl. ed. Lee S. 20 I 4, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 328 d; — 24; Johannes Philoponos: Commentaria [Ed. Aldina], [zu I 2] unpaginiert [S. 38];

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Schreibungen seiner Lehre erst aus dem Stagiriten und den stoisirenden Auslegern des Herakleitos hinübergenommen. Wollte aber Jemand eben hierauf, wie denn dies ein Jeder wol mitfühlt, sich berufend, dieser Spur nicht trauen, sondern erzwingen wollen, die Aehnlichkeit entstände nicht aus dem Entlehnen des Aristoteles, sondern nur aus dem Bestreben der Späteren, den Herakleitos aus dem Aristoteles zu erklären: so hätten wir die Abgunst des Stagiriten um so mehr zu beklagen, und wären mit unserer Frage dann lediglich an das gewie- 391 sen was Herakleitos von den Gestirnen gelehrt hat. Denn diese hielt er bekanntlich nicht jedes für einen besonderen Weltkörper, in welchem sich die ganze Reihe der Verwandlungen wiederholte, sondern nur für feurige Erscheinungen alle in dieselbe Ordnung κόσμος gehörig, von welcher unsere Erde die Gegend des harten und starren bildet, das äußerste umgebende aber die Gegend des Feuers in welche auch die Gestirne gehören. Und dies ist beiläufig gesagt gewiß die einzige Veranlassung aus welcher so viele spätere Zeugnisse — denn Aristoteles Phys. VIII, 1. wo er unterscheidet welche viele Welten und welche nur Eine annehmen, nennt wenigstens unseren nicht — ausdrüklich behaupten, Herakleitos lehre es gebe nur Eine Welt; so wie eine Stelle des Aristoteles (Phys. III, 5.) worin er sagt, kein Physiker habe das Eine und Unendliche ,,τό εν καν άπειρον" als Feuer oder als Erde angegeben, gewiß die Veranlassung ist weshalb dieselbigen auch aussagen die Welt des Herakleitos sei eine begrenzte gewesen, welches beides gewöhnlich mit einander verbunden wird, von Herakleitos selbst aber, der von entgegengesezten Meinungen in Beziehung auf welche er sich müßte erklärt haben wol nichts wußte, schwerlich so ist ausgesprochen worden. Man sehe D i o g . IX, 8. 53 πεπεράσθαί τε τό παν και | ε να είναι κόσμο ν, eben so H e s y c h i o s 392 und T h e o d o r e t . (graec. äff. cur. disp. IV.) "Ιππασος δέ ό Μεταποντΐνος και Ηράκλειτος ό Βλύσωνος ό Έφέσιος έν είναι τό παν και άκίνητον και πεπερασμένον. Jene Meinung aber des Herakleitos von den Gestirnen, welche sie zu meteorischen Erscheinungen herabsezt, ist uns überliefert durch die ältesten Zeugnisse des PI a t o n und des A r i s t o t e l e s . Beide zwar berichten zunächst nur von der Sonne, jener indem er diese Lehre nur zu einem Vergleich braucht Rep. IV, p. 498. b, daß nach Herakleitos die Sonne verlösche und sich wieder entzünde, denn

27 πεπεράσθαί τε] πεπεράσθαί τε 16-18 b~243a. Physica Laertios publica

Aristoteles: Physica VIII 1, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 251-253; ed. Ross 241 — Namentlich genannt sind Attaxagoras und Empedokles. 19—21 Aristoteles: III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 215 e; ed. Ross 205 a 26—30 Diogenes IX 8, ed. Meibomius S. 552 f; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 440 34—3 Piaton: De re IV, 498 a~b, Opera Bd. 7, S. 98; Werke Bd. 4, S. 510

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Herakleitos

anders kann niemand die Worte verstehen προς δέ τό γήρας έκτος δή τίνων ολίγων άποσβέννυνται πολύ μάλλον τοΰ Η ρ α κ λ ε ί τ ε ι ο υ ηλίου, δ σ ο ν αύθις ούκ έξάπτονται — Aristoteles aber ( M e t e o r o l . 11,2.) genauer, daß nach Herakleitos die Sonne alle Tage neu werde. Denn daß hier nicht etwa nur die Rede ist von einer Anwendung jener 5 allgemeinen Lehre von dem Fließen aller Dinge, vermöge deren alles immer neu wird, sondern daß Herakleitos ausdrüklich eben das scheinbare Bestehen, dessen andere Dinge sich länger erfreuen, der Sonne nur einen Tag gegönnt hat, zeigen die Worte des Aristoteles deutlich, welche ohne dies, da sie den Herakleitos buchstäblich anführen, hieher gehören. 10 393 Aristoteles nemlich streitet gegen | die, auf keinen bestimmten Urheber zurückgeführte Lehre, daß die Sonne sich von dem Feuchten nähre, und sagt unter andern

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29. περί δέ τον ήλιον αδύνατον τοϋτο σ υ μ β α ί ν ε ι ν έπεί τρεφομένου γε τον αύτόν τρόπον — wie die Flamme nemlich — ώσπερ 15 έ κ ε ΐ ν ο ί φασι, δήλον δτι και ό ήλιος — was nemlich Aristoteles vorher von der Flamme gezeigt hatte — ού μόνον καθάπερ ό 'Ηράκλειτος φησι, ν έ ο ς έ φ ' ή μ έ ρ η έ σ τ ί ν , αλλ' άεί ν έ ο ς συνεχώς· was ganz genau in Uebereinstimmung mit jener Platonischen Stelle, die er offenbar in Gedanken hat, A l e x . A p h r o d . erklärt (in M e - 20 t e o r o l . f o l . 93. a) ού μόνον, ώς Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς φησιν, νέος έφ' ήμέρη αν ήν, καθ' έκάστην ήμέραν άλλος έξαπτόμενος τοΰ πρώτου έ ν τή δύσει σβεννυμένου, άλλ' αιεί τε και συνεχώς νέος τε και άλλο τε άλλος έγίνετο, ώσπερ και αί φλόγες έν τω γίνεσθαι τό είναι έχων. 25

P r o k l o s aber hat, wie mehreres, auch dieses schlechthin mißverstanden wenn er sagt ( C o m m e n t , in T i m . p. 334) δια δή τοϋτο nemlich weil er nur zur zweiten δημιουργία gehört και τον Ή λ ι ο ν ν έ ο ν θεόν εΐώθασιν άποκαλειν, και νέος έφ' ήμέρη ήλιος, φ η σ ΐ ν 'Ηράκλειτος. Und hat Herakleitos die Sonne nur als eine solche täglich wiederkom- 30 mende Erscheinung angesehen: so können wir uns auch gefallen lassen 394 zu glau|ben was T h e o d o r e t o s sagt ( g r a e c . äff. c u r . d i s p . I.) er habe

2 Η ρ α κ λ ε ί τ ε ι ο υ ] Ήράκλειτείου

24 άλλο τε] άλλοτε

3f Aristoteles: Meteorologica II 2, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 340 c; ed. Lee S. 134 (355 a). — S. u. 156,14—18. 14—18 Aristoteles: Meteorologica 11 2, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 340 b~c; vgl. ed. Lee S. 134 (352 a) 2 0 - 2 5 Alexandras: [In Aristotelis Meteorologica] υπόμνημα εις τά μετεωρολογικά, [Editio Aldina], Venedig [1527], S. 93 a (= r); In Aristotelis Meteorologicorum libros commentaria, ed. M. Hayduck, CAG HI 2, Berlin 1890, S. 72 f 26—29 Proklos: Commentarius in Timaeum, [Ed. Basiliensis] S.334 (Q: Ήλιος); vgl. ed. Diehl Bd. 3, S. 311 3 2 - 1 Theodoretos: Graecarum

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5

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der Sonne nur einen Durchmesser von Einem Fuß zugeschrieben, was P l a c . P h i l . II, 21. leider wieder hexametrisch angegeben wird Η ρ ά κλειτος ε ύ ρ ο ς π ο δ ό ς ά ν θ ρ ω π ε ί ο υ . Auf diese Meinung von der Sonne bezieht sich auch gewiß jenes merkwürdige Bruchstükk welches P l u t a r c h o s uns zwiefach aufbewahrt hat.

30. "Ηλιος ούχ ύ π ε ρ β ή σ ε τ α ι μ έ τ ρ α , φησιν ό 'Ηράκλειτοςε ι δέ μ ή , (denn hier wird wol Niemand an der Interpunction ändern und lesen wollen ει δέ, μή) Έ ρ ί ν ν υ έ ς μ ι ν Δ ί κ η ς έ π ί κ ο υ ρ ο ι έ ξ ε υ ρ ή σ ο υ σ ι ν . So d e e x i l . (Vol. II, p. 604). Etwas abweichend, aber weil in der indirecten Rede vorgetragen auch unzuverlässiger, d e I s i d . et O s i r . p. 370 also: Ή λ ι ο ν δ έ μή ύπερβήσεσ-

10

θαι τούς προσήκοντος ορούς· ει δέ μή, γλώττας μιν Δίκης έπικούρους έξευρήσειν, wo ich freilich keinesweges verstehe wie aus den Erinnyen γλώτται geworden sind, aber doch gegen jede vorwizige Aenderung mich verwahrend dabei bleiben will, daß beides nur eine und die nemliche Stelle sein kann 5 . Ist Jemand aber vorzüglich 55 neugierig zu wissen, wer die | Erinnyen hier sind und wozu die 395 Gehülfen der Δίκη, der sehe zu wieviel ächt Herakleitisches wol sein mag bei Piaton ( C r a t y l . p. 412), wo doch die Aufsicht nur gehen kann auf den richtigen Gang der Dinge, wenn doch alles immer geht, und das Aufsicht führende nur das Feuer zu sein scheint.

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Denn eine solche Ordnung zu erklären, wie sie obwaltet sowol in jenem abendlichen Verlöschen als auch in dem täglichen und jährlichen Um25 lauf, mußte allerdings derjenige am meisten in Verlegenheit sein, welchem sich die Sonne nicht merklich unterschied von solchen Naturerscheinungen bei welchen keine regelmäßige Wiederkehr zu bemerken ist. Daher man sich einer so gewaltsamen Erklärung nicht wundern darf, 5

30

Buttmann erinnert an die Λύσσα in Eurip. Here. fur. die dort ordentlich als 394 Erinnys erscheint und deren Name leicht in jenes hier fremde Wort übergehen konnte. I

11 p. 370] p. 270 affectionum curatio, Disputatio I, Opera ed. Schulze [Ed. Halensisj Bd. 4, S. 718; SC 57, S. 129 2f Plutarchos: Placita philosophorum II 21, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 890 (Q: fälschlich als 900 paginiert); Moralia Bd. 5/2.1, S. 93 6-9 Plutarchos: De exilio [exsulio] 11, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 604; vgl. Moralia Bd. 3, S. 523 11 — 13 Plutarchos: De Iside et Osiride 48, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 370; vgl. Moralia Bd. 213, S. 48 19 Piaton: Kratylos 412 c-413 d, Opera Bd. 3, S. 289-291; Werke Bd. 3, S. 486 f 29 f Der Hinweis auf Euripides: Hercules furens (Der rasende Herkules) durch Philipp Buttmann konnte nicht nachgewiesen werden. Es ist nicht auszuschließen, daß es sich um eine mündliche Mitteilung an Schleiermacher handeln könnte.

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Herakleitos

sondern sie vielmehr als symbolisch ansehen muß, und auf jede bestimmte Ordnung in dem Leben der Dinge anwendbar, welche nothwendig schwierig sein muß zu bezeichnen, wenn man die feststehenden Formen so tief unterordnet jener Grundansicht von dem allgemeinen Fluß. Hiemit stimmt nun sehr wohl zusammen die schon oben bemerkte und nachgewiesene Abneigung gegen Sterndeuterei und Unterscheidung der Tage; und wenn auch Herakleitos noch mehr astronomische Betrachtungen gemacht hat, wie die welche S t r a b o anführt (I, p. 7.) |

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5

31. Βελτίων δ' Ηράκλειτος και όμηρικώτερος ομοίως άντϊ του άρκτικοϋ την άρκτόν όνομάζων. ' Η ου ς γ α ρ και έ σ π έ ρ α ς ίο τ έ ρ μ α τ α ή ά ρ κ τ ο ς , και ά ν τ ί ο ν τ η ς ά ρ κ τ ο υ ο ύ ρ ο ς αίθ ρ ι ο υ Δ ι ό ς „des Morgens und Abends Scheidung ist der Bär; und dem Bären gegenüber die Grenze des hellen Zeus." welches doch höchst wahrscheinlich Herakleitische Worte sind, obgleich befremdlich jede Anführungsformel fehlt. Strabo will hieraus beweisen άρκ- 15 τος heiße dem Herakleitos der arktische Kreis. Man könnte aber eben so gut sagen ήοΰς και έσπέρας τέρματα heiße der arktische Kreis, je nachdem die Absicht des Herakleitos war, entweder den Nord- und Südpunkt des Horizonts zu bezeichnen, oder mehr die Eigenschaften der Sterne, in wiefern sie auf- und untergehn oder 20 nicht.

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so hatten sie doch gewiß keinen astrologischen Zwekk, sondern nur den der geographischen Ortbestimmung. Daß ihm aber jene Regelmäßigkeit etwas sehr bedeutendes gewesen, sieht man daraus, was zwar nur eine spätere Nachricht sagt ( S t o b . E c l . P h y s . I , p. 264), daß Herakleitos ein 25 großes Jahr und zwar aus achtzehntausend Sonnen jähren zusammengesezt, die sich aber doch durch die hinzugefügte beglaubigt, daß ein Stoi397 ker Diogenes sein großes Jahr nach dem | Herakleitischen bestimmt und jenes große zur Tageseinheit nehmend das seinige aus 365 solchen construct habe 6 . 30 6

Das bedeuten offenbar die Worte Ηράκλειτος έκ μυρίων όκτακισχιλίων ένιαυτών ήλιακών Διογένης ό Στωικός έκ πέντε και έξήκοντα και τριακοσίων ένιαυτών τοσούτων, όσος ήν ό καθ' Ήράκλειτον ένιαυτός· und

10 Ήοϋς] „Ήοΰς 8—12 Strabon: Res geographica I 1, 1, ed. Τ. J. van Almeloveen, Amsterdam 1707, S. 7f (Hervorhebung von Schleiermacher); vgl. The Geography of Strabo, ed. H. L. Jones, Bd. 1-8, The Loeb Classical Library, Cambridge (Mass.)/London 1968-1983, Bd. 1, S. 10 — Strabon: 64/63 v. Chr. — nach 23 η. Chr., stoischer Historiker und Geograph. 25.31—33 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 9, ed. Heeren Bd. 1, S. 264; I 8 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 108

Herakleitos

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Niemand aber wird wol erst Beweis dafür verlangen, daß, was von der Sonne, auch von allen andern Gestirnen gegolten habe, und Herakleitos sie nicht als ungleichartig schildern wollte, indem er sagte was P l u t a r c h o s uns zwiefach zu lesen giebt 5

32. Κ α ι ώ σ π ε ρ ή λ ί ο υ μ ή ο ν τ ο ς έ ν ε κ α τ ω ν ά λ λ ω ν ά σ τ ρ ω ν έ υ φ ρ ό ν η ν ά ν ή γ ο μ ε ν , ώς φησιν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς (de f o r t u n a p. 98.), und noch einmal wahrscheinlich mehr mit Herakleitischen Worten ( a q u a e et i g n i s c o m p . p. 9 5 7 ) Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς μεν ούν, ε ι μ ή ή λ ι ο ς , φησιν, ή ν , ε ύ φ ρ ό ν η ά ν ή ν „Wäre die Sonne nicht, so wäre Nacht."

10

Auch besagen dies ausdrüklich andere spätere Zeugnisse wie P l a c . P h i l . II, 28. ' Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς τ ό αυτό π ε π ο ν θ έ ν α ι τον ή λ ι ο ν και τ ή ν σ ε λ ή ν η ν und T h e o d o r e t (Ed. H a l . Vol. IV, p. 7 9 8 ) | daß auch nach Herakleitos der Mond aus bloßem Feuer bestehe 7 , und D i o g e n e s , welcher (IX, 9) 15 7

20

unbegreiflich ist es sie so auszulegen als habe Diogenes sein großes J a h r nur aus 3 6 5 Sonnenjahren bestehend a n g e n o m m e n . | In der Stelle von dem Wesen des Mondes P l a c . P h i l . I I , 2 8 . Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς γ ή ν

όμιχλή περιειλημμένην muß man offenbar lesen Ήρακλείδην; so stimmt sie mit der analogen des Stobäos (Eel. Phys. I, 27) Ηρακλείδης και "Ωκελλος γήν όμιχλή περιεχομένην und mit Plac. Phil. II, 13. vgl. Stob. Ecl. Phys. I, 25, p. 514 Ηρακλείδης και oi Πυθαγόρειοι έκαστον των άστρων κόσμον ύπάρχειν γήν περιέχοντα αέρα τε και αιθέρα έν τω άπείρω αίθέρι. |

5 32.] 31.

18 Η ρ α κ λ ε ί δ η ς ] Ήρακλείδην

20 25] 23

5—7 Plutarchos: De fortuna 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 98; Moralia Bd. 1, S. 200 8—10 Plutarchos: Aquae et ignis comparatio, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 957; Aqua an ignis utilior, Moralia Bd. 6/1, S. 5 11 f Plutarchos: Placita philosophorum II 28, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 891 (Q: fälschlich als 901 paginiert); Moralia Bd. 5/2.1, S. 96 13 f Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio IV, Opera ed. Schulze [Ed. Halensisj Bd. 4, S. 798; SC 57, S. 209 14-12 Diogenes Laertios IX 9-10, ed. Meibomius S. 554: γίνεσθαι δέ άναθυμιάσεις άπό τε γης και θαλάττης ας μεν, λαμπράς και καθαρός- ας δέ, σκοτεινός αΰξεσθαι δέ τό μέν πυρ νπό των λαμπρών τό δέ ύγρόν, ύπό των ετέρων, τό δέ περιέχον όποΐόν έστιν, ού δηλοϊ. είναι μέντοι έν αύτφ σκάφας έπεστραμμένας κατά κοίλον προς ήμας- έν αις αθροιζόμενος τάς λαμπράς αναθυμιάσεις άποτελεΐν φλόγας ας είναι τά άστρα, λαμπροτάτην δέ είναι τήν τοΰ ήλίου φλόγα και θερμοτάτην. τά μέν γάρ άλλα άστρα πλεϊον άπέχειν άπό γης, και διά τοΰτο ήττον λάμπειν και θάλπειν τήν δέ σελήνην προσγειοτέραν ούσαν, μή διά τοΰ καθαρού φέρεσθαι τόπου, τον μέν τοι ήλιον έν διαυγεΐ και άμιγεΐ κινεΐσθαι, και σύμμετρο ν αφ' ήμών έχειν διάστημα, τοιγάρτοι μάλλον θερμαίνειν τε και φωτίζει ν. Vgl. ed. Long Bd. 2, S. 441 17 £ Plutarchos: Placita philosophorum II 28, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 891 {Q: fälschlich als 901 paginiert); Moralia Bd. 5/2.1, S. 96 19 f Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 27, ed. Heeren Bd. 1, S. 552; vgl. 26 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 218 20—22 Plutarchos: Placita philosophorum II 13, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 888; Mora-

398;

397 398

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399

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Herakleitos

sagt daß alle Gestirne zwar Flammen wären, welche sich aus den glänzenden Dünsten sammeln, die Sonne aber die glänzendste und wärmste; denn die übrigen Sterne wären weiter von der Erde, weshalb sie weniger glänzten sowol als wärmten, der M o n d aber zwar der Erde näher, dafür aber durch eine minder reine Gegend sich bewegend. Da nun das nächtli5 che Verlöschen, gleich dem Uebergang aus dem flammenden Zustand in den allmählig verglimmenden, kein Verschwinden der G r ö ß e nach ist, sondern die ganze Gestalt wiewol verdunkelt sich hinabsenkt: so gewinnt der Bericht des Diogenes das Ansehn größerer Genauigkeit, wenn er nemlich sagt, daß in dem περιέχον nachenförmige Behälter sich finden 10 oder vielleicht lieber Hölungen, in welchen sich die glänzenden Ausdünstungen sammeln. Dagegen Stobäos und P l a c . P h i l o s . zwar beide auch den | Herakleitos gleich dem Parmenides behaupten lassen, die Sterne wären πιλήματα πυρός, hernach aber von der Sonne kurz weg sagen ( S t o b . E e l . P h y s . I, 26. p. 524.) 'Ηράκλειτος και Ε κ α τ α ί ο ς , άναμμα 15 νοερόν τό έκ θαλάττης είναι τον ήλιον, σκαφοειδή δ' είναι ύπόκυρτον. Der Verfasser der Bücher d e p l a c . P h i l o s . I I , 22. giebt zwar der Sonne dieselbe nachenförmig gekrümmte Gestalt, das erste aber daß sie ein „aus dem Meere entzündetes Vernünftiges" sei schreibt er gewiß mit mehrerem Rechte nur den Stoikern zu, wie auch bei Stobäos selbst E c l . 20 P h y s . I, 27. p. 5 5 4 . der M o n d nach dem C h r y s i p p o s ist ein νοερόν εξαμμα, und bei D i o g . VII, 145 die Sonne. Schwerlich ist bei Herakleitos das νοερόν so bestimmt ausgesprochen gewesen; den Stoikern aber statt dessen νοτερόν unterschieben zu wollen (s. H e y n i i O p u s c . I I I , p. 104) verräth sonderliche Unkunde in dieser Sache. 25 Wie nun aus jener Gestalt, in welche die Gestirne gefaßt werden, wenn man sie beweglich annimmt, die Phasen und die Finsternisse

lia Bd. 5/2.1, S. 87 — Stobaios: Eclogae physicae et ethicae 1 25, ed. Heeren Bd. 1, S. 514; 24 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 204 12—14 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 25, ed. Heeren Bd. 1, S. 510; 1 24 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 203 - In Plutarchs Placita philosophorum konnte das Zitat nicht nachgewiesen werden. 14—17 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 26, ed. Heeren Bd.l, S. 524; I 25 ed. Wachsmuth Bd.l, S. 209 17—20 Plutarchos: Placita philosophorum II 22, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 890 (Q: fälschlich als 900 paginiert); Moralia Bd. 5/2.1, S. 90. 92; (ähnlich II 23, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 890; Moralia Bd. 5/2.1, S. 93) 20—22 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 27, ed. Heeren Bd. 1, S. 554; I 26 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 219 21 Chrysippos: 281/77-208/04 v. Chr., stoischer Philosoph. 22 Diogenes Laertios VII145, ed. Meibomius S. 456: τόν μεν ήλιον, έκ της μεγάλης θαλάττης νοερόν όντα άναμμα·; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 359 24 f Christian Gottlob Heyne: De animabus siccis ex Heracliteo placito optime ad sapientiam et virtutem instructis, in: ders.: Opuscula academica collecta et animadversionibus locupletata, Bd. 3, Göttingen 1788, S. 93—107, hier S. 104 Anm. ο — Heyne (1729—1812) war seit 1763 bis zu seinem Tod in Göttingen als Professor der Beredsamkeit, Direktor des philologischen Seminars, Bibliothekar und Mitglied der Sozietät (Akademie) der Wissenschaften tätig.

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scharfsinnig genug erklärt werden, dies sehe der Leser bei Diogenes, Stobäos und dem falschen Plutarchos selbst nach; uns ist nur angelegen die Aussage zu vergleichen in Absicht auf die Herkunft und Nahrung der Gestirne. Was nemlich jenes Verlöschen der Sonne betrifft, so | dür5 fen wir es wol nicht anders verstehen nach der Analogie der ganzen Ansicht, als daß das sie bildende Feuer den Weg herabwärts antritt. In diesem den ganzen Tag fortwährenden Ausströmen nun wird die Sonne nach dem zulezt beigebrachten Fragment die Ursache der Erleuchtung, und so auch die Quelle alles Wachsthums und aller Hervorbringung auf 10 der Erde, wenn anders Plutarchos (Qu a e s t . P l a t . p. 1007) nur irgend etwas Herakleitisches sagt von den Grenzen und Abschnitten der Zeit

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ών ό ήλιος έπιστάτης ών και σκοπός, όρίζειν και βραβεύειν και άναδεικνύναι και άναφαίνειν μεταβολάς και ώρας, αϊ π ά ν τ α φ έ ρ ο υ σ ι καθ' Ήράκλειτον, ουδέ φαύλων ουδέ μικρών, άλλα τών μεγίστων και κυριωτάτων τω ήγεμόνι και πρώτω θεώ γίνεται συνεργός.

Was aber ausströmend dieses alles verrichtet geht auch dadurch über in die Natur der θάλασσα, und weil die Sonne jemehr der Tag sich neigt der Nahrung ermangelt, muß sie des Abends verlöschen. Woher aber 20 diese jeglichen Morgen erneuerte Nahrung ihr komme, darüber sind ebenfalls die Berichte im allgemeinsten einig, im genauem aber verschieden. Daß nemlich die Gestirne sich von Dünsten nähren, berichten Alle, ja diese Erklärung, vorgetragen in der Aristotelischen Terminologie, wird auch den Meinungen Anderer angepaßt, wie nach S t o | b ä o s ( E c l . 401 25 P h y s . I, 26, p. 522) die Meinung des Xenophanes, daß die Sonne aus 59 entzündeten Wolken bestehe, von Theophrastos so scheint erklärt worden zu sein, sie bestehe aus Feuertheilchen welche gesammelt würden aus der feuchten Ausdünstung ,,έκ της ύγράς άναθυμιάσεως" und sich sammelten in der Sonne, oder nach G a l e n o s Bericht ( H i s t . p h i l . 30 c. X I V ) εκ τών ξηρών ατμών πυρίδιά τι να συνέρχεσθαι, welche in Einen Körper zusammentretend (vergl. P l a c . P h i l . I I , 20) die Sonne bilden. Die Berichte aber welche den Herakleitos unmittelbar angehn scheinen sich bald zu theilen. Einige, wie P l a c . P h i l . I I , 17, sagen, nach

10—16 Plutarchos: Quaestiones Platonicae, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1007; vgl. Moralia Bd. 6/1, S. 132 f 24—26 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 26, ed. Heeren Bd. 1, S. 522; I 25 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 207 f 29 f Das Zitat Galenos: De bistoria philosophica, caput XIV, konnte nicht nachgewiesen werden. 31 Plutarchos: Placita philosophorum II 20, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 889 f: εκ πυριδίων σνναθροιζομένων μεν έκ της ύγρας άναθυμιάσεως, συναθροιζόντων δέ τόν ήλιον; Moralia Bd. 5/2.1, S. 90 33—2 Plutarchos: Placita philosophorum II 17, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 889; Moralia Bd. 5/2.1, S. 89

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Herakleitos und den Stoikern nähren sich die Sterne έκ της επιγείου άναθυμιάσεως; so auch Stobäos (Eel. Phys. I, p. 510), nach Herakleitos und Parmenides nähren sich die Sterne έκ της από γης άναθυμιάσεως, was uns offenbar an die troknen Ausströmungen aus der Erde denken läßt, wenn wir es für sich nehmen. Dagegen sagt eine andere Stelle bei Stobäos (Ecl. Phys. I, 26, p. 524) und mehrere stimmen damit überein „nach Herakleitos und Hekatäos sei die Sonne ein νοερόν άναμμα έκ της θαλάττης." Nun könnte man freilich sagen, das επίγειος und άπό γης in jenen Stellen sei in weiterem Sinne zu nehmen, von der Erde als dem ganzen Weltkörper, zu dem also das Meer auch gehöre, und nur 402 das | Nasse sei doch das ausdünstende und nährende, der Gegensaz sei aber hier nur genommen gegen diejenigen Meinungen, welche die Gestirne sich aus dem Aether oder aus dem umgebenden Leeren ernähren lassen. Und dies ließe sich wol hören, wenn man sich nur hütet, dem Herakleitos den Gedanken unterzuschieben, als ob die Gestirne ihre Nahrung als Feuchtes bekämen, und sie durch irgend thierische Lebensverrichtungen erst selbst in ihre, die feurige, Natur verwandelten; denn davon ist nirgend eine Spur, und seiner ganzen Denkart scheint dies vielmehr entgegen. Nährt sich also auch die Sonne von dem Meere, so sind doch ihre Nahrung gewiß nicht etwa die Ausdünstungen, die auch 60 als solche ihrer Natur nach Nasses sind, und nur die obere Schicht des Herakleitischen Meeres bilden; sondern es sind eben die Ausdünstungen dieser oberen Schicht, die τροπαί θαλάσσης welche πρηστήρ werden. Wenn man nun dies doch annehmen muß, warum soll man nicht auch bemerken, daß in den einen Stellen von den Sternen, in den andern aber von der Sonne die Rede ist, und daß also nach Herakleitos beide zwar sich von den troknen Dünsten nähren, nur die Sterne vielleicht von dem, was aus der Erde, die Sonne hingegen von dem, was aus dem Wasser 403 übergeht in Feuer? Grade diese Meinung wird den | Stoikern zugeschrieben von P o r p h y r i o s (de a n t r . N y m p h . Ed. H o l s t e n , p. 257) τοις δ' άπό της στοάς ήλιον μεν τρέφεσθαι έκ της άπό της θαλάσσης άναθυμιάσεως έδόκει, σελήνην δ' έκ των πηγαίων και 8 θαλάττης] „θαλάττης 2 f Stobaios: Eclogae physicae et ethicae 125, ed. Heeren Bd. 1, S. 510; 1 24 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 203 6—8 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 26, ed. Heeren Bd. 1, S. 524 (Q: νοερόν, τό έκ θαλάττης); I 24 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 209 30—2 Porphyrios: De antro Nympharum 11, [Opera], ed. L. Holsten, [Editio CantabrigiensisJ, Canterbury 1655, S. 257; vgl. Opuscula selecta, ed. A. Nauck, Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1886, Hildesheim/New York 1977, S. 64 — Schleiermacher hat eine längere Auslassung zwischen υδάτων und τούςδ' άστέρας nicht kenntlich gemacht. - Porphyrios: 234 — 301/05 n. Chr., neuplatonischer Philosoph.

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ποταμίων ύδάτων, τους δ' αστέρας έξ άναθυμιάσεως της άπό της γης

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wo doch wol niemand diese verschiedenen άναθυμιάσεις als ihrer Natur, sondern nur als ihrem Ursprung nach verschieden, und also jede wie anders modificirt, so auch für andere Gestirne tauglich ansehn wird. In den unmittelbar vorhergehenden Worten mag übrigens wol Porphyrios den Herakleitos meinen, und ihn also von den Stoikern unterscheiden wollen, wenn er sagt διαβεβαιοϋνται δέ τίνες και τά εν αέρι και ούρανώ άτμοΐς τ ρ έ φεσθαι, εκ ναμάτων και ποταμών και των άλλων αναθυμιάσεων. Merkwürdig ist hier die Nichtachtung Aristotelischer Terminologie in der Zusammenstellung von άτμός und άναθυμίασις, so daß man glauben könnte hier lägen ältere Worte zum Grunde. Nur άτμοΐς έξ άναθυμιάσεως dürfte doch wol niemand gesagt haben, und man sollte vielleicht lesen και των άλλων άναθυμιασίμων.

Allein die Stelle ist wol überhaupt zu ungenau um etwas daraus bestimmt zu folgern; sonst | müßte man sagen die Gestirne wären nie τά έν 404 άέρι genannt worden und hierunter könnten nur andere atmosphärische Erscheinungen zu verstehen sein, welche sich mit den Gestirnen zu thei- 61 20 len hätten in die Dünste aus den Gewässern und die andern; ob aber diese nur die aus dem Meere oder auch die aus der Erde wären, bliebe immer ungewiß. Wie dem aber auch sei, wenigstens in der stoischen Erklärung treten offenbar trokkene Ausdünstungen aus der Erde neben die aus dem Meer als Nahrung der Gestirne; und da schon mehrere 25 Spuren darauf führten dem Herakleitos ein solches unmittelbares Uebergehen der Erde in Feuer zuzuschreiben, warum wollten wir nicht dies im wesentlichen für Herakleitisch halten, wenn auch die Stoiker in der Vertheilung dieser Dünste als Nahrung im Einzelnen von ihm abgewichen sein sollten? Und nun erst möchte es Zeit sein den entscheidenden 30 Stein hinein zu werfen, nemlich eine Stelle des D i o g e n e s (IX. 9—11) also lautend

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γίνεσθαι δέ άναθυμιάσεις (was hier offenbar nicht in dem engen Aristotelischen Sinne zu nehmen ist, sondern allgemein) άπό τε γης και θαλάττης, ας μεν (also beiderlei aus beiden, da er ja nicht sagt της μέν) λαμπράς και καθαράς, ας δέ σκοτεινάς· αυξεσθαι δέ τό μέν πΰρ ύπό των λαμπρών, τό δέ ύγρόν ύπό τών έτέρων. |

9f Porphyrios: De antro Nympharum S. 257; vgl. Opuscula ed. Nauck S. 63 f S. 554; ed. Long Bd. 1, S. 441

11, [Opera] ed. Holsten [Ed. Cantabrigiensis] 30—36 Diogenes Laertios IX 9, ed. Meibomius

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Die glänzenden und reinen Dünste also aus dem Meer und der Erde sind das Feuerwerden derselben, so wie die dunkeln theils das Uebergehende sind aus der unteren tropfbaren Schicht des Meeres in die obere, theils das Wasserwerdende aus der Erde, und in so fern das Feuchte vermehren. Nachdem er nun die σκαφάς έν τω περιέχοντι (S. oben S. 398) demonstrirt, sagt er daß in diesen die glänzenden Ausdünstungen sich sammelnd die Sterne bildeten; und aus dem wechselnden Ueberhandnehmen beider der glänzenden und dunkeln erklärt er so Tag und Nacht als Sommer und Winter, so daß schon in dieser frühen Naturkunde beides auf denselben Verhältnissen beruht hat, je nachdem sie sich mehr im Großen gestalten oder im Kleinen. Denn so lehrt dieselbige Quelle des Diogenes weiter, daß „die glänzende Ausdünstung welche im Kreise der 62 Sonne zur Flamme wird den Tag bilde, das Ueberhandnehmen der entgegengesezten aber die Nacht hervorbringe; und die durch die glänzenden vermehrte Wärme den Sommer bilde, das durch die dunkeln aber überwiegend gewordene Feuchte den Winter verursache." Wenn nur nicht der Sammler in den folgenden Worten άκολούθως δέ τούτοις και περί των άλλων αιτιολογεί plözlich alles, was sonst noch in der Region der 406 feurigen Erscheinungen vorgeht, unserer Wißbe|gierde entzogen, und so auch die Entscheidung der Frage unmöglich gemacht hätte, von welchen troknen Ausdünstungen welche Sterne, oder ob alle nur von der έπίγείος, von der aus dem Meere aber die übrigen Erscheinungen erzeugt würden, in Uebereinstimmung mit den alten Worten τροπαί θαλάσσης ήμισυ πρηστήρ. Schwerlich aber wird, wer dies alles in Erwägung zieht und die zerstreuten Spuren verbindet, noch länger bezweifeln können, daß nach Herakleitos auch die Erde unmittelbar sich in Feuer aufgelöst habe, und also gewiß auch auf irgend eine uns unbekannte Weise das Feuer zu Erde geronnen sei, und daß vornemlich aus den atmosphärischen Veränderungen und dem allgemeinen Leben der Natur er sich jenen immerwährenden Fluß zusammengeschaut, in welchem von jedem Punkt aus alles sich in alles verwandelt und weder Feuer noch Meer noch Erde irgend ein auch nur scheinbar bestehendes Sein hätten, wenn nicht eben jeder Verwandlung eine andere entspräche und zwei entgegengesezte immer auf demselben Punkt zusammenträfen. Denn das aus der Erde gedunstete 17 Sammler] so DV; OD: Sommer 5 Vgl. oben 159,14—12 und den Sachapparat dazu. 11 — 16 Diogenes Laertios IX 11, ed. Meibomius S. 555: την μεν yap λαμπράν άναθυμίασιν, φλογωθεΐσαν έν τω κύκλω τοϋ ηλίου ήμέραν ποιεϊν την δέ έναντίαν έπικρατήσασαν, νύκτα άποτελεϊν. και έκ μεν τοϋ λαμπρού τό θερμόν αύξόμενον, θέρος ποιεϊν έκ δέ τοϋ σκοτεινού τό ύγρόν πλεονάζον χειμώνα άπεργάζεσθαι. άκολούθως δέ τούτοις και περί των άλλων αιτιολογεί.; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 442

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Meer würde nicht bleiben sondern eben so schnell weiter fort sich wandeln in Feuer, wenn nicht vermöge der entgegengesezten Bewegung auch das Feuer sich immer feuchtete und ausgösse'in Meer, und so im Zusam-| mentreffen beider Bewegungen die Gestalt des Meeres fest gehalten 407 5 würde; noch auch würde das aus Erde und Meer gewordene Feuer irgend bleiben, sondern gleich wieder zurükfallen in Meer und Erde, wenn nicht 63 auch diese ununterbrochen ihre Bewegung aufwärts wiederholten und das Feuer herstellten. IV. So ist es also gewiß eine Darstellung des Naturlaufes ganz im 10 Sinne des Herakleitos, welche uns M a x i m u s T y r . giebt (Ed. D a v i s . D i s s . X L I . p. 489)

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Όρας ούν τά πάθη, α σύ μεν καλείς φθοράν τεκμαιρόμενος τη των άπιόντων όδω, έγώ δέ σωτηρίαν τεκμαιρόμενος τη διάδοχη των μελλόντων. Μεταβολήν όρας σωμάτων και γενέσεως, άλλαγήν όδών άνω κάτω κατά τον Ήράκλειτον αύθις αύ ζώντα μεν τον έκείνων θάνατον, άποθνήσκοντα δέ την έκείνων ζωήν. J a man muß auch jenen stärksten Ausdrukk dessen sich Piaton bedient, wo er doch wol nur Schüler des Herakleitos vorzüglich im Auge hat, ώς

τό παν κίνησις ην, και άλλο παρά τοϋτο ουδέν ( T h e a e t . ρ. 156. a.) 20

der Ansicht des Meisters selbst nicht unangemessen finden. Denn nur in dem Auseinandergehn des Seins nach diesen beiden Seiten, und seinem Zusammentreten von beiden Seiten her wird und besteht und vergeht alles; so daß die Gesammtheit aller Dinge offenbar ihr Sein nur hat in dem | Zusammentreffen der entgegengesetzten Bewegungen, und nur so 25 lange beide auf demselben Punkte einander gleichsam hemmen oder theilweise aufheben, irgend etwas in fester Gestalt zu bestehen scheint. Denn wo etwa die hinabwärts gehende Bewegung des Feuers der langsam hinaufwärts gehenden der Erde nicht in den Weg tritt, da bleibt auch kein Wasser, sondern es geht weiter hinauf in Feuer. Und dieses eben, 30 nicht irgend ein Streit zwischen Stoffen, materiellen Principien als solchen, sondern der Streit der entgegengesezten Bewegungen, ist jener Krieg, aus welchem, wie alle Zeugnisse einstimmig behaupten, nach der Lehre des Herakleitos alle Dinge hervorgehn. So P l u t a r c h o s (de I s i d . et O s i r . I I , p. 370.)

10—16 Maximus Tyrius: Dissertationes XLI 4, ed. Markland S. 489 (Q: [...] και αύθις αύ ζώντας μέν τον έκείνων βίοv); vgl. ed. Trapp S. 334 — Die Ausgabe von Jeremiah Markland beruht auf der von ]ohn Davies (Davisius, 1679—1732) besorgten Edition (Canterbury 1703); so dürfte sich Schleiermachers Angabe „Ed. Davis." an dieser Stelle erklären. 1 7 - 1 9 Piaton: Theaitetos 156 a, Opera Bd. 2, S.77; Werke Bd. 6, S.44 33—5 Plutarchos: De Iside et Osiride 48, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 370; Moralia Bd. 2/3, S. 48

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Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς μεν γαρ, άντικρυς π ό λ ε μ ο ν ονομάζει π α τ έ ρ α και βασιλέα και κύριον π ά ν τ ω ν , και τον μεν Ό μ η ρ ο ν εύχόμενον Έ κ τε θεών έριν έκ τ' άνθρώπων άπολέεσθαι λανθάνειν φησι τη πάντων γ ε ν έ σ ε ι καταρώμενον, έκ μάχης και άντιπαθείας την γ έ ν ε σ ι ν εχόντων.

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wo nur zu bedauern ist, daß er die Lehre des Ephesiers so ganz in seine Rede eingeflochten hat. Indeß deutet doch die αντιπάθεια ganz ausdrüklich auf jene zwei entgegengesezten πάθη, das Hinauf- und Hinabsteigen oder die Erstarrung und Verflüchtigung. Eben so wenig wörtlich hat uns 409 S i m p l i c i u s einen Zusaz zu | dieser Stelle aufbehalten (in A r i s t . P r a e - 10 d i e . f. 104. b) wo er den Anhängern des Herakleitos, wie andern, welche ,,τάναντία αρχάς έθεντο", die Behauptung zuschreibt, daß wenn von den Entgegengesezten eines ausbliebe, alsdann alle Dinge verschwinden würden, und dann auf dieselbe Stelle des Herakleitos anspielend hinzufügt 15 διό και μέμφεται τω Ό μ ή ρ φ 'Ηράκλειτος ειπόντι Ώ ς έρις έκ τε θεών έκ τ' άνθρώπων άπόλοιτο· ο ι χ ή σ ε σ θ α ι γ ά ρ φησι πάντα. Dasselbige wollen also auch die Worte bei D i o g e n e s sagen γίνεσθαι πάντα κατ' έναντιότητα (IX, 8.) nur daß freilich einen so abstracten 20 Ausdruk niemand dem Herakleitos selbst beilegen wird, wol aber in dem „πόλεμος πατήρ πάντων" etwas wörtliches erkennen, was eben so noch vorkommt bei P r o k l o s ( C o m m e n t , in T i m . p. 54.) και ει ό γενναίος 'Ηράκλειτος εις ταύτην (auch die allgemeine έναντίωσις) άπιδών έ λ ε γ ε , π ό λ ε μ ο ς π α τ ή ρ π ά ν τ ω ν , „der 25 Krieg ist aller Dinge Vater" ούχ οΰτως άτόπως έ λ ε γ ε ν wo die Structur bestimmt anzeigt daß er wenigstens geglaubt hat den Herakleitos wörtlich anzuführen. Hierauf wird auch angespielt S c h o l . Ven. Ii. IV, 4. απρεπές φασιν εΐ τέρπει τους θεούς πολέμων θέα· άλλ' ουκ άπρεπες· τά γάρ γενναία | 30 12 έθεντο",] έθεντο, 10—18 Sitnplikios: Omnium Aristotelis interpretum praestantissimi in eiusdem philosophi Categorias sive Praedicamenta, ut vocant, commentaria absolutissima et ad singulas Categorias Latina scholia [zu 11], ed. J. Velsius, Basel 1551, S. 104 b (= v); In Aristotelis Categorias commentarium, ed. K. Kalbfleisch, CAG VIII, Berlin 1907, S. 412 19 f Diogenes Laertios IX 8, ed. Meibomius S. 552; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 440 23—26 Proklos: Commentarius in Timaeum, [Ed. Basiliensis] S. 54 (Q: ούδ' οΰτως); vgl. ed. Diehl Bd. 1, S. 174 29 - 6 Scholia ad Iliadem IV (= Δ) 4, Homeri Ilias ed. Villoison S. 107; vgl. ed. Erbse Bd. 1, S. 445 — Die Lesart des Codex Lipsiensis teilt Villoison im textkritischen Apparat mit.

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έ ρ γ α τέρπει· ά λ λ ω ς τε π ό λ ε μ ο ι και μαχαι ήμΐν δεινά δοκει, τ ω δ έ 4ΐο θεώ ουδέ ταϋτα δεινά- σ υ ν τ ε λ ε ί γαρ άπαντα ό θ ε ό ς προς ά ρ μ ο ν ί α ν τ ω ν ά λ λ ω ν ή και ό λ ω ν ο ι κ ο ν ο μ ώ ν τ ά σ υ μ φ έ ρ ο ν τ α , 65 ό π ε ρ και Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς λ έ γ ε ι , ώς τω μεν θ ε φ (των μέν θ ε ώ ν C o d . L i p s . ) καλά πάντα και δίκαια, άνθρωποι δέ ά μέν άδικα ύ π ε ι λ ή φ α σ ι , ά δέ δίκαια. Die Anführung des Herakleitos soll nur auf das ihr voranstehende sehen; aber wörtlich eignes ist gewiß auch dort nicht zu suchen. So sagt A r i s t o t e l e s 33. Κ α ι ' Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς τ ό ά ν τ ί ξ ο υ ν σ υ μ φ έ ρ ο ν , και έ κ τ ω ν δ ι α φ ε ρ ό ν τ ω ν κ α λ λ ί σ τ η ν ά ρ μ ο ν ί α ν , και πάντα κατ' έριν γ ί ν ε σ θ α ι ( E t h . N i c o m . V I I I , 2.); denn so ist wol diese Stelle anzusehn, daß die ersten beiden Säze fast buchstäblich Redensarten des Herakleitos sind, der lezte mehr allgemein zusammenfassende aber dem Aristoteles eigner angehört.

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Das Entgegenstrebende nemlich ist das einige heilsame zur Erhaltung der Dinge, und jedes Bestehende, jede Zusammenfügung ist nur möglich aus dem Verschiedenen der Bewegung. Und dasselbige ist gewiß auch der wahre Sinn der Stelle welche PI a t o n , und zwar in so fern er die Ausdrükke tadeln läßt gewiß buchstäblich, anführt ( C o n v i v . p. 187. a) |

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ώ σ π ε ρ (nemlich daß auch die Tonkunst vorzüglich darauf beruhe feindseliges einander zu befreunden) ίσως και Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς β ο ύ λ ε ται λ έ γ ε ι ν έπει τοϊς γε ρ ή μ α σ ι ν οό καλώς λέγει· t o γ ά ρ έν φησι δ ι α φ ε ρ ό μ ε ν ο ν αύτό αύτω ξ υ μ φ έ ρ ε σ θ α ι ώ σ π ε ρ ά ρ μ ο ν ί α ν τ ό ξ ο υ κ α ι λ ύ ρ α ς . Denn ob sich Herakleitos des Ausdruks τ ό έν bedient habe, kann bezweifelt werden, da er dem Piaton zwar sehr geläufig ist, und sich also leicht kann eingeschlichen haben, in den Bruchstükken des Ephesiers aber sich sonst keine Spur davon findet. Es müßte denn eine solche verborgen sein in einer Stelle bei D i o g e n e s ( I X , 12) und bei S u i d a s (ν. Δ η λ ί ο υ κ ο λ υ μ β η τ ή ς ) , welche auch als Ueberschrift des Herakleitischen Werkes anführen, jener τ ρ ό π ο υ κ ό σ μ ο ν ένός τών ξυμπάντων, dieser κ ό σ μ ο ν τρόπων ένός τών ξυμπάντων, wo wenn man nicht sehr verwegen mit K ü s t e r emendiren will κ ό σ μ ο ν τ ρ ό π ω ν ένα άντι ξυμπάντων, man wol mit mir lesen wird κ ό σ μ ο ν τροπών ένός ή ξυμπάντων, „die Anordnung

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2 8 f Diogenes] Dio-/genes

29 Δ η λ ί ο υ ] Δήλιος

3 2 Küster] Küster

9—11 Aristoteles: Ethica Nicomachea VIII 2, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 59 b; ed. Bywater S. 157 (1155 b) 18—24 Piaton: Convivium [Symposion] 187 a, Opera Bd. 10, S. 195; vgl. Werke Bd. 3, S. 258 2 8 - 3 2 Diogenes Laertios IX 12, ed. Meibomius S. 5 5 5 ; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 442 — Suidas: Lexicon, ed. Küster Bd. 1, S. 536; ed. Adler Bd. 2, S. 37. — Der Emendationsvorschlag Küsters findet sich a. a. O. Anm. 7.

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der Verwandlungen des Einen oder aller Dinge;" nur daß man es auf keinen Fall als eine Ueberschrift annehmen muß. Gewiß aber ist das διαφερόμενον ξυμφέρεσθαι ganz dem Herakleitos ähnlich. Man vergleiche auch No. 27. 412

Daß nun Eryximachos hier seinen Schriftsteller | mißversteht, ob mit 5 oder ohne Piatons Wissen bleibe uns unentschieden, ist wol sehr deutlich; denn man sieht ja, daß die Lyra nur als Beispiel angeführt wird, und zwar neben dem Bogen, weshalb schon von der Tonkunst nicht die Rede sein kann, und άρμονία nicht kann in dem musikalischen Sinne stehn. Sondern Herakleitos redet auf jeden Fall irgendwie von dem Lauf 10 der Natur und braucht von ihr das διαφερόμενον ξυμφέρεσθαι, daß nemlich das Seiende auseinandergehend nach den beiden entgegengesezten Wegen zugleich doch zusammentrete um die Verschiedenheit der Dinge in der Welt zu bilden, ganz in der genauesten Uebereinstimmung mit dem so eben aus Aristoteles angeführten. Und eben weil dies schon 15 an sich so wahrscheinlich ist, können wir uns um so zuversichtlicher auf eine Plutarchische Anführung oder zwei berufen, an die sich jene Stelle durch ihre lezten Worte anschließt, und in denen dasselbige gradezu von der Welt, der Ordnung der gesammten Dinge gesagt wird, so daß sich beide gegenseitig aufs vollkommenste ergänzen und erläutern. 20

34. Π α λ ί ν τ ο ν ο ς γαρ ά ρ μ ο ν ί η κ ό σ μ ο υ , δ κ ω σ π ε ρ λ ύ ρ η ς

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κ α ι τ ό ξ ο υ καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν (de I s i d . et O s i r . I I , p. 369), und in indirekter Rede als Beschränkung von dem Leben des Ganzen in dem Sinne des Hera|kleitos nur mit Veränderung eines einzigen Wortes (de a n i m . p r o c r . I I , p. 1026) Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς δε π α λ ί ν - 25

τ ρ ο π ο ν ά ρ μ ο ν ί α ν κ ό σ μ ο υ δ κ ω σ π ε ρ λ ύ ρ η ς καΐ τ ό ξ ο υ . 67

Hier wird nun mit demselbigen, der Zusammenfügung der Leier und des Bogens, verglichen die Zusammenfügung der Welt, und diese παλίντονος άρμονίη κόσμου muß also auch dem Wesen nach dasselbige sein wie jenes διαφερόμενον ξυμφέρεσθαι, es sei nun das Subject dazu auch 30 die Welt gewesen, oder das Eine, Seiende, oder jegliches aus der Gesammtheit der einzelnen Dinge; eben das bald Auseinandergehen und Gespanntwerden nach irgend einer Seite, bald wieder Zurüktreten in den vorigen Stand und Nachgelassen werden, muß, wie die ganze Thätigkeit der Lyra und des Bogens, so auch das ganze Leben der Welt ausmachen. 35 26 λύρης και τόξου] so DV; OD: λύρην και τόξον 4 Oben 150,1 5 Eryximachos: Gesprächsteilnehmer in Piatons Symposion (Convivium). 21 f Plutarchos: De Iside et Osiride 45, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 369; Moralia Bd. 2/3, S. 45 25 f Plutarchos: De animae procreatione e Timaeo, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1026; vgl. Moralia Bd. 6/1, S. 164

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Allein man könnte einwenden, in der ersten Stelle des Plutarchos scheine die Sache gar nicht von dieser Seite genommen, sondern vielmehr die Rede zu sein von dem wechselnden Zusammensein des Guten und des Bösen, wie nicht nur die ganze Gedankenfolge im allgemeinen zeige, 5 sondern auch noch bestimmter die unmittelbar nach den Worten des Herakleitos offenbar zum Beweis desselbigen Sazes, wie aus der Anführungsformel και κατ' Εύριπίδην erhellt, beigebrachten Verse des Euripides Ουκ I αν γένοιτο χωρίς έσθλά και κακά, Ά λ λ ' έστι τις σύγκρασις 414 ώστ' ε χ ε ι ν καλώς* und daß Herakleitos die Worte wirklich in diesem 10 Sinne geschrieben, bestätige auch S i m p l i c i u s , der eben nicht seine Weisheit aus Plutarch zu schöpfen pflege, und dem die Stelle ganz bei derselben Gelegenheit einfalle w o er sagt (in P h y s . A r i s t . f. 11. a.) ώς Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς τό άγαθόν και τό κακόν εις ταυτόν λέγων συνιέναι δ ί κ η ν τ ό ξ ο υ κ α ι λ ύ ρ α ς . Um nun diese freilich nicht abzuläugnende 15 Verbindung, in welcher jene Worte vorgekommen sind, und somit erst den eigentlichsten tiefsten Sinn der Formel selbst zu verstehen, die gleichsam die Angel der ganzen Herakleitischen Lehre ist, müssen wir uns erlauben, etwas weiter auszuholen, und vorgreifend manches hier aufzustellen, was erst durch alles folgende allmählig kann erwiesen werden. 20 Wenn nemlich alle Dinge gleichermaßen aus dem Zusammentreffen der entgegengesezten sich unter einander aufhaltenden und hemmenden Bewegungen entstehen und also gar nicht durch sich selbst sind, sondern 68 nur von außen in jedem Augenblik aufs neue werden; so haben sie Alle gleiches Recht und gleichen Antheil an dem Sein und Wesen des Ganzen; 25 und wenn von diesen vergänglichen Formen Eine gewählt werden soll

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um gleichsam zum Schema des Seins und der Ein|heit, ihr Uebergang in die andern aber zum Schema des Werdens und der Vielheit zu dienen, so scheint jede dazu gleich gut zu sein. Denn man kann eben sowol sagen, die Welt sei eine immer flüssig werdende und schmelzende aber auch immer wieder sich niederschlagende und erstarrende Erde, oder ein immer in Feuer verhauchendes und Erde absezendes aber auch aus beiden sich immer wiederherstellendes Meer, als Herakleitos, wie wir wissen, (s. oben S. 374) gesagt hat, sie sei ein theilweise immer verlöschendes und sich wieder entzündendes Feuer. D a ß er aber dennoch nur dieses gesagt hat und nicht jenes, hat seinen Grund darin, daß ihm eben nur die Bewegung das reelle und lebendige war, die Ruhe und der Stillstand aber das Nichtige und Todte. Also konnte ihm auch nur das bewegliche, 17 Angel] so DV; OD: Regel

18 auszuholen] so DV; OD: nachzuholen

7—9 Plutarchos: De attimae procreatione e Timaeo, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1026; Moralia Bd. 6/1, S. 164 1 0 - 1 4 Simplikios: In Aristotelis De physico [zu l 2], Ed. Aldina S. 11 a-b (= r-v); ed. Diels, CAG IX, S. 50 33 S. o. 145,26 f

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alles durchdringende und in Bewegung sezende zum Schema dienen für das wahre Sein. Nun aber sind von seinen drei Grundformen, Feuer, Meer und Erde, offenbar Meer der mittlere Punkt, Feuer und Erde hingegen die Endpunkte, von denen nur die Erde und alles Starre am meisten in der Natur die Ruhe darstellt und das Bleiben in demselben Zustande, und eben so das Feuer am meisten die Bewegung, weshalb er denn dieses auch allein zum Bilde des wahren Seins wählen konnte. Das Meer aber, 416 wie uns schon | C l e m e n s gelehrt hat, war ihm das Bild des endlichen Seins, des Werdens ,,τό ώς σπέρμα της διακοσμήσεως" und dagegen die Erde das Bild des Todes. Womit denn auf das genaueste zusammenhängt, daß nur die Bewegung nach oben, deren natürliches Ziel das Feuerwerden ist, ihm vermochte das Gute zu sein, nemlich das zum Leben führende und das Leben in sich enthaltende, wie auch der Stoiker 69 Chrysippos gesagt hat in seinem ersten Buche von der Vorsehung (Plut. de Stoic, r e p u g n , p. 1053) „daß im Feuerwerden auch das seelenlose in der Welt sich in beseeltes wandele"; und gleich wie dieser fortfahrend sagt, daß „in des Feuers Verlöschung auch das beseelte sich umwende zum körperartigen" so mußte die Bewegung nach unten welche ihr Ende findet im Erstarren und Erdewerden der Dinge auch dem Herakleitos das Böse sein. Da er nun wie wir gesehen haben von den größten Bewegungen der Natur einige erkannte als solche, in denen das Feuerwerden die Oberhand hat, andere aber als solche, in welchen das Verlöschen und Erdewerden hervortritt: so konnte er grade in Beziehung auf diese sagen, daß die zwischen Spannung und Erschlaffung schwankende Zusammenfügung der Welt ein Wechsel sei zwischen dem Uebergewicht des 417 Guten und des Bösen, wiefern nemlich der Tag und der Som|mer und die Wärme und alles auf diese Seite tretende ein Uebergewicht des Guten ist, Nacht aber und Kälte und Winter und alles Aehnliche des Bösen, und der Zustand der Welt immer wechselt zwischen diesen. Und daß er wirklich als er das Bild brauchte von dem Bogen und der Leier, Gutes und Böses in diesem Sinne genommen habe, beweiset nicht nur dieselbe Stelle des S i m p l i c i u s , welcher nach den oben angeführten Worten also fortfährt

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,,δς και έδόκει θέσιν" was aber eine θέσις heiße, erinnere sich jeder aus A r i s t o t e l e s (Top. I, 9) „λέγειν δια τό ούτως άδιο- 35 7 - 1 0 Oben 147,10-20 und 145,22-28.32-3; Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 712; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 84 f 13 — 18 Plutarcbos: De Stoicorum repugnantiis, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1053; Moralia Bd. 6/2, S.48f 32—2 Oben 169,10—14; Simplikios: In Aristotelis De physico [zu I 2], Ed. Aldina S. 11 v; ed. Diels, CAG IX, S. 50 34 f Aristoteles: Topica I 9, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 114 g: θέσις δέ έστίν ύπόληψις παράδοξος των γνωρίμων τινός κατά φιλοσοφίαν; 1 11 ed. W. D. Ross, Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1958, S. 12 (104 b)

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ρίστως φάναι, ένεδείκνυτο δέ την έν τη γενέσει έναρμόνιον μίξιν των εναντίων" Herakleitos habe geschienen einen Blendesaz vortragen zu wollen an dieser Stelle, weil er sich so unbestimmt ausgedrükt, er habe aber angedeutet die zur Zusammenfügung gedeihliche Mischung des Entgegengesezten in dem Gebiete des Werdens;

sondern es wird auch bestätiget durch eine Stelle des P o r p h y r i o s , welcher wo er von den Gegensäzen in der Natur überhaupt redet, (de a n t r . N y m p h . p. 268 Ed. C a n t a b r . ) sobald er auf eben diese gekommen ist 70 ίο ,,τό μεν άνατολικόν τό δέ δυτικόν, και τά μεν αριστερά τά δέ δεξιά," auch durch Himmelspunkte bestimmt von Einigen durch Nord und Süd, von Andern | durch Ost und West, ,,νύξ τε και ήμέρα", sich auch gleich 418 unserer Stelle erinnert und hinzufügt 15

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και δια τούτο παλίντονος ή άρμονία, και τόξου, ει διά των έναντίων. Denn Niemand wird hoffentlich zweifeln so durch einen einzigen Strich nicht nur der Unübertragbarkeit sondern auch der Unsinnigkeit dieser Stelle ein Ende zu machen. Oder hat wol Jemand schon verstanden was es heißen könne, wenn hier stände και τ ο ξ ε ύ ε ι διά των έναντίων? Und wenn man liest ή τοξεύει, wie die Ausgabe von van G o e n s , die ich nicht bei der Hand habe, zu lesen scheint, so würde ich dies eben so bequem verwandeln in ή τόξου.

Und hieraus erklärt sich auch am besten, wie unmittelbar hinter jene Plutarchische Stelle vom Kriege als dem allgemeinen Vater aller Dinge, die oben unter n. 30 (S. 394) angeführten Herakleitischen Worte gekom25 men sind. Denn da das Gute und das Böse, beide entgegengesezte Bewegungen, nach unaufgehaltenem Fortschreiten streben: so ist eben der Krieg zugleich dasjenige was Recht schafft und jede in ihrem Maaß zurükhält, oder sie, wenn sie das Uebergewicht gewonnen hat, wieder straft. Wohin auch ein kurzer Saz zu gehören scheint, den uns O r igen es 30 aus C e l s u s aufbehalten hat, von dem er (adv. C e l s . V I , p. 663) sagt |

7—15 Porphyrios: De antro Nympbarum 29, [Opera] ed. Holsten [Ed. Cantabrigiensis] S. 268; Opuscula ed. Nauck S. 76 19—21 Porphyrios: De antro Nympbarum 29, ed. R. M. van Goens, Utrecht 1765, S. 27 — Van Goens bietet die von Schleiermacher angegebene Lesart im textkritischen Apparat: vix dubito quin melius ή τοξεύει. 24 Oben 157,6—13 30 Celsus bzw. Kelsos von Alexandreia, platonischer Philosoph, verteidigte in der 178 n. Chr. entstandenen Schrift 'Αληθής λόγος die Philosophie und Weltanschauung des Hellenismus gegen das Christentum. Seine Schrift ist nur in den Zitaten erhalten, die Origenes in seiner Schrift gegen Kelsos bringt. 30—4 Origenes: Contra [Adversus] Celsum VI 42, Opera omnia, ed. C. Delarue, Bd. 1-4, Paris 1733-1759, Bd. 1, S. 663; vgl. SC 147, S. 278

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35. εϊθ' έξης τούτοις . . . φησί θεϊόν τινα πόλεμον αίνίττεσθαι τούς παλαιούς, Ήράκλειτον μεν λέγοντα ώδε- Ει δε χ ρ ή τον π ό λ ε μ ο ν έ ό ν τ α ξ υ ν ό ν και δίκην έ ρ ε ΐ ν και γ ι ν ό μ ε ν α π ά ν τ α κ α τ ' έ ρ ι ν κ α ι χ ρ ε ώ μ ε ν α . Wo nur freilich vieles verdorben ist, denn έ ρ ε ΐ ν kann nicht recht sein, und χ ρ ε ώ μ ε ν α ist nicht zu verstehen, wenn man nicht mit dem ältesten Uebersezer erklären will „geweissagt gleichsam, im voraus e r k a n n t " werde alles schon vermöge des Streites. Auch befremdet das Anführen eines bloßen Vordersazes auf diese Art. Doch scheint es zu kühn, wenn man um den Saz Herakleitischer herzustellen, das ει δέ χ ρ ή ist es gewiß nicht, lesen wollte είδέναι χ ρ ή - και δίκην, έριν „Man muß wissen, daß der Krieg das gemeinsame ist, und das Recht der Streit." Für das folgende aber weiß ich um so weniger Rath, da das και vielleicht schon eine zweite Stelle anfängt. Sprach nun Herakleitos von dem Kriege in diesem Sinne, und strafte bei dieser Gelegenheit den Homeros: so konnte er sehr leicht, da ja auch der Weg nach oben des Krieges und des Gegengewichtes bedarf, wenn nicht alle Dinge dahinfahren sollen, in demselben Zusammenhange, und so, daß vielleicht nur weniges dazwischen fehlt, auch dieses von der Sonne dem | Erzeugniß des Weges nach oben sagen, daß sogar sie wenn sie ihr M a a ß wollte überschreiten von den Gehülfen der Δίκη müsse gefunden werden, weil wechselnd um die Welt in ihrer Zusammenfügung zu erhalten auf ein Ueberwicht des Guten auch wieder folgen müsse ein Vorwalten des Bösen. Wie nun die Gesammtheit aller Dinge eine solche Zusammenfügung aus dem Entgegengesezten ist, so auch jedes einzelne, und auch jede besondere Form des Seins besteht nur darin, daß die beiden Wege sich vielfältig kreuzen, und dadurch verschiedene Verwandlungsstuffen, bei jeder in einem eigenthümlichen Verhältniß zusammengehalten werden. Aber nur bei den Elementen oder Grundformen ist dieses einfach und leicht zu sehen, bei den im engeren Sinne lebendigen mehr ausgebildeten Gestalten aber zusammengesezter und schwieriger. D a ß dies Herakleitos gesehen, und den lezteren deshalb einen Vorzug vor den ersteren zugestanden hat, lehrt uns ein wol nur in diesem Zusammenhang verständliches Fragment bei P l u t a r c h o s (de a n i m . p r o c r . p. 1026.)

16 Homeros:] Homeros; 35—3 Plutarchos: De animae procreatione vgl. Moralia Bd. 6/1, S. 164

e Timaeo, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1026;

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36. Ά ρ μ ο ν ί η γαρ ά φ α ν ή ς φ α ν ε ρ ή ς κ ρ ε ί τ τ ω ν , καθ' Ήράκλειτον ε ν ή offenbar bezieht sich dies auf άφανής zurük τάς δια-

φοράς και έτερότητας ό μιγνύων θεός έκρυψε και κατέδυσεν. 72 5

Denn das lezte kann man schwerlich noch als buchstäblich ansehn, 421 da durch das μιγνύων eine fremde Ansicht durchleuchtet, wiewol das έκρυψε και κατέδυσεν eine sehr ächte Beschreibung des άφανής ist. Daher mag dies wol aus einem stoischen Ausleger sein, der gern Prunk trieb mit zierlichen platonisirenden Redensarten.

Ob aber Herakleitos auf genauere Beschreibung und Erklärung der ver10 schiedenen Gestalten des Lebens sich eingelassen, oder ob der Tadel gegründet ist, daß er nicht ins Einzelne gehe, dies sind wir nicht mehr im Stande zu entscheiden. Denn für uns stehen ganz einzeln in dieser Art die beiden Nachrichten, „Er habe das vollständige Sein des Menschen anfangen lassen mit dem vierzehnten Jahr, weil von da an die Samen15 feuchtigkeit abgesondert werde, und auch die Vorstellung des Guten und Bösen und die Festigkeit der Belehrung darüber sich einstelle" ( P l a c . P h i l . V, 23. G a l e n , p h i l . h i s t . Ed. V e n e t . p. 14. b.) und „Er habe die Länge einer Generation bestimmt auf dreißig Jahre, weil binnen dieser Zeit von der Erzeugung des Erzeugers an gerechnet das Erzeugte sich 20 auch schon wieder als erzeugend darstelle" ( P l u t . d e O r a c . d e f. II, p. 415); was grade solche Bemerkungen sind, die leicht konnten gelegentlich angebracht werden und nicht nothwendig großen physiologischen Reichthum | voraussezen. Dasselbe gilt von der kleinen Notiz 422

37. a. παν γ ά ρ έ ρ π ε τ ό ν τήν γ ή ν ν έ μ ε τ α ι ώς φησιν Ήρά25

κλειτος (de M u n d o c. 6.)

welches wahrscheinlich doch sagen soll „Alles Gewürm nähre sich von der Erde" vielleicht um zu zeigen daß dieses eine niedrigere Stuffe des Lebens einnehme; wenn nicht έ ρ π ε τ ό ν auch hier noch die weitere homerische Bedeutung hat. Und eben so im allgemeinen hält sich auch jenes 30 zur Bezeichnung der verschiedenen Formen des Lebens, was P i a t o n erwähnt ( H i p p . m a i . p. 289)

17 p. 14.] p. 34.

24 37. a.] 37 ; s. u. 180,3

13—17 Plutarchos: Placita philosophorum V 23, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 909; Moralia Bd. 5/2.1, S. 148 — Galenos: De historia philosophica, Galeni adscripti libri, Venedig 1562, S. 14 b (= v) 17—21 Plutarchos: De oraculorum defectu 11, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 415; Moralia Bd. 3, S. 72 24 f Aristoteles: De mundo 6, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 378 e; vgl. ed. Larimer S. 98 (401 a) 3 0 - 5 Piaton: Hippias maior 289 a.b, Opera Bd. 11, S. 21; Werke Bd. 1, S. 476

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38. a. ... δτι τό του Ηρακλείτου ευ έχει ώς ά ρ α π ι θ ή κ ω ν ό κ ά λ λ ι σ τ ο ς α ι σ χ ρ ό ς ά ν θ ρ ω π ί ν φ (wie ich mit Heindorf lese statt άλλω) γ έ ν ε ι σ υ μ β α λ ε ΐ ν , und dann weiter unten ή ού και Ηράκλειτος ταυτόν τούτο λέγει ον συ έπάγη δτι ά ν θ ρ ώ π ω ν ό σ ο φ ώ τ α τ ο ς π ρ ο ς θ ε ό ν π ί θ η κ ο ς φ α ν ε ΐ τ α ι . „Der schönste Affe ist häßlich mit dem menschlichen Geschlecht verglichen" Und — wiewol dies leztere vielleicht nicht so buchstäblich ist — „der weiseste Mensch ist gegen Gott nur ein Affe."

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Ja will man Vermuthungen wagen, so scheint die Art wie er sich im allgemeinen über die Bedingungen ausdrükt, unter welchen die einzelnen 10 423 Dinge entstehen und bestehen, eben nicht auf eine | sehr klare Einsicht in das Einzelne zu deuten. Denn es scheint er habe die Geseze, nach welchen auf verschiedene Weise die entgegengesezten Bewegungen einander bald hemmen bald wieder frei lassen und dadurch die einzelnen Dinge erzeugen und zerstören, unter dem alten dichterischen Namen 15 „Ειμαρμένη" dargestellt, der immer vorzüglich der dunkeln unbegriffenen Nothwendigkeit gegeben ward. Dies erhellet aus verschiedenen mit einander zu vergleichenden Erklärungen darüber was Herakleitos unter ειμαρμένη gemeint habe. Zuerst sagt S t o b ä o s (Eel. Phys. I, p. 58.) Ηράκλειτος —, είμαρμένην δε λόγον έκ της έναντιοδρομίας 20 δημίουργόν των όντων. Die Bestimmung, das Geschikk, oder wie man wolle, sei nach Herakleitos das aus dem Gegenlauf alle Dinge bildende Verhältniß. Denn dieser Erklärung von λόγος müssen wir wol, wenn nicht sehr dringend das Gegentheil geboten wird, vorläufig treu bleiben, da wir oben in eigenen Worten des Herakleitos 25 λόγος in demselben Sinne gehabt haben. Nur so kann auch ohne Tadel D i o g e n e s der doch aus ähnlichen Quellen schöpfte, nur schlechthin sagen (IX, 7) πάντα τε γίνεσθαι καθ' είμαρμένην, και δια της έναντιοτροπής ήρμόσθαι τά πάντα. „Alles geschähe nach

1 38. a.] 38 ; 5. u. 180,31

7 buchstäblich ist - ] buchstäblich ist

2 f Piaton: Dialogi quatuor. Lysis, Charmides, Hippias maior, Phaedrus, annotatione perpetua illustravit Lud. Frid. Heindorf, [= Dialogi selecti Bd. 1], Berlin 1802, S. 143. Die Lesart άνθρωπίνφ wird von Heindorf als „Sydenhami correctio" angeführt; Heindorf selbst zieht ihr als „Platonicum magis" die Lesart άνθρωπείφ vor. — Ludwig Friedrich Heindorf (1774—1816), Philologe, seit 1796 am Köllnischen Gymnasium in Berlin, wurde 1810 zum Professor für klassische Philologie an die neugegründete Universität berufen. 19—21 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae 1 3, ed. Heeren Bd. 1, S. 58 f (Strich steht für die Auslassung: τό περιοδικόν πΰρ αΐδιν); I 1 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 35 25 Oben 149,11 f 27—29 Diogenes Laertios IX 7, ed. Meibomius S. 551 (Q: τά όντα statt τά πάντα); vgl. ed. Long Bd. 2, S. 440

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„der Bestimmung und durch die Gegenwand|lung würden alle 424 Dinge zusammengefügt." Was aber jene έναντίοδρομία und diese 74 έναντιοτροπή bedeuten sollen ist klar, nemlich den Gegensaz in den beiden Bewegungen und in den Verwandlungsstuffen des Seins, und genau so bezieht sich jenes auf den einen Herakleitischen Ausdruk όδός, dieses auf den andern τροπή. Und offenbar sind wol diese Wörter von den stoischen Auslegern des Ephesiers gebildet um seinen Gedanken nach ihrer Weise darzustellen. Denn er selbst hat in solcher Form Erklärungen wol nicht gegeben, und stoisches Gepräge tragen sie stark. Anderwärts sagt derselbige (Eel. P h y s . I, p. 178., womit, ausgenommen daß das lezte ausgelassen ist, fast wörtlich übereinstimmt P l a c . p h i l . I, 28.)

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'Ηράκλειτος ούσίαν ειμαρμένης άπεφαίνετο λόγον τον δια ούσίας τοϋ παντός διήκοντα. Αΰτη δ' έστί τό αιθέριον σώμα, σπέρμα της του παντός γενέσεως, και περιόδου μέτρον τεταγμένης. Auch hier ist keine Noth λόγος anders zu erklären, als daß die ειμαρμένη ist „das des Ganzen Sein durchdringende Verhältniß" nemlich des Gegensazes in allen seinen mannigfaltigen Abstuffungen; so daß beide Erklärungen offenbar dasselbe besagen. Das αΰτη aber möchte ich auf ουσία του παντός beziehen und die Worte αυτη ... | γενέσεως als einen Einschub ansehn, weil der 425 Sammler die Gelegenheit noch eine Definition anzubringen nicht wollte vorbeigehen lassen. Denn diese beiden Erklärungen schikken sich weit besser für die ουσία τοϋ παντός, welche doch in Vergleich mit dem sie durchdringenden λόγος das materielle ist. Vom grammatischen welches ohnehin diese Beziehung gebietet rede ich nicht, da freilich sehr leicht wäre anzunehmen daß ή αύτη gestanden habe, wenn der Sinn oder andere Autoritäten es verlangten. Wie aber die Worte hier stehn, ist es keine l e v i s m u t a t i o daß in der G a l e n i s c h e n p h i l . h i s t , steht ή δέ ειμαρμένη έστίν αιθέριον κ. τ. λ. Jedoch möchte wol diese sehr schlechte Sammlung Niemand als Autorität annehmen. In den lezten Worten, welche Stobäos al- 75 lein hat, möchte man wenn sie nach obiger Voraussezung auf die

1 Gegenwand|lung] Gegenwand-|wandlung

11 — 17 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 6, ed. Heeren Bd. 1, S. 178; 1 5 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 78 — Plutarchos: Placita philosophorum I 28, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 884 f; vgl. Moralia Bd. 5/2.1, S. 76 31 f Galenos: [De historia philosophica] Περί

φιλοσόφου ιστορίας Opera omnia, Bd. 4, S. 429

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Heraklettos erste Erklärung der ειμαρμένη sollen bezogen werden, statt και lieber lesen κατά.

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Aus diesen Erklärungen sollte nun wol Jeder schließen, Herakleitos habe sich des Ausdruks ειμαρμένη bedient, um die bestimmte Weltordnung zu bezeichnen. Nun aber will eine Stelle des P l u t a r c h o s , aus der wir schon mehrere Worte des Herakleitos angeführt haben, behaupten, dieser Ausdrukk wäre dem Ephesier fremd. Sie lautet (de a n i m . p r o c r . p. 1026) soviel wir | davon hier bedürfen so: συλλαβοϋσα δε τό ταυτόν . . . ζωή τε του παντός έστιν έμφρων και άρμονία και λόγος άγων πειθοΐ μεμιγμένην άνάγκην, ην Είμαρμένην οί πολλοί καλουσιν, Ε μ π ε δ ο κ λ ή ς · δέ φιλίαν όμοΰ και νεΐκος, Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς δε παλίντροπον Κ. τ. λ. Nun mag man das ην auf άνάγκη ziehn, oder was mir richtiger scheint annehmen daß es statt ö stehend den ganzen Saz wieder aufnehme, so steht Ειμαρμένη nur als ein trivialer Ausdruk da, welcher hernach übersezt wird in die verschiedenen Ansichten der Philosophen von jenen Lebensgesezen des Ganzen und der daraus hervorgehenden Bestimmtheit des Einzelnen. Allein hier ist wol viel darauf zu rechnen, daß Plutarchos alle diese Ansichten neben einander stellen wollte, und nicht eben daran dachte, wo vielleicht auch Ειμαρμένη ein technischer Ausdruk wäre. Und was die Sache außer Zweifel zu sezen scheint, ist was d e p l a c . p h i l . I, 27 gesagt wird, Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς πάντα καθ' είμαρμένην, τήν δέ αυτήν και άνάγκην. Dies kann nur ein stoischer Ausleger gesagt haben im Gegensaz gegen die Erklärungen seiner Schule, welche einen Unterschied machte zwischen Ειμαρμένη und άνάγκη, und er konnte kaum auf eine solche Darstellung gekommen sein, wenn sich nicht Herakleitos jenes Ausdruks in der T h a t bedient hätte. Denselben

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Ursprung haben offenbar auch die Worte des | T h e o d o r e t o s (Vol. I V , p. 851) και ό Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς δέ πάντα καθ' είμαρμένην ε'ίρηκε γίγνεσθαι. Άνάγκην δέ τήν είμαρμένην και ούτος ώνόμασε. Nur daß er nicht recht klar sah worauf es eigentlich ankäme. D o c h sei der Ausdruk 30 gewesen welcher er wolle, so hat gewiß wenigstens Herakleitos den Gedanken an allgemeine feststehende Naturgeseze in den Verwandlungen der Dinge auf das bestimmteste aufgefaßt, wie auch noch aus einer Stelle des S i m p l i c i u s erhellt (in P h y s . f. 6. a) wo er den Hippasos und Herakleitos zusammenstellend als solche welche alles aus dem Feuer entste- 35

7—12 Plutarchos: De animae procreatione e Timaeo, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1026; vgl. Moralia Bd. 6/1, S. 163 f 21 f Plutarchos: Placita philosophorum 1 27, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 884 (Q: [...] αυτήν ύπάρχειν και [...]); vgl. Moralia Bd. 5/2.1, S.75 27—29 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio VI, Opera ed. Schulze [Ed. Halensis] Bd. 4, S. 851; vgl. SC 57, S. 258 3 4 - 5 Simplikios: In Aristotelis De physico [zu I 2], Ed. Aldina S. 6 a (= r); vgl. ed. Diels, CAG IX, S. 24

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hen und in dasselbe wieder auflösen lassen, ώς ταύτης μιας ο ύ σ η ς φύσ ε ω ς της ύ π ο κ ε ι μ έ ν η ς hinzufügt

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πυρός γ α ρ α μ ο ι β ή ν εΐναί φασιν. Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς δε πάντα π ο ι ε ί και τάξιν τινά και χ ρ ό ν ο ν ώ ρ ι σ μ έ ν ο ν τ η ς του κ ό σ μ ο υ μεταβ ο λ ή ς κατά τινα είμαρμένην ανάγκην. Wo man gewiß eine durch Auslassung entstandene Umstellung annehmen und lesen muß πυρός γ α ρ ά μ ο ι β ή ν πάντα εΐναί φασιν. Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς δε π ο ι ε ί και τάξιν u. s. w. Wenn man nicht dem Simplicius von dem Unrecht helfen will daß er dem Hippasos ebenfalls jenes zuschreibt von der α μ ο ι β ή πυρός, und deshalb vorzieht zu lesen πυρός γ α ρ ά μ ο ι β ή ν εΐναί φησιν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς τά πάντα - ποιεί δε και u. s. w. |

So war dem Herakleitos auf der einen Seite das Bestehen, oder vielmehr das immer wieder Erzeugtwerden der Dinge durch das gleichmäßige Z u sammentreffen der entgegengesezten Bewegungen allerdings ein Schiksal, 15 und nur aus einer vorherbestimmten sich immer gleich bleibenden Nothwendigkeit zu erklären, so daß es ein ganz Herakleitischer Ausdrukk ist was P i a t o n ( T h e a e t . 160. b) sagt ή άνάγκη τ ή ν ούσίαν συνδεΐ, und daß wenn Herakleitos von hier aus, wie wohl zu erwarten, eine ethische Ausweichung machte zu Lösung der Frage, wie sich nun der Mensch 20 gegen den derselben Nothwendigkeit unterworfenen Wechsel der Dinge zu verhalten habe, ihm nichts übrig bleiben konnte als jenes Wolgefallen, wofür T h e o d o r e t u s uns den eigenthümlichen Ausdruk des Herakleitos aufbehalten haben will ( V o l . I V , p. 9 8 4 . E d . H a i . ) 25

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„Και Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς δέ ό Έ φ έ σ ι ο ς τ ή ν μέν π ρ ο σ η γ ο ρ ί α ν μ ε τ έ β α λ ε , " die Rede nemlich war von der ή δ ο ν ή des Epikuros und der εύθυμία des Demokritos, „τήν δέ διάνοιαν κ α τ α λ έ λ ο ι π ε ν άντι γ ά ρ τ η ς ή δ ο ν ή ς ε ύ α ρ έ σ τ η σ ι ν τ έ θ ε ι κ ε ν " wenn nicht etwa eben stoische Ausleger den Theodoretos über das Wort getäuscht haben; und welches ihm durchaus natürlich sein mußte, da ja nur in derselben Nothwendigkeit auch | das Dasein des Menschen selbst gegründet ist. Auf der andern Seite aber, in wiefern alle einzelnen scheinbar bestehenden Dinge nur gleichsam nebenbei hervorgebracht werden, indem die universellen Kräfte ihren Gang gehen, und also von den lezteren aus angesehen die mehr individuelle Formen des Daseins nur zufällige Ergebnisse sind, konnte gar wol Herakleitos die Welt, die Gesammtheit der Dinge auch als nur ein Spiel der eigentlich wirkenden Kräfte betrachten.

17 Piaton: Theaitetos 160 b, Opera Bd. 2, S. 86; Werke Bd. 6, S. 58 22-27 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio XI, Opera ed. Schulze [Ed. Halensisj Bd. 4, S. 984; SC 57, S. 393

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Dies erzählt uns C l e m e n s , aber merkwürdig den alten Weisen mißverstehend oder verdrehend ( P a e d a g . I, 5. p. 111.) Ά γ α λ λ ι α τ α ι τό πνεύμα των έν Χ ρ ι σ τ ώ παιδίων έν υπομονή πολ ι τ ε υ ο μ έ ν ω ν και αύτη ή θεία παιδιά. Τοιαύτην τινά παίζειν παιδιάν τον έαυτοΰ Δία Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς λ έ γ ε ι „Und dieses," wie nemlieh der Geist der Kindlein in Christo fröhlich ist wenn sie in Geduld wandeln, „ist das göttliche Spiel. Und ein solches Spiel, meint auch wol Herakleitos, spiele sein Zeus." Und wer eine so verschrobene Anführung nicht für sicher genug halten sollte, um irgend etwas daraus zu nehmen, dem sagt es deutlicher P r o k l o s ( C o m m e n t , in T i m . p. 101)

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"Αλλοι δε και τον δημιουργόν έν τω κοσμουργεΐν παίζειν ειρήκασι, καθάπερ Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς . 430 Daß also eben in dem Weltbilden Zeus spielt. | Aehnliches hatte auch Lucian vernommen, der den Herakleitos nach den Worten έν τ η του 15 αιώνος παιδιη fragt τί γαρ ό αίών εστί; und ihn antworten läßt παις 78 παίζων, πεσσεύων, διαφερόμενος, eigentliches und uneigentliches durch einander werfend. Wurde nun diese Ansicht stärker hervorgehoben oder mehr einzeln auseinandergelegt, so kann daraus gar leicht eine solche Rede zum Nachtheil des Ephesiers entstanden sein, wie sie uns 20 N e m e s i o s aufbewahrt hat „daß Demokritos, Herakleitos und Epikuros weder für das allgemeine noch für das Einzelne eine Vorsehung zugeben wollten" (de n a t . h o m . E d . O x . p. 318). Auch P h i l o spricht ähnlich ( A l l e g . l e g . II, p. 62) ό δε γονορρυής (nemlich λόγος) έκ κόσμου πάντα και εις κόσμον άνάγων, ύπό θ ε ο υ δε μηδέν οιόμενος γ ε γ ο ν έ - 25 ναι, ' Η ρ α κ λ ε ί τ ε ι ο υ δόξης έταϊρος, κόρον και χ ρ η σ μ ο σ ύ ν η ν , και εν τό παν, και πάντα αμοιβή ε ι σ ά γ ω ν und so könnte ganz unschuldig

23 p. 318] p. 310 1—5 Clemens: Paedagogus I 5, Opera ed. Potter S. Ill (Q: παιδεία bzw. παιδείαν statt παιδία bzw. παιδίαν); Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 142 10—13 Proklos: Commentarius in Timaeum, [Ed. Basiliensis] S. 101; vgl. ed. Diehl Bd. 1, S. 334 15 — 17 Lukianos: Vitarum auetio 14, edd. Hemsterhuis/Reitz Bd. 1, S. 554; ed. MacLeod Bd. 2, S. 35 21—23 Nemesios: De natura hominis 54, [Ed. Oxoniensis], e theatro Sheldoniano, Oxford 1671, S. 318; ed. C. F. Matthaei, Halle 1802, Nachdruck Hildesheim 1967, S. 347 - Nemesios, Bischof von Emesa, lebte Ende des 4. Jh. n. Chr. — Ob Schleiermacher tatsächlich die Editio Oxoniensis benutzt hat, kann nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. Besessen hat er die von Christian Friedrich Matthaei besorgte Ausgabe, in der mit Hilfe einer tabellarischen Übersicht die Seitenzahlen der Editio Oxoniensis von 1671 erschlossen werden können. 23—27 Philon: Legis allegoriarum Uber 11, Omnia opera S. 62; vgl. III 3, Opera ed. Richter Bd. 1, S. 128

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auch in dieser Hinsicht der Mann mit denen zusammengestellt worden sein, welchen er am meisten entgegengesezt ist. J a wenn es nicht zu kühn wäre, über ein einzelnes abgerissenes Wort eine Vermuthung zu wagen: so möchten wir vielmehr mit dieser zwiefachen Ansicht von Nothwendigkeit und Spiel in Verbindung bringen, was I a m b l i c h o s erzählt, daß Herakleitos die Opfer ,,άκεα" Heilungen ge|nannt habe, so nemlich daß 431 er geglaubt, wenn ζ. B., angenommen ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen Leben und Tod, freiwillig etwas auf der Seite des Todes zugelegt würde, man dadurch etwas auf der Seite des Lebens in Gefahr schwebendes erhalten und retten könne, gewiß nicht ohne eine πρόνοια, wenn anders auf diese Weise Ein Einzelnes auf ein anderes bestimmtes wirken soll. Mag man auch urtheilen dies sei ein superstitiöser Auswuchs, so scheint doch diese Erklärung der ganzen Gedankenreihe des Mannes angemessener zu sein, als die welche Iamblichos selbst giebt (de my st er. S e c t . I, c. X I . ) „και δια τοϋτο εικότως αύτά ,,άκεα" 'Ηράκλειτος προσεΐπεν ώς έξακεσόμενα τά δεινά και τάς ψυχάς έξάντεις άπεργαζόμενα των εν τη γενέσει συμφορών." Denn hierin sieht Jedermann zu deutlich den Platoniker. Und auch das superstitiöse würde sehr gemildert wenn man mit rechtem Vertrauen fußen könnte auf eine Stelle bei E l i a s C r e t e n s . ad G r e g . N a z i a n z . ( O r a t . X X I I I , p. 836) „ Q u o s 79 q u i d e m , nemlich die t u r p i o r a s a c r i f i c i a darbringenden, i r r i d e n s Heraclitus „Purgantur," inquit „cum cruore polluuntur, non s e c u s ac si q u i s in l u t u m i n g r e s s u s l u t o se a b l u a t . " " Herakleitische Manier leuchtet wol genug hervor auch aus der Uebersezung. Doch dieses hier nur beiläufig. | Weil nun nach Herakleitos das Entstehen und Vergehen der Dinge 432 in derselben Nothwendigkeit gegründet ist, und nach seinen zulezt angeführten Worten die vollkommensten Dinge diejenigen sind, welche alle Gegensäze aufs vielfältigste gebunden enthalten: so konnte er sagen, die Dinge wären auf eine solche Weise zusammengefügt, daß auch das in die Verknüpfung aufgenommen wäre, was zu ihrem Dasein nicht stimmt sondern es wieder auseinanderdrängt. Und dies scheint der Sinn der Worte zu sein welche in dem A r i s t o t e l i s c h e n Buche de m u n d o (c. V.

5f Iamblichos: De mysteriis I 11, ed. Gale S. 22; ed. des Places S. 62; s. u. 431, 13 — 17 14—17 Iamblichos: De mysteriis I 11, ed. Gale S. 22; ed. des Places S. 62 20—23 Elias Cretensis: Commentarius in S. Gregorii Nazianzeni orationem XXIII, [Abschnitt 27], Gregor von Nazianz: Opera, Bd. 1-2, Paris 1609-1611, Bd. 2, S. 836 - Der Metropolit Elias von Kreta (ca. 1120/1130 greifbar) gilt als bedeutendster und gelehrtester Scholiast des Gregor von Nazianz, von dem er 27 Reden und zwei Briefe kommentiert hat. 33—7 Aristoteles: De mundo 5, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 374 e; vgl. ed. Lorimer S. 76 (396 b)

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p. 374) aufbewahrt sind, und unter der Form einer Bereitungsvorschrift von dem Wesen der einzelnen Dinge reden 37. b. Ταύτό δέ τοϋτο, nemlich die Verbindungen der Gegensäze,

ήν και τό παρά τω σκοτείνω λεγόμενον Ήρακλείτω· σ υ ν άψειας ο ύ λ α και ο ύ χ ί ο ύ λ α , σ υ μ φ ε ρ ό μ ε ν ο ν [και] δ ι α φ ε ρ ό μ ε ν ο ν , σ υ ν α δ ο ν [και] δ ι α δ ο ν και έκ πάντων εν και έ ξ

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ε ν ό ς π ά ν τ α . Die eingeklammerten και verdienen wol gelöscht zu werden wie sie auch bei S t o b ä o s ( E e l . P h y s . I, p. 690) fehlen; nicht so aber die lezten beiden. Denn ein nicht abzuweisendes Gefühl behauptet, die Worte έκ—πάντα enthalten eine andere Hera- 10 kleitische Stelle, oder vielleicht auch nur eine | von Späteren, um seine ganze Denkart zusammenzufassen, aufgestellte Formel, welche unser unbekannter Autor hier mit beifügt, weil sie ganz allgemein das Verknüpftsein des Entgegengesezten ausdrükt. Was aber hier ο ύ λ α και ουχί ούλα heißen solle, bleibt zweifelhaft. Woran man 15 zunächst denkt, Ganzes und Unganzes giebt keinen reinen Sinn; wie unser Autor es zu erklären scheint durch ο ρ θ ό ν και π ε ρ ι φ ε ρ έ ς , will nicht stimmen zu dem nie mathematisch auftretenden Herakleitos, und so will kaum etwas anderes übrig bleiben, als, wogegen sich auch noch manches einwenden läßt, zu übersezen „Verknüpfe 20 verderbliches und nicht verderbliches, zusammentretendes und auseinandergehendes, zusammenstimmendes und mißstimmiges." Und „Aus allem Eins, und aus Einem Alles." Und weil auch alle entgegengesezten Zustände der Dinge eben so wie das Entstehen und Vergehen selbst nur gegründet sind in dem schwankenden 25 Uebergewicht derselben immer vorhandenen Gegensäze, denen auch dieses Schwanken wesentlich ist: so konnte Herakleitos auch die entgegengesezten Zustände dem Wesen nach als dasselbige ansehn, wie dies auch geschieht in einem Bruchstük bei P l u t a r c h o s ( C o n s o l . ad A p o l l , p. 106) | 30

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3 8. b. Κ α ι ή φησιν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς , , τ α ύ τ ό τ ' έ ν ι (bis auf besseren

Rath εστί.) ζών και τ ε θ ν η κ ό ς και τό έ γ ρ η γ ο ρ ό ς και τό 1 ρ. 374] ρ. 179

3 37. b.] 37 ; s. ο. 173,24

31 38. b.] 38 ; s. ο. 174,1

3 Schleiermacher beziffert hier fälschlicherweise noch einmal ein Fragment mit der Nr. 37 (s. o. 173,24) und zählt so auch entsprechend weiter; vgl. auch den Sachapparat zu 180,31. Dieser Irrtum resultiert möglicherweise daraus, daß beide Fragmente Nr. 37 aus derselben pseudoaristotelischen Schrift De mundo stammen. 8 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 42, ed. Heeren Bd. 1, S. 688 f (Stobaios hat zweimal ούλον anstelle von ούλα); vgl. I 40 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 270 29—2 Plutarchos: Consolatio ad Apollonium 10, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 106; vgl. Moralia Bd. 1, S. 218 f 31 Schleiermacher

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κ α θ ε ΰ δ ο ν και ν έ ο ν και γ η ρ α ι ό ν " τάδε γαρ μεταπεσόντα έκεΐνά έστι, κάκεΐνα πάλιν μεταπεσόντα ταΰτα. „Und wie Herakleitos sagt, dasselbige ist das lebende und das todte, das wachende und das schlafende, das junge und alte." Denn die noch folgenden Worte mögen wol schon zu der Erklärung des Plutarchos gehören, der, wie er es besonders mit Leben und Tod zu thun hat und hernach ausführt daß die Natur aus demselben Stoff nach dem Tode des Einen wieder einen andern bereite, das νέον και γηραΐόν wozu die Erklärung sich nicht sonderlich schikken will, übersah.

10 Eben so natürlich ist ferner die Behauptung und allem bisherigen vollkommen angemessen, daß überall die Gegensäze nothwendig zusammen gehören, ja vielleicht daß kein Erzeugniß der Natur ohne einen ihm eigenthümlichen Gegensaz bestehen könne. Hierauf nemlich scheint stark zu deuten eine Stelle in den A r i s t o t e l i s c h e n Werken ( E u d e m . 15 V I I , 1.)

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Και 'Ηράκλειτος επίτιμα τω ποιήσαντι Ώ ς ερις εκ τε θεών και 81 ανθρώπων άπόλοιτο· ού γαρ αν είναι άρμονίαν μή οντος οξέος και βαρέος, ουδέ τά ζώα άνευ άρρένος και θή|λεος, εναντίων 435 όντων. Sie führt uns, wie man sieht, auf früheres zurük, und wenn sie wörtlicher und nicht in indirecter Rede da stände, könnten wir sie an den Zusaz des S i m p l i c i u s zu jenem Tadel „weil nemlich sonst ohne Krieg alle Dinge dahinfahren würden," anknüpfen als Fortsezung „denn es gäbe keine Harmonie ohne hohes und tiefes, und keine Thiere ohne männliches und weibliches, welches auch Gegensäze sind." Und wenn er hier irgend ins Ethische hinüberschweifte: so war sehr leicht zur Befestigung in jener εύαρέστησις die nicht minder richtige Folgerung zu ziehen, daß also die Menschen mit Unrecht sich so oft über die Eine Seite des Gegensazes als über ein Uebel beschweren, weil ohne sie auch die andere das nicht sein würde was sie ist. Durch viele Beispiele konnte er suchen dieses gemeinverständlich zu machen, und von dieser Seite ist wahrscheinlich auch anzusehen ein Bruchstükk, welches uns S t o b ä o s ( S e r m . T i t . III, p. 48) aufbehalten hat.

1 γηραιόν"] γηραιόν

18 θήλεος] θή-|θήλεος

beziffert hier fälschlicherweise noch einmal ein Fragment mit der Nr. 38 (s. o. 174,1); vgl. auch den Sachapparat zu 180,3. 14—19 Aristoteles: Ethica Eudemia Vll 1, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 161 a (Q.· [...] θήλιον και άρρένος [...]); vgl. ed. Rackham S. 362 (1235 a) 33—3 Stobaios: Sermones [Titulus] 3, Ed. Lugdunensis S. 48; vgl. 1 ed. Hense Bd. 1, S. 129

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39. Ά ν θ ρ ώ π ο ι ς γ ί ν ε σ θ α ι , ό κ ό σ α θ έ λ ο υ σ ι ν , ούκ ά μ ε ι ν ο ν . Ν ο ϋ σ ο ς ύ γ ε ί α ν έ π ο ί η σ ε ν ήδύ και α γ α θ ό ν , λ ι μ ό ς κ ό ρ ο ν , κ ά μ α τ ο ς ά ν ά π α υ σ ι ν . " So weit nemlich kann man füglich alles als Eine Stelle ansehn, da es ja genau genug zusammenhängt, | und hat nicht nöthig, wie in den Ausgaben des Stobäos 5 geschieht, bei αμεΐνον abzusezen; sondern das erste „Daß den Menschen werde was sie begehren, wäre um nichts besser" ist als Einleitung anzusehn zu dem folgenden „Krankheit macht erst die Gesundheit angenehm und gut," wiewol ich nicht dafür einstehen möchte daß dieses ήδύ και άγαθόν buchstäblich so vom Heraklei- 10 tos herrühre „Hunger die Sättigung, Ermüdung die Ruhe."

Eben hieher, um nemlich die nothwendige Vereinigung der Gegensäze 82 anschaulich zu machen, möchte ich auch jene symbolische Geschichte bringen, welche P l u t a r c h o s uns erzählt (de g a r r u l . p. 511) aber selbst mißverstanden zu haben scheint, nemlich Herakleitos von seinen Mitbürgern gebeten ihnen einen Lehrspruch über die Eintracht vorzutragen sei auf die Bühne gestiegen, habe einen Becher kalten Wassers genommen, Mehl hineingestreut, es mit dem Poleistengel umgerührt, und ausgetrunken, und sei dann davon gegangen. Denn eine γνώμη über die Eintracht wird diese Geschichte sogleich wenn Herakleitos zeigen wollte, daß nur das Entgegengesezte im Staate, wie hier Mehl und Wasser, Troknes und Nasses durch das Umrühren, recht genau müsse verbunden werden, um gedeihliches und schmakhaftes daraus zu bereiten. Unverständ437 lieh und schlecht aber | scheint die Geschichte zu werden, wenn man mit Plutarchos erklärt, der Weise habe andeuten gewollt, Friede und Eintracht würden ihnen nicht fehlen, sobald sie nur einfacher und weniger Dinge bedürften. In dem Polei aber möchte ich am wenigsten irgend etwas suchen. Dies war ein gemeines Gewürzkraut, und wie man einen Wein damit bereitete so brauchte ihn gewiß auch das gemeine Volk um dem Mehltrank einigen Geschmak zu geben. Dieses nun zusammengenommen kann man dem P h i l o nicht Unrecht geben, wenn er (quis rer. div. haer.) sagt „Der große und vielgepriesene Herakleitos habe seiner ganzen Philosophie dieses als den Hauptsaz vorangestellt und sich dessen als seiner Erfindung gerühmt, daß nemlich das Eine sei das aus beiden Gegensäzen bestehende, durch dessen Zertheilung erst die Gegensäze erkannt würden." Nur muß man

14—19 Plutarchos: De garrulitate 17, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. Sil; Moralia Bd. 3, S. 302 31—36 Philon: Omnia opera S. 510: εν γαρ τό έξ άμφοΐν των έναντίων, ον τμηθέντος, γνώριμα τα εναντία. Ού τοΰτ' έστιν, ο φασιν έλληνες τόν μέγαν και άοίδιμον παρ' αύτοϊς Ήράκλειτον, κεφάλαιον της αότον προστησάμενον φιλοσοφίας, αύχεΐν ώς εφ' εύρέσει κενή; vgl. Opera ed. Richter Bd. 3, S. 47

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das Voranstellen keinesweges ganz buchstäblich verstehen, und so auch

in den Worten „εν γάρ τό έξ άμφοΐν των εναντίων, ού τμηθέντος

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γνώριμα τά εναντία" nicht eigene des Herakleitos suchen, sondern eher an einen späteren Ausleger denken, der alles möglichst der Schulsprache annähern will. Ueber alles dieses nun ist Herakleitos von Aristoteles auf das bitterste getadelt worden, als ob er alles Denken und alles Reden auf|höbe, 83; 438 weil er annähme alles sei und sei auch nicht, alles sei wahr und alles sei falsch, und von jeglichem Dinge könne man mit Recht das entgegengesezte behaupten. Zuerst ist das dritte Buch der Metaphysik voll dieser Beschuldigungen von Anfang bis zu Ende. Denn wenn er auch Anfangs c. III sagt „Es kann Niemand sich vorstellen daß dasselbige sei und auch nicht sei, wie einige vom Herakleitos meinten" so ist diese Rechtfertigung nur des Aristoteles eignem Grundsaz zu Liebe da, weil ja sonst, was von keinem Dinge gelten soll, wenigstens von diesem Herakleitos gelten müßte, daß ihm widersprechendes zugleich, widersprechende Meinungen nemlich, zukäme. Behandelt aber wird er durchgehende so, als wäre dieses wirklich seine Meinung in demselben Sinne in welchem es der Logik des Aristoteles und dem Saze des Widerspruches zuwiderläuft. So wird als eine Rede des Herakleitos angegeben c. VII, daß alles sei und auch nicht sei, und gesagt daß diesem Saz zufolge alles wahr sei. Hiedurch wird auf der einen Seite ein Gegensaz aufgestellt zwischen Herakleitos und Anaxagoras, welchem lezteren Aristoteles nicht nur das όμοΰ πάντα χρήματα vorrükt, sondern auch eine durch Tradition erhaltene mündliche Rede daß er zu seinen Freunden gesagt, die Dinge wären ihnen solche, wie sie sich vorstellten, | und wegen dieses beiden wird von 439 ihm gesagt, nach seiner Lehre sei alles falsch, weil er ein mittleres annehme zwischen den widersprechenden Behauptungen; was im Eingange seines Commentars zu diesem Buche Alexandros sehr unbesorgt auf den Herakleitos überträgt. Späterhin aber wirft auch Aristoteles auf der andern Seite wieder beide zusammen als solche die beides behaupten, Alles sei wahr und alles sei falsch. Auch anderes in diesem Buche, wobei Hera-

12 f Aristoteles: Metaphysica III 3, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S.503f h — a: άδύνατον γάρ όντινών ταντό ύπολαμβάνειν είναι και μή είναι, καθάπερ τινές οϊονται λέγειν Ήράκλειτον; vgl. ed. Jaeger S. 66 (1005 b) 20-28 Aristoteles: Metaphysica III 7, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 509 b: έοικε δ' ό μεν 'Ηρακλείτου λόγος λέγων πάντα είναι και μή είναι, άπαντα άληθή ποιεϊν ό δ' Άναξαγόρου είναι τι μεταξύ της άντιφάσεως- ώστε πάντα ψευδή; vgl. ed. Jaeger S. 84 (1012 a) 29 f Alexandros: Commentaria in Duodecim Aristotelis libros De prima philosophia [zu III ProoemiumJ, [Editio Aldina], Venedig 1561: Herakleitos glaube „medium quoddam contradictionis esse" (S. 82); vgl. In Aristotelis Metaphysica commentaria, ed. M. Hayduck, CAG I, Berlin 1891: είναι τι τής αντιφάσεως μεταξύ (S. 239) 30—32 Ζ. Β. Aristoteles: Metaphysica Χ 6, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 554 b; ed. Jaeger S. 226 (1063 b)

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kleitos nicht genannt wird, deutet der Commentator Alexandros wie der Zusammenhang lehrt, ganz richtig auf ihn, wie die Stelle c. IV. ΕίσΙ δέ τίνες, οι καθάπερ ειπομεν, αύτοί τε ένδέχεσθαί φασι τό αύτό εΐναι 84 και μή είναι, και ύπολαμβάνειν ούτως, χρώνται δέ τω λόγω τούτω πολλοί και των περί φύσεως. Nur c. V, wo indirekt die Meinung wider5 legt wird, als ob über denselben Gegenstand derselbe Sinn zur selben Zeit widersprechendes aussagen könne, denkt Aristoteles offenbar nur an Protagoras und an Sophisten, was aber Alexandros auch auf den Ephesier deutet. Ueberhaupt muß aus diesem Buch einleuchten, daß jener berühmte Commentator das Werk des Herakleitos nicht in Händen 10 gehabt hat, er müßte es denn zwar gehabt aber überall nicht hineingesehen haben, so nachlässig geht er zu Werke, nicht eine einzige Stelle an440 führend, nicht eine eigene | Bemerkung hinzufügend über den Sinn der Herakleitischen Säze, sondern immer nur den Aristoteles aus sich selbst wiederholend. Im zehnten Buch wird auch c. V. gezeigt, was dabei her- 15 aus komme, wenn ein Mensch dem Saze des Widerspruchs widerspreche, und Aristoteles meint „auch Herakleitos selbst, wenn man ihn so ausfrage, werde wol am Ende eingestehen müssen μηδέποτε τάς άντικειμένας φάσεις δυνατόν είναι κατά των αύτών άληθεύεσθαι - νΰν δ' ού συνιείς έαυτόν τί ποτε λέγει ταύτην έλαβε την δόξαν." Und eben so 20 vornehm im folgenden Kapitel Ούτε δή καθ' Ήράκλειτον ενδέχεται λέγοντα άληθεύειν, ούτε κατ' Άναξαγόραν εί δέ μή, συμβήσεται τάναντία του αύτου κατηγορεΐν. Sollte aber jemand unbillig finden, was in der Metaphysik steht alles auf den Aristoteles zu wälzen, der findet dem Wesen nach ganz dasselbe auch T o p . V I I I , 3. οίον αγαθόν 25 και κακόν είναι ταύτόν, καθάπερ 'Ηράκλειτος φησιν; und P h y s . I, 2. Ά λ λ α μην ει τω λόγω έν τά όντα πάντα — τον Η ρ α κ λ ε ί τ ο υ λόγον συμβαίνει λέγειν αύτοΐς· ταύτόν γαρ έσται και άγαθω και κακω και

25 οίον] οίον, 2—5 Aristoteles: Metaphysica III 4, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 504 b; ed. Jaeger S. 66 (1005 b-1006 a) 5 - 8 Aristoteles: Metaphysica III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 506 d - 508 a, bes. 506 e. 507 g-h; ed. Jaeger S. 74-88, bes. 75. 79 (1009 a-1011 a, bes. 1009 a. 1010 b) 8 Protagoras von Abdera, ca. 360—271 v. Chr., gilt neben Gorgias, Hippias, Prodikos, Kritias und Tbrasymachos als klassischer Vertreter der älteren Sophistik. 8 f Vgl. den Sachapparat zu 183,29 f 15—20 Aristoteles: Metaphysica X 5, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 553 α: ταχέως δ' äv τις και Ήράκλειτον τούτον έρωτήσας τον τρόπον ήνάγκασεν όμολογεΐν μηδέποτε [...]; vgl. ed. Jaeger S. 222 (1062 a) 20—23 Aristoteles: Metaphysica X 6, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 554 b; vgl. ed. Jaeger S. 226 (1063 b) 25 f Aristoteles: Topica VIII 3, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 169 a; Vlll 5 ed. Ross S. 175 (159 b) 2 6 - 1 Aristoteles: Physica I 2, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 198 a—b; vgl. ed. Ross 185 b. — Der Gedankenstrich steht für eine Auslassung (ώς λώπιον και ιμάτιο ν).

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μή άγαθώ είναι και άγαθώ. Bei welcher Gelegenheit uns T h e m i s t i o s ( f o l . 16. b.) alle die schönen Sachen aus der Metaphysik wiederbringt

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,,ταύτόν γαρ εσται αύτοις κατά τον λόγον της ούσίας φυτόν άνθρωπος, πτηνόν, τό άγαθόν | και. κακόν, άπλώς δε τάναντία· συναληθεύει δε οϋτω και ή άντίφασις.

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Den Ungrund dieser Beschuldigungen des Aristoteles aufzudekken, 85 und zu zeigen wie er dabei dem Herakleitos überall ein Sein und ein Zugleich leiht von welchen jener nichts weiß und was sonst noch für Verwirrungen darin liegen, dies gehört nicht hieher; wol aber ist daran gelegen, daß Jeder sich überzeuge, es gehen in der That diese Beschuldigungen des Aristoteles auf nichts anderes, als auf die bisher angeführten und ähnliche Darstellungen. Dies ist aber sehr leicht zu sehen. Denn offenbar gehen sie auf etwas allgemein bekanntes von Herakleitischer Lehre, weil wenn sie nur Folgerungen wären aus einzelnen dunkeln unbekannten Stellen, alsdann Aristoteles nicht unterlassen haben würde diese anzuführen. Folgerungen aber enthalten sie offenbar nur; denn daß Herakleitos logisches dieser Art als solches vorgetragen, hat keiner von denen behauptet, welche sein Werk kannten, und es kann auch keinen so bedünken, der irgend versteht aus abgerissenen Theilen sich das Bild eines Ganzen zusammenzusezen und der an dieses Geschäft geht mit einiger Kenntniß von dem Zeitalter des Herakleitos. Nun ist aber eben jene Lehre unter den bekannten und von allen Seiten bestätigten diejenige, welche am | leichtesten auf solche Beschuldigungen führen konnte, 442 und so bleibt nichts anders übrig als sie nur hierauf zurükzuführen. Auch kommt uns zu Hülfe der vortrefliche S i m p l i c i u s , welcher in der schon oben angeführten Stelle (in P h y s . f. 11. a) stillschweigend den Stagiriten zurechtweiset, Herakleitos habe in der That keine solche θ έ σ ι ς vorgetragen, sondern es scheine nur so seines Ausdruks wegen, dem aber die schulmäßige Bestimmtheit fehle. Und offenbar durch den Stagiriten und seine Commentatoren hat sich auch S e x t u s verführen lassen, ähnliches von Herakleitos zu sagen; wiewol nicht recht zuversichtlich, wie es scheint, und nirgend das Gesagte durch rechte Anführungen belegend, so daß er schon deshalb den oben wider ihn ausgesprochenen Tadel verdient, aber doch einen Theil davon auf seine Ueberlieferer zurükwerfen kann. So ist ziemlich verworren die Stelle P y r r h . H y p . I I , 59. 86

1—5 Themistios: In Aristotelis Physica parapbrasis [zu I 2], Omnia Themistii opera, hoc est paraphrases et orationes. Alexandri Aphrodisiensis libri duo de anima et de fato unus, ed. V. Trincavelli, [Ed. Aldina], Venedig 1534, S. 16 b (= v); vgl. In Aristotelis Physica paraphrasis, ed. H.Schenkel, CAG V/2, Berlin 1900, S. 6 - Themistios: ca. 317-388 n. Chr., Philosoph, Verfasser zahlreicher Aristotelesparaphrasen. 25—29 Simplikios: In Aristotelis De physico [zu I 2j, Ed. Aldina S. 11 a~b (= r—v); ed. Diels, CAG IX, S. 50 — Oben 169,10—14 und 170,32—2 35—2 Sextus Empiricus: Pyrrhoniae Hypo-

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Ε τ έ ρ α μέν έστιν ή Γοργίου διάνοια, καθ' ήν φησι μηδέν είναι, έ τ έ ρ α δέ ή Η ρ α κ λ ε ί τ ο υ , καθ' ήν φησι πάντα είναι; denn das Aristotelische πάντα είναι και μη είναι hat einen andern Sinn, und nur wenn man daran denkt, wie Gorgias dies Nichtsein erwies, findet man den Vergleichungspunkt. Ganz Aristotelisirend ist eine andere Stelle ebendas. 5 §. 63 ό μέν Δημόκριτος έφη, μήτε γλυκύ αυτό, nemlich τό μέλι, είναι μήτε π ι κ ρ ό ν | ό δέ ' Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς αμφότερα. Eben so verführt war auch schon sein Vorgänger Aenesidemos, welcher, nach P y r r h . I, 210 gesagt haben soll, die skeptische Philosophie sei der Weg zur Herakleitischen, weil die Skeptiker wol sagen von demselben Dinge scheine uns wider- 10 sprechendes, die Herakleiteer aber hievon wieder übergehn dazu, daß es sich auch daran befinde. V. Sehr merkwürdig aber ist, was A r i s t o t e l e s in Verfolg der angeführten Stelle P h y s . 1,2. sagt. Nemlich nach dem obigen, daß nemlich wenn die Dinge der Erklärung nach Eines wären wie Rokk und Kleid, 15 alsdann jener Saz des Herakleitos müsse zugegeben werden, daß auch gut sein und nicht gut sein dasselbe wäre, sezt er noch hinzu, και ού περί του εν είναι τά οντα ό λ ό γ ο ς έσται, ά λ λ α περί του μηδέν, και τό τοιφδί είναι και τό τοσωδί ταυτόν wo man wol entweder lesen muß και τω τοιωδί είναι τό τοσονδί τ α υ τ ό ν oder και τό τοιονδί είναι και τό τοσονδί τ α υ τ ό ν „Und nicht davon daß die Dinge Eins sind wird die Rede sein, sondern davon daß sie nichts sind; und so beschaffen sein wird dasselbe sein wie so groß sein."

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So sehr nun auch das erste mit dem Nichts eine wunderliche Folgerung 25 444 ist: so liegt in dem lezten doch ein so richtiger und tiefer Blikk | wie ihn Aristoteles in dieser Art selten hat, so daß ich auch vermuthen möchte, Herakleitos selbst müsse dieses ziemlich deutlich ausgesprochen haben, daß allerdings die verschiedenen Qualitäten, wodurch die einzelnen Dinge sich von einander unterscheiden, nur Quantitäten wären von dem 30 87 Einen; und also wie S i m p l i c i u s zu der Stelle sagt, εί οϋτως έν τό öv ... μία πολυωνυμία γ ε ν ή σ ε τ α ι τά πάντα (in P h y s . f. 18. a). Und dies

typoses II 59, Opera ed. Fabricius S. 80 (Q: [...] λέγει πάντα είναι); vgl. edd. Mutschmann/Mau Bd. 1, S. 79 4 Gorgias: sophistischer Philosoph und Redelehrer, zwischen 480 und 380 v. Chr. 5—7 Sextus Empiricus: Pyrrhoniae Hypotyposes II 63, Opera ed. Fabricius S. 81; edd. Mutschmann/Mau Bd. 1, S. 80 8 Aenesidemos von Knossos, Vertreter der jüngeren Skepsis des 1. ]h. v. Chr. 8—12 Sextus Empiricus: Pyrrhoniae Hypotyposes 1 210, Opera ed. Fabricius S. 53; edd. Mutschmann!Mau Bd. 1, S. 52 1 3 - 2 1 Oben 184,26-1; Aristoteles: Physica I 2, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 198 b; ed. Ross 185 b 31 f Simplikios: In Aristotelis De physico [zu I 2], Ed. Aldina S. 18 a (= r); ed. Diels, CAG IX, S. 82

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führt uns zurük auf die vorher schon im allgemeinen erwähnte Lehre vom Feuer, an welche unstreitig auch Aristoteles an unserer Stelle denkt. Nemlich eine solche Einerleiheit aller Dinge behaupten nach ihm alle diejenigen, welche nur Ein Princip, μίαν άρχήν, Eine allen Dingen zum Grunde liegende Natur, „μίαν ύποκειμένην φύσιν" annehmen, und aus dieser, es sei nun durch Verdichtung und Verdünnung oder durch „mehr und weniger" das Viele entstehen lassen. Diesen nun zählt Aristoteles überall auch den Herakleitos bei bald namentlich bald stillschweigend, aber doch so deutlich daß seine Commentatoren ein überflüssiges thun indem sie uns den Namen ergänzen. Und dies ist eben unsere Klage, daß Aristoteles so ohne Unterschied was Herakleitos vom Feuer gelehrt hat neben die Lehre des Thaies vom Wasser stellt und des Anaximenes von der Luft, ohne zu bedenken, daß | diese beiden wol nicht von der allge- 445 meinen Anschauung des Fließens und Verfließens aller Dinge ausgegangen sind, und es ihnen also eine ganz andere Bedeutung haben muß, wenn sie ein Element als die αρχή von allem ansehn. J a man kann fast sagen wider besseres Wissen thue Aristoteles dieses; denn anderwärts (Phys. 111,5) sagt er ausdrüklich „es habe kein Naturforscher das Eine und Unendliche als Feuer oder Erde bestimmt, sondern nur als Wasser oder Luft oder das mittlere zwischen beiden" und der Grund den er hiezu anführt, „weil nemlich Feuer und Erde nur nach einer Seite hin beweglich sind, Wasser und Luft aber nach beiden," zeigt eben daß das Feuer gleichviel auch ob es άπειρον ist oder πεπερασμένον nicht könne in demselben Sinne άρχή sein wie Luft oder Wasser. Daher auch vorzüglieh immer etwas schiefes in der Darstellung liegt, wo von dem Begriff αρχή ausgegangen wird, wie M e t a p h . X I , 1. wo es heißt, die damaligen, weil sie mehr λογικώς zu Werke gingen, sezten τά καθόλου als ουσίας und αρχάς, die Alten aber τά καθ' έκαστα, οίον πυρ και γήν, 88 was einen ganz falschen Schein giebt; denn das Feuer wie es wahrnehmbar vorkommt, ist dem Herakleitos eben so wenig eine άρχή und eine wahre ουσία, wie jedes andere erscheinende Ding. Eben so M e t a p h .

19 als Wasser] auf Wasser 12 f Thaies von Milet, in die 1. Hälfte des 6. Jh. v. Chr. gehörend, soll nach Aristoteles das Wasser als Urprinzip, Anaximenes, gestorben 528/25 v. Chr., die Luft als das Urprinzip aller Dinge, die dann durch Verdünnung oder Verfestigung der Luft entstehen, gelehrt haben. 18—24 Aristoteles: Physica III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 215 e; ed. Ross 205 α: και διά toöf ούθεΐς τό εν και άπειρον πϋρ έποίησεν ούδέ γήν των φυσιολόγων, αλλ' ή νδωρ ή αέρα ή τό μέσον αυτών, ότι τόπος έκατέρου δήλος ήν διωρισμένος, ταΰτα δ' έπαμφοτερίζει τφ άνω και κάτω. 26—28 Aristoteles: Metaphysica XI 1, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 559 b; ed. jaeger S. 243 (1069 a) 3 1 - 4 Aristoteles: Metaphysica I 7, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 490 d (Q: είναι πάντων γή, έξ ού und ομολογουμένως αν τφ λόγω); I 8 ed. Jaeger S. 22 (988 b - 989 a)

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446 I, 7. τό μεν γάρ αν | δόξειε στοιχειωδέστατον είναι πάντων έξ ού γίγνεται συγκρίσει πρώτου· τοιούτον δέ τό μικρομερέστατον καί λεπτότατον αν ε ΐ η των σωμάτων διόπερ οσοι πυρ αρχήν τιθέασι μάλιστα ομολογουμένως τω λ ό γ φ τούτω λ έ γ ο ι ε ν und M e t a p h . II, 4. έτεροι δέ πϋρ φασιν είναι τό δν τοϋτο καί τό έν έξ ού τά όντα είναί τε καί γεγονέναι. Denn beide Stellen können gar leicht den Gedanken erregen, als habe Herakleitos an eine elementarische Grundgestalt des Feuers gedacht, was vielleicht von dem Pythagoreer Hippasos gelten kann, der freilich auch hier ( M e t a p h . I, 3) mit Herakleitos zusammensteht, von diesem selbst aber niemals; wie denn überall der Begriff eines στοιχείον den man wol aus Empedokles und Anaxagoras auffassen kann gar nicht in seiner Gedankenreihe vorkommt. Schon A l e x . A p h r o d . zu M e t a p h . II, 4. drükt sich über das Verhältniß des Feuers richtiger aus „Alii v e r o n a t u r a l e s a u c t o r e s i g n e m u n i et e n t i s u b s t e r n e b a n t , u t H e r a c l i t u s . " Geleitet ist freilich der Commentator hier durch andere Stellen des Aristoteles selbst, der anderwärts nach richtigem Ausdrükken sucht, wie P h y s . 1,6. wo er diese Naturforscher beschreibt als μίαν τινά φύσιν είναι λέγοντες τό παν, und wo er was sie so ansehn als gleichsam die Grundform des Ganzen τό ύ π ο κ ε ί μ ε ν ο ν nennt. Allein auch in solchen Stellen begeht er, ohnerachtet des von ihm 447 selbst | anerkannten Unterschiedes zwischen Feuer auf einer und Wasser und Luft auf der andern Seite dasselbe Unrecht; und scheint deshalb auch anderwärts wieder dem Thaies und Anaximenes die Ansicht des Herakleitos von dem Fließen aller Dinge unterzuschieben. So de C o e l . III, 1. Ol δέ τά μέν άλλα πάντα γίνεσθαί τέ φασι καί ρειν,^είναι δέ παγίως ουδέν, έν δέ τι μόνον ύπομένειν, έξ ού ταΰτα πάντα μετασχη89 ματίζεσθαι πέφυκεν οπερ έοίκασι βούλεσθαι λ έ γ ε ι ν άλλοι τε πολλοί καί 'Ηράκλειτος ό Έ φ έ σ ι ο ς , wo man freilich nicht weiß wer diese vielen Andern sind, wenn nicht die übrigen alten Physiologen, wie auch S i m p l i c i u s (f. 138. 139) erklärt, bemerkend dabei, wie er denn immer

4—6 Aristoteles: Metaphysica II 4, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 500 b (Q: έτεροι δέ πϋρ, οί δ' αέρα φασΐν [...]); ed. Jaeger S. 54 (1001 a) 9 f Aristoteles: Metaphysica I 3, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 486 d: Ίππασος δέ πϋρ ό Μεταποντΐνος καί 'Ηράκλειτος ό Έφέσιος; ed. Jaeger S. 9 (984 a) 12—15 Alexandros: Commentaria in Aristotelis De prima philosophia [zu 11 4], Ed. Aldina S. 76 (Q: authores [...] uni atque); vgl. In Aristotelis Metaphysica commentaria, ed. Hayduck, CAG I, S. 224: άλλοι δέ των φυσικών πϋρ ύπέβαλον τω ένι και τω δντι, ώς 'Ηράκλειτος. 16—20 Aristoteles: Physica I 6, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 201 d; ed. Ross 189 b 24—28 Aristoteles: De coelo [caeloj III 1, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 292 b; De Caelo, ed. D. J. Allan, Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1955, 298 b 30—5 Simplikios: Commentarii in quatuor Aristotelis libros De coelo [zu III 1], [Ed. Aldina], Venedig 1526, S. 138 ν — 139 r (Q: weist fälschlich die Paginierung 239 auf); In Aristotelis De caelo commentaria, ed. 1. L. Heiberg, CAG VII, Berlin 1894, S. 556

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wenigstens auf richtigem Wege ist „dieses Eine sei dann zwar ein Ungewordenes, aber doch nicht ein Unbewegtes wenn doch aus seiner Verwandlung die andern Dinge entstehen sollen," und auch noch von dem Herakleitos selbst sagend, „er habe sein κοινόν ύ π ο κ ε ί μ ε ν ο ν als das einige ungewordene angesehen." Warum ist aber der trefliche Mann nicht einen Schritt weiter gegangen, und hat bemerkt, daß dem Herakleitos das Feuer doch auch müsse ein Gewordenes sein, weil es immer werde aus der Zurükwandlung aller Dinge? Dann würde er gesehen haben, daß es beides ist in verschiedener Hinsicht, ein Gewordenes | und 448 ein Ungewordenes, so nemlich daß Herakleitos, ausgehend davon daß nichts bestimmt wahrzunehmen ist als Werdendes und Fließendes, genöthiget gewesen für das wahrhafte Sein, von welchem alles Werdende nur verschiedene Gestalten sind, sich ein darstellendes Bild zu borgen von dem Werdenden, und dazu eben das Feuer gewählt habe. Und diese Einsieht lag dem Simplicius desto näher, da er sich an Einer Stelle wenigstens über den Grund dieser Wahl des Herakleitos ganz richtig erklärt wenn er sagt (in P h y s . f. 8.) „Herakleitos habe dabei gesehen auf die Lebenerzeugende und bildende Kraft des Feuers;" denn eben weil es Leben und Bewegung hervorbringt war es ihm zunächst das Bild des zum Grunde liegenden Seins, welches die Quelle alles Werdens ist. Eben so erscheint es auch in der stoischen Theorie, nach C i c e r o (de n a t . D e o r . I I I , 14) der zwar nicht bestimmen will ob es beim Herakleitos eben so gewesen „ O m n i a v e s t r i , B a l b e , s o l e n t ad i g n e a m v i m r e f e r r e , H e r a c l i t u m , ut o p i n o r , s e q u e n t e s . — V o s a u t e m i t a d i c i t i s , o m n e m v i m e s s e i g n e m ... id v i v e r e , id v i g e r e q u o d c a l e a t . " Ueberdies kannte wenigstens S i m p l i c i u s die Hauptstelle, in welcher 90 Herakleitos am allgemeinsten, und vielleicht auch zuerst in seinem Werke, sich über die Bedeutung und den Werth des Feuers in dieser Hinsicht ausläßt; denn er | führt das wesentliche daraus an (in l i b r . de 449 c o e l . f. 68. b) εν οϊς φ η σ ι μ έ τ ρ α άνάπτων, και μ έ τ ρ α σ β ε ν ν ύ ς . Denn Niemand wird wol zweifeln, daß dies aus derselben Stelle genommen sei, welche wir schon oben (n. 25) angeführt, damals aber diesen Theil

17f Simplikios: In Aristotelis De physico [zu 1 2], Ed. Aldina S. 8 r—u; ed. Diels, CAG IX, S. 24 2 1 - 2 5 Cicero: De natura deorum III 14, Opera Bd. 4, S. 582; III 35 ed. Pease Bd. 2, S. 1030—1032. Der Gedankenstrich steht für die Auslassung „quem ipsum non omnes interpretantur uno modo, qui quoniam, quid diceret, intellegi noluit, omittamus", die Punkte für die Auslassung „itaque et animantis, cum calor defecerit tum interire: et in omni natura rerum". 29—31 Simplikios: In Aristotelis libros De coelo [zu I 10], Ed. Aldina S. 68 b (= v); vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 294 3 3 - 2 Oben 145,25-3; Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 711; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 84

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derselben übergangen haben. Dort freilich, bei Clemens steht άπτόμενον μέτρα και άποσβεννύμενον μέτρα und da Simplicius statt dessen nicht nur das active sezt, sondern auch die männliche Endung, die weder auf etwas in seiner Rede gehn kann noch sich auf πυρ beziehen läßt: so könnte man glauben, er habe eine ähnliche 5 zwar aber doch andere Stelle im Sinne. Allein da gerade über diesen Theil der Herakleitischen Lehre soviel von Allen geredet worden ist, und sich nirgend eine Angabe findet, wodurch jene männliche Endung könnte gerechtfertiget werden: so muß man entweder eine Corruption vermuthen, oder, da ohnedies höchst unwahrscheinlich 10 ist, daß Simplicius das Werk des Herakleitos selbst besessen habe, muß man glauben troz des έν οίς φησι, daß er nur aus einer mittelbaren Quelle geschöpft habe. Denn schon aus jener Stelle (n. 25.) geht ganz offenbar hervor, daß dem Herakleitos das Feuer in einem ganz andern Sinne Princip der Dinge | 15 450 war als den andern beiden Luft oder Wasser, daß er nicht ausging von der Vorstellung eines gemeinsamen Elementes aus welchem alles müsse entstanden sein, oder wovon, als von einem verwandten zwar, doch aber verschiedenen, die Dinge sich nähren: denn weder von Thaies noch Anaximenes weiß man, daß sie gesagt hätten, die Welt sei nichts anderes als 20 ein bald so bald anders sich zeigendes Wasser oder Luft: wie Herakleitos dort sagt 91

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„die Welt, dieselbige aller, hat weder der Götter noch der Menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und wird sein immerlebendes Feuer, mit Maßen sich entzündendes, mit Maßen sich ver- 25 löschendes." Was die Worte τον αυτόν απάντων bedeuten ist allerdings zweifelhaft. P l u t a r c h o s führt den Anfang derselben Stelle (de a n i m . p r o c r . p. 1014) ohne diese Worte an κ ό σ μ ο ν τ ό ν δ ε , φησιν 'Ηράκλειτος, ο ϋ τ ε τ ι ς θ ε ώ ν ο υ τ ' α ν θ ρ ώ π ω ν έ π ο ί η σ ε ν . Allein er kann hier leicht abgekürzt haben, weil jene Worte 30 zu seiner Absicht gar nicht gehörten. Beobachtet man sie aber für sich, so können sie einen zwiefachen Sinn haben. Sie können, άπάντων als Neutrum angenommen, eben jenes ausdrükken sollen, was so viele spätere Zeugnisse dem Herakleitos zuschreiben, er habe nur Eine Welt angenom|men, nicht mehrere. „Die Welt, die 35 Eine und selbige aus allen Dingen." Allein hiezu müßte man voraus5 läßt:] läßt;

21 wie] so DV; OD: nein

1 4 - 2 6 Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 711; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 84 — Oben 145,25 — 3 27—30 Plutarchos: De animae procreatione e Timaeo, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1014; Moralia Bd. 6/1, S. 148

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sezen, nicht nur daß Herakleitos sich selbst in Opposition gegen diejenigen gesezt, die mehrere Weltsysteme annahmen, sondern auch, daß er in seinem Werke schon ehe er die Lehre vom Feuer abhandelte jenen Widerspruch ausgesprochen habe, was kaum denkbar ist, da er nur auf seiner Meinung von den Gestirnen beruht. Sie können aber auch, άπάντων als Masculinum, heißen „die Welt, dieselbige für alle Menschen," und so auf den Saz gehen, daß die Welt der Schlafenden eine andere Welt ist als die der Wachenden. Wer nun nicht glauben will daß dieser Saz jener Hauptlehre vom Feuer vorangegangen, dem bleibt wol nichts übrig als anzunehmen, daß auch Clemens hier nicht aus dem Werke des Herakleitos unmittelbar geschöpft habe, sondern aus einem Commentator der in Bezug auf sein eigenes vorhergegangenes jene Worte eingeschaltet. Das άπτόμενον μέτρα και άποσβεννύμενον μέτρα erklärt aber gewiß Jeder der unsere Stelle für sich betrachtet von den ununterbrochen nach verschiedenem Maaß vor sich gehenden Verwandlungen, indem nach einem andern Maaß das Feuer sich entzündet, wo Erde unmittelbar | in 452 Feuer übergeht, nach einem andern wo Erde in Meer, denn auch das ist 92 ja schon ein partielles Entzünden, oder wo Meer in Feuer; und so auch umgekehrt vom Verlöschen. Auch kann nur in diesem Sinne die Welt gleich gesezt werden dem so nach ewigen Gesezen wechselnden Feuer. In so fern nun das Feuer frei erscheint, als Flamme vorzüglich oder als πρηστήρ, ist es eben so ein gewordenes vergehendes Ding wie jedes andere. Daher auch Manche fleißig und mit Recht erinnern, das Feuer in dem höhern Sinne sei nicht die Flamme, sondern die θερμή ούσία oder die ζέουσα ούσία. Daher auch bei Cicero die vorsichtigen Ausdrükke, die er doch wahrscheinlich aus Stoikern übersezt, i g n e a vis, und id v i v e r e q u o d c a l e a t . Denn nur in so fern es gebunden aber doch jenem ähnlich als Wärme oder Empfänglichkeit für Wärme allen Dingen einwohnt als ihre bewegende belebende Kraft und sie alle durchdringt, war es ihm das Schema von dem Leben und Sein der Welt, die Grundform aller Dinge. Weil es nun so als die bewegende alles belebende und durchdringende Kraft gedacht wurde: so konnten spätere vorzüglich christliche Berichterstatter gar wol sagen, Herakleitos sehe das Feuer als Gott an, wie C l e m e n s thut ( C o h o r t . V, p. 55) Παρμενίδης δέ ... θεούς εισηγήσατο πϋρ καί γ ή ν θάτερον δέ αύτοιν μό|νον τό πυρ 453 θεόν ύπειλήφατον "Ιππασός τε ό Μεταποντΐνος και Ηράκλειτος ό Έφέσιος. Wenn er aber hernach hinzufügt τό γαρ πυρ τούτο, welches

2 6 - 2 8 Oben 189,21-25; Cicero: De natura deorum III 14, Opera Bd. 4, S. 582; III 35 ed. Pease Bd. 2, S. 1030—1032 35—2 Clemens: Cohortatio ad gentes 5, Opera ed. Potter S. 55. 56 f Q : αύτοιν μόνοιν, τό πϋρ [...]); vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 70

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nemlich Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς als ά ρ χ έ γ ο ν ο ν verehre, έτερον Ή φ α ι σ τ ο ν ώνόμασαν, so übersieht er den Unterschied zwischen dem zum Grunde liegenden Feuer und dem erscheinenden; denn nur lezteres haben die Dichter vom Homeros an Hefästos genannt. Man sehe H e r a c l . A l l e g .

Horn. p. 446: δια τοϋτο την όξυτάτην φλόγα συνεχώς Ή λ ι ό ν τε και Δία προσαγορεύεν τό δ' έπι γης πυρ Ήφαιστον, έτοίμως άπτόμενόν τε και σβεννύμενον, welche Stelle noch überdies einen Herakleitischen Geschmak hat. Gewiß wenigstens hat Herakleitos selbst das 93 Feuer in jenem höheren Sinne und das in den höheren Räumen sich entwikkelnde Licht als dessen reinste Erscheinung Zeus genannt. Darum nennt er jene Himmelsgegend (S. oben n. 31. S. 396) die Grenze des αίθριου Διός und wo er die Anordnung der Welt und die Folge der Dinge als ein Spiel des Feuers betrachtet, da ist es Zeus welcher spielt. So ist gewiß auch viel Herakleitisches enthalten in einer, nur in Bezug auf die Ableitung des δίκαιον und auf die Uneinigkeit der Anhänger des Herakleitos scherzhaften, Stelle des P i a t o n ( C r a t y l . p. 412.) „daß es in dem beständigen Wandel ein durch alles andere hindurchgehendes gebe, wel454 ches auch | das schnellste und feinste sei; denn es könnte nicht durch alles Seiende gehen, wenn es nicht so fein wäre, daß nichts es fassen könne, und so schnell, daß in Vergleich mit ihm alles andere ruhe." Man sieht hieraus wie jene zu materielle Darstellung ( A r i s t . M e t a p h . 1,7) entstanden ist, daß das Feuer seine Stelle erhalte als das στοιχειωδέστατον και μικρομερέστατον σωμάτων. Auch gewiß auf diese platonische Stelle sich gründend berichtiget S i m p l i c i u s die andere oben angeführte des A r i s t o t e l e s (de C o e l . III, 1) welche das Feuer als das unter allen Umwandlungen bleibende, ύπομένον, darstellen wollte, daß es keinesweges ein ruhendes sei, sondern vielmehr das eigentlich sich bewegende und umwandelnde. Auch sieht man wol nirgend so deutlich als hier, wie die Vorstellung des Herakleitos vom Feuer zusammenhängt mit seiner Hauptanschauung von der allgemeinen Bewegung. Auch jener Unterschied zwischen dem ewigen immerlebenden Feuer und dem erscheinenden kommt im Verfolg bei Piaton ausdrüklich vor, wo gesagt wird nicht die Sonne sei das gesuchte, sondern αυτό τό πϋρ oder vielmehr αύτό τό 11 31.] 30.

21 I, 7] so DV; OD: I, 17

23 σωμάτων] σωμάτων

4—7 Herakleides: Allegoriae Homert, Opuscula mythologica, ed. Gale, S. 446; Heraclite: Allegories d'Homere, ed. Buffiere S. 32 11 f Oben 158,8 — 12; Strabon: Res geographica I 1, 1, ed. Almeloveen S. 7f; vgl. ed. Jones Bd. 1, S. 10 1 6 - 2 0 Platon: Kratylos 412 d, Opera Bd. 3, S. 289; Werke Bd. 3, S. 486 2 1 - 2 3 Aristoteles: Metaphysica 1 7, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S.490 d; I 8 ed. Jaeger S. 22 (988 b~989a) - Oben 187,31-4. 24—28 Simplikios: In Aristotelis libros De coelo [zu III 1] Ed. Aldina S. 148 r; vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 561 2 4 f Oben 188,24-28; Aristoteles: De coelo [caeloj 111 1, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 292 b; ed. Allan 298 b

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θερμόν τό εν τφ πυρι ενόν. Derselbe findet sich ebenfalls leise angedeutet in einem Herakleitischen Fragment bei C l e m e n s |

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40. Ή , ώς φησιν Ηράκλειτος, τό μή δ υ ν ο ν πώς άν τ ι ς λ ά θ ο ι ; ( P a e d . I I , 10. ρ. 229) wo τις λάθοί verdorben ist und τί, wie G a t a k e r (ad A n t . p. 2) will, nicht sprachmäßig; richtiger wäre τινά „das nicht untergehende wie könnte das jemand verborgen sein?" wenn man nicht aus Clemens vorhergehenden Worten λήσεται — τις, auch hier lesen will τις λάθοίτο mit wenig verschiedenem Sinn.

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10 Denn indem er das Feuer in diesem Sinne das nie untergehende nennt, sezt er es gewiß der Sonne entgegen als dem untergehenden. Auch die vorhergehenden Worte des C l e m e n s selbst bestätigen dies λήσεται μεν γάρ ίσως τό αισθητόν φως τις· τό δέ νοητόν αδύνατον έστιν (wenn man nicht lesen muß άδυτον in dem Sinne, nicht untergehend). 15 Weil nun aber dieses Feuer, welches Clemens hier ganz in dem Sinne der späteren Philosophen ein φως oder πΰρ νοητόν nennt, wie anderwärts ein δυνάμει πυρ, sich nicht trennen läßt von der unmittelbaren Wahrnehmung des Feuers, in welcher jene ούσία του παντός mit der mindesten Beimischung von Verlöschung erscheint: so ist nicht unrecht 20 jene im Stobäos aufbehaltene den Worten nach Aristotelisirende Erklärung, daß die ουσία του παντός sei ein αιθέριο ν σώμα, und in Bezug auf die Gesamtheit der Verwandlungen ein σπέρμα της τών πάντων 456 γενέσεως. In demselben Sinne beschreibt auch Herakleitos selbst das Verhältniß des Feuers zu den Dingen so: 25

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41. Π υ ρ ό ς ά ν τ α μ ε ί β ε τ α ι π ά ν τ α , φησιν ό Ηράκλειτος, και πυρ ά π ά ν τ ω ν , ώ σ π ε ρ χ ρ υ σ ο ΰ χ ρ ή μ α τ α και χ ρ η μ ά τ ω ν χ ρ υ σ ό ς . „Gegen Feuer wird alles umgesezt," sagt Herakleitos, „und Feuer gegen alles, wie gegen Gold alle Dinge, und gegen alle Dinge Gold." ( P l u t . de EI ap. D e l p h . p. 388.) Dasselbe kommt auch in einer kürzeren Formel vor:

2—4 Clemens: Paedagogus II 10, Opera ed. Potter S. 229 (Q: ώς φησιν [...] δΰνον ποτέ, πώς); vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 298 4f [Thomas Gataker: Annotationes ad Marcum Aurelium Antoninum, in:] Marci Antonini Imperatoris de rebus suis, sive de eis quae ad se pertinere censebat, libri XII. Locis haud paucis repurgati, suppleti, restituti [...] ac commentario perpetuo explicati atqe illustrati, studio operaqe Thomae Gatakeri, Utrecht 1697, S. 2 12 f Clemens: Paedagogus II 10, Opera ed. Potter S. 229; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 298 20—23 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 6, ed. Heeren Bd.l, S.178; I 5 ed. Wachsmuth Bd.l, S. 78 - Vgl. oben 175,11-17 25 - 29 Plutarchos: De Ei [EI] apud Delphos 8, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 388; vgl. Moralia Bd. 3, S. 10

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πυρός γαρ δή κατά τον φυσικό ν Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν αμοιβή τά πάντα γίνεται. H e r a c l . a l l e g . h o m . p. 4 6 8 . wie wir schon oben aus S i m p l i c i u s hatten πυρός γαρ άμοιβήν είναί φασιν, und wie auch bei E u s e b i u s steht ό δέ Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς αρχήν των πάντων έφη είναι τό πυρ, έξ ου τά πάντα γίνεται και εις ο άναλύεται άμοιβήν γαρ είναι τά πάντα, wo αύτου zu ergänzen ist ( P r a e p . X I V , 3.)

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Und gewiß war eigentlich eben so gemeint was Aristoteles vielleicht auch nicht ohne Mißverstand P h y s . I I I , 5. sagt αδύνατον τό παν καν ή πεπερασμένον ή είναι ή γίνεσθαι εν τι αυτών, von den Elementen nemlich ist die Rede, ώσπερ Η ρ ά κ λ ε ι τος φησιν ά π α ν τ α γ ί ν ε σ θ α ί π ο τ ε π υ ρ . | 457

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und was S i m p l i c i u s zu dieser Stelle in die Formel auflöset ώς ' Η ρ ά κλειτος εις πυρ λέγων και έκ πυρός τά πάντα. Sehr gut nemlich konnte unser Ephesier der gewöhnlichen Ansicht, welche alles materiel- 15 ler auffaßt, sich anschmiegend sagen daß jegliches Quantum Materie die Reihe der Verwandlungen durchlaufend sich auch einmal als Feuer darstelle, und in diesem Sinne „alles einmal Feuer werde." Aristoteles aber scheint die Sache so verstanden zu haben, als sollte irgendwann die Gesamtheit der Dinge zugleich in Feuer aufgehn. So scheint der Zusam- 20 menhang es fast nothwendig zu ergeben; auch erklärt T h e m i s t i u s ( P a r a p h r . P h y s . 33. b) eben so ώσπερ 'Ηράκλειτος τό πυρ οΐεται μόνον στοιχεΐον, και έκ τούτου γεγονέναι τό π ά ν εντεύθεν γάρ ήμάς και δεδίττεται, συμφλεγήσεσθαί ποτε τό παν άπειλών, έπειδή διαλυθήσεται εις τοΰτο έξ ου και γέγονε. Wollte man einwenden, der Paraphrast sage hier mehr als sein Autor: so scheinen andere Aristotelische Stellen dasselbige nur noch bestimmter auszusprechen. Von den Stoikern läßt sich kaum bezweifeln, daß sie solche abwechselnde Weltbildungen aus Feuer und Weltauflösungen in

4 ό] „b 1 f Herakleides: Allegoriae Homert, Opuscula mythologica, ed. Gale, S. 468; vgl. Heraclite: Allegories d'Homere, ed. Buffiere S. 53 Ii Oben 176,34—5; Simplikios: In Aristotelis De physico [zu I 2], Ed. Aldina S. 6 a (= r); vgl. ed. Diels, CAG IX, S. 24 4—7 Eusebios: Praeparatio evangelica XIV 3, ed. Viger S. 720; SC 338, S. 50 9—12 Aristoteles: Physica III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 215 c; vgl. ed. Ross 205 a 13 £ Simplikios: In Aristotelis De physico [zu III 5], Ed. Aldina S. 111 v; ed. Diels, CAG IX, S. 480 21—26 Themistios: In Aristotelis Physica paraphrasis [zu III 5], Opera ed. Trincavelli [Ed. Aldina] S. 33 b (= v); vgl. ed. Schenkel, CAG V/2, S. 86 f

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Feuer angenommen haben. Zeugnisse hiervon anzuführen ist eigentlich nicht dieses Ortes. Doch sei uns eines vergönnt, | weil es gar sehr an 458 Herakleitischen Ursprung mahnt, aus E u s e b i o s ( P r a e p . X V , 18.) 'Αρέσκει δέ τοις πρεσβυτάτοις των άπό της αίρέσεως ταύτης έξαεροΰσθαι πάντα κατά περιόδους τινάς τάς μεγίστας εις πΰρ αΐθεριώδες άναλυομένων πάντων ... άρέσκει γαρ τοις Στωϊκοΐς φιλοσόφοις την 96 ολην ούσίαν εις πΰρ μεταβάλλειν, οίον εις σπέρμα, και πάλιν έκ τούτου αύτήν άποτελεΐσθαι την διακόσμησιν οϊα τό πρότερον ην. Eben so schreibt S i m p l i c i u s (in A r i s t . P h y s . V, f. 207. b) den Stoikern mehrere auf einander folgende κοσμοποιΐας zu, so daß christliche Mißverständnisse um so weniger zu besorgen sind als die Christen sich am meisten über diese Weltenfolge spöttelnd auslassen. Man sehe nur T a t i a n u s ( O r a t . p. 12, 23.) J a P l u t a r c h o s (de EI ap. D e l p h . II, p. 389) bestimmt gar das Zeitverhältniß der διακόσμησίς, bestehenden WeltOrdnung, zu der έκπύρωσίς, dem Aufgelöstsein des Ganzen in Feuer, daß nemlich jene zu dieser sich verhalte wie drei zu eins, und führt zur Bezeichnung beider eine Terminologie als stoisch an, daß nemlich die διακόσμησις von ihnen κόρος genannt werde, die έκπύρωσίς aber χρησμοσύνη, Worte die auch Philo (s. oben S. 430) als der Herakleitisehen Meinung befreundeten angehörig anführt, und die offenbar sehr alt und wahrhaft Herakleitisch klingen. Und kurz vorher in | derselben 459 Schrift braucht er die oben n. 41. angeführten Worte als eben diese Meinung darstellend, daß die das Ganze bildende Ursach bald aus sich selbst die Welt, bald wieder aus der Welt sich selbst herstelle. J a alle Späteren einstimmig schreiben diese Lehre von periodischen Weltzerstörungen durch Feuer dem Herakleitos zu, und auch wo sie als stoisch vorkommt wird sie auf ihn zurükgeführt. So meint es gewiß A l e x . A p h r o d . (in M e t e o r o l . 1, f. 90) ήγοΰνται γαρ σημείοις τούτοις χρώμενοι έκπύρωσιν γίνεσθαι του όλου, ώς Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς μέν προ αύτου και οί της έκείνου δόξης, οί δέ άπό της στοάς μετ' αυτόν. Denn wiewol er vorher die έκπύρωσις etwas schwankend als μεταβολή και φθορά beschreibt: so erhellt doch seine Meinung sehr deutlich aus einer Stelle

3 - 8 Eusebios: Praeparatio evangelica X V 18, ed. Viger S. 820; SC 338, S. 318. 320 9 f Simplikios: In Aristotelis De physico [zu V 4], Ed. Aldina S. 207 b (= v); ed. Diels, CAG X, S. 886 13 Tatianus: Oratio ad Graecos 5 und 9, Ed. Oxoniensis S. 12. 23; 6 und 10 ed. Otto S. 26. 44 f 1 3 - 1 9 Plutarchos: De Ei [El] apud Delphos 9, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 389; vgl. Moralia Bd. 3, S. 11 f 19 f Oben 178,23 - 27; Philon: Legis allegoriarum liber II, Omnia opera S. 62; vgl. III 3, Opera ed. Richter Bd. 1, S. 128 21—24 Philon: Legis allegoriarum liber II, Omnia opera S. 62; vgl. III 3, Opera ed. Richter Bd. 1,8.128 22 Oben 193,25-29 2 7 - 3 2 Alexandras: [In Aristotelis Meteorological υπόμνημα εις τα μετεωρολογικά, Ed. Aldina S. 90 r; ed. Hayduck, CAG III 2, S. 62

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von ihm welche S i m p l i c i u s (in A r i s t . de c o e l . f. 68. b) anführt, wo er verkehrt genug, wie auch Clemens wahrscheinlich ihm folgend thut, dem Herakleitos die Meinung von zwei Welten, einem κόσμος νοούμε97 νος und einem κόσμος γενητός και φθαρτός zuschreibend sagt, ungeworden nenne Herakleitos nur τά άπλώς όντα και την τούτων τάξιν, καθ' ήν έπ' άμφότερα έν μέρει ή του κόσμου μεταβολή δτε μέν επί πυρ οτε δ' έπί τοιούτον κόσμον, wo έν μέρει wie überall nur heißen kann abwechselnd der Zeit nach, nicht theilweise zugleich. Eben so be460 stimmt erklärt sich S i m | p l i c i u s selbst an derselben Stelle και ό Η ρ ά κλειτος δέ ποτέ μέν έξάπτεσθαί φησι τόν κόσμον, ποτέ δέ έκ πυρός αύθις συνίστασθαι αύτόν, κατά τινας περιόδους χρόνων, mit dem Zusaz ταύτης της δόξης ύστερον έγένοντο οί Στωικοί· und anderwärts in P h y s . f. 257. b. wo seine Ausdrükke aber nicht ganz so bestimmt sind, fügt er hinzu και ύστερον οί από της στοάς; und den Unterschied zwischen dieser Meinung und der christlichen von der Weltzerstörung sezt er in beiden Stellen nur so fest έφιστάνειν δέ τούτοις δέομαι, οτε ούδείς των παλαιών λέγεται την φθοράν τοΰ κόσμου τοιαύτην ειπείν, οποίαν οί νΰν φασιν, ώς φθαρέντα μηκέτι αύθις έπανήκειν, und γίνεσθαι δέ και φθείρεσθαι τόν ένα κόσμον ώς μηκέτι είναι κόσμον, ούδένα των φυσιολόγων ΐ σ μ ε ν λέγοντα. Es lohnt kaum noch nach diesen auch den D i o g e n e s noch anzuführen (IX, 8) γεννάσθαί τε αύτόν έκ πυρός και πάλιν έκπυρουσθαι κατά τινας περιόδους έναλλάξ τόν σύμπαντα αιώνα, und ähnliches d e p l a c . p h i l . I, 3. Hieher ist auch noch zu rechnen eine Stelle des Lucianus, welche mit diesen Zerstörungen die spät ersonnene Schwermuth des Mannes in Verbindung bringt, und ihm den Ausdruk έκπύρωσις selbst gewiß mit Unrecht in den Mund legt, Ή γ έ ο μ α ι γάρ, ώ ξένε, τά ανθρώπινα πρήγματα όϊζυρά και δακρυώδεα, και ούδέν αύτέων ο, τι μή

23 έναλλάξ] έναλλάξ 1—7 Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu I 10], Ed. Aldina S. 68 b (= v); vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 294 9 - 1 2 Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu I 10], Ed. Aldina S. 68 b (= v) (Q: ταύτης δέ [...]); vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 294 13 f Simplikios: In Aristotelis De physico [zu VIII1], Ed. Aldina S. 257 b (= v); ed. Diels, CAG X, S. 1121 16—19 Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu 110], Ed. Aldina S. 69 r (Q: weist fälschlich die Paginierung 71 auf); vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 295 19 f Simplikios: In Aristotelis De physico [zu VIII1], Ed. Aldina S. 258 r; ed. Diels, CAG X, S. 1122 2 1 - 2 3 Diogenes Laertios IX 8, ed. Meibomius S. 553; ed. Long Bd. 2, S. 440 23 f Plutarchos: Placita philosophorum I 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 877: άρχήν των όλων τό πΰρ· έκ πυρός γάρ τά πάντα γίνεσθαι, και εις πϋρ πάντα τελευταν λέγουσι [nämlich Herakleitos und Hippasos] (es folgt das Zitat unten 198,5 f); vgl. Moralia Bd. 5/2.1, S. 57 24—4 Lukianos: Vitarum audio 14, edd. Hemsterhuis/Reitz Bd.l, S.553f; vgl. ed. MacLeod Bd. 2, S. 35

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έπικήριον | τω δή οικτείρω τε σφέας και οδύρομαι - και τά μεν παρ- 461 εόντα ού δοκέω μεγάλα, τά δ' ύστέρφ χρόνφ έσόμενα πάμπαν άνιηρά - λέγω δέ τάς έκπυρώσιας και την του ολου συμφορήν. ( V i t . a u c t . ) Und bei E u s e b i o s ( P r a e p . X I V , 3) wo auch die Zeitbestimmung auf ihn zurükgeführt wird ό δέ Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ... έφη ... χρόνον 98 τε ώρίσθαι της των πάντων εις τό πυρ αναλύσεως καί της εκ τούτου γενέσεως. Was Wunder also wenn auf so viele und so deutliche Zeugnisse gestüzt alle Geschichtschreiber der Philosophie dem Herakleitos diese periodisch wiederkehrenden gänzlichen Auflösungen der Welt in Feuer zuschreiben? Dennoch scheint die Sache noch neuer Erwägung sehr werth und großen Zweifeln unterworfen zu sein. Denn da, wie wir sehen, in seinem System ganz nothwendig liegt ein immerfortgehendes mit dem entgegengesezten Prozeß zugleich geseztes Uebergehen aller scheinbar bestehenden Dinge in Feuer; wie sollte er doch neben diesem allmähligen und theilweisen noch ein zweites allgemeines angenommen haben? Dies muß Jeder höchst unwahrscheinlich finden, der dabei bedenkt, daß durch dieses Aufgelöstsein der Welt in Feuer, wenn es nun gar nach den Stoikern den vierten Theil der gesammten Zeit einnehmen soll, der ewige Fluß der Dinge, die Hauptanschauung des Herakleitos, um eben so viel gehemmt wird, und daß eben so lange auch | das Zusam- 462 mensein beider Wege nach oben und nach unten, und also auch die Vereinigung der Gegensäze, ebenfalls ein Hauptpunkt Herakleitischer Philosophie, aufgehoben ist. Man bedenke, daß wenn neben jenem unläugbaren immerfortgehenden Uebergang der Dinge in Feuer auch dieser periodische in dem Werke des Herakleitos irgend deutlich wäre beschrieben worden, man sich wundern müßte daß sich keine Stelle erhalten die sich nur von diesem periodischen erklären ließe, oder die irgend den Unterschied zwischen beiden beträfe, sondern daß, wie schon erwähnt, Plutarchos den periodischen Uebergang aus der Stelle n. 41. beweiset, welche offenbar nur von dem immerfortgehenden Wechsel redet; eben so S i m p l i c i u s (in A r i s t . de c o e l . f. 68. b.) nur aus den Worten „μέτρα άνάπτων και μέτρα σβεννύς." Wenn nun gar der Mißverstand so nahe liegt, aus dem die Auslegung kann entstanden sein! Denn wie leicht konnte eben jenes μέτρα das auf den Grad und den räumlichen Umfang des Verlöschens und Entzündens ging, fälschlich von der Zeit verstanden 99

2 μεγάλα] μέγαλα 4—7 Eusebios: Praeparatio evangelica XIV 3, ed. Viger S. 720; SC 338, S. 50 — Der Text bildet die Fortsetzung des oben 194,4—7 angeführten Zitats. 28—30 Oben 193,25—29; Plutarchos: De Ei apud Delphos 8, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 388; vgl. Moralia Bd. 3, S. 10 31 f Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu I lOj, Ed. Aldina S. 68 b (= v); vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 294

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werden! Und wenn Herakleitos sagte, alle Körper würden einmal Feuer, wie leicht war es statt dessen zu verstehen, die ganze Welt würde einmal Feuer werden, zumal in seiner dunkeln ungenauen Sprache! Sehen wir doch noch, recht wie es s c h w a n k e n d e Ausleger zu machen pflegen, beides neben einander stehen p l a c . p h i l . I, 3. πάλιν δε τον κόσμον και 5 πάντα τά σώματα ύπό πυρός άναλύεσθαι έν τ η έκπυρώσει. J a dieser Ausdruk selbst, έκπύρωσις und έκπυροΰσθαι, der gar nicht Herakleitisch ist, sondern Aristotelisch, und ganz allgemein, eben wie έξυγραίνεσθαΐ, und έξύγρανσις vorkommt, also bei den ersten Commentatoren des Herakleitos vielleicht nur den Weg nach oben bezeichnen sollte, wie 10 er mit dem nach unten zugleich besteht, ist erst später zu einem technischen Ausdruk für diese periodische Verwandlung umgedeutet worden, und wird als solcher allgemein den Stoikern zugeschrieben. So C l e m e n s nachdem er den Herakleitos angeführt hatte S t r o m . V, 1. οϊδε γαρ και ούτος έκ της βαρβάρου σοφίας μαθών την δια πυρός κάθαρσιν των 15 κακώς βεβιωκότων, ην ύστερον έκπύρωσιν έκάλεσαν οί Στωικοί. Eben so S i m p l i c i u s (de P h y s . f. 111. b) ε ΐ ε ν δ' αν και o i Στωικοί ταύτης της δόξης· ή γάρ έκπύρωσις τοιοϋτόν τι αινίττεται. Auch finden sich noch Spuren, daß diese Vorstellung nicht allgemein für Herakleitisch gegolten. So beschließt M a x i m u s T y r i u s die oben (S. 407) 20 angeführte Stelle mit den Worten Διαδοχήν όρας βίου και μεταβολήν σωμάτων, καινουργίαν του ολου, so daß dieser Schriftsteller keine andere Erneuerung anerkannt hat als | eben die theilweise erfolgende. Noch merkwürdiger ist eine Stelle bei A n t o n i n u s der freilich anderwärts (III, 3) auch sagt „'Ηράκλειτος περί της του κόσμου έκπυρώσεως το- 25 σαϋτα φυσιολογήσας," hier aber ( Χ , 7) in den Worten ώστε και ταύτα άναληφθήναι εις τον του ολου λόγον, είτε κατά περίοδον έκπυρουμένου, είτε άϊδίοις άμοιβαις άνανεουμένου ganz deutlich der stoi-

26 Χ , 7] V, 32 5 f Plutarchos: Placita philosophorum I 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 877; vgl. Moralia Bd. 5/2.1, S. 57 1 3 - 1 6 Clemens: Stromata V 1, Opera ed. Potter S. 649: (Q: [...] βαρβάρου φιλοσοφίας [...] βεβιωκώτων [...]); Opera ed. Dindorf Bd. 3, S.8 f 17£ Simplikios: In Aristotelis De physico [zu III 5], Ed. Aldina S. Ill b (= ν); ed. Diels, CAG IX, S. 480 2 0 - 2 2 Maximus Tyrius: Dissertationes XLI 4, ed. Markland S. 491; ed. Trapp S. 334 — Schleiermacher bezieht sich auf die oben 165,10—16 angeführte Textstelle; das Zitat hier schließt allerdings unmittelbar an das oben 144,23—25 mitgeteilte an. 24—26 Marcus Aurelius Antoninus: Ad semetipsum III 3, Commentatiorum, quos ipse scripsit, libri XII, ed. J. M. Schultz, Bd. 1 [einziger!, Schleswig 1802, S. 60; TA ΈΙΣ 'ΕΑΥΤΟΝ. Wege zu sich selbst, hg. und übertragen v. W. Theiler, Zürich 1951, S. 56 — Marcus Aurelius Antoninus, 26. April 121 geboren, seit 161 bis zu seinem Tod am 17. März 180 n. Chr. römischer Kaiser, philosophischer Schriftsteller der stoischen Schule. 26 f Marcus Aurelius Antoninus: Ad semetipsum X 7, ed. Schultz S. 356; ed. Theiler S. 232

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sehen Lehre von der periodischen έκπύρωσις eine andere gegenüberstellt von einer nur durch immerwährenden Wechsel erfolgenden Erneuerung. Auf wen aber soll man diese zurükführen als auf den Ephesier, da sich sonst nirgends eine ähnliche Ansicht findet? und muß man nicht hieraus fast auf eine zwiefache Auslegung dieses Theiles seiner Lehre schließen? Wären es nun nur die Stoiker welche die periodische gänzliche έκπύρωσίς dem Herakleitos beilegten so wäre es um so leichter sie lediglich als ein Mißverständniß anzusehn, da diese Schule niemals ein Talent der Naturforschung besessen hat, und also leicht das ohnehin dunkel geschriebene Werk eines solchen unrichtig auslegen konnte, dessen Naturlehre sie nur anderweitiger Uebereinstimmung wegen in ihrem System erneuern wollten. Auch scheinen sie nicht nur des Entlehnens, sondern auch des Mißbrauchs beschuldigt zu werden von P l u t a r c h o s : Α κ ο ύ ω ταϋτ', έφη, πολλών, και όρώ την | στωϊκήν έκπύρωσιν ώσπερ τά 'Ηρακλείτου και τά Όρφέως έπινεμομένην έπη ούτω και τά Η σ ι ό δου, και συνεξαπατώσαν κ. τ. λ. (de d e f . o r a c . II, p. 415.) Allein diese Auslegung rührt schwerlich von den Stoikern her, sondern sie sind nur auf dem Wege fortgegangen, den schon A r i s t o t e l e s eingeschlagen hatte, und es scheint härter diesen eines solchen Mißverständnisses zu zeihen. Daher ist es nothwendig die beiden Stellen, auf welche es außer den schon angeführten Worten vornemlich ankommt, näher zu beleuchten. Zuerst M e t e o r o l . I, 14. wo die Rede ist von dem Abnehmen des Wassers in mehrern Gegenden der Erde, sagt er οι μεν ούν βλέποντες επί μικρόν αιτίαν οΐονται των τοιούτων παθημάτων είναι τήν του ολου μεταβολήν, ώς γιγνομένου του ουρανοί)· διό και τήν θάλατταν έλάττω γίγνεσθαι φασιν ώς ξηραινομένην. A l e x a n d r o s i n der hieher gehörigen vorher schon angeführten Stelle seines Commentars bezieht nun dieses auf die Herakleitische und stoische έκπύρωσις, so daß Aristoteles hier jenes Feuerwerden des Ganzen auf seine Art bezeichnete, wie auch die Wendung selbst zu verrathen scheint ώς γιγνομένου του ούρανου. Nemlich ihm ist ουρανός die übermondliche Region wo die fünfte Substanz herrscht, und die gänzliche Umwandlung aller Dinge in ein πϋρ αιθεριώδες konnte er allerdings bezeichnen als ein | Werden seines Himmels. Auch die Art wie er die angeführte Meinung widerlegt bestätigt dieses. Er sagt nemlich, jene βλέποντες έπι μικρόν würden, wenn sie sich weiter umsähen, finden, daß zur selbigen Zeit an andern Orten das Meer zunähme; άλλά τούτου τήν αιτίαν ου τήν του κόσμου

13 — 16 Plutarchos: De oraculorum defectu 12, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 415; Moralia Bd. 3, S. 72f 22—26 Aristoteles: Meteorologica 114 Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 337 f; vgl. ed. Lee S. 112 (352 a) 26 f Alexandros: [In Aristotelis Meteorologica] υπόμνημα εις τά μετεωρολογικά, Ed. Aldina S. 90 r; ed. Hayduck, CAG III 2, S. 62 - Oben 195,27-32

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γ έ ν ε σ ι ν οιεσθαι χρή. Nemlich im Gegensaz von ούρανός konnte er das System der wandelbaren Elemente κόσμος nennen: und wenn also seine Widerlegung darin besteht, daß in diesem Sinne nicht beides zugleich statt finden könne, Werden des Himmels und Werden der Erde: so hatte er nicht ein solches Feuerwerden im Sinne, welches eben deshalb ununterbrochen fortgehen kann weil es mit dem entgegengesezten Prozeß zugleich besteht, sondern jenes wodurch der entgegengesezte Prozeß mit allen seinen Resultaten aufgehoben wird, so daß er erst in einer neuen Zeit aufs neue beginnen muß. Daß aber hier obgleich ungenannt gegen sonstige Gewohnheit kein anderer als Herakleitos gemeint war wußte wol Alexandras aus einer ächten Tradition; auch ist keine andere mögliche Beziehung aufzufinden in allem was wir von voraristotelischer Naturwissenschaft wissen. Schon diese Stelle also erlaubt keinen Zweifel darüber, daß Aristoteles dem Herakleitos wirklich diese Lehre zuge467 schrieben. Die andere Stelle d e C o e l . I, 10 lautet so ,,γενόμε|νον μέν ούν," nemlich τον ούρανόν, „άπαντες εΐναί φασιν, άλλα γ ε ν ό μ ε ν ο ν οί μέν άΐδιον οί δέ φθαρτόν ώσπερ ότιοϋν ά λ λ ο των φύσει συνισταμένων, οί δ' έναλλάξ οτε μέν ούτως, οτε δέ άλλως έ χ ε ι ν φθειρόμενον, 8 και τοϋτο αεί διατελεΐν ούτως, ώσπερ 'Εμπεδοκλής ό 102 Ά κ ρ α γ α ν τ ΐ ν ο ς και Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ό Έφέσιος." Die sehr undeutlichen Worte οί δ' έναλλάξ ... φθειρόμενον erklärt S i m p l i c i u s gleich so f o l . 68. b: ,,διπλώς δέ τοΰτο (nemlich τό φθαρτόν φάναι)· οί μέν γαρ ούτω φθαρτόν ως ότιοϋν άλλο των συνεστώτων άτόμων, ώσπερ Σωκράτη, φθαρτόν δηλονότι και ούκέτι έπανήκοντα, οί δ' άμοιβαδόν γίνεσθαί τε και φθείρεσθαι τον αυτόν και αύθις φθείρεσθαί (was wol heißen muß και αύθις γίνεσθαι oder και αύθις γίνεσθαι και φθείρεσθαι) φασιν, και άΐδιον είναι την τοιαύτην διαδοχήν." So sehr nun auch der erste Theil dieser Erklärung bezweifelt werden kann, weil Simplicius selbst unten f o l . 69. läugnet, irgend ein Alter habe eine solche φθορά der Welt angenommen ώς φθαρέντα μηκέτι αύθις έπανήκειν, und sich vorher sehr quält dieses φθαρτόν ώσπερ ότιοϋν ά λ λ ο auf den Demokritos zu beziehen: so richtig ist unstreitig der lezte Theil dersel8

Simplicius liest f. 53. wo er diese Stelle wahrscheinlich aber nur aus dem Gedächtniß anführt φθαρτόν statt φθειρόμενον. |

21 f fol. 68.] fol. 78.

22 τοϋτο] τοϋτο"

15—20 Aristoteles: De coelo [caelo] l 10, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 276 a; vgl. ed. Allan 279 b 2 1 - 2 7 Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu I 10], Ed. Aldina S. 68 b (= v); ed. Heiberg, CAG Vll, S. 293 28—32 Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu I 10], Ed. Aldina S. 69 ν (Q: weist fälschlich die Paginierung 71 auf); ed. Heiberg, CAG VII, S. 294 33 f Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu 13], Ed. Aldina S. 53 r; vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 139

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ben, und wird bestätiget durch den Ausdruk dessen sich Aristoteles 468 selbst weiter unten bedient, wo er die angeführten Meinungen würdiget

τό δ' εναλλάξ συνιστάναι και διαλύειν, ούδέν άλλοιότερον ποιεΐν έστιν, ή τό κατασκευάζειν αύτόν άΐδιον μεν, μεταβάλλοντα δε την 5

μορφήν. Wiefern es nun richtig ist zu behaupten, bei einem solchen Wechsel von Weltbildung und Weltauflösung sei doch nicht sowol eine Weltzerstörung gesezt als nur eine Weltverwandlung, eben wenn man von dem Begriff ausgeht, die Welt sei ,,ολη ή ύλη είδοπεποιημένη και κατατεταγμένη" (Simpl. f. 71. b) und wie beide, Aristoteles und sein 10 Commentator zu diesem Behuf ein solches Nichtbeispiel anführen konn-

ten, wie folgendes ,,ώσπερ εϊ τις έκ παιδός άνδρα γινόμενον και έξ ανδρός παιδα οτε μεν φθείρεσθαι οτε δ' είναι οϊοιτο", da sehe jeder selbst zu: soviel aber ist gewiß, daß wenn auch das reine Feuer noch Welt sein soll, alsdann mit Unrecht auch von Herakleitos gesagt wird, 15 daß er die Welt für geworden ausgegeben, 9 und es muß | der ganze Um- 469; 103 fang seiner Lehre dem Aristoteles hier wenigstens nicht recht gegenwärtig gewesen sein. Denn das immerlebende Feuer, das Eine Seiende, war auch wie wir gesehen haben immer, und keiner der Götter hat es gemacht. Auch zeigt das ganze folgende, am deutlichsten aber wol die

20 Ausdrükke εις άλληλα των στοιχείων συνιόντων und εί τό όλον σώμα σ υ ν ε χ έ ς öv, daß Aristoteles überhaupt mehr an den Agrigentiner denkt als an den Ephesier. Offenbar aber ist freilich, daß er diesem denselben periodischen Wechsel von Zusammensezung und Auflösung der Welt beilegt wie jenem. Mit welchem Recht nun, darauf kommt es eben 25 an. Und wie soll man anders glauben, als daß seine unphilosophische Methode, die einzelnen aus dem Zusammenhang herausgerissenen Leh9

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Zu beklagen ist es, daß wir nicht bestimmen können was Simplicius hierüber gesagt hat, indem grade hier (f. 68. b. 1. 36.) eine Lükke in seinem Commentar ist, zwischen den Worten έκ των ρημάτων αύτοϋ δέδεικται und denen ό γάρ εκείνα λέγων von welchen die ersteren offenbar noch auf den Empedokles zu beziehen sind, in den lezteren aber die Erörterung über den Herakleitos schon im vollen Gange sein muß. |

4 άΐδιον] αΐδιον

12 οΐοιτο",] οιοιτο,

1—5 Aristoteles: De coelo [caelo] I 10, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 276 d (Q: [...] άλλα μεταβάλλοντα την μορφήν); vgl. ed. Allan 280 a 8f Simplikios: In Aristotelis De coelo lzu 1 10], Ed. Aldina S. 71 b (= ν); vgl. ed. Heiberg, CAG Vll, S. 307 9—12 Aristoteles: De coelo [caelo] 110, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 276 d; vgl. ed. Allan 280 a — Vgl. Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu I 10], Ed. Aldina S.71 b (= v); ed. Heiberg, CAG Vll, S. 307 — Bei dem Zitat folgt Schleiermacher dem aristotelischen Text; Simplikios weicht in Kleinigkeiten ab. 21 Gemeint ist Empedokles, der aus Agrigent stammen soll. 27 f Simplikios: In Aristotelis De coelo [zu I 10], Ed. Aldina S. 68 b (= v), linea (Zeile) 36; vgl. ed. Heiberg, CAG VII, S. 294

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ren verschiedener Weisen unter seinen eigenen Rubriken vergleichend zusammenzustellen, ihn auch hier irre geführt habe? Denn grade in welcher Hinsicht er den Herakleitos und Empedokles zusammenstellt, in derselben unterscheidet sie P i a t o n auf das bestimmteste. Wo er nemlich von dem Einen und Vielen redet ( S o p h . p. 242. e) sagt er Ίάδες δέ και Σικελικαί τίνες ύστερον μοϋσαι ξυνενόησαν οτι συμπλέκειν άσφαλέστατον άμφότερα και λέγειν, ώς τό ο ν πολλά τε και έ ν έστιν, έχθρα δέ και φιλία συνέχεται - δ ι α φ ε ρ ό μ ε ν ο ν γάρ ά ε ι ξυμφέ-| 470 ρ ε τ α ι , φασίν αί συντονώτεραι των μουσών αί δέ μαλακώτεραι τό μ έ ν ά ε ι ταύτα ούτως έ χ ε ι ν έ χ ά λ α σ α ν , έν μέρει δέ, τοτέ μέν έν είναί φασι τό πάν ... τοτέ δέ πολλά. Ausschließlich also wird hier dem Empedokles zugeschrieben, daß er das Seiende lasse abwechselnd Eines sein und Vieles, dem Herakleitos aber recht nachdrüklich beigelegt 104 daß es bei ihm immer beides zugleich sei, und Piaton könnte unmöglich so geredet haben, wenn er im Herakleitos gefunden hätte ein zwiefaches συμπλέκειν dieser Gegensäze, deren eines ausgedrükt würde durch die oben schon angeführten Worte διαφερόμενον γάρ άει ξυμφέρεται, das andere aber dem Empedokleischen ganz gleich wäre. Wie nun der Zusammenhang ergiebt, daß er allerdings bei Empedokles unter dem Vieles sein versteht die Welt der Zwietracht, unter dem Eines sein aber den σφαΐρος: so geht auch beim Herakleitos das Eines sein offenbar darauf daß in einer Hinsicht alles Feuer ist, das Vieles sein aber auf die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen; und wenn beides immer stattfindet, so kann auch nie diese Vielheit zerstört und zuweilen alles lediglich Feuer sein. Gewiß also hat Piaton von solchen periodischen Weltzerstörungen nichts gewußt; und da nur er auf der einen Seite der älteste und sicherste 471

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Gewährsmann ist, und auf der andern | sich schon ergeben hat, wie leicht jener Mißverstand entstehen konnte: so werden wir wol am besten berathen sein, wenn wir ihm folgen, und diese Behauptung ausstreichen aus dem Verzeichniß Herakleitischer Lehren. Was aber aus der Aristote- 30 lischen Stelle M e t e o r o l . 1 , 1 4 . hervorgeht, und sehr wol mit allem übereinstimmt was wir bis jezt als wahrhaft Herakleitisch erkannt haben, ist, daß wie im kleinen Tag und Nacht, Sommer und Winter ein wechselndes Uebergewicht darstellen einmal des Weges nach oben und einmal des Weges nach unten, so Herakleitos auch in großen Perioden einen ähn- 35 liehen Wechsel, ohne jedoch daß je einer von beiden Prozessen ganz unterdrükt würde, angenommen hat, einige in denen sich alles in der Natur mehr auf die Seite des Feuers neigt, für welche ihm dann Austrok5 - 1 1 Piaton: Sophistes 242 d~e, Opera Bd. 2, S. 252; Werke Bd. 6, S. 310 17 Oben 149,32-1 und 202,8 f 30£ Oben 199,22-26; Aristoteles: Meteorologica 1 14 Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 337 f; ed. Lee S. 112 (352 a)

Herakleitos

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nen feuchter Gegenden und Zurüktreten des Meeres beweisende Phänomene waren, andere wieder in welchen der Weg nach unten und das Wasser die Oberhand hat. Diese waren es wol, welche er durch die Worte κόρος und χρησμοσύνη bezeichnete, und auf sie bezog sich auch 5 wol das große Jahr welches er angenommen. VI. Wie nun das Sein nur in der Bewegung ist, und das Feuer als 105 das beweglichste und bewegende gleichsam die positive Seite des Seins und das Gute darstellt: so ist auf der | andern Seite die Ruhe der Tod, 472 und das Starre als das ruhendste und unbeweglichste stellt die negative 10 Seite dar, das schlechte und verwerfliche. So wird Plac. p h i l . I, 23 (s. oben S. 360) hinzugefügt ,,έστι γαρ τούτο," Ruhe und Stillstand nemlich, ,,τών νεκρών." So wird die Ruhe dargestellt als Qual (Stob. Ecl. phys. I, p. 906) ... τό μεν έν τοις αύτοις έπιμένειν κάματον είναι, τό δέ μεταβάλλειν φέρειν άνάπαυσιν. Und Iamblichos in einem Fragment 15 bei S t o b ä o s (Ecl. p h y s . I, p. 894), wo er diejenigen anführt welche das Ungeordnete, das Böse zuerst dasein lassen und die ordnende Kraft ihm erst später zubringen, fügt diesen auch den Herakleitos bei, als sei ihm das Böse gewesen ή έν τω μεταβάλλεσθαι ανάπαυλα, die Hemmung des Verwandeltwerdens; welches freilich eine wunderliche Zusammen20 Stellung ist, aber sonst doch richtig, daß nur dieses dem Herakleitos das negative und das Uebel sein konnte. In demselben Sinne ist auch zu verstehen was uns C l e m e n s als eigne Worte des Herakleitos aufbewahrt hat 25

42. Θ ά ν α τ ο ς έ σ τ ι ν ό κ ό σ α έ γ ε ρ θ έ ν τ ε ι ς ό ρ έ ο μ ε ν , ό κ ό σ α δέ ε ϋ δ ο ν τ ε ς , ύ π ν ο ς . (Strom. III, p. 520) „Tod ist was wir wachend sehen, was aber schlafend, Traum."

Nemlich weil wir alles nur sehen in wie fern es ein beharrliches ist, denn von den festen | Gestalten war hier gewiß die Rede, so ist eben was wir 473 sehen der Tod, und eben darum wird er auch gesagt haben ,,τήν ορασιν 30 ψεύδεσθαι" (Diog. IX, 7. H e s y c h . de vitis ν. Ήράκλ.) Und nicht

8 darstellt:] darstellt;

13 906) 906

30 Diog. IX, 7] Diog. IX, 5

10—12 Plutarchos: Placita philosophorum I 23, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 884; Moralin Bd. 5/2.1, S. 74 12—14 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 52, ed. Heeren Bd. 1, S. 906; vgl. I 49 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 378 1 5 - 1 9 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae I 52, ed. Heeren Bd. 1, S. 894; vgl. 1 49 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 375 24 f Clemens: Stromata III 3, Opera ed. Potter S. 520; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 256 29 f Diogenes Laertios IX 7, ed. Meibomius S. 552; ed. Long Bd. 2, S. 440 — Hesychios: De viris doctrina claris, ed. J. Meursius, Leiden 1613, S. 19; Hesychii Milesii qui fertur De viris illustribus librum, ed. ]. Flach, Leipzig 1880, S. 25 — Schleiermachers Zitationstitel De vitis (s. auch unten 234,20—22) verdankt sich vermutlich der Parallelisierung zu dem Titel von Diogenes Laertios; beide Werke sind häufiger auch gemeinsam ediert worden.

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Herakleitos

hat er wie C l e m e n s meint die γ έ ν ε σ ι ν gewollt θάνατος nennen, sondern das nicht mehr werdende, erstarrte. Hat nun das Starre nicht Leben in sich selbst, so ist es auch an sich selbst verächtlich. Daher auch der Leib als entseelter ihm über die Maßen verächtlich erschien, wie uns P l u t a r c h o s aufbehalten hat 106

474

43. Ν έ κ υ ε ς γαρ κ ο π ρ ί ω ν έ κ β λ η τ ό τ ε ρ ο ι καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν κρέας δέ παν νεκρόν καί νεκροΰ μέρος ( S y m p o s i a c . IV, ρ. 669) „Leichname muß man mehr noch als Unflat fortschaffen." Die lezten Worte nemlich gehören dem Plutarchos, bei dem die Rede davon ist, daß Fleisch nichts taugt, als Speise, ohne Salz, und also halb scherzhaft die Worte des Herakleitos angeführt sind. Man sieht aber nur um so sicherer daß sie von Leichnamen handeln, und daß ganz umgedeutet ist was Spätere daraus gemacht haben, wie S u i d a s (v. Ή ρ ά κ λ . ) Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς έφη όλιγωρειν πάντη τοϋ σώματος και νομίζειν αύτό και κοπρίων έ κ β λ η τ ό τ ε ρ ο ν εκ του ράστου δέ αύτφ τάς θεραπείας άποπληρουν, έως αν ό θεός ώσπερ όργάνω τω σώματι χ ρ ή σ θ α ι έπιτάττη, und fast mit denselben Worten C e d r e n . | h i s t . p. 157. Auch C e l s u s machte einen fremden Gebrauch davon gegen die christliche Auferstehungslehre in einer Stelle die uns O r i g e n e s aufbehalten ( c o n t r . C e l s . V, p. 588) και ψυχής μέν αιώνιον βιοτήν δύναιτ' άν π α ρ α σ χ ε ΐ ν νέκυες δέ, φησιν 'Ηράκλειτος, κοπρίων έκβλητότεροι - σάρκα δή ... αίώνιον άποφήναι ... ουτε βουλήσεται ό θ ε ό ς , ουτε δυνήσεται. Die Redensart κοπρίων έ κ β λ η τ ό τ ε ρ ο ς führt auch P o l l u x ( O n o m . V, 163) als Herakleitisch an. Und hieher sind ohne Zweifel auch jene Nachrichten zu ziehen, Herakleitos habe den Menschen für von Natur unvernünftig gehalten, wie S e x t u s (adv. M a t h . V I I I , 286) και μην ρ η τ ώ ς ό Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς φ η σ ι

6ί Plutarchos: Symposiaca IV 4, 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 669 (Q: [...] νεκρόν ε σ π ν [...]); vgl. Moralta Bd. 4, S. 140 13 — 17 Suidas: Lexicon lArtikel „'Ηράκλειτος"], ed. Küster Bd. 2, S. 72; vgl. ed. Adler Bd. 2, S. 583 17 f Georgios Kedrenos (Georgius Cedrenus): Compendium historiarum, Paris 1647, S. 157: έφη [Ηράκλειτος] δέ και τοΰτο, ότι πάντη τοΰ σώματος χρεών όλιγωρειν, και νομίζειν αύτό κοπρίων έκβλητότερον, και έκ τοΰ ρφστου πληροΰν αύτοΰ τάς θεραπείας, έως αν ό θεός ώσπερ όργάνω τω σώματι χρήσθαι έπιτάττη.; Historiarum compendium, MPG 121, S. 312 Georgios Kedrenos ist ein byzantinischer Historiograph des ll./12.Jh. 20—23 Origenes: Contra [Adversus] Celsum V 14, Opera ed. Delarue Bd. 1, S. 588; SC 147, S. 50 24 f Pollux (Naucratitis): Onomasticum V 163, ed. T. Hemsterhuis, Amsterdam 1706, S. 559; Onomasticon, ed. E. Bethe, Lexicographi Graeci 9, Bd. 1—2, Leipzig 1900—1931, Bd. 1, S. 303 — Pollux oder Polydeukes aus Naukratis, griechischer Sophist aus dem 2. Jh. n. Chr. 28—2 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VIII 286, Opera ed. Fabricius S. 512; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 168

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τό μή εΐναι λογικόν τον άνθρωπον, μόνον δ' ύπάρχειν φρενήρες τό περιέχον, und P h i l o s t r a t o s (Εp. 18) Ηράκλειτος ό φυσικός άλογον είναι κατά φύσιν εφησε τόν άνθρωπον. Denn der Zusammenhang beider Stellen zeigt deutlich wie sie zu verstehen sind. In dem Leibe nemlich für sich betrachtet herrscht das starre und wässrige, also glaubte er daß das Leben diesem nicht eigen gehöre; und was der Mensch κατά φύσιν ist, darunter ist zu verstehen, was er so ist, wie er auch im Schlaf und 107 im Tode erscheint. Die Wärme aber und die Selbstbewegung leitete Herakleitos erst ab aus der Verbindung des Leibes mit der übrigen | Welt, 475 und vorzüglich mit demjenigen, worin sich am reinsten das Wesen des Feuers darstellt. Und dieses ist eben die äußere höhere vom erstarrten entfernteste Region, von allen Berichterstattern über unsern Weisen, ungewiß jedoch ob mit seinem eigenen Ausdruk, τό περιέχον genannt. Selbstbewegung aber und Bewußtsein, Erkennen samt allem dahin gehörigen waren den Alten insgesamt wesentlich verbunden, und wo nur Lebenskraft, Seele, ψυχή genannt wird, da ist immer die Einheit dieser beiden Thätigkeiten gemeint. Auch Herakleitos vermochte nicht beides zu trennen; wenn also alle lebendige Bewegung von dem περιέχον ausging, so ging auch von ihm aus alles Erkennen. Insofern demnach das reinste erscheinende mindest verloschene Feuer gleich gesezt werden kann dem ewiglebendigen, ist es auch die allgemeine Seele, von welcher aus erst Lebenskraft und Bewußtsein alles übrige was sich deren erfreuen soll durchdringen muß. So S e x t u s (adv. M a t h . V I I , 127.) αρέσκει γαρ τω φυσικω τό περιέχον ημάς λογικόν τε ον και φρενήρες. Daher ist auch das Erkennen in sofern es wahr ist in Allen eines und dasselbige, ein gemeinschaftliches. Und hier gleich mag es erlaubt sein die Vermuthung aufzustellen, daß der Sprachgebrauch durch das Wort λόγος auch die Vernunft zu bezeichnen, der sich aus kei|ner andern Denkungsart so 476 natürlich erklären läßt, von Herakleitos wol zuerst ausgegangen ist, und abgeleitet von λέγειν sammeln, zusammenstellen, wovon auch die mit jener Bedeutung von λόγος zusammenhangenden λογίζεσθαι und λογισμός. Denn ihm ist ja das Wesen der Dinge nichts anders als das jedesmalige Maaß und Verhältniß, bald μέτρον bald λόγος von ihm selbst genannt, nach welchem jenes Feuer sich entzündet und verlöscht und

9 ab] a

2 3 VII, 1 2 7 . ] VII, 1 2 6 .

2f Philostratos: Epistolae Apollottii 18, Philostratorum quae supersunt omnia, ed. G. Olearius, Leipzig 1709, S. 391; Opera, Bd. 1—2, ed. C. L. Kayser, Leipzig 1871, reprographischer Nachdruck Hildesheim 1964, Bd. 1, S. 350 — Flavius Philostratos: 2.13. ]h. n. Chr., Sophist und Biograph; die Echtheit der unter seinem Namen erhaltenen 73 Briefe ist im einzelnen umstritten. 23 f Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 127, Opera ed. Fabricius S. 398; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 31

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die verschiedenen Aeußerungen nach beiden Seiten sich unter einander 108 hemmen. Also hat auch das Erkennen keinen andern Gegenstand als den Inbegriff dieser Verhältnisse, und da es ursprünglich nur demselben Wesen einwohnt aus welchem jene Verhältnisse sich entwikkeln: so ist es auch nur die Art wie das Grundwesen die Geseze aller Entwiklungen in sich trägt. In diese Bedeutung wenigstens spielt λ ό γ ο ς hinüber in jener bekannten Stelle bei S e x t u s (adv. M a t h . V I I , 133) welche wir bald in ihrem ganzen Zusammenhange aufführen werden, hier aber nur aufmerksam darauf machen wollen, daß man wenigstens in den Worten του λ ό γ ο υ δέ έόντος ξυνου, ζώουσιν oi π ο λ λ ο ί ώς ιδίαν έ χ ο ν τ ε ς φρόνησ ί ν mit keiner andern Bedeutung von λ ό γ ο ς ausreicht, und daß hier ganz offenbar die Quelle ist von dem stoischen Ausdruk κοινός λόγος, 477 der wiederum in seinem Zusammenhange mit den λόγοις σπερματικοΐς noch deutliche Spuren davon trägt, daß die Bedeutung herüber genommen ist von den Verhältnissen durch welche die wiederkehrenden Formen der Dinge da sind. Man vergleiche nur A t h e n a g o r . l e g a t . E d . O x . p. 28. E i γάρ ό μεν θεός πΰρ τεχνικόν όδω βαδίζον έπί γ ε ν έ σ ε ι ς κόσμου, έμπεριειληφός άπαντας τους σπερματικούς λόγους, καθ' ους έκαστα καθ' είμαρμένην γίγνεται. Doch dieses nur beiläufig. Die Sache selbst betreffend aber muß nun schon jedem einleuchten, daß in der menschlichen Seele dem Herakleitos nur dasjenige das wahre Wissen sein wird, was rein aus jenem allgemeinen Siz des Erkennens abgeleitet, und einerlei ist mit dem höchsten Gesez des Werdens der Dinge. Und hieher gehört nun zunächst der Verfolg des schon oben n. 13, S. 341. 342. angeführten Bruchstükkes

109; 478

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ίο

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44. Είναι γάρ ε ν τ ό σ ο φ ό ν έ π ί σ τ α σ θ α ι γ ν ώ μ η ν , ή τ ε ο ί έ γ κ υ β ε ρ ν ή σ ε ι π ά ν τ α δ ι α π ά ν τ ω ν . Wenn gleich, wie schon oben bemerkt, der Uebergang zur indirecten Rede kaum anders zu erklären ist als durch eine unterbrochene Citation: so sind doch dies gewiß ebenfalls eigene Worte des Herakleitos, und im Zusammen- 30 hange mit jenen, um den Gegensaz zu zeigen zwischen dem was wahrhaft weise ist und der πολυμαθίη. Nur | sind die Worte ή τ ε οι verderbt und weder die Lesarten οτε ή und ή τ ε οί, noch was

7 VII, 133] VII, 132 7 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 133, Opera ed. Fabricius S. 399; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 33 16—19 Athenagoras: Legatio pro Christianis, [Ed. Oxoniensisj ed. E. Dechair, e theatro Sheldoniano, Oxford 1706, S. 28 f; ed. M. Marcovich, PTS 31, Berlin/New York 1990, S. 33 — Athenagoras: christlicher Apologet des 2. Jh. 25—27 Oben 125,12—14; Diogenes Laertios IX 1, ed. Meibomius S. 548; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 437

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die Herausgeber des Diogenes und M e r i c . C a s a u b o n u s ( a d A n t o n i n V, p. 4 0 3 ) beibringen, scheint zu befriedigen. Eben so wenig Creuzers zwiefacher Vorschlag ή δ έ ε ι oder ή ώ θ έ ε ι έ ν κ υ β ε ρ ν ή σ ε ι · denn w a s heißt δ έ ε ι ν έ ν κ υ β ε ρ ν ή σ ε ι , und ώ θ ε ι ν π ά ν τ α δια π ά ν τ ω ν ? Bis auf besseres m ö c h t e ich lesen ή τ ε ο ι η κυβ ε ρ ν ή σ ε ι π ά ν τ α δια π ά ν τ ω ν . „Denn Eines nur sei weise zu verstehen die Einsicht welche allein jeglichen geleiten kann durch alles;" w o aber auch, wie m a n schon aus έ π ί σ τ α σ θ α ι sieht, die γ ν ώ μ η nicht zu denken ist ohne ihren Inhalt, das allgemeine Gesez. γ ν ώ μ η aber geradezu durch G o t t übersezen, oder auch nur bestimmt als Weltseele zu verstehen, kann uns selbst die Vergleichung mit n. 11, S. 3 3 4 nicht geneigt machen. ferner die auch schon oben in anderer Hinsicht angeführten W o r t e

15

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ξ υ ν ό ν έ σ τ ι π α σ ι τό φ ρ ο ν ε ΐ ν ξύν νόω λ έ γ ο ν τ α ς ι σ χ υ ρ ί ζ ε σ θ α ι χ ρ ή τω ξυνω π ά ν τ ω ν , ο κ ω σ π ε ρ κ . τ . λ . (S. η. 18.) welche so bestimmt d a r a u f dringen, d a ß wie nur in dem Allen gemeinsamen Geseze des Staates das Wohl, so auch nur in dem Allen gemeinsamen Erkennen die Wahrheit sei. „ D a s Erkennen ist Allen gemein. Die mit | Vernunft reden wollen müssen sich durchaus halten an das Allen gemeinsame eben so wie u. s. w . " Die vorhergehenden W o r t e aber „ σ ω φ ρ ο ν ε ΐ ν ά ρ ε τ ή μ ε γ ί σ τ η - κ α ι σ ο φ ί η

ά λ η θ έ α λ έ γ ε ι ν και π ο ι ε ΐ ν κατά φ ύ σ ι ν έ π α ΐ ο ν τ α ς " will

1 Vgl. Diogenes Laertios IX 1, ed. Meibomius S. 548 f — Schleiermachers summarischer Hinweis auf die Herausgeber des Diogenes bezieht sich vermutlich auf die in der von ihm benutzten Ausgabe auf jeder Seite mitgeteilten Annotationes, die von verschiedenen Editoren stammen; dies sind nach Auskunft des Titelblattes Isaac Casaubon(us) (1559—1614), Thoma(so) Aldobrandini (genaue Lebensdaten unbekannt, 1594 erschien seine DiogenesAusgabe), Miric(us) Casaubon(us) (1599—1671) und der Herausgeber Marcus Meibomius) selbst (1630—1711). Die Annotationes zur fraglichen Stelle stammen von Meric Casaubon und bieten keinerlei Emendationsvorschläge, sondern andere, sachparallele und erläuternde Aussagen von Diogenes Laertios (zu Piaton), Herakleitos, Plutarchos, Marcus Aurelius Antoninus, Phokylides und Jeremia. lf Meric(us) Casaubon(us): In Marci [Aureliij Antonini De seipso et ad seipsum libros notae, S. 403 — Casaubons Notae sind von Gataker in seiner Ausgabe des Werkes Mark Aurels (Utrecht 1697) als Anhang abgedruckt worden und dann so 1698 in die Opera critica übernommen worden, ohne daß dieser Band eine eigene durchgängige Seitenzählung bekommen hätte; vgl. oben 116,7—9. — Casaubon bringt zur Stelle keinerlei philologische Emendationsvorschläge, sondern versucht den bestehenden Text durch erklärende Zitationen anderer antiker Autoren als sinnvoll zu interpretieren. 3 f Friedrich Creuzer: Philosophorum veterum loci de Providentia divina itemque de fato emendantur, explicantur, Heidelberg 1806, S. 18. 21 11 f Oben 120,8-14; Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 718; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 95 14—22 Stobaios: Sermones 3, Ed. Lugdunensis S. 48; vgl. 1 ed. Hense Bd. 1, S. 129 - Oben 130,27-6

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ich nicht behaupten, daß man für wahrhaft Herakleitische zu nehmen habe. Sie scheinen eher einer später gemachten Sentenz zu gleichen, welche einen Herakleitischen Gedanken ausdrükken wollte und das rechte nicht treffen konnte. Die Nachbarschaft ächter Stellen thut diesem Verdacht, der freilich auf dem bloßen Gefühl beruht 5 und sich ohne Stütze selbst durchhelfen muß, keinen Eintrag. Denn Niemand wird doch glauben, daß Stobäos das Werk des Herakleitos selbst in Händen gehabt, sondern er schreibt nur zusammen aus früheren Epitomatoren oder aus zerstreuten Anführungen. Und solches ionische wie dieses, konnte wol Jeder zusammenbringen. 10

Aus dieser gemeinsamen Quelle wurden nun allerdings auch die Geseze, als ein gemeinsam von den Menschen für gut erkanntes vorzüglich abgeleitet, und die Nothwendigkeit ihnen zu folgen wiederholt eingeschärft. Daher mit der zulezt angeführten ächten Stelle allerdings dem Sinne nach in genauer Verbindung stehn die in der Sammlung des Stobäos folgenden 15 480 Worte | τ ρ έ φ ο ν τ α ι γ ά ρ κ.τ. λ., aber sich wol nicht unmittelbar an jene anschließen, sondern eben diese Ableitung lag doch wahrscheinlich zwischen ihnen. Vielleicht hat auch auf Aeußerungen dieser Art, die nicht bestimmt genug abgefaßt waren, und nicht bloß auf Protagoreisches P i a t o n Rüksicht genommen im T h e a e t e t o s p. 177. c. Der Tadel 20 aber, daß nicht alles was festgesezt ist bloß deshalb auch gut sein könne, trifft wol den Herakleitos nicht. Denn dieser hat gewiß, hierin Piatons Vorgänger, auch gefolgert, die Geseze müßten von denen ausgehen, welche von jenem gemeinsamen Erkennen das meiste in sich hätten. So verstehe ich einen kurzen von C l e m e n s ( S t r o m . V, 14, p. 718) aufbehalte- 25 nen Saz. 45. Ν ό μ ο ς κ α ι β ο υ λ ή , denn so muß man lesen, nicht βουλή, π ε ί θ ε σ θ α ι ενός. „Es ist auch Gesez, dem Rath eines einigen zu folgen." Und in einem solchen Zusammenhang läßt sich in der That auch denken, 30 wiewol es immer ein durch den Eifer der Freundschaft hervorgebrachter Auswuchs bliebe, daß auch die bekannte Stelle über den Hermodoros in dem großen Werke des Herakleitos gestanden habe

8 zusammen] zuzammen

20 Piaton: Theaitetos 177 c-d, Opera Bd. 2, S. 124 f; Werke Bd. 6, S. 110 2 5 - 2 8 Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 718; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 95 — Die Lesart βουλή bietet auch schon Potter ebd. Anm. 4 mit Rückgriff auf Eusebios und Sylburg.

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46. Καθάπτεται δέ και των Έφεσίων, έπί τώ τον έταΐρον έκβαλεΐν Έρμόδωρον, έν οίς φησιν " Α ξ ι ο ν ' Ε φ ε σ ί ο ι ς ή β η δ ό ν ά π ο θ α | ν ε ΐ ν π α σ ι , και τ ο ι ς ά ν ή β ο ι ς τ η ν π ό λ ι ν κ α τ α λ ι - 481 π ε ΐ ν , οϊτινες Έ ρ μ ό δ ω ρ ο ν έωυτών όνήϊστον έ ξ έ β α λ ο ν in λ έ γ ο ν τ ε ς , , / Η μ έ ω ν μ η δ έ ε ι ς ό ν ή ϊ σ τ ο ς έ σ τ ω - ε ι δέ τ ι ς τ ο ι ο ύ τ ο ς , ά λ λ η τε και μ ε τ ' ά λ λ ω ν . " „Es gebührte den Ephesiern, wie sie erwachsen sind allen zu sterben und den Unmündigen die Stadt zu verlassen, weil sie den Hermodoros, den treflichsten unter ihnen vertrieben haben, sagend, Unter uns soll keiner der treflichste sein; ist einer ein solcher, so sei er es anderwärts und bei Andern." So D i o g e n e s (IX, 2.) Und genau so C i c e r o ( T u s c . V, 36.) nur daß er das ήβηδόν und τοις άνήβοις ... καταλιπεΐν nicht mit ausdrükt. Aber wunderlich verdreht führt dasselbe I a m b l i c h o s an (de vit. P y t h . s. 173.) ού γάρ καθάπερ 'Ηράκλειτος Έφεσίοις γράψειν έφη τούς νόμους, ά π ά γ ξ α σ θ α ι τούς πολίτας ήβηδόν κελεύσας. Die Verwirrung kann vielleicht durch Diogenes veranlaßt sein, der unmittelbar nach dieser Erzählung von einer dem Herakleitos angemutheten Gesezgebung für Ephesos redet. Das άπάγξασθαι hat auch S t r a b o (XIV, p. 950) und hernach liest er φ ά ν τ ε ς statt λέγοντες, und ε ί δ ε μή statt εΐ δέ τις τοιούτος; dunkler ist jenes aber auch attischer, und überhaupt wol nichts zu entscheiden über die Leseart einer Stelle, | die wegen des Ruhmes, 482 den Hermodoros in Italien erlangte, in gar vieler Mund kommen mußte.

25 Am allgemeinsten aber und vollständigsten handelt von dem ausschließenden Werthe dieses gemeinsamen Erkennens jenes Bruchstük, welches zuerst von A r i s t o t e l e s ( R h e t . I I I , 5) und nach ihm von Mehreren, am vollständigsten aber von S e x t u s (adv. M a t h . V I I , 132) aufbehalten

11 So Diogenes] „So Diogenes I — 11 Diogenes Laertios IX 2, ed. Meibomius S. 549; vgl. ed. Long Bd. 2, S.437f II — 13 Cicero: Tusculanae disputationes V 36: Est apud Heraclitum physicum de principe Ephesiorum Hermodoro. universos ait Epbesios esse morte multandos, quod, cum civitate expellerent Hermodorum, ita locuti sint: Nemo de nobis unus excellat: sin quis exstiterit, alio in loco, et apud alios sit.; Opera Bd. 4, S. 387; vgl. Tusculan Disputations, ed. ]. E. King, The Loeb Classical Library, London/Cambridge (Mass.) 1960, S. 530 13 — 16 lamblichos: De vita Pythagorica [sectioj 173, ed. L. Küster, Amsterdam 1707, S. 146 (Q: [...] γράψειν Έφεσίοις [...]); vgl. ed. von Albrecht S. 174 1 9 - 2 1 Strabon: Res geographica XIV 1, 25, ed. Almeloveen S. 950; ed. )ones Bd. 6, S. 230 — Der Bezug bei Schleiermacher ist das Zitat aus Diogenes Laertios oben 209,1 — 11. 27 Aristoteles: Rhetorica III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 336 b; Ars Rhetorica ed. Ross S. 154 (1407 b) 28—10 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 132, Opera ed. Fabricius

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worden ist, welcher auch sagt, daß Herakleitos, nachdem er das π ε ρ ι έ χ ο ν erläutert habe, also fortfahre

112

483

47. λ ό γ ο υ τ ο ύ δ ε έ ό ν τ ο ς α ι ε ί ά ξ ύ ν ε τ ο ι γ ί ν ο ν τ α ι ά ν θ ρ ω ποι και π ρ ό σ θ ε ν ή ά κ ο υ σ α ι και ά κ ο ύ σ α ν τ ε ς τό π ρ ώ τ ο ν γινομένων γαρ κατά τον λόγον τόνδε άπειροι 5 έοίκασι πειρώμενοι έπέων και έργων τοιούτων όκοίων εγώ διηγευμαι κατά φύσιν διαιρέων έκαστον και φ ρ ά ζ ω ν οκως έχει· τ ο υ ς δε ά λ λ ο υ ς ά ν θ ρ ώ π ο υ ς λ α ν θάνει όκόσα έγερθέντες ποιοϋσιν οκωσπερ όκόσα ε ϋ δ ο ν τ ε ς έ π ι λ α ν θ ά ν ο ν τ α ι . C l e m e n s ( S t r o m . V, 14. p. 716) ίο und E u s e b i o s ( P r a e p . X I I I . ) lesen του δέοντος; allein für die Leseart des S e x t u s entscheidet, daß nicht nur Aristoteles eben so liest, sondern daß auch sein ganzer Zweifel, zu welchem Zeitwort αιεί. gehört, nicht stattfinden könnte wenn | δέοντος gestanden hätte. Das αιεί selbst aber fehlt bei Sextus, und ist aus Aristoteles 15 und Clemens aufgenommen worden. Wohin es aber gehöre darf uns nicht zugemuthet werden besser zu wissen als Aristoteles, und es mag nur willkürlich sein, daß wir zum folgenden es ziehend so übersezen, „Von diesem bestehenden Verhältniß finden sich die Menschen immer ohne Einsicht, sowol ehe sie davon hören als nachdem 20 sie zuerst davon gehört. Denn des nach diesem Verhältniß erfolgenden unkundig scheinen sie zu versuchen solche Reden und Werke, dergleichen ich durchführe, der Natur gemäß jegliches auseinanderlegend und bestimmend wie es sich verhält. Den übrigen Menschen aber bleibt unbewußt, was sie wachend thun, eben wie sie was sie 25 schlafend gethan vergessen."

Doch es war sowol die Klage über das dem gemeinsamen Erkennen ungemäße Verfahren der meisten Menschen, was wir anführen wollten, wiewol auch sie wichtig genug ist, weil erst von dieser Begründung aus alle die einzelnen früheren Beschwerden dieser Art zu verstehen sind, 30 und unter andern hier die erklärende Parallele ist zu dem n. 2. angeführten Saz und weil man sieht, wie Aristoteles in der That nicht weiter als 484 bis hieher gelesen zu haben brauchte, | um den Herakleitos als ein Beispiel anzuführen der festesten Ueberzeugung von etwas was für den Stagiriten nur eine paradoxe Meinung war; sondern es war uns vornemlich 35 113 zu thun um die folgende mit dieser Klage verbundene Anweisung. Nach-

S. 398 f(Q: läßt aiei in der ersten Zitatzeile aus); vgl. edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 32 f 10 f Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 716; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 92 11 Eusebios: Praeparatio evangelica XIII13, ed. Viger S. 680; SC 307, S. 362 31 f Oben 116,4—7; Clemens: Stromata II 2, Opera ed. Potter S.432; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 149 f

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dem nemlich Sextus eingeschoben seine Erklärung, daß in diesen Worten offenbar gesagt sein solle, wir thäten alles und erkennten alles durch Theilnahme an der göttlichen Vernunft, sagt er „und kurz darauf schließt Herakleitos also weiter"

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48. διό δει έ π ε σ θ α ι τω ξυνφ· του λ ό γ ο υ δέ έ ό ν τ ο ς ξυνοϋ ζ ώ ο υ σ ι ν οί π ο λ λ ο ί ώς ιδίαν έ χ ο ν τ ε ς φ ρ ό ν η σ ι ν ή δ' εστίν ουκ άλλο τι ή έξήγησις τοΰ τρόπου της του παντός διοικήσεως· διό καθότι αν αύτοΟ της μνημής κοινωνήσωμεν, άληθεύομεν α δέ αν ιδιάσωμεν, ψευδόμεθα. „Darum muß man

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dem gemeinsamen folgen: ohnerachtet aber das Gesez" (des Denkens nemlich, einerlei mit dem Gesez des Seins) „ein gemeinsames ist, leben doch die Meisten als eine eigenthümliche Einsicht besizend." Das folgende aber, wenn gleich es ganz bestimmt acht Herakleitische Gedanken ausdrükt, können wir uns doch unmöglich entschließen, mit Stephanus und Fabricius und Creuzer noch für eigene Worte des Herakleitos zu halten, wäre auch, was wol sein | kann, wenn er etwa einen Commentator vor sich hatte der nicht bestimmt genug seine Erklärungen von der Grundschrift unterschied, Sextus selbst dieser Meinung gewesen. Denn viel zu schulmäßig und nach stoischer Form zugeschnitten ist zumal die Erklärung ή δέ — διοικήσεως; aber auch das folgende trifft wol derselbe Vorwurf.

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Offenbar wird hier die Einsicht welche jeder Einzelne anders für sich hat als irrig verworfen, und nur der reine Ausdruk des gemeinsamen Gesezes als Wahrheit gepriesen. Warum nun aber soviel Ursach ist über 25 den Mangel dieses gemeinsamen Principe der Wahrheit in den Vorstellungen der Menschen zu klagen, und woher dieser Mangel rührt, das versteht sich aus des Ephesiers mit allem bisherigen genau zusammenhangenden Gedanken von der Seele, welche wir hier vortragen müssen.

4 weiter"] weiter 3—9 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 133, Opera ed. Fabricius S. 399 (Q: [...] έπεσθαι τφ· κοινω· ξυνός yap ό κοινός. [...] άλλό τι αλλ' ή έξήγησις [...] διό καθ' ο, τι); edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 33. - Vgl. oben 209,28-10 und 206,7 15 Vgl. Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 133, Opera ed. Fabricius S. 399; bei Fabricius ist in der lateinischen Übersetzung das Gesamtzitat durch Kursivdruck als Text des Herakleitos gekennzeichnet. — Henricus Stephanus (Henri Estienne): Poesis philosophica S. 130 f; der Text ist durch größeren Druck als Herakleitos-Zitat gekennzeichnet. — Friedrich Creuzer: Philosophorum veterum loci de Providentia divina itemque de fato emendantur, explicantur, Heidelberg 1806, S. 19; Creuzer zitiert als Wort des Herakleitos: ή φρόνησις έστιν ουκ άλλό τι αλλ' έξήγησις τοΰ τρόπον της τοΰ παντός διοικήσεως.

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Die Seele, als dasjenige wodurch allein Selbstbewegung und Bewußtsein möglich wird, muß im Gegensaz gegen das für sich betrachtet starre und todte des Leibes dasjenige Wesen sein, welches die höchste Stuffe darstellt von dem Wege nach oben, und dies ist nichts anders als der schon vorher erwähnte trokkene Dunst der auch die Gestirne bildet und die höheren meteorischen Erscheinungen hervorbringt. Hierüber re486 det auch A r i s t o t e l e s | ganz deutlich (de a n i m . I, 2.) Και 'Ηράκλειτος δέ την άρχήν είναί φησι την ψυχήν, εΐπερ την άναθυμίασιν, έξ ης τάλλα συνίστησι· και γαρ άσωματώτατον δη και ρέον αεί κ. τ. λ. Was er hier von der α ρ χ ή sagt, dies wollen wir ihm als ein verfehltes Bestreben den Herakleitos in Aristotelisches zu übersezen, gern erlassen, denn es zeigt nur, wie wenig er ihn verstanden. Wenn nemlich auch das Feuer als das ewiglebende die Quelle beides aller Bewegung und alles Erkennens ist, und in so fern allerdings, wiewol wir nicht wissen ob Herakleitos sich dieses Ausdruks bedient habe, die Seele des Ganzen genannt werden kann, dessen Leib alsdann aber sämtliche vergängliche Erscheinungen sein müßten, welche die Welt bilden: so ist doch eben in wie fern sie ξηρά άναθυμίασις ist die Seele selbst eine solche Erscheinung, und damit sie Seele werde, muß ja schon ein Leib, aus niederen Entwickelungsstuffen gebildet, da sein, dem sie nach Herakleitos von außen kommt, nicht aber das Princip seiner Entstehung ist. Kann man also etwas nach Herakleitos Seele des Ganzen nennen, so wird dies denn auch αρχή sein, aber keinesweges ξηρά άναθυμίασις; so wie die Seele in wie fern sie dies leztere ist nie Seele des Ganzen und αρχή sein kann. Auch hat Aristoteles mit dieser Aeußerung seine Commentatoren in 487 sichtbare Verlegenheit | gesezt. Denn der eine J o h a n n . P h i l o p o n o s sagt um ihm zu helfen, das Feuer, welches Herakleitos als αρχή seze sei nicht die Flamme, sondern die ξηρά άναθυμίασις, was eben so wenig richtig ist und was er auch selbst aufhebt wenn er sagt διαφέρει δέ, nemlich Herakleitos vom Demokritos; δτι εκείνος συνεχές σώμα lis έλεγε τό πυρ, τοϋτο δπερ και ήμεΐς φαμεν, ό δέ Δημόκριτος κ. τ. λ. und der andere T h e m i s t i o s , ebenfalls um die αρχή und die ψυχή gleich sezen zu können, sagt, unter der άναθυμίασις, aus welcher er alles

9 άσωματώτατον] άσώματον

24 nie Seele] so DV; OD: eine Seele

7—9 Aristoteles: De anima I 2, Opera ed. Casaubott Bd. 1, S. 382 a; vgl. ed. W. D. Ross, Scriptorum Classicorutn Bibliotheca Oxoniensis, Oxford 1959, S. 9 (405 a) 26—31 Johannes Philoponos: Commentaria in libros De anima Aristotelis [zu 12], ed. Trincavelli [Ed. Aldina], unpaginiert [S. 30]; ed. Hayduck, CAG XV, S. 67 32—2 Themistios: [In libros Aristotelis De anima paraphrasis] Παράφρασις των περί ψυχής 'Αριστοτέλους [zu 12], Opera ed. Trincavelli [Ed. Aldina], S. 67 r; In libros Aristotelis De anima paraphrasis, ed. R. Heinze, CAG V/3, Berlin 1899, S. 13

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andere entstehen lasse, sei nichts anderes zu verstehen als Feuer und dies sei allerdings das unkörperlichste und immer fließende. Etwas richtiger drükt er sich weiter unten aus, wo er weniger durch Aristoteles gebunden redet, ώς δ' δσοι γε έν των στοιχείων την ψυχήν έθεντο, nemlich diesen Gebrauch von στοιχεΐον wollen wir nicht für richtig halten wenigstens in Bezug auf Herakleitos, sondern nur das folgende την εκείνου ποιότητα μόνην προτιθέασι και τη ψυχή, οί μέν πυρός την θερμότητα, καθάπερ Ηράκλειτος. S i m p l i c i u s aber (fol. 8.) der wol etwas unsicheres merkte an der Rede des Aristoteles deutet diese Unsicherheit falsch „περί δέ 'Ηρακλείτου συλλογιζομένω εοικεν, ούχ ώς σαφώς λέγοντος πυρ ή άναθυμίασιν ξηράν τήν ψυχήν άλλ' ώς του πυρός προς τω λεπτομερεΐ και τό εύκίνη|τον έχοντος, καί τω κινεΐσ- 488 θαι τά άλλα κινουντος, καί δια ταυτά τε τη ψυχη προσήκοντος· ώς δια παντός τοΰ ζώντος ιούση σώματος κ. τ. λ. Denn weder ist Herakleitos zweifelhaft oder auch nur unklar gewesen über diesen Punkt, noch ist das εΐπερ des Aristoteles unsicher, sondern ganz bestimmt zu verstehen. Diese Deutung des Simplicius hat ihren Grund wahrscheinlich darin, daß neben der richtigen sich eine Meinung verbreitet hatte, die Seele wäre nach Herakleitos Luft. Dies erzählt T e r t u l l i a n u s (de a n i m . c . I X . ) n o n ut a e r s i t i p s a s u b s t a n t i a e j u s , e t s i h o c A e n e s i d e m o v i s u m e s t et A n a x i m e n i , p u t o s e c u n d u m q u o s d a m et H e r a c l i t o ; ist aber selbst eines bessern überzeugt i b i d . c. V. n e c i l l o s d i c o s o l o s , q u i earn de m a n i f e s t i s c o r p o r a l i b u s e f f i n g u n t , ut H i p p as us (so liest schon Fabricius statt Hipparcus) et H e r a c l i t u s e x i g n i . S e x t u s führt diese Meinung in einem noch allgemeineren Sinne auf den Skeptiker Aenesidemos zurük ,,τό τε öv κατά τον Ήράκλειτον άήρ έστιν, ώς φησιν ό Αίνησίδημος" (adv. M a t h . Χ , 233); ander- 116 wärts stellt er sie auch als von Mehreren angenommen dar ,,κατ' ένίους 'Ηράκλειτος άέρα (φησί των πάντων ά ρ χ ή ν ) . . . "Ιππασος δέ καί κατ' ένίους 'Ηράκλειτος πϋρ." Es gereicht nun zwar wie schon gesagt dem 27 τό] τό,

28 ό] ό

3 — 8 Themistios: [In libros Aristotelis De anima paraphrasis] [zu 1 2], Opera ed. Trincavelli [Ed. Aldinaj S. 67 v; vgl. ed. Heinze, CAG V/3, S. 14 8—14 Simplikios: Commentaria in tres libros Aristotelis De anima [zu I 2], ed. F. Asulanus [Ed. Aldinaj, Venedig 1527, S. 8 v; In libros Aristotelis De anima commentaria, ed. M. Hayduck, CAG XI, Berlin 1882, S. 31 20—23 Tertullianus: De anima 9, Opera ed. Semler Bd. 4, S. 226; Opera, ed. A. Reifferscheid/G. Wissowa, Bd.l, CSEL 20, Prag/Wien/Leipzig 1890, S. 311 23—26 Tertullianus: De anima 5, Opera ed. Semler Bd. 4, S. 216 f; vgl. Opera Bd. 1, CSEL 20, S. 304 26—28 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos X 233, Opera ed. Fabricius S. 672; edd. MutscbmannlM.au Bd. 2, S. 351 29—31 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos IX 360, Opera ed. Fabricius S. 620; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 287

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Sextus, dem die Quellen Herakleitischer Weisheit noch so reichlich flössen, nicht zum Ruhme, über diese leicht zu entscheidende Frage, wie es scheint, zweifelhaft geblieben zu sein, auf der andern Seite aber ist ihm am wenigsten zu verdenken, daß er irre gemacht worden durch das Ansehn des Aenesidemos. Wie übrigens dieser, und gewiß erst nach ihm Andere, gegen die deutlichsten Aussprüche des Herakleitos selbst, auf die Meinung kommen konnte, die α ρ χ ή sei nach Herakleitos Luft, dies ist nur zu erklären aus dem Aristotelischen Kanon, daß die Alten dasselbe was sie als α ρ χ ή sezten auch als das Wesen der Seele insbesondere ansahen, verbunden mit jener Meinung daß die Seele Luft wäre nach ihm. Denn nach einer andern Stelle des S e x t u s (adv. M a t h . V I I , 349) folgte Aenesidemos dem Herakleitos auch darin, daß die Vernunft ihren Siz außerhalb des Leibes habe, also auch gewiß darin, daß sie, wie wir sehen werden, durch das Einathmen hineinkommt; was aber eingeathmet wird ist nach der gewöhnlichen Vorstellung die Luft. Und diese gewöhnliche Vorstellung schob man dem Herakleitos unter. Diese Spur läßt sich genau nachweisen. T e r t u l l i a n u s (de a n i m . c. X I V ) „ N o n l o n g e h o c e x e m p l u m e s t a S t r a t o n e et A e n e s i d e m o et H e r a c l i t o ; n a m et i p s i u n i t a t e m a n i m a e t u e n t u r , q u a e in t o t u m c o r p u s d e f u s a e t u b i q u e i p s a v e l u t f l a t u s in c a l a m o p e r c a 490 v e r n a s , | i t a p e r s e n s u a l i a v a r i i s m o d i s e m i c e t , n o n tarn c o n c i s a q u a m d i s p e n s a t a . " J a es haben wie es scheint eigne Herakleitische Worte Veranlassung dazu gegeben. Diese führt uns C l e m e n s an, welcher da, wo er den Herakleitos beschuldigt sich aus Orpheus bereichert zu haben, nachdem er jene Orphischen Verse angeführt hat, also fortfährt

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49. Ηράκλειτος έκ τούτων συνιστάμενος τους λόγους ώδέ πως γράφει, ψυχή σι θ ά ν α τ ο ς ϋδωρ γ έ ν ε σ θ α ι , υδατι δέ θάνατος γήν γ έ ν ε σ θ α ι · έκ γ η ς δέ ϋδωρ γ ί ν ε τ α ι , έ ξ ύδατος δ έ ψ υ χ ή . „Den Seelen ist Tod Wasser zu werden, dem Wasser Tod 30 Erde werden; aus Erde aber wird Wasser, und aus Wasser Seele." ( S t r o m . V I , 2.) die lezten Worte έκ γης — ψυχή deswegen dem Herakleitos abzusprechen, weil P h i l on dasselbige nur so anführt

ευ και ό Ηράκλειτος, έν οΐς φησι ψ υ χ ή σ ι θ ά ν α τ ο ς γήν γ ε -

11 — 15 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 349, Opera ed. Fabricius S.438; edd. MutschmannlM.au Bd. 2, S. 80 17—23 Tertullianus: De anima 14, Opera ed. Semler Bd. 4, S. 236 f; Opera Bd. 1, CSEL 20, S. 319 2 7 - 3 2 Clemens: Stromata VI 2, Opera ed. Potter S. 746; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 138 33—2 Philon: Quod mundus sit incorruptibilis 21, Omnia opera S. 958; vgl. Opera ed. Richter Bd. 6, S. 28 — Philon hat nach Q entgegen Schleiermachers Behauptung denselben Text wie Clemens, läßt lediglich das δέ nach υδατι aus.

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ν έ σ θ α ι ( q u o d m u n d . s i t i n c o r r . p. 958) wie Heyne thut ( O p u s c . I l l , p. 106) finde ich keinen Grund. Es steht dahin ob ganz in demselben Sinn gemeint ist, was P r o k l o s anführt (in T i m . p. 36) ... και ά λ λ ο ς ούτος ψ υ χ ώ ν τ ω ν ν ο ε ρ ώ ν θ α ν α τ ό ς ύ γ ρ ή σ ι γ ε ν έ σ θ α ι φησίν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς . Ueberhaupt aber bilden diese Worte zu sehr einen Hexameter, als daß man sie, wie sie | hier stehen dem Herakleitos beilegen könnte, sondern sie sollten wol nur einen Herakleitischen Saz dem Gedächtniß einprägen, wie wir oben schon einen ähnlichen Fall gehabt haben.

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10 Aus diesen Worten nun schloß man also sehr natürlich: wenn in absteigender Bewegung auf die Seele das Wasser folgt, so muß die Seele Luft sein. Daher fügt auch P h i l o n hinzu „ψυχήν γαρ οιόμενος είναι τό πνεύμα, την μεν αέρος τ ε λ ε υ τ ή ν γένεσιν ύδατος, την δ' ύδατος γης πάλιν γένεσιν αΐνίττεται." Nur daß hiebei immer die Empedokleische 15 Physik der vier Elemente zum Grunde liegt, welche der größten Wahrscheinlichkeit nach Herakleitos nicht anerkannte, sondern nur drei Entwiklungsstufen darstellte, πυρ, θάλασσα, welches er hier auch υδωρ nennt, eben sowol die elastische Flüssigkeit mit darunter begreifend, und γή. Wer nun diese drei Formen auf jene vier Elemente zurükführen will 20 wird freilich die Luft bilden müssen theils aus der θ ά λ α σ σ α des Herakleitos, theils aus seinem πυρ, in wiefern es nemlich ein erscheinendes ist unter der Form der άναθυμίασίς. So wird denn freilich von jener 118 Ansicht aus für Jeden um so mehr als er sich unter Feuer auch Flamme denkt Herakleitos sagen die Seele sei Luft: ganz unrecht aber wird dies 25 auch auf die αρχή ausgedehnt. Man sehe was Galenos von den Stoikern sagt πνεΰμα γαρ | τι τήν ψυχήν είναι βούλονται καθάπερ και τήν 492 φύσιν, ά λ λ ' ύγρότερον μεν και ψυχρότερον τό της φύσεως, ξ η ρ ό τ ε ρον δέ και θ ε ρ μ ό τ ε ρ ο ν τό της ψυχής. E d . C h a r t . Τ. V, ρ. 449. Ihm selbst aber dem Herakleitos ist es nur das Feuer, welches erlöschend 30 zunächst Wasser wird, und in diesem Sinne Wasser werden der Tod der Seele, und es ist nur das erscheinende Feuer, die ξ η ρ ά άναθυμίασίς welche aus dem Wasser entsteht, und an welche er die erscheinende Bewegkraft und Erkenntniß bindet. Deshalb nun, weil diejenige Form des Da-

14 αΐνίττεται."] αΐνίττεται. 1 f Christian Gottlob Heyne: De animabus siccis ex Heracliteo placito optime ad sapientiam et virtutem instructis, Opuscula academica Bd. 3, S. 106 Anm. s 3—5 Proklos: Commentarius in Timaeum, [Ed. BasiliensisJ S. 36; ed. Diehl Bd. 1, S. 117 8f Oben 130,6—12 12—14 Philon: Quod mundus sit incorruptibilis 21, Omnia opera S. 958 (Q: αΐνίττεται θάνατον); Opera ed. Richter Bd. 6, S. 28 25—28 Galenos: Quod animi mores corporis temperamenta sequantur 4, Opera ed. Charterius Bd. 5, S. 449

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seins, mit welcher Herakleitos wesentlich das Leben als besondere Erscheinung verbindet, sich vorzüglich aus dem Wasser entwikkelt, und der unmittelbare Uebergang des starren in diese Form von den meisten übersehen wurde, nannte Clemens oben, wahrscheinlich älteren Commentatoren nachsprechend, die Herakleitische θ ά λ α σ σ α das ώς σπέρμα πάσης γενέσεως. Wo demnach dieser trokne Dunst zusammenhangend in Masse und ungebunden sich befindet, da ist der allgemeine Siz der Seele, das περιέχον ist das φρενήρες, und was sonst in der Welt Erkenntniß hat und Selbstbewegung, muß sie aus diesen haben. S o P l u t a r c h o s

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ή δέ ζώσα και βλέπουσα, και κινήσεως ά ρ χ ή ν έξ αύτής έ χ ο υ σ α και γνώσιν οικείων και αλλότριων φύσις ά λ λ ο θ ε ν έσπακεν άπορροήν | και μοΐραν ε κ τ ο υ φ ρ ο ν ο ΰ ν τ ο ς , ο π ω ς κ υ β ε ρ ν ά τ α ι τ ό τ ε σ ύ μ π α ν καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν (de Isid. et O s i r . p. 382.) Ich habe unbedenklich ά λ λ ο θ ε ν in den Text gesezt statt 15 des άλλως τε unserer Ausgaben, oder was, wie Wyttenb. erinnert, Xyland. gelesen haben muß δλως γε. Buchstäblich Herakleitisches möchte ich höchstens in den lezten Worten anerkennen, wiewol auch nicht mit Sicherheit. In diesen will Markl. lesen οτω statt οπως; gewiß nicht mit Unrecht, wenn die Worte Plutarchisch sind; 20 als Herakleitisch aber könnte man wol φρονοΰντος οπως κυβερνάται verbinden „aus dem in welchem die Erkenntniß ist wie das Ganze regiert wird." Eben so Sextus in der vorhin schon angezogenen Stelle (adv. M a t h . V I I , 126sq.) τούτον δή τον θείον λ ό γ ο ν καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν δι' άνα- 25

4—6 Das Zitat konnte nicht nachgewiesen werden. Vermutlich handelt es sich aber um einen Irrtum Schleiermachers, und er denkt an die oben 170,7—10 angeführte Stelle Clemens: Stromata V 14, Opera ed. Potter S. 712; Opera ed. Dindorf Bd. 3, S. 84 f , an der es statt ώς σπέρμα πάσης γενέσεως heißt: ώς σπέρμα της διακοσμήσεως 10—15 Plutarchos: De lside et Osiride 76, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 382 (Q: άλλοθεν statt άλλως τέ); vgl. Moralia Bd. 213, S. 75 16 f Plutarchos: Moralia, ed. D. Wyttenbach, Bd. 1-8, Oxford 1795-1830, Bd. 2/2, S. 563: Xylander legissse videtur [...]. - Daniel Wyttenbach, holländischer Humanist und Philologe, 1746—1820 — Wilhelm Xylander (Holzmann), 1532 — 1576, deutscher Philologe, Professor in Heidelberg, tibersetzte u.a. den Plutarchos aus dem Griechischen in das Lateinische; die Erstausgabe der Vitae Parallelae, in lateinischer Übersetzung ohne den griechischen Text, erscheint Heidelberg 1561; die Moralia kommen ab 1566 in zweisprachigen Ausgaben heraus. Die Formulierung Schleiermachers zeigt deutlich, daß er die zweisprachige Ausgabe Xylanders nicht selbst herangezogen hat. 19 f Gemeint ist Jeremiah Markland, dessen Lesart sich als Emendation zu Plutarchos: De lside et Osiride Uber, ed. S. Squire, Canterbury 1744, auf S. 179 Anm.3 findet: Lego [sc. Markland] οτω ... τοΰτο τό σύμπαν [...]. 24—1 Oben 139,13 — 17.22—26 und 205,23 f. Das Zitat hier findet sich Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 129, Opera ed. Fabricius S. 398; edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 32.

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πνοής σπάσαντες νοεροί γινόμεθα. Durch dieses Eingesogenwerden wird nun die Seele eines Einzelnen, indem die allgemeine ξηρά άναθυμίασίς sich vereiniget mit dem in einem Jeden aus den Feuchtigkeiten seines Leibes sich bildenden troknen Dunst. Dies ist wenigstens das 5 Wahre an einem Berichte des N e m e s i o s (de n a t . h o m . c. I I , Ed. O x . p. 38) Ηράκλειτος δε την μεν του παντός ψυχήν άναθυμίασιν έκ των ύγρών, την δέ έν τοις ζώοις από τε της έκτος και της έν αύτοΐς άναθυμιάσεως ομογενή πε|φυκέναι. Dasselbe fast wörtlich de ρ l a c . 494 p h i l . IV, 3. Diese Verbindung nun ist für den Leib zwar, oder, wenn 10 man die in einem Jeden selbst sich erzeugende άναθυμίασις auch für sich wenigstens als die niedere Seele will gelten lassen, für das einzelne lebendige zwar eine Erhöhung, und erst die Quelle des Lebens in vollerem Sinne, für das φρενήρες selbst aber ist sie natürlich eine Erniedrigung und ein Tod. Der Leib wird belebt durch seine Verbindung mit 15 dem Princip des Bewußtseins und der Selbstbewegung, dieses aber stirbt, weil es gebunden ist und in Ruhe bleiben muß. So erklärt S e x t u s gewiß mit Recht die Worte de« Herakleitos welche er anführt

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50. Ό δέ 'Ηράκλειτος φησιν, οτι και τό ζ ή ν και τό ά π ο θ α ν ε ΐ ν και έ ν τω ζ ή ν ήμάς έ σ τ ι , και έ ν τω τ ε θ ν ά ν α ι . „Und Herakleitos sagt, sowol das Leben als das Sterben ist beides in unserm Leben und in unserm Tode." ( P y r r h . III, 230.)

Denn der Tod wird dann die Errettung, die Wiederbelebung der Seele. 120 Daher ist auch gewiß Herakleitisches in jenem Wortspiel welches P l a t o n anführt daß die Körper die Gräber der Seele sind, worauf auch 25 P h i l o n deutet ( A l l e g . leg. I, fin.) μονονού και ό Ηράκλειτος, κατά τούτο Μωϋσέως άκολουθήσας τω δόγματί φησι, ζώμεν τον έκείνων θάνατον, τεθνήκαμεν δέ τον | έκείνων β ί ο ν ώς νυν μέν οτε ένζώμεν 495 τεθνηκυίας τής ψυχής και ώς αν έν σήματι τω σώματι έντετυμβευμένης. Auch muß man schließen Herakleitos habe sich mehrere Arten 30 gedacht, wie das beseelende Princip mit den niederen Entwikkelungsstuffen könne verbunden sein, und zwar nicht nur solche die geringer sind als das menschliche Leben, sondern auch solche die etwas höheres darstellen; und diese scheint er gemeint zu haben so oft θεοί und δαίμονες

5 — 8 Nemesios: De natura hominis 2, Ed. Oxoniensis S. 38; ed. Matthaei S. 67 f 8f Plutarchos: Placita philosophorum IV 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 898; Moralia Bd. 5/ 2.1, S. 116 — Der Text weicht nur unwesentlich von dem zitierten ab. 18—21 Sextus Empiricus: Pyrrhoniae Hypotyposes III 230, Opera ed. Fabricius S. 185; edd. Mutschmann/ Mau Bd. 1,S. 195 23 f Piaton: Kratylos 400 b~c, Opera Bd. 3, S. 264; Werke Bd. 3, S. 450; ähnlich auch Gorgias 493 a, Opera Bd. 4, S. 100; Werke Bd. 2, S. 404 25—29 Philon: Legis allegoriarum liber 1, Omnia opera S. 60 (Q: [...] δόγματι. Φησί Ζώμεν [...]); vgl. I 33, Opera ed. Richter Bd. 1, S. 88

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bei ihm in der Mehrzahl vorkommen und also gewiß als einzelne Wesen. So mag er gemeint haben, wenn er es in der That gesagt hat, was wir bei D i o g e n e s (IX, 7) lesen π ά ν τ α ψ υ χ ώ ν ε ί ν α ι και δ α ι μ ό ν ω ν π λ ή ρ η , und auch jenen Spruch, den A r i s t o t e l e s aufbewahrt hat (de p a r t . a n i m . I. 5.) έ κ έ λ ε υ σ ε ... εισιέναι θαρροϋντας, ε ί ν α ι γ ά ρ κ α ι θεούς·

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ενταύθα

wiewol an der Aechtheit von beiden zu zweifeln wäre wenn es der Mühe lohnte. Will man nun etwas seine Theologie nennen, so könnte das im strengsten Sinne nur gewesen sein was er von dem π ε ρ ι έ χ ο ν φρενήρες selbst gesagt hat in wie fern es als allgemeine Vernunft die Quelle alles wahren Bewußtseins ist; denn dies allein war sein Allerheiligstes, jener 496 Name des Zeus, der gesprochen sein will und auch nicht. Und so | läßt sich wol denken, daß die Gegend seines Werkes in welcher er hiervon sprach, dies war aber, wenn wir anders den S e x t u s (adv. M a t h . V I I , 132) recht verstehen, der Anfang, von Spätem als seine θ ε ο λ ο γ ί α ist angeführt worden, nicht aber daß er selbst sie als einen besondern Theil 121 mit einem eigenen Namen aufgestellt habe. Was er aber über die mannigfaltigen Verbindungen der allgemeinen Vernunft mit den verschiedenen Formen des Seins gesagt, wäre nur seine Dämonologie zu nennen, und ist hoffentlich auch nur sehr in der Kürze abgefaßt gewesen. Und hier müßte dann als Polemik gegen die Volksreligion und die dichterische Götterlehre ihren Siz gehabt haben eine unter dem Namen des Herakleitos aufbehaltene Stelle, die ich aber ihres alterthümlichen Ansehens ohnerachtet doch nicht wage als eine ächte zu bezeichnen. Sie findet sich

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zuerst bei C l e m e n s ( C o h o r t , c. IV, p. 44) ... του γε σου άκουσον φιλοσόφου του Έ φ ε σ ί ο υ 'Ηρακλείτου την άναισθησίαν όνειδίζοντος τοις άγάλμασιν Κ α ι ά γ ά λ μ α σ ι τ ο υ τ έ ο ι σ ι ν ε ύ χ ο ν τ α ι ό κ ο ι ο ν ε ι τ ι ς δ ό μ ο ι σ ι λ ε σ χ η ν ε ύ ο ι τ ο . Dann noch aus 30

29 Και άγάλμασι] „Kai άγάλμασι 3f Diogenes Laertios IX 7, ed. Meibomius S. 551; ed. Long Bd. 2, S.440 5—8 Aristoteles: De partibus animalium I 5, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 598 a; vgl. Parts of animals, ed. A. L. Peck, The Loeb Classical Library, London/Cambridge (Mass.) 1955, S. 100 (645 a) 16 f Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 132, Opera

ed. Fabricius S. 398: έναρχόμενος τρόπον τινά δεικνύς τό περιέχον, Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 32 Potter S. 44 (Q: [...] δόμοις [...]);

ovv των περί φύσεως ό προειρημένος άνήρ, και φησί' (es folgt das Zitat oben 209,28-10); vgl. edd.

27—30 vgl. Opera

Clemens: Cohortatio ad gentes ed. Dindorf Bd. 1, S. 55 f

4, Opera

ed.

Herakleitos

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ίο

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C e l s u s bei O r i g e n e s ( c o n t r a C e l s . V I I , p. 738) mit einem Zusaz και μην και Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ώδέ πως άποφαίνεταν κ α ι τ ο ι ς ά γ ά λ μ α σ ι τ ο υ τ έ ο ι σ ι ν ε ύ χ ο ν τ α ι , ό κ ο ΐ ο ν ε ι τ ι ς τ ο ΐ σ ι δό-| μ ο ι σ ι λ ε σ χ η ν ε ύ ο ι τ ο , ο ϋ τ ε γ ι γ ν ώ σ κ ω ν θ ε ο ύ ς ο υ τ ε 497 ή ρ ω α ς ο ι τ ι ν έ ς ε ί σ ι . „Und zu diesen Bildern beten sie als wenn jemand mit den Häusern redete, nicht einmal wissend wer Götter und Dämonen sind." Denn daß er das lezte auch für Herakleitisch giebt, sieht man aus seiner Erklärung ό μέν γε μάλα άπορρήτως ύποσημαίνει ήλίθιον τό τοις άγάλμασιν ευχεσθαι εάν μή γιγνώσκη τις θεούς και ήρωας οϊτινές εΐσιν. — δοκοΐσι statt δόμοΐσΐ ist nur eine sinnreiche Vermuthung, und die doch wenig bessert, und von der Stelle den Verdacht jüdischen Ursprungs nicht abwälzt. Und Celsus mußte freilich die Alexandrinischen Juden auch lesen und konnte sich von ihnen und mit ihnen täuschen lassen. Doch um zurükzukehren: so mag sich Herakleitos die menschliche Seele betreffend gedacht haben, daß sie von solchen Dämonen und Göttern herrühre und nach dem Tode auch wieder in solche verwandelt werde, wie aus folgendem Bruchstük zu erhellen scheint

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Έ ν θ α και λέγεται ορθώς ύπό Η ρ α κ λ ε ί τ ο υ , δτι ζ ώ μ ε ν τ ο ν 122 έ κ ε ί ν ω ν θ ά ν α τ ο ν , τ ε θ ν ή κ α μ ε ν δε τον ε κ ε ί ν ω ν βίον. H i e r o c l e s in c a r m . a u r . p. 186. Es kann aber hier nur von den Göttern die Rede sein, und von einem Leben außerhalb der niedern Welt, | wie die vorhergehenden Worte des Hierocles „διό και έπαμ- 498 φοτερίζει (ό άνθρωπος) ταΐς σ χ έ σ ε σ ι ν , δτε μέν έκεΐ ζών την νοεράν εύζωΐαν, οτε δέ ένταυθα την αισθητικήν έμπάθειαν προσλαμβάνων genugsam zu erkennen geben. Man findet aber jene Worte von Andern auch anders gebraucht. M a x i m u s T y r i u s ( D i s s . X L I . p. 489. D a v i s . ) verflicht sie in die schon angezogene Schilderung von den Verwandlungen der Dinge überhaupt (s. oben S. 407). Man vergleiche auch P h i l o n a . a . O . Und wahrscheinlich 3 όκοΐον] οκοΐον

26 αισθητικήν] αισθητιμήν

1 — 11 Origenes: Contra [Adversus] Celsum VII 62, Opera ed. Delarue Bd. 1, S. 738; vgl. SC 150, S. 158 20—22 Hierokles: Commentarius in aurea Carmina, ed. P. Needham, Canterbury 1709, S. 186; In Aureum Pythagoreorum Carmen Commentarius, ed. F. W. A. Mullachius, Berlin 1853, Reprografischer Nachdruck Hildesheim 1971, S. 142 — Hierokles: aus Alexandreia, Neuplatoniker, gestorben 431/32 n. Chr. 24—27 Hierokles: Commentarius in aurea Carmina, ed. Needham, S. 186; vgl. ed. Mullachius S. 142 28—31 Maximus Tyrius: Dissertationes XLI 4, ed. Markland S. 489 f; ed. Trapp S. 334 — Oben 165,10—16 und 198,20-22 31 Philon: Legis allegoriarum liber I, Omnia opera S. 60; vgl. I 33, Opera ed. Richter Bd. 1, S. 88 - Oben 217,25-29

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Herakleitos

ist es dieselbe Stelle welche N u m e n i o s bei P o r p h y r i o s (de a n t r o p. 256. Ed. Cantabr.) auf den Gegensaz zwischen Seele und Leib bezieht και άλλαχοϋ δέ φάναι ζ η ν ή μ α ς τ ο ν ε κ ε ί ν ω ν (der Seelen) θ ά ν α τ ο ν , κ α ι ζ η ν έ κ ε ί ν α ς τ ο ν ή μ έ τ ε ρ ο ν θάνατον.

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Und mit einer solchen Verwandlung der Menschen und Götter in einander stimmt auch gar sehr zusammen was Herakleides in Verbindung mit dem Vorigen anführt

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51. ό γουν σκοτεινός Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ασαφή και διά συμβόλων εικάζεσθαι δυνάμενα θεολογεί τά φυσικά δι' ών φησι, θ ε ο ί ίο θ ν η τ ο ί τ' ά ν θ ρ ω π ο ι ά θ ά ν α τ ο ι ζ ώ ν τ ε ς τ ο ν ε κ ε ί ν ω ν θάν α τ ο ν θ ν ή σ κ ο ν τ ε ς τ η ν ε κ ε ί ν ω ν ζ ω ή ν . (alleg. Horn. p. 442. 443. Gale.) Die ersten Worte führt abermals M a x i m u s | auch an Σκόπει και τον Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν θ ε ο ί θ ν η τ ο ί (so liest schon Heinsius statt άθάνατοι), ά ν θ ρ ω π ο ι ά θ ά ν α τ ο ι (Diss. X, p. 107). 15 Nimmt man nun hinzu, was C l e m e n s anführt 'Ορθώς άρα ε ΐ π ε ν 'Ηράκλειτος " Α ν θ ρ ω π ο ι θ ε ο ί , θ ε ο ί ά ν θ ρ ω π ο ι (Paedag. III, 1. p. 251) — wo aber S t e p h a n u s (poes. phil. p. 135) ganz fälschlich die folgenden Worte λόγος γάρ αυτός noch für Herakleitische hält und deshalb auch ωύτός schreibt — und was den 20 größten Verdacht hat unsere nemliche Stelle zu sein: so wird hoffentlich Niemand zweifeln die ganze Stelle so herzustellen wie auch fast schon Fabricius (s. S e x t u s p. 185. not. c) gethan hat "Av1—5 Porphyrios: De antro Nympharum 10, [Opera] ed. Holsten [Ed. Cantabrigiensis] S. 256 f; vgl. Opuscula ed. Nauck S. 63 — Numenios von Apamea, Philosoph, lebte in der zweiten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. 9—13 Herakleides: Allegoriae Homeri, Opuscula mythologica, ed. Gale, S. 443 f; vgl. Heraclite: AUigories d'Homere, ed. Buffiere S. 29 f 13 — 15 Maximus Tyrius: Dissertationes X 4, ed. Markland S. 107; ed. Trapp S. 32 14 f Daniel Heinsius: Notae et emendationes ad Maximum philosophum, Leiden 1607, zu S. 171 von: Maximi Tyrii Philosophici Platonici Dissertationes XLI, ed. D. Heinsius, Leiden 1607 (— bei den Notae et emendationes handelt es sich um einen mit eigenem Titelblatt, aber unpaginiert gedruckten Anhang zu der von Heinsius veranstalteten Textausgabe, der sich im Lemma auf die Seitenzahlen dieser Ausgabe bezieht —): Non est dubium quin verba Heracliti hoc modo sint scribenda, θεοί θνητοί, άνθρωποι άθάνατοι. Im Text selbst (S. 171) läßt Heinsius das ursprüngliche θεοί θνητοί, θεοί άθάνατοι stehen. — Möglicherweise bezieht Schleiermacher seine Kenntnis der Heinsischen Lesart aus der auch sonst von ihm benutzten Maximus-Ausgabe von Markland, die im Anhang die Notae et emendationes in Maximum Tyrium von Johannes Davisius (John Davies) abdruckt, in denen wiederum die Lesart des Daniel Heinsius mitgeteilt wird (vgl. Maximus Tyrius: Dissertationes, ed. MarklandS. 533). — Daniel Heinsius (1580—1655), holländischer Philologe und Dichter, veranstaltete Ausgaben zahlreicher griechischer und römischer Autoren. 16—18 Clemens: Paedagogus III 1, Opera ed. Potter S. 251; Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 326 18—20 Henricus Stephanus (Henri Estienne): Poesis philosophica S. 135 23—3 Sextus Empiricus: Pyrrhoniae Hypotyposes III 230, Opera ed. Fabricius S. 185 Anm. c

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θρωποι θεοί θνητοί* θεοί τ' άνθρωποι αθάνατοι, ζώντες τον έκείνων θάνατον, θνήσκοντες την έ κ ε ί ν ω ν ζ ω ή ν . „Die Menschen sind sterbliche Götter, und die Götter unsterbliche Menschen, lebend jener Tod und sterbend jener Leben," welches leztere dann gegenseitig zu verstehen ist. Doch würde vielleicht der Sinn noch schärfer ausgedrükt, wenn man mit vernachlässigter Genauigkeit des Gegensazes läse θ ν ή σ κ ο ν τ ε ς ές την κ. τ. λ. Daß übrigens Hierocles den lezten Saz nur aufgelöst hat und die Participien das ächte sind, erhellt aus Herakleides ganz offenbar. |

J a diese Verwandlung ließe sich ähnlich den Verwandlungen des Ganzen 500 ansehn als die auf- und absteigende Bewegung der Seelen in ihrer besondern Sphäre, und so bekäme einen bestimmten Sinn jener Bericht S t o b . E e l . I, p. 906 Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς μεν γάρ ... όδόν τε άνω και κάτω τάς 15 ψυχάς διαπορεύεσθαι ύπείληφε. Oder mag auch Herakleitos nur im Allgemeinen an die Rükkehr aus der Gefangenschaft des Leibes in die Freiheit des π ε ρ ι έ χ ο ν φρενήρες gedacht haben, wie T h e o d o r e t o s sagt ό δέ Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς τάς άπαλλαττομένας του σώματος (ψυχάς) εις τήν του παντός άναχωρειν ψυχήν έφησεν, οία δή ομογενή τε ούσαν και 20 όμοούσιον (Τ. I V , ρ. 824), so hatte er immer Ursache den Tod zu preisen und höher zu achten als das Leben. Und hievon ist uns noch mehreres aufbehalten geblieben. Zunächst sagt C l e m e n s indem er von Vergeltungen aller Art in jenem Leben redet 25

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52. συνάδειν τούτω και ό Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς φαίνεται, δι' ων φησι περί των άνθρώπων διαλεγόμενος 'Ανθρώπους μένει ά π ο θ α ν ό ν τ α ς ά σ σ α ουκ έ λ π ο ν τ α ι ο υ δ έ δ ο κ έ ο υ σ ι ν 124 ( S t r o m . IV, 22) „Die Menschen erwartet wenn sie todt sind was sie nicht hoffen noch glauben." Fast eben so T h e o d o r e t o s (Ed. H a l . V o l . I V , p. 913) εκείνο δέ του ' Η ρ α κ λ ε ί τ ο υ μάλα θαυμάζω, οτι μ έ ν ε ι τ ο ύ ς I α ν θ ρ ώ π ο υ ς ά π ο θ ν ή σ κ ο ν τ α ς , ο σ α κ . τ . λ . 501

20 ρ. 824] ρ. 822

27 IV, 22] IV, 21

13 — 15 Stobaios: Eclogae physicae et ethicae 1 52, ed. Heeren Bd. 1, S. 906 (Strich steht für die Auslassung: άμοιβάς αναγκαίας τίθεται έκ των έναντίων); vgl. I 49 ed. Wachsmuth Bd. 1, S. 378 17— 20 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio V, Opera ed. Schuhe [Ed. Halensis] Bd. 4, S. 824; SC 57, S. 233 24-27 Clemens: Stromata IV 22, Opera ed. Potter S. 630; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 401 28—30 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio VIII, Opera ed. Schulze [Ed. Halensis] Bd. 4, S. 913; SC 57, S. 325 — Die durch κ. τ. λ. gekennzeichnete Fortsetzung des Zitats stimmt wörtlich mit dem zuvor zitierten Text von Clemens Alexandrinus überein (oben 221,24-27).

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Herakleitos

Clemens selbst deutet anderwärts ( C o h o r t . II, p. 18) gewiß gegen die Meinung des Herakleitos den Saz unvollständig angeführt nur auf Bestrafungen. Der ersten Auslegung aber stimmt bei ein Fragment bei S t o b ä o s , welches W y t t e n b a c h dem P l u t a r c h o s vindicirt hat έπει τήν γε πεισθεΐσαν δσα ανθρώπους περιμένει τε5 λευτήσαντας καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι τ ο ν ούδέν αν κατάσχοι. Nur für wörtlicher als jene darf man diese Anführung nicht halten (weshalb ich auch das beidemal beibehaltene άσσα des Clemens dem οσα des Theodoretos und dieses Fragmentes vorziehe); und ob der Verfasser das ούδέν άν κατάσχοι, nemlich die Seele in der Verbindung 10 mit dem Leibe, auch als Herakleitisch will angeführt haben, läßt sich in der That eben wenn es Plutarchos ist am wenigsten entscheiden. Dann mag auch wol Herakleitos gesucht haben zu zeigen wie eben hiermit auch manches in der herrschenden Denkungsart übereinstimme. Zwei verschiedene Stellen der Art führt T h e o d o r e t o s an

15

53. Ό δέ γε Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς και τούς εν τοις πολέμοις άναιρεθέντας πάσης άξιους ύπολαμβάνει τιμής. Ά ρ η ϊ φ ά τ ο υ ς γ α ρ , φησιν, ο ί θ ε ο ί τ ι μ ώ σ ι κ α ι ά ν θ ρ ω π ο ι ... και πάλιν | 502

54. Μ ό ρ ο ι γ ά ρ μ ε ί ζ ο ν ε ς μ ε ί ζ ο ν α ς μ ο ί ρ α ς λ α γ χ ά ν ο υ σ ι ν . 20 „Denn die im Krieg getödteten, sagt er, ehren Götter und Menschen. Und wiederum: Denn der herbere Tod erlangt auch den größern Lohn." Die lezte Stelle führt auch C l e m e n s an, ionisirender Μ ό ρ ο ι γ ά ρ μ έ ζ ο ν ε ς μ έ ζ ο ν α ς μ ο ί ρ α ς λ α γ χ ά ν ο υ σ ι καθ' Ή ρ ά κλειτον. ( S t r o m . IV, 7.) 25

14 zu] zn 1—3 Clemens: Cohortatio ad gentes 2, Opera ed. Potter S. 18: άξια μέν ούν νυκτός τά τελέσματα και πυρός και τοΰ μεγαλήτορος, μάλλον δέ ματαιόφρονος Έρεχθειδών δήμου, προς δέ και των άλλων 'Ελλήνων, ους τινας μένει τελευτήσαντας άσσα ουδέ έλπονται.; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 22. 4—6 Stobaios: Sermones 119, Ed. Lugdunensis S. 606; ed. Hense Bd. 3, S. 1092 4f Plutarchos: Hypoleipomena, Moralia, ed. Wyttenbach, Bd. 5/2, S. 732; Fragmenta 178, Moralia Bd. 7, S. 110 - Wyttenbach verweist selbst a. a. O. S. 722 darauf, daß er das ganze aus Stobaios entnommene Stück bereits in seiner Edition von Plutarchs De sera numinis vindicta (Leiden 1772) dem Plutarchos zugeschrieben habe, und zwar mit Worten, die an Schleiermachers Formulierung erinnern: Plutarcho vindicavi et edidi ad calcem libelli Plutarchei de Sera Num. [•••]• 16—19 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio VIII, Opera ed. Schulze [Ed. Halensis] Bd. 4, S. 912; vgl. SC 57, S. 323 f 20 Theodoretos: Graecarum affectionum curatio, Disputatio VIII, Opera ed. Schulze [Ed. Halensis] Bd. 4, S. 912 (Q: Μόνοι γάρ μείζονες μείζονος μοίρας λαγχάνουσιν.); vgl. SC 57, S. 323 f 23—25 Clemens: Stromata IV 7, Opera ed. Potter S. 586; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 345

Herakleitos

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Denn wollte man auch von dem ersten Saze glauben, er sei aus einer 125 politischen Stelle, wo er das Festhalten am Gesez, also auch das Streiten für das Gesez und für das Vaterland empfohlen: so kann doch dies von der zweiten nicht gelten. Ganz ähnlich ist noch eine Stelle bei C l e m e n s ( S t r o m . I I I , 3.) 55. Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς γοΰν κακίζων φαίνεται την γ έ ν ε σ ι ν Έ π ε ι δ ά ν , φησί, γ ε ν ό μ ε ν ο ι ζ ώ ε ι ν έ θ έ λ ο υ σ ι , μ ό ρ ο υ ς τ' έ χ ε ι ν , μ ά λ λ ο ν δέ ά ν α π α ύ ε σ θ α ι κ α ι π α ι δ α ς κ α τ α λ ε ί π ο υ σ ι μ ό ρ ο υ ς γ ε ν έ σ θ α ι . Statt έπειδάν welches im folgenden nichts entsprechendes findet muß man aber wol έπειτα lesen. Die Worte μάλλ ο ν δέ άναπαύεσθαι will ich aber nicht als Herakleitisch vertheidigen, sie sehen fast aus wie zwischengeschobene mildernde Worte des Clemens selbst; am Ende zu μόρους γενέσθαι muß man αύτοΐς hinzudenken. „Wenn sie geboren sind wollen sie dann | leben und 503 auch Tod haben, und hinterlassen Kinder daß denen auch der Tod werde."

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Wenigstens kann man ihr nicht leicht einen andern Zwek beilegen, als zu zeigen, wie auch die gewöhnlichen Menschen den Tod für kein Uebel halten. Und da wir wahrscheinlich bei Herakleitos und seinen nächsten 20 Anhängern zuerst philosophirende Spiele mit Worten zu suchen haben: so gehört auch hieher gewiß ein solches, welches in dem E t y m o l o g i c o n m a g n u m (ν. βιός) aufbehalten worden ist. 56. Έ ο ι κ ε δέ ύπό των άρχαίων όμωνύμως λέγεσθαι βιός τό τόξον και ή ζωή. 'Ηράκλειτος ούν ό σκοτεινός, τω ο ΰ ν τ ό ξ φ 25

όνομα

β ι ό ς , έ ρ γ ο ν δ έ θ ά ν α τ ο ς . „Bedeutet doch des Bogens

Name Leben, sein Geschäft aber ist Tod." Offenbar wollte Herakleitos hier mit Vernachlässigung des Tons die Sprache auf seine Seite ziehen, daß der Tod selbst Leben sein müsse 10 . 10

30

Hier nun war es nicht schwer der Spur auch eines einzelnen Wortes nachzugehn; wohin aber gehöre, was Suidas anführt (ν. άμφισβατεϊν) ,,έν τισι δέ τό άμφισβητεΐν. Τωνες δέ και άγχιβατεϊν, και ά γ χ ι β α σ ί η ν Ηράκλειτος" das mag wol Niemand auffinden können. |

14 leben] so DV; OD: Leben

22 βιός] βίος

31 f Ηράκλειτος"] Ηράκλειτος")

4—9 Clemens: Stromata III 3, Opera ed. Potter S. 516; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 251 21—25 Etymologicon magnum, Artikel „Βιός", ed. F. Sylburg, [Heidelberg] 1594, Sp. 198; Etymologicum magnum, ed. T. Gaisford, Oxford 1848 (Nachdruck Amsterdam 1962), S. 198 — Das Etymologicum magnum ist eine wohl gegen 1100 n. Chr. entstandene Sammlung etymologischer Deutungsversuche zu einzelnen Wörtern. 30 f Suidas: Lexicon, ed. Küster Bd. 1, S. 154; vgl. ed. Adler Bd. 1, S. 157

224 126 504

Herakleitos

Wenn nun das π ε ρ ι έ χ ο ν φ ρ ε ν ή ρ ε ς überall dasselbe, die menschliche Seele aber zwar sofern sie vernünftig ist jenem gleich, doch aber nicht ohne eine Beimischung des besonderen zu den|ken ist, so wird nun in diesem der Grund aller Verschiedenheit unter den Menschen liegen. Denn wie überhaupt zwischen den verschiedenen Entwiklungsstuffen in dem Gebiet der Erscheinung mehr ein allmähliger Uebergang stattfindet als ein schroffer Unterschied: so gilt dies vorzüglich auch von der aus den Feuchtigkeiten des Menschen eben erst sich entwikkelnden άναθυμίασις. Sich selbst gleich aber wird auch diese immer sein, weil sie immer aus demselben Verhältniß hervorgeht, welches der Zusammenfügung und dem Bestehen grade dieses Einzelnen zum Grunde liegt; daher ist nun ihre Beschaffenheit in dem engeren Sinne die ε ι μ α ρ μ έ ν η des Menschen.

5

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57. Κατά δέ τον αυτόν τρόπον και επί της ψυχής εύροι τις αν παρά την φυσικήν κατασκευήν διαφόρους γινομένας έκάστω 15 τάς τε προαιρέσεις και τάς πράξεις και τούς βίους· ή θ ο ς γ ά ρ ά ν θ ρ ώ π ω δαίμων κατά τον Ήράκλειτον, τουτέστι φύσις. A l e x . A p h r o d . d e f a t o . 164. „Des Menschen Gemüth ist sein G e s c h i k " δαίμων bedeutet hier ohne Zweifel dasselbe was sonst ε ι μ α ρ μ έ ν η . Derselbe Spruch auch bei S t o b ä o s ( S e r m . C H , p. 559) und bei P l u t a r c h o s ( q u a e s t . p l a t . p. 9 9 9 ) der ihn in Verbindung bringt mit dem Menandrischen Verse ό νους γάρ ημών ό

20

θεός. I Soll aber bestimmter ein Maaßstab gegeben werden um zu beurtheilen, welche Seele die bessere sei und welche die schlechtere: so war gewiß zuerst zu sagen, daß jede um desto besser sei je feuriger. Vielleicht gehören auch hieher die Stellen worin Herakleitos den θ υ μ ό ς lobt, weil ja unter diesen Begriff alle die Handlungen fallen, in welchen sich die feu127 rige Natur, die schnelle kräftige Beweglichkeit der Seele offenbart. Hierüber ist uns Ein vielfach angeführter und gewendeter Spruch übrig, der gleich so hier stehen mag, wie er wahrscheinlich zu schreiben ist

505

18 de fato. 164.] de fato. 56.

21 p. 999] p. 939

14—18 Alexandros: De fato 6, Omnia Themistii opera, hoc est paraphrases et orationes. Alexandri Aphrodisiensis libri duo de anima et de fato unus, ed. V. Trincavelli, [Ed. Aldinaj, Venedig 1534, S. 164 (Q: [...] άνθρώπων [...]); vgl. De fato, Alexandri Aphrodisiensis Praeter commentaria scripta minora, ed. I. Bruns, Supplementum Aristotelicum II 2, Berlin 1892, S. 170 20 f Stobaios: Sermones 102, Ed. Lugdunensis S. 559; IV 40 ed. Hense Bd. 3, S. 925 — Mit ,demselben Spruch' ist nur der von Schleiermacher übersetzte Teil des Zitats aus Alexandros von Aphrodisias gemeint. 21—23 Plutarchos: Quaestiones Platonicae, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 999; vgl. Moralia Bd. 6/1, S. 114 22 Menandros aus Kephisia, bedeutender Dichter der griechischen Komödie, 342/41—293/92

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58. Χ α λ ε π ό ν θ υ μ ω μ ά χ ε σ θ α ι , ο τ ι γ α ρ α ν χ ρ ή ζ η γ ί γ ν ε σ θ α ι , ψ υ χ ή ς ώ ν έ ε τ α ι . „Schwer ist gegen den Muth streiten; denn was er will daß geschehe, kauft er für das Leben." Zuerst führt ihn A r i s t o t e l e s an καθάπερ και Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς είπε χ α λ ε πόν φάσκων είναι θυμω μάχεσθαι· ψυχής γαρ ώνεϊσθαι ( P o l i t . V, 11. Vergl. E t h i c . N i c o m . II, 2) und fast eben so E u d e m . II, 7. χ α λ ε π ό ν γάρ φησι θυμω μάχεσθαι ψυχής γαρ ώνεΐται. Dann P l u t a r c h o s öfters C o r i o l a n . p. 224. μαρτυρίαν άπέλιπε τω είπόντι θυμω μάχεσθαι χ α λ ε π ό ν ο γ ά ρ ά ν θ έ λ η , ψυχής ώνεΐται. Vergl. de i r a p. 4 5 7 und A m a t . p. 755. ερωτι γάρ μάχεσθαι χ α λ ε πόν, ού θυμω, καθ' Ή ρ ά κ λ ε ι | τ ο ν ο , τ ι γ ά ρ άν θ ε λ ή σ η , και 506 ψυχής ώνεΐται και χρημάτων και δόξης, wo der lezte Zusaz offenbar eigne Arbeit ist. Endlich auch I a m b l i c h o s μάρτυς τοις λ ε χ θεισιν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς · θυμω γάρ φησι μάχεσθαι χ α λ ε π ό ν ο , τ ι γ ά ρ ά ν χ ρ ή ζ η γ ί γ ν ε σ θ α ι , ψυχής ώνέεται ( P r o t r e p t . ρ. 140).

Gewiß aber sind hieher zu ziehen die so berühmt gewordenen Aussprüche von den troknen Seelen, welche genau mit der physischen Theorie des Herakleitos zusammenhangen, und aus dem bisher dargestellten gar leicht zu verstehen sind. Denn je mehr die in dem Menschen selbst sich 20 entwikkelnde άναθυμίασις diesen Namen verdiente, nicht mehr in das Gebiet der θ ά λ α σ σ α gehörig, also schwerfällig und dem starren verwandt, sondern leicht war und trokken und zur höheren Region dieser Eigenschaft wegen hinaufstrebend, um desto mehr konnte sie sich der von außen einwandernden vernünftigen Seele verähnlichen; je mehr aber 25 jene noch verschiedener und untergeordneter Natur war, um desto weniger konnte diese ihr Recht in dem Menschen ausübend seine Vorstellungen dem gemeinsamen Erkennen und sein Leben dem gemeinsamen Ge- 128 sez gemäß bilden, sondern der Schein der in dem besonderen seinen Siz hat und die Willkühr mußten die Oberhand behalten. Eine trokne Seele 30 ist also eine solche | in welcher unbesiegt von den niederen Stuffen des 507

v. Chr. 4—6 Aristoteles: Politica [De Republica] V 11, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 247 b; ed. Ross S. 186 (1315 a). — Ethica Nicomachea II 2, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 11 b: χαλεπώτερον ήδονή μάχεσθαι ή θυμφ.; vgl. ed. Bywater S. 28 (1105 a) 6f Aristoteles: Ethica Eudemia II 7, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 125 b; ed. Rackham S. 270 (1223 b) 8 f Plutarchos: Coriolanus 22, Quae exstant omnia, Bd. 1, S. 224; Γαϊος Μάρκιος, Vitae Parallelae Bd. 1/2, S. 206 10—12 Plutarchos: Amatorius 11, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 755 (Q: έρωτι δέ μάχεσθαι [...!); Moralia Bd. 4, S. 353; Plutarchos: De ira cohibenda 9, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 457; Moralia Bd. 3, S. 169 13 — 15 Iamblichos: Protrepticae orationes ad philosophiam 21, ed. J. Arcerius, Franeker 1598, S. 140; Protrepticus, ed. H. Pistelli, Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, stereotyper Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1888, Stuttgart 1957, S. 112f

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Herakleitos

Seins die g e m e i n s a m e Vernunft w a l t e t . Dieses nun, d a ß die t r o k n e Seele die beste sei und die weiseste, wird von so Vielen und auf so vielfältige A r t angeführt aus dem W e r k e des H e r a k l e i t o s , k a n n a b e r auch von ihm in so m a n n i g f a l t i g e n Verbindungen sein v o r g e b r a c h t w o r d e n , d a ß s c h w e r ist zu entscheiden welches m e h r oder weniger seine eigenen W o r t e sein m ö g e n , gewiß a b e r viel zu kühn alles a u f einen einzigen A u s d r u k zurükführen zu wollen. Soviel nur sieht J e d e r der sich in den Z u s a m m e n h a n g der ganzen T h e o r i e stellen k a n n , d a ß die Stelle w e l c h e W e s s e l i n g ( O b s s . m i s c . V o l . V, P. I I I . ) zur H a u p t s t e l l e m a c h e n will

59. Ά ν ή ρ ό κ ό τ α ν μ ε θ υ σ θ ή ά γ ε τ α ι ύ π ό π α ι δ ό ς ά ν ή β ο υ σ φ α λ λ ό μ ε ν ο ς , ούκ έ π α ΐ ω ν ο κ η β α ί ν ε ι , ύ γ ρ ή ν τ η ν ψ υ χ ή ν έ χ ω ν α υ η ψ υ χ ή , eine andere Leseart α υ γ ή ξ η ρ ή ist a m R a n d e b e m e r k t , σ ο φ ω τ ά τ η και ά ρ ι σ τ η . S t o b ä o s S e r m . V, p. 7 4 . „Ein M a n n w e n n er trunken ist, wird geführt von einem unmündigen K i n d e , fehltretend nicht wissend w o h i n er geht, weil er eine nasse Seele h a t . "

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nichts anders sein k a n n als eine f a ß l i c h e Bestätigung des s c h o n in einem andern Z u s a m m e n h a n g vorgetragenen Sazes, um an einem Beispiel, w o die U r s a c h e der V e r s c h l i m m e r u n g d a ß | nemlich feuchte D ü n s t e die O b e r h a n d g e w o n n e n h a b e n , leicht zu erkennen ist, den Unterschied beider Z u s t ä n d e zu zeigen. D a h e r sind auch die lezten W o r t e α υ η — α ρ ί σ τ η , wiewol ganz gewiß H e r a k l e i t i s c h nicht mit ausgezeichnet w o r den, weil n e m l i c h n i c h t w a h r s c h e i n l i c h ist d a ß H e r a k l e i t o s nach einem solchen Beispiel jedesmal den H a u p t s a z sollte w i e d e r h o l t h a b e n , sondern der frühere E p i t o m a t o r , den S t o b ä o s ausschreibt, h a t ihn hieher gestellt, um an die eigentliche Absicht jener B e s c h r e i b u n g desto b e s t i m m t e r zu erinnern. Es h a t a b e r w a h r s c h e i n l i c h H e r a k l e i t o s um seine L e h r e zu erörtern nicht nur solche Beispiele g e b r a u c h t die das Verdienst der Popularität h a b e n , sondern auch solche die m e h r ins G r o ß e gehend des N a t u r f o r schers würdiger sind. E r k o n n t e schon anfangen in dieser H i n s i c h t zu vergleichen L a n d t h i e r e und Seethiere, und dann f o r t f a h r e n verschiedene

21 f αϋη - άριστη] so DV; OD: αυη άριστη 8 f [Peter Wesseling]: De Heraclito observatio, Miscellaneae observationes criticae in auctores veteres et recentiores, ab eruditis Britannis incboatae, et nunc a doctis viris, in Belgio et aliis regionibus, continuatae, Bd. 5/[Pars] 3, Amsterdam 1734, S. 42—48, hier: bes. S. 42 — Der Beitrag ist anonym erschienen und mit dem Kryptogramm Τ. P. A. unterschrieben. Woher Schleiermacher über die Identität des Autors, Peter Wesseling (1692 — 1764, niederländischer Philologe, Professor in Deventer, Franeker und Utrecht), so sicher unterrichtet ist, konnte nicht nachgewiesen werden. 10—13 Stobaios: Sermones 5, Ed. Lugdunensis S. 74; ed. Hense Bd. 1, S. 257

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Völker zusammenzustellen nach ihrem Klima. Von dem lezteren hat sich eine ganz deutliche Spur erhalten in einer Stelle des P h i I o n welche Eusebios gerettet hat

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60. μόνη γαρ ή Ε λ λ ά ς άψευδώς άνθρωπογονεΐ. ,τό δ' αίτιον, λεπτότητι άέρος ή διάνοια πέφυκεν άκονάσθαν διό και 'Ηράκλειτος ούκ από σκοπού φησιν ού γή ξ η ρ ή ψυχή σ ο φ ω τ ά τ η κ α ι ά ρ ι σ τ η . ( P r a e p . E v a n g . V I I I , 14.) Gewiß hat S t e p h a n u s nur diese | Stelle im Sinne, wenn er ( P o e s . p h i l . p. 139) 509 sagt s c i o a l i o q u i a f f e r r i e x e o d e m p h i l o s o p h o οκου γή ξ η ρ ή ψυχή σοφωτάτη. Man sieht offenbar daß hier die ganze Verbindung der angeführten Stelle mit dem behaupteten Saz verloren geht wenn man nicht die Worte läßt wie sie sind und übersezt, „darum sagt auch Herakleitos nicht unpassend, wo das Land trokken ist, ist auch die Seele die weiseste und beste." Dennoch wollen W e s s e l i n g (a. a. O. p. 46. 47.) und H e y n e ( O p u s c . I I I , p. 96) der jenem durchaus nur nachspricht, auch hier lesen αϋη ψυχή σοφωτάτη κ. ά. Doch die Sache redet wol für sich selbst und es ist kaum nöthig etwas gegen den gelehrten Mann zu sagen, der hier nicht ganz auf seinem Felde war. Denn wenn er die rechte Leseart durch solche Gründe widerlegen will, weil ja dann Herakleitos behauptet hätte, in den afrikanischen Wüsten müßten die vortreflichsten Menschen erzeugt werden: so dürfen wir ihm ja nur entgegnen daß Herakleitos, wenn er anders arabische und libysche Wüsten kannte, wol auch hierüber etwas näher bestimmendes gesagt haben wird, 130 was uns aber verloren gegangen ist, und daß dem Philon in seinem Zusammenhange wol nichts näher lag als die Vergleichung zwischen Hellas und dem schlammigen verwässerten Aegypten. | Der Hauptsaz selbst aber ist wahrscheinlich am ächtesten aufbehalten in der angezogenen Stelle des S t o b ä o s , aus welcher wir ihn, weil er sich doch an die dortigen Worte schwerlich unmittelbar anschließen kann, besonders hieher sezen 61. α ϋ η ψ υ χ ή σ ο φ ω τ ά τ η κ α ι ά ρ ι σ τ η . „Die trokne Seele ist die weiseste und beste." Eine andere Formel findet sich bei P o r -

4—7 Eusebios: Praeparatio evangelica VIII 14, ed. Niger S.398f; SC 369, S.176f 7—10 Henricus Stephanus (Henri Estienne): Poesis philosophica S. 139 15 [Wesseling]: De Heraclito observatio, Miscellaneae observationes criticae in auctores veteres et recentiores, Bd. 5/3, S. 46 f 15 Christian Gottlob Heyne: De animabus siccis ex Heracliteo placito optime ad sapientiam et virtutem instructis, Opuscula academica Bd. 3, S. 96 Anm. c 29—32 Oben 226,10—13; Stobaios: Sermones 5, Ed. Lugdunensis S. 74; ed. Hense Bd. 1, S. 257 33—2 Porphyrios: De antro Nympharum 11, [Opera] ed. Holsten [Ed. Cantabrigiensis] S. 257 (Q: [...] ξηρά [...]); vgl. Opuscula ed. Nauck S. 64

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Herakleitos

p h y r i o s (de a n t r . c. X I , p. 257. E d . C a n t a b r . ) 'Αυτός δέ φησιν Ηράκλειτος, ξηρή ψυχή σοφωτάτη. Und noch etwas verändert bei einem ganz späten Schriftsteller G l y k a s ( A n n a l . p. 74.) ψυχή ξηροτέρη σοφωτέρη und nur umgestellt p. 116 ξηροτέρη ψυχή σοφωτέρη. Von diesen kann nun freilich wahrscheinlich nur Eine 5 ächt sein und buchstäblich dem Herakleitos angehörig, und deshalb verdient allerdings das alte Wort αϋη den Vorzug. Demohnerachtet aber ist gar nicht nöthig alle Stellen, in denen der Herakleitische Saz auf irgend eine Weise angeführt wird, in diese Formel zu zwingen. S o P l u t . de o r a c . d e f . p. 432. wo es heißt άμα δέ άν τις ουκ 10 άλόγως και ξηρότητα φαίη μετά της θερμότητος έγγινομένην λεπτύνειν τό πνεύμα και ποιεΐν αίθεριώδες και καθαρόν, steht unmittelbar darauf höchst ungezwungen und richtig "Αυτη γαρ ξηρά ψυχή καθ' Ήράκλειτον. Denn eben eine solche ist die trokne Seele des Hera|kleitos; und ohne Grund wollen Wesseling und 15 Heyne ändern αΰη γάρ u . s . w . Eben so bei demselben R o m u l . p. 35. 36 ... και γένηται καθαρόν παντάπασι και άσαρκον και άγνόν αυτη γάρ ψυχή ξηρή άριστη καθ' Ήράκλειτον. „Denn eben dies ist die trokne Seele welche die beste ist nach Herakleitos." Jene aber wollen auch hier ξηρή als Glossem zu αΰη ansehn, als 20 ob αύος ein so ganz ungeläufiges Wort wäre, und meinen, nachdem jenes in den Text gekommen, sei αυη in αυτη verwandelt worden. Von diesem allgemeinen Ausdruk aber ist gewiß noch ein anderer zu unterscheiden, daß nemlich Herakleitos die Seele auch, und zwar die weiseste am meisten, einen troknen Strahl oder Glanz αύγή genannt 25 habe. Dies erhellt zunächst aus einer Stelle des Galenos 62. άλλ' ει και ξηρότητα μή ξυγχωρήσαι έναντίαν είναι συνέσεως, ει γε μήν ύφ' 'Ηρακλείτου - και γάρ ούτος οϋτως ε ί π ε ν α ύ γ ή ξ η ρ ή ψ υ χ ή σ ο φ ω τ ά τ η · τήν ξηρότητα πάλιν άξιων

1 ρ. 257] ρ. 207

10 άμα] „άμα

3 - 5 Michael Glykas: Annales, ed. Philipp Labbe, Paris 1660, S. 74 b. 116 a; MPG 158, S. 157 b. 229 d—232 a — Michael Glykas: byzantinischer Theologe, Philosoph und Historiker des 12. Jh., gestorben wahrscheinlich kurz vor 1204 n. Chr. 10—14 Plutarchos: De oraculorum defectu 41, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 432 (Q: [...] τέ πνεύμα [...]); vgl. Moralia Bd. 3, S.109f 15 [Wesseling]: De Heraclito observatio, Miscellaneae observationes criticae in auctores veter es et recentiores, Bd. 5/3, S. 46 f 16 Christian Gottlob Heyne: De animabus siccis ex Heracliteo placito optime ad sapientiam et virtutem instructis, Opuscula academica Bd. 3, S. 96 f Anm. c 16—18 Plutarchos: Romulus 28, Quae exstant omnia, Bd. 1, 5.35/; Vitae Parallelae Bd. 1/1, S. 74 26— 2 Galenos: Quod animi mores corporis temperamenta sequantur 5, Opera ed. Charterius Bd. 5, S. 450

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εΐναι συνέσεως αιτίαν, τό γαρ της αυγής ονομα τοΰτ' ενδείκνυται. ( Q u o d a n i m . m o r . Ed. Chart. Τ. V, p. 450.) Denn wenn gleich diese ganze Stelle sehr im Argen liegt, indem das έναντίαν keinen Sinn giebt, sondern αίτίαν darin stekken muß, und das 5 εϊ γε μήν gar nicht zu verstehen ist: so er|hellt doch unwidersprechlich 512 daß Galenos αύγή gelesen hat. Nun könnte man zwar sagen, er habe dafür ξηρή nicht gelesen, weil er sonst den Beweis, daß Herakleitos die Trokkenheit für die Ursache des Verstandes gehalten, nicht aus dem Worte αύγή würde geführt haben, und also liege auch hier bloß αυη 10 und die spätere Danebenstellung von ξηρή zum Grunde. Allein es ist zu bemerken daß statt der Worte και γαρ ούτος ούτως die älteren Ausgaben beide lesen και γαρ ούτος ούχ οϋτως u. s. w. Wer kann also bei einem so verdorbenen Texte wissen, ob nicht Galenos hätte sagen gewollt, ohnerachtet Herakleitos die Seele αύγή ξηρή nenne habe er doch 15 die Ursache des Verstandes weniger in dem ξηρό ν gesucht als in dem αύγοειδές? Daß aber Galenos auch ξηρή gelesen, wird gar sehr bestätiget durch die folgenden Worte έννοήσαντας και τούς αστέρας αύγοειδεΐς τε άμα και ξηρούς οντάς, άκραν σ ύ ν ε σ ι ν έχειν. Hiezu kommt 132 ein Fragment bei S t o b ä o s (Serm. X V I I , p. 160) 11 20

ήμας δ' όμοιοτάτην ταύτη προσφέρεσθαι τροφήν άν εΐη, εΐ τήν κουφοτάτην και καθαροτάτην προσφεροίμεθα· ούτω δ' άν και τήν ψυχήν ήμών | ύπάρχειν καθαράν τε και ξηράν όποία ούσα 513 άριστη και σοφωτάτη εις πάν, καθάπερ Ή ρ α κ λ ε ί τ ω δοκεΐ λέγοντι ούτως αύ γη ξηρή (andere aber α ύ γ ή ξ η ρ ή ) ψ υ χ ή σ ο φ ω τ ά τ η κ α ι ά ρ ι σ τ η . Wäre nun weder hier noch sonst wo eine Spur von αύγή, so würde ich dem Verfasser eine Combination zutrauen zwischen trokner Nahrung und troknem Lande, und auch hier lesen ού γη ξηρή. Die Herausgeber des C l e m e n s (zu P a e d a g . 11,2. p. 184) berichten freilich, in einer englischen Handschrift sei

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Dessen Verf. Heyne ( O p u s c . III, p. 96) gewiß sehr richtig ausgemittelt hat. Denn so pflegen ά π ο μ ν η μ ο ν ε ύ μ α τ α anzuheben, wie hier π ε ρ ί δε τ ρ ο φ ή ς

εϊώθει μέν πολλάκις λέγειν. | 19 Serm. XVII] Serm. XVIII

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Ήρακλείτψ] Ήράκλείτω

19—25 Stobaios: Sermones 17, Ed. Lugdunensis S. 160; vgl. ed. Hense Bd.l, S. 505 28 f. 1 Vgl. Clemens: Vaedagogus II 2, Opera ed. Potter S. 184; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 239. — In der von Schleiermacher vermutlich benutzten Ausgabe finden sich Anmerkungen und Kommentationen zahlreicher Editoren, ζ. B. von Gentiano Hervet, Friedrich Sylburg, Daniel Heinsius, William Lowth und John Potter. 30 Christian Gottlob Heyne: De animabus siccis ex Heracliteo placito optime ad sapientiam et virtutem instructis, Opuscula academica Bd. 3, S. 96, bes. Anm. b, nennt Musonius Rufus und ver-

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corrigirt αϋη ψυχή, aber wer weiß wie spät diese vorwizige Verbesserung ist. Nun schlägt sich auf dieselbe Seite noch eben jene Stelle des C l e m e n s wo zwar Herakleitos nicht genannt, aber auf mehr als eine Herakleitische Stelle Rüksicht genommen ist.

5

οϋτω δ' άν και ή ψυχή ήμών ύπάρξαι καθαρά και ξηρά και φωτοειδής· Αυγή δέ ψυχή ξηρά σοφωτάτη και άριστη· ταύτη δέ και εποπτική; κ. τ. λ. wo das φωτοειδής fast die Richtigkeit von αύγή verbürgt, und wo man wol am besten übersezt „denn ein trokner Strahl ist die beste Seele."

10

Endlich noch eine Stelle des P l u t a r c h o s (de e s u e a r n . p. 995.)

αύγή ξηρή ψυχή σοφωτάτη κατά τον Ήράκλειτον έοικεν, wo 514

zwar das zur Verbindung | vorangestellte και γάρ mit Dank anzunehmen, sonst aber in den Worten selbst nichts zu ändern ist „denn einem troknen Glänze gleicht die weiseste Seele nach Herakleitos." 15

133 Und dieser durch so viele Stellen bestätigte Ausdruk ist auch an sich selbst so wahrscheinlich. Denn wenn auch Herakleitos das Wort άναθυμίασις selbst gebraucht hat, was ich doch nicht behaupten möchte gewiß zu wissen, so hat er es doch wol nicht genau unterschieden von άτμις oder άτμός, und es konnte ihm eben so gut das Dunstförmige in dem 20 Gebiet seiner θ ά λ α σ σ α bezeichnen. Welches Wort kann ihm nun bei seiner Theorie von den Sternen näher gelegen haben um den nicht mehr wässrigen Dunst zu bezeichnen als eben αύγή? So kann er die Seele im allgemeinen einen troknen Strahl genannt haben, so daß die ursprünglichen Worte zu diesen Stellen wären αύγή ξ η ρ ή ψυχή, und das andere 25 nur aus Vermischung beider Formeln entstanden; oder er kann auch gesagt haben, die weisere Seele sei noch der troknere Strahl. Darauf führt auch schon die nicht undeutliche Spur daß er die leichte Beweglichkeit der besseren Seele und zugleich ihre Bereitwilligkeit den Leib wieder zu verlassen bildlich so dargestellt, daß sie ihn wie ein Bliz durchzukke. 30 Dieser Spur findet sich in einer schon angeführten Stelle des Plutarchos |

3 0 durchzukke] dnrehzukke weist auf die Notiz απομνημονεύματα Μουσωνίου τοΰ φιλοσόφου bei Pollonius Valerius Alexandrinus. 3—8 Clemens: Paedagogus II 2, Opera ed. Potter S. 184; Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 239. — Die durch κ. τ. λ. angedeutete Fortsetzung des Zitats führt Schleiermacher unten 231,5—8 an. 11 f Plutarchos: De esu carnium, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 995; vgl. Moralia Bd. 6/1, S. 102 3 1 - 4 Oben 228,10-14; Plutarchos: De oraculorum defectu 41, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 432 f(Q: ξηρή Kaff Ήράκλειτον!...] ώσπερ [...]); vgl. Moralia Bd. 3, S. 109 f

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und zwar so daß sie fast die Worte des Herakleitos selbst zu enthalten scheint

515

63. αΰτη γαρ ψυχή ξηρή αρίστη καθ' Ήράκλειτον ώ σ π ε ρ ά σ τ ρ α π ή ν έ φ ο υ ς δ ι α π τ α μ έ ν η του σώματος. 5

und eben darauf deutet auch in der zulezt angezogenen Stelle des C l e m e n s ( P a e d . II, 2) der Zusaz

ούδέ έσται κάθυγρος ταΐς έκ τοϋ οϊνου άναθυμιάσεσι ν ε φ έ λ η ς δίκην σ ω μ α τ ο π ο ι ο υ μ έ ν η . Nicht nur aber einen solchen persönlichen Unterschied in Absicht auf 10 die Kraft der Seele, welcher den Menschen abhängig von Klima und Nahrung als sein Geschik durch das ganze Leben begleitete, hat Herakleitos festgesezt; sondern er hat auch, noch auf eine andere Weise als 134 wir oben schon gesehen, aufmerksam gemacht auf den Unterschied in den Verrichtungen der Seele der bei jedem Menschen eintritt nach Maaß15 gäbe verschiedener Zeiten, und auch hierhin begleitete ihn seine allgemeine Anschauung von einem Wechsel des Uebergewichtes bald der einen bald der andern Seite. Was die großen Perioden betrifft des mit erleichterter Beweglichkeit aller Dinge hervortretenden Feuers und der todesgleich hervortretenden Erstarrung: so dürfen wir nur der Analogie 20 nach vermuthen daß er zu jener auch gerechnet | habe vermehrte und 516 kräftige Weisheit, und zu dieser ein größeres Versinken der Masse in Thorheit und Bewußtlosigkeit. Von den kleineren Perioden aber, in denen regelmäßig Anzünden und Verlöschen des Feuers ihr Uebergewicht mit einander vertauschen, wissen wir auf das bestimmteste daß er dieses 25 dargethan an den damit verbundenen Erscheinungen des Wachens und Schlafens. Unvollständig wäre daher für sich allein, aber doch auf das richtige hindeutend der schon erwähnte Bericht des S e x t u s (adv.

M a t h . VII, 126. sq.) τοΰτον δή τον θείον λόγον καθ' Ήράκλειτον δι' άναπνοής σπάσαντες νοεροί γινόμεθα, και έν μεν υπνοις ληθαΐοι, 30 κατά δέ έ γ ε ρ σ ι ν πάλιν έμφρονες. Denn sofern nur durch das Athmen die göttliche Vernunft eingesogen wird läßt sich ein solcher Unterschied nicht erklären, da ja das Athmen gleichmäßig fortdauert im Schlaf wie im Wachen. Allein nicht nur durch das Athmen geschieht jenes, sondern durch alle Thore, welche dem Leibe eine Gemeinschaft eröfnen mit dem 35 περιέχον, und ein solches ist jeder Sinn, unter welchen wiederum, wie wir schon gesehen haben und sich hier erklärt, dem Herakleitos die vor-

5 - 8 Oben 229,28 f.l; Clemens: Paedagogus II 2, Opera ed. Potter S. 184; vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 239 27—30 Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII129, Opera ed. Fabricius S. 398; vgl. edd. Mutschmann/Mau Bd. 2, S. 32

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züglichsten gewesen zu sein scheinen das Auge, welchem das Licht einzusaugen vergönnt ist, und die Nase, welche den sich eben entwikkelnden 517 Duft, einen troknen | rauchartigen gewiß nach seiner Vorstellung, verschlukt. Das Zurüktreten des Gehörs und also auch der Tonkunst be135 zeichnet stark den Gegensaz des Mannes gegen die Pythagoreer; das Ge- 5 fühl aber hatte es ihm offenbar mit dem starren zu thun, und der Geschmak nebst der eigenthümlichen Empfindung des Erzeugungsgeschäftes waren ihm in das niedere Gebiet der Flüssigkeit versenkt. Lezteres kommt mehremale ausdrüklich vor, zwar bei Neuplatonikern, aber wo sie den Herakleitos anführen, und so daß man glauben muß sie haben 10 es bei ihm gelesen. So P r o k l o s (in T i m . p. 36) aus Porphyrios ... δτε δέ τό έπιθυμητικόν ύπό της γενεσιούργου κατακλυζόμενον ύγρότητος εκνευρίζεται και βαπτίζεται τοις της ΰλης ρεύμασι, και άλλος ούτος ψυχών των νοερών θάνατος ύγρησι γενέσθαι, φησίν

'Ηράκλειτος, wo die Citation doch nicht bloß auf die lezten verdächti- 15 gen Worte gehn kann, sondern an dem άλλος ούτος wenigstens hängt, so daß man eher glauben kann, die ganze Gedankenreihe werde als Herakleitisch bezeichnet, und das allgemeine nur kürzer ausgedrükt durch den Gedächtnißvers. Eben so P o r p h y r i o s selbst wiederum, wie es scheint aus N u m e n i o s , οθεν και Ηράκλειτος ψυχήσι, φάναι, τέρψιν 20 μή θάνατον ύγρησι γενέσθαι· τέρψιν δέ αύταις είναι την ές γένεσιν 518 πτώσιν, και άλλαχοΰ δέ φάναι κ. τ. λ. | (s. oben unter n. 50, S. 498) worauf noch folgt παρ' ö και διερούς τους εν γενέσει καλειν τον ποιητήν τους διυγρούς τάς ψυχάς έχοντας, (de a n t r o . p. 257. E d .

C a n t a b r . ) Nun klingt es freilich als ob Herakleitos gesagt hätte dieses 25 Feuchtwerden sei den Seelen eine Lust und nicht ihr Tod; allein theils ist die Wendung zu sehr denen ähnlich welche wir schon bei Aristoteles und Plutarch (s. oben n. 58) gefunden haben und noch dazu am Anfang der Stelle die Schrift fehlerhaft, so daß leicht der eigentliche Sinn gewesen sein kann „Herakleitos sollte gesagt haben, es wäre Lust und nicht Tod" 30 theils ist doch beides nicht streitig, sondern er mag es beschrieben haben 136 als die Lust der niederen Seele durch welche die Gemeinschaft mit dem π ε ρ ι έ χ ο ν geschwächt und das wahre Erkennen gehemmt wird. Je mehr nun jene edleren Sinne geöfnet waren, desto mehr, bei gleich guter und feuriger Beschaffenheit der Seele, ist Wahrheit in den 35 Vorstellungen des Menschen; je mehr aber die Gemeinschaft mit dem περιέχον aufgehoben ist, desto mehr nimmt Schein und Irrthum über-

11 — 15 Proklos: Commentarius in Timaeum, [Ed. Basiliensis] S. 36 (Q: ό τέ [!] [...] γενεσιουργών); ed. Diehl Bd. 1, S. 117 19—25 Porphyrios: De antro Nympharum 10, [Opera] ed. Holsten [Ed. Cantabrigiensis] S. 256 (Q: [...] είναι αύταΐς [...]); vgl. Opuscula ed. Nauck S. 63. - Vgl. oben 220,1-5.

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hand. Und so berichtet auch im Allgemeinen S e x t u s im Verfolg der angeführten Stelle, von der nur das zusammenfassendste hier seinen Plaz finden möge ονπερ οϋν τρόπον οί άνθρακες πλησιάσαντες τω πυρί κατ' άλλοίωσιν διά|πυροι γίνονται, χ ω ρ ι σ θ έ ν τ ε ς δέ σβέννυνται - 519 ουτω και ή έπιξεινωθεΐσα τοις ή μ ε τ έ ρ ο ι ς σώμασιν άπό του περιέχοντος μοίρα κατά μεν τον χωρισμόν σ χ ε δ ό ν άλογος γίνεται, κατά δέ την διά των πλείστων πόρων σύμφυσιν ομοειδής τω ολω καθίσταται, wo man nur ja den Ausdruk ganz dem Berichterstatter zuschreiben muß. Nur konnte die Spur der Wahrheit nie ganz verloren gehen so lange noch die Gemeinschaft mit dem π ε ρ ι έ χ ο ν auch nur in der allgemeinsten Form des Athemholens bestand. Wol aber mußte bei verschlossenen Sinnen die in dem Leibe selbst sich entwikkelnde noch nicht gereinigte sondern ganz mit dem Feuchten behaftete άναθυμίασις ein großes Uebergewicht gewinnen. Daher auch der Zustand des Bewußtseins im Schlaf ihm aus zwei Elementen bestand, wovon das eine, die Aehnlichkeit nemlich mit den Vorstellungen des Wachens und die hierin schon liegende nie ganz zu vertilgende Gesezmäßigkeit, in der fortdauernden Gemeinschaft mit dem π ε ρ ι έ χ ο ν gegründet war, das andere aber, nemlich das in sich selbst haltungslose, den Dingen nicht entsprechende, das willkührliche der Verknüpfung war gegründet in der hervortretenden Besonderheit jedes Einzelnen. Dies bedeutet das έν υπνοις ληθαΐοι, κατ' έ γ ε ρ σ ι ν δέ πάλιν έμφρονες. Dies auch was Plutarchos de s u p e r s t i t . p. 166 berichtet | ό Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς φησι τοις έ γ ρ η γ ο ρ ό σ ι ν ένα και κοινόν κόσ- 520; 137 μον εΐναι, των δέ κοιμωμένων έκαστον εις ίδιον άποστρέφεσθαι. Was A n t o n i n u s sagt ώ σ π ε ρ και τούς καθεύδοντας, οΐμαι, ό Η ρ ά κλειτος έργάτας είναι λ έ γ ε ι και συνεργούς των έν τω κόσμω γινομένων (VI, 42) kann demohnerachtet richtig sein, denn je stärker jener Ausdruk von der eigenen Welt der Schlafenden war, um desto nothwendiger wurde es einzuschärfen daß die Einheit und der allgemeine Zusammenhang der Welt nicht solle aufgehoben werden. Außer diesen Zeugnissen gehört auch noch hieher ein eignes bei Clemens vorkommendes Bruchstük des Herakleitos 64. Ό σ α δ' αύ περί υπνου λέγουσι, τά αυτά χ ρ ή και περί θανάτου έ ξ α κ ο ύ ε ι ν έκάτερος γαρ δηλοΐ την άπόστασιν της ψυχής, ό μέν μάλλον ό δέ ή τ τ ο ν όπερ έστί και περί (παρά?) Η ρ α κ λ ε ί τ ο υ λαβείν " Α ν θ ρ ω π ο ς έ ν ε ύ φ ρ ό ν η φ ά ο ς ά π τ ε ι έαυτφ· 1 — 8 Oben 231,27—30; Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos VII 130, Opera ed. Fabricius S. 398; vgl. edd. MutschmannlM.au Bd. 2, S. 32 22—24 Plutarchos: De superstitione 3, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 166; Moralia Bd. 1, S. 342 25—27 Marcus Aurelius Antoninus: Ad semetipsum VI 42, ed. Schultz S. 204; ed. Theiler S. 142 31—3 Clemens: Stromata IV 22, Opera ed. Potter S. 628 (Q: liest genauso, wie Schleiermacher unten 234,6 angibt: άπτεται έαυτφ); Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 398 f

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Herakleitos ά π ο θ α ν ώ ν α π ο σ β ε σ θ ε ί ς . Ζ ώ ν δε ά π τ ε τ α ι τεθνεώτος ε υ δ ω ν α π ο σ β ε σ θ ε ί ς όψεις έγρηγορώς άπτεται ευδοντ ο ς . ( S t r o m . I V , 22.) Nachdem Sylburg εν εύφρόνη wiederhergestellt hatte aus εν ε ύ φ ρ ο σ ύ ν η und Potter die ganz verkehrte Interpunction verbessert, war kaum noch etwas zu thun als zu schreiben 5 άπτει έαυτω statt άπτεται έαυτω, welches wol sogar bei unserm Schriftsteller | in der nemlichen Bedeutung müßte genommen werden wie unten, wodurch eben Potter auf ganz unnöthige Veränderungen gerathen ist. Wir übersezen nun so „Der Mensch zündet sich selbst ein Licht an in der Nacht. Nur der Todte ist ganz ausgelöscht, 10 der Lebende aber schlafend grenzt an den Todten; und, dessen Gesicht verlöscht ist, grenzt auch wachend an den Schlafenden." Der erste Saz läßt vermuthen, daß der Zusammenhang gewesen, zu zeigen, in welchem M a a ß und in welchem nicht auch der Mensch jenem täglichen Wechsel von Licht und Finsterniß unterworfen ist. 15

138 Daher auch vergleicht, wie wir oben gesehen, Herakleitos diejenigen die mit ihrem Erkennen nicht in Uebereinstimmung mit der Natur sind, sondern sich der Willkühr überlassen, den Schlafenden. Daher kann er den Wahn, das Meinen aus persönlicher Willkühr, eine Krankheit genannt haben, wie D i o g e n e s (IX, 7) und H e s y c h i o s (de v i t i s ν. Η ρ α κ λ . ) sagen

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65. ούτος τ η ν ο ϊ η σ ι ν ί ε ρ ά ν ν ό σ ο ν έ λ ε γ ε . Und noch deutlicher erkennt gewiß Jeder Herakleitische Art und Weise in einem andern Ausdruk desselben Gedankens P h i l o s t r . Ο pp. p. 391. Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ό φυσικός ά λ ο γ ο ν είναι κατά φύσιν έ φ η σ ε τον άν- 25 θ ρ ω π ο ν ει δε τ ο ΰ τ ο α λ η θ έ ς , ώ σ π ε ρ α λ η θ έ ς έστιν, έ γ κ α | λ υ π τ έ ο ς έ κ α σ τ ο ς ό μ α τ α ί ω ς έ ν δ ό ξ η γ ε ν ό μ ε ν ο ς „verhülle sich jeder der eitler Weise im Wahn sich befindet." Nur nachgebildet aber von einem stoischen C o m m e n t a t o r kann sein was wir S. M a x . S e r m . E d . C o m b e f . Τ. I I , p. 6 2 4 lesen

20 IX, 7] IX, 5 3 f Clemens: Opera, ed. F. Sylburg, Heidelberg 1592, S. 375 (Annotationes zu S. 227, Z.37) 20—22 Diogenes Laertios IX 7, ed. Meibomius S. 552: την τε οϊησιν, ίεράν νόσον έλεγε"; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 440 — Hesychios: De viris doctrina claris, ed. Meursius S. 19; De viris tllustribus, ed. Flach S. 25 24—27 Philostratos: Epistolae Apollonii 18, Opera ed. Olearius S. 391 (Q: [...] εστίν άληθές [...]); vgl. Opera ed. Kayser Bd. 1, S. 350 30—1 Sanctus Maximus Confessor: Sermones 34, Opera, ed. F. Combefis, Paris 1675, Bd. 2, S. 624; Loci communes, Opera MPG 91, S. 893 a — Maximus Confessor lebte von 580 bis 662 n. Chr.

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' Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ό φυσικός ο'ΐησιν έ λ ε γ ε ν έ γ κ ο π ή ν π ρ ο κ ο π ή ς . Und ganz unächt sind gewiß, weil wir einmal bei diesem Sammler stehen, zwei andere auf Herakleitos Namen geschriebene Säze ή εύκαιρος χάρις λ ι μ φ κ α θ ά π ε ρ τ ρ ο φ ή ά ρ μ ό τ τ ο υ σ α τ ή ν τ ή ς ψυχής ένδείαν ίάται. ρ. 5 5 7 . vielleicht auch stoisch, wenigstens findet sich εύκαίρημα als ein stoischer Ausdruk bei Stobäos ( E e l . E t h . I I , c. V I I . ) Noch gemeiner und von allem eigenthümlichen entblößt ist der andere συντομωτάτην όδόν ό αυτός έ λ ε γ ε ν εις εύδοξίαν τ ό γ ε ν έ σ θ α ι άγαθόν. ρ. 6 4 6 . So tadelt er diejenigen, denen es nicht an Lebendigkeit wol aber an Gesezmäßigkeit fehlt in ihren Vorstellungen. Vielleicht gehört hieher auch der eine von zwei Aussprüchen, welche C e l s u s angeführt hat, bei O r i g e n e s ( c o n t r . C e l s . V I , p. 638.) 66. και έ ν τ ί θ ε τ α ί γ ε ' Η ρ α κ λ ε ί τ ο υ λ έ ξ ε ι ς μίαν μεν, έν ή φησιν ή θ ο ς γαρ ά ν θ ρ ώ π ε ι ο ν μεν ουκ έ χ ε ι γνώμας, θ ε ί ο ν δέ έ χ ε ι . „Menschliches Gemüth hat nicht Einsicht, göttliches aber hat sie." | Nemlich je mehr das ganze ή θ ο ς nur menschlich ist, in der eigenen Seele gegründet, und sich nicht immer durch die Gemeinschaft mit dem KOiνός λ ό γ ο ς erneuert, um desto weniger kann es wahre Einsicht haben. Anders tadelt er die, welche auch, weil selbst die eigene Seele feuchter ist als bei jenen, an Schwerfälligkeit leiden und nichts selbst hervorbringen. Dahin gehört wol der zweite von den a. a. O . angeführten Aussprüchen 67. έ τ έ ρ α ν δ έ , ά ν ή ρ ν ή π ι ο ς ή κ ο υ σ ε π ρ ο ς δ α ί μ ο ν ο ς , δ κ ω σ π ε ρ π α ι ς π ρ ο ς ά ν δ ρ ό ς . „Ein thörichter M a n n vernimmt nicht mehr vom Schiksal als ein Kind von einem M a n n e . " und der bei Plutarch zweimal vorkommende

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68. β λ ά ξ ά ν θ ρ ω π ο ς υ π ό π α ν τ ό ς λ ό γ ο υ έ π τ ο ή σ θ α ι φ ι λ ε ι . „Ein stumpfer Mensch pflegt von jeglicher Rede sich hinreißen zu lassen." (de a u d . p o e t . I I , p. 28 und d e a u d i t i o n . I I , p. 41.) 6 Eth. II.] Eth. I.

13 p. 638] p. 698

29 βλάξ] βλάξ

3—5 Sanctus Maximus Confessor: Sermones 8, ed. Combefis Bd. 2, S. 557; Loci communes, Opera MPG 91, S. 776 a 6f Stobaios: Eclogae physicae et ethicae II 7, ed. Heeren Bd. 2, S. 194; ed. Wachsmutb Bd. 2, S. 97 8f Sanctus Maximus Confessor: Sermones 46, ed. Combefis Bd. 2, S. 646; Loci communes, Opera MPG 91, S. 937 b—c 12—16 Origenes: Contra [Adversus] Celsum VI 12, Opera ed. Delarue Bd. 1, S. 638 f; vgl. SC 147, S. 208 2 3 - 2 6 Oben 522, 24-28; Origenes: Contra [Adversus] Celsum VI 12, Opera ed. Delarue Bd. 1, S. 639; vgl. SC 147, S. 208 2 8 - 3 1 Plutarchos: De audiendis

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So daß auch wegen dieses nur zu weit verbreiteten Versenktseins in das Niedere nach seiner Meinung das Gute sich gestalten mußte als eine äußere Macht; wenn anders C l e m e n s nicht zu sehr von der ursprünglichen Beziehung der Worte abgewichen ist, die er S t r o m . IV, 3, p. 568 anführt 524

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69. Δικαίω γαρ ού κείται νόμος, ή γραφή φ η σ ι ν καλώς ούν Ηράκλειτος Δ ί κ η ς δ ν ο μ α , | φησιν, ούκ αν ή δ ε σ α ν , εί ταϋτα (nemlich von äußerem Gesez, Furcht und Strafe war bei Clemens die Rede gewesen) μη ήν. Ich ziehe ήδεσαν der andern Leseart έδεισαν vor. Wunderbar aber wäre es wenn Clemens auch das 10 ταϋτα so wie er es braucht, im Herakleitos gefunden hätte; daher kann man hier für weniges buchstäblich einstehen. „Denn auch den Namen des Rechtes, sagt er, würden sie nicht wissen, wenn jenes nicht wäre." Und zu derselben Verwerfung der feuchten Natur gehört auch folgende 15 Stelle

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70. Εΐ μή γ ά ρ Δ ι ο ν ύ σ ω π ο μ π ή ν έ π ο ι ο ΰ ν τ ο και ϋ μ ν ε ο ν ά σ μ α α ι δ ο ί ο ι σ ι ν ά ν α ι δ έ σ τ α τ α ε ΐ ρ γ α σ τ α ι , φησιν 'Ηράκλειτος, ω ύ τ ό ς δε Ά ΐ δ η ς και Δ ι ό ν υ σ ο ς ό τ έ φ μ α ί ν ο ν τ α ι και λ η ν α ΐ ζ ο υ σ ι ν . (Clemens C o h o r t , c. II, p. 30.) Die lezten 20 Worte ωύτός ... ληναΐζουσιν werden auch angeführt von P l u t a r c h o s και μέντοι 'Ηρακλείτου του φυσικοϋ λέγοντος "Αιδης και Διόνυσος ούτος δτε ούν μαίνονται και ληραίνουσιν, κ. τ. λ. (de Is id. et Ο sir. p. 362.) Nur ist nicht zu begreifen warum Wyttenb. der diese Stelle aus jener Clementischen so verbessert, "Αιδης και 25 Διόνυσος ώϋτός, ότέφ μαίνονται και ληραίνουσι nicht auch das ληναΐζουσι aufgenommen hat. Daß dieses Clemens wirklich gelesen hat scheint auch aus einer andern Stelle hervorzugehen, wo er einen schon angeführten Herakleitischen Spruch unrichtig deutend, sich offenbar genug auf diese bezieht. Sie lautet so ... προς δέ των 30 άλλων Ελλήνων οΰστινας μένει τελευτήσαντας άσσα ούδέ έλ-

8 (nemlich] nemlich poetis 9, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 28 (Q: [...] έπι παντί λόγψ [...]); vgl. Moralia Bd. 1, S. 57; Plutarchos: De auditione 7, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 41; vgl. De audiendo, Moralia Bd. 1, S. 82 3 — 10 Clemens: Stromata IV 3, Opera ed. Potter S. 567 f; Opera ed. Dindorf Bd. 2, S. 321 - Die Lesart έδεισαν bietet Potter ebd. Anm. 1 mit Verweis auf Sylburg. 17—20 Clemens: Cohortatio ad gentes 2, Opera ed. Potter S. 30 (Q: [...j οτεφ [...]); vgl. Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 35 f 2 1 - 9 Plutarchos: De Iside et Osiride 28, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 362; vgl. Moralia Bd. 2/3, S. 27 24—26 Plutarchos: Moralia, ed. Wyttenbach, Bd. 2/2, S. 483 27—3 Clemens: Cohorta-

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πονταν τίσι δή μαντεύεται Ηράκλειτος ό Έφέσιος; Νυκτιπόλοις, μάγοις, βάκχοις, ληναΐς, μύσταις· τούτοις απειλεί τά μετά θάνατον, τούτοις μαντεύεται τό πϋρ. Auch von der Auslegung des Plutarchos, die sich darauf zurükbezieht, daß so wie Apollon die Einheit, so Dionysos den Reichthum und die Fülle der Natur bedeuten soll, müssen wir abweichen, und uns der nähern welche er in den Worten οι γαρ άξιοΰντες "Αιδην λέγεσθαι τό σώμα, της ψυχής οίον παραφρονούσης και μεθυούσης εν αύτω, γλίσχρως άλληγοροϋσιν verwerfen will. Nemlich nicht der Leib im allgemeinen ist, hier wenigstens, Hades, sondern die Neigung zu dem Gebiete des Feuchten, Dunkeln. Uebrigens tritt auch hier wieder der 141 Fall ein daß man nicht gleich weiß, soll das άναιδέστατα zu ΰμνεον gezogen werden oder zu ε'ίργασται, für welches leztere man bis auf weiteres lieber lesen sollte εϊργαστ' άν. Dann würde ich die Stelle als eine Schilderung solcher feuchten Seelen so übersezen. „Und begingen sie nicht dem Dionysos ein Fest und besängen die Schamglieder, schamlos | wäre ja das von ihnen," sagt Herakleitos. „Es ist 526 aber derselbe wie Hades der Dionysos dem sie toll sind und Feste feiern." So daß dieses „derselbe wie Hades" allerdings Tadel und Drohung sein soll. In einer nun von diesen verschiedenen Bedeutungen glaubte er wie es scheint, daß es den meisten Menschen an der richtigen Beschaffenheit der Seele fehle, wie wir schon oben an mehreren Stellen gesehn haben, und noch ein Zeugniß davon uns aufbewahrt hat P r o c l u s in dem ungedrukten Commentar zum Alkibiades 71. 'Ορθώς ούν και ό γενναίος Ηράκλειτος άποσκοριάζει τό πλήθος ώς άνουν και άλόγιστον τίς γαρ α ύ τ ώ ν , φησίν, ν ό ο ς ή φ ρ ή ν ; δτι οί πολλοί κακοί, ολίγοι δέ άγαθοί- ταΰτα μεν 'Ηράκλειτος. Denn ich möchte nicht aus den lezten Worten schließen daß auch die vorhergehenden δτι ... αγαθοί' Herakleitisch sein sollen und so schließt sich hieran, wovon wir anfänglich ausgingen, sein mannigfaltiger Tadel auch der Weiseren, um deswillen er so berüchtiget wor-

tio ad gentes 2, Opera ed. Potter S. 18 f; Opera ed. Dindorf Bd. 1, S. 22; s.o. 222, 1—3 Proklos: Εις τον Πλάτωνος Πρώτον Άλκιβιάδην, Commentary on the First Alcibiades of Plato, ed. L. G. Westerink, Amsterdam 1954, S. 117 f. Schleiermacher hat diese Stelle aus dem zu seiner Zeit unveröffentlichten Kommentar des Proklos mit ziemlicher Sicherheit nach einer Note Johann Albrecht Fabricius' in dessen Sextos-Ausgabe zitiert (Sextus Empiricus: Opera ed. Fabricius 397 Anm. R). Auf diese Stelle und ihren Fundort macht auch Dieterich Tiedemann: Geist der speculativen Philosophie, Bd. 1, Marburg 1791, S. 222 Anm. 1 aufmerksam, ohne sie allerdings wörtlich anzuführen.

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den ist, daß P r o c l u s (in T i m . p. 106.) von ihm sagt ... αλλ' Η ρ ά κ λ ε ι -

τος μεν έαυτόν πάντα ειδέναι λέγων πάντας τους άλλους άνεπιστήμο527 νας ποιεί. Vielleicht aber ist er was den Selbst|ruhm betrifft 1 2 in seiner 142 dunkeln Sprache nur mißverstanden worden der Forderung wegen, welche er an die bessere Seele machte, und der Art wegen wie er sich über das 5 Erkennen ausdrükte. Da nemlich eigentlich nichts ist, als die Eine in entgegengesezten Richtungen nach ewigen Gesezen sich bewegende Kraft, das πυρ άείζωον, so giebt es auch kein anderes Erkennen als das Erkennen dieser Kraft und ihres Gesezes, so daß wer etwas weiß, nothwendig auch alles weiß, wenn gleich nur auf allgemeine Art; die wahrnehmbaren Dinge 10 aber, deren für sich bestehen nur ein Schein ist, werden nur erkannt, in wie fern sie als immer vergehend, als im beständigen Fluß begriffen erkannt werden, und dies ist der Sinn in welchem A r i s t o t e l e s allein Recht haben kann wenn er behauptet ( M e t a p h . I, 6) es gebe nach Herakleitos von den 528 wahrnehmbaren Dingen kein | Erkennen. Genauer aber stellt Pia t o n 15 diese Vollkommenheit der Seele dar, wenn er sagt ( C r a t y l . p. 412. a.) sie müsse „die sich bewegenden Dinge begleiten," in ihrem, wenn irgend etwas einzelnes fest gehalten werden soll, freilich unerreichbaren Fluß. Dies ist es was auch Aristoteles anführt als Grund, weshalb dem Herakleitos die Seele müsse feuriger Natur sein, weil das immer bewegte nur könne 20 durch ein sich immer bewegendes erkannt werden (de a n i m . I, 2) und wie S i m p l i c i u s (ad. h. 1.) es näher erklärt

έν μεταβολή συνεχεΐ τά όντα υποτιθέμενος ό Ηράκλειτος και τό γνωσόμενον αυτά τη έπαφη γινώσκον συνέπεσθαι έβούλετο. 12

Man könnte dieser Beschuldigung auch entgegensezen wollen einen Saz den D i o g e n e s (IX, 73) offenbar als Herakleitisch anführt μ ή ε ι κ ή π ε ρ ί τ ω ν μ ε γ ί σ τ ω ν σ υ μ β α λ ώ μ ε θ α , allein dieser hat auch nicht die mindeste Spur von Herakleitischer Manier an sich. So auch des Aenesidemos Urtheil der ihn zum Vater der Skepsis macht, allein der Mißverständnisse dieses Mannes haben wir mehrere unberührt gelassen, weil sie sich durch den Zusammenhang des Ganzen von selbst aufheben, und nur in einer Darstellung des Aenesidemos selbst bemerkenswerth sein könnten. I

24 έβούλετο.] έβούλετο 1—3 Proklos: Commentarius in Timaeum, [Ed. BasiliensisJ S. 106; ed. Diehl Bd. 1, S. 351 13 — 15 Aristoteles: Metaphysica 1 6, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 489 b: ώς απάντων των αισθητών άεΐ ρεόντων και έπιστήμης περί αιτών ουκ ούσης; ed. Jaeger S. 18 (987 b) ~ Oben 134,21-23 1 5 - 1 7 Piaton: Kratylos 412 α, Opera Bd. 3, S. 287 f; Werke Bd. 3, S. 484 1 9 - 2 1 Aristoteles: De anima I 2, Opera ed. Casaubon Bd. 1, S. 382 a; ed. Ross S. 9 (405 a) 22—24 Simplikios: In Aristotelis De anima [zu I 2], Ed. Aldina S. 8v; CAG XI, S. 31 26 f Diogenes Laertios IX 73, ed. Meibomius S. 586 f; ed. Long Bd. 2, S. 476

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Diese Foderung ist es die Kratylos aufs höchste treibend zugleich ihre 143 Unmöglichkeit darstellte, wie uns Aristoteles erzählt, er habe zulezt gemeint man dürfe gar nichts aussagen, sondern er habe nur den Finger bewegt und den Herakleitos getadelt, welcher gesagt es sei nicht möglich 5 zweimal in denselben Fluß hineinzusteigen, denn er selbst meinte auch nicht Einmal ( M e t a p h . 111,5.)· Aus dieser Uebertreibung erhellt fast daß Kratylos jenes Eine welches die Seele festhalten und welches sie auch darstellen soll, nemlich die ewige Kraft und den Ausdruk ihres Gesezes in den Dingen nicht mit ergriffen hat. Und dieses neben jenem bildet | 10 eben jene zwiefache Beziehung in welcher Herakleitos, der wie den 529 Wechsel der Dinge mit einem Strome so das Wahrnehmen dieses Wechsels mit dem Hineinsteigen in den Strom verglich, sagen konnte

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72. π ο τ α μ ο ΐ ς τ ο ι ς α ύ τ ο ΐ ς έ μ β α ί ν ο μ έ ν τ ε κ α ι ο ύ κ έ μ β α ί ν ο μ ε ν , ε ι μ έ ν τ ε κ α ι ο ύ κ ε ι μ έ ν . „In dieselbigen Ströme steigen wir hinein und steigen auch nicht hinein, sind und sind auch nicht." H e r a c l . A l l e g . h o m . p. 443. Vergleicht man aber die eben angeführte Aristotelische Stelle und das Plutarchische ποταμω γάρ ούκ έστι δις έμβήναι τω αύτω, so kann man sehr versucht sein nach αύτοΐς einzuschieben δις, was so leicht kann ausgefallen sein.

20 Merkwürdig sind hier die lezten Worte. Oder wer kann bei Herakleitischer Dunkelheit wissen, ob sie noch auf ποταμοΐς τοις αύτοΐς zu beziehen sind, oder für sich allein stehn und im allgemeinen sagen sollen, daß eben in jener zwiefachen Beziehung auch von uns gilt, daß wir sind und daß wir nicht sind? Denn weder ist ein solcher Ueberfluß, wie sie in 25 jenem Falle wären, dem Ephesier fremd, noch ist dies leztere seiner Denkart zuwider. Das nemlich wäre kaum eine richtige Vorstellung, wenn man glauben wollte, eine απόρροια eine μοίρα des περιέχον wäre in dem Leibe festgebunden; son|dern die Seele ihrerseits ist wie jede Ein- 530 heit eines einzelnen Wesens auch nur das immer erneuerte Erzeugniß 144 30 der Hemmung entgegengesezter Bewegungen, vernünftig aber sind oder vielmehr werden wir nur jeden Augenblik auch aufs neue durch die

1—6 Aristoteles: Metaphysial III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 507 d: οίον Κρατύλος είχε ν, δς το τελευταϊον ούθέν ώετο δεϊν λέγειν, άλλά τον δάκτνλον κίνει μόνον, και Ήρακλείτω έπετίμα είπόντι, δις τω αύτω ποταμω ούκ έστιν έμβήναι. Αύτός γάρ ώετο ούδ' άπαξ; vgl. ed. ]aeger S. 78 (1010 a) 6-9 Piaton: Kratylos 412 α, Opera Bd. 3, S. 287 f; Werke Bd. 3, S. 484 — Bei Kratylos handelt es sich hier um den Gesprächsteilnehmer des gleichnamigen Platonischen Dialogs. 13 — 16 Herakleides: Allegoriae Homert, Opuscula mythologica, ed. Gale, S. 443; vgl. Heraclite: Allegories d'Homere, ed. Buffiere, S. 30 17 Aristoteles: De anima I 2; oben 238,19—21 — Aristoteles: Metaphysica III 5, Opera ed. Casaubon Bd. 2, S. 507 d; ed. Jaeger S. 78 (1010 a); oben 239,1-6 17 f Oben 135,6—14; Plutarchos: De Ei apud Delphos 18, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 392; vgl. Moralia Bd. 3, S. 19

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gleichsam in jedem Athemzug vergehende und wiederkehrende Gemeinschaft mit dem περιέχον, und so allerdings sind wir und sind auch nicht. Anders auch verstehe ich nicht, was die Meisten freilich anders verstanden haben, auch die Aufbewahrer selbst, wie Plutarchos es im allgemeinen von Erforschung der menschlichen Natur versteht 73. Ό δέ Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ώς μέγα τι και σεμνόν διαπεπραγμένος Έ δ ι ζ η σ ά μ η ν , φησιν, έ μ ε ω ϋ τ ό ν . „Ich habe mich selbst gesucht." (adv. C o l o t . p. 1118.) Eben so auch S u i d a s (ν. Ποστουμος) οΰκουν άπεικός ήν ... λ ό γ ο ν λ έ γ ε ι ν εκείνον, ονπερ ούν Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς είπε περί αύτου Έ μ ω ϋ τ ό ν έ δ ι ζ η σ ά μ η ν . Und hieraus ist wahrscheinlich der bei S t o b ä o s ( S e r m . V, p. 74) unter Herakleitos Namen vorkommende Saz gemacht Ά ν θ ρ ώ π ο ΐ σ ΐ π ά σ ι μ έ τ ε σ τ ι γ ι ν ώ σ κ ε ι ν έ α υ τ ο ύ ς κ α ι σ ω φ ρ ο ν ε ΐ ν . Anders mißverstanden hat ihn offenbar D i o g e n e s (IX, 5) ήκουσε δέ ούδενός ά λ λ ' αύτόν έφη διζήσασθαι.

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Auf die Fortsezung dieser Rede führt uns wahrscheinlich ein anderer Saz | 531

Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς νέος ών πάντων γ έ γ ο ν ε σοφώτερος οτι ήδει έαυτόν μηδέν όντα, woraus vielleicht wieder verfälscht ist was bei S t o b ä o s ( S e r m . X X I , p. 176) als aus Aristonymos vorkommt Η ρ ά κ λ ε ι τ ο ς ... σοφώτερος, οτι ήδει εαυτόν μηδέν ειδότα und wol auch das ähnliche D i o g . I X , 5. ... και νέος ών έφασκε μηδέν ειδέναι, τ έ λ ε ι ο ς μέντοι γενόμενος πάντα έγνωκέναι.

Nemlich Herakleitos mag wol eigentlich gesagt haben, er habe in diesem ewigen Fluß sich selbst gesucht, und auch sich nicht gefunden als seiend, 145 beharrend, eben daraus aber sei ihm alle Erkenntniß erst aufgegangen. Wie sich denn alles bisher auseinandergesezte sehr leicht hieran reihet, so daß in der That der Keim seiner ganzen Weisheit eben dieses sich selbst verlieren und nur in der gemeinsamen Vernunft finden kann gewesen sein. Denn so ist dies der hellste und bezeichnendste Punkt für seine eigenthümlichste Ansicht, welche überall dem Allgemeinen den Vorzug

11 (Serm.] Serm. 4—8 Plutarchos: Adversus Colotem, Quae exstant omnia, Bd. 2, S. 1118; vgl. Moralia Bd. 612, S. 196 8 - 1 0 Suidas: Lexicon, ed. Küster Bd. 3, S. 161 (Q: [...] λέγειν λόγον [...]); vgl. ed. Adler Bd. 4, S. 181 11 — 13 Stobaios: Sermones 5, Ed. Lugdunensis S. 74 (Q·' [··•] γιγνώσκειν [...]); vgl. ed. Hense Bd. 1, S. 257 1 4 f Diogenes Laertios IX 5, ed. Meibomius S. 550; vgl. ed. Long Bd. 2, S. 439. - S. auch oben 122,11 f. 20 i Stobaios: Sermones 21, Ed. Lugdunensis S. 176; ed. Hense Bd. 1, S. 557 22f Diogenes Laertios IX 5, ed. Meibomius S. 550; ed. Long Bd. 2, S. 439

20

25

30

Herakleitos

5

10

15

20

25

241

einräumt, das besondere aber als abgeleitet und in sich nicht bestehend schlechthin unterordnet; und indem er diese durch das ganze Gebiet des damaligen Wissens durchführte hat er die Eine Seite der alten Ionischen Naturweisheit vollendet, die andere aber dem A n a x a g o r a s und E m p e d o kies überlassen.

Dieses scheint das Wesen der Lehre des Herakleitos wie es sich aus 532 der aufmerksamen Betrachtung dessen was die Alten von ihm aufbehalten ergiebt; und es ist nicht zu glauben, d a ß , wenn sich auch, wie zu wünschen ist, noch mehrere Bruchstükke seines Werkes aufstellen lassen, sie zu irgend bedeutenden Aenderungen in dieser Darstellung Anlaß geben sollten. Aber bedeutende und anziehende Untersuchungen sind n o c h übrig, nemlich auf der einen Seite, ob irgend Persische Weisheit einigen Einfluß auf die Bildung der Lehre des Ephesiers gehabt, auf der andern aber, welchen Einfluß diese Lehre selbst ausgeübt zunächst auf Piaton und seine Schule, und späterhin auf die Stoiker, welche wahrscheinlich weil sie eben so im sittlichen das Allgemeine vorzogen wie Herakleitos im natürlichen und alles besondere geringachteten und vernachläßigten, um nur den κοινός λόγος geltend zu m a c h e n , durch diese Uebereinstimmung darauf geleitet wurden, seine Naturlehre der Empedokleischen und Pythagoreischen vorzuziehn. Endlich aber wäre auch um noch genauer die geretteten Bruchstükke zu berichtigen nothwendig so gründlich als irgend möglich zu erforschen, wie lange wol und w o das ursprüngliche 146 Werk des Herakleitos sich erhalten, und wer wol aus diesem selbst, wer aber nur aus den C o m m e n t a r i e n über das Werk | oder aus noch jüngeren 533 und noch mehr abgeleiteten Quellen geschöpft habe, eine mit vielen andern ähnlichen zusammenhangende Untersuchung, welche hier allerdings nur so eben k o n n t e angeregt und eingeleitet werden.

Dr. Fr. Schleiermacher.

Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811)

Kurze Darstellung des

theologischen Studiums zum

Behuf einleitender Vorlesungen entworfen von

F. S c h l e i e r m a c h e r , der Gottesgelahrtheit Doctor und öffentl. ord. Lehrer an der Universität zu Berlin, evang. ref. Prediger an der Dreifaltigkeitskirche daselbst, ordentl. Mitglied der Königl. Preuß. und corresp. der Königl. Bairischen Akademie der Wissenschaften.

Berlin, 1811. In der Realschulbuchhandlung.

Vorrede.

Es ist mir immer ungemein schwierig erschienen nach Anleitung eines fremden Handbuchs akademische Vorträge zu halten, denn jede abweichende Ansicht scheint zugleich eine Abweichung zu fordern von einer aus einem andern Gesichtspunkt entstandenen Ordnung. Freilich wird es um desto leichter, je mehr die eigenthümlichen Ansichten der Einzelnen über Einzelnes einer gemeinschaftlichen über das Ganze untergeordnet sind, das heißt, je mehr das besteht, was man eine Schule nennt. Allein wie wenig dies jezt in der Theologie der Fall ist, weiß jedermann. Aus demselben Grunde also, der es mir zum Bedürfniß macht, wenn ein Leitfaden gebraucht werden soll, was doch in mancher Hinsicht nüzlich ist, einen eigenen zu entwerfen, bin ich unfähig den Anspruch | zu machen, daß andere Lehrer sich des meinigen bedienen mögen. Scheint es mir daher zu viel, was nur für meine jezigen und künftigen Zuhörer bestimmt ist, durch den Drukk in das große Publikum zu bringen: so tröste ich mich damit, daß diese wenigen Bogen meine ganze dermalige Ansicht des theologischen Studiums enthalten, welche, wie sie auch beschaffen sei, doch vielleicht schon durch ihre Abweichung aufregend wirken und besseres erzeugen kann. Andere pflegen in Encyclopädien auch einen kurzen Auszug der einzelnen dargestellten Disciplinen selbst zu geben; mir schien es angemessener denen zu folgen, welche in solchen

21 f Vgl. ζ• Β. Johann Franz Budde(us): lsagoge historico-theologica ad Tbeologiam universam stngulasque eius partes, Bd. 1—2, Leipzig 1727; Johann August Nösselt: Anweisung zur Bildung angehender Theologen, Bd. 1—3, 2. Aufl., Halle 1791; Gottlieb Jakob Planck: Einleitung in die Theologische Wissenschaften, Bd. 1—2, Leipzig 1794 — 1795 23—2 Vgl. ζ. B. Johann Friedrich Wilhelm Thym: Theologische Encyclopädie und Methodologie, Halle 1797

248

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

Vorträgen lieber alle Aufmerksamkeit auf dem Formalen festhal ten, damit die Bedeutung der einzelnen Theile und ihr Zusammen hang desto besser aufgefaßt werde. Berlin, im Decemb. 1810.

D. F. Schleiermacher.

Einleitung.

1. Die Theologie ist eine positive Wissenschaft, deren verschiedene Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch die gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Religion; die der christlichen also auf das Christenthum. 2. Jeder bestimmten Religion wird sich, in dem M a a ß als sie geschichtliche Bedeutung und Selbstständigkeit erhält, das heißt sich zur Kirche gestaltet, eine Theologie anbilden, deren Organisation nur a u s der Eigent ü m l i c h k e i t jener zu verstehen, und also für jede eine andere ist. 3. Die Theologie eignet nicht Allen, welche und sofern sie zur Kirche gehören, sondern nur welchen und sofern sie die Kirche leiten. Der Gegen-| saz zwischen solchen und der Masse und das Hervortreten der Theologie bedingen sich gegenseitig. 4. J e mehr die Kirche sich fortschreitend entwikkelt, und durch je mehr Sprach- und Bildungsgebiete sie sich verbreitet, um desto vieltheiliger und zusammengesezter organisirt sich auch die Theologie. Daher ist die christliche die gebildetste. 5. Die christliche Theologie ist der Inbegrif derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Anwendung ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist. 5 2—51/

§2-+§2/

§3^§3/

§4^§4/

§5^§5/

250

Kurze Darstellung (1. Auflage) 6.

Dieselben Kenntnisse ohne diese Beziehung hören auf theologische zu sein, und fallen jede einer andern Wissenschaft anheim.

7. Die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse ist der Leib, der Trieb zum Wohl der Kirche gesezmäßig wirksam zu sein, ist die Seele.

5

8.

3

Wie jene Kenntnisse nur durch das Interesse am Christenthum zu dem Ganzen verknüpft werden, welches die Theologie bildet: so kann auch | nur durch die Aneignung jener wissenschaftlichen Kenntnisse das Inter- 10 esse am Christenthum zu der zwekmäßigen Thätigkeit gedeihen, durch welche die Kirche wirklich erhalten und weiter gebildet wird.

9. Beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, im höchsten Grade und im möglichsten Gleichgewicht zur Theorie und Ausübung vereint, ist die Idee eines Kirchenfürsten.

15

10. In so fern jemand in Beziehung auf das Christenthum mehr das Wissen in sich ausbildet, ist er ein Theologe, in so fern er mehr in der unmittelbaren Ausbildung des Kirchenregimentes begriffen ist, ist er ein Kleriker.

20

11. Jedes reale Handeln mit den so geleiteten wissenschaftlichen Kenntnissen gehört zum Kirchenregiment, und jede Kenntniß der Regeln und Bedingungen auch der unmittelbarsten Ausübung gehört zur Theologie.

12.

4

25

Wie also nur diejenigen im eigentlichen Sinne Theologen sind, welche auf irgend eine Weise auch das Kirchenregiment ausüben, und nur diejenigen das | Kirchenregiment ausüben können, welche wahrhaft Theolo-

§6 -* §6/ §7~*§7/ §12 -> §12/

§8^§8/

§9->§9/

§10~>§10/

§11^§11/

251

Einleitung

gen sind: so muß auch bei der einseitigen Richtung dennoch beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, in Jedem vereinigt sein. 13.

5

Welches von Beiden in ihm überwiegt, darnach hat Jeder, der sich zur leitenden Thätigkeit in der Kirche berufen fühlt, seine Wirkungsart zu bestimmen. 14.

Diese sowohl als noch vielmehr die Theologie selbst ist keinesweges davon abhängig, daß das Kirchenregiment die Basis eines besondern bür10 gerlichen Standes ist. 15.

Niemand kann die ganze Aufgabe der Theologie vollständig lösen, theils wegen der Unendlichkeit der darunter befaßten Kenntnisse, theils weil die Verschiedenheit der Disciplinen auch eine Mannigfaltigkeit von Ta15 lenten erfordert, die nicht in gleichem Grade vereint sein können. 16. Wollte Jeder sich gänzlich auf Einen Theil beschränken: so wäre das Ganze weder in Einem, | noch auch, weil kein lebendiges Zusammenwirken Statt fände, in Allen zusammen. 20

17.

Jeder kann sich, um es zur Vollkommenheit darin zu bringen, nur Einem Theil der Theologie zunächst widmen, muß aber, um vermittelst dieses auf das Ganze zu wirken, auch das Ganze in allgemeinem Sinn umfassen. 18. 25 Was Jeder von allen Theilen der Theologie inne haben muß, ist das Allgemeine nach der Einheit des Zweks hin liegende; was Jeder nur von Einem Theil erwerben kann, ist das Besondere an die Eigenthümlichkeit des Talents und des Gegenstandes gebundene.

§13~>§13/ § 18 § 17 /

§ 14

§ 13 Erl/

§15-§14/

§ 16 ^ § 15/

§17^§16Erl/

5

252

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

19. Je mehr jemand praktisch sein will, um desto universeller muß er sein als Theologe; je mehr als Gelehrter leisten, um desto mehr immer nur mit Einem Theile sich beschäftigen. 20.

5

Jenes Allgemeine (18) ist 1) richtige Anschauung von dem Zusammenhange der verschiedenen Theile der Theologie unter sich und mit dem 6 Zwekk. 2) Wissenschaft von demjenigen in jedem, | was am meisten mit den übrigen und dem Zwekk zusammenhängt. 3) Bekanntschaft mit den Mitteln um sich jede nöthige Kenntniß sofort zu verschaffen, 4) und mit 10 den nöthigen Vorsichtsmaaßregeln um das, was Andere geleistet haben, zu benuzen. Das Besondere ist die Vollständigkeit in den einzelnen Disciplinen, und das Ziel derselben die Reinigung und Erweiterung des in ihnen schon geleisteten. 21.

15

Die encyclopädische Darstellung hat es mit der Anschauung des Wesens und Zusammenhanges der verschiedenen Theile zu thun, ohne sich mit dem materiellen selbst zu befassen. 22. Weder das Wesen des Christenthums oder einer bestimmten Kirche über- 20 haupt, woraus im Gegensaz gegen das Zufällige allein (2.) die Organisation der Theologie zu verstehen ist, noch das Wesen der Kirche im allgemeinen kann bloß empirisch aufgefaßt werden. 23. Soll es überhaupt Kirchen geben: so muß die Stiftung und das Bestehen 25 7 solcher Vereine als ein | nothwendiges Element in der Entwikkelung des Menschen können in der Ethik nachgewiesen werden.

6 Oben 251,24-28 §19 ->§17 Erl/ §22/

21 Oben § 20-*§§

249,7-11

18-19 /

§21 -+§20/

§ 22-> § 21 /

§ 23 -

Einleitung

253

24.

Die lebendige Darstellung dieser Idee muß auch das Gebiet des veränderlichen darin nachweisen, welches die Keime alles individuellen enthält. 25.

5

Hieraus das Wesentliche in der gesammten Erscheinung der christlichen Kirche zu verstehen, ist die Aufgabe des philosophischen Theiles der Theologie. 26.

Die philosophische Theologie ist die Wurzel der gesammten Theologie. 10

27.

Sie ist so wenig bearbeitet, daß ihr sogar noch der bestimmte und allgemeingeltende Name fehlt. 28. Der Zwekk des christlichen Kirchenregimentes kann nur dahin gehen, 15 dem Christenthum sein zugehöriges Gebiet zu sichern und immer vollständiger anzueignen, und innerhalb dieses Gebietes die Idee des Christenthums immer reiner darzustellen. | 29.

Hierzu muß es eine Technik geben, welche sich auf den Besiz der darzu20 stellenden Idee, und auf die Kenntniß des zu regierenden Ganzen gründet. 30.

Die Darstellung dieser Technik ist der praktische Theil der Theologie. 31.

25 Die praktische Theologie ist die Krone des theologischen Studiums.

§24~>§23/ § 31 —/

§ 25

§ 24/

§ 26 -

- /

§27^§24Erl/

§§ 28-30->§

25 /

254

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

32. Sie ist bisher mehr in Bezug auf das Kleine und Einzelne, als auf das Große und Ganze als Theorie behandelt. 33. Die christliche Kirche als das zu Regierende ist ein Werdendes, in welchem die jedesmalige Gegenwart begriffen werden muß als Produkt der Vergangenheit und als Keim der Zukunft. 34. Dasjenige, worauf gewirkt werden soll, ist also nicht zu verstehen ohne seine Geschichte, und diese in ihrem ganzen Umfang bildet den historischen Theil der Theologie. | 35. Indem die historische Theologie jeden Zeitpunkt darstellt in Bezug auf das Princip, enthält sie die Bewährung der philosophischen, indem in Bezug auf den vorhergegangenen, enthält sie die Begründung der praktischen. 36. Die historische Theologie ist der eigentliche Körper des gesammten theologischen Studiums und faßt auf ihre Art auch die andern beiden Theile in sich. 37. Die Ethik ist die Wissenschaft der Principien der Geschichte; diese also wird bei jedem theologischen Studium vorausgesezt, und es gründet sich auf sie. 38. Für eines jeden theologisches Studium müßte der philosophische Theil, wenn er schon zur Disciplin ausgebildet wäre, der erste sein. So lange jeder ihn sich selbst bilden muß, kann er nur neben dem historischen gewonnen werden.

§ 32^ § 25 Erl /

§§ 33-34^·

§ 26/

§35->§27/

§36~+§28/

§§ 37-38->§

29 /

Einleitung

255

39. Was sich zunächst auf die Ausübung bezieht, | die praktische Theologie, ist für das Studium das lezte.

40. 5

Es ist also zu handeln zuerst von der philosophischen Theologie, dann von der historischen und zulezt von der praktischen. In diesen ist das ganze Studium beschlossen.

§39--

§30/

§40-

§31/

10

Erster Theil.

11

Von der p h i l o s o p h i s c h e n

Theologie.

Einleitung.

1. So wenig das eigenthümliche Wesen des Christenthums bloß empirisch kann aufgefaßt werden (Einl. 22.), eben so wenig läßt es sich rein wissenschaftlich aus Ideen allein ableiten.

5

2. Es ist also nur durch Gegeneinanderhalten des geschichtlich in ihm gegebenen, und des in der Idee der Religion und der Kirche als veränderliche Größe gesezten zu bestimmen.

10

3. Da dasselbe von allen geschichtlich gegebenen Religionsformen und Kir12 chen gilt: so ist in diesem Sinn jede nur mit ihrem Verhältniß des | Nebenund Nacheinanderseins zu andern zugleich zu verstehen. 15 4. Der Standpunkt der philosophischen Theologie in Beziehung auf das Christenthum überhaupt ist nur über demselben zu nehmen.

6 Oben

252,19-23

§§ 1—2 ^ § 32 /

§ 3 —> § 33 Erl /

§4

§ 33 /

I. Teil: Philosophische

Theologie

257

5. Das Verhältniß des im Christenthum geschichtlich gegebenen zu der Idee desselben, drükt sich nicht nur durch den Inhalt aus, sondern auch durch die Art des Werdens.

6. Die Ethik als Wissenschaft der Geschichtsprincipien muß darstellen, wie dasjenige wird, was in einem geschichtlichen Ganzen reiner Ausdruk der Idee ist. Sie kann es aber nur im Allgemeinen. 7. Nur durch Gegeneinanderhaltung des Gegebenen mit den dort aufgestellten allgemeinen Formen läßt sich von dieser Seite erkennen, was in dem geschichtlich gegebenen Christenthum reiner Ausdruk der Idee desselben ist. 8.

Wie keine geschichtliche Erscheinung ihrer Idee rein entspricht, sondern Abweichungen enthält, die | in jener nicht aufgehn, und nur als Krankheitszustand zu begreifen sind, so auch das Christenthum. 9. Nur durch Gegeneinanderhaltung eines Gegebenen mit dem als Wesen des Christenthums erkannten, läßt sich inne werden, was wirklich als Krankheit zu sezen ist. 10. Das Christenthum, wie jede Kirche, theilt sich selbst in Partheien, die unter sich im relativen Gegensaze stehn, und sich zur christlichen Kirche selbst verhalten, wie diese und andere gegebene Kirchen zur absoluten Idee der Kirche. 11. Alles bisher (1—9) Gesagte gilt also nothwendig auch von ihnen.

28 Oben 256,4-257,21 §5->§34/

§§6-9->§35/

§§ 10-11 -> § 36 /

258

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

12. Da die hier aufgestellten Aufgaben den Inhalt der philosophischen Theologie erschöpfen: so ist diese ihrem innern Wesen nach Kritik, und führt jenen Namen nur in einem weitern Sinne, wegen ihrer unmittelbaren Beziehung auf die Hauptsäze der Ethik.

13. Das lebendige Sein des Einzelnen in einer | Kirche und Kirchenparthei ist zugleich seine innere Ueberzeugung von ihrer geschichtlichen Gültigkeit.

14. Die lebendige Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment ist zugleich das Bestreben, ihre innere Gültigkeit auch äußerlich geltend zu machen, oder sie zu vertheidigen.

15. Das lebendige Sein des Einzelnen in einer Kirche oder Kirchenparthei ist zugleich sein inneres Mißfallen an den krankhaften Abweichungen, die darin vorkommen. 16. Zur Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment gehört auch das Bestreben, diese Abweichungen als solche kenntlich zu machen und hinwegzuschaffen.

17. Als theologische Disciplin nimmt die philosophische Theologie ihre Form von dem Interesse an dem Wohlbefinden und der Fortbildung der Kirche. 18. Als solche ist sie, jedesmal wenn ein solcher Gegensaz besteht, auch wesentlich in einer Kirchenpartei befangen, und also für jede eine besondere. |

11 Gültigkeit] Gültigkeit

§12~>§37/ §38 Erl /

§§ 13-14

-> §39/

§§ 15-16

-> § 40 /

§ 17 -»· § 38 /

$ 18 ^

1. Teil: Philosophische

Theologie

259

19.

15

Als solche enthält sie, dem Obigen zu Folge, die Principien der Apologetik und der Polemik, und ist in diesen ganz beschlossen.

Erster 5

Abschnitt.

Von den G r u n d s ä z e n der A p o l o g e t i k .

1. Da die Idee der Kirche sich nur in einer Mehrheit geschichtlicher Erscheinungen realisirt, welche in jener Idee Eins, unter sich aber verschieden sind: so muß auch von dem Christenthum, wenn es als eine solche gel10 tend gemacht werden soll, sowol jene Einheit als diese Differenz nachgewiesen werden. Diese Untersuchung umfaßt die Wechselbegriffe des natürlichen und positiven.

2. Sie muß, auf allgemeine Bestimmung darüber, worin das eigenthümliche 15 Wesen einer besondern Religionsform und Kirche zu sezen sei, sich gründend, in diesem Gebiet das Wesen des Christenthums nachweisen. | 3.

20

16

Da das eigenthümliche Wesen einer besondern Religionsform sich auf der idealen Seite am kenntlichsten in ihren Dogmen ausspricht und auf der realen in ihrer Verfassung: so muß um die innere Consistenz des Christenthums darzustellen nachgewiesen werden, wie sich dasselbige Wesen in beiden ausspricht.

5 Von ... Apologetik.] Sperrung fehlt § 19

§ 42 /

§1

§43/

§2

§ 44 /

§§3~4~>§49/

260

Kurze Darstellung (1. Auflage) 4.

Diese Congruenz muß die Probe geben, daß das Wesen des Christenthums richtig aufgefaßt ist. 5. Das Christenthum als neue und ursprüngliche T h a t s a c h e muß sich auch durch die Art, wie es entstanden ist, (I. Einl. 5.) ausweisen. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Offenbarung, Wunder und Eingebung.

5

6. D a die ganze geschichtliche Darstellung der Idee der Kirche auch als Eine fortlaufende Reihe anzusehen ist: so muß eben so auch auf der andern Seite das Hervorgehen des Christenthums aus dem Judenthum und Heidenthum dargestellt werden. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Weissagung und Vorbild. |

10

7.

17

D a die christliche Kirche als geschichtliche Erscheinung ein zeitliches also sich veränderndes ist, so ist auch auszuführen, woran unter diesen Veränderungen die bleibende Einheit des Wesens, sowol im Gebiet der Lehre als der Gemeinschaft kann erkannt werden. Diese Untersuchung bezieht sich auf die Begriffe Kanon und Sakrament.

15

8.

20

D a die Kirche als nothwendiges Erzeugniß auf einem und demselben Grunde beruht mit allen andern in der Entwikkelung der Menschheit sich wesentlich ergebenden Organisationen eines gemeinsamen Lebens: so muß auch von dem Christenthum nachgewiesen werden, daß es mit jenen allen zusammen bestehen kann. Dieses Bestreben geht aus auf riehtige Bestimmung der Begriffe Hierarchie und Kirchengewalt.

6 Oben

§5

257,1-4

§ 45 /

§6 -+§46/

§7->§47/

§ 8-> § 48 /

25

1. Teil: Philosophische

Theologie

261

9.

5

Auf gleiche Weise hat die Apologetik, wiefern sie sich auf eine besondere Kirchenpartei richtet, sowol deren mit andern gemeinsames Sein in der christlichen Kirche, als auch ihr besonderes Für sich bestehn zu begründen. Ihr Gegenstand | ist in diesem Sinne vorzüglich alles, was unter die Begriffe Confession und Ritus gehört.

10.

it)

Nicht nur kann jede Kirchenpartei nur sich selbst und nicht auch die andere vertheidigen, sondern ihre Ansicht wird sich auch mehr oder weniger durch das ganze Geschäft der Apologetik hindurchziehen. 11.

15

D a Kirchenparteien als Gegensaz nur entstehen können aus einem Z u stande, in welchem kein Gegensaz statt findet: so hat jede sich zu vertheidigen gegen den Vorwurf entweder der Anarchie oder der C o r ruption. 12.

20

D a solche Gegensäze innerhalb des Christenthums schon oft wieder verschwunden sind: so muß die besondere Apologetik auch sich selbst begrenzen, und wissen w o das abgesonderte Dasein einer Partei nicht mehr vermag als eigenthümliche Darstellung des Christenthums zu gelten.

§9~>§50/

§10~>§51/

ill-»552/

§ 12-> § 53 /

18

262

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

Zweiter Abschnitt.

19

Von d e n G r u n d s ä z e n d e r P o l e m i k .

1. Die Principien der Polemik gehören zur philosophischen Theologie als ihre negative Seite, als die Auffindung und Anerkennung dessen, was in der Erscheinung des Christenthums seiner Idee nicht entspricht.

5

2. Es kann in der Erscheinung ein allgemein geschwächter Lebensprozeß nicht mehr der ursprünglichen Kraft der einwohnenden Idee entsprechen; es kann theilweise etwas absterben, oder sich nicht neu entwik- 10 kein, was zur Darstellung der Idee gehört; es kann endlich in der Erscheinung sich etwas entwikkeln, was der Idee widerspricht. 3.

Die allgemeinste Form des ersten Uebels ist der Indifferentismus. Wenn dieser aus dem Princip des Christenthums hervorginge: so würde dieses 15 sich selbst aufheben. Soll also dem Christenthum eine nothwendige Existenz zukommen: so muß er nachgewiesen werden als Krankheitszustand. | 20

4.

Die allgemeinste Form des zweiten Uebels ist der Separatismus. Wenn 20 dieser dem Princip des Christenthums gemäß wäre: so würde es die Kirche, d. h. seine geschichtliche Realität selbst zerstören. Er muß also begriffen werden als Krankheit. 5.

Wenn das dem Wesen des Christenthums zuwiderlaufende auch außer 25 der Erscheinung desselben gesezt wird: so ist es kein Gegenstand der Polemik. Gegen den Atheismus oder gegen einen antireligiösen Verein giebt es keine Polemik.

§!->-/

§2

§ 54 /

§3^>§56/

§4~>§57/

$5-»-/

I. Teil: Philosophische

263

Theologie

6. Das innerhalb der Erscheinung des Christenthums seinem Wesen widerstreitende ist, wenn es sich in der Lehre selbständig organisirt, Kezerei, wenn in der Gemeinschaft, Spaltung. 7. Vermöge des Gegensazes (I. Einl. 1. 2.) muß gelten, daß weder bloß empirisch aufgefaßt, noch rein wissenschaftlich abgeleitet werden kann, was im Einzelnen Häresis und Schisma ist, sondern nur durch Gegeneinanderhalten des Gegebenen und der Idee. | 8. Das polemische Verfahren ist daher, die Ausartung an dem Inhalt zu beweisen, entweder durch Widerspruch gegen Kanon und Sakrament (Th. I. Abschn. I. 7.), in Bezug auf die Kirche und gegen Confession und Ritus (Ebend. 9.), in Bezug auf die Partei, oder durch die natürliche Congruenz zwischen Häresis und Schisma (Ebend. 3.). 9. Das dem Wesen des Christenthums widerstreitende muß sich auch kund thun durch seine Entstehungsart, (I. Einl. 5—7.) und die Principien der Polemik müssen streben diese zu bestimmen. 10. Die ersten erscheinenden Elemente der Häresis sind Meinungen Einzelner, die der Spaltung Conventiculn. Die Principien der Polemik müssen streben, das krankhafte auch schon an diesen zu erkennen. 11. Eine neue Kirchenpartei erscheint zuerst eben so. Jede Kirche also, welche einen Unterschied zwischen Parthei und Schisma anerkennt, muß bestrebt sein ihn in den ersten Elementen erkenn|bar zu bestimmen. Dies scheint die höchste Aufgabe der Polemik.

6 Oben 256,4-11 18 Oben 257,1-13 §6

§ 58 /

13 Oben 260,14-19

§7-+§59/

§§ 8 — 9

14 Oben 261,1-6

§ 60/

§§ 10-11

15 Oben

->§ 62 /

259,17-22

264

Kurze Darstellung (1. Auflage)

Schluß. 1. Die Principien der Apologetik und Polemik bedingen sich gegenseitig, wie ihre Gebiete sich ausschließen. 2.

5

Die philosophische Theologie sezt das materiale der historischen voraus, begründet aber selbst das Urtheil über das Einzelne und also die gesamte geschichtliche Anschauung des Christenthums. 3. Der philosophische Theil der Theologie und der praktische stehen zusammen dem historischen entgegen, weil sie beide unmittelbar auf Ausübung gerichtet sind, jener aber nur auf Betrachtung. Sie stehen einander selbst entgegen als erstes und leztes, indem durch jenen erst der Gegenstand für diesen fixirt wird, und indem jener sich an die höchste wissenschaftliche Construction anschließt, dieser das besonderste der Technik in sich faßt.

10

15

4. 23

D a der philosophische Theil die beiden an|dern bedingt, selbst aber nichts enthält, was jemand nur von Andern überkommen könnte: so giebt es in ihm nicht allgemeines und besonderes zu trennen: sondern Jeder muß ihn ganz besizen, und selbst für sich erzeugt haben.

20

5. Die philosophische Theologie eines Jeden enthält die gesamten Principien seiner theologischen Denkungsart. 6.

25

Es ist natürlich, daß sie eben deshalb nicht leicht zu einer förmlichen theologischen Disciplin wird ausgebildet werden.

§ 1 -* § 63/

§2-§65/

§3

§66/

§§4-5~>§67/

§6

§ 68 /

Zweiter Theil.

24

Von d e r h i s t o r i s c h e n T h e o l o g i e .

Einleitung.

1. 5

Ihrem Inhalt nach ist die historische Theologie ein Theil der neueren Geschichte, vorzüglich der Sitten und Bildungsgeschichte, und allen übrigen natürlichen Gliedern derselben coordinirt. 2.

Für jede Geschichte ist alles Hülfswissenschaft, was die Kentniß des 10 Schauplazes oder der äußeren Verhältnisse des Gegenstandes erleichtert, oder zum Verstehen der Monumente nöthig ist. 3.

Als theologische Disciplin ist die geschichtliche Kentniß des Christenthums zunächst die unnachläßliche Bedingung alles besonnenen Einwir15 kens auf die Fortbildung desselben, und die übri|gen Theile desselben 25 Geschichtgebietes sind ihr nur subsidiarisch untergeordnet. Als Hülfswissenschaft eignet sie sich vorzüglich an, was zum Verständniß ihrer Documente gehört. 4.

20 Alles, was als ein Einzelnes im Gebiet der Geschichte hervortritt, kann angesehen werden, entweder als plözliches Entstehen oder als allmählige Fortbildung und Entwikkelung. § ! - > § 69/

§2->§86/

§3^

§70/

§4

-+§71/

266

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

5. Beide Ansichten sind aber einander nur relativ entgegengesezt, so daß jeder Zustand nur ein Uebergewicht ist, des einen von beiden über das andere. 6.

Der Verlauf eines geschichtlichen Ganzen ist ein vielfacher Wechsel beider Zustände. 7. Ein Zeitraum, in welchem das ruhige Fortbilden überwiegt, stellt einen gesezmäßigen Zustand dar, und bildet eine geschichtliche Periode. Ein solcher, in welchem das plözliche Entstehen überwiegt, stellt einen Wechsel oder Umkehrung der Verhältnisse, eine Revolution dar, und bildet eine geschichtliche Epoche. | 8. Da die Geschichte überhaupt, und so auch besonders die ganze Folge von Thätigkeiten Einer Kraft nur Ein Ganzes bildet: so kann jeder erste Zustand eines kleineren geschichtlichen Ganzen zwiefach angesehen werden, als Entstehen eines neuen und als Ausbildung eines schon da gewesenen. 9. Die Geschichte des Christenthums läßt sich ansehen als eine einzelne Periode in der Religionsgeschichte überhaupt. Aber es läßt sich auch ansehn, als ein eignes geschichtliches Ganzes, sein Anfang als eine Entstehung, und sein ganzer Verlauf, als eine Reihe durch Epochen getrennter Perioden. 10. Die historische Theologie, als mit ihrem ganzen Zweck innerhalb des Christenthums stehend, faßt die leztere Ansicht auf.

§5 §71 Erl / -» §80/

§6~>§72/

§ 7-> § 73 /

§8~-§78/

§9^§79/

§10

II. Teil: Historische

Theologie

267

11.

5

Um das unendlich mannigfaltige Materiale der Geschichte zur Anschaulichkeit zusammenzufassen, giebt es ein zwiefaches Verfahren. Man theilt die Zeit und faßt alles zusammen, was in einer gewissen Zeiteinheit geschehen ist, oder man theilt | den Inhalt und faßt alles zusammen, was in der gesamten Zeit je einen einzelnen Theil betrift.

27

12. In dem Gegenstand selbst ist das erste immer gegeben durch die Umkehrung der innern Verhältnisse, woraus die Epochen sich bilden, und das 10 lezte durch die Art, wie die Kraft selbst, deren Aeußerungen betrachtet werden, sich darin ursprünglich theilt und gliedert. 13. Während des ruhigen Fortschreitens lassen sich die coexistirenden organischen Theile des Ganzen leichter gesondert in ihrer relativen Selbstän15 digkeit betrachten; in Zeiten der Umbildung hingegen ist alle Wechselwirkung lebendiger, und jedes einzelne abhängiger von dem gemeinsamen Zustande. Daher eignet sich die eine Darstellungsart im Allgemeinen mehr für die Perioden, die andere für die Epochen. 14. 20 Für das organische Princip der Theologie ist das unmittelbarste die Kentniß des gegenwärtigen Momentes, an welchen der künftige soll geknüpft werden. Diese wird also auch besonders herausgehoben. | 15.

28

Da aber die Gegenwart nur kann verstanden werden als Resultat der 25 Vergangenheit: so sezt jene Darstellung die Kentniß von dieser voraus. 16. Da jeder geschichtliche Verlauf die weitere Entwiklung einer Kraft darstellt in ihrem Zusammensein mit andern: so wächst mit der Zeit auch die Einwirkung von diesen, und es wird schwieriger die ursprüngliche 30 Kraft in der Aeußerung rein anzuschauen.

§11 ->§75/ §12 -> §76/ §§ 16-17 -> §83/

§13 -> §77 /

§ 14 -> § 81 /

§15~>§82/

Kurze Darstellung

268

(1.

Auflage)

17. Aus demselben Grunde erscheint diese Kraft am reinsten in ihren frühesten Aeußerungen. 18.

Da es der lezte Zwek aller Theologie ist, das Wesen des Christenthums in jedem künftigen Augenblik reiner darzustellen: so muß sie auch dasjenige, worin es am reinsten anzuschauen ist, besonders herausheben.

5

19. Die historische Theologie theilt sich demnach in die Kenntniß von dem Anfang des Christenthums, in die Kenntniß von seinem weiteren Ver-| 10 29 lauf, und in die Kenntniß von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblikk. 20.

Wenn der Gegenstand der historischen Theologie organisch getheilt (11. 12.) werden soll: so sondern sich zunächst Lehrbegriff und Kirchenver- 15 fassung. (I. Erst. Abschn. 3.) 21.

Das entstehende Christenthum, Urchristenthum, umfaßt nur die Zeit, wo beide erst wurden, also nicht abgesondert von einander schon waren. 22.

20

Wird es noch besonders der theologischen Idee gemäß als reinster Repräsentant des christlichen Princips (17. 18.) angesehen: so kann die Betrachtung nicht nach jenen Theilen zerfallen; sondern nur wenn man es als einen frühern Moment gleichartig mit den folgenden betrachtet. 23.

25

Die für jenen Zwekk ausgesonderte Kenntniß des Urchristenthums ist in den wenigen schriftlichen Documenten enthalten, welche den Kanon

14f Oben 267,1-U §18-* §84/

16 Oben 259,17-22

§19 ^§85/

22 Oben

§§ 20-22 -* § 87/

268,1-7

§ 23 -»· § 88 /

II. Teil: Historische

2 69

Theologie

bilden, und beruht vornemlich auf deren richtigem Verständniß. Daher der Namen exegetische Theologie. | 24. Die exegetische Theologie reiht sich zunächst an die philosophische an, und ist unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der erste. 25. Ihrer Natur nach hat der Unterschied des Allgemeinen und Besonderen (Einl. 20.) in ihr den kleinsten Spielraum. 26. Die Darstellung von dem weitern Verlauf des Christenthums, oder die eigentliche Geschichte desselben, enthält eine Unendlichkeit von Einzelheiten. Daher ist in ihr der Gegensaz zwischen dem Allgemeinen und Besondern am größesten. 27. Der Breite nach sondert sie sich in die Geschichte des Lehrbegriffs und die Geschichte der Verfassung. (20.) 28. Der Länge nach stellt jede von diesen einen ununterbrochenen Fluß dar, in welchem sich nur nach den Begriffen von Perioden und Epochen (7.) feste Punkte bilden, an denen man die Unterschiede fixiren kann zwischen mehreren Punkten, | die durch Epochen geschieden sind, und zwischen mehreren, die zwar zu Einer Periode gehören, aber so, daß der eine mehr das Resultat der vorhergegangenen Epoche darstellt, der andere mehr die folgende vorbereitet.

9 Oben 252,5-14 §24 ->§85 Erl/

17 Oben 268,13-16 §25->§89/

§26->§92/

20 Oben

266,8-13

§27 ->§90/

§ 28 -> § 91 /

270

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

29.

Die Kenntniß des gegenwärtigen Augenbliks ist, da sie sich zunächst an die Ausübung anknüpft, unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der lezte. 30.

Je mehr ein Moment von einer Revolution entfernt ist, und das Resultat der vorhergehenden Epoche in seiner Vollendung enthält, um desto leichter sondern sich auch in seiner Darstellung Lehrbegriff und Verfassung. Auch erhellt durch diese Sonderung desto besser, inwiefern beide denselben Charakter ausdrükken. 31.

Je mehr er noch in eine Epoche verwebt ist, um desto weniger vermag er für sich, sondern nur im ganzen Zusammenhang mit dieser dargestellt zu werden. 32.

Die Darstellung des Lehrbegriffs einer Kirche | oder Kirchenparthei in einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der Dogmatik. 33".

Die Darstellung der Verfassung der Kirche in einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der kirchlichen Statistik. 34.

Die erste bleibt ihrer Natur nach mehr in den Grenzen einer Partei stehen, die andere verbreitet sich ihrer Natur nach mehr über das Ganze. 35.

Da man beide ebenfalls ins Unendliche vervollständigen kann: so stehn sie in Absicht des Gegensazes zwischen dem Allgemeinen und Besondern der eigentlichen Kirchengeschichte gleich.

§29 -+§85 Erl/ §34 -+ §§96-98/

§30-+ §35

§94/ -+§99/

§31 -+§93/

§ 32-> § 97

/ § 33 -+ § 95 /

II. Teil: Historische Theologie

271

36. Die geschichtliche Anschauung muß überall selbst gebildet sein, weil sonst auch die darauf beruhende Thätigkeit in der Kirche keine selbständige sein würde. 37. Geschichtliche Darstellungen können nie frei sein von eigenthümlichen Ansichten und Urtheilen des Darstellenden. Soll also jemand vermittelst derselben sich seine eigene geschichtliche Anschauung | bilden: so muß er durch Kritik im Stande sein, das Materiale daraus für seine eigene Bearbeitung rein auszuscheiden. 38. Die historische Kritik ist die Vermittlerin alles wahren Aneignens auf dem Gebiet der Geschichte überhaupt, also auch der historischen Theologie.

Erster Abschnitt. Von der e x e g e t i s c h e n T h e o l o g i e .

1. Die exegetische Theologie als besondere Disciplin kann sich nur auf die Idee des Kanon beziehen.

§36 ->§100/

§37 ->§101/

§38 ->§102/

§l-+§104Erl/

Ill

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

2. Die Idee des Kanon ist, daß er die Sammlung derjenigen Documente bildet, welche die ursprüngliche absolut reine und deshalb für alle Zeiten normale Darstellung des Christenthums enthalten. 3.

5

Den jüdischen Codex mit in den Kanon ziehen, heißt das Christenthum 34 als eine Fortsezung | des Judenthums ansehn, und streitet gegen die Idee des Kanon. 4. Die Kenntniß des jüdischen Codex ist die allgemeine Hülfswissenschaft 10 für die gesammte historische Theologie. 5. Da Entstehen und Fortbilden (II. Einl. 5.) unmerklich in einander übergehn, und der Anfang auch als ein früherer Punkt in der Fortbildung und nach den Gesezen dieser kann betrachtet werden: so muß die Er- 15 scheinung des Kanon, welche nur die Documente der Entstehungszeit enthalten kann, nothwendig schwanken. 6.

Er enthält wesentlich die Documente von dem Zusammensein Christi mit seinen Jüngern, und die von dem Zusammenwirken der Jünger zur 20 Gründung des Christenthums. 7. Durch das Zusammensein dieser beiden Theile im Kanon ist schon die Unzertrennlichkeit des Entstehens und der Fortbildung auch in Bezug auf diese Idee gesezt. | 25

13 Oben

266,1-4

§ 2-> §§103-104/ §7~> §105 Erl/

§3~>§115/

§4~+§141/

§5 -+§106/

§6

§ 105 /

11. Teil: Historische

Theologie

273

8.

35

Die Zeit der apostolischen Väter liegt zwischen der wo der Kanon wurde, und der wo der Kanon war. Die Grenze zwischen ihnen und dem zweiten Theil des Kanon kann schwanken. 5

9.

Die Apokryphen sind Schriften aus den Zeiten des Kanon, welche aber das christliche Princip nicht in seiner Reinheit darstellen, sondern an irgend eine Ausartung grenzen. Der erste Theil des Kanon hat gegen sie natürlich nur eine unsichere Grenze. 10

10.

In wiefern der Kanon seiner Idee rein entsprechen soll, muß die Kirche noch immer im Bestimmen desselben begriffen sein, weil die vollständige Congruenz nie mit Gewißheit zu erkennen ist. 11. 15 Er bleibt also in sofern immer ein Gegenstand für beide Aufgaben der höheren Kritik, sowol Unerkanntes zur Anerkennung zu bringen, als Verdächtiges auszustoßen. 12.

Wie es für die höhere Kritik in den meisten Fällen keine andere Gewiß20 heit giebt als eine An|näherung, die durch möglichstes Zusammentreffen 36 der äußeren Kennzeichen und der innern erreicht wird: so könnte auch hier an äußeren Zeichen nur erkannt werden, daß etwas in die späteren Zeiten der apostolischen Väter oder in das vom Mittelpunkt der Kirche ferne Gebiet der apokryphischen Behandlungen fiele, und an inneren, 25 daß es nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den wesentlichen und herrschenden Ansichten des Kanon gedacht wäre. 13.

Dasselbe gilt umgekehrt für den Fall, daß noch etwas in den Kanon Aufzunehmendes gefunden würde.

§8 § 107 / §13 - - /

§9

§ 109/

§10->§110/

§11-*

§111/

§12->§113/

274

Kurze Darstellung (1. Auflage)

14. Nicht nur ganze Schriften sind in diesem Sinne der Gegenstand für die höhere Kritik, sondern auch einzelne Stellen.

15. Sieht man den Kanon als etwas historisch gegebenes an: so muß er bleiben wie er ist. Der Gedanke ist nicht statthaft, daß die erste Kirche im wesentlichen falsch darüber sollte entschieden haben; und so wäre, selbst wenn es ausgemacht werden könnte, daß einzelne Schriften andere Ver-| fasser haben, als denen sie beigelegt werden, dies kein Grund sie zu entkanonisiren. 16. Keine Rede kann vollständig verstanden werden als in der Ursprache. Auch die vollkommenste Uebersezung hebt die Irrationalität der Sprache nicht auf.

17. Auch Uebersezungen versteht nur derjenige vollkommen, der zugleich mit der Ursprache bekannt ist.

18. Die Ursprache des Kanon ist zwar griechisch, vieles aber ist unmittelbar Uebersezung aus dem Aramäischen, und noch mehreres ist mittelbar so anzusehn.

19. D a auf dem richtigen Verständniß des Kanon überall das eigne Urtheil darüber, was ursprünglich Christlich ist beruht: so m u ß jeder Theologe den Kanon auch durch sich selbst verstehen.

20. D a kein Dialekt vollkommen verstanden wird ohne seine verwandten Dialekte: so ist auch die vollständigste Kenntniß des Kanon nur durch die Kenntniß aller Semitischen Dialekte möglich. |

$14-+$112/ $$125.128/

$ 15 $ 114/ $20 -+$129/

$$ 16-17 ->$ 126/

$ 18 -> $ 127/

$19

II. Teil: Historische

27 5

Theologie

21.

38

Nur dieser zweite Punkt (20.) nicht auch der erste (19.) kann zu der speciellen Virtuosität auf diesem Gebiet gehören.

22. 5

Auch hier ist nächst der Literatur Kritik der Virtuosen (Einl. 20, 3. 4.) eine nothwendige Ergänzung, um im Gebrauch das was einseitige Liebhaberei am Seltnen und Scharfsinnigen von dem was ächt philologisches Talent erzeugt hat, zu unterscheiden. 23.

10 Alles Verstehen einer Rede oder Schrift ist, weil dazu eine selbstthätige Production gehört nach Gesezen, deren Anwendung nicht wieder auf Geseze zu bringen ist, eine Kunst. 24. Die Auslegung des Kanons gehört zu den schwierigsten, theils weil das 15 Speculativreligiöse in dem unbestimmten Sprachgebrauch nicht nationaler Schriftsteller aus einer im Ganzen ungebildeten Sphäre sehr vielen Mißdeutungen ausgesezt ist, theils weil die Umstände, welche den Gedankengang des Schriftstellers motivirten, uns häufig | ganz unbekannt sind, und erst durch die Schriften selbst müssen errathen werden. 20

25. Da jeder Theologe zu einem eigenen Verständniß des Kanons gelangen soll: so muß auch jeder diese Kunst selbst üben, und darf keine Auslegung auf Autorität annehmen. 26.

25

Die Auslegungskunst ist der Mittelpunkt der exegetischen Theologie, und in Absicht auf sie findet kein Unterschied Statt zwischen allgemeinem Besiz und besonderer Virtuosität. Auch da, wo man die Sprachkenntniß nur als Notiz hat, muß doch die Auslegung eigen sein.

2 Oben 274,26-29

2 Oben 274,22-25

§21 ->§130/ §22 ->§131/ §26^> §§138. 139/

5 Oben

§23 -+§132/

252,9-12 § 24-> § 135 /

§25

->§139/

39

Kurze Darstellung (1. Auflage)

276

27. Wer die Regeln der Auslegung nur als ein Aggregat von Observationen besizen will, muß einem fremden unklaren Gefühl folgen. 28. Die Auslegungskunst ist eine philologische Disciplin, die auf eben so festen Principien als irgend eine andere beruht. 29. Es giebt keine Vorstellungsart über den Ka|non, welche die Anwendung der so gefundenen hermeneutischen Regeln auf denselben aufhöbe. 30. Die Specialhermeneutik des Kanon ist nur die nähere Bestimmung jener Regeln in Bezug auf die besondere Sprache des Kanon, und auf die besondere Gattung, zu der die Schriften gehören, aus denen er besteht. 31. Da das Ziel aller Auslegung darin besteht, jeden einzelnen Gedanken mit seinem Verhältniß zur Idee des Ganzen zugleich richtig aufzufassen, und so den Akt des Schreibens nachzuconstruiren: so muß vorzüglich bestimmt werden, in wiefern für die Auslegung der Kanon als Ein Ganzes zu nehmen, und in wiefern jede einzelne Schrift desselben für sich zu betrachten ist. 32. Jede Schrift kann nur vollkommen verstanden werden durch die Kenntniß der Litteratur, der sie angehört, des Zeitalters und besonders des Publicums, für welches sie geschrieben wurde, und der besondern Beziehungen, aus denen sie hervorgegangen ist. | 33. Keine Vorstellungsart vom Kanon kann diese Bedingungen des Verstehens für überflüßig erklären.

2 4 Publicums] Pu-/licums

§27 -+§133 Erl/ §136/ §§ 32-33

§28--§137/ § 140/

§29 ->§134/

§30->§137/

§ 31

II. Teil: Historische

277

Theologie

34.

Da diese Bedingungen ein Unendliches enthalten: so tritt hier der Unterschied zwischen dem Allgemeinen und Besondern wieder vorzüglich ein. 35.

Die großen Züge zu kennen, wodurch das Ganze klar wird, und sich dadurch ein richtiges Bild der Neutestamentischen Zeit zu entwerfen, ist die Pflicht eines Jeden; die Masse des einzelnen zusammenzubringen, wodurch Einzelnes und Kleines erläutert wird, ist die Sache der Virtuosen dieses Faches. 36.

Der erste Grund zum Besiz dieser Hülfskenntnisse wird gelegt durch diejenigen Notizen, die man in den Einleitungen in das N. Test, zu vereinigen pflegt. 37.

Die Quellen, woraus Erläuterungen zu nehmen wären, sind noch lange nicht erschöpft. | 38.

Alles was er bedarf ist dem Ausleger erst dann gegeben, wann er auch einen berichtigten und zuverläßigen Text vor sich hat. Dies ist die Aufgabe der niedern Kritik. 39.

Die Grenze zwischen dieser und der höhern ist schwer, und überall nicht nach der Größe des Gegenstandes, worauf es ankommt, zu bestimmen. 40.

Keine Vorstellungsart vom Kanon kann läugnen, daß der Text desselben den nemlichen Schiksalen müsse unterworfen sein, wie jede andere schriftliche Urkunde.

34-"-/ §35~>§143/ § 36 -* § 144/ ->•§118 Erl/ §40-"§116/

§ 37-> § 142/

§38->§118/

§39

278

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

41. Die Möglichkeit, daß die ursprüngliche Schreibart könne verloren gegangen sein, ist beim Kanon nicht geringer als bei jeder andern Schrift. 42. Die Aufgabe der Kritik in ihrem ganzen Umfange ist eine unendliche. Daher sie auch ein Feld für eine besondere Virtuosität enthält. 43. Die vollkommene Wiederherstellung des Tex|tes hat beim Kanon nicht denselben philologischen Werth wie bei andern Schriftstellern. 44. Das Allgemeine für jeden nothwendige ist die Principien der Kritik zu kennen, um die Virtuosen der Kritik als Autorität in einzelnen Fällen prüfen zu können, und der Gründe seines Urtheils selbst mächtig zu sein. Daraus entsteht denn die ebenfalls unentbehrliche Kenntniß ihrer Hauptresultate. 45. Rein theologisch betrachtet haben nur diejenigen Varianten unmittelbare Wichtigkeit, welche irgend etwas zur ursprünglichen Darstellung des Christenthums gehöriges betreffen. Für den Kritiker sind alle wichtig, weil jede ein Beitrag zur Beurtheilung seiner Quellen ist. 46. Die nächste Aufgabe der Kritik ist die, eine möglichst richtige und genaue Geschichte des Textes zu liefern, welche aber auch noch nicht zu Stande gebracht ist. 47. Wie das Verständniß des Kanon überall noch nicht vollendet ist, so darf auch der einzelne Theo|loge sein Studium desselben nie als vollendet ansehn.

§41 -> § 117 / $46->§120/

§ 42 -> § 122 / §47 ->§145/

§ 43 -> § 121 /

§ 44 -> § 123 /

§45->$121/

IL Teil: Historische

Theologie

279

48. Der akademische Unterricht kann nur den Grund dazu legen; muß aber auch schon beide Richtungen, die auf die Universalität und die auf die Virtuosität, in sich vereinigen. 49. Ohne religiöses Interesse läßt sich kein fortgeseztes Studium des Kanon denken, es müßte denn ein gegen ihn selbst gerichtetes sein. 50. Ohne philologischen Geist kann die Beschäftigung mit dem Kanon nur asketisch sein, oder sie wird ins Pseudo-dogmatische ausarten.

Zweiter Abschnitt. V o n d e r h i s t o r i s c h e n T h e o l o g i e im e n g e r e n S i n n e o d e r d e r Kirchengeschichte.

1. Der Gegenstand der Kirchengeschichte ist der Inbegriff alles dessen, was das Christenthum von | seinem Entstehen bis jezt geworden ist oder gewirkt hat.

1 2 f Von ... Kirchengeschichte.] Sperrung

fehlt

6 f Schleiermacher denkt ζ. B. an die einem radikalen theologischen Naturalismus verpflichteten exegetischen Arbeiten des Karl Friedrich Bahrdt (1741 — 1792): vgl. Die kleine Bibel, ehrwürdig und lesbar für Christen und Nichtchristen, hg. v. K. F. Bahrdt, Bd. 1—2, Berlin 1780; ders.: Analytische Erklärung aller Briefe der Apostel Jesu, Bd. 1—3, Berlin 1787-1789; vgl. den Sachapparat zu KD2 § 147 (unten 379,14-16). §48-"§146/

§49-"§147/

§ 50->

§ 148 /

§1~>§149/

280

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

2. Es läßt sich ansehn von der einen Seite als Eine einzige Anschauung, von der andern als ein Ganzes von unendlich vielen einzelnen Anschauungen. 3. Jede Thatsache als geschichtliche Einzelheit ist ein äußeres, die räumliche Veränderung, und ein inneres, die Function der Kraft, welche betrachtet wird, identisch gedacht.

5

4. Die Aneinanderreihung der räumlichen Veränderungen für sich ist nicht Geschichte, sondern Chronik. Es giebt viele Veränderungen, die gar nicht als geschichtliche Elemente anzusehen sind.

10

5. Wie überall auch die vollständigste Chronik nur Vorarbeit ist für die Geschichte: so kann die Chronik der christlichen Kirche besonders gar nicht als theologische Disciplin gedacht werden, weil sie mit dem Interesse an der Wirksamkeit für das Christenthum in gar keinem Zusammenhange steht. | 46

15

6. Das Aneinanderfügen wahrgenommener räumlicher Veränderungen und ihr Festhalten im Gedächtniß ist Mechanismus; die Verknüpfung des Innern und Aeußern zu einer geschichtlichen Anschauung ist Construction, Thätigkeit eines Talentes.

20

7. Das Leben, die eigene geschichtliche Existenz des einzelnen Menschen entwikkelt dieses Talent von selbst. 8. Sobald das Christenthum als thätiges Princip in die Welt eingetreten ist, kann man die Bildung der gemeinsamen Lehre und die Bildung des gemeinsamen Lebens als zwei Functionen desselben unterscheiden.

§2->§150/ §3^§151/ §8 ->-§§161. 166/

§§4-5

§153/

§6~>§152/

§ 7->• § 155 /

25

II. Teil: Historische

Theologie

281

9.

5

Wie aber die Kirche die Gemeinschaft der Lehre sowol als des Lebens ist: so ist auch keine von beiden Functionen ohne die andre in ihrer Thätigkeit zu verstehen, und jeder M o m e n t ist nur in der ungetrennten Betrachtung lebendig und richtig aufzufassen. 10. Die Kirchengeschichte, als theologische Disci|plin, soll vorzüglich das, was fremden Einwirkungen zuzuschreiben von dem, was rein aus dem Princip selbst hervorgegangen ist, unterscheiden.

10

11.

Die Bildung der Lehre wird vorzüglich afficirt durch die herrschenden Philosopheme und den wissenschaftlichen Zustand überhaupt. 12. 15

Die Bildung des gemeinsamen christlichen Lebens wird vorzüglich afficirt durch die politischen Verhältnisse und durch den geselligen Zustand überhaupt. 13.

20

Die Aufgabe, den geschichtlichen Verlauf des Christenthums zu erkennen, kann nur durch die vielseitigste Combination beider Verfahrungsarten vollständig gelöset werden, indem jede ergänzen muß was der andern fehlt. 14. In der Bildung des gemeinsamen Lebens unterscheiden sich wieder die Bildung der Sitte und die Bildung des Cultus.

25

15. Beides ist aber auch in einander: denn jedes kann auf das andere zurükgeführt werden. |

§ 9 -> § 162 / § 10 § 160/ §168/ §§ 15-16 -» § 170/

§§11-12-+$167/

§13~>§163/

§ 14 ->

47

282

Kurze Darstellung

48

(1.

Auflage)

16. Jedes, wenn es sich isolirt, verliert seinen Charakter. Denn der Cultus ohne Sitte erscheint nur als Ceremonie oder Aberglauben, und die Sitte ohne Cultus nur als ein Resultat des geselligen Zustandes nicht des religiösen Princips.

5

17. Da die kirchliche Verfassung ohne äußere Sanction ist, fällt sie ganz unter das Gebiet der Sitten. 18.

An der Sitte zeigt sich, wie die religiöse Gesinnung in die verschiedenen 10 Theile des Handelns hineintritt, und wie sie sich zu den übrigen Motiven verhält. 19. In diesem Zusammensein des religiösen Princips mit den übrigen Motiven begreift sich allein alles das, was zwar in der Kirche ist, aber nicht 15 aus der Kirche hervorging, und wovon sie sich reinigen soll. 20. Eben so auch die intensive Verschiedenheit mit der das religiöse Princip sich der verschiedenen Gebiete des Lebens bemächtigt aus der jedesmali49 gen | moralischen Constitution des Zeitalters oder der Nation. 20 21. Der Cultus verhält sich zu der Sitte wie das beschränkte Gebiet der Kunst zu dem größeren des geselligen Lebens. 22. In beiden sind nur diejenigen Veränderungen gründlich, welche langsam vor sich gehen; je schneller desto mehr scheinbares ist darin.

$ 2 7 - §174/ ->§171/

§18-+§169/

§§ 19-20->§

173 /

§ 21 -» § 168 Erl /

§22

25

II. Teil: Historische

283

Theologie

23. Die langsamen Veränderungen sind nicht in einer ununterbrochen fortlaufenden Reihe aufzufassen, sondern nur in discreten Punkten, welche die Fortschritte von einer Zeit zur andern darstellen.

24. Die Entwiklung der kirchlichen Verfassung, welche ihren nächsten Bezug auf den Cultus hat, ihre Haltung durch die Sitte bekommt, und zugleich das Verhältniß der Kirche zum Staat ausdrükt, ist allein geschikt den fortlaufenden Faden zu bilden, an den sich das übrige anreiht.

25. Da die größten Revolutionen in der Kirchengeschichte diejenigen sind, welche nicht die Kir|che allein betreffen: so werden sich auch diese am stärksten in der Verfassung offenbaren.

26. Nur wenn man die Bildung des Lehrbegriffs isolirt betrachtet, kann man sich die Aufgabe stellen, eine innere mit dem Wesen des Christenthums in Bezug stehende Gesezmäßigkeit in seiner Entwiklung aufzufinden.

27. Völlig äußere Lebensverhältnisse können nicht den wahren Grund enthalten zu wichtigen Entscheidungen im Gebiet des Lehrbegriffs. 28. Die allmählige Bildung des Lehrbegriffs ist auf der einen Seite die fortschreitende Betrachtung des christlichen Princips nach allen Beziehungen, auf der andern das Aufsuchen des Ortes für die Aussagen des christlichen Gefühls in dem geltenden philosophischen System.

29. Jenes endet in der Deduction aus dem Kanon, dieses in der Uebereinstimmung mit zugestandenen philosophischen Säzen. 19f Vgl. den Sachapparat zu KD2 § 179 Erl (unten §23 ->§172/ §24 ->§176/ § 25 -> § 175 / § 28 ~> §§ 177. 180/ §29->§180/

389,7-9). § 26 -»· § 178 /

§27

->§179/

284

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

30.

Da das Gleichgewicht beider Gesichtspunkte | fast nirgends gegeben ist: so ist darauf zu achten, wie der eine über den andern das Uebergewicht hat. 31.

Es können theils in derselben Zeit verschiedene Parteien in dieser Hinsicht einander gegenüber stehn, theils auch verschiedene Zeiten durch ein Uebergewicht des Einen über das Andere sich unterscheiden. 32.

Das Bestreben philosophische Systeme in die Theologie einzuführen, pflegt mit der Anwendung einer richtigen Schriftauslegung im Gegensaz zu stehen. 33.

Man kann in der Entwiklung des Lehrbegriffs unterscheiden, die Bildung der theoretischen und der praktischen Dogmen. 34.

Es unterscheiden sich, wiewol im Ganzen die praktische Seite zurüksteht, immer Parteien oder Schulen, welche vorzüglich das eine oder das andere betreiben. 35.

Je mehr man die geschichtlichen Functionen | so vereinzelt betrachtet, um desto öfter muß man auf Punkte kommen, wo man das Getrennte wieder vereinigen muß; je mehr man sich nur an die größeren Glieder hält, um desto länger kann man unaufgehalten fortschreiten. 36.

Es giebt eine zwiefache Art um das geschichtliche zu wissen, aus den Quellen selbst und aus geschichtlichen Darstellungen.

§ 30 -* § 181 / §31-* §181/ ->§164/ § 36 -* § 156/

§32-*-/

§33~>§183/

§34-*-/

535

II. Teil: Historische

285

Theologie

37.

5

Quellen im engern Sinne für einzelne Thatsachen sind nur Monumente und Urkunden, welche selbst Theile der gesuchten Begebenheit sind, oder unmittelbar auf dieselbe zurükweisen. Geschichtliche Darstellungen, wenn auch von Zeitgenossen, sind doch nur mittelbare Quellen. 38. Ein gesammter Zustand kann nur nachgewiesen werden aus einer großen Masse analoger einzelner Thatsachen. 39.

10 Hülfswissenschaften, um aus den Quellen zur geschichtlichen Anschauung zu gelangen, sind das gesammte philologische Studium, diejenige Kritik, welche über die Aechtheit der Monumente entscheidet, die histo- 53 rische Kritik überhaupt, und endlich die sämmtliche übrige Geschichte. 40. 15 Was aus dem unendlichen Gebiet der Kirchengeschichte jeder Theolog inne haben muß, das läßt sich nur aus dem theologischen Zwekk beurtheilen. 41. 20

Jeder muß also die Kirchengeschichte inne haben nach Maaßgabe des Interesse des gegenwärtigen Augenbliks. 42.

Jeder lezte Augenblik, an den sich ein künftiger knüpfen soll, ist vorzüglich gegründet in der lezten revolutionären Begebenheit. Durch diese hat sich aber noch manches aus dem vorigen Zustande der Ruhe hinüber25 geschlichen, ja sie ist selbst in diesem gegründet, u. s. f., so daß die Kenntniß aller Hauptrevolutionen nach Maaßgabe ihres Zusammenhanges mit dem gegenwärtigen Augenblik das erste ist.

§37->§157/ §186/

§38 -"§159/

§ 39-> § 184 Erl/

§§ 40-41

-> § 185 /

§42

286

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

43. Zwischen je zwei Epochen giebt es untergeordnete Hauptpunkte, aus 54 denen man erkennen | kann, wie die Kraft von jeder ab- oder zunimmt, und diese sind das zweite unentbehrliche.

44.

5

Der gemeinsame Geist und Charakter eines Zeitalters kann nur fixirt werden in einem großen historischen Bilde. Wer sich nicht ein solches von jedem Zeitalter entwerfen kann, der lebt nicht in der Geschichte.

45. Was hierüber hinausgeht gehört zu demjenigen Betrieb der Kirchenge- 10 schichte, welcher auf die Vervollkomnung und Vollendung der einzelnen Theile als solcher ausgeht.

46. Wer etwas als Virtuose in der Kirchengeschichte leisten will, bezwekt entweder Thatsachen aus den Quellen auszumitteln und zu berichtigen, 15 oder einen Zeitraum richtiger und eigenthümlich darzustellen.

47. Es ist in der Kirchengeschichte schwerer als anderwärts zu treuen Darstellungen der Thatsachen zu gelangen. An geschichtlichen Kunstwerken mangelt es noch überall. | 20

48.

55

Die auf die Bereicherung der Wissenschaft Bezug habenden Arbeiten eines Jeden müssen ein gemeinsames Product seiner Neigung und der Gelegenheiten sein, die sich ihm darbieten.

49.

25

Da das, was zum allgemeinen Bedarf gehört, zunächst nur aus abgeleiteten Quellen kann geschöpft werden, und die Kritik historischer Compositionen, welche hiezu gehört, am besten durch eigne Uebungen dieser Art gewonnen wird: so sollte jeder wenigstens irgend einen kleinen Theil der Kirchengeschichte aus den Quellen studieren, und so viel von den 30

§43->§187/ §48 ^>§194/

§44 ->§188/ §49 ->§190/

§45 ->§191/

§46->§192/

§ 47 -» - /

II. Teil: Historische

Theologie

287

Quellen eines jeden Zeitalters gelesen haben als nöthig ist, um sich das Totalbild desselben recht zu beleben. 50.

Das religiöse Interesse und das wissenschaftliche können einander beim Studium der Kirchengeschichte nie in den Weg treten. 51.

Wenn die Liebe, mit welcher ein Betrachtender in einer Kirchenpartei steht, rechter Art ist, kann sie nie blenden oder verfälschen. | 52.

Die strenge Unparteilichkeit, welche der wissenschaftliche Geist fodert, ist weder Indifferentismus noch kann sie je einer Kirche oder Partei zum Schaden gereichen.

Dritter Abschnitt. V o n d e r g e s c h i c h t l i c h e n K e n n t n i ß d e s C h r i s t e n t h u m s in seinem gegenwärtigen Zustande.

1. Die zusammenfassende Darstellung des lezten Moments in der geschichtlichen Kirche kann nur zeigen wollen, in welchem Verhältniß bis dahin das Princip der laufenden Periode sich nach allen Seiten hin entwikkelt hat.

1 4 f Von ... Zustande.] Sperrung

§§ 50-52

-> §193/

§1

fehlt

§ 198/

288

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

2. Eben dieses Zwekkes wegen darf auch hier die Trennung in Verfassung und Lehrbegriff (II. Einl. 20.) Statt finden, nur muß die Beziehung beider auf einander nicht vernachlässigt werden. 3. Diejenige theologische Disciplin, welche unter | dem Namen der thetischen oder dogmatischen Theologie bekannt ist, hat es eben zu thun mit der zusammenhangenden Darstellung des in der Kirche jezt grade geltenden Lehrbegriffs. 4. Weder eine zusammenhangende Darstellung einer abweichenden bloß subjectiven Ueberzeugung, noch die Aufstellung einer sogenannten biblischen Theologie, noch die geflissentliche friedliebende Beseitigung alles streitigen entspricht jenem Begriff. 5. Da jeder für sich darstellbare Moment (II. Einl. 30.) zwischen zwei Epochen liegt, so ist in demselben auch in Bezug auf den Lehrbegriff theils das durch die erstere gesezte in der Kirche vorhanden, theils das die lezte vorbereitende. 6.

Das erste aber tritt auf überwiegend als das kirchlich bestimmte, das lezte überwiegend als das von Einzelnen ausgehende. 7. Vergleichungsweise erscheint das erstere überall als sich selbst gleich, als Einheit, das zweite als unter sich verschieden, als Vielheit. |

3 Oben 268,13-16 §2->§195/ §200/

16 Oben §3~>§97

270,5-10

+ 195/

§ 4 -» § 197 /

§§5-6~>§199/

§7->

II. Teil: Historische

289

Theologie

8.

58

Je mehr noch das Princip der frühern Epoche im Entwikkeln begriffen ist, um desto weniger können sich die Elemente bemerklich machen, welche die folgende vorbereiten. 5

9. Jeder ganz oder partiell den Lehrbegriff aussprechende, der sich in der Relativität für eines von beiden befindet, ist nur ein unvollkommenes Organ der Kirche. 10.

10 Jedes Element des Lehrbegriffs, welches in dem Sinn construirt ist, das bereits bestehende und fixirte zusammt seinen natürlichen Folgerungen fest zu halten, ist orthodox. 11. Jedes Element, welches in dem Sinne construirt ist, den Lehrbegriff be15 weglich zu erhalten und neue Darstellungen von dem Wesen des Christenthums zu eröfnen, ist heterodox. 12. Beide sind für den geschichtlichen Gang des Christenthums und für jeden Moment, der darin Bedeutung haben soll, gleich wichtig. | 20

59

13. Auch dasjenige festhalten wollen im Lehrbegriff, was bereits antiquirt ist, und so die Fortschreitung hemmen, ist die falsche Orthodoxie. 14.

25

Alles beweglich machen wollen, ohne selbst das Wesentliche des Christenthums und seiner laufenden Periode zu schonen, zerstört die Einheit der geschichtlichen Erscheinung und ist die falsche Heterodoxie.

16 eröfnen,] eröfnen

§§8-9->§208/ §206/

§§10-11

§203/

§12 ->§204/

§13 ->§205/

§ 14->

290

Kurze Darstellung (1. Auflage)

15. Jeder in einer Relativität befangene steht in Gefahr, was zum Wahren und Falschen der entgegengesezten gehört zu verwechseln. 16. Jede treue und den Zustand der Kirche wirklich umfassende Darstellung des Lehrbegriffs muß in ihrem Fundament und Hauptgebäude orthodox sein, eben so nothwendig aber auch in einzelnen Theilen einzelnes Heterodoxe enthalten.

5

17.

60

Z u r vollständigen Kenntniß des gegenwärtigen Augenbliks gehört nicht 10 nur dasjenige, was in die Zukunft hinübergenommen wird, und wesentlieh in die weitere Fortbildung verflochten ist: | sondern auch dasjenige, was eben so erzeugt, als rein persönliche Ansicht wieder verschwindet.

18. D a die Darstellung des Lehrbegriffs auch die Richtung, welche das Ganze als ein bewegliches nimmt, bezeichnen soll: so muß sie alles gleichzeitig vorhandene verhältnißmäßig berüksichtigen.

15

19. Keine Darstellung des Lehrbegriffs kann treu sein, die nicht zugleich divinatorisch ist. Das Divinatorische ist desto reichhaltiger je weiter, und desto schwieriger je näher der zu beschreibende Augenblik dem Culminationspunkte einer Periode liegt.

20

20. Jedes in die Darstellung aufgenommene Element, muß die Art wie es bestimmt ist bewähren, am Kanon sowohl als an der Speculation.

3 entgegengesezten] entgegesezten

§15->§208/ §209/

§16->§207/

§§ 17-18 -> § 201 /

§19->§202/

§ 20

25

Η. Teil: Historische

Theologie

291

21. Was in Bezug auf das Ganze und den ersten Anfang der Kanon ist, das ist in Bezug auf die laufende Periode und ihren Anfang das Symbol. 22. Die Bewährung der orthodoxen Elemente des Lehrbegriffs am Kanon ist vermittelt durch die am Symbol. |

23. Die lezte Epoche in der Geschichte des Christenthums ist die Reformation, durch welche sich der Gegensaz zwischen Protestanten und Katholiken festgestellt hat.

24. Die Beziehung beider Partheien aufeinander muß bei der Darstellung überall ins Auge gefaßt werden.

25. Wenn die Behandlung des Kanon sich ändert, muß sich auch die Art der Bewährung einzelner Theile des Lehrbegriffs ändern, ohne jedoch daß sie selbst sich änderten. 26. Durch Beziehung auf verschiedene philosophische Systeme entsteht ein verschiedener Ausdruk der einzelnen Lehren, ohne daß die Identität der ursprünglichen religiösen Affection des Gemüthes, welche durch die Lehre repräsentirt werden soll, dadurch aufgehoben würde.

27. An jedes wahrhaft philosophische System kann sich die Darstellung des Lehrbegriffs anschließen. |

§§21-22 - §211/ §27 -» §214/

§§23-24 - §212/

§25 -+§210/

§ 26 - « 213. 215 /

292

Kurze

Darstellung

(1.

Auflage)

28. Da der Lehrbegriff der Kirche aus den Meinungen Einzelner entsteht, und in demselben immer durchgehende und bleibende Elemente mit einander verbunden sind: so ist auch die Kenntniß seines jedesmaligen Zustandes ein Unendliches, in welchem die Gebiete des allgemeinen Besizes und der besonderen Virtuosität zu unterscheiden sind. 29. Zu dem allgemeinen Gebiet gehört die vollständige Kenntniß alles desjenigen im Lehrbegriff beider Kirchenpartheien, was sich auf das Princip der lezten Epoche bezieht, und die Kenntniß desjenigen neuen, woran man erkennen kann, daß es von geschichtlicher Bedeutung ist. 30. Zur besondern Virtuosität gehört die genaue Kenntniß aller einzelnen Streitigkeiten und gewagten Meinungen, auch diejenigen welche wieder verschwinden, ohne für sich allein in die Geschichte eingegriffen zu haben. 31. Alles bisher (3—30) Gesagte gilt gleich sehr von der theoretischen Seite des Lehrbegriffs, der christlichen Glaubenslehre oder Dogmatik im | engern Sinne, und von seiner praktischen, der christlichen Sittenlehre. 32. Beide sind nicht von Anfang her getrennte Disciplinen gewesen, stehen auch nicht immer mit einander im Gleichgewicht, weder der innern Ausbildung noch der äußeren Darstellung.

14 diejenigen] Kj derjenigen 18 Oben § 28

288,5-292,16

§ 218 /

§ 29

§ 219 /

§30^§222/

§§ 31-32

§ 223 /

Η. Teil: Historische

293

Theologie

33.

5

J e weniger eine genaue Correspondenz in der Organisation der theoretischen und praktischen Philosophie zu Tage liegt; je weniger im Leben selbst die spekulativen Meinungen auch die Lebensweise bestimmen oder von ihr bestimmt werden; endlich je weniger gleichförmig nach beiden Seiten das Princip der leztvergangenen oder nächstkünftigen Epoche sich ausbildet: um desto zwekmäßiger ist die Trennung beider Seiten des Lehrbegriffs in zwei verschiedene Disciplinen. 34.

10

Die theoretische Seite des Lehrbegriffs verhält sich zur rationalen T h e o logie wie die praktische Seite zur Pflichtenlehre der rationalen Ethik. 35.

15

Was sich für rationale Theologie ausgiebt ist oft nur Dogmatik, und was für rationale Ethik | ist oft nur religiöse M o r a l , beides mit Absonderung des eigenthümlich christlichen. 36. Die theoretische und praktische Seite des Lehrbegriffs können nicht ohne gänzliche Ertödtung auf verschiedenartige philosophische Systeme bezogen werden.

20

37. Der kirchliche Gegensaz der jezigen Periode hat sich auf der praktischen Seite des Lehrbegriffs für jezt noch nicht so stark ausgeprägt als auf der theoretischen. 38.

25

J e mehr Wissenschaft und bürgerliches Leben in der Realität getrennt sind, um desto weniger bestimmen sich auch Lehrmeinungen und M a x i men gegenseitig.

16-19 Vgl. den Sachapparat zu KD2 §227 (unten 406,17-20). §33->§228/

§§34-35 ->§226 Erl/

§ 36 -» § 227/

§ 37-> § 228 Erl/

§38

64

294

Kurze Darstellung (1. Auflage)

39. Wenn auch beide Seiten des Lehrbegriffs als besondere Disciplinen behandelt werden: so entsteht desto nothwendiger die Aufgabe bei jedem einzelnen Saz der einen auf das, was sich daraus für die andere ergiebt, zurükzuweisen.

5

40. 65

D a der Lehrbegriff als ein Ganzes soll ange|schaut werden, und die Consequenz weit leichter auffällt an dem mehr entwikkelten: so muß das Studium des gegenwärtigen Zustandes des Lehrbegriffs anfangen, mit einer streng zusammenhangenden Darstellung des kirchlich fixirten als weiterer Ausbildung der ihrer Natur nach nur fragmentarischen Symbole.

10

41. Bei der Kenntniß des Neuen aus dem Symbol nicht verständlichen muß man sich gleich die Aufgabe stellen, eine gemeinsame Haltung und Abzwekkung darin zu finden.

15

42. Eben so ist für das, was sich als krankhaft zu erkennen giebt, ein in dem Geist des Zeitalters liegendes antichristliches oder irreligiöses Princip aufzusuchen. 43.

20

Die Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes der Kirche oder die kirchliche Statistik hat vorzüglich zu betrachten die religiöse Entwiklung, die kirchliche Verfassung und die äußeren Verhältnisse der Kirche im gesamten Gebiet der Christenheit.

44. 66

25

Wenn durch das Entwiklungsprincip einer | Periode ein Gegensaz mehrerer Kirchenpartheien sich gebildet hat: so ist jeder in allen diesen Bezie-

8 dem mehr entwikkelten] den mehr entwikkelten

§39-" §230/ §40 -"§220 §232/ § 44 —* § 233/

/ §41 -+§221/

§ 42

§ 222 Erl /

§43 -»

II. Teil: Historische

295

Theologie

hungen auch ein eigner Gang während dieser Periode vorgezeichnet, und daher jede Parthei für sich und in Vergleichung mit den andern zu betrachten.

45. 5

Das Maaß und die Art der religiösen Entwiklung bestimmt sich theils nach dem Verhältniß in welchem der Lehrbegriff zu dem religiösen Bewußtsein der Gemeinheit steht, theils nach dem in welchem sich im Leben das religiöse Princip jeder Parthei zu den herrschenden sinnlichen Motiven findet.

10

46. Die Unterabtheilungen sind also hier zu bestimmen nach der Verschiedenheit der gemeinschaftlich großen Massen einwohnenden Sinnesart.

47. Das Wesen jeder kirchlichen Verfassung drükt sich aus durch das Ver15 hältniß, in welchem Laien und Klerus gegeneinander stehen. 48. Da hier die Analogie mit den politischen | Verhältnissen besonders heraustritt, so bestimmen sich auch nach diesen die Unterabtheilungen. 49. 20 Das wesentliche der äußeren Verhältnisse ist die Lage der Kirche gegen den Staat und gegen die Wissenschaft.

50. Ein besonderes Gebiet wird also da sein, wo diese in ihrer Bildung und Einwirkung auf einander einen eigenthümlichen Gang genommen haben.

51.

25

Aus dem bisherigen ergiebt sich, daß die Unterabtheilungen für diese Darstellung nach dem Nationalcharakter vorzüglich müssen genommen werden.

§§45-46 ->•§ 234/ §51 -»· §238 Erl/

§47 -+§236/

§48 ^§236

Erl/

§§ 49-50

-> § 238/

67

296

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

52. Da jedes bestimmte Gebiet innerhalb der Kirche als ein organischer Theil des Ganzen anzusehen, und also bewußte Wirksamkeit darauf ohne Kenntniß des Ganzen nicht möglich ist: so ist Kenntniß von dem dermaligen Zustande des Ganzen nach Maaßgabe jenes Einflusses die unerlaßliche Pflicht eines Jeden. 53. Seine Kenntniß nur auf den Umfang der einzelnen Parthei der man angehört zu beschränken, ist kaum für den Punkt, wo die Spannung | zwischen ihr und der entgegengesezten am höchsten gestiegen ist, zu rechtfertigen. 54. Mangel an Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes sowol des Lehrbegriffs als der kirchlichen Gesellschaft, ist eine Hauptursache des todten Mechanismus in der Praxis. 55. Die lebendige Thätigkeit in dem Gebiet Einer Parthei kann nicht leiden durch Anerkennung des Guten, welches sich in der entgegengesezten findet. 56. Alles bloß topographische onomastische und bibliographische ist nur als Hülfskenntniß anzusehen. 57. Eine ganz ins Einzelne gehende Kenntniß auch des wirklich individuell gebildeten kann nur die Virtuosität Einzelner sein. 58. Da diese nie ganz ohne Einseitigkeit sein wird, so ist auch zu ihrer richtigen Benuzung Kritik unentbehrlich.

3 und] nnd §52-+§244/ ->• §245/

§53^ §243/ §58-> -/

§§ 54-55

^ § 243 Erl/

§ 56-> § 246 Erl /

§57

II. Teil: Historische

297

Theologie

59.

5

Ohne religiöses Interesse wird die Kenntniß von einem gegebenen Z u stande des Christenthums | je weiter ins Einzelne verfolgt, um desto geistloser und zur bloßen Gedächtnißsache, und je wissenschaftlicher betrieben, um desto skeptischer und polemischer.

69

60. O h n e philosophischen und kritischen Geist wird sie nie ein treues Resultat geben, sondern nur der Subjectivität der Person oder der Kirchenpartei zur Erhöhung dienen.

10

Schluß. 1. D a die Symbole für eine einzelne Periode dasselbe sind, was der Kanon für das gesamte Christenthum: so pflegt man auch die Symbolik als eine einzelne untergeordnete Disciplin anzusehen.

2.

15

Nur ist aus demselben Grunde das Historische, was dort nur als Propädeutik dient, bei ihr die Hauptsache, und das philologische dagegen untergeordnet.

3. 20

Will man einen M o m e n t der Vergangenheit fixiren und sich recht lebendig hinein versezen: so muß man sich ihn eben so wie die Dogmatik es mit | der Gegenwart macht, in einer zusammenhangenden Darstellung vor Augen halten.

13 £ Vgl. ζ. B. Samuel Mursinna: Primae lineae encyclopaediae theologicae in usum praelectionum ductae, 2. Aufl., Halle 1784, Caput 18, §§ 412 — 417, S. 365—371; Planck: Einleitung, Bd. 2, S. 393. 577—593; ders.: Abriß einer historischen und vergleichenden Darstellung der dogmatischen Systeme unsrer verschiedenen christlichen Hauptpartheyen, 2. Aufl., Göttingen 1804 §59->§247/

§60->§248/

§§1-2

§249/

§§3~4

->

§250/

70

298

Kurze Darstellung (1. Auflage) 4.

Was man biblische Theologie nennt, ist nur eine solche Darstellung des Lehrbegriffs in der kanonischen Zeit, in sofern man diese als Einen Moment ansehen kann. 5. Die Elemente jeder historisch theologischen Darstellung sind weit mehr biographisch, als in irgend einem andern historischen Gebiet. 6. Diejenige Kenntniß des Christenthums, welche vorausgesezt werden muß um zur philosophischen Theologie zu gelangen, braucht nur die exoterische zu sein, welche dem eigentlichen theologischen Studium vorangeht; die ganze Organisation der historischen Theologie aber gründet sich auf die Resultate der philosophischen. 7. Die philosophische Theologie nimmt ihren Standpunkt immer über dem Christenthum, die historische dagegen innerhalb desselben. 8. Darum kann und muß genau betrachtet jeder | Gegenstand der historischen Theologie auch Gegenstand für die philosophische sein, und die leztere ist die beständige Begleiterin der ersteren. 9. J e weniger die philosophische Theologie sich noch als Disciplin anerkennen macht, um desto eher werden beide Behandlungsarten vermengt und verwechselt.

11 exoterische] exotorische

5 ->§251/

§6^· §252/

2 2 philosophische] philosphische

§7^-/

§8 -»· §252 Erl/

§9 -+§253/

II. Teil: Historische

Theologie

29 9

10. Daher werden diejenigen, welche sich mit dem historischen Studium zugleich ihre philosophische Theologie bilden, so leicht von den Empirikern beschuldigt, daß sie die Geschichte nach ihren Hypothesen deuten. 11.

5

Eben so werden diejenigen, welche in der philosophischen Theologie alles historisch bewähren wollen, von denen, welche sich die ihrige aus einem fremden Standpunkt gebildet haben, für geistlose Empiriker angesehn. 10

12. Philosophische und historische Theologie können nur mit und durcheinander zur Vollkommenheit gedeihen.

$10-* $255/

$11 ->$256/

$12-"

$254/

Dritter Theil. Von der p r a k t i s c h e n

Theologie.

Einleitung.

1. Wie die philosophische Theologie die Gefühle der Lust und Unlust an den Ereignissen in der Kirche zur klaren Erkenntniß bringt: so bringt die praktische Theologie die aus ihnen entstehenden Gemüthsbewegungen in die Ordnung einer besonnenen Thätigkeit. 2. Das Bedürfniß der praktischen Theologie entsteht also nur für den, in welchem religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist vereint sind. 3. Jede Einwirkung auf die Kirche ohne wissenschaftlichen Geist ist nur eine unbewußte, und jede ohne Interesse am Christenthum ist nur eine zufällige. | 4. Jedem besonnen Einwirkenden entsteht sein jedesmaliger Zwekk durch die Art, wie ihm die Ereignisse in der Kirche aus dem Standpunkt der philosophischen Theologie erscheinen.

§1

§ 257 /

§2

§258/

§ 3 ~> §258 Erl/

§4^§259/

III. Teil: Praktische Theologie

301

5. Ein Ereigniß als solches ist aber nur in der Verbindung des einzelnen mit dem allgemeinen und in der Einheit der Gegenwart und Vergangenheit gesezt.

6. Die praktische Theologie beruht also sowol der Materie als der Form nach auf den beiden vorigen Zweigen.

7. Die technischen Vorschriften, welche die praktische Theologie aufstellt, haben also zum Gegenstand die Wahl und Anwendung der Mittel zu den einem jeden entstehenden Zwekken. 8. Keine dieser Vorschriften darf also wegen der Unterordnung der Mittel unter den Z w e k k etwas in sich haben, was beitragen müßte das Kirchenband zu lösen, oder die Gewalt des christlichen Princips irgendwie zu schwächen. |

9. D a jede wirkliche Anwendung eines Mittels unter dem allgemeinen Princip des Handelnden steht: so darf auch nichts einem von beiden Elementen der theologischen Gesinnung zuwiderlaufen. 10. D a es auf dem kirchlichen Gebiet kein anderes O b j e k t des Einwirkens giebt als die Gemüther: so fallen alle Regeln der praktischen Theologie unter die Form der Seelenleitung. 11. D a auch der Z w e k k aller Einwirkung auf die Kirche nichts anders sein kann als Seelenleitung: so fallen Mittel und Z w e k k völlig zusammen.

§5~>-/ §263/

§6 -+§260 Erl/

§§7~8^§261/

§9 -+§262/

§§10-11 -»

Kurze Darstellung (1. Auflage)

302

12. Alle praktisch theologischen Vorschriften können nur relativ und unbestimmt ausgedrükt werden, indem sie erst durch das individuelle jedes gegebenen Falles und nur für ihn völlig bestimmt und positiv werden. 13.

5

Daher können sie wie alle Kunstregeln den Künstler nicht bilden, sondern nur leiten. 14. 75

Die praktische Theologie kann in ihrem eigen|thümlichen Charakter nur in dem M a a ß sich entwikkeln, als in der Kirche der Gegensaz zwischen Klerus und Laien heraustritt.

10

15. Die möglichen Gegenstände der Einwirkung lassen sich also eben so zusammenfassen wie die Wahrnehmungen des Zustandes einer ausgebildeten Kirche in einem gegebenen M o m e n t .

15

16. D a die Kirche ein organisches Ganzes ist: so ist jede Einwirkung auf dieselbe entweder eine allgemeine oder eine lokale, jedoch so daß dieser Gegensaz immer nur ein relativer ist. 17.

20

Der kleinste organische Theil worauf eine Einwirkung gerichtet sein kann, ist eine Gemeinde. 18. In einer Periode worin ein Gegensaz dominirt, ist die höchste unmittelbare Einheit für eine reale Einwirkung die Kirchenparthei, und also die Praxis eines Jeden durch den Geist seiner Parthei bedingt.

10 Gegensaz] Gegegensaz

§12->§265/ §18 ->• §272/

§13^

§266/

§ 14 -> § 267/

§15

- /

§§ 16-17->§

271 /

25

III. Teil: Praktische Theologie

303

19. Diese Beschränkung der Praxis nimmt nur | ab, in sofern die Spannung der Gegensäze selbst sich auflöst. 20. Da die Elemente der theologischen Gesinnung nirgends als im Gleichgewicht anzusehen sind: so geht jede Einwirkung von einem Uebergewicht entweder der klerikalischen oder der rein theologischen Thätigkeit aus. 21. Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit nennen wir das Kirchenregiment im engeren Sinne, als ein Uebergewicht des Einzelnen über das Ganze bezeichnend. 22. Die auf das Einzelne gerichtete lokale, weil sie nur im Namen des Ganzen ausgeübt werden kann, nennen wir als Handlung des Einzelnen den Kirchendienst. 23. Die praktische Theologie ist demnach erschöpft in der Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinn und des Kirchendienstes.

§19->-/

§20^

§270/

§§ 21-22

§274/

§ 23 -> § 275 /

304

Kurze

Darstellung

(1.

Auflage)

Erster Abschnitt. Von d e r T h e o r i e des K i r c h e n r e g i m e n t s .

1. Da das Kirchenregiment bei Protestanten und Katholiken auf eine ganz verschiedene Weise geführt wird: so kann auch jede Theorie desselben unmittelbar und in gleichem Sinne nur für eine von beiden Partheien gelten. 2.

Jede also die in dieser Periode ihre Anwendung finden will, muß sich an die lezten Resultate der philosophischen Theologie (I. Erste Abth. 9—12) anschließen, um das klare Bewußtsein von diesem Gegensaz und seiner Bedeutung zum Grunde zu legen. 3. Dieses klare Bewußtsein fehlt nicht nur, wenn man den innern Grund der Verschiedenheit beider Partheien verkennt, sondern eben so sehr, wenn man alles was sich in beiden verschieden gestaltet voreiligerweise als nothwendig aus dem Gegensaz entsprungen betrachtet. | 4. Wenn auch mit und aus dem Gegensaz zwischen Klerus und Laien sich in der Kirche eine äußere Autorität constituirt hat: so kann doch nicht alle zum Kirchenregiment gehörige Thätigkeit auch von ihr ausgehn; sondern es giebt dann eine Thätigkeit der Kirchengewalt und eine Thätigkeit Einzelner, welche oder sofern sie nicht zur Kirchengewalt gehören.

9 Anwendung] Anwen-/wendung 10 Oben

261,1-20

§§l-3->§§309.310/

§4->§312/

111. Teil: Praktische

Theologie

305

5.

Die Kirchengewalt geht natürlich im Ganzen mehr auf Erhaltung und Ausbildung des durch die lezte Epoche schon fixirten, die Einzelnen mehr auf die fortschreitende Vorbereitung des folgenden. 5

6. Eben so zeigt sich in der Thätigkeit der Kirchengewalt mehr das Uebergewicht des religiösen Interesse, in der auf das Ganze gerichteten Thätigkeit der Einzelnen mehr das Uebergewicht des wissenschaftlichen Geistes.

10

7.

Auf beiden Gebieten muß mit dem Bewußtsein des Gegensazes den sie bilden gehandelt werden. 8.

Beide Thätigkeiten müssen aber auch gegenseitig in einander greifen, 79 15 wenn das Kirchenregiment vollkommen sein soll. 9.

Die natürlichen Aufgaben für das Kirchenregiment sind in beiden Kirchenpartheien dieselben der Form nach, sie geben aber bei der Auflösung in jeder ein verschiedenes Resultat dem Inhalte nach, weil die Bedingun20 gen verschieden sind. 10.

Alles was zur Darstellung der Idee des Christenthums in der Kirche gehört, mag es nun auf das innerste Wesen desselben oder auch nur auf seine natürlichen äußeren Verhältnisse sich beziehen, ist ein Gegenstand 25 des Kirchenregimentes. 11. Die Thätigkeit der Kirchengewalt im Kirchenregiment ist vorzüglich eine gesezgebende.

$5 § 10

§§313. 314 Erl/ § 313 / §11

§6^ §313/ § 317 /

§§7~8^§314/

§ 9 - - (vgl. § 310) /

306

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

12. In Absicht auf das religiöse Leben überhaupt hat die Kirchengewalt zu bestimmen, wie das krankhafte, was sich in der sichtbaren Kirche erzeugt, aus derselben auszuscheiden ist. 13. Die Aufgabe, ein Verfahren zu finden, welches auf das fremdartige wirkt ohne selbst ein | fremdartiges zu sein, muß richtig gelöst die wahre Kirchenzucht darstellen. 14. Wie aber eine ausschließende Gewalt geübt werden kann, ohne eine fremde äußere Sanction zu Hülfe zu nehmen, dies muß dargestellt werden durch den Kirchenbann. 15. Die Gesezgebung für den Cultus muß darauf gerichtet sein, daß er der adäquate Ausdruk des religiösen Sinnes je länger je mehr werde und bleibe. 16. In sofern der religiöse Sinn sich mannigfaltig modificirt, und alles was Ausdruk ist seinen Werth und Bedeutsamkeit allmählig wechselt, muß auch der Cultus sich mannigfaltig gestalten können nach Erforderniß von Ort und Zeit, und also muß statutarisch begründet werden seine Freiheit und Beweglichkeit. 17. In sofern der religiöse Sinn in einer Kirchenparthei immer und überall sich gleich ist, und der Cultus also auch dessen Einheit auszudrükken hat, muß er überall erkannt werden können als | diese Parthei repräsentirend, und also hat man statutarisch zu begründen seine Gleichförmigkeit.

§ 12

§ 320/

§§ 13-14 -» §321/

§ 15-> § 318 /

§§ 16-18

->§ 319 /

III. Teil: Praktische Theologie

307

18.

Soll beides in Einer Gesetzgebung nothwendig verbunden sein: so darf die Freiheit nie in Willkühr und Subjectivität ausarten können, und die Gleichförmigkeit sich nie in todte Form verwandeln. 19. Die immer fortgehende Bildung des Lehrbegriffs geht von den Thätigkeiten der Einzelnen aus. 20.

Die gesezgebende Thätigkeit der Kirchengewalt m u ß den Einzelnen ihre freie Wirksamkeit auf diesem Gebiet sichern, und doch zugleich die Lehre an dem Symbol, durch welches sie constituirt ist, festhalten. 21.

Die Kirchengewalt hat ferner durch ihre gesezgebende Thätigkeit von Seiten der Kirche, deren Verhältniß zum Staat zu bewahren oder zu berichtigen. 22.

Das Verhältniß beider zu einander ist nie als ein reines ruhiges Gleichgewicht vorauszusezen. | 23. Die Aufgabe ist daher den etwanigen Eingriffen des Staats in das Gebiet der Kirche abzuhelfen, selbst aber keine Eingriffe in das seinige zu thun. 24. Die Theorie des Kirchenregimentes hat zu zeigen, wie man dahin gelangen könne, daß das Verhältniß der Kirche zum Staat weder eine kraftlose Unabhängigkeit sei noch eine angesehene Dienstbarkeit. 25. Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit der Einzelnen ist im gegenwärtigen Zustande der Kirche nur die des akademischen Lehrers und die des Schriftstellers.

§§ 19-20-> §323/

§§ 21—22

§ 324/

§§ 23-24 ->§ 325 /

§ 25 -> § 328 /

308

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

26. Da mit dem akademischen Studium der wissenschaftliche Geist erst recht zum Bewußtsein kommt: so hat die Theorie für den akademischen Lehrer die Aufgabe zu lösen, wie er den wissenschaftlichen Geist zu beleben habe, ohne das religiöse Interesse zu schwächen. 27. Da in dem Maaß als erkannt wird was | noch zu leisten ist, das bisherige nicht genügt: so ist auch die Aufgabe zu lösen, wie zum persönlichen Vorwärtsdringen aufzumuntern sei ohne die Anhänglichkeit an das in der Kirche bestehende zu zerstören. 28. In wiefern die Thätigkeit des Schriftstellers die Bestreitung der Irrthümer zum Zwekk hat, das Falsche aber immer nur an dem Wahren sein kann: so ist die besondere Aufgabe des theologischen Schriftstellers, das Wahre und Gute, wovon der Irrthum ausgegangen ist, zu schonen. 29. Insofern sie auf Verbreitung neuer Ansichten ausgeht, jedes Neue aber im Gegensaz gegen ein Altes steht: so ist die Aufgabe das Neue so darzustellen, daß der Gegensaz weder verfehlt noch zu weit ausgedehnt werde. 30. Im Allgemeinen, da die Mittel der wissenschaftlichen Mittheilung an sich weiter reichen als das Gebiet in dem sie im eigentlichen Sinne verstanden wird, und da jeder Lesende von dem seinigen bei der Auslegung dazuthut: so ist die Aufgabe, die Darstellung so einzurichten, daß sie sich | nicht weiter verbreitet als sie nüzen kann, und daß sie nicht anders ausgelegt wird als sie gemeint war.

1 26.] 36. §26~>$330/

§27~>§331/

§28~>§332/

§29^§333/

§30^>§334/

III. Teil: Praktische

Theologie

309

31. Beide die Kirchengewalt und die Einzelnen müssen sich der Grenzen ihrer Thätigkeit im Kirchenregiment bewußt sein, um desto richtiger in einander zu greifen. 32. Da die Kirchengewalt weder im vollen Bewußtsein dieses engeren Gegensazes noch des weiteren zwischen Klerus und Laien constituirt worden ist: so muß sie sich selbst beweglich erhalten um der fortschreitenden Einsicht zu entsprechen, und sich als vollen Ausdruk der jedesmaligen religiösen Kraft zu erhalten.

Zweiter Abschnitt. V o n d e r T h e o r i e des K i r c h e n d i e n s t e s .

1. Die leitende Thätigkeit welche nicht auf das Ganze der Kirche gerichtet ist, kann nur die Gemeine | als die kleinste vollkommne religiöse Organisation zum Gegenstande haben. 2. Da der leitenden Thätigkeit ein Object chem ein Uebergewicht von Receptivität dienst und also auch seine Theorie nur der Gegensaz zwischen Klerus und Laien nach gebildet hat.

$ 31

§314/

§32-+-/

§l->§277/

gegenüber stehen muß, in welgesezt ist: so kann der Kirchenin dem M a a ß hervortreten, als sich wenigstens der Verrichtung

§2->§278/

310

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

3. Im Cultus steht in diesem Sinne die gesammte Gemeine dem Kleriker gegenüber; im religiösen Zusammenleben überhaupt Einzelne, aber als Glieder der Gemeine und in Bezug auf sie.

4.

5

Da der Cultus in das Gebiet der Kunst fällt, und aus Kunstelementen zusammengesezt ist: so ist die Theorie des Cultus im allgemeinen die religiöse Kunstlehre.

5. Sie hat theils den religiösen Styl in jeder Kunst zu bestimmen, theils die Art wie aus ihnen insgesamt das religiöse Kunstwerk, der Cultus zu bilden ist. | 86

10

6.

Was im Cultus in das Gebiet der Sprache fällt, muß sich reduciren lassen auf den Lehrbegriff.

15

7. Also ist auch die Vollkommenheit aller dieser Elemente des Cultus zu bestimmen nach ihrem Verhältniß zum Lehrbegriff, dessen Festsezung daher die besondere Theorie dieses Theiles ausmacht. 8.

20

Der Kleriker ist im Cultus theils Repräsentant der constituirten kirchlichen Autorität als Liturg, theils handelt er mit individueller Selbstthätigkeit als Prediger.

9. Beide Handlungsweisen sind eben so wenig außer einander als Freiheit 25 und Gebundenheit des Cultus sich außereinander darstellen; sondern müssen überall in einander sein, nur in verschiedenem Verhältniß, und können nur nach Maaßgabe des Uebergewichtes der einen Function über die andere von einander gesondert werden.

§3->§279/ -> §287/

§§4-5->§§280.282/

§§ 6-7 - § 281 /

§8-* §286/

§§9-10

111. Teil: Praktische Theologie

311

10. Daher ist die doppelte Aufgabe zu lösen, wie und wodurch auch in den liturgischen Verrichtungen die individuelle Freiheit sich zu offenbaren habe, und wie und wodurch auch in den freien die liturgische Repräsentation. | 11. In der repräsentativen Thätigkeit muß das kirchlich bestimmte oder die Vergangenheit vorherrschen, in der individuellen hingegen das Bestreben nach Fortbildung oder die Zukunft. 12. D a nun jede Handlung aus beiden zusammengesezt sein soll: so ist die Aufgabe zu lösen, wie sich beides vereinigen läßt. 13. Die religiöse Rede ist zwar ein wesentliches Element des Cultus; aber ihre Form sowohl als der Grad ihres Hervortretens vor den übrigen ist sehr zufällig. 14. Die Theorie ihrer Form ist ein Theil der religiösen Kunstlehre, die ihrer Materie muß sich ergeben aus dem Verhältniß der Elemente des Cultus zum Lehrbegriff. 15. Die klerikalische Thätigkeit deren unmittelbarer Gegenstand die Einzelnen sind, ist die Seelsorge. 16. Ohne Seelsorge kann eine Gemeine weder bestehen noch sich reproduciren.

§§11-12-*

—/

§13-" §284/

§14^

§285/

§ 15 -+§290/

§1 6 - /

312

Kurze Darstellung (1. Auflage)

17. Die Einzelnen können nur in sofern G e g e n s t a n d einer besonderen klerikalischen Thätigkeit werden, als sie sich nicht in der Identität mit der Gemeine befinden. 18. Die Seelsorge geht also zuerst auf Hervorbringung dieser Identität bei denjenigen, welche einen natürlichen Anspruch auf dieselbe haben.

19. Die Erwekkung des religiösen Princips überhaupt zum Bewußtsein und zur Selbstthätigkeit ist allemal zugleich auf Hervorbringung der individuellen Form der Religiosität in einer bestimmten Kirchenparthei gerichtet. 20. Sie ist eben so allemal zugleich Aufregung des veränderlichen und den Augenblik charakterisirenden und Einpflanzung des bleibenden und normalen.

21. Aus diesen Bestimmungen sind also die materiellen Principien der Katechetik abzuleiten. 22. D a das Verhältniß des Klerikers zu den Katechumenen kein vollständiges Zusammenleben ist, und nur in der Realität des Lebens sich augenscheinlich zeigen kann, wieweit das religiöse Princip jedesmal gebildet ist: so kann die Aufgabe | diesen Mangel zu ersezen nur durch die Methodik jenes Verhältnisses gelöset werden.

23. In wie fern bei Nichtchristen ein Verlangen nach dieser Identität nur durch das Anschauen des religiösen Lebens einer Gemeine lebendig er-

§17->§290/ -+§294 Erl/

§18 -» §290 Erl/ § 23 § 296/

§§ 19-20

§ 295 /

§ 21 -> § 291 /

§22

III. Teil: Praktische Theologie

313

regt werden kann, gehört hieher auch die Befriedigung dieses Verlangens oder die Vorbereitung der Convertenden.

24. 5

D a dieses Verlangen schon eine Regung des religiösen Princips nicht nur, sondern auch des auf gewisse Weise bestimmten ist: so hat die Theorie festzusezen, was und wieviel von der Identität mit der Gemeine schon da sein muß, um einen Anspruch auf diesen Theil der Seelsorge zu begründen, und auf welchem Wege das Fehlende zu ergänzen ist.

25. 10

Bei denen welche schon zur Gemeine gehören, kann die Identität mit derselben innerlich oder äußerlich verlezt sein.

26.

15

Das Bestreben, den krankhaften Zustand Einzelner, liege nun die Abweichung mehr im theoretischen oder im praktischen, wieder aufzuheben, ist die Seelsorge im engern Sinn. |

27.

90

D a dieses Verhältniß angeknüpft werden kann theils von dem Klerus theils von den Laien: so hat die Theorie zu bestimmen, welches unter welchen Umständen das rechte ist. 20

28. D a es enden kann entweder in Wiederherstellung oder in Abbrechung bis auf weiteres oder in gänzliche Trennung: so hat die Theorie zu zeigen, wie das erste möglichst zu befördern und das lezte möglichst zu verhüten sei, nebst den Grenzen dieser Möglichkeit.

29.

25

Aeußerlich ist die Identität derer mit der Gemeine verlezt, welche außer Stand gesezt sind an ihrem gemeinsamen religiösen Leben Theil zu nehmen.

§24->§297/

§§ 25—26 —> § 299/

§27~>§300/

§§ 28-29 ->§ 301 /

314

Kurze Darstellung

(1.

Auflage)

30. Die Aufgabe der klerikalischen Krankenpflege geht also dahin, jenen Mangel so zu ergänzen, daß die innere Identität darunter nicht leide, sondern sich unter den gegebenen Umständen vollkommen offenbare. 31.

5

Kleriker und Laien, sind nicht nur in der Gemeine und in Bezug auf sie zusammen, sondern auch im Staat, in den allgemeinen geselligen Verhältnissen, und bisweilen im wissenschaftlichen Verein. | 91

32. In wiefern diese Verhältnisse dem kirchlichen entweder förderlich sein 10 können oder ihm entgegenwirken: so hat die Theorie der klerikalischen Amtsklugheit zu bestimmen, theils wie das Förderliche in ihnen vorzüglich könne gehoben und geltend gemacht werden; theils wie der Streit zwischen ihnen entweder rein aufzulösen ist, oder wenn nicht, wie die andern Verhältnisse dem kirchlichen so unterzuordnen sind, daß es nicht 15 unter ihnen leide.

Schluß. 1. Da kein Theologe ohne allen Antheil der leitenden Thätigkeit ist, keiner aber auch alle Theile derselben umfaßt: so liegt jedem ob von der prakti- 20 sehen Theologie dasjenige inne zu haben, woraus das richtige Verhältniß eines jeden Theils der Praxis zum Ganzen sich erkennen läßt: so wie die Theorie jeder einzelnen Art der Thätigkeit das Gebiet des Besondern bildet. 2.

25

Das Allgemeine der praktischen Theologie wird der am klarsten sehen, der sich die philosophische Theologie am meisten angeeignet hat; das

$30->$302/ §336/

§31 ->§308/

§ 32 ^ § 308 Erl /

§1

§ 335 /

§2

III. Teil: Praktische

Theologie

315

besondere und der Ausführung nächste wird jeder um | so sicherer finden, je geschichtlicher er in der Gegenwart lebt. 3. Schon hieraus läßt sich schließen, was auch die Erfahrung ergiebt, daß die praktische Theologie und besonders die Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinne noch nirgends recht ausgebildet sein kann. Was im Studium eines jeden Einzelnen das lezte ist, erscheint auch als das lezte in der Entwikkelung der Theologie überhaupt. 4. Theorie des Kirchenregimentes sowohl als des Kirchendienstes ist nothwendig in jeder herrschenden Kirchenparthei eine andere. 5. Die höchste Aufgabe für diese Theorie ist daher auch, sie so zu stellen, daß der jedesmal bestehende Gegensaz der Partheien durch ihre Ausübung weder erschlaffen könne, noch auch über seine natürliche Dauer auf künstliche Art verlängert werde, um sich zu überleben. Hiedurch schließt sich die höchste Aufgabe für die praktische Theologie unmittelbar an die höchste der ersten theologischen Disciplin, nemlich der Apologetik.

$3 ->§337/

§§ 4-5-»· § 338

Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Zweite umgearbeitete Ausgabe (1830)

Nebst den Marginalien aus Schleiermachers Handexemplar

Kurze Darstellung des

theologischen Studiums zum

Behuf einleitender V o r l e s u n g e n . Entworfen von

D r . F. S c h l e i e r m a c h e r . Zweite umgearbeitete Ausgabe.

B e r l i n , 1830. G e d r u c k t und v e r l e g t bei G. R e i m e r .

Vorerinnerung zur ersten A u s g a b e .

5

10

15

20

25

Es ist mir immer ungemein schwierig erschienen nach Anleitung eines fremden Handbuchs akademische Vorträge zu halten; denn jede abweichende Ansicht scheint zugleich eine Abweichung zu fordern von einer aus einem andern Gesichtspunkt entstandenen Ordnung. Freilich wird es um desto leichter, je mehr die eigenthümlichen Ansichten der Einzelnen über Einzelnes einer gemeinschaftlichen über das Ganze untergeordnet sind, das heißt, je mehr das besteht, was man eine Schule nennt. Allein wie wenig dies jezt in der Theologie der Fall ist, weiß jedermann. Aus demselben Grunde also, der es mir zum Bedürfniß macht, wenn ein Leitfaden gebraucht werden soll, was doch in mancher Hinsicht | nüzlich ist, iv einen eigenen zu entwerfen, bin ich unfähig den Anspruch zu machen, daß andere Lehrer sich des meinigen bedienen mögen. Scheint es mir daher zu viel, was nur für meine jezigen und künftigen Zuhörer bestimmt ist, durch den Drukk in das große Publikum zu bringen: so tröste ich mich damit, daß diese wenigen Bogen meine ganze dermalige Ansicht des theologischen Studiums enthalten, welche, wie sie auch beschaffen sei, doch vielleicht schon durch ihre Abweichung aufregend wirken und besseres erzeugen kann. Andere pflegen in Encyclopädien auch einen kurzen Auszug 4 der einzelnen dargestellten Disciplinen selbst zu geben; mir schien es angemessener denen zu folgen, welche in solchen Vorträgen lieber alle Aufmerksamkeit auf dem Formalen festhalten, damit die

22—25

Vgl. den Sachapparat zu oben 247,21 f.23—2 und unten

333,14—17

322

Vorerinnerung

Bedeutung der einzelnen Theile und ihr Zusammenhang desto besser aufgefaßt werde. Berlin, im December 1810.

D. F. Schleiermacher.

Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe.

Nach beinahe zwanzig Jahren, die seit der ersten Erscheinung dieses Büchleins vergangen sind, war es wol natürlich, daß ich im einzelnen vieles zu verändern fand; wiewol Ansicht und Behandlungsweise im Ganzen durchaus dieselben geblieben sind. Was ich in Ausdrukk und Stellung geändert habe, ist hoffentlich auch gebessert. Wie ich denn auch wünsche, daß die kurzen den Hauptsäzen beigefügten Andeutungen ihren Zwekk, dem Le|ser eine Erleichterung zu gewähren, nicht verfehlen mögen. Daß in der ersten Ausgabe jeder Abschnitt seine Paragraphen besonders zählte, verursachte viel Weitläuftigkeit beim Citiren, und ist deshalb geändert worden. Berlin, im October 1830.

D. F. Schleiermacher.

Inhalt.

ν//

Seite

5

10

15

20

25

Allgemeine Einleitung §.1 — 31 Erster Theil. Von der philosophischen Theologie §.32-68 Einleitung § . 3 2 - 4 2 Erster Abschnitt. Grundsäze der Apologetik §. 43—53. Zweiter Abschnitt. Grundsäze der Polemik §. 54—62. . Schlußbetrachtungen über die philosophische Theologie §. 6 3 - 6 8 Zweiter Theil. Von der historischen Theologie §. 6 9 - 2 5 6 Einleitung §. 6 9 - 1 0 2 Erster Abschnitt. Die exegetische Theologie §.103-148 Zweiter Abschnitt. Die Kirchengeschichte §. 149—194. Dritter Abschnitt. Die geschichtliche Kenntniß von dem gegenwärtigen Zustande des Christenthums §.195-250 I. Die dogmatische Theologie §. 196-231. . . . II. Die kirchliche Statistik §. 2 3 2 - 2 5 0 Schlußbetrachtungen über die historische Theologie §.251-256 Dritter Theil. Von der praktischen Theologie §.257-338 Einleitung §. 2 5 7 - 2 7 6 Erster Abschnitt. Die Grundsäze des Kirchendienstes §.277-308

1 — 14 15-33 15-20 20—25 26—30 30-33 34-108 34-48 48-64 65-80

81-105 82-98 98-105 106—1081 VIII

109-145 109-118 118-130

3 Allgemeine Einleitung im Text: Einleitung 16 Die Kirchengeschichte im Text: Die historische Theologie im engeren Sinn oder die Kirchengeschichte

324

Inhalt

Zweiter Abschnitt. Die Grundsäze des Kirchenregimentes § . 3 0 9 - 3 3 4 Schlußbetrachtungen über die praktische Theologie §. 3 3 5 - 3 3 8

[Auf

131-143 144-145

der Vorderseite des Umschlagblatts zu S. 1] Daumer Andeutung eines Systems speculativer Philosophie Nürnberg Campe 1831.

6 speculativer ... Nürnberg] specul. Philos. Nürnb. 5 f Georg Friedrich Daumer: Andeutung eines Systems speculativer Philosophie, Nürnberg 1831 (im Verlag Campe) — Schleiermacher hat das Buch nach Auskunft des Hauptbuchs Reimer am 12. Dezember 1831 erhalten.

5

Einleitung.

5

10

§. 1. Die Theologie in dem Sinne, in welchem das Wort hier immer genommen wird, ist eine positive Wissenschaft, deren Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch ihre gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise, d. h. eine bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins; die der christlichen also durch die Beziehung auf das Christenthum. [Zu § 1] l.a Die Frage über die Dogmatik k o m m t hier noch nicht zur Sprache. Eine speculative Wissenschaft könnte sehr gut ein Theil einer positiven sein. Ueber die Zwekmäßigkeit der Benennung könnte sehr gestritten werden: Gottesgelehrtheit noch weniger. Glaubensweise perge Gestaltung perge entspricht dem Ausdruck Religion. Bei hierarchischen Religionen wird alle Wissenschaft Theologie.

9 speculative Wissenschaft] specul. Wissschft 12 Gottesgelehrtheit] ©sgelehrtheit 13 Glaubensweise] Glweise 13 Gestaltung] Gstltg 14 Religionen] Reln 14 Wissenschaft] Wisssch. 1 Einleitung im Inhaltsverzeichnis: Allgemeine Einleitung 11 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 1 f . 13 U.a. bezieht sich Schleiermacher hier auf die terminologische Substitution des Begriffs Religion durch die Formulierung Glaubensweise bzw. Gestaltung des Gottesbewußtseins von der ersten zur zweiten Auflage der KD; vgl. ζ. B. den Verweisungsapparat zu § 1. 14 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 2. § 1 -» S. 1, 5 1: Die Theologie ist eine positive Wissenschaft, deren verschiedene Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch die gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Religion; die der christlichen also auf das Christenthum. /

ί;5

326

Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

Eine positive Wissenschaft überhaupt ist nämlich ein solcher Inbegriff wissenschaftlicher Elemente, welche ihre Zusammengehörigkeit nicht haben, als ob sie einen vermöge der Idee der Wissenschaft nothwendigen Bestandtheil der wissenschaftlichen Organisation bildeten, sondern nur sofern sie zur Lösung einer praktischen Aufgabe erforderlich sind. — Wenn man aber ehedem eine rationale Theologie in der wissenschaftlichen Organisation mit aufgeführt hat: so bezieht sich zwar diese auch auf den Gott unseres Gottesbewußtseins, ist aber als speculative Wissenschaft von unserer Theologie gänzlich verschieden. | 2 6

§. 2. J e d e r bestimmten Glaubensweise wird sich in dem M a a ß als sie sich mehr durch Vorstellungen als durch symbolische Handlungen mittheilt, und als sie zugleich geschichtliche Bedeutung und Selbstständigkeit gewinnt, eine T h e o l o g i e anbilden, die aber für jede Glaubensweise, weil mit der Eigenthümlichkeit derselben zusammenhängend, sowol der Form als dem Inhalt nach, eine andere sein k a n n .

5

10

15

Nur in diesem Maaße, weil in einer Gemeinschaft von geringem Umfang kein Bedürfniß einer eigentlichen Theologie entsteht, und weil bei einem Uebergewicht symbolischer Handlungen die rituale Technik, welche die [Zu § 1 Erl] Daß derselbe Gegenstand kann auf zwei verschiedene Weisen behandelt werden. Beispiele Medicin Musik. [Zu §2] Richtigkeit der Maaßbestimmung als Gewähr für die Differenz. Also Vorbereitung zu 3 Diese Differenz zwischen Wort und Symbol ist innerhalb des Christenthums Katholizismus und Protestantismus. Daher auch wissenschaftliche Differenz. Eigenthümlichkeit und Geschichte ist hier nicht geschieden, lezte gehört aber auch dazu. Verhältniß beider[:] Die Eigenthümlichkeit ist die Quelle der Geschichte.

2 3 f Christenthums ... Protestantismus] Xth. Kathol. u Prot. hältniß] Vhältnß 27 Eigenthümlichkeit] Eigthlkt

27 aber] ab.

27 Ver-

22 Gemeint ist der folgende 5 3. §2 S. 1, § 2: Jeder bestimmten Religion wird sich, in dem Maaß als sie geschichtliche Bedeutung und Selbstständigkeit erhält, das heißt sich zur Kirche gestaltet, eine Theologie anbilden, deren Organisation nur aus der Eigenthümlichkeit jener zu verstehen, und also für jede eine andere ist. /

20

25

Einleitung

327

Deutung derselben enthält, nicht leicht den Namen einer Wissenschaft verdient.

5

§. 3. Die Theologie eignet nicht Allen, welche und sofern sie zu einer bestimmten Kirche gehören, sondern nur dann und sofern sie an der Kirchenleitung Theil haben; so daß der Gegensaz zwischen solchen und der Masse und das Hervortreten der Theologie sich gegenseitig bedingen. Der Ausdrukk K i r c h e n l e i t u n g ist hier im weitesten Sinne zu nehmen, ohne daß an irgend eine bestimmte Form zu denken wäre.

10

§. 4. Je mehr sich die Kirche fortschreitend entwikkelt, und über je mehr Sprach- und Bildungsgebiete sie sich verbreitet, um desto vieltheili[Zu § 3 ] Differenz zwischen Theologe und Nicht Theologe in der Kirche. M ö g lichkeit der Ausnahme nach beiden Seiten

15

[Zu § 4] Solche Verbreitung erzeugt Differenzen υ π ο σ τ α σ ι ς und persona. (Umstehend) Verhältniß zwischen Christenthum und Muhamedanismus. Buddhismus[.] Ueber jüdische Theologie

16 Verhältniß ... Muhamedanismus] Vhältnß zwn Christth. u Muham. 12 f Bei der möglichen Ausnahme nach beiden Seiten denkt Schleiermacher daran, daß auf der einen Seite auch Nichttheologen an der Kirchenleitung mitwirken (ζ. B. in den Presbyterien und Synoden) und daß auf der anderen Seite auch die, die nicht offiziell an der Kirchenleitung Anteil nehmen, Theologen sein dürfen; vgl. ThEnz (Strauß) S. 4. 14 Der Hinweis auf ,,νποστασις und persona" dient als Beispiel für die durch Verbreitung über verschiedene Sprachgebiete entstehenden Differenzen im Hinblick auf die kirchliche Lehre. Das Beispiel entstammt der altkirchlichen trinitätstheologischen Debatte: Der griechischen Formel μία ουσία, τρεις υποστάσεις entspricht die lateinische una substantia, tres personae; was also die griechisch sprechenden Theologen als υπόστασις bezeichnen, bezeichnen die lateinisch sprechenden nicht mit dem philologisch entsprechenden Wort substantia, sondern als persona. Diese Differenz hat offensichtlich auch zu Mißverständnissen innerhalb der altkirchlichen trinitätstheologischen Diskussion zwischen Ost und West geführt. 14 f Verweis auf die umstehende Marginalie zu § 4 Erl., unten 328,18. 16 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 4 f . § 3 —• S. 1, § 3: Die Theologie eignet nicht Allen, welche und sofern sie zur Kirche gehören, sondern nur welchen und sofern sie die Kirche leiten. Der Gegensaz zwischen solchen und der Masse und das Hervortreten der Theologie bedingen sich gegenseitig. / §4 S. 2, § 4: Je mehr die Kirche sich fortschreitend entwikkelt, und durch je mehr Sprach- und Bildungsgebiete sie sich verbreitet, um desto vieltheiliger und zusammengesezter organisirt

328

Kurze Darstellung (2.

Auflage)

ger organisirt sich auch die Theologie; weshalb denn die christliche die ausgebildetste ist. | 3

7

Denn je mehr beides der Fall ist, um desto mehr Differenzen sowol der Vorstellung als der Lebensweise hat die Theologie zusammenzufassen, und auf desto mannigfaltigeres geschichtliche zurükkzugehen.

5

§. 5. Die christliche Theologie ist sonach der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besiz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d. h. ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist. Dieses nämlich ist die in §.1. aufgestellte Beziehung; denn der christliche Glaube an und für sich bedarf eines solchen Apparates nicht, weder zu seiner Wirksamkeit in der einzelnen Seele noch auch in den Verhältnissen des geselligen Familienlebens. §. 6. Dieselben Kenntnisse, wenn sie ohne Beziehung auf das Kirchenregiment erworben und besessen werden, hören auf theologische zu sein, und fallen jede der Wissenschaft anheim, der sie ihrem Inhalte nach angehören. [Zu §4 Erl]

10

15

[Moralische! Differenzen aus Lebensweisen.

[Zwischen § 4 und §5] Eingeschoben habe ich hier eine Behandlung der Frage was die Theologie für eine Wendung genommen haben würde ohne Kanon[.] Antwort[:] sie wäre katholisch geblieben, und die Reformation hätte ohne Kanon einen Kanon machen müssen. [Zu §5] Der obige § In. Ausdruk wissenschaftliche Elemente zerfällt hier in zwei Theile.

18 [Moralische]] oder |Nemlichel

21 Antwort] Antw.

18 Gemeint sind entsprechende Differenzen im Hinblick auf die Sitte, wie Schleiermacher sie in der Notiz zu § 4 im Hinblick auf die Lehre am Beispiel von υποστασις und persona illustriert (oben 327,14 f). 1 9 - 2 2 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 5-8. 23 f Vgl. ThEnz (Strauß) S. 8. sich auch die Theologie. Daher ist die christliche die gebildetste. / § 5 -* S. 2, § 5: Die christliche Theologie ist der Inbegrif derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Anwendung ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist. / 56 S. 2, § 6: Dieselben Kenntnisse ohne diese Beziehung hören auf theologische zu sein, und fallen jede einer andern Wissenschaft anheim. /

20

Einleitung

329

Diese Wissenschaften sind dann der Natur der Sache nach die Sprachkunde und Geschichtskunde, die Seelenlehre und Sittenlehre nebst den von dieser ausgehenden Disciplinen der allgemeinen Kunstlehre und der Religionsphilosophie. 5

§ . 7 . Vermöge dieser Beziehung verhält sich die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse zu dem Willen bei der Leitung der Kirche wirksam zu sein, wie der Leib zur Seele. | Ohne diesen Willen geht die Einheit der Theologie verloren, und ihre Theile zerfallen in die verschiedenen Elemente.

10

15

4

§. 8. Wie aber nur durch das Interesse am Christenthum jene verschiedenartigen Kenntnisse zu einem solchen Ganzen verknüpft werden: so kann auch das Interesse am Christenthum nur durch Aneignung jener Kenntnisse sich in einer zwekkmäßigen Thätigkeit äußern. Eine Kirchenleitung kann zufolge §. 2. nur von einem sehr entwikkelten geschichtlichen Bewußtsein ausgehen, aber auch nur durch ein klares Wissen um die Verhältnisse der religiösen Zustände zu allen übrigen recht gedeihlich werden.

§. 9. Denkt man sich religiöses Interesse und wissenschaftlichen 8 Geist im höchsten Grade und im möglichsten Gleichgewicht für Theorie 20 und Ausübung vereint: so ist dies die Idee eines Kirchenfürsten. Diese Benennung für das theologische Ideal ist freilich nur angemessen, wenn die Ungleichheit unter den Mitgliedern der Kirche groß ist, und zu[Zu 5 7/

25

Lebenskraft und Seele als Einheit, Organismus als Mannigfaltigkeit

[Zu § 7 Erl] Das Aufhören dieses Willens kann auch schon im geistlichen Stande sein — dann geht das verbauern an.

24 schon im] schonim 25 Zum Verbauern vgl. KGA 1/10, S.

418,28-30.

§7 S. 2, § 7: Die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse ist der Leib, der Trieb zum Wohl der Kirche gesezmäßig wirksam zu sein, ist die Seele. / § 8 -* S. 2, § 8: Wie jene Kenntnisse nur durch das Interesse am Christenthum zu dem Ganzen verknüpft werden, welches die Theologie bildet: so kann auch nur durch die Aneignung jener wissenschaftlichen Kenntnisse das Interesse am Christenthum zu der zwekmäßigen Thätigkeit gedeihen, durch welche die Kirche wirklich erhalten und weiter gebildet wird. / § 9 -» S. 3, § 9: Beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, im höchsten Grade und im möglichsten Gleichgewicht zur Theorie und Ausübung vereint, ist die Idee eines Kirchenfürsten. /

330

Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

gleich ein Einfluß auf eine große Region der Kirche möglich. Sie scheint aber passender als der schon für einen besonderen Kreis gestempelte Ausdrukk Kirchenvater, und schließt übrigens nicht im mindesten die Erinnerung an ein amtliches Verhältniß in sich.

5

§. 10. Denkt man sich das Gleichgewicht aufgehoben: so ist derjenige, welcher mehr das Wissen um das Christenthum in sich ausgebildet hat, ein Theologe im engeren Sinn; derjenige hinge|gen, welcher mehr die Thätigkeit für das Kirchenregiment in sich ausbildet, ein Kleriker. Diese natürliche Sonderung tritt bald mehr bald weniger äußerlich hervor; je mehr aber, um desto weniger kann die Kirche ohne eine lebendige Wechselwirkung zwischen beiden bestehen. — Uebrigens wird im weiteren Verfolg der Ausdrukk Theologe in der Regel in dem weiteren beide Richtungen umfassenden Sinne genommen.

§ . 1 1 . Jedes Handeln mit theologischen Kenntnissen als solchen, von welcher Art es auch sei, gehört immer in das Gebiet der Kirchenleitung; und wie auch über die Thätigkeit in der Kirchenleitung, sei es mehr construirend oder mehr regelgebend, gedacht werde, so gehört dieses Denken immer in das Gebiet des Theologen im engeren Sinn. 9

Auch die wissenschaftliche Wirksamkeit des Theologen muß auf die Förderung des Wohls der Kirche abzwekken, und ist also klerikalisch; und alle technischen Vorschriften auch über die eigentlich klerikalischen Thätigkeiten gehören in den Kreis der theologischen Wissenschaften.

§. 12. Wenn demzufolge alle wahren Theologen auch an der Kirchenleitung Theil nehmen, und Alle die in dem Kirchenregiment wirksam sind auch in der Theologie leben: so muß ohnerachtet der einseitigen Richtung beider doch beides, kirchliches Interesse und wissenschaftlicher Geist, in Jedem vereint sein. 6

5

10

15

20

25

Denn wie im entgegengesezten Falle der Gelehrte kein Theologe mehr wäre, sondern nur theologische Elemente | in dem Geist ihrer besonderen Wissenschaft bearbeitete: so wäre auch die Thätigkeit des Klerikers keine kunstge- 30 rechte oder auch nur besonnene Leitung, sondern lediglich eine verworrene Einwirkung.

$ 10 S. 3, § 10: In so fern jemand in Beziehung auf das Christenthum mehr das Wissen in sich ausbildet, ist er ein Theologe, in so fern er mehr in der unmittelbaren Ausbildung des Kirchenregimentes begriffen ist, ist er ein Kleriker. / § 11 S. 3, § 11: Jedes reale Handeln mit den so geleiteten wissenschaftlichen Kenntnissen gehört zum Kirchenregiment, und jede Kenntniß der Regeln und Bedingungen auch der unmittelbarsten Ausübung gehört zur Theologie. / § 12 S. 3, § 12: Wie also nur diejenigen im eigentlichen Sinne Theologen sind, welche auf irgend eine Weise auch das Kirchenregiment ausüben, und nur diejenigen das Kirchenregiment ausüben können, welche wahrhaft Theologen sind: so muß

Einleitung

331

§ . 1 3 . Jeder der sich zur leitenden Thätigkeit in der Kirche berufen findet, bestimmt sich seine Wirkungsart nach Maaßgabe wie eines von jenen beiden Elementen in ihm überwiegt. 5

Ohne einen solchen innern Beruf ist niemand in Wahrheit weder Theologe noch Kleriker: aber keine von beiden Wirkungsarten hängt irgend davon ab, daß das Kirchenregiment die Basis eines besonderen bürgerlichen Standes ist.

§. 14. Niemand kann die theologischen Kenntnisse in ihrem ganzen Umfang vollständig inne haben, theils weil jede Disciplin im einzelnen 10 ins unendliche entwikkelt werden kann, theils weil die Verschiedenheit der Disciplinen eine Mannigfaltigkeit von Talenten erfordert, welche Einer nicht leicht in gleichem Grade besitzt.

15

10

Jene Entwiklungsfähigkeit zur unendlichen Vereinzelung gilt sowol von allem, was geschichtlich ist und mit geschichtlichem zusammenhängt, als auch von allen Kunstregeln in Bezug auf die Mannigfaltigkeit der Fälle welche vorkommen können.

§. 15. Wollte sich jedoch deshalb Jeder gänzlich auf Einen Theil der Theologie beschränken: so wäre das Ganze weder in Einem noch in Allen zusammen. | 20

25

Lezteres nicht weil bei einer solchen Art von Vertheilung kein Zusammenwirken der Einzelnen von verschiedenen Fächern, ja streng genommen auch nicht einmal eine Mittheilung unter ihnen statt finden könnte.

§. 16. Daher ist, die Grundzüge aller theologischen Disciplinen inne zu haben, die Bedingung, unter welcher auch nur eine einzelne derselben in theologischem Sinn und Geist kann behandelt werden. Denn nur so, wenn Jeder neben seiner besonderen Disciplin auch das Ganze auf allgemeine Weise umfaßt, kann Mittheilung zwischen Allen und

auch bei der einseitigen Richtung dennoch beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, in Jedem vereinigt sein./ § 13 -* S. 4, § 13: Welches von Beiden in ihm überwiegt, darnach hat Jeder, der sich zur leitenden Thätigkeit in der Kirche berufen fühlt, seine Wirkungsart zu bestimmen. / §13 Erl -» S. 4,§ 14: Diese sowohl als noch vielmehr die Theologie selbst ist keinesweges davon abhängig, daß das Kirchenregiment die Basis eines besondern bürgerlichen Standes ist. / § 14 -* S. 4, § 15: Niemand kann die ganze Aufgabe der Theologie vollständig lösen, theils wegen der Unendlichkeit der darunter befaßten Kenntnisse, theils weil die Verschiedenheit der Disciplinen auch eine Mannigfaltigkeit von Talenten erfordert, die nicht in gleichem Grade vereint sein können./ § 15 - * S. 4, § 16: Wollte Jeder sich gänzlich auf Einen Theil beschränken: so wäre das Ganze weder in Einem, noch auch, weil kein lebendiges Zusammenwirken Statt fände, in Allen zusammen./ § 16 -* — / §16 Erl -» S.5, §17: Jeder kann sich, um es zur Vollkommenheit darin zu bringen, nur Einem Theil der Theologie zunächst widmen, muß aber, um vermittelst dieses auf das Ganze zu wirken, auch das Ganze in allge-

7

332

Kurze

Darstellung

(2.

Auflage)

J e d e m statt finden, und nur so jeder vermittelst seiner Hauptdisciplin eine Wirksamkeit auf das Ganze ausüben.

§. 17. Ob Jemand eine einzelne Disciplin und was für eine zur Vollkommenheit zu bringen strebt, das wird bestimmt vornehmlich durch die Eigenthümlichkeit seines Talentes, zum Theil aber auch durch seine Vorstellung von dem dermaligen Bedürfniß der Kirche.

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Der glükliche Fortgang der T h e o l o g i e überhaupt hängt großentheils davon ab, d a ß sich zu jeder Zeit ausgezeichnete Talente für dasjenige finden, dessen Fortbildung a m meisten N o t h thut. I m m e r aber können diejenigen a m vielseitigsten wirksam sein, welche die meisten Disciplinen in einer gewissen Gleichmäßigkeit umfassen, ohne in einer einzelnen eine besondere Virtuosität anzustreben, wogegen diejenigen, die sich nur Einem Theile widmen, a m meisten als Gelehrte leisten können.

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10

§. 18. Unerlaßlich ist daher jedem Theolo|gen zuerst eine richtige Anschauung von dem Zusammenhang der verschiedenen Theile der 15 Theologie unter sich, und dem eigenthümlichen Werth eines jeden für den gemeinsamen Zwekk. Demnächst Kenntniß von der innern Organisation jeder Disciplin und denjenigen Hauptstükken derselben, welche das wesentlichste sind für den ganzen Zusammenhang. Ferner Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln um sich jede jedesmal erforderliche Kennt- 20 niß sofort zu verschaffen. Endlich Uebung und Sicherheit in der Anwendung der nothwendigen Vorsichtsmaaßregeln, um dasjenige aufs beste und richtigste zu benuzen, was Andere geleistet haben. Die beiden ersten Punkte werden häufig unter dem Titel theologische Encyclopädie verbunden, auch wol n o c h der dritte, nämlich die theologische Bücherkunde, in dieselbe P r a g m a t i e hineingezogen. D e r vierte ist ein Theil

25 f Die Bücherkunde als Bestandteil theologischer Enzyklopädien findet sich ζ. B. bei Johann Franz Budde(us): Isagoge historico-theologica ad Theologiam universam singulasque eius partes, Bd. 1 —2, Leipzig 1727; Samuel Mursinna: Primae lineae encyclopaediae theologicae in usum praelectionum ductae, 2. Aufl., Halle 1784; Gottlieb Jakob Planck: Einleitung in die Theologische Wissenschaften, Bd. 1—2, Leipzig 1794—1795 (vgl. bes. Bd. 1, S. 13 f); Johann Ernst Christian Schmidt: Theologische Encyclopädie, Gießen 1811; Johann Friedrich Wilhelm Thym: Theologische Encyclopädie und Methodologie, Halle 1797. meinem Sinn umfassen. / § 17 -* S. 5, § 18: Was Jeder von allen Theilen der Theologie inne haben muß, ist das Allgemeine nach der Einheit des Zweks hin liegende; was Jeder nur von Einem Theil erwerben kann, ist das Besondere an die Eigenthümlichkeit des Talents und des Gegenstandes gebundene. / £ 17 Erl -* S. 5, § 19: Je mehr jemand praktisch sein will, um desto universeller muß er sein als Theologe; je mehr als Gelehrter leisten, um desto mehr immer nur mit Einem Theile sich beschäftigen. / §§18—19~>S.5,§ 20: Jenes Allgemeine (18) ist 1) richtige Anschauung von dem Zusammenhange der verschiedenen Theile der Theologie unter sich und mit dem Zwekk. 2) Wissenschaft von demjenigen

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Einleitung

333

der kritischen Kunst, welcher nicht als Disciplin ausgearbeitet ist, und über welchen sich überhaupt nur wenige Regeln mittheilen lassen, so daß er fast nur durch natürliche Anlage und Uebung erworben werden kann. 5

§. 19. Jeder, der sich eine einzelne Disciplin in ihrer Vollständigkeit aneignen will, muß sich die Reinigung und Ergänzung dessen, was in ihr schon geleistet ist, zum Ziel sezen. Ohne ein solches Bestreben wäre er auch bei der vollständigsten Kenntniß doch nur ein Träger der Ueberlieferung, welches die am meisten untergeordnete und am wenigsten bedeutende Thätigkeit ist. |

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§. 2 0 . Die encyclopädische Darstellung, welche hier gegeben werden soll, bezieht sich nur auf das erste von den oben (§. 18.) nachgewiesenen allgemeinen Erfordernissen; nur d a ß sie zugleich die einzelnen Disciplinen auf dieselbe Weise behandelt wie das G a n z e . Eine solche Darstellung pflegt man eine formale Encyclopädie zu nennen; wogegen diejenigen, welche materielle genannt werden, mehr von dem Hauptinhalt der einzelnen Disciplinen einen kurzen Abriß geben, mit der Darstellung ihrer Organisation aber es weniger genau nehmen. — In sofern die Encyclopädie ihrer Natur nach die erste Einleitung in das theologische Studium ist, gehört allerdings dazu auch die Technik der Ordnung, nach welcher bei diesem Studium zu verfahren ist, oder was man gewöhnlich Methodologie nennt. Allein was sich hievon nicht von selbst aus der Darstellung des inneren Zusammenhanges ergiebt, das ist bei dem Zustand unserer Lehranstalten sowol als unserer Litteratur zu sehr von Zufälligkeiten abhängig, als daß es lohnen könnte auch nur einen besonderen Theil unserer Disciplin daraus zu bilden.

14—17 Die Unterscheidung von formaler und materieller Enzyklopädie ist nach ThEnz (Strauß) S. 19 nicht auf die Theologische Enzyklopädie beschränkt, sondern bezieht sich auf das literarische Genus Enzyklopädie im allgemeinen. — Als seltene Beispiele für eine formale Theologische Enzyklopädie können gelten Thym: Theologische Encyclopädie, und Karl Friedrich Stäudlin: Lehrbuch der Encyklopädie, Methodologie und Geschichte der theologischen Wissenschaften, Hannover 1821. Den Typ einer materialen Theologischen Enzyklopädie vertreten u. a. Planck: Einleitung; Buddeus: lsagoge; Schmidt: Encyclopädie; Johann Friedrich Kleuker: Grundriß einer Encyclopädie der Theologie, Bd. 1—2, Hamburg 1800—1801; Johann August Nösselt: Anweisung zur Bildung angehender Theologen, Bd. 1-3, 2. Aufl., Halle 1791. in jedem, was am meisten mit den übrigen und dem Zwekk zusammenhängt. 3) Bekanntschaft mit den Mitteln um sich jede nöthige Kenntniß sofort zu verschaffen, 4) und mit den nöthigen Vorsichtsmaaßregeln um das, was Andere geleistet haben, zu benuzen. Das Besondere ist die Vollständigkeit in den einzelnen Disciplinen, und das Ziel derselben die Reinigung und Erweiterung des in ihnen schon geleisteten./ § 20 -* S. 6, §21: Die encyclopädische Darstellung hat es mit der Anschauung des Wesens und Zusammenhanges der verschiedenen Theile zu thun, ohne sich mit dem materiellen selbst zu befassen. /

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Kurze

Darstellung

(2.

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§. 21. Es giebt kein Wissen um das Christenthum, wenn man, anstatt sowol das Wesen desselben in seinem Gegensaz gegen andere Glaubensweisen und Kirchen, als auch das Wesen der Frömmigkeit und der frommen Gemeinschaften im Zusammenhang mit den übrigen Thätigkeiten des menschlichen Geistes zu verstehen, sich nur mit einer empirisehen Auffassung begnügt. | 10

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Daß das Wesen des Christenthums mit einer Geschichte zusammenhängt, bestimmt nur die Art dieses Verstehens näher, kann aber der Aufgabe selbst keinen Eintrag thun.

§. 22. Wenn fromme Gemeinschaften nicht als Verirrungen angese13 hen werden sollen: so muß das Bestehen solcher Vereine als ein für die Entwikkelung des menschlichen Geistes nothwendiges Element nachgewiesen werden können. Das erste ist noch neuerlich in den Betrachtungen über das Wesen des Protestantismus geschehen. Die Frömmigkeit selbst eben so ansehen ist der eigentliche Atheismus.

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§. 23. Die weitere Entwikkelung des Begriffs frommer Gemeinschaften muß auch ergeben, auf welche Weise und in welchem Maaß die eine von der andern verschieden sein kann, imgleichen wie sich auf diese Differenzen das eigenthümliche der geschichtlich gegebenen Glaubensge- 20 nossenschaften bezieht. Und hiezu ist der Ort in der Religionsphilosophie. Der leztere Name, in diesem freilich noch nicht ganz gewöhnlichen Sinne gebraucht, bezeichnet eine Disciplin, welche sich in Bezug auf die Idee der Kirche zur Ethik eben so verhält, wie eine andere die sich auf die Idee des Staats, und noch eine andere die sich auf die Idee der Kunst bezieht.

14 f Vgl. Karl Gustav Jochmann [anon.]: Betrachtungen über den Protestantismus, Heidelberg 1826; vgl. ThEnz (Strauß) S. 22 23 f Nach ThEnz (Strauß) S. 23 gebe es aber auch „ganze Werke welche die Disciplin so fassen, wie sie hier genommen ist." Gemeint ist vermutlich: Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte, hg. v. Η. P. K. Henke, Bd. 1-12, Helmstedt 1794-1802. §21 -* S. 6, § 22: Weder das Wesen des Christenthums oder einer bestimmten Kirche überhaupt, woraus im Gegensaz gegen das Zufällige allein (2.) die Organisation der Theologie zu verstehen ist, noch das Wesen der Kirche im allgemeinen kann bloß empirisch aufgefaßt werden. / § 22 -* S. 6, § 23: Soll es überhaupt Kirchen geben: so muß die Stiftung und das Bestehen solcher Vereine als ein nothwendiges Element in der Entwikkelung des Menschen können in der Ethik nachgewiesen werden. / § 23 -* S. 7, 5 24: Die lebendige Darstellung dieser Idee muß auch das Gebiet des veränderlichen darin nachweisen, welches die Keime alles individuellen enthält. /

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Einleitung

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335

§. 24. Alles was dazu gehört um von diesen Grundlagen aus sowol das Wesen des Christenthums, wodurch es eine eigenthümliche Glaubens! weise ist, zur Darstellung zu bringen, als auch die Form der christlichen Gemeinschaft und zugleich die Art, wie beides sich wieder theilt und differentiirt, dieses alles zusammen bildet den Theil der christlichen Theologie, welchen wir die p h i l o s o p h i s c h e T h e o l o g i e nennen. Die Benennung rechtfertigt sich theils aus dem Zusammenhang der Aufgabe mit der Ethik, theils aus der Beschaffenheit ihres Inhaltes, indem sie es größtentheils mit Begriffsbestimmungen zu thun hat. Eine solche Disciplin ist aber als Einheit noch nicht aufgestellt oder anerkannt, weil das Bedürfniß derselben, so wie sie hier gefaßt ist, erst aus der Aufgabe die theologischen Wissenschaften zu organisiren, entsteht. Der Stoff derselben ist aber schon in ziemlicher Vollständigkeit bearbeitet zufolge praktischer Bedürfnisse, welche aus verschiedenen Zeitumständen erwuchsen.

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§. 25. Der Zwekk der christlichen Kirchenleitung ist sowol extensiv als intensiv zusammenhaltend und anbildend; und das Wissen um diese Thätigkeit bildet sich zu einer Technik, welche wir, alle verschiedenen Zweige derselben zusammenfassend, mit dem Namen der p r a k t i s c h e n T h e o l o g i e bezeichnen.

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Auch diese Disciplin ist bisher sehr ungleich bearbeitet. In großer Fülle nämlich was die Geschäftsführung im Einzelnen betrifft; hingegen was die Leitung und Anordnung im Großen betrifft, nur sparsam, ja in disciplinarischem Zusammenhange nur für einzelne Theile.

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§. 26. Die Kirchenleitung erfordert aber auch | die Kenntniß des zu leitenden Ganzen in seinem jedesmaligen Zustande, welcher, da das [Zu § 26] Wie hier der Begriff des organischen zum Grunde liegt im Gegensaz gegen das mechanische

26 Begriff] B. § 24 -* S. 7, 5 25: Hieraus das Wesentliche in der gesammten Erscheinung der christlichen Kirche zu verstehen, ist die Aufgabe des philosophischen Theiles der Theologie. / §24 Erl -* S. 7, § 27: Sie ist so wenig bearbeitet, daß ihr sogar noch der bestimmte und allgemeingeltende Name fehlt. / § 25 -* S. 7, 28 — S. 8, $§ 30: Der Zwekk des christlichen Kirchenregimentes kann nur dahin gehen, dem Christenthum sein zugehöriges Gebiet zu sichern und immer vollständiger anzueignen, und innerhalb dieses Gebietes die Idee des Christenthums immer reiner darzustellen. — Hierzu muß es eine Technik geben, welche sich auf den Besiz der darzustellenden Idee, und auf die Kenntniß des zu regierenden Ganzen gründet. — Die Darstellung dieser Technik ist der praktische Theil der Theologie. / § 25 Erl -* S. 8, § 32: Sie ist bisher mehr in Bezug auf das Kleine und Einzelne, als auf das Große und Ganze als Theorie behandelt. / § 26 -* S. 8, §$ 33—34: Die christliche Kirche

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Kurze Darstellung (2. Auflage)

Ganze ein geschichtliches ist, nur als Ergebniß der Vergangenheit begriffen werden kann; und diese Auffassung in ihrem ganzen Umfang ist die h i s t o r i s c h e T h e o l o g i e im weiteren Sinne des Wortes. Die Gegenwart kann nicht als Keim einer dem Begriff mehr entsprechenden Zukunft richtig behandelt werden, wenn nicht erkannt wird, wie sie sich aus der Vergangenheit entwikkelt hat.

§. 27. Wenn die historische Theologie jeden Zeitpunkt in seinem wahren Verhältniß zu der Idee des Christenthums darstellt: so ist sie 15 zugleich nicht nur die Begründung der praktischen, sondern auch die Bewährung der philosophischen Theologie.

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10

Beides natürlich um so mehr, je mannigfaltigere Entwikkelungen schon vorliegen. Daher war die Kirchenleitung anfangs mehr Sache eines richtigen Instinkts, und die philosophische Theologie manifestirte sich nur in wenig kräftigen Versuchen.

§. 28. Die historische Theologie ist sonach der eigentliche Körper des theologischen Studiums, welcher durch die philosophische Theologie mit der eigentlichen Wissenschaft, und durch die praktische mit dem thätigen christlichen Leben zusammenhängt.

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15

Die historische Theologie schließt auch den praktischen Theil geschichtlich in sich, indem die richtige Auffassung eines jeden Zeitraums auch bekun- 20 den muß, nach was für leitenden Vorstellungen die Kirche während desselben | regiert worden. Und wegen des im §. 2 7 . aufgezeigten Zusammenhanges muß sich eben so auch die philosophische Theologie in der historischen abspiegeln.

§. 29. Wenn die philosophische Theologie als Disciplin gehörig ausgebildet wäre, könnte das ganze theologische Studium mit derselben beginnen. Jezt hingegen können die einzelnen Theile derselben nur fragmentarisch mit dem Studium der historischen Theologie gewonnen werden; aber auch dieses nur wenn das Studium der Ethik vorangegangen

als das zu Regierende ist ein Werdendes, in welchem die jedesmalige Gegenwart begriffen werden muß als Produkt der Vergangenheit und als Keim der Zukunft. — Dasjenige, worauf gewirkt werden soll, ist also nicht zu verstehen ohne seine Geschichte, und diese in ihrem ganzen Umfang bildet den historischen Theil der Theologie. / § 27 ^ S. 9, § 3 5 : Indem die historische Theologie jeden Zeitpunkt darstellt in Bezug auf das Princip, enthält sie die Bewährung der philosophischen, indem in Bezug auf den vorhergegangenen, enthält sie die Begründung der praktischen./ $ 28 -* S. 9, §36: Die historische Theologie ist der eigentliche Körper des gesammten theologischen Studiums und faßt auf ihre Art auch die andern beiden Theile in sich. / § 29 -» S. 9, §§ 37—38: Die Ethik ist die Wissenschaft der Principien der Geschichte; diese also wird bei jedem theologischen Studium vorausge-

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Einleitung

337

ist, welche wir zugleich als die Wissenschaft der Principien der Geschichte anzusehen haben.

5

Ohne die fortwährende Beziehung auf ethische Säze, kann auch das Studium der historischen Theologie nur unzusammenhängende Vorübung sein, und muß in geistlose Ueberlieferung ausarten; woher sich großentheils der oft so verworrene Zustand der theologischen Disciplinen und der gänzliche Mangel an Sicherheit in der Anwendung derselben auf die Kirchenleitung erklärt.

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§. 30. Nicht nur die noch fehlende Technik für die Kirchenleitung 10 kann nur aus der Vervollkommnung der historischen Theologie durch die philosophische hervorgehen, sondern selbst die gewöhnliche Mittheilung der Regeln für die einzelne Geschäftsführung kann nur als mechanische Vorschrift wirken, wenn ihr nicht das Studium der historischen Theologie vorangegangen ist. 15

Aus der übereilten Beschäftigung mit dieser Technik entsteht die Oberflächlichkeit in der Praxis, und die Gleichgültigkeit gegen wissenschaftliche Fortbildung. |

§ . 3 1 . In dieser Trilogie, philosophische, historische und praktische 14 Theologie ist das ganze theologische Studium beschlossen; und die na20 türlichste Ordnung für diese Darstellung ist ohnstreitig die mit der philosophischen Theologie zu beginnen, und mit der praktischen zu schließen. Bei welchem Theile wir auch anfangen wollten: so würden wir immer wegen des gegenseitigen Verhältnisses in welchem sie mit einander stehen, manches aus den andern voraussezen müssen.

sezt, und es gründet sich auf sie. — Für eines jeden theologisches Studium müßte der philosophische Theil, wenn er schon zur Disciplin ausgebildet wäre, der erste sein. So lange jeder ihn sich selbst bilden muß, kann er nur neben dem historischen gewonnen werden. / § 30 -* S. 9, § 39: Was sich zunächst auf die A u s ü b u n g bezieht, die praktische Theologie, ist für das Studium das lezte. / §31 -* S. 10, §40: Es ist also zu handeln zuerst von der philosophischen Theologie, dann von der historischen und zulezt von der praktischen. In diesen ist d a s ganze Studium beschlossen. /

is,·27

Erster Theil. Von der philosophischen Theologie.

Einleitung. §. 32. Da das eigenthümliche Wesen des Christenthums sich eben so wenig rein wissenschaftlich construiren läßt, als es bloß empirisch aufgefaßt werden kann: so läßt es sich nur kritisch bestimmen (vergl. §. 23.) durch Gegeneinanderhalten dessen, was im Christenthum geschichtlich gegeben ist, und der Gegensäze, vermöge deren fromme Gemeinschaften können von einander verschieden sein. So wenig sich die Eigentümlichkeit einzelner Menschen construiren läßt, wenn gleich allgemeine Rubriken für charakteristische Verschiedenheiten angegeben werden können: eben so wenig auch die Eigenthümlichkeit solcher zusammengesezter oder moralischer Persönlichkeiten.

§. 33. Die philosophische Theologie kann daher ihren Ausgangs16 punkt nur über dem Chri|stenthum in dem logischen Sinne des Wortes nehmen, d. h. in dem allgemeinen Begriff der frommen oder Glaubensgemeinschaft. 18

Zufolge des vorigen nämlich kann überhaupt jede bestimmte Glaubensform und Kirche nur vermittelst ihrer Verhältnisse des Neben- und Nach-

§32 -* S. 11, §§1—2: So wenig das eigenthümliche Wesen des Christenthums bloß empirisch kann aufgefaßt werden (Einl. 22), eben so wenig läßt es sich rein wissenschaftlich aus Ideen allein ableiten. — Es ist also nur durch Gegeneinanderhalten des geschichtlich in ihm gegebenen, und des in der Idee der Religion und der Kirche als veränderliche Größe gesezten zu bestimmen. / § 33 -* S. 12, § 4: Der Standpunkt der philosophischen Theologie in Beziehung auf das Christenthum überhaupt ist nur über demselben zu nehmen./ § 33 Erl S. 11, § 3: Da dasselbe von allen geschichtlich gegebenen Religionsformen und Kirchen gilt: so ist in diesem Sinn jede nur mit ihrem Verhältniß des Neben- und Nacheinanders zu andern zugleich zu verstehen. /

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I. Teil: Philosophische

Theologie

339

einanderseins zu andern richtig verstanden werden; und dieser Ausgangspunkt ist in sofern für alle analogen Disciplinen anderer Theologien derselbe, indem alle auf denselben höheren Begriff und auf eine Theilbarkeit desselben zurükkgehen müssen, um jene Verhältnisse darzulegen.

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25

§. 34. Wie sich irgend ein geschichtlich gegebener Zustand des Christenthums zu der Idee desselben verhält, das bestimmt sich nicht allein durch den Inhalt dieses Zustandes, sondern auch durch die Art wie er geworden ist. Beides ist allerdings durch einander bedingt, indem verschieden beschaffene Zustände aus demselben früheren nur können durch einen verschiedenen Prozeß hervorgegangen sein, und eben so umgekehrt. Um so sicherer aber kann bald mehr das eine bald mehr das andere zur Auffindung jenes Verhältnisses benuzt werden. Und daß in einem lebendigen und geschichtlichen Ganzen nicht alle Zustände sich zu der Idee desselben gleich verhalten, versteht sich von selbst.

§. 3 5 . Da die Ethik als Wissenschaft der Geschichtsprincipien auch die Art des Werdens eines geschichtlichen Ganzen nur auf allgemeine Weise darstellen kann: so läßt sich ebenfalls nur kritisch durch Vergleichung der dort aufgestellten | allgemeinen Differenzen mit dem geschichtlich gegebenen ausmitteln, was in der Entwiklung des Christenthums reiner Ausdrukk seiner Idee ist, und was hingegen als Abweichung hievon, mithin als Krankheitszustand, angesehen werden muß.

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Krankheitszustände giebt es in geschichtlichen Individuen nicht minder als in organischen; von untergeordneten Differenzen in der Entwiklung kann hier nicht die Rede sein.

§. 36. So oft das Christenthum sich in eine Mehrheit von Kirchengemeinschaften theilt, welche doch auf denselben Namen christliche zu

§ 34 S. 12, § 5: Das Verhältniß des im Christenthum geschichtlich gegebenen zu der Idee desselben, drükt sich nicht nur durch den Inhalt aus, sondern auch durch die Art des Werdens. / § 35 -» S. 12, §§ 6 — S. 13, §§ 9: Die Ethik als Wissenschaft der Geschichtsprincipien muß darstellen, wie dasjenige wird, was in einem geschichtlichen Ganzen reiner Ausdruk der Idee ist. Sie kann es aber nur im Allgemeinen. — Nur durch Gegeneinanderhaltung des Gegebenen mit den dort aufgestellten allgemeinen Formen läßt sich von dieser Seite erkennen, was in dem geschichtlich gegebenen Christenthum reiner Ausdruk der Idee desselben ist. — Wie keine geschichtliche Erscheinung ihrer Idee rein entspricht, sondern Abweichungen enthält, die in jener nicht aufgehn, und nur als Krankheitszustand zu begreifen sind, so auch das Christenthum. — Nur durch Gegeneinanderhaltung eines Gegebenen mit dem als Wesen des Christenthums erkannten, läßt sich inne werden, was wirklich als Krankheit zu sezen ist./ §36 -* S. 13, §§ 10—11: Das Christenthum, wie jede Kirche, theilt sich selbst in Partheien, die unter sich im relativen Gegensaze stehn, und sich zur christlichen Kirche selbst verhalten, wie diese und andere gegebene Kirchen zur absoluten Idee der Kirche. — Alles bisher (1 — 9) Gesagte gilt also nothwendig auch von ihnen./

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340

Kurze Darstellung (2. Auflage)

sein Ansprüche machen: so entstehen dieselben Aufgaben auch in Beziehung auf sie; und es giebt dann außer der allgemeinen, für jede von ihnen noch eine besondere philosophische Theologie. Offenbar befinden wir uns in diesem Fall; denn wenn auch jede von diesen besonderen Gemeinschaften alle anderen für krankhaft gewordene Theile erklärte: so müßten doch von unserem Ausgangspunkt (s. §. 33.) aus schon zum Behuf der ersten Aufgabe die Ansprüche aller jenem kritischen Verfahren anheim fallen. Unsere besondere philosophische Theologie ist daher protestantisch.

§. 37. D a die beiden hier — in §. 32. und 3 5 . — gestellten Aufgaben den Z w e k k der philosophischen Theologie erschöpfen: so ist diese ihrem wissenschaftlichen Gehalt nach Kritik, und sie gehört der Natur ihres Gegenstandes nach der geschichtskundlichen Kritik an. | 18

In der Lösung dieser Aufgaben ist nämlich alles enthalten, was der historischen Theologie sowol als der praktischen in ihrer Beziehung zur Kirchenleitung zum Grunde liegen muß.

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§. 38. Als theologische Disciplin muß der philosophischen Theologie ihre Form bestimmt werden durch ihre Beziehung auf die Kirchenleitung. Dies gilt natürlich auch von jeder speciellen philosophischen Theologie.

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20

§. 39. Wie Jeder in seiner Kirchengemeinschaft nur ist vermöge seiner Ueberzeugung von der Wahrheit der sich darin fortpflanzenden Glaubensweise: so muß die erhaltende Richtung der Kirchenleitung auch die Abzwekkung haben diese Ueberzeugung durch Mittheilung zur Anerkenntniß zu bringen. Hiezu bilden aber die Untersuchungen über das 25 eigenthümliche Wesen des Christenthums und eben so des Protestantismus die Grundlage, welche daher den apologetischen Theil der philosophischen Theologie ausmachen, jene der allgemeinen christlichen, diese der besonderen des Protestantismus.

§ 37 -* S. 13, §12: Da die hier aufgestellten Aufgaben den Inhalt der philosophischen Theologie erschöpfen: so ist diese ihrem innern Wesen nach Kritik, und führt jenen Namen nur in einem weitern Sinne, wegen ihrer unmittelbaren Beziehung auf die Hauptsäze der Ethik. / 5 38 S. 14, § 17: Als theologische Disciplin nimmt die philosophische Theologie ihre Form von dem Interesse an dem Wohlbefinden und der Fortbildung der Kirche. / 5 38 Erl -» S. 14, § 18: Als solche ist sie, jedesmal wenn ein solcher Gegensaz besteht, auch wesentlich in einer Kirchenpartei befangen, und also für jede eine besondere. / § 39 S. 13, § 13 — S. 14, § 14: Das lebendige Sein des Einzelnen in einer Kirche und Kirchenparthei ist zugleich seine innere Ueberzeugung von ihrer geschichtlichen Gültigkeit. — Die lebendige Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment ist zugleich das Bestreben, ihre innere Gültigkeit auch äußerlich geltend zu machen, oder sie zu vertheidigen. /

I. Teil: Philosophische

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Theologie

341

Bei dieser Benennung ist an keine andere Vertheidigung zu denken, als welche von der Anfeindung der Gemeinschaft abhalten will. Das Bestreben auch Andere in diese Gemeinschaft hineinzuziehen ist eine klerikalische, allerdings aus der Apologetik schöpfende, Ausübung, und eine Technik für dasselbe, die aber kaum anfängt sich zu bilden, wäre der zunächst auf der Apologetik beruhende Theil der praktischen Theologie. | §. 4 0 . D a J e d e r n a c h M a a ß g a b e der Stärke und Klarheit seiner Ueberzeugung a u c h Mißfallen haben m u ß an den in seiner G e m e i n s c h a f t entstandenen k r a n k h a f t e n A b w e i c h u n g e n : so m u ß die Kirchenleitung v e r m ö g e ihrer intensiv z u s a m m e n h a l t e n d e n R i c h t u n g (§. 2 5 . ) z u n ä c h s t die A b z w e k k u n g haben, diese A b w e i c h u n g e n als solche z u m Bewußtsein zu bringen. Dies k a n n nur v e r m ö g e richtiger Darstellung v o n d e m Wesen des C h r i s t e n t h u m s und so a u c h des P r o t e s t a n t i s m u s geschehen, welche d a h e r in dieser A n w e n d u n g den polemischen Theil der philosophischen T h e o l o g i e bilden, jene der allgemeinen diese der besonderen p r o t e s t a n t i schen.

19

Die klerikalische Praxis welche auf die Beseitigung der Krankheitszustände ausgeht, hat hier ihre Principien; und die Technik derselben wäre der zunächst auf die Polemik zurükkgehende Theil der praktischen Theologie. 20

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§ . 4 1 . So wie die Apologetik ihre R i c h t u n g g a n z n a c h a u ß e n n i m m t , so die Polemik die ihrige d u r c h a u s n a c h innen. Die weit gewöhnlicher so genannte nach außen gekehrte besondere Polemik der Protestanten ζ. B. gegen die Katholiken, und eben so die allgemeine der Christen gegen die Juden oder auch die Deisten und Atheisten, ist ebenfalls eine im weiteren Sinne des Wortes klerikalische Ausübung, welche einerseits mit unserer Disciplin nichts gemein hat, andererseits auch schwerlich von einer wohl bearbeiteten praktischen Theologie als heilsam dürfte anerkannt werden. Man könnte allerdings behaupten, diese Ausübung müsse nur nicht als eine | protestantische angesehen werden, sondern als eine allgemein christliche, so habe sie ihre Richtung auch nach innen. Allein dann ginge sie auch nicht, wie es doch immer gemeint ist, gegen den Katholizismus im Ganzen, sondern nur gegen dasjenige darin, was nicht seiner eigenthümlichen Form angehört, sondern als Krankheitszustand des Christenthums zu betrachten ist.

31 f Katholizismus] Katholizimus §40 -* S. 14, §§ 15 —16: Das lebendige Sein des Einzelnen in einer Kirche oder Kirchenparthei ist zugleich sein inneres Mißfallen an den krankhaften Abweichungen, die darin vorkommen. — Z u r Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment gehört auch das Bestreben, diese Abweichungen als solche kenntlich zu machen und hinwegzuschaffen. / §41 —/

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Kurze Darstellung (2.

342

Auflage)

§. 4 2 . D a nun die philosophische Theologie keine weiteren Aufgaben enthält: so ist im folgenden zu handeln von der Organisation der Apologetik und der Polemik, und zwar der allgemeinen christlichen sowol als der besonderen protestantischen. Entweder also zuerst von der allgemeinen philosophischen Theologie in ihren beiden Theilen, und dann eben so von der besonderen; oder zuerst von der Apologetik der allgemeinen und besonderen, und dann eben so von der Polemik. Die leztere Anordnung ist vorgezogen worden.

Erster Abschnitt.

22

Grundsäze der Apologetik.

21

5

§. 43. D a der Begriff frommer Gemeinschaften oder der Kirche sich nur in einem Inbegriff nebeneinander bestehender und auf einander folgender geschichtlicher Erscheinungen verwirklicht, welche in jenem Begriff eins, unter sich aber verschieden sind: so muß auch von dem Christenthum durch Darlegung sowol jener Einheit als dieser Differenz nachgewiesen werden, daß es in jenen Inbegriff gehört. Dies geschieht mittelst Aufstellung und Gebrauchs der Wechselbegriffe des natürlichen und positiven. Die Aufstellung dieser Begriffe, wovon jener das gemeinsame aller, dieser die Möglichkeit verschiedener eigenthümlicher Gestaltungen desselben aussagt, gehört eigentlich der Religionsphilosophie an; daher dieselben auch gleich gültig sind für die Apologetik jeder frommen Gemeinschaft. Könnte nun auf diese Weise auf die Religionsphilosophie bezogen werden: so bliebe für die christliche Apologie hievon nur übrig was der folgende §. enthält.

2 3 Religionsphilosophie] Religionsphlilosophie

§42~+ S. 15, § 19: Als

solche enthält sie, dem Obigen zu Folge, die Principien der Apologetik und der Polemik, und ist in diesen ganz beschlossen./ § 43 S. 15, $ 1: Da die Idee der Kirche sich nur in einer Mehrheit geschichtlicher Erscheinungen realisirt, welche

10

15

20

I. Teil: Philosophische §. 4 4 .

Theologie

A u f den Begriff des positiven zurükkgehend

das eigenthümliche

Wesen des Christenthums

343 muß dann

eine F o r m e l

aufgestellt,

und mit Beziehung auf das eigenthümliche anderer f r o m m e n schaften unter jenen Begriff subsumirt 5

für

Gemein-

werden.

Dies ist z w a r die G r u n d a u f g a b e der A p o l o g e t i k ; a b e r je m e h r eine solche F o r m e l n u r d u r c h ein kritisches Verfahren (vergl. §. 3 2 . ) gefunden w e r d e n

23

k a n n , u m d e s t o m e h r k a n n sie sich erst im G e b r a u c h vollständig b e w ä h r e n . §. 4 5 .

D a s C h r i s t e n t h u m m u ß seinen A n s p r u c h a u f

abgesondertes

geschichtliches Dasein a u c h geltend m a c h e n d u r c h die A r t und 10

Weise

seiner E n t s t e h u n g ; u n d dieses g e s c h i e h t d u r c h B e z i e h u n g | a u f die B e griffe O f f e n b a r u n g , W u n d e r und E i n g e b u n g . J e m e h r a u f ursprüngliche T h a t s a c h e n z u r ü k k g e h e n d , d e s t o größeres A n recht a u f Selbständigkeit u n d u m g e k e h r t , wie dasselbe a u c h bei a n d e r e n A r t e n der G e m e i n s c h a f t statt findet.

15

§. 4 6 .

W i e aber die geschichtliche Darstellung der Idee der

Kirche

a u c h als f o r t l a u f e n d e R e i h e a n z u s e h e n i s t : s o m u ß , o h n e r a c h t e t d e s § . 4 3 . u n d 4 4 . g e s a g t e n , d o c h a u c h d i e g e s c h i c h t l i c h e S t ä t i g k e i t in d e r des Christenthums auf das J u d e n t h u m und H e i d e n t h u m

Folge

nachgewiesen

werden, welches durch A n w e n d u n g der Begriffe Weissagung und Vorbild 20

geschieht. D a s r e c h t e M a a ß in Feststellung und G e b r a u c h dieser Begriffe ist vielleicht die h ö c h s t e A u f g a b e der Disciplin; und je v o l l k o m m e n e r gelöst, desto festere G r u n d l a g e h a t die von a u ß e n anbildende A u s ü b u n g . §. 4 7 .

25

D a die christliche K i r c h e wie jede geschichtliche E r s c h e i n u n g

e i n s i c h v e r ä n d e r n d e s ist: s o m u ß a u c h n a c h g e w i e s e n w e r d e n , w i e d u r c h

in jener Idee Eins, unter sich aber verschieden sind: so muß auch von dem Christenthum, wenn es als eine solche geltend gemacht werden soll, sowol jene Einheit als diese Differenz nachgewiesen werden. Diese Untersuchung umfaßt die Wechselbegriffe des natürlichen und positiven. / § 44 -* S. 15, § 2: Sie muß, auf allgemeine Bestimmung darüber, worin das eigenthümliche Wesen einer besondern Religionsform und Kirche zu sezen sei, sich gründend, in diesem Gebiet das Wesen des Christenthums nachweisen./ §45 -> S. 16, 5 5 : Das Christenthum als neue und ursprüngliche Thatsache muß sich auch durch die Art, wie es entstanden ist, (I. Einl. 5.) ausweisen. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Offenbarung, Wunder und Eingebung./ §46 -* S. 16, §6: Da die ganze geschichtliche Darstellung der Idee der Kirche auch als Eine fortlaufende Reihe anzusehen ist: so muß eben so auch auf der andern Seite das Hervorgehen des Christenthums aus dem Judenthum und Heidenthum dargestellt werden. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Weissagung und Vorbild./ § 47 ^ S. 17, § 7: Da die christliche Kirche als geschichtliche Erscheinung ein zeitliches also sich veränderndes ist, so ist auch auszuführen, woran unter diesen Veränderungen die bleibende Einheit des Wesens, sowol im Gebiet der Lehre als der Gemeinschaft kann erkannt werden. Diese Untersuchung bezieht sich

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diese Veränderungen die Einheit des Wesens dennoch nicht gefährdet wird. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe Kanon und Sakrament.

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Die Apologetik hat es mit den dogmatischen Theorien über beide nicht zu thun; indem diese hier nicht anticipirt werden können. Beide Thatsachen aber beziehen sich ihrem Begriffe nach auf die Stätigkeit des Wesentlichen im Christenthume, der erste wie sie sich in | der Production der Vorstellung, der andere wie sie sich in der Ueberlieferung der Gemeinschaft ausspricht.

§. 48. Wie der Begriff der Kirche sich wissenschaftlich nur ergiebt im Zusammenhang (vergl. §. 22.) mit denen aller andern aus dem Begriff der Menschheit sich entwikkelnden Organisationen gemeinsamen Lebens: so muß nun auch von der christlichen Kirche nachgewiesen werden, daß sie ihrem eigenthümlichen Wesen nach mit allen jenen Organisationen zusammenbestehen kann, welches sich aus richtiger Erörterung der Begriffe Hierarchie und Kirchengewalt ergeben muß. Vorzüglich kommen hier in Betracht der Staat und die Wissenschaft. Denn niemanden könnte zugemuthet werden die Gültigkeit des Christenthums anzuerkennen, wenn es durch sein Wesen einem von diesen entgegenstrebte. Die Aufgabe ist daher um so vollständiger gelöst, je bestimmter gezeigt werden kann, daß diese inneren Institutionen der Kirche ihrem Begriffe nach nur die unabhängige Entwiklung derselben im Zusammenhang mit Staat und Wissenschaft bezwekken, nicht aber die gleich unabhängige Entwiklung jener zu stören meinen. Alles hierüber in die praktische Theologie gehörige bleibt hier ausgeschlossen.

24; 25

§. 49. Je mehr in allen diesen Untersuchungen auf beides Bezug genommen wird, sowol darauf daß das Christenthum als organische Gemeinschaft bestehen will, als auch darauf, daß es sich vorzüglich durch den Gedanken darstellt und mittheilt (vergl. §. 2.) um desto mehr müssen sie | den Grund zu der Ueberzeugung legen, daß auch von Anfang an (vergl. §. 44.) das Wesen des Christenthums richtig ist aufgefaßt worden. Wenn sich doch in allem, was sich auf Lehre und Verfassung bezieht, dasselbe Wesen des Christenthums übereinstimmend mit der aufgestellten Formel ausspricht: so ist dies die beste Bewährung für diese.

auf die Begriffe Kanon und Sakrament. / § 48 -» S. 17, § 8: Da die Kirche als nothwendiges Erzeugniß auf einem und demselben Grunde beruht mit allen andern in der Entwikkelung der Menschheit sich wesentlich ergebenden Organisationen eines gemeinsamen Lebens: so muß auch von dem Christenthum nachgewiesen werden, daß es mit jenen allen zusammen bestehen kann. Dieses Bestreben geht aus auf richtige Bestimmung der Begriffe Hierarchie und Kirchengewalt./ §49 -* S. 16, §§3~4: Da das eigenthümliche Wesen einer besondern Religionsform sich auf der idealen Seite am kenntlichsten in ihren Dogmen ausspricht und auf der realen in ihrer Verfassung: so muß um die innere Consistenz des Christenthums darzustellen nachgewiesen werden, wie sich dasselbige Wesen in beiden

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§. 50. Befindet sich die Kirche in einem Zustande der Theilung: so muß die specielle Apologetik einer jeden Kirchenparthei, mithin jezt auch die protestantische, denselben Gang einschlagen wie die allgemeine. 5

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Denn die Aufgabe ist dieselbe, und das Verhältniß jeder einzelnen Kirchenparthei zu den übrigen gleich d e m des Christenthums zu den andern verwandten Glaubensgemeinschaften. Die in §. 4 7 . geforderte N a c h w e i s u n g führt auf die Begriffe von Confession und Ritus, und bei der in §. 4 8 . beschriebenen k o m m t es vorzüglich auf das Verhältniß z u m Staat an.

S- 51. Auch die allgemeine christliche Apologetik wird in diesem Fall, von der Ansicht jeder besonderen Gestaltung des Christenthums afficirt, sich in jeder eigenthümlich gestalten. Dies wird allerdings u m desto weniger der Fall sein, je strenger aus der E r ö r t e r u n g alles dogmatische ausgeschieden wird. Niemals aber darf es so weit gehen, d a ß jede nur sich selbst als Christenthum zur Anerkenntniß bringen will, die andern aber als unchristlich darstellt. W o f ü r schon durch die Scheidung der allgemeinen und besondern Apologetik gesorgt werden soll. |

§. 52. Da mehrere im Gegensaz mit einander stehende christliche Kirchengemeinschaften sich nur bilden konnten aus einem Zustande des Ganzen, in welchem kein Gegensaz ausgesprochen war: so hat sich jede um so mehr gegen den Vorwurf der Anarchie oder der Corruption zu vertheidigen, als auch jede wieder geneigt ist von sich selbst zu behaupten, daß sie an den ursprünglichen Zustand anknüpfe. Weder w a r im ursprünglichen Christenthum ein Gegensaz ausgesprochen, noch kann jemals ein Gegensaz an die Stelle eines andern treten, ohne d a ß jener vorher verschwunden wäre.

§. 53. Da eben deshalb jeder Gegensaz dieser Art innerhalb des Christenthums auch dazu bestimmt erscheint wieder zu verschwinden:

ausspricht. — Diese Congruenz muß die Probe geben, daß das Wesen des Christenthums richtig aufgefaßt ist. / § 50 S. 17, § 9: Auf gleiche Weise hat die Apologetik, wiefern sie sich auf eine besondere Kirchenpartei richtet, sowol deren mit andern gemeinsames Sein in der christlichen Kirche, als auch ihr besonderes Für sich bestehn zu begründen. Ihr Gegenstand ist in diesem Sinne vorzüglich alles, was unter die Begriffe Confession und Ritus gehört./ §51 S. 18, $ 10: Nicht nur kann jede Kirchenpartei nur sich selbst und nicht auch die andere vertheidigen, sondern ihre Ansicht wird sich auch mehr oder weniger durch das ganze Geschäft der Apologetik hindurchziehen. / § 52 -* S. 18, §11: Da Kirchenparteien als Gegensaz nur entstehen können aus einem Zustande, in welchem kein Gegensaz statt findet: so hat jede sich zu vertheidigen gegen den Vorwurf entweder der Anarchie oder der Corruption. / § 53 -* S. 18, § 12: Da solche Gegensäze innerhalb des Christenthums schon oft wieder verschwunden sind: so muß die besondere Apologetik

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so wird die Vollkommenheit der speciellen Apologetik darin bestehen, daß sie divinatorisch auch die Formen für dieses Verschwinden mit in sich schließt. Eine prophetische Tendenz soll hierdurch der speciellen Apologetik keinesweges beigelegt werden. Aber je richtiger in dieser Beziehung das eigenthümliche Wesen des Protestantismus aufgefaßt ist, um desto haltbarere Gründe wird die specielle Apologetik darbieten, um falsche Unionsversuche abzuwehren, da jeder auf der Voraussezung beruht, der Gegensaz sei schon in einem gewissen Grade verschwunden.

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Zweiter

Abschnitt.

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G r u n d s ä z e der Polemik.

§. 54. Krankhafte Erscheinungen eines geschichtlichen Organismus (vergl. §. 35.) können theils in zurükktretender Lebenskraft gegründet sein, theils darin, daß sich beigemischtes fremdartige in denselben für sich organisirt. 27

15

Es ist nicht nöthig hiebei auf die Analogie mit dem animalischen Organismus zurükkzugehen; derselbe Typus kann auch schon an den Krankheiten der Staaten zur Anschauung gebracht werden. §. 55. Da der Trieb, die christliche Frömmigkeit zum Gegenstand einer Gemeinschaft zu machen, nicht nothwendig in gleichem Verhältniß steht mit der Stärke dieser Frömmigkeit selbst: so kann bald mehr das eine von beiden geschwächt sein und zurükktreten bald mehr das andere. Beides in der höchsten Vollkommenheit vereinigt bildet freilich den normalen Gesundheitszustand der Kirche, der aber während ihres geschichtlichen Verlaufs nirgend vorausgesezt werden kann. Eben daraus aber, daß dieser

auch sich selbst begrenzen, und wissen w o das abgesonderte Dasein einer Partei nicht mehr vermag als eigenthiimliche Darstellung des Christenthums zu gelten. / $ 54 -* S. 19,5 2: Es kann in der Erscheinung ein allgemein geschwächter Lebensprozeß nicht mehr der ursprünglichen Kraft der einwohnenden Idee entsprechen; es kann theilweise etwas absterben, oder sich nicht neu entwikkeln, was zur Darstellung der Idee gehört; es kann endlich in der Erscheinung sich etwas entwikkeln, was der Idee widerspricht. / § 55 -* — /

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Gesundheitszustand nur als die vollständige Einheit jenes zwiefachen beschrieben werden kann, folgt schon, daß einseitige Abweichungen nach beiden Seiten hin möglich sind. 5

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§. 5 6 . Diejenigen Z u s t ä n d e , durch w e l c h e sich vorzüglich offenbart, d a ß die christliche Fröm|migkeit selbst k r a n k h a f t g e s c h w ä c h t ist, w e r d e n unter d e m N a m e n I n d i f f e r e n t i s m u s z u s a m m e n g e f a ß t ; und die Aufg a b e ist d a h e r zu b e s t i m m e n , w o das, w a s als eine solche S c h w ä c h u n g erscheint, wirklich beginnt k r a n k h a f t zu sein, und in wie mancherlei Gestalten dieser Z u s t a n d sich darstellt. Es ist die gewöhnliche Bedeutung dieses Ausdrukks, Gleichgültigkeit in Bezug auf das eigenthümliche Gepräge der christlichen Frömmigkeit darunter zu verstehen; wobei allerdings noch Frömmigkeit ohne bestimmtes Gepräge statt finden kann. — Außerdem aber werden häufig Zustände auf Rechnung einer solchen Schwäche geschrieben, die ganz anders zu erklären sind. — Daß bei wirklichem Indifferentismus auch der christliche Gemeinschaftstrieb geschwächt sein muß, ist natürlich; dies ist aber dann nur Folge der Krankheit, nicht Ursache derselben. §. 5 7 . Diejenigen Z u s t ä n d e , welche v o r n e h m l i c h auf g e s c h w ä c h t e n Gemeinschaftstrieb deuten, werden d u r c h den N a m e n S e p a r a t i s m u s bezeichnet, w e l c h e r also ebenfalls in seinen G r e n z e n und seiner Gliederung genauer zu bestimmen ist. Genauer, als gewöhnlich geschieht, ist zu unterscheiden zwischen eigentlichem Separatismus und Neigung zum Schisma; zumal jener ohnerachtet

13 f Möglicherweise denkt Schleiermacher an eine dem Christentum gegenüber distanzierte Haltung, die nicht Folge geschwächter christlicher Frömmigkeit, sondern des Mangels an gewährter Freiheit innerhalb des kirchlich verfaßten Christentums ist. Vgl. zur Illustration Karl Ulimann: Theologisches Bedenken aus Veranlassung des Angriffs der Evangelischen Kirchenzeitung auf den hallischen Rationalismus, Halle 1830: „[...] man betrachte den religiösen Zustand der streng katholischen Völker, die nicht, wie die deutschen Katholiken, den Einfluß protestantischen Geistes erfahren, wie ihr geistiger Zustand zwischen Unglauben und Aberglauben schwankt, wie in den höheren Regionen so häufig Indifferentismus, Religionsverachtung und Atheismus, in den niederen krasse Unwissenheit und religiöse Dummheit, bei den Priestern aber Heuchelei zu Hause ist, und man wird diese Einheit im Vergleich mit unserer Freiheit nicht beneidenswerth finden." (S. 21) § 56 -* S. 19, §3: Die allgemeinste Form des ersten Uebels ist der Indifferentismus. Wenn dieser aus dem Princip des Christenthums hervorginge: so würde dieses sich selbst aufheben. Soll also dem Christenthum eine nothwendige Existenz zukommen: so muß er nachgewiesen werden als Krankheitszustand. / § 57 S. 20, § 4: Die allgemeinste Form des zweiten Uebels ist der Separatismus. Wenn dieser dem Princip des Christenthums gemäß wäre: so würde es die Kirche, d. h. seine geschichtliche Realität selbst zerstören. Er muß also begriffen werden als Krankheit. /

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seiner gänzlichen Negativität oft den Schein von dieser annimmt. Offenbar ist, daß der Gemeinschaftstrieb, wenn er in seiner vollen Stärke vorhanden ist, auch alle Glieder durchdringen muß. Er ist also desto mehr geschwächt, je Mehrere sich bewußt und absichtlich ausschließen, ohn|erachtet sie dieselbe christliche Frömmigkeit zu besizen behaupten.

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§. 5 8 . D a d a s e i g e n t h ü m l i c h e W e s e n des C h r i s t e n t h u m s sich v o r züglich a u s s p r i c h t einerseits in d e r L e h r e u n d a n d e r e r s e i t s in der Verfassung: s o k a n n sich in der K i r c h e a u c h f r e m d a r t i g e s o r g a n i s i r e n , theils in d e r L e h r e als Kezerei, H ä r e s i s , theils in d e r Verfassung als S p a l t u n g , S c h i s m a ; u n d beides ist d a h e r in seinen G r e n z e n u n d G e s t a l t u n g e n zu

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bestimmen.

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In den meisten Fällen, jedoch nicht nothwendig, wird wenn sich eine abweichende Lehre verbreitet, daraus auch eine besondere Gemeinschaft entstehen; allein diese ist als bloße Folge jenes Zustandes nicht eigentliche Spaltung. Eben so wird sich innerhalb einer Spaltung größtentheils, jedoch nicht nothwendig, auch abweichende Lehre entwikkeln; allein diese braucht deshalb nicht häretisch zu sein.

15

§. 5 9 . Alle hier aufgestellten Begriffe k ö n n e n w e d e r b l o ß e m p i r i s c h g e f u n d e n , n o c h rein w i s s e n s c h a f t l i c h abgeleitet w e r d e n ,

sondern

nur

d u r c h d a s hier überall v o r h e r r s c h e n d e k r i t i s c h e V e r f a h r e n festgestellt:

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w e s h a l b sie sich d u r c h d e n G e b r a u c h i m m e r m e h r b e w ä h r e n m ü s s e n , u m g a n z z u v e r l ä ß i g zu w e r d e n .

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In Bezug auf Spaltung und Kezerei muß wegen der großen Mannigfaltigkeit der Erscheinungen dies Verfahren auf einer Classification beruhen, welche sich dadurch bewährt, daß die vorhandenen Erscheinungen mit Leichtigkeit darunter subsumirt werden können. In Be|zug auf Indifferentismus und Separatismus bewährt es sich desto mehr, je mehr es hindert, daß nicht durch allzugroße Strenge für krankhaft erklärt werde, was noch gesund ist und umgekehrt. §. 6 0 . W a s als k r a n k h a f t aufgestellt w i r d , d a v o n m u ß n a c h g e w i e s e n w e r d e n theils seinem I n h a l t e n a c h , d a ß es d e m W e s e n des

Christen-

§ 58 S. 20, 5 6: Das innerhalb der Erscheinung des Christenthums seinem Wesen widerstreitende ist, wenn es sich in der Lehre selbständig organisirt, Kezerei, wenn in der Gemeinschaft, Spaltung./ § 59 -» S. 20, §7: Vermöge des Gegensazes (I. Einl. 1. 2.) muß gelten, daß weder bloß empirisch aufgefaßt, noch rein wissenschaftlich abgeleitet werden kann, was im Einzelnen Häresis und Schisma ist, sondern nur durch Gegeneinanderhalten des Gegebenen und der Idee. / 5 60 -* S. 21, §§ 8 — 9: Das polemische Verfahren ist daher, die Ausartung an dem Inhalt zu beweisen, entweder durch Widerspruch gegen Kanon und Sakrament (Th. I. Abschn. I. 7.), in Bezug auf die Kirche und gegen Confession und Ritus (Ebend. 9.), in Bezug auf die Partei, oder durch die natürliche Congruenz zwischen Häresis und Schisma (Ebend. 3.). — Das dem Wesen des Christenthums widerstreitende muß sich auch kund thun durch seine Entstehungsart, (I. Einl. 5 — 7.) und die Principien der Pole-

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thums, wie sich dieses in Lehre und Verfassung ausgedrückt hat, widerspricht oder es auflöst, theils seiner Entstehung nach, daß es nicht mit der von den Grundthatsachen des Christenthums ausgehenden Entwikklungsweise zusammenhängt. 5

Je mehr beides zusammentrifft und sich gegenseitig erklärt, um desto sicherer erscheint die Bestimmung.

§. 61. In Zeiten wo die christliche Kirche getheilt ist, hat jede specielle Polemik einer besonderen christlichen Kirchengemeinschaft denselben Weg zu verfolgen wie die allgemeine. 10

Die Sachverhältnisse sind dieselben. Nur daß einerseits in solchen Zeiten natürlich Indifferentismus und Separatismus ursprünglich in den partiellen Kirchengemeinschaften einheimisch sind, und nur in sofern allgemeine Uebel werden, als sie sich in mehreren nebeneinander bestehenden christlichen Gemeinschaften gleichmäßig vorfinden, andererseits aber, was nur dem

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eigenthümlichen Wesen einer partiellen Gemeinschaft widerspricht, nie sollte durch den Ausdrukk häretisch oder schismatisch bezeichnet werden.

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§. 62. D a die ersten Anfänge einer Kezerei allemal als Meinungen Einzelner auftreten, und | die einer Spaltung als Verbrüderungen Einzelner; eine neue partielle Kirchengemeinschaft aber auch nicht füglich anders als eben so zuerst erscheinen kann: so müssen die Grundsäze der Polemik, wenn vollkommen ausgebildet, Mittel an die H a n d geben um schon an solchen ersten Elementen zu unterscheiden, o b sie in krankhafte Zustände ausgehen werden, oder ob sie den Keim zur Entwikklung eines neuen Gegensazes in sich schließen. Wie überhaupt dieser Saz gleichlautend ist mit §. 53. so ist auch hier dasselbe wie dort zu bemerken, in Bezug nämlich auf falsche Toleranz gegen das krankhafte einerseits, und andererseits auf Bevorwortung der billigen Freiheit für dasjenige, was sich neu zu differenziiren im Begriff steht.

mik müssen streben diese zu bestimmen. / § 61 —> — / § 62 S. 21, §§ 10—11: Die ersten erscheinenden Elemente der Häresis sind Meinungen Einzelner, die der Spaltung Conventiculn. Die Principien der Polemik müssen streben, das krankhafte auch schon an diesen zu erkennen. — Eine neue Kirchenpartei erscheint zuerst eben so. Jede Kirche also, welche einen Unterschied zwischen Parthei und Schisma anerkennt, muß bestrebt sein ihn in den ersten Elementen erkennbar zu bestimmen. Dies scheint die höchste Aufgabe der Polemik. /

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Schlußbetrachtungen

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ü b e r die p h i l o s o p h i s c h e

Theologie.

§. 6 3 . Beide Disciplinen, Apologetik und Polemik, wie sie sich gegenseitig ausschließen, bedingen sich auch gegenseitig.

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Sie schließen sich aus durch ihren entgegengesezten Inhalt (vergl. §. 39. u. 5 40.) und durch ihre entgegengesezte Richtung (vergl. § . 4 1 . ) . Sie bedingen sich gegenseitig, weil krankhaftes in der Kirche nur erkannt | werden kann in Bezug auf eine bestimmte Vorstellung von dem eigenthümlichen Wesen des Christenthums, und weil zugleich bei den Untersuchungen, durch welche diese Vorstellung begründet wird, auch die krankhaften Erscheinungen 10 vorläufig mit unter das Gegebene aufgenommen werden müssen, welches bei dem kritischen Verfahren zum Grunde gelegt werden muß. §. 6 4 . Beide Disciplinen können daher nur durcheinander und mit einander zu vollkommener Entwikkelung gelangen. Eben deshalb nur durch Annäherung und nur nach mancherlei Umgestaltungen. Vergl. §. 51. indem das dort gesagte auch für die Polemik gilt.

15

§. 6 5 . Die philosophische Theologie sezt z w a r den Stoff der historischen als bekannt voraus, begründet aber selbst erst die eigentlich geschichtliche Anschauung des Christenthums.

32

Jener Stoff ist das Gegebene (vergl. §. 32.) welches sowol den Untersuchungen über das eigentümliche Wesen des Christenthums als auch denen über den Gegensaz des Gesunden und Krankhaften (vergl. §. 35.) zum Grunde liegt. Das Resultat dieser Untersuchungen bestimmt aber erst den Entwiklungswerth der einzelnen Momente, mithin die geschichtliche Anschauung des ganzen Verlaufs. §. 6 6 . Die philosophische Theologie und die praktische stehen auf der einen Seite gemeinschaftlich der historischen gegenüber, auf der andern Seite aber auch eine der andern. |

6 41.).] 41.) § 63 -* S. 22, § 1: Die Principien der Apologetik und Polemik bedingen sich gegenseitig, wie ihre Gebiete sich ausschließen. / § 64 -* — / § 65 S. 22, § 2: Die philosophische Theologie sezt das materiale der historischen voraus, begründet aber selbst das Urtheil über das Einzelne und also die gesamte geschichtliche Anschauung des Christenthums. / § 66 S. 22, § 3: Der philosophische Theil der Theologie und der praktische stehen zusammen dem historischen entgegen, weil sie beide unmittelbar auf Ausübung gerichtet

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Theologie

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Jenes, weil die beiden ersten unmittelbar auf die Ausübung gerichtet sind, die historische Theologie aber rein auf die Betrachtung. Denn wenn gleich Apologetik und Polemik allerdings Theorien sind, von denen man apologetische und polemische Leistungen wol zu unterscheiden hat: so vollenden sie doch erst in diesen ihre Bestimmung, und werden nur um dieser willen aufgestellt. — Beide aber stehen einander gegenüber, theils als erstes und leztes, indem die philosophische Theologie erst den Gegenstand fixirt, den die praktische zu behandeln hat, theils weil die philosophische sich an rein wissenschaftliche Constructionen anschließt, die praktische hingegen in das Gebiet des Besonderen und Einzelnen als Technik eingreift.

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§. 67. Da die philosophische Theologie eines Jeden wesentlich die Principien seiner gesammten theologischen Denkungsart in sich schließt: so muß auch jeder Theologe sie ganz für sich selbst produciren. 15

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Hiedurch soll keinesweges irgend einem Theologen benommen werden sich zu einer von einem anderen herrührenden Darstellung der philosophischen Theologie zu bekennen; nur muß sie von Grund aus als klare und feste Ueberzeugung angeeignet sein. Vornehmlich aber wird gefordert, daß die philosophische Theologie in Jedem ganz und vollständig sei, ohne für diesen Theil den in §. 14—17. gemachten Unterschied zu berücksichtigen; weil nämlich hier alles grundsäzlich ist, und jedes auf das genaueste mit allem zusammenhängt. D a ß aber alle theologischen Principien in diesem Theile des Ganzen ihren Ort haben, geht aus §. 6 5 . und 6 6 . unmittelbar hervor. |

§. 68. Beide Disciplinen der philosophischen Theologie sehen ihrer Ausbildung noch entgegen. 25

Die Thatsache begreift sich zum Theil schon aus den hier aufgestellten Verhältnissen. Theils auch bezog man einerseits die Apologetik zu genau

26—2 Schleiermacher denkt an die in der Zeit der Christenverfolgungen durch den römischen Staat im 2. Jh. entstandenen Apologien (vgl. ζ. B. Justin der Märtyrer: Apologia ad Antoninum Pium und Apologia pro Christianis ad Senatum Romanum, Opera omnia, Mauriner-Ausgabe, Paris 1742, S. 44-88. 88-98; Apologies, ed. A. Wartelle, Paris 1987), nach ThEnz (Strauß) S. 73 auch an Origenes (De principiis, Opera omnia, hg. v. C. Delasind, jener aber nur auf Betrachtung. Sie stehen einander selbst entgegen als erstes und leztes, indem durch jenen erst der Gegenstand für diesen fixirt wird, und indem jener sich an die höchste wissenschaftliche Construction anschließt, dieser das besonderste der Technik in sich faßt./ § 67 -* S. 22, §4 — S. 23, 5 5 : Da der philosophische Theil die beiden andern bedingt, selbst aber nichts enthält, was jemand nur von Andern überkommen könnte: so giebt es in ihm nicht allgemeines und besonderes zu trennen: sondern Jeder muß ihn ganz besizen, und selbst für sich erzeugt haben. — Die philosophische Theologie eines Jeden enthält die gesamten Principien seiner theologischen Denkungsart. / §68 -*• S. 23, § 6: Es ist natürlich, daß sie eben deshalb nicht leicht zu einer förmlichen theologischen Disciplin wird ausgebildet werden. /

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u n d ausschließend auf die eigentlich apologetischen Leistungen, zu denen sich die Veranlassungen n u r von Z e i t zu Z e i t e r g a b e n , w o g e g e n die hieher gehörigen Säze nicht o h n e b e d e u t e n d e n N a c h t h e i l f ü r die k l a r e Uebersicht des g a n z e n S t u d i u m s in d e n Einleitungen zur D o g m a t i k ihren O r t f a n d e n . Erst in d e r neuesten Z e i t h a t m a n a n g e f a n g e n sie in ihrer allgemeineren A b z w e k k u n g u n d ihrem w a h r e n U m f a n g e n a c h wieder b e s o n d e r s zu bearbeiten. Die Polemik andererseits h a t t e , vorzüglich weil m a n ihre R i c h t u n g v e r k a n n t e , s c h o n seit g e r a u m e r Z e i t a u f g e h ö r t als theologische Disciplin b e a r b e i t e t u n d überliefert zu w e r d e n .

rue, Bd. 1-4, Paris 1733-1759, Bd. 1, S. 47-195; SC 252-253. 268-269) und die in der altkirchlich-apologetischen Tradition stehenden Verteidigungsschriften, die als Reaktion auf Anfeindungen und Infragestellungen des Christentums durch bestimmte Ausprägungen der beginnenden Aufklärung und des sich formierenden neuzeitlichen Atheismus im 17. und früheren 18. ]h. entstehen (vgl. ζ. B. Robert Barclay: Theologiae vere christianae apologia, Amsterdam 1676; Hugo Grotius: De veritate religionis christianae, 2. Aufl., Amsterdam 1669; Jean Alphonse Turretini: Tratte de la verite de la religion chretienne, tire en partie du latin [par J. Vernetj, Bd. 1-3, Genf 1730-1747). 2 - 4 Vgl. ζ. B. Ludwig Friedrich Otto Baumgarten-Crusius: Einleitung in das Studium der Dogmatik, Leipzig 1820; Karl Gottlieb Bretschneider: Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, Bd. 1~2, Leipzig 1814—1818, Bd. 1, S. 1 — 7; Friedrich Fischer: Zur Einleitung in die Dogmatik der evangelisch-protestantischen Kirche, oder Über Religion, Offenbarung und Symbol. Ein Beitrag zu endlicher Beilegung des Streits zwischen Rationalismus und Supernaturalismus, Tübingen 1828, S. 1—24; Franz Volkmar Reinhard: Vorlesungen über die Dogmatik mit literarischen Zusätzen, hg. v. ]. G. Berger, 4. Aufl., vermehrt ν. Η. A. Schott, Sulzbach 1818, S. 3—16; Eberhard Heinrich Daniel Stosch: lntroductio in theologiam dogmaticam, Frankfurt a.d.O. 1778, S. 7—35; Julius August Ludwig Wegscheidel Institutiones theologiae christianae dogmaticae, 6. Aufl., Halle 1829, S. 1—66; Wilhelm Martin Leberecht de Wette: Lehrbuch der christlichen Dogmatik, in ihrer historischen Entwickelung dargestellt, Bd. 1-2, 2. Auflage Berlin 1818-1821, Bd. 1, S. 1-4. Auch Schleiermacher selbst nimmt in der Einleitung seiner ,Glaubenslehre' — methodisch reflektiert als ,Lehnsätze' — Elemente der Apologetik auf (vgl. CG2 11 — 14). 5—7 Vgl. Karl Heinrich Sack: Christliche Apologetik. Versuch eines Handbuchs, Hamburg 1829.

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Zweiter Theil.

34; 34

Von der historischen Theologie.

Einleitung.

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§. 69. Die historische Theologie (vergl. §. 26.) ist ihrem Inhalte nach ein Theil der neuern Geschichtskunde; und als solchem sind ihr alle natürlichen Glieder dieser Wissenschaft coordinirt. Sie gehört vornehmlich der innern Seite der Geschichtskunde, der neueren Bildungs- und Sittengeschichte an, in welcher das Christenthum offenbar eine eigene Entwiklung eingeleitet hat. Denn dasselbe nur als eine reine Quelle von Verkehrtheiten und Rükkschritten darstellen, ist eine veraltete Ansicht.

§. 70. Als theologische Disciplin ist die geschichtliche Kenntniß des Christenthums zunächst die unnachläßliche Bedingung alles besonnenen Einwirkens auf die weitere Fortbildung desselben; und in diesem Zusam15 menhange sind ihr dann die übri|gen Theile der Geschichtskunde nur 35 dienend untergeordnet. Hieraus ergiebt sich schon wie verschieden das Studium und die Behandlungsweise derselben Masse von Thatsachen ausfallen, wenn sie ihren Ort in unserer theologischen Disciplin haben, und wenn in der allgemeinen

9 - 1 1 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 76. § 69 S. 24, § 1: Ihrem Inhalt nach ist die historische Theologie ein Theil der neueren Geschichte, vorzüglich der Sitten und Bildungsgeschichte, und allen übrigen natürlichen Gliedern derselben coordinirt. / §70 S. 24, $ 3: Als theologische Disciplin ist die geschichtliche Kentniß des Christenthums zunächst die unnachläßliche Bedingung alles besonnenen Einwirkens auf die Fortbildung desselben, und die übrigen Theile desselben Geschichtgebietes sind ihr nur subsidiarisch untergeordnet. Als Hülfswissenschaft eignet sie sich vorzüglich an, was zum Verständniß ihrer Documente gehört. /

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Geschichtskunde, ohne daß jedoch die Grundsäze der geschichtlichen Forschung aufhörten für beide Gebiete dieselben zu sein. §. 71. Was in einem geschichtlichen Gebiet als einzelner Moment hervortritt, kann entweder als plözliches Entstehen angesehen werden, oder als allmählige Entwiklung und weitere Fortbildung. In dem Gebiete des einzelnen Lebens ist jeder Anfang ein plözliches Entstehen, von da an aber alles andere nur Entwiklung. Auf dem eigentlich geschichtlichen Gebiet aber, dem des gemeinsamen Lebens, ist beides einander nicht streng entgegengesezt, und nur des mehr und minder wegen wird der eine Moment auf diese, der andere auf die entgegengesezte Weise betrachtet.

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§. 72. Der Gesammtverlauf eines jeden geschichtlichen Ganzen ist ein mannigfaltiger Wechsel von Momenten beiderlei Art.

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Nicht als ob es an und für sich unmöglich wäre, daß ein ganzer Verlauf als fortgehende Entwiklung von Einem Anfangspunkte aus angesehen werden 15 könnte. Allein wir dürfen nur entweder die Kraft selbst auch als ein mannigfaltiges ansehen können, dessen Elemente nicht alle gleichzeitig zur Erscheinung kommen, oder wir | dürfen nur in der Entwiklung selbst Differenzen schnellerer und langsamerer Fortschreitung wahrnehmen können, [Zu §§71—78] [Zu §§ 71 — 73] [Zu §71]

§ 71—73 sind Längen Differenzen.

Moment = qualitative Einheit von Zeiterfüllung

[Zu § 71 Erl] [Zu §72]

§ 71—78 gehören in allgemeine historische Propädeutik.

Im einzelnen auch nur relativ

Also die plözlichen als Entwiklungsknoten

22 v o n ] ν 21 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 77. 21 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 78. 23 Der Bezug ist der Gegensatz von einzelnem und gemeinsamem Leben; vgl. ThEnz (Strauß) S. 78. §71 -* S. 25, $ 4: Alles, was als ein Einzelnes im Gebiet der Geschichte hervortritt, kann angesehen werden, entweder als plözliches Entstehen oder als allmählige Fortbildung und Entwikkelung. / §71 Erl -* S. 25, 5 5: Beide Ansichten sind aber einander nur relativ entgegengesezt, so daß jeder Zustand nur ein Uebergewicht ist, des einen von beiden über das andere. / §72 -*• S. 25, § 6: Der Verlauf eines geschichtlichen Ganzen ist ein vielfacher Wechsel beider Zustände. /

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IL Teil: Historische

Theologie

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und nicht leicht wird eines von beiden fehlen: so sind wir schon genöthigt Zwischenpunkte von dem entgegengesezten Charakter anzunehmen.

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10

§. 73. Eine Reihe von Momenten, in denen ununterbrochen die ruhige Fortbildung überwiegt, stellt einen geordneten Zustand dar, und bildet eine geschichtliche Periode; eine Reihe von solchen, in denen das plözliche Entstehen überwiegt, stellt eine zerstörende Umkehrung der Verhältnisse dar, und bildet eine geschichtliche Epoche.

36

Je länger der leztere Zustand dauerte, um desto weniger würde die Selbigkeit des Gegenstandes festgehalten werden können, weil aller Gegensaz zwischen bleibendem und wechselndem aufhört. Daher je länger der Gegenstand als einer und derselbe feststeht, um desto mehr überwiegen die Zustände der ersten Art.

§. 74. Jedes geschichtliche Ganze läßt sich nicht nur als Einheit betrachten, sondern auch als ein zusammengeseztes, dessen verschiedene 15 Elemente, wenn gleich nur in untergeordnetem Sinn und in fortwährender Beziehung auf einander, jedes seinen eignen Verlauf haben.

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Solche Unterscheidungen bieten sich überall unter irgend einer Form dar; und sie werden mit desto größerem Recht hervorgehoben, je mehr der eine Theil zu ruhen scheint, während der andere sich bewegt, und also beide relativ unabhängig von einander erscheinen. |

§. 75. Es giebt daher um das unendliche Materiale eines geschichtli- 37 chen Verlaufs zu übersichtlicher Anschaulichkeit zusammenzufassen ein zwiefaches Verfahren. Entweder man theilt den ganzen Verlauf nach Maaßgabe der sich ergebenden revolutionären Zwischenpunkte in mehrere Perioden, und faßt in jeder alles, was sich an dem Gegenstande begeben hat, zusammen; oder man theilt den Gegenstand der Breite nach, so daß sich mehrere parallele Reihen ergeben, und verfolgt den Verlauf einer jeden besonders durch die ganze Zeitlänge. Natürlich lassen sich auch beide Eintheilungen verbinden, indem man die eine der andern unterordnet, so daß entweder jede Periode in parallele Reihen getheilt, oder jede Hauptreihe für sich wieder in Perioden zerschnitten wird. Das darstellende Verfahren ist desto unvollkommener, je mehr

5 73 -* S. 25, § 7: Ein Zeitraum, in welchem das ruhige Fortbilden überwiegt, stellt einen gesezmäßigen Zustand dar, und bildet eine geschichtliche Periode. Ein solcher, in welchem das plözliche Entstehen überwiegt, stellt einen Wechsel oder Umkehrung der Verhältnisse, eine Revolution dar, und bildet eine geschichtliche Epoche. / § 74 —/ § 75 -*• S. 26, §11: Um das unendlich mannigfaltige Materiale der Geschichte zur Anschaulichkeit zusammenzufassen, giebt es ein zwiefaches Verfahren. M a n theilt die Zeit und faßt alles zusammen, was in einer gewissen Zeiteinheit geschehen ist, oder man theilt den Inhalt und faßt alles zusammen, was in der gesamten Zeit je einen einzelnen Theil betrift. /

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bei diesen Eintheilungen willkührlich verfahren wird, oder je mehr m a n dabei wenigstens nur Aeußerlichkeiten zum Grunde legt.

§. 76. Ein geschichtlicher Gegenstand postulirt überwiegend die erste Theilungsart, je weniger unabhängig von einander seine verschiedenen Glieder sich fortbilden, und je stärker dabei revolutionäre Entwiklungsknoten hervorragen; und wenn umgekehrt dann die andere.

5

Denn in lezterem Falle ist eine ursprüngliche Gliederung vorherrschend, im ersten eine starke Differenz im C h a r a k t e r verschiedener Zeiten. |

38

§. 77. Je stärker in einem geschichtlichen Verlauf der Gegensaz zwischen Perioden und Epochen hervortritt, um desto schwieriger ist es in Darstellung der lezteren, aber desto leichter in der der ersteren, die verschiedenen Elemente (§. 74.) von einander zu sondern. Denn in Zeiten der Umbildung ist alle Wechselwirkung lebendiger und alles einzelne abhängiger von einem gemeinsamen Impuls; wogegen der ruhige Verlauf das Hervortreten der Gliederung begünstigt.

§. 78. Da nicht nur im allgemeinen der Gesamtverlauf aller menschlichen Dinge, sondern auch in diesem die ganze Folge von Aeußerungen einer und derselben Kraft Ein Ganzes bildet: so kann jedes Hervortreten eines kleineren geschichtlichen Ganzen auf zwiefache Weise angesehen 38 werden, einmal als Entstehen eines neuen noch nicht dagewesenen, dann aber auch als Ausbildung eines schon irgendwie vorhandenen. Dies erhellt schon aus §. 7 1 . Was w ä h r e n d des Zeitverlaufs in Bezug auf alles schon neben ihm fortlaufende allerdings als ein neues zu betrachten ist, kann doch mit irgend einem früheren M o m e n t auf genauere Weise als mit allen übrigen zusammengehören.

§. 79. So kann auch der Verlauf des Christenthums auf der einen Seite behandelt werden als eine einzelne Periode eines Zweiges der reli-

§76~> S. 27, § 12: In dem Gegenstand selbst ist das erste immer gegeben durch die Umkehrung der innern Verhältnisse, woraus die Epochen sich bilden, und das lezte durch die Art, wie die Kraft selbst, deren Aeußerungen betrachtet werden, sich darin ursprünglich theilt und gliedert. / §77 -» S. 27, § 13: Während des ruhigen Fortschreitens lassen sich die coexistirenden organischen Theile des Ganzen leichter gesondert in ihrer relativen Selbständigkeit betrachten; in Zeiten der Umbildung hingegen ist alle Wechselwirkung lebendiger, und jedes einzelne abhängiger von dem gemeinsamen Zustande. Daher eignet sich die eine Darstellungsart im Allgemeinen mehr für die Perioden, die andere für die Epochen. / §78 ^ S. 26, § 8: Da die Geschichte überhaupt, und so auch besonders die ganze Folge von Thätigkeiten Einer Kraft nur Ein Ganzes bildet: so kann jeder erste Zustand eines kleineren geschichtlichen Ganzen zwiefach angesehen werden, als Entstehen eines neuen und als Ausbildung eines schon da gewesenen. / §79 S. 26, § 9: Die Geschichte des Christenthums läßt sich ansehen als eine einzelne Periode in der Religionsgeschichte überhaupt. Aber es läßt sich auch ansehn, als ein eignes geschichtliches Ganzes, sein An-

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giösen Entwiklung; dann aber auch als ein besonders geschichtliches Ganzes, das als ein neues | entsteht, und abgeschlossen für sich in einer Reihe durch Epochen getrennter Perioden verläuft. 5

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Daß hier ausdrüklich nur von einem Zweige der religiösen Entwiklung die Rede ist, geht auf §. 7 4 . zurükk. Wie man die große Mannigfaltigkeit religiöser Gestaltungen auch gruppire, immer werden einige auch zum Christenthum ein solches näheres Verhältniß haben, daß sie eine Gruppe mit demselben bilden können.

§. 80. Die historische Theologie, wie sie sich als theologische Disci10 plin ganz auf das Christenthum bezieht, kann sich nur die lezte Behandlungsweise aneignen. M a n vergleiche §. 6 9 . und 7 0 . Außerdem aber könnte der christliche Glaube nicht sein, was er ist, wenn die Grundthatsache desselben nicht ausschließend als ein ursprüngliches gesezt wird.

15

§ - 8 1 . Von dem constitutiven Princip der Theologie aus den geschichtlichen Stoff des Christenthums betrachtet, steht in dem unmittelbarsten Bezug auf die Kirchenleitung die geschichtliche Kenntniß des gegenwärtigen Momentes, als aus welchem der künftige soll entwikkelt 39 werden. Diese mithin bildet einen besonderen Theil der historischen 20 Theologie. Um richtig und angemessen sowol auf gesundes und krankes einzuwirken als auch zurükkgebliebene Glieder nachzufordern, und um aus fremden Gebieten anwendbares für das eigene zu benuzen.

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§. 82. Da aber die Gegenwart nur verstanden werden kann als Ergebniß der Vergangenheit: so ist die Kenntniß des gesammten früheren Verlaufs ein zweiter Theil der historischen Theologie. Dies ist nicht so zu verstehen, als ob dieser Theil etwa eine Hülfswissenschaft wäre für jenen ersten; sondern beide verhalten sich auf dieselbe Weise zur Kirchenleitung, und sind einander nicht untergeordnet sondern beigeordnet.

§. 83. Je mehr ein geschichtlicher Verlauf in der Verbreitung begriffen ist, so daß die innere Lebenseinheit je weiter hin desto mehr nur im

fang als eine Entstehung, und sein ganzer Verlauf, als eine Reihe durch Epochen getrennter Perioden. / § 80 S. 26, § 10: Die historische Theologie, als mit ihrem ganzen Zweck innerhalb des Christenthums stehend, faßt die leztere Ansicht auf. / § 81 —• S. 27, $ 14: Für das organische Princip der Theologie ist das unmittelbarste die Kentniß des gegenwärtigen Momentes, an welchen der künftige soll geknüpft werden. Diese wird also auch besonders herausgehoben. / § 82 S. 28, § 15: Da aber die Gegenwart nur kann verstanden werden als Resultat der Vergangenheit: so sezt jene Darstellung die Kentniß von dieser voraus. / § 83 ^ S. 28, §§ 16—17: Da jeder geschichtliche Verlauf die weitere

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Zusammenstoß mit andern Kräften erscheint: um desto mehr haben diese auch Theil an den einzelnen Zuständen; so daß nur in den frühesten das eigenthümliche Wesen am reinsten zur Anschauung kommt. A u c h das gilt eben so von allen verwandten geschichtlichen Erscheinungen, und ist der eigentliche Grund w a r u m so viele Völker mißverständlich die früheste Periode des Lebens der Menschheit als die Z e i t der höchsten Vollk o m m e n h e i t ansehen.

§. 84. Da nun auch das christliche Leben immer zusammengesezter und verwikkelter geworden ist, der lezte Zwekk seiner Theologie aber darin besteht, das eigenthümliche Wesen desselben in jedem künftigen 40 Augenblikk reiner darzustellen: so hebt sich natürlich die Kenntniß des Urchristenthums als ein dritter besonderer Theil der historischen Theologie hervor. 41

Allerdings ist a u c h das Urchristenthum schon in d e m Gesamtverlauf mit enthalten; allein ein anderes ist, es als | eine Reihe von M o m e n t e n zu behandein, und ein anderes nur dasjenige zur Betrachtung zu ziehen, auch aus verschiedenen M o m e n t e n , w o r a u s der reine Begriff des Christenthums dargestellt werden kann.

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§. 85. Die historische Theologie ist in diesen drei Theilen, Kenntniß des Urchristenthums, Kenntniß von dem Gesamtverlauf des Christen- 20 thums und Kenntniß von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblikk, vollkommen beschlossen. [Zu §85]

W a r u m andere ähnliche Gebiete den kanonischen Theil nicht haben

5—7 Vgl. dazu auch Philipp Buttmann: Ueber den Mythos von den ältesten Menschengeschlechtern, in: ders.: Mythologus oder gesammelte Abhandlungen über die Sagen des Alterthums, Bd. 1-2, Berlin 1828-1829, Bd. 2, S. 1-27. 23 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 87 f. Entwiklung einer Kraft darstellt in ihrem Zusammensein mit andern: so wächst mit der Zeit auch die Einwirkung von diesen, und es wird schwieriger die ursprüngliche Kraft in der Aeußerung rein anzuschauen. — Aus demselben Grunde erscheint diese Kraft am reinsten in ihren frühesten Aeußerungen./ § 84 -» S. 28, §18: Da es der lezte Zwek aller Theologie ist, das Wesen des Christenthums in jedem künftigen Augenblik reiner darzustellen: so muß sie auch dasjenige, worin es am reinsten anzuschauen ist, besonders herausheben./ § 85 S. 28, § 19: Die historische Theologie theilt sich demnach in die Kenntniß von dem Anfang des Christenthums, in die Kenntniß von seinem weiteren Verlauf, und in die Kenntniß von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblikk./

II. Teil: Historische

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Theologie

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Nur ist nicht die Ordnung, in welcher wir sie abgeleitet haben, auch die richtige für das Studium selbst. Sondern die Kenntniß des Urchristenthums als zunächst der philosophischen Theologie sich anschließend, ist das erste, und die Kenntniß des gegenwärtigen Augenblikks, als unmittelbar den Uebergang in die praktische Theologie bildend, ist das lezte.

§. 86. Wie für jeden Theil der Geschichtskunde alles Hilfswissenschaft ist, was die Kenntniß des Schauplazes und der äußeren Verhältnisse des Gegenstandes erleichtert, und was zum Verstehn der Monumente aller Art gehört: so zieht auch die historische Theologie zunächst die übrigen Theile desselben Geschichtsgebietes (vergl. §. 40.) dann aber noch alles was zum Verständniß der Documente gehört, als Hülfswissenschaft herbei. Diese Hülfskenntnisse sind mithin theils historisch im engeren Sinn, theils geographisch, theils philologisch.

15

§. 87. Das Urchristenthum ist in Bezug auf jene normale Behändlung desselben gegen den weiteren geschichtlichen Verlauf nicht füglich anders abzugrenzen, als daß unter jenem der Zeitraum verstanden wird, worin Lehre und Gemeinschaft in ihrer Beziehung auf einander erst wurden, und noch nicht in ihrer Abschließung schon waren.

20

[Zu § 85 Erl] Diese Ordnung gilt nicht nur für die künftige Zeit der ausgebildeten philosophischen Theologie. Auch ohnerachtet diese in die Dogmatik verlegt ist. [Zu 5 87]

Abgrenzung der ersten Disciplin

21 philosophischen] philos. 2 0 - 2 2 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 88 f. § 85 Erl S. 30, §24 + S. 31, § 29: Die exegetische Theologie reiht sich zunächst an die philosophische an, und ist unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der erste. — Die Kenntniß des gegenwärtigen Augenbliks ist, da sie sich zunächst an die Ausübung anknüpft, unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der lezte. / § 86 S. 24, 5 2: Für jede Geschichte ist alles Hülfswissenschaft, was die Kentniß des Schauplazes oder der äußeren Verhältnisse des Gegenstandes erleichtert, oder zum Verstehen der Monumente nöthig ist. / § 87 -» S. 29, §§ 20—22: Wenn der Gegenstand der historischen Theologie organisch getheilt (11. 12.) werden soll: so sondern sich zunächst Lehrbegriff und Kirchenverfassung. (I. Erst. Abschn. 3.) — Das entstehende Christenthum, Urchristenthum, umfaßt nur die Zeit, wo beide erst wurden, also nicht abgesondert von einander schon waren. — Wird es noch besonders der theologischen Idee gemäß

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Auch diese Bestimmung jedoch könnte leicht zu weit ausgedehnt werden, weil Lehre und Gemeinschaft in Bezug auf einander immer im Werden begriffen bleiben; und eine feste Grenze entsteht zunächst nur, wenn man jede Zeit ausschließt, in der es schon Differenz der Gemeinschaft um einer Differenz der Lehre willen gab. Aber auch zu enge Schranken könnte man unserer Bestimmung geben, wenn man davon ausgeht, daß schon seit dem Pfingsttage eine abgeschlossene Gemeinschaft bestand; und eine angemessene Erweiterung entsteht nur, wenn man bevorwortet, die eigentlich christliche Gemeinschaft sei erst abgeschlossen worden, als mit Bewußtsein und allgemeiner Anerkennung Juden und Heiden in derselben vereint waren, und ähnliches gilt auch von der Lehre. So treffen beide Bestimmungen ziemlich zusammen mit der mehr äußerlichen des Zeitalters der unmittelbaren Schüler Christi. §. 8 8 . D a die für den angegebenen Z w e k k auszusondernde Kenntniß des U r c h r i s t e n t h u m s nur aus den schriftlichen D o c u m e n t e n , die in diesem Z e i t r a u m der christlichen K i r c h e entstanden sind, kann g e w o n nen w e r d e n , und g a n z auf dem richtigen Verständniß dieser Schriften beruht: so führt diese Abtheilung der historischen T h e o l o g i e a u c h ins besondere den N a m e n der exegetischen T h e o l o g i e . | 43; 42

Da auch in den andern beiden Abtheilungen das Meiste auf Auslegung beruht: so ist die Benennung allerdings willkührlich, aber doch wegen des eigenthümlichen Werthes dieser Schriften leicht zu rechtfertigen. §. 8 9 . D a wegen schen T h e o l o g i e , als selbst bilden m u ß : so den Virtuosen (vergl.

des genauen Z u s a m m e n h a n g e s mit der philosophid e m O r t aller Principien, J e d e r seine Auslegung giebt es a u c h hier nur weniges, w a s m a n sich von §. 17. u. 19.) k a n n geben lassen.

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Vorzüglich nur dasjenige, was zur Auslegung aus den Hülfswissenschaften herbeigezogen werden muß. §. 9 0 . Die Kenntniß von d e m weiteren Verlauf des C h r i s t e n t h u m s k a n n e n t w e d e r als Ein Ganzes aufgestellt werden, o d e r a u c h getheilt in die Geschichte des Lehrbegriffs und in die Geschichte der Gemeinschaft.

15 Documenten) Dorumenten als reinster Repräsentant des christlichen Principe (17. 18.) angesehen: so kann die Betrachtung nicht nach jenen Theilen zerfallen; sondern nur wenn man es als einen frühern M o ment gleichartig mit den folgenden betrachtet. / § 88 -* S. 29, § 23: Die für jenen Zwekk ausgesonderte Kenntniß des Urchristenthums ist in den wenigen schriftlichen Documenten enthalten, welche den Kanon bilden, und beruht vornemlich auf deren richtigem Verständniß. Daher der Namen exegetische Theologie. / § 89 S. 30, $ 25: Ihrer Natur nach hat der Unterschied des Allgemeinen und Besonderen (Einl. 20.) in ihr den kleinsten Spielraum. / § 90 S. 30, § 27: Der Breite nach sondert sie sich in die Geschichte des

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II. Teil: Historische

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Theologie

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Weil nehmlich die Geschichte des Lehrbegriffs nichts anderes ist als die Entwikklung der religiösen Vorstellungen der Gemeinschaft. Sowol die Vereinigung von beiden, als auch die Geschichte der Gemeinschaft besonders dargestellt, führt den Namen Kirchengeschichte; so wie die des Lehrbegriffs besonders den Namen Dogmengeschichte.

§. 91. Sowol beide Zweige zusammen als auch jeder für sich allein, stellen der Länge nach betrachtet einen ununterbrochenen Fluß dar, in welchem jedoch vermittelst der Begriffe von Perioden und Epochen (vergl. §. 73.) Entwiklungsknoten gefunden werden können, um die Un10 terschiede | zu fixiren zwischen solchen Punkten, welche durch eine Epo- 44 che geschieden sind, und also verschiedenen Perioden angehören, so wie auch zwischen solchen, die zwar innerhalb derselben zwei Epochen lie- 43 gen, so jedoch daß der eine mehr das Ergebniß der ersten enthält, der andere mehr als eine Vorbereitung der zweiten erscheint. 15

Denkt man sich dazwischen noch Punkte, welche in einer Periode das Größte der Entwiklung ihrer Anfangsepoche enthalten, aber noch den Nullpunkt der Schlußepoche darstellen: so giebt dieses durch beide Zweige und durch alle Perioden durchgeführt, ein Nez der werthvollesten Momente.

20

§. 92. Da der Gesammtverlauf des Christenthums eine Unendlichkeit von Einzelheiten darbietet: so ist hier am meisten Spielraum für den Unterschied zwischen dem Gemeinbesiz und dem Besiz der Virtuosen.

25

Jenes Nez bis zu einem Analogon von Stätigkeit im Umriß vollzogen, ist das Minimum, welches Jeder besizen muß; die Erforschung und Ausführung des einzelnen ist, auch unter Viele vertheilt, ein unerschöpfliches Gebiet.

[Zu $ 91, Zeile 8 vermittelst/

durch Anwendung

27 durch Anwendung] Im Drucktext

als Bezugspunkt der Marginalie

ist vermittelst durch handschriftliche

ausgewiesen.

Unterstreichung

Lehrbegriffs und die Geschichte der Verfassung. (20.) / § 91 S. 30, § 28: Der Länge nach stellt jede von diesen einen ununterbrochenen Fluß dar, in welchem sich nur nach den Begriffen von Perioden und Epochen (7.) feste Punkte bilden, an denen man die Unterschiede fixiren kann zwischen mehreren Punkten, die durch Epochen geschieden sind, und zwischen mehreren, die zwar zu Einer Periode gehören, aber so, daß der eine mehr das Resultat der vorhergegangenen Epoche darstellt, der andere mehr die folgende vorbereitet. / § 92 S. 30, § 26: Die Darstellung von dem weitern Verlauf des Christenthums, oder die eigentliche Geschichte desselben, enthält eine Unendlichkeit von Einzelheiten. Daher ist in ihr der Gegensaz zwischen dem Allgemeinen und Besondern am größesten. /

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Kurze Darstellung (2. Auflage)

§. 93. Nicht jeder M o m e n t eignet sich gleich gut dazu als ein in sich zusammenhangendes Ganze dargestellt zu werden; sondern am meisten der Culminationspunkt einer Periode, am wenigsten ein Punkt während einer Epoche oder in der N ä h e derselben. | 45

Während einer Umkehrung kann immer nur einzelnes abgesondert, und nicht leicht anders als in der Form des Streites, zur Erörterung kommen. Nahe an einer Epoche kann zwar das Bedürfniß einer zusammenhangenden Darstellung sich schon regen, die Versuche können aber nicht anders als unvollständig ausfallen. Dies zeigt sich auch sowol in den ersten Anfängen der Kirche nach der apostolischen Zeit, als auch bei uns in den ersten Zeiten der Reformation.

5

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§. 94. In solchen Zeiten w o der Aufgabe genügt werden kann, son44 dert sich dann von selbst Darstellung der Lehre und Darstellung des gesellschaftlichen Zustandes. Denn wenn sich auch dasselbe eigenthümliche Wesen der Kirche oder einer partiellen Kirchengemeinschaft in beiden ausspricht: so hängen doch beide von zu verschiedenen Coefficienten ab, als daß nicht ihre Veränderungen und also auch der momentane Zustand beider ziemlich unabhängig von einander sein sollte.

15

§. 95. D i e Darstellung des gesellschaftlichen Zustandes der Kirche in einem gegebenen M o m e n t ist die Aufgabe der kirchlichen Statistik.

20

Erst seit kurzem ist dieser Gegenstand in gehöriger Anordnung disciplinarisch behandelt worden, daher auch, sowol was Stoff als was Form betrifft, noch vieles zu leisten übrig ist. [Zu § 93]

Hier beginnt die dritte Disciplin.

[Zu § 93 Erl, Zeile 7 einer Periode.

Nahe an einer Epoche/

25 Zeile 3. In den ersten Anfängen

26 Zeile] Z. 22 f Vgl. Karl Friedrich Stäudlin: Kirchliche Geographie und Statistik, Bd. 1—2, Tübingen 1804; vgl. auch ThEnz (Strauß) S. 98. 25 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 96. § 93 S. 31, § 31: Je mehr er [sc. ein geschichtlicher Moment] noch in eine Epoche verwebt ist, um desto weniger vermag er für sich, sondern nur im ganzen Zusammenhang mit dieser dargestellt zu werden./ §94 -* S. 31, §30: Je mehr ein Moment von einer Revolution entfernt ist, und das Resultat der vorhergehenden Epoche in seiner Vollendung enthält, um desto leichter sondern sich auch in seiner Darstellung Lehrbegriff und Verfassung. Auch erhellt durch diese Sonderung desto besser, inwiefern beide denselben Charakter ausdrükken. / § 95 S. 32, § 33: Die Darstellung der Verfassung der Kirche in

II. Teil: Historische

Theologie

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§. 96. Die Aufgabe bleibt, auch wenn eine Trennung obwaltet, für alle einzelnen Kirchengemeinschaften doch wesentlich dieselbe.

5

Jede w i r d d a n n freilich ein besonderes Interesse h a b e n | ihren eignen Z u stand auf d a s genaueste zu k e n n e n , u n d insofern w i r d eine Ungleichheit eintreten, die aber auch eintritt, w e n n die Kirche ungetheilt ist. Es k a n n aber n u r g r o ß e n Nachtheil bringen, w e n n die Lenkenden einer einzelnen Kirchengemeinschaft nicht mit d e m Z u s t a n d e der a n d e r e n der W a h r h e i t nach b e k a n n t sind.

46

§. 97. Die zusammenhängende Darstellung der Lehre wie sie zu ei10 ner gegebenen Zeit, sei es nun in der Kirche im Allgemeinen, wann nämlich keine Trennung obwaltet, sonst aber in einer einzelnen Kirchenparthei geltend ist, bezeichnen wir durch den Ausdrukk Dogmatik oder dogmatische Theologie. 15

20

Der A u s d r u k k Lehre ist hier in seinem ganzen U m f a n g g e n o m m e n . Die Bezeichnung systematische Theologie, deren m a n sich f ü r diesen Z w e i g immer n o c h häufig bedient, u n d welche mit Recht vorzüglich h e r v o r h e b t , d a ß die Lehre nicht soll als ein Aggregat von einzelnen Sazungen vorgetragen w e r d e n sondern der Z u s a m m e n h a n g ins Licht gesezt, verbirgt d o c h auf der anderen Seite z u m Nachtheil der Sache nicht n u r den historischen C h a r a k t e r der Disciplin, s o n d e r n auch die A b z w e k k u n g derselben auf die Kirchenleitung, w o r a u s vielfältige Mißverständnisse entstehen müssen.

45

§. 98. In Zeiten wo die Kirche getheilt ist, kann nur jede Parthei selbst ihre Lehre dogmatisch behandeln. 25

Weder w e n n ein T h e o l o g e der einen Parthei die Lehren a n d e r e r im Z u s a m m e n h a n g neben einander behandeln wollte, w ü r d e Unpartheilichkeit u n d Gleichheit zu e r r e i c h e n sein, da n u r der eine Z u s a m m e n h a n g f ü r ihn W a h r heit ist, der andere aber nicht; n o c h auch w e n n er n u r die seinige z u s a m -

1 4 - 1 6 Vgl. z.B.Nösselt: Anweisung, Bd. 2, S. 181-320; Planck: Einleitung, Bd. 2, S. 393-593; Schmidt: Encyclopädie, S. 112-147; Thym: Encyklopädie, S. 165-258 einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der kirchlichen Statistik. / § 96 -* S. 32, § 34: Die erste [sc. die Dogmatik] bleibt ihrer Natur nach mehr in den Grenzen einer Partei stehen, die andere [sc. die Statistik] verbreitet sich ihrer Natur nach mehr über das Ganze. / § 97 -* S. 31, § 32 + S. 56, § 3: Die Darstellung des Lehrbegriffs einer Kirche oder Kirchenparthei in einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der Dogmatik. — Diejenige theologische Disciplin, welche unter dem Namen der thetischen oder dogmatischen Theologie bekannt ist, hat es eben zu thun mit der zusammenhangenden Darstellung des in der Kirche jezt grade geltenden Lehrbegriffs. / § 98 -* S. 32, § 34: Die erste [sc. die Dogmatik] bleibt ihrer Natur nach mehr in den Grenzen einer Partei stehen, die andere [sc. die Statistik] verbreitet sich ihrer Natur nach mehr über das Ganze. /

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Kurze Darstellung

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menhangend behandeln, und nur die Abweichungen der andern an gehöriger Stelle beibringen wollte, weil diese dann doch aus ihrem natürlichen Zusammenhang herausgerissen würden. Das erste geschieht dennoch, was die Hauptpunkte betrifft, unter dem Namen der Symbolik, das andere unter dem der comparativen Dogmatik.

5

§. 99. Beide Disciplinen, Statistik und Dogmatik, sind ebenfalls unendlich, und stehen also, was den Unterschied zwischen dem Gemeinbesiz und dem Gebiet der Virtuosität betrifft, der zweiten Abtheilung gleich. Von der kirchlichen Statistik leuchtet dies ein. Aber auch im Gebiet der Dogmatik ist nicht nur jede einzelne Lehre fast ins unendliche bestimmbar, sondern auch ihre Darstellung in Bezug auf abweichende Vorstellungsarten anderer Zeiten und Oerter ist ein unendliches.

46

§. 100. Jeder muß sich, sowol was die Kenntniß des Gesamtverlaufs als auch was die des vorliegenden Momentes betrifft, seine geschichtliche Anschauung selbst bilden.

10

15

Sonst würde auch die auf beiden gleichmäßig beruhende Thätigkeit in der Kirchenleitung keine selbstthätige sein.

48

§. 101. Müssen hiezu geschichtliche Darstellungen gebraucht werden, welche nie frei sein können von eigenthümlichen Ansichten und 20 Urtheilen des Darstellenden: so muß auch jeder die Kunst | besizen, aus denselben das Materiale für seine eigene Bearbeitung möglichst rein auszuscheiden. Auch dieses gilt für die Dogmatik und Statistik nicht minder als für die Kirchengeschichte.

§. 102. Historische Kritik ist wie für das gesammte Gebiet der Geschichtskunde, so auch für die historische Theologie das allgemeine und unentbehrliche Organon.

3—5 Vgl. ζ. B. Gottlieb Jakob Planck: Abriß einer historischen und vergleichenden Darstellung der dogmatischen Systeme unsrer verschiedenen christlichen Hauptpartheyen, § 99 -*• S. 32, § 3 5 : Da man beide ebenfalls ins Unendliche vervollständigen kann: so stehn sie in Absicht des Gegensazes zwischen dem Allgemeinen und Besondern der eigentlichen Kirchengeschichte gleich./ § 100 S. 32, § 36: Die geschichtliche Anschauung muß überall selbst gebildet sein, weil sonst auch die darauf beruhende Thätigkeit in der Kirche keine selbständige sein w ü r d e . / §101 -* S. 32, §37: Geschichtliche Darstellungen können nie frei sein von eigenthümlichen Ansichten und Urtheilen des Darstellenden. Soll also jemand vermittelst derselben sich seine eigene geschichtliche Anschauung bilden: so muß er durch Kritik im Stande sein, das Materiale daraus für seine eigene Bearbeitung rein auszuscheiden. / § 102 -> S. 33, §38: Die historische Kritik ist die Vermittlerin

25

II. Teil: Historische

Theologie

365

Sie steht als vermittelnde Kunstfertigkeit den materiellen Hilfswissenschaften gegenüber.

Erster Abschnitt. Die exegetische

5

10

15

20

Theologie.

§. 103. Nicht alle christliche Schriften aus dem Zeitraum des Urchristenthums sind schon deshalb Gegenstände der exegetischen Theologie, sondern nur sofern sie dafür gehalten werden zu der ursprünglichen, mithin (vergl. §. 83.) für alle Zeiten normalen Darstellung des Christenthums beitragen zu können. Es liegt in der Natur der Sache, und ist auch vollkommen thatsächlich begründet, daß es gleich anfangs auch unvollkommene, mithin zum Theil falsche, Auffassung also auch Darstellung des eigenthümlich christlichen Glaubens gegeben hat. | [Zum Ersten Abschnitt] Inhalt § 103 — 115 höhere Kritik § 116 — 124 niedere Kritik § 125 — 131 Neutestamentische Sprachkunde § 132—139 Hermeneutik § 140—144 Kenntniß des Apparats § 1 4 5 - 1 4 8 Schluß. [Zu § 103]

Die Anknüpfung ist in § 83 und 84.

16 Neutestamentische] Ntest. 2. Aufl.,

Güttingen

1804

2 0 Vgl. ThEnz

(Strauß)

S.

102.

alles wahren Aneignens auf dem Gebiet der Geschichte überhaupt, also auch der historischen Theologie. / §§103~104^S. 33, $ 2: Die Idee des Kanon ist, daß er die Sammlung derjenigen Documente bildet, welche die ursprüngliche absolut reine und deshalb für alle Zeiten normale Darstellung des Christenthums enthalten. /

47

366 49

Kurze Darstellung

(2.

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§. 104. Die Sammlung dieser das normale in sich tragenden Schriften bildet den neutestamentischen Kanon der christlichen Kirche. Das richtige Verständniß von diesem ist mithin die einzige wesentliche Aufgabe der exegetischen Theologie, und die Sammlung selbst ihr einziger ursprünglicher Gegenstand.

5

§. 105. In den neutestamentischen Kanon gehören wesentlich sowol die normalen Documente von der Wirksamkeit Christi an und mit seinen Jüngern, als auch die von der gemeinsamen Wirksamkeit seiner Jünger zur Begründung des Christenthums. Dies ist auch schon der Sinn der alten Eintheilung des Kanon in εύαγγέλιον und άπόστολος. Einen Unterschied in Bezug auf kanonische Dignität zwischen diesen beiden Bestandtheilen festzusezen, ist an und für sich kein Grund vorhanden. Welches doch gewissermaßen der Fall sein würde, wenn man behauptete, beide verhielten sich zu einander wie Entstehung und Fortbildung; noch mehr, wenn man der sich selbst überlassenen Wirksamkeit der Jünger die normale Dignität absprechen dürfte.

10

15

§. 106. Da weder die Zeitgrenze des Urchristenthums noch das Personale desselben genau bestimmt werden kann: so kann auch die äußere Grenzbestimmung des Kanon nicht vollkommen fest sein. 48 50

Für beides gemeinschaftlich, Zeit und Personen, ließe sich zwar eine feste 20 Formel für das kanonische aufstellen; | sie würde aber doch zu keiner sichern Unterscheidung über das vorhandene führen, wegen der über die Persönlichkeit mehrerer einzelner Schriftsteller obwaltenden Ungewißheit. §. 107. Diese Unsicherheit ist ein Schwanken der Grenze zwischen dem Gebiet der Schriften apostolischer Väter und dem Gebiet der kanonischen Schriften.

10 f In seiner „Einleitung ins neue Testament" verweist Schleiermacher auf Gregorius Thaumaturgos und Origenes als älteste Zeugen für die Einteilung in Evangelium und Apo§104 Erl S. 33, § 1: Die exegetische Theologie als besondere Disciplin kann sich nur auf die Idee des Kanon beziehen. / $ 105 -* S. 34, $ 6: Er enthält wesentlich die Documente von dem Zusammensein Christi mit seinen Jüngern, und die von dem Zusammenwirken der Jünger zur Gründung des Christenthums./ §105 Erl -* S. 34, § 7: Durch das Zusammensein dieser beiden Theile im Kanon ist schon die Unzertrennlichkeit des Entstehens und der Fortbildung auch in Bezug auf diese Idee gesezt. / § 106 -* S. 34, § 5: Da Entstehen und Fortbilden (II. Einl. 5.) unmerklich in einander übergehn, und der Anfang auch als ein früherer Punkt in der Fortbildung und nach den Gesezen dieser kann betrachtet werden: so muß die Erscheinung des Kanon, welche nur die Documente der Entstehungszeit enthalten kann, nothwendig schwanken. / § 107 S. 35, 5 8: Die Zeit der apostolischen Väter liegt zwischen der wo der Kanon wurde, und der wo der Kanon war. Die Grenze zwischen ihnen und dem zweiten Theil des Kanon kann schwanken. /

25

II. Teil: Historische

5

Theologie

367

Denn das Zeitalter der apostolischen Väter liegt zwischen dem, in welchem der Kanon erst anfing zu werden, und dem in welchem er schon abgesondert bestand. Und der Ausdrukk apostolische Väter ist hier in solchem Umfang zu verstehen, daß die Unsicherheit den ersten Theil des Kanon eben so trifft wie den zweiten.

§. 108. Da auch der Begriff der normalen Dignität nicht kann auf unwandelbar feste Formeln gebracht werden: so läßt sich auch aus innern Bestimmungsgründen der Kanon nicht vollkommen sicher umschreiben. 10

15

Wenn wir zum normalen Charakter der einzelnen Säze auf der einen Seite die vollkommene Reinheit rechnen, auf der andern die Fülle der d a r a u s zu entwikkelnden Folgerungen und Anwendungen: so haben wir nicht Ursache die erste anderswo als nur in Christo schlechthinig anzunehmen, und müssen zugeben, d a ß auch auf die zweite bei allen Anderen die natürliche Unvollkommenheit hemmend einwirken konnte.

§. 109. Christliche Schriften aus der kanonischen Zeit, welchen wir die normale Dignität absprechen, bezeichnen wir durch den Ausdrukk Apo|kryphen, und der Kanon ist also auch gegen diese nicht vollkommen 51 fest begrenzt. 20

Die meisten neutestamentischen Apokryphen führen diesen N a m e n freilich nur, weil sie d a f ü r genommen wurden, oder d a f ü r gelten wollten, der k a n o nischen Zeit anzugehören. Der Ausdrukk selbst ist in dieser Bedeutung willkührlich, und würde besser mit einem andern vertauscht.

§. 110. Die protestantische Kirche muß Anspruch darauf machen 25 in der genaueren Bestimmung des Kanon noch immer begriffen zu sein; [Zu $ 109, Zeile 16 Christliche Schriften/ welche der kanonischen Zeit angehören oder sie in Anspruch nehmen, denen wir aber die perge

26 f welche ... perge] Im Drucktext ist nach Christliche Schriften durch einen senkrechten handschriftlichen Strich der Ort für die Marginalie gekennzeichnet. stel (vgl. SW 1/8, S. 55 — 59): Vgl. Gregorius: Homilia II in annuntiatione sanctae Virginis Mariae, Opera, hg. v. G. Voss, Paris 1622, S. 74 (MPG 10, S. 1161); Origenes: Homiliae in Jeremiam XIX 3 (= XX 3), Opera, Bd. 3, S. 264 (SC 238, S. 260). § 108 -*• — / § 109 S. 35, §9: Die Apokryphen sind Schriften aus den Zeiten des Kanon, welche aber das christliche Princip nicht in seiner Reinheit darstellen, sondern an irgend eine Ausartung grenzen. Der erste Theil des Kanon hat gegen sie natürlich nur eine unsichere G r e n z e . / § 110 -* S. 35, § 10: In wiefern der Kanon seiner Idee rein ent-

49

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Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

und dies ist die h ö c h s t e e x e g e t i s c h - t h e o l o g i s c h e A u f g a b e für die h ö h e r e Kritik. Der neutestamentische Kanon hat seine jezige Gestalt erhalten durch, wenn gleich nicht genau anzugebende noch in einem einzelnen Act nachzuweisende, Entscheidung der Kirche, welcher wir ein über alle Prüfung erhöbenes Ansehen nicht zugestehen, und daher berechtigt sind an das frühere Schwanken neue Untersuchungen anzuknüpfen. Die höchste Aufgabe ist diese, weil es wichtiger ist zu entscheiden ob eine Schrift kanonisch ist oder nicht, als ob sie diesem oder einem andern Verfasser angehört, wobei sie immer noch kanonisch sein kann.

5

10

§. 111. D i e Kritik hat beiderlei U n t e r s u c h u n g e n anzustellen, o b nicht i m K a n o n b e f i n d l i c h e s g e n a u g e n o m m e n u n k a n o n i s c h , und o b nicht außer d e m s e l b e n k a n o n i s c h e s u n e r k a n n t v o r h a n d e n sei. 52

Noch neuerlich ist eine Untersuchung der lezten Art im | Gange gewesen; die von der ersten haben eigentlich nie aufgehört.

15

§. 112. Beide A u f g a b e n gelten nicht nur für g a n z e Bücher, s o n d e r n a u c h für einzelne A b s c h n i t t e und Stellen derselben. Ein unkanonisches Buch kann neue kanonische Stellen enthalten; so wie das meiste, was einem kanonischen Buch von späterer Hand eingeschoben ist, unkanonisches sein wird. 50

§. 113. W i e die h ö h e r e Kritik ihre A u f g a b e n größtentheils nur durch A n n ä h e r u n g löset; und es k e i n e n andern M a a ß s t a b giebt für die Tüchtigkeit eines A u s s p r u c h e s als die C o n g r u e n z der innern und äußern

14 Vgl. Wilhelm Friedrieb Rinck: Das Sendschreiben und das dritte Sendschreiben Pauli an die Korinther. nun verdeutscht und mit einer Einleitung über die 1 8 - 2 0 Vgl. ζ. B. Joh Ί, 5 3 - 8 , 11; Mk 16, 9-20; Mt

der Korinther an den Apostel Paulus In armenischer Übersetzung erhalten, Ächtheit begleitet, Heidelberg 1823 1-2; vgl. dazu ThEnz (Strauß) S. 111

sprechen soll, m u ß die Kirche noch immer im Bestimmen desselben begriffen sein, weil die vollständige Congruenz nie mit Gewißheit zu erkennen ist./ § 111 -* S. 35, §11: Er bleibt also in sofern immer ein Gegenstand für beide Aufgaben der höheren Kritik, sowol Unerkanntes zur Anerkennung zu bringen, als Verdächtiges auszustoßen./ §112 -* S. 36, § 14: Nicht nur ganze Schriften sind in diesem Sinne der Gegenstand für die höhere Kritik, sondern auch einzelne Stellen./ § 113 —> S. 35, §12: Wie es für die höhere Kritik in den meisten Fällen keine andere Gewißheit giebt als eine Annäherung, die durch möglichstes Zusammentreffen der äußeren Kennzeichen und der innern erreicht wird: so könnte auch hier an äußeren Zeichen nur erkannt werden, daß etwas in die späteren Zeiten der apostolischen Väter oder in das vom Mittelpunkt der Kirche ferne Gebiet der apokryphischen Behandlungen fiele, und an inneren, daß es nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den wesentlichen und herrschenden Ansichten des Kanon gedacht wäre. /

20

II. Teil: Historische

5

10

Theologie

369

Zeichen: so kommt es auch hier nur darauf an, wie bestimmt äußere Zeichen darauf hindeuten, daß ein fragliches Stükk entweder dem späteren Zeitraum der apostolischen Väter oder dem vom Mittelpunkt der Kirche entfernten Gebiet der apokryphischen Behandlung angehöre, und innere darauf, daß es nicht in genauem Zusammenhang mit dem wesentlichen der kanonischen Darstellung aufgefaßt und gedacht sei. So lange noch beiderlei Zeichen gegeneinander streiten, oder in jeder Gattung einige auf dieser andere aber auf jener Seite stehen, ist keine kritische Entscheidung möglich. — Daß hier unter dem Mittelpunkt der Kirche weder irgend eine Räumlichkeit noch auch eine amtliche Würde zu verstehen sei, sondern nur die Vollkommenheit der Gesinnung und Einsicht, bedarf wol keiner Erörterung. |

§. 114. Die Kritik könnte beiderlei ausgemittelt, und mit vollkom- 53 ner Sicherheit, was kanonisch sei und was nicht, neu und anders be15 stimmt haben, ohne daß deshalb nothwendig wäre den Kanon selbst anders einzurichten.

20

Nothwendig wäre es nicht, weil das unkanonische doch als solches kann anerkannt werden, wenn es auch seine alte Stelle behält, und eben so das erwiesen kanonische, wenn es auch außerhalb des Kanon bliebe. Zuläßig aber müßte es dann sein, den Kanon in zweierlei Gestalt zu haben, in der geschichtlich überlieferten und in der kritisch ausgemittelten.

§. 115. Dasselbe gilt von der Stellung der alttestamentischen Bücher in unserer Bibel. 25

30

Daß der jüdische Codex keine normale Darstellung eigenthümlich christlieher Glaubenssäze enthalte, wird wol bald allgemein anerkannt sein. Deshalb aber ist nicht nöthig — wiewol es auch zuläßig bleiben muß — von dem altkirchlichen Gebrauch abzuweichen, der das alte Testament mit dem neuen zu einem Ganzen als Bibel vereinigt.

§. 116. Die Vervielfältigung der neutestamentischen Bücher aus ihren Urschriften mußte denselben Schiksalen unterworfen sein, wie die aller andern alten Schriften.

§114 -» S. 36, $ 15: Sieht man den Kanon als etwas historisch gegebenes an: so muß er bleiben wie er ist. Der Gedanke ist nicht statthaft, daß die erste Kirche im wesentlichen falsch darüber sollte entschieden haben; und so wäre, selbst wenn es ausgemacht werden könnte, daß einzelne Schriften andere Verfasser haben, als denen sie beigelegt werden, dies kein Grund sie zu entkanonisiren. / § 115 S. 33, §3: Den jüdischen Codex mit in den Kanon ziehen, heißt das Christenthum als eine Fortsezung des Judenthums ansehn, und streitet gegen die Idee des Kanon. / § 116 ^ S. 42, § 40: Keine Vorstellungsart vom Kanon kann läugnen, daß der Text desselben den nemlichen Schiksalen müsse unterworfen sein, wie jede andere schriftliche Urkunde. /

51

370

Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

Der Augenschein hat alle Vorurtheile welche hierüber ehedem geherrscht haben, längst schon zerstört.

§. 117. Auch die übergroße Menge und Verschiedenheit unserer Ex54 emplare von den meisten | dieser Bücher gewährt keine Sicherheit dagegen, daß nicht dennoch die ursprüngliche Schreibung an einzelnen Stellen kann verloren gegangen sein.

5

Denn dieser Verlust kann sehr zeitig, ja schon bei der ersten Abschrift erfolgt sein, und zwar möglicherweise auch so, daß dies nicht wieder gut gemacht werden konnte.

§. 118. Die definitive Aufgabe der niederen Kritik, die ursprüngli- 10 che Schreibung überall möglichst genau und auf die überzeugendste Weise auszumitteln, ist auf dem Gebiet der exegetischen Theologie ganz dieselbe wie anderwärts. Die Ausdrükke niedere und höhere Kritik werden hier hergebrachter maßen gebraucht, ohne weder ihre Angemessenheit rechtfertigen, noch ihre Abgrenzung gegen einander genauer bestimmen zu wollen.

52

15

§. 119. Der neutestamentische Kritiker hat also auch, so wie die Pflicht denselben Regeln zu folgen, so auch das Recht auf den Gebrauch derselben Mittel. Weder kann es daher verboten sein im Fall der Noth (vergl. §. 117.) Vermuthungen zu wagen, noch kann es besondere Regeln geben, die nicht aus den gemeinsamen müßten abgeleitet werden können.

§. 120. In demselben Maaß als die Kritik ihre Aufgabe löst, muß sich auch eine genaue und zusammenhängende Geschichte des neutesta-

20 117.] 17. 1 4 f Vgl. Hermeneutik und Kritik SW 1/7, S. 266 - 268. 272 - 274. 281 f; Begriff und theilung SW III/3, S. 387- 402; Thym: Encyklopädie, S. 68 f; Friedrich August Wolf: stellung der Alterthums-Wissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Werth, in: seum der Alterthums-Wissenschaft, hg. v. F. A. Wolf/P. Buttmann, Bd.l, Berlin S. 1 — 145, hier S. 39—41; Friedrich Ast: Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik Kritik, Landshut 1808, S. 215-227 (bes. S. 215-217).

EinDarMu1807, und

§ 117 —• S. 42, §41: Die Möglichkeit, daß die ursprüngliche Schreibart könne verloren gegangen sein, ist beim Kanon nicht geringer als bei jeder andern Schrift./ § 118 -* S. 42, § 38: Alles w a s er bedarf ist dem Ausleger erst dann gegeben, wann er auch einen berichtigten und zuverläßigen Text vor sich hat. Dies ist die Aufgabe der niedern Kritik. / § 118 Erl S. 42, § 39: Die Grenze zwischen dieser und der höhern ist schwer, und überall nicht nach der Größe des Gegenstandes, worauf es a n k o m m t , zu bestimmen./ §119 -* — / § 120 -* S. 43, §46: Die nächste Aufgabe der Kritik ist die, eine möglichst

20

II. Teil: Historische

Theologie

371

mentischen Textes ergeben und umgekehrt, so daß eines dem andern zur Probe und Gewährleistung dienet. |

5

Selbst w a s auf d e m Wege der Vermuthung richtiges geleistet wird, m u ß sich auf M o m e n t e der Textgeschichte berufen können, und umgekehrt müssen auch wieder schlagende Verbesserungen die Geschichte des Textes erläutern.

55

§. 121. Für die theologische Abzwekkung der Beschäftigung mit dem Kanon hat die Wiederherstellung des ursprünglichen nur da unmittelbaren Werth, w o der normale Gehalt irgendwie betheiliget ist. 10

15

20

25

Keinesweges aber soll dies etwa auf sogenannte d o g m a t i s c h e Stellen beschränkt werden, sondern sich auf alles erstrekken, w a s für solche auf irgend eine Weise als Parallele oder Erläuterung g e b r a u c h t werden kann.

§. 122. Dies begründet den, da die kritische Aufgabe ein unendliches ist, hier nothwendig aufzustellenden Unterschied zwischen dem, was von jedem Theologen zu fordern ist, und dem Gebiet der Virtuosität. Die Forderung gilt eigentlich nur für den protestantischen T h e o l o g e n ; denn der römisch-katholische hat streng g e n o m m e n das R e c h t zu verlangen, d a ß ihm die vulgata, ohne daß eine kritische Aufgabe übrig bleibe, geliefert werde.

53

§. 123. Da jeder Theologe — auch im weiteren Sinne des Wortes — um der Auslegung willen (vergl. §. 89.) in den Fall kommen kann (vergl. §. 121.) auch einer kritischen Ueberzeugung zu bedürfen: so muß jeder, um sich die Arbeiten der Virtuosen selbstthätig anzueignen und zwischen ihren Resultaten zu wählen, sowol die hier zur | Anwendung kommen- 56 den kritischen Grundsäze und Regeln inne haben, als auch eine allge-

richtige und genaue Geschichte des Textes zu liefern, welche aber auch noch nicht zu Stande gebracht ist. / § 121 -* S. 42, § 43 + S. 43, § 45: Die vollkommene Wiederherstellung des Textes hat beim Kanon nicht denselben philologischen Werth wie bei andern Schriftstellern. — Rein theologisch betrachtet haben nur diejenigen Varianten unmittelbare Wichtigkeit, welche irgend etwas zur ursprünglichen Darstellung des Christenthums gehöriges betreffen. Für den Kritiker sind alle wichtig, weil jede ein Beitrag zur Beurtheilung seiner Quellen ist./ § 122 -» S. 42, §42: Die Aufgabe der Kritik in ihrem ganzen Umfange ist eine unendliche. Daher sie auch ein Feld für eine besondere Virtuosität enthält. / §123 S. 43, §44: Das Allgemeine für jeden nothwendige ist die Principien der Kritik zu kennen, um die Virtuosen der Kritik als Autorität in einzelnen Fällen prüfen zu können, und der Gründe seines Urtheils selbst mächtig zu sein. Daraus entsteht denn die ebenfalls unentbehrliche Kenntniß ihrer Hauptresultate. /

372

Kurze

meine Kenntniß

von

den

Darstellung wichtigsten

(2.

Auflage)

kritischen

Quellen

und

ihrem

Werth. Eine nothdürftige Anleitung hiezu findet sich theils in den Prolegomenen der kritischen Ausgaben, theils wird sie auch unter jenem Mancherlei mitgegeben, welches man Einleitung ins N . Test, zu nennen pflegt.

5

§. 1 2 4 . V o n j e d e m V i r t u o s e n der n e u t e s t a m e n t i s c h e n Kritik ist alles zu f o r d e r n , w a s d a z u g e h ö r t , s o w o l den T e x t v o l l s t ä n d i g u n d f o l g e r e c h t überall n a c h gleichen G r u n d s ä z e n zu c o n s t i t u i r e n , als a u c h einen kritischen A p p a r a t richtig und z w e k k m ä ß i g a n z u o r d n e n . Dies sind rein philologische Aufgaben. Es ist aber nicht leicht zu denken, daß ein Philologe ohne Interesse am Christenthum seine Kunst daran wenden sollte sie für das neue Testament zu lösen, da dieses an sprachlicher Wichtigkeit hinter andern Schriften weit zurükksteht. Sollte es indeß jemals der Theologie an solchen Virtuosen fehlen: so gäbe es auch keine Sicherheit mehr für dasjenige, was für die theologische Abzwekkung dieses Studiums geleistet werden muß. 54

10

15

§. 1 2 5 . Bei a l l e m bisherigen (§. 1 1 6 — 1 2 4 . ) liegt die V o r a u s s e z u n g z u m G r u n d e , d a ß eigene A u s l e g u n g n u r d e r j e n i g e bilden k a n n , w e l c h e r mit d e m K a n o n in seiner G r u n d s p r a c h e u m g e h t . Die kritische Aufgabe hätte sonst nur einen Werth für den Uebersezer, und zwar auch nur in dem §. 121. beschriebenen Umfang. |

57

§. 1 2 6 . D a a u c h die m e i s t e r h a f t e s t e U e b e r s e z u n g n i c h t v e r m a g die I r r a t i o n a l i t ä t d e r S p r a c h e n a u f z u h e b e n : s o giebt es kein v o l l k o m n e s Vers t ä n d n i ß einer R e d e o d e r Schrift a n d e r s als in ihrer U r s p r a c h e .

3f Nach ThEnz (Strauß) S. 117 denkt Schleiermacher an die Ausgaben von Johann Jakob Wet(t)stein und Johann Jakob Griesbach: Vgl. Novum Testamentum Graecum, hg. v. J. J. Wetstein, Bd. 1-2, Amsterdam 1751-1752, Bd. 1, S. 1-222; Bd. 2, S. 3-15; Johann Jakob Wetstein [anonymj: Prolegomena ad Novi Testamenti Graeci editionem accuratissimam, Amsterdam 1730; Novum Testamentum Graece, hg. v. J. J. Griesbach, Bd. 1—2, 2. Aufl., Halle/London 1796-1806, Bd. 1, S. IX - XXX. 4 f Vgl. ζ. B. Wilhelm Martin Leberecht de Wette: Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in die Bibel Alten und Neuen Testaments, Bd. 1 — 2, Berlin 1817—1826, Bd. 2, S. 61 — 72; Johann Gottfried Eichhorn: Einleitung in das Neue Testament, Bd. 1—5, Leipzig 1804-1827, Bd. 4, S. 183—332, Bd. 5, S. 168—247; Johann Leonhard Hug: Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, Bd. 1-2, Tübingen 1808, Bd. 1, S. 437-444. 229-257; Johann David Michaelis: Einleitung in die göttlichen Schriften des Neuen Bundes, 4. Aufl., Bd. 1—2, Göt§ 124 -* — / $ 125 S. 37, § 19: Da auf dem richtigen Verständniß des Kanon überall das eigne Urtheil darüber, was ursprünglich Christlich ist beruht: so muß jeder Theologe den Kanon auch durch sich selbst verstehen./ § 126 -*• S. 37, §§ 16—17: Keine Rede

20

II. Teil: Historische

5

Theologie

373

Unter Irrationalität wird nur dieses bekannte verstanden, daß weder ein materielles Element noch ein formelles der einen Sprache ganz in einem der andern aufgeht. Daher kann eine Rede oder Schrift vermittelst einer Uebersezung, mithin auch die Uebersezung selbst als solche, nur demjenigen vollkommen verständlich sein, der sie auf die Grundsprache zurükzuführen weiß.

§. 127. Die Ursprache der neutestamentischen Bücher ist die griechische; vieles (nach §. 121.) wichtige aber ist theils unmittelbar als Uebersezung aus dem aramäischen anzusehen, theils hat das aramäische 10 mittelbaren Einfluß darauf geübt.

15

Die früheren Behauptungen, daß einzelne Bücher ursprünglich aramäisch geschrieben seien, sind schwerlich mehr zu berükksichtigen. Vieles aber von dem, was als Rede oder Gespräch aufbewahrt worden, ist ursprünglich aramäisch gesprochen. Der mittelbare Einfluß ist die unter dem Namen des Hebraismus bekannte Sprachmodification.

§. 128. Schon die vielfältigen directen und indirecten in neutestamentischen Büchern auf alttestamentische genommene Beziehungen ma-

tingen 1788, Bd. 1, S. 278 — 720. 11 f Die Behauptung einer ursprünglich aramäischen Abfassung ist vor allem im Blick auf das Matthäusevangelium erhoben worden, so bereits in der Alten Kirche von Eirenaios (Adversus Haereses III 1), Papias und Origenes (vgl. Eusebios: Historia Ecclesiastica III 39 und VI 25), und findet sich bis ins 18. Jh. hinein immer wieder; vgl. ζ. B. Johann Adrian Bolten: Der Bericht des Matthäus von Jesu dem Messia, Altona 1792, S. VI — XIII; Heinrich Corrodi: Versuch einer Beleuchtung der Geschichte des jüdischen und christlichen Bibelkanons, Bd. 1—2, Halle 1792, Bd. 2, S. 150—152; Johann Gottfried Herder: Christliche Schriften, Dritte Sammlung. Von Gottes Sohn, der Welt Heiland. Nach Johannes Evangelium. Nebst einer Kegel der Zusammenstimmung unsrer Evangelien aus ihrer Entstehung und Ordnung, Riga 1797, S.376f (Sämmtliche Werke, hg. v. B. Suphan, Bd. 19, Berlin 1880, S. 408 f); Michaelis: Einleitung, Bd. 1, S. 101; Bd. 2, S. 946-1003. 1356-1377; kritisch dazu: de Wette: Einleitung, Bd. 2, S. 2. 172 — 174. 178. — Daneben findet sich vereinzelt die Behauptung, auch die Paulinischen Briefe seien die griechische Übersetzung eines aramäischen Originals; vgl. Johann Adrian Bolten: Die neutestamentlichen Briefe, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet, Bd. 1, Altona 1800, S. IX (Bolten nimmt davon allerdings den im Kern für Paulinisch gehaltenen Hebräerbrief aus: vgl. a. a. O. Bd. 3, 1805, S. Vif); Leonhard Bertholdt: Historisch kritische Einleitung in sämmtliche kanonische und apokryphische Schriften des alten und neuen Testamentes, Bd. 1-6 [in 7], Erlangen 1812-1819, Bd. 6, S. 2787- 2791. 2833-2835 u.ö. kann vollständig verstanden werden als in der Ursprache. Auch die vollkommenste Uebersezung hebt die Irrationalität der Sprache nicht auf. — Auch Uebersezungen versteht nur derjenige vollkommen, der zugleich mit der Ursprache bekannt ist. / § 127 -* S. 37, § 18: Die Ursprache des Kanon ist zwar griechisch, vieles aber ist unmittelbar Uebersezung aus dem Aramäischen, und noch mehreres ist mittelbar so anzusehn. / § 128 -» S. 37, 5 19: Da auf dem richtigen Verständniß des Kanon überall das eigne Urtheil darüber, was

374

Kurze Darstellung (2. Auflage)

55

chen eine genauere Bekanntschaft mit diesen Büchern, also auch in ihrer Grundsprache, nothwendig. |

58

U m so mehr als diese sich zum Theil auf sehr wichtige Säze beziehen, worüber die Auslegung selbst gebildet sein muß, mithin auch ein richtiges Urtheil über das Verhältniß der gemeinen griechischen Uebersezung des alten Testaments zur Grundsprache unerlaßlich ist.

§. 129. J e geringer die Verbreitung und die Productivität einer Mundart ist, um desto weniger ist sie anders als im Zusammenhange mit allen ihr verwandten ganz verständlich. Welches, auf das hebräische angewendet, für das vollkommenste Verständniß des Kanon auch eine hinreichende Kenntniß aller semitischen Dialekte in Anspruch nimmt.

5

10

Von jeher ist daher auch das arabische und rabbinische für die Erklärung der Bibel zugezogen worden.

§. 130. Diese Forderung, welche vielerlei der Abzwekkung unserer theologischen Studien unmittelbar ganz fremdes in sich schließt, ist indeß nur an diejenigen zu stellen, welche es in der exegetischen Theologie zur Meisterschaft bringen wollen, und zwar in dieser bestimmten Beziehung. Von dieser rein philologischen Richtung gilt dasselbe was zu §. 124. gesagt worden ist.

59,· 56

§. 131. J e d e m Theologen aber ist aus dem Gebiet der Sprachkunde zuzumuthen eine gründliche Kenntniß der griechischen vornehmlich prosaischen Sprache in ihren verschiedenen Entwiklungen, die Kenntniß beider alttestamentischen Grundsprachen, und vermittelst derselben eine klare A n s c h a u u n g von dem Wesen und Umfang des neutestamentischen Hebraismus; endlich um die Arbeiten der Virtuosen zu benuzen, außer einer Bekanntschaft mit der Litteratur des ganzen Faches, besonders ein selbstgebildetes Urtheil über das zuviel und zuwenig, das natürliche und das erkünstelte in der Anwendung des orientalischen. Denn hierin ist aus Liebhaberei von den Einen, aus Vorurtheil von den Andern, immer wieder nach beiden Seiten hin gefehlt worden.

ursprünglich Christlich ist beruht: so muß jeder Theologe den Kanon auch durch sich selbst verstehen./ § 129 -* S. 37, §20: Da kein Dialekt vollkommen verstanden wird ohne seine verwandten Dialekte: so ist auch die vollständigste Kenntniß des Kanon nur durch die Kenntniß aller Semitischen Dialekte m ö g l i c h . / §130 -* S. 38, §21: Nur dieser zweite Punkt (20.) nicht auch der erste (19.) kann zu der speciellen Virtuosität auf diesem Gebiet gehören. / § 131 -* S. 38, § 22: Auch hier ist nächst der Literatur Kritik der Virtuosen (Einl. 2 0 , 3. 4.) eine nothwendige Ergänzung, um im Gebrauch das was einseitige Liebhaberei am Seltnen und Scharfsinnigen von dem was ächt philologisches Talent erzeugt hat, zu unterscheiden. /

15

20

25

30

II. Teil: Historische

Theologie

375

§. 132. Das vollkomne Verstehen einer Rede oder Schrift ist eine Kunstleistung, und erheischt eine Kunstlehre oder Technik, welche wir durch den Ausdrukk Hermeneutik bezeichnen. 5

10

Kunst, s c h o n in einem engeren Sinne, nennen wir jede z u s a m m e n g e s e z t e Hervorbringung, w o b e i wir uns allgemeiner Regeln b e w u ß t sind, deren A n w e n d u n g im einzelnen nicht wieder auf Regeln gebracht w e r d e n kann. M i t Unrecht beschränkt m a n g e w ö h n l i c h den Gebrauch der Hermeneutik nur auf größere Werke oder schwierige Einzelheiten. D i e Regeln k ö n n e n nur eine Kunstlehre bilden, w e n n sie aus der N a t u r des ganzen Verfahrens gen o m m e n sind, und also auch das ganze Verfahren umfassen.

§. 133. Eine solche Kunstlehre ist nur vorhanden, sofern die Vorschriften ein auf unmittelbar aus der Natur des Denkens und der Sprache klaren Grundsäzen beruhendes System bilden. 15

So lange die H e r m e n e u t i k noch als ein Aggregat v o n einzelnen, w e n n auch n o c h so feinen und e m p f e h l u n g s | w e r t h e n B e o b a c h t u n g e n , allgemeinen und besonderen behandelt wird, verdient sie den N a m e n einer Kunstlehre n o c h nicht.

60

§. 134. Die protestantische Theologie kann keine Vorstellung vom 57 Kanon aufnehmen, welche bei der Beschäftigung mit demselben die An20 wendung dieser Kunstlehre ausschlösse. D e n n dies k ö n n t e nur geschehen, w e n n m a n irgendwie ein wunderbar inspirirtes v o l l k o m n e s Verständniß desselben a n n ä h m e .

§. 135. Die neutestamentischen Schriften sind sowol des inneren Gehaltes als der äußern Verhältnisse wegen von besonders schwieriger 25 Auslegung.

6—8 Vgl. ζ. B. Johann August Ernesti: Institutio interpretis Novi Testamenti, Leipzig 1761 (vgl. auch ThEnz (Strauß) S. 126); Ast: Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, S. 172 f . Noch Wolf: Darstellung der Alterthums-Wissenschaft, S. 37, beschränkt die Aufgabe der Hermeneutik darauf, „die Gedanken eines Schriftstellers" zu verstehen. § 132 —> S. 38, § 23: Alles Verstehen einer Rede oder Schrift ist, weil dazu eine selbstthätige Production gehört nach Gesezen, deren Anwendung nicht wieder auf Geseze zu bringen ist, eine Kunst. / § 133 - / §133 Erl -> S. 39, § 27: Wer die Regeln der Auslegung nur als ein Aggregat von Observationen besizen will, muß einem fremden unklaren Gefühl folgen./ § 134 S. 39, §29: Es giebt keine Vorstellungsart über den Kanon, welche die Anwendung der so gefundenen hermeneutischen Regeln auf denselben aufhöbe. / § 135 -*• S. 38, §24: Die Auslegung des Kanons gehört zu den schwierigsten, theils weil das Speculativreligiöse in dem unbestimmten Sprachgebrauch nicht nationaler Schriftsteller aus einer im Ganzen ungebildeten Sphäre sehr vielen Mißdeutungen ausgesezt ist, theils weil die Umstände, welche den Gedankengang des Schriftstellers motivirten, uns häufig ganz unbekannt sind, und erst durch die Schriften selbst müssen errathen werden. /

376

Kurze Darstellung (2. Auflage) Das erste weil die Mittheilung eigenthümlicher sich erst entwickelnder religiöser Vorstellungen in der abweichenden Sprachbehandlung nicht nationaler Schriftsteller zum großen Theil aus einer minder gebildeten Sphäre sehr leicht mißverstanden werden kann. Lezteres weil die Umstände und Verhältnisse, welche den Gedankengang modificiren, uns großentheils unbekannt sind, und erst aus den Schriften selbst müssen errathen werden.

5

§. 136. Sofern nun der neutestamentische Kanon vermöge der eigenthümlichen Abzwekkung der exegetischen Theologie als Ein Ganzes soll behandelt werden, an und für sich betrachtet aber jede einzelne Schrift ein eignes Ganze ist, kommt noch die besondere Aufgabe hinzu, 10 diese beiden Behandlungsweisen gegeneinander auszugleichen und mit einander zu vereinigen. | 61

Die gänzliche Ausschließung des einen oder andern dieser Standpunkte wie sie aus entgegengesezten theologischen Einseitigkeiten folgt, hat zu allen Zeiten Irrthümer und Verwirrungen in das Geschäft der Auslegung gebracht.

15

§. 137. Die neutestamentische Specialhermeneutik kann nur aus ge58 naueren Bestimmungen der allgemeinen Regeln in Bezug auf die eigenthümlichen Verhältnisse des Kanon bestehen. Sie kann um so mehr nur allmählig zu der strengeren Form einer Kunstlehre 20 ausgebildet werden, als sie zu einer Zeit gegründet wurde, wo auch die allgemeine Hermeneutik nur noch als eine Sammlung von Observationen bestand. §. 138. Die Kunstlehre der Auslegung kann auf zweifache Weise gestaltet werden, ist aber in jeder Fassung der eigentliche Mittelpunkt der 25 exegetischen Theologie. Die allgemeine Hermeneutik kann entweder ganz hervortreten, so daß das specielle nur als Corollarien erscheint, oder umgekehrt kann das specielle zusammenhängend organisirt, und auf die allgemeinen Grundsäze dann

§ 136 S. 40, § 31: D a das Ziel aller A u s l e g u n g darin besteht, jeden einzelnen G e d a n k e n mit s e i n e m Verhältniß zur Idee des G a n z e n zugleich richtig a u f z u f a s s e n , u n d s o den A k t des Schreibens nachzuconstruiren: s o m u ß vorzüglich b e s t i m m t w e r d e n , in w i e f e r n für die A u s l e g u n g der K a n o n als Ein G a n z e s zu n e h m e n , und in w i e f e r n jede einzelne Schrift d e s s e l b e n für sich zu betrachten ist. / $ 137 -* S. 39, § 28 + S. 40, § 30: D i e Auslegungskunst ist eine p h i l o l o g i s c h e Disciplin, die auf eben so festen Principien als irgend eine andere beruht. — D i e Specialhermeneutik des K a n o n ist nur die nähere B e s t i m m u n g jener Regeln in Bezug auf die b e s o n d e r e Sprache des K a n o n , u n d auf die b e s o n d e r e G a t t u n g , zu der d i e Schriften g e h ö r e n , aus d e n e n er besteht. / § 138 S. 39, § 26: D i e Auslegungskunst ist der M i t t e l p u n k t der e x e g e t i s c h e n T h e o l o g i e , u n d in Absicht auf sie findet kein Unterschied Statt z w i s c h e n a l l g e m e i n e m Besiz und besonderer Virtuosität. A u c h da, w o m a n die S p r a c h k e n n t n i ß nur als N o t i z hat, m u ß d o c h die A u s l e g u n g eigen sein. /

IL Teil: Historische

Theologie

377

nur zurükgewiesen werden. — Die Ausübung ist zwar allerdings durch Sprachkunde und Kritik bedingt; aber die Grundsäze selbst haben den entschiedensten Einfluß sowol auf die Operationen der Kritik, als auch auf die feineren Wahrnehmungen in der Sprachkunde.

5

§. 139. Daher giebt es auch hier nichts, weshalb sich Einer auf Andere verlassen dürfte: sondern Jeder muß sich der möglichsten Meisterschaft befleißigen. | J e mehr der Gegenstand schon bearbeitet ist, um desto weniger darf sich diese gerade in neuen Auslegungen zeigen wollen.

10

§. 140. Keine Schrift kann vollkommen verstanden werden als nur im Zusammenhang mit dem gesammten Umfang von Vorstellungen, aus welchem sie hervorgegangen ist, und vermittelst der Kenntniß aller Lebensbeziehungen, sowol der Schriftsteller als derjenigen für welche sie schrieben.

15

Denn jede Schrift verhält sich zu dem Gesamtleben, wovon sie ein Theil ist, wie ein einzelner Saz zu der ganzen Rede oder Schrift.

§. 141. Der geschichtliche Apparat zur Erklärung des neuen Testamentes umfaßt daher die Kenntniß des älteren und neueren Judenthums, so wie die Kenntniß des geistigen und bürgerlichen Zustandes in denen 20 Gegenden, in welchen und für welche die neutestamentischen Schriften verfaßt wurden. Daher sind die alttestamentischen Bücher zugleich das allgemeinste Hülfsbuch zum Verständniß des neuen Testamentes, nächstdem die alttestamentischen und neutestamentischen Apokryphen, die späteren jüdischen Schriftsteller überhaupt, so wie die Geschichtschreiber und Geographen dieser Zeit und Gegend. Alle diese wollen ebenfalls in ihrer Grundsprache kritisch und nach den hermeneutischen Regeln gebraucht werden.

25

§. 142. Viele von diesen Hülfsquellen sind bis jezt noch weder in möglichster Vollständigkeit noch mit der gehörigen Vorsicht gebraucht 30 worden. | §139

S. 39, §§25~26: Da jeder Theologe zu einem eigenen Verständniß des Kanons gelangen soll: so muß auch jeder diese Kunst selbst üben, und darf keine Auslegung auf Autorität annehmen. — Die Auslegungskunst ist der Mittelpunkt der exegetischen Theologie, und in Absicht auf sie findet kein Unterschied Statt zwischen allgemeinem Besiz und besonderer Virtuosität. Auch da, w o man die Sprachkenntniß nur als Notiz hat, muß doch die Auslegung eigen s e i n . / § 140 -*• S. 40, § 32 — S. 41, §33: Jede Schrift kann nur vollkommen verstanden werden durch die Kenntniß der Litteratur, der sie angehört, des Zeitalters und besonders des Publicums, für welches sie geschrieben wurde, und der besondern Beziehungen, aus denen sie hervorgegangen ist. — Keine Vorstellungsart vom Kanon kann diese Bedingungen des Verstehens für überflüßig e r k l ä r e n . / § 141 -* S. 34, §4: Die Kenntniß des jüdischen C o d e x ist die allgemeine Hülfswissenschaft für die gesammte historische T h e o l o g i e . / § 142 -» S. 41, §37: Die Quellen, woraus Erläuterungen zu

62

59

378 63

60

Kurze Darstellung Beides gilt besonders Schriften.

von den

(2.

Auflage)

gleichzeitigen

und späteren

jüdischen

§. 143. Dieser Gesammtapparat nimmt also noch auf lange Zeit die Thätigkeit vieler Theologen in Anspruch, um die bisherigen Arbeiten der Meister dieses Fachs zu berichtigen und zu ergänzen.

5

Von einer andern Seite gehen diese Arbeiten in die Apologetik zurükk, indem die Gegner des Christenthums sich immer wieder die Aufgabe stellen, es ganz aus dem was schon gegeben war, und zwar nicht immer als Fortschritt und Verbesserung, zu erklären. Hieher gehört aber nur die reine und vollständige Zubereitung des geschichtlichen Materials.

10

§. 144. Was sich hievon zum Gemeinbesiz eignet, wird theils unter dem Titel jüdischer und christlicher Alterthümer, theils mit vielerlei anderem verbunden in der sogenannten Einleitung zum neuen Testament mitgetheilt. In der lezteren, die überhaupt wol einer Umgestaltung bedürfte, wird noch manches vermißt, was doch vorzüglich nach §. 141. hieher gehört, weil man es zur Lesung des neuen Testamentes mitbringen muß. — Was sich jeder von den Virtuosen dieses Fachs geben lassen kann, findet sich theils in Sammlungen aus einzelnen Quellen, theils in Commentaren zu den einzelnen neutestamentischen Büchern.

6—9 Vermutlich denkt Schleiermacher an Arbeiten der deutschen neologischen Theologie und an französische und englische Aufklärungsschriftsteller; vgl. auch ThEnz (Strauß) S. 140. 12 Vgl. ζ. B. Johann Christian Wilhelm Augusti: Denkwürdigkeiten aus der christlichen Archäologie, mit beständiger Rücksicht auf die gegenwärtigen Bedürfnisse der christlichen Kirche, Bd. 1 — 12, Leipzig 1817—1831; ders.: Lehrbuch der christlichen Alterthümer, Leipzig 1819; Johann Albrecht Fabricius: Bibliographia antiquaria, sive lntroductio in notitiam scriptorum qui antiquitates Hebraicas, Graecas, Romanas et Christianas scriptis illustrarunt, 3. Aufl., hg. v. P. Schaffshausen, Hamburg 1760; Adrian Reland: Antiquitates sacrae veterum Hebraeorum, hg. v. J. E. Rau, Herborn 1743; Johann Simonis: Vorlesungen über die jüdischen Alterthümer nach Reland, hg. v. S. Mursinna, Halle 1769; Andreas Georg Waehner: Antiquitates Ebraeorum de Israeliticae gentis origine, fatis, rebus sacris, civilibus et domesticis, fide, Bd. 1—2, Göttingen 1743. 17—19 Vgl. ζ. B. Johann Tobias Krebs: Observationes in Novum Testamentum e Flavio Josepho, Leipzig 1755; Christoph Friedrich Loesner: Observationes ad Novum Testamentum e Philone Alexandrino, Leipzig 1777; Caspar Frederik Munthe: Observationes philologicae in sacros Novi Testamenti libros ex Diodoro Siculo collectae, Kopenhagen/Leipzig 1755 nehmen wären, sind noch lange nicht erschöpft./ §143 S.41, $ 3 5 : Die großen Züge zu kennen, wodurch das Ganze klar wird, und sich dadurch ein richtiges Bild der Neutestamentischen Zeit zu entwerfen, ist die Pflicht eines Jeden; die Masse des einzelnen zusammenzubringen, wodurch Einzelnes und Kleines erläutert wird, ist die Sache der Virtuosen dieses Faches. / $ 144 -* S. 41, $ 36: Der erste Grund zum Besiz dieser Hülfskenntnisse wird gelegt durch diejenigen Notizen, die man in den Einleitungen in das N. Test, zu vereinigen pflegt. /

15

20

II. Teil: Historische

Theologie

379

§. 1 4 5 . D i e H a u p t a u f g a b e der e x e g e t i s c h e n T h e o l o g i e ist n o c h kein e s w e g e s als v o l l k o m m e n a u f g e l ö s t a n z u s e h e n .

5

Selbst wenn man abrechnet, daß es einzelne Stellen giebt, | die theils nie werden mit vollkomner Sicherheit berichtigt, theils nie zu allgemeiner Befriedigung erklärt werden.

64

§. 1 4 6 . A u c h für die hieher g e h ö r i g e n H ü l f s k e n n t n i s s e b e s t e h t die d o p p e l t e A u f g a b e f o r t , d a s M a t e r i a l e i m m e r m e h r zu v e r v o l l s t ä n d i g e n , u n d v o n d e m v e r a r b e i t e t e n i m m e r m e h r in G e m e i n b e s i z zu v e r w a n d e l n . 10

Schon das erste Studium unter der Anleitung der Meister muß nicht nur den Grund zu dem lezten legen, und vermittelst desselben die Ausübung der Kunstlehre gemäß beginnen, sondern auch die verschiedenen einzelnen Gebiete in Bezug auf die darin noch zu erwerbende Meisterschaft wenigstens aufschließen. §. 1 4 7 . E i n e f o r t g e s e z t e B e s c h ä f t i g u n g m i t d e m n e u t e s t a m e n t i s c h e n

15

K a n o n , w e l c h e n i c h t d u r c h eigenes Interesse a m C h r i s t e n t h u m m o t i v i r t w ä r e , k ö n n t e n u r g e g e n denselben g e r i c h t e t sein.

20

Denn die rein philologische und historische Ausbeute, die der Kanon verspricht, ist nicht reich genug um zu einem solchen zu reizen. Aber auch die Untersuchungen der Gegner (vergl. §. 143.) sind sehr förderlich geworden, und werden es auch in Zukunft werden. §. 1 4 8 . J e d e B e s c h ä f t i g u n g

mit dem

Kanon

ohne

philologischen

Geist u n d K u n s t , m u ß sich in d e n G r e n z e n des G e b i e t e s d e r E r b a u u n g h a l t e n ; d e n n in d e m der T h e o l o g i e k ö n n t e sie n u r d u r c h p s e u d o d o g m a t i sche Tendenz Verwirrung anrichten. 25

Denn ein reines und genaues Verstehenwollen kann bei einem solchen Verfahren nicht zum Grunde liegen.

14—16 Nach ThEtiz (Strauß) S. 140 denkt Schleiermacher ζ. B. an die einem radikalen theologischen Naturalismus verpflichteten exegetischen Arbeiten des Karl Friedrich Bahrdt § 145 -* S. 43, §47: Wie das Verständniß des Kanon überall noch nicht vollendet ist, so darf auch der einzelne Theologe sein Studium desselben nie als vollendet ansehn. / §146 S. 44, § 48: Der akademische Unterricht kann nur den Grund dazu legen; muß aber auch schon beide Richtungen, die auf die Universalität und die auf die Virtuosität, in sich vereinigen./ § 147 -* S. 44, §49: Ohne religiöses Interesse läßt sich kein fortgeseztes Studium des Kanon denken, es müßte denn ein gegen ihn selbst gerichtetes sein. / § 148 -* S. 44, § 50: Ohne philologischen Geist kann die Beschäftigung mit dem Kanon nur asketisch sein, oder sie wird ins Pseudo-dogmatische ausarten. /

61

Zweiter Abschnitt.

65

D i e h i s t o r i s c h e T h e o l o g i e im e n g e r e n Sinn oder die K i r c h e n g e s c h i c h t e .

§. 149. Die Kirchengeschichte im weiteren Sinne (vergl. §. 90.) ist das Wissen um die gesammte Entwiklung des Christenthums, seitdem es sich als geschichtliche Erscheinung festgestellt hat.

5

Was dasselbe abgesehen hievon nach außen hin gewirkt hat, gehört nicht mit in dieses Gebiet.

62

§. 150. Jede geschichtliche Masse läßt sich auf der einen Seite ansehen als Ein untrennbares werdendes Sein und Thun, auf der andern als ein zusammengeseztes aus unendlich vielen einzelnen Momenten. Die eigentlich geschichtliche Betrachtung ist das Ineinander von beiden. Das eine ist nur der eigenthümliche Geist des Ganzen in seiner Beweglichkeit angeschaut, ohne daß sich bestimmte Thatsachen sondern; daß andere nur die Aufzählung der Zustände in ihrer Verschiedenheit, ohne daß sie in der Identität des Impulses zusammengefaßt werden. Die geschichtliche Betrachtung ist beides, das Zusammenfassen eines Inbegriffs von Thatsachen in Ein Bild des Innern, und die Darstellung des Innern in dem Auseinandertreten der Thatsachen.

66

§. 151. So ist auch jede Thatsache nur eine geschichtliche Einzelheit, sofern beides identisch ge|sezt wird, das äußere, Veränderung im zugleichseienden, und das innere, Function der sich bewegenden Kraft. IZu ff 150-159]

Elementarische Behandlung § 1 5 0 - 1 5 9

(1741 — 1792): vgl. Die kleine Bibel, ehrwürdig und lesbar für Christen und Nichtchristen, hg. v. K. F. Bahrdt, Bd. 1—2, Berlin 1780; ders.: Analytische Erklärung aller Briefe der Apostel Jesu, Bd. 1—3, Berlin 1787—1789 Ii Die historische Theologie im engeren Sinn oder die Kirchengeschichte Inhaltsverzeichnis: Die Kirchengeschichte § 149 -* S. 44, 5 ί ·' Der Gegenstand der Kirchengeschichte ist der Inbegriff alles dessen, was das Christenthum von seinem Entstehen bis jezt geworden ist oder gewirkt hat. / § 150 -» S. 45, §2: Es läßt sich ansehn von der einen Seite als Eine einzige Anschauung, von der andern als ein Ganzes von unendlich vielen einzelnen Anschauungen./ § 151 S. 45, § 3 : Jede Thatsache als geschichtliche Einzelheit ist ein äußeres, die räumliche Veränderung, und ein inneres, die Function der Kraft, welche betrachtet wird, identisch gedacht. /

10

15

20

II. Teil: Historische

Theologie

381

Das Innere ist in diesem Ausdrukk als Seele gesezt, das Aeußere als Leib, das Ganze mithin als ein Leben.

5

§. 152. Das Wahrnehmen und im Gedächtniß Festhalten der räumlichen Veränderungen ist eine fast nur mechanische Verrichtung, wogegen die Construction einer Thatsache, die Verknüpfung des Aeußeren und Inneren zu einer geschichtlichen Anschauung, als eine freie geistige Thätigkeit anzusehen ist. Daher auch, was Mehrere ganz als dasselbe wahrgenommen, sie doch als Thatsache verschieden auffassen.

10

§. 153. Die Darstellung der räumlichen Veränderungen als solcher in ihrer Gleichzeitigkeit und Folge ist nicht Geschichte sondern Chronik; und eine solche von der christlichen Kirche könnte sich nicht als eine theologische Disciplin geltend machen. Denn sie gäbe von dem Gesamtverlauf dasjenige nicht, was in einer Beziehung zur Kirchenleitung steht.

15

63

§. 154. Nur der Stätigkeit wegen müssen auch in die geschichtliche Auffassung solche Ereignisse mit aufgenommen werden, die eigentlich nicht als geschichtliche Elemente anzusehen sind. Dahin gehört der Wechsel der Personen, welche an ausgezeichneten Stellen wirksam waren, wenn auch ihre | persönliche Eigentümlichkeit keinen merklichen Einfluß auf ihre öffentlichen Handlungen gehabt hat.

20

§. 155. Die geschichtliche Auffassung ist ein Talent, welches sich in Jedem durch das eigne geschichtliche Leben, wiewol in verschiedenem [Zu 25

§§ 152 — 155] Unterscheidung mente. 1 5 2 - 1 5 5

2 4 Zum

Chronikalischen

vgl. ζ. B. ThEnz

geschichtlicher

(Strauß)

S.

und chronicalischer

Ele-

147.

ί 1 5 2 -»• S. 46, 5 6: Das Aneinanderfügen wahrgenommener räumlicher Veränderungen und ihr Festhalten im Gedächtniß ist Mechanismus; die Verknüpfung des Innern und Aeußern zu einer geschichtlichen Anschauung ist Construction, Thätigkeit eines Talentes. / § 153 -> S. 45, §§4—5: Die Aneinanderreihung der räumlichen Veränderungen für sich ist nicht Geschichte, sondern Chronik. Es giebt viele Veränderungen, die gar nicht als geschichtliche Elemente anzusehen sind. — Wie überall auch die vollständigste Chronik nur Vorarbeit ist für die Geschichte: so kann die Chronik der christlichen Kirche besonders gar nicht als theologische Disciplin gedacht werden, weil sie mit dem Interesse an der Wirksamkeit für das Christenthum in gar keinem Zusammenhange s t e h t . / § 154 —/ § 155 S. 46, § 7: Das Leben, die eigene geschichtliche Existenz des einzelnen Menschen entwikkelt dieses Talent von selbst. /

67

382

Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

Grade, entwikkelt, niemals aber jener mechanischen Fertigkeit ganz entbehren kann. Wie im gemeinen Leben so auch im wissenschaftlichen Gebiet verfälscht ein aufgeregtes selbstisches Interesse, mithin auch jedes Parteiwesen, am meisten den geschichtlichen Blikk.

5

§. 156. Z u dem geschichtlichen Wissen um das nicht selbst erlebte gelangt man auf zwiefachem Wege, unmittelbar aber mühsam zusammenschauend durch die Benuzung der Quellen, leicht aber nur mittelbar durch den Gebrauch geschichtlicher Darstellungen. Nicht leicht wird es auf irgend einem geschichtlichen Gebiet möglich sein, auf dem der Kirchengeschichte aber gewiß nicht, der lezteren zu entrathen.

10

§. 157. Quellen im engeren Sinn nennen wir Denkmäler und Urkunden, welche dadurch für eine Thatsache zeugen, daß sie selbst einen Theil derselben ausmachen. 64

68

Geschichtliche Darstellungen von Augenzeugen sind in diesem strengeren Sinn schon nicht mehr Quellen. Doch verdienen sie den Namen um so mehr, je mehr sie sich der Chronik nähern, und ganz anspruchslos nur das wahrgenommene wiedergeben. | §. 158. Aus geschichtlichen Darstellungen kann man nur zu einer eigenen geschichtlichen Auffassung gelangen, indem man das von dem Schriftsteller hineingetragene ausscheidet.

15

20

Dies wird erleichtert, wenn man mehrere Darstellungen derselben Reihe von Thatsachen vergleichen kann, um so mehr wenn sie aus verschiedenen Gesichtspunkten genommen sind. [Zu §§ 156-190]

Erwerbung des geschichtlichen Stoffs. 1 5 6 - 1 9 0

[Zu § 157 Erl] Der lezte Saz ist zu rechtfertigen. Er gilt nicht von dem in § 158 angegebenen Gebrauch.

26 nicht] ö § 156 S. 52, §36: Es giebt eine zwiefache Art um das geschichtliche zu wissen, aus den Quellen selbst und aus geschichtlichen Darstellungen./ § 157 -* S. 52, §37: Quellen im engern Sinne für einzelne Thatsachen sind nur Monumente und Urkunden, welche selbst Theile der gesuchten Begebenheit sind, oder unmittelbar auf dieselbe zurükweisen. Geschichtliche Darstellungen, wenn auch von Zeitgenossen, sind doch nur mittelbare Quellen. / § 158 -» - /

25

IL Teil: Historische

Theologie

383

§. 159. Zu dem Wissen um einen Gesamtzustand, wie er ein Bild des Inneren (vergl. §. 150.) darstellt, gelangt man nur durch beziehende Verknüpfung einer Masse von zusammengehörigen Einzelheiten. D i e s ist daher die größte, alles andere v o r a u s s e z e n d e und in sich schließende, Leistung der geschichtlichen A u f f a s s u n g s g a b e .

5

§. 160. Die Kirchengeschichte im weiteren Sinn (vergl. §. 90.) soll als theologische Disciplin vorzüglich dasjenige, was aus der eigenthümlichen Kraft des Christenthums hervorgegangen ist, von dem, was theils in der Beschaffenheit der in Bewegung gesezten Organe, theils in der 10 Einwirkung fremder Principien seinen Grund hat, unterscheiden, und beides in seinem Hervortreten und Zurüktreten zu messen suchen. N u r w a r es eine sehr verfehlte M e t h o d e u m d e s w i l l e n die Darstellung selbst zu theilen in die der günstigen und der ungünstigen Ereignisse.

§. 161. Von dem ersten Eintritt des Chri|stenthums an, also auch 69 15 schon in der Zeit des Urchristenthums, kann man verschiedene selbst [Zu §159] Ein solches in z u s a m m e n f a s s e n d e n Darstellungen an E p o c h e n p u n k ten oder Durchschnitten [Zu

20

160—183]

Construction der Kirchengeschichte 160—183.

[Zu §160] Ueber das z w i s c h e n gesund und krankhaft in die M i t t e gestellte; der individuelle Coefficient [Zu §161]

Grundlage zur verticalen Parallele

16 Darstellungen] Darstellgen 12 f Vgl. ζ. B. Johann Lorenz von Mosheim: Institutionum historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris libri quattuor, Helmstedt 1755, S.3f 18 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 153. 20 Zum individuellen Coefficienten vgl. ThEnz (Strauß) S. 153. 158. 21 Vgl. ThEnz (Strauß): „Es wird vorausgesezt daß der historische Stoff eine Fläche sey mit § 159 S. 52, § 38: Ein gesammter Zustand kann nur nachgewiesen werden aus einer großen Masse analoger einzelner Thatsachen. / § 160 S. 46, §10: Die Kirchengeschichte, als theologische Disciplin, soll vorzüglich das, was fremden Einwirkungen zuzuschreiben von dem, was rein aus dem Princip selbst hervorgegangen ist, unterscheiden./ § 161 -*• S. 46, §8: Sobald das Christenthum als thätiges Princip in die Welt eingetreten ist, kann man die Bildung der gemeinsamen Lehre und die Bildung des gemeinsamen Lebens als zwei Functionen desselben unterscheiden. /

384 65

Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

wieder mannigfaltig theilbare Functionen dieses neuen wirksamen Principe unterscheiden, und auch in der geschichtlichen Darstellung von einander sondern. Auch dies gilt allgemein von allen bedeutenden geschichtlichen Erscheinungen, von allen religiösen Gemeinschaften nicht nur sondern auch von den bürgerlichen. §. 162. Keine von diesen Functionen aber ist in ihrer Entwiklung ohne ihre Beziehung auf die anderen vollkommen zu verstehen; und jeder als ein relatives Ganze auszusondernde Zeittheil wird nur durch die Gegenseitigkeit ihrer Einwirkungen auf einander, was er ist.

5

10

Denn die lebendige Kraft ist in jedem Momente ganz gesezt, und kann daher nur ergriffen werden in der gegenseitigen Bedingtheit aller verschiedenen Functionen. §. 163. Der Gesamtverlauf des Christenthums kann also nur vollständig aufgefaßt werden durch die vielseitigste Combination beider Verfahrungsarten, indem jede, was der andern auf einem Punkte gefehlt hat, auf einem andern ergänzen muß.

70

15

Während wir nur die eine Function verfolgen, bleibt uns die Anschauung des Gesamtlebens aus den Augen gerükkt, und wir müssen uns vorbehalten diese nachzuholen. Während wir die gleichzeitigen Züge zu Einem Bilde 20 zusammenschauen, vermögen wir nicht die einzelnen Elemente genau zu schäzen, und müssen uns | vorbehalten sie an dem gleichartigen früheren und späteren zu messen. §. 164. Je mehr man die verschiedenen Functionen bei der geschichtlichen Betrachtung ins einzelne und kleine zerspaltet, desto öfter [Zu §162]

Grundlage zum zusamenfassenden Bilde

[Zu § 164]

Verhältniß zwischen Breitentheilung und Längentheilung.

Länge und Breite, die Länge ist der Zeitverlauf, die Breite das im Stoff liegende Manchfaltige, und dieß sind also die 2 Richtungen" (S. 77); vgl. die Marginalie zu 55 71—73, oben 354,21, und § 164, unten 384,27. 27 Vgl. den Sachapparat zu oben 383,21. 5 162 -* S. 46, 5 9: Wie aber die Kirche die Gemeinschaft der Lehre sowol als des Lebens ist: so ist auch keine von beiden Functionen ohne die andre in ihrer Thätigkeit zu verstehen, und jeder Moment ist nur in der ungetrennten Betrachtung lebendig und richtig aufzufassen. / § 163 —• S. 47, § 13: Die Aufgabe, den geschichtlichen Verlauf des Christenthums zu erkennen, kann nur durch die vielseitigste Combination beider Verfahrungsarten vollständig gelöset werden, indem jede ergänzen muß was der andern fehlt./ § 164 S. 51, § 35: Je mehr man die geschichtlichen Functionen so vereinzelt betrachtet, um desto

25

II. Teil: Historische

Theologie

385

muß man Punkte zwischeneinschieben, welche das getrennt gewesene wieder vereinigen. J e größer die parallelen Massen genommen werden, desto länger kann man die Betrachtung der einzelnen ununterbrochen fortsezen. Die Perioden können also desto größer und müssen desto kleiner sein, je größere oder kleinere Functionen man behandelt.

§. 165. Die wichtigsten Epochenpunkte indeß sind immer solche, die nicht nur für alle Functionen des Christenthums den gleichen Werth haben, sondern auch für die geschichtliche Entwiklung außer der Kirche bedeutend sind. Da die Erscheinung des Christenthums selbst zugleich ein weltgeschichtlicher Wendepunkt ist: so kommen diesem andere auch nur in dem Maaß nahe, als sie ihm hierin gleichen.

§. 166. Die Bildung der Lehre oder das sich zur Klarheit bringende fromme Selbstbewußtsein, und die Gestaltung des gemeinsamen Lebens oder der sich in J e d e m durch Alle und in Allen durch Jeden befriedigende Gemeinschaftstrieb, sind die beiden sich am leichtesten sondernden Functionen in der Entwiklung des Christenthums. | Dies giebt sich dadurch zu erkennen, daß auf der einen Seite große Veränderungen vor sich gehen, während auf der andern alles beim alten bleibt, und für die eine Seite ein Zeitpunkt bedeutend ist als Entwiklungsknoten, der für die andere bedeutungslos erscheint.

§. 167. Die Bildung des kirchlichen Lebens wird vorzüglich mitbestimmt (vergl. §. 160.) durch die politischen Verhältnisse und den gesamten geselligen Zustand; die Entwiklung der Lehre hingegen durch den [Zu §165]

Allgemeine Epochen

1 gewesene] ge-/gewesene öfter muß man auf Punkte kommen, w o man das Getrennte wieder vereinigen muß; je mehr man sich nur an die größeren Glieder hält, um desto länger kann man unaufgehalten fortschreiten. / § 165 -* — / § 166 S. 46, § 8: Sobald das Christenthum als thätiges Princip in die Welt eingetreten ist, kann man die Bildung der gemeinsamen Lehre und die Bildung des gemeinsamen Lebens als zwei Functionen desselben unterscheiden./ §167 -* S. 47, §§11 — 12: Die Bildung der Lehre wird vorzüglich afficirt durch die herrschenden Philosopheme und den wissenschaftlichen Zustand überhaupt. — Die Bildung des gemeinsamen christlichen Lebens wird vorzüglich afficirt durch die politischen Verhältnisse und durch den geselligen Zustand überhaupt. /

386

Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

67 gesamten wissenschaftlichen Zustand, und vorzüglich durch die herrschenden Philosopheme. Dieses Mitbestimmtwerden ist natürlich und unvermeidlich, bedingt mithin nicht schon an und für sich krankhafte Zustände, enthält aber allerdings den Grund ihrer Möglichkeit. — Allgemeinere Epoche machende Punkte, welche von einer neuen Entwiklung der Erkentniß ausgehen, werden sich in der christlichen Kirche auch am meisten in der Geschichte der Lehre, solche hingegen welche von Entwiklungen des bürgerlichen Zustandes ausgehen, werden sich auch am meisten in dem kirchlichen Leben kund geben.

72

§. 168. Auf der Seite des kirchlichen Lebens sondern sich wiederum am leichtesten die Entwiklung des Cultus, d. h. der öffentlichen Mittheilungsweise religiöser Lebensmomente, und die Entwiklung der Sitte, d. h. des gemeinsamen Gepräges, welches der Einfluß des christlichen Princips den verschiedenen Gebieten des Handelns aufdrükkt. |

10

Der Cultus verhält sich zu der Sitte wie das beschränktere Gebiet der Kunst im engeren Sinne zu dem unbestimmteren des geselligen Lebens überhaupt.

15

§. 169. Die Entwiklung des Cultus wird vorzüglich mitbestimmt durch die Beschaffenheit der dazu geeigneten, in der Gesellschaft vorhandenen Darstellungsmittel, und durch deren Vertheilung in der Gesellschaft. Die Fortbildung der christlichen Sitte hingegen durch den Entwiklungs- und Vertheilungszustand der geistigen Kräfte überhaupt. 68

5

Nehmlich was das erste betrifft, so beruht die Mittheilung oder der Umlauf religiöser Erregungen, welcher nach denselben bewirkt werden soll, lediglich auf der Darstellung. Was das andere betrifft, so ruhen in diesem Zustand alle Motive, deren sich die religiöse Gesinnung bemächtigen soll.

20

25

§. 170. Beide aber, Sitte und Cultus, sind in ihrer Fortbildung auch so sehr aneinander gebunden, daß wenn sie in dem M a a ß von Bewegung oder Ruhe zu sehr von einander abweichen, entweder der Cultus das Ansehen gewinnt in leere Gebräuche oder Aberglauben ausgeartet zu sein, während das christliche Leben sich in der Sitte bewährt, oder umge- 30 kehrt ruht auf der herrschenden Sitte der Schein, daß sie, während die christliche Frömmigkeit sich durch den Cultus erhält, nur das Ergebniß fremder Motive darstelle.

§ 168 S. 47, 5 14: In der Bildung des gemeinsamen Lebens unterscheiden sich wieder die Bildung der Sitte und die Bildung des Cultus./ §168 Erl -* S. 49, §21: Der Cultus verhält sich zu der Sitte wie das beschränkte Gebiet der Kunst zu dem größeren des geselligen Lebens./ § 169 S. 48, § 18: An der Sitte zeigt sich, wie die religiöse Gesinnung in die verschiedenen Theile des Handelns hineintritt, und wie sie sich zu den übrigen Motiven verhält. / § 170 ~> S. 47, § 15 - S. 48, § 16: Beides [sc. Sitte und Cultus] ist

II. Teil: Historische

Theologie

387

In dieser verschiedenen Beurtheilungsweise bekundet sich | ein mit jener Ungleichmäßigkeit zusammenhängender innerer Gegensaz unter den Gliedern der Gemeinschaft.

5

10

73

§. 171. Je plözlicher auf einem von beiden Gebieten bedeutende Veränderungen eintreten, um desto mehreren Reactionen sind sie ausgesezt, wogegen nur die langsameren sich als gründlich bewähren. Das erste versteht sich indeß nur von solchen Veränderungen, die nicht zugleich auch mehrere Gebiete umfassen. Dergleichen werden daher leicht voreilig als Epoche machende Punkte angesehen, da doch oft wenig Wirkungen von ihnen zurükkbleiben.

§. 172. Langsame Veränderungen können nicht als fortlaufende Reihe aufgefaßt, sondern nur an einzeln hervorzuhebenden Punkten zur Anschauung gebracht werden, welche die Fortschritte von einer Zeit zur andern darstellen. 15

Auch diese aber dürfen nicht willkührlich gewählt werden, sondern sie müssen, wenn auch nur in untergeordnetem Sinn, eine Aehnlichkeit haben mit Epoche machenden Punkten.

69

§. 173. Die geschichtliche Auffassung ist auf diesem Gebiet desto vollkomner, je bestirnter das Verhältniß des christlichen Impulses zu der 20 sittlichen und künstlerischen Constitution der Gesellschaft vor Augen tritt, und je überzeugender, was der gesunden Entwiklung des religiösen Princips angehört, von dem schwächlichen und krankhaften geschieden wird. | 25

Denn dadurch wird den Ansprüchen der Kirchenleitung an eine christliche Geschichtskunde genügt.

aber auch in einander: denn jedes kann auf das andere zurükgeführt werden. — J e d e s , wenn es sich isolirt, verliert seinen Charakter. Denn der Cultus ohne Sitte erscheint nur als Ceremonie oder Aberglauben, und die Sitte ohne Cultus nur als ein Resultat des geselligen Zustandes nicht des religiösen Princips./ § 171 -» S.49, §22: In beiden sind nur diejenigen Veränderungen gründlich, welche langsam vor sich gehen; je schneller desto mehr scheinbares ist darin./ § 172 S. 49, §23: Die langsamen Veränderungen sind nicht in einer ununterbrochen fortlaufenden Reihe aufzufassen, sondern nur in discreten Punkten, welche die Fortschritte von einer Zeit zur andern darstellen./ § 173 —• S. 48, §§ 19—20: In diesem Zusammensein des religiösen Princips mit den übrigen Motiven [sc. des Handelns] begreift sich allein alles das, was zwar in der Kirche ist, aber nicht aus der Kirche hervorging, und wovon sie sich reinigen soll. — Eben so auch die intensive Verschiedenheit mit der das religiöse Princip sich der verschiedenen Gebiete des Lebens bemächtigt aus der jedesmaligen moralischen Constitution des Zeitalters oder der Nation. /

74

388

Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

§. 174. Die kirchliche Verfassung kann zumal in der evangelischen Kirche, wo es ihr an aller äußern Sanction fehlt, nur als dem Gebiet der Sitte angehörig betrachtet werden. Dieser Saz liegt, recht verstanden, jenseit aller über das evangelische Kirchenrecht n o c h obwaltenden Streitigkeiten, und spricht nur den wesentlichen Unterschied zwischen bürgerlicher und kirchlicher Verfassung aus.

5

§. 175. Diejenigen größeren Entwiklungsknoten, welche außer der Kirche auch das bürgerliche Leben afficiren, werden sich in der Kirche am unmittelbarsten und stärksten in der Verfassung offenbaren. Weil doch kein anderer Theil der christlichen Sitte so sehr (vergl. §. 1 6 7 . ) mit den politischen Verhältnissen zusammenhängt.

10

§. 176. Die kirchliche Verfassung ist am meisten dazu geeignet, daß sich an ihre Entwiklung die geschichtliche Darstellung des gesamten christlichen Lebens anreihe. 70

75

Denn sie hat den unmittelbarsten Einfluß auf den Cultus, verdankt ihre H a l t u n g dem Gesamtzustand der Sitte, und ist zugleich der Ausdrukk von dem Verhältnis der religiösen Gemeinschaft zur bürgerlichen.

§. 177. Der Lehrbegriff entwikkelt sich einerseits durch die fortgesezt auf das christliche Selbstbewußtsein in seinen verschiedenen M o menten gerichtete Betrachtung, andrerseits durch das | Bestreben den Ausdrukk dafür immer übereinstimmender und genauer festzustellen.

15

20

Beide Richtungen hemmen sich gegenseitig, indem die eine nach außen geht, die andere nach innen. D a h e r charakterisiren sich verschiedene Zeiten durch das Uebergewicht der einen oder der andern.

§. 178. Die Ordnung, in welcher hiernach die verschiedenen Punkte der Lehre hervortreten und die Hauptmassen der didaktischen Sprache sich gestalten, muß im großen wenigstens begriffen werden können aus dem eigenthümlichen Wesen des Christenthums.

§ 174 S. 48, § 17: Da die kirchliche Verfassung ohne äußere Sanction ist, fällt sie ganz unter das Gebiet der Sitten. / § 175 S. 49, § 25: Da die größten Revolutionen in der Kirchengeschichte diejenigen sind, welche nicht die Kirche allein betreffen: so werden sich auch diese am stärksten in der Verfassung offenbaren./ § 176 S.49, §24: Die Entwiklung der kirchlichen Verfassung, welche ihren nächsten Bezug auf den Cultus hat, ihre Haltung durch die Sitte bekommt, und zugleich das Verhältniß der Kirche zum Staat ausdrükt, ist allein geschikt den fortlaufenden Faden zu bilden, an den sich das übrige anreiht. / § 177 -* S. 50, § 28: Die allmählige Bildung des Lehrbegriffs ist auf der einen Seite die fortschreitende Betrachtung des christlichen Princips nach allen Beziehungen, auf der andern das Aufsuchen des Ortes für die Aussagen des christlichen Gefühls in dem geltenden philosophischen System./ § 178 S. 50, §26: Nur wenn man die Bildung des Lehrbegriffs isolirt betrachtet, kann man sich die Aufgabe stellen, eine innere mit

25

IL Teil: Historische

Theologie

389

Denn es w ä r e widernatürlich, wenn Vorstellungen, die diesem a m nächsten verwandt sind, sich zulezt entwikkeln sollten.

5

§. 179. Nur in einem krankhaften Zustande der Kirche können einzelne persönliche oder gar außerkirchliche Verhältnisse einen bedeutenden Einfluß auf den Gang und die Ergebnisse der Beschäftigung mit dem Lehrbegriff ausüben. Wenn dies dennoch nicht selten der Fall gewesen ist: so haben doch z u m a l neuere Geschichtschreiber weit mehr als der Wahrheit g e m ä ß ist, auf R e c h nung solcher Verhältnisse geschrieben.

10

§. 180. Je weniger die Entwiklung des Lehrbegriffs frei bleiben kann von Schwanken und Zwiespalt: um desto mehr tritt auch das Be- 71 streben hervor theils die Uebereinstimmung eines Ausdrukks mit den Aeußerungen des Urchristenthums nachzuweisen, theils ihn auf ander- 76 weitig zugestandene, nicht aus dem christlichen Glauben erzeugte Säze, 15 die dann Philosopheme sein werden, zurükzuführen.

20

Beides würde, wiewol später und nicht in demselben M a a ß , geschehen, wenn auch kein Streit obwaltete; denn zu jenem treibt schon der christliche Gemeingeist, zu dem andern das Bedürfniß sich von der Z u s a m m e n s t i m mung des zur Klarheit gekommenen f r o m m e n Selbstbewußtseins und der speculativen Production zu überzeugen.

§. 181. Nur in einem krankhaften Zustande kann beides so gegen einander treten, daß die Einen nicht wollen über die urchristlichen Aeußerungen hinaus die Lehre bestimmen, die Andern philosophische Säze in die christliche Lehre einführen, ohne auch nur durch Beziehung auf

7—9 Möglicherweise denkt Schleiermacher an Gottfried Arnold: Unparteyische Kirchenund Ketzer-Historie von Anfang des Neuen Testaments biß auf das Jahr Christi 1688, Bd. 1-4, Frankfurt a.M. 1699-1700 (vgl. ζ. B. Bd. 1, S. 174-182) oder Mosheim: Institutionum (vgl. z. B. S. 183-186). Vgl. ThEnz (Strauß) S. 167 f dem Wesen des Christenthums in Bezug stehende Gesezmäßigkeit in seiner Entwiklung aufzufinden. / § 179 S. 50, § 27: Völlig äußere Lebensverhältnisse können nicht den wahren Grund enthalten zu wichtigen Entscheidungen im Gebiet des Lehrbegriffs. / § 180 -» S. 50, §§28-29: Die allmählige Bildung des Lehrbegriffs ist auf der einen Seite die fortschreitende Betrachtung des christlichen Principe nach allen Beziehungen, auf der andern das Aufsuchen des Ortes für die Aussagen des christlichen Gefühls in dem geltenden philosophischen System. — Jenes endet in der Deduction aus dem Kanon, dieses in der Uebereinstimmung mit zugestandenen philosophischen Säzen. / § 181 -» S. 50, § 30 — S. 51, §31: Da das Gleichgewicht beider Gesichtspunkte fast nirgends gegeben ist: so ist darauf zu achten, wie der eine über den andern das Uebergewicht hat. — Es können theils in derselben Zeit verschiedene Parteien in dieser Hinsicht einander gegenüber stehn, theils auch verschiedene Zeiten durch ein Uebergewicht des Einen über das Andere sich unterscheiden. /

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Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

den Kanon nachweisen zu wollen, daß sie auch dem christlichen Bewußtsein angehören. Jene wirken hemmend auf die Entwiklung der Lehre, diese trüben und verfälschen eben so das Princip derselben.

§. 182. Die Aenderungen, welche das Verhältniß beider Richtungen erleidet, zu kennen, gehört wesentlich zum Verständniß der Entwiklung der Lehre.

5

Nur zu oft erhält man durch Verabsäumung solcher Momente nur eine Chronik statt der Geschichte, und die theologische Abzwekkung der Disciplin geht ganz verloren.

10

§. 183. Eben so wichtig ist Kenntniß zu nehmen von dem Verhältniß in den Bewegungen der theoretischen Lehren und der praktischen 77 Dog|men, und, wo sie weit auseinander gehn, ist es natürlich die eigentli72 che Dogmengeschichte zu trennen von der Geschichte der christlichen Sittenlehre.

15

Im Ganzen ist allerdings die eigentliche Glaubenslehre durch vielfältigere und heftigere Bewegungen gebildet worden; doch darf die entgegengesezte Richtung um so weniger übersehen werden.

§. 184. Bedenken wir, wieviel Hülfskenntnisse erfordert werden, um diese verschiedenen Zweige der Kirchengeschichte zu verfolgen: so ist dieses Gebiet offenbar ein unendliches, und postulirt einen großen Unterschied zwischen dem, was Jeder inne haben muß, und dem was (vergl. §. 92.) nur durch die Vereinigung aller Virtuosen gegeben ist. Z u diesen Hülfskenntnissen gehört, wenn alles im Zusammenhang verstanden werden soll, die gesammte irgend zeitverwandte Geschichtskunde, und, wenn alles aus den Quellen entnommen werden soll, das ganze betreffende philologische Studium und vornehmlich die diplomatische Kritik.

§. 185. Im allgemeinen kann nur gesagt werden, daß aus diesem unendlichen Umfang jeder Theologe dasjenige inne haben muß, was mit seinem selbständigen Antheil an der Kirchenleitung zusammenhängt.

§ 182 -*• — / § 183 -* S. 51, § 33: M a n kann in der Entwiklung des Lehrbegriffs unterscheiden, die Bildung der theoretischen und der praktischen D o g m e n . / § 184 —• — / §184 Erl -* S. 52, § 39: Hülfswissenschaften, um aus den Quellen zur geschichtlichen Anschauung zu gelangen, sind das gesammte philologische Studium, diejenige Kritik, welche über die Aechtheit der Monumente entscheidet, die historische Kritik überhaupt, und endlich die sämmtliche übrige Geschichte. / § 185 S. 5 3 , §§ 40—41: Was aus dem unendlichen Gebiet der Kirchengeschichte jeder Theolog inne haben muß, das läßt sich nur aus dem theologischen Zwekk beurtheilen. — Jeder muß also die Kirchengeschichte inne

20

25

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II. Teil: Historische

Theologie

391

Diese dem Anschein nach sehr beschränkte Formel sezt aber voraus, daß Jeder außer seiner bestimmten lokalen Thätigkeit auch einen allgemeinen, wenn gleich in | seinen Wirkungen nicht bestirnt nachzuweisenden Einfluß auszuüben strebt.

§. 186. Wie nun der jedesmalige Zustand, aus welchem ein neuer M o m e n t entwikkelt werden soll, nur aus der gesamten Vergangenheit zu begreifen ist, zunächst aber doch der lezten Epoche machenden Begebenheit angehört: so ist die richtige Anschauung von dieser, durch alle früheren Hauptrevolutionen nach M a a ß g a b e ihres Zusammenhanges mit der10 selben deutlich gemacht, das erste Haupterforderniß.

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Daß hier keine besondere Rüksicht darauf genommen werden kann, ob der gegenwärtige Moment schon mehr die künftige Epoche vorbereitet, liegt am Tage; denn dies selbst muß zunächst aus seinem Verhältniß zur lezten beurtheilt werden.

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§. 187. Damit aber dieses nicht eine Reihe einzelner Bilder ohne Zusammenhang bleibe, müssen sie verbunden werden durch das nicht dürftig ausgefüllte Nez (vergl. §. 91.) der Hauptmomente aus jedem kirchengeschichtlichen Zweige in jeder Periode. Und dieses muß als Fundament selbständiger Thätigkeit auch ein wo möglieh aus verschiedenartigen Darstellungen zusammengeschautes sein.

§. 188. Zu einer lebendigen auch als Impuls kräftigen geschichtlichen Anschauung gedeiht aber auch dieses nur, wenn der ganze Verlauf zugleich (vergl. §. 150.) als die Darstellung des | christlichen Geistes in seiner Bewegung aufgefaßt, mithin alles auf Ein inneres bezogen wird. 25

Erst unter dieser Form kann die Kenntniß des Gesamtverlaufs auf die Kirchenleitung einwirken.

§. 189. Jede lokale Einwirkung erfordert eine genauere, und nach M a a ß g a b e des Zusammenhanges mit der Gegenwart der Vollständigkeit annähernde, Kenntniß dieses besonderen Gebietes.

haben nach Maaßgabe des Interesse des gegenwärtigen Augenbliks. / §186 -* S. 53, § 42: Jeder lezte Augenblik, an den sich ein künftiger knüpfen soll, ist vorzüglich gegründet in der lezten revolutionären Begebenheit. Durch diese hat sich aber noch manches aus dem vorigen Zustande der Ruhe hinübergeschlichen, ja sie ist selbst in diesem gegründet, u. s. f., so daß die Kenntniß aller Hauptrevolutionen nach Maaßgabe ihres Zusammenhanges mit dem gegenwärtigen Augenblik das erste ist./ § 187 -* S. 53, §43: Zwischen je zwei Epochen giebt es untergeordnete Hauptpunkte, aus denen man erkennen kann, wie die Kraft von jeder ab- oder zunimmt, und diese sind das zweite unentbehrliche./ § 188 S. 54, § 44: Der gemeinsame Geist und Charakter eines Zeitalters kann nur fixirt werden in einem großen historischen Bilde. Wer sich nicht ein solches von jedem Zeitalter entwerfen kann, der lebt nicht in der Geschichte./ § 189 —/

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Kurze

Darstellung

(2.

Auflage)

Die Regel modificirt sich von selbst nach dem U m f a n g der Lokalität, indem die kleinste einer einzelnen Gemeine oft in dem Fall ist eine besondere Geschichte nicht zu haben, sondern nur als Theil eines größeren Ganzen gelten zu können.

§. 190. Jeder muß aber auch wenigstens an einem kleinen Theil der Geschichte sich im eigenen Aufsuchen und Gebrauch der Quellen üben. Sei es nun, daß er nur beim Studium genau und beharrlich auf die Quellen zurükkgehe, oder daß er selbständig aus den Quellen zusammenseze. Sonst möchte einem schwerlich auch nur so viel historische Kritik zu Gebote stehen, als zum richtigen Gebrauch abweichender Darstellungen erfordert wird.

5

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§. 191. Eine über diesen Maaßstab hinaus gehende Beschäftigung mit der Kirchengeschichte muß neue Leistungen beabsichtigen. Nichts ist unfruchtbarer als eine Anhäufung von geschichtlichem Wissen, welches weder praktischen Beziehungen dient, noch sich Anderen in der Darstellung hingiebt.

80

15

§. 192. Diese können sowol auf Berichtigung | oder Vervollständigung des Materials, als auch auf größere Wahrheit und Lebendigkeit der Darstellung gehen. Die M ä n g e l in allen diesen Beziehungen sind noch unverkennbar, und leicht zu erklären.

20

§. 193. Das kirchliche Interesse und das wissenschaftliche können bei der Beschäftigung mit der Kirchengeschichte nicht in Widerspruch mit einander gerathen. D a wir uns bescheiden für Andere keine Regeln zu geben, beschränken wir den Saz auf unsere Kirche, welcher, als einer forschenden und sich selbst fortbilden-

§ 190 -* S. 55, § 49: Da das, was zum allgemeinen Bedarf gehört, zunächst nur aus abgeleiteten Quellen kann geschöpft werden, und die Kritik historischer Compositionen, welche hiezu gehört, am besten durch eigne Uebungen dieser Art gewonnen wird: so sollte jeder wenigstens irgend einen kleinen Theil der Kirchengeschichte aus den Quellen studieren, und so viel von den Quellen eines jeden Zeitalters gelesen haben als nöthig ist, um sich das Totalbild desselben recht zu beleben. / § 191 S. 54, § 45: Was hierüber hinausgeht gehört zu demjenigen Betrieb der Kirchengeschichte, welcher auf die Vervollkomnung und Vollendung der einzelnen Theile als solcher ausgeht. / § 192 ^ S. 54, 5 46: Wer etwas als Virtuose in der Kirchengeschichte leisten will, bezwekt entweder Thatsachen aus den Quellen auszumitteln und zu berichtigen, oder einen Zeitraum richtiger und eigenthümlich darzustellen./ §193 -* S. 55, §§50 — S. 56, §52: Das religiöse Interesse und das wissenschaftliche können einander beim Studium der Kirchengeschichte nie in den Weg treten. — Wenn die Liebe, mit welcher ein Betrachtender in einer Kirchenpartei steht, rechter Art ist, kann sie nie blenden oder verfälschen. — Die strenge Unparteilichkeit, welche der wissenschaftliche Geist fodert, ist weder Indifferentismus noch kann sie je einer Kirche oder Partei zum Schaden gereichen. /

25

II. Teil: Historische

5

Theologie

393

den Gemeinschaft, auch die vollkommenste Unpartheilichkeit nicht zum Nachtheil gereichen sondern nur förderlich sein kann. Darum darf auch das lebhafteste Interesse des evangelischen Theologen an seiner Kirche doch weder seiner Forschung noch seiner Darstellung Eintrag thun. Und eben so wenig ist 75 zu fürchten, daß die Resultate der Forschung das kirchliche Interesse schwächen werden; sie können ihm im schlimmsten Fall nur den Impuls geben, zur Beseitigung der erkannten Unvollkommenheiten mitzuwirken.

§. 194. Die kirchengeschichtlichen Arbeiten eines Jeden m ü s s e n theils aus seiner N e i g u n g hervorgehen, theils d u r c h die Gelegenheiten 10 b e s t i m m t w e r d e n , die sich ihm darbieten. Ein lebhaftes theologisches Interesse wird immer die erste den lezten zuzuwenden, oder für erstere auch die lezteren herbeizuschaffen wissen.

Dritter Abschnitt. 15

Die geschichtliche Kenntniß von dem g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d e des C h r i s t e n t h u m s .

§. 195. Wir h a b e n es hier zu t h u n (vergl. §. 94—97.) mit der d o g m a tischen Theologie, als der Kenntniß der jezt in der evangelischen Kirche [Zu 5 195] § 94 Sonderung in Darstellung der Lehre und geselligen Zustande in Zeiten wo der Aufgabe zusammenhängende Darstellung zu geben genügt 20 werden kann. § 95 Definition der Statistik § 96 Sie ist für alle Kirchengemeinschaften die-

12 lezteren] leztere 18 Sonderung] Sondrg 18 in Darstellung] in über Darstllg 18 geselligen] gsll; vgl. ThEnz (Strauß), S. 181. Möglich wäre auch zu lesen: gesellschaftlichen ; vgl. § 94, oben 362,14. 18 Zustands] Zstds 19 Darstellung zu] Dstllg ζ 21 Definition] Definit 21 Kirchengemeinschaften] KGescht ; vgl. § 96, oben 363,2; ThEnz (Strauß), S. 181 f . ^ 194 -* S. 55, §48: Die auf die Bereicherung der Wissenschaft Bezug habenden Arbeiten eines Jeden müssen ein gemeinsames Product seiner Neigung und der Gelegenheiten sein, die sich ihm darbieten. / § 195 -* S. 56, §§ 2—3: Eben dieses Zwekkes wegen darf auch hier die Trennung in Verfassung und Lehrbegriff (II. Einl. 20.) Statt finden, nur muß die Beziehung beider auf einander nicht vernachlässigt werden. — Diejenige theologische

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Kurze Darstellung (2.

Auflage)

geltenden Lehre, und mit der kirchlichen Statistik, als der Kenntniß des gesellschaftlichen Zustandes in allen verschiedenen Theilen der christlichen Kirche.

76

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Der hier der dogmatischen Theologie angewiesene Ort, welche sonst auch unter dem Namen der systematischen Theologie eine ganz andere Stelle einnimmt, muß sich selbst vermittelst der weiteren Ausführung rechtfertigen. Hier ist nur nachzuweisen, daß die beiden genannten Disciplinen die Ueberschrift in ihrem ganzen Umfang erschöpfen. Dies erhellt daraus, daß es eigentlich in der Kirche, wie sie ganz Gemeinschaft ist, nichts zu erkennen giebt, was nicht ein Theil ihres gesellschaftlichen Zustandes wäre. Die Lehre ist nur aus diesem, weil ihre Darstellung einer eigentümlichen Behandlung fähig und bedürftig ist, heraus genommen. Dies konnte allerdings mit anderen Theilen des gesellschaftlichen Zustandes auch geschehen; solche sind aber noch nicht als theologische Disciplinen besonders bearbeitet. Kann aber in Zeiten wo die Kirche getheilt ist (nach §. 98.) nur jede einzelne Kirchengemeinschaft ihre eigene Lehre dogmatisch bearbeiten: so fragt sich, wie kommt der evangelische Theologe zur Kenntniß der in andem christlichen Kirchengemeinschaften geltenden Lehre, und welchen Ort kann unsere Darstellung dazu anweisen? Am unmittelbarsten durch die dogmatischen Darstellungen welche sie selbst davon geben, die aber für ihn nur geschichtliche Berichte werden. Der Ort aber in unserer Darstellung ist die bis auf den gegenwärtigen Moment verfolgte Geschichte der christlichen Lehre, für welche jene Darstellungen die ächten Quellen sind. Aber auch die Statistik kann bei jeder Gemeinschaft einen besonderen Ort haben für die Lehre derselben. selbe. § 97 Dogmatik = Zusammenhängende Darstellung der Lehre wie sie zu einer gegebenen Zeit in der Kirche gilt

2 6 Dogmatik . . . Darstellung] Dgm = Z h Dstllg 2 6 f Vgl. ThEnz

(Strauß)

2 7 gegebenen] gegeben

S. 181 f

Disciplin, welche unter dem Namen der thetischen oder dogmatischen Theologie bekannt ist, hat es eben zu thun mit der zusammenhangenden Darstellung des in der Kirche jezt grade geltenden Lehrbegriffs. /

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II. Teil: Historische I. D i e d o g m a t i s c h e

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Theologie

395

Theologie.

§. 1 9 6 . Eine d o g m a t i s c h e Behandlung der L e h r e ist w e d e r m ö g l i c h o h n e eigne Ueberzeugung, n o c h ist n o t h w e n d i g , d a ß alle die sich auf dieselbe Periode derselben Kirchengemeinschaft beziehen, unter sich übereinstimmen. Beides könnte man daraus schließen wollen, daß sie es nur (vergl. §. 97. u. 98.) mit der zur gegebenen Zeit geltenden Lehre zu thun habe. Allein wer von dieser nicht überzeugt ist, kann zwar über dieselbe, und auch über die 77 Art wie der Zusammenhang darin gedacht wird, Bericht erstatten, aber nicht diesen Zusammenhang durch seine Aufstellung bewähren. Nur dieses lezte aber macht die Behandlung zu einer dogmatischen; jenes ist nur eine geschichtliche, wie einer und derselbe sie bei gehöriger Kenntniß auf die gleiche Weise von allen Systemen geben kann. — Die gänzliche Uebereinstimmung aber ist in der evangelischen Kirche deshalb nicht nothwendig, weil auch zu derselben Zeit bei uns verschiedenes neben einander gilt. Alles nehmlich ist als geltend anzusehen, was amtlich behauptet und | vernom- 83 men wird, ohne amtlichen Widerspruch zu erregen. Die Grenzen dieser Differenz sind daher allerdings nach Zeit und Umständen weiter und enger gestekkt.

20

§. 1 9 7 . W e d e r eine b e w ä h r e n d e Aufstellung eines Inbegriffs v o n überwiegend a b w e i c h e n d e n und nur die U e b e r z e u g u n g des Einzelnen ausdrükkenden Säzen w ü r d e n wir eine D o g m a t i k nennen, n o c h a u c h eine solche, die in einer Z e i t auseinandergehender Ansichten n u r dasjenige a u f n e h m e n wollte, w o r ü b e r gar kein Streit o b w a l t e t .

25

[Zu I. Die dogmatische

Theologie]

§ 196—231.

[Zu §196] § 98 Daß in Trennungszeiten nur jede Partey ihre eigne Lehre dogmatisch behandeln kann. [Zu §§ 196-197] [Zu § 197]

S196·

197

Grundbedingungen

Negative Rechtfertigung des vorigen

29 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 187 §196 —/ §197 -* S. 57, §4: Weder eine zusammenhangende Darstellung einer abweichenden bloß subjectiven Ueberzeugung, noch die Aufstellung einer sogenannten biblischen Theologie, noch die geflissentliche friedliebende Beseitigung alles streitigen entspricht jenem Begriff [sc. der dogmatischen Theologie]. /

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Kurze Darstellung (2.

Auflage)

Das erste wird niemand in Abrede stellen. Aber auch die von da ausgehende Streitfrage, ob Lehrbücher wirklich für dogmatische gelten können, welche über die geltende Lehre nur geschichtlich berichten, bewährend aber nur Säze aufstellen, gegen welche amtlicher Einspruch erhoben werden könnte, gereicht noch unserm Begriff zur Bestätigung. — Eine lediglich irenische Zusammenstellung wird großentheils so dürftig und unbestimmt ausfallen, daß es nicht nur um eine Bewährung hervorzubringen überall an den Mittelgliedern fehlen wird, sondern auch an der nöthigen Schärfe der Begriffsbestimmung um der Darstellung Vertrauen zu verschaffen. 78

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§. 1 9 8 . D i e d o g m a t i s c h e T h e o l o g i e h a t für die Leitung der K i r c h e zunächst den N u z e n , zu zeigen wie m a n n i g f a l t i g und bis a u f welchen P u n k t das Princip der laufenden P e r i o d e sich n a c h allen Seiten e n t w i k kelt hat, und wie sich dazu die der Z u k u n f t a n h e i m fallenden K e i m e verbesserter G e s t a l t u n g e n verhalten. Z u g l e i c h giebt sie der Aus|übung die N o r m für den v o l k s m ä ß i g e n A u s d r u k k u m die R ü k k e h r alter Verwirrungen zu verhüten und neuen z u v o r z u k o m m e n . Dieses Interesse der Ausübung fällt lediglich in die erhaltende Function der Kirchenleitung, und ursprünglich hievon ist die allmählige Bildung der Dogmatik ausgegangen. Die Theilung des ersten erklärt sich aus dem, was über den Gehalt eines jeden Momentes im allgemeinen (vergl. §. 91.) gesagt ist. [Zu §198] §198 Beziehung auf die Kirchenleitung Der erste ist mehr auf Kirchenregiment oder akademisch. Nämlich die übersichtliche Verbindung

24 Kirchenregiment oder akademisch] KReg. od. akadem.

25 Verbindung] Vbindung

25 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 188 §198 S. 56, § 1: Die zusammenfassende Darstellung des lezten Moments in der geschichtlichen Kirche kann nur zeigen wollen, in welchem Verhältniß bis dahin das Princip der laufenden Periode sich nach allen Seiten hin entwikkelt hat. /

5

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II. Teil: Historische

Theologie

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§. 1 9 9 . In j e d e m für sich d a r s t e l l b a r e n M o m e n t (vergl. §. 9 3 . ) t r i t t d a s w a s in der L e h r e a u s der l e z t v o r a n g e g a n g e n e n E p o c h e h e r r ü h r t , als d a s a m m e i s t e n kirchlich b e s t i m m t e auf, d a s j e n i g e a b e r , w o d u r c h m e h r der f o l g e n d e n B a h n g e m a c h t w i r d , als v o n E i n z e l n e n a u s g e h e n d . 5

Das erste nicht nur mehr kirchlich bestimmt als das lezte, sondern auch mehr als das aus früheren Perioden mit herübergenommene; das leztere um so mehr nur auf Einzelne zurükzuführen, je weniger noch eine neue Gestaltung sich bestimmt ahnden läßt. §. 2 0 0 . Alle L e h r p u n k t e w e l c h e d u r c h d a s die P e r i o d e d o m i n i r e n d e

10

P r i n c i p e n t w i k k e l t sind, m ü s s e n u n t e r sich z u s a m m e n s t i m m e n ; w o g e g e n alle a n d e r n , s o l a n g e m a n v o n ihnen n u r s a g e n k a n n , d a ß sie diesen Ausgangspunkt

nicht

haben,

als

unzusammenhangende

Vielheit

er-

79

Das dominirende Princip kann aber selbst verschieden aufgefaßt sein, und daraus entstehen mehrere in sich zusammenhängende, aber von einander verschiedene dogmatische Darstellungen, welche, und vielleicht nicht mit | Unrecht, auf gleiche Kirchlichkeit Anspruch machen. — Wenn die heterogenen vereinzelten Elemente zusammengehen, geben sie sich entweder als eine neue Auffassung des schon dominirenden Principe zu erkennen, oder sie verkündigen die Entwiklung eines neuen.

85

scheinen. 15

20

§. 2 0 1 . W i e zur v o l l s t ä n d i g e n K e n n t n i ß des Z u s t a n d e s d e r n i c h t n u r dasjenige g e h ö r t , w a s in die w e i t e r e F o r t b i l d u n g

Lehre

wesentlich

[Zu § 199] $ 199 genetischer Gegensaz

24 genetischer] über der Zeile mit Einfügungszeichen altkirchlichem und [neoterischem])

24 Gegensaz] folgt — / 5 274 -* S. 76, $$ 21 —22: Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit nennen wir das Kirchenregiment im engeren Sinne, als ein Uebergewicht des Einzelnen über das Ganze bezeichnend. — Die auf das Einzelne gerichtete lokale, weil sie nur im Namen des Ganzen ausgeübt werden kann, nennen wir als Handlung des Einzelnen den Kirchendienst. / § 275 -»• S. 76, $ 23: Die praktische Theologie ist demnach erschöpft in der Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinn und des Kirchendienstes. /

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§. 2 7 6 . Die O r d n u n g ist an und für sich gleichgültig. "Wir ziehen v o r den A n f a n g zu m a c h e n mit d e m Kirchendienst, und das K i r c h e n r e g i m e n t folgen zu lassen. | 118; 109

Gleichgültig ist sie, weil auf jeden Fall die Behandlung des vorangehenden Theiles doch auf den Begriff des hernach zu behandelnden, und auf die mögliche verschiedene Gestaltung desselben Rücksicht nehmen muß. — Es ist aber die natürliche Ordnung, daß diejenigen welche sich überhaupt zur Kirchenleitung eignen, ihre öffentliche Thätigkeit mit dem Kirchendienste beginnen.

5

Erster Abschnitt. Die G r u n d s ä z e des Kirchendienstes.

§. 2 7 7 . Die örtliche G e m e i n e als ein Inbegriff in demselben R a u m lebender und zu g e m e i n s a m e r F r ö m m i g k e i t v e r b u n d e n e r christlicher H a u s w e s e n gleichen Bekenntnisses ist die einfachste v o l l k o m m e n kirchliche O r g a n i s a t i o n , innerhalb welcher eine leitende Thätigkeit stattfinden kann.

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15

Der Sprachgebrauch giebt noch Landesgemeine, Kreisgemeine, aber hier findet nicht immer eben eine gemeinsame Uebung der Frömmigkeit statt. Er giebt uns auch Hausgemeine, allein hier ist die leitende Thätigkeit nicht eine eigenthümlich vom religiösen Interesse ausgehende. §. 2 7 8 . D e r Gegensaz überwiegender W i r k s a m k e i t und überwiegender Empfänglichkeit m u ß , w e n n ein Kirchendienst stattfinden soll, wenigstens für b e s t i m m t e M o m e n t e übereinstimmend fixirt sein. | 119 110

Ohne bestimmte Momente kein gemeinsames Leben, und ohne Uebereinkommen, wer mittheilend sein soll und wer empfänglich, wäre es nur Verwirrung. Die Vertheilung wird eine willkührliche bei Voraussezung der größten Gleichheit; aber auch bei der größten Ungleichheit muß doch Empfänglichkeit Allen zukommen. — Die Bestimmung dieses Verhältnisses für jede Gemeine gehört der Natur der Sache nach dem Kirchenregiment an.

§276 —• — /

§277 S. 84, $ 1: Die leitende Thätigkeit welche nicht auf das Ganze der Kirche gerichtet ist, kann nur die Gemeine als die kleinste vollkommne religiöse Organisation zum Gegenstande haben. / § 278 —» S. 85, § 2: Da der leitenden Thätigkeit ein Object gegenüber stehen muß, in welchem ein Uebergewicht von Receptivität gesezt ist: so kann der Kirchendienst und also auch seine Theorie nur in dem Maaß hervortreten,

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25

III. Teil: Praktische

5

Theologie

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§. 279. Die leitende Thätigkeit im Kirchendienst ist (vergl. §. 269.) theils die erbauende im Cultus oder dem Zusammentreten der Gemeine zur Erwekkung und Belebung des frommen Bewußtseins, theils die regierende, und zwar hier nicht nur durch Anordnung der Sitte, sondern auch durch Einfluß auf das Leben der Einzelnen. Diese zweite Seite konnte oben (§. 269.) nur so bezeichnet werden, wie es auch für das Kirchenregiment gilt. Der Kirchendienst aber würde einen großen Theil seiner Aufgabe verfehlen, wenn die leitende Thätigkeit sich nicht auch Einzelne zum Gegenstand machte.

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§. 280. Die erbauende Wirksamkeit im christlichen Cultus beruht überwiegend auf der Mittheilung des zum Gedanken gewordenen frommen Selbstbewußtseins, und es kann eine Theorie darüber nur geben, sofern diese Mittheilung als Kunst kann angesehen werden. Das ü b e r w i e g e n d gilt zwar (vergl. §. 49.) vom Christenthum überhaupt, in diesem aber wiederum vorzüglich von dem evangelischen. — G e d a n k e ist hier im | weiteren Sinne zu nehmen, in welchem auch die Elemente der 120 Poesie Gedanken sind. K u n s t in gewissem Sinne muß in jeder zusammenhängenden Folge von Gedanken sein. Die Theorie muß beides zugleich umfassen, in welchem Grade Kunst hier gefordert wird oder zugelassen, und 111 durch welche Verfahrungsweisen die Absicht zu erreichen ist. § . 2 8 1 . Das Materiale des Cultus im engeren che Vorstellungen sein, welche auch im Inbegriff ihren Ort haben; und die Theorie hat also, was bestimmen, was für Elemente der gemeinen Lehre sich für diese Mittheilung eignen.

Sinn k ö n n e n nur solder kirchlichen Lehre den Stoff betrifft, zu und in welcher Weise

Materiale im engern Sinn sind diejenigen Vorstellungen welche für sich selbst sollen mitgetheilt werden, im Gegensaz derer die diesen nur dienen als Erläuterung und Darstellungsmittel. — Und da dieselben Vorstellungen in der mannigfaltigsten Weise vom volksmäßigen bis zum strengwissenschaftlichen, von der Umgangssprache bis zur rednerischen und dichterischen verarbeitet sind: so muß bestimmt werden, welche von diesen Schat-

als der Gegensaz zwischen Klerus und Laien sich wenigstens der Verrichtung nach gebildet hat. / § 279 -* S. 85, § 3: Im Cultus steht in diesem Sinne die gesammte Gemeine dem Kleriker gegenüber; im religiösen Zusammenleben überhaupt Einzelne, aber als Glieder der Gemeine und in Bezug auf sie. / 5 280 -* S. 85, §§ 4—5: Da der Cultus in das Gebiet der Kunst fällt, und aus Kunstelementen zusammengesezt ist: so ist die Theorie des Cultus im allgemeinen die religiöse Kunstlehre. — Sie hat theils den religiösen Styl in jeder Kunst zu bestimmen, theils die Art wie aus ihnen insgesamt das religiöse Kunstwerk, der Cultus zu bilden ist./ § 281 -* S. 86, §§6—7: Was im Cultus in das Gebiet der Sprache fällt, muß sich reduciren lassen auf den Lehrbegriff. — Also ist auch die Vollkommenheit aller dieser Elemente des Cultus zu bestimmen nach ihrem Verhältniß zum Lehrbegriff, dessen Festsezung daher die besondere Theorie dieses Theiles ausmacht. /

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tirungen allgemein oder in verschiedener Beziehung sich für den Cultus eignen.

§. 282. Da der christliche Cultus, und besonders auch der evangelische, aus prosaischen und poetischen Elementen zusammengesezt ist: so ist, was die Form anlangt, zuerst zu handeln von dem religiösen Styl, dem prosaischen sowol als dem poetischen, wie er dem Christenthum 121 eignet; dann | aber auch von den verschiedenen Mischungsverhältnissen beider Elemente wie sie in dem evangelischen Cultus vorkommen können. Die Theorie der kirchlichen Poesie gehört wenigstens insoweit in die Lehre vom Kirchendienst, als auch die Auswahl aus dem vorhandenen nach denselben Grundsäzen muß gemacht werden.

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§. 283. Einförmigkeit und Abwechselung haben auf die Wirksamkeit aller Darstellungen dieser Art unverkennbaren Einfluß; daher ist auch die Frage zu beantworten, in wiefern, rein aus dem Interesse des 15 Cultus, der besseren Einsicht die Rüksicht auf das bestehende aufgeopfert werden muß oder umgekehrt. Zunächst scheint die Frage nur hieher zu gehören in dem Maaß, als sie innerhalb der Gemeine selbst entschieden werden kann ohne Zutritt des Kirchenregiments. Allein da die Gemeine doch auch ganz frei sein kann in dieser Beziehung, so wird diese Sache am besten ganz hieher gezogen.

20

§. 284. So sehr es auch dem Geist der evangelischen Kirche gemäß ist, die religiöse Rede als den eigentlichen Kern des Cultus anzusehen: so ist doch die gegenwärtig unter uns herrschende Form derselben, wie wir sie eigentlich durch den Ausdrukk P r e d i g t bezeichnen, in dieser 25 Bestimmtheit nur etwas zufälliges. 122

Dies geht hinreichend schon aus der Geschichte unseres Cultus hervor; noch deutlicher wird es, wenn man untersucht, wovon die große Ungleichheit in der Wirksamkeit dieser Vorträge eigentlich abhängt.

§. 285. Da die Disciplin, welche wir H o m i l e t i k nennen, gewöhn- 30 lieh diese Form als feststehend voraussezt, und alle Regeln hauptsächlich auf diese bezieht: so wäre es besser diese Beschränktheit fahren zu lassen, § 282 -* S. 85, $$ 4—5: Da der Cultus in das Gebiet der Kunst fällt, und aus Kunstelementen zusammengesezt ist: so ist die Theorie des Cultus im allgemeinen die religiöse Kunstlehre. — Sie hat theils den religiösen Styl in jeder Kunst zu bestimmen, theils die Art wie aus ihnen insgesamt das religiöse Kunstwerk, der Cultus zu bilden ist. / § 283 —/ § 284 S. 87, §13: Die religiöse Rede ist zwar ein wesentliches Element des Cultus; aber ihre Form sowohl als der Grad ihres Hervortretens vor den übrigen ist sehr zufällig. / 5 285 ->• S. 87, $ 14: Die Theorie ihrer Form ist ein Theil der religiösen Kunstlehre, die ihrer Materie muß sich ergeben aus dem Verhältniß der Elemente des Cultus zum Lehrbegriff. /

III. Teil: Praktische

Theologie

u n d den G e g e n s t a n d auf eine allgemeinere u n d freiere Weise zu

427 be-

handeln.

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Der Unterschied zwischen eigentlicher Predigt und Homilie, welcher seit einiger Zeit so berüksichtigt zu werden anfängt, daß man für die leztere eine besondere Theorie aufstellt, thut der Forderung unseres Sazes bei weitem nicht Genüge. §. 2 8 6 . Fast ü b e r a l l f i n d e n w i r in d e r e v a n g e l i s c h e n K i r c h e d e n C u l tus aus z w e i Elementen bestehend, d e m einen w e l c h e s ganz der freien P r o d u c t i v i t ä t d e s s e n , der d e n K i r c h e n d i e n s t v e r r i c h t e t , a n h e i m g e s t e l l t ist, u n d e i n e m a n d e r n w o r i n dieser sich nur als O r g a n des K i r c h e n r e g i m e n tes verhält. In der ersten Hinsicht ist er vorzüglich der P r e d i g e r , in der andern der Liturg.

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§. 2 8 7 . V o n d e m l i t u r g i s c h e n E l e m e n t k a n n h i e r n u r d i e R e d e s e i n unter der V o r a u s s e z u n g , d a ß u n d in w e l c h e m M a a ß eine freie Selbstbes t i m m u n g auch hiebei n o c h stattfindet. Die Frage über diese Selbstbestimmung kann nur aus d e m Standpunkt des Kirchenregiments entschieden werden. Hier könnte sie es nur, sofern nachzuweisen wäre, daß eine gänzliche Verneinung mit dem Begriff des Cultus in der evangelischen Kirche streitet. |

3—5 Wahrscheinlich denkt Schleiermacher hier vor allem an Georg Christian Bartels: Specielle Homiletik für die historische und parabolische Homilie, Braunschweig 1824 (vgl. besonders die programmatischen Äußerungen zum Theorieanspruch S. IVf. 2 f ) . Vgl. außerdem August Hermann Niemeyer: Grundriß der unmittelbaren Vorbereitungswissenschaften zur Führung des christlichen Predigtamts. Ein Leitfaden akademischer Vorlesungen, Halle 1803, S. 133—135; ders.: Handbuch für christliche Religionslehrer, 4. Aufl., Bd. 1—2, Halle 1799-1800, Bd. 2, S. 85-89; Gottlob Eusebius Fischer: Von dem Werthe der Homilien, in: Journal für Prediger Bd. 32 [= Neues Journal für Prediger Bd. 12], Halle 1796, S. 113 — 119; Gottlieb Lange: Ueber die Homilie, in: ders.: Biblische Religionsvorträge oder Homilien über einige historische Stellen des neuen Testaments. Nebst einer Abhandlung über die Homilie, Leipzig 1797, S. 1—98; Wilhelm Abraham Teller: Von Homilien, in: Magazin für Prediger, hg. v. W. A. Teller, Bd. 6, Stück 2, Züllichau/Frey Stadt 1797, S. 1 — 18; Kaspar Veithusen: Ueber die Homilie, in: Journal für Prediger, Bd. 14, Halle 1783, S. 16-22. 5 286 -* S. 86, § 8: Der Kleriker ist im Cultus theils Repräsentant der constituirten kirchlichen Autorität als Liturg, theils handelt er mit individueller Selbstthätigkeit als Prediger. / §287 -» S. 86, §§9—10: Beide Handlungsweisen sind eben so wenig außer einander als Freiheit und Gebundenheit des Cultus sich außereinander darstellen; sondern müssen überall in einander sein, nur in verschiedenem Verhältniß, und können nur nach Maaßgabe des Uebergewichtes der einen Function über die andere von einander gesondert werden. — Daher ist die doppelte Aufgabe zu lösen, wie und wodurch auch in den liturgischen Verrichtungen die individuelle Freiheit sich zu offenbaren habe, und wie und wodurch

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§. 288. Da der Kirchendienst im Cultus wesentlich an organische Thätigkeiten gebunden ist, welche eine der Handlung gleichzeitige Wirkung hervorbringen: so ist zu entscheiden, ob und in wiefern auch diese ein Gegenstand von Kunstregeln sein können, und solche sind demgemäß aufzustellen.

5

Die Regeln wären dann eine Anwendung der Mimik in dem weiteren Sinne des Wortes auf das Gebiet der religiösen Darstellung.

§. 289. Da die Handlungen des Kirchendienstes an eine beschränkte Räumlichkeit gebunden sind, welche ebenfalls durch ihre Beschaffenheit einen gleichzeitigen Eindrukk machen kann: so ist zu entscheiden, inwie- 10 114 fern ein solcher zuläßig ist oder wünschenswerth, und dem gemäß Regeln darüber aufzustellen. Da die Umgrenzung des Raums nur eine äußere Bedingung, mithin Nebensache, nicht ein Theil des Cultus selbst ist: so würden die Regeln nur sein können eine Anwendung der Theorie der Verzierungen auf das Gebiet der religiösen Darstellung.

15

§. 290. Sehen wir lediglich auf den Gegensaz überwiegend productiver und überwiegend empfänglicher innerhalb der Gemeine, so daß wir die lezteren als gleich betrachten: so kann es in der Gemeine eine leitende Thätigkeit geben, welche gemeinsames hervorbringt: sofern aber unter 20 124 den Empfänglichen ein Theil hinter dem Ganzen zu|rükbleibt: so ist ihr Zustand als Einzelner Gegenstand der leitenden Thätigkeit. Die leztere ist schon unter dem Namen der Seelsorge bekannt; und wir machen mit ihr den Anfang, da immer die Aufhebung einer solchen Ungleichheit als die erste Aufgabe erscheint. Erstere nennen wir die anordnende, und sie bringt sowol Lebensweisen hervor als einzelne gemeinsame Werke.

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§.291. Gegenstände der Seelsorge im weiteren Sinn sind zunächst die Unmündigen in der Gemeine zu erziehenden; und die Theorie der zur Organisation des Kirchendienstes gehörenden auf sie zu richtenden 30 Thätigkeit wird die K a t e c h e t i k genannt. Der Name ist nur von einer zufälligen Form der unmittelbaren Ausübung hergenommen, mithin für den ganzen Umfang der Aufgabe zu beschränkt.

auch in den freien die liturgische Repräsentation. / § 288 -* — / § 289 -* — / § 290 S. 87, §§ 15 + 17: Die klerikalische Thätigkeit deren unmittelbarer Gegenstand die Einzelnen sind, ist die Seelsorge. — Die Einzelnen können nur in sofern Gegenstand einer besonderen klerikalischen Thätigkeit werden, als sie sich nicht in der Identität mit der Gemeine befinden./ §290 Erl —• S. 88, § 18: Die Seelsorge geht also zuerst auf Hervorbringung dieser Identität bei denjenigen, welche einen natürlichen Anspruch auf dieselbe haben. / § 291 -* S. 88, § 21: Aus diesen Bestimmungen sind also die materiellen Principien der Katechetik abzuleiten. /

III. Teil: Praktische

Theologie

429

§. 292. Das katechetische Geschäft kann nur richtig geordnet werden, wenn zwischen allen Betheiligten eine Einigung über den Anfangspunkt und Endpunkt desselben besteht. 5

Sofern also ist, wenn diese Einigung sich nicht von selbst ergiebt, das Geschäft sowol als die Theorie abhängig von der ordnenden Thätigkeit.

§. 293. Vermöge des Zwekks die Unmündigen den Mündigen gleich zu machen, sofern nämlich diese die Empfänglichen sind, muß das Geschäft aus zwei Theilen bestehen, daß sie nämlich eben so empfänglich werden für die erbauende | Thätigkeit und auch eben so (vergl. §. 279.) 10 für die ordnende; und die Aufgabe ist beides durch ein und dasselbe Verfahren zu erreichen. Das erste ist die Belebung des religiösen Bewußtseins nach der Seite des Gedanken hin, das andere die Erwekkung desselben nach der Seite des Impulses.

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§. 294. Sofern aber zugleich der Zwekk sein muß sie zu einer größeren Annäherung an die überwiegend selbstthätigen vorzubereiten: so ist zu bestimmen, wie dies geschehen könne ohne ihr Verhältniß zu den andern Mündigen zu stören. Wie die Katechetik überhaupt auf die Pädagogik als Kunstlehre zurükkgeht: so ist auch dieses eine allgemein pädagogische Aufgabe, die sich aber doch in Bezug auf das religiöse Gebiet auch besonders bestimmt.

§. 295. Da nach beiden Seiten (vergl. §. 293.) hin nicht nur die Frömmigkeit im Gegensaz gegen das sinnliche Selbstbewußtsein, sondern auch in ihrem christlichen Charakter und als die evangelische zu entwikkein ist: so ist auch hier das Verhalten der individuellen und universellen [Zu § 293 oder § 294]

Grenze der Ungleichheit der Katechumenen

13 Gedanken] Vgl. Adelung: Wörterbuch Bd. 2, Sp. 455 § 292 -* — /

§ 293. -» - /

§294-*

- /

§294 Erl-* S. 88, § 22: Da das Verhältniß

des Klerikers zu den Katechumenen kein vollständiges Zusammenleben ist, und nur in der Realität des Lebens sich augenscheinlich zeigen kann, wieweit das religiöse Princip jedesmal gebildet ist: so kann die Aufgabe diesen Mangel zu ersezen nur durch die Methodik jenes Verhältnisses gelöset w e r d e n . / §295 -*• S. 88, §§19—20: Die Erwekkung des religiösen Princips überhaupt zum Bewußtsein und zur Selbstthätigkeit ist allemal zugleich auf Hervorbringung der individuellen Form der Religiosität in einer bestimmten Kirchenparthei gerichtet. — Sie ist eben so allemal zugleich Aufregung des veränderlichen und den Augenblik charakterisirenden und Einpflanzung des bleibenden und normalen. /

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116 Richtung zu einander, sowol in Bezug auf die Ausgleichung als die Fortschreitung (vergl. §. 294.) zu bestimmen. Es ist um so nothwendiger diese Aufgabe in die Theorie aufzunehmen, als in der neuesten Zeit die merkwürdigsten Verirrungen in diesem Punkt vorgekommen sind.

5

§. 296. Aus ähnlichem Grunde können diejenigen Einzelnen Gegen126 stände einer ähnlichen | Thätigkeit werden, welche als religiöse Fremdlinge im Umkreis oder der Nähe einer Gemeine leben, und dies erfordert dann eine Theorie über die Behandlung der Convertenden. Je bestimmter die Grundsäze der Katechetik aufgestellt sind, um desto leichter müssen sich diese daraus ableiten lassen.

10

§. 297. Da aber diese Wirksamkeit nicht so natürlich begründet ist: so wären auch Merkmale aufzustellen, um zu erkennen ob sie gehörig motivirt ist. Denn es kann hier auf beiden Seiten gefehlt werden, durch zu leichtes Vertrauen und durch zu ängstliche Zurükhaltung.

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§. 298. Bedingterweise könnte sich eben hier auch die Theorie des Missionswesens anschließen, welche bis jezt noch so gut als gänzlich fehlt. Am leichtesten freilich nur, wenn man davon ausgeht, daß alle Bemühungen dieser Art nur gelingen, wo eine christliche Gemeine besteht.

§. 299. Einzeln können solche Mitglieder der Gemeine Gegenstände für die Seelsorge werden, welche ihrer Gleichheit mit den andern durch

3—5 Nach Praktische Theologie, SW 1/13, S. 402 f, denkt Schleiermacher an zwei extreme katechetische Positionen, die einseitig entweder das allgemein Christliche oder gar Religiöse auf Kosten der besonderen evangelischen Identität (so ζ. B. in bestimmten Gestalten der Aufklärungstheologie und des Rationalismus) oder aber umgekehrt das spezifisch Evangelische oder gar Lutherische auf Kosten des allgemeinen Religiösen und Christlichen (so ζ. B. im Supernaturalismus und Konfessionalismus) zum Ziel der Unterweisung machen. § 296 S. 89, § 23: In wie fern bei Nichtchristen ein Verlangen nach dieser Identität nur durch das Anschauen des religiösen Lebens einer Gemeine lebendig erregt werden kann, gehört hieher auch die Befriedigung dieses Verlangens oder die Vorbereitung der Convertenden. / § 297 -* S. 89, § 24: Da dieses Verlangen schon eine Regung des religiösen Principe nicht nur, sondern auch des auf gewisse Weise bestimmten ist: so hat die Theorie festzusezen, was und wieviel von der Identität mit der Gemeine schon da sein muß, um einen Anspruch auf diesen Theil der Seelsorge zu begründen, und auf welchem Wege das Fehlende zu ergänzen ist. / § 298 -» — / 5 299 S. 89, §§ 25-26: Bei denen welche schon zur Gemeine gehören, kann die Identität mit derselben innerlich oder äußerlich verlezt sein. — Das Bestreben, den krankhaften Zustand Einzelner, liege nun die Abwei-

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III. Teil: Praktische

Theologie

431

innere oder äußere Ursachen verlustig gegangen sind; und die Beschäftigung mit diesen nennt man die S e e l s o r g e im engeren Sinne.

5

D a n ä m l i c h die Gleichheit in der Wirklichkeit i m m e r nur d a s Kleinste der U n g l e i c h h e i t ist: s o sollen diejenigen die unter d e n G l e i c h e n die Lezten s i n d , hier nicht g e | m e i n t sein; w i e d e n n diese a u c h i m m e r v o r h a n d e n sind, jene aber nur zufällig.

117 127

§. 300. Da nun in diesem Fall ein besonderes Verhältniß anzuknüpfen ist: so hat die Theorie zunächst zu bestimmen, ob es überall auf beiderlei Weise entstehen kann, von dem Bedürftigen aus und von dem 10 Mittheilenden aus, oder unter welchen Verhältnissen welche Weise die richtige ist. D i e g r o ß e Verschiedenheit der B e h a n d l u n g dieses G e g e n s t a n d e s in verschied e n e n T h e i l e n der e v a n g e l i s c h e n Kirche ist bis jezt w e d e r construirt n o c h beseitigt.

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§. 301. Da ein solcher Verlust der Gleichheit aus innern Ursachen sich nur in einer Opposition zeigen kann gegen die erbauende oder die ordnende Thätigkeit: so ist demnächst zu bestimmen, ob und wie im Geist der evangelischen Kirche das Verfahren aus beiden Elementen (vergl. §. 279.) zusammenzusezen ist; endlich auch, ob wenn die Seel20 sorge ihren Zwekk nicht erreicht, ihr Geschäft immer nur als noch nicht beendigt anzusehen ist, oder ob und wann und inwiefern der Zusammenhang der unempfänglich gewordenen mit den leitenden als aufgehoben kann angesehen werden. 25

D i e A u f h e b u n g dieses Z u s a m m e n h a n g e s z ö g e a u c h die des Z u s a m m e n h a n ges mit der G e m e i n e als solcher nach sich.

§. 302. In Hinsicht der durch die Wirksamkeit äußerer Ursachen nothwendig gewordenen Seelsorge, ist außer der ersten Aufgabe (vergl. | §. 300.) nur noch zu bestimmen, wie die Uebereinstimmung dieser amt- 128 liehen Wirksamkeit, die wesentlich die geistige Krankenpflege umfaßt, 118 30 mit der geselligen der Empfänglichen aus der Gemeine zu erreichen ist. chung mehr im theoretischen oder im praktischen, wieder aufzuheben, ist die Seelsorge im engern Sinn. / 5 300 -* S. 90, § 27: Da dieses Verhältniß angeknüpft werden kann theils von dem Klerus theils von den Laien: so hat die Theorie zu bestimmen, welches unter welchen Umständen das rechte ist./ §301 -* S. 90, §§28 — 29: Da es enden kann entweder in Wiederherstellung oder in Abbrechung bis auf weiteres oder in gänzliche Trennung: so hat die Theorie zu zeigen, wie das erste möglichst zu befördern und das lezte möglichst zu verhüten sei, nebst den Grenzen dieser Möglichkeit. — Aeußerlich ist die Identität derer mit der Gemeine verlezt, welche außer Stand gesezt sind an ihrem gemeinsamen religiösen Leben Theil zu nehmen. / 5 302 -* S. 90, 5 30: Die Aufgabe der klerikalischen Krankenpflege geht also dahin, jenen Mangel so zu ergänzen, daß die innere Identität darunter nicht leide, sondern sich unter den gegebenen Umständen vollkommen offenbare. /

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Kurze Darstellung (2. Auflage) Denn das im §. 301. in Frage gestellte kann hier kaum streitig sein, da hier nur zu ergänzen ist, was durch den momentan aufgehobenen Antheil im gemeinsamen Leben versäumt wird. Die erbauende Thätigkeit grenzt hier zu nahe an das gewöhnliche Gespräch, um einer besonderen Theorie zu bedürfen.

5

§. 303. Die innerhalb der Gemeine anordnende Thätigkeit (vergl. §. 290.) erscheint in Beziehung auf die Sitte beschränkt, theils durch die umfassenderen Einwirkungen des Kirchenregimentes, theils durch die unabweisbaren Ansprüche der persönlichen Freiheit. Man kann nur sagen erscheint; denn die Leitenden müssen durch ihr eigenes persönliches Freiheitsgefühl zurükkgehalten werden nicht in dieses Gebiet einzugreifen. Eben dadurch aber sollten auch die Leitenden im Kirchenregiment abgehalten werden nicht centralisirend in das Gebiet der Gemeine einzugreifen.

10

§. 304. Da die evangelische Sitte eben so wie die Lehre im Gegensaz 15 gegen die katholische Kirche, noch in der Entwiklung begriffen ist: so sind nur im allgemeinen Regeln aufzustellen, wie das Gesamtleben von einem gegebenen Zustande aus allmählig der Gestalt näher gebracht 129 werden | kann, welche der reiferen Einsicht der Vorgeschrittenen gemäß ist. 20 Der gegebene Zustand kann entweder noch unerkannt mancherlei vom Katholizismus in sich tragen, oder auch irrthümlich Schranken, welche das Christenthum selbst stellt, überschritten haben. 119

§. 305. Da das Leben auch in der christlichen Gemeine zugleich durch gesellige und bürgerliche Verhältnisse bestimmt wird: so ist anzu[Auf der Vorderseite des Umschlagblatts zu S. 129] Memoires Correspondence et ouvrages inedits de Diderot Paris 4 Voll, auflösende Kraft die Gefahr Katholiken würden mich auslachen über unsere Einheit.

29 auslachen] auslach 27 Denis Diderot: Memoirs, correspondance et ouvrages inidits de Diderot, publies d'apres les manuscrits confies en mourant par l'auteur ä Grimm, Bd. 1—4, Paris 1830—1831 — Schleiermacher hat die Bände nach Auskunft des Hauptbuches Reimer am 25. Juni 1832 erhalten. §303 -> - /

§304 -" - /

§305 -» - /

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III. Teil: Praktische

Theologie

433

geben, auf welche Weise auch in diesem Gebiet, so weit dies von lokalen Bestimmungen ausgehen kann, dem Einfluß des christlichen und evangelischen Geistes größere Geltung zu verschaffen ist. 5

Ueberall kann hier nur von der Verfahrungsweise die Rede sein, indem das materielle der ordnenden Thätigkeit von der geltenden Auffassung der christlichen Lehre besonders der Sittenlehre abhängt.

§. 3 0 6 . Da von der ordnenden Thätigkeit auch die Aufforderungen zur Vereinigung der Kräfte ausgehen müssen zum Behuf aller solcher gemeinsamen Werke, welche in dem Begriff und Bereich der Gemeine 10 liegen: so ist es wichtig diese Grenze (vergl. §. 303.) zu bestimmen. Die Aufgabe ist, dasjenige was für die amtliche Wirksamkeit gehört und beständig fortgeht, ζ. B. das ganze Gebiet des Diakonats im ursprünglichen Sinn, von dem zu scheiden was nur von dem persönlichen Verhältniß einzelner Leitenden auf einen Theil der Masse ausgehen kann. |

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§. 3 0 7 . Der Kirchendienst ist hier als Ein Gebiet behandelt worden, ohne die verschiedene mögliche Weise der Geschäftsvertheilung irgend beschränken zu wollen.

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Sonst hätten wir hier schon die Theorie der kirchlichen Verfassung vorwegnehmen müssen. Wir können daher auch hier nur nach alter Weise Alle, die an den Geschäften des Kirchendienstes Theil nehmen, in dem Ausdrukk Klerus auf dieser Stufe zusammenfassen.

§. 3 0 8 . Auch nur in dieser Allgemeinheit kann daher die Frage be- 120 handelt werden, ob und was für einen Einfluß das kirchliche Verhältniß zwischen Klerus und Laien auf das Zusammensein der ersten mit den lezten, sowol in den bürgerlichen als in den geselligen und wissenschaftlichen Verhältnissen werde zu äußern haben. Die Aufgaben welche gewöhnlich unter dem Namen der P a s t o r a l k l u g h e i t behandelt wurden, erscheinen hier als ganz untergeordnet, und ihre Lösung beruht auf der Erledigung der Frage, ob und welcher specifische

27 f Vgl. ζ. B. Nösselt: Anweisung,

Bd. 3, S. 9.

120-139.

§ 306 '-* — / § 307 -* — / § 308 -> S. 90, §31: Kleriker und Laien, sind nicht nur in der Gemeine und in Bezug auf sie zusammen, sondern auch im Staat, in den allgemeinen geselligen Verhältnissen, und bisweilen im wissenschaftlichen Verein. / 5 308 Erl -* S. 91, § 32: In wiefern diese Verhältnisse dem kirchlichen entweder förderlich sein können oder ihm entgegenwirken: so hat die Theorie der klerikalischen Amtsklugheit zu bestimmen, theils wie das Förderliche in ihnen vorzüglich könne gehoben und geltend gemacht werden; theils wie der Streit zwischen ihnen entweder rein aufzulösen ist, oder wenn nicht, wie die andern Verhältnisse dem kirchlichen so unterzuordnen sind, daß es nicht unter ihnen leide. /

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Kurze Darstellung (2. Auflage) Unterschied statt finde zwischen denen Mitgliedern des Klerus, welche den Cultus leiten, und den übrigen.

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Zweiter Abschnitt. D i e G r u n d s ä z e des K i r c h e n r e g i m e n t e s .

§. 309. Wenn das Kirchenregiment in der Gestaltung eines Zusam- 5 menhanges unter einem Complexus von Gemeinden beruht: so ist zunächst die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, welche sich zwischen dem Kirchenregiment und den Gemeinden entwikkeln können, zu verzeichnen, und zu bestimmen ob durch den eigenthümlichen Charakter der evangelischen Kirche einige Formen bestimmt ausgeschlossen oder an- 10 dere bestimmt postulirt werden. 121

Es wird nämlich vorausgesezt, daß die Gestaltung eines solchen Zusammenhanges weder dem Wesen des Christenthums widerspricht, noch die Selbstthätigkeit der Gemeinen aufhebt.

§.310. Da die Art und Weise, wie sich die überwiegend Selbstthäti- 15 gen in einem solchen geschlossenen Complexus zur Ausübung des Kir[Zu 5 309] Der Zusammenhang ist nicht das primitive. In der Muttergemeinde war aber beides angelegt. Beides repräsentirt in den Aposteln. [Zu §310] Innere Kirchenverfassung zwei Elemente Form des Regiments (monarchische aristokratische repräsentative)

17 Muttergemeinde] Muttergemd. 19 Kirchenverfassung] KV. 20 Regiments] Regs 20 monarchische aristokratische repräsentative] monarch, aristokr. repräs: 5—9 Schleiermacher denkt hier an die drei grundlegenden Verfassungsformen: Episkopalverfassung, Konsistorialverfassung und Presbyterialverfassung. 9—11 Zur Wertung §§309—310 -* S. 77, §§1—3: Da das Kirchenregiment bei Protestanten und Katholiken auf eine ganz verschiedene Weise geführt wird: so kann auch jede Theorie desselben un-

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III. Teil: Praktische

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Theologie

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chenregiments gestalten, und wie sich dessen Wirksamkeit und die freie Selbstthätigkeit der Gemeinen gegenseitig erregt und begrenzt, die innere Kirchenverfassung bildet: so hat die obige Aufgabe die Tendenz, diese für die evangelische Kirche sowol in ihrer Mannigfaltigkeit als in ihrem Gegensaz gegen die katholische auf Grundsäze zurükkzuführen. | Die Lösung muß einerseits auf dogmatische Säze zurükkgehen, und kann andererseits nur durch zwekkmäßigen Gebrauch der Kirchengeschichte und der kirchlichen Statistik gelingen.

§. 311. Da die evangelische Kirche dermalen nicht Einen Comple10 xus von Gemeinen bildet, und in verschiedenen auch die innere Verfassung eine andere ist, die Theologie hingegen für alle dieselbe sein soll: so muß die Theorie des Kirchenregimentes ihre Aufgaben so stellen, wie sie für alle möglichen evangelischen Verfassungen dieselben sind, und von jeder aus können gelöst werden. 15

20

Das d e r m a l e n soll nur bevorworten, daß die Unmöglichkeit einer jeden äußeren Einheit der evangelischen Kirche wenigstens nicht entschieden ist. Verhältniß zu den Gemeinden, (woher der Impuls welcher Theil nur leidend oder mitwirkend perge) Ob das Wesen des Katholizismus mehr liegt in der monarchischen Form oder in der strengen Subordination der Gemeinden? Independente als äußerster Gegensaz. [Zu §310 [Zu §311]

Erl]

Dogmatische Säze. IWortl. Geist Freiheit

Die Aufgabe müßte vom Begriff ausgehn.

17 Verhältniß] Vhltnß 17 Gemeinden] Gemden 19 monarchischen] m o n a r c h " 2 0 Gemeinden] Gemdn 2 3 Begriff] B.

19 Katholizismus] Kathol. 2 2 Dogmatische] D o g m

der verschiedenen kirchlichen Verfassungsformen am Maßstab ihrer Entsprechung zum Wesen des Evangelischen vgl. Schleiermachers Schrift Ueber das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten. Ein theologisches Bedenken, Göttingen 1824, S. 78—90. mittelbar und in gleichem Sinne nur für eine von beiden Partheien gelten. — Jede also die in dieser Periode ihre Anwendung finden will, muß sich an die lezten Resultate der philosophischen Theologie (I. Erste Abth. 9—12) anschließen, um das klare Bewußtsein von diesem Gegensaz und seiner Bedeutung zum Grunde zu legen. — Dieses klare Bewußtsein fehlt nicht nur, wenn man den innern Grund der Verschiedenheit beider Partheien verkennt, sondern eben so sehr, wenn man alles was sich in beiden verschieden gestaltet voreiligerweise als nothwendig aus dem Gegensaz entsprungen betrachtet. / § 311 — /

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Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

§. 312. Da jedes geschichtliche Ganze nur durch dieselben Kräfte fortbestehen kann, durch die es entstanden ist: so besteht das evangelische Kirchenregiment aus zwei Elementen, dem gebundenen, nämlich 122 der Gestaltung des Gegensazes für den gegebenen Complexus, und dem ungebundenen, nämlich der freien Einwirkung auf das Ganze, welche jedes einzelne Mitglied der Kirche versuchen kann, das sich dazu berufen glaubt.

133

5

Die evangelische Kirche nicht nur in Bezug auf die Berichtigung der Lehre, sondern auch ihre Verfassung oder ihr gebundenes Kirchenregiment, ist ursprünglich aus dieser freien Einwirkung entstanden, ohne welche auch, 10 da das gebundene mit der Verfassung identisch ist, eine | Verbesserung der Verfassung denkbarerweise nicht erfolgen könnte. — Damit die lezte Bestimmung nicht tumultuarisch erscheine, muß nur bedacht werden, daß wenn sich einer, der nicht zu den überwiegend productiven gehört, doch berufen glauben sollte, der Versuch von selbst in nichts zerfallen würde. 15

§. 313. Beide können nur denselben Zwekk haben, (vergl. §. 25.) die Idee des Christenthums nach der eigenthümlichen Auffassung der evangelischen Kirche in ihr immer reiner zur Darstellung zu bringen, und immer mehr Kräfte für sie zu gewinnen. Das organisirte Element aber, die kirchliche Macht oder richtiger Autorität, kann dabei ordnend 20 oder beschränkend auftreten, das nicht organisirte oder die freie geistige Macht, nur aufregend und warnend. Einverstanden jedoch, daß auch der kirchlichen M a c h t jede äußere Sanction für ihre Aussprüche fehlt; so daß der Unterschied wesentlich darauf [Zu §312] Nämlich entstanden ist sie durch freie Thätigkeit. Wie keine möglieh vor Buchdruck: so auch jezt vornemlich dadurch thätig. Das Gebundene ist Kirchenregiment in engerm Sinn.

25 entstanden] entstand 27 Kirchenregiment] KRg 25 £ Vgl. Praktische 443,6.

25 durch] dh

Theologie,

26 Buchdruck] Bdk

26 dadurch] ddh

SW 1/ 13, S. 533. 704 f ; vgl. auch § 328, unten

442,30-

§312 -*• S. 78, §4: Wenn auch mit und aus dem Gegensaz zwischen Klerus und Laien sich in der Kirche eine äußere Autorität constituirt hat: so kann doch nicht alle zum Kirchenregiment gehörige Thätigkeit auch von ihr ausgehn; sondern es giebt dann eine Thätigkeit der Kirchengewalt und eine Thätigkeit Einzelner, welche oder sofern sie nicht zur Kirchengewalt gehören./ §313 -* S. 78, §§5~6 + S. 79, § 10: Die Kirchengewalt geht natürlich im Ganzen mehr auf Erhaltung und Ausbildung des durch die lezte Epoche

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III. Teil: Praktische Theologie

437

hinausläuft, d a ß diese als Ausdrukk des Gemeingeistes und Gemeinsinnes wirken, die freie geistige M a c h t aber etwas erst in den Gemeinsinn und Gemeingeist bringen will.

5

§. 3 1 4 . Der Zustand eines kirchlichen Ganzen ist desto befriedigender, je lebendiger beiderlei Thätigkeiten ineinander greifen, und je bestimmter auf beiden Gebieten mit dem Bewußtsein ihres relativen Gegensazes gehandelt wird.

10

Die kirchliche A u t o r i t ä t hat also zu vereinigen, und die T h e o r i e m u ß die Formel dafür (vergl. §. 3 1 0 . ) aufsuchen, wie ihr überwiegend obliegt, das durch die lezte | E p o c h e gebildete Princip zu erhalten und zu befestigen,

15

zugleich aber auch die Aeußerungen freier Geistesmacht zu begünstigen und zu beschüzen, welche allein die Anfänge zu umbildenden Entwiklungen hervorbringen kann. E b e n so für die freie Geistesmacht, wie sie o h n e der Stärke der Ueberzeugung etwas zu vergeben, sich d o c h mit d e m begnügen könne, w a s durch die kirchliche A u t o r i t ä t ins Leben zu bringen ist.

20

§. 3 1 5 . Da ein größerer kirchlicher Zusammenhang nur statt finden kann bei einem gewissen Grade von Gleichheit oder einer gewissen Leichtigkeit der Ausgleichung unter den ihn constituirenden Gemeinden: so hat auch überall die kirchliche Autorität einen Antheil an der Gestaltung und Aufrechthaltung des Gegensazes zwischen Klerus und Laien in den Gemeinen. N ä m l i c h nur einen Antheil, weil die Gemeine früher ist als der kirchliche Nexus, und weil sie nur ist, sofern dieser Gegensaz in ihr besteht.

25

§. 3 1 6 . Da dieser Antheil ein größtes und ein kleinstes sein kann: so hat die Theorie diese Verschiedenheit erst zu fixiren, und dann zu bestimmen, welchen anderweitigen Verhältnissen und Zuständen jede Weise zukomme, und ob sie dieselbige sei für alle Functionen des Kirchendienstes oder eine andere für andere.

schon fixirten, die Einzelnen mehr auf die fortschreitende Vorbereitung des folgenden. — Eben so zeigt sich in der Thätigkeit der Kirchengewalt mehr das Uebergewicht des religiösen Interesse, in der auf das Ganze gerichteten Thätigkeit der Einzelnen mehr das Uebergewicht des wissenschaftlichen Geistes. — Alles was zur Darstellung der Idee des Christenthums in der Kirche gehört, mag es nun auf das innerste Wesen desselben oder auch nur auf seine natürlichen äußeren Verhältnisse sich beziehen, ist ein Gegenstand des Kirchenregimentes. / §314 S. 78, §§7—8; S. 84, §31: Auf beiden Gebieten muß mit dem Bewußtsein des Gegensazes den sie bilden gehandelt werden. — Beide Thätigkeiten müssen aber auch gegenseitig in einander greifen, wenn das Kirchenregiment vollkommen sein soll. — Beide die Kirchengewalt und die Einzelnen müssen sich der Grenzen ihrer Thätigkeit im Kirchenregiment bewußt sein, um desto richtiger in einander zu greifen./ §314 Erl -» S. 78, 5 5: Die Kirchengewalt geht natürlich im Ganzen mehr auf Erhaltung und Ausbildung des durch die lezte Epoche schon fixirten, die Einzelnen mehr auf die fortschreitende Vorbereitung des folgenden. / § 315 -* — / § 316 —/

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Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

Denn daß in diesem scheinbar stätigen Uebergang vom Kleinsten zum Größten sich doch gewisse Punkte als Hauptunterschiede feststellen lassen, versteht sich aus allen ähnlichen Fällen von selbst. | §. 3 1 7 . D a ferner jene G l e i c h h e i t w e d e r als u n v e r ä n d e r l i c h n o c h als sich i m m e r v o n selbst w i e d e r h e r s t e l l e n d a n g e s e h e n w e r d e n k a n n , m i t h i n

5

sie zugleich ein W e r k d e r k i r c h l i c h e n A u t o r i t ä t sein m u ß : s o ist die A r t und W e i s e diesen E i n f l u ß a u s z u ü b e n , d a s heißt d e r B e g r i f f der kirchlic h e n G e s e z g e b u n g , zu b e s t i m m e n . Z u g l e i c h ; weil sie nehmlich in gewissem Sinne schon vorhanden sein muß vor der kirchlichen Autorität. — Der Ausdrukk Gesezgebung bleibt, weil die kirchliche Autorität ebenfalls aller äußeren Sanction entbehrt, immer ungenau. §.318.

10

D a nun diese G l e i c h h e i t z u n ä c h s t n u r e r s c h e i n e n k a n n i m

C u l t u s u n d in der Sitte, beide a b e r a n sich d e r a d ä q u a t e A u s d r u k k d e r a n j e d e m O r t h e r r s c h e n d e n F r ö m m i g k e i t sein sollen: s o e n t s t e h t die A u f -

15

g ä b e beides d u r c h die k i r c h l i c h e G e s e z g e b u n g zu vereinigen und vereint zu e r h a l t e n . Es liegt in der Natur der Sache, daß dies nur durch Annäherung geschehen kann, und daß also die Theorie vorzüglich darauf sehen muß, das Schwanken zwischen dem Uebergewicht des einen und des andern in möglichst enge Grenzen einzuschließen.

20

§. 3 1 9 . D a beide nur, sofern sie sich selbst gleich bleiben, als A u s d r u k k d e r k i r c h l i c h e n E i n h e i t f o r t b e s t e h e n k ö n n e n , alles a b e r w a s u n d [Zu §317]

Gleichheit 3 1 5

[Zu § 318]

Aufsichtsrecht

[Zu §319]

Reformationsrecht

§317 -*• S. 79, § 11: Die Thätigkeit der Kirchengewalt im Kirchenregiment ist vorzüglich eine gesezgebende. / $ 318 -* S. 80, 5 15: Die Gesezgebung für den Cultus muß darauf gerichtet sein, daß er der adäquate Ausdruk des religiösen Sinnes je länger je mehr werde und bleibe./ § 319 S. 80, §§16 — S. 81, §18: In sofern der religiöse Sinn sich mannigfaltig modificirt, und alles was Ausdruk ist seinen Werth und Bedeutsamkeit allmählig wechselt, muß auch der Cultus sich mannigfaltig gestalten können nach Erforderniß von Ort und Zeit, und also muß statutarisch begründet werden seine Freiheit und Beweglichkeit. — In sofern der religiöse Sinn in einer Kirchenparthei immer und überall sich gleich ist, und der Cultus also auch dessen Einheit auszudrükken hat, muß er überall erkannt werden können als diese Parthei repräsentirend, und also hat man statutarisch zu begründen seine Gleichförmigkeit. — Soll beides in Einer Gesetzgebung nothwendig verbunden sein: so darf die Freiheit nie in Willkühr und Subjectivität ausarten können, und die Gleichförmigkeit sich nie in todte Form verwandeln. /

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111. Teil: Praktische

Theologie

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sofern es Ausdrukk und Darstellungsmittel ist, seinen Bedeutungswerth allmählig ändert: so entsteht die Aufgabe für die Gesezgebung, sowol die | Freiheit und Beweglichkeit von beiden anzuerkennen als auch ihre 136 Gleichförmigkeit zu begründen. 5

Hiedurch m u ß sich zugleich auch das Verhältniß der kirchlichen Autorität z u m Kirchendienst in der Constitution des Cultus und der Sitte w e n i g s t e n s in b e s t i m m t e Grenzen einschließen.

125

§. 320. Der kirchlichen Autorität muß ferner geziemen, im Falle einer Opposition in den Gemeinen, rühre sie nun her (vergl. §. 299.) von 10 Einzelnen aus der Einheit mit dem Ganzen gefallenen oder von zurükkgetretener Einheit überhaupt, als höchster Ausdrukk des Gemeingeistes den Ausschlag zu geben, wenn innerhalb der Gemeine keine Einigung zu erzielen ist. 15

Geltend wird dieser Ausschlag immer nur, sofern auch die O p p o n e n t e n nicht aufhören w o l l e n in diesem kirchlichen Verein ihren christlichen Gemeinschaftstrieb zu befriedigen.

§. 321. In sofern die kirchliche Autorität hierauf entweder durch allgemeine Bestimmungen einwirkt, oder wenigstens solchen folgt, wo sie einzeln zutritt, muß hier die Frage erledigt werden, ob und unter 20 welchen Verhältnissen in einem evangelischen Kirchenverein Kirchenzucht statt finde oder auch Kirchenbann.

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Lezterer nehmlich sofern die A u f h e b u n g des Verhältnisses eines Einzelnen zur G e m e i n e oder z u m Kirchenverein v o n der Autorität a u s g e s p r o c h e n w e r d e n kann. Ersteres insofern eine stattgehabte O p p o s i t i o n nur durch eine | öffentliche A n e r k e n n u n g ihrer Unrichtigkeit solle beendigt w e r d e n können. [Zu 5 320]

Schiedsrichterliches Recht.

[Zu § 321]

Differenz zwischen dieser Frage u n d der o b i g e n

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[Auf der Vorderseite des Omschlagblatts zu S. 137] Unter welcher Voraussezung w ü r d e n Beide Differenz sein auf gute Weise

30 Voraussezung] Vaussezung § 320 -» S. 79, 5 12: In Absicht auf das religiöse Leben überhaupt hat die Kirchengewalt zu bestimmen, wie das krankhafte, was sich in der sichtbaren Kirche erzeugt, aus derselben auszuscheiden ist. / § 321 S. 79, §13 — S. 80, $ 14: Die Aufgabe, ein Verfahren zu finden, welches auf das fremdartige wirkt ohne selbst ein fremdartiges zu sein, muß

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Kurze

Darstellung

(2.

Auflage)

§. 322. Ueber das Verhältniß der kirchlichen Autorität zu dem Lehrbegriff machen sich noch so entgegengesezte Ansichten geltend, daß es unmöglich scheint einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu finden, so daß eine Theorie nur bedingterweise kann aufgestellt werden. 126

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J a es m ö c h t e sogar nicht einmal leicht sein die Partheien zum Einverständniß über den O r t , w o der Streit entschieden werden sollte, mithin gleichsam zur Wahl eines Schiedsrichters zu bringen.

5

§. 323. Ausgehend einerseits davon, daß der evangelische Kirchenverein entstanden ist mit und fast aus der Behauptung, daß keiner Autorität zustehe den Lehrbegriff festzustellen oder zu ändern, andererseits 10 davon, daß wir ohnerachtet der Mehrheit evangelischer Kirchenvereine, welche verschiedenen Maximen folgen, doch Eine evangelische Kirche und eine diese Einheit bezeugende Lehrgemeinschaft anerkennen, glauben wir die Aufgabe nur so stellen zu dürfen. Es sei zu bestimmen, wie die kirchliche Autorität eines jeden Vereins, anerkennend daß Aenderun- 15 gen in den Lehrsäzen und Formeln nur entstehen dürfen aus den Forschungen Einzelner, wenn diese in die Ueberzeugung der Gemeine aufgenommen werden, diese Wirksamkeit der freien Geistesmacht beschüzen, zugleich aber die Einheit | der Kirche in den Grundsäzen ihres Ursprungs festhalten könne. 20 Natürlich soll keinesweges ausgeschlossen werden, d a ß nicht dieselben, welche als kirchliche A u t o r i t ä t wirken, auch könnten die Wirksamkeit der freien Forschung ausüben; sondern nur u m so strenger ist d a r a u f zu halten, d a ß sie dies nicht in der Weise und unter der Firma der kirchlichen Autorität thun. — G a n z entgegengesezt aber m u ß die Aufgabe gestellt werden, wenn m a n von der Voraussezung ausgeht, daß die Kirche nur durch eine

1—4 Die Formulierung „noch" läßt vermuten, daß Schleiermacher hier u. a. auf den Streit zwischen Rationalismus und Supernaturalismus um die kirchliche Lehrautorität anspielt, wie er 1830 exemplarisch um die beiden Hallenser rationalistischen Theologieprofessoren Gesenius und Wegscheider geführt wurde; vgl. dazu KGA 1/10, S. LXXVIII—CXll. In diesem Zusammenhang erscheint auch die Schrift der beiden Breslauer Theologieprofessoren Daniel von Cölln und David Schulz: Ueber Theologische Lehrfreiheit auf den evangelischen Universitäten und deren Beschränkung durch symbolische Bücher. Eine offene Erklärung und vorläufige Verwahrung, Breslau 1830. Obwohl grundsätzlich im Beharren auf uneingeschränkte theologische Lehrfreiheit mit ihnen einig, sieht sich Schleiermacher dennoch zu einer Stellungnahme veranlaßt (vgl. An von Cölln und Schulz, KGA 1/10, S. 395-426). richtig gelöst die wahre Kirchenzucht darstellen. — Wie aber eine ausschließende Gewalt geübt werden kann, ohne eine fremde äußere Sanction zu Hülfe zu nehmen, dies muß dargestellt werden durch den Kirchenbann. / § 322 — / 5 -323 S. 81, §§ 19—20: Die immer fortgehende Bildung des Lehrbegriffs geht von den Thätigkeiten der Einzelnen

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III. Teil: Praktische

Theologie

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in einem anzugebenden Grade genaue Gleichförmigkeit der Lehre als Eine bestehe.

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§. 324. Das obige (vergl. §. 322.) gilt auch von den Rechten und Obliegenheiten der kirchlichen Autorität in Bezug auf die Verhältnisse 127 der Kirche zum Staat, indem keine Handlungsweise, welche irgend vorgeschrieben werden könnte, sich einer allgemeinen Anerkennung erfreuen würde. Nur dies scheint bemerklich zu sein, daß da wo die evangelische Kirche gänzlich vom Staat getrennt ist, niemand andere Wünsche hegt; da aber wo eine engere Verbindung zwischen beiden statt findet, die Meinungen in der Kirche getheilt sind.

§. 325. Ausgehend einerseits davon, daß wenn die Kirche nicht will eine weltliche Macht sein, sie auch nicht darf in die Organisation derselben verflochten sein wollen, andrerseits davon, daß was Mitglieder der 15 Kirche, welche an der Spize des bürgerlichen Regiments stehn, in dem | kirchlichen Gebiet thun, sie doch nur in der Form der Kirchenleitung thun können, vermögen wir die Aufgabe nur so zu stellen. Es sei zu bestimmen, auf welche Weise die kirchliche Autorität unter den verschiedenen gegebenen Verhältnissen dahin zu wirken habe, daß die Kirche 20 weder in eine kraftlose Unabhängigkeit v o m Staat, noch in eine wie immer angesehene Dienstbarkeit unter ihm gerathe.

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Die Theorie ist höchst schwierig aufzustellen, und gewährt doch wenig Ausbeute, weil, wenn die kirchliche Autorität schon eine Verschmelzung der Kirche mit der politischen Organisation oder eine den Einfluß äußerer Sanction benuzende Verfahrungsart in kirchlichen Angelegenheiten vorfindet, sie unter ihrer Form nur indirect dagegen wirken kann, alles andere aber von den allmähligen Einwirkungen der freien Geistesmacht erwarten muß. — Und wie wenig Uebereinstimmung auch in den ersten Grundsäzen ist, wird am besten daraus klar, daß, wo die Kirche sich in einer Dienstbar- 128 keit ohne Ansehen befindet, immer Einige vorziehen werden in der Dienstbarkeit Ansehen zu erwerben, Andere aber unangesehen zu bleiben wenn sie nur unabhängig werden können.

aus. — Die gesezgebende Thätigkeit der Kirchengewalt muß den Einzelnen ihre freie Wirksamkeit auf diesem Gebiet sichern, und doch zugleich die Lehre an dem Symbol, durch welches sie constituirt ist, festhalten. / § 324 -» S. 81, §§ 21—22: Die Kirchengewalt hat ferner durch ihre gesezgebende Thätigkeit von Seiten der Kirche, deren Verhältniß zum Staat zu bewahren oder zu berichtigen. — Das Verhältniß beider zu einander ist nie als ein reines ruhiges Gleichgewicht vorauszusezen. / 5 3 2 5 -» S. 82, §§23—24: Die Aufgabe ist daher den etwanigen Eingriffen des Staats in das Gebiet der Kirche abzuhelfen, selbst aber keine Eingriffe in das seinige zu thun. — Die Theorie des Kirchenregimentes hat zu zeigen, wie man dahin gelangen könne, daß das Verhältniß der Kirche zum Staat weder eine kraftlose Unabhängigkeit sei noch eine angesehene Dienstbarkeit. /

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Kurze Darstellung

(2.

Auflage)

§. 326. Dieselbe Aufgabe kehrt noch in einer besonderen Beziehung wieder, wenn der Staat die gesamte Organisation der Bildungsanstalten in die seinige aufgenommen hat, indem alsdann in Beziehung auf die geistige Bildung, durch welche allein sowol der evangelische Cultus er140 halten wer|den als auch eine freie Geistesmacht in der Kirche bestehen kann, ebenfalls kraftlose Unabhängigkeit oder wohlhabende Dienstbarkeit drohen. Für dieses Gebiet kann unter ungünstigen Umständen sehr leicht das schwierige und nicht auf einfache Weise zu lösende Dilemma entstehen, ob der Kirchenverein sich solle mit dem wenn auch noch so dürftigen Apparat begnügen, den er sich unabhängig erwerben und bewahren kann, oder ob er es wagen solle auch aus mit nicht evangelischen Elementen versezten Quellen zu schöpfen.

§. 327. Da die verschiedenen für sich abgeschlossenen Gemeinvereine, welche zusammen die evangelische Kirche bilden, theils durch äußerliche der Veränderung unterworfene Verhältnisse, theils durch Differenzen in der Sitte oder Lehre, deren Schäzung ebenfalls der Veränderung unterworfen ist, gerade so begränzt sind, die meisten aber sich durch diese Begrenzung an ihrer Selbständigkeit gefährdet finden: so entsteht die Aufgabe für jeden von ihnen, sich einem genaueren Zusammen129 hang mit den übrigen offen zu halten und ihn in seinem Innern vorzubereiten, damit keine günstige Gelegenheit ihn hervorzurufen versäumt werde. Diese Aufgabe bezeichnet zugleich das Ende des Gebietes der kirchlichen Autorität; denn nicht nur stirbt mit der Lösung der Aufgabe jedes bisherige Kirchenregiment seinem abgesonderten Sein ab, sondern auch die Lösung selbst, weil sie über das Gebiet der abgeschlossenen Autorität hinausgeht, kann nur durch die Wirksamkeit der freien Geistesmacht hervorgerufen werden. |

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§. 328. Da das ungebundene Element des Kirchenregimentes (vergl. §. 312.) welches wir durch den Ausdrukk f r e i e G e i s t e s m a c h t in der evangelischen Kirche bezeichnen, als auf das Ganze gerichtete Thätigkeit Einzelner, eine möglichst unbeschränkte Oeffentlichkeit, in welcher sich der Einzelne äußern kann, voraussezt: so findet es sich jezt vornehmlich in dem Beruf des akademischen Theologen und des kirchlichen Schriftstellers.

§326~> - / §327~> - / §328~>S. 82, § 25: Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit der Einzelnen ist im gegenwärtigen Zustande der Kirche nur die des akademischen Lehrers und die des Schriftstellers. /

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III. Teil: Praktische

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Theologie

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Bei dem ersten Ausdrukk ist nicht gerade an die nur zufällige, jezt noch bestehende Form zu denken; doch wird immer eine mündliche, große Massen der zur Kirchenleitung bestimmten Jugend vielseitig anregende Ueberlieferung etwas höchst wünschenswerthes bleiben. — Unter dem lezten sind in dieser Beziehung diejenigen nicht mit begriffen, welche nur ihre Verrichtungen im Kirchendienst auf die Schrift übertragen. §. 3 2 9 . Beide werden ihre allgemeinste W i r k u n g (vergl. §. 3 1 3 . 3 1 4 . ) nur in dem M a a ß vollbringen, als sie dem Begriff des Kirchenfürsten (vergl. §. 9.) nahe k o m m e n .

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Des in §. 9. erwähnten Gleichgewichts bedürfen beide um so weniger, als sie sich mit ihrer Production in dem Gebiet einer besonderen wissenschaftlichen Virtuosität bewegen. Aber in demselben Maaß werden sie auch keine allgemeine anregende Wirkung auf das Kirchenregiment ausüben. §. 3 3 0 . Da der akademische Lehrer in der von religiösem Interesse vorzüglich belebten Jugend den wissenschaftlichen Geist in seiner theolo-| gischen Richtung erst recht zum Bewußtsein bringen soll: so ist die M e thode anzugeben, wie dieser Geist zu beleben sei o h n e das religiöse Interesse zu schwächen. Wie wenig man noch im Besiz dieser Methode ist, lehrt eine nur zu zahlreiche Erfahrung. Es bleibt übrigens dahingestellt, ob diese Methode eine allgemeine sei, oder ob es bei verschiedenen Disciplinen auf verschiedenes ankommt. §. 3 3 1 . D a das vorhandene u m so weniger genügt, als der wissenschaftliche Geist die einzelnen Disciplinen durchdringt: so ist eine Verfahrungsweise aufzustellen, wie die Aufmunterung und Anleitung, u m die theologischen Wissenschaften weiter zu fördern, zugleich zu verbinden sei mit der richtigen Werthschäzung der bisherigen Ergebnisse und mit treuer B e w a h r u n g des dadurch in der Kirche niedergelegten Guten. Eine gleiche Erfahrung bewährt hier denselben Mangel, und unläugbar kommt von der allzuscharfen Spannung zwischen denen welche Neues bevorworten und denen welche sich vor dem alten beugen, vieles auf Rechnung der Lehrweise.

§ 329 -ι• — / $ 330 -* S. 82, § 26: Da mit dem akademischen Studium der wissenschaftliche Geist erst recht zum Bewußtsein kommt: so hat die Theorie für den akademischen Lehrer die Aufgabe zu lösen, wie er den wissenschaftlichen Geist zu beleben habe, ohne das religiöse Interesse zu schwächen. / § 331 S. 82, § 27: Da in dem Maaß als erkannt wird was noch zu leisten ist, das bisherige nicht genügt: so ist auch die Aufgabe zu lösen, wie zum persönlichen Vorwärtsdringen aufzumuntern sei ohne die Anhänglichkeit an das in der Kirche bestehende zu zerstören. /

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Kurze Darstellung

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§. 332. Sofern die schriftstellerische Thätigkeit auf Bestreitung des falschen und verderblichen gerichtet ist: so ist dem theologischen Schriftsteller besonders die Methode anzugeben, wie er sowol das wahre und gute, woran sich jenes findet und womit es zusammenhängt, nicht nur auffinden sondern auch zur Anerkenntniß bringen kann, als | auch dem eigentümlichen worin es erscheint, seine Beziehung auf das kirchliche Bedürfniß anweisen. Der Saz, daß aller Irrthum nur an der Wahrheit ist, und alles schlechte nur am guten, ist die Grundbedingung alles Streites und aller Correction. Der lezte Theil der Aufgabe ruht einerseits auf der Voraussezung, daß irriges und schädliches, wenn nicht durch Eigenthümlichkeit getragen, wenig Einfluß ausüben kann, andererseits auf der, daß alle Gaben in der Kirche sich erweisen können zum gemeinen Nuz.

§. 333. Sofern sie Neues zur Anerkenntniß bringen und empfehlen will, wäre eine Formel zu finden, wie die Darstellung des Gegensazes zwischen dem neuen und alten, und die des Zusammenhanges zwischen beiden sich am besten unterstüzen können.

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Denn ohne Gegensaz wäre es nicht neu, und ohne Zusammenhang wäre es nicht anzuknüpfen.

§. 334. Da die öffentliche Mittheilung sich leicht weiter verbreitet als sie eigentlich verstanden wird: so entsteht die Aufgabe, jene Darstellung so einzurichten, daß sie nur für diejenigen einen Reiz hat, von denen auch ein richtiger Gebrauch zu erwarten ist. Die sonst hiezu fast ausschließend empfohlene und angewendete Regel, sich bei Darstellungen von denen Mißdeutung oder Mißbrauch zu erwarten ist,

8f Vgl. Dialektik (1814/15), hg. v. A. Arndt, Hamburg 1988, S. 81; Dialektik, im Auftrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Grund bisher unveröffentlichten Materials hg. v. R. Odebrecht, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1942, Darmstadt 1976, S. 334 § 332 S. 83, § 28: In wiefern die Thätigkeit des Schriftstellers die Bestreitung der Irrthümer zum Z w e k k hat, das Falsche aber immer nur an dem Wahren sein kann: so ist die besondere Aufgabe des theologischen Schriftstellers, das Wahre und Gute, wovon der Irrthum ausgegangen ist, zu schonen. / 5 S. 83, § 29: Insofern sie auf Verbreitung neuer Ansichten ausgeht, jedes Neue aber im Gegensaz gegen ein Altes steht: so ist die Aufgabe das Neue so darzustellen, daß der Gegensaz weder verfehlt noch zu weit ausgedehnt werde. / § 334 -» S. 83, § 30: Im Allgemeinen, da die Mittel der wissenschaftlichen Mittheilung an sich weiter reichen als das Gebiet in dem sie im eigentlichen Sinne verstanden wird, und da jeder Lesende von dem seinigen bei der Auslegung dazuthut: so ist die Aufgabe, die Darstellung so einzurichten, daß sie sich nicht weiter verbreitet als sie nüzen kann, und daß sie nicht anders ausgelegt wird als sie gemeint war. /

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111. Teil: Praktische

Theologie

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nur der gelehrten Sprache zu bedienen, ist den Verhältnissen nicht mehr angemessen.

Schlußbetrachtungen über die p r a k t i s c h e

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Theologie.

§. 3 3 5 . Von der Scheidung zwischen dem, was jedem obliegt, und dem was eine besondere Virtuosität constituirt, konnte hier keine Erwähnung geschehen. Denn sie kann nur auf zufälligen oder fast persönlichen Beschränkungen beruhen, und ergiebt sich dann von selbst. An und für sich betrachtet kann Jeder zur Kirchenleitung berufene auf jede Weise wirksam sein; und es giebt nicht sowol verschiedene trennbare Gebiete als nur verschiedene Grade erreichbarer Vollkommenheit. §. 3 3 6 . Die Aufgaben, zumal im Gebiet des Kirchenregiments, wird derjenige am richtigsten stellen, der sich seine philosophische Theologie am vollkommensten durchgebildet hat. Die richtigsten Methoden werden sich demjenigen darbieten, der am vielseitigsten auf geschichtlicher Basis in der Gegenwart lebt. Die Ausführung muß am meisten durch Naturanlagen und allgemeine Bildung gefördert werden. Wenn nicht alles, was in dieser encyclopädischen Darstellung auseinander gelegt ist, hier gefordert würde, so wäre sie unrichtig; so wie die Forderung unrichtig wäre, wenn sie etwas enthielte, was in keiner encyclopädischen Darstellung enthalten sein kann. | [Zu § 335]

Ueber das Maaß der Prüfungen

§ 335 -* S. 91, § 1: Da kein Theologe ohne allen Antheil der leitenden Thätigkeit ist, keiner aber auch alle Theile derselben umfaßt: so liegt jedem o b von der praktischen Theologie dasjenige inne zu haben, woraus das richtige Verhältniß eines jeden Theils der Praxis zum Ganzen sich erkennen läßt: so wie die Theorie jeder einzelnen Art der Thätigkeit das Gebiet des Besondern bildet./ §336 -*• S. 91, §2: Das Allgemeine der praktischen Theologie wird der am klarsten sehen, der sich die philosophische Theologie a m meisten angeeignet hat; das besondere und der Ausführung nächste wird jeder um so sicherer finden, je geschichtlicher er in der Gegenwart lebt. /

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Kurze

Darstellung

(2.

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§. 337. Der Zustand der praktischen Theologie als Disciplin zeigt, daß was im Studium jedes Einzelnen das lezte ist, auch als das lezte in der Entwiklung der Theologie überhaupt erscheint. Schon deshalb weil sie die Durchbildung der philosophischen Theologie (vergl. §. 6 6 . u. 2 5 9 . ) voraussezt.

§. 338. Da sowol der Kirchendienst als das Kirchenregiment in der evangelischen Kirche wesentlich durch ihren Gegensaz gegen die römische bedingt ist: so ist es die höchste Vollkommenheit der praktischen Theologie beide jedesmal so zu gestalten, wie es dem Stande dieses Gegensazes zu seinem Culminationspunkt angemessen ist. H i e d u r c h geht sie besonders auf die höchste Aufgabe der Apologetik (vergl. V 5 3 . ) zurükk.

§ 337 -* S. 92, § 3: Schon hieraus läßt sich schließen, was auch die Erfahrung ergiebt, daß die praktische Theologie und besonders die Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinne noch nirgends recht ausgebildet sein kann. Was im Studium eines jeden Einzelnen das lezte ist, erscheint auch als das lezte in der Entwikkelung der Theologie überhaupt. / -» S. 92, §§4—5: Theorie des Kirchenregimentes sowohl als des Kirchendienstes ist nothwendig in jeder herrschenden Kirchenparthei eine andere. — Die höchste Aufgabe für diese Theorie ist daher auch, sie so zu stellen, daß der jedesmal bestehende Gegensaz der Partheien durch ihre Ausübung weder erschlaffen könne, noch auch über seine natürliche Dauer auf künstliche Art verlängert werde, um sich zu überleben. Hiedurch schließt sich die höchste Aufgabe für die praktische Theologie unmittelbar an die höchste der ersten theologischen Disciplin, nemlich der Apologetik.

Zeichen und

Abkürzungen

Das Abkürzungsverzeichnis bietet die Auflösung der Zeichen und Abkürzungen, die von Schleiermacher, dem Bandherausgeber oder in der zitierten Literatur benutzt werden, soweit die Auflösung nicht in den Apparaten erfolgt oder es sich um allgemein übliche Abkürzungen oder solche, die für Vornamen stehen, handelt; ferner werden nicht eigens angeführt die Abkürzungen, die sich von den angegebenen nur durch das Fehlen eines Abkürzungspunktes oder durch Klein- bzw. Großschreibung unterscheiden. | ] Abschn. Br. 1—4 Br. Gaß c./cap./cp. CAG CG2 CSEL

Seitenwechsel Lemmazeichen Abschnitt Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen, Bd. 1—2, 2. Auflage, Berlin 1860; Bd. 3-4, hg. v. L. Jonas/W. Dilthey, Berlin 18611863 Fr. Schleiermacher's Briefwechsel mit J. Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß, Berlin 1852 caput (Kapitel) Commentaria in Aristotelem Graeca Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche dargestellt, 2. Auflage, Bd. 1-2, Berlin 1830-1831 Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum

ebend. Ed. ed. edd. Einl. Erl

ebenda!ebendort Editio (Ausgabe) edidit/ediderunt (herausgegeben von) ediderunt Einleitung ,Erläuterung' — gemeint sind die in Schleiermachers Darstellung" 2. Auflage in kleinerem Druck gesetzten rungen zu den Leitsätzen der einzelnen Paragraphen

f./fol.

folio (Bogen 21 X 33 cm)

GA h. I.

Gesamtausgabe hic locus/hunc locum (α. α. Ο.)

„Kurze Erläute-

448 KD (Scholz)

Zeichen und

Abkürzungen

κ.τ.λ.

Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, Kritische Ausgabe hg. v. H. Scholz, QGP 10, 3. Aufl., Leipzig 1910, photomechanischer Nachdruck, 5., unveränderte Aufl., Darmstadt 1982 Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, Berlin 1811 Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, 2. Aufl., Berlin 1830 Rudolf Köpke: Die Gründung der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1860 και τά λοιπά (usw.)

L.

Liber (Buch)

Meisner 1—2

Schleiermacher als Mensch. Sein Werden und Wirken. Familienund Freundschaftsbriefe, hg. v. H. Meisner, Bd. 1—2, Gotha 1923

MPG

Migne: Patrologia Graeca

not.

nota (Anm.)

p. PTS

pagina (Seite) Patristische Texte und Studien, hg. v. K. Aland/E.

QGP

Quellenschriften C. Stange

r Ree.

recto (Vorderseite) Recensent

S./s. S. s. SB

sq. sqq. SW

Siehe/siehe Seite Sectio oder segmentum Schleiermachers Bibliothek. Bearbeitung des faksimilierten Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, besorgt v. G. Meckenstock, SehlA 10, Berlin/New York 1993 Sources Chretiennes Schleiermacher-Archiv, hg. v. H. Fischer u. a. Schleiermacher-Nachlaß im zentralen Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sequens/sequentes (folgend/fortfolgend) sequentes (fortfolgend) Sämmtliche/Sämtliche Werke

T. Th.

Tomus (Band, Buch) Theil

KD1 KD2 Köpke

SC SchlA SN

Mühlenberg

zur Geschichte des Protestantismus,

hg. v.

Zeichen und Abkürzungen

449

ThEnz (Strauß) Schleiermacher: Theologische Enzyklopädie (1831/32). Nachschrift David Friedrich Strauß, hg. v. W. Sachs, SchlA 4, Berlin/ New York 1987 ν v. v. Wen. vergl. Vol.

verso (Rückseite) vide (siehe, vergleiche) versus (Vers) Venetiae/Venedig vergleiche (vgl.) Volumen (Band)

Literaturverzeichnis Das Literaturverzeichnis führt die Druckschriften auf, die in Schleiermachers Text, in den Apparaten oder in der Einleitung des Bandherausgebers genannt sind. Dabei werden Verfasser- und Ortsnamen in einer heute üblichen Schreibweise angegeben. Die Titel werden nicht diplomatisch getreu wiedergegeben; insbesondere können ausführliche Titel in einer sinnvollen Kurzfassung erscheinen, die nicht als solche kenntlichgemacht ist. Werden zu einem Verfasser mehrere Titel genannt, so bestimmt sich deren Abfolge nach Gesamtausgaben, Teilsammlungen und Einzelwerken; dabei werden Sammelausgaben chronologisch, Einzelausgaben alphabetisch angeordnet. Bei anonym erschienenen Werken wird der Verfasser in eckige Klammern gesetzt. Für die alphabetische Einordnung von Sachtiteln ist die gegebene Wortfolge unter Übergehung des Artikels maßgebend. Diejenigen Titel, die im Rauchschen Auktionskatalog der Bibliothek Schleiermachers oder in den Hauptbüchern des Verlages Georg Reimer aufgeführt sind, werden durch das Sigle SB und der nachfolgenden Listennummer gekennzeichnet. Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Bd. 1—5, Leipzig 1774-1786 [SB 8] Adriaanse, Hendrik Johan: Der Herausgeber als Zuhörer. Ein SchleiermacherKollegheft von Ludwig Jonas, in: Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, hg. v. G. Meckenstock in Verbindung mit J. Ringleben, Theologische Bibliothek Töpelmann Bd. 51, Berlin/New York 1991, S. 103-124 Alexandros von Aphrodisias: Omnia Themistii opera, hoc est paraphrases et orationes. Alexandri Aphrodisiensis libri duo de anima et de fato unus, ed. V. Trincavelli, [Ed. Aldina], Venedig 1534 : Commentaria in Duodecim Aristotelis libros De prima philosophia [lat.], [Ed. Aldina], Venedig 1561 : De fato, Alexandri Aphrodisiensis Praeter commentaria scripta minora, ed. I. Bruns, Supplementum Aristotelicum II 2, Berlin 1892 : In Aristotelis Metaphysica commentaria, ed. M. Hayduck, CAG I, Berlin 1891 : [In Aristotelis Meteorologica] υπόμνημα εις τά μετεωρολογικά, [Ed. Aldina], Venedig [1527] : In Aristotelis Meteorologicorum libros commentaria, ed. M. Hayduck, CAG III 2, Berlin 1890

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Namen Das Namensregister verzeichnet alle historischen Personen, die im vorliegenden Band genannt sind. Die Namen werden in einer heute gebräuchlichen Schreibweise angegeben. Nicht angeführt werden die Namen biblischer, literarischer und mythischer Personen, die Namen von Herausgebern und Übersetzern, sofern sie nur in bibliographischen Angaben vorkommen, sowie die Namen der an der KGA Beteiligten, sofern es um Belange dieser Ausgabe geht. Rede gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf Personen, die im Schleiermacherschen Text selbst bzw. sowohl im Text als auch im Apparat des Bandherausgebers genannt sind, kursiv gesetzte Seitenzahlen auf Personen, die ausschließlich in der Einleitung oder im Apparat des Bandherausgebers auftauchen. Adelung LXXXII.5.53.82.95.100. 135.429 Adriaanse LXXX Aenesidemos 186.213f.238 Aetios 109 Aldobrandini 127.207 Alexander I. (Zar) X Alexandros 134.138.140.156.183f. i85.188.195.199f.224 Allacci s. Allatius Allatius 119 Amelang 9 Ammonios LXXX/V.122.134 Anaxagoras 123.129.141.J48.150. 255.183f.188.241 Anaximandros XXVI. XXX.148 Anaximenes 187f.190.213 Antisthenes 109 Antoninus (Marcus Aurelius) 116. 124.126.193.198.207.233 Antoninus Pius 351 Apuleius 111 Archilochos 127 Ariston 112 Aristonymos 240 Aristoteles XXVI. XXXIV. LXXX1 Vf. 109-111.114.120.122-124.127.

129.132-135.137-140.141.142144.148.153-156.161.163.166f. 169f. 173.176.179.181.183 —188. 192 —194.196—202.209f.212—214. 218.225.232.238f.407 Arnim XIX Arnold 389 Arundel 143 Ast XXXI.370.37S Athenagoras 206 Athenaios 124 Augusti XLVll.378 Augustinus LX Bahrdt 279.379f Baibus 113.189 Barclay 352 Barkhausen 77 Bartels 427 Baumgarten-Crusius 352 Bekker XXVUf.XXXf.XLV. LXXXV.86.110 Bertholdt 373 Beyme XV.88 Bias 128 Birkner XXXV1. XXXV III. LXII. LXXV1I.19

Namen Bleek LXV Boeckh XXVlll.XXXf.XLV86.110 Bolten 373 Brentano, Β. XIX Brentano, C. XIX Bretschneider 352.420 Brinckmann XVlIf.34 Buddeus XXXUIf.247.332f Bulling XUIf Buttmann XXVl.XXVlIIf. 103.133. 157.358.370 Calixt 404.405 Campe 324 Casaubon, 1. 124.207 Casaubon, M. 207 Chrysippos 129.160.170 Cicero 113J33.189.191.209 Claudia Semne XXVII Clemens (Alexandrinus) XXXIV. 108.113.116-118.120f.123-125. 129.145-147.149.170.178.189. 190f.193.198.203f.207.208.210.214. 216.218.220-223.229-231.233. 236 Clemens Vlll (Papst) 127 Clements LXXV11 Cölln LXV1.440 Corrodi 373 Creuzer XXVlU.XXXf.XXXUlf. 110.llJ.122.147f.211 Danz XXXVlll.XL.LXlll. LXXIIIf Daub LXX1I1 Daumer 324 Davies 165.220 Deegen LXlf Demetrios 114 Demokritos XXVI.XXXIII.107. 129.139.177f.186.200.212 de Wette LXVI.352.372.373.405 Diderot 420.432 Diesterweg XXV Dieterici XI.XIII. 3.9 Dilthey XXIX Diodoros 378 Diodotos 109.133

469

Diogenes von Apollonia XXVI. XXX.XXXV Diogenes Laertios XXX/V.109f.ll2. 120.122.124-133.137.140.143. 145f.152.155.159-161.163f.l66f. 174.196.203.207.209.218.234.238. 240 Diogenes Stoikos 158 Dionysios 109 Dohna XXXVIl.XLVlll .LVll Drey LXUf Duden LXXX11 Eckert LX1X.LXXIV Eichhorn 372 Eirenaios 373 Elias Cretensis 179 Empedokles XXX1II.107.123.141. 147.155.176.188.200-202.215.241 Engel XV1I.XXV.46.88 Epicharmos XXXUI.107 Epiktetos 144 Epikuros 129.177f Erhard XXV.53.55.59. 77.88 Estienne s. Stephanus Euphorion 113 Euripides 112.157.169 Eusebios 135.136.145.149.194f.197. 208.210.227.373 Eustathios 119.127 Fabricius XXXIII.107.108.119.127. 128.211.213.220.237.378 Fabro 115 Fichte XV.XXlVf.37.41.65.88 Fischer, F. 352. Fischer, G.E. 427 Flavius Josephus 378 Franz II. 86 Freret 119 Friedrich II. der Große 90 Friedrich Wilhelm 1. 90.91 Friedrich Wilhelm IL 88.91 Friedrich Wilhelm III. XV.XLVllf. 88.98 Froriep XV Fülleborn XXX1U

470

Namen

Gale 119.132 Galenos 138.151.161.173.175.215. 228f Gaß XVI.XXV11.XXXV1— XXXVIII. XL—XLIV.XLVI— XLVIII.LXIV-LXVI. LXXf. LXXIII.86 Gataker 116.124.126.193.207 Georgios Kedrenos 204 Gesenius 440 Gesner 146 Gfrörer LXVII Glykas 228 Goens 171 Götz 420 Gorgias 184.186 Gregor von Nazianz 179 Gregorius Thaumaturgos 366f Griesbach 372 Grimm XX Groot X Grotius 352 Hagenbach LXXIV Hegel XXV.LXXIII.88 Heindorf XXIX. 174 Heinrici XLV1II Heinsius 220.229 Hekataios 125.160.162 Herakleides 109.132.135.138.141. 159.192.194.220f.239 Herakleitos der Grammatiker 119. 132 Herakleitos der Peripatetiker 108 Herakleitos von Ephesos IXf.XVIII. XXV-XXXV passim.XLIV. LXXXIII. 101—241 passim Herder 373 Hermias 121.137.144 Hermodoros 208f Hervet 120.229 Hesiodos 125.128.199 Hesychios 155.203.234 Heyne 160.215.227-229 Hierokles 219.221 Hipparkos 213

Hippasos 122f.142f.148.155.176f. 188.191.213 Hippias 184 Hippokrates 138.146.151 Hippon XXVI Hirsch XXXVI Homeros XXV1I.XXXIV.119.127. 166. 172f.l92 Hufeland XV Hug 372 Humboldt XXV.88 Hutten 135 lamblichos

119.179.203.209.225

Jacobi 37 Jochmann 334 Johannes Philoponos LXXXIV. 122. 148.154. 212 Johannes Stobaios s. Stobaios Jonas XXX VII f. LXXX Josephus s. Flavius Josephus Justinus Martyr XXXIV.351 Kallimachos 113 Kant 407 Kantzenbach XXIX Karsten 90 Kathen 86 Kedrenos s. Georgios Kedrenos Kelsos 171.204.219.235 Kleanthes ΧΧΧΙΙΙ.107.109Λ36 Kleuker 333 Knapp XL1I Köpke 1X.XXXVU.46 Krebs 378 Kritias 184 Krug XXI11 Küster 167 Lambertus Danaeus 404 Lange 427 Langsdorf 420 Lenz XVf.88 Loesner 378 Lowth 118.229 Lücke LXX.LXXIVf

471

Namen Lukianos 137.178.196 Lykophron 113 Marcus Aurelius s. Antoninus Markion 150 Markland 165.216.220 Massow 34.46.55 Matthaei 178 Maximus Confessor 234f Maximus Tyrius 144.165.198.219f Meding ΧΠ.ΧΧ1 V.XX1X. LXX VI Meibomius 207 Meisner XLVUI Melissos 129 Menandros 224 Menekrates 152 Metrodoros 148 Michaelis 372f Mittler XI.XIII.3.9 Mnesarchos 125f Moretto XXXlIf Mosheim 383.389 Munthe 378 Mursinna 297.332 Musonius Rufus 229f Napoleon I. IXf.XLIV.25.28.52.86 Nemesios LXXX/V.178.217 Niemeyer XLII. 68.427 Nikandros 152 Nikomedes 109 Nitzsch 407 Nösselt XXXVIII.XLII.247. 333. 363.433 Nolte XV Numenios 220.232 Oehmigke 420 Okellos 159 Olearius XXXIII f. 107 Origenes 171.204.219.235.3Sl.366f. 373 Orpheus Ρ apias

XXXIII.107.123.199.214 373

Parmenides 162.191

XXXIII.107.129.160.

Paulus LIX Pherekydes 113 Philon 122.178.182.195.214f.217. 219.227.378 Philoponos s. Johannes Philoponos Philostratos 205.234 Phokylides 207 Pittakos 128 Planck XXXVlIl.LXIf.247.297.332f. 363f Piaton XXVI.XXXI.XXXV.XL. XLIV.LX.LXXXI.LXXXlVf.27.78. 80.109f. 120.2 25. i 33.134.139.149. 155-157.165.167.173.174.177.192. 202.207.208.217.237.238.241 Plotinos LXXX1V. 112 Plutarchos XXX1V.LXXX1V. 108. 109.114f.117—120.127f.135 —138. 140i.144.146f.148.157.159.160.161. 165.168-173.175.176.180-182. 190.193.195.196.197.198.199.203. 204.207.216.217.222.224f.228.230. 232f.235-237.239f Pollonius s. Valerius (Alexandrinus) Pollux (Naucratitis) 204 Polybios 140 Polydeukes s. Pollux Porphyrios 162f.171.220.227f.232 Potter 113. 118.120.124.149. 208. 229.234.236 Prodikos 184 Proklos 125.156.166.178.215.232. 237f Protagoras 110.184.208 Pyrrhon 122 Pythagoras Keil

122.125.127.133.241

XV

Keimer XV-XVII.XXVII f. XXX1X—XLI. XLIUf.LXllI-LXV. LXX. LXXIX.LXXXI.324.420. 432 Reinhard 352 Keinhold 37 Reland 378 Reuterdahl LXXV Rinck 368 Ritsehl LXVI

472

Namen

Rosenkranz LXXIII Rossius 143 Rufus

s. Musonius Rufus

Sack 352 Sanctus Maximus s. Maximus Confessor Savigny XIX-XX1.XXV.88 Schelling XXX1.LX1I Schlegel, A.W. LXXX1 Schlegel, F. XLX.XXXL.XLVL.27 Schmalz XII.XV.3f. Schmidt LV.LVUf.332f. 363 Scholz XXXVI.XXXVIII.LV IL LXUlf.LXVlll.LXXVl-LXXVll Schütz XV Schulz LXVI.440 Schwan 420 Schwarz LVll-LXl Schweighäuser 124 Sextus Empiricus XXXIV.LXXXIV. 108.113.128.131.136.139.185.204206.209-211.213f.216-218.220. 231.233.237 Simonis 378 Simplikios 137f. 142.144.166.169f. 176f.181.185f.188-190.192.194198.200f.213.238 Sokrates XXV/.209.112.133.200 Sotion 122 Spalding XXIX Sphairos 109 Stäudlin 333.362.411 Steffens XXIV.XXXII.XLIV Steiger 420 Stein XVIIIf Stephani 34.46 Stephanus XXXIIIf.LXXXV.107. 136.145.211.220.227 Steudel LXVl Stobaios XXX/V. 109.115.126.129131.137-139.144.146.148.151.158. 160-162.174f.180-182.193.203. 207.208.221f.224.226f.229.235.240 Stoll XX Stosch 352 Strabon 158.209

Straton 214 Strauß XXXVlIIf.LXI.LXX.LXXIIf. LXXIXf.LXXXVIII.325.327.328. 333.351.353f.358f.362.365.368.372. 375.378f.381.383.389.397.406f. Sydenham 174 Sylburg 118.208.229.234.236 Tatianus lllf.124.195 Teller 427 Tertullianus 150f.213f Τeutames 128 Thaies 128.187f.190 Themistios 185.194.212 Theodoretos XXXIV. 109.116-118. 155f.159.176f.221f Theophrastos 120.141.150.161 Thrasymachos 184 Thym 247.332f.363.370 Tice LXXV1I Tiedemann XXXIIIf.107.237 Timon XXXIIL107 Turretini 352 Twesten XLV1II.LXX.LXXV Uhden XXVII Ullmann LXVIf.LXX.347 Valerius (Alexandrinus) Vater XLII Veithusen 427 Vetter LXX-LXXIll Vico XXVII Villers XXIII Villoison 166 Voigt 77 Waehner 378 Walter 91 Weber 53.77 Wegscheider 352.440 Wesseling 226—228 Wetstein 372 Wette s. de Wette Wettstein s. Wetstein

230

Namen Wilamowitz-Moellendorff XXXV Willdenow 90 Willich, EM. XLlll Willich, H.v. XLV Wolf XV.XXV—XXIX.XXXIf.52f. 55f.88.103.370.375 Wolff 407 Wyttenbach 136.216.222.236

473

Xenophanes XXXIII.107.122.125. 129.130.161 Xy lander 136.216 Zatta 113 Zenon 129.136 Zöllner XI Zoroaster 108.129

Bibelstellen Die kursiv gesetzten Seitenzahlen zeigen an, daß es sich hierbei um Bibelstellen handelt, die im Sachapparat des Bandherausgebers angeführt sind. Jes 7,9

117

Job 7,53-8,11

368

Mt 1-2

368

Rom 11,33

121

26,73

109

1 Kor 2,10

121

Mk 16,9-20

368