210 52 12MB
German Pages 1300 [1378] Year 2014
Ernst Troeltsch Kritische Gesamtausgabe
Ernst Troeltsch Kritische Gesamtausgabe
im Auftrag der Kommission für Theologiegeschichtsforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von
Friedrich Wilhelm Graf · Christian Albrecht Gangolf Hübinger · Trutz Rendtorff
Band 6 Teilband 1
De Gruyter
Ernst Troeltsch Schriften zur Religionswissenschaft und Ethik (1903-1912) Teilband 1
herausgegeben von
Trutz Rendtorff in Zusammenarbeit mit
Katja Thörner
De Gruyter
Das Vorhaben Troeltsch-Edition wird im Rahmen des Akademienprogramms von der Bundesrepublik Deutschland und vom Freistaat Bayern gefördert.
ISBN 978-3-11-026158-5 e-ISBN 978-3-11-026159-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ” 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Schutzumschlag: Rainer Engel, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen 앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort
Die Edition der Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe folgt den Grundsätzen für den Aufbau der Gesamtausgabe, für die sowohl chronologische als auch sachbezogene Gesichtspunkte gelten. Der vorliegende Band der Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe enthält die Texte, die von Troeltsch in den Jahren 1903–1912 publiziert worden sind. In chronologischer Hinsicht folgen diese Texte der Absolutheitsschrift, die 1902 in erster Auflage erschienen ist. Mit der Edition der von Troeltsch bearbeiteten und 1912 publizierten Neuauflage dieser wohl einflussreichsten und immer wieder diskutierten Schrift ist die Gesamtausgabe der KGA eröffnet worden. Die im vorliegenden Band versammelten Texte aus den Jahren 1903– 1912 setzen in sachbezogener Hinsicht die von der Absolutheitsschrift ausgelöste Diskussion um das historische Verständnis des Christentums wie der Religionsgeschichte und Religionsphilosophie überhaupt fort. Das gilt besonders für die große Kantstudie „Das Historische in Kants Religionsphilosophie“, die 1904 als selbständiger Band veröffentlicht wurde. In der Kantstudie gewinnt die Rezeption soziologischer Kategorien für die Deutung der Religionsgeschichte zunehmend an Bedeutung. Die Kantstudie wird wegen ihres Umfanges und ihrer besonderen Bedeutung für die Genese des Gesamtwerkes von Ernst Troeltsch hier als Teilband KGA 6/2 zugänglich gemacht. Für Mitarbeit bei den wie bei jeder Edition nötigen vielfachen bibliographischen und biographischen Recherchen, den inhaltlichen Diskussionen der editorischen Berichte und der Kommentare, den Korrekturen und Registern ist einer Vielzahl von Personen zu danken. Herr Dr. Philipp Hildmann und Herr Dr. Michael Bauer haben erste Fassungen einiger Editorischer Berichte erstellt sowie an der Kommentierung mitgearbeitet. Herrn Dr. Horst Renz und Herrn Dr. Hans Cymorek gebührt Dank für kompetente Hilfe. Sie haben die Edition erneut, wie schon in früheren Editionen, bereichert durch die Entzifferung von Marginalien, die Troeltsch in seine Handexemplare eingetragen hat. Für viele Gänge in diverse Münchner Bibliotheken danke ich den ehemaligen und jetzigen studentischen Hilfskräften, die über viele Jahre an der Edition dieses Bandes mitgearbeitet haben: Hans-Joachim
VI
Vorwort
Bruzinski, Lisa Bühler, Dorothea Ebert, Dr. Regina Fritz, Franziska König, Eva Ludwig, Nadja Neuburger, Elisabeth Nipperdey, Katalin Seyfang, Shelly Steinberg und Thomas Stöppler. Der Verlag De Gruyter bestätigt mit dieser Edition auf dankenswerte Weise die Geduld, die von einer Gesamtausgabe nolens volens in Anspruch genommen wird. München, im Juni 2013
Trutz Rendtorff
Inhaltsverzeichnis
Teilband 1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Aufbau und Editorische Grundsätze der Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV
Siglen, Zeichen, Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Zum biographischen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
II. Zum werkgeschichtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
III. Systematische Grundlegung der Religionswissenschaft und Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
IV. Konkretionen der tatsächlichen Religion: Ethische Stellungnahmen in Debatten und Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
Zwei Thoma-Bilder in der Heidelberger Peterskirche (1903) . . . . . .
51
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51 54
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
Religionswissenschaft und Theologie des 18. Jahrhunderts (1903) . .
59
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 59
VIII
Inhaltsverzeichnis
2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
Beitrag zur Umfrage zum Zusammenschluß der evangelischen Landeskirchen (1903) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97 97 100
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
Politische Ethik und Christentum (1904) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 105 118
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
Beitrag zur Umfrage: Wie urteilen Theologen über das kirchliche Stimmrecht der Frauen? (1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 197 201
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft (1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205 205 209
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
215
Schiller, sein Werk und das deutsche Volk (1905) . . . . . . . . . . . . . .
257
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257 257 260
IX
Inhaltsverzeichnis
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264
Thesen für den Vortrag über den „Offenbarungsbegriff in der gegenwärtigen Weltanschauung“ (1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285 285 289
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
290
Main Problems of the Philosophy of Religion (1905) . . . . . . . . . . .
293
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293 293 301
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
304
Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten (1907). . . . . . . . . . . . . . . . .
319
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
319 319 331
Edierter Text . . I. Kapitel . . II. Kapitel. . III. Kapitel . IV. Kapitel . V. Kapitel . .
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342 344 350 366 391 411
Das Wesen des modernen Geistes (1907). . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
427
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
427 427 429
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
434
Kant bleibt im Ansatz (1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
475
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
475 475
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X
Inhaltsverzeichnis
2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
478
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
479
Missionsmotiv, Missionsaufgabe und neuzeitliches Humanitätschristentum (1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
483
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
483 483 490
Edierter Text . . I. Kapitel . . II. Kapitel. . III. Kapitel .
. . . .
493 495 500 507
Autonomie und Rationalismus in der modernen Welt (1907). . . . . .
517
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
517 517 523
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
525
Religionsphilosophie (1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
535
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
535 535 539
Edierter Text . . I. Kapitel . . II. Kapitel. . III. Kapitel . IV. Kapitel . V. Kapitel . . VI. Kapitel .
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543 549 569 577 592 606 609
Gottfried Wilhelm von Leibniz (1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
615
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
615 615 617
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
619
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Inhaltsverzeichnis
XI
Katholizismus und Reformismus (1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
631
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
631 631 640
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
643
David Friedrich Strauß (1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
657
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
657 657 659
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
661
Friedrich Naumann. Zu seinem 50. Geburtstag am morgigen 25. März (1910). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
673
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
673 673 676
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
678
Schleiermacher und die Kirche (1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
681
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
681 681 682
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
684
Religiöser Individualismus und Kirche (1910). . . . . . . . . . . . . . . . .
703
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
703 703 706
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
708
XII
Inhaltsverzeichnis
Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
711
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
711 711 718
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
723
Die Sozialphilosophie des Christentums (1911) . . . . . . . . . . . . . . .
773
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
773 773 777
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die alte Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . II. Der mittelalterliche Katholizismus. III. Das Luthertum . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Calvinismus . . . . . . . . . . . . . V. Sekten und Mystik . . . . . . . . . . . . .
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779 779 785 791 796 802
Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben (1911) .
809
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
809 809 816
Edierter Text . . I. Kapitel . . II. Kapitel. . III. Kapitel . IV. Kapitel .
. . . . .
820 820 823 831 845
Unsere Gelehrten bei der Arbeit (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
853
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
853
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
855
Erklärung zu Nr. 42 Sp. 995 (1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
857
Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
857
Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
860
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Inhaltsverzeichnis
XIII
Teilband 2 Das Historische in Kants Religionsphilosophie (1904) . . . . . . . . . .
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Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textgenese und Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Edierter Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 868 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 868 1. Die Darstellungen von Kants Religionsphilosophie . . . . . 870 2. Kants Ausgangspunkt für die Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892 3. Der Kompromisscharakter der Hauptschrift . . . . . . . . . . 915 4. Die eigentliche Lehre Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 977 [Entwurf einer Ethik] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1066 Kunst und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1070 Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1115 1. Verzeichnis der von Ernst Troeltsch genannten Literatur. . . . 1115 2. Sonstige von den Herausgebern genannte Literatur. . . . . . . . 1149 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1221 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1241 Gliederung der Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe . . . . . . . . . . . 1353
Aufbau und Editorische Grundsätze der Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe
I. Aufbau
1. Aufbau der einzelnen Bände Jeder Band enthält: (1) Vorwort (2) Inhaltsverzeichnis (3) Aufbau und Editorische Grundsätze der Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe (4) Siglen, Zeichen und Abkürzungen (5) Einleitung des Bandherausgebers. Die Einleitung informiert über den Text bzw. die Texte des Bandes und deren Anordnung, über wissenschaftsgeschichtliche Bezüge und zeitgeschichtliche Hintergründe. (6) Editorische Berichte. Die Editorischen Berichte informieren über Entstehung, Entwicklung und Überlieferungslage sowie über editorische Entscheidungen. (7) Troeltsch-Text mit textkritischem Apparat und Kommentaren der Herausgeber; innerhalb eines Bandes sind die Edierten Texte chronologisch geordnet. (8) Biogramme. Berücksichtigt werden nur Personen, die von Troeltsch genannt sind, mit Ausnahme allgemein bekannter Persönlichkeiten. Die Biogramme informieren über die wichtigsten Lebensdaten, geben die berufliche bzw. gesellschaftliche Stellung an und nennen gegebenenfalls die verwandtschaftlichen, persönlichen, beruflichen oder werkgeschichtlichen Beziehungen zu Troeltsch. (9) Literaturverzeichnis. In einem ersten Teil wird die von Troeltsch zitierte Literatur angeführt, in einem zweiten Teil wird die von den Herausgebern in Einleitung, Editorischen Berichten und Kommentaren genannte Literatur aufgenommen. Die Rezensionenbände enthalten ein dreigeteiltes Literaturverzeichnis. Im ersten Teil werden die von
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Troeltsch rezensierten Schriften aufgeführt. Der zweite Teil verzeichnet die von Troeltsch selbst zitierte Literatur. Im dritten Teil ist die von den Herausgebern in Einleitung, Editorischen Berichten und Kommentaren genannte Literatur aufgenommen. Das Literaturverzeichnis wird auf autoptischem Wege erstellt. Personenregister. Aufgenommen sind sämtliche Personen, die von Troeltsch selbst in den Edierten Texten oder von den Herausgebern in der Einleitung, den Editorischen Berichten und Kommentaren erwähnt sind. Dazu gehören auch die Autoren der angeführten Literatur. Recte gesetzte Seitenzahlen verweisen auf Troeltschs Texte, kursiv gesetzte Seitenzahlen auf die Herausgeberrede. Sachregister. Es enthält alle wichtigen Begriffe und Sachbezeichnungen einschließlich geographischer Namen mit Ausnahme der bibliographischen Erscheinungsorte. Das Sachregister erfaßt Troeltschs Text und die Herausgeberrede. Recte gesetzte Seitenzahlen verweisen auf Troeltschs Texte, kursiv gesetzte Seitenzahlen auf die Herausgeberrede. Den Bänden können weitere Verzeichnisse, wie z. B. Konkordanzen, beigefügt werden. Gliederung der Ernst Troeltsch · Kritische Gesamtausgabe.
2. Aufbau der einzelnen Seiten und Darstellung des Edierten Textes 2.1. Satzspiegel Es werden untereinander angeordnet: Text der Ausgabe letzter Hand, gegebenenfalls mit Fußnoten Troeltschs, textkritischer Apparat und Kommentare. Die Fußnoten werden ohne einen Trennstrich unter den Haupttext angeordnet, der textkritische Apparat wird durch einen kurzen, die Kommentare werden durch einen durchgezogenen Trennstrich abgesetzt. 2.2. Hervorhebungen Hervorhebungen Troeltschs werden einheitlich durch Kursivsetzung kenntlich gemacht. 2.3. Seitenzahlen des Originaldrucks Die Seitenzahlen der Druckfassungen der jeweiligen Textstufen des Edierten Textes werden am Seitenrand unter Angabe der entsprechenden Textsigle angezeigt; im laufenden Edierten Text (auch in den Fußnoten und gegebenenfalls im textkritischen Apparat) wird die Stelle des ursprünglichen Seitenumbruchs durch einen senkrechten Strich zwischen zwei Wörtern bzw. Silben angegeben.
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II. Editorische Grundsätze 1. Präsentation der Texte und ihrer Entwicklung Die Texte werden nach historisch-kritischen Prinzipien bearbeitet. Das heißt, es werden alle Entwicklungsstufen eines Textes einschließlich handschriftlicher Zusätze dokumentiert und alle editorischen Eingriffe einzeln ausgewiesen. 1.1. Textvarianten Liegt ein Text in mehreren von Troeltsch autorisierten Fassungen vor, so wird in der Regel die Fassung letzter Hand zum Edierten Text bestimmt. Die übrigen Fassungen werden einschließlich der handschriftlichen Zusätze Troeltschs im textkritischen Apparat mitgeteilt. Ausgespart bleiben dabei allerdings die zahlreichen Veränderungen bei Umlauten, „ss–ß“, „t–th“ und ähnliche, da sie auf Setzerkonventionen beruhen und nicht von Troeltsch beeinflußt wurden. 1.2. Handschriftliche Zusätze Die handschriftlichen Marginalien der Handexemplare werden nach den Editionsregeln zur Variantenindizierung in den textkritischen Apparat integriert. Der Nachweis beschränkt sich hierbei auf Textstellen. Markierungen von Troeltschs Hand wie Unterstreichungen und Anstreichungen werden nicht dargestellt. Über die genaue Darstellungsweise informieren die jeweiligen Editorischen Berichte. 1.3. Texteingriffe Die Texte werden getreu der ursprünglichen Orthographie und Interpunktion ediert. Offensichtliche Setzerfehler werden stillschweigend berichtigt. Textverderbnisse werden im Apparat mitgeteilt. 2. Kommentierung der Texte Die Kommentierung dient der Präzisierung der von Troeltsch genannten Literatur, dem Nachweis von Zitaten, der Berichtigung irrtümlicher Angaben, dem textlichen Beleg von Literaturangaben sowie der Erläuterung von Ereignissen, Begriffen und Bezügen, deren Kenntnis für das Verständnis des Textes unerläßlich erscheint. Es gilt das Prinzip der knapp dokumentierenden, nicht interpretierenden Edition.
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2.1. Bibliographische Präzisierung Die Literaturangaben werden autoptisch überprüft. Fehlerhafte Literaturangaben Troeltschs werden im Literaturverzeichnis stillschweigend berichtigt. Eine Berichtigung im Kommentar wird nur dann gegeben, wenn das Auffinden im Literaturverzeichnis nicht oder nur schwer möglich ist. Die korrigierte Literaturangabe wird mit dem ersten vollständigen Haupttitel sowie in Klammern gesetztem Erscheinungsjahr angezeigt. 2.2. Zitatprüfungen Troeltschs Zitate werden autoptisch überprüft. Falsche Seitenangaben werden berichtigt. Hat Troeltsch ein Zitat nicht nachgewiesen, wird der Nachweis im Apparat aufgeführt. Ist der Nachweis nicht möglich, so steht im Kommentar: „Als Zitat nicht nachgewiesen.“ Fehlerhafte und unvollständige Zitate werden korrigiert und ergänzt. Der Nachweis indirekter Zitate und Rekurse wird in der Regel nicht geführt. 2.3. Belege von Literaturverweisen Allgemeine, inhaltlich nicht näher bestimmte Literaturverweise im Edierten Text werden in der Regel nicht belegt. Inhaltlich oder durch Seitenangaben eingegrenzte Literaturverweise werden, so weit möglich, durch Zitate belegt. 2.4. Irrtümliche Angaben Irrtümliche Angaben Troeltschs (z. B. Namen, Daten, Zahlen) werden im Apparat berichtigt. 2.5. Erläuterung von Fachtermini, Anspielungen und Ereignissen Kommentiert wird, wenn die Erläuterung zum Verständnis des Textes notwendig ist oder wenn für das Textverständnis unerläßliche Zusatzinformationen geboten werden. Der kommentierte Sachverhalt muß eindeutig zu kennzeichnen sein. 2.6. Querverweise Explizite Verweise Troeltschs auf andere seiner Werke werden nachgewiesen. Querverweise innerhalb des Edierten Textes können nachgewiesen werden. Sachverhalte, die sich durch andere Texte Troeltschs erschließen lassen, können durch Angabe dieser Texte nachgewiesen werden.
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2.7. Forschungsgeschichtliche Kommentare Erläuterungen zur nachfolgenden Wirkungs- und Forschungsgeschichte werden nicht gegeben.
III. Erläuterung der Indices und Zeichen 1. Sigleneinteilung A, A1, B, B1
Die früheste Fassung eines Textes trägt die Sigle A. Weitere Fassungen werden in chronologischer Folge alphabetisch bezeichnet. Die Handexemplare mit handschriftlichen Zusätzen Troeltschs sind als Textschicht der betreffenden Fassung anzusehen. Sie werden mit der Sigle der betreffenden Fassung und einer tiefgestellten arabischen Eins bezeichnet (Beispiel: A1 ). Bei Identität zweier Ausgaben wird im Editorischen Bericht darauf verwiesen. Eine doppelte Nennung (etwa BC) entfällt damit.
2. Indices 1) 2) 3)
, ,
1 2 3
, ,
a, b, c
a-a, b-b, c-c
α
,β ,γ
Hochgestelle arabische Ziffern mit runder Schlußklammer bezeichnen Fußnoten Troeltschs. Hochgestellte arabische Ziffern ohne Klammern werden für die Herausgeberkommentare verwendet. Kleine hochgestellte lateinische Buchstaben werden für die Indizierung von Varianten oder Texteingriffen verwendet. Die Buchstaben stehen im Edierten Text hinter dem varianten oder emendierten Wort. Kleine hochgestellte lateinische Buchstaben, die eine Wortpassage umschließen (axxx xxx xxxa), werden für Varianten oder Texteingriffe eingesetzt, die mehr als ein Wort umfassen. Die betreffende Passage im Edierten Text wird hierbei von einem recte gesetzten Index und einem kursiv gesetzten Index eingeschlossen. Kleine hochgestellte griechische Buchstaben werden für die Indizierung von Varianten oder Texteingriffen zu Textstellen
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innerhalb des textkritischen Apparats verwendet. Die Buchstaben stehen hinter dem varianten oder emendierten Wort. Bei mehr als einem Wort wird die betreffende Passage von einem gerade gesetzten Index und einem kursiv gesetzten Index eingeschlossen (α xxx xxx xxxα ). 3. Zeichen
|
[ ] { }
|: :|
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xxx>> > öchte sie uns die große Wahrheit . . . wohnt die Wahrheit.]. Am Ende findet sich noch die redaktionelle Anmerkung „(Wir glauben kaum, bemerken zu müssen, daß den Ausführungen des Herrn Redners in manchen Punkten vom positiv christlichen Standpunkt nicht zugestimmt werden kann. D. Red.)“ (S. 6). Da diesem Teilabdruck für die folgende Edition des Troeltsch-Textes keine Bedeutung zukommt und es sich bei B nicht um eine Ausgabe letzter Hand, sondern lediglich um einen Parallelabdruck handelt, wird im folgenden A ediert. Die Abweichungen von B gegenüber A verzeichnet der textkritische Apparat.
A1
aSchiller,
sein Werk und das deutsche Volk. Festrede zur Augsburger Schillerfeier, gehalten im Goldenen Saale von Universitäts-Professor Dr. Tröltsch (Heidelberg).a
Es ist in diesen Jahren die Zeit der Säkularfeiern. Die großen Toten der edelsten deutschen Kulturepoche treten in Erinnerungen und Schriften wieder vor uns und verlangen Rechenschaft über die Treue, die wir ihnen gehalten haben. Einer der herrlichsten unter ihnen ist es, dessen Gedächtnis uns heute hier vereinigt in diesem erinnerungsreichen Saale. Dreimal ist Schiller von dem deutschen Volke gefeiert worden, das erste Mal bei seinem Tode am 9. Mai 1805, dann an seinem hundertjährigen Geburtstage 1859 und jetzt bei seinem hundertjährigen Todestage im Jahre 1905.1 Und jedesmal ist es ein anderes Deutschland gewesen, das ihn gefeiert hat; jedesmal waren es daher auch andere Gedanken, die dabei im Vordergrunde standen. Als Schiller nach heroischem Kampfe mit seinem alten Lungenleiden starb, da stand die deutsche Welt unter den Nachwirkungen der französischen Revolution, unter dem Zeichen Napoleons. Da gab es überhaupt kein Deutsches Reich mehr. Das alte habsburgisch-deutsche Kaisertum hatte sich aufgelöst, die süddeutschen Staaten hatten sich als Rheinbundstaaten in die Abhängigkeit von dem großen französischen Reich begeben und hatten jedes Band mit einem gemeindeutschen Staate gelöst. Mitteldeutschland und Preußen lagen, wie Goethe sagte, behaglich hinter der großen Demarkationslinie, die Preußen zur Abgrenzung gegen französischen Einfluß vereinbart hatte, und von der es nicht ahnte, daß sie nur eine Galgenfrist bedeuten werde. Wenn Schiller sagte: „Zur Nation
B1
a–a B: Die Schillerfeier in Augsburg. [Absatz] Nachstehend veröffentlichen wir die Gedächtnisrede, welche Herr Prof. Tröltsch-Heidelberg bei der Schillerfeier im Goldenen Saale des Rathauses gehalten hat: [Absatz]
1 Zur Tradition der „Schillerfeiern“ vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 258–259.
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euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens“2, so entsprach das der Lage; es war unbestrittene Wirklichkeit. Die Deutschen, ungewöhnt wahrer staatlicher Gemeinschaft, haben es merkwürdig leicht ertragen. Es ist die Zeit, in der die gebildeten Klassen sich an einem grandiosen Wechsel gewaltiger philosophischer Systeme begeistern und wo eine feinere ästhetische Bildung die Ereignisse auf dem Gebiet der schönen Literatur für die Hauptereignisse ansieht. Am allgemeinen Leben hatten sie weder Anteil, noch Interesse; die unteren Klassen lebten ohne jeden Anteil auch an dieser Welt der Gedankena und der Literatur dahin und kamen überhaupt nicht zu Worte. In die Welt dieser Interessen fiel die Kunde von Schillers jähem Tode hinein, erweckte unendlichen Schmerz und unendliche Sehnsucht. Aber Schmerz und Sehnsucht galten nur dem Künstler und Dichter, dem Gedanken an das, was die literarische Welt an ihm besessen hatte und von ihm noch hoffen durfte. Und der Kreis, der so Schmerz und Sehnsucht empfand, war klein. Die große Masse des Lesepublikums fand Schiller viel zu schwer und ergötzte sich an ganz anderen Literaturprodukten, wie etwa der „Reise Sophiens von Memel nach Lindau“3; die alte Garde der Aufklärungsliteratur sah in Schiller einen grimmigen Feind und gefährlichen Phantasten; das damalige literarische junge Deutschland, die literarischen Revolutionäre der Romantik, fühlten sich weit über ihn hinausgeschritten. Nur der kleine Anhängerkreis der weimarisch-jenaischen Größe trauerte erschüttert um den früh Entrissenen, und die an seinen Dramen berauschte Jugend wandte das Wort, das Schiller in seiner Nänie gesprochen hatte, auf den Dichter selbst an: Auch das Schöne muß sterben! das Menschen und Götter bezwinget. Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus . . .
a A: Gedenken 2 Troeltsch zitiert hier die erste Zeile der Xenie „Deutscher Nationalcharacter“ aus Schillers Musenalmanach für das Jahr 1797. Vollständig lautet der Vers: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens, / Bildet, ihr könnt es, dafür freyer zu Menschen euch aus.“ Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Deutscher Nationalcharacter, in: ders.: Nationalausgabe, erster Band (1943), S. 321. 3 Gemeint ist der von Johann Timotheus Hermes (1738–1821) verfaßte erste Familienroman der deutschen Literatur „Sophiens Reise von Memel nach Sachsen“, der von 1770 bis 1772 in fünf Teilen erschienen war, 1776 in zweiter, vermehrter Auflage in sechs Bänden vorlag und zu Schillers Zeiten „das höchste Interesse der Lese-Liebhaber erregt“ hatte. Andreas Streicher: Schiller-Biographie (1974), S. 27.
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Siehe, da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle, Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommenea stirbt.4 Unermeßlich viel größer war die feiernde Gemeinde im Jahre 1859. Inzwischen hatte sich alles verändert. Es gab wieder ein deutsches Volk und einen deutschen Staat; aber dieser Staat war nur ein lockerer Staatenbund, der seine Glieder, die Einzelstaaten, in der alten Enge und dumpfen Absperrung beließ und der nur so viel Einheit gewährte, als nötig war, um die Sehnsucht nach wirklicher Einheit zu heißer Inbrunst werden zu lassen. Es war die Zeit der ersten Wirkungen des Zollvereins, der beginnenden Industrialisierung Deutschlands, des beginnenden wirtschaftlichen Aufschwungs, der allmählich durchdringenden Volksbildung; und das Bürgertum verlangte vor allem nach Freiheit, nach persönlicher, politischer, wirtschaftlicher Freiheit, um seine Kräfte regen und seine Gedanken aussprechen zu können. Freiheit und Einheit waren die großen Ideen der Epoche. Eben war der Versuch, sie zu schaffen, die große Reform von 1848, nach allerhand Scheinerfolgen wieder unter dem traurigen Druck der Reaktion erstickt worden; tiefer Groll und glühende Hoffnung erfüllte das Bürgertum. In diese Stimmung fiel die Säkularfeier von Schillers Geburtstag und sie wurde zum Ventil, durch das die zurückgepreßten Gefühle sich stürmisch Luft machten. Den großen Dichter zu feiern, konnte keine Regierung verbieten, und die Feier wurde von selbst zur Verherrlichung der großen Güter und Ziele des Bürgertums, der politischen Freiheit und nationalen Einheit, als der Ideen, deren Prophet der große Dichter gewesen sei. Man sah nicht mehr den Kosmopoliten, den Individualisten und Aristokraten, den Aesthetiker und Propheten von der erlösenden Macht der Kunst; man sah nur die von der Idee der Freiheit durchleuchtete Persönlichkeit des Dichters und vernahm nur den Dichter des „Tell“ und der „Jungfrau von Orleans“, der in beiden die Vaterlandsliebe unvergleichlich verherrlicht hatte, und seine ganze Lyrik schien sich in den Vers der „Glocke“ zusammen zu ziehen: Heilige Ordnung, segensreiche Himmelstochter, die das Gleiche Frei und leicht und freudig bindet, a A: vollkommene 4 Troeltsch zitiert hier aus Schillers im Jahre 1800 erschienenem Gedicht „Nänie“ die Verse 1, 2, 11 und 12. Vgl. Friedrich Schiller: Nänie, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 326.
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Die der Städte Bau gegründet, Die herein von den Gefilden Rief den ungesell’gen Wilden, Eintrat in der Menschen Hütten, Und das teuerste der Bande Wob, den Trieb zum Vaterlande.5 Ganz anders aber wiederum ist das Deutschland, das heute sich zur Schillerfeier bereitet. Die Sehnsucht von damals ist befriedigt. Um den Preis der Verkleinerung, aber doch mit dem großartigsten Erfolg ist Deutschland nun ein einiga Volk von Brüdern geworden, das in keiner Not sich trennt und Gefahr. Es ist, wenn auch in den seiner Geschichte entsprechenden Formen, ein Einheitsstaat geworden. Und dieser Einheitsstaat ist, wenn auch mit mancherlei Resten alten Feudalismus und alten Bureaukratismus, errichtet auf dem Prinzip der politischen Freiheit. Aber, wie es zu geschehen pflegt, die Völker leben nicht in der Vergangenheit und pflegen vorhandenen Besitz für mehr oder minder selbstverständlich zu halten. Deutschland ist nicht am Ende, sondern am Anfang seiner Entwickelung, und so sind es nicht mehr die Ideen der nationalen Einheit und der politischen Freiheit, aus deren Klängen sich der Jubelhymnus bei der Feier unserer großen Denker und Dichter vor allem zusammensetzt. Die neue Entwickelung bringt neue schwere Probleme. Sie äußert sich vor allem in einem kolossalen wirtschaftlichen Aufschwung. Und so herrschen heute vor allem materielle Interessen vor. Deren Wirkung ist aber die Zurückdrängung alles Ideellen. Und soweit die Ideen nicht zurückgedrängt sind, hat doch der unbegrenzte Individualismus, der diesem Aufschwung zu Grunde liegt, zu einer Zerklüftung und Spaltung des geistigen Lebens geführt, die die Einheit der Gedanken und der Weltanschauung in einem erschreckenden Maße aufgehoben haben. Unter diesen Umständen sind aber dann die alten Mächte und Organisationen zu einem stärkeren Leben wieder aufgewacht, die auf kirchlicher Grundlage Einheit und Zusammenhang des Denkens wieder aufrichten wollen. Mit der Ideenlosigkeit und der individualistischen Zersplitterung Hand in Hand geht die kirchliche Reaktion, und auf diese wiederum stützt sich die Staatsgewalt, weil sie hier allein einen festen und tragenden Körper findet. Und nicht zufrieden mit diesen Gegensätzen, hat der große Aufschwung neben das Bürgertum, das in jenen Zeiten von 1859 noch die ganze Kultur trug, eia A: einzig 5 Vgl. Friedrich Schiller: Das Lied von der Glocke, Vers 299–308, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 235.
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ne an Besitz und Kultur beständig steigende Arbeiterschaft gestellt, die sich in schroffsten leidenschaftlichen Gegensatz gegen das Bürgertum stellt und ihren Anteil an den Gütern der Menschheitskultur verlangt, die aber eben damit die nationalen und politischen Interessen zurückstellt hinter allgemeine moralische Interessen prinzipiellster menschheitlicher Natur. Was soll in einer solchen Lage die Schillerfeier von 1905 unserem Volke sagen? Soll sie eine rauschende Feier sein, wie wir deren aso vielea haben, wo wir mit phrasenreichem Gepränge uns über den Ernst der Lage hinwegtäuschen und allerhand Eitelkeiten der Lebenden auf Kosten großer Toten befriedigen? Oder kann sie eine wirkliche Feier sein, wie wir sie brauchen, eine Einkehr des Volkes bei sich selbst, bei den guten Geistern seiner Bildung und Kultur, um uns bei ihnen Kraft und Licht zu holen für die Aufgaben und Schwierigkeiten des Tages. Eine Feier Schillers, des grundwahrhaftigen und echten Mannes, wäre eine schmähliche Komödie, wenn sie nicht das letztere wäre. Aber wenn sie das sein soll, was kann sie uns dann zeigen? Man kann auf Schillers Leben und Persönlichkeit hinweisen, und dieses große kampfreiche Dasein hat allerdings dem heutigen Menschen ein ernstes Wort zu sagen. Aus dem härtesten und bittersten Kampfe heraus erwuchs Schillers Größe, und sein Leben lang hat er den Wert des Menschen unabhängig gewußt von äußerem Glücke, von Glanz, Wohlleben und Luxus. Aus der Tyrannei eines soldatenspielenden Kleinfürsten rettete sich der junge Dichter, mittellos, verschuldet und ohne Helfer durch die Flucht; unter schwersten Enttäuschungen und mit den schmalsten Mitteln rettet er sich zu einer unbezahlten Universitätsprofessur durch; und, indem er zu seinem Unterhalt dem Journalismus sich ergibt, wendet er zehn kostbare Jahre seines Lebens an historische und philosophische Studien, lediglich um seine Bildung zu erringen und zu vertiefen. Erst der Schluß seines Lebens bringt ihn zugleich mit einer ergreifend glücklichen Ehe zum Ziel eines bescheidenen Wohlstandes und einer ihm zusagenden Tätigkeit als Berater des weimarischen Theaters. Und da flammt nun, ungebrochen und unangekränkelt, seine gewaltige Schaffenskraft in fünf mächtigen Dramen6 und einer Fülle von Gedichten auf, während sein Körper bereits die Spuren langsamen Versagens immer deutlicher zeigt. Das ist wahrlich ein Vorbild der Willenskraft und Willensreinheit, wie es der heutigen anspruchsvollen Verzärta–a A: soviele 6 Gemeint sind die in den Jahren 1798 bis 1800 veröffentlichten Dramen der „Wallenstein“-Trilogie, „Maria Stuart“ und „Die Jungfrau von Orleans“ aus dem Jahr 1801, „Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder“ von 1803 und „Wilhelm Tell“ aus dem Jahr 1804.
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lichung, der dekadenten Weichlichkeit und dem hartherzigena Pessimismus nicht leuchtender vorgehalten werden kann. Und wie das, was Schiller selbst getan hat, uns auffordert zu ernster und männlicher Nachfolge, so kann uns auch das ergreifen und anspornen, was andere an ihm getan. So schwer von Leiden und Kampf das Leben dieses Mannes war, so groß und selbstlos war auch die Liebe und Hilfsbereitschaft, die ihn immer wieder in den schwersten Momenten gerettet hat. Seine Flucht unterstützte bis zur Selbstaufopferung der selbst nicht allzu begüterte junge Musiker Streicher; aus dem Mannheimer Elend zog ihn Frau von Wolzogen heraus, die, selbst mit Not kämpfend, ihm ihr Gütchen zur Verfügung stellteb und der Rache des württembergischen Tyrannen sich aussetzte; vor der verzweiflungsvollen Schande der Schuldhaft behütete ihn das Darlehen eines Mannheimer Handwerkers, der aus reiner Zuneigung zu seinem Mieter trotz eigener Bedürftigkeit das nötige Geld aufbrachte; im allerkritischsten Momente vollends bietet ihm des Dresdener Konsistorialrats Körner Begeisterung Zuflucht, Heimat und Unterhalt dar, rein aus Bewunderung des Dichters, den er nicht kannte und dessen verzweifelte Lage er erfuhr;7 und als dann schließlich alles Errungene durch die schwere Lungenkrankheit in Frage gestellt schien, da sandte ihm der Herzog von Holstein-Augustenburg, der Urgroßvater der heutigen Kaiserin8, die dreijährige Unterstützung mit dem wundervoll bezeichnenden Brief, in dem es heißt: „Nehmen Sie dieses Anerbieten an, edler Mann; der Anblick unserer Titel bewege Sie nicht, es abzulehnen.9 Wir kennen keinen Stolz als nur den10 Menschen zu sein, Bürger der großen Republik, deren Grenzen mehr als das Leben einzelner Generationen, mehr als die Grenze eines11 Erdballs umfassen. Sie haben hier nur Menschen, Ihre Brüder, vor sich, nicht eitle Größe, die durch einen solchen Gebrauch ihrer Reichtümer nur einer etwas edleren Art von Hochmut fröntc 12.“ Diese Selbstlosigkeit a A: mattherzigen b B: stellte,
c A: fröhnt
7 Von Konsistorialrat Christian Gottfried Körner, einem Bewunderer Schillers, erhielt dieser die Einladung, nach Leipzig zu kommen. Die folgenden zwei Jahre zwischen 1785 und 1787 war Schiller Gast Körners in Leipzig und Dresden. 8 Friedrich Christian von Holstein-Augustenburg (1765–1814) ist der Urgroßvater von Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (1858–1921), der späteren Gattin von Kaiser Wilhelm II. 9 Im Original folgt: „Wir wissen dies zu schäzen.“ 10 Im Original hervorgehoben. 11 Im Original hervorgehoben. 12 Im Orginal: fröhnen. Brief von Friedrich Christian Herzog von Holstein-Augustenburg an Friedrich Schiller, 27. November 1791, in: Friedrich Schiller: Nationalausgabe, vierunddreißigster Band, Teil 1 (1991), S. 113–115, hier S. 114.
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und Selbstverständlichkeit der Hilfe, diese Bereitschaft, für Idee und Bildung etwas zu leisten, ist erhebend; Schillers Leben ist bei allem Kampf ein ehrendes Zeugnis für die Menschheit nicht nur in ihm selbst, sondern auch in denen, die ihm begegnet sind. Im Blick auf seine eigenen Schicksale durfte er sagen: „Die Tugend sie ist kein leerer Schall, der Mensch kann sie üben im Leben.“13 Und so wie ihm ist es so manchem der Großen jener Zeit gegangen; ein ähnlich ergreifendes Bild großer Gesinnungen und Hilfsbereitschaft zeigt die Biographie so manches andern. Wir waren ein großes Volk, als wir noch ein armes Volk waren, und die Zöglinge jener Generation und ihrer Weltanschauung sind die Männer gewesen, die uns das neue Reich, das heutige Deutschland geschaffen haben. Wollten wir nie vergessen, was unsere wahre Größe gewesen, und in unserer kalten, skeptischen und selbstischen Zeit die großen Gesinnungen jenes Zeitalters uns gegenwärtig halten. Und noch ein drittes ist es, was uns das Leben Schillers zeigt, was es namentlich unserer zu allerhand immoralistischen Genialitäten neigen den Jugend zeigt. Der stärkste Lebensdrang, die umfassendste Genialität, die reichste innere Freiheit haben den gereiften Schiller nie zur Geringschätzung der bürgerlichen Sitte und der häuslichen Moral verleitet. Mild gegen andere, streng und rein gegen sich selbst, ohne Engherzigkeit und Richterei, aber doch auch ohne Schwanken und Unsicherheit hat er die Laxheit der geschlechtlichen Moral vermieden, die so vielen als Probe auf Geistesfreiheit erscheint, und hat er dem deutschen Volke das Ideal einer wahren, tiefen und glücklichen Ehe vorgelebt, in der sich ihm alle menschlichen Tugenden erst vollendeten. Er hat in der Glocke diesem Ideal ein unvergängliches Denkmal gesetzt, und wenn schon nach Karoline Schlegels Worten die Romantiker bei ihrer ersten Lektüre sich halb tot lachten über diese Philistermoral14, so ist doch bis heute in dem gesunden Sinne des deutschen Volkes gerade um dieser Bilder willen die Glocke eine Lieblingsdichtung geblieben.
13 Vers 13 und 14 aus Schillers Gedicht „Die Worte des Glaubens“, in: Friedrich Schiller: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 370. 14 Troeltsch bezieht sich hier auf folgende Passage aus einem Brief Caroline Schlegels (1763–1809) an ihr Kind aus erster Ehe, Auguste Böhmer (1785–1800), vom 21. Oktober 1799: „Schillers Musencalender ist auch da, das Gedicht von der Imhof eben weiter nicht viel als ein Rudel Hexameter, aber über ein Gedicht von Schiller, das Lied von der Glocke, sind wir gestern Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen, es ist a la Voss, a la Tiek, à la Teufel, wenigstens um des Teufels zu werden.“ Hier zitiert nach: Caroline Schlegel: Briefe aus der Frühromantik (1913), S. 570.
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Aber das Bild der Persönlichkeit und des Lebens kann in den wenigen mir vergönnten Minuten nicht geschildert werden. Auch ist es ja schließlich nicht das eigentlich für Schiller Charakteristische. Es ist ein preiswertes Glück, daß unser großer Dichter ein so edler Mensch gewesen ist. Aber eine Gedächtnisfeier muß noch mehr von ihm zu sagen haben. Da schiene es nuna selbstverständlich, von seiner Dichtung zu reden und sie zu feiern. Wir müßten die Eigenart und die Kraft seiner Phantasie, die Kunst und Lebendigkeit der Gestaltung, die Pracht der Sprache, die Feinheit und Klarheit der Gedankenprägung, die ganze unerschöpfliche Fülle von poetischem Leben und Vermögen zum Verständnis bringen. Und es wäre das kein überflüssiges Geschäft. Schillers poetisches Vermögen ist nicht immer geschätzt und verstanden worden, wie es sein müßte, und gerade in der Gegenwart sind allerhand Schlagworte im Umlauf, die den Genuß und das Verständnis seiner Poesie erschweren. Schillers Kunst ist schon zu seinen Lebzeiten von mannigfachen Gegnern bekämpft worden und diese Gegensätze haben bis heute nicht aufgehört. Aus der Erneuerung des deutschen Kunstlebens hat sich in den 80er Jahren ein schroffer Realismus erhoben, der im Stoff und in der Darstellung die Erfahrungswelt des modernen sozialen Lebens wiederzugeben suchte. Von hier aus erschien Schiller pathetisch und überidealistisch. Und als dann dieser Realismus wieder durch eine stärkere Phantastik und Symbolik abgelöst wurde, da erschien Schiller zu nüchtern und hell, zu moralisch und zu bestimmt. Insbesondere hat man Goethe gegen Schiller in einem Sinn und Maß auszuspielen unternommen, wie das der gegenseitigen Beurteilung beider Männer durchaus widerspricht; die moderne Unsicherheit über moralische Dinge glaubte Goethe lediglich so beurteilen zu dürfen, als sei sein Wesen die lediglich ästhetisch veredelnde Hingabe an die Natur überhaupt und an die eigene persönliche Natur insbesondere, und hat hierin allein wirklich künstlerisches Empfinden anerkennen wollen. Nun muß freilich alledem gegenüber anerkannt werden, daß die Schillerscheb Kunst nicht das unveränderliche Muster sein kann und daß die freie Bewegung des künstlerischen Lebens auch andere Wege gehen kann und muß. Auch ist nicht zu leugnen, daß uns nach hundert Jahren manches in ihr fremd geworden ist. Wir empfinden die beständige Anlehnung an griechische Muster, die homerisierende Sprache, die zahllosen Götter und Göttinnen, die unerschöpflichen Anspielungen auf den griechischen Mythus als etwas fremdartiges; der Spaziergang schildert die Aussicht von den Rudol-
a A: nur
b A: Schiller’sche
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städter Bergen und zaubert in diese Landschaft eine griechische Stadt.15 Wir empfinden in Schillers Sprache bei allem Glanz etwas pointiertes und absichtliches und sind oft stark erinnert an die Kunst des französischen Stilsa. Wir haben insbesondere Goethe immer tiefer und besser verstehen lernen und wissen, daß Goethe wie eine reichere Weltkenntnis und ein längeres Leben, so auch eine ihres künstlerischen Instinktes sicherere Poesie und eine weitsichtigere und unbefangenere Lebensweisheit besaß. Aber alles das kann uns die Freude an der herrlichen Schöpfung Schillers nicht beeinträchtigen. Goethe gegenüber hat niemand richtiger als er selbst sein wahres Verhältnis bezeichnet; er erkennt die Ueberlegenheit der Lebenserfahrung und der künstlerischen Bildung, die Natursicherheit seines poetischen Instinktes an; er strebt bewußt nach den Höhen Goethescherb Kunst, aber er weiß, daß er bei allem dem doch etwas hat, was Goethe nicht hat und was ihm innerhalb des gemeinsamen künstlerischen Ideals doch seine besondere Stellung gibt. Es ist die Gewalt und Kraft des Willens, die seine Lyrik und Didaktik mit der Glut vorwärtsstrebender Begeisterung durchhaucht und die in seinen Dramen sich mit gewaltig-packenden Schöpfungen von höchster Energie offenbart. Diese Begeisterungsfähigkeit, dies Streben nach einem Höchsten, diese gestaltende Lebendigkeit sind es in der Tat, die sein besonderes Wesen ausmachen und die ihm neben Goethe eine unvergänglich große Stellung einräumen. So hat seine Kunst das Erschütternde und Aufrüttelnde, das Belebende und Leitende, das je und je der Sinn des Volkes aus ihm herausgefühlt hat. Und das Große ist nun, daß diese stürmische Willensgewalt sich zugleich in einer wunderbaren Klarheit und Reife darstellt. Es ist nicht bloß Sturm cund Drang,c oder abstrakte Lehre, sondern es ist eine mit reifster Klarheit und lebendigster Fülle gesättigte Phantasie. Schiller ist Klassiker,d d. h. er ist zu der Bestimmtheit und Reife durchgedrungen, in der alles licht und klar ist und doch tiefsinnig und gedankenvoll bleibt; kein unvergorenere Most, sondern vollständig klarerf und leuchtender Wein ist seine Kunst. Diese Tiefe des Gedankens, die Anschaulichkeit der Phantasie und der Zauber der Form sind völlig eins geworden. Der Genuß seiner Werke ist nicht nur eine Erhebung der Phantasie und des Willens, sondern auch eine Reinigung und Klärung des Geschmackes und der Bildung und darum eine unversiegliche Quelle für alle deutsche Bildung. a B: Stiles b A: Goethe’scher c–c B: oder Drang d A: Klassiker e A: unvergohrener f B: klarer, 15 Troeltsch bezieht sich hier auf Schillers Gedicht „Der Spaziergang“, in: Friedrich Schiller: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 308–314.
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Aber Kunstwerke feiert man durch Lesen und Genießen, Dramen durch Sehen und Hören, nicht durch Auseinandersetzungen über ihre Schönheit und ihren Wert. Wir haben des superklugen Kunstgeredes schon allzuviel. Eine Schillerfeier muß noch etwas anderes zu sagen haben. Es muß der Inhalt seiner Kunst sein; die Idee, die sie ausspricht; der Gedanke, den sie verkörpert. Eine Volksfeier, wie sie die Schillerfeier sein will und muß, kann nie bloß in der Feier des künstlerischen Vermögens selbst bestehen, sondern immer zugleich in der Feier dessen, was dieses Vermögen dem Volke zu sagen hatte. Es ist der unermeßliche Vorzug der Poesie und Schönheit, daß alles, was sie verkündet, leicht in den Herzen haftet, die Phantasie beschäftigt und dauernd von Mund zu Munde geht. So wird der Dichter zum Lehrer und zum Erzieher des Volkes,a gewebt aus Morgenduft und Sonnenklarheit empfängt erb der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit, und was er mit diesem Schleier bekleidet, das ward leuchtende und dauernde Wahrheit.16 So handelt es sich um die Wahrheit, um die Idee, die Schillers Schaffen erfüllt und die seiner Kunst ihren Inhalt gibt. Gerade gegenüber der Ideenlosigkeit, der materiellen Interessensucht, der skeptischen Blasiertheit des heutigen Tages muß die Macht der Idee uns in Schiller wieder verkörpert werden und gegenüber der Zerklüftung der deutschen Kultur, ihrer Ermattung und Zerteilung muß die kraftvolle Persönlichkeit Schillers uns ein Zentrum und eine Einheit zeigen. Was wir an deutscher Kultur besitzen, das danken wir den Männern der großen Epoche vor hundert Jahren. Nach dem Versinken der Welt des Konfessionalismus, der Verflachung der modernen Aufklärung und der Verflüchtigung des Pietismus haben sie ein neues, geistiges Zentrum geschaffen, von dem neue Kräfte ausgehen können. Wir sind inzwischen trotz aller Fortschritte vielfach wieder unter diese Höhe herabgesunken. Es ist die Aufgabe der Säkularfeiern, uns wieder auf diese Höhe heraufzuführen, und wenn auch selbstverständlich an eine einfache Rückkehr nicht zu denken ist, so müssen wir aus jenem Reichtum unsere heutige Armut wieder zu a B: Volkes; b B: zu 16 Troeltsch bezieht sich hier auf Goethes Gedicht „Zueignung“. In der 12. Strophe heißt es dort: „Ich kenne dich, ich kenne deine Schwächen, / Ich weiß was Gutes in dir lebt und glimmt! / So sagte sie, ich hör’ sie ewig sprechen, / Empfange hier was ich dir lang’ bestimmt, / Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen, / Der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt; / Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit, / Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.“ Hier zitiert nach: Johann Wolfgang Goethe: Zueignung, in: ders.: Gedichte 1756–1799 (1987), S. 9–12, hier S. 11.
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erfüllen streben. In diesem Sinne haben wir die Feier von Goethe, Herder und Kant begangen17 und werden die der übrigen begehen. Unter diesem erlauchten Kreise nimmt nun aber Schiller eine besondere Stellung ein, die Stellung des echtena Künstlers, der die Kunst nicht zur Verkünderin irgend einer Lehre oder Wahrheit macht, sondern sie lediglich um ihrer eigenen Schönheit und Herrlichkeit willen ausübt, der aber doch als ein Glied jener Generation von Denkern zugleich ein Denker ist. Er hat die Idee, die geistigsittliche Kraft, den kulturfördernden und Leben spendenden Sinn enthüllt, die in der Kunst selbst, im ästhetischen Genuß und in der künstlerischen Durchbildung als solcher liegt. Ihm ist die Kunst nicht bloß ein geniales Spiel der Phantasie, sondern in diesem Spiel liegt ihm ein tiefer Sinn, der, einmal erfaßt, unser ganzes Leben vertiefen und adeln kann. Er hat einer zerfallenden sozialen und politischen Welt die Kunst vorgehalten als das Mittel und die Vorbedingung einer inneren Erneuerung, er hat mitten in der verheerenden Wirkung der französischen Revolution und mitten in den kühnen Reformplänen einer rationellen Neugestaltung der Gesellschaft der Kunst die Stellung eines Erziehers der Deutschen zu moralischer, geistiger, politischer und gesellschaftlicher Kultur angewiesen. Davon sind seine Prosaschriften erfüllt, das ist der Sinn seiner tiefsinnigen lyrischen Dichtungen, und das ist die Fassung, in der er in seinen Dramen das große gigantische Schicksal vorführt, das den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt.18 Goethe sagt von Schillers Dichtung, daß durch sie überall die Idee der Freiheit hindurchgehe.19 Das ist in der Tat der stärkste Eindruck, den man von ihr empfängt, und ist auch der Kern von Schillers Denken. „Der a A: ächten 17 Gemeint ist wohl die Feier zum 150. Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes am 28. August 1899, die Feier des 100. Todestages von Johann Gottfried Herder am 18. Dezember 1903 und die Feier des 100. Todestages von Immanuel Kant am 12. Februar 1904. 18 Troeltsch bezieht sich hier auf Schillers Parodie „Shakespears Schatten“. In den Versen 35 f. heißt es: „‚Woher nehmt ihr denn aber das große gigantische Schicksal, / Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?‘“. Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Shakespears Schatten, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 306 f., hier S. 307. 19 Gemeint ist wohl Goethes Aussage im Gespräch mit Johann Peter Eckermann vom 18. Januar 1827, die lautet: „‚Durch Schillers alle Werke, fuhr Goethe fort, geht die Idee von Freiheit, und diese Idee nahm eine andere Gestalt an, so wie Schiller in seiner Kultur weiter ging und selbst ein Anderer wurde. In seiner Jugend
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Mensch ist frei und wär’ er in Ketten geboren.“20 Der ganze Zug zum Erhabenen und Großen, zu dem er aus Kleinlichkeit und Aeußerlichkeit emporstrebt und zu dem er überall den Leser und Hörer führen will, hängt mit dieser Grundidee zusammen. Dabei waren Schillers Erlebnisse und Schicksal nur geeignet, diese Idee noch zu verstärken. Gegen den schwersten Druck empört sich seine Feuerseele und im Kampf mit der Misere stärkta ihn der Glaube an den inneren Wert und die innere Kraft, die nur in der Freiheit enthalten ist. Der Mensch kann zwischen zwei Botmäßigkeiten wählen, zwischen der Botmäßigkeit der Sinne und Triebe, und der Botmäßigkeit der Idee und des Wahren. Dieser Uebergang ist das Wesen der Freiheit, und diesen Uebergang zu vollziehen, ist ganz die persönliche individuelle Tat des Einzelnen, die jeder so vollziehen muß, wie es seiner Art und Natur entspricht, und die kein anderer ihm abnehmen kann. Darum kein Druck und kein Zwang von außen her, sondern freies Wachstum von innen heraus, das jeden an irgend einem Punkte ganz von selbst zu jener großen Entscheidung drängt. Die freien Seelen aber sind dann sich selbst ein Gesetz, und ihre Güte und Wahrheit ist durch eigene innere Notwendigkeit sicherer als alles, was Zwang und Bevormundung bilden kann. Daher weg mit den Konventionen und Vorurteilen, weg mit der Unfreiheit des Gedankens und des Dogmenzwanges, weg mit der bevormundenden Zwangsregierung. Die freie, ihr eigenes inneres Gesetz findende und anerkennende Seele ist über all das erhaben und leistet von selbst alles das besser, was jene nur mühsam und unsicher zuwegebringen. An diesem Punkt liegt sein wesentlicher Unterschied von Goethe, der auch die sittliche Freiheit zu schätzen wußte, aber sie in viel geringeren Gegensatz zum Naturtrieb stellte. Und wenn Schiller später auch noch so sehr sich Goethe angenähert hat und den stürmischen Drang seiner Jugend noch so sehr gereinigt und geadelt, die Freiheit noch so stark von allen revolutionären und politisch-reformerischen Ideen abgelöst und in das Innerste der Gesinnung hinein verlegt hat, hier blieb doch der Punkt, wo er sich bewußt war, ein Eigenes neben Goethe zu besitzen. Und das hat das a B: stärkte war es die physische Freiheit, die ihm zu schaffen machte und die in seine Dichtungen überging; in seinem spätern Leben die ideelle.‘“ Hier zitiert nach: Johann Wolfgang Goethe: Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe (1999), S. 212. 20 Troeltsch zieht hier die Verse 7 und 8 aus Schillers Gedicht „Die Worte des Glaubens“ zusammen: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, / und würd’ er in Ketten geboren“. Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Die Worte des Glaubens (1983), in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 370.
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Volk auch immerdar aus seiner Dichtung herausgefühlt; er ist der Dichter der Freiheit, der Prophet des Ideals, das die Reformation in ihrem großen Befreiungskampf dem System des Zwangs abzuringen begonnen hatte, das die Aufklärung ausgebreitet und erweitert hatte über das ganze Leben und das in ihm sich verklärt zur Humanität der Gesinnung. Aber Schiller hat die Freiheit doch vor allem als Künstler verstanden. Er war kein Politiker und Sozialreformer und bei aller Sympathie mit der französischen Revolution kein prinzipieller Revolutionär. Er suchte die Freiheit für sich und andere, um dem höchsten Ziel der künstlerischen persönlichen Selbstentfaltung nachzugehen und achtete sie als die Kraft jedes Menschen zum Guten. So trat ihm von Anfang an Freiheit und Kunst in engen Zusammenhang. Die Dichtung sollte zur Losung der Völker, zur Niederwerfung der Konventionen, zur Erwerbung des Guten wirken. Später in der großen Arbeit der ästhetischen Selbstanregung und Vertiefung hat er dann freilich jede solche äußerliche Verbindung von Freiheit und Kunst, Gutem und Schönem verworfen und erkannt, daß das Schöne seinen Sinn und Zweck rein in sich selbst trägt. Aber das war nur eine neue tiefe und reinere Gestalt desselben Gedankens. Denn nun wurde ihm die Kunst selbst zu einer Offenbarung der Freiheit und er holte sich von Kant die Gedanken, mit denen er diese Anschauung von dera Kunst begründete und verdeutlichte. Die Kunst ist ihm, wie er sich ausdrückt, die Freiheit in der Erscheinung;21 das heißt: in der Kunst sind die sonst überall getrennten Kräfte der Sinnlichkeit und der Vernunft, des Materiellen und des Gedanklich-Notwendigenb durch ein unbeschreibliches schöpferisches Wunder innerlich eins. Das vom Künstler geschaffene Bild ist ein Werk, in dem die Freiheit des Geistes sich in rastloserc Einheit mit der Erscheinung befindet. „Nicht der Masse qualvoll abgerungen, schlank und leicht wie aus dem Nichts gesprungen, steht das Bild vor dem entzückten Blick.“22 In aller Kunst offenbart sich die ideale Natur des Menschen, aber in völliger Einigkeit mit dem sinnlichen Ausa Fehlt in B.
b A: Gedanklich-notwendigen c A: restloser
21 Vgl. Schillers Brief an den Juristen Gottfried Körner vom 8. Februar 1793: „Schönheit also ist nichts anders als Freiheit in der Erscheinung.“ Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Nationalausgabe, sechsundzwanzigster Band (1992), S. 183. Vgl. auch die Fragmente aus Schillers ästhetischen Vorlesungen vom Winterhalbjahr 1792/1793, in denen sich ebenfalls der Satz findet: „Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung.“ Schiller: Ueber die objektiven Bedingungen der Schönheit, in: ders.: Nationalausgabe, einundzwanzigster Band (1963), S. 81–86, hier S. 83. 22 Troeltsch zitiert hier die Verse 84 bis 86 aus Schillers Gedicht „Das Ideal und das Leben“, in: Friedrich Schiller: Das Ideal und das Leben, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 396–400, hier S. 399.
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druck. Die sonst stets geteilte Doppelnatur des Menschen erscheint hier in voller Harmonie,a und diese völlige Harmonie, das Ineinanderaufgehen des Geistigen und Sinnlichen, der Freiheit und der Materie, das ist das Wesen der Kunst. So ist die Kunst sich selbst genug; sie dient nicht irgend einem anderen Zweckeb und will nur Harmonie genießen und schaffen. Aber geradec indem sie ganz Kunst ist, enthält sie zugleich das ganzed geistige und ideale Wesen des Menschen, und je mehr sie nur sie selber ist, umsoe mehr wird ihr alles andere von selbst zufallen. Schiller hat sich zu dieser Auffassung von der Kunst, zu dieser Verschmelzung seiner moralischen Freiheitsidee und des Kunstideals, erst im Laufe der Arbeit an sich selbst emporgeschwungen. Ein Eindruck, der wesentlich dazu beitrug, war der Verlauf der französischen Revolution, die auf ihn wie auf die meisten seiner Zeitgenossen nach anfänglichem Jubel mit schwerster Enttäuschung wirkte. Unter ihrem Eindruck wandelt sich seine Freiheitsidee zu jener inneren Verbindung mit der Kunst, und mit dieser inneren Verbindung ist denn auch eine tief aristokratische Lebensanschauung verbunden, wie sie überall die Wirkung einer wesentlich künstlerischen Lebensauffassung ist. Er erkannte, daß der große Moment ein kleines Geschlecht gefunden hatte, daß alle freiheitliche Weltverbesserung und alle Gleichheitsschwärmerei zu keinem Ziele führen kann. Die Menschen sind grundverschieden nicht bloß durch Wirkung geschichtlicher und sozialer Zustände, sondern durch Wesen und Anlage. Die Masse bedarf erst der Erziehung und geistigen Kultur, ehe vom Vernunftstaat die Rede sein kann. Ihre Erzieher aber sind in erster Linie die Künstler. Sie haben im Schönen die Idee einer vollen und wahren Humanität, einer vollen und wahren Entfaltung der ganzen geistigen Kraft, und von diesem Ideal aus sollen sie die Masse bilden und emporheben. Es ist keine Aristokratie ständischer Vorurteile oder selbstsüchtiger Selbstverherrlichung,f keine Aristokratie des Selbstgenusses und der Beiseiteschiebung der Massen, über die sich der Künstler erhaben fühlen darf und wo er jenseits ist von Gutg und Böse. Es ist vielmehr eine Aristokratie erziehender und hebender Arbeit, die die Masse durch künstlerische Kultur und durch Wirkung auf Phantasie und Gefühl so hoch emporhebt als möglich, die ihr Bestes mitteilen und ausbreiten will, die auch die anderenh zum Ideal der ganzen, vollen, harmonischen Totalpersönlichkeit erheben will; und wo Schicksal und Naturanlage das nicht erreichen läßt, da will sie ihnen Vertrauen einflößen zu den Erziehern und Führern, denen sie folgen und vertrauen und mit denen sie wenigstens in ihrer Weise am Ideal arbeiten sollen. So ist sein a B: Harmonie b B: Zweck c B: gerade, d B: ganz f B: Selbstverherrlichung g A: Gute h A: Anderen
e B: um so
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Wahlspruch das tiefsinnige Wort: Gleich sei keiner dem anderna;23 doch gleich sei jeder dem Höchsten! Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich24. Und diesem Wort dient zur Ergänzung das andereb nicht minder tiefsinnigec: Immer strebe zum Ganzen,d und kannst du selber kein Ganzes Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.25 Das heißt: Die wahre Freiheitsidee ist frei von allem Gleichheitsfanatismus und allem Nivellieren; sie geht vielmehr auf die reiche, volle, individuelle Persönlichkeit, die jedesmal etwas anderese ist. Und sie weiß, daß nicht alle solche Persönlichkeiten werden können, daß aber alle, die es sind, damit nicht sich, sondern dem Ganzen, der Bildung und Kultur des Ganzen, dienen, und daß alle, die es nicht sind und nicht werden können, doch durch Vertrauen und Hingebung Teil gewinnen können an dem erhabenen Ganzen der Kultur. Von diesem Gedanken aus ist nun aber auch Schillers große Gesamtanschauung von der menschlichen Geschichte, ihren Ursprüngen, Wegen und Zielen bedingt. Wie neben ihm Kant und Herder solche große geschichtsphilosophische Gedanken entworfen hatten, so baut auch er auf seiner Idee von Kunst und Freiheit ein Bild von der menschlichen Geschichte auf. Studierte Goethe vor allem die Natur, huldigte er vor allem dem heiligen Geiste der fünf Sinne und betrachtete er das ernste große Walten der gesetzmäßig bildenden Natur, empfand er vor allen sich selbst als ein Stück dieses Naturwerdens und -Wachsens, so bildete sich Schiller an der Geschichte. An ihr fand sein Sinn für Freiheit und Wille, seine Verehrung für das Erhabene und Schöpferische im Menschen,f seine Nahrung, aus ihr schöpfte er die Stoffe seiner Dramen und aus ihrem Gang glaubte er das Wesen und die Mission a A: Andern b A: Andere f B: Menschen
c B: tiefsinniger
d A: Ganzen e A: Anderes
23 Im Original beginnt der Vers aus Schillers Distichon „Aufgabe“: „Keiner sey gleich dem andern“, in: Friedrich Schiller: Aufgabe (1983), in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 315. 24 Im Original hervorgehoben. 25 Friedrich Schiller: „Pflicht für jeden“, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 315.
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der Kunst erläutern zu können. Mit der Unschuld und Naivetät des Wilden beginnt die Geschichte, sei es,a daß diese Naivetät sich als Roheit oder daß sie sich als genialer Instinkt äußert. Aber aus dieser Naivetät führt den Menschen der Lebenskampf heraus und entzweit ihn in die Triebe der Natur und die Bedürfnisse des Verstandes. Ein einziges Volk hat diese Entzweiung nicht eigentlich erlebt, sondern in günstiger Fügung die Harmonie des Naturinstinktes und der Vernunftfreiheit bewahrt, die Griechen. Daher sind sie auch das großeb Kunstvolk geworden, in dessen Werken sich die Harmonie von Geist und Natur unvergänglich spiegelt. Aber auch dieses Volk konnte den Prozeß der Entzweiung nicht aufhalten. Vernunft, Moral und Freiheit mußten über das von den Griechen erreichte Maß hinaus fortschreiten und so die Harmonie auflösen, die sie genossen und darstellten. In den großen Kämpfen, die seitdem die Kultur durchtoben und auf der einen Seite zur erhabensten Geistigkeit und auf der andern zur verworfensten Roheit geführt haben, steht die Menschheit bis heute. Für sie gibt es kein anderes Heilmittel als zunächst aus der Kunst von neuem Harmonie und Maß, Einheit der Freiheit mit der Erscheinung, zu lernen. Die Menschen sollen zur künstlerischen Humanität gelangen, um von hier aus den rohen Eudämonismus und die gemeine Selbstzucht zu brechen, den Sinn zu öffnen für das Wahre und Gute, das in der Kunst selbst enthalten ist und durch die Macht der Phantasie ganz von selbst auf das Gemüt wirkt. Von der künstlerischen Humanität gebändigt, beruhigt, gereinigt und befreit, wird der Geist ganz von selbst seine Würde erkennen und hat er sie einmal erkannt, dann wird seine eigene innere Majestät zum Wahren und Guten führen. So hat die Kunst immer gewirkt, so hat sie die ersten Wilden gebändigt und zur Kultur vorbereitet, so hat sie in den Griechen sich voll entfaltet, so versöhnt sie stets von neuem den in der nachgriechischen Zeit ausgebrochenen und von der Erhabenheit des Christentums vermehrten Gegensätze. So soll sie insbesondere in der Gegenwart die gärendec Menschheit beruhigend und klären, innerlich vertiefen und sammeln und sie sozusagen zu einem Griechentum höherer Ordnung erheben, zu einer Humanität, die eine stärkere Geistigkeit als die der Griechen war, mit noch stär kerer Kraft der Gestaltung versöhnt und harmonisch stimmt zu allem Natürlichen. Haben die Menschen von heute erst diese Humanitätskultur der Gesinnung erworben, dann mögen sie auch hoffen auf den Staat und die Gesellschaft der sittlichen Gerechtigkeit, der vollen und reinen Gedankenfreiheit, der geordneten Entfaltung aller menschlichen Anlagen im Reiche des Vernunftstaates. Damit führt Schiller seine Geschichtsphilosophiee zu seiner Gegenwart a A: es b B: größte c A: gährende e B: Geschäftsphilosophie
d B: beruhigen,
B3
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A3
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und zur Mission der Kunst in der Gegenwart. Er setzt den Ideen der französischen Revolution und der gewaltsamen abstrakten Weltverbesserung die Idee der ästhetischen Erziehung und der Gesinnungsbildung durch die Kunst entgegen. Nur durch das Tor des Schönen werden wir ins Land der Freiheit und der Erkenntnis einziehen.26 Diesem Gedanken der vorbereitenden ästhetischen Erziehung dient seine ganze Tätigkeit und Arbeit; und was er dort in schwerer Gedankenarbeit erworben, hält er wie selbstverständlich in seiner Dichtunga seinem Volke entgegen. Der feurige und erhabene Geist, der aus seinen Dramen spricht, soll ganz von selbst und ohne Reflexion sein Volk erziehen zum künstlerischen Sinn und zu demjenigen Verständnis der Kunst führen, in dem alle hohen und heiligen Güter der Kultur beschlossen sind. Diese Ideen sind es, die auch heute wieder vor uns treten, wo wir den Dichter feiern. Sie sind sein Wesentliches, sein ganz persönlicher Gedanke, sein Lebenszweck, der geistige Hintergrund und der belebende Atem aller seiner Schöpfungen. Sie sind daher auch dasjenige, bwas er vor allem heute wieder uns zu sagen hat b. Wir sollen uns nicht nur begeistern an der Herlichkeit und Kraft seiner Dramen, sondern die Idee fassen, die aus ihnen ohne alle Aufdringlichkeit, aber für den Verstehenden vernehmlich spricht. Nun sind diese Gedanken Schillers nicht frei von Gewaltsamkeit, zu der sein heroischer Wille überhaupt neigte. Seine Geschichtsphilosophie enthält tiefsinnige Wahrheiten, aber als Ganzes trifft sie schwerlich zu. Sein hierauf aufgebauter Gedanke der ästhetischen Erziehung als Vorbedingung aller geistigen,c moralischen, politischen und gesellschaftlichen Kulturd ist nicht minder von großer Einseitigkeit. Neben der Kunst wirkt unabhängig manches andere; Religion, Wissenschaft, Moral, Politik bedürfen freilich alle irgendwie der Kunst, aber sie gehen nimmer mehr aus ihr allein hervor. Das Einzelne in der ganzen Konstruktion gehört zu den Besonderheiten und Eigentümlichkeiten des Schillerschen Denkens, die so niemand sich aneignen kann. Aber in dem Ganzen sind doch große unvergängliche Ideen enthalten; dasjenige, was aus dieser Theorie und Idee wirklich in seine Dichtung übergegangen ist und hier ewiges Leben gewonnen hat, ist unvergänglich. Es ist erstlich die große und erhabene Idee von der Kunst selbst. a B: Dichtung,
b–b In B nicht hervorgehoben. c A: geistigen d A: Kultur,
26 Troeltsch bezieht sich auf die Verse 34 und 35 von Schillers Gedicht „Die Künstler“, welche die dritte Strophe mit den Worten eröffnen: „Nur durch das Morgenthor des Schönen / Drangst du in der Erkenntniß Land.“ Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Die Künstler, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 383–396, hier S. 384.
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Sie ist das Mädchen aus der Fremde, das Wunder und das Geheimnis, das in unsera Trieb- und Sinnenleben aus der göttlichen Tiefe der Welt hineintritt27 und uns die Ahnung gibt von der Tiefe, Hoheit und Harmonie alles Höchsten und Besten mit unserer Natur und Wirklichkeit. Die Kunst mag hundertfach zu diesen Höhen nicht heranreichen; aber auch im gedankenlosesten Spiel künstlerischer Phantasie ist schon die hohe Einheit des Idealen und Sinnlichen andeutungsweise enthalten, und in der großen hohen Kunst da entfaltet sich uns dieses ihr höchstes Geheimnis klar und überwältigend. Größeres und Höheres ist von der Kunst nie gesagt worden, und deutlicher ist dieser ihr Sinn nirgends zutageb getreten als in Schillers eigener Kunst. Das zweite ist der Gedanke von der ästhetischen Erziehung des Volkes. Schiller hat die Ideen des Staates der Freiheit und des Rechtes nie aufgegeben, er wollte das ganze Volk an den Gütern der Kultur beteiligt sehen. Er fand es nur noch nicht reif dazu und wollte ihm den Weg dazu bahnen durch eine künstlerische Bildung. Die Lage ist heute noch nicht viel anders als zu Schillers Zeiten, nur daß neben dem Bürgertum das eigentliche große Volk, die Masse,c deutlicher hervorgetreten ist. Wie Schiller einst das Bürgertum erzog, so muß er heute das Volk erziehen. Freilich kann es sich dabei nicht bloß um künstlerische Erziehung allein handeln, sondern um Bildung und geistige Hebung überhaupt. Aber die großen Ziele der Volkszukunft sind nur zu erreichen durch Verbreitung von Bildung, Geist und Wissen, die allein die gärenden Massen beruhigen, klären und heben können. Wir können und dürfen sie nicht mehr zurückstoßen in das Dunkel und wir können ihnen die wilden utopischen Wünsche nicht erfüllen. Aber wir sind ihnen Erziehung, Bildung, Kunst und Wissenschaft schuldig. Durch diese Erziehung hindurch werde sie reif zur Erfüllung ihrer Wünsche werden. Wir sollen Kunst und Wissenschaft nicht selbstsüchtig verschließen und unsere aristokratische Ueberlegenheit über die Barbarei genießen, sondern dem Verlangen begegnen durch Mitteilung und Erziehung. Schillers reines und a B: unsere b A: zu Tage
c A: Masse
27 Troeltsch bezieht sich auf Schillers Gedicht „Das Mädchen aus der Fremde“, dessen ersten drei Strophen lauten: „In einem Thal bei armen Hirten / Erschien mit jedem jungen Jahr, / Sobald die ersten Lerchen schwirrten, / Ein Mädchen, schön und wunderbar. // Sie war nicht in dem Thal gebohren, / Man wußte nicht, woher sie kam, / Doch schnell war ihre Spur verloren, / Sobald das Mädchen Abschied nahm. // Beseligend war ihre Nähe, / Und alle Herzen wurden weit, / Doch eine Würde, eine Höhe / Entfernte die Vertraulichkeit.“ Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Das Mädchen aus der Fremde, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 184.
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selbstloses Herz zeigt uns dabei das Geheimnis, wie es zu machen ist, die Kunst erziehend mitzuteilen und an der Hebung des ganzen Volkes arbeiten zu lassen, ohne doch der Hoheit der Kunst etwas zu vergeben. Es wird freilich damit allein nicht gemacht sein, aber es ist wenigstens etwas von dem, was geschehen muß. Nicht Reduktion von Kunst und Wissenschaft, weder hochmütiger Verschluß in einer Kaste der Gebildeten, noch pfäffische Verdächtigung und Beschneidung aller Wissenschaft, sondern Volksbildung und offene Mitteilung ist unsere Aufgabe. Das dritte ist der Gedanke des höchsten Ideales sittlicher Bildung, dem die Führer und geistigen Häupter unser Gesellschaft zustreben sollen, die künstlerisch verklärte Humanität, die Vollentfaltung aller Kräfte und Anlagen als Betätigung sittlichen Wollens in der Form künstlerischera harmonischer Persönlichkeit. Es war bei der Schaffung der humanistischen Gymnasien vor hundert Jahren die Idee, den Führern des Volkes eine solche ethisch-künstlerische Vollendung zu geben. Das deutsche Gymnasium hat das auch oft genug geleistet; heute freilich ist es in seinem Hin und Her zwischen der Angst vor Ueberbürdung und der Angst vor dem Zurückbleiben hinter Zeitforderungen, in seiner bureaukratisch-formalistischen Schablonenhaftigkeit nur schwer in der Lage, diese Ideale zu erreichen. Machen wir uns aber an dem Bilde Schillers klar, daß dieses Ideal nicht an das Gymnasium und überhaupt an keine bestimmte Schule gebunden ist, daß es ein Ideal bleibt, auch wenn die Kenntnis des Griechischen noch seltener wird als sie es heute ohnedies schon ist. Es ist gerade in der Zeit des Realismus und der Ideenscheu doppelt als das eigentliche Ideal aller Bildung zu preisen, und an Stelle all der schwierigen Unterrichtstheorien trete uns das einfache und große Bild Schillers als die Verkörperung dieses Bildungszieles. Es mag das Bildungsziel immer schwieriger geworden und in dem Geschäftsleben der heutigen Welt immer weniger erreichbar geworden sein. Vielleicht ist es so. Aber das Ideal bleibt das Ideal für alle geistigen Führer der Nation. Mit ihm ist Deutschland groß geworden, und nur mit ihm wird das groß gewordene Deutschland ein glückliches und edles bleiben. In diesen drei Sätzen faßt sich das Wirkende in Schillers Ideen zusammen. Es sind drei Worte des Glaubens, des Glaubens an die heilige Mission der Kunst, an die Emporentwicklung der Völker und an das Ideal der Menschheitsführer; und sie hängen eng mit den Ideen zusammen, die Schiller in dem berühmten Gedicht als die „drei Worte des Glaubens“ gepriesen hat, mit dem Glauben an die Freiheit, an das Gute und an die göttliche
a A: künstlerisch
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Weltregierung.28 Er hat ihnen charakteristisch die drei Worte des Wahns gegenübergestellt, den flachen optimistischen und gleichmacherischen Wahn, daß das Böse jemals verschwinden werde, daß innerer Wert und äußeres Glück auf Erden sich jemals decken werden und daß der sterbliche Mensch die Fülle der Wahrheit jemals mit seinem Insektenblick umfassen werde.29 In beidem zusammen, in jenem Glauben aund seinema das letzte Weltziel erfliegenden Optimismus, und in dieser Warnung und ihrem kühlen, alles Irdische von der Vollkommenheit fern wissenden Realismus liegt Schillers Weltanschauung, der großartige Idealismus, der der Kern seiner Persönlichkeit und seines Schaffens ist. Möge diese Weltanschauung von der neuen Schillerfeier uns wieder mit starken und warmen Wellen durch die deutschen Herzen fluten. Sie ist nicht das Einzige, was uns heute not tut, aber etwas vom Wichtigsten, was uns heute wünschenswert ist. Möchte sie uns mit beiden erfüllen, mit der festen Zuversicht und Kraft des Dichters und der besonnenen Festigkeit, die die Ungleichheiten und Rätsel des Lebens erträgt; möchte sie uns die große Wahrheit seines Lebens lehren, die er, die Maße des Raumes ausdeutend, also zusammengefaßt hat: a–a A: u. seinem, 28 Gemeint ist Schillers Gedicht „Die Worte des Glaubens“, in dem es zum einen in den Versen 7 und 8 heißt: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, / Und würd’ er in Ketten geboren“, zum andern in den Versen 13 und 14 „Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall, / Der Mensch kann sie üben im Leben“ und schließlich in den Versen 19 bis 22 „Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt, / Wie auch der menschliche wanke, / Hoch über der Zeit und dem Raume webt / Lebendig der höchste Gedanke“. Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Die Worte des Glaubens, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 370. 29 Es handelt sich um das Gedicht „Die Worte des Wahns“, das Schiller mit den Versen beginnt: „Drei Worte hört man bedeutungsschwer / Im Munde der Guten und Besten. / Sie schallen vergeblich, ihr Klang ist leer, / Sie können nicht helfen und trösten. / Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht, / So lang’ er die Schatten zu haschen sucht.“ Es folgt in den Versen 7 bis 10 das erste Wort: „So lang’ er glaubt an die goldene Zeit, / Wo das Rechte, das Gute wird siegen, – / Das Rechte, das Gute führt ewig Streit, / Nie wird der Feind ihm erliegen“. Das zweite Wort in den Versen 13 bis 16 lautet: „So lang’ er glaubt, daß das bulende Glück / Sich dem Edeln vereinigen werde. / Dem Schlechten folgt es mit Liebesblick, / Nicht dem Guten gehöret die Erde.“ Und in den Versen 19 bis 22 schließlich das dritte Wort: „So lang’ er glaubt, daß dem ird’schen Verstand / Die Wahrheit je wird erscheinen, / Ihren Schleier hebt keine sterbliche Hand, / Wir können nur rathen und meinen.“ Hier zitiert nach: Friedrich Schiller: Die Worte des Wahns, in: ders.: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 371.
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Rastlos vorwärts mußt Du streben, Nie ermüdet stille stehen, Willst Du die Vollendung sehen. – Mußt ins Breite Dich entfalten, Soll sich Dir die Welt gestalten. In die Tiefe mußt Du steigen, Soll sie Dir ihr Wesen zeigen. Nur Beharrung führt zum Ziele Nur die Fülle führt zur Klarheit Und im Abgrund wohnt die Wahrheit.30
30 Troeltsch zitiert hier aus Schillers Gedicht „Spruch des Konfucius“, in: Friedrich Schiller: Nationalausgabe, zweiter Band, Teil 1 (1983), S. 413.
Thesen für den Vortrag über den „Offenbarungsbegriff in der gegenwärtigen Weltanschauung“ (1905)
Editorischer Bericht 1. Entstehung Die nachstehenden Thesen bilden die Grundlage eines Vortrags mit dem Titel „Der Offenbarungsbegriff in der gegenwärtigen Weltanschauung“, den Troeltsch im Rahmen der 35. Versammlung des Wissenschaftlichen Predigervereins Hannover am 27. September 1905 vormittags um 9 Uhr gehalten hat.1 Der vollständige Text des Vortrags ist nicht überliefert. Troeltsch wollte den Vortrag generell nicht publizieren. Kurz vor der Versammlung fragte der Gustav Ruprecht bei Troeltsch an, ob er seinen Vortrag bei Vandenhoeck & Ruprecht publizieren wolle.2 In seiner umgehenden Antwort dankte Troeltsch für die „freundliche Aufforderung“, sah sich aber außerstande, auf das „Anerbieten“ Ruprechts einzugehen: „Der Vortrag ist von mir überhaupt nicht eigentlich ausgearbeitet, sondern nur in Thesenform fixirt, über die ich dann frei sprechen will. So wird der Vortrag überhaupt nicht gedruckt werden. Ich will meinen späteren Arbeiten nicht vorgreifen u[nd] will nun vorläufig mit kleineren Arbeiten überhaupt nicht herauskommen, es handle sich denn um ein Spezialproblem, das ich mir vorläufig vom Halse schreiben will. Dazu gehört aber das dieses Mal in Frage stehende nicht.“3 1
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Einladung zur „fünfunddreißigsten Versammlung des wissenschaftlichen Predigervereins zu Hannover“ vom August 1905, Landeskirchliches Archiv Hannover, Akte N 5 Nr. 98. Brief Gustav Ruprechts an Ernst Troeltsch, 19. September 1905, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), Kopierbuch 22 (I / 9) [22. März. 1905 – 25. Januar 1906], Bl. 527 f. Brief Ernst Troeltschs an Vandenhoeck & Ruprecht, 22. September 1905, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 494 (Archiv des Verlages Van-
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Thesen f. d. Vortrag ü. d. „Offenbarungsbegriff in d. gegenw. Weltanschauung“
Der Wissenschaftliche Predigerverein Hannover, der 1886 ins Leben gerufen worden war,4 verstand sich als eine wissenschaftliche Vereinigung, die – so das Vereinsstatut – „mit Ausschluß kirchenpolitischer Tendenzen der theologischen Fortbildung seiner Mitglieder“ dienen wolle.5 Vor allem die Anhänger Albrechts Ritschls und die Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule engagieren sich im Hannoveraner Predigerverein, der 1907 154 Mitglieder hatte.6 So gehörten Wilhelm Bornemann, William Wrede, Albert Eichhorn, Hermann Gunkel und Johannes Weiß schon früh dem Predigerverein an; auch Wilhelm Bousset trat später bei.7 In seiner Göttinger Zeit hatte Troeltsch zu diesen Theologen der „Kleinen Göttinger Fakultät“8 eine intensive intellektuelle und persönliche Beziehung; als der bayerischen Landeskirche zugehörig war es jedoch „naheliegend, sich in einem niedersächsischen Predigerverein nicht aktiv zu engagieren“9. Troeltsch verfolgte sicher mit großer Sympathie die Arbeit dieses organisierten kirchlichen Liberalismus. So äußerte er sich gegenüber Wilhelm Bousset zum „Fall Weingart“, der 1899 großes Aufsehen erregte.10 Der Osnabrücker Pfarrer Hermann Weingart, der sich kritisch zum hannoverschen Agendenentwurf äußerte, wurde 1899 vom Landeskonsistorium des Amtes enthoben. Der Hauptvorwurf, der letztlich auch zur Amtsenthebung führte, war, daß Weingart die „leibliche Auferstehung Jesu“ bestritten habe.11 Im Hintergrund stand allerdings – und dies führte auch zum Protest liberaler Theologen und Pfarrer gegen diese landeskirchliche Maßnahme, die Sorge, daß Weingart vor allem deshalb verurteilt worden war, „weil er das Recht in Anspruch nehme, theologische Ergebnisse gegen die Bekenntnisschriften geltend zu
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denhoeck & Ruprecht), Autoren-Korrespondenz, Tasche 39 ¡ KGA 20. Ruprecht war darüber informiert, da die „Kirchliche Gegenwart“, die im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschien, Anfang September 1905 die „Herbstversammlung“ des Predigervereins mit Troeltschs Vortrag ankündigte. Anonym: Wissenschaftlicher Predigerverein (1905), Sp. 270. Vgl. Paul Fleisch: 100 Jahre hannoversche Kirchengeschichte im Spiegel der Pfingstkonferenzen (1949), S. 85; Nittert Janssen: Theologie fürs Volk (1999), S. 33–37. Zitiert nach: Nittert Janssen: Theologie fürs Volk (1999), S. 38. Ebd., S. 41. Vgl. auch ders.: Der „Wissenschaftliche Predigerverein zu Hannover“ und die „Religionsgeschichtliche Schule“(1996). Vgl. Nittert Janssen: Theologie fürs Volk (1999), S. 42 und S. 46–51. Ernst Troeltsch: Die „kleine Göttinger Fakultät“ von 1890 (1920) ¡ KGA 11,1. Nittert Janssen: Theologie fürs Volk (1999), S. 43. Vgl. ebd., S. 88–104. Hermann Mulert: [Art.] Weingart, Hermann (1913), Sp. 1868.
Editorischer Bericht
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machen“12. Adolf Harnack etwa empfand die Amtsenthebung als „Faustschlag“.13 Auch Martin Rade sieht in diesem „im klassischen Sinne orthodoxen Standpunkte, den das Landeskonsistorium eingenommen hat“, wonach „die Uebereinstimmung mit Schrift und Bekenntnis in der wörtlichen, ungebrochenen Uebernahme einer Summe von Dogmen“ bestehe, einen „falschen Glaubens- und Evangeliumsbegriff“, den es zu „bekämpfen“ gelte.14 In einem Brief an Wilhelm Bousset vom 1. Januar 1900 kommt auch Troeltsch auf den „Weingartsche[n] Prozeß“ zu sprechen, der „bei Euch [. . .] große Erregung hervorgerufen“ habe: „Er hat mir auch wieder böse Stunden gemacht. Es ist ein Jammer mit einer derartigen Kirchenleitung.“15 Troeltsch nimmt zeitgleich Anfang Januar 1900 auch publizistisch Stellung, wenn er in einer Rezension von Friedrich Paulsens „Kant der Philosoph des Protestantismus“ vom „hannöversche[n] Ketzerprozess“ spricht, der zeige, daß „die Spitzen der protestantischen Kirchen noch heute grösstentheils keine andere Stellung einzunehmen wissen als seiner Zeit die Wöllner und Genossen“.16 Der Wissenschaftliche Predigerverein wußte also, daß sie mit Troeltsch, den sie bereits 1904 zu einem Ferienkurs eingeladen hatten,17 einen Mitstreiter in kirchenpolitisch turbulenten Zeiten hatten. Die überlieferten „Thesen“ von Troeltschs Vortrag zeigen, daß der Hannoveraner Predigerverein einen Theologen eingeladen hatte, der den Prinzipien der Religionsgeschichtlichen Schule folgte, wie sie etwa Wilhelm Bousset in seiner Verteidigung von Hermann Weingart anwandte, wenn er, der hannoveraner Landeskirche vorwirft, sie würde einer „Auffassung der heiligen Schrift“ folgen, „die auf den Buchstaben rechnend, den Charakter derselben als eines geschichtlich gewordenen Ganzen verkennt“.18 Troeltschs Beschreibung der 12 13
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Ebd., Sp. 1867. Brief Adolf Harnacks an Martin Rade, 12. November 1899, in: Johanna Jantsch (Hg.): Der Briefwechsel zwischen Adolf von Harnack und Martin Rade (1996), S. 439. Martin Rade: Der Prozeß Weingart (1900), Sp. 56 f. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 1. Januar 1900, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Bousset 130 ¡ KGA 19. Ernst Troeltsch: [Rez.] Friedrich Paulsen: Kant der Philosoph des Protestantismus (1900), in: KGA 2, S. 675–680, hier S. 679. Vgl. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 8. März 1904, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Bousset 130 ¡ KGA 19. Zu den vom Wissenschaftlichen Predigerverein initiierten Theologischen Ferienkursen vgl. Nittert Janssen: Theologie fürs Volk (1999), S. 51–57. Zitiert nach: Nittert Janssen: Theologie fürs Volk (1999), S. 102.
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Thesen f. d. Vortrag ü. d. „Offenbarungsbegriff in d. gegenw. Weltanschauung“
„Christlichkeit des heutigen Menschen“, die als „eine individuelle relativschöpferische Tat“ anzusehen sei, in der die biblische Überlieferung nicht „identisch mit der Offenbarung“ sei, sondern ihren Ausgangspunkt in der „grundlegende[n] Offenbarung in der religiösen Persönlichkeit Jesu“ habe, die jedoch „zeitgeschichtlich bedingt“ und daher „in Christentumsgeschichte „nach den verschiedensten Richtungen hin ergänzt und erweitert worden“ sei. Neben der „grundlegenden Offenbarungsgeschichte“ in der Persönlichkeit Jesu seien daher diese „übrigen Momente zu freier Geltung“ zu bringen.19 Die „Herbstversammlung“20 des „Wissenschaftlichen Predigervereins Hannover“ fand am Dienstag und Mittwoch, den 26./27. September 1905 im „Hotel zu den vier Jahreszeiten“ in Hannover statt.21 Am Nachmittag des 26. hielt Lic. Dr. Otto Scheel einen Vortrag mit dem Titel „Luthers und Denifles Stellung zum katholischen Religionsbegriff“.22 Während sich Troeltsch einer „prinzipiell-theologischen Frage“ widmete, war der Vortrag Scheels aus der „konfessionellen Kontroverse“ genommen.23 Scheel setzte sich mit den Vorwürfen auseinander, die der katholische Gelehrte Heinrich Suso Denifle in seiner Schrift „Luther und Luthertum“ (1904/1906) gegenüber Luther erhoben hatte. Laut Berichterstattung der „Kirchlichen Gegenwart“ vermochte Scheel „überzeugend“ darzustellen, „wie in den Hauptzügen die Darstellung Luthers und der ihm folgenden 19
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Unten, S. 291 f. Vgl. auch den Bericht in der „Kirchlichen Gegenwart“: Die „Schlußthese“ von Troeltschs Vortrag enthalte „die Sätze: ‚So setzt sich der Offenbarungsbegriff der heutigen Christlichkeit zusammen aus der grundlegenden Offenbarung in der religiösen Persönlichkeit Jesu, aus der Entwicklungsoffenbarung der weiteren christlichen Geschichte und der persönlichen Offenbarung des individuellen religiösen Erlebnisses. [. . .] Unter diesen Umständen ist die Bibel natürlich nicht identisch mit der Offenbarung, aber auch nicht die Urkunde der ganzen Offenbarungsgeschichte, neben der die übrigen Momente zu freier Geltung kommen müssen.‘“ Gr.: Kirchliche Nachrichten (1905), Sp. 333. Zum Ablauf vgl. Nittert Janssen: Theologie fürs Volk (1999), S. 43: „Das Programmschema der Versammlungen blieb über die Jahre bis 1914 ziemlich unverändert: Man traf sich zumeist am Dienstagnachmittag im Café Rabe, ab August 1907 dann im Hansahaus, um den ersten Vortrag zu hören. Der Abend blieb der ‚geselligen Vereinigung‘ vorbehalten und bot Gelegenheit zu Besprechungen und zu freien Aussprache im kleinen Kreis. Am nächsten Morgen folgte dann jeweils der zweite Vortrag mit anschließender Diskussion. Ein gemeinsames Mittagessen (‚Gedeck zwei Mark‘) beschloß stets die Versammlungen“. Anonym: Wissenschaftlicher Predigerverein (1905), Sp. 270. Ebd., Sp. 270. Gr.: Kirchliche Nachrichten (1905), Sp. 333.
Editorischer Bericht
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protestantischen Theologie zu Recht bestehe.“24 Troeltsch wird eine „blendende Meisterschaft [. . .] in der Darbietung großer geschichtlicher Überblicke“ attestiert, „in der Darstellung, wie sich eine Sache entwickelt, im Laufe der Geschichte verändert hat.“25 Die systematische Beschäftigung mit dem Begriff der Offenbarung kann als eine Vorarbeit zu Troeltschs Artikel „Offenbarung“ aus dem Jahr 1907 betrachtet werden, der 1913 in einer formal überarbeiteten Fassung als Lexikonartikel in das Handwörterbuch „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ aufgenommen wurde.26 Im näheren zeitlichen Kontext wird der „Offenbarungsbegriff“ von Troeltsch ein weiteres Mal in einem Vortrag im Rahmen eines Ferienkurses thematisiert, der sich an die Versammlung der „Sächsischen Kirchlichen Konferenz“ in Chemnitz anschloß. Der Ankündigung des Vortrags in der „Christlichen Welt“ für den 19. Oktober 1905 zufolge sprach Troeltsch dort über „die Wirkung des deutschen Idealismus, insbesondere auf die Theologie“, „und zwar 1. über den besonderen Charakter der neuzeitlichen Theologie seit 1750 im Allgemeinen, 2. über ihre Wirkung auf den Offenbarungsbegriff, 3. über ihre Wirkung auf den Erlöserbegriff, 4. über die Wirkung dieser Zustände auf praktisch-kirchliche Aufgaben.“27 2. Textgenese und Drucklegung Der Edierte Text wurde im Juli des Jahres 1984 im Landeskirchlichen Archiv Hannover aufgefunden und noch im gleichen Jahr von Horst Renz im dritten Band der „Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft“ unter dem Titel „Ernst Troeltsch: Der Offenbarungsbegriff in der gegenwärtigen Weltanschauung. Thesen für den Vortrag im Wissenschaftlichen Predigerverein Hannover am 27. September 1905, mit einem Nachwort herausgegeben“ auf den Seiten 8–10 abgedruckt. Die Edition folgt dem gedruckten Text, wie er im Landeskirchlichen Archiv Hannover vorliegt und dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt wurde unter dem Titel: Thesen für den Vortrag über den „Offenbarungsbegriff in der gegenwärtigen Weltanschauung“ (A). 24 25 26
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Ebd., Sp. 333. Ebd., Sp. 333. Ernst Troeltsch: Offenbarung (1907) sowie ders.: Offenbarung, dogmatisch (1913) ¡ KGA 3. Anonym: Bekanntmachung (1905), Sp. 932. Vgl. auch: Anonym: Sächsische kirchliche Konferenz (1905).
Thesen für den Vortrag über den „Offenbarungsbegriff in der gegenwärtigen Weltanschauung“.
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1. Der kirchlich-theologische Offenbarungsbegriff ist aus der jüdischen Theologie erwachsen und hat seine Eigentümlichkeit in der Verbindung einer exklusiven Offenbarungs- und Erwählungsgeschichte mit dem Besitz einer heiligen Schrift, die sowohl die Urkunde jener heiligen Geschichte als die Lehrerin der durch sie gebrachten Wahrheiten ist. Daraus ist in der weiteren christlichen Geschichte eine Geschichtsphilosophie der exklusiven Wundergeschichte, eine harmonistisch-apologetische Bearbeitung der biblischen Geschichte und eine dogmatische Hermeneutik der Erhebung der Offenbarungslehren geworden. 2. Dieses System ist in einer Zeit aufsteigender religiöser Kräfte, aber niedergehender wissenschaftlicher Bildung geschaffen und in einer Zeit mangelhafter und sklavischer Erneuerung antiker Bildungsreste fortgebildet worden. Es ist von der wiedererstehenden selbständigen wissenschaftlichen Bildung aufgelöst worden und zwar aus naturphilosophischen, historisch-kritischen oder philologischen und schliesslich metaphysischen Gründen, wozu noch dogmatische und ethische Anstösse an dem Inhalt der behaupteten Offenbarungslehren hinzukommen. 3. In der damit eröffneten Krisis der christlichen Idee ist begreiflicher Weise nach allerhand Kompromissversuchen die radikalste Heilung vorgeschlagen worden, dass nämlich die Religion des Offenbarungsbegriffes überhaupt nicht bedürfe, sondern zeitlos und geschichtslos mit der denkenden Vernunft überall von selbst identisch gegeben sei. Es ist die These des radikalen Rationalismus, bei der ja eine grössere oder geringere Uebereinstimmung der rationalen Religion mit der christlichen Religion über bleiben konnte. 4. Dem gegenüber führte die fortschreitende Analyse der Vernunft und des Denkens sowohl als des Reichtums des historischen Lebens, zugleich auch der Ueberdruss an der vom Rationalismus schliesslich bewirkten religiösen Ermattung, zur erneuten Anerkennung und Betonung des Offenbarungsbegriffes. Das führte einerseits zur Restauration des alten Offenba-
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rungsbegriffes mit blosser Zurückdrängung seines Doktrinarismus, andererseits bei den die Kritik des alten Offenbarungsbegriffes Festhaltenden zur neuen Konstruktion desselben. 5. Als Ausgangspunkt einer solchen ergab sich zunächst unter dem Einfluss des Pietismus, der Mystik und der Poesie die Analyse des gegenwärtigen Erlebnisses der Religion, die noch heute erfahrbare Offenbarung, die aber nicht in der logischen Erzeugung des Gottesgedankens, sondern in der lebendigen, eine neue Wirklichkeit begründenden Lebensverbindung mit Gott besteht. Sie vollzieht sich durch den religiösen Gedanken, aber sie geht nicht auf im Denken, sondern ist eine in ihm vermittelte reale Gottesbeziehung. Es ist der Grundgedanke der Schleiermacherschen und der Hegelschen Lehre, der nur gegen die pantheistischen Neigungen des modernen Denkens und auch jener beiden Väter der modernen Theologie rein herauszuarbeiten ist. 6. Eine derartige Betrachtung ist auf alle religiösen Regungen und Erlebnisse der Menschheit anwendbar und macht jede echte, nicht bloss nachgemachte Religiosität zur Offenbarung und zum Wunder. In der Tat ist die Exklusivität des alten Offenbarungsbegriffes nicht aufrecht zu erhalten. Daraus ergibt sich dann aber die Aufgabe der Abstufung der verschiedenen Offenbarungskreise nach ihrem innern religiösen Werte, bei welcher Abstufung das Christentum sich als die innerlichste und reichste Religion darstellt. Von hier aus verwandelt sich die exklusive Offenbarungstheorie in eine geschichtsphilosophische Lehre von der Höchstgeltung des Christentums, was durch eine Neubildung der Hegelschen Entwickelungslehre zu erreichen ist. 7. Indem innerhalb des Offenbarungskreises das persönliche religiöse Offenbarungserlebnis sich vollzieht durch das Durchdenken und Durchleben gegebener religiöser Gedanken, weist jeder Offenbarungskreis auf eine grundlegende Gestaltung seiner religiösen Ideen hin, die, überwiegend original, eine Neuschöpfung religiöser Kräfte aus originaler, hier stattfindender Berührung mit dem göttlichen Leben ist. Für das Christentum liegt diese Grundlegung in der Persönlichkeit Jesu vor, die naturgemäss einerseits ein Gegenstand historischer Forschung, andererseits aber in ihrer Beurteilung als Gottesoffenbarung ein Gegenstand und ein Bild des Glaubens ist. Es gilt hier nur das Glaubensbild Jesu auf die historische Forschung einzurichten, was naturgemäss in sehr verschiedenartiger Weise geschehen wird. Der Inhalt dieser Offenbarung ist die prinzipielle Gottesidee und die durch sie bewirkte religiöse und ethische Lebenserhöhung. 8. Die grundlegende Offenbarung in der Persönlichkeit Jesu ist jedoch nur die grundlegende, zeitgeschichtlich bedingt und von der notwendigen Einseitigkeit aller grundlegenden Schöpfungen. Sie ist in dem späteren
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Leben der Christenheit nach den verschiedensten Richtungen hin ergänzt und erweitert worden. So kommt zu der grundlegenden Offenbarung die Fortsetzungs- oder Entwickelungsoffenbarung, die jeweils als göttliche Offenbarung empfunden wird und nach dem Masse dieser Empfindung anerkannt und verstanden wird. 9. So setzt sich der Offenbarungsbegriff der heutigen Christlichkeit zusammen aus der grundlegenden Offenbarung in der religiösen Persönlichkeit Jesu, aus der Entwickelungsoffenbarung der weiteren christlichen Geschichte und der persönlichen Offenbarung des individuellen religiösen Erlebnisses. An diese Offenbarung rückt alles Weitere heran, was sich uns als göttlich und heilig bekundet. In der Gestalt aller dieser Elemente zu einer einheitlichen religiösen Gesinnung und Ueberzeugung besteht die Christlichkeit des heutigen Menschen, die somit immer zugleich eine individuelle relativ-schöpferische Tat ist. Unter diesen Umständen ist die Bibel natürlich nicht identisch mit der Offenbarung, aber auch nicht die Urkunde der ganzen Offenbarungsgeschichte, sondern nur die der grundlegenden Offenbarungsgeschichte, neben der die übrigen Momente zu freier Geltung kommen müssen.
Main Problems of the Philosophy of Religion (1905)
Editorischer Bericht 1. Entstehung Der Edierte Text geht auf einen Vortrag zurück, den Troeltsch am 21. September 1904 auf dem „Congress of Arts and Science“ in St. Louis gehalten hat. Der Kongreß war Teil der Weltausstellung im Jahr 1904, die in St. Louis ausgerichtet wurde und in Erinnerung an den sogenannten Louisiana Purchase, den Kauf der spanisch-französischen Kolonie Louisiana durch die Vereinigten Staaten im Jahr 1803, den Namen „Louisiana Purchase Exposition“ erhielt. Seit der Weltausstellung in Paris im Jahr 1889 war es üblich geworden, in diesem Rahmen einen Weltkongreß auszurichten, der ergänzend zum materiellen Fortschritt auch die „wonderful achievements of the new age in science, literature, education, government, jurisprudence, morals, charity, religion, and other departmets of human activity, as the most effective means of increasing the fraternity, progress, prosperity, and peace of mankind“1 porträtieren sollte. Die inhaltliche Grundkonzeption des Kongresses, die im Wesentlichen auf Hugo Münsterberg zurückgeht,2 wird von diesem 1
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Howard J. Rogers: The History of the Congress (1905), S. 2. Zur Entstehung und Bedeutung des Weltkongresses vgl. auch Hans Rollmann: Ernst Troeltsch in Amerika (2001), S. 89–96, sowie Alfred W. Coats: American Scholarship Comes of Age: The Louisiana Purchase Exposition 1904 (1961), S. 404–417. „Professor Hugo Münsterberg [. . .] made the important suggestion that [. . .] a series of unrelated lectures, even though given by most eminent men, would have little or no scientific value, but that if some relation, or underlying thought, could be introduced into the addresses, then the best work could be done, which would be of real value to the scientific world.“ Howard J. Rogers: The History of the Congress (1905), S. 5. Im ersten Teilband der Tagungspublikation „Congress of Arts and Science“ (1905), unterrichtet Hugo Münsterberg in seinem Beitrag „The Scientific Plan of the Congress“ ausführlich über die Überlegungen, die für inhaltliche Ausrichtung des Kongresses leitend waren.
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Main Problems of the Philosophy of Religion
in seinem Einladungsschreiben wie folgt umrissen: „Ein einziger Congress, mit 131 Sektionen soll die Gesamtheit der Wissenschaften umspannen und nur ein einziges Thema, nämlich den inneren Zusammenhang alles Wissens behandeln. Im Gegensatz zu den unzusammenhängenden Vorträgen der üblichen Congresse, soll also hier eine in sich geschlossene positive Arbeit ausgeführt werden. Es gilt gegenüber der notwendigen Zersplitterung der Forschung einmal die Einheit des Wissens herauszuarbeiten. Es soll gegenüber dem Tagesbetrieb der Wissenschaft gewissermassen eine Feiertagsstunde der wissenschaftlichen Selbstbestimmung geschaffen werden.“3 Das Konzept, dem das Ideal der Einheit der Wissenschaft und eine scholastisch anmutende Hierarchisierung der Disziplinen zu Grunde liegt, wurde bereits im Vorfeld von verschiedenen Seiten als zu restriktiv kritisiert: zum einen von Albion Small, der wie Münsterberg dem Organisationskomitee des Kongresses angehörte, und zum anderen von den beiden führenden Pragmatisten John Dewey und William James. Das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, daß letztere dem Kongreß fernblieben.4 Im Frühjahr 1903 waren die Planungen von Ablauf und Inhalt des Weltkongresses der „Louisiana Purchase Exposition“ so weit fortgeschritten, daß sich die Organisatoren darauf verständigten, drei Vertreter nach Europa zu entsenden, um das Projekt ausgewählten Wissenschaftlern vorzustellen und Einladungen auszusprechen. Hugo Münsterberg, der von 1891 bis 1892 eine außerordentliche Professur für Psychologie an der Universität Freiburg innehatte, bevor er William James auf dessen Wunsch hin auf den Lehrstuhl für experimentelle Psychologie in Harvard folgte, übernahm die Einladungen der Gelehrten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Am 30. Mai 1903 trat er seine Reise an,5 die ihn zunächst nach Berlin führte, wo er nach eigenen Angaben „sofort Zusagen [erhielt] von Männern wie: – Waldeyer, Engelmann, Hertwig, Orth, Harnack, Wilamowitz, Delitsch, Dellbrück, Lisst, Stumpf, Bode, Van’t Hoff, Riedler, Witt, Pfleiderer, Tobler, Erich Schmidt, Pischel u. A.“, und auch beim Kaiser sei der Plan auf „wärmste Sympatie“ gestoßen.6 Weitere Etappen auf seiner Reise durch Deutsch-
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Einladungsschreiben von Hugo Münsterberg an Max Fürbringer, 8. Juli 1903, Blatt 1, Frankfurt am Main, Universitätsbibliothek, Archivzentrum, Nachlaß Max Fürbringer, Na39 D 5 / 60. Vgl. Lawrence A. Scaff: Max Weber in America (2011), S. 56. Vgl. Howard J. Rogers: The History of the Congress (1905), S. 17. Einladungsschreiben von Hugo Münsterberg an Max Fürbringer, 8. Juli 1903, Blatt 2, Frankfurt am Main, Universitätsbibliothek, Archivzentrum, Nachlaß Max Fürbringer, Na39 D 5 / 60.
Editorischer Bericht
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land waren Leipzig, München, Breslau, Kiel sowie auch Heidelberg.7 Es ist davon auszugehen, daß Münsterberg seine Einladung auch Troeltsch gegenüber persönlich aussprach,8 da Troeltschs Name laut Angabe von Margaret Münsterberg, der Tochter von Hugo Münsterberg, auf der Liste derjenigen Personen stand, von denen die drei Abgesandten bereits Zusagen erhalten hatten, als sie in der zweiten Septemberhälfte von ihrer Reise zurückkehrten.9 Am 13. Oktober 1903 beschlossen die Organisatoren, den Gelehrten in einem Anschreiben weitere Informationen zu übermitteln und sie darum zu bitten, ihre Teilnahme zu bestätigen.10 Troeltsch bestätigte am 28. November 1903 in einem Brief an Münsterberg den Erhalt des Schreibens, das bei ihm nach eigener Angabe am 16. November 1903 eingegangen war, und sagte zugleich seine Teilnahme zu. Zwar habe er „als nicht eben sehr bemittelter Gelehrter“ hinsichtlich der Kosten, die mit der Reise verbunden seien, Bedenken, doch „die Freude, das grosse Land einmal sehen zu können, und das Interesse an der Vertretung des deutschen Gelehrtenstandes in St. Louis“ sei zu groß, als daß er „die ehrenvolle Einladung ablehnen möchte.“11 Zur Deckung der Reisekosten wurden allen europäischen Vortragenden 500 $ in Aussicht gestellt. Zudem wurde eine kostenfreie Unterbringung in St. Louis gewährleistet; diejenigen Gäste, die in Begleitung anreisten, wurden in Privathäusern aufgenommen. Alleinreisende wie Ernst Troeltsch waren in neu errichteten Quartieren der Washington-Universität untergebracht, die nach der Weltausstellung als Studentenunterkünfte dienen sollten. Ein Honorar für den Vortrag sollte nicht gezahlt werden. Obgleich die eingeladenen Personen somit von Beginn an über die finanzielle Seite 7 8
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Vgl. Margaret Münsterberg: Hugo Münsterberg (1922), S. 105. Vgl. Hans Rollmann: Ernst Troeltsch in Amerika (2001), S. 96. Max Weber hat wohl am 23. Juli 1903 von Münsterberg die offizielle Einladung bekommen. Vgl. den Editorischen Bericht zu Max Weber: The Relations ot the Rural Community to Other Branches of Social Society (1998), S. 204. Vgl. Margaret Münsterberg: Hugo Münsterberg (1922), S. 107. Vgl. Howard J. Rogers (Hg.): The History of the Congress (1905), S. 18. Brief Ernst Troeltschs an Hugo Münsterberg, 28. November 1903, Boston, Public Library, Mss Acc 2199 ¡ KGA 19. Ähnlich äußert sich Troeltsch in einem Brief an Bousset: „Ich habe die Aufforderung des americanischen Comitees angenommen, da ich sonst wohl schwerlich dazu komme, das große moderne Wunderland kennen zu lernen. Trotz mancher Unbequemlichkeiten gedenke ich den Plan, wohl zusammen mit Harnack, auszuführen“. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 8. März 1904, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. W. Bousset 130, 53 ¡ KGA 19.
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Main Problems of the Philosophy of Religion
des Unternehmens unterrichtet waren, kam es in der ersten Hälfte des Jahres 1904 zu einem „Skandal“ in dieser Frage, in dessen Folge „24 deutsche Gelehrte“ ihre Teilnahme mit der Begründung absagten, daß ihnen „die Reiseentschädigung zu gering“ sei.12 Troeltsch, der den „Verdruß“ Münsterbergs über diese Absagen als „nicht unberechtigt“ empfand, war zu Ohren gekommen, daß die „Geldgründe“ auch nicht der wahre Anlaß waren, der die „deutschen Herren“ zum Rücktritt bewog.13 Der eigentliche Stein des Anstoßes war Troeltsch zufolge, „daß Münsterbergs Brief eine Auslegung zuläßt, wonach die Gelehrten der verschiedenen Länder differentiell behandelt“ wurden.14 Die Höhe der Entschädigung bemaß sich danach an dem „Lebensniveau des deutschen Durchschnittsprofessors“, was wie Troeltsch bemerkte, eine „sehr merkwürdige Begründung“ darstellt, da sich die Reisekosten „nach den Verhältnissen in America u[nd] nicht nach denen in Deutschland“ bemessen sollten.15 Troeltsch hatte sich deshalb sofort zusammen mit Max Weber an Münsterberg gewandt und ihr „Kommen von der Gleichheit der Behandlung abhängig gemacht“.16 Im Rückblick auf die Angelegenheit bemerkte Troeltsch gegenüber Münsterberg: „Insbesondere 12
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Vgl. Brief Ernst Troeltschs an Adolf Harnack, 23. Juni 1904, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachlaß Adolf von Harnack, 44 ¡ KGA 19. Vgl. hier auch den Editorischen Bericht zu Max Weber: The Relations ot the Rural Community to Other Branches of Social Society (1998), S. 205 f. Brief Ernst Troeltschs an Adolf Harnack, 23. Juni 1904 ¡ KGA 19. Diese Annahme wird bestärkt durch Aussagen hinsichtlich der finanziellen Unterstützung vonseiten der beiden Mitreisenden Ferdinand Tönnies und Wilhelm Ostwald. So schrieb Tönnies am 21. Juli 1903 an Friedrich Paulsen: „Da Reisegeld mit 500 Dollar vergütet wird, so ist es sehr verlockend, auf diese Art einmal die neue Welt kennen zu lernen.“ Hier zitiert nach: Olaf Klose, Eduard Georg Jacoby, Irma Fischer (Hg.): Ferdinand Tönnies, Friedrich Paulsen, Briefwechsel 1876–1908 (1961), S. 371. Ostwald hält rückblickend fest: „[. . .] für jeden eingeladenen Sprecher [war] eine Reiseentschädigung von 500 Dollars vorgesehen, welche Summe für den Zweck gut ausreichte.“ Wilhelm Ostwald: Lebenslinien, Zweiter Teil (1927), S. 390. Brief Ernst Troeltschs an Adolf Harnack, 23. Juni 1904 ¡ KGA 19. Ebd. Ebd. Von den mitunter sehr kurzfristigen Absagen einer Reihe von deutschen Teilnehmern, „die ganz fest zugesagt“ hatten, unterrichtete Hugo Münsterberg später auch Friedrich Althoff, nennt dabei aber keine Gründe. Er hält nur fest, daß in der Folge die „deutsche Jurisprudenz“ am „ungünstigsten [. . .] vertreten“ sei, aber die Zahl der deutschen Teilnehmer noch immer „die Vertretung aller anderen Länder“ überrage. Brief Hugo Münsterbergs an Friedrich Althoff, 10. September 1904, Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. HA, Nachlaß Friedrich Althoff, Nr. 309, Blatt 2.
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werde ich den Heidelberger Abtrünnigen gegenüber nachher genau wie vorher, den Standpunkt vertreten, daß ihre Absagen eine Blamage für sie u[nd] uns u[nd] für sie selbst vor allem ein großer Verlust gewesen sind, den sie nicht mehr einbringen können.“17 In einem informellen Schreiben unterbreitete Münsterberg den eingeladenen Vertretern der deutschen Wissenschaft Vorschläge für das Begleitprogramm und gab praktische Hinweise zu den amerikanischen Gepflogenheiten und zur Etikette – angefangen vom Trinkgeld über die Unmöglichkeit, am Nachmittag Frack zu tragen, bis hin zur Mahnung, daß „der Doktortitel oder Professortitel auf der Visitenkarte [. . .] komisch wirken“ würde.18 Zusammen mit Marianne und Max Weber ging Troeltsch am 20. August 1904 in Bremerhaven an Bord der „Bremen“.19 Laut Angabe der „New York Times“ traf das Schiff am Abend des 29. August in Ellis Island, dem Hafengebiet bei New York ein, das in dieser Zeit die zentrale Sammelstelle für Immigranten war.20 Vom ersten Eindruck der Stadt war Troeltsch, der mit den Webers einige Tage im „Astor House“ am Broadway logierte,21 offenkundig überwältigt. In einem Brief an seine Frau Marta heißt es: „Welch ein Anblick, und welch ein tosendes Menschen- und Wagen-Gelärm!“22 In den „sky-scrapers“ und „ungeheuren Geschäftshäuser[n] von 20 Stockwerken“ sieht er „eine Art Burg und Festung des Capitalismus, sämtlich geschart um Bank u[nd] Börse wie eine ins Ungeheure gesteigerte mittelalterliche Burg, in der das Geld, die Bank, das Capital mit ungezählten Tausenden von Hörigen herrscht.“23 Über das Ehepaar Weber berichtet Troeltsch, daß Weber „ununterbrochen aufs Interessanteste“ belehrt und er „fortwährend an dem, was er sieht“, studiere und danach strebe, „es zu verarbeiten. Aber da er da-
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Brief Ernst Troeltschs an Hugo Münsterberg, 15. Oktober 1904, Boston, Public Library, Mss Acc 2199 ¡ KGA 19. Vertrauliches Schreiben von Hugo Münsterberg an Max Fürbringer, März 1904, Frankfurt am Main, Universitätsbibliothek, Archivzentrum, Nachlaß Max Fürbringer, Na39 D 5 / 66b. Lawrence A. Scaff: Max Weber in America (2011), S. 25. Vgl. auch Marianne Weber: Max Weber (1989), S. 292: „Die Gefährten gehen gegen Ende August an Bord, Ernst Troeltschs köstlicher Humor ist auch von der Partie.“ An Bord der „Bremen“ waren unter den 1679 Passagiere nahezu 60 Prozent Einwanderer. Vgl. Lawrence A. Scaff: Max Weber in America (2011), S. 25. Ebd., S. 27. Brief Ernst Troeltschs an Marta Troeltsch, 3. September 1904, Handschriftliche Abschrift Eugenie Troeltsch, Privatbesitz ¡ KGA 19. Ebd.
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bei laut denkt, habe ich den Vorteil davon. Weniger gut geht und gefällt es seiner Frau. Sie ist schon halb tot von New York u[nd] sehnt sich heraus.“24 Den Teilnehmern stand es frei, entweder auf mehreren Etappen nach St. Louis zu reisen oder eine Woche an der Universität von Chicago zu verbringen. Troeltsch und die Webers führte die Reise zunächst zu den Niagarafällen, wo sie auf den Erlanger Philosophen Paul Hensel trafen.25 Danach fuhren sie in das nahe gelegene „Industriestädtchen“ North-Tonawanda,26 wo sie einige Tage zu Gast bei dem dort tätigen Pfarrer Hans Conrad Haupt waren.27 Bereits im Vorfeld der Reise hatten Max Weber und Troeltsch Haupt gebeten, möglichst viel Material über das amerikanische Kirchenwesen zu sammeln. Rückblickend berichtete Haupt, daß das Interesse der berühmten Gäste an den gewünschten Informationen, die er unter großem Aufwand besorgt hatte, dann aber nicht allzu groß gewesen sei. Er hatte vielmehr den Eindruck, „that the professors knew all that could be known without having to weigh empirical evidence.“28 Zusammen mit Paul Hensel und dessen Frau Käthe reiste Troeltsch dann in einer vierzehnstündigen Bahnfahrt in sommerlicher Hitze nach Chicago weiter.29 In seiner Schilderung der Stadt für seine Frau Marta spart Troeltsch wieder nicht mit Superlativen – allerdings dieses Mal im negativen Sinn: „Es ist abscheulich, die häßlichste [. . .], die rußigste u[nd] schmutzigste Geschäftsstadt, die ich je gesehen. [. . .] Das Allerungeheuerlichste aber ist die Sammlung der verschiedenen Völker hier. [. . .] Diese Mischung ist geradezu unbeschreiblich, und das Ergebnis dieser Mischung, das für Amerikas Zukunft entscheidend ist, ist natürlich noch sehr zweifelhaft. Hier sieht man, wie die neue Welt aufgebaut wurde und noch wird mit den Kindern des alten Europa – den muthigsten u[nd] kräftigsten u[nd] abenteuerlustigsten und auch den elendesten u[nd] kümmerlichsten“.30
24 25 26 27
28 29
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Ebd. Vgl. ebd. Marianne Weber: Max Weber (1989), S. 297. Hans Conrad Haupt war der Sohn des lutherischen Theologen Erich Haupt und Schwiegersohn des Nationalökonomen Johannes E. Conrad, der ebenfalls am Weltkongreß teilnahm. Wilhelm Pauck: Harnack and Troeltsch (1968), S. 72. Vgl. Brief Ernst Troeltschs an Marta Troeltsch, 14.–15. September 1904, Handschriftliche Abschrift Eugenie Troeltsch, Privatbesitz ¡ KGA 19. Ebd.
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Nach eigener Angabe brach Troeltsch am 17. September von Chicago auf nach St. Louis.31 Dort wurden die Gäste von Angehörigen des „University Club“ in Empfang genommen. Am Nachmittag des 19. September 1904 wurde der Kongreß dann feierlich eröffnet und der Berliner Anatom Wilhelm Waldeyer wandte sich in seiner Funktion als Ehrenvorsitzender stellvertretend für die deutsche Gruppe mit einer Ansprache an die Veranstalter. Das Hauptprogramm, das binnen einer Woche absolviert wurde, startete am Dienstagvormittag. Die Sitzungen fanden jeweils am Vormittag und am Nachmittag statt, am Abend war Raum für gesellschaftliches Programm. Das offizielle Bankett, an dem rund 700 Personen teilnahmen, fand am Freitagabend statt.32 Der Kongreß war in 7 Abteilungen, 24 Fachbereiche und 128 Sektionen unterteilt. Insgesamt 340 Redner kamen binnen einer Woche zu Wort.33 Die Zahl der deutschen Teilnehmer war „größer als die irgend eines anderen Landes.“34 Troeltschs Referat war zusammen mit Otto Pfleiderers Vortrag „The Relation of the Philosophy of Religion to the Other Sciences“ für Mittwoch, den 21. September um 15.00 Uhr in der Sektion „Philosophy of Religion“ im „Department 1 – Philosophy“ in „Division A – Normative Science“ unter dem Vorsitz von Professor Thomas Cuming Hall, Union Theological Seminary, NY, angekündigt.35 Neben den beiden Hauptvorträ31 32
33 34
35
Ebd. Zu weiteren Details vgl. Howard J. Rogers: The History of the Congress (1905), S. 34. Vgl. Hugo Münsterberg: Der Internationale Gelehrtenkongreß (1906), S. 570. Ebd., S. 567. Neben Troeltsch gehörten zur deutschen Delegation: Karl Budde (Theologe, Marburg), Otto Cohnheim (Physiologe, Heidelberg), Johannes Ernst Conrad (Nationalökonom, Halle), Max Dessoir (Philosoph, Berlin), Oscar Drude (Biologe, TH Dresden), Benno Erdmann (Philosoph, Bonn), Adolf Furtwängler (Archäologe, München), Karl Goebel (Biologe, München), Adolf Harnack (Theologe, Berlin), Paul Hensel (Philosoph, Erlangen), Oscar Hertwig (Anatom, Berlin), Johannes Hoops (Anglist, Heidelberg), Ignaz Jastrow (Nationalökonom, Berlin), Karl Lamprecht (Historiker, Leipzig), Oskar Liebreich (Pharmakologe, Berlin), Emil Münsterberg (Sozialpoliker, Berlin), Richard Muther (Kunsthistoriker, Breslau), Hermann Oldenberg (Religionswissenschaftler, Kiel), Johannes Orth (Pathologe, Berlin), Wilhelm Ostwald (Chemiker, Leipzig), Otto Pfleiderer (Theologe, Berlin), Wilhelm Rein (Pädagoge, Jena), Eduard Seler (Altamerikanist, Berlin), Eduard Sievers (Germanist, Leipzig), Werner Sombart (Nationalökonom, Breslau), Ferdinand Tönnies (Soziologe, Kiel), Jacob Heinrich Van’t Hoff (Chemiker, Berlin), Wilhelm Waldeyer (Mediziner, Berlin), Max Weber (Soziologe, Heidelberg), Max Verworn (Physiologe, Göttingen), Ferdinand Zirkel (Geologe, Leipzig). Howard J. Rogers (Hg.): Congress of Arts and Science (1905), S. 263.
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gen wurden in der Sektion „Philosophy of Religion“ noch zwei zehnminütige Kurzreferate vorgestellt, deren Hauptthesen ebenfalls in den Kongreßband aufgenommen sind.36 Nach Abschluß des Kongresses wurden die auswärtigen Teilnehmer mit extra eingesetzten Zügen nach Washington gebracht, wo sie zu einem Empfang des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt geladen waren. Weiter ging es dann zu einem Empfang durch Hugo Münsterberg an der Harvard University, bevor sie wieder zurück nach New York reisten, wo die Columbia University zu einem Abschiedsdinner lud. Am 23. September 1904 schrieb Troeltsch an Friedrich von Hügel, daß er zu seinem „größten Bedauern auf den Besuch in Harvard und Boston verzichten“ müsse, da er die Nachricht vom plötzlichen Tod seiner Schwiegermutter erhalten habe und ihm nun „gar nichts anderes übrig“ bliebe, „als möglichst rasch zurückzukehren und die verlassene Frau zu trösten.“37 Aus einem Brief an Münsterberg geht jedoch hervor, daß Troeltsch vor seiner Abreise in Harvard „noch zwei sehr schöne Tage gehabt u[nd] so viel als irgend möglich gesehen u[nd] gehört“ hatte.38 In dem genannten Schreiben an Münsterberg erklärt Troeltsch rückblickend, daß „das Wichtigste“ an dieser Reise für ihn „America selbst u[nd] seine Menschen“ waren.39 „Ich habe nichts als Dank u[nd] Hochachtung, daneben recht viele ernste Gedanken über unsere europäische Cultur mit nach Hause gebracht. [. . .] Ich betrachte diese Reise als eine der wertvollsten Errungenschaften meines Lebens u[nd] werde niemand darüber im Zweifel lassen. [. . .] Ich gehöre zu den dankbaren u[nd] nicht zu den überlegenen alles besser wissenden America-Fahrern.“40 Dabei habe er nach eigenem Ermessen mit seinen „Äußerungen in America öfter Unglück“41 gehabt. So etwa habe er „durch schroffe Urteile über europäische Gelehrte die Herren der Divinity-School schwer entsetzt“ und „auch mit Äußerungen 36 37
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39 40 41
Ebd., S. 289–291. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich von Hügel, 23. September 1904, hier zitiert nach: Ernst Troeltsch: Briefe an Friedrich von Hügel 1901–1923 (1974), S. 67 ¡ KGA 19. Damit entging Troeltsch vermutlich auch die Gelegenheit, zusammen mit Max und Marianne Weber am 30. Oktober 1904 an einem Treffen mit William James in Cambridge teilzunehmen. Vgl. Lawrence A. Scaff: Max Weber in America (2011), S. 149–151. Brief Ernst Troeltschs an Hugo Münsterberg, 15. Oktober 1904, Boston, Public Library, Mss Acc 2199 ¡ KGA 19. Ebd. Ebd. Ebd.
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über den Congreß mehrfach Pech gehabt“. Gelegenheit, seine Eindrücke zu schildern, bot sich Troeltsch einige Monate später auf einem „AmerikaAbend“ in Heidelberg, zu dem der „Nationalsoziale Verein“ am 20. Januar 1905 geladen hatte. Dort schilderte er „in knappen eindrucksvollen Sätzen die Fahrt auf einem der Riesenschiffe, die sich als drei nebeneinander gestellte Hotels präsentieren, wobei das Zwischendeck, das Hotel der zusammengepferchten Auswanderer, den Luxus der in der ersten Kajüte Reisenden mit bezahlen muß. Er schilderte den mächtigen Eindruck, den man empfängt, wenn man sich Newyork nähert, das konzentrierte energische Geschäftsleben, den riesigen Verkehr, der besonders vor Beginn und nach Beendigung der Geschäftsstunden sich dort zeigt, die idyllische Ruhe in den Vierteln, wo die Millionäre ihre Privatwohnungen haben, alles anschaulich, packend, oft drastisch und mit gutem Humor. Dann warf er auch einen Blick auf Chicago, dessen weitausgedehntes Städtebild einen anderen Charakter zeigt, als das zusammengedrängte Newyork, aber an Energie im Geschäftsleben ihm ebenbürtig ist. Er konnte nur schildern, was er mit den Blicken erhascht hatte, aber das Wunderbarste schien ihm zu sein, was man nicht direkt sehen, sondern sich nur aus dem Leben und Treiben dort erschließen kann: ein Volk von arbeitenden Gehirnen.“42 In einer Vorbemerkung der erweiterten deutschen Veröffentlichung des Textes versäumt es Troeltsch dann auch nicht, „für die außerordentlichen Anregungen und für die Beweise zuvorkommender Liebenswürdigkeit, die wir von den amerikanischen Gelehrten empfangen haben, zu danken.“43 Hugo Münsterberg hebt im Gegenzug als Erfolg des Kongresses hervor, daß „eine erhebliche Zahl europäischer Gelehrter einen anschaulichen Eindruck von der Gleichartigkeit des Wissenschaftslebens in der neuen und in der alten Welt“ gewann.44 2. Textgenese und Drucklegung Der Direktor des Kongresses, Dr. Howard J. Rogers, wurde mit der Edition des Kongreßbandes betraut, der insgesamt acht Teilbände umfaßt. Der Aufbau der Bände folgt im wesentlichen dem Programmablauf des Kongresses. Vorangestellt sind im ersten Band eine detaillierte Entstehungsgeschichte 42
43 44
Anonym: Amerika-Abend des Nationalsozialen Vereins, in: Heidelberger Zeitung, Nr. 18, 21. Januar 1905, Erstes Blatt, o. P. Vgl. Hans Rollmann: Ernst Troeltsch in Amerika (2001), S. 117. Vgl. Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft, oben, S. 216. Hugo Münsterberg: Der Internationale Gelehrtenkongreß (1906), S. 571.
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des Kongresses von Howard J. Rogers45, eine Erläuterung des wissenschaftlichen Grundkonzeptes durch Hugo Münsterberg46 sowie die Eröffnungsrede des Kongreßpräsidenten Simon Newcomb47. Zudem kommen u. a. das Programm, eine Darstellung des Zieles und des Planes des Kongresses, eine Liste der Offiziellen, Redner, Vorsitzenden und der Vortragenden der Kurzreferate zum Abdruck. Der erste Band, in dem auch Troeltschs Beitrag enthalten ist, versammelt die Beiträge zu den Bereichen „Philosophie“ und „Mathematik“ und erschien laut Angabe im Band im Dezember 1905.48 Fünfundvierzig Vorträge mußten zur Veröffentlichung zunächst ins Englische übersetzt werden. Die Übersetzer „were selected by the editor upon the advice of the members of the Administrative Board and Organizing Committee, and great care was taken to find persons not only thoroughly trained in the two languages and possessing a good English style, but also persons who were thoroughly conversant with the subject on which the paper treated.“49 Auch bei dem hier Edierten Text handelt sich um eine Übersetzung. Ihr zugrunde lag Troeltschs Vortragstext, der vermutlich im Wesentlichen identisch ist mit dem Text, den Troeltsch am 24. Oktober 1904 zur deutschsprachigen Veröffentlichung unter dem Titel „Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft“ an Paul Siebeck übersandte50 und der ebenfalls in diesem Band ediert wird.51 Der Übersetzer, Dr. James Haughton Woods, lehrte an der Harvard University vergleichende Religionsphilosophie52 und profilierte sich mit Studien auf dem Gebiet der indischen Religion und Philosophie. Im Vergleich mit der deutschen Fassung wird deutlich, daß Troeltschs Vortragstext zur englischsprachigen Veröffentlichung im Kongreßband erheblich gekürzt wurde. Ob diese Kürzungen von Troeltsch selbst vorgenommen wurden oder autorisiert waren, konnte nicht ermittelt werden. Gestrichen wurden im wesentlichen Stellen, die der näheren Erläuterung einzelner Abschnitte dienen. Durch die Kürzungen kommt 45 46 47 48 49 50
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Howard J. Rogers: The History of the Congress (1905). Hugo Münsterberg: The Scientific Plan of the Congress (1905). Simon Newcomb: Introductory Address (1905). Howard J. Rogers (Hg.): Congress of Arts and Science (1905), S. [iv]. Howard J. Rogers: The History of the Congress (1905), S. 41. Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 24. Oktober 1904, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 191 ¡ KGA 19. Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S. 210. Vgl. oben, S. 215–256. Reports of the President and the Treasurer of Harvard College 1903–04 (1905), S. 69.
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jedoch auch Troeltschs eigene Position weniger präzise zum Ausdruck. So wird v. a. weniger deutlich, daß er sich von der Position des amerikanischen Religionspsychologen und -philosophen William James absetzt und sich zugleich stark an die transzendentalphilosophische Methode Immanuel Kants anlehnt.53 Auch der Titel „Main Problems of the Philosophy of Religion“ ist weit weniger instruktiv als der deutsche Titel nebst Untertitel „Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft. Eine Untersuchung über die Bedeutung der Kantischen Religionslehre für die heutige Religionswissenschaft“. Die Übersetzung verfährt bis in die Wortstellung hinein sehr textnah, was sie als „schlechte[s] Englisch“54 erscheinen läßt. Die Edition folgt dem Text Troeltschs, der in der Sektion „Philosophy of Religion“ unter dem Titel „Main Problems of the Philosophy of Religion: Psychology and Theory of Knowledge in the Science of Religion“ abgedruckt ist in: Congress of Arts and Science. Universal Exposition, St. Louis, 1904, edited by Howard J. Rogers, Volume 1, History of the Congress by the Editor, Scientific Plan of the Congress by Professor Hugo Münsterberg, Philosophy and Mathematics, Boston and New York, Houghton, Mifflin and Company, The Riverside Press, Cambridge, 1905, S. 275–288 (A). Druckfahnen oder ein Manuskript sind nicht überliefert.
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Vgl. etwa die Auslassung des Abschnitts oben, S. 227–236. Hans Rollmann: Ernst Troeltsch in Amerika (2001), S. 109.
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Main Problems of the Philosophy of Religion: Psychology and Theory of Knowledge in the Science of Religion by Professor Ernst Troeltsch (Translated from the German by Dr. J. H. Woods, Harvard University.) [Ernst Troeltsch, Professor of Systematic Theology, University of Heidelberg, since 1894. b. February 17, 1865, Augsburg, Bavaria. Doctor of Theology. Professor University of Bonn, 1892–94. Author of John Gerhard and Melanchthon; Richard Rothea; The Scientific Attitude and its Demands on Theology; The Absoluteness of Christianity, and of the History of Religion; Political Ethics and Christianity; The Historic Element in Kant’s Religious Philosophy.] The philosophy of religion of to-day is philosophy of religion so far only, and in such a sense, as this word means science of religion or philosophy with reference to religion. The science of religion of former days was first dogmatic theology, deriving its dogmas from the Bible and from Church tradition, expounding them apologetically with the metaphysical speculation of the later period of antiquity, and regarding the non-Christian religions as sinful derangements and obscure fragments of the primitive revelation. This lasted sixteen centuries, and is confined to-day to strictly ecclesiastical circles. Next, science of religion became natural theology, which proved the existence of God by the nature of thought and by the constitution of reality, and also the immortality of the soul by the concept of the soul and by moral demands, thus constructing natural or rational dogmas and putting these dogmas into more or less friendly relations with traditional Christianity. This lasted about two centuries, and is to-day of the not strictly ecclesiastical or pietistic circles, which still wish to hold fast to religion. Both kinds of science of religion exist no longer for the strict science. The first was, in reality, supernaturalistic dogmatics, the second was, in reality, a substitution of philosophy for religion. The first was demolished by the criticism of miracles in the eighteenth century, the second by the criticism of knowledge in the nineteenth century, which, in its turn, rests upon Hume and Kant. a A: Rubbe
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The science of religion of to-day keeps in touch with that which without doubt factually exists and is an object of actual experience, the subjective religious consciousness. The distrust of ecclesiastical and rationalistic dogmas has made, in the thought of the present, every other treatment impossible. So the spirit of empiricism has here as at other points completely prevailed. But empiricism in this field means psychological analysis. This analysis is pursued by the present to the widest extent: on the one side by anthropologists and archæologists, who investigate the life of the soul in primitive peoples and thus indicate the particular function and condition of religion in these states; on the other side, by the modern experimental psychologists and psychological empiricists, who, by self-observation, and especially by the collection of observations by others and of personal testimony, study religion, and then, from the point of view of the concepts of experimental psychology, examine the main phenomena thus found. Now, such an empirical psychology of religion has been constructed with considerable success. In this German literature, it is true, has coöperated to a slight degree only. The German theologians have held to the older statements of the psychology of Kant, of Schleiermacher, of Hegel, and of Fries, alone, which, in principle, were on the right path, but which combined the purely psychological with metaphysical and epistemological problems to such a degree that it was impossible to reach a really unprejudiced attitude. German psychologists remain, furthermore, under the spell of psycho-physiology and of quantitative statements of measure, and have, consequently, not liked to advance into this field, which is inaccessible to such statements. More productive than the German psychology for this subject is the French, which has attacked the complex facts far more courageously. Here, however, under the predominance of positivism, there prevails, on the whole, the tendency to regard religion, in its essence, anthropologically or medically and pathologically in connection with bodily conditions. This is the confusion of conditions and origins with the essence of the thing itself, which can be determined only by the thing, and is, by no means, bound exclusively to these conditions. Notwithstanding, the works of Marillier, Murisier, and Flournoy1 have considerably aided the problem. More impartially than all of these, the English and American psychology has investigated our subject. Here we have a masterpiece in the Gifford Lectures of William James, which collects into a single reservoir similar investigations such as have been carried on by Coe and Starbuck. There is here no tendency to a mechanism of consciousness, or to the dogma of the causal and necessary structure of consciousness. And to just this is due the fresh1 Vgl. oben, S. 222, Anm. 6.
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ness and impartiality of the analyses which James gives out of his enviable knowledge of characteristic cases. James rightly emphasizes the endlessly different intensity of religious experiences, and the great number of points of view and of judgments which thereby results.2 He also rightly emphasizes the connection of this different intensity with irreducible typical constitutions of the soul’s life, with the optimistic and the melancholy disposition;3 hence there arise constantly, even within the same religion, essentially different types of religiousness. Limit ing himself, then, to the most intense experiences, he decides that the characteristic of religious states is the sense of presence of the divine, which one might perhaps describe in other terms, but which still continues the specifically divine, with the opposed emotional effects of a solemn sense of contrast and of enthusiastic exaltation.4 He pictures these senses of presence, and illustrates them by visionary and hallucinatory representations of the abstract. With this are connected impulsive and inhibitive conditions for the appearance of these senses of presence and of reality, descriptions of the effects upon the emotional life and action, and, above all, the analysis of the event usually called conversion, in which the religious experience out of subconscious antecedents becomes, in various ways, the centre of the soul’s life. All this is description, but it is based upon a mass of examples and explained by general psychological categories which, by the occurrence of the religious event only, receive a thoroughly specific coloring. It is a description after the manner of Kirchhoff ’s mechanics5; permanent and similar types, and, likewise, similar conditions for their relations to the rest of the soul’s life are sought out everywhere, without maintaining to have proven at the same time, in this way, an intellectual necessity for the connection. But the characteristic peculiarity of religious phenomena is thus conceived as in no other previous analysis. All this is still, however, nothing more than psychologya. For the science of religion it accomplishes nothing more than the psychological determination of the peculiarity of the phenomenon, of its environment, its relations and consequences. It is evident that the phenomenon occurs in an indefinite number of varieties; and the chosen point of departure, in unusual and excessive cases, frequently diffuses over religion itself the character of the bizarre and abnormal. Consequently nothing whatever is said about the amount of truth or of reality in these cases. This, by the very principles of such a psychology, is impossible. It analyzes, produces types and categories, a A: psychologic 2 Vgl. oben, S. 225, Anm. 13. 4 Vgl. oben, S. 225, Anm. 15.
3 Vgl. oben, S. 225, Anm. 14. 5 Vgl. oben, S. 226, Anm. 19.
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points out comparatively constant connections and interactions. But this cannot be the last word for the science of religion. It demands, above all, empirical knowledge of the phenomenon; but it demands this only in order, on the basis of this knowledge, to be able to answer the question of the amount of truth. But this leads to an entirely different problem, that of the theory of knowledge, which has its own conditions of solution. It is impossible to stop at a merely empirical psychology. The question is not merely of given facts, but of the amount of knowledge in these facts. But pure empiricism will not succeed in answering this question. The question with regard to the amount of truth is always a question of validity. The question with regard to validity can, however, be decided only by logical and by general, conceptual investigations. Thus we pass over from the ground of empiricism to that of rationalism, and the question is, what the theory of knowledge or rationalism signifies for the science of religion. Such a synthesis of the rational and irrational, of the psychological and the theory of knowledge, is the main problem raised by the teaching of Kant, and the significance of Kant is that he clearly and once for all raised the problem in this way. He had the same strong mind for the empirical and actual as for the rational and conceptual elements of human knowledge, and constructed science as a balance between the two. (He destroyed forever the a priori speculative rationalism of the necessary ideas of thought, and the analytical deductions from them, which undertakes to call reality out of the necessity of thought as such. He restricted regressive rationalism to metaphysical hypotheses and probabilities, the evidence for which rests upon the inevitability of the logical operations which leads to them, which, however, apply general concepts without reference to experience, and therefore become empty, and thus afford no real knowledge.) On the other hand, he proclaimed the formal, immanent rationalism of experience, in attempting to unite Hume’s truth with the truth of Leibnitz and of Plato. In this way he succeeded in grasping the great problem of thought by the root, and in putting attempts at solutions on the right basis. So it is not a mere national custom of German philosophizing, if we take our bearings, for the most part, from this greatest of German thinkers, but it is, absolutely, the most fruitful and keenest way of putting the problem. It is true, the solutions which Kant made, and which are closely connected with the classical mechanics of that time, with the undeveloped condition of the psychology of that time, and with the incompleteness of historical thinking then just beginning, have been, meantime, more than once given up again. A simple return to him is therefore impossible. But the problem was put by him in a fundamental way, and his solutions need nothing more than modification and completion.
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Now all this is especially true in the case of the science of religion. Here also Kant took the same course, which seemed to me right for the theoretical knowledge of the natural sciences and for anthropology. In practical philosophy also, to which he rightly counts philosophy of religion, he seeks laws of the practical reason analogous to the laws of theoretical reason, axioms of the ethical, æsthetic, and religious consciousness which are already contained a priori in the elementary appearances in these fields, and, in application to concrete reality, produce just these activities of the reason. Here also one should grasp reason only as contained in life itself, the a priori law itself already effective in the diversity of the appearances should make one’s self clear-sighted and so competent for a criticism of the stream of the soul’s appearances. Seizing upon itself in the practical reality, the practical reason criticises the psychological complex, rejects as illusion and error that which cannot be comprehended in an a priori law, selects that part of the same which needs basis and centre and requires only clearness with regard to itself, clears the way for revelations of a life consciousness of its own legality and becomes capable of the development of critically purified experience. If this is, in principle, valid, the Kantian thought, in the further detail, is maintained in principle only and as a whole. The elaboration itself will have to be quite different from that of his own. Even by Kant himself, on this very point, the synthesis of empiricism and rationalism is far from being elaborated with the necessary rigor and consistency. And to-day we have a quite differently developed psychology of religion, in contrast with which that presupposed by Kant is bare and thin. Finally, there remain in the whole method of the critical system unsolved problems; by failure to solve these, or by too hasty solution, science of religion, especially, is affected. To make clear the present condition of the problem, one ought, above all, to indicate the modifications to which the Kantian theory of religion must submit, – must submit, especially, by reason of a more delicate psychology, such as we have, with remarkable richness, in James and the American psychologists connected with him. There are four points with regard to this question. The first is the question of the relation of psychology and theory of knowledge in the very establishment of the laws of the theory of knowledge. Are not the search for and discovery of the laws of the theory of knowledge themselves possible only by way of psychological ascertainment of facts, itself then a psychological undertaking and consequently dependent upon all its conditions? It is the much discussed question of the circle which itself lies at the outset of the critical system. The answer to this is that this circle lies in the very being of all knowledge, and must therefore be resolutely com-
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mitted. It signifies nothing more than the presupposition of all thought, the trust in a reason which establishes itself only by making use of itself. The unmistakable elements of the logical assert themselves as logical in distinction from the psychological, and from this point on reason must be trusted in all its confusions and entanglements to recognize itself within the psychological. It is the courage of thought, as Hegel says, which may presuppose that the self-knowledge of reason may trust itself6, presuppose that reason is contained within the psychological; or it is the ethical and teleological presupposition of all thought, as Lotze says, which believes in knowledge and the validity of its laws for the sake of a connected meaning for reality, and which, therefore, trusts to recognize itself out of the psycholog ical mass.7 The establishment, therefore, of the laws of the theory of knowledge is not itself a psychological analysis, but a knowledge of self by the logical by virtue of which it extricates itself out of the psychological mass. Theory of knowledge, like every rationalism, includes, it is true, very real presuppositions with regard to the significant, rational, and teleologically connective character of reality, and without this presupposition it is untenable; in it lies its root. It is insight of former days, the importance of which, however, must constantly be emphasized anew, that discusses the validity of the rational as opposed to the merely empirical. But still more important than this thesis are several inferences which are given with it. The establishment of the laws of consciousness, in which we produce experience, is a selection of the laws out of experience itself, a knowledge of itself by the reason contained in the very experience by way of the analysis which extracts it. It is then an endless task, completed by constantly renewed attacks, and always only approximately solvable. The complete separation of the merely psychological and actual and of the logical and necessary will never be completely accomplished, but will always be open to doubt; one can only attempt always to limit more vigorously the field of what is doubtful. And with this something further is connected. The inexhaustible production of life becomes constantly, in the latent amount of reason, richer than the analysis discerns, or, in other words, the laws which are brought into the light of logic will always be less the amount of reason not brought into consciousness, and conscious logic will always be obliged to correct itself and enrich itself out of the unartificial logical operations arising in contact with the object. So a finished system of a priori principles, but this system will always be in growth, will be obliged unceasingly to correct itself, and to contain open spaces.
6 Vgl. oben, S. 237, Anm. 24.
7 Vgl. oben, S. 237, Anm. 25.
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Finally, and above all, in case of this separation, there remains within the psychologically conditioned appearance, a residuum, which is either not conceived, but is later reduced to law and thereby a conceived phenomenon, or which never can be so, and is therefore illusion and error. If the psychological and the theoretical for knowledge are to be separated, then that can occur, not merely to show that both must always be together, and form real experience only when together, but there must also be a rejection of that which is merely psychological and not rational since it is illusion and error. The distinction between the apparent and the real was the point of departure which made the whole theory necessary, and, accordingly, the merely psychological must remain appearance and error side by side with that which is psychological and, at the same time, theoretical for knowledge. There always remains in consciousness a residuum of the inconceivable, that is, inconceivable since it is illusion and error. This amounts to saying that reality is never fully rational, but is engaged in a struggle between the rational and anti-rational. The anti-rational or irrational, in the sense of psychological illusion and error, belongs also to the real, and strives against the rational. The true and rational reality to be attained by thought is always in conjunction with the untrue reality, the psychological, that containing illusion and error. All this signifies that the rationalism of the theory of knowledge must be conditional, partly owing to the corrective and enriching fecundation by primitive and naïve thought, partly owing to never quite separable admixture of illusion and error. So, long ago, the system of categorical forms, as Kant constructed it for theoretical and practical reason, began to change, and can never again acquire the rigidity which Kant’s rationalism intended to give it forevermore. And thus the critical system’s rational reality of law produced by reason always contains below itself and beside itself the merely psychological reality of the factual, to which also illusion and error belong, – a reality which can never be rationalized, but only set aside. This, too, is also true for the philosophy of religion: the rational reduction of the psychological facts of religion to the general laws of consciousness which prevail among them is a task constantly to be resumed anew by the study of reality, and follows the movements of primitive religion in order to find there first the rational basis; the reduction is, however, always approximate, can comprehend the main points only, and must leave much open, the rational ground for which is not or not yet evident; finally it has unceasingly to reckon with the irrational as illusion and error, which attaches to the rational, and yet is not explainable by it. The two realities, which the critical system must recognize at its very foundation, continue in strife with each other, and this strife as
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the strife of divine truth with human illusion is for the science of religion of still more importance. The second correction of the Kantian teaching is only a further consequence from this state of things. If the attitude of psychology and theory of knowledge requires a strict separation, it requires it only for the purpose of more correct relation. The laws of the theory of knowledge are separated from the merely psychological actuality, but still can be produced only out of it. Thus, as a matter of fact, psychological analysis is always the presupposition for the correct conception of all these laws. Psychology is the entrance gate to theory of knowledge. This is true for theoretical logic as well as for the practical logic of the moral, the æsthetical, and the religious. But just at this point the present, on the basis of its psychological investigation, presses far beyond the original form of the Kantian teaching. This is not the place to describe this, more closely, with reference to the first of the subjects just mentioned. But it is important to insist that this is especially true with respect to the Kantian doctrine of religion. The Kantian doctrine of religion is founded on the moral and religious psychology of Deism, which had made the connection, frequent in experience, of moral feelings with religious emotion the sole basis of the philosophy of religion, and had, in the manner of the psychology of the eighteenth century, immediately changed this connection into intellectual reflections, in accord with which the moral law demands its originator and guarantee. Kant accepted this psychology of religion without proof and built upon it his main law of the religious consciousness, in accordance with which a synthetic judgment a priori is operative in religion (arising in the moral experience of freedom), which requires that the world be regarded as subject to the purposes of freedom. It is, however, extremely one-sided, to give religion its place just between the elements, and a rather violent translation of the religious constitution into reflection. The error of this psychology of religion had been discovered and corrected already by Schleiermacher. But Schleiermacher, for his part too, also failed to deny himself an altogether too sudden metaphysical interpretation of the religious a priori which he had demonstrated, since he not only described the a priori judgment of things, from the point of view of absolute dependence upon God, as a vague feeling, but raised this feeling, by reason of the supposed lack of difference, in it, between thought and will, reason and being, to a world-principle, and interpreted the idea of God contained in this feeling in the terms of his Spinozism, the lack of difference between God and Nature within the Absolute. A real theory of knowledge of religion must keep itself much more independent of all metaphysical presuppositions and inferences, and must admit that the essence of the religious a priori is extorted from a thoroughly impartial psychological
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analysis. And this is always the place where works, such as those of James, come into play. Religion as a special category or form of psychical constitution, the result of a more or less vague presence of the divine in the soul, the feeling of presence and reality with reference to the superhuman or infinite, that is without any doubt a much more correct point of departure for the analysis of the rational a priori of religion, and it remains to make this new psychology fruitful for the theory of knowledge of religion. That will be one of the chief tasks of the future. The third change relates to the distinction of the empirical and intelligible Ego, which Kant connected closely, almost indissolubly with his main epistemological thought of the formal rationalisms immanent in experience. Kant rationalized the whole outer and inner experience, by means of a priori laws, into a totality, conforming to law, appearing in intuitive forms of space and time, causally and necessarily rigidly connected. The freedom autonomously determining itself out of the logical idea, and contrasting itself with the psychological stream, produces out of the confused psychologicala reality this scientific formation of the true reality. The product of thought, however, swallows its own maker. For the same acts of freedom, which autonomously produced the formation of the reality of law, remain themselves in the temporal sequence of psychical events, and, therefore, themselves, with that formation, lapse into the sequence which is under mechanical law. The intelligible Ego creates the world of law, and finds itself therein, with its activity, as empirical Ego, that is, as product of the great world-mechanism and of its causal sequence. It is an intolerable, violent contradiction, and it is no solution of this contradiction to refer the empirical Ego to appearance, and the intelligible Ego to actuality existing in itself, if the operations of the intelligible Ego, also a constituent part of what takes place in the soul, occur in time and so relapse irrecoverably into phenomenality and its mechanism. All the ingenuity of modern interpretation of Kant has not succeeded in making this circle more tolerable, all shifting of one and the same thing to different points of view has only enriched scientific terminology with masterpieces of parenthetical caution, but not removed the objection that two different points of view do not, as a matter of fact, exist side by side, but conflict within the same object. This circle is especially intolerable for the psychology of religion and its application to the theory of knowledge. The psychology of religion certainly shows us that the deeper feeling of all religion is not a product of the mechanical sequence, but an effect of the supersensuous itself as it is felt there; it believes that it arises in the intelligible Ego by way of some kind of conneca A: psycholical
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tion with the supersensuous world. This, however, becomes completely impossible for the Kantian theory of the empirical Ego, and all distinctions of a double point of view in no wise change the fact that these points of view are mutually absolutely exclusive. Here we have the results of psychology which the expression of religious emotion confirms, in that religion can be causally reduced to nothing else, totally opposed to the consequences of such a theory of knowledge. Kant had himself often enough practically felt this, and spoke then of freedom as an experience of communion with the supersensuous as a possible but unprovable affair, while all that, in case of a strict adherence to the phenomenality of time and of the theory of the empirical Ego, which is a consequence of it, is completely impossible. Nothing can be of any assistance here except a decisive renunciation of those epistemological positions which contradict the results of psychology, and which are themselves only doctrinaire consequences from other positions. Nothing else is possible but the modification of the phenomenality of time, in such a way that by no means everything which belongs to time belongs also as a matter of course to phenomenality, but that the autonomous rational acts which occur in the time series of consciousness possess their own intelligible time-form. At the same time the concept of causality closely connected with the concept of time is to be modified so that there should be not only an immanent and phenomenal causal connection, but also a regular interaction between phenomenal and intelligible, psychological and rational, conscious reality. At the same time the conclusion is also given up, that the Ego submits unconditionally and directly to phenomenality and to causal necessity, while the same Ego, once more, in the same way, as a whole, from another point of view, is subordinate to freedom and autonomy, that is, self-constitutive through ideas. The two Egos must lie not side by side, but in and over one another. It must be possible that, within the phenomenal Ego by a creative act of the intelligible Ego in it, the personality should be formed and developed as a realization of the autonomous reason, so that the intelligible issues from the phenomenal, the rational from the psychological, the former elaborates and shapes the latter, and between both a relation of regular interaction, but not of causal constraint, takes place. This rather deep, incisive modification is, in its turn, an approach of the Kantian teaching to empiricism, but still at the same time, in the destruction and subordination of the phenomenal and intelligible world, in the emphasis upon the single personality issuing from the act of reason, an adherence to rationalism. But since the distinction and the interrelation between the rational and the empirical forms the point of departure for the critical system, and this point of departure requires at the same time the moulding and shaping of the empirical by the rational and the rejection of the psychological ap-
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pearance; a mere parallelism is altogether impossible, but an interrelation is included, and a task set for the effort and labor which constantly makes the rational penetrate the empirical. At the very outset we have the exclusion of the parallelism and the assertion of the interrelation. The interrelation, by its very nature, asserts the interruption of the causal necessity and the penetration of autonomous reason in this sequence, without being itself produced by this sequence, although it can be stimulated and helped or inhibited and weakened by it. Thus, in such a case as this, the irrational is recognized by the side of and in the rational. In this case the irrational of the event without causal compulsion by some antecedent, or of the self-determination by the autonomous idea alone, is the irrational of freedom. It is the irrational of the creative procedure which constitutes the idea out of itself and produces the consequences of the reason out of the constituted idea. But this irrational plays everywhere in the whole life of the soul an essential part, and is not less than decisive in the case of religion, which must be quite different from what it is if it did not have the right to maintain that which it declares to be true of itself, namely, that it is an act of freedom and a gift of grace, an effect of the supersensuous permeating the natural phenomenal life of the soul and an act of free devotion the natural motivation. The fourth problem arises, when we examine the rational law of the religious nature or of the having of religion which lies in the being and organization of the reason. The having of religion may be demonstrated as a law of the normal consciousness from the immanent feeling of necessity and obligation which properly belongs to religion, and from its organic place in the economy of consciousness, which receives its concentration and its relation to an objective worldreason only from religion. But precisely because religion is reduced to this, it is clear that this is only a reduction which abstracts from the empirical actuality just as the categories of pure reason do. This abstraction, then, should under no circumstances itself be regarded as the real religion. It is only the rational a priori of the psychical appearances, but not the replacement of appearances by the truth free from confusion. The psychical reality in wich alone the truth is effective should never be forgotten out of regard for the truth. This is, however, the fact in the Kantian theory of religion in two directions. It is always noticeable that the a priori of the practical reason is treated by Kant quite differently from the theoretical. In case of the latter the main idea of the synthesis, immanent in experience, of rationalism and empiricism, is retained, and the a priori of the pure forms of intuition and of the pure categories is nothing without the contents of concrete reality which become shaped in it. It may be very difficult actually to grasp the coöperation of the a priori and the empirical in the single case, and Kant’s theory
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of the categories may have to be entirely reshaped and approximated to a priori hypotheses requiring verification, but the principle itself is always the disposition of the real and genuine problem of all knowledge. In case of the practical a priori Kant did, it is true, firmly emphasize the formal character of the ethical, æsthetical, and religious law, but, in doing this, does not8 lose quite out of sight the psychical reality. They appear not as empty forms which attain to their reality only when filled with the concrete ethical tasks, the artistic creations, and the religious states, but as abstract truths of reason, which have to take the place of the intricacies of usual consciousness. At this point one has always been right in feeling a relapse on the part of Kant into the abstract, analytical, conceptual, rationalism, and for this very reason Kant’s statements about these things are of great sublimity and rigor of principle, but scanty in content. It is more important in case also of this a priori of the practical reason to keep in mind that it is a purely formal a priori and in reality must constantly be in relation with the psychical content, in order to give this content the firm core of the real and the principle of the critical regulation of self. So the a priori of morals is not to be represented abstractly merely by itself, but it is to be conceived in its relation to all the tasks which we feel as obligatory, and it extends itself from that point outwards over the total expanse of the activity of reason. Likewise the a priori of art is not to be denoted in the abstract idea of the unity of freedom and necessity, but to be shown in the whole expanse which is present to the soul as artistic form or conception. Thus, in especial degree, religion is not to be reduced to the belief of reason in a moral world-order, and simply contrasted with all supposed religion of any other kind, but the religious a priori should only serve in order to establish the essential in the empirical appearance, but without stripping off this appearance altogether, and from this point of the essential to correct the intricacies and narrowness, the errors and false combinations of the psychical situation. Kant, by his original thought of the a priori, was urged in different ways to such a view, and construed epistemologically the empirical psychological religion as imaginary illustrations of the a priori. But that is occasional only and does not dominate Kant’s real view of religion. This is and still remains only a translation of the usual moral and theological
8 Bei der Verneinung handelt es sich offenbar um einen Fehler in der Übersetzung. In „Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft“ lautet der entsprechende Satz: „Bei dem praktischen Apriori dagegen hat Kant zwar den formalen Charakter des ethischen, ästhetischen und religiösen Gesetzes streng betont, aber darüber dann doch die psychische Wirklichkeit ganz aus den Augen verloren.“ Siehe oben, S. 247.
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rationalism from the formula of Locke and Wolff into the formula of the critical philosophy. The same revision occurs in quite a different direction. If religion is an a priori of reason, it is, once for all, established together with reason, and all religion is everywhere and always religious in the same proposition as it is in any way realized. Schleiermacher expressly stated this in his development of the Kantian theory, and, in so far as the practical reason is always penetrated with freedom, and consequently religion itself is established with the act of moral freedom, this was also asserted by Kant himself. Such an assertion, however, contradicts every psychological observation whatsoever. It is true such observation can prove that religious emotions adjust themselves easily to all activities of reason, but it must sharply distinguish what is nothing more than the religiousness of vague feeling of supersensual regulations, which usually are joined with art and morals, from real and characteristic religiousness, in which, each single time, a purely personal relation of presence to the supersensuous takes place. But this whole problem signifies nothing else than the actualizing of the religious a priori, which actualizing always occurs in quite specific and, in spite of all difference, essentially similar psychical experiences and states. This problem of the actualizing of the religious a priori and of its connection with concrete individual psychical phenomena, Kant completely overlooked in his abstract concept of religion, or rather, deliberately ignored, because, as he wrote to Jacobi, he saw all the dangers of mysticism lurking in it.9 This fear was justified; for, as a matter of fact, all the specific occurrences of mysticism, from conversion, prayer, and contemplation to enthusiasm, vision, and ecstasy, do lurk in it. But without this mysticism there is no real religion, and the psychology of religion shows most clearly how the real pulse of religion beats in the mystical experiences. A religion without it is only a preliminary step, or a reverberation of real and actual religion. Moreover, the states are easily conceived in a theory of knowledge, if one sees in them the actualizing of the religious a priori, the production of actual religion in the fusion of the rational law with the concrete individual psychical fact. The mysticism recognized as essential by the psychology of religion must find its place in the theory of knowledge, and it finds it as the psychological actualizing of the religious a priori, in which alone that interlacing of the necessary, the rational, the conformable to law, and the factual occurs, which characterizes real religion. The dangers of such a mysticism, which are recognized a thousandfold in experience, cannot be dispelled altogether by the displacement of mysticism, for that would mean to displace religion itself. It would be the same, if one 9 Vgl. oben, S. 249, Anm. 26.
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should try to avoid the dangers of illusion and error, by keeping to the pure categories alone, and ceasing to employ them in the actual thinking of experience. Rather, they can be dispelled only in that the actualizing of the rational a priori is recognized in the mystical occurrences, and thus the intricacies and one-sidedness of the mere psychological stream of religiousness be avoided. The psychological reality of religion must always remember the rational substance of religion, and always bring religion as central in the system of consciousness into fruitful and adjusted contact with the total life of the reason. Thus the psychological reality corrects and purifies itself out of its own a priori, without, however, destroying itself; or rather, the actual religion in the psychical category of the mystical occurrences will subside to a more or less degree. Thus we have the irrational prevailing here in its third form, which like the two others was contained in the very outset of the critical system, in the form of the once-occurring, factual, and individual, which, of course, has a rational basis or a rational element in itself, but is besides a pure fact and reality. Just this is the exellence of the rationalism immanent in experience (the critical system), that it makes room for this feature beside the general and conceptual rationality. It did not make room for it to the extent really required, and it especially left no space for it in its abtract philosophy of religion. This space must again be opened by the theory of the actualizing of the religious a priori, and there again lies another improvement of the critical system under the influence of modern psychology. If we summarize all this, we have a quantity of concessions by the formal epistemological rationalism to the irrationality of the psychological facts and a repeated breaking down of the over-rigorous Kantian rationalism. Contrariwise, however, the pure psychological investigation is also compelled to withdraw from the unlimited quantity and the absolute irrationality of the multifarious (and of the confusion of appearance and truth) to a rational criterium, which can be found in the rational a priori of the reason only, and in the organic position of this a priori in the system of consciousness in general. By this rationalism alone may the true validity of religion be founded, and by this alone the uncultivated psychical life may be critically regulated. Religion will be conceived in its concrete vitality and not mutilated; it will constantly be brought out of the jumble of its distortions, blendings, one-sidedness, narrowness, and exuberance back again to its original content, and to its organic relations to the totality of the life of reason, to the scientific moral and artistic accomplishments. That is everything that science can do for it, but is not this service great enough and indispensable enough to justify the work of such a science? We do not stop with nothing more than “varieties of religious experience” which is the result of James’s method; but neither do we stop with nothing more than a rational idea of
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religion, which overpowers experience, as was still so in the case of Kant. But we must learn how intimately to combine the empirical and psychological with the critical and normative. The ideas of Hume and of Leibnitz must once more be brought into relation with the continuations of Kants’s work, and the combination of the Anglo-Saxon sense for reality with the German spirit of speculation is still the task for the new century as well as for the century past.
Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten (1907)
Editorischer Bericht 1. Entstehung Der hier Edierte Text bietet die Druckfassungen und handschriftlichen Marginalien eines Vortrags, den Troeltsch am 22. November 1906 als Prorektor der Heidelberger Universität bei den Feierlichkeiten zum „Jahresfest der Universität“ in Heidelberg hielt. Anlaß des Jahresfestes war die „Feier des Geburtstages des Wiederherstellers der Universität, des höchstseligen Grossherzogs Karl Friedrich“1. Noch als Kurfürst hatte Karl Friedrich von Baden, nach Verabschiedung des Reichsdeputationshauptschlusses, durch das 13. badische Organisationsedikt vom 13. Mai 1803 die konfessionelle Bindung der Universität aufgehoben und deren bis dahin geltende Eigenfinanzierung durch eine staatliche Finanzierung ersetzt. Die grundlegenden Reformen der seit 1386 bestehenden Universität durch ihren neuen Rektor2 wurden unter der Namensänderung in „Ruperto-Carola“ als „Neugründung“ gefeiert. Fortan wurde alljährlich am 22. November, dem Geburtstag des Großherzogs, der „Neugründung“ der Universität und ihres Gründers gedacht.3 Zur Jahresfeier 1906 zeigte am 20. November desselben Jahres die Heidelberger Zeitung das Einladungsschreiben an: „Universität Heidelberg / Zur Feier des Geburtstages des Wiederherstellers der Universität, des höchstseligen Grossherzogs / Karl Friedrich, / verbunden mit der akademischen Preisverteilung, findet am Donnerstag, dem 22. November, vorm. 11 Uhr ein / Festakt / im grossen Saale des Neuen Kollegienhauses, nachm. 2 Uhr ein Festmahl in der Stadthalle statt. / Freunde der Hochschule werden hiezu 1
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So die Formulierung im Einladungsschreiben in der Heidelberger Zeitung, Nr. 272, 20. November 1906, Erstes Blatt, o. P. In Baden bekleidete das Amt des Universitätsrektors seither der Landesfürst. Vgl. Eike Wolgast: Die Universität Heidelberg 1386–1986 (1986).
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eingeladen, mit dem Anfügen, dass Karten zum Festakt, soweit Plätze verfügbar sind, auf vorherige Anmeldung beim Sekretariat am 20. November nachm. zu erhalten sind, und Einzeichnungslisten zum Festmahl bis zum 20. ds. Mts. nachm. auf dem Sekretariat und in der Stadthalle-Wirtschaft aufliegen. / Der Prorektor: / Troeltsch.“4 Nachdem Troeltsch am 13. Januar 1906 als Nachfolger des Chemikers Theodor Curtius zum Prorektor der Universität Heidelberg gewählt worden war, trat er das Amt am 15. März 1906 an. Dem Prorektor oblag bei der jährlichen „Jubelfeier des großherzoglichen Hauses“5 einerseits die akademische Preisverleihung, andererseits gehörte es zu seinen Aufgaben, eine „prinzipielle Frage seines Faches“6 in Form eines Vortrages zu erörtern. Troeltsch wählte als Thema die „Trennung von Staat und Kirche“ und gedachte damit, im Anschluß an seine bisherigen Arbeiten „noch einmal vom Protestantismus [zu] handeln“, bei dieser Gelegenheit allerdings „unter anderen Gesichtspunkten“.7 Den „Protestantismus“ hatte Troeltsch zuvor in einem Vortrag am 21. April 1906 vor der IX. Versammlung deutscher Historiker in Stuttgart unter dem Titel „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ behandelt.8 Zudem war im Januar des gleichen Jahres in Paul Hinnebergs voluminöser Reihe „Die Kultur der Gegenwart“ Troeltschs umfangreiche Auftragsarbeit „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ erschienen.9 Seine Prorektoratsrede hängt insofern aufs Engste mit diesen beiden Arbeiten zusammen, auf die er auch mehrmals in der gedruckten Fassung für die genauere Darlegung des verhandelten Sachverhalts verwies. Zum Jahreswechsel 1906/07 blickte er in einem an Wilhelm Bousset gerichteten Brief auf das vergangene Amts- und Arbeitsjahr zurück, das er – ganz im Gegensatz zum „vorige[n] Jahr“, das „[s]o düster“ geschlossen habe – „heiter u[nd] hoffnungsvoll [. . .] beenden“ könne, zugleich „mit heißestem Dank gegen diese glückliche Fügung“.10 Trotz stockender Arbeit in 4 5
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Heidelberger Zeitung, Nr. 272, 20. November 1906, Erstes Blatt, o. P. Brief Ernst Troeltschs an Franz Böhm, 17. Juli 1906, Generallandesarchiv Karlsruhe, 52/Franz Böhm, Nr. 597 ¡ KGA 20. Siehe unten, S. 342. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 15. Juli 1906, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. W. Bousset 130, 58 ¡ KGA 20. Vgl. den Editorischen Bericht zu „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ (1906/1911), in: KGA 8, S. 183–198. Vgl. den Editorischen Bericht zu „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ (1906/1909/1922), in: KGA 7, S. 39–80. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 30. Dezember 1906, Göttingen, Nie-
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diesem Amtsjahr sei doch sein „Nachdenken über Protestantismus etc immer weiter gegangen. In der Rektoratsrede wird Dir in den nächsten Tagen das Ergebnis dieses Weiterdenkens zugehen.“11 Neben diesen Hinweisen auf den Zusammenhang mit seinen Protestantismus-Studien äußerte sich Troeltsch noch in anderen Briefen schriftlich zum Inhalt seiner Rede. Vor allem der Schlußteil sei als „eine Schutzrede für die theologische Fakultät“ zu verstehen, teilte er wenige Tage nach dem Festakt am 28. November 1906 Friedrich Michael Schiele mit und wies darauf hin, daß die Wahl des „Gegenstand[es] [. . .] in der Aufgabe einer akademischen Prinzipienrede“ begründet sei.12 Näher charakterisierte Troeltsch gegenüber Friedrich von Hügel den „Schlußabschnitt“ seiner Rede auch als „eine Utopie“ und fügte hinzu: „freilich eine wohlbegründete Utopie, die zur Beleuchtung der Sachlage dient, die aber keinesfalls irgendeine Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung für sich hat.“13 Träte eine „wirkliche Trennung“ ein, fuhr Troeltsch fort, wäre die Folge „auch eine Ablösung alles Religionsunterrichtes von der Schule [. . .] und man müßte sich damit einrichten, so gut es geht.“14 Diese „Behandlung eines sehr schwierigen Themas“, das er in seiner „Trennungsabhandlung“ durchführe, umriß er nochmals in problemorientierter Zuspitzung in einem Schreiben an Hans Delbrück am 9. März 1907: „[. . .] ich sehe aus der konfessionellen Noth u[nd] der religiösen Verwirrung im Grunde keinen anderen Ausweg als die Trennung von Staat u[nd] Kirche mit der Hoffnung auf Pflege des ‚deutschen Idealismus‘ durch die Unterrichtsorganisation. Freilich werden es zu dem letzteren Schwarz u[nd] Rot nicht kommen lassen, sie würden die religionslose Schule herbeiführen. Doch habe ich von diesem praktischen Hindernis absehen u[nd] die Consequenz des Gedankens nur formuliren wollen. Der Schwerpunkt der Rede liegt in den ersten Dritteln.“15 Zur Formulierung dieser Konsequenz sah
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dersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. W. Bousset 130, 60 ¡ KGA 20. Ebd. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich Michael Schiele, 28. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich von Hügel, 28. April 1907, zitiert nach: Ernst Troeltsch: Briefe an Friedrich von Hügel 1901–1923 (1974), S. 81–86, hier S. 83 ¡ KGA 20. Ebd., S. 83. Brief Ernst Troeltschs an Hans Delbrück, 9. März 1907, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachlaß Hans Delbrück, 150, 9 ¡ KGA 20.
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sich Troeltsch vermutlich nicht zuletzt durch Max Webers Artikel „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘ in Nordamerika“ gedrängt, der im Juni 1906 in der „Christlichen Welt“ erschienen war und in der Weber Kritik an Troeltschs religionspolitischer Position übte,16 die er in seiner Rede „Politische Ethik und Christentum“17 auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß eingenommen hatte. Nach Weber stellt sich Troeltsch mit dieser Rede auf die Seite derer, die die Hoffnung hegen, „das landeskirchliche Christentum erneuern und reformieren zu können“.18 Troeltsch Prorektoratsrede kann insofern auch als „postwendend[e]“ Reaktion auf Webers Kritik gesehen werden.19 Das Thema „Trennung von Staat und Kirche“ besitzt eine doppelte Ausrichtung. Zum einen gehörte das Thema durchaus zum Standardrepertoire theologisch-gelehrter Vortragskunst. Gerne wandten sich Theologen und kirchliche Amtsträger seit den Revolutionskriegen und der Reichsgründung 1871, insbesondere aber mit Bezug auf Schleiermachers in seinen „Reden über die Religion“ vorgetragene Vorschläge dem Thema zu.20 Zum anderen erhielt das Thema durch die erhitzte Debattenlage um 1900 in Hinblick auf die stark umkämpfte „Schulfrage“ und die heftigen Auseinandersetzungen um die „Voraussetzungslosigkeit“ der theologischen Wissenschaft aktuelle Brisanz. Die verschiedenen Komponenten vereinigte Troeltsch im Titel seiner Rede: „Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten.“ Aktualität gewann Troeltschs Thema etwa durch die erst 1904 „in einem labilen Kompromiß und Waffenstillstand“ beigelegten jahrzehntelangen Kämpfe um die Schulverfassung.21 Die seit der Reichsgründung 1871 unternommenen Versuche des Ministeriums Falk von 1877 sowie der Ministerien von Goßler von 1890 und von Zedlitz-Trützschler von 1892 zur Einführung eines für Gesamtpreußen gültigen Unterrichtsgesetzes waren allesamt gescheitert. Die nachfolgenden Ministerien hatten schließlich auf die Erarbeitung eines umfassenden, das gesamte Schulwesen regelnden Gesetzes verzichtet und statt dessen versucht, die verschiedenen Probleme des 16 17 18 19 20
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Siehe oben, S. 117. Siehe oben, S. 136–179. Friedrich Wilhelm Graf: Die „kompetentesten“ Gesprächspartner? (1995), S. 215. Vgl. ebd. S. 215. Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Über die Religion (1799); Johann Friedrich Theodor Wohlfarth: Die Trennung der Kirche vom Staate und der Schule von der Kirche (1848); Friedrich Nippold: Die Theorie der Trennung von Kirche und Staat geschichtlich beleuchtet (1881); Otto Mayer: Die Frage der Trennung von Staat und Kirche in der Gegenwart (1906). Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918, erster Band (1994), S. 536.
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Volks- und Mittelschulwesens auf dem Weg der Verabschiedung einzelner Detailgesetze zu lösen. In dieser Situation hatten im sogenannten Schulkompromiß vom 13. Mai 1904 die liberalen Parteigruppierungen ihr „Lieblingskind“, die Simultanschule, zugunsten der um 1900 nicht nur in Preußen, sondern in ganz Deutschland dominierenden Konfessionsschule als Regelschule aufgegeben.22 Das „konfessionelle Prinzip“ trugen die Liberalen des Preußischen Abgeordnetenhauses gemeinsam mit Konservativen und Zentrum. Der Kompromiß forderte das preußische Kabinett zur Vorlage eines Volksschulunterhaltungsgesetzes auf.23 Geschehen sollte dies „ohne Verzug, spätestens in der nächsten Tagung“ und zwar auf der Grundlage, daß bei der „Einrichtung der öffentlichen Volksschulen die konfessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen“ seien.24 Die „Schüler einer Schule“ sollten fortan in der Regel „derselben Konfession angehören und von Lehrern ihrer Konfession unterrichtet werden“; erreiche „die Zahl der schulpflichtigen Kinder einer konfessionellen Minderheit eine angemessene Höhe“, so solle „diese Minderheit den Anspruch auf Einrichtung einer Schule ihrer Konfession“ haben.25 Ausgearbeitet wurde daraufhin ein Regierungsentwurf zu einem „Gesetz, betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen“, dessen „Vierter Abschnitt“26 die konfessio22
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Ebd., S. 536; vgl. Frank-Michael Kuhlemann: Schulen, Hochschulen, Lehrer (1991), S. 208. Frank-Michael Kuhlemann: Schulen, Hochschulen, Lehrer (1991), S. 185; vgl. das Protokoll der 73. Sitzung vom 13. Mai 1904, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (1904), Sp. 5301–5362, besonders Sp. 5331–5360, sowie Johannes Rathje: Die Welt des freien Protestantismus (1952), S. 144–146, und Marjorie Lamberti: State, Society, and the Elementary School in Imperial Germany (1989), S. 183–187. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (1904), Sp. 5359. Ebd., Sp. 5359. Schwere Bedenken gegen den Antrag vom 13. Mai 1904 äußerte etwa Friedrich Naumann: „Das durchaus nötige Gesetz über die finanzielle Unterhaltung der Volksschulen in Preußen soll also mit der Bestimmung verbunden werden, daß von nun an die konfessionelle Schule das Normale und die Simultanschule (paritätische Schule, doppelkonfessionelle Schule) die Ausnahme sein soll. [. . .] Die Konfessionsschule soll in Zukunft vom Staat gefordert werden können. Der Staat erkennt an, daß er nicht nur aus praktischen Gründen von Fall zu Fall konfessionelle Schulen entstehen läßt, sondern er bindet sich, fordernden Minderheiten gegenüber konfessionelle Schulen einrichten zu müssen.“ Friedrich Naumann: Der Streit der Konfessionen um die Schule (1904), S. 5. Der Abschnitt „Konfessionelle Verhältnisse“ findet sich im Auszug abgedruckt in:
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nellen Verhältnisse an den Schulen regelte, und den das Herrenhaus am 4. Juli 1906, das Abgeordnetenhaus am 6. Juli 1906 annahm. Nachdem am 10. Juli 1906 eine Änderung des Artikels 26 der Preußischen Verfassung vorausgegangen war,27 wurde das Gesetz am 28. Juli 1906 verabschiedet. Als es schließlich im Jahre 1908 in Kraft trat, war damit nicht nur die Finanzierung der Volksschulen in die Hände der Gemeinden gelegt, sondern zugleich die Konfessionsschule als Regelschule anerkannt.28 Zur selben Zeit tobte eine in Artikeln und Flugschriften heftig geführte Auseinandersetzung um die Thesen der Bremer Lehrerschaft, die auch Troeltsch in seiner Rede erwähnte.29 Bremen hatte seine reformfreudige und weithin bekannte Liberalität unter anderem auch unter dem Einfluß des protestantischen Pfarrers und Gründers des „Elternbund[es] für Schulreform“ Albert Kalthoff ausgebaut30 und in den Augen der Öffentlichkeit zunehmend radikalere Ansichten vertreten, bis hin zur Forderung der strikten Trennung von Staat und Kirche mittels der Abschaffung des kirchlichen Religionsunterrichts in der Schule. Auf einer Versammlung am 1. Mai 1905 hatten 450 vornehmlich junge Lehrer auf Einladung der Vorstände der vier Bremer Lehrervereine gegen die autoritäre Amtsführung ihres streng orthodox eingestellten Vorgesetzten, des Schulinspektors in der Senatskommission für das Unterrichtswesen, Johann August Köppe, protestiert und waren für eine Reform des Religionsunterrichts eingetreten. Zu den Forderungen gehörte, den Religionsunterricht „den einzelnen Religionsgemeinschaften [zu] überlassen“ und den „Sittenunterricht [. . .] ohne den bisherigen An-
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Ernst Rudolf Huber, Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Band III (1983), S. 161–165, sowie in: Berthold Michael, Heinz-Hermann Schepp (Hg.): Politik und Schule von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, Band 1 (1973), S. 405–408. Artikel 26 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 hatte ursprünglich gelautet: „Ein besonderes Gesetz regelt das ganze Unterrichtswesen.“ Ernst Rudolf Huber, Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Band II (1976), S. 38. Durch Gesetz vom 10. Juli 1906 wurde er dann in folgenden Wortlaut geändert: „Das Schul- und Unterrichtswesen ist durch Gesetz zu regeln. Bis zu anderweitiger gesetzlicher Regelung verbleibt es hinsichtlich des Schul- und Unterrichtswesens bei dem geltenden Rechte.“ (Ebd.). Vgl. Frank-Michael Kuhlemann: Schulen, Hochschulen, Lehrer (1991), S. 181. Siehe unten, S. 384. Georg Huntemann: Kalthoff, Albert (1959), Sp. 1102 f.; vgl. Peter C. Bloth: Die Bremer Reformpädagogik im Streit um den Religionsunterricht (1961), S. 52–57; Dirk Hagener: Radikale Schulreform zwischen Programmatik und Realität (1973), S. 26–69; Gangolf Hübinger: Kalthoff, Albert (2001), Sp. 757.
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schluß an den Religionsunterricht“ zu erteilen.31 Weiterhin sollte „auf der Oberstufe [. . .] ein systematischer Sittenunterricht eingeführt“ werden, „der sich zu einer allgemeinen Gesetzes- und Verfassungskunde erweitert“.32 Ein neu einzurichtender „Unterricht in allgemeiner Religionsgeschichte“ sollte auf rein wissenschaftliche Ergebnisse aufbauen.33 Diese Denkschrift signalisierte nicht nur den Beginn eines fünfjährigen heftigen Streites um den Verbleib des Religionsunterrichts in der Bremer Volksschule, sie erregte auch in ganz Deutschland großes Aufsehen, da die Bremer die erste Lehrergruppe in Deutschland waren, die nach 1848 wieder die „weltliche Schule“ forderten.34 Die Unterrichtskommission des Bremer Senats ließ sich mit ihrer Antwort auf die Denkschrift allerdings bis zum Jahr 1909 Zeit. Dann lehnte sie die Forderung nach einer Abschaffung des Religionsunterrichts insgesamt ab und ließ lediglich den gesonderten Religionsunterricht während des ersten Schuljahrs fallen. Parallel zur Auseinandersetzung um die Bremer Reformvorschläge erarbeitete die „Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt“ in Potsdam vom 2. bis 4. Oktober 1906 eine vier Punkte umfassende „Resolution [. . .]
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Denkschrift der Religionskommission der bremischen Lehrerschaft, hier zitiert nach: Peter C. Bloth: Die Bremer Reformpädagogik im Streit um den Religionsunterricht (1961), S. 135. Ebd., S. 136. Ebd., S. 136. Dirk Hagener: Radikale Schulreform zwischen Programmatik und Realität (1973), S. 8. Der sogenannte Biblische Geschichtsunterricht blieb ungeachtet einiger Reformansätze vorerst bestehen. „Erst am 7. Januar 1919 erklärte der Ausschuß für Unterrichts- und Bildungswesen des revolutionären Arbeiter- und Soldatenrates Religionsunterricht und Morgenfeiern in den bremischen Schulen für abgeschafft. Für seine Wiedereinführung am 1. Februar 1921 bedurfte es dann einer im November 1920 ergangenen Entscheidung des Reichsgerichts.“ Karl Heinz Schwebel: Die Bremische Evangelische Kirche 1800–1918 (1994), S. 137. Auch Troeltsch sollte sich im Januar 1919 öffentlich zur Doppelproblematik der Trennung von Staat und Kirchen und der Entkirchlichung des Religionsunterrichts äußern; vgl. Ernst Troeltsch: Der Religionsunterricht und die Trennung von Staat und Kirchen, in: KGA 15, S. 123–146. Troeltsch nennt dort neben dem Edierten Text weitere Publikationen, in denen er sich mit der Problematik beschäftigt hat: Religiöser Individualismus und Kirche (1911) ¡ KGA 10, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (1912) ¡ KGA 9, Die Kirche im Leben der Gegenwart (1911) ¡ KGA 10, Die Religion im deutschen Staate (1913) ¡ KGA 10. Zu nennen ist darüber hinaus: Ernst Troeltsch: Die Kirchen- und Religionspolitik im Verhältnis zur Sozialdemokratie (1915) ¡ KGA 14.
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über die Grenzen der Lehrfreiheit für den evangelischen Religionslehrer“:35 Darunter fanden sich neben der Forderung, keinen Religionslehrer gegen seinen Willen zum Religionsunterricht zu zwingen, auch die Reformvorschläge, „daß der Religionsunterricht von rückständiger Stoffwahl und kleinlicher methodischer Einengung befreit werde“, und „daß die Lehrervorbildung in den Seminaren überall in Einklang gebracht werde mit der Weiterentwicklung der theologischen Wissenschaft“.36 Es handelte sich dabei um den Versuch, durch die stärkere Verknüpfung von Wissenschaft und religiöser Praxis auch Kirche und Staat in ihrem Verhältnis zu stabilisieren. Schließlich zeigt sich der unmittelbare Gegenwartsbezug der Prorektoratsrede auch an den in Frankreich sich überstürzenden aktuellen Ereignissen, die in Deutschland mit regem publizistischen Interesse verfolgt wurden. Im Frühjahr 1906 waren in Paris, Marseille und im Norden Frankreichs Aufstände ausgebrochen, die sich gegen die Errichtung einer laizistischen Republik durch den seit 1902 amtierenden radikaldemokratischen Ministerpräsidenten Émile Combes wandten. Anlaß der Ausschreitungen war das zuvor verabschiedete Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche. Am 2. Dezember 1905 legte die republikanische Regierung einen von Aristide Briand und Jean Jaurés verfaßten Gesetzesentwurf zur Trennung von Kirche und Staat vor. Das Gesetz beabsichtigte unter voller Garantie der Gewissensfreiheit seiner Bürger, das Kirchengut zu Staatseigentum zu inventarisieren. Es seien neue sogenannte „Kultvereinigungen“, die „associations cultuelles“, einzurichten, die unter demokratisch gewählter Führung standen. Lediglich diesen wurde zugestanden, Kirchengebäude vom Staat zu mieten.37 Auch sollte jegliche finanzielle Unterstützung der Kirche fallengelassen werden. Am 11. Dezember 1905 wurde das auf den 9. Dezember 1905 datierte „Loi concernant le séparation des Églises et de l’État“ in seiner endgültigen Gestalt im „Journal officiel“ publiziert.38 Die förmliche Trennung von Kirche und Staat in Frankreich war damit kodifiziert und das 1801 35
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Die Resolution wurde am 18. Oktober 1906 in Heft Nr. 42 in der Rubrik „Verschiedenes“ unter dem Stichwort „Potsdam“ mit erläuternden Ausführungen Martin Rades abgedruckt. Vgl. Die Christliche Welt 20 (1906), Sp. 1003 f. Ebd., Sp. 1003. Vgl. Jacques Le Brun: Frankreich III/1 (1983), S. 371; Marc Lienhard: Frankreich III/2 (1983), S. 380. In Deutschland erschien der französische Originaltext unter der Überschrift „G.[esetz] v.[om] 9. Dez. 1905 über die Trennung der Kirchen vom Staate“ im ersten Heft des 16. Bandes der „Deutschen Zeitschrift für Kirchenrecht“ im Jahr 1906 und wurde im gleichen Jahr im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) nochmals unter dem Titel „Das französische Gesetz vom 9. Dezember 1905 über die Trennung der
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zwischen Napoleon I. und Pius VII. ausgehandelte Konkordat aufgekündigt. Schon in den vorausgegangenen Jahren waren verschiedene Gesetze in Kraft getreten, die den Einfluß der katholischen Kirche zu beschränken beabsichtigten. So hatte die Regierung unter Émile Combes 1904 ein generelles Lehrverbot für Ordensmitglieder erlassen, dem das Vereinsgesetz von 1901 vorausgegangen war, das die Genehmigungspflicht aller religiöser Orden durch den Staat vorsah. In dieser antiklerikalen Stimmung reagierte Pius X. mit einer schroffen Verurteilung des Trennungsgesetzes in der Enzyklika „Vehementer nos“ vom 11. Februar 1906, der eine Verurteilung der „associations cultuelles“ durch die Enzyklika „Gravissimo officii munere“ vom 10. August 1906 folgte. Noch am Tag von Troeltschs Festrede meldete die „Heidelberger Zeitung“: „Nach amtlicher Mitteilung wurden gestern gegen 1500 Kirchen inventarisiert. In 200 Kirchen, die sich auf 27 Departements verteilen, bleibt noch das Inventar aufzunehmen übrig. In Fletra, Nord-Departement, weigerte sich ein Hauptmann des 8. Linienregiments, die Kirchentüre durch seine Soldaten aufbrechen zu lassen. Er wurde sofort seines Kommandos enthoben. In einem Dorf des Departements Puy-de-Dôme mußten die Truppen den stark verbarrikadierten Eingang zur Kirche mit Melinit sprengen. In Caen hatte sich der Bischof mit der Geistlichkeit der Stadt hinter den Türen des großen Priesterseminars eingeschlossen; die Türen wurden gewaltsam geöffnet.“39 Troeltsch ging in seiner Rede äußerst detailliert auf die französischen Verhältnisse ein, wobei er insbesondere ihren Unterschied zum amerikanischen System herausstellte.40 Troeltschs Thema stand auch in einem aktuellen lokalen Zusammenhang. In der Zweiten Badischen Kammer hatte die sozialdemokratische Fraktion im Juni 1906 einen Antrag auf völlige Trennung von Staat und Kirche gestellt.41 Die „Chronik der Christlichen Welt“ zitiert in ihrem Bericht den sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Frank: „Wir wollen die Entstaatlichung der Kirche und die Entkirchlichung des Staates, weil wir überzeugt sind, daß ein sehr großer Teil der Macht der Kirche darin beruht, daß die Kirche dem Volk zugleich ein Stück weltlicher Obrigkeit darstellt.“42 Fol-
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Kirchen vom Staate“ als Separatdruck veröffentlicht. Ins Deutsche übertragen findet sich der Text bei Johann Baptist Sägmüller: Die Trennung von Kirche und Staat (1907), S. I–XXII. Anonym: Paris, 21. Nov., in: Heidelberger Zeitung, Nr. 274, 22. November 1906, Zweites Blatt, o. P. Vgl. im Edierten Text unten, S. 372–390. Vgl. Anonym: Staat und Kirche in Baden (1906). Ebd., Sp. 512.
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gende konkreten Forderungen stellten die badischen Sozialdemokraten auf: „1. Es werden keinerlei staatliche Aufwendungen mehr für die Kirche gemacht. 2. Das Besteuerungsrecht der Kirchen wird aufgehoben. 3. Den Vertretern der einzelnen kirchlichen Gemeinschaften werden keine Sitze in der Ersten Kammer gegeben. 4. Keine Mitglieder der Geistlichkeit beider Konfessionen kommen in die Schulkommissionen. 5. Durchführung der konfessionslosen Schule, Entfernung des Religionsunterrichtes aus der Schule.“43 Die Demokratische Fraktion stimmte dem Antrag zu, die Mehrheit der Zweiten Kammer lehnte ihn jedoch ab. Der nationalliberale Abgeordnete Dr. Binz begründete die differenzierte Ablehnung so: „Der Satz (Trennung von Kirche und Staat) hat insofern Berechtigung, als er darauf hinzielt, die Reibungsfläche zwischen Staat und Kirche und ihren beiderseitigen Arbeitsgebieten möglichst einzuschränken, als der Staat mit der Entschiedenheit, wie das seine Pflicht als Vertreter des gesamten Volkes mit sich bringt, die staatlichen Gerechtsame gegenüber der kirchlichen Organisation zu wahren hat, als auf der anderen Seite der Staat aber auch der Kirche die Freiheit wahren muß, die die Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe erfordert. Und in diesem Sinne, in diesem verständigen, den realen Verhältnissen sich anpassenden Sinne, besitzen wir in Baden bereits die Trennung von Staat und Kirche, auf Grund unseres trefflichen liberalen Gesetzes vom 9. Oktober 1860.“44 Die aktuelle theologische Debatte, die Troeltsch in seiner Rede aufgriff, stand im Zusammenhang der 1873 von Paul de Lagarde vorgetragenen Forderung, die theologischen Fakultäten seien durch religionswissenschaftliche Lehrstühle zu ersetzen. Nur eine religionsgeschichtlich ausgerichtete Wissenschaft entspräche dem notwendigen Standard der Voraussetzungslosigkeit. Die gegenwärtige Theologie zeige aber deutlich, daß sie wegen ihrer kirchlichen Bindung dieser Forderung nicht nachkommen könne.45 In theologischen und kirchlichen Kreisen empfand man Lagardes Thesen als Angriff auf die wissenschaftliche Integrität der Theologie und sah damit eine Delegitimierung der universitär verankerten Theologie einhergehen. In der Folge sei ein Verlust des Einflusses der christlichen Religion auf die Gesellschaft zu erwarten. Die zahlreichen Reaktionen auf Lagardes Ansichten versuchten daher, entweder zu erweisen, daß keine Wissenschaft ohne Voraussetzung sei, oder – in Anlehnung an Schleiermacher – daß die Theologie als „positive“ und „praktische Wissenschaft“ wie Jurisprudenz oder Medizin 43 44 45
Ebd., Sp. 512. Zit. nach ebd., Sp. 512. Paul de Lagarde: Ueber das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion (1873).
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ganz andere Funktionen erfülle als eine „reine Wissenschaft“, weshalb der Staat ein hohes Interesse besäße, die christliche Religion und die Kirchen zu fördern.46 Andere wiederum versuchten die Theologie eng aus der zeitgenössisch unumstrittenen Leitdisziplin, der Geschichtswissenschaft, herzuleiten und die Theologie damit kulturgeschichtlich zu legitimieren.47 Die sich über Jahrzehnte erstreckende Kontroverse verschärfte sich nochmals 1897 durch Carl Albrecht Bernoullis These einer zweigeteilten theologischen Wissenschaft. Die wissenschaftliche Theologie habe sich „vollständig freigemacht von jeder kirchlichen Verpflichtung“ und sei insofern „ihrem Wesen nach unkirchlich.“48 Daneben existiere noch eine kirchliche Wissenschaft, die ausschließlich auf praktische Zwecke ausgerichtet sei. Troeltsch beteiligte sich ebenfalls ab 1901 an der Debatte, beginnend mit einem in der „Christlichen Welt“ unter dem Titel „Voraussetzungslose Wissenschaft“ veröffentlichten Artikel.49 Die Fragestellung der Wissenschaftlichkeit der Theologie setzte sich in seinen folgenden Arbeiten – „Die wissenschaftliche Lage und ihre Anforderungen an die Theologie“ (1900), „Ueber historische und dogmatische Methode in der Theologie“ (1900) sowie „Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte“ (1901) – teils unter veränderter Fragestellung fort. In seinem Beitrag für die „Christliche Welt“ von 1901 konstatierte Troeltsch die Unmöglichkeit einer voraussetzungslosen Wissenschaft überhaupt, verwies aber zugleich darauf, daß diese „unmittelbaren naiven Voraussetzungen unserer anerzogenen Meinungen und Urteile, des Augenscheins und der Wertschätzung [. . .] hypothetisch in Frage gestellt werden“ müßten – auch in der Theologie.50 Die gesamte Debatte sah Troeltsch als einen Spezialfall „des uralten, irrationalen Konfliktes von Staat und Kirche“ an.51 Den aktuellen Bezug der Prorektoratsrede stellten auch die „Heidelberger Zeitung“ und das „Heidelberger Tageblatt“ in ihren Berichterstattungen des „durch die Klänge der Beethovenschen Ouvertüre: ‚Die Weihe des Hau46
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Georg Wobbermin: Das Verhältnis der Theologie zur modernen Wissenschaft und ihre Stellung im Gesamtrahmen der Wissenschaften (1900), insbesondere S. 411 f.; Friedrich Traub: Kirchliche und unkirchliche Theologie (1903). Vgl. z. B. Carl Friedrich Georg Heinrici: Theologische Encyklopädie (1893); Martin Rade: Die Bedeutung des geschichtlichen Sinnes im Protestantismus (1900). Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1897), S. 107, 102. Ernst Troeltsch: Voraussetzungslose Wissenschaft (1901), in: GS II, S. 183–192 ¡ KGA 10. Ebd., Sp. 1179, in: GS II, S. 186 ¡ KGA 10. Ebd., Sp. 1178, in: GS II, S. 184 ¡ KGA 10.
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ses‘“52 unter der Leitung Philipp Wolfrums eröffneten Festaktes heraus. So berichtete die „Heidelberger Zeitung“ am folgenden Tag, daß „das Auditorium in Anbetracht der Aktualität der Frage“ dem „gründlichen und geistreichen Vortrag“ Troeltschs „mit großem Interesse“ gefolgt sei.53 Bereits am Nachmittag des 22. November konnte man der Titelseite entnehmen, daß die „Ausführungen des hervorragenden Gelehrten“ sich „gleicherweise durch wissenschaftliche Tiefe wie freimütige Sprache“ ausgezeichnet und dabei „den innersten Kern eines Problems“ sichtbar gemacht hätten, von dem gelte, „daß es die ganze heutige Kulturwelt aufs ernstlichste“ beschäftige.54 Ähnlich verwies das „Heidelberger Tageblatt“ in seiner Ausgabe vom selben Tag auf „das wichtige und aktuelle Thema“, das der Prorektor in „geistvoller und fesselnder Darstellung“ vorgetragen habe.55 Im Anschluß an die Rede „verlas“ Troeltsch, wie die Tageszeitungen berichteten, die „Chronik der Universität“, wobei er zunächst „der Beteiligung der Ruperto-Carola an der Feier des 80. Geburtstages ihres Rector magnificentissimus und des goldenen Ehejubiläums des Großherzogs und der Großherzogin“ gedachte.56 Ergänzt wurden die Mitteilungen unter anderem mit Ausführungen über „die Frequenz der Universität im abgelaufenen Sommerhalbjahr und im laufenden Wintersemester“ sowie über „die neuen Ernennungen, die Habilitationen“ und „die in diesem Jubiläumsjahr besonders reich ausgefallene Verleihung von Titeln, Orden und sonstige Auszeichnungen“.57 Zum festen Programmpunkt des alljährlichen Festaktes gehörte auch die feierliche „Verkündigung der Urteile der Fakultäten über die eingelaufenen Preisschriften“, die mit der Bekanntgabe der „Preisfragen für das nächste Jahr“ abschloß.58 „Mit einer Ovation für Seine Königl. Hoheit den Großherzog und Ihre Kgl. Hoheit die
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E. H.: Jahresfest der Universität, in: Heidelberger Zeitung, Nr. 275, 23. November 1906, Zweites Blatt, o. P. Ebd. Anonym: Die Trennung von Staat und Kirche, in: Heidelberger Zeitung, Nr. 274, 22. November 1906, Erstes Blatt, o. P. Anonym: (Von der Universität.), in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 274, 22. November 1906, S. 3. Anonym: Stiftungsfest der Universität, in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 275, 23. November 1906, S. 3. Ebd. Troeltschs Ausführungen wurden zusammen mit seiner Rede in der Ausgabe der Universitäts-Buchdruckerei von J. Hörning abgedruckt. Siehe dazu unten, S. 336. Ebd.
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Großherzogin“ fand der Festakt seinen institutionellen Abschluß.59 Zum Ausklang fand man sich „Nachmittags 2 Uhr“60 bei einem auch von zahlreichen Studenten besuchten „Festessen in der Stadthalle“61 ein, bei dem Troeltsch einen Toast „auf Kaiser und Großherzog, sowie auf die Ehrengäste“62 aussprach. „Gegen halb 7 Uhr nahm das Festmahl sein Ende“.63
2. Textgenese und Drucklegung Nachdem Troeltsch verschiedentlich ablehnend auf Einladungen zu Vorträgen geantwortet und dabei als Begründung unter anderem auch auf die immense Belastung durch das Rektorat hingewiesen hatte,64 erwähnte er gegenüber Wilhelm Bousset am 15. Juli 1906, er sei zwar durch „vielerlei Geschäfte“ in Beschlag genommen und komme daher „zu keiner rechten Arbeit neben Colleg u[nd] Amt“, aber: „Jetzt kommt meine Rektoratsrede“.65 Den Titel der Rede erwähnte Troeltsch erstmals in einem Brief an Paul Siebeck vom 2. November 1906 – jedoch noch mit der geringfügigen Abweichung gegenüber dem späteren Buchtitel, daß die „theologischen Fakultäten“ an zweiter Stelle genannt werden: „In der nächsten Woche“ gebe
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E. H.: Jahresfest der Universität, in: Heidelberger Zeitung, Nr. 275, 23. November 1906, Zweites Blatt, o. P. Anonym: Stiftungsfest der Universität, in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 275, 23. November 1906, S. 3. E. H.: Jahresfest der Universität, in: Heidelberger Zeitung, Nr. 275, 23. November 1906, Zweites Blatt, o. P. Ebd. Ebd. Vgl. u. a. Brief Ernst Troeltschs an Gottfried Traub, 21. Januar 1906, Koblenz, Bundesarchiv, NL 1059 Gottfried Traub, Nr. 70 ¡ KGA 20, sowie seinen Brief an Heinrich Weinel, 17. Mai 1906, Jena, Universitätsbibliothek, Nachlaß Heinrich Weinel ¡ KGA 20. Wenige Tage zuvor, am 14. Mai lehnte Troeltsch eine Einladung Friedrich von Hügels nach London ab, da er „seit 15. März für ein Jahr mit der Verwaltung unserer Universität als Rektor betraut“ sei. Siehe den Brief Ernst Troeltschs an Friedrich von Hügel, 14. Mai 1906, zitiert nach: Ernst Troeltsch: Briefe an Friedrich von Hügel 1901–1923 (1974), S. 77–80, hier S. 77 ¡ KGA 20. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 15. Juli 1906, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. W. Bousset 130, 58 ¡ KGA 20.
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er seine Prorektoratsrede „über ‚Die Trennung von Staat u[nd] Kirche, die theologischen Fakultäten u[nd] der staatliche Religionsunterricht‘ in Druck“.66 Zwischen Mitte Oktober und Anfang November dürfte Troeltsch seine Rede fertiggestellt haben. Während er noch am 6. Oktober 1906 an Friedrich Michael Schiele schrieb, er sei weiterhin mit seiner „Rektoratsrede beschäftigt“67, konnte er ungefähr einen Monat später, am 11. November 1906, an Wilhelm Bousset über den Stand der Rede berichten, daß sie „jetzt Gott Lob! im Druck ist“68. Schon vor dem 11. November hatte Troeltsch vom Verlag die ersten Korrekturbogen erhalten und muß damit vor diesem Datum das fertiggestellte Manuskript an den Verlag geschickt haben.69 Wann dies genau erfolgte, läßt sich nicht mehr nachweisen. Wie die im vorausgegangenen Jahr 1905 auf dem Jahresfest der Universität gehaltene Ansprache seines Vorgängers Theodor Curtius70 sollte auch Troeltschs Prorektoratsrede bei der 1839 gegründeten Buchdruckerei von Jean Hörning71 erscheinen. Zudem wandte sich Troeltsch mit der Anfrage an seinen Verleger Paul Siebeck, ob zusätzlich zur „Programmausgabe“ bei Hörning noch eine „Buchausgabe“ im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) erscheinen könne.72 Troeltsch bezog sich in seinem Schreiben „auf mein
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Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 2. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Der Brief ist von Troeltsch offenkundig versehentlich auf den „2. X.“ datiert. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich Michael Schiele, 6. Oktober 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 11. November 1906, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. W. Bousset 130, 59 ¡ KGA 20. Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 11. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Vgl. Theodor Curtius: Robert Bunsen als Lehrer in Heidelberg (1906). Die Buchdruckerei Hörnings war seit 1883 mit dem Titel Universitätsbuchdrucker ausgezeichnet und seit 1892 mit eigener Verlagsbuchhandlung versehen. Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 2. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Die beiden hier übernommenen Bezeichnungen „Programm“- bzw. „Buchausgabe“ stammen von Paul Siebeck aus seinem Brief an Ernst Troeltsch vom 12. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20.
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Gespräch mit Ihnen vom Frühjahr“73 und fuhr fort: „Es würde mir lieb sein, die Rede bei Ihnen in Verlag zu geben; und ich würde Sie dann ersuchen sich hierüber mit der Firma J. Hörning Heidelberg in Beziehung zu setzen wegen des Satzes u[nd] des Umbruches. Der Druck der Rede wird von der Universität bezahlt, Ihnen fiele nur die Umbrechung u[nd] der Umschlag usw zu. Honorarvorschläge würden Sie wohl erst bei Festsetzung der Größe der Seite u[nd] des Druckes machen können. Die Rede ist im Druck länger als ein Vortrag u[nd] wird in gewöhnlichem Format drei Bogen c[a]. betragen. Sobald ich eine Probe habe, will ich sie Ihnen schicken.“74 Paul Siebeck antwortete am nächsten Tag, es sei ihm „eine grosse Freude, dass Sie auf unser Gespräch vom Frühjahr zurückkommen und mir Ihre Rektoratsrede zum Verlag anbieten. Ich danke Ihnen herzlich dafür und bleibe der Zusendung eines Korrekturabzuges mit Vergnügen gewärtig, worauf ich Ihnen meine Vorschläge bezüglich Format und Honorar u. s. w. unterbreiten und mich mit der Buchdruckerei Hörning in Verbindung setzen werde.“75 Siebeck vereinbarte mit der Buchdruckerei Hörning – die diesbezügliche Korrespondenz ist im Verlagsarchiv Mohr Siebeck nicht überliefert –, daß der „Satz dort stereotypiert wird und nach den Matrizen hier die Platten gegossen werden“76. Diese Matrizen, auch „Matern“ genannt, bestehen aus festem Papier oder Karton und können nicht in einzelne Zeilen oder gar Wörter auseinandergenommen werden. Das bedeutet, daß man mit den Originalmatern der Ausgabe von Hörning Siebeck nur den gleichen Satz
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Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 2. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Über das Gespräch ist bisher nichts Weiteres bekannt. Vgl. allerdings den Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 17. März 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20; Troeltschs Antwort an Paul Siebeck vom 20. März 1906, und den Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 22. März 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 2. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 3. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 17. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20.
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hätte drucken können. Siebeck wählte aber einen anderen Satzspiegel,77 die Schrifttype blieb gleich. Das bedeutet, daß Hörning nach den Formatangaben von Siebeck den Handsatz, um den es sich wohl handelte, auf den kleineren Satzspiegel umstellte – also einen neuen Zeilen- und Seitenumbruch machen mußte – und danach die Matern herstellte. Als Troeltsch am 11. November 1906 Paul Siebeck die ersten Korrekturbogen der „Programmausgabe“ zusandte, kam er auch auf Formalia zu sprechen: „Ich berechne nach dieser Probe das ganze auf c[a.] 30 Seiten dieses Formates. Nun bitte ich Sie um Ihre Vorschläge, bei denen ich meinerseits vielleicht darauf hinweisen darf, daß es ein aktuelles Thema in nicht allzuschwerer Sprache ist u[nd] daß die Druckkosten zum größten Teil der Universität zufallen. Die der Universität zufallenden Exemplare werden den Absatz nicht erheblich beeinflussen, nur den hier am Ort. Eben habe ich die Rede Grafes erhalten.78 Es wäre vielleicht ganz gut die äußere Ausstattung ganz ebenso zu nehmen.79 Meine Schrift ist etwas kleiner, das ist aber nur ganz gut. Ich habe Hörning jedenfalls schon vorbereitet u[nd] ihm gesagt daß er den Satz stehen lassen soll. Die Anmerkungen u[nd] Verweisungen kommen an den Schluß. Vorsichtshalber möchte ich bitten, daß mir die umgebrochenen verkleinerten Bogen noch einmal zur Revision wegen Druckfehlern vorgelegt werden. Es geht jetzt alles in sehr großer Eile.“80 Am darauffolgenden Tag dankte Paul Siebeck Troeltsch schriftlich für
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Vgl. ebd.: „Das Format der Buchausgabe wird genau so, wie bei Professor Grafe’s Rektoratsrede. Das Format der Ihnen zugegangenen Revisionsabzüge ist also nicht dasjenige des Buches, sondern ein ganz nach Belieben der Druckerei gewähltes.“ Gemeint ist: Eduard Grafe: Das Urchristentum und das Alte Testament (1907). Vgl. Eduard Grafe: Das Urchristentum und das Alte Testament (1907). Eduard Grafe hielt in Bonn seine Rektoratsrede am 18. Oktober 1906 und ließ sie bei J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) erscheinen. Laut dem Wöchentlichen Verzeichnis der erschienenen und der vorbereiteten Neuigkeiten des deutschen Buchhandels 65 (1906), Nr. 49, S. 1337, wurde Grafes Rede erst in der ersten Dezemberwoche 1906 ausgeliefert. Demnach hatte der Verlag Troeltsch schon vorab ein Exemplar zur Verfügung gestellt. Der Verlag ging auf diesen Vorschlag Troeltschs ein, wie aus der handschriftlichen Notiz „Troeltsch, Rektoratsrede nach Grafe 4 3/16 Bogen“ hervorgeht. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Verlagsarchiv Mohr Siebeck, A 224. Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 11. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Der Eingang des Schreibens im Verlag am 12. November 1906 ist auf dem Briefkopf vermerkt.
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die Übersendung der Bogen, die er mit größtem Interesse gelesen habe.81 Er werde sich, wie von Troeltsch vorgeschlagen, „zunächst mit der Universitätsbuchdruckerei Hörning in Verbindung“ setzen, um sich „die Unterlagen für meine Berechnungen zu beschaffen“.82 Die von Troeltsch geäußerte Bitte, „von den Bogen der Buchausgabe eine Revision zu erhalten“, habe er „der Firma Hörning“ bereits mitgeteilt und freue sich im übrigen „sehr auf die Fortsetzung“.83 Während die Universitätsbuchdruckerei Hörning am Tag des Festaktes auf die Anfrage des Siebeck-Verlags84 antwortete, schickte Troeltsch einen Tag später am 23. November 1906 an Friedrich Michael Schiele, Verlagsmitarbeiter bei Mohr (Siebeck) und seit 1905 verantwortlicher Redakteur des Lexikons „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“, den von der Universitätsbuchdruckerei Hörning gesetzten „Abzug“ der „noch nicht fertig korrigirten Rede“.85 Die „Anmerkungen mit der Litteratur“ werde, so Troeltsch, durch die Universitätsbuchdruckerei „von morgen ab gesetzt“.86 Wann genau die „Programmausgabe“ der Buchdruckerei Hörning gedruckt und ausgeliefert wurde, konnte bislang nicht ermittelt werden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß diese Ausgabe in den privaten Buchhandel geliefert wurde. Um den 10. Dezember 1906 telegraphierte Hörning an Siebeck, daß der „Umbruch“ der Rede „in Arbeit“ und in „einigen Tagen fertig“ sei87. Diese Ausgabe der Prorektoratsrede erschien unter dem Titel: Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten. Akademische Rede zur Feier des Geburtsfestes des höchstseligen Großherzogs Karl Friedrich am 22. November 1906 bei dem 81
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Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 12. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Ebd. Ebd. Vgl. Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 28. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich Michael Schiele, 23. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Ebd. Brief Friedrich Michael Schieles an Ernst Troeltsch, 13. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20.
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Die Trennung von Staat und Kirche
Vortrag des Jahresberichts und der Verkündung der akademischen Preise gehalten von Dr. theol. et phil. h.c. Ernst Troeltsch, Geh. Kirchenrat und o. ö. Professor der Theologie, d. Zt. Prorektor der Grossh. Badischen Universität Heidelberg, Heidelberg: Universitäts-Buchdruckerei von J. Hörning, 1906. Diese Ausgabe, von der weder Manuskript noch Druckfahnen überliefert sind, wird im Folgenden mit der Sigle A bezeichnet. Die Ausgabe beinhaltet neben der Rektoratsrede (S. 3–49) die von Troeltsch beim Festakt verlesene „Chronik der Universität“ (S. 50–59) sowie die unter der Überschrift „Preis-Verteilung“ abgedruckte „Verkündigung der Urteile der Fakultäten über die eingelaufenen Preisschriften“ einschließlich der Verlesung der Preisfragen für das kommende Jahr (S. 60–64). Diese Texte sind in der vorliegenden Edition nicht berücksichtigt. Ein in Privatbesitz befindliches Handexemplar Troeltschs ist von dieser Ausgabe überliefert und wurde von Horst Renz zugänglich gemacht. Troeltsch hatte von dieser Ausgabe „gegen 70 Freiexemplare“88 erhalten. In dieses Handexemplar hatte Troeltsch neben den Satzspiegel an den Seitenrändern und innerhalb des Satzspiegels, also in den gedruckten Text, handschriftliche Marginalien eingetragen. Diese werden als Textschicht der „Programmausgabe“ im textkritischen Apparat verzeichnet und sind mit der Sigle A1 aufgeführt. Troeltschs Vorschlag, die „Programmausgabe“ als Vorlage für die „Buchausgabe“ zu übernehmen, stieß allerdings beim Verlag auf Bedenken. Am 27. November 1906 schrieb Friedrich Michael Schiele dem Autor: „Nach Rücksprache mit Siebeck möchte ich Sie bitten, dass Sie die Buchausgabe der Rede so einrichten, dass die spezielle Bestimmung als Rektoratsrede mehr zurücktritt.“89 Schiele begründete seine Änderungswünsche damit, daß derartige Reden nur „von einem begrenzten Kreis von Interessenten gelesen“ würden, zumal „[s]ehr viele denken: das ist eine akademische Rede, also ist es nichts für mich“.90 Troeltschs Rede hingegen sei dazu bestimmt, „über den engen Kreis weit hinauszuwirken“, wofür sowohl „Thema“ als auch „Form“ in entsprechender Weise gestaltet sein müssten.91 Daher wäre
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Brief Ernst Troeltschs an J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 21. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Friedrich Michael Schieles an Ernst Troeltsch, 27. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Ebd. Ebd.
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es „gut“, wenn Troeltsch „den Eingang der Rede“ änderte.92 „Was Sie ausführen“, so Schiele weiter, „wird nicht dadurch alteriert, daß Sie die ‚Hochansehnliche Festversammlung‘ fortlassen und daß Sie statt des ersten Absatzes einen andern Eingang schreiben. Alles andere könnte, soviel ich nach meiner Durchsicht urteilen kann, so bleiben, wie es ist. Auch in dem Buchtitel würde ich an Ihrer Stelle nicht sagen, dass es sich um eine Rektoratsrede handelt. Das könnte in einem Vorwort oder in einem Nachwort oder in den Anmerkungen stehen.“93 Troeltsch antwortete umgehend am nächsten Tag, konnte sich aber nicht dazu entschließen, weitere Änderungen vorzunehmen: „Die Form meiner Rede ist nicht wohl zu tilgen. Sie ist im letzten Teil eine Schutzrede für die theologische Fakultät u[nd], daß diese zum Gegenstand genommen ist, hat seinen Grund in der Aufgabe einer akademischen Prinzipienrede.“94 Gleichwohl könne die „Anrede [. . .] wegbleiben. Die Weglassung auf dem Buchtitel ist mir gleichgiltig; ich finde nur die nachträgliche Charakterisirung als Rede in den Anmerkungen unpassend. Ziehen Sie eine Vorbemerkung vor, daß die Rede eine Rektoratsrede sei, dann ist es mir auch recht, die Hauptsache die Einleitung kann ich nicht verändern.“95 Friedrich Michael Schiele drang nicht weiter auf Troeltsch ein. Er „sehe es ein“, schrieb er im Dezember als Antwort, daß Troeltsch „die Einleitung nicht ändern“ könne „und auch sonst die Form der Rede nicht“.96 Er schlage vor, die Kennzeichnung als Rektoratsrede „nur auf dem Buchtitel“ wegzulassen, „die Anrede“ zu streichen und „eine Vorbemerkung“ vorauszuschicken.97 Wie ein Vergleich der „Programmfassung“ mit der „Buchfassung“ zeigt, ist Troeltsch auf zwei der drei hier gemachten Vorschläge eingegangen. Der Buchtitel verzeichnete den Anlaß der Schrift nicht mehr, dagegen führte ihn die „Vorbemerkung“ auf der ersten Seite auf: „Der folgende Essay ist die Rede, welche der Verfasser als Prorektor der Universität Heidelberg am Jahresfeste der Universität,
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Ebd. Ebd. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich Michael Schiele, 28. November 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Ebd. Brief Friedrich Michael Schieles an Ernst Troeltsch, 4. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Ebd.
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Die Trennung von Staat und Kirche
dem 22. November 1906, gehalten hat.“ Die Anrede blieb allerdings stehen und leitete den Text mit „Hochansehnliche Versammlung!“ ein.98 Troeltsch drängte Anfang Dezember 1906 auf ein schnelles Erscheinen der Buchausgabe: „Ich werde fortwährend danach gefragt u[nd] auch die hiesigen Buchhändler drängen.“99 Um die Drucklegung zu beschleunigen, bot Troeltsch an, auf die „Durchsicht der umgebrochenen Bögen“ zu „verzichten“.100 Da die Siebeck-Ausgabe einen anderen Satzspiegel ausweisen sollte, werde „alles neu umbrochen“; daher sei es „unumgänglich nötig“, so Schiele in seiner Antwort, daß Troeltsch „selbst die Revision“ lese.101 Wenige Tage später beklagte Troeltsch erneut das langsame Eintreffen der Fahnen für die Buchausgabe. Es scheine, so Troeltsch am 15. Dezember an Schiele, „Verzögerungen gegeben zu haben“. Diese seien ihm „recht fatal, weil im Moment die Nachfrage sehr stark ist. Eben korigiere ich die umgebrochenen Bogen.“102 Paul Siebeck nahm sich der Sache nun direkt an. Er bedauere es „aufrichtig, dass die Fertigstellung der für den Buchhandel bestimmten Ausgabe Ihrer Rektoratsrede sich so lange hinzieht. Die Schuld trifft lediglich die dortige Druckerei, welche den Umbruch in das Buchformat stark verzögert hat. Nebenbei bemerkt erhalte ich auch auf meine Zuschriften an die Druckerei immer erst sehr spät eine Antwort. Nun scheint ja aber der Umbruch im Gange zu sein[,] wenigstens erhielt ich bis jetzt 3 Bogen und hoffe sehr, den Rest in aller Kürze zu bekommen. Alsbald nach Empfang des letzten Bogens mache ich meine Berechnungen und komme dann auf die Frage der Bedingungen zurück. Damit der Druck der Bogen schnell vor sich geht[,] lasse ich ihn hier vornehmen.“103 98
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Troeltschs oben aufgeführtes Angebot, die Anrede wegzulassen, wurde nicht umgesetzt. Ob dies ein nachträglicher Wunsch Troeltschs war oder ob Schiele und Siebeck aufgrund der belassenen Form als Rede doch dahin tendierten, die Anrede stehen zu lassen, läßt sich nicht mehr eruieren. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich Michael Schiele, 9. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Ebd. Brief Friedrich Michael Schieles an Ernst Troeltsch, 13. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich Michael Schiele, 15. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 17. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20.
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Maßgeblich verantwortlich für die langesame Herstellung waren drucktechnische Probleme, wie Paul Siebeck Troeltsch erläuterte: „Bei Hörning geht alles sehr langsam vorwärts. Bis jetzt habe ich die Matrizen zu 3 Bogen erhalten, nach welchen die Platten augenblicklich gegossen werden. Die Matrizen zu 8 Seiten müssen leider noch einmal in Heidelberg angefertigt werden, da diese Seiten schlecht stereotypiert waren und die Matrizen deshalb keine gute Platte gegeben haben würden.“104 Diese Probleme zogen sich bis zum Ende der Buchherstellung hin. Am 2. Januar 1907 antwortete der Siebeck-Verlag auf eine „Paketsendung“ von Hörning vom 31. Dezember 1906, die neue Matern enthalten hatte. Auch diese hätten sich „leider [. . .] als unbrauchbar“ erwiesen: „Weshalb diese und die ausserdem zweimal angefertigten Matern unbrauchbar waren, hat die Druckerei neben den Matern bemerkt, die gleichzeitig per Post an sie zurückgehen.“105 Datiert auf den 22. Dezember 1906 wurde schließlich ein „VerlagsVertrag“ zwischen „Herrn Geheimen Kirchenrat Profeßor D. E. Troeltsch in Heidelberg und der Verlagsbuchhandlung J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen vertreten durch ihren Besitzer Herrn Dr. Paul Siebeck in Tübingen“, aufgrund „schriftlicher Verhandlungen“ geschlossen.106 Darin 104
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Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 22. Dezember 1906, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Dem Durchschlag vom 24. Dezember 1906 beigeheftet ist eine Kalkulation der Buchausgabe von Troeltschs Rede, berechnet für einen Umfang von „5 Bogen“ und „Auflage: 2000“. Darin sind für den Posten „Honorar“ 500 M, für „Umbrechen des Satzes“ 75 M (à Bogen 15 M“), für „Matern u. Platten à 20 –“ 100 M, für „Druck à –“ 65 M, für „Papier 5 x 35 –“, also 175 M, für den Posten „Umschlag“ 50 M, für den „Buchbinder“ 30 M und für „Sonstiges“ 105 M angesetzt, in der Summe 1100 M „(1 Ex. = – 55)“. In einer zweiten Rechnung auf demselben Blatt ist der mögliche Gewinn des Verlages dargestellt: Von 2100 M möglichem Verkaufserlös (bei 2000 zum Verkauf stehenden Exemplaren und einem Buchhandelspreis von 1,05 M pro Exemplar) bleiben abzüglich der Herstellungskosten von 1100 M und der auf 210 M taxierten „Spesen“ 790 – M. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224. Der tatsächliche Absatz der „Trennung“ gestaltete sich folgendermaßen: 1907: 328, 1908: 384, 1909: 109, 1910: 57, 1911: 76, 1912: 62, 1913: 46, 1914: 20, 1915: 13, 1916: 3 Exemplare. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), Absatzkartei. Brief J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) an J. Hörning, Universitätsdruckerei, 2. Januar 1907, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 232. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), Ablage Ausgesonderte Verträge, Mappe St–Z.
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übertrug Troeltsch dem Verlag „das ausschließliche Verlagsrecht der von ihm verfaßten Rektoratsrede Die Trennung von Staat und Kirche u. s. w. für die erste und alle folgenden Auflagen“; die „Höhe der ersten Auflage“ wurde auf „2000 Exemplare“ festgesetzt.107 „Der Herr Verfasser“, so heißt es weiter, „verzichtet auf Freiexemplare“ und „erhält für je 1000 [. . .] Exemplare ein Honorar von M. 50.– [. . .] pro Druckbogen in dem gewählten Format, zahlbar nach Druckvollendung“.108 Am 5. Januar 1907 konnte Paul Siebeck Troeltsch mitteilen, daß sich die Rede im Druck befände: „Nachdem eine Anzahl Seiten wiederholt stereotypiert werden musste, sind nun einigermassen brauchbare Platten gewonnen worden. Der Druck ist im Gang, doch erfordert er, eben mit Rücksicht auf die nicht ganz tadellose Ausführung der Stereotypmatrizen, sehr viel Zeit und es kann täglich höchstens ein Bogen fertig werden. Einige Bogen sind jetzt aber schon gedruckt und zwar so sorgfältig, dass sie trotz allem äusserlich einen guten Eindruck machen.“109 Trotz der unvorhersehbaren Schwierigkeiten könne Troeltsch damit rechnen, daß „die Ausgabe der Schrift spätestens bis heute über 8 Tagen bestimmt“110 erfolgen werde. Die Ausgabe verzögerte sich aber nochmals, so daß erst fast einen Monat später, in der Woche zwischen dem 1. und 6. Februar 1907, die Buchfassung, von der ebenfalls wie bei der „Programmausgabe“ weder Manuskript noch die Druckfahnen überliefert sind, schließlich unter folgendem Titel an die „Deutsche Bibliothek“ ausgeliefert werden konnte:111 Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten. Von D. Dr. Ernst Troeltsch, Professor der Theologie in Heidelberg. Tübingen: Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1907. Im Handel wurde die im „feierlichen Quartformat“ erschienene Ausgabe zu 1,60 Reichsmark angeboten.112 Diese Ausgabe, die geringfügig, aber 107 108 109
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Ebd. Ebd. Brief Paul Siebecks an Ernst Troeltsch, 5. Januar 1907, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 488 (Verlagsarchiv Mohr Siebeck), A 224 ¡ KGA 20. Ebd. Vgl. Wöchentliches Verzeichnis der erschienenen und der vorbereiteten Neuigkeiten des deutschen Buchhandels 66 (1907), Nr. 6, S. 119. Vgl. Martin Rade: Zwei akademische Reden (1907). Rade besprach in der Ausgabe der „Christlichen Welt“ vom 20. Februar 1907 Harnacks Rede zu Kaisers Geburtstag „Protestantismus und Katholizismus“ sowie Troeltschs Rektoratsrede, die beide „neuerdings lebhaftes Interesse erregt“ hätten. Troeltsch erspare dem Leser keine „Beziehung“, alles sei „umfassend“ behandelt, und „wie immer“ habe man „zu
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wie aufgezeigt durch Troeltsch autorisiert von der „Programmfassung“ A abweicht, wird im folgenden als „Ausgabe letzter Hand“ ediert. Der Text ist mit der Sigle B gekennzeichnet. Die Abweichungen von A gegenüber B verzeichnet der textkritische Apparat. Im Revolutionswinter 1918/19 sollte diese Fassung B neu gebunden in über 400 Exemplaren abermals auf dem Buchmarkt angeboten werden.113 Zwar äußerte Troeltsch schon anläßlich der Zusendung seiner Rede an Friedrich von Hügel am 28. April 1907, er „würde gerne daran schon wieder ändern, namentlich am Schlußabschnitt“114, dennoch erschien die erneute Ausgabe 1918/19 ohne Änderungen. In der hier zum Abdruck kommenden Edition wurden die Fußnotenangaben gegenüber den beiden Originalen geändert, da sowohl in A als auch in B auf Fußnote 1 eine Fußnote 1b und auf Fußnote 4 eine Fußnote 4b folgt, zudem in beiden Fassungen ein Text zu Fußnote 6 fehlt und das Fußnotenzeichen 26 zwar zweimal gesetzt, aber nur einmal mit einem Fußnotentext versehen ist. In der vorliegenden Edition sind Troeltschs Fußnoten fortlaufend gezählt.
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beißen und zu zehren an seiner Gabe“, weshalb „in einem eigenen Artikel auf diese Rede zurück[zu]kommen“ sei. In der „Christlichen Welt“ erschien dazu keine weitere Besprechung. Vgl. die Einleitung in: KGA 15, S. 1–42, hier S. 20. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich von Hügel, 28. April 1907, zitiert nach: Ernst Troeltsch: Briefe an Friedrich von Hügel 1901–1923 (1974), S. 81–86, hier S. 83 ¡ KGA 20.
aDie
Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten.
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Von D. Dr. Ernst Troeltsch, Professor der Theologie in Heidelberg. Tübingen Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907a.
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A 3, B 3
Hochansehnliche Versammlung c! Dem Herkommen gemäss erörtert der Prorektor an diesem Tage eine prinzipielle Frage seines Faches. Da fehlt es nun in dem Fache, das ich zu vertreten die Ehre habe, nicht an prinzipiellen Fragen, ja seine ganze Existenz innerhalb der Tätigkeit der Universität ist selbst eine ernsthafte Prinzipien-
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a–a A: Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche [Absatz] Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten. [Absatz] Akademische Rede [Absatz] zur Feier des Geburtsfestes des höchstseligen Grossherzogs [Absatz] Karl Friedrich [Absatz] am 22. November 1906 [Absatz] bei dem [Absatz] Vortrag des Jahresberichts und der Verkündung der akademischen Preise [Absatz] gehalten [Absatz] von [Absatz] Dr. theol. et phil. h. c. Ernst Troeltsch, [Absatz] Geh. Kirchenrat und o. ö. Professor der Theologie, [Absatz] d. Zt. Prorektor der Grossh. Badischen Universität Heidelberg. [Absatz] Heidelberg. [Absatz] Universitäts-Buchdruckerei von J. Hörning. [Absatz] 1906 b In B folgt ein kurzer Trennstrich. c A: Festversammlung
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frage. Wer die in den letzten Jahren von Theologen gehaltenen Rektoratsreden überblickt, wird hier sehr häufig die Fragen wiederkehren sehen: „Ist die Theologie eine Wissenschaft, und ist sie berechtigt innerhalb des Rahmens der Universität?“,1 Fragen, die ja nicht bloss von Theologen aufgeworfen werden, sondern die auch sonst oft genug gestellt und verneint oder bejaht worden sind. Die beiden Fragen werden dabei meist als völlig gleichbedeutend aufgefasst. aSie sind es aber nichta, und man trifft den eigentlichen praktischen Kern des Problems nicht, solange man von ihrer Gleichbedeutung ausgeht. Auch für einen Teil der anderen Fakultäten und Disziplinen ist der Grund ihres Existenzrechtes an der Universität nicht ihr rein wissenschaftlicher Charakter. Medizin, Jurisprudenz, Philologie sind nicht um ihres rein wissenschaftlichen Wertes willen an der Universität vertreten und sind auch keine reinen Wissenschaften. Sie werden hier gelehrt, weil grosse allgemeine soziale Interessen an der Volksgesundheit, an der Rechtsordnung, an der sprachlichen und kulturlichen Jugenderziehung eine Heranziehung der Wissenschaft für diese Interessen in möglichst weitem Umfange nötig machen. Auch bleibt in der Universitäts-Medizin immer die ärztliche Kunst, in der Universitäts-Jurisprudenz immer das positiv gegebene Recht und in der Universitäts-Philologie die positiv vorhandene Schätzung des Altertums und praktisch-pädagogisches Interesse wirksam. So ist auch die theologische Fakultät die Zufuhr wissenschaftlicher Bildung und Kenntnis an das grosse soziale Gebilde der Kirchen, und ihr Existenzrecht ist in erster Linie darauf begründet, dass die Gesellschaft sowohl das religiöskirchliche Interesse selbst als auch das einer Beeinflussung der Religion durch die Wissenschaft hat und betätigt. Es bleibt also selbstverständlich in der Theologie ein dem tatsächlichen religiösen Zustand und seiner Organisation zugewandtes Interesse, und, wenn aus dem Zusammenstoss a–a A: Das ist aber nicht der Fall 1 Vgl. Karl Holstens „akademische Rede“ vom 22. November 1887 mit dem Titel „Ist die Theologie Wissenschaft?“ sowie Paul von Schanz: Ist die Theologie eine Wissenschaft? (1900). In den weiteren Umkreis der Fragestellung gehören auch die Rektoratsreden Adolf Jülichers und Adolf Harnacks, die beide mit dem Thema der Umwandlung theologischer in religionswissenschaftliche Fakultäten ein aktuelles Thema aufgriffen, zu dem auch die Debatte um den Verbleib der Theologie an den staatlichen Universitäten gehörte. Adolf Jülicher: Moderne Meinungsverschiedenheiten über Methode[,] Aufgaben und Ziele der Kirchengeschichte (1901); Adolf Harnack: Die Aufgabe der theologischen Facultäten und die allgemeine Religionsgeschichte (1901).
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dieses Interesses mit dena hierfür aufgebotenen wissenschaftlichen Mitteln allerhand Kämpfe entstehen, so steht die Theologie damit nicht allein. Auch auf den anderen Gebieten sind die im Volksleben die betreffenden Interessen vertretenden Arbeiter nicht immer einverstanden mit der Art und dem Sinn, in welchem die Universitätsgelehrten diese Gebiete von der reinen Wissenschaft her beeinflussen zu müssen glauben. Von den beiden derart unterschiedenen Fragen möchte ich die erstere, ob die Theologie rein und restlos in wissenschaftlichem Geiste und Interesse bearbeitet werden kann, hier nicht weiter verfolgen. Das ist nur in einer ausgeführten religionsphilosophischen Lehre zu zeigen und nicht in einer Stunde zu erledigen. Auch müsste man sich hier vor allem über den Begriff der Wissenschaft selbst verständigen, der durchaus nichts unmittelbar Evidentes, sondern selber erst das feinste Ergebnis des prinzipiellen Denkens ist und je nach dessen zu Grunde gelegten Axiomen sich sehr verschieden gestalten wird. So würde freilich auch eine ausführliche Darstellung solche nicht überzeugen, die von vornherein jeden Idealismus oder jeden Theismus oder jede religiöse Verwertung geschichtlicher Vorgänge für „unwissenschaftlich“b erklären. Aber, was wissenschaftlich sei, das ist eben durchaus nicht selbstverständlich, und in solchen Meinungsverschiedenheiten sind die Vorurteile durchaus nicht immer nur auf Seite der Theologen. I.
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Aber davon soll nicht weiter die Rede sein; es soll sich nicht um den wissenschaftlichen Charakter, sondern um die Berechtigung der Theologie an den Universitäten handeln, wobei sich ja wenigstens ein gewisses Mass wissenschaftlichen Geistes für sie von selbst versteht. Jene Berechtigung aber hängt an der Bedeutung, die Staat und Gesellschaft den christlichen Kirchen und dem Christentum zuweisen, sie hängt allein an dem Verhältnis von Staat und Kirchen. Und die besondere Gestaltung dieses Verhältnisses wiederum ist dann entscheidend für den besonderen Sinn der Berechtigung, für die Art und Weise der Eingliederung der theologischen Fakultät in die höchsten wissenschaftlichen Lehranstalten des Staates. Damit aber gelangen wir zu einem brennenden Problem unseres öffentlichen Lebens überhaupt, das in dem Masse für uns ein immer ernsteres geworden ist und werden wird, je mehr wir mit der ganz andersartigen Lösung des Problems auf angelsächsischem Boden vertraut werden und je mehr die grosse, eine tausendjährige Vergangenheit beendende Kirchenrevolution Frankreichs ihre Wirkungen a In A folgt: allgemein
b A: unwissenschaftlich
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zu uns herüberwerfen wird.2 Sehen wir aber die Dinge in diesem Zusammenhange, dann erweist sich die Unterhaltung einer theologischen Fakultät an den Universitäten nur als der Einzelfall eines allgemeinen Prinzips, des Prinzips des staatlichen Religionsunterrichts an der Staatsschule überhaupt. Die theologische Staatsfakultät ist nur der Gipfelpunkt des staatlichen Religionsunterrichts, und Gipfel und Grundmasse hängen gleicher Weise mit der allgemeinen Regelung des Verhältnisses von Staat, Religion und Kirche zusammen. Damit rückt nun aber unsere Frage nach der Berechtigung der theologischen Fakultät ein in die allgemeine Frage nach Recht und Notwendigkeit eines staatlich gelehrten oder staatlich anerkannten und unterstützten Religionsunterrichts überhaupt, und damit stellen sich dann auch alle die Prinzipienfragen des Verhältnisses von Staat und Schule, Religion und Kirche ein, die unter uns seit langem leidenschaftlich erörtert werden und die insbesondere aus Anlass des letzten preussischen Volksschulgesetzes die öffentliche Meinung ernstlich beschäftigt haben.3 Allein damit ist der Umkreis der hier sich auftuenden Probleme noch nicht erschöpft. Es ist die weitere Frage, worauf beruht die so oder so geartete Stellung des Staates zur Kirche. Sie beruht selbstverständlich nicht auf willkür lichen Festsetzungen der Regierungen oder auf blossen äusserlichen Machtverhältnissen. Sie beruht im Wesentlichen auf der inneren Stellung der Gesellschaft zum religiösen Leben überhaupt und auf der Art, wie sie das Wesen der religiösen Wahrheit in der grossen Majorität instinktiv, sei es bewusst oder unbewusst, empfindet. Aus den verschiedenartigen Gestaltungen dieser inneren Stellung gehen die grossen Formationen und verschiedenen Typen des Verhältnisses von Staat und Kirche hervor; mit dem Wandel in diesen inneren Grundlagen wandeln sich schliesslich auch die äusseren Lebensformen, das Verhältnis von Staat, Kirche und Schule. Der jeweils herrschende Begriff vom Wesen religiöser Wahrheit, und, da für die 2 Ernst Troeltsch bezeichnet als „Kirchenrevolution“ das 1905 in Frankreich verabschiedete „Loi concernant la séparation des Églises et de l’État“, mit dem die Trennung von Staat und Kirche vollzogen und zugleich das 1801 zwischen Napoleon I. und Pius VII. ausgehandelte Konkordat aufgekündigt wurde. Schnell etablierte sich die Bezeichnung der Vorgänge als „Revolution“. Raoul Allier etwa versah 1906 seine „Trois conférences sur la séparation des églises et de l’état“ mit dem Titel „Une révolution“. Eugen Lachenmann, auf den sich Troeltsch in der vorliegenden Schrift des öfteren bezieht – vgl. insbesondere Anm. 17) –, nimmt den Revolutionsbegriff trotz Vorbehalte auf und vermutet, „so wenig als die Revolution von 1789 wird die Revolution von 1905 auf Frankreich beschränkt bleiben“. Eugen Lachenmann: Die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich (1906), Sp. 203. Vgl. die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 326 f. 3 Siehe oben die Ausführungen im Editorischen Bericht, S. 322.
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grosse Masse mit ihrem Begriff von religiöser Wahrheit der der Wahrheit überhaupt eng zusammenhängt, der Begriff von Wesen und Art der Wahrheit überhaupt ist es, der über die Gestaltung dieser Dinge entscheidet. Der naturwüchsige grobe Wahrheitsbegriff kennt nur die eine und gleiche Wahrheit für alle und damit nur eine Kirche, die, weil sie die reine Wahrheit hat, auch alles ihr unterwerfen muss. Ein feinerer Wahrheitsbegriff kennt verschiedene Wahrheiten von subjektiver Ueberzeugungskraft und damit verschiedene Kirchen und damit die Unmöglichkeit einer einfachen Herrschaft dieser vielen über die Gesellschaft. Und steht eine Gesellschaft unter der Einwirkung beider Wahrheitsideale zugleich, so wird es an künstlichen oder schwierigen Vermittlungen nicht fehlen, die die vielen Wahrheiten aus der einen begreifen und die Gesellschaft der Herrschaft des Vielen und Einen zugleich unterwerfen. Es ist dies leicht zu zeigen an den drei Haupttypen, die die Lösung des Problems geschichtlich aufweist: an dem System der Einheitskirche, die mit dem ganzen Staatsleben innerlichst und untrennbar verbunden ist; an dem System der Freikirchen, wo eine beliebige Zahl verschiedener Kirchen im Wesentlichen nach dem allgemeinen Vereinsrecht vom Staat aus behandelt werden und sich selbst zu ihm verhalten; schliesslich an dem paritätisch-landeskirchlichen System, das eine bestimmte kleine Zahl von Kirchen mit dem Privileg öffentlich-rechtlicher, für den Staatszweck wesentlicher, Korporationen ausrüstet, den materiellen Unterhalt durch den Staat bestreitet und dafür dem Staat eine starke Einflussnahme auf die Kirchen einräumt.1) Im ersteren Falle ist die allgemeine soziale Voraussetzung ein Be1) a Hinschius, „Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche“. Handbuch des öffentlichen Rechts I 1; O. Mejer, Lehrbuch des deutschen Kirchenrechtes3 1869; Sohm, Kirchenrecht I 1892; Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechtes und der Kirchenpolitik 1894; Otto Mayer „Staat und Kirche“ Prot. Real. Encykl.3; E. Zeller „Staat a A1 oberer Rand des Endnotenapparats: R Seeberg Zur kirchlichen u. kirchenpolitischen Lage. Kreuzzeitung 1907 nr 259, 261, 263.4 [Absatz] J Friedrich, Trennung von Staat u Kirche5 [Absatz] Sägmüller6 [Es folgen zwei Anführungszeichen unterhalb des Titels „Trennung von Staat u Kirche“, Absatz] v. d Goltz, Staat u Kirche 19087 4 Gemeint ist: Reinhold Seeberg: Zur kirchlichen und kirchenpolitischen Lage, in: Neue Preußische Zeitung, Morgen-Ausgabe, Nr. 259, 6. Juni 1907, 1. Beilage, Nr. 261, 7. Juni 1907, Beilage, Nr. 263, 8. Juni 1907, Beilage. 5 Gemeint ist: Johann Karl Julius Friedrich: Die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich (1907). 6 Gemeint ist: Johann Baptist Sägmüller: Die Trennung von Kirche und Staat (1907). 7 Gemeint ist: Hermann Freiherr von der Goltz: Kirche und Staat (1907).
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griff von der Wahrheit, der die höchste Wahrheit nur als religiöse und diese höchste religiöse Wahrheit nur als eine absolut einheitliche und eindeutige kennt. Daraus ergibt sich die Welt- oder Landesorganisation der Einheitskirche, die mit der absoluten Wahrheit auch allein den absoluten Lebenszweck kennt und daher nicht bloss in ihrem, sondern auch im eigensten Interesse des Staates selbst die Eingliederung des Staates und seiner Güter in das kirchliche Lebenssystem verlangt. Im zweiten Falle liegt eine Zerteilung der religiösen Wahrheit in verschiedene möglicher Weise giltige Wahrheiten zu Grunde, zwischen denen aber keine Entscheidung von objektiver Allgemeingiltigkeit, nur eine solche von subjektiver gewissensmässiger Verbindlichkeit möglich ist. Daraus folgt von selbst die Unmöglichkeit der Einmischunga des Staates in ein so vielfach verschiedenes System von letzten Wahrheiten und Werten, die Zurückziehung des Staates von der Beeinund Kirche“ 1873. Für die prinzipielle Auffassung macht die Unterscheidung von universaler Theokratie und Staats- oder Landeskirchentum sehr wenig aus, da in beiden Fällen die absolutistische Wahrheitstheorie herrscht und nur die Organe verschieden sind, durch welche sie mit grösserem oder geringerem Zwang durchgesetzt wird. So wichtig daher für die ganze vormoderne Zeit der Kampf und Wechsel zwischen landeskirchlichen und päpstlich-weltkirchlichen Bestrebungen ist und so wenig die letzteren je praktisch vollständig geherrscht haben, so wenig macht doch dieser Unterschied für das Prinzip aus. Ganz richtig behandelt daher auch Hinschius beide nur als verschiedene Formen desselben Prinzips.8 a A: Einwirkung 8 In seiner „Allgemeinen Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche“ (1883) stellt Paul Hinschius drei Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche heraus. Zum einen könnten Staat und Kirche in der „Trennung“ neben einander bestehen, zum anderen die Kirche vom Staat aus als „Anstalt des öffentlichen Rechtes“ (S. 191) wahrgenommen werden. Drittens bestehe die Möglichkeit, Staat und Kirche als „Einheit“ zu gestalten. Das „System der Einheit von Staat und Kirche“ forme entweder ein „Staatskirchenthum“ oder eine „Theokratie, Hierokratie“ aus (S. 191). „So feindlich sich diese beiden Systeme gegenüberstehen, so führen sie doch, weil sie auf gleicher Grundlage ruhen, zu einer Reihe gleicher Konsequenzen“ (S. 191). Übereinstimmend werde in beiden Systemen eine „Einheit des religiösen Bekenntnisses“ angestrebt und damit „keine Religionsfreiheit“ zugelassen, so daß eine „Abweichung von der herrschenden Kirchenlehre“ strikt als „Verbrechen“ angesehen würde (S. 191). Anordnungen von staatlicher sowie von kirchlicher Seite seien in beiden Arten jeweils immer auch für den anderen Bereich gültig: „[. . .] das Staatsgesetz gilt auch als Gesetz für die Kirche und umgekehrt das kirchliche Gesetz für den Staat“ (S. 191). Zudem verfüge die jeweils „leitende Macht“ über ein allgemeines „Kontroll- und Kassationsrecht“ (S. 191).
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flussung des Gewissens und seine Konzentrierung auf diejenigen Wahrheiten und Werte, die unabhängig von dem so vielfachen religiösen Denken mit den Mitteln des profanen Denkens in leidlicher Uebereinstimmung erreicht werden können. Es ist die Säkularisation und Laicisation des Staates, die Trennung von Staat und Kirche, die Begründung der religiösen Ueberzeugung auf wesentlich subjektive Instanzen. Bei dem dritten System ist eine allgemeine Uebereinstimmung der Gesellschaft über ihren wesentlichchristlichen Charakter und über eine wesentlich einheitliche religiöse Wahrheitserkenntnis vorausgesetzt, aber zugleich die Ausprägung dieser Einheit in verschiedenen geschichtlich bedingten Formen, die hinreichend nahe mit einander verwandt sind, um doch im Ganzen als einheitlich beitragend zu dem für Staat und Kirche gemeinsamen christlichen Wahrheits- und Lebensideal angesehen zu werden. Es ist im ersten Fall ein absoluter, im zweiten ein relativer und im dritten ein aus Absolutismus und Relativismus gemischter Wahrheitsbegriff, der hier jedesmal als die mehr oder minder bewusste Voraussetzung und Selbstverständlichkeit logisch zu Grunde liegt. Freilich wirken zur Gestaltung der Dinge neben dem noch zahllose verstärkende oder hemmende Motive. Aber wo ein System wirklich ehrlich herrscht, da ist das eine oder andere die Voraussetzung, und es herrscht nur da dauernd und innerlich, wo es ehrlich ist. Liegen so die letzten Wurzeln der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Art der jeweils herrschenden religiösen Wahrheitsidee, so müssen wir noch tiefer in die innere Struktur des religiösen Gedankens selbst eindringen. Die Religion verdankt ihre Gotteserkenntnis, ihre Gewissheit und damit die Art ihrer Wahrheitsidee immer irgendwie der Offenbarung, an die sie glaubt. Das Göttliche kann nicht von den tausend Einzelheiten der Welt abgelesen werden, es kann nur geschaut werden in inneren Gesichten und Gefühlen, in denen der sonst nirgends erkennbare Grund der Dinge sich selbst entschleiert. Aber diese Gesichte und Gefühle werden in den allermeisten Menschen erst erweckt, wenn sie von der religiösen Kraft eines überlegenen religiösen Genius dazu aufgerüttelt werden, und dieser Genius samt allem, was ihn umgibt und an die Menschen heranbringt, wird ihnen zur Offenbarung im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Von der Art und Weise, wie eine religiöse Gemeinschaft diese Offenbarung auffasst und sie für ihre Organisation zu Grunde legt, ist die ganze Gestalt der religiösen Gemeinschaft selbst und ihre Wirkung auf die Umgebung bedingt. Erkennt sie in dieser Offenbarung, wie es der Katholizismus und die Orthodoxie tun, eine präzise, objektiv dargebotene und geschlossene, mit ihren Trägern und Vermittlern identische Kundgebung und Stiftung Gottes, dann wird sie daran den natürlichen Trieb nach absoluter Erkenntnis nähren bis zu der Behauptung, dass es nur diese Eine Kirche als alleini-
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ge Heilsanstalt geben könne und dass ihr eine absolute Kundgebung Gottes über Wesen und Sinn der Welt und des Lebens genau erkennbar und umgrenzbar gegeben sei, unter die sie selbstverständlich die Beugung alles bloss Weltlichen und Menschlichen fordern muss und erwarten darf. Eine solche Offenbarung verlangt die Unterwerfung des Staates, der mit seinen Mitteln auch bei aller natürlichen Selbständigkeit doch die übernatürlichen Lebenszwecke fördern muss. Wird dagegen an dieser Offenbarung das persönliche subjektive Moment betont, ist auch die an der geschichtlichen Offenbarung, an Jesus und der Bibel, entstehende Gewissheit eine rein persönliche und gewissensmässige Glaubensüberzeugung, dann ist der Kern der Offenbarung diese Weckung persönlichen, innerlichen und nicht bestimmt präzisierbaren oder umgrenzbaren inneren Lebens. Solches innere Leben kann daher sein Recht nicht allgemeingiltig beweisen und kann in sehr verschiedenen Formen und Hüllen, sei es der Vorstellung, sei es der kultischen und sozialen Organisation, enthalten sein. Die Einheitskirche wird unmöglich und an ihre Stelle tritt eine Mehrheit von Kirchen, in deren verschiedenen Formen jener innere Wahrheitsgehalt enthalten sein, aber jedenfalls nicht objektiv festgestellt werden kann. Dann aber muss auch der Staat eine gewisse Neutralität gegen diese Vielheit von Kirchen beobachten, um keiner zu nahe zu treten und in das Gewissen sich nicht einzumischen, und, ist er erst einmal so kirchlich neutralisiert, dann wird er auch eine eigene Sphäre von Lebenszwecken sich schaffen, die vielleicht mit den religiösen verträglich sind, die aber jedenfalls sich selbständig neben diesen entfalten können. Das dritte System freilich hat keine derart durchsichtige und einfache Grundlage im allgemeinen religiösen Bewusstsein, es ist auch mehr ein Erzeugnis der geschichtlichen Lage, die zum Zusammenleben verschiedener Konfessionen geführt und doch die alte Grundstimmung eines Zusammenfallens staatlicher und kirchlicher Lebenszwecke beibehalten hat. Es ist daher auch mehr eine Theorie, die nachträglich der geschichtlichen Lage sich angepasst hat, als eine elementare Idee, die diese Lage herbeigeführt hätte. Aber auch so wäre die ganze Lage nicht möglich und haltbar, wenn diese Theorie nicht mit allgemeinen, selbstverständlichen oder wenigstens selbstverständlich gewordenen Ueberzeugungen in einem grossen Teil der Volksseele zusammenhinge. Auch hier ist der letzte Grund der religiösen Idee ein eigentümlicher Offenbarungsgedanke. Das Christentum im Ganzen ist absolute Offenbarung und göttliche Stiftung, aber dies Ganze ist doch zugleich auch eine bildsame geistige, innerlich persönliche Macht, die mit ihren jeweiligen Formen und Ausprägungen nicht zusammenfällt; das aber bedeutet dann doch keine unendliche Bildsamkeit, sondern die Zerlegung in zwei oder drei geschichtliche Konfessionen, die etwa nach ihrem Rassenboden oder nach der allgemeinen Kulturbesonderheit die verschiede-
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nen, allein möglichen Formen des Christentums bilden, die drei geschichtlichen Ausprägungen der einen Offenbarung, die die Vorsehung gewollt und hervorgebracht hat, und mit denen daher der Staat gleichmässig sich in die Erziehung der Menschen zu einer christlichen Kultur zu verbinden hat. Nur wo und soweit dieser Gedanke die Gemüter beherrscht, hat das paritätische System feste Wurzeln und einen ernsthaften Sinn; wo er nicht herrscht, da ist es ein Gegenstand des politischen Opportunismus, der Gedankenlosigkeit, der stillen Abneigung oder des lauten Hasses, in welchen Empfindungen sich in der Tat auch eine sehr bunte Gegnerschaft von hierarchischen Kirchenmännern, von Freikirchlern und radikalen Freidenkern gegen das System zusammenfindet; und, wo es vom rein politischen Standpunkt aus vertreten wird, da muss doch der Politiker für das Pathos seiner offiziellen Begründung die Anleihen bei diesem Grundgedanken ebenso machen, wie die französischen radikalen Christentumsfeinde ihre Anleihen bei der amerikanischen Gewissensfreiheit machen. So erweitert sich der Umkreis des Problems auf einen grossen kulturgeschichtlichen Zusammenhang und geht er zurück auf letzte Grundlagen im Wesen des re ligiösen Be wusstseins und des Denkens selbst. In diesem Zusammenhang gilt es daher auch, das Problem zu durchleuchten, die Haupttypen seiner Lösung in ihrer Wirkung auf die Idee eines staatlichen Religionsunterrichts verständlich zu machen und von hier aus Stellung zu nehmen zu seiner Gestaltung in der Gegenwart und der nächsten unsern Augen erreichbaren Zukunft. II. Längst hinter unserer Kulturperiode liegend und doch noch höchst einflussreich in sie hineinragend stellt sich uns das System der Einheitskirche dar. Es ist das System der mittelalterlichen Welt oder der kirchlichen Kultur. Diese Kultur war aufgebaut auf dem Gedanken eines absolut sicher garantierten und schlechthin einheitlichen Wahrheitsbesitzes, der in der wunderbaren Stiftung des Christentums und der Kirche unmittelbar aus der Wahrheit und Einheit Gottes selbst herausfloss und eben dadurch auch die Unterordnung aller bloss menschlichen und relativen Lebenswerte unter den hiermit festgestellten absoluten und jenseitigen Lebenswert bedeutete. Angesichts der Relativität alles menschlichen Wissens schien in der Tat ein absolutes Wissen nur als eine wunderbare göttliche Mitteilung und Stiftung und angesichts der Endlichkeit aller menschlichen Lebenswerte ein absoluter Wert nur als jenseitige Seligkeit möglich zu sein. So charakterisieren Absolutheit, Einheit und Jenseitigkeit diesen Kulturgedanken, und der Trä-
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ger aller dieser hohen Dinge war die mit einem hierarchischen Rechtsorganismus ausgestattete Kirche als ein völlig neu mit dem Christentum in die Welt getretenes Rechts- und Sozialgebilde. Diese Organisation des Absolutismus verstand demgemäss auch alle menschlich-relativen Wahrheiten und Lebenswerte sich einzugliedern und unterzuordnen. Nach anfänglich schroffem Gegensatz gegen die Welt lernte sie die Welt relativ würdigen und ihre Güter und Gesellschaftsformen dem obersten Zweck der himmlischen Seligkeit und des Heils eingliedern in einem System aufsteigender Lebenszwecke und Gesellschaftsformen, welches System sie teils nach dem Stufengang der aristotelischen Entelechien, teils nach der neuplatonischen Lehre von der Ueberordnung des Geistig-Uebersinnlichen über das NatürlichSinnliche ausbaute. Freilich hatte ein solches System noch nicht im Gesichtskreis des ältesten Missionschristentums gelegen, und auch noch nicht in dem des byzantinischen Staatschristentums, das sich in das christlich gedeutete jus sacrum des alten Kaiserstaates einzuordnen lernen und seinen geistigen Kulturbesitz noch aus einer uralten und selbständigen literarischen Bildung mit eigenen Bildungsanstalten schöpfen musste. Die Kirche kam als letzte und umfassendste Schöpfung der Antike an einen bereits gedeckten Tisch, an dem sie wohl als wichtigster Gast speisena, aber den sie nicht selber decken durfte. Daher hatte das antike Staatschristentum den „rein religiösen Charakter“, den man so oft seiner späteren Entwickelung gegenüberhält, oder es war, wie man auch sagen kann, noch nicht in der Lage, aus seinem absoluten Wahrheits- und Heilsbesitz die Folgerung einer von ihm selbst geleiteten und den geistlichen Massstäben unterworfenen Gesamtkultur zu ziehen.9 Nur in blossen Theorien, wie etwa bei Augustin, hat es diese Folgerungen an die Wand gemalt.10 Aber als die Kirche in den Umkreis a A: essen 9 Vgl. die Charakterisierung der mittelalterlichen „Weltanschauung“ in Karl Riekers „Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands“ (1893), S. 7, als „rein religiöse Weltanschauung [. . .] d. h. als eine solche, welche alle irdischen Dinge und alles irdische Geschehen unmittelbar auf Gott und die jenseitige Welt zurückführt, hier ihren Ursprung, ihre bewegende Kraft, ihr Endziel erblickt“. Dieser „religiös-theologische Charakter der mittelalterlichen Weltansicht“ trete in den „politischen Vorstellungen des Mittelalters mit besonderer Deutlichkeit“ hervor (S. 7). 10 Zur Verhältnisbestimmung von „Civitas Dei“ und „Civitas Terrena“ in Augustins „De civitate Dei“ vgl. Paul Hinschius: Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche (1883), S. 213 f.: Nach Augustin „hat der weltliche Staat lediglich der irdischen Glückseligkeit zu dienen und ist daher ebenso sündlich, wie das alleinige Streben des Menschen nach derselben. Um nicht der Sünde zu verfallen, muß der irdische Staat sich der von Gott geleiteten Kirche, dem himmlischen
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der germanischen Barbarenwelt überging und hier neben ihrer religiösen Funktion zugleich die der Uebermittelung und Erhaltung der antiken Kulturreste übernahm, da begann sie seit dem gregorianischen Zeitalter11 die Konsequenzen praktisch zu ziehen und das System einer kirchlichen Kultur auszubauen, das in der Kirche das ewige Heil, die absolute Wahrheit, die Lebensnorm und das Ziel aller sozialen Gemeinschaft enthält, das daher zugleich die anderen Verbände in Reich, Staat, Frohnhof, Markgenossenschaft, Stadt, Zunft, Verein bis herab zum Individuum in sich befasst als ein harmonisches Stufen-Ganzes und in diesen Stufen von der sündig verderbten natürlichen Lebensbefriedigung bis zur Verleihung des ewigen Heils aus Gnade und Wiedergeburt aufsteigt. Im allgemeinen ist dabei darauf gerechnet, dass die innere Uebereinstimmung über den Zielgedanken, die gemeinsame Anerkennung der Offenbarung und die übereinstimmende Bewertung der Mittelzwecke in ihrem Verhältnis zum obersten Zweck das Ganze in friedlicher und freiwilliger Hingebung gegenüber der Kirche erhält. Nur für Streitfälle und Unklarheiten ist ein direktes Eingreifen der Kirche vorgesehen und von den Voraussetzungen aus selbstverständlich. So kommt es zur Entwickelung der bekannten Sätze von der Unterwerfung aller weltlichen Gewalt unter die Kirche12 und zu den gewaltsamen politischen Mitteln für Staat, welcher in ihm in die äußere Erscheinung tritt, ein- und unterordnen, sowie demselben dienstbar sein. Der irdische Staat tilgt den Makel seines illegitimen Ursprungs erst durch die Vermittlung der Kirche und dadurch, daß er seine Macht in den Dienst der höhern, überirdischen, von der Kirche verfolgten Zwecke stellt. In Folge dessen hat der Staat im Auftrag und nach Anweisung der durch den Klerus vertretenen Kirche seine staatlichen Mittel im Dienste der Religion zu verwenden und namentlich den für dieselbe erforderlichen äußern Frieden zu bewahren, wobei er zwar die Befolgung seiner Ordnungen von der Kirche zu beanspruchen berechtigt ist, indessen andererseits die Pflicht hat, seine Gesetzgebung und seine Thätigkeit nach den Vorschriften der Kirche zu bestimmen, insbesondere dafür zu sorgen, daß sich Niemand gegen die Kirche auflehne, und daß vor Allem gegen Ketzer und Schismatiker behufs ihrer Bekehrung von seiner Zwangs- und Strafgewalt (allerdings nicht von der Todesstrafe) Gebrauch gemacht wird.“ Trotz verschiedener Versuche, diese Theorie zu verwirklichen – so z. B. durch die pseudoisidorischen Dekretalen oder Papst Nikolaus I. – habe „das theokratische System“ erst seit Gregor VII. „seine volle Ausbildung erfahren“ (S. 214). 11 Die gebräuchliche Formulierung bezeichnet die mittelalterliche Epochenscheide seit dem Pontifikat Gregors VII. (1073–1085). Der Name Gregors VII. steht für die einsetzende mittelalterliche Kirchenreform und für den Suprematieanspruch der Kirche über die weltliche Herrschaft im Investiturstreit. Vgl. etwa Carl Mirbt: Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. (1894), S. 13. 12 Klassisches Dokument für die Suprematie der Kirche über den Staat ist die in der
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die Durchsetzung dieser Unterwerfung, wobei die grausamen und barbarischen Formen wohl auf Rechnung des allgemeinen mittelalterlichen Geistes gesetzt werden mögen, die Sache selbst aber aus dem Wesen der Einheitskirche fliesst. Wer das ewige Heil absolut sicher hat, darf ohne Heuchelei glauben, die anderen zu ihrem Heil zwingen zu dürfen. Und wenn die Kirche seit Bellarmin sich von der Lehre einer potestas directa über die weltliche Gewalt auf die von einer potestas indirecta zurückgezogen hat, so meint sie damit nur, dass sie für gewöhnlich die profanen Gemeinschaften ihren natürlichen sittlichen Gesetzen überlassen müsse, dass sie aber in Fällen von Beeinträchtigung der geistlichen Kulturmassstäbe um der ewigen Wahrheit und des Heils willen einzugreifen habe.13 Das ist in der Sache nichts anderes. Denn es bedeutet immer noch Recht und Pflicht der Kirche, in die untergeordneten Sozialgebilde und Mittelzwecke einzugreifen, wo es um des Heils und der ewigen Wahrheiten willen nötig ist, und immer noch bestimmt die Kirche allein darüber, ob ein solcher Fall notwendigen Eingreifens vorliege.2) 2) Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht III 1881; Graf Hoensbroech „Moderner Staat und römische Kirche“ 1906; W. Köhler „Das katholische Staatslexikon und der Syllabus“ Christliche Welt 1905 No. 7–10.a Wie sehr all das an der prinzipiellen Era In A1 folgt mit Einfügungszeichen: Pobedonoszew Question religieuses14 Auseinandersetzung mit Philipp IV. von Frankreich durch Papst Bonifaz VIII. verabschiedete Bulle „Unam Sanctam“ vom 18. November 1302, in der unter anderem aufgeführt wird: „Uterque ergo est in potestate Ecclesiae, spiritualis scilicet gladius et materialis. Sed is quidem pro Ecclesia, ille vero ab Ecclesia exercendus. Ille sacerdotis, is manu regum et militum, sed ad nutum et patientiam sacerdotis. Oportet autem gladium esse sub gladio, et temporalem auctoritatem spirituali subiici potestati [. . .] Spiritualem et dignitate et nobilitate terrenam quamlibet praecellere potestatem, oportet tanto clarius nos fateri, quanto spiritualia temporalia antecellunt [. . .]. Nam veritate testante, spiritualis potestas terrenam potestatem instituere habet, et iudicare, si bona non fuerit.“ Zitiert nach: Heinrich Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen (2007), S. 386. 13 Robert Bellarmin legte in seinen von 1586 bis 1593 erschienenen „Disputationes de controversiis christianae fidei“ dar, daß dem Papst direkt nur eine geistliche Machtbefugnis zukäme und er insofern keine direkte weltliche Macht besitze. Jedoch fließe aus der geistlichen Gewalt indirekt eine höchste Autorität. Roberti Bellarmini: In disputationes de controversiis christianae fidei adversus hujus temporis haereticos. Tertia controversia generalis, liber quintus (1870), caput I–VI, S. 145–156. 14 Gemeint ist: Constantin-Petroviˇc Pobédonostzeff: Questions religieuses sociales et politiques (1897).
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Für ein solches System versteht sich die grundsätzliche Beherrschung des Bildungs- und Erziehungswesens von selbst, umsomehr als die Kirche zunächst selbst die Inhaberin aller Bildung und aller Schulen war, von den Dom- und Kirchenschulen bis zu den durch päpstliche Privilegien begründeten Genossenschaften der Hochschulen. Die theologisch-dogmatische
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kenntnistheorie hängt, zeigt die wiederholte offizielle Erklärung, dass jede Trennung von Staat und Kirche „manichäisch“, d. h. metaphysischer Dualismus sei, vgl. die Citate bei Hoensbroech S. 77, 65, schon in der Bulle „Unam sanctam“ ebenda 1715; die Zusammenfassung der römischen Lehre in der Bulle „Vehementer nos“ vom 11. II. 1906 bei Sabatier „A propos de la séparation“2 Paris 1906, hier die charakteristischen Sätze: „Der Begriff der Wahrheit wird dadurch gestört und die Seelen mit grosser Unsicherheit erfüllt“, S. 159.16 – Sofern das geistreiche Buch von A. Ehrhard „Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert“4 190217 den modernen Katholizismus vom mittelalterlichen prinzipiell trennt und den modernen auf eine rein moralisch-geistige Einwir15 Paul Graf von Hoensbroech zitiert aus der „Civiltà cattolica“, dem publizistischen Organ des Jesuitenordens: „Der gemäßigte Liberalismus behauptet nicht, wenigstens nicht ausdrücklich, die Suprematie des Staates, sondern seine völlige Unabhängigkeit von der Kirche. Er leugnet nicht die übernatürliche Ordnung, aber er schließt diese von der politischen Ordnung der Gesellschaft aus. Obschon weniger entsetzlich, ist er nicht weniger absurd als der absolute Liberalismus. Während dieser im Atheismus begründet ist, ist jener im Dualismus begründet; er leugnet nicht die Existenz, aber die Einheit Gottes. Das entnehmen wir aus der dogmatischen Bulle Unam sanctam, in welcher Bonifaz VIII. den Anhängern der absoluten Autonomie des Staates vorwirft, sie setzten zwei höchste Prinzipien der Welt voraus. Darum könnten diese Liberalen passend als neue Manichäer bezeichnet werden. Jede Gesellschaft, welche es auch sein mag, ist der Kirche unterworfen und muß von ihr Norm und Leitung erhalten.“ Paul Graf von Hoensbroech: Moderner Staat und römische Kirche (1906), S. 65; zur Bulle „Unam Sanctam“ vgl. oben, S. 352, Anm. 12. 16 Die Bulle „Vehementer nos“, am 11. Februar 1906 von Pius X. verabschiedet, lehnt die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich entschieden ab. Neben zahlreichen anderen Dokumenten findet sich auch die französische Fassung von „Vehementer nos“ im „Appendice documentaire“ bei Paul Sabatier: A propos de la séperation des églises & de l’état (1906), S. 155–175. Die von Troeltsch zitierte Stelle lautet vollständig: „Or qu’entre l’État et l’Église l’accord vienne à disparaître, et de ces matières communes pulluleront facilement les germes de différends, qui deviendront très aigus des deux côtes; la notion du vrai en sera troublée et les âmes remplies d’une grande anxiété.“ (S. 159) Troeltsch übersetzte hier den letzten Teil des Satzes ins Deutsche. 17 Troeltsch rezensierte 1902 für die „Christliche Welt“ die hier angeführte vierte bis achte revidierte Auflage von 1902. Vgl. Ernst Troeltsch: Der Ehrhardsche Reformkatholizismus (1902), in: KGA 4, S. 194–206.
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und die kanonistische Fakultät sind der Mittelpunkt der letzteren und die philosophische oder Artisten-Fakultät nur eine Vorschule der oberen.3) Aber daran hat sachlich auch die moderne Verstaatlichung der Schulen und Universitäten nicht viel geändert. Auf die obersten, mittleren und vor allem die untersten Schulbehörden verlangt der Klerus einen geordneten Einfluss, über Schulbetrieb und Unterrichtsmittel eine Kontrolle. Die Forderung einer Zentralstellung des Religionsunterrichts und der stärkste Einfluss des nur unter Voraussetzung der kirchlichen Missio angestellten Religionslehrers versteht sich von selbst. Bei den Volksschulen soll der geistliche Schulinspektor das Ganze unmittelbar bestimmen, und die Lehrerseminare sollen katholische Gesinnung sicher stellen. In den Mittelschulen soll weitgehende Rücksicht auf die katholische Ideenwelt genommen und die kung und Gewalt stellen will, gehört es eben dem überall heftig bekämpften Reformkatholizismus an; und sofern es dessen Verurteilung nicht anheimgefallen ist,18 dankt es das dem Umstand, dass die praktische Folge dieser Anschauung, eine wirkliche Abgrenzung der geistlichen Kircheneinflüsse von den ihrer Selbständigkeit übergebenen weltlichen, die wirkliche Abgrenzung dessen, was die Kirche behaupten muss und was sie freigeben kann, nirgends vollzogen ist, namentlich nicht in Bezug auf die Schule. Vgl. Meinen Aufsatz „Der Ehrhard’sche Reformkatholizismus“ Christliche Welt 1902 No. 20. Vgl. auch Anm. 37.19 3) Paulsen „Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwickelung“ 1906; „Geschichte des gelehrten Unterrichts“ 1885; „Die deutschen Universitäten“ 1902. 18 Vgl. Ernst Troeltsch: Der Ehrhardsche Reformkatholizismus (1902), in: KGA 4, S. 195: „Wir erleben mitten im Katholizismus [. . .] kräftige und erste Reformbestrebungen, die aus tiefer Einsicht und Selbstkritik, aus moderner Bildung und Wissenschaft schöpfen und ihm mit der neuen Zeit auch das Ideal einer gründlichen Umgestaltung vorhalten.“ Als Vertreter dieser Reformbewegung nennt Troeltsch neben Albert Ehrhard Henry Edward Manning und Herman Schell (S. 195 f.). Das Ehrhardsche Buch singe „ein neues Lied, das Lied von der Ablösung des Katholizismus vom Mittelalter, das bis auf die im Mittelalter fixierten Dogmen – total als überwunden, zeitgeschichtlich bedingte Erscheinungsform des Katholizismus abgethan werden und einem spezifisch modernen, rein religiösen und nur auf geistige Weise die Kultur beherrschenden Katholizismus Platz machen soll“ (S. 198). Der Reformkatholizismus wurde mit Herman Schells Schriften „Der Katholicismus als Princip des Fortschritts“ (1897) und „Die neue Zeit und der alte Glaube“ (1898) am 15. Dezember 1898 indiziert. Ehrhard erwehrte sich erfolgreich der Versuche, seine Werke ebenfalls zu verurteilen. 19 Die Folge der Fußnotenziffern ist in vorliegender Edition gegenüber den Originalen geändert; siehe die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 341. Die Angaben zu der von Troeltsch genannten Ziffer finden sich nun in Anm. 38.
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Anteilnahme der Jugend am Kultus von der Schule unterstützt werden. Das eigentliche Ideal sind hier immer noch die Jesuitenschulen.4)20 An den Hochschulen soll eine unter bischöflicher Kontrolle stehende katholischtheologische Fakultät den Kern bilden, und die übrigen Fakultäten sollen ihr in die Hände arbeiten, wie es an der päpstlichen Muster-Hochschule in Rom verwirklicht ist und von den staatlichen verlangt wird, wo man nicht aus Misstrauen gegen sie die Bildung der Kleriker lieber abgesonderten Klerikalseminaren überträgt. Was wäre auch eine Erziehung, die nicht vor allem den Charakter bildete, und was wäre unter diesen Voraussetzungen eine Charakterbildung, die nicht von der ewigen Wahrheit und dem ewigen Heil ausginge! So hat es die Kirche in Oesterreich verstanden, auch die Simultanschulen unter ihren indirekten Einfluss zu bringen,5) und alle Nachgiebigkeit gegen weltliche Schulverwaltung kann nur Rücksicht auf ungünstige Zeitläufte sein, wo man das Bessere nicht den Feind des Guten sein lassen will. Alles das ist aus leidenschaftlichen Kämpfen der Gegenwart bekannt. Man muss nur die Billigkeit haben zu verstehen, dass dies aus logisch sehr wohl begründeten Forderungen stammt, die auch der katholischen Kirche keineswegs allein eigentümlich sind. Es ist eben der Besitz einer absoluten Wahrheit, der zu diesen Folgerungen drängt und der sich vielleicht der poA 43, B 70 A 43, B 70
4) Tews „Schulkämpfe der Gegenwart“ 1906, wo viel interessantes Material; Cathrein „Kirche und Volksschule“ 1896. 5) Siehe die Anklage der Katecheten gegen Professor Masaryk, Christl. Welt 1906 20 Die Entscheidung des Jesuitenordens zur Gründung eigener Schulen geht auf das Jahr 1548 zurück, als Ignatius von Loyola der Bitte des Vizekönigs von Sizilien Don Juan de Vega nachkam und eine Gruppe ausgewählter Jesuiten nach Messina entsandte, um dort ein Kolleg für Laienstudenten zu eröffnen. Der inhaltlich dem humanistischen Ideal folgende – im Aufbau eine Pyramide von den humaniora über die artes liberales bis zur Theologie bildende – Schulunterricht an den in der Folge zahlreich entstehenden Jesuitenkollegien sollte sich rasch als effizientes Mittel langfristiger Wirksamkeit der Societas Jesu erweisen. Vgl. Klaus Mertes: Lernen in Messina (2000). Im Zuge des Kulturkampfs wurden im ganzen Deutschen Reich durch das „Jesuitengesetz“ vom 4. Juli 1872 alle Niederlassungen der Jesuiten und verwandter Orden verboten, ebenso durch Beschluß des Bundesrates vom 28. Juni 1872 die Ausübung einer Ordenstätigkeit insbesondere in Kirche und Schule. Zwar hatte das „Jesuitengesetz“ dann am 8. März 1904 durch die Aufhebung des § 2, der diskriminierenden Bestimmungen über die Ausweisung ausländischer und die Aufenthaltsbeschränkung inländischer Jesuiten zum Inhalt hatte, eine Abmilderung erfahren, es sollte aber erst am 19. April 1917 ganz aufgehoben werden.
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litischen Beeinflussung des Staates, aber nimmermehr der geistigen Beeinflussung der Schule enthalten kann. Wo der Staat Schulen und Bildungsanstalten in seiner Hand hat, wird die Kirche wenigstens diese Seite der Staatsverwaltung mit unter ihren Einfluss zu bringen suchen müssen und auch die dazu dienlichen politischen Mittel nicht wohl verschmähen können. Erleben wir es doch auch sonst stets von neuem, dass jede wissenschaftliche oder sozialethische Lehre, die sich als absolute Wahrheit oder, wie man sagt, als Ergebnis der modernen Wissenschaft und Forderung der Vernunft empfindet, ihre Hand auf die Schule legt, ihre Ergebnisse an der Staatsschule gelehrt oder gar ihre Weltanschauung dem Unterricht zu Grunde gelegt sehen will. Es sind nicht weniger Anathematismen im Namen der modernen Wissenschaft, des Fortschritts und der Bildung ergangen als in dem der Kirche, und alle diese Anathematismen waren zugleich eine meist politisch-agitatorisch unterstützte Forderung, der eigenen Lehre den Thron in der Schule zu errichten. Das ist nur natürlich; denn das ist überall die No. 2021; Schiele „Ueber die Simultanschule eines Staates, wo katholisch Trumpf ist“ Christl. Welt 1904 No. 25.22 21 Vgl. Werner Sombart: Der Fall Masaryk (1906). Der spätere erste tschechoslowakische Präsident Tomá˘s Garrigue Masaryk hatte als Prager Professor für Philosophie auf einer „Protestversammlung der mährischen Studentenschaft“ (ebd., Sp. 279) gegen den Katholizismus das Wort ergriffen. Werner Sombart zitiert aus Masaryks Rede folgende Passage: „Ich selbst bin kein Feind der Religion – [. . .] aber ich bin dagegen, daß die Religion in der Schule verbleibe. Der Katechet an der heutigen Schule ist Nichts als ein von der Regierung bezahlter Denunziant, Nichts weiter.“ (S. 279) Masaryk wurde daraufhin „wegen Religionsstörung und Beleidigung der katholischen Kirche in Untersuchung gezogen“ (Sp. 280). Ebenso hätten „von den 750 tschechischen Katecheten ca. 300 ihn, Jeder einzeln, wegen Ehrenbeleidigung verklagt“ (Sp. 280). Der Prozeß gegen Masaryk endete mit einem Freispruch; vgl. Walter Eugen Schmidt: Der Ausgang der Masarykprozesse (1906). 22 In Friedrich Michael Schieles Aufsatz „Ueber die Simultanschule eines Staates, in dem Katholisch Trumpf ist“ von 1904 findet sich kein Hinweis auf Bestrebungen der katholischen Kirche, die Simultanschulen unter ihren Einfluss zu bringen. Vgl. aber seinen ebenfalls in der „Christlichen Welt“ 1904 erschienenen Beitrag „Dr. Schulmann“, in dem Schiele nicht nur eine „paritätische Erziehungsschule in einem Staate, wo Katholisch Trumpf ist“ als „ein Unding“ bezeichnet, da es allein ein „protestantischer Gedanke“ sei, sondern zugleich dem Trierer Bischof Michael Felix Korum und den „Trierer Korumleute[n]“ einen „neuen Angriff auf die paritätische Schule“ (Sp. 111) unterstellt. Die Zugeständnisse, die Bischof Korum vom Staat erlangt habe, „geben ihm die willkommene Gelegenheit, seine Operationsbasis strategisch zu verbreitern und für seine nie verleugneten Grundsätze einen neuen größeren taktischen Vorstoß zu unternehmen“ (Sp. 111).
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Folge eines Glaubens an den Besitz gültiger allgemeiner Wahrheiten, und eine rein technisch-fachmässige Erziehung ohne jede Weltanschauung wäre in der Tat der geistige Tod. Die Kirche hat für diese ihre Ueberzeugung nur besonders alte und eindrucksvolle Begründungen, sie schützt die Absolutheit ihrer Erkenntnis durch die Behauptung ihres zugleich übernatürlichen Charakters, womit sie Unzähligen, die von dem Wechsel menschlicher Meinungen ermüdet sind, den allein möglichen Ausweg zu treffen scheint. Aber in alledem vertritt sie doch nur auf besondere Weise ein ganz allgemeines natürliches Bedürfnis des Menschen, das Bedürfnis nach festen und bleibenden Wahrheiten und Werten, die insbesondere für die Erziehung unentbehrlich sind. Die Staatsschule von Ländern, die inbezug auf die Weltanschauung völlig neutral sind, sind das entweder nur scheinbar oder sie empfinden auch vielfach diesen Mangel eines geistigen Mittelpunktes.6) So liegt in dem Absolutismus des kirchlichen Systems in der Tat ein Wahrheitsmoment, das sich immer wieder geltend machen wird, und gegen das nur der Vorwurf zu erheben ist, dass der von der kirchlichen Absolutheit gedachte Inhalt von Weltanschauung und Ethik für den modernen Menschen grösstenteils unerträglich ist. So dürfen wir insbesondere nicht vergessen, dass dieses Ideal der auf absolute Alleinwahrheit begründeten Einheitskirche und damit der kirch6) Rein „Zum Religionsunterricht“ Hilfe 1906 No. 27; W. Förster „Jugendlehre“16 1906 S. 165 ff23. Ein amerikanischer Gelehrter beantwortete meine Frage, weshalb die Erziehungsliteratur in Amerika einen so ungeheuren Raum einnehme, mit der Erklärung, dass der Mangel des Religionsunterrichtes an den Schulen zu Schwierigkeiten in der einheitlichen Charakterbildung führe, und dass man ein Gefühl habe das ersetzen zu müssen. Der Unterrichtsminister der Union, Herr Harris, meinte freilich, dadurch werde die Religion nur verwässert und es sei besser, sich auf die Kirchen zu verlassen, die zugleich den Einfluss des Kultus auf das Gemüt zur Verfügung hätten.24 23 Troeltsch verweist hier auf das Unterkapitel „Amerikanische Moralpädagogik in Schulführung und Schuldisziplin“ aus: Friedrich Wilhelm Foerster: Jugendlehre (1906), S. 165–175. 24 Gemeint ist William Torrey Harris, zwischen 1889 und 1906 United States Commissioner of Education. Zu einer Begegnung zwischen Ernst Troeltsch und William Torrey Harris war es auf dem Congress of Arts and Science in St. Louis gekommen, auf dem letzterer in seinem Eröffnungsvortrag für die „Division G – Social Culture“ am 20. September 1904 die Problematik der Verknüpfung von Kirche und Religion mit der zeitgenössischen Kultur behandelt hatte. Congress of Arts and Science, Volume 1 (1905), S. 74; vgl. William Torrey Harris: Social Culture in the Form of Education and Religion (1907); Kurt F. Leidecker: Yankee Teacher (1971), S. 516–518; Hans Rollmann: Ernst Troeltsch in Amerika (2001), S. 110.
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lich bestimmten Kultur und des kirchlich geleiteten Bildungswesens gar nicht der katholischen Kirche allein angehört. Es ist auch das Ideal der altprotestantischen, lutherischen oder reformierten, Landeskirchen, und, wo der Altprotestantismus heute noch herrscht, bringt er auch heute noch die gleichen Folgerungen aus sich hervor. Der Protestantismus hat die Hierarchie verworfen und sich damit des Organs zur zwangsweisen Durchführung des Ideals freiwillig beraubt; er hat die Bejahung absoluter Werte und Normen dem einzelnen Individuum in das Gewissen und in die persönliche Ueberzeugung geschoben und damit die Offenbarungsautorität aus einer äusseren zu einer inneren gemacht. Aber gleichwohl war für die Reformatoren diese innere Offenbarung, wie sie ihnen aus der objektiven Grundlage, der Bibel, entstand, eine überall gleiche, da der heilige Geist sie aus der für alle identischen Bibelgrundlage auch nur auf eine für alle identische Weise wirken konnte. War der heilige Geist der Geist der Wahrheit, so musste er bei dem vorausgesetzten Wahrheitsbegriff eine absolute Wahrheit und ein absolutes Gut enthüllen, die dann aber auch wegen ihrer Absolutheit für alle die gleichen sind in Wesen und Form. Gerade dazu bedurfte man ja auch des Wunders der Wiedergeburt und Erleuchtung, da doch schwankende menschliche Meinungen mit natürlichen Kräften mehr als genug zu haben waren. So haben auch die Reformatoren von der Einheitskirche sich nicht etwa freikirchlich getrennt, sondern sind von ihr nur gewaltsam ausgeschieden worden; und, ausgeschieden, haben sie nicht die Bahn einem frei variierenden Gemeindechristentum gebrochen, sondern, soweit es ihnen möglich war, und das heisst, soweit die Hand der von ihnen beratenen Landesgewalt reichte, die Einheitskirche als Landeskirche aufgerichtet, in der die Obrigkeit für die Gleichmässigkeit der christlichen Lehre und für den Einfluss dieser Lehre auf das Gesamtleben zu sorgen hatte. Die gleichartigen, durch die Beziehungen ihrer Landesfürsten zusammengehaltenen Landeskirchen bildeten die wahre Einheitskirche, neben der die anderen Kirchen als Abgefallene und Häretiker zu beurteilen waren; nur sofern die auch in den anderen Kirchen vorhandene Bibel in den fremden Kirchen gleichfalls in einzelnen Seelen verwandte Wirkungen hervorbrachte, erstreckte sich die eigene Einheitskirche unsichtbar auch in die fremden hinein. Da war es denn auch von dieser Voraussetzung der einen, übernatürlichen Wahrheit aus ein schweres Problem, wie Gott einen solchen Abfall von ihr hatte zulassen können; und schon Luther hatte zur Beruhigung dieses schweren Bedenkens die Lehre ausgebildet, dass eben die katholische Papstkirche die in der Bibel geweissagte Kirche des Antichrist sei. Nur unter dieser Bedingung, nur wenn Gott selbst sie vorausgesagt hatte und damit die Verantwortung dafür übernahm, war ein derartiger Bruch in der absoluten göttlichen Wahrheit
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erträglich.7) Selbstverständlich sind dann auch die Folgerungen, die aus diesem Landeskirchentum, dieser neuen Gestalt der Einheitskirche, fliessen: die Folgerung einer durch Vermittelung der Polizei alles beherrschenden christlichen Lebens- und Lehrordnung und die Folgerung eines durchaus kirchlich bestimmten und abzweckenden Schulwesens. Die Schulen des Protestantismus sind Gelehrtenschulen für Theologen und Juristen mit dem Mittelpunkt in der alles beherrschenden theologischen Fakultät, die Bürgerschulen sind meist von zukünftigen Theologen geleitete, stark geistliche Stadtschulen, die Volksschulen sind Kirchen- und Küsterschulen mit dem Schwerpunkt im Katechismus.a Und wie sehr diese Schulen als geistliche Anstalten gelten trotz ihres staatlichen Charakters, zeigt die technischjuristische Lehre, dass die Verwendung des säkularisierten Kirchengutes für
7) Meine Arbeiten „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ in „Kultur der Gegenwart“ herausg. von Hinneberg I 4 und „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ 1906; ausserdem W. Köhler „Reformation und Ketzerprozess“ 1901; Scheel „L.’s Stellung zur heiligen Schrift“ 1902 und vor allem Rieker „Die rechtliche Stellung der ev. Kirche Deutschlands“ 1893, wo die Bedeutung der absolutistischen Erkenntnistheorie richtig erkannt ist, wie übrigens schon bei Mejer.25
a In A und B steht hier das Fußnotenzeichen 6), das im Endnotenapparat fehlt. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 341. In A1 ergänzt Troeltsch am rechten Rand : 6.) Paulsen.26
25 Vgl. Otto Mejer: Lehrbuch des Deutschen Kirchenrechtes (1869); Karl Rieker: Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands (1893), S. 51 f. 26 Seit 1543, so Paulsen, bestehen „auf dem Boden des protestantischen Deutschlands“ zwei Arten von „Gelehrtenschulen“ nebeneinander: „Stadtschulen und Staatsschulen“. Friedrich Paulsen: Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwickelung (1906), S. 40. Während die „Stadtschulen“ die „unmittelbare Fortsetzung der gleichnamigen Anstalten des Mittelalters“ sind, sind die „Staatsschulen, Fürsten- oder Landesschulen, auch Klosterschulen genannt [. . .] eine Neuschöpfung des Reformationszeitalters; vom Landesherrn gegründet, unterstehen sie der landesherrlichen Verwaltung und Aufsicht“ (S. 41). Die „Volksschule ist, wenn nicht eine Schöpfung, so doch eine entferntere Wirkung der Reformation“. Ein „Lese- und Katechismusunterricht, vorbereitend und begleitend den Gebrauch der Schrift“ ist dabei laut Paulsen „die Wurzel, woraus die protestantische Volksschule erwachsen ist“ (S. 46).
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Schulzwecke eine pia causa, eine Erhaltung des Vermögens beim geistlichen Stiftungszwecke bleibt, das Rechtssubjekt der Stiftung nicht berührt.8) An diesem Punkte liegt denn auch der eigentliche Gegensatz des Altprotestantismus gegen das Täufertum. Gewiss handelt es sich hier um noch weitere Gegensätze, um die Verschiedenheit der Lebensstimmung gegenüber der Welt, um den konservativen rein geistlichen Charakter der lutherischen Reform, um den sozial-radikalen Charakter der täuferischen Wiedergeburt der Gesellschaft aus dem Geiste der Bergpredigt. Aber das Täufertum hat diese Neigungen keineswegs überall gehabt und hat sie nach der Münsterischen Katastrophe27 aufgegeben. Gleichwohl blieb der Gegen8) Gierke „Genossenschaftsrecht“ III S. 807.28 27 Seit dem 23. Februar 1534 besetzten täuferische Gruppen unter der Führung von Jan Matthys und später Jan van Leiden die Stadt Münster und errichteten ihre gesellschaftliche Vorstellung eines „Neuen Jerusalem“, des Reiches Gottes auf Erden. Im März 1534 wurde die Gütergemeinschaft, im Juli desselben Jahres wegen des Frauenüberschusses die Polygamie eingeführt. Am 25. Juni 1535 wurde Münster unter der Führung des Bischofs Franz von Waldeck zurückerobert und am 22. Januar die Führer der Täufer hingerichtet. 28 Die betreffenden Ausführungen in Otto Gierkes drittem Band „Die Staats- und Korporationslehre des Alterthums und des Mittelalters“ seines „Deutschen Genossenschaftsrechts“ (1881) in § 14 lauten: „Es stellte sich eine ebenso energische wie allgemeine Rechtsüberzeugung dahin fest, daß alles anerkannte Zweckvermögen seinem Zweck zu erhalten und bei dessen etwaigem Fortfall für möglichst ähnliche Zwecke zu verwenden sei. Diese Rechtsüberzeugung kehrte sich zunächst gegen die staatliche wie kommunale Säkularisation und suchte den Satz zu fixieren, daß eingezogenes Kirchengut nicht ad profanos usus gezogen, sondern für alle Zeiten lediglich für kirchliche Zwecke einschließlich der Zwecke des Unterrichts und der Wohlthätigkeit gebraucht werden dürfe. [. . .] Mit einer derartigen Fixierung des Zwecks war nun freilich an sich noch nicht ein kirchliches Eigenthumssubjekt gewonnen. Die Zweckgebundenheit vertrug sich, wenn rein objektiv gefaßt, mit der Annahme eines Eigenthums der politischen Gemeinde oder des Landesherrn. Nicht selten wurde sogar die Anschauung wirksam, daß, wenn durch Ausscheidung eines Theiles hinreichend für den kirchlichen Zweck gesorgt sei, das überschüssige Kirchengut der Gemeinde oder dem Landesherrn als ein von jeder Zweckbelastung freies öffentliches Vermögen zufalle. Ebenso blieb der Gedanke einer über allen Sonderungen fortbestehenden Einheit des lokalen Kirchenvermögens vielfach lebendig, und äußerte sich namentlich in der Bestimmung, daß die verschiedenen Zweckvermögen einander mit ihren Ueberschüssen aushelfen sollten. Allein zuletzt erfolgte überall die Wiederaufnahme der kanonischen Rechtsanschauung, daß die einzelnen kirchlichen Institute juristische Personen und als solche Eigenthumssubjekte der entsprechenden Zweckvermögen seien.“
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satz und verschärfte sich fortwährend. Er liegt eben im letzten Grunde darin, dass das Täufertum die objektive Alleinwahrheit und die Einheitskirche durchbrochen hat, ain dema es aus der lutherischen Innerlichkeit und Persönlichkeit des Glaubens auch eine mögliche Verschiedenheit des Glaubensausdrucks gefolgert und sich auf die Einheit im Praktischen zurückgezogen hat. Das Täufertum hat den absolutistischen Wahrheitsbegriff durchbrochen und einen relativistischen behauptet, der ihm freilich nur unwesentliche Verschiedenheiten zu bedeuten schien und die praktische Einigung nicht ausschloss. Es ist eine Vielheit religiöser Vereine. Das ist nun aber ein scharfer Gegensatz gegen die reformatorische Lehre, die bei allen Reformatoren den Absolutismus der Erkenntnis und die ihm dienende gottgestiftete Kirchenanstalt zur Voraussetzung hat. Allerdings hat Luther mit grossartigem Idealismus am Anfang für ein freies Gemeinde-Christentum gekämpft, das auf Gewalt verzichten und alles vom Geiste hervorgebracht sehen will. Allein Luthers Glaube setzte dabei als selbstverständlich voraus, dass der Anstalts-Geist hierbei mit geringfügigen, leicht zu duldenden Ausnahmen alle in dieselbe Wahrheit führen werde. Als er in dieser Erwartung sich enttäuscht sah, wandte er sich mit hartem Grimm gegen den erbsündigen Trotz und Irrgeist der Masse dem strengen Landeskirchentum zu und musste in steigendem Masse alle die staatlichen Nachhilfen dulden und anerkennen, welche die Einheit des Glaubens und der Lehre aufrecht zu erhalten allein geeignet waren. Und so haben ohne Luthers anfänglichen idealistischen Glauben Zwingli und Calvin in ihrer Weltverständigkeit von Anfang an gedacht.9) Es liegt daher auch dem protestantischen Kirchentum, soweit es nicht modernen Einflüssen sich geöffnet und Luthers anfängliche Lehre von der Freiheit des Glaubens nicht zugleich als Freiheit mannigfaltiger Lehre umdeuten gelernt hat, bis heute im Blute, sich in dem absolutistischen 9) Zum Täufertum vgl. meine erwähnten Arbeiten,29 sowie Hegler „Seb. Franks lateinische Paraphrase der deutschen Theologie“ 1901 und „Geist und Schrift bei Seb. Frank“ 1892, auch Max Weber „Kirche und Sekten“ Christl. Welt 1906 No. 24 und 25. Luthers anfängliche Gemeindeidee ist allerdings bei Rieker sehr wenig einleuchtend gewürdigt, und seine Meinung durch den Verweis auf die dürftigen Bemerkungen von a–a A: indem 29 Troeltsch bezieht sich auf „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ (1906/1909/1922), in: KGA 7, S. 81–539, und „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ (1906/1911), in: KGA 8, S. 199–316.
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Sinne der Einheitskirche als Gesetzgeberin der gesamten Kultur zu fühlen. So zieht auch der konservative Protestantismus mit Gründen, die von den katholischen sich nicht unterscheiden, und mit Mitteln, die von den katho lischen nur durch die besondere, Beichtstuhl und Hierarchie ablehnende Art des Protestantismus sich unterscheiden, die Konsequenzen der konfessionellen Schule, der kirchlichen Beeinflussung des Bildungswesens Achelis (System der prakt. Theol. I 35 f.) nicht gedeckt.30 Sehr einleuchtend sind mir dagegen die Ausführungen von W. Köhler „Entstehung der reformatio ecclesiorum Hassiae v.a 1526“ (Deutsche Z. f. Kirchenrecht 1906 S. 199–232), wo das Zusammenbestehen von Luthers Staatskirchentum und seiner idealistischen Idee einer engeren Vereinigung der wahrhaft lebendigen Gläubigen zur eigentlichen Kult- und Liebesgemeinschaft sehr gut gezeigt ist. Es wäre ein besonderer Zusammenschluss der Erweckten und Bekehrten innerhalb einer im Ganzen durch die Obrigkeit in christlicher Zucht a A: von 30 Karl Rieker stellt in „Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands“ (1893), zwischen „der Anschauung Luthers in seiner Schrift über deutsche Messe und Ordnung [des] Gottesdiensts und der Reformatio Hassiae einerseits und den sonstigen Anschauungen des Reformators andererseits“ (S. 78) widersprüchliche Auffassungen im Kirchenbegriff fest. Während erstere die Meinung vertrete, es herrsche eine „strenge Unterscheidung zwischen solchen, die wahrhaft Gläubige und Christen sind, und solchen, die es nur zu sein scheinen, die nur äußerlich Christen sind“, und damit in der Konsequenz zu einer „Scheidung von Kirche und Staat führt“ (S. 76), sei „die eigentlich reformatorische Ansicht“, die Auffassung einer „Gesamtheit aller Getauften als Christenheit“, so daß es einen „Unterschied nur des Amtes, nicht des Standes halber“ geben könne (S. 77). Den so festgestellten „Widerspruch“ löst Rieker dadurch, „daß wir die in jener Schrift Luthers und in jener Kirchenordnung zu Tage tretende Auffassung als unter der Linie der reformatorischen Gedanken liegend erklären und in ihr demgemäß kein Prinzip echt evangelischer Kirchenverfassung erblicken“ (S. 78). In der dazugehörigen Anmerkung führt Rieker aus: „Die hier vorgetragene Auffassung [. . .] ist durch Ritschls Ausführungen in den Prolegomena zu seiner ‚Geschichte des Pietismus‘ (Bd. I S. 73 f.) vorbereitet und von Achelis in seinem System der praktischen Theologie (Bd. I S. 35 f.) klar und überzeugend vertreten worden. Richtig bemerkt Achelis: ‚Jene seperatistische Meinung Luthers ist der Zoll, den der große Reformator den freikirchlichen Bewegungen seiner Zeit, den wiedertäuferischen Sekten und der Erfahrung ihrer religiösen Kraft zu zahlen hatte.‘“ (S. 78, Anm. 2.) Das Zitat findet sich bei Ernst Christian Achelis: Praktische Theologie, Erster Band (1890), S. 36, woraufhin er zusammenfaßt: „Der Zoll Luthers an die freikirchlichen Bewegungen ist zugleich römische Reminiszenz, die störend in seinen evangelischen Kirchenbegriff sich einmischte“ (S. 36).
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überhaupt, der Forderung gläubiger Universitäten und theologischer Fakulund christlicher Lehreinheit gehaltenen „äusseren Christenheit“31. Dabei wäre der starke überweltliche Spiritualismus von Luthers erster Zeit mit in Anschlag zu bringen, der später nicht bloss Not-Kompromissen, sondern einer stärkeren Innerweltlichkeit weicht, worüber ebenfalls Köhler richtig urteilt in den letzten Jahrgängen des „Theologischen Jahresberichtes“ und in „Entstehung des Problems Staat und Kirche“ 1903 S. 34.32 a Das Wichtigste ist, dass in allen Fällen die grundlegende Wahrheitsidee dieselbe ist. Andererseits ist auch bei den Täufern der Relativismus und die Vereinskirchlichkeit aus stark supranaturalen Ideen erst hervorgegangen, aus der pessimistischen Abschliessung von der Welt, aus der schwärmerischen Erleuchtung und aus der Vielheit ihrer weltscheuen Konventikel. a In A1 folgt mit Einfügungszeichen: vgl. bes. Köhler, zu Luthers Kirchenbegriff Ch W 1907 nr 16 31 Die Formulierung wird von Walther Köhler bei der Darlegung des protestantischen Kirchenbegriffs häufiger verwendet. Walther Köhler: Die Entstehung der reformatio ecclesiarum Hassiae von 1526 (1906), S. 214 und öfter. Er nimmt damit eine von Luther oft gebrauchte Wendung auf. Luther unterscheidet etwa in „Von dem Bapstum zu Rome widder den hochberumpten Romanisten zu Leiptzck“ (1520), S. 296 f., im Gegensatz zur römisch-katholischen Auffassung der Kirche, „zwo kirchen [. . .] mit unterscheydlischen namen. Die erste, die naturlich, grundtlich, wesentlich und warhafftig ist, wollen wir heyssen ein geystliche, ynnerliche Christenheit, die andere, die gemacht und eusserlich ist, wollen wir heyssen ein leypliche, euszerlich Christenheit“. 32 Gemeint sind zum einen Walther Köhlers jährlich erscheinenden Literaturberichte zur „Kirchengeschichte vom Beginn der Reformation bis 1648“, die erstmals für das Jahr 1901 erschienen sind, zum anderen dessen Sammelband mit dem von Troeltsch hier genannten Titel. Luther habe, so Walther Köhler in letztgenannter Schrift, „die Reibung von Ideal und Wirklichkeit zu schaffen“ gemacht, als er seine „Kirche“ praktisch machen mußte. Zunächst habe er sie „organisieren wollen als Gemeinde der Gläubigen, die aus der Masse sich herausheben, und alles zu ihrer Existenz Notwendige in sich selber tragen sollte“. Erst als auch hier wieder eine Reibung von Ideal und Wirklichkeit eingetreten sei und „eine Gemeinde von Gläubigen nicht zu beschaffen war,“ habe Luther auf den Staat zurückgegriffen und diesem ein „Schutz- und Schirmrecht für die Kirche“ gegeben. „Und – das ist sehr charakteristisch – legitimiert wird diese Funktion des Staates einmal durch Röm. 13 – die Obrigkeit ist Gottes Ordnung – bez. durch ähnliche Bibelworte, sodann aber durch das Naturrecht als zugleich göttlichem Rechte. Es sind die alten Seile,“ resümiert Köhler, „die auch bei Luther wieder den Ballon mit der Erde verknüpfen“. Walther Köhler: Die Entstehung des Problemes Staat und Kirche (1903), S. 34.
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täten insbesondere. Auch er setzt den politischen Apparat höfischer Einflüsse und parlamentarischer Majoritäten hierfür in Bewegung. Dabei sind seine Darlegungen über die Notwendigkeit einer solchen Weltanschauung insbesondere bei der Erziehung und Charakterbildung durch die Schule eindrucksvoll genug, um auch viele freigesinnte Protestanten für die konfessionelle Volksschule zu erwärmen, während sie freilich gegen die Besetzung der theologischen Fakultäten durch parlamentarische, höfische, kirchenbehördliche und synodale Einflüsse sich leidenschaftlich wehren. Wir alle kennen die bitteren und verworrenen Kämpfe, die um diese Dinge unter uns ausgefochten werden, und wir Theologen insbesondere kennen zur Genüge das dadurch so schmerzenreich gewordene Schicksal der theologischen Fakultäten.10) 10) Tews „Schulkämpfe“; Theod. Kaftan „Die Schule im Dienst der Familie, des Staates und der Kirche“ 1906. Die hier und sonst bei der Verteidigung der protestantischen Konfessionsschule gehörte Einschränkung, dass das eine Beherrschung der Schule nicht durch die Kirche, sondern durch den protestantischen Staat und daher vom lutherischen Staatsbegriff aus zu verstehen sei,33 könnte an sich wohl eine Milderung des Klerikalismus bedeuten, ist aber heute im paritätischen Staate ganz unmöglich, der sich mit dem Zweck einer Konfessionskirche nicht mehr identifizieren kann. In Wahrheit müssen hier doch dann als Träger der Konfessionalität der Schule die kirchlichen und synodalen Instanzen und die protestantisch-konservativ-konfessionellen Parlamentsparteien eingreifen. Alles Argumentieren aus dem lutherischen Staatsbegriff ist für die Gegenwart völlig unpraktisch, weil es einen diesem Begriff entsprechenden Staat nicht mehr gibt. Auch wo er wie bei Stein und Hegel Ethos und Religion in sich aufnimmt, tut er das als ein völlig modernes Kulturgebilde, das nicht supranaturalen Autoritäten dient, sondern die human-religiöse Lebenssubstanz einer freien und weltlichen Gesamtkultur entwickelt, wobei er sich der Kirchen etwa bedient, aber nicht selbst den Kirchen dient. Dadurch ist Hegels Staatsbegriff, den Rieker viel zu nah an den Luthers heranrückt, prinzipiell von ihm geschieden,34 und darum sind auch die zahlreichen, an sich 33 Vgl. Theodor Kaftan: Die Schule im Dienste der Familie, des Staates und der Kirche (1906), S. 11–15; Johannes Tews: Schulkämpfe der Gegenwart (1906), S. 64–70. 34 Im „Ergebnisse und Folgerungen“ betitelten Schlußkapitel von „Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands“ (1893) stellt Karl Rieker fest, der Protestantismus habe „die kirchliche Form des Christentums zerstört und dafür eine weltliche geschaffen, die des christlichen Staates“ (S. 480). Die Reformation habe den „Gegensatz“ zwischen Staat und Kirche „überwunden“, so daß nur noch ein „Unterschied des Amtes und des Standes halber“ innerhalb der Christenheit gelte. Damit habe „die Kirche den Boden ihrer Existenz unter den Füßen verloren. Die Theorie Hegels und Rothes, wonach der Staat in seiner vollendeten Gestalt der einzige Gesamtorganismus der (christlichen) Gesellschaft ist, hat also ihre Wurzel
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Was aber auch immer das Wahrheitsmoment der hiermit beschriebenen Einheitskirche und der von ihr bestimmten Einheitskultur sein mag, das System besteht unter uns nur mehr in Resten, freilich in überaus starken Resten, die aus der mittelalterlichen Kultur in die unsere hereinragen. Die Gründe dieser Veränderung darstellen, hiesse die Geschichte der Entstehung der modernen Kultur darstellen. Hier mögen nur wenige Andeutungen genügen. Erstlich ist das Ergebnis der grossen Kämpfe von Staat und Kirche, zu denen das mittelalterliche System auch die christlichst gesinnten Regierungen führen musste, die Verselbständigung des Staates, die Gewinnung der modernen Kernlehre von der Souveränetät des Staates. Ist aber einmal erst der Staat derart die höchste irdische Gewalt, so zieht er in steigendem Masse alle weltlichen Interessen der Gesellschaft in seinen Machtbereich. Er verstärkt die Selbständigkeit der irdischen Interessen, und, indem aus der inneren Geschichte des Mittelalters sich überhaupt eine starke Verdiesseitigung aller Lebensinteressen sich ergibt, entsteht aus der Vereinigung von alledem eine starke Diesseitigkeit der Gesinnung. Der zunächst absolutistisch sich gestaltende Staat fährt zwar fort, die Kirchen aufs höchste zu schätzen, aber er benützt sie zu wesentlich irdischen, politischen und sozialen Zwecken, das jus in sacra als ihn nicht berührend den Kirchen selbst höchst lehrreichen und grossgesinnten Artikel der Christlichena Welt zu unserer Frage in diesem Punkt m. E. unzutreffend. Förster schreibt (1808 Christl. Welt 1904 No. 46) von Stein’s protestantischer Staatsidee und nennt sie „die durch idealistische Philosophie und Dichtung humanisierte protestantische Staatsidee“35. In dieser Humanisierung steckt der Unterschied, wozu die Souveränetät als eine gleichfalls nicht wesentlich protestantische Idee hinzukommt. a A: Christl. im Prinzip des Protestantismus, ist die Konsequenz seiner Grundbegriffe vom christlichen Staate und von der unsichtbaren Kirche.“ (S. 480). 35 Das Zitat aus Foersters „1808“ betitelte Besprechung von Max Lehmanns Biographie des Freiherrn vom Stein lautet im Zusammenhang: „Auch die Staatskirche, oder, wenn man das Wort vermeiden will: die Landeskirche, wie sie Stein hingestellt hat, ist nur da lebensfähig, wo von einem Volke die Staatsidee anerkannt wird, die die Seele seiner Schöpfung war. Das aber ist – darüber kann kein Zweifel sein – die durch die idealistische Philosophie und Dichtung humanisierte protestantische Staatsidee.“ Erich Foerster: 1808 (1904), Sp. 1090.
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überlassend. Damit aber lösen sich auch die religiösen Interessen selbst innerlich vom Staat, müssen auf eigene Pflege und Organisation bedacht sein und treten neben der machtvollen Kulturorganisation des Staates als das Jenseits betreffend und als von subjektivera Ueberzeugung abhängig mehr und mehr zur Seite. Je mehr dann aber aus der Nivellierung durch den Absolutismus sich der moderne demokratische oder demokratisierte Staat ergab, um so schwieriger wurde die Verbindung des Staates mit der Einheitskirche. Die Demokratie mit ihrer Entfesselung des Individualismus und ihrem Bedürfnis nach freien Gruppierungen verträgt den religiösen Absolutismus nicht.11) Zweitens bedeutet die moderne Welt eine gründliche Wandlung aller Gemeinschafts- und Korporationsideen. Hatte das Mittelalter trotz aller aristotelischen oder sonstigen Anleihen bei der antiken Staatslehre doch den Staat als eine Anstalt und Stiftung Gottes angesehen und in noch viel höherem Grade die Kirche als eine im Klerus organisierte anstaltliche Stiftung betrachtet, so hat die moderne Welt alle Gemeinschaften vom Staat bis zum Verein herab als eine aus menschlicher Tat und Schöpfung hervorgehende Willensorganisation betrachten gelehrt. Und wo sie nicht als solche entstanden sind, da werden sie doch als solche behandelt. So fiel die Idee der das Individuum einfach aus ihrem Schoss hervorbringenden und in ihn aufnehmenden Anstalt für den Staat, sie fiel seit der Freigebung der Assoziation für die innerhalb des Staates befindlichen einzelnen Korporationen, sie fiel auch für die Kirchen. Sie fiel grossenteils für das eigene Selbstbewusstsein der Kirchen, die ihre Innerlichkeit und Selbständigkeit gegenüber einem verweltlichten Staate nur durch die Betonung der Freiwilligkeit ihrer Organisation behaupten konnten, und sie fiel jedenfalls für alle nicht die kirchlichen Voraussetzungen teilenden Betrachter.12) Das Dritte ist die Erschütterung der ideellen Voraussetzungen und Inhalte der kirchlichen Weltanschauung. Eine neue Kosmologie und Anthropologie, eine kritische Geschichtswissenschaft, eine humanitäre Ethik erschütterten ihren ganzen Bestand, ihre formelle Offenbarungsautorität und ihre 11) Ueber die Bedeutung der Demokratie für unsere Frage s. P. Sabatier, A propos de la séparation2 190036 und das hochinteressante Buch von Houtin „L’américanisme“ 1904. 12) Gierke „Genossenschaftsrecht“ I. a A: subjektiverer 36 Die korrekte Jahreszahl lautet wie oben in Anm. 2), S. 354, richtig angegeben: 1906.
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sachlichen Ueberzeugungen. Unter diesen Umständen verschwindet die allgemeine Selbstverständlichkeit der Kulturvoraussetzungen der Kirche, und ein grosser Teil der lebendigsten geistigen Kultur ist geradezu entkirchlicht. Weder die kirchliche Jenseitigkeit des Lebenszweckes, noch die absolute, um die Offenbarung gesammelte Autorität hält die Geister mehr in allgemeinem und unfraglichem Banne. Dann aber ist es für die im Staate organisierte Gesellschaft auch nicht mehr möglich, die Kirchen zum Mittelpunkt ihrer Kulturorganisation zu machen. Sie rücken in ihren verschiedenen Formen in den Bereich persönlicher Ueberzeugungen, die nicht zu einer Pflicht des Ganzen gemacht werden können, sondern ihren Anhängern überlassen bleiben müssen. Wo sie aber dennoch etwa von den Machthabern dem Ganzen aufgezwungen werden sollen, da erhebt sich eine leidenschaftliche, nicht zu stillende Gegnerschaft, die solche Religion für Privatsache erklärt.13) Stärker noch als alle diese Stösse wirkte viertens das Nebeneinander verschiedener Konfessionen in demselben Staate, das seit dem westfälischen Frieden nach und nach in fast allen Staaten Platz gegriffen hat. Ein solches Nebeneinander relativiert mehr als irgend etwas anderes die Wahrheitsidee. Was bei der Einheitskirche möglich und logisch gefordert ist, die Herrschaft ihrer Kulturidee über das Ganze, das ist bei der Vielheit konfessioneller Kirchen ganz unmöglich. Das Ganze der Gesellschaft muss sich auf den Standpunkt eines nur relativen Wertes dieser Kirchen stellen. Die religiös-ethische Wahrheit, wenn es sie gibt, muss über den Kirchen schweben, ist sozusagen eine ausser und über den Kirchen liegende Toleranzreligion, die das Gemeinsame ihrer aller darstellt und jedenfalls mit keiner von ihnen zusammenfällt. Damit aber kommt von selbst entweder der Kampf des kirchlichen Absolutheitsgeistes gegen diese Lage und mit diesem Kampf eine verstärkte skeptische, die Kirchen auf reine Privatexistenz zurückweisende Reaktion, oder es ergibt sich in den Kirchen selbst ein Gefühl ihrer Relativität, das ihren Absolutheitsgeist bricht und es ihnen selbst von sich aus 13) Troeltsch „Wissenschaftliche Lage und ihre Anforderungen an die Theologie“ 1900, Typische Aeusserungen dieser Art in der Dokumentensammlung der Cahiers de la Quinzaine VI 14, Raoul Allier „La séparation“.37 37 Nicht in Band VI, 14, sondern im „quatrième cahier de la septième série“ (VII, 4) der „Cahiers de la Quinzaine“ dokumentiert Raoul Allier 1905 unter dem Titel „la Séperation au Sénat“ die im französischen Senat geführten Debatten und Auseinandersetzungen um das „Loi concernant la séparation des Églises et de l’État“. Der Gesetzestext leitet, S. 187–204, die dem Text von Allier beigegebenen „Annexes“ ein. Ihm folgen zahlreiche Äußerungen in Briefen, Verlautbarungen und Reden um das „Projet de loi“ und der im „Article premier“ versicherten „liberté de concience“ und „libre exercice des cultes“ (S. 187).
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unmöglich macht, als öffentliche Macht das Gesamtleben beherrschen zu wollen. Sie ziehen sich auf sich selbst zurück und suchen ihre Stärke in der freiwilligen und persönlichen Zugehörigkeit ihrer Mitglieder.14) Das Wichtigste aber ist, dass im eigentlichen Kern des religiösen Gedankens selbst jene Wendung von der objektiven äusseren zur subjektiven inneren Offenbarung, von dem für alle identischen Absolutismus zu dem jeden am Mass seiner Gewissensüberzeugung messenden Relativismus eintrat. Es ist das die Folge des protestantischen Glaubensbegriffes, sobald die wissenschaftliche und sonstige Kritik jenen Gedanken einer schlechthin objektiven Bibeloffenbarung und einheitlichen Kirchenlehre zertrümmert hatten, der bei Luther und den anderen Reformatoren die subjektivistischen Konsequenzen zu verhindern ausdrücklich bestimmt war. Aber auch schon vorher waren diese Konsequenzen von kleineren Gruppen gezogen worden, von den Täufern, Mystikern und Spiritualisten, die neben anderen eigentümlichen Lehren doch vor allem die vom Geiste als dem Träger subjektiver Offenbarungsgewissheit und dem Bewirker subjektiv verschiedener religiöser Vorstellungswelten ausgebildet hatten. Der Geist wirkt durch Vermittelung der Bibel und der Ueberlieferung, aber gestaltet daraus frei jedesmal verschiedene subjektive Wahrheitserkenntnis. Im niederländisch-englischen und vor allem dann im englischen Independentismus kam diese Richtung zur Verschmelzung mit dem radikalen Calvinismus, der von seiner Prädestinationslehre her ihr innerlich wahlverwandt war und nur der Abwerfung der Lehre von der Vermittelung der Prädestinationa lediglich durch reine Kirchendoktrin bedurfte; und damit verbanden sich wohl auch die alten 14) Hauptgesichtspunkt bei Hinschius S. 210 ff. und O. Mejer, Vorrede.38 b a A, B: Prädestion b A1 rechter Rand: Auch J. Burckhardt „Weltgesch. Betrachtungen“ S 118 ff.39 38 Gemeint ist: Paul Hinschius: Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche (1883), S. 210–213, sowie Otto Mejer: Lehrbuch des Deutschen Kirchenrechtes (1869), S. V–XXI. 39 Jakob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen (1905), S. 118 f.: „Nach so engem Zusammenhang und so vielfachen Wechselbeziehungen zwischen Staat und Religion ist das Problem unserer Zeit die Trennung von Staat und Kirche. Sie ist die logische Folge der Toleranz, d. h. der tatsächlichen unvermeidlichen Indifferenz des Staates, verbunden mit der wachsenden Lehre der Gleichberechtigung aller, und sobald es einen Staat gibt, der die Leute zu Worte kommen läßt, ergibt sich die Sache von selbst; denn es ist eine der stärksten Ueberzeugungen unserer Zeit, daß Religionsunterschied keinen Unterschied der bürgerlichen Rechte mehr begründen dürfe“.
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germanisch-rechtlichen Korporationsgedanken, die in der englischen Revolution sich gegen den fürstlichen Abso lutismus erhoben. Von hier aus erwuchs dann die grosse freikirchlich-independentistische Bewegung, die seit der Toleranzakte40 und der Konstituierung des parlamentarischen Regiments zwei Drittel von England und Schottland und seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die amerikanischen Kolonialstaaten erfüllt. Der wesentlich von hier aus angeregte Pietismus trug in verkleinertem und ins Private gezogenem Masse diesen Gedanken auch auf den Kontinent; die grossen, den Siegeszug des Methodismus begleitenden Vereinsbildungen und Sekten, schliesslich auch die „Innere Mission“ breiteten ihn aus; und gleichzeitig kam auch eine auf die Freiheit und Beweglichkeit der Wissenschaft sich einrichtende Frömmigkeit zu dem gleichen Ergebnis, religiöse Vereinigungen nur auf freiwillige Ueberzeugung zu begründen und religiösen Ueberzeugungen den Ausdruck ihres Gedankens frei zu geben. Das alles aber bedeutet eine freie Beweglichkeit des religiösen Gedankens, und eine auch bei weitgehender Würdigung der Ueberlieferung doch völlig subjektivierte Ueberzeugung, womit der Gedanke einer Einheitskirche und einer rein objektiv gestifteten Anstalt unverträglich wurde.15) 15) Alexandre Vinet „Mémoire en faveur de la liberté des cultes“ 1826, Kuyper „Reformation wider Revolution“ 1904; Rieker „Grundsätze reformierter Kirchenverfassung“ 1899, v. Schulze-Gävernitz „Britischer Imperialismus und englischer Freihandel“ 1906, Meine bereits erwähnten Arbeiten. Wenn die letzteren so verstanden worden sind, als wollten sie Luther zu Gunsten der Täufer herabdrücken, so war dieser Eindruck jedenfalls nicht beabsichtigt.41 Der von den Täufern ausgehende Subjektivismus und Relativismus in religiösen Dingen entspricht jedenfalls den modernen Verhältnissen, während der dem Katholizismus und Altprotestantismus gemeinsame supranaturale Absolutismus ihnen zweifellos nicht mehr entspricht. In den hier interessierenden Fragen zeigt dies besonders charakteristisch der extreme Subjektivismus von Bonus „Der Kulturwert der deutschen Schule“ 1904 oder „Staat und Kulturstaat“ Christl. Welt 1904. Aber ob er auch sachlich ein reiner Fortschritt ist, das ist eine andere Frage. In der Weise der Reformatoren ist das Allgemeingültige nicht wieder herzustellen, aber an und für 40 Die englische Toleranzakte „Bill of Rights“ vom 24. Mai 1689 gewährte Presbyterianern, Independenten und Puritanern, den sogenannten Dissenters, die Religionsfreiheit neben der anglikanischen Staatskirche. Die Akte galt nicht für römisch-katholische, jüdische und antitrinitarische Religionsanhänger. 41 Troeltsch bezieht sich auf „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ (1906/1909/1922), in: KGA 7, S. 81–539, und „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ (1906/1911), in: KGA 8, S. 183–316. Zur Kritik an seiner Darstellung der Täufer vgl. Theodor Brieger: Randbemerkungen zu Troeltsch’ Vortrag über „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ (1906), S. 351: „Je mehr von
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Von allen diesen Seiten her ist die Konsequenz die Entstaatlichung der Kirche und die Freigebung der Gemeindebildung. Sie ist bereits vollzogen in den Demokratien von Brasilien, Mexiko und Kuba,42 wo dadurch freilich an der Herrschaft des Katholizismus wenig geändert ist; sie hat ihr vielbewundertes und vielgescholtenes Musterbild in den Vereinigten Staaten und sich ist der Gedanke endlos verschiedener Wahrheiten unmöglich und eine Zersetzung der Kultur, die bei den mehr praktisch gerichteten und sich praktisch einigenden Angelsachsen leichter ertragen wird als bei uns theoretisierenden Deutschen. Sehr hübsch zeigt das eine an Goethes pädagogische Provinz anknüpfende Erwiderung Schieles an Bonus, Christl. Welt 1905 No. 13.43 Ich meinerseits halte es durchaus mit der pädagogischen Provinz. Troeltsch die Reformation herabgedrückt, ja geradezu ignoriert wird, desto stärker werden die ‚neben ihr hergehenden‘, von ihr ‚mit blutiger Gewalttätigkeit‘ bekämpften ‚historischen Gebilde‘: die ‚humanistische (historisch-philologisch-philosophische) Theologie‘ und das Täufertum (mit Einschluß des mystischen Spiritualismus) in ihrer Bedeutung für die Entstehung der modernen Welt in ungeschichtlicher Weise gehoben“. Brieger schließt seine „Randbemerkungen“ mit der Frage, wie Troeltsch „ein so schiefes Bild“ habe zeichnen können? (S. 354) Der Grund, so Brieger, liege im „Mangel an ausreichender Kenntnis des Mittelalters, das in seiner ungeheuren Kraft verkannt wird. [. . .] Wer aber das Mittelalter unterschätzt, kann auch der bahnbrechenden Tat Luthers nicht gerecht werden.“ (S. 354). 42 Nach der Entmachtung Kaisers Pedro II. durch einen Militärputsch 1889 wurde Brasilien 1891 nach dem Vorbild der USA eine aus 21 Bundesstaaten zusammengesetzte Bundesrepublik mit einer in der Verfassung verankerten Trennung von Staat und Kirche. Mexiko war seit 1822 eine äußerst instabile Republik. Erst nach dem Krieg mit den USA erreichte Mexiko 1861 unter Präsident Benito Pablo Juárez García weitgehende Stabilität. Mit der Einführung der Verfassung 1857 wurde auch die Trennung von Staat und Kirche vollzogen. Kuba war nach jahrelangen Unabhängigkeitskämpfen mit Unterstützung der USA 1902 Republik geworden. Jedoch behielten die USA ein in der Verfassung verankertes Interventionsrecht auf der Insel. Mit der Unabhängigkeit wurde auch die Trennung von Staat und Kirche vollzogen. 43 Vgl. Friedrich Michael Schiele: Ueber Bonus’ Buch vom Kulturwert der deutschen Schule (1905), Sp. 296–300. Der Beitrag trägt den Untertitel „Lose Blätter zu Wilhelm Meisters Wanderjahren“, der ironisierend Wilhelm Meisters Gedanken und Briefwechsel nach der Lektüre des Buches „Vom Kulturwert der deutschen Schule“ (1904) von Arthur Bonus schildert, womit Schiele auf Goethes Schilderung und Personenensemble der „pädagogischen Provinz“ aus „Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Die Entsagenden“, insbesondere Buch 2 der zweiten Fassung von 1829 anspielt. Die „Pädagogische Provinz“ als Zentrum des Romans beinhaltet Goethes Erziehungsideale und Schulideen.
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ist nun auch in Europa als Folge der Kämpfe der Demokratie gegen die römische Kirche in Frankreich durchgesetzt. In anderen Ländern, wie in der französischen Schweiz, in Holland und Norwegen, kämpfen starke politische Parteien dafür; in Italien hatte schon Cavour die berühmte Parole von der „freien Kirche im freien Staat“ als einzige Ueberwindung des italienischen Kirchenelends verkündigt44 und auch bei uns regt sich allenthalben dieser Grundsatz. Doch bleiben freilich in all diesen Fällen die Kirchen infolge ihrer besonderen sozialen Bedeutung und Macht immer noch Gegenstand einer besonderen Gesetzgebung, die teils ihnen besondere Rechte, z. B. Schutz vor Störungen, gibt, teils vor ihnen, z. B. vor dem Wachstum der toten Hand45, den Staat schützt; einfach auf die Stufe des Tanzklubs oder Turnvereins, wie die Gegner die Sache meist bezeichnen, ist die Kirche hierbei nirgends herabgedrückt, nicht einmal im französischen Gesetz. Aber allerdings ist bei gleichem Namen Sinn und Art des freikirchlichen Systems in den einzelnen Ländern grundverschieden, je nachdem das eine oder das andere der geschilderten Motive vorwiegt. Insbesondere besteht ein sehr grosser Unterschied zwischen dem amerikanischen Zustand und dem französischen Gesetz. Die amerikanischen Verhältnisse beruhen unter dem Einfluss täuferischer und puritanischer Gedanken, einer von Anfang an bestehenden bunten Vielheit der Kirchen, einer nicht bloss nivellierenden, sondern zugleich stark individualisierenden Demokratie und schliesslich auch 44 Die häufig zitierte Formel „libera Chiesa in libero Stato“ des Ministerpräsidenten von Sardinien, Camillo Benso di Cavour, findet sich erstmals in dem von Cavour gebilligten und 1860 vorgelegten Gesetzesentwurf von Diomede Pantaleoni und Carlo Passaflia „Condizioni da offrire come base di accomodamento fra il Pontefice ed il Regno d’Italia nel regolamento delle faccende ecclesiastiche“, dessen erster Artikel lautet: „Si proclamerà il principio libera Chiesa in libero Stato“. Vgl. Zaccaria Giacometti: Die Genesis von Cavours Formel libera Chiesa in libero Stato (1919), S. 68–71. Schon zuvor hatte Cavour in einem Brief vom 3. November 1852 an Joseph Jacquier-Chatrier die Trennung von Staat und Kirche gefordert: „Je crois fermement que nous marchons à la séparation absolue de l’Église et de l’État. C’est la seule solution libérale du grand problème religieux, qui agite l’Éurope depuis trois siècles. Certes nous n’y arriverons pas d’un bond. Nos sociétés ne sont pas encore préparées à cela. Mais il faut les diriger vers ce but.“ Camillo Cavour: Epistolario (1984), S. 308. Vgl. auch unten, S. 383, Anm. 69. 45 Der im Feudalrecht entwickelte und bereits im 12. Jahrhundert auftauchende, später in das gemeine Recht und in das Kirchenrecht übernommene Begriff der „Toten Hand“ (manus mortua) bezeichnet alle Vermögenswerte im Besitz der Kirche, die durch einmalige rechtliche Verfügung des Staates dauerhaft dem Wirtschaftskreislauf, dem Wechsel von Hand zu Hand, entzogen und damit amortisiert wurden.
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der aufklärerisch-relativistischen Ideen auf einer wirklichen Hochachtung vor den Kirchen, in deren Gewissen der Staat nicht eingreifen will und als ein rein weltliches Institut einzugreifen auch nicht befähigt ist, und die ihrerseits mit ihren politisch indifferenten geistlichen Ueberzeugungen in keine politische Frage eingreifen und vor allem keinerlei Bedingungen für Amtsfähigkeit herbeiführen dürfen. Darüber wacht die Demokratie der Union und der Einzelstaaten mit Eifersucht. Im übrigen aber gilt die Gesellschaft und die Kultur ausdrücklich als eine christliche, ist die Vereinsgesetzgebung vielfach den besonderen kirchlichen Gesetzgebungen sehr schmiegsam angepasst, wahren die in allen Konfliktsfällen angerufenen Zivilgerichte das religiös-ethische Interesse aufs Lebhafteste, wird der kirchlichen Ordnung weitgehender Schutz zu teil und sind auch die einschränkenden Gesetze gegen die tote Hand sehr billig, vermutlich in der Praxis noch billiger als im Gesetz. Das System ist eben hier nur der Ausdruck einer als christlich sich empfindenden Gesellschaft und zugleich einer radikalen Achtung vor der gerade die verschiedenen positiv-religiösen Systeme hochschätzenden Gewissensfreiheit.16) Demgegenüber ist das französische Gesetz wesentlich 16) Rüttimann „Kirche und Staat in Nordamerika“ 1871, Thompson „Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten“ 1873, G. v. Polenz „Das Land der Zukunft“, Lohans „Streiflichter auf amerikanisches Kirchenwesen“ Christl. Welt 1902 No. 14–1646. Dazu kommen allerhand persönliche Reiseeindrücke.47 a a A1 rechter Rand: Memoiren des Botschafters White ungekürzte englische Ausgabe.48 46 Der New Yorker Pastor Henry Lohans veröffentlichte 1902 nur in Nr. 14 und Nr. 16 der „Christlichen Welt“ seinen zweiteiligen, „Streiflichter auf das amerikanische Kirchenleben“ betitelten Beitrag. 47 Troeltsch war im Herbst 1904 gemeinsam mit Max und Marianne Weber in die USA gereist, um beim „International Congress of Arts and Sciences“ in St. Louis im Rahmen der Weltausstellung teilzunehmen, wo Troeltsch am 21. September den Vortrag „Main Problems of the Philosophy of Religion: Psychology and Theory of Knowledge in the Science of Religion“ hielt. Zur Amerikareise siehe den Editorischen Bericht zu „Main Problems of the Philosophy of Religion“, oben, S. 297–300. 48 Gemeint ist die zweibändige Autobiographie des amerikanischen Diplomaten Andrew Dickson White (1832–1918), der 1897–1903 als Botschafter in Deutschland war. Eine Darstellung der religiösen Verhältnisse in Nordamerika in den Jahren 1832–1905 bietet Teil VIII des zweiten Bandes unter der Überschrift „Religious Development“. Vgl. Andrew Dickson White: Autobiography, Vol. II (1905), S. 513–573.
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ein Kampfgesetz49, das von einer gegen das Christentum skeptischen oder feindlichen Gesellschaft getragen ist und nicht der Anerkennung der religiösen Gewissensmächte, sondern der Repression des der Demokratie gefährlich gewordenen Katholizismus dient, in alle dem das Endergebnis des heissen Kampfes von Einheitsstaat und Einheitskirche. Es war das unverhüllt in seinem ersten Entwurf; aber auch in seiner sehr gemilderten endgiltigen Gestalt, zu der weiter gemilderte Ausführungsbestimmungen kamen, ist es noch drakonisch genug. Es stellt die Kirchen unter das Gesetz der Privatvereine und gesteht ihnen nicht einmal die Vorrechte der Associations d’utilité publique, wie z. B. den Wohltätigkeitsvereinen u. s. w., zu. Es nimmt ihnen das Recht, Vermächtnisse und Stiftungen anzunehmen, Schulen und Krankenhäuser und ähnliches zu unterhalten, beschränkt ihnen die Ansammlung von Reservefonds und Zinskapital auf lächerlich geringe Summen, unterwirft sie einer äusserst eingehenden Polizeikontrolle in der Vermögensverwaltung und in der Ueberwachung der Predigt, beschränkt ihnen jedes Auftreten nach aussen ausserhalb des Kultgebäudes, konfisziert das in der grossen Revolution schon einmal konfiszierte Kircheneigentum noch einmal als Staatseigentum und erschwert recht im Unterschied von den amerikanischen Gesetzen gerade der katholischen Kirche durch die Forderung einer rein laienhaften Organisation der Kultvereine die Behauptung ihres kanonischen Rechtes. Die einzige Rücksicht auf die soziale Bedeutung der Kirche ist die Ueberlassung der Kirchengebäude, wobei aber die Pfarrhäuser u. ä. nicht inbegriffen sind, der Schutz gegen Gottesdienststörungen und die Erlaubnis zur Verbindung der Vereine zu Nationalvereinen. Dieses Gesetz wird Frankreich sicherlich nicht den religiösen Frieden geben. Jedenfalls aber beleuchtet es aufs deutlichste, welch verschiedenen Sinn die Trennung von Staat und Kirche haben kann.17) So sind denn auch die uns hier in erster Linie interessierenden Wirkungen des Systems auf das Verhalten des Staats zum religiösen Unterricht in beiden Fällen gründlich verschieden. Für Amerika versteht es sich von selbst, dass das staatliche und städtische Schulwesen und auch die nichtdenominationellen Schulunternehmungen gymnasialer Art keinerlei Religi17) Raoul Allier „Une révolution“ 1906, P. Sabatier „A propos de la séparation“, Cahiers de Quinzaine VI 14.50 In der ersten Schrift auch der Text des Gesetzes, derselbe 49 Mit „Kampfgesetz“ bezeichnet Troeltsch hier das französische „Loi concernant la séparation des Églises et de l’État“ zur Trennung von Staat und Kirche vom 11. Dezember 1905. Siehe die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 326. 50 Siehe oben, S. 368, Anm. 37.
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onsunterricht kennen. Dieser bleibt den Kirchen überwiesen und ist von ihnen sehr stark entwickelt, bildet auch einen Hauptpfeiler ihres sozialen Einflusses. Aber die Religionslosigkeit der Schule schliesst doch eine selbstverständliche Schätzung des religiösen Erziehungselementes nicht aus. In vielen Staaten wird Bibellektüre und Schulgebet als interdenominationell gepflegt. Hier sind es eigentlich nur die Katholiken, die auf strenge Neutralität deutsch Tübingen 1906.51 Die Schriften von Allier orientieren vortrefflich, das Cahier enthält Beleuchtungen des Gesetzes aus allen Lagern. Wesentlich übereinstimmend mit meiner Auffassung: Otto Mayer „Frage der Trennung von Staat und Kirche in der Gegenwart“ Neues Sächsisches Kirchenblatt 1906 No. 31–32. Wenn die französischen Protestanten das Gesetz verhältnismässig mild beurteilen, so kommt das davon her, dass es für sie eine Lebensfrage ist, sich auf die Seite der Demokratie gegen den Katholizismus zu stellen. Zum Allgemeinen s. auch die zahlreichen Artikel von Lachenmann über die religiöse Lage in Frankreich in Christl. W. 1904, 1905 u. 1906.52 a a A1 rechter Rand: , auch Chr Ch W 1907. nr 1 u 12.53 51 Unter dem deutschen Titel „Das französische Gesetz vom 9. Dezember 1905 über die Trennung der Kirchen vom Staate“ erschien 1906 der Gesetzestext in französischer Originalsprache in Tübingen im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Eine deutsche Übersetzung des Gesetzestextes aus dem Jahr 1906, der in Tübingen erschienen ist, konnte nicht nachgewiesen werden. Ins Deutsche übertragen findet sich der Text bei Johann Baptist Sägmüller: Die Trennung von Kirche und Staat (1907), S. I–XXII. 52 Die auf sieben Teile angelegte Artikelserie über die religiöse Lage in Frankreich von Eugen Lachenmann erschien erst 1905 mit dem „Der Bruch zwischen Frankreich und dem Vatikan“ betitelten Aufsatz in der Nr. 1 des 19. Jahrganges der „Christlichen Welt“. Die folgenden drei Teile erschienen in Nr. 2–4. Dann wurde die Folge „auf kurze Zeit“ unterbrochen, wie der Herausgeber in einem Nachwort die Leser informierte, da „augenblicklich Niemand die weitere Entwicklung der inneren Politik in Frankreich voraussehen kann“. [Martin Rade]: Nachwort des Herausgebers (1905), Sp. 86. Die Fortsetzung erschien unter dem Titel „Zur Wiederanknüpfung“ in der Nr. 27 vom 6. Juli 1905. Der letzte Teil erschien in Nr. 29. In zwei Teilen wurde 1906 Lachenmanns Beitrag „Die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich“ auf Sp. 184–186 und Sp. 200–203 der „Christlichen Welt“ abgedruckt. Der Artikel „Zur Lage in Frankreich“ erschien in Nr. 23, Sp. 536–542. Im Jahrgang von 1904 erschien von Lachenmann lediglich eine Rezension zu Alfred Loisys „Evangelium und Kirche“. 53 Gemeint ist: Chronik der Christlichen Welt (1907). In der ersten Nummer des Jahres 1907 erschien dort der Artikel „Der 11. Dezember 1906 in Frankreich“ und in Nr. 12 der Artikel „Chronik des französischen Katholizismus“, beide anonym.
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der Schule dringen. In den Mittelschulen geben vermutlich die philosophischen und historischen Fächer vielfach Gelegenheit, die allgemeine selbstverständliche Christlichkeit der amerikanischen Welt geltend zu machen. Vor allem aber gibt es neben den Staatsschulen auch die Parochial- oder Kirchenschulen, die von den freilich daneben die allgemeine Schulsteuer bezahlenden Denominationen errichtet werden, sofern sie eine ausgesprochen religiöse Erziehung wünschen. In ihnen lernen ungefähr 7 % der Schulbevölkerung.54 Und weiter gibt es charakteristische Kompromissschulen, wo etwa eine Konfession in der Staatsschule die Lehrer stellt und in den offiziellen Unterrichtsstunden absolute religiöse Neutralität walten lässt, um dann nach deren Beendigung im selben Raum und mit demselben Lehrpersonal eigentlich religiösen Unterricht zu erteilen. Und ebenso gibt es, wenn auch bei den hohen Kosten seltener, denominationell beeinflusste oder gestiftete Mittelschulen. Die Universitäten schliesslich sind grossenteils denominationell beeinflusste Stiftungen und haben dann alle selbstverständlich einen religiösen Mittelpunkt in ihrer Kirche und ihren Gottesdiensten, sehr häufig auch eine theologische Fakultät, die aber freilich auch dann stets eine sehr gesonderte Stellung im Ganzen einnimmt. Die Staatsuniversitäten kennen natürlich keine theologischen Institute. Dass aber dabei die theologischen Institute überhaupt nicht zu kurz kommen, zeigt ein statistischer Vergleich von 1902 mit den juristischen und medizinischen Instituten oder Fakultäten: Anstalten.
Graduierte Hörer.
Theol. 148 Jur. 102 Med. 154
2069 2644 2476
Grundbesitz.
Stiftungsvermögen.
Jährliche Schenkungen.a
Einkommen.
Bibliotheksbände.
15 705 770 1 670 000 12 986 642
23 058 877 486 001 2 132 568
1 269 433 52 859 160 584
1 414 724 522 763 888 453
1 527 156 386 905 156 929
a A: Schenkung. 54 Bei Parochialschulen handelt es sich um direkt zum jeweiligen Pfarrsprengel, der paroecia oder parochia, gehörende und von diesem auch unterhaltene Schulen. In dem von Troeltsch unten angeführten Artikel über „Amerikanisches Schulwesen“ heißt es zu diesen kirchlichen Volksschulen in Nordamerika: „Die größte Anzahl solcher Schulen werden von den Katholiken beherrscht, und zwar besteht eine solche Schule fast in jedem Distrikt. 1890 kontrollierten die Katholiken 3361 Schulen mit ca. 300.000 Schülern. [. . .] Zunächst an Bedeutung kommen die protestantischen Schulen, 1890 besaßen die Evangelisch-Lutherischen 3079 Parochialschulen mit etwa 200.000 Schülern, die Deutsch-Evangelischen 410 Schulen mit 17.911 Kindern. Dann kommen die Mormonen [. . .] mit 5092 Schülern. Die anderen pro-
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All das lässt deutlich erkennen, dass hier trotz aller religiösen Neutralität die Erziehung doch stark religiös beeinflusst ist und dass im übrigen, wo stärkerer religiöser Einfluss gewünscht wird, die kirchliche Privatschule ergänzend hinzutritt. Der Amerikaner verlangt dabei im allgemeinen vom Unterricht überhaupt wesentlich nur positive Kenntnisse und nicht Erziehung der Weltanschauung; sofern solches erstrebt wird, leistet es die allgemeine Christlichkeit der Atmosphäre, und, wo es noch nachdrücklicher erstrebt wird, da zieht er aus dem Prinzip der Freikirche auch die Konsequenz der Freischule. Dass damit kommenden Konflikten nicht vorgebeugt ist, liegt auf der Hand. Einerseits wird das Eindringen der Katholiken in die Schulen dafür sorgen, andrerseits wird die auch in Amerika vordringende religiöse Skepsis und Erschütterung der Kirchen die Schule an Gesinnungsbildung mahnen. In solchen Erwägungen wurzelt die bis jetzt freilich nur in Privatschulen und Sonntagsschulen verwirklichte Forderung eines religiös neutralen, von allen Fragen der Weltanschauung unabhängigen Moralunterrichts. Es ist die Forderung der Gesellschaften für ethische Kultur55, die ganz folgerichtig aus diesen Verhältnissen dort entsprungen sind und von da sich auch nach Europa ausgedehnt haben. Allein entweder wird es hierbei mit der Neutralität streng genommen und dann behalten die Kirchen das Uebergewicht, oder es werden die doch unvermeidlichen Grundlagen der Weltanschauung, sei es im religiösen, sei es im antireligiösen Sinne ent-
testantischen Sekten sind von geringerem Umfang und Bedeutung. Im ganzen beanspruchen die religiösen Gemeinden etwa 7 Prozent der gesamten Schulbevölkerung.“ William Chandler Bagley: Amerikanisches Schulwesen (1903), S. 114. 55 Auf Anregung des Gründers der „Society for Ethical Culture“ von 1876, Felix Adler, war in Berlin am 19. Oktober 1892 die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur ins Leben gerufen worden. Zu ihren Gründern zählten Friedrich Wilhelm Foerster, Georg von Gizycki und Ferdinand Tönnies. In § 1 ihrer Satzungen wurde „die Entwicklung ethischer Kultur zu pflegen“ als „Zweck der Gesellschaft“ festgeschrieben. Gefordert wurde eine Grundlegung der Ethik „unabhängig von allen Verschiedenheiten der Lebensverhältnisse sowie der religiösen und politischen Anschauungen“. Michiel Cornelius van Mourik Broekman: De „Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur“ (1909), S. 5. Unter „ethischer Kultur“ verstand die Gesellschaft „einen Zustand, in welchem Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, Menschlichkeit und gegenseitige Achtung walten“ (S. 5). Zu ihren Leitsätzen gehört auch die „Einführung eines von religiösen Voraussetzungen unabhängigen Moralunterrichts in der öffentlichen Schule“ (S. 6.).
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wickelt und damit der Moralunterricht auf tieferea Voraussetzungen gestellt; dann ist es vorbei mit der Neutralität.18) Mitten im Konflikte befindet sich das auf so ganz anderen Grundlagen beruhende Frankreich. Im Unterschied von der Unfertigkeit und Buntheit des amerikanischen Schulwesens, das vielfach experimentiert und von lokalen Einflüssen abhängig ist, und auch im Gegensatz gegen die prinzipielle Richtung auf positive Kenntnisse ist das französische Bildungswesen streng zentralisiert wie bei uns und verzichtet es so wenig wie bei uns auf die Gesinnungs- und Weltanschauungsbildung. Hier wie überall auf dem Kontinent wirkt die uralte Erziehung durch die Einheitskirche nach und ist man nicht so rein praktisch wie in dem jungen Amerika. So fehlt hier von vorneherein gerade die Elastizität, die in unserer Frage das amerikanische Bildungswesen hat, und die Konflikte mit der herrschaft-gewohnten Kirche haben hier viel mehr Reibungsflächen. b Die Unterrichtsgesetzgebung der dritten Republik hat nun freilich die Schulen dem geistlichen Einfluss, der geistlichen Mitwirkung und dem Religionsunterricht nach und nach völlig entzogen. Die katholisch-theologischen Fakultäten wurden 1885 18) Rein „Handbuch der Pädagogik“2, Art „Amerikanisches Schulwesen“;56 die statistischen Notizen stammen aus dem Bericht des United States Bureau of education c. XXXVI Professional schools, den ich der Güte des Herrn Harris, des U.-St.Commissioners of education, verdanke.57 Die Reformbestrebungen der ethischen Kultur bei Förster „Jugendlehre“ 1906 S. 152 ff.58 a A: eigene b A1 oberer Rand: Auch in Italien Trennung: Kirchenbudget? Unterricht in Belieben der Gemeinden gestellt für Volksschulen, für höhere Schulen kein Religionsunterricht. An Universitäten keine theologische Fakultät. – In Lombardei Katechisation in Kursen durch Geistliche. – Freie Schulen? Jedenfalls freie kath. Universitäten aber nur für Cleriker. – Aber auch Tiefstand religiöser Bildung u Kultur in Italien u daher Reformbestrebungen. 56 Gemeint ist der gleichnamige Artikel von William Chandler Bagley in Band 1 des von Wilhelm Rein herausgegebenen „Encyklopädischen Handbuchs der Pädagogik“ von 1903. 57 Die statistischen Daten, die Troeltsch in der hier abgedruckten Tabelle, siehe oben, S. 376, aufführt, finden sich in: Report of the Commissioner of Education for the Year 1902, Volume 2 (1903), S. 1499. Zu William Torrey Harris siehe oben, S. 358, Anm. 24. 58 Troeltsch verweist hier auf das Kapitel „Überblick über moralpädagogische Versuche und Erfahrungen in den verschiedenen Ländern“ aus: Friedrich Wilhelm Foerster: Jugendlehre (1906), S. 152–213.
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aufgehoben und die katholische Theologie dem engherzigsten Seminarbetrieb damit ausgeliefert. Aber man musste die kirchlichen Freischulen bestehen lassen, die von den, auch durch ihre Billigkeit sehr konkurrenzfähigen, Orden geleitet wurden. Zudem entstanden sieben freie katholische Universitäten für alle Wissenschaften. Darauf wurde dann 1880 diesen Universitäten das Graduierungsrecht entzogen und 1904 den Kongregationen jede Art von Schultätigkeit verboten. Das neue Kirchengesetz wird dem nur mehr die Schliessung auch der beiden protestantisch-theologischen Fakultäten von Paris und Montauban hinzufügen.59 Aber dieses Kirchengesetz wird doch schliesslich anoch eine weiterea starke Rückwirkung auf das Schulproblem ausüben. Ist für die Kirchen der Grundsatz der Freiwilligkeit und Achtung der Ueberzeugung proklamiert, so wird man den Gläubigen nicht zumuten können, ihre Kinder in eine ihre Religiosität ignorierende oder bekämpfende Staatsschule zu schicken. Sie werden verstärkt den Ruf nach freien Schulen erheben, wo sie ihre Lebensüberzeugung auch dem Unterricht einhauchen können, und sie werden dann die logische Konsequenz und das moralische Recht auf ihrer Seite haben. Sie werden es um so mehr auf ihrer Seite haben, als auch der Staat aus guten Gründen der Meinung ist, sich nicht rein auf positive Kenntnisse beschränken zu sollen, sondern gerade religiöse Aufklärung und eine ethische prinzipielle Weltanschauung durch die Schule seinen Bürgern erteilen zu müssen. So hat er Unterrichtsbücher für Staatskunde und Moral schaffen lassen, die freilich wesentlich a–a A: seine 59 Troeltsch bezog seine Informationen aus Auguste Pinloche: Französisches Schulwesen (1905), S. 81: „Dem napoleonischen System [. . .] wurde durch die Dekrete vom 17. März und 28. Dezember 1885 ein Ende gemacht. Laut dieser Dekrete wurden die Fakultäten zu Gruppen vereinigt [. . .]. Die Universitäten bestehen jetzt nur aus vier Fakultäten (Jura, Medizin, schöne Wissenschaften [. . .] und exakte Wissenschaften), da die katholischen theologischen Fakultäten 1885 aufgehoben wurden, und nur zwei protestantische – in Paris und Montauban – fortleben.“ Über „Freie oder katholische Universitäten“ berichtet Pinloche: „Auf Grund des Gesetzes vom 12. Juli 1875 wurden sog[enannte] freie Universitäten und Institute in Paris, Toulouse, Angers, Lille, Lyon, Marseille und Nantes gegründet, welche aber einen streng katholisch-konfessionellen Charakter tragen. Seitdem ihnen das Graderteilungsrecht durch das Gesetz vom 18. März 1880 benommen wurde, haben diese Universitäten nur noch in Hinsicht auf ihre Ausbildung katholisch-gesinnter Juristen und Mediziner einige Bedeutung.“ (S. 83) Forciert habe sich die „Verweltlichung des höheren Unterrichts auf allen Stufen“ durch das Gesetz vom 7. Juli 1904, „wodurch die Unterrichtserteilung jeder Art und jeder Natur in Kongregationen untersagt wird“ (S. 96).
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ein Kampfmittel gegen die Kirche sind, bisweilen allerdings auch eine allgemeine Ge fühlsreligiosität vertreten.60 Einer der Mitschöpfer dieser Gesetzgebung, Buisson, gibt sich alle Mühe, eine solche aus Kant, Spencer und Schleiermacher destillierte neue Religion als die Schulreligion erscheinen zu lassen.61 Insbesondere ist z. B. die Schöpfung einer Bildungsschule für Lehrerinnen zur Gewinnung eines weltlichen Mädchenschulwesens charakteristisch, wo der erste Leiter der Anstalt zu Fontenay, Pécaut, mit scheinbar grosser Wirkung und unter Billigung des Ministeriums religiöse, der protestantischen extremliberalen Theologie verwandte Grundsätze lehrte.62 Dagegen kehrt sich mit doppeltem Grimm die kirchliche Ideenwelt und ebenso 60 Im Jahr 1882 wurde an allen französischen Staatsschulen der Moralunterricht als Pflichtfach eingeführt, der zugleich eine staatsbürgerliche Unterweisung enthielt. Unter dem Titel „L’instruction civique“ oder „L’instruction morale et civique“ erschienen daraufhin Lehrbücher in enorm hohen Auflagen und von zahlreichen Verlagen. Vgl. Paul Rühlmann: Der staatsbürgerliche Unterricht in Frankreich (1912), S. 15–33. 61 Zum Religionsbegriff bei Ferdinand Buisson vgl. ders.: La Religion, la Morale et la Science: Leur Conflit dans l’Education contemporaine (1904), S. 125 f.: „Violà, décomposé en ses trois éléments constitutifs [. . .], le faisceau psychologique du phénomène religieux: une émotion, und idée, une action, toutes trois tendant à l’inconnu, à l’extraction, à l’idéal, à ce que toutes les langues humaines appellent le divin. C’est cela et cela seul qui est au fond de toutes religions, et c’est cela même qui fait le trait d’union entre tous les âges de la religion, entre l’homme primitif et celui du XXe siècle. C’est ce qui fait qu’un Leibnitz ou un Spinoza, un Luther ou un Kant sent une parenté véritable entre lui et la pauvre paysanne qui porte un cierge à la madone ou égrène son chapelet en récitant des Pater.“ 62 Vgl. die Darstellung der französischen „Mädchenschulanstalten“ bei Auguste Pinloche: Französisches Schulwesen (1905), Sp. 90: „Nachdem der Minister Duruy 1867 versucht hatte, einige höhere Unterrichtskurse in mehreren Städten einzurichten, seine Bemühungen jedoch erfolglos geblieben waren, unternahm es die dritte Republik, diese Einrichtung wiederherzustellen und zu erweitern. Dem tätigen Jules Ferry gebührt das Verdienst, 1879 den höheren Mädchenunterricht ins Leben gerufen zu haben, welcher durch das Gesetz vom 21. Dezember 1880 endlich eingeführt wurde.“ Eng mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Jules Ferry befreundet, wurde Félix Pécaut an die südlich von Paris gelegene und 1880 gegründete l’Ecole normale supérieure von Fontenay-aux-Roses berufen. Félix Pécauts religiöse Haltung verortet Ferdinand Buisson „à l’extrême gauche de la théologie protestante“: „il était en Suisse quand se fonda l’Union suisse de christianisme libéral, et il prit part à ses premières réunions“. Ferdinand Buisson: La Religion, la Morale et la Science: Leur Conflit dans l’Education contemporaine (1904), S. 151. Darin schildert Buisson auch die Reformbemühungen Pécauts in der „Quatrième Conférence“ mit dem Titel „Un essai d’application à l’education publique
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der religionslose Positivismus, und die religiösen Kämpfe sind nun mitten in der Schule, die doch zu deren Schlichtung nur eine zentralistische Bureaukratie hat und als Einheits- und Ideenschule nicht wie das Kirchengesetz die Bildung der Ueberzeugungsgruppen freigeben will.19) 19) Rein, ebenda „Französisches Schulwesen“63, die charakteristische Schrift von Buisson „La religion, la morale et la science: leur conflit dans l’éducation contemporaine“3 1904. Ein Exemplar einer Instruction civique, deren es gegen 200 verschiedene gibt,64 habe ich in Paris bei einem fliegenden Buchhändler erstanden.65 Im übrigen Förster „Jugendlehre“ 1900 ff., dessen Urteil über diese Literatur sehr ungünstig ist.66 a a A1 linker und unterer Rand: Holland. [langer horizontaler Strich, Absatz] Besonderes System in Holland. Hier seit 100 Jahren völlige Trennung von Staat u Kirche –; fortbestehende Staatszahlungen haben ihren Grund in alten zivilrechtlichen Eigentumsverhältnissen u Ablösungen – Folge für Schulen: Gesetz verlangt überall Staatsschulen, auf denen kein Religionsunterricht stattfindet, doch soll die Schule „der Ausbildung in allen socialen u christlichen Tugenden dienstbar sein“67,
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en France: l’œuvre religieuse d’un éducateur laïque“ (S. 141–175). Félix Pécauts Ideen erschienen in einer autorisierten deutschen Ausgabe unter dem Titel „Die reine Gottesidee des Christenthums, das Wesen der Religion der Zukunft“ (1866). Gemeint ist der gleichnamige Artikel von Auguste Pinloche in Band 3 des von Wilhelm Rein herausgegebenen „Encyklopädischen Handbuchs der Pädagogik“ von 1905. Vgl. Paul Rühlmann: Der staatsbürgerliche Unterricht in Frankreich (1912), S. 21: „1889 waren es bereits mehr als 180, heute sicher über 200.“ Troeltsch reiste Ostern 1896 nach Paris, wie aus einem Brief an Wilhelm Bousset hervorgeht: „Ich [. . .] wollte [. . .] meine Eltern besuchen, die ich Ostern nicht gesehen hatte, da ich damals die paar freien Wochen in Paris zubrachte.“ Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 27. Mai 1896, Göttingen, Niedersächsische Staatsund Universitätsbibliothek, Cod. Ms. W. Bousset 130, 32 ¡ KGA 19. Weitere Aufenthalte Troeltschs in Paris sind bisher nicht bekannt. Gemeint ist wohl Friedrich Wilhelm Foerster: Jugendlehre (1906), S. 190 ff. Dort konstatiert Foerster in seinem Kapitel über „Frankreich“ zwar, daß „mehr als 200 Handbücher zur Erteilung einer reinmenschlichen Pflichtenlehre [. . .] bereits erschienen“ seien, stellt aber den „kulturelle[n] und pädagogische[n] Gesamtwert dieses pädagogischen Unternehmens gerade in Frankreich erheblich in Frage“ (S. 190 f.) Das Zitat stammt aus der in der Marginalie unten, S. 388, angeführten Artikelreihe „Aus Holland“ von Samuel Cramer, die dieser für die „Protestantische Kirchenzeitung“ verfaßte. Die gesamte hier abgedruckte Marginalie stellt ein Exzerpt aus den ersten beiden Teilen der Reihe aus dem Jahr 1883 dar. Vgl. Samuel Cramer: Aus Holland (1883), Sp. 312.
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doch muß das so geschehen, daß keiner Konfession, auch den Juden nicht Anstoß gegeben wird. Daneben sind Privatschulen hoher u niederer Ordnung erlaubt, die unter Staatsaufsicht stehen u es mit Religionsunterricht nach Bedürfnis halten. – So sind 3/4 aller Kinder u jungen Leute auf Eltern u wöchentliche „Katechisation“ beim Pfarrer angewiesen. Davon reichlich Gebrauch gemacht. Mitgliedschaft von Gemeinde erst mit 18 oder 19 Jahren erworben. – Dagegen Kampf der Orthodoxen u Katholiken, die Übernahme der Konfessionsschulen auf Staatskosten fordern, wo die Majorität der Bevölkerung es wünscht. Auch von Liberalen wird vielfach – übrigens dann immer fakultativer – Religionsunterricht an privaten u besonders höheren Schulen gefordert. – Folge ist sehr moderne Entwickelung des Religionsunterrichtes in Katechisation; sehr undogmatisch, ohne Katechismus, die modernen Probleme behandelnd. Hie u da geradezu organisirte Religionsschulen – das steht im Zusammenhang mit einem bei uns unbekannten Radicalismus der Theologie, die {die Historizität} in gewissen Zweigen die Historizität Jesu u die Ächtheit der Paulinen leugnen, in der Dogmatik nur einen ethischen Idealismus lehren kann, ohne deshalb auf ihre Christlichkeit zu verzichten. – Die theologischen Fakultäten sind religionswissenschaftliche Fakultäten, in denen an sich Katholiken u Juden Sitz haben könnten, wiewohl das nicht geschieht. Ergänzt werden sie durch von der Kirchenregierung [interlinear über der Klammer] |: (der Hauptkirche nederlandsen hervormde Kerk :| (Synode) ernannte praktische Theologen, wobei die Parität zwischen den Richtungen gewahrt wird. – Im Jahr 1884 sind 15000 als religionslos eingeschrieben. – [am rechten und unteren Rand wird oben begonnene Einschub fortgeführt] Diese Hauptkirche dogmatisch überaus wenig gebunden u einheitlich – geradezu kongregationalistische Prinzipien trotz der synodalen Verfassung, mit beständiger Gefahr der Trennungen. Hier hat es sogar 1886 zu einer gewaltsamen Usurpation der Amsterdamer Hauptkirche durch die Kuypersche Fraktion der Hervormd Kerk kommen können, die dann von den Gerichten entschieden werden mußte. Die Hervormd Kerk ist im Anbetracht ihrer Größe u Kontinuität die alte Nationalkirche Hollands, auch im freikirchlichen Zustand. Ihre Ordnungen von Kuyperianern durch Besetzung der „neuen Kirche“ {durchbrochen, darin gegenüber} und Aneignung des Consens u Verweigern durchbrochen; dann aber bei strenger Haltung der gesamt Synode Kuyperianer zum Austritt durch Suspension veranlaßt; bilden die orthodox kalvinistische Gereformde Kerk u koaliren sich mit Katholiken. – So gegen die Nationalkirche der nederlandsch hervormde gemeente die neue nederduitsch-gereformerde kerk, dolerende [A1: doleerende] das letztere in Nachahmung der Autonomen Keerken {die} sich als die betrübte eigentliche Kirche ja bezeichnen. Der Abfall aber numerisch nicht bedeutend. – Die Universitäten haben theologische Fakultäten allgemein religionsphilosophischer Art repräsentirt durch Tiele, Kuenen, Scholten, Rauwenhoff, Lohmann68; 68 Gemeint ist der holländische Theologe Abraham Dirk Loman (1823–1897), der seit 1856 in Amsterdam lehrte.
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Hinter dem freikirchlichen System taucht überall das Schulproblem als noch schwierigeres auf. Es gibt freilich noch mehrere solche wunde Punkte des Systems, die für die Enthusiasten einer solchen Neuordnung hier nur im Vorbeiweg angedeutet seien. Das erste und wichtigste ist, dass die römische Kirche, so wie sie bis jetzt bei uns ist, sich ihm niemals fügen wird oder nur mit soviel Bewegungsfreiheit ausgestattet sich auf das System einlassen wird, dass die Parole von „der freien Kirche im freien Staate“69 sich zu der „vom freien Hecht im freien Karpfenteich“ verwandelt. Das amerikanische System ist nur möglich bei der besonderen Gestaltung des Katholizismus, die dieser dort in absolut demokratischer Luft und unter protestantischem Einfluss angenommen hat. Der „Amerikanismus“70 enthält sich schlechthin jeder Politik, stellt das Dogma zurück, betreibt die praktische caritativ-soziale Arbeit und fördert überall die persönliche Initiative. Es fehlte nicht an Versuchen, die gleichen Ideen nach Europa zu übertragen,71 und die Zukunft wird deren vermutlich immer mehr bringen. Aber dem Unternehmen einer Verpflanzung dieses Geistes in die französische Kirche ist die offizielle Hierarchie und Theologie mit so leidenschaftlichem
bei ihnen freie Schüler aller Denominationen. Sie sind in ihren Vorlieben u Gesamtcharakter teils mehr radical teils mehr konservativ. Neben ihnen die von Kirche besetzten praktischen Professur. Mit dem Ganzen ist man zufrieden. Für die Kuyperianer freie Universität Amsterdam.
69 Vgl. oben, S. 372, Anm. 44. Die häufig aufgegriffene, von Camillo Benso di Cavour geprägte Formel wurde durch Charles de Montalemberts Rede auf dem ersten Katholikenkongreß in Mecheln 1863 populär. Vgl. unten, S. 385, Anm. 74. Die für eine Trennung von Staat und Kirche eintretende Rede wurde 1864 unter dem Titel „L’Eglise libre dans l’état libre“ veröffentlicht. Eine deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel „Die freie Kirche im freien Staat“ im selben Jahr. Vgl. auch Friedrich Wilhelm Dörpfeld: Die freie Schulgemeinde und ihre Anstalten auf dem Boden der freien Kirche im freien Staate (1863); Theodor Stumpf: Die freie Kirche im freien Staate (1872); Heinrich Boehmer: Die freie Kirche im freien Staate und der Ultramontanismus (1873); Eduard Zeller: „Die freie Kirche im freien Staat“ (1879). 70 Vgl. unten, S. 647, Anm. 12. 71 Der katholische Priester und Schriftsteller Felix Klein gilt als einer der Hauptinitiatoren, den Amerikanismus nach Frankreich zu transferieren. Klein übersetzte Werke verschiedenster Vertreter des Amerikanismus, so von John Ireland „L’Église et le Siècle“ (1894).
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Hass und mit so vernichtenden Schlägen entgegengetreten,72 dass in dieser Hinsicht vorläufig in Europa und vollends in monarchischen Ländern sehr wenig zu hoffen ist.20) Eine zweite Schwierigkeit ist, dass mit diesem System der Staat die Kirchen in die Arme der Orthodoxie treibt, die immer die stärkere und aggressivere Macht ist, und auf die Gegengewichte einer von ihm geforderten wissenschaftlichen Ausbildung gymnasialer und universitärer Art verzichtet, was jedenfalls vom allgemeinen Kulturinteresse aus kein Vorteil ist.21) Weiter bringt das System die Gefahr einer Herrschaft des Geldsacks in den Kirchen mit sich, eine Gefahr, die in Amerika recht häufig verwirklicht ist und die seiner Zeit Robespierre bestimmte, gerade A 45, B 73 A 46, B 73
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20) Houtin „L’américanisme“; das Buch ist eine Fundgrube für die Geschichte und innere Entwickelung des modernen Katholizismus. 21) Siehe die hübsche „Bremer Phantasie“ in Schiele „Religion und Schule“ 190673 und die treffenden Sätze von Bonus über „Die freie Kirche im freien Staat“ Christl. Welt 1904 No. 10: „In unseren Verhältnissen bedeutet die Formel praktisch weiter nichts als die Entschlossenheit des Liberalismusa seinen parlamentarischen Einfluss auf diesen Zweig des Kultusministeriums und seinen agitatorischen Einfluss auf die kirchlichen Vertreterschaften nicht auszuüben. Dieser Entwickelung geht parallel die orthodoxreaktionäre sogen.b ‚Selbständigkeitsbewegung‘, die das offene Programm hat, dass alsbald nach erlangter ‚Freiheit‘ ein allgemeines Morden innerhalb der ‚frei‘ gewordenen Kirche angehen solle. Und so wurden Pilatus und Herodes Freunde auf Kosten der a A: Liberalismus,
b A: sog.
72 Leo XIII. nahm verschiedentlich Stellung zu den Modernisierungsströmungen. In dem Rundschreiben über die christliche Demokratie „Graves de communi“ vom 18. Januar 1901 sprach er sich gegen Demokratie und Sozialismus aus. Auch stimmte er der Einrichtung einer Bibelkommission zur Beaufsichtigung der katholischen Exegese zu. Unter Pius X. (1903–1914) wurden am 16. Dezember 1903 fünf Werke Alfred Loisys indiziert. Besonders Loisys „L’Évangile et l’Église“ (1902) wurde zeitgenössisch sowohl von katholischen wie protestantischen Theologen heftig diskutiert. Vgl. Otto Weiß: Das Wechselvolle Geschick des Alfred Loisy in Deutschland (2004). Im Jahr nach Troeltschs Rektoratsrede erfolgte die Verurteilung des Modernismus durch das am 3. Juli 1907 verabschiedete Dekret „Lamentabili sane exitu“ sowie durch die Enzyklika „Pascendi dominici gregis“ vom 8. September 1907. Ab 1910 schließlich forderte die Römisch-Katholische Kirche einen Antimodernisteneid für katholische Lehrer an Seminaren und Hochschulen sowie Anwärter auf die Priesterweihe, der im Jahre 1967 wieder abgeschafft wurde. 73 Friedrich Michael Schiele: Bremer Phantasien (1906). Der Beitrag beschäftigt sich mit der 1905 aufgestellten Forderung der Bremer Lehrerschaft, den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen abzuschaffen. Siehe dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 324.
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aus demokratischen Gründen im Interesse der Armen und der Masse gegen die Trennung sich zu erklären.22) Ferner überschüttet das geschäftliche Religion.“74 Bekannt sind die abschreckenden Wirkungen des Systems in Belgien, die nicht anders wären, auch wenn der Staat das Kultusbudget abschaffte.75 22) Robespierres Einspruch bei Allier „Une révolution“ S. 65 und O. Mayer a. a. O.76 74 Das Zitat lautet im Original leicht anders: „In unseren Verhältnissen bedeutet sie praktisch weiter nichts als die Entschlossenheit des Liberalismus, seinen parlamentarischen Einfluß auf diesen Zweig des Kultusministeriums und seinen agitatorischen Einfluß auf die Wahlen der kirchlichen Vertreterschaften nicht auszuüben. Dieser Entwicklung geht parallel die orthodox-reaktionäre sogenannte ‚Selbständigkeitsbewegung‘, die das offene Programm hatte, daß alsbald nach erlangter ‚Freiheit‘ ein allgemeines Morden innerhalb der ‚frei‘ gewordenen Kirche angehen solle. Und also wurden Pilatus und Herodes Freunde auf Kosten der Religion.“ Arthur Bonus: Die „freie Kirche im freien Staat“ (1904), Sp. 233. Ursprünglich hatte Charles de Montalembert mit seiner Apologie für „Die freie Kirche im freien Staat“ auf dem internationalen Kongreß der belgischen Katholiken in Mecheln 1863 (gedruckt 1864), die eine Herausforderung an alle jene darstellte, die im katholischen Liberalismus die Hauptgefahr ihrer Zeit sahen, maßgeblich zur päpstlichen Veröffentlichung des „Syllabus errorum“ beigetragen. Vgl. Roger Aubert: Innerkatholische Kontroversen im Blick auf den Liberalismus (1971), S. 751 f., sowie oben, S. 383, Anm. 69. 75 In der von Troeltsch öfters herangezogenen Darstellung der „Schulkämpfe der Gegenwart“ (1906) schildert Johannes Tews im Kapitel „Umschau im Auslande“, S. 151, das belgische System wie folgt: „In Belgien haben Liberalismus und Klerikalismus, staatliches und kirchliches Schulwesen sich mehrfach abgelöst.“ Es seien „Religion und Moral [. . .] Unterrichtsfach, das von Geistlichen erteilt wird, doch darf der Geistliche den Unterricht auch durch den Lehrer erteilen lassen, dem aber die Entscheidung freisteht, ob er diesen Unterricht übernehmen will. Auch die Lehrerbildung ist zum Teil eine staatliche, zum Teil eine private. Die Schulaufsicht ist staatlich. Die Kirche übt in Belgien ihren dominierenden Einfluß im Schulwesen dadurch aus, daß sie das stark entwickelte Privatschulwesen völlig in der Hand hat. Die Opposition gegen die jetzigen Verhältnisse hat vor allem die Begründung der obligatorischen Staatsschule mit Schulzwang zum Ziel, will also dasselbe erreichen, was in dem großen Nachbarreiche Frankreich durch die letzten Schulkämpfe erreicht worden ist.“ 76 „En mars 1793, Robespierre s’opposait à la suppression du budget des cultes. Que tous ses arguments fussent libéraux, je ne vous l’affirmerai pas. Certains étaient même singulièrement autoritaires. Mais un des principes qu’il alléguait contre la réforme était très curieux. Il accusait celle-ci de n’être point démocratique. Ce sont les masses, disait-il, qui manifestent le plus de sentiments religieux. Or ce sont elles qui auront le moins de ressources pour entretenir le culte. Les pauvres ‚seront donc à cet égard dans la dépendence des riches . . . ; ils seront réduits à mendier la
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Reklame- und Konkurrenzwesen, wozu die Kirchen durch ihre finanziellen Bedürfnisse und ihren Propagandatrieb genötigt werden, sie mit einer Unmasse widerwärtiger, roher und äusserlicher Praktiken. Zugleich entstehen ernste vermögensrechtliche Schwierigkeiten, die eine beständige Hereinziehung der Civilgerichte in das kirchliche Leben nötig machen.23) Schliesslich A 46, B 74
23) Siehe die Prozesse bei Rüttimann,77 wo im Falle von Streitigkeiten oder Lehrdifferenzen in Gemeinden die Zivilgerichte die Berechtigung zum Fortgebrauch des Kircheneigentums zu entscheiden haben. Ein ungeheuerlicher Fall dieser Art ist die Folge der Wiedervereinigung der schottischen Freikirche mit den freikirchlichen Presbyterianern, wo ein kleiner dissentierender Rest die Millionen des Vermögens, die Gebäude und Anstalten erhalten hat und, während er selbst mit all dem nichts anfangen kann, die andern ohne Pfennig auf die Strasse gesetzt hat. Der Prozess erregt ganz Schottland aufs Tiefste.78 Auch dem französischen Staat entstehen von hier aus Schwierigkeiten, indem er in Fällen von Schismen den obersten Verwaltungsgerichtshof anerkennt. Urteilt dieser hierbei über die Kontinuität nach dem Urteil der Bischöfe, dann ist jedes Schisma tot geboren und von dem Staat selbst verhindert, der es dringend wünschen religion, comme ils mendient du travail ou du pain.‘“ Raoul Allier: Une révolution (1906), S. 65 f. Der zweite Hinweis bezieht sich auf Otto Mayer: Die Frage der Trennung von Staat und Kirche in der Gegenwart (1906). 77 Gemeint ist: Johann Rüttimann: Kirche und Staat in Nordamerika (1871), S. 104–107. 78 Aus Protest gegen die Staatskirche gründeten über 470 Geistliche am 18. Mai 1843 die „Free Church of Scottland“, blieben aber mit der Staatskirche durch die Zustimmung zur Westminster Confession of Faith verbunden. Unter Führung von Robert Rainy vereinigte sich die „Free Church of Scotland“ Oktober 1900 mit der 1847 entstandenen „United Presbyterian Church“ zur „United Free Church of Scotland“. Eine Minorität von 27 Pfarrern bekannten sich nicht zur Westminster Confession und spalteten sich unter dem Namen „Wee Frees (die „Kleinen Freien“) ab. Sie beanspruchten aber das gesamte Eigentum der „Free Church of Scotland“. Vgl. Otto Dibelius: Schottland (1931), Sp. 254. Im darauf folgenden Gerichtsverfahren entschied das House of Lords am 1. August 1904 zugunsten der „Wee Frees“. „Gegen das Urteil der Lords,“ so die Nachricht in der „Chronik der Christlichen Welt“, „welches nicht nur das kirchliche, sondern auch das ganze öffentliche Leben Schottlands durch die Überweisung eines Kirchenvermögens von etwa 140 bis 200 Millionen Mark an einige dreißig Geistliche mit einem kleinen Anhang und durch die Entrechtung von etwa tausend Geistlichen und Gemeinden in einen bedenklichen Aufruhr versetzt hat, gibt es kein Berufungsrecht mehr“. Anonym: Der schottische Kirchenstreit (1904), Sp. 583. Da aber die buchstäbliche Ausführung des Urteils einer Unmöglichkeit gleichkomme, „gegen welche das gesamte schottische Volk Front“ mache, seien beide Parteien nun in Unterhandlungen eingetreten, um einen „Weg zum Vergleich“ zu finden (Sp. 583). Vgl. auch Anonym: Aus Schottland (1905).
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aber ist gerade vom religiösen Standpunkt selbst aus eine derartige Spaltung und Zertrümmerung des religiösen Gemeinbesitzes, eine derartige Herabsetzung des mitgegebenen Erbes zu einem Gemächte jedesmal neuer Willenserklärungen, diese Verwandelung der grossen geistigen Heimat in lauter selbstgewählte Vereine mit fortwährendem Aus- und Eintritt doch auch ein schwerer Verlust alter Lebenswerte und alter Lebenssicherheit.24) Aber es stehe mit diesen Bedenken, wie es wolle, am allgemeinsten fühlbar und am brennendsten ist doch die Wirkung auf das Schul- und Erziehungsproblem. In Holland hat der streng calvinistische Minister Kuyper sich vom religiösen Standpunkt aus energisch für die Freikirche erklärt, aber zugleich gesetzlich gefordert und durchgesetzt, dass die freikirchlichen Schulen dann überall vom Staat übernommen werden und bisher staatliche bei Einhaltung der allgemeinen Unterrichtsbestimmungen religiös geleitet werden, sobald ihre Besucherzahl einen gewissen Prozentsatz von Konfes-
muss. Urteilt er nicht nach dem bischöflichen Urteil, dann verletzt er innere Glaubensgesetze der Kirche und die formelle Gerechtigkeit. Auch bei uns würde für alle Trennungen hier die Hauptschwierigkeit liegen, die Konfessionellen würden als die rechtlich und formell allein berechtigten Inhaber des Vermögens alle Nicht-Konfessionellen ohne jedes Vermögen und ohne jede Kirche zum Auszug nötigen. 24) Gegen die Trennung Hinschius 261 ff.,79 vom religiösen Standpunkt aus G. Traub „Die gemeinschaftbildende Kraft der Religion“ in „Beiträge zur Weiterentwickelung der Religion“, die scharfsinnige Schrift von C. Scheer „Staat und Kirche“ Mühlhausen i. E. 1905, treffliche Aufsätze E. Försters, Christl. Welt 1904 No. 1, 1905 No. 34–38.80
79 Vgl. Paul Hinschius: Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche (1883), S. 261–266. Hinschius bezeichnet die Ablehnung des Systems der „Trennung von Staat und Kirche nach nordamerikanischem Muster [. . .] als innerlich geboten und nothwendig“ (S. 262). Damit gemeint ist eine Behandlung der Kirchen als „freie Privatvereine“ oder „private Korporationen“. Statt dessen befürwortet Hinschius die „Anerkennung der Kirche als Anstalt des öffentlichen Rechts“ (S. 261). 80 Gemeint sind wohl die Nummern 34–38 des Jahrgangs 1903. Dort erschienen von Erich Foerster in den von Troeltsch genannten Nummern die Beiträge: „Unsere Kirchen“, „Der Wert unserer Kirchen“, „Kirche oder Staat?“ sowie „Die Grenzen des staatlichen Handelns gegenüber dem geistigen, insonderheit dem religiösen Leben“. Vgl. auch unten, S. 397, Anm. 94. In den Nummern 34–38 von 1905 erschienen von Erich Foerster nur in Nr. 36 eine kurze Rezension des Buches „Judas im Herrn“ und in Nr. 37 eine längere Abhandlung über „Die Aufnahme meiner Schrift ‚Weshalb wir in der Kirche bleiben!‘“. Der Beitrag Foersters zu Nr. 1 der „Christlichen Welt“ (1904) lautet: „Unsere kirchliche Zukunft“.
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sionellen erreicht.25) Auch in England hat das dort bestehende relativ freikirchliche System einen schweren Schulkonflikt herbeigeführt, indem der Staat, die bisherige Freischule zurückdrängend, reine Staatsschulen schaffen will, an denen er einen undogmatisch-neutralen Religionsunterricht zur Befriedigung der verschiedenen Gruppen in Aussicht nimmt. Aber dagegen erhebt sich leidenschaftlich der Dissent, die Stütze der liberalen Partei, weil er von da eine unvermeidliche religiöse Beeinflussung der Schule durch die anglikanische Staatskirche fürchtet. Der Dissent will die Beibehaltung eines Systems, das dem jetzt in Holland eingeführten ähnlich ist.26) Es ist überall dieselbe Sache: das Leben des Staates ist von der religiösen Ueberzeugung seiner Bürger nicht zu trennen, und, wenn diese Ueberzeugungen stark sich unterscheiden, dann wird dieser Kampf überall bis in das innere Gefüge des Staates hineinreichen. Man kann dann Staat und Kirche trennen und damit in solcher Lage Staat wie Kirchen zu befreien und zu entlasten scheinen, aber mindestens in der Schule treffen die Gewalten doch 25) Schowalter „Christl.a Politik in Holland“ Christl. Welt 1905 No. 41, 43, 45, 52 u.b 1906 No. 18; auch das schon erwähnte Buch von Kuyper81 selbst.c 26) Eyck „Sir Henrys erste Session“ Hilfe 1905 No. 32, Nation No. 34.82 d a A: Christliche b A: und c A1 rechter Rand: – (Cramer) Prot Kirchenzeitung 1883 nr 12, 14, 17; 1884 nr 3 u 4, 1886 nr 3, 5, 1887 nr 8 u 9.83 d A1 rechter Rand: Pease, Der Kampf um die Schule in England; Archiv für Sozialwissenschaft u Sozialpolitik Bd 23 1906. – Verhältnisse in England s. auch Vossische Zeitung 17 III 07. Ausschnitt.84 81 Gemeint ist: Abraham Kuyper: Reformation wider Revolution (1904). 82 Gemeint ist vermutlich: Erich Eyck: Das englische Volksschulgesetz (1905), der in der von Troeltsch angegebenen Nummer der „Nation“ erschien. In der „Hilfe“ konnte weder ein entsprechender Artikel unter diesem noch unter dem von Troeltsch genannten Titel nachgewiesen werden. 83 In den genannten Ausgaben der „Protestantischen Kirchenzeitung“ findet sich jeweils ein mit „Aus Holland“ betitelter Artikel. Der Verfasser, der nur mit dem Kürzel „C.“ angegeben wird, ist der holländische Mennonit Samuel Cramer (1842–1913). 84 In der Morgenausgabe der „Königlich-priviligierten Berlinischen Zeitung“ vom 17. März 1907 wird unter der Titel „Wetterleuchten“ auf der ersten Seite im Zuge einer kritischen Stellungnahme zu Adolf Harnacks Festrede „Protestantismus und Katholizismus in Deutschland“ über das Verhältnis von Staat und Kirche in England berichtet. Auch der vorliegende Beitrag Troeltschs zu diesem Thema wird in diesem Zusammenhang erwähnt.
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wieder aufeinander; das Interesse des Staates und der Gesellschaft an einer einheitlichen idealen Weltanschauung und Ethik und die Interessen geschiedener Kirchen an der charaktervollen Durchbildung ihrer Gläubigen mit ihren Gesinnungs- und Weltanschauungsgrundsätzen, stossen immer wieder zusammen. Wenn der Staat in der allgemeinen Staatsschule eine neue Schulreligion zu pflegen sucht ohne Möglichkeit eines Kultus und ohne positive Anschaulichkeit, dann wird er in diesem Kampf schwerlich der stärkere sein. Verzichtet er aber ganz darauf, so wird er auf die Dauer die geistige Verarmung seiner Schule empfindlich spüren und wird der Kirche durch alleinige Ueberlassung des Religionsunterrichtes eine ungeahnte Macht verleihen, gegen die zu kämpfen er sich der Mittel beraubt hat. Sucht er aber allen gerecht zu werden, so sprengt er sein einheitliches Schulwesen und hat mit der Herrschaft über die Kirche auch die über die Schule aus der Hand gegeben. Der Fortfall der theologischen Fakultäten freilich wird scheinbar bei alledem am leichtesten verschmerzt werden. Die Leute, welche glauben, dass jede Vertretung des Christentums bei wissenschaftlicher Gesinnung nur durch grobe Selbsttäuschung möglich sei, werden jubeln über die Reinigung der Wissenschaft, und die Konfessionellen werden sehr zufrieden sein, dass ihnen der Staat keine Gymnasial- und Universitätsbildung und vor allem keine Einwirkung der modernen Wissen schaft mehr aufnötigt. Aber in Wahrheit ist auch hier ein ernster Verlust anzuerkennen. Es fällt jedes, mit allen Mitteln der Wissenschaft und allen Anregungen wissenschaftlicher Umgebung ausgestattete Organ weg, das historisch über Entstehung und Wesen der Kirchen unterrichten und prinzipiell die Fortentwicklung der Religion mitbestimmen könnte, jeder Einfluss, der die gewaltigen sozialen Energien der Kirchen mit der vollen Wissenschaft in Berührung brächte, und jede Möglichkeit für aufrichtige Fromme, eine Religionsgestalt zu gewinnen, in der wissenschaftlicher Wahrheitsgehalt und religiöser Geist durch eine planmässige, umfassende Arbeit sich durchdringen können.a Eine in die philosophische Fakultät etwa einzustellende Professur für Kirchengeschichte und die Vorlesungen der Philosophen über Religionsphilosophie und Ethik können bei dem grossen Umfang der hier vorliegenden Aufgaben und Stoffe nicht genügen. Wollte man aber etwa eine religionswissenschaftliche Sektion in der philosophischen Fakultät schaffen, wie es die Holländer in Verfolgung a In A und B steht hier das Fußnotenzeichen 26, das am Ende des Absatzes ein zweites Mal gesetzt wurde. Da der Fußnotentext inhaltlich dem zweiten Fußnotenzeichen zuzuordnen ist, wird auf die Wiedergabe des ersten an dieser Stelle verzichtet. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 341.
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des Gedankens einer Trennung von Staat und Kirche getan haben,85 so bekäme man entweder eine Disziplin, die zu entwickelungsgeschichtlichem Herumschweifen in allen Zeitaltern, zum Dilettantismus ohne Spezialfach, zur Religionsforschung ohne religiöse Stellungnahme verbunden ist und daher niemand, am wenigsten sich selbst, Freude bereitet; oder man hätte bei Vertretung eines religiösen Programms doch wieder unter anderem Namen eine theologische Fakultät und mit ihr alle Querelen der Gläubigen und Ungläubigen über sie; und fehlen würde ihr nur das wichtigste, ein geordneter Zufluss von Zuhörern.27) A 46, B 74 B 75
27) Aehnliche Ausführungen in der ergreifenden Rede, die Ménégoz zur Eröffnung des letzten Semesters der Pariser Fakultät gehalten hat „Leçon d’ouverture“ 1905;86 auch Paulsen „Deutsche Universitäten“ 1902 S. 495 ff.; mit der dort vertretenen Auffassung von der Aufgabe der Theologie bin ich durchaus einverstanden.87 Ueber die holländischen theologischen Fakultäten s. Schowalter Christl. Welt 1900 No. 18.88 85 Am 28. April 1876 wurden die theologischen Fakultäten in Leiden, Utrecht und Groningen zu von der reformierten Kirche unabhängigen Fakultäten. Am 1. Oktober 1877 wurde zudem die Disziplin der Religionswissenschaft an den Universitäten eingeführt und in die philosophischen Fakultäten integriert. Vgl. „Vorbemerkung des Herausgebers“ zu August Schowalter: Christliche Politik in Holland, in: Die Christliche Welt 20 (1906), Sp. 410 f. 86 Die Rede von Eugen Ménégoz trägt den Titel „La religion et la vie sociale“. 87 Gegen die Auffassung, die Theologie sei keine Wissenschaft, da sie sich mit „Dingen, von denen wir nichts wissen“, beschäftige, „oder geradezu von den Dingen, die nicht sind, von der übernatürlichen Welt, die sich die Phantasie über der wirklichen dichtet“, handle, betont Friedrich Paulsen in „Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium“ (1902), daß die Theologie „allerdings Wissenschaft von einem Wirklichen“ sei, „nämlich von der Religion“ (S. 495). Damit „bliebe die historische Theologie, das geschichtliche Studium der Religion, unter allen Umständen eine wesentliche Aufgabe der Wissenschaft“ (S. 496). Auch das „Bedürfnis einer dogmatischen Theologie“ (S. 497) sei berechtigt: „Es bleibt die notwendige Aufgabe, zu sagen, was uns diese Religion ist, wie sie sich zu unseren Gedanken und unseren Lebensidealen verhält, was der lebendigen Ueberzeugung der Gegenwart angehört, was als Erbe der Vergangenheit Ehrfurcht oder Schonung verdient, was als blosses Petrefakt ehemaligen Glaubens anzusehen ist. Es bleibt die Aufgabe, den Glauben und seine Gegenstände mit Begriffen so zu fassen, dass sie mit den Begriffen, die das wissenschaftliche Denken über die natürliche und geschichtliche Wirklichkeit bildet, zusammenstimmen“ (S. 497). 88 Gemeint ist der letzte Artikel der von Troeltsch oben, S. 388, Anm. 25) angeführten Serie „Christliche Politik in Holland“, die in den Jahren 1905–1906 in der „Christlichen Welt“ erschienen. Die Unterüberschrift des hier genannten Artikels
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Solche Schwierigkeiten sind bei uns in Deutschland in dieser Weise unbekannt oder noch unbekannt. Hier herrscht das paritätisch-landeskirchliche System, das oben charakterisiert worden ist, zusammen mit einem fast völlig verstaatlichten und zentralisierten Unterrichtswesen, das die staatliche Selbständigkeit der Schule mit den kirchlichen Einflüssen prinzipiell auszugleichen gewusst hat. Das System ist ein Erzeugnis der besonderen deutschen Ueberlieferungen, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts – von Preussen abgesehen – die Einheitskirche und die Deckung des Staates und der Konfession rechtlich oder tatsächlich festgehalten hatten, und der politischen Umgestaltung infolge der napoleonischen Kriege, wobei die Staaten ohne jede Rücksicht auf konfessionelle Verhältnisse und mit der damals üblichen Gleichgültigkeit dagegen neu zusammengesetzt wurden. Alle Staaten erhielten konfessionell gemischte Bevölkerungen. Da konnte nirgends mehr das Staats- und Gesellschaftsinteresse sich mit dem einer einzelnen Konfession decken und musste daher ihnen allen mit einem neuen juristischen Aufbau der Kirchen und einer neuen Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche notwendig zugleich eine gewisse Selbständigkeit und Selbstverwaltung überlassen werden. Zugleich war von dem individualisierenden und staatliche von religiösen Interessen trennenden Geiste der modernen Welt genug übrig, um diese Kirchen als gleichberechtigte individuelle Religionsgestaltungen zu würdigen und um das eigene innere religiöse Leben der Kirchen im wesentlichen sich selbst zu überlassen oder im Unterstützungsfall sie doch so zu unterstützen, wie sie von ihrem eigenen religiösen Prinzip es zu wünschen und zu fordern angewiesen waren. Andererseits war aber doch auch noch genug von dem alten Zusammengehörigkeitsgefühl politischsozialer und religiöser Interessen übrig, was in den grossen Kämpfen der Freiheitskriege durch den Uebergang von der Idee des blossen Rechtsstaates zu dem mit allem geistigen Kulturinhalt erfüllten Kulturstaat nur sich stärkte und vertiefte, und war zugleich von dem alten Souveränetätsgeiste der Aufklärungspolitik mit ihrer Ueberwachung und Eingrenzung der Kirche noch genügend viel lebendig, dass der Staat sein ethisches Interesse mit dem den drei Konfessionen gemeinsamen Christentum innerlich eng verschmolz und zugleich die Kirchen stark unter seiner Aufsicht hielt, ja sogar in den protestantischen Kirchen das landesherrliche Kirchenregiment neu betonte. Das Ergebnis von alledem ist das komplizierte System, das die alten Volkskirchen als staatlich privilegierte Kirchen gleichmässig anerin Nr. 18 vom 3. Mai 1906 lautet: „Die Freie Universität und die christliche Theologie“. August Schowalter: Christliche Politik in Holland (1906), Sp. 410–417.
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kennt, eng mit den eigensten Interessen des Staates verbindet, aber zugleich doch ihnen eine vom Staat verschiedene, im religiösen Kern staatlich unantastbare Selbständigkeit gibt, deren Gefahren dann aber wieder durch ein Ueberwachungs- und Einschränkungssystem begegnet wird. Die religiösen Ideen werden vom Staate tatsächlich, wie in alter Zeit, als absolute und für alle verbindliche eingeschätzt, was vor allem in einer ausserordentlichen sozialen Prämiierung der Kirchenzugehörigkeit zum Ausdruck kommt. Aber die einzelnen Kirchen kann er als viele und stark verschiedene nicht zu Organen dieser seiner Religionspolitik direkt machen, er muss ihnen eine relative Schätzung und damit eine die Verantwortung für sich selbst tragende Selbständigkeit zuweisen; und sofern von dieser Selbständigkeit her dann wieder seiner allgemeinen religiös-ethischen Kulturpolitik Gefahren drohen, muss er mit seinen Kulturorganisationen und seinem Staatskirchenrecht dem wieder direkt und indirekt entgegenwirken. Es ist die oben charakterisierte Mischung absoluter und relativer Massstäbe, deren Mischung dadurch so unauflöslich wird, dass der Staat seine absolute Schätzung des religiösen Elementes doch wieder – von Streitfällen abgesehen – durch die nur relativ eingeschätzten, sehr verselbständigten Kirchen selbst grösstenteils an seiner Stelle ausüben lässt. Das vom Kirchenrecht der Aufklärung auf die Einzel gemeinden angewandte Kollegialprinzip89 war doch im Grunde damit bloss auf die grossen Kirchenkörper selbst übertragen und diese dem gewöhnlichen Korporationsrecht nur dadurch entnommen, dass sie um des in ihnen allen zusammen enthaltenen absoluten Wertes willen als öffentlichrechtliche Korporationen, als mit dem Staatszweck eng zusammenhängende Zweck-Korporationen, angesehen wurden. Seit 1848 entfalten sich mit der Demokratisierung unserer Staaten die auseinanderstrebenden Konsequenzen dieses Gedankens in steigendem Masse.28) 28) Z. B. Sohm „Das Verhältnis von Staat und Kirche“ 1873 und Zeller a. a. O. Den Mischungscharakter erkennt Hinschius S. 249 und besonders scharf und treffend O. Mejer, Vorrede und S. 223 ff.90 89 Das Kollegialprinzip stellt im Gegensatz zum Episkopal- oder Territorialsystem einen kirchlichen Organisationstyp dar, der „Kirchenhoheit und die Kirchengewalt scheidet, die letztere aber der als einen freien, sich selbst regierenden Verein gedachten Kirche beilegt und sie von diesem nur kraft stillschweigenden Auftrags auf den Landesherrn übergegangen sein lässt“. Paul Hinschius: Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche (1883), S. 203. 90 Gemeint sind neben dem genannten Werk von Rudolph Sohm Eduard Zeller: Staat und Kirche (1873); Paul Hinschius: Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche (1883) sowie Otto Mejer: Lehrbuch des Deutschen Kirchenrechtes (1869).
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Das ganze System ist nunmehr etwa hundert Jahre alt, und seine Wirkungen zeigten sich sofort. Die neugebildete katholische Kirche wurde, ganz abgesehen von Romantik und römisch-jesuitischer Zentralisierung, schon allein durch die Notwendigkeit einer neuen, relativ selbständigen Konsolidation auf Grund der Parität und Toleranz zu einer zunehmenden Verstärkung ihrer Ausschliesslichkeit und Herrschaftsansprüche getrieben. Nirgends lässt sich das deutlicher verfolgen als an dem jüngst dargestellten Leben des Würzburger Weihbischofs von Zirkel, der aus einer völlig Kantisierenden Dogmatik heraus zum Vertreter des strengsten Autoritäts-Katholizismus geworden ist.29) Als dann als weiteres Mittel zu dieser Konsolidation noch das allgemeine Wahlrecht und die Möglichkeit der Bildung einer katholisch-politischen Partei hinzukam, da stieg das verselbständigte Kirchentum auf dem Boden der paritätischen Toleranz immer stärker empor. Aber nicht viel anders ist es auch mit dem Protestantismus ergangen. Er – und das ist in Deutschland wesentlich das Luthertum – hatte, wie man etwas paradox aber richtig gesagt hat, eigentlich bis dahin überhaupt kein Kirchentum. Der Altprotestantismus hatte für die Theologen nur die Predigt des Wortes,91 dessen Normierung nach reiner Lehre sie von den Regierungen erwirkten, und für die Gemeinden hin und wieder die Pfarrwahl und vermögensrechtliche Befugnisse behauptet; alles übrige und damit die ganze Organisation und Erhaltung und Ueberwachung, die Sorge für Einheit und Zusammenhang, überliess er der Obrigkeit als dem dazu berufenen christlichen Bruder, der denn auch Staat und Dienst am Wort als unauflösliche Einheit betrachtete. Als der relativistische, die individuelle Ueberzeugung hochschätzende und das politische Souveränetätsinteresse vom religiösen Innenleben trennende Geist der Aufklärung einzog, da hat er in Deutschland nicht wie in England und Amerika die Forderung der 29) A. Ludwig, Weihbischof Zirkel von Würzburg I 1904. 91 Die Augsburgische Konfession definiert in ihrem Artikel VII die Kirche allein über die reine Evangeliumspredigt und die sachgemäße Sakramentsreichung, ohne äußere Bestimmungen festzusetzen: „Es wird auch gelehret, daß alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden. Dann dies ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nache reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nicht not zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichformige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden, wie Paulus spricht zun Ephesern am 4.: ‚Ein Leib, ein Geist, wie ihr berufen seid zu einerlei Hoffnung euers Berufs; ein Herr, ein Glaub, ein Tauf.‘“
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Trennung der Kirchenkörper vom Staate zur Folge gehabt, sondern die Verwandelung des bisher religiös begründeten Kirchenregiments des Staates in ein rein polizeilich und utilitarisch begründetes und die Freigebung der Einzelgemeinden und Einzelprediger zu einer fast völligen Independenz, die sich vor allem in der Lehrfreiheit des Einzel-Geistlichen und in der Unterlassung jeder über das Bisherige hinausgehenden ma teriellen Unterstützung von Seite des Staates kundgab. Die Kirchen wurden unter den modernen Gesichtspunkt des Vereinsrechtes gestellt92, und, da es bei der Identität des Staates und der Kirche eine geschlossene Gesamtkirche nicht gab, so kam diese vereinsrechtliche Theorie zur wirklichen Anwendung nur bei der Einzelgemeinde und auch da mit der charakteristischen Einschränkung, dass diese Vereine als das Regiment durch einen tacitus consensus an den Staat abgebend betrachtet wurden. Durch diese Fiktion blieb die alte Lage ohne den alten Geist, und es herrschte die neue Theorie ohne die ihr natürlichen praktischen Folgen. Darüber fielen die Gemeinden vielfach in Verarmung und Verwilderung mit allen weiteren ungünstigen Folgen, weshalb gerade die Geistlichen an der grossen Errungenschaft der Aufklärung, der Möglichkeit, die Religion aus dem neuen Geistesleben neu zu befruchten, nur einen bescheidenen Anteil nehmen konnten. Die grosse Zeit der Neuordnung aller Staatsverhältnisse am Beginn des 19. Jahrhunderts führte dann aber mit der Aufgabe einer Neubelebung des geistlichen Lebens und mit der Notwendigkeit, eine vom Staat unterschiedene evangelische Kirche neben der katholischen zu konstituieren, zur Gründung eines neuen Kirchenbaus. Dieser neue Kirchenbau ist naturgemäss zu einer Verselbständigung der so auf eigene Füsse gestellten und zentralisierten protestantischen Kirche geworden, woraus auch hier die natürliche Folge einer doktrinellen und kultischen Uniformierung, einer Wiederbelebung der Autorität und der Ausschliesslichkeit, sich ergab. Die aus dem Gegensatz gegen den Rationalismus entsprungene und eines tiefen inneren Rechtes nicht entbehrende neue Gläubigkeit traf mit den 92 Unter eine modifizierte Form des Vereinsrechts fiel die Kirche Frankreichs aufgrund der Trennungsgesetze im Jahr 1905. Siehe die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 326. Die Kirche wurde in Kultvereine („associations cultuelles“) aufgesplittet, die aus mindestens sieben Mitgliedern bestehen mußten, Beiträge erheben, Kollekten veranstalten, Spenden empfangen, Bänke und Beerdigungsutensilien vermieten durften. Der Erhalt öffentlicher Subventionen war dagegen ausgeschlossen. In Deutschland wurde die Trennung von Staat und Kirche endgültig in der Weimarer Verfassung (1919) in Art. 137, Abs. 1 mit dem Satz „Es besteht keine Staatskriche“ festgeschrieben. Staatsrechtlich wurde die Kirche anders als in Frankreich aber niemals als Verein und damit als Körperschaft des privaten Rechts behandelt, sondern stets als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
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naturgemässen Wirkungen einer neuen Betonung des juristischen und organisatorischen Gedankens zusammen, und beides verstärkte sich gegenseitig, da die Grundlagen des neuen Kirchenrechtes doch die alten Bekenntnisse geblieben waren. Als diese so gefestigten Tendenzen vollends die Unterstützung des pietistischen Königs und Hofes unter Friedrich Wilhelm IV. erhielten, da wurden sie überall mit Gewalt zur Herrschaft geführt; und als dann bei der Demokratisierung des Staates der König als Staatsorgan vom König als Inhaber des protestantischen Kirchenregiments sich schied und damit die Kirche um ein weiteres gegen den Staat verselbständigt wurde, da hat auch die protestantische Kirche die demokratischen Mächte des parlamentarischen Stimmrechts – freilich zumeist in engem Bund mit der konservativen Partei – für sich verwenden gelernt. Das Ergebnis ist, dass auch die neugeschaffene, innerlich und äusserlich bedeutend gehobene, uniformierte und zentralisierte protestantische Kirche trotz aller, im landesherrlichen Kirchenregiment verbleibenden Staatsabhängigkeit eine vom Staat innerlich getrennte, machtvolle Organisation geworden ist, deren politischer Einfluss über ihren rein sozialen und menschlichen noch weit hinausgeht.30) Diese Verselbständigung der Kirchen hatte zum Ausgangspunkt die Selbständigkeit des Staates und seine Stellung gegenüber einer Mehrheit von Konfessionen. Und nun nahm bei uns der Staat, über den Staatsbegriff der Aufklärung hinausgehend, mit Stein und Hegel wieder die allgemeinen Kulturaufgaben in sich hinein, verstaatlichte und zentralisierte zum Ausdruck dessen vor allem sein ganzes Bildungswesen völlig bis fast zum Ausschluss der Privatschule.31) Aber hierbei und bei der geschilderten Stellung der Kirchen zum Staat und des Staates zu den Kirchen versteht sich von selbst, dass nun doch dieses Bildungswesen nicht bloss aufs tiefste mit religiösen Elementen durchwoben ist, sondern dass der Staat auch diese religiösen Elemente überall nur im engsten Zusammenhang mit den Kirchen geltend machen kann und will. Die Schule soll nicht bloss Religionsunterricht, sondern auch religiösen Geist haben. Die Volksschule hat daher teils Religionsunterricht durch die hierzu im Seminar gebildeten Lehrer selbst, teils durch vom Staat beauftragte Geistliche; in der Schulaufsicht sind Geistliche mittätig, und auf den ganzen Schulplan wie auf die Unterrichtsmittel üben
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30) E. Förster „Die Entstehung der preuss. Landeskirche“ I 1905, ein vortreffliches Buch mit äusserst interessanten Mitteilungen. Hausrath „Richard Rothe und seine Freunde“ 1902/06. 31) M. Lehmann „Freiherr v.a Stein“ II 1903 und dazu Förster a. a. O.
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die Kirchen teils direkten teils indirekten Einfluss aus bei aller im übrigen bestehenden rein schultechnischen Selbständigkeit der Unterrichtsverwaltung und modernen Pädagogik. Die Konsequenz davon ist in der Tat die Konfessionsschule, wenn man wirklich ernstlich eine kirchlichreligiöse Beeinflussung des Geistes der Schule will, oder auch die Simultanschule, wenn man die Konzessionen an die Kirche nicht weiter, als absolut notwendig, treiben und den Geist der Schule mehr im Sinn einer allgemeinen interkonfessionellen Religiosität oder auch der Indifferenz beeinflussen will. An den Mittelschulen hat der weitschichtige und geistig selbständige Unterrichtsstoff naturgemäss eine grössere Unabhängigkeit gegenüber religiöser Beeinflussung, aber auch hier spielt nicht bloss der bald von kirchlich, bald von staatlich ausgebildeten Religionslehrern gegebene Religionsunterricht eine grosse Rolle, sondern auch die allgemeinen Fächer bieten vielfach Gelegenheit zur Forderunga oder Betätigung von allerhand Einwirkung. Am wenigsten unterstehen die Hochschulen bei der verfassungsmässigen Freiheit der Wissenschaft diesen Einflüssen, aber auch hier werden historische, philosophische und juristische Professuren nicht selten unter solchen Gesichtspunkten besetzt. Vor allem besteht hier als Krönung der staatlichen Fürsorge für religiöses Bildungswesen die theologische Fakultät, bei der Geistliche und höhere Religionslehrer ihre Ausbildung finden und die zugleich im Interesse des Staates den Kirchen die wissenschaftlichen, kultursteigernden und Toleranz wirkenden Einflüsse zuführen soll. Auf diese Fakultäten suchen nun aber auch die Kirchen einen möglichst starken Einfluss zu üben. Der Katholizismus hält sie in völliger Abhängigkeit von den Bischöfen, der Protestantismus versucht Kirchenbehörden und Synoden einen sei es faktischen sei es rechtlichen Einfluss darauf zu sichern und führt hier zu heissen Kämpfen mit den wissenschaftlichen Interessen und der Selbstbestimmung der Fakultäten wie der Unterrichtsministerien.32) Unter diesen Verhältnissen leben wir. Sie sind der Ertrag eines vielhundertjährigen Kampfes des Staates um die Kirchenhoheit, einer zweihundertjährigen Arbeit um gegenseitige Toleranz der Konfessionen auf dem gemeinsamen allgemeinchristlichen Boden und der durchgängigen Subjektivierung des religiösen Denkens selbst. Wenn wir ehrlich sind, können wir nicht leugnen, dass wir im allgemeinen bei dem Prinzip, bei der Mischung der verschiedenen Hauptinteressen und Gedanken, uns leidlich wohl befinden, so wohl, als es bei der konfessionellen Gespaltenheit unseres Volkes eben überhaupt möglich ist. Diese Gespaltenheit selbst freilich ist der 32) Tews „Schulkämpfe“, Schiele „Religion und Schule“, Naumann „Die Konfessioa A: Förderung
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Geburtsfehler des neuen deutschen Reiches, den wir schwerlich je heilen werden und auf den es sich ein zurichten gilt mit Gerechtigkeit gegen die Katholiken und mit möglichster Förderung freier Geistesbewegung und religiöser Selbständigkeit im Protestantismus. Dazu kommt ja auch noch die sonstige Uneinheitlichkeit unserer geistigen Kultur, die neben den Kirchen auch noch den Unchristen und Antireligiösen Luft und Raum zu schaffen nötigt.33) All das leistet das System leidlich. Das Volk in seiner Masse weiss es nicht anders, als dass die Kirche – etwa noch mit der Schule – zu den öffentlichen Gewalten gehört und hat keinen Sinn für einen wesentlichen Unterschied unter ihnen. Die katholische Kirche hat bei dem System sich stets erträglich gut gestanden und weiss, dass ohne Zertrümmerung des modernen Staates, sie weiteres kaum erlangen kann; sie ist im ganzen bereit, hier auf die Lage einzugehen und benützt ihre weitergehenden Forderungen immer nur als Kampf- und Belebungsmittel. Der Protestantismus hat nen und die Schule 1904“93, und eine Anzahl von Artikeln E. Försters in der Christl. Welt94.a 33) Rade „Zur Kirchenpolitik“ Chr. Weltb 1902. Die 9 Artikel gehören m. E. zum besten, was über die Sache geschrieben ist, und haben jedenfalls meine Zustimmung, vorausgesetzt, dass die nur relative Haltbarkeit des ganzen Zustandes anerkannt wird und a A1 rechter Rand: – Martin Spahn, Religion u Schule 1907.95 – (Güttler „Religiöse Kindererziehung im Deutschen Reich[“] Berlin (W Rothschild) 1908.96 Über Bestimmung der Konfessionszugehörigkeit der Kinder. b A: W. 93 Friedrich Naumanns Artikel trägt den Titel „Der Streit der Konfessionen um die Schule“ (1904). 94 Im Zeitraum von 1904 bis 1906 erschienen neben zahlreichen Rezensionen von Erich Foerster in der „Christlichen Welt“: Unsere kirchliche Zukunft (1904); Naumanns Schrift zum Schulstreit (1904); 1808 (1904); Die Entstehung der subjektiven öffentlichen Rechte des Individuums (1905); Die Aufnahme meiner Schrift „Weshalb wir in der Kirche bleiben!“ (1905); Laientheologie (1906); Die Bewegung gegen das Schulgesetz. Lose Betrachtungen (1906); Noch eine Klarstellung zum Schulgesetz (1906); Ueber Staat und Kirche (1906). Gemeinsam mit Friedrich Michael Schiele erschienen die „Thesen zur Schulfrage. Der Herbstversammlung der Freunde der Christlichen Welt in Potsdam vorgelegt“ (1906). Vgl. auch oben, S. 387, Anm. 80. 95 Gemeint ist: Martin Spahn: Der Kampf um die Schule in Frankreich und Deutschland (1907). 96 Gemeint ist: Wilhelm Güttler: Die religiöse Kindererziehung im deutschen Reiche (1908).
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auf sein Zusammenfallen mit dem Staat und dem Staatsinteresse verzichten müssen und sich gleich der katholischen Kirche neben den Staat zu stellen lernen müssen. Allein er hat sein Kirchentum in dem Ansehen als eines besonderen Zweiges der göttlichen Stiftung, einer allgemeinen Volksanstalt und einer Gesamtheit von Wirkungen des Christusgeistes behauptet, in die jeder hineingeboren wird und in der jeder seine religiöse Heimat hat. Er ist
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das Programm ein provisorisches ist.97 Die Lage von Seite des Staates und seiner notwendigen Forderungen und Konsequenzen gut charakterisiert bei Hinschius und bei O.a Mayer P. R. E.3;98 E. Förster „Unsere kirchliche Zukunft“ Christ. Welt 1904 No. 1. Sehr zu beachten sind die Darstellungen zur „Ev. Kirchenkunde“99: P. Drews „Kirchliche Leben im Königreich Sachsen“ 1902, Schian „Kirchliche Leben in der Provinz Schlesien“ 1903. a A: Otto 97 Gemeint ist die Aufsatzreihe Martin Rades, die er unter verschiedenen Überschriften 1902 in der „Christlichen Welt“ publiziert hat. In seinem ersten Artikel schreibt er dazu: „Nicht als ob Ruhe unter allen Umständen erste Bürgerpflicht wäre. Niemand verbringt sein Leben auf hoher Warte. Er hat seinen Mann zu stehen, seine Kämpfe durchzufechten auf dem breiten Erdboden, der auch seine Niederungen hat. Es wechseln die Zeiten, die Umstände, die Menschen um so lebhafter, je kleiner die Umwelt, in der wir unser Dasein treiben. Aber es sollte Niemandem ein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn er versucht, sein Luginsland höher zu bauen, ob er damit vielleicht seinem Nachbarn einen Dienst thun könnte. In diesem Sinne werden wir versuchen, in zwanglosen Aufsätzen Einiges zur Kirchenpolitik zu sagen [. . .]. Diese Artikel ‚Zur Kirchenpolitik‘ sollen in vierzehntägigen Zwischenräumen erscheinen. Man hat mich vielfach gedrängt, die kirchenpolitische Meinung der Christlichen Welt im Zusammenhang darzulegen. Ich kann aber nur meine persönliche Meinung geben. Ich thue das widerstrebend, als einer der seine Pflicht thun muß.“ Martin Rade: Der feste Grundriß unserer innern Lage (1902), Sp. 323 f. Bei den weiteren Aufsätzen Rades handelt es sich um: Unser Staat und seine Katholiken (1902); Wir und unsre Katholiken (1902); Reformkatholizismus und Ultramontanismus (1902); Los von Rom (1902); Der Kampf um das Wesen des Christentums (1902); Die Mitarbeit der Wissenschaft im Kampf um das Wesen des Christentums (1902); Die Rolle des Rechts im Kampf um das Wesen des Christentums (1902) und Unsre Landeskirche (1902). 98 Gemeint ist: Paul Hinschius: Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche (1883) und Otto Mayer: Staat und Kirche (1906). 99 Paul Drews begründete 1902 die Reihe „Evangelische Kirchenkunde“, in der bis 1907 neben den beiden von Troeltsch genannten Bänden mit Albert Ludwig: Das kirchliche Leben der evangelisch-protestantischen Kirche des Großherzogtums Baden (1907) noch ein dritter Teil erschienen war.
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nicht der sonst unvermeidlichen Zersplitterung preisgegeben.34) Allerdingsa er> mit dieser Behauptungb dann nun freilich die Sachlage, dass unzählige seiner Glieder, von der modernen Ideenwelt bestimmt, seine offiziellen kirchlichen Grundlehren nicht mehr oder nur bedingt teilen. Aber da ist es gerade der zusammenhaltende und ausgleichende Einfluss des staatlichen Kirchenregiments, die mit der Wissenschaft versöhnende Wirkung der staatlichen theologischen Fakultäten und das ganze Interesse des Staates an einer gewissen Temperierung der religiösen Leidenschaften, das ihn zusammenhält und ihm die Existenz möglich macht; er kann so von den reichen, in seinem Schoss enthaltenen Gegensätzen eine starke Belebung und Anregung empfangen, ohne gesprengt zu werden. Er bleibt vom Staat als solche anerkannte Stiftung und Anstalt, die alle ihre Glieder umfasst und von der sich niemand zu scheiden braucht, der es nicht ausdrücklich will.35) Die lähmende, seinem Ansehen abträgliche und seine sozialen Energieen hindernde Staatsabhängigkeit kann er innerhalb des Systems zu korrigieren
bedingten Philosophierens geworden ist und noch heute durch leichte Faßlichkeit sich empfiehlt. Es handelt sich hier darum, den naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriff auf die gesamte Erfahrungswelt überhaupt auszudehnen und mit dieser Ausdehnung das philosophische Denken überhaupt für befriedigt und beendigt zu halten. Die einfachste Voraussetzung für eine solche Ausdehnung des Gesetzesbegriffes ist die Befassung der psychischen Vorgänge unter die der Körperwelt, indem diese Vorgänge nur eine besondere Verwandlungsform der materiellen Kräfte bedeuten und aus den Konstellationen der materiellen Elemente gesetzlich begreiflich werden. Das Werden und der Zweck sind von hier aus freilich schwer zu bewältigen. Aber schon Hobbes hatte durch Vereinerleiung des conatus7 mit der Bewegung die soziale Welt aus materialistischen Voraussetzungen abzuleiten vermocht, und neuerdings haben die naturphilosophischen Elemente des Darwinismus, die Lehre von einer im Kampf ums Dasein erfolgenden zufälligen Auslese, diese Schwierigkeiten vollends zu beseitigen geschienen. Die religiösen Konsequenzen hat völlig unverhüllt das Système de la nature8 und später besonders schroff Feuerbach gezogen. Alle Religion ist ein naturwissenschaftlich zu erklärender und zu berichtigender Wahn, der von dem falschen Eindruck einer Selbständigkeit der psy chischen Welt gegen die Körperwelt ausgeht und mit der Illusion der Seele überhaupt auch die von seelen-ähnlichen Gottwesen entstehen läßt, um durch diese Illusion der Umklammerung durch die Natur und ihre Gesetzmäßigkeit zu entrinnen. Die Religion ist in aller und jeder Hinsicht hier als Wahrheita erledigt und lediglich naturgesetzlich als vorübergehendes Entwicklungsprodukt zu verstehen. Sofern der Gedanke der Einheit des Welt-