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German Pages 266 [268] Year 2002
de Gruyter Texte
Friedrich Schleiermacher Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811/1830) Herausgegeben von Dirk Schmid
W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York
2002
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Einheitsaufnahme
Schleiermacher, Friedrich: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811/1830) / Friedrich Schleiermacher. Hrsg. von Dirk Schmid. Berlin ; New York : de Gruyter, 2 0 0 2 (De-Gruyter-Texte) ISBN 3-11-017395-6
© Copyright 2 0 0 2 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Satz: Readymade, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: WB-Druck, Rieden
Inhaltsverzeichnis Zeichen und Abkürzungen
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Einleitung des Herausgebers
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I. Historische Einführung
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1. Schleiermachers Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie 2. Schleiermachers „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" (1. Auflage 1811) a) Entstehung b) Zur frühen Wirkungsgeschichte 3. Schleiermachers „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" (2. Auflage 1830) a) Entstehung b) Umarbeitungen zur zweiten Auflage c) Zur frühen Wirkungsgeschichte 4. Schleiermachers Marginalien aus seinem Handexemplar der zweiten Auflage der „Kurzen Darstellung" II. Zur Gestalt der vorliegenden Ausgabe Literaturhinweise
Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811) Vorrede Einleitung I. Teil. Von der philosophischen Theologie Einleitung 1. Von den Grundsätzen der Apologetik 2. Von den Grundsätzen der Polemik Schluß II. Teil. Von der historischen Theologie Einleitung
2 4 5 14 33 34 38 41 46 50 53
57 61 63 70 70 73 76 78 79 79
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Inhaltsverzeichnis 1. Von der exegetischen Theologie 2. Von der historischen Theologie im engeren Sinne oder der Kirchengeschichte 3. Von der geschichtlichen Kenntnis des Christentums in seinem gegenwärtigen Zustande Schluß III. Teil. Von der praktischen Theologie Einleitung 1. Von der Theorie des Kirchenregiments 2. Von der Theorie des Kirchendienstes Schluß
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101 111 114 114 118 123 128
Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Zweite umgearbeitete Ausgabe (1830). Nebst den Marginalien aus Schleier mâcher s Handexemplar
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Vorerinnerung zur ersten Ausgabe 135 Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe 136 Inhalt 137 Einleitung 139 I. Teil. Von der philosophischen Theologie 152 Einleitung 152 1. Grundsätze der Apologetik 156 2. Grundsätze der Polemik 160 Schlußbetrachtungen über die philosophische Theologie . . . 164 II. Teil. Von der historischen Theologie 167 Einleitung 167 1. Die exegetische Theologie 179 2. Die historische Theologie im engeren Sinn oder die Kirchengeschichte 194 3. Die geschichtliche Kenntnis von dem gegenwärtigen Zustande des Christentums 207 I. Die dogmatische Theologie 209 II. Die kirchliche Satitik 222 Schlußbetrachtungen über die historische Theologie 227 III. Teil. Von der praktischen Theologie 231 Einleitung 231 1. Die Grundsätze des Kirchendienstes 238 2. Die Grundsätze des Kirchenregimentes 248 Schlußbetrachtungen über die praktische Theologie 259
Zeichen und Abkürzungen I / ] Abschn. Br. 1 - 4
Seitenwechsel Zeilenwechsel Lemmazeichen Abschnitt Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen, hg. v. L. Jonas/W. Dilthey, Bd. 1 - 4 , Berlin 1861-1863 Br. Gaß Fr. Schleiermacher's Briefwechsel mit J.Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß, Berlin 1852 CG1 Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche dargestellt, Bd. 1 - 2 , Berlin 1821-1822 CG2 Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche dargestellt, 2. Auflage, Bd. 1 - 2 , Berlin 1830-1831 Einl. Einleitung Erl Erläuterung - gemeint sind die in Schleiermachers „Kurzer Darstellung" 2. Auflage in kleinerem Druck gesetzten Erläuterungen zu den Leitsätzen der einzelnen Paragraphen. KD1 Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, Berlin 1811 KD2 Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, 2. Aufl., Berlin 1830 KGA Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe Kj Konjektur SB Schleiermachers Bibliothek. Bearbeitung des faksimilierten Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, besorgt v. G. Meckenstock, SchlA 10, Berlin/New York 1993 SchlA Schleiermacher-Archiv, hg. v. H. Fischer u.a., Berlin/New York, 1 (1985) ff SN Schleiermacher-Nachlaß ThEnz (Strauß) Schleiermacher: Theologische Enzyklopädie (1831/32). Nachschrift David Friedrich Strauß, hg. v. W. Sachs, SchlA 4, Berlin/ New York 1987
Einleitung des Herausgebers Die „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ( 1 7 6 8 - 1 8 3 4 ) 1 ist eines der bedeutendsten wissenschaftlichen Dokumente der neuzeitlichen Theologiegeschichte. In den vier Teilen Einleitung, Philosophische Theologie, Historische Theologie und Praktische Theologie entwirft Schleiermacher ein Gesamtverständnis von Theologie als universitärer Wissenschaft, das Aufgabe und Einheit der Theologie im Ganzen ebenso begreifbar werden läßt wie deren in die verschiedenen Teildisziplinen ausdifferenzierte Gestalt. 2 Die erste Druckfassung dieses theologischen Klassikers erschien im Jahr 1811; fast zwanzig Jahre später, im Jahr 1830, veröffentlichte Schleiermacher eine zweite, völlig umgearbeitete und erweiterte Ausgabe. Die vorliegende Studienausgabe beinhaltet beide Auflagen, dazu noch die handschriftlichen Randnotizen Schleiermachers aus seinem eigenen Exemplar der zweiten Auflage. 3
Zitatnachweise und Belegverweise ohne Angabe des Autors beziehen sich im
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folgenden, wenn sich nichts anderes vermerkt ist, auf Friedrich Schleiermacher. Zu den Abkürzungen für Werke (CG; KD), Kritische Gesamtausgabe (KGA), Briefausgaben (Br. 1 - 4 ; Br. Gaß), Nachlaß (SN), Vorlesungsnachschriften (ThEnz [Strauß]) u.a. siehe „Zeichen und Abkürzungen" oben S. VII. 2
Emanuel Hirsch hat von der „Kurzen Darstellung" geurteilt: „Dies kleine Werk ist der einzige bedeutende Versuch, den Gesamtorganismus aller theologischen Wissenschaften im systematisch durchdachten Zusammenhange von einer klaren und einfachen Grundanschauung her zur Darstellung zu bringen" (E. Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 1 - 5 , fotomechanischer Abdruck der 1964 in 3. Auflage in Gütersloh erschienenen Ausgabe, Münster 1984, hier: Bd. 5, S. 348).
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Zur Gestaltung der vorliegenden Ausgabe vgl. unten S. 50.
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Einleitung des Herausgebers
I. Historische Einführung 1. Schleier mâcher s Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie Die „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" verdankt ihre Entstehung Schleiermachers theologischer Lehrtätigkeit. Sie ist, wie ihr vollständiger Titel in beiden Ausgaben ausdrücklich besagt, „zum Behuf einleitender Vorlesungen entworfen" worden. Solche einleitenden Vorlesungen über das Gesamtgebiet der Theologie sind unter dem akademischen Disziplinentitel der Theologischen Enzyklopädie bis in das 20. Jahrhundert hinein regelmäßiger und obligatorischer Bestandteil des universitären Lehrprogramms gewesen. Schleiermacher hat als Professor der Theologie an den Universitäten Halle (1804-1807) und Berlin (1810-1834) insgesamt elfmal Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie gehalten:4 in Halle im Wintersemester 1804/05 und im Sommersemester 1805,5 in Berlin zu Beginn des Jahres 1808, also noch vor Eröffnung der neuen Universität, sodann in den Wintersemestern 1810/11, 1811/12, 6 4
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6
Der folgenden Übersicht liegt im wesentlichen zugrunde: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, bearbeitet v. A. Arndt/W. Virmond, SchlA 11, Berlin/New York 1992, S. 300-328. Offensichtlich hatte Schleiermacher im Sommer 1806 auch für das Wintersemester 1806/07 eine Vorlesung zur Enzyklopädie geplant (vgl. Br. Gaß, S. 53); unter den im „Catalogus Praelectionum" der Friedrichs-Universität zu Halle aufgeführten Vorlesungsankündigungen findet sich allerdings keine entsprechende Mitteilung. Freilich sind dann sowieso sämtliche Lehrveranstaltungen der politischen Situation zum Opfer gefallen: Wegen der Besetzung Halles durch französische Truppen wurde die Universität Halle geschlossen. Die für das Wintersemester 1813/14 angekündigte Vorlesung über Theologische Enzyklopädie ist ausgefallen (vgl. Br. Gaß, S. 114); vermutlich ist die Universität in dem Kriegswinter 1813/14 zu schwach frequentiert worden. Vgl. auch die Formulierungen Schleiermachers in zwei Briefen an Graf Alexander zu Dohna aus Berlin vom 27.3.1813 bzw. 17.4.1813, die allerdings die Situation bereits des Sommersemesters 1813 betreffen: „Für die Universität wird diesen Sommer wenig oder nichts zu thun sein [...]" - „[...] da Collegia wahrscheinlich gar nicht zu Stande kommen [...]" (Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, hg. v. J.L. Jacobi, Halle 1887, S. 47.50).
I. Historische Einführung
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1 8 1 4 / 1 5 , 1 8 1 6 / 1 7 , 7 1 8 1 9 / 2 0 , 8 sowie in den Sommersemestern 1827 und 1829, schließlich das letzte Mal im Wintersemester 1 8 3 1 / 3 2 . 9 Die Theologische Enzyklopädie gehört damit nach Dogmatik und Christlicher Sittenlehre zu den von Schleiermacher am häufigsten vorgetragenen Kollegien. Schon zu Lebzeiten Schleiermachers gab es eine stattliche Anzahl gedruckter Lehrbücher zur Theologischen Enzyklopädie. 10 Bevor er selbst seine „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" veröffentlichte, hatte er für seine eigene Vorlesungstätigkeit vor allem zwei Werke benutzt (vgl. Br. Gaß, S. 2): zum einen Johann August Nösselts „Anweisung zur Bildung angehender Theologen", dreibändig in zweiter Auflage 1791 in Halle erschienen, zum anderen Gottlieb Jakob Plancks zweibändige „Einleitung in die theologische [sie!] Wissenschaften" (Leipzig 1 7 9 4 - 1 7 9 5 ) ; beide Werke hat Schleiermacher auch in seiner Bibliothek besessen.11 Nachdem die „Kurze Darstellung" erschienen war, hat er sie regelmäßig seinen Vorlesungen zur Theologi7
Von dieser Vorlesung existiert im Schleiermacher-Nachlaß eine Nachschrift von Ludwig Jonas: „Theologische Encyclopaedic nach dem Vortrage des Herrn Dr. Schleiermacher, Wintercursus 1816/17, Jonas" (SN 547/1; 150 Blatt).
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Die für das Sommersemester 1824 fünfstündig angekündigte Vorlesung zur Theologischen Enzyklopädie fällt aus. Statt dessen hält Schleiermacher ein nicht angekündigtes Kolleg zur Praktischen Theologie.
9
Von dieser letzten Vorlesung aus dem Wintersemester 1831/32 besitzen wir eine Nachschrift von David Friedrich Strauß, die bereits veröffentlicht ist (vgl. ThEnz [Strauß]). Bruchstücke einer anderen Nachschrift derselben Vorlesung, von unbekannter Hand und zwischenzeitlich offensichtlich verlorengegangen, teilte Carl Clemen bereits 1905 der Öffentlichkeit mit. Vgl. Schleiermachers Vorlesung über theologische Enzyklopädie, Theologische Studien und Kritiken 78 (1905), S. 2 2 6 - 2 4 5 .
10
Zeitgenössische Theologische Enzyklopädien finden sich z.B. aufgeführt bei Johann Traugott Leberecht Danz: Encyklopädie und Methodologie der theologischen Wissenschaften, Weimar 1832, S. 1 3 0 - 1 3 6 .
11
Vgl. Schleiermachers Bibliothek. Bearbeitung des faksimilierten Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, besorgt v. G. Meckenstock, SchlA 10, Berlin/New York 1993, S. 237.245 (SB 1383.1480).
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Einleitung des Herausgebers
sehen Enzyklopädie als Lehrbuch zugrunde gelegt; die gedruckten Vorlesungsankündigungen für die Wintersemester 1811/12, 1 8 1 4 / 1 5 , 1 8 1 6 / 1 7 , 1 8 1 9 / 2 0 und die Sommersemester 1 8 2 4 , 1 8 2 7 und 1829 machen ausdrücklich darauf aufmerksam, für das Wintersemester 1831/32 wird expressis verbis auf die Zweitausgabe der „Kurzen Darstellung" hingewiesen. Diese ausdrücklichen Hinweise in den Vorlesungsankündigungen dürften so zu verstehen sein, daß Schleiermacher in der Tat den Text seines Kompendiums „in der Hand seiner Zuhörer voraussetzte" 12 ; jedenfalls finden sich in den erhaltenen Vorlesungsnachschriften keinerlei Hinweise darauf, daß Schleiermacher seinen Hörern die Paragraphen-Leitsätze etwa diktiert hätte. 2. Schleiermachers „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" (1. Auflage 1811) Die Erstausgabe von Schleiermachers gedruckter Theologischer Enzyklopädie erschien unter dem Titel „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen entworfen von F. Schleiermacher" im Jahr 1811 in Berlin. Das Buch wurde im Verlag der Realschulbuchhandlung von Schleiermachers Freund und Verleger Georg Reimer publiziert. Der Druck umfaßt, abgesehen von den vier Seiten Titelblatt und Vorrede, 92 Seiten zu in der Regel 25 Zeilen. Der Satzspiegel beträgt 14,1 cm in der Höhe und 8 cm in der Breite. Der Gesamtseitenumfang verteilt sich auf 5 Druckbogen zu je 16 und einem sechsten Bogen von 12 Seiten. Der Preis für die „Kurze Darstellung" betrug 10 Groschen. 13 Das Autorenhonorar wurde Schleiermacher nach Auskunft des Hauptbuchs Reimer am 16. April 1811 ausgezahlt oder gutgeschrieben; es betrug 75 Reichstaler. 14 12
Hans-Joachim Birkner: Vorwort zu: ThEnz (Strauß), S. XI.
13
Vgl. Danz: Encyklopädie (s.o. Anm. 10), S. 135.
14
Vgl. Schleiermachers Bibliothek (s.o. Anm. 11), S. 262.
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Im Meßkatalog „Allgemeines Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse [...] entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige noch herauskommen sollen" ist das Buch bereits für die Ostermesse 1810 angekündigt, ein Jahr später weist der Meßkatalog dann Schleiermachers „Kurze Darstellung" als zur Ostermesse 1811 bereits erschienen aus.15 a) Entstehung Schleiermachers Plan, einen Leitfaden der Theologischen Enzyklopädie für den Druck auszuarbeiten, ist alt. Er entsteht sofort mit dem Beginn der ersten Vorlesung in dieser Disziplin im Wintersemester 1804/05 in Halle. Denn bereits am 4. November 1804 schreibt Schleiermacher an Georg Reimer: „Auch die theologische Encyclopädie ist mir wichtig und ich denke fast sie zu einem stehenden Collegio zu machen. Vielleicht ist auch die das Erste worüber ich etwas drucken lasse. Denn ein oder das andere aphoristische Compendium möchte ich doch schreiben, es ist eine hübsche Gattung" (Br. 4, S. 105). Man sieht, daß die zeitlich noch unbestimmte Idee einer Veröffentlichung von allem Anfang an zugleich mit einer konkreten Vorstellung über die Gestalt und das Genre dieser Veröffentlichung verbunden ist, die dem genau entspricht, was die „Kurze Darstellung" in ihrer Erstausgabe von 1811 dann tatsächlich geworden ist: ein aphoristisches Kompendium. Schleiermacher muß sein noch vages Vorhaben gegenüber seinem theologischen Briefpartner Joachim Christian Gaß (17661831) mitgeteilt haben und findet von dieser Seite schnell ermutigenden Zuspruch. Gaß schreibt am 13. Juli 1805 aus Stettin an Schleiermacher: „[...] geben Sie uns immer den Leitfaden zur ls
Vgl. Bibliographie der Schriften Schleiermachers nebst einer Zusammenstellung und Datierung seiner gedruckten Predigten, bearbeitet v. W. von Meding, SchlA 9, Berlin/New York 1992, S. 37.
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Einleitung des Herausgebers
Encyclopädie, um so mehr, da er Ihre Ansicht der Theologie enthält. An der rechten Ansicht fehlt es überall, und ehe diese nicht hergestellt, kann die obwaltende Verwirrung sich nicht lösen" (Br. Gaß, S. 25). Gerade aber im Hinblick auf den programmatischen Charakter seiner Theologischen Enzyklopädie scheinen Schleiermacher schon bald, nämlich nach Beendigung seiner zweiten Vorlesung im Sommersemester 1805, wieder Zweifel gekommen zu sein, ob die beabsichtigte aphoristische Form dieser Programmatik angemessen sei. Am 6. September 1805 schreibt er an Gaß: „Ebenso hat mich die Wiederholung der encyclopädischen Vorlesungen sehr in meiner ganzen Ansicht bestärkt; und ich werde Sie um Erlaubniß bitten, Ihnen was davon, diesmal in einer etwas reiferen Gestalt als im vorigen Jahre, zu Papier gekommen ist, gelegentlich mitzutheilen. Es kann Ihnen wenigstens die Basis werden, um unsere Gedanken über diese Gegenstände etwas ausführlicher und ordentlicher auszutauschen. Denn gedrukkt möchte wol nicht eher etwas davon werden, bis ich einmal das Collegium satt bin und die Vorlesungen in extenso drukken lasse. Denn bei Aphorismen würde, wenn sie in's große Publikum kämen, Mißverstand fast unvermeidlich sein" (Br. Gaß, S. 28). Von solchen Zweifeln ist dann aber ein paar Wochen später, am 25. Oktober 1805, gegenüber seinem Freund und Verleger Reimer keine Rede mehr: „[...] ein sehr kleines Handbuch zu meinen Vorlesungen über theologische Encyclopädie arbeite ich gewiß noch die folgenden Jahre aus, und vielleicht schon im nächsten darauf eine Dogmatik" (Br. 2, S. 70). 1 6 Man sieht: An eine unmittelbar bevorstehende Ausarbeitung scheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht gedacht zu sein. Abermals ein paar Wochen später konkretisiert sich dann die zeitliche Vorstellung derart, daß Schleiermacher nun mit Bestimmtheit daran denkt, im Zusammenhang seiner beabsichtig16
Dort fälschlich auf 1806 datiert; Original: SN 761/1, Bl. 33r.
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ten Vorlesung im Wintersemester 1 8 0 6 / 0 7 das Kompendium drucken zu lassen; gleichzeitig ist ersichtlich, daß der Text des projektierten Leitfadens teilweise schon im Zuge der beiden bereits gehaltenen Vorlesungen entstanden sein muß. Auch ist zu diesem Zeitpunkt die spätere Gliederung der „Kurzen Darstellung" in drei Hauptteile zuzüglich einer allgemeinen Einleitung erkennbar. Dieses alles läßt sich jedenfalls dem Brief Schleiermachers an Gaß vom 16. November 1805 entnehmen: „Da es Ihnen Vergnügen zu machen scheint, so schikke ich Ihnen zugleich meine Encyclopädie, soviel davon vorhanden ist. Leider werden Sie gleich sehen, daß der erste Theil nicht vollendet ist, der zweite gänzlich fehlt und vom dritten nur die erste Hälfte vorhanden ist. Wahrscheinlich würde Sie der zweite Theil auch wegen des Zusammenhangs mit Ihrer Arbeit am meisten interessiren, und gerade von diesem können Sie Sich nur die allgemeinste Idee aus der Einleitung herausnehmen. Mir ist nun vorzüglich daran gelegen zu wissen, ob Sie die in der allgemeinen Einleitung gegebene Darstellung des Ganzen und die Anordnung und Gliederung des historischen Theils billigen. Ziemlich fest bin ich entschlossen, wenn ich künftigen Winter das Collegium wieder lese, eine ganz kleine Uebersicht in §§. drukken zu lassen. Weniger bei diesem Collegio um der Zuhörer willen, als um die ganze Ansicht auf eine recht unschuldige Art in's Publikum zu bringen und die akademischen Theologen gewissermaßen zu nöthigen, daß sie einige Rücksicht darauf nehmen, wenn auch keine andere, als daß sie den hingeworfenen Handschuh im Namen ihres alten Schlendrians (der noch bei uns in einer officiellen Anweisung für die angehenden Theologen gewaltig spukt17) ritterlich aufnehmen" (Br. Gaß, S. 36f).
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Gemeint ist: Anweisung für angehende Theologen zur Uebersicht ihres Studiums und zur Kenntniß der vorzüglich für sie bestimmten Bildungsanstalten und anderer academischer Einrichtungen auf der königlich-preußischen FriedrichsUniversität, hg. v. der theologischen Facultät, Halle 1805. In der Jenaischen
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Möglicherweise bezieht sich Schleiermachers Anspielung auf „Ihre Arbeit" auf die Ausarbeitung eines Manuskripts zu einem Grundriß der Apologetik, den Gaß zwischen dem 6. und 13. September 1805 an Schleiermacher geschickt hat (vgl. Br. Gaß, S. 33). Sollte das zutreffen, hieße das, daß zu diesem Zeitpunkt der zweite Teil der Theologischen Enzyklopädie, im Unterschied zur „Kurzen Darstellung" beider Auflagen, noch nicht die HistoAllgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 7 7 - 7 8 von 1806, Sp. 1 - 1 3 , erscheint eine Rezension der „Anweisung" der Halleschen theologischen Fakultät von 1805, die in mancher Hinsicht mit Schleiermachers kritischen Einwänden gegen die „Anweisung" übereinkommt; Schleiermacher wird daher von verschiedener Seite für den Autor dieser Rezension gehalten. „Ich habe darauf überall unverholen erklärt, daß ich im Wesentlichen mit dem Recensenten ganz einstimmig wäre, daß es mir aber leid thäte, wenn man mir eine solche Unschikklichkeit zutraute" (Halle 25. April 1806, Br. Gaß, S. 45). Im Intelligenzblatt der Hallischen Allgemeinen Literaturzeitung (Nr. 71 vom 14. Mai) 1806, Sp. 568 veröffentlicht die theologische Fakultät Halle eine förmliche Erklärung gegen die Rezension ihrer „Anweisung" folgenden Wortlauts: „Was über die von der hies, theol. Fac. im J . 1805 herausgegebene, nicht in den Buchhandel gekommene ,Anweisung' vor Kurzem in einem öffentlichen Blatte geschrieben worden ist, veranlaßt uns zu erklären, daß diese Schrift mit der vollkommensten Uebereinstimmung darum so und nicht anders abgefaßt sei, weil es nach unserm einstimmigen und auf gemeinschaftliche reiflich angestellte Ueberlegung sich gegründeten Urtheile für die hier studirenden Theologen, deren Bedürfniß uns am besten bekannt ist, gerade so am zweckmäßigsten war. Daß aber unser vereintes Bestreben auch bei diesen Rathschlägen kein anderes sei, als dadurch ein gründliches Studium der Theologie und der damit in Verbindung stehenden Wissenschaften ohne irgend einen Zwang zu befördern, ist schon aus dieser Schrift selber deutlich zu ersehn, und für alle, die uns kennen, bedarf es hierüber ohnehin keiner Versicherung. Halle, den 5. Mai 1806. Nösselt. Knapp. Niemeyer. Vater. Schleiermacher" (zitiert nach: Br. Gaß, S. 52; vgl. auch Br. 4, S. 125f). - An Gaß schreibt Schleiermacher zu dieser Angelegenheit im Sommer 1806: „[...] es würde mir lieb gewesen sein, wenn ich irgend eine Veranlassung bekommen hätte, mich öffentlich über die Sache zu erklären. In meinen Vorlesungen habe ich indirect Gelegenheit genug dazu, und am stärksten wird sie nächsten Winter sein, wo ich wieder Encyclopädie lese und wol auch drukken lasse, was wegen dieser Geschichte nur um so sicherer geschieht" (Br. Gaß, S. 53).
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rische Theologie, sondern wohl die Philosophische Theologie, deren Bestandteil in Schleiermachers Konzeption die Apologetik ist, ausgemacht hätte. Der Historischen Theologie wäre wohl zu diesem Zeitpunkt noch der erste Teil gewidmet gewesen, der offensichtlich bereits am stärksten ausgearbeitet war und nach dessen Beurteilung durch Gaß es Schleiermacher entsprechend am meisten drängt. Für diese Vermutung über den damaligen Aufbau der Theologischen Enzyklopädie Schleiermachers spricht ein weiteres Indiz: Gaß hält in Breslau im Winter 1810/11 zweimal wöchentlich öffentliche Vorlesungen für Kandidaten und Hilfsprediger über das Studium der Theologie, wobei er sich ganz offensichtlich auf das ihm von Schleiermacher seinerzeit zur Verfügung gestellte Konzept der Theologischen Enzyklopädie stützt (vgl. Br. Gaß, S. 85.91); unter dem 20. Februar 1811 schildert er nun Schleiermacher gegenüber seine Vorlesungstätigkeit folgendermaßen: „Ich fing im November an und werde mit dem März schließen. In dieser Zeit werde ich den historischen und philosophischen Theil Ihrer Encyklopädie vollenden; die praktische Theologie hatte ich mir vorgenommen im künftigen Winter besonders und ausführlich vorzutragen" (Br. Gaß, S. 92). Auch hier also scheint die Abfolge der drei Teile der Theologischen Enzyklopädie die von Historischer, Philosophischer und Praktischer Theologie gewesen zu sein. Die zeitliche Vorstellung, den Leitfaden für den Winter 1806/07 für den Druck auszuarbeiten, scheint sich bei Schleiermacher in der Folge verfestigt zu haben. Am 21. Dezember 1805 teilt Schleiermacher Georg Reimer mit, er gedenke, „zur Michaelismesse [...] mit einem kleinen theologischen Compendium aufzutreten" (Br. Gaß, S. 48). Ob Schleiermacher dabei tatsächlich an eine Theologische Enzyklopädie gedacht hat, kann allerdings nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Es könnte sich dabei auch um ein dogmatisches Kompendium handeln. Denn drei Wochen zuvor, am 1. Dezember 1805, schreibt Schleiermacher an Ehrenfried von Willich: „Durch die Dogmatik komme ich immer mehr auch für
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das Einzelne auf's Reine mit meiner Ansicht des Christenthums, aber ich bin überzeugt, wenn ich nun in ein paar Jahren ein kleines Handbuch drucken lasse, so wird es den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit sein" (Br. Gaß, S. 44). Die Formulierung läßt freilich erkennen, daß Schleiermacher das Projekt einer kurzgefaßten Dogmatik erst für eine zwar absehbare, aber doch unbestimmte Zukunft ins Auge faßt. Es ist daher doch wahrscheinlich, daß es sich bei dem für den kommenden Herbst projektierten „theologischen Compendium" um die geplante Druckfassung einer Theologischen Enzyklopädie handelt. Mit der Durchführung seines literarischen Planes rechnet Schleiermacher so fest, daß er Georg Reimer gegenüber am 21. Februar 1806 das durch die Veröffentlichung künftig einmal anfallende Honorar bereits für die Zurückzahlung eines Kredites veranschlagt, den er für sich und seinen Freund und Kollegen Henrik Steffens aufgenommen hat und den er nach der Ostermesse 1807 zurückzuzahlen versprochen hat: „Hiebei ist darauf gerechnet daß ich bis dahin zwei Bände Plato und ein kleines Compendium zur theologischen Encyclopädie fertig mache" (SN 761/ 1, Bl. 42r-v). Das zeitliche Vorhaben bleibt auch noch im Sommer 1806 für den „nächsten Winter" bestehen, „wo ich wieder Encyclopädie lese und wol auch drukken lasse" (Br. Gaß, S. 53). Die militärischen und politischen Ereignisse des Vierten Koalitionskrieges gegen Napoleon scheinen mit dem Ausfall der für das Wintersemester 1806/07 angekündigten Vorlesung zur Theologischen Enzyklopädie auch die Verschiebung der geplanten Veröffentlichung eines theologisch-enzyklopädischen Kompendiums bewirkt zu haben. Mit dem Verlust des öffentlichen Lehramtes an der Hallenser Universität schieben sich andere literarische Projekte und Unternehmungen in den Vordergrund: die historisch-exegetische Untersuchung zum 1. Timotheusbrief 18 , die 18
Ueber den sogenannten ersten Brief des Paulos an den Timotheos. Ein kritisches Sendschreiben an J.C. Gaß, Berlin 1807; KGA 1/5, S. 1 5 3 - 2 4 2 .
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aktuell veranlaßten Universitätsschriften (KGA 1/6, S. 1-100), die philologisch-philosophiehistorische Abhandlung zum Vorsokratiker Heraklit (KGA 1/6, S. 101-241). Angesichts der Verschiebung mahnt Gaß bereits am 14. Dezember 1806: „Auf Ihre Bearbeitung der prima ad Timotheum bin ich recht begierig [...]. Denken Sie doch auch an Ihre Encyclopädie" (Br. Gaß, S. 62). Für die Zeit von 1807 bis Anfang 1809 klafft in den brieflichen Äußerungen hinsichtlich des literarischen Projekts der Theologischen Enzyklopädie eine Lücke, die sicherlich die fehlende Beschäftigung Schleiermachers mit diesem Projekt richtig widerspiegelt. Zwar hält Schleiermacher noch vor Eröffnung der Universität zu Beginn des Jahres 1808 in Berlin erneut eine Vorlesung über Theologische Enzyklopädie, die öffentlichen und privaten Zeit- und Lebensumstände Schleiermachers verhindern aber zunächst, das Projekt einer Veröffentlichung seiner theologisch-enzyklopädischen Ansichten in Gestalt eines Kompendiums weiterzuverfolgen. Schleiermacher ist einerseits in die Vorbereitungen zur Gründung der Universität involviert und andererseits von der Gründung eines eigenen Hausstandes 19 in Beschlag genommen; auch binden berufliche Verpflichtungen einen Teil seiner Kräfte: Schleiermacher tritt im Mai 1809 offiziell sein Predigtamt an der Dreifaltigkeitskirche in Berlin an. Sobald aber die Eröffnung der Berliner Universität für Schleiermacher in greifbare Nähe rückt, kommt auch der Plan, ein theologisch-enzyklopädisches Kompendium zu schreiben, sofort und offensichtlich mit zweifelsfreier Priorität wieder zum Vorschein: „Bleibt es dabei, daß die Universität, wie es hier die
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Am 18. Mai 1809 findet Schleiermachers Trauung mit Henriette von Willich in Sagard auf Rügen statt (vgl. Briefwechsel Friedrich Schleiermachers mit August Boeckh und Immanuel Bekker 1806-1820, Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin Neue Folge 11, Berlin 1916, S. 38). Die Eheschließung zieht einen Wohnungswechsel in die Kanonierstraße Nr. 4 und die Einrichtung eines Haushaltes dort nach sich.
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meisten hoffen, Michaeli eröffnet wird, dann siehst Du mich noch diesen Sommer ein Büchlein schreiben, nur ein kleines akademisches Handbuch [...]", so schreibt Schleiermacher am 28. März 1809 an seine Braut Henriette von Willich (Br. 2, S. 235). Die Perspektive einer erneuerten universitären Lehrtätigkeit scheint ohnehin auf Schleiermacher eine große beflügelnde Wirkung ausgeübt zu haben: In einem Zeitraum von drei oder vier Jahren ungestörter universitärer Tätigkeit glaubt er im Stande zu sein, seine „ganze theologische Ansicht in einigen kurzen Lehrbüchern niederzulegen" und dadurch, wie er hoffe, „eine theologische Schule zu gründen, die den Protestantismus wie er jezt sein muß ausbildet und neu belebt" 20 . Zwar verzögert sich die Eröffnung der Berliner Universität über das Jahr 1809 hinaus bis in den Herbst des Jahres 1810, aber beharrlich hält Schleiermacher in dieser Wartezeit am Plan einer Veröffentlichung seiner Theologischen Enzyklopädie fest: „Denn nachgerade muß ich doch daran denken meine theologischen Ansichten in Lehrbüchern niederzulegen. Ich werde mit einer Encyclopädie anfangen, die wahrscheinlich noch dies Jahr erscheint [...]", heißt es in einem Brief unter dem 26. Februar 1810 (Br. 4, S. 177). Am 1. September 1810 schreibt Schleiermacher an Gaß: „Die Encyklopädie ist auch noch nicht geschrieben [...]" (Br. Gaß, S. 78). Woraus man entnehmen kann, daß der Plan, sie zu schreiben, so konkret geworden ist, daß seine NichtVerwirklichung zwischenzeitlich zum ganz realen drängenden Zeit- und Arbeitsproblem avanciert ist. Die zuletzt zitierte Äußerung macht es zugleich wahrscheinlich, daß die tatsächliche Ausarbeitung der
20
Brief vom 17. Dezember 1809, Br. 4, S. 172. - Zur Bildung einer theologischen Schule vgl. auch die spätere Äußerung Schleiermachers: „Das Vorlesungen-Halten bringt mich sehr vorwärts; ich habe wirklich Aussicht noch eine Art von gelehrtem Theologen zu werden und fange an mir eine Schule zu bilden aus der viel Gutes hervorgehen kann" (Brief vom 4. Juli 1812, Br. 4, S. 186).
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Druckfassung der „Kurzen Darstellung" wohl erst mit dem Beginn der Vorlesung zur Theologischen Enzyklopädie im Wintersemester 1810/11 von Schleiermacher in Angriff genommen worden sein dürfte. Die Vorrede der „Kurzen Darstellung" ist datiert mit „im Decemb. 1810". Am 29. Dezember 1810 schreibt Schleiermacher an Gaß: „Die theologische Encyklopädie ist nun endlich fertig geworden, und ich bin neugierig, ob sie eine neue Quelle von Verkezerungen werden wird. Mir sind die Sachen nun durch die vielfache Bearbeitung so familiär geworden, daß ich nichts darin finde, was Anlaß dazu geben könnte. Nur daß viele Gespenster darin seien, werden die Leute sagen theologische Disciplinen, die es nie gegeben habe und nie geben werde. Da werde ich nun den Beweis durch die That zu führen haben, was aber freilich zum Theil erst nach Erscheinung meiner Ethik geschehen kann" (Br. Gaß, S. 87). Das Druckmanuskript der „Kurzen Darstellung" dürfte also im Zeitraum nach dem 1. September und vor dem 29. Dezember 1810 entstanden sein, wobei Schleiermacher natürlich auf bereits bestehende Vorlesungsnotizen zurückgreifen konnte. Schleiermacher hat sich rückblickend am 12. Juni 1813 an Friedrich Schlegel über den literarischen Produktionsprozeß der „Kurzen Darstellung" dahingehend geäußert, „wie ungeheuer schwer ein Kompendium ist" (Br. 3, S. 430). Die Mühe scheint sich dann freilich für Schleiermachers eigene Vorlesungstätigkeit durchaus gelohnt zu haben, denn am 29. Oktober 1814 schreibt er an Gaß: „[...] ich habe diese Woche wieder angefangen zu lesen. Bei der Encyklopädie schmekke ich doch die Süßigkeit eines Compendiums; die Vor träge werden gewiß verständlicher" (Br. Gaß, S. 121). Mit einer solchen erleichternden Wirkung als Vorlesungsgrundlage erfüllt die „Kurze Darstellung" den Zweck, dem sie ausweislich ihres Titels dienen sollte: „zum Behuf einleitender Vorlesungen".
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Einleitung des Herausgebers
b) Zur frühen Wirkungsgeschichte Schleiermachers gedruckter Leitfaden einer Theologischen Enzyklopädie hat früh eine relativ starke Beachtung gefunden. Anfang des Jahres 1812 schreibt Schleiermacher an Gaß: „Dein werther College Augusti hat zu meinen Bekannten von mir in Weimar gesagt: mit meiner theologischen Encyklopädie könne es mir doch unmöglich Ernst sein. Fühle ihm doch gelegentlich darüber auf den Zahn, wie er es gemeint hat, und was ihm eigentlich daran so determinirt spaßhaft vorkommt. Du kannst ihm immer sagen, mir sei es so Ernst damit, daß ich es ordentlich für eine Probe halte, ob es Jemand mit der Theologie ernstlich und im rechten Sinne meint, wenn es ihm wenigstens ernsthaft vorkommt." 2 1 Dazu stellt Gaß in seinem Antwortbrief an Schleiermacher vom 23. Februar 1812 richtig: „Meinem Collegen Augusti thust Du Unrecht. Wir haben längst über die Encyklopädie gesprochen, und er hat mir nicht nur sehr gerathen darüber zu lesen, sondern auch geäußert, er hoffe auf dem historischen Wege dahin zu kommen, wohin Du durch Speculation gedrungen seiest, welches jedoch auf die Encyklopädie nicht zu passen scheint, sondern wohl mehr von der gegenwärtigen Behandlung des orthodoxen Lehrbegriffs gelten mag. Jene Aeußerung in Weimar war mir schon bekannt und bezog sich eigentlich auf das Sendschreiben an den Timotheus, welches er eingesteht anfangs als einen Scherz angesehen zu haben, nämlich um damit die wunderliche Art zu verspotten, wie damals über das Entstehen der Evangelien raisonirt ward" (Br. Gaß, S. 106). Sogar bis in höchste Kreise hinein ist Schleiermachers Werk Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden. Schleiermacher berichtet brieflich: „Was die Darstellung des theologischen Studiums betrift so weiß ich recht gut daß bei Hofe darüber geklatscht worden ist; daß meine dortigen Freunde es mit den gehörigen
21
Brief vom 5. Januar bis 9. Februar 1812, Br. Gaß, S. 103.
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Anmerkungen begleitet dem Könige in die Hände gespielt haben und daß dieser gesagt hat gelehrte Leute bei der Universität sollten doch verständlicher schreiben. Aber ein Handbuch ist nur für die Zuhörer denen es in den Vorlesungen erklärt wird, es soll grade ihnen die Sachen vorher unverständlich machen die sie leider großentheils schon zu verstehen glauben und soll ihnen hernach dienen um an jeden Paragraphen eine Masse von Erinnerungen anzuknüpfen." 22 Insbesondere im Kreise der theologischen Freunde und Schüler findet die „Kurze Darstellung" natürlich mannigfache Beachtung gerade in ihrer epochalen programmatischen Bedeutung. So äußert sich Gaß noch 1822 gegenüber dem Autor der „Glaubenslehre" 23 : „Nächst dem muß ich Dir noch herzlich danken für den zweiten Band der Dogmatik. [...] Es kann sein, daß sie außer dem Kreise Deiner Schüler Wenigen zusagt [...]. Das aber soll mir auch Niemand abstreiten, daß mit Deiner Dogmatik eine neue Epoche nicht nur in dieser Disciplin, sondern im ganzen theologischen Studium beginnen wird, und wenn dies auch nicht plötzlich und auf einmal, so wird es doch künftig geschehen. So weit ich es vermag, suche ich dies gern zu befördern und lese darum diesen Winter über Deine kurze [/] Darstellung, weil doch von dieser ausgegangen werden muß, wenn von dieser Ansicht aus eine neue Schule in der Theologie sich bilden soll. Freilich wird diese ihre Freunde immer nur unter den jüngeren Theologen finden, aber auch um so besser gedeihen und sicher fortbestehen." 2 4 Und August Detlev Christian Twesten moniert Schleier22
Brief an Alexander von Dohna vom 27. März 1813, Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, hg. v. J.L. Jacobi, Halle 1887, S. 4 7 ; vgl. auch Heinrich Meisner: Schleiermacher als Mensch. Sein Werden; Familien- u. Freundesbriefe, in neuer Form mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben, Gotha 1922 (Nachdruck: Eschborn bei Frankfurt am Main 1999), S. 151.
23
Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Bd. 1 - 2 , Berlin 1 8 2 1 - 1 8 2 2 ; KGA 1 / 7 , 1 - 2 .
24
Brief vom 16. November 1822; Br. Gaß, S. 195f.
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Einleitung des Herausgebers
macher gegenüber unter dem 23. März 1823, daß die „Kurze Darstellung" nicht ihrer eigentlichen epochalen Bedeutung angemessen gewirkt habe, wofür er auch dem Verfasser eine Mitschuld zuspricht: „Überhaupt ist bei allem, was Sie schreiben, gewiß mehr die Kürze, als die Ausführlichkeit zu bedauern [...]. So hätte schon Ihre Enzyklopädie weit tiefer eingreifen müssen, wenn die Kürze derselben sie nicht vielen zu einem verschlossenen Buch gemacht hätte." 2 5 Neben solchen privaten Äußerungen hat die „Kurze Darstellung" auch öffentliche Beachtung in Gestalt mehrerer Rezensionen gefunden. Die früheste Rezension, anonym publiziert, erschien in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom Jahre 18II. 2 6 Hier erfährt Schleiermachers „Kurze Darstellung" eine ausführliche und detaillierte Besprechung. Die Rezension ist übersichtlich gegliedert: Nach einer kurzen Gesamtcharakteristik des rezensierten Buches (vgl. Sp. 409f) und einer knappen ersten Orientierung über die sachliche Aufgliederung der Theologie bei Schleiermacher in die drei großen Teile Philosophische, Historische und Praktische Theologie (vgl. Sp. 410), geht die Rezension dem Aufbau des Buches folgend die einzelnen Teile und deren einzelne Abschnitte durch. 27 Sie ist dabei auf der einen Seite darum bemüht, die jeweiligen Hauptzüge der Ausführungen Schleiermachers zu den einzelnen Disziplinen darzustellen, geht aber auf der anderen Seite immer 25
Georg Heinrici: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, Berlin 1889, S. 380.
26
Nr. 1 7 1 - 1 7 3 vom 24. bis 26. Juni, Bd. 2, Leipzig/Halle 1811, Sp. 4 0 9 - 4 2 9 . Darauf beziehen sich die folgenden Spaltenangaben im Text.
27
Zur „Einleitung" vgl. Sp. 4 1 1 - 4 1 3 ; zur Philosophischen Theologie vgl. Sp. 4 1 3 - 4 1 6 (Apologetik: Sp. 414; Polemik: Sp. 4 1 4 - 4 1 6 ) ; zur Historischen Theologie vgl. Sp. 4 1 7 - 4 2 3 (Exegetische Theologie: Sp. 4 1 8 - 4 2 0 ; Kirchengeschichte: Sp. 420f; Dogmatische Theologie: Sp. 421f; Statistik: Sp. 422f); zur Praktischen Theologie vgl. Sp. 4 2 5 - 4 2 9 (Kirchenregiment: Sp. 426f; Kirchendienst: Sp. 4 2 7 - 4 2 9 ) .
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wieder auch, teils zustimmend, vorwiegend aber negativ-kritisch, auf Details ein, moniert dabei Undeutlichkeiten in der Formulierung und innere Widersprüche in der Sache oder formuliert selbst äußere sachliche Einwände. Der Rezensent erblickt die Bedeutung der „Kurzen Darstellung" darin, daß in diesem Buch „der berühmte Vf. [...] seine ganze dermalige Ansicht des theologischen Studiums concentrirt" habe (Sp. 409). Freilich habe es dem Verfasser gefallen, „seinem Gemälde fast eben so viel Schatten als Licht zu geben" (ebd.). Die Schattenseite besteht für den Rezensenten zunächst und durchgängig in Form und Stil der Darstellung: „So angenehm sich der Leser von neuen hellen Geistesblicken überrascht sieht, so schwer wird es ihm doch, manche Ansicht mit der nöthigen Klarheit und Bestimmtheit sich auszudeuten. Nicht nur die aphoristische Form der Darstellung erschwert die Einsicht in den Sinn des Vfs., sondern auch der nicht selten zu kunstvoll und vornehm klingende pretiöse Ausdruck, welcher zuweilen inhaltschwere wie triviale Gedanken unter einer gleichen mystisch-scholastischen Hülle verbirgt und ihnen das Ansehen dunkler Orakelsprüche giebt [...]" (ebd.). Diese formale und stilistische Eigentümlichkeit müsse „besonders an einem Lehrbuche für Anfänger eines Studiums auffallen" (ebd.). Da Schleiermacher zudem darauf verzichtet hat, in seiner Enzyklopädie „auch einen kurzen Auszug der einzelnen dargestellten Disciplinen zu geben" (Sp. 410), also keine materiale, sondern lediglich eine formelle Enzyklopädie gegeben hat, zieht der Rezensent schon am Ende seiner einführenden Gesamtcharakteristik den Schluß, daß die „Kurze Darstellung" insgesamt „wohl wenig geeignet" sein möchte „für angehende Theologen, welche, noch unbekannt mit allem Materialen der Wissenschaft, die ihnen dargebotene hohle Form schwerlich zu deuten und zu benutzen wissen werden" (ebd.). Er fügt allerdings sofort hinzu, daß sie „viel angemessener" sein würde für diejenigen, „die bereits ihren theologischen Cursus beendigt haben" (ebd.).
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Einleitung des Herausgebers
Was die Gesamtgliederung der theologischen Disziplinen bei Schleiermacher anbelangt, so erwecken bereits einleitend zwei Neuerungen das besondere Befremden des Rezensenten: zum einen die neue Disziplin der Philosophischen Theologie, insbesondere sofern sie aus Apologetik und Polemik sich bilden solle und Dogmatik und Ethik als „die bisherigen Haupttheile der Theologie [...] hier gar keine Erwähnung gefunden haben" (ebd.); und zum anderen die Theorie des Kirchenregiments als neuer praktisch-theologischer Disziplin (vgl. ebd.). So beziehen sich die sachlich bedeutendsten kritischen Bemerkungen des Rezensenten denn auch auf die beiden Disziplinen der Philosophischen und Praktischen Theologie, während er in der Historischen Theologie „weit mehr ausgezeichnetes und treffendes gesagt" (Sp. 417) findet. Zu Schleiermachers allgemeiner Einleitung der „Kurzen Darstellung" klagt die Rezension zunächst die fehlende Klärung grundlegender Begriffe ein: „Was eine positive Wissenschaft sey, was Religion, und zwar bestimmte Religion dem Vf. sey, wird nicht gesagt" (Sp. 411). Auch das Verständnis des Kirchenregiments bleibt dem Rezensenten unklar: „Vergebens sucht man aber hier eine genaue Bestimmung dieses Regiments, um nicht, wie gewöhnlich, die unabhängige Ausübung der Kirchengewalt dadurch angedeutet zu sehn [...]" (ebd.). Der Verdacht, als solle das Kirchenregiment in der Tat in diesem Sinne zu verstehen sein, scheint für den Rezensenten durch den für ihn auffälligen Sachverhalt bestärkt zu werden, daß Schleiermacher „zu einer Zeit, wo glücklicherweise alle eigentlichen Kirchenfürsten verschwunden sind, wieder mit der Idee eines solchen hervortritt (§. 9.) [...]. Ob und in wie fern nur Einer oder mehrere solcher Fürsten in der Kirche existiren können, wird nicht gesagt" (Sp. 411f). Schließlich bleibt dem Rezensenten das von Schleiermacher in § 22 der allgemeinen Einleitung anvisierte Verfahren der Philosophischen Theologie zur Bestimmung des Wesens des Christentums und die Bedeutung, die dafür der Ethik zukommt, dunkel: Er sehe nicht, „wie das
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Wesen des Christenthums oder irgend eine in der Geschichte sich darstellende Kirche anders als empirisch erkannt werden könne, und wie die Stiftung und das Bestehn solcher Vereine als ein nothwendiges Element in der Entwicklung des Menschen aus der Ethik nachgewiesen werden soll" (Sp. 412). Dabei mißversteht der Rezensent offensichtlich Schleiermachers Absage an ein lediglich empirisches Verfahren als Befürwortung einer willkürlichen apriorischen Konstruktion (vgl. ebd.). Das Mißverständnis, als solle das Wesen des Christentums durch eine willkürliche Konstruktion ermittelt werden, bestimmt auch die Stellungnahme des Rezensenten zum ersten Teil der „Kurzen Darstellung" zur Philosophischen Theologie: „Allein weder über das Wesen und die allgemeinen Formen dieser Ethik des Vfs., noch über die Idee, ihre Quelle und ihren Gehalt findet man hier näheren Aufschluß, und so sieht man sich in einem mystischen Dunkel befangen, aus welchem alles Hinweisen auf jenes Irrlicht einer unbestimmten Idee keinen Ausweg zu zeigen vermag" (Sp. 413). Die Willkür in der Wesensbestimmung des Christentums hat in Verbindung mit dem für Schleiermachers Gesamtverständnis von Theologie konstitutiven Begriff des Kirchenregiments für den Rezensenten mögliche gefährliche Folgen: „Da nun jeder nur nach seiner eigenen selbstgeschaffnen Idee vom Christenthum seine Thätigkeit im Kirchenregiment bestimmen kann, so wird er leicht verleitet werden können, manches für Abweichungen von seiner Idee zu halten, was doch dem Christenthum an sich nicht zuwider ist, ja es wird ihm nicht schwer werden, in jenem Grundsatze eine Beschönigung und Rechtfertigung aller Aeußerungen der Intoleranz, selbst aller möglichen Gräuel der Inquisition und Kezzerverfolgung zu finden" (ebd.). Bezüglich des zweiten Teils zur Historischen Theologie moniert der Rezensent u.a. im Hinblick auf die Exegetische Theologie, daß das Verhältnis von Judentum und Christentum nicht richtig, nämlich nicht im Sinne der geschichtlichen Zusammen-
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Einleitung des Herausgebers
gehörigkeit und Kontinuität beider Religionen, angegeben werde (vgl. Sp. 418), und im Blick auf die eigentliche Dogmatik, daß Schleiermacher es versäumt habe, das Wie und die Kriterien der Ermittlung des zu einer bestimmten Zeit geltenden Lehrbegriffs anzugeben (vgl. Sp. 421). Die auffällige Neuzuordnung der Dogmatik zur Historischen Theologie wird erwähnt, aber nicht besonders hervorgehoben oder diskutiert. Im Hinblick auf den dritten Teil der „Kurzen Darstellung" zur Praktischen Theologie findet der Abschnitt über die Theorie des Kirchenregiments das besondere kritische Interesse des Rezensenten. Seine Darstellung läßt die offenkundige Befürchtung erkennen, mit dieser Theorie seien vereinheitlichende Tendenzen intendiert: Relativ ausführlich werden Schleiermachers Ausführungen zu Kirchenzucht und Kirchenbann mitgeteilt und als „unbefriedigend" beurteilt (vgl. Sp. 426). Die Bindung an das kirchliche Symbol einerseits und die Freiheit der Lehrentwicklung werden als „sonderbare[r] Widerspruch" (Sp. 426) deklariert. Zustimmend zitiert der Rezensent das Zugeständnis Schleiermachers 28 , „daß nach Erforderniß von Ort und Zeit der Cultus sich mannichfaltig gestalten könne, und daß also statuarisch seine Freyheit und Beweglichkeit begründet werden müsse" (Sp. 426). Ebenso verfährt er mit der von Schleiermacher aufgestellten „Forderung, daß die Kirchengewalt sich selbst beweglich erhalten müsse, um der fortschreitenden Einsicht zu entsprechen" (Sp. 427). Die Frage von Freiheit und kirchlicher Autorität bestimmt auch die Rezension zur Theorie des Kirchendienstes. Wie im Verhältnis von Lehrfreiheit und Bindung an das kirchliche Symbol, so diagnostiziert der Rezensent auch im Blick auf das - für das kirchenleitende Handeln des Klerikers konstitutive - Verhältnis von „individueller Selbstthätigkeit als Prediger" und der Funktion als „Repräsentant der constituirten kirchlichen Autorität als Liturg" „das unsichre Schweben zwischen Gegensätzen, 28
Vgl. die Formulierung: „Uebrigens gesteht der Vf. zu" (Sp. 426).
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welches dem Anfänger in einem Studium, der feste Principien in der Wissenschaft sucht, höchst rath- und trostlos erscheinen muß" (ebd.). Auffällig und lehrreich an dieser insgesamt ablehnend-kritischen Rezension ist zweierlei: Zum einen legt sie nur zu deutlich den Finger auf solche Stellen, die einem damaligen Leser, ohne im Hintergrund die Kenntnis des philosophisch-theologischen Systems zu haben, die damalige Hörer der Vorlesungen oder heutige Leser der Nachlaßtexte Schleiermachers haben können, schier unverständlich bleiben müssen. Dies betrifft, neben vielen Einzelheiten, vor allem das sogenannte kritische Verfahren Schleiermachers in der Philosophischen Theologie und die Konzeption seiner Philosophischen Ethik. Zum anderen zeigt die Rezension, daß man Schleiermachers „Kurze Darstellung" als Gesamtprogramm einer Klerikalisierung der Theologie verstehen oder mißverstehen konnte: Schleiermachers Begriff des Kirchenregiments sowie das Ideal des Kirchenfürsten werden vom Rezensenten offenkundig in diesem Sinne begriffen (vgl. Sp. 411). In Schleiermachers Einschätzung, daß eine theologische Schulbildung die Lehre erleichtere, erblickt der Rezensent die Gefahr einer vereinheitlichenden kirchlichen Indoktrination und Gängelung der freien theologischen Forschung (Sp. 410). Gegen Schleiermachers „ganz grundlose Behauptung, daß sich ohne religiöses Interesse kein fortgesetztes Studium des Kanons denken lasse" (Sp. 420), meint der Rezensent die freie, bloßem philologischem und historischem Interesse verpflichtete Erforschung der neutestamentlichen Schriften verteidigen zu müssen (vgl. ebd.). Diese Beispiele mögen genügen, um den durchgehenden Zug der Rezension zu belegen, daß sie in Schleiermachers theologisch-enzyklopädischem Programm Gefahren klerikalisierend-vereinheitlichender Tendenzen erblickt. Für das Verständnis dieser durchgehenden Kritik ist die Bestimmung der eigenen theologischen Position des Rezensenten hilfreich: Der Rezensent stützt sich auf die „gesunde[...] Vernunft" und die „christlichen Religionsurkunden" (Sp. 415) als
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Begründungsinstanzen, Quellen und Kriterien theologischer Argumentation. Mit Zustimmung referiert er Schleiermachers Erklärung „für die Nothwendigkeit einer historischen Interpretation des Kanons" (Sp. 419); er besteht allerdings gegen Schleiermacher auf der Unterscheidung von rein historisch-grammatikalischer Interpretation und eigentlicher „Erklärung" im Sinne einer „philosophischen Beurtheilung des durch jene gefundenen Inhalts" (ebd.) der christlichen kanonischen Schriften (vgl. ebd.). Die Unterscheidung von Klerus und Laien lehnt er als für die protestantische Kirche im eigentlichen Sinne nicht bestehend ab (vgl. Sp. 423). Er begrüßt die theologiegeschichtliche Entwicklung hin zu einer größeren Freiheit der Lehrbildung (vgl. Sp. 426.427) und äußert auch für die weitere Zukunft den Wunsch, „daß gründliches, von echt religiösem Sinne geleitetes Forschen im Gebiet der theologischen Wissenschaften nie wieder von lähmenden Fesseln eines despotischen Schulzwanges und den Folgen desselben, einer scholastischen Barbarey und Intoleranz befangen werde" (Sp. 410). Alle diese Hinweise lassen vermuten, daß man den Verfasser der Rezension dem Kreis eines dem Erbe der Neologie verpflichteten gemäßigten Rationalismus wird zurechnen können. Von daher ist die Rezension ein interessantes Dokument für die Art und Weise, in der Schleiermachers „Kurze Darstellung" gerade auf den einen Teil der beiden großen theologischen Strömungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirken konnte: nämlich als Manifest einer vom rationalistischen Standpunkt aus gesehen konservativ-restaurativen Kirchlichkeit. Unter dem Titel „Theologische Encyklopädie" erschien in der [Neuen] Leipziger Literatur-Zeitung für das Jahr 1812 2 9 eine Doppelrezension von Schleiermachers „Kurzer Darstellung" (vgl. Sp. 8 1 4 - 8 2 2 ) und Johann Ernst Christian Schmidt: „Theologi29
Nr. 1 0 2 - 1 0 3 vom 27. und 28. April, Leipzig 1812, Sp. 8 0 9 - 8 2 2 . Darauf beziehen sich die Spaltenangaben im folgenden Text.
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sehe Encyklopädie", Gießen 1811 (vgl. Sp. 810-814). Die Arbeit Schmidts würdigt der Rezensent als akademisches Lehrbuch, schätzt seinen Wert für die Wissenschaft selbst aber eher gering ein. Die Theologie habe „durch diese Schrift, so viel wir sehen können, Nichts gewonnen" (Sp. 814). Dies verhalte sich nun ganz anders bei Schleier mâcher s „Kurzer Darstellung". Schleiermacher trete „auch diesmal, wie ihn das philosophische und theologische Publicum schon genügsam kennt, als wissenschaftlicher Reformator auf" (ebd.). Der Rezensent erblickt entsprechend überall „die strengste systematische Ordnung und Gleichförmigkeit" und die „Einheit des Ganzen" (ebd.). Den Charakter der Wissenschaftlichkeit sieht der Rezensent vor allem dadurch realisiert, daß Schleiermacher „das ganz neue Gebäude seiner formalen theologischen Encyklopädie auf den Begriff der christlichen Theologie als seinen einigen Grund gestützt" (Sp. 815) habe. Aus diesem Begriff würden dann die drei Hauptzweige der Philosophischen, Historischen und Praktischen Theologie „abgeleitet" und untereinander „zu einem organischen Ganzen verbunden" (ebd.). Dieser klugen und insgesamt höchst angemessenen Gesamteinschätzung der Besonderheit des Schleiermacherschen Werkes durch den Rezensenten folgt eine in verständnisvollem Ton gehaltene Zusammenfassung der drei Teile der „Kurzen Darstellung" (vgl. Sp. 815-819), der sich dann eine Kritik fundamentaler Art anschließt (vgl. Sp. 819-822). Diese Kritik bezieht sich auf den als Ableitungsgrund vorausgesetzten Theologiebegriff. Diesem zufolge müsse nämlich „die Theologie um der Kirche willen nothwendig vorhanden gedacht werden" (Sp. 819). Darin erblickt der Rezensent die Gefahr, daß „hierdurch die Kirche zur Gesetzgeberin und Beherrscherin der Theologie" (ebd.) erhoben werde. Über die allgemeine Gefahr hinaus sei eine solche Beziehung von Theologie und Kirche „nicht im Geiste des Protestantismus" (Sp. 820). Dieser unangemessene Begriff von Theologie wirke sich nachteilig auf den ganzen Entwurf der Enzyklopädie aus (vgl. Sp. 821). Für diese These führt der Rezensent
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Einleitung des Herausgebers
dann Beispiele aus allen drei Teilen der „Kurzen Darstellung" an (vgl. Sp. 821f). Beispielsweise herrsche in der Praktischen Theologie „eine übermässig strenge Kirchengewalt" (Sp. 822). Resümierend stellt der Rezensent fest, er selbst würde nicht, wie bei Schleiermacher, „die kirchliche Bestimmung der christlichen]. Theologie für die encyklopädische Beschreibung von dieser zur Hauptsache machen" (ebd.). Er schließt mit einem eigenen Vorschlag zur Einteilung der Theologie, deren Eingangs- und Grundunterscheidung die Differenz von reiner und angewandter Theologie ist, eine Unterscheidung, in der noch einmal das Interesse des Rezensenten für eine von der Kirchlichkeit zunächst ganz unabhängig zu haltende Theologie sich ausspricht (vgl. ebd.). Ebenfalls anonym ist die Rezension, die in den von Ludwig Wachler herausgegebenen Theologischen Annalen30 publiziert wurde. Die recht kurz gehaltene Besprechung beschränkt sich in der Hauptsache darauf, in teilweise wörtlicher, ansonsten aber enger Anlehnung an den Text der „Kurzen Darstellung" die Hauptgedanken Schleiermachers zu referieren. „Ree. will sich bemühen, den höchst interessanten Gedanken ganz, so viel wie möglich mit eigenen Worten des Verfs. hier darzulegen" (S. 96). Dabei zeichnet sich die Rezension durch eine sympathisierende und durch Verständnis und Nachempfindung gekennzeichnete Art der Darstellung aus, die vermuten läßt, daß der Rezensent mit Schleiermacher und seinen Gedanken bereits anderwärtig vertraut ist. Auf die Diskussion von Einzelheiten und jegliche kritische Erörterung wird verzichtet. Lediglich zu Beginn und am Ende der Rezension kommt es zu einleitenden und beschließenden wertenden Aussagen des Rezensenten, die noch einmal den durchgängig zustimmenden Ton der Rezension expressis verbis bestätigen: Vornehmlich interessant sei das Buch dadurch, „daß
30
Bd. 1, Marburg/Frankfurt am Main 1812, S. 9 5 - 1 0 0 . Darauf beziehen sich die folgenden Seitenangaben im Text.
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es des geistreichen Verfs. dermalige Ansicht des theologischen Studiums enthält, die schon durch ihre Abweichung vom Gewöhnlichen aufregen, wirken und besseres erzeugen kann" (ebd.). Der Hervorhebung wert ist, daß hier das Exzeptionelle der Schleiermacherschen Disposition der Theologie in ihrer Gesamtheit gerade nicht als anstößig im negativen Sinne, sondern Schleiermachers eigener Einschätzung aus der „Vorrede" entsprechend (vgl. unten S. 2 4 7 , 1 5 - 2 1 [bes. 20f]) als im guten Sinne provokativ und richtungweisend bewertet ist. Und so schließt die Rezension denn auch mit dem Wunsch, daß die „Kurze Darstellung" die ihr gehörige Aufmerksamkeit erlangen und Wirksamkeit entfalten und ihr Verfasser einzelne Teile seines enzyklopädischen Entwurfs noch ausführlicher ausarbeiten möge: „Möge denn dieser kurze Auszug dazu beitragen recht viele denkende Theologen auf diese kleine Schrift, die außerdem noch neben bei so manche interessante Ansichten und scharfsinnige Bestimmungen enthält, aufmerksam zu machen; und möge der geistvolle Verf. durch seine Vorträge über dieselben in mancher edlen Jünglingsbrust die schöne Ansicht des theologischen Studiums, die hier nur ihren Grundzügen nach gezeichnet ist, beleben! Ree. kann schließlich sich den Wunsch nicht versagen, daß es dem Verf. gefallen möge, nach den hier gegebenen Winken ein oder anderes Fach der theologischen Wissenschaften, und am liebsten den philosophischen und practischen Theil, wofür er am meisten Virtuosität besitzen möchte, für das größere Publikum weitläufiger bearbeitet, herauszugeben!" (S. 100) „Zwey der angesehensten Theologen treten zugleich auf, um ihre Begriffe von der Theologie vorzulegen." So beginnt die gemeinsame Rezension zu Schleiermachers „Kurzer Darstellung" und zu Johann Ernst Christian Schmidt: „Theologische Encyklopädie", Gießen 1811, die anonym im 5. Jahrgang der Heidelbergischen Jahrbücher der Litteratur im Jahr 1812 3 1 erscheint. Daß 31
Nr. 33, Heidelberg 1812, S. 5 1 3 - 5 3 2 .
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es sich bei dem Autor der anonymen Rezension um den Heidelberger Professor Friedrich Heinrich Christian Schwarz handelt, beurteilt schon Heinrich Scholz im Jahre 1910 als „höchst wahrscheinlich und nahezu gewiß" 32 und kann heute, soweit ich sehe, als communis opinio der Forschung gelten. Hauptindiz ist, daß in dieser Rezension eine Kritik formuliert wird, die sich zehn Jahre später in der von Schwarz veröffentlichten Rezension zu Schleiermachers „Glaubenslehre" 33 wiederfindet. Der Hauptteil der Rezension ist Schleier mâcher s „Kurzer Darstellung" gewidmet34: „Obgleich das Buch von kleinem Umfang ist, so erfodert doch die Originalität des Verf. und die Größe des Inhalts (denn in einer Encyclopädie muß das Wesen der Theologie selbst erscheinen), daß es sorgfältig betrachtet werde" (S. 513). Die Besprechung der Enzyklopädie von Schmidt beschränkt sich dagegen lediglich auf die letzten zweieinhalb Seiten der Rezension (vgl. S. 5 3 0 - 5 3 2 ) . Der Rezensionsabschnitt zu Schleiermacher zerfällt seinerseits noch einmal in zwei etwa gleich lange Teile, deren erster zunächst schlicht einen Auszug der einzelnen Teile der „Kurzen Darstellung" gibt.35 Hier enthält sich der Rezensent weitgehend aller, sei es zustimmenden, sei es ablehnenden, Kommentierung, sieht man einmal davon ab, daß 32
H. Scholz: Einleitung, S. XVIII, in: F.D.E. Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums. Erste Auflage 1811. Zweite Auflage 1830. Kritische Ausgabe, hg. v. H. Scholz, Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus Heft 10, Leipzig 1910
33
Daß Schwarz der Autor dieser Rezension zur ersten Auflage der Glaubenslehre ist, geht aus Schleiermachers Brief an Graf Alexander zu Dohna vom 7. Januar 1823 hervor: „Die Recension meiner Dogmatik [...] ist von Herrn Schwarz in Heidelberg" (Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, hg. v. J. L. Jacobi, Halle 1887, S. 78).
34
Vgl. Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur, 5. Jg., Nr. 33, Heidelberg 1812, S. 5 1 3 - 5 3 0 . Darauf beziehen sich die folgenden Seitenangaben im Text.
35
Vgl. S. 5 1 3 - 5 2 1 . Die Seiten 5 1 3 - 5 1 5 sind dabei der Allgemeinen Einleitung, S. 515f der Philosophischen, S. 5 1 6 - 5 1 9 der Historischen und S. 5 1 9 - 5 2 1 der Praktischen Theologie in Schleiermachers „Kurzer Darstellung" gewidmet.
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er hier und da Frage- und Ausrufungszeichen in Klammern in das teilweise wörtliche Referat der Hauptgedanken Schleiermachers einfügt (vgl. z.B. S. 517.518.519 u.ö.). Der zweite Teil der Rezension enthält dann eine recht ausführliche kritische Würdigung (vgl. S. 5 2 1 - 5 3 0 ) , deren Grundton trotz mancher freundlicher Worte insgesamt doch distanziert, ja in Grundfragen geradezu von scharf ablehnender Haltung geprägt ist. Diese Mischung aus Anerkennung und Distanzierung kommt plastisch in dem Absatz zum Ausdruck, mit dem die Besprechung zu Schleiermachers Enzyklopädie schließt: „So wenig wir nun auch dem System dieser theologischen Encyclopädie zugethan seyn können, so stark spricht uns doch der Geist in demselben an, welcher zum kräftigeren Denken anregt, und die Theologen auf weitere Ideen bringen wird. Möchte sie besonders zu einer gesunden Lehre über das tiefere Ethische führen, die auf eine unbegreifliche Weise immer in der Kirche, und selbst auch von den Reformatoren, ist vernachläßigt worden! Darum machten wir hauptsächlich auf diesen dunkeln Punct aufmerksam, den diese Darstellung der Theologie doch wenigstens anerkennt, und ganz anders, als er bisher ist anerkannt worden" (S. 530). Damit betont der Rezensent abschließend noch einmal, worin er insgesamt das sachlich Bedeutsamste, aber zugleich auch Diskussions- und Fragwürdigste der Schleiermacherschen Konzeption der theologischen Enzyklopädie erblickt: die den Hintergrund dieser Konzeption bildende Philosophische Ethik des Verfassers und die sachliche Bedeutung, die ihr für die Philosophische Theologie und die gesamte theologische Enzyklopädie und deren Verfahren zukommt. „Auf die Ethik weiset jeder Theil [der „Kurzen Darstellung"] hin. Diese wäre also das tiefste Prinzip, worin unsere ganze Theologie wurzelt, und wodurch sie hervorgetrieben wird. Wir bedauern aber, daß dieses Buch nichts von diesem über Allem liegenden Grund eröffnet. Wir sehen nur so viel, daß von demselben aus die Gegensätze verschwinden sollen, die uns sohin unauflöslich scheinen, und deren Auflösung doch in allen Zwei-
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gen gefodert wird. Der Theolog soll über dem Christenthume stehen, und zugleich mitten in demselben; er soll es als Exoteriker mit [/] aller Skepsis und Kälte des Kritikers betrachten, und zugleich als Esoteriker zur höchsten Wärme durch dasselbe begeistert seyn; er soll in dem Allgemeinen des Christenthums die Verschiedenheiten, nothwendige oder zufällige, in ihrer Entfernung von der Idee hell und klar durchschauen, und soll doch mit ganzer Seele seiner besondern Kirchenpartey angehören; er soll alles, was Parteygeist betrifft, ja das ganze Christenthum selbst als eine einzelne Form unter mehreren Religionsformen, die nur irgend in der Geschichte der Menschheit aufgerollt werden, tief unter seiner lichten Höhe erblicken, und zugleich soll derselbe Theolog die Fülle des christlichen Gefühls in seinem Gemüthe tragen, und vielleicht als Kleriker in dem untersten Kirchendienste mit Enthusiasmus, erfoderlichen Falls in polemischem Feuer arbeiten. Die ganze Theologie soll droben aus den höchsten Regionen der Vernunft erwachsen, um hier unten in dem Gange der Dinge aus dem bisherigen Unvollkommnen das Vollkommnere herbeyzuführen, und endlich in der Idee eines Kirchenfürsten alles zu vollenden. Sie soll auf das Positive der Offenbarung sich stützend, im Zeitenverlauf - Christum (wenn uns dieser Ausdruck des Apostel Paulus hier erlaubt ist) vom Himmel herabholen. - So liegen uns wenigstens die Gegensätze in diesem theologischen System vor, und so müssen wir bekennen, daß uns jener erste Punct, der in der Ethik liegt, der erste Lebenspunct, woraus sowohl das Gemüth, als das Wissen des Theologen erwachsen soll, gänzlich im Dunkel bleibt" (S. 522f). Der Art entsprechend, wie der Rezensent die grundlegende Bedeutung der Philosophischen Ethik für das theologisch-enzyklopädische Programm versteht, schätzt er den wissenschaftlichen Wert der „Kurzen Darstellung" zwar hoch, den kirchlichen Wert hingegen gering ein. Hinsichtlich der Kirchlichkeit steht der Rezensent nicht an, das Buch geradezu als unkirchlich, unprotestantisch, ketzerisch, ja als sündhaft zu beurteilen: „Daß es
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Originalität, Geist, erregende Kraft, Eröffnung neuer und größerer Ansichten in sich schließt, also im Dienste der Wissenschaften sich als trefflich auszeichnet, zeigt schon obiger Auszug; weniger aber können wir die kirchliche Seite der reformirten oder vielmehr protestantischen Partey [/] darin erkennen. Nach dieser wäre eigentlich nichts entfernter, als die Begründung der christlichen Theologie durch irgend eine Philosophie, wir wollen nicht bloß sagen, durch irgend ein philosophisches System, sondern durch das Philosophiren selbst; namentlich ist am weitesten von unserm Kanon entfernt eine Begründung durch eine Vernunftwissenschaft, durch eine höhere Ethik. Denn höher als alle Vernunft ist der heilige Geist, welcher den Glauben gibt und wirkt, in wem er will, durch das Evangelium; und wer nun diesen Glauben hat, der mag nichts von Philosophie, er bedauert vielmehr selbst einen Piaton, denn er hat nun als Christ eine der Art nach ganz verschiedne, dem Grunde nach unendlich höhere, der Kraft nach über allen Zweifel erhabne und ewig beseligende Erkenntniß Gottes, durch welche allein auch eine Theologie möglich ist; denn nur der Wiedergebohrne kann Theolog seyn. Er schaut nun in der Thatsache des Christenthums den Finger Gottes, er glaubt fest, und ohne Beweis, daß Gott in Christus Mensch geworden, seine Kirche gestiftet, Lehrer verordnet hat [...]; alle diese Einsichten verdankt er der Erleuchtung des heiligen Geistes durch das geoffenbarte Wort. Da ist so wenig zu denken, daß man von oben herab durch eine höhere Ansicht in das Christenthum kommen könne, daß sogar jeder Versuch eines solchen Gedankens als in der Wurzel unchristlich, als das Werk der Erbsünde, in deren Dünkel sich der Mensch gerne eine eigne Vernunftkraft vorzaubert, verworfen und verabscheut werden muß [...]. So lehren die Symbole der Protestanten, so lehrt auch in den Hauptpuncten die katholische Kirche, und so ist es besonders seit Augustinus allgemeine Kirchenlehre geworden [...]" (S. 524f). Indem der Rezensent die Funktion sowohl der Philosophischen Ethik wie der Philosophischen Theologie für das Theologiever-
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Einleitung des Herausgebers
ständnis Schleiermachers im Sinne eines begründenden Fundamentes der christlichen Gehalte versteht, muß ihm die „Kurze Darstellung" nicht nur als im Widerspruch mit fundamentalen christlich-kirchlichen Lehren erscheinen, sondern zugleich als in sich selbst widersprüchlich: „Gleich der erste Satz nimmt die Theologie als eine positive Wissenschaft an, und bald nachher wird sie doch als so abhängig von der Philosophie angesehen, daß die Ethik sie durch und durch bestimmen soll, und daß das ganze historische Studium nur einestheils um der philosophischen Wurzel willen und nur als Auslegerin der reinen Wissenschaft da sey, anderntheils freylich auch um des Practischen willen, welches der Zweck des Ganzen seyn soll, aber doch kein andrer seyn kann, als wiederum eine Idee der philosophischen Ethik zu realisiren. Somit wird also, genau betrachtet, alles Positive unter der Hand abgestreift: dann gehört aber das Ganze nicht mehr zu einer positiven Theologie irgend einer bestimmten Religion, nämlich des Christenthums, wie doch jener erste §. verheißt, sondern es steht alles außerhalb der historisch-positiven Religion und unsrer Kirche" (S. 527). Widersprüchlich und unausgeglichen bleiben für den Rezensenten das Christliche und das Philosophische als die unvereinbaren Gegensätze stehen, angesichts derer er gegen Ende der Rezension, bei der Besprechung der Theorie des Kirchendienstes, fast resigniert ausruft: „Ueberall erneuert sich uns der Wunsch, der Verf. möge uns doch etwas angegeben haben, wie das große Postulat zu lösen: ein Christ zu seyn, der seiner Religionsparthey mit voller Seele angehört, und doch außer dem Christenthum zu stehen, den Kirchendienst als Philosoph, und weder als Schauspieler, noch geistlos, sondern mit aller christlichen Seele zu verrichten!" (S. 529) Die von Schwarz formulierte Kritik ist für Schleiermacher im übrigen offensichtlich so eindrücklich gewesen, daß er noch in seinem letzten Kolleg zur Theologischen Enzyklopädie, im Wintersemester 1831/32, darauf zu sprechen kommt. Anläßlich der Interpretation von § 33 der zweiten Auflage der „Kurzen Darstel-
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lung", in dem es um den Ausgangspunkt der Philosophischen Theologie geht, führt Schleiermacher aus: „In der früheren Ausgabe stand blos, daß die philosophische Theologie sich über das Christenthum stellen müsse. Dieß sah ein Recensent so an, als ob es hieße, sich über Christum stellen. Daher ist jezt ein Zusaz gemacht worden, daß dieß nur im logischen Sinne zu nehmen sey, denn es ist ein allgemeiner Sprachgebrauch, daß man den allgemeinen Begriff, (wie hier des Gottesbewußtseyns und der Glaubensgemeinschaft) den höheren nennt" (ThEnz [Strauß], S. 36). Unter dem Sammeltitel „Blicke auf die deutsche theologische Literatur der Jahre 1811 bis 15" gibt J.M.D.L. Deegen, Pastor zu Kettwig, in dem von ihm selbst herausgegebenen „Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur" im Jahr 1819 einen Überblick über die wichtigsten Neuerscheinungen, innerhalb dessen auch Schleiermachers „Kurze Darstellung" folgende kurze Notiz erfährt: „Die neuen Encyclopädieen und Methodologieen, welche unser Zeitraum geliefert hat, bestehen nur in einigen Compendien, unter denen jedoch: G. J. Plancks Grundriß der theologischen Encyclopädie, zum Gebrauch bei seinen Vorlesungen und F. Schleiermachers kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen alle Beachtung verdienen. Erstere hat den Vorzug größerer Klarheit und Ausführlichkeit; letztere, nur 92 Seiten betragend, enthält zwar, wie jede Schrift dieses Verfassers, manchen inhaltschweren Gedanken, ist aber, nicht nur durch die aphoristische Form der Darstellung, sondern auch durch den oft kunstvollen und kostbaren Ausdruck, für den Anfänger zu dunkel. Das Schema, nach welchem der Verfasser eine Uebersicht des ganzen Gebiets der Theologie giebt, ist neu und eigenthümlich, und ganz abweichend von der gewöhnlichen Eintheilung." 36 Wörtliche Anklänge in der Formu36
J.M.D.L. Deegen: Blicke auf die deutsche theologische Literatur der Jahre 1811 bis 15. Erste Hälfte, Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur, hg. v. J.M.D.L. Deegen, Bd. 1, Essen/Duisburg 1819, S. 1 - 4 5 , hier: S. 5.
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lierung erwecken im übrigen den Verdacht, diese kurze Notiz könnte von der Rezension aus der Allgemeinen Literatur-Zeitung von 1811 abhängig sein. Neben diesen Rezensionen sei schließlich noch auf ein besonderes Dokument der frühen Wirkungsgeschichte von Schleiermachers „Kurzer Darstellung" von 1811 hingewiesen. Es handelt sich um Johann Sebastian Drey: „Kurze Einleitung in das Studium der Theologie", Tübingen 1819. 3 7 Diese Theologische Enzyklopädie des Tübinger katholischen Theologen ist, möglicherweise bis in die Gestaltung des Titelblatts hinein, „stark von Schleiermachers Schrift beeinflußt" 38 . Das Vorwort nennt - neben Planck (vgl. S. III) - Schleiermacher ausdrücklich (vgl. S. IV) und gibt eine nachempfindende Charakterisierung des formalen Charakters der gedruckten Enzyklopädie Schleiermachers: „Einem andern liegt der Gedanke näher, daß die Wissenschaft ein organisches Ganzes ist, bey dem es vorzüglich darauf ankommt, daß das Einzelne im Geiste des Ganzen, das Ganze selbst aber im natürlichsten Zusammenhange seiner Theile dargestellt und aufgefaßt wird. Ein solcher lenkt die Aufmerksamkeit mehr auf das Formale, läßt die Haupttheile der Wissenschaft aus einem gemeinschaftlichen Haltungspunct hervorgehen, weist ihr Ineinandergreifen nach, zeigt hinwieder ihre Beziehung auf die positive Grundlage der Wissenschaft, und bezeichnet in dieser Hinsicht überall die größere oder geringere Vollständigkeit, mit welcher sich der Einzelne nach Maßgabe seiner praktischen Bestimmung diesen oder jenen Theil der Wissenschaft anzueignen hat. In
37 38
Darauf beziehen sich die folgenden Seitenangaben im Text. Hans Joachim Birkner: Schleiermachers „Kurze Darstellung" als theologisches Reformprogramm, in: Schleiermacher im besonderen Hinblick auf seine Wirkungsgeschichte in Dänemark. Vorträge des Kolloquiums am 19. und 20. November 1984, hg. v. H. Hultberg/K. F. Johansen/Th. Jörgensen/F. Schmöe, Kopenhagener Kolloquien zur deutschen Literatur Bd. 13 (= Text & Kontext. Sonderreihe Bd. 22), Kopenhagen/München 1986, S. 5 9 - 8 1 , hier: S. 62.
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diesem Geiste ist z.B. Schleiermachers kurze Darstellung verfaßt" (ebd.). Von Schleiermachers „Kurzer Darstellung" dürfte Dreys Gesamtverständnis der Theologie als einer positiven Wissenschaft (vgl. z.B. S. VI) inspiriert sein, wenn er den Begriff auch, wie Schleiermacher selbst, vermutlich von Schellings „Vorlesungen über das akademische Studium" übernommen hat. Auch die Einteilung der Praktischen Theologie in die beiden Hauptstücke Kirchenregiment (vgl. S. 223-236) und Kirchendienst (vgl. S. 236-249) verdankt sich vermutlich Anregungen der „Kurzen Darstellung" Schleiermachers.
3. Schleiermachers „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" (2. Auflage 1830) Die zweite, gänzlich neu geschriebene Auflage seiner gedruckten Theologischen Enzyklopädie erschien im Jahre 1830 unter dem Titel „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Entworfen von Dr. F. Schleiermacher. Zweite umgearbeitete Ausgabe" im Verlag von Georg Reimer in Berlin. Der Druck umfaßt neben Titelei und Vorerinnerungen 145 Seiten. Er besteht aus 8 Bogen (1-8) zu je 16 und zwei Bogen (9-10) zu je 8 Seiten; ein einzelnes Blatt, auf dessen Vorderseite sich die letzte Druckseite 145 befindet, ist angeklebt. Die Druckseite enthält in der Regel je nach Anteil der beiden verwendeten unterschiedlich großen Schriftgraden zwischen 28 und 30 Zeilen. Der Satzspiegel beträgt etwa 8,6 cm in der Breite und 15,4 cm in der Höhe. Der Preis für die „Kurze Darstellung" in ihrer zweiten Auflage beträgt 16 Groschen.39 Das Honorar wird Schleiermacher am 31. Dezember 1832 ausgezahlt; es beträgt 142 Reichstaler und 15 Groschen. 40
39 40
Vgl. Danz: Encyklopädie (s.o. Anm. 10), S. 135. Vgl. Schleiermachers Bibliothek (s.o. Anm. 11), S. 263.
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a) Entstehung Die zweite Auflage der „Kurzen Darstellung" erscheint Mitte November 1830. Jedenfalls erhält Schleiermacher nach Auskunft des Hauptbuchs Reimer am 17. November 1830 erstmalig eine Lieferung von zwölf Exemplaren. 41 An Gaß schreibt Schleiermacher am 18. November 1830: „Seit einigen Tagen ist nun die zweite Ausgabe der Encyklopädie fertig [,..]." 4 2 Das „Allgemeine^..] Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse [...] entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige noch herauskommen sollen" weist das Buch als zur Ostermesse 1831 erschienen aus. 43 Schleiermacher dürfte die Umarbeitungen zur zweiten Auflage gut einen Monat vor Erscheinen des Buches, also etwa kurz vor Mitte Oktober, abgeschlossen haben. Jedenfalls ist die „Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe" unterschrieben mit „Berlin, im October 1830"; und unter Donnerstag, dem 14. Oktober 1830, notiert Schleiermacher in sein Tagebuch: „Der Drukk d[er] Encycl[opädie]. geht an" (SN 450/2). Wann Schleiermacher mit den Vorbereitungen und der Ausarbeitung zur Zweitausgabe seines enzyklopädischen Grundrisses begonnen hat, wissen wir nicht mit Sicherheit zu sagen. Die Quellen fließen hier nur äußerst spärlich, und was wir an einigen Stellen aufzuweisen haben, sind nichts weiter als argumenta e silentio. Es muß grundsätzlich auch damit gerechnet werden, daß über Jahre hin, in denen Schleiermacher Vorlesungen über den Text der ersten Ausgabe der „Kurzen Darstellung" gehalten hat, langsam und allmählich Ideen für Umstellungen und Neuformu41
Ebd.
42
Br. Gaß, S. 228. - Am 29. November ist bereits das nächste literarische Projekt abgeschlossen: Schleiermacher erhält die ersten vier Exemplare seiner „Reden" in vierter Auflage (vgl. Schleiermachers Bibliothek [s.o. Anm. 11], S. 263); sie erscheinen bereits mit dem Druckdatum 1831.
43
Vgl. Bibliographie der Schriften Schleiermachers (s.o. Anm. 15), S. 74
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lierungen, für Ergänzungen und Korrekturen einzelner Paragraphen und Paragraphengruppen sich bildeten und möglicherweise auch schon stellenweise zur Ausarbeitung kamen; handschriftliches Material, das diesen Prozeß dokumentieren könnte, haben wir nicht. Es bleibt uns nichts, als den wenigen möglichen Indizien nachzugehen und sie auszubreiten, die sich im engeren zeitlichen Rahmen vor dem Erscheinen der zweiten Auflage der „Kurzen Darstellung" finden lassen. Im Sommer semester 1829 liest Schleiermacher wieder über Theologische Enzyklopädie, und zwar - wie das Vorlesungsverzeichnis ausdrücklich zur Kenntnis gibt - nach seinem Lehrbuch. Das fünfstündige Kolleg, morgens von 6 bis 7 Uhr vor 118 eingeschriebenen Hörern gehalten, beginnt am 4. Mai 1829 und endet am 28. August des Jahres. 44 Zwei Tage vor Vorlesungsbeginn, am 2. Mai, erhält Schleiermacher nach Auskunft des Hauptbuchs Reimer 45 ein Exemplar seiner „Kurzen Darstellung" ausgeliefert. Möglich ist, daß Schleiermacher das Buch einem Hörer geschenkt hat; es ist aber ebenso gut denkbar, daß Schleiermacher sich ein neues Exemplar seiner Enzyklopädie kommen läßt, um sich im Zuge der Vorlesung Notizen für die Umarbeitung für eine eventuelle Zweitauflage machen zu können. Freilich: An eben diesem 2. Mai 1829 schreibt Schleiermacher an Gaß über das unmittelbar bevorstehende Vorlesungsprogramm, ohne seine Vorlesung zur Theologischen Enzyklopädie überhaupt mit einem Wort zu erwähnen, geschweige denn, mitzuteilen, daß er irgendetwas Besonderes damit verbände, nämlich eine Neuausgabe seines gedruckten Leitfadens in Angriff zu nehmen oder doch vorzubereiten. 46 44
Vgl. Schleiermachers Briefwechsel (s.o. Anm. 4), S. 325.
45
Vgl. Schleiermachers Bibliothek (s.o. Anm. 11), S. 262.
*
Die Briefstelle lautet: „Uebermorgen fange ich an zu lesen, aber ich weiß noch nicht, wie ich durchfinden werde. Die Lehre vom Staat habe ich seit zehn Jahren nicht vorgetragen, und Einleitung in das Neue Testament noch gar nicht. Wenn nur nicht die Dogmatik zu sehr dabei liegen bleibt!" (Berlin 2. Mai 1829, Br. Gaß, S. 211)
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Gesichtspunkte für die zeitliche Ansetzung der Ausarbeitung der zweiten Auflage der „Kurzen Darstellung" ergeben sich möglicherweise aus Schleiermachers Neubearbeitung seiner gedruckten Dogmatik „Der christliche Glaube". Der erste Band der zweiten Auflage der „Glaubenslehre" erscheint 1830. Er enthält einige Verweise auf Schleiermachers „Kurze Darstellung", die sich allesamt auf deren erste Auflage beziehen (vgl. z.B. CG2, Bd. 1, § 1, Ziffer 1; § 2, Ziffer 2 u.ö.). Die Arbeit an der zweiten Auflage des ersten Bandes der „Glaubenslehre" geht also Schleiermachers Ausarbeitung der zweiten Auflage der „Kurzen Darstellung" offensichtlich voraus. Damit ergibt sich ein vorläufiger terminus a quo für den Arbeitsbeginn an der „Kurzen Darstellung". Denn am 23. April 1830 schreibt Schleiermacher an Friedrich Bleek (1793-1859): „Der erste Band der Dogmatik ist nun, was mich anbetrifft, fertig, ich habe gestern den lezten Strich gemacht und die Druckerei ist auch nur noch um ein paar Bogen zurück" (Br. 4, S. 395). Anfang Mai dürfte der Band dann gedruckt vorgelegen haben (vgl. den Brief an Gaß vom 8. Mai 1830, Br. Gaß, S. 222). Schleiermacher scheint während der Arbeit am ersten Band der „Glaubenslehre" noch nicht an eine überarbeitete Zweitauflage seiner „Kurzen Darstellung" gedacht zu haben. Dafür spricht jedenfalls, daß Schleiermacher im Zusatz 2. zu CG2, § 2 - nachdem er dort die Begriffe Ethik und Religionsphilosophie erklärt hat - auf eine ebensolche Erklärung von Apologetik verzichtet und statt dessen vielmehr auf die KD1, S. 14 § 14, verweist. Hätte er zu diesem Zeitpunkt schon eine Neuausgabe der „Kurzen Darstellung" für die unmittelbare Zukunft projektiert, so hätte er damit von vornherein das unmittelbar bevorstehende Veralten seiner Zweitauflage der „Glaubenslehre" in Kauf genommen. Für die Vermutung, daß sich der Plan zur Ausarbeitung einer Zweitauflage der „Kurzen Darstellung" zeitlich erst nach Fertigstellung des ersten Bandes der Zweitausgabe der „Glaubenslehre" ergeben hat und in Angriff genommen wurde, spricht auch,
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daß sich für die Zeit, in der Schleiermacher an der zweiten Auflage des ersten Bandes der „Glaubenslehre" arbeitet, keinerlei brieflicher Hinweis auf eine projektierte Zweitauflage der „Kurzen Darstellung" findet, andere literarische Unternehmungen aber sehr wohl erwähnt werden: „Mit der Dogmatik geht es schauderhaft langsam, zumal nun auch die Correctur des Gesangbuches Zeit wegnimmt und zugleich die Monologen wieder abgedrukkt werden" (30. Mai 1829 an Gaß, Br. Gaß, S. 214f). Noch in seinem Brief vom 23. Juli 1830 an Gaß äußert Schleiermacher sich über seine bevorstehenden literarischen Projekte, wiederum ohne daß eine Zweitausgabe der „Kurzen Darstellung" Erwähnung fände. 47 Im Spätsommer und Herbst 1830 ist Schleiermacher dann auf Reisen: Am 30. August ist Abreisetag (vgl. Tagebuch, SN 4 5 0 , 6 8 ) . Am 7. Oktober trifft Schleiermacher wieder in Berlin ein (SN 450, 83). Bis etwa eine Woche vor Reiseantritt scheint Schleiermacher vorwiegend an dem „Sendschreiben an von Coelln und Schulz" gearbeitet zu haben; am 22. August 1830 schickt er jedenfalls die abgeschlossene Arbeit an Ulimann, die dann zwischen dem 9. und 23. Oktober, also nach Schleiermachers Wiederkunft, gedruckt wird (vgl. dazu KGA 1/10, S. XCIII-XCVI). Es ist allerdings schwer vorstellbar, Schleiermacher sollte den Text der neuen Ausgabe seiner „Kurzen Darstellung" innerhalb einer Woche zwischen seiner Rückkehr nach Berlin am 7. und dem Beginn des Druckes am 14. Oktober 1830, geschrieben haben. Er muß also doch wohl den größten Teil bereits vor seiner Abreise am 30. August fertiggestellt haben. Dafür spräche am Ende auch ein undatiertes Brieffragment Schleiermachers. Darin heißt es: „Mein 47
Vgl. Br. Gaß, S. 2 2 6 . - Genannt werden vielmehr „An die Herren D. D. D. von Cölln und D. Schulz. Ein Sendschreiben" (KGA 1/10, S. 3 9 5 - 4 2 6 ) , das zu Beginn des Jahres 1831 erschienen ist, ferner „Ueber das Berliner Gesangbuch. Ein Schreiben an Herrn Bischof Dr. Ritsehl in Stettin" (KGA 1/9, S. 4 7 3 - 5 1 2 ) , das im Herbst 1830 gedruckt vorlag, sowie schließlich der zweite Band der „ Glaubenslehre ".
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fast vierzehntägiges befinden das noch immer nicht ganz gehoben ist hat mich gehindert die Encyclopädie so weit zu fördern als ich hoffte; indeß wird doch sehr bald nach meiner Rükkunft der Druck anfangen können" (SN 761/5, Bl. lr). 48 Die „Rükkunft" könnte sich auf Schleiermachers große Spätsommer- und Herbstreise 1830 beziehen. Dann hieße das, daß Schleiermacher bereits vor seiner Reise an der neuen Ausgabe der „Kurzen Darstellung" gearbeitet, die Ausarbeitung aber erst nach dem 7. Oktober 1830 zum druckfertigen Abschluß gebracht hätte. b) Umarbeitungen zur zweiten Auflage Die Umarbeitungen, die Schleiermacher bei der Zweitauflage gegenüber der Erstausgabe von 1811 vorgenommen hat, sind erheblich. Das Buch ist, darin dem Fall der „Glaubenslehre" vergleichbar, praktisch neu geschrieben worden. Dabei hat sich der Text der „Kurzen Darstellung" insgesamt erheblich verlängert. Gleichzeitig ist aber interessanterweise die Zahl der Paragraphen geringer geworden; statt 392 in der ersten sind es nunmehr 338 in der zweiten Auflage. Für den vermehrten Textumfang sind nicht zuletzt die von Schleiermacher neu hinzugefügten kleingedruckten Erläuterungen zu den Paragraphenleitsätzen verantwortlich. Schleiermacher schreibt selbst über die kürzere Erstauflage von 1811: „[...] jene Schrift ist zu kurz und aphoristisch, als daß es nicht nöthig sein sollte, dem dort gesagten mit einigen Erläuterungen zu Hülfe zu kommen" (CG2, § 1, Ziffer 1). In ihrem Kontext bezieht sich diese Äußerung lediglich auf die in der „Kurzen Darstellung" gegebene Definition der Dogmatik (vgl. KD1, S. 56, § 3; unten 288,5-9); aber vielleicht 48
In dem Brieffragment ist die Rede von dem „Gfroererschen Werk": gemeint sein könnte August Friedrich Gfrörer: Kritische Geschichte des Urchristentums, Bd. 1, das allerdings erst Stuttgart 1831 erschienen ist. Gleichwohl läßt sich schwerlich eine spätere Datierung des Fragments denken, die jenseits des terminus ad quem vor Druckbeginn am 14. Oktober 1830 liegen sollte.
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ist es kein Zufall, daß die Formulierung dann doch auffällig allgemein ausfällt. In dieser Allgemeinheit jedenfalls liest sie sich geradezu wie ein Programm für die Einarbeitung der Erläuterungen zu den Paragraphenleitsätzen in der zweiten Auflage. Schleiermacher gibt selbst in seiner „Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe" (s.u. 3 2 2 , 5 - 1 9 ) erste Hinweise auf die Art der Umarbeitung von der ersten zur zweiten Ausgabe: „wiewol Ansicht und Behandlungsweise im Ganzen durchaus dieselben geblieben" seien, habe er „im einzelnen vieles zu verändern" gefunden; diese Veränderungen beziehen sich auf „Ausdrukk" und „Stellung" (s.u. 322,9f.8f.ll.). Ausdrücklich erwähnt Schleiermacher ferner die Einführung der durchgehenden Paragraphenzählung, die eine erhebliche Erleichterung der Zitationsmöglichkeit bedeutet: „Daß in der ersten Ausgabe jeder Abschnitt seine Paragraphen besonders zählte, verursachte viel Weitläuftigkeit beim Citiren, und ist deshalb geändert worden" (s.u. 3 2 2 , 1 5 17). Zu Verbesserung und Erhöhung der Benutzerfreundlichkeit gehört im übrigen auch, von Schleiermacher hier nicht erwähnt, daß er der neuen Ausgabe im Gegensatz zur Erstauflage ein Inhaltsverzeichnis beigegeben hat. Schleiermacher hat also die „Kurze Darstellung" sowohl sprachlich-stilistisch überarbeitet („Ausdrukk") als auch den Stoff teilweise neu angeordnet („Stellung"). So ist, wenn auch einzelne Phrasen immer wieder einmal unverändert oder nur geringfügig modifiziert auftauchen, kein Paragraphenleitsatz in der Formulierung unverändert geblieben, vielfach vielmehr sogar gänzlich neu geschrieben; so sind im Detail immer wieder Umstellungen einzelner Paragraphen oder kleinerer Paragraphengruppen in der thematischen Reihenfolge vorgenommen worden. Von diesen Umstellungen ist allerdings die Gesamtgliederung weitestgehend unberührt geblieben: Erhalten sind die drei großen Teile Philosophische, Historische, Praktische Theologie; jeder dieser Teile besitzt einen Einleitungs- und einen Schlußabschnitt; die von diesen eingerahmten inhaltlichen Abschnitte sind, von
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Formulierungsfragen abgesehen49, zwischen beiden Auflagen ihrem Thema nach identisch. In einem Fall ist die Gliederung gegenüber der Erstauflage formal verfeinert: Innerhalb des zweiten Teils zur Historischen Theologie ist der dritte Abschnitt zur Kenntnis des gegenwärtigen Christentums noch einmal in die beiden Unterabschnitte „Die dogmatische Theologie" und „Die kirchliche Statistik" unterteilt. An einer einzigen Stelle gibt es eine auffallende Umstellung: Innerhalb der Praktischen Theologie sind die beiden Abschnitte zur Theorie des Kirchenregiments und zur Theorie des Kirchendienstes in ihrer Reihenfolge vertauscht worden. Die Reihenfolge der ersten Auflage - erst Kirchenregiment, dann Kirchendienst entspricht der sachlichen Ordnung vom Ganzen (Kirche) zum Partikularen (Gemeinde); die Umstellung - erst Kirchendienst, dann Kirchenregiment - kann man von daher, insbesondere wenn man Schleiermachers Eintreten für eine demokratisch-synodale Kirchenverfassung hinzunimmt, als programmatisch gewollt verstehen: Am Anfang steht die Einzelgemeinde bzw. die Theorie des auf sie bezogenen pfarramtlichen Tätigkeitsfeldes. Damit orientiert sich die Reihenfolge der zweiten Auflage zugleich an dem Vorrang, den die durchschnittlich-normale gemeindepfarramtliche Tätigkeit gegenüber der statistisch-exzeptionellen Tätigkeit in den kirchenleitenden Ämtern besitzt. So könnten für diese Umstellung am Ende schlicht auch pragmatische Erwägungen Schleiermachers gesprochen haben: Bei der Benutzung der „Kurzen Darstellung" als Vorlesungsgrundlage kommt nun das, was den durchschnittlichen zukünftigen Geistlichen hinsichtlich seiner späteren Tätigkeiten vornehmlich be-
49
Was die Formulierung der Überschriften anbelangt, kann man zwei Regelmäßigkeiten der Umarbeitung erkennen: Das leicht altertümelnde, an griechischlateinische Gepflogenheiten erinnernde „Von ..." wird in den Überschriften der Abschnitte, nicht jedoch der drei großen Teile, aufgegeben; statt „Schluß" heißt es jetzt jeweils „Schlußbetrachtungen über die ...".
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trifft, zuerst; wird man mit dem Stoff innerhalb der Vorlesung nicht fertig oder muß man gegen Ende hin straffen und verkürzen, hat man immerhin das für die spätere Berufsausübung in der Regel Wichtigere vermitteln können. c) Zur frühen Wirkungsgeschichte Die Wirkungsgeschichte der zweiten Ausgabe der „Kurzen Darstellung des theologischen Studiums" von 1830 ist eigentümlich. Auf der einen Seite scheint es Besprechungen im eigentlichen Sinne nicht gegeben zu haben. Diese Fehlanzeige darf aber andererseits ganz offensichtlich nicht so verstanden werden, als hätte Schleiermachers „Kurze Darstellung" nicht die gehörige Beachtung in der theologischen Fachöffentlichkeit erfahren. Ganz im Gegenteil indiziert das Fehlen von Rezensionen, daß dieses Buch den Rang eines allseits berücksichtigten, beinahe schon klassischen Beitrags zur Theologischen Enzyklopädie eingenommen hat. Die vollständige Wirkungsgeschichte der zweiten Ausgabe der „Kurzen Darstellung" zu bieten hieße deshalb eigentlich, die Geschichte der wissenschaftlichen Disziplin Theologische Enzyklopädie im 19. und 20. Jahrhundert zu schreiben. 50 Ganz grob lassen sich zwei Typen der Rezeption durch die fachwissenschaftliche Öffentlichkeit unterscheiden. Es gab einerseits die ganz unspektakuläre, sozusagen wissenschaftsgeschichtlich-alltägliche Wirkung der „Kurzen Darstellung": Man weist in der Literatur auf das Buch hin und zitiert es neben vielen anderen im gelehrten Apparat als ein Stück zeitgenössisch-gegenwärtiger Gebrauchsliteratur zur Theologischen Enzyklopädie, ohne daß irgendwo ein eigentlich prägender Einfluß der Schleiermacherschen Konzeption erkennbar werden muß. 51 Auf der anderen 50
Für das 19. Jahrhundert liegt eine Skizze dieser Rezeptionsgeschichte vor bei Alfred Eckert: Einführung in die Prinzipien und Methoden der evangelischen Theologie, Bd. 1 - 2 , Leipzig 1 9 0 8 - 1 9 0 9 , Bd. 1, S. 2 3 - 5 1 .
51
Diese Art der Rezeption durch die theologische Fachgenossenschaft repräsentiert z.B. Danz: Encyklopädie (s.o. Anm. 10).
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Seite konnte Schleiermacher mit der Zweitausgabe seiner „Kurzen Darstellung" auch ausgesprochen prägend auf die literarische Produktion zur Theologischen Enzyklopädie wirken. Das markanteste Beispiel für diese Art der Rezeption dürfte Carl Rudolph Hagenbach: „Encyclopädie und Methodologie der Theologischen Wissenschaften", Leipzig 1833, darstellen. Hagenbachs Enzyklopädie war ein außerordentlich erfolgreiches und verbreitetes Lehrbuch, das zu Lebzeiten seines Verfassers zehn Auflagen erfuhr. Von diesem Werk hat man zu Recht behauptet, es nähre sich „ganz an Schleiermachers Geist und Gedanken" 52 . Daneben läßt sich sogar international ein solcher prägender Einfluß der „Kurzen Darstellung" nachweisen: Henrik Reuterdahl (17951870), schwedischer Theologe, später Propst, übernahm in seiner „Inledning litt Theologien" (Lund 1837) von Schleiermacher die Dreiteilung von Philosophischer, Historischer und Praktischer Theologie. Dabei präsentieren dann die von Reuterdahl entfalteten Bestandteile der Philosophischen Theologie: Religionspsychologie - Religionsgeschichte und -philosophie - Apologetik - Polemik53, eine inhaltliche Anknüpfung an Schleiermacher ebenso wie bereits eine eigenständige produktive Erweiterung. Neben, teilweise auch innerhalb dieser allgemeinen Wirkung auf die theologische Fachöffentlichkeit steht die besondere Wirkung, die Schleiermacher mit seiner „Kurzen Darstellung" unmittelbar, sei es privatim, sei es publice, im Kreis seiner Freunde, Schüler oder Hörer erzielte. In dem Begleitbrief vom 18. November 1830, mit dem Schleiermacher ein Exemplar der zweiten Auflage seiner „Kurzen Darstellung" an seinen alten theologischen Weggenossen und Freund Joachim Christian Gaß verschickte, erbittet er von ihm zugleich eine erste Einschätzung der vorgenommenen Umarbeitungen: „Ich bitte mir nun, versteht
52 53
Eckert: Einführung (s.o. Anm. 50), Bd. 1, S. 27. Vgl. Scholz: Einleitung (s.o. Anm. 32), S. XXII f.
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sich so bald Gesundheit und Geschäfte Dir Muße lassen, Deine Meinung aus, die mir Deiner Vorlesungen wegen hier noch besonders wichtig ist, ob meine Aenderungen auch Besserungen sind, und ob die kleinen Zusäze dem Leser helfen, ohne einen Drüberleser zu geniren" (Br. Gaß, S. 228). Gaß antwortet darauf am 29. Dezember des Jahres: „Zuvörderst, mein theurer Freund, muß ich Dir recht herzlich danken für die überschickte neue Ausgabe der kurzen Darstellung. Sie ist zwar auch wie Deine Dogmatik dasselbe Buch geblieben, aber auch zugleich ein ganz neues geworden und durch die beigefügten Erläuterungen zugänglich auch für die, welche vor lauter Klagen über die Dunkelheit und unverständliche Kürze gar nicht zum Studium desselben kommen konnten oder wollten. Hoffentlich wird sie nun auch beitragen, das wahre Wesen der christlichen Theologie in ihrer Selbständigkeit klar zu machen. Daß Lücke in Göttingen darüber liest, kann sehr ausgebreitete Folgen haben, und ich denke mir, daß dasselbe von Twesten in Kiel und Ullmann in Halle geschehen und durch solches Zusammenwirken die Regsamkeit in dem theologischen Studium mit der Zeit sehr gewinnen wird" (Br. Gaß, S. 230). Zugleich kündigt Gaß in demselben Brief an, er werde „noch eine Einleitung zum Verständniß und zur Erleichterung des Selbststudiums über die kurze Darstellung" schreiben und sie an die „Theologischen Studien und Kritiken" schicken (Br. Gaß, S. 231). Zu einer solchen Veröffentlichung ist es dann aber nicht mehr gekommen; Gaß starb bereits am 19. Februar 1831. Man kann diesem Brief von Gaß zugleich entnehmen, daß Schleiermachers „Kurze Darstellung" nicht nur von ihm selbst, sondern offensichtlich auch von einigen seiner Schüler als Lehrbuchgrundlage für ihre Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie gedient hat. In einem belegbaren Fall ist sie sogar über den Tod ihres Verfassers hinaus „zum Behuf einleitender Vorlesungen" verwendet worden: Im Wintersemester 1842/43 hielt Schleiermachers Nachfolger August Detlev Christian Twesten in Berlin
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Einleitung des Herausgebers
Vorlesungen zur Theologischen Enzyklopädie, denen er Schleiermachers „Kurze Darstellung" als Leitfaden und Lehrbuch zugrunde legte. Schleiermacher selbst hat lediglich einmal Vorlesungen über Theologische Enzyklopädie auf der Grundlage der Zweitausgabe der „Kurzen Darstellung" gehalten, nämlich im Wintersemester 1831/1832: „Die theologische Encyclopädie trägt nach seiner kurzen Darstellung des theol. Studiums (2. Aufl.) in fünf Stunden wöchentlich von 9 - 1 0 Uhr Hr. Prof. Dr. Schleiermacher privatim vor". Diese Vorlesung beginnt am 7. November 1831 und endet mit der 96. Stunde am 31. März 1832.54 Der prominenteste der 90 Hörer war David Friedrich Strauß (1808-1874). Strauß würdigte in seiner noch im selben Jahr 1832 entstandenen Studie zur „Encyclopädie der theologischen Wissenschaften" von Karl Rosenkranz 55 auch Schleiermachers „Kurze Darstellung" als den, freilich unbefriedigend bleibenden, Versuch, die theologischen Wissenschaften aus einem organisierenden Prinzip zu begreifen. Strauß schreibt: „Auf dem Gebiete der Theologie hatte schon vorher [nämlich: vor Hegel auf philosophischem Gebiet] Schleiermacher in seiner kurzen Darstellung des theologischen Studiums versucht, dem blos gewohnheitsmäßigen Aneinanderreihen der Disciplinen in den bisherigen Encyclopädien ein Ende zu machen, und Alles aus Einem Grundgedanken abzuleiten; allein da dieser Grundgedanke nicht der immanente Begriff der christlichen Religion und Theologie, sondern nur ein äußerer Zweck der letzteren, nämlich die Kirchenleitung, war, und überhaupt der ganze Standpunkt nur im Formalen, mithin außerhalb der Sache selbst, genommen wurde: so konnte kein wahrhafter Organismus, sondern nur ein, wenn auch äußerst klug eingerich-
54 55
Schleiermachers Briefwechsel (s.o. Anm. 4), S. 328. Vgl. David Friedrich Strauß: Rosenkranz, Encyclopädie der theologischen Wissenschaften [1832], in: ders.: Charakteristiken und Kritiken, Leipzig 1839, S. 2 1 3 - 2 3 4 .
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tetes, Aggregat der theologischen Wissenschaften herauskommen." 5 6 Sehr viel positiver ist die Bewertung, die Friedrich Lücke ( 1 7 9 1 1855) der „Kurzen Darstellung" zukommen ließ, als er 1834 kurz nach Schleiermachers Tod eine Gesamtwürdigung der wissenschaftlichen Leistung seines theologischen Freundes und Lehrers vornahm. 57 Bereits in der Erstausgabe von 1811 sieht Lücke das Werk, in dem sich der „Geist der neuen Universität", der sich in der Berliner Gründung Ausdruck und Gestalt verschafft hat, seinerseits „auf theologischem Gebiete" manifestiert 58 . „Schleiermacher läßt auch seine nächsten Vorgänger weit hinter sich. Zum ersten Male erscheint hier die Theologie als ein organisches Ganzes, auf eine bewunderungswürdige Weise architektonisch construct von ihrem praktischen Ausgangspuncte, dem Bedürfnisse einer gesetzmäßigen Leitung der christlichen Kirche und dem nothwendigen Interesse des Theologen daran, - bis zu ihrem praktischen Gipfelpuncte, der Theorie und Technik der kirchlichen Praxis. Alle wesentlichen Elemente der Theologie, die religiösen und wissenschaftlichen, die praktischen und theoretischen, die positiven und philosophischen mit gleicher Anerkennung aufnehmend, scheidend, verbindend, ordnend, führt Schleiermacher mit kunstreichem Geiste ein prachtvolles, eben so wohl gegründetes, als vollständiges, innerlich zusammenhängendes Gebäude auf. [...] Man weiß nicht, was man an der Schrift mehr bewundern soll, den großartigen Grundriß, wonach das Ganze angelegt ist, oder die Kühnheit und Originalität der Ausführung. [...] Da die Idee der Theologie, von der Schleiermacher ausging, größer war als die 56
A.a.O., S. 2 1 4 . -
Dieselbe Kritik wiederholt Strauß im Kern sieben Jahre
später in seinem Aufsatz „Schleiermacher und D a u b " (vgl. a . a . O . , S. 3 - 2 1 2 , hier: S. 5 2 ) , wiederum bei gleichzeitiger Würdigung der partiellen wissenschaftlichen Leistung der Schleiermacherschen Enzyklopädie. 57
Friedrich Lücke: Erinnerungen an Dr. Friedrich Schleiermacher, Theologische Studien und Kritiken 7, 1 8 3 4 , S. 7 4 5 - 8 1 3 (bes. S. 7 7 2 - 7 7 4 ) .
58
A . a . O . , S. 7 7 2 .
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Einleitung des Herausgebers
damalige Wirklichkeit, so enthält seine Darstellung mehr eine Theologie der Zukunft, als der Gegenwart. In diesem Sinne ist es zum Theil ein wahrhaft prophetisches Werk, welches bei lebendigem Fortschritte in unsrer Wissenschaft und Kirche je länger je mehr in Erfüllung gehen wird." 59 Lücke macht im folgenden auf revolutionierend-neue und originelle Einzelheiten der „Kurzen Darstellung" aufmerksam und fährt dann fort: „Man hat der Darstellung die epigrammatische Kürze vorgeworfen. Aber sie soll eben nur Sätze enthalten, welche nur die Meister in der Wissenschaft ohne weitere Erklärung verstehen können. Und, obgleich ich selber wünschen möchte, daß die neue Ausgabe v[om]. J[ahre]. 1830 noch mehr Erläuterungen enthielte, so muß ich doch bekennen, daß mir für akademische Compendien die Form der kurzen, selbst räthselhaften Sätze ungleich geeigneter erscheint, als die ausführliche, welche das Bedürfniß erläuternder Vorlesungen eher erstickt, als weckt. Insofern scheint mir Schleiermachers Darstellung auch in Hinsicht der Form ausgezeichnet."60 4. Schleiermachers Marginalien aus seinem Handexemplar der zweiten Auflage der „Kurzen Darstellung" Im Schleiermacher-Nachlaß bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften findet sich unter der Signatur SN 47/1 Schleiermachers Handexemplar der zweiten Auflage der „Kurzen Darstellung des theologischen Studiums" von 1830.61 Dabei handelt es sich um eine als durchschossener Druck gestaltete Ausgabe. Sie enthält zehn, den zehn Druckbogen der „Kurzen Darstellung" 62 entsprechende, geheftete Lagen; die Bindung zwischen den Lagen bzw. Druckbogen ist aufgelöst. Das Ganze 59 60 61
62
A.a.O., S. 772f. A.a.O., S. 774. Der archivalische Titel dieses Nachlaßstückes lautet: „Eigenhändige Zusätze, Notizen und Marginalien zu ,Kurze Darstellung des theologischen Studiums'". Vgl. oben S. 33.
I. Historische Einführung
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ist eingelegt in einen verschnürbaren festen Pappeinband der Zeit im Format etwa 2 3 , 7 cm χ 19,5 cm. Die einzelnen Lagen sind derart durchschossen, daß abwechselnd je ein (vier Seiten bildendes) leeres Doppelblatt und ein vier Druckseiten bildendes Doppelblatt des jeweiligen Druckbogens aufeinandergelegt werden. Das Format der auf diese Weise entstehenden, den einzelnen Druckseiten jeweils gegenüberliegenden leeren Seiten beträgt ca. 2 3 , 5 cm in der Höhe und 18,5 cm in der Breite. Das Papier ist gelblich gefärbt. Lediglich das jeweils äußerste Doppelblatt der drei letzten Lagen weist eine bläuliche Färbung auf und besitzt ein geringfügig kleineres Format von 23 cm Höhe. Auf den eingebundenen leeren Blättern finden sich, nach inhaltlichen Gesichtspunkten gezählt, dreiundsiebzig handschriftliche Notizen Schleiermachers. Sie unterscheiden sich hinsichtlich Tinte, Schreibart und Schriftgröße voneinander. Sie dürften daher kaum in einem Zuge und Arbeitsgang niedergeschrieben worden sein. Zweifelsfrei aber stammen sie alle von Schleiermachers Hand. Die meisten von ihnen sind in einer bräunlichen oder in einer deutlich dunkleren, fast schwarzen Tinte geschrieben, zu denen es dann jeweils blassere Varianten gibt. Weiterhin lassen sich zwei unterschiedliche Federbreiten ausmachen. Eine ganze Reihe der Randnotizen ist relativ groß, sauber und sorgfältig geschrieben; ihr Schriftzug ist schwungvoll-schön und in der Regel etwas rechtsläufig. Andere sind kleiner und krakeliger in ihrem Schriftzug, häufig gleichzeitig viel schmaler im Strich und weniger rechtsläufig, fast senkrecht. Sie erwecken den Eindruck, in größerer Eile auf das Papier geworfen zu sein. Schleiermachers Notizen befinden sich auf der bei den ungeraden Drucktextseiten diesen links gegenüberliegenden, bei geraden Drucktextseiten rechts gegenüberliegenden leeren durchschossenen Seiten. Davon ausgenommen sind vier Marginalien, die Schleiermacher jeweils auf der Vorderseite des äußersten Blattes einer gehefteten Lage notiert hat (s.u. 324,5f; 4 2 0 , 1 3 - 1 7 ; 4 3 2 , 2 6 - 2 9 ; 4 3 9 , 2 9 f ) , denen also keine Textseite korrespondiert.
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Einleitung des Herausgebers
Die Marginalien erläutern den gedruckten Text der einzelnen Paragraphen der „Kurzen Darstellung". Dabei hat Schleiermacher in der Regel keine ausdrückliche Zuweisung seiner Notizen zum Drucktext vorgenommen. Lediglich in zwei Fällen gibt es eine eindeutige Einweisung durch entsprechende Zeichen (vgl. unten 361,27; 367,26f); in mehreren Fällen beinhaltet der Text der Marginalie selbst deren Verortung, so z.B. wenn in ihm die Nummer desjenigen Paragraphen genannt ist, auf den sich die Randnotiz bezieht. In den übrigen Fällen ist die Zuweisung der Marginalien zum Text der „Kurzen Darstellung" eine Sache der Interpretation. Allerdings zeigt der Ort der Marginalien auf der dem Text jeweils gegenüberliegenden Seite bereits in etwa den inhaltlichen Bezugspunkt der Marginalie auf den gedruckten Text an. Insgesamt ist dabei freilich die Tendenz zu beobachten, daß Schleiermacher die Notizen in der Regel gegenüber dem Text, auf den sie sich beziehen, etwas höher angesetzt hat. Wann Schleiermacher diese Notizen zu Papier gebracht hat, wissen wir nicht genau. Unter dem 17. Februar 1831 findet sich im Hauptbuch Reimer auf der Soll-Seite zu Schleiermachers Rechnungsführung eine Verbuchung von zwei Groschen und sechs Pfennigen für einen „Einband". 63 Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich hierbei um die Kosten für die buchbinderische Herstellung des durchschossenen Drucks der zweiten Auflage der „Kurzen Darstellung" und den verschnürbaren Pappeinband handeln könnte. Dann wäre damit zugleich der früheste Zeitpunkt benannt, ab dem die Notizen im Handexemplar hätten entstehen können. Aber das bleibt ungewiß. Für eine ganze Reihe der Marginalien läßt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie erst im Zuge der Vorlesung, bzw. deren Vorbereitung, entstanden sind, die Schleiermacher im Wintersemester 1831/32 über Theologische Enzyklopädie gehalten hat. Diese Vorlesung ist durch die edierte Nachschrift 63
Schleiermachers Bibliothek (s.o. Anm. 11), S. 348.
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aus der Feder von David Friedrich Strauß ziemlich gut dokumentiert. 64 Für ein gutes Drittel nun der Notizen Schleiermachers finden sich derart wörtliche oder thematische Anklänge oder Übereinstimmungen zu Schleiermachers Ausführungen in der Vorlesung, daß diese Notizen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang dieser Vorlesung, also während des Winters 1831/32 oder allenfalls kurz vor Vorlesungsbeginn, niedergeschrieben worden sein dürften. In einem Fall müssen wir sogar annehmen, daß Schleiermacher eine Marginalie erst nach der gehaltenen Vorlesungsstunde zu Papier gebracht hat: „Eingeschoben habe ich hier eine Behandlung der Frage was die Theologie für eine Wendung genommen haben würde ohne Kanon [...]" (s.u. 3 2 8 , 1 9 - 2 2 ) . So notiert Schleiermacher neben der kleingedruckten Erläuterung des § 4; sieht man sich die Straußsche Nachschrift an, so findet man, daß Schleiermacher exakt zwischen seinen Ausführungen zu § 4 und § 5 einen solchen Exkurs angebracht hat (vgl. ThEnz [Strauß], S. 5 - 8 ) . Ist aber für einen namhaften Anteil der Marginalien eine Entstehung im Zusammenhang mit der Vorlesung aus dem Wintersemester 1831/32 mehr als wahrscheinlich, legt sich am Ende die Vermutung nahe, sie könnten doch wohl alle am ehesten diesem Zusammenhang ihre Entstehung verdanken. Inhaltlich verteilen sich die Marginalien auf die einzelnen Abschnitte der „Kurzen Darstellung" folgendermaßen: Von den 73 Notizen entfallen 17 auf die Einleitung, dabei allein 16 auf die ersten sieben Paragraphen; der größte Anteil mit 36 Notizen auf den Zweiten Teil zur Historischen Theologie, wobei sich Einleitung (zwölf), eigentliche Kirchengeschichte (elf) und Dogmatik und Statistik (zehn) die Marginalien ziemlich gleichmäßig teilen, nur die Exegetische Theologie mit lediglich drei Einträgen deutlich zurückfällt; schließlich 14 auf den Dritten Teil zur Praktischen Theologie, wobei der Abschnitt über das Kirchenregiment 64
Vgl. oben Anm. 9.
50
Einleitung des Herausgebers
mit zwölf Randnotizen den Löwenanteil aufweist, der Abschnitt zum Kirchendienst sowie die Schlußbetrachtung zur praktischen Theologie je eine Marginalie zu verzeichnen haben. Die restlichen sechs Marginalien gehören zu den Fällen, in denen eine direkte Textzuweisung aufgrund ihres Ortes auf dem äußeren Deckblatt einer gehefteten Lage nicht erfolgen kann.
II. Zur Gestalt der vorliegenden Ausgabe Die vorliegende Studienausgabe ist text- und seitenidentisch mit der von mir im Rahmen der Kritischen Gesamtausgabe besorgten Edition der „Kurzen Darstellung". 65 Sie bietet nacheinander die vollständigen Texte der ersten Ausgabe von 1811 und der zweiten Ausgabe von 1830. Schreibweise und Zeichensetzung der Originaldrucke werden grundsätzlich beibehalten. Die handschriftlichen Randnotizen aus Schleiermachers eigenem Exemplar der Zweitausgabe werden unterhalb des Drucktextes wie Anmerkungen Schleiermachers abgedruckt. Auf dem äußeren seitlichen Rand finden sich recte die Seitenzahlen der Originalausgaben von 1811 bzw. 1830 mitgeteilt, im Fall der Zweitausgabe von 183066 kursiv auch die Seitenzahlen aus den Sämmtlichen Werken (Erste Abtheilung: Zur Theologie, Erster Band, Berlin 1843, S. 1-132). In der Kopfzeile sind in eckigen Klammern die Seitenzahlen der Edition aus KGA 1/6 angegeben. Am Seitenende finden sich unterhalb der durchgezogenen Linie die editorischen Mitteilungen. Der textkritische Apparat notiert 65
66
Vgl. F.D.E. Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hg. v. H. Fischer u.a., Erste Abteilung: Schriften und Entwürfe, Bd. 6: Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums, hg. v. Dirk Schmid, Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1998, S. 2 4 3 - 4 4 6 . Die Erstausgabe von 1811 wurde nicht in die Sämmtlichen Werke aufgenommen.
II. Zur Gestalt der vorliegenden Ausgabe
51
die Schreibweise des Originals, wenn Druckfehler oder sonstige Versehen im Text korrigiert wurden. Er weist im Fall der handschriftlichen Randnotizen Schleiermachers den genauen Zeichenbestand nach. Dabei werden allerdings einige von Schleiermacher verwendete Abbreviaturen stillschweigend aufgelöst (d = der, die, das; kt = -keit; \ = -lieh; od = oder; ρ = perge; ö = aus; üb, Ueb = über, Ueber; u = und). Ebenfalls nicht eigens aufgeführt werden die durch Hochstellung des letzten Buchstabens gekennzeichnete Darstellung von Flexionsformen bei abgekürzten bzw. in Abbreviatur geschriebenen Wörtern (z.B. geschichtl" für geschichtlichen). Wo der Buchstabenbestand der handschriftlichen Randnotiz so schmal ist, daß sich mehrere Lesemöglichkeiten anbieten, werden im textkritischen Apparat Textzeugen für die vorgenommene Entzifferung mitgeteilt, in Fällen, die auch aufgrund solcher Bezeugungen nicht eindeutig entscheidbar sind, auch Lesevarianten. Textzeugen sind in erster Linie der gedruckte Text der „Kurzen Darstellung" selbst und die Vorlesungsnachschrift Strauß. Zitate, Verweise oder Anspielungen in Schleiermachers Text werden im Sachapparat nachgewiesen, allerdings nur dann, wenn die Anspielung als solche deutlich, der fragliche Sachverhalt eng umgrenzt und eine Erläuterung zum Verständnis des Textes nötig ist. Die vorliegende Studienausgabe ist also ebensowenig wie die Edition innerhalb der Kritischen Gesamtausgabe eine ausführlich kommentierte Ausgabe. Im Sachapparat zu den handschriftlichen Marginalien Schleiermachers taucht häufiger ein schlichter Verweis auf die Nachschrift von David Friedrich Strauß zu Schleiermachers Enzyklopädievorlesung von 1831/32 in der Form „Vgl. ThEnz (Strauß) S." auf. Finden sich dazu keine weiteren Erläuterungen, so indiziert der Verweis, daß die Marginalie eine wörtliche und/oder thematische Entsprechung in Schleiermachers Vorlesung hat. Der Hinweis hat also Signalfunktion, den Leser darauf aufmerksam zu machen, daß die Marginalie im Zusammenhang mit der Vorlesung steht und wahrscheinlich in diesem Zusammenhang überhaupt entstanden ist.
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Einleitung des Herausgebers
Dem Text der Erstausgabe von 1811 wird neben dem textkritischen Apparat und dem Sachapparat noch ein durchgehender Verweisungsapparat mitgegeben, in dem auf die inhaltlich und/oder textlich jeweils entsprechenden Paragraphen der zweiten Auflage von 1 8 3 0 verwiesen wird. Dabei wird, entgegen Schleiermachers eigenem Gebrauch in der Erstauflage, den Paragraphennummern ein Paragraphenzeichen (§) vorangesetzt. Das verwendete Siglum „Erl" für „Erläuterung" meint die innerhalb der zweiten Auflage in kleinerem Druck gesetzten Erläuterungen zu den Leitsätzen der einzelnen Paragraphen. Der entsprechende Verweisungsapparat der Zweitausgabe von 1830, in dem auf die inhaltlich und/oder textlich jeweils entsprechenden Paragraphen der ersten Auflage von 1811 verwiesen wird, ist genauso eingerichtet, bietet aber über die einfache Nennung des Paragraphen hinaus noch einmal den Text der ersten Ausgabe in Petitdruck. 67
67
Das war im wesentlichen auch die Gestalt, die Heinrich Scholz seiner Ausgabe der „Kurzen Darstellung" gab. Diese Ausgabe erschien erstmalig mit dem Titel „Schleiermachers Kurze Darstellung des theologischen Studiums. Erste Auflage 1811. Zweite Auflage 1830. Kritische Ausgabe" im Jahr 1910 als Zehntes Heft der Reihe „Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus" in Leipzig; von dieser Ausgabe wurde 1935 ein Neudruck veranstaltet. Unter dem leicht veränderten Titel „Friedrich Schleiermacher. Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Kritische Ausgabe hg. v. H. Scholz" kam 1961 ein bei der Verlagsbuchhandlung Georg Olms (Hildesheim) erstellter photomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1910 zur Publikation. Im selben Jahr und unter demselben Titel erschien auch die erste Ausgabe der Scholzschen Edition bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, von der es seither insgesamt fünf unveränderte reprographische (photomechanische) Abdrucke gegeben hat ( 1 9 6 9 , 1 9 7 3 , 1 9 7 7 , 1 9 8 2 und 1993). Einen weiteren, vom Titelblatt abgesehen unveränderten Abdruck der „Kurzen Darstellung" von Scholz veranstaltete der Georg Olms Verlag (Hildesheim/ Zürich/New York) im Jahr 1982. Scholz bietet in seiner Ausgabe den Text der zweiten Auflage von 1830 und als Anmerkungen zu den jeweiligen einzelnen Paragraphen auch den Text der entsprechenden Paragraphen der Erstauflage von 1811. Dabei sind ihm einige irreführende Zuweisungen von erster und zweiter Auflage unterlaufen. Die Erstauflage ist zudem bei der Art, wie sie
II. Zur Gestalt der vorliegenden Ausgabe
53
Literatur hinweise Weitere wichtige Quellen: Carl Clemen: Schleiermachers Vorlesung über theologische Enzyklopädie, Theologische Studien und Kritiken 78 (1905), S. 226-245 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Vorlesungen über die Methode des academischen Studiums, Tübingen 1803 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende, Berlin 1808 (KGA 1/6, S. 15-100) —: Theologische Enzyklopädie (1831/32). Nachschrift David Friedrich Strauß, hg. v. W. Sachs, SchlA 4, Berlin/New York 1987 Sekundärliteratur: Hendrik Johan Adriaanse: Der Herausgeber als Zuhörer. Ein Schleiermacher-Kollegheft von Ludwig Jonas, in: Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, hg. v. G. Meckenstock in Verbindung mit J. Ringleben, Theologische Bibliothek Töpelmann 51, Berlin/New York 1991, S. 103-124 Hans-Joachim Birkner: Schleiermachers „Kurze Darstellung" als theologisches Reformprogramm, in: Schleiermacher im besonderen Hinblick auf seine Wirkungsgeschichte in Dänemark. Vorträge des Kolloquiums am 19. und 20. November 1984, hg. v. H. Hultberg/K. F. Johansen/Th. Jörgensen/F. Schmöe, Kopenhagener Kolloquien zur deutschen Literatur Bd. 13 (= Text & Kontext. Sonderreihe Bd. 22), Kopenhagen/München 1986, S. 59-81; wiederabgedruckt in: ders.: Schleiermacher-Studien, hg. v. H. Fischer, SchlA 16, Berlin/New York 1996, S. 285-305 —: Theologie und Philosophie. Einführung in Probleme der Schleiermacher-Interpretation, Theologische Existenz heute 178, München 1974 (bes. S. 25-32) Christoph Dinkel: Kirche gestalten - Schleiermachers Theorie des Kirchenregiments, SchlA 17, Berlin/New York 1996 Martin Doerne: Theologie und Kirchenregiment. Eine Studie zu Schleiermachers praktischer Theologie, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 10 (1968), S.360-386
geboten wird, nur mit äußerster Mühe rekonstruierbar. Der Text beider Auflagen weist zahlreiche Fehler oder unnötige Korrekturen auf. So gesehen vermochte die Scholzsche Edition den Anspruch einer kritischen Ausgabe nicht voll einzulösen. Gleichwohl kommt ihr das Verdienst zu, Schleiermachers „Kurze Darstellung" über Jahrzehnte hin in der theologischen Öffentlichkeit präsent gehalten zu haben.
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Einleitung des Herausgebers
Karl Dunkmann: Die theologische Prinzipienlehre Schleiermachers nach der Kurzen Darstellung und ihre Begründung durch die Ethik, Beiträge zur Förderung christlicher Theologie 20, Gütersloh 1916 Günter Ebbrecht: Theologie als positive Wissenschaft. Interpretation der „Einleitung" in Schleiermachers „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen" im Zusammenhang seiner Wissenschaftskonzeption, Bd. 1-2, Dissertation Heidelberg 1977 Alexander Faure: Über die „Idee eines Kirchenfürsten" in Schleiermachers „Darstellung des theologischen Studiums", Evangelische Theologie 3 (1936), S. 384-398 Nicolaas Groot: Wetenschap en Theologie bij Friedrich Schleiermacher. Een interpretatie van de Kurze Darstellung des theologischen Studiums, Dissertation Leiden 1994 Emanuel Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 1-5, fotomechanischer Abdruck der 1964 in 3. Auflage in Gütersloh erschienenen Ausgabe, Münster 1984, Bd. 5, S. 348-357 Eberhard Jüngel: Das Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander, in: E. Jüngel/K. Rahner/M. Seitz: Die Praktische Theologie zwischen Wissenschaft und Praxis, Studien zur Praktischen Theologie Nr. 5, München 1968, S. 11-45; wiederabgedruckt in: ders.: Unterwegs zur Sache. Theologische Bemerkungen, Beiträge zur evangelischen Theologie 61, Tübingen 1972, S. 34-59 Henning Luther: Praktische Theologie als Kunst für alle. Individualität und Kirche in Schleiermachers Verständnis Praktischer Theologie, Zeitschrift für Theologie und Kirche 84 (1987), S. 371-393 Kurt Nowak: Theorie der Geschichte. Schleiermachers Abhandlung „Über den Geschichtsunterricht" von 1793, in: Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, hg. v. G. Meckenstock in Verbindung mit J. Ringleben, Theologische Bibliothek Töpelmann 51, Berlin/New York 1991, S. 419439 (bes. S. 424-433) Wolfhart Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt am Main 1987 (bes. S. 240-255) Hermann Peiter: Heterodoxe Bemerkungen zur Befreiung Schleiermachers aus seiner liberalen Wirkungsgeschichte. (Oder: Der Nutzen von Hörernachschriften für die Schleiermacher-Interpretation - dargelegt an Hand von David Friedrich Strauß' Nachschrift zur Theologischen Enzyklopädie von 1831/32), in: Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, hg. v. G. Meckenstock in Verbindung mit J. Ringleben, Theologische Bibliothek Töpelmann 51, Berlin/New York 1991, S. 247-263 Dietrich Rössler: Vocatio interna. Zur Vorgeschichte des Schleiermacherschen Bildes vom Kirchenfürsten, in: Verifikationen. FS Gerhard Ebeling, hg. v. E. Jüngel/J. Wallmann/W. Werbeck, Tübingen 1982, S. 207-217
II. Zur Gestalt der vorliegenden Ausgabe
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Martin Rössler: Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie, SchlA 14, Berlin/New York 1994 Erdmann Schott: Erwägungen zu Schleiermachers Programm einer philosophischen Theologie, Theologische Literaturzeitung 88 (1963), S. 321-336 Markus Schröder: Die kritische Identität des neuzeitlichen Christentums. Schleiermachers Wesensbestimmung der christlichen Religion, Beiträge zur Historischen Theologie 96, Tübingen 1996 Erich Schrofner: Theologie als positive Wissenschaft. Prinzipien und Methoden der Dogmatik bei Schleiermacher, Frankfurt am Main 1980 Robert Stalder: Grundlinien der Theologie Schleiermachers. I. Zur Fundamentaltheologie, Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 53, Wiesbaden 1969 (bes. S. 46-127) Ralf Stroh: Schleiermachers Gottesdiensttheorie. Studien zur Rekonstruktion ihres enzyklopädischen Rahmens im Ausgang von „Kurzer Darstellung" und „Philosophischer Ethik", Theologische Bibliothek Töpelmann 87, Berlin/New York 1998 Georg Wehrung: Die philosophisch-theologische Methode Schleiermachers. Eine Einführung in die Kurze Darstellung und in die Glaubenslehre, Göttingen 1911
Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811)
Kurze Darstellung des
theologischen Studiums zum
Behuf einleitender Vorlesungen entworfen von
F. S c h l e i e r m a c h e r , der Gottesgelahrtheit Doctor und öffentl. ord. Lehrer an der Universität zu Berlin, evang. ref. Prediger an der Dreifaltigkeitskirche daselbst, ordenti. Mitglied der Königl. Preuß. und corresp. der Königl. Bairischen Akademie der Wissenschaften.
Berlin, 1811. In der Realschulbuchhandlung.
Vorrede.
Es ist mir immer ungemein schwierig erschienen nach Anleitung eines fremden Handbuchs akademische Vorträge zu halten, denn jede abweichende Ansicht scheint zugleich eine Abweichung zu fordern von einer aus einem andern Gesichtspunkt entstandenen Ordnung. Freilich wird es um desto leichter, je mehr die eigenthümlichen Ansichten der Einzelnen über Einzelnes einer gemeinschaftlichen über das Ganze untergeordnet sind, das heißt, je mehr das besteht, was man eine Schule nennt. Allein wie wenig dies jezt in der Theologie der Fall ist, weiß jedermann. Aus demselben Grunde also, der es mir zum Bedürfniß macht, wenn ein Leitfaden gebraucht werden soll, was doch in mancher Hinsicht nüzlich ist, einen eigenen zu entwerfen, bin ich unfähig den Anspruch | zu machen, daß andere Lehrer sich des meinigen bedienen mögen. Scheint es mir daher zu viel, was nur für meine jezigen und künftigen Zuhörer bestimmt ist, durch den Drukk in das große Publikum zu bringen: so tröste ich mich damit, daß diese wenigen Bogen meine ganze dermalige Ansicht des theologischen Studiums enthalten, welche, wie sie auch beschaffen sei, doch vielleicht schon durch ihre Abweichung aufregend wirken und besseres erzeugen kann. Andere pflegen in Encyclopädien auch einen kurzen Auszug der einzelnen dargestellten Disciplinen selbst zu geben; mir schien es angemessener denen zu folgen, welche in solchen
21 f Vgl. z. B.Johann Franz Budde(us): Isagoge historico-theologica ad Theologiam universarn singulasque eius partes, Bd. 1—2, Leipzig 1727; Johann August Nösselt: Anweisung zur Bildung angehender Theologen, Bd. 1—3, 2. Aufl., Halle 1791; Gottlieb Jakob Planck: Einleitung in die Theologische Wissenschaften, Bd. 1—2, Leipzig 1794— 1795 23 —2 Vgl. z. B. Johann Friedrich Wilhelm Thym: Theologische Encyclopädie und Methodologie, Halle 1797
62
[248]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
Vorträgen lieber alle Aufmerksamkeit auf dem Formalen festhalten, damit die Bedeutung der einzelnen Theile und ihr Zusammenhang desto besser aufgefaßt werde. Berlin, im Decemb. 1810.
D. F. Schleiermacher.
5
Einleitung.
1. Die Theologie ist eine positive Wissenschaft, deren verschiedene Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch die gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Religion; die der christlichen also auf das Christenthum. 2. Jeder bestimmten Religion wird sich, in dem Maaß als sie geschichtliche Bedeutung und Selbstständigkeit erhält, das heißt sich zur Kirche gestaltet, eine Theologie anbilden, deren Organisation nur a u s der Eigenthümlichkeit jener zu verstehen, und also für jede eine andere ist. 3. Die Theologie eignet nicht Allen, welche und sofern sie zur Kirche gehören, sondern nur welchen und sofern sie die Kirche leiten. Der Gegen-| saz zwischen solchen und der Masse und das Hervortreten der Theologie bedingen sich gegenseitig. 4. J e mehr die Kirche sich fortschreitend entwikkelt, und durch je mehr Sprach- und Bildungsgebiete sie sich verbreitet, um desto vieltheiliger und zusammengesezter organisirt sich auch die Theologie. Daher ist die christliche die gebildetste. 5. Die christliche Theologie ist der Inbegrif derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Anwendung ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist. jl-51/
$2~>§2/
§ 3 -* § 3/
§4
§4/
§5 § 5/
64
[250]
Kurze
Darstellung
(1.
Auflage)
6. Dieselben Kenntnisse ohne diese Beziehung hören auf theologische zu sein, und fallen jede einer andern Wissenschaft anheim. 7. Die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse ist der Leib, der Trieb zum Wohl der Kirche gesezmäßig wirksam zu sein, ist die Seele. 8.
Wie jene Kenntnisse nur durch das Interesse am Christenthum zu dem Ganzen verknüpft werden, welches die Theologie bildet: so kann auch | nur durch die Aneignung jener wissenschaftlichen Kenntnisse das Interesse am Christenthum zu der zwekmäßigen Thätigkeit gedeihen, durch welche die Kirche wirklich erhalten und weiter gebildet wird. 9. Beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, im höchsten Grade und im möglichsten Gleichgewicht zur Theorie und Ausübung vereint, ist die Idee eines Kirchenfürsten. 10. In so fern jemand in Beziehung auf das Christenthum mehr das Wissen in sich ausbildet, ist er ein Theologe, in so fern er mehr in der unmittelbaren Ausbildung des Kirchenregimentes begriffen ist, ist er ein Kleriker. 11. Jedes reale Handeln mit den so geleiteten wissenschaftlichen Kenntnissen gehört zum Kirchenregiment, und jede Kenntniß der Regeln und Bedingungen auch der unmittelbarsten Ausübung gehört zur Theologie. 12. Wie also nur diejenigen im eigentlichen Sinne Theologen sind, welche auf irgend eine Weise auch das Kirchenregiment ausüben, und nur diejenigen das I Kirchenregiment ausüben können, welche wahrhaft Theolo-
56 - 5 6 / 57-57/ 522-512/
58 - 5 8 /
59-59/
510-510/
511-511/
Einleitung
[251]
65
gen sind: so muß auch bei der einseitigen Richtung dennoch beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, in Jedem vereinigt sein. 13.
Welches von Beiden in ihm überwiegt, darnach hat Jeder, der sich zur leitenden Thätigkeit in der Kirche berufen fühlt, seine Wirkungsart zu bestimmen. 14.
Diese sowohl als noch vielmehr die Theologie selbst ist keinesweges davon abhängig, daß das Kirchenregiment die Basis eines besondern bürgerlichen Standes ist. 15.
Niemand kann die ganze Aufgabe der Theologie vollständig lösen, theils wegen der Unendlichkeit der darunter befaßten Kenntnisse, theils weil die Verschiedenheit der Disciplinen auch eine Mannigfaltigkeit von Talenten erfordert, die nicht in gleichem Grade vereint sein können. 16.
Wollte Jeder sich gänzlich auf Einen Theil beschränken: so wäre das Ganze weder in Einem, | noch auch, weil kein lebendiges Zusammenwirken Statt fände, in Allen zusammen. 17.
Jeder kann sich, um es zur Vollkommenheit darin zu bringen, nur Einem Theil der Theologie zunächst widmen, muß aber, um vermittelst dieses auf das Ganze zu wirken, auch das Ganze in allgemeinem Sinn umfassen. 18.
Was Jeder von allen Theilen der Theologie inne haben muß, ist das Allgemeine nach der Einheit des Zweks hin liegende; was Jeder nur von Einem Theil erwerben kann, ist das Besondere an die Eigenthümlichkeit des Talents und des Gegenstandes gebundene.
§13-§13/ §18 -§17/
s 14->$13 Erl/
§ IS- §14/
§16 -$15/
§17-S 16 Erl/
66
[252]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
19. Je mehr jemand praktisch sein will, um desto universeller muß er sein als Theologe; je mehr als Gelehrter leisten, um desto mehr immer nur mit Einem Theile sich beschäftigen.
20. Jenes Allgemeine (18) ist 1) richtige Anschauung von dem Zusammenhange der verschiedenen Theile der Theologie unter sich und mit dem Zwekk. 2) Wissenschaft von demjenigen in jedem, | was am meisten mit den übrigen und dem Zwekk zusammenhängt. 3) Bekanntschaft mit den Mitteln um sich jede nöthige Kenntniß sofort zu verschaffen, 4) und mit den nöthigen Vorsichtsmaaßregeln um das, was Andere geleistet haben, zu benuzen. Das Besondere ist die Vollständigkeit in den einzelnen Disciplinen, und das Ziel derselben die Reinigung und Erweiterung des in ihnen schon geleisteten. 21. Die encyclopädische Darstellung hat es mit der Anschauung des Wesens und Zusammenhanges der verschiedenen Theile zu thun, ohne sich mit dem materiellen selbst zu befassen.
22. Weder das Wesen des Christenthums oder einer bestimmten Kirche überhaupt, woraus im Gegensaz gegen das Zufällige allein (2.) die Organisation der Theologie zu verstehen ist, noch das Wesen der Kirche im allgemeinen kann bloß empirisch aufgefaßt werden. 23. Soll es überhaupt Kirchen geben: so muß die Stiftung und das Bestehen solcher Vereine als ein | nothwendiges Element in der Entwikkelung des Menschen können in der Ethik nachgewiesen werden.
6 Oben 2S1,24-28 §19 ->§17 Erl/ §22/
21 Oben §20 -
249,7-11
§§18-19/
§21->§20/
§22 ->§21/
§23-
[253]
Einleitung
67
24. Die lebendige Darstellung dieser Idee muß auch das Gebiet des veränderlichen darin nachweisen, welches die Keime alles individuellen enthält. 25. Hieraus das Wesentliche in der gesammten Erscheinung der christlichen Kirche zu verstehen, ist die Aufgabe des philosophischen Theiles der Theologie. 26. Die philosophische Theologie ist die Wurzel der gesammten Theologie. 27. Sie ist so wenig bearbeitet, daß ihr sogar noch der bestimmte und allgemeingeltende Name fehlt. 28. Der Zwekk des christlichen Kirchenregimentes kann nur dahin gehen, dem Christenthum sein zugehöriges Gebiet zu sichern und immer vollständiger anzueignen, und innerhalb dieses Gebietes die Idee des Christenthums immer reiner darzustellen. | 29. Hierzu muß es eine Technik geben, welche sich auf den Besiz der darzustellenden Idee, und auf die Kenntniß des zu regierenden Ganzen gründet. 30. Die Darstellung dieser Technik ist der praktische Theil der Theologie. 31. Die praktische Theologie ist die Krone des theologischen Studiums.
§24 §23/ S 31 -* — /
§2S->§24/
526 - - /
§27-*
§24 Erl/
§§28-30
§25/
68
[254]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
32. Sie ist bisher mehr in Bezug auf das Kleine und Einzelne, als auf das Große und Ganze als Theorie behandelt. 33. Die christliche Kirche als das zu Regierende ist ein Werdendes, in welchem die jedesmalige Gegenwart begriffen werden muß als Produkt der Vergangenheit und als Keim der Zukunft. 34. Dasjenige, worauf gewirkt werden soll, ist also nicht zu verstehen ohne seine Geschichte, und diese in ihrem ganzen Umfang bildet den historischen Theil der Theologie. | 35. Indem die historische Theologie jeden Zeitpunkt darstellt in Bezug auf das Princip, enthält sie die Bewährung der philosophischen, indem in Bezug auf den vorhergegangenen, enthält sie die Begründung der praktischen. 36. Die historische Theologie ist der eigentliche Körper des gesammten theologischen Studiums und faßt auf ihre Art auch die andern beiden Theile in sich. 37. Die Ethik ist die Wissenschaft der Principien der Geschichte; diese also wird bei jedem theologischen Studium vorausgesezt, und es gründet sich auf sie. 38. Für eines jeden theologisches Studium müßte der philosophische Theil, wenn er schon zur Disciplin ausgebildet wäre, der erste sein. So lange jeder ihn sich selbst bilden muß, kann er nur neben dem historischen gewonnen werden.
$ 32~*§ 25 Erl/
§§ 33-34 -»f 26 /
§35~>§27/
§36^>§28/
§§ 37-38->§
29 /
Einleitung
[255]
69
39. Was sich zunächst auf die Ausübung bezieht, | die praktische Theologie, 10 ist für das Studium das lezte. 40. 5
Es ist also zu handeln zuerst von der philosophischen Theologie, dann von der historischen und zulezt von der praktischen. In diesen ist das ganze Studium beschlossen.
S 39
S30/
§40
->$31/
Erster Theil. Von d e r p h i l o s o p h i s c h e n T h e o l o g i e .
Einleitung.
1. So wenig das eigenthümliche Wesen des Christenthums bloß empirisch kann aufgefaßt werden (Einl. 22.), eben so wenig läßt es sich rein wissenschaftlich aus Ideen allein ableiten. 2. Es ist also nur durch Gegeneinanderhalten des geschichtlich in ihm gegebenen, und des in der Idee der Religion und der Kirche als veränderliche Größe gesezten zu bestimmen. 3. Da dasselbe von allen geschichtlich gegebenen Religionsformen und Kirchen gilt: so ist in diesem Sinn jede nur mit ihrem Verhältniß des | Nebenund Nacheinanderseins zu andern zugleich zu verstehen. 4. Der Standpunkt der philosophischen Theologie in Beziehung auf das Christenthum überhaupt ist nur über demselben zu nehmen.
6 Oben
252,19-23
§§ 1—2
§ 32/
§3->§33Erl/
§4->§33/
I. Teil: Philosophische
Theologie
[257]
71
5. Das Verhältniß des im Christenthum geschichtlich gegebenen zu der Idee desselben, drükt sich nicht nur durch den Inhalt aus, sondern auch durch die Art des Werdens. 6. Die Ethik als Wissenschaft der Geschichtsprincipien muß darstellen, wie dasjenige wird, was in einem geschichtlichen Ganzen reiner Ausdruk der Idee ist. Sie kann es aber nur im Allgemeinen. 7. Nur durch Gegeneinanderhaltung des Gegebenen mit den dort aufgestellten allgemeinen Formen läßt sich von dieser Seite erkennen, was in dem geschichtlich gegebenen Christenthum reiner Ausdruk der Idee desselben ist. 8. Wie keine geschichtliche Erscheinung ihrer Idee rein entspricht, sondern Abweichungen enthält, die | in jener nicht aufgehn, und nur als Krankheitszustand zu begreifen sind, so auch das Christenthum. 9. Nur durch Gegeneinanderhaltung eines Gegebenen mit dem als Wesen des Christenthums erkannten, läßt sich inne werden, was wirklich als Krankheit zu sezen ist. 10. Das Christenthum, wie jede Kirche, theilt sich selbst in Partheien, die unter sich im relativen Gegensaze stehn, und sich zur christlichen Kirche selbst verhalten, wie diese und andere gegebene Kirchen zur absoluten Idee der Kirche. 11. Alles bisher (1—9) Gesagte gilt also nothwendig auch von ihnen.
28 Oben 256,4-257,21 S5->§34/
§§ 6—9 -* § 35 /
$§ 10-11 ->§ 36/
72
Kurze Darstellung (1. Auflage)
[258]
12. Da die hier aufgestellten Aufgaben den Inhalt der philosophischen Theologie erschöpfen: so ist diese ihrem innern Wesen nach Kritik, und führt jenen Namen nur in einem weitern Sinne, wegen ihrer unmittelbaren Beziehung auf die Hauptsäze der Ethik. 13. Das lebendige Sein des Einzelnen in einer | Kirche und Kirchenparthei ist zugleich seine innere Ueberzeugung von ihrer geschichtlichen Gültigkeit. 14. Die lebendige Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment ist zugleich das Bestreben, ihre innere Gültigkeit auch äußerlich geltend zu machen, oder sie zu vertheidigen. 15. Das lebendige Sein des Einzelnen in einer Kirche oder Kirchenparthei ist zugleich sein inneres Mißfallen an den krankhaften Abweichungen, die darin vorkommen. 16. Zur Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment gehört auch das Bestreben, diese Abweichungen als solche kenntlich zu machen und hinwegzuschaffen. 17. Als theologische Disciplin nimmt die philosophische Theologie ihre Form von dem Interesse an dem Wohlbefinden und der Fortbildung der Kirche. 18. Als solche ist sie, jedesmal wenn ein solcher Gegensaz besteht, auch wesentlich in einer Kirchenpartei befangen, und also für jede eine besondere. ι
11 Gültigkeit] Gültigkeit
$ 12 §37/ §38 Erl/
§§13-14 ~> $39/
$$ 15-16 -*$ 40/
$17-* §38/
$ 18 -»
I. Teil: Philosophische Theologie
[259]
73
19.
Als solche enthält sie, dem Obigen zu Folge, die Principien der Apologetik und der Polemik, und ist in diesen ganz beschlossen.
Erster Abschnitt. Von den G r u n d s ä z e n d e r A p o l o g e t i k .
1. Da die Idee der Kirche sich nur in einer Mehrheit geschichtlicher Erscheinungen realisirt, welche in jener Idee Eins, unter sich aber verschieden sind: so muß auch von dem Christenthum, wenn es als eine solche geltend gemacht werden soll, sowol jene Einheit als diese Differenz nachgewiesen werden. Diese Untersuchung umfaßt die Wechselbegriffe des natürlichen und positiven. 2. Sie muß, auf allgemeine Bestimmung darüber, worin das eigenthümliche Wesen einer besondern Religionsform und Kirche zu sezen sei, sich gründend, in diesem Gebiet das Wesen des Christenthums nachweisen. | 3.
Da das eigenthümliche Wesen einer besondern Religionsform sich auf der idealen Seite am kenntlichsten in ihren Dogmen ausspricht und auf der realen in ihrer Verfassung: so muß um die innere Consistenz des Christenthums darzustellen nachgewiesen werden, wie sich dasselbige Wesen in beiden ausspricht.
5 Von ... Apologetik.] Sperrung
fehlt
S19-*§42/
§2
§1
§43/
§ 44 /
§§3~4->§49/
74
[260]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
4. Diese Congruenz muß die Probe geben, daß das Wesen des Christenthums richtig aufgefaßt ist. 5. Das Christenthum als neue und ursprüngliche Thatsache muß sich auch durch die Art, wie es entstanden ist, (I. Einl. 5.) ausweisen. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Offenbarung, Wunder und Eingebung.
5
6.
Da die ganze geschichtliche Darstellung der Idee der Kirche auch als Eine fortlaufende Reihe anzusehen ist: so muß eben so auch auf der 10 andern Seite das Hervorgehen des Christenthums aus dem Judenthum und Heidenthum dargestellt werden. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Weissagung und Vorbild. | 7.
17
Da die christliche Kirche als geschichtliche Erscheinung ein zeitliches 15 also sich veränderndes ist, so ist auch auszuführen, woran unter diesen Veränderungen die bleibende Einheit des Wesens, sowol im Gebiet der Lehre als der Gemeinschaft kann erkannt werden. Diese Untersuchung bezieht sich auf die Begriffe Kanon und Sakrament. 8.
20
Da die Kirche als nothwendiges Erzeugniß auf einem und demselben Grunde beruht mit allen andern in der Entwikkelung der Menschheit sich wesentlich ergebenden Organisationen eines gemeinsamen Lebens: so muß auch von dem Christenthum nachgewiesen werden, daß es mit jenen allen zusammen bestehen kann. Dieses Bestreben geht aus auf rieh- 25 tige Bestimmung der Begriffe Hierarchie und Kirchengewalt.
6 Oben 257,1-4 §5->§45/
§6->§46/
§7
§ 47 !
§ 8 § 48 /
I. Teil: Philosophische Theologie
[261]
75
9. Auf gleiche Weise hat die Apologetik, wiefern sie sich auf eine besondere Kirchenpartei richtet, sowol deren mit andern gemeinsames Sein in der christlichen Kirche, als auch ihr besonderes Für sich bestehn zu begründen. Ihr Gegenstand | ist in diesem Sinne vorzüglich alles, was unter die Begriffe Confession und Ritus gehört. 10. Nicht nur kann jede Kirchenpartei nur sich selbst und nicht auch die andere vertheidigen, sondern ihre Ansicht wird sich auch mehr oder weniger durch das ganze Geschäft der Apologetik hindurchziehen. 11. Da Kirchenparteien als Gegensaz nur entstehen können aus einem Zustande, in welchem kein Gegensaz statt findet: so hat jede sich zu vertheidigen gegen den Vorwurf entweder der Anarchie oder der Corruption. 12. Da solche Gegensäze innerhalb des Christenthums schon oft wieder verschwunden sind: so muß die besondere Apologetik auch sich selbst begrenzen, und wissen wo das abgesonderte Dasein einer Partei nicht mehr vermag als eigenthümliche Darstellung des Christenthums zu gelten.
$9
§ 50/
§10~+§51/
§11
§ 52/
§12^§53/
76
[262]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
Zweiter Abschnitt.
19
Von den G r u n d s ä z e n der P o l e m i k .
1. Die Principien der Polemik gehören zur philosophischen Theologie als ihre negative Seite, als die Auffindung und Anerkennung dessen, was in der Erscheinung des Christenthums seiner Idee nicht entspricht.
5
2. Es kann in der Erscheinung ein allgemein geschwächter Lebensprozeß nicht mehr der ursprünglichen Kraft der einwohnenden Idee entsprechen; es kann theilweise etwas absterben, oder sich nicht neu entwik- 10 kein, was zur Darstellung der Idee gehört; es kann endlich in der Erscheinung sich etwas entwikkeln, was der Idee widerspricht. 3. Die allgemeinste Form des ersten Uebels ist der Indifferentismus. Wenn dieser aus dem Princip des Christenthums hervorginge: so würde dieses 15 sich selbst aufheben. Soll also dem Christenthum eine nothwendige Existenz zukommen: so muß er nachgewiesen werden als Krankheitszustand. ι 20
4. Die allgemeinste Form des zweiten Uebels ist der Separatismus. Wenn 20 dieser dem Princip des Christenthums gemäß wäre: so würde es die Kirche, d. h. seine geschichtliche Realität selbst zerstören. Er muß also begriffen werden als Krankheit. 5. Wenn das dem Wesen des Christenthums zuwiderlaufende auch außer 25 der Erscheinung desselben gesezt wird: so ist es kein Gegenstand der Polemik. Gegen den Atheismus oder gegen einen antireligiösen Verein giebt es keine Polemik.
$!-*-!
§2
§54/
§3~>§56/
§4~>§57/
§ 5-> - /
[263]
I. Teil: Philosophische Theologie
77
6. Das innerhalb der Erscheinung des Christenthums seinem Wesen widerstreitende ist, wenn es sich in der Lehre selbständig organisirt, Kezerei, wenn in der Gemeinschaft, Spaltung. 7. Vermöge des Gegensazes (I. Einl. 1. 2.) muß gelten, daß weder bloß empirisch aufgefaßt, noch rein wissenschaftlich abgeleitet werden kann, was im Einzelnen Häresis und Schisma ist, sondern nur durch Gegeneinanderhalten des Gegebenen und der Idee. | 8. Das polemische Verfahren ist daher, die Ausartung an dem Inhalt zu beweisen, entweder durch Widerspruch gegen Kanon und Sakrament (Th. I. Abschn. I. 7.), in Bezug auf die Kirche und gegen Confession und Ritus (Ebend. 9.), in Bezug auf die Partei, oder durch die natürliche Congruenz zwischen Häresis und Schisma (Ebend. 3.). 9. Das dem Wesen des Christenthums widerstreitende muß sich auch kund thun durch seine Entstehungsart, (I. Einl. 5—7.) und die Principien der Polemik müssen streben diese zu bestimmen. 10. Die ersten erscheinenden Elemente der Häresis sind Meinungen Einzelner, die der Spaltung Conventiculn. Die Principien der Polemik müssen streben, das krankhafte auch schon an diesen zu erkennen. 11. Eine neue Kirchenpartei erscheint zuerst eben so. Jede Kirche also, welche einen Unterschied zwischen Parthei und Schisma anerkennt, muß bestrebt sein ihn in den ersten Elementen erkenn|bar zu bestimmen. Dies scheint die höchste Aufgabe der Polemik.
6 Oben 256,4-11 18 Oben 257,1-13 $6 -+ $58/
13 Oben 260,14-19
$7~>$59/
14 Oben 261,1-6
§§ 8—9 -> § 60/
15 Oben
§$10-11^>$62/
259,17-22
78
Kurze Darstellung (1. Auflage)
[264]
Schluß. 1. Die Principien der Apologetik und Polemik bedingen sich gegenseitig, wie ihre Gebiete sich ausschließen. 2. Die philosophische Theologie sezt das materiale der historischen voraus, begründet aber selbst das Urtheil über das Einzelne und also die gesamte geschichtliche Anschauung des Christenthums. 3. Der philosophische Theil der Theologie und der praktische stehen zusammen dem historischen entgegen, weil sie beide unmittelbar auf Ausübung gerichtet sind, jener aber nur auf Betrachtung. Sie stehen einander selbst entgegen als erstes und leztes, indem durch jenen erst der Gegenstand für diesen fixirt wird, und indem jener sich an die höchste wissenschaftliche Construction anschließt, dieser das besonderste der Technik in sich faßt. 4. Da der philosophische Theil die beiden an|dern bedingt, selbst aber nichts enthält, was jemand nur von Andern überkommen könnte: so giebt es in ihm nicht allgemeines und besonderes zu trennen: sondern Jeder muß ihn ganz besizen, und selbst für sich erzeugt haben. 5. Die philosophische Theologie eines Jeden enthält die gesamten Principien seiner theologischen Denkungsart. 6. Es ist natürlich, daß sie eben deshalb nicht leicht zu einer förmlichen theologischen Disciplin wird ausgebildet werden.
§1 ->• §63/
§ 2 -* § 65 /
§3
§66/
§§4-5~>§67/
§6^§68/
Z w e i t e r Theil. Von d e r h i s t o r i s c h e n
Theologie.
Einleitung.
1. Ihrem Inhalt nach ist die historische Theologie ein Theil der neueren Geschichte, vorzüglich der Sitten und Bildungsgeschichte, und allen übrigen natürlichen Gliedern derselben coordinirt. 2. Für jede Geschichte ist alles Hülfswissenschaft, was die Kentniß des Schauplazes oder der äußeren Verhältnisse des Gegenstandes erleichtert, oder zum Verstehen der Monumente nöthig ist. 3. Als theologische Disciplin ist die geschichtliche Kentniß des Christenthums zunächst die unnachläßliche Bedingung alles besonnenen Einwirkens auf die Fortbildung desselben, und die übri|gen Theile desselben Geschichtgebietes sind ihr nur subsidiarisch untergeordnet. Als Hülfswissenschaft eignet sie sich vorzüglich an, was zum Verständniß ihrer Documente gehört. 4. Alles, was als ein Einzelnes im Gebiet der Geschichte hervortritt, kann angesehen werden, entweder als plözliches Entstehen oder als allmählige Fortbildung und Entwikkelung. §1
§69/
§2
§86/
§3
§70/
§4-§71/
80
Kurze Darstellung (1. Auflage)
[266]
5. Beide Ansichten sind aber einander nur relativ entgegengesezt, so daß jeder Zustand nur ein Uebergewicht ist, des einen von beiden über das andere. 6. Der Verlauf eines geschichtlichen Ganzen ist ein vielfacher Wechsel beider Zustände. 7. Ein Zeitraum, in welchem das ruhige Fortbilden überwiegt, stellt einen gesezmäßigen Zustand dar, und bildet eine geschichtliche Periode. Ein solcher, in welchem das plözliche Entstehen überwiegt, stellt einen Wechsel oder Umkehrung der Verhältnisse, eine Revolution dar, und bildet eine geschichtliche Epoche. | 8.
Da die Geschichte überhaupt, und so auch besonders die ganze Folge von Thätigkeiten Einer Kraft nur Ein Ganzes bildet: so kann jeder erste Zustand eines kleineren geschichtlichen Ganzen zwiefach angesehen werden, als Entstehen eines neuen und als Ausbildung eines schon da gewesenen. 9. Die Geschichte des Christenthums läßt sich ansehen als eine einzelne Periode in der Religionsgeschichte überhaupt. Aber es läßt sich auch ansehn, als ein eignes geschichtliches Ganzes, sein Anfang als eine Entstehung, und sein ganzer Verlauf, als eine Reihe durch Epochen getrennter Perioden. 10. Die historische Theologie, als mit ihrem ganzen Zweck innerhalb des Christenthums stehend, faßt die leztere Ansicht auf.
§ 5 §71 Erl/ -* § 80/
§6
§72/
§7~*§73/
§8->§78/
§9--§79/
§10
II. Teil: Historische
Theologie
[267]
81
11. Um das unendlich mannigfaltige Materiale der Geschichte zur Anschaulichkeit zusammenzufassen, giebt es ein zwiefaches Verfahren. Man theilt die Zeit und faßt alles zusammen, was in einer gewissen Zeiteinheit geschehen ist, oder man theilt | den Inhalt und faßt alles zusammen, was in der gesamten Zeit je einen einzelnen Theil betrift. 12. In dem Gegenstand selbst ist das erste immer gegeben durch die Umkehrung der innern Verhältnisse, woraus die Epochen sich bilden, und das lezte durch die Art, wie die Kraft selbst, deren Aeußerungen betrachtet werden, sich darin ursprünglich theilt und gliedert. 13.
Während des ruhigen Fortschreitens lassen sich die coëxistirenden organischen Theile des Ganzen leichter gesondert in ihrer relativen Selbständigkeit betrachten; in Zeiten der Umbildung hingegen ist alle Wechselwirkung lebendiger, und jedes einzelne abhängiger von dem gemeinsamen Zustande. Daher eignet sich die eine Darstellungsart im Allgemeinen mehr für die Perioden, die andere für die Epochen. 14.
Für das organische Princip der Theologie ist das unmittelbarste die Kentniß des gegenwärtigen Momentes, an welchen der künftige soll geknüpft werden. Diese wird also auch besonders herausgehoben. | 15.
Da aber die Gegenwart nur kann verstanden werden als Resultat der Vergangenheit: so sezt jene Darstellung die Kentniß von dieser voraus. 16. Da jeder geschichtliche Verlauf die weitere Entwiklung einer Kraft darstellt in ihrem Zusammensein mit andern: so wächst mit der Zeit auch die Einwirkung von diesen, und es wird schwieriger die ursprüngliche Kraft in der Aeußerung rein anzuschauen.
Sil ->§75/ S§ 16-17 -
§12->§76/ §83/
§13->§77/
§14->§81/
§15
^>§82/
82
[268]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
17. Aus demselben Grunde erscheint diese Kraft am reinsten in ihren frühesten Aeußerungen. 18. Da es der lezte Zwek aller Theologie ist, das Wesen des Christenthums in jedem künftigen Augenblik reiner darzustellen: so muß sie auch dasjenige, worin es am reinsten anzuschauen ist, besonders herausheben. 19. Die historische Theologie theilt sich demnach in die Kenntniß von dem Anfang des Christenthums, in die Kenntniß von seinem weiteren Ver-| lauf, und in die Kenntniß von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblikk. 20. Wenn der Gegenstand der historischen Theologie organisch getheilt (11. 12.) werden soll: so sondern sich zunächst Lehrbegriff und Kirchenverfassung. (I. Erst. Abschn. 3.) 21. Das entstehende Christenthum, Urchristenthum, umfaßt nur die Zeit, wo beide erst wurden, also nicht abgesondert von einander schon waren.
22. Wird es noch besonders der theologischen Idee gemäß als reinster Repräsentant des christlichen Princips (17. 18.) angesehen: so kann die Betrachtung nicht nach jenen Theilen zerfallen; sondern nur wenn man es als einen frühern Moment gleichartig mit den folgenden betrachtet. 23. Die für jenen Zwekk ausgesonderte Kenntniß des Urchristenthums ist in den wenigen schriftlichen Documenten enthalten, welche den Kanon
14f Oben 267,1 — 11 § 18
§ 84 /
16 Oben 259,17-22
§19~>§85/
§§ 20-22
22 Oben ->§ 87/
268,1-7
§ 23 -> § 88 /
II. Teil: Historische Theologie
[269]
83
bilden, und beruht vornemlich auf deren richtigem Verständniß. Daher der Namen exegetische Theologie. | 24. Die exegetische Theologie reiht sich zunächst an die philosophische an, und ist unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der erste. 25. Ihrer Natur nach hat der Unterschied des Allgemeinen und Besonderen (Einl. 20.) in ihr den kleinsten Spielraum. 26. Die Darstellung von dem weitern Verlauf des Christenthums, oder die eigentliche Geschichte desselben, enthält eine Unendlichkeit von Einzelheiten. Daher ist in ihr der Gegensaz zwischen dem Allgemeinen und Besondern am größesten. 27. Der Breite nach sondert sie sich in die Geschichte des Lehrbegriffs und die Geschichte der Verfassung. (20.) 28. Der Länge nach stellt jede von diesen einen ununterbrochenen Fluß dar, in welchem sich nur nach den Begriffen von Perioden und Epochen (7.) feste Punkte bilden, an denen man die Unterschiede fixiren kann zwischen mehreren Punkten, | die durch Epochen geschieden sind, und zwischen mehreren, die zwar zu Einer Periode gehören, aber so, daß der eine mehr das Resultat der vorhergegangenen Epoche darstellt, der andere mehr die folgende vorbereitet.
9 Oben 252,5-14 $24
§ 85 Erl /
17 Oben 268,13-16 $25->§89/
20 Oben 266,8-13
§26->$92/
§27->§90/
§ 28 -» § 91 /
84
[270]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
29. Die Kenntniß des gegenwärtigen Augenbliks ist, da sie sich zunächst an die Ausübung anknüpft, unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der lezte. 30. Je mehr ein Moment von einer Revolution entfernt ist, und das Resultat der vorhergehenden Epoche in seiner Vollendung enthält, um desto leichter sondern sich auch in seiner Darstellung Lehrbegriff und Verfassung. Auch erhellt durch diese Sonderung desto besser, inwiefern beide denselben Charakter ausdrükken. 31. J e mehr er noch in eine Epoche verwebt ist, um desto weniger vermag er für sich, sondern nur im ganzen Zusammenhang mit dieser dargestellt zu werden. 32. Die Darstellung des Lehrbegriffs einer Kirche | oder Kirchenparthei in einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der Dogmatik. 33. Die Darstellung der Verfassung der Kirche in einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der kirchlichen Statistik. 34. Die erste bleibt ihrer Natur nach mehr in den Grenzen einer Partei stehen, die andere verbreitet sich ihrer Natur nach mehr über das Ganze. 35. Da man beide ebenfalls ins Unendliche vervollständigen kann: so stehn sie in Absicht des Gegensazes zwischen dem Allgemeinen und Besondern der eigentlichen Kirchengeschichte gleich.
§29->§85 Erl/ § 34 ->§§ 96-98 /
§30 ->§94/ 535 -599/
§31 ->§93/
§32 ->§97
/§33~>§9S/
II. Teil: Historische Theologie
[271]
85
36. Die geschichtliche Anschauung muß überall selbst gebildet sein, weil sonst auch die darauf beruhende Thätigkeit in der Kirche keine selbständige sein würde. 37. Geschichtliche Darstellungen können nie frei sein von eigenthümlichen Ansichten und Urtheilen des Darstellenden. Soll also jemand vermittelst derselben sich seine eigene geschichtliche Anschauung | bilden: so muß er durch Kritik im Stande sein, das Materiale daraus für seine eigene Bearbeitung rein auszuscheiden. 38. Die historische Kritik ist die Vermittlerin alles wahren Aneignens auf dem Gebiet der Geschichte überhaupt, also auch der historischen Theologie.
Erster
Abschnitt.
Von der e x e g e t i s c h e n T h e o l o g i e .
1. Die exegetische Theologie als besondere Disciplin kann sich nur auf die Idee des Kanon beziehen.
s 36 -• 5 100/
§37
§101/
§38->§102/
§l^§104Erl/
86
[272]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
2. Die Idee des Kanon ist, daß er die Sammlung derjenigen Documente bildet, welche die ursprüngliche absolut reine und deshalb für alle Zeiten normale Darstellung des Christenthums enthalten. 3. Den jüdischen Codex mit in den Kanon ziehen, heißt das Christenthum als eine Fortsezung | des Judenthums ansehn, und streitet gegen die Idee des Kanon. 4. Die Kenntniß des jüdischen Codex ist die allgemeine Hülfswissenschaft für die gesammte historische Theologie. 5. Da Entstehen und Fortbilden (II. Einl. 5.) unmerklich in einander übergehn, und der Anfang auch als ein früherer Punkt in der Fortbildung und nach den Gesezen dieser kann betrachtet werden: so muß die Erscheinung des Kanon, welche nur die Documente der Entstehungszeit enthalten kann, nothwendig schwanken. 6. Er enthält wesentlich die Documente von dem Zusammensein Christi mit seinen Jüngern, und die von dem Zusammenwirken der Jünger zur Gründung des Christenthums. 7. Durch das Zusammensein dieser beiden Theile im Kanon ist schon die Unzertrennlichkeit des Entstehens und der Fortbildung auch in Bezug auf diese Idee gesezt. |
13 Oben
266,1-4
§ 2§§103-104/ §7^ §105 Erl/
§3~*§115/
§4-*§141/
§5 ->§106/
§ 6 -»· $ 105 /
II. Teil: Historische Theologie
[273]
87
8. Die Zeit der apostolischen Väter liegt zwischen der wo der Kanon wurde, und der wo der Kanon war. Die Grenze zwischen ihnen und dem zweiten Theil des Kanon kann schwanken. 9.
Die Apokryphen sind Schriften aus den Zeiten des Kanon, welche aber das christliche Princip nicht in seiner Reinheit darstellen, sondern an irgend eine Ausartung grenzen. Der erste Theil des Kanon hat gegen sie natürlich nur eine unsichere Grenze. 10. In wiefern der Kanon seiner Idee rein entsprechen soll, muß die Kirche noch immer im Bestimmen desselben begriffen sein, weil die vollständige Congruenz nie mit Gewißheit zu erkennen ist. 11. Er bleibt also in sofern immer ein Gegenstand für beide Aufgaben der höheren Kritik, sowol Unerkanntes zur Anerkennung zu bringen, als Verdächtiges auszustoßen. 12. Wie es für die höhere Kritik in den meisten Fällen keine andere Gewißheit giebt als eine An|näherung, die durch möglichstes Zusammentreffen der äußeren Kennzeichen und der innern erreicht wird: so könnte auch hier an äußeren Zeichen nur erkannt werden, daß etwas in die späteren Zeiten der apostolischen Väter oder in das vom Mittelpunkt der Kirche ferne Gebiet der apokryphischen Behandlungen fiele, und an inneren, daß es nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den wesentlichen und herrschenden Ansichten des Kanon gedacht wäre. 13.
Dasselbe gilt umgekehrt für den Fall, daß noch etwas in den Kanon Aufzunehmendes gefunden würde.
S8->§107/ S13 -* -/
§9~>§109/
§10~>§110/
§11-*§111/
§12~>§113/
88
[274]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
14. Nicht nur ganze Schriften sind in diesem Sinne der Gegenstand für die höhere Kritik, sondern auch einzelne Stellen. 15. Sieht man den Kanon als etwas historisch gegebenes an: so muß er bleiben wie er ist. Der Gedanke ist nicht statthaft, daß die erste Kirche im wesentlichen falsch darüber sollte entschieden haben; und so wäre, selbst wenn es ausgemacht werden könnte, daß einzelne Schriften andere Ver-| fasser haben, als denen sie beigelegt werden, dies kein Grund sie zu entkanonisiren. 16.
Keine Rede kann vollständig verstanden werden als in der Ursprache. Auch die vollkommenste Uebersezung hebt die Irrationalität der Sprache nicht auf. 17. Auch Uebersezungen versteht nur derjenige vollkommen, der zugleich mit der Ursprache bekannt ist. 18.
Die Ursprache des Kanon ist zwar griechisch, vieles aber ist unmittelbar Uebersezung aus dem Aramäischen, und noch mehreres ist mittelbar so anzusehn. 19. Da auf dem richtigen Verständniß des Kanon überall das eigne Urtheil darüber, was ursprünglich Christlich ist beruht: so muß jeder Theologe den Kanon auch durch sich selbst verstehen. 20. Da kein Dialekt vollkommen verstanden wird ohne seine verwandten Dialekte: so ist auch die vollständigste Kenntniß des Kanon nur durch die Kenntniß aller Semitischen Dialekte möglich. |
§14 § 112/ §§ 125. 128/
§ 15 § 114/ §20-* §129/
§§ 16-17 ->§ 126 /
§ 18§
127/
§ 19 -
II. Teil: Historische Theologie
[275]
89
21. Nur dieser zweite Punkt (20.) nicht auch der erste (19.) kann zu der speciellen Virtuosität auf diesem Gebiet gehören. 22. Auch hier ist nächst der Literatur Kritik der Virtuosen (Einl. 20, 3. 4.) eine nothwendige Ergänzung, um im Gebrauch das was einseitige Liebhaberei am Seltnen und Scharfsinnigen von dem was ächt philologisches Talent erzeugt hat, zu unterscheiden. 23. Alles Verstehen einer Rede oder Schrift ist, weil dazu eine selbstthätige Production gehört nach Gesezen, deren Anwendung nicht wieder auf Geseze zu bringen ist, eine Kunst. 24. Die Auslegung des Kanons gehört zu den schwierigsten, theils weil das Speculativreligiöse in dem unbestimmten Sprachgebrauch nicht nationaler Schriftsteller aus einer im Ganzen ungebildeten Sphäre sehr vielen Mißdeutungen ausgesezt ist, theils weil die Umstände, welche den Gedankengang des Schriftstellers motivirten, uns häufig | ganz unbekannt sind, und erst durch die Schriften selbst müssen erra then werden. 25. Da jeder Theologe zu einem eigenen Verständniß des Kanons gelangen soll: so muß auch jeder diese Kunst selbst üben, und darf keine Auslegung auf Autorität annehmen.
26. Die Auslegungskunst ist der Mittelpunkt der exegetischen Theologie, und in Absicht auf sie findet kein Unterschied Statt zwischen allgemeinem Besiz und besonderer Virtuosität. Auch da, wo man die Sprachkenntniß nur als Notiz hat, muß doch die Auslegung eigen sein.
2 Oben 274,26-29
2 Oben 274,22 - 25
S21 -* § 130/ §22-* §131/ S 26-* §§138. 139/
5 Oben 252,9-12
§23->§132/
§24-* §135/
§25-* §139/
90
[276]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 27.
Wer die Regeln der Auslegung nur als ein Aggregat von Observationen besizen will, muß einem fremden unklaren Gefühl folgen. 28. Die Auslegungskunst ist eine philologische Disciplin, die auf eben so festen Principien als irgend eine andere beruht. 29. Es giebt keine Vorstellungsart über den Ka|non, welche die Anwendung der so gefundenen hermeneutischen Regeln auf denselben aufhöbe. 30. Die Specialhermeneutik des Kanon ist nur die nähere Bestimmung jener Regeln in Bezug auf die besondere Sprache des Kanon, und auf die besondere Gattung, zu der die Schriften gehören, aus denen er besteht. 31. Da das Ziel aller Auslegung darin besteht, jeden einzelnen Gedanken mit seinem Verhältniß zur Idee des Ganzen zugleich richtig aufzufassen, und so den Akt des Schreibens nachzuconstruiren: so muß vorzüglich bestimmt werden, in wiefern für die Auslegung der Kanon als Ein Ganzes zu nehmen, und in wiefern jede einzelne Schrift desselben für sich zu betrachten ist. 32. Jede Schrift kann nur vollkommen verstanden werden durch die Kenntniß der Litteratur, der sie angehört, des Zeitalters und besonders des Publicums, für welches sie geschrieben wurde, und der besondern Beziehungen, aus denen sie hervorgegangen ist. | 33. Keine Vorstellungsart vom Kanon kann diese Bedingungen des Verstehens für überflüßig erklären.
24 Publicums] Pu-/licums
§ 27 § 133 Erl/ §28-* §137/ § 136/ §§32-33 -* §140/
§29 ->§134/
§30 ->§137/
§ 31 -
II. Teil: Historische Theologie
[277]
91
34. Da diese Bedingungen ein Unendliches enthalten: so tritt hier der Unterschied zwischen dem Allgemeinen und Besondern wieder vorzüglich ein. 35. Die großen Züge zu kennen, wodurch das Ganze klar wird, und sich dadurch ein richtiges Bild der Neutestamentischen Zeit zu entwerfen, ist die Pflicht eines Jeden; die Masse des einzelnen zusammenzubringen, wodurch Einzelnes und Kleines erläutert wird, ist die Sache der Virtuosen dieses Faches. 36. Der erste Grund zum Besiz dieser Hülfskenntnisse wird gelegt durch diejenigen Notizen, die man in den Einleitungen in das N. Test, zu vereinigen pflegt. 37. Die Quellen, woraus Erläuterungen zu nehmen wären, sind noch lange nicht erschöpft. | 38. Alles was er bedarf ist dem Ausleger erst dann gegeben, wann er auch einen berichtigten und zuverläßigen Text vor sich hat. Dies ist die Aufgabe der niedern Kritik. 39. Die Grenze zwischen dieser und der höhern ist schwer, und überall nicht nach der Größe des Gegenstandes, worauf es ankommt, zu bestimmen. 40. Keine Vorstellungsart vom Kanon kann läugnen, daß der Text desselben den nemlichen Schiksalen müsse unterworfen sein, wie jede andere schriftliche Urkunde.
34 - -/ § 35 § 143 / § 36->§144/ -$118 Erl/ §40-S 116/
§37-§142/
§38-§118/
§39
92
[278]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
41. Die Möglichkeit, daß die ursprüngliche Schreibart könne verloren gegangen sein, ist beim Kanon nicht geringer als bei jeder andern Schrift. 42. Die Aufgabe der Kritik in ihrem ganzen Umfange ist eine unendliche. Daher sie auch ein Feld für eine besondere Virtuosität enthält. 43. Die vollkommene Wiederherstellung des Tex|tes hat beim Kanon nicht denselben philologischen Werth wie bei andern Schriftstellern. 44. Das Allgemeine für jeden nothwendige ist die Principien der Kritik zu kennen, um die Virtuosen der Kritik als Autorität in einzelnen Fällen prüfen zu können, und der Gründe seines Urtheils selbst mächtig zu sein. Daraus entsteht denn die ebenfalls unentbehrliche Kenntniß ihrer Hauptresultate. 45. Rein theologisch betrachtet haben nur diejenigen Varianten unmittelbare Wichtigkeit, welche irgend etwas zur ursprünglichen Darstellung des Christenthums gehöriges betreffen. Für den Kritiker sind alle wichtig, weil jede ein Beitrag zur Beurtheilung seiner Quellen ist. 46. Die nächste Aufgabe der Kritik ist die, eine möglichst richtige und genaue Geschichte des Textes zu liefern, welche aber auch noch nicht zu Stande gebracht ist. 47. Wie das Verständniß des Kanon überall noch nicht vollendet ist, so darf auch der einzelne Theo|loge sein Studium desselben nie als vollendet ansehn.
§41 § 117/ §46-" §120/
§42 § 122 / §47-"§145/
§43^§121/
§44^>§123/
§4S->§121/
II. Teil: Historische Theologie
[279]
93
48. Der akademische Unterricht kann nur den Grund dazu legen; muß aber auch schon beide Richtungen, die auf die Universalität und die auf die Virtuosität, in sich vereinigen. 49. Ohne religiöses Interesse läßt sich kein fortgeseztes Studium des Kanon denken, es müßte denn ein gegen ihn selbst gerichtetes sein. 50. Ohne philologischen Geist kann die Beschäftigung mit dem Kanon nur asketisch sein, oder sie wird ins Pseudo-dogmatische ausarten.
Zweiter Abschnitt. Von der h i s t o r i s c h e n T h e o l o g i e im e n g e r e n S i n n e o d e r der Kirchengeschichte.
1. Der Gegenstand der Kirchengeschichte ist der Inbegriff alles dessen, was das Christenthum von | seinem Entstehen bis jezt geworden ist oder gewirkt hat.
12f Von ... Kirchengeschichte.] Sperrung fehlt 6f Schleiermacher denkt ζ. B. an die einem radikalen theologischen Naturalismus verpflichteten exegetischen Arbeiten des Karl Friedrich Bahrdt (1741-1792): vgl. Die kleine Bibel, ehrwürdig und lesbar für Christen und Nichtchristen, hg. v. K. F. Bahrdt, Bd. 1~2, Berlin 1780; ders.: Analytische Erklärung aller Briefe der Apostel ]esu, Bd. 1—3, Berlin 1787-1789; vgl. den Sachapparat zu KD2 § 147 (unten 379,14-16). $48 ->§146/
§49 -»· § 147/
§50->§148/
§1~*§149/
94
[280]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 2.
Es läßt sich ansehn von der einen Seite als Eine einzige Anschauung, von der andern als ein Ganzes von unendlich vielen einzelnen Anschauungen. 3. Jede Thatsache als geschichtliche Einzelheit ist ein äußeres, die räumliche Veränderung, und ein inneres, die Function der Kraft, welche betrachtet wird, identisch gedacht. 4. Die Aneinanderreihung der räumlichen Veränderungen für sich ist nicht Geschichte, sondern Chronik. Es giebt viele Veränderungen, die gar nicht als geschichtliche Elemente anzusehen sind. 5. Wie überall auch die vollständigste Chronik nur Vorarbeit ist für die Geschichte: so kann die Chronik der christlichen Kirche besonders gar nicht als theologische Disciplin gedacht werden, weil sie mit dem Interesse an der Wirksamkeit für das Christenthum in gar keinem Zusammenhange steht. I
6. Das Aneinanderfügen wahrgenommener räumlicher Veränderungen und ihr Festhalten im Gedächtniß ist Mechanismus; die Verknüpfung des Innern und Aeußern zu einer geschichtlichen Anschauung ist Construction, Thätigkeit eines Talentes. 7. Das Leben, die eigene geschichtliche Existenz des einzelnen Menschen entwikkelt dieses Talent von selbst. 8. Sobald das Christenthum als thätiges Princip in die Welt eingetreten ist, kann man die Bildung der gemeinsamen Lehre und die Bildung des gemeinsamen Lebens als zwei Functionen desselben unterscheiden.
§ 2 § 150/ §3 §8 -+§§161. 166 /
§ 151 /
§§ 4—5 -» § 153 /
§6~-§152/
$ 7-> $ 15 5/
II. Teil: Historische
Theologie
[281]
95
9. Wie aber die Kirche die Gemeinschaft der Lehre sowol als des Lebens ist: so ist auch keine von beiden Functionen ohne die andre in ihrer Thätigkeit zu verstehen, und jeder Moment ist nur in der ungetrennten Betrachtung lebendig und richtig aufzufassen. 10. Die Kirchengeschichte, als theologische Disci|plin, soll vorzüglich das, was fremden Einwirkungen zuzuschreiben von dem, was rein aus dem Princip selbst hervorgegangen ist, unterscheiden. 11. Die Bildung der Lehre wird vorzüglich afficirt durch die herrschenden Philosopheme und den wissenschaftlichen Zustand überhaupt. 12. Die Bildung des gemeinsamen christlichen Lebens wird vorzüglich afficirt durch die politischen Verhältnisse und durch den geselligen Zustand überhaupt. 13. Die Aufgabe, den geschichtlichen Verlauf des Christenthums zu erkennen, kann nur durch die vielseitigste Combination beider Verfahrungsarten vollständig gelöset werden, indem jede ergänzen muß was der andern fehlt. 14. In der Bildung des gemeinsamen Lebens unterscheiden sich wieder die Bildung der Sitte und die Bildung des Cultus. 15. Beides ist aber auch in einander: denn jedes kann auf das andere zurükgeführt werden. |
§9-* §162/ §168/
§10-* §160/ §§15-16->§170/
§§11-12
-> §167/
§13 ->§163/
§14 ->
96
[282]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
48
16. Jedes, wenn es sich isolirt, verliert seinen Charakter. Denn der Cultus ohne Sitte erscheint nur als Ceremonie oder Aberglauben, und die Sitte ohne Cultus nur als ein Resultat des geselligen Zustandes nicht des religiösen Princips.
5
17. D a die kirchliche Verfassung ohne äußere Sanction ist, fällt sie ganz unter das Gebiet der Sitten.
18. An der Sitte zeigt sich, wie die religiöse Gesinnung in die verschiedenen Theile des Handelns hineintritt, und wie sie sich zu den übrigen Motiven verhält.
10
19. In diesem Zusammensein des religiösen Princips mit den übrigen Motiven begreift sich allein alles das, was zwar in der Kirche ist, aber nicht aus der Kirche hervorging, und wovon sie sich reinigen soll.
15
20. Eben so auch die intensive Verschiedenheit mit der das religiöse Princip sich der verschiedenen Gebiete des Lebens bemächtigt aus der jedesmali49 gen I moralischen Constitution des Zeitalters oder der Nation.
20
21. Der Cultus verhält sich zu der Sitte wie das beschränkte Gebiet der Kunst zu dem größeren des geselligen Lebens. 22. In beiden sind nur diejenigen Veränderungen gründlich, welche langsam vor sich gehen; je schneller desto mehr scheinbares ist darin.
§ 17 -§
173 /
§ 21 -» § 168 Erl /
25
S 22
II. Teil: Historische
Theologie
[283]
97
23. Die langsamen Veränderungen sind nicht in einer ununterbrochen fortlaufenden Reihe aufzufassen, sondern nur in discreten Punkten, welche die Fortschritte von einer Zeit zur andern darstellen. 24. Die Entwiklung der kirchlichen Verfassung, welche ihren nächsten Bezug auf den Cultus hat, ihre Haltung durch die Sitte bekommt, und zugleich das Verhältniß der Kirche zum Staat ausdrükt, ist allein geschikt den fortlaufenden Faden zu bilden, an den sich das übrige anreiht. 25. Da die größten Revolutionen in der Kirchengeschichte diejenigen sind, welche nicht die Kir|che allein betreffen: so werden sich auch diese am stärksten in der Verfassung offenbaren. 26. Nur wenn man die Bildung des Lehrbegriffs isolirt betrachtet, kann man sich die Aufgabe stellen, eine innere mit dem Wesen des Christenthums in Bezug stehende Gesezmäßigkeit in seiner Entwiklung aufzufinden. 27. Völlig äußere Lebensverhältnisse können nicht den wahren Grund enthalten zu wichtigen Entscheidungen im Gebiet des Lehrbegriffs. 28. Die allmählige Bildung des Lehrbegriffs ist auf der einen Seite die fortschreitende Betrachtung des christlichen Principe nach allen Beziehungen, auf der andern das Aufsuchen des Ortes für die Aussagen des christlichen Gefühls in dem geltenden philosophischen System. 29. Jenes endet in der Deduction aus dem Kanon, dieses in der Uebereinstimmung mit zugestandenen philosophischen Säzen. 19 f Vgl. den Sachapparat zu KD2 5 179 Erl (unten 389,7-9). S23->Í172/ § 24 S 28-> SS 177. 180/
§ 176/ $25~>§175/ S 29 -• S180/
S26^$178/
$27~>$179/
98
[284]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 30.
Da das Gleichgewicht beider Gesichtspunkte | fast nirgends gegeben ist: so ist darauf zu achten, wie der eine über den andern das Uebergewicht hat. 31. Es können theils in derselben Zeit verschiedene Parteien in dieser Hinsicht einander gegenüber stehn, theils auch verschiedene Zeiten durch ein Uebergewicht des Einen über das Andere sich unterscheiden. 32. Das Bestreben philosophische Systeme in die Theologie einzuführen, pflegt mit der Anwendung einer richtigen Schriftauslegung im Gegensaz zu stehen. 33. Man kann in der Entwiklung des Lehrbegriffs unterscheiden, die Bildung der theoretischen und der praktischen Dogmen. 34. Es unterscheiden sich, wiewol im Ganzen die praktische Seite zurüksteht, immer Parteien oder Schulen, welche vorzüglich das eine oder das andere betreiben. 35. J e mehr man die geschichtlichen Functionen | so vereinzelt betrachtet, um desto öfter muß man auf Punkte kommen, wo man das Getrennte wieder vereinigen muß; je mehr man sich nur an die größeren Glieder hält, um desto länger kann man unaufgehalten fortschreiten. 36. Es giebt eine zwiefache Art um das geschichtliche zu wissen, aus den Quellen selbst und aus geschichtlichen Darstellungen.
§30 § 181 / §31 -> § 181 / ->§164/ § 36 -+§156/
§32->-/
§33^·§183/
§34-*-/
§35
II. Teil: Historische Theologie
[285]
99
37. Quellen im engern Sinne für einzelne Thatsachen sind nur Monumente und Urkunden, welche selbst Theile der gesuchten Begebenheit sind, oder unmittelbar auf dieselbe zurükweisen. Geschichtliche Darstellungen, wenn auch von Zeitgenossen, sind doch nur mittelbare Quellen. 38. Ein gesammter Zustand kann nur nachgewiesen werden aus einer großen Masse analoger einzelner Thatsachen. 39. Hilfswissenschaften, um aus den Quellen zur geschichtlichen Anschauung zu gelangen, sind das gesammte philologische Studium, diejenige Kritik, welche über die Aechtheit der Monumente entscheidet, die historische Kritik überhaupt, und endlich die sämmtliche übrige Geschichte. 40. Was aus dem unendlichen Gebiet der Kirchengeschichte jeder Theolog inne haben muß, das läßt sich nur aus dem theologischen Zwekk beurtheilen. 41. Jeder muß also die Kirchengeschichte inne haben nach Maaßgabe des Interesse des gegenwärtigen Augenbliks. 42. Jeder lezte Augenblik, an den sich ein künftiger knüpfen soll, ist vorzüglich gegründet in der lezten revolutionären Begebenheit. Durch diese hat sich aber noch manches aus dem vorigen Zustande der Ruhe hinübergeschlichen, ja sie ist selbst in diesem gegründet, u. s. f., so daß die Kenntniß aller Hauptrevolutionen nach Maaßgabe ihres Zusammenhanges mit dem gegenwärtigen Augenblik das erste ist.
§ 37 - 5157/ -+§186/
§38
§ 159/
§ 39§
184 Erl /
§§40-41
§ 185 /
§42
100
[286]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 43.
Zwischen je zwei Epochen giebt es untergeordnete Hauptpunkte, aus 54 denen man erkennen | kann, wie die Kraft von jeder ab- oder zunimmt, und diese sind das zweite unentbehrliche. 44.
5
Der gemeinsame Geist und Charakter eines Zeitalters kann nur fixirt werden in einem großen historischen Bilde. Wer sich nicht ein solches von jedem Zeitalter entwerfen kann, der lebt nicht in der Geschichte. 45. Was hierüber hinausgeht gehört zu demjenigen Betrieb der Kirchenge- 10 schichte, welcher auf die Vervollkomnung und Vollendung der einzelnen Theile als solcher ausgeht. 46. Wer etwas als Virtuose in der Kirchengeschichte leisten will, bezwekt entweder Thatsachen aus den Quellen auszumitteln und zu berichtigen, 15 oder einen Zeitraum richtiger und eigenthümlich darzustellen. 47. Es ist in der Kirchengeschichte schwerer als anderwärts zu treuen Darstellungen der Thatsachen zu gelangen. An geschichtlichen Kunstwerken mangelt es noch überall. | 20 55
48. Die auf die Bereicherung der Wissenschaft Bezug habenden Arbeiten eines Jeden müssen ein gemeinsames Product seiner Neigung und der Gelegenheiten sein, die sich ihm darbieten. 49.
25
Da das, was zum allgemeinen Bedarf gehört, zunächst nur aus abgeleiteten Quellen kann geschöpft werden, und die Kritik historischer Compositionen, welche hiezu gehört, am besten durch eigne Uebungen dieser Art gewonnen wird: so sollte jeder wenigstens irgend einen kleinen Theil der Kirchengeschichte aus den Quellen studieren, und so viel von den 30 §43 § 187/ 5 48 ->§194/
§44 § 188/ §49->§190/
§ 45-> § 191 /
§46~>§192/
§ 4 7 - /
II. Teil: Historische Theologie
[287]
101
Quellen eines jeden Zeitalters gelesen haben als nöthig ist, um sich das Totalbild desselben recht zu beleben. 50. Das religiöse Interesse und das wissenschaftliche können einander beim Studium der Kirchengeschichte nie in den Weg treten. 51. Wenn die Liebe, mit welcher ein Betrachtender in einer Kirchenpartei steht, rechter Art ist, kann sie nie blenden oder verfälschen. | 52. Die strenge Unparteilichkeit, welche der wissenschaftliche Geist fodert, ist weder Indifferentismus noch kann sie je einer Kirche oder Partei zum Schaden gereichen.
Dritter
Abschnitt.
Von der g e s c h i c h t l i c h e n Kenntniß des C h r i s t e n t h u m s in seinem g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d e .
1. Die zusammenfassende Darstellung des lezten Moments in der geschichtlichen Kirche kann nur zeigen wollen, in welchem Verhältniß bis dahin das Princip der laufenden Periode sich nach allen Seiten hin entwikkelt hat.
14f Von ... Zustande.] Sperrung fehlt SS SO-52 -> Í 193/
§1
S 198/
102
[288]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 2.
Eben dieses Zwekkes wegen darf auch hier die Trennung in Verfassung und Lehrbegriff (II. Einl. 20.) Statt finden, nur muß die Beziehung beider auf einander nicht vernachlässigt werden. 3. Diejenige theologische Disciplin, welche unter | dem Namen der thetischen oder dogmatischen Theologie bekannt ist, hat es eben zu thun mit der zusammenhangenden Darstellung des in der Kirche jezt grade geltenden Lehrbegriffs. 4. Weder eine zusammenhangende Darstellung einer abweichenden bloß subjectiven Ueberzeugung, noch die Aufstellung einer sogenannten biblischen Theologie, noch die geflissentliche friedliebende Beseitigung alles streitigen entspricht jenem Begriff. 5. Da jeder für sich darstellbare Moment (II. Einl. 30.) zwischen zwei Epochen liegt, so ist in demselben auch in Bezug auf den Lehrbegriff theils das durch die erstere gesezte in der Kirche vorhanden, theils das die lezte vorbereitende. 6.
Das erste aber tritt auf überwiegend als das kirchlich bestimmte, das lezte überwiegend als das von Einzelnen ausgehende. 7. Vergleichungsweise erscheint das erstere überall als sich selbst gleich, als Einheit, das zweite als unter sich verschieden, als Vielheit. |
3 Oben 268,13-16 §2 -* § 195 / §200/
16 Oben 270,5-10 §3
§97 + 195/
§4->§197/
§§5-6 -+§199/
J7-»
II. Teil: Historische Theologie
[289]
103
8. J e mehr noch das Princip der frühern Epoche im Entwikkeln begriffen ist, um desto weniger können sich die Elemente bemerklich machen, welche die folgende vorbereiten. 9. Jeder ganz oder partiell den Lehrbegriff aussprechende, der sich in der Relativität für eines von beiden befindet, ist nur ein unvollkommenes Organ der Kirche. 10. Jedes Element des Lehrbegriffs, welches in dem Sinn construirt ist, das bereits bestehende und fixirte zusammt seinen natürlichen Folgerungen fest zu halten, ist orthodox. 11. Jedes Element, welches in dem Sinne construirt ist, den Lehrbegriff beweglich zu erhalten und neue Darstellungen von dem Wesen des Christenthums zu eröfnen, ist heterodox. 12. Beide sind für den geschichtlichen Gang des Christenthums und für jeden Moment, der darin Bedeutung haben soll, gleich wichtig. | 13. Auch dasjenige festhalten wollen im Lehrbegriff, was bereits antiquirt ist, und so die Fortschreitung hemmen, ist die falsche Orthodoxie. 14. Alles beweglich machen wollen, ohne selbst das Wesentliche des Christenthums und seiner laufenden Periode zu schonen, zerstört die Einheit der geschichtlichen Erscheinung und ist die falsche Heterodoxie.
16 eröfnen,] eröfnen
SS 8-9-> s 206/
§208/
§§10-11 -» $203/
§12-"§204/
§13-* §205/
§14-*
104
[290]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
15. Jeder in einer Relativität befangene steht in Gefahr, was zum Wahren und Falschen der entgegengesezten gehört zu verwechseln. 16. Jede treue und den Zustand der Kirche wirklich umfassende Darstellung des Lehrbegriffs muß in ihrem Fundament und Hauptgebäude orthodox sein, eben so nothwendig aber auch in einzelnen Theilen einzelnes Heterodoxe enthalten.
17. Zur vollständigen Kenntniß des gegenwärtigen Augenbliks gehört nicht nur dasjenige, was in die Zukunft hinübergenommen wird, und wesentlich in die weitere Fortbildung verflochten ist: | sondern auch dasjenige, was eben so erzeugt, als rein persönliche Ansicht wieder verschwindet. 18. Da die Darstellung des Lehrbegriffs auch die Richtung, welche das Ganze als ein bewegliches nimmt, bezeichnen soll: so muß sie alles gleichzeitig vorhandene verhältnißmäßig beriiksichtigen.
19. Keine Darstellung des Lehrbegriffs kann treu sein, die nicht zugleich divinatorisch ist. Das Divinatorische ist desto reichhaltiger je weiter, und desto schwieriger je näher der zu beschreibende Augenblik dem Culminationspunkte einer Periode liegt. 20. Jedes in die Darstellung aufgenommene Element, muß die Art wie es bestimmt ist bewähren, am Kanon sowohl als an der Speculation.
3 entgegengesezten] entgegesezten
$ 15
$209/
§208/
§ 16
§ 207 /
$§ 17-18
-* § 201 /
§19^$202/
J20->
II. Teil: Historische Theologie
[291]
105
21. Was in Bezug auf das Ganze und den ersten Anfang der Kanon ist, das ist in Bezug auf die laufende Periode und ihren Anfang das Symbol.
22. Die Bewährung der orthodoxen Elemente des Lehrbegriffs am Kanon ist vermittelt durch die am Symbol. | 23. Die lezte Epoche in der Geschichte des Christenthums ist die Reformation, durch welche sich der Gegensaz zwischen Protestanten und Katholiken festgestellt hat. 24. Die Beziehung beider Partheien aufeinander muß bei der Darstellung überall ins Auge gefaßt werden. 25. Wenn die Behandlung des Kanon sich ändert, muß sich auch die Art der Bewährung einzelner Theile des Lehrbegriffs ändern, ohne jedoch daß sie selbst sich änderten. 26. Durch Beziehung auf verschiedene philosophische Systeme entsteht ein verschiedener Ausdruk der einzelnen Lehren, ohne daß die Identität der ursprünglichen religiösen Affection des Gemüthes, welche durch die Lehre repräsentirt werden soll, dadurch aufgehoben würde. 27. An jedes wahrhaft philosophische System kann sich die Darstellung des Lehrbegriffs anschließen. |
SS 21-22 - $ 211/ $27-+$214/
$$23-24 -> $212/
$25->$210/
$26 - $$213. 215 /
106
[292]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 28.
Da der Lehrbegriff der Kirche aus den Meinungen Einzelner entsteht, und in demselben immer durchgehende und bleibende Elemente mit einander verbunden sind: so ist auch die Kenntniß seines jedesmaligen Zustandes ein Unendliches, in welchem die Gebiete des allgemeinen Besizes und der besonderen Virtuosität zu unterscheiden sind. 29. Zu dem allgemeinen Gebiet gehört die vollständige Kenntniß alles desjenigen im Lehrbegriff beider Kirchenpartheien, was sich auf das Princip der lezten Epoche bezieht, und die Kenntniß desjenigen neuen, woran man erkennen kann, daß es von geschichtlicher Bedeutung ist. 30. Zur besondern Virtuosität gehört die genaue Kenntniß aller einzelnen Streitigkeiten und gewagten Meinungen, auch diejenigen welche wieder verschwinden, ohne für sich allein in die Geschichte eingegriffen zu haben. 31. Alles bisher (3—30) Gesagte gilt gleich sehr von der theoretischen Seite des Lehrbegriffs, der christlichen Glaubenslehre oder Dogmatik im | engern Sinne, und von seiner praktischen, der christlichen Sittenlehre. 32. Beide sind nicht von Anfang her getrennte Disciplinen gewesen, stehen auch nicht immer mit einander im Gleichgewicht, weder der innern Ausbildung noch der äußeren Darstellung.
14 diejenigen] Kj derjenigen
18 Oben 288,5-292,16 §28-* §218/
§29^ §219/
§30-" §222/
§§ 31-32
f 223 /
II. Teil: Historische Theologie
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33.
5
J e weniger eine genaue Correspondenz in der Organisation der theoretischen und praktischen Philosophie zu Tage liegt; je weniger im Leben selbst die spekulativen Meinungen auch die Lebensweise bestimmen oder von ihr bestimmt werden; endlich je weniger gleichförmig nach beiden Seiten das Princip der leztvergangenen oder nächstkünftigen Epoche sich ausbildet: um desto zwekmäßiger ist die Trennung beider Seiten des Lehrbegriffs in zwei verschiedene Disciplinen. 34.
10 Die theoretische Seite des Lehrbegriffs verhält sich zur rationalen Theologie wie die praktische Seite zur Pflichtenlehre der rationalen Ethik. 35. Was sich für rationale Theologie ausgiebt ist oft nur Dogmatik, und was für rationale Ethik | ist oft nur religiöse Moral, beides mit Absonderung 15 des eigenthümlich christlichen. 36. Die theoretische und praktische Seite des Lehrbegriffs können nicht ohne gänzliche Ertödtung auf verschiedenartige philosophische Systeme bezogen werden. 20
37. Der kirchliche Gegensaz der jezigen Periode hat sich auf der praktischen Seite des Lehrbegriffs für jezt noch nicht so stark ausgeprägt als auf der theoretischen. 38.
25 J e mehr Wissenschaft und bürgerliches Leben in der Realität getrennt sind, um desto weniger bestimmen sich auch Lehrmeinungen und Maximen gegenseitig.
16-19 Vgl. den Sachapparat zu KD2 §227 (unten 406,17-20). f 33
§ 228 /
§§34-35 ->§226 Erl/
§36~*§227/
§ 37-> § 228 Erl /
§38
64
108
[294]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
39. Wenn auch beide Seiten des Lehrbegriffs als besondere Disciplinen behandelt werden: so entsteht desto nothwendiger die Aufgabe bei jedem einzelnen Saz der einen auf. das, was sich daraus für die andere ergiebt, zurükzuweisen. 40. Da der Lehrbegriff als ein Ganzes soll ange|schaut werden, und die Consequenz weit leichter auffällt an dem mehr entwikkelten: so muß das Studium des gegenwärtigen Zustandes des Lehrbegriffs anfangen, mit einer streng zusammenhangenden Darstellung des kirchlich fixirten als weiterer Ausbildung der ihrer Natur nach nur fragmentarischen Symbole. 41. Bei der Kenntniß des Neuen aus dem Symbol nicht verständlichen muß man sich gleich die Aufgabe stellen, eine gemeinsame Haltung und Abzwekkung darin zu finden. 42. Eben so ist für das, was sich als krankhaft zu erkennen giebt, ein in dem Geist des Zeitalters liegendes antichristliches oder irreligiöses Princip aufzusuchen. 43. Die Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes der Kirche oder die kirchliche Statistik hat vorzüglich zu betrachten die religiöse Entwiklung, die kirchliche Verfassung und die äußeren Verhältnisse der Kirche im gesamten Gebiet der Christenheit. 44. Wenn durch das Entwiklungsprincip einer | Periode ein Gegensaz mehrerer Kirchenpartheien sich gebildet hat: so ist jeder in allen diesen Bezie-
8 dem mehr entwikkelten] den mehr entwikkelten
§39->§230/ §232/ $44
§40 ->§220 ->$233/
/ $41-*
$221/
$ 42-> $ 222 Erl /
$43^>
II. Teil: Historische
Theologie
[295]
109
hungen auch ein eigner Gang während dieser Periode vorgezeichnet, und daher jede Parthei für sich und in Vergleichung mit den andern zu betrachten. 45. Das Maaß und die Art der religiösen Entwiklung bestimmt sich theils nach dem Verhältniß in welchem der Lehrbegriff zu dem religiösen Bewußtsein der Gemeinheit steht, theils nach dem in welchem sich im Leben das religiöse Princip jeder Parthei zu den herrschenden sinnlichen Motiven findet. 46. Die Unterabtheilungen sind also hier zu bestimmen nach der Verschiedenheit der gemeinschaftlich großen Massen einwohnenden Sinnesart. 47. Das Wesen jeder kirchlichen Verfassung drükt sich aus durch das Verhältniß, in welchem Laien und Klerus gegeneinander stehen. 48. Da hier die Analogie mit den politischen | Verhältnissen besonders heraustritt, so bestimmen sich auch nach diesen die Unterabtheilungen. 49. Das wesentliche der äußeren Verhältnisse ist die Lage der Kirche gegen den Staat und gegen die Wissenschaft. 50. Ein besonderes Gebiet wird also da sein, wo diese in ihrer Bildung und Einwirkung auf einander einen eigenthümlichen Gang genommen haben. 51. Aus dem bisherigen ergiebt sich, daß die Unterabtheilungen für diese Darstellung nach dem Nationalcharakter vorzüglich müssen genommen werden.
$§45—46 -* §234/ §51 -> §238 Erl/
§47-+§236/
§ 48 -» § 236 Erl /
§§ 49-50
-* § 238 /
110
[296]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 52.
Da jedes bestimmte Gebiet innerhalb der Kirche als ein organischer Theil des Ganzen anzusehen, und also bewußte Wirksamkeit darauf ohne Kenntniß des Ganzen nicht möglich ist: so ist Kenntniß von dem dermaligen Zustande des Ganzen nach Maaßgabe jenes Einflusses die unerlaßliche Pflicht eines Jeden. 53. Seine Kenntniß nur auf den Umfang der einzelnen Parthei der man angehört zu beschränken, ist kaum für den Punkt, wo die Spannung | zwischen ihr und der entgegengesezten am höchsten gestiegen ist, zu rechtfertigen. 54. Mangel an Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes sowol des Lehrbegriffs als der kirchlichen Gesellschaft, ist eine Hauptursache des todten Mechanismus in der Praxis. 55. Die lebendige Thätigkeit in dem Gebiet Einer Parthei kann nicht leiden durch Anerkennung des Guten, welches sich in der entgegengesezten findet. 56. Alles bloß topographische onomastische und bibliographische ist nur als Hülfskenntniß anzusehen. 57. Eine ganz ins Einzelne gehende Kenntniß auch des wirklich individuell gebildeten kann nur die Virtuosität Einzelner sein. 58. Da diese nie ganz ohne Einseitigkeit sein wird, so ist auch zu ihrer richtigen Benuzung Kritik unentbehrlich.
3 und] nnd
§52 ->§244/ §53->§243/ § 245 / §5 8-> -/
§§ 54-55
§ 243 Erl/
§ 56 -» § 246 Erl/
§57
[297]
II. Teil: Historische Theologie
111
59. Ohne religiöses Interesse wird die Kenntniß von einem gegebenen Zustande des Christenthums | je weiter ins Einzelne verfolgt, um desto geistloser und zur bloßen Gedächtnißsache, und je wissenschaftlicher betrieben, um desto skeptischer und polemischer. 60. Ohne philosophischen und kritischen Geist wird sie nie ein treues Resultat geben, sondern nur der Subjectivität der Person oder der Kirchenpartei zur Erhöhung dienen.
Schlug. 1. Da die Symbole für eine einzelne Periode dasselbe sind, was der Kanon für das gesamte Christenthum: so pflegt man auch die Symbolik als eine einzelne untergeordnete Disciplin anzusehen. 2. Nur ist aus demselben Grunde das Historische, was dort nur als Propädeutik dient, bei ihr die Hauptsache, und das philologische dagegen untergeordnet. 3. Will man einen Moment der Vergangenheit fixiren und sich recht lebendig hinein versezen: so muß man sich ihn eben so wie die Dogmatik es mit I der Gegenwart macht, in einer zusammenhangenden Darstellung vor Augen halten.
13 f Vgl. ζ- B. Samuel Mursinna: Primae lineae encyclopaediae theologicae in usum praelectionum ductae, 2. Aufl., Halle 1784, Caput 18, §§ 412-417, S. 365-371; Planck: Einleitung, Bd. 2, S. 393. 577— 593; ders.: Abriß einer historischen und vergleichenden Darstellung der dogmatischen Systeme unsrer verschiedenen christlichen Hauptpartheyen, 2. Aufl., Göttingen 1804 §S9^>§247/
$60 -* § 248 /
§§l-2-*§249/
§§3-4->§250/
112
[298]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 4.
Was man biblische Theologie nennt, ist nur eine solche Darstellung des Lehrbegriffs in der kanonischen Zeit, in sofern man diese als Einen Moment ansehen kann. 5. Die Elemente jeder historisch theologischen Darstellung sind weit mehr biographisch, als in irgend einem andern historischen Gebiet. 6. Diejenige Kenntniß des Christenthums, welche vorausgesezt werden muß um zur philosophischen Theologie zu gelangen, braucht nur die exoterische zu sein, welche dem eigentlichen theologischen Studium vorangeht; die ganze Organisation der historischen Theologie aber gründet sich auf die Resultate der philosophischen. 7. Die philosophische Theologie nimmt ihren Standpunkt immer über dem Christenthum, die historische dagegen innerhalb desselben. 8. Darum kann und muß genau betrachtet jeder | Gegenstand der historischen Theologie auch Gegenstand für die philosophische sein, und die leztere ist die beständige Begleiterin der ersteren. 9. J e weniger die philosophische Theologie sich noch als Disciplin anerkennen macht, um desto eher werden beide Behandlungsarten vermengt und verwechselt.
11 exoterische] exotorische
5 -> $ 251 /
$6 ->§252/
22 philosophische] philosphische
$ 7 -> - /
$8 ->$252 Erl/
§9->$253/
II. Teil: Historische Theologie
[299]
113
10. Daher werden diejenigen, welche sich mit dem historischen Studium zugleich ihre philosophische Theologie bilden, so leicht von den Empirikern beschuldigt, daß sie die Geschichte nach ihren Hypothesen deuten. 5
11. Eben so werden diejenigen, welche in der philosophischen Theologie alles historisch bewähren wollen, von denen, welche sich die ihrige aus einem fremden Standpunkt gebildet haben, für geistlose Empiriker angesehn.
10
12. Philosophische und historische Theologie können nur mit und durcheinander zur Vollkommenheit gedeihen.
§ 10-* §255/
§11-* §256/
§12->§254/
Dritter Theil. Von d e r p r a k t i s c h e n T h e o l o g i e .
Einleitung.
1. Wie die philosophische Theologie die Gefühle der Lust und Unlust an den Ereignissen in der Kirche zur klaren Erkenntniß bringt: so bringt die praktische Theologie die aus ihnen entstehenden Gemüthsbewegungen in die Ordnung einer besonnenen Thätigkeit. 2. Das Bedürfniß der praktischen Theologie entsteht also nur für den, in welchem religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist vereint sind. 3. Jede Einwirkung auf die Kirche ohne wissenschaftlichen Geist ist nur eine unbewußte, und jede ohne Interesse am Christenthum ist nur eine zufällige. I 4. Jedem besonnen Einwirkenden entsteht sein jedesmaliger Zwekk durch die Art, wie ihm die Ereignisse in der Kirche aus dem Standpunkt der philosophischen Theologie erscheinen.
§l->§257/
§2->§258/
§3 ^>§258 Erl/
§4
->§259/
III. Teil: Praktische
Theologie
[301]
115
5. Ein Ereigniß als solches ist aber nur in der Verbindung des einzelnen mit dem allgemeinen und in der Einheit der Gegenwart und Vergangenheit gesezt.
6. Die praktische Theologie beruht also sowol der Materie als der Form nach auf den beiden vorigen Zweigen. 7. Die technischen Vorschriften, welche die praktische Theologie aufstellt, haben also zum Gegenstand die Wahl und Anwendung der Mittel zu den einem jeden entstehenden Zwekken. 8. Keine dieser Vorschriften darf also wegen der Unterordnung der Mittel unter den Zwekk etwas in sich haben, was beitragen müßte das Kirchenband zu lösen, oder die Gewalt des christlichen Principe irgendwie zu schwächen. | 9. Da jede wirkliche Anwendung eines Mittels unter dem allgemeinen Princip des Handelnden steht: so darf auch nichts einem von beiden Elementen der theologischen Gesinnung zuwiderlaufen. 10. Da es auf dem kirchlichen Gebiet kein anderes Objekt des Einwirkens giebt als die Gemüther: so fallen alle Regeln der praktischen Theologie unter die Form der Seelenleitung. 11. Da auch der Zwekk aller Einwirkung auf die Kirche nichts anders sein kann als Seelenleitung: so fallen Mittel und Zwekk völlig zusammen.
§S--/ §263/
§6->§260
Erl/
§§7-8-§261/
§9 -§262/
§§10-11-
116
[302]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 12.
Alle praktisch theologischen Vorschriften können nur relativ und unbestimmt ausgedrükt werden, indem sie erst durch das individuelle jedes gegebenen Falles und nur für ihn völlig bestimmt und positiv werden. 13. Daher können sie wie alle Kunstregeln den Künstler nicht bilden, sondern nur leiten. 14. Die praktische Theologie kann in ihrem eigen|thümlichen Charakter nur in dem M a a ß sich entwikkeln, als in der Kirche der Gegensaz zwischen Klerus und Laien heraustritt. 15. Die möglichen Gegenstände der Einwirkung lassen sich also eben so zusammenfassen wie die Wahrnehmungen des Zustandes einer ausgebildeten Kirche in einem gegebenen Moment. 16. Da die Kirche ein organisches Ganzes ist: so ist jede Einwirkung auf dieselbe entweder eine allgemeine oder eine lokale, jedoch so daß dieser Gegensaz immer nur ein relativer ist. 17. Der kleinste organische Theil worauf eine Einwirkung gerichtet sein kann, ist eine Gemeinde. 18. In einer Periode worin ein Gegensaz dominirt, ist die höchste unmittelbare Einheit für eine reale Einwirkung die Kirchenparthei, und also die Praxis eines Jeden durch den Geist seiner Parthei bedingt.
10 Gegensaz] Gegegensaz
$12-* § 265 / §18-* §272/
§ 13
§ 266/
§14-+§267/
§15-+-/
§§16-17
§271 /
[303]
III. Teil: Praktische Theologie
117
19. Diese Beschränkung der Praxis nimmt nur | ab, in sofern die Spannung der Gegensäze selbst sich auflöst. 20. Da die Elemente der theologischen Gesinnung nirgends als im Gleichgewicht anzusehen sind: so geht jede Einwirkung von einem Uebergewicht entweder der klerikalischen oder der rein theologischen Thätigkeit aus. 21. Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit nennen wir das Kirchenregiment im engeren Sinne, als ein Uebergewicht des Einzelnen über das Ganze bezeichnend. 22. Die auf das Einzelne gerichtete lokale, weil sie nur im Namen des Ganzen ausgeübt werden kann, nennen wir als Handlung des Einzelnen den Kirchendienst.
23. Die praktische Theologie ist demnach erschöpft in der Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinn und des Kirchendienstes.
519-»-/
520~>§270/
§§ 21—22
§ 274/
§ 23
§ 275 /
118
[304]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
Erster Abschnitt. V o n der T h e o r i e des K i r c h e n r e g i m e n t s .
1. Da das Kirchenregiment bei Protestanten und Katholiken auf eine ganz verschiedene Weise geführt wird: so kann auch jede Theorie desselben unmittelbar und in gleichem Sinne nur für eine von beiden Partheien gelten. 2. Jede also die in dieser Periode ihre Anwendung finden will, muß sich an die lezten Resultate der philosophischen Theologie (I. Erste Abth. 9—12) anschließen, um das klare Bewußtsein von diesem Gegensaz und seiner Bedeutung zum Grunde zu legen. 3. Dieses klare Bewußtsein fehlt nicht nur, wenn man den innern Grund der Verschiedenheit beider Partheien verkennt, sondern eben so sehr, wenn man alles was sich in beiden verschieden gestaltet voreiligerweise als nothwendig aus dem Gegensaz entsprungen betrachtet. | 4. Wenn auch mit und aus dem Gegensaz zwischen Klerus und Laien sich in der Kirche eine äußere Autorität constituirt hat: so kann doch nicht alle zum Kirchenregiment gehörige Thätigkeit auch von ihr ausgehn; sondern es giebt dann eine Thätigkeit der Kirchengewalt und eine Thätigkeit Einzelner, welche oder sofern sie nicht zur Kirchengewalt gehören.
9 Anwendung] Anwen-/wendung
10 Oben 261,1-20 §§ 1—3
§§309. 310/
§4
§ 312/
III. Teil: Praktische Theologie
[305]
119
5. Die Kirchengewalt geht natürlich im Ganzen mehr auf Erhaltung und Ausbildung des durch die lezte Epoche schon fixirten, die Einzelnen mehr auf die fortschreitende Vorbereitung des folgenden. 6. Eben so zeigt sich in der Thätigkeit der Kirchengewalt mehr das Uebergewicht des religiösen Interesse, in der auf das Ganze gerichteten Thätigkeit der Einzelnen mehr das Uebergewicht des wissenschaftlichen Geistes. 7. Auf beiden Gebieten muß mit dem Bewußtsein des Gegensazes den sie bilden gehandelt werden. 8.
Beide Thätigkeiten müssen aber auch gegenseitig in einander greifen, wenn das Kirchenregiment vollkommen sein soll. 9. Die natürlichen Aufgaben für das Kirchenregiment sind in beiden Kirchenpartheien dieselben der Form nach, sie geben aber bei der Auflösung in jeder ein verschiedenes Resultat dem Inhalte nach, weil die Bedingungen verschieden sind. 10. Alles was zur Darstellung der Idee des Christenthums in der Kirche gehört, mag es nun auf das innerste Wesen desselben oder auch nur auf seine natürlichen äußeren Verhältnisse sich beziehen, ist ein Gegenstand des Kirchenregimentes. 11. Die Thätigkeit der Kirchengewalt im Kirchenregiment ist vorzüglich eine gesezgebende.
SS §10
§§313. 314 Erl/ §6- §313/ § 313 / §11->§317/
§§7-8 - §314/
§ 9 ^ - (vgl. § 310) /
120
[306]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 12.
In Absicht auf das religiöse Leben überhaupt hat die Kirchengewalt zu bestimmen, wie das krankhafte, was sich in der sichtbaren Kirche erzeugt, aus derselben auszuscheiden ist. 13. Die Aufgabe, ein Verfahren zu finden, welches auf das fremdartige wirkt ohne selbst ein | fremdartiges zu sein, muß richtig gelöst die wahre Kirchenzucht darstellen. 14. Wie aber eine ausschließende Gewalt geübt werden kann, ohne eine fremde äußere Sanction zu Hülfe zu nehmen, dies muß dargestellt werden durch den Kirchenbann. 15. Die Gesezgebung für den Cultus muß darauf gerichtet sein, daß er der adäquate Ausdruk des religiösen Sinnes je länger je mehr werde und bleibe. 16. In sofern der religiöse Sinn sich mannigfaltig modificirt, und alles was Ausdruk ist seinen Werth und Bedeutsamkeit allmählig wechselt, muß auch der Cultus sich mannigfaltig gestalten können nach Erforderniß von Ort und Zeit, und also muß statutarisch begründet werden seine Freiheit und Beweglichkeit. 17. In sofern der religiöse Sinn in einer Kirchenparthei immer und überall sich gleich ist, und der Cultus also auch dessen Einheit auszudrükken hat, muß er überall erkannt werden können als | diese Parthei repräsentirend, und also hat man statutarisch zu begründen seine Gleichförmigkeit.
§12 ->$320/
§§ 13-14-> §321/
§ IS ->§318/
§§ 16-18->§ 319 /
III. Teil: Praktische
Theologie
[307]
121
18. Soll beides in Einer Gesetzgebung nothwendig verbunden sein: so darf die Freiheit nie in Willkühr und Subjectivität ausarten können, und die Gleichförmigkeit sich nie in todte Form verwandeln. 19. Die immer fortgehende Bildung des Lehrbegriffs geht von den Thätigkeiten der Einzelnen aus. 20. Die gesezgebende Thätigkeit der Kirchengewalt muß den Einzelnen ihre freie Wirksamkeit auf diesem Gebiet sichern, und doch zugleich die Lehre an dem Symbol, durch welches sie constituirt ist, festhalten. 21. Die Kirchengewalt hat ferner durch ihre gesezgebende Thätigkeit von Seiten der Kirche, deren Verhältniß zum Staat zu bewahren oder zu berichtigen. 22. Das Verhältniß beider zu einander ist nie als ein reines ruhiges Gleichgewicht vorauszusezen. | 23. Die Aufgabe ist daher den etwanigen Eingriffen des Staats in das Gebiet der Kirche abzuhelfen, selbst aber keine Eingriffe in das seinige zu thun. 24. Die Theorie des Kirchenregimentes hat zu zeigen, wie man dahin gelangen könne, daß das Verhältniß der Kirche zum Staat weder eine kraftlose Unabhängigkeit sei noch eine angesehene Dienstbarkeit. 25. Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit der Einzelnen ist im gegenwärtigen Zustande der Kirche nur die des akademischen Lehrers und die des Schriftstellers.
SS 19-20
S 323 /
SS 21 —22 S 324 /
SS 23-24 -» S 325 /
J25-»Í32S/
122
[308]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 26.
Da mit dem akademischen Studium der wissenschaftliche Geist erst recht zum Bewußtsein kommt: so hat die Theorie für den akademischen Lehrer die Aufgabe zu lösen, wie er den wissenschaftlichen Geist zu beleben habe, ohne das religiöse Interesse zu schwächen.
5
27. 83 Da in dem M a a ß als erkannt wird was | noch zu leisten ist, das bisherige nicht genügt: so ist auch die Aufgabe zu lösen, wie zum persönlichen Vorwärtsdringen aufzumuntern sei ohne die Anhänglichkeit an das in der Kirche bestehende zu zerstören. 10 28. In wiefern die Thätigkeit des Schriftstellers die Bestreitung der Irrthümer zum Zwekk hat, das Falsche aber immer nur an dem Wahren sein kann: so ist die besondere Aufgabe des theologischen Schriftstellers, das Wahre und Gute, wovon der Irrthum ausgegangen ist, zu schonen.
15
29. Insofern sie auf Verbreitung neuer Ansichten ausgeht, jedes Neue aber im Gegensaz gegen ein Altes steht: so ist die Aufgabe das Neue so darzustellen, daß der Gegensaz weder verfehlt noch zu weit ausgedehnt werde. 30.
20
Im Allgemeinen, da die Mittel der wissenschaftlichen Mittheilung an sich weiter reichen als das Gebiet in dem sie im eigentlichen Sinne verstanden wird, und da jeder Lesende von dem seinigen bei der Auslegung dazuthut: so ist die Aufgabe, die Darstellung so einzurichten, daß sie sich | 84 nicht weiter verbreitet als sie nüzen kann, und daß sie nicht anders aus- 25 gelegt wird als sie gemeint war.
1 26.] 36. §26~>§330/
§27~>$331/
§2 8~>§332/
§29^§333/
§30^§334/
III. Teil: Praktische
Theologie
[309]
123
31. Beide die Kirchengewalt und die Einzelnen müssen sich der Grenzen ihrer Thätigkeit im Kirchenregiment bewußt sein, um desto richtiger in einander zu greifen. 32. Da die Kirchengewalt weder im vollen Bewußtsein dieses engeren Gegensazes noch des weiteren zwischen Klerus und Laien constituirt worden ist: so muß sie sich selbst beweglich erhalten um der fortschreitenden Einsicht zu entsprechen, und sich als vollen Ausdruk der jedesmaligen religiösen Kraft zu erhalten.
Zweiter Abschnitt. Von d e r T h e o r i e d e s K i r c h e n d i e n s t e s .
1. Die leitende Thätigkeit welche nicht auf das Ganze der Kirche gerichtet ist, kann nur die Gemeine | als die kleinste vollkommne religiöse Organisation zum Gegenstande haben. 2. Da der leitenden Thätigkeit ein Object chem ein Uebergewicht von Receptivität dienst und also auch seine Theorie nur der Gegensaz zwischen Klerus und Laien nach gebildet hat.
$31 -* $314/
$32~* — /
$1
$ 277/
gegenüber stehen muß, in welgesezt ist: so kann der Kirchenin dem Maaß hervortreten, als sich wenigstens der Verrichtung
$2^$278!
124
[310]
Kurze Darstellung (1. Auflage) 3.
Im Cultus steht in diesem Sinne die gesammte Gemeine dem Kleriker gegenüber; im religiösen Zusammenleben überhaupt Einzelne, aber als Glieder der Gemeine und in Bezug auf sie. 4. Da der Cultus in das Gebiet der Kunst fällt, und aus Kunstelementen zusammengesezt ist: so ist die Theorie des Cultus im allgemeinen die religiöse Kunstlehre. 5. Sie hat theils den religiösen Styl in jeder Kunst zu bestimmen, theils die Art wie aus ihnen insgesamt das religiöse Kunstwerk, der Cultus zu bilden ist. I 6. Was im Cultus in das Gebiet der Sprache fällt, muß sich reduciren lassen auf den Lehrbegriff. 7. Also ist auch die Vollkommenheit aller dieser Elemente des Cultus zu bestimmen nach ihrem Verhältniß zum Lehrbegriff, dessen Festsezung daher die besondere Theorie dieses Theiles ausmacht. 8. Der Kleriker ist im Cultus theils Repräsentant der constituirten kirchlichen Autorität als Liturg, theils handelt er mit individueller Selbstthätigkeit als Prediger. 9. Beide Handlungsweisen sind eben so wenig außer einander als Freiheit und Gebundenheit des Cultus sich außereinander darstellen; sondern müssen überall in einander sein, nur in verschiedenem Verhältniß, und können nur nach Maaßgabe des Uebergewichtes der einen Function über die andere von einander gesondert werden.
§3-+$279/ §287/
§§ 4—5
§§ 280. 282 /
§§6-7^§28H
§8->§286/
§§9-10
III. Teil: Praktische Theologie
[311]
125
10. Daher ist die doppelte Aufgabe zu lösen, wie und wodurch auch in den liturgischen Verrichtungen die individuelle Freiheit sich zu offenbaren habe, und wie und wodurch auch in den freien die liturgische Repräsentation. ι 11. In der repräsentativen Thätigkeit muß das kirchlich bestimmte oder die Vergangenheit vorherrschen, in der individuellen hingegen das Bestreben nach Fortbildung oder die Zukunft. 12. Da nun jede Handlung aus beiden zusammengesezt sein soll: so ist die Aufgabe zu lösen, wie sich beides vereinigen läßt. 13. Die religiöse Rede ist zwar ein wesentliches Element des Cultus; aber ihre Form sowohl als der Grad ihres Hervortretens vor den übrigen ist sehr zufällig. 14. Die Theorie ihrer Form ist ein Theil der religiösen Kunstlehre, die ihrer Materie muß sich ergeben aus dem Verhältniß der Elemente des Cultus zum Lehrbegriff. 15. Die klerikalische Thätigkeit deren unmittelbarer Gegenstand die Einzelnen sind, ist die Seelsorge. 16. Ohne Seelsorge kann eine Gemeine weder bestehen noch sich reproduciren.
$$11-12-*—/
$13~>$284/
$ 14 - $ 285 /
§15->§290/
$16-*-/
126
[312]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
17. Die Einzelnen können nur in sofern Gegenstand einer besonderen klerikalischen Thätigkeit werden, als sie sich nicht in der Identität mit der Gemeine befinden. 18. Die Seelsorge geht also zuerst auf Hervorbringung dieser Identität bei denjenigen, welche einen natürlichen Anspruch auf dieselbe haben. 19. Die Erwekkung des religiösen Principe überhaupt zum Bewußtsein und zur Selbstthätigkeit ist allemal zugleich auf Hervorbringung der individuellen Form der Religiosität in einer bestimmten Kirchenparthei gerichtet. 20. Sie ist eben so allemal zugleich Aufregung des veränderlichen und den Augenblik charakterisirenden und Einpflanzung des bleibenden und normalen. 21. Aus diesen Bestimmungen sind also die materiellen Principien der Katechetik abzuleiten. 22. Da das Verhältniß des Klerikers zu den Katechumenen kein vollständiges Zusammenleben ist, und nur in der Realität des Lebens sich augenscheinlich zeigen kann, wieweit das religiöse Princip jedesmal gebildet ist: so kann die Aufgabe | diesen Mangel zu ersezen nur durch die Methodik jenes Verhältnisses gelöset werden. 23. In wie fern bei Nichtchristen ein Verlangen nach dieser Identität nur durch das Anschauen des religiösen Lebens einer Gemeine lebendig er-
§17-+§290/ ->§294 Erl/
§18 -> §290 Erl/ §23-§296/
§§ 19-20->§
295 /
§21-*
§291/
§22
III. Teil: Praktische Theologie
[313]
127
regt werden kann, gehört hieher auch die Befriedigung dieses Verlangens oder die Vorbereitung der Convertenden. 24. Da dieses Verlangen schon eine Regung des religiösen Princips nicht nur, sondern auch des auf gewisse Weise bestimmten ist: so hat die Theorie festzusezen, was und wieviel von der Identität mit der Gemeine schon da sein muß, um einen Anspruch auf diesen Theil der Seelsorge zu begründen, und auf welchem Wege das Fehlende zu ergänzen ist. 25. Bei denen welche schon zur Gemeine gehören, kann die Identität mit derselben innerlich oder äußerlich verlezt sein. 26. Das Bestreben, den krankhaften Zustand Einzelner, liege nun die Abweichung mehr im theoretischen oder im praktischen, wieder aufzuheben, ist die Seelsorge im engern Sinn. | 27. Da dieses Verhältniß angeknüpft werden kann theils von dem Klerus theils von den Laien: so hat die Theorie zu bestimmen, welches unter welchen Umständen das rechte ist. 28. Da es enden kann entweder in Wiederherstellung oder in Abbrechung bis auf weiteres oder in gänzliche Trennung: so hat die Theorie zu zeigen, wie das erste möglichst zu befördern und das lezte möglichst zu verhüten sei, nebst den Grenzen dieser Möglichkeit. 29. Aeußerlich ist die Identität derer mit der Gemeine verlezt, welche außer Stand gesezt sind an ihrem gemeinsamen religiösen Leben Theil zu nehmen.
S 24-§297/
§§ 25-26 - §299/
§27-§300/
§§ 28-29 -* § 301 /
128
[314]
Kurze Darstellung (1. Auflage)
30. Die Aufgabe der klerikalischen Krankenpflege geht also dahin, jenen Mangel so zu ergänzen, daß die innere Identität darunter nicht leide, sondern sich unter den gegebenen Umständen vollkommen offenbare. 31. Kleriker und Laien, sind nicht nur in der Gemeine und in Bezug auf sie zusammen, sondern auch im Staat, in den allgemeinen geselligen Verhältnissen, und bisweilen im wissenschaftlichen Verein. | 32. In wiefern diese Verhältnisse dem kirchlichen entweder förderlich sein können oder ihm entgegenwirken: so hat die Theorie der klerikalischen Amtsklugheit zu bestimmen, theils wie das Förderliche in ihnen vorzüglich könne gehoben und geltend gemacht werden; theils wie der Streit zwischen ihnen entweder rein aufzulösen ist, oder wenn nicht, wie die andern Verhältnisse dem kirchlichen so unterzuordnen sind, daß es nicht unter ihnen leide.
Schluß. 1. Da kein Theologe ohne allen Antheil der leitenden Thätigkeit ist, keiner aber auch alle Theile derselben umfaßt: so liegt jedem ob von der praktischen Theologie dasjenige inne zu haben, woraus das richtige Verhältniß eines jeden Theils der Praxis zum Ganzen sich erkennen läßt: so wie die Theorie jeder einzelnen Art der Thätigkeit das Gebiet des Besondern bildet. 2. Das Allgemeine der praktischen Theologie wird der am klarsten sehen, der sich die philosophische Theologie am meisten angeeignet hat; das
§30 ->§302/ §336/
§31 ->§308/
§32 - §308 Erl/
§ 1 -> § 335 /
§2
III. Teil: Praktische Theologie
[315]
129
besondere und der Ausführung nächste wird jeder um | so sicherer finden, je geschichtlicher er in der Gegenwart lebt. 3. Schon hieraus läßt sich schließen, was auch die Erfahrung ergiebt, daß die praktische Theologie und besonders die Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinne noch nirgends recht ausgebildet sein kann. Was im Studium eines jeden Einzelnen das lezte ist, erscheint auch als das lezte in der Entwikkelung der Theologie überhaupt. 4. Theorie des Kirchenregimentes sowohl als des Kirchendienstes ist nothwendig in jeder herrschenden Kirchenparthei eine andere. 5. Die höchste Aufgabe für diese Theorie ist daher auch, sie so zu stellen, daß der jedesmal bestehende Gegensaz der Partheien durch ihre Ausübung weder erschlaffen könne, noch auch über seine natürliche Dauer auf künstliche Art verlängert werde, um sich zu überleben. Hiedurch schließt sich die höchste Aufgabe für die praktische Theologie unmittelbar an die höchste der ersten theologischen Disciplin, nemlich der Apologetik.
S3
S 337/
SS4-S->§338
Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Zweite umgearbeitete Ausgabe (1830)
Nebst den Marginalien aus Schleiermachers Handexemplar
Kurze Darstellung des
theologischen Studiums zum
Behuf e i n l e i t e n d e r V o r l e s u n g e n . Entworfen von
D r . F. S c h l e i e r m a c h e r . Zweite umgearbeitete Ausgabe.
Berlin, 1830. G e d r u c k t und v e r l e g t bei G. R e i m e r .
Vorerinnerung zur ersten Ausgabe.
Es ist mir immer ungemein schwierig erschienen nach Anleitung eines fremden Handbuchs akademische Vorträge zu halten; denn 5 jede abweichende Ansicht scheint zugleich eine Abweichung zu fordern von einer aus einem andern Gesichtspunkt entstandenen Ordnung. Freilich wird es um desto leichter, je mehr die eigenthümlichen Ansichten der Einzelnen über Einzelnes einer gemeinschaftlichen über das Ganze untergeordnet sind, das heißt, je mehr das 10 besteht, was man eine Schule nennt. Allein wie wenig dies jezt in der Theologie der Fall ist, weiß jedermann. Aus demselben Grunde also, der es mir zum Bedürfniß macht, wenn ein Leitfaden gebraucht werden soll, was doch in mancher Hinsicht | nüzlich ist, IV einen eigenen zu entwerfen, bin ich unfähig den Anspruch zu mais chen, daß andere Lehrer sich des meinigen bedienen mögen. Scheint es mir daher zu viel, was nur für meine jezigen und künftigen Zuhörer bestimmt ist, durch den Drukk in das große Publikum zu bringen: so tröste ich mich damit, daß diese wenigen Bogen meine ganze dermalige Ansicht des theologischen Studiums enthalten, 20 welche, wie sie auch beschaffen sei, doch vielleicht schon durch ihre Abweichung aufregend wirken und besseres erzeugen kann. Andere pflegen in Encyclopädien auch einen kurzen Auszug 4 der einzelnen dargestellten Disciplinen selbst zu geben; mir schien es angemessener denen zu folgen, welche in solchen Vorträgen lie25 ber alle Aufmerksamkeit auf dem Formalen festhalten, damit die
22-25 Vgl. den Sachapparat zu oben 247,21 f.23-2 und unten 333,14-17
136
[322]
Vorerinnerung
Bedeutung der einzelnen Theile und ihr Zusammenhang desto besser aufgefaßt werde. Berlin, im December 1810.
D. F. Schleiermacher.
Vorerinnerung zur z w e i t e n A u s g a b e .
Nach beinahe zwanzig Jahren, die seit der ersten Erscheinung dieses Büchleins vergangen sind, war es wol natürlich, daß ich im einzelnen vieles zu verändern fand; wiewol Ansicht und Behandlungsweise im Ganzen durchaus dieselben geblieben sind. Was ich in Ausdrukk und Stellung geändert habe, ist hoffentlich auch gebessert. Wie ich denn auch wünsche, daß die kurzen den Hauptsäzen beigefügten Andeutungen ihren Zwekk, dem Le|ser eine Erleichterung zu gewähren, nicht verfehlen mögen. Daß in der ersten Ausgabe jeder Abschnitt seine Paragraphen besonders zählte, verursachte viel Weitläuftigkeit beim Citiren, und ist deshalb geändert worden. Berlin, im October 1830.
D. F. Schleiermacher.
Inhalt.
VII
Seite
5
10
15
20
25
Allgemeine Einleitung §. 1—31 1 — 14 Erster Theil. Von der philosophischen Theologie §. 3 2 - 6 8 15-33 Einleitung §. 3 2 - 4 2 15-20 Erster Abschnitt. Grundsäze der Apologetik §. 43—53. 20—25 Zweiter Abschnitt. Grundsäze der Polemik §. 54—62. . 26—30 Schlußbetrachtungen über die philosophische Theologie §. 6 3 - 6 8 30-33 Zweiter Theil. Von der historischen Theologie §.69-256 34-108 Einleitung §. 6 9 - 1 0 2 34-48 Erster Abschnitt. Die exegetische Theologie §. 1 0 3 - 1 4 8 48-64 Zweiter Abschnitt. Die Kirchengeschichte §. 1 4 9 - 1 9 4 . 65-80 Dritter Abschnitt. Die geschichtliche Kenntniß von dem gegenwärtigen Zustande des Christenthums §. 1 9 5 - 2 5 0 81-105 I. Die dogmatische Theologie §. 1 9 6 - 2 3 1 . . . . 82-98 II. Die kirchliche Statistik § . 2 3 2 - 2 5 0 98-105 Schlußbetrachtungen über die historische Theologie §.251-256 106—108 j Dritter Theil. Von der praktischen Theologie VIII §.257-338 109-145 Einleitung §. 2 5 7 - 2 7 6 109-118 Erster Abschnitt. Die Grundsäze des Kirchendienstes §.277-308 118-130
3 Allgemeine Einleitung im Text: Einleitung 16 Die Kirchengeschichte im Text: Die historische Theologie im engeren Sinn oder die Kirchengeschichte
138
[324]
Inhalt
Z w e i t e r Abschnitt. Die G r u n d s ä z e des Kirchenregimentes § . 3 0 9 - 3 3 4 Schlußbetrachtungen über die praktische Theologie §.335-338
131-143 144-145
[Auf der Vorderseite des Umschlagblatts zu S. lj Daumer Andeutung eines Systems speculativer Philosophie Nürnberg Campe 1831.
6 speculativer ... Nürnberg] specul. Philos. Niirnb.
5 f Georg Friedrich Daumer: Andeutung eines Systems speculativer Philosophie, Nürnberg 1831 (im Verlag Campe) — Schleiermacher hat das Buch nach Auskunft des Hauptbuchs Reimer am 12. Dezember 1831 erhalten.
5
Einleitung.
§. 1. D i e T h e o l o g i e in d e m Sinne, in w e l c h e m d a s W o r t hier i m m e r g e n o m m e n w i r d , ist eine positive W i s s e n s c h a f t , deren T h e i l e zu e i n e m G a n z e n nur v e r b u n d e n sind d u r c h ihre g e m e i n s a m e Beziehung a u f eine 5
b e s t i m m t e G l a u b e n s w e i s e , d. h. eine b e s t i m m t e G e s t a l t u n g des G o t t e s b e wußtseins; die der christlichen a l s o d u r c h die Beziehung a u f d a s C h r i stenthum.
10
[Zu § 1] l . a Die Frage über die Dogmatik kommt hier noch nicht zur Sprache. Eine speculative Wissenschaft könnte sehr gut ein Theil einer positiven sein. Ueber die Zwekmäßigkeit der Benennung könnte sehr gestritten werden: Gottesgelehrtheit noch weniger. Glaubensweise perge Gestaltung perge entspricht dem Ausdruck Religion. Bei hierarchischen Religionen wird alle Wissenschaft Theologie.
9 speculative Wissenschaft] specul. Wissschft 12 Gottesgelehrtheit] 0sgelehrtheit 13 Glaubensweise] Glweise 13 Gestaltung] Gstltg 14 Religionen] Rei" 14 Wissenschaft] Wisssch. 1 Einleitung im Inhaltsverzeichnis: Allgemeine Einleitung 11 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 1 f. 13 U.a. bezieht sich Schleiermacher hier auf die terminologische Substitution des Begriffs Religion durch die Formulierung Glaubensweise bzw. Gestaltung des Gottesbewußtseins von der ersten zur zweiten Auflage der KD; vgl. z. B. den Verweisungsapparat zu § 1. 14 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 2. 51 S. 1, § 1: Die Theologie ist eine positive Wissenschaft, deren verschiedene Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch die gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Religion; die der christlichen also auf das Christenthum. /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
Eine positive Wissenschaft überhaupt ist nämlich ein solcher Inbegriff wissenschaftlicher Elemente, welche ihre Zusammengehörigkeit nicht haben, als ob sie einen vermöge der Idee der Wissenschaft nothwendigen Bestandtheil der wissenschaftlichen Organisation bildeten, sondern nur sofern sie zur Lösung einer praktischen Aufgabe erforderlich sind. — Wenn man aber ehedem eine rationale Theologie in der wissenschaftlichen Organisation mit aufgeführt hat: so bezieht sich zwar diese auch auf den Gott unseres Gottesbewußtseins, ist aber als speculative Wissenschaft von unserer Theologie gänzlich verschieden. |
5
2
§. 2. Jeder bestimmten Glaubensweise wird sich in dem Maaß als 10 sie sich mehr durch Vorstellungen als durch symbolische Handlungen 6 mittheilt, und als sie zugleich geschichtliche Bedeutung und Selbstständigkeit gewinnt, eine Theologie anbilden, die aber für jede Glaubensweise, weil mit der Eigenthümlichkeit derselben zusammenhängend, sowol der Form als dem Inhalt nach, eine andere sein kann. 15 Nur in diesem Maaße, weil in einer Gemeinschaft von geringem Umfang kein Bedürfniß einer eigentlichen Theologie entsteht, und weil bei einem Uebergewicht symbolischer Handlungen die rituale Technik, welche die [Zu § 1 Erl] Daß derselbe Gegenstand kann auf zwei verschiedene Weisen behandelt werden. Beispiele Medicin Musik. 20 [Zu §2] Richtigkeit der Maaßbestimmung als Gewähr für die Differenz. Also Vorbereitung zu 3 Diese Differenz zwischen Wort und Symbol ist innerhalb des Christenthums Katholizismus und Protestantismus. Daher auch wissenschaftliche Differenz. 25 Eigenthümlichkeit und Geschichte ist hier nicht geschieden, lezte gehört aber auch dazu. Verhältniß beider[:] Die Eigenthümlichkeit ist die Quelle der Geschichte.
23f Christenthums ... Protestantismus] Xth. Kathol. u Prot. hältniß] Vhältnß 27 Eigenthümlichkeit] Eigthlkt
27 aber] ab.
27 Ver-
22 Gemeint ist der folgende § 3. §2 S.l, §2: Jeder bestimmten Religion wird sich, in dem Maaß als sie geschichtliche Bedeutung und Selbstständigkeit erhält, das heißt sich zur Kirche gestaltet, eine Theologie anbilden, deren Organisation nur a u s der Eigenthümlichkeit jener zu verstehen, und also für jede eine andere ist. /
Einleitung
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Deutung derselben enthält, nicht leicht den Namen einer Wissenschaft verdient.
5
§. 3. Die Theologie eignet nicht Allen, welche und sofern sie zu einer bestimmten Kirche gehören, sondern nur dann und sofern sie an der Kirchenleitung Theil haben; so daß der Gegensaz zwischen solchen und der Masse und das Hervortreten der Theologie sich gegenseitig bedingen. Der Ausdrukk K i r c h e n l e i t u n g ist hier im weitesten Sinne zu nehmen, ohne daß an irgend eine bestimmte Form zu denken wäre.
10
§. 4. Je mehr sich die Kirche fortschreitend entwikkelt, und über je mehr Sprach- und Bildungsgebiete sie sich verbreitet, um desto vieltheili[Zu § 3] Differenz zwischen Theologe und Nicht Theologe in der Kirche. Möglichkeit der Ausnahme nach beiden Seiten
15
[Zu § 4] Solche Verbreitung erzeugt Differenzen υποστασις und persona. (Umstehend) Verhältnis zwischen Christenthum und Muhamedanismus. Buddhismus[.] Ueber jüdische Theologie
16 Verhältniß ... Muhamedanismus] Vhältnß zwn Christth. u Muham. 12 f Bei der möglichen Ausnahme nach beiden Seiten denkt Schleiermacher daran, daß auf der einen Seite auch Nichttheologen an der Kirchenleitung mitwirken (ζ. B. in den Presbyterien und Synoden) und daß auf der anderen Seite auch die, die nicht offiziell an der Kirchenleitung Anteil nehmen, Theologen sein dürfen; vgl. ThEnz (Strauß) S. 4. 14 Der Hinweis auf „υποστασις und persona" dient als Beispiel für die durch Verbreitung über verschiedene Sprachgebiete entstehenden Differenzen im Hinblick auf die kirchliche Lehre. Das Beispiel entstammt der altkirchlichen trinitätstheologischen Debatte: Der griechischen Formel μία ουσία, τρεις υποστάσεις entspricht die lateinische una substantia, tres personae; was also die griechisch sprechenden Theologen als υπόστασις bezeichnen, bezeichnen die lateinisch sprechenden nicht mit dem philologisch entsprechenden Wort substantia, sondern als persona. Diese Differenz hat offensichtlich auch zu Mißverständnissen innerhalb der altkirchlichen trinitätstheologischen Diskussion zwischen Ost und West geführt. 14 f Verweis auf die umstehende Marginalie zu § 4 Erl., unten 328,18. 16 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 4 f. §3 -*· S. 1,§ 3: Die Theologie eignet nicht Allen, welche und sofern sie zur Kirche gehören, sondern nur welchen und sofern sie die Kirche leiten. Der Gegensaz zwischen solchen und der Masse und das Hervortreten der Theologie bedingen sich gegenseitig. / § 4 -* S. 2, $ 4 : Je mehr die Kirche sich fortschreitend entwikkelt, und durch je mehr Sprach- und Bildungsgebiete sie sich verbreitet, um desto vieltheiliger und zusammengesezter organism
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
ger organisirt sich auch die Theologie; weshalb denn die christliche die ausgebildetste ist. | 3
7
Denn je mehr beides der Fall ist, um desto mehr Differenzen sowol der Vorstellung als der Lebensweise hat die Theologie zusammenzufassen, und auf desto mannigfaltigeres geschichtliche zurükkzugehen.
5
§. 5 . Die christliche Theologie ist sonach der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besiz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d. h. ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist. Dieses nämlich ist die in §. 1. aufgestellte Beziehung; denn der christliche Glaube an und für sich bedarf eines solchen Apparates nicht, weder zu seiner Wirksamkeit in der einzelnen Seele noch auch in den Verhältnissen des geselligen Familienlebens. §. 6. Dieselben Kenntnisse, wenn sie ohne Beziehung auf das Kirchenregiment erworben und besessen werden, hören auf theologische zu sein, und fallen jede der Wissenschaft anheim, der sie ihrem Inhalte nach angehören. [Zu § 4 Erl]
10
15
[Moralische] Differenzen aus Lebensweisen.
[Zwischen § 4 und §5] Eingeschoben habe ich hier eine Behandlung der Frage was die Theologie für eine Wendung genommen haben würde ohne Kanon[.] Antwort[:] sie wäre katholisch geblieben, und die Reformation hätte ohne Kanon einen Kanon machen müssen. [Zu §5] Der obige § In. Ausdruk wissenschaftliche Elemente zerfällt hier in zwei Theile.
18 [Moralischel] oder [Nemliche|
21 Antwort] Antw.
18 Gemeint sind entsprechende Differenzen im Hinblick auf die Sitte, wie Schleiermacher sie in der Notiz zu § 4 im Hinblick auf die Lehre am Beispiel von υποστασις und persona illustriert (oben 327,14 f). 1 9 - 2 2 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 5-8. 23 f Vgl. ThEnz (Strauß) S. 8. sich auch die Theologie. Daher ist die christliche die gebildetste. / §5 S. 2, § 5: Die christliche Theologie ist der Inbegrif derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Anwendung ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist. / § 6 -* S. 2, § 6: Dieselben Kenntnisse ohne diese Beziehung hören auf theologische zu sein, und fallen jede einer andern Wissenschaft anheim. /
20
Einleitung
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143
Diese Wissenschaften sind dann der Natur der Sache nach die Sprachkunde und Geschichtskunde, die Seelenlehre und Sittenlehre nebst den von dieser ausgehenden Disciplinen der allgemeinen Kunstlehre und der Religionsphilosophie. 5
§. 7 . V e r m ö g e dieser Beziehung verhält sich die M a n n i g f a l t i g k e i t der Kenntnisse zu d e m Willen bei d e r L e i t u n g der K i r c h e w i r k s a m zu sein, w i e der L e i b z u r Seele. | Ohne diesen Willen geht die Einheit der Theologie verloren, und ihre Theile zerfallen in die verschiedenen Elemente.
10
4
§. 8. W i e a b e r n u r d u r c h d a s Interesse a m C h r i s t e n t h u m jene verschiedenartigen Kenntnisse zu e i n e m s o l c h e n G a n z e n v e r k n ü p f t w e r d e n : so k a n n a u c h d a s Interesse a m C h r i s t e n t h u m n u r d u r c h A n e i g n u n g jener Kenntnisse sich in einer z w e k k m ä ß i g e n T h ä t i g k e i t ä u ß e r n .
15
Eine Kirchenleitung kann zufolge §. 2. nur von einem sehr entwikkelten geschichtlichen Bewußtsein ausgehen, aber auch nur durch ein klares Wissen um die Verhältnisse der religiösen Zustände zu allen übrigen recht gedeihlich werden. §. 9 . D e n k t m a n sich religiöses Interesse u n d wissenschaftlichen Geist im h ö c h s t e n G r a d e u n d im m ö g l i c h s t e n G l e i c h g e w i c h t für T h e o r i e
20
u n d A u s ü b u n g vereint: so ist dies die Idee eines K i r c h e n f ü r s t e n . Diese Benennung für das theologische Ideal ist freilich nur angemessen, wenn die Ungleichheit unter den Mitgliedern der Kirche groß ist, und zu[Zu §7j
25
Lebenskraft und Seele als Einheit, Organismus als Mannigfaltigkeit
[Zu § 7 Erl] Das Aufhören dieses Willens kann auch schon im geistlichen Stande sein — dann geht das verbauern an.
24 schon im] schonim 25 Zum Verbauern vgl. KGA V10, S.
418,28-30.
S 7 -* S. 2, § 7: Die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse ist der Leib, der Trieb zum Wohl der Kirche gesezmäßig wirksam zu sein, ist die Seele. / § 8 -* S. 2, § 8: Wie jene Kenntnisse nur durch das Interesse am Christenthum zu dem Ganzen verknüpft werden, welches die Theologie bildet: so kann auch nur durch die Aneignung jener wissenschaftlichen Kenntnisse das Interesse am Christenthum zu der zwekmäßigen Thätigkeit gedeihen, durch welche die Kirche wirklich erhalten und weiter gebildet wird. / § 9 -*• S. 3, § 9: Beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, im höchsten Grade und im möglichsten Gleichgewicht zur Theorie und Ausübung vereint, ist die Idee eines Kirchenfürsten. /
8
144
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Kurze Darstellung
(2.
Auflage)
gleich ein Einfluß auf eine große Region der Kirche möglich. Sie scheint aber passender als der schon für einen besonderen Kreis gestempelte Ausdrukk Kirchenvater, und schließt übrigens nicht im mindesten die Erinnerung an ein amtliches Verhältniß in sich. §. 1 0 . D e n k t m a n sich d a s G l e i c h g e w i c h t a u f g e h o b e n : s o ist derje-
5
nige, w e l c h e r m e h r d a s W i s s e n u m d a s C h r i s t e n t h u m in sich ausgebildet 5
h a t , ein T h e o l o g e i m e n g e r e n Sinn; derjenige hinge|gen, w e l c h e r m e h r die T h ä t i g k e i t für d a s K i r c h e n r e g i m e n t in sich ausbildet, ein Kleriker. Diese natürliche Sonderung tritt bald mehr bald weniger äußerlich hervor; je mehr aber, um desto weniger kann die Kirche ohne eine lebendige Wechselwirkung zwischen beiden bestehen. — Uebrigens wird im weiteren Verfolg der Ausdrukk Theologe in der Regel in dem weiteren beide Richtungen umfassenden Sinne genommen.
10
§ . 1 1 . J e d e s H a n d e l n m i t t h e o l o g i s c h e n Kenntnissen als solchen, v o n w e l c h e r A r t es a u c h sei, g e h ö r t i m m e r in d a s G e b i e t d e r Kirchenlei-
15
t u n g ; u n d wie a u c h ü b e r die T h ä t i g k e i t in der K i r c h e n l e i t u n g , sei es m e h r c o n s t r u i r e n d o d e r m e h r regelgebend, g e d a c h t w e r d e , so g e h ö r t dieses D e n k e n i m m e r in d a s G e b i e t des T h e o l o g e n i m e n g e r e n Sinn. 9
Auch die wissenschaftliche Wirksamkeit des Theologen muß auf die Förderung des Wohls der Kirche abzwekken, und ist also klerikalisch; und alle technischen Vorschriften auch über die eigentlich klerikalischen Thätigkeiten gehören in den Kreis der theologischen Wissenschaften.
20
§. 1 2 . W e n n d e m z u f o l g e alle w a h r e n T h e o l o g e n a u c h a n der Kirchenleitung T h e i l n e h m e n , u n d Alle die in d e m K i r c h e n r e g i m e n t w i r k s a m sind a u c h in d e r T h e o l o g i e leben: s o m u ß o h n e r a c h t e t d e r einseiti-
25
gen R i c h t u n g beider d o c h beides, kirchliches Interesse u n d w i s s e n s c h a f t licher Geist, in J e d e m vereint sein. 6
Denn wie im entgegengesezten Falle der Gelehrte kein Theologe mehr wäre, sondern nur theologische Elemente | in dem Geist ihrer besonderen Wissenschaft bearbeitete: so wäre auch die Thätigkeit des Klerikers keine kunstge- 30 rechte oder auch nur besonnene Leitung, sondern lediglich eine verworrene Einwirkung.
§ 10 -* S. 3, § 10: In so fern jemand in Beziehung auf das Christenthum mehr das Wissen in sich ausbildet, ist er ein Theologe, in so fern er mehr in der unmittelbaren Ausbildung des Kirchenregimentes begriffen ist, ist er ein Kleriker. / § 11 S. 3, § 11: Jedes reale Handeln mit den so geleiteten wissenschaftlichen Kenntnissen gehört zum Kirchenregiment, und jede Kenntniß der Regeln und Bedingungen auch der unmittelbarsten Ausübung gehört zur Theologie. / § 12 -* S. 3, $ 12: Wie also nur diejenigen im eigentlichen Sinne Theologen sind, welche auf irgend eine Weise auch das Kirchenregiment ausüben, und nur diejenigen das Kirchenregiment ausüben können, welche wahrhaft Theologen sind: so muß
Einleitung
[331]
145
§. 13. Jeder der sich zur leitenden Thätigkeit in der Kirche berufen findet, bestimmt sich seine Wirkungsart nach Maaßgabe wie eines von jenen beiden Elementen in ihm überwiegt. 5
Ohne einen solchen innern Beruf ist niemand in Wahrheit weder Theologe noch Kleriker: aber keine von beiden Wirkungsarten hängt irgend davon ab, daß das Kirchenregiment die Basis eines besonderen bürgerlichen Standes ist.
§. 14. Niemand kann die theologischen Kenntnisse in ihrem ganzen 10 Umfang vollständig inne haben, theils weil jede Disciplin im einzelnen 10 ins unendliche entwikkelt werden kann, theils weil die Verschiedenheit der Disciplinen eine Mannigfaltigkeit von Talenten erfordert, welche Einer nicht leicht in gleichem Grade besitzt.
15
Jene Entwiklungsfähigkeit zur unendlichen Vereinzelung gilt sowol von allem, was geschichtlich ist und mit geschichtlichem zusammenhängt, als auch von allen Kunstregeln in Bezug auf die Mannigfaltigkeit der Fälle welche vorkommen können.
§. 15. Wollte sich jedoch deshalb Jeder gänzlich auf Einen Theil der Theologie beschränken: so wäre das Ganze weder in Einem noch in Allen zusammen. | 20
Lezteres nicht weil bei einer solchen Art von Vertheilung kein Zusammenwirken der Einzelnen von verschiedenen Fächern, ja streng genommen auch nicht einmal eine Mittheilung unter ihnen statt finden könnte.
§. 16. Daher ist, die Grundzüge aller theologischen Disciplinen inne zu haben, die Bedingung, unter welcher auch nur eine einzelne derselben 25 in theologischem Sinn und Geist kann behandelt werden. Denn nur so, wenn Jeder neben seiner besonderen Disciplin auch das Ganze auf allgemeine Weise umfaßt, kann Mittheilung zwischen Allen und
auch bei der einseitigen Richtung dennoch beides, religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist, in Jedem vereinigt sein. / § 13 -» S. 4, § 13: Welches von Beiden in ihm überwiegt, darnach hat Jeder, der sich zur leitenden Thätigkeit in der Kirche berufen fühlt, seine Wirkungsart zu bestimmen. / §13 Erl -*• S.4,§ 14: Diese sowohl als noch vielmehr die Theologie selbst ist keinesweges davon abhängig, daß das Kirchenregiment die Basis eines besondern bürgerlichen Standes ist. / $ 14 S. 4, § 15: Niemand kann die ganze Aufgabe der Theologie vollständig lösen, theils wegen der Unendlichkeit der darunter befaßten Kenntnisse, theils weil die Verschiedenheit der Disciplinen auch eine Mannigfaltigkeit von Talenten erfordert, die nicht in gleichem Grade vereint sein können./ § 15 S. 4, § 16: Wollte Jeder sich gänzlich auf Einen Theil beschränken: so wäre das Ganze weder in Einem, noch auch, weil kein lebendiges Zusammenwirken Statt fände, in Allen zusammen./ § 16 -» — / §16 Erl -* S.S, §17: Jeder kann sich, um es zur Vollkommenheit darin zu bringen, nur Einem Theil der Theologie zunächst widmen, muß aber, um vermittelst dieses auf das Ganze zu wirken, auch das Ganze in allge-
7
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
Jedem statt finden, und nur so jeder vermittelst seiner Hauptdisciplin eine Wirksamkeit auf das Ganze ausüben.
§. 17. Ob Jemand eine einzelne Disciplin und was für eine zur Vollkommenheit zu bringen strebt, das wird bestimmt vornehmlich durch die Eigenthümlichkeit seines Talentes, zum Theil aber auch durch seine Vorstellung von dem dermaligen Bedürfniß der Kirche. Der glükliche Fortgang der Theologie überhaupt hängt großentheils davon ab, daß sich zu jeder Zeit ausgezeichnete Talente für dasjenige finden, dessen Fortbildung am meisten Noth thut. Immer aber können diejenigen am vielseitigsten wirksam sein, welche die meisten Disciplinen in einer gewissen Gleichmäßigkeit umfassen, ohne in einer einzelnen eine besondere Virtuosität anzustreben, wogegen diejenigen, die sich nur Einem Theile widmen, am meisten als Gelehrte leisten können.
§. 18. Unerlaßlich ist daher jedem Theolo|gen zuerst eine richtige Anschauung von dem Zusammenhang der verschiedenen Theile der Theologie unter sich, und dem eigenthümlichen Werth eines jeden für den gemeinsamen Zwekk. Demnächst Kenntniß von der innern Organisation jeder Disciplin und denjenigen Hauptstükken derselben, welche das wesentlichste sind für den ganzen Zusammenhang. Ferner Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln um sich jede jedesmal erforderliche Kenntniß sofort zu verschaffen. Endlich Uebung und Sicherheit in der Anwendung der nothwendigen Vorsichtsmaaßregeln, um dasjenige aufs beste und richtigste zu benuzen, was Andere geleistet haben. Die beiden ersten Punkte werden häufig unter dem Titel theologische Encyclopédie verbunden, auch wol noch der dritte, nämlich die theologische Bücherkunde, in dieselbe Pragmatie hineingezogen. Der vierte ist ein Theil
25 f Die Bücherkunde als Bestandteil theologischer Enzyklopädien findet sich z. B. bei Johann Franz Budde(us): Isagoge historico-theologica ad Theologiam universam singulasque eius partes, Bd. 1—2, Leipzig 1727; Samuel Mursinna: Primae lineae encyclopaediae theologicae in usum praelectionum ductae, 2. Aufl., Halle 1784; Gottlieb Jakob Planck: Einleitung in die Theologische Wissenschaften, Bd. 1-2, Leipzig 1794—1795 (vgl. bes. Bd. 1, S. 13 f); Johann Ernst Christian Schmidt: Theologische Encyclopädie, Gießen 1811; Johann Friedrich Wilhelm Thym: Theologische Encyclopädie und Methodologie, Halle 1797. meinem Sinn umfassen./ § 17 -* S. 5, § 18: Was Jeder von allen Theilen der Theologie inne haben muß, ist das Allgemeine nach der Einheit des Zweks hin liegende; was Jeder nur von Einem Theil erwerben kann, ist das Besondere an die Eigenthümlichkeit des Talents und des Gegenstandes gebundene. / § 17 Erl -» S. 5, § 19: Je mehr jemand praktisch sein will, um desto universeller muß er sein als Theologe; je mehr als Gelehrter leisten, um desto mehr immer nur mit Einem Theile sich beschäftigen. / §§ 18—19 -* S. 5, § 20: Jenes Allgemeine (18) ist 1) richtige Anschauung von dem Zusammenhange der verschiedenen Theile der Theologie unter sich und mit dem Zwekk. 2) Wissenschaft von demjenigen
Einleitung
[333]
147
der kritischen Kunst, welcher nicht als Disciplin ausgearbeitet ist, und über welchen sich überhaupt nur wenige Regeln mittheilen lassen, so daß er fast nur durch natürliche Anlage und Uebung erworben werden kann.
5
§. 1 9 . J e d e r , d e r sich eine einzelne Disciplin in ihrer Vollständigkeit aneignen will, m u ß sich die R e i n i g u n g u n d E r g ä n z u n g dessen, w a s in ihr s c h o n geleistet ist, z u m Z i e l sezen. Ohne ein solches Bestreben wäre er auch bei der vollständigsten Kenntniß doch nur ein Träger der Ueberlieferung, welches die am meisten untergeordnete und am wenigsten bedeutende Thätigkeit ist. |
10
§. 2 0 . Die e n c y c l o p ä d i s c h e D a r s t e l l u n g , w e l c h e hier gegeben w e r den soll, bezieht sich n u r a u f d a s erste v o n den o b e n (§. 1 8 . ) n a c h g e w i e senen allgemeinen E r f o r d e r n i s s e n ; n u r d a ß sie zugleich die einzelnen Disciplinen a u f dieselbe Weise b e h a n d e l t wie d a s G a n z e .
15
20
25
Eine solche Darstellung pflegt man eine formale Encyclopädie zu nennen; wogegen diejenigen, welche materielle genannt werden, mehr von dem Hauptinhalt der einzelnen Disciplinen einen kurzen Abriß geben, mit der Darstellung ihrer Organisation aber es weniger genau nehmen. — In sofern die Encyclopädie ihrer Natur nach die erste Einleitung in das theologische Studium ist, gehört allerdings dazu auch die Technik der Ordnung, nach welcher bei diesem Studium zu verfahren ist, oder was man gewöhnlich Methodologie nennt. Allein was sich hievon nicht von selbst aus der Darstellung des inneren Zusammenhanges ergiebt, das ist bei dem Zustand unserer Lehranstalten sowol als unserer Litteratur zu sehr von Zufälligkeiten abhängig, als daß es lohnen könnte auch nur einen besonderen Theil unserer Disciplin daraus zu bilden.
14—17 Die Unterscheidung von formaler und materieller Enzyklopädie ist nach ThEnz (Strauß) S. 19 nicht auf die Theologische Enzyklopädie beschränkt, sondern bezieht sich auf das literarische Genus Enzyklopädie im allgemeinen. — Als seltene Beispiele für eine formale Theologische Enzyklopädie können gelten Thym: Theologische Encyclopädie, und Karl Friedrich Stäudlin: Lehrbuch der Encyklopädie, Methodologie und Geschichte der theologischen Wissenschaften, Hannover 1821. Den Typ einer materialen Theologischen Enzyklopädie vertreten u. a. Planck: Einleitung; Buddeus: Isagoge; Schmidt: Encyclopädie; Johann Friedrich Kleuker: Grundriß einer Encyclopädie der Theologie, Bd. 1—2, Hamburg 1800—1801; Johann August Nösselt: Anweisung zur Bildung angehender Theologen, Bd. 1-3,2. Aufl., Halle 1791. in jedem, was am meisten mit den übrigen und dem Zwekk zusammenhängt. 3) Bekanntschaft mit den Mitteln um sich jede nöthige Kenntniß sofort zu verschaffen, 4) und mit den nöthigen Vorsichtsmaaßregeln um das, was Andere geleistet haben, zu benuzen. Das Besondere ist die Vollständigkeit in den einzelnen Disciplinen, und das Ziel derselben die Reinigung und Erweiterung des in ihnen schon geleisteten./ §20 -» S. 6, §21: Die encyclopädische Darstellung hat es mit der Anschauung des Wesens und Zusammenhanges der verschiedenen Theile zu thun, ohne sich mit dem materiellen selbst zu befassen. /
9; 12
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Kurze Darstellung
(2.
Auflage)
§.21. Es giebt kein Wissen um das Christenthum, wenn man, anstatt sowol das Wesen desselben in seinem Gegensaz gegen andere Glaubensweisen und Kirchen, als auch das Wesen der Frömmigkeit und der frommen Gemeinschaften im Zusammenhang mit den übrigen Thätigkeiten des menschlichen Geistes zu verstehen, sich nur mit einer empirisehen Auffassung begnügt. | 10
5
D a ß das Wesen des Christenthums mit einer Geschichte zusammenhängt, bestimmt nur die Art dieses Verstehens näher, k a n n aber der A u f g a b e selbst keinen Eintrag thun.
§. 22. Wenn fromme Gemeinschaften nicht als Verirrungen angese- 10 13 hen werden sollen: so muß das Bestehen solcher Vereine als ein für die Entwikkelung des menschlichen Geistes nothwendiges Element nachgewiesen werden können. D a s erste ist n o c h neuerlich in d e n Betrachtungen über das Wesen des Protestantismus geschehen. D i e Frömmigkeit selbst eben s o ansehen ist der eigentliche Atheismus.
15
§. 23. Die weitere Entwikkelung des Begriffs frommer Gemeinschaften muß auch ergeben, auf welche Weise und in welchem Maaß die eine von der andern verschieden sein kann, imgleichen wie sich auf diese Differenzen das eigenthümliche der geschichtlich gegebenen Glaubensge- 20 nossenschaften bezieht. Und hiezu ist der Ort in der Religionsphilosophie. Der leztere N a m e , in diesem freilich n o c h nicht ganz g e w ö h n l i c h e n Sinne gebraucht, bezeichnet eine Disciplin, welche sich in Bezug auf die Idee der Kirche zur Ethik eben so verhält, w i e eine andere die sich auf die Idee des Staats, und n o c h eine andere die sich auf die Idee der Kunst bezieht.
14 f Vgl. Karl Gustav Jochmann [anon.]: Betrachtungen über den Protestantismus, Heidelberg 1826; vgl. ThEnz (Strauß) S. 22 23 f Nach ThEnz (Strauß) S. 23 gebe es aber auch „ganze Werke welche die Disciplin so fassen, wie sie hier genommen ist." Gemeint ist vermutlich: Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte, hg. v. H. P. K. Henke, Bd. 1-12, Helmstedt 1794-1802. 5 21 S. 6, § 22: Weder das Wesen des Christenthums oder einer bestimmten Kirche überhaupt, woraus im Gegensaz gegen das Zufällige allein (2.) die Organisation der Theologie zu verstehen ist, noch das Wesen der Kirche im allgemeinen kann bloß empirisch aufgefaßt werden. / § 22 S. 6, $ 23: Soll es überhaupt Kirchen geben: so muß die Stiftung und das Bestehen solcher Vereine als ein nothwendiges Element in der Entwikkelung des Menschen können in der Ethik nachgewiesen werden. / § 23 S. 7, § 24: Die lebendige Darstellung dieser Idee muß auch das Gebiet des veränderlichen darin nachweisen, welches die Keime alles individuellen enthält. /
25
Einleitung
5
ΙΟ
[335]
149
§. 24. Alles was dazu gehört um von diesen Grundlagen aus sowol das Wesen des Christenthums, wodurch es eine eigenthümliche Glaubens! weise ist, zur Darstellung zu bringen, als auch die Form der christlichen Gemeinschaft und zugleich die Art, wie beides sich wieder theilt und differentiirt, dieses alles zusammen bildet den Theil der christlichen Theologie, welchen wir die p h i l o s o p h i s c h e T h e o l o g i e nennen. Die Benennung rechtfertigt sich theils aus dem Zusammenhang der Aufgabe mit der Ethik, theils aus der Beschaffenheit ihres Inhaltes, indem sie es g r ö ß t e n t e i l s mit Begriffsbestimmungen zu thun hat. Eine solche Disciplin ist aber als Einheit noch nicht aufgestellt oder anerkannt, weil das Bedürfniß derselben, so wie sie hier gefaßt ist, erst aus der Aufgabe die theologischen Wissenschaften zu organisiren, entsteht. Der Stoff derselben ist aber schon in ziemlicher Vollständigkeit bearbeitet zufolge praktischer Bedürfnisse, welche aus verschiedenen Zeitumständen erwuchsen.
15
§. 25. Der Zwekk der christlichen Kirchenleitung ist sowol extensiv als intensiv zusammenhaltend und anbildend; und das Wissen um diese Thätigkeit bildet sich zu einer Technik, welche wir, alle verschiedenen Zweige derselben zusammenfassend, mit dem Namen der p r a k t i s c h e n T h e o l o g i e bezeichnen.
20
Auch diese Disciplin ist bisher sehr ungleich bearbeitet. In großer Fülle nämlich was die Geschäftsführung im Einzelnen betrifft; hingegen was die Leitung und Anordnung im Großen betrifft, nur sparsam, ja in disciplinarischem Zusammenhange nur für einzelne Theile.
11
14
§. 26. Die Kirchenleitung erfordert aber auch | die Kenntniß des zu 12 25 leitenden Ganzen in seinem jedesmaligen Zustande, welcher, da das (Zu $ 26] Wie hier der Begriff des organischen zum Grunde liegt im Gegensaz gegen das mechanische
26 Begriff] B. f 24 -* S. 7, § 25: Hieraus das Wesentliche in der gesammten Erscheinung der christlichen Kirche zu verstehen, ist die Aufgabe des philosophischen Theiles der Theologie. / §24 Erl S. 7, $ 27: Sie ist so wenig bearbeitet, daß ihr sogar noch der bestimmte und allgemeingeltende Name fehlt. / § 25 S. 7, §§ 28 - S. 8, §§ 30: Der Zwekk des christlichen Kirchenregimentes kann nur dahin gehen, dem Christenthum sein zugehöriges Gebiet zu sichern und immer vollständiger anzueignen, und innerhalb dieses Gebietes die Idee des Christenthums immer reiner darzustellen. — Hierzu muß es eine Technik geben, welche sich auf den Besiz der darzustellenden Idee, und auf die Kenntniß des zu regierenden Ganzen gründet. — Die Darstellung dieser Technik ist der praktische Theil der Theologie. / S 25 Erl S. 8, § 32: Sie ist bisher mehr in Bezug auf das Kleine und Einzelne, als auf das Große und Ganze als Theorie behandelt. / 5 26 -» S. 8, §§ 33—34: Die christliche Kirche
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
Ganze ein geschichtliches ist, nur als Ergebniß der Vergangenheit begriffen werden kann; und diese Auffassung in ihrem ganzen Umfang ist die h i s t o r i s c h e T h e o l o g i e im weiteren Sinne des Wortes. Die Gegenwart kann nicht als Keim einer dem Begriff mehr entsprechenden Zukunft richtig behandelt werden, wenn nicht erkannt wird, wie sie sich aus der Vergangenheit entwikkelt hat.
§. 27. Wenn die historische Theologie jeden Zeitpunkt in seinem wahren Verhältniß zu der Idee des Christenthums darstellt: so ist sie zugleich nicht nur die Begründung der praktischen, sondern auch die Bewährung der philosophischen Theologie. Beides natürlich um so mehr, je mannigfaltigere Entwikkelungen schon vorliegen. Daher war die Kirchenleitung anfangs mehr Sache eines richtigen Instinkts, und die philosophische Theologie manifestirte sich nur in wenig kräftigen Versuchen.
§. 28. Die historische Theologie ist sonach der eigentliche Körper des theologischen Studiums, welcher durch die philosophische Theologie mit der eigentlichen Wissenschaft, und durch die praktische mit dem thätigen christlichen Leben zusammenhängt. Die historische Theologie schließt auch den praktischen Theil geschichtlich in sich, indem die richtige Auffassung eines jeden Zeitraums auch bekunden muß, nach was für leitenden Vorstellungen die Kirche während desselben I regiert worden. Und wegen des im §. 27. aufgezeigten Zusammenhanges muß sich eben so auch die philosophische Theologie in der historischen abspiegeln.
§. 29. Wenn die philosophische Theologie als Disciplin gehörig ausgebildet wäre, könnte das ganze theologische Studium mit derselben beginnen. Jezt hingegen können die einzelnen Theile derselben nur fragmentarisch mit dem Studium der historischen Theologie gewonnen werden; aber auch dieses nur wenn das Studium der Ethik vorangegangen
als das zu Regierende ist ein Werdendes, in welchem die jedesmalige Gegenwart begriffen werden muß als Produkt der Vergangenheit und als Keim der Zukunft. — Dasjenige, worauf gewirkt werden soll, ist also nicht zu verstehen ohne seine Geschichte, und diese in ihrem ganzen Umfang bildet den historischen Theil der Theologie. / § 27 -» S. 9, § 3 5 : Indem die historische Theologie jeden Zeitpunkt darstellt in Bezug auf das Princip, enthält sie die Bewährung der philosophischen, indem in Bezug auf den vorhergegangenen, enthält sie die Begründung der praktischen. / § 28 -* S. 9, § 36: Die historische Theologie ist der eigentliche Körper des gesammten theologischen Studiums und faßt auf ihre Art auch die andern beiden Theile in sich. / § 29 -» 5. 9, §§ 37—38: Die Ethik ist die Wissenschaft der Principien der Geschichte; diese also wird bei jedem theologischen Studium vorausge-
Einleitung
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151
ist, welche wir zugleich als die Wissenschaft der Principien der Geschichte anzusehen haben. Ohne die fortwährende Beziehung auf ethische Säze, kann auch das Studium der historischen Theologie nur unzusammenhängende Vorübung sein, und muß in geistlose Ueberlieferung ausarten; woher sich großentheils der oft so verworrene Zustand der theologischen Disciplinen und der gänzliche Mangel an Sicherheit in der Anwendung derselben auf die Kirchenleitung erklärt.
§. 30. Nicht nur die noch fehlende Technik für die Kirchenleitung kann nur aus der Vervollkommnung der historischen Theologie durch die philosophische hervorgehen, sondern selbst die gewöhnliche Mittheilung der Regeln für die einzelne Geschäftsführung kann nur als mechanische Vorschrift wirken, wenn ihr nicht das Studium der historischen Theologie vorangegangen ist. Aus der übereilten Beschäftigung mit dieser Technik entsteht die Oberflächlichkeit in der Praxis, und die Gleichgültigkeit gegen wissenschaftliche Fortbildung. ι
§.31. In dieser Trilogie, philosophische, historische und praktische Theologie ist das ganze theologische Studium beschlossen; und die natürlichste Ordnung für diese Darstellung ist ohnstreitig die mit der philosophischen Theologie zu beginnen, und mit der praktischen zu schließen. Bei welchem Theile wir auch anfangen wollten: so würden wir immer wegen des gegenseitigen Verhältnisses in welchem sie mit einander stehen, manches aus den andern voraussezen müssen.
sezt, und es gründet sich auf sie. — Für eines jeden theologisches Studium müßte der philosophische Theil, wenn et schon zur Disciplin ausgebildet wäre, der erste sein. So lange jeder ihn sich selbst bilden muß, kann er nur neben dem historischen gewonnen werden. / § 30 -» S. 9, § 39: Was sich zunächst auf die Ausübung bezieht, die praktische Theologie, ist für das Studium das lezte. / § 31 S. 10, §40: Es ist also zu handeln zuerst von der philosophischen Theologie, dann von der historischen und zulezt von der praktischen. In diesen ist das ganze Studium beschlossen. /
is; 17
E r s t e r Theil. Von der philosophischen Theologie.
Einleitung. §. 32. Da das eigenthümliche Wesen des Christenthums sich eben so wenig rein wissenschaftlich construiren läßt, als es bloß empirisch aufgefaßt werden kann: so läßt es sich nur kritisch bestimmen (vergi. §. 23.) durch Gegeneinanderhalten dessen, was im Christenthum geschichtlich gegeben ist, und der Gegensäze, vermöge deren fromme Gemeinschaften können von einander verschieden sein. So wenig sich die Eigenthümlichkeit einzelner Menschen construiren läßt, wenn gleich allgemeine Rubriken für charakteristische Verschiedenheiten angegeben werden können: eben so wenig auch die Eigenthümlichkeit solcher zusammengesezter oder moralischer Persönlichkeiten.
5
10
§. 33. Die philosophische Theologie kann daher ihren Ausgangs16 punkt nur über dem Chri|stenthum in dem logischen Sinne des Wortes 15 nehmen, d. h. in dem allgemeinen Begriff der frommen oder Glaubensgemeinschaft. 18
Zufolge des vorigen nämlich kann überhaupt jede bestimmte Glaubensform und Kirche nur vermittelst ihrer Verhältnisse des Neben- und Nach-
§ 32 S. 11, §§ 1—2: So wenig das eigenthümliche Wesen des Christenthums bloß empirisch kann aufgefaßt werden (Einl. 22), eben so wenig läßt es sich rein wissenschaftlich aus Ideen allein ableiten. — Es ist also nur durch Gegeneinanderhalten des geschichtlich in ihm gegebenen, und des in der Idee der Religion und der Kirche als veränderliche Größe gesezten zu bestimmen. / § 33 -> S. 12, $ 4: Der Standpunkt der philosophischen Theologie in Beziehung auf das Christenthum überhaupt ist nur über demselben zu nehmen. / § 33 Erl -* S. 11, §3: Da dasselbe von allen geschichtlich gegebenen Religionsformen und Kirchen gilt: so ist in diesem Sinn jede nur mit ihrem Verhältniß des Neben- und Nacheinanders zu andern zugleich zu verstehen. /
I. Teil: Philosophische
Theologie
[339]
153
einanderseins zu andern richtig verstanden werden; und dieser Ausgangspunkt ist in sofern für alle analogen Disciplinen anderer Theologien derselbe, indem alle auf denselben höheren Begriff und auf eine Theilbarkeit desselben zurükkgehen müssen, um jene Verhältnisse darzulegen. 5
§. 3 4 . W i e sich irgend ein g e s c h i c h t l i c h gegebener
Zustand
des
C h r i s t e n t h u m s zu d e r Idee desselben v e r h ä l t , d a s b e s t i m m t sich nicht allein d u r c h den Inhalt dieses Z u s t a n d e s , s o n d e r n a u c h d u r c h die A r t w i e er g e w o r d e n ist. 10
15
Beides ist allerdings durch einander bedingt, indem verschieden beschaffene Zustände aus demselben früheren nur können durch einen verschiedenen Prozeß hervorgegangen sein, und eben so umgekehrt. Um so sicherer aber kann bald mehr das eine bald mehr das andere zur Auffindung jenes Verhältnisses benuzt werden. Und daß in einem lebendigen und geschichtlichen Ganzen nicht alle Zustände sich zu der Idee desselben gleich verhalten, versteht sich von selbst. §. 3 5 . D a die E t h i k als W i s s e n s c h a f t d e r G e s c h i c h t s p r i n c i p i e n a u c h die A r t des W e r d e n s eines g e s c h i c h t l i c h e n G a n z e n n u r a u f allgemeine Weise darstellen k a n n : so läßt sich ebenfalls n u r kritisch d u r c h Vergleic h u n g der d o r t aufgestellten
20
| allgemeinen Differenzen
mit d e m ge-
17
schichtlich gegebenen a u s m i t t e l n , w a s in d e r E n t w i k l u n g des Christent h u m s reiner A u s d r u k k seiner Idee ist, u n d w a s hingegen als A b w e i c h u n g h i e v o n , mithin als K r a n k h e i t s z u s t a n d , a n g e s e h e n w e r d e n m u ß .
25
Krankheitszustände giebt es in geschichtlichen Individuen nicht minder als in organischen; von untergeordneten Differenzen in der Entwiklung kann hier nicht die Rede sein. §. 3 6 . S o oft d a s C h r i s t e n t h u m sich in eine M e h r h e i t v o n K i r c h e n g e m e i n s c h a f t e n theilt, w e l c h e d o c h a u f denselben N a m e n christliche zu
§ 34 -* S. 12, § 5: Das Verhältniß des im Christenthum geschichtlich gegebenen zu der Idee desselben, drükt sich nicht nur durch den Inhalt aus, sondern auch durch die Art des Werdens. / § 35 -» S. 12, SS 6 - S. 13, SS 9: Die Ethik als Wissenschaft der Geschichtsprincipien muß darstellen, wie dasjenige wird, was in einem geschichtlichen Ganzen reiner Ausdruk der Idee ist. Sie kann es aber nur im Allgemeinen. — Nur durch Gegeneinanderhaltung des Gegebenen mit den dort aufgestellten allgemeinen Formen läßt sich von dieser Seite erkennen, was in dem geschichtlich gegebenen Christenthum reiner Ausdruk der Idee desselben ist. — Wie keine geschichtliche Erscheinung ihrer Idee rein entspricht, sondern Abweichungen enthält, die in jener nicht aufgehn, und nur als Krankheitszustand zu begreifen sind, so auch das Christenthum. — Nur durch Gegeneinanderhaltung eines Gegebenen mit dem als Wesen des Christenthums erkannten, läßt sich inne werden, was wirklich als Krankheit zu sezen ist. / S 36 -» S. 13, SS 10—11: Das Christenthum, wie jede Kirche, theilt sich selbst in Partheien, die unter sich im relativen Gegensaze stehn, und sich zur christlichen Kirche selbst verhalten, wie diese und andere gegebene Kirchen zur absoluten Idee der Kirche. — Alles bisher (1—9) Gesagte gilt also nothwendig auch von ihnen./
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Kurze Darstellung
(2.
Auflage)
sein Ansprüche machen: so entstehen dieselben Aufgaben auch in Beziehung auf sie; und es giebt dann außer der allgemeinen, für jede von ihnen noch eine besondere philosophische Theologie. O f f e n b a r befinden wir uns in d i e s e m Fall; denn wenn auch jede von diesen besonderen G e m e i n s c h a f t e n alle anderen für k r a n k h a f t gewordene Theile erklärte: s o müßten d o c h von unserem A u s g a n g s p u n k t (s. §. 33.) aus schon z u m Behuf der ersten A u f g a b e die A n s p r ü c h e aller jenem kritischen Verfahren anheim fallen. Unsere b e s o n d e r e philosophische T h e o l o g i e ist daher protestantisch.
§. 37. Da die beiden hier — in §. 32. und 35. — gestellten Aufgaben den Zwekk der philosophischen Theologie erschöpfen: so ist diese ihrem wissenschaftlichen Gehalt nach Kritik, und sie gehört der Natur ihres Gegenstandes nach der geschichtskundlichen Kritik an. | In der L ö s u n g dieser A u f g a b e n ist nämlich alles enthalten, w a s der historischen T h e o l o g i e s o w o l als der praktischen in ihrer Beziehung zur Kirchenleitung z u m G r u n d e liegen muß.
§. 38. Als theologische Disciplin muß der philosophischen Theologie ihre Form bestimmt werden durch ihre Beziehung auf die Kirchenleitung. Dies gilt natürlich a u c h von jeder speciellen philosophischen T h e o l o g i e .
§. 39. Wie Jeder in seiner Kirchengemeinschaft nur ist vermöge seiner Ueberzeugung von der Wahrheit der sich darin fortpflanzenden Glaubensweise: so muß die erhaltende Richtung der Kirchenleitung auch die Abzwekkung haben diese Ueberzeugung durch Mittheilung zur Anerkenntniß zu bringen. Hiezu bilden aber die Untersuchungen über das eigenthümliche Wesen des Christenthums und eben so des Protestantismus die Grundlage, welche daher den apologetischen Theil der philosophischen Theologie ausmachen, jene der allgemeinen christlichen, diese der besonderen des Protestantismus.
§37 -*• S. 13, §12: Da die hier aufgestellten Aufgaben den Inhalt der philosophischen Theologie erschöpfen: so ist diese ihrem innern Wesen nach Kritik, und führt jenen Namen nur in einem weitern Sinne, wegen ihrer unmittelbaren Beziehung auf die Hauptsäze der Ethik. / § 38 S. 14, § 17: Als theologische Disciplin nimmt die philosophische Theologie ihre Form von dem Interesse an dem Wohlbefinden und der Fortbildung der Kirche. / $ 38 Erl -» S. 14, § 18: Als solche ist sie, jedesmal wenn ein solcher Gegensaz besteht, auch wesentlich in einer Kirchenpartei befangen, und also für jede eine besondere. / §39 -* S. 13, § 13 — S. 14, § 14: Das lebendige Sein des Einzelnen in einer Kirche und Kirchenparthei ist zugleich seine innere Ueberzeugung von ihrer geschichtlichen Gültigkeit. — Die lebendige Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment ist zugleich das Bestreben, ihre innere Gültigkeit auch äußerlich geltend zu machen, oder sie zu vertheidigen. /
I. Teil: Philosophische
5
Theologie
[341]
155
Bei dieser Benennung ist an keine andere Vertheidigung zu denken, als welche von der Anfeindung der Gemeinschaft abhalten will. Das Bestreben auch Andere in diese Gemeinschaft hineinzuziehen ist eine klerikalische, allerdings aus der Apologetik schöpfende, Ausübung, und eine Technik für dasselbe, die aber kaum anfängt sich zu bilden, wäre der zunächst auf der Apologetik beruhende Theil der praktischen Theologie. | §. 4 0 . D a J e d e r n a c h M a a ß g a b e d e r S t ä r k e u n d K l a r h e i t seiner U e -
19
b e r z e u g u n g a u c h M i ß f a l l e n h a b e n m u ß a n den in seiner G e m e i n s c h a f t e n t s t a n d e n e n k r a n k h a f t e n A b w e i c h u n g e n : so m u ß die 10
Kirchenleitung
v e r m ö g e ihrer intensiv z u s a m m e n h a l t e n d e n R i c h t u n g (§. 2 5 . )
zunächst
die A b z w e k k u n g h a b e n , diese A b w e i c h u n g e n als s o l c h e z u m B e w u ß t s e i n zu bringen. Dies k a n n n u r v e r m ö g e richtiger D a r s t e l l u n g v o n d e m Wesen des C h r i s t e n t h u m s u n d s o a u c h des P r o t e s t a n t i s m u s g e s c h e h e n , w e l c h e d a h e r in dieser A n w e n d u n g den p o l e m i s c h e n Theil der p h i l o s o p h i s c h e n 15
T h e o l o g i e bilden, jene d e r allgemeinen diese d e r b e s o n d e r e n p r o t e s t a n t i schen. Die klerikalische Praxis welche auf die Beseitigung der Krankheitszustände ausgeht, hat hier ihre Principien; und die Technik derselben wäre der zunächst auf die Polemik zurükkgehende Theil der praktischen Theologie.
20
§. 4 1 . So wie die A p o l o g e t i k ihre R i c h t u n g g a n z n a c h a u ß e n n i m m t ,
21
s o die P o l e m i k die ihrige d u r c h a u s n a c h innen.
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30
Die weit gewöhnlicher so genannte nach außen gekehrte besondere Polemik der Protestanten z. B. gegen die Katholiken, und eben so die allgemeine der Christen gegen die Juden oder auch die Deisten und Atheisten, ist ebenfalls eine im weiteren Sinne des Wortes klerikalische Ausübung, welche einerseits mit unserer Disciplin nichts gemein hat, andererseits auch schwerlich von einer wohl bearbeiteten praktischen Theologie als heilsam dürfte anerkannt werden. M a n könnte allerdings behaupten, diese Ausübung müsse nur nicht als eine | protestantische angesehen werden, sondern als eine allgemein christliche, so habe sie ihre Richtung auch nach innen. Allein dann ginge sie auch nicht, wie es doch immer gemeint ist, gegen den Katholizismus im Ganzen, sondern nur gegen dasjenige darin, was nicht seiner eigenthümlichen Form angehört, sondern als Krankheitszustand des Christenthums zu betrachten ist.
31 f Katholizismus] Katholizimus S 40-* S. 14, §§ 15 —16: Das lebendige Sein des Einzelnen in einer Kirche oder Kirchenparthei ist zugleich sein inneres Mißfallen an den krankhaften Abweichungen, die darin vorkommen. — Zur Thätigkeit des Einzelnen im Kirchenregiment gehört auch das Bestreben, diese Abweichungen als solche kenntlich zu machen und hin wegzuschaffen. / $41-* — /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 42. Da nun die philosophische Theologie keine weiteren Aufgaben enthält: so ist im folgenden zu handeln von der Organisation der Apologetik und der Polemik, und zwar der allgemeinen christlichen sowol als der besonderen protestantischen. Entweder also zuerst von der allgemeinen philosophischen Theologie in ihren beiden Theilen, und dann eben so von der besonderen; oder zuerst von der Apologetik der allgemeinen und besonderen, und dann eben so von der Polemik. Die leztere Anordnung ist vorgezogen worden.
Erster Abschnitt. G r u n d s ä z e der A p o l o g e t i k .
§. 43. Da der Begriff frommer Gemeinschaften oder der Kirche sich nur in einem Inbegriff nebeneinander bestehender und auf einander folgender geschichtlicher Erscheinungen verwirklicht, welche in jenem Begriff eins, unter sich aber ver| schieden sind: so muß auch von dem Christenthum durch Darlegung sowol jener Einheit als dieser Differenz nachgewiesen werden, daß es in jenen Inbegriff gehört. Dies geschieht mittelst Aufstellung und Gebrauchs der Wechselbegriffe des natürlichen und positiven. Die Aufstellung dieser Begriffe, wovon jener das gemeinsame aller, dieser die Möglichkeit verschiedener eigenthümlicher Gestaltungen desselben aussagt, gehört eigentlich der Religionsphilosophie an; daher dieselben auch gleich gültig sind für die Apologetik jeder frommen Gemeinschaft. Könnte nun auf diese Weise auf die Religionsphilosophie bezogen werden: so bliebe für die christliche Apologie hievon nur übrig was der folgende §. enthält.
23 Religionsphilosophie] Religionsphlilosophie §42~>S. 15, § 29: Als solche enthält sie, dem Obigen zu Folge, die Principien der Apologetik und der Polemik, und ist in diesen ganz beschlossen./ § 43 S. 15, § 1: Da die Idee der Kirche sich nur in einer Mehrheit geschichtlicher Erscheinungen realisirt, welche
I. Teil: Philosophische
Theologie
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§. 44. Auf den Begriff des positiven zurükkgehend muß dann für das eigenthümliche Wesen des Christenthums eine Formel aufgestellt, und mit Beziehung auf das eigenthümliche anderer frommen Gemeinschaften unter jenen Begriff subsumirt werden. 5
Dies ist zwar die Grundaufgabe der Apologetik; aber je mehr eine solche Formel nur durch ein kritisches Verfahren (vergi. §. 32.) gefunden werden kann, um desto mehr kann sie sich erst im Gebrauch vollständig bewähren.
23
§. 45. Das Christenthum muß seinen Anspruch auf abgesondertes geschichtliches Dasein auch geltend machen durch die Art und Weise 10 seiner Entstehung; und dieses geschieht durch Beziehung | auf die Be- 22 griffe Offenbarung, Wunder und Eingebung. Je mehr auf ursprüngliche Thatsachen zurükkgehend, desto größeres Anrecht auf Selbständigkeit und umgekehrt, wie dasselbe auch bei anderen Arten der Gemeinschaft statt findet.
15
§. 46. Wie aber die geschichtliche Darstellung der Idee der Kirche auch als fortlaufende Reihe anzusehen ist: so muß, ohnerachtet des §. 43. und 44. gesagten, doch auch die geschichtliche Stätigkeit in der Folge des Christenthums auf das Judenthum und Heidenthum nachgewiesen werden, welches durch Anwendung der Begriffe Weissagung und Vorbild 20 geschieht. Das rechte Maaß in Feststellung und Gebrauch dieser Begriffe ist vielleicht die höchste Aufgabe der Disciplin; und je vollkommener gelöst, desto festere Grundlage hat die von außen anbildende Ausübung.
§. 47. Da die christliche Kirche wie jede geschichtliche Erscheinung 25 ein sich veränderndes ist: so muß auch nachgewiesen werden, wie durch
in jener Idee Eins, unter sich aber verschieden sind: so muß auch von dem Christenthum, wenn es als eine solche geltend gemacht werden soll, sowol jene Einheit als diese Differenz nachgewiesen werden. Diese Untersuchung umfaßt die Wechselbegriffe des natürlichen und positiven. / § 44 -» S. 15, § 2: Sie muß, auf allgemeine Bestimmung darüber, worin das eigenthümliche Wesen einer besondern Religionsform und Kirche zu sezen sei, sich gründend, in diesem Gebiet das Wesen des Christenthums nachweisen. / § 45 -* S. 16, §5: Das Christenthum als neue und ursprüngliche Thatsache muß sich auch durch die Art, wie es entstanden ist, (I. Einl. 5.) ausweisen. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Offenbarung, Wunder und Eingebung./ §46 S. 16, §6: Da die ganze geschichtliche Darstellung der Idee der Kirche auch als Eine fortlaufende Reihe anzusehen ist: so muß eben so auch auf der andern Seite das Hervorgehen des Christenthums aus dem Judenthum und Heidenthum dargestellt werden. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe von Weissagung und Vorbild. / § 47 S. 17, § 7: Da die christliche Kirche als geschichtliche Erscheinung ein zeitliches also sich veränderndes ist, so ist auch auszuführen, woran unter diesen Veränderungen die bleibende Einheit des Wesens, sowol im Gebiet der Lehre als der Gemeinschaft kann erkannt werden. Diese Untersuchung bezieht sich
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
diese Veränderungen die Einheit des Wesens dennoch nicht gefährdet wird. Diese Untersuchung umfaßt die Begriffe Kanon und Sakrament.
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Die Apologetik hat es mit den dogmatischen Theorien über beide nicht zu thun; indem diese hier nicht anticipirt werden können. Beide Thatsachen aber beziehen sich ihrem Begriffe nach auf die Stätigkeit des Wesentlichen im Christenthume, der erste wie sie sich in | der Production der Vorstellung, der andere wie sie sich in der Ueberlieferung der Gemeinschaft ausspricht.
5
§ . 4 8 . Wie der Begriff der Kirche sich wissenschaftlich nur ergiebt im Zusammenhang (vergi. §. 22.) mit denen aller andern aus dem Begriff der Menschheit sich entwikkelnden Organisationen gemeinsamen Le- 10 bens: so muß nun auch von der christlichen Kirche nachgewiesen werden, daß sie ihrem eigenthümlichen Wesen nach mit allen jenen Organisationen zusammenbestehen kann, welches sich aus richtiger Erörterung der Begriffe Hierarchie und Kirchengewalt ergeben muß. Vorzüglich kommen hier in Betracht der Staat und die Wissenschaft. Denn niemanden könnte zugemuthet werden die Gültigkeit des Christenthums anzuerkennen, wenn es durch sein Wesen einem von diesen entgegenstrebte. Die Aufgabe ist daher um so vollständiger gelöst, je bestimmter gezeigt werden kann, daß diese inneren Institutionen der Kirche ihrem Begriffe nach nur die unabhängige Entwiklung derselben im Zusammenhang mit Staat und Wissenschaft bezwekken, nicht aber die gleich unabhängige Entwiklung jener zu stören meinen. Alles hierüber in die praktische Theologie gehörige bleibt hier ausgeschlossen.
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§. 49. Je mehr in allen diesen Untersuchungen auf beides Bezug genommen wird, sowol darauf daß das Christenthum als organische Ge- 25 meinschaft bestehen will, als auch darauf, daß es sich vorzüglich durch den Gedanken darstellt und mittheilt (vergi. §. 2.) um desto mehr müssen 24; 25 sie I den Grund zu der Ueberzeugung legen, daß auch von Anfang an (vergi. §. 44.) das Wesen des Christenthums richtig ist aufgefaßt worden. Wenn sich doch in allem, was sich auf Lehre und Verfassung bezieht, dasselbe Wesen des Christenthums übereinstimmend mit der aufgestellten Formel ausspricht: so ist dies die beste Bewährung für diese.
auf die Begriffe Kanon und Sakrament. / $ 48 S. 17, § 8: Da die Kirche als n o t w e n d i ges Erzeugniß auf einem und demselben Grunde beruht mit allen andern in der Entwikkelung der Menschheit sich wesentlich ergebenden Organisationen eines gemeinsamen Lebens: so muß auch von dem Christenthum nachgewiesen werden, daß es mit jenen allen zusammen bestehen kann. Dieses Bestreben geht aus auf richtige Bestimmung der Begriffe Hierarchie und Kirchengewalt./ $49 -* S. 16, $$3—4: Da das eigentümliche Wesen einer besondern Religionsform sich auf der idealen Seite am kenntlichsten in ihren Dogmen ausspricht und auf der realen in ihrer Verfassung: so muß um die innere Consistenz des Christenthums darzustellen nachgewiesen werden, wie sich dasselbige Wesen in beiden
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I. Teil: Philosophische Theologie
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§. 5 0 . Befindet sich die Kirche in einem Zustande der Theilung: so muß die specielle Apologetik einer jeden Kirchenparthei, mithin jezt auch die protestantische, denselben Gang einschlagen wie die allgemeine. 5
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Denn die Aufgabe ist dieselbe, und das Verhältnis jeder einzelnen Kirchenparthei zu den übrigen gleich dem des Christenthums zu den andern verwandten Glaubensgemeinschaften. Die in §. 47. geforderte Nachweisung führt auf die Begriffe von Confession und Ritus, und bei der in §. 48. beschriebenen kommt es vorzüglich auf das Verhältniß zum Staat an. § . 5 1 . Auch die allgemeine christliche Apologetik wird in diesem Fall, von der Ansicht jeder besonderen Gestaltung des Christenthums afficirt, sich in jeder eigenthümlich gestalten. Dies wird allerdings um desto weniger der Fall sein, je strenger aus der Erörterung alles dogmatische ausgeschieden wird. Niemals aber darf es so weit gehen, daß jede nur sich selbst als Christenthum zur Anerkenntniß bringen will, die andern aber als unchristlich darstellt. Wofür schon durch die Scheidung der allgemeinen und besondern Apologetik gesorgt werden soll. I §. 5 2 . Da mehrere im Gegensaz mit einander stehende christliche Kirchengemeinschaften sich nur bilden konnten aus einem Zustande des Ganzen, in welchem kein Gegensaz ausgesprochen war: so hat sich jede um so mehr gegen den Vorwurf der Anarchie oder der Corruption zu vertheidigen, als auch jede wieder geneigt ist von sich selbst zu behaupten, daß sie an den ursprünglichen Zustand anknüpfe. Weder war im ursprünglichen Christenthum ein Gegensaz ausgesprochen, noch kann jemals ein Gegensaz an die Stelle eines andern treten, ohne daß jener vorher verschwunden wäre. §. 5 3 . Da eben deshalb jeder Gegensaz dieser Art innerhalb des Christenthums auch dazu bestimmt erscheint wieder zu verschwinden:
ausspricht. — Diese Congruenz muß die Probe geben, daß das Wesen des Christenthums richtig aufgefaßt ist. / § SO -» S. 17, § 9: Auf gleiche Weise hat die Apologetik, wiefern sie sich auf eine besondere Kirchenpartei richtet, sowol deren mit andern gemeinsames Sein in der christlichen Kirche, als auch ihr besonderes Für sich bestehn zu begründen. Ihr Gegenstand ist in diesem Sinne vorzüglich alles, was unter die Begriffe Confession und Ritus gehört. / § 51 S. 18, § 10: Nicht nur kann jede Kirchenpartei nur sich selbst und nicht auch die andere vertheidigen, sondern ihre Ansicht wird sich auch mehr oder weniger durch das ganze Geschäft der Apologetik hindurchziehen. / § 52 S. 18, § 11: Da Kirchenparteien als Gegensaz nur entstehen können aus einem Zustande, in welchem kein Gegensaz statt findet: so hat jede sich zu vertheidigen gegen den Vorwurf entweder der Anarchie oder der Corruption. / § 53 S. 18, § 12: Da solche Gegensäze innerhalb des Christenthums schon oft wieder verschwunden sind: so muß die besondere Apologetik
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so wird die V o l l k o m m e n h e i t der speciellen Apologetik darin bestehen, d a ß sie divinatorisch auch die Formen für dieses Verschwinden mit in sich schließt. Eine prophetische Tendenz soll hierdurch der speciellen Apologetik keinesweges beigelegt werden. Aber je richtiger in dieser Beziehung das eigenthümliche Wesen des Protestantismus aufgefaßt ist, um desto haltbarere Gründe wird die specielle Apologetik darbieten, um falsche Unionsversuche abzuwehren, da jeder auf der Voraussezung beruht, der Gegensaz sei schon in einem gewissen Grade verschwunden.
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Zweiter Abschnitt. G r u n d s ä z e der
io
Polemik.
§. 5 4 . K r a n k h a f t e Erscheinungen eines geschichtlichen Organismus (vergi. §. 3 5 . ) k ö n n e n theils in zurükktretender Lebenskraft gegründet sein, theils darin, d a ß sich beigemischtes fremdartige in denselben für sich organisirt. 27
5
15
Es ist nicht nöthig hiebei auf die Analogie mit dem animalischen Organismus zurükkzugehen; derselbe Typus kann auch schon an den Krankheiten der Staaten zur Anschauung gebracht werden. §. 5 5 . D a der Trieb, die christliche Frömmigkeit zum Gegenstand einer Gemeinschaft zu m a c h e n , nicht nothwendig in gleichem Verhältniß steht mit der Stärke dieser F r ö m m i g k e i t selbst: so k a n n bald mehr das eine von beiden geschwächt sein und zurükktreten bald mehr das andere. Beides in der höchsten Vollkommenheit vereinigt bildet freilich den normalen Gesundheitszustand der Kirche, der aber während ihres geschichtlichen Verlaufs nirgend vorausgesezt werden kann. Eben daraus aber, daß dieser
auch sich selbst begrenzen, und wissen wo das abgesonderte Dasein einer Partei nicht mehr vermag als eigenthiimliche Darstellung des Christenthums zu gelten. / § 54 S. 19, § 2: Es kann in der Erscheinung ein allgemein geschwächter Lebensprozeß nicht mehr der ursprünglichen Kraft der einwohnenden Idee entsprechen; es kann theilweise etwas absterben, oder sich nicht neu entwikkeln, was zur Darstellung der Idee gehört; es kann endlich in der Erscheinung sich etwas entwikkeln, was der Idee widerspricht. / § 55 -» — /
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I. Teil: Philosophische Theologie
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Gesundheitszustand nur als die vollständige Einheit jenes zwiefachen beschrieben werden kann, folgt schon, daß einseitige Abweichungen nach beiden Seiten hin möglich sind. 5
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§. 5 6 . Diejenigen Z u s t ä n d e , durch welche sich vorzüglich offenbart, d a ß die christliche Fröm|migkeit selbst k r a n k h a f t geschwächt ist, werden unter dem N a m e n I n d i f f e r e n t i s m u s zusammengefaßt; und die Aufgabe ist daher zu bestimmen, w o das, w a s als eine solche S c h w ä c h u n g erscheint, wirklich beginnt krankhaft zu sein, und in wie mancherlei Gestalten dieser Z u s t a n d sich darstellt. Es ist die gewöhnliche Bedeutung dieses Ausdrukks, Gleichgültigkeit in Bezug auf das eigenthiimliche Gepräge der christlichen Frömmigkeit darunter zu verstehen; wobei allerdings noch Frömmigkeit ohne bestimmtes Gepräge statt finden kann. — Außerdem aber werden häufig Zustände auf Rechnung einer solchen Schwäche geschrieben, die ganz anders zu erklären sind. — Daß bei wirklichem Indifferentismus auch der christliche Gemeinschaftstrieb geschwächt sein muß, ist natürlich; dies ist aber dann nur Folge der Krankheit, nicht Ursache derselben. §. 5 7 . Diejenigen Z u s t ä n d e , welche vornehmlich auf geschwächten Gemeinschaftstrieb deuten, werden durch den N a m e n S e p a r a t i s m u s bezeichnet, welcher also ebenfalls in seinen Grenzen und seiner Gliederung genauer zu bestimmen ist. Genauer, als gewöhnlich geschieht, ist zu unterscheiden zwischen eigentlichem Separatismus und Neigung zum Schisma; zumal jener ohnerachtet
13 f Möglicherweise denkt Schleiermacher an eine dem Christentum gegenüber distanzierte Haltung, die nicht Folge geschwächter christlicher Frömmigkeit, sondern des Mangels an gewährter Freiheit innerhalb des kirchlich verfaßten Christentums ist. Vgl. zur Illustration Karl Ulimann: Theologisches Bedenken aus Veranlassung des Angriffs der Evangelischen Kirchenzeitung auf den hallischen Rationalismus, Halle 1830: „[...] man betrachte den religiösen Zustand der streng katholischen Völker, die nicht, wie die deutschen Katholiken, den Einfluß protestantischen Geistes erfahren, wie ihr geistiger Zustand zwischen Unglauben und Aberglauben schwankt, wie in den höheren Kegionen so häufig Indifferentismus, Religionsverachtung und Atheismus, in den niederen krasse Unwissenheit und religiöse Dummheit, bei den Priestern aber Heuchelei zu Hause ist, und man wird diese Einheit im Vergleich mit unserer Freiheit nicht beneidenswerth finden." (S. 21) $ 56 S. 19, 5 3: Die allgemeinste Form des ersten Uebels ist der Indifferentismus. Wenn dieser aus dem Princip des Christenthums hervorginge: so würde dieses sich selbst aufheben. Soll also dem Christenthum eine nothwendige Existenz zukommen: so muß er nachgewiesen werden als Krankheitszustand. / § 57 -» S. 20, § 4: Die allgemeinste Form des zweiten Uebels ist der Separatismus. Wenn dieser dem Princip des Christenthums gemäß wäre: so würde es die Kirche, d. h. seine geschichtliche Realität selbst zerstören. Er muß also begriffen werden als Krankheit. /
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seiner gänzlichen Negativität oft den Schein von dieser annimmt. Offenbar ist, daß der Gemeinschaftstrieb, wenn er in seiner vollen Stärke vorhanden ist, auch alle Glieder durchdringen muß. Er ist also desto mehr geschwächt, je Mehrere sich bewußt und absichtlich ausschließen, ohn|erachtet sie dieselbe christliche Frömmigkeit zu besizen behaupten.
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§. 58. D a das eigenthümliche Wesen des Christenthums sich vorzüglich ausspricht einerseits in der Lehre und andererseits in der Verfassung: so kann sich in der Kirche auch fremdartiges organisiren, theils in der Lehre als Kezerei, Häresis, theils in der Verfassung als Spaltung, Schisma; und beides ist daher in seinen Grenzen und Gestaltungen zu 10 bestimmen.
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In den meisten Fällen, jedoch nicht nothwendig, wird wenn sich eine abweichende Lehre verbreitet, daraus auch eine besondere Gemeinschaft entstehen; allein diese ist als bloße Folge jenes Zustandes nicht eigentliche Spaltung. Eben so wird sich innerhalb einer Spaltung größtentheils, jedoch 15 nicht nothwendig, auch abweichende Lehre entwikkeln; allein diese braucht deshalb nicht häretisch zu sein. §. 59. Alle hier aufgestellten Begriffe können weder bloß empirisch gefunden, noch rein wissenschaftlich abgeleitet werden, sondern nur durch das hier überall vorherrschende kritische Verfahren festgestellt: 20 weshalb sie sich durch den Gebrauch immer mehr bewähren müssen, um ganz zuverläßig zu werden.
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In Bezug auf Spaltung und Kezerei muß wegen der großen Mannigfaltigkeit der Erscheinungen dies Verfahren auf einer Classification beruhen, welche sich dadurch bewährt, daß die vorhandenen Erscheinungen mit Leichtigkeit 25 darunter subsumirt werden können. In Be|zug auf Indifferentismus und Separatismus bewährt es sich desto mehr, je mehr es hindert, daß nicht durch allzugroße Strenge für krankhaft erklärt werde, was noch gesund ist und umgekehrt. §. 60. Was als krankhaft aufgestellt wird, davon muß nachgewiesen 30 werden theils seinem Inhalte nach, daß es dem Wesen des Christen-
§ 58 -» S. 20, § 6: Das innerhalb der Erscheinung des Christenthums seinem Wesen widerstreitende ist, wenn es sich in der Lehre selbständig organisirt, Kezerei, wenn in der Gemeinschaft, Spaltung. / § 59 S. 20, § 7: Vermöge des Gegensazes (I. Einl. 1. 2.) muß gelten, daß weder bloß empirisch aufgefaßt, noch rein wissenschaftlich abgeleitet werden kann, was im Einzelnen Häresis und Schisma ist, sondern nur durch Gegeneinanderhalten des Gegebenen und der Idee. / 5 60 -* S. 21, §§ 8—9: Das polemische Verfahren ist daher, die Ausartung an dem Inhalt zu beweisen, entweder durch Widerspruch gegen Kanon und Sakrament (Th. I. Abschn. I. 7.), in Bezug auf die Kirche und gegen Confession und Ritus (Ebend. 9.), in Bezug auf die Partei, oder durch die natürliche Congruenz zwischen Häresis und Schisma (Ebend. 3.). — Das dem Wesen des Christenthums widerstreitende muß sich auch kund thun durch seine Entstehungsart, (I. Einl. 5 — 7.) und die Principien der Pole-
I. Teil: Philosophische Theologie
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thums, wie sich dieses in Lehre und Verfassung ausgedrückt hat, widerspricht oder es auflöst, theils seiner Entstehung nach, daß es nicht mit der von den Grundthatsachen des Christenthums ausgehenden Entwikklungsweise zusammenhängt. 5
J e mehr beides z u s a m m e n t r i f f t und sich gegenseitig erklärt, u m desto sicherer erscheint die B e s t i m m u n g .
§. 61. In Zeiten wo die christliche Kirche getheilt ist, hat jede specielle Polemik einer besonderen christlichen Kirchengemeinschaft denselben Weg zu verfolgen wie die allgemeine. 10
15
Die Sachverhältnisse sind dieselben. N u r d a ß einerseits in solchen Zeiten natürlich Indifferentismus und S e p a r a t i s m u s ursprünglich in den partiellen Kirchengemeinschaften einheimisch sind, und nur in sofern allgemeine Uebel werden, als sie sich in mehreren nebeneinander bestehenden christlichen Gemeinschaften gleichmäßig vorfinden, andererseits aber, w a s nur d e m eigenthümlichen Wesen einer partiellen G e m e i n s c h a f t widerspricht, nie sollte durch den A u s d r u k k häretisch oder schismatisch bezeichnet werden.
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§. 62. Da die ersten Anfänge einer Kezerei allemal als Meinungen Einzelner auftreten, und | die einer Spaltung als Verbrüderungen Einzel- 30 ner; eine neue partielle Kirchengemeinschaft aber auch nicht füglich an20 ders als eben so zuerst erscheinen kann: so müssen die Grundsäze der Polemik, wenn vollkommen ausgebildet, Mittel an die Hand geben um schon an solchen ersten Elementen zu unterscheiden, ob sie in krankhafte Zustände ausgehen werden, oder ob sie den Keim zur Entwikklung eines neuen Gegensazes in sich schließen. 25
Wie überhaupt dieser S a z gleichlautend ist mit §. 53. s o ist auch hier dasselbe wie dort zu bemerken, in Bezug nämlich auf falsche Toleranz gegen das k r a n k h a f t e einerseits, und andererseits auf B e v o r w o r t u n g der billigen Freiheit f ü r dasjenige, w a s sich neu zu differenziiren im Begriff steht.
mik müssen streben diese zu bestimmen./ §61 -* — / § 62 S. 21, §§ 10—11: Die ersten erscheinenden Elemente der Häresis sind Meinungen Einzelner, die der Spaltung Conventiculn. Die Principien der Polemik müssen streben, das krankhafte auch schon an diesen zu erkennen. — Eine neue Kirchenpartei erscheint zuerst eben so. Jede Kirche also, welche einen Unterschied zwischen Parthei und Schisma anerkennt, muß bestrebt sein ihn in den ersten Elementen erkennbar zu bestimmen. Dies scheint die höchste Aufgabe der Polemik. /
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Schlußbetrachtungen über die p h i l o s o p h i s c h e T h e o l o g i e .
§. 63. Beide Disciplinen, Apologetik und Polemik, wie sie sich gegenseitig ausschließen, bedingen sich auch gegenseitig.
31
Sie schließen sich aus durch ihren entgegengesezten Inhalt (vergi. §. 39. u. 5 40.) und durch ihre entgegengesezte Richtung (vergi. §. 41.). Sie bedingen sich gegenseitig, weil krankhaftes in der Kirche nur erkannt | werden kann in Bezug auf eine bestimmte Vorstellung von dem eigenthümlichen Wesen des Christenthums, und weil zugleich bei den Untersuchungen, durch welche diese Vorstellung begründet wird, auch die krankhaften Erscheinungen 10 vorläufig mit unter das Gegebene aufgenommen werden müssen, welches bei dem kritischen Verfahren zum Grunde gelegt werden muß. §. 64. Beide Disciplinen können daher nur durcheinander und mit einander zu vollkommener Entwikkelung gelangen. Eben deshalb nur durch Annäherung und nur nach mancherlei Umgestal- 15 tungen. Vergi. §. 51. indem das dort gesagte auch für die Polemik gilt. §. 65. Die philosophische Theologie sezt zwar den Stoff der historischen als bekannt voraus, begründet aber selbst erst die eigentlich geschichtliche Anschauung des Christenthums.
32
Jener Stoff ist das Gegebene (vergi. §. 32.) welches sowol den Untersuchun- 20 gen über das eigenthümliche Wesen des Christenthums als auch denen über den Gegensaz des Gesunden und Krankhaften (vergi. §. 35.) zum Grunde liegt. Das Resultat dieser Untersuchungen bestimmt aber erst den Entwiklungswerth der einzelnen Momente, mithin die geschichtliche Anschauung des ganzen Verlaufs. 25 §. 66. Die philosophische Theologie und die praktische stehen auf der einen Seite gemeinschaftlich der historischen gegenüber, auf der andern Seite aber auch eine der andern. |
6 41.).] 41.) §63 -» S. 22, § 1: Die Principien der Apologetik und Polemik bedingen sich gegenseitig, wie ihre Gebiete sich ausschließen. / §64 —/ § 65 ->• S. 22, § 2: Die philosophische Theologie sezt das materiale der historischen voraus, begründet aber selbst das Urtheil über das Einzelne und also die gesamte geschichtliche Anschauung des Christenthums. / §66~* S. 22, § 3: Der philosophische Theil der Theologie und der praktische stehen zusammen dem historischen entgegen, weil sie beide unmittelbar auf Ausübung gerichtet
I. Teil: Philosophische
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Theologie
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Jenes, weil die beiden ersten unmittelbar auf die Ausübung gerichtet sind, die historische Theologie aber rein auf die Betrachtung. Denn wenn gleich Apologetik und Polemik allerdings Theorien sind, von denen man apologetische und polemische Leistungen wol zu unterscheiden hat: so vollenden sie doch erst in diesen ihre Bestimmung, und werden nur um dieser willen aufgestellt. — Beide aber stehen einander gegenüber, theils als erstes und leztes, indem die philosophische Theologie erst den Gegenstand fixirt, den die praktische zu behandeln hat, theils weil die philosophische sich an rein wissenschaftliche Constructionen anschließt, die praktische hingegen in das Gebiet des Besonderen und Einzelnen als Technik eingreift.
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§. 6 7 . D a die philosophische T h e o l o g i e eines Jeden wesentlich die Principien seiner gesammten theologischen Denkungsart in sich schließt: so m u ß auch jeder T h e o l o g e sie ganz für sich selbst produciren. 15
20
Hiedurch soll keinesweges irgend einem Theologen benommen werden sich zu einer von einem anderen herrührenden Darstellung der philosophischen Theologie zu bekennen; nur muß sie von Grund aus als klare und feste Ueberzeugung angeeignet sein. Vornehmlich aber wird gefordert, daß die philosophische Theologie in Jedem ganz und vollständig sei, ohne für diesen Theil den in §. 14—17. gemachten Unterschied zu berücksichtigen; weil nämlich hier alles grundsäzlich ist, und jedes auf das genaueste mit allem zusammenhängt. Daß aber alle theologischen Principien in diesem Theile des Ganzen ihren Ort haben, geht aus §. 65. und 66. unmittelbar hervor. | §. 6 8 . Beide Disciplinen der philosophischen T h e o l o g i e sehen ihrer Ausbildung noch entgegen.
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Die Thatsache begreift sich zum Theil schon aus den hier aufgestellten Verhältnissen. Theils auch bezog man einerseits die Apologetik zu genau
26—2 Schleiermacher denkt an die in der Zeit der Christenverfolgungen durch den römischen Staat im 2. Jh. entstandenen Apologien (vgl. z. B. Justin der Märtyrer: Apologia ad Antoninum Pium und Apologia pro Christianis ad Senatum Komanum, Opera omnia, Mauriner-Ausgabe, Paris 1742, S. 44-88. 88-98; Apologies, ed. A. Wartelle, Paris 1987), nach ThEnz (Strauß) S. 73 auch an Orígenes (De principiis, Opera omnia, hg. v. C. Delasind, jener aber nur auf Betrachtung. Sie stehen einander selbst entgegen als erstes und leztes, indem durch jenen erst der Gegenstand für diesen fixirt wird, und indem jener sich an die höchste wissenschaftliche Construction anschließt, dieser das besonderste der Technik in sich faßt. / §67 S. 22, §4 — S. 23, § 5: Da der philosophische Theil die beiden andern bedingt, selbst aber nichts enthält, was jemand nur von Andern überkommen könnte: so giebt es in ihm nicht allgemeines und besonderes zu trennen: sondern Jeder muß ihn ganz besizen, und selbst für sich erzeugt haben. — Die philosophische Theologie eines Jeden enthält die gesamten Principien seiner theologischen Denkungsart. / §68 S. 23, § 6: Es ist natürlich, daß sie eben deshalb nicht leicht zu einer förmlichen theologischen Disciplin wird ausgebildet werden. /
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u n d ausschließend auf die eigentlich apologetischen Leistungen, zu denen sich die Veranlassungen n u r von Zeit zu Zeit ergaben, wogegen die hieher gehörigen Säze nicht o h n e b e d e u t e n d e n Nachtheil f ü r die klare Uebersicht des ganzen Studiums in den Einleitungen zur D o g m a t i k ihren O r t f a n d e n . Erst in der neuesten Zeit h a t m a n a n g e f a n g e n sie in ihrer allgemeineren A b z w e k k u n g u n d ihrem w a h r e n U m f a n g e nach wieder besonders zu bearbeiten. Die Polemik andererseits h a t t e , vorzüglich weil m a n ihre R i c h t u n g v e r k a n n t e , schon seit g e r a u m e r Zeit a u f g e h ö r t als theologische Disciplin bearbeitet u n d überliefert zu w e r d e n .
rue, Bd. 1-4, Paris 1733-1759, Bd. 1, S. 47-195; SC 252-253. 268-269) und die in der altkirchlich-apologetischen Tradition stehenden Verteidigungsschriften, die als Reaktion auf Anfeindungen und Infragestellungen des Christentums durch bestimmte Ausprägungen der beginnenden Aufklärung und des sich formierenden neuzeitlichen Atheismus im 17. und früheren 18. Jh. entstehen (vgl. ζ. B. Robert Barclay: Theologiae vere christianae apologia, Amsterdam 1676; Hugo Grotius: De veritate religionis christianae, 2. Aufl., Amsterdam 1669; Jean Alphonse Turretini: Traité de la vérité de la religion chrétienne, tiré en partie du latin [par J. Vernet], Bd. 1-3, Genf 1730-1747). 2 - 4 Vgl. ζ. Β. Ludwig Friedrich Otto Baumgarten-Crusius: Einleitung in das Studium der Dogmatik, Leipzig 1820; Karl Gottlieb Bretschneider: Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, Bd. 1—2, Leipzig 1814—1818, Bd. 1, S. 1 — 7; Friedrich Fischer: Zur Einleitung in die Dogmatik der evangelisch-protestantischen Kirche, oder Über Religion, Offenbarung und Symbol. Ein Beitrag zu endlicher Beilegung des Streits zwischen Rationalismus und Supernaturalismus, Tübingen 1828, S. 1—24; Franz Volkmar Reinhard: Vorlesungen über die Dogmatik mit literarischen Zusätzen, hg. v. J. G. Berger, 4. Aufl., vermehrt ν. Η. A. Schott, Sulzbach 1818, S. 3—16; Eberhard Heinrich Daniel Stosch: Introductio in theologiam dogmaticam, Frankfurt a.d.O. 1778, S. 7—35; Julius August Ludwig Wegscheidel Institutiones theologiae christianae dogmaticae, 6. Aufl., Halle 1829, S. 1—66; Wilhelm Martin Leberecht de Wette: Lehrbuch der christlichen Dogmatik, in ihrer historischen Entwickelung dargestellt, Bd. 1-2, 2. Auflage Berlin 1818-1821, Bd. 1, S. 1-4. Auch Schleiermacher selbst nimmt in der Einleitung seiner,Glaubenslehre' — methodisch reflektiert als Lehnsätze' - Elemente der Apologetik auf (vgl. CG2 §§ 11-14). 5-7 Vgl. Karl Heinrich Sack: Christliche Apologetik. Versuch eines Handbuchs, Hamburg 1829.
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Z w e i t e r Theil.
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Von der historischen Theologie.
Einleitung.
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§. 6 9 . Die historische Theologie (vergi. §. 2 6 . ) ist ihrem Inhalte nach ein Theil der neuern Geschichtskunde; und als solchem sind ihr alle natürlichen Glieder dieser Wissenschaft coordinirt. Sie gehört vornehmlich der innern Seite der Geschichtskunde, der neueren Bildungs- und Sittengeschichte an, in welcher das Christenthum offenbar eine eigene Entwiklung eingeleitet hat. Denn dasselbe nur als eine reine Quelle von Verkehrtheiten und Rükkschritten darstellen, ist eine veraltete Ansicht. §. 7 0 . Als theologische Disciplin ist die geschichtliche Kenntniß des Christenthums zunächst die unnachläßliche Bedingung alles besonnenen Einwirkens auf die weitere Fortbildung desselben; und in diesem Z u s a m menhange sind ihr dann die übri|gen Theile der Geschichtskunde nur dienend untergeordnet. Hieraus ergiebt sich schon wie verschieden das Studium und die Behandlungsweise derselben Masse von Thatsachen ausfallen, wenn sie ihren Ort in unserer theologischen Disciplin haben, und wenn in der allgemeinen
9 - 1 1 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 76. 5 69 -» S. 24, § 1 : Ihrem Inhalt nach ist die historische Theologie ein Theil der neueren Geschichte, vorzüglich der Sitten und Bildungsgeschichte, und allen übrigen natürlichen Gliedern derselben coordinirt. / §70 S. 24, § 3: Als theologische Disciplin ist die geschichtliche Kentniß des Christenthums zunächst die unnachläßliche Bedingung alles besonnenen Einwirkens auf die Fortbildung desselben, und die übrigen Theile desselben Geschichtgebietes sind ihr nur subsidiarisch untergeordnet. Als Hülfswissenschaft eignet sie sich vorzüglich an, was zum Verständniß ihrer Documente gehört. /
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Geschichtskunde, ohne daß jedoch die Grundsäze der geschichtlichen Forschung aufhörten für beide Gebiete dieselben zu sein. §. 7 1 . Was in einem geschichtlichen Gebiet als einzelner M o m e n t hervortritt, kann entweder als plözliches Entstehen angesehen werden, oder als allmählige Entwiklung und weitere Fortbildung. In dem Gebiete des einzelnen Lebens ist jeder Anfang ein plözliches Entstehen, von da an aber alles andere nur Entwiklung. Auf dem eigentlich geschichtlichen Gebiet aber, dem des gemeinsamen Lebens, ist beides einander nicht streng entgegengesezt, und nur des mehr und minder wegen wird der eine Moment auf diese, der andere auf die entgegengesezte Weise betrachtet.
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§. 7 2 . Der Gesammtverlauf eines jeden geschichtlichen Ganzen ist ein mannigfaltiger Wechsel von M o m e n t e n beiderlei Art.
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Nicht als ob es an und für sich unmöglich wäre, daß ein ganzer Verlauf als fortgehende Entwiklung von Einem Anfangspunkte aus angesehen werden 15 könnte. Allein wir dürfen nur entweder die Kraft selbst auch als ein mannigfaltiges ansehen können, dessen Elemente nicht alle gleichzeitig zur Erscheinung kommen, oder wir | dürfen nur in der Entwiklung selbst Differenzen schnellerer und langsamerer Fortschreitung wahrnehmen können, [Zu §§71~78]
§ 71—78 gehören in allgemeine historische Propädeutik.
[Zu §§ 71 — 73]
§ 71—73 sind Längen Differenzen.
[Zu §71]
Moment = qualitative Einheit von Zeiterfüllung
[Zu § 71 Erl] [Zu §72]
Im einzelnen auch nur relativ
Also die plözlichen als Entwiklungsknoten
22 von]ν 21 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 77. 22 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 78. 23 Der Bezug ist der Gegensatz von einzelnem und gemeinsamem Leben; vgl. ThEnz (Strauß) S. 78. §71 -» S. 25, § 4: Alles, was als ein Einzelnes im Gebiet der Geschichte hervortritt, kann angesehen werden, entweder als plözliches Entstehen oder als allmählige Fortbildung und Entwikkelung. / §71 Erl S. 25, § 5: Beide Ansichten sind aber einander nur relativ entgegengesezt, so daß jeder Zustand nur ein Uebergewicht ist, des einen von beiden über das andere. / §72-* S. 25, § 6: Der Verlauf eines geschichtlichen Ganzen ist ein vielfacher Wechsel beider Zustände. /
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II. Teil: Historische Theologie
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und nicht leicht wird eines von beiden fehlen: so sind wir schon genöthigt Zwischenpunkte von dem entgegengesezten Charakter anzunehmen.
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§. 73. Eine Reihe von Momenten, in denen ununterbrochen die ruhige Fortbildung überwiegt, stellt einen geordneten Zustand dar, und bildet eine geschichtliche Periode; eine Reihe von solchen, in denen das 36 plözliche Entstehen überwiegt, stellt eine zerstörende Umkehrung der Verhältnisse dar, und bildet eine geschichtliche Epoche. Je länger der leztere Zustand dauerte, um desto weniger würde die Selbigkeit des Gegenstandes festgehalten werden können, weil aller Gegensaz zwischen bleibendem und wechselndem aufhört. Daher je länger der Gegenstand als einer und derselbe feststeht, um desto mehr überwiegen die Zustände der ersten Art.
§. 74. Jedes geschichtliche Ganze läßt sich nicht nur als Einheit betrachten, sondern auch als ein zusammengeseztes, dessen verschiedene 15 Elemente, wenn gleich nur in untergeordnetem Sinn und in fortwährender Beziehung auf einander, jedes seinen eignen Verlauf haben.
20
Solche Unterscheidungen bieten sich überall unter irgend einer Form dar; und sie werden mit desto größerem Recht hervorgehoben, je mehr der eine Theil zu ruhen scheint, während der andere sich bewegt, und also beide relativ unabhängig von einander erscheinen. |
§. 75. Es giebt daher um das unendliche Materiale eines geschichtli- 37 chen Verlaufs zu übersichtlicher Anschaulichkeit zusammenzufassen ein zwiefaches Verfahren. Entweder man theilt den ganzen Verlauf nach Maaßgabe der sich ergebenden revolutionären Zwischenpunkte in meh25 rere Perioden, und faßt in jeder alles, was sich an dem Gegenstande begeben hat, zusammen; oder man theilt den Gegenstand der Breite nach, so daß sich mehrere parallele Reihen ergeben, und verfolgt den Verlauf einer jeden besonders durch die ganze Zeitlänge. 30
Natürlich lassen sich auch beide Eintheilungen verbinden, indem man die eine der andern unterordnet, so daß entweder jede Periode in parallele Reihen getheilt, oder jede Hauptreihe für sich wieder in Perioden zerschnitten wird. Das darstellende Verfahren ist desto unvollkommener, je mehr
§ 73 S. 25, § 7: Ein Zeitraum, in welchem das ruhige Fortbilden überwiegt, stellt einen gesezmäßigen Zustand dar, und bildet eine geschichtliche Periode. Ein solcher, in welchem das plözliche Entstehen überwiegt, stellt einen Wechsel oder Umkehrung der Verhältnisse, eine Revolution dar, und bildet eine geschichtliche Epoche. / §74 -* — / § 75 S. 26, §11: Um das unendlich mannigfaltige Materiale der Geschichte zur Anschaulichkeit zusammenzufassen, giebt es ein zwiefaches Verfahren. Man theilt die Zeit und faßt alles zusammen, was in einer gewissen Zeiteinheit geschehen ist, oder man theilt den Inhalt und faßt alles zusammen, was in der gesamten Zeit je einen einzelnen Theil betrift. /
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bei diesen Eintheilungen willkührlich verfahren wird, oder je mehr man dabei wenigstens nur Aeußerlichkeiten zum Grunde legt. §. 7 6 . Ein geschichtlicher Gegenstand postulirt überwiegend die erste Theilungsart, je weniger unabhängig von einander seine verschiedenen Glieder sich fortbilden, und je stärker dabei revolutionäre Entwiklungsknoten hervorragen; und wenn umgekehrt dann die andere.
5
Denn in lezterem Falle ist eine ursprüngliche Gliederung vorherrschend, im ersten eine starke Differenz im Charakter verschiedener Zeiten. | 38
§. 7 7 . Je stärker in einem geschichtlichen Verlauf der Gegensaz zwischen Perioden und Epochen hervortritt, um desto schwieriger ist es in Darstellung der lezteren, aber desto leichter in der der ersteren, die verschiedenen Elemente (§. 7 4 . ) von einander zu sondern. Denn in Zeiten der Umbildung ist alle Wechselwirkung lebendiger und alles einzelne abhängiger von einem gemeinsamen Impuls; wogegen der ruhige Verlauf das Hervortreten der Gliederung begünstigt.
38
§. 7 8 . Da nicht nur im allgemeinen der Gesamtverlauf aller menschlichen Dinge, sondern auch in diesem die ganze Folge von Aeußerungen einer und derselben Kraft Ein Ganzes bildet: so kann jedes Hervortreten eines kleineren geschichtlichen Ganzen auf zwiefache Weise angesehen werden, einmal als Entstehen eines neuen noch nicht dagewesenen, dann aber auch als Ausbildung eines schon irgendwie vorhandenen. Dies erhellt schon aus §. 71. Was während des Zeitverlaufs in Bezug auf alles schon neben ihm fortlaufende allerdings als ein neues zu betrachten ist, kann doch mit irgend einem früheren Moment auf genauere Weise als mit allen übrigen zusammengehören. §. 7 9 . So kann auch der Verlauf des Christenthums auf der einen Seite behandelt werden als eine einzelne Periode eines Zweiges der reli-
§76~> S. 27, § 12: In dem Gegenstand selbst ist das erste immer gegeben durch die Umkehrung der innern Verhältnisse, woraus die Epochen sich bilden, und das lezte durch die Art, wie die Kraft selbst, deren Aeußerungen betrachtet werden, sich darin ursprünglich theilt und gliedert./ §77 -> S. 27, § 13: Während des ruhigen Fortschreitens lassen sich die coexistirenden organischen Theile des Ganzen leichter gesondert in ihrer relativen Selbständigkeit betrachten; in Zeiten der Umbildung hingegen ist alle Wechselwirkung lebendiger, und jedes einzelne abhängiger von dem gemeinsamen Zustande. Daher eignet sich die eine Darstellungsart im Allgemeinen mehr für die Perioden, die andere für die Epochen. / §78 -+ S. 26, § 8: Da die Geschichte überhaupt, und so auch besonders die ganze Folge von Thätigkeiten Einer Kraft nur Ein Ganzes bildet: so kann jeder erste Zustand eines kleineren geschichtlichen Ganzen zwiefach angesehen werden, als Entstehen eines neuen und als Ausbildung eines schon da gewesenen. / §79 S. 26, § 9: Die Geschichte des Christenthums läßt sich ansehen als eine einzelne Periode in der Religionsgeschichte überhaupt. Aber es läßt sich auch ansehn, als ein eignes geschichtliches Ganzes, sein An-
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II. Teil: Historische
Theologie
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giösen Entwiklung; dann aber auch als ein besonders geschichtliches Ganzes, das als ein neues | entsteht, und abgeschlossen für sich in einer 39 Reihe durch Epochen getrennter Perioden verläuft. 5
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Daß hier ausdrüklich nur von einem Zweige der religiösen Entwiklung die Rede ist, geht auf §. 74. zurükk. Wie man die große Mannigfaltigkeit religiöser Gestaltungen auch gruppire, immer werden einige auch zum Christenthum ein solches näheres Verhältniß haben, daß sie eine Gruppe mit demselben bilden können.
§. 80. Die historische Theologie, wie sie sich als theologische Disciplin ganz auf das Christenthum bezieht, kann sich nur die lezte Behandlungsweise aneignen. Man vergleiche §. 69. und 70. Außerdem aber könnte der christliche Glaube nicht sein, was er ist, wenn die Grundthatsache desselben nicht ausschließend als ein ursprüngliches gesezt wird.
15
§. 81. Von dem constitutiven Princip der Theologie aus den geschichtlichen Stoff des Christenthums betrachtet, steht in dem unmittelbarsten Bezug auf die Kirchenleitung die geschichtliche Kenntniß des gegenwärtigen Momentes, als aus welchem der künftige soll entwikkelt 39 werden. Diese mithin bildet einen besonderen Theil der historischen 20 Theologie. Um richtig und angemessen sowol auf gesundes und krankes einzuwirken als auch zurükkgebliebene Glieder nachzufordern, und um aus fremden Gebieten anwendbares für das eigene zu benuzen.
§. 82. Da aber die Gegenwart nur verstanden werden kann als Er25 gebniß der Vergangenheit: so ist die Kenntniß des gesammten früheren 40 Verlaufs ein zweiter Theil der historischen Theologie.
30
Dies ist nicht so zu verstehen, als ob dieser Theil etwa eine Hülfswissenschaft wäre für jenen ersten; sondern beide verhalten sich auf dieselbe Weise zur Kirchenleitung, und sind einander nicht untergeordnet sondern beigeordnet.
§. 83. Je mehr ein geschichtlicher Verlauf in der Verbreitung begriffen ist, so daß die innere Lebenseinheit je weiter hin desto mehr nur im
fang als eine Entstehung, und sein ganzer Verlauf, als eine Reihe durch Epochen getrennter Perioden. / §80 -* S. 26, § 10: Die historische Theologie, als mit ihrem ganzen Zweck innerhalb des Christenthums stehend, faßt die leztere Ansicht auf./ § 81 S. 27, $ 14: Für das organische Princip der Theologie ist das unmittelbarste die Kentniß des gegenwärtigen Momentes, an welchen der künftige soll geknüpft werden. Diese wird also auch besonders herausgehoben. / § 82 S. 28, § 15: Da aber die Gegenwart nur kann verstanden werden als Resultat der Vergangenheit: so sezt jene Darstellung die Kentniß von dieser voraus. / § 83 S. 28, §§16—17: Da jeder geschichtliche Verlauf die weitere
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Kurze Darstellung
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Zusammenstoß mit andern Kräften erscheint: um desto mehr haben diese auch Theil an den einzelnen Zuständen; so daß nur in den frühesten das eigenthümliche Wesen am reinsten zur Anschauung kommt. Auch das gilt eben so von allen verwandten geschichtlichen Erscheinungen, und ist der eigentliche Grund warum so viele Völker mißverständlich die früheste Periode des Lebens der Menschheit als die Zeit der höchsten Vollkommenheit ansehen.
5
§. 84. Da nun auch das christliche Leben immer zusammengesezter und verwikkelter geworden ist, der lezte Zwekk seiner Theologie aber darin besteht, das eigenthümliche Wesen desselben in jedem künftigen 10 40 Augenblikk reiner darzustellen: so hebt sich natürlich die Kenntniß des Urchristenthums als ein dritter besonderer Theil der historischen Theologie hervor. 41
Allerdings ist auch das Urchristenthum schon in dem Gesamtverlauf mit enthalten; allein ein anderes ist, es als | eine Reihe von Momenten zu behandein, und ein anderes nur dasjenige zur Betrachtung zu ziehen, auch aus verschiedenen Momenten, woraus der reine Begriff des Christenthums dargestellt werden kann.
15
§. 85. Die historische Theologie ist in diesen drei Theilen, Kenntniß des Urchristenthums, Kenntniß von dem Gesamtverlauf des Christen- 20 thums und Kenntniß von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblikk, vollkommen beschlossen. [Zu § 85]
Warum andere ähnliche Gebiete den kanonischen Theil nicht haben
5—7 Vgl. dazu auch Philipp Buttmann: Ueber den Mythos von den ältesten Menschengeschlechtern, in: ders.: Mythologus oder gesammelte Abhandlungen über die Sagen des Alterthums, Bd. 1-2, Berlin 1828-1829, Bd. 2, S. 1-27. 23 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 87 f. Entwiklung einer Kraft darstellt in ihrem Zusammensein mit andern: so wächst mit der Zeit auch die Einwirkung von diesen, und es wird schwieriger die ursprüngliche Kraft in der Aeußerung rein anzuschauen. — Aus demselben Grunde erscheint diese Kraft am reinsten in ihren frühesten Aeußerungen. / § 84 -» S. 28, §18: Da es der lezte Zwek aller Theologie ist, das Wesen des Christenthums in jedem künftigen Augenblik reiner darzustellen: so muß sie auch dasjenige, worin es am reinsten anzuschauen ist, besonders herausheben. / §85 -* S. 28, § 19: Die historische Theologie theilt sich demnach in die Kenntniß von dem Anfang des Christenthums, in die Kenntniß von seinem weiteren Verlauf, und in die Kenntniß von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblikk. /
II. Teil: Historische
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Theologie
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173
Nur ist nicht die Ordnung, in welcher wir sie abgeleitet haben, auch die richtige für das Studium selbst. Sondern die Kenntniß des Urchristenthums als zunächst der philosophischen Theologie sich anschließend, ist das erste, und die Kenntniß des gegenwärtigen Augenblikks, als unmittelbar den Uebergang in die praktische Theologie bildend, ist das lezte.
§. 86. Wie für jeden Theil der Geschichtskunde alles Hilfswissenschaft ist, was die Kenntniß des Schauplazes und der äußeren Verhältnisse des Gegenstandes erleichtert, und was zum Verstehn der Monumente aller Art gehört: so zieht auch die historische Theologie zunächst 10 die übrigen Theile desselben Geschichtsgebietes (vergi. S· 40.) dann aber noch alles was zum Verständniß der Documente gehört, als Hülfswissenschaft herbei. Diese Hülfskenntnisse sind mithin theils historisch im engeren Sinn, theils geographisch, theils philologisch.
15
§. 87. Das Urchristenthum ist in Bezug auf jene normale Behänd- 41 lung desselben gegen den wei|teren geschichtlichen Verlauf nicht füglich 42 anders abzugrenzen, als daß unter jenem der Zeitraum verstanden wird, worin Lehre und Gemeinschaft in ihrer Beziehung auf einander erst wurden, und noch nicht in ihrer Abschließung schon waren.
20
[Zu § 85 Erl] Diese Ordnung gilt nicht nur für die künftige Zeit der ausgebildeten philosophischen Theologie. Auch ohnerachtet diese in die Dogmatik verlegt ist. [Zu § 87]
Abgrenzung der ersten Disciplin
21 philosophischen] philos. 2 0 - 2 2 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 88 f. § 85 Erl ~> S. 30, §24 + S. 31, § 29: Die exegetische Theologie reiht sich zunächst an die philosophische an, und ist unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der erste. — Die Kenntniß des gegenwärtigen Augenbliks ist, da sie sich zunächst an die Ausübung anknüpft, unter allen Theilen der historischen Theologie für das Studium der lezte. / §86 -» S. 24, § 2: Für jede Geschichte ist alles Hülfswissenschaft, was die Kentniß des Schauplazes oder der äußeren Verhältnisse des Gegenstandes erleichtert, oder zum Verstehen der Monumente nöthig ist. / §87 S. 29, §§ 20-22: Wenn der Gegenstand der historischen Theologie organisch getheilt (11. 12.) werden soll: so sondern sich zunächst Lehrbegriff und Kirchenverfassung. (I. Erst. Abschn. 3.) — Das entstehende Christenthum, Urchristenthum, umfaßt nur die Zeit, wo beide erst wurden, also nicht abgesondert von einander schon waren. — Wird es noch besonders der theologischen Idee gemäß
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
Auch diese Bestimmung jedoch könnte leicht zu weit ausgedehnt werden, weil Lehre und Gemeinschaft in Bezug auf einander immer im Werden begriffen bleiben; und eine feste Grenze entsteht zunächst nur, wenn man jede Zeit ausschließt, in der es schon Differenz der Gemeinschaft um einer Differenz der Lehre willen gab. Aber auch zu enge Schranken könnte man unserer Bestimmung geben, wenn man davon ausgeht, daß schon seit dem Pfingsttage eine abgeschlossene Gemeinschaft bestand; und eine angemessene Erweiterung entsteht nur, wenn man bevorwortet, die eigentlich christliche Gemeinschaft sei erst abgeschlossen worden, als mit Bewußtsein und allgemeiner Anerkennung Juden und Heiden in derselben vereint waren, und ähnliches gilt auch von der Lehre. So treffen beide Bestimmungen ziemlich zusammen mit der mehr äußerlichen des Zeitalters der unmittelbaren Schüler Christi. §. 88. Da die für den angegebenen Zwekk auszusondernde Kenntniß des Urchristenthums nur aus den schriftlichen Documenten, die in diesem Zeitraum der christlichen Kirche entstanden sind, kann gewonnen werden, und ganz auf dem richtigen Verständniß dieser Schriften beruht: so führt diese Abtheilung der historischen Theologie auch ins besondere den Namen der exegetischen Theologie. | 43; 42
5
10
15
Da auch in den andern beiden Abtheilungen das Meiste auf Auslegung 20 beruht: so ist die Benennung allerdings willkührlich, aber doch wegen des eigenthümlichen Werthes dieser Schriften leicht zu rechtfertigen. §. 89. Da wegen schen Theologie, als selbst bilden muß: so den Virtuosen (vergi.
des genauen Zusammenhanges mit der philosophidem Ort aller Principien, Jeder seine Auslegung giebt es auch hier nur weniges, was man sich von 25 §. 17. u. 19.) kann geben lassen.
Vorzüglich nur dasjenige, was zur Auslegung aus den Hülfswissenschaften herbeigezogen werden muß. §. 90. Die Kenntniß von dem weiteren Verlauf des Christenthums kann entweder als Ein Ganzes aufgestellt werden, oder auch getheilt in 30 die Geschichte des Lehrbegriffs und in die Geschichte der Gemeinschaft.
15 Documenten] Dorumenten als reinster Repräsentant des christlichen Princips (17. 18.) angesehen: so kann die Betrachtung nicht nach jenen Theilen zerfallen; sondern nur wenn man es als einen frühern Moment gleichartig mit den folgenden betrachtet. / §88 S. 29, § 23: Die für jenen Zwekk ausgesonderte Kenntniß des Urchristenthums ist in den wenigen schriftlichen Documenten enthalten, welche den Kanon bilden, und beruht vornemlich auf deren richtigem Verständniß. Daher der Namen exegetische Theologie. / § 89 -* S. 30, § 25: Ihrer Natur nach hat der Unterschied des Allgemeinen und Besonderen (Einl. 20.) in ihr den kleinsten Spielraum. / §90 -* S. 30, § 27: Der Breite nach sondert sie sich in die Geschichte des
II. Teil: Historische Theologie
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Weil nehmlich die Geschichte des Lehrbegriffs nichts anderes ist als die Entwikklung der religiösen Vorstellungen der Gemeinschaft. Sowol die Vereinigung von beiden, als auch die Geschichte der Gemeinschaft besonders dargestellt, führt den Namen Kirchengeschichte; so wie die des Lehrbegriffs besonders den Namen Dogmengeschichte.
§.91. Sowol beide Zweige zusammen als auch jeder für sich allein, stellen der Länge nach betrachtet einen ununterbrochenen Fluß dar, in welchem jedoch vermittelst der Begriffe von Perioden und Epochen (vergi. §. 73.) Entwiklungsknoten gefunden werden können, um die Unit) terschiede | zu fixiren zwischen solchen Punkten, welche durch eine Epo- 44 che geschieden sind, und also verschiedenen Perioden angehören, so wie auch zwischen solchen, die zwar innerhalb derselben zwei Epochen lie- 43 gen, so jedoch daß der eine mehr das Ergebniß der ersten enthält, der andere mehr als eine Vorbereitung der zweiten erscheint. 15
Denkt man sich dazwischen noch Punkte, welche in einer Periode das Größte der Entwiklung ihrer Anfangsepoche enthalten, aber noch den Nullpunkt der Schlußepoche darstellen: so giebt dieses durch beide Zweige und durch alle Perioden durchgeführt, ein Nez der werthvollesten Momente.
20
§. 92. Da der Gesammtverlauf des Christenthums eine Unendlichkeit von Einzelheiten darbietet: so ist hier am meisten Spielraum für den Unterschied zwischen dem Gemeinbesiz und dem Besiz der Virtuosen.
25
Jenes Nez bis zu einem Analogon von Stätigkeit im Umriß vollzogen, ist das Minimum, welches Jeder besizen muß; die Erforschung und Ausführung des einzelnen ist, auch unter Viele vertheilt, ein unerschöpfliches Gebiet. [Zu § 91, Zeile 8 vermittelst/
durch Anwendung
27 durch Anwendung] Im Drucktext ist vermittelst durch handschriftliche als Bezugspunkt der Marginalie ausgewiesen.
Unterstreichung
Lehrbegriffs und die Geschichte der Verfassung. (20.) / §91 S. 30, § 28: Der Länge nach stellt jede von diesen einen ununterbrochenen Fluß dar, in welchem sich nur nach den Begriffen von Perioden und Epochen (7.) feste Punkte bilden, an denen man die Unterschiede fixiren kann zwischen mehreren Punkten, die durch Epochen geschieden sind, und zwischen mehreren, die zwar zu Einer Periode gehören, aber so, daß der eine mehr das Resultat der vorhergegangenen Epoche darstellt, der andere mehr die folgende vorbereitet. / §92 -* S. 30, § 26: Die Darstellung von dem weitern Verlauf des Christenthums, oder die eigentliche Geschichte desselben, enthält eine Unendlichkeit von Einzelheiten. Daher ist in ihr der Gegensaz zwischen dem Allgemeinen und Besondern am größesten./
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 93. Nicht jeder Moment eignet sich gleich gut dazu als ein in sich zusammenhangendes Ganze dargestellt zu werden; sondern am meisten der Culminationspunkt einer Periode, am wenigsten ein Punkt während einer Epoche oder in der Nähe derselben. | 45
Während einer Umkehrung kann immer nur einzelnes abgesondert, und 5 nicht leicht anders als in der Form des Streites, zur Erörterung kommen. Nahe an einer Epoche kann zwar das Bedürfniß einer zusammenhangenden Darstellung sich schon regen, die Versuche können aber nicht anders als unvollständig ausfallen. Dies zeigt sich auch sowol in den ersten Anfängen der Kirche nach der apostolischen Zeit, als auch bei uns in den ersten 10 Zeiten der Reformation.
§. 94. In solchen Zeiten w o der Aufgabe genügt werden kann, son44 dert sich dann von selbst Darstellung der Lehre und Darstellung des gesellschaftlichen Zustandes. Denn wenn sich auch dasselbe eigenthümliche Wesen der Kirche oder einer 15 partiellen Kirchengemeinschaft in beiden ausspricht: so hängen doch beide von zu verschiedenen Coefficienten ab, als daß nicht ihre Veränderungen und also auch der momentane Zustand beider ziemlich unabhängig von einander sein sollte. §. 95. Die Darstellung des gesellschaftlichen Zustandes der Kirche 20 in einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der kirchlichen Statistik. Erst seit kurzem ist dieser Gegenstand in gehöriger Anordnung disciplinarisch behandelt worden, daher auch, sowol was Stoff als was Form betrifft, noch vieles zu leisten übrig ist. [Zu §93]
Hier beginnt die dritte Disciplin.
[Zu S 93 Erl, Zeile 7 einer Periode.
Nahe an einer Epoche]
25 Zeile 3. In den ersten Anfängen
26 Zeile] Z. 22 f Vgl. Karl Friedrich Stäudlin: Kirchliche Geographie und Statistik, Bd. 1—2, 1804; vgl. auch ThEnz (Strauß) S. 98. 25 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 96.
Tübingen
§ 93~* S. 31, § 31: Je mehr er [sc. ein geschichtlicher Moment] noch in eine Epoche verwebt ist, um desto weniger vermag er für sich, sondern nur im ganzen Zusammenhang mit dieser dargestellt zu werden./ §94 -» S. 31, §30: Je mehr ein Moment von einer Revolution entfernt ist, und das Resultat der vorhergehenden Epoche in seiner Vollendung enthält, um desto leichter sondern sich auch in seiner Darstellung Lehrbegriff und Verfassung. Auch erhellt durch diese Sonderung desto besser, inwiefern beide denselben Charakter ausdrükken. / § 95 S. 32, § 33: Die Darstellung der Verfassung der Kirche in
II. Teil: Historische
Theologie
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177
§. 9 6 . D i e A u f g a b e bleibt, a u c h w e n n eine T r e n n u n g o b w a l t e t , für alle einzelnen K i r c h e n g e m e i n s c h a f t e n d o c h wesentlich dieselbe.
5
Jede wird dann freilich ein besonderes Interesse haben | ihren eignen Zustand auf das genaueste zu kennen, und insofern wird eine Ungleichheit eintreten, die aber auch eintritt, wenn die Kirche ungetheilt ist. Es kann aber nur großen Nachtheil bringen, wenn die Lenkenden einer einzelnen Kirchengemeinschaft nicht mit dem Zustande der anderen der Wahrheit nach bekannt sind.
46
§. 9 7 . D i e z u s a m m e n h ä n g e n d e D a r s t e l l u n g d e r L e h r e wie sie zu ei10
ner gegebenen Z e i t , sei es n u n in d e r K i r c h e i m A l l g e m e i n e n , w a n n n ä m lich keine T r e n n u n g o b w a l t e t , s o n s t a b e r in einer einzelnen K i r c h e n p a r thei geltend ist, bezeichnen w i r d u r c h den A u s d r u k k D o g m a t i k
oder
dogmatische Theologie. 15
20
Der Ausdrukk Lehre ist hier in seinem ganzen Umfang genommen. Die Bezeichnung systematische Theologie, deren man sich für diesen Zweig immer noch häufig bedient, und welche mit Recht vorzüglich hervorhebt, daß die Lehre nicht soll als ein Aggregat von einzelnen Sazungen vorgetragen werden sondern der Zusammenhang ins Licht gesezt, verbirgt doch auf der anderen Seite zum Nachtheil der Sache nicht nur den historischen Charakter der Disciplin, sondern auch die Abzwekkung derselben auf die Kirchenleitung, woraus vielfältige Mißverständnisse entstehen müssen.
45
§. 9 8 . In Z e i t e n w o die K i r c h e getheilt ist, k a n n n u r jede P a r t h e i selbst ihre L e h r e d o g m a t i s c h b e h a n d e l n . 25
Weder wenn ein Theologe der einen Parthei die Lehren anderer im Zusamtnenhang neben einander behandeln wollte, würde U n p a r t e i l i c h k e i t und Gleichheit zu erreichen sein, da nur der eine Zusammenhang für ihn Wahrheit ist, der andere aber nicht; noch auch wenn er nur die seinige zusam-
1 4 - 1 6 Vgl. z.B.Nösselt: Anweisung, Bd. 2, S. 181-320; Planck: S. 393- 593; Schmidt: Encyclopädie, S. 112-147; Thym: Encyklopädie,
Einleitung, Bd. 2, S. 16S-258
einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der kirchlichen Statistik. / $96~* S. 32, § 34: Die erste [sc. die Dogmatik] bleibt ihrer Natur nach mehr in den Grenzen einer Partei stehen, die andere [sc. die Statistik] verbreitet sich ihrer Natur nach mehr über das Ganze. / $97~> S.31,$32 + S. 56, § 3: Die Darstellung des Lehrbegriffs einer Kirche oder Kirchenparthei in einem gegebenen Moment ist die Aufgabe der Dogmatik. — Diejenige theologische Disciplin, welche unter dem Namen der thetischen oder dogmatischen Theologie bekannt ist, hat es eben zu thun mit der zusammenhangenden Darstellung des in der Kirche jezt grade geltenden Lehrbegriffs. / §98 S. 32, § 34: Die erste [sc. die Dogmatik] bleibt ihrer Natur nach mehr in den Grenzen einer Partei stehen, die andere [sc. die Statistik] verbreitet sich ihrer Natur nach mehr über das Ganze. /
47
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Kurze Darstellung
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menhangend behandeln, und nur die Abweichungen der andern an gehöriger Stelle beibringen wollte, weil diese dann doch aus ihrem natürlichen Zusammenhang herausgerissen würden. Das erste geschieht dennoch, was die Hauptpunkte betrifft, unter dem Namen der Symbolik, das andere unter dem der comparativen Dogmatik.
5
§. 9 9 . B e i d e D i s c i p l i n e n , S t a t i s t i k u n d D o g m a t i k , sind e b e n f a l l s une n d l i c h , u n d s t e h e n a l s o , w a s den U n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e m G e m e i n b e siz u n d d e m G e b i e t d e r V i r t u o s i t ä t b e t r i f f t , d e r z w e i t e n
Abtheilung
gleich. Von der kirchlichen Statistik leuchtet dies ein. Aber auch im Gebiet der Dogmatik ist nicht nur jede einzelne Lehre fast ins unendliche bestimmbar, sondern auch ihre Darstellung in Bezug auf abweichende Vorstellungsarten anderer Zeiten und Oerter ist ein unendliches. 46
10
§. 1 0 0 . J e d e r m u ß s i c h , s o w o l w a s d i e K e n n t n i ß des G e s a m t v e r l a u f s als a u c h w a s d i e des v o r l i e g e n d e n M o m e n t e s b e t r i f f t , s e i n e g e s c h i c h t l i c h e
15
A n s c h a u u n g selbst bilden. Sonst würde auch die auf beiden gleichmäßig beruhende Thätigkeit in der Kirchenleitung keine selbstthätige sein. §. 1 0 1 . M ü s s e n h i e z u g e s c h i c h t l i c h e D a r s t e l l u n g e n g e b r a u c h t w e r d e n , w e l c h e n i e frei sein k ö n n e n v o n e i g e n t h ü m l i c h e n A n s i c h t e n u n d 48
20
U r t h e i l e n des D a r s t e l l e n d e n : s o m u ß a u c h j e d e r die K u n s t | b e s i z e n , a u s d e n s e l b e n d a s M a t e r i a l e f ü r s e i n e e i g e n e B e a r b e i t u n g m ö g l i c h s t rein a u s zuscheiden. Auch dieses gilt für die Dogmatik und Statistik nicht minder als für die Kirchengeschichte. §. 1 0 2 . H i s t o r i s c h e K r i t i k ist w i e f ü r d a s g e s a m m t e G e b i e t d e r G e schichtskunde, so a u c h für die historische T h e o l o g i e das allgemeine und unentbehrliche Organon.
3—5 Vgl. z. B. Gottlieb Jakob Planck: Abriß einer historischen und vergleichenden Darstellung der dogmatischen Systeme unsrer verschiedenen christlichen Hauptpartheyen, §99 -*• S. 32, § 35: Da man beide ebenfalls ins Unendliche vervollständigen kann: so stehn sie in Absicht des Gegensazes zwischen dem Allgemeinen und Besondern der eigentlichen Kirchengeschichte gleich./ § 100 -* S. 32, §36: Die geschichtliche Anschauung muß überall selbst gebildet sein, weil sonst auch die darauf beruhende Thätigkeit in der Kirche keine selbständige sein würde./ §101 -*• S. 32, §37: Geschichtliche Darstellungen können nie frei sein von eigenthümlichen Ansichten und Urtheilen des Darstellenden. Soll also jemand vermittelst derselben sich seine eigene geschichtliche Anschauung bilden: so muß er durch Kritik im Stande sein, das Materiale daraus für seine eigene Bearbeitung rein auszuscheiden. / § 102 -» S. 33, §38: Die historische Kritik ist die Vermittlerin
25
II. Teil: Historische Theologie
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Sie steht als vermittelnde Kunstfertigkeit den materiellen Hilfswissenschaften gegenüber.
Erster A b s c h n i t t . Die exegetische Theologie.
5
§. 103. Nicht alle christliche Schriften aus dem Zeitraum des Urchristenthums sind schon deshalb Gegenstände der exegetischen Theologie, sondern nur sofern sie dafür gehalten werden zu der ursprünglichen, mithin (vergi. §. 83.) für alle Zeiten normalen Darstellung des Christen- 47 thums beitragen zu können.
10
Es liegt in der Natur der Sache, und ist auch vollkommen thatsächlich begründet, daß es gleich anfangs auch unvollkommene, mithin zum Theil falsche, Auffassung also auch Darstellung des eigenthümlich christlichen Glaubens gegeben hat. |
15
[Zum Ersten Abschnitt] Inhalt § 103—115 höhere Kritik § 116-124 niedere Kritik § 125—131 Neutestamentische Sprachkunde § 132-139 Hermeneutik § 140—144 Kenntniß des Apparats § 145-148 Schluß.
20 [Zu §103]
Die Anknüpfung ist in § 83 und 84.
16 Neutestamentische] Ntest. 2. Aufl., Göttingen
1804
20 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 102.
alles wahren Aneignens auf dem Gebiet der Geschichte überhaupt, also auch der historischen Theologie. / §§ 103—104 -*• S. 33, § 2: Die Idee des Kanon ist, daß er die Sammlung derjenigen Documente bildet, welche die ursprüngliche absolut reine und deshalb für alle Zeiten normale Darstellung des Christenthums enthalten. /
180 49
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 104. Die Sammlung dieser das normale in sich tragenden Schriften bildet den neutestamentischen Kanon der christlichen Kirche. Das richtige Verständniß von diesem ist mithin die einzige wesentliche Aufgabe der exegetischen Theologie, und die Sammlung selbst ihr einziger ursprünglicher Gegenstand.
5
§. 105. In den neutestamentischen Kanon gehören wesentlich sowol die normalen Documente von der Wirksamkeit Christi an und mit seinen Jüngern, als auch die von der gemeinsamen Wirksamkeit seiner Jünger zur Begründung des Christenthums. Dies ist auch schon der Sinn der alten Eintheilung des Kanon in εύαγγέ- 10 λιον und απόστολος. Einen Unterschied in Bezug auf kanonische Dignität zwischen diesen beiden Bestandtheilen festzusezen, ist an und für sich kein Grund vorhanden. Welches doch gewissermaßen der Fall sein würde, wenn man behauptete, beide verhielten sich zu einander wie Entstehung und Fortbildung; noch mehr, wenn man der sich selbst überlassenen Wirksam- 15 keit der Jünger die normale Dignität absprechen dürfte. §. 106. Da weder die Zeitgrenze des Urchristenthums noch das Personale desselben genau bestimmt werden kann: so kann auch die äußere Grenzbestimmung des Kanon nicht vollkommen fest sein. 48 50
Für beides gemeinschaftlich, Zeit und Personen, ließe sich zwar eine feste 20 Formel für das kanonische aufstellen; | sie würde aber doch zu keiner sichern Unterscheidung über das vorhandene führen, wegen der über die Persönlichkeit mehrerer einzelner Schriftsteller obwaltenden Ungewißheit. §. 107. Diese Unsicherheit ist ein Schwanken der Grenze zwischen dem Gebiet der Schriften apostolischer Väter und dem Gebiet der kano- 25 nischen Schriften.
10 £ In seiner „Einleitung ins neue Testament" verweist Schleiermacher auf Thaumaturgos und Orígenes als älteste Zeugen für die Einteilung in Evangelium
Gregorius und Apo-
§104 Erl S. 33, § 1: Die exegetische Theologie als besondere Disciplin kann sich nur auf die Idee des Kanon beziehen. / §105 S. 34, § 6: Er enthält wesentlich die Documente von dem Zusammensein Christi mit seinen Jüngern, und die von dem Zusammenwirken der Jünger zur Gründung des Christenthums. / § 105 Erl —• S. 34, § 7: Durch das Zusammensein dieser beiden Theile im Kanon ist schon die Unzertrennlichkeit des Entstehens und der Fortbildung auch in Bezug auf diese Idee gesezt. / § 106 -» S. 34, § 5: Da Entstehen und Fortbilden (II. Einl. 5.) unmerklich in einander übergehn, und der Anfang auch als ein früherer Punkt in der Fortbildung und nach den Gesezen dieser kann betrachtet werden: so muß die Erscheinung des Kanon, welche nur die Documente der Entstehungszeit enthalten kann, nothwendig schwanken. / § 107 -* S. 35, § 8: Die Zeit der apostolischen Väter liegt zwischen der w o der Kanon wurde, und der wo der Kanon war. Die Grenze zwischen ihnen und dem zweiten Theil des Kanon kann schwanken. /
II. Teil: Historische Theologie
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Denn das Zeitalter der apostolischen Väter liegt zwischen dem, in welchem der Kanon erst anfing zu werden, und dem in welchem er schon abgesondert bestand. Und der Ausdrukk apostolische Väter ist hier in solchem Umfang zu verstehen, daß die Unsicherheit den ersten Theil des Kanon eben so trifft wie den zweiten. §. 108. Da auch der Begriff der normalen Dignität nicht k a n n auf unwandelbar feste Formeln gebracht werden: so läßt sich auch aus innern Bestimmungsgründen der Kanon nicht vollkommen sicher umschreiben.
10
15
Wenn wir zum normalen Charakter der einzelnen Säze auf der einen Seite die vollkommene Reinheit rechnen, auf der andern die Fülle der daraus zu entwikkelnden Folgerungen und Anwendungen: so haben wir nicht Ursache die erste anderswo als nur in Christo schlechthinig anzunehmen, und müssen zugeben, daß auch auf die zweite bei allen Anderen die natürliche Unvollkommenheit hemmend einwirken konnte. §. 109. Christliche Schriften aus der kanonischen Zeit, welchen wir die normale Dignität absprechen, bezeichnen wir durch den Ausdrukk Apo|kryphen, und der Kanon ist also auch gegen diese nicht vollkommen 51 fest begrenzt.
20
Die meisten neutestamentischen Apokryphen führen diesen Namen freilich 49 nur, weil sie dafür genommen wurden, oder dafür gelten wollten, der kanonischen Zeit anzugehören. Der Ausdrukk selbst ist in dieser Bedeutung willkührlich, und würde besser mit einem andern vertauscht.
§. 110. Die protestantische Kirche m u ß Anspruch darauf machen 25 in der genaueren Bestimmung des Kanon noch immer begriffen zu sein; [Zu § 109, Zeile 16 Christliche Schriften/ welche der kanonischen Zeit angehören oder sie in Anspruch nehmen, denen wir aber die perge
26f welche ... perge] Im Drucktext ist nach Christliche Schriften durch einen senkrechten handschriftlichen Strich der Ort für die Marginalie gekennzeichnet. stel (vgl. SW 1/8, S. 55—59): Vgl. Gregorius: Homilía II in annuntiatione sanctae Virginis Mariae, Opera, hg. v. G. Voss, Paris 1622, S. 74 (MPG 10, S. 1161); Orígenes: Homiliae in Jeremiam XIX 3 (= XX 3), Opera, Bd. 3, S. 264 (SC 238, S. 260). S108 -* - / § 109 -» S. 35, §9: Die Apokryphen sind Schriften aus den Zeiten des Kanon, welche aber das christliche Princip nicht in seiner Reinheit darstellen, sondern an irgend eine Ausartung grenzen. Der erste Theil des Kanon hat gegen sie natürlich nur eine unsichere Grenze./ §110 -* S. 35, § 10: In wiefern der Kanon seiner Idee rein ent-
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Kurze Darstellung
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und dies ist die h ö c h s t e e x e g e t i s c h - t h e o l o g i s c h e A u f g a b e für die h ö h e r e Kritik. Der neutestamentische Kanon hat seine jezige Gestalt erhalten durch, wenn gleich nicht genau anzugebende noch in einem einzelnen Act nachzuweisende, Entscheidung der Kirche, welcher wir ein über alle Prüfung erhöbenes Ansehen nicht zugestehen, und daher berechtigt sind an das frühere Schwanken neue Untersuchungen anzuknüpfen. Die höchste Aufgabe ist diese, weil es wichtiger ist zu entscheiden ob eine Schrift kanonisch ist oder nicht, als ob sie diesem oder einem andern Verfasser angehört, wobei sie immer noch kanonisch sein kann. §. 1 1 1 . D i e Kritik h a t beiderlei U n t e r s u c h u n g e n
anzustellen,
5
10
ob
nicht i m K a n o n befindliches g e n a u g e n o m m e n u n k a n o n i s c h , u n d o b nicht a u ß e r d e m s e l b e n k a n o n i s c h e s u n e r k a n n t v o r h a n d e n sei. 52
Noch neuerlich ist eine Untersuchung der lezten Art im | Gange gewesen; die von der ersten haben eigentlich nie aufgehört. 15 §. 1 1 2 . Beide A u f g a b e n gelten n i c h t nur für g a n z e B ü c h e r , s o n d e r n a u c h für einzelne A b s c h n i t t e u n d Stellen derselben. Ein unkanonisches Buch kann neue kanonische Stellen enthalten; so wie das meiste, was einem kanonischen Buch von späterer Hand eingeschoben ist, unkanonisches sein wird.
50
§. 1 1 3 . W i e die h ö h e r e
Kritik
ihre A u f g a b e n
größtentheils
nur
d u r c h A n n ä h e r u n g löset; u n d es keinen a n d e r n M a a ß s t a b giebt für die T ü c h t i g k e i t eines A u s s p r u c h e s als die C o n g r u e n z der innern u n d ä u ß e r n
14 Vgl. Wilhelm Friedrich Rinck: Das Sendschreiben und das dritte Sendschreiben Pauli an die Korinther. nun verdeutscht und mit einer Einleitung über die 1 8 - 2 0 Vgl. ζ. B. Joh 7, 5 3 - S , 11; Mk 16, 9-20; Mt
der Korinther an den Apostel Paulus In armenischer Übersetzung erhalten, Ächtheit begleitet, Heidelberg 1823 1-2; vgl. dazu ThEnz (Strauß) S. 111
sprechen soll, muß die Kirche noch immer im Bestimmen desselben begriffen sein, weil die vollständige Congruenz nie mit Gewißheit zu erkennen ist./ § 111 -» S. 35, § 11: Er bleibt also in sofern immer ein Gegenstand für beide Aufgaben der höheren Kritik, sowol Unerkanntes zur Anerkennung zu bringen, als Verdächtiges auszustoßen. / §112 -* S. 36, § 14: Nicht nur ganze Schriften sind in diesem Sinne der Gegenstand für die höhere Kritik, sondern auch einzelne Stellen./ § 113 S. 35, § 12: Wie es für die höhere Kritik in den meisten Fällen keine andere Gewißheit giebt als eine Annäherung, die durch möglichstes Zusammentreffen der äußeren Kennzeichen und der innern erreicht wird: so könnte auch hier an äußeren Zeichen nur erkannt werden, daß etwas in die späteren Zeiten der apostolischen Väter oder in das vom Mittelpunkt der Kirche ferne Gebiet der apokryphischen Behandlungen fiele, und an inneren, daß es nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den wesentlichen und herrschenden Ansichten des Kanon gedacht wäre. /
20
II. Teil: Historische Theologie
5
10
[369]
183
Zeichen: so kommt es auch hier nur darauf an, wie bestimmt äußere Zeichen darauf hindeuten, daß ein fragliches Stükk entweder dem späteren Zeitraum der apostolischen Väter oder dem vom Mittelpunkt der Kirche entfernten Gebiet der apokryphischen Behandlung angehöre, und innere darauf, daß es nicht in genauem Zusammenhang mit dem wesentlichen der kanonischen Darstellung aufgefaßt und gedacht sei. So lange noch beiderlei Zeichen gegeneinander streiten, oder in jeder Gattung einige auf dieser andere aber auf jener Seite stehen, ist keine kritische Entscheidung möglich. — Daß hier unter dem Mittelpunkt der Kirche we· der irgend eine Räumlichkeit noch auch eine amtliche Würde zu verstehen sei, sondern nur die Vollkommenheit der Gesinnung und Einsicht, bedarf wol keiner Erörterung. |
§. 114. Die Kritik könnte beiderlei ausgemittelt, und mit vollkom- 53 ner Sicherheit, was kanonisch sei und was nicht, neu und anders be15 stimmt haben, ohne daß deshalb nothwendig wäre den Kanon selbst anders einzurichten.
20
Nothwendig wäre es nicht, weil das unkanonische doch als solches kann anerkannt werden, wenn es auch seine alte Stelle behält, und eben so das erwiesen kanonische, wenn es auch außerhalb des Kanon bliebe. Zuläßig aber müßte es dann sein, den Kanon in zweierlei Gestalt zu haben, in der geschichtlich überlieferten und in der kritisch ausgemittelten.
§. 115. Dasselbe gilt von der Stellung der alttestamentischen Bücher 51 in unserer Bibel. 25
Daß der jüdische Codex keine normale Darstellung eigenthümlich christlieher Glaubenssäze enthalte, wird wol bald allgemein anerkannt sein. Deshalb aber ist nicht nöthig — wiewol es auch zuläßig bleiben muß — von dem altkirchlichen Gebrauch abzuweichen, der das alte Testament mit dem neuen zu einem Ganzen als Bibel vereinigt.
§. 116. Die Vervielfältigung der neutestamentischen Bücher aus ih30 ren Urschriften mußte denselben Schiksalen unterworfen sein, wie die aller andern alten Schriften.
5 114 -* S. 36, § 15: Sieht man den Kanon als etwas historisch gegebenes an: so muß er bleiben wie er ist. Der Gedanke ist nicht statthaft, daß die erste Kirche im wesentlichen falsch darüber sollte entschieden haben; und so wäre, selbst wenn es ausgemacht werden könnte, daß einzelne Schriften andere Verfasser haben, als denen sie beigelegt werden, dies kein Grund sie zu entkanonisiren. / Í 115 -* S. 33, §3: Den jüdischen Codex mit in den Kanon ziehen, heißt das Christenthum als eine Fortsezung des Judenthums ansehn, und streitet gegen die Idee des Kanon. / § 116 -» S. 42, § 40: Keine Vorstellungsart vom Kanon kann läugnen, daß der Text desselben den nemlichen Schiksalen müsse unterworfen sein, wie jede andere schriftliche Urkunde. /
184
[370]
Kurze Darstellung (2. Auflage)
Der Augenschein hat alle Vorurtheile welche hierüber ehedem geherrscht haben, längst schon zerstört.
§. 117. Auch die übergroße Menge und Verschiedenheit unserer Ex54 emplare von den meisten | dieser Bücher gewährt keine Sicherheit dagegen, daß nicht dennoch die ursprüngliche Schreibung an einzelnen Stellen kann verloren gegangen sein.
5
Denn dieser Verlust kann sehr zeitig, ja schon bei der ersten Abschrift erfolgt sein, und zwar möglicherweise auch so, daß dies nicht wieder gut gemacht werden konnte.
§. 118. Die definitive Aufgabe der niederen Kritik, die ursprüngli- 10 che Schreibung überall möglichst genau und auf die überzeugendste Weise auszumitteln, ist auf dem Gebiet der exegetischen Theologie ganz dieselbe wie anderwärts. Die Ausdriikke niedere und höhere Kritik werden hier hergebrachter maßen gebraucht, ohne weder ihre Angemessenheit rechtfertigen, noch ihre Abgrenzung gegen einander genauer bestimmen zu wollen.
52
15
§.119. Der neutestamentische Kritiker hat also auch, so wie die Pflicht denselben Regeln zu folgen, so auch das Recht auf den Gebrauch derselben Mittel. Weder kann es daher verboten sein im Fall der Noth (vergi. §. 117.) Vermuthungen zu wagen, noch kann es besondere Regeln geben, die nicht aus den gemeinsamen müßten abgeleitet werden können.
§. 120. In demselben Maaß als die Kritik ihre Aufgabe löst, muß sich auch eine genaue und zusammenhängende Geschichte des neutesta-
20 117.] 17. 14 f Vgl. Hermeneutik und Kritik SW 1/7, S. 266 - 268. 272 - 274. 281 f; Begriff und Einteilung SW III/3, S. 387-402; Thym: Encyklopädie, S. 68 f; Friedrich August Wolf: Darstellung der Alterthums-Wissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Werth, in: Museum der Alterthums-Wissenschaft, hg. v. F. A. Wolf/P. Buttmann, Bd. 1, Berlin 1807, S. 1 — 145, hier S.39—41; Friedrich Ast: Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, Landshut 1808, S. 215-227 (bes. S. 215-217). § 117 S. 42, §41: Die Möglichkeit, daß die ursprüngliche Schreibart könne verloren gegangen sein, ist beim Kanon nicht geringer als bei jeder andern Schrift./ § 118 S. 42, § 38: Alles was er bedarf ist dem Ausleger erst dann gegeben, wann er auch einen berichtigten und zuverläßigen Text vor sich hat. Dies ist die Aufgabe der niedern Kritik. / § 118 Erl S. 42, § 39: Die Grenze zwischen dieser und der höhern ist schwer, und überall nicht nach der Größe des Gegenstandes, worauf es ankommt, zu bestimmen./ § 119 -* — ! § 120 -* S. 43, §46: Die nächste Aufgabe der Kritik ist die, eine möglichst
20
II. Teil: Historische
Theologie
[371]
185
m e n t i s c h e n T e x t e s e r g e b e n u n d u m g e k e h r t , s o d a ß eines d e m a n d e r n zur P r o b e und G e w ä h r l e i s t u n g dienet. | Selbst was auf dem Wege der Vermuthung richtiges geleistet wird, muß sich auf Momente der Textgeschichte berufen können, und umgekehrt müssen auch wieder schlagende Verbesserungen die Geschichte des Textes erläutern.
5
§. 1 2 1 . F ü r die t h e o l o g i s c h e A b z w e k k u n g d e r B e s c h ä f t i g u n g
55
mit
d e m K a n o n h a t die W i e d e r h e r s t e l l u n g des u r s p r ü n g l i c h e n n u r d a u n m i t t e l b a r e n W e r t h , w o d e r n o r m a l e G e h a l t i r g e n d w i e betheiliget ist. 10
Keinesweges aber soll dies etwa auf sogenannte dogmatische Stellen beschränkt werden, sondern sich auf alles erstrekken, was für solche auf irgend eine Weise als Parallele oder Erläuterung gebraucht werden kann. §. 1 2 2 . Dies b e g r ü n d e t d e n , d a die kritische A u f g a b e ein unendliches ist, hier n o t h w e n d i g aufzustellenden U n t e r s c h i e d z w i s c h e n
15
dem,
w a s v o n jedem T h e o l o g e n zu f o r d e r n ist, u n d d e m G e b i e t der V i r t u o sität.
20
Die Forderung gilt eigentlich nur für den protestantischen Theologen; denn der römisch-katholische hat streng genommen das Recht zu verlangen, daß ihm die vulgata, ohne daß eine kritische Aufgabe übrig bleibe, geliefert werde.
53
§. 1 2 3 . D a jeder T h e o l o g e — a u c h i m w e i t e r e n Sinne des W o r t e s — u m der Auslegung willen (vergi. §. 8 9 . ) in den Fall k o m m e n k a n n (vergi. §. 1 2 1 . ) a u c h einer kritischen U e b e r z e u g u n g zu bedürfen: s o m u ß jeder, u m sich die A r b e i t e n d e r V i r t u o s e n selbstthätig anzueignen u n d z w i s c h e n 25
ihren R e s u l t a t e n zu w ä h l e n , s o w o l die hier zur | A n w e n d u n g k o m m e n den kritischen G r u n d s ä z e u n d R e g e l n inne h a b e n , als a u c h eine allge-
richtige und genaue Geschichte des Textes zu liefern, welche aber auch noch nicht zu Stande gebracht ist. / § 121 -* S. 42, § 43 + S. 43, § 45: Die vollkommene Wiederherstellung des Textes hat beim Kanon nicht denselben philologischen Werth wie bei andern Schriftstellern. — Rein theologisch betrachtet haben nur diejenigen Varianten unmittelbare Wichtigkeit, welche irgend etwas zur ursprünglichen Darstellung des Christenthums gehöriges betreffen. Für den Kritiker sind alle wichtig, weil jede ein Beitrag zur Beurtheilung seiner Quellen ist./ § 122 S.42, §42: Die Aufgabe der Kritik in ihrem ganzen Umfange ist eine unendliche. Daher sie auch ein Feld für eine besondere Virtuosität enthält. / § 123 S. 43, § 44: Das Allgemeine für jeden nothwendige ist die Principien der Kritik zu kennen, um die Virtuosen der Kritik als Autorität in einzelnen Fällen prüfen zu können, und der Gründe seines Urtheils selbst mächtig zu sein. Daraus entsteht denn die ebenfalls unentbehrliche Kenntniß ihrer Hauptresultate. /
56
186
[372]
meine Kenntniß von
Kurze Darstellung den w i c h t i g s t e n
(2.
Auflage)
kritischen
Quellen
und
ihrem
Werth. Eine nothdürftige Anleitung hiezu findet sich theils in den Prolegomenen der kritischen Ausgaben, theils wird sie auch unter jenem Mancherlei mitgegeben, welches man Einleitung ins N . Test, zu nennen pflegt.
5
§. 1 2 4 . Von j e d e m V i r t u o s e n d e r n e u t e s t a m e n t i s c h e n Kritik ist alles zu f o r d e r n , w a s d a z u g e h ö r t , s o w o l den T e x t vollständig u n d folgerecht überall n a c h gleichen G r u n d s ä z e n zu c o n s t i t u i r e n , als a u c h einen kritischen A p p a r a t richtig u n d z w e k k m ä ß i g a n z u o r d n e n . Dies sind rein philologische Aufgaben. Es ist aber nicht leicht zu denken, daß ein Philologe ohne Interesse am Christenthum seine Kunst daran wenden sollte sie für das neue Testament zu lösen, da dieses an sprachlicher Wichtigkeit hinter andern Schriften weit zurükksteht. Sollte es indeß jemals der Theologie an solchen Virtuosen fehlen: so gäbe es auch keine Sicherheit mehr für dasjenige, was für die theologische Abzwekkung dieses Studiums geleistet werden muß. 54
10
15
§. 1 2 5 . Bei allem bisherigen (§. 1 1 6 — 1 2 4 . ) liegt die V o r a u s s e z u n g z u m G r u n d e , d a ß eigene A u s l e g u n g n u r derjenige bilden k a n n , w e l c h e r mit d e m K a n o n in seiner G r u n d s p r a c h e u m g e h t . Die kritische Aufgabe hätte sonst nur einen Werth für den Uebersezer, und zwar auch nur in dem §· 121. beschriebenen Umfang. |
57
§. 1 2 6 . D a a u c h die m e i s t e r h a f t e s t e U e b e r s e z u n g nicht v e r m a g die I r r a t i o n a l i t ä t d e r S p r a c h e n a u f z u h e b e n : so giebt es kein v o l l k o m n e s Verständniß einer R e d e o d e r Schrift a n d e r s als in ihrer U r s p r a c h e .
3 i Nach ThEttz (Strauß) S. 117 denkt Schleiermacher an die Ausgaben von Johann Jakob Wet(t)stein und Johann Jakob Griesbach: Vgl. Novum Testamentum Graecum, hg. v. J. J. Wetstein, Bd. 1-2, Amsterdam 1751-1752, Bd. 1, S. 1-222; Bd. 2, S. 3-15; Johann Jakob Wetstein [anonym]: Prolegomena ad Novi Testamenti Graeci editionem accuratissimam, Amsterdam 1730; Novum Testamentum Graece, hg. v. J. J. Griesbach, Bd. 1—2,2. Aufl., Halle/London 1796-1806, Bd. 1, S. IX - XXX. 4 f Vgl. z. B. Wilhelm Martin Leberecht de Wette: Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in die Bibel Alten und Neuen Testaments, Bd. 1-2, Berlin 1817-1826, Bd. 2, S. 61-72; Johann Gottfried Eichhorn: Einleitung in das Neue Testament, Bd. 1 —5, Leipzig 1804—1827, Bd. 4, S. 183—332, Bd. 5, S. 168—247; Johann Leonhard Hug: Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, Bd. 1-2, Tübingen 1808, Bd. 1, S. 437-444. 229-257; Johann David Michaelis: Einleitung in die göttlichen Schriften des Neuen Bundes, 4. Aufl., Bd. 1—2, Göt§ 124 —/ § 125 -*· S. 37, § 19: Da auf dem richtigen Verständniß des Kanon überall das eigne Urtheil darüber, was ursprünglich Christlich ist beruht: so muß jeder Theologe den Kanon auch durch sich selbst verstehen./ §126 -» S. 37, §§16—17: Keine Rede
20
II. Teil: Historische
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Theologie
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187
Unter Irrationalität wird nur dieses bekannte verstanden, daß weder ein materielles Element noch ein formelles der einen Sprache ganz in einem der andern aufgeht. Daher kann eine Rede oder Schrift vermittelst einer Uebersezung, mithin auch die Uebersezung selbst als solche, nur demjenigen vollkommen verständlich sein, der sie auf die Grundsprache zurükzufiihren weiß.
§. 127. Die Ursprache der neutestamentischen Bücher ist die griechische; vieles (nach §. 121.) wichtige aber ist theils unmittelbar als Uebersezung aus dem aramäischen anzusehen, theils hat das aramäische 10 mittelbaren Einfluß darauf geübt.
15
Die früheren Behauptungen, daß einzelne Bücher ursprünglich aramäisch geschrieben seien, sind schwerlich mehr zu berükksichtigen. Vieles aber von dem, was als Rede oder Gespräch aufbewahrt worden, ist ursprünglich aramäisch gesprochen. Der mittelbare Einfluß ist die unter dem Namen des Hebraismus bekannte Sprachmodification.
§. 128. Schon die vielfältigen directen und indirecten in neutestamentischen Büchern auf alttestamentische genommene Beziehungen ma-
ting«» 1788, Bd. 1, S. 278 — 720. 11 f Die Behauptung einer ursprünglich aramäischen Abfassung ist vor allem im Blick auf das Matthäusevangelium erhoben worden, so bereits in der Alten Kirche von Eirenaios (Adversus Haereses III 1), Papias und Orígenes (vgl. Eusebias: Historia Ecclesiastica 111 39 und VI 25), und findet sich bis ins 18. Jh. hinein immer wieder; vgl. z. B. Johann Adrian Bolten: Der Bericht des Matthäus von Jesu dem Messia, Altona 1792, S. VI — XIII; Heinrich Corrodi: Versuch einer Beleuchtung der Geschichte des jüdischen und christlichen Bibelkanons, Bd. 1—2, Halle 1792, Bd. 2, S. 150—152; Johann Gottfried Herder: Christliche Schriften, Dritte Sammlung. Von Gottes Sohn, der Welt Heiland. Nach Johannes Evangelium. Nebst einer Regel der Zusammenstimmung unsrer Evangelien aus ihrer Entstehung und Ordnung, Riga 1797, S. 376 f (Sämmtliche Werke, hg. v. B. Suphan, Bd. 19, Berlin 1880, S. 408 f); Michaelis: Einleitung, Bd. 1, S. 101; Bd. 2, S. 946-1003. 1356-1377; kritisch dazu: de Wette: Einleitung, Bd. 2, S. 2. 172—174. 178. — Daneben findet sich vereinzelt die Behauptung, auch die Paulinischen Briefe seien die griechische Übersetzung eines aramäischen Originals; vgl. Johann Adrian Bolten: Die neutestamentlichen Briefe, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet, Bd. 1, Altona 1800, S. IX (Bolten nimmt davon allerdings den im Kern für Paulinisch gehaltenen Hebräerbrief aus: vgl. a. a. O. Bd. 3, 1805, S. Vif); Leonhard Bertholdt: Historisch kritische Einleitung in sämmtliche kanonische und apokryphische Schriften des alten und neuen Testamentes, Bd. 1-6 [in 7], Erlangen 1812-1819, Bd. 6, S. 2787- 2791. 2833-2835 u.ö. kann vollständig verstanden werden als in der Ursprache. Auch die vollkommenste Uebersezung hebt die Irrationalität der Sprache nicht auf. — Auch Uebersezungen versteht nur derjenige vollkommen, der zugleich mit der Ursprache bekannt ist./ § 127 -*• S. 37, S18: Die Ursprache des Kanon ist zwar griechisch, vieles aber ist unmittelbar Uebersezung aus dem Aramäischen, und noch mehreres ist mittelbar so anzusehn. / § 128 S. 37, $ 19: Da auf dem richtigen Verständniß des Kanon überall das eigne Urtheil darüber, was
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
55 chen eine genauere Bekanntschaft mit diesen Büchern, also auch in ihrer Grundsprache, nothwendig. | 58
U m so m e h r als diese sich zum Theil a u f sehr wichtige Säze beziehen, w o r ü b e r die Auslegung selbst gebildet sein muß, mithin a u c h ein richtiges Urtheil über das Verhältniß der gemeinen griechischen Uebersezung des alten Testaments zur G r u n d s p r a c h e unerlaßlich ist.
§. 129. J e geringer die Verbreitung und die Productivität einer Mundart ist, um desto weniger ist sie anders als im Zusammenhange mit allen ihr verwandten ganz verständlich. Welches, auf das hebräische angewendet, für das vollkommenste Verständniß des Kanon auch eine hinreichende Kenntniß aller semitischen Dialekte in Anspruch nimmt.
5
10
Von jeher ist daher auch das arabische und rabbinische für die Erklärung der Bibel zugezogen w o r d e n .
§. 130. Diese Forderung, welche vielerlei der Abzwekkung unserer theologischen Studien unmittelbar ganz fremdes in sich schließt, ist indeß nur an diejenigen zu stellen, welche es in der exegetischen Theologie zur Meisterschaft bringen wollen, und zwar in dieser bestimmten Beziehung.
15
Von dieser rein philologischen Richtung gilt dasselbe w a s zu §. 1 2 4 . gesagt w o r d e n ist.
20
§. 131. Jedem Theologen aber ist aus dem Gebiet der Sprachkunde zuzumuthen eine gründliche Kenntniß der griechischen vornehmlich prosaischen Sprache in ihren verschiedenen Entwiklungen, die Kenntniß beider alttestamentischen Grundsprachen, und vermittelst derselben eine 59; 56 klare Anschauung von dem Wesen und Umfang des neutestamentischen 25 Hebraismus; endlich um die Arbeiten der Virtuosen zu benuzen, außer einer Bekanntschaft mit der Litteratur des ganzen Faches, besonders ein selbstgebildetes Urtheil über das zuviel und zuwenig, das natürliche und das erkünstelte in der Anwendung des orientalischen. Denn hierin ist aus Liebhaberei von den Einen, aus Vorurtheil von den Andern, immer wieder n a c h beiden Seiten hin gefehlt w o r d e n .
ursprünglich Christlich ist beruht: so muß jeder Theologe den Kanon auch durch sich selbst verstehen./ § 129 S. 37, §20: Da kein Dialekt vollkommen verstanden wird ohne seine verwandten Dialekte: so ist auch die vollständigste Kenntniß des Kanon nur durch die Kenntniß aller Semitischen Dialekte möglich./ §130 S. 38, §21: Nur dieser zweite Punkt (20.) nicht auch der erste (19.) kann zu der speciellen Virtuosität auf diesem Gebiet gehören. / 5 131 S. 38, § 22: Auch hier ist nächst der Literatur Kritik der Virtuosen (Einl. 20, 3. 4.) eine nothwendige Ergänzung, um im Gebrauch das was einseitige Liebhaberei am Seltnen und Scharfsinnigen von dem was ächt philologisches Talent erzeugt hat, zu unterscheiden. /
30
II. Teil: Historische
Theologie
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189
§. 132. D a s v o l l k o m n e Verstehen einer R e d e o d e r Schrift ist e i n e Kunstleistung, u n d erheischt e i n e Kunstlehre o d e r T e c h n i k , w e l c h e w i r durch d e n A u s d r u k k H e r m e n e u t i k b e z e i c h n e n . 5
10
Kunst, schon in einem engeren Sinne, nennen wir jede zusammengesezte Hervorbringung, wobei wir uns allgemeiner Regeln bewußt sind, deren Anwendung im einzelnen nicht wieder auf Regeln gebracht werden kann. Mit Unrecht beschränkt man gewöhnlich den Gebrauch der Hermeneutik nur auf größere Werke oder schwierige Einzelheiten. Die Regeln können nur eine Kunstlehre bilden, wenn sie aus der Natur des ganzen Verfahrens genommen sind, und also auch das ganze Verfahren umfassen. §. 133. Eine s o l c h e Kunstlehre ist n u r v o r h a n d e n , s o f e r n die Vorschriften ein auf u n m i t t e l b a r aus der N a t u r d e s D e n k e n s u n d der S p r a c h e klaren G r u n d s ä z e n b e r u h e n d e s S y s t e m bilden.
15
20
So lange die Hermeneutik noch als ein Aggregat von einzelnen, wenn auch noch so feinen und empfehlungs|werthen Beobachtungen, allgemeinen und besonderen behandelt wird, verdient sie den Namen einer Kunstlehre noch nicht. §. 134. D i e p r o t e s t a n t i s c h e T h e o l o g i e k a n n k e i n e Vorstellung v o m K a n o n a u f n e h m e n , w e l c h e bei der B e s c h ä f t i g u n g mit d e m s e l b e n die A n w e n d u n g dieser Kunstlehre a u s s c h l ö s s e . Denn dies könnte nur geschehen, wenn man irgendwie ein wunderbar inspirirtes vollkomnes Verständniß desselben annähme.
25
§. 135. D i e n e u t e s t a m e n t i s c h e n Schriften sind s o w o l d e s inneren G e h a l t e s als der ä u ß e r n Verhältnisse w e g e n v o n b e s o n d e r s s c h w i e r i g e r Auslegung.
6—8 Vgl. ζ. B. Johann August Ernesti: lnstitutio interpretis Novi Testamenti, Leipzig 1761 (vgl. auch ThEnz (Strauß) S. 126); Ast: Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, S. 172 f . Noch Wolf: Darstellung der Alterthums-Wissenschaft, S. 37, beschränkt die Aufgabe der Hermeneutik darauf, „die Gedanken eines Schriftstellers" zu verstehen. § 132 -» S. 38, § 23: Alles Verstehen einer Rede oder Schrift ist, weil dazu eine selbstthätige Production gehört nach Gesezen, deren Anwendung nicht wieder auf Geseze zu bringen ist, eine Kunst. / § 133 —/ § 133 Erl -» S. 39, § 27: Wer die Regeln der Auslegung nur als ein Aggregat von Observationen besizen will, muß einem fremden unklaren Gefühl folgen./ § 134 S. 39, §29: Es giebt keine Vorstellungsart über den Kanon, welche die Anwendung der so gefundenen hermeneutischen Regeln auf denselben aufhöbe./ § 135 -» S. 38, §24: Die Auslegung des Kanons gehört zu den schwierigsten, theils weil das Speculativreligiöse in dem unbestimmten Sprachgebrauch nicht nationaler Schriftsteller aus einer im Ganzen ungebildeten Sphäre sehr vielen Mißdeutungen ausgesezt ist, theils weil die Umstände, welche den Gedankengang des Schriftstellers motivirten, uns häufig ganz unbekannt sind, und erst durch die Schriften selbst müssen errathen werden. /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
Das erste weil die Mittheilung eigenthiimlicher sich erst entwikkelnder religiöser Vorstellungen in der abweichenden Sprachbehandlung nicht nationaler Schriftsteller zum großen Theil aus einer minder gebildeten Sphäre sehr leicht mißverstanden werden kann. Lezteres weil die Umstände und Verhältnisse, welche den Gedankengang modificiren, uns großentheils unbekannt sind, und erst aus den Schriften selbst müssen errathen werden.
5
§. 136. Sofern nun der neutestamentische Kanon vermöge der eigenthümlichen Abzwekkung der exegetischen Theologie als Ein Ganzes soll behandelt werden, an und für sich betrachtet aber jede einzelne Schrift ein eignes Ganze ist, kommt noch die besondere Aufgabe hinzu, 10 diese beiden Behandlungsweisen gegeneinander auszugleichen und mit einander zu vereinigen. | 61
Die gänzliche Ausschließung des einen oder andern dieser Standpunkte wie sie aus entgegengesezten theologischen Einseitigkeiten folgt, hat zu allen Zeiten Irrthiimer und Verwirrungen in das Geschäft der Auslegung ge- 15 bracht.
§. 137. Die neutestamentische Specialhermeneutik kann nur aus ge58 naueren Bestimmungen der allgemeinen Regeln in Bezug auf die eigenthümlichen Verhältnisse des Kanon bestehen. Sie kann um so mehr nur allmählig zu der strengeren Form einer Kunstlehre 20 ausgebildet werden, als sie zu einer Zeit gegründet wurde, wo auch die allgemeine Hermeneutik nur noch als eine Sammlung von Observationen bestand. §. 138. Die Kunstlehre der Auslegung kann auf zweifache Weise gestaltet werden, ist aber in jeder Fassung der eigentliche Mittelpunkt der 25 exegetischen Theologie. Die allgemeine Hermeneutik kann entweder ganz hervortreten, so daß das specielle nur als Corollarien erscheint, oder umgekehrt kann das specielle zusammenhängend organisirt, und auf die allgemeinen Grundsäze dann
§ 136 -* S. 40, § 31: Da das Ziel aller Auslegung darin besteht, jeden einzelnen Gedanken mit seinem Verhältniß zur Idee des Ganzen zugleich richtig aufzufassen, und so den Akt des Schreibens nachzuconstruiren: so muß vorzüglich bestimmt werden, in wiefern für die Auslegung der Kanon als Ein Ganzes zu nehmen, und in wiefern jede einzelne Schrift desselben für sich zu betrachten ist. / § 137 -» S. 39, § 28 + S. 40, § 30: Die Auslegungskunst ist eine philologische Disciplin, die auf eben so festen Principien als irgend eine andere beruht. — Die Specialhermeneutik des Kanon ist nur die nähere Bestimmung jener Regeln in Bezug auf die besondere Sprache des Kanon, und auf die besondere Gattung, zu der die Schriften gehören, aus denen er besteht. / § 138 S. 39, § 26: Die Auslegungskunst ist der Mittelpunkt der exegetischen Theologie, und in Absicht auf sie findet kein Unterschied Statt zwischen allgemeinem Besiz und besonderer Virtuosität. Auch da, wo man die Sprachkenntniß nur als Notiz hat, muß doch die Auslegung eigen sein. /
II. Teil: Historische Theologie
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191
nur zuriikgewiesen werden. - Die Ausübung ist zwar allerdings durch Sprachkunde und Kritik bedingt; aber die Grundsäze selbst haben den entschiedensten Einfluß sowol auf die Operationen der Kritik, als auch auf die feineren Wahrnehmungen in der Sprachkunde. 5
§. 139. Daher giebt es auch hier nichts, weshalb sich Einer auf Andere verlassen dürfte: sondern Jeder muß sich der möglichsten Meisterschaft befleißigen. | Je mehr der Gegenstand schon bearbeitet ist, um desto weniger darf sich diese gerade in neuen Auslegungen zeigen wollen.
10
§. 140. Keine Schrift kann vollkommen verstanden werden als nur im Zusammenhang mit dem gesammten Umfang von Vorstellungen, aus welchem sie hervorgegangen ist, und vermittelst der Kenntniß aller Lebensbeziehungen, sowol der Schriftsteller als derjenigen für welche sie schrieben.
15
Denn jede Schrift verhält sich zu dem Gesamtleben, wovon sie ein Theil ist, wie ein einzelner Saz zu der ganzen Rede oder Schrift.
§. 141. Der geschichtliche Apparat zur Erklärung des neuen Testamentes umfaßt daher die Kenntniß des älteren und neueren Judenthums, so wie die Kenntniß des geistigen und bürgerlichen Zustandes in denen 20 Gegenden, in welchen und für welche die neutestamentischen Schriften verfaßt wurden.
25
30
Daher sind die alttestamentischen Bücher zugleich das allgemeinste Hülfsbuch zum Verständniß des neuen Testamentes, nächstdem die alttestamentischen und neutestamentischen Apokryphen, die späteren jüdischen Schriftsteller überhaupt, so wie die Geschichtschreiber und Geographen dieser Zeit und Gegend. Alle diese wollen ebenfalls in ihrer Grundsprache kritisch und nach den hermeneutischen Regeln gebraucht werden. §. 142. Viele von diesen Hülfsquellen sind bis jezt noch weder in möglichster Vollständigkeit noch mit der gehörigen Vorsicht gebraucht worden. I 5 139 S. 39, §§25—26: Da jeder Theologe zu einem eigenen Verständniß des Kanons gelangen soll: so muß auch jeder diese Kunst selbst üben, und darf keine Auslegung auf Autorität annehmen. — Die Auslegungskunst ist der Mittelpunkt der exegetischen Theologie, und in Absicht auf sie findet kein Unterschied Statt zwischen allgemeinem Besiz und besonderer Virtuosität. Auch da, wo man die Sprachkenntniß nur als Notiz hat, muß doch die Auslegung eigen sein./ § 140 S. 40, §32 — S. 41, §33: Jede Schrift kann nur vollkommen verstanden werden durch die Kenntniß der Litteratur, der sie angehört, des Zeitalters und besonders des Publicums, für welches sie geschrieben wurde, und der besondern Beziehungen, aus denen sie hervorgegangen ist. — Keine Vorstellungsart vom Kanon kann diese Bedingungen des Verstehens für überflüßig erklären./ § 141 S. 34, §4: Die Kenntniß des jüdischen Codex ist die allgemeine Hülfswissenschaft für die gesammte historische Theologie./ § 142 -* S.41, §37: Die Quellen, woraus Erläuterungen zu
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192 63
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Kurze Darstellung
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Auflage)
Beides gilt besonders von den gleichzeitigen Schriften.
und späteren
jüdischen
§. 143. Dieser Gesammtapparat nimmt also noch auf lange Zeit die Thätigkeit vieler Theologen in Anspruch, um die bisherigen Arbeiten der Meister dieses Fachs zu berichtigen und zu ergänzen.
5
Von einer andern Seite gehen diese Arbeiten in die Apologetik zurükk, indem die Gegner des Christenthums sich immer wieder die Aufgabe stellen, es ganz aus dem was schon gegeben war, und zwar nicht immer als Fortschritt und Verbesserung, zu erklären. Hieher gehört aber nur die reine und vollständige Zubereitung des geschichtlichen Materials.
10
§. 144. Was sich hievon zum Gemeinbesiz eignet, wird theils unter dem Titel jüdischer und christlicher Alterthümer, theils mit vielerlei anderem verbunden in der sogenannten Einleitung zum neuen Testament mitgetheilt. In der lezteren, die überhaupt wol einer Umgestaltung bedürfte, wird noch manches vermißt, was doch vorzüglich nach §. 141. hieher gehört, weil man es zur Lesung des neuen Testamentes mitbringen muß. — Was sich jeder von den Virtuosen dieses Fachs geben lassen kann, findet sich theils in Sammlungen aus einzelnen Quellen, theils in Commentaren zu den einzelnen neutestamentischen Büchern.
6—9 Vermutlich denkt Schleiermacher an Arbeiten der deutschen neologischen Theologie und an französische und englische Aufklärungsschriftsteller; vgl. auch ThEnz (Strauß) S. 140. 12 Vgl. ζ. B. Johann Christian Wilhelm Augusti: Denkwürdigkeiten aus der christlichen Archäologie, mit beständiger Rücksicht auf die gegenwärtigen Bedürfnisse der christlichen Kirche, Bd. 1 — 12, Leipzig 1817—1831; ders.: Lehrbuch der christlichen Alterthümer, Leipzig 1819; Johann Albrecht Fabricius: Bibliographia antiquaria, sive Introducilo in notitiam scriptorum qui antiquitates Hebraicas, Graecas, Romanas et Christianas scriptis illustrarunt, 3. Aufl., hg. v. P. Schaffshausen, Hamburg 1760; Adrian Reland: Antiquitates sacrae veterum Hebraeorum, hg. v. J. E. Rau, Herborn 1743; Johann Simonis: Vorlesungen über die jüdischen Alterthümer nach Reland, hg. v. S. Mursinna, Halle 1769; Andreas Georg Waehner: Antiquitates Ebraeorum de Israeliticae gentis origine, fatis, rebus sacris, civilibus et domesticis, fide, Bd. 1—2, Göttingen 1743. 17—19 Vgl. z. B. Johann Tobias Krebs: Observationes in Novum Testamentum e Flavio Josepho, Leipzig 1755; Christoph Friedrich Loesner: Observationes ad Novum Testamentum e Philone Alexandrino, Leipzig 1777; Caspar Frederik Munthe: Observationes philologicae in sacros Novi Testamenti libros ex Diodoro Siculo collectae, Kopenhagen/Leipzig 1755 nehmen wären, sind noch lange nicht erschöpft./ §143 -» S.41, $35: Die großen Züge zu kennen, wodurch das Ganze klar wird, und sich dadurch ein richtiges Bild der Neutestamentischen Zeit zu entwerfen, ist die Pflicht eines Jeden; die Masse des einzelnen zusammenzubringen, wodurch Einzelnes und Kleines erläutert wird, ist die Sache der Virtuosen dieses Faches./ § 144 -» S. 41, §36: Der erste Grund zum Besiz dieser Hülfskenntnisse wird gelegt durch diejenigen Notizen, die man in den Einleitungen in das N. Test, zu vereinigen pflegt. /
15
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II. Teil: Historische Theologie
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193
§. 145. Die Hauptaufgabe der exegetischen Theologie ist noch keinesweges als vollkommen aufgelöst anzusehen.
5
Selbst wenn man abrechnet, daß es einzelne Stellen giebt, | die theils nie 64 werden mit vollkomner Sicherheit berichtigt, theils nie zu allgemeiner Befriedigung erklärt werden. §. 146. Auch für die hieher gehörigen Hülfskenntnisse besteht die doppelte Aufgabe fort, das Materiale immer mehr zu vervollständigen, und von dem verarbeiteten immer mehr in Gemeinbesiz zu verwandeln.
10
Schon das erste Studium unter der Anleitung der Meister muß nicht nur den Grund zu dem lezten legen, und vermittelst desselben die Ausübung der Kunstlehre gemäß beginnen, sondern auch die verschiedenen einzelnen Gebiete in Bezug auf die darin noch zu erwerbende Meisterschaft wenigstens aufschließen.
§. 147. Eine fortgesezte Beschäftigung mit dem neutestamentischen 15 Kanon, welche nicht durch eigenes Interesse am Christenthum motivirt 61 wäre, könnte nur gegen denselben gerichtet sein.
20
Denn die rein philologische und historische Ausbeute, die der Kanon verspricht, ist nicht reich genug um zu einem solchen zu reizen. Aber auch die Untersuchungen der Gegner (vergi. §. 143.) sind sehr förderlich geworden, und werden es auch in Zukunft werden.
§. 148. Jede Beschäftigung mit dem Kanon ohne philologischen Geist und Kunst, muß sich in den Grenzen des Gebietes der Erbauung halten; denn in dem der Theologie könnte sie nur durch pseudodogmatische Tendenz Verwirrung anrichten. 25 Denn ein reines und genaues Verstehenwollen kann bei einem solchen Verfahren nicht zum Grunde liegen.
14—16 Νach ThEnz (Strauß) S. 140 denkt Schleiermacher ζ. B. an die einem radikalen theologischen Naturalismus verpflichteten exegetischen Arbeiten des Karl Friedrich Bahrdt $ 145 -* S. 43, S 47: Wie das Verständniß des Kanon überall noch nicht vollendet ist, so darf auch der einzelne Theologe sein Studium desselben nie als vollendet ansehn. / 5 146 S. 44, § 48: Der akademische Unterricht kann nur den Grund dazu legen; muß aber auch schon beide Richtungen, die auf die Universalität und die auf die Virtuosität, in sich vereinigen./ J 147 -» S. 44, §49: Ohne religiöses Interesse läßt sich kein fortgeseztes Studium des Kanon denken, es müßte denn ein gegen ihn selbst gerichtetes sein. / §148 S. 44, § 50: Ohne philologischen Geist kann die Beschäftigung mit dem Kanon nur asketisch sein, oder sie wird ins Pseudo-dogmatische ausarten. /
Zweiter Abschnitt.
65
D i e h i s t o r i s c h e T h e o l o g i e im e n g e r e n Sinn oder die K i r c h e n g e s c h i c h t e .
§. 149. Die Kirchengeschichte im weiteren Sinne (vergi. §. 90.) ist das Wissen um die gesammte Entwiklung des Christenthums, seitdem es sich als geschichtliche Erscheinung festgestellt hat.
5
Was dasselbe abgesehen hievon nach außen hin gewirkt hat, gehört nicht mit in dieses Gebiet.
62
§. 150. Jede geschichtliche Masse läßt sich auf der einen Seite ansehen als Ein untrennbares werdendes Sein und Thun, auf der andern als ein zusammengeseztes aus unendlich vielen einzelnen Momenten. Die eigentlich geschichtliche Betrachtung ist das Ineinander von beiden. Das eine ist nur der eigenthiimliche Geist des Ganzen in seiner Beweglichkeit angeschaut, ohne daß sich bestimmte Thatsachen sondern; daß andere nur die Aufzählung der Zustände in ihrer Verschiedenheit, ohne daß sie in der Identität des Impulses zusammengefaßt werden. Die geschichtliche Betrachtung ist beides, das Zusammenfassen eines Inbegriffs von Thatsachen in Ein Bild des Innern, und die Darstellung des Innern in dem Auseinandertreten der Thatsachen.
§. 151. So ist auch jede Thatsache nur eine geschichtliche Einzel66 heit, sofern beides identisch ge|sezt wird, das äußere, Veränderung im zugleichseienden, und das innere, Function der sich bewegenden Kraft. [Zu SS 150-159]
Elementarische Behandlung § 1 5 0 - 1 5 9
(1741 — 1792): vgl. Die kleine Bibel, ehrwürdig und lesbar für Christen und Nichtchristen, hg. v. K. F. Bahrdt, Bd. 1—2, Berlin 1780; ders.: Analytische Erklärung aller Briefe der Apostel Jesu, Bd. 1—3, Berlin 1787—1789 2i Die historische Theologie im engeren Sinn oder die Kirchengeschichte Inhaltsverzeichnis:
Die Kirchengeschichte
§ 149 S. 44, § 1 : Der Gegenstand der Kirchengeschichte ist der Inbegriff alles dessen, was das Christenthum von seinem Entstehen bis jezt geworden ist oder gewirkt h a t . / § 150 -* S. 45, 5 2: Es läßt sich ansehn von der einen Seite als Eine einzige Anschauung, von der andern als ein Ganzes von unendlich vielen einzelnen Anschauungen./ §151 S. 45, § 3: Jede Thatsache als geschichtliche Einzelheit ist ein äußeres, die räumliche Veränderung, und ein inneres, die Function der Kraft, welche betrachtet wird, identisch gedacht. /
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II. Teil: Historische
Theologie
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Das Innere ist in diesem Ausdrukk als Seele gesezt, das Aeußere als Leib, das Ganze mithin als ein Leben.
5
§. 152. Das Wahrnehmen und im Gedächtniß Festhalten der räumlichen Veränderungen ist eine fast nur mechanische Verrichtung, wogegen die Construction einer Thatsache, die Verknüpfung des Aeußeren und Inneren zu einer geschichtlichen Anschauung, als eine freie geistige Thätigkeit anzusehen ist. Daher auch, was Mehrere ganz als dasselbe wahrgenommen, sie doch als Thatsache verschieden auffassen.
10
§. 153. Die Darstellung der räumlichen Veränderungen als solcher in ihrer Gleichzeitigkeit und Folge ist nicht Geschichte sondern Chronik; und eine solche von der christlichen Kirche könnte sich nicht als eine theologische Disciplin geltend machen. Denn sie gäbe von dem Gesamtverlauf dasjenige nicht, was in einer Beziehung zur Kirchenleitung steht.
15
63
§. 154. Nur der Stätigkeit wegen müssen auch in die geschichtliche Auffassung solche Ereignisse mit aufgenommen werden, die eigentlich nicht als geschichtliche Elemente anzusehen sind. Dahin gehört der Wechsel der Personen, welche an ausgezeichneten Stellen wirksam waren, wenn auch ihre | persönliche Eigenthümlichkeit keinen merklichen Einfluß auf ihre öffentlichen Handlungen gehabt hat.
20
§. 155. Die geschichtliche Auffassung ist ein Talent, welches sich in Jedem durch das eigne geschichtliche Leben, wiewol in verschiedenem [Zu 25
§§152—155] Unterscheidung mente. 1 5 2 - 1 5 5
24 Zum Chronikalischen
geschichtlicher
und chronicalischer
Ele-
vgl. z. B. ThEnz (Strauß) S. 147.
$ 152-> S. 46, § 6: Das Aneinanderfiigen wahrgenommener räumlicher Veränderungen und ihr Festhalten im Gedächtniß ist Mechanismus; die Verknüpfung des Innern und Aeußern zu einer geschichtlichen Anschauung ist Construction, Thätigkeit eines Talentes. / §153 -* S. 45, $$ 4—5: Die Aneinanderreihung der räumlichen Veränderungen für sich ist nicht Geschichte, sondern Chronik. Es giebt viele Veränderungen, die gar nicht als geschichtliche Elemente anzusehen sind. — Wie überall auch die vollständigste Chronik nur Vorarbeit ist für die Geschichte: so kann die Chronik der christlichen Kirche besonders gar nicht als theologische Disciplin gedacht werden, weil sie mit dem Interesse an der Wirksamkeit für das Christenthum in gar keinem Zusammenhange steht./ § 154 —/ § 155 S. 46, § 7: Das Leben, die eigene geschichtliche Existenz des einzelnen Menschen entwikkelt dieses Talent von selbst. /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
Grade, entwikkelt, niemals aber jener mechanischen Fertigkeit ganz entbehren kann. Wie im gemeinen Leben so auch im wissenschaftlichen Gebiet verfälscht ein aufgeregtes selbstisches Interesse, mithin auch jedes Parteiwesen, am meisten den geschichtlichen Blikk.
5
§. 156. Zu dem geschichtlichen Wissen um das nicht selbst erlebte gelangt man auf zwiefachem Wege, unmittelbar aber mühsam zusammenschauend durch die Benuzung der Quellen, leicht aber nur mittelbar durch den Gebrauch geschichtlicher Darstellungen. Nicht leicht wird es auf irgend einem geschichtlichen Gebiet möglich sein, auf dem der Kirchengeschichte aber gewiß nicht, der lezteren zu entrathen.
10
§. 157. Quellen im engeren Sinn nennen wir Denkmäler und Urkunden, welche dadurch für eine Thatsache zeugen, daß sie selbst einen Theil derselben ausmachen. 64
68
Geschichtliche Darstellungen von Augenzeugen sind in diesem strengeren Sinn schon nicht mehr Quellen. Doch verdienen sie den Namen um so mehr, je mehr sie sich der Chronik nähern, und ganz anspruchslos nur das wahrgenommene wiedergeben. | §. 158. Aus geschichtlichen Darstellungen kann man nur zu einer eigenen geschichtlichen Auffassung gelangen, indem man das von dem Schriftsteller hineingetragene ausscheidet.
15
20
Dies wird erleichtert, wenn man mehrere Darstellungen derselben Reihe von Thatsachen vergleichen kann, um so mehr wenn sie aus verschiedenen Gesichtspunkten genommen sind. [.Zu SS 156-190]
Erwerbung des geschichtlichen Stoffs. 1 5 6 - 1 9 0
[Zu S 157 Erl] Der lezte Saz ist zu rechtfertigen. Er gilt nicht von dem in § 158 angegebenen Gebrauch.
26 nicht] ô § 1S6 -» S. 52, § 36: Es giebt eine zwiefache Art um das geschichtliche zu wissen, aus den Quellen selbst und aus geschichtlichen Darstellungen. / § 157 -* S. 52, § 37: Quellen im engern Sinne für einzelne Thatsachen sind nur Monumente und Urkunden, welche selbst Theile der gesuchten Begebenheit sind, oder unmittelbar auf dieselbe zurükweisen. Geschichtliche Darstellungen, wenn auch von Zeitgenossen, sind doch nur mittelbare Quellen./ $ 158-> - /
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II. Teil: Historische Theologie
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§. 159. Zu dem Wissen um einen Gesamtzustand, wie er ein Bild des Inneren (vergi. §. 150.) darstellt, gelangt man nur durch beziehende Verknüpfung einer Masse von zusammengehörigen Einzelheiten. 5
Dies ist daher die größte, alles andere voraussezende und in sich schließende, Leistung der geschichtlichen Auffassungsgabe.
§. 160. Die Kirchengeschichte im weiteren Sinn (vergi. §. 90.) soll als theologische Disciplin vorzüglich dasjenige, was aus der eigenthümlichen Kraft des Christenthums hervorgegangen ist, von dem, was theils in der Beschaffenheit der in Bewegung gesezten Organe, theils in der 10 Einwirkung fremder Principien seinen Grund hat, unterscheiden, und beides in seinem Hervortreten und Zurüktreten zu messen suchen. Nur war es eine sehr verfehlte Methode um deswillen die Darstellung selbst zu theilen in die der günstigen und der ungünstigen Ereignisse. §. 161. Von dem ersten Eintritt des Chri|stenthums an, also auch 69 15 schon in der Zeit des Urchristenthums, kann man verschiedene selbst [Zu § 159] Ein solches in zusammenfassenden Darstellungen an Epochenpunkten oder Durchschnitten [Zu §§ 160-183]
20
Construction der Kirchengeschichte 1 6 0 - 1 8 3 .
[Zu § 160] Ueber das zwischen gesund und krankhaft in die Mitte gestellte; der individuelle Coefficient [Zu §161]
Grundlage zur verticalen Parallele
16 Darstellungen] Darstellgen 12 f Vgl. z. B. Johann Lorenz von Mosheim: Institutionum historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris libri quattuor, Helmstedt 1755, S.3f 18 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 153. 20 Zum individuellen Coefficienten vgl. ThEnz (Strauß) S. 153. 158. 21 Vgl. ThEnz (Strauß): „Es wird vorausgesezt daß der historische Stoff eine Fläche sey mit 5159 S. 52, § 38: Ein gesammter Zustand kann nur nachgewiesen werden aus einer großen Masse analoger einzelner Thatsachen./ § 160 S. 46, § 10: Die Kirchengeschichte, als theologische Disciplin, soll vorzüglich das, was fremden Einwirkungen zuzuschreiben von dem, was rein aus dem Princip selbst hervorgegangen ist, unterscheiden. / 5 161 S. 46, §8: Sobald das Christenthum als thätiges Princip in die Welt eingetreten ist, kann man die Bildung der gemeinsamen Lehre und die Bildung des gemeinsamen Lebens als zwei Functionen desselben unterscheiden. /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
65 wieder mannigfaltig theilbare Functionen dieses neuen wirksamen Principe unterscheiden, und auch in der geschichtlichen Darstellung von einander sondern. Auch dies gilt allgemein von allen bedeutenden geschichtlichen Erscheinungen, von allen religiösen Gemeinschaften nicht nur sondern auch von den bürgerlichen. §. 162. Keine von diesen Functionen aber ist in ihrer Entwiklung ohne ihre Beziehung auf die anderen vollkommen zu verstehen; und jeder als ein relatives Ganze auszusondernde Zeittheil wird nur durch die Gegenseitigkeit ihrer Einwirkungen auf einander, was er ist.
5
10
Denn die lebendige Kraft ist in jedem Momente ganz gesezt, und kann daher nur ergriffen werden in der gegenseitigen Bedingtheit aller verschiedenen Functionen. §. 163. Der Gesamtverlauf des Christenthums kann also nur vollständig aufgefaßt werden durch die vielseitigste Combination beider Verfahrungsarten, indem jede, was der andern auf einem Punkte gefehlt hat, auf einem andern ergänzen muß.
70
15
Während wir nur die eine Function verfolgen, bleibt uns die Anschauung des Gesamtlebens aus den Augen gerükkt, und wir müssen uns vorbehalten diese nachzuholen. Während wir die gleichzeitigen Züge zu Einem Bilde 20 zusammenschauen, vermögen wir nicht die einzelnen Elemente genau zu schäzen, und müssen uns | vorbehalten sie an dem gleichartigen früheren und späteren zu messen. §. 164. Je mehr man die verschiedenen Functionen bei der geschichtlichen Betrachtung ins einzelne und kleine zerspaltet, desto öfter [Zu §162]
Grundlage zum zusamenfassenden Bilde
[Zu § 164]
Verhältniß zwischen Breitentheilung und Längentheilung.
Länge und Breite, die Länge ist der Zeitverlauf, die Breite das im Stoff liegende Manchfaltige, und dieß sind also die 2 Richtungen" (S. 77); vgl. die Marginalie zu §§ 71 — 73, oben 354,21, und § 164, unten 384,27. 27 Vgl. den Sachapparat zu oben 383,21. §162 -» S. 46, § 9: Wie aber die Kirche die Gemeinschaft der Lehre sowol als des Lebens ist: so ist auch keine von beiden Functionen ohne die andre in ihrer Thätigkeit zu verstehen, und jeder Moment ist nur in der ungetrennten Betrachtung lebendig und richtig aufzufassen. / §163 -» S. 47, § 13: Die Aufgabe, den geschichtlichen Verlauf des Christenthums zu erkennen, kann nur durch die vielseitigste Combination beider Verfahrungsarten vollständig gelöset werden, indem jede ergänzen muß was der andern fehlt./ § 164 S. 51, § 35: Je mehr man die geschichtlichen Functionen so vereinzelt betrachtet, um desto
25
II. Teil: Historische Theologie
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muß man Punkte zwischeneinschieben, welche das getrennt gewesene wieder vereinigen. J e größer die parallelen Massen genommen werden, 66 desto länger kann man die Betrachtung der einzelnen ununterbrochen fortsezen. 5
Die Perioden können also desto größer und müssen desto kleiner sein, je größere oder kleinere Functionen man behandelt.
§. 165. Die wichtigsten Epochenpunkte indeß sind immer solche, die nicht nur für alle Functionen des Christenthums den gleichen Werth haben, sondern auch für die geschichtliche Entwiklung außer der Kirche 10 bedeutend sind. Da die Erscheinung des Christenthums selbst zugleich ein weltgeschichtlicher Wendepunkt ist: so kommen diesem andere auch nur in dem Maaß nahe, als sie ihm hierin gleichen.
§. 166. Die Bildung der Lehre oder das sich zur Klarheit bringende 15 fromme Selbstbewußtsein, und die Gestaltung des gemeinsamen Lebens oder der sich in Jedem durch Alle und in Allen durch Jeden befriedigende Gemeinschaftstrieb, sind die beiden sich am leichtesten sondernden Functionen in der Entwiklung des Christenthums. | 20
Dies giebt sich dadurch zu erkennen, daß auf der einen Seite große Veränderungen vor sich gehen, während auf der andern alles beim alten bleibt, und für die eine Seite ein Zeitpunkt bedeutend ist als Entwiklungsknoten, der für die andere bedeutungslos erscheint.
§. 167. Die Bildung des kirchlichen Lebens wird vorzüglich mitbestimmt (vergi. §. 160.) durch die politischen Verhältnisse und den gesam25 ten geselligen Zustand; die Entwiklung der Lehre hingegen durch den [Zu § 165]
Allgemeine Epochen
1 gewesene] ge-/gewesene öfter muß man auf Punkte kommen, wo man das Getrennte wieder vereinigen muß; je mehr man sich nur an die größeren Glieder hält, um desto länger kann man unaufgehalten fortschreiten. / §165-* —/ § 166 ~> S. 46, § 8: Sobald das Christenthum als thätiges Princip in die Welt eingetreten ist, kann man die Bildung der gemeinsamen Lehre und die Bildung des gemeinsamen Lebens als zwei Functionen desselben unterscheiden. / §167 -* S. 47, §§11 — 12: Die Bildung der Lehre wird vorzüglich afficirt durch die herrschenden Philosopheme und den wissenschaftlichen Zustand überhaupt. — Die Bildung des gemeinsamen christlichen Lebens wird vorzüglich afficirt durch die politischen Verhältnisse und durch den geselligen Zustand überhaupt. /
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gesamten wissenschaftlichen Zustand, und vorzüglich durch die herrschenden Philosopheme. Dieses Mitbestimmtwerden ist natürlich und unvermeidlich, bedingt mithin nicht schon an und für sich krankhafte Zustände, enthält aber allerdings den Grund ihrer Möglichkeit. — Allgemeinere Epoche machende Punkte, welche von einer neuen Entwiklung der Erkentniß ausgehen, werden sich in der christlichen Kirche auch am meisten in der Geschichte der Lehre, solche hingegen welche von Entwiklungen des bürgerlichen Zustandes ausgehen, werden sich auch am meisten in dem kirchlichen Leben kund geben.
§. 168. Auf der Seite des kirchlichen Lebens sondern sich wiederum am leichtesten die Entwiklung des Cultus, d. h. der öffentlichen Mittheilungsweise religiöser Lebensmomente, und die Entwiklung der Sitte, d. h. des gemeinsamen Gepräges, welches der Einfluß des christlichen Principe den verschiedenen Gebieten des Handelns aufdriikkt. | Der Cultus verhält sich zu der Sitte wie das beschränktere Gebiet der Kunst im engeren Sinne zu dem unbestimmteren des geselligen Lebens überhaupt.
§. 169. Die Entwiklung des Cultus wird vorzüglich mitbestimmt durch die Beschaffenheit der dazu geeigneten, in der Gesellschaft vorhandenen Darstellungsmittel, und durch deren Vertheilung in der Gesellschaft. Die Fortbildung der christlichen Sitte hingegen durch den Entwiklungs- und Vertheilungszustand der geistigen Kräfte überhaupt. Nehmlich was das erste betrifft, so beruht die Mittheilung oder der Umlauf religiöser Erregungen, welcher nach denselben bewirkt werden soll, lediglich auf der Darstellung. Was das andere betrifft, so ruhen in diesem Zustand alle Motive, deren sich die religiöse Gesinnung bemächtigen soll.
§. 170. Beide aber, Sitte und Cultus, sind in ihrer Fortbildung auch so sehr aneinander gebunden, daß wenn sie in dem Maaß von Bewegung oder Ruhe zu sehr von einander abweichen, entweder der Cultus das Ansehen gewinnt in leere Gebräuche oder Aberglauben ausgeartet zu sein, während das christliche Leben sich in der Sitte bewährt, oder umgekehrt ruht auf der herrschenden Sitte der Schein, daß sie, während die christliche Frömmigkeit sich durch den Cultus erhält, nur das Ergebniß fremder Motive darstelle.
5 168 -* S. 47, 5 14: In der Bildung des gemeinsamen Lebens unterscheiden sich wieder die Bildung der Sitte und die Bildung des Cultus. / $ 168 Erl -» S. 49, $ 21: Der Cultus verhält sich zu der Sitte wie das beschränkte Gebiet der Kunst zu dem größeren des geselligen Lebens. / § 169 -* S. 48, § 18: An der Sitte zeigt sich, wie die religiöse Gesinnung in die verschiedenen Theile des Handelns hineintritt, und wie sie sich zu den übrigen Motiven verhält./ § 170 -> S. 47, § 15 - S. 48, $ 16: Beides [sc. Sitte und Cultus] ist
II. Teil: Historische
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Theologie
201
In dieser verschiedenen Beurtheilungsweise bekundet sich | ein mit jener Ungleichmäßigkeit zusammenhängender innerer Gegensaz unter den Gliedern der Gemeinschaft. §. 1 7 1 . J e p l ö z l i c h e r a u f e i n e m v o n beiden Gebieten 5
73
bedeutende
V e r ä n d e r u n g e n eintreten, u m d e s t o m e h r e r e n R e a c t i o n e n sind sie ausgesezt, w o g e g e n n u r die l a n g s a m e r e n sich als g r ü n d l i c h b e w ä h r e n .
10
Das erste versteht sich indeß nur von solchen Veränderungen, die nicht zugleich auch mehrere Gebiete umfassen. Dergleichen werden daher leicht voreilig als Epoche machende Punkte angesehen, da doch oft wenig Wirkungen von ihnen zurükkbleiben. §. 1 7 2 . L a n g s a m e
Veränderungen
können
nicht
als
fortlaufende
R e i h e aufgefaßt, s o n d e r n n u r an einzeln h e r v o r z u h e b e n d e n P u n k t e n zur A n s c h a u u n g g e b r a c h t w e r d e n , w e l c h e die F o r t s c h r i t t e v o n einer Z e i t zur a n d e r n darstellen. 15
Auch diese aber dürfen nicht willkührlich gewählt werden, sondern sie müssen, wenn auch nur in untergeordnetem Sinn, eine Aehnlichkeit haben mit Epoche machenden Punkten.
69
§. 1 7 3 . D i e g e s c h i c h t l i c h e A u f f a s s u n g ist a u f diesem Gebiet d e s t o v o l l k o m n e r , je bestirnter d a s Verhältniß des christlichen Impulses zu d e r 20
sittlichen u n d künstlerischen C o n s t i t u t i o n der Gesellschaft v o r A u g e n tritt, und je ü b e r z e u g e n d e r , w a s d e r g e s u n d e n E n t w i k l u n g des religiösen Princips a n g e h ö r t , v o n d e m s c h w ä c h l i c h e n u n d k r a n k h a f t e n geschieden wird. I
25
Denn dadurch wird den Ansprüchen der Kirchenleitung an eine christliche Geschichtskunde genügt.
aber auch in einander: denn jedes kann auf das andere zurükgeführt werden. — Jedes, wenn es sich isolirt, verliert seinen Charakter. Denn der Cultus ohne Sitte erscheint nur als Ceremonie oder Aberglauben, und die Sitte ohne Cultus nur als ein Resultat des geselligen Zustandes nicht des religiösen Princips. / § 171 -* S. 49, § 22: In beiden sind nur diejenigen Veränderungen gründlich, welche langsam vor sich gehen; je schneller desto mehr scheinbares ist darin./ § 172 S. 49, §23: Die langsamen Veränderungen sind nicht in einer ununterbrochen fortlaufenden Reihe aufzufassen, sondern nur in discreten Punkten, welche die Fortschritte von einer Zeit zur andern darstellen. / § 173 S. 48, $§ 19—20: In diesem Zusammensein des religiösen Princips mit den übrigen Motiven [sc. des Handelns] begreift sich allein alles das, was zwar in der Kirche ist, aber nicht aus der Kirche hervorging, und wovon sie sich reinigen soll. — Eben so auch die intensive Verschiedenheit mit der das religiöse Princip sich der verschiedenen Gebiete des Lebens bemächtigt aus der jedesmaligen moralischen Constitution des Zeitalters oder der Nation. /
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202
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§. 174. Die kirchliche Verfassung kann zumal in der evangelischen Kirche, wo es ihr an aller äußern Sanction fehlt, nur als dem Gebiet der Sitte angehörig betrachtet werden. Dieser Saz liegt, recht verstanden, jenseit aller über das evangelische Kirchenrecht noch obwaltenden Streitigkeiten, und spricht nur den wesentlichen Unterschied zwischen bürgerlicher und kirchlicher Verfassung aus.
5
§. 175. Diejenigen größeren Entwiklungsknoten, welche außer der Kirche auch das bürgerliche Leben afficiren, werden sich in der Kirche am unmittelbarsten und stärksten in der Verfassung offenbaren. Weil doch kein anderer Theil der christlichen Sitte so sehr (vergi. §. 167.) mit den politischen Verhältnissen zusammenhängt.
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§. 176. Die kirchliche Verfassung ist am meisten dazu geeignet, daß sich an ihre Entwiklung die geschichtliche Darstellung des gesamten christlichen Lebens anreihe. 70
Denn sie hat den unmittelbarsten Einfluß auf den Cultus, verdankt ihre Haltung dem Gesamtzustand der Sitte, und ist zugleich der Ausdrukk von dem Verhältniß der religiösen Gemeinschaft zur bürgerlichen.
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§. 177. Der Lehrbegriff entwikkelt sich einerseits durch die fortgesezt auf das christliche Selbstbewußtsein in seinen verschiedenen Mo75 menten gerichtete Betrachtung, andrerseits durch das | Bestreben den 20 Ausdrukk dafür immer übereinstimmender und genauer festzustellen. Beide Richtungen hemmen sich gegenseitig, indem die eine nach außen geht, die andere nach innen. Daher charakterisiren sich verschiedene Zeiten durch das Uebergewicht der einen oder der andern.
§. 178. Die Ordnung, in welcher hiernach die verschiedenen Punkte 25 der Lehre hervortreten und die Hauptmassen der didaktischen Sprache sich gestalten, muß im großen wenigstens begriffen werden können aus dem eigenthümlichen Wesen des Christenthums.
§ 174 -* S. 48, §17: Da die kirchliche Verfassung ohne äußere Sanction ist, fällt sie ganz unter das Gebiet der Sitten. / § 175 -» S. 49, § 25: Da die größten Revolutionen in der Kirchengeschichte diejenigen sind, welche nicht die Kirche allein betreffen: so werden sich auch diese am stärksten in der Verfassung offenbaren./ § 176 -* S.49, §24: Die Entwiklung der kirchlichen Verfassung, welche ihren nächsten Bezug auf den Cultus hat, ihre Haltung durch die Sitte bekommt, und zugleich das Verhältniß der Kirche zum Staat ausdriikt, ist allein geschikt den fortlaufenden Faden zu bilden, an den sich das übrige anreiht. / § 177 -» S. 50, § 28: Die allmählige Bildung des Lehrbegriffs ist auf der einen Seite die fortschreitende Betrachtung des christlichen Princips nach allen Beziehungen, auf der andern das Aufsuchen des Ortes für die Aussagen des christlichen Gefühls in dem geltenden philosophischen System./ § 178 S. 50, §26: Nur wenn man die Bildung des Lehrbegriffs isolirt betrachtet, kann man sich die Aufgabe stellen, eine innere mit
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Denn es wäre widernatürlich, wenn Vorstellungen, die diesem am nächsten verwandt sind, sich zulezt entwikkeln sollten.
5
§. 179. Nur in einem krankhaften Zustande der Kirche können einzelne persönliche oder gar außerkirchliche Verhältnisse einen bedeutenden Einfluß auf den Gang und die Ergebnisse der Beschäftigung mit dem Lehrbegriff ausüben. Wenn dies dennoch nicht selten der Fall gewesen ist: so haben doch zumal neuere Geschichtschreiber weit mehr als der Wahrheit gemäß ist, auf Rechnung solcher Verhältnisse geschrieben.
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§. 180. Je weniger die Entwiklung des Lehrbegriffs frei bleiben kann von Schwanken und Zwiespalt: um desto mehr tritt auch das Be- 71 streben hervor theils die Uebereinstimmung eines Ausdrukks mit den Aeußerungen des Urchristenthums n a c h z u w e i s e n , theils ihn auf ander- 76 weitig zugestandene, nicht aus dem christlichen Glauben erzeugte Säze, 15 die dann Philosopheme sein werden, zurükzuführen.
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Beides würde, wiewol später und nicht in demselben Maaß, geschehen, wenn auch kein Streit obwaltete; denn zu jenem treibt schon der christliche Gemeingeist, zu dem andern das Bedürfniß sich von der Zusammenstimmung des zur Klarheit gekommenen frommen Selbstbewußtseins und der speculativen Production zu überzeugen. §. 181. Nur in einem krankhaften Zustande kann beides so gegen einander treten, daß die Einen nicht wollen über die urchristlichen Aeußerungen hinaus die Lehre bestimmen, die Andern philosophische Säze in die christliche Lehre einführen, ohne auch nur durch Beziehung auf
7—9 Möglicherweise denkt Schleiermacher an Gottfried Arnold: Unparteyische Kirchenund Ketzer-Historie von Anfang des Neuen Testaments biß auf das Jahr Christi 1688, Bd. 1-4, Frankfurt a.M. 1699-1700 (vgl. z. B. Bd. 1, S. 174-182) oder Mosheim: lnstitutionum (vgl. z. B. S. 183-186). Vgl. ThEnz (Strauß) S. 167 f dem Wesen des Christenthums in Bezug stehende Gesezmäßigkeit in seiner Entwiklung aufzufinden./ §179 S. 50, §27: Völlig äußere Lebensverhältnisse können nicht den wahren Grund enthalten zu wichtigen Entscheidungen im Gebiet des Lehrbegriffs./ S 180 -*• S. 50, §§ 28—29: Die allmählige Bildung des Lehrbegriffs ist auf der einen Seite die fortschreitende Betrachtung des christlichen Principe nach allen Beziehungen, auf der andern das Aufsuchen des Ortes für die Aussagen des christlichen Gefühls in dem geltenden philosophischen System. — Jenes endet in der Deduction aus dem Kanon, dieses in der Uebereinstimmung mit zugestandenen philosophischen Säzen. / § 181 -* S. 50, § 30 — S.51, §31: Da das Gleichgewicht beider Gesichtspunkte fast nirgends gegeben ist: so ist darauf zu achten, wie der eine über den andern das Uebergewicht hat. — Es können theils in derselben Zeit verschiedene Parteien in dieser Hinsicht einander gegenüber stehn, theils auch verschiedene Zeiten durch ein Uebergewicht des Einen über das Andere sich unterscheiden. /
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den Kanon nachweisen zu wollen, daß sie auch dem christlichen Bewußtsein angehören. Jene wirken hemmend auf die Entwiklung der Lehre, diese trüben und verfälschen eben so das Princip derselben.
§. 182. Die Aenderungen, welche das Verhältniß beider Richtungen erleidet, zu kennen, gehört wesentlich zum Verständniß der Entwiklung der Lehre. Nur zu oft erhält man durch Verabsäumung solcher Momente nur eine Chronik statt der Geschichte, und die theologische Abzwekkung der Disciplin geht ganz verloren.
§. 183. Eben so wichtig ist Kenntniß zu nehmen von dem Verhältniß in den Bewegungen der theoretischen Lehren und der praktischen Dog|men, und, wo sie weit auseinander gehn, ist es natürlich die eigentliche Dogmengeschichte zu trennen von der Geschichte der christlichen Sittenlehre. Im Ganzen ist allerdings die eigentliche Glaubenslehre durch vielfältigere und heftigere Bewegungen gebildet worden; doch darf die entgegengesezte Richtung um so weniger übersehen werden.
§. 184. Bedenken wir, wieviel Hiilfskenntnisse erfordert werden, um diese verschiedenen Zweige der Kirchengeschichte zu verfolgen: so ist dieses Gebiet offenbar ein unendliches, und postulirt einen großen Unterschied zwischen dem, was Jeder inne haben muß, und dem was (vergi. §. 92.) nur durch die Vereinigung aller Virtuosen gegeben ist. Zu diesen Hülfskenntnissen gehört, wenn alles im Zusammenhang verstanden werden soll, die gesammte irgend zeitverwandte Geschichtskunde, und, wenn alles aus den Quellen entnommen werden soll, das ganze betreffende philologische Studium und vornehmlich die diplomatische Kritik.
§. 185. Im allgemeinen kann nur gesagt werden, daß aus diesem unendlichen Umfang jeder Theologe dasjenige inne haben muß, was mit seinem selbständigen Antheil an der Kirchenleitung zusammenhängt.
§ 182 —/ § 183 S. 51, § 33: Man kann in der Entwiklung des Lehrbegriffs unterscheiden, die Bildung der theoretischen und der praktischen Dogmen./ § 184 -» — / 5 184 Erl S. 52, § 39: Hülfswissenschaften, um aus den Quellen zur geschichtlichen Anschauung zu gelangen, sind das gesammte philologische Studium, diejenige Kritik, welche über die Aechtheit der Monumente entscheidet, die historische Kritik überhaupt, und endlich die sämmtliche übrige Geschichte. / § 185 -» S. 53, §§ 40—41: Was aus dem unendlichen Gebiet der Kirchengeschichte jeder Theolog inne haben muß, das läßt sich nur aus dem theologischen Zwekk beurtheilen. — Jeder muß also die Kirchengeschichte inne
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Diese dem Anschein nach sehr beschränkte Formel sezt aber voraus, daß Jeder außer seiner bestimmten lokalen Thätigkeit auch einen allgemeinen, wenn gleich in | seinen Wirkungen nicht bestirnt nachzuweisenden Einfluß auszuüben strebt.
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§. 186. Wie nun der jedesmalige Zustand, aus welchem ein neuer Moment entwikkelt werden soll, nur aus der gesamten Vergangenheit zu begreifen ist, zunächst aber doch der lezten Epoche machenden Begebenheit angehört: so ist die richtige Anschauung von dieser, durch alle frühe- 73 ren Hauptrevolutionen nach Maaßgabe ihres Zusammenhanges mit der10 selben deutlich gemacht, das erste Haupterforderniß.
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Daß hier keine besondere Riiksicht darauf genommen werden kann, ob der gegenwärtige Moment schon mehr die künftige Epoche vorbereitet, liegt am Tage; denn dies selbst muß zunächst aus seinem Verhältniß zur lezten beurtheilt werden.
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§. 187. Damit aber dieses nicht eine Reihe einzelner Bilder ohne Zusammenhang bleibe, müssen sie verbunden werden durch das nicht dürftig ausgefüllte Nez (vergi. §. 91.) der Hauptmomente aus jedem kirchengeschichtlichen Zweige in jeder Periode. Und dieses muß als Fundament selbständiger Thätigkeit auch ein wo möglieh aus verschiedenartigen Darstellungen zusammengeschautes sein.
§. 188. Zu einer lebendigen auch als Impuls kräftigen geschichtlichen Anschauung gedeiht aber auch dieses nur, wenn der ganze Verlauf zugleich (vergi. §. 150.) als die Darstellung des | christlichen Geistes in 79 seiner Bewegung aufgefaßt, mithin alles auf Ein inneres bezogen wird. 25
Erst unter dieser Form kann die Kenntniß des Gesamtverlaufs auf die Kirchenleitung einwirken.
§. 189. Jede lokale Einwirkung erfordert eine genauere, und nach Maaßgabe des Zusammenhanges mit der Gegenwart der Vollständigkeit annähernde, Kenntniß dieses besonderen Gebietes.
haben nach Maaßgabe des Interesse des gegenwärtigen Augenbliks. / § 186 -* S. 53, f 42: Jeder lezte Augenblik, an den sich ein künftiger knüpfen soll, ist vorzüglich gegründet in der lezten revolutionären Begebenheit. Durch diese hat sich aber noch manches aus dem vorigen Zustande der Ruhe hinübergeschlichen, ja sie ist selbst in diesem gegründet, u. s. f., so daß die Kenntniß aller Hauptrevolutionen nach Maaßgabe ihres Zusammenhanges mit dem gegenwärtigen Augenblik das erste ist./ § 187 -* S. 53, §43: Zwischen je zwei Epochen giebt es untergeordnete Hauptpunkte, aus denen man erkennen kann, wie die Kraft von jeder ab- oder zunimmt, und diese sind das zweite unentbehrliche./ § 188 -* S. 54, § 44: Der gemeinsame Geist und Charakter eines Zeitalters kann nur fixirt werden in einem großen historischen Bilde. Wer sich nicht ein solches von jedem Zeitalter entwerfen kann, der lebt nicht in der Geschichte. / § 189 -* — /
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Die Regel modificirt sich von selbst nach dem Umfang der Lokalität, indem die kleinste einer einzelnen Gemeine oft in dem Fall ist eine besondere Geschichte nicht zu haben, sondern nur als Theil eines größeren Ganzen gelten zu können. §. 1 9 0 . Jeder m u ß aber auch wenigstens an einem kleinen Theil der Geschichte sich im eigenen Aufsuchen und Gebrauch der Quellen üben. Sei es nun, daß er nur beim Studium genau und beharrlich auf die Quellen zuriikkgehe, oder daß er selbständig aus den Quellen zusammenseze. Sonst möchte einem schwerlich auch nur so viel historische Kritik zu Gebote stehen, als zum richtigen Gebrauch abweichender Darstellungen erfordert wird.
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§. 1 9 1 . Eine über diesen M a a ß s t a b hinaus gehende Beschäftigung mit der Kirchengeschichte muß neue Leistungen beabsichtigen. Nichts ist unfruchtbarer als eine Anhäufung von geschichtlichem Wissen, welches weder praktischen Beziehungen dient, noch sich Anderen in der Darstellung hingiebt. 80
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§. 1 9 2 . Diese können sowol auf Berichtigung | oder Vervollständigung des Materials, als auch auf größere Wahrheit und Lebendigkeit der Darstellung gehen. Die Mängel in allen diesen Beziehungen sind noch unverkennbar, und leicht zu erklären.
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§. 1 9 3 . D a s kirchliche Interesse und das wissenschaftliche können bei der Beschäftigung mit der Kirchengeschichte nicht in Widerspruch mit einander gerathen. Da wir uns bescheiden für Andere keine Regeln zu geben, beschränken wir den Saz auf unsere Kirche, welcher, als einer forschenden und sich selbst fortbilden-
§190-* S. 55, § 49: Da das, was zum allgemeinen Bedarf gehört, zunächst nur aus abgeleiteten Quellen kann geschöpft werden, und die Kritik historischer Compositionen, welche hiezu gehört, am besten durch eigne Uebungen dieser Art gewonnen wird: so sollte jeder wenigstens irgend einen kleinen Theil der Kirchengeschichte aus den Quellen studieren, und so viel von den Quellen eines jeden Zeitalters gelesen haben als nöthig ist, um sich das Totalbild desselben recht zu beleben. / § 191 S. 54, § 45: Was hierüber hinausgeht gehört zu demjenigen Betrieb der Kirchengeschichte, welcher auf die Vervollkomnung und Vollendung der einzelnen Theile als solcher ausgeht./ § 192 -* S. 54, §46: Wer etwas als Virtuose in der Kirchengeschichte leisten will, bezwekt entweder Thatsachen aus den Quellen auszumitteln und zu berichtigen, oder einen Zeitraum richtiger und eigenthümlich darzustellen./ § 193 -» S. 55, §§50 — S. 56, §52: Das religiöse Interesse und das wissenschaftliche können einander beim Studium der Kirchengeschichte nie in den Weg treten. — Wenn die Liebe, mit welcher ein Betrachtender in einer Kirchenpartei steht, rechter Art ist, kann sie nie blenden oder verfälschen. — Die strenge Unparteilichkeit, welche der wissenschaftliche Geist fodert, ist weder Indifferentismus noch kann sie je einer Kirche oder Partei zum Schaden gereichen. /
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den Gemeinschaft, auch die vollkommenste Unparteilichkeit nicht zum Nachtheil gereichen sondern nur förderlich sein kann. Darum darf auch das lebhafteste Interesse des evangelischen Theologen an seiner Kirche doch weder seiner Forschung noch seiner Darstellung Eintrag thun. Und eben so wenig ist 75 zu fürchten, daß die Resultate der Forschung das kirchliche Interesse schwächen werden; sie können ihm im schlimmsten Fall nur den Impuls geben, zur Beseitigung der erkannten Unvollkommenheiten mitzuwirken.
§. 194. Die kirchengeschichtlichen Arbeiten eines Jeden müssen theils aus seiner Neigung hervorgehen, theils durch die Gelegenheiten 10 bestimmt werden, die sich ihm darbieten. Ein lebhaftes theologisches Interesse wird immer die erste den lezten zuzuwenden, oder für erstere auch die lezteren herbeizuschaffen wissen.
Dritter Abschnitt. 15
Die geschichtliche Kenntniß von dem g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d e des Christenthums.
§. 195. Wir haben es hier zu thun (vergi. §. 94—97.) mit der dogmatischen Theologie, als der Kenntniß der jezt in der evangelischen Kirche [Zu §195] § 94 Sonderung in Darstellung der Lehre und geselligen Zustande in Zeiten wo der Aufgabe zusammenhängende Darstellung zu geben genügt 20 werden kann. § 95 Definition der Statistik § 96 Sie ist für alle Kirchengemeinschaften die-
12 lezteren] leztere 18 Sonderung] Sondrg 18 in Darstellung] in über Darstllg 18 geselligen] gsll ; vgl. ThEnz (Strauß), S. 181. Möglich wäre auch zu lesen: gesellschaftlichen ; vgl. § 94, oben 362,14. 18 Zustande] Zstds 19 Darstellung zu] Dstllg ζ 21 Definition] Définit 21 Kirchengemeinschaften] KGescht ; vgl. § 96, oben 363,2; ThEnz (Strauß), S. 181 f . Í 194 -* S. 55, §48: Die auf die Bereicherung der Wissenschaft Bezug habenden Arbeiten eines Jeden müssen ein gemeinsames Product seiner Neigung und der Gelegenheiten sein, die sich ihm darbieten. / § 195 S. 56, §§ 2—3: Eben dieses Zwekkes wegen darf auch hier die Trennung in Verfassung und Lehrbegriff (II. Einl. 20.) Statt finden, nur muß die Beziehung beider auf einander nicht vernachlässigt werden. — Diejenige theologische
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geltenden Lehre, und mit der kirchlichen Statistik, als der Kenntniß des gesellschaftlichen Zustandes in allen verschiedenen Theilen der christlichen Kirche.
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Der hier der dogmatischen Theologie angewiesene Ort, welche sonst auch unter dem Namen der systematischen Theologie eine ganz andere Stelle einnimmt, muß sich selbst vermittelst der weiteren Ausführung rechtfertigen. Hier ist nur nachzuweisen, daß die beiden genannten Disciplinen die Ueberschrift in ihrem ganzen Umfang erschöpfen. Dies erhellt daraus, daß es eigentlich in der Kirche, wie sie ganz Gemeinschaft ist, nichts zu erkennen giebt, was nicht ein Theil ihres gesellschaftlichen Zustandes wäre. Die Lehre ist nur aus diesem, weil ihre Darstellung einer eigenthümlichen Behandlung fähig und bedürftig ist, heraus genommen. Dies konnte allerdings mit anderen Theilen des gesellschaftlichen Zustandes auch geschehen; solche sind aber noch nicht als theologische Disciplinen besonders bearbeitet. Kann aber in Zeiten wo die Kirche getheilt ist (nach §. 98.) nur jede einzelne Kirchengemeinschaft ihre eigene Lehre dogmatisch bearbeiten: so fragt sich, wie k o m m t der evangelische Theologe zur Kenntniß der in and e m christlichen Kirchengemeinschaften geltenden Lehre, und welchen Ort kann unsere Darstellung dazu anweisen? Am unmittelbarsten durch die dogmatischen Darstellungen welche sie selbst davon geben, die aber für ihn nur geschichtliche Berichte werden. Der O r t aber in unserer Darstellung ist die bis auf den gegenwärtigen Moment verfolgte Geschichte der christlichen Lehre, für welche jene Darstellungen die ächten Quellen sind. Aber auch die Statistik kann bei jeder Gemeinschaft einen besonderen Ort haben für die Lehre derselben. selbe. § 97 Dogmatik = Zusammenhängende Darstellung der Lehre wie sie zu einer gegebenen Zeit in der Kirche gilt
26 Dogmatik ... Darstellung] Dgm = Zh Dstllg
27 gegebenen] gegeben
26 f Vgl. ThEnz (Strauß) S. 181 f Disciplin, welche unter dem Namen der thetischen oder dogmatischen Theologie bekannt ist, hat es eben zu thun mit der zusammenhangenden Darstellung des in der Kirche jezt grade geltenden Lehrbegriffs. /
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II. Teil: Historische Theologie I. D i e d o g m a t i s c h e
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Theologie.
§. 196. Eine dogmatische Behandlung der Lehre ist weder möglich o h n e eigne Ueberzeugung, n o c h ist n o t h w e n d i g , d a ß alle die sich auf dieselbe Periode derselben Kirchengemeinschaft beziehen, unter sich übereinstimmen. Beides könnte man daraus schließen wollen, daß sie es nur (vergi. §. 97. u. 98.) mit der zur gegebenen Zeit geltenden Lehre zu thun habe. Allein wer von dieser nicht überzeugt ist, kann zwar über dieselbe, und auch über die 77 Art wie der Zusammenhang darin gedacht wird, Bericht erstatten, aber nicht diesen Zusammenhang durch seine Aufstellung bewähren. Nur dieses lezte aber macht die Behandlung zu einer dogmatischen; jenes ist nur eine geschichtliche, wie einer und derselbe sie bei gehöriger Kenntniß auf die gleiche Weise von allen Systemen geben kann. — Die gänzliche Uebereinstimmung aber ist in der evangelischen Kirche deshalb nicht nothwendig, weil auch zu derselben Zeit bei uns verschiedenes neben einander gilt. Alles nehmlich ist als geltend anzusehen, was amtlich behauptet und | vernom- 83 men wird, ohne amtlichen Widerspruch zu erregen. Die Grenzen dieser Differenz sind daher allerdings nach Zeit und Umständen weiter und enger gestekkt. §. 197. Weder eine b e w ä h r e n d e Aufstellung eines Inbegriffs von überwiegend abweichenden u n d nur die Ueberzeugung des Einzelnen a u s d r ü k k e n d e n Säzen w ü r d e n wir eine D o g m a t i k nennen, noch a u c h eine solche, die in einer Zeit auseinandergehender Ansichten n u r dasjenige a u f n e h m e n wollte, w o r ü b e r gar kein Streit obwaltet.
25 [Zu I. Die dogmatische Theologie]
§ 196—231.
¡Zu 5 196] § 98 Daß in Trennungszeiten nur jede Partey ihre eigne Lehre dogmatisch behandeln kann. ¡Zu §§ 196-197] ¡Zu § 197]
§ 196. 197 Grundbedingungen
Negative Rechtfertigung des vorigen
29 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 187 $196 -* — / §197 -* S. 57, §4: Weder eine zusammenhangende Darstellung einer abweichenden bloß subjectiven Ueberzeugung, noch die Aufstellung einer sogenannten biblischen Theologie, noch die geflissentliche friedliebende Beseitigung alles streitigen entspricht jenem Begriff [sc. der dogmatischen Theologie]./
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Das erste wird niemand in Abrede stellen. Aber auch die von da ausgehende Streitfrage, ob Lehrbücher wirklich für dogmatische gelten können, welche über die geltende Lehre nur geschichtlich berichten, bewährend aber nur Säze aufstellen, gegen welche amtlicher Einspruch erhoben werden könnte, gereicht noch unserm Begriff zur Bestätigung. — Eine lediglich irenische Zusammenstellung wird großentheils so dürftig und unbestimmt ausfallen, daß es nicht nur um eine Bewährung hervorzubringen überall an den Mittelgliedern fehlen wird, sondern auch an der nöthigen Schärfe der Begriffsbestimmung um der Darstellung Vertrauen zu verschaffen. 78
§. 198. Die dogmatische Theologie hat für die Leitung der Kirche zunächst den Nuzen, zu zeigen wie mannigfaltig und bis auf welchen Punkt das Princip der laufenden Periode sich nach allen Seiten entwikkelt hat, und wie sich dazu die der Zukunft anheim fallenden Keime 84 verbesserter Gestaltungen verhalten. Zugleich giebt sie der Aus|übung die Norm für den volksmäßigen Ausdrukk um die Rükkehr alter Verwirrungen zu verhüten und neuen zuvorzukommen. Dieses Interesse der Ausübung fällt lediglich in die erhaltende Function der Kirchenleitung, und ursprünglich hievon ist die allmählige Bildung der Dogmatik ausgegangen. Die Theilung des ersten erklärt sich aus dem, was über den Gehalt eines jeden Momentes im allgemeinen (vergi. §. 91.) gesagt ist. [Zu § 198] S 198 Beziehung auf die Kirchenleitung Der erste ist mehr auf Kirchenregiment oder akademisch. Nämlich die übersichtliche Verbindung
24 Kirchenregiment oder akademisch] KReg. od. akadem.
25 Verbindung] Vbindung
25 Vgl. ThEnz (Strauß) S. 188 §198 ~~* S. 56, § 1: Die zusammenfassende Darstellung des lezten Moments in der geschichtlichen Kirche kann nur zeigen wollen, in welchem Verhältnis bis dahin das Princip der laufenden Periode sich nach allen Seiten hin entwikkelt hat. /
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§. 199. In jedem für sich darstellbaren Moment (vergi. §. 93.) tritt das was in der Lehre aus der leztvorangegangenen Epoche herrührt, als das am meisten kirchlich bestimmte auf, dasjenige aber, wodurch mehr der folgenden Bahn gemacht wird, als von Einzelnen ausgehend. 5
Das erste nicht nur mehr kirchlich bestimmt als das lezte, sondern auch mehr als das aus früheren Perioden mit herübergenommene; das leztere um so mehr nur auf Einzelne zurükzuführen, je weniger noch eine neue Gestaltung sich bestimmt ahnden läßt.
§. 200. Alle Lehrpunkte welche durch das die Periode dominirende 10 Princip entwikkelt sind, müssen unter sich zusammenstimmen; wogegen alle andern, so lange man von ihnen nur sagen kann, daß sie diesen Ausgangspunkt nicht haben, als unzusammenhangende Vielheit er- 79 scheinen. 15
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Das dominirende Princip kann aber selbst verschieden aufgefaßt sein, und daraus entstehen mehrere in sich zusammenhängende, aber von einander verschiedene dogmatische Darstellungen, welche, und vielleicht nicht mit | Unrecht, auf gleiche Kirchlichkeit Anspruch machen. — Wenn die heterogenen vereinzelten Elemente zusammengehen, geben sie sich entweder als eine neue Auffassung des schon dominirenden Princips zu erkennen, oder sie verkündigen die Entwiklung eines neuen.
§ . 2 0 1 . Wie zur vollständigen Kenntniß des Zustandes der Lehre nicht nur dasjenige gehört, was in die weitere Fortbildung wesentlich [Zu §199]
§ 199 -
genetischer Gegensaz
24 genetischer] über der Zeile mit Einfügungszeichen altkirchlichem und [neoterischem])
24 Gegensaz] folgt S. 59, § 17 — S. 60, § 18: Zur vollständigen Kenntniß des gegenwärtigen Augenbliks gehört nicht nur dasjenige, was in die Zukunft hinübergenommen wird, und wesentlich in die weitere Fortbildung verflochten ist: sondern auch dasjenige, was eben
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verflochten ist, sondern auch das was, wenn es auch als persönliche Ansicht nicht unbedeutend war, doch als solche wieder verschwindet: so muß auch eine umfassende dogmatische Behandlung alles in ihrer Kirchengemeinschaft gleichzeitig vorhandene verhältnißmäßig berüksichtigen.
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Der Ort hiezu muß sich immer finden, wenn in dem Bestreben den aufgestellten Zusammenhang zu bewähren, Vergleichungen und Parallelen nicht versäumt werden.
§. 202. Eine dogmatische Darstellung ist desto vollkomner, je mehr sie neben dem assertorischen auch divinatorisch ist. 10 In jenem zeigt sich die Sicherheit der eignen Ansicht; in diesem die Klarheit in der Auffassung des Gesamtzustandes.
§. 203. Jedes Element der Lehre welches in dem Sinn construirt ist, das bereits allgemein anerkannte zusamt den natürlichen Folgerungen 80 daraus fest zu halten, ist orthodox; jedes in der Tendenz construirte, den 15 86 Lehrbegriff beweglich zu | erhalten und andern Auffassungsweisen Raum zu machen, ist heterodox. Es scheint zu eng, wenn man diese Ausdrükke ausschließend auf das Verhältniß der Lehrmeinungen zu einer aufgestellten Norm beziehen will; derselbe Gegensaz kann auch statt finden, wo es eine solche nicht giebt. Nach 20 obiger Erklärung kann vielmehr aus der orthodoxen Richtung erst das Symbol hervorgehen, und so ist es oft genug geschehen. Was aber fremd scheinen kann an dieser Erklärung, ist, daß sie gar nicht auf den Inhalt der Säze an und für sich zurükkgeht; und doch rechtfertigt sich auch dieses leicht bei näherer Betrachtung. 25 [Zu §202] Das divinatorische negativ[:] Nicht festhalten wollen was im Verschwinden begriffen ist (205) — positiv: aus dem particularen herausheben was kirchlich
26 divinatorische] divinat.
27 (205)] über der Zeile
27 herausheben] hsheben
so erzeugt, als rein persönliche Ansicht wieder verschwindet. — Da die Darstellung des Lehrbegriffs auch die Richtung, welche das Ganze als ein bewegliches nimmt, bezeichnen soll: so muß sie alles gleichzeitig vorhandene verhältnißmäßig ber üksicht igen. / § 202 S. 60, § 19: Keine Darstellung des Lehrbegriffs kann treu sein, die nicht zugleich divinatorisch ist. Das Divinatorische ist desto reichhaltiger je weiter, und desto schwieriger je näher der zu beschreibende Augenblik dem Culminationspunkte einer Periode liegt./ §203 -* S. 58, §§ 10—11: Jedes Element des Lehrbegriffs, welches in dem Sinn construirt ist, das bereits bestehende und fixirte zusammt seinen natürlichen Folgerungen fest zu halten, ist orthodox. — Jedes Element, welches in dem Sinne construirt ist, den Lehrbegriff beweglich zu erhalten und neue Darstellungen von dem Wesen des Christenthums zu er-
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§. 204. Beide sind, wie für den geschichtlichen ö a n g des Christenthums überhaupt so auch für jeden bedeutenden Moment als solchen, gleich wichtig. 5
Wie es bei aller Gleichförmigkeit doch keine wahre Einheit gäbe ohne die ersten: so bei aller Verschiedenheit doch keine bewußte freie Beweglichkeit ohne die lezten.
§. 205. Es ist falsche Orthodoxie auch dasjenige in der dogmatischen Behandlung noch festhalten zu wollen, was in der öffentlichen kirchlichen Mittheilung schon ganz antiquirt ist, und auch durch den 10 wissenschaftlichen Ausdrukk keinen bestimmten Einfluß auf andere Lehrstükke ausübt. Eine solche Bestimmung muß offenbar wieder beweglich gemacht, und die Frage auf den Punkt zurükkgeführt werden, wo sie vorher stand. §. 206. Es ist falsche Heterodoxie auch solche Formeln in der dog15 matischen Behandlung anzufeinden, welche in der kirchlichen Mitthei- 87 lung ihren wohlbegründeten Stüzpunkt haben, und deren wissenschaftli- 81 eher Ausdrukk auch ihr Verhältniß zu andern christlichen Lehrstükken nicht verwirrt. 20
Hierdurch wird also die knechtische Bequemlichkeit keinesweges gerechtfertigt, welche alles, woran sich Viele erbauen, stehen lassen will, wenn es sich auch mit den Grundlehren unseres Glaubens nicht verträgt.
§. 207. Eine dogmatische Darstellung für die evangelische Kirche wird beiderlei Abweichungen vermeiden, und ohnerachtet der von uns in Anspruch genommenen Beweglichkeit des Buchstaben doch können 25 in allen Hauptlehrstükken orthodox sein; aber auch, ohnerachtet sie sich nur an das geltende hält, doch an einzelnen Orten auch heterodoxes in Gang bringen müssen. [Zu § 207]
Vereinigung des Gegensazes
öfnen, ist heterodox./ §204 -* S. 58, 5 12: Beide sind für den geschichtlichen Gang des Christenthums und für jeden Moment, der darin Bedeutung haben soll, gleich wichtig. / J 205 S. 59, § 13: Auch dasjenige festhalten wollen im Lehrbegriff, was bereits antiquirt ist, und so die Fortschreitung hemmen, ist die falsche Orthodoxie. / § 206 S. 59, S 14: Alles beweglich machen wollen, ohne selbst das Wesentliche des Christenthums und seiner laufenden Periode zu schonen, zerstört die Einheit der geschichtlichen Erscheinung und ist die falsche Heterodoxie. / § 207 -* S. 59, § 16: Jede treue und den Zustand der Kirche wirklich umfassende Darstellung des Lehrbegriffs muß in ihrem Fundament und Hauptgebäude orthodox sein, eben so nothwendig aber auch in einzelnen Theilen einzelnes Heterodoxe enthalten. /
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Das hier aufgestellte wird, wenn diese Disciplin sich von ihrem Begriff aus gleichmäßig entwikkelt, immer das natürliche Verhältniß beider Elemente sein, und sich nur ändern müssen, wenn lange Zeit eines von beiden Extremen geherrscht hat. §. 208. Jeder auf einseitige Weise neuernde oder das Alte verherrli5 chende Dogmatiker ist nur ein unvollkomnes Organ der Kirche, und wird von einem falsch heterodoxen Standpunkt aus auch die sachgemäßeste Orthodoxie für falsche erklären, und von einem falsch orthodoxen aus auch die leiseste und unvermeidlichste Heterodoxie als zerstörende Neuerung bekriegen. | 10 88
Diese Schwankungen sind es vornehmlich, welche bis jezt fast immer verhinderten, daß die dogmatische Theologie der evangelischen Kirche sich nicht in einer ruhigen Fortschreitung entwikkeln konnte.
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§. 209. Jeder in die dogmatische Zusammenstellung aufgenommene Lehrsaz muß die Art wie er bestimmt ist bewähren, theils durch unmit- 15 telbare oder mittelbare Zurükkführung seines Gehaltes auf den neutestamentischen Kanon, theils durch die Zusammenstimmung des wissenschaftlichen Ausdrukks mit der Fassung verwandter Säze. Alle Säze aber, auf welche in diesem Sinn zurükkgegangen wird, unterliegen derselben Regel; so daß es hier keine andere Unterordnung giebt, als 20 daß diejenigen Säze am wenigsten beider Operationen bedürfen, für welche der volksmäßige, der schriftmäßige und der wissenschaftliche Ausdrukk am meisten identisch sind, so daß jeder Glaubensgenosse sie gleich an der Gewißheit seines unmittelbaren frommen Selbstbewußtseins bewährt. — Diese Unterscheidung wird wol zurükkbleiben von der, wie sie gewöhnlich 25 gefaßt wurde schon als antiquirt zu betrachtenden, von Fundamentalartikeln und anderen. §. 210. Wenn sich die Behandlung des Kanon bedeutend ändert, muß sich auch die Art der Bewährung einzelner Lehrsäze ändern, ohnerachtet ihr Inhalt unverändert derselbe bleibt. 30
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S. 58, §§8—9 + S. 59, §15: Je mehr noch das Princip der frühern Epoche im Entwikkeln begriffen ist, um desto weniger können sich die Elemente bemerklich machen, welche die folgende vorbereiten. — Jeder ganz oder partiell den Lehrbegriff aussprechende, der sich in der Relativität für eines von beiden befindet, ist nur ein unvollkommenes Organ der Kirche. — Jeder in einer Relativität befangene steht in Gefahr, was zum Wahren und Falschen der entgegengesezten [sc. Orthodoxie und Heterodoxie] gehört zu verwechseln. / § 209 S. 60, 5 20: Jedes in die Darstellung aufgenommene Element, muß die Art wie es bestimmt ist bewähren, am Kanon sowohl als an der Speculation. / § 210 -* S. 61, § 25: Wenn die Behandlung des Kanon sich ändert, muß sich auch die Art der Bewährung einzelner Theile des Lehrbegriffs ändern, ohne jedoch daß sie selbst sich änderten. /
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Das orthodoxe dogmatische Interesse darf niemals den exegetischen Untersuchungen in den Weg treten oder sie beherrschen; aber das Wegfallen einzelner sogenannter | Beweisstellen ist auch an und für sich kein Zeugniß 89 gegen die Richtigkeit eines geltenden Lehrsazes. Wogegen fortgeltende kanonische Bewährung einem Lehrsaz Sicherheit gewähren muß gegen die heterodoxe Tendenz.
§.211. Für Säze, welche den eigenthümlichen Charakter der gegenwärtigen Periode bestimmt aussprechen, kann das Zurükkführen auf das Symbol die Stelle der kanonischen Bewährung vertreten, wenn wir uns 10 die damals geltende Auslegung noch aneignen können.
15
In diesen Fällen wird es auch rathsam sein die Uebereinstimmung mit dem 83 Symbol hervorzuheben, um diese Säze bestimmter von anderen (vergi. §. 199. 200. 203.) zu unterscheiden. Dasselbe gilt aber keinesweges für Säze, welche aus früheren Perioden durch reine Wiederholung in das Symbol der laufenden herüber genommen sind.
§. 212. Da der eigentümliche Charakter der evangelischen Kirchenlehre unzertrennlich ist von dem durch den Ausgang der Reformation erst fixirten Gegensaz zwischen der evangelischen und römischen Kirche: so ist auch jeder auf unsere Symbole zurükkzuführende Saz nur 20 in sofern vollständig bearbeitet, als er den Gegensaz gegen die correspondirenden Säze der römischen Kirche in sich trägt.
25
Denn weder ein Saz, in Beziehung auf welchen der Gegensaz unsererseits schon wieder aufgehoben wäre, noch einer, dem dieser Gegensaz fremd wäre, könnte hinreichende Bewährung in der Beziehung auf das Symbol 90 finden. §. 213. Der streng didaktische Ausdrukk, welcher durch die Zusammengehörigkeit der einzelnen Formeln dem dogmatischen Verfahren seine wissenschaftliche Haltung giebt, ist abhängig von dem jedesmaligen Zustand der philosophischen Disciplinen.
30
Theils wegen des logischen Verhältnisses der Formeln zu einander, theils weil viele Begriffsbestimmungen auf psychologische und ethische Elemente zurükkgehen.
§211 -» S. 60, §§21—22: Was in Bezug auf das Ganze und den ersten Anfang der Kanon ist, das ist in Bezug auf die laufende Periode und ihren Anfang das Symbol. — Die Bewährung der orthodoxen Elemente des Lehrbegriffs am Kanon ist vermittelt durch die am Symbol./ §212 -» S. 61, §§23—24: Die lezte Epoche in der Geschichte des Christenthums ist die Reformation, durch welche sich der Gegensaz zwischen Protestanten und Katholiken festgestellt hat. — Die Beziehung beider Partheien aufeinander muß bei der Darstellung überall ins Auge gefaßt werden./ §213 -> S. 61, §26: Durch Beziehung auf verschiedene philosophische Systeme entsteht ein verschiedener Ausdruk der einzelnen Lehren, ohne daß die Identität der ursprünglichen religiösen Affection des Gemüthes, welche durch die Lehre repräsentirt werden soll, dadurch aufgehoben würde. /
216
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 214. D a s dialektische Element des Lehrbegriffs kann sich an jedes philosophische System anschließen, welches nicht das religiöse Element entweder überhaupt oder in der besonderen Form, welcher das Christenthum zunächst angehören will, durch seine Behauptungen ausschließt oder abläugnet. Daher alle entschieden materialistischen und sensualistischen Systeme, die man aber wol schwerlich für wahrhaft philosophisch gelten lassen wird — und alle eigentlich atheistischen werden auch diesen Charakter haben — nicht für die dogmatische Behandlung zu brauchen sind. Noch engere Grenzen im allgemeinen zu ziehen ist schwierig. §. 215. Einzelne Lehren k ö n n e n daher s o w o l in gleichzeitigen dogmatischen Behandlungen verschieden gefaßt sein, als auch zu verschiedenen Zeiten verschieden lauten, während in beiden Fällen ihr religiöser Gehalt keine Verschiedenheit darbietet. | Wegen Verschiedenheit der gleichzeitig bestehenden oder auf einander folgenden Schulen und ihrer Terminologien. Solche Differenzen werden aber auch nur durch Mißverständniß Gegenstand eines dogmatischen Streites. §. 216. Eben so kann ein Schein von Aehnlichkeit entstehen zwischen Säzen, deren religiöser Gehalt dennoch mehr oder weniger verschieden ist. Nicht nur kann sich im einzelnen die Differenz verschiedener theologischer Schulen derselben Kirche verbergen hinter der Identität der wissenschaftlichen Terminologie, sondern auch protestantische und katholische Säze, zumal bei einiger Entfernung von den symbolischen Hauptpunkten, können gleichbedeutend erscheinen. §. 217. D i e protestantische dogmatische Behandlung m u ß danach streben das Verhältniß eines jeden Lehrstükks zu dem unsere Periode beherrschenden Gegensaz zum klaren Bewußtsein zu bringen. Dies ist ein nur auf diesem Wege zu befriedigendes Bedürfniß der Kirchenleitung, in welches unrichtige Vorstellungen von dem Zustande dieses Gegensazes, ob und wo er durch Annäherung beider Theile schon im Verschwinden begriffen sei, oder umgekehrt ob und wo er sich erst bestimmter zu entwikkeln anfange, die schwierigsten Verwirrungen hervorbringen muß.
§ 214 S. 61, S 27: An jedes wahrhaft philosophische System kann sich die Darstellung des Lehrbegriffs anschließen. / § 215 -» S. 61, § 26: Durch Beziehung auf verschiedene philosophische Systeme entsteht ein verschiedener Ausdruk der einzelnen Lehren, ohne daß die Identität der ursprünglichen religiösen Affection des Gemüthes, welche durch die Lehre repräsentirt werden soll, dadurch aufgehoben würde. / § 216 -* — / $ 217 -* — /
II. Teil: Historische Theologie
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217
§. 218. Die dogmatische Theologie ist in ihrem ganzen Umfang ein unendliches, und bedarf einer Scheidung des Gebietes besonderer Virtuosität und des Gemeinbesizes. 5
Dieser bezieht sich aber natürlich nur auf den Umfang | des zu verarbeiten- 92 den Stoffes, nicht auf die Sicherheit und Stärke der Ueberzeugung, oder auf die Art wie diese gewonnen wird.
§. 219. Von jedem evangelischen Theologen ist zu verlangen, daß er im Bilden einer eignen Ueberzeugung begriffen sei über alle eigentlichen Oerter des Lehrbegriffs, nicht nur so wie sie sich aus den Principien 10 der Reformation an sich und im Gegensaz zu den römischen Lehrsäzen entwikkelt haben, sondern auch sofern sich neues gestaltet hat, dessen für den Moment wenigstens geschichtliche Bedeutung nicht zu übersehen ist. 15
20
25
30
Unter einem Ort verstehe ich einen solchen Saz oder Inbegriff von Säzen, welche theils im Kanon und Symbol einen bestimmten Siz haben, theils nicht übergangen werden können, ohne daß andere von demselben Umfang und Werth dunkel und unverständlich werden. — Der Ausdrukk im Bilden der Ueberzeugung begriffen sein schließt keinesweges einen skeptischen Zustand ein, sondern nur das dem Geist unserer Kirche wesentliche innere Empfänglichbleiben für neuere Untersuchungen, insofern theils die Behandlung des Kanon sich ändern, theils eine andere Quelle für den dogmatischen 86 Sprachgebrauch sich eröffnen kann. Auch bezieht diese Forderung sich zunächst nicht auf den Glauben, so wie er ein Gemeingut der Christen ist, sondern auf die streng didaktische Fassung der Aussagen über denselben. §. 220. Das dogmatische Studium muß daher beginnen mit der Auffassung und Prüfung | einer oder mehrerer streng zusammenhängender 93 Darstellungen des kirchlich festgestellten, als weiterer Ausbildung der ihrer Natur nach nur fragmentarischen Symbole. Dogmengeschichte muß dabei, wenn auch nur so wie auch der Laie die Grundzüge davon inne haben kann, nothwendig vorausgesezt werden. —
S 218 -» S. 62, §28: Da der Lehrbegriff der Kirche aus den Meinungen Einzelner entsteht, und in demselben immer durchgehende und bleibende Elemente mit einander verbunden sind: so ist auch die Kenntniß seines jedesmaligen Zustandes ein Unendliches, in welchem die Gebiete des allgemeinen Besizes und der besonderen Virtuosität zu unterscheiden sind. / S 219 -» S. 62, § 29: Zu dem allgemeinen Gebiet gehört die vollständige Kenntniß alles desjenigen im Lehrbegriff beider Kirchenpartheien, was sich auf das Princip der lezten Epoche bezieht, und die Kenntniß desjenigen neuen, woran man erkennen kann, daß es von geschichtlicher Bedeutung ist. / § 220 -* S. 64, § 40: Da der Lehrbegriff als ein Ganzes soll angeschaut werden, und die Consequenz weit leichter auffällt an dem mehr entwikkelten: so muß das Studium des gegenwärtigen Zustandes des Lehrbegriffs anfangen, mit einer streng zusammenhangenden Darstellung des kirchlich fixirten als weiterer Ausbildung der ihrer Natur nach nur fragmentarischen Symbole. /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
Man unterscheide übrigens und stelle zusammen solche Darstellungen, welche ihre Säze überwiegend aus dem symbolischen Buchstaben entwikkeln, und solche, welche dem Geist der Symbole treu zu bleiben behaupten, wenn sie auch ihren Buchstaben ebenfalls der Kritik unterwerfen. §. 221. In Bezug auf das neue aus dem Symbol nicht verständliche muß, inwiefern es in dieses Gebiet gehöre, zunächst die Betrachtung entscheiden, ob mehreres auf einen gemeinsamen Ursprung zurükkweist und eine gemeinsame Abzwekkung verräth.
5
Denn je mehr dies der Fall ist, um desto sicherer kann ein geschichtliches Eingreifen solcher Ansichten vermuthet werden. 10 §. 222. Genaue Kenntniß aller gleichzeitigen Behandlungsweisen und schwebenden Streitfragen so wie aller gewagten Meinungen, und festes Urtheil über Grund und Werth dieser Formen und Elemente bilden das Gebiet der dogmatischen Virtuosität. 87 94
Das feste Urtheil ist zu verstehen mit Vorbehalt der frischen Empfänglich- 15 keit (vergi. §. 218.) die dem Meister | nicht minder nothwendig ist als dem Anfänger. — Unter gewagten Meinungen sind nicht nur die ephemeren Erscheinungen launenhafter und ungeordneter Persönlichkeit zu verstehen, sondern auch alles was als eigentlich krankhaft auf antichristliche oder mindestens antievangelische Impulse zu reduciren ist, und Gegenstand der 20 polemischen Ausübung wird. §. 223. In der bisherigen Darstellung ist auf die jezt überwiegend übliche Theilung der dogmatischen Theologie in die Behandlung der
4 unterwerfen] uuterwerfen 22—5 Für Schleiermacher datiert die Selbständigkeit der christlichen Sittenlehre gegenüber der Dogmatik von Lambertus Danaeus und Georg Calixt an: vgl. SW 1/12, Anhang S. 3; vgl. Lambertus Danaeus: Ethices christianae libri tres, Genf 1577; Georg Calixt: Epitomes theologiae moralis pars prima, Helmstedt 1634 (Werke in Auswahl, hg. v. der Abteilung für Niedersächsische Kirchengeschichte an den Vereinigten Theologischen Seminaren der Universität Göttingen, Bd. 1-4, Göttingen 1970-1982, Bd. 3, S. 25-142). §221 -> S. 65, §41: Bei der Kenntniß des Neuen aus dem Symbol nicht verständlichen muß man sich gleich die Aufgabe stellen, eine gemeinsame Haltung und Abzwekkung darin zu finden. / § 222 S. 62, § 30: Zur besondern Virtuosität gehört die genaue Kenntniß aller einzelnen Streitigkeiten und gewagten Meinungen, auch diejenigen welche wieder verschwinden, ohne für sich allein in die Geschichte eingegriffen zu haben./ § 222 Erl -* S. 65, § 42: Eben so ist für das, was sich als krankhaft zu erkennen giebt, ein in dem Geist des Zeitalters liegendes antichristliches oder irreligiöses Princip aufzusuchen. / §223 -* S. 62, §31 — S. 63, §32: Alles bisher (3—30) Gesagte gilt gleich sehr von der
II. Teil: Historische Theologie
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theoretischen Seite des Lehrbegriffs oder die Dogmatik im engeren Sinn, und in die Behandlung der praktischen Seite, oder die christliche Sittenlehre, um so weniger Rüksicht genommen, als diese Trennung nicht als wesentlich angesehen werden kann; wie sie denn auch weder überhaupt noch in der evangelischen Kirche etwas ursprüngliches ist. Weder die Bezeichnungen theoretisch und praktisch noch die Ausdrükke Glaubens- und Sittenlehre sind völlig genau. Denn die christlichen Lebensregeln sind auch theoretische Säze als Entwiklungen von dem christlichen Begriff des guten; und sie sind nicht minder Glaubenssäze wie die eigentlich dogmatischen, da sie es mit demselben christlich frommen Selbstbewußtsein zu thun haben, nur so wie es sich als Antrieb kund giebt. — Wenn nun gleich nicht geläugnet werden kann, daß die vereinigte Behandlung beider einer in vieler Hinsicht unvollkommenen Periode der theologischen Wissenschaften angehört: so läßt sich doch eine fortschreitende Verbesserung auch dieses Gebietes sehr wohl ohne eine solche Trennung denken. | 224. Wenn die Trennung beiderlei Säzen den Vortheil gewährt, leich- 95; 88 ter in ihrer Zusammengehörigkeit aufgefaßt zu werden: so hat sie der christlichen Sittenlehre noch den besonderen Vortheil gebracht, daß sie nun eine ausführlichere Behandlung erfährt.
20
25
Das leztere ist indeß nicht wesentlich eine Folge der Trennung. Denn es läßt sich auch eine vereinigte Behandlung denken in umgekehrtem Verhältniß, als wirklich früher statt gefunden hat; und dann würde derselbe Vortheil auf Seiten der Dogmatik gewesen sein. Dem ersten steht gegenüber daß eine wohlgeordnete lebendige Vereinigung beider eine vorzügliche Sicherheit dagegen zu gewähren scheint, daß die eigentlichen dogmatischen Säze nicht so leicht sollten in geistlose Formeln, noch die ethischen in bloß äußerliche Vorschriften ausarten können.
§. 225. Aus der Theilung des Gebietes kann sehr leicht die Meinung entstehen, als ob bei ganz verschiedener Auffassung der Glaubenslehre 30 doch die Sittenlehre auf dieselbige Weise könnte aufgefaßt werden und umgekehrt.
17—19 Vgl. dazu auch de "Wette: Kritische Uebersicht der Ausbildung der theologischen Sittenlehre in der evangelisch Lutherischen Kirche seit Calixtus, Theologische Zeitschrift 1, 1819, S. 247-314, und 2, 1820, S. 1-82. theoretischen Seite des Lehrbegriffs, der christlichen Glaubenslehre oder Dogmatik im engern Sinne, und von seiner praktischen, der christlichen Sittenlehre. — Beide sind nicht von Anfang her getrennte Disciplinen gewesen, stehen auch nicht immer mit einander im Gleichgewicht, weder der innern Ausbildung noch der äußeren Darstellung. / § 224 -/ S 225 -+-/
220
[406]
Kurze Darstellung (2. Auflage)
Dieser Irrthum ist in unser kirchliches Gemeinwesen schon sehr tief eingedrungen, und ihm kann nur von der wissenschaftlichen Behandlung aus wirksam entgegengearbeitet werden. §. 226. Die Theilung findet eine große Rechtfertigung sowol darin, daß die Bewährung aus dem Kanon und Symbol sich bedeutend anders 96 gestaltet bei den ethischen Säzen als bei den | dogmatischen, als auch darin, daß die Terminologie für die einen und die andern aus verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten herstammt. 89
5
Wir haben zwar in dieser Beziehung die theologischen Wissenschaften überhaupt auf die Ethik und die von ihr abhängigen Disciplinen zurükgeführt; 10 betrachten wir aber die dogmatische Theologie insbesondere, so rührt doch die Terminologie der eigentlichen Glaubenslehre großentheils aus der philosophischen Wissenschaft her, die unter dem Namen rationaler Theologie ihren Ort in der Metaphysik hatte, wogegen die christliche Sittenlehre überwiegend nur aus der Pflichtenlehre der philosophischen Ethik schöpfen 15 kann. §. 227. Die Trennung beider Disciplinen hat auch ein verkehrtes eklektisches Verfahren erzeugt, indem man meinte ohne Nachtheil bei der christlichen Sittenlehre auf eine andere philosophische Schule zurükkgehen zu dürfen als bei der Glaubenslehre. 20 Man darf sich nur die Möglichkeit einer ungetheilten Behandlung der dogmatischen Theologie vergegenwärtigt haben, um dies schlechthin unstatthaft zu finden. §. 228. Die abgesonderte Behandlung ist desto sachgemäßer je ungleichförmiger auf beiden Seiten der Verlauf der Periode in Bezug auf 25
17—20 Das monierte eklektische Verfahren bezieht sich nach ThEnz (Strauß) S. 216 beispielsweise auf solche Theologen, die in der Dogmatik in den Bahnen der rationalistischen (spiritualistischen) Schulphilosophie arbeiten, in der Ethik aber auf Prinzipien der empiristisch (sensualistisch) angereicherten Popularphilosophie der Aufklärung zurückgehen. § 226 -» — / § 226 Erl S. 63, §§ 3 4 - 3 5 : Die theoretische Seite des Lehrbegriffs verhält sich zur rationalen Theologie wie die praktische Seite zur Pflichtenlehre der rationalen Ethik. — Was sich für rationale Theologie ausgiebt ist oft nur Dogmatik, und was für rationale Ethik ist oft nur religiöse Moral, beides mit Absonderung des eigenthümlich christlichen. / § 227 -* S. 64, § 36: Die theoretische und praktische Seite des Lehrbegriffs können nicht ohne gänzliche Ertödtung auf verschiedenartige philosophische Systeme bezogen werden. / § 228 S. 63, § 33: Je weniger eine genaue Correspondenz in der Organisation der theoretischen und praktischen Philosophie zu Tage liegt; je weniger im Leben selbst die spekulativen Meinungen auch die Lebensweise bestimmen oder von ihr bestimmt werden; endlich je weniger gleichförmig nach beiden Seiten das Princip der leztvergangenen oder nächstkünftigen Epoche sich ausbildet: um desto zwekmäßiger ist die
II. Teil: Historische Theologie
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221
die Entwiklung des Princips und die Spannung des Gegensazes entweder wirklich gewesen ist, oder je weniger gleichmäßig doch die wissenschaftliche Betrachtung dem wirklichen Verlauf gefolgt ist. | 5
Man würde vielleicht mit Unrecht behaupten, daß in Bezug auf die Sittlich- 97 keit selbst der Gegensaz zwischen Protestantismus und Katholizismus minder entwikkelt sei als in Bezug auf den Glauben; aber daß er in unsern christlichen Sittenlehren bei weitem nicht so ausgearbeitet ist als in unserer Dogmatik, scheint unläugbar.
§. 229. Viele Bearbeitungen der christlichen Sittenlehre lassen un10 läugbar von dem Typus einer theologischen Disciplin nur wenig durch- 90 schimmern, und sind von philosophischen Sittenlehren wenig zu unterscheiden.
15
Daß dies von dem nachtheiligsten Einfluß auf die Kirchenleitung sein muß, leuchtet ein. Bei einer ungetheilten Behandlung könnte sich für die sittenlehrigen Säze ein solches Resultat nicht gestalten, es müßte denn auch die Glaubenslehre ihren Charakter verläugnen.
§. 230. Die abgesonderte Behandlung beider Zweige der dogmatischen Theologie wird desto unverfänglicher sein, je vollständiger alles von §. 196—216. gesagte auch auf die christliche Sittenlehre angewendet 20 wird, und je mehr man in jeder von "beiden Disciplinen den Zusammenhang mit der andern durch einzelne Andeutungen wieder herstellt. Das erste kann hier nicht besonders ausgeführt werden, die Möglichkeit des lezten erhellt aus dem zu §. 224. gesagten. §.231. Wünschenswerth bleibt immer, d a ß | auch die ungetheilte 25 Behandlung sich von Zeit zu Zeit wieder geltend mache. Nur bei einer sehr großen Ausführlichkeit möchte dies kaum möglich sein, ohne daß die Masse alle Form verlöre.
9—12 Schleiermacher denkt hier insbesondere an den großen prägenden Einfluß von Aristoteles, Christian Wolff und Immanuel Kant auf die Gestaltung der theologischen Ethik; vgl. ThEnz (Strauß) S. 218. 24 f Nach ThEnz (Strauß) S. 213 verweist Schleiermacher als Beispiel für eine gemeinsame Behandlung von Dogmatik und Ethik auf Karl Immanuel Nitzsch: System der christlichen Lehre für academische Vorlesungen, Bonn 1829. Trennung beider Seiten des Lehrbegriffs in zwei verschiedene Disciplinen. / 5 228 Erl -* S. 64, § 37: Der kirchliche Gegensaz der jezigen Periode hat sich auf der praktischen Seite des Lehrbegriffs für jezt noch nicht so stark ausgeprägt als auf der theoretischen. / §229-* -/ §230-* S. 64, § 39: Wenn auch beide Seiten des Lehrbegriffs als besondere Disciplinen behandelt werden: so entsteht desto nothwendiger die Aufgabe bei jedem einzelnen Saz der einen auf das, was sich daraus für die andere ergiebt, zurükzuweisen. / § 231 -/
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Kurze Darstellung II. D i e k i r c h l i c h e
(2.
Auflage)
Statistik.
§. 2 3 2 . In d e m G e s a m t z u s t a n d einer kirchlichen Gesellschaft unterscheiden w i r die innere Beschaffenheit u n d die ä u ß e r e n Verhältnisse, und in der ersten w i e d e r den G e h a l t der sich d a r i n n a c h w e i s e n l ä ß t , u n d die F o r m in w e l c h e r sie besteht. 91
5
Manches scheint allerdings eben so leicht unter die eine als unter die andere Hauptabtheilung gebracht werden zu können, immer aber doch in einer andern Beziehung, so daß dies der Richtigkeit der Eintheilung keinen Eintrag thut. §. 2 3 3 . D i e A u f g a b e u m f a ß t in Z e i t e n , w o die christliche K i r c h e
10
nicht äußerlich eines ist, alle einzelnen K i r c h e n g e m e i n s c h a f t e n . Jede ist dann für sich zu betrachten, und die Verhältnisse einer jeden zu den übrigen finden von selbst ihren O r t in der zweiten Hälfte. — Aber auch wenn einzelne Kirchengemeinschaften nicht bestimmt von einander geschieden wären, würden doch einzelne Theile der Kirche sich sowol ihrer innern Beschaffenheit als ihren Verhältnissen nach so sehr von andern unterscheiden, daß Eintheilungen dennoch müßten gemacht werden.
15
§. 2 3 4 . D e r G e h a l t einer k i r c h l i c h e n G e m e i n s c h a f t in e i n e m gegebe99
nen Z e i t p u n k t b e r u h t | a u f d e r S t ä r k e u n d G l e i c h m ä ß i g k e i t , w o m i t der eigenthümliche G e m e i n g e i s t derselben die g a n z e ihr z u g e h ö r i g e M a s s e
20
durchdringt. Zunächst also und im allgemeinen der Gesundheitszustand derselben in Bezug auf Indifferentismus und Separatismus (vergi. 56. u. 57.). Dieser wird aber erkannt einerseits aus den Entwiklungsexponenten des Lehrbegriffs mit Rüksicht auf die Einstimmigkeit oder Mannigfaltigkeit der Resultate und auf das Interesse der Gemeinde an dieser Function, andererseits aus dem Einfluß des kirchlichen Gemeingeistes auf die übrigen Lebensgebiete, und aus der Manifestation desselben in dem gottesdienstlichen Leben.
23 57.).] 57.) 5 232 -* S. 65, § 43: Die Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes der Kirche oder die kirchliche Statistik hat vorzüglich zu betrachten die religiöse Entwiklung, die kirchliche Verfassung und die äußeren Verhältnisse der Kirche im gesamten Gebiet der Christenheit. / § 233 S. 65, J 44: Wenn durch das Entwiklungsprincip einer Periode ein Gegensaz mehrerer Kirchenpartheien sich gebildet hat: so ist jeder in allen diesen Beziehungen auch ein eigner Gang während dieser Periode vorgezeichnet, und daher jede Parthei für sich und in Vergleichung mit den andern zu betrachten. / § 234 S. 66, §§ 45—46: Das Maaß und die Art der religiösen Entwiklung bestimmt sich theils nach dem Verhältniß in welchem der Lehrbegriff zu dem religiösen Bewußtsein der Gemeinheit steht, theils nach dem in welchem sich im Leben das religiöse Princip jeder Parthei zu den herrschenden sinnlichen Motiven findet. — Die Unterabtheilungen sind also hier zu bestimmen nach der Verschie-
25
II. Teil: Historische
[409]
Theologie
§. 2 3 5 . J e g r ö ß e r e D i f f e r e n z e n sich h i e r ü b e r in w e i t Kirchengemeinschaften
223
verbreiteten
v o r f i n d e n , u m d e s t o z w e k k w i d r i g e r ist es bei
b l o ß e n D u r c h s c h n i t t s a n g a b e n sich zu b e g n ü g e n . 5
Das lehrreichste für die Kirchenleitung würde verloren gehen, wenn nicht die am meisten verschiedenen Massen in Bezug auf die wichtigsten in Betracht kommenden Punkte mit einander verglichen würden. §• 2 3 6 . D a s W e s e n d e r F o r m , u n t e r w e l c h e r e i n e
92
Kirchengemein-
s c h a f t b e s t e h t , o d e r i h r e r V e r f a s s u n g b e r u h t a u f d e r A r t , w i e die K i r c h e n l e i t u n g o r g a n i s i r t ist, u n d a u f d e m V e r h ä l t n i ß d e r G e s a m t h e i t zu d e n e n , 10
w e l c h e an d e r K i r c h e n l e i t u n g T h e i l n e h m e n , o d e r zu d e m K l e r u s i m weiteren Sinn.
li
Die große Mannigfaltigkeit der Verfassungen macht es nothwendig sie unter gewisse Hauptgruppen zu verthei|len, wobei aber Vorsicht zu treffen ist, sowol daß man nicht zu viel Gewicht auf die Analogie mit den politisehen Formen lege, als auch daß man nicht über den allgemeinen Charakteren die specifischen Differenzen übersehe. §. 2 3 7 . D i e D a r s t e l l u n g d e r i n n e r n B e s c h a f f e n h e i t ist d e s t o
100
voll-
k o m n e r , j e m e h r M i t t e l sie d a r b i e t e t den E i n f l u ß d e r V e r f a s s u n g a u f d e n i n n e r e n Z u s t a n d u n d u m g e k e h r t r i c h t i g zu s c h ä z e n . 20
Denn dies hängt mit der größten Aufgabe der Kirchenleitung zusammen, und ohne diese Beziehung bleiben alle hieher gehörigen Angaben nur todte Notizen, wie alle statistischen Zahlen ohne geistvolle Combination. §.238.
Die äußeren
Verhältnisse
einer Kirchengemeinschaft,
die
n u r V e r h ä l t n i s s e zu a n d e r n G e m e i n s c h a f t e n sein k ö n n e n , sind theils die 25
zu g l e i c h a r t i g e n , n e h m l i c h s o w o l die des C h r i s t e n t h u m s u n d e i n z e l n e r c h r i s t l i c h e n G e m e i n s c h a f t e n zu d e n a u ß e r c h r i s t l i c h e n als a u c h die d e r c h r i s t l i c h e n K i r c h e n g e m e i n s c h a f t e n zu e i n a n d e r , theils die zu u n g l e i c h a r t i g e n , u n d h i e r u n t e r v o r n e h m l i c h zu d e r b ü r g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t u n d zur W i s s e n s c h a f t i m g a n z e n U m f a n g des W o r t e s .
30
Wir betrachten die lezte als eine Gemeinschaft schon deshalb, weil die Sprache alle wissenschaftliche Mittheilung bedingt, und jede doch ein be-
denheit der gemeinschaftlich großen Massen einwohnenden Sinnesart. / § 235 -* — / § 236 -* S. 66, § 47: Das Wesen jeder kirchlichen Verfassung drükt sich aus durch das Verhältniß, in welchem Laien und Klerus gegeneinander stehen. / § 236 Erl -* S. 66, § 48: Da hier die Analogie mit den politischen Verhältnissen besonders heraustritt, so bestimmen sich auch nach diesen die Unterabtheilungen. / § 237 —/ § 238 -» S. 67, §§49—50: Das wesentliche der äußeren Verhältnisse ist die Lage der Kirche gegen den Staat und gegen die Wissenschaft. — Ein besonderes Gebiet wird also da sein, wo diese in ihrer Bildung und Einwirkung auf einander einen eigenthümlichen Gang genommen haben. / § 238 Erl -* S. 67, § 51: Aus dem bisherigen ergiebt sich, daß die Unterabtheilungen für diese Darstellung nach dem Nationalcharakter vorzüglich müssen genommen werden. /
93
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
sonderes Gemeinschaftsgebiet bildet, so daß die Verhältnisse derselben Kirchengemeinschaft ganz verschieden sein können in verschiedenen Sprachgebieten. 101
§. 2 3 9 . Jede Kirchengemeinschaft steht mit | den sie berührenden in einem Verhältniß der Mittheilung sowol als der Gegenwirkung, welche auf das mannigfaltigste können abgestuft sein v o m M a x i m u m des einen und Minimum des andern bis umgekehrt. Unter Berührung soll nicht etwa nur lokales Zusammenstoßen verstanden werden, sondern jede Art von Verkehr. Gegenwirkung aber ist, auch abgesehen von aller nach außen gehenden Polemik, theils durch das gemeinsame Zurükgehen auf den Kanon, theils durch die von außen anbildende Thätigkeit, die nicht als gänzlich fehlend angesehen werden kann, bedingt. §. 2 4 0 . D a s Verhältniß kirchlicher Gemeinschaften zu eigenthümlichen Ganzen des Wissens schwankt zwischen den beiden Einseitigkeiten, der wenn die Kirche kein Wissen gelten lassen will, als dasjenige welches sie sich zu ihrem besondern Z w e k k aneignen mithin auch selbst hervorbringen kann, und der, wenn das objektive Bewußtsein die Wahrheit des Selbstbewußtseins in Anspruch nehmen will.
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102
Denn auf diesen beiden Punkten schließen beide Gemeinschaften einander aus. Zwischen beiden in der Mitte liegt als gemeinsamer Annäherungspunkt ein gegenseitiges thätiges Anerkennen beider. Die Aufgabe ist, ins Licht zu sezen wie sich ein bestehendes Verhältniß zu diesen Hauptpunkten stellt. §. 2 4 1 . D a s gleiche gilt von dem Verhältniß zwischen Kirche und Staat. Nur daß m a n hier, w o sich bestimmtere Formeln entwikkeln, leich-| ter sieht, theils wie nicht leicht ein gegenseitiges Anerkennen statt findet ohne doch ein kleines Uebergewicht auf die eine oder andere Seite zu legen, theils wie zumal das evangelische Christenthum seine Ansprüche bestimmt begrenzt. Daß eine Theorie über dieses Verhältniß nicht hieher gehört, versteht sich von selbst. Viele aber von den hier nachgewiesenen Oertern werden auch in dem sogenannten Kirchenrecht behandelt, nur, wie auch schon der Name andeutet, überwiegend aus dem bürgerlichen Standpunkt betrachtet. §. 2 4 2 . Die kirchliche Statistik ist nach diesen Grundzügen einer Ausführung ins unendliche fähig. Diese muß aber natürlich immer erneuert werden, indem nach eingetretener Veränderung die jedesmaligen Elemente der Kirchengeschichte zuwachsen.
5 239 -* — !
§240 -*-/
§ 241 -* — !
§242 ^ - /
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II. Teil: Historische Theologie
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§. 243. Daß man sich bei uns nur zu häufig auf die Kenntniß des Zustandes der evangelischen Kirche, ja nur des Theiles beschränkt, in welchem die eigene Wirksamkeit liegt, wirkt höchst nachtheilig auf die kirchliche Praxis. 5
Nichts begünstigt so sehr das Verharren bei dem gewohnten und hergebrachten, als die Unkenntniß fremder aber doch verwandter Zustände. Und nichts bewirkt eine schroffere Einseitigkeit als die Furcht, daß man anderwärts werde Gutes anerkennen müssen, was dem eigenen Kreise fehlt.
§. 244. Eine allgemeine Kenntniß von dem Zustande der gesamm10 ten Christenheit in den hier | angegebenen Hauptverhältnissen, nach Maaßgabe wie jeder Theil mit dem Kreise der eignen Wirksamkeit zusammenhängt, ist die unerlaßliche Forderung an jeden evangelischen Theologen. 15
20
Die hieraus freilich folgende Verpflichtung zu einer genaueren Kenntniß des näheren und verwandteren, ist doch nur untergeordnet. Denn eine richtige Wirksamkeit auf die eigne Kirchengemeinschaft ist nur möglich, wenn man auf sie, als auf einen organischen Theil des Ganzen wirkt, welcher sich in seinem relativen Gegensaz zu den andern zu erhalten und zu entwikkeln hat.
§. 245. Durch besondere Beschäftigung mit diesem Fach ist noch vieles zu leisten, sowol was den Stoff anlangt als was die Form. Die neueste Zeit hat zwar viel Material herbeigeschafft, aber es ist selten aus den rechten Gesichtspunkten aufgefaßt. Und umfassendere Arbeiten giebt es noch so wenige, daß die beste Form noch nicht gefunden sein kann.
25
§. 246. Die bloß äußerliche Beschreibung des vorhandenen ist für diese Disciplin, was die Chronik für die Geschichte ist.
23 f Schleiermacher
denkt vor allem an Stäudlin: Kirchliche
Geographie
und Statistik.
f 243 -» S. 67, S 53: Seine Kenntniß nur auf den Umfang der einzelnen Parthei der man angehört zu beschränken, ist kaum für den Punkt, wo die Spannung zwischen ihr und der entgegengesezten am höchsten gestiegen ist, zu rechtfertigen. / § 243 Erl S. 68, §$54—55: Mangel an Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes sowol des Lehrbegriffs als der kirchlichen Gesellschaft, ist eine Hauptursache des todten Mechanismus in der Praxis. — Die lebendige Thätigkeit in dem Gebiet Einer Parthei kann nicht leiden durch Anerkennung des Guten, welches sich in der entgegengesezten findet. / $ 244 -» S. 67, Í 52: Da jedes bestimmte Gebiet innerhalb der Kirche als ein organischer Theil des Ganzen anzusehen, und also bewußte Wirksamkeit darauf ohne Kenntniß des Ganzen nicht möglich ist: so ist Kenntniß von dem dermaligen Zustande des Ganzen nach Maaßgabe jenes Einflusses die unerlaßliche Pflicht eines Jeden. / § 245 -* S. 68, S 57: Eine ganz ins Einzelne gehende Kenntniß auch des wirklich individuell gebildeten kann nur die Virtuosität Einzelner sein. / 5 246 - - /
103; 95
226
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Bei dem gegenwärtigen Zustand derselben aber ist es schon verdienstlich, unbekannteres und abweichenderes auch nur auf diese Weise zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Bloß topographische und onomastische oder bibliographische Notizen sind natürlich das am wenigsten fruchtbare. §. 2 4 7 . E i n e ins einzelne g e h e n d e B e s c h ä f t i g u n g mit d e m g e g e n w ä r -
5
tigen Z u s t a n d e des C h r i s t e n t h u m s , w e l c h e nicht v o m kirchlichen Inter104 96
esse | a u s g e h e n d
a u c h keinen B e z u g a u f die K i r c h e n l e i t u n g
nähme,
k ö n n t e nur, w e n n a u c h o h n e w i s s e n s c h a f t l i c h e n Geist betrieben, ein unkritisches S a m m e l w e r k sein; je w i s s e n s c h a f t l i c h e r a b e r u m d e s t o m e h r w ü r d e sie sich z u m skeptischen o d e r p o l e m i s c h e n neigen.
10
Der Impuls kann wegen Beschaffenheit der Gegenstände nicht von einem rein wissenschaftlichen Interesse herrühren. Fehlt also das für die Sache: so muß eins gegen die Sache wirksam sein. Aehnliches gilt von der Kirchengeschichte. §. 2 4 8 . Ist d a s religiöse Interesse v o n w i s s e n s c h a f t l i c h e m Geist ent-
15
blößt: s o w i r d die B e s c h ä f t i g u n g , s t a t t ein treues R e s u l t a t zu g e b e n , n u r der Subjectivität der P e r s o n o d e r ihrer P a r t h e i dienen. Denn nur der wissenschaftliche Geist kann, wo ein starkes Interesse vorwaltet, welches vom Selbstbewußtsein ausgeht, vor unkritischer Partheilichkeit sicherstellen.
20
§. 2 4 9 . D i e Disciplin, w e l c h e m a n g e w ö h n l i c h S y m b o l i k n e n n t , ist n u r aus E l e m e n t e n d e r kirchlichen Statistik z u s a m m e n g e s e z t , u n d k a n n sich in diese w i e d e r z u r ü k k z i e h n . Sie ist eine Zusammenstellung des eigenthümlichen in dem Lehrbegriff der noch jezt bestehenden christlichen Partheien; und da diese nicht nach Weise der Dogmatik (vergi. §. 196. u. 233.) mit Bewährung des Zusammenhanges vorgelegt werden können: so muß die Darstellung rein historisch sein. Der nicht ganz der Sache entsprechende Name, weil nehmlich nicht alle Par105
theien Symbole in dem eigentlichen Sinne des Wortes ha|ben, kann nur sagen wollen, daß der Bericht sich an die am meisten klassische und am
§ 246 Erl -* S. 68, § 56: Alles bloß topographische onomastische und bibliographische ist nur als Hülfskenntniß anzusehen. / § 247 S. 68, § 59: Ohne religiöses Interesse wird die Kenntniß von einem gegebenen Zustande des Christenthums je weiter ins Einzelne verfolgt, um desto geistloser und zur bloßen Gedächtnißsache, und je wissenschaftlicher betrieben, um desto skeptischer und polemischer. / § 248 -» S. 69, § 60: Ohne philosophischen und kritischen Geist wird sie nie ein treues Resultat geben, sondern nur der Subjectivität der Person oder der Kirchenpartei zur Erhöhung dienen. / § 249 -* S. 69, §§ 1—2: Da die Symbole für eine einzelne Periode dasselbe sind, was der Kanon für das gesamte Christenthum: so pflegt man auch die Symbolik als eine einzelne untergeordnete Disciplin anzusehen. — Nur ist aus demselben Grunde das Historische, was dort nur als Propädeutik dient, bei ihr die Hauptsache, und das philologische dagegen untergeordnet. /
25
30
II. Teil: Historische Theologie
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227
allgemeinsten anerkannte Darstellung einer jeden Glaubensweise halte. Ein solcher Bericht muß aber in unserer Disciplin (vergi. §. 234.) die Grundlage bilden zu der Darstellung der Verhältnisse des Lehrbegriffs in der Gemeinschaft, und der Unterschied ist nur der, daß dort der Lehrbegriff einer 97 Gemeinschaft beschrieben wird, in Verbindung mit ihren übrigen Zuständen, in der Symbolik aber in Verbindung mit den Lehrbegriffen der andern Gemeinschaften, wiewol wir auch für die Statistik schon (vergi. §. 235.) das comparative Verfahren empfohlen haben.
§. 250. Auch die biblische Dogmatik kommt der Weise der Statistik 10 in der Behandlung des Lehrbegriffs näher als der eigentlichen Dogmatik.
15
20
Denn unsere Combinationsweise ist so sehr eine andere, und theils ist für die neutestamentischen biblischen Säze das Zurükkgehen auf den alttestamentischen Kanon nur ein sehr ungenügendes Surrogat für unser Zurükkgehn auf den neutestamentischen, theils fehlt uns dort überall die weitere Entwiklung der späteren Zeiten, die in unsere Ueberzeugung so eingegangen ist, daß wir uns jene nicht so aneignen können, wie es einer eigentlich dogmatischen Behandlung wesentlich ist. Die Darstellung des Zusammenhanges der biblischen Säze in ihrem eigenthümlichen Gewand ist also überwiegend eine historische. Und wie jedes zusammenfassende Bild (vergi. §. 150.) eines als Einheit gesezten Zeitraums, eigentlich die Statistik dieser Zeit und dieses Theils ist: so ist die biblische Dogmatik nur ein Theil von diesem Bilde des apostolischen Zeitalters.
Schlußbetrachtungen
io6
über die h i s t o r i s c h e T h e o l o g i e .
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§ . 2 5 1 . Wiewol im Ganzen in der christlichen Kirche die hervorragende Wirksamkeit Einzelner auf die Masse abnimmt, ist es doch für die 98 historische Theologie mehr als für andere geschichtliche Gebiete ange-
5 250 -» S. 69, § 3 — S. 70, § 4: Will man einen Moment der Vergangenheit fixiren und sich recht lebendig hinein versezen: so muß man sich ihn eben so wie die Dogmatik es mit der Gegenwart macht, in einer zusammenhangenden Darstellung vor Augen halten. — Was man biblische Theologie nennt, ist nur eine solche Darstellung des Lehrbegriffs in der kanonischen Zeit, in sofern man diese als Einen Moment ansehen kann. / § 251 -* S. 70, § 5: Die Elemente jeder historisch theologischen Darstellung sind weit mehr biographisch, als in irgend einem andern historischen Gebiet. /
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messen, die Bilder solcher Zeiten, die als, wenn auch nur in untergeordnetem Sinn, Epochemachend als Einheit aufzufassen sind, an das Leben vorzüglich wirksamer Einzelner anzuknüpfen. Ab nimmt diese Wirksamkeit, weil sie in Christo absolut war, und wir keinen späteren den Aposteln gleichstellen, von denen doch nur wenige 5 eine bestimmte persönliche Wirksamkeit übten. Je weiter hin desto mehr immer der gleichzeitigen Einzelnen, welche einen neuen Umschwung bewirkten. Jedoch ist dies keinesweges nur auf das Zeitalter der sogenannten Kirchenväter zu beschränken. Wol aber können wir sagen, daß sich jeder Einzelne hiezu desto mehr eigne, je mehr er dem Begriff eines Kirchenfür- 10 sten entspricht, daß aber solche je weiter hinaus desto weniger zu erwarten seien. Auch einzelne als Andeutung und Ahndung merkwürdige Abweichungen im Lehrbegriff werden oft am besten mit dem Leben ihrer Urheber verständlich. §. 252. Die Kenntniß des geschichtlichen Verlaufs welche schon 15 zum Behuf der philosophischen Theologie (vergi. §. 65.) vorausgesezt 107 werden muß, darf nur die der Chronik angehörige | sein, welche unabhängig ist vom theologischen Studium: hingegen die wissenschaftliche Behandlung des geschichtlichen Verlaufs in allen Zweigen der historischen Theologie sezt die Resultate der philosophischen Theologie 20 voraus.
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Dies gilt, wie aus dem obigen erhellt, für die exegetische Theologie und die dogmatische nicht minder als für die historische im engeren Sinn. Denn alle leitenden Begriffe werden in den Untersuchungen, welche die philosophische Theologie bilden, definitiv bestimmt. 25 §. 253. Hieraus und aus dem dermaligen Zustand der philosophischen Theologie (vergi. §. 68.) erklärt sich, wenn nicht die große Verschiedenheit in den Bearbeitungen aller Zweige der historischen Theologie, doch der Mangel an Verständigung über den ursprünglichen Siz dieser Verschiedenheit. 30 Denn sie selbst würde bleiben, weil, was §.51. von der Apologetik gesagt und §. 64. auch auf die Polemik ausgedehnt ist, nicht nur in Bezug auf die
§ 252 S. 70, § 6: Diejenige Kenntniß des Christenthums, welche vorausgesezt werden muß um zur philosophischen Theologie zu gelangen, braucht nur die exoterische zu sein, welche dem eigentlichen theologischen Studium vorangeht; die ganze Organisation der historischen Theologie aber gründet sich auf die Resultate der philosophischen. / § 252 Erl -* S. 70, 5 8: Darum kann und muß genau betrachtet jeder Gegenstand der historischen Theologie auch Gegenstand für die philosophische sein, und die leztere ist die beständige Begleiterin der ersteren. / § 253 -* S. 71, § 9: Je weniger die philosophische Theologie sich noch als Disciplin anerkennen macht, um desto eher werden beide Behandlungsarten vermengt und verwechselt. /
II. Teil: Historische Theologie
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verschiedenen Gestaltungen, die das Christenthum in verschiedenen Kirchengemeinschaften erhält, gelten muß, sondern auch von den nicht unbedeutenden Verschiedenheiten die noch innerhalb einer jeden statt finden. Hat aber jede Parthei ihre philosophische Theologie gehörig ausgearbeitet: so muß auch deutlich werden, welche von diesen Verschiedenheiten mit einer ursprünglichen Differenz in der Auffassung des Christenthums selbst zusammenhängen und welche nicht.
§. 254. Philosophische und historische Theologie müssen noch bestimmter auseinander treten, | können aber doch nur mit und durchein10 ander zu ihrer Vollkommenheit gelangen.
15
Alle Zweige der historischen Theologie leiden darunter, daß die philosophische in ihrem eigenthümlichen Charakter (vergi. §. 33.) noch nicht ausgearbeitet ist. Aber die philosophische Theologie würde ganz willkührlich werden, wenn sie sich von der Verpflichtung losmachte alle ihre Säze durch die klarste Geschichtsauffassung zu belegen. Und eben so würde die historische alle Haltung verlieren, wenn sie sich nicht auf die klarste Entwiklung 100 der Elemente der philosophischen Theologie beziehen wollte.
§. 255. In der gegenwärtigen Lage kann der Vorwurf, daß einer in der historischen Theologie nach willkührlichen Hypothesen verfahre, 20 eben so leicht unbillig sein, als er auch gegründet sein kann.
25
Gegründet ist er, wenn jemand die Elemente der philosophischen Theologie durch bloße Construction constituiren will, und dann die Begebenheiten darnach deutet. Unbillig ist er, wenn jemand nur nicht Hehl hat, daß seine philosophische Theologie, wie sie ihm mit der historischen wird, sich auch durch ihre Angemessenheit für diese bestätigt. §. 256. Dasselbe gilt von dem Vorwurf, daß einer die historische Theologie in geistlose Empirie verwandle.
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108
Er ist gegründet, wenn jemand die in der philosophischen Theologie zu ermittelnde Begriffe um sie in der historischen zu gebrauchen, als etwas empirisch gegebenes aufstellt. Unbillig ist er, wenn jemand nur gegen die
6 Auffassung] Aufsassung $ 254 S. 71, 5 12: Philosophische und historische Theologie können nur mit und durcheinander zur Vollkommenheit gedeihen. / § 255 -* S. 71, § 10: Daher werden diejenigen, welche sich mit dem historischen Studium zugleich ihre philosophische Theologie bilden, so leicht von den Empirikern beschuldigt, daß sie die Geschichte nach ihren Hypothesen deuten. / § 256 -* S. 71, § 11: Eben so werden diejenigen, welche in der philosophischen Theologie alles historisch bewähren wollen, von denen, welche sich die ihrige aus einem fremden Standpunkt gebildet haben, für geistlose Empiriker angesehn. /
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apriorische Construction dieser Begriffe protestirt, und auf dem kritischen Verfahren (vergi. §. 32.) besteht.
Dritter
Theil.
109;
Von der praktischen Theologie.
Einleitung.
5
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§. 257. Wie die philosophische Theologie die Gefühle der Lust und Unlust an dem jedesmaligen Zustand der Kirche zum klaren Bewußtsein bringt: so ist die Aufgabe der praktischen Theologie, die besonnene Thätigkeit, zu welcher sich die mit jenen Gefühlen zusammenhängenden Gemüthsbewegungen entwikkeln, mit klarem Bewußtsein zu ordnen und zum Ziel zu führen. Wie die philosophische Theologie hier aufgefaßt ist in der Einwirkung ihrer Resultate auf einen unmittelbaren Lebensmoment: so auch die praktische wie ihre Resultate in einen solchen Lebensmoment eingreifen.
§. 258. Die praktische Theologie ist also nur für diejenigen, in welchen kirchliches Interesse und wissenschaftlicher Geist vereinigt sind. | 15
Denn ohne das erste entstehen weder jene Gefühle noch diese Gemüthsbewegungen, und ohne wissenschaftlichen Geist keine besonnene Thätigkeit, welche sich durch Vorschriften leiten ließe, sondern der dem Erkennen abgeneigte Thätigkeitstrieb verschmäht die Regeln.
§. 259. Jedem besonnen einwirkenden entstehen seine Aufgaben 20 aus der Art, wie er den jedesmal vorliegenden Zustand nach seinem
$ 257 —• S. 72, § 1: Wie die philosophische Theologie die Gefühle der Lust und Unlust an den Ereignissen in der Kirche zur klaren Erkenntniß bringt: so bringt die praktische Theologie die aus ihnen entstehenden Gemüthsbewegungen in die Ordnung einer besonnenen Thätigkeit. / § 258 S. 72, § 2: Das Bedürfniß der praktischen Theologie entsteht also nur für den, in welchem religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist vereint sind. / j 258 Erl S. 72, § 3: Jede Einwirkung auf die Kirche ohne wissenschaftlichen Geist ist nur eine unbewußte, und jede ohne Interesse am Christenthum ist nur eine zufällige. / f 259 S. 73, § 4: Jedem besonnen Einwirkenden entsteht sein jedesmaliger Zwekk durch die Art, wie ihm die Ereignisse in der Kirche aus dem Standpunkt der philosophischen
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Begriff von dem Wesen des Christenthums und seiner besonderen Kirchengemeinschaft beurtheilt. Denn da die Aufgabe im allgemeinen nur Kirchenleitung ist: so kann er nur jedesmal alles was ihm gut erscheint fruchtbar machen, das entgegengesezte aber unwirksam machen und umändern wollen.
5
§. 2 6 0 . Die praktische Theologie will nicht die Aufgaben richtig fassen lehren; sondern, indem sie dieses voraussezt, hat sie es nur zu thun mit der richtigen Verfahrungsweise bei der Erledigung aller unter den Begriff der Kirchenleitung zu bringenden Aufgaben. Für die richtige Fassung der Aufgaben ist durch die Theorie nichts weiter zu leisten, wenn philosophische und historische Theologie klar und im richtigen Maaß angeeignet sind. Denn alsdann kann auch der gegebene Zustand in seinem Verhalten zum Ziel der Kirchenleitung richtig geschäzt, mithin auch die Aufgabe demgemäß gestellt werden. Wohl aber müssen zum Behuf der Vorschriften über die Verfahrungsweise die Aufgaben, indem man vom Begriff der Kirchenleitung ausgeht, klassifizirt und in gewissen Gruppen zusammengestellt werden. | 111
103
§. 2 6 1 . Will man diese Regeln als Mittel wodurch der Z w e k k erreicht werden soll, betrachten: so müßte doch wegen Unterordnung der Mittel unter den Z w e k k alles aus diesen Vorschriften ausgeschlossen bleiben, was, indem es vielleicht die Lösung einer einzelnen Aufgabe förderte, doch zugleich im allgemeinen das kirchliche Band lösen oder die Kraft des christlichen Princips schwächen könnte. Der Fall ist so häufig daß dieser Kanon nothwendig wird. Offenbar kann die einzelne gute Wirkung eines solchen Mittels nur eine zufällige sein;
10
15
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25
24—2 Woran Schleiermacher beispielsweise denkt, kann man seiner Praktischen Theologie entnehmen: „So ζ. B. kann es im einzelnen vorkommen daß man denkt, es giebt kein besseres Mittel den kirchlichen Frieden zu erhalten als die Untersuchung über gewisse Gegenstände zu suspendiren, weil man voraussieht, die Gemüther sind in solcher Spannung daß die Fortsezung Zwietracht hervorbringt; aber alles Suspendiren einer Forschung ist eine Unterdrükkung des wissenschaftlichen Geistes und muß auf das Ganze nachtheilig wirken. Dasselbe läßt sich von der anderen Seite sagen, daß sehr leicht etwas für einzelne Fälle nüzlich sein kann was im Ganzen den christlichen Geist aufheben muß. Daraus entsteht die Cautel, daß nicht ein Mittel angewendet werden darf das dem Zwekk in seiner Totalität widerspräche [...]." (SW 1/13, S. 38 f) Theologie erscheinen. / 5 260 -* — / § 260 Erl —• S. 73, § 6: Die praktische Theologie beruht also sowol der Materie als der Form nach auf den beiden vorigen Zweigen./ § 261 -* S. 73, $5 7—8: Die technischen Vorschriften, welche die praktische Theologie aufstellt, haben also zum Gegenstand die Wahl und Anwendung der Mittel zu den einem jeden entstehenden Zwekken. — Keine dieser Vorschriften darf also wegen der Unterordnung der
III. Teil: Praktische
Theologie
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wenn sie nicht auf einem bloßen Schein beruht, so daß die Lösung doch nicht die richtige ist.
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§. 2 6 2 . Eben so weil der Handelnde die Mittel nur anwenden kann mit derselben Gesinnung vermöge deren er den Z w e k k will: so kann keine Aufgabe gelöst werden sollen durch Mittel, welche mit einem von beiden Elementen der theologischen Gesinnung streiten. Auch dieses beides, Verfahrungsarten welche dem wissenschaftlichen Geist zuwiderlaufen, und solche welche das kirchliche Interesse im Ganzen gefährden, indem sie es in irgend einer einzelnen Beziehung zu fördern scheinen, sind häufig genug vorgekommen in der kirchlichen Praxis. §. 2 6 3 . D a aber alle besonnene Einwirkung auf die Kirche, um das Christenthum in derselben reiner darzustellen, nichts anders ist als Seelenleitung; andere Mittel aber hiezu gar nicht | anwendbar sind als bestimmte Einwirkungen auf die Gemüther, also wieder Seelenleitung: so kann es, da Mittel und Z w e k k gänzlich zusammenfallen, nicht fruchtbar sein die Regeln als Mittel zu betrachten sondern nur als Methoden. Denn Mittel muß etwas außerhalb des Zwekkes liegendes, mithin nicht in und mit dem Zwekke selbst gewolltes sein, welches hier nur von dem alleräußerlichsten gesagt werden kann, während alles näher liegende selbst in dem Zwekk liegt, und ein Theil desselben ist. Welches Verhältniß des Theils zum Ganzen in dem Ausdrukk M e t h o d e das vorherrschende ist. §. 2 6 4 . Die in der Kirchenleitung vorkommenden Aufgaben klassificiren und die Verfahrungsweisen angeben, läßt sich beides auf einander zurükkführen.
25
30
Denn jede besondere Aufgabe sowol ihrem Begriff nach als in ihrem einzelnen Vorkommen ist eben so ein Theil des Gesamtzwekks, nehmlich der Kirchenleitung, wie jede bei den besondern Aufgaben anzuwendende Methode nur ein Theil derselben ist. Daher läßt sich dies nicht wie zwei Haupttheile der Disciplin auseinander halten, indem die Classification auch nur die Methode angiebt um die Gesamtaufgabe zu lösen.
14 Einwirkungen] Einwirkungrn Mittel unter den Zwekk etwas in sich haben, was beitragen müßte das Kirchenband zu lösen, oder die Gewalt des christlichen Principe irgendwie zu schwächen./ §262 S. 74, § 9: Da jede wirkliche Anwendung eines Mittels unter dem allgemeinen Princip des Handelnden steht: so darf auch nichts einem von beiden Elementen der theologischen Gesinnung zuwiderlaufen. / § 263 -* S. 74, §§ 10—11: Da es auf dem kirchlichen Gebiet kein anderes Object des Einwirkens giebt als die Gemüther: so fallen alle Regeln der praktischen Theologie unter die Form der Seelenleitung. — Da auch der Zwekk aller Einwirkung auf die Kirche nichts anders sein kann als Seelenleitung: so fallen Mittel und Zwekk völlig zusammen. / § 264 —/
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§. 2 6 5 . Alle V o r s c h r i f t e n d e r p r a k t i s c h e n T h e o l o g i e k ö n n e n n u r allgemeine A u s d r ü k k e sein, in d e n e n die A r t und Weise ihrer A n w e n d u n g a u f einzelne F ä l l e nicht s c h o n mit b e s t i m m t ist (vergi. §. 1 3 2 . ) d. h. sie sind Kunstregeln im e n g e r e n Sinne des W o r t e s . | In allen Regeln einer mechanischen Kunst ist jene Anwendung schon mit enthalten; wogegen die Vorschriften der höheren Künste alle von dieser Art sind, so daß das richtige Handeln in Gemäßheit der Regeln immer noch ein besonderes Talent erfordert, wodurch das rechte gefunden werden muß.
5
§. 2 6 6 . D i e Regeln k ö n n e n d a h e r nicht J e d e n , a u c h u n t e r Voraussezung der t h e o l o g i s c h e n G e s i n n u n g , z u m p r a k t i s c h e n T h e o l o g e n m a c h e n ;
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s o n d e r n n u r demjenigen zur L e i t u n g dienen, der es sein will u n d es seiner innern Beschaffenheit u n d seiner V o r b e r e i t u n g n a c h w e r d e n k a n n . [Auf der Vorderseite des Umschlagblatts zu S. 113] Langsdorf Darstellung des Lebens Jesu Manheim Schwan und Götz Bretschneider Simonismus und Christenthum Steiger 1. Brief Petri Berlin Oehmigke Mémoires correspondance et ouvrages inédits de Diderot Paris 4 Voll.
14 Darstellung] Darstellg 15 Simonismus und Christenthum] - /
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Wirksamkeit vermittelst der Vorstellung. Dies zwiefache Verhältniß wird aber auch sein Recht behaupten.
§. 270. Da die Hervorragenden dieses nur sind vermöge der beiden Elemente der theologischen Gesinnung, das Gleichgewicht von diesen aber nirgend genau vorauszusezen ist: so wird es auch eine leitende Wirksamkeit geben, welche mehr klerikalisch ist, und eine mehr theologische im engeren Sinne des Wortes. Es ist nicht nachzuweisen daß diese Differenz mit der vorigen zusammenfällt, noch weniger daß sie nur das eine Glied derselben theilt, mithin sind beide vorläufig als coordinirt und sich kreuzend zu betrachten.
5
10
§. 271. Das Christenthum wurde erst geschichtlich, als die Gemeinschaft aus einer Verbindung mehrerer räumlich bestimmter Gemeinden bestand, die aber auch jede den Gegensaz zur Gestalt gebracht hatten, als wodurch sie erst Gemeinden wurden. Daher nun giebt es eine leitende Wirksamkeit, deren Gegenstand die einzelne Gemeinde als solche ist, 15 und die also nur eine lokale bleibt, und eine auf das Ganze gerichtete, 107 welche die organische Verbindung der Gemeinen, das heißt die Kirche, zum Gegenstand hat.
116
Auch dieser Gegensaz ist unvollständig, indem mittelbar aus der Leitung der einzelnen Gemeine etwas für das Ganze hervorgehen kann, und eben so kann eine aus dem Standpunkt des Ganzen bestimmte leitende Thä-| tigkeit zufällig nur eine einzelne Gemeine treffen. Im wirklichen Verlauf findet sich beides sehr bestimmt.
20
§. 272. In Zeiten der Kirchentrennung sind nur die Gemeinden Eines Bekenntnisses organisch verbunden, und die allgemeine leitende 25 Thätigkeit in ihrer Bestimmtheit nur auf diesen Umfang beschränkt. Es giebt allerdings auch Einwirkungen von einer Kirchengemeinschaft aus auf andere; aber sie können nicht den Charakter einer leitenden Thätigkeit haben. — Aber auch wenn keine solche Trennung wäre, würden doch bei der gegenwärtigen Verbreitung des Christenthums äußere Gründe das Be-
§ 270 -» S. 76, § 20: Da die Elemente der theologischen Gesinnung nirgends als im Gleichgewicht anzusehen sind: so geht jede Einwirkung von einem Uebergewicht entweder der klerikalischen oder der rein theologischen Thätigkeit aus. / § 271 S. 75, §§ 16—17: Da die Kirche ein organisches Ganzes ist: so ist jede Einwirkung auf dieselbe entweder eine allgemeine oder eine lokale, jedoch so daß dieser Gegensaz immer nur ein relativer ist. — Der kleinste organische Theil worauf eine Einwirkung gerichtet sein kann, ist eine Gemeinde. / § 272 -* S. 75, § 18: In einer Periode worin ein Gegensaz dominirt, ist die höchste unmittelbare Einheit für eine reale Einwirkung die Kirchenparthei, und also die Praxis eines Jeden durch den Geist seiner Parthei bedingt. /
30
III. Teil: Praktische Theologie
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237
stehen einer allgemeinen, alle Christengemeinen auf Erden umfassenden Kirchenleitung unmöglich machen.
5
10
§. 273. Da nun die Verfahrungsweisen sich richten müssen nach der Art, wie der Gegensaz gefaßt und gestaltet ist: so muß auch die Theorie der Kirchenleitung eine andere sein für jede anders constituirte Kirchengemeinschaft; und wir können daher eine praktische Theologie nur aufstellen für die evangelische Kirche. Ja nicht einmal ganz für diese, da auch innerhalb ihrer zu viele Verschiedenheiten des Cultus und besonders der Verfassung vorkommen. Wir werden daher zunächst nur die deutsche im Auge haben.
§. 274. Wir sehen den zulezt in §. 271. ausgesprochenen Gegensaz als den obersten Theilungsgrund an, und nennen die leitende Thätigkeit 108 mit der Richtung auf das Ganze das K i r c h e n | r e g i m e n t , die mit der 117 Richtung auf die einzelne Lokalgemeine den K i r c h e n d i e n s t . 15 Nicht als ob es in der Natur der Sache läge, daß dies die Haupteintheilung
20
25
sein müßte, sondern weil dies dem gegenwärtigen Zustand unserer Kirche das angemessenste ist. Es giebt anderwärts Verhältnisse in denen von Kirchenregiment in diesem Sinne wenig zu sagen wäre, weil es nur ein sehr loses Band ist, wodurch eine Mehrheit von Gemeinen zusammengehalten wird. — Für unsere beiden Theile bietet sich übrigens noch eine andere Benennungsweise dar, nämlich wenn der eine Kirchenregiment heißt, den andern Gemeinderegiment zu nennen. Die obige ist aber aus demselben Grunde vorgezogen worden, aus welchem dies die Haupteintheilung geworden, weil nämlich der Verband der Gemeinen, wie wir ihn vorzugsweise Kirche nennen, hervorragt, und es daher angemessen ist auch den andern Theil auf diese Gesamtheit zu beziehen; da denn die Pflege eines einzelnen Theils nur erscheinen kann als ein Dienst, der dem Ganzen geleistet wird.
§. 275. Der Inhalt der praktischen Theologie erschöpft sich in der Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinne und in der Theorie des 30 Kirchendienstes. Die oben §. 269. und 270. angegebenen Gegensäze müssen nehmlich in diesen beiden Haupttheilen aufgenommen und durchgeführt werden.
5 273 -* — / § 274 S. 76, 55 21 —22: Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit nennen wir das Kirchenregiment im engeren Sinne, als ein Uebergewicht des Einzelnen über das Ganze bezeichnend. — Die auf das Einzelne gerichtete lokale, weil sie nur im Namen des Ganzen ausgeübt werden kann, nennen wir als Handlung des Einzelnen den Kirchendienst. / § 275 S. 76, 5 2 3 : Die praktische Theologie ist demnach erschöpft in der Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinn und des Kirchendienstes. /
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§. 2 7 6 . Die Ordnung ist an und für sich gleichgültig. Wir ziehen vor den Anfang zu machen mit dem Kirchendienst, und das Kirchenregiment folgen zu lassen. | 118; 109
Gleichgültig ist sie, weil auf jeden Fall die Behandlung des vorangehenden Theiles doch auf den Begriff des hernach zu behandelnden, und auf die mögliche verschiedene Gestaltung desselben Rücksicht nehmen muß. — Es ist aber die natürliche Ordnung, daß diejenigen welche sich überhaupt zur Kirchenleitung eignen, ihre öffentliche Thätigkeit mit dem Kirchendienste beginnen.
5
Erster Abschnitt. Die G r u n d s ä z e des K i r c h e n d i e n s t e s .
§. 2 7 7 . Die örtliche Gemeine als ein Inbegriff in demselben Raum lebender und zu gemeinsamer Frömmigkeit verbundener christlicher Hauswesen gleichen Bekenntnisses ist die einfachste vollkommen kirchliche Organisation, innerhalb welcher eine leitende Thätigkeit stattfinden kann.
10
15
Der Sprachgebrauch giebt noch Landesgemeine, Kreisgemeine, aber hier findet nicht immer eben eine gemeinsame Uebung der Frömmigkeit statt. Er giebt uns auch Hausgemeine, allein hier ist die leitende Thätigkeit nicht eine eigenthümlich vom religiösen Interesse ausgehende. §. 278. Der Gegensaz überwiegender Wirksamkeit und überwiegender Empfänglichkeit muß, wenn ein Kirchendienst stattfinden soll, wenigstens für bestimmte Momente übereinstimmend fixirt sein. | 119 110
Ohne bestimmte Momente kein gemeinsames Leben, und ohne Uebereinkommen, wer mittheilend sein soll und wer empfänglich, wäre es nur Verwirrung. Die Vertheilung wird eine willkührliche bei Voraussezung der größten Gleichheit; aber auch bei der größten Ungleichheit muß doch Empfänglichkeit Allen zukommen. — Die Bestimmung dieses Verhältnisses für jede Gemeine gehört der Natur der Sache nach dem Kirchenregiment an.
§ 276 -* — / § 277 -* S. 84, § 1: Die leitende Thätigkeit welche nicht auf das Ganze der Kirche gerichtet ist, kann nur die Gemeine als die kleinste vollkommne religiöse Organisation zum Gegenstande haben. / § 278 -» S. 85, § 2: Da der leitenden Thätigkeit ein Object gegenüber stehen muß, in welchem ein Uebergewicht von Receptivität gesezt ist: so kann der Kirchendienst und also auch seine Theorie nur in dem Maaß hervortreten,
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25
III. Teil: Praktische Theologie
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§. 279. Die leitende Thätigkeit im Kirchendienst ist (vergi. §. 269.) theils die erbauende im Cultus oder dem Zusammentreten der Gemeine zur Erwekkung und Belebung des frommen Bewußtseins, theils die regierende, und zwar hier nicht nur durch Anordnung der Sitte, sondern auch durch Einfluß auf das Leben der Einzelnen. Diese zweite Seite konnte oben (§. 269.) nur so bezeichnet werden, wie es auch für das Kirchenregiment gilt. Der Kirchendienst aber würde einen großen Theil seiner Aufgabe verfehlen, wenn die leitende Thätigkeit sich nicht auch Einzelne zum Gegenstand machte.
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§. 280. Die erbauende Wirksamkeit im christlichen Cultus beruht überwiegend auf der Mittheilung des zum Gedanken gewordenen frommen Selbstbewußtseins, und es kann eine Theorie darüber nur geben, sofern diese Mittheilung als Kunst kann angesehen werden. Das ü b e r w i e g e n d gilt zwar (vergi. §. 49.) vom Christenthum überhaupt, in diesem aber wiederum vorzüglich von dem evangelischen. — G e d a n k e ist hier im | weiteren Sinne zu nehmen, in welchem auch die Elemente der 120 Poesie Gedanken sind. K u n s t in gewissem Sinne muß in jeder zusammenhängenden Folge von Gedanken sein. Die Theorie muß beides zugleich umfassen, in welchem Grade Kunst hier gefordert wird oder zugelassen, und 111 durch welche Verfahrungsweisen die Absicht zu erreichen ist.
§. 281. Das Materiale des Cultus im engeren Sinn können nur solche Vorstellungen sein, welche auch im Inbegriff der kirchlichen Lehre ihren Ort haben; und die Theorie hat also, was den Stoff betrifft, zu bestimmen, was für Elemente der gemeinen Lehre und in welcher Weise 25 sich für diese Mittheilung eignen.
30
Materiale im engern Sinn sind diejenigen Vorstellungen welche für sich selbst sollen mitgetheilt werden, im Gegensaz derer die diesen nur dienen als Erläuterung und Darstellungsmittel. — Und da dieselben Vorstellungen in der mannigfaltigsten Weise vom volksmäßigen bis zum strengwissenschaftlichen, von der Umgangssprache bis zur rednerischen und dichterischen verarbeitet sind: so muß bestimmt werden, welche von diesen Schat-
als der Gegensaz zwischen Klerus und Laien sich wenigstens der Verrichtung nach gebildet hat. / § 279 S. 85, § 3: Im Cultus steht in diesem Sinne die gesammte Gemeine dem Kleriker gegenüber; im religiösen Zusammenleben überhaupt Einzelne, aber als Glieder der Gemeine und in Bezug auf sie. / § 280 -» S. 85, §§ 4—5: Da der Cultus in das Gebiet der Kunst fällt, und aus Kunstelementen zusammengesezt ist: so ist die Theorie des Cultus im allgemeinen die religiöse Kunstlehre. — Sie hat theils den religiösen Styl in jeder Kunst zu bestimmen, theils die Art wie aus ihnen insgesamt das religiöse Kunstwerk, der Cultus zu bilden ist. / § 281 -> S. 86, §§ 6-7: Was im Cultus in das Gebiet der Sprache fällt, muß sich reduciren lassen auf den Lehrbegriff. — Also ist auch die Vollkommenheit aller dieser Elemente des Cultus zu bestimmen nach ihrem Verhältniß zum Lehrbegriff, dessen Festsezung daher die besondere Theorie dieses Theiles ausmacht. /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
tirungen allgemein oder in verschiedener Beziehung sich für den Cultus eignen.
§. 282. D a der christliche Cultus, und besonders auch der evangelische, aus prosaischen und poetischen Elementen zusammengesezt ist: so ist, was die Form anlangt, zuerst zu handeln von dem religiösen Styl, dem prosaischen sowol als dem poetischen, wie er dem Christenthum 121 eignet; d a n n | aber auch von den verschiedenen Mischungsverhältnissen beider Elemente wie sie in dem evangelischen Cultus vorkommen können. Die Theorie der kirchlichen Poesie gehört wenigstens insoweit in die Lehre vom Kirchendienst, als auch die Auswahl aus dem vorhandenen nach denselben Grundsäzen muß gemacht werden.
112
5
10
§. 283. Einförmigkeit und Abwechselung haben auf die Wirksamkeit aller Darstellungen dieser Art unverkennbaren Einfluß; daher ist auch die Frage zu beantworten, in wiefern, rein aus dem Interesse des 15 Cultus, der besseren Einsicht die Rüksicht auf das bestehende aufgeopfert werden m u ß oder umgekehrt. Zunächst scheint die Frage nur hieher zu gehören in dem Maaß, als sie innerhalb der Gemeine selbst entschieden werden kann ohne Zutritt des Kirchenregiments. Allein da die Gemeine doch auch ganz frei sein kann in dieser Beziehung, so wird diese Sache am besten ganz hieher gezogen.
20
§. 284. So sehr es auch dem Geist der evangelischen Kirche gemäß ist, die religiöse Rede als den eigentlichen Kern des Cultus anzusehen: so ist doch die gegenwärtig unter uns herrschende Form derselben, wie wir sie eigentlich durch den Ausdrukk P r e d i g t bezeichnen, in dieser 25 Bestimmtheit n u r etwas zufälliges. 122
Dies geht hinreichend schon aus der Geschichte unseres Cultus hervor; noch deutlicher wird es, wenn man untersucht, wovon die große Ungleichheit in der Wirksamkeit dieser Vorträge eigentlich abhängt.
§. 285. Da die Disciplin, welche wir H o m i l e t i k nennen, gewöhn- 30 lieh diese Form als feststehend voraussezt, und alle Regeln hauptsächlich auf diese bezieht: so w ä r e es besser diese Beschränktheit fahren zu lassen,
§ 282 -* S. 85, §§ 4—5: Da der Cultus in das Gebiet der Kunst fällt, und aus Kunstelementen zusammengesezt ist: so ist die Theorie des Cultus im allgemeinen die religiöse Kunstlehre. — Sie hat theils den religiösen Styl in jeder Kunst zu bestimmen, theils die Art wie aus ihnen insgesamt das religiöse Kunstwerk, der Cultus zu bilden ist. / § 283 -* —/ § 284 -* S. 87, § 13: Die religiöse Rede ist zwar ein wesentliches Element des Cultus; aber ihre Form sowohl als der Grad ihres Hervortretens vor den übrigen ist sehr zufällig./ §285 -* S.87, §14: Die Theorie ihrer Form ist ein Theil der religiösen Kunstlehre, die ihrer Materie muß sich ergeben aus dem Verhältniß der Elemente des Cultus zum Lehrbegriff. /
III. Teil: Praktische
Theologie
[427]
241
und den Gegenstand auf eine allgemeinere und freiere Weise zu behandeln.
5
Der Unterschied zwischen eigentlicher Predigt und Homilie, welcher seit einiger Zeit so berüksichtigt zu werden anfängt, daß man für die leztere eine besondere Theorie aufstellt, thut der Forderung unseres Sazes bei weitem nicht Genüge.
§. 286. Fast überall finden wir in der evangelischen Kirche den Cultus aus zwei Elementen bestehend, dem einen welches ganz der freien Productivität dessen, der den Kirchendienst verrichtet, anheimgestellt ist, 10 und einem andern worin dieser sich nur als Organ des Kirchenregimentes verhält. In der ersten Hinsicht ist er vorzüglich der P r e d i g e r , in der andern der Liturg.
§. 287. Von dem liturgischen Element kann hier nur die Rede sein 15 unter der Voraussezung, daß und in welchem Maaß eine freie Selbstbestimmung auch hiebei noch stattfindet.
20
Die Frage über diese Selbstbestimmung kann nur aus dem Standpunkt des Kirchenregiments entschieden werden. Hier könnte sie es nur, sofern nachzuweisen wäre, daß eine gänzliche Verneinung mit dem Begriff des Cultus in der evangelischen Kirche streitet. |
3—5 Wahrscheinlich denkt Schleiermacher hier vor allem an Georg Christian Bartels: Specielle Homiletik für die historische und parabolische Homilie, Braunschweig 1824 (vgl. besonders die programmatischen Äußerungen zum Theorieanspruch S. IVf. 2 f). Vgl. außerdem August Hermann Niemeyer: Grundriß der unmittelbaren Vorbereitungswissenschaften zur Führung des christlichen Predigtamts. Ein Leitfaden akademischer Vorlesungen, Halle 1803, S. 133-135; ders.: Handbuch für christliche Religionslehrer, 4. Aufl., Bd. 1-2, Halle 1799-1800, Bd. 2, S. 85-89; Gottlob Eusebius Fischer: Von dem Werthe der Homilien, in: journal für Prediger Bd. 32 [= Neues journal für Prediger Bd. 12], Halle 1796, S. 113 — 119; Gottlieb Lange: Ueber die Homilie, in: ders.: Biblische Keligionsvorträge oder Homilien über einige historische Stellen des neuen Testaments. Nebst einer Abhandlung über die Homilie, Leipzig 1797, S. 1—98; Wilhelm Abraham Teller: Von Homilien, in: Magazin für Prediger, hg. v. W. A. Teller, Bd. 6, Stück 2, Züllichau/Freystadt 1797, S. 1 — 18; Kaspar Veithusen: Ueber die Homilie, in: Journal für Prediger, Bd. 14, Halle 1783, S. 16-22. $ 286 -* S. 86, 5 8: Der Kleriker ist im Cultus theils Repräsentant der constituirten kirchlichen Autorität als Liturg, theils handelt er mit individueller Selbstthätigkeit als Prediger. / §287 -* S. 86, §§9—10: Beide Handlungsweisen sind eben so wenig außer einander als Freiheit und Gebundenheit des Cultus sich außereinander darstellen; sondern müssen über^ all in einander sein, nur in verschiedenem Verhältniß, und können nur nach Maaßgabe des Uebergewichtes der einen Function über die andere von einander gesondert werden. — Daher ist die doppelte Aufgabe zu lösen, wie und wodurch auch in den liturgischen Verrichtungen die individuelle Freiheit sich zu offenbaren habe, und wie und wodurch
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 288. Da der Kirchendienst im Cultus wesentlich an organische Thätigkeiten gebunden ist, welche eine der Handlung gleichzeitige Wirkung hervorbringen: so ist zu entscheiden, ob und in wiefern auch diese ein Gegenstand von Kunstregeln sein können, und solche sind demgemäß aufzustellen. Die Regeln wären dann eine Anwendung der Mimik in dem weiteren Sinne des Wortes auf das Gebiet der religiösen Darstellung.
§. 2 8 9 . Da die Handlungen des Kirchendienstes an eine beschränkte Räumlichkeit gebunden sind, welche ebenfalls durch ihre Beschaffenheit einen gleichzeitigen Eindrukk machen kann: so ist zu entscheiden, inwiefern ein solcher zuläßig ist oder wünschenswerth, und dem gemäß Regeln darüber aufzustellen. Da die Umgrenzung des Raums nur eine äußere Bedingung, mithin Nebensache, nicht ein Theil des Cultus selbst ist: so würden die Regeln nur sein können eine Anwendung der Theorie der Verzierungen auf das Gebiet der religiösen Darstellung.
§. 290. Sehen wir lediglich auf den Gegensaz überwiegend productiver und überwiegend empfänglicher innerhalb der Gemeine, so daß wir die lezteren als gleich betrachten: so kann es in der Gemeine eine leitende Thätigkeit geben, welche gemeinsames hervorbringt: sofern aber unter den Empfänglichen ein Theil hinter dem Ganzen zu|rükbleibt: so ist ihr Zustand als Einzelner Gegenstand der leitenden Thätigkeit. Die leztere ist schon unter dem Namen der Seelsorge bekannt; und wir machen mit ihr den Anfang, da immer die Aufhebung einer solchen Ungleichheit als die erste Aufgabe erscheint. Erstere nennen wir die anordnende, und sie bringt sowol Lebensweisen hervor als einzelne gemeinsame Werke.
§. 291. Gegenstände der Seelsorge im weiteren Sinn sind zunächst die Unmündigen in der Gemeine zu erziehenden; und die Theorie der zur Organisation des Kirchendienstes gehörenden auf sie zu richtenden Thätigkeit wird die K a t e c h e t i k genannt. Der Name ist nur von einer zufälligen Form der unmittelbaren Ausübung hergenommen, mithin für den ganzen Umfang der Aufgabe zu beschränkt.
auch in den freien die liturgische Repräsentation. / § 288 -» — / § 289 -* — / § 290 -* S. 87, §$15 + 17: Die klerikalische Thätigkeit deren unmittelbarer Gegenstand die Einzelnen sind, ist die Seelsorge. — Die Einzelnen können nur in sofern Gegenstand einer besonderen klerikalischen Thätigkeit werden, als sie sich nicht in der Identität mit der Gemeine befinden./ §290 Erl -» S. 88, § 18: Die Seelsorge geht also zuerst auf Hervorbringung dieser Identität bei denjenigen, welche einen natürlichen Anspruch auf dieselbe haben. / § 291 S. 88, § 21: Aus diesen Bestimmungen sind also die materiellen Principien der Katechetik abzuleiten. /
III. Teil: Praktische Theologie
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243
§. 292. Das katechetische Geschäft kann nur richtig geordnet werden, wenn zwischen allen Betheiligten eine Einigung über den Anfangspunkt und Endpunkt desselben besteht. Sofern also ist, wenn diese Einigung sich nicht von selbst ergiebt, das Geschäft sowol als die Theorie abhängig von der ordnenden Thätigkeit.
§. 293. Vermöge des Zwekks die Unmündigen den Mündigen gleich zu machen, sofern nämlich diese die Empfänglichen sind, muß das Geschäft aus zwei Theilen bestehen, daß sie nämlich eben so empfänglich werden für die erbauende | Thätigkeit und auch eben so (vergi. §. 279.) für die ordnende; und die Aufgabe ist beides durch ein und dasselbe Verfahren zu erreichen. Das erste ist die Belebung des religiösen Bewußtseins nach der Seite des Gedanken hin, das andere die Erwekkung desselben nach der Seite des Impulses.
§. 294. Sofern aber zugleich der Zwekk sein muß sie zu einer größeren Annäherung an die überwiegend selbstthätigen vorzubereiten: so ist zu bestimmen, wie dies geschehen könne ohne ihr Verhältniß zu den andern Mündigen zu stören. Wie die Katechetik überhaupt auf die Pädagogik als Kunstlehre zuriikkgeht: so ist auch dieses eine allgemein pädagogische Aufgabe, die sich aber doch in Bezug auf das religiöse Gebiet auch besonders bestimmt.
§. 295. Da nach beiden Seiten (vergi. §. 293.) hin nicht nur die Frömmigkeit im Gegensaz gegen das sinnliche Selbstbewußtsein, sondern auch in ihrem christlichen Charakter und als die evangelische zu entwikkeln ist: so ist auch hier das Verhalten der individuellen und universellen [Zu 5 293 oder § 294j
Grenze der Ungleichheit der Katechumenen
13 Gedanken] Vgl. Adelung: Wörterbuch
Bd. 2, Sp. 455
5 292 -* — / § 293. -> - / § 294 -> - / §294 Erl -» S. 88, § 22: Da das Verhältniß des Klerikers zu den Katechumenen kein vollständiges Zusammenleben ist, und nur in der Realität des Lebens sich augenscheinlich zeigen kann, wieweit das religiöse Princip jedesmal gebildet ist: so kann die Aufgabe diesen Mangel zu ersezen nur durch die Methodik jenes Verhältnisses gelöset werden./ §295 -» S. 88, §§19—20: Die Erwekkung des religiösen Princips überhaupt zum Bewußtsein und zur Selbstthätigkeit ist allemal zugleich auf Hervorbringung der individuellen Form der Religiosität in einer bestimmten Kirchenparthei gerichtet. — Sie ist eben so allemal zugleich Aufregung des veränderlichen und den Augenblik charakterisirenden und Einpflanzung des bleibenden und normalen. /
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R i c h t u n g zu e i n a n d e r , s o w o l in Bezug auf die A u s g l e i c h u n g als die Forts c h r e i t u n g ( v e r g i . §. 2 9 4 . ) z u b e s t i m m e n . Es ist u m so n o t h w e n d i g e r diese A u f g a b e in die T h e o r i e a u f z u n e h m e n , als in der neuesten Z e i t die m e r k w ü r d i g s t e n Verirrungen in diesem P u n k t v o r g e k o m m e n sind.
126
5
§. 2 9 6 . A u s ä h n l i c h e m G r u n d e k ö n n e n d i e j e n i g e n E i n z e l n e n G e g e n s t ä n d e einer ä h n l i c h e n | T h ä t i g k e i t w e r d e n , w e l c h e als religiöse F r e m d linge im U m k r e i s o d e r d e r N ä h e einer G e m e i n e leben, u n d dies e r f o r d e r t d a n n eine T h e o r i e ü b e r die B e h a n d l u n g der C o n v e r t e n d e n . Je b e s t i m m t e r die G r u n d s ä z e d e r Katechetik aufgestellt sind, u m desto leichter müssen sich diese d a r a u s ableiten lassen.
10
§. 2 9 7 . D a a b e r d i e s e W i r k s a m k e i t n i c h t s o n a t ü r l i c h b e g r ü n d e t ist: s o w ä r e n a u c h M e r k m a l e a u f z u s t e l l e n , u m z u e r k e n n e n o b sie g e h ö r i g m o t i v i r t ist. D e n n es k a n n hier auf beiden Seiten gefehlt w e r d e n , d u r c h zu leichtes Vert r a u e n u n d d u r c h zu ängstliche Z u r ü k h a l t u n g .
15
§. 2 9 8 . B e d i n g t e r w e i s e k ö n n t e s i c h e b e n h i e r a u c h d i e T h e o r i e d e s M i s s i o n s w e s e n s a n s c h l i e ß e n , w e l c h e bis jezt n o c h so g u t als gänzlich fehlt. A m leichtesten freilich nur, w e n n m a n d a v o n ausgeht, d a ß alle B e m ü h u n gen dieser Art n u r gelingen, w o eine christliche G e m e i n e besteht. §. 2 9 9 . E i n z e l n k ö n n e n s o l c h e M i t g l i e d e r d e r G e m e i n e G e g e n s t ä n d e f ü r die Seelsorge w e r d e n , w e l c h e ihrer Gleichheit mit d e n a n d e r n d u r c h
3—5 Nach Praktische Theologie, SW1/13, S. 402 f , denkt Schleiermacher an zwei extreme katechetische Positionen, die einseitig entweder das allgemein Christliche oder gar Religiöse auf Kosten der besonderen evangelischen Identität (so z. B. in bestimmten Gestalten der Aufklärungstheologie und des Rationalismus) oder aber umgekehrt das spezifisch Evangelische oder gar Lutherische auf Kosten des allgemeinen Religiösen und Christlichen (so z. B. im Supernaturalismus und Konfessionalismus) zum Ziel der Unterweisung machen. § 296 -» S. 89, § 23: In wie fern bei Nichtchristen ein Verlangen nach dieser Identität nur durch das Anschauen des religiösen Lebens einer Gemeine lebendig erregt werden kann, gehört hieher auch die Befriedigung dieses Verlangens oder die Vorbereitung der Convertenden. / § 297 S. 89, § 24: Da dieses Verlangen schon eine Regung des religiösen Princips nicht nur, sondern auch des auf gewisse Weise bestimmten ist: so hat die Theorie festzusezen, was und wieviel von der Identität mit der Gemeine schon da sein muß, um einen Anspruch auf diesen Theil der Seelsorge zu begründen, und auf welchem Wege das Fehlende zu ergänzen ist. / § 298 -» - / § 299S. 89, §§ 25-26: Bei denen welche schon zur Gemeine gehören, kann die Identität mit derselben innerlich oder äußerlich verlezt sein. — Das Bestreben, den krankhaften Zustand Einzelner, liege nun die Abwei-
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III. Teil: Praktische
Theologie
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innere oder äußere Ursachen verlustig gegangen sind; und die Beschäftigung mit diesen nennt man die S e e l s o r g e im engeren Sinne.
5
D a n ä m l i c h die Gleichheit in der Wirklichkeit i m m e r nur das Kleinste der Ungleichheit ist: s o sollen diejenigen die unter d e n Gleichen die Lezten sind, hier nicht g e | m e i n t sein; w i e d e n n diese a u c h i m m e r v o r h a n d e n sind, jene aber nur zufällig.
117 127
§. 300. Da nun in diesem Fall ein besonderes Verhältniß anzuknüpfen ist: so hat die Theorie zunächst zu bestimmen, ob es überall auf beiderlei Weise entstehen kann, von dem Bedürftigen aus und von dem 10 Mittheilenden aus, oder unter welchen Verhältnissen welche Weise die richtige ist. D i e g r o ß e Verschiedenheit der B e h a n d l u n g dieses G e g e n s t a n d e s in verschied e n e n T h e i l e n der e v a n g e l i s c h e n Kirche ist bis jezt w e d e r construirt n o c h beseitigt.
15
§. 301. Da ein solcher Verlust der Gleichheit aus innern Ursachen sich nur in einer Opposition zeigen kann gegen die erbauende oder die ordnende Thätigkeit: so ist demnächst zu bestimmen, ob und wie im Geist der evangelischen Kirche das Verfahren aus beiden Elementen (vergi. §. 279.) zusammenzusezen ist; endlich auch, ob wenn die Seel20 sorge ihren Zwekk nicht erreicht, ihr Geschäft immer nur als noch nicht beendigt anzusehen ist, oder ob und wann und inwiefern der Zusammenhang der unempfänglich gewordenen mit den leitenden als aufgehoben kann angesehen werden. 25
D i e A u f h e b u n g dieses Z u s a m m e n h a n g e s z ö g e a u c h die des Z u s a m m e n h a n ges mit der G e m e i n e als solcher n a c h sich.
§. 302. In Hinsicht der durch die Wirksamkeit äußerer Ursachen nothwendig gewordenen Seelsorge, ist außer der ersten Aufgabe (vergi. | §. 300.) nur noch zu bestimmen, wie die Uebereinstimmung dieser amt- 128 liehen Wirksamkeit, die wesentlich die geistige Krankenpflege umfaßt, 118 30 mit der geselligen der Empfänglichen aus der Gemeine zu erreichen ist. chung mehr im theoretischen oder im praktischen, wieder aufzuheben, ist die Seelsorge im engern Sinn. / § 300 S. 90, § 27: Da dieses Verhältniß angeknüpft werden kann theils von dem Klerus theils von den Laien: so hat die Theorie zu bestimmen, welches unter welchen Umständen das rechte ist./ §301 -» S. 90, §§28—29: Da es enden kann entweder in Wiederherstellung oder in Abbrechung bis auf weiteres oder in gänzliche Trennung: so hat die Theorie zu zeigen, wie das erste möglichst zu befördern und das lezte möglichst zu verhüten sei, nebst den Grenzen dieser Möglichkeit. — Aeußerlich ist die Identität derer mit der Gemeine verlezt, welche außer Stand gesezt sind an ihrem gemeinsamen religiösen Leben Theil zu nehmen. / 5 302 -» S. 90, § 30: Die Aufgabe der klerikalischen Krankenpflege geht also dahin, jenen Mangel so zu ergänzen, daß die innere Identität darunter nicht leide, sondern sich unter den gegebenen Umständen vollkommen offenbare. /
246
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Denn das im §. 301. in Frage gestellte kann hier kaum streitig sein, da hier nur zu ergänzen ist, was durch den momentan aufgehobenen Antheil im gemeinsamen Leben versäumt wird. Die erbauende Thätigkeit grenzt hier zu nahe an das gewöhnliche Gespräch, um einer besonderen Theorie zu bedürfen.
5
§. 303. Die innerhalb der Gemeine anordnende Thätigkeit (vergi. §. 290.) erscheint in Beziehung auf die Sitte beschränkt, theils durch die umfassenderen Einwirkungen des Kirchenregimentes, theils durch die unabweisbaren Ansprüche der persönlichen Freiheit. Man kann nur sagen erscheint; denn die Leitenden müssen durch ihr eige- 10 nes persönliches Freiheitsgefühl zurükkgehalten werden nicht in dieses Gebiet einzugreifen. Eben dadurch aber sollten auch die Leitenden im Kirchenregiment abgehalten werden nicht centralisirend in das Gebiet der Gemeine einzugreifen. §. 304. Da die evangelische Sitte eben so wie die Lehre im Gegensaz 15 gegen die katholische Kirche, noch in der Entwiklung begriffen ist: so sind nur im allgemeinen Regeln aufzustellen, wie das Gesamtleben von einem gegebenen Zustande aus allmählig der Gestalt näher gebracht 129 werden | kann, welche der reiferen Einsicht der Vorgeschrittenen gemäß ist. 20 Der gegebene Zustand kann entweder noch unerkannt mancherlei vom Katholizismus in sich tragen, oder auch irrthümlich Schranken, welche das Christenthum selbst stellt, überschritten haben. 119
§. 305. Da das Leben auch in der christlichen Gemeine zugleich durch gesellige und bürgerliche Verhältnisse bestimmt wird: so ist anzu- 25 [Auf der Vorderseite des Umschlagblatts zu S. 129] Mémoires Correspondence et ouvrages inédits de Diderot Paris 4 Voll, auflösende Kraft die Gefahr Katholiken würden mich auslachen über unsere Einheit.
29 auslachen] auslach 27 Denis Diderot: Memoirs, correspondance et ouvrages inédits de Diderot, publiés d'après les manuscrits confiés en mourant par l'auteur à Grimm, Bd. 1—4, Paris 1830—1831 — Schleiermacher hat die Bände nach Auskunft des Hauptbuches Reimer am 25. Juni 1832 erhalten. §303 -* - /
Í 304 -» - /
§ 305 -» - /
III. Teil: Praktische Theologie
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geben, auf welche Weise auch in diesem Gebiet, so weit dies von lokalen Bestimmungen ausgehen kann, dem Einfluß des christlichen und evangelischen Geistes größere Geltung zu verschaffen ist. 5
Ueberall kann hier nur von der Verfahrungsweise die Rede sein, indem das materielle der ordnenden Thätigkeit von der geltenden Auffassung der christlichen Lehre besonders der Sittenlehre abhängt.
§. 306. Da von der ordnenden Thätigkeit auch die Aufforderungen zur Vereinigung der Kräfte ausgehen müssen zum Behuf aller solcher gemeinsamen Werke, welche in dem Begriff und Bereich der Gemeine 10 liegen: so ist es wichtig diese Grenze (vergi. §. 303.) zu bestimmen. Die Aufgabe ist, dasjenige was für die amtliche Wirksamkeit gehört und beständig fortgeht, z. B. das ganze Gebiet des Diakonats im ursprünglichen Sinn, von dem zu scheiden was nur von dem persönlichen Verhältniß einzelner Leitenden auf einen Theil der Masse ausgehen kann. |
15
20
§. 307. Der Kirchendienst ist hier als Ein Gebiet behandelt worden, ohne die verschiedene mögliche Weise der Geschäftsvertheilung irgend beschränken zu wollen.
130
Sonst hätten wir hier schon die Theorie der kirchlichen Verfassung vorwegnehmen müssen. Wir können daher auch hier nur nach alter Weise Alle, die an den Geschäften des Kirchendienstes Theil nehmen, in dem Ausdrukk Klerus auf dieser Stufe zusammenfassen.
§. 308. Auch nur in dieser Allgemeinheit kann daher die Frage be- 120 handelt werden, ob und was für einen Einfluß das kirchliche Verhältniß zwischen Klerus und Laien auf das Zusammensein der ersten mit den 25 lezten, sowol in den bürgerlichen als in den geselligen und wissenschaftlichen Verhältnissen werde zu äußern haben. Die Aufgaben welche gewöhnlich unter dem Namen der P a s t o r a l k l u g h e i t behandelt wurden, erscheinen hier als ganz untergeordnet, und ihre Lösung beruht auf der Erledigung der Frage, ob und welcher specifische
27 f Vgl. z. B. Nösselt: Anweisung, Bd. 3, S. 9.
120-139.
S 306 -» - / 5 307 - / §308 S. 90, § 31: Kleriker und Laien, sind nicht nur in der Gemeine und in Bezug auf sie zusammen, sondern auch im Staat, in den allgemeinen geselligen Verhältnissen, und bisweilen im wissenschaftlichen Verein. / § 308 Erl -> S. 91, § 32: In wiefern diese Verhältnisse dem kirchlichen entweder förderlich sein können oder ihm entgegenwirken: so hat die Theorie der klerikalischen Amtsklugheit zu bestimmen, theils wie das Förderliche in ihnen vorzüglich könne gehoben und geltend gemacht werden; theils wie der Streit zwischen ihnen entweder rein aufzulösen ist, oder wenn nicht, wie die andern Verhältnisse dem kirchlichen so unterzuordnen sind, daß es nicht unter ihnen leide. /
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Unterschied statt finde zwischen denen Mitgliedern des Klerus, welche den Cultus leiten, und den übrigen.
Zweiter Abschnitt. D i e G r u n d s ä z e des K i r c h e n r e g i m e n t e s .
§. 309. Wenn das Kirchenregiment in der Gestaltung eines Zusammenhanges unter einem Complexus von Gemeinden beruht: so ist zunächst die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, welche sich zwischen dem Kirchenregiment und den Gemeinden entwikkeln können, zu verzeichnen, und zu bestimmen ob durch den eigenthümlichen Charakter der evangelischen Kirche einige Formen bestimmt ausgeschlossen oder andere bestimmt postulirt werden. Es wird nämlich vorausgesezt, daß die Gestaltung eines solchen Zusammenhanges weder dem Wesen des Christenthums widerspricht, noch die Selbstthätigkeit der Gemeinen aufhebt.
§. 310. Da die Art und Weise, wie sich die überwiegend Selbstthätigen in einem solchen geschlossenen Complexus zur Ausübung des Kir[Zu § 309] Der Zusammenhang ist nicht das primitive. In der Muttergemeinde war aber beides angelegt. Beides repräsentirt in den Aposteln. [Zu § 310] Innere Kirchenverfassung zwei Elemente Form des Regiments (monarchische aristokratische repräsentative)
17 Muttergemeinde] Muttergemd. 19 Kirchenverfassung] KV. 20 Regiments] Regs 20 monarchische aristokratische repräsentative] monarch, aristokr. repräs: 5—9 Schleiermacher denkt hier an die drei grundlegenden Verfassungsformen: Episkopalverfassung, Konsistorialverfassung und Presbyterialverfassung. 9—11 Zur 'Wertung §§309—310 S. 77, §§1—3: Da das Kirchenregiment bei Protestanten und Katholiken auf eine ganz verschiedene Weise geführt wird: so kann auch jede Theorie desselben un-
III. Teil: Praktische Theologie
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249
c h e n r e g i m e n t s g e s t a l t e n , u n d w i e sich dessen W i r k s a m k e i t u n d die freie Selbstthätigkeit der G e m e i n e n gegenseitig e r r e g t u n d begrenzt, die innere K i r c h e n v e r f a s s u n g bildet: so h a t die o b i g e A u f g a b e die T e n d e n z , diese für die evangelische K i r c h e s o w o l in ihrer M a n n i g f a l t i g k e i t als in i h r e m 5
G e g e n s a z gegen die k a t h o l i s c h e a u f G r u n d s ä z e z u r ü k k z u f ü h r e n . | Die Lösung muß einerseits auf dogmatische Säze zurükkgehen, und kann andererseits nur durch zwekkmäßigen Gebrauch der Kirchengeschichte und der kirchlichen Statistik gelingen. § . 3 1 1 . D a die e v a n g e l i s c h e K i r c h e d e r m a l e n nicht E i n e n C o m p l e -
to
x u s v o n G e m e i n e n bildet, u n d in v e r s c h i e d e n e n a u c h die innere Verfassung eine a n d e r e ist, die T h e o l o g i e hingegen für alle dieselbe sein soll: s o m u ß die T h e o r i e des K i r c h e n r e g i m e n t e s ihre A u f g a b e n so stellen, w i e sie für alle m ö g l i c h e n evangelischen Verfassungen dieselben sind, u n d v o n jeder a u s k ö n n e n gelöst w e r d e n .
15
20
Das d e r m a l e n soll nur bevorworten, daß die Unmöglichkeit einer jeden äußeren Einheit der evangelischen Kirche wenigstens nicht entschieden ist. Verhältniß zu den Gemeinden, (woher der Impuls welcher Theil nur leidend oder mitwirkend perge) Ob das Wesen des Katholizismus mehr liegt in der monarchischen Form oder in der strengen Subordination der Gemeinden? Independente als äußerster Gegensaz. [Zu § 310 Erl] [Zu § 311]
Dogmatische Säze. [Wort], Geist Freiheit
Die Aufgabe müßte vom Begriff ausgehn.
17 Verhältniß] Vhltnß 17 Gemeinden] Gemden 19 monarchischen] monarch" 20 Gemeinden] Gemdn 23 Begriff] B.
19 Katholizismus] Kathol. 22 Dogmatische] Dogm
der verschiedenen kirchlichen Verfassungsformen am Maßstab ihrer Entsprechung zum Wesen des Evangelischen vgl. Schleiermachers Schrift Ueber das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten. Ein theologisches Bedenken, Göttingen 1824, S. 78 — 90. mittelbar und in gleichem Sinne nur für eine von beiden Partheien gelten. — Jede also die in dieser Periode ihre Anwendung finden will, muß sich an die lezten Resultate der philosophischen Theologie (I. Erste Abth. 9—12) anschließen, um das klare Bewußtsein von diesem Gegensaz und seiner Bedeutung zum Grunde zu legen. — Dieses klare Bewußtsein fehlt nicht nur, wenn man den innern Grund der Verschiedenheit beider Partheien verkennt, sondern eben so sehr, wenn man alles was sich in beiden verschieden gestaltet voreiligerweise als nothwendig aus dem Gegensaz entsprungen betrachtet. / $311-* — /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 3 1 2 . D a jedes geschichtliche Ganze nur durch dieselben Kräfte fortbestehen kann, durch die es entstanden ist: so besteht das evangelische Kirchenregiment aus zwei Elementen, dem gebundenen, nämlich der Gestaltung des Gegensazes für den gegebenen Complexus, und dem ungebundenen, nämlich der freien Einwirkung auf das Ganze, welche jedes einzelne Mitglied der Kirche versuchen kann, das sich dazu berufen glaubt.
5
Die evangelische Kirche nicht nur in Bezug auf die Berichtigung der Lehre, sondern auch ihre Verfassung oder ihr gebundenes Kirchenregiment, ist ursprünglich aus dieser freien Einwirkung entstanden, ohne welche auch, 10 da das gebundene mit der Verfassung identisch ist, eine | Verbesserung der Verfassung denkbarerweise nicht erfolgen könnte. — Damit die lezte Bestimmung nicht tumultuarisch erscheine, muß nur bedacht werden, daß wenn sich einer, der nicht zu den überwiegend productiven gehört, doch berufen glauben sollte, der Versuch von selbst in nichts zerfallen würde. 15 §. 3 1 3 . Beide können nur denselben Z w e k k haben, (vergi. §. 25.) die Idee des Christenthums nach der eigenthümlichen Auffassung der evangelischen Kirche in ihr immer reiner zur Darstellung zu bringen, und immer mehr Kräfte für sie zu gewinnen. Das organisirte Element aber, die kirchliche M a c h t oder richtiger Autorität, kann dabei ordnend oder beschränkend auftreten, das nicht organisirte oder die freie geistige Macht, nur aufregend und warnend.
20
Einverstanden jedoch, daß auch der kirchlichen Macht jede äußere Sanction für ihre Aussprüche fehlt; so daß der Unterschied wesentlich darauf [Zu §312] Nämlich entstanden ist sie durch freie Thätigkeit. Wie keine möglieh vor Buchdruck: so auch jezt vornemlich dadurch thätig. Das Gebundene ist Kirchenregiment in engerm Sinn.
25 entstanden] entstand 27 Kirchenregiment] KRg 25 f Vgl. Praktische 443,6.
25 durch] dh
Theologie,
26 Buchdruck] Bdk
26 dadurch] ddh
SW I/ 13, S. 5 3 3 . 704 f; vgl. auch § 328, unten
442,30-
§ 312 -* S.78, §4: Wenn auch mit und aus dem Gegensaz zwischen Klerus und Laien sich in der Kirche eine äußere Autorität constituirt hat: so kann doch nicht alle zum Kirchenregiment gehörige Thätigkeit auch von ihr ausgehn; sondern es giebt dann eine Thätigkeit der Kirchengewalt und eine Thätigkeit Einzelner, welche oder sofern sie nicht zur Kirchengewalt gehören. / § 313 -* S. 78, §§ 5 - 6 + S. 79, $ 10: Die Kirchengewalt geht natürlich im Ganzen mehr auf Erhaltung und Ausbildung des durch die lezte Epoche
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III. Teil: Praktische
Theologie
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hinausläuft, daß diese als Ausdrukk des Gemeingeistes und Gemeinsinnes wirken, die freie geistige Macht aber etwas erst in den Gemeinsinn und Gemeingeist bringen will. 5
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15
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§. 3 1 4 . Der Zustand eines kirchlichen Ganzen ist desto befriedigender, je lebendiger beiderlei Thätigkeiten ineinander greifen, und je bestimmter auf beiden Gebieten mit dem Bewußtsein ihres relativen Gegensazes gehandelt wird. Die kirchliche Autorität hat also zu vereinigen, und die Theorie muß die Formel dafür (vergi. §. 310.) aufsuchen, wie ihr überwiegend obliegt, das durch die lezte | Epoche gebildete Princip zu erhalten und zu befestigen, zugleich aber auch die Aeußerungen freier Geistesmacht zu begünstigen und zu beschüzen, welche allein die Anfänge zu umbildenden Entwiklungen hervorbringen kann. Eben so für die freie Geistesmacht, wie sie ohne der Stärke der Ueberzeugung etwas zu vergeben, sich doch mit dem begnügen könne, was durch die kirchliche Autorität ins Leben zu bringen ist. §. 3 1 5 . D a ein größerer kirchlicher Zusammenhang nur statt finden kann bei einem gewissen Grade von Gleichheit oder einer gewissen Leichtigkeit der Ausgleichung unter den ihn constituirenden Gemeinden: so hat auch überall die kirchliche Autorität einen Antheil an der Gestaltung und Aufrechthaltung des Gegensazes zwischen Klerus und Laien in den Gemeinen. Nämlich nur einen Antheil, weil die Gemeine früher ist als der kirchliche Nexus, und weil sie nur ist, sofern dieser Gegensaz in ihr besteht.
25
§. 3 1 6 . D a dieser Antheil ein größtes und ein kleinstes sein kann: so hat die Theorie diese Verschiedenheit erst zu fixiren, und dann zu bestimmen, welchen anderweitigen Verhältnissen und Zuständen jede Weise zukomme, und ob sie dieselbige sei für alle Functionen des Kirchendienstes oder eine andere für andere.
schon fixirten, die Einzelnen mehr auf die fortschreitende Vorbereitung des folgenden. — Eben so zeigt sich in der Thätigkeit der Kirchengewalt mehr das Uebergewicht des religiösen Interesse, in der auf das Ganze gerichteten Thätigkeit der Einzelnen mehr das Uebergewicht des wissenschaftlichen Geistes. — Alles was zur Darstellung der Idee des Christenthums in der Kirche gehört, mag es nun auf das innerste Wesen desselben oder auch nur auf seine natürlichen äußeren Verhältnisse sich beziehen, ist ein Gegenstand des Kirchenregimentes./ §314 -> S. 78, §§7-8; S. 84, §31: Auf beiden Gebieten muß mit dem Bewußtsein des Gegensazes den sie bilden gehandelt werden. — Beide Thätigkeiten müssen aber auch gegenseitig in einander greifen, wenn das Kirchenregiment vollkommen sein soll. — Beide die Kirchengewalt und die Einzelnen müssen sich der Grenzen ihrer Thätigkeit im Kirchenregiment bewußt sein, um desto richtiger in einander zu greifen./ §314 Erl S. 78, § 5 : Die Kirchengewalt geht natürlich im Ganzen mehr auf Erhaltung und Ausbildung des durch die lezte Epoche schon fixirten, die Einzelnen mehr auf die fortschreitende Vorbereitung des folgenden. / § 315 -* — / §316 —/
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Kurze Darstellung
(2.
Auflage)
Denn daß in diesem scheinbar stätigen Uebergang vom Kleinsten zum Größten sich doch gewisse Punkte als Hauptunterschiede feststellen lassen, versteht sich aus allen ähnlichen Fällen von selbst. |
§. 317. Da ferner jene Gleichheit weder als unveränderlich noch als sich immer von selbst wiederherstellend angesehen werden kann, mithin sie zugleich ein Werk der kirchlichen Autorität sein muß: so ist die Art und Weise diesen Einfluß auszuüben, das heißt der Begriff der kirchlichen Gesezgebung, zu bestimmen. Z u g l e i c h ; weil sie nehmlich in gewissem Sinne schon vorhanden sein muß vor der kirchlichen Autorität. — Der Ausdrukk Gesezgebung bleibt, weil die kirchliche Autorität ebenfalls aller äußeren Sanction entbehrt, immer ungenau.
5
10
§ . 3 1 8 . Da nun diese Gleichheit zunächst nur erscheinen kann im Cultus und in der Sitte, beide aber an sich der adäquate Ausdrukk der an jedem Ort herrschenden Frömmigkeit sein sollen: so entsteht die Auf- 15 gäbe beides durch die kirchliche Gesezgebung zu vereinigen und vereint zu erhalten. Es liegt in der Natur der Sache, daß dies nur durch Annäherung geschehen kann, und daß also die Theorie vorzüglich darauf sehen muß, das Schwanken zwischen dem Uebergewicht des einen und des andern in möglichst enge Grenzen einzuschließen.
20
§. 319. Da beide nur, sofern sie sich selbst gleich bleiben, als Ausdrukk der kirchlichen Einheit fortbestehen können, alles aber was und [Zu §317]
Gleichheit 3 1 5
[Zu §318]
Aufsichtsrecht
[Zu § 319]
Reformationsrecht
§ 317 -» S. 79, § 11: Die Thätigkeit der Kirchengewalt im Kirchenregiment ist vorzüglich eine gesezgebende. / § 318 -*• S. 80, § 15: Die Gesezgebung für den Cultus muß darauf gerichtet sein, daß er der adäquate Ausdruk des religiösen Sinnes je länger je mehr werde und bleibe./ §319 S. 80, §§16 - S. 81, §18: In sofern der religiöse Sinn sich mannigfaltig modificirt, und alles was Ausdruk ist seinen Werth und Bedeutsamkeit allmählig wechselt, muß auch der Cultus sich mannigfaltig gestalten können nach Erfordernis von Ort und Zeit, und also muß statutarisch begründet werden seine Freiheit und Beweglichkeit. — In sofern der religiöse Sinn in einer Kirchenparthei immer und überall sich gleich ist, und der Cultus also auch dessen Einheit auszudrükken hat, muß er überall erkannt werden können als diese Parthei repräsentirend, und also hat man statutarisch zu begründen seine Gleichförmigkeit. — Soll beides in Einer Gesetzgebung nothwendig verbunden sein: so darf die Freiheit nie in Willkühr und Subjectivität ausarten können, und die Gleichförmigkeit sich nie in todte Form verwandeln. /
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III. Teil: Praktische
Theologie
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sofern es Ausdrukk und Darstellungsmittel ist, seinen Bedeutungswerth allmählig ändert: so entsteht die Aufgabe für die Gesezgebung, sowol die I Freiheit und Beweglichkeit von beiden anzuerkennen als auch ihre 136 Gleichförmigkeit zu begründen. 5
Hiedurch muß sich zugleich auch das Verhältniß der kirchlichen Autorität zum Kirchendienst in der Constitution des Cultus und der Sitte wenigstens in bestimmte Grenzen einschließen.
125
§. 320. Der kirchlichen Autorität muß ferner geziemen, im Falle einer Opposition in den Gemeinen, rühre sie nun her (vergi. §. 299.) von 10 Einzelnen aus der Einheit mit dem Ganzen gefallenen oder von zurükkgetretener Einheit überhaupt, als höchster Ausdrukk des Gemeingeistes den Ausschlag zu geben, wenn innerhalb der Gemeine keine Einigung zu erzielen ist. 15
Geltend wird dieser Ausschlag immer nur, sofern auch die Opponenten nicht aufhören wollen in diesem kirchlichen Verein ihren christlichen Gemeinschaftstrieb zu befriedigen.
§. 321. In sofern die kirchliche Autorität hierauf entweder durch allgemeine Bestimmungen einwirkt, oder wenigstens solchen folgt, wo sie einzeln zutritt, muß hier die Frage erledigt werden, ob und unter 20 welchen Verhältnissen in einem evangelischen Kirchenverein Kirchenzucht statt finde oder auch Kirchenbann.
25
30
Lezterer nehmlich sofern die Aufhebung des Verhältnisses eines Einzelnen zur Gemeine oder zum Kirchenverein von der Autorität ausgesprochen werden kann. Ersteres insofern eine stattgehabte Opposition nur durch eine | öffentliche Anerkennung ihrer Unrichtigkeit solle beendigt werden können. [Zu § 320]
Schiedsrichterliches Recht.
[Zu § 321]
Differenz zwischen dieser Frage und der obigen
[Auf der Vorderseite des Umschlagblatts zu S. 137] Unter welcher Voraussezung würden Beide Differenz sein auf gute Weise
30 Voraussezung] Vaussezung S 320 -* S. 79, S 12: In Absicht auf das religiöse Leben überhaupt hat die Kirchengewalt zu bestimmen, wie das krankhafte, was sich in der sichtbaren Kirche erzeugt, aus derselben auszuscheiden ist./ S 321 -* S. 79, S 13 - S. 80, § 14: Die Aufgabe, ein Verfahren zu finden, welches auf das fremdartige wirkt ohne selbst ein fremdartiges zu sein, muß
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 322. Ueber das Verhältniß der kirchlichen Autorität zu dem Lehrbegriff machen sich noch so entgegengesezte Ansichten geltend, daß es unmöglich scheint einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu finden, so daß eine Theorie nur bedingterweise kann aufgestellt werden. 126
Ja es möchte sogar nicht einmal leicht sein die Partheien zum Einverständ-
5
niß über den Ort, wo der Streit entschieden werden sollte, mithin gleichsam zur Wahl eines Schiedsrichters zu bringen.
§. 323. Ausgehend einerseits davon, daß der evangelische Kirchenverein entstanden ist mit und fast aus der Behauptung, daß keiner Autorität zustehe den Lehrbegriff festzustellen oder zu ändern, andererseits 10 davon, daß wir ohnerachtet der Mehrheit evangelischer Kirchenvereine, welche verschiedenen Maximen folgen, doch Eine evangelische Kirche und eine diese Einheit bezeugende Lehrgemeinschaft anerkennen, glauben wir die Aufgabe nur so stellen zu dürfen. Es sei zu bestimmen, wie die kirchliche Autorität eines jeden Vereins, anerkennend daß Aenderun- 15 gen in den Lehrsäzen und Formeln nur entstehen dürfen aus den Forschungen Einzelner, wenn diese in die Ueberzeugung der Gemeine aufgenommen werden, diese Wirksamkeit der freien Geistesmacht beschüzen, 138 zugleich aber die Einheit | der Kirche in den Grundsäzen ihres Ursprungs festhalten könne. 20 Natürlich soll keinesweges ausgeschlossen werden, daß nicht dieselben, welche als kirchliche Autorität wirken, auch könnten die Wirksamkeit der freien Forschung ausüben; sondern nur um so strenger ist darauf zu halten, daß sie dies nicht in der Weise und unter der Firma der kirchlichen Autorität thun. — Ganz entgegengesezt aber muß die Aufgabe gestellt werden, wenn man von der Voraussezung ausgeht, daß die Kirche nur durch eine
1—4 Die Formulierung „noch" läßt vermuten, daß Schleiermacher hier u. a. auf den Streit zwischen Kationalismus und Supernaturalismus um die kirchliche Lehrautorität anspielt, wie er 1830 exemplarisch um die beiden Hallenser rationalistischen Theologieprofessoren Gesenius und Wegscheider geführt wurde; vgl. dazu KGA 1/10, S. LXXVI1I—CXI1. In diesem Zusammenhang erscheint auch die Schrift der beiden Breslauer Theologieprofessoren Daniel von Cölln und David Schulz: Ueber Theologische Lehrfreiheit auf den evangelischen Universitäten und deren Beschränkung durch symbolische Bücher. Eine offene Erklärung und vorläufige Verwahrung, Breslau 1830. Obwohl grundsätzlich im Beharren auf uneingeschränkte theologische Lehrfreiheit mit ihnen einig, sieht sich Schleiermacher dennoch zu einer Stellungnahme veranlaßt (vgl. An von Cölln und Schulz, KGA 1/10, S. 395 - 426). richtig gelöst die wahre Kirchenzucht darstellen. — Wie aber eine ausschließende Gewalt geübt werden kann, ohne eine fremde äußere Sanction zu Hülfe zu nehmen, dies muß dargestellt werden durch den Kirchenbann. / § 322 ~> - / § 323 -> S. 81, §§ 19-20: Die immer fortgehende Bildung des Lehrbegriffs geht von den Thätigkeiten der Einzelnen
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III. Teil: Praktische Theologie
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255
in einem anzugebenden Grade genaue Gleichförmigkeit der Lehre als Eine bestehe.
5
10
§. 324. Das obige (vergi. §. 322.) gilt auch von den Rechten und Obliegenheiten der kirchlichen Autorität in Bezug auf die Verhältnisse 127 der Kirche zum Staat, indem keine Handlungsweise, welche irgend vorgeschrieben werden könnte, sich einer allgemeinen Anerkennung erfreuen würde. Nur dies scheint bemerklich zu sein, daß da wo die evangelische Kirche gänzlich vom Staat getrennt ist, niemand andere Wünsche hegt; da aber wo eine engere Verbindung zwischen beiden statt findet, die Meinungen in der Kirche getheilt sind.
§. 325. Ausgehend einerseits davon, daß wenn die Kirche nicht will eine weltliche Macht sein, sie auch nicht darf in die Organisation derselben verflochten sein wollen, andrerseits davon, daß was Mitglieder der 15 Kirche, welche an der Spize des bürgerlichen Regiments stehn, in dem | kirchlichen Gebiet thun, sie doch nur in der Form der Kirchenleitung 139 thun können, vermögen wir die Aufgabe nur so zu stellen. Es sei zu bestimmen, auf welche Weise die kirchliche Autorität unter den verschiedenen gegebenen Verhältnissen dahin zu wirken habe, daß die Kirche 20 weder in eine kraftlose Unabhängigkeit vom Staat, noch in eine wie immer angesehene Dienstbarkeit unter ihm gerathe.
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-30
Die Theorie ist höchst schwierig aufzustellen, und gewährt doch wenig Ausbeute, weil, wenn die kirchliche Autorität schon eine Verschmelzung der Kirche mit der politischen Organisation oder eine den Einfluß äußerer Sanction benuzende Verfahrungsart in kirchlichen Angelegenheiten vorfindet, sie unter ihrer Form nur indirect dagegen wirken kann, alles andere aber von den allmähligen Einwirkungen der freien Geistesmacht erwarten muß. — Und wie wenig Uebereinstimmung auch in den ersten Grundsäzen ist, wird am besten daraus klar, daß, wo die Kirche sich in einer Dienstbar- 128 keit ohne Ansehen befindet, immer Einige vorziehen werden in der Dienstbarkeit Ansehen zu erwerben, Andere aber unangesehen zu bleiben wenn sie nur unabhängig werden können.
aus. — Die gesezgebende Thätigkeit der Kirchengewalt muß den Einzelnen ihre freie Wirksamkeit auf diesem Gebiet sichern, und doch zugleich die Lehre an dem Symbol, durch welches sie constituirt ist, festhalten. / § 324 S. 81, §§ 21 —22: Die Kirchengewalt hat ferner durch ihre gesezgebende Thätigkeit von Seiten der Kirche, deren Verhältniß zum Staat zu bewahren oder zu berichtigen. — Das Verhältniß beider zu einander ist nie als ein reines ruhiges Gleichgewicht vorauszusezen. / § 325 -* S. 82, §§23—24: Die Aufgabe ist daher den etwanigen Eingriffen des Staats in das Gebiet der Kirche abzuhelfen, selbst aber keine Eingriffe in das seinige zu thun. — Die Theorie des Kirchenregimentes hat zu zeigen, wie man dahin gelangen könne, daß das Verhältniß der Kirche zum Staat weder eine kraftlose Unabhängigkeit sei noch eine angesehene Dienstbarkeit. /
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 326. Dieselbe Aufgabe kehrt noch in einer besonderen Beziehung wieder, wenn der Staat die gesamte Organisation der Bildungsanstalten in die seinige aufgenommen hat, indem alsdann in Beziehung auf die geistige Bildung, durch welche allein sowol der evangelische Cultus er140 halten wer|den als auch eine freie Geistesmacht in der Kirche bestehen kann, ebenfalls kraftlose Unabhängigkeit oder wohlhabende Dienstbarkeit drohen.
5
Für dieses Gebiet kann unter ungünstigen Umständen sehr leicht das schwierige und nicht auf einfache Weise zu lösende Dilemma entstehen, ob der Kirchenverein sich solle mit dem wenn auch noch so dürftigen Apparat 10 begnügen, den er sich unabhängig erwerben und bewahren kann, oder ob er es wagen solle auch aus mit nicht evangelischen Elementen versezten Quellen zu schöpfen. §. 327. Da die verschiedenen für sich abgeschlossenen Gemeinvereine, welche zusammen die evangelische Kirche bilden, theils durch 15 äußerliche der Veränderung unterworfene Verhältnisse, theils durch Differenzen in der Sitte oder Lehre, deren Schäzung ebenfalls der Veränderung unterworfen ist, gerade so begränzt sind, die meisten aber sich durch diese Begrenzung an ihrer Selbständigkeit gefährdet finden: so entsteht die Aufgabe für jeden von ihnen, sich einem genaueren Zusammen- 20 129 hang mit den übrigen offen zu halten und ihn in seinem Innern vorzubereiten, damit keine günstige Gelegenheit ihn hervorzurufen versäumt werde. Diese Aufgabe bezeichnet zugleich das Ende des Gebietes der kirchlichen Autorität; denn nicht nur stirbt mit der Lösung der Aufgabe jedes bisherige 25 Kirchenregiment seinem abgesonderten Sein ab, sondern auch die Lösung selbst, weil sie Uber das Gebiet der abgeschlossenen Autorität hinausgeht, kann nur durch die Wirksamkeit der freien Geistesmacht hervorgerufen werden. | 141
§. 328. Da das ungebundene Element des Kirchenregimentes (vergi. 30 §. 312.) welches wir durch den Ausdrukk f r e i e G e i s t e s m a c h t in der evangelischen Kirche bezeichnen, als auf das Ganze gerichtete Thätigkeit Einzelner, eine möglichst unbeschränkte Oeffentlichkeit, in welcher sich der Einzelne äußern kann, voraussezt: so findet es sich jezt vornehmlich in dem Beruf des akademischen Theologen und des kirchlichen Schrift- 35 stellers.
S 326 - / $327-* - / §328-* S. 82,$ 25: Die auf das Ganze gerichtete Thätigkeit der Einzelnen ist im gegenwärtigen Zustande der Kirche nur die des akademischen Lehrers und die des Schriftstellers. /
III. Teil: Praktische
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Theologie
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257
Bei dem ersten Ausdrukk ist nicht gerade an die nur zufällige, jezt noch bestehende Form zu denken; doch wird immer eine mündliche, große Massen der zur Kirchenleitung bestimmten Jugend vielseitig anregende Ueberlieferung etwas höchst wünschenswerthes bleiben. — Unter dem lezten sind in dieser Beziehung diejenigen nicht mit begriffen, welche nur ihre Verrichtungen im Kirchendienst auf die Schrift übertragen. §. 3 2 9 . B e i d e w e r d e n i h r e a l l g e m e i n s t e W i r k u n g (vergi. §. 3 1 3 . 3 1 4 . ) n u r in d e m M a a ß v o l l b r i n g e n , als sie d e m B e g r i f f des K i r c h e n f ü r s t e n (vergi. §. 9 . ) n a h e k o m m e n .
10
Des in §. 9. erwähnten Gleichgewichts bedürfen beide um so weniger, als sie sich mit ihrer Production in dem Gebiet einer besonderen wissenschaftlichen Virtuosität bewegen. Aber in demselben Maaß werden sie auch keine allgemeine anregende Wirkung auf das Kirchenregiment ausüben.
15
v o r z ü g l i c h b e l e b t e n J u g e n d den w i s s e n s c h a f t l i c h e n G e i s t in seiner t h e o l o - |
§. 3 3 0 . D a d e r a k a d e m i s c h e L e h r e r in d e r v o n r e l i g i ö s e m I n t e r e s s e g i s c h e n R i c h t u n g e r s t r e c h t z u m B e w u ß t s e i n b r i n g e n s o l l : s o ist d i e M e t h o d e a n z u g e b e n , w i e d i e s e r G e i s t zu b e l e b e n sei o h n e d a s r e l i g i ö s e I n t e r esse zu s c h w ä c h e n . 20
Wie wenig man noch im Besiz dieser Methode ist, lehrt eine nur zu zahlreiche Erfahrung. Es bleibt übrigens dahingestellt, ob diese Methode eine allgemeine sei, oder ob es bei verschiedenen Disciplinen auf verschiedenes ankommt. §. 3 3 1 . D a d a s v o r h a n d e n e u m s o w e n i g e r g e n ü g t , als d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e G e i s t d i e e i n z e l n e n D i s c i p l i n e n d u r c h d r i n g t : s o ist e i n e V e r -
25
fahrungsweise aufzustellen, wie die A u f m u n t e r u n g und Anleitung, u m d i e t h e o l o g i s c h e n W i s s e n s c h a f t e n w e i t e r zu f ö r d e r n , z u g l e i c h zu v e r b i n den sei m i t d e r r i c h t i g e n W e r t h s c h ä z u n g d e r b i s h e r i g e n E r g e b n i s s e u n d m i t t r e u e r B e w a h r u n g des d a d u r c h in d e r K i r c h e n i e d e r g e l e g t e n G u t e n .
30
Eine gleiche Erfahrung bewährt hier denselben Mangel, und unläugbar kommt von der allzuscharfen Spannung zwischen denen welche Neues bevorworten und denen welche sich vor dem alten beugen, vieles auf Rechnung der Lehrweise.
5 329 -* — ! 5 330 S. 82, § 26: Da mit dem akademischen Studium der wissenschaftliche Geist erst recht zum Bewußtsein kommt: so hat die Theorie für den akademischen Lehrer die Aufgabe zu lösen, wie er den wissenschaftlichen Geist zu beleben habe, ohne das religiöse Interesse zu schwächen. / 5 331 -* S. 82, § 27: Da in dem Maaß als erkannt wird was noch zu leisten ist, das bisherige nicht genügt: so ist auch die Aufgabe zu lösen, wie zum persönlichen Vorwärtsdringen aufzumuntern sei ohne die Anhänglichkeit an das in der Kirche bestehende zu zerstören. /
130 142
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Kurze Darstellung (2. Auflage)
§. 332. Sofern die schriftstellerische Thätigkeit auf Bestreitung des falschen und verderblichen gerichtet ist: so ist dem theologischen Schriftsteller besonders die Methode anzugeben, wie er sowol das wahre und gute, woran sich jenes findet und womit es zusammenhängt, nicht nur 143 auffinden sondern auch zur Anerkenntniß bringen kann, als | auch dem eigenthümlichen worin es erscheint, seine Beziehung auf das kirchliche Bedürfniß anweisen. 131
Der Saz, daß aller Irrthum nur an der Wahrheit ist, und alles schlechte nur am guten, ist die Grundbedingung alles Streites und aller Correction. Der lezte Theil der Aufgabe ruht einerseits auf der Voraussezung, daß irriges und schädliches, wenn nicht durch Eigenthümlichkeit getragen, wenig Einfluß ausüben kann, andererseits auf der, daß alle Gaben in der Kirche sich erweisen können zum gemeinen Nuz.
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§. 333. Sofern sie Neues zur Anerkenntniß bringen und empfehlen will, wäre eine Formel zu finden, wie die Darstellung des Gegensazes 15 zwischen dem neuen und alten, und die des Zusammenhanges zwischen beiden sich am besten unterstüzen können. Denn ohne Gegensaz wäre es nicht neu, und ohne Zusammenhang wäre es nicht anzuknüpfen.
§. 334. Da die öffentliche Mittheilung sich leicht weiter verbreitet 20 als sie eigentlich verstanden wird: so entsteht die Aufgabe, jene Darstellung so einzurichten, daß sie nur für diejenigen einen Reiz hat, von denen auch ein richtiger Gebrauch zu erwarten ist. Die sonst hiezu fast ausschließend empfohlene und angewendete Regel, sich bei Darstellungen von denen Mißdeutung oder Mißbrauch zu erwarten ist,
8 f Vgl. Dialektik (1814/15), hg. v. A. Arndt, Hamburg 1988, S. 81; Dialektik, im Auftrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Grund bisher unveröffentlichten Materials hg. v. R. Odebrecht, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1942, Darmstadt 1976, S. 334 § 332 -» S. 83, § 28: In wiefern die Thätigkeit des Schriftstellers die Bestreitung der Irrthümer zum Zwekk hat, das Falsche aber immer nur an dem Wahren sein kann: so ist die besondere Aufgabe des theologischen Schriftstellers, das Wahre und Gute, wovon der Irrthum ausgegangen ist, zu schonen. / § 333 -» S. 83, § 29: Insofern sie auf Verbreitung neuer Ansichten ausgeht, jedes Neue aber im Gegensaz gegen ein Altes steht: so ist die Aufgabe das Neue so darzustellen, daß der Gegensaz weder verfehlt noch zu weit ausgedehnt werde. / § 334 -» S. 83, § 30: Im Allgemeinen, da die Mittel der wissenschaftlichen Mittheilung an sich weiter reichen als das Gebiet in dem sie im eigentlichen Sinne verstanden wird, und da jeder Lesende von dem seinigen bei der Auslegung dazuthut: so ist die Aufgabe, die Darstellung so einzurichten, daß sie sich nicht weiter verbreitet als sie nüzen kann, und daß sie nicht anders ausgelegt wird als sie gemeint war. /
25
III. Teil: Praktische
Theologie
[445]
259
nur der gelehrten Sprache zu bedienen, ist den Verhältnissen nicht mehr angemessen.
Schlußbetrachtungen über die p r a k t i s c h e
5
10
15
20
144
Theologie.
§. 335. Von der Scheidung zwischen dem, was jedem obliegt, und dem was eine besondere Virtuosität constituirt, konnte hier keine Erwähnung geschehen. Denn sie kann nur auf zufälligen oder fast persönlichen Beschränkungen beruhen, und ergiebt sich dann von selbst. An und für sich betrachtet kann Jeder zur Kirchenleitung berufene auf jede Weise wirksam sein; und es giebt nicht sowol verschiedene trennbare Gebiete als nur verschiedene Grade erreichbarer Vollkommenheit. §. 336. Die Aufgaben, zumal im Gebiet des Kirchenregiments, wird derjenige am richtigsten stellen, der sich seine philosophische Theologie am vollkommensten durchgebildet hat. Die richtigsten Methoden werden sich demjenigen darbieten, der am vielseitigsten auf geschichtlicher Basis in der Gegenwart lebt. Die Ausführung muß am meisten durch Naturanlagen und allgemeine Bildung gefördert werden. Wenn nicht alles, was in dieser encyclopädischen Darstellung auseinander gelegt ist, hier gefordert würde, so wäre sie unrichtig; so wie die Forderung unrichtig wäre, wenn sie etwas enthielte, was in keiner encyclopädischen Darstellung enthalten sein kann. | [Zu § 335]
Ueber das Maaß der Prüfungen
J 335 -» S. 91, § 1: Da kein Theologe ohne allen Antheil der leitenden Thätigkeit ist, keiner aber auch alle Theile derselben umfaßt: so liegt jedem ob von der praktischen Theologie dasjenige inne zu haben, woraus das richtige Verhältnis eines jeden Theils der Praxis zum Ganzen sich erkennen läßt: so wie die Theorie jeder einzelnen Art der Thätigkeit das Gebiet des Besondern bildet./ §336 -» S. 91, §2: Das Allgemeine der praktischen Theologie wird der am klarsten sehen, der sich die philosophische Theologie am meisten angeeignet hat; das besondere und der Ausführung nächste wird jeder um so sicherer finden, je geschichtlicher er in der Gegenwart lebt. /
132
260
[446]
§. 3 3 7 .
Kurze
Darstellung
(2.
Auflage)
D e r Z u s t a n d der p r a k t i s c h e n T h e o l o g i e als Disciplin zeigt,
d a ß w a s i m S t u d i u m j e d e s E i n z e l n e n d a s l e z t e i s t , a u c h a l s d a s l e z t e in der Entwiklung der Theologie überhaupt
erscheint.
S c h o n d e s h a l b weil sie die D u r c h b i l d u n g der philosophischen T h e o l o g i e (vergi. S- 6 6 . u. 2 5 9 . ) v o r a u s s e z t . §. 3 3 8 .
D a s o w o l d e r K i r c h e n d i e n s t a l s d a s K i r c h e n r e g i m e n t in d e r
evangelischen Kirche wesentlich d u r c h ihren Gegensaz gegen die römis c h e b e d i n g t i s t : s o ist e s d i e h ö c h s t e V o l l k o m m e n h e i t d e r
praktischen
T h e o l o g i e beide jedesmal so zu gestalten, wie es d e m S t a n d e dieses Geg e n s a z e s z u s e i n e m C u l m i n a t i o n s p u n k t a n g e m e s s e n ist. H i e d u r c h g e h t sie b e s o n d e r s a u f die h ö c h s t e A u f g a b e der A p o l o g e t i k (vergi. §. 5 3 . ) z u r ü k k .
§ 337 S. 92, § 3: Schon hieraus läßt sich schließen, was auch die Erfahrung ergiebt, daß die praktische Theologie und besonders die Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinne noch nirgends recht ausgebildet sein kann. Was im Studium eines jeden Einzelnen das lezte ist, erscheint auch als das lezte in der Entwikkelung der Theologie überhaupt. / §338 S. 92, §§4—5: Theorie des Kirchenregimentes sowohl als des Kirchendienstes ist nothwendig in jeder herrschenden Kirchenparthei eine andere. — Die höchste Aufgabe für diese Theorie ist daher auch, sie so zu stellen, daß der jedesmal bestehende Gegensaz der Partheien durch ihre Ausübung weder erschlaffen könne, noch auch über seine natürliche Dauer auf künstliche Art verlängert werde, um sich zu überleben. Hiedurch schließt sich die höchste Aufgabe für die praktische Theologie unmittelbar an die höchste der ersten theologischen Disciplin, nemlich der Apologetik.