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German Pages [293] Year 2023
Cornelia Cubasch-König / Angelika Jobst / Markus Böckle (Hg.)
Kreative Medien in der Psychotherapie Perspektiven für die Praxis
Cornelia Cubasch-König / Angelika Jobst / Markus Böckle (Hg.)
Kreative Medien in der Psychotherapie Perspektiven für die Praxis
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 28 Abbildungen und 2 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Rosemarie Wagner: Der kleine Prinz (http://rosemariewagner.at) Wissenschaftliches Lektorat: Ilona Oestreich, Berlin Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-40819-9
Inhalt Geleitwort von Renate Frühmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Theorie Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien . . . . . 19 Markus Böckle, Franz Brunner, Cornelia Cubasch-König und Angelika Jobst Funktion der kreativen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Markus Böckle, Franz Brunner, Cornelia Cubasch-König und Angelika Jobst Integration in der Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Markus Böckle Die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien . . . . . . . . . . . . . 55 Barbara Pammer und Silke Birgitta Gahleitner
Setting Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Angelika Jobst Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Angelika Jobst Das Paar in der Therapie – ein ko-kreativer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Cornelia Cubasch-König Kreative Medien in der Gruppenpsychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Alli Schumacher-Möth
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Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie . 107 Rita DeDominicis Kreative Medien in der Akutpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Franz Brunner
Methoden Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Cornelia Cubasch-König Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis 143 Peter Cubasch Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Konstanze Karoline Eppensteiner Integrative Therapie in der Arbeit mit geflüchteten Menschen unter Einbezug von Poesietherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Barbara Winzely Kreative Medien in der Naturtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Astrid Polz-Watzenig Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Gerhard Hintenberger und Markus Böckle
Störungsspezifität Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Markus Böckle Kreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken 209 Martin Lugsch, Melitta Schwarzmann und Silke Birgitta Gahleitner Kreative Medien bei Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Sonja Pasch 6
Inhalt
Traumafolgestörungen und kreative Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Angelika Jobst, Markus Böckle und Cornelia Cubasch-König Somatische Belastungsstörungen: Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen von Pathos und Response . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Christian Wiesner
Anhang Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Autor*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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Geleitwort Kreative Medien sind in der Tat ein Kernstück Integrativer Therapie! Sie knüpfen an spielerische Kindheit sowie an die Schöpferkraft in uns an und rufen die Lust wach, wieder sinnlich zu gestalten, zu erproben und (wieder) zu entdecken, was in der vernunftdominierten Erwachsenenwelt in Vergessenheit geraten sein mag. Dort wo einst keine Spiel-Räume und Anregungen gegeben waren, stellen Medien neue/alte Angebote dar, die vorhandenen Defizite zu füllen. Medien können persönlichkeitserweiternd wirken sowie zur eigenen Expressivität ermuntern und Selbstwirksamkeit erleben lassen. In diesem Sinne sind Medien nicht nur in klinischer Weise zu verstehen, sondern vermögen in Menschen die Freude an Selbstentfaltung und Lebensbereicherung zu wecken. Darüber hinaus jedoch sind sie ein unerschöpflicher Fundus für verborgene Seelenlandschaften, um zum Unbewussten der Menschen zu gelangen. Ein Bild z. B. sagt oft mehr als tausend Worte und veranschaulicht für unsere Patient*innen, was – ähnlich wie in Träumen – zutage treten will. Vorausgesetzt, die Therapeut*innen haben sich in eigener Selbsterprobung und Weiterbildung mit der Bedeutung von Farben und Symbolen auseinandergesetzt. Kinderzeichnungen sind überzeugende Beispiele für Sprache ohne Worte, und gerade in der Kindertherapie ist der Umgang mit Spielmaterial und Medien aller Art unerlässlich. Ein Ton, ein Musikstück, ein Gesang – passiv belauscht oder erzeugt – geht nicht nur ins Ohr, sondern unter die Haut, ja vermag den ganzen Menschen so zu erfüllen, dass verschüttete Gefühle zutage treten können, kann Stimmungen verdeutlichen und Atmosphären überbringen, für die unsere Patient*innen bisher keinen Ausdruck finden oder die sie mit niemandem teilen konnten. Angeleitete Bewegungsarbeit lehrt uns, den eigenen Leib auf bisher nicht erprobte Weise wahrzunehmen, seinen stummen Ausdruck zu erkennen sowie eingefrorene Haltungen (z. B. krummer Rücken, eingezogener Kopf) auf deren Entstehungsgeschichte zu erfassen und deren Auswirkungen zu verstehen und verändern zu können. Voraussetzung jedoch im Umgang mit kreativen Medien in der Therapie sind vornehmlich selbst kreative Therapeut*innen. Dies heißt, sich klarzumachen, in welche Richtung die eigene Gestaltungslust am meisten spürbar und entwickelt ist, denn dort werden wir am überzeugendsten wecken und vermitteln können. Weiterhin ist die eigene Bereitschaft, die Bandbreite persönlicher Kreativität zu erweitern, vonnöten, um auf die Vorlieben unserer Patient*innen eingehen zu können. Ein Sprichwort sagt: Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. 11
Auseinandersetzung mit Entwicklungspsychologie führt uns zu den Wurzeln spielerischen Handelns und Lernens und schärft den Blick für Defizite bzw. Traumata und Störungen – wie auch die aktuelle Befindlichkeit unserer speziellen Patient*innen. Wichtig ist auch die Haltung bei der Aufarbeitung der Erlebnisse mit Medien. Es geht nicht um die Deutungshoheit der Therapeut*innen, sondern in einem gemeinsamen (ko-kreativen) Prozess darum zu entdecken, zu entschlüsseln und nachzuerleben, welche Erfahrungen, Erinnerungen und Botschaften aus dem Unbewussten zutage treten sowie versprachlicht werden können. Daraus können Wege und Veränderungen entwickelt werden. Therapeut*innen sind dabei mit ihrer Empathie und Kompetenz auch ihr eigenes Instrument, um die Patient*innen aus ihren stummen Nöten zu begleiten. Dieses Buch bietet nebst grundlegender Theorie der Integrativen Therapie auch Einblicke in Methodik und Behandlungsfelder und kann damit zur gründlichen Orientierung im weiten Feld der Anwendung kreativer Medien beitragen. Somit erweitert sich die »talking cure« dahingehend, den Sinn der Worte mit Sinnlichkeit zu erfüllen, ja zur Sinnerweiterung beizutragen. Ich wünsche allen Kolleg*innen Neugierde, Engagement und Entdeckungslust gemeinsam mit ihren Patient*innen. Renate Frühmann
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Geleitwort
Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Einführung
Herzlich willkommen, liebe Leser*innen! Schön, dass Sie unser Buch in Ihren Händen halten und nun mit dem Lesen beginnen! Sie haben schon viel Erfahrung mit der therapeutischen Praxis, aber vielleicht noch wenig Berührungspunkte mit kreativen Medien? Dann sind Sie hier richtig: Dieses Buch wird Ihnen zeigen, was kreative Medien sind, was wir als Integrative Therapeut*innen darunter verstehen, wie wir sie in der therapeutischen Praxis einsetzen und wie sie die Arbeit mit Patient*innen fördern und den Prozess der Heilung voranbringen können. Sie werden erfahren, in welchen Settings die kreativen Medien zum Einsatz kommen, wie sie bei verschiedenen Störungsbildern angewendet werden und was Sie dafür jeweils brauchen. Basierend auf dem Verständnis eines Menschenbilds, das sich an der schöpferischen Kraft der einzelnen Menschen orientiert, geben wir Ihnen Einblick in die psychotherapeutische Arbeit in der freien Praxis, in der Klinik und in verschiedenen anderen psychosozialen Einrichtungen. Auf der Grundlage einer therapeutisch-tragfähigen Beziehung können die kreativen Medien als Interventionen angewendet werden und Patient*innen, Paare sowie Gruppen auf ihrem Weg der Heilung unterstützen.
Entstehung und Konzept des Buchs Seit längerer Zeit beschäftigen wir uns mit der Idee, ein aktuelles und praxisrelevantes Buch über kreative Medien in der Integrativen Therapie zu schreiben, um den Bedarf von Absolvent*innen, Therapeut*innen, Ausbilder*innen in der Integrativen Therapie, aber auch für Interessierte aus anderen Therapieverfahren zu decken. In der Vergangenheit wurde bereits vieles zur Entstehung und Bedeutung der kreativen Medien in der Integrativen Therapie von den Begründer*innen – vor allem Hilarion G. Petzold, Ilse Orth, Johanna Sieper – publiziert, es gibt zahlreiche Werke und Ausführungen. Darauf aufbauend ist es uns ein Anliegen, die gegenwärtigen Strömungen und Erfahrungen der Kolleg*innen einzufangen und einer interessierten Leserschaft anzubieten. Die kreativen Medien sind in der Integrativen Therapie ein besonderes Erkennungsmerkmal und neben dem leiborientierten Ansatz ein »Herzstück« des Verfahrens. 13
Entworfen wurde die Integrative Therapie Mitte der 1960er Jahre als komplexes psychotherapeutisches Verfahren von Hilarion G. Petzold, Johanna Sieper, Hildegund Heinl und Ilse Orth durch Integration methodischer Elemente damaliger Therapieströmungen aus Psychoanalyse, Gestalttherapie, Psychodrama, therapeutischem Theater und Verhaltensmodifikation und anhand empirischer Forschung weiterentwickelt (vgl. Petzold, 2003, S. 725–733, S. 755–768; vgl. den Beitrag »Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien« von Böckle, Brunner, Cubasch-König u. Jobst in diesem Buch). In Theorie und Praxis ist nun ein gemeinsames Werk entstanden, das den Bezug zur psychotherapeutischen Arbeit in unterschiedlichen Settings herstellt. »Aus der Praxis für die Praxis« berichten Integrative Therapeut*innen von ihren Erfahrungen, stellen die Verbindung zur Geschichte der Integrativen Therapie, der Theorie und der eigenen Praxis her und geben einen anschaulichen Einblick in ihre psychotherapeutischen Tätigkeitsbereiche. Feldspezifisch und störungsorientiert behandeln die einzelnen Kapitel verschiedene Themen und verdeutlichen Motivation, Einsatzmöglichkeiten, Kontraindikationen, Chancen und Risiken der kreativen Medien. Die einzelnen kreativen Medien werden vorgestellt, beschrieben und im letzten Teil als Glossar gebündelt. So kann das Buch auch als ein kompaktes Nachschlagewerk verwendet werden. Selbst Integrative Therapeut*innen, schreiben wir für Integrative Therapeut*innen, aber auch für andere erlebnisorientierte Therapeut*innen und psychotherapeutische Schulen. In vielen Verfahren wird bei störungsspezifischen Behandlungen im stationären und ambulanten Kontext erlebniszentriert mithilfe von kreativen Medien gearbeitet. In diesem Buch werden die Erkenntnisse und Herangehensweisen der Integrativen Therapie für ein breites Publikum dargestellt und dabei die Grundlagen (Petzold, Sieper, Orth) und auch die Verbindung zum gesamten Berufsfeld der Psychotherapeut*innen gewürdigt. Eine Öffnung und Interaktion der Integrativen Therapie in Richtung anderer Verfahren wird damit vollzogen. Der Erfahrungsschatz sowie die theoretischen Grundlagen der kreativen Medien innerhalb der Integrativen Therapie werden hier nun einem breiten Publikum angeboten.
Auf bau des Buchs Der Aufbau des Buchs soll es den Leser*innen je nach Bedarf ermöglichen, von vorne beginnend zu lesen oder aber es als Nachschlagewerk zu den spezifischen Themen in den verschiedenen Beiträgen zu nutzen. Das Glossar im Anhang gibt zudem kurze Anleitungen, um gegebenenfalls von dort aus Vertiefungen in dazu passenden Beiträgen des Buchs zu lesen. 14
Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Der erste Teil des Buchs vermittelt einen theoretischen Einblick in das Verfahren der Integrativen Therapie, mit Orientierung und Ausrichtung stets bei den kreativen Medien, die in einem zweiten Beitrag in ihren Möglichkeiten und Funktionen dargestellt werden. Der dritte Beitrag behandelt das Thema »Integration im Allgemeinen und im Speziellen in der Integrativen Therapie«. Abgerundet wird dieser Buchteil mit einem Beitrag über die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien. Im zweiten Teil des Buchs steht die Arbeit mit kreativen Medien in verschiedenen Settings im Mittelpunkt, mit Beiträgen zur dyadischen Therapie, zur Paartherapie, zur Gruppentherapie, zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und zum Setting in der psychiatrischen Klinik. Die Beiträge sind von diesem zweiten Buchteil an jeweils gegliedert in den theoretischen Bezug, Fallbeispiele(n) und eine Infobox zum »Wichtigsten in Kürze«. Der dritte Teil des Buchs stellt die Methoden in der Arbeit mit kreativen Medien vor: Musiktherapie, Arbeit mit Masken, Poesietherapie, Naturtherapie und die kreativen Medien im digitalen Raum. Die Autor*innen berichten aus ihrer Praxis und geben Einblick in ihre langjährigen Erfahrungen. Im vierten Teil des Buchs liegt der Fokus auf der Arbeit mit kreativen Medien mit störungsspezifischer Ausrichtung, z. B. Borderline-Problematik, Essstörung, Traumafolgestörung und Somatische Belastungsstörung in Theorie und Praxis. Im Anhang werden in Form eines Glossars verschiedene kreative Medien mit praktischer Anleitung, Ausführung und Variationen beschrieben, versehen mit Verweisen zu den Beiträgen dieses Buchs.
Zu formalen Aspekten dieses Buchs Gendergerechte Sprache soll zu einem Bewusstsein von Gleichwertigkeit unterschiedlicher Genderidentitäten führen. Hierfür möchten wir in diesem Buch durch die Verwendung des * (»Gendersternchen«) als Zeichen für nichtbinäre Identitäten unseren Beitrag leisten. In den Texten werden dennoch teilweise und abwechselnd einzelne Geschlechter benannt, um die Lesbarkeit der Texte zu verbessern. Dabei sind jedoch immer alle Genderidentitäten mitgemeint. Dieses Buch richtet sich an Therapeut*innen und andere Anbieter*innen von psychosozialen Interventionen wie z. B. Coaches, Lebens- und Sozialberater*innen, Heilpraktiker*innen. Daher wird zwischen den Bezeichnungen Patient*innen und Klient*innen gewechselt, da sowohl Personen mit psychischen Erkrankungen (Patient*innen) als auch ohne psychische Erkrankungen (Klient*innen) von diesen Methoden profitieren können. Zudem möchten wir weg von der Stigmatisierung, die durch eine Zuordnung Einführung
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von Personen mit und ohne psychische Erkrankungen entsteht – eine Zuordnung, derer es jedoch im psychotherapeutischen Kontext vor allem bei der Abrechnung mit den Krankenkassen immer noch bedarf.
Literatur Petzold, H. G. (2003). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden einer schulenübergreifenden Psychotherapie. 3 Bde. (Reihe: Integrative Therapie – Schriften zu Theorie, Methodik und Praxis, Bd. 2; 2., überarb. u. erw. Aufl.). Paderborn: Junfermann.
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Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Theorie
Markus Böckle, Franz Brunner, Cornelia Cubasch-König und Angelika Jobst
Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die Theorie der Integrativen Therapie als ein humanistisches, tiefenpsychologisch fundiertes Verfahren. Der Ursprung liegt in den 1960er Jahren, die Gründer*innen sind vor allem Hilarion G. Petzold, Johanna Sieper und Ilse Orth. Von der Entstehungsgeschichte zur Anthropologie des schöpferischen Menschen, von der Entwicklungs-, Persönlichkeitsgeschichte bis hin zur Krankheits- und Gesundheitslehre wird ein breiter Bogen gespannt, um die Komplexität des Verfahrens in einer kompakten Form widerzuspiegeln. Ausrichtung und Referenzpunkt liegen dabei auf dem Kreativ-Schöpferischen.
Integrative Therapie Definition und Entwicklung – historische Entwicklung und Ontologie Mitte der 1960er Jahre wurde die Integrative Therapie als komplexes psychotherapeutisches Verfahren von Hilarion G. Petzold, Johanna Sieper, Hildegund Heinl und Ilse Orth durch systematische Integration verschiedener methodischer Elemente damaliger Therapieströmungen entworfen. Dazu gehören die aktive, elastische Psychoanalyse, die Gestalttherapie, das Psychodrama, das therapeutische Theater und die Verhaltensmodifikation (Petzold, 2003, S. 725–733). Anhand klinischer, empirischer Forschung wurde das Verfahren permanent weiterentwickelt, aktualisiert und revidiert (S. 755–768). Das methodische Behandlungsverständnis der Integrativen Therapie ist entsprechend ihrer theoretischen Fundierung breit angelegt. Es umfasst die heilende und lindernde klinische Behandlung bei psychischem Leid und psychischer Krankheit sowie die gesundheitsfördernde Behandlung und die Unterstützung bei der persönlichen Weiterentwicklung. Sie versteht Behandlung aber auch als Anregung zur Entwicklung von bewusstseinsschaffenden, humanen und ökologischen Perspektiven. In diesem 19
Behandlungsverständnis nimmt der Einsatz von kreativen medialen Angeboten und künstlerischen Methoden immer schon einen zentralen Stellenwert ein. Das Theoriegebäude der Integrativen Therapie stützt sich auf komplexe philosophische und leibphilosophische Grundannahmen über den Menschen und über die Welt und bezieht sich dabei auf Gabriel Marcel, Maurice Merleau-Ponty, Paul Ricœur, Michel Foucault, Emmanuel Levinas, Hermann Schmitz, um nur einige zu nennen (Petzold, 2003, S. 271–282, S. 422–426). Das Konzept zum Kreativ-Schöpferischen im Menschen steht in enger Verbindung mit diesen philosophischen, leibphilosophischen und anthropologischen Basiskonzepten. Der Mensch wird als ein von Natur und Kultur geprägtes Wesen, in beständiger Entwicklung stehend, verstanden. Nur unter Berücksichtigung seines Lebenskontexts und seines Lebensverlaufs kann der Mensch umfassend erfasst werden. Der Mensch als schöpferisches Wesen wird als Individuum in seiner Zeit, in seiner Lebenszeit, als Teil seiner Gemeinschaft und im Verbund mit seinen relevanten Mitmenschen gesehen. »Der Mensch ist ein Körper-Seele-Geist-Organismus, d. h. ein Leib-Subjekt, das in einem unlösbaren Verbund mit dem sozialen und ökologischen Umfeld, der Lebenswelt, steht. Aus der Interaktion mit diesem Umfeld gewinnt er Identität« (Petzold u. Sieper, 1977, S. 25). Kreativität entsteht in diesen Interaktionsprozessen zwischen Einzelnen, Gruppen und Kulturen. Integrative Therapie mit kreativen Medien behandelt aus diesem anthropologischen Verständnis in theoriegeleiteter Weise erkrankte Menschen in ihren sozialen Bezügen und Welten mit künstlerischen Methoden und Medien. Kreative Medien werden als Informationsträger im kommunikativen Prozess und als Medium zum Selbstausdruck der Person oder Gruppe eingesetzt. Sie umfassen sowohl Handlungs medien wie das Puppenspiel, Theaterspiel oder Pantomime als auch Materialmedien wie Ton, Farben jeder Art und Collagen (Petzold, 1977/2012, S. 9–12). Dabei werden die Veränderung von Haltungen und Umgangsweisen, die Förderung von Kreativität und Fantasie, die leiblich konkrete, sinnenhafte Erfahrung, die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, die kreative Gestaltung der aktuellen Lebenssituation und der Zukunftsperspektiven im Prozess einer intersubjektiv gestalteten therapeutischen Beziehung angestrebt. Das schöpferische Potenzial des Menschen entfaltet sich, indem Vorhandenes überschritten wird und Neues entstehen kann. Insofern ist der Einsatz von kreativen Medien im psychotherapeutischen Prozess immer mit einem emanzipatorischen Anspruch verbunden (Petzold, Orth u. Sieper, 2019, S. 320): »Kreativität wird als kosmologische und anthropologische Konstante gesehen. Der Mensch ist Teil des sich ständig entwickelnden Kosmos, dieses ständigen Wandlungsprozesses. Über seine Leiblichkeit ist der Mensch eingebunden in dieses große Ganze und untrennbar damit verbunden. Der Leibbegriff schließt den Körper mit ein und übersteigt ihn gleichzeitig, ein Zusammenspiel von materieller und transmaterieller Wirklichkeit. Leiblich in der Welt zu sein, heißt, lebendig, sinnlich in der Welt zu sein« (Petzold, 2003, S. 422). 20
Markus Böckle, Franz Brunner, Cornelia Cubasch-König und Angelika Jobst
Das Kreativ-Schöpferische liegt in der menschlichen Natur (für weitere Details vgl. das Entwicklungs- und Persönlichkeitskonzept in der Integrativen Therapie, z. B. Leitner u. Höfner, 2020, S. 95–124). Dabei nimmt der Leib mit all seinen Sinnen seine Umwelt wahr und strukturiert aus diesem Meer von Sinneseindrücken zusammenhängende Strukturen. In diesem Vorgang des rein sinnlichen Erfassens unterscheidet sich der Mensch noch nicht von seinen Vorfahren, den Tieren, sondern ist ihnen dabei ganz gleich. Erst in einem weiteren Schritt vollzieht sich eine bewusste Trennung dieser fraglosen Einheit (Safranski, 1990/2014). Im Prozess des Verstehens wird dem Menschen die Welt und er sich selbst zum Objekt, das er bewusst begreifen und verstehen kann. Darüber hinaus ist es ihm möglich, durch Sprache sich anderen Menschen zu vermitteln. Dieser gegenseitige Austausch, dieser Ko-respondenzprozess ist die Grundlage für gelungene Kooperation und für gemeinsames Gestalten, für Ko-kreativität (Petzold et al., 2019, S. 14–17; Petzold, 2003, S. 173–175). Kreativität als schöpferische Kraft nimmt im gesellschaftlichen Diskurs in der Wirtschaft, in Kunst und Kultur oder im Privaten einen hohen Stellenwert ein. Die Geschichte aber zeigt, dass die Menschheit mit ihrem schöpferischen Potenzial nicht immer nur Positives geschaffen hat. Das Schöpferische birgt Destruktives ebenso wie Konstruktives in sich und muss daher, wie jedes andere menschliche Handeln, einer ethischen Bewertung unterzogen werden. Die zentrale ethische Position der Integrativen Therapie ist die Absicht, ein »gutes Leben« (Petzold u. Orth, 2009, S. 39) für alle Menschen zu ermöglichen (»Konvivialität«, S. 39). Darin ist auch die Sorge um die Tiere, die Pflanzen und um unsere Umwelt miteingeschlossen. Was ein gutes Leben für alle ist, kann nicht einseitig ein für alle Male festgelegt werden, sondern jeweils nur diskursiv für einen bestimmten Kontext und für eine bestimmte Zeit vereinbart werden. Ob ein solcher Dialog zu zweit geführt wird oder ob es sich dabei um große gesellschaftliche Auseinandersetzungen über Werte und Ethik handelt, die Auswirkungen der getroffenen Vereinbarungen auf Außenstehende sind von den jeweiligen Akteur*innen immer mitzudenken (Petzold, 2009, S. 588). Dem eigenen und schöpferischen Tun Bedeutung und Sinn zu geben, ermöglicht es dem Menschen, sich ein kleines Stück weit über das unbewusst Natürliche zu erheben und Freiheit zu gewinnen. Trotz dieses exzentrischen Vermögens bleibt der Mensch aber tief im natürlichen Sein verwurzelt.
Entwicklungstheorie In der Integrativen Therapie wird unter Entwicklung ein Prozess der stetigen Veränderung in der Zeit verstanden. Dieser Ansatz bezieht die gesamte Entwicklung über die Lebensspanne mit ein (»lifespan developmental approach«; Petzold, 2003, bes. S. 69 f.). Auf diesem persönlichen Weg wird der Mensch als soziales Wesen geformt und formt sich selbst und die anderen mit: »Alles Sein [ist] Mit-Sein« (Petzold, 2003, Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien
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S. 95); »Der Mensch wird am Du zum Ich« (Buber, 1923/2016, S. 28). Entwicklung findet im Miteinander statt, über, in und durch Beziehungen, in Ko-respondenzprozessen. Die Integrative Therapie geht von einer Körper-Seele-Geist-Einheit aus, die als Leib definiert wird. Aus dieser Leib-Einheit geht das Selbst hervor – in den Worten von Petzold und Kolleginnen (2003b, S. 632) »emergiert« das Selbst aus dem Leib. Zudem wird in diesen Leib die eigene persönliche Geschichte eingraviert; Positives wie Negatives findet seinen Niederschlag, und so wird der eigene Leib als Zeit-Leib zur eigenen Lebensgeschichte, die sich in dem jeweiligen So-Sein, der Haltung, dem Verhalten, der Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. Das Selbst ist die basalste Einheit und in den frühesten vorgeburtlichen Entwicklungsschritten schon vorhanden, sobald Wahrnehmung und Motorik möglich sind. Daraus entwickelt sich das Ich, das als »Selbst in actu« (Petzold, 1996, S. 284) bezeichnet wird – das handelnde Selbst. Das Ich ist in der Lage, sich selbst in den Blick zu nehmen, sich zu erkennen und zu reflektieren. Als dritte Einheit der Persönlichkeits- und Entwicklungstheorie wird die Identität durch Selbst- und Fremdattributionen (wie sehe ich mich selbst, wie werde ich von anderen gesehen) gebildet. Somit sind Identifikation und Identifizierung die Grundlage für die Identität, die sich auf fünf Bereiche aufteilt: Leiblichkeit, soziale Netzwerke, Arbeit/Leistung/ Freizeit, materielle Sicherheit, Werte. Dieses Konzept wird in den »fünf Säulen der Identität« (Petzold, Wolf, Landgrebe, Josič u. Steffan, 2000, S. 486) abgebildet werden. Die entwicklungstheoretische Betrachtung des Selbst steht immer in Bezug zu einem Kontext, in dem sich die Person befindet (z. B. dem Hier und Jetzt, der Familie, der allgemeinen Lebenssituation), und dem Kontinuum in Form von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (vgl. Abbildung 1). Diese kontinuierliche Ausbildung von Persönlichkeitsstrukturen im Bezug zur Welt (Petzold, 2003, S. 526–529) lässt sich in einzelnen Entwicklungsschritten beschreiben, die aus der psychischen und körperlichen Ebene zutage treten. Das organismische Selbst wird als Zeitraum vor der Geburt (0 bis 6 Monate pränatal) definiert, in dem die Welt durch die Sinne und die Motorik erfahren und wahrgenommen wird (S. 529–534). Das archaische Leib-Selbst vom 6. Monat pränatal bis zum 3. Monat postnatal fängt an, die Welt affektiv und eigenleiblich zu empfinden (S. 534–538). Im 3. bis 7. Monat beginnt das archaische Ich, die Welt in Bezug auf Andere zu erfahren und in Form einer intrapersonalen Daseinsgewissheit zu erfassen (S. 538 f.). Darauffolgend entwickeln sich die ersten intrapersonalen Erfahrungen im subjektiven Leib-Selbst (8. bis 12. Monat; S. 539–541). Die archaische Identität (12. bis 18. Monat) und das reifende Ich beginnen, sich verbal und symbolisch zu erfassen und mit anderen in Beziehung zu treten (S. 541–543). Schließlich entwickelt sich das reife Selbst mit reifem Ich und reifer Identität (18. Monat bis 4 Jahre, S. 543–548), das fortan – sofern gesund – stabilisiert im stetigen Wandel ist (Rahm, Otte, Bosse u. Ruhe-Hollenbach, 1993/1999, bes. S. 138–148). Im Senium können sich manche Aspekte des Selbst, Ichs und der Identität jedoch wieder zurückentwickeln (Abbildung 1). 22
Markus Böckle, Franz Brunner, Cornelia Cubasch-König und Angelika Jobst
Abbildung 1: Persönlichkeitstheorie: Entstehung und Entwicklung von Leib-Selbst, Ich und Identität (eigene Darstellung)
Der Leib ist der beseelte und lebendige Körper, als eine Verschränkung der biologischen Gegebenheiten (physikalischer Körper), der Seele als des emotionalen Anteils der persönlichen Erfahrungen und des Geists in Form von Gedanken, Willensakten und geistigen Prozessen. So werden auch unterschiedliche Funktionen des Leibs definiert. Der perzeptive Leib hat die Funktion, sich selbst und die Umwelt wahrzunehmen. Der expressive Leib bringt diese Wahrnehmungen zum Ausdruck und interagiert mit der Umgebung aufgrund aktueller und vergangener Situationen. Dieser Anteil entspricht dem memorativen Leib, der sich selbst im zeitlichen Kontext wahrnimmt und ausdrückt. Für eine Kombination von Wahrnehmung, Ausdruck und Erinnerungen bedarf es der Fähigkeit der Reflexion, um über sich selbst mithilfe der eigenen Wahrnehmungen und Verhaltensweisen sowie im zeitlichen Fluss nachzudenken und willentlich handeln zu können. Das Konzept des Selbst umfasst den Gesamtbereich der Persönlichkeit, wobei das Leib-Selbst die Basis aller Funktionen darstellt. Der Begriff des Leib-Selbst wird daher oft als das Selbst schlechthin bezeichnet (das Selbst ist nur leiblich vorstellbar). Aus diesen Gründen sind Entwicklungstheorie und Persönlichkeitstheorie eng miteinander verschränkt. Aus den persönlichen Entwicklungen entsteht eine Persönlichkeit, die sich individuell aufgrund spezifischer Erfahrungen über die Zeit hinweg ausprägt. Die Persönlichkeit wird durch die individuellen Kontexte wie z. B. Familie, Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien
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Kultur, Umwelt, politischer Kontext beeinflusst. Die zeitliche und kontextabhängige Betrachtung des Individuums wird durch die Begriffe »Kontext« und »Kontinuum« definiert und kann visualisiert werden (vgl. die Person in ihrem Umfeld als räumlich und zeitlich relationale Figur in Kontext und Kontinuum: Petzold, 2003, S. 481). Somit übernehmen wir stetig abhängig von Kontext und Kontinuum unterschiedliche Rollen. In der Therapie richtet sich der Blick auf Erlebtes und Erfahrenes (Vergangenheitsperspektive), auf die aktuelle Hier-und-Jetzt-Situation (Gegenwartsperspektive) sowie auf die Projektion in die Zukunft (Zukunftsperspektive). »Geschichte (retrospektiv), Gegenwart (aspektiv) bestimmen (prospektiv) die Struktur des individuellen und kollektiven Zukunftshorizontes (Ängste, Pläne, Ziele, Erwartungen, Entwicklungen, Tendenzen)« (Petzold, 2003, S. 472). In der therapeutischen Arbeit geht es darum, diese persönlichen Entwicklungen mit ihren positiven wie negativen Einflüssen bewusst zu machen und nützlich zu bearbeiten. Hierfür eignet sich das große Spektrum der kreativen Medien, da dabei nicht nur gedanklich und verbal erfasst werden kann, sondern auch emotionale und atmosphärische im sprachlosen Raum stehende Ereignisse aus Kontext und Kontinuum erfahrbar und ausdrückbar werden. Kreative Medien können daher eingesetzt werden, um Vorbewusstes durch Expression – z. B. in Form von Bildern, Musik, Tanz – ins Bewusstsein zu holen und so besprechbar zu machen. Durch die gewonnenen Einsichten kann eine Neuorientierung ermöglicht werden. Dieser therapeutische Prozess als Interaktion zwischen Therapeut*in und Patient*in wird in Form von Intersubjektivität durch Ko-respondenzprozesse unter Einsatz variabler Methoden, Techniken und Medien vollzogen. Therapeutische Prozesse sind an die individuelle Situation der zu Behandelnden angepasst und folgen keinem vorgegebenen Muster. Oft gleichen sie jedoch einer Spiralbewegung, die im Modell des »tetradischen Systems« (Initialphase – Aktionsphase – Integrationsphase – Neuorientierungsphase; vgl. Petzold, 2003, S. 167 f.) als Struktur des therapeutischen Prozesses erfasst wird (Abbildung 2). Diese Struktur kann den Verlauf einer einzelnen Sitzung kennzeichnen, sich aber auch über mehrere Sitzungen ausdehnen, und verläuft grundsätzlich progredierend, Rückschritte und Übersprünge einschließend. Die Integrative Therapie (IT) orientiert sich dabei an der »›heraklitische[n] Spirale‹ des Erkenntnisgewinns, des Lernens und Handelns und des Veränderns im Ko-respondenzprozeß als ›schöpferische Metamorphose‹« (Petzold, 2003, S. 498).
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Vierstufenmodell nach Petzold Zyklus 1 Sitzung, Phase, gesamter Verlauf 1. Initialphase
2. Aktionsphase
Identifizierung und Formulierung des Problems, Sammeln von Daten durch alle Beteiligten auf der Sach- und Affektebene
Auseinandersetzung aller Beteiligten über Daten und Problemstellungen auf der Sach- und Affektebene Konsens
3. Integrationsphase Integration der Materialien der Aktionsphase zu konsensgegründeten Konzepten
3. Neuorientierungsphase Umsetzung der Konzepte in der Praxis durch Kooperation aller Beteiligten, d.h. Veränderung der Situation
Differenzierung Komplexität
Strukturierung Prägnanz
Integration Stabilität
Kreation Transgression
Zyklus 2
Zyklus ...
letzter Zyklus
Abbildung 2: Vier-Stufen-Modell nach Petzold, entwickelt als Therapie-Praxis-Zyklus im Ko-respondenzmodell (eigene Darstellung, in Anlehnung an Petzold, 1996, S. 374–378)
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Praxeologie Prozessuale Diagnostik: störungsspezifische Anteile, transdiagnostische Herangehensweise Therapie und Diagnostik – »Theragnostik« (Petzold, 2003, S. 992) – fließen in der Integrativen Therapie ineinander. Das diagnostisch-therapeutische Geschehen wird von Beginn an als intersubjektiver, zwischenleiblicher Austauschprozess verstanden. Therapeut*in und Patient*in begegnen sich dabei als doppelte Expert*innen: Patient*innen als Expert*innen für sich und ihre Situation, Therapeut*innen mit ihrer professionellen und fachlich fundierten Expertenschaft. Das integrative diagnostische Verstehen ist lebens-, subjekt- und situationsnah sowie prozessual. Prozessuale Diagnostik als permanent stattfindender Prozess in der Therapie bezieht immer die aktuelle Lebenssituation, die Biografie sowie die subjektiven Haltungen, Einstellungen und Sichtweisen der Patient*innen und das interaktive Geschehen zwischen Therapeut*in und Patient*in mit ein. In ständig stattfindenden Feedbackschleifen wird an einem gemeinsamen Verständnis über die Problematik, über die Hintergründe der Problematik, über die Erwartungen der Patient*innen und über mögliche Behandlungsstrategien vonseiten der Therapeut*innen gearbeitet. Dieses transparente, intersubjektive Vorgehen bietet Patient*innen Orientierung und fördert ihre Souveränität. Patient*in und Therapeut*in erarbeiten so gemeinsam eine Einschätzung über Diagnose und Ziele der Therapie (Gahleitner, Hintenberger, Kreiner u. Jobst, 2014, S. 136). Diese intersubjektive Ko-respondenz ist das wesentliche Merkmal der therapeutischen Beziehungsgestaltung. Durch die direkte und ganzheitliche Begegnung auf der Leib-, Gefühls- und Vernunftsebene und unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts und Kontinuums können Konsens und Kooperation entstehen. Wesentlich dabei sind Offenheit und Authentizität und Mitmenschlichkeit, die emotionale Sicherheit gewährleisten (Petzold, 1980, u. a. S. 262, S. 271). Das therapeutische Vorgehen ist phänomenologisch-strukturell. Über die Beobachtung im Hier und Jetzt der von Patient*innen gezeigten Phänomene (z. B. im Ausdruck, im Lebensvollzug, in der Interaktionsgestaltung) werden die zugrunde liegenden Strukturen gemeinsam erschlossen und auf ihre Bedeutung für den Patienten und seine zukünftige Lebensgestaltung beleuchtet (Petzold, 1980, S. 226). Eine Orientierung bietet hier das hermeneutische Modell. Das Beobachten und Wahrnehmen des Erlebens führen zur Wahrnehmung und Exploration von Erinnerungen. Dieses verdichtete Erfassen wird durch weitere Prozesse des Durcharbeitens mehr und mehr verstanden. So kann eine zunehmende Einordnung in den Lebenszusammenhang klärend stattfinden und Neues geschaffen werden. Therapie selbst wird als metahermeneutischer Prozess verstanden, in dem neben der Anregung zu mehrschichtigen Beobachtungen, Analyse- und Interpretationsprozessen das Geschehen in der Therapie selbst zum Gegenstand wird. 26
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Integrative Therapie bezieht sich auf ein biopsychosoziales Modell, wo Gesundheit und Krankheit als dynamisches Geschehen erfasst werden, bei dem die biologischorganische, die psychische und die soziale Ebene in kontinuierlichen sich ändernden Wechselbeziehungen stehen. Menschen bewegen sich in ihrem Leben zwischen den Polen Gesundheit und Krankheit. Bestimmt wird dieses Wechselspiel von schützenden und belastenden Faktoren. Um in der Definition von Krankheit neben der subjektiven Perspektive des Individuums auch die psychosoziale, gesellschaftliche Dimension zu betrachten, bezieht sich die Integrative Therapie sowohl auf einen anthropologischen als auch einen klinischen Krankheitsbegriff. Der anthropologische Krankheitsbegriff (vgl. Osten, 2019, S. 196 f.) vereint im Konzept multipler Entfremdung und Verdinglichung verschiedene Dimensionen des menschlichen Daseins, in denen Funktionalisierung, Verobjektivierung (S. 289) und Vereinzelung (S. 125) als krankheitsfördernde Faktoren Einfluss nehmen. Der klinische Krankheitsbegriff umfasst in deskriptiver und erlebnistheoretischer Weise u. a. das Spektrum aller Risiko- und Belastungsfaktoren, aller stützenden und schützenden Faktoren, Ressourcen, Copingstrategien. Im Blick sind sowohl Pathogenese als auch Salutogenese. Der klinische Krankheitsbegriff orientiert sich an einer lebenslangen entwicklungspsychologischen Perspektive. Auf dem Hintergrund des anthropologischen Krankheitsmodells fokussiert das integrative Pathogenesemodell sechs ätiologische Ebenen pathologischer Belastungsfaktoren: ◼ »Defizite und prolongierte Mangelerfahrungen [,] … ◼ Konflikte und andere spannungsreiche Störungen [,] … ◼ Dysfunktionale Lern- und Adaptionsmodelle, maladaptive Lernerfahrungen [,] … ◼ Akute Überforderung und zeitextendierter Stress [,] … ◼ Traumatisierungen [,] … ◼ Sozialökologische Synergieeffekte« (S. 245). Alle sechs Ebenen können im Sinne des Akkumulationsmodells auf den Faktor Stress und auf die bewertende Verarbeitung im Rahmen der »dynamischen Regulation« (S. 274) des Individuums heruntergebrochen werden. Sie sind Spezifizierungen von Stress. Die Intensität von Stress hängt von der kognitiven und emotionalen Bewertung sowie der individuellen Verarbeitung ab. Integrative Diagnostik (Osten, 2019) beinhaltet neben der psychosozialen Anamnese der Patient*innen und der Zuordnungen der Symptomatik in die Klassifikation bestehender Krankheitsbilder (ICD-10) auch die Entstehungsgeschichte der Erkrankung anhand der ätiologischen Ebenen. Darüber werden neben den dysfunktionalen Aspekten der Persönlichkeit der Patient*innen auch die gesunden und funktionalen Anteile, die Ressourcen, die Resilienz, das Potenzial des jeweiligen Menschen fokussiert. Auf der Grundlage all dieser Informationen, Einschätzungen und Hypothesen entsteht Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien
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in Abstimmung mit den Patient*innen der Behandlungsplan. Die Ziele für den Behandlungsplan können sich auf persönlichkeitsrelevante und strukturrelevante Aspekte wie Selbst, Ich, Identität, Selbstregulation, Relationalität, Förderung von Ausdruck auf den aktuellen Lebenskontext der Patient*innen und auf die lebensgeschichtlichen Ereignisse, Ressourcen und Zukunftsperspektiven beziehen. Auch die Behandlungsplanung wird intersubjektiv erarbeitet und im Behandlungsverlauf prozessorientiert verändert und angepasst. Patient*innen werden eingeladen und darin gefördert, ihren eigenen Prozess, soweit es ihnen möglich ist, zu reflektieren und zu gestalten. Interventionen sind therapeutische Handlungen, die den Prozess leiten, begleiten und voranbringen. Sie sollten bewusst und achtsam gesetzt werden, zur Verbesserung, Förderung, Unterstützung und Heilung der Patient*innen. Alles, was Therapeut*innen tun oder nicht tun, wie sie sich verhalten oder nicht verhalten, z. B. der Blick, die Körpersprache, die Sprache, der Tonfall oder Hörersignale, ist bereits Intervention. »Integrative Interventionen sind mehrperspektivisch begründete, differentielle Einwirkungen auf Systeme (personale, soziale, ökologische, ökonomische, politische etc.) mit dem Ziel ihrer planvollen, theoriegeleiteten und ethisch legitimierbaren Veränderung unter Beteiligung aller von der Veränderung Betroffenen und unter Berücksichtigung des übergeordneten Zusammenhanges (Kontext/Kontinuum)« (Petzold, 2003, S. 506). Die Indikation von Interventionen orientiert sich an wesentlichen Überlegungen für die Behandlung: Welche Kompetenzen und Fertigkeiten sollen im präventiven, prophylaktischen Sinn erhalten werden? Was ist beeinträchtigt und beschädigt und soll im reparativen Sinn restituiert werden? Was konnte nicht erlebt oder entfaltet und kann substituiert werden? Was kann im evolutiven Sinn entwickelt, gefördert und neu erschlossen werden? Was kann nicht wiederhergestellt werden und braucht Unterstützung bei der Bewältigung (Petzold, 2003, u. a. S. 667)? Das Vorgehen kann je nach Indikation übungszentriert-funktional, erlebniszentriertstimulierend, konfliktzentriert-aufdeckend, konservativ-stützend oder netzwerk-aktivierend sein. Die so aktivierten Erfahrungsprozesse können fließend vier verschiedene Intensitätsebenen erreichen: ◼ Reflexion, Erzählen und Explorieren, ◼ Affekte und Vorstellungen mit stärkerer gefühlsmäßiger Beteiligung, ◼ Involvierung in auftauchende Bilder, Erinnerungen und Szenen, ◼ autonome Körperreaktionen, wenn erinnerte Szenen und Bilder sich mehr und mehr verdichten und es zu autonomen körperlichen Reaktionen wie z. B. Zittern oder Schreien kommen kann (Leitner u. Höfner, 2020, S. 186). So begleitet Therapie als ein mehrschichtiger, diskontinuierlicher, interaktioneller Prozess von unterschiedlicher Intensität, Tiefe und Breite den Lebensvollzug eines Menschen und seines Netzwerks bzw. Konvois. In einem kooperativen partnerschaftlichen 28
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Prozess (informed consent) wird versucht, ein sorgfältiges Bild über die Situation und Problematik der Patient*innen nachzuzeichnen. In Verbindung mit den theoretischen Konzepten werden Behandlungsziele und Strategien in einer elastischen Weise erarbeitet. Jede wesentliche Einsicht erfordert das Überdenken der bisherigen Hypothesen und Ziele. So arbeiten wir in hohem Maße individuell und offen, auf dem Hintergrund eines komplexen Menschen- und Weltbilds. Daraus ergibt sich auch eine komplexe Behandlungsperspektive, in der – fokussiert auf verschiedene Störungsbilder – chancenreiche »Bundling-Maßnahmen« (Petzold, 2014, S. 12) aufgrund moderner wissenschaftlicher Kenntnisse umrissen werden können. Diese Maßnahmenbündel orientieren sich in der Integrativen Therapie am Therapieprozess und an den Behandlungsstrategien der »vier Wege der Heilung und Förderung«.
Vier Wege der Heilung und Förderung im Zusammenhang mit kreativen Medien Die vier Wege der Heilung und Förderung Die vier Wege der Heilung und Förderung (Petzold, 2003, S. 76–78; Rahm et al., 1993/1999, S. 328–335) sind Strategien therapeutischen Handelns in der Integrativen Therapie und dienen der Orientierung sowie Behandlung. Sie sind Teil jeder Therapiesitzung, schließen einander nicht aus, sondern sind in unterschiedlicher Betonung jeweils vorhanden. Im ersten Weg sprechen wir von Bewusstseinsarbeit, Sinnfindung und von emotionalem Verstehen. Hier geht es darum, auf der Basis einer tragfähigen therapeutischen Beziehung die Patient*innen darin zu unterstützen, sich selbst zu verstehen. Dies geschieht durch Förderung von Bewusstseinsprozessen über die eigene Problematik, das Erkennen von »Ursachen hinter den Ursachen« (Petzold, 2003, S. 277) und das Herstellen von Zusammenhängen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. »Was ist damals passiert? Was hat gefehlt oder war zu viel?« und »Welche Coping- und Überlebensstrategien habe ich mir angeeignet?« Was ist nach wie vor wichtig, und was behindert die Persönlichkeitsentwicklung der Patient*innen? Dabei geht es um die Erfahrung von vitaler Evidenz, in der leibliches Erleben, emotionale Erfahrung und rationale Einsicht zusammenwirken (Petzold, 2003, u. a. S. 694, S. 802). Durch das Eintauchen in die Lebensgeschichte kommen alte Szenen und Ereignisse in Erinnerung und ins Bewusstsein. Sie werden in der Therapie nochmals erfahrbar und in einem geschützten Rahmen durchgearbeitet. Beim zweiten Weg geht es um Grundvertrauen und Nachsozialisation. In der Übertragung stellen die Therapeut*innen in einer »Als-ob-Rolle« guter Eltern gefehlte Unterstützung, Geborgenheit, Halt und Sicherheit bereit. In Prozessen der Regression, in denen »das kleine Kind« neben dem erwachsenen Teil sichtbar wird, kommt es zu korrigierenden Beziehungserfahrungen. Was einst notwendig gewesen wäre, wird neu Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien
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erfahrbar, wirkt nährend und heilsam. Defizite können ausgeglichen, Störungen und Konflikte beendet und traumatische Ereignisse integriert werden. Dies wiederum führt zu einer Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Im dritten Weg schauen wir auf die Persönlichkeitsentfaltung und Erlebnisaktivierung. Ausdrucksmöglichkeiten werden neu entdeckt und »freigelegt«. Das eigene Potenzial darf sich entfalten, negative verinnerlichte alte Botschaften, die Wachstum blockiert haben, werden neu formuliert und führen zu veränderten Überzeugungen und Lebensausrichtungen. Aus »ich bin wertlos« kann »ich bin ein wertvoller und liebenswerter Mensch« werden. Durch den fördernden Raum und die angstfreie Atmosphäre in der Therapie kommt es zu neuen und alternativen Beziehungs- und Erlebnismöglichkeiten. Im vierten Weg dreht es sich um Solidaritätserfahrungen, die heilend und fördernd wirken. Eingebunden zu sein und dazuzugehören sind wichtige gesundheitsfördernde Faktoren, die in Form von Netzwerkarbeit, z. B. unter Gleichgesinnten, Freund*innen oder in Selbsthilfegruppen, neu erfahren werden können. Jeder Mensch braucht tragfähige soziale Netzwerke. Diese zu fördern und zu unterstützen, ist Teil der Therapie. Mitgefühl und Mitmenschlichkeit in einer Gruppe oder auch im Einzelsetting von Therapeut*innen neu oder vielleicht erstmals zu erleben, sich wechselseitig füreinander zu engagieren, schafft Halt und Sicherheit.
Die 14 plus 3 Heil- und Wirkfaktoren Der therapeutische Prozess stützt sich auf verschiedene Faktoren, die fördernde, tragende, unterstützende und heilende Wirkungen haben. Die 14 Heil- und Wirkfaktoren (Petzold, 2003, S. 1036–1044) stellen dabei die Orientierung der Integrativen Therapie dar. Zum einen werden sie interventiv eingesetzt, zum anderen sind sie Ausdruck einer therapeutischen Haltung. Diese Faktoren können den vier Wegen der Heilung und Förderung zugeordnet werden und beschreiben sie in detaillierter Form. Einfühlendes Verstehen, emotionale Annahme und Stütze, die ersten beiden Heil- und Wirkfaktoren, stehen am Beginn jeder Therapie und sind tragende Säulen im weiteren Verlauf. Dabei handelt es sich um eine wichtige therapeutische Haltung. Ratsuchende oder notleidende Menschen suchen den Weg in die Therapie, weil sie Hilfen zu einer realitätsgerechten praktischen Lebensbewältigung ihrer Probleme benötigen. Das können z. B. Konflikte oder Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, eine belastende Partnerschaft oder der Verlust eines geliebten Menschen sein. Mit den Problemen nicht allein zu sein, wirkt heilsam, entlastet und nährt. Förderung emotionalen Ausdrucks ermöglicht Patient*innen, sich selbst in der eigenen Emotionalität kennenzulernen, zum einen Gefühle zu regulieren und zum anderen Gefühle wahrzunehmen, zu benennen und zuzulassen. Wie wir Gefühle zum Ausdruck bringen oder zurückhalten, hat sehr viel mit der eigenen Lebensgeschichte zu tun, weil wir 30
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früh gelernt haben, welche Gefühle »in Ordnung« sind und welche unterdrückt werden müssen. Heilend ist, wenn wir erfahren, dass alle Gefühle sein dürfen. Sie sind Ausdruck von Lebendigkeit. Die Förderung von Einsicht, Sinneserleben und Evidenzerfahrungen führt dazu, Bewusstsein zu erweitern, die eigene Geschichte zu verstehen und Zusammenhänge zu erkennen. Neue Wege und Handlungsmöglichkeiten tun sich auf, und Entwicklung findet statt. Die Förderung von kommunikativer Kompetenz und Beziehungsfähigkeit kann in korrigierenden Beziehungserfahrungen zwischen Therapeut*in und Patient*in erfahrbar werden. Patient*innen fühlen sich ernst genommen, werden gehört und verstanden. Sie erleben, dass die eigene Meinung zählt, dass es in Ordnung ist, eine eigene Stimme zu haben. Die »alte Geschichte«, in der der autoritäre Vater dem Kind »den Mund verboten hat«, kann zu Ende gehen. Sie lernen, sich zu äußern, sich auseinanderzusetzen und in Beziehung zu sein. Durch die Förderung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung bekommt die eigene Lebensgeschichte, die im Leibgedächtnis gespeichert ist, Aufmerksamkeit und Bedeutung. Wie wir gehen, stehen, sitzen und liegen (Reichel, 2020), ist Ausdruck unserer Erfahrungen und Erlebnisse der vergangenen Lebenszeit. Oft haben sich Verspannungen manifestiert, deren Ursprung in der angstbesetzten Kindheit liegen, oder der gesenkte Kopf erzählt von Bedrohung und Gewalt während der Heimerfahrung in der Jugend. Was ist heilend, was ist förderlich? Sich selbst leiblich wahrzunehmen, die Körperphänomene zu verstehen und zu erkennen, welches Bedürfnis sich zeigt, ist heilsam und wirkt förderlich für die weitere Entwicklung. Therapie stellt einen Raum bereit, in dem Lernmöglichkeiten, Lernprozesse und Interessen gefördert werden. Es handelt sich dabei um ein ganzheitliches Lernen, ein biopsychosoziales Lernen. Die Förderung kreativer Erlebnismöglichkeiten und Gestaltungskräfte ist ein weiterer Heil- und Wirkfaktor in der Therapie. Das Leben in die eigenen Hände zu nehmen und selbstwirksam zu sein, ist ein Grundbedürfnis jedes Menschen. Die Therapie bietet den Rahmen, sich in kreativen Prozessen (z. B. Schreiben, Malen, Bewegung und Musik, Arbeit mit Puppen und Symbolen, mit Ton) selbst zu erfahren, sich auszudrücken und zu gestalten. Diese Erlebnisse bestärken Patient*innen in ihrer eigenen Gestaltungskraft und Wirksamkeit. Ein wichtiger Aspekt in der therapeutischen Begleitung besteht neben der Vergangenheitsbewältigung in der Erarbeitung von positiven Zukunftsperspektiven. »Von den Phänomenen zu den Strukturen zu den Entwürfen« (Petzold, 2003, S. 38) arbeiten wir in der Integrativen Therapie retrospektiv wie auch prospektiv. Durch das Auf- und Durcharbeiten belastender Ereignisse aus der Vergangenheit wird der Blick in die Zukunft anders möglich und führt irgendwann auch hinaus aus der Therapie in ein eigenständiges und gesundes Leben. Was es dafür braucht, wird in der Therapie erarbeitet. Von großer Bedeutung ist dabei die Förderung eines positiven, persönlichen Werte bezuges sowie eines prägnanten Selbst- und Identitätserlebens. In der Therapie geht es häuTheoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien
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fig um ein beschädigtes Selbstempfinden oder ein inkongruentes Identitätserleben. Herauszufinden, was dazu geführt hat, ist ein Teil des therapeutischen Prozesses. Ein weiterer Fokus liegt auf der Stärkung des Selbsterlebens, der Selbstgewissheit und des Selbstbewusstseins. Daraus entwickeln sich ein starkes Ich und eine stabile Identität. »Wer bin ich, womit identifiziere ich mich, und was brauche und möchte ich?« sind wichtige Fragen und Leitfäden in der Therapie. Wie im vierten Weg der Heilung beinhalten die beiden weiteren Heil- und Wirkfaktoren die Förderung tragfähiger, sozialer Netzwerke und das Ermöglichen von Solidaritätserfahrungen. Als soziales Lebewesen ist der Mensch ausgerichtet auf Beziehungen und braucht das Eingebettetsein in soziale Netzwerke, um ein gutes und gesundes Leben zu leben, im Austausch mit sich und anderen in einer nährenden Umwelt (Natur). Miteinander und füreinander da zu sein, einander zu helfen und zu unterstützen, ermöglicht Solidarität und wirkt heilsam. Plus 3 Wirkfaktoren wurden es in den vergangenen Jahren, sodass die Integrative Therapie inzwischen von den »14 plus 3« Wirkfaktoren bzw. Wirkprozessen ausgeht (Petzold, Orth u. Sieper, 2016). Dabei handelt es sich um die Förderung eines lebendigen und regelmäßigen Naturbezugs. Im Mittelpunkt stehen eine naturbezogene Haltung und ein Bewusstsein über die Sorge und Freude am Lebendigen sowie die Verantwortung dafür. Die Vermittlung heilsamer ästhetischer Erfahrungen, der Blick auf das Schöne in der Natur, in der Kunst, im eigenen Leben führen zu einem neuen Lebensstil und wirken gesundheitsfördernd. Abschließend geht es im letzten Heil- und Wirkfaktor um die synergetische Modalität, ein Zusammenwirken von verschiedenen Maßnahmen an Interventionen und Strategien.
Literatur Buber, M. (1923/2016). Ich und Du (unveränd. Nachdr.). Stuttgart: Reclam. Gahleitner, S. B., Hintenberger, G., Kreiner, B., Jobst, A. (2014). Biopsychosoziale Diagnostik: Wie geht denn das konkret? Plädoyer für ein »integratives diagnostisches Verstehen«. Resonanzen, 2 (2), 134–152. https://www.resonanzen-journal.org/index.php/resonanzen/article/view/336/237 (Zugriff: 02.11.2022). Leitner, A., Höfner, C. (2020). Handbuch der Integrativen Therapie (2., überarb. Aufl.). Wien: Facultas. Osten, P. (2019). Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD) (Reihe: Psychologie). Wien: Facultas. Petzold, H. G. (1977/2012). Die Medien in der Integrativen Pädagogik und Therapie. Polyloge, 12 (19). https://www.researchgate.net/publication/316645122_Die_Medien_in_der_Integrativen_Padagogik_ und_Therapie (Zugriff: 02.11.2022). Petzold, H. G. (1980). Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung in der Integrativen Therapie. In H. G. Petzold (Hrsg.), Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung (Reihe: Vergleichende Psychotherapie, Bd. 2; S. 223–290). Paderborn: Junfermann. https:// www.fpi-publikation.de/download/14350/ (Zugriff: 02.11.2022).
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Funktion der kreativen Medien
Die Sichtweise von Kreativität als anthropologische Größe, die sich in Ausdruck und Gestaltung von Wahrgenommenem und im Ausprobieren von Neuem zeigt, ist die Grundlage für den Einsatz von Medien in der Integrativen Therapie. Dabei wird der Medienbegriff weit gefasst von Sachmedien über Handlungsmedien bis hin zu personalen Medien. Eingebettet in eine tragfähige, haltgebende therapeutische Beziehung und orientiert an der jeweiligen Indikation können kreative Medien unterschiedlichste Funktionen erfüllen und Wirkweisen entfalten. Ein Überblick über die regulierenden, strukturierenden und förderlichen Funktionen von kreativen Medien wird ebenso gegeben wie die Indikationen und Kontraindikationen von spezifischen kreativen Medien und Techniken.
Die Sprache ist für Menschen nicht immer ausreichend, um Erfahrungen, Gefühle und Atmosphären zu erfassen. Manches kann erst begriffen und verstanden werden, wenn durch vielschichtige Ausdrucks- und Erlebensmöglichkeiten ein Zugang dafür geschaffen wird. Kreative Medien bieten vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten, um dieser Sprachlosigkeit – angesichts von Überwältigendem und Unsagbarem, Atmosphä rischem – entgegenzuwirken und die Vielfältigkeit der menschlichen Lebensrealitäten zu erfassen. So gelingt es z. B. über bildnerisches Gestalten, über das Formen von Ton, über den bewegten, tanzenden Ausdruck oder über die poetische Sprache, die Räume der Sprachlosigkeit zu betreten, zu erleben und zu erfahren, zu begreifen und die so gewonnenen Eindrücke wiederum auszudrücken und letztlich in Sprache zu bringen.
Kreativität, Medien und Therapie Kreative Medien und erlebnisorientierte Angebote sind inzwischen wesentliche Bestandteile einer modernen multimodalen psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung in Kliniken und ambulanten Psychotherapiepraxen. Unbestritten ist heute der positive Beitrag von komplementären Angeboten wie Kunsttherapie, 35
Sporttherapie, Tanztherapie im klinischen Behandlungssetting (Hillert, 2021, S. 823 f.; von Spreti, Martius u. Förstl, 2012). Das Potenzial von kreativen Medien und Methoden als heilende, schöpferische Kraft zur Behandlung von Krankheiten kann auf eine lange Tradition zurückgeführt werden, die bis in die griechisch-römische Antike zurückreicht (Petzold, Orth u. Sieper, 2019, S. 32–36). Die Entwicklung der Integrativen Therapie als »kreative Therapie« (S. 2) baut auch auf diese große Tradition der Heilkraft von kreativen Ausdrucksmethoden wie Musiktherapie, Poesie- und Bibliotherapie, Maltherapie, Tanztherapie, Theatertherapie auf. Was aber ist unter dem Begriff »kreative Medien« zu verstehen? Medien wie Farben, Papier, Instrumente sind an sich noch nicht kreativ. Petzold (1977, S. 101) definiert Medien als »Träger von oder Systeme von Informationen in einem kommunikativen Prozeß, die methodisch vermittelt werden sollen«. Medien sind demnach Informationsträger, die bewusste und unbewusste Inhalte in einem Kommunikationsprozess übermitteln. Dabei sind Medien immer auch Ausdrucksmittel der vermittelnden Person oder Gruppe. Ein Medium kann aber auch Ausdrucksmittel des Menschen im Dialog mit sich selbst sein. Medien verfügen über eine natürliche Aussagekraft und werden darüber hinaus zum Botschafter bewusster und unbewusster Inhalte sowie zum Übermittler des situativen, sozialen Kontextes, in dem die Botschaften entstanden sind. Als Medien verstanden werden können vor dem Hintergrund dieses breiten Medienbegriffs sowohl Gegenstände (Sachmedien wie Musikinstrumente, Farben, Seile, Tücher, Papierblätter) als auch Handlungsabläufe (Handlungsmedien wie Rollenspiele, Maskenarbeit, Imaginationen, Entspannungsübungen). Aber auch Personen (personale Medien wie Therapeut*innen, die in ihrer ganz spezifischen Weise agieren) werden als Vermittler*innen im Kommunikationsprozess zu Medien (Petzold, 1977, S. 108). Wenn wir Kreativität als in der Natur des Menschen liegend verstehen, als eine Größe, die die menschliche Entwicklung und kulturelle Prozesse kennzeichnet, können wir darunter all jene Aktivitäten und Impulse fassen, die Neues anstoßen und vorantreiben (Eisler-Stehrenberger, 1990/2007). Insofern werden Medien erst kreativ durch die anregenden Möglichkeiten zum Selbstausdruck und zu den sich daraus ergebenden neuen Erfahrungs- und Handlungsspielräumen. Über das kreative Medium kann sich Unbewusstes zeigen und mithilfe der Therapeut*innen erschlossen werden. In der therapeutischen Arbeit mit kreativen Medien entwickelt sich über das Gestalten und Ausdrücken, über das Erleben und das Mitteilen ein intensives Geschehen (Orth, 1994, S. 334). In diesem Prozess werden Therapeut*innen durch ihren persönlichen Ausdruck über Mimik, Gestik, ihre Biografie, ihren persönlichen Stil, ihren fachlichen Hintergrund selbst zum kreativen personalen Medium, indem sie den Patient*innen durch mediale Angebote Anregungen zu neuen Möglichkeiten und Entwicklungen geben. Der Einsatz von kreativen Medien bereichert als ein mögliches 36
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Tor zum sprachlosen und unbewussten Raum (S. 333 f.) das intersubjektive therapeutische Geschehen, indem kognitive Einsicht, emotionales, leibhaftiges Erleben und wertschätzendes Miteinander zusammenfließen und damit Erfahrungen von »vitaler Evidenz« (Petzold et al., 2019, S. 17) ermöglichen. Um den Menschen in all seinen sinnlichen und perzeptiven Möglichkeiten anzusprechen und je nach Indikation werden dabei die verschiedenen Ausdrucksqualitäten der unterschiedlichen kreativen Medien in sogenannten intramedialen und intermedialen Quergängen genutzt (Orth u. Petzold, 1993/1996, S. 107–111; Petzold et al., 2019, S. 17). Beim intramedialen Quergang werden die unterschiedlichen Möglichkeiten und Eigenschaften eines bestimmten Mediums verwendet (z. B. Pastellkreide, fließende Wasserfarben, Bleistift). Der intermediale Quergang ermöglicht es wiederum, durch den Einsatz unterschiedlicher Medien mehr Tiefung, Verdichtung oder Differenzierung herzustellen (z. B. kann ein bildnerischer Ausdruck in einen Bewegungsausdruck, einen Text oder ein Gedicht weitergeführt werden). Die Einsatzmöglichkeiten kreativer Medien beziehen sich sowohl auf die Unterstützung bei der tiefenhermeneutischen Durchdringung der eigenen Lebensgeschichte (erster Weg der Heilung) als auch auf ihr Potenzial als Übergangsobjekte (Winnicott, 1971/2019, S. 10–36) im nachnährenden therapeutischen Prozess (zweiter Weg der Heilung) und als Mittel zur Förderung der Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit (dritter Weg der Heilung). Kreative Medien können Empfindungen von Verbundenheit und Solidaritätserleben anstoßen (vierter Weg der Heilung) und insgesamt Veränderungen im therapeutischen Prozess oder auch in der therapeutischen Beziehung anregen (Petzold u. Orth, 2021, S. 4). Die Arbeit mit kreativen Medien im Sinne der Integrativen Therapie bettet verbale wie nonverbale, bewusste wie unbewusste Prozesse in einen hermeneutischen Erkenntnisprozess ein. In der respektvollen und achtsamen Begegnung von Therapeut*in und Klient*in oder in der Begegnung in der Gruppe verbindet sich das kreative Potenzial aller Beteiligten, fließen alle Kräfte und Dimensionen dieses Prozesses zu einem »Konflux« zusammen und kreieren Neues (Petzold et al., 2019, S. 23–30). Um dieses vielschichtige Potenzial kreativer Medien sinnvoll nutzen zu können, sind eine reflektierte, aus Theorie und Erfahrung begründete Vorgehensweise und die Kenntnis von Kontraindikationen und Funktionen der Kreativen Medien unverzichtbar. So kann sich hinter dem begeisterten Gestalten und Schaffen eines*r Klient*in Widerstand verbergen, der möglicherweise zur Ablenkung von einem schwierigen Thema dient. Oder ein*e Klient*in wurde von dem*r Zeichenlehrer*in beschämt und gedemütigt, hier würde ein Drängen auf kreativen Ausdruck mehr Schaden anrichten als nutzen. Dies alles muss von Therapeut*innen erkannt und verstanden werden, und es bedarf einer richtigen Antwort darauf. Der Einsatz von Kreativen Medien dient keinem Selbstzweck, vielmehr sind sie Hilfsmittel im Dienste des therapeutischen Funktion der kreativen Medien
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Prozesses. In der Integrativen Therapie basiert ihre Verwendung auf einer reflektierten und intuitiven Vorgehensweise, die eine Synergie aus ihren vielschichtigen, handlungsleitenden Konzepten und einer erfahrungsgegründeten, kreativen Performanz des*r Therapeut*in ist (Petzold, 1999/2001, S. 15 f., S. 21). Ihre Indikation leitet sich aus den Erfordernissen des therapeutischen Prozesses ab und bleibt immer in einen intersubjektiven Ko-respondenzprozess eingebunden.
Regulierende und strukturierende Funktion kreativer Medien im therapeutischen Prozess Kreative Medien können sowohl bei der Gestaltung des therapeutischen Prozesses als auch beim Bearbeiten spezieller Themen und Inhalte eine regulierende und strukturierende Funktion einnehmen. Im therapeutischen Prozess kann durch einen Wechsel des Ausdrucksmediums – intermediale Quergänge – eine Veränderung der therapeutischen Tiefungsebene initiiert werden (Petzold u. Orth, 2021, S. 4). So können z. B. Klient*innen von einer reflexiven, distanzierten Betrachtungsweise durch den Einsatz von Ton oder Fingerfarben zu einem sinnlichen, emotionaleren Erleben hingeführt werden. Ebenso ist es möglich, durch klar strukturierende Medien Klient*innen aus maligner Involvierung heraus in eine angemessene Distanziertheit zu führen. Bei sehr komplexen Themen und Sachverhalten hingegen sind sie ein gutes Mittel, sich einen ersten Überblick und eine gewisse Strukturierung zu verschaffen. Manche Zusammenhänge übersteigen die innere Vorstellungskraft so weit, dass es bei ihrem bloßen Durchdenken nur zu Verwirrung kommen kann. Liegen die einzelnen Sachverhalte aber in einer symbolisierten Form auf dem Tisch, werden sie im wahrsten Sinn des Wortes auch leichter begreifbar. Die betreffende Person bekommt dabei einen Überblick, kann die gesamte Komplexität des Themas erkennen und auch durchblicken. Strukturen und Zusammenhänge werden erfasst und verstanden und können darüber hinaus auch verändert und neugestaltet werden. Förderung von Leiberfahrung durch kreative Medien. Nach dem anthropologischen Grundverständnis der Integrativen Therapie ist der Mensch ein mit Wahrnehmungsund Handlungsmöglichkeit ausgestattetes Wesen. Der perzeptive Leib nimmt die Welt in sich auf und bereichert sich an ihr. Der expressive Leib drückt inneres Erleben wieder aus, verkörpert Erfahrenes und bereichert so seinerseits wieder die Welt. Sind Ein- und Ausdruck gestört oder behindert, ist der Mensch in seiner Leiblichkeit beschränkt, und viele seiner mannigfachen Möglichkeiten bleiben ihm dadurch verschlossen (Petzold u. Orth, 2021, S. 3). Über kreative Medien offenbart sich die Welt dem perzeptiven Leib in ihrer ganzen Vielschichtigkeit in einer ganz konkreten Weise. Kreative Medien regen über ihren inhärenten Aufforderungscharakter aber auch zum 38
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Ausdruck und zum schöpferischen Gestalten an. Farben verleiten zum Malen, Ton zum Formen oder Poesie zum Schreiben. Kreative Medien sind dem Leiblichen im Gegensatz zum sprachlich Rationalen direkt zugänglich und haben in dieser unmittelbaren Wahrnehmbarkeit eine hohe erlebnisaktivierende Qualität. Symbolisierung und tiefenhermeneutische Durchdringung durch kreative Medien. Der verborgene Sinn von Emotionen, Atmosphären oder ganzen Szenen kann oft erst über ihre symbolische Darstellung erschlossen werden. Nonverbales – dem sprachlichen Bewusstsein bisher Verborgenes – wird über seinen symbolischen Ausdruck in einem dafür geeigneten Medium wahrnehmbar und erfassbar (Petzold u. Orth, 2021, S. 3). Bekanntes, aber auch Verdrängtes, Ausgeblendetes wie gänzlich neue Sinnschöpfungen können auftauchen. Klient*innen stehen dabei in einem nach innen gerichteten Austausch (eigenleibliche Resonanz), nach außen gehen sie mit den Therapeut*innen in zwischenleibliche Resonanz, und diese vielfältigen nach innen und außen gerichteten Austauschprozesse interagieren miteinander (Petzold u. Orth, 2018, S. 24–27). Therapeut*in und Klient*in können plötzlich verstehen und erklären, was bisher unfassbar war. So erschließt sich bisher Unsagbares dem sprachlichen Verständnis, Leib und Sprache verschränken sich und werden zwischenmenschlich vermittelbar (Petzold et al., 2019, S. 16). Förderung von Kontakt und Beziehungsgestaltung durch kreative Medien. Intermediär objekte (Winnicott, 1971/2019, S. 10–36) haben bei der Anbahnung von Kontakt und Begegnung oder im allgemeinen Verlauf von Kommunikationsprozessen eine wichtige Hilfs- und Brückenfunktion. In gruppentherapeutischen Settings kann mithilfe von kreativen Medien oft sehr schnell eine offene und kontaktfreudige Atmosphäre zwischen den Gruppenteilnehmer*innen angeregt werden. Medien wie Seile, Decken oder Stöcke bieten aber auch die Möglichkeit zur Regulierung von Nähe und Distanz oder können als Ausdrucksmittel für eine bestimmte Beziehungsqualität dienen (Hausmann u. Neddermeyer, 2011, S. 297 f.). Ein weiterer wichtiger Aspekt ist ihre Funktion in der – jeweils dem Entwicklungsstand angemessenen – Kommunikation. Bei Kindern entsteht über Puppen oder anderes Spielzeug meist ein sehr unkomplizierter und oft auch recht lustvoller Kontakt und Beziehungsaufbau (Katz-Bernstein, 1990/2007, bes. S. 989 f.). Übergangsobjekte sind Gegenstände, die ganz unmittelbar mit Atmosphären aus einer guten, stützenden Beziehungserfahrung in Verbindung gebracht werden. Sie haben auch in Therapiephasen mit Erwachsenen, wo stützende therapeutische Qualitäten sehr wichtig sind, oft eine wichtige Funktion. So kann durch das Mitnehmen eines Gegenstands aus der Praxis des*r Therapeut*in die Zeit zwischen zwei Therapiesitzungen für die Klient*innen besser zu ertragen sein. In gleicher Funktion können sie auch bei Trauer und Ablösungsprozessen eingesetzt werden. Förderung von Ästhetik und Sinnerleben durch kreative Medien. Bei der Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens oder überhaupt nach einem allumfassenden Sinn ist Funktion der kreativen Medien
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eine rein rationale Vorgehensweise für viele Menschen oft unbefriedigend. Über das unmittelbare, sinnliche Erleben von Natur, Kunst, Poesie, zwischenmenschlicher Begegnung oder über schöpferisches Tun erschließt sich meist erst ein befriedigender Zugang zu diesen letztendlichen Fragen der Menschheit. Der Sinn der Schönheit bleibt einem nützlichkeitsorientierten Denken ebenso versperrt, wie das Wunder des Seins nicht aus einer rationalen Distanziertheit heraus erklärt werden kann. Das Einlassen auf Kunst, Poesie, kreatives Gestalten bewirkt hier weit mehr. Mediengestützte Techniken, wie die perzeptive Kunsttherapie, schaffen Zugang zu sinnlichem, ästhetischem Erleben (Petzold, 1999/2001, S. 20). Durch das achtsame Betrachten von Bildern, das Hören von Musik oder die Wirkung von Poesie entwickelt sich oftmals ein Gefühl von Verbundenheit und Sinnhaftigkeit. Kreative Medien als dem jeweiligen Entwicklungsstand angemessene Interventionsmöglichkeit. Kindertherapie ohne Mediengebrauch ist undenkbar, da sie sich spielend die Welt erobern. Für vieles gibt es noch keinen sprachlichen Ausdruck. Die Erlebniswelt der Kinder, insbesondere der Kleinkinder, muss erst mit Sprache durchdrungen werden (Katz-Bernstein, 1990/2007, bes. S. 888–892). Über das ihnen angebotene Spielzeug können sie erlebte Emotionen ausdrücken, sich abagieren und neue Lösungen erproben. Ebenso bedarf es für den Zustand einer tiefen Regression auch bei Erwachsenen des richtigen Ausdrucksmittels. Durch eine zu schnelle intellektuelle Durchdringung würde die Chance vertan, den regressiven Prozess für korrigierende, nachnährende Erfahrungen zu nutzen. Im selbstversunkenen Gestalten kann jene schöpferische Kraft der Kindheit wiedererlebt werden, die möglicherweise durch einen karrierefixierten Erziehungsstil verkümmert ist. Gleiches gilt für Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigung, auch hier gilt es, für das jeweilige Entwicklungsniveau das passende Medium zu finden. Kreative Medien als Diagnoseinstrument. Integrative Diagnostik – Theragnostik – ist ein Erhebungs-, Bewertungs- und Abwägungsprozess, der sich über den gesamten Zeitraum der therapeutischen Behandlung erstreckt (Osten, 2019). Intervention und Anamnese sind dabei ineinander verwoben, das warmherzige Zuhören beim Bericht einer Lebensgeschichte ist Anamnese und Intervention zugleich. Therapeut*innen erfahren dabei wichtige Details über ihre Klient*innen (Anamnese), diese wiederum erleben Verständnis und Förderung ihrer Ausdrucksfähigkeit (Therapie). Auch beim Einsatz von kreativen Medien kommt es zu einem andauernden Ineinanderwirken von anamnestischen und therapeutischen Elementen. So ist in allen mediengestützten Interventionen immer auch eine diagnostische Komponente enthalten. Darüber hinaus verfügt die Integrative Therapie aber auch über eine Vielzahl von medialen Techniken, die sich speziell als Diagnoseinstrumente eignen (Petzold u. Orth, 1994). Zu den wichtigsten zählen die verschiedensten Panoramatechniken wie Lebenspanorama, Gesundheits- bzw. Krankheitspanorama oder das dreizügige Karrierepanorama (Pet40
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zold, 2003, S. 737). Das Instrument des Panoramas ermöglicht es, Konflikte, Defizite, Traumata und Ressourcen in ihrer zeitextendierten Wirkung und in ihren gegenseitigen Auswirkungen zu erfassen und zu verstehen. Zur Persönlichkeitsdiagnostik gehört die Technik des Selbst- und des relationalen Selbstbilds (Petzold u. Orth, 2018, S. 15). Hier kann über unterschiedliche Medien wie Farben, Collagen oder Ton ein Zugang zu den Bereichen Selbstwert, Selbstgefühl und Selbsterkenntnis geschaffen werden. Für die diagnostische Annäherung an den Bereich Identität wurden die fünf Säulen der Identität (Petzold, Wolf, Landgrebe, Josič u. Steffan, 2000, S. 486) entwickelt, wobei Techniken wie das Soziale Atom oder Body Chart, Ressourcenfeld, Netzwerkdiagramme spezielle Vertiefungsmöglichkeiten bieten (Petzold u. Orth, 2008, S. 653).
Verschiedene kreative Medien und Techniken – mögliche Indikationen und Kontraindikationen Grundsätzlich begleitet Integrative Therapie Menschen und ihre Netzwerke in einem mehrschichtigen, diskontinuierlichen, interaktionellen Prozess von unterschiedlicher Intensität, Tiefe und Breite. Die Behandlungsstrategien in der Integrativen Therapie sind offen, flexibel, prozessorientiert und an den Zielen orientiert. Je nach individueller und störungsspezifischer Situation kommen immer verschiedene, chancenreiche »Bundling-Maßnahmen« (Petzold, 2014, S. 12) zum Einsatz. So ist auch das Angebot von Kreativen Medien immer eingebettet in ein ko-kreatives, intersubjektives Geschehen. Die jeweiligen Wege und Ziele werden dabei fortlaufend mit den Klient*innen ko-respondierend vereinbart, Medien und Techniken haben dabei nur eine unterstützende Funktion. Wirkung und Eigenschaften von Medien unterliegen immer dem eigenen subjektiven Empfinden – Medien können von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich erlebt bzw. wahrgenommen werden.1 Bleistift und Farbstift. Stifte sind fast immer zur Hand, und es bedarf keines großen Aufwands, sie einzusetzen. Mit ihrem klaren Strich können Grenzen gezogen, Struktur und Formen geschaffen und kann Sprache symbolisiert werden. Ebenso eignen sie sich dazu, etwas zu ordnen, zu fokussieren oder zu differenzieren. Ihr Ausdruckspotenzial reicht von unbewusstem Gekritzel bis hin zu bewusst geplanter künstlerischer Grafik. In der Regel werden Stifte für einen bewusst strukturierten Ausdruck genutzt. Durch ihr Potenzial zur prägnanten Formgebung ängstigen sie aber jene Menschen, die fürchten, natürlich Vorhandenes nicht richtig wiedergeben zu können. 1
Die nachfolgende Beschreibung und Auflistung kreativer Medien ist eine Synergie aus einer 30-jährigen Praxiserfahrung der Autor*innen und aus vielen eindrücklichen Erlebnissen in der Selbsterfahrungsgruppe bei Ilse Orth und René Reichel (vgl. Petzold u. Orth, 1990/2007; Hausmann u. Neddermeyer, 2011).
Funktion der kreativen Medien
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Bei den medialen Techniken finden sie Verwendung beim Sozialen Atom, beim Antidepressionskoffer und fallweise auch bei den fünf Säulen der Identität (vgl. Glossar). Die therapeutische Intention hinter ihrer Nutzung besteht darin, Ausdruck zu fokussieren, zu strukturieren, zu begrenzen, zu ordnen, zu benennen oder zu klären. Fingerfarben. Fingerfarben (Matschfarben) haben eine stark emotionale Wirkung, die speziell bei großflächigem Auftrag zur Geltung kommt. Sie verfließen ineinander, überlagern sich, vermischen sich. Sie fordern Raum, führen in die Weitung, und sie ermöglichen wilden, ungezügelten Ausdruck. Bei Patient*innen bewirken sie Angst und Lust zugleich: Angst, sich zu beschmutzen, sowie Lust auf regressives Schmieren und freien emotionalen Ausdruck. Ihre regressionsfördernde Wirkung wird therapeutisch bei tiefenfokussierten Arbeiten für den vorsprachlichen Bereich und den der frühen Kindheit (Vorschulalter) genutzt. Sie eignen sich auch zur Förderung von emotionalem Ausdruck, zum sinnlich-leiblichen Authentizitätserleben und für Transgressionserfahrungen. Ebenso lassen sie sich zur Erlebnisaktivierung und Kontaktförderung in Gruppen einsetzen. Bei Themen wie Sexualität, Reinlichkeit und Zwang können sie evokativ oder erlebnisaktivierend genutzt werden. Kontraindiziert sind sie, wenn es um Struktur und Fokussierung geht. Ihre Handhabung ist etwas schwierig, weil sie bei ihrer Verwendung Raum brauchen, die Gefahr von Verschmutzung besteht (Kleidung, Teppich) und die Farben leider oft allzu schnell eintrocknen. Kreiden. Ölkreiden sind die Allrounder unter den bildgebenden Medien. Sie verbinden die Eigenschaften von Stiften mit ihren strukturgebenden Möglichkeiten und die sinnlich emotionale Qualität von Farben. Daher sind sie besonders für Techniken, bei denen eine gleichzeitige rationale wie emotionale Durchdringung intendiert ist, geeignet. Dazu gehören alle Panoramatechniken, z. B. Body Chart, Selbstbild, fünf Säulen der Identität, Gruppenbilder. Von Vorteil ist zusätzlich, dass sie für Patient*innen meist weniger angstbesetzt sind als Stift und Matschfarbe. Vermutlich liegt es daran, dass sie weder so stark mit zeichnerischem Können assoziiert werden wie bei Stiften noch die Gefahr bergen, sich mit der matschigen Farbe zu beschmutzen. Trotz dieser vielschichtigen Möglichkeiten können Kreiden Stifte und Fingerfarben nicht ganz ersetzen, denn sie verfügen über ein deutlich geringeres regressionsförderndes Potenzial, und bei feinstrukturierten Darstellungen haben sie ihre Grenzen. Collage. Bei Collagen werden bereits vorhandene Bilder und sonstige Materialien in eine neue Form und einen neuen Zusammenhang gesetzt. Diese Medientechnik eignet sich für die Umsetzung verschiedenster therapeutischer Intentionen. Sie kann bei Patient*innen mit einer malignen Unterstimulierung oder bei Menschen mit beschränkten Begabungen als erlebnisaktivierendes Element eingesetzt werden. Das Durchsuchen der vorhandenen Materialien stimuliert, regt an (perzeptive Kunsttherapie) und führt in eine Gestaltungsphase über, in der Klient*innen ihr kreatives Potenzial erleben können. Durch eine gezielte Auswahl der vorgegebenen Mate42
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rialien können mit Collagen aber auch Themen, die im Therapieprozess bisher ausgegrenzt blieben, in den Fokus gerückt werden. So müssen Klient*innen tabuisierte Themenbereiche wie Neid, Aggression oder Sexualität nicht von sich aus ansprechen, sondern sie werden auf elegante Weise über die dargebotenen Materialien vorsichtig an sie herangeführt. Ton. In vielen alten Schöpfungsmythen wird der Mensch von einem göttlichen Urwesen aus einem Stück Tonerde geformt und geschaffen. In diesen alten mythischen Bildern zeigt sich bereits die besonders hohe (projektive) Wirkung, die dieses Material seit jeher auf Menschen ausgeübt hat. Es fordert zum schöpferischen Tun und zur Bedeutungsgebung auf. Tonerde kann geknetet, geschlagen und geformt werden. Um ihr Gestalt zu geben, muss ein Mensch fest zupacken und wird dabei auch schmutzig. Dies ist eine sehr sinnliche leibliche Erfahrung, bei der oftmals Innenund Außenwelt ineinander verschmelzen. Im selbstversunkenen Tun führt das Material in die Tiefe. Vergessene, verdrängte Erfahrungen werden wieder in den Bereich der Wahrnehmung gehoben und so dem eigenen Selbstverständnis zugänglich gemacht. Bei Themen wie Aggression, Sexualität und Zärtlichkeit führt die Arbeit mit Ton zu einem unmittelbaren Erleben von Emotion und Gefühl. Ton kann auch Widerstand und Abwehr auslösen, wobei sich hinter diesen Abwehrreaktionen oft maligne, leibfeindliche Kindheitserfahrungen verbergen, die darüber erkannt und behandelt werden können. Intermediale Quergänge, Selbstbild, Tonfeld, Familienszene oder Begegnungsübungen sind Techniken, bei denen Ton als Medium genutzt wird. Der Nachteil von Ton liegt in seiner beschränkten Verwendbarkeit im normalen Praxisbetrieb. 50 Minuten sind sehr wenig Zeit für eine angemessene Einstimmungs-, Gestaltungs- und Bearbeitungsphase. Seine beschränkte Lagerfähigkeit und die Schwierigkeiten in seiner Handhabung (Schmutz in der Praxis) erschweren den Einsatz von Ton. Sand. Sand wird assoziiert mit Meer, Urlaub, Sehnsucht, Spielen, Wüste, Weite oder mit Vergänglichkeit. Er lädt ein, Spuren darin zu hinterlassen oder zu verwischen. Gestaltungen aus Sand haben nichts Bleibendes, sie sind vergänglich. Daher macht dieses Material wenig Angst, sich daran zu erproben. Therapeutische Anwendung findet er im Sandspiel in der Verbindung mit anderem Spielzeug. Kinder (aber natürlich auch Erwachsene) können dabei spielerisch Szenen erstellen, diese wieder verändern und immer wieder Neues ausprobieren. Eine weitere therapeutische Einsatzmöglichkeit von Sand liegt in der Gestaltung von Sandbildern. Diese Technik führt Klient*innen über ein ruhiges, beschauliches Gestalten mit Sand in einen zentrierten, ausgeglichenen Gemütszustand. Bälle, Seile, Tücher. Bälle, Seile, Tücher, Decken, Stöcke, Polster, Stofftiere und vieles mehr eignen sich gut als Kontaktmedien. Es gibt die Möglichkeit, mit den Medien selbst in Kontakt zu gehen, dabei ihre Qualität wahrzunehmen, zu spüren, welche innere Resonanz sie auslösen und zu welchen Handlungsimpulsen und inneren ProFunktion der kreativen Medien
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zessen sie führen. Sie können aber auch zur Kontaktanbahnung oder -regulation in Gruppen oder im Zweierkontakt genutzt werden. Ein Ball erlaubt, sich spielerisch näherzukommen, durch das Auflegen eines Seils kann anderen gegenüber die eigene Grenze besser verdeutlicht werden. Eine weitere Funktion ist die Vermittlung von Schutz und Geborgenheit. Das Einwickeln in eine Decke schützt ein wenig vor den Blicken anderer, zusätzlich kann sich dabei ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit entwickeln. Ein Vorteil dieser Medien besteht darin, dass sie nach der Anschaffung immer gleich zur Hand und jederzeit leicht verfügbar sind. Kleider, Requisiten, Masken, Handpuppen. Kleider und Requisiten sind für ein szenisches Spiel nicht unbedingt notwendig, sie fördern aber die Rollenkreativität und ermöglichen vielen Menschen einen leichteren Zugang zu einem unmittelbar lebendigen Spiel. Dabei haben sie auch eine Funktion als Intermediärobjekte und als Ausdrucksmittel. Besonders bei Kindern kommt ein szenisches Spiel meist erst über ein Medium in Gang. Masken und in abgeschwächter Form auch Handpuppen haben dabei eine besondere Funktion, sie erlauben, sich dahinter zu verbergen oder auch etwas Spezielles von sich zu zeigen. Allerlei: z. B. Steine, Muscheln, kleine Figuren, Handschmeichler, Knöpfe. Sie können zum Symbolisieren verwendet werden, helfen beim Strukturieren von Themen oder bei der Aufstellung eines sozialen Netzes, der Familie oder einer speziellen Situation am Arbeitsplatz. Viele Strukturen und Zusammenhänge werden erst deutlich, wenn sie ausgelegt sichtbar sind. Von vielen Therapeut*innen werden sie auch als Übergangsobjekt genutzt. So kann z. B. ein Stein aus der Praxis des*r Therapeut*in, den ein*e Klient*in in der Jackenasche trägt und immer wieder berühren kann, manchmal sehr stützend sein. Musik. Um die vielseitigen Möglichkeiten dieses Mediums voll ausschöpfen zu können, bedarf es einer speziellen Ausbildung (Musiktherapie) und auch eines bestimmten Maßes an musikalischer Performanz (vgl. den Beitrag »Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis« von Cubasch in diesem Buch). An dieser Stelle sei nur kurz erwähnt, dass Musik als Ein- und Ausdrucksmittel eine hohe Wirksamkeit hat, sie berührt ganz unmittelbar die Seele, weckt Erinnerungen, sie kann leider auch manipulativ missbraucht werden. Aus diesem Grund ist bei ihrem rezeptiven Gebrauch – Abspielen von Musik, um Atmosphäre oder Stimmung zu vermitteln – ein reflektierter und sorgsamer Umgang notwendig. Fotos. Fotos (Familienfotos) bieten Therapeut*innen einen tiefen Einblick in die Privatsphäre ihrer Klient*innen. Sie evozieren alte Erinnerungen oder können diese korrigieren. Im dialogischen Schauen erschließt sich oft ein neuer Zugang, ein neues Selbstverständnis. Bei biografischen Arbeiten, wie Lebenspanorama oder Erinnerungsarbeit mit alten Menschen, fungieren sie nicht nur als Erinnerungsstütze, sondern führen auch in die Tiefe zu einem dichten emotionalen Erleben. Inwieweit das 44
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Aufkommen der digitalen Fotografie und deren inflationäre Verbreitung in den sozialen (digitalen) Netzwerken einen Einfluss auf die therapeutische Verwendung dieses Mediums hat, ist noch nicht abzusehen. Bilder, Bücher, Texte. Kunst inspiriert, regt an, kann Menschen ergreifen und beglücken. Sie ermöglicht ästhetische Erfahrungen, die bei gemeinsamer Betrachtung intersubjektiv geteilt werden kann und so zu einem beglückenden Gemeinschaftserleben führt. Bilder und Kunstpostkarten werden aber nicht nur in der rezeptiven Kunsttherapie verwendet, sondern sie sind Brückenbauer (Intermediärobjekte) beim Kontaktaufbau und finden auch als Symbol und Ausdrucksmittel Verwendung. Eine ähnliche Wirkung hat das Lesen von Büchern. Lesen, darüber sprechen und selbst mit dem Schreiben beginnen (Bibliotherapie) ist ein kultureller Akt, in dem sich der Mensch ein Stück weit exzentrisch aus seiner natürlichen Eingebundenheit erhebt. Neben Heilung, Gesundheitsförderung und Persönlichkeitsentwicklung gehört die Förderung einer Kultur schaffenden und kulturkritischen Haltung zu den speziellen Zielen der Integrativen Therapie. Worte der Weisheit, Poesie, Gemälde großer Meister fördern Menschen in ihrem ästhetischen Empfinden und berühren sie in ihrem Menschsein.
Literatur Eisler-Stehrenberger, K. (1990/2007). Kreativer Prozeß – Therapeutischer Prozeß. In H. G. Petzold, I. Orth (Hrsg.), Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie. Bd. 1 (4., unveränd. Aufl.; S. 113–168). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis. Hausmann, B., Neddermeyer, R. (2011). BewegtSein. Integrative Bewegungs- und Leibtherapie in der Praxis. Erlebnisaktivierung und Persönlichkeitsentwicklung (Reihe: Forum Zeitpunkt; Neuausg.). Wiesbaden: Reichert. Hillert, A. (2021). Komplementäre Verfahren. In W. Rief, E. Schramm, B. Strauß, B. (Hrsg.), Psychotherapie. Ein kompetenzorientiertes Lehrbuch (S. 819–826). München: Elsevier. Katz-Bernstein, N. (1990/2007). Phantasie, Symbolisierung und Imagination – »komplexes katathymes Erleben« als Methode in der Integrativen Therapie mit Vorschulkindern. In H. G. Petzold, I. Orth. (Hrsg.), Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie. Bd. 2 (4., unveränd. Aufl.; S. 883–932). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis. Orth, I. (1994). Unbewusstes in der therapeutischen Arbeit mit künstlerischen Methoden, kreativen Medien – Überlegungen aus der Sicht »Integrativer Therapie«. Integrative Therapie, 20 (4), 312– 339. https://www.fpi-publikation.de/download/10642/ (Zugriff: 02.11.2022). Orth, I., Petzold, H. G. (1993/1996). Zur »Anthropologie des schöpferischen Menschen«. In H. G. Petzold, J. Sieper (Hrsg.), Integration und Kreation. Modelle und Konzepte der Integrativen Therapie, Agogik und Arbeit mit kreativen Medien (Reihe: Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften, Bd. 56; 2., unveränd. Aufl.; S. 93–116). Paderborn: Junfermann. https://www.fpi-publikation. de/download/10514/ (Zugriff: 02.11.2022). Osten, P. (2019). Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD) (Reihe: Psychologie). Wien: Facultas.
Funktion der kreativen Medien
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Markus Böckle, Franz Brunner, Cornelia Cubasch-König und Angelika Jobst
Markus Böckle
Integration in der Psychotherapie
Dieser Beitrag entfaltet Integration in der Psychotherapie als ein international sich stark entwickelndes Thema. Bereits seit Freuds Anfängen wurde die Einbindung anderer Methoden und theoretischer Konzepte von seinen Schüler*innen diskutiert. Wichtige Vertreter*innen von integrativen Ansätzen unterscheiden vier unterschiedliche Formen der Integration: den technischen Eklektizismus, assimilative sowie theoretische Integration und allgemeine Wirkfaktoren. Die Integrative Therapie nach Petzold ist eine systematische Integration von Methoden auf Basis eines metatheoretischen Konzepts. Seit Beginn sind in diesem Verfahren kreative Medien ein zentraler Bestandteil, der durch Integration stetig weiterentwickelt wird
Integration in der Psychotherapie ist spätestens seit dem Buch »Psychotherapie im Wandel – von der Konfession zur Profession« von Grawe, Donati und Bernauer (1994/2001) im deutschsprachigen Raum ein breit diskutiertes Thema. In diesem Buch versuchen die Autor*innen auf Basis von empirisch-wissenschaftlichen Kriterien, eine schulen-unabhängige Grundlage psychotherapeutischen Handelns durch eine allen Therapieformen gemeinsame, theoretische Basis zu schaffen. Die Bedeutung des Worts »Integration« sollte jedoch von anderen Formen des Eklektizismus differenziert werden. Während der Synkretismus als eine Form des Eklektizismus mit unsystematischer und unreflektierter Auswahl der einzuschließenden Teile definiert wird, ist die Integration eine Form des theoretischen Eklektizismus, bei dem die Auswahl der zu integrierenden Anteile theoretisch oder methodisch begründet wird. Anchin (2008) beschreibt Integration in der Psychotherapie als Prozess der unabhängig von theoretischen oder praktischen Ausrichtungen einzelner Psychotherapeut*innen sein sollte. Integration ist somit eine metatheoretische Annäherung, die Theorien, Techniken und Prinzipien in ein holistisches Konzept fasst. Eine Metatheorie steht über den vorhergehenden Theorien, da sie reflektiert und Bedeutung über sich selbst schafft. Metatheorie ist somit die Theorie von Theorien und schafft Bedeutung in den Theorien.
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Eine integrative Herangehensweise aus Sicht von Anchin (2008) ist somit metatheoretisch und sollte ◼ eine kohäsive Integration von unterschiedlichen Theorien ermöglichen, ◼ ein dialektisches Denken hervorbringen, das entgegen einer dichotomisierenden und sich gegensätzlich ausschließenden Herangehensweise eine ko-äquivalente und unzertrennliche Komplementärtheorie schafft, ◼ eine konzeptuell kohärente Ordnung in die enorme Anzahl von Techniken und Interventionen bringen und ◼ ein umfassendes und zusammenhängendes Gerüst für die kontinuierliche Inte gration neuer Erkenntnisse zur Verfügung stellen. Somit kann eine gegenseitige Bereicherung von Theorie und Praxis sowie eine ständige Weiterentwicklung auf Basis neuester Erkenntnisse gewährleistet werden. Die Erkenntnisse sollten direkt in die Ausbildung von jungen Psychotherapeut*innen integriert werden. Durch das Vorleben von einer integrativen, nicht dichotomisierenden Haltung von Lehrtherapeut*innen, Supervisor*innen und Wissenschaftler*innen können Ausbildungskandidat*innen von deren praktischen und theoretischen Knowhow profitieren und ihre eigene integrative Haltung in der Psychotherapie entwickeln. Integration war jedoch im deutsch- und englischsprachigen Raum lange vor Grawe und Kolleg*innen ein wichtiges Thema. Bereits in den frühen Jahren der Entwicklung der Gesprächstherapie nach Freud, am Anfang des 20. Jahrhunderts, publizierte French (1933) wohl eine der ersten Arbeiten zur Integration, als er über die Wechselbeziehungen der Psychoanalyse mit der Arbeit von Pawlow schrieb. Die Häufigkeit von Publikationen zu diesem Thema nimmt jedoch stetig zu und so auch wahrscheinlich die Anzahl von Psychotherapeut*innen, die sich der einen oder anderen Form von Integration verschreiben. Für eine nähere Beschäftigung mit der Geschichte der Integration ist das Kapitel von Goldfried, Pachankis und Goodwin (2019) im englischsprachigen »Handbook of Psychotherapy Integration« zu empfehlen. Eine Suche auf PubMed im Sommer 2021 – »integrative psychotherapy« OR »eclectic psychotherapy« OR »integrative psychotherapie« OR (integration AND psychotherapie«) – machte die Entwicklung der Publikationen zu diesem Thema deutlich. Inzwischen werden knapp 1.400 Artikel pro Jahr veröffentlicht (Abbildung 1). Die Wörter Integration und eklektische Therapie werden im englischsprachigen Raum oft synonym verwendet, trotz ihrer beschriebenen stark differierenden Bedeutungen. Aber auch im angloamerikanischen Raum findet der Begriff »Integration« immer mehr den Vorzug vor Eklektizismus. Für den raschen Zuwachs der integrativen Idee in den letzten Jahren lassen sich jedoch unterschiedliche Faktoren für diese Entwicklung beschreiben (Überblick bei Norcross u. Goldfried, 2019). 48
Markus Böckle
Anzahl der Publikationen 1940 bis 2020 Anzahl der Publikationen 1.400 1.200 1.000 800 600 400 200 0 1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
2020
Publikationsjahr
Abbildung 1: Anzahl der Publikationen (1940–2020) pro Jahr zum Thema »Integration in der Psychotherapie« auf Pubmed (eigene Darstellung)
◼ Zunahme der Entwicklung neuer Therapien, die von Anfang an dem integrativen Paradigma verschrieben sind. Beispiele hierfür sind die Emotionsfokussierte Therapie oder der Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR). ◼ Tendenz zu Kurzzeit- und problemzentrierten Behandlungen, die aufgrund der empirischen Daten zur Effektivität und Wirksamkeit von Psychotherapie etabliert werden. Denn durch die wissenschaftliche Erforschung wird klarer, wie dies Grawe in seinem Lebenswerk breit dargestellt hat (vgl. u. a. Grawe, 2000, S. 87–102), dass den unterschiedlichen therapeutischen Verfahren allgemeine Wirkmechanismen unterliegen und wenig therapiespezifische Effekte vorhanden sind. Dadurch treten Therapeutenvariablen stärker in den Vordergrund, wodurch die Ausbildungsforschung z. B. in Form von reflektierter Praxis (»deliberate practice«; Goldman, Vaz u. Rousmaniere, 2021; Rousmaniere, 2017) immer mehr an Bedeutung gewinnt, die der Frage nachgeht, wie herausragend effektive Therapeut*innen heranbildet werden können. Gleichzeitig werden jedoch von unterschiedlichen Richtungen evidenzbasierte und störungsspezifische Behandlungen gefordert, die meist durch integrative Methoden entwickelt werden, obwohl transdiagnostische Eigenschaften wie Kultur, Religiosität, Reaktanzlevel nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand wichtiger erscheinen (Norcross u. Wampold, 2018; Tryon, 2016). ◼ Zunehmende Offenheit gegenüber alternativen Herangehensweisen vor allem bei jungen Therapeut*innen und der Wunsch nach einem Austausch zwischen den Therapieformen, wobei Kooperation und die Konkurrenz alternativer Behandlungsformen oder -verfahren gefördert werden sollen, die seit Anbeginn der Psychoanalyse stets treibende Kräfte für die Weiterentwicklung der PsychoIntegration in der Psychotherapie
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therapieforschung und -theorie waren und zunehmend reduziert werden, ohne jedoch zu stagnieren. ◼ Assimilative Integration, bei der Techniken und Interventionen, die in einer eigenen Ausbildung, divergierenden therapeutischen Weiter- und Fortbildungen erlernt wurden, immer mehr in die eigene Praxis integriert werden. Dieser Prozess kann sich schleichend über die Jahre hinweg etablieren oder aber aufgrund des Gefühls der Unzulänglichkeit des eigenen Verfahrens, für alle Störungen und Probleme die richtige Intervention bzw. Behandlungsmethode vorzuhalten, aktiv etabliert werden. ◼ Etablierung von Vereinigungen, die für die wissenschaftliche Integration in der Psychotherapie stehen. So führten z. B. frühe Diskussionen u. a. zwischen Goldfried, Stricker, Phillips, Wachtel und Wolfe 1983 zur Gründung der »Society for the Exploration of Psychotherapy Integration« (SEPI). 1991 gründete die SEPI das »Journal of Psychotherapy Integration«. Im deutschsprachigen Raum förderten Publikationen und Diskussionen u. a. von Grawe, Petzold, Orth, Sieper und Heindl eine integrative Herangehensweise und führten zur Gründung des Fritz Perls Instituts (FPI), das sich der Förderung der Integrativen Therapie und deren Weiterentwicklung maßgeblich widmet. Ähnlich wurde in Österreich die Österreichische Gesellschaft für Integrative Therapie (ÖGIT) gegründet, die sich u. a. mittels Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, Vernetzungstreffen, Seminaren für die Integration in der Psychotherapie auf theoretischer und praxeologischer Ebene einsetzt. Solche Einrichtungen sind daher zentrale Multiplikatoren und Integratoren von integrativen Ansätzen. Die Faktoren zur Förderung integrativer Ansätze machen unterschiedliche Wege deutlich, in welcher Weise integriert wird. Norcross, Nolan, Kosman und FernándezAlvarez (2017, S. 6 f.) differenzieren vier Wege mit absteigender Häufigkeit der Integration auf Basis einer Umfrage bei den Mitgliedern der »Society for the Exploration of Psychotherapy Integration« (SEPI): technischen Eklektizismus, assimilative Integration, allgemeine Wirkfaktoren und theoretische Integration (Norcross u. Alexander, 2019). Technischer Eklektizismus wird als die beste Wahl von Therapeut*innen für die Person und das Problem betrachtet, auf Basis von wissenschaftlicher Evidenz und klinischer Erfahrung, was am besten wirkt (Lazarus, Beutler u. Norcross, 1992; Norcross u. Alexander, 2019, S. 9 f.). Somit entspricht auch diese Form nicht einem theoriefreien Eklektizismus, sondern unterliegt konkreten theoretischen Überlegungen. Die assimilative Integration entsteht innerhalb eines Therapieverfahrens, das selektiv verfahrensfremde Interventionen, Techniken und Methoden miteinbezieht (Messer, 1992; Norcross u. Alexander, 2019, S. 11 f.). Allgemeine Wirkfaktoren wiederum basieren auf den empirischen Befunden der vergleichenden Psychotherapieforschung, die erstaunlich wenig Unterschiede zwischen den einzelnen Therapieformen fand (Sha50
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piro u. Shapiro, 1982; Wampold et al., 1997). Seit sich Luborsky, Singer und Luborsky (1975) auf den Dodo-Vogel aus Alice im Wunderland bezogen, wird dieses Phänomen in der Psychotherapieforschung Dodo-Effekt genannt (»Jeder hat gewonnen, und jeder verdient einen Preis«). Theoretische Integration schließlich entspricht der schon beschriebenen metatheoretischen Annahme (z. B. Anchin, 2008). Sie versucht somit, eine vereinheitlichte oder neue Theorie durch eine methodisch klar definierte Inte gration von Elementen verschiedener Therapierichtungen (Norcross u. Alexander, 2019, S. 12 f.). Zugrunde liegt die Idee, dass integrative Behandlungsansätze effizienter und effektiver sind als die einzelnen ursprünglichen Verfahren (Wampold, 2019, S. 61–84), wofür bereits erste Befunde vorliegen (Boswell, Newman u. McGinn, 2019). Integration in der Integrativen Therapie nach Petzold (2003, bes. S. 725–733) wird als systematische Methodenintegration definiert und erfolgt auf der Basis des philosophischen und anthropologischen Konzepts der Integrativen Therapie. Fremde und neue Leitkonzepte werden anhand relevanter Integratoren auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede, gleiche oder ähnliche Strukturen hin überprüft. So werden Wissensbestände miteinander verbunden, ohne Unterschiede zu übergehen und ohne willkürlich eklektizistisch zu sein (Hintenberger, 2016, S. 73). So sichert die Integrative Therapie ihre ständige Weiterentwicklung, immer auf der Suche nach guten Möglichkeiten, die Psychotherapie noch wirkungsvoller zu gestalten. Auf diesem Weg entstanden innerhalb der Integrativen Therapie Schwerpunktinteressen wie die »neuen Körpertherapien« (Petzold, 1992/1993), die »neuen Kreativitätstherapien« (Petzold u. Orth, 1990/2007) bis hin zum Engagement für eine naturbewahrende Ökosophie, die in den »neuen Naturtherapien« (Petzold, Ellerbrock u. Hömberg, 2019) ihren Ausdruck findet. Somit ist die Integrative Therapie nach Petzold eine theoretisch fundierte Integrationsbewegung, die jedoch ursprünglich nur als theoretische Basis für die Identifikation der einheitlichen Grundbedingungen aller Therapieformen entwickelt wurde, und gehört somit zum neuen Integrationsparadigma (Petzold, 2003, bes. S. 733–736). Erst durch die Anerkennung der Integrativen Therapie als eigenständiges Therapieverfahren in Österreich wurde aus der Integrativen Therapie auch eine eigene Schule, der man unterstellen könnte, dass auch sie entgegen dem neuen Integrationsparadigma anstelle von einer transtheoretischen Integration wiederum mit anderen Therapieschulen konkurriert. Ganz unabhängig vom eigenen Integrationsverständnis soll dieses Buch den Le ser*innen Möglichkeiten bieten, Anregung geben und Anleitungen bereitstellen, sodass der Einsatz von kreativen Medien in das psychotherapeutische Handeln Einzug finden und auf unterschiedlichen Ebenen integriert werden kann. Integrativen Therapeut*innen und Ausbildungskandidat*innen kann es als einfaches Nachschlagewerk dienen und den Einbezug in die eigene Praxis anregen sowie vereinfachen. Aber es soll auch Therapeut*innen aus anderen Verfahren und Berufsfeldern eine Möglichkeit bieten, die Integration in der Psychotherapie
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von den Gründer*innen der Integrativen Therapie etablierten und von den Schüler*innen weiterentwickelten Einsatzmöglichkeiten, Theorien, Methoden, Techniken und Interventionen zu erfassen und zu integrieren.
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Markus Böckle
Petzold, H. G., Ellerbrock, B., Hömberg, R. (Hrsg.) (2019). Die Neuen Naturtherapien. Handbuch der Garten-, Landschafts-, Wald- und Tiergestützten Therapie, Green Care und Green Meditation. Bd. 1: Grundlagen – Garten- und Landschaftstherapie. Bielefeld: Aisthesis. Petzold, H. G., Orth, I. (Hrsg.) (1990/2007). Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie. 2 Bde. (4., unveränd. Aufl.). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis. Rousmaniere, T. (2017). Deliberate practice for psychotherapists. A guide to improving clinical effectiveness. New York: Routledge/Taylor & Francis Group. Shapiro, D. A., Shapiro, D. (1982). Meta-analysis of comparative therapy outcome studies: a replication and refinement. Psychological Bulletin, 92 (3), 581–604. Tryon, W. W. (2016). Transtheoretic transdiagnostic psychotherapy. Journal of Psychotherapy Integration, 26 (3), 273–287. Wampold, B. E. (2019). The basics of psychotherapy. An introduction to theory and practice (Series: Theory of psychotherapy; 2nd revised ed.). Washington, DC: American Psychological Association. Wampold, B. E., Mondin, G. W., Moody, M., Stich, F., Benson, K. Ahn, H.-n. (1997). A meta-analysis of outcome studies comparing bona fide psychotherapies: Empirically, »all must have prizes«. Psychological Bulletin, 122 (3), 203–215. http://www.personal.kent.edu/~dfresco/CRM_Readings/ Wampold_Dodo_1997_1.pdf (Zugriff: 03.11.2022).
Integration in der Psychotherapie
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Barbara Pammer und Silke Birgitta Gahleitner
Die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien Die Bedeutsamkeit der therapeutischen Beziehung in der Psychotherapie ist unumstritten. Auch die Arbeit mit kreativen Medien kann nur auf einer guten Beziehungsbasis stattfinden. Die therapeutische Beziehung soll dafür Sicherheit und innere Freiräume bereitstellen. Auch setzt die Integrative Therapie das Bedürfnis des Menschen nach Verbundenheit als ein grundlegendes Organisationsprinzip im Leben. Andererseits erschweren Verletzungen und Erschütterungen im Leben für Klient*innen nicht selten die Entstehung von vertrauensvollen Beziehungen. Wie ist das also zu ermöglichen? Der Beitrag widmet sich der Klärung dieser Frage und arbeitet sowohl die therapeutische Beziehung als Basis für die Arbeit mit Kreativen Medien als auch kreative Medien zur Förderung der therapeutischen Beziehung heraus.
Zunächst ist es einfach: Um therapeutisch mit kreativen Medien arbeiten zu können, braucht man eine gute Beziehungsbasis. Andererseits ist es kompliziert, denn Menschen, die Therapie benötigen, leiden in der Regel unter psychischen Belastungen. Die damit verbundenen Erschütterungen im Leben, wie z. B. verletzende oder traumatische Vorerfahrungen, sind auch mit Beziehungserschütterungen verbunden. Dies erschwert den Aufbau einer sicheren Bindungs- und Beziehungsbasis für freies Explorieren mit kreativen Medien, denn Kreativität bedeutet immer auch im selben Atemzug »Ko-Kreativität« (Petzold u. Sieper, 2014, S. 36). Unsere aktuellen Lebensverhältnisse, die von globalen Verunsicherungen und uneinschätzbaren Komplexitäten geprägt sind, machen es nicht einfacher, sich in schwierigen Lebens- oder Bewältigungssituationen sicher und aufgehoben zu fühlen. Das normativ Selbstverständliche trägt nicht mehr, stattdessen wird der/die »Expert*in«, die »psychosoziale Fachkraft« ins Zentrum gerückt, die »stellvertretend dafür bürgt, wie mit der Unsicherheit, der kulturellen Vielfalt und den Orientierungsanforderungen umgegangen werden kann« (Helsper, 2007/2010, S. 23). Was also hilft uns als Psychotherapeut*innen, eine tragfähige professionelle Beziehung zwischen Klient*in und Therapeut*in zu ermöglichen, um die Arbeit mit kreativen Medien in diesen Lebens55
verhältnissen als »intermediale[ ] Kunstpsychotherapie« (Petzold, 1987/2017) möglich und ertragreich zu machen? Dieser Beitrag geht dieser Frage in Theorie, Praxis wie Forschung nach.
Therapeutische Beziehung und Behandlungserfolg Über die Bedeutsamkeit der therapeutischen Beziehung in der Psychotherapie muss nicht mehr gestritten werden (vgl. aktuell Norcross u. Lambert, 2019; Norcross u. Wampold, 2019; vgl. bereits Grawe, 2000). Das Ergebnis lässt sich zusammenfassen: »The psychotherapy relationship makes substantial and consistent contributions to outcome independent of the type of treatment« (Norcross u. Lambert, 2018, S. 303), »the relationship works!« (S. 313). »Wenn es etwas gibt«, so auch Borg-Laufs und Hungerige (2005, S. 53), »über das in allen Psychotherapieschulen Einigkeit besteht, dann dies: Keine gute Therapie ohne gute therapeutische Beziehung!«. Die Frage, worin eine »qualitativ gute Beziehung« besteht, wird jedoch interessanterweise bis heute sehr kontrovers diskutiert (Gelso u. Carter, 1994; Horvath, 2011). In den Übersichtstabellen zu einzelnen Kriterien der Wirksamkeit der therapeutischen Beziehung finden sich jedoch unschwer die Grundfesten humanistischen Verstehens, Denkens und Handelns wieder (vgl. bereits Norcross, 2002). Insbesondere mit früh verletzten Klient*innen geht es um ein intensives »empathisches Verstehen« (Rogers, 1957/2004, S. 168), also um Empathie und Verstehen, das Authentizität und Wertschätzung vermittelt und Gegenseitigkeit ermöglicht.1 Petzold (2003, S. 546) führt in der Theorie der Integrativen Therapie aus, dass das Empathieren eines kleinen Kindes in der »Zwischenleiblichkeit« der Beziehung zu seinen Bezugspersonen über Interorisierungen die Fähigkeit zur Selbstempathie fördert. Gleichzeitig wird auch die Empathiefähigkeit gegenüber anderen geübt und Mutualität (Ferenczi, 1932/1999, S. 79–81) wird ermöglicht. So kann ein empathisches Geschehen in Wechselseitigkeit zu einer ko-kreativen Synergie führen (vgl. auch Petzold, Orth u. Sieper, 2009, S. 94). Es bedarf also wiederum der anderen, der Mitmenschen, damit diese Fähigkeit sich überhaupt entwickeln kann – auch im späteren Leben. Für die therapeutische Beziehung ist es daher auch aufseiten der Patient*innen wichtig, sich genügend in die Therapeutinnen einfühlen zu können, um eine gute wechselseitige Affiliation mit einer guten Passung zu erreichen (Petzold u. Müller, 2007). In der Integrativen Therapie findet sich dieses Wechselspiel schon in den 1
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In der »Begegnung« mit Martin Buber fand bei Carl R. Rogers die Bedeutung der Gegenseitigkeit Eingang in die therapeutische Beziehung humanistisch geprägter Verfahren (Rogers u. Buber, 1957/1992, S. 251 f.; vgl. bereits Bezüge bei Mead, 1934/2020). Der wechselseitige Charakter der therapeutischen Beziehung gewinnt daraufhin immer mehr an Bedeutung (Finke, 2004/2010, S. 4).
Barbara Pammer und Silke Birgitta Gahleitner
ersten Therapieeinheiten einer prozessual und behutsam vorgehenden Diagnostik, die zugleich (Vertrauens-)Intervention bedeutet (Gahleitner, Hintenberger, Kreiner u. Jobst, 2014) und eine warme, akzeptierende Haltung sowie ein verstehendes Bezogensein in »wechselseitiger Empathie« (Petzold u. Orth, 2003, S. 867) aufbaut. Bereits an dieser Stelle können kreative Medien sehr hilfreich sein. Bis sich jedoch »Wege sozialen Miteinanders« (Sieper u. Petzold, 1993/1996, S. 363) entwickeln können, muss die gerade erst entstehende Beziehung nicht selten einige Hürden nehmen, um von früh verletzten Klient*innen dafür als tragfähig genug erlebt zu werden. Den behutsamen Entstehungsprozess einer therapeutischen Beziehung muss man zudem vor dem bereits angesprochenen aktuellen gesellschaftlichen Hintergrund betrachten. Während in der Vergangenheit vorgegebene Sozialisationsverläufe üblich waren, sind lineare Lebensverläufe heute selten geworden (Böhnisch, Lenz u. Schröer, 2009). Die zunehmende Entgrenzung wie auch Beschleunigung und Verdichtung der Alltagswelt eröffnen eine Reihe von Freiräumen, die damit verbundenen Anforderungen bergen jedoch auch Belastungen und Risiken, insbesondere für benachteiligte oder beeinträchtigte Menschen (Keupp, 2012). Auch biografische Verletzungen sind in ihren Auswirkungen und insbesondere in ihren Möglichkeiten der Bewältigung abhängig von verschiedenen Umständen. Als wichtigster Schutzfaktor sind auch hier wieder stabile Beziehungs- und Einbettungsverhältnisse zu betrachten (vgl. Hermer u. Röhrle, 2008). Diese sind jedoch insbesondere bei früh verletzten Klient*innen selten vorhanden. Psychotherapie muss daher in besonderer Weise in der Lage sein, »prothetische soziale Netzwerke« (Petzold, 2003, S. 742) zu knüpfen. So können wiederum, wie in der Gesundheits- und Krankheitslehre der Integrativen Therapie verankert, neue, internale Positivkonzepte und -karrieren im Lebenslauf gefördert werden. Die Integrative Therapie (Petzold, 2003; Leitner u. Höfner, 2020; vgl. zur Vielfalt integrativer Ansätze Butollo u. Maragkos, 2008; Norcross u. Goldfried, 2019; Thivissen, 2013/2014) versteht das Bedürfnis des Menschen nach Verbundenheit (Affiliation), aber auch Selbstbestimmtheit (Reaktanz) als grundlegendes Organisationsprinzip seiner emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung. Mit der Einbettung der Klient*innen bzw. Patient*innen in das umgebende Umfeld, in deren biopsychosoziale, kulturelle, politische und ökonomische Verhältnisse, greift Integrative Therapie darüber hinaus auch systemisches Gedankengut auf und sucht auf vielfältige Weise, über kreative Medien veränderungsrelevante Momente zu schaffen. Darüber können beeindruckende Entwicklungen entfaltet werden. Immer jedoch erfordert das Einlassen auf kreative Exploration zuvor eine Aufgehobenheit in Sozialität. »Subjektivität fordert Mitsubjekte, Intersubjektivität und realisiert sich in Kokreativität und Koreflexivität« (Petzold, 2014, S. 311; vgl. auch Orth u. Petzold, 1993/1996; vgl. praxisorientiert Reichel u. Hintenberger, 2013). Die psychotherapeutische Beziehung muss daher Sicherheit und innere Freiräume der Aufgehobenheit für die Arbeit mit Medien bereitstellen. Die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien
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Dann kann es auch möglich werden, negative Lebensereignisse und deren innerpsychische Folgen, wie die Beschädigungen des Selbstvertrauens und des Beziehungserlebens, über Exploration- und Mentalisierungsprozesse in Resilienz zu transformieren (Fröhlich-Gildhoff u. Rönnau-Böse, 2018). Um als therapeutische Fachkraft davon ein präziseres Verständnis und tragfähige Kompetenzen dafür zu entwickeln, sind neben weiteren nützlichen Theoriebeständen bindungs- und beziehungstheoretische wie netzwerk- und anerkennungstheoretische Überlegungen hilfreich (vgl. ausführlich Gahleitner, 2017, 2020).
Theoretische Wissensbestände zur therapeutischen Beziehung Vertrauenstheorie. Zu Beginn fühlt sich die Kluft zu »dem anderen« für tief erschütterte Menschen häufig unüberwindlich an. Zuerst muss daher Vertrauen geschaffen werden. Vertrauensprozesse helfen, Komplexität zu reduzieren und dadurch die Möglichkeit des Einlassens zu erhöhen (u. a. Giddens, 1990/2017; Luhmann, 1989/2014). Wie viel Vertrauen Klient*innen selbst bereits in die Therapie mitbringen, beruht auf ihren bisherigen Erfahrungen und hängt eng mit ihren Bindungserfahrungen zusammen (Gahleitner, 2020). Psychotherapeut*innen stehen daher vor der Herausforderung, ihre Vertrauenswürdigkeit von Beginn an unter Beweis zu stellen und in »Vorleistung« zu gehen. In der Integrativen Therapie sprechen wir von der Etablierung von »schützenden Inselerfahrungen« (Gahleitner, 2005, S. 63; vgl. bereits Petzold, Goffin u. Oudhof, 1993, S. 200) oder von Safe-Place-Arbeit (Gahleitner, Katz-Bernstein u. PröllList, 2013), um einen sicheren Ort zu etablieren. Die therapeutische Beziehung und das Geschehen in der Therapie selbst stellen diese schützenden Inselerfahrungen dar, mit neuen Modellen, neuen Erkenntnis- und Ausdrucksmöglichkeiten, mit Raum zum Erkunden von Emotionen, wodurch eine gewisse Nachsozialisation ermöglicht, Grundvertrauen gestärkt und emotionale Regulation gefördert wird, wie es im zweiten Weg der Heilung und Förderung im Vordergrund steht. Ziele in diesem Weg der Heilung sind »zugehörig sein, beziehungsfähig werden, Liebe spüren und geben, sich zum Freund werden« (Petzold, 2012, S. 17). Bindungstheorie. Entlang Bowlbys (2006) Ergebnissen der Bindungstheorie sind Menschen (nicht nur in den ersten Lebensjahren) fundamental auf Unterstützung, Schutz und (emotionale) Sicherheit angewiesen, um die Welt explorieren und sich entwickeln zu können. Denn werden emotional wichtige Erlebnissequenzen von Selbstempfindungen innerhalb eines sicheren Raums bereits früh von mindestens einer bedeutsamen Bezugsperson empathisch unterstützt und mit Sprache versehen, so werden »[I]nnere Gefühlszustände […] für das Kind auf der Ebene bewuss58
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ter sprachlicher Diskurse ›verfügbar‹« (Grossmann u. Grossmann, 2012/2017, S. 448), bearbeitbar und damit regulierbar (vgl. auch Mentalisierungsprozesse nach Fonagy, Gergely, Jurist u. Target, 2002/2019; kritisch dazu vgl. Petzold et al., 2009, S. 61; vgl. jedoch aus humanistischer Perspektive Fröhlich-Gildhoff u. Jürgens-Jahnert, 2017). Dies gilt aber auch für das spätere Leben.2 Anthropologisch betrachtet bedeutet dies: »Der andere ist vorgängig da« (Schmid, 2002a, S. 79). Wesentliche Grundhaltungen im Menschenbild der Integrativen Therapie unterstreichen dies: »Alles ›Sein‹ [ist] Ko-existenz« (Petzold, 1980, S. 226; »Ko-existenz-Axiom«), »der Mensch ist immer Mitmensch und auf Mitmenschen gerichtet« (Leitner u. Höfner, 2020, S. 72), die Andersheit des/ der anderen ist zu respektieren (Intersubjektivitätsaxiom; S. 72 f.). Patient*innen und Therapeut*innen begegnen sich auf Augenhöhe, versuchen in wechselseitiger Bezogenheit Verstehen zu fördern und miteinander Antworten zu finden. Eine solche ganzheitliche Begegnung und Auseinandersetzung zwischen zwei Personen ist das Wesen des intersubjektiven Ko-respondenzprozesses, dessen Ziel es ist, Konsens in der Verständigung herzustellen. Die Bedeutung der anderen kommt auch im interaktiven bzw. relationalen Identitätskonzept (vgl. Petzold, 1993/1996b, S. 72; Keupp et al., 1999/2013; vgl. auch bereits Mead, 1934/2020) zum Tragen, in dem Identität durch Identifikation und Identifizierung konstituiert wird. Auch Entwicklungs- und Veränderungspotenziale in der Psychotherapie folgen daher diesem Prozess. Denn Therapie ist prinzipiell Begegnungstherapie, ein basales Sich-in-Beziehung-Setzen, in Ko-respondenz-Stehen, »Berührung aus der Berührtheit« (Petzold u. Orth, 2003, S. 866). Die therapeutischen Stile der »partiellen Teilnahme« und der »selektiven Offenheit« (Petzold, 1980, S. 249; vgl. bereits Perls, 1959/1970; Cohn, 1975) ermöglichen, dieser Berührtheit (Petzold, 1980, S. 256 f.) Ausdruck zu verleihen. Netzwerk und soziale Unterstützungstheorien. Gelungene oder weniger gelungene Interaktionen werden aus der soeben geschilderten Perspektive so zu einem grundlegenden Organisationsprinzip der gesamten weiteren Entwicklung – lebenslang. Es geht also – auch in der Psychotherapie – um die Herstellung eines sozial unterstützenden »Milieus« als »biografisch verfügbare[n] sozialräumliche[n] und sozialemotionale[n] Kontext[s]« (Böhnisch, 1994, S. 222; vgl. bereits Bettelheim, 1950/2007; Redl, 1971/1987). Neben der Bindungs- und Vertrauenstheorie sind daher Netzwerktheorien und Theorien sozialer Unterstützung (Übersicht Kupfer, 2015; Nestmann, 2010) heranzuziehen. Böhnisch (2019) konstatiert, es gehe um die Etablierung eines positiven Milieus (Böhnisch, 1994), das Geborgenheit, Verlässlichkeit wie auch gegenseitigen 2
Die Rezeption zu Bowlbys (2006) ursprünglich komplex angelegter Theorie verengte sich eine Zeit lang stark auf die Mutter-Kind-Dyade und die ersten Lebensjahre. Dies führte vielfach zu berechtigter Kritik. Heute hat sich die Bindungstheorie jedoch »sozial geöffnet« und lässt sich als Entwicklungstheorie im Sinne breiter Interaktionserfahrungen unter Einbezug gesellschaftlicher und historischer Perspektiven verstehen.
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Respekt bereitstellt und damit Explorations-, Bewältigungs- und Gestaltungskompetenz fördert (Böhnisch, 2019, S. 128–130). Auf diese Weise können sich auch posttraumatische Wachstums- und Bildungsprozesse (vgl. von Eichborn, 2011) entwickeln. In der Integrativen Therapie wird gern der Begriff des »Konvois« (Netzwerke über die Zeit hinweg; vgl. Petzold, 1975; Brühlmann-Jecklin u. Petzold, 2005; vgl. ursprünglich Kahn u. Antonucci, 1980; Vaux, 1988) verwendet, wenn es um die Bedeutung, Dichte und Qualität sozialer Netzwerke geht. »Nicht alleine gehen, füreinander einstehen, gemeinsam Zukunft gewinnen« (Petzold, 2012, S. 18) sind die wesentlichen Ziele des vierten Wegs der Heilung und Förderung (Exzentrizitäts- und Solidaritätsförderung; vgl. Petzold, 2012, S. 18 f.; 2003, S. 76–78). Fallbeispiel. Erna Engert ist vor Kurzem 60 Jahre alt geworden und seit vielen Jahren in Therapie. In der Kindheit hat sie schwere Misshandlung und Vernachlässigung erfahren und ist erstmals in Psychotherapie. Zu Beginn der Behandlung ist es kaum vorstellbar, mit einer unbekannten Person über sich und ihre Probleme zu sprechen: »Ich habe mir … überhaupt nicht vorstellen können, wie das sein soll, eine Therapie. Da setz’ ich mich hin, und dann red’ ich und was red’ ich, was erzähl’ ich einer wildfremden Frau da? Was, was? Wobei das mir sowieso immer sehr schwer gefallen ist, über mich zu reden« (Abs. 52). Vertrauen war für sie eher ein Fremdwort: »Ja, also Vertrauen, nein. Ich hab’ ja eher … Angst gehabt« (Abs. 116). Nach und nach erfährt sie durch den Vertrauensvorschuss und die Wertschätzung, die ihr die Therapeutin entgegenbringt, wie die Psychotherapie zu einem Ort wird, an dem schwierige Themen ohne Angst vor Be- oder Verurteilung besprechbar werden. »Ich habe das als … erleichternd empfunden …, einfach so irgendwo sitzen, wo man seinen ganzen Schmerz und Ärger und Angst und so irgendwie lassen kann und wo das überhaupt nicht gewertet wird« (Abs. 56). Mehr und mehr fühlt sich Erna Engert wahrgenommen und als Mensch, der sie ist, akzeptiert: »Ja, … sie nimmt mich wahr, … wirklich nur mich, wie ich da in diesem Moment da sitze …, die ganzen Äußerlichkeiten sind weg, sondern da sitze nur ich da. Genau. Genau so« (Abs. 231). Das Vertrauensverhältnis hat sich auf diese Weise, so Erna Engert, – völlig entgegen ihrer Erwartung – »einfach so entwickelt« (Abs. 116). Von dieser schützenden Inselerfahrung aus kann Erna Engert sich vorsich tig ihren zutiefst verletzenden biografischen Erfahrungen zuwenden. Sie beschreibt, sich durch die Therapeutin empathisch verstanden zu fühlen. Auf diese Weise gelingt es ihr, sich selbst besser zu verstehen: »Dieser Spiegel manchmal, ja, das war wirklich sehr … Wenn ich dann über irgendwas geredet hab’ und [lacht] immer enger geworden bin sozusagen und das aber gar nicht gemerkt hab’ und dann auf einmal: ›Und wie fühlen Sie sich jetzt? Weil ich hab’ 60
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gehört, wie es Ihnen den Hals zuschnürt sozusagen, ja.‹ Und ich habe mir dann gedacht: Ach ja, ja. Und dann irgendwie so dieses Nach-, Nachspüren diesem Ganzen« (Abs. 56). Dies verändert ihre für sich selbst und andere bedrohlichen Aggressionen. Sie haben den Aufbau eines stützenden Umfelds stark behindert. Vom dortigen Umgangston berichtet sie: »Wir waren ja wirklich teilweise brutal zueinander, ja. Also was wir da alles gesagt haben, vor den Kopf geworfen haben und gefordert haben voneinander« (Abs. 243). Behutsam findet sie die biografischen Ursachen hinter den Aggressionen und rekonstruiert, »keine Existenzberechtigung zu haben. Und das hat mich natürlich sehr wütend gemacht, und ich sag’: ›Natürlich hab’ ich ein Recht, da zu sein‹« (Abs. 153). Langsam wird Erna Engert verständlich, dass die starken Aggressionen neben all den negativen Konsequenzen letztlich nicht ausschließlich negativ konnotiert, sondern als ein Lebenszeichen von ihr selbst zu werten sind. Entscheidend war dabei, dass die Therapeutin für sie stets die richtige Arbeitsmodalität getroffen hat. »Man könnte irgendwas aufreißen … kommt sich wie fix und foxi und so vor und so. Und so ist das wirklich nie passiert. Weil ich auch immer das Gefühl gehabt hab, es geht jetzt nicht darum, mit Gewalt irgendwas rauszureißen und aufzumachen und dann zu säubern oder was auch immer zu klären. Sondern es war immer sehr sanft, und ich glaub’, das war gut, weil [es] das war, was [ich] zu meinem sonstigen Leben so … [als] Ausgleich so gebraucht hab’« (Abs. 239). Der neue Umgang mit Beziehungen wie Gefühlen hilft Erna Engert auch im Freundeskreis, neue Möglichkeiten des Kontakts und Umgangs zu entwickeln, zu erproben und Einbindung zu erfahren: »Na ja, dadurch, dass ich mich anders oder halt versuch’ oder halt so Schritt für Schritt anders verhalten hab’ oder versucht hab’, also diese großen Breaks und Dramen irgendwie zu vermeiden, hat das natürlich in meinem Umfeld auch was gemacht. Und vor allem, … dass meine gefürchteten Wutanfälle [lacht etwas] nicht mehr stattgefunden haben. Also das hat dann irgendwie andere Beziehungen wieder ermöglicht« (Abs. 145).
Therapeutische Beziehung als Basis für die Arbeit mit Kreativen Medien Die Erforschung von Best-Practice-Fällen hat die Aufgabe, Wege aufzuzeigen, wie Veränderung wirksam erfolgen kann. Was also war Frau Engert trotz schwieriger Ausgangsbedingungen in ihrem Prozess hilfreich, damit Veränderung möglich wurde? Zunächst ist es der Therapeutin gelungen, trotz anfänglichen Misstrauens Stück für Stück Vertrauen aufzubauen. Auf diesem hauchdünnen Boden konnte ein NachDie therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien
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nährungsprozess eingeleitet werden, in dem die zunächst vagen Sequenzen innerer Erfahrung behutsam – wie in der Bindungstheorie und in aktuell mentalisierungsbasierten Therapien beschrieben (Brockmann u. Kirsch, 2015) – in die Kommunikation, ins Bewusstsein und schließlich auch in den reflektierenden Dialog »geholt werden« bzw. »dorthin gelangen« konnte. Aufgrund des anfänglichen Misstrauens und des behutsamen Vertrauensaufbaus standen jedoch über mehrere Jahre hinweg – entlang des Beziehungsprimats der Integrativen Therapie – bindungs- und beziehungsfokussierte Interventionen im Vordergrund. Vor allem in schwierigen Lebenslagen müssen also innere Konzepte sehr behutsam »durch offene Kommunikation mit vertrauten Personen ›ko-konstruiert‹ werden«, wie Grossmann und Grossmann (2012/2017, S. 460) aus der Bindungstheorie heraus betonen. Das »Bezugssystem«, so Finke (2004/2010), wird so »jeweils um Nuancen erweitert« (S. 4). Auf dieser Beziehungs- und Einbettungsbasis erst hat Frau Engert genug Sicherheit etabliert, um sich kreativen Medien zuzuwenden, die initial häufig Verunsicherung auslösen können, in der Aktionsphase auch eine große persönliche Involviertheit (vgl. Tiefungsebenen; Petzold, 1996a, S. 378–380) provozieren, in der Integrationsphase viel an Differenzierungsarbeit ermöglichen und in der Neuorientierungsphase neue Kreationen entstehen lassen können (vgl. tetradisches System; Petzold, 2003, S. 500). In diesem Prozess von Differenzierung, Integration und Kreation stellen kreative Medien einen Königsweg dar, aber eben immer nur mit Passung zum Prozess. Angelehnt an die Überlegungen zur »Zone der nächsten Entwicklung« von Vygotskij (1934/2017, S. 312) beschreibt Fröhlich-Gildhoff (2007, S. 19 f.) diese Fähigkeit, den exakt richtigen Punkt für eine Annäherung zu treffen, als eine »Zone optimaler Begegnung«, in der ein bestimmter Entwicklungsschritt besonders gut gelingen kann. Dies ist der Therapeutin im Prozess mit Frau Engert offenbar gut gelungen. Auf Basis des nach Indikation und Situation abgestimmten Vorgehens, also stets dialogisch bzw. partizipativ rückgekoppelt mit Frau Engert, kann diese – nach mehreren Jahren – in einem kreativen Prozess für sich ein Bild entwickeln, das ihr hilft, ihren Emotionen näherzukommen und sie zu regulieren. Über die Arbeit mit verschiedenen Medien und imaginativen Verfahren vermag sie so, ihre Gefühle zu sortieren: »Und so dieses Bild, dass Therapie dazu da ist, dass ich die Sachen, … die mir sonst immer (Laut des Erschreckens) irgendwie unvermittelt auf den Kopf fallen …, dass ich die erkenne und benenne und ablege, also irgendwie sozusagen: ›Ja, das ist da, aber es ist in dieser Lade drinnen‹, und wenn diese Lade mal zufällig aufgeht oder diese Tür, kann ich immer noch sagen: ›Nein, jetzt nicht‹, und mach’s wieder zu. Und es ist alles schön, und dann kann ich mich irgendwann hinsetzen in Ruhe, wenn ich mag, und dann reinschauen. … So war das ein Bild, was mir irgendwie dann so ein Verständnis davon geben hat können, was eine Therapie bewirken kann oder was das ändern kann in meinem Leben« (Abs. 56). 62
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Der Erfolg der Therapie mit Frau Engert berührt, war aber für sie keineswegs immer einfach: Als die Psychotherapeutin Erna Engert die ersten Male auf einfühlsame, verstehende Weise begegnet, löst dies bei der Klientin große Traurigkeit aus – bis in die Ebene der autonomen Körperreaktionen (vgl. dazu die vier Ebenen der therapeutischen Tiefung bei Petzold, 1996a, S. 378–380; Leitner u. Höfner, 2020, S. 185 f.): »War … ganz schrecklich traurig. Fürchterlich viel weinen musste ich einfach. Es war so, ja, weil ich halt wirklich ganz viel mit dieser Wut weggetan hab’ und ganz viel einfach so weg-, immer weggeschoben hab’. Und, und, ja, also, so, so sich selber irgendwie ein bissel … Also dass jemand anderer empathisch zu mir [ist], dann könntest vielleicht versuchen, dass ich mir gegenüber auch ein bissel empathischer bin« (Abs. 72). Für derartige Erfolge bedarf es also viel Fingerspitzengefühls. Die Belastung darf den positiven Schritt nicht übersteigen, Klient*innen dürfen sich nicht »fix und foxi« (Abs. 239) fühlen, also in die »maligne Progression« (Petzold, 1996a, S. 417; vgl. urspr. Ferenczi, 1932/1999) getrieben werden. Die verschiedenen Arbeitsmodi, damit verbundene Interventionen und jeder Einsatz von kreativen Medien müssen daher stets situations- und indikationsspezifisch gewichtet und ausgewählt werden (Petzold, 2003, S. 589) und bedürfen auch eines achtsamen Blicks auf die Tragfähigkeit der therapeutischen Beziehung.
Kreative Medien zur Förderung der therapeutischen Beziehung Im Einsatz mit kreativen Medien stellt eine sichere therapeutische Beziehung immer die Basis dar, die in die Abwägung über den situations- und indikationsspezifischen Einsatz miteinbezogen werden muss, und umgekehrt gestaltet auch jeder Einsatz kreativer Medien die therapeutische Beziehung mit. Der Einsatz kreativer Medien ermöglicht häufig Ausdruck, wo Sprache fehlt, einen Zugang zu un- oder mitbewussten Inhalten und dient so dem Verstehen des Gewordenseins oder der Not der Klient*innen. Dieses differenzierte, gemeinsame Verstehen wiederum fördert das gegenseitige Vertrauen, und die therapeutische Beziehung wächst, wodurch wiederum eine neue Ausgangslage für weitere Interventionen geschaffen wird. Wesentlich in diesem Prozess ist auch, dass die Arbeit mit kreativen Medien immer eingebettet bleibt in der Gemeinsamkeit und Ko-Kreation. Selbst wenn z. B. Klient*innen für einige Minuten ein Bild malen, die Therapeut*innen stumm im Hintergrund bleiben, so geschieht dies im gemeinsamen Raum und im Prozess des gemeinsamen Betrachtens, Wahrnehmens, Schilderns, Nachfragens und Erfassens, es wird unmittelbar gemeinsam gearbeitet. Nicht selten gibt es in der Gestaltung oder Besprechung der Arbeit mit kreativen Medien »Aha-Erlebnisse«, also Schlüsselerlebnisse, die Einsicht in die Lebens und Problemzusammenhänge bzw. Krankheitsbedingungen geben Die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien
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und damit grundlegendes kognitives und unmittelbar mit den Gefühlen verbundenes Verstehen (Evidenzerfahrung; vgl. auch 14 Heilfaktoren; Petzold, 2012, S. 9 f.; Petzold, Orth u. Sieper, 2016, S. 19) ermöglicht und Veränderungsprozesse wesentlich vorantreibt. Solche Aha-Erlebnisse bleiben auch in der Reflexion des Therapieprozesses am Therapieende häufig in besonderer Erinnerung, und gemeinsam erlebt stärken sie auch die therapeutische Beziehung. Als Therapeut*innen müssen wir uns bewusst sein, dass die Arbeit mit kreativen Medien unabhängig vom situations- und indikationsspezifischen Einsatz die therapeutische Beziehung stets implizit mitgestaltet. Kreative Medien können darüber hinaus auch eingesetzt werden, um direkt die therapeutische Beziehung zwischen Klient*innen und Therapeut*innen zu veranschaulichen, zu reflektieren, zu klären und weiterzuentwickeln. So kann eine Aufstellungsarbeit mit Steinen auf die Frage des/der Therapeut*in »Wie nahe bin ich Ihnen gerade?« oder »Wie nahe darf ich Ihnen kommen?« einigen Klient*innen Sicherheit geben, anderen jedoch zu konfrontativ sein. Gleiches gilt für die Suche nach Symbolen, die die therapeutische Beziehung beschreiben und veranschaulichen sollen. Jedes direkte Ansprechen, Darstellen oder Nachfragen bezüglich der Qualität der therapeutischen Beziehung sollte wiederum nur bei einer ausreichend tragfähigen Beziehungsbasis erfolgen. Ein achtsames Reflektieren der therapeutischen Beziehung »Wie geht es Ihnen hier in der Arbeit mit mir? Was schätzen Sie hier? Was fällt Ihnen hier schwer, was mögen Sie hier gar nicht?« sind wesentliche Elemente in einem Therapieprozess. Die Gestaltung eines Therapiepanoramas, das den therapeutischen Prozess, auch auf die therapeutische Beziehung hin, ausdrückt und positive Qualitäten und Ressourcen einbaut und negative Aspekte nicht ausklammert (z. B. »Wo haben Sie sich weniger aufgehoben oder verstanden gefühlt, wo waren Sie verärgert?«), sollte nicht nur am Ende eines Therapieprozesses angefertigt werden, sondern kann schon früh implementiert und begleitend verwendet werden. Die Spotlight-Technik ermöglicht es, den Fokus auf einen speziellen Ausschnitt zu richten, wodurch die therapeutische Beziehung im Besonderen beleuchtet werden kann. Auf diese Weise wird bei Menschen mit frühen Verletzungen und Schädigungen Psychotherapie daher auch oder besonders beim Einsatz von kreativen Medien immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes zur Beziehungstherapie – und es geschieht in diesen Fällen häufig hauptsächlich eine »Heilung aus der Begegnung« (Trüb, 1951) heraus. »Psychotherapie als Beziehungstherapie« (Finke, 2004/2010, S. 14; vgl. auch Schmid, 2005; vgl. bereits Rogers, 1967/1988; vgl. auch van Balen, 1992) zu verstehen, charakterisiert besonders die humanistisch geprägten und relational analytischen Verfahren. Auch Briere (1992) als Vertreter der relationalen Psychoanalyse spricht von einem therapeutischen Fenster, das sich mit Gelingen einer tragfähigen Beziehung öffnet, durch das hindurchgearbeitet werden kann. In der Integrativen Therapie entspricht dies dem zweiten Weg der Heilung und Förderung: Nachsozialisation, die 64
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Grundvertrauen bekräftigt und emotionale Defizite durch »korrigierende emotionale Erfahrungen« (Petzold, 2012, S. 20) ausgleicht. Besonders hier ist erforderlich, dass Fachkräfte sich auf der Basis prozessualer Diagnostik mit »partieller Teilnahme« und »selektiver Offenheit« (Petzold, 1980, S. 249; vgl. bereits Perls, 1959/1970; Cohn, 1975) auf dem Spektrum zwischen Abstinenz und Selfdisclosure zur Behandlung gekonnt einlassen und wechselseitige Empathie ermöglichen (vgl. Petzold u. Orth, 2003, S. 867 f.). Die helfende Beziehungsgestaltung bedeutet aus dieser Perspektive einen Vorgang, der nicht nur eine Persönlichkeitsentwicklung des/der Klient*in »fördert«, sondern auch eine persönliche Involviertheit und eine entsprechende Entwicklung der Person des/der Therapeut*in »erfordert« (Schmid, 2002b, S. 2 f.; vgl. auch Pfeiffer, 1993). Dies bedeutet, sich auf die Herausforderung aller psychosozialen Berufe einzulassen, »einerseits formale Berufsrollen (Pädagogin/Therapeutin) kompetent auszufüllen, andererseits sich zugleich als ›ganze Personen‹ auf persönliche, emotional geprägte und nur begrenzt steuerbare Beziehungen einzulassen« (Dörr, 2007, S. 137; vgl. urspr. Oevermann, 1996/2017) – kurz gesagt: mit der Möglichkeit der »Berührung aus der Berührtheit« (Petzold u. Orth, 2003, S. 866).
Fazit Die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien ist essenziell. Um therapeutisch mit kreativen Medien arbeiten zu können, braucht man eine gute Beziehungsbasis. Menschen, die Therapie benötigen, haben jedoch nicht selten zahlreiche Beziehungserschütterungen erfahren. Indikation für die Arbeit mit kreativen Medien im therapeutischen Beziehungsbereich. Kreative Medien können hervorragend genutzt werden, um einen sicheren äußeren wie inneren Ort für Klient*innen zu kreieren, mit ihnen dort behutsam in Beziehung zu treten und an einer konstruktiven sozialen Einbettung zu arbeiten. Sie können als Intermediärobjekt auch bei einer besonders behutsamen Beziehungsaufnahme behilflich sein. Gerade bei früh verletzten Klient*innen muss jedoch zunächst auch bewusst vorrangig auf dieser Ebene gearbeitet werden, bevor das gesamte Potenzial kreativer Medien für eine kreative Beziehungs- und Netzwerkarbeit genutzt werden kann. Psychotherapeut*innen können therapeutisches Beziehungsgeschehen ermög lichen, wenn sie (a) um die zentrale Bedeutung von Ko-Existenz-, Ko-respondenz- und Ko-Kreativitätsphänomenen wissen, (b) Vertrauens-, Bindungs- und soziale Unterstützungskompetenzen besitzen und dialogisch arbeiten, (c) sich von den positiven Forschungsergebnissen inspirieren lassen und (d) stets aufs Neue Beziehungsangebote machen und selbst offen für Begegnungen bleiben. Kreative Medien sind in all diesen Bereichen eine große Unterstützung. Die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien
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Barbara Pammer und Silke Birgitta Gahleitner
Setting
Angelika Jobst
Einführung
Unter Setting können all jene äußeren Rahmenbedingungen und Strukturen zusammengefasst werden, die die psychotherapeutische Behandlung wesentlich prägen und mit den Patient*innen im Anbahnungsprozess zur jeweiligen Behandlung vereinbart werden. Im Überblick der weiten psychotherapeutischen Landschaft lassen sich zwei grundlegende Behandlungsstrukturen unterscheiden: zum einen das ambulante Setting bei niedergelassenen oder institutionell angebundenen Psychotherapeut*in nen, zum anderen das voll- und teilstationäre Setting in Tageskliniken und in psychischen und psychiatrischen Rehabilitationskliniken. Angebote im stationären und teilstationären Bereich haben in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum deutlich zugenommen. Sie unterscheiden sich vom ambulanten Setting durch ihre Einbettung in eine Krankenanstalt, durch das auf die psychische Erkrankung der Patient*innen abgestimmte multimodale Behandlungskonzept und durch die Beteiligung eines multiprofessionellen Behandlungsteams. Den Patient*innen wird auf begrenzte Zeit eine Kombination aus Einzeltherapie, Gruppentherapie und diversen auf das Störungsbild abgestimmten Behandlungsmodulen zur Verfügung gestellt. Das Behandlungsangebot im ambulanten Bereich ergibt ein nicht minder vielfältiges Bild von zunehmend ausdifferenzierteren psychotherapeutischen Behandlungsangeboten. So ergeben sich im dyadischen Setting aus der Arbeit mit speziellen Zielgruppen wie z. B. Hochbetagten, Kindern, Jugendlichen, Paaren spezifische Bedingungen. Angebote für Familien und für Gruppentherapien, die manchmal altersspezifisch oder themenspezifisch fokussiert werden, ergänzen das Bild ebenso wie Formen des Onlinesettings, die sich mehr und mehr etablieren. Die Besonderheiten jedes einzelnen Settings bestimmen maßgeblich den kreativen Raum mit, in dem sich die therapeutische Beziehung, das therapeutische, ko-kreative Geschehen entfalten kann. Wie vielfältig die Möglichkeiten und Wirkweisen von fachlich fundierten, kreativen medialen Interventionen in den unterschiedlichen Settings sind, aber auch, welche Grenzen sich durch das Setting beim Einsatz von kreativen Medien ergeben, sollen die nachfolgenden Beiträge exemplarisch aufzeigen.
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Angelika Jobst
Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie Kreative Medien sind potente Begleiter im gesamten Verlauf einer dyadischen Einzeltherapie. Neben dem Einsatz als diagnostische und explorative Interventionsmöglichkeit können kreative Medien den Fluss und die Entwicklung des Therapieprozesses auf vielfältige Weise bereichern und bewusste und unbewusste Räume erschließen. Welche Medien sich gut eignen, um ohne großen Aufwand in den unterschiedlichen Phasen eines Therapieverlaufs strukturierend, regulierend und fördernd eingesetzt zu werden, und wie dies erfolgen kann, wird exemplarisch aufgezeigt.
Kreative Medien bieten eine Vielfalt an diagnostischen und explorativen Interventionsmöglichkeiten für Gruppen- und Einzeltherapien. Hilarion G. Petzold, Ilse Orth und Johanna Sieper haben vielfältige, differenzierte Tools entwickelt, u. a. Panoramatechnik, Body Chart, Säulen der Identität, Ich-Funktionsdarstellungen, Konfliktfelder, Familienund Netzwerkskulpturen (Petzold u. Orth, 1994; Petzold u. Orth, 1990/2007), die sowohl den individuellen therapeutischen Prozess fördern als auch diagnostisches Material zutage bringen. Manche dieser kreativen, projektiven Angebote wie ein dreizügiges Lebenspanorama, ein Body Chart (Petzold u. Orth, 2018) oder das Arbeiten mit Ton benötigen mit Vorbereitung, Einstimmung, Durchführung und zumindest einer ersten fürsorglichen Nachbereitung in der Einzeltherapie mehr als die klassische 50-Minuten-Einheit. Für den Einsatz dieser wertvollen theragnostischen Techniken bedarf es neben den Überlegungen zur Indikation einer klaren Vereinbarung mit den Patient*innen über Inhalt, Ziel und Dauer sowie eventuell notwendige vorbereitende Handlungen (z. B. beim Arbeiten mit Ton). Ergänzend zum Einsatz dieser kreativen, projektiven Tools stellt sich die Frage, wie der Fluss einer Therapiestunde mittels Medien ohne großen Aufwand aufgegriffen und damit kreative, entwicklungsfördernde Anstöße gegeben werden können. Wie können wir aus dem Prozess ins Medium gehen, um den Prozess zu vertiefen, zu strukturieren und zu fokussieren? Diese Fragen wurden unter dem Titel »Kreative Medien in 50 Minuten« mit Auguste Reichel (2021) in einem Interview besprochen. Dieses Interview liegt diesem Text zugrunde. 75
Die Orientierung in der Einzeltherapie richtet sich – abgesehen vom verstärkten anamnestischen Blick in der Anfangsphase einer Therapie – an den Krisenthemen und Schwerpunktthemen der Patient*innen aus (Osten, 2019, S. 311). Kreative Medien werden dabei theoretisch und methodisch im Sinne des therapeutischen Prozesses und unter Berücksichtigung verschiedener relevanter indikationsspezifischer Blickwinkel eingesetzt. Handlungsleitend für den Einsatz der kreativen Medien sind dabei Fragen wie: In welcher Phase der Therapie befindet sich der Gesamtprozess (Anfangs-, Mittel- oder Endphase)? In welche entwicklungspsychologische Phase kann das Thema des*der Patient*in eingeordnet werden? Welche therapeutischen Grob- und Feinziele (Petzold, Leuenberger u. Steffan, 1998, S. 28) im Sinne des Krankheitsbilds, der Förderung, der Stabilisierung, der Konfliktbearbeitung, der Ressourcenorientierung werden angestrebt? Welche zeitlichen Rahmenbedingungen stehen zur Verfügung?
Medien für den Einsatz ohne Aufwand in 50 Minuten Auguste Reichel (2021) beschreibt gut geeignete Medien, die sich ohne Aufwand in 50 Minuten einsetzen lassen: alles fertige, bereitliegende Dinge, leicht greifbare Objekte, schnell und leicht Verfügbares. Ergänzend lassen sich Sachmedien wie Seile, Tücher, Knöpfe, Papier, Stifte, Fotos, Muscheln, Steine, Wurzeln, allerlei Dinge, aber auch Handlungsmedien wie Imaginationen, Rollenspiele, der eigene Körper, Bewegung nutzen. Diese Medien werden von Patient*innen unterschiedlich belebt und erhalten so neben ihrem natürlichen Aufforderungscharakter eine besondere, individuelle Ladung, sie dienen als Projektionsfläche, als Mittel der Strukturierung und als Mittel zur Kommunikation (Petzold, 1977, S. 102 f.). Der Einsatz dieser schnell verfügbaren Medien unterstützt die Visualisierung des verbalen Ausdrucks. Sie eignen sich besonders gut für die Darstellung von inneren Konflikten und sozialen Kontexten, der kreative Ausdruck ist dabei zweitrangig (A. Reichel, 2021). Patient*innen wählen entsprechend ihrer aktuellen Thematik ein Medium, auf das sie sich aktiv mit ihren Sinnen (z. B. Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Erkunden, Greifen) zentrieren, oder sie nehmen rezeptiv etwas wahr, das ihnen quasi ins Auge fällt, sie sinnlich anspricht und auf sie wirkt. Genutzt wird hierbei die menschliche Fähigkeit zu aktiver und rezeptiver sinnlicher Wahrnehmung (Petzold, 2006, S. 4 f.), die ihnen ermöglicht, sich über das Verbale hinaus auszudrücken, sowie die Fähigkeit, innere Bilder, Imaginationen entstehen zu lassen. Das Gehirn ermöglicht dem Menschen, ein Leben lang Bilder zu entwickeln (Hüther, 2004/2015, S. 13 f., S. 43–48), sodass er Imaginationen u. a. zu seinen aktuellen Problemen, Emotionen, einzelnen Körperregionen, Beziehungen, Wünschen entstehen lassen kann, wodurch sie zu wichtigen Inhalten in der Psycho76
Angelika Jobst
therapie werden. Die Fähigkeit zur Imagination und die im Leibgedächtnis archivierten Bilder sind psychotherapeutische Quellen für Entwicklung, Veränderung und Stärkung. Deren Wahrnehmung wird im psychotherapeutischen Prozess angeregt und gefördert und über Sprache, bildnerische Darstellung, das Formen und Gestalten, über Symbole oder Bewegung ausgedrückt. Der Ausdruck der inneren Wahrnehmung wird wiederum zum Kommunikationsmittel, das daraus Entstandene – René Reichel (2016) spricht vom »Dritten« in der Psychotherapie – wird gemeinsam betrachtet, Therapeut*in und Patient*in tauschen sich darüber aus. Dabei zeigen Patient*innen ihre innere Welt und erfahren die Resonanz der Therapeut*innen darauf. Gegenseitiges Verständnis sowie Vertrauen wachsen und festigen damit die therapeutische Beziehung (Gahleitner u. Schigl, 2019, S. 87–101). Der Ausdruck über kreative Medien ist immer eingebettet in den sozialen Kontext der therapeutischen Beziehung mit ihren speziellen und vielfältigen Dynamiken von Übertragung und Gegenübertragung, Affiliation und Reaktanz (Petzold, 2010, S. 89). Durch kreative Medien im dyadischen Setting entstehen heilsame Potenziale und Herausforderungen für die therapeutische Beziehung. Erfolgt der Ausdrucks- und Gestaltungsprozess z. B. eines Bilds oder Gedichts in Anwesenheit des*der Therapeut*in? Wird der*die Therapeut*in Zeug*in dieses Prozesses? Wie gestalten Therapeut*innen ihre Anwesenheit? Oder wünschen sich Patient*innen, die Therapeut*innen mögen aus dem Raum gehen, weil sie sich sonst beobachtet oder an Schulsituationen erinnert fühlen? All dies gilt es zu bedenken, mit den Patient*innen abzuklären und zu reflektieren.
Kreative Medien im Verlauf einer Einzeltherapie Betrachtet man eine psychotherapeutische Behandlung im Einzelsetting als eine Wegstrecke, die zwei Menschen miteinander gehen, dann lassen sich etwas verkürzt einige spezifische Merkmale dieses Wegs nach den vier Phasen des tetradischen Systems benennen. Diese Phasen – Initialphase, Aktionsphase, Integrationsphase und Neuorientierung (vgl. Petzold, 2003, S. 499) – weisen, wie Eisler-Stehrenberger (1990/2007, S. 147–156) aufzeigt, durchaus Ähnlichkeiten zum kreativ-schöpferischen Prozess auf. In der Anfangsphase (Initialphase) treffen zwei Menschen aufeinander: einer in seelischer Not, mit leichten oder starken Symptomen einer psychischen Erkrankung, mit einem ganz spezifischen biografischen Hintergrund und einer individuellen Lebenssituation, der andere mit einem fachlichen, professionellen Hintergrund, der eigenen Lebenserfahrung und Selbsterfahrung. Die Anforderung an die Erstbegegnung dieser beiden Menschen ist es, so miteinander in Kontakt zu kommen, dass sich die hilfesuchende Person mit ihrer Problematik ausreichend wahrgenommen und Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie
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verstanden fühlt (Gahleitner, Hintenberger, Jobst u. Kreiner, 2014, S. 144). So kann in diesem ersten Gespräch eine Übereinkunft entstehen, den Weg und damit verbundene erste Etappen(ziele) gemeinsam zu gehen. Der sich daraus entwickelnde Verlauf ist individuell, mäandernd und ergibt sich durch das Zusammenspiel von Therapeut*in und Patient*in. Hier wirken einerseits die jeweiligen Ziele, Motivationen, Interessen, Umwelteinflüsse und die Psychodynamik der Patient*innen als auch die Einflüsse und die Psychodynamik vonseiten der Therapeut*innen zusammen. Andererseits wird der Verlauf durch die Therapeut*innen, ihre Therapieplanung, handlungsleitenden Konzepte und Strategien sowie durch den bewussten Einsatz von kreativen Medien bestimmt (Petzold, Orth u. Sieper, 2019). Dieses professionelle Wissen und Können wird durch die wichtigsten psychotherapeutischen Kompetenzen – die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur Reflexion des vielschichtigen Therapiegeschehens – miteinander verbunden (Bennemann et al., 2021, S. 38–43, S. 49). Die Arbeit mit kreativen Medien erfordert von Therapeut*innen eine offene, der eigenen Spontaneität und Kreativität Raum gebende, einfühlende Haltung, um intuitiv Ideen zu entwickeln, die den aktuellen Prozess der Patient*innen unterstützen können. Dabei soll aber kein Raum geschaffen werden, in dem möglichst viel kreatives Schaffen und Agieren stattfinden kann. Vielmehr geht es darum, die Möglichkeiten von Medien nur dann einzusetzen, wenn sie ihr kreatives, therapeutisches Potenzial im Dienst des jeweiligen Prozesses und entsprechend der Indikation entfalten können. Medien wie verschiedene Stoffe und Materialien, die sinnlich erfahrbar sind, mit denen körperlicher Kontakt möglich ist, können z. B. Ansatzpunkte zu Leiberfahrungen bieten. Auch der Körper kann zum Medium werden, wenn wir unmittelbar wahrnehmen, wie wir sitzen, atmen und uns auf bestimmte Körperregionen wie die Hände oder das Gesicht konzentrieren und ertasten, also in einen Dialog mit den Körperregionen gehen (Hausmann u. Neddermeyer, 2011, S. 256–258). Über Seile kann Verbindung, über die Position von Stühlen oder Polster kann Nähe und Distanz ausgedrückt und damit experimentiert werden. Welche Medien angeboten werden, ist auch vom Stil und von den persönlichen Vorlieben der Therapeut*innen geprägt (A. Reichel, 2021). So kann auch der Praxisraum zum Medium werden, indem mit dem Raum und der Bewegung im Raum experimentiert wird, um z. B. Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit räumlich zu verorten (A. Reichel, 2020)
Die Anfangsphase einer Einzeltherapie Besonders in der Anfangsphase ist die Herausforderung groß, Anamnese, diagnostische Einschätzung und Beziehungsaufbau gut miteinander zu vereinen. Neben der wachsenden Tragfähigkeit der therapeutischen Beziehung (Megafaktor in der Psychotherapie) entsteht allmählich ein immer differenzierteres Bild von den aktu78
Angelika Jobst
ellen Lebensumständen, der Lebensgeschichte, den wesentlichen Life-Events der Patient*innen und einer Statusdiagnose (ICD-10, Gahleitner et al., 2014, S. 141). Hypothesen über die Entstehung der Symptomatik und der problemrelevanten Strukturen werden entwickelt und situationsadäquat mit den Patient*innen besprochen. Schädigende und defizitäre Erfahrungen werden entwicklungspsychologisch eingeordnet. Einschätzungen über Ressourcen, die Selbststeuerungsfähigkeit und die Interaktionsfähigkeit der Patient*innen werden prägnanter. In der Anfangsphase können kreative Medien (z. B. Identitätssäulen, bedeutungsvolle Kinderfotos) in vielfältiger Weise die Anforderungen der Anamnese und des Beziehungsaufbaus unterstützen. So kann anhand der Darstellung eines Sozialen Atoms (vgl. Glossar) mittels einer Zeichnung ein differenziertes Bild über die aktuellen sozialen Beziehungen und ihre Qualitäten entstehen. Gleichzeitig bietet der gemeinsame Blick auf das dargestellte soziale Gefüge den Patient*innen die Möglichkeit zu erleben, wie die Therapeut*innen auf das Dargestellte eingehen, wie sich das Gespräch dazu gestaltet. Bezogen auf das »Dritte« (R. Reichel, 2016) können das Kennenlernen und das langsame Wachsen einer vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung voranschreiten. Eine andere Möglichkeit, Einblick in die dynamischen Beziehungen des sozialen Netzwerks und in das Erleben der Patient*innen in diesem Netzwerk zu bekommen, bietet die Darstellung aller Beteiligten als Tierfiguren. Über das Explorieren der zugeordneten Tiere, ihrer verschiedenen Eigenschaften und Qualitäten, ihrer Positionen zueinander können das Erleben der Patient*innen und ihre subjektiven Bewertungen wahrgenommen, erschlossen und verstanden werden.
Die Mittelphase einer Einzeltherapie Mit zunehmendem Vertrauen geht der therapeutische Prozess in die Mittelphase (Aktionsphase und Integrationsphase) einer Therapie über. Der Verlauf ist individuell und von den subjektiven Themen der Patient*innen geprägt. Die therapeutische Beziehung wird immer tragfähiger, Regression und Tiefung nehmen zu, Konflikte können angesprochen und ausgetragen werden. Es wird möglich, neue Schritte auszuprobieren, zu experimentieren, schwierige oder tabuisierte Themen sowie Übertragung und Gegenübertragung zu bearbeiten und anzusprechen. In dieser Phase kann es zu einer Lockerung der Abwehrstrukturen kommen, die manchmal mit einer Labilisierung einhergeht, Symptome und Ziele können sich verändern. Durch das wachsende Verständnis für das eigene Gewordensein, das Umsetzen der neuen Erkenntnisse und Erfahrungen in den Alltag entwickeln sich zunehmend Stabilität, Konfliktfähigkeit und persönliches Wachstum. Jede Therapiestunde beginnt damit, dass Therapeut*in und Patient*in in Kontakt miteinander kommen, das Thema der Stunde angesprochen bzw. umrissen Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie
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oder manchmal auch erst gesucht und langsam prägnant wird sowie Informationen gesammelt werden. Der*die Therapeut*in versucht, durch verschiedene Interventionen dem Thema zu mehr Prägnanz zu verhelfen. Dabei werden verbale wie auch nonverbale Inhalte (z. B. Körperhaltung, Mimik, Atmung) mit beachtet. Durch angebotene kreative Medien kann die Fülle an Informationen strukturiert, der Hintergrund der Thematik besser erfasst, ein Fokus gelegt werden. So wird es möglich, einerseits zu differenzieren und andererseits Komplexität im Sinne der Prägnanz zu reduzieren. Fallbeispiel 1. Eine Patientin (Angststörung) kommt sichtlich angespannt in die Therapiestunde. Sie berichtet von einem Gefühl großer Überforderung, alles sei zu viel, sie wisse gar nicht, was sie für diese Stunde mitbringe, da sei so viel auf einmal, in ihrem Kopf wirbele alles durcheinander. Die Therapeutin weiß aus Erfahrung mit ihr und ihrer Biografie, dass die Patientin Gefahr läuft, in ein Überforderungs- und Ohnmachtsgefühl zu kommen. Die Therapeutin bietet der Patientin an, gemeinsam zu versuchen, ein wenig Ordnung und Struktur in die Situation zu bringen. Sie holt einen großen Korb mit unterschiedlichsten Naturmaterialien wie Muscheln, Tannenzapfen, Steinen und bittet die Patientin, sich Zeit zu nehmen und für jedes einzelne »Zuviel« etwas aus dem Korb zu nehmen und vor sich auf den Boden zu legen. In einem nächsten Schritt bekommt jedes Naturobjekt eine Überschrift, die auf einem Post-it dazugelegt wird. Schließlich sucht sich die Patientin aus dem Material eine große Muschel für sich selbst aus. Die Therapeutin bittet die Patientin, jene Objekte bzw. Themen nach Wichtigkeit näher oder weiter entfernt zur Muschel zu legen, die sie selbst repräsentiert. So entsteht nach und nach ein differenziertes Bild über die aktuelle innere Situation der Patientin. In diesem Prozess, in dem die Patientin aktiv mit ihrem »Zuviel« umgeht, es angreift, benennt, positioniert und von außen betrachtet, wird sie sichtbar ruhiger. Sie kann die Objekte und Themen, die sie selbst gar nicht so sehr betreffen, weiter weg legen. So entsteht Ordnung im Chaos. Schließlich liegen noch drei Objekte nahe bei ihr. Auf die Frage der Therapeutin, ob es ein Objekt gibt, das sie durch seine Form oder Farbe besonders anspricht, greift sie einen Stein heraus. Dieser Stein steht für ihre Angst zu versagen. Die Therapeutin animiert die Patientin, den Stein mit geschlossenen Augen neugierig zu erforschen: Welche Form hat er, wie fühlt er sich in ihren Händen an, was erlebt sie beim Erforschen des Steins, welche Bilder und Impulse entstehen in ihr? So kann sich nun über das Medium ein produktiver Prozess, ein kreatives Geschehen, ein Fluss entwickeln, in dem neues Material entsteht. Die hinter der Versagensangst liegenden biografischen Erfahrungen werden zugänglich. Schließlich sucht die Patientin einen guten Platz für ihren Stein 80
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im Raum, wo er bis zur nächsten Stunde gut aufgehoben ist. Abschließend besprechen Patient*in und Therapeut*in den Verlauf der Stunde, was für die Patientin wichtig war, was sie mitnimmt. Eine Stunde könnte auch damit beginnen, dass die Patientin ihre aktuelle Stimmung und Befindlichkeit, die sie schwer verbalisieren kann, oder den verspürten Schmerz im Nacken in einem Bild auf einem Zeichenblatt mit Ölkreiden ausdrückt oder ein Symbol dafür aus dem vorhandenen Material auswählt. In Resonanz auf das entstandene Bild könnte in einem intermedialen Quergang ein Text, ein Gedicht entstehen. Durch den bewussten Einsatz von kreativen Medien entsteht eine konzentrierte, auf das Thema fokussierte Atmosphäre. Die Möglichkeit, z. B. einen Ausdruck oder ein Symbol zu finden, schafft Distanz. Das Bild oder Symbol kann von allen Seiten betrachtet, ein Bild kann aufgehängt oder am Boden liegend angesehen werden. Im gemeinsamen Betrachten des Entstandenen eröffnen sich Möglichkeiten zu neuen, erweiternden und heilsamen Beziehungserfahrungen. Fallbeispiel 2. Eine Patientin (Dysthymia) berichtet, sie fühle sich krank und niedergeschlagen, sei verkühlt und habe Kopfschmerzen. Die Therapeutin bittet die Patientin, die in einer sehr kühlen, lieblosen Familienatmosphäre aufgewachsen ist, in sich hineinzuhören, ob es etwas gibt, das sie jetzt gerne hätte, das ihr jetzt guttun könnte. Die Patientin schüttelt den Kopf, nichts kann im Moment helfen. Die Therapeutin bietet ihr an, eine Geschichte vorzulesen, die sie sich aus Vorhandenem aussuchen kann, es sich dabei bequem zu machen, sich eventuell zuzudecken. Sie muss nichts tun, einfach nur zuhören. Nach anfänglichem Zögern lässt sich die Patientin auf das Angebot ein. Die Therapeutin liest ihr »Ich mach dich gesund, sagte der Bär« (Janosch, 1986/2019) vor. Neben dem nachnährenden Effekt (zweiter Weg der Heilung) dieser Intervention entwickelt sich im Anschluss an das Vorlesen eine tiefgehende und sehr berührende Konfrontation mit dem emotionalen Mangel, den die Patient*in erlebt hat. Kreative Medien können zu Beginn der Stunde eingesetzt werden, aber auch während der Stunde, wenn der Prozess ins Stocken gerät oder Vertiefung angeregt werden soll. Fallbeispiel 3. Eine Patientin (rezidivierende Depression mit schweren Episoden) beginnt, nachdem die Symptomatik weitgehend abgeklungen ist, sich mit ihrer Erkrankung zu beschäftigen. Dieses Thema ist für die Patientin hoch ambivalent, und sie weicht immer wieder auf andere nebensächliche, leichtere Themen aus. Die Therapeutin macht sie darauf aufmerksam und Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie
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schlägt ihr vor, möglichst spontan mit der linken Hand das, was sie in sich zu dem Thema wahrnimmt und spürt, auf ein Blatt fließen zu lassen. Die Patientin nimmt eine braune und danach eine graue Ölkreide und setzt mit der Breitseite wolkige Formen auf das Blatt. Beim Betrachten des Blatts sagt sie spontan: »Das ist wie der Lurch (Dreck) im Zimmereck, der kommt immer wieder.« Davon ausgehend wird es möglich, u. a. Ohnmachtsgefühle, Scham, Verzweiflung, Entwertung, die sie mit ihren immer wieder auftretenden depressiven Episoden verbindet, zu bearbeiten und einen neuen Umgang mit dem »Lurch« zu entwickeln. Bei der Arbeit mit kreativen Medien bieten wir den Patient*innen Möglichkeiten, Veränderung direkt zu erleben und zu gestalten und dabei persönliche Souveränität (Petzold, Orth u. Sieper, 2019, S. 31–37) zu erleben. Mithilfe kreativer Medien können wir einen Raum des gefahrlosen und spielerischen Experimentierens zur Verfügung stellen, so kann Neugierde geweckt werden, auf sich selbst wie auch im Hinblick auf schwierige Thematiken. Gleichzeitig fördert dies Kreativität und Aktivität und eröffnet Zugang zu Ressourcen. Fallbeispiel 4. Eine Patientin (Schizophrenie) fühlt sich in ihrem Weiterbildungskurs unter Druck und zunehmend unwohl unter ihren Kolleg*innen. Das lässt die entwertenden, inneren Stimmen wieder sehr laut werden und das Psychoserisiko steigen. Die Therapeutin bietet der Patientin an, sich im Therapieraum einen guten Platz zu suchen und mithilfe vorhandener Seile, großer Holzbausteine, Polster, Tücher und Decken eine gute Grenze um sich zu bauen. Die Patientin greift die Idee zweifelnd auf und beginnt mit zunehmender Befriedigung, eine Grenze um sich herum zu bauen. Sie beschreibt, sie fühle sich innerhalb dieser Grenze sehr gut und ruhig, und es fühle sich an, als sei sie gut geschützt in ihrer Burg. Sie bleibt die ganze Stunde in ihrer Burg, entwickelt gemeinsam mit der Therapeutin Ideen, wie sie ihren aktuellen Stress reduzieren könnte, und es ist möglich, die Kolleg*innen wieder differenzierter wahrzunehmen. Die Patientin entwickelt konkrete Vorhaben zur Verbesserung ihrer Tagesstruktur und ihres Kontakts zu den Ausbildungskolleg*innen. Am Ende der Stunde macht die Therapeutin mit dem Handy ein Foto der Patientin in ihrer Burg. Dieses Foto begleitet die Patientin in den folgenden Wochen und bietet ihr die Möglichkeit, das »Burgfeeling« immer wieder zu aktivieren.
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Die Abschlussphase einer Therapie Die intensive therapeutische Mittelphase geht langsam in die Abschlussphase (Integrations- und Neuorientierungsphase) über. Der Druck und die Dringlichkeit der Themen nehmen ab, Therapeut*in und Patient*in gewinnen an »Augenhöhe«. Es kann zu einem Wiederaufflammen der Symptomatik kommen, Themen im Zusammenhang mit Trennung, Verlust und Abschiednehmen tauchen auf. Die Beendigung der Therapie wird real, der Abschied wird spürbar. Wesentlich in dieser wichtigen Phase ist es, gemeinsam eine gute und transparente Form des Abschlusses zu finden, damit auch hier neue, heilsame Erfahrungen entstehen, die den guten inneren therapeutischen Beistand bereichern können. Am Ende des Wegs wird Bilanz über Themen, Entwicklungen und über die therapeutische Beziehung gezogen, der Abschied wird gestaltet und die Perspektiven für die therapiefreie Zeit werden erarbeitet (Kreiner, 2015; Reichel u. Jobst, 2013). Auch in dieser Phase bieten kreative Medien viele Anknüpfungspunkte. Der gesamte Therapieprozess kann in Form eines Therapiepanoramas (vgl. Glossar) dargestellt werden, Therapietagebücher (Petzold u. Orth, 1993) können herangezogen, wichtige Sätze oder Wörter noch einmal gesammelt und aufgeschrieben werden. Anhand der verwendeten kreativen Medien (z. B. Bilder, Texte, Fotos von Symbolaufstellungen) kann der Therapieprozess reflektiert, Veränderungen können nachvollzogen werden. In rezeptiver Weise könnten aus einer Auswahl von Kunstkarten Bilder ausgewählt werden, die die wichtigsten Etappen des Prozesses symbolisieren. Aber auch die Fragen, was der*die Patient*in überwunden hat, hinter sich lässt und mitnimmt, können in Form von kreativen Medien aufgegriffen werden.
Das Wichtigste in Kürze Medien ohne Aufwand: Tierfiguren, Holzfiguren, Knöpfe, Tücher, Stoffe, Schnüre verschiedenster Qualität, Zeichenblätter, Filzstifte, Wachs- und Ölkreiden, Schlüssel, Dosen, Behältnisse, Sorgenpüppchen, Stofftiere, Fingerpuppen, Musikinstrumente, Schwimmnudel, Stöcke, Bild- und Kunstkarten, Kissen, Decken, verschiedene Sitzgelegenheiten, Naturmaterialien wie Äste, Steine, Zapfen, Muscheln, Halbedelsteine, Vogelnester eignen sich gut, um ◼ Themen prägnant werden zu lassen, ◼ Probleme, innere Anteile, Beziehungen zu visualisieren und zu strukturieren, ◼ sinnliche, ästhetische, leibliche Erfahrungen zu ermöglichen, ◼ verborgenen Sinn, Unbewusstes zu erfassen, ◼ korrigierende, nachnährende Beziehungserfahrungen zu ermöglichen, Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie
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◼ diagnostisches, anamnestisches Material zu sammeln, ◼ Ressourcen zu erschließen. Medien mit etwas Zeit für Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung: ◼ Ton (für spontanes Gestalten: Knetmasse), ◼ dreizügiges Lebenspanorama (z. B. Darstellung einzelner Lebensetappen als Lebenslinie mit Symbolen), ◼ lebensgroßer Body Chart (z. B. Körperbilder in verkleinerter Dimension), ◼ Collagen (Sichtung des Materials außerhalb der Stunde).
Literaturtipps zum Weiterlesen Hausmann, B., Neddermeyer, R. (2011). BewegtSein. Integrative Bewegungs- und Leibtherapie. Erlebnisaktivierung und Persönlichkeitsentwicklung (Reihe: Zeitpunkt Musik). Wiesbaden: Reichert. Trüg, E., Kersten, M. (2019). Praxis der Kunsttherapie. Arbeitsmaterialien und Techniken (3., über arb. u. erw. Aufl.). Stuttgart: Schattauer.
Literatur Bennemann, B., Caspar, F., Evers, O., Laireiter, A.-R., Lutz, W., Poster, K., Rief, W., Strauß, B., Taubner, S. (2021). Förderung persönlicher Kompetenzen in der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung. In W. Rief, E. Schramm, B. Strauß (Hrsg.), Psychotherapie. Ein kompetenzorientiertes Lehrbuch (Reihe: Psychologische Psychotherapie; S. 31–56). München: Elsevier. Eisler-Stehrenberger, K. (1990/2007). Kreativer Prozeß – Therapeutischer Prozeß. In H. G. Petzold, I. Orth (Hrsg.), Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie. Bd. I (4., unveränd. Aufl.; S. 113–168). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis. Gahleitner, S. B., Hintenberger, G., Jobst, A., Kreiner, B. (2014). Biopsychosoziale Diagnostik: Wie geht denn das konkret? Plädoyer für ein »integratives diagnostisches Verstehen«. Resonanzen, 2 (2), 134–152. https://www.resonanzen-journal.org/index.php/resonanzen/article/view/336/237 (Zugriff: 08.11.2022). Gahleitner, S. B., Schigl, B. (2019). Psychotherapie als Beziehung und Prozess. Chancen, Risiken, Fehler quellen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Hausmann, B., Neddermeyer, R. (2011). BewegtSein. Integrative Bewegungs- und Leibtherapie. Erlebnisaktivierung und Persönlichkeitsentwicklung (Reihe: Zeitpunkt Musik). Wiesbaden: Reichert. Hüther, G. (2004/2015). Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern (9., unveränd. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Janosch (1986/2019). Ich mach dich gesund, sagte der Bär (unveränd. Ausg.). Weinheim: Beltz & Gelberg. Kreiner, B. (2015). Praxisrelevante Überlegungen zur Beendigung von Psychotherapien – Abschlussphase und Strategien. Resonanzen, 3 (1), 65–79. https://www.resonanzen-journal.org/index.php/ resonanzen/article/view/369/318 (Zugriff: 08.11.2022). Osten, P. (2019). Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD) (Reihe: Psychologie). Wien: Facultas.
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Petzold, H. G. (1977). Die Medien in der Integrativen Pädagogik. In H. G. Petzold, G. I. Brown (Hrsg.), Gestalt-Pädagogik. Konzepte der integrativen Erziehung (S. 101–123). München: Pfeiffer. https:// phoodle.phwien.ac.at/pluginfile.php/320595/mod_resource/content/1/Artikel_Konzepte%20 der%20Integrativen%20Erziehung_Medien_Petzold.pdf (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. G. (2003). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden einer schulenübergreifenden Psychotherapie. 3 Bde. (Reihe: Integrative Therapie – Schriften zu Theorie, Methodik und Praxis, Bd. 2; 2., überarb. u. erw. Aufl.). Junfermann: Paderborn. Petzold, H. G. (2006). Das Selbst als Künstler und als Kunstwerk – rezeptive Kunsttherapie und die heilende Kraft »ästhetischer Erfahrung« – Ein Interview. Polyloge, 6, Art. 9. https://www.fpipublikation.de/download/10880/ (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. (2010). Integrative Therapie – neue Wege einer Humantherapie in der Lebensspanne. Das »erweiterte« biopsychosoziale und entwicklungszentrierte Modell moderner Psychotherapie – Hommage an Charles Darwin und Pawel Florenskij. Polyloge, 10, Art. 4.https://www.fpi-publika�tion.de//download/10736/ (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. G., Leuenberger, R., Steffan, A. (1998). Ziele in der Integrativen Therapie. Hückeswagen: Petzold & Sieper. https://www.fpi-publikation.de/download/11948/ (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. G., Orth, I. (Hrsg.) (1990/2007). Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie. 2 Bde. (4., unveränd. Aufl.). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis. Petzold, H. G., Orth, I. (1993). Therapietagebücher, Lebenspanorama, Gesundheits-/Krankheitspanorama als Instrumente der Symbolisierung und karrierebezogenen Arbeit in der Integrativen Therapie. In H. G. Petzold, J. Sieper, Integration und Kreation. Bd. 1: Modelle und Konzepte der Integrativen Therapie, Agogik und Arbeit mit kreativen Medien. (Reihe: Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften, Bd. 56; S. 125–171). Paderborn: Junfermann. https://www.research�gate.net/publication/316644802 (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. G., Orth, I. (1994). Kreative Persönlichkeitsdiagnostik durch »mediengestützte Techniken« in der Integrativen Therapie und Beratung. Integrative Therapie, 20 (4), 340–391. https://www. fpi-publikation.de/download/10640/ (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. G., Orth, I. (2018). Interozeptivität/Eigenleibliches Spüren, Körperbilder/Body Charts – der »Informierte Leib« öffnet seine Archive: »Komplexe Resonanzen« aus der Lebensspanne des »bodymind-world-subject«. Polyloge, 18, Art. 22. https://www.fpi-publikation.de/download/16907/ (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. G., Orth, I., Sieper, J. (2019). Integrative Therapie mit Kreativen Medien, Komplexen Imaginationen und Mentalisierungen als »intermediale Kunsttherapie« – ein ko-kreativer Ansatz der Krankenbehandlung, Gesundheitsförderung, Persönlichkeitsbildung und Kulturarbeit. (Reihe: FPI-Publikationen). Hückeswagen: Petzold + Sieper. https://www.fpi-publikation.de/download/ 20285/ (Zugriff: 08.11.2022). Osten, P. (2019). Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD). Wien: Facultas. Reichel, A. (2020). Wie geht’s? Gedanken und Anregungen zu den »vier Würden«. Lieben, Sitzen, Stehen, Gehen. Wien: MyMorawa. Reichel, A. (2021). Kreative Medien in 50 Minuten. Interview von Angelika Jobst. Unveröffentlicht. Reichel, R. (2016). Kreative Ko-respondenz. »Das Dritte« in Psychotherapie, Beratung und Supervision. Resonanzen, 4 (1), 15–24. https://www.resonanzen-journal.org/index.php/resonanzen/ article/view/382 (Zugriff: 08.11.2022). Reichel, R., Jobst, A. (2013). Der therapeutische Prozess: Von der Idee über den ersten Eindruck bis zum Abschied und den Nachwirkungen – ein Reiseplan. In R. Reichel, G. Hintenberger (Hrsg.), Die Praxis der Integrativen Therapie. Österreichische Perspektiven (S. 77–91). Wien: Facultas.
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Das Paar in der Therapie – ein ko-kreativer Prozess Die Arbeit mit Paaren ist ein ko-kreativer Prozess, der bereits in der Partnerschaft vorhanden ist und als Beziehung in ihrer Dynamik in der Therapie im Mittelpunkt steht. Neben dem reflektierenden und aufdeckenden Dialog nimmt der Einsatz von Kreativen Medien in der Paartherapie eine unterstützende Funktion ein, die die Bewusstseinsarbeit fördert, alte Beziehungsmuster erkennen lässt und Veränderungen ermöglicht. Neue Perspektiven und Wachstum in der Partnerschaft sind die Folge. Der Beitrag soll dies in Theorie und Praxis anhand von Fallbeispielen darstellen.
Paare kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen in die Therapie. Meist liegt eine Zeit voller Konflikte hinter ihnen, die sie in die Paartherapie führen. Selten kommen sie aus prophylaktischer Motivation heraus, um sich rechtzeitig Unterstützung und Hilfe zur Weiterentwicklung ihrer Partnerschaft zu holen. Gründe für eine Paartherapie sind oft Leere in der Beziehung (»wir haben uns auseinandergelebt«), eine Außenbeziehung, die die Ehe zu zerstören droht, oder schwerwiegende Konflikte mit verbaler oder auch nonverbaler Gewalt. Die Atmosphäre ist aufgeladen durch Schweigen oder lautstarke Auseinandersetzungen. Diese Situation wirkt sich sehr belastend auf den Lebensalltag aus. Leider entscheiden sich viele Paare erst sehr spät für eine Therapie. Häufig ist es »5 vor 12« oder bereits weit nach zwölf. Je nachdem, wie lange die Partnerschaft schon besteht, haben sich negative Muster mehr oder weniger stark manifestiert. Wenn das Paar mitten im Machtkampf steht oder die Partner*innen sich schon sehr weit voneinander entfernt haben, braucht es Zeit und viel Geduld für die gemeinsame Arbeit in der Therapie. Es ist nicht aussichtslos und hängt sehr von der Bereitschaft der Einzelnen ab, wie tief sie sich auf die Reflexion der gemeinsamen Zeit als Paar, aber auch auf sich selbst und die eigene Lebensgeschichte und die des*der Partner*in einlassen. Was ist passiert, wie konnte es so weit kommen und was braucht die Beziehung?
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Beziehungsreise Die Reise einer partnerschaftlichen Beziehung beginnt weit vor der gemeinsamen Zeit, nämlich bereits im Mutterleib in der sicheren und lebenswichtigen Verbindung mit der Mutter. In pränataler Verbundenheit über die Nabelschnur und Geborgenheit wächst ein kleiner Mensch heran. Mit der Geburt, bei der es zur Ent-bindung kommt, ist ein Säugling zwar fähig, allein zu atmen, aber in totaler Abhängigkeit von seinen Bezugspersonen. Je nachdem, wie einfühlsam im Sinne des »intuitive parenting« (Papoušek u. Papoušek, 1987, 1981) die Bedürfnisse des Säuglings und im weiteren Verlauf der Kindesentwicklung beantwortet werden, wächst ein Kind sicher oder unsicher gebunden heran. Dies sind die ersten Beziehungs- und Bindungserfahrungen eines Menschen. So wird zwischen sicheren, unsicher-vermeidenden, unsicherambivalenten und desorganisierten Bindungserfahrungen (Brisch, 2009/2020, S. 51 f.) unterschieden. In diesen frühen Lebensphasen werden die Grundlagen für die weiteren Beziehungen und Bindungen gelegt. Fühle ich mich geliebt und sicher, werden meine Bedürfnisse ernst genommen, werde ich gesehen und gehört, oder lerne ich aus dem Verhalten der Bezugspersonen, dass ich störe oder zu viel bin? Kleine Kinder lernen, sich anzupassen und Strategien zu entwickeln, die das Überleben sichern. »Jede (!) Bindungshaltung ist eine Anpassungs- und Überlebensleistung« (von Sydow, 2012, S. 71). Sie werden still und unauffällig oder laut und störend, klammern sich an oder vermeiden den Kontakt und ziehen sich zurück. Sie tun dies, um sicherzugehen, dass die »Liebe fließt« (Osten, 2019, S. 169) und das Leben vermeintlich sicher ist. Diese Verhaltensweisen prägen sich ein, und unterschiedliche Beziehungsmuster, die wiederum die weiteren Beziehungen beeinflussen und steuern, entwickeln sich. Die Erfahrungen und Erlebnisse in der frühen Kindheit – wie und in welchem familialen Kontext ein Kind heranwächst, wie die Beziehung der Eltern war und was an Unbewusstem transgenerational (Klees, 2018, S. 113–115; Osten, 2019, S. 234–244) weitergegeben wird – werden aufgenommen und abgespeichert. Sie sind entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit und bei der Partnerwahl. In der Partnersuche, ganz besonders in der Phase des Verliebens, spielen all die positiven und negativen Beziehungserfahrungen aus der Kindheit eine große Rolle. Es wird davon ausgegangen, dass sie die Anziehung steuern und unbewusst eine*n Partner*in finden lassen (Hendrix u. Hunt, 1988/2021, S. 31–48). Die eigene Lebensgeschichte, die unbewusste Historizität (Osten, 2019, S. 154), trägt sehr dazu bei, dass sich zwei Menschen verlieben. »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne« schreibt Hesse (1941/1992, S. 696) in seinem Stufengedicht, und so ist es auch zu Beginn einer Beziehung. Zwei Menschen ziehen sich an – meist sind es die positiven internalisierten Beziehungserfahrungen, die 88
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projektiv wirksam werden –, kommen sich näher, aus einzelnen Kontakten werden tiefere Begegnungen, die in eine Beziehung und partnerschaftliche Bindung (Petzold, 2003, S. 1070 f.) oder Ehe münden. Im Verlauf der Beziehung, wenn die Verliebtheit zu Ende geht und die Zweisamkeit zum Alltag wird, zeigen sich die je eigenen Beziehungsmuster. Diese sind gespeist von den verinnerlichten negativen frühen Beziehungserfahrungen, die jede*n Einzelne*n herausfordern, mit Unterschiedlichkeiten und unangenehmen Verhaltensweisen des*r anderen umzugehen. Ist die Verbindung stark und die Kommunikation zwischen den Partner*innen aufrecht, kann jedes Paar miteinander wachsen und sich weiterentwickeln. Erst wenn die Streitphasen und Auseinandersetzungen zunehmen, der Dialog zwischen ihnen zu stocken beginnt oder abbricht, verschlechtert sich der »Beziehungsraum« mehr und mehr.
Beziehungsraum Der »Beziehungsraum« ist eine Metapher für den Raum zwischen zwei Menschen, auch Zwischenraum genannt. In diesem Raum findet Begegnung zwischen einem Ich und einem Du (Buber, 1923/2016, S. 12) statt, zwischen zwei Persönlichkeiten mit je eigenen Lebensgeschichten, aus denen sich das Wir generiert. Welche Qualität die Begegnungen haben, liegt in den Händen der Partner*innen. Die Art der Begegnungen beeinflusst die Atmosphäre und das Klima im Zwischenraum der Beziehung. Je nach Beschaffenheit dieses Klimas fühlen sich die Partner*innen wohl oder unwohl. Begegnen sie sich in liebevoller Art und Weise, sind aufmerksam und wertschätzend, fühlt sich der Raum warm, sicher, geborgen und auch leidenschaftlich an. Anders gestaltet sich der Raum, wenn Streitgespräche mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen die Begegnungen prägen. Der Beziehungsraum färbt sich dann nach diesen Tönen, und die Atmosphäre wird feindlich, kalt und destruktiv. Die Partner*innen sind verantwortlich für das, was zwischen ihnen passiert. Oft werfen sie einander vor »du bist schuld«. Das »Weil-du-Drama« (Klees, 2018, S. 88) schaukelt sich hoch, und die negative Dynamik nimmt zu. Vieles liegt jedoch in der anklagenden Person selbst. Unbewusst aktivieren Partner*innen alte Verletzungen, die mit den erlernten Überlebensmustern im Dienst der Verteidigung beantwortet werden. Projektionen finden statt, und alte Wunden werden aufgerissen. Das Paar verstrickt sich zunehmend im Beziehungstanz. »Die beiden [spielen] in der Krise wieder einmal die alten Lebensthemen aus der Familiengeschichte durch: blinder Tanz zu Melodien, die nur sie hören« (Welter-Enderlin, 2007, S. 47). Die Atmosphäre zwischen ihnen wird immer schlechter, und sie beginnen, sich aus dem Weg zu gehen, sich in Arbeit, Sport, soziale Netzwerke, Hobbys oder eine Affäre zu flüchten. Sie fragen sich, »Was tue ich hier noch? Wo führt das hin? Vielleicht ist es besser, Das Paar in der Therapie – ein ko-kreativer Prozess
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wenn wir uns trennen?« oder »Haben wir noch eine Chance?«. Verzweiflung, Ratlosigkeit, Ohnmacht, aber auch Hoffnung sind dann oft die Beweggründe für eine Paartherapie.
Der paartherapeutische Prozess Zu Beginn einer Paartherapie geht es darum, das Paar und jede*n Einzelne*n »abzuholen«. Was heißt das aber konkret? Anders als in der klassischen dyadischen Psychotherapie haben wir es im paartherapeutischen Setting mit drei Komponenten zu tun: mit den beiden Partner*innen und der Beziehung selbst. Im Sinne des »Beziehungsparadigma[s]« (Hendrix u. Hunt, 1988/2021, S. 121) bringt das Paar die Beziehung in Therapie. Die Herausforderung für Paartherapeut*innen liegt darin, die Beziehung, das Paar und jede*n Einzelne*n mehrperspektivisch (Frühmann, 2013, bes. S. 61–64) in den Blick zu nehmen. Die Gefahr der Triangulierung ist stets gegeben, und die Aufmerksamkeit der Therapeut*innen liegt darin, sich nicht in die Dynamik des Paars verstricken zu lassen, parteiisch zu werden oder auf eine Seite ziehen zu lassen. Da hilft es oft, die Beziehung und ihre Dynamik im Fokus zu behalten und zu fragen, was jede*r Partner*in dazu beiträgt und was die Beziehung braucht, um heilen zu können. Es ist ein komplexes Unterfangen, Einblick zu bekommen und die Kommunikation zwischen den Partner*innen so zu unterstützen, dass sie einander zuhören und nicht permanent ins Wort fallen oder sich nur anklagen. Der Einsatz von kreativen Interventionen, wie das Zeichnen ihrer Beziehungskurve, stellt anfangs eine gute Möglichkeit dar, jede*n Einzelne*n in der anschließenden Ausführung über das eigene Erlebte zu Wort kommen zu lassen. Sie ist Ausdruck und gibt Einblick, wie der Verlauf der Beziehung, vom Anfang bis in die Gegenwart, individuell erlebt wurde. Die Rolle der Paartherapeut*innen ist hier wieder einmal mehr, den Raum zu halten und ein respektvolles Zuhören zu ermöglichen. In weiterer Folge bringt die Frage »Was glaubst du, ist schwierig für deine*n Partner*in der Beziehung mit dir?« eine Form der Anamnese der Beziehung und fordert gleichzeitig die Partner*innen heraus, den eigenen Standpunkt zu verlassen und »über die Brücke« zum anderen zu kommen und aus dieser Perspektive das eigene Verhalten zu reflektieren. Wenn sich ein Paar eingelassen hat und erlebt, dass die Therapie hilfreich ist, geht es im Verlauf des Prozesses vertiefend darum, Bewusstsein über die Mechanismen der Beziehung zu fördern und Erkenntnisse zu schaffen. Ausgehend von den Phänomenen, die sich zwischen den Partner*innen in Form von Konflikten, Enttäuschungen oder Verletzungen zeigen, arbeitet sich das Paar mithilfe des*r Paartherapeut*in zu den jeweiligen Strukturen der Persönlichkeiten vor, um die Entwürfe (Petzold u. Orth, 90
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2003, S. 863–865) in die Zukunft zu heilenden und korrigierenden Beziehungs- und Bindungserfahrungen zu verändern. Erst wenn das eigene Gewordensein erkannt werden kann, die frühen Erfahrungen aus der Kindheit ans Licht kommen, die störend, verletzend oder defizitär waren, kann im Paar das Verständnis füreinander wachsen, sodass sich neue Wege miteinander eröffnen. Es sind berührende Momente, wenn plötzlich bewusst wird, welche Verhaltensweisen der einen Person unbewusst alte Wunden bei der anderen aufreißen und erlernte Schutzmechanismen zur Folge haben, die wiederum verstörende Auswirkungen nach sich ziehen. Die Frage »was hättest du gebraucht als Kind« ist oft Tür öffnend für das Erkennen der eigenen Bedürfnisse und zugleich ein Fenster für den*die Partner*in, das eigene Verhalten im Dienst einer positiven Erfahrung zu verändern (Abbildung 1). Der paartherapeutische Prozess
erneute Verbindung
prospektiv
aspektiv
Beziehungskrise
retrospektiv
Kindheit
Abbildung 1: Der paartherapeutische Prozess (eigene Darstellung)
In der Therapie lernt das Paar, die eigene Dynamik zu verstehen, welche Themen, Verhaltensweisen und Reaktionen zu Konflikten führen und was darunter liegt. Sie erkennen zunehmend die »Ursachen hinter den Ursachen« (Petzold, 2003, S. 277) für die Problematik in der Beziehung. Die gemeinsame Arbeit an der Beziehung stärkt die Verbindung in der Partnerschaft (Sanders, 2006, 2022). Wenn Verständnis wächst, Das Paar in der Therapie – ein ko-kreativer Prozess
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verändert sich das Klima, und Probleme lösen sich auf. Das bedeutet nicht, dass es nie wieder Unstimmigkeiten oder divergierende Ansichten geben wird, doch müssen diese nicht mehr zu Störungen und Abbrüchen innerhalb der Beziehung führen. Wichtig und wertvoll in einer Beziehung ist es, sich gegenseitig zu hören und sich im So- und Anderssein anzuerkennen, damit die Liebe lebendig bleibt.
Kreative Medien in der Arbeit mit Paaren In der Paartherapie ist viel Bedarf an verbalem Austausch, in dessen Mittelpunkt der Dialog steht. Sich mitzuteilen und gehört zu werden, ist ein großes Bedürfnis der Partner*innen. Die zahlreichen kreativen Möglichkeiten dienen dabei als Interventionen, das Gespräch durch eine andere Ebene der Betrachtung und Vertiefung zu erweitern. Die kreativen Medien bieten Raum für den eigenen Ausdruck der Partner*innen und fördern durch die gemeinsame Exploration Verständnis füreinander. Dies sollen die nachfolgenden Fallvignetten veranschaulichen. Fallbeispiel 1. Katrin und Anna sind Erzieherinnen, haben sich am gemein samen Arbeitsplatz kennengelernt und ineinander verliebt. Zu diesem Zeitpunkt war Katrin noch verheiratet und lebte mit ihrem Mann und den beiden Kindern (fünf und drei Jahre alt) zusammen. Als sie in die Therapie kommen, ist Katrin bereits geschieden und lebt mit ihren Kindern in der Familienwohnung. Zum Kindesvater besteht eine gute Beziehung, wie sie zu Beginn erzählt, und ihre Ursprungsfamilie steht auch nach ihrem Coming-out hinter ihr. Anna und Katrin möchten gern ein Leben miteinander aufbauen und fragen sich, wie das gehen kann. In der Paartherapie suchen sie eine Unterstützung auf ihrem Weg: Wo sollen sie wohnen? Wie wird es mit den Kindern von Katrin, wenn Anna plötzlich Teil der Familie wird? Wie sollen sie mit Annas Kinderwunsch umgehen? Ich lade beide dazu ein, ein eigenes Visionsbild für ihre Beziehung zu malen und sich vorzustellen, »Wir in ein bis drei Jahren«. Beide beginnen mit dem Malen, verwenden dafür ein DIN-A4-Blatt und Ölkreiden und bringen ihre Visionen »in Form und Farbe« auf Papier. Bei der darauffolgenden gemeinsamen Exploration wird Katrins Wunsch deutlich, dass Anna bei ihr einzieht und mit ihr und ihren beiden Kindern als Familie lebt. Auf Annas Bild ist ihr Kinderwunsch klar zu erkennen. In den weiteren Sitzungen arbeiten wir am Prozess der Umsetzung und vor allem mit den je eigenen »alten bzw. frühen« Ängsten und Befürchtungen, die durch die bevorstehenden Veränderungen aktiviert werden. Inzwischen ist Anna im sechsten Monat schwanger (Samenbank), und sie bauen gerade die Wohnung um, 92
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sodass Anna ihr »gemeinsames« Baby in der Wohnung bekommen kann. Die beiden Kinder freuen sich schon darauf, dass Anna einzieht und noch ein »Geschwisterchen« kommen wird. Fallbeispiel 2. Paul und Helga sind seit acht Jahren verheiratet. Sie kommen in die Therapie mit dem Wunsch, an ihrer Kommunikation zu arbeiten. Gemeinsam haben sie einen kleinen Sohn, der ihr Ein und Alles ist. Die Geburt und das erste Jahr waren sehr anstrengend, da der Kleine kaum zu beruhigen war. Helga war sehr gefordert und oft erschöpft, die körperliche Nähe und Intimität zu Paul konnte sie nicht mehr ertragen. Sie zog sich von ihm zurück, fand keinen Weg mehr zu ihm hin und will sich trennen. Paul kann sich das gar nicht vorstellen und möchte an der Beziehung arbeiten. Nach intensiver Beschäftigung mit ihrer gemeinsamen Geschichte und den jeweiligen eigenen Biografien kommen sie miteinander zu der Erkenntnis, dass sie sich zwar freundschaftlich nach wie vor sehr gern haben, die Leidenschaft und die Liebe jedoch, die sie einst füreinander empfanden, nicht mehr da ist. Sie möchten ihre Beziehung und Ehe beenden und weiterhin gut als Eltern für ihren Sohn sorgen. Im Abschiedsprozess, der über einige Sitzungen geht, wählen sie je drei Symbole aus, als Ausdruck für »das, was gut war zwischen ihnen«, »das, was schwierig war in der Beziehung« und »die Visionen, die sie als Paar hatten und nun loslassen«. Über die Symbole und deren Ausdrucksgehalt gelingt es ihnen, sich nochmals zu erinnern, auf die gemeinsame Zeit zu blicken, miteinander zu trauern und Abschied zu nehmen. Der bewusste und achtsame Abschiedsprozess hilft Helga und Paul, sich als Paar zu lösen, und ermöglicht ihnen, auch in Zukunft in einer guten Art und Weise für ihren Sohn da zu sein.
Der Paardialog Die Gesprächskultur in der Partnerschaft ist häufig ein Grund, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Die Partner*innen leiden unter liebloser, gewaltvoller, destruktiver oder fehlender Kommunikation. Oft wissen sie nicht mehr, wie sie miteinander sprechen sollen, und die Hilflosigkeit, Ohnmacht und Leere zwischen ihnen nimmt zu. Es gibt verschiedene Ansätze, eine gute intersubjektive Ko-respondenz mit wechselhafter Empathie (Petzold u. Mathias-Wiedemann, 2020) zwischen den Partner*innen wieder zu fördern und zu verbessern. Das Zwiegespräch (Moeller, 1988/2016, S. 73–76) und der Paardialog (Hendrix u. Hunt, 1988/2021, S. 144–165) bieten einen Weg aus der Kommunikationsnot. Diese strukturierten HerangehensweiDas Paar in der Therapie – ein ko-kreativer Prozess
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sen geben dem Paar die Möglichkeit, aus verfahrenen Kommunikationsmustern auszusteigen. Der Paardialog stellt einen Rahmen bereit, in dem das Gespräch hin und her fließen kann. Kommunikationsfallen, wie einander ins Wort zu fallen und sich zu unterbrechen, werden zurückgehalten. Im bewusstmachenden Paardialog (Hendrix u. Hunt, 1988/2021, bes. S. 158–160) sitzen die Partner*innen einander gegenüber und übernehmen entweder die Rolle von Sender*in oder Empfänger*in. Jede Rolle hat eine bestimmte Aufgabe. Der*die Sender*in spricht über ein Thema, z. B. eine Verletzung, Kränkung oder Frustration, ohne dabei in Vorwürfe zu verfallen, und sendet die Botschaften in Ich-Form. Der*die Empfänger*in spiegelt das Gehörte zurück, ohne zu paraphrasieren oder das Gesagte nur teilweise wiederzugeben, um die »fremde« Sprache des*r Partner*in kennenzulernen. Für diese Übung braucht es Geduld und Disziplin, und Paartherapeut*innen sind in einer unterstützenden Haltung präsent, helfen weiter und geben Halt. In den weiteren Schritten geht es darum, das Gehörte im Sinne der Validation zu verstehen und wechselseitige Empathie zu stärken. Das Berührende an diesem Modell ist die Chance, von dem*r Partner*in wirklich gehört zu werden und sich verstanden zu fühlen, vielleicht zum ersten Mal überhaupt. Wenn Ruhe in der Kommunikation und darüber hinaus im Beziehungsraum entsteht und der Streit beendet werden kann, lösen sich die meisten Probleme auf. Jetzt kann das Paar beginnen, in konstruktiven und ko-kreativen Veränderungs- und Wachstumsprozessen die ersehnte Wunschbeziehung zu gestalten.
Das Wichtigste in Kürze ◼ Wenn ein Paar in Therapie kommt, steht die »Beziehung« im Fokus: Was sind die Probleme, und was braucht die Beziehung, was kann jede*r dazu beitragen? ◼ Beziehungs- und Bindungserfahrungen aus der Kindheit steuern und beeinflussen die Partnerschaft. Das Paar verstrickt sich aufgrund früher Verletzungen, die gegenseitig unbewusst aktiviert werden. Erst wenn diese Zusammenhänge erkannt und verstanden werden, können positive Veränderungsprozesse beginnen. ◼ Kreative Medien in der Paartherapie sind Interventionsmöglichkeiten, um Bewusstseinsprozesse anzuregen, bisher Verborgenes sichtbar zu machen und Sprache dafür zu finden.
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Kontraindikationen ◼ Schwere psychische Erkrankungen (Psychosen, schwere Depression), ◼ Substanzmissbrauch (Alkohol, Drogen, Medikamente), ◼ Selbst- und Fremdgefährdung. In diesen Fällen kann es erforderlich sein, dass jede*r Einzelne neben der Paartherapie eine individuelle Psychotherapie zur eigenen Unterstützung und zum Schutz des*r Partner*in Anspruch nimmt.
Literaturtipps zum Weiterlesen Brisch, K. H. (Hrsg.) (2012). Bindungen – Paare, Sexualität und Kinder. Stuttgart: Klett-Cotta. Klees, K. (2018). Traumasensible Paartherapie. Mit dem Traum(a)-Haus-Konzept aus der Bezie hungskrise (Reihe: Fachbuch Trauma & Paare). Paderborn: Junfermann. Sanders, R. (2022). Die Partnerschule. Paartherapie im Integrativen Verfahren. Paderborn: Junfermann.
Literatur Brisch, K. H. (2009/2020). Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie (Reihe: Fachbuch Klett-Cotta; 17., unveränd. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Buber, M. (1923/2016). Ich und Du (unveränd. Nachdr.). Stuttgart: Reclam. Frühmann, R. (2013). Gemeinsam statt einsam. Grundlagen der Integrativen Gruppentherapie. Kröning: Asanger. Hendrix, H., Hunt, H. L. (1988/2021). So viel Liebe wie du brauchst. Der Wegbegleiter für eine erfüllte Beziehung (5., überarb. u. erw. Aufl.). Dörfles: Götz. Hesse, H. (1941/1992). Stufen. In H. Hesse, Die Gedichte (S. 696). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Klees, K. (2018). Traumasensible Paartherapie. Mit dem Traum(a)-Haus-Konzept aus der Beziehungskrise (Reihe: Fachbuch Trauma & Paare). Paderborn: Junfermann. Moeller, M. L. (1988/2016). Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Gespräch (35., unveränd. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Osten, P. (2019). Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD) (Reihe: Psychologie). Wien: Facultas. Papoušek, H., Papoušek, M. (1981). Intuitives elterliches Verhalten und Verhaltensmikroanalyse. Sozialpädiatrie in Praxis und Klinik, 3 (5), 229–238. Papoušek, H., Papoušek, M. (1987). Intuitive parenting: A dialectic counterpart to the infant’s integrative competence. In J. D. Osofsky (Eds.), Handbook of infant development (2nd revised ed.; pp. 669–720). New York: Wiley.
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Petzold, H. G. (2003a). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden einer schulenübergreifenden Psychotherapie. 3 Bde. (Reihe: Integrative Therapie – Schriften zu Theorie, Methodik und Praxis, Bd. 2; 2., überarb. u. erw. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Petzold, H. G., Mathias-Wiedemann, U. (2020). Das integrative Modell »komplexer, wechselseitiger Empathie« und »zwischenleiblicher Mutualität« als Grundlage melioristischer Lebenspraxis, Therapie und Supervision. Grüne Texte, 6, Art. 13. https://www.fpi-publikation.de/down�load/20094/ (Zugriff: 08.11.2022). Petzold, H. G., Orth, I. (2003). Integrative Leib- und Bewegungstherapie mit erwachsenen Patienten. In H. G. Petzold (Hrsg.), Integrative Therapie. Bd. III: Klinische Praxeologie. Lifespan developmental therapy (2., überarb. und erw. Aufl.; S. 851–884). Paderborn: Junfermann. Sanders, R. (2006). Beziehungsprobleme verstehen – Partnerschaft lernen. Partnerschule als Kompetenztraining in Ehe- und Familienberatung (Reihe: Kommunikation, Ehe & Partnerschaft). Paderborn: Junfermann. Sanders, R. (2022). Die Partnerschule. Paartherapie im Integrativen Verfahren. Paderborn: Junfermann. Sydow, K. von (2012). Bindung und Partnerschaft: Forschungsergebnisse und Implikationen für die Paar- und die Einzeltherapie. In K. H. Brisch (Hrsg.), Bindungen – Paare, Sexualität und Kinder (S. 61–79). Stuttgart: Klett-Cotta. Welter-Enderlin, R. (2007). Einführung in die systemische Paartherapie. Heidelberg: Carl-Auer.
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Kreative Medien in der Gruppenpsychotherapie Im gruppenpsychotherapeutischen Setting kann insbesondere über kreative Medien bzw. intermediale Quergänge Verbindung mit bisher noch unerschlossenen und der Sprache nicht zugänglichen Räumen aufgenommen werden. Durch eine tiefe persönliche Auseinandersetzung und im intersubjektiven und kokreativen Austausch mit anderen Gruppenmitgliedern können festgefahrene oder verdrängte eigene Themen aus dem Verborgenen herausgehoben und neue Bewusstseinsprozesse – im Sinne einer heilsamen Korrektur bisheriger Beziehungserfahrungen und eingebrannter Verhaltensmuster – in Gang gesetzt werden.
Warum Gruppenpsychotherapie? Menschliches Leben ist zwischenmenschliches Leben, »Mit-Sein« (Petzold, 2003, S. 568; vgl. bereits 1980, S. 232–234) mit anderen in Gruppen und sozialen Gemeinschaften. Für das Neugeborene – zur Welt gekommen als »physiologische Frühgeburt« (Portmann, 1969, S. 57 f.), ist dieses Mit-Sein mit anderen auch ein lebensnotwendiges Angewiesensein auf andere. Es braucht Versorgung durch Nahrung und Pflege sowie die damit einhergehenden, vielfältigen Interaktionen mit seinen Eltern und/oder nahen Bezugspersonen. Von der Qualität dieser Erfahrungen, die sich im besten Fall in einer haltgebenden, verlässlich korrespondierenden Entwicklungsbegleitung erschließen, hängt es im weiteren Entwicklungsprozess ab, ob sie im Ausbalancieren der eigenen Identität und im Wachstum der Persönlichkeit eher eine Chance oder größte Vulnerabilität darstellen. Späteres Gruppenverhalten und die Art des Mit-Seins mit anderen ist geprägt durch Werte und Normen sowie durch bestimmte Verhaltensweisen und Regeln, mit denen das Kind konfrontiert ist und die innerhalb der Familie, als Ort erster Gruppen erfahrungen, Gültigkeit haben. Dabei spielt es auch eine Rolle, an welchen Platz innerhalb der Geschwisterreihe ein Kind in die Familie hineingeboren wird. Der Psychoanalytiker Karl König (1958/2008) sieht in der Geburtenfolge einen wesentlichen 97
Einflussfaktor für spätere Verhaltensmuster in Gruppen und Gemeinschaften. So sei es ein Unterschied, ob ein Kind als Erstgeborenes, Mittelkind (Sandwichkind), Jüngstes (Nesthäkchen), Einzelkind, Zwilling oder Nachzügler*in ins Leben geht, Kontakte knüpft und Beziehungserfahrungen macht (S. 89–91). Geschwister können sich gegenseitig Vorbild und/oder Feindbild sein, Rival*innen und/oder Sparringspartner*innen, autoritär bestimmendes Gegenüber und/oder beste Freund*innen. Geschwister streiten untereinander und lernen voneinander, konkurrieren und spielen miteinander, verbünden sich gegen die Erwachsenen oder buhlen um deren Anerkennung und Liebe, sind förderlich oder einschränkend, abweisend oder freundschaftlich zugewandt. Im Mosaik lebenslanger Gruppenerfahrungen wiederholen bzw. reinszenieren sich bewusste sowie unbewusste Verhaltensmuster und bilden Einschreibungen, die verinnerlicht und als Beziehungserfahrungen »interiorisiert« (Petzold, 2021, S. 3 f.) werden. Hier setzt Integrative Therapie und im Speziellen Integrative Gruppentherapie an. Im Wissen darüber, dass lebenslanges Lernen möglich ist, geht es dabei um das feinspürige Aufdecken von Mustern, mit dem hoffnungsvollen Ausblick auf korrigierende Erfahrungen, auf Veränderung und heilsamen Neubeginn. Integrative Therapie beschäftigt sich mit Bewusstseins- und Verdrängungsprozessen, mit Wahrnehmung(sausblendung), mit erinnerbaren Narrationen sowie mit aus dem Gedächtnis verloren geglaubten Ereignissen, da »das Vergessene oder Verdrängte oder Ausgeblendete ja nicht aufhört zu existieren: Es ist da, ist anwesend in den ›Archiven des Leibes‹, und es wirkt. Erkrankungen, Störungen, Krisen, Symptome sind Ausdruck solcher Wirkungen« (Orth, 1994, S. 314).
Philosophie der Bezogenheit Integrative Gruppentherapie, als gelebte Philosophie der Bezogenheit, stellt die Qualitäten Kontakt, Begegnung und Beziehung in den Mittelpunkt der Heilung. Daher stehen sich die Gruppenmitglieder wechselseitig als Gegenüber zur Verfügung. In gemeinsamen Prozessen, die vom eigenen Ich ausgehen (Ich mit mir) und über unterschiedliche Interaktionsformen (in Dyaden und Triaden) zum Du und zum Wir (Kleingruppen, Plenum) führen können, gestaltet sich empathische Teilhabe am Leben anderer als ein kreativer und ko-kreativer Prozess (Petzold, Orth u. Sieper, 2019). In der therapeutischen Gruppe bietet sich die Möglichkeit, alte Erfahrungen zu überprüfen, neu zu denken und dort, wo es möglich ist, auch zu überschreiben. Die Teilnehmer*innen der Gruppe erleben sich dabei einerseits als eine stetig wachsende Gemeinschaft, der sie sich zugehörig fühlen können, andererseits bietet die Gruppe unzählige Möglichkeiten der Selbstfindung und persönlichen Entfaltung. 98
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Therapeutische Arbeit in Gruppen kann gruppengerichtet wie auch gruppenzentriert sein. Im gruppengerichteten Vorgehen stehen Ereignisse im Mittelpunkt, die die gesamte Gruppe betreffen. Daraus können sich Einzelarbeiten herauskristallisieren, aber aus einer Einzelsitzung kann auch ein Gruppenthema entstehen. Der verbale Austausch kann klärend und strukturierend zu neuen Wahrnehmungswirklichkeiten führen. Die Arbeit mit kreativen Medien wiederum trägt dazu bei, Erfahrungen aufzuspüren und gegenwärtig zu setzen (Orth u. Petzold, 1995, S. 205): über Bewegung, Tanz, Rollenspiel und Dramatisierung, aber auch über gestaltende Medien, wie Farben und Collagematerial, sowie über Naturmaterialien wie Steine, Sand und Blätter. Im gruppenzentrierten Vorgehen, das auf dem Konzept der Gruppendynamik (vgl. urspr. Lewin, Lippitt u. White, 1939, S. 274) beruht, stehen die Interaktionen der Teilnehmer*innen im Mittelpunkt. Rollenverteilungen, Positionen in der Gruppe, Konkurrenz (Macht) und Autoritätskonflikte, Nähe und Distanz in Bezug auf die Gruppenleitung sowie Regeln und Normen kommen als wichtige Themen in intersubjektiven Prozessen zur Bearbeitung. Sie werden reflektiert, möglichst von Übertragungsverzerrungen befreit und finden beziehungsklärenden Austausch. Die Gruppe wird zum geschützten Proberaum im Gegensatz zum realen Alltag draußen im Leben. Von der Gruppenleitung wird in diesen komplexen Prozessen ein hohes Maß an Flexibilität und Strukturierungsfähigkeit verlangt – Fähigkeiten, die es auch bei den Gruppenteilnehmer*innen zu fördern und zu entwickeln gilt. Dabei ist die Gruppenleitung gefordert, sich in einer »dynamischen Balance der Möglichkeiten« (Frühmann, 2013, S. 108) zu bewegen. In gruppentherapeutischen Prozessen geht es nicht ausschließlich um Probleme, Konflikte, Krankheiten und traumatische Ereignisse, sondern auch um Erfolgserlebnisse, neue Erkenntnisse und das Gewahrwerden der eigenen »Bodenschätze« (Ressourcen). Im Aufspüren von Ressourcen, die sich oftmals gerade in schwierigen Zeiten heraus gebildet haben, können in der Vergegenwärtigung im Hier und Heute die Erfahrung eigener Kompetenzen und das Erleben persönlicher Handlungsperformanzen salutogene Wirkung entfalten. Je nach Gruppensituation, Themen und Problemen der Teilnehmer*innen und gesteckten Zielen gestaltet sich Integrative Therapie als multimodaler Ansatz: ◼ konfliktzentriert aufdeckend: Aufdeckung von Krankheitsbildern und Störungen sowie Klärung unbewusster Konflikte, ◼ erlebniszentriert stimulierend: Förderung von Potenziellem, Aktivierung von Ressourcen und Erarbeitung protektiver Faktoren, ◼ übungszentriert funktional: Förderung der Funktionen des Organismus durch Wahrnehmungsübungen, Bewegung und Tanz, Atemübungen und Lauftraining sowie im Naturerleben (Green Therapy), ◼ supportiv sozialtherapeutisch: Erarbeitung konkreter Maßnahmen und Coping strategien (Frühmann, 2013, S. 109; Leitner u. Höfner, 2020, S. 183 f.). Kreative Medien in der Gruppenpsychotherapie
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Gruppen prägen die darin lebenden Menschen, gleichzeitig formt und gestaltet der einzelne Mensch seine Gruppe mit (Frühmann, 2013, S. 110) – eine Schlüsselerfahrung im Verstehensprozess von Gruppen. Dies verdeutlicht den Aspekt der Mitwirksamkeit von Gruppenmitgliedern über das Gruppenklima, über Stimmungen und Atmosphären sowie das Zusammenfließen von Fähigkeiten und Fertigkeiten Einzelner, um gemeinsame Ziele in der Gruppe realisieren und umsetzen zu können. Dies heißt zugleich, dass in einem Klima von gegenseitiger Wertschätzung Teilnehmer*innen ermutigt werden, sich zu positionieren, indem sie – vielleicht auch als Gegenbewegung zu früheren Erfahrungen – ihre Meinung und Überzeugungen kundtun sowie Wünsche und Kritik formulieren (Orth u. Petzold, 1995, S. 204).
Integrative Gruppentherapie mit kreativen Medien Die Arbeit mit kreativen Medien folgt einem »intermedialen Konzept« (Orth u. Petzold, 1990, S. 769) und ermöglicht, über deren projektives Potenzial verdrängte »benigne und maligne Narrative« (Orth, 1994, S. 335) zugänglich zu machen, sodass sie in verbalen und nonverbalen Gestaltungsprozessen bearbeitet werden können, um dort, wo es möglich ist, ihren Weg in das Bewusstsein und damit zu Veränderung und Heilung zu finden. Die Gruppe dient als ko-kreatives Lernfeld, in dem auf der Suche nach neuen Wegen vielfältige Erfahrungen gemacht werden können. In kreativen Prozessen kommt es z. B. zur Auseinandersetzung mit inneren Widerständen, zur Dominanz von Leistungsgedanken sowie zur Begegnung mit Zweifel und Verunsicherung. Kreatives Schaffen findet in der Gruppe im Beisein und unter der Zeugenschaft anderer Gruppenmitglieder sowie unter dem wohlwollenden Blick der Leitung statt. Kreative Entfaltung braucht ein wach wahrnehmendes Gegenüber. Im wechselseitigen empathischen Mitschwingen mit anderen über den Austausch im Gespräch, über gemeinsames Gestalten sowie über das Empfangen und Geben von Feedback und Sharing entstehen vielfältige Möglichkeiten, einander näherzukommen und dabei korrigierende Erfahrungen zu machen.
Impulse als Angebot Die gruppentherapeutische Arbeit mit kreativen Medien ist als ein Angebot zu sehen und entfaltet sich bestenfalls im Konsens mit der Gruppe auf der Basis von Freiwilligkeit. Kreativität lässt sich nicht willentlich herbeiführen und beugt sich keinem Erwartungsdruck. Impulse der Gruppenleitung tragen daher immer der Freiwilligkeit Rechnung – sie können angenommen werden oder auch nicht. Im besten Fall zeichnen 100
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sich diese Impulse dadurch aus, dass sie an den Grundfähigkeiten des menschlichen Wesens anknüpfen, wobei diese manchmal erst wieder geweckt werden müssen. Dazu zählen das Interesse an Unbekanntem, die Neugier und die kindliche Spielfreude, der »Handlungshunger« (Moreno, 1959/2008, S. 59), die »Lust an Veränderung und Weiterentwicklung« (Rahm, Otte, Bosse u. Ruhe-Hollenbach, 1993/1999, S. 82), die zum Explorieren und Experimentieren führen können, sowie die Begeisterungsfähigkeit, eine Aufgabe individuell und in Abgrenzung zu anderen selbstbestimmt zu lösen.
Das Mehrperspektivische Gruppenmodell (MPG-Modell) Das Gruppengeschehen in der Therapie ist komplex und zeigt sich in einer sich ständig wandelnden Vielfalt, einem Geflecht an individuellen Befindlichkeiten und Entwicklungslinien einzelner Teilnehmer*innen bis hin zu gruppenbezogenen Ereignissen, Themen und Problemen. Prozessorientiert arbeitende Gruppenleiter*innen sind daher gefordert, zwischen all den wahrgenommenen Phänomenen eine Auswahl zu treffen. Es gilt, einem Phänomen den Vorrang zu geben, es in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Gruppe zu führen und entsprechende Impulse oder Interventionen zu setzen. Voraussetzung für das Herausgreifen von Sequenzen aus der Fülle von Gruppeneindrücken ist es im Sinne einer tiefenpsychologisch-hermeneutischen Vorgehensweise, »die Fülle an vorfindbaren Phänomenen zu bündeln und auf ihre Strukturen abtasten zu können« (Frühmann, 2013, S. 62). Therapeut*innen gehen hierbei theoriegeleitet »von Phänomenen in der Gegenwart aus, kommen zu den sich in ihnen zeigenden Strukturen der Vergangenheit, die ihrerseits wiederum nicht nur in der Gegenwart wirksam werden, sondern sogar die Entwürfe der Zukunft bestimmen« (Orth, 1994, S. 324). Theorien und Modelle integrativer Gruppenarbeit lassen eine Vielfalt an Einstellungen und Standorten zu, weshalb sie als mehrperspektivisch bezeichnet werden können. Das »Mehrperspektivische Gruppenmodell« (MPG-Gruppenmodell; Frühmann, 2013, S. 61–64; vgl. bereits 1987) mit den Perspektiven Gruppe, Individuum, Szene (Kontext), Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) und Beobachter*in (exzentrische Position) dient »(1) zur theoretischen Bündelung innerhalb des eigenen Gruppenansatzes (Theoriezuordnungsschema); (2) zur Bildung von Schwerpunkten für Phänomene, Themen, Ziele und Inhalte im sozialen Geschehen sowie zur Sammlung von Methoden, Techniken und Medien der Gruppenarbeit; (3) als Szenenmodell, in welchem Phänomene und Strukturen balancierend ins Auge gefasst werden können« (Frühmann, 2013, S. 63).
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Die Gruppe im Spiegel der Kindheit Fallbeispiel. Anna (25 Jahre) hat nach misslungener Aufnahmeprüfung für eine soziale Ausbildung auf Anraten der Ausbildungsleitung den Weg in die Gruppentherapie gefunden. Sie soll im Umgang mit Menschen sicherer werden, heißt es, ihre Hemmungen im Kontakt mit Menschen abbauen und angstfrei kommunizieren lernen. Ihr bisheriges Leben hat sie in der Abgeschiedenheit des elterlichen Bauernhofs verbracht. Als viertgeborene »Nachzüglerin« nach 18 Jahren Abstand war sie sich meist selbst überlassen, fand bei den körperlich schwer arbeitenden Eltern wenig Beachtung, die Geschwister waren schon ausgezogen. Beim Versuch, die innere Einsamkeit hinter sich zu lassen, übersiedelte sie als junge Erwachsene in eine kleine Stadt, wo eine Verwandte ihr eine Stelle als Hilfsaltenpflegerin in einem Wohnheim vermittelt hatte und wo sie jetzt in einem kleinen Dienstzimmer lebt. Vor ihrer ersten Gruppentherapiestunde beschäftigten sie einige Gedan ken, die im Laufe der Zeit zusammengeführt und verschriftlicht wurden: Ich lasse es auf mich zukommen. Da stehen ja auch schon verschiedene Farbtiegel und Farbflaschen – ob es jetzt wohl gleich mit dem Malen beginnt? Hoffentlich kann ich dann auch ganz spontan einfach kreativ sein. Eigentlich habe ich früher mal ganz gern gemalt, auch gebastelt mit allem Möglichen, aber das hat damals niemanden in meiner Familie interessiert. Lob gab es nicht, auch keine Abwertung, ich wurde einfach gar nicht wahrgenommen, ich war Luft für sie. Ja, so war es, dieses Gefühl kenne ich gut. In der Schule habe ich mich nie wohlgefühlt, ich hasse es, vor anderen zu reden, schon damals habe ich es nicht gemocht, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich verfüge über zu wenig soziale Kompetenz, haben sie zu mir gesagt bei der Berufsberatung, wäre deshalb auch nicht geeignet, Erzieherin zu werden, und wie man sieht, habe ich jetzt auch die Aufnahmeprüfung nicht geschafft. Sie meinten aber, dass ich Selbstsicherheit lernen könne in einer Gruppenpsychotherapie, die würde mir guttun. Und dann bekam ich innerhalb weniger Tage die Möglichkeit, an dieser Jahresgruppe für Integrative Therapie teilzunehmen. Da bräuchte ich anfangs nicht so viel zu reden, haben sie gemeint, vielmehr würde ich lernen, mich übers Malen und Zeichnen auszudrücken oder auch über das Gestalten einer Collage. Wie das allerdings gehen soll, weiß ich nicht. Nun gut, jetzt bin ich jedenfalls da. Ob wir gleich heute malen? Welche Farben soll ich nur nehmen? Die Wahl der Farben soll ja viel über den Charakter eines Menschen aussagen, habe ich mal irgendwo gelesen. Schwarz werde ich keinesfalls nehmen, das ist depressiv. Rosa vielleicht naiv, zu kindlich und 102
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rot aggressiv. Als Kind war Blau meine Lieblingsfarbe, alles war blau bei mir, und dann haben sie mich Träumerin genannt, wegen der blauen Farbe. Mhhh, und jetzt habe ich wohl auch gerade geträumt. Ich war wie damals wieder ganz in meinen Gedanken versunken und habe nicht mitbekommen, dass es schon los geht. Die anderen Teilnehmer*innen rund um mich herum gehen jetzt durch den Raum, am besten gehe ich gleich mit. Im inneren Monolog kreisen Annas Gedanken um Erinnerungen und Erfah rungen aus der Kindheit, ziehen in Gedankenwolken über sie hin, wehen sie an und lassen sie eintauchen in alte Atmosphären und Stimmungen. Da ist wieder die Wertlosigkeit von damals, das Gefühl, nicht wahrgenommen und wie Luft behandelt zu werden, unwichtig und unbedeutend für andere. Da ist die Unsicherheit in Gruppen, die Angst, vor anderen reden zu müssen und bloßgestellt zu werden. Diese Erfahrungen begleiten Anna auch in der nun begonnenen Therapie. Sie mischen sich wie ungebetene Gäste in das neue Gruppengeschehen ein und erwirken, dass sie sich plötzlich wie eine Sechsjährige fühlt, die sich dabei beobachtet, wie ihr wieder die kindlichen Zöpfe wachsen. In der Übertragung, einer unbewussten Verwechslung an Person, Ort und Zeit, verschwimmen ihre frühen Gruppenerfahrungen in der Familie mit jenen, die sie sich unbewusst im »Hier und Heute« (Petzold, 2003, S. 313) in der Therapiegruppe erwartet. Dann geht die »kleine Anna« in den Rückzug und getraut sich nicht, hörbar zu werden, sondern versteckt sich in ihrer Not im wortlosen Raum des Schweigens. Im Laufe der Zeit kann Anna die Anzeichen dieser Verwechslung immer besser erkennen, da sie mit besonders intensiven Emotionen einhergehen, mit quälendem Verlassenheitsgefühl und Einsamkeit. In der Therapiegruppe kann sie sich ihren bewussten wie auch unbe wussten Themen annähern und über kreative Medien in ko-kreativen Prozessen mit anderen zum Ausdruck bringen. Sie malt mit Acrylfarben mit kräftigen, schwungvollen Bewegungen den Rückzugsort ihrer Kindheit, der sich unter dem behäbigen Eichenschreibtisch ihres Vaters befand, und kommt dabei ganz plötzlich erstmals mit ihrer Wut in Kontakt. Sie malt mit schwarzer Farbe, was jedoch in der Gruppe nicht – wie vorher von ihr befürchtet – gedeutet wird. Im Gegenteil, von den anderen Teilnehmer*innen erntet sie wohlwollendes und bekräftigendes Feedback. Die Sorge, dass fremde Menschen etwas über sie erfahren könnten, weicht immer mehr einem Gefühl von Sicherheit in der Gruppe, was dazu beiträgt, dass sie sich jetzt – ganz langsam und behutsam – immer mehr öffnen kann. In einer Symbolarbeit hat sie für sich selbst ein Schneckenhaus gewählt, das sie bei einem ihrer Spaziergänge in der Natur fand. Sie habe nicht lange Kreative Medien in der Gruppenpsychotherapie
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nachdenken müssen bei ihrer Wahl, sagt sie, das Schneckenhaus sei ihr zugefallen. So geht es vorerst in der bewussten Auseinandersetzung mit diesem Symbol primär um die ihr nur zu gut bekannte Thematik der eigenen Unsicherheit und Vorsicht im Kontakt mit anderen. Immer mehr kommt sie jedoch auch mit der bisherigen »Leerstelle«, mit der ihr noch unbewussten Wurzel dieses Themas in Berührung. Ihr wird schmerzlich klar, wie sehr sie das »Nicht-beachtet-Werden« in ihrer Kindheit und Jugend, das Sich-Übersehen-Fühlen immer mehr das Schneckenhaus und damit in die innere Einsamkeit getrieben hat. Um nicht mehr spüren zu müssen, was sie so bitter vermisste, isolierte sie sich von ihrem Umfeld, Freund*innen hat sie schon lange keine mehr. Die Schnecke als Symbol steht für den Bereich ihres Lebens, der nun aus einem gewissen Abstand heraus neu betrachtet werden darf. Handlungsspielräume tun sich in einer Sowohl-als-auch-Haltung auf, indem sie zu erkennen wagt, dass sie in ihrem Leben Wahlmöglichkeiten hat: Sie kann sich wie die Schnecke zurückziehen, aber auch neugierig ihre Fühler ausstrecken, sie darf für sich allein sein, wenn es ihr guttut, aber auch Kontakte knüpfen und Freundschaften pflegen. Und dies alles im Schneckentempo des wachsenden Vertrauens – in die Gruppenleitung, die ihr nicht Wegweiser, sondern verlässliche Wegbegleitung geworden ist, und in die Gruppenmitglieder. Sie erlebt die Gruppe als guten, tragenden Boden – als einen sicheren Ort, an dem sie sich auch mit ihren schambesetzten Themen und Problemen Raum nehmen kann. Vertrauen gewinnt sie auch in ihre eigene Wahrnehmung, indem sie das, was sie wahrnimmt, wirklich für wahr hält. In ihrer Fähigkeit zur Empathie entdeckt sie eine bisher verborgene Ressource. Das Feedback der anderen Teilnehmer*innen bestärkt sie darin, dies bei sich selbst anzuerkennen. In diesem (Gruppen-)Prozess gelingt es ihr immer besser, sich selbst zur guten Freundin zu werden, sich zu positionieren und sich abzugrenzen, auf andere zuzugehen und auch für sich zu sein. Vieles konnte in der Gruppentherapie in ihrem Lebenskontinuum zugeordnet und integriert werden. Der Heilungsprozess wird weitergehen. Anna betrachtet die Schnecke in ihrer Hand, streicht mit den Fingern über das kleine Haus und hört sich selbst sprechen: »Behutsam, ganz behutsam …«
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Das Wichtigste in Kürze Kreative Medien in der therapeutischen Gruppe sind wie im Einzelsetting Brücken zu unbewussten und verdrängten, sprachlosen Räumen. Indem Einzelne ihr Inneres offenbaren, erleben sie breite Möglichkeiten, sich selbst neu wahrzunehmen, sich zu zeigen und damit im Kollektiv neue Resonanzen zu erhalten und vielfach gespiegelt zu werden. In der Aktivierung des Spielerischen im Umgang mit kreativen Medien, im Experimentieren und immer wieder neu Kreieren, im Verwerfen von Ideen und darauffolgendem Wiederfinden liegt eine besondere Kraft, die Mut machen kann, die eigene Individualität in Verbundenheit mit anderen zu entfalten – auf »Wege[n] der Heilung« (Petzold, 2003, S. 76–78). Der Einsatz bildnerischen therapeutischen Gestaltens eignet sich, ◼ um Verbindung zu den eigenen sprachlosen Räumen zu erlangen, ◼ wenn der Umgang mit Malmedien als nicht entgrenzend empfunden wird, ◼ bei affektiven Störungen, ◼ bei psychosomatischen Erkrankungen, ◼ bei Beziehungsproblemen. Die Anleitung bildnerischen therapeutischen Gestaltens ist für Psychotherapeut*innen sinnvoll, wenn sie ◼ selbst einen guten Zugang zum bildnerischen Gestalten haben, ◼ sich in der Begleitung von tiefgehenden Prozessen auf nonverbaler Ebene vertraut und sicher fühlen.
Literaturtipps zum Weiterlesen Dienstbier, A. (2017). Kunst und Kompetenzen mit Senioren. Kreatives Gestalten mit älteren Menschen (Reihe: Gesundheit und Pflege). Hamburg: Büchner. Lüchinger, T. (2005/2015). Intuitiv malen. Wege zur Kreativität (3., unveränd. Aufl.). Oberhofen a. Thunersee: Zytglogge.
Literatur Frühmann, R. (1987). Die Bedeutung der Gruppe in der Integrativen Therapie. Dissertation. Salzburg: Universität Salzburg. Frühmann, R. (2013). Gemeinsam statt einsam. Grundlagen der Integrativen Gruppentherapie. Kröning: Asanger. König, K. (1958/2008). Brüder und Schwestern. Geburtenfolge als Schicksal (14., unveränd. Aufl.). Göttin gen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Kreative Medien in der Gruppenpsychotherapie
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Alli Schumacher-Möth
Rita DeDominicis
Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie Der Beitrag zeigt, wie kreative Medien in der Kinder- und Jugendlichenpsy chotherapie vielfältig eingesetzt werden, um Gestaltungsprozesse der Symbolisierung und Narrationen zu unterstützen. Diese sind immer auch im Zusammenhang mit den persönlichen biografischen Erfahrungen der Betroffenen zu sehen. Das Integrieren des kreativen Settings in den gesamten therapeutischen Prozess wird anhand von Fallbeispielen und theoretischen Aspekten dargestellt. Im Fokus sind dabei auch Rollen sowie Aufgaben der Therapeut*innen und das Erleben des kreativen, gemeinsamen Tuns als Ressource.
Einführung Die Formen kreativer Gestaltungsprozesse von Kindern und Jugendlichen sind heute vielfältiger und heterogener als noch vor 25 Jahren. In unserer therapeutischen Arbeit ist es deshalb nötig, darauf flexibel und offen zu reagieren und aktuelle Vorlieben wie Anime, Tiktok, Paw Patrol, Minecraft, Magic-Karten usw. in die therapeutische Arbeit einzubinden. Sie können als Ressourcen für schwierige Situationen sowie als alltagsnahe, lustvolle Ausdrucksmöglichkeit für eigene Themen und Emotionen genutzt werden. Heranwachsende erleben heute Spiel-, Sport- und Kreativitätsformen weniger frei und selbstorganisiert, sondern vermehrt in zeitlich vorgegebenen Räumen und Gruppen, Onlineformate hingegen beziehen ihre Attraktivität vor allem durch die Möglichkeit einer zeit- und ortsautonomen Nutzung. Die Kinder zeigen dabei oft hohe kommunikative Kompetenz. Die Coronakrise hat gezeigt, dass durch den Wegfall organisierter Freizeitangebote (z. B. Schul- u. Freizeitbetreuung, Vereins- und Sportgruppen, Musik- und Tanzgruppen) ein hohes Maß an Einsamkeits- und Isolationsgefühlen, Frustration, Leere, Ängste bis hin zu Erschöpfungszuständen ausgelöst wurde (Pieh et al., 2022). Die Ressource »Spiel« ist zudem abhängig von der gelebten oder fehlenden »Spielkultur«, die Kinder in ihren Familien erfahren. Bei gemeinsamen Karten- und Brettspielen können Familienmitglieder ins Gespräch kommen. Kinder lernen beim Verlieren 107
einen Umgang mit Ärger und Frustration und können im Spiel ihre Selbstwirksamkeit erleben. Die zunehmende Verknappung gemeinsamer Familienzeit durch schulische Anforderungen, eine durchorganisierte Freizeit oder auch durch exzessives Medienverhalten lässt allerdings die Frage aufkommen, ob Kinder überhaupt noch in der Lage sind, ihre inneren und äußeren Spielwelten und Kreativitätsinseln zu entwickeln. Kritisch hinterfragt werden kann, welche Modelle Erwachsene bezüglich ihrer eigenen Kreativität vorleben. Die Spielwelten und Kreativitätsinseln sehen heute anders aus, da sich in kreativen und spielerischen Ausdrucksformen auch soziokulturelle Veränderungen wie zunehmende Individualisierungstendenzen sowie die Pluralität der Lebensformen spiegeln. Andererseits bleiben aber archaische Spielmotive – wie z. B. Hexen, Feen, Prinzen, Drachen, Ritter, Schwertkämpfer (Ninjas), Jäger, Untote, Tod, Flugfantasien – sowie die dazugehörigen basalen Uremotionen wie Ängste, Wut, Hass, Ekel, Scham, Macht, Liebe, Freude, Fröhlichkeit bestehen und überdauern im Spielgeschehen. Auch das Stillen der basalen Bedürfnisse nach Sicherheit, Liebe, Zuwendung, Anerkennung, Gesehenwerden sowie der Wunsch nach Auseinandersetzung mit ihren Unsicherheiten, Zweifeln und Schamgefühlen bleibt ein beständiges Aufgabenfeld in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Psychotherapeutisch Tätige können dabei mit kreativen Prozessen Hilfestellung beim Aufbau notwendiger Ich-Funktionen geben und zur Entwicklung einer kohärenten Identität beitragen, vielleicht auch einer glücklicheren.
Kreative Medien in der Kinderund Jugendlichenpsychotherapie Die Nutzung kreativer Medien, um Gestaltungsprozesse der Symbolisierung und Narrationen (Katz-Bernstein, 1990) zu unterstützen, ist auf vielfältige Weise möglich. Symbolisierung kann im Rahmen der Arbeit mit Symbolen entstehen durch ◼ Zeichnungen, Malen, Collagen, ◼ Arbeit mit Fotos, ◼ Imaginationen, Arbeit mit Ton (Kalkspatz, 2004) und Plastilin, ◼ Arbeit mit Seilen, Tüchern, ◼ Erstellen z. B. von Websites und Blogs als Identitätsarbeit (Hintenberger, 2012), ◼ Körperbilder, Body Charts (Petzold u. Orth, 2018). Narrationen können sich entfalten ◼ im freien szenischen Spiel, im themenspezifischen, im problem- und lösungsorientierten Rollenspiel, im Puppen-, Masken- und Theaterspiel, ◼ in Videoszenen, im Erfinden u. a. von Geschichten, Haikus, Gedichten sowie z. B. durch Liedtexte und Musik. 108
Rita DeDominicis
Kreative Prozesse sind immer auch im Zusammenhang mit den persönlichen biografischen Erfahrungen der Betroffenen zu sehen. Eine genaue Kenntnis der Anamnese ist daher von großer Wichtigkeit, da möglicherweise nicht alle Erfahrungen bewusst sind und dadurch auch negative Effekte hervorgerufen werden können. Kreative Prozesse können per se (implizit) heilsam wirken (besonders bei jüngeren Patient*innen), anderenfalls ist es nötig, die individuelle Bedeutsamkeit zu thematisieren. So kann die Arbeit mit kreativen Medien als sinnstiftend, als neue Lernerfahrung oder auch als Erfahrung der Gefährtenschaft auch im Sinne einer Trostarbeit (Petzold, 2004; Zorzi, 2019, bes. S. 83) bei belastenden schmerzhaften Erlebnissen erfahren werden.
Voraussetzungen für das kreative Feld im therapeutischen Prozess In der Integrativen Therapie gehen wir von einem ko-kreativen Kommunikationsakt aus, in dem der*die Therapeut*in als Ko-Kreator*in zur Verfügung steht, den realen und den fantasierten Szenen und Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen zu begegnen. Wir heißen sie so willkommen, wie immer sie sich präsentieren. Dazu stellen wir einen gastlichen, offenen Begegnungsraum mit ansprechenden Materialien innerhalb einer klaren und verlässlichen Zeitstruktur zur Verfügung. Kinder spüren genau, ob die Therapeut*innen in ihren Denk- und Gefühlsräumen offen für sie sind und genug Sicherheit bieten, um sich auf einen gemeinsamen gestalterischen Prozess einzulassen. Aufseiten der Therapeut*innen ist deshalb eine hohe innere Wachheit und leibliche Präsenz notwendig.
Das kreative Feld zwischen Therapeut*in und Kind oder Jugendlichem*r als reziproker, interaktioneller Prozess und Resonanzraum Im Feld der Therapeut*in spielen unsere eigenen Erfahrungen zu einem Thema, unsere eigene Befindlichkeit (Anspannung, Gelassenheit), die Ressourcen (z. B. Spiel- und Bewegungsfreude) eine Rolle und interagieren mit dem Erleben, dem Leiden, den Ressourcen, dem Verhalten der Betroffenen und ihrer Umwelt in einem dynamischen Kontinuum. Der*die Psychotherapeut*in begleitet und leitet diese Gestaltungsprozesse in verschiedenen aufeinanderfolgenden Zyklen. Die Psychodramatikerin Hildegard Pruckner (2001) unterscheidet zwischen der Spiel-, der Aktions- und der Begegnungsbühne sowie der sozialen Bühne (bes. S. 80 f.; vgl. auch Gutmann, 2017, S. 187–190). Diese Konzepte wurden laufend aktualisiert und elaboriert (z. B. kann eine Trennung im Raum mit Klebeband die separierten Bereiche optisch sichtbar machen), kennzeichnen so auch einen »Safe place« (Gahleitner, Katz-Bernstein u. Pröll-List, 2013) für das Kind und sind auch für die Integrative Therapie sehr hilfreich. Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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Der kreative, reziproke Spielprozess In der Begegnungssequenz zu Beginn einer Stunde werden die jungen Patient*innen eingeladen, ihre Erfahrungen zu erzählen. Unterstützt werden kann dies z. B. durch das Hin- und Herwerfen von zwei Bällen, wobei einer für positiv Erlebtes und der zweite für negative Erfahrungen steht. Der*die Therapeut*in kommentiert und verstärkt das Gehörte (»Oh, das hat dich geärgert!«, »Da wärst du wohl gerne mutiger gewesen.«) und lädt das Kind zu einer Spielsequenz ein, indem er*sie verschiedene kindgerechte Medien wie z. B. Handpuppen, Playmobilfiguren, Tierfiguren oder Malutensilien zur Auswahl anbietet. Um die Spielsequenz zu verdichten, sind weitere Fragen zur Klärung der Handlung notwendig: »Wen spielst du?«, »Wie soll ich die Mutter spielen?«, »Wo sind die Tierkinder hier im Raum?«, um nahe am inneren Erleben des Kindes zu bleiben. Fallbeispiel 1. Ein sechsjähriger Junge ist wegen nächtlichen Einnässens, verbaler Aggression, intensiven Masturbierens in der Schule und auch zu Hause in Therapie. Tabelle 1: Freies szenisches Spiel: »der Meteorit bedroht die Tiere« Sequenzbeschreibung
Therapeutin
Kind
Einrichten der Szene Ein Junge (6 Jahre) will sich Tiere aus der Kiste holen, er hört sie schon rufen. »Wer spielt denn mit?« Das Kind holt sich die weiche Ente, den kleinen Fisch, die Schlange und das Krokodil »Wo sind die Tiere, was brauchen sie?« Wasser (blaues Tuch) und Wald (grünes Tuch) am Boden, Sonne oben auf der Couch (gelbes und oranges Tuch) Spielszene Die Tiere werden platziert, das Spiel beginnt in ruhiger Atmosphäre, die Tiere sind ohne Verbindung zueinander.
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Rita DeDominicis
Sequenzbeschreibung
Therapeutin
Kind
Erster Durchgang: Gefahr, sicheren Ort einführen Das Kind hält plötzlich den großen Sitzball drohend hoch: »Der Meteorit schlägt ein!« Resonanz der Therapeutin: Schreck, Luft anhalten: »Die Tiere erschrecken!« »Ach ja, die Schlange ist schreckstarr.« »Die Tiere sind ungeschützt, was tun?« »Ja, tu was!« »Soll das Krokodil helfen?« »Ja!« Das Krokodil (Hilfs-Ich) bringt die Tiere in eine sichere Höhle. Tiere sind vorerst geschützt
»Ja das ist gut.«
Gefahr, Verwüstung
Das Kind lässt den Meteoriten vorsichtig herunterknallen. »Er ist eingeschlagen, ein Feuer!« Es zerknüllt das grüne Tuch (Wald verwüstet) »Da ist ja Wasser zum Löschen!« Gemeinsames Löschen
Gemeinsames Löschen
»Wie soll es für heute ausgehen?« Das Kind geht zur Sonne: »Es wird warm, alles trocknet.« Eingeführtes Abschlussritual: Plastilinspiel, etwas wird frei geformt (ohne Bezug zum vorherigen Spiel) und dabei geredet (wieder Begegnungsbühne)
Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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Sequenzbeschreibung
Therapeutin
Kind
Zweiter Durchgang: elektrische Spannung fühlen, lustvolle Aktion Das Kind lässt dieselben Tiere wieder aus der Kiste hüpfen. Der Meteorit richtet wieder eine kleine Verwüstung an. Die Tiere spielen nun in der Höhle, später außerhalb. »Die Schlange ist nun elektrisch geladen, wenn sie da ankommt!«, das Kind zeigt auf einen Punkt oberhalb der Höhle. »Elektrisch geladen, tut das weh, ist das unfein?« Therapeutin soll das Krokodil spielen.
Die Schlange elektrisiert das Krokodil an verschiedenen Körperstellen.
Das Krokodil zuckt und hüpft bei Berührung: »Britzel britzel.«
Das Kind lacht und genießt das (lustvolle) Spiel.
»Wie viel Strom ist noch drin? Kann da wer was tun?« Kompetenz des Kindes!
»Ja, ich!«
Zum Abschluss Plastilinspiel Dritter Durchgang: Ausprobieren der Spannungssteuerung, Pendeln Die Schlange hat einen Knopf, mit dem das Kind den Strom ein- und ausschalten kann. In der Interaktion von Schlange und Krokodil wird diese Steuerung ausprobiert, es kommt neben »britzel« auch zu positiven gemeinsamen Aktionen (Wasser trinken am See, tauchen, spritzen).
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Rita DeDominicis
Sequenzbeschreibung
Therapeutin
Kind
Vierter Durchgang: Tiere liebevoll versorgen, Verbindung, Freundschaft schließen Das Kind versorgt die Tiere mit Produkten aus dem Kaufmannsladen. Die Therapeutin spielt die Tiere, die die guten Sachen genießen. Es entsteht eine ent spannte gute Atmosphäre im gemeinsamen Spiel
Die Therapeutin verabschiedet sich lieb von den Tieren und auch vom mitgebrachten Stoffhund Lino, der zugesehen hat. Der kleine Fisch freundet sich beim Abschied mit der kleinen Ente an.
Fünfter Durchgang: Gefahr, Wut, Tiere schauen aus der Distanz zu, das Kind benennt die Hoffnung, dass die Schlange nicht elektrisch ist. Das Kind will, dass heute die Tiere einem Autospiel zusehen: Ein wütender Autofahrer fährt viel zu schnell, aber er zerstört nichts. Die Therapeutin soll das Polizeiauto spielen, das den Autofahrer verfolgt, aber nicht erwischt. Der Stoffhund Lino sieht auch zu. »Was will Lino?« »Er hofft, dass die Schlange heute nicht elektrisch geladen ist.« (Dem war dann auch so.) (Quelle: eigene Praxis)
Lernerfahrungen des Kindes über sechs Monate: Das Kind lernt im reziproken Prozess mit der Therapeutin, ◼ den Tieren mit ihren Bedürfnissen und Ängsten eine Stimme zu geben, ◼ über die Tiere sich selbst zu schützen (Rückzug als Möglichkeit), ◼ Spannungsabbau, Entspannen, ◼ in Anspannung lustvoll zu interagieren, ◼ sich zu regulieren, Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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◼ seine fürsorgliche Seite zu zeigen, ◼ seine Gefühle zu äußern. Kontext: Der sprachlich, kognitiv gut entwickelte lustige Junge wurde durch die frühe, plötzliche Trennung von der Mutter traumatisiert. Das reaktive, vermeidende Bindungsverhalten wurde von den Pflegeeltern nicht erkannt. Sie waren froh über seine »Selbstständigkeit«. Verlauf und Veränderungen: Der kreative therapeutische Prozess führte be gleitet von Reflexionen auf der Begegnungsbühne zum Transfer in den Alltag. Die begleitende Aufklärung der Pflegeeltern über Traumafolgen und vermeidenden Bindungsstil ermöglichte ein neues Verständnis für die Nöte des scheinbar gut funktionierenden Kindes. Nach der Sequenz mit der neu geschlossenen Freundschaft zwischen Fisch und Ente sagte das Kind erstmals zu seinen Pflegeeltern, es habe sie lieb. Der Junge fand zunächst im Spiel einen Ausweg aus der Erstarrung, dann erst schaffte er es, nachts bei Angst um Hilfe zu rufen, was ihm vorher unmöglich war. Durch die Spannungsregulierung im Spiel nahm das störende Masturbieren ab.
Tiefenhermeneutische und narrative Erkundungsund Erzählpraxis im kreativen Prozess Die dargestellte Arbeit mit dem freien szenischen Symbolspiel und auch das nachfolgen de Beispiel verdeutlichen diese Vorgangsweise. Patient*innen drücken ihre Geschichte in Szenen anhand der kreativen Angebote aus, die beobachtbaren Interaktionsphänomene ermöglichen den Zugang zu den dahinterliegenden Narrativen (Abbildung 1).
Integrieren des kreativen Settings in den therapeutischen Prozess Therapeutischer Prozess
Arbeitsbündnis mit Kind bzw. Jugendlichem*r sowie Eltern bzw. Bezugspersonen unter Einbeziehung des Umfelds
Begegnung prozessuale Diagnostik
Beziehung
Bindung
innere und äußere Ressourcen
kreativer Prozess
Symbolisierung Narration
Transfer
Selbstbewusstheit Veränderung
Abbildung 1: Darstellung des Integrierens des kreativen Settings in den therapeutischen Prozess (Quelle: eigene Darstellung)
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So können innere und äußere Kommunikationsaspekte, die bisher der Kommunikation entzogen waren, in das Gespräch einfließen (Zaepfel u. Metzmacher, 1998). Diese kreativen Zugänge werden im Unterschied zu anderen Kreativitätsformen also nicht per se eingesetzt, sondern finden innerhalb einer therapeutischen Beziehung und deren Schutzraums eine oft tiefergehende Bedeutung. Wie das folgende Fallbeispiel zeigt, werden damit Wahrnehmungsprozesse differenziert, Zugänge zu Leibempfindungen und Ausdruck von Gefühlen, Bedürfnissen entwickelt. Es ist auch ein lustvoller Weg, an therapeutische Ziele heranzugehen. Fallbeispiel 2. Ein neunjähriges Mädchen ist aufgrund von Zwangshandlun gen (Ordnungszwang, Anziehzwang) in Psychotherapie. Der nachfolgende kreative Malprozess und das szenische Spiel als intermedialer Quergang entwickeln sich über Stunden (Abbildungen 2 bis 7).
Abbildung 2: Safe place. Das Malen des sicheren Orts wird perfektionistisch ausgeführt, sie nutzt dafür sehr lange Titel: »Der Garten der Oma«. Oma wird als eine Ressource erlebt (Quelle: eigene Praxis)
Abbildung 3: Sicherer Ort. Das Bild entsteht nach einem freien szenischen Spiel mit Drachenhandpuppen und auf Nachfragen, was noch gut sein könnte am sicheren Ort, sodass sich der ganze Körper dort richtig wohl fühlt (Quelle: eigene Praxis)
Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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Abbildung 4: Körperbild: Quälende Gedanken werden benannt, sie fühlt sich teilweise doof, Ängste und Wohlgefühl können verschiedenen Körperregionen zugeordnet werden (Quelle: eigene Praxis)
Abbildung 5: Schokopuddingfee. Die bekleckerte Fee wird sehr lustvoll gemalt (Quelle: eigene Praxis)
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Rita DeDominicis
Abbildung 6: Hexenblut und Warzenschwein. Nach einem szenischen Spiel mit Fingerpuppe und buntem Vogel, in dem der Vogel aus einem zu engen Haus mit seinem Bett auszieht und fortan bei einer großen Zimmerpflanze lebt und frei ist, konnte erstmals Wut auf die Mutter im gemalten Bild ausgedrückt werden. Familiärer Hintergrund: strenges, rigides Erziehungsverhalten der Mutter, entwertende, kränkende Bemerkungen des Vaters (Quelle: eigene Praxis)
Abbildung 7: Sturm. In diesem Bild zeigt sich viel größere Lebendigkeit und Beweglichkeit, es ist lustvoll und schnell gemalt (Quelle: eigene Praxis)
Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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Das Pendeln zwischen Gefühlen von, klein zu sein, sich zu schämen, bis hin zu den Stärken bzw. von den Wut- zu den Mutgefühlen, jeweils unter Einbeziehung der leiblichen Ebene, ermöglicht dem Mädchen wichtige Entwick lungsschritte. Neben den kreativen Prozessen sind auch konfrontative Elterngespräche wesentlich für den Therapiefortschritt. So können die Ängste und Zwänge abschmelzen. Das Mädchen fühlt sich zunehmend kraftvoller, lockerer und freier. Die Funktion des Zwangs sowie dessen Dynamik können von ihr und der Familie verstanden und aufgelöst werden.
Kreative Prozesse themenspezifisch anregen und konfliktzentriert bearbeiten Themen von Jugendlichen können durch das gemeinsame Hinschauen mit dem*r Therapeut*in in den Fokus genommen werden und dann z. B. in Bildern, Collagen, Texten und Leibübungen auch mittels intermediärer Quergänge ausgedrückt werden (Orth u. Petzold, 1993/1996, S. 107–111; Petzold, Orth u. Sieper, 2019, S. 17). Fallbeispiel 3. Eine Jugendliche (16 Jahre) leidet nach der konflikthaften Trennung der Eltern und dem »überfallartigen« Auszug aus dem Haus mit Garten und geliebtem Baum. Sie hat Angst vor einer Krebserkrankung, leidet unter Panikattacken, Einschlafstörungen und trauriger Stimmung (Abbildung 8).
Abbildung 8: Erschrockener Baum. Sie drückt ihre Situation aus mit einem erschrockenen Baum und entwurzelten Blumen (sie und ihr Bruder) (Quelle: eigene Praxis)
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Über dieses Bild und die dazugehörige Geschichte findet sie Zugang zu ihren verschütteten Gefühlen von Trauer, Angst und Wut. Durch den nachgeholten Abschied und die Würdigung dieser für sie schwierigen Zeit kann sie sich in den neuen Lebensbedingungen endlich gut einleben, die Angst und die Trauer bewältigen und sich dann ihren Jugendthemen lustvoll widmen.
Abbildung 9: Freudenblasen. Nach depressiver Phase, Text dazu: »In der ganzen Dunkelheit schweben zehn Blasen Freude. Die Angst und die Sorgen haben sie alle eingesperrt. Eine Zeit lang besaßen diese den Körper. Doch ich fand wieder die Kraft und das Vertrauen und so auch die Blasen. Sie ließen sich nicht mehr von der ganzen Dunkelheit einschüchtern und begannen wieder, die ganze in sie eingeschlossene Freude zu verströmen.« (Quelle: eigene Praxis)
Ressourcenaktivierung mithilfe kreativer Medien Im therapeutischen Prozess sind neben den schwierigen und belastenden, defizitären Bereichen die persönlichen Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten des betroffenen Menschen ein wichtiges Thema. Die eigenen Ressourcen zu erforschen, zu spüren und unter Zeugenschaft des*r Therapeut*in darzustellen, stärkt die positiven Selbstanteile und die Fähigkeit, auch die positiven Facetten im Leben sowie die eigenen Anstrengungen anzuerkennen. Kreative Ressourcenbilder können so zu einem stärkenden und schützenden Ausgangspunkt für die Bearbeitung von belastenden, traumatischen, defizitären Erfahrungen werden. Kreative Ressourcenbilder als protektive Faktoren können helfen, sich auf belastende Situationen wie Prüfungen, Sportwettkämpfe, Operationen oder GerichtsterKreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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mine vorzubereiten. Ebenso können Fotos, Lieder, Songtexte, die uns Jugendliche vorspielen, kraftspendend und Ich-stärkend eingesetzt werden. Mithilfe von Ressourcenkarten oder Ressourcenschatzkästchen wird die Fähigkeit zur Selbstberuhigung und Selbstwirksamkeit unterstützt.
Transferunterstützung nach kreativen Prozessen Wesentlich im Behandlungsverlauf ist der Transfer des Erarbeiteten in den Lebensalltag. Erfüllende, heilsame gestalterische Prozesse brauchen Zeit, um nachzuwirken und reflektiert zu werden. Kinder und Jugendliche brauchen auch Unterstützung, wie sie sich das Erarbeitete im Alltag verfügbar machen können. Neben dem Nachwirkenlassen ist es wichtig, nach der kreativen Phase eine Zeitsequenz für das Reflektieren zu etablieren, wodurch mit der Zeit das Reflektieren immer leichter und selbstverständlicher wird. Erkenntnisse, Ressourcen, hilfreiche Sätze usw. können durch Aufschreiben festgehalten und so für den Alltag gesichert werden. Kraftvolle, gute Gefühle können mit einer Körpergeste verankert werden und so auch im Alltag zur Verfügung stehen. Kreative Objekte können einen Platz im Lebensumfeld finden und so an Erarbeitetes erinnern, z. B. durch das Aufhängen eines gemalten Bilds oder den immer wieder abspielbaren Song am Handy, Sätze auf Post-its im Federmäppchen, die Tonfigur, die öfter berührt wird, das Haiku, das vor einer schwierigen Situation nochmals gelesen wird. Leider werden die Gestaltungen von den Bezugspersonen nicht immer wertgeschätzt. Bei Rückschlägen ist es wichtig, wieder Mut zu machen, so gelingt Resilienzförderung: Die Kinder und Jugendlichen brauchen jemanden, der an sie glaubt!
Kreatives Gestalten als Selbsttätigkeit der Seele: ein »lohnendes Spiel«, aber auch nicht gefahrlos Die dargestellten Fallbeispiele zeigen nur einen kleinen Teil der vielfältigen Möglichkeiten und Potenziale der Arbeit mit kreativen Medien in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, wenn sie in einen guten und tragfähigen therapeutischen Prozess eingebettet sind. Der Einsatz kreativer Medien erfolgt dabei überlegt und begründet im Hinblick auf die Struktur und Integrationsfähigkeit und die entwicklungspsychologischen Möglichkeiten der jungen Patient*innen. Beachtenswert bei der Auswahl der Medien ist neben ihrem unterschiedlichen Aufforderungscharakter auch der individuelle Erfahrungshintergrund der Patient*innen mit dem jeweiligen Medium. Wenn mit einem Medium negative Assoziationen verbunden sind, wie z. B. negative Schulerfahrungen im Zusammenhang mit Malen, 120
Rita DeDominicis
können durch den Einsatz dieses Mediums diese negativen Erinnerungen getriggert werden. Der Einsatz kreativer Medien sollte von den Kindern und Jugendlichen stimmig erlebt werden. Überaktionismus in der medialen Arbeit wiederholt möglicherweise das von den Kindern erlebte Überhäuftwerden, ohne in einer guten Beziehung gehalten zu sein bzw. gesehen zu werden. Fantasie, Spiel, Kreativität als Selbsttätigkeit der Seele, als »Seelenpost« (Frühmann, 2010, S. 38) verstanden, kann oft aus sich selbst heraus Gedanken und Bilder generieren, die mit Emotionen und Leibempfindungen verbunden werden. Kreatives Gestalten als ein geschütztes Training für das echte Leben hilft, schwierige emotionale Probleme zu bearbeiten. In dieser spielerischen Form sind die Impulse, Imaginationen frei und können Zugang zu neuen Perspektiven, neuen Lebensgestaltungen schaffen: ein vielfältiger und lohnender Prozess zwischen den uns anvertrauten Patient* innen und uns Therapeut*innen.
Das Wichtigste in Kürze Konkrete Schritte für das freie szenische Symbolspiel: 1. Spielräume gestalten: ◼ zur Verwendung des griffbereiten Materials einladen, ◼ Eigeninitiative des Kindes annehmen und fördern, ◼ Spielszene durch Fragen gestalten helfen, z. B.: »Wo?, wer?, was braucht?, was könnten wir nehmen?«, zuletzt immer »Passt das?«. 2. Spiel begleiten: ◼ mitmachen, auf Vorschläge des Kindes eingehen, ◼ Resonanzgefühle (z. B. Erschrecken, Ängste) wahrnehmen, ◼ wenn nötig, etwas ins Spiel einbringen: über Intermediärobjekte oder über Fragen, dabei mit Aussagen kommentierend, oder aber sich merkend und später darauf zurückkommend, ◼ nicht zu früh und nur mit Rückfrage eigene Spielideen einbringen. 3. Spielideen ausprobieren: ◼ überprüfen, ob es passt, ◼ mit dem Kind gemeinsam Variationen suchen und erproben. 4. Traumatrance vermeiden! ◼ Auf unheilvolle (traumagetriggerte) Wiederholungen sowie den Bindungsstil und auf Brüche, Unverbundenes achten. ◼ Durch Interventionen auf der Spielebene entgegenwirken: Sich nicht scheuen, Neues, Beruhigendes, Heilsames einzuführen (immer überprüfen, ob es passt). Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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Rita DeDominicis
Petzold, H. G., Orth, I., Sieper, J. (2019). Integrative Therapie mit Kreativen Medien, Komplexen Imaginationen und Mentalisierungen als »intermediale Kunsttherapie« – ein ko-kreativer Ansatz der Krankenbehandlung, Gesundheitsförderung, Persönlichkeitsbildung und Kulturarbeit (Reihe: FPI-Publikationen). Hückeswagen: Petzold + Sieper. https://www.fpi-publikation.de/down�load/20285/ (Zugriff: 09.11.2022). Pieh, C., Dale, R., Jesser, A., Probst, T., Plener, P. L., Humer, E. (2022). The impact of migration status on adolescents’ mental health during COVID-19. Healthcare, 10 (1), Art. 176. https://doi.org/10.3390/ healthcare10010176 (Zugriff: 09.11.2022). Pruckner, H. (2001). Das Spiel ist der Königsweg der Kinder. Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel mit Kindern. München: InScenario. Zaepfel, H., Metzmacher, B. (1998). Kinder- und Jugendlichentherapie in komplexen Lebenswelten. Das Konzept des sozialen Sinnverstehens. Integrative Therapie, 24 (3–4), 314–335. Zorzi, L. (2019). Psychotherapie mit komplex traumatisierten Jugendlichen. Ein Integrativer Ansatz für die Praxis (Reihe: Leben lernen, Bd. 306). Stuttgart: Klett-Cotta.
Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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Kreative Medien in der Akutpsychiatrie Warum manchmal weniger mehr ist und man trotzdem nicht darauf verzichten soll
Künstlerische Medien und Methoden sind seit vielen Jahren ein wesentlicher Bestandteil von psychiatrischen Behandlungsansätzen. Die Integrative Therapie bietet dafür mit ihren gut elaborierten Konzepten eine wertvolle Orientierung für einen theoriegeleiteten Einsatz von kreativen Medien. Ihre vielschichtigen Behandlungsansätze und Techniken haben sich in Verbindung mit einem störungsspezifischen, psychiatrischen Wissen im Behandlungsalltag vielfach bewährt. Speziell darauf wird im Beitrag – neben einer kurzen geschichtlichen Einordnung des Themas – eingegangen.
»Ich arbeite aus Notwendigkeit, um innerlich nicht so zu leiden, um mich zu zerstreuen« (Gogh, 1889; zit. nach Mittelstädt, 1977/1985, S. 12). Diese Worte schrieb Vincent van Gogh im Krankenhaus von Arles, wohin er sich im Zustand einer schweren psychischen Krise zu Beginn des Jahres 1889 begeben hatte. Wenige Künstler*innen faszinieren mit ihrem Leben und Schaffen die Nachwelt so sehr wie seines. Er entspricht dem gängigen Klischee von Genie und Wahnsinn, und seine Biografie suggeriert eine gewisse Nähe zwischen Psychiatrie und Kunst. Ist Kunst als schöpferischer Ausdruck eine Notwendigkeit, um psychisches Leiden zu lindern? Aus dem Blickwinkel eines*r Künstler*in betrachtet offensichtlich ja, aber wie notwendig kann kreativer Ausdruck für all jene Patient*innen sein, die bisher keinen Zugang zur Kunst hatten? Obgleich die Integrative Therapie mit ihrem fundierten Konzept für eine Therapie mit kreativen Medien eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten in ihrer klinischen Anwendung bietet und sich auch vielfach bewährt hat, gibt es dazu leider noch keine klinischen Studien. Aus diesem Grund stützt sich die Beantwortung dieser Frage im Wesentlichen auf die 40-jährige persönliche klinische Erfahrung des Autors.
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Kurzer historischer Überblick Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden kreative Arbeiten von psychiatrischen Patient*innen bis auf wenige Ausnahmefälle als abartig und wertlos betrachtet. Selbst Johann Wolfgang von Goethe (1890/1914, S. 256–261) äußerte sich 1787 nach dem Besuch der Villa Palagonia bei Palermo wenig wertschätzend über die skulpturale Ausgestaltung. Die von dem vermutlich geisteskranken Fürsten Palagonia entworfenen Skulpturen erregten zwar durchaus sein Interesse, entsprachen aber nicht seinem klassischen Kunstverständnis und waren daher für ihn nur Ausdruck eines grenzenlosen Wahnsinns (vgl. auch Kraft, 2005, S. 18 f.). Erst durch den Franzosen Paul Meunier (alias Marcel Réja), den Schweizer Walter Morgenthaler und den Deutschen Hans Prinzhorn kam es zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Bildwerk Geisteskranker. Prinzhorns (1922/2016) 1922 erschienenes Werk »Bildnerei der Geisteskranken« veränderte den Blick auf dieses faszinierende Gebiet menschlichen Ausdrucks. Sein Buch fand aber bei Künstler*innen mehr Resonanz als im psychiatrischen Fachkreis, wo es von einem Großteil der Kolleg*innen missverstanden und abgelehnt wurde. Besonders bei den französischen Surrealisten stieß das Werk auf großes Interesse. Jean Dubuffet sah in der rohen, rudimentären und unverfälschten Art der Werke einen besonderen, eigenständigen Wert und prägte dafür den Begriff »Art brut« (vgl. Presler, 1981, S. 25 f.). In dieser Tradition ist auch das Werk Leo Navratils einzuordnen. Navratil war Primar an der Landesnervenheilanstalt Gugging sowie Entdecker und Förderer von Künstlern mit Psychiatriehintergrund (vgl. Navratil, 1983). Zur ersten Generation der Gugginger Künstler gehörten Johann Hauser, Ernst Herbeck, Philipp Schöpke, Oswald Tschirtner und August Walla, deren Werke heute bei Kunstauktionen hohe Preise erzielen und in künstlerisch-intellektuellen Kreisen als hip gelten. Die von Künstler*innen und kunstsinnigen Menschen ausgehende Auseinandersetzung mit der Kunst psychisch erkrankter Menschen trug wesentlich zur Entstigmatisierung dieser Personengruppe bei. Kritisch muss dazu bemerkt werden, dass das Interesse oft nur dem Werk der Künstler*innen galt und weniger der Behandlung ihrer seelischen Leidenszustände (Kraft, 1989, S. 315; Walther, 2012, S. 233 f.). Erst in den 1960er Jahren erkannte man zunehmend das therapeutische Potenzial von kreativen Medien und kunsttherapeutischen Aktivitäten. Zahlreiche Publikationen (Überblick bei Dunkel u. Rech, 1990/2007) erschienen zu diesem Thema, neue Therapieschulen wurden gegründet, wobei die Integrative Therapie wohl einen der fundiertesten Beiträge leistete (vgl. auch Mechler-Schönach, 2012). In diese Zeit fällt auch die große Umbruchs- und Reformbewegung der Psychiatrie. Sie entwickelte sich von einer reinen Verwahranstalt zu einer evidenzgeleiteten Behandlungseinrichtung für psychische Krankheiten. Damit änderte sich der Fokus in den bereits seit 126
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den 1920er Jahren bestehenden Arbeitstherapien und Beschäftigungstherapien: An die Stelle der ursprünglichen Zielsetzung, für die notwendigen Arbeiten zu sorgen und Patient*innen zu beruhigen, traten jetzt therapeutische Interessen (vgl. Schrode, 1983; Petzold, 1990/2007). Das neue Berufsbild der Ergotherapie (erste Schulengründung in Österreich 1971) etablierte sich in den psychiatrischen Anstalten und damit ein zunehmendes Interesse an kunst- und kreativitätstherapeutischen Zugängen (Schnopfhagen, 2011). In vielen psychiatrischen Anstalten entwickelte sich eine junge und unkonventionelle therapeutische Szene, die mit kreativitätstherapeutischen Methoden experimentierte. Die Initiative ging meist von kunstinteressierten, engagierten Mitarbeiter*innen aus, die Reaktionen der akademischen Leitungen darauf reichten von stillschweigender Duldung bis wohlwollender Unterstützung. Kunst-, Tanz-, Mal- und Gestaltungsgruppen wurden entweder in den Stationen oder im Bereich der Ergotherapie angeboten. Die therapeutischen Zielsetzungen der jeweiligen Therapieangebote waren sehr heterogen, da sie sich vorwiegend an den Konzepten der angebotenen Therapierichtung und weniger am Gesamtkonzept der jeweiligen Anstalt orientierten. Im Vergleich zur damaligen Zeit finden wir heute in den psychiatrischen Kliniken eine deutlich veränderte Situation. Die Behandlungskonzepte der einzelnen Therapierichtungen sind einer evidenzbasierten Vorgehensweise verpflichtet, die Anzahl der Therapeut*innen sowie die Therapierichtung wird durch die jeweiligen Dienstpostenpläne klar vorgegeben. Kreative Medien gehören weiterhin zum therapeutischen Repertoire in den psychiatrischen Kliniken, sie haben aber an avantgardistischer Strahlkraft verloren. Beim Blick zurück ist deutlich zu erkennen, dass sich die Bedingungen in der Psy chiatrie im Laufe der Zeit gravierend geändert haben. Ihre Entwicklung führte von einer menschenunwürdigen Ausgrenzung psychisch Kranker im Narrenturm zu einer evidenzbasierten Behandlung in psychiatrischen Kliniken. Damals wie heute ist jedoch eine dem Menschen innewohnende, schöpferische Kraft zu erkennen, die unbeeinflusst von den jeweiligen Bedingungen nach Ausdruck und Lösung sucht.
Behandlungsbedingungen in der Akutpsychiatrie Verlauf und Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung werden von vielen Voraussetzungen und Bedingungen beeinflusst, im Wesentlichen von den vier Faktoren Klient*innen, Therapeut*innen, Setting und Kontext. Im Folgenden werden anhand dieser Faktoren die speziellen Voraussetzungen in der akutpsychiatrischen Behandlung dargestellt und aus den jeweiligen Bedingungen die notwendigen Konsequenzen für den psychotherapeutischen Einsatz von kreativen Medien abgeleitet. Kreative Medien in der Akutpsychiatrie
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Einflüsse durch Patient*innen Werden Patient*innen in einer Abteilung für Akutpsychiatrie aufgenommen, ist davon auszugehen, dass sie an einer schweren psychischen Erkrankung leiden. Damit sind meist deutliche Einschränkungen der Ich-Funktionen verbunden. Ich-Funktionen sind jene Fähigkeiten, die es einer Person ermöglichen, sich selbst als Mensch wahrzunehmen und das eigene Leben sinnhaft zu gestalten. Sie entwickeln sich aus dem »archaischen Leib-Selbst« (Petzold, 2003, S. 534–538) durch Kontakt und Begegnung zu einem reifen selbstreflexiven Ich und sind Teil eines reifen Leibselbst. Zu den Ich-Funktionen zählen Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Erinnern, Wollen, Entscheiden und Handeln (S. 534–538). Kommt es in diesen Bereichen zu schweren Einschränkungen, hat dies auch starke Auswirkungen auf den Therapieprozess. Das Funktionsniveau des Ichs ist nicht die einzige Patienten-Einflussvariable für den Therapieverlauf, ist aber im Kontext der Psychiatrie und für die Therapieplanung von großer Bedeutung (Arbeitskreis OPD, 2014). Werden bestehende Defizite und Störungen der Ich-Funktionen vonseiten der Therapeut*innen nicht erkannt und wird nicht adäquat darauf eingegangen, so führt dies zur Überforderung der Patient*innen. In der Folge treten Frustration und Widerstand auf, die im weiteren Verlauf nicht selten zu einem Therapieabbruch führen. Der Versuch, z. B. mit einem*r Klient*in im Zustand einer schweren Depression (F32.2) ein realistisches Selbstbild zu erarbeiten, wird kläglich scheitern. Wie soll dieses Vorhaben gelingen, wenn die Wahrnehmung eingeschränkt ist, der Leib sich leblos und leer anfühlt, die Gedanken sich im Kreis drehen und von einem starken Verschuldungswahn geplagt werden. Außerdem ist es nahezu unmöglich, positive Zukunftsentwürfe zu kreieren und in die Tat umzusetzen. Aus diesem Grund muss bei schweren psychischen Erkrankungen zu Beginn der Behandlung auf den Aufbau oder die Wiederherstellung ausreichend guter (primärer) Ich-Funktionen geachtet werden (Arolt u. Wesselmann, 2010, S. 145). Wichtig ist, Ich-Funktionen nicht als technische Werkzeuge zu verstehen, die repariert und wiederhergestellt werden müssen. Das Ich ist vielmehr der bewusstseinsfähige Teil des Leibselbst, der im Wesentlichen durch wertschätzende Aufmerksamkeit und empathisches Mitgefühl gestärkt wird. Empathische Zuwendung steht in diesem Fall immer vor der Anwendung therapeutischer Techniken. Dies gilt auch für die Anwendung kreativer Medien. Die nachfolgenden Beispiele sollen eine Vorstellung davon vermitteln, unter welchen Umständen kreative Medien indiziert sind bzw. Kontraindikationen bestehen.
Indikationen Kreative Medien in ihrer Funktion als Ausdrucksmittel. Bei Menschen mit einer Affinität oder Offenheit zum kreativen Ausdruck kann diese Fähigkeit meist auch in schwe128
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ren Krisen abgerufen werden. Eine Schachtel Ölkreiden, ein Blatt Papier und eine kurze Anleitung genügen, um dem Kloß im Hals oder dem Stein, der so schwer auf die Brust drückt, Farbe und Form zu geben. Dieser bildnerische Ausdruck des unmittelbar Erlebten bewirkt nicht nur eine erste Erleichterung und Entspannung, sondern er kann auch den inneren Druck und das persönliche Leiden für ein empathisches Gegenüber besser zugänglich machen. Quälende Gedanken können durch endlos kreisende Bewegungen mit einem Stift auf Papier ausgedrückt werden. Dadurch werden Monotonie und Endlosigkeit des eigenen Denkens nicht nur erkennbar, sondern auch spürbar. In der Folge entwickeln sich neue Bewegungsimpulse, die wiederum Einfluss auf das Denken nehmen. Ebenso kann der symbolische Ausdruck eines Problems zu einer Erweiterung der persönlichen Lösungsansätze führen. Im Symbolischen verbergen sich oft schwer zugängliche Aspekte eines Themas. Die Erschließung bisher unbewusst gebliebener Inhalte weitet die persönliche Perspektive und ermöglicht neue Lösungsansätze (Petzold, 1990/2007). Kreative Medien in ihrer Funktion als Intermediärobjekt. Intermediärobjekte sind Teil einer gemeinsamen Wirklichkeit. Durch sie werden Kontakt und Begegnung oft erst möglich, sie erleichtern die Kontaktaufnahme und können als Thema für ein Gespräch und als strukturierendes Element dienen. Zum therapeutischen Einsatz sind alle Medien, die in der rezeptiven Kunsttherapie genutzt werden, gut geeignet: Kunstpostkarten, Fotos von Landschaften oder auch Spruchkarten. Es können aber auch Gegenstände sein, die durch ihre Haptik ansprechen, wie Bälle, Felle, Steine, Puppen. Im Prinzip geht es darum, dass die angebotenen Gegenstände einen starken Aufforderungscharakter für die Patient*innen haben, diese zu betrachten oder zu berühren und in der Folge sich mit dem jeweiligen Gegenüber darüber austauschen zu wollen. Im akutpsychiatrischen Behandlungskontext werden Intermediärobjekte vor allem bei Gruppentherapien und in prätherapeutischen Settings (vgl. Anwendungsbeispiel Bilderleben) verwendet (Petzold u. Sieper, 1990/2007, S. 177). Kreative Medien in ihrer Funktion als Strukturierungs- und Zentrierungshilfe. Bei Patient*innen mit erheblichen Defiziten ihrer Ich-Funktionen sind vor allem strukturierende Interventionen ein wesentlicher Teil der Behandlung. Wie sich das Ich in der Begegnung mit dem Du entwickelt (Buber, 1923/2016, S. 28), so bilden sich innere Strukturen durch das Erleben äußerer Strukturen. Ein Klassiker der strukturgebenden Medien ist das Mandala, eine sehr alte indische Technik der Selbstzentrierung, die über Carl Gustav Jung (1934–1955/2021) Eingang in den klinischen Bereich fand. Für die Arbeit mit Mandalas wird meist eine größere Auswahl von Vordrucken angeboten. Der vorgegebene Rahmen bietet Struktur, die freie Wahl der Farben beim Ausgestalten der vorgegebenen Flächen erlaubt individuelle Freiheit. Beim Malen ist die Aufmerksamkeit auf das momentane Tun gerichtet, die Gedanken werden ruhig und konzentrieren sich ganz auf die Tätigkeit. Mandalas werden in der AkutpsychiaKreative Medien in der Akutpsychiatrie
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trie vorwiegend in der Ergotherapie eingesetzt, in der Psychotherapie können sie bei prätherapeutischen Interventionen und als Aufgabe für die Zeit zwischen den jeweiligen Therapieeinheiten genutzt werden. Medien können aber auch gut für die Externalisierung von komplizierten Gedankengängen, bei starker innerer Ambivalenz oder für eine Erleichterung von Entscheidungsprozessen verwendet werden (vgl. Anwendungsbeispiel vier Entscheider). Kategorienbildungen lassen sich leichter und klarer auf einem Blatt Papier darstellen und nachvollziehen als beim Versuch, alles nur in den eigenen Gedanken zu ordnen.
Kontraindikationen Der Einsatz von kreativen Medien trotz Widerstands der Patient*innen. Die allgemeine Regel, keine Interventionen gegen den Willen von Patient*innen zu setzen, gilt ganz besonders bei krisenhaften, labilen Zuständen. Dieser Widerstand muss ernst genommen werden. Er dient als Schutz vor Überforderung und ist ein wichtiger Teil der Selbstregulation und Selbstbestimmung. Beim Übergehen dieser ohnehin oft sehr fragilen Selbstregulierung wird eine zusätzliche Labilisierung der Patient*innen riskiert und der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung nachhaltig beeinträchtigt. Gefahr der Überflutung durch kreative Medien bei erlebnisaktivierender Anwendung. Bei Patient*innen mit Beeinträchtigungen der regulierenden und strukturierenden Funktionen von Wahrnehmung und Denken besteht die Gefahr einer malignen Stimulierung. Besonders bei Erkrankungen an einer Psychose, Demenz oder bei Traumatisierungserfahrungen ist medialer Aktionismus unangebracht. Die in diesem Krankheitszustand ohnedies geschwächten Ich-Funktionen werden durch zusätzliche Stimulierung weiter überfordert. Dies trägt zu einer fortschreitenden Fragmentierung des Identitätserlebens der betroffenen Personen bei (Klingberg, Roesch-Ely, Buchkremer u. Mundt, 2008). Unbeabsichtigte Evokation von belastenden biografischen Erlebnissen. Durch den Einsatz von kreativen Medien können im therapeutischen Prozess längst vergessene oder verdrängte Lebensereignisse wieder ins Bewusstsein treten. Nicht zu jedem Zeitpunkt ist die Evokation dieser für die Patient*innen oft sehr belastenden Erinnerungen förderlich. Die Bearbeitung schwieriger Lebenserfahrungen oder Traumata ist in einer psychiatrischen Krisensituation kein vorrangiges Ziel und aufgrund der bei vielen Patient*innen eingeschränkten Ressourcenlage oft auch nicht möglich. Um ein unerwünschtes Wiedererleben defizitärer oder traumatisierender Erlebnisse zu vermeiden, sind daher beim Einsatz kreativer Medien eine erhöhte Achtsamkeit und eine gute Kenntnis über deren Wirkweise notwendig. Auf den Einsatz von Panoramatechniken oder die unstrukturierte Verwendung von Ton sollte daher in diesen Fällen verzichtet werden. 130
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Einflüsse durch das Setting Zu den allgemeinen Setting-Faktoren gehören Raum bzw. Ort, Zeitstruktur, Bezahlung und Kontaktaufnahme bzw. Zuweisung. Eine große Herausforderung im akutpsychiatrischen Setting besteht in der Tatsache, dass in den meisten Fällen nur eine kurze Zeitspanne für die psychotherapeutische Behandlung zur Verfügung steht. Im Einzelfall variiert die Dauer der Behandlung jedoch erheblich und ist zu deren Beginn nur schwer vorhersehbar. Die zeitliche Limitierung erfordert eine sehr fokussierte und strukturierte Behandlungsplanung und Behandlungsstrategie. Das gilt natürlich auch für den Einsatz von kreativen Medien.
Indikation Grundsätzlich kann in den vorgegebenen Zeiteinheiten der durch angewandten Medieneinsatz angeregte Prozess möglichst gut abgeschlossen werden. Kreative Medien können darüber hinaus helfen, das therapeutische Zeitfenster über die vorgegebene Präsenzzeit hinaus zu weiten. Durch die Anregung, sich Farben und Papier auf die Station mitzunehmen und einem bestimmten Thema kreativen Ausdruck zu verleihen, kann zusätzlich der Zeitraum zwischen den Therapieeinheiten therapeutisch genutzt werden. In der nächsten Einheit kann die mitgebrachte Gestaltung in den Therapieprozess einfließen und gemeinsam bearbeitet werden. Bei der Aufgabenstellung ist darauf zu achten, Patient*innen dadurch nicht zu überfordern oder bei deren Ausführung nicht allein zu lassen.
Kontraindikation Vorsicht ist geboten, wenn durch kreative Medien angestoßene Prozesse nicht vor dem voraussichtlichen Therapieende abgeschlossen werden können. Der Einsatz von Panoramatechniken ist eine sehr gute diagnostische und auch therapeutische Intervention. Im akutpsychiatrischen Setting ist davon jedoch abzuraten, weil der dafür benötigte Zeitrahmen fehlt. Kreative Medien sollen auch nicht zum Einsatz kommen, wenn Patient*innen Zeit zum Erzählen brauchen. Viele Menschen sind »wundgeschwiegen« (Petzold, 2010, S. 362), in ihrem sozialen Kontext fehlen ihnen gute Zuhörer*innen. Auch wenn sich in den Erzählungen der Patient*innen Themen anbieten, die gut mit einer kreativen Technik bearbeitet werden könnten, ist es in diesem Fall besser, einfach nur gut zuzuhören. Kontextbedingungen im akutpsychiatrischen Setting. Neben den allgemeinen Einfluss faktoren für eine Therapie spielen in der psychotherapeutischen Behandlung in der Akutpsychiatrie weitere Faktoren eine Rolle. Bis heute existieren in unserer Gesellschaft Ressentiments gegenüber psychischen Erkrankungen. Eine Aufnahme und ganz besonders eine kurzzeitige Unterbringung in einem geschlossenen Bereich einer psyKreative Medien in der Akutpsychiatrie
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chiatrischen Klinik sind sehr oft mit Misstrauen, Angst und Scham besetzt. Die Sorge um den Arbeitsplatz oder Probleme bei der Kinderbetreuung erhöhen den Druck, schnell wieder gesund und funktionsfähig zu werden. Daraus resultiert nicht selten eine mangelnde Bereitschaft, sich auf eine Therapie einzulassen, oder eine unrealistische Erwartung an den Gesundungsprozess. Kommen Patient*innen aus einem sozialen Umfeld mit großen Vorurteilen gegenüber psychischen Erkrankungen, ist beim therapeutischen Einsatz von kreativen Medien besondere Vorsicht geboten. Die Aufforderung, etwas zu malen, weckt bei ihnen oft Erinnerungen an den Kindergarten, und sie fühlen sich als Erwachsene nicht angesprochen und ausreichend ernst genommen. Die ohnedies bestehende Abwehr gegenüber dem Therapieprozess wird dadurch verstärkt. Ein vorschneller Einsatz von kreativen Medien ist hier absolut kontraindiziert. Nur mit einer verständnisvollen, empathischen Vorgehensweise und gut verständlichen Erklärungsmodellen kann hier ein Zugang zum kreativen Potenzial dieser Patient*innen geschaffen werden.
Einflüsse durch Therapeut*innen Voraussetzungen, die durch Therapeut*innen in die Therapie eingebracht werden, ergeben sich durch das jeweilige Therapieverfahren, die beruflichen und persönlichen Erfahrungen sowie durch die Persönlichkeit der Therapeut*innen. Die Integrative Therapie bietet mit dem Konzept der »vier Wege der Heilung« (Petzold, 2003, S. 76–78) sowie mit der Einsatzmöglichkeit von kreativen Medien vielschichtige Zugänge zum Menschen. Die Breite dieser Interventionsmöglichkeiten ist im akutpsychiatrischen Einsatz von großem Vorteil und ermöglicht ebenso differenzierte wie individuelle Behandlungsansätze. Die Anforderungen an Therapeut*innen in der Akutpsychiatrie sind vielschichtig. Wir begegnen Patient*innen in diesem Kontext meist in drei Aspekten: ◼ Sie befinden sich in einer akuten psychiatrischen Krise. ◼ Sie leiden an einer psychiatrischen Krankheit. ◼ Sie bringen in ihren gesunden Persönlichkeitsanteilen die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung mit. Für die Behandlung der Krise bedarf es eines aktiven Zugehens, einer empathischen ruhigen Haltung, Belastbarkeit und Stabilität. Für die Behandlung der Krankheit braucht es gute Kenntnisse der Psychopathologie und deren Behandlungsmöglichkeiten, für die Förderung von Selbstverwirklichung wiederum Kreativität und Fantasie. Kreative Medien können bei diesen Prozessen eine wichtige Rolle spielen. Ein hohes Maß an Faszination und Begeisterung für das Kreative und die Kunst reicht aber nicht 132
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für einen differenzierten Einsatz kreativer Medien in der Akutpsychiatrie. Neben der Kenntnis von Indikation und Kontraindikation ist hierbei eine gute Balance zwischen einer lebendigen Begeisterung und einer vorsichtigen Achtsamkeit wichtig.
Anwendungsbeispiele Wohlfühlraum Hintergrund: Diese Übung eignet sich gut als Aufgabe für die Zeit zwischen den Therapieeinheiten. Sie ist Teil einer ressourcenorientierten Vorgehensweise und beabsichtigt die Förderung eines positiven Selbsterlebens. Papier und Farbe fungieren als Übergangsobjekte, und die momentan gute hoffnungsvolle Atmosphäre der therapeutischen Situation kann beim kreativen Gestalten wieder erlebt werden und in die therapiefreie Zeit hineinwirken. Anleitung: »Es fällt mir nicht schwer, Ihre Probleme und Verunsicherung, über die Sie gerade gesprochen haben, nachzuvollziehen, trotzdem erfüllt es mich mit einer gewissen Hoffnung und Leichtigkeit, wenn ich Ihren Schilderungen zuhöre. Da war für mich gut zu erkennen, dass Sie die Fähigkeit besitzen, Glück zu erleben und sich wohlzufühlen. Glück und Wohlgefühl und der Sinn für das Gute und Schöne sind meist an nichts Großes gebunden, dazu braucht es nur eine gewisse Offenheit für den Augenblick. Ich möchte Ihnen für die Zeit bis zu unserer nächsten Therapieeinheit eine kleine Übung vorschlagen: Nehmen Sie sich Papier und Farben auf die Station mit und machen Sie ein Bild, wo Sie in einfacher symbolischer Form Wohlgefühl- und Glücksmomente festhalten. Diese Augenblicke können Sie in ihrer Fantasie entstehen lassen, oder es können auch Erinnerungen an bestimmte Erlebnisse sein.« Voraussetzung für diese Übung sind eine momentan gute Atmosphäre und eine gute therapeutische Beziehung. Vorsicht: Bei schweren Depressionen ist diese Übung nicht indiziert, denn den Patient*innen würde dabei nur ihre augenblickliche Unfähigkeit vor Augen geführt, Glück zu erleben.
Vier Entscheider Hintergrund: Bei einigen psychiatrischen Krisen wird den Betroffenen abrupt deutlich, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen wird und kann. Unerwartete Ereignisse wie Kündigung, Krankheit, Trennungen oder prolongierte Überlastung und Dauerstress zwingen zur Veränderung. Manchmal ist es auch nur eine allgemeine Entscheidungsschwäche, die den Alltag zur Qual macht – die Wahl des richtigen Essens oder der passenden Kleidung kann bei manchen Menschen zu einer Krise führen. Kreative Medien in der Akutpsychiatrie
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Die Arbeit mit den »vier Entscheidern« ist eine gute Strukturierungshilfe bei der Begleitung und Bearbeitung von Ambivalenzzuständen, anstehenden Entscheidungen oder allgemeiner Entscheidungsschwäche. Unter Zuhilfenahme von Steinen wird das Thema der inneren Ambivalenz externalisiert, sichtbar und besser handhabbar gemacht. Anleitung: »Ich merke, es fällt Ihnen im Augenblick sehr schwer, sich zu einer Entscheidung durchzuringen. Ich möchte Ihnen anbieten, dass wir uns mithilfe dieser vier Steine die dahinter liegende Dynamik Ihres Entscheidungsprozesses bewusst machen, und Sie können dadurch vielleicht leichter zu einer guten Lösung kommen. Die vier Steine symbolisieren vier innere Stimmen, die bei Entscheidungsprozessen im Allgemeinen eine mehr oder minder große Rolle spielen: rationale Vernunft, Sicherheit, Moral und Lust. Suchen Sie sich für die jeweilige Stimme einen dazu passenden Stein und lassen Sie ihn seine Meinung zu dieser Entscheidungssituation kundtun.« Anschließend an diese erste Weitung der Perspektive kann in der Exploration eine dem Entscheidungsprozess hinderliche, unbewusste Dynamik besser erkannt werden. So können z. B. Patient*innen mit einem depressiven Lebensstil dadurch oft besser erkennen, dass bei ihnen die Stimme der Lust bei Entscheidungen nur ein stark untergeordnetes Mitspracherecht hat. Bei Menschen mit einem Suchtproblem hingegen ist es die Stimme der Lust, die sich letztendlich immer wieder durchsetzt. In einem weiteren Schritt lassen sich den vier Stimmen in Form eines weiteren Steins Personen zuordnen, die für die jeweiligen Stimmen stehen könnten. Diese imaginären Personen bekommen, nachdem sie sich kurz vorgestellt haben, den Auftrag, gemeinsam eine Lösung für das vorliegende Problem zu suchen. Bei diesen imaginären Gesprächen entwickeln sich meist sehr spannende Auseinandersetzungen, die den bisher stockenden Entscheidungsprozess beleben und in Gang bringen. Einschränkungen: Diese Übung sollte nur bei ausreichend guten Ich-Funktionen eingesetzt werden. Bei kognitiven Defiziten und deutlicher Konzentrationsschwäche ist sie kontraindiziert. Wichtig ist, Patient*innen nicht zu einer vorschnellen Entscheidung zu drängen, sondern den Hinweis zu geben, dass die momentan getroffene Entscheidung sich natürlich auch noch ändern darf.
Bilderleben Hintergrund: Diese Technik stellt eine Kombination aus rezeptiver Kunsttherapie und PräTherapie (Prouty, Van Werde u. Pörtner, 1998/2019) bei Psychosen dar. Ein wichtiges menschliches Grundbedürfnis besteht darin, die eigene Wahrnehmung und das eigene Erleben mit anderen zu teilen. Dadurch entwickeln sich zwischenmenschliches Vertrauen und Selbstgewissheit. Bei Patient*innen mit psychotischen 134
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Zustandsbildern, die Stimmen hören und deren Denken und Selbstwahrnehmung fragmentiert sind, trifft beides nicht zu. Sie erleben sich selbst als fremd, können ihre Wahrnehmungen mit niemandem teilen und sind umgeben von einem Gefühl bedrohlicher Angst und Einsamkeit. Rezeptive Kunsttherapie als prätherapeutisches Behandlungsangebot ermöglicht einen sanften Zugang zu einer gemeinsam geteilten Wirklichkeit und den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen und Sicherheit. Anleitung: »Sie haben mir gerade von Ihren aufdringlichen Stimmen erzählt, und ich kann gut nachvollziehen, wie quälend diese für Sie sind. Daher möchte ich Ihnen vorschlagen, Ihre Aufmerksamkeit von Ihren Ohren weg hin zu Ihren Augen zu lenken. Ich habe Bilder mitgebracht, betrachten Sie sie in aller Ruhe und wählen Sie sich die Bilder aus, die Ihnen am besten gefallen.« Anschließend wird im exemplarischen Austausch darüber der Fokus ganz auf die gemeinsame Wahrnehmung gerichtet. Wo immer Therapeut*innen die Wahrnehmung der Patient*innen teilen können, sollten sie diese bestätigen und hervorheben, dass auch sie die Dinge so sehen. Das Gespräch könnte z. B. so verlaufen: Therapeut*in: »Erzählen Sie mir, was Sie auf diesem Bild sehen können.« Patient*in: »Das rote Auto gefällt mir.« Therapeut*in: »Ja, das rote Auto gefällt mir auch. Und können Sie auch erkennen, wer am Steuer sitzt?« Patient*in: »Ja, das ist eine Frau mit einer Kappe.« Therapeut*in: »Ja genau, und ich sehe, die Kappe ist bunt gemustert.« Wichtig ist, diese Übung je nach Belastbarkeit des*r Patient*in zu variieren. Bei intensivem psychotischem Erleben ist die Spanne der Aufmerksamkeit sehr kurz. Es gilt daher, die Anzahl der Bilder gering zu halten und sich auf Bilder mit klaren Abbildungen zu beschränken. Zudem sollte eine einfache und klare Ausdrucksweise verwendet und auf metaphorisierte Sprache verzichtet werden.
Abschließende Gedanken Durch kreativen Ausdruck und Kunst können Brücken hin zu sich selbst und zur Mitwelt gebaut werden, sie sind aber nur Mittel und nicht der Zweck. Abschließend sei nochmals an Vincent van Gogh erinnert, der es nicht nur mit Pinsel und Farbe, sondern auch mit Worten verstand, auf das Wesentliche hinzuweisen: »Je mehr ich darüber nachdenke, um so stärker fühle ich, daß es nichts gibt, was wirklich künstlerischer wäre, als die Menschen zu lieben« (Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo; zit. nach Mittelstädt, 1977/1985, S. 5).
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Das Wichtigste in Kürze Empathische Zuwendung steht immer vor der Anwendung therapeutischer Techniken. Die Therapieplanung orientiert sich an den Zielen der Patient*innen und deren momentanem Ich-Funktionsniveau.
Indikation ◼ Einbringen von Intermediärobjekten (z. B. Bälle, Seile, Tücher) zur Unterstützung der Kontaktanbahnung bei Gruppentherapien, ◼ Anbieten von kreativtherapeutischen Techniken (z. B. Farben, Musik, Tonerde) zur Förderung authentischen Ausdrucks bei emotionaler Blindheit und Sprachlosigkeit, ◼ Einsatz von kreativen Medien (z. B. Papier und Farbstift, Steine, Knöpfe) als Strukturierungshilfe im therapeutischen Prozess, besonders zur Prätherapie bei Psychosen und zur Überwindung starker Ambivalenz, ◼ Anwendung von rezeptiven Techniken (Kunstpostkarten, Landschaftsbilder, Literatur) bei Patient*innen mit ästhetischer Mangelerfahrung, innerer Leere oder Depression.
Kontraindikationen ◼ Einsatz von kreativen Medien trotz Widerstands der Patient*innen (gilt besonders bei milieubedingter Abwehr), ◼ Gefahr der Überflutung durch kreative Medien bei erlebnisaktivierender Anwendung (besonders zu beachten bei Psychosen), ◼ Unbeabsichtigte Evokation von belastenden biografischen Erlebnissen. Zur Stabilisierung von Krisen ist eine ressourcenorientierte Vorgehensweise erforderlich.
Literaturtipps zum Weiterlesen Arbeitskreis OPD (Hrsg.) (2014). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung (3., überarb. Aufl.). Bern: Huber. Arolt, V., Kersting, A. (2010). Psychotherapie in der Psychiatrie. Welche Störung behandelt man wie? Heidelberg: Springer. Prouty, G., Van Werde, D., Pörtner, M. (1998/2019). Prä-Therapie (6., unveränd. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.
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Kreative Medien in der Akutpsychiatrie
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Schrode, H. (1983). Gestaltungstherapie als Therapie mit bildnerischen Mitteln auf tiefenpsychologischer Grundlage. Praxis der Psychotherapie und Psychosomatik, 28 (3), 117–124. https:// kurz-verlag.de/assets/media/pdf/schrode_Gesteltungstherapie_tiefenpsychologie.pdf (Zugriff: 09.11.2022). Walther, A. (2012). Ärztliche Begleitung psychisch kranker Künstler: Kunst baut Brücken zurück ins Leben. In F. von Spreti, P. Martius, H. Förstl (Hrsg.), Kunsttherapie bei psychischen Störungen (2., überarb. Aufl.; S. 233–242). München: Elsevier, Urban & Fischer.
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Franz Brunner
Methoden
Cornelia Cubasch-König
Einführung
In diesem Teil werden spezielle Methoden der Integrativen Therapie und ihre Arbeit mit Kreativen Medien exemplarisch vorgestellt. Die Methodenlehre der Integrativen Therapie unterscheidet zwischen Methoden, Techniken, Medien, Wegen, Modalitäten, Stilen, Formen, Strategien und Modellen (Petzold, 2003, S. 507). Dabei werden Methoden verstanden als »ein reichhaltiges Instrumentarium, dessen Möglichkeiten kombiniert werden können, um in elastischer Anpassung an die Erfordernisse des Patienten und seiner Lebenssituation (Kontext/Kontinuum) […] im Rahmen des Verfahrens Ziele zu erreichen und Inhalte zu vermitteln« (S. 507). Sie sind in zahlreicher Form wertvolle und unterschiedliche Herangehensweisen in der psychotherapeutischen Arbeit mit Patient*innen, Paaren und Gruppen über die Lebensspanne. So kann u. a. von den Methoden der Bewegungs- und Tanztherapie, Musiktherapie, Poesietherapie, Naturtherapie gesprochen werden. Jede einzelne Methode als »konsistentes, theoriegeleitetes Ensemble von Strategien im Rahmen eines Verfahrens« (Petzold, Brühlmann-Jecklin, Orth u. Sieper, 2008, S. 4) verfügt über eigene Techniken und Medien. Was es braucht, sind vertiefte Kenntnisse über die jeweiligen Strategien jeder einzelnen Methode. So ist es wichtig, in der Integrativen Musiktherapie z. B. zu erkennen, welches Instrument zum Einsatz kommt, was es bewirkt bzw. welche Kontraindikationen zu bedenken sind. Das Gleiche gilt für die anderen methodischen Schwerpunkte, wie Maskenarbeit, Poesietherapie, Naturtherapie und Therapie im digitalen Raum, deren Theorie und Praxis in diesem Kapitel von den Autor*innen vorgestellt werden. Es gilt immer wieder zu betonen, dass es in der Arbeit mit Kreativen Medien in den verschiedenen Methoden nicht um einen »Methoden- oder Medienaktionismus« geht, der zeigen soll, »was Therapeut*innen alles können«, sondern um einen achtsamen und geschulten Umgang mit den jeweiligen Möglichkeiten, die die Kreativen Medien zur Verfügung stellen. In den nachfolgenden vier Beiträgen stellen die Autor*innen verschiedene Methoden vor und vermitteln durch Fallbeispiele direkte Einblicke in deren Umsetzung unter Anwendung der angemessenen Kreativen Medien als Interventionsmöglichkeiten (vgl. den Beitrag »Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien« von Böckle, Brunner, Cubasch-König u. Jobst in diesem Buch). 141
Literatur Petzold, H. G. (2003). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden einer schulenübergreifenden Psychotherapie. 3 Bde. (Reihe: Integrative Therapie – Schriften zu Theorie, Methodik und Praxis, Bd. 2; 2., überarb. u. erw. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Petzold, H. G., Brühlmann-Jecklin, E., Orth, I., Sieper, J. (2008). »Methodenintegrativ« und »multimodal« – kokreative Strategien in den »Konfluxprozessen« der »Integrativen Therapie«. Zur Ge schichte und Bedeutung der Begriffe. Polyloge, 8, Art. 33. https://www.fpi-publikation.de/down loads/?doc=polyloge_petzold_bruehlmann_et_al_polyloge_33-2008.pdf (Zugriff: 09.11.2022).
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Cornelia Cubasch-König
Peter Cubasch
Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis Musik ist ein Teil des Lebens. Aus diesem Grund ist es auch sinnvoll, Lebens- und Beziehungserfahrungen anhand des Mediums Musik in psychotherapeutischen Prozessen zu thematisieren. Gemeinsam Musik anhören und darüber reden, zusammen mit Klängen und Rhythmen spielen oder mit frei erfundener Musik etwas zum Ausdruck bringen, was mit Worten (noch) nicht gesagt werden kann – es bieten sich vielfältige kreative Ausdrucks- und Interaktionsmöglichkeiten, die heilsame Prozesse in Gang setzen und wirkungsvoll unterstützen können.
Eine psychotherapeutische Praxis ohne Musikinstrumente? Das wäre wie Leben ohne Musik. Und da Musik zum Leben gehört, befindet sich auch in fast jeder Praxis zumindest ein Instrument – und sei es nur zur Dekoration. Aber wer kann garantieren, dass es allein diesem Zweck dient? Einer Patientin fällt gleich in der ersten Stunde der goldglänzende Gong auf und fragt, ob sie ihn in der Therapie einmal spielen darf. Ein Patient bemerkt die Trommel und fragt, ob er in der Therapie auch Musik machen muss. Damit könnte gleich ein therapeutischer Prozess beginnen, in dem es um bedeutsame biografische Erzählungen, um Ästhetik und Sinnlichkeit oder um Ausdruck und Ausdruckshemmungen geht. Um mit diesen Themen sinnvoll arbeiten zu können, müssen Psychotherapeut*innen keine Musiker*innen oder Musiktherapeut*innen sein. Der Beitrag soll dazu einladen, Musik, Instrumente und Musizieren zu einem Bestandteil der psychotherapeutischen Tätigkeit werden zu lassen. So werden den Patient*innen Spielräume (Loos, 1994) eröffnet, und Sie erweitern Ihr Repertoire an Interventionsmöglichkeiten. Hierzu soll dieser Beitrag ermutigen und Anregung geben.
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Vorbedingungen für die Nutzung von Musik in der Psychotherapie Die Praxis als sinnlicher und klangvoller Raum Wie gestaltet sich die Begegnung, wenn ein*e Patient*in zum ersten Mal die Praxis betritt? Gibt es Blickkontakt und einen Händedruck? Wie ist die Erscheinung, die Haltung, die Stimme? Der Beginn ist für beide Seiten ein spannendes Ereignis, das die Sinne öffnet. Wie der Raum bereitet ist, steht in der Verantwortung der Therapeut*innen. Ist es ein Raum mit einer wohltuenden Atmosphäre, der zum Verweilen einlädt, ein potenzieller Raum (Winnicott, 1971/2019, S. 123–127), der eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnet, Kultur und Kreativität zu entfalten? Gibt es neben den fast schon obligaten Taschentüchern, Malutensilien, dem Korb mit Stofftieren und Spielsachen auch Musikinstrumente, die eine ästhetische Anmutung haben und zum Spielen auffordern? Laden sie dazu ein, betrachtet, berührt und mit unterschiedlichen Bewegungen zum Klingen gebracht zu werden? Das behutsame Streichen über Saiten ermöglicht andere Tast- und Klangerfahrungen als das Schlagen auf das robuste Fell einer Trommel. Auf diese Weise wird Leiblichkeit in vielen Nuancen erfahrbar. Exploratives Erkunden der Instrumente kann in einen verbalen oder klingenden Austausch zwischen Patient*innen und Therapeut*innen übergehen. Nicht jede Stunde wird so beginnen, dazu braucht es Mut und die Bereitschaft der Beteiligten. Aber im Verlauf eines längeren therapeutischen Prozesses ergibt sich irgendwann die Gelegenheit dazu – vorausgesetzt, Musikinstrumente zum Drauflos-Spielen stehen bereit.
Einfach drauflos spielen. Welche Instrumente eignen sich dazu? Wie alle Medien haben Musikinstrumente eine primäre Ladung und einen damit einhergehenden Aufforderungscharakter. Traditionelle Instrumente wie Klavier, Geige, Gitarre oder Trompete werden meist mit Kunst und Können, mit »schönem und richtigem« Spiel verbunden und können abschreckend wirken. Andere, eher unkonventionelle Instrumente hingegen laden ein zum »freien, ungebundenen, experimentierenden Spiel[ ]« (Widmer, 1997/1998, S. 52), zum Drauflos-Spielen, manchmal sogar zum lustvollen Laut- und Falschspielen. Die Handhabung der Instrumente sollte einfach sein, unkonventionelle Spielbewegungen evozieren und unterschiedliche Dynamiken zulassen. Trommeln lassen sich mit bloßen Händen oder mit Stöcken bearbeiten. Saiteninstrumente werden mit den Fingerkuppen gestrichen oder mit den Fingernägeln gezupft und sind eher für leise Klänge und vorsichtigen Ausdruck geeignet. Blasinstrumente machen den Atem hörbar – lang oder kurz und manchmal auch zittrig. Flötenköpfe, Kazoos oder die originelle Lotosflöte machen es nahezu unmöglich, die 144
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richtigen Töne und Melodien zu finden. Mit ihnen macht es Spaß, die eigene Stimme zu verfremden und »verrückte« Töne herauszulassen. Hingegen erinnert eine Blockflöte oft an den ersten Musikunterricht. Rasseln verführen zu spontanen Schüttel bewegungen, mit denen Spannungen losgelassen werden können. Selbst spektakuläre Instrumente wie der Gong, das Monochord oder eine Ocean Drum sind leicht spielbar. Ihre monochromen, »archaischen« Klangstrukturen wirken auf den Körper und auf die Seele. Der sphärische Klang des Monochords kann zu tiefer Entspannung führen und Grenzen verschwimmen lassen. Das Rauschen der Ocean Drum macht das Gehirn »leer«. Ihr wellenartiges Rauschen kann auch an Urlaubszeiten am Meer erinnern oder die Sehnsucht danach wecken. Die Spielweise dieses Instruments erfordert eine ruhige, feine und umsichtige Motorik und Sensorik, wenn der Klang nicht abreißen soll. Hingegen spiegelt der machtvolle Gong deutlich die Kraft zurück, mit der er gespielt wird (Oehlmann, 2021, S. 388; Petzold, 2007). Wenn der*die Therapeut*in das Instrument spielt, kann der*die Patient*in dem Gong die eigene Stimmkraft entgegensetzen oder mit einem eindeutigen »Stop« der Bedrohlichkeit der Klangflut ein Ende setzen. Alle Musikinstrumente, die in der psychotherapeutischen Praxis Verwendung finden, sollten für Patient*innen ohne Voraussetzungen entspannt spielbar sein und sich gut zum Zusammenspiel eignen. Psychotherapeut*innen hingegen sollten in der Spiel- und Einsatzweise der Instrumente ausreichend Erfahrungen haben und um die tiefgehende Wirkung von Klängen wissen.
Das Eigene zum Klingen bringen Die Suche nach dem Eigenen ist für alle Patient*innen eine wichtige Erfahrung im Laufe einer Therapie (Timmermann, 1989, S. 163 f.). Je länger dabei das Verbale nachgeordnet wird und Symbolisierungen in Form von Gegenständen, Bildern, Körperhaltungen oder anderer kreativer Medien gefunden oder erschaffen werden, desto mehr können verborgene Seiten der Person zum Vorschein kommen. Das Wort »Person« geht auf das lateinische Wort personare zurück, es bedeutet: hindurchtönen. Was bietet sich besser dazu an, das Eigene hindurchtönen zu lassen, als Musik mit ihren Parametern Klang, Rhythmus, Melodie, Tempo und Dynamik (Hegi, 1990/2010, bes. S. 151– 154)? Doch wie lässt sich das Eigene finden, sei es eine momentane Stimmung, eine Charaktereigenschaft, eine Verhaltensweise oder ein Wesensmerkmal? Mehrere Wege bieten sich an. Patient*innen können angeregt werden, nach einem Musikstück zu suchen, das für das »Eigene« steht. Dies führt dazu, dass sie sich mit sich selbst beschäftigen und sich Zeit nehmen, ein passendes Stück zu finden. Das gemeinsame Anhören wird zur Grundlage für Narrationen und Explorationen oder für vertiefende Interventionen. Wenn das »Eigene« während einer Therapiestunde gesucht werden darf, können Patient*innen ein Instrument wählen, das sie Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis
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spontan anspricht. Vielleicht besteht bereits eine innere Vorstellung davon, wie »es« klingen soll und was sie spielen wollen. Sie können auch ermutigt werden, verschiedene Instrumente auszuprobieren, bis ein passendes gefunden ist. Nach diesem Annäherungsprozess geht es darum, das »gefundene Eigene« vorzustellen. Wie viel Zeit nehmen sich Patient*innen dazu, und wie erleben sie die Situation? Welches Instrument wurde gewählt? Mit welcher Dynamik und in welchem Tempo spielen sie? Entstehen Pausen, gibt es Wiederholungen, klingt es variantenreich oder monoton? Gibt es Parameter, die prägnant sind, oder solche, die fehlen? Rhythmus deutet auf Struktur hin, Klänge stehen mit Gefühlen in Verbindung, und eine eigene Melodie lässt den Mut erkennen, eine persönliche Aussage zu machen. Was ist die Aussage? Doch Vorsicht mit Interpretationen! Musik sollte weder rezeptartig verabreicht noch vorschnell gedeutet werden. Stattdessen geht es darum, gemeinsam Bedeutungen zu erspüren, die für die Patient*innen stimmig sind. Resonanz und Assoziationen der Therapeut*innen können dabei hilfreiche Impulse sein. Die Entdeckung des »Eigenen« führt zu weiteren Fragen: Wie ist das »Eigene« im Laufe des Lebens geworden, und wie ist es möglich, mit dem Gewordensein gegenwärtig zu leben? Dies berührt das Erleben und Gestalten von Kontakt und Beziehung, zentrale Themen in jeder Psychotherapie.
Musik in der psychotherapeutischen Praxis Klingende Beziehungen Beziehungen kreisen um liebevolle und nährende Verbindungen, um fehlende und übergriffige Kontakte. Es kann auch um Nähe und Distanz, um An- und Abgrenzung, um Begegnung, Isolation und Verschmelzung gehen. Zuhören, Ins-Wort-Fallen oder Gehört-Werden, Provokation und Ermutigung – all dies sind Aspekte von Begegnungen und Beziehungen, die mit musikalischen Mitteln erprobt, ausgedrückt und erlebt werden können (Frohne-Hagemann, 1997; Schumacher, 2017, bes. S. 38 f.). Da Beziehungen immer an Menschen gebunden sind, kommen relevante Personen aus dem Leben der Patient*innen ins Spiel: die früh verstorbene Mutter, der abwesende, wütende oder liebevolle Vater, die geliebte Großmutter, die erste Lehrerin, der böse Nachbar, eine Kollegin, eigene Kinder oder der*die Partner*in. Wie können nun – über Musikinstrumente oder die Stimme – diese relevanten Beziehungserfahrungen und die damit verbundenen Ereignisse lebendig gemacht und klingend in die Gegenwart geholt werden? Dazu bietet es sich an, dass Patient*innen andeutend vorspielen, wie die Person klingen soll, mit der sie sich auseinandersetzen wollen. So bekommen Therapeut*innen eine Idee davon, was und wie sie spielen sollen. Beim Spielen versetzen sich 146
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Patient*innen kurzfristig in die Rolle des gewählten Menschen, sodass erahnbar wird, wie sie diesen erlebt haben. Bevor es zu einer musikalischen Interaktion kommt, spielen Therapeut*innen die Rolle mit ihrer Musik zuerst allein, und Patient*innen können überprüfen, ob es so ungefähr stimmt und welche Wirkungen das Hören bereits auslöst. Im gemeinsamen Spiel werden Schlüsselereignisse der Patient*innen mit dieser Person musikalisch reaktiviert. Diese sind oft mit hoher Emotionalität verbunden. Bei der Reinszenierung ist es nicht nur wichtig, die Ereignisse wiederzubeleben, um sie besser zu verstehen und einzuordnen, sondern um mit der Unterstützung der Therapeut*innen neue und positive Erfahrungen machen zu können. Besonders dort, wo Sprache und Verständniskapazitäten zurzeit der belastenden oder schädigenden frühen Ereignisse fehlten, kann Psychotherapie korrektive und damit heilsame Erfahrungen mit musikalischen Mitteln ermöglichen. In Therapiegruppen können bedeutsame Familienszenen wie beispielweise der Mittagstisch mit seiner Sitzordnung und seinen Rederitualen mit musikalischen Mitteln aufgestellt und zum Klingen gebracht werden (Timmermann, 2003, bes. S. 108–110). Bereits die Frage, welches Familienmitglied welches Instrument bekommt, ist aufschlussreich. Wer gibt den Ton an? Wer übernimmt welche Rolle, und wie klingt die Familie als Ganzes? Welches Instrument hat der*die Patient*in für sich gewählt? Kann er*sie sich damit Gehör verschaffen? Fallbeispiel. Herr W. (52 Jahre) befindet sich wegen Schlafstörungen, Rückenschmerzen, unerklärlicher Stimmungsschwankungen und wiederkehrender Depressionen in psychotherapeutischer Behandlung. Im Verlauf des therapeutischen Prozesses geht es um die Beziehung zu seinen Eltern, insbesondere zu seiner Mutter, der er sich sehr verbunden fühlt. Er erinnert sich daran, dass er als Kind immer sehr glücklich war, wenn er seine Mutter singen und pfeifen hörte. Das tat sie vor allem bei der Hausarbeit, beim Kochen, Bügeln oder Strümpfestopfen. Wenn es still war, war ihm das unangenehm. Auf die Frage, wie und was die Mutter denn gesungen oder gepfiffen habe, fällt ihm ein: »Oh, mein Papa, war eine wunderbare Clown«. In seiner kindlichen Fantasie ging es dabei um einen »wunderbaren Papa«, von dem es im weiteren Verlauf des Lieds heißt, dass er »eine große Kinstler« (Künstler) war – »bella hopp, bella hopp, bella hopp« – und dass er gerne lachte. Ein lustiges Lied, oder? Im Gespräch über das Lied und die Frage, welche Bedeutung es für die Mutter gehabt haben könnte, erkennt Herr W. einen Zusammenhang, der ihm zuvor nicht bewusst war: Seine Mutter verlor ihren Vater im Krieg, als sie vier Jahre alt war. »Sie hat ihn sicher geliebt und sehr vermisst.« Vielleicht habe sie ihn verherrlicht und im Bild des großen Künstlers nachgetrauert? – Als Herr W. diese Bedeutungsebene, die das Lied für seine Mutter haben könnte, erfasst, wird er sehr traurig und beginnt zu weinen. Erstmals kann Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis
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er die Trauer seiner Mutter spüren, die sie als kleines Kind gehabt haben mag, als sie ihren Vater verlor. Er kann nun auch darüber reden, dass es in der Beziehung zu seiner Mutter immer wieder »dunkle Zeiten« gab und nicht dauerhaft Unbeschwertheit und Fröhlichkeit herrschten. Ihm wird deutlich, wie nachhaltig diese von der Mutter unbewusst an ihn weitergegebene Trauer sein Leben und seine Gefühlswelt beeinflusst. So beginnt er, seine unerklärlichen Stimmungsschwankungen erstmals zu verstehen. Er beginnt wertzuschätzen, dass diese Kindheitserfahrungen ihn zu einem sehr gefühlvollen und mitfühlenden Menschen gemacht haben. Es sei ihm aber unangenehm, dass seine Augen »bei jeder Kleinigkeit feucht werden« und er sich kaum von den Gefühlen anderer abgrenzen könne. Im weiteren Verlauf der Therapie wird ihm die beständige Sorge um seine Mutter deutlich. Sie litt bis in die Gegenwart immer wieder unter schweren Depressionen. Auch der Zusammenhang der Kindheitserfahrungen mit seinen eigenen depressiven Episoden wird ihm bewusst. Es gelingt ihm fortan, zwischen der Trauer seiner Mutter und seiner eigenen Trauer zu unterscheiden und die delegierten Gefühle der Mutter nicht mehr zu übernehmen. In einer Therapiestunde wählt der Patient für sich und seine Gefühle drei Musikinstrumente: ein Saitenspiel für seine traurige und empathische Seite, eine Flöte für seine unbeschwerte, kindliche Fröhlichkeit und eine Schellentrommel für seine Tatkraft, seinen Lebensmut und die Fähigkeit, Grenzen zu setzen. Je nach Befinden, aber auch nach »Lust und Laune« möchte er diese Seiten seiner Persönlichkeit zukünftig ins Spiel bringen. An einen entfernteren Platz hat er ein weiteres Saitenspiel gelegt. Da könne er hinschauen und es auch spielen, wenn ihm danach sei. Es steht für die Trauer seiner Mutter über den Verlust ihres Vaters und für seinen Opa, den er nie persönlich kennenlernen konnte.
Musikalisches Stimm- oder Lebenspanorama Das ganze Leben in den Blick zu nehmen, von der Zeugung bis in die Gegenwart und in die Zukunft, allen relevanten Ereignissen, Orten und Menschen im Bild einen Platz mit Farben und Formen zu geben, dies ist ein großes Ereignis im Rahmen jeder Psychotherapie. Zusammen mit dem*der Therapeut*in wird angeschaut, was gut war, was nicht gut war und was gefehlt hat. Patient*innen können sich damit aus einer exzentrischen Perspektive erkennen. Dies schafft Überblick und stiftet Identität. Zugleich wird sichtbar, wo Ressourcen und Potenziale liegen und welche Themen und Ereignisse bearbeitet werden sollten. Ein Lebenspanorama nimmt das ganze Leben in den Blick (Osten, 2019, S. 279 f.; Petzold, Wolf, Landgrebe, Josič u. Steffan, 2000, S. 486; zum Leibpanorama vgl. Hofer-Moser, 2018, S. 283–287). Es ist aber auch mög148
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lich, einen speziellen Fokus zu wählen: Gesundheit und Krankheit, Beziehungen oder die Stimme. Auch ein Stimmpanorama ist ergiebig, denn es erschließt im lebensgeschichtlichen Kontinuum bedeutsame Ereignisse und zwischenmenschliche Begegnungen: Welche Stimme habe ich wann gehört? Wer hat wie mit mir gesprochen? Welche Stimmen und Sätze höre ich heute noch? Vor welchen musste ich meine Ohren verschließen? Wurden mir Lieder vorgesungen, und habe ich sie noch »im Ohr«? Wie erinnere ich meine Kinderstimme? Kann ich sie hören, mein Lachen, mein Weinen, meine ersten Worte? Was haben andere über meine Stimme gesagt? Empfinde ich sie als lebendig? Mag ich meine Stimme? Benutze ich sie lustvoll? Ist sie gesund und belastbar? Für einige Personen mag der Fokus weniger auf der Stimme als auf Musik im Allgemeinen liegen. Wie und wann begann der musikalische Lebensweg? Wurden Musik und Musizieren mit Freude und in Verbundenheit erlebt oder im Zusammenhang mit Drill und unangenehmen Vorspielsituationen? Wurde es mir verwehrt, das Instrument meiner Wahl zu erlernen? So kann der musikalische Lebensweg bis in die Gegenwart angeschaut und in seinen Zusammenhängen und Verläufen erfasst und eingeordnet werden. Darüber hinaus werden all jene Ereignisse im Panorama sichtbar, an denen Musik eine bedeutende Rolle spielte, z. B. Feiern, Rituale, Begräbnisse. Auch die entwicklungspsychologische Perspektive kann bedeutsame Erkenntnisse zutage bringen: Was war die Musik meiner Kindheit? Was war die Lieblingsband in meiner Pubertät, und mit welchem*r Sänger*in habe ich mich identifiziert? Welche Musik mag ich heute und welche nicht? Das Erstellen eines Panoramas ist für die meisten Patient*innen ein erkenntnisreicher und emotional bewegender Prozess. In der gemeinsamen Exploration des Bilds und mit vertiefenden Interventionen – mit oder ohne Musik – können heilsame Erfahrungen und Integrationsprozesse in Gang gesetzt werden.
Behandeln mit monochromen Klängen am Beispiel der Klangschalen Klangschalen bieten die einzigartige Möglichkeit, einem*r Patientin im Rahmen einer Psychotherapie körperlich nahe zu sein und heilsame Impulse zu setzen. Mit zwei oder drei Schalen lässt sich ein Setting herstellen, in dem ohne anzufassen berührt wird. Wenn die Schalen neben der sitzenden oder liegenden Person zum Klingen gebracht werden, öffnet dies ihre Ohren und sensibilisiert die Körpergrenzen. Der warme, obertonreiche Klang mit seinen anrührenden Schwebungen lockt zum Lauschen, die Stille zwischen den Klängen entspannt Körper, Geist und Seele und lässt Ruhe einkehren. Solch eine nonverbale Behandlung wird wie ein Geschenk empfunden. Das Erlebnis kann in einem Gespräch abgerundet werden. Möglicherweise wird dabei über die ungewohnte körperliche Nähe gesprochen oder über das Wagnis, sich in dieser Weise anzuvertrauen und auszuliefern. Auch körperliche Sensationen, Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis
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innere Bilder, Mangel an Nähe oder die Sehnsucht nach liebevoller Berührung können thematisiert werden (Milz, 1998). Neben hörbaren Schallwellen haben auch die deutlich spürbaren Vibrationen der Klangschalen eine tiefgehende Wirkung (Drexler, 2013; Grooterhorst, 2017, S. 95, S. 102 f.). Diese lassen sich für eine Behandlungssituation nutzen, bei der nicht nur die Wirkungen der Schwingungen auf den Körper, sondern auch Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung erlebbar werden. Patient*innen erhalten die Möglichkeit, den Behandlungsablauf weitgehend selbst zu gestalten. Zentrale Ziele jeder Therapie – achtsame Selbstwahrnehmung, Selbstfürsorge und Kooperationsfähigkeit – werden hierbei in einprägsamer Weise angestrebt. Der Behandlungsablauf hat eine klare Struktur und kann von jedem*r Psychotherapeut*in durchgeführt werden. Vor einer Klangschalenbehandlung sollten Patient*innen die Schalen, die verwendet werden, bereits kennengelernt haben. Zu ihrer Orientierung und Sicherheit sollten sie wissen, wie die verwendeten Schalen aussehen, wie sie klingen und wie schwer sie sind. Zur Vorbereitung dient eine kurze Körperreise. Diese stimmt die Patient*innen darauf ein, »Wohlfühlzonen« und »Pro blemzonen« zu erspüren und auch auf Stellen zu achten, an denen sie nichts spüren. Nach der Einstimmung werden diese Körperregionen mit unterschiedlichen Farben in ein vorbereitetes Körperumrissbild gemalt. Falls heftige Emotionen zunächst vermieden werden sollen, empfiehlt es sich, mit Buntstiften auf einem kleinen Blatt zu zeichnen. Nach dem Malen erläutert der*die Patient*in das Bild und spricht über die in der Zeichnung dargestellten Ereignisse und die damit verbundenen Empfindungen und Gefühle. Anschließend entwirft der*die Patient*in einen detaillierten Behandlungsplan und beschreibt ihn so genau wie möglich: Welche Schale soll wo stehen? Wie oft und wie stark soll sie angeschlagen werden? Sollen mehrere Körperregionen bespielt werden? In welcher Abfolge und Richtung sollen die Schalen gespielt werden? Wie und wo soll die Behandlung enden? Bei der Bespielung folgt der*die Therapeut*in dem Behandlungsplan möglichst genau und beobachtet die Reaktionen des*der Patient*in. Diese*r hat jederzeit die Möglichkeit, Korrekturen vorzunehmen, z. B. mit kleinen Verschiebungen die Schalen genau an den Ort zu stellen, an dem die Vibrationen ankommen und wirken sollen. Eine Klangschalenbehandlung wird meist als bedeutend und heilsam erlebt. Nicht selten wird eine Wiederholung oder Fortsetzung gewünscht. Warum? Patient*innen erkennen, dass niemand ihren Körper so gut kennt wie sie selbst und niemand besser weiß als sie, was sie brauchen, was ihnen guttut und was für sie stimmig ist. Leider werden Klangschalen in der Musik- und Psychotherapie oft gemieden, um eine Abgrenzung zu energetischen oder esoterischen Methoden zu demonstrieren. Das wird dem Medium jedoch nicht gerecht, denn Klangschalen sind nicht mehr und 150
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nicht weniger esoterisch als eine Harfe, ein Gong oder ein Metallophon. Entscheidend sind die Frage der Indikation und das Vorgehen beim Einsatz der Schalen.
Hinweise zu Musikinstrumenten für die psychotherapeutische Praxis Rasseln. Rasseln aller Art wie z. B. Babyrasseln, Rumbakugeln, indische oder arabische Tanzglöckchen, die direkt am Körper befestigt werden können, verdeutlichen und verstärken die eigenen Bewegungen. Sie setzen Energien frei, beleben und können ekstatische Zustände herbeiführen. Schlaginstrumente. Sie bilden die größte Instrumentengruppe. Trommeln, Fässer, Gongs, Triangeln, aber auch Baumstämme, Kartons und andere klingende Materialien gehören dazu. Allen gemeinsam ist, dass sie angeschlagen werden. Auch der eigene Körper kann mit Klatschen, Patschen und Stampfen, verschiedenen Bodypercussion-Spieltechniken oder Boomwhackern zum Klingen gebracht werden. Stabspiele. Xylophone, Glockenspiele, Metallophone oder einzelne Stäbe werden ebenfalls angeschlagen. Sie sind leicht spielbar und erzeugen abgestimmte Töne. So können Motive, Melodien oder Akkorde ohne hohe spieltechnische Anforderungen erzeugt werden. Stabspiele (Orff-Instrumente) müssen nicht gestimmt werden und klingen harmonisch zusammen. Blasinstrumente. Traditionelle Blasinstrumente wie Trompete, Posaune, Klarinette und Mundharmonika werden in der Praxis selten Verwendung finden – aus Gründen der Hygiene und weil sie eine spezielle Spieltechnik verlangen. Hingegen können Mundstücke, Flötenköpfe, Trillerpfeifen, Lotosflöten, Kazoos oder Flaschen voraussetzungslos geblasen und leicht gereinigt werden. Saiteninstrumente. Hier geht es um Streich- und Zupfinstrumente. Eine Gitarre oder die leichter spielbare Ukulele eignen sich zum Begleiten von Liedern. Sie sollten in keiner Praxis fehlen, da viele Personen ein paar Akkorde auf der Gitarre spielen können und damit oftmals Erinnerungen an Ereignisse aus der Jugend verbinden. Ein Saitenspiel oder Psalter ist leichter zu spielen als eine Gitarre. Ihr zarter Klang bietet einen unverzichtbaren Kontrast zu Rasseln, Trommeln und Blasinstrumenten. »Meditative« Instrumente. Zu dieser Kategorie zählen Instrumente mit einem obertonreichen Klangspektrum, die dem Zweck der Entspannung, dem Stressabbau und der Imagination dienen oder für meditative Zwecke und als akustisches Signal eingesetzt werden. Dazu gehören Monochord, Ocean Drum, Didgeridoo, Zimbeln, Klangschalen oder Gongs. »Originelle« Instrumente. Hierunter sind Selbstbauinstrumente, Spielzeuginstrumente und Instrumente aus fernen Ländern und anderen Kulturen zu verstehen. Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis
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Das Wichtigste in Kürze Musik als kreatives Medium – Musizieren als schöpferischer Prozess. Musik gilt als die sozialste aller Künste. Musizieren ermöglicht unterschiedliches Handeln und Erleben, z. B. lustvolles oder trauriges. Musik kann Unsagbares zum Ausdruck bringen. Sie macht Nonverbales hörbar und bringt es der Versprachlichung und dem Verstehen näher. Musik unterbricht hartnäckiges Rationalisieren und gefühlloses Reden. Für Patient*innen ist Musik indiziert und geeignet ◼ bei psychosomatischen Erkrankungen, ◼ bei affektiven Störungen und bei Beziehungsproblemen, ◼ zur Anwendung im Einzelsetting und in der Gruppentherapie, ◼ wenn Musik und Musizieren keine Ängste auslösen. Für Psychotherapeut*innen ist der Einsatz von Musik und Instrumenten sinnvoll, wenn sie mit den tiefgehenden und subtilen Wirkpotenzialen von Klängen vertraut sind und sich in musikalischer Beziehungsgestaltung sowie mit nonverbalen Behandlungsformen wohl und sicher fühlen.
Literaturtipps zum Weiterlesen Decker-Voigt, H.-H., Weymann, E. (2021). Lexikon Musiktherapie (3., vollst. überarb. u. erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Petersen, P., Gruber, H., Tüpker, R. (Hrsg.) (2011). Forschungsmethoden Künstlerischer Therapien (Reihe: Zeitpunkt Musik). Wiesbaden: Reichert. Stegemann, T. (2013). Stress, Entspannung und Musik. Untersuchungen zu rezeptiver Musiktherapie im Kindes- und Jugendalter. Dissertation. Hamburg: Hochschule für Musik und Theater.
Literatur Drexler, I. (2013). Multisensorische Klangerfahrung als Brücke zum Fühlen. Vibroakustische Interventionen in der Integrativen Therapie mit Menschen nach einem Unfalltrauma. Masterthese. Krems: Donau-Universität Krems. Frohne-Hagemann, I. (1997). Die heilende Beziehung als therapeutisches Medium und ihre musiktherapeutische Gestaltung. In L. Müller, H. G. Petzold (Hrsg.), Musiktherapie in der klinischen Arbeit. Integrative Modelle und Methoden (Reihe: Praxis der Musiktherapie, Bd. 16; S. 9–22). Stuttgart: Gustav Fischer. Grooterhorst, H. (2017). Im unentschiedenen Raum. Wahrnehmung und Umgang mit Atmosphären in der rezeptiven integrativ-musiktherapeutischen Arbeit. Der Einsatz von Klangschalen auf einer Isolierstation für Knochenmarktransplantation. Polyloge, 17, Art. 35. https://www.fpi-publikation. de/download/16197/ (Zugriff: 10.11.2022).
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Peter Cubasch
Hegi, F. (1990/2010). Improvisation und Musiktherapie. Möglichkeiten und Wirkungen von freier Musik (Reihe: Zeitpunkt Musik; unveränd. Neuaufl.). Paderborn: Junfermann. Hofer-Moser, O. (2018). Leibtherapie. Eine neue Perspektive auf Körper und Seele (Reihe: Forum Körperpsychotherapie, Bd. 3). Gießen: Psychosozial. Loos, G. K. (1994). Spielräume der Magersucht. Musiktherapie und Körperwahrnehmung mit frühgestörten Patienten (Reihe: Praxis der Musiktherapie, Bd. 7; 2., durchges. Aufl.). Stuttgart: Gustav Fischer. Milz, H. (1998). Vom Leib zum Körper und zurück. Die Besinnung auf das Menschliche in der Heilkunde. In H. Milz, M. Varga von Kibéd (Hrsg.), Körpererfahrungen. Anregungen zur Selbstheilung (S. 14–46). Zürich: Walter. Oehlmann, J. (2021). Musikinstrumente. In H.-H. Decker-Voigt, E. Weymann (Hrsg.), Lexikon Musiktherapie (3., vollst. überarb. u. erw. Aufl.; S. 383–390). Göttingen: Hogrefe. Osten, P. (2019). Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD) (Reihe: Psychologie). Wien: Facultas. Petzold, H. G. (2007). Heilende Klänge. Der Gong in Therapie, Meditation und Sound Healing (Reihe: Kunst, Therapie, Kreativität; überarb. Neuaufl.). Süstedt: Hess. Petzold, H. G., Wolf, H. U., Landgrebe, B., Josič, Z., Steffan, A. (2000). »Integrative Traumatherapie« – Modelle und Konzepte für die Behandlung von Patienten mit »posttraumatischer Belastungsstörung«. In B. A. van der Kolk, A. C. McFarlane, L. Weisaeth (Hrsg.), Traumatic Stress. Grundlagen und Behandlungsansätze. Theorie, Praxis und Forschung zu posttraumatischem Streß sowie Traumatherapie (Reihe: Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften, Bd. 62; S. 445– 549). Paderborn: Junfermann. Schumacher, K. (2017). Musiktherapie bei Kindern mit Autismus. Musik-, Bewegungs- und Sprachspiele zur Behandlung gestörter Sinnes- und Körperwahrnehmung (Reihe: Zeitpunkt Musik). Wiesbaden: Reichert. Timmermann, T. (1989). Die Musen der Musik. Stimmig werden mit sich selbst (Reihe: Zauber der Mythen). Zürich: Kreuz. Timmermann, T. (2003) Klingende Systeme. Aufstellungsarbeit und Musiktherapie. Heidelberg: CarlAuer. Widmer, M. (1997/1998). Alles, was klingt. Elementares Musizieren im Kindergarten (Reihe: Praxis Kindergarten; 2., unveränd. Aufl.). Freiburg: Herder. Winnicott, D. W. (1971/2019). Vom Spiel zur Kreativität (16., unveränd. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.
Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis
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Konstanze Karoline Eppensteiner
Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext Die Anfertigung und Gestaltung von Masken ist eine vielschichtige Möglichkeit, einen kreativen Selbsterfahrungsprozess in Gang zu bringen. Da es in fast jeder Kultur Anlässe gibt, Masken zum Einsatz zu bringen, wird damit Bezug genommen auf etwas, das dem Menschen schon seit Langem als Ausdrucksmittel bekannt ist. Beim Anfertigen der Maske tauchen Patient*innen in einen ruhigen intensiven Prozess der Annäherung an sich selbst ein. In der kreativen Gestaltung des Rohlings werden Anteile sichtbar, die es zu integrieren gilt. In intermedialen Quergängen »spricht« die Maske oder wird im Maskenspiel Ungelebtes sicht- und lebbar.
Mein persönlicher Weg zur Maskenarbeit Schon als Volksschulkind bekam ich die Möglichkeit, eine Gipsmaske anzufertigen, im Rahmen einer Familien-Kreativ-Woche im Urlaub. Ich war völlig fasziniert: zum einen von dem Ergebnis, das auf mich wie eine Totenmaske wirkte, zum anderen davon, wie der Gips sich wandelte, von feucht und glitschig zu trocken und stabil. Die Erfahrung, ganz still halten zu müssen, um die Gipsbandagen auf das Gesicht aufgetragen zu bekommen, und hinter einer immer fester und kühler werdenden Schicht zu verschwinden, beeindruckte mich nachhaltig. 20 Jahre später war ich als junge Lehrerin mit einer Schulklasse auf Kennenlernwoche. Das schlechte Wetter verhinderte jegliche Outdooraktivitäten. Um die Kinder sinnvoll zu beschäftigen, griff ich auf die Erfahrung mit den Gipsmasken zurück. Die Schüler*innen konnten sich nach einer kurzen Anleitung die Masken gegenseitig anfertigen. Ein »schwieriger« Schüler blieb übrig. Ich arbeitete mit ihm, und er – der sonst ununterbrochen in Aktion war – wurde still und sanft unter meinen Händen. Es schien ihn zu beruhigen und zu entspannen, sodass er diese zielgerichtete Berührung, die zweifelsohne eine fürsorgliche Qualität hatte, empfangen und annehmen konnte. Und schließlich nahm ich in den 1990er Jahren bei der Tagung »20 Jahre Fritz Perls Institut« an einem Kurzworkshop zum Thema »Masken« mit Bernward Weiß teil. 155
Diese bisherigen Erfahrungen kamen mir wieder in den Sinn, als ich weitere 20 Jahre später die Lehrveranstaltung »Arbeit mit kreativen Medien in der IT« plante. Mit einer Kollegin probierte ich das Anfertigen der Gipsmasken aus, um die Eignung dieser Idee zu überprüfen und die Gruppe fundiert anleiten zu können. Wieder umfing mich der Zauber dieses Prozesses: die Stille, die Intimität der Berührung im Gesicht, der Wandel des Materials, der besondere Moment des Abnehmens der Maske, hinter der der Mensch verschwindet und doch sichtbar bleibt. Ich war überzeugt davon, einen wertvollen Weg gefunden zu haben, die Ausbildungsgruppe mithilfe der Maskenarbeit in die vielfältige Arbeit mit kreativen Medien einführen zu können. Darüber hinaus schien es mir ein geeigneter Weg, die Studierenden in ihren eigenen Selbsterfahrungsprozessen weiterzubringen und sie mit einer Methode vertraut zu machen, die sie selbst in ihrer Praxis würden anwenden können.
Maskenarbeit in der Psychotherapie »Wer diesen Weg [der Maskenarbeit] beschreitet, wird dadurch belohnt werden, daß er neue Dimensionen seiner Persönlichkeit entdeckt. Er hat die Chance, daß sich ihm über die Maske die ›andere Identität des Selbst‹ in vielfältiger und reicher Weise erschließt.« (Petzold, 1992/2009, S. 17)
Schon seit sehr langer Zeit – frühe Funde gehen bis zu 17.000 Jahre zurück (Wikipedia, o. J., Stichwort »Maske«) – und in vielen Völkern und Kulturen erschaffen und verwenden Menschen Masken. Sie finden bis heute in (religiösen) Ritualen, in traditionellem Brauchtum (Perchten, Krampusse), in Theater und Schauspiel Verwendung. Im Beruf der Maskenbildner*innen wird Schauspieler*innen »in der Maske« das passende Gesicht zu ihrem Film-, TV- oder Theaterauftritt via Make-up gegeben. In die psychiatrische Diagnostik hat die Maske in Form der Diagnose »larvierte Depression« (Masked Depression) Eingang gefunden. In den 1970er und 1980er Jahren wurde diese Diagnose häufig gestellt und für eine Vielzahl somatischer Beschwerden verwendet, die in der Folge mit Antidepressiva medikamentös behandelt wurden (Bschor, 2002). Heute werden diese Phänomene hingegen vorwiegend als Somatisierungsstörung (ICD-10 F45) oder als Somatische Belastungsstörung (DSM-5) klassifiziert. Die Hochzeit der psychotherapeutischen Maskenarbeit im deutschsprachigen Raum ist Mitte der 1970er bis Anfang der 1990er Jahre zu verorten, als Laura Sheleen (1982/1987) und ihre Schüler*innen Bernward Weiß (1990/2007) sowie Katharina Sommer (1992/2009) u. a. im Rahmen des Fritz Perls Instituts (D) psychotherapeutische Maskenseminare anboten. Im Jahr 2021 hingegen gab es im deutschsprachigen Raum lei156
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der kaum noch Angebote zu psychotherapeutischem Maskenspiel. Möglicherweise ist dies dadurch begründet, dass aufgrund der chronischen Zeitknappheit im 21. Jahrhundert in den Aus- und Weiterbildungen selten genügend Zeit für das Kennenlernen der Maskenarbeit zur Verfügung steht. Auch für die Einbindung eines seriösen psychotherapeutischen Maskenspiels sind mindestens viertägige Seminare bzw. regelmäßige ganztägige Zusammenkünfte notwendig. Dennoch scheint es mir sinnvoll, Masken für die psychotherapeutische Arbeit auch in kürzeren Formaten einzusetzen und zu nutzen.
Phasen und Handelnde bei der Maskenarbeit Gestaltungsphase: Herstellung der Maske Die Literatur zu Masken in der Psychotherapie (Sheleen, 1983/1987; Weiß, 1990/2007; Sommer, 1992/2009; Bohdal, 2002) zielt in erster Linie auf das Maskenspiel ab: Nach Herstellung der Masken spielt die Gruppe Szenen, die sich aus den Gestaltungen der vorhandenen Masken und deren Inhalten ergeben. Ausgehend von den Masken wird mit der Gruppe gestalttherapeutisch und psychodramatisch experimentiert. Doch schon im handwerklichen Erstellen der Masken eröffnen sich mehrere Möglichkeiten der therapeutischen Nutzung aufgrund von Phänomenen, die im Entstehungsprozess zutage treten. Durch die Arbeit mit glitschigen Materialien wie feuchtem Gips oder Papiermaschee kommen manche Teilnehmer*innen besonders gut in ein Gefühl der Zeitlosigkeit, des »Flows«. Es können aber auch Ekelgefühle auftauchen oder Traumata getriggert werden. Im Vordergrund steht auf den ersten Blick die erlebniszentriertstimulierende Arbeit, die im therapeutischen Setting aber überschritten wird, da das heilsame Potenzial im konfliktzentriert-aufdeckenden Ansatz deutlich erkennbar wird. Schon in der Phase der Maskenanfertigung entsteht eine dichte Atmosphäre, die physisch wie psychisch für alle spürbar wird. Dieses gemeinsam Erlebte und Erfahrene versetzt die Gruppe in eine Emotion, deren heilendes Potenzial den Teilnehmer*innen evident ist. Es kommen Gefühle, Atmosphären und Szenen auf, die in den Tiefen der Psyche schlummern, sie werden spürbar, sie wecken Erinnerungen, die nun in die Gestaltung der Masken einfließen und oft erst hinterher, beim Betrachten der Maske und beim Besprechen des Getanen oder in den intermedialen Quergängen, zugänglich werden (vgl. Petzold, 1992/2009, S. 14). Fallbeispiel. Eine Teilnehmerin berichtete: »Ich habe den Ruf, zwei linke Hände zu haben. Deshalb fühlte ich mich schon von der Aufgabe des Maskenanfertigens gestresst. Dann aber ging es überraschend leicht. Ich mochte sie Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext
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von Anfang an gern, meine Maske, die ich aus einem Luftballon, Zeitungspapier und Kleister selbst gebaut habe. Ich bin während dieser Arbeit ganz ruhig geworden, eine Ruhe ganz tief aus meinem Inneren. Bei der Gestaltung ist wieder der Leistungsdruck aufgetaucht – ein Leistungsdruck, mit dem ich mich schon öfter in meinen Therapiesitzungen beschäftigt habe. Ich habe dann nach links und nach rechts geschaut und bewundert, wie die anderen mit Farbe und Dekomaterial werken und schaffen. Ich habe meine Masken in den Händen hin und her gedreht, und plötzlich war es ganz klar: in meiner Lieblingsfarbe und ohne jeden Firlefanz, ein kleines Hütchen auf dem Kopf – das war meine Maske! ›Weniger ist mehr‹ war mein Motto und die Erlaubnis, so zu sein, wie mir im Augenblick zumute ist: ›Gut behütet!‹ Daraus ist dann auch der Text entstanden. In meiner Präsentation gab es viel Stille, die ich sehr genießen konnte. Es fühlte sich an wie angekommen.« Die Arbeit mit Masken ist – wie bei anderen kreativen Medien in der Integrativen Therapie – gesundheits- und entwicklungsfördernd. Sie birgt Überraschungen und verhilft dazu, sich selbst besser kennenzulernen. Die Teilnehmer*innen tauchen durch die Monotonie der Tätigkeit, durch die Fokussierung auf das entstehende Produkt in eine Atmosphäre ein, in der sie sich selbst nahe sein können. Die ruhige, meditative Arbeit der Maskenherstellung lässt gut bei sich selbst ankommen. Es finden eine Entschleunigung und eine Konzentration auf das Hier und Jetzt statt. Im »Maskenobjekt«, das mit den Händen (u. a. schneidend, faltend, klebend, knetend) zum Leben erweckt wird, begegnen innere Antriebe ihrer äußeren Darstellung. Es kann schwere Konflikte, soziale Probleme, unsere Boshaftigkeit, unsere Dummheit oder auch unsere Klugheit, unsere Ruhe symbolisieren. Die Maske ist Verkörperung dessen, was uns heilig ist. Sie wartet darauf, aktualisiert (geschaffen) und dann getragen, besetzt und beseelt zu werden – sie wartet auf tanzende Akteur*innen (Sheleen, 1983/1987, S. 66).
Maskengespräch: Dialog mit der Maske Bei der Maskenarbeit geht es um Fragen der Identität. Wer bin ich? Wer bin ich nicht? Wer will ich sein, oder will ich ein*e andere*r sein? In der Gestaltung einer Maske – als Gipsabdruck des eigenen Gesichts oder als Papiermascheemaske mithilfe eines Luftballons – können ungelebte oder ungeliebte Anteile »ein Gesicht bekommen«, werden dadurch benennbar und können so einer weiteren Bearbeitung und Integration zugänglich gemacht werden. Nach der Gestaltungsphase, die möglichst in Stille ablaufen soll, »spricht« die Maske, es entsteht ein Text oder Dialog, der niedergeschrieben wird. Im nächsten 158
Konstanze Karoline Eppensteiner
Schritt wird in Kleingruppen eine Präsentation erarbeitet, bei der die gegenseitige Unterstützung einen zentralen Platz erhält. Zum vorläufigen Abschluss findet die Präsentation statt, in der alle Masken sichtbar und hörbar werden, einzeln und im Kollektiv. Im »Maskengespräch« kann eine weitere Exploration folgen, indem die Gruppe als Gegenüber genützt wird, um auf den spezifischen Ausdruck der Maske einzugehen und Resonanzen zur Verfügung zu stellen.
Die dritte Person: Fürsorge für die Akteur*innen Die Anfertigung der Gipsmasken, das direkte Auftragen der nassen Gipsbandagen auf das eingecremte Gesicht durch eine andere Person ist ein besonderer, zwischenleiblich intimer Vorgang. Die dritte Person im Bund – in der Regel wird in Dreiergruppen gearbeitet – trägt das Ihre dazu bei, um den professionellen Rahmen der Selbsterfahrungsgruppe zu wahren. Besonders in nicht gleichgeschlechtlichen Konstellationen ist eine weitere Person als äußeres Regulativ hilfreich. Dies schafft Sicherheit auf beiden Seiten. Ihre Rolle besteht darin, sich um das Wohlbefinden beider – des aktiven wie auch des passiven Teils – zu kümmern. Sie assistiert der Person, der die Maske anfertigt mit praktischen Handreichungen, z. B. beim Zuschneiden der Gipsbandagen. Gleichzeitig beobachtet sie die Person, auf deren Gesicht die Maske aufgetragen wird, und steht unterstützend bereit. Denn es kann notwendig sein, den Plan während des Vorgangs zu verändern: So können z. B. die Augenöffnungen offengehalten werden, wenn sich die »bearbeitete« Person dadurch sicherer und wohler fühlt. Die Ermutigung durch den*die Dritte*n im Bunde kann eine wichtige Unterstützung, ja sogar eine heilsame Erfahrung des »Gehört-Werdens« sein. Berühren und Berührt-Werden finden hier auf leiblicher Ebene statt: Körperlich nehmen und geben, sich geistig aufeinander einstimmen, sich seelisch fürsorglich verhalten oder versorgt werden, sich oder den*die andere*n zu erleben. Bei psychotherapeutischen Erfahrungen, in denen berührt wird, ist es wichtig, sich der Tragweite des eigenen Handelns klar bewusst zu sein (Hofer-Moser, 2018, S. 175). Bei der Herstellung der Gipsmasken in der Kleingruppe entsteht eine fürsorgliche Konzentration, eine besondere Stimmung in der Zusammenarbeit: Die drei Kleingruppenmitglieder arbeiten daran, dass am Ende alle drei einen Gipsabdruck des eigenen Gesichts in Händen halten. Dadurch ist auch der Begriff der Ko-kreativität konkret erlebbar. Die so entstandene Intimität in der Kleingruppe kommt vor allem in der gemeinsamen Vorbereitung der Präsentation deutlich zum Vorschein: Zugehörigkeit, Solidarität, gegenseitige Unterstützung, Selbstwirksamkeit und Ermutigung, aber auch Ernsthaftigkeit und Humor, angespannte Konzentration und spielerische Leichtigkeit ergänzen einander. Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext
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Möglichkeiten und Grenzen der Maskenarbeit Mithilfe der Maskenarbeit kann es gelingen, der zunehmenden »charakterliche[n] Panzerung« (Reich, 1933, bes. S. 57–59) entgegenzutreten, Ausdrucksvielfalt und -fülle sowie expressive Intensität des Ausdrucks zu fördern. Der expressive Leib wird im Maskenspiel wiederentdeckt, neu angeeignet und belebt, in der Aufarbeitung von verdrängtem biografischem Material, archaischen Gefühlen und Atmosphären sowie in der Förderung eines vielfältigen Ausdruckspotenzials. Hier wird die Wiederent deckung von Ritualen zur Kanalisation intensiver überflutender Gefühle genutzt (Petzold, 1992/2009, S. 11–13). Im Unterschied zum streng reglementierten (jungianisch) ausgerichteten Maskentheater von Sheleen (1982/1987) wird in dieser Form ein spielerischer Zugang gewählt, der in einen zeitlich kürzeren und klareren Rahmen eingepasst ist und der den gesamten Ausbildungsprozess der Gruppe im Blick behält. In der Regel haben Teilnehmer*innen eine gewisse Scheu, sich ihren ungel(i)ebten Seiten ganz auszusetzen und sich mit ihnen zuzumuten. Auch hier wird eine Abweichung zur Gestalttherapie der 1980er und 1990er Jahre deutlich: Während Letztere den Gang in die Tiefe forderte, wozu das Medium Maskenarbeit auch eingesetzt werden kann, gilt heute eher, nährende, solidarische, berührende Gruppenerfahrungen zu ermöglichen und es den Teilnehmer*innen zu überlassen, wie weit sie in ihrer Selbsterforschung – in der Öffentlichkeit der Ausbildungsgruppe – gehen möchten. Für den sinnvollen und ertragreichen Einsatz dieses kreativen Mediums sind eine sichere therapeutische Beziehung und eine miteinander vertraute Gruppe eine wichtige Voraussetzung. Durch das hohe emotionale Aktivierungspotenzial dieses Erlebnis aktivierenden Zugangs kann viel evoziertes Material für eine weitere Be- und Verarbeitung zur Verfügung stehen. Daher ist diese Arbeit für Menschen in akuten Krisen oder mit schwacher Ich-Funktion nicht geeignet. In solchen Fällen bedarf es eher haltgebender, strukturierender sowie beruhigender statt emotional aktivierender Zugänge.
Maskenarbeit konkret: Anleitung für die Praxis Maskenherstellung Gipsmaske. Material: Gipsbandagen, Wasserschüssel, Schere, kleines Handtuch, Hautcreme, Wattepads. Für das Auftragen der Maske wird sich bequem zurückgelegt, die Augen können mit Wattepads abgedeckt werden. Die Nasenlöcher bleiben unbedingt frei, Augen und Mund können je nach Wunsch ebenso freigelassen werden. Tro160
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ckene Gipsbandagen werden in ca. drei mal fünf cm große Stücke geschnitten, die einzeln in Wasser getaucht, abgestreift und dann auf die zuvor dick eingecremte Gesichtshaut aufgelegt werden. Der Gips wird verschmiert. Es werden zwei Schichten dachziegelartig überlappend aufgetragen (Abbildungen 1a, 1b). Der Gips trocknet durch die Wärme des Gesichts rasch. Nach einigen Minuten Wartezeit sollte die Person mit der Maske sich aufsetzen und den Kopf nach vorne neigen. Durch Bewegen der Gesichtsmuskulatur – Grimassieren – löst sich die fertige Maske vom Gesicht (Abbildung 2). Nach weiteren Stunden Trockenzeit (z. B. über Nacht) kann die Maske z. B. mit Farben, Bändern, Filz, Folien gestaltet werden.
Abbildung 1a, 1b: Anlegen der Gipsmaske in der Kleingruppe (Fotos: Eppensteiner)
Abbildung 2: Trocknen der fertigen Rohlinge vor der weiteren Gestaltung; je nach Wunsch können Augen und Mund geschlossen oder freigelassen werden (Foto: Eppensteiner)
Papiermascheemaske. Material: Luftballon, mindestens kopfgroß aufgeblasen, Zeitungs papier in Streifen gerissen, Kopierpapier drei bis vier Bögen ebenfalls in Streifen gerissen, flüssiger Tapetenkleister in einer flachen Schale. Der Luftballon wird mit den in Kleister getauchten und abgestreiften Zeitungspapierstreifen zu drei Vierteln überzogen. Das vierte Viertel bleibt frei und entspricht dem unteren Hinterkopf und Nackenbereich. Es werden mindestens drei dachziegelartige Schichten der Papierstreifen Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext
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benötigt, davon zwei Schichten Zeitungspapier und die letzte Schicht weißes Papier. Sind alle drei Schichten aufgetragen, muss der beschichtete Ballon mindestens zwölf Stunden zum Trocknen aufgehängt werden (Abbildungen 3a, b). Oftmals löst sich der Ballon von selbst von der erstarrten Papiermascheehülle. Anderenfalls wird er durch Anstechen zum Platzen gebracht. Diese Rohform der Maske kann zunächst über den Kopf gezogen werden. Nun können Öffnungen für die Augen hineingeschnitten werden. Die Gestaltung erfolgt im nächsten Schritt z. B. mit Farben, Bast, Filz, Wolle (Abbildung 4).
Abbildung 3a, 3b: Trocknen der Papiermascheemasken (Fotos: Eppensteiner)
Abbildung 4: Fertig gestaltete Papiermascheemasken vor dem Maskenspiel (Foto: Eppensteiner)
Mögliche zusätzliche Anweisung. In der Regel verläuft die Ausgestaltung der Rohmaske ohne weitere Vorgabe für den Prozess: Es wird sich das zeigen, was jetzt gesehen werden möchte. Für jene aber, die gern mehr Vorgaben haben, lautet die Anleitung: »Gestalte einen ungel(i)ebten Teil deiner selbst.« 162
Konstanze Karoline Eppensteiner
Intermediale Quergänge Für die Arbeit in der Gruppe eignen sich noch weitere Schritte: intermediale Quergänge, um die Möglichkeiten für die Selbsterfahrungsprozesse weiter auszuschöpfen. 1. Intermedialer Quergang von der Maske zum Text. Nach der Fertigstellung legen die Teilnehmer*innen die Masken vor sich hin. Im Kontakt mit der Maske entsteht ein Text – »Lass deine Maske zu dir sprechen« –, der schriftlich festgehalten wird. 2. Intermedialer Quergang von Maske und Text zur Präsentation. In Kleingruppen (drei Personen) stellen die Teilnehmer*innen einander gegenseitig den bisherigen Prozess vor: vom Selbsterleben zum intersubjektiven Geschehen. Sie zeigen ihre Masken und präsentieren den Text. Es findet Sharing statt, es können Verständnisfragen gestellt, jedoch keine Deutungen oder Interpretationen gegeben werden. Die Kleingruppe erarbeitet gemeinsam drei Einzelpräsentationen – »Ich zeige mich« –, in denen sich jeweils eine Person mit ihrer Maske vorstellt. Der zuvor entstandene Text kann dafür herangezogen werden. Musik, Geräusche, Requisiten können Verwendung finden. Die beiden anderen Gruppenteilnehmer*innen unterstützen den*die Protagonist*in nach deren Wünschen bei der Präsentation: von bloßer Gegenwart bis hin zum Hilfs-Ich. Als Abschluss wird eine gemeinsame Präsentation aller drei Masken vorbereitet.
Präsentation Für die Präsentation ist ein klarer räumlicher und zeitlicher Ablauf wesentlich, wobei der Raum in Bühne und Zuschauerraum unterteilt wird. Die Bühne kann z. B. mit Seilen am Boden markiert werden. Auf der Bühne, und nur dort, wird gespielt. Jede Gruppe, die auftritt, hat Zeit, die Bühne für die eigenen Bedürfnisse zu gestalten. Vor Beginn des Auftritts ist es wichtig, innezuhalten und den Fokus auf das Schauspiel zu richten. Nach der Präsentation der einzelnen Masken wird nicht applaudiert, sondern erst nach Abschluss der Präsentation der gesamten Kleingruppe. Denn jede Einzelpräsentation ist ein Moment der Selbstdarstellung oder gar -enthüllung, der niemals einer Bewertung von außen unterzogen werden darf, sondern für sich steht. Der abschließende gemeinsame Auftritt lässt die Einzelnen wieder in den Schutz der Kleingruppe zurückkehren. Der Applaus ist der Dank des Publikums für das Teilen der persönlichen Prozesse. In der Regel entsteht eine sehr dichte emotionale Inszenierung, in der die Teilnehmenden einander neu und anders begegnen. In der Nachbesprechung wird oftmals von »Gänsehautmomenten« berichtet. Die gegenseitige Unterstützung in der Vorbereitung wird – im Sinne der vier Wege der Heilung und Förderung (Petzold, 2003, S. 76–78) – als intensives Solidaritätserleben beschrieben. Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext
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Das Wichtigste in Kürze Die Herstellung der Masken kann zu einer intensiven gemeinsamen Erfahrung von Berührung, Versorgtwerden und Wandel führen. Im Schutz der selbst gestalteten Maske wird es möglich, ungelebte Anteile zu beleben, zum Ausdruck zu bringen und in der Folge zu integrieren. Ein Erleben jenseits von sprachlichem Ausdruck ist im Maskenspiel möglich. Für Patient*innen ist Maskenarbeit geeignet, wenn sie ansatzweise über handwerkliches Geschick verfügen und stabil genug sind, sich mit ungeliebten Anteilen zu beschäftigen. Bei Fragen zu Identität, Ablösungsthemen oder in Transitionsprozessen ist Maskenarbeit ein hilfreiches Tool. In Gruppen ermöglicht sie intensive Erfahrungen von Ausdruck und Solidarität. Für Psychotherapeut*innen ist Maskenarbeit ein Mittel der Wahl, wenn sie selbst Erfahrung mit Maskenarbeit, therapeutischem Theater oder Ähnlichem haben und einigermaßen sattelfest im Anleiten des Herstellungsprozesses sowie im therapeutischen Bühnenspiel sind. Mit fertigen Maskenrohlingen, die zu kaufen sind, kann der Prozess vereinfacht werden, um schneller zum Spiel mit der Maske zu kommen.
Literaturtipps zum Weiterlesen Sheleen, L. (1983/1987). Maske und Individuation (Reihe: Kunst, Theater, Kreativität, Bd. 3). Paderborn: Junfermann. Sommer, K. (1992/2009). Maskenspiel in Therapie und Pädagogik. Grundlegende Methoden der Theatertherapie (2., unveränd. Aufl.). Bielefeld: Aisthesis. Weiß, B. (1990/2007). Maske und Therapie im integrativen Ansatz der Arbeit mit kreativen Medien und der Kunsttherapie – Ein Überblick. In H. G. Petzold, I. Orth (Hrsg.), Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie. Bd. II (Reihe: Kunst, Therapie, Kreativität; 4., unveränd. Aufl.; S. 777–806). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis.
Literatur Bohdal, C. (2002) Maskenarbeit. In D. Müller-Weith, L. Neumann, B. Stoltenhoff-Erdmann (Hrsg.), Theater Therapie. Ein Handbuch (S. 149–156). Paderborn: Junfermann. Bschor, T. (2002). Larvierte Depression: Aufstieg und Fall einer Diagnose. Psychiatrische Praxis, 29 (4), 207–210. Hofer-Moser, O. (2018). Leibtherapie. Eine neue Perspektive auf Körper und Seele (Reihe: Forum Körperpsychotherapie, Bd. 3). Gießen: Psychosozial-Verlag.
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Konstanze Karoline Eppensteiner
Petzold, H. G. (1992/2009). Einführung. Masken – die »andere Identität des Selbst«. In K. Sommer, Maskenspiel in Therapie und Pädagogik. Grundlegende Methoden der Theatertherapie (2., unveränd. Aufl.; S. 9–17). Bielefeld: Aisthesis. Petzold, H. G. (2003). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden einer schulenübergreifenden Psychotherapie. 3 Bde. (Reihe: Integrative Therapie – Schriften zu Theorie, Methodik und Praxis, Bd. 2; 2., überarb. u. erw. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Reich, W. (1933). Charakteranalyse. Technik und Grundlagen für studierende und praktizierende Analytiker. Wien: Selbstverlag. Sheleen, L. (1983/1987). Maske und Individuation (Reihe: Kunst, Theater, Kreativität, Bd. 3). Paderborn: Junfermann. Sommer, K. (1992/2009). Maskenspiel in Therapie und Pädagogik. Grundlegende Methoden der Theatertherapie (2., unveränd. Aufl.). Bielefeld: Aisthesis. Weiß, B. (1990/2007). Maske und Therapie im integrativen Ansatz der Arbeit mit kreativen Medien und der Kunsttherapie – Ein Überblick. In H. G. Petzold, I. Orth (Hrsg.), Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie. Bd. II (4., unveränd. Aufl.; S. 777–806). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis. Wikipedia (o. J.). Stichwort »Maske«. https://de.wikipedia.org/wiki/Maske (Zugriff: 10.11.2022).
Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext
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Barbara Winzely
Integrative Therapie in der Arbeit mit geflüchteten Menschen unter Einbezug von Poesietherapie Die Poesietherapie, eine wichtige kreative Methode im Portfolio der Integrativen Therapie, macht sich diese zunutze und setzt das Schreiben als Mittel zur Selbsterfahrung und Selbstreflexion ein. Dabei ist sie gänzlich unabhängig von literarischen Ansprüchen. Dieser Beitrag beschreibt ein Projekt, in dem Mädchen und Frauen im Rahmen eines poesietherapeutischen Gruppensettings ihre Fluchtbzw. Migrationsgeschichte aufgeschrieben haben. Er umfasst die wichtigsten Voraussetzungen in der Arbeit mit geflüchteten Menschen sowie poesietherapeutische Interventionsmöglichkeiten. Einige Textbeispiele geben Einblick in die Wirkung und die schöpferische Ausdruckskraft, die im Schreiben liegen kann.
Flucht und Poesie – ein Widerspruch? Flucht und Poesie – zwei scheinbar widersprüchliche Begriffe – erfahren im folgenden Beitrag eine Zusammenführung. Das reale, z. T. traumatische Geschehen einer Flucht, trifft auf imaginierte, zartbesaitete Sprache, in der die kreative Methode der Poesietherapie zunächst wie eine paradoxe Intervention anmutet. Die härtesten Erlebnisse im Fluchtgeschehen finden mithilfe oft fragiler Formulierungen eine Verbindung im Existenziellen und lösen vor diesem Kontrast das scheinbare Paradoxon auf. Diese Form der Auseinandersetzung, dargelegt in einem Fallbeispiel, erlaubt achtsame Aufmerksamkeit für sich selbst und das Geschehene, eingebettet in mögliche Solidaritätserfahrungen innerhalb einer Gruppe. Hannah Arendt (1943/2016) beschreibt in ihrem Essay »Wir Flüchtlinge« eindrücklich den Zusammenhang zwischen Flucht, Sprach- und Identitätsverlust: »Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle […], und das bedeutet den Zusammenbruch unserer privaten Welt« (S. 10). »Unsere Identität wechselt so häufig, dass keiner herausfinden kann, wer wir eigentlich sind« (S. 25).
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Die Situation geflüchteter Menschen Laut Statistik des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) waren Ende des Jahres 2020 weltweit über 82,4 Millionen Menschen aus ihrer Heimat gewaltsam vertrieben (UNHCR, 2021, S. 4, S. 6), darunter fast 26,4 Millionen Flüchtlinge, von denen etwa die Hälfte unter 18 Jahren alt ist. Geflüchtete Menschen sind häufig serieller Belastung ausgesetzt: Das Leben im Herkunftsland ist durch Krieg, Verfolgung oder Naturkatastrophen existenziell bedroht, der Fluchtweg in vielen Fällen lange und durch negative Lagererfahrungen geprägt. Die Ankunft in einem sicheren Land erweist sich zumeist als weit schwieriger als erwartet und legt eine Reihe an Verlusterfahrungen offen, z. B. den Verlust von Heimat, sozialem Netzwerk, Sprache, Kultur und Beruf. Zusätzlich wissen viele geflüchtete Menschen ihre Familien weiterhin in Gefahr und fürchten um deren Leben. Die Postmigrationsphase (Schaffler, Ramirez Castillo u. Jirovsky, 2017) ist gekennzeichnet durch dauerhaft anhaltenden Stress. Dieser ergibt sich durch einen unsiche ren Aufenthaltsstatus, die lange Dauer der Asylverfahren, die zumeist prekären Lebensverhältnisse – die oft über Jahre andauern – und das Gefühl, unerwünscht zu sein. Zusätzlich sehen sich geflüchtete Menschen mit der Akkulturation konfrontiert, der »Übernahme von Elementen einer fremden Kultur durch den Einzelnen oder eine Gruppe; kultureller Anpassungsprozess« (Duden Online, o. J.). Diese Phase ist geprägt von Desorganisation und kulturellem Zusammenstoß. Je größer die Schwierigkeiten sind, desto höher steigen die physischen und psychischen Risiken.
Die häufigsten Störungsbilder Im psychotherapeutischen Zusammenhang von Menschen mit Fluchterfahrung zeigen sich am häufigsten die sogenannten Traumafolgestörungen (Dilling, Mombour u. Schmidt, 2014). Es sind aber auch alle anderen psychischen Erkrankungen in der Zielgruppe abgebildet, die hier in ihren soziokulturellen Besonderheiten nicht näher besprochen werden können. Akute Belastungsreaktion (F43.0). Eine akute Belastungsreaktion tritt im Allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis auf. Sie umfasst oft ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art Betäubung, Bewusstseinseinengung und eingeschränkter Aufmerksamkeit. Äußere Reize können nur schwer verarbeitet werden. Desorientierung ist häufig zu beobachten. Diesem Zustand kann entweder ein weiterer Rückzug folgen, aber auch Unruhe oder Überaktivität, begleitet von somatoformen Angstsymptomen, wie Herzrasen, Schwitzen und Erröten. Die 168
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Symptome klingen in der Regel innerhalb von Stunden oder Tagen ab, dauern aber zumindest nicht länger als einen Monat. Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1). Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis (Trauma). Diese Situation, von kürzerer oder längerer Dauer, ist außergewöhnlich bedrohlich oder von katastrophalem Ausmaß: ein schwerer Unfall, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen. Typisch für die PTBS sind die sogenannten Symptome des Wiedererlebens, die sich den Betroffenen tagsüber in Form von Erinnerungen an das Trauma, Tagträumen oder Flashbacks, nachts in Angstträumen aufdrängen. Gewissermaßen das Gegenstück dazu sind die Vermeidungssymptome: emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit der Umgebung und anderen Menschen gegenüber, aktive Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Störungen nach Extrembelastung. Chronisch traumatische Ereignisse können je nach Lebensalter sehr schwere, dauerhafte Auswirkungen haben. Die sogenannte Entwicklungsstörung nach extremen Erfahrungen (F80-F89) kommt vorrangig bei Kindern und Jugendlichen vor. Bei Erwachsenen führen schwere, chronische Traumata mitunter zu Persönlichkeitsveränderung. Der Andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) geht häufig eine Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung voraus, die erstmals in der ICD-11 kategorisiert wird (Reddemann u. Wöller, 2017/2019).
Wichtige Voraussetzungen in der poesietherapeutischen Arbeit mit geflüchteten Menschen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, gehören einer sensiblen Personengruppe an. Neben Unterschieden z. B. in Herkunft, Kultur und Sprache ist möglicherweise auch mit traumatischen Erfahrungen zu rechnen. Um auf die abenteuerliche Reise der Introspektion durch Schreiben gehen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Safe Place. Für Sicherheit und Geborgenheit zu sorgen, stellt das oberste Prinzip in der therapeutischen Arbeit mit geflüchteten Menschen dar. Das therapeutische Setting dient hier als wichtiger Ort, als Safe Place. Hier können die Menschen zur Ruhe kommen, sich angenommen fühlen und eine vertrauensvolle, stabile, nicht wertende Atmosphäre erleben. Dadurch wird es möglich, sich auch schwierigen Themen zuzuwenden. Die unterschiedlichen Tiefengrade ergeben sich durch die verschiedenen, methodischen Zugänge zum Schreiben sowie durch die eigenen Möglichkeiten bzw. Bereitschaft. Als besonders wichtig hat sich dabei die Atmosphäre herausgestellt, also das Klima, in dem gearbeitet wird. Auch die räumlichen Gegebenheiten, z. B. die AnordIntegrative Therapie in der Arbeit mit geflüchteten Menschen unter Einbezug von Poesietherapie
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nung des Sesselkreises und die Gestaltung eines Mittelkreises (zum Thema passende Gegenstände – im Fallbeispiel ein Globus), tragen zur Entstehung einer speziellen und förderlichen Atmosphäre bei. Die breite Palette an kreativen Medien, die der Integrativen Therapie zur Verfügung stehen, ist dafür sehr hilfreich und kommt vor allem im dritten Weg der Heilung (Petzold, 2003, S. 77 f.) zum Tragen. Dies geschieht innerhalb der Behandlungsstrategie durch »kreative Erlebnisentdeckung, Arbeit mit Träumen sowie durch das gezielte Einbeziehen des Alltagslebens als Experimentier- und Übungsfeld und durch den aktiven Aufbau und die Stärkung von ressourcenorientierter Erlebnisaktivierung und persönlicher Souveränität« (Leitner u. Höfner, 2020, S. 187; vgl. bereits Petzold, 2012). Durch die Stimulierung auf verschiedenen Ebenen und das erlebnis- und übungszentrierte Verfahren können Ressourcen und Potenziale gehoben und entwickelt werden. Bei kreativen Prozessen kann ein symbolischer Raum entstehen und betreten werden. Dieser Übergangraum bzw. »Zwischenreich« (Winnicott, 1953/1969, S. 678) stellt einen Freiheitsspielraum dar, der die Voraussetzung für kreatives Arbeiten darstellt (Seiffge-Krenke, 2009, S. 111). Significant Caring Adult. Schreiben kann tiefgehende Prozesse auslösen, die bis zur (Re-)Traumatisierung führen können. Daher ist es für die begleitende Personen besonders wichtig, fundierte psycho- und poesietherapeutische Kompetenzen zu besitzen. Vor allem Kindern und Jugendlichen gegenüber ist es notwendig, eine verlässliche Beziehung anzubieten. Die Rolle des »Significant Caring Adult«, der*die als schützender Faktor und soziales Vorbild fungieren kann, erhält eine große Bedeutung. Mit dieser Haltung werden sichere Räume zur Verfügung gestellt, in denen eigene Gestaltungskraft und Selbstwirksamkeit erlebt werden können, selbst wenn diese manchmal nur schwerlich auf die reale familiäre und soziokulturelle Situation zu übertragen sind. In einem Klima von Wärme, Offenheit und Akzeptanz können Traumata bearbeitet und Handlungskompetenzen erworben werden. Gelingt es, durch diese unterstützende, ressourcenorientierte Haltung in der Beziehung Grundlagen für Resilienzen auf- oder auszubauen, ist der Boden für Verarbeitung und Heilung aufbereitet.
Poesietherapie als kreative Interventionsform Poesietherapie (griechisch poiein: machen, hervorbringen, dichten) gilt als expressiver Ansatz unter den therapeutischen Methoden und bedeutet zusammenfassend »Heilung durch Schreiben«. Der Poesie kommt hier eine besondere Bedeutung zu: Oftmals trifft sie auf Hörer*innen oder Leser*innen, deren Schwingungsfähigkeit vermindert, verfremdet oder 170
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verloren gegangen ist. Sie gehen kaum mehr mit sich und der Welt in Resonanz, und ihre schöpferische Kraft ist verkümmert. Hier kann die gestaltete Sprache als Impuls wirken und einen Beitrag zu mehr Lebendigkeit leisten. Poesietherapie hat bereits eine lange Tradition in den USA. Ihr theoretisches Konzept wurde vor allem von Jack Leedy (1969) und Arthur Lerner (1978) im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts festgelegt. In den 1960er Jahren kam die Idee der Poesie- und Bibliotherapie nach Deutschland. Hilarion G. Petzold (Überblick bei Petzold u. Orth, 2018/2019) setzte zunächst Schreiben und Lesen als ergänzende Techniken im Rahmen der Gestalt- und Integrativen Therapie ein: »Integrative Poesie- und Bibliotherapie ist ein methodischer Ansatz im Rahmen der ›Integrativen Therapie‹ zur Behandlung seelischer und psychosomatischer Erkrankungen und zur Bewältigung von Lebenskrisen. Darüber hinaus ist er aber auch in der Selbsterfahrung zur Entwicklung der Persönlichkeit und zur Verbesserung von Lebensqualität einzusetzen, durch das gemeinsame Erfahren von Literatur, im Lesen von Poesie und Prosa und im Gestalten eigener Texte als persönlichen Narrationen. Diese werden Gegenstand eines therapeutischen Diskurses […]. Der Text wird für seinen Autor eine Botschaft von sich, über sich, für sich, aber auch an andere« (Petzold u. Orth, 2005, S. 58 f.). Die Poesie- und Bibliotherapie hat einen festen Platz unter den methodischen Verfahren der integrativen Psychotherapie. Die Methode des therapeutischen Schreibens hat generell in mehrere psychotherapeutische Verfahren Einzug gehalten. Poesietherapie bei traumatischen Erlebnissen. Die Poesietherapie bietet in der Trauma therapie eigenständige Möglichkeiten zur Bewältigung von Erinnerungen und Gefühlen, die verdrängt wurden und/oder für die Seele schwer zu ertragen sind. Sie schafft einen besonders sanften und wirksamen Zugang. Im Zentrum der poesietherapeutischen Arbeit steht die Entfaltung des schöpferischen Potenzials, um einen Entwicklungsprozess in Gang zu bringen. Durch den kreativen Vorgang, der schon beim Erinnern und Erzählen beginnt, kann Unausgesprochenes bzw. Unaussprechliches sicht- und hörbar gemacht werden. Durch das Aufschreiben wird Erlebtes mit Distanz betrachtet und verarbeitet, ohne dass das emotionale Erlebnis direkt fokussiert oder verbalisiert werden muss. Dieser Aspekt der »indirekten« Thematisierung traumatischer Erlebnisse ist sehr wichtig, denn durch kreative poetische Sprache entsteht gewissermaßen eine »Paraphrase« des Geschehenen und damit eine alternative Variante von dessen Betrachtung. »Souveränität wird vom Subjekt zugleich erlebt und erschaffen. Sie verdichtet sich als Erleben gleichsam an einem ›inneren Ort‹ (inner place), einem Ort persönlicher Sicherheit und kollektiver Erfahrung einer überpersönlichen Zugehörigkeit und schöpferischen Kraft« (Petzold u. Orth, 2014, S. 8). Eine poesietherapeutische Gruppe bietet den Rahmen, um den persönlichen Ort der Souveränität zu entdecken. In diesem Raum sind die Texte angesiedelt, hier darf gestaltet, experimentiert und fantasiert werden. Die Entfaltung der eigenen Kreativität spielt bei der Entwicklung von Unabhängigkeit und Identität eine entscheidende Integrative Therapie in der Arbeit mit geflüchteten Menschen unter Einbezug von Poesietherapie
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Rolle (Petzold u. Orth, 2008). Diesen Raum gilt es immer wieder aufzusuchen, zu vergrößern und dadurch auch die eigene Selbstwirksamkeit und Identität zu stärken. Für chronisch traumatisierte Menschen ist jedoch häufig Vermeidungsverhalten die einzige Möglichkeit, mit lebenskritischen Erfahrungen umzugehen. Dann setzt ihnen das Schreiben mehr zu, als es ihnen zugutekommt (Lätsch, 2011). Die Aufarbeitung des Erlebten kann erst Thema werden, wenn ausreichend Sicherheit und psychosoziale Stabilität erreicht sind. Wenn dies nicht geschieht, können Traumata über Generationen hinweg wirken und stellen ein Erbe dar, das oft unbewusst weiter Leiden verursacht (Baer u. Frick-Baer, 2015/2020).
Das Projekt HER*stories: Fluchtgeschichten Idee, Kooperation und Umsetzung Idee. Die Idee zum Projekt stammt von den Betroffenen selbst: Mädchen und Frauen, die das Familienzentrum »friends« im 2. Bezirk in Wien regelmäßig besuchen, wollten ihre Flucht- oder Migrationsgeschichten aufschreiben. Es stand jeder Teilnehmerin offen, die eigene Geschichte oder die von Verwandten zu erzählen. Ebenso behielten alle Teilnehmerinnen die Souveränität über Tiefe und Inhalte ihrer Texte, welche Aspekte sichtbar, welche unsichtbar bleiben sollten. Kooperation: Friends – Hemayat – Sprachraum. Die Projektleiterinnen von »Friends – Kinder-, Jugend- und Familienzentrum« (www.friends2.at) wandten sich mit dem Ansuchen um Begleitung an »Hemayat – Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende« (www.hemayat.org), in dem Bewusstsein, dass es in den geplanten Schreibwerkstätten zu starken Emotionen bis zur Retraumatisierung kommen könnte. Mit dem Verein »Sprachraum – Akademie für Text und Therapie« (http://www.sprachraum.at) wurde ein kompetenter Partner hinsichtlich der Konzipierung und methodi� schen Durchführung der Schreibwerkstätten gefunden. Umsetzung. An den vier eintägigen Schreibwerkstätten nahmen 24 Mädchen und Frauen im Alter von 12 bis 70 Jahren teil. Es wurden generations-, religions- und gesellschaftsübergreifend Migrations- bzw. Fluchtgeschichten geschrieben. Die Teilnehmerinnen stammten aus vielen verschiedenen Herkunftsländern und gehörten dem Christentum, Islam oder Judentum an. Vorrangig wurde auf Deutsch geschrieben.
Ziele der Schreibwerkstätten Als wesentlichstes Ziel wurde die Rückaneignung des Diskurses über Menschen – und in diesem speziellen Fall über Mädchen und Frauen – auf der Flucht genannt. Ihnen 172
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war es besonders wichtig, aus der eigenen Perspektive zu berichten und selbst über diese Erfahrungen zu schreiben. In Politik und Medien sind sie zwar immer wieder Thema, als Betroffene bleiben sie aber zumeist stumm und unsichtbar. Ein von den Teilnehmerinnen häufig genanntes Motiv für das Aufschreiben der eigenen Fluchtgeschichte war, dass auch andere Menschen davon erfahren und mehr Verständnis für die erzwungene Migration und die daraus resultierenden Bedürfnisse aufbringen sollten. Für viele war dieser nochmalige Blick zurück wichtig. Aus der heutigen Perspektive ist erst ersichtlich, wie viele kritische Lebensereignisse stattfanden, die als belastend oder überfordernd erlebt wurden. Aber auch die Erfahrung, große Krisen effektiv gemeistert zu haben, ist eine wichtige Erkenntnis, die mehr Klarheit über das eigene Gewordensein ermöglicht (Rex, 2009, S. 19 f.). Der Blick in die Vergangenheit sollte helfen, den Blick in die Zukunft zu wagen und die eigenen Ziele, Prioritäten und Werte neu zu orientieren. Erzählen und Schreiben in der Gruppe ermöglicht, Solidaritätserfahrungen zu machen. Es galt daher, einen (Schutz-)Raum zu schaffen, in dem ein vertrauensvolles Klima und eine Atmosphäre von Wohlwollen und Achtsamkeit herrschen. In einem solchen sicheren Rahmen sollte ein möglichst offenes Angebot gesetzt werden, das den Mädchen und Frauen den Einstieg ins Erinnern, Erzählen und Schreiben ermöglichte. Ziel war es, Hemmschwellen abzubauen und Schreibprozesse anzuregen. Besonders wichtig waren dabei die Prozessbegleitung, das Wahrnehmen der Emotionen, die Zeugenschaft, das Erschließen von Aufgehendem und vor allem die Vermeidung möglicher Retraumatisierung (Hopf, 2017/2019, S. 149 f.).
Der Arbeitsprozess Das tetradische (viergliedrige) System der Integrativen Therapie (Initialphase, Aktionsphase, Integrationsphase und Neuorientierungsphase; Petzold, 2003, S. 167 f.) ist ein dynamisches Prozessmodell, das den Verlauf und die Struktur von Lern- und Veränderungsprozessen nachvollziehbar werden lässt (Leitner u. Höfner, 2020, S. 181–183; Petzold u. Orth, 2005). Dies bestimmt auch die Struktur der poesietherapeutischen Schreibwerkstätten bzw. den Schreibprozess selbst. Initialphase: Dies ist die Phase der Kontaktaufnahme, des Ankommens und Kennenlernens. Ausgangspunkt waren eine Vorstellungsrunde und das Gestalten eines Namenskärtchens mit einem Symbol für sich selbst, in das ein niederschwelliges Sprachspiel eingebaut war. Im Anschluss daran erfolgte mittels eines Fragebogens das Sammeln von Wünschen, Vorstellungen und Zielen, aber auch von möglichen Ängsten. Die Ergebnisse wurden zunächst in Dyaden besprochen und dann im Plenum geteilt. Für die Initialphase sind auch literarische Texte geeignet, z. B. Gedichte Integrative Therapie in der Arbeit mit geflüchteten Menschen unter Einbezug von Poesietherapie
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oder Märchen, die in das Thema hineinführen und als Modell dienen, wie man eigene Erfahrungen poetisch ausdrücken kann. Aktionsphase 1: In der Aktionsphase kommt es zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Hier wirken vor allem die erlebnis- und konfliktzentrierten Dimensionen. Die Teilnehmerinnen konnten aus Seilen unterschiedlicher Farbe und Qualität wählen, um ihren Lebensweg (von der Geburt bis in die Gegenwart) aufzulegen. Die Flucht bzw. Migration war ein Teil davon. Sie erhielten Kärtchen in drei Farben, worauf sie die wichtigsten »Orte« notierten, die wichtigsten »Erlebnisse« sowie, »wer oder was in schwierigen Zeiten unterstützen konnte«. Die Kärtchen wurden im Sinne von Kontext und Kontinuum an die entsprechenden Stellen des Seils gelegt. Integrationsphase 1: In dieser Phase stehen das Auswerten und Aufarbeiten des emotionalen Geschehens und die kognitive Zuordnung im Vordergrund. Jede Teilnehmerin wurde von der gesamten Gruppe »besucht« und konnte ihre Geschichte anhand des Seils und der Kärtchen erzählen und nochmals reflektieren. Die eingenommene Distanz war ein gutes Mittel, um sich der eigenen, vielleicht erstmals in einem größeren Kontext erzählten Geschichte vorsichtig anzunähern. Feedback und Sharing der Gruppe waren ein wesentlicher Bestandteil dieser Phase. Aktionsphase 2: Hier kam es zum eigentlichen Schreibvorgang. Jede Teilnehmerin fokussierte entweder ihre gesamte Fluchtgeschichte oder griff mittels der »Lupentechnik« einen bestimmten Punkt heraus. Angereichert durch Erinnerungen und bereits Erzähltes entstanden nun die ersten Texte. Im Anschluss daran wurde ein Titel für den Text gefunden. Dieser Titel fungierte für eine Zeile in der Verdichtungsform »Rondell«, die mittels einer Vorlage erklärt und durchgeführt wurde. Integrationsphase 2: Die entstandenen Texte bzw. Textfragmente wurden in der Gruppe vorgelesen oder vorgestellt. Dabei war es besonders wichtig, dass das Vorlesen auf freiwilliger Basis beruhte. Manche Texte waren so persönlich, dass sie nicht sofort in der Gruppe geteilt werden konnten. Es bestand auch die Möglichkeit, eine zweite, öffentliche Version zu schreiben und die erste für sich zu behalten. Neuorientierungsphase: Hier geht es um die Neuausrichtung und Zielbenennung. In der Großgruppe wurde das Erlebte reflektiert und mit dem gegenwärtigen Leben in Zusammenhang gebracht. Der schöpferische Akt des Schreibens hatte Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl der Teilnehmerinnen und ihren Glauben an Selbstwirksamkeit und Kreativität. Die Perspektive einer Publikation wurde aufgegriffen, und erste Überlegungen wurden angestellt, welche Texte in welcher Form veröffentlicht werden könnten. Die vier Schreibworkshops dienten auch dazu, die Hemmschwelle, über die eigene Biografie zu schreiben, abzubauen. In der Folge bestand vonseiten des Familienzentrums die Möglichkeit, an den Texten weiterzuarbeiten. Dieses Angebot wurde von einigen Teilnehmerinnen angenommen und der Schreibprozess somit verlängert. Es wurde über mehrere Wochen weitergeschrieben, umgeschrieben und Neues geschrieben. 174
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Die wichtigsten Erfahrungen Angeregt durch den therapeutischen Schreibprozess, der individuelle Ausdrucksmöglichkeit erlaubte, kam es bei einigen Teilnehmerinnen zur (Wieder-)Entdeckung eigener Stärken und Ressourcen. Das Selbstwertgefühl wurde dadurch spürbar angehoben. Im geschützten Rahmen der Schreibgruppe und durch das niederschwellige Schreibangebot war es den Teilnehmerinnen möglich, den Entstehungsprozess ihrer Texte mitzuverfolgen. Nicht selten waren sie erstaunt über das Ergebnis, das sie mit den anderen Teilnehmerinnen am Ende jedes Schreibtags teilen konnten. Durch Feedback und Sharing wurden die Schreiberfahrungen integriert und für das eigene Leben nutzbar gemacht. Der Fokus lag dabei auf der Handlungsfähigkeit und den positiven, salutogenen Aspekten, statt sich auf das Leid und die Schwächen zu konzentrieren. Nicht im Rahmen der Schreibwerkstatt, aber als übergeordnetes Ziel, gab es die Idee, die entstandenen Texte in Buchform herauszugeben. Daher war es wichtig, während der vier Schreibwerkstätten jeglichen Druck in Richtung Veröffentlichung auszusparen. Die Schreibanregungen wurden so gewählt, dass die Mädchen und Frauen einen möglichst niederschwelligen und unverstellten Zugang zum Schreiben finden konnten. Diese Idee wurde realisiert: Im September 2021 erschien im Mandelbaum Verlag »In unseren Worten. Lebensgeschichten von Wienerinnen aus der ganzen Welt« (Gučanin, Gartner, Shahali u. Sulollari, 2021), woraus die nachfolgenden Textbeispiele stammen. Swetlana. »Vor achtzig Jahren haben meine Eltern mit mir Österreich verlassen, um dem sicheren Tod zu entgehen, denn mein Vater war Jude und beide Eltern waren Kommunist*innen. Wir sind zehn Jahre in die Emigration gegangen. Wir sind zahllose Male knapp dem Tod entgangen und sind dank der Hilfsbereitschaft und Solidarität irgendwelcher Menschen immer wieder doch noch durchgekommen. Nach zehn Jahren sind wir zurückgekommen ins zerbombte Wien. Und heute erlebe ich, dass die Feuer der Pogromnacht zwar erloschen sind, aber dass plötzlich unser Land von einer entsetzlichen Kälte erfasst wird« (S. 43). Sabinna. »Zuhause ist, wo ich nicht bin. Aber das macht mir nichts – oder ich rede es mir zumindest so ein. Dasselbe gilt für meine Eltern und deren Eltern – und die Eltern der Eltern der Eltern. Nie ist jemand von uns an einem Ort geblieben und so mussten wir uns immer wieder eine andere Sprache oder eine andere Kultur ausleihen. Manchmal, um den eigenen Kindern etwas Besseres bieten zu können, manchmal, weil es politisch nicht anders ging, und manchmal kannten wir den Grund nicht« (S. 51). Integrative Therapie in der Arbeit mit geflüchteten Menschen unter Einbezug von Poesietherapie
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Shabana. »Zwei Welten verbunden / Eine Generation entfernt / Zwei Generationen verbunden / Zwei Generationen zwei Welten / Du und ich und die 38 Jahre zwischen uns / Problem zweier Welten / Leben zweier Welten« (S. 53). Aadilah. »Die Geschichte meiner Mutter. Afghanische Frauen. Sie sind sichtbar und doch verhüllt. Wir haben uns wenig mit ihnen auseinandergesetzt. Wir reden viel über sie, jedoch wenig mit ihnen. Äußerlich präsentieren sie uns eine schöne, heile Welt, doch wir wissen nicht, was innerlich in ihnen vorgeht. Afghanische Frauen sagen wenig, weil sie ihr Wissen unterschätzen. Sie zeigen sich wenig, äußern sich wenig. Wenn afghanische Frauen ihre Geschichte erzählen, erzählen sie sich diese nur gegenseitig. Selten geben sie ihre wahre Geschichte an fremde Menschen weiter« (S. 117). Kathrin. »Wir sind alle noch zusammen. Obwohl wir schwierige Zeiten hatten. Wir waren zwei Monate unterwegs. Wir sind alle noch zusammen. Schiff, Schiff, Zug, Zug, in der Hitze gehen, eine Woche Bus. Wir waren nur Mädchen und Frauen und mein großer Bruder. Wir sind alle noch zusammen. Obwohl wir schwierige Zeiten hatten« (S. 129).
Das Wichtigste in Kürze Poesietherapie als kreatives Medium – Schreiben als schöpferischer Prozess. Poesietherapie gilt als expressiver Ansatz unter den therapeutischen Methoden und bedeutet zusammenfassend ausgedrückt »Heilung durch Schreiben«. Der Poesie kommt hier eine besondere Bedeutung zu: Sie kann in Form von gestalteter Sprache als Impuls wirken und einen Beitrag zu mehr Lebendigkeit und Aktivierung der eigenen schöpferischen Kraft leisten. Für geflüchtete Menschen ist Poesietherapie indiziert und geeignet, wenn ausreichend Sicherheit und psychosoziale Stabilität vorhanden sind. Sie ist im Einzel- und im Gruppensetting wirksam. Das Auf- und Beschreiben von Erinnerungen und Gefühlen, die schwer zu ertragen sind, kann hilfreich für deren Bewältigung sein. Schreiben schafft Ordnung, Übersicht und bringt Zeugenschaft, indem Erlebtes durch Worte beschrieben und nicht nur gefühlsmäßig durchlebt wird. Angeregt durch den poesietherapeutischen Prozess kommt es zur (Wieder-)Entdeckung eigener Stärken und Ressourcen, des Selbstwertgefühls und zur Entwicklung individueller Ausdrucksmöglichkeiten und Lösungsstrategien. Für Psychotherapeut*innen ist der Einsatz von Poesietherapie sinnvoll, wenn ein Bewusstsein über die Wirkung von Worten besteht und Affinität und Sensibilität für Sprache mitgebracht werden. Es muss über Kenntnisse verfügt werden, wie und wann poesietherapeutische Interventionen gesetzt und eingebracht werden 176
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können. Durch Schreiben wird es möglich, tiefgehende Prozesse auszulösen, die bis zur (Re-)Traumatisierung führen können. Es ist daher für die Leitung besonders wichtig, fundierte psycho- und poesietherapeutische Kompetenzen zu besitzen.
Literaturtipps zum Weiterlesen Gučanin, E., Gartner, M., Shahali, J., Sulollari, S. (Hrsg.) (2021). In unseren Worten. Lebensgeschich ten von Wienerinnen aus der ganzen Welt. Wien: Mandelbaum. Petzold, H. G., Orth, I. (2005). Poesie und Therapie. Über die Heilkraft der Sprache. Poesiethera pie, Bibliotherapie, literarische Werkstätten (Reihe: Reihe Kunsttherapie, Bd. 1). Bielefeld: Edition Sirius/Aisthesis. Petzold, H. G., Leeser, B., Klempnauer, E. (Hrsg.) (2018/2019). Wenn Sprache heilt. Handbuch für Poesie- und Bibliotherapie, Biographiearbeit und Kreatives Schreiben. Festschrift für Ilse Orth (Reihe: Aisthesis psyche; 2., unveränd. Aufl.). Bielefeld: Aisthesis.
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Astrid Polz-Watzenig
Kreative Medien in der Naturtherapie
Naturerleben ist eine den meisten Menschen zugängliche Ressource und mit dem Konzept einer Ökopsychosomatik im Sinne von »Green Care« in der Integrativen Therapie verankert. Durch die kreativen Möglichkeiten, die sich uns in der Natur eröffnen, und die daraus erwachsende Inspiration können intermediäre Quergänge entstehen, die die heilsame Wirkung des Naturerlebens in der Psychotherapie erfahrbar machen. Exemplarisch werden in diesem Beitrag kreative Prozesse mit Übungen rund um das Thema »Baum und Wald« dargestellt.
Naturerleben ist Ressource, spendet Kraft, erfrischt und bringt Erholung. Der Wald, der Garten, der Park sind Orte der Stille, der Meditation, der Frische, der Erholung, der Entdeckung und Entspannung und vieles mehr. Die Zeit der COVID-19-Pandemie spaltet in vielerlei Hinsicht, so auch in jene Menschen, die Zugang zu dieser wertvollen Ressource haben, und jene, denen diese Möglichkeit nicht offensteht. Besonders deutlich wurde dies, als während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 auch noch die Parks (z. B. in Wien) geschlossen wurden. Den Menschen in Frankreich oder Italien erging es noch schlimmer: Sie durften sich zeitweise nicht mehr als 500 Meter von ihrem Wohnort entfernen. Eine Folge dieser Einschränkungen besteht darin, dass sich die Sehnsucht nach Natur, Erholung, Ruhe, Waldeinsamkeit in dieser Zeit intensiviert hat. Auch in der psychotherapeutischen Praxis wird dieser Wunsch nach Naturerleben verstärkt erfahrbar und von Patient*innen direkt eingebracht. Zudem hat die Zunahme an Depressionsund Angsterkrankungen während der Pandemie die Notwendigkeit naturtherapeutischer kreativer Interventionen gezeigt. Überforderungs- und Erschöpfungskrankheitsbilder sowie die erwähnten Angst- und Depressionserkrankungen gehen zunehmend mit dem Leiden an einem Mangel von Naturerleben, an der Angst um den Fortbestand der Welt und vor der Klimakatastrophe sowie einer generellen Angst vor der Zukunft einher. Die »Fridays for Future«-Bewegung beweist eindrucksvoll, dass das Bewusstsein um die starke Gefährdung unseres ökologischen Lebensraums weltweit vor allem junge Menschen erfasst hat. Die Politisierung dieser Thematik einerseits und das Gefühl von Ohnmacht andererseits sind durch die Patient*innen vermehrt in 179
die therapeutischen Praxen gekommen. Zudem führt die Erfahrung der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche zu einer wachsenden Natursehnsucht, die sich wiederum in den sozialen Medien niederschlägt, was motivierend und stimulierend sein kann, auch für sich selbst den Weg in die Natur zu suchen. In der Integrativen Therapie wird diese Thematik mit dem Konzept der Ökopsychosomatik seit den 1960er Jahren beantwortet. Der Fokus lag dabei stets weniger auf dem Leiden an der Naturzerstörung als auf dem Versuch, das Heilsame des Naturerlebens in den Vordergrund zu rücken. Die ökologischen Intensivierungen, die in den letzten Jahren Eingang gefunden haben in den Integrativen Ansatz der Therapie, aber auch in Beratung und Supervision, sowie Entwicklungen wie das Konzept der »komplexen Achtsamkeit« (Petzold, 2019, S. 11) oder Green Meditation® (Petzold, 2015) tragen dem Bedürfnis Rechnung, in der tagtäglichen therapeutischen Arbeit nachhaltig ökophile und ökosophische Wege zu beschreiten. Mit zunehmender Beachtung der Ökopsychosomatik intensivieren sich auch die multiprofessionellen kreativen Ansätze wie Natur, Kunst, Gartenarbeit, Walderleben und anderes im therapeutischen Arbeiten (vgl. für einen Überblick: Orth u. Petzold, 2021). Die Ökopsychosomatik verfolgt im Sinne von »Green Care« immer ein zweifaches Ziel: caring for nature and caring for people. Dies ist ein lautstarkes und unmissverständliches Plädoyer für »Pro Natura« (Petzold, 2018). »Natur in all ihren Manifestationen berührt Menschen, vermittelt Natursein, Sein durch all die leiblich-sinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten und führt damit zu inneren Resonanzen, zu einem Mitschwingen oder Widerklingen ›im eigenen Leibe‹« (Petzold, Petzold-Heinz u. Sieper, 1972/2018, S. 5; vgl. auch Petzold, 2019, S. 1). Diese leiblich-sinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten in der therapeutischen Praxis aufzuzeigen, ist Ziel dieses Beitrags. Nicht immer ist es möglich, sich mit den Patient*innen in den Wald oder Garten oder ans Wasser zu begeben, dennoch kann naturtherapeutisch ko-kreativ gearbeitet werden. Entlang einiger Beispiele sollen diese Möglichkeiten aufgezeigt werden.
Naturerleben auf Rezept Menschen mit Depressionserkrankungen artikulieren zwar manchmal, dass sie die Natur mögen oder vermissen, aber der Weg dorthin ist weit, selbst wenn der Garten vor der Haustür liegt. Es empfiehlt sich, hier den Wald – oder Garten bzw. Park – »auf Rezept« zum Einlösen mitzugeben. Dabei ist es wichtig, im Vorhinein gut abzuklären, ob das Rezept überhaupt einlösbar ist. Wo kann das Rezept eingelöst werden? Wo befindet sich der nächste Grünraum, Garten, Park oder gar Wald, und wie ist dieser erreichbar? Wann ist die beste Tageszeit dafür? Ähnlich wie bei der Verschreibung von Medikamenten ist es auch hier wichtig festzulegen, wann die Dosis »eingenommen« 180
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werden soll – mittags, nachmittags oder am frühen Abend? Kann das Rezept allein eingelöst werden oder bedarf es dabei der Unterstützung durch eine andere Person? Wer kann mitgehen? Auf dem Rezept wird spezifizierend festgehalten: ◼ 1 Dosis: Am frühen Abend 20 Minuten am Waldrand langsam spazieren gehen. ◼ In der Mittagspause mit der Jause in den Park gehen und einen Platz unter einem schönen Baum aufsuchen. ◼ Im Garten 20 Minuten die Blumen betrachten. ◼ Auf dem Balkon die Balkonblumen betrachten und bei Bedarf ausjäten und gießen. ◼ Eine Zimmerpflanze umtopfen. ◼ Frische Blumen auf das Grab des*der verstorbenen Partner*in pflanzen. ◼ Im gerontopsychotherapeutischen Bereich: Bilder von den Bäumen der Kindheit mitbringen oder herausfinden, ob es diese noch gibt. ◼ Fotos von Zimmerpflanzen mitbringen. Die Möglichkeiten der Patient*innen bestimmen die Art der Verschreibung mit. Dabei erweist es sich als wichtig, als Therapeut*in die geografischen Gegebenheiten, die Verkehrsanbindungen (etwa beim städtischen botanischen Garten) und die Öffnungszeiten zu kennen.
Waldbaden Das Waldbaden, vielmehr das Eintauchen in den Wald, ins Grün, meint nach dem japanischen Vorbild des Shinrin-Yoku (Li, 2018) ein Aktivieren aller Sinne (Polz-Watzenig, 2020, S. 5 f.). Dieses Aktivieren der fünf Sinne kann in der Praxis oder vor dem gemeinsamen Eintreten in den Wald, Park oder Garten geübt werden. Zum Beispiel wird ein Fichtenzweig ertastet: Wie fühlt sich der Zweig an, wie die einzelnen Nadeln, der Anfang, das Ende? Der Zweig wird ans Ohr gehalten, erst an das eine Ohr, dann an das andere. Gibt es einen Unterschied? Welches Geräusch macht der Zweig, wenn man ihn zwischen den Fingern bewegt, diesen hin- und herbewegt? Anschließend wird der Zweig an die Nase gehalten: Duftet er? Ein Abschnitt des Zweigs wird zwischen den Fingern zerrieben, der Geruch wird intensiver. Erst jetzt wird der Zweig betrachtet, eventuell auch mit einer Einschlaglupe, was vertieft und neue Entdeckungen mit sich bringt. Schließlich kann man eine Fichtennadel in den Mund nehmen, mit der Zunge betasten, kauen, schmecken. Ziel ist es, über diese Übungen des Eintauchens, die Aktivierung der Sinne und der Achtsamkeit zu erreichen. Es ist auch möglich, mit den Patient*innen ins Grüne, in den Wald zu gehen und gemeinsam zu üben. Das braucht zwar mehr Zeit und Ressourcen, intensiviert jedoch Kreative Medien in der Naturtherapie
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das Erleben und dessen Resonanz und Rezeption durch das Dabeisein des*der Therapeut*in. Einzel- wie auch gruppentherapeutisch ist die Arbeit mit Bäumen, von der Wurzel über den Stamm bis zur Krone, eine gute Möglichkeit für die Gestaltung eines naturtherapeutischen Prozesses. Einzeltherapeutisch auch in den Praxisräumen umsetzbar, empfiehlt sich für eine gruppentherapeutische Umsetzung ein Setting in Wald, Park oder Garten. Hierzu kann ein fünf- bis siebentägiger Gruppenprozess an einem geeigneten Ort angeboten werden oder aber einzelne Tage oder eine Serie über einige Wochen. Wesentlich ist es, in der Haltung komplexer Achtsamkeit Naturerleben, Grünerleben zu ermöglichen. Dabei hat auch die Gestaltung der eigenen Praxis einen Einfluss: Gibt es einen Ausblick ins Grüne oder gar die Möglichkeit, in einen Garten oder Wald zu gehen? Sind Pflanzen in der Praxis, und sind diese gepflegt, geht es ihnen gut? Welche Bilder sind an den Wänden? Welche Materialien gibt es im Raum? Wie plastikfrei ist die Praxis? Welche Putzmaterialien werden verwendet? Wird in der Praxis spürbar ökologische Nachhaltigkeit gelebt?
Der Baum – ein naturtherapeutischer Prozess entlang von Übungen Ein Beispiel dafür, wie naturtherapeutisch prozesshaft gearbeitet werden kann, ist die Arbeit mit dem Baum. Über die Jahrzehnte wurden hier unterschiedlichste imaginative Übungen von Integrativen Therapeut*innen entwickelt, die als Grundlage in die folgenden Übungen einfließen können. Wurzeln. Der*die Patient*in wird eingeladen, einen Ort mit Wurzeln aufzusuchen und Fotos davon mitzubringen, oder man sucht gemeinsam einen solchen Ort auf (Abbildung 1). Mit einer Achtsamkeitsübung wird die Betrachtung angeleitet. Wieder werden alle Sinne angesprochen. Danach wird das Objekt weggelegt oder der Ort gewechselt. Es folgt die Beschäftigung mit der eigenen Verwurzelung, wobei die sichtbaren Wurzeln ähnlich einem Eisberg nur ein kleiner Teil dessen sind, was sich unter der Oberfläche abspielt. In der Anleitung ist es wichtig, auf den Aspekt der Nahrungsaufnahme durch die Wurzeln hinzuweisen. Wurzeln verleihen den Bäumen Stabilität und kommunizieren unterirdisch in einem weiten Netzwerk mit vielen Lebewesen des Waldes. Anschließend wird dem*der Patient*in die Frage gestellt, was im Leben Halt, Stabilität gibt, was destabilisierend ist oder war und kompensiert wurde durch neue Verbindungen. Dabei können Fotos von den Wurzeln in der Praxis vom Handy an die Wand projiziert oder aufgelegt werden. Der*die Patient*in wird eingeladen, mit 182
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Abbildung 1: Wurzeln (Foto: Polz-Watzenig)
Abbildung 2: Titel dieser im Rahmen einer Gruppenselbsterfahrungswoche entstandenen Zeichnung: Stabilität (Foto: Polz-Watzenig)
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Ölkreiden auf einem großen Blatt Papier nun einen bildlichen Ausdruck zu suchen. Danach erhält das Bild einen Titel (Abbildung 2). Einzelne Elemente können vertiefend weiterbearbeitet oder daraus entstehende Bewegungsimpulse aufgenommen werden. Stamm. Die Beschaffenheit von Baumstämmen ist unterschiedlich: die Glattheit der Buche, die Sprödigkeit der Lärche, die Kratz(bürst)igkeit so mancher Fichte. Auch hier – ob real vor Ort oder in der Betrachtung von Bildern – wird mit einer achtsamen, die fünf Sinne ansprechenden Betrachtung begonnen: Wie ist der Stamm gewachsen, gibt es nur einen Stamm oder durch Krankheit, Blitzschlag oder andere Gründe eine Abzweigung? Neigt sich der Stamm oder ragt er zielgerichtet nach oben? Der*die Patient*in wird eingeladen, sich einen Stamm zu suchen, der für ihn*sie jetzt gerade passt. Zunächst wird in die Annäherung gegangen, achtsam betrachtend, umschreitend, riechend, tastend, atmend. Vor einem Anlehnen an den Baum kommt ein Moment von Gerade-noch-nicht-Anlehnen. Zehn Zentimeter Abstand zum Baum werden ausgestanden, dann fünf, dann einer (ein »Atemraum«-Abstand), dann ein Anlehnen und Spüren, ein Rückengespräch. Mit geschlossenen oder offenen Augen, mit dem ganzen Rücken am Stamm oder nur dem oberen Rücken und dem Kopf, die Beine mit etwas Abstand zum Baum, quasi in Schräglage angelehnt. Auch das Loslösen vom Baum, das Wieder-Abstand-Aufnehmen, das Abschiednehmen vom Baum wird aktiv angesprochen und begangen. Mit einer Einschlaglupe können Elemente vertiefend betrachtet werden: die Flech ten, Risse auf der Rinde – hierzu wird viel Zeit gegeben, da der Umgang mit der Lupe gewöhnungsbedürftig ist und sehr tiefend wirkt. Im Anschluss bieten sich ein intermedialer Quergang über die Ebenen des Malens und ein In-Bewegung-Übersetzen an: Was wird wahrgenommen im Anlehnen, was im Abstandhalten? Was zieht an, was treibt vielleicht auch weg? Vom Baumstamm ausgehend wird mit dem eigenen Stand weitergearbeitet, mit der Standfestigkeit oder mit dem Rücken. Unser Leib zeigt ähnlich wie ein Baumstamm Unterbrechungen an: Brüche, Schmerzen, Krankheiten, aber auch, welche Auswege gefunden wurden. Fallbeispiel. Mit einer langsam erblindenden Patientin wurde die Metapher erarbeitet, dass das fehlende Augenlicht andere Fähigkeiten wachsen lässt, wie bei manchen Bäumen ein zweiter Stamm wächst, wenn die Krone verletzt wurde. Von Spaziergängen mit ihrem Hund hat sie viele Bäume lebhaft in Erinnerung. Das Beschädigtwerden des einen Stamms (Augenlicht) war in der Therapie wirkungs- und schmerzvoll ständig da und durfte Raum einnehmen. In der Familie hatte sie erfahren, dass nur auf Stärken hingewiesen wurde, aus einem sehr arbeits- und leistungsbezogenen Umfeld kommend litt die Patien184
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tin sehr darunter, stets funktionieren und Schwächen verstecken zu müssen. Sie schämte sich für ihre Erblindung. Über die Liebe zur Natur und die Bilder, die erinnernd stark präsent waren, konnte Neues aktiviert werden. Die raue Schale (Rinde) der Patientin erhielt eine andere Bedeutung, und im Zusammenleben mit dem Partner konnten Konflikte in Lösung gehen. Der Partner war mit der Forstwirtschaft sehr vertraut, lernte über die Baummetaphern besser zu verstehen, wie es in ihr aussah, und konnte dadurch einfühlsamer auf raue Momente reagieren. Brüchige Details. Im Einzelsetting werden die Patient*innen eingeladen, Symbole aus dem Wald oder Garten mitzubringen, Steine, Zapfen, Haselnüsse, Blätter, heruntergefallene Rindenstücke. Gemeinsam wird das Objekt in der Therapiestunde sehr genau betrachtet und beschrieben. Der*die Patient*in erhält eine Einschlaglupe, um die Details zu betrachten. Immer wieder wird auf den Atem hingewiesen – sollte ein Stocken oder eine Anstrengung gespürt werden, kann zum Flie- Abbildung 3: Buschwindröschen (Foto: ßenlassen motiviert werden. Über Risse in Irmgard Eismann; Wiedergabe mit Genehmigung) den Blättern, Pilzerkrankungen, Brüche in den Steinen oder Löcher in den Haselnüssen, die ohne Lupe perfekt aussahen, wird Brüchiges herausgearbeitet. Über die genaue Betrachtung wird neben dem Heilfaktor 15 in der Integrativen Therapie (Förderung eines lebendigen und regelmäßigen Naturbezugs; Petzold, Orth u. Sieper, 2016, S. 21 f.) auch Heilfaktor 16 (Vermittlung heilsamer ästhetischer Erfahrungen; S. 22–24) erfahrbar gemacht: der Goldene Schnitt der Blätter, die Perfektion eines Anemonenstempels oder eines Buschwindröschens (Abbildung 3). Über Brüche und Risse in den Rinden, Flecken und Pilze auf Blättern, die dem Auge verborgen bleiben, jedoch mit der Einschlaglupe sichtbar werden, lässt sich gut eine Brücke zu biografischen Ereignissen und Szenen finden, auch durch die Patient*innen von sich aus. Im Gruppensetting werden die Teilnehmer*innen mit dem Auftrag der Annäherung an einen Baumstamm ihrer Wahl ausgesandt, ausgestattet mit der Einschlaglupe und mindestens einer Stunde Zeit. Anschließend wird vor einem verbalen Austausch zunächst verschriftlicht, was dazukommt, und das prägnant Gewordene wird wieder in die Gruppe getragen. Patient*innen beschreiben, dass eine Birke quasi Haut abwirft, manchmal ganze Platten, und dennoch der Stamm so tragend bleibt oder dass die Fichte, deren Stamm Kreative Medien in der Naturtherapie
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durchgängig scheint und bei der oft nur einzelne Äste abgebrochen an den Seiten bestehen, eine Annäherung gar nicht so einfach macht. Sie stellen Bezüge zu sich selbst her, zu eigenen erlebten Brüchigkeiten, Bedürftigkeiten, der gegebenen oder fehlenden Genährtheit. Äste. Mit Bewegungs- und Atemübungen wird das ausladende und breite oder schmale Spektrum der Äste und Zweige erforscht: Wie dehnbar reagiert der Baum auf Windstöße in der Krone und wie bei den Wurzeln? Sind da andere Bäume oder Sträucher, die helfen standzuhalten? Oder steht der Baum wie eine freistehende Linde oder Hainbuche ausladend breit und stabil und kann Gewittern und Schneetreiben trotzen? In diesen Übungen werden die Patient*innen angeleitet, wie ein Baum zu sein – von dem*der Therapeut*in kommt zu Beginn die Anleitung, mit der Aufforderung, selbst imaginativ weiterzugehen, die Szenen auszumalen und danach schriftlich festzuhalten, was erlebt wurde, vielleicht auch in Gedichtform, durch eine Skizze oder ein gemaltes Bild, und das Erlebte schließlich verbal mitzuteilen. Dies ist eine abgeänderte und erweiterte Form der »Baumübung in Verkörperung« von HoferMoser (2018, S. 275 f.). Krone und Kopf. Im Einzel- wie auch Gruppensetting gut anschließbar ist eine Übung zur Baumkrone. Im guten Stand oder in guter Sitzhaltung werden Kopf und Nacken langsam und vorsichtig bewegt. Der Kopf wird zu beiden Seiten und nach unten geneigt, sachte nickend, als würde am Kopf eine Krone getragen werden. Danach werden Kopf und Gesicht mit den eigenen Händen massiert und ausgestrichen, Gähnen kommt auf. Diese Übung kann auch auf das Riechen hin ausgedehnt werden (vgl. Cubasch, 2016). Vorsichtig können Baumöle (z. B. Kiefern-, Zirben-, Weißtannenöl) verwendet werden. Niemals werden die Öle direkt an der Nase angebracht, sondern ein kleinster Tropfen wird auf den Zeigefinger aufgetragen. Der Zeigefinger wird in einiger Entfernung am Gesicht vorbeigeführt, wenn möglich mit geschlossenen Augen. Es kann ausprobiert werden, in welcher Nähe bzw. Entfernung der Finger vorbeiziehen kann, um den Geruch wahrzunehmen. Erst nach einigen Minuten dieser Übungen wird der Tropfen zwischen Zeigefinger und Daumen zerrieben. Nun kann der Zeigefinger vorsichtig unter die Nase geführt werden, und der Baumduft intensiviert sich. Die dabei auftauchenden Gefühle werden danach therapeutisch aufgegriffen. Fallbeispiel 1. Eine 90-jährige Patientin wurde mit dieser Übung über den Geruch des Kiefernöls an ihren Aufenthalt in einer Tuberkuloseklinik Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Die Angst um den Vater im Krieg, die Abwesenheit von Mutter und Geschwistern, die Angst um das eigene Überleben und das Gefühl von großer Einsamkeit wurden Thema.
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Fallbeispiel 2. Ein 26-jähriger Patient verband mit dem Geruch des Kiefernöls Erlebnisse mit dem Großvater in dessen Werkstatt, Holzspäne am Boden, der Geruch und das Licht der Werkstatt, die liebevolle Art des Großvaters, der dem damals sechsjährigen Enkelkind viel zeigte und viel erlaubte. Nach dieser Übung nahm der Patient wieder Kontakt zu seinem Großvater auf, der inzwischen in einem anderen Bundesland lebte, und berichtete davon in der Praxis. Am Wasser. Besonders Wege im Wald am Wasser werden immer wieder als besondere Oasen erlebt. Auch hier können Achtsamkeitsübungen und einfache Bewegungen praktiziert werden. Am Wasser direkt wie auch in der Praxis – hier wieder in der Arbeit mit Fotos – können Thematiken des Loslassens und darauf ausgerichtete Übungen eingebracht werden. Mit einem herumliegenden Zweig kann Wasser aus dem Fluss genommen und auf umliegenden Steinen etwas aufgeschrieben werden. In der Praxis kann dies mit Pinsel und Wasser auf einem großen Stein geschehen. Diese Übung wird auch in der Zen-Meditation praktiziert. Übungen zur Fragestellung, was im Fluss ist und was stockt, wo vielleicht das Flussbett liegt, bieten weitere Möglichkeiten und können intermediär aufgegriffen werden: schreibend, dichtend, malend, in Bewegung übersetzend. Baumfotos und soziale Medien. Abschließend seien die Möglichkeiten des kreativen Mediums Fotografie in Verbindung mit sozialen Medien hervorgehoben. Nicht immer ist es möglich, mit den Patient*innen heilsame grüne Orte aufzusuchen, doch es kann die Motivation der Patient*innen steigern, dies auch allein zu tun, wenn ein Austausch, eine Begleitung außerhalb der Therapiestunden stattfindet. In der Praxis hat sich gezeigt, dass es wichtig ist, mit Handyfotos zu arbeiten, die über I-Message, Signal oder Telegram auch zwischen den Therapiesitzungen geschickt werden können. Es ist wichtig, darauf zeitnah und die Motivation verstärkend zu antworten. Die Bearbeitung dieses Erlebnisses kann mit dem Foto in der nächsten Therapiestunde erfolgen (zu den Online-Möglichkeiten und No-Gos vgl. den Beitrag »Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum« von Hintenberger und Böckle in diesem Buch). Fallbeispiel 3. Eine Klientin, die in einem sehr grünraumarmen Stadtbezirk lebt, schaffte es nach mehreren Anläufen, Grün auf Rezept einzulösen, und schickte ein Foto aus dem Park (Abbildung 4). Über die großen alten Bäume der Parkanlage konnte die Verbindung zur verlorenen Heimat in Südamerika hergestellt und in der Folge an der Beheimatung bei sich selbst weitergearbeitet werden.
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Abbildung 4: Parkanlage, fotografiert von einer Klientin (Foto: privat, Wiedergabe mit Genehmigung)
Das Wichtigste in Kürze Die Natur ist in unseren Breiten den meisten Menschen als Ressource zugänglich, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status. Achtsamkeits-, Atem- und Bewegungsübungen öffnen die Sinne für ein Eintauchen und Erleben von Natur und bringen Erlebnisse hervor, die schreibend, zeichnend, malend, tanzend kokreativ weiterbearbeitet werden können. Für Patient*innen ist Naturtherapie indiziert und geeignet ◼ bei psychosomatischen Erkrankungen, ◼ bei affektiven Störungen und bei Beziehungsproblemen, ◼ zur Anwendung im Einzelsetting und in der Gruppentherapie, sofern Naturund Naturmaterialien keine Ängste auslösen, ◼ im gerontopsychotherapeutischen Bereich, ◼ wenn keine traumatischen Naturerfahrungen dagegen sprechen. Für Psychotherapeut*innen ist der Einsatz von naturtherapeutischen kreativen Methoden sinnvoll, wenn sie selbst Freude am Naturerleben haben und die Orte in der Natur, an denen naturtherapeutisch gearbeitet wird, gut kennen. 188
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Literaturtipps zum Weiterlesen Cubasch, P. (2016). Gähnen. Der natürliche Weg zu Entspannung und Wohlbefinden. Tuttlingen: HCD. Orth, I., Petzold, H. G. (2021). NatureArts, ForestArt – Natur heilend erleben und gestalten. Polyloge, 21, Art. 20. https://www.fpi-publikation.de/download/21243/ (Zugriff: 14.11.2022). Petzold, H. G. (2018). Ökopsychosomatik und ökologische Neurowissenschaften – Integrative Perspektiven für die »Neuen Naturtherapien« und das Engagement »Pro Natura!«. Grüne Texte, 4, Art. 2. https://www.fpi-publikation.de/download/16260/ (Zugriff: 14.11.2022). Petzold, H. G. (2019). Natur sein, Natur-Sein – Nature embodied in time and space, in Kontext/ Kontinuum. »Ökologische Intensivierungen« im Integrativen Ansatz der Therapie und Super vision. Hückeswagen: Petzold & Sieper. https://www.fpi-publikation.de/download/21757/ (Zugriff: 14.11.2022). Polz-Watzenig, A. (2020). Die heilsame Wirkung des Waldes in der Integrativen Therapie. Mit zahlreichen Übungsbeispielen für die Praxis (Reihe: Essentials). Wiesbaden: Springer.
Literatur Cubasch, P. (2016). Gähnen. Der natürliche Weg zu Entspannung und Wohlbefinden. Tuttlingen: HCD. Hofer-Moser, O. (2018). Leibtherapie. Eine neue Perspektive auf Körper und Seele (Reihe: Forum Körperpsychotherapie, Bd. 3). Gießen: Psychosozial. Li, Q. (2018). Shinrin-Yoku. The art and science of forest-bathing. How trees can help you find health and happiness. London: Penguin. Orth, I., Petzold, H. G. (2021). NatureArts, ForestArt – Natur heilend erleben und gestalten. Polyloge, 21, Art. 20. https://www.fpi-publikation.de/download/21243/ (Zugriff: 14.11.2022). Petzold, H. G. (2015). »Green Meditation« – Ruhe, Kraft, Lebensfreude. Polyloge, 15, Art. 5. https:// www.fpi-publikation.de/download/10512/ (Zugriff: 14.11.2022). Petzold, H. G. (2018). Ökopsychosomatik und ökologische Neurowissenschaften – Integrative Perspektiven für die »Neuen Naturtherapien« und das Engagement »Pro Natura!«. Grüne Texte, 4, Art. 2. https://www.fpi-publikation.de/download/16260/ (Zugriff: 14.11.2022). Petzold, H. G. (2019). Natur sein, Natur-Sein – Nature embodied in time and space, in Kontext/Kontinuum. »Ökologische Intensivierungen« im Integrativen Ansatz der Therapie und Supervision. Hückeswagen: Petzold & Sieper. https://www.fpi-publikation.de/download/21757/ (Zugriff: 14.11.2022). Petzold, H. G., Orth, I., Sieper, J. (2016). »14 plus 3« – Einflussfaktoren und Heilprozesse im Entwicklungsgeschehen: Belastungs-, Schutz- und Resilienzfaktoren – Die 17 Wirk- und Heilfaktoren in den Prozessen der Integrativen Therapie. Polyloge, 16, Art. 31. https://www.fpi-publikation.de/ download/21341/ (Zugriff: 14.11.2022). Petzold, H. G., Petzold-Heinz, I., Sieper, J. (1972/2018). Naturverbundenheit schaffen, Natur-Sein erfahren: Grün Erleben, Grüne Übungen, Grün Erzählen – ökologische Lebenspraxis (unveränd. Neuausg.). Hückeswagen: Petzold + Sieper. https://www.fpi-publikation.de/download/17644/ (Zugriff: 14.11.2022). Polz-Watzenig, A. (2020). Die heilsame Wirkung des Waldes in der Integrativen Therapie. Mit zahlreichen Übungsbeispielen für die Praxis (Reihe: Essentials). Wiesbaden: Springer.
Kreative Medien in der Naturtherapie
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Gerhard Hintenberger und Markus Böckle
Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum In den letzten Jahren reduziert sich die skeptische Grundhaltung von Personen in psychosozialen Berufsfeldern gegenüber der Nutzung von Onlinemedien zunehmend. Dadurch entwickeln sich neue Ansätze und Umsetzungen im digitalen Raum – so auch beim Arbeiten mit kreativen Medien. Die Interventionsmöglichkeiten sind vielfältig und können nach Art des Kommunikationsmediums, der Settingvarianten und Kommunikationsmodi unterschieden werden. Dabei lässt sich auch verallgemeinernd sagen, dass viele Interventionen mit kreativen Medien in den digitalen Raum transferiert werden können. Digitale kreative Medien können aber auch in der Praxis vor Ort durchgeführt werden, z. B. digitale Malprogramme auf einem Tablet. Unabhängig von der Anwendung bedarf es jedoch ausreichender Erfahrung im Umgang mit dem Online- sowie dem kreativen Medium.
Einführung Menschen, die in psychosozialen Berufsfeldern tätig sind, zeichneten sich in der Regel durch eine skeptische Grundhaltung digitalen Welten gegenüber aus (Finger-Ossinger, 2021). Erst durch den coronabedingten Druck des Faktischen kam es zu einer breiten Anwendung digitalisierter Kommunikation im Kontext von Beratung, Supervision und Psychotherapie. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einsatz digitaler Medien schon auf eine relativ lange Tradition in diesem beruflichen Umfeld zurückblicken kann. Bereits 1986, also Jahre vor der Einführung des World Wide Web (1989) wurde an der Cornell University in den USA eine Onlineberatungsstelle für Studierende implementiert (Grohol, 2010). Im deutschsprachigen Raum erweiterte die Telefonseelsorge als erste psychosoziale Organisation 1995 ihre Angebote um die Möglichkeit zur Mail- und in der Folge zur Chatberatung (Knatz, 2014). Seither ist eine zunehmende Ausdifferenzierung digitalisierter Beratung und Psychotherapie zu beobachten (vgl. Tabelle 1).
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Tabelle 1: Kommunikationsmedien, -modi und Settingvariablen (eigene Darstellung) Kommunikationsmedien
Settingvarianten
Kommunikationsmodi
◼ E-Mail, Webmail ◼ Textchat ◼ Messenger ◼ Videochat ◼ Telefon ◼ Audionachrichten ◼ Forum, soziale Netzwerke ◼ Podcast, Videocast ◼ Webinar ◼ Virtual Reality ◼ Games
◼ dialogisch-orientierte und/oder manuali sierte Onlinetherapie bzw. -beratung ◼ expert*innengeleitete Selbsthilfe ◼ ungeleitete Selbsthilfe programme bzw. Apps ◼ Blended Counseling ◼ game- und avatarbasierte Therapie bzw. Beratung ◼ Bots
◼ textbasiert ◼ videobasiert ◼ audiobasiert ◼ automatisiert, programmiert ◼ Face to Face im Umfeld von Virtual Reality
Eine Form der Differenzierung ist der Einsatz digitaler Medien. Interventionstechniken auf digitaler Basis können zum einen vor Ort mit technischen Hilfsmitteln umgesetzt werden, wie das bei einem Expositionstraining mittels Virtual oder Augmented Reality bei Angsterkrankungen bereits durchgeführt wird und eine hohe empirische Evidenz zeigt (Opriş et al., 2012). Zum anderen können psychosoziale Interventionen online und somit trotz räumlicher Distanz angeboten werden. Durch die Einschränkung von Face-to-Face-Kontakten in Praxen und Beratungsstellen während des Lockdowns konnten vielerorts Beratungs- und Psychotherapieprozesse nur durch den raschen Umstieg auf internetbasierte Formate weitergeführt werden. Doch schon zuvor waren räumliche Abgeschiedenheit oder andere mobilitätseinschränkende Faktoren, wie z. B. chronische Erkrankungen, Vollzeittätigkeiten, ein wesentlicher Faktor für deren Einsatz (McDonald, Eccles, Fallahkhair u. Critchley, 2020). Die Forschung zu digitalisierten Behandlungsangeboten belegt eine solide empirische Evidenz (Eichenberg, 2021), wobei vor allem im schriftbasierten Setting ähnlich gute Behandlungseffekte wie in Präsenztherapien festgestellt wurden (vgl. Klasen, Knaevelsrud u. Böttche, 2013; Knaevelsrud, Wagner u. Böttche, 2016). Dies bezieht sich insbesondere auf manualisierte kognitiv-behaviorale Ansätze, während prozessorientierte Beratungsangebote oder psychodynamische Verfahren bislang noch nicht hinreichend gut untersucht wurden. Unabhängig vom Ansatz werden internetbasierte sowie digitale Interventionen als einzige Intervention angeboten, können jedoch alternativ als unterstützende Maßnahmen bei klassischen Begleitungen in der Ordination eingesetzt werden (Blended Counseling/Therapy). Dabei kann auch unterschieden werden, ob diese Angebote von Therapeut*innen begleitet oder als Selbsthilfe zusätzlich digital oder analog durchgeführt werden. Somit sind die Einsatzmöglichkeiten hoch variabel. 192
Gerhard Hintenberger und Markus Böckle
Mit diesen medialen Ausdifferenzierungen rückt zunehmend die Frage der Settingwahl in den Vordergrund (Hintenberger, 2021): Welche Klient*innen mit welchen Problemlagen zu welchem Zeitpunkt benötigen welche Methoden in welcher Kombination – als Blended Counseling bzw. Therapy, ausschließlich in einem digitalen Setting oder ausschließlich in einem analogen Kontext vor Ort? Die Entscheidung für ein bestimmtes Setting sollte nicht arbiträr gefällt, sondern meist bereits als Intervention angesehen werden. Die konkrete Wahl bedingt wiederum die nachfolgenden Interventionsmöglichkeiten. Dies trifft auch auf den Einsatz kreativer Medien zu, da die kommunikativen Rahmenbedingungen maßgeblich Form und Inhalt mitbestimmen. Auch die Anwendung kreativer Medien erfasste die Digitalisierung bereits vor Corona (Weinberg, 1985; Canter, 1987; Johnson, 1987). So geht es bei der Anwendung kreativer Medien nicht nur um internetbasierte Interventionen, sondern um Möglichkeiten, digitale Medien wie z. B. das Zeichnen auf einem Tablet innerhalb des klassischen Face-to-Face-Settings einzubeziehen. Somit können digitale Medien als eine Erweiterung der kreativen Medien selbst angesehen werden. Der aktive Einbezug digitaler kreativer Medien könnte auch Personengruppen ansprechen, die sonst nur schwer für klassische Formen der Kunstproduktion zugänglich wären. Welchen Einfluss der Verlust an taktilen und haptischen Reizen durch die Digitalisierung für den künstlerischen Prozess hat, wird immer noch breit diskutiert (Kuleba, 2008). In diesem Beitrag werden wir uns vor allem auf die Frage konzentrieren, wie kreative Medien in text-, video- sowie audiobasierten Medienumgebungen Verwendung finden können.
Rahmenbedingungen In einem Übersichtsartikel (Zubala, Kennell u. Hackett, 2021) wurden 13 Studien zur Erforschung digitaler kreativer Medien mittels qualitativer oder quantitativer Methoden zusammengefasst und analysiert. Dabei wurden folgende grundlegende Bedenken durch die Einzelstudien identifiziert: zusätzliche Kosten der digitalen Medien, erhöhter Zeitbedarf sowie potenzielle technische Schwierigkeiten, die sich direkt auf den Prozess auswirken können, und potenzielle zusätzliche Schulungsnotwendigkeiten. Bei internetbasierten Techniken wurden zusätzliche Bedenken wie Datenschutz und technische Problemlagen (z. B. Stabilität der Internetverbindung) als wesentliche einschränkende Faktoren angegeben. Identifiziert werden konnten hingegen als Nutzen das Erreichen von Personengruppen, die sonst nicht von kunsttherapeutischen Ansätzen profitieren, sowie die Möglichkeit der Patient*innen und Klient*innen zu mehr Selbstbestimmtheit im kreativen Ausdruck, da der freie Ausdruck durch die Distanz zu den Therapeut*innen vor allem Scham reduziert. Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum
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Kreative Ideen für eine textbasiert-digitale Umgebung Textbasierte Onlineberatung und -psychotherapie unterscheiden sich zunächst durch den Faktor Zeit. Während es bei asynchronen Formaten wie E-Mail zu einer Zerdehnung der Zeit kommt, sind bei synchronen Kommunikationsmedien wie z. B. Chat Beschleunigungs- und Intensivierungsphänomene zu beobachten. Messengerdienste wiederum gelten als hybride Medien, da sie je nach Anwesenheit der Gesprächspartner*innen sowohl für synchrone oder asynchrone Kommunikation genutzt werden können. Die Möglichkeit, ohne Ablenkung eines sichtbaren Gegenübers die eigene Pro blemlage schildern und damit im wahrsten Sinn des Wortes das eigene Gesicht wahren zu können (Schultze, 2007), ist einer der stärksten Wirkfaktoren des textbasierten Settings. Zudem können durch eine strukturell vorgegebene schriftbasierte Nachhaltigkeit die eigenen Texte und Verschriftlichungen wie auch die Antworten der Psychotherapeut*innen und Berater*innen mehrmals gelesen werden. Vor allem im asynchronen Setting kommt der Faktor zeitautonomes Lesen und Schreiben zu seiner vollen Entfaltung (zu weiteren Wirkfaktoren vgl. Hintenberger, 2021). Es verwundert deshalb nicht, dass in der schriftbasierten Onlineberatung vor allem Anleihen bei poesietherapeutischen Anwendungen genommen werden. Beispiele für schreibgenerierende Anleitungen in der Mail- und Chatberatung (einige der Anregungen finden sich bei Heimes, 2008, 2010/2015, sowie bei von Werder, 2007/2016, und wurden für die Onlineberatung adaptiert): ◼ Lassen Sie ein schönes, bereicherndes Erlebnis vor Ihrem inneren Auge auftauchen und schreiben Sie darüber so, als würde es genau jetzt stattfinden (Heimes, 2008, S. 99 f.). ◼ Schreiben Sie auf ein Blatt Papier fünf bis zehn Worte auf, die Ihr Leben charakterisieren, ohne zunächst über den tieferen Sinn dieser Worte nachzudenken. Wählen Sie für Ihre Mailantworten in den nächsten Wochen jeweils ein Wort pro Antwort aus und schreiben Sie auf, was Ihnen zu diesem Wort einfällt. Fügen Sie Ihre Ausführungen bitte Ihrer Mailantwort bei (S. 97). ◼ Stellen Sie sich vor, es ist das Jahr 2030: Schreiben Sie von diesem Zeitort aus einen Brief an eine bestimmte Person in der Gegenwart, die Ihnen nahesteht (von Werder, 2007/2016, S. 126). ◼ Stellen Sie sich eine Expedition in ein fremdes Land vor, und schreiben Sie einen Expeditionsbericht (S. 126). ◼ Beschreiben Sie Ihre Situation aus einer völlig anderen Perspektive (z. B. aus der Sicht eines weisen alten Mannes, aus der Sicht Ihres Haustiers; S. 121). ◼ Stecken Sie sich einen Zauberring an den Finger und überlegen Sie sich, was Sie sich wünschen und was Sie dann erleben (S. 122). 194
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◼ Sie haben einen Schlüssel in der Hand und öffnen damit eine geheime Tür. Schreiben Sie auf, was Sie hinter der Tür finden (S. 122). ◼ Stellen Sie sich vor, Sie können sich unsichtbar machen: Sie können gehen, wohin Sie wollen, und machen, was Sie wollen. Niemand wird Sie bemerken oder zur Rechenschaft ziehen. Schreiben Sie auf, was Sie innerhalb der nächsten 24 Stunden machen und erleben werden (Heimes, 2010/2015, S. 106). ◼ Verwandeln Sie sich in ein Tier und beschreiben Sie seine Abenteuer (von Werder, 2007/2016, S. 122). Fallbeispiel. Im Rahmen einer Mailberatung schlägt der Berater eine »Tausch übung« vor: Berater: »Ich habe jetzt einen sehr speziellen Vorschlag. Schauen Sie bitte, ob Sie sich darauf einlassen möchten. Stellen Sie sich vor, in einem Zauberladen ist es möglich, drei Dinge – z. B. Eigenschaften oder Einstellungen – die man loswerden möchte, einzutauschen gegen etwas, das man gerne haben möchte. Was wäre denn das bei ihnen? Klientin: »(1) Ich tausche meine Fähigkeit, zu jammern und mich zu beschweren, gegen die Fähigkeit, die Dinge, die mich bedrängen, konstruktiv und mit Optimismus und Gelassenheit gegenüber Fehlschlägen anzugehen. (2) Ich tausche meine Schuldgefühle, wenn meinem Mann etwas, was mit mir zu tun hat, nicht passt, in gerechtfertigten Ärger. (Nein, ich tausche nicht meinen Mann ;-), denn das würde mein Problem nicht wirklich lösen.) (3) Ich tausche einen Teil meines ständigen inneren Drucks, Dinge erledigen und schaffen zu müssen, gegen meine Lust am »easy going«. Das ist mir gänzlich abhandengekommen, aber manchmal erinnere ich mich noch.« Ein weiteres Beispiel für eine schreibgenerierende Anleitung ist der »Regentagebrief« (Klasen, 2013, S. 169 f.): »Für den Fall, dass es regnet, haben Sie einen Regenschirm oder eine Regenjacke. Und für schlechte Gemütslagen […], haben Sie ab jetzt den ›Regentagebrief‹. Der Regentagebrief ist ein ganz persönlicher Brief, den Sie sich selbst schreiben, an einem Tag, an dem es Ihnen gut geht […]. Der Brief […] sollte Folgendes enthalten: eine Liste der Dinge, die Sie benötigen, um sich wohlzufühlen, und eine Liste der Menschen, die Ihnen wertvoll sind […]. Und am Ende des Briefes können Sie noch einen Schritt in die Zukunft wagen: Was sind Ihre Ziele, Sehnsüchte und Wünsche für die Zukunft und gibt es etwas, was Sie jetzt schon versuchen können, um diese Wünsche in Ihrem augenblicklichen Leben zu erfüllen? […] Bewahren Sie den Brief an einem Ort auf, wo Sie ihn leicht finden […] können.«
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Kreative Ideen für eine videobasierte Beratung und Psychotherapie Der Einsatz von Videokonferenzprogrammen bei Beratungs,- Supervisions- und Psychotherapieprozessen braucht genaue Kenntnisse des Mediums, idealerweise mit konkreten Einschulungen zur Administration von videobasierten Therapien (Fisher, Guralnik, Fonagy u. Zilcha-Mano, 2020). Auch wenn sich auf den ersten Blick gewisse Ähnlichkeiten zur Präsenztherapie zeigen, überwiegen doch die Unterschiede. So ist z. B. der Blickdialog als ein wesentliches Element leibtherapeutischer Interventionen nur sehr eingeschränkt möglich. Während einer Videokonferenz ist es zwar möglich, dass die anwesenden Personen die Augen der Kommunikationspartner*innen sehen, allerdings können sie sich dabei nicht in die Augen sehen (Engelhardt u. Engels, 2021). Genau genommen ist es also ein Kamera-zu-Kamera-Kontakt. Bisher konnten keine Unterschiede gefunden werden zwischen einer Präsenztherapie vor Ort und einer videobasierten Psychotherapie in Bezug auf die therapeutische Allianz (Simpson u. Reid, 2014; Backhaus et al., 2012), die durch ostensive Kommunikation vermittelt wird (Fisher et al., 2020). Insgesamt ist jedoch von einer Sinneskanalreduktion z. B. durch Bildausschnitt, mangelnde Beleuchtung und Tonqualität auszugehen, die in der Folge auch qualitative Einschränkungen gegenüber einem Face-to-FaceSetting mit sich bringen. Trotz dieser Unterschiede wurde bislang nicht von reduzierten Wirksamkeiten digitaler Angebote berichtet (Fisher et al., 2020), jedoch konnte eine von bestimmten Personengruppen höhere Affinität, Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen, nachgewiesen werden (Naslund, Bondre, Torous u. Aschbrenner, 2020). Problembereiche ergeben sich durch die Schwierigkeit, einen »Safe Place« herzustellen, da Therapeut*innen im Gegensatz zu ihren therapeutischen Räumlichkeiten keine Möglichkeit haben, die Umgebung der Patient*innen hinreichend gut vor Mithörenden und Mitsehenden abzuschirmen. Neben der audiovisuellen Präsenz, ohne am selben Ort anwesend sein zu müssen, besteht die große Stärke videobasierter Therapie im situationsadäquaten Einsatz unterschiedlicher (digitaler) Medien. Im Folgenden werden einige Möglichkeiten der Verwendung von kreativen Medien mittels videobasierter Angebote dargestellt.
Bildschirm teilen Durch die Möglichkeit, während eines Videochats den eigenen Bildschirm zu teilen, können Therapeut*innen auf eine breite Palette von therapierelevantem Material zugreifen und zur Verfügung stellen. Es empfiehlt sich, eine übersichtliche und nach Stichworten gegliederte Sammlung auf dem eigenen Computer zu erstellen und im Laufe der Zeit zu ergänzen, z. B.: 196
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◼ Material für Psychoedukation, ◼ Einsatz projektiver Bilder zu unterschiedlichen Themenbereichen, ◼ Bilder und grafische Vorlagen, die mit der Kommentierfunktion eines integrierten Whiteboards bearbeitet werden können: • Befindlichkeitsskalen (z. B. Angstleiter, Zielskalierungen), • »Landschaft der Befindlichkeiten«, • Landkarten zur inneren Standortbestimmung. Klient*innen können sich mit Markierungen auf diesen Bildern positionieren, eigene Kommentare hinterlassen oder die Grafiken durch kreatives Gestalten ergänzen und verändern. ◼ Zeigen von biografisch relevanten Fotos aus dem Leben, die in der heutigen Zeit meist digital vorhanden sind.
Whiteboard In den meisten Videokonferenzsystemen ist ein Whiteboard integriert: eine interaktive Weißwandtafel, auf der gemeinsam bearbeitet werden kann. Durch die gemeinsame Bearbeitung der grafischen Oberfläche können Visualisierungen, Aufstellungen, Darstellungen von Erklärungskreisläufen, Themensammlungen oder Mindmaps erstellt sowie für ko-kreatives Handeln genutzt werden. Das Whiteboard eignet sich im Rahmen einer Kindertherapie auch gut für die Squiggletechnik von Winnicott (Günter, 2010; Winnicott, 1953/1958).
Kamera Die Kamerafunktion ist ein integrierter Bestandteil von Videokonferenzsystemen und vielfältig einsetzbar, gleichzeitig sollte aber auf einen sensiblen Umgang in Bezug auf die Privatsphäre der Patient*innen geachtet werden. Beispiele für Einsatzmöglichkeiten: ◼ Prinzipiell können durch die Verwendung von Kamera und Mikrofon viele Interventionen aus dem Face-to-Face-Kontext mit geringfügigen Adaptionen eingesetzt werden. Zu beachten ist jedoch die schwierige Gefahrenbeherrschung bei tiefenden Interventionen. ◼ Rollenspiele können aufgenommen und im Anschluss gemeinsam betrachtet und besprochen werden. ◼ Patient*innen haben die Möglichkeit, Therapeut*innen ihre Lebenswelten zu zeigen. Die Kamera unterstützt also soziales Sinnverstehen, wobei dies sorgfältig vorbereitet und mit den Patient*innen besprochen werden muss. ◼ Der Einsatz einer zweiten Kamera ermöglicht Therapeut*innen, Aufstellungen, Symbolisierungen und Visualisierungen vorzunehmen. Es empfiehlt sich, für diese Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum
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Kamera eine abgegrenzte Fläche zu definieren (z. B. durch ein Aufstellungsbrett), auf der bei Bedarf Kreativinszenierungen durchgeführt werden.
Digitalbasierte Kreativität ◼ Memes: Digitale Medien bieten vielfältige kreative Gestaltungsmöglichkeiten (Wöste, 2022). Memes z. B. sind Bilder, die mit kurzen Texten oder einem Wort kombiniert werden und dadurch zusätzliche Bedeutungsinhalte (oftmals mit einem ironischen Inhalt) erzeugen. Im Internet sind Meme-Generatoren zu finden, die die Produktion von Memes ohne technische Kenntnisse ermöglichen. Memes können zur Visualisierung der momentanen Stimmung oder zur Codierung einzelner Familienmitglieder als Problem- und Lösungsbilder und Ähnlichem hergestellt werden. ◼ Bildbearbeitungsprogramme: Im Gegensatz zu Fingerfarben, Malstiften oder Ölkreiden, die Patient*innen bislang zur Verfügung gestellt wurden, um ihre Innenwelten kreativ zu gestalten, bieten digitale Werkzeuge ganz neue Möglichkeiten. Mit Bildbearbeitungsprogrammen kann Bildmaterial auf verschiedenen Ebenen bearbeitet, dekonstruiert und wieder zusammengesetzt werden. So ist es z. B. möglich, bedeutsames autobiografisches Fotomaterial neu zu gestalten und
Abbildung 1: Ausschnitt eines Lebenspanoramas, bei dem der Klient wichtige Lebensereignisse durch selbst verfasste Texte, Audionachrichten und Hyperlinks sowie mithilfe hochgeladener Fotos und Videos abbildet (Darstellung aus eigener Praxis)
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damit Transformationsprozesse sichtbar zu machen. Jugendliche werden angeregt, ein Logo zu entwerfen, in dem sich z. B. wichtige Persönlichkeitsanteile und Ressourcen spiegeln. Paare können aus einem gemeinsam ausgewählten Ausschnitt des digitalisierten Fotoarchivs ihre Paargeschichte aus ihrer individuellen Perspektive collagierend darstellen und darüber in einen Dialog kommen. ◼ Padlet und TaskCards: Padlet und die DSGVO-konforme Variante TaskCards sind webbasierte digitale Pinnwände, die kollaboratives wie auch individuell-kreatives Arbeiten ermöglichen. Sie eignen sich deshalb auch hervorragend als Zusatztool für den videobasierten Beratungskontext. In der Darstellungsform »Timeline« können z. B. Lebens- und Ressourcenpanoramen realisiert werden. Der große Vorteil dieser sehr intuitiv zu bedienenden Tools liegt in den multimedialen Darstellungsmöglichkeiten (Abbildungen 1, 2).
Einsatz von Videos Videos können als Themenmetapher, Befindlichkeitsspiegel oder auch als Anregung für vertiefende Gespräche oder kreative Tätigkeiten eingesetzt werden. Der Kurzfilm »Zehn-Meter-Turm« von Maximilien van Aertryck und Axel Danielson (2016/2017) beobachtet Menschen, die noch nie von einem Zehnmeterturm ins Was-
Abbildung 2: Darstellungsform »Leinwand«, die es z. B. erlaubt, in Supervisionsgruppen die Assoziationen und Ideen der Gruppenmitglieder zu einer konkreten Fragestellung multimedial zu visualisieren (Darstellung aus eigener Praxis)
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ser gesprungen sind, bei der Entscheidungsfindung zu springen oder wieder umzukehren. Die Gefühlslagen der Protagonist*innen übertragen sich beim Betrachten auf die Zuschauer*innen und lösen dabei eigenleibliche Resonanzen aus. Dadurch ergeben sich intime Einblicke in die Welt des Zweifelns. Zudem spiegeln sich Prozessabläufe, die sichtbar machen, wie Entscheidungen getroffen werden. Der Film erzeugt vielfältige metaphorische Stimulierungen und regt dazu an, sich mit bestimmten Protagonist*innen mehr oder weniger zu identifizieren. Fallbeispiel 1. Eine Klientin, die vor einer schwierigen beruflichen Weichenstellung stand, begann beim Zusehen zu zittern. Sie griff die Anregung auf, ihren Körperphänomenen eine Sprache zu verleihen, und sagte: »Ich will nicht von so weit oben ins kalte Wasser springen.« Sie kletterte in ihrer inneren Vorstellung vom Turm herunter und verspürte beim Einmeterbrett den Impuls, einen Kopfsprung zu machen. »Von dieser Höhe aus habe ich viel mehr Möglichkeiten, ins Wasser zu springen. Ich kann köpfeln, ich kann mich drehen, kann vorwärts oder seitwärts springen usw. Ich muss mir und anderen nichts mehr beweisen.« »Brief an meine Depression« ist ein sehr anrührender Text der Poetryslammerin Tabea Farnbacher (2016), in dem sie ihre eigenen Erfahrungen beschreibt und zu dem originellen Schluss kommt, dass sie zwar ohne Depression, die Depression jedoch nicht ohne sie existieren kann. Fallbeispiel 2. Eine jugendliche Patientin nutzte dieses Video als Anregung und kehrte die Rollen um, indem sie die Depression einen Brief an sie selbst schreiben ließ. Der Brief beinhaltete sehr konstruktive Vorschläge, wie man aus Sicht der Depression mit ihr umgehen könnte. Eine andere Patientin wiederum griff die Idee auf, fünf bis sieben Worte aus diesem Gedicht auszuwählen, untereinander zu schreiben und als Ausgangspunkt für eine grafische Gestaltung zu nehmen. Ein weiterer Patient vertonte den Text und näherte sich damit auf eine ganz andere Weise den Inhalten.
Chat für Parallelkommunikation Fast alle Videokonferenzsysteme verfügen über einen integrierten Textchat. Somit ergibt sich durch die vorgegebenen technischen Rahmenbedingungen die Möglichkeit, die Ebenen zu wechseln und z. B. bei schambesetzten Themen die Kamera auszuschalten und auf einen schriftlichen Kanal zu wechseln. Zudem können bibliotherapeutische Interventionen dadurch ohne großen Aufwand eingesetzt werden. 200
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Zusammenfassung und Ausblick Dieser Beitrag stellt in einem kurzen Abriss kompakt Behandlungsmöglichkeiten mithilfe kreativer Medien im digitalen Raum vor. Wichtig zu beachten ist jedoch, dass ein fundiertes Wissen zu digitalen Medien notwendig ist, um entsprechende Adaptionen von Interventionen aus dem Face-to-Face-Setting durchzuführen und Risiken durch mangelnde technische Kenntnis bzw. technische Schwierigkeiten zu minimieren. Der Umgang mit kreativen Medien im digitalen Raum braucht daher spezifisches Erfahrungs- bzw. Fachwissen, damit diese Formate mithilfe von kreativdigitalen Medien ihre Wirkung in den Behandlungen entfalten können. Nur durch Selbstaneignung oder spezifische Schulungen können diese kreativen Medien sinnvoll und zielorientiert genutzt werden. Die Stärke liegt in der örtlichen und zeitlichen Flexibilität, die größte Schwierigkeit hingegen bei der Herstellung von Datensicherheit sowie bei der Sicherstellung eines digitalen »Safe Place«. Aus der derzeitigen Erfahrung wird der Wechsel von Face-to-Face-Angeboten zu digitalen Formaten jedoch häufig noch arbiträr durchgeführt, wobei wie in klassischen Therapien bei konkreter Planung der kreativen Intervention das volle Potenzial der digitalen Medien genutzt werden kann. Konkrete Kriterien oder Handlungsleitungen fehlen derzeit leider noch.
Das Wichtigste in Kürze Störungsbild und Personengruppe. Prinzipiell können digitale Medien mit allen Personengruppen und Störungsgruppen durchgeführt werden. Durch die große Auswahl z. B. an Medien, Sinneskanälen, Programmen ist der Einsatz hoch variabel. Intervention des kreativen Mediums. Prinzipiell eignen sich die meisten traditionellen kreativen Medien für die Nutzung im digitalen Raum, wenn sie mittels Kamera geteilt werden können. Zudem entstehen durch die unterschiedlich nutzbaren Kommunikationsmöglichkeiten weitere Interventionen, deren spezifische Eigenschaften unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Beispiele sind textbasierte (z. B. Regentagebuch, erzählgenerierende Anleitungen) und videokonferenzbasierte (z. B. Kamera, Whiteboard, weitere Applikationen durch Bildschirmteilen) Medien. Die konkreten Interventionen sollten jedoch nur mit ausreichendem technischem und erfahrungsbasiertem Wissen zweckbezogen geplant werden. Indikation und Ausschlusskriterien bzw. Chancen und Risiken. Wann digitale kreative Medien eingesetzt bzw. ob diese über das Internet oder in einem Face-to-FaceSetting angeboten werden sollten, muss in Zukunft noch im Detail empirisch Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum
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erforscht werden. Aus der praktischen Tätigkeit der Autoren empfiehlt es sich, explizit positive sowie negative Einflüsse des Einsatzes abzuwägen. Zudem sollten Einsatz bzw. Settingwahl selbst bereits als Intervention mit spezifischen Wirkfaktoren betrachtet werden.
Literaturtipps zum Weiterlesen Eichenberg, C., Kühne, S. (2014). Einführung Onlineberatung und -therapie. Grundlagen, Interventionen und Effekte der Internetnutzung. München: Reinhardt. Engelhardt, E. M. (2021). Lehrbuch Onlineberatung (Reihe: Soziale Arbeit auf einen Blick; 2., erw. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Hintenberger, G. (2021). Allgemeine Wirkfaktoren in der schriftbasierten Onlinetherapie und -beratung. Psychotherapie Forum, 25 (3–4), 161–168. https://www.researchgate.net/publication/ 356908761 (Zugriff: 14.11.2022). Hintenberger, G., Kühne, S. (Hrsg.) (2009). Handbuch Online-Beratung. Psychosoziale Beratung im Internet. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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Störungs spezifität
Markus Böckle
Einführung Die Behandlung von Menschen mit psychischen Problemen und Störungen hat sich in den letzten Jahren immer weiter differenziert. Dabei wird durch die Entwicklung von störungsspezifischen Behandlungen versucht, die Effektivität und Effizienz von Psychotherapie zu erhöhen. Eine evidenzbasierte und störungsspezifische Therapie kann zu einer Verbesserung der Behandlungen führen, birgt jedoch auch potenzielle Probleme. Eine dieser Schwierigkeiten ergibt sich durch die Anpassung der Behandlung auf Basis von klassifikatorischer, theoretischer und psychotherapeutischer Orientierung, die teilweise zu diametralen Vorgehensweisen führen kann. Daher erscheint der Gegentrend hin zu transdiagnostischen Behandlungen – also Therapien, die für mehrere Störungen passend sind – aus wissenschaftlicher Forschung und praktischer Erfahrung ebenso plausibel und gerechtfertigt. Dennoch sind bei bestimmten Erkrankungen und Problemen störungsspezifische Interventionen äußerst hilfreich. So können bei der Behandlung von Angststörungen Entspannungsmethoden und Expositionstraining effizienter sein als alternative Herangehensweisen. In den folgenden Beiträgen wird spezifisch und exemplarisch auf die Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen, Borderline-Problematiken, Essstörungen und Somatischen Belastungsstörungen eingegangen. Dadurch soll den Leser*innen ermöglicht werden, aus den vorgestellten störungsspezifischen Ansätzen sowie den Fallbeispielen selbst kreativ zu werden und Behandlungen für andere Störungsbilder zu entwickeln. Durch die prozessuale Behandlungsweise der Integrativen Therapie sehen wir zudem ein Potenzial, nicht nur auf der Ebene von Störungen zu bleiben, sondern auch Ansätze mittels kreativer Medien auf individueller Ebene anzuwenden. So könnte z. B. aus einem dreizügigen Lebenspanorama auf die individuelle Thematik der Patientin – wie Langeweile – ein dreizügiges Lebenspanorama der Langeweile angeleitet werden. Durch das Eingehen auf die persönliche Lebensgeschichte der einzelnen Klient*innen und Patient*innen kann somit eine individualisierte Therapie angeboten werden, in der sie sich in ihrer Individualität wahrgenommen, verstanden und wertgeschätzt fühlen und Vertrauen in die tragende Beziehung etablieren. Die Beiträge stellen störungsspezifische Ansätze mittels theoretischer Erklärungen und konkreter Fallbeispiele dar. Damit geben sie Einblicke in das Arbeiten mit kreativen Medien und sollen Lust machen, selbst kreativ zu behandeln – jedoch immer mit ausreichender persönlicher Erfahrung mit dem Medium und der Intervention selbst. 207
Martin Lugsch, Melitta Schwarzmann und Silke Birgitta Gahleitner
Kreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken Kreative Medien können in der Arbeit mit Menschen mit Borderline-Problematiken eine beeindruckende Wirkung entfalten, tragen aber ein ebenso riskantes Potenzial in sich. Wirksam werden können sie insbesondere auf dem Boden einer tragfähigen therapeutischen Beziehung sowie im Rahmen einer Ich-strukturellen Stärkung der Selbstregulation und insbesondere der Emotionsregulation. Die Fähigkeit, Beziehungen zu sich selbst und anderen verlässlich zu gestalten, konnte häufig von Menschen mit Borderline-Problematiken nicht angemessen entwickelt werden. Borderline-Therapie verlangt daher einen behutsamen Umgang mit Klient*innen und deren Selbstanteilen entlang des zweiten Wegs der Heilung in der Integrativen Therapie, also grundsätzlich einen nachnährend antwortenden Modus. Kreative Medien können die Beziehungsarbeit auch selbst unterstützen, Beziehungsräume mitgestalten und Kompetenzen im Bereich der Ich-Strukturen stärken. Im Beitrag sollen dazu aus der Perspektive von Forschung, Theorie wie Praxis einige Hinweise gegeben und das Vorgehen in zehn Schritten erläutert werden.
Kreative Medien mit ihren multiplen Stimulierungsmöglichkeiten bieten eine hervorragende Möglichkeit, »verödetes Seelenleben, zugrunde gerichtete Leiblichkeit, ruinierte soziale Netzwerke zu einer ›Revitalisation‹, zu einer neuen Lebendigkeit und Produktivität zu führen« (Petzold, Moser u. Orth, 2019, S. 203). »Durch multiple Stimulierung in der erlebniszentrierten Modalität« (S. 212) können neue kognitive, emotionale, volitionale und aktionale Alternativerfahrungen angeregt werden. Weiters helfen sie Klient*innen, sich einerseits zu regulieren, und regen andererseits dynamische Prozesse an. Mithilfe von kreativen Medien können schwierige und schmerzliche Erfahrungen akzeptiert, reguliert, differenziert und integriert werden. Es kann aber auch an früheres Positives angeknüpft werden. Im Hier und Jetzt können neue Qualitäten entdeckt und konstruktive Zukunftsbilder entwickelt werden (Petzold et al., 2019). Die Anleitung zum guten Umgang mit dem Medium und die Resonanz 209
des*der Therapeut*in verhilft zu heilsamen Antworten aus dem Medium (sich selbst) heraus. Dies alles sind Qualitäten, auf die Borderline-Patient*innen in ihrer Behandlung sehr angewiesen sind, wollen sie doch in ihrem Leiden verstanden werden, sich auch selbst in ihrer Not verstehen und Wege der Besserung und Heilung kennenlernen. Warum stellen dann Therapien mit Borderline-Klient*innen nicht selten eine so große Herausforderung dar? Häufig hängt das damit zusammen, dass kreative Medien sich im Behandlungsprozess bei dieser Klientel ebenso wirksam wie riskant entfalten können, wenn es an einem stabilen äußeren wie inneren »Safe Place« (Gahleitner, Katz-Bernstein u. PröllList, 2013) und einer konstruktiven sozialen Einbettung fehlt. Die Fähigkeit, Beziehungen zu sich selbst, zu anderen und zur Welt konstruktiv zu gestalten, wurde in der Kindheit bei vielen Patient*innen aus diesem Problembereich nicht angemessen unterstützt. Borderline-Therapie ist daher vorrangig »Beziehungstherapie«, die von uns Fachkräften entlang des zweiten Wegs der Heilung in der Integrativen Therapie einen heilsamen antwortenden Modus verlangt (vgl. Pammer u. Gahleitner, in diesem Buch). Selektive Offenheit, partielles Engagement (vgl. Petzold, 1980, S. 249; vgl. bereits Perls, 1959/1970; Cohn, 1975/1921), Empathie und Fürsorglichkeit sowie die Fähigkeit, interpersonelles Geschehen transparent zu machen, ein sorgsamer Umgang mit Grenzen gepaart mit der Fähigkeit, sich von abschätzigem Verhalten oder destruktiven Beziehungsangeboten nicht irritieren zu lassen, müssen das Beziehungsangebot vonseiten des*r Therapeut*in kennzeichnen, wenn eine zielführende Zusammenarbeit zustande kommen soll (vgl. dazu auch mentalisierungsbasierte Therapieformen, u. a. Taubner, Fonagy u. Bateman, 2019). Kreative Medien können die Beziehungsarbeit unterstützen und helfen, unterschiedlichste Beziehungsräume zu gestalten. Vorab aber heißt dies, das – im Lebensverlauf nachvollziehbarerweise aufgebaute – Misstrauen zu überwinden und Vertrauen in einer behutsamen prozessualen Diagnostik aufzubauen. Damit kann ausgelotet werden, welche grundlegenden Fähigkeiten, mit sich selbst, anderen und der Welt umzugehen, vorhanden sind. Werden kreative Medien zu früh und unsachgemäß eingesetzt, kann dies destabilisieren und retraumatisieren. Wird der Umgang mit einem Medium destruktiv, gilt es diesen zu begrenzen bzw. zu entschlüsseln, um in Kontinuität und Behutsamkeit wieder bei der Vertrauensbildung zu beginnen. Wichtig in der Arbeit mit Borderline-Klient*innen ist zudem, ihren (häufig destabilisierenden und destabilisierten) Alltag ernst zu nehmen, immer wieder den Transfer dazu herzustellen, um das Leben außerhalb der Therapie in seiner Wichtigkeit wahrzunehmen und zu unterstützen. Erfolge beziehen sich sonst nur auf das Therapiezimmer und lassen die Klient*innen im »Draußen« allein. Im Folgenden sollen dazu aus der Perspektive der Forschung, Theorie sowie Praxis einige Hinweise gegeben werden. 210
Martin Lugsch, Melitta Schwarzmann und Silke Birgitta Gahleitner
Borderline-Problematiken: Erscheinungsbild und Behandlungsmöglichkeiten Borderline-Problematiken sind in der intrapsychischen Welt der Betroffenen durch Defizite im Bereich der Selbst- und Emotionsregulation (Ich-Funktionen) sowie der Regulation von Beziehungen mit Mitmenschen gekennzeichnet. Viele Menschen erfahren im Laufe ihres Lebens Verletzungen und Traumata, die im Zuge einer Einbettung in ein schützendes und unterstützendes Umfeld jedoch in konstruktive Entwicklungen umgewandelt werden können, wie die Resilienzforschung zeigt (FröhlichGildhoff u. Rönnau-Böse, 2018). Frühe, schwere und wiederkehrende Verletzungen jedoch, die nicht von schützenden Bezugspersonen aufgefangen werden und auf eine entsprechend vulnerable Disposition treffen, beeinträchtigen die Identitätsentwicklung und die Möglichkeiten, mit sich selbst, anderen und der Welt umzugehen. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung z. B. geht man von einem Zusammenhang von 80 Prozent zwischen frühem Trauma und dem späteren Krankheitsbild aus (Möller, Laux u. Deister, 2015). Die fortlaufend negativen Erfahrungen im Bindungs- und Beziehungsbereich hinterlassen nicht nur gravierende Defizite in der Emotionsentwicklung und -regulierung bis hin zu schweren Selbstverletzungen und Suizidalität, sondern auch manifestes Misstrauen gegenüber anderen Menschen und vor allem Fragmentierungen im Identitätsbereich. Grundlage der ICD-Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen ist eine überdauernde Störung, charakterisiert durch Probleme in der Funktion von Aspekten des Selbst und/oder im interpersonellen Bereich (Mitmansgruber, 2020). Die ICD-11 vollzieht gegenüber ICD-10 und DSM-5 einen Paradigmenwechsel hin zu einer dimensionalen Einschätzung der Persönlichkeitsstörungen. Für die Borderline-Persönlichkeitsstörung betrifft dies insbesondere die wesentlichen Ich-Funktionen: Gefühle wahrnehmen, differenzieren und regulieren, Impulse aufschieben, Bindung zu sich selbst/zu anderen halten, sich selbst achten/sich hinterfragen, mitfühlen/sich abgrenzen, vertrauen/kritisch sein. Die Versorgungssituation wird als prekär beschrieben – besonders bei den schweren Fällen (Grabe u. Giertz, 2020). Wie Bräutigam, Giertz und Lerch (2020) aktuell konstatieren, weisen Borderline-Klient*innen jedoch starke Beeinträchtigungen in ihrer psychosozialen und somatischen Gesundheit sowie ihrer beruflichen und sozialen Integration auf, benötigen also dringend Unterstützung. Um gemeinsames Verstehen zu ermöglichen, bedarf es einer soliden Diagnostik der biografiebedingten Ich-Funktionen in ihren Stärken und Schwächen. Auch gilt es, den aktuellen Lebenskontext in den diagnostischen Blick zu nehmen. Den Rahmen bieten dabei die Diagnostik der Integrativen Therapie (Osten, 2019) sowie das Rahmen-Modell der prozessual angelegten biopsychosozialen Diagnostik nach Gahleitner, Hintenberger, Kreiner und Jobst (2014). In der Arbeit mit Menschen mit frühen VerKreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken
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letzungen, Traumata und Persönlichkeitsfragmentierungen erfährt zudem die Arbeit mit Selbstanteilen immer weitere Verbreitung und Forschungsevidenz1. Die Integrative Therapie (Petzold, 2003; Osten, 2019; Leitner u. Höfner, 2020; Schwarzmann, 2013) bietet für die Behandlung von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen eine Reihe von Möglichkeiten, sich in die Modelle der Arbeit mit Selbstanteilen einzureihen. Mit einem Entwurf einer Landkarte der Selbstanteile (Lugsch, 2022, S. 103) in Anlehnung an das Schema-Modus-Modell der Schematherapie steht der Integrativen Therapie eine Konzeption zur Verfügung, die sich für die Arbeit mit Borderline-Patient*innen und die Verbindung mit kreativen Medien sinnvoll verwenden lässt (Abbildung 1).
Landkarte aus Selbstanteilen
Kreative Medien zur Stärkung von Ich-Funktionen und inneren Ressourcen sowie einer reifen Abwehr und Förderung der inneren Beobachtung
Vitales Ich Innere*r Beobachter*in Positive Bewältigung: u.a. kooperieren, fordern, abgrenzen, sich beruhigen/trösten, mit sich mitfühlen, reife Abwehr Innere Beistände Ressourcen, Flow, Kind-Anteile (positive Gefühle)
Kreative Medien zur Verankerung von inneren Beiständen und guten biografischen Erfahrungen (Kind-Anteile mit positiven Gefühlen)
TRIGGER Kind-Anteile (negative Gefühle) „Ich fühle mich fast wie damals, als ...”: z.B. verletzt, traurig, einsam, ängstlich, hilflos, beschämt, schuldig, impulsiv, ohnmächtig wütend
Kreative Medien auf dem Weg von der alten Bewältigung (Phänomene der vorderen Bühne) zu den Strukturen der verletzten Kind-Anteile und verletzenden Inneren Feinde
Innere Feinde „So wie du mit mir gesprochen hast, spreche ich heute mit mir und zu anderen”: z.B. verletzend, kritisch, entwertend, überfordernd, vernachlässigend
Alte Bewältigung oder Abwehr Zu viel des Guten? Zu starres und starkes Erdulden, (Gefühls-)Vermeiden oder Kämpfen als alte Notfallprogramme Unreife Abwehr
Kreative Medien für das Wahrnehmen, Erfassen, Verstehen und Erklären von KindAnteilen und Inneren Feinden; Desidentifikation mit den Inneren Feinden
Abbildung 1: Landkarte der Selbstanteile in Anlehnung an das Schema-Modus-Modell der Schematherapie (eigene Darstellung; nach Lugsch, 2022, S. 103)
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Die Arbeit mit Selbstanteilen wird in den verschiedenen Clustern der Therapieverfahren weiterentwickelt, u. a. in der Schematherapie (Roediger, 2016; Jacob u. Arntz, 2015; Young, 2011), der Ego-State-Therapie (Watkins u. Watkins, 1997/2012; Peichl, 2015/2019) sowie beim Inneren Familiensystem (IFS; Schwartz u. Sweezy, 2020/2021; Holmes, 2013/2019; Earley, 2012/2020), aber auch in der klärungsorientierten Psychotherapie (Sachse u. Sachse, 2016). Die Schematherapie wurde als in der kognitiven Verhaltenstherapie wurzelnder psychotherapeutischer Behandlungsansatz ab 1994 zur Behandlung schwieriger, nicht selten als therapieresistent eingeschätzter Patient*innen mit narzisstischen oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen entwickelt (Roediger, 2016). Petzold empfiehlt (mündliche Mitteilung) die Elemente der Schematherapie in der Arbeit mit Patient*innen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, eingebettet in die Grundkonzepte der Integrativen Therapie.
Martin Lugsch, Melitta Schwarzmann und Silke Birgitta Gahleitner
Resultierend aus diesen Überlegungen und aus langjähriger Praxis in und außerhalb von Kliniken hat sich bei der Arbeit mit Borderline-Patientinnen für die Autor*innen ein Modell entwickelt, in dem es zehn grundlegende Aspekte zu berücksichtigen gilt. Dazu gehört: 1. eine Vertrauensbasis zu ermöglichen und Motivation für eine Psychotherapie wecken; 2. Psychoedukation, die über das Störungsbild, dessen Entstehung und mögliche Heilungswege informiert; 3. prozessuale Diagnostik, damit Klient*innen immer wieder aufs Neue sich selbst verstehen und Sinnzusammenhänge herstellen können; 4. Hilfe im Umgang mit selbstverletzendem, süchtigem, destruktivem und suizidalem Verhalten; 5. ich-stabilisierende Therapieangebote mit dem Schwerpunkt, sich wahrnehmen, verstehen, akzeptieren und regulieren zu lernen; 6. beziehungsfördernde Maßnahmen im Umgang mit sich selbst und anderen; 7. »Ja« zur Eigenverantwortung und dem Transfer in den Alltag; 8. eine Bearbeitung traumatischer Erfahrungen; 9. eine Integration des therapeutischen Prozesses; 10. ein sorgsamer Abschied. Die Abfolge ist nicht schematisch zu verstehen, sondern deutlich werden sollen Aspekte, die im Therapieprozess Aufmerksamkeitslinien bieten können und sich förderlich auf das Therapieergebnis auswirken. Im Folgenden sollen die genannten Themen Stück für Stück aufgegriffen und mit konkreten Möglichkeiten des Vorgehens veranschaulicht werden.
Schritt 1–3: Durch gemeinsames Verstehen Vertrauen und Motivation ermöglichen, Psychoedukation bieten und prozessualdiagnostisch vorgehen Deutlich wurde, dass die zentrale Struktur, die es bei Borderline-Patient*innen diagnostisch zu erfassen und zu stärken gilt, das Ich mit seinen vielschichtigen Funktionen ist. Das Vertrauen in uns als Fachkräfte und in Therapie als wirksame Unterstützungsmöglichkeit muss jedoch häufig erst geschaffen werden. Die vorhandene Sprachlosigkeit, verwirrende Hilferufe durch selbstschädigendes Verhalten und Probleme in der Lebenswelt machen den Zugang nicht selten schwer. Mit medialen Verständigungsformen lassen sich bereits hier Brücken bauen. So kann man in stationären Settings im Alltag Klient*innen nach ihren Lieblingsmärchen oder -geschichten fragen, sie vorlesen und mit ihnen für sie z. B. wesentliche Gedanken und Figuren darin herausKreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken
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arbeiten. Neben dem beziehungsfördernden Aspekt finden sich die Klient*innen mit ihren Nöten und auch Bewältigungsmöglichkeiten in den Geschichten häufig wieder. Fragen wie »Welche Personen sprechen Sie im Märchen besonders an, was fasziniert Sie? Wie geht es Ihnen mit dem Verlauf der Geschichte? Würden Sie die Geschichte gern umschreiben?« können hilfreich sein. Manchmal gelingt auch ein gemeinsames Umschreiben. In dessen Rahmen kommt es nicht selten zu einem regen Austausch, und die Motivation zu einer Psychotherapie steigt. Vor allem aber schafft der Weg über Medien eine behutsame Annäherung und damit Beziehung und Vertrauen. Ist eine minimale Vertrauensgrundlage, ein Safe Place entstanden, kann über psychoedukative Interventionen ein besseres Verständnis zum eigenen Erleben und Verhalten hergestellt werden. Hier helfen Selbsthilfebücher (z. B. Knuf, 2012; Knuf u. Tilly, 2018). Im besten Falle münden diese Erläuterungen in eine behutsame, prozessuale Diagnostik. So kann der diagnostische Prozess eröffnet werden mit der Einladung »Bitte beschreiben Sie sich als Mensch. Was sind ihre typischen Seiten, im Sinne von: Das gehört zu mir, das bin ich«. Über kreative Selbstbilder oder Ich-Funktions-Diagramme (Petzold, Wolf, Landgrebe, Josič u. Steffan, 2000, S. 486) kann ein erster Eindruck über die innere Struktur gewonnen werden. Wichtig sind dabei jeweils strukturierte Anleitungen, z. B. für die Bereiche Selbstreflexion, Leiblichkeit, Dissoziation, Emotionsregulation, Impulskontrolle, Regulation von Beziehungen sowie Selbstachtung und Identität. Weitere Hinweise ergeben sich aus der zwischenleiblichen Diagnostik und aus Gegenübertragungsresonanzen. Diese diagnostische Einschätzung im Prozess des intersubjektiven, ko-respondierenden Dialogs ist entscheidend, um beim Einsatz von kreativen Medien im Bereich der erlebnisaktivierenden Modalität die Kompetenzen der Selbstregulation, wie bereits angedeutet, nicht zu überfordern. Psychodiagnostisch hilfreich für die Einschätzung in diesem Bereich ist auch ein Ausschnitt aus dem OPD-Fragebogen (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik; vgl. Rudolf, 2020, S. 176–182). Insbesondere die Fragen »Ist es Ihnen gut möglich – bildlich besprochen – in Ihr eigenes Inneres hineinzuschauen und zu merken, was in Ihnen vorgeht (z. B. an Gedanken, Stimmungen, Gefühlen, Wünschen? Oder macht es Ihnen eher Angst, über sich nachzudenken?« bieten hier gute Explorationsmöglichkeiten.2 Hilfreich können auch dimensionale Skalen zu psychischen Kompe2
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Bei allen konzeptuellen Unvereinbarkeiten der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) mit den Theorien der Integrativen Therapie (Osten, 2019) lassen sich konkrete Fragen für das Wahrnehmen, Erfassen, Verstehen und Erklären von Ich-Funktionen aus den validierten OPD-Fragebögen im diagnostischen Prozess insbesondere aus dem Bereich der Strukturachse nutzen (Rudolf, 2020). Wichtig erscheint hier, dass der Begriff »Struktur« in der Integrativen Therapie mit dem Begriff »Schema« (Osten, 2019) vergleichbar ist, wobei ein Schema als »fixierter Niederschlag früherer Beziehungserfahrungen in der neuronalen Matrix« (Roedi-
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tenzstrukturen (Huber, Klug u. Wallerstein, 2006) sowie ein Dissoziationsfragebogen (Spitzer, Stieglitz u. Freyberger, 1986/2015) sein. Es entsteht eine diagnostische Landkarte aus Selbstanteilen in Anlehnung an das Schema-Modus-Modell (Lugsch, 2022, S. 109). Sie besteht aus (1) ressourcenreichen Selbstanteilen (vitales Ich), (2) dysfunktionalen Copingstrategien auf der »vorderen Bühne« als verfestigte alte Notfallprogramme, die neben unreifen Abwehrmechanismen dazu dienen, immer wieder auch zu viel zu erdulden, zu vermeiden oder zu kämpfen (vgl. auch dysfunktionale bzw. maligne Narrative; Osten, 2019; Petzold, 2003, S. 1017), (3) Kind-Anteilen als verletzten Selbstanteilen, (4) Inneren Feinden, die sich als innerlich aktivierte verletzende Selbstanteile zeigen (vgl. Abbildung 1). Die Ebene der Kind-Anteile und der Inneren Feinde erhellen als Strukturen der »hinteren Bühne« im Sinne von »mnestische[m] Niederschlag von spezifischen Konfigurationen in Lebensereignissen« (Petzold, 2003, S. 684) die biografische, aber auch lebensweltliche Dimension (vgl. auch Gahleitner et al., 2014).
Schritt 4: Hilfe im Umgang mit selbstverletzendem, süchtigem destruktivem und suizidalem Verhalten Auf die eben beschriebene Weise lässt sich die Biografie Stück für Stück erfassen und szenisch verstehen. Dazu gehört in diesem Problembereich in der Regel auch selbstverletzendes Verhalten: Dieses will entschlüsselt sein. Knuf und Link (2010) beschreiben verschiedene Hintergründe für selbstverletzendes Verhalten – wie z. B. Ritzen, das u. a. als Zugehörigkeitsbedürfnis zu einer Clique gedeutet werden kann – als Emotionsbewältigung, um Stress zu regulieren und Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen. Selbstverletzung kann auch als Ausdruck für erlebtes Leid einen Hilfeschrei bedeuten. Auch kann selbstverletzendes Verhalten zu einem Identitätsmerkmal werden, wenn die dahinterliegenden Bedürfnisse langfristig nicht erkannt werden. Entlang dieser Differenzierung bedarf es im ersten Schritt zunächst eines aufrichtigen gemeinsamen Interesses am Verstehen des vorliegenden Selbstverletzungsphänomens. Auf dieser Basis können Behandlungsantworten gegeben werden. Am Zugehörigkeitsgefühl bzw. dem Gefühl, z. B. ausgegrenzt zu sein, kann und sollte im Therapiegeschehen mit Borderline-Klientel ohnehin stets gearbeitet werden. Für die ger, 2016, S. 13) verstanden werden kann. Der Strukturbegriff der OPD definiert sich als die »Verfügbarkeit über psychische Funktionen« (Rudolf, 2020, S. 54) und kann eher mit dem Begriff der Ich-Funktionen verglichen werden. Konkrete Fragen zu den Funktionen des Ichs lassen sich gerade für die prozessuale Diagnostik bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen aus den Fragebögen des Borderline-Persönlichkeitsinventars (BPI) (Salzer u. Leichsenring, 2012) sowie aus Fragebögen zur Strukturachse der OPD von Rudolf (2020; Selbsteinschätzung struktureller Kompetenzen – SSK) aus dem OPD-Strukturfragebogen (OPD-SF; Ehrenthal et al., 2012) nutzen. Der OPD-SF steht kostenfrei unter strukturdiagnostik.de zur Verfügung.
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Regulierung von hoher Anspannung können – allerdings nur auf bereits geknüpfter Beziehungsbasis – übungsorientiert – sogenannte Skills im Sinne der DialektischBehavioralen Therapie (DBT) vermittelt werden. Vor allem im Bereich der Arbeit mit Emotionen finden kreative Medien hier Einsatz. So kann die Spannung in Ton geknetet werden. Dabei gibt es z. B. die Möglichkeit, etwas zu formen, was sich in der Hand gut anfühlt. Liegt das Geformte gut in der Hand, ist die nächste Intervention möglich: »Angenommen, die Hand könnte reden, was sagt sie zu dem Geformten? Angenommen, das Geformte könnte reden, was sagt es zur Hand?« Manchmal braucht es Hilfestellung von Therapeutenseite, indem Worte geliehen werden. Es entsteht ein heilsamer Dialog, der in Bezug zum Umgang mit sich selbst gesetzt werden und dann den Transfer in den Alltag herstellen kann. Eine Möglichkeit ist auch, für das Geformte Seidentücher zur Verfügung zu stellen, um ein Nest dafür zu bauen. Zu diesem Vorgang kann dann wiederum eine Geschichte oder ein Gedicht geschrieben werden. Bis hin zu Seidentüchern, die weitere Entdeckungen an sich und mit sich selbst ermöglichen. In dieser Weise kann im intermedialen Quergang – im Sinne »intermedialer Kunstpsychotherapie« (Petzold, 1987/2017) – Stück für Stück an Spannungsregulation und Selbstfürsorge gearbeitet werden. Hat man einen ersten Zugang zur Selbstverletzung gefunden, kann gemeinsam aus Karton eine »Klagemauer« gestaltet werden. Auf dieser Klagemauer finden in einem ersten Schritt alle Klagen ihren Platz, sprachlich, in Symbolen oder Farbenspielen. Behutsam kann für die Klagen nach Antworten gesucht werden, aber auch darüber Distanz zu den begleitenden Gefühlen geschaffen werden. Wiederum kann dies sprachlich, in Symbolen oder in Farbenspielen passieren. Manchmal braucht es auch dazu Resonanz als Hilfestellung, oft verselbstständigt sich dieser Prozess jedoch auch dynamisch. Ist jedoch Selbstverletzung zum Lebensinhalt geworden, bedarf es neben dem Verständnis dafür, dass es sich so entwickelt hat, zudem die Suche nach anderen Anteilen in der Person, auch wenn sie derzeit dem Erleben nicht zugänglich sind. Eine »angenommene Schatzkiste« kann gestaltet werden, ebenso das, was in ihr verborgen sein könnte. Daneben können Skills, jedoch immer nur eingebettet in den jeweiligen Prozess, angeboten werden (vgl. Guddat u. Voelzke-Neuhaus, 2021).
Schritt 5–7: Ich-Stabilisierung und beziehungsfördernde Maßnahmen – auf dem Weg in zunehmende Eigenverantwortung In Therapien mit Borderline-Patient*innen steht die Ich-Stabilisierung im Zentrum. In der Praxis haben sich vor allem Ressourcenkisten, in der »Schätze« aufbewahrt werden können, bewährt. In der Klinik kann die Ergotherapie bei der Gestaltung helfen. Patient*innen in diesem Störungsbereich gehen gute Erfahrungen und gute Erinnerungen oft schnell wieder verloren. Ob aufgeschriebene Ressourcen, Fotos, kreative 216
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Werke aus der Therapie, Briefe oder zu Papier gebrachte Botschaften von sich selbst und inneren oder äußeren Beiständen, der Kreativität ist hier keine Grenze gesetzt. Reddemann (2021) z. B. hat zum imaginativen Bereich in der Arbeit mit frühen Verletzungen mannigfaltig Anregungen gegeben. Eine weitere stabilisierende Technik ist das Ressourcenpanorama, in dem alle vorhandenen Potenziale über den Lebensverlauf dargestellt werden. Der Umgang mit sich weist dabei unmittelbar auch stets auf den Umgang mit anderen. Letztlich geht es um die Übernahme der Verantwortung als Fähigkeit und Bereitschaft, u. a. sich selbst, anderen und der Natur in wohlwollender Weise zu begegnen und zu antworten. Bedeutsam dabei ist jedoch, dass sich dies aus einem Bedürfnis heraus entwickeln kann und nicht als moralische Notwendigkeit an Patient*innen herangetragen wird. »Ja« zum eigenen Gewordensein sagen zu können, ist eine große Aufgabe in diesem Störungsbereich. Stetige Psychoedukation, die Einübung und Förderung von vitalen Ich-Funktionen, die Entdeckung ressourcenreicher Selbstanteile und die heilsame Antwort an alle verletzten und destruktiven Anteile bedeuten einen langen Weg. Zu erkennen, dass hinter allen destruktiven Anteilen eine Not steckt, kann hilfreich sein, um Innere Feinde auch als innere Freunde wahrzunehmen. Fallbeispiel aus einer fortgeschrittenen Therapie. Eine Borderline-Patientin (schon fähig zum Rollentausch) sucht für einen der Inneren Feinde ein Symbol und findet einen treffenden Namen: »die verachtende Verletzerin«. Sie erkundet das Symbol und legt es gemeinsam mit dem beschrifteten Kärtchen auf einen Sessel. Der Sessel steht für den Inneren Feind mit den gerade erfassten Qualitäten. Der Patientin ist es möglich, sich hinter den Stuhl zu stellen und Antworten für die Fragen zu finden, die diesem Inneren Feind von Therapeutenseite gestellt werden, z. B.: »Was ist ihm denn zugestoßen?« Die Patientin erzählt von vielen Missachtungserfahrungen, weint und drückt das große Bedürfnis nach Gesehenwerden aus und vor allem nach Respekt vor ihrer hohen Sensibilität. So zeigt sich hinter der Mauer des Inneren Feindes der verletzte Kind-Anteil mit seiner schmerzenden Trauer und Scham. Weiter wird die heutige Identifikation mit dem Inneren Feind und seinen malignen Narrativen »Ich bin eine dreckige Heulsuse, meine Gefühle sind falsch« inklusive selbstbestrafenden Selbstverletzens als alte Bewältigung greifbar. Die Patientin verlässt den Platz hinter dem Stuhl, und gemeinsam wird herausgefunden, wie der verletzte Kind-Anteil gut versorgt werden kann und die Botschaften des Inneren Feindes aus der Biografie verstanden werden können. Durch die über viele Therapiestunden wiederkehrende und aktive Entmachtung der malignen Narrative schrumpft der Einfluss des Inneren Feindes, er entwickelt sich zu einem »Nicht-mehr-Inneren-Feind«. GleichKreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken
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zeitig erfahren der Innere Feind und die bis heute mit ihm andauernde Identifikation auch Wertschätzung für seine frühere Beschützerfunktion in entwicklungstraumatischen Milieus. Auf diese Weise kann das maligne Narrativ durch ein wachsendes benignes Narrativ mit Einfluss des vitalen Ichs und inneren Beiständen zurückgedrängt werden: »Ich darf ein sensibler Mensch sein und meine Gefühle zeigen, denn sie sind richtig. Ich kann meine Gefühle regulieren.« Dazu kann der Auftrag gegeben werden, zu Hause ein Bild zu malen. In der nächsten Stunde wird das Bild besprochen, und der »Nicht-mehr-Innere-Feind« sowie der verletzte Kind-Anteil werden von Neuem befragt. Der Innere-Kind-Anteil sowie die Patientin von heute fühlen sich immer weniger von der »verachtenden Verletzerin« bedroht und in der hohen Sensibilität gesehen. Sie erläutert, welche Fähigkeiten sie zur Verfügung hat, Dinge genau und sensitiv zu erfassen. Dies wiederum kann von der Fachkraft für die Patientin aufgeschrieben werden und z. B. seinen Platz in der Ressourcenkiste finden. So können innere Anteile kreativ heilsam bearbeitet und beantwortet werden. Anteile können gemalt werden, mit Ton oder Knetmasse geformt werden, für sie können Symbole gesucht werden, sie können mit Worten beschrieben werden. Die heilsame Antwort für die Anteile kann auch sehr unterschiedlich gestaltet werden: Es kann eine heilsame Geschichte geschrieben, ein Anteil farblich in einem Bild beantwortet, imaginativ ein heilsames Zimmer oder ein sicherer Ort eingerichtet, dazu im intermedialen Quergang wieder ein Bild gemalt werden. Für innere Beistände können z. B. Symbole gesucht und wiederum erforscht, Sätze der inneren Beistände aufgeschrieben, Märchen geschrieben oder Narrative als stärkende Sätze auf Audio-Aufnahmen z. B. im Mobiltelefon gespeichert werden, um in Krisenfällen abgerufen zu werden.
Schritt 8–10: Traumatische Erfahrungen behutsam bearbeiten, integrieren und in den Lebensalltag zurückkehren Die beschriebene – von kreativen Medien unterstützte – Vorgehensweise macht den Einsatz traumafokussierender Verfahren häufig überflüssig, da die Inhalte im Prozess dort auftauchen, wo sie für die Klient*innen zu bewältigen sind und »nicht in einem Trancezustand« (Claas, 2007, S. 20), wie bei einigen traumafokussierenden Verfahren. Die Vertrauensbasis und neu gewonnene Sicherheit in der Beziehung zum*r Thera peut*in ermöglichen die Eröffnung traumarelevanter Inhalte und das Herstellen eines Zusammenhangs von gegenwärtiger und vergangener Lebenssituation ganz von selbst. In der Integrativen Therapie kann dafür behutsam vom Hier und Jetzt über die Struktur in den Entwurf hineingearbeitet werden. 218
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Wenn sich z. B. solche Selbstanteile im therapeutischen Prozess zeigen, können diese im gemeinsamen Verstehen benannt, auf Kärtchen in Verbindung mit Symbolen dargestellt und allmählich einem Feld auf der Landkarte aus Selbstanteilen zugeteilt werden. Mit einem Selbstanteil beschriftete Kärtchen lassen sich auch auf Stühlen im Raum auslegen (zu den dann möglichen diagnostischen Stuhldialogen oder Imaginationen bietet Roediger, 2016, S. 289–323, aus der Schematherapie konkrete Anleitungen an). Über die mit kreativen Medien belebte Landkarte aus Selbstanteilen lässt sich ausgehend von den alten Bewältigungsreaktionen (vordere Bühne) zu einem Verstehen der dahinterliegenden Strukturen (hintere Bühne) voranschreiten, um stetig die Entwürfe der ressourcenreichen Selbstanteile über ein vitales Ich gezielt zu stärken und zu verankern. Denn »verdichtete Szenen«, und somit »Sedimente von Beziehungserfahrungen« (Rahm, Otte, Bosse u. Ruhe-Hollenbach, 1993/1999, S. 120), finden sich in verletzenden und verletzten Selbstanteilen der hinteren Bühne. Auf diese Weise können Traumakonfrontation und konfliktzentriertes Arbeiten fruchtbar werden. Hauptaufgabe des vitalen Ichs ist dabei, die Inneren Feinde zu entschlüsseln, zu begrenzen und die verletzten Kind-Anteile mitfühlend zu versorgen (vgl. Reddemann, 2021; Roediger, 2016). Durch die Unterstützung eines tieferen Verstehens der Innenwelt und Förderung von vitalen Ich-Funktionen und Bewältigungsstrategien können Prozesse entstehen, die ein wachsendes Selbstwirksamkeitserleben und letztendlich einen therapeutischen Weg in eine andere Form der Bewältigung ebnen können. Werden die vorhandenen traumarelevanten Gedanken und Gefühle Traumatisierter auf diese Weise dialogisch verstanden und angenommen – also von Therapeut*in wie Klient*in –, können Verarbeitung und eine Wiederannäherung an den Lebensalltag erfolgen. Dies erleichtert eine Zuwendung zu und Annäherung an die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Dennoch kann es während der Zeit der Aufarbeitung bei aller Sorgsamkeit häufig zu Dekompensationen kommen, die aufmerksam beobachtet werden sollten und eventuell weitere Phasen der Stabilisierung und Reorganisation erfordern.
Schlussgedanken Aufgrund der schwer erkämpften Vertrauens- und Beziehungsbasis ist auf den Schluss und Abschiedsprozess großen Wert zu legen. Ist es zuvor gelungen, durch die stabilisierte und stabilisierende professionelle Beziehung zwischen Therapeut*in und Klient*in »hindurch« (Gahleitner, 2017, v. a. S. 227–229) am Aufbau sozialer Unterstützungsnetzwerke zu arbeiten, kann es – entlang des zweiten und vierten Wegs der Heilung (Petzold, 2012, S. 17–19) gelingen, die positiven Beziehungsqualitäten aus dem Therapiegeschehen in den Lebensalltag in neue konstruktive Beziehungskon stellationen zu transformieren. Der Abschied kann dann zu einer positiven Erwartung Kreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken
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auf das Kommende werden. Es muss jedoch auch möglich, erlaubt und willkommen sein, in der Abschiedssequenz nochmals eine Reihe von Ängsten zu reaktivieren und darüber die erneute Möglichkeit zu bieten, an einer konstruktiven Bewältigung zu arbeiten und sie darüber noch weiter zu festigen. Bewährt hat sich, für die Abschiedssequenz z. B. ein Therapiepanorama zu erstellen. Fragen wie »Wie haben Sie den Psychotherapieverlauf erlebt, was haben Sie gelernt, was ist offengeblieben, woran werden Sie weiter dranbleiben müssen? Wie hast du die therapeutische Beziehung zu mir erlebt?« können hier hilfreich sein. Das Therapiepanorama hilft, den therapeutischen Prozess in guter Weise zu integrieren, der gewachsenen momentanen Realität wohlwollend zu begegnen und die Therapie positiv ausklingen zu lassen. In diesem Sinne sollen die vielen benannten Hürden und Schwierigkeiten nicht darüber hinwegtäuschen, wie viel Freude die Arbeit mit Borderline-Klientel in der Psychotherapie machen kann und wie hoffnungsvoll sie auch im Hinblick auf ihre Ergebnisse zu betrachten ist (vgl. aktuell Bräutigam et al., 2020).
Das Wichtigste in Kürze Kreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken bieten mit ihren multiplen Stimulierungsmöglichkeiten hervorragende Möglichkeiten, können sich aber im Behandlungsprozess ebenso wirksam wie riskant entfalten. Indikation für die Arbeit mit kreativen Medien bei Borderline-Patient*innen. Kreative Medien sind zunächst in stabilisierender Form einzusetzen, wenn es an einem stabilen äußeren wie inneren Ort und einer konstruktiven sozialen Einbettung fehlt. Gearbeitet wird dann vorrangig an der therapeutischen Beziehung, denn Borderline-Therapie ist v. a. Beziehungstherapie. Auch ist bedeutsam, den (häufig destabilisierenden und destabilisierten) Alltag ernst zu nehmen und immer wieder den Transfer dazu herzustellen und stabilisierend daran zu arbeiten. Für Psychotherapeut*innen ist der Einsatz von kreativen Medien bei BorderlineKlient*innen sinnvoll, wenn sie über eine beziehungsorientierte, prozessuale Diagnostik sorgfältig die Ich-Funktionen sowie die soziale Einbettung und die Lebenswelt der Patient*innen erfasst und verstanden haben. Es geht um einen Ichstärkenden Einsatz von kreativen Medien, da kreative Medien intensive Gefühle, Impulse, Konflikte und Erinnerungen evozieren können. Dies bedingt einen ichstabilisierenden vor konfliktzentriertem/aufdeckendem Einsatz von kreativen Medien in diesem Arbeitsbereich. Erst bei entsprechender Indikation und Situation kann das volle Potenzial kreativer Medien ausgeschöpft werden.
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Kreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken
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Sonja Pasch
Kreative Medien bei Essstörungen
Die Zusammenschau ergibt im ersten Teil den diagnostischen Blick mit dem Hinweis auf viele Komorbiditäten, den epidemiologischen und ätiologischen Blick mit allen prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren und den Blick in Richtung Indikatoren für eine ambulante und stationäre Behandlung. Hier wird ein Übergang zu bewährten Therapiebausteinen geschaffen, die auf dem Fundament einer unterstützenden, verlässlichen und gendersensiblen therapeutischen Rahmung aufgebaut und im Einzel- und Gruppensetting eingesetzt werden können.
Aus soziologischer Sicht beschreibt Rosa (2016/2021, S. 98) die menschliche Atmung als unbewussten, unwillkürlichen, substanzlosen und unsichtbaren Austauschprozess mit der Welt. Essen und Trinken allerdings sind eindeutig zentrale Momente und Komponenten menschlicher Weltbeziehung. Unsere Nahrungsaufnahme unterliegt im Gegensatz zur Atmung einer bewussten Willensentscheidung und bildet einen wesentlichen Bestandteil aller Kulturen, Kulturentwicklungen und sozialen (Welt-)Beziehungen. Insofern scheinen Erkrankungen wie Essstörungen im Grunde Pathologien (Entfremdung, Blockade und Resonanzverlust) der leiblichen Weltbeziehung anzuzeigen. Um Essstörungen als psychosomatische Frauenkrankheit (mehr als 90 Prozent der Betroffenen sind weiblich; Fichter, 2019, S. 13) »zu verstehen und ihnen therapeutisch entgegenzusteuern, müssen die individuelle Entwicklungs- und Lebensgeschichte wie die soziokulturellen Rahmenbedingungen mitbedacht werden: Essstörungen bilden gesellschaftliche Ideale und Normen ab und konterkarieren sie« (Schigl, 2011, S. 28).
Diagnostik Da in der Behandlung von Menschen mit Essstörungen eine präzise Diagnostik erforderlich ist, soll nachfolgend ein kompakter Überblick gegeben werden. Im Verlauf einer Anorexia nervosa entsteht ein gravierender Gewichtsverlust bei Erwachsenen (Body-Mass-Index von 18,5 oder weniger; Vocks, Schweiger, Hilbert, 225
Hagenah u. Tuschen-Caffier, 2019, S. 41) oder eine fehlende Gewichtszunahme bei Kindern (mindestens 10 Prozent unter dem zu erwartenden Gewicht; S. 42). Der Gewichtsverlust wird durch eingeschränkte Nahrungswahl, übertriebene körperliche Aktivitäten, selbstinduziertes Erbrechen, Abführen, Gebrauch von Appetitzüglern, harntreibender Mittel oder Kombinationen daraus selbst herbeigeführt. Es zeichnet sich eine Körperschemastörung (in der Selbstwahrnehmung als »zu dick« verbunden mit der Furcht zuzunehmen) ab. Aufgrund verminderter Konzentration von Sexualhormonen (S. 45) gehört zu den wichtigen körperlichen Signalen, die mit einer Anorexia nervosa einhergehen, bei Frauen z. B. das Ausbleiben der Menstruation (Zeeck et al., 2019, S. 77, S. 120 f.). Mit Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklung gestört (Wachstumsstopp; Vocks et al., 2019, S. 43). Des Weiteren können körperliche Schädigungen auftreten, z. B. gestörte Körpertemperaturregelung, Lanugo-Behaarung (S. 43), Haarausfall, trockene Haut (Zeeck et al., 2019, S. 181), Osteoporose (S. 191). Eine Unterkategorie der Anorexia ist die atypische Anorexia nervosa, bei der sämtliche Kriterien der Anorexia nervosa erfüllt sind, »außer dass [das] Körpergewicht im oder über Normalbereich liegt« (Fichter, 2019, S. 11). Bei einer bekannten körperlichen Krankheit mit Gewichtsverlust sollte diese Diagnose nicht gegeben werden. Die Bulimia nervosa ist gekennzeichnet durch wiederkehrende Essanfälle und den Einsatz kompensatorischer Maßnahmen (Svaldi et al., 2019, S. 218 f.), um einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken (z. B. selbstinduziertes Erbrechen, Gebrauch von Abführmitteln, Appetitzüglern, Schilddrüsenhormonen). Typisch sind eine übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht sowie zeitweilige Hungerepisoden. Folgende körperliche Schäden können entstehen: Kaliummangel, Herzrhythmusstörungen, Kreislaufprobleme, Schwellungen der Speicheldrüsen, Zahnschmelzschäden, Speiseröhrenrisse, Magenwandperforationen, Elektrolytentgleisung, hormonelle Störungen, Haarausfall, Hautirritation, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen (Vocks et al., 2019, S. 41–45). Wie bei der atypischen Anorexia nervosa kann auch bei der atypischen Bulimia nervosa die übertriebene Sorge um das Körpergewicht fehlen, jedoch können hier Gewichtsveränderungen ausbleiben (Müller, Hartmann Firnkorn u. de Zwaan, 2019, S. 306). Zu wiederholtem Erbrechen kann es auch bei dissoziativen Störungen und Hypochondrie kommen (S. 314). Binge Eating Disorder beschreibt Essanfälle ohne kompensatorische Maßnahmen, und Binge Eating ist genussvolles, übermäßiges Essen (Hilbert et al., 2019). Wenn bei Bewegungsmangel Übergewicht entsteht, leiden die Betroffenen beiderlei Geschlechts häufig auch an depressiven Verstimmungen und mangelndem Selbstwert (S. 278–281). Das Pica-Syndrom ist erkennbar am anhaltenden Verzehr nicht essbarer Substanzen wie z. B. Erde, Mauerbrösel oder Strasssteine (Müller et al., 2019, S. 319). 226
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Erwähnung finden sollen hier auch weitere Essstörungen, die bislang weder von ICD noch DSM als eigenständige Störungen erfasst werden. Die Latente Essstörung Typ 1 zeichnet sich aus durch dauernde Kontrolle beim Essen sowie Diäten, Typ 2 durch den Wechsel zwischen vordiätischem Essverhalten, Diäten und binge-ähnlichen Phasen mit Jo-Jo-Effekten (Stangl, o. J.). Schließlich kann übermäßiges Essen auch eine Reaktion auf Belastungssituationen wie etwa Trauer, Unfälle oder Geburt sein. Bei der Orthorexie werden selbst auferlegte, strenge Essensregeln eingehalten (Strahler, 2018, S. 21). Die Nahrungsmittelauswahl erfolgt meist nach Qualitätskriterien (S. 21), wie z. B. »gesund« und »vollwertig«. Außerdem fehlen Genuss und Spontaneität rund um das Thema »Essen« gänzlich.
Komorbiditäten Patient*innen mit Essstörungen zeigen ein breites Spektrum psychischer Komorbiditäten. Bei Menschen mit Anorexia nervosa sind Depressionen, Zwangssymptome, Angststörungen und beginnende Persönlichkeitsstörungen (vermeidend, abhängig) zu beobachten. Bulimische Patientinnen entwickeln immer wieder Depressionen, Zwangssymptome, Angststörungen, Alkohol- und Drogenmissbrauchsverhalten, Störungen der Impulskontrolle, Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen, beginnende Persönlichkeitsstörungen (ängstlich-vermeidend) oder eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (Jaite, Salbach u. Jacobi, 2021, S. 22–26).
Epidemiologie Vor der COVID-19-Pandemie konnten pro 100.000 Personen für die Anorexia nervosa acht Neuerkrankungen und für die Bulimia nervosa 13 Neuerkrankungen jährlich in der Allgemeinbevölkerung beobachtet werden. Empirischen Studien (Übersicht bei Fichter, 2021, S. 3–7) zufolge sind die Inzidenzraten seit den 1970er Jahren nicht mehr angestiegen, sondern haben sich stabilisiert (S. 6). Allerdings nahm die kindliche Anorexia (Erkrankungsalter unter 14 Jahren) zu (Zeeck et al., 2019, S. 112). Mit der Pandemie hat sich die Situation deutlich verändert. Giel, Schurr, Zipfel, Junne und Schag (2021, S. 661) belegen in einer aktuellen Studie, dass Menschen mit Binge Eating Disorder gefährdet sind, eine Symptomverschlechterung oder einen Krankheitsrückfall zu erleiden. Auch die Forschungsergebnisse einer internationalen Untersuchung (USA, Niederlande; Termorshuizen et al., 2020, S. 1084 f.) an 1.000 Proband*innen zeigen, dass sich Essstörungen in der Pandemie verstärken, ebenso anorektisches und bulimisches Verhalten. Kreative Medien bei Essstörungen
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Eine Metastudie zeigte bei Patient*innen mit Anorexia nervosa eine Heilungsrate von 46,9 Prozent, bei 33,5 Prozent der Patient*innen eine Verbesserung der Symptomatik und bei 20,8 Prozent einen chronischen Verlauf (Steinhausen, 2002, S. 1286). Im Durchschnitt dauert es sechs Jahre bis zur Heilung. Die Mortalitätsrate liegt bei 5 Prozent (S. 1286) – damit ist Anorexia nervosa die psychische Störung mit der höchsten Mortalitätsrate! Bei bulimischen Patient*innen liegt die Mortalitätsrate bei 1,93 Prozent (Svaldi et al., 2019, S. 223), mehr als 70 Prozent weisen eine vollständige Remission auf (S. 222 f.), fast 18 Prozent erleiden wieder Rückfälle (S. 223).
Ätiologie Wie bei anderen psychischen Störungen ist davon auszugehen, dass die Entstehung von Essstörungen nur mit einem multifaktoriellen Blick angemessen erklärt werden kann. Es handelt sich um eine Wechselwirkung aus prädisponierenden (soziokulturellen, familiären, individuellen, biologischen), auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren (Jaite et al., 2021, S. 36–42). Prädisponierende Faktoren orientieren sich an personen- oder umweltspezifischen Merkmalen, die die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer Essstörung erhöhen. Es wird von einem Zusammenhang des Auftretens von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa »mit dem in westlichen Industriegesellschaften vermittelten Schlankheitsideal« (S. 36) ausgegangen. »In der westlichen Welt ist die Prävalenz von Essstörungen deutlich höher als in asiatischen und afroamerikanischen Kulturkreisen und im Vergleich zu Schwellen- und Entwicklungsländern« (S. 36; unter Bezug auf Hoek, 2016). Außerdem wurde eine erhöhte Prävalenz in der Mittel- und Oberschicht und bei bestimmten Berufs- oder Risikogruppen (z. B. Sportler*innen, Models) festgestellt (Jaite et al., 2021, S. 36). »Adoleszente Mädchen scheinen einem stärkeren Gruppendruck in Hinblick auf ein schlankes Erscheinungsbild zu unterliegen als ihre männlichen Altersgenossen, sodass der Einfluss der Peergroup für die Genese einer Essstörung bedeutsam ist« (S. 37; unter Bezug auf Paxton, Schutz, Wertheim u. Muir, 1999). Familiäre Faktoren bei Anorexia nervosa sind systemtheoretischen Annahmen (vgl. Selvini Palazzoli, 1978) zufolge »eine rigide Norm- und Leistungsorientierung, Überbehütung, Konfliktvermeidung und ein defizitäres Konfliktmanagement […]. Familiäre Beziehungsmuster von jugendlichen Patientinnen mit Bulimia nervosa sollten dagegen von einer konflikthaften Interaktion, der fehlenden elterlichen Zuwendung und Anerkennung sowie impulsivem, unkontrolliertem Verhalten dominiert sein« (Jaite et al., 2021, S. 37). »Die Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen zu familiären Faktoren erlauben keine Differenzierung, inwieweit bestimmte familiäre Strukturen und Interaktionsmuster ein Risiko für die Entstehung einer Anorexia bzw. Buli228
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mia nervosa darstellen oder aber Folge der Essstörung sind. […] Die Bedeutsamkeit familiärer Faktoren für die Ätiologie von Essstörungen wurde durch diese Befunde deutlich relativiert. Für die Therapie bei jugendlichen Patientinnen mit Anorexia und Bulimia nervosa ist dennoch notwendig, familiäre Interaktionsmuster umfassend zu analysieren und in der therapeutischen Arbeit zu nutzen, da familiäre Beziehungsmuster entscheidend das Selbstwertgefühl, das Autonomiestreben und die Identitätsbildung im Jugendalter beeinflussen« (Jaite et al., 2021, S. 37 f.). Bei den individuellen Faktoren wird ausgegangen von »einem niedrigen Selbstwertgefühl, perfektionistischen Persönlichkeitszügen, Missbrauchs- und Misshandlungserfahrungen und entwicklungspsychologischen Prozessen. […] Außerdem werden ein ängstlichvermeidender oder zwanghafter Persönlichkeitsstil […], Perfektionismus […] sowie ein unsicherer Bindungsstil […] als potenzielle Risikofaktoren für die Entwicklung einer Anorexia nervosa angenommen [und] ein gestörtes Essverhalten (z. B. Fütterstörung) sowie gastrointestinale Probleme im Säuglings- und Kleinkindalter« (S. 38), aber auch »Unzufriedenheit angesichts eines veränderten körperlichen Erscheinungsbildes durch pubertäre physische Veränderungen« (S. 39). Zu den biologischen Faktoren schließlich zählen Serotoninmangel, Veränderung des Darm-Mikrobioms aufgrund der Mangelernährung, »Funktionsbeeinträchtigungen insbesondere in den Bereichen Aufmerksamkeit und kognitive Flexibilität« (S. 39) und ein erhöhtes Risiko für weibliche Angehörige ersten Grades (S. 40). Unklar ist bislang, ob die beschriebenen »neuropsychologischen Dysfunktionen Ausdruck prämorbider Beeinträchtigungen und somit für die Entstehung von Essstörungen relevant sind oder aber sich als Folge der Essstörung manifestieren und weitgehend reversibel sind« (S. 39). Auslösende Faktoren sind »kritische Lebensereignisse meist unspezifischer Art, u. a. Trennungs- und Verlusterfahrungen, psychische Folgen der Pubertät, Bedrohung des Selbstwertgefühls, negative sexuelle Erfahrungen oder Überforderungserlebnisse in Schule und Ausbildung sowie körperliche Erkrankungen« (S. 40). Aufrechterhaltende Faktoren »verstärken bereits vorhandene prädisponierende Belastungsfaktoren und sorgen für das Fortbestehen von Essstörungen« (S. 40). Zu beobachten ist dies z. B. bei Menschen mit zwanghaften Persönlichkeitsmerkmalen (S. 42), mit physiologischen Folgen der Mangelernährung (bei Bulimia nervosa; S. 41), mit dem Gefühl der Kontrolle über den eigenen Körper (bei Anorexia nervosa; S. 42).
Stationäre oder ambulante Behandlung Stationäre Behandlung. Indikationen, die für eine stationäre Behandlung sprechen, sind laut Wunderer (2019, S. 12–14) starkes Untergewicht, ein Insistieren auf weitere Gewichtsabnahme, stagnierendes oder sinkendes Gewicht über längere Zeit in Kreative Medien bei Essstörungen
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der ambulanten Psychotherapie, eine lange Dauer der Essstörung, bedrohliche körperliche Folge- und Begleiterscheinungen, Suizidalität, schwerwiegende traumatische Erfahrungen, Schwangerschaft, Diabetes mellitus und keine ausreichende Versorgung am Wohnort. Manchmal ist es auch sinnvoll, einen Abstand zur Familie und zum sozialen Umfeld zu erwirken. Wenn die Patient*innen selbst eine stationäre Aufnahme wünschen, sollte darauf eingegangen werden. Ambulante Behandlung. Für eine ambulante Behandlung ist eine gut abgesteckte Rahmung, eingebettet in ein interdisziplinäres Team, zu empfehlen (S. 14). Patient*innen mit Anorexia nervosa sollten wöchentlich zur Gewichtskontrolle bei einem Arzt oder einer Ärztin gehen, da bei einem zu niedrigen Gewicht die Organe gefährdet sind. Die Gewichtskontrolle darf nicht von Therapeut*innen oder den Eltern übernommen werden. Eine Aufnahme in eine Gruppentherapie ist nur mit einem sehr stabilen Body-Mass-Index angebracht, da mit zu niedrigem Gewicht u. a. eine deutliche Einengung auf sozialer Kompetenzebene vorhanden ist.
Therapiebausteine »Inzwischen ist hinreichend bekannt und erforscht, wie sehr Behandlungserfolge in Therapie und Beratung von vergangenen und aktuellen Beziehungserfahrungen geprägt sind. […] Professionelle in Therapie wie Beratung sind daher aktiv gefordert, eine emotional tragende, bindungs- und begegnungsorientierte, vertrauensvolle und ›nachnährende‹ Beziehung auszugestalten, auf deren Basis sowohl Exploration als auch (Weiter-)Entwicklung sozialer Einbettung ermöglicht wird« (Gahleitner, 2018, S. 132). Vor dem Hintergrund dieser umsichtigen therapeutischen Grundhaltung kann eine gendersensible Perspektive auf den integrativ-therapeutischen Behandlungsablauf vermittelt werden (Schigl, 2013). Zunächst geht es durch Klärung der Motivation (S. 205) darum, das Symptom zu akzeptieren und über den ersten Weg der Heilung (Bewusstseinsarbeit, Einsicht) ein Verständnis für die Essprobleme zu entwickeln. Eine Veränderung des Selbstund Lebenskonzepts kann durch die Arbeit an den Gefühlen und Bedürfnissen (z. B. Wunsch nach Zuneigung, Abgrenzung, Anerkennung, Eigenständigkeit) erwirkt werden (S. 203). Dadurch greift auch eine Änderung der Einstellung gegenüber dem Essen, und es können neue Wege der Bedürfnisbefriedigung und Konfliktlösung gefunden werden. Das Übungsfeld dafür ist die therapeutische Beziehung und/oder die Therapiegruppe. Der Blick auf die Therapiethemen und die Phänomene sollte immer ressourcenorientiert gesetzt werden (S. 203). Rückschläge gehören zum Prozess der Genesung und können Hinweise auf noch fehlende Puzzleteile geben (S. 204). 230
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Alle vorgestellten Techniken bzw. Therapieangebote der nachfolgenden Auswahl häufig erprobter und zielführender therapeutischer Interventionen und kreativer Methoden in der Begleitung der Patient*innen mit Essstörungen können im einzelund gruppentherapeutischen Behandlungssetting eingesetzt werden. Anti-Diät-Ansatz und Set-Point-Theorie. Zu Beginn jeder Therapie sollten die Patient*innen im Sinne der Psychoedukation über den Anti-Diät-Ansatz von Orbach (1978/2008) informiert werden, der sehr eindrücklich und nachvollziehbar erklärt, dass Diäten (egal welcher Form) keine geeignete Methode zur Gewichtsregulation sind. Ergänzend dazu zeigt die Set-Point-Theorie, dass jeder Mensch ein individuelles, biologisch festgelegtes Körpergewicht hat, mit dem er sich gut und vital fühlt. Keys, Brožek, Henschel, Mickelsen und Taylor (1950) stellten mit einer Studie an 36 psychisch und physisch gesunden jungen Männern fest, dass ein Unterschreiten des Set-Point-Gewichts eine Störung des Hunger- und Sättigungsgefühls bewirken kann. Häufig werden Symptome einer Anorexia oder/und Bulimia nervosa ausgelöst. Grundsätzlich besteht zwischen der täglichen Kalorienaufnahme und dem Körpergewicht kein direkter Zusammenhang, da sich der Körper rund um seinen Set Point stabilisiert und reguliert. Lebenspanorama. Die Lebenspanoramatechnik von Petzold (Petzold, Wolf, Landgrebe, Josič u. Steffan, 2000, S. 486; vgl. bereits Petzold u. Lückel, 1985, S. 475–478) ermöglicht Patient*innen, ihre Lebensgeschichte mit bildnerischen oder symbolischen Mitteln darzustellen. So entsteht eine Überschau über ihr Leben. Die Patient*innen erhalten eine Einstimmung: Sie sollen Jahr um Jahr zurückzählen bis zum Tag ihrer Geburt und dann noch einmal neun Monate bis zum Punkt ihrer Zeugung. Anschließend werden die Patient*innen eingeladen, die Geschehnisse ihres Lebens wie in einem Panorama vom Anfang bis zur Geburt und darüber hinaus zu zeichnen. So werden Kontext und Kontinuum des persönlichen Lebens plastisch. »Die ›Struktur des Lebens‹ wird zugänglich, wie ein Text, der durchdrungen und als Ganzes erfaßt wird« (Petzold u. Lückel, 1985, S. 476). Eine solche Aufsicht auf das Leben aus »involvierter Distanz« (S. 476) bzw. »betroffener Distanz« (S. 485) hat therapeutisch eine hohe veränderungswirksame Kraft (vgl. auch Petzold u. Orth, 1993). Das Lebenspanorama ist nicht nur eine autobiografische Technik. Es wird in den therapeutischen Diskurs gestellt und zum Gegenstand von Ko-respondenzprozessen in der therapeutischen Beziehung, die den Prozess der individuellen Sinnfindung anregen, bereichern und vertiefen können. Panoramen können auch mithilfe von Symbolen und einer Filzschnur erarbeitet und aufgelegt werden. Die Filzschnur steht stellvertretend für die Lebenslinie und eine Auswahl an Symbolen für Lebensereignisse, Erinnerungen und Atmosphären (Abbildung 1). Arbeit mit Stofftieren und anderen Symbolen. Frewer (2004) entwickelte unter Mitarbeit von Sieper und Petzold eine integrativ-therapeutische Methode mit Stofftieren als kreatives Medium, die sich als hochwirksam herausstellte. Der Ablauf wird mit Beispielen aus der Praxis verknüpft. Kreative Medien bei Essstörungen
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Abbildung 1: Lebenspanorama mit Symbolen (Foto: Pasch)
◼ Identifikation des Stofftiers mit der Symptomatik. Die Patient*innen suchen sich ein Stofftier stellvertretend für ihre Essstörung aus und setzen sich mit dem Tier auseinander. Passende Fragen könnten sein: Welche Eigenschaften symbolisiert das Tier für mich? Welche Eigenschaften verbinde ich mit dem gewählten Tier? Welche Gefühle löst es in mir aus? Was mag ich? Was mag ich nicht? Wo kann es mir nutzen? Das Tier darf sich dann aus der Ich-Perspektive vorstellen, z. B.: »Ich bin ein Pinguin, ich kann unglaublich gut schwimmen, aber an Land bin ich nicht so schnell« (Binge Eating). »Ich bin eine Zecke, ich sauge K. die Energie aus« (Ano rexia). »Ich bin eine Spinne. Ich komme total überraschend und verschwinde dann wieder. Ich habe viel Ärger in mir« (Anorexia). ◼ Finden eines Gegentiers. Es soll ein weiteres Tier gefunden werden, das ganz konträr zum ersten Tier sein kann. Vielleicht symbolisiert es Leichtigkeit, Lebendigkeit oder Heiterkeit. Auch das Gegentier darf sich aus der Ich-Perspektive vorstellen, z. B.: »Ich bin ein Hase. Ich bin sehr flauschig und weich. Ich bin sprunghaft, oft auch nett zu beobachten« (Binge Eating). »Ich bin eine Blaumeise. Ich bin frei und muss mir nicht ständig Gedanken machen« (Anorexia). »Ich bin ein Chamäleon. Ich bin nicht so weich wie andere Tiere. Manchmal bin ich schwer einzuschätzen. Ich liebe Wärme« (Bulimia). Die Tiere können auch mit nach Hause gegeben werden. So entstehen für die Patient*innen Möglichkeiten, immer wieder mit den Tieren in Kontakt zu treten oder innere Dialoge zu führen. ◼ Schreiben und Vorlesen einer Geschichte. Wir stellen uns vor, dass die Tiere einander begegnen. Beide Tiere sind in der Geschichte die Hauptfiguren. Was würden sie miteinander machen? Worüber würden sie sprechen oder sich austauschen? Die Geschichten werden vorgelesen und bieten gute Resonanzmöglichkeiten für weitere Gespräche. Als Beispiel soll ein rührender Dialog einer zwanzigjährigen Patientin mit Pica-Syndrom zitiert werden. Hier wurden keine Stofftiere verwen232
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det, sondern andere Symbole: ein blaues Chiffontuch als Symbol für Lebensfreude und Lebendigkeit sowie ein Glitzerstein stellvertretend für das Pica-Syndrom. Bei der Golden Gate Bridge Tuch: »Hallo, Entschuldigung, können Sie ein Foto von mir machen?« Stein: »Aber ja, kein Problem.« Tuch: »Danke. Soll ich von Ihnen auch eines machen?« Stein: »Nein, nein, nicht nötig.« Tuch: »Ist alles in Ordnung?« Stein: »Aber ja, ich war nur gerade in Gedanken versunken.« Tuch: »Gute Gedanken?« Stein: »Na ja, wie man es nimmt. Ich habe überlegt, wenn diese Gitter nicht wären … oder allgemein, wie würde es sich anfühlen, hier oder aus einer Höhe herunterzufallen.« Tuch: »Hmmm, schon mal Bungee-Jumping probiert? Ist sicher das Gleiche.« Stein: »Nein. Ich war Gleitschirmfliegen, das war toll, das war Freiheit.« Tuch: »Hatten Sie keine Angst vor’m Absturz?« Stein: »Anfangs ja, aber wie der Start geglückt ist und wir über den Wald geflogen sind, das war unglaublich.« Tuch: »Das klingt schön, und warum wollen Sie springen?« Stein: »Oh nein, das will ich nicht. Ich frage mich nur oft nach dem Sinn des Stresses, des Herumgehetzes, der negativen Emotionen, aber ich würde nicht springen. Ich überlege nur, wie sich der freie Fall anfühlt. Wie mein Umfeld reagieren würde, ob mich jemand vermisst. Ich bin ein Stein, ich werde oft irgendwohin geworfen, aber freiwillig, willentlich wo runterfallen kann ich nicht.« Tuch: »Nun ja, ich bin ein Tuch, ich mache auch nur das, was der Wind will.« Stein: »Und warum sollte ich dann ein Foto machen, wenn Sie nicht freiwillig hier sind?« Tuch: »Nur weil mich der Wind hierher geweht hat, heißt das ja noch lange nicht, dass ich die Aussicht nicht genießen kann.« Collage. Die Patient*innen können Frauen- und Modezeitschriften durchblättern und Bilder ausschneiden. Aufgabe ist es, eine Collage zu gestalten und sich folgende Fragen zu stellen: Welche Models gefallen mir? Wie möchte ich aussehen? Welche Körperteile finde ich schön? Eine Reflexion des eigenen Schönheitsideals und ein Austausch darüber sind über eine solche Collage sehr gut möglich. Sichtbar wird dabei auch, was uns die Medien vorgaukeln. An dieser Stelle kann über Bildbearbeitung, Schönheitsdruck, Rollenbilder und Influencer*innen gesprochen werden. Kreative Medien bei Essstörungen
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Identität. Die Grundvoraussetzung für ein Gefühl der Identität sind soziale Aner kennung und Zugehörigkeit. Im Zusammenhang von Pluralisierungs-, Individualisierungs- und Entstandardisierungsprozessen ist das Repertoire an Identitätsmustern nicht mehr aktuell (Keupp, 1997/2009, S. 34). Daher ist es in der psychotherapeutischen Behandlung immer hilfreich, Räume zu öffnen, wo ein Erkunden, Erfassen und Festigen der eigenen Identität möglich sind. Einen möglichen Zugang zur Darstellung der eigenen Persönlichkeit bietet das Angebot, ein Tattoo oder, wenn es in der Vorstellung angenehmer ist, einen Bodypainting-Entwurf zu zeichnen (Abbildung 2).
Abbildung 2: Entwürfe einer Patientin (13 Jahre) für ein Tattoo
Selbstwert. Um die Stützen des Selbstwertgefühls zu bearbeiten, können folgende Fragen gestellt werden: Wodurch fühlst du dich wohl in deiner Haut? Welche Menschen, Orte, Aktivitäten, Erfahrungen und Gefühle stärken dein Selbstwertgefühl? Benenne sie so konkret wie möglich und zeichne Bausteine für die Themenkreise. Die Welt um uns herum beeinflusst uns, und daher ist es sinnvoll, dass wir uns besser fühlen, je mehr wir uns mit Dingen und Menschen umgeben, die uns anregen, inspirieren und dafür sorgen, dass wir uns rundum wohlfühlen. Das Blatt, auf dem die Antworten notiert werden, kann mit nach Hause gegeben werden, damit sich die Patient*innen in schwierigen Phasen an die eigene robuste Wand aus Energie- und Inspirationsquellen erinnern können (Dove, o. J.).
Mit Bewusstsein der Risiken Die ambulante therapeutische Behandlung der Patient*innen mit Essstörungen erfor dert die Zusammenarbeit mit Ärzt*innen zur somatischen Abklärung und Begleitung. Ein Body-Mass-Index unter 14 muss als lebensgefährlich angesehen werden! Mit der Frage der Therapiemotivation (oft werden Mädchen von den Eltern geschickt) kön234
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nen Widerstände sichtbar werden. Diese gilt es wahrzunehmen und zu schmelzen. Sollte der Widerstand zu groß sein, kann sich der Behandlungsbeginn auch zeitlich verschieben. Komorbiditäten sind häufig, daher treten bei Symptomreduzierung oft andere Suchterkrankungen in den Vordergrund. Kontraindiziert sind für anorektische Patient*innen therapeutische Methoden wie BodyChart und Atemübungen (zu stark tiefend), teilweise auch Essenstagebücher oder Ernährungsberatung. Ein moderates Sportprogramm ist empfehlenswert, allerdings ist bei einem zu niedrigen Gewicht Bettruhe notwendig! Eine gute Empfehlung für adipöse Patient*innen ist regelmäßiges Schwimmen, da es die Gelenke schont. Bei geplanten operativen Eingriffen wie Magen-Bypass sollte die eigene Haltung zu chirurgischen Maßnahmen gut reflektiert werden. »Ein wichtiges Zeichen von Fortschritt ist das Eingehen neuer Freundschaften« (Bruch, 1978/2010, S. 171): Mitten in der akuten Krankheitsphase sind Patient*innen mit Essstörungen sehr isoliert und mit sich selbst befasst. Mit Besserung des Zustands entfaltet sich ein stärkeres Interesse an warmherzigen, zärtlichen und menschlichen Beziehungen. Möge auch der therapeutische Resonanzraum ein wohlwollender, solidarischer, gastlicher, empathischer, unterstützender und verlässlicher – eben ein ko-respondierender – sein.
Das Wichtigste in Kürze Nach präziser Diagnostik der Störungsbilder der Patient*innen mit Essstörungen sollte in therapeutischen Behandlungen genau überlegt werden, welche kreativen Medien angeboten werden bzw. zum Einsatz kommen. Eine bunte Mischung aus Symbolarbeit, Schreib- und/oder Malangeboten, Panoramatechniken oder Collagen ist indiziert.
Ausschlusskriterien Nicht zu empfehlen sind kreative Techniken, die zu viel emotionale Tiefung evozieren, wenn z. B. der Body-Mass-Index bei Menschen mit Anorexia nervosa noch nicht auf einem stabilen Level ist.
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Angelika Jobst, Markus Böckle und Cornelia Cubasch-König
Traumafolgestörungen und kreative Medien Bei der Behandlung von Traumafolgestörungen können kreative Medien unterschiedliche Funktionen erfüllen, z. B., das Unaussprechliche nonverbal auszudrücken oder durch sichere Orte zu verbalisieren und kreativ umzusetzen. Der Einsatz kreativer Methoden kann in unterschiedlichen Phasen angedacht werden: bei dem anfänglichen Beziehungsaufbau oder der Ressourcenarbeit bzw. als tie fende und evozierende Intervention nach ausreichender Stabilisierung. Zentrale Voraussetzungen für die Anwendung sind die Etablierung einer unterstützenden therapeutischen Beziehung und die Schaffung von ausreichend Sicherheit sowie eine klare Indikation für den Einsatz kreativer Methoden, um eine förderliche Wirkung der Intervention zu unterstützen.
Einführung Eine Vielfalt an psychischen, oft chronifizierten Erkrankungen kann als Folge von traumatisierenden Ereignissen betrachtet werden. Diese (komplexen) Traumafolgestörungen stellen diagnostisch wie auch therapeutisch eine Herausforderung dar. Als »Traumata« (altgriechisch für Wunden, Verletzungen) werden von der World Health Organization (WHO) extrem bedrohliche oder entsetzliche Ereignisse wie physische und psychische Gewalt, Folter und Krieg genannt (WHO, 2019). Petzold (2004) definiert Trauma als eine »extreme Stimulierungssituation […], die für den Organismus bzw. das ›personale System‹ [und] die Persönlichkeit [eine] derart existenzbedrohende, ohnmächtig machende, überwältigende und überlastende Wirkung hat (Hyperstress), dass sie zu bleibenden Strukturschäden führen kann (z. B. durch einen übersteuernden Generalisierungseffekt, aufgrund dessen etwa alle Kontaktsituationen als existenzbedrohend eingestuft werden« (S. 29). Zudem entwickeln sich komplexe Traumafolgen sehr häufig auf dem Hintergrund negativer, defizitärer Beziehungs- und Bindungserfahrungen (Heller u. LaPierre, 2012/2020, bes. S. 330–382; Gahleitner, Hintenberger u. Pammer, 2022, S. 12–14). 239
Nicht alle Traumata haben automatisch Traumfolgestörungen zur Folge, sondern können auch symptomlos verlaufen oder zu weniger krankheitswertigen Symptomen führen, wenn ausreichende Resilienzfaktoren vorhanden sind (Kleim u. Kalisch, 2018). Die Bewältigung eines belastenden Ereignisses kann im positiven Sinn auch zur Entwicklung von Resilienz und »Überwindungserfahrungen« führen (Petzold u. Josić, 2003, S. 3). Letztlich können auch die pathologischen Folgen einer Traumatisierung als protektive Überlebens- und Verarbeitungsstrategien verstanden werden.
Diagnostik Als eine der häufigsten psychischen Störungen in Verbindung mit Traumatisierung wird die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) definiert, in den derzeit geläufigen diagnostischen Manualen ICD-10, ICD-11 und DSM-5 unterschiedlich. Laut der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten der WHO ICD-10 entsteht eine PTBS (Code F43.1) aufgrund von kürzer oder länger andauernden belastenden Ereignissen mit bedrohlichem oder katastrophalem Ausmaß (AMA, 2014). Als Risikofaktoren für die Entstehung werden bestimmte Persönlichkeitszüge und neurotische Erkrankungen genannt. Auftretende Symptome sind u. a. sich aufdrängende Erinnerungen, Albträume, dissoziative Zustände, soziale Gleichgültigkeit und Apathie sowie Vermeidung von trauma-ähnlichen Situationen. Dabei können hypo- wie auch hyperaktive Erregungszustände auftreten, wobei Erstere oft mit depressiven Symptomen assoziiert sind und Letztere mit Angst und Panik. Diese Symptome treten im Zeitraum von wenigen Wochen bis hin zu mehreren Monaten nach den potenziell traumatischen Ereignissen auf. Dabei können komplette Remissionen, wechselnde Verläufe und bei langer Dauer chronische Verläufe mit Veränderung der Persönlichkeit entstehen (AMA, 2014). In der neueren Fassung ICD-11 wird die PTBS (Code 6B40) zu den stressausgelösten Störungen gezählt, wie den anhaltenden Trauerstörungen (Code 6B42) und Anpassungsstörungen (Code 6B43), und von einer Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (KPTBS; Code 6B41) unterschieden (WHO, 2019). Reaktionen auf die bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisse sind bei der PTBS (1) gegenwärtiges Wiedererleben durch Rückblenden und Träume mit starken Emotionen und körperlichen Empfindungen (vgl. Levine, 2010/2021, 2015/2016), (2) Vermeidungsverhalten von potenziell retraumatisierenden Situationen und (3) erhöhter Wachsamkeit (AMA, 2014). Eine KPTBS entsteht laut ICD-11 nach einem oder mehreren extrem bedrohlichen oder schrecklichen Erlebnissen, denen man beinahe oder tatsächlich nicht entkommen konnte. Es müssen alle diagnostischen Voraussetzungen für eine PTBS erfüllt 240
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sein und zusätzlich Einschränkungen bei der Affektregulierung, erhöhte Scham, Schuld oder Versagensgefühle und Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung von Beziehungen auftreten (WHO, 2019). Aus humanistischer Sicht wird jedoch die Verarbeitung von traumatischen Ereignissen als »gesunde« Reaktion auf extreme Situationen des Körpers und/oder Seele definiert (Felitti, 2002). Laut Bonanno (2021, S. 68 f.) entwickeln aufgrund einer gut ausgebildeten Resilienz etwa 62 bis 73 Prozent der Personen, die ein traumatisches Erlebnis erfahren haben, einen milden Verlauf. Eine starke Ausprägung von PTBSSymptomen nach den ersten Monaten mit einer kompletten Genesung nach ein bis zwei Jahren tritt bei etwa 7 Prozent der Personen auf. Die seltenere, jedoch stärkste Symptomatik dauert über Jahre an und kann die Lebensqualität und -fähigkeit stark beeinflussen. Die intensive Überstimulierung, wie sie z. B. bei Gewalt, Missbrauch, Unfällen, Folter vorkommt, aber auch die Qualitäten der Unterstimulierung, wie z. B. das NichtVerfügbar-Sein oder Isoliert-Sein, kann zu Überlastung und damit zur Dysregulation des autonomen Nervensystems führen. Die Folgen dieser Dysregulation des sympathischen Nervensystems sind Kampf- und Fluchtreaktionen des betroffenen Menschen, die Überstimulierungsfolgen des parasympathischen Nervensystems führen zum Abschalten und zur Dissoziation (vgl. van der Kolk, 2014/2021; Heller u. LaPierre, 2012/2020, S. 386 f.). Gelingt es nicht oder nur unzureichend, die unmittelbaren (primären) Folgen der Traumatisierung (z. B. Angst oder Flashbacks) zu verarbeiten, entwickeln sich als kompensatorische Antworten sekundäre Traumafolgestörungen (Sack u. Gromes, 2020, S. 19–21, S. 38). Traumafolgestörungen sind mit einer Vielzahl von komorbiden Krankheitsbildern (z. B. Angststörungen, Suchterkrankungen, Depressionen) verbunden. Zudem können u. a. chronische Suizidalität, Selbstverletzung oder Schwierigkeiten bei der Affekt- und Selbstregulation, eine Einschränkung der Beziehungsfähigkeit und der sozialen Kompetenzen sowie sozialer Rückzug auftreten.
Therapeutische Behandlung mit kreativen Medien Im Fokus einer Behandlung stehen die Stärkung des Individuums und die Folgen, die sich aufgrund der traumatischen Erfahrung entwickelt haben. Patient*innen wenden sich mit enormem Leidensdruck aufgrund der in der Gegenwart erlebten quälenden Symptomatik an die Psychotherapie. Die vielfältigen und komplexen Folgen von Traumatisierung können durch das Schaffen von Sicherheit, Ressourcenaktivierung, Stabilisierung, schonende Trauma- und Konfliktbearbeitung und Integration in den Lebensalltag gelindert und verändert werden (Butollo u. Karl, 2014/2022, S. 98 f.; Sack u. Gromes, 2020; Gahleitner et al., 2022, S. 31–35). Traumafolgestörungen und kreative Medien
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Wichtige Aspekte bei der Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen sind u. a. das Verständnis für die Angstdynamik, deren Trigger sowie Vermeidungs- bzw. Generalisierungsfolgen und für das Modell der gestörten Informationsverarbeitung (Sack u. Gromes, 2020, S. 23–27; van der Kolk, 2014/2021, S. 222–241). Die Integrative Therapie bietet durch das spezielle diagnostische und gleichzeitig interventive Vorgehen sowie die je spezifische Beziehungsgestaltung gute Behandlungsstrategien. Angestrebt wird dabei eine möglichst umfassende Form der Wahrnehmung der anderen Person; Zeugenschaft, Parteilichkeit und die Würdigung des Erlebten fließen in das therapeutische Beziehungsangebot ein und schaffen einen ersten Boden für Vertrauen und Sicherheit. Ausgangspunkt für jede traumaorientierte psychotherapeutische Begleitung ist ein haltgebendes psychotherapeutisches Behandlungssetting (vgl. den Beitrag »Die therapeutische Beziehung in der Arbeit mit kreativen Medien« von Pammer u. Gahleitner in diesem Buch). Eine offene, konviviale bindungsorientierte Beziehungsgestaltung mit klaren Absprachen über Therapieziele und Vorgangsweisen zwischen Patient*in und Therapeut*in (Informed Consent) wirkt stressreduzierend und schafft einen zunehmend sicheren Begegnungsraum. Ein respektvoller Raum, in dem sich Patient*innen und Therapeut*innen auf größtmöglicher Augenhöhe begegnen, in dem sich Patient*innen als wertvoll erleben und beide gemeinsam und aufeinander bezogen nach verstehensfördernden Antworten suchen, stellt die Grundlage dar für die behutsame intersubjektive Arbeit. Die empathische therapeutische Beziehung, die Halt und Sicherheit vermittelt, steht damit als eine korrigierende Beziehungserfahrung stets im Mittelpunkt. Die integrative Diagnostik orientiert sich am biopsychosozialen, biografie- und lebensweltorientierten Modell der Integrativen Therapie (Gahleitner, Hintenberger, Kreiner u. Jobst, 2014). Bei ausreichender Stabilität kann eine erste biografische Orientierung und Benennung der biografischen Zusammenhänge theragnostisch erfasst werden. Dafür eignet sich z. B. eine Lebenslinie, auf der symbolisch die Trauma- und Ressourcenstationen festgehalten werden. Der Exploration bisheriger Bewältigungsstrategien und vorhandener oder vergangener Ressourcen kommt im integrativen Behandlungsansatz große Bedeutung zu. Das bildnerisch dargestellte Ressourcenpanorama hilft dabei, Ressourcen bewusst werden zu lassen und zu aktivieren. Die aktuelle Lebenswelt und die gegenwärtige Symptomatik können über die Darstellung der Säulen der Identität oder des Sozialen Atoms nachvollzogen werden (S. 142). Als erster Schritt sollten Patient*innen durch das transparente, haltgebende Setting, durch die Mobilisierung von neuen und alten Ressourcen und durch das Erarbeiten unterschiedlicher Stabilisierungstools wieder mehr innere und äußere Sicherheit gewinnen (z. B. durch den völligen Verzicht auf einen wie immer gearteten Täterkontakt). Danach wird es möglich, die Probleme und die aus dem traumatischen Erleben resultierenden Erfahrungen zunehmend zu bearbeiten. Grundlegende Faktoren 242
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für eine Erweiterung des emotionalen Stresstoleranzfensters sind die Erfahrung von Selbstwirksamkeit durch Übungen der Symptom- und Emotionsregulation, die Förderung eines guten Gegenwartsbezugs, ein Zuwachs an Selbstwahrnehmung, die Auseinandersetzung mit wichtigen Gefühlen wie Angst, Scham, Trauer, Schuld, Wut und weiteren Emotionen sowie die Förderung von Affektregulation und Selbstberuhigung (Ogden, Minton u. Pain, 2006/2010, bes. S. 283–318). Durch eine schonende konfrontative Behandlungstechnik wird versucht, die Belastung so zu dosieren, dass die Stresstoleranz der Patient*innen vor und während der Bearbeitung der traumatischen Erinnerung verbessert bzw. erhalten werden kann. Kreative Medien bieten vielfältige Möglichkeiten für die therapeutische Begleitung von Menschen mit Traumafolgestörungen. Sie sind oftmals die Brücke zum sprachlosen Raum, zu den unsagbaren Erlebnissen, und sie bieten Ausgangspunkte für kreative Entwicklungen und heilsame Prozesse. Beim Einsatz von kreativen Medien in der Behandlung von Patient*innen mit traumatischen Erlebnissen sollten evozierende und tiefende Interventionen erst nach ausreichender Stabilisierung und mit Indikation angewendet werden, um potenzielle Retraumatisierungen und Überflutungen zu vermeiden. Die nachfolgenden Fallvignetten geben dazu einen exemplarischen Eindruck. Fallbeispiel 1. Frau M. stammt aus einer Arbeiterfamilie und ist die erste Frau in der Familie, die studiert. Um sich ihr Studium zu finanzieren, arbeitet sie nebenbei und ist oft unter Druck, alles »unter einen Hut zu bringen«. Nach einer langjährigen Leidensgeschichte und vielen Arztbesuchen kommt sie zur Psychotherapie, als »letzte Hoffnung«, wie sie meint. Denn ihre Hände zittern seit ihrer Kindheit, und es ist nicht klar, woher das kommt. Ihre Verzweiflung ist groß, da sich die Störung auf ihre berufliche wie private Situation sehr belastend auswirkt. Ob sie nun entspannt oder im Stress ist: ihre Hände fangen an zu zittern. Sie ist eine junge Frau, die versucht, es allen recht zu machen. Schon früh hat sie gelernt, sich um andere zu kümmern, vor allem um ihre Eltern, die sehr häufig im Konflikt miteinander standen und zwischen denen sie als Vermittlerin wirkte. Der Jähzorn des Vaters und die Depression mit immer wiederkehrenden suizidalen Gedanken der Mutter beeinträchtigten die Patientin sehr. Sie ist ein fröhlicher und freundlicher Mensch, vielleicht etwas schüchtern und manchmal ängstlich. In der Anfangsphase der Therapie identifiziert sich Frau M. in einer Übung mit ihrem Zittern und sagt: »Ich bin schwarz, dick und eklig und komme dann, wenn es am wenigsten passt.« Dabei lacht sie verlegen. Es ergibt noch keinen Sinn, und das Verständnis dafür fehlt. Der Sinn erschließt sich erst einige Stunden später, als sie von einem Traum erzählt, der seit ihrer Kindheit immer wiederkehrt. Die Therapeutin lädt Traumafolgestörungen und kreative Medien
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sie ein, den Traum mit Ölkreiden auf ein Flipchart-Papier zu malen. Dabei entsteht ein Bild von »ihrem Elternhaus. Es ist dunkel. Krieg bricht aus, ein Hubschrauber kreist über dem Haus. Bomben fallen in den Garten. Ein Krater bleibt zurück. Alle laufen weg, wollen sich verstecken.« Angst und Stress verbreiten sich. In der Explorationsphase spricht sie zum ersten Mal vom sexuellen Missbrauch durch ihren Bruder. Sie war sechs Jahre alt, ihr Bruder acht Jahre älter. Dabei weint sie heftig, es schüttelt sie, ihr ganzer Körper zittert. Nach dieser Eröffnung findet die Patientin im weiteren Verlauf der Therapie allmählich zu ihren Gefühlen der Wut, des Ekels und der Scham und traut sich, diese Gefühle auch zu benennen. In der Technik der »Gefühlssterne« (Baer, 2007/2018) drückt sie verschiedene positive wie negative Gefühle in Farben aus. »Ich bin wütend, was ES mit mir gemacht hat, was mir passiert ist.« Sie erzählt, dass Wut in ihrer Familie nie möglich war, und sie entwickelt in der Therapie das innere Bild eines »Wut-Gorillas«, der sie unterstützt, diese Gefühle zuzulassen. Diese Vorstellung gefällt ihr, und sie nimmt das Kraftbild in ihr Leben mit. Es geht darum, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und »ernst zu nehmen«. Das übt sie zunehmend in ihrer Familie, in der Partnerschaft und am Arbeitsplatz. Das Zittern lässt nach, und gegen Ende der Therapie ist es bereits über viele Wochen verschwunden. Sie meint, »das ist ein ganz neues Lebensgefühl«. Es fällt ihr nach wie vor schwer, über ihren sexuellen Missbrauch zu sprechen, aber sie hat gelernt, damit zu leben und sich nicht mehr durch die Folgen des Traumas bestimmen zu lassen. Der Weg des Bewusstwerdens, des Durcharbeitens und der Neuorientierung ermöglicht ihr einen neuen Umgang mit ihrem Schmerz und den Ursachen dahinter. Er muss sich nicht mehr über Träume oder über ein Zittern des Körpers zeigen. Sie lernt, ihr Umfeld und ihr Leben neu zu gestalten, schafft, sich dort zu öffnen, wo sie sich sicher fühlt, und für sich und ihre Grenzen zu sorgen. Fallbeispiel 2. Frau S. ist eine 35-jährige Frau. Sie leidet unter vielen Symptomen wie Phobien, Suchtverhalten, diversen Zwängen und großen Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen. Frau S. ist eine ängstliche Frau, die sich anderen Menschen kaum nähern kann und ein großes Bedürfnis nach Kontrolle hat. Der Beginn der Therapie mit Frau S. war geprägt von einer langen, schwierigen Phase des Beziehungsaufbaus und des Ringens um Vertrauen. Frau S. wollte zu Beginn der Therapie nicht auf biografisches Material eingehen, ihr Fokus lag bei den Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Durch die Anregung der Therapeutin, schwierige Situationen in einen dicken Rahmen hineinzuschreiben und diese so begrenzten Alltagserfahrungen mit in die 244
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Therapiestunde zu nehmen, entdeckte Frau S. das Schreiben generell als Ressource für sich und fand in weiterer Folge über das Verfassen von Gedichten eine Ausdrucksebene für ihr inneres Erleben. Einige der Gedichte hatten biografische Fragmente zum Inhalt, und so wurde zunehmend deutlicher, dass Frau S. seit frühester Kindheit Vernachlässigung, Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt war. Nach einer längeren Phase der Förderung der Selbstwahrnehmung, der Entwicklung von Selbstberuhigungsstrategien und dem Verstehen von Zusammenhängen in aktuellen Konfliktsituationen wuchs bei Frau S. die Bereitschaft, sich in einer schonenden Form mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Dazu entwickelte Frau S. mit ihrer Therapeutin eine kreative Vorgangsweise, die sich über viele Sitzungen zog. Mithilfe der Bildschirmtechnik legte Frau S. die bedeutungsvollsten traumatischen Erfahrungen ihres Lebens in Form von Überschriften fest. Dabei arbeitete sie vier besonders schwerwiegende Lebensstationen heraus: unversorgt als Kind, sexuell missbraucht vom Großvater, obdachlos, gewalttätige Beziehung. Zu jeder der vier Lebensstationen wurde im Sinne von Reddemann (2021, bes. S. 167 f.) ein jüngeres Ich mit all seinen Stärken, Vorlieben, Verletzungen und Schmerzen imaginiert. In einem langen und langsamen Prozess imaginierte und formte Frau S. jedes jüngere verletzte Ich aus einer gut aushärtenden Modelliermasse sowie unterstützende und beschützende Wesen. So kam ein intensiver, oft sehr schmerzvoller Prozess des bewussten Sich-Hinwendens zu den traumatisierenden Erfahrungen in Gang. Details der einzelnen Situationen wurden nur genauer exploriert, falls sie notwendig waren. Der Schwerpunkt lag auf der Hinwendung zu den betroffenen jüngeren Anteilen, dem Würdigen und Verstehen ihres Schmerzes und der liebevollen und schutzgebenden Versorgung durch die Wesen, die Frau S. ihren jüngeren Ichs zur Seite stellte. So formte sie über viele Stunden vier neue Szenen quasi als Gegengewicht zu den traumatisierenden Erfahrungen ihres Lebens. Die entstandenen verletzten und beschützenden Figuren begleiten Frau S. auch nach abgeschlossener Therapie und sind in krisenhaften Situationen immer wieder hilfreich. Die beiden Fallbeispiele skizzieren das breite Spektrum der Möglichkeiten des Einsatzes kreativer Medien bei der schonenden Bearbeitung von Traumafolgestörungen. Kreative Medien unterstützen das behutsame Herantasten und Explorieren von Phänomenen, das Bewusstwerden der dahinter liegenden traumatischen Erfahrungen, die Auseinandersetzung mit schwierigen Gefühlen, das Entdecken neuer Ressourcen, die Begrenzung und Distanzierung beim Umgang mit traumatischen Inhalten, die Zuwendung zu sich selbst und die Selbstfürsorge. Traumafolgestörungen und kreative Medien
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Das Wichtigste in Kürze Voraussetzung für den Einsatz von kreativen Medien bei Traumafolgestörungen sind ◼ ein haltgebendes psychotherapeutisches Behandlungssetting sowie ◼ ausreichende Stabilisierung und entsprechende Indikation, um evozierende und tiefende Interventionen setzen zu können. Kreative Medien können in allen Bereichen der Behandlung von Traumafolgestörungen hilfreich sein: ◼ bei der Ressourcenaktivierung und Stabilisierung (z. B. durch Imagination und bildnerischen Ausdruck von Kraft, Sicherheit, Selbstwirksamkeit, Beruhigung), ◼ bei der schonenden Trauma- und Konfliktbearbeitung (z. B. durch bildnerischen und/oder bibliotherapeutischen Ausdruck von Erlebtem, Emotionen, Nachversorgung der traumatisierten Anteile), ◼ bei der Integration und Neuorientierung (z. B. durch den bildnerischen Ausdruck von Zukunftsbildern, durch Gedichte, die die Trauerarbeit unterstützen). Kreative Medien, wie hier beschrieben, eignen sich nicht bei ◼ akuter Suizidalität, ◼ schweren Persönlichkeitsstörungen, ◼ akuter Substanzabhängigkeit, ◼ psychotischen Störungen.
Literaturtipps zum Weiterlesen Gahleitner, S. B., Hintenberger, G., Pammer, B. (Hrsg.) (2022). Humanistische Traumatherapie in der Praxis. Biografische Verletzungen verstehen und therapeutisch beantworten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Rost, C., Overkamp, B. (2018). Selbsthilfe bei posttraumatischen Symptomen. Übungen für Körper, Geist und Seele (Reihe: Aktive Lebensgestaltung – Stabilisierungsübungen). Paderborn: Junfermann. Sack, M., Gromes, B. (2020). Schonende Traumatherapie. Ressourcenorientierte Behandlung von Traumafolgestörungen (2., überarb. Aufl.). Stuttgart: Schattauer.
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Traumafolgestörungen und kreative Medien
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Angelika Jobst, Markus Böckle und Cornelia Cubasch-König
Christian Wiesner
Somatische Belastungsstörungen: Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen von Pathos und Response Ausdruck und Darstellung im Organum der Über-Malung
Der Beitrag eröffnet ein Zurückfragen auf das Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen von Pathos und Response wie auch auf den Ausdruck und die Darstellung als Momente des Organums der Über-Malung. Wie kann ein tieferes Verständnis von Somatischen Belastungsstörungen gelingen? Immanuel Kant würde diese Frage nach dem Wie an den Anfang aller Überlegungen zu diesem Störungsbild stellen. Der Beitrag verweist bei der Klärung des somatischen Störungsbilds daher auf die Unschärfen des Erkennens und auf ungünstige Interventionen und Impulse durch die begleitende Therapie. Aufgrund der Einführung von Relationsmomenten nach dem Modell der Dreigliedrigkeit von Karl Bühler kann jedoch Grundlegendes für das Störungsbild aufgezeigt werden. Das jeweils Grundlegende lässt sich im Sinne der Übereinstimmung ebenso in den Ideen von Jacques Lacan, Emmanuel Levinas und Bernhard Waldenfels (wieder-)finden. Um die pathischen Stimulierungskonstellationen und die Phänomene multipler Entfremdung zu erkennen, wird zwischen dem Ausdruck und der Darstellung, dem Pathos und der Response, dem Sagenden und dem Gesagten unterschieden. Diese Momente tragen maßgeblich zur Klärung somatischer Störungen bei und eröffnen Interventionen und Impulse. Als kreatives Medium wird dazu das Organum der Über-Malung als kreatives Medium sowohl für die Diagnose als auch für korrigierende Momente des Erlebens, Erfahrens und Denkens angeboten und vorgestellt.
Einführung Wie kann ein tieferes Verständnis von Somatischen Belastungsstörungen gelingen? Immanuel Kant würde gerade die Frage nach dem Wie an den Anfang aller Über legungen stellen. Der Beitrag versucht zunächst das somatische Störungsbild zu klären und führt danach das Modell der Dreigliedrigkeit von Karl Bühler (1934/1978, 249
S. 12–78) ein. Die Ideen des Modells sind auch bei Jacques Lacan und Emmanuel Levinas (wieder) zu finden, indem vom Sagen und Gesagten (frz. dire und dit), von Mit-Teilen und Mit-Teilung gesprochen wird. Das Gesagte (frz. réponse oder engl. reply) als Gedachtes strebt nach einer Antwortlichkeit, um das Betroffensein zu klären. Das Sagen entstammt hingegen den Gemütsbewegungen, den Vorstellungen und Widerfahrnissen und drückt das Getroffensein aus. Beide Momente tragen maßgeblich zur Klärung somatischer Störungen bei. Als kreatives Medium wird darauf aufbauend das Organum der Über-Malung als kreatives Medium sowohl für die Diagnose als auch korrigierende Momente des Erlebens und Denkens vorgestellt.
Somatische Belastungsstörungen Somatische Belastungen, Beschwerden und Störungen betreffen gemäß der Fachliteratur mindestens zehn Prozent der Allgemeinbevölkerung und sind über die gesamte Lebensspanne verteilt (Hilderink, Collard, Rosmalen u. Oude Voshaar, 2013). Nach den Diagnosekriterien der ICD-10 und des DSM-IV liegt die Prävalenz für mindestens eine somatische Störung, die in der Primärversorgung erkannt wird, bei rund 26 bis 35 Prozent (Haller, Cramer, Lauche u. Dobos, 2015, S. 286). Diese Werte entsprechen auch den Einschätzungen von Böckle, Liegl, Leitner und Pieh (2014), die in der Sekundärversorgung sogar eine Prävalenzzahl von 30 bis 70 Prozent anführen (S. 384). Grundsätzlich ist bei den somatischen Belastungen von einer Reihe von Störungen auszugehen, die zwischen (inter-) der Psyche (Seele als Träger der Erlebnisse) und der Somatik (Körper als Träger der Erlebnisse), also als »Psycho ↔ Somatik« (Bohus u. Kapfhammer, 2012, S. 1399) bestehen und darüber hinaus (trans-) die Leiblichkeit hemmen, also das Lebendigsein des beseelten Körpers. Die Arten, Lokalisationen und Schweregrade der Somatischen Belastungsstörungen sind bei den Patient*innen höchst variabel und können als starr wie auch wechselhaft beschrieben werden (Harris, Orav, Bates u. Barsky, 2009). Daher erscheint es schwierig, der Vielfalt der somatischen Störungsbilder gerecht zu werden. Charakteristisch ist für die somatischen Störungen nach DSM-IV und ICD-10, dass selbst nach umfassender und mehrmaliger medizinischer Abklärung meist keine organischen Ursachen feststellbar und Belastungen körperlich nicht begründbar sind. Gerade im Sinne der ICD-10 wird auf das Bestehen einer meist langen und komplizierten Patient*innenkarriere hingewiesen, da die Beschwerden wenigstens schon seit zwei Jahren auftreten sollen (F45.0). Auch kurz dauernde und weniger auffallende Phänomene können in der ICD-10 aktuell noch als undifferenzierte Somatisierungsstörung (F45.1) erfasst werden. Daneben stehen noch weitere Ausdifferenzierungen zur Verfügung, die in den hausärztlichen Praxen angewendete Klassifizierung ist jedoch meist die nicht näher bezeichnete soma250
Christian Wiesner
toforme Störung (F45.9). Die in der ICD-10 genannten somatoformen Störungen (F45) sind also sowohl als spezifisches Krankheitsbild mit mehreren Ausprägungen als auch nur in einem Unterkapitel vorzufinden (Dilling u. Freyberger, 2019). Die Kriterien in der ICD-10 werden jedoch einerseits u. a. wegen Inkonsistenzen, begrenzter Validität sowie Nichterfassen des Schweregrads kritisiert (Schaefert, Roenneberg, Sattel, Henningsen u. Hausteiner-Wiehle, 2021). Andererseits liegt in der ICD-10 auch eine erhebliche Uneindeutigkeit durch Überschneidungen mit anderen Störungsbildern vor, wie z. B. mit den dissoziativen Störungen motorischer bzw. sensorischer Funktionen- bzw. Konversionsstörungen (F44.4-7) und der Neurasthenie (F48.0). Dadurch wird das Diagnostizieren als Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen erschwert, nach einer Studie von Gaebel und Kolleg*innen (2020) liegt der Prozentsatz der korrekten Diagnosen von somatischen Störungen nach der ICD-10 bei von Expert*innen erstellten Fallvignetten nur bei rund 38 Prozent. Meist werden viele Klassifikationen additiv diagnostiziert, die sich sowohl widersprechen als auch kein Relationsganzes ergeben. Zugleich wird die Therapie von Patient*innen mit Somatischen Belastungsstörungen mit Empfindungen wie Verunsicherung, Ärger oder Angst verbunden (Rosendal et al., 2005). Die Behandlung von somatischen Patient*innen wird um rund 43 Prozent als belastender erlebt als von sogenannten durchschnittlichen Patient*innen (Böckle et al., 2014, S. 386). Erwähnenswert ist bei Somatischen Belastungsstörungen ebenso, dass gerade das Nähren von Krankheitsbefürchtungen und die stetige Bestätigung des Krankseins wie auch ungünstige Interventionen zu einem Aufrechterhalten von Beschwerden und Belastungen führen, wodurch eine Chronifizierung der Somatisierung entstehen kann (Hausteiner-Wiehle u. Henningsen, 2020; Schaefert et al., 2021). Die Klassifikationen der somatischen Störungen wurden daher nicht nur kritisch hinterfragt, vielmehr führte die Kritik zu Veränderungen im DSM-5 und in der ICD-11, um die Diagnose weiter zu schärfen. Gerade durch die Idee der Psycho ↔ Somatik wurden nach Hausteiner-Wiehle, Roenneberg, Sattel und Henningsen (2021) die Grenzen von bestehenden Klassifikationen sichtbar. Nunmehr zählt seit 2013 im DSM-5, ob Patient*innen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zeigen, die maladaptiv, belastend und schädigend sind (Falkai et al., 2018). Die somatischen Beschwerden sind als Warn-, Kommunikations- und Entlastungsfunktion zu betrachten und gelten als prinzipiell reversibel. Diese grundlegende Revidierung im DSM-5 gegenüber dem DSM-IV hat auch den Begriff somatoform verschwinden lassen. Die Somatisierungsstörungen und die undifferenzierten somatoformen Störungen wurden als somatic symptom disorder (SSD) zusammenfasst. Auch die ICD-11 beschritt mit der bodily distress disorder (BDD) diesen neuen, zusammenfassenden Weg, zugleich erhielten die Somatischen Belastungsstörungen (deutsch: SBS) eine Bestimmung des Schweregrads (mild, moderat, schwer), der mit Bezug auf das Alltagserleben und die Lebenswelt erfolgt (WHO, o. J.). Somatische Belastungsstörungen: Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen von Pathos und Response
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Die Beschwerden, Belastungen und Schmerzen werden nun selbst zu Störungen. In der ICD-11 ist die hohe Verunsicherung und Sicherheitssuche im Sinne der Hypochondrie nun bei den erweiterten Zwangsstörungen (als 6B23) zu finden. Eine Nähe besteht auch zu Ängstlichkeit (MB24.3), Furcht (MB24.A) und Sorge (MB24.H), also den »signs involving mood or affect« (MB24), sowie zur Panikattacke (MB23.H) als »signs involving appearance or behaviour« (MB23). Gerade das Verständnis von Anzeichen (signs) und von Komorbiditäten wurde geschärft. Das Präfix Ko- im genannten Wort drückt nicht ein Hinzukommen oder ein additives Nebeneinander, sondern vielmehr ein Mit- Einander aus, das oft in der Diagnostik wie auch von den Patient*innen nur als ein Additives betrachtet wird. Daher fassen Dunphy, Penna und El-Kafsi (2019) das Dilemma der Diagnostik und der unterschiedlichen Klassifizierungen wie folgt zusammen: »A common feature of these patients is that they often undergo an extensive, repeated and poorly justified diagnostic work-up, sometimes magnified by ›doctor shopping‹ in the constant search for different medical opinions« (S. 3). Gefragt sind daher dynamischere Modelle, die integrativer an die Psycho ↔ Somatik herangehen, den jeweiligen Schweregrad berücksichtigen und Komorbidität nicht als additives Zuordnen verstehen. In der Therapie sind dabei die Reversibilität von somatischen Belastungen, die Ressourcenaktivierung und das Aufzeigen von Potenzialen durch lösungsorientierte Sprachbilder zu betonen. Weniger hervorzuheben sind in der talking cure und im talk treatment hingegen die Deutungen von Krankheitsursachen, vor allem um eine Chronifizierung des Krankseins zu vermeiden (Burton, Fink, Henningsen, Löwe u. Rief, 2020; Sharpe, 2016; Sharpe u. Greco, 2019). Bedeutsam erscheint, die Sprache und das Miteinander-Dialogisieren als induzierende Technik und Wirkfaktor reflexiv mitzudenken (Marx et al., 2021, S. 46), vor allem dann, wenn scheinbar durch kreative Medien, Musik oder Bewegung das Sprachliche zunächst nicht adressiert wird und doch durch den Dialog über das Geschaffene und das Geschehene erneut hervortritt.
Sinnbezüge in den Somatischen Belastungsstörungen Die bisherigen Ausführungen zeigen einerseits die reichhaltigen Möglichkeiten auf, somatischen Störungsbildern diagnostisch durch vielfältige Klassifikationen doch unterschiedlich zu begegnen, und verweisen andererseits darauf, dass die korrekte Diagnose wie auch die Therapieerfolge innerhalb des Krankheitsbilds im Durchschnitt eher mäßig erscheinen. Daher werden andere Konzepte oder ergänzende Theorien zum Verständnis wie auch zur Behandlung sowie für die Forschung eingefordert (Kleinstäuber, Witthöft u. Hiller, 2011). Eine Grundrahmung zur Klärung von somatischen Belastungen bietet das »Organon-Modell« von Bühler (1934/1978, 252
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S. 12–78), das nicht die traditionellen Klassifikationen aufgreift und dennoch eine Grundlegung eröffnet. Das phänomenologisch und zeichentheoretisch fundierte Modell über das Mitteilen und die Mitteilungen, also über das Sagen und das Gesagte, bestimmt drei weitgehend unabhängige Sinnbezüge, die in vermischter Form auftreten, jedoch erkenntnistheoretisch ein Relationsganzes bilden (vgl. Abbildung 1). Die im DSM-5 geforderte diagnostische Beachtung der Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen als Merkmale wie auch zur Bestimmung der SSB und SBS stehen in direkter Verbindung zum Organon-Modell: Beim Diagnostizieren können die Gedanken als Darstellung (Responsivität, Antwortbarkeit), die Gefühle, Emotionen, Vorstellungen als Ausdruck (Pathos) und die Verhaltensweisen als Auslösung (Benehmen) betrachtet werden. Daraus konstituiert sich eine sagende »Ichgetragenheit der Erlebnisse« (Bühler, 1927, S. 101) sowie eine jeweils spezifische Positionalität, aus der heraus die eigenen Darstellungen gesagt werden (Wiesner, 2022a). In der Mitte des Bühler’schen Organon-Modells steht das Zeichen als Oberbegriff für die Dreigliedrigkeit von Zeichen (signs). Die drei Momente Ausdruck (Symptomisierung), Darstellung (Symbolisierung) und Auslösung (Signalisierung) gestalten die Mehrseitigkeit von somatischen Belastungen. Mit diesem Blick verweist die Symptomisierung auf das pathische Sagen, also das (Er-)Kennen der eigenen EmotioOrganon-Modell zur Differenzierung und Integration des Gesagten und Sagenden pathische Stimulierungskonstellationen
Phänomene multipler Entfremdung tro ffe nse Ge Da in dac rs Re htes tell spo un un nse d G g : G eda esa nk gte en s
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Z apperzeptive Ergänzung (Überschuss von etwas)
Signal
abstraktive Relevanz (Mangel von etwas)
Auslösung Verhalten, Benehmen
Abbildung 1: Die Idee des Organon-Modells zur Differenzierung und Integration des Gesagten und Sagenden (Z = Zeichen; eigene Darstellung, in Anlehnung an Bühler, 1934/1978, S. 12–78)
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nen, Gefühle und Gemütsbewegungen. Die Symbolisierung der Gedanken als Gesagtes meint hingegen den kognitiven Stil und die Antwortfähigkeit. Die Signalisierung lässt wiederum eine Beurteilung des Pathischen wie auch der Antwortbarkeit auf das äußere oder innere Verhalten der Patient*innen zu. Alle drei Sinnbezüge sind in einen situationalen und kulturellen Kontext wie auch ins jeweilige Kontinuum eingebettet. Durch das Modell wird ein tieferes Verständnis für somatische Belastungen und Beschwerden theoretisch ermöglicht und das Verstehen praktisch anwendbar. Alle Patient*innen sind zugleich die eigenen Empfänger*innen des eigenen Ausdrucks und der eigenen Darstellung. Die abstraktive Relevanz besagt, dass alles Gesagte und Sagende im Grunde immer auch eine Reduktion auf das Relevante, Reduzierte oder Abstrakte erfährt, es bleibt immer etwas offen, was noch entdeckt werden kann, als Mangel vorliegt oder entleert wurde. Zugleich erfährt jedes Gesagte und Sagende auch eine apperzeptive Ergänzung, also immer eine Erweiterung im Sinne einer Auslegung, Interpretation, Deutung und Übersetzung, es kommt immer etwas im Sinne des Überflusses bereichernd hinzu. Gerade die Erweiterung sowie die Reduktion formt jedes konkrete Gedachte, Emotionale, Gefühlte sowie Verhalten und Handeln der Patient*innen. In diesem Sinne ist bei Somatischen Belastungsstörungen auch die Komorbidität zu verstehen, die Belastungen sind ein Relationsganzes und nicht als ein additives Zusammengesetztes misszuverstehen. Diese Sicht entspricht der Komplexität von Somatischen Belastungsstörungen und wird dem Störungsbild gerecht.
Ausdruck, Sagen und Pathos Wofür steht nun der Ausdruck in den Somatischen Belastungsstörungen? Das Pathische als Sagen ist der »Fundus des Ausdrucks« (Waldenfels, 2019, S. 221), womit die Gemütsbewegungen und das Getroffensein gemeint sind. Gleichwohl in jedem Sagen auch stets ein Moment des Darstellenden, also des Gesagten steckt (Waldenfels, 2017). Das griechische Wort »Pathos« meint etymologisch im weiten Sinne das passive Leiden, das resistente Erleiden und den Emotions- und Gefühlsausdruck als Gemütsbewegungen (Pfeifer, 1995, S. 981). Damit wird vor allem die affektive und erlebnisbezogene Differenzierungsarbeit hervorgehoben und die Thymopraktik neben der sprachlichen Psychotherapie betont. Das Ziel dabei ist, das Spüren und Empfinden der Emotionen, Gefühle, Passionen, Stimmungen wie auch das Lebensgefühl dem Selbst eigenleiblich und differenziert in der Vorstellung zugänglich werden zu lassen, damit diese vom Ich stimmig erlebt werden können (Petzold, 1995, S. 244). Ebenso ist der Begriff vom Pathos mit Bezug zur Pathologie zu klären, da die Pathologie das
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Sagen ohne Gesagtes meint und auf die Antwortlosigkeit, die Antwortblockaden und auf den verzerrten und verfremdeten Ausdruck abzielt. Als Beispiel für das Phänomen des Ausdrucks bei den Somatischen Belastungsstörungen kann u. a. mit Bezug auf Bohus und Kolleg*innen (2019, bes. S. 672 f.), Fiedler (2000/2003, bes. S. 34–54, S. 114–271), Plener und Kolleg*innen (2018, S. 25 f.) und Wagner, Henz und Kilian (2016, bes. S. 34–61) auf Patient*innen verwiesen werden, die sich durch das Empfinden von innerer Leere, Einsamkeit, Depressivität, Verlangen nach Aufmerksamkeit und durch ein Übermaß am Pathischen beschreiben lassen. Die daraus entstehende Antwortlosigkeit beherbergt den Ausdruck von histrionischen Persönlichkeitszügen. Das Gesagte ist geprägt von Flüchtigkeit, Diffusität und Ungenauigkeit und kann als wolkiges Denken auch bei der Beschreibung der somatischen Belastungen bezeichnet werden. Das Handeln deutet auf einen Mangel an Authentizität und auf eine hohe, oft unpassende Außenorientierung hin. Ein extrovertierter wie auch ein dramatisierender Ausdruck sind häufig im somatischen Belastungsausdruck vorherrschend, wodurch insgesamt ein verzerrtes und verfremdetes Pathos sichtbar werden kann. Zugleich scheinen die Patient*innen nicht in ihrer eigenen Biografie verwurzelt zu sein, zeigen übertriebenes Verhalten, dabei kann das Erleben auf sie einstürmen, und sie können durch das Erlebnis affektiv mitgerissen werden. Das Wahrhaftige und wirklich Sinngestaltende ist kreativ, jedoch strukturierend zu fördern, psychosomatisch können im Sinne der Bühler’schen Auslösung u. a. Schwindel, Lähmungen und Gangstörungen auftreten. Das wesentliche Moment sind der Aufbau und die Stabilisierung des Selbstwerts und des Selbstkonzepts durch stimmige Selbstbeobachtungen sowie eine gedanklich nachvollziehbare und damit emanzipativ-klärende Biografiearbeit. Emotionen sind zu differenzieren und zu regulieren, ebenso sollten die Patient*innen lernen, sich nur auf ein Thema und das Konkrete einzulassen, um sowohl Details als auch Tiefe im Selbst und im Ich wahrnehmen zu können. Auch das Erkennen- und Unterscheiden-Können von Gedachtem und Empfinden führt zu einem stimmigen Bewerten-Können und somit zu Stabilisierungen. Aus der Perspektive des Pathischen sind auch Patient*innen mit somatischen Belastungen und Persönlichkeitszügen in Richtung emotionaler Instabilität und Borderline verortet. Auch hier kann der Mangel am Selbstverstehen und das Klagen als Pathos der Suche nach Antworten gegenübergestellt werden. Gerade die deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Bezugnahme zu möglichen Konsequenzen aus dem Pathischen heraus zu handeln, die emotionalen Krisen sowie die unbeständigen wie auch unberechenbaren Stimmungen verweisen auf eine Antwortlosigkeit, dem Sagen steht das Gesagte kaum zur Verfügung. Antworten benötigen aber eine gelungene Distanz zu den begleitenden Emotionen und Gefühlen, damit Antwortblockaden, die aus dem Pathischen heraus entstehen, Stück für Stück durch Selbst-fürSorge und durch eine innere Achtsamkeit eine Ich-Stabilisierung als Antworten eröffSomatische Belastungsstörungen: Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen von Pathos und Response
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nen und Regulationen des Pathischen gefunden werden können. Grundsätzlich kann in dieser Ausrichtung auch ein selbstverletzendes und -schädigendes Verhalten durch Schneiden, Ritzen oder Verbrennen als dysfunktionale Bewältigung im Sinne der Auslösung und somit als Psycho ↔ Somatik auftreten. Das pathische Getroffensein strebt also im Grunde beim Gesundwerden und Gesundbleiben nach einem regulierbaren, kognitiven Betroffensein, was als gelingendes Antworten auf das Pathische verstanden werden will und als stimmiger, kognitiver Stil bezeichnet wird. Somatischen Belastungsstörungen als Erfahrungen werden mit Bezug auf Waldenfels (2019, S. 229) im Modus von Pathos ohne Response (Sagen, Ausdruck) erlebt. Die Fähigkeit für eine stimmige Antwortlichkeit entfällt, die Distanz zum Erleben ist regulativ weniger bzw. kaum möglich. Das Erfahren kreist beim Ausdruck sprunghaft, schwankend, launisch, auch passiv, unbestimmbar, manchmal expressiv und ahnungsvoll um das volle, überfüllte, entleerte oder konfluente Ich- und Selbst- Erleben. Oftmals kann gerade durch das Konfluente als pathische Verschmelzungserfahrung die Unterscheidung nicht mehr getroffen werden zwischen dem, was Hauptsache ist und was Nebensache. Als Ressource kann das vitale Ich durch eine stimmige, kontextsensible Antwortbarkeit gefördert und damit Stück um Stück aufgebaut werden. Grundsätzlich kommt es mit Bezug zu Waldenfels (2017, S. 13) zu einem »Überschuß des Sagens« im Sinne der Bühler’schen Ergänzung, u. a. wird dadurch die Tendenz der unangemessenen Offenlegungen oder des unpassenden Geselligkeitsausdrucks begreifbar. Ebenso chaotische Empfindungen, das Wechselhafte, Widersprüchliche und Bedrohliche als Überschuss, wie auch das Instabile, Hilflose und die entwaffnende Passivität können beim Sagen ohne Gesagtes in den Vordergrund rücken. Gerade deshalb sind die Ich- und Selbststabilisierung durch passende Antwortbarkeit und das Übernehmen von Selbstverantwortlichkeit wesentlich.
Darstellung, Gesagtes und Response Was meint die Darstellung in den Somatischen Belastungsstörungen? In den Vordergrund rücken hier die Symbolisierungen, also das Gedachte wird zum Gesagten, woraus das Grübeln, Bewerten und Abwerten wie auch das Regelhafte, Kontrollsuchende und Zwängliche als Antworten entstehen können. Das Gedankenfassen ist der grund legende Fundus des Darstellenden. Was dabei zu kurz kommen kann, sind die Gemütsbewegungen, das Pathische, der Ausdruck des Leiblichen, die Arrangements der Szenen sowie die »Anziehungskraft und Verführungskraft der Ideen« (Waldenfels, 2017, S. 13). Als Beispiel für das Phänomen der Darstellung als Gesagtes und u. a. mit Bezug auf Bohus und Kolleg*innen (2019, S. 644–648), Fiedler (2000/2003, S. 34–54, S. 114–271), Plener und Kolleg*innen (2018, S. 25 f.) sowie Wagner und Kolleg*innen (2016, bes. 256
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S. 49–61) können Patient*innen mit einer Ausrichtung auf vermeidend-ängstliche, selbstunsichere Persönlichkeitszüge genannt werden, da diese häufig Somatische Belastungsstörungen, Beschwerden und Erschöpfungszustände durch Entfremdungsphänomene aufweisen. Die Angst vor Kritik, sozialer Ablehnung und Zurückweisung formt als Antwort einen sozialen Rückzug als eine Form des aktiven und bewussten Vermeidens von Beziehungen und ein beeinträchtigtes Selbstwertgefühl durch das Denken von Selbstabwertungen und durch ein Denken in Unzulänglichkeiten. Zugleich gibt es eine hohe Sensitivität für Geringschätzung, Dehumanisierungserfahrung, Beschämung und Demütigung. Dadurch können chronische Anspannung und umfassende Besorgtheit als ein Sich-Sorgen-Machen und Grübeln auftreten. Als Antwort liegen ein starkes Misstrauen und eine Distanzierung gegenüber Menschen vor, dabei können vielerlei Formen von sozialer Ablehnung erdacht werden, was sowohl zu einer eingeschränkten Beziehungsfähigkeit als auch zu eingeengten Aktivitäten führt. Der mangelnde Ausdruck der Emotionen und Gefühle und der Überfluss der Antwortfähigkeit kann in Tagträume münden, die gemeinsamen Dialoge sind oft ausdrucksleer und stockend. Auch hier kann durch eine starke Selbstkritik und Selbstabwertung ein selbstverletzendes Verhalten als direkte und repetitive Schädigung durch Schneiden, Ritzen oder Verbrennen stattfinden. Gerade die hohe Sensitivität fördert soziale Stressoren, wie auch der Ausschluss von sozialen Gruppen ein selbstverletzendes und selbstabwertendes Verhalten auslösen kann, was durch die Erkenntnisse aus den Studien zur Dehumanisierung (Überblick: Haslam, 2006; Wiesner, 2022b) bestätigt wird. In der Therapie ist gerade die Selbstexploration durch die bestehende Selbstkritik erschwert. Dennoch sind der Aufbau und die Stabilisierung von psychosozialen Kompetenzen, die Arbeit an Potenzialen gegenüber dem bestehenden negativen Selbstbild und das Erleben von Empfindungen im Heute, Hier und Jetzt wesentlich, um eine Balance zwischen Gedachtem, Genuss, Erleben und Leiden zu schaffen. Eine andere umfassende Antwort stellt das Andauernde und Ordnungsliebende dar, das oftmals pedantisch bis ins Detail sein kann und sich nach den zwänglichen Persönlichkeitszügen ausrichtet. Das Zwischenmenschliche kann als eher kühl und reserviert beschrieben werden, was zu einer Vereinsamung führt. Das Gesagte führt zu Antworten, die Normen, Regeln und Konventionen betonen, daraus kann sich ein Perfektionismus ebenso entwickeln wie auch eine hohe Anfälligkeit gegenüber Veränderungen sowie Belohnungen. Der kognitive Stil des Zwänglichen etabliert wie bei der vermeidend-ängstlichen Persönlichkeit eine Versachlichung und Rationalisierung, also eine Entleerung des Pathischen. Gerade beim Zwänglichen stehen in der Behandlung die somatischen Belastungen und Beschwerden als Störungen im Vordergrund, dabei wird ein medizinisches Erklärungsmodell von den Patient*innen bevorzugt und die Möglichkeit einer psychischen Erkrankung meist als sehr beunruhigend erlebt. Rationale und logisch nachvollziehbare Argumente in Bezug zu den Somatische Belastungsstörungen: Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen von Pathos und Response
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Belastungen und Beschwerden werden vorgezogen, es kommt im Therapieprozess vor allem dann zu Schwierigkeiten, wenn das eigene Pathische wahr-genommen werden soll. Daher ist es sinnvoll, zunächst lange und detaillierte Rationalisierungen zu ermöglichen, um Ein-Sichten in den eigenen Ausdruck langsam zu eröffnen. Im Zentrum steht therapeutisch die Relativierung von Normen, Moral(en) und Regeln, aufbauend darauf kann achtsam das pathische Erleben gefördert werden. Wesentlich erscheint, dass das Zurücknehmen von Verdinglichung, Normorientierungen und Verregelungen zugunsten einer differenzierten Emotionswahrnehmung immer durch die Patient*innen selbst erfolgt. Daher sind Normorientierungen nicht zu früh in der Therapie zu thematisieren, um möglichst wenig Verunsicherungen in die aktuelle Sicherheit der bestehenden Antwortfähigkeit zu bringen. Somatische Belastungsstörungen sind nach Waldenfels (2019, S. 229) im Modus von »Response ohne Pathos« (Gesagtem) verstehbar, dabei wirken auf die Patient*innen das eigene Grübeln und die eigenen selbstabwertenden Gedanken als verzerrtes Antworten ein. Das pathische Erleben wird möglichst vermieden, das Gesagte möglichst vom Pathischen entleert. Das Wahrnehmen kreist von den Gemütsbewegungen distanzierend, oftmals einsam, narzisstisch, isolierend und zwänglich, einzelgängerisch bis autistisch um sich selbst. Die Antworten verfestigen sich oftmals zu Stereotypen, die auf Vorrat angelegt und gleichsam eingefroren sind. Das verzerrte und verfremdete Gesagte führt als Phänomen zu einer Ausdruckslosigkeit oder zu Ausdrucksblockaden. Der Überschuss des Gesagten führt zum Grübeln als exzessive Gedanken und zu einem negativen oder mit dem Zwänglichen behafteten Selbstbild. Überlegenswert erscheint hierbei, ob die bestehende Idee der Pathologie als Lehre vom Sagen ohne Gesagtes eine weitere -logie zur Gleichgewichtsverlagerung benötigt, die sich dem Verstehen des Gesagten ohne Sagen widmet, dadurch würde sich die Aufmerksamkeit im Diagnostizieren verschieben (Wiesner, 2020).
Das Organum der Über-Malung Die vorgestellten Überlegungen führten zur Idee eines Organum der Über-Malung als kreativem Medium der Diagnostik, das ich in meiner Tätigkeit auf einer Station für internistische Psychosomatik für die wöchentliche kreative Gruppenarbeit entwickelte. Das Organum der Über-Malung hat verschiedene Quellen: Die Inspiration und Hauptfundierung liegt bei den Gedanken, Interviews und Selbstzeugnissen von Arnulf Rainer (1964/1987, 1973/1987, 2010) zu seinen Werken. Für eine Über-Malung wird therapeutisch mindestens eine Doppeleinheit benötigt: Die Grundidee ist, dass ein anwesendes Bild neuerlich und »unmittelbar darauf« (Stichwort »Über«; Pfeifer, 1995, S. 1480) übermalt wird: In einem ersten Schritt beginnt 258
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das Malen des Leidens- und Krankheitsbilds, das die Entwicklung und Bedeutung des Vergangenen zusammenfassen soll und auf das Gegenwärtige wie auch Retrospektive ausgerichtet ist. Die möglichst nicht direktive Anleitung dazu lautet, in rund einer halben Stunde das eigene Leidensbild u. a. mit Wachsmalkreiden, Wasserfarben zu malen und das Gemalte zu erzählen. Der zweite Schritt ist das Über- und Drüber-Malen über das Leidens- und Krankheitsbild, also das Malen eines Hoffnungs- und Zukunftsbilds. Das Malen des Hoffnungsbilds über das Leidensbild wird den Patient*innen erst nach der Fertigstellung und dem Dialog darüber mitgeteilt. Die zeitliche Länge des Malens bestimmen die Therapeut*innen je nach Kontext und Situation, jedoch sollte dem Hoffnungsbild beim Malen spürbar mehr Zeit gegenüber dem Leidensbild gewidmet werden. Das Über-Malen ermöglicht es, den »Zugang zu Zukunftsvisionen zu gewinnen« (Petzold u. Orth, 1993/1996, S. 153) und ein Hoffnungsbild zu kreieren, ohne das Darunterliegende, also das Leid und die Belastungen, zu verlieren. Das Leiden wird in das Hoffnungsbild integriert. Das Darunterliegende wird nach Rainer (1964/1987, S. 38; 1973/1987, S. 39–41) zur Voraussetzung für die Überdeckung, also ein Teil der Hinzumalung, Ausmalung und Zumalung. Das Über- meint ein Umgestalten und betont die für die Psycho ↔ Somatik notwendige Idee des Veränderlichen. Gerade der »Verlust des Zukunftshorizonts« (S. 153) führt zu Leid, Krisen und Kranksein, weshalb das Zukünftige mit dem Gegenwärtigen und Vergangenen durch die Über-Malung in einem Bild hoffnungsvoll verbunden wird. Hoffnungsbilder schaffen Prospektionen, und diese sind nach Hilarion G. Petzold und Ilse Orth (1993/1996) »Versuche, Künftiges suchend zu erfassen und gleichzeitig visionär zu gestalten« (S. 154, unter Bezug auf Petzold, 1988). Das Organum der Über-Malung möchte somit einen Spalt öffnen und offenhalten, wodurch sowohl dem Gesagten als auch dem Sagenden eine neue Färbung oder Tönung durch Neues, Anderes und Fremdes verliehen wird. Das Gemalte wird im dritten Schritt sinnorientiert mit den Patient*innen im Dialog intersubjektiv validiert. Waldenfels (2017, S. 34) fasst erste Fragen dazu wie folgt zusammen: »Was ist dieses oder jenes?« und »Was meinst du damit?«, um bei den somatischen Belastungen das »vielfach Zerstreute durch Zusammenschau in eine Form überzuführen« (Platon, 2019, S. 58). Gerade die Frage: »Was erleben wir, wenn wir denken?« von Bühler (1907, S. 303) führt zu spezifischen Klärungen, nämlich ob für die Patient*innen »die Zustände des Wissens und des Empfindens unabhängig voneinander sind oder nicht« (S. 361) und ob diese integrierbar sind. Die Über-Malung eröffnet die Fragestellungen der integrativen therapeutischen Diagnostik und der therapeutischen Archäologie im Sinne von Osten (2019, S. 267): »(1) Woher kommt dieser Mensch? (2) Was ›hat‹ er oder sie? (3) Woher kommt das? (4) Welche Stärken sind trotz allem da? (5) Was ist zu tun?« sowie als Ergänzung durch die Über-Malung: (6) Wovon ist dieser Mensch getroffen, und worauf antwortet dieSomatische Belastungsstörungen: Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen von Pathos und Response
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ser Mensch als Betroffener? Gerade die Kontextualisierung, der Blick auf Ressourcen, Potenziale und Prospektionen sind als Gewichtsverschiebung zu bloßen kategorialen Klassifizierungen wesentlich. Jede starre Klassifizierung als Zu-Ordnung ohne das Spüren und Denken des Veränderlichen kann sonst bei den Klassifikationsträger*innen zu leichten bis schweren Formen der Dehumanisierung wie auch zu einer Chronifizierung der somatischen Belastungen führen (Fromm, 1991; Haslam, 2006; Haslam, Kashima, Loughnan, Shi u. Suitner, 2008; Wiesner, 2022b).
Ausblicke nach den Einblicken Die Vorteile des Über-Malens liegen im Betroffensein von und Getroffensein durch das eigene Werk, wodurch ein wirkmächtiges Aufmerken und Bemerken bei den Patient*innen selbst entstehen kann. Malen verbindet im Sinne von Jean Piaget (1947/2015, bes. S. 174 f.) das figurative Vorstellen mit dem operativen Denken, also das Pathische mit der Antwortfähigkeit (Milbrath, 1998, S. 3–45). Die Über-Malung eröffnet in der Diagnose im Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen andere, oftmals noch nicht gewählte Wege des Verstehens. Beim Dialog zur Über-Malung muss daher das Hören nicht auf das Gehörte und das Sehen nicht auf das Gesehene reduziert werden, das Zuhören wird zum Erhören und das Zusehen zum Ersehen. Im Bild wie auch im Dialog darüber können die Sinnbezüge von Bühler erkannt und unterschieden werden. Wie bedeutsam diese Differenzierung für die therapeutische Begleitung und Intervention tatsächlich ist, zeigt der Blick auf das selbstverletzende Verhalten in der Psycho ↔ Somatik, das sowohl im Sagenden wie im Gesagten anzutreffen ist. Die Polarisierung von Sagen und Gesagtem, von Pathos und Response beschreibt Lacan (1953/1973, S. 131–169) eindringlich durch seine Differenzierung von Hysterie und Zwang. Diagnosen sind grundsätzlich auf zwei Wegen zu kreieren: zum einen kann angezeigt werden, was additiv als Zeichen (signs) vorliegt. Zum anderen geht es um die stetige Prüfung und ein Streben um Falsifizierung von demjenigen, was erkannt wurde, also das stetige Infragestellen des Erkannten, Gesagten und Sagenden, um fortlaufend die Sinnbezüge zu klären, die immer eingebettet sind in die Lebenswelt der Patient*innen.
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Das Wichtigste in Kürze Störungsbild und Personengruppe: Somatische Belastungsstörungen Das kreative Medium: Das Leiden- und Krankheitsbild dient in der Über-Malung als anwesendes Bild und aktuell Vorhandenes. Es wird im Prozess der Über-Malung zu dem Darunterliegenden, auf dem ein Hoffnungs- und Zukunftsbild durch Hinzu-Malung, Aus-Malung, Zu-Malung als Über-Malung entsteht und gestaltet wird. Durch das Über-Malen des Leidens- und Krankheitsbilds mit einem Hoffnung- und Zukunftsbild wird eine Integration der Belastungen, Beschwerden und Störungen ermöglicht sowie ein Zugang zu den eigenen, personalen Zukunftsvisionen eröffnet. Die Über-Malung ist indiziert und geeignet ◼ bei psychosomatischen Erkrankungen, ◼ bei pathischen Stimulierungskonstellationen und Störungen (Antwortblockaden und Antwortlosigkeit), ◼ bei responsiven Phänomenen multipler Entfremdung und Störungen (Ausdrucksblockaden und Ausdruckslosigkeit), ◼ zur Anwendung im Einzelsetting und in der Gruppentherapie.
Literaturtipps zum Weiterlesen Osten, P. (2019). Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD). Wien: Facultas. Waldenfels, B. (2019). Erfahrung, die zur Sprache drängt: Studien zur Psychoanalyse und Psychotherapie aus phänomenologischer Sicht. Berlin: Suhrkamp. Wiesner, C. (2021). Das lebendige Geschehen: Die Verortung des Organon-Modells von Karl Bühler für ein gelingendes Mentoring. Erste Skizze zu einer Pädagogik der Kommunikation, Interaktion und Interpunktion. In C. Wiesner, E. Windl, J. Dammerer (Hrsg.), Mentoring als Auftrag zum Dialog. Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrpersonen. Wahrnehmen, wie wir interagieren (Reihe: Pädagogik für Niederösterreich, Bd. 12; S. 381–408). Innsbruck: Studienverlag.
Literatur Böckle, M., Liegl, G., Leitner, A., Pieh, C. (2014). Wie belastend ist die Behandlung von Patienten mit somatoformen Störungen? Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 60 (4), 383–391. https://doi.org/10.13109/zptm.2014.60.4.383 (Zugriff: 17.11.2022). Bohus, M., Kapfhammer, H. P. (2012). Psychosomatik. Der Nervenarzt, 83 (11), 1399–1402. https://doi. org/10.1007/s00115-012-3687-2 (Zugriff: 17.11.2022).
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Christian Wiesner
Anhang
Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Glossar
Bilder Bilder können aus spontanen Reaktionen entstehen, die keine Einleitung brauchen. Dennoch gibt es Themen, die eine genauere Einstimmung und Einleitung brauchen.
Körperbild ◼ Definition: Körperbild als projektiver Ausdruck der eigenen Geschichte und des Bezugs zu sich selbst. Über Körperwahrnehmungen und Empfindungen können leibliche Archive ins Bewusstsein gehoben und erschlossen werden. ◼ Buchkapitel: Jobst: Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie; DeDominicis: Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.
Materialien ◼ Arbeitsinsel: z. B. Polster oder Decke ◼ Papier (zwischen Flipchart-Größe und lebensgroßem Papierbogen), Ölkreiden, Fingerfarben
Exemplarische Anleitung ◼ Richten Sie Ihre Arbeitsinsel ein. ◼ Starten Sie mit der Körpereinstimmung, und führen Sie die Einstimmung so weiter: Lassen Sie alles zurück, was Sie gerade noch beschäftigt hat. Erlauben Sie sich, sich zu räuspern, zu husten oder andere Körperlaute zu äußern. Es gibt nichts zu tun, nichts zu leisten, es gibt keine Erwartungen. Gedanken kommen und gehen, lassen Sie die Gedanken fließen. Wie nehmen Sie gerade Ihren Atem wahr? Vielleicht können Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit und Wahrnehmung beim Atem bleiben. Bevor die Körperwanderung beginnt, beobachten Sie noch einmal Ihre Körperlage, und stellen Sie sich jetzt auf eine Wanderung durch Ihren Körper ein. Nehmen Sie wahr, wie Sie mit Ihrem Körper zu Ihrem Untergrund in Verbindung sind. 267
◼ Nun beginnen Sie mit Ihren Füßen: Wie fühlt es sich dort an? Wandern Sie langsam mit Ihrer Aufmerksamkeit entlang der Beine bis hin zum Becken, zum Bauch, wandern Sie die Wirbelsäule entlang bis zum Brustbereich, den Schultern. Nehmen Sie Ihre Empfindungen wahr, vielleicht stellen sich Bilder ein. Von hier aus spüren Sie Ihre Oberarme und Unterarme und wandern zu Ihren Fingern und Fingerspitzen, von dort wieder zurück zu Hals und Nacken. Wie fühlt es sich dort an, wie nehmen Sie Ihren Hals und Nacken war? Schließlich kommen Sie zu Ihrem Kopf, Ihrem Gesicht, den Augen, der Nase, dem Mund: Wie fühlt es sich hier an? Betrachten Sie innerlich noch einmal Ihren Körper als Ganzes: Welche Gefühle kommen hoch, welche angenehmen Empfindungen und Missempfindungen, welche Bilder, Formen, Farben tauchen auf? Welche Körperregionen sind deutlich, welche bleiben diffus und undeutlich? ◼ Zum Abschluss nehmen Sie Ihre Haut als Grenze zu Ihrem Außen wahr: Wie klar und fest oder dünn und durchlässig ist sie? Wie geht es dem Atem? Atmen Sie noch ein bis drei Mal bewusst durch, und kehren Sie mit der Aufmerksamkeit in den Raum zurück. Nehmen Sie Ihre Malutensilien, und gestalten Sie mit den Farben Ihr Körperbild. Bringen Sie Ihre Wahrnehmungen, Empfindungen auf Ihr Blatt als Ausdruck Ihres Körpers.
Variationen ◼ Body Chart: bei dieser Variante wird der Körperumriss lebensecht auf ein lebensgroßes Blatt Papier gezeichnet, und die Empfindungen, Wahrnehmungen und Eindrücke werden in den Körperumriss gemalt.
Visionsbild ◼ Definition: Beim Visionsbild geht es darum, einen Blick in die Zukunft zu werfen, Wünsche, Sehnsüchte und Ziele zu fokussieren. Der Blick kann auf bestimmte Themen (z. B. Identität, Freundschaft, Beziehung, Beruf) gelegt, aber auch völlig freigelassen werden. Ziel ist, undeutliche oder noch nicht wahrgenommene Bedürfnisse prägnant werden zu lassen. Visionsbilder geben Richtungen vor oder lassen diese entstehen, daraus wiederum können sich möglicherweise Ziele ableiten lassen. ◼ Buchkapitel: Cubasch-König: Das Paar in der Therapie – ein ko-kreativer Prozess.
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Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Materialien ◼ Arbeitsinsel: z. B. Polster oder Decke ◼ Papier, Farben
Exemplarische Anleitung ◼ Richten Sie Ihre Arbeitsinsel ein. ◼ Starten Sie mit der Körpereinstimmung, und führen Sie die Einstimmung so weiter: Stellen Sie sich vor, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Stellen Sie sich selbst in ein bis drei Jahren vor: Was möchten Sie erleben, was geschafft haben, welche Richtung haben Sie dann eingeschlagen, welche Optionen ausgelassen? Lassen Sie ein Bild entstehen. Manchmal entsteht kein Bild auf Anhieb, geben Sie sich die Zeit, bis sich etwas vor Ihrem inneren Auge formt. Wenn Sie so weit sind, bringen Sie dieses Bild konkret, abstrakt zu Papier – wie auch immer es für Sie stimmig ist.
Variationen ◼ Statt mit Malen kann das Visionsbild auch in Form einer Collage gestaltet werden. ◼ Weiterführend können Sie nach der Exploration noch einmal ein neues Bild entstehen lassen, bei dem Teile aus dem vorhandenen Bild vergrößert werden oder als Antwort auf das vorhandene ein neues Bild gemalt oder aber im vorhandenen Bild übermalt und ergänzt wird. ◼ Auch ein intermedialer Quergang als weiterführende Intervention ist möglich. Sie können zum entstandenen Visionsbild einen Text schreiben oder einen konkreten nächsten Schritt als Symbol malen.
Collage ◼ Definition: Bei Collagen kann ganz nach Belieben ein Thema definiert werden (z. B. Leiblichkeit, Identitätserleben, Selbstbild, Visionsbilder). Auch ohne Thema können beim Durchblättern der Zeitschriften die Bilder anregen und in der weiteren Exploration ein Thema generieren. ◼ Buchkapitel: Böckle, Brunner, Cubasch-König und Jobst: Funktion der kreativen Medien; Schumacher-Möth: Kreative Medien in der Gruppenpsychotherapie; Pasch: Kreative Medien bei Essstörungen.
Materialien ◼ Arbeitsinsel: z. B. Polster oder Decke ◼ Papier, Zeitschriften, Magazine, Bilder, Klebstoff, Malutensilien, Stifte Glossar
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Exemplarische Anleitung ◼ Richten Sie Ihre Arbeitsinsel ein. ◼ Blättern Sie die Zeitungen und Zeitschriften durch und lassen Sie sich von Bildern, Worten und Texten ansprechen. Schneiden Sie diese aus und sammeln Sie sie. Gestalten Sie aus diesen einzelnen Teilen Ihre Collage.
Variationen Collagen können auch digital durchgeführt werden, durch Bildschirmfotos, die überlagert und übermalt werden können.
Digitale Medien: siehe »Memes« Einstimmung, Körpereinstimmung ◼ Definition: (Körper-)Einstimmung für die weitere Arbeit mit kreativen Medien, die vor jeder Arbeit mit kreativen Medien eingesetzt werden kann und zur Zentrierung dient. Es geht darum, bei sich anzukommen, den eigenen Körper zu spüren, sich zu entspannen, zu fokussieren und sich dadurch auf die bevorstehende Arbeit mit den kreativen Medien vorzubereiten. ◼ Buchkapitel: Böckle, Brunner, Cubasch-König und Jobst: Funktion der kreativen Medien; Cubasch: Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis; Pasch: Kreative Medien bei Essstörungen.
Materialien Es werden keine Materialien benötigt.
Exemplarische Anleitung ◼ Setzen oder legen Sie sich bequem hin, suchen Sie eine angenehme und entspannte Position. ◼ Jetzt spannen Sie alle Muskeln, den ganzen Körper und auch das Gesicht kräftig an. – Und lassen wieder los, entspannen alle Muskeln. Überlassen Sie sich dem Fluss des Atems. Dann spannen Sie noch einmal alles an und halten, halten – und lassen wieder los. Die Entspannung breitet sich mehr und mehr aus. Einatmen – und beim Ausatmen loslassen. Nehmen Sie wahr, wie Sie gerade liegen oder sitzen, spüren Sie in sich hinein, in Ihren Leib, Ihre inneren Regungen, den Rhythmus, das Pulsieren Ihres Körpers, Ihre Empfindungen und Gefühle. 270
Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
◼ Weiterführende Anregungen können bei den spezifischen Anleitungen im Glossar gefunden werden.
Variationen ◼ Die Einstimmung kann in liegender oder stehender Position durchgeführt werden, mit offenen oder geschlossenen Augen. ◼ Es kann auch eine imaginative Wanderung durch alle Körperregionen erfolgen.
Fünf Säulen der Identität ◼ Definition: Überblick über die gegenwärtige Lebens situation in fünf identitätsstiftenden Bereichen. ◼ Buchkapitel: Böckle, Brunner, CubaschKönig und Jobst: Theoretische Grundlagen der Integrativen Therapie mit kreativen Medien; Böckle, Brunner, Cubasch-König und Jobst: Funktion der kreativen Medien; Leiblichkeit Jobst: Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie; Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle: Traumafolgestörungen und kreative Medien.
Die fünf Säulen der Identität Identität
Soziales Netzwerk
Arbeit Leistung Freizeit
Materielle Sicherheit
Werte
Materialien ◼ Arbeitsinsel: z. B. Polster oder Decke ◼ Papier, Ölkreiden, Buntstifte, Wasserfarben
Exemplarische Anleitung ◼ Pro Säule ist für den Malprozess mit etwa zehn Minuten Dauer zu rechnen. ◼ Leiblichkeit: Teilen Sie nun den fünf Säulen Ihrer Identität entsprechend Ihren Bogen Papier ein. Schließen Sie die Augen, und besinnen Sie sich auf die erste Säule Ihrer Identität, die Säule der Leiblichkeit: Wie nehmen Sie Ihren Körper wahr, wie Ihre Geschlechtlichkeit, sind Sie gesund, oder fühlen Sie sich krank, mögen Sie Ihren Körper? Wie ist diese Säule: stark und kräftig oder eher geschwächt und klein? Lassen Sie Farben und Formen zu dieser Säule vor Ihrem inneren Auge auftauchen, öffnen Sie dann die Augen, und bringen Sie diese Säule zu Papier, als Säule oder als Symbol in Form und Farbe, was immer für Sie passt. Kommen Sie langsam zum Ende, gehen Sie durch den Raum, und suchen Sie sich einen guten Platz für die weitere Einstimmung. Glossar
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◼ Soziales Netzwerk: Schließen Sie wieder die Augen. Stellen Sie sich Ihre zweite Säule vor, die Säule des sozialen Netzwerks: Wie ist Ihr soziales Netz, ist es gefüllt, welche Menschen tauchen auf, welche Menschen sind wichtig, auf wen können Sie sich verlassen, fühlen Sie sich gut eingebunden und gehalten, wie ist die Qualität Ihrer Beziehungen? Wie ist diese Säule beschaffen, ist sie stark und kräftig oder eher geschwächt und klein? Lassen Sie Farben und Formen zu dieser Säule vor Ihrem inneren Auge auftauchen, öffnen Sie dann die Augen, und bringen Sie diese Säule zu Papier, als Säule oder als Symbol in Form und Farbe, was immer für Sie passt. Kommen Sie langsam zum Ende, gehen Sie durch den Raum, und suchen Sie sich einen guten Platz für die weitere Einstimmung. ◼ Arbeit, Leistung, Freizeit: Schließen Sie wieder die Augen. Stellen Sie sich Ihre dritte Säule vor, die Säule der Arbeit, Leistung und Freizeit: Wie erleben Sie Ihre Arbeitsbzw. Ausbildungssituation, Ihre berufliche Situation, erleben Sie sie als sinnvoll? Wie gehen Sie mit Leistung um, wie ist die Balance zwischen Arbeit, Leistung und Freizeit, wie gestalten Sie Ihre Freizeit? Wie ist diese Säule beschaffen: Ist sie stark und kräftig oder eher geschwächt und klein? Lassen Sie Farben und Formen zu dieser Säule vor Ihrem inneren Auge auftauchen, öffnen Sie dann die Augen, und bringen Sie diese Säule zu Papier, als Säule oder als Symbol in Form und Farbe, was immer für Sie passt. Kommen Sie langsam zum Ende, gehen Sie durch den Raum, und suchen Sie sich einen guten Platz für die weitere Einstimmung. ◼ Materielle Sicherheit: Schließen Sie wieder die Augen. Stellen Sie sich Ihre vierte Säule vor, die Säule der materiellen Sicherheit: Wie ist diese Säule aufgestellt? Fühlen Sie sich in Ihrem Leben materiell gut getragen und abgesichert, haben Sie genug Geld für Ihre Grundbedürfnisse und darüber hinaus, oder erleben Sie existenzielle Belastung und Bedrohung? Wie ist diese Säule beschaffen: Ist sie stark und kräftig oder eher geschwächt und klein? Lassen Sie Farben und Formen zu dieser Säule vor Ihrem inneren Auge auftauchen, öffnen Sie dann die Augen, und bringen Sie diese Säule zu Papier, als Säule oder als Symbol in Form und Farbe, was immer für Sie passt. Kommen Sie langsam zum Ende, gehen Sie durch den Raum, und suchen Sie sich einen guten Platz für die weitere Einstimmung. ◼ Werte: Schließen Sie wieder die Augen. Stellen Sie sich Ihre fünfte Säule vor, die Säule der Werte: Was erleben Sie als sinnstiftend in Ihrem Leben, oder sind Sie derzeit auf der Suche nach Sinn, ist Ihnen Sinn abhandengekommen? Was ist Ihnen wichtig, wovon sind Sie überzeugt, welche Werte sind Ihnen wichtig, was bedeutet Ihnen Spiritualität oder Religion? Wie ist diese Säule beschaffen: Ist sie stark und kräftig oder eher geschwächt und klein? Lassen Sie Farben und Formen zu dieser Säule vor Ihrem inneren Auge auftauchen, öffnen Sie dann die Augen, und bringen Sie diese Säule zu Papier, als Säule oder als Symbol in Form und Farbe, was immer für Sie passt. 272
Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Variationen ◼ Diese Form der Anleitung kann sowohl in einer längeren Einheit als auch über mehrere Therapieeinheiten gezogen werden. ◼ Es ist auch möglich, eine gesammelte Einstimmung über alle fünf Säulen zu geben und im Anschluss alle Säulen in einem Malprozess auszudrücken.
Lebenspanorama ◼ Definition: Diese Technik fördert den Ausdruck von bewussten und unbewussten Ereignissen, Szenen, Erfahrungen, Atmosphären, die sich förderlich, hemmend oder störend auf die Lebensspanne ausgewirkt haben und dient als Grundlage für die weitere therapeutische Exploration und Bearbeitung. ◼ Buchkapitel: Jobst: Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie; Cubasch: Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis; Hintenberger und Böckle: Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum; Pasch: Kreative Medien bei Essstörungen.
Materialien ◼ Arbeitsinsel: z. B. Polster oder Decke ◼ Papier: z. B. DIN-A4-Papier, große Tapetenrolle, Flipchart ◼ Farben: z. B. Ölkreiden, Wasserfarben, Fingerfarben, Acrylfarben
Exemplarische Anleitung ◼ Starten Sie mit der Körpereinstimmung und führen Sie diese so weiter: Der Leib ist Ihre Geschichte, er hat alle Ihre – guten und schlechten, angenehmen und schmerzhaften – Lebenserfahrungen aufgenommen, von Beginn Ihres Lebens an. ◼ Wandern Sie nun auf Ihrer Lebensstraße zurück, vom heutigen Tag (den Tag beschreiben) zurück in die Vergangenheit. Schauen Sie auf Ihrem Weg nach links und rechts, wie auf eine Landschaft, auf das Panorama Ihrer Lebenserfahrungen. Achten Sie auf die guten Zeiten, auf die Menschen, die es gut mit Ihnen meinten, und auf die schmerzhaften, schweren Erlebnisse und Situationen in Ihrem Leben. Gehen Sie so Jahr um Jahr in Ihrer Geschichte zurück, mit dem Blick auf das, was schmerzhaft, kränkend, schwer war, und auf das, was gut war. Lassen Sie die Menschen Ihrer Umgebung auftauchen, und schauen Sie diesen Menschen wieder einmal ins Gesicht. Lassen Sie dabei Ihre Gefühle fließen. Spüren Sie den Regungen Ihres Leibes nach, geben Sie Ihren Empfindungen Raum. Wenn es zu schmerzlich, zu bedrohlich wird, gehen Sie weiter an einen anderen Ort in Ihrer Geschichte. Glossar
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Es werden Ihnen Menschen begegnen, Situationen werden sich wieder entfalten. Den Lebensweg geht man nicht allein – schauen Sie, wer mit Ihnen durchs Leben ging und geht, und spüren Sie den Einfluss dieser Menschen auf Ihr Leben. Vielleicht tauchen Worte auf oder Berührungen, gute und unangenehme. Nehmen Sie die Reaktionen Ihres Leibes wahr, wenn Sie auf Ihrem Lebensweg langsam zurückwandern. Wird etwas zu bedrückend oder bedrohlich, gehen Sie weiter zu einer anderen Lebensstation auf Ihrem Weg. Gehen Sie Ihren Weg so weit zurück wie möglich, bis in die Babyzeit, bis zur Schwangerschaft, die Sie vielleicht aus Erzählungen oder von Fotos kennen. Wenn Sie in dieser Zeit angekommen sind, sagen Sie laut Ihr Geburtsdatum und Ihr Alter in den Raum. ◼ Dann kommen Sie allmählich zurück in die Gegenwart. Setzen Sie sich langsam auf, wenden Sie sich Ihrem Papier zu. Lassen Sie sich Zeit. Lassen Sie sich von den Farben ansprechen und das Panorama Ihrer Erfahrungen, Ihres Lebens auf das Papier fließen: Ihrer schönen und guten, Ihrer schmerzhaften und kränkenden Erfahrungen, und wie Sie diese bewältigt haben. Nehmen Sie die Farben, die Sie ansprechen, nutzen Sie den Raum des Blatts, Sie können ganz frei gestalten, in Form und Farbe ausdrücken, was Sie leiblich spüren, empfinden, fühlen, konkret, abstrakt, figural, symbolisch. Lassen Sie es malen, seien Sie neugierig auf sich, wenn sich die Ereignisse Ihres Lebens gestalten, Ihre Kindheit, Ihre Jugend, Ihre Erwachsenenzeit bis heute.
Variationen ◼ Die Panoramatechnik kann auf bestimmte Lebensthemen oder Lebensphasen fokussiert werden: z. B. Beruf, Beziehung, Gesundheit oder Krankheit, Karriere, Langeweile, Leib, Leistung, Ressourcen, Stimmung, Therapie, Pubertät.
Masken aus Karton ◼ Definition: Masken dienen als Ausdruck unbewusster Anteile, Selbstanteile, Identität, Rollenbilder, Gefühle, Bedürfnisse, Sehnsüchte. ◼ Buchkapitel: Eppensteiner: Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext.
Materialien ◼ Karton, Schere, Klebstoff, verschiedene Borten, Stoffe, Wolle, Seidenpapier, Farben, Naturmaterialien, Haltestab für die Maske
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Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
Exemplarische Anleitung ◼ Arbeitsinsel einrichten, Materialien bereitlegen ◼ Einstimmung zum Thema, exemplarisch zu den ungelebten Gefühlen: Schließen Sie die Augen, (Körpereinstimmung), wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit Ihren Gefühlen zu, und nehmen Sie diese wahr. Welche Gefühle kennen Sie gut, sind Ihnen vertraut und leicht zugänglich? Wenden Sie nun Ihre Aufmerksamkeit den Gefühlen zu, die schwer zugänglich sind, die nicht sein dürfen, die Sie nicht zeigen bzw. ausleben können. Für manche sind es vielleicht die zornigen, wütenden Gefühle, für andere ist es die Scham, der Ekel oder auch die Sanftheit, Zartheit und Schüchternheit oder die Traurigkeit. Lassen Sie diese Gefühle und damit die verbundenen Bilder und Geschichten in sich aufsteigen, nehmen Sie diese wahr. Öffnen Sie nun langsam Ihre Augen, und beginnen Sie, Ihre Maske zu gestalten.
Variationen ◼ Masken aus Gips oder Pappmaschee (vgl. Konstanze Eppensteiner: »Die Arbeit mit Masken im therapeutischen Kontext«).
Memes als digitale Medien ◼ Definition: Die Anwendung kreativer Medien mittels digitaler Möglichkeiten ist äußerst vielfältig, ein Beispiel ist die Erstellung von Memes. Memes sind Bilder, die mit kurzen Texten oder einem Wort kombiniert werden und dadurch zusätzliche Bedeutungsinhalte (oftmals mit einem ironischen Inhalt) erzeugen. Im Internet sind Meme-Generatoren zu finden, die die Produktion von Memes ohne technische Kenntnisse ermöglichen. Memes können zur Visualisierung der momentanen Stimmung oder zur Codierung einzelner Familienmitglieder als Problem- und Lösungsbilder und Ähnlichem hergestellt werden. ◼ Buchkapitel: Hintenberger und Böckle: Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum.
Materialien ◼ Meme-Generator (eine einfache Internetrecherche führt rasch zu unzähligen Angeboten) ◼ Bilder aus dem Internet oder eigene digitale Bilder
Glossar
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Exemplarische Anleitung ◼ In den meisten Meme-Generatoren können Sie eine Vorlage wählen. Alternativ können Sie auch eigene »leere Vorlagen« generieren und das Meme völlig selbstständig erstellen. ◼ Sie können die Vorlagen oder die eigenen Bilder anpassen. Mithilfe von Schaltflächen können Sie neben dem Text auch Bilder, Sticker, Zeichnungen und Abstände hinzufügen. ◼ Nach der Anpassung des Meme können Sie es fertigstellen. Dabei klicken Sie auf die entsprechende Schaltfläche »Meme erstellen« und wählen das gewünschte Speicherformat. Diese Bilder können in sozialen Netzwerken oder über andere Endgeräte geteilt, mit einem Link versendet oder auf das eigene Gerät heruntergeladen werden.
Variationen ◼ Die Memes können gemeinsam in der Praxis, auch im digitalen Therapiezimmer erstellt oder als Aufgabe bis zur nächsten Einheit angeleitet werden.
Musikinstrumente ◼ Definition: Musikinstrumente eignen sich gut für den Selbstausdruck. ◼ Buchkapitel: Cubasch: Musik, Musikinstrumente und Musizieren in der psychotherapeutischen Praxis.
Materialien Kleines Instrumentarium: ◼ kleines Schlagwerk (z. B. Triangel, Rassel, kleine Trommeln, Klanghölzer) ◼ Blasinstrumente (z. B. Blockflöte, Lotusflöte, Mundharmonika, Kazoo, Tin Whistle, Panflöte) ◼ Schlag- und Zupfinstrumente (z. B. Xylophon, Metallophon) ◼ Klanginstrumente (z. B. Sansula, Kalimba, Klangschalen, Oceandrum, Gong) ◼ Saiteninstrumente (z. B. Monochord, Gitarre, Ukulele).
Exemplarische Anleitung ◼ Starten Sie mit einer kurzen Fokussierung: Wie bin ich da – leiblich, emotional, mental? Was beschäftigt mich derzeit, wie bin ich gestimmt? Wie klinge ich heute?
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◼ Danach sollten die Patient*innen angeleitet werden, sich aus dem Instrumentarium ein oder mehrere Instrument(e) auszusuchen und sich im Raum zu platzieren (z. B. auf einem Stuhl oder am Boden). ◼ Nehmen Sie sich Zeit, um mit dem Instrument in Kontakt zu treten. Trauen Sie sich zu experimentieren: Wie ist es spielbar, lässt es sich zupfen, schlagen oder streichen? Gibt es andere Arten, dem Instrument Klänge zu entlocken? Wie fühlt es sich an, es in den Händen zu halten, wie riecht es? Sie können dabei die Augen offen oder geschlossenen halten. Überlassen Sie sich dem Prozess des Spielens, seien Sie neugierig, was entsteht: Was ist heute der passende Klang, welche Melodie, welches Geräusch, welcher Ton oder welche Töne sind heute für Sie passend? ◼ Es sollte genug Zeit gegeben werden zum Experimentieren mit den Instrumenten. ◼ Anschließend werden der Prozess und die entstandenen Klänge, Töne, Geräusche oder unter Umständen die Stille reflektiert. Mögliche Fragen sind: Was drückt dieser Klang aus? Wie ist der Klang – angenehm oder unangenehm? Was löst er in Ihnen aus?
Variationen ◼ Anstelle des Alleinspielens der Patient*innen können Therapeut*innen anbieten, ebenfalls mitzuspielen, um in einen musikalischen Dialog zu kommen. Dabei können Therapeut*innen das Instrument von den Patient*innen zugewiesen bekommen oder es selbst bestimmen. ◼ Weitere Variationen sind Töne oder Instrumente für die Partnerschaft: jeweils einen/s für den*die Patient*in und eines für den*die Partner*in zu finden. Aber auch z. B. die Situation am Arbeitsplatz oder die Familie können verklanglicht werden. ◼ Wie bei der symbolischen Arbeit kann außer dem Selbstausdruck auch ein symbolischer Ausdruck von unterschiedlichen Themen gesucht werden.
Schreiben Aus der großen Anzahl von Methoden und Herangehensweisen sollen exemplarisch zwei Möglichkeiten vorgestellt werden: »Elfchen« und »Brief an mich selbst«.
Elfchen ◼ Definition: Die Methode »Elfchen« dient zur Verdichtung und Zusammenfassung eines Prozesses. Sie kann zu einem Thema oder als intermedialer Quergang im Anschluss z. B. an eine Bildgestaltung oder Collage weiterführend angeboten werden. Glossar
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◼ Buchkapitel: Jobst: Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie; Winzely: Integrative Therapie in der Arbeit mit geflüchteten Menschen unter Einbezug von Poesietherapie; Hintenberger und Böckle: Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum.
Materialien ◼ analog: Papier, Schreibutensilien ◼ digital: Tablet, Handy
Exemplarische Anleitung ◼ Wählen Sie ein Blatt Papier und einen Stift, suchen Sie sich einen bequemen Platz. Das Elfchen umfasst fünf Zeilen: In der ersten Zeile steht ein Wort, in der zweiten Zeile zwei Wörter, in der dritten Zeile drei, in der vierten Zeile vier und in der letzten Zeile wieder ein Wort. ◼ Nehmen Sie sich Zeit, die Worte aufsteigen zu lassen und in Form des Elfchens niederzuschreiben.
Variationen ◼ Ein Elfchen kann auch bis zu elf Zeilen umfassen, von der ersten Zeile mit einem Wort bis zur letzten Zeile mit elf Wörtern.
Brief ◼ Definition: Briefe sollen Raum schaffen für den bewussten und unbewussten Ausdruck, Nicht-Ausgesprochenes und -Aussprechbares können in einer Alsob-Situation ausgedrückt werden. ◼ Buchkapitel: Gerhard Hintenberger und Markus Böckle: Digital kreativ – kreative Medien im digitalen Raum.
Materialien ◼ analog: Papier, Schreibutensilien ◼ digital: Tablet, Handy
Exemplarische Anleitung ◼ Der Brief kann aspektiv, retrospektiv oder prospektiv verfasst werden. ◼ Beginnen Sie den Brief mit »Liebe*r …«, und schreiben Sie sich selbst einen Brief zum Ausgangsthema. 278
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Variationen ◼ Ein Brief kann auch an »mein jüngeres Ich«, »mein inneres Kind« oder »mein älteres Ich« gerichtet werden. ◼ Es können auch Briefe an Verstorbene oder aber an wichtige Bezugspersonen verfasst werden, ohne je abgeschickt zu werden.
Soziales Atom ◼ Definition: Sichtbarmachen von sozialen Gefügen, Netzwerken und Beziehungen im gegenwärtigen Leben. ◼ Buchkapitel: Böckle, Brunner, Cubasch-König und Jobst: Funktion der kreativen Medien; Jobst: Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie.
Soziales Atom E
D
G
A Patient*in B
H C
Materialien ◼ Papier, Ölkreiden, Buntstifte
I
Exemplarische Anleitung ◼ Malen Sie drei konzentrische Kreise. Im Zentrum ist der »Atomkern«, der Sie selbst verkörpert. ◼ In die erste Zone schreiben Sie die Namen oder malen Sie Symbole für nahestehende Personen. Verwandte, Freund*innen, Partner*innen, Bekannte und Kolleg*innen kommen in eine mittlere Zone, oberflächliche und unbedeutende Bekanntschaften in die Randzone.
Variationen ◼ Das Soziale Atom kann auch mit Symbolen aufgelegt werden. ◼ Weiterführend können die Beziehungsqualitäten durch Linien, Verbindungen und mit anderem Material verdeutlicht werden.
Glossar
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Symbole ◼ Definition: Die Arbeit mit Symbolen dient der Externalisierung von inneren Prozessen, kann vorbewusste und unbewusste Zusammenhänge und Themen sichtbar machen. Dieser Vorgang aktiviert sinnliche Wahrnehmungen und bietet Identifikationsmöglichkeiten. ◼ Buchkapitel: Böckle, Brunner, Cubasch-König und Jobst: Funktion der kreativen Medien; Jobst: Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie; CubaschKönig: Das Paar in der Therapie – ein ko-kreativer Prozess; Schumacher-Möth: Kreative Medien in der Gruppenpsychotherapie; DeDominicis: Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie; Brunner: Kreative Medien in der Akutpsychiatrie; Polz-Watzenig: Kreative Medien in der Naturtherapie; Lugsch, Schwarzmann und Gahleitner: Kreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken; Pasch: Kreative Medien bei Essstörungen.
Materialien ◼ Objekte aller Art (z. B. Naturobjekte, Knöpfe, Figuren, Schlüssel, Münzen)
Exemplarische Anleitung ◼ Je nach Thematik suchen sich die Klient*innen aus den vorhandenen Materialien passende Objekte, die zur Symbolisierung des Themas, von Personen oder Selbstanteilen, von Beziehungen, Systemen und Strukturen dienen. Die Klient*innen werden angeleitet, das Symbol bzw. die Symbole im Raum aufzustellen oder aufzulegen, damit in Beziehung zu treten und zu explorieren, sich zu identifizieren, einzufühlen und wahrzunehmen. ◼ Hilfreiche Fragen für die Klient*innen sind dabei: Was passiert jetzt auf emotionaler, körperlicher und rationaler Ebene? Wie ist Ihre innere Resonanz? Welche Gedanken kommen Ihnen, wenn Sie das wahrnehmen? Welche Worte und Sätze tauchen auf, wenn die Symbole sprechen könnten? ◼ Letztlich entwickelt sich ein Prozess, der ganz subjektiv und individuell voranschreitet. Den Klient*innen sollte genug Raum und Zeit gegeben werden, damit mögliche Dialoge entstehen sowie Positions- und Perspektivenwechsel vorgenommen werden können. Es können Zielbilder auftauchen, Qualitäten erforscht werden, Veränderungsimpulse entstehen und sich entfalten. Die Resonanzen, die bei Klient*innen wie auch Therapeut*innen aufkommen, werden achtsam wahrgenommen und eingebracht, der verbale und der nonverbale Dialog begleiten den Prozess.
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Variationen ◼ Anstelle des Starts mit einem vorgegebenen Thema kann sich aus der Resonanz auf bestimmte Objekte im Raum, von denen sich die Klient*innen angesprochen fühlen und eines oder mehrere auswählen, ein Thema entstehen. Daraus entwickeln sich die Exploration und der weitere Prozess.
Ton und andere Modelliermassen ◼ Definition: Tiefgehender Gestaltungsprozess von bewussten und unbewussten Anteilen verschiedenster Themen, z. B. Selbstbild und Selbstanteile, Körperwahrnehmungen, Gefühle, Familienszenen, Sexualität, Konflikte. ◼ Buchkapitel: Böckle, Brunner, Cubasch-König und Jobst: Funktion der kreativen Medien; Jobst: Kreative Medien in der dyadischen Psychotherapie; DeDominicis: Kreative Prozesse eingebettet in die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie; Brunner: Kreative Medien in der Akutpsychiatrie; Lugsch, Schwarzmann und Gahleitner: Kreative Medien in der Behandlung von Menschen mit Borderline-Problematiken
Materialien ◼ Ton (ca. 500 bis 1000 g) mit einer gut formbaren Eigenschaft (Künstlerton, kein Töpferton) ◼ aushärtende und/oder nicht aushärtende Knetmassen (z. B. Plastilin, Salzteig)
Exemplarische Anleitung ◼ Je nach Material bedarf es unterschiedlicher Arbeitsplätze, die eingerichtet werden. Bei Ton werden Wasser und eine Plastikfolie für den Boden benötigt, wenn möglich als Arbeitsfläche ein Holzbrett oder auch alte Backbleche. Da diese Arbeit sehr evozierend sein kann, sollten Taschentücher oder Küchenrollen vorbereitet werden. Letztere dienen auch dazu, bei Bedarf die verschmierten Hände und Verunreinigungen des Raums abzuwischen. ◼ Je nach Thema, Tiefung und emotionaler Involvierung kann es ein eher ruhiger, meditativer oder ein aufwühlender, expressiver Prozess sein, der dadurch eine nähere, stärker Halt gebende oder eine losere therapeutische Begleitung braucht. ◼ Je nachdem, ob von einer bestimmten vorhandenen Stimmung ausgegangen wird oder in den Patient*innen eine bestimmte Stimmung oder ein bestimmtes Thema evoziert werden soll, kann mit einer Körpereinstimmung (→ Einstimmung) begonnen werden. Glossar
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◼ Nach der eventuellen Körpereinstimmung: Erlauben Sie sich, Ihre Stimmung wahrzunehmen. Lassen Sie die Augen ganz nach Wunsch geöffnet oder geschlossen. Nehmen Sie den Ton in Ihre Hände, nehmen Sie wahr, wie sich der Ton anfühlt: Welche erste Resonanz bekommen Sie, wie ist das Material? Damit der Ton weicher wird, ist es möglich, ihn zwei bis drei Mal auf den Boden zu werfen und zu kneten, um ihn für den Formprozess aufzubereiten. Gleichzeitig ist es auch ein In-Kontakt-Treten mit dem Ton selbst, mit der Temperatur, der Textur. Welche Emotionen entstehen – möglicherweise Ekel oder angenehme Gefühle? Nehmen Sie dies wahr und bleiben Sie im Kontakt mit dem Ton. Sie können weiterhin die Augen geschlossen lassen, wenn Sie möchten, und lassen nun über die Hände die Form entstehen. ◼ Für die Formungsphase sollte ausreichend Zeit gelassen werden. ◼ Nach der Formungsphase beginnt die Exploration über die Formungsphase und die entstandene Plastik. Dies kann über mehrere Einheiten andauern.
Variationen ◼ Ton muss nicht immer tiefend angeleitet werden. Niederschwellig können als Einstieg in eine therapeutische Einheit ein kleines Stück Ton oder andere Modelliermassen gereicht werden, mit der Anregung: Lassen Sie entstehen, was gerade da ist. ◼ Themen können für den Formungsprozess vorgegeben werden, z. B. Familie, Sexualität, »Mein Ich ausgedrückt in Ton«, Gefühle, Beziehung, Therapieprozess, meine Entwicklung. ◼ Bei Ton entstehen ständig Interaktionen zwischen dem geschaffenen Ausdruck und dem daraus resultierenden Eindruck bei der formenden Person. Daher kann bei Einleitung, Formungsphase und Exploration der Fokus stärker auf den Prozess oder aber auf die entstandene Plastik gelegt werden. ◼ Eine weitere Variation ist das Formen im langsamen Gehen. ◼ Als Anschluss an die Tonarbeit eignet sich ein intermedialer Quergang: Es ist möglich, mit der Skulptur einen Dialog zu führen, eine passende Haltung und Geste zu finden, einen Titel zu schreiben, eine stimmige Umgebung für die Skulptur zu schaffen. Es sollte prozessual, konsekutiv vorangeschritten werden.
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Literaturempfehlungen Die nachfolgend aufgelisteten Publikationen (alphabetische Reihenfolge) möchten wir als besonders sinnvolle Anleitungen für Interventionen, Methoden, Techniken und Medien mit kreativem Schwerpunkt empfehlen. Baer, U. (2007/2018). Gefühlssterne, Angstfresser, Verwandlungsbilder. Kunst- und gestaltungstherapeutische Methoden und Modelle (Reihe: Semnos Lehrbuch; 10., unveränd. Aufl.). NeukirchenVluyn: Semnos. Fliegel, S., Kämmerer, A. (Hrsg.) (2009/2014). Psychotherapeutische Schätze I. 101 bewährte Übungen und Methoden für die Praxis (8., unveränd. Aufl.). Tübingen: dgvt. Hausmann, B., Neddermeyer, R. (2011). BewegtSein. Integrative Bewegungs- und Leibtherapie in der Praxis. Erlebnisaktivierung und Persönlichkeitsentwicklung (Reihe: Forum Zeitpunkt; Neuausg.). Wiesbaden: Reichert. Heimes, S. (2015/2017). Schreib dich gesund. Übungen für verschiedene Krankheitsbilder (2., unveränd. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Nitsch-Berg, H., Kühn, H. (2000). Kreative Medien und die Suche nach Identität. Methoden Integrativer Therapie und Gestaltpädagogik für psychosoziale Praxisfelder. Köln: EHP. Rabenstein, R. (2001/2012). Kreativ beraten. Methoden und Strategien für kreative Beratungsarbeit, Coaching & Supervision (5., unveränd. Aufl.). Münster: Ökotopia. Rabenstein, R., Reichel, A., Thanhoffer, M. (2014). Das Methoden-Set. 5 Bücher für Referenten und Seminarleiterinnen. Münster: Ökotopia. Rost, C., Overkamp, B. (2018). Selbsthilfe bei posttraumatischen Symptomen. Übungen für Körper, Geist und Seele (Reihe: Aktive Lebensgestaltung – Stabilisierungsübungen). Paderborn: Junfermann. Stadler, C., Spitzer-Prochazka, S., Kern, E., Kress, B. (2020). Stay creative! Noch mehr effektive Tools für Beratung, Supervision, Coaching und Psychotherapie (Reihe: Leben lernen, Bd. 318). Stuttgart: Klett-Cotta. Trüg, E., Kersten, M. (2019). Praxis der Kunsttherapie. Arbeitsmaterialien und Techniken (3., überarb. u. erw. Aufl.). Stuttgart: Schattauer.
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Danksagung Auch dem gegenseitigen Dank möchten wir als Herausgeber*innen hier Ausdruck verleihen. Die »Reise«, ein gemeinsames Buch zu verfassen, wurde zu einem lebendigen und ko-kreativen Prozess über die letzten eineinhalb Jahre. Durch die große Begeisterung und das ausdauernde Engagement jedes Einzelnen konnten wir die unterschiedlichen Entwicklungsschritte von Anfang an mit Leichtigkeit gemeinsam gehen. Getragen von Freude, Toleranz und Achtsamkeit waren wir »miteinander unterwegs« und freuen uns gemeinsam an dem, was wir geschaffen haben. Weiterhin möchten wir allen unseren Kolleg*innen und Autor*innen ein großes, herzliches Dankeschön für ihre zugleich sensiblen und informativen Beiträge ausdrücken. Es war spannend mitzuerleben, wie diese Beiträge entstanden und sich allmählich ganz »organisch« zueinander gefügt haben – wie ein gemeinsames Weben an einem großen, gemeinsamen, bunten Teppich, der nun vielen zum Betreten und Nutzen zur Verfügung gestellt wird. Zu guter Letzt gilt unser großer Dank unserer wunderbaren Lektorin Ilona Oestreich. Ohne sie wäre dieses Buch nie zu dem geworden, was es nun ist. Die großartige Zusammenarbeit, ihre eigene Freude und Neugier an der Entstehung dieses Werks und ihre Kompetenzen haben uns im letzten Teil der Fertigstellung sehr getragen. Cornelia Cubasch-König, Angelika Jobst und Markus Böckle
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Die Autor*innen Markus Böckle, Mag. Mag. Dr., MSc, Psychotherapeut (Integrative Therapie) und Coach in freier Praxis, Philosoph, Kognitionsbiologe, Autor. Wissenschaftlicher Mitarbeiter (PostDoc) an der Karl Landsteiner Privatuniversität, Lehrbeauftragter an der DonauUniversität Krems (DUK), der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich, dem Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik, der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten, der Sigmund Freud Privatuniversität Wien/ Linz. Leiter des Komitees für Kommunikationen und Publikationen der Society for the Exploration of Psychotherapy Integration (SEPI), Leiter des Regionalen Netzwerks der SEPI: Study Group of the Austrian Association of Integrative Therapy. Arbeitsschwerpunkte: Einzeltherapie, Coaching. Kontakt: www.praxis-boeckle.at. Franz Brunner, MMSc. Psychotherapeut am Kepler Universitätsklinikum Linz – Institut für Psychotherapie, Psychotherapeut und Supervisor in freier Praxis (Integrative Therapie), Autor, Mitglied der Ausbildungskommission der Integrativen Therapie an der Donau-Universität Krems (DUK), Lehrtherapeut an der Donau-Universität Krems (DUK). Arbeitsschwerpunkt: Einzeltherapie, Gruppentherapie, Lehrtherapie, Supervision. Kontakt: [email protected]. Peter Cubasch, MSc, Integrativer Therapeut und Paartherapeut (Psychotherapie, Inte grative Musiktherapie, Integrative Bewegungs- und Leibtherapie). Atemlehrer und Lachtrainer. Lehraufträge an der Universität der Künste, Berlin, der Donau-Universität Krems (DUK) und von 1984 bis 2005 am Orff-Institut des Mozarteums in Salzburg. Autor der Bücher »Lachen verbindet« (2., erweiterte Auflage 2017) und »Die Kunst des Gähnens« (2021). Arbeitsschwerpunkte: Fortbildungen und Ausbildungen zu den Themen »Atemtherapie«, »Lachtraining«, »Gähnen und Entspannung«, »Atem und Gesundheit«. Kontakt: [email protected], www.cubasch.com. Cornelia Cubasch-König, MSc, Psychotherapeutin, Paartherapeutin und Supervisorin in freier Praxis (Integrative Therapie), Autorin. Lehrtherapeutin an der Donau-Univer sität Krems (DUK), Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule, Berlin. Lehrende im Propädeutikum in Österreich, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Integrative Therapie (ÖGIT). Arbeitsschwerpunkte: Einzeltherapie, Supervision, Lehrtherapie, traumafokussierte Paartherapie. Kontakt: [email protected], www.cubasch.com. 285
Rita DeDominicis, Dr., Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin (Integrative Therapie), Supervisorin, in eigener Praxis tätig. Lehrtherapeutin an der Donau-Universität Krems (DUK). Mitglied des berufsethischen Gremiums (BEG) des Salzburger Landesverbandes für Psychotherapie (SLP). Arbeitsschwerpunkte: Kinderund Jugendlichenpsychotherapie (neben Einzeltherapien, Lehrtherapien und Supervision). Kontakt: [email protected]. Konstanze Karoline Eppensteiner, Diplom-Pädagogin, Psychotherapeutin, Supervisorin, Lehrende im Fachspezifikum Integrative Therapie an der Donau-Universität Krems (DUK). In freier Praxis in Wien tätig: Psychotherapie mit Jugendlichen und Erwachsenen, Interkulturelle Psychotherapie, Lehrtherapie, Supervisionen vorwiegend im Bereich Kinderschutz und in ambulanten und stationären therapeutischen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche in Wien und Niederösterreich. Vortragsund Lehrtätigkeit. Kontakt: [email protected], www.eppensteiner.net. Silke Birgitta Gahleitner, Prof. Dr. phil. habil. Studium der Sozialwissenschaften, Promotion in Klinischer Psychologie, Habilitation in den Erziehungswissenschaften, langjährig als Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin in sozialtherapeutischen Einrichtungen für traumatisierte Frauen und Kinder sowie in eigener Praxis tätig. Seit 2006 lehrt und forscht sie als Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit im Arbeitsbereich Psychosoziale Diagnostik und Intervention an der Alice Salomon Hochschule in Berlin, von 2012 bis 2015 war sie im Zuge eines Forschungsaufenthalts Zentrumsleitung des Zentrums für Psychotherapie und Psychosoziale Interventionen an der Donau-Universität Krems (DUK). Lehr- und Forschungsgebiete: psychosoziale Diagnostik und Intervention, professionelle Beziehungsgestaltung, psychosoziale Traumatologie und qualitative Forschungsmethoden (Publikationen unter www.gah�leitner.net). Kontakt: [email protected], www.gahleitner.net. Gerhard Hintenberger, Mag. Psychotherapeut und Supervisor in eigener Praxis, Lehrtherapeut für Integrative Therapie und Lehrbeauftragter an der Donau-Universität Krems (DUK) sowie Dozent an verschiedenen Hochschulen. Herausgeber des e-bera�tungsjournal.net. Produziert gemeinsam mit Christina Frank den Podcast »Land�schaftsgärtner*innen der Neurosen« (forschungsgreisslerei.at/psychopodcast). Kontakt: [email protected], www.praxis-hintenberger.at.
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Die Autor*innen
Angelika Jobst, Mag. MSc, Psychotherapeutin und Supervisorin in freier Praxis (Integrative Therapie), Autorin. Lehrtherapeutin an der Donau-Universität Krems (DUK), Obfrau der Österreichischen Gesellschaft für Integrative Therapie (ÖGIT). Arbeitsschwerpunkte: Einzeltherapie, Supervision, Lehrtherapie. Kontakt: [email protected], www.angelika-jobst.com. Martin Lugsch, Dr. med., MSc, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Psychotherapeut in freier Praxis (Integrative Therapie), Facharzt im Psychosozialen Dienst sowie Wahlarzt. Arbeitsschwerpunkte: ambulante psychiatrische Behandlung, psychotherapeutische Medizin, Einzeltherapie. Kontakt: [email protected], www.integrative-praxis.at. Barbara Pammer, Mag.a Dr.in, MSc, Klinische und Gesundheitspsychologin, Psycho� therapeutin (Integrative Therapie), langjährige Tätigkeit in psychiatrischen Einrichtungen sowie in freier Praxis, Lehrtherapeutin an der Donau-Universität Krems (DUK), Universitätslektorin in den Bereichen Diagnostik und Interventionslehre mit Schwerpunkt psychische Erkrankungen. Kontakt: www.barbara-pammer.at. Sonja Pasch, Dipl.-Päd. BEd, MSc, Psychotherapeutin und Supervisorin in freier Praxis (Integrative Therapie), Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Lehrbeauftragte an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Krems/Wien, Ausbildungsleiterin des Fachspezifikums Integrative Therapie an der Donau-Universität Krems (DUK), Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Integrative Therapie (ÖGIT). Kontakt: [email protected], www.psychotherapie-pasch.at. Astrid Polz-Watzenig, Mag.a, MSc. Psychotherapeutin, Coach und Supervisorin in freier Praxis (Integrative Therapie), Theologin, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Unternehmensberaterin, Autorin, zertifizierte Naturpark-, Auszeitbegleiterin. Lehrbeauftragte an der UNI for LIFE Weiterbildungs GmbH der Universität Graz sowie an der Privaten Pädagogischen Hochschule Augustinum, Direktorin der Lehranstalt für Ehe- und Familienberatung der Diözese Graz-Seckau. Arbeitsschwerpunkte: Einzelund Gruppentherapie bzw. -selbsterfahrung, Coaching, Supervision. Kontakt: [email protected], www.astridpolzwatzenig.at. Alli Schumacher-Möth, Mag. phil., MSc, Psychotherapeutin und Supervisorin in freier Praxis (Integrative Therapie, Integrative Gestalttherapie), Lehrtherapeutin an der Donau-Universität Krems (DUK), Vorstandsmitglied der European Association of InteDie Autor*innen
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grative Therapy (EAIT), Pädagogin, Musik- und Tanzpädagogin; Arbeitsschwerpunkte: Einzeltherapie, Paartherapie, Lehrtherapie, Supervision. Kontakt: [email protected]. Melitta Schwarzmann, Mag. Dr., Psychotherapeutin (Integrative Therapie und Integrative Gestalttherapie), Lehrtherapeutin an der Donau-Universität Krems (DUK) und in der Stiftung der Europäischen Akademie für Psychosoziale Gesundheit und Integrative Therapie (SEAG), Schweiz. Lehrende in Schlosshofen und an der Medizinischen Fakultät Innsbruck (Ärztecurricula, Ausbildung Klinische Psychologie, Propädeutikum). Supervisorin [ÖBVP]), Einzeltherapie und Gruppenpsychotherapie, langjährige Erfahrung in Psychiatrie und Sozialpsychiatrie. Kontakt: [email protected]. Christian Wiesner, Prof. Mag. phil. Mag. komm. Dr. phil., Studium der Erziehungswis senschaft, Kommunikationswissenschaft; Studium der Psychotherapie mit Fachspezifikum Integrative Therapie. Er ist Professor im Bereich Erziehung und Bildung an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich in Baden und war von 2008 bis 2019 im Führungsstab des Bundesinstituts für Bildungsforschung sowie auf Bestellung durch die Bundesministerin einer der beiden Direktoren des Bundesinstituts von 2013 bis 2014. Wissenschaftliche Zuständigkeiten: Bildungsstandards und Kompetenzorientierung, Internationale Studien (u. a. PISA, TIMSS, PIRLS), Nationale Bildungsbericht erstattung. Autor zahlreicher Publikationen und in mehreren Netzwerken tätig, u. a. Mitglied der österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB); Beiratsmitglied der Clearingstelle evidenzbasierter Pädagogik (QUA-LIS). Arbeitsschwerpunkte: Lehr-Lern-Kulturen, Entwicklungspädagogik und Anverwandlungstheorien, Beratungs- und Therapietheorie, pädagogische Phänomenologie, Interaktion und Kommunikation. Kontakt: [email protected], www.sinnerfahrung.at. Barbara Winzely, Mag., MSc, Psychotherapeutin und Supervisorin (Integrative Therapie) in freier Praxis und bei Hemayat, Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende. Poesie- und Bibliotherapeutin. Lehrtherapeutin an der Donau-Universität Krems (DUK), Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Integrative Therapie (ÖGIT). Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins »sprachraum. Akademie für Text und Therapie«. Arbeitsschwerpunkte: Kinder und Jugendliche, Einzelund Gruppentherapie, Interkulturelle Psychotherapie. Kontakt: [email protected], www.winzely.at.
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Die Autor*innen
Index Achtsamkeit 130, 133, 173, 180, 181, 182, 187, 188, 256 affektiv 22, 254, 255 affektive Störungen 105, 152, 188 Aktionsphase 24, 62, 77, 79, 174 Akute Belastungsreaktion 168 ambulante Behandlung 35, 73, 225, 229, 234 Angsterkrankung 179, 192 Angststörung 80, 207, 227, 241 Anorexia nervosa 225, 226, 227, 228, 230, 235 Anteil 23, 26, 27, 47, 83, 132, 155, 158, 164, 199, 216, 217, 218, 245, 246, 274, 281 Anti-Diät-Ansatz 231 aspektiv 24, 278 asynchron 194 Atemraum, -übungen 99, 184, 186, 188, 235, 267, 270 Ätiologie, ätiologisch 27, 225, 228 Baum 118, 151, 179, 181, 182, 184, 185, 187 Beeinträchtigung 40, 130, 211, 229 Behandlungsmöglichkeit 125, 132, 201, 211 Beistände 217, 218 Beratung 180, 191, 192, 194, 196, 199, 230, 235 Berühren 44, 45, 129, 144, 149, 159 Bewältigung 28, 30, 55, 57, 60, 119, 171, 176, 178, 214, 215, 217, 219, 240, 242, 256 Bewegung 31, 37, 76, 78, 99, 103, 109, 129, 141, 144, 151, 184, 186, 187, 188, 226, 252 Bewusstseinsarbeit 29, 87, 230 Beziehungsangebot 65, 210, 242 Beziehungsarbeit 65, 209, 210 Beziehungserfahrung 29, 31, 39, 81, 83, 88, 97, 98, 143, 146, 219, 230, 242 beziehungsfördernd 213, 214, 216 Beziehungsraum 89, 94 Beziehungstherapie 64, 210, 220 Bibliotherapie 36, 45, 171 Bindung 55, 58, 59, 62, 65, 88, 89, 91, 94, 114, 121, 211, 229, 230, 239, 242 Binge Eating Disorder 226, 227 Biografie 20, 26, 36, 80, 93, 125, 174, 215, 217, 255 biopsychosozial 27, 31, 57, 211, 242 Blickdialog 196 Blumen 181
Body Chart 41, 42, 75, 84, 108 Bodypainting 234 Borderline-Persönlichkeitsstörung 211, 227 Borderline-Problematiken 209, 211, 220 Bühne 109, 111, 114, 163, 164, 215, 219 Bulimia nervosa 226, 227, 229, 231 Bundling-Maßnahmen 29, 41 Chat 191, 194, 196, 200 chronisch 169, 172, 192, 228, 240, 257 Collage 20, 41, 42, 84, 99, 102, 108, 118, 233, 235, 269, 277 Copingstrategien 27, 29, 99, 215 COVID-19, Corona 107, 179, 191, 193, 227 Depression 42, 81, 95, 128, 133, 136, 147, 156, 179, 200, 227, 241, 243 destruktives Verhalten 89, 93, 210, 213, 215, 217 diagnostische Landkarte 215 digitalbasierte Kreativität 198 digitale (kreative) Medien 45, 191, 193, 194, 196, 198, 201, 275 digitaler Raum 141, 191, 201 digitales Setting 73, 193, 194 Digitalisierung 180, 193 Dissoziation, dissoziativ 214, 215, 226, 240, 251 dreizügiges Lebenspanorama 40, 75, 84 dritter Weg der Heilung 30, 37, 170 dynamische Regulation 27 Eklektizismus 47, 48, 50 Emotionsregulation 58, 209, 211, 214, 243 Entfremdung 27, 225, 249, 257, 261 entwicklungsfördernd 75, 158 Erlebnisaktivierung, erlebnisaktivierend 30, 39, 42, 130, 136, 170, 214 erlebniszentriert 28, 99, 157 Erschöpfungszustände, -krankheitsbilder 107, 179, 257 erster Weg der Heilung 37, 230 Essstörung 225, 227, 228, 230, 231, 232, 234 Exploration 26, 57, 60, 92, 134, 145, 149, 159, 214, 230, 242, 244, 257, 269, 273, 281, 282 expressiver Leib 23, 38, 160 Extrembelastung 169
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Face to Face 193, 196, 197, 201 Familienszene 43, 147, 281 Finger 104, 144, 181, 186, 194, 268 Fingerfarben 38, 42, 198, 267, 273 Fingerpuppen 83, 117 Flucht 167, 168, 172, 174, 241 Foto 44, 76, 79, 82, 108, 120, 129, 181, 182, 187, 197, 198, 216, 270, 274 Geborgenheit, geborgen 29, 44, 59, 88, 89, 169 Gedicht 37, 77, 81, 88, 173, 186, 200, 216, 245, 246 Geflüchtete 167, 168, 176, 278 Gegenübertragung 77, 79, 214 Gesundheit 19, 27, 40, 57, 149, 211, 274 Gesundheitsförderung, gesundheitsfördernd 19, 30, 32, 45 Gewicht 225, 226, 229, 231, 235, 260 Gipsmaske 155, 159, 160 Green Care 179, 180 Green Meditation 180 Grundvertrauen 29, 58, 65 Gruppenerfahrung 97, 103, 160 Heilfaktoren 64 heraklitische Spirale 24 Hoffnungsbild 259 Ich-Funktion 75, 108, 128, 129, 134, 136, 160, 211, 217, 219, 220 Ich-Funktions-Diagramm 214 Ich-Stabilisierung 213, 216, 220, 256 Identifikation 22, 59, 217, 232, 280 Imagination 36, 76, 108, 121, 151, 219, 246 Initialphase 24, 77, 173 Innerer Feind 215, 217, 219 Integrationsparadigma 51 Integrationsphase 24, 62, 77, 79, 174 intermedialer Quergang 37, 81, 115, 163, 184, 216, 218, 269, 277, 282 Intermediärobjekt 39, 44, 45, 65, 121, 129, 136 intersubjektive Ko-respondenz 26, 38, 59, 93, 214 Intersubjektivität, intersubjektiv 20, 24, 26, 28, 37, 41, 45, 57, 59, 97, 99, 163, 242, 259 Interventionsmöglichkeit 40, 75, 94, 132, 141, 143, 167, 191, 193 intramedialer Quergang 37
290
Index
Kamera 196, 197, 200 Karrierepanorama 40 Karten 45, 83, 107, 120, 129, 136 Kind-Anteil 215, 217, 219 Klang 144, 145, 149, 151, 276 Klangschale 149, 150, 151, 276 Klimakatastrophe 179 Ko-kreativität, ko-kreativ 21, 41, 55, 56, 65, 73, 87, 94, 97, 98, 100, 103, 109, 159, 180, 188, 197, 268 Kommunikationsmedien 191, 192, 194 Komorbidität, komorbid 225, 227, 235, 241, 252, 254 Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung 240 Kontext 20, 21, 22, 23, 26, 28, 36, 59, 76, 88, 101, 114, 127, 131, 141, 174, 211, 231, 254, 256, 260 Kontinuum 22, 24, 26, 28, 104, 109, 141, 149, 174, 231, 254 Konversionsstörungen 251 Konvoi 28, 60 Ko-respondenz, ko-respondierend 21, 22, 24, 41, 59, 65, 97, 231, 235 Körperbild 84, 108, 116, 267 Körperform 226 Körperreise 150 Körperumrissbild 150 Krankheit 19, 27, 36, 57, 63, 76, 99, 126, 130, 132, 133, 149, 184, 211, 225, 226, 235, 240, 241, 251, 252, 259, 261, 274 Krankheitsbegriff 27 Krankheitspanorama 40 Kreativität 20, 21, 35, 36, 44, 55, 78, 100, 108, 171 Kreativitätstherapie, kreativitätstherapeutisch 51, 127 Landkarte aus Selbstanteilen 212, 215, 219 Lebenspanorama 40, 44, 148, 198, 231, 232, 273 Lebensspanne 21, 141, 250, 273 Lebenswelt 20, 109, 197, 213, 215, 220, 242, 251, 260 Leiblichkeit 20, 22, 38, 144, 209, 214, 250, 269, 271 Leibpanorama 148 Leibselbst 128 leibtherapeutische Interventionen 196 Lockdown 179, 192 Mailberatung 195 Märchen 174, 213, 218 Maskenarbeit 36, 141, 155, 156, 157, 158, 160, 164 mehrperspektivisch 28, 90, 101
Meme 198, 275 Methodenintegration 51 Migration 167, 168, 172, 173, 174 multiple Stimulierung 209, 220 Musikinstrument 36, 83, 143, 144, 146, 148, 151, 270, 276 Nachsozialisation 29, 58, 64 Nahrung 97, 182, 225, 226, 227 Narrativ 100, 114, 215, 217, 218 Naturtherapie, naturtherapeutisch 51, 141, 179, 180, 182, 188 Netzwerkarbeit 30, 65 Neuorientierung(sphase) 24, 62, 77, 83, 173, 174, 246 Neurasthenie 251 Ökopsychosomatik 179, 180 Organon-Modell 252, 253 Organum der Über-Malung 249, 250, 258 Orthorexie 227 Padlet 199 Pandemie 179, 227 Panoramatechnik 40, 42, 75, 130, 131, 235, 274 Pathogenesemodell 27 Pathologie 132, 225, 255, 258 Pathos 249, 253, 254, 255, 258, 260 Persönlichkeitsentfaltung 30 Persönlichkeitsstörungen 211, 212, 227, 246 perzeptiver Leib 23, 38 phänomenologisch 26, 253 Pica-Syndrom 226, 232 Poesie 39, 40, 45, 167, 170, 176 Poesietherapie 36 Poesietherapie, poesietherapeutisch 141, 167, 169, 170, 171, 176 Posttraumatische Belastungsstörung 169, 240 prädisponierend 225, 228, 229 Präsenztherapie 192, 196 prospektiv 24, 31, 278 prozessuale Diagnostik 26, 57, 65, 210, 211, 213, 220 Psychoedukation 197, 213, 217, 231 Psychosomatik 258 psychosomatische Erkrankungen 105, 152, 171, 188, 225, 261 Resilienz 27, 58, 120, 170, 211, 240, 241
Resonanz 39, 43, 77, 81, 105, 109, 111, 121, 126, 146, 159, 171, 180, 182, 200, 209, 214, 216, 225, 232, 235, 280, 282 Ressourcen 27, 41, 64, 76, 79, 82, 84, 99, 107, 109, 119, 130, 133, 148, 170, 175, 176, 181, 199, 215, 216, 219, 230, 239, 241, 246, 252, 260, 274 Ressourcenpanorama 217, 242 Retraumatisierung, retraumatisierend 172, 210, 240, 243 retrospektiv 24, 31, 259 Rücken 147, 184 Safe Place 109, 115, 169, 196, 201, 210, 214 Salutogenese 27 Säulen der Identität 22, 41, 42, 75, 242, 271 Schatzkiste 216 Schematherapie 212, 219 Schreiberfahrung 175 Schreibprozess 173, 174 Schreibwerkstatt 175 schriftbasiert 192, 194 Seidentücher 216 Selbstabwertung 257 Selbstanteile 119, 209, 212, 215, 217, 219, 274, 280, 281 Selbstbild 41, 42, 43, 128, 214, 257, 269, 281 Selbsterfahrung 77, 155, 156, 159, 163, 167, 171, 183 Selbstermächtigung 150 Selbstfürsorge 150, 216, 245 Selbsthilfe 30, 192, 214 Selbstkonzept 255 Selbstreflexion 78, 167, 214 Selbstregulation 28, 31, 130, 209, 214, 241 selbstschädigend 213, 256 Selbstverletzung, selbstverletzend 211, 213, 215, 241, 256, 257, 260 Selbstwahrnehmung 135, 150, 226, 243, 245 Selbstwert(gefühl) 41, 174, 176, 226, 229, 234, 255, 257 Selbstwirksamkeit 108, 120, 150, 159, 170, 172, 174, 219, 243, 246 Set-Point-Theorie 231 Shinrin-Yoku 181 sicherer Ort 58, 65, 104, 111, 115, 218, 239 Significant Caring Adult 170 Sinneskanalreduktion 196 Solidarität 30, 32, 37, 60, 159, 163, 167, 173, 175 Somatische Belastungsstörung 156, 249, 250, 251, 252, 254, 256, 257, 261 Somatisierungsstörung 156, 250, 251
Index
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Souveränität 26, 82, 170, 171, 172 soziale Medien 180, 187 Soziales Atom 41, 42, 79, 242, 279 Sprachlosigkeit 35, 136, 213 Stabilisierung 136 Stabilisierung, stabilisierend 76, 217, 219, 220, 239, 241, 242, 246, 255, 257 stationär 14, 73, 213, 225, 229 Stimmpanorama 149 Stimulierung 42, 130, 170, 200, 209, 220, 239, 241, 249, 261 Stofftiere 43, 83, 144, 231, 232 Stuhl 217, 219, 277 süchtiges Verhalten 213, 215 Suizidalität, suizidal 211, 213, 215, 230, 241, 243, 246 Supervision 180, 191, 196, 199 symbolischer Raum 170 Symptomatik 27, 79, 81, 83, 228, 232, 241 synchrone Kommunikation 194 szenisches Spiel 44, 108, 110, 114, 115, 117, 121 TaskCards 199 tetradisches System 24, 62, 77, 173 Theragnostik 26, 40 Therapiemotivation 234 Therapiepanorama 64, 83, 220 Thymopraktik 254 Ton (Modelliermasse) 31, 35, 38, 41, 43, 75, 84, 108, 120, 130, 216, 218, 281
292
Index
Ton (Musik) 20, 277 Traumakonfrontation 219 Traumatisierung, traumatisiert 27, 114, 130, 170, 172, 177, 219, 239, 241, 245, 246 Übergangsobjekt 37, 39, 44, 133 Über-Malung 249, 258, 259, 261 Übertragung 29, 77, 79, 99, 103 übungszentriert 28, 99, 170 Unaussprechliches 171, 239 Vertrauen 55, 57, 58, 60, 61, 63, 65, 77, 79, 104, 119, 134, 169, 173, 210, 211, 213, 218, 219, 230, 242, 244 Vertrauenstheorie 58, 59 Video 108, 193, 196, 198, 199, 200, 201 Vier-Stufen-Modell 25 vierter Weg der Heilung 32, 37, 60, 219 vier Wege der Heilung 29, 30, 132 Waldbaden 181 Wasser 187 Whiteboard 197, 201 Wirkfaktoren 30, 32, 47, 50, 194, 202 Zukunftsbild 209, 246, 259, 261 Zwangsstörungen 252 zweiter Weg der Heilung 29, 37, 58, 64, 81, 209, 210, 219 Zwischenleiblichkeit 56