Psychotherapie der Sucht: Psychoanalytische Beiträge zur Praxis 9783666491221, 9783525491225


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Psychotherapie der Sucht: Psychoanalytische Beiträge zur Praxis
 9783666491221, 9783525491225

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Annelise Heigl-Evers (1921–2002) gewidmet, die als Hochschullehrerin und Mentorin die Psychoanalyse der Sucht in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in entscheidender Weise wieder anregte.

Klaus W. Bilitza (Hg.)

Psychotherapie der Sucht Psychoanalytische Beiträge zur Praxis Mit 4 Abbildungen und 4 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-49122-5 © 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Inhalt

Inhalt

Vorwort Klaus W. Bilitza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung Klaus W. Bilitza: Suchtpsychotherapie – Einführung . . . . . . . . . . 13 Psychoanalytische Diagnostik der Sucht Dieter Nitzgen: Psychoanalytische und psychiatrische Perspektiven einer Klassifikation der Suchterkrankungen unter besonderer Berücksichtigung der Frage der Komorbidität . . . . . . . . . . . . . 31 Irene Helas: Profession und Screening-Funktion in der Suchthilfe . . 51 Methoden psychoanalytischer Suchttherapie Wolf-Detlef Rost: Die ambulante Suchttherapie in der Praxis des Psychoanalytikers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wöller: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie der Suchterkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus W. Bilitza: Psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie und die psychotherapeutische Arbeit mit Gruppen in der Suchtklinik heute . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Fischer: Gruppenpsychotherapie bei Abhängigkeitserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl König: Großgruppen und Regression . . . . . . . . . . . . .

. . 67 . . 80

. . 93 . . 111 . . 132

Spezielle Fragestellungen der Suchtpsychotherapie Léon Wurmser: Übertragung und Gegenübertragung bei Patienten mit Suchtproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

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Inhalt

Andreas Dieckman und Valentina Albertini: Psychoanalytisch-interaktionelle Suchttherapie in der Klinik – Erfahrungen mit einer einheitlichen therapeutischen Haltung . . . . 160 Uwe Büchner: Der Rückfall im diagnostischen und therapeutischen Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Robert Bering, Gottfried Fischer und Luise Reddemann: Psychodynamische Traumatherapie und Suchtbehandlung . . . . . . 191 Grenzen der Psychotherapie Wulf-Volker Lindner: Zur religiösen Dimension in der Suchtkrankentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Anhang Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Vorwo rt

Vorwo rt

Vorwort

Steiget auf, ihr alten Träume! Öffne dich, du Herzenstor! (aus: Heinrich Heine, Harzreise. Auf dem Hardenberge, 1824)

Vor den Herausforderungen einer Psychotherapie der Sucht weichen Psychotherapeuten und Psychoanalytiker nicht selten zurück. Zu oft scheint das »Herzenstor« (Heinrich Heine) des Suchtkranken verschlossen, so dass nicht nur jüngere Therapeuten an sich, ihrem Können und an den therapeutischen Methoden zweifeln. »Steiget auf, ihr alten Träume!« Auch erfahrene Psychotherapeuten sind immer wieder erschüttert von dem Ausmaß der illusionären Verkennung in der Welt des Süchtigen und von dem scheinbar unüberwindlichen Widerstand, diese gegen blande Realität und alltägliche Banalität einzutauschen. Im Kern des libidinösen Begehrens des Süchtigen wirkt eine destruktive Kraft, die sowohl Ich-Funktionen wie Realitätsprüfung und Orientierung gebende Affektdifferenzierung massiv einschränkt als auch das Objekt seines Begehrens aufgrund pathologischer Idealisierung durch eine chemische Substanz ersetzt. Die Suche nach Erfüllung verwandelt sich so in eine jeder Realität entgegenstehende Sehnsucht. Aus mehr wird weniger, in illusionärer Verkennung von Omnipotenz erscheint das immer geringer Werdende dennoch als das immer Wertvollere. Dagegen lehrte das Märchen »Hans im Glück« der Brüder Grimm schon Generationen vor uns, wie beschwerlich ein Klumpen Gold sein kann und dass auch der Tauschwert eines Pferdes, einer Kuh, eines Schweins, einer Gans, eines Schleifsteins und letztendlich eines Feldsteins die Last nicht von uns nimmt. Hans, der weise Tor, verkündet die Moral des Märchens, Glück ist nicht an Besitz gebunden. Nachdem Schleifstein und Feldstein für immer im Brunnen versunken sind, scheint Hans die höchste Verzückung gefunden zu haben. Mit nichts als den leeren Händen kehrt er zur Mutter zurück: Da »sprang [er] vor Freuden auf, kniete nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, daß er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen

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Vorwort

brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären. ›So glücklich wie ich‹, rief er aus, ›gibt es keinen Menschen unter der Sonne.‹ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war« (Brüder Grimm 2003, S. 164). Nicht selten wurde den einen Wasser gepredigt von denen, die Wein tranken, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse an ihren inneren Widersprüchen erkrankten. Muss Hans im Glück nicht in Wahrheit krank werden, wenn er diesen Entwicklungen nicht seelisch gewachsen ist? Das hässliche Antlitz der wunderbaren metaphorische Geschichte vom wahren Glück zeigt sich heute tragisch in der Suchterkrankung als ein Prozess der Verringerung und regressiven Ersetzung in der pathologischen Entwicklung. Geleitet von seinen Wünschen und Phantasien unterliegt der Suchtkranke weit reichenden Verkennungen der Realitäten, während er mit zunehmenden Verschmelzungsphantasien auf das omnipotente Objekt nur scheinbar immer glücklicher wird. »Das Paradies ist eine Finte«, sagt der Therapie-Nihilismus des Süchtigen. Müssen demgegenüber die Methoden der Psychotherapeuten und Psychoanalytiker an der unveränderlichen Abhängigkeit des Selbstwertes vom externen Objekt und an den ungelösten pathologischen Bindungen an die frühen Objekte, die in der Sucht durch Substanzen und deren Wirkungen ersetzt wurden, nicht abprallen? Wäre also Psychoanalytikern nicht besser zu empfehlen, im Elfenbeinturm zu verbleiben und das Feld effektivitätsbemühten Kurzzeittherapien zu überlassen? Quantifizierbare Techniken, messbare Interventionen und modular ausgestaltete Therapie-Settings erfüllen zwar bestimmte Standards bei der wissenschaftlichen Evaluation therapeutischer Prozesse und sind wertvolle Orientierung in der Professionalisierung des Psychotherapeuten, dennoch bildet sich therapeutisches Können nicht am wissenschaftlichen Schreibtisch. Es handelt sich wohl vielmehr um einen kreativen Entwicklungsprozess beruflicher Kompetenzen, der nur im Feld erfolgen kann und der folglich auch die Herausforderungen im direkten Patientenkontakt verlangt. Die Autoren des vorliegenden Bandes verfügen über eigene intensive Erfahrungen in der Psychotherapie von Suchtkranken und sind teilweise über viele Jahre als Supervisoren in Suchtfachkliniken, in psychiatrischen Suchtstationen oder auch in der Suchtforensik tätig oder leiten entsprechende Einrichtungen. Der Wunsch nach einem neueren deutschsprachigen Buch aus der Praxis für die Praxis musste sich also an einem Katalog therapeutisch-technischer Fragestellungen und an den konkreten Problemen der stationären und ambulanten Arbeit orientieren, der nach meiner Einschät-

Vorwort

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zung nicht an eine therapeutische Schulrichtung gebunden sein kann. Das Anliegen des Buches ist aber insofern begrenzt, als hier tiefenpsychologisch fundierte und psychoanalytische Antworten vorgestellt werden, die aber dennoch Suchttherapeuten verschiedener methodischer Orientierung beim Erwerb des Könnens helfen können. Danken möchte ich den Leitungen der Soteria Klinik Leipzig und der AKG Dr. S. Zwick GmbH, die das Buchprojekt gefördert haben. Dem Verlag danke ich für die Ermutigung, neben einer Darstellung der Praxis (»Psychotherapie der Sucht«) auch einen Band zur Krankheitslehre und Theorie (»Psychodynamik der Sucht«) in erfreulicher Zusammenarbeit mit den insgesamt fünfundzwanzig Autoren zu erstellen. Ich danke allen, die zur Entstehung des Buches beigetragen haben, sehr herzlich. Klaus W. Bilitza

Einführung

Einführung

KlausW.Bilitza:Suchtpsychotherapie–Einführung

Klaus W. Bilitza

Suchtpsychotherapie – Einführung

Abstract Suchtpsychotherapie wird hier als die psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit stoffgebundenen und suchtmittellosen Suchterkrankungen durch professionelle Suchtpsychotherapeuten verstanden. In dieser Einführung wird das Ziel des Lehrbuchs näher begründet, Psychotherapeuten und Psychoanalytikern Einblick in die Praxis der Suchtpsychotherapie zu vermitteln und das bereits verfügbare psychoanalytische Wissen durch Beiträge von ausgewiesenen Experten zusammenzutragen. Indikationsstellung und Bereitstellung der Behandlung kann nicht losgelöst von klinischer Erfahrung und nicht unabhängig von dem Wissen über die Krankheitslehre der Sucht und die Behandlungsmethodik erfolgen, welches wiederum in Relation zur Quote der wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen steht.

Begriffe und Definitionen Die medizinische und psychotherapeutische Behandlung von Suchtkranken erfolgt heute in vielfältigen Institutionen wie in Suchtstationen psychiatrischer oder forensischer Kliniken, in Sucht-Fachkliniken privater und öffentlicher Trägerschaft, in Tageskliniken, in Suchtberatungsstellen, in den Praxen von Ärzten, von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten und nach ebenso vielfältigen Behandlungskonzepten. Suchtpsychotherapie findet sich somit neben allgemeinmedizinischen, psychiatrischen, soziotherapeutischen und psychoedukativen Behandlungsformen (Fengler 2002; Lehmann 1999; Mann 2000; Nowak et al. 1996; Salman et al. 2002; Seitz et al. 2000; Wienberg 2002). In den Mainstream-Schulrichtungen von Psychoanalyse, Verhaltenstherapie und Systemischer Therapie weist Suchtpsychotherapie nicht nur je verschiedene Settings und Methoden auf, sondern unterscheidet sich auch in der jeweils zugrunde gelegten wissenschaftlichen Krankheitslehre und in der logisch-rationalen Verknüpfung von Ätiologie und Behandlungsmethodik, wie neuere Überblicksdarstellungen aufzeigen (Feuerlein et al.

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Einführung

1998; Gastpar et al. 1999; Krausz u. Haasen 2004; Mann 2002; Thomasius 2000; Thomasius u. Küstner 2005; Tretter 2000; Uchtenhagen u. Zieglgänsberger 2000). Suchtpsychotherapie wird hier als die psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit stoffgebundenen und suchtmittellosen Suchterkrankungen durch professionelle Suchtpsychotherapeuten verstanden. Suchtmittellose Suchterkrankungen werden nur am Rande behandelt. In dieser Definition sind zwei wesentliche Grundpositionen angesprochen: – Behandelt wird der suchterkrankte ganze Mensch und nicht lediglich seine Krankheit, – die Behandlung ist »professionelles psychotherapeutisches Handeln im Rahmen und nach den Regeln des öffentlichen Gesundheitswesens« (Senf 2005, S. 9) und erfolgt somit durch wissenschaftlich ausgebildete Therapeuten. Durch die wissenschaftliche Fundierung weist Suchtpsychotherapie als weitere Merkmale einen rational geplanten interaktiven Prozess, lehrbare Techniken der Diagnostik und Behandlung sowie einen wissenschaftlichen Kontextzusammenhang auf und kann dadurch von anderen Behandlungsformen unterschieden werden (Senf 2005; Strotzka 1978, S. 3). Der wissenschaftliche Anspruch, den ganzen Menschen und nicht nur seine Suchterkrankung zu behandeln, führt zu einer Begrenzung dieses Buches auf die psychodynamischen Behandlungsformen mit ihren analytisch orientierten und tiefenpsychologisch fundierten Methoden (Bilitza 1993, 2000; Dowling 1995; Rost 2001; Wurmser 1997; Yalisove 1997). Nach der psychoanalytischen Krankheitslehre steht die Suchterkrankung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Lebensgeschichte des Patienten, seinen daraus abgeleiteten psychischen strukturellen Voraussetzungen und der gegebenen Fähigkeit zur inneren und äußeren Konfliktbewältigung. Theorieansätze und Modelle zur Psychodynamik der Sucht, die auch die Psychopathogenese umfasst, werden in dem gleichnamigen Band (Bilitza 2007a) ausführlich dargestellt. Das vorliegende Lehrbuch vermittelt Einblick in die Praxis der Suchtpsychotherapie. Die Autoren haben überwiegend langjährige Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Behandlung in der Suchtfachklinik oder als niedergelassen Therapeuten, aus Lehrtätigkeiten als Dozenten und Lehrund Kontrollanalytiker und aus der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Therapeutenteams als Supervisoren.

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Zur Epidemiologie der Suchterkrankungen und ihrer Behandlung Die Epidemiologie der Suchterkrankungen und die Statistiken ihrer Behandlungen zeigen krasse Missverhältnisse in der klinischen Praxis auf. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2003, S. 9 u. S. 14) geht von 7,8 Millionen (ca. 10 % der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik) Menschen aus, die einen riskanten Umgang mit Alkohol aufweisen. Davon gelten 1,5 Millionen (ca. 1,8 % der Gesamtbevölkerung) als alkoholabhängig und 2,4 Millionen (ca. 3 % der Gesamtbevölkerung) als behandlungsbedürftig aufgrund von missbräuchlichem Konsum. Bei Berücksichtigung der Dunkelziffer und Problemen der Datenerhebung bei chronisch mehrfach beeinträchtigten Abhängigkeitskranken werden höhere Prävalenzen geschätzt (Wienberg 2002, S. 22). Zusätzlich waren zum Zeitraum dieser Erhebung 1,4 Millionen von psychotropen Medikamenten abhängig, Benzodiazepine, also Schlafmittel und Tranquilizer, stehen hier mit 1,1 Millionen an der Spitze. Etwa 290.000 Menschen waren von illegalen Drogen abhängig. Die Statistiken verzeichneten über 1.800 drogenbedingte Todesfälle jährlich – im Vergleich dazu wurden 42.000 alkoholbedingte Todesfällen angegeben. Für die 1,5 Millionen Alkoholabhängigen, 1,4 Millionen Medikamentenabhängigen und 290.000 Drogenabhängigen standen beispielsweise im Jahre 2001 in Deutschland 11.312 vollstationäre Entwöhnungsplätze zu Verfügung (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 2003, S. 140). Ärzte und Psychotherapeuten beteiligten sich mit 9,4 % (West) und 7,4 % (Ost) an den ambulanten Hilfsangeboten für die Gruppe der Suchtkranken (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 2003, S. 150). Folgt man den Angaben im Bundes-Gesundheitssurvey 1998, werden im Durchschnitt lediglich 29 % aller an Substanzstörungen Erkrankten überhaupt behandelt (Wittchen u. Jacobi 2002, S. 11). Nach der für die Psychoanalytiker in Deutschland repräsentativen DGPT1-Therapeutenerhebung (Stehle 2004, S. 501) wurden lediglich 1,1 % der behandelten Patienten als suchtkrank eingestuft; im Vergleich dazu wurden bei 6,6 % der Patienten Essstörungen, bei 31,1 % Persönlichkeitsstörungen, bei 2,6 % Psychosomatosen und bei 1,1 % Psychosen behandelt. Das deutliche Missverhältnis zwischen der statistisch großen Menge behandlungsbedürftiger Patienten einerseits und der relativ kleinen Zahl tatsächlich durchgeführter Behandlungen durch Psychoanalytiker 1 Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) ist der Dachverband der Deutschen Psychoanalytikerverbände.

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und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeuten andererseits erscheint eklatant. Dafür könnten viele Gründe maßgeblich sein. Wenn Suchterkrankung auch von Psychoanalytikern als eine nosologische Einheit aufgefasst werden sollte, bleibt die ganzheitliche Sicht auf den Patienten außen vor, trotz der analytischen Grundauffassung, wonach nicht die Krankheit, sondern der Mensch behandelt wird. Auch die allgemeine psychoanalytische Erkenntnis der Pathogenese einer Störung, die bezogen auf Suchterkrankungen lautet, dass Sucht immer eine Geschichte hat, bleibt ausgeklammert. Werden dann ohne eine Berücksichtigung der Psychodynamik der Sucht (Bilitza 2007a; Rost 2001; Wurmser 1997) weitere psychische Störungen erfasst, gelten diese als diagnostisch aufzulistende komorbide Störungen. Eine derartige Diagnostik der Sucht folgt, wie leicht einzusehen ist, eher den Prinzipien psychiatrischer Klassifikationssysteme als der Logik der psychoanalytischen Diagnostik und Behandlung (siehe den Beitrag von Nitzgen in diesem Band). Die Überpathologisierung der Patienten mit Suchterkrankungen (Dodes 2005, S. 550) erscheint auch unter Psychoanalytikern weit verbreitet. Ohne differenzialdiagnostische Unterscheidungen werden alle Suchtpatienten in stereotypischer Vereinfachung als »schwierig« im ambulanten therapeutischen Umgang eingestuft, alle würden das Arbeitsbündnis durch Verleugnung hintergehen, ihnen allen wird eine geringe Krankheitseinsicht und fehlende Therapiemotivation zugesprochen. Rückfälle und das Nichteinhalten der Abstinenz werden als Beleg für die Erfolglosigkeit der Behandlung beziehungsweise als Zeichen einer Therapieresistenz gewertet. Da nach dieser Stereotypisierung alle Suchtpatienten gleich sind, hält sich auch hartnäckig die Auffassung, Suchterkrankung sei ungeprüft in jedem Fall eine Indikation für stationäre Psychotherapie. Hier kann eine in der Psychoanalysegeschichte begründete Abwehr gegen Suchtpathologien vermutet werden (Bilitza 2007b; Nitzschke 2007; de Paula Ramos 2003), die im Einzelfall vermutlich auch Züge einer Eigenübertragung oder auch eines Gegenübertragungswiderstandes aufweist. Denn an professionellen Kompetenzen für die Behandlung schwerer Störungen durch Psychoanalytiker kann es nicht mangeln, darauf verweist die oben genannte Behandlungsquote schwerer Störungen (ohne Suchtbehandlungen) von über 40 %, und dies belegt auch die zunehmende Zahl von psychoanalytischen Lehrbüchern zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen wie Narzisstische Persönlichkeitsstörungen (Kernberg 1996), Borderline-Störungen (Kernberg et al. 2000) oder Trauma und Persönlichkeitsstörungen (Wöller 2006). Zudem ist nicht sehr wahrscheinlich, dass das Gros von 50,7 % der von Psychoanalytikern behandelten Patienten

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mit psychoneurotischen Störungen laut DGPT-Therapeutenerhebung (Stehle 2004, S. 501) sich außerhalb der Verteilung von den etwa 10 % der Gesamtbevölkerung mit riskantem Alkoholkonsum bewegt. Eher das Gegenteil dürfte der Fall sein, wie die klinische Erfahrung zeigt, denn gerade die überwiegend behandelten Patienten mit depressiven und Angststörungen neigen zur missbräuchlichen Selbstmedikation mit Medikamenten und mit Alkohol. Die Indikationsstellung durch die Behandler und die Bereitstellung der Behandlung kann nicht losgelöst von klinischer Erfahrung und nicht unabhängig von dem Wissen über die Krankheitslehre der Sucht und die Behandlungsmethodik erfolgen, welches wiederum in Relation zur Quote der wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen steht. Während von verhaltenstherapeutischer Seite eine Reihe von Lehrbüchern (Beck 1997, Petry 1996, Schuhler u. Baumeister 1999) und zunehmend auch Forschungsarbeiten (vgl. Küfner 2003, Schuhler 2003) vorgelegt wurden, finden sich deutschsprachige Veröffentlichungen zur psychoanalytischen Suchttherapie nur sehr verstreut und in großen Zeitabständen (Bilitza 1993; Bilitza u. Schuhler 2003, 2005; Burian 1994; Ebi 2000; Heigl-Evers 1977; Krystal u. Raskin 1983; Lürßen 1976, Rosenfeld 1968; Rost 2001, Voigtel 1996, Wurmser 1997). Angehörige fast aller sozialen Berufe und Heilberufe werden auf dem Feld der Suchtbehandlung therapeutisch tätig. Diese professionellen Helfer weisen aufbauend auf ihrer beruflichen Grundkompetenz als Arzt, Psychologe, Sozialpädagoge oder Sozialarbeiter im günstigen Fall eine allgemeine psychotherapeutische Zusatzausbildung vor und verfügen nur selten über eine spezielle Suchttherapeuten-Weiterbildung, die aber in der letzten Zeit von den Leistungsträgern (Rentenversicherungen) für Therapeuten in der stationären Entwöhnung verlangt werden (siehe den Beitrag von Helas in diesem Band). In der theoretischen Orientierung dieser Kliniksuchttherapeuten spiegelt sich die gegenwärtige Mainstream-Entwicklung einer Aufteilung in Verhaltenstherapie und Psychoanalytisch orientierte Psychotherapie und Systemischer Therapie wider, so dass in Kliniken, aber auch in Beratungsstellen, immer öfter interdisziplinär integrierte Teams aus Therapeuten verschiedener Orientierung anzutreffen sind.2 Dem Umstand tragen auch die Weiterbildungsangebote zum Suchttherapeuten Rechnung, wobei die großen Ausbildungsträger wie zum Beispiel der Gesamtverband der Deut2 Dies entspricht meinem Eindruck aus über 15 Jahren Fall- und Teamsupervision in 12 Kliniken.

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schen Suchthilfe (GVS) bereits durch sowohl verhaltenstherapeutische als auch analytisch orientierte berufliche Weiterbildungsgänge der Interdisziplinarität und integrierten Behandlungsformen Vorschub leisten (vgl. den Beitrag von Helas in diesem Band). Aus den genannten Gründen wird die Intention des Lehrbuchs deutlich, das bereits verfügbare psychoanalytische Wissen über die Behandlung der Suchterkrankungen durch Beiträge von ausgewiesenen Experten zusammenzutragen.

Psychoanalytische Krankheitslehre und Suchtpsychotherapie Die psychoanalytische Krankheitslehre der Sucht wird in dem Band »Psychodynamik der Sucht« ausführlich dargestellt (Bilitza 2007a) und hier als leitende Theorie für Diagnostik und Therapie verstanden. »Psychodynamik einer Erkrankung meint im ätiologischen psychoanalytischen Modell, das auch den derzeit geltenden Psychotherapierichtlinien psychodynamischer Psychotherapien zugrunde gelegt ist, den Zusammenhang nach der Formel: (1) Biographie, Lebensgeschichte und psychische Entwicklungsbedingungen bewirken (2) das daraus resultierende psychische Strukturniveau, das nach dem Entwicklungsstand von Trieb-, Ich- und Über-Ich-Entwicklung bestimmt wird und das wiederum aufgrund von (3) Misslingen der Anpassung an Lebenssituation und an Lebensleistungen (Ausbildung, Beruf, Partnerwahl, Familienbildung) somit einem Versagen an der Realität zur (4) Manifestation einer psychischen oder psychosomatischen Erkrankung als Fehlanpassung führt, die sich (5) im Fall der Fehlanpassung durch Konsum chemischer Substanzen als Suchtentwicklung und schließlich Suchtstruktur mit ihren jeweiligen Symptomen zeigt« (Bilitza 2007b, S. 9). Die Logik der psychoanalytischen Suchttherapie folgt dem der Theorieentwicklung in der Psychoanalyse als einem logisch-rationalen Zusammenhang einer Trias von Forschen, Handeln und Erkennen (Mertens 1990, S. 29). Indem das therapeutische Handeln gleichzeitig einer theoriegeleiteten Beobachtung, Analyse und Auswertung unterzogen wird, entsteht ein Forschungsprozess, an dessen Ende die Erkenntnisse zur Krankheitslehre und zur Therapiemethodik stetig wachsen und sich gegenseitig weiter anregen. Sowohl der Blick auf die allgemeine Entwicklung der Krankheitslehre und Behandlungstechnik in der Psychoanalyse der letzten hundert Jahre (Mertens 1990b, S. 17ff.) als auch die nähere Betrachtung der psychoana-

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Abbildung 1: Logik der psychoanalytischen Suchtpsychotherapie

lytischen Beiträge zum Verständnis der Suchterkrankungen, zeigt uns deutlich, dass es die eine Psychoanalyse nicht gibt (Wallerstein 1988, 2006). Sowohl Krankheitslehre als auch Behandlungsmethodik haben in diesem Zeitraum eine beeindruckende Weiterentwicklung erfahren. Bewährt hat sich die Unterscheidung der psychoanalytischen Suchttheorien nach den genannten zentralen Paradigmen der verschiedenen psychoanalytischen Theorie-Ansätzen (Bilitza 1993; Lürßen 1976; Rosenfeld 1968; Rost 1987). Im Überblick kann die Vielfalt der Hypothesen und Theorien einer Psychodynamik der Sucht nach den wichtigsten psychoanalytischen Krankheitsmodellen: Entwicklungspathologie, Konfliktpathologie und Psychotraumatologie und nach den psychoanalytischen Paradigmen von Triebpsychologie, Ich-Psychologie und Selbst- und Objekttheorie geordnet werden. Die allen Ansätzen gemeinsame Vorstellung lautet, Sucht entsteht nicht plötzlich vor dem Hintergrund einer ansonsten unauffälligen seelischen Entwicklung, sondern als Ergebnis einer prämorbiden seelischen Krankheitsgeschichte (s. a. Bilitza 2007b). Klassische Psychoanalyse mit Triebtheorie, Lehre vom Unbewussten und Instanzenlehre (Es, Ich, Über-Ich): Nach der klassischen Triebtheorie strebt der Süchtige nach Lustgewinn; sein schwaches Ich und gering entwickeltes

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Einführung

Über-Ich unterliegen dem Lustprinzip und versagen am Realitätsprinzip, das heißt die Anforderungen der Realität können nicht erfüllt werden und werden mit Regression auf die Fixierungsstellen der Libidoentwicklung beantwortet (S. Freud 1905, 1908, 1912; Abraham 1908; Ferenczi 1911; vgl. Subkowski 2007). In dieser Pionierzeit der Psychoanalyse stand zunächst nur das so genannte Standardverfahren zur Verfügung, das allgemein mit dem Couch-Setting, dem gleichbleibend abstinenten Psychoanalytiker und mit der Behandlung von Psychoneurosen in Verbindung gebracht wird. Sucht und andere schwere psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Persönlichkeitsstörungen, soweit sie zu dieser Zeit überhaupt erkannt wurden, konnten mit dieser Methode nicht behandelt werden. Ich-Psychologie mit der Lehre von der Ich-Organisation, insbesondere den Ich-Funktionen und dem Konzept der strukturellen Ich-Störungen: Nach dieser Auffassung ist das Ich des Süchtigen nicht in der Lage, Unlust zu vermeiden, das heißt unangenehme Spannungen zu ertragen, die von innen (Triebwünsche) oder von außen (Anforderungen der Außenwelt) stammen können. Fehlende Ich-Funktionen wie unzureichende Affektdifferenzierung, fehlende Reizschutzfunktionen, geringe Frustrationstoleranz oder mangelnde Realitätsprüfung werden durch suchttypische Verarbeitungsformen, die unter dem Einfluss der Suchtentwicklung entstanden sind, ersetzt. In einer Art pathologischem Selbstheilungsversuch wird die Lücke in der Ich-Organisation durch eine künstliche, aber letztlich nur kurzfristig wirkungsvolle Ich-Funktion ersetzt (S. Freud 1930, Radó 1934, Krystal u. Raskin 1970). Die Ein-Personen-Psychologie der Anfangszeit gemäß der psychische Dynamik und Struktur als ein nach inneren triebdeterminierten Gesetzmäßigkeiten sich bildendes Geschehen verstanden wurde, wird mit dem Aufkommen der Ich-Psychologie in Richtung einer Zwei-Personen-Psychologie erweitert (Mertens 1990a, S. 43; Wallerstein 2006, S. 821). Nun wurde erkannt, wie sich das Ich mit seinen Funktionen in Anpassung der Innen- an die Außenwelt entwickelt, wie sich zum Beispiel die Affektdifferenzierung im emotionalen frühen Dialog zwischen Mutter und Kind herausbildet. Demzufolge erhielt Therapie auch die Zielsetzung, die Nachreifung der aufgrund pathogener Einflüsse nicht genügend entwickelten Ich-Funktionen zu befördern, eine Zielsetzung der Arbeit an den Entwicklungspathologien, die deutlich unterschieden ist von der Auflösung unbewusster neurotischer Konfliktpathologien. Folgerichtig erschien die Psychotherapie unter Einsatz von Gruppen als eine dieser Zielsetzung äußerst entsprechende Behandlungsform, die, dem Entwicklungsgang der psycho-

Klaus W. Bilitza: Suchtpsychotherapie – Einführung

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analytischen Paradigmen folgend, sich von der Summierung von Einzelbehandlungen in der Gruppe zur Gruppenpsychotherapie in und durch die Gruppe erweiterte. Gerade in der stationären Suchtbehandlung nehmen gruppentherapeutische Methoden einen hohen Stellenwert ein, wie die Beiträge in diesem Band zur psychoanalytisch-interaktionellen Gruppenpsychotherapie (sie die Beiträge von Bilitza sowie von Dieckmann und Albertini) zur Psychodynamischen Gruppentherapie (siehe den Beitrag Fischer) und zur Großgruppenmethode (siehe den Beitrag von König) zeigen. Selbstpsychologie und Objektbeziehungstheorie, das heißt die Lehre von der Entwicklung seelischer Strukturen durch Internalisierungsprozesse und durch Reifung dieser Funktionen: Aus dieser Sicht kann Sucht als Störung in der Entwicklung der Selbst- und Objektbeziehungen, das heißt der inneren Repräsentierung des Selbst und von Repräsentanzen relevanter Bezugspersonen der äußeren Realität verstanden werden, also als Niederschlag von Schicksal und Erfahrung (Bilitza u. Heigl-Evers 1993; HeiglEvers 1977; Rost 2001). Die Reifung seelischer Strukturen ist eng verbunden mit der Reifung der Internalisierungsprozesse, die wir uns auf einem Kontinuum von früher Inkorporation über Introjektion bis hin zur Identifizierung vorstellen. Die Reifung endet mit dem dadurch jeweils erreichten Strukturniveau der Objektbeziehungen. Internalisierungsprozesse sind es also, die die Vermittlung und Verwandlung von der äußeren Welt in die Innenwelt leisten. Genau diesen Modus der Verwandlung von äußeren (materiellen) Substanzen in innere psychische Zustände, den Krystal u. Raskin (1983) als »Transsubstantiation« bezeichneten, beobachten wir bei allen substanzgebundenen Suchterkrankungen als den unbezwinglichen Drang, sich die Substanz einzuverleiben, um einen spezifischen Affektzustand oder um Selbstregulation zu erreichen. Klinisch finden wir hier überwiegend ein präödipales Strukturniveau, das je nach Einzelfall vom Entwicklungsstand der Übergangsphänomene beziehungsweise -objekte bei den schweren psychosenahen Suchterkrankungen über Partialobjektniveau bei den Persönlichkeitsstörungen (gehäuft: narzisstische Persönlichkeitsstörung auch bei Borderline-Syndrom) bis hin zum integrierten Totalobjekt der neurotischen Suchtkranken – in Form von gewohnheitsmäßigem Missbrauch ohne Bildung einer Abhängigkeit – reichen kann. Die so verstandene Sucht ist der vergebliche Versuch, Selbst-Strukturen gemäß den psycho-biologischen Reifungsaufgaben zu erwerben. Das Suchtmittel und die Beziehung zum Suchtmittel werden zum pathologischen Ersatz für nicht gelingende

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Einführung

Tabelle 1: Psychoanalytische Krankheitsmodelle, Theorien der Sucht und Behandlungsmethoden Theorien der Sucht TriebpsycholoKrankheitsgie der Sucht modelle

Ich-Psychologie der Sucht

Selbst- und Objekttheorie der Sucht

Behandlungsmethoden

EntwickSucht im Dienslungspatho- te des Lustprinlogie zips; Partialtriebniveau; Fixierung auf Oralität;

Sucht als artifizielle Ich-Funktion u. a. für Affektdifferenzierung, Selbst-Fürsorge; bei gestörter Gender-Entwicklung

Sucht als Ersatzbildung struktureller Defekte im Selbst; narzisstische Vulnerabilität

psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie (HeiglEvers u. Ott 1994); übertragungs-fokussierte Psychotherapie (Clarkin, Yeomans, Kernberg 1999); strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2006)

Konfliktpathologie

Suchtmittelmissbrauch als Regression der Anpassungsleistung des Ich; Fixierung auf ungelöste ödipale Konflikte

Suchtmittel als apersonales Substitut; süchtige Beziehung

tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (Wöller u. Kruse 2001); analytische Psychotherapie (Psychoanalyse) (Mertens 1990b)

Sucht als chemisch erzeugte Dissoziation im Dienste der Abwehr

Süchtige Phantasie und süchtige Beziehung gegen Re-Traumatierung und ReViktimisierung

mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (Fischer 2000); psychodynamische Imaginative Traumatherapie (Reddemann 2004); psychodynamisch-integrative Traumatherapie (Wöller 2006)

Sucht zur Unlustvermeidung; neurotische Konfliktregulierung von Triebspannungen und zur Angstbewältigung

Psychotrau- Sucht zur Fördematologie rung der Regression auf Partialtriebniveau

Internalisierungen, weil Halt gebende, Liebe spendende Bezugspersonen (das gute Objekt), die den Aufbau innerer Strukturen ermöglichen würden, fehlen oder unzureichend sind. Diese Sehnsucht, die sich als »Suche nach dem Guten Objekt« (Burian 2003) zeigt, verwandelt sich in Sucht (Bilitza u. Heigl-Evers 1993). Selbstpsychologie und Objektbeziehungstheorie konzipieren, über die IchPsychologie nun weiter hinausgehend, eine Mehrpersonen-Psychologie, der Mensch entwickelt sich im und gemäß dem sozialen Netz seiner Umwelt. Gemäß dieser interaktionistischen Wende in den theoretischen Auffassungen entsteht psychische Struktur über die Internalisierungsvorgänge der lebensgeschichtlichen Erfahrungen mit unterscheidbaren Anderen. Die Störungen werden hier als nicht abgeschlossene oder nicht erreichte Stufen der Entwicklung der Objektbeziehungen aufgefasst, die sich klinisch in Störungen der Trieborganisation, in strukturellen Ich-Störungen und in Über-Ich-Pathologien zeigen können (Kernberg 1998, S. 13–48).

Klaus W. Bilitza: Suchtpsychotherapie – Einführung

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Therapeutisch-technisch kommen hier die neueren psychoanalytischen Verfahren zur Anwendung, die unter dem Oberbegriff tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (Wöller u. Kruse 2001) zusammengefasst sind, zu denen insbesondere auch solche auf Interventionen ohne Deutung von Übertragung und Gegenübertragung bezogene Behandlungsformen wie zum Beispiel die psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994), die strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2006) oder die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (Clarkin u. Kernberg 2001) zählen. In den letzten Jahren gewinnt neben dem entwicklungspathologischen und dem konfliktpathologischen Krankheitsmodell das psychotraumatologische Krankheitsmodell an Bedeutung. Traumaspezifische Behandlungsmethoden wie die Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (Fischer 2000a), die Psychodynamische Imaginative Traumatherapie (Reddemann 2004) oder die Psychodynamisch-integrative Therapie (Wöller 2006) wurden entwickelt (Möllering 2007; Behring et al. sowie der Beitrag von Wöller in diesem Band). Die hier unterschiedenen psychoanalytischen Theorieansätze lösen einander nicht einfach ab, wie Thomas S. Kuhn (1967) dies für die Naturwissenschaften beschrieb, wonach eine Lehre verschwindet, wenn die, die sie vertreten, aussterben, sondern in einem andauernden Prozess der Weiterentwicklung oder Ausdifferenzierung ursprünglicher Theorien entstehen neue Modelle, die alte und neue Theorien zu integrieren versuchen (Hopper 1995, Wurmser 1997, Khantzian 1995, de Paula Ramos 2004).

Psychoanalytische Suchtdiagnostik Die psychoanalytische Suchtdiagnostik verlangt neben der begleitenden ärztlichen oder suchtmedizinischen Diagnostik (Feuerlein et al. 1998, S. 217ff.; Seitz et al. 2000; Tretter 2000; Uchtenhagen u. Ziegelgänsberger 2000, S. 259ff.) und der Suchtanamnese auch die so genannte Strukturdiagnostik, das heißt das Erfassen des Strukturniveaus der Trieb-, Ich- und Über-Ich-Entwicklung des Patienten sowie insbesondere der Selbst- und Objektbeziehungsrepräsentanzen (vgl. den Beitrag von Nitzgen in diesem Band). Hier verfügt die Psychoanalyse mit Theorie und Technik des Erstinterviews und der tiefenpsychologischen Anamneseerhebung über ein differenziertes Instrumentarium, das den Untersucher nicht von seinem Untersuchungsgegenstand durch Forderungen nach Objektivität und Reliabilität trennt, sondern von ihm im Gegenteil über die professionelle Entwicklung der Gegenübertragungsanalyse den Einsatz der eigenen Person

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Einführung

verlangt (Argelander 1970; Dührssen 1990; Hohage 2000; Laimböck 2000; Mertens 1990b, S. 236ff.; Schüßler 2005). Strukturdiagnostik im Rahmen der Suchtdiagnostik des Patienten dient dazu, »um einschätzen zu können, ob es sich bei seinen Suchtphänomenen – um eine neurotische Konfliktregulierung von Triebspannungen zur Angstbewältigung, – um eine artifizielle Ich-Funktion als Ausgleich in einer nicht genügend entwickelten Ich-Organisation – oder um eine Ersatzbildung zur Regulierung struktureller Defekte im Selbst handelt« (Bilitza 2007b, S. 19f.). Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, diese diagnostische Einschätzung ist bei gegebenem intoxikiertem Zustand in der Regel nicht möglich. Daher muss die zumindest kurzzeitige Abstinenzfähigkeit zuerst geklärt werden. Kann die kurzzeitige Abstinenz für die psychodiagnostische Abklärung nicht erreicht werden, folgt in jedem Fall die Notwendigkeit der ärztlich begleiteten Entgiftung, die unter folgenden Voraussetzungen in einem geschützten stationären Setting indiziert ist: – nach einem erfolglosen ambulanten fachärztlichen Versuch, – bei Vorliegen von körperlichen Folgeschäden und einem bereits allgemein eingeschränkten Gesundheitszustand, – wenn durch ein Sucht förderndes soziales Umfeld die Anbindung an das Suchtmilieu nicht zeitweise unterbrochen werden kann, – wenn als Folge der Suchterkrankung oder der ihr zugrunde liegenden psychischen Krankheit bereits eine instabile Lebenssituation (Arbeit, Wohnen, Familie, Partnerbeziehungen, Sozialkontakte) entstanden ist. Die Suchtanamnese im engeren Sinne, die sich üblicherweise an den Kriterien des ICD-10 (WHO 1993; dt. Dilling et al. 1999) orientiert, liefert die Daten für die Klassifikation des manifesten Suchtverhaltens, das als schädlicher Gebrauch (mit bereits vorliegender körperlicher oder psychischer Gesundheitsschädigung ohne Abhängigkeit) oder als Abhängigkeitssyndrom (mit [1] zwanghaftem Konsum, [2] Minderung der Kontrollfähigkeit, [3] körperlichem Entzugssyndrom, [4] Toleranzentwicklung, [5] Einengung auf Beschaffung und Konsum, [6] Vernachlässigung anderer Aktivitäten, [7] Konsum trotz schädlicher Folgen) eingeordnet wird. Vor dem Hintergrund des psychoanalytisch erfassten Strukturniveaus ergibt sich eine differenzierte diagnostische Einschätzung des Suchtpatienten und die daraus erfolgende Indikationsstellung, insbesondere ob vor der ambulanten Suchtpsychotherapie eine stationäre Suchtpsychotherapie mit

Klaus W. Bilitza: Suchtpsychotherapie – Einführung

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dem Ziel der Entwöhnung angezeigt ist. Für eine zunächst stationäre Behandlung (Feuerlein et al. 1998, S. 339ff.; Zemlin 1993) spricht: – ein manifestes, akutes Abhängigkeitssyndrom bei einem Strukturniveau der Persönlichkeitsstörungen (ich-strukturellen Störungen, Störungen der Selbst – Entwicklung), – eine geringe Therapiemotivation und mangelnde Fähigkeit, mit dem Therapeuten ein Arbeitsbündnis einzugehen (geringe therapeutische Ich-Spaltung), – eine geringe Krankheitseinsicht (Patient hat noch keinen Einstieg in die Therapie und in die Psychogenese »seiner« Sucht gefunden) sowie – ein erfolgloser ambulanter Entwöhnungsversuch. Somit bietet die Suchterkrankung in der klinischen Praxis eine therapeutische Ausgangssituation, die sich von der der Persönlichkeitsstörungen unterscheidet. Während wir dort von einer Nachreifung der Person als dem Therapieziel ausgehen, verlangt der therapeutische Umgang mit Suchtpatienten darüber hinausgehend mehrere Therapieziele: – Klärung und Festigung der Abstinenz; – Wiederherstellung oder Stärkung des bislang erreichten Strukturniveaus; – Nachreifung der Person; – gegebenenfalls Bearbeitung der Konfliktpathologien. Im Vergleich hierzu verlangen wir bei Indikation zur Psychoanalyse vom Patienten die Fähigkeit zur partiellen und möglichst reversiblen Regression, das heißt das Vermögen, sich auf ein Übertragungsgeschehen einzulassen und mittels therapeutischer Ich-Spaltung dennoch das Arbeitsbündnis aufrechtzuerhalten.

Zum Aufbau dieses Buches Der Logik einer psychoanalytischen Suchtpsychotherapie folgend werden zunächst im Beitrag von Dieter Nitzgen Grundfragen der psychoanalytischen Suchtdiagnostik dargestellt. Irene Helas erörtert in diesem Zusammenhang, wie Behandler aufgrund ihrer professionellen Entwicklung eine bedeutsame Rolle und Entscheidungsfunktion (Screening-Funktion) in Diagnostik, Indikationsstellung und Zuweisung und in der Behandlung einnehmen. Die derzeitige Realität widerspiegelnd, wonach Suchtpsychotherapie bislang nur zu einem Teil ambulant in der Praxis von niedergelassenen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten und Psychoanalytikern

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Einführung

und zu einem größeren Teil als stationäre Entwöhnung (beziehungsweise Rehabilitation) stattfindet, thematisieren die Artikel von Wolf-Detlef Rost über ambulante Suchttherapie in der Praxis des Psychoanalytikers und von Wolfgang Wöller über tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie die Methodik der ambulanten Behandlung. Die Methodik der stationären Behandlung beginnt mit meiner Bestandsaufnahme über Formen der Arbeit mit Gruppen in der Klinik und einer Einordnung der psychoanalytisch-interaktionellen Gruppenpsychotherapie im Vergleich mit anderen Gruppentherapiemethoden. Thomas Fischer stellt ergänzend dazu in seinem Beitrag die Entwicklung von Gruppenpsychotherapie mit ihren wesentlichen Charakteristiken und auch die in der DDR entwickelte Intendierte Dynamische Gruppentherapie dar und plädiert für eine Weiterentwicklung von Gruppentherapie. Indem Karl König den Prozess der Regression in Großgruppen aufzeigt, wird die Notwendigkeit deutlich, die sehr verbreitete Arbeit mit Großgruppen als psychotherapeutische Methode zu begreifen und zu gestalten. Einige spezielle Fragestellungen der Suchtpsychotherapie sind durch weitere Arbeiten besonders hervorgehoben. Den therapeutisch-technischen und aus verschiedenen Gründen als schwierig empfundenen Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung bei Suchtpatienten schildert Léon Wurmser. Wie sich aus der konsequenten Einführung und Praktizierung der psychoanalytisch-interaktionellen Psychotherapie eine einheitliche therapeutische Haltung in einer Klinik entwickeln kann, darüber berichten Andreas Dieckmann und Valentina Albertini. Dass sich der Umgang mit dem Rückfall in der stationären Arbeit gewandelt hat und welche Konzepte dem zugrunde liegen, führt Uwe Büchner in seinem Beitrag zu Rückfall und Rückfallprävention aus. In der umfassenden Darstellung von Robert Bering, Gottfried Fischer und Luise Reddemann werden neuere Verfahren zur traumaspezifischen Suchtbehandlung, die Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (Fischer) sowie die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (Reddemann) vorgestellt. In Grenzgebiete der Suchtpsychotherapie führt schließlich der Beitrag von Wulf-Volker Lindner, der unter Rückbezug auf Peter Sloterdijk die religiöse Dimension in Suchttherapien untersucht. Leichte inhaltlich Überschneidungen, etwa bei Themen der Diagnostik und in der Darstellung von Gruppenpsychotherapie und der psychoanalytisch-interaktionellen Methode, wurden beibehalten, einerseits wegen der Lesbarkeit der Beiträge und andererseits weil die Autoren ihren Gegenstand aus unterschiedlicher Perspektive schildern und dadurch dem Leser eine erweiterte Sicht bieten.

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Ausblick Mindestens viermal so hoch wie die Zahl der Alkoholabhängigkeitskranken (1,5 Millionen) ist nach den genannten epidemiologischen Daten die Zahl der Personen, die einen riskanten Umgang mit Alkohol aufweisen und zumindest jeder Dritte davon konsumiert ein Suchtmittel wie Alkohol im klinischen Sinne missbräuchlich. Nach der psychoanalytischen Krankheitslehre greifen die Betroffenen zum Suchtmittel aufgrund seelischer Probleme oder Störungen. Dieser großen Personengruppe und ihrer auf Dauer schädigenden Selbstmedikation einen adäquateren Ersatz zu bieten, indem für die psychischen Probleme andere Lösungen als Substanzmissbrauch entwickelt werden, wäre ein weiteres wichtigste Behandlungsziel der Suchtpsychotherapie. In den »Berliner Eckpunkten zur Verbesserung der Therapie bei Alkoholproblemen« (Caspers-Merk u. Mann 2002) heißt es: »2. Die derzeitige (Rehabilitations-)Behandlung ist gut. Sie erreicht aber zu wenige Betroffene und setzt insgesamt zu spät ein. 3. Früherkennung und Frühintervention sind neue niederschwellige Ansätze in der Frühphase einer Abhängigkeitsentwicklung. Sie erfordern eine Zusatzqualifikation bei Ärzten, Psychologen und Suchtberatern. 4. Die Aus- und Weiterbildung der Ärzte in Suchtmedizin muss verbessert werden. Die ›suchtmedizinische Grundversorgung‹ stellt einen ersten Ansatz im Bereich der ärztlichen Fortbildung dar« (Mann 2002, S. 16). Könnte es gelingen, mit Hilfe psychotherapeutischer Behandlungen einen größeren Teil der Suchtgefährdeten vor der Entwicklung einer Suchterkrankung zu bewahren, dann käme der suchtpsychotherapeutischen Behandlung wohl eine erhebliche präventive Bedeutung zu.

Psychoanalytische Diagnostik der Sucht

PsychoanalytischeDiagnostikderSucht

DieterNitzgen:KlassifikationderSuchterkrankungen

Dieter Nitzgen

Psychoanalytische und psychiatrische Perspektiven einer Klassifikation der Suchterkrankungen unter besonderer Berücksichtigung der Frage der Komorbidität Abstract Die besondere Herausforderung der Diagnostik von Suchterkrankungen besteht darin, dass Abhängigkeit und Sucht diagnostisch einerseits als »nosologische« Einheit, das heißt als Störung sui generis beschreibbar sind. Andererseits lassen sie sich diagnostisch ebenso berechtigt als »Symptom« jeweils unterschiedlicher, zugrunde liegender psychischer (Grund-)Störungen beschreiben, insbesondere da eine suchtspezifische Persönlichkeitsstruktur empirisch nicht existiert. Diese Problematik wird im Folgenden anhand der psychiatrischen und psychoanalytisch-psychodynamischen Klassifikationsversuche der Suchterkrankungen dargestellt und diskutiert. Daran anschließend erfolgt der Versuch, ein aus psychodynamischer Sicht hinreichendes, suchtspezifisches Kriterium zu formulieren. Davon ausgehend werden mit Bezug auf das Instrument der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) Überlegungen zu einer möglichen Operationalisierung der Suchtdiagnostik vorgestellt. In einem weiteren Schritt wird Sucht psychodynamisch als Form einer spezifischen Abwehrorganisation beschrieben.

Die Komplexität der Suchterkrankungen als diagnostische Herausforderung Suchterkrankungen sind hochkomplex, insofern hinsichtlich ihrer Ätiologie, Genese und Dynamik pharmakologische, somatische, psychische und soziale Wirkfaktoren untrennbar zusammenwirken. »Wie ein Fluß aus zahlreichen Quellen seinen Ursprung nehmen kann, dann aber einen unverwechselbaren Verlauf zeigt«, bieten die Suchten, wie Warnke und Bühringer schreiben, »eine unterschiedliche Pathogenese und münden schließlich in eine gemeinsamen Endstrecke ein« (1991, S. V). Dementsprechend muss jedes Verständnis von Sucht notwendigerweise interdisziplinär angelegt sein. Dabei ist mit Krause davon auszugehen, »dass im besten Fall [. . .] die Befunde des einen Systembereichs Eingangs- oder Ausgangsgrößen für den anderen [sind]« (Krause 1997, S. 17). Dass Abhängigkeit und Sucht gleichwohl und legitimerweise Gegenstand einer strikt psychoanalytischen

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Psychoanalytische Diagnostik der Sucht

Betrachtung sind, begründet etwa bereits Simmel, wenn er 1948 mit Blick auf die Alkoholsucht schreibt: »Daß das Bedürfnis, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, dem einen als Mittel zur Realitätsflucht dient, während der andere es zur Realitätsbewältigung verwendet, beweist, daß das der ausschlaggebende Faktor nicht die biochemische Wirkung des Alkohols ist, sondern die psychologische Wirkung, die das Ich daraus bezieht« (1948/1993, S. 290ff.). Hopper (1995) hat darüber hinaus darauf aufmerksam gemacht, dass die spezifisch pharmakologische Wirkung und die mit ihr verbundenen Rituale der Drogeneinnahme selektiv benutzt werden, um je spezifische unbewusste Phantasien zu erzeugen, zu entwickeln, aufrechtzuerhalten und zu kontrollieren. Die Schwierigkeiten der Suchtdiagnostik resultieren somit aus der Komplexität ihres Gegenstands. Dabei verhält es sich einerseits so, dass die Suchterkrankungen diagnostisch eines nosologische Einheit bilden. Sie bilden »ein breites Spektrum von Störungen, deren Schweregrad von einer unkomplizierten Intoxikation und schädlichem Gebrauch bis zu eindeutig psychotischen Störungen und Demenz reicht, die aber alle auf dem Gebrauch einer oder mehrerer psychotroper Substanzen (mit oder ohne ärztliche Verordnung) beruhen« (Dilling et al. 1999, S. 89 – Hervorh. D. N.). Andererseits verweist dieses Störungsspektrum selbst wieder auf unterschiedliche Quellen, das heißt auf unterschiedlich zu definierende psychologische Dispositionen und Persönlichkeitsstrukturen. Daraus ergibt sich die grundlegende diagnostische Schwierigkeit, die Suchterkrankungen einerseits als Störung sui generis und andererseits als Ausdruck unterschiedlicher psychischer »Grundstörungen« (Warnke u. Bühringer 1991, Sporn 2005) und damit als »Symptom« dieser zugrunde liegenden (Grund-)Störungen zu verstehen. Ersteres betonen die psychiatrischen Klassifikationssysteme der Sucht, etwa in Gestalt der »Internationalen Klassifikation psychischer Störungen« (ICD) in der 10. Revision beziehungsweise des Diagnostic Standard Manual DSM-IV-R der American Psychiatric Association; Letzteres die psychodynamisch-psychoanalytischen Klassifikationsversuche.

Psychiatrische Perspektiven der Suchtdiagnostik Die psychiatrischen Klassifikationssysteme des ICD-10 beziehungsweise des amerikanischen DSM-IV-R betonen den diagnostischen Status der Suchterkrankungen als nosologische Einheit. Ihre Spezifität basiert dementsprechend auf dem Kriterium des Gebrauchs einer oder mehrerer psy-

Dieter Nitzgen: Klassifikation der Suchterkrankungen

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chotroper Substanzen (Dilling et al. 1999, S. 89). Nach der Definition des DSM-IV-R sind Suchtdiagnosen demzufolge »Diagnosen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen« und »beinhalten Störungen, die von der mißbräuchlichen Einnahme von Drogen (einschließlich Alkohol), über Nebenwirkungen eines Medikaments bis zum Einfluß toxischer Stoffe reichen« (1994, S. 231). Davon ausgehend werden in beiden Klassifikationssystemen die mit Abhängigkeit und Sucht verbundenen Störungsbilder sowohl kategorial (anhand der verschiedenen Suchtmittel) als auch dimensional (im Hinblick auf ihren Schweregrad) klassifiziert. So wird unter der Überschrift »Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen« im Abschnitt F1 des ICD-10 das Spektrum der stoffgebundenen Suchterkrankungen suchtmittelspezifisch durch acht verschiedene Substanzklassen (Störungen durch Alkohol, Opioide, Cannabinoide, Sedativa oder Hypnotika, Kokain, sonstige Stimulantien einschließlich Koffein, Halluzinogene, Tabak sowie flüchtige Lösungsmittel) sowie den Störungen durch multiplen Substanzgebrauch von F10 bis F19 klassifiziert. Das DSMIV-R kennt 11 spezifische Substanzklassen plus den multiplen und anderen Substanzen, also 13 Klassen. Diese kategoriale Klassifikation wird im Weiteren durch eine dimensionale Klassifikation der suchtspezifischen klinischen Syndrome ergänzt, das heißt durch die Einteilung nach ihrem Schweregrad. Dieser erstreckt sich im Rahmen des ICD-10 von der akuten Intoxikation (F1x.0), dem schädlicher Gebrauch (F1x.1), dem Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) über das Entzugssyndrom (F1x.3) ohne und mit Delir (F1x.4) bis zu den suchtspezifischen psychotischen Störungen (F1x.5), dem amnestischen Syndrom (F1x.6), den Restzuständen (F1x.7), den sonstigen (F1x.8) sowie den nicht näher bezeichneten psychischen und Verhaltenstörungen (F1x.9). Das DSM-IV-R erweitert diese dimensionale Klassifikation ausdrücklich um die Angststörungen, die suchtspezifischen sexuellen Funktionsstörungen und die Schlafstörungen. Abschließend erfolgt im ICD-10 an vierter und fünfter Stelle die Klassifizierung der Suchtsyndrome im Hinblick auf ihr aktuelles klinisches Erscheinungsbild, das heißt mit Hilfe der Begriffe: gegenwärtig abstinent (F10.20), gegenwärtig abstinent, aber in beschützender Umgebung (F10.21), gegenwärtige Teilnahme an einem ärztlich überwachten Ersatzdrogenprogramm (F10.22), gegenwärtig abstinent, aber in Behandlung mit aversiven oder hemmenden Medikamenten (F10.23), gegenwärtiger Substanzgebrauch (F10.24), ständiger Substanzgebrauch (F10.25) sowie episodischem Substanzgebrauch (F10.25). Mit Hilfe der beschriebenen diagnostischen Parameter der Spezifität der Suchtmittel, des jeweiligen Schweregrads der klinischen Suchtsyndrome sowie ihrem aktuellen klinischen Erscheinungsbild wird damit

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das Spektrum der Suchterkrankungen in beiden großen psychiatrischen Klassifikationssystemen diagnostisch als eine nosologische Einheit beschreibbar. Gemäß der im ICD und DSM angestrebten, grundlegenden diagnostischen Logik empirisch verifizierbarer Komorbiditäten können Suchterkrankungen darüber hinaus mit allen anderen, nichtsuchtspezifischen psychopathologischen Syndromen korrelieren; im ICD also den schizophrenen, schizotypen und wahnhaften Störungen (F2), den affektiven Störungen (F3), den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4), den Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen (F5), den Persönlichkeits- und Verhaltenstörungen (F6), der Intelligenzminderung (F7), den Entwicklungsstörungen (F8), den Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F9) sowie den Nicht näher bezeichneten psychischen Störungen (F99). Solche möglichen Komorbidität(en) ergeben sich allein auf der Basis empirischer, das heißt statistischer verifizierbarer Korrelationen, nicht aber aufgrund klinischer Affinitäten zwischen dem Sucht- und anderen klinischen Syndromen. Die Diagnostik eines suchtkranken Patienten erfolgt somit im Rahmen von ICD-10 beziehungsweise DSM-IV-R diagnostisch additiv, das heißt durch die Kombination einer suchtspezifischen (Haupt-)Diagnose (F1) mit der Zusatzdiagnose komorbider Störungsbilder (F2 bis F 99). Die Leistung beziehungsweise Leistungsfähigkeit der psychiatrischen Klassifikationssysteme in Suchtdiagnostik besteht danach in erster Linie in der hinreichenden kategorialen und dimensionalen Beschreibung des Suchtsyndroms als nosologischer Einheit sui generis. Damit ist es möglich, Art, Schweregrad und Folgestörungen von Suchterkrankungen stringent zu beschreiben. Problematisch dagegen erscheint aus psychodynamischer Sicht der Versuch, die Beziehung zwischen den Suchterkrankungen und anderen psychischen Störungen, etwa den Persönlichkeitsstörungen, im Rahmen der psychiatrischen Klassifikationssysteme auf rein statistischer Basis zu konstruieren und anhand von »Komorbiditätsraten« erfassen zu wollen1. Dem widerspricht die klinisch begründete Beobachtung von Psychoanalytikern, »daß die psychische Wirkung von Alkohol und Drogen im Einzelfall verschieden [ist], je nachdem welche intrapsychische Struktur dem Abusus jeweils zugrunde liegt« (Kernberg 1978, S. 255). Daraus folgt, wie Heigl-Evers et al. (1991, S. 38) zu Recht festgestellt haben, dass psychodynamische Annahmen grundsätzlich als »notwendige, wenngleich nicht als hinreichende Bedingungen für die Entwicklung einer 1 Die Komorbiditätsrate im Fall der Suchterkrankungen ist bekanntermaßen hoch; nach Mann (2000) beträgt sie zwischen 20 und 40 %. An erster Stelle stehen dabei Depressions-, an zweiter Stelle Angst- und an dritter Stelle Persönlichkeitsstörungen.

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Abhängigkeit anzusehen sind«. Insofern ist entgegen den Annahmen von ICD-10 und DSM-IV-R davon auszugehen, dass zwischen Suchterkrankung und Persönlichkeitsstruktur kein kontingenter, sondern ein struktureller Zusammenhang besteht. Das heißt, dass Suchterkrankungen sich auf der Basis (und zur Bewältigung) psychischer »Grundstörungen« (Wanke u. Bühringer 1991) entwickeln und sich folglich auch persönlichkeitsspezifisch ausprägen. Oder, anders ausgedrückt, dass die Sucht selbst Symptomcharakter hat. Mit Blick auf die Diagnostik gilt daher, dass Suchtentwicklung und Persönlichkeitsstruktur letztlich untrennbar sind und demzufolge auch diagnostisch nur auf Kosten der klinischen Komplexität voneinander getrennt werden können. Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt der psychoanalytischen Suchtdiagnostik.

Die psychoanalytische Klassifikation von Abhängigkeit und Sucht Die Psychoanalyse hat stets den Symptomcharakter von Abhängigkeit und Sucht betont. So hat A. Freud beispielsweise davon gesprochen, dass Sucht »ein hoch zusammengesetztes, symptomatisches Gebilde« ist (1968, S. 181). Suchterkrankungen sind demnach Anzeichen beziehungsweise Ausdruck zugrunde liegender, unbewusster seelischer Konflikte und/oder struktureller Beeinträchtigungen der Persönlichkeit. Daher müssen aus psychoanalytischer Sicht die Entstehung wie auch die Erscheinungsformen eines abhängigen oder süchtigen Verhaltens grundsätzlich lebensgeschichtlich verstanden werden, also im Hinblick auf die psychosexuelle (Freud) und psychosoziale (Erikson) Entwicklungsgeschichte der betroffenen Subjekte. Insofern eine Spezifität der Psychoanalyse darin besteht, eine »Theorie der psychischen Entwicklung mit einer Theorie der psychischen Struktur« zu verbinden (Kernberg 1996, S. 57), gilt für sie, dass die Entwicklung von Abhängigkeit und Sucht einschließlich Wahl und Wirkung des Suchtmittels (Kernberg 1978, S. 255 u. Wurmser 1978) klinisch in einem engen Verweisungszusammenhang mit der Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur stehen. Die besondere Herausforderung einer spezifisch psychoanalytischen Diagnostik der Suchterkrankungen besteht nun allerdings nicht darin, solche Zusammenhänge unter bloßem Rekurs auf bestehende Elemente der klinischen Theorie der Psychoanalyse beziehungsweise der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie darzulegen, also etwa durch Verweis auf Zusammenhänge mit der Dynamik so genannter früher Störungen, sondern diese suchtspezifisch auszuformulieren, das heißt Kriterien dafür anzugeben, worin denn die eigentliche Spezifität der Suchterkrankungen ge-

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Psychoanalytische Diagnostik der Sucht

genüber anderen Störungsbildern bestehen soll. Ist es überhaupt möglich, Sucht psychodynamisch so zu definieren, dass sie von anderen Störungsbildern abgrenzbar wird? Wie Voigtel in seinen Ausführungen zur psychoanalytischen Diagnostik der Sucht gefordert hat (1996, S. 716), geht es dabei wesentlich um den Versuch, Sucht so zu definieren, »daß sie sich auch nach den Rändern hin mit gebotener wissenschaftlicher Schärfe abgrenzt«. »Wo«, so fragt er, »ist die Grenze zwischen einer psychisch stabilisierenden Gewohnheit (die täglichen zwei Gläser Wein) und einem autodestruktiven Zwang (drei Gläser Wein)?« Fängt die Sucht bei zwei oder zwanzig Zigaretten pro Tag an? Entsprechenden Versuchen, süchtiges Handeln rein quantitativ zu definieren, hält er entgegen, dass »Dauer und Gewohnheit eines Tuns [. . .] es noch nicht zur Sucht [machen]; ebenso wenig Zwanghaftigkeit und Entstehung von Angst bei Entzug dieses Tuns. [. . .] Auch die Orientierung an Merkmalen, wie die Menge des Konsums bestimmter Drogen oder der somatischen oder sozialen Schädlichkeit eines Tuns für einen Menschen ist für die Abgrenzung einer Krankheitseinheit ›Sucht‹ überflüssig« (1996, S. 738). Und er fügt provozierenderweise hinzu: »Wenn wir uns nun mit der empirischen Tatsache auseinandersetzen, daß es eine Reihe von Menschen gibt, die von Glücksspiel genauso abhängig sind wie von einer Droge, einschließlich des Kater-Gefühls und der Entzugserscheinungen, mit den gleichen Glückshoffnungen und der gleichen willenlosen Hingabe und dem gleichen faktischen Ruin, dann müssen wir uns zunächst von dem Gedanken verabschieden, daß die faktische Inkorporation eines Objekts ein Suchtkriterium sei. Wir müssen davon ausgehen, daß die toxische oder chemische Wirkung inkorporierter Stoffe für den Suchtmechanismus nicht wesentlich ist« (S. 730). Damit knüpft auch Voigtel an die bereits zitierte Einsicht Simmels an, »daß der ausschlaggebende Faktor nicht die biochemische Wirkung« des Suchtmittels ist, »sondern die psychologische Wirkung, die das Ich daraus bezieht« (1948/1993, S. 290ff. – Hervorh. D. N.). Diese psychologische Wirkung des Suchtmittels, das heißt seine Funktion für das Ich des Süchtigen, ist von den Psychoanalytikern unter Rekurs auf die großen Paradigmen des psychoanalytischen Denkens beschrieben worden: als »Lustgewinn« im Rahmen von Freuds orthodoxer Triebtheorie; als »Vermeidung von Unlust« im Rahmen der psychoanalytischen Ich-Psychologie von Freud (1923) und seinen Nachfolgern; als »narzißtische Reparation« des Selbst in der Selbstpsychologie Kohuts (1973) und seiner Nachfolger; und schließlich als »Selbstzerstörung« im Rahmen der an M. Klein (1972) orientierten Objektbeziehungstheorie(n). Was Süchtige sich mit der Einnahme ihres Suchtmittels zu verschaffen suchen, ist demnach ebenso sehr eine Steige-

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rung ihres Lusterlebens wie die Vermeidung unlustvoller Affekte. Es ist drittens der Versuch, ein psychologisch geschwächtes, fragmentiertes Selbsterleben zu stärken und zu reparieren, und viertens der Versuch, noch aus der Zerstörung des Selbst masochistische Lust zu ziehen. Fünftens wäre noch die Funktion der Drogeneinnahme als Versuch der Bindung traumatogener Affekte zu erwähnen, wie ihn etwa Wurmser (1978) konzeptualisiert hat. Angesichts dieser teilweise durchaus verwirrenden Vielfalt der psychoanalytischen Ansätze und Theorien zur Sucht hat Rost 1987 anhand des Alkoholismus erstmalig versucht, ein »integriertes psychodynamisches Modell der Sucht« zu entwickeln (Rost 1987, S. 124ff.). Im Hinblick auf eine Nosologie der Sucht auf psychoanalytischer Basis, kommt er dabei zu dem Schluss, das es wenig hilfreich sei, etwa »den Alkoholismus unter andere Krankheitsbilder zu subsumieren beziehungsweise in deren Nähe anzusiedeln« (1987, S. 124). In Abgrenzung davon hat Rost ein Vorgehen vorgeschlagen, »in dem die jeweiligen (unterschiedlichen) Fixierungspunkte der Erkrankung beziehungsweise das Ausmaß der Regression ein besonderes Gewicht erhalten« und deshalb auf einem »entwicklungspsychologischen Kontinuum« anzuordnen sind (S. 124). Damit ergibt sich eine entwicklungspsychologisch begründete und begründbare Betrachtung der Suchtentstehung anhand verschiedener »Fixierungspunkte«, die jeweils unter objektbeziehungstheoretischen, ich-psychologischen, triebtheoretischen und auch eine soziologischen Gesichtspunkten beschrieben werden. Sucht erscheint danach als Folge der Fixierung an beziehungsweise der Regression auf archaische, objektbezogene Konflikte mit der frühen Mutter (objektbeziehungstheoretischer Gesichtspunkt), als Folge angeborener und/oder erworbener Defekte der Ich-/Selbstorganisation (ich-psychologischer Gesichtspunkt) oder als Folge unbewusster Triebkonflikte (triebtheoretischer Gesichtspunkt) oder schließlich als Folge gesellschaftlicher Umstände (soziologischer Gesichtspunkt). Im Anschluss an Simmels Klassifikation von Alkoholikern als soziale, reaktive, neurotische und süchtige Trinkers (1948) entwickelt Rost die klinischen Typologie eines vorwiegend »neurotisch-ödipal« strukturierten Trinkers (der mit Hilfe des triebpsychologischen Modells hinreichend verstanden werden kann), eines strukturell-beeinträchtigten, »ich-schwachen« Trinkers (dessen Verständnisgrundlage die Ich- und Selbstpsychologie sein sollen) sowie die Vorstellung eines früh gestörten »autodestruktiven« Trinkers (dessen klinisches Verständnis auf der Basis der Objektbeziehungstheorie basieren soll) (Rost 1987, S. 127–139). Das Problem dieser Klassifikation ist, dass sie weniger integrativ als ad-

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ditiv ist, insofern sie die verschiedenen psychoanalytischen Modellvorstellungen (einschließlich der soziologischen Perspektive) zwar in eine Reihe, aber nicht wirklich unter einen Hut zu bringen vermag. Was hier fehlt, und mit dem knappen Verweis auf ein entwicklungspsychologisches Kontinuum nicht zu erledigen ist, ist die tatsächliche Vermittlung der mit diesen Modellen verbundenen klinischen Prämissen und Grundannahmen. Mangels einer einheitlichen klinischen Theorie der Psychoanalyse, die es derzeit nicht gibt, erscheint auch Rosts Versuch, die Klinik der Suchterkrankungen psychoanalytisch zu integrieren, als Addition heterogener und im Einzelnen unvereinbarer Vorstellungen. So lässt sich beispielsweise die selbstpsychologische Annahme so genannter narzisstischer Defizite nur schwer mit einem objektbeziehungstheoretischen oder dem strukturellen Konfliktmodell der klassischen Psychoanalyse versöhnen (Mertens 1981, S. 129–168). Angesichts dieser Situation erscheint es pragmatisch und klinisch sinnvoll, wenngleich theoretisch unbefriedigend, die Suchterkrankungen mit Lindner (1998, S. 133) als ein »Ineinander von Konflikt- und Strukturpathologie« zu beschreiben. Als hilfreich für den Versuch, dieses »Ineinander«, das nur allzu leicht zum Durcheinander zu geraten droht, diagnostisch trennschärfer zu durchdringen, hat sich rückblickend vor allem Kernbergs 1970 erschienene Revision der psychoanalytischen Klassifikation der Charakterpathologie erwiesen. Zentral dafür ist die Verabschiedung von Fenichels klassischer, auf dem Triebabwehr-Modell basierenden psychoanalytischen Charakterologie zugunsten eines objektbeziehungstheoretisch erweiterten Verständnisses der Persönlichkeitsstruktur nebst ihrer möglichen Pathologien. Im Mittelpunkt dieser Neukonzeption steht die Einführung des Begriffs von so genannten »Strukturebenen der Charakterpathologie« (1981, S. 142ff.), die Kernberg im Hinblick auf drei pathologische Entwicklungslinien definiert: »1. Die Pathologie der Ich- und Über-Ich-Strukturen; 2. die Pathologie der internalisierten Objektbeziehungen und 3. die Pathologie der Entwicklung libidinöser und aggressiver Triebregungen« (1981, S. 141). Im Hinblick auf diese Strukturebenen unterschied Kernberg zunächst eine niedrige, mittlere und höhere Ebene der Charakterpathologie, die etwa einem Borderline-, einem charakterneurotischen oder einem neurotischen Funktionsniveau korrelieren, um diese Einteilung später (1996) zugunsten der Differenzierung einer neurotischen Persönlichkeitsorganisation von einer höheren und niedrigeren Ebene der Borderline-Persönlichkeitsorganisation und einer psychotischen Persönlichkeitsorganisation zu revidieren. Jede Ebene der Persönlichkeitsorganisationen entspricht danach einem bestimmten Struktur- beziehungsweise Funktionsniveau der

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Ich- und Über-Ich-Organisation, der verinnerlichten Objektbeziehungen sowie der libidinösen und aggressiven Triebstrukturen. Kernbergs Klassifikation eröffnet damit die Möglichkeit einer stringenten, Struktur-Diagnostik der Charakterpathologie, das heißt die Möglichkeit, die verschiedenen Ebenen der Persönlichkeitsorganisation im Hinblick auf ihre strukturellen Integration beziehungsweise Desintegration zu erfassen. Damit lassen sich Persönlichkeitsstörungen nicht allein kategorial, sondern vor allem dimensional, das heißt hinsichtlich ihres Schweregrads, psychoanalytisch hinreichend klassifizieren (Kernberg 1996). Über Rosts entwicklungspsychologische Fixierungsstellen hinausgehend, liefert dieser Ansatz damit auch Kriterien für eine strukturbezogene Klassifikation der Persönlichkeitsorganisation suchtkranker Patienten. Von da aus wird es möglich, den Schweregrad von Suchtverläufen nicht nur suchtspezifisch zu klassifizieren (etwa anhand des Kapitels F1 der ICD), sondern auch persönlichkeitsspezifisch, das heißt im Hinblick auf die zugrunde liegenden Störungen der Persönlichkeit. Eine Erweiterung der Vorstellungen Kernbergs stellten in der Folge die Überlegungen des Arbeitskreises OPD (1998) dar, die schließlich zur Entwicklung der »Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik« (OPD) geführten haben. Das Instrument der OPD stellt ein multiaxiales Klassifikationssystem zur Erfassung psychischen Geschehens dar. Auf seiner Basis werden psychische Phänomene anhand von vier Achsen klassifiziert: als Krankheitserleben (Achse I), als Beziehungsgestaltung (Achse II), als Konfliktdynamik (Achse III) und als (Persönlichkeits-)Struktur (Achse IV). Die Achse V – Psychische und Psychosomatische Störungen – ist als Anschlussachse zur psychiatrischen ICD/DSM Diagnostik konzipiert und spielt für die psychodynamischen Klassifikation keine Rolle. Die OPD erlaubt damit die psychodynamische Klassifikation von psychischen Störungen hinsichtlich der interpersonelle Beziehungsgestaltung sowie zugrunde liegender, zeitlich überdauernder »innerer unbewußter zeitüberdauernder Konflikte« (Arbeitskreis OPD 1998, S. 56) wie auch im Hinblick auf die strukturelle Integration der Persönlichkeit. Dabei wird das Konstrukt der psychischen »Struktur« von den Autoren als »eine für den Einzelnen typische Disposition des Erlebens und Verhaltens« (1998, S. 63) in den Bereichen Selbstwahrnehmung, Objektwahrnehmung, Selbststeuerung, Abwehr, Kommunikation und Bindung definiert, deren Funktionsniveau jeweils »gut«, »mäßig«, »gering« oder »desintegriert« sein kann. Insofern sich diesen Integrations- beziehungsweise Funktionsniveaus der Persönlichkeit psychopathologisch mit Kernberg (1996) auch verschiedenen Ebenen der Charakterpathologie zuordnen lassen, können mit Hilfe der OPD

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suchtkranke Patienten nicht nur strukturell differenziert werden, sondern auch im Hinblick auf ihre interpersonelle Beziehungsgestaltung und ihre unbewussten Konfliktdynamik. Der Besonderheit des operationalisierten diagnostischen Ansatzes entsprechend, steht es dem Untersucher, der mit diesem Instrument arbeitet, nicht mehr frei, sein eigenes Vorverständnis etwa von psychischem »Konflikt« und psychischer »Struktur« zu verwenden, sondern er bleibt diesbezüglich auf die Operationalisierung dieser Konstrukte im Manual verwiesen. Mit der OPD steht damit ein Instrument zur Verfügung, das grundsätzlich eine differenzierte, reliable und valide psychodynamische Differenzialdiagnostik der Persönlichkeitsorganisation suchtkranker Patienten erlaubt. Besonders die Strukturachse IV erlaubt dabei auch begründete Annahmen über die spezifische Funktion des Suchtmittels im Rahmen pathologischer Persönlichkeitsorganisationen, etwa die Funktion der Enthemmung bei guter Integration, das heißt klinisch einem neurotischen Funktionsniveau; die Funktion der Aufrechterhaltung beziehungsweise Stabilisierung von Spaltungsprozessen bei geringer Integration sowie eine antipsychotische Funktion des Suchtmittel bei einem psychotisch desintegrierten Funktionsniveau. Die Frage ist aber, ob und in wieweit ein diagnostisches Instrument auch von der Komplexität der OPD suchtspezifisch genug ist, das heißt geeignet wäre, die Spezifität der Sucht diagnostisch zu erfassen.

Die Frage der Spezifität der Suchterkrankungen aus psychodynamischer Sicht Lässt sich ein diagnostisches Kriterium angeben, das es erlauben würde, Suchterkrankungen so zu definieren, dass sie von anderen Störungsbildern abgrenzbar werden? Anders ausgedrückt, worin besteht das psychodynamisch Wesentliche des Suchtmechanismus? Ein erster Versuch, die Spezifität süchtigen Geschehens herauszuarbeiten, war der von Heigl-Evers et al. (1981) unternommene Versuch, »suchtspezifische Objektbeziehungsmuster« zu identifizieren. Suchtspezifisch war nach ihrer Meinung ein dominantes Objektbeziehungsmuster der »permanent wirksame[n], unbewusste[n] Phantasie« einer inneren Beziehung von Selbst und Objekt, in der das Selbst beständig auf Anwesenheit und Verfügbarkeit des Objekts angewiesen bleibt, um sein psychisches Gleichgewicht regulieren zu können. Insofern verstehen die Autoren ein solches Beziehungsmuster als Grundstörung süchtigen Geschehens. Ätiologisch entspricht dem die Vermutung, dass in der Genese der Suchterkrankung

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»möglicherweise schon sehr früh in der kindlichen Entwicklung zur Befriedigung von Triebwünschen Angebote gemacht wurden, die unpersönliche Mittel zur Beseitigung von Unlustgefühlen beinhalteten« (Heigl-Evers et al. 1981, S. 59 – Hervorh. D. N.). In seiner später erschienen Arbeit (1996) hat Voigtel diese Überlegungen psychodynamisch präzisiert und weiterentwickelt. Im Unterschied zu Heigl-Evers et al. geht er dabei davon aus, dass der Süchtige sich gerade nicht dem realen oder imaginären menschlichen Anderen passiv überlässt, sondern dem Suchtmittel selbst als einem »Ding«. Ausgehend vom bereits beschriebenen Vorrang der psychologischen Funktion des Suchtmittels in der Suchtdynamik, sieht er diese Funktion wesentlich in der beruhigenden Eigenschaft des Suchtmittels infolge seines »dinglichen« Charakters und folglich seiner zuverlässigen »Verfügbarkeit«. »Süchtige«, so Voigtel, »ertragen die Enttäuschungen des Lebendigen nicht« (1996, S. 739). Der süchtige Ausweg angesichts einer fehlbaren menschlichen Mitwelt besteht demzufolge darin, sich unbelebten Objekten zu überlassen. Deshalb erkennt Voigtel die »Überlassung an ein unbelebtes Objekt« (S. 739) als den spezifischen psychodynamischen Modus des Suchtgeschehens. Diese Überlassung erfolgt im Zeichen der projektiven Zuschreibung menschlicher Qualitäten, die das Suchtmittel zum Träger der ersehnten Eigenschaften erhebt. Das Subjekt überlässt sich der Substanz in der Hoffnung, Linderung seiner Ohnmachts- und Verlassenheitsgefühle und Glück und Wohlbefinden zu erhalten. Wesentliches Merkmal dieser Bereitschaft zur Überlassung ist eine tiefgreifenden »Passivität des Selbst«, die für Voigtel zum Wesen der Sucht gehört (S. 735). Diese Passivität korreliert, wie er anhand einer gründlichen Revision der relevanten Literatur aufzeigt, mit einer mehr oder weniger generellen, strukturellen Beeinträchtigung des Subjekts, die je nach den leitenden theoretischen Vorstellungen als basale Verstimmung, Ich-Schwäche, narzisstisches Defizit oder autodestruktive Tendenz beschrieben wird. »Für die schweren Fälle von Sucht haben wir«, so Voigtel (S. 731), »einen Mangel an Selbstwertgefühl konstatiert, eine fehlende Ich-Fähigkeit, Affekte differenziert zu erleben und zu kommunizieren, diffuse Angst, ein Ohnmachts- und Schuldgefühl, schließlich Hass auf die eigene Unfähigkeit und Schlechtigkeit und, dazu passend, ein negatives Selbstbild.« Ungeachtet der Tatsache, dass entsprechende strukturelle Beeinträchtigung sich auch bei anderen narzisstischen Störungsbildern finden, ist das entscheidende Kriterium welches die Sucht von diesen Störungen unterscheidet, »auch wenn sie ihr äußerlich sehr ähnlich sehen«die »die Hingabe an ein unbelebtes Objekt« (S. 733). Aus diesem Grund versteht Voigtel

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Suchterkrankungen nicht einfach als Folge struktureller Defizite (wie etwa Kohut), sondern »im klassischen Freudschen Sinne als Symptom einer Kompromissbildung«. Sucht ist nicht »nur das Ausfüllen eines narzisstischen Defizits oder eine gradlinige, vom Über-Ich geleitete Selbstzerstörung, sondern ein agierter Abhängigkeitswunsch (Trieb) und dessen Abwehr durch Verschiebung auf ein unbelebtes Objekt« (S. 739). Insofern dieser Vorgang der Verdrängung unterliegt, imponiert süchtiges Verhalten dann als »bewusstloser, zwanghafter Ablauf«. Damit gelingt es Voigtel, den Suchtmechanismus psychodynamisch stringent zu formulieren. Im Verhältnis zum Konzept einer suchtspezifischen Objektbeziehung erscheint seine Argumentation dabei psychodynamisch stringenter, da sie nicht nur die Passivität des Selbst gegenüber dem Objekt thematisiert, sondern darüber hinaus den spezifischen Modus der Suchtdynamik benennt.2

Exkurs: Suchterkrankungen im Verhältnis zu anderen Störungsbildern Voigtels Vorschlag, die Psychodynamik der Sucht als »Überlassung an ein unbelebtes Objekt« zu definieren, liefert neben einem brauchbaren diagnostischen Kriterium zur kategorialen Bestimmung der Sucht auch ein dimensionales Kriterium, das heißt einen Hinweis auf ihren möglichen Schweregrad. Wenn »der psychische Zweck der Ausschaltung des Selbst und das Mittel der Überlassung an ein unbelebtes Objekt« (Voigtel 1996, S. 738) die Kriterien dafür sind, ob es sich bei einer bestimmten Verhaltensweise um eine Sucht handelt, oder nicht, dann lässt sich Sucht psychodynamisch von anderen Störungsbildern ebenso abgrenzen wie auch das Spektrum der Süchte differenzieren. Erfüllt werden diese Kriterien natürlich von den klassischen stoffgebundenen Süchten, wie Alkohol-, Medikamenten- und Drogensucht, aber auch von der Spielsucht, sofern hier Glücksspiele oder Spielen um Geld gemeint sind, das heißt, dass das Subjekt sich dabei passiv Zufallsmechanismen beziehungsweise einem hohen finanziellen Risiko aussetzt. Nicht erfüllt werden diese Kriterien, je mehr bei Spielaktivitäten »Geschicklichkeit und Können«, also Ich-Fähigkeiten ins Spiel kommen, und desto weniger also eine passive Auslieferung und 2 Dass Voigtel zur Erklärung des suchtspezifischen Modus auf die »wesentliche Passivität« des Selbst, also ein strukturelles Kriterium, rekurriert, zeigt, dass auch er strukturelle und dynamische Gesichtspunkte vermischt. Ich werde darauf unten im Zusammenhang mit der Diskussion der OPD eingehen.

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ein »Abtöten des Selbst« stattfinden (S. 734). »Man könnte«, so Voigtel, »hier eine Reihe aufstellen, angefangen bei Spielen mit hohem Zufallsfaktor und geringer Geschicklichkeitsanforderung an den ›one-arm-bandits‹, dem Roulette und dem Würfeln, bis hin zu Spielen mit umgekehrten Faktoren, beispielsweise Billard oder Skat, wobei Spiele wie Poker oder normale Automatenspiele dazwischen liegen« (S. 734). Insgesamt gilt, »dass alle mit Motivation, Aktivität und manchmal mit Anstrengung des Selbst verbundenen Abhängigkeiten [. . .], auch wenn sie der Abwehr von psychischen oder sozialen Konflikten dienen, keine Sucht sind« (S. 735). Das heißt, dass zwanghaftes Arbeiten, intensives Bodybuilding, ComputerSpiele beziehungsweise exzessives Lesen und/oder Tagträumen nicht die Kriterien der Sucht erfüllen. Erfüllt werden diese Kriterien für ihn auch nicht von zwei anderen Störungsbildern, die üblicherweise mit der Sucht assoziiert werden, nämlich den Essstörungen: von der Anorexie nicht, insofern hier die Selbstdisziplin des Subjekts erhalten bleibt und somit das Kriterium der Passivität verfehlt wird, und von der Bulimie nicht, insofern dabei eine Überlassung an das die mütterliche Versorgung repräsentierende Objekt, das Essen, »nur für Minuten« stattfindet. Weiterhin ermöglichen die genannten Kriterien von Passivität und Überlassung auch eine differenzierte Betrachtung des bereits von Sachs (1923) konstatierten Zusammenhangs von Sucht und Perversion. Auf diesen Zusammenhang rekurriert auch Voigtel, wenn er das unbelebte Suchtobjekt als »Fetisch« bezeichnet, dessen fetischistischer Charakter sich aus der ihm zugeschrieben »Anziehungskraft und Macht« ergibt (S. 738). Geht man mit Cooper (1991, S. 23ff.) von einer »narzisstischen Basis der perversen Entwicklung aus«, wobei deren »Kerntrauma« im »Erleben einer schreckerregenden Passivität gegenüber der präödipalen Mutter besteht, die als gefährlich, böse, übelwollend und allmächtig gesehen wird« dann kann eine Dynamik immer dann als »pervers« angesehen werden, »wenn eine Handlung oder Phantasie von der Verleugnung unbewusster Passivität beherrscht wird, und zwar mittels der dreifachen Phantasien von der Verdinglichung des Objekts, der Verdinglichung des Selbst und der Bewerkstelligung masochistischer Lust« (S. 33). Ausgehend von diesen drei »Grundphantasien« des perversen Subjekts, die Cooper als den »Kern« jeder Perversion ansieht, lassen sich die prinzipiellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Sucht und Perversion genauer bestimmen. Während es in der perversen Entwicklung primär zu einer phantasierten Verdinglichung des Anderen und des Selbst kommt, (s)einer imaginären »Dehumanisierung«, wie Cooper sagt, erfährt dies in der Suchtentwicklung eine Radikalisierung, insofern das Subjekt sich hier nicht mehr einem »dehumanisierten«, realiter aber immer

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noch menschlichen Anderen überlässt, sondern sich in der Tat einem »Ding« ausliefert, dessen menschliche Attribute nur noch imaginär sind. Für die sexuellen Perversionen trifft demzufolge zu, was Voigtel mit Blick auf die Bulimie feststellt: Sie erfüllen nicht die Kriterien der Sucht im engeren Sinne, wohl aber die einer »narzißtischen Störung mit süchtigen Anteilen« (S. 734). Dass Suchtmitteln Fetischcharakter, das heißt der Charakter eines fetischisierten Objekts zukommen soll, entspricht im übrigen auch der Auffassung J. McDougalls, die im Anschluss an Winnicott (1951) von Suchtmitteln als »pathologischen Übergangsobjekten« (1988, S. 72) spricht, die das Ergebnis gescheiterter positiver Internalisierungsprozesse sind. Dementsprechend korrespondiert die Wahl eines Suchtmittels »genau dem jeweiligen Entwicklungsstadium eines Subjekts, in dessen Verlauf eine Integration hilfreicher und gutartigere Introjekte gescheitert ist« (McDougall 1997, S. 270ff.). Wenn also die Entwicklung von Sucht und Perversion sich gleichermaßen auf das Scheitern entwicklungsfördernder Internalisierungen zurückführen lassen, imponiert die Sucht im Gegensatz zur Perversion jedoch als Fixierung auf ein »unbelebtes Objekt« anstelle eines süchtig benötigten menschlichen Anderen. Voigtel spricht demzufolge zu Recht vom Suchtmittel als einem umfassenden »Beziehungs-Fetisch« (S. 738). In einer neueren Arbeit hat der italienische Psychoanalytiker Franco de Masi Perversionen als »Techniken zur Erzeugung einer Zustandes psychischer Erregung, die um ihrer selbst willen gesucht und kein Element von (menschlicher, D. N.) Bezogenheit enthält« (2003, S. 88). Sie entstehen de Masi zufolge durch einen »Rückzug« in den Körper: »Indem der Körper in einen Ort der Isolation und innerlich erzeugter Sensualität verwandelt wird, entdeckt der Patient, wie er seine Wahrnehmungsorgane mit Auto-Sensualität füllen kann [. . .]. Dies erzeugt einen ›negativen Zustand‹ von Lust. Während dieser Verwandlung zieht sich der Patient omnipotent in seinen Körper zurück und wird zu einem ›Embryo‹. Das Erlebnis dieser Transformation im Körper entspricht wesentlich einem erfolgreichen Akt der De-Mentalisierung oder einer psychischen Enthauptung« (2003, S. 146). Mit Hilfe dieser Überlegungen ließe sich der spezifisch perverse Modus im Unterschied zur Sucht als einer Überlassung an den Körper beziehungsweise eine Überlassung an ein bestimmtes körperliche Genießen verstehen. Was nun die Suchtentwicklung und ihren Schweregrad betrifft, wird von der strukturellen Disposition des Subjekts bestimmt, sich dem Suchtmittel passiv zu überlassen. »In einem umfassenden Sinne zeigt sich die Machtübernahme des Objekts darin, daß bei schwerer Sucht das Leben, einschließlich der Gedanken, um es herum organisiert ist« (Voigtel 1996, S. 733). Das heißt, dass Suchtverläufe psychodynamisch in dem Maße als

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schwerer anzusehen sind, in dem die sozialen, privaten und beruflichen Vollzüge des süchtigen Subjekts zunehmend in den Hintergrund treten und stattdessen das unbelebte Suchtobjekt seine innere und äußere Welt progressiv in Besitz nimmt; zunächst punktuell im so genannten Kontrollverlust und in letzter Konsequenz total, das heißt im Akt seiner (Selbst-) Zerstörung im und durch den Rausch. Insofern erscheint auch der Suizid, ob intendiert wie im »goldenen Schuss« oder billigend in Kauf genommen wie etwa bei exzessiver Alkoholsucht, als durchaus logische und letzte Konsequenz des suchtspezifischen Modus der Überlassung des Subjekts an ein unbelebtes Objekt – indem es sich diesem im Sinne einer »Identifikation mit dem Aggressor« anverwandelt und somit selbst »unbelebt« wird.

Überlegungen zur Operationalisierung der Suchtdiagnostik Der für die Sucht grundlegende Mechanismus der Hingabe an ein unbelebtes Objekt ist nach Auffassung von Voigtel sowohl konfliktdynamisch wie auch strukturell zu verstehen: einerseits konfliktdynamisch als Kompromissbildung als »agierter Abhängigkeitswunsch« und dessen »Abwehr durch Verschiebung« (Voigtel, S. 739), andererseits aber durch die Passivität des süchtigen Ich und somit als Strukturmerkmal der süchtigen Persönlichkeit. Auch wenn es damit gelingt, die spezifisch süchtige Psychodynamik hinreichend bestimmen, erweist sich diese Definition bei genauerer Betrachtung daher als letztlich unscharf, insofern beide Gesichtspunkte unausgesprochen konfluieren. Das wird deutlich, wenn Voigtel bezüglich der Bereitschaft, sich dem Suchtmittel passiv zu überlassen, auf Begriffe wie »basale Verstimmung« beziehungsweise »IchSchwäche« beziehungsweise »narzißtisches Defizit« rekurriert und somit die süchtige Passivität eben nicht nur konfliktdynamisch in Begriffen von Trieb und Abwehr, sondern auch strukturell als Element der Persönlichkeitsorganisation versteht. Ungeachtet dieser begrifflichen Unschärfe lassen sich seine Überlegungen unter Rekurs auf das Instrument der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) präzisieren. Im Rahmen der OPD nämlich lässt sich Voigtels Kerngedanke, Sucht als »Kompromissbildung« auf der Basis einer tiefgreifenden, strukturellen Passivität des Subjekts zu verstehen, anhand der Achsen III (Konflikt) und IV (Struktur) erfassen. Dabei bereitet die Klassifikation der strukturellen Passivität des Ich/Selbst konzeptuell keine Schwierigkeit, insofern deren Merkmale sich anhand der Dimensionen der Strukturachse erfassen lassen. Das gilt so nicht für den suchtspezifischen Modus der Überlassung

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an ein unbelebtes Objekt, da dieser Modus in seiner Spezifität von der Konfliktachse nicht abgebildet wird. Anhand dieser Achsen sollen nach dem Willen der Autoren zentrale, zeitliche überdauernde unbewusste intrapsychische Konfliktmuster abgebildet werden, nicht aber die Spezifität der Suchtdynamik. Dass die Anwendung dieser Achse im Rahmen der Suchtdiagnostik dennoch sinnvoll ist, ergibt sich grundsätzlich aus dem konfliktdynamischen Verständnis des Suchtgeschehens als unbewussten Abhängigkeitswunsch, der qua Verschiebung auf ein unbelebtes Objekt abgewehrt und somit »agiert« wird. Spezifisch für die Sucht ist also nicht der zugrunde liegende Abhängigkeitswunsch, sondern seine Abwehr durch die Verschiebung auf das Suchtmittel. Insofern nicht der Wunsch selbst, sondern seine abwehrbedingte Verarbeitung suchtspezifisch ist, erscheint die Annahme eines suchtspezifischen Konflikts sui generis gar nicht plausibel. Suchtspezifisch ist vielmehr der Modus der Verarbeitung dieses Abhängigkeitswunsches. Damit ist die Anwendung der Konflikt-Achse in der Suchtdiagnostik nicht nur grundsätzlich sinnvoll, sondern erlaubt darüber hinaus auch, den in der Sucht agierten Abhängigkeitswunsch anhand der in der OPD operationalisierten Konfliktmuster zu spezifizieren. Indem die auf diese Weise die Beziehung des Süchtigen zum Suchtmittel ausdrücklich zum Gegenstand der diagnostischen Aufmerksamkeit gemacht wird, kann gefragt werden, welche Art von Wunsch denn mit der Einnahme eines Suchtmittels abgewehrt werden soll: ein Wunsch nach symbiotischer Verschmelzung, nach materieller und/oder psychischer Versorgung, nach Selbstwertregulation, Unterwerfung und/oder Schuldentlastung? Entsprechend der besonderen Natur und Intention dieses Wunsches kann die der Sucht zugrunde liegende Konfliktdynamik dann genauer als Abhängigkeits-Autonomie-Konflikt oder als Versorgungs-Autarkie-Konflikt, Selbstwertkonflikt, Unterwerfungs-/Kontrollkonflikt beziehungsweise Über-Ich/Schuldkonflikt identifiziert werden. Im weiteren lassen sich davon ausgehend auch Fragen nach dem Zusammenhang von Konfliktdynamik und Drogenwahl stellen. Schließlich ergeben anhand der zugrunde liegenden Konfliktdynamik auch Hinweise auf die Globalität der Suchtdynamik: vom Wunsch nach globaler Verschmelzung, das heißt völliger Überlassung des Selbst an das Suchtobjekt über seine weniger umfassende Versorgung bis hin zur noch punktuelleren Unterwerfung unter das Suchtmittel (etwa im Sinne der Verleugnung der Urheberschaft eigenen Handelns). Wie bereits angedeutet, bereitet die Erfassung der strukturellen Passivität des süchtigen Ich anhand der Strukturachse (Achse IV) der OPD prinzipiell keine Schwierigkeiten. Operationalisiert wird das Konstrukt

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der psychischen Struktur als »eine für den Einzelnen typische Disposition des Erlebens und Verhaltens« (OPD 1998, S. 63) in den Bereichen Selbstwahrnehmung, Objektwahrnehmung, Selbststeuerung, Abwehr, Kommunikation und Bindung, deren Funktionsniveau jeweils »gut«, »mäßig«, »gering« oder »desintegriert« sein kann. Anhand dieser Dimensionen kann die Persönlichkeitsstruktur des Süchtigen über die undifferenzierte Zuschreibung einer vermeintlichen Passivität hinaus im Einzelnen differenziert dargestellt, das heißt als strukturell verschieden integriert klassifiziert werden. Insofern sich die in der OPD beschriebenen Integrationsbeziehungsweise Funktionsniveaus der Persönlichkeit darüber hinaus auch den verschiedenen Ebenen der Charakterpathologie zuordnen lassen, wie sie Kernberg (1996) beschrieben hat, kann die süchtige Passivität dann strukturspezifisch als Ausdruck einer neurotischen, Borderline- beziehungsweise psychotischen Persönlichkeitsorganisation ausgewiesen werden. Damit eröffnet die OPD als Klassifikationssystem die Möglichkeit, den von Voigtel beschriebenen Modus der Überlassung an ein unbelebtes Objekt – als hinreichendes Kriterium der Suchtdiagnostik – strukturell zureichend zu differenzieren.3 Dass dieser Modus strukturell auf verschiedenen Integrationsniveaus (von gut integriert bis desintegriert) beziehungsweise Ebenen der Charakterpathologie wirksam werden kann, erlaubt es, an der Einheit des Suchtgeschehens, das heißt seiner psychodynamischen Spezifität gegenüber anderen Störungsbildern festzuhalten, ohne dabei die Verschiedenheit seiner Erscheinungsformen und Schweregrade aus dem Blick zu verlieren. Sucht wird auf diese Weise mehrdimensional: als Resultante unterschiedlicher, unbewusster Konfliktkonstellationen und verschiedener struktureller Integrationsniveaus der Persönlichkeit klassifizierbar. Was die Anwendung der OPD im Rahmen der Suchtdiagnostik betrifft, erscheint danach zunächst nicht ihre störungsspezifische Adaption vordringlich zu sein (etwa durch die Kreierung einer suchtspezifischen Achse), sondern ihre gezielte Verwendung im Hinblick auf die der Sucht zugrunde liegenden Konflikt- und Strukturdimensionen, wie es hier (unter Ausklammerung der Beziehungsachse) geschehen ist. Daraus ergeben sich auch weiterführende Forschungsperspektiven. Etwa die klinisch relevante Frage nach der empirischen Korrelation zwischen Konflikt- und Strukturdimension, wie sie allgemein von Grande et al. (1998) sowie in einer eigenen Arbeit zur empirischen Erforschung des Patientenkollektivs einer Rehabi3 Etwas, was Voigtel mit dem Begriff der »Passivität des Selbst« nur ungenau zu leisten vermag.

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litationsklinik für vorwiegend alkoholabhängige Patienten dargestellt wurde (Nitzgen u. Brünger 1999). Dabei zeigten sich sowohl bei Grande et al. wie auch in unserer Arbeit empirisch nachweisbare Zusammenhänge zwischen verschieden Konflikten und strukturellen Integrationsniveaus (etwa zwischen dem Vorliegen eines Abhängigkeits-Autonomie-Konflikts und einem tendenziell geringen Strukturniveau) wie auch signifikante Zusammenhänge zwischen bestimmten Konflikten und Störungsbildern. So gingen auch bei alkoholabhängigen Patienten neurotische Störungsbilder »verstärkt einher mit Versorgungs-Autarkie sowie Unterwerfungs-Kontrollkonflikten, während Persönlichkeitsstörungen eher mit Abhängigkeits-Autonomie- und Selbstwertkonflikten zusammenhingen« (Nitzgen u. Brünger 1999, S. 246). Auf diese Weise wird es möglich, die heterogene Population Suchtkranker diagnostisch weiter zu differenzieren und beispielsweise klinische »Subtypologien von Alkoholabhängigen« zu identifizieren, wie dies von der empirischen Forschung zur Wirksamkeit einer psychodynamisch orientierten Suchttherapie heute verstärkt gefordert wird (Kunzke et al. 2002, S. 64ff.).

Ausblick: Sucht als Abwehrorganisation Wir waren davon ausgegangen, dass Sucht aus psychiatrischer Sicht als nosologische Einheit klassifizierbar ist, das heißt als Spektrum von Störungen, das um die Einnahme und die Folgen der Einnahme von Suchtmitteln gruppiert ist. Suchterkrankrungen sind dabei mit hohen Komorbiditätsraten verbunden, vor allem mit Angst, Depressions- und Persönlichkeitsstörungen, ohne diagnostisch mit diesem identisch zu sein. So gibt es weder eine einheitliche »Suchtpersönlichkeit« noch eine spezifische, nur mit Sucht assoziierte psychische Erkrankung. Das bestätigt auch die psychodynamische Erfahrung, der zufolge Suchterkrankungen mit sehr verschiedenen Störungsbildern sowie verschiedenen unbewussten Konfliktkonstellationen und strukturellen Persönlichkeitsorganisationen einhergehen. Psychodynamisch ist Sucht danach stets ein Ineinander von Konflikt- und Strukturpathologie. Spezifisch an ihr ist, folgt man Voigtels Vorschlag, vor allem der suchtspezifische Modus der Überlassung an ein unbelebtes Objekt. Wenn dem so ist, welchen Charakter hat dieser Modus und folglich welchen Status hat die Sucht dann aus der Perspektive der Psychoanalyse? Begreift man mit Voigtel die Überlassung des Süchtigen an das Suchtmittel im Kern als Abwehr eines Abhängigkeitswunsches durch Verschiebung, kann dieser Modus nicht auf einen einzigen (Abwehr-)Mechanismus redu-

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ziert werden – allein schon deshalb nicht, weil dieser das Ineinanderwirken mehrerer Abwehrmechanismen impliziert: die Verleugnung realer Abhängigkeit vom Anderen, die unbewusste Projektion menschlicher Zuverlässigkeit und die Verschiebung des Abhängigkeitswunsches auf das Suchtmittel und schließlich die abwehrbedingte Verdrängung dieses Dynamik. Anstatt den suchtspezifische Modus isoliert als Resultat einer (scheinbar) einfachen Verschiebung zu begreifen, wie Voigtel dies tut, erscheint es plausibler, ihn als Ausdruck einer komplexen »Abwehrorganisation« (Hoffer 1954) zu verstehen (vgl. Nitzgen 2003). Dieser Begriff erscheint geeignet, die Komplexität der suchtspezifischen Abwehr zu erfassen, insofern er mittlerweile konfliktdynamische und strukturelle Aspekte umfasst, etwa wenn zeitgenössische kleinianische Autoren damit eine »fixierte Struktur« von Abwehrmechanismen im Sinne einer strukturellen »Organisation« bezeichnen (Hinshelwood 1993, S. 546–556)4. So schreibt O’Shaugnessy: »Anders als einzelne, mehr oder weniger vorübergehend und immer wieder auftretende Abwehrmechanismen, die ein normaler Bestandteil der Entwicklung sind, entsteht die Abwehrorganisation als pathologische Fixierung« (1990, S. 377). Einmal gebildet, ist es, so O’Shaughnessy, diese Abwehrorganisation, die die Beziehungen zwischen dem Subjekt und seinen Objekten regelt. In diesem Sinne lässt sich die Fixierung auf ein Suchtmittel als organisierte Abwehr von Abhängigkeit und Bezogenheit verstehen, deren Kern der suchtspezifische Modus der Überlassung ist. Dazu passt im Übrigen auch die von Heigl-Evers et al. geäußerte Vermutung, dass in der Genese der Suchterkrankung »möglicherweise schon sehr früh in der kindlichen Entwicklung zur Befriedigung von Triebwünschen Angebote gemacht wurden, die unpersönliche Mittel zur Beseitigung von Unlustgefühlen beinhalteten« (1981, S. 59).Wie aufgezeigt, ist die Organisation der damit verbundenen Abwehr in dem Maße komplex, indem ihr jeweils unterschiedliche, unbewusste Konfliktkonstellationen zugrunde liegen können und überdies auch unterschiedlichen Ebenen beziehungsweise Niveaus der (strukturellen) Persönlichkeitsorganisation (neurotisch, borderline und psychotisch) entsprechen. Dabei bestimmt dann die je individuelle Kombination von Konflikt- und Strukturdimension Wahl, Wirkung und Funktion des Suchtmittels ebenso wie die Ausprägung, das heißt den Schweregrad, des Suchtgeschehens insgesamt. Die zentrale Aufgabe der psychodynamischen Suchtdiagnostik besteht danach vor allem darin, die 4 Wobei es in diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass gerade die kleinianischen Autoren (Joseph, Meltzer, Rosenfeld und Steiner) immer wieder die enge Beziehung zwischen pathologischer (Abwehr-)Organisation und Sucht betont haben.

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psychologische(n) Funktion(en) des Suchtmittels für den Süchtigen möglichst genau zu diagnostizieren: Welche unbewussten Konflikte werden durch dessen Einnahme »verarbeitet«, welche strukturellen Beeinträchtigungen beziehungsweise Defizite dadurch kompensiert? Dafür liefert derzeit das Instrument der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) einen klinisch bedeutsamen Beitrag.

IreneHelas:ProfessionundScreening-FunktioninderSuchthilfe

Irene Helas

Profession und Screening-Funktion in der Suchthilfe

Abstract Die Vorstellungen von Suchtgenese, Krankheitsverlauf und Therapie werden seit Beginn der professionellen Suchthilfe im interdisziplinären Kontext von Medizin, Psychotherapie und Sozialtherapie diskutiert, analysiert und in praktischen Konzepten zur Hilfe umgesetzt. An wichtigen Schnittstellen jedoch gab und gibt es bis heute Konkurrenz und Abgrenzung, insbesondere in der Frage, wer nun der »richtige« Helfer sei. Neben dieser Frage werden die Lernprozesse zur professionellen Therapie beleuchtet, wobei der Grundkompetenz therapeutischen Handelns, die allen Fachkräften abverlangt und daher einheitlich ist, besondere Bedeutung zukommt. Bei der Entwicklung der Fragestellung wird der Stellenwert postgradualer Weiterbildungen ebenso berücksichtigt wie die Veränderungen des Arbeitsfeldes durch Einflüsse der Globalisierung, die auch in psychosozialen Aufgabengebieten immer mehr Wirkung zeigen. Im Zentrum dieser Diskussion aber steht der innere Prozess zur Professionalität unter der Frage: Wie wird man zu einem wirksamen Helfer in der Suchthilfe?

Vorbemerkung Alle an der Suchthilfe und Suchttherapie beteiligten Berufsgruppen, das sind einschlägig weitergebildete Mediziner, Psychologen, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter, konvergieren immer stärker. Sie alle beschäftigen sich heute mit den biologischen, psychologischen und sozialen Mechanismen der Suchtgenese und ihres Verlaufs. Forschungsergebnisse der letzten Jahre aus der Neurobiologie bestätigten zentrale Annahmen aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds. Schon allein dadurch wäre es heute möglich, eher die Gemeinsamkeiten dieses Arbeitsgebiets zu sehen. Im beruflichen Alltag herrscht jedoch Konkurrenz und berufsständische Abgrenzung. Allen Berufsgruppen ist jedoch eins, dass sie auf die Sprache konzentriert sind, welche die Beziehung zwischen dem betroffenen Suchtkranken und dem Therapeuten prägt. Gleichzeitig verlangt die therapeutische Beziehung eine ausgeprägte Mitmenschlichkeit, in der die bedeutsamsten Ele-

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mente menschlicher Gemeinschaft – Nächstenliebe, Respekt, Akzeptanz und Solidarität – als therapeutisches Instrument genutzt werden. Somit steht diese Form der Beziehung zugleich auch als Metapher für Mitmenschlichkeit überhaupt. Darauf sind Suchtkranke angewiesen, gehören sie doch nach wie vor zu einer Gruppe von Kranken, die nicht ohne gesellschaftliche Vorurteile betrachtet und hinsichtlich der Glaubwürdigkeit ihrer Störung von Gesundheitspolitikern gern zu einer Zielgruppe definiert werden, der man therapeutische Hilfe »streichen« im Sinne von Kürzen der Therapiezeiten und anderes mehr zumuten kann. Hierfür ist auch die sozialrechtliche Einordnung der Sucht als Krankheit nach den Bestimmungen im SGB V (§§ 11,27 bis 52 Sozialgesetzbuch V) und SGB VI (§ 10 Sozialgesetzbuch VI) verantwortlich. Nach SGB V werden nur die akuten und körperbezogenen Folgen der Sucht behandelt, nach den einschlägigen Paragraphen des SGB VI finden hingegen die postakuten, als Reha-Maßnahme ausgestalteten Therapieprozesse statt, die zudem nur Personen gewährt werden, die noch im erwerbsfähigen Alter stehen. Für die Praxis der Suchthilfe ergeben sich daraus Aufspaltungen in der Finanzierung und der Leistungserbringung der Behandlungen in unterschiedlichen Facheinrichtungen innerhalb unseres akutmedizinischen und/oder rehabilitationsbezogenen Versorgungssystems. Diese Art der Leistungsgewährung im Sozialrecht schafft ständig Selektionen, mal werden körperliche Erkrankungen nicht als durch Suchtverhalten ausgelöst zugeordnet, mal wird eine als unzureichend unterstellte Motivation für den Patienten zur Falle, oder aber er ist zu jung oder zu alt, nicht mehr in das Berufsleben integrierbar, zu »willensschwach«, weil er immer wieder rückfällig wird. Spaltungen in der Hilfegewährung und Ausgrenzungen unter den Betroffenen, wie sie das Hilfesystem für Suchtkranke in Deutschland produziert, treten häufig auf und sind für die Heilung der Sucht und die Wiedereingliederung der betroffenen Menschen außerordentlich kontraproduktiv. Eine durchgängige Regelfinanzierung, die alle Phasen süchtiger Erkrankung abdecken und ohne diese sozialrechtlichen Stolpersteine gewährt würde, würde auch eine reibungslosere Versorgung der Suchtkranken sicherstellen. Entscheidend aber ist die fachlich-therapeutische Kompetenz der Helfer, bei der die Screening-Funktion, das heißt die bedeutsame Rolle und Entscheidungsfunktion in Diagnostik, Indikation und Zuweisung nur eine der vielen Fähigkeiten, aber vielleicht die von Anfang an entscheidendste darstellt. In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, welche Dimensionen der fachlichen Kompetenz hier gemeint sind, wie sie erlernt werden und wie sie durch die Selbstwahrnehmung des Therapeuten wach-

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sen können. Dies ist ein dynamischer Prozess, der hier dargestellt werden soll.

Professionalisierung der Therapeuten Bevor die Frage der Helferseite diskutiert werden kann, soll kurz daran erinnert werden, dass das Störungsbild der Sucht erst seit 1968 durch ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts in Deutschland und seit 1965 als Abhängigkeitserkrankung von der WHO (World Health Organization) anerkannt wurde (Feuerlein et al. 1998, S. 5) und dass heute nach ICD-10 (International Classification of Mental Diseases; Dilling u. Freyberger 1999) von psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen die Rede ist. In Deutschland kommt den Göttinger Psychoanalytikern Annelise Heigl-Evers und Franz S. Heigl das Verdienst zu, die mit den Schrecken des »Dritten Reiches« auch ausgelöschte Psychoanalyse der Sucht seit den 1970er Jahren wieder aufgegriffen und für eine analytische orientierte Suchttherapeuten-Weiterbildung im Gesamtverband der Diakonischen Suchtkrankenhilfe (GVS) bereitgestellt zu haben. Auch heute noch bezieht sich die Weiterbildung in ihren Grundorientierungen auf diese Pionierleistung. Heigl-Evers und Heigl gehen in ihren Schriften davon aus, dass psychopathologische Elemente der Sucht, die als Ursache für ihre Entstehung gelten können, durch das in der heutigen Gesellschaft geübte, stark konsumorientierte Verhalten extrem begünstigt werden. »Die Beziehung zur Sucht ist dadurch hergestellt, dass im Erleben der Betroffenen materieller Konsum gleichzeitig ein Element narzisstischer Bestätigung (SelbstwertBestätigung) enthält« (Heigl-Evers 1977). Ferner konstatierten sie bereits damals eine ebenfalls gesellschaftlich mit ausgelöste Form der Zunahme bestimmter Psychopathologien, die nach psychoanalytischem Verständnis als strukturelle Störungen oder so genannte »Frühstörungen« diagnostisch einzuordnen sind. Mit diesen Störungen verbunden ist eine Unfähigkeit zur Herstellung befriedigender zwischenmenschlicher Beziehungen als eine Vorform so genannter Teilobjektbeziehungen, wie sie die frühkindliche Entwicklung darstellt. In der Erwachsenenkommunikation führt dies jedoch zu Störungen, die sich unter anderem auch als Sucht manifestieren können (Heigl-Evers u. Heigl 1994). Auf der Grundlage der wissenschaftlichen und therapeutischen Auseinandersetzung mit strukturellen Störungen entwickelten sie und ihrer Forschungsgruppe die psychoanalytisch-in-

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teraktionelle Methode (Heigl-Evers u. Ott 1994), die dann auch als psychoanalytisch-interaktionelle Suchttherapie eingeführt wurde. Die Konzentration auf strukturelle Störungen erfordert auf Seiten des professionellen Helfers eine geschulte Wahrnehmungsausrichtung auf entwicklungspathologische Phänomene in der bewusst zugänglichen Interaktion im Hier-und-Jetzt der Therapie und eine spezifische Interventionstechnik, die sich therapeutisch-technisch deutlich von der klassischen analytischen Methode unterscheidet, die aus dem Neurosenkonzept hervorgegangen ist. Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode kann als eine moderne analytische Behandlungstechnik gelten (Heigl et al. 1993). Die Frage lautet, welchen Prozess des Lernens und Reifens der professionelle Helfer zu durchlaufen hat, um eine kommunikativ-emotionale Kompetenz zu erwerben, die ihn in die Lage versetzt, in der vorgeschriebenen Weise für den Patienten hilfreich, heilend und förderlich werden zu können. Das heißt, dass es seine Aufgabe ist, sich mit seiner ganzen Persönlichkeit zur Verfügung zustellen. Dazu gehört vor allem auch das Gefühl eigenen Wachstums. Orlinski und Ronnestad (2005) haben untersucht, wie Psychotherapeuten nicht nur regelgeleitet, sondern primär durch das Gefühl von persönlicher Wirksamkeit geprägt sind und in dieser Mentalität unbewusst und mit zunehmender Erfahrung immer bewusster handeln. Als Ergebnis ihrer Forschungen stellen die Autoren dar, dass es sich hier um ein ganzes Geflecht von Entwicklungsprozessen mit den Einflussfaktoren aus seiner beruflichen Umwelt in der Psyche des Therapeuten oder des Therapeuten in Ausbildung handelt. Sie befragten dazu eine große Stichprobe (N = 4800) von Therapeuten aus aller Welt, unter anderem auch diejenigen, die regelmäßig an einem großen Psychotherapie-Kongress in Deutschland teilnahmen. Einige sehr bemerkenswerte Ergebnisse aus der Studie »How Psychotherapists Develop. A Study of Therapeutic Work and Professional Growth« berichtet Michael B. Buchholz in den Online Psycho-Letters der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse (DPG 2005). Die Erfahrung des therapeutischen Prozesses als Heilung (für den Patienten) ist der stärkste Prädiktor für das Gefühl eigenen Wachstums als Therapeut. Dabei spielt die Dauer der Berufspraxis eine bedeutende Rolle. Die Autoren stellen ein Entwicklungsmodell der Professionalisierung zum Psychotherapeuten dar und zeigen, wie sich die einzelnen Grade in ihrer repräsentativen Stichprobe verteilen: – Novizen haben weniger als 18 Monate Erfahrung, sind im Schnitt 32,9 Jahre alt (N = 534); – Gesellen liegen zwischen 1,5 und 3,5 Jahren Berufserfahrung, sind 34,7 Jahre alt (N = 549);

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– Graduierte sind zwischen 3,5 und 7 Jahren in der Praxis und 37,2 Jahre

alt (N = 774); – Etablierte haben zwischen 7 und 15 Jahren Praxis und sind 42,6 Jahre alt (N = 1429); – Erfahrene haben zwischen 15 und 25 Jahren Praxis, und sind 49,1 alt (N = 1074); – Senioren haben mehr als 25 Jahre Erfahrung und sind 60,8 Jahre alt (N = 373). Diese Ergebnisse wurden aus Faktorenanalysen der Selbstberichte gewonnen und sind ausschließlich Selbsteinschätzungen. Die Selbstwirksamkeitserwartung als Therapeut korrespondiert eng mit dem Gefühl des inneren Wachstums, mit der praktischen Ausbildung eines stillschweigend gehandhabten Wissens (DPG 2005, S. 10). Die Frage, ob Therapeuten in eigener Praxis, in einer Klinik, Beratungsstelle, sozialtherapeutischen Einrichtung oder anderswo tätig sind, ist insofern relevant, als sie das Gefühl selbstverantwortlichen Handelns entweder positiv oder negativ beeinflussen kann. Um diesen Zusammenhang besser verstehen zu können, wollen wir nun ein kleines Gedankenexperiment unternehmen. Stellen wir uns vor, ein junger Arzt, Psychologe oder Sozialpädagoge hat seine Berufsausbildung abgeschlossen und interessiert sich für das Arbeitsgebiet der Suchthilfe. Er kann sich aber noch nicht so recht entscheiden, weil er nicht weiß, ob er letztlich die für diese Aufgabe wirklich nötigen personellen und professionellen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringt. In der Regel ist diese Entscheidung mit der Frage verbunden, welche zusätzliche Weiterbildung nun angestrebt werden soll. Schließlich bedeutet diese Entscheidung immer auch eine Investition in die eigene berufliche Zukunft. Wir nehmen in unserem Gedankenexperiment diesen jungen Kollegen an »die Hand« und führen ihn, gleichsam virtuell, durch die künftigen Räume der Suchthilfe, die entscheidenden Einfluss auf seine berufliche Entwicklung haben werden. Nach Abschluss seiner grundständigen Berufsausbildung befindet er sich noch als Berufsanfänger im Stand eines Novizen nach Orlinski und Ronnestad, so würde er sich, wenn man ihn fragte, wahrscheinlich auch hinsichtlich seiner therapeutischen Fähigkeiten einschätzen. Er benötigt nun, nachdem er eine erste Anfängerstelle in einer Facheinrichtung angetreten hat, ein seine Lern- und Wachstumsprozesse förderndes Umfeld. In unserem ersten virtuellen Raum wird man ihm also zeigen müssen, wie er als professioneller Helfer tätig werden kann. Dabei stehen die Schu-

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lung der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, das Einüben der Interventionstechniken und die Beschäftigung mit dem zur Therapiemethode gehörenden Theoriemodell im Mittelpunkt. Die nächsten Räume sind ganz der eigenen Entwicklung zum erfahrenen Therapeuten vorbehalten. Therapeutische Kompetenz entsteht aus einem dichten, emotional-kognitiven Lernprozess, der von einer wachen Selbstwahrnehmung, wie unser junger Kollege immer mehr bemerkt, begleitet wird. Er wird die Erfahrung machen, dass die Umgebungskultur seiner Einrichtung, die Kooperation mit seinen Berufskollegen sowie mächtige Außenwirkungen (Zeitdruck, hohe Arbeitsdichte durch hohe Patientenzahlen, Vorgaben aus der Leitung hinsichtlich seiner therapeutischen Arbeit, Geldmangel in der Einrichtung etc.) vorhanden sind und seine Arbeit beeinträchtigen. Jetzt werden erste Sinnkrisen eintreten. Gerade während der ersten fünf Jahre nach Eintritt in das berufliche Handlungsfeld steigen viele junge Kollegen wieder aus, dies zeigen interne Erhebungen der großen Suchthilfeverbände. Unser junger Kollege wird jetzt die Erfahrung machen, dass es auf ihn als Person ankommt, wenn er therapeutisch wirksam werden will. Es geht also um die Bedeutsamkeit der Person im doppelten Wortsinn des Genitivus subjektivus und objectivus, vergleichbar mit der wissenschaftstheoretischen Frage, wie der Forscher selbst, durch seine Person, den Forschungsprozess beeinflusst. Diese Frage ist heute immer noch relevant, weil in vielen naturwissenschaftlich orientierten psychologischen Untersuchungen gerade eine »Verbannung des Persönlichen« betrieben wurde. Standen hier nicht Krankheitslehre, Interventionstechniken, Diagnoseschemata, Evaluierungsinstrumente so im Fokus der Aufmerksamkeit, dass die Frage nach dem eigenen inneren Wachstum, nach dem eigenen sinnhaften Wirken vernachlässigt werden musste? Im dritten und letzten virtuellen Raum geht es um die Kernfrage, wie der Therapeut als Person mit seiner ihm eigenen Biographie, mit persönlichen Erfahrungen, Haltungen, Einstellungen und Meinungen suchtkranken Menschen und deren Bedürfnissen begegnen wird, wie er in der Lage sein wird, deren Krisen, Schwierigkeiten und Rückfällen, selbst mental zu bewältigen. Wenn es ihm hier nicht gelingt, eine sichere innere Haltung zu diesem Berufsauftrag oder eine professionelle Distanz zu entwickeln, wird er die Belastungen dieses Arbeitsgebiets nicht lange ertragen können. Bei günstiger Entwicklung wird unser junger Kollege ganz im Sinne des vorgenannten Entwicklungsmodells mit souveräner Wahrnehmung die Erfahrung machen, dass sich eine zunehmende Konvergenz zwischen eigener Befindlichkeit, Empathie und kompetenten Interventionen entwickelt. Je

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reifer diese inneren Kräfte werden, umso mehr wird er sich als wirksam erleben. Und diese »gefühlte Kompetenz« wird ihn immer besser werden lassen hinsichtlich seiner Selbstwirksamkeitserwartung. Mitte der 1990er Jahre hat eine Gruppe um Wolfgang Tress, wie Kreische (2002) berichtet, untersucht, welches Therapeutenverhalten zu guten und welches zu schlechten Therapieergebnissen führt. Danach kommuniziert der Therapeut »entgegen seinem bewussten Bemühen viel von seiner Gegenübertragung. Diese Kommunikation wird ihrerseits vom Patienten interpretiert und fließt in die Konstruktion eigener Bedeutungszusammenhänge notwendig mit ein« (Tress et al. 1994, S. 343; zitiert nach Kreische 2002, S. 93). Im psychoanalytischen psychosomatischen Verständnis stehen nicht mehr die Eigenschaften des Patienten allein wie zum Beispiel in der somatischen Medizin und biologisch orientierter Psychiatrie im Zentrum der Betrachtung, sondern die dynamischen Austauschprozesse zwischen ihm und dem Therapeuten, mithin die Persönlichkeit des Therapeuten selbst, rücken in den Blickpunkt. »Was bislang als Eigenschaften des Patienten galt, etwa Motivation, Beziehungsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Übertragung oder Einsichtsfähigkeit, erscheint nun als das Ergebnis interaktioneller Austauschprozesse, das heißt wechselseitiger Zuschreibungen, Selbstdefinitionen und Beeinflussungen im Rahmen eines Aushandlungsgeschehens« (Tress et al. 1994, S. 343; zitiert nach Kreische 2002, S. 93). Die Reaktionen des Therapeuten oder des professionellen Helfers werden zum Gegenstand der kritischen Selbstüberprüfung gemacht, und zwar in der Weise, dass auch das eigene Verhalten das des Patienten beeinflussen kann. Selbstverständlich verfügt der professionelle Helfer auch über ein hoch komplexes theoretisches Wissen. Dieses Wissen bleibt jedoch nutzlos, wenn es nicht ständig einer durch die Praxis geläuterten Überprüfung, unterzogen wird. Zur Ermittlung dieser Frage haben Tress und seine Mitarbeiter ein Untersuchungsverfahren eingesetzt, die strukturale Analyse sozialen Verhaltens (SASB) nach L. S. Benjamin (Tress 1997, S. 24), und als theoretische Orientierung das so genannte zyklisch-maladaptive Muster (CMP) gewählt, das von Strupp und Binder entwickelt wurde. Es ist »ein vereinfachtes Modell zwischenmenschlichen Verhaltens und innerseelischen Erlebens in seiner geschichtlichen Gewordenheit auf der Grundlage der fundamentalen Mechanismen der Internalisierung, der Identifikation und der Introjektion« (Tress 1997, S. 23). Die wesentlichen Therapeutenvariablen lassen sich in aller Kürze so zusammenfassen: Ein guter Therapeut, der erfolgreiche Therapien durchführen möchte, ist »aufmerksam, interessiert, wohlgesonnen, besorgt und direkten Ratschlägen nicht

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grundsätzlich abgeneigt. Er spricht die Sprache des Patienten und provoziert selten intensiven Ärger. Er thematisiert in einer warmen, empathischen Beziehung die Interaktionszirkel innerhalb und außerhalb der Therapie, unter denen der Patient leidet; das heißt, er konfrontiert und klarifiziert in einer zugewandten Atmosphäre. Er bezieht diese Interaktionen auf frühere, gegenwärtige und in der Therapie inszenierte Interaktionsmuster [. . .] Dadurch werden rätselhafte Symptome entmystifiziert und als Folge entgleister zwischenmenschlicher Umgangsweisen aufgeklärt. [. . .] Der Patient soll erleben, dass sein Therapeut ihn versteht, dass er ihm helfen kann und das auch wirklich will« (Kreische 2002, S. 95).

Vor dem Hintergrund einer solchen positiven Allianz darf und soll es dann auch zu Verstimmungen kommen. Damit wird wesentliches Untersuchungsmaterial für die Behandlung aktiviert. Hierbei darf darauf hingewiesen werden, dass auch der psychoanalytisch-interaktionell ausgebildete Therapeut in vergleichbarer Weise vorgeht, wobei dieser gelernt hat, seine Gegenübertragung nicht einfach nur dem Patienten mitzuteilen, sondern durch Erfassen der therapeutischen Situation, Einschätzung des Strukturniveaus des Patienten und unter Abwägung der Therapieziele authentisch und zugleich selektiv als Interaktionspartner zu antworten. Doch kehren wir zurück zu unserem Gedankenexperiment und unserem jungen Kollegen. Der ist nun vom Novizen zum Gesellen geworden, verfügt über eine mehrjährige Berufserfahrung und hat die Erfahrung gemacht, dass er schon vielen Patienten zur Heilung verholfen hatte. Nach wie vor steckt er im Lernprozess, sucht theoriegeleitet einerseits und praxisorientiert andererseits einen Weg zur Bewältigung seiner therapeutischen Aufgaben im Dschungel der Alltagspraxis zu finden. Aber da ist er nicht allein. Ein neues Problem taucht auf: Es gibt Berufskollegen der eigenen und anderer Professionen, mit allen muss zusammengearbeitet werden, aber der Kontext erscheint ihm zunächst nicht klar definiert.

Profession im Team Der junge Kollege (gehen wir einmal davon aus, es ist ein junger DiplomPsychologe) betritt also nun in unserem Gedankenexperiment das Arbeitszimmer in einer Klinik für Suchtkranke und erblickt seine neue Kollegenrunde. Er steht Ärzten und Ärztinnen in weißen Kitteln am Tisch sitzend gegenüber, jüngeren und etwas älteren Sozialpädagogen, dazwischen einigen Krankenschwestern, Ergotherapeuten, Arbeitserziehern und dem Klinikleiter, einem promovierter Mediziner. Neugierige Blicke richten sich auf den Neuankömmling. Unser Psychologe überlegt blitzschnell, wo an die-

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sem Tisch wohl sein Platz sein wird. Wird er eher auf der Seite der Mediziner Platz nehmen können oder gehört er mehr zum Bereich der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen oder soll er sich etwa in die Mitte setzen? Nach geltenden sozialrechtlichen Bestimmungen obliegt die Behandlung kranker Menschen dem approbierten Arzt (Sozialgesetzbuch V). In der grundständigen Hochschulausbildung der Ärzte werden Suchtprobleme im Rahmen des psychiatrischen Unterrichts vermittelt. Ferner bietet die 1999 gegründete Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin ein Sofortprogramm für Ärzte an, das 40 Stunden umfasst und in Zusammenarbeit mit den Landesärztekammern als Fortbildung eingeführt worden ist (Uchtenhagen 2000). Eine suchtspezifische Qualifikation ist also eher im ärztlichen Fortbildungsbereich zu finden. Für eine psychotherapeutische Behandlung im Rahmen eines anerkannten Psychotherapieverfahrens ist seit der Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) von 1998 (BGBl. I., S. 1311) auch der psychologische Psychotherapeut eigenverantwortlich und darf, wenn er approbiert und in eigener Praxis niedergelassen ist, die Leistungen auch mit den Krankenkassen abrechnen. Diplomierte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen oder Erziehungswissenschaftler mit universitärem Abschluss stellen eine relativ große Gruppe der professionellen Helfer in der Suchthilfe dar. Ihnen ist es bis jetzt aber noch nicht gelungen, eine eigene berufsrechtliche Anerkennung zu bekommen. Sie sind ferner auch nicht berechtigt, heilkundlich tätig zu werden, es sei denn, sie haben eine Heilpraktikerzulassung erworben. Standardisiert ergibt sich daraus die berufsrechtliche Konstellation, dass sowohl in ambulanten wie in stationären Einrichtungen für suchtkranke Menschen der Arzt grundsätzlich der verantwortliche Fachmann für die Erbringung der Leistungen ist. Unter seiner Delegation werden dann auch die übrigen Berufsgruppen tätig. Er trägt die fachliche und rechtliche Verantwortung. Der psychologische Psychotherapeut hingegen darf in der Psychotherapie in eigener Verantwortung tätig werden und erbringt diese Leistung auch als solche in stationären Einrichtungen. Solange unser junger Berufskollege also noch keine eigene Approbation als psychologischer Psychotherapeut hat, wird er in gleicher Weise unter ärztlicher Delegation arbeiten müssen. Er muss sich hier entscheiden, ob er diese Approbation haben will, diese erreicht er aber nur, wenn er eine entsprechende mehrjährige psychologische Zusatzausbildung absolviert und mit entsprechend langen klinischen Praktika untermauert hat. In den Facheinrichtungen der Suchthilfe wird deswegen oft in interdisziplinären Teams gefordert, dass die dort tätigen Diplom-Psychologen die Approbation als psychologischer Psychothera-

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peut nachweisen und eine tätigkeitsfeld-spezifische Weiterbildung für die Suchtkrankenhilfe absolviert haben müssen. Unserem jungen Kollegen wird nun bald klar, dass er an einer längerfristigen postgradualen Weiterbildung nicht mehr vorbeikommen wird. Entweder wird er sich für die Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten entscheiden oder aber er strebt eine tätigkeitsfeld-spezifische Weiterbildung an. Unabhängig von der Frage, welches Curriculum für ihn persönlich in Frage kommen wird, geht es jedoch um einen zentralen Lernprozess, der sich didaktisch in allen anerkannten postgradualen Weiterbildungen zeigt und der durch die Anerkennungspraxis der Deutschen Rentenversicherung Bund seit 1991 (Ammer et al. 1992) eine einheitliche Strukturierung aufweist. Die Grundstruktur bezieht sich auf drei inhaltliche Schwerpunkte: – 200 Stunden Theorievermittlung, – 200 Stunden Wahrnehmungs- und Verstehenstraining (Selbsterfahrung), – 200 Stunden fallzentrierte Arbeit, Supervision. Im Folgenden soll die Grundstruktur des psychoanalytisch-interaktionell orientierten Weiterbildungscurriculums des GVS kurz dargestellt werden. Es gilt somit als Beispiel für viele andere, ähnlich qualifizierte anerkannte Curricula. Um genügend Einblick in die eigene Lebensgeschichte und damit die eigene Persönlichkeitsstruktur, Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmechanismen zu bekommen, steht am Anfang die psychoanalytisch orientierte Selbsterfahrung in Gruppen. In dem psychoanalytisch orientierten Wahrnehmungs- und Verstehenstraining lernen und üben die Weiterbildungskandidaten, die eigene Wahrnehmungsfähigkeit zu differenzieren und zwischen intrapsychischen und interaktionellen Prozessen zu unterscheiden. Die wechselseitige Beschäftigung mit der eigenen Lebensgeschichte in der Weiterbildungsgruppe stellt somit eine exemplarische Situation für die eigene Berufspraxis dar. In der Theorieausbildung geht es um die Beschäftigung mit Theorien aus der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie und Entwicklungspathologie, der allgemeinen und speziellen Neurosenlehre, der Diagnostik von Frühstörungen und speziell der Suchtsymptomatik sowie um die Theorie der psychoanalytisch-interaktionellen Interventionstechniken. Dieser Prozess wird ergänzt und abgerundet durch die Arbeit in fallzentrierten Seminaren, in denen eine Kasuistik im Zentrum steht. Hier haben die Weiterbildungskandidaten die Möglichkeit, auf der Basis der nunmehr geschärften eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, ergänzt durch theoretisches

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Wissen, psychoanalytische Behandlungstechniken zu proben, zu überprüfen und damit ganzheitlich zu erlernen. Dabei geht es nicht nur um das Erlernen einer Behandlungstechnik, sondern um den Erwerb eines tieferen Verständnisses für den Patienten und der therapeutischen Beziehung zu ihm, ausgehend von der Dynamik seines und des eigenen Erlebens. Mit einer solchen postgradualen Weiterbildung wird unser junger Kollege alle äußeren Voraussetzungen mitbringen, um als professioneller Helfer eine Tätigkeit in den Facheinrichtungen der Suchthilfe aufnehmen zu können.

Zu den veränderten Arbeitsbedingungen heute Christine Morgenroth (2004) beschreibt in ihrem Buch »Von der Eile, die krank macht, und der Zeit, die heilt« Einflüsse der veränderten Arbeitsorganisation aufgrund der sich immer schneller entwickelnden Technologisierung durch die elektronischen Medien, die damit verbundene größere Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Arbeitnehmern, deren Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit immer mehr verwischt werden. Die technologischen Veränderungen, »haben die Arbeitsgesellschaft in der konkreten Gestalt der Industriegesellschaft in eine Entwicklungsdynamik getrieben, die zu einem radikal veränderten Umgang mit Zeit führt. In der Informationsgesellschaft tritt zum Prinzip der Beschleunigung das Prinzip der Gleichzeitigkeit hinzu« (Morgenroth 2004, S. 27). Ausgelöst durch ein internationalisiertes Wirtschaftsleben ist auch der innergesellschaftliche Mainstream immer mehr orientiert an innovativen maschinell-elektronischen Effizienznormen, die Anforderungen stellen an die arbeitende Bevölkerung. Dabei findet eine stillschweigende Selektion zwischen denjenigen Arbeitnehmern statt, die jung, wohlhabend und intelligent genug sind, diesen steigenden Anforderungen gerecht zu werden, und denjenigen, die wegen geringerer Qualifikation, Alter, Armut oder Krankheit, nicht mehr mithalten können. Diese machen einen wachsenden Anteil in der Gesellschaft aus und wenn sie ausgegrenzt und zurückgelassen werden, verliert die Gesellschaft ihr menschliches Maß. Diese Einflussnahme, dafür gibt es deutliche Hinweise, ist auch an den Facheinrichtungen der Suchthilfe während der letzten zehn Jahre nicht vorübergegangen. Neben den Aktivitäten des Gesetzgebers und durch die Umsetzung der Kosten- und Leistungsträger sind immer mehr Forderungen zur Standardisierung und Durchstrukturierung therapeutischer Leistungen gestellt worden. Unter dem Druck des Geldmangels werden Therapie und Behandlungszeiten immer mehr verkürzt, Therapieprozesse sollen

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auf Kernbereiche fokussiert und die Patienten mit einer kürzeren Verweildauer schneller »gesund werden«. Auch unser junger Kollege wird bei seinem praktischen Arbeitsvollzug solchen Anforderungen gegenübersehen. Er steht nun selbst in der Gefahr, für den Fall, dass er dieser Effizienznorm nicht gerecht werden kann, ausgegrenzt zu werden. Damit haben wir die paradoxe Situation, dass nicht nur suchtkranke Menschen, sondern auch ihre professionellen Helfer immer mehr in der Gefahr stehen, den festen Boden ihrer Existenz zu verlieren. Viele Facheinrichtungen der Suchtkrankenhilfe können heute professionelles Personal nur noch zeitlich befristet einstellen. Junge Kollegen bekommen standardmäßig einen Ein-Jahres-Arbeitsvertrag. Ob sie länger bleiben können, ist ungewiss. Entscheidungen über ihre Weiterbeschäftigung werden von kurzfristigen Kostenzusagen abhängig gemacht. Allgemeine Verunsicherung über die berufliche Zukunft ist die Folge. Auch die Einlassung in längerfristige Weiterbildungsprozesse ist davon berührt. Wie soll also ein professioneller Helfer, an dessen therapeutisch-diagnostischer Kompetenz soviel hängt für die Gesundheit seiner Patienten, heilend, hilfreich und stabil arbeiten, wenn er selbst in höchster beruflicher und sozialer Unsicherheit leben muss? Wir haben gesehen, dass professionelle Kompetenz eng gekoppelt ist mit der Fähigkeit, Beziehung aufzubauen und zu gestalten, dies im Rahmen eines hoch komplexen theoretisch-praktischen Handlungsfeldes. Um hier jedoch in der vorbeschriebenen Art und Weise wirksam werden zu können, braucht auch der Helfer entsprechende Rahmenbedingungen. Zu den Rahmenbedingungen gehört Zeit, Arbeitsplatzsicherheit und Verbindlichkeit. Wenn alles Gelingen in der Psychotherapie Suchtkranker letztendlich an der Beziehungsfähigkeit des qualifiziert ausgebildeten Therapeuten hängt, braucht der wiederum grundlegende Rahmenbedingungen seiner Arbeit, um sich seinen Patienten widmen zu können. Was am Ende bleibt, ist der Mensch, und der braucht Zeit!

Ausblick Die Screening-Funktion professioneller Helfer in der Suchthilfe wurde in diesem Beitrag zwar (bewusst) eigenwillig interpretiert, dennoch darf der Leser getrost davon ausgehen, dass jeder professionelle Therapeut in der Suchthilfe in der Lage sein muss, nach anerkannten Diagnoseverfahren klinische Phänomene wahrzunehmen und zuzuordnen. Er wird ferner in der

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Lage sein, eine fachlich begründete Indikationsstellung zu ermitteln und Vorschläge zu einem Behandlungsprozess zu machen. Aber es ging hier vielmehr darum, zu untersuchen, wie die fachliche Kernkompetenz, das heißt die mentale persönliche Begabung, Haltung und innere Überzeugung aussieht, die einen Angehörigen psychosozialer Berufsgruppen dazu bringt, sich als professioneller Helfer in der Suchthilfe zu engagieren – was also gleichsam den Therapeuten »im Inneren zusammenhält«. Zur Charakterisierung dieses Lernprozesses haben wir ein kleines Gedankenexperiment durchgeführt. Wir sind, quasi virtuell, mit einem jungen Kollegen durch gedachte Lernprozesse gegangen, die ihn immer mehr zum »Profi« werden ließen. Dabei lassen sich die Besonderheiten dieser Prozessentwicklung, die natürlich mit der Dauer der Tätigkeit korrespondiert, wie folgt zusammenfassend darstellen: Der Novize ist noch am Anfang seiner Berufskarriere, er hat gerade seine grundständige Berufsausbildung und vielleicht auch die Zusatzausbildung abgeschlossen. Er bewegt sich als Therapeut in einem noch recht neuen Therapie- und Theoriesystem. Es fehlt jedoch die Anwendungserfahrung, alles ist noch sehr anstrengend und kompliziert für ihn. Dies merkt er besonders dann, wenn er die Störungen der Patienten richtig auf den Begriff bringen und angemessene Interventionen dazu bilden soll. Als ein Erfahrener wird er sich dann empfinden, wenn es ihm gelingt, seine Wahrnehmung souverän in die Theorie fließen zu lassen, mit leichter Hand Interventionen umzusetzen und dabei hochgradig auf seine eigene Befindlichkeit zu achten. Es ist dann nicht mehr die Frage, was der Therapeut kann, sondern was er ist. Durch die Zugzwänge der negativen Einflüsse von außen, die dargestellt wurden, hat sich auch eine stärkere Konkurrenz der Berufsgruppen untereinander ergeben. Dazu kommt die Angst, auch als Einrichtung verdrängt zu werden. Wenn es dennoch junge Kollegen gibt, die bereit sind, sich für dieses Arbeitsgebiet zu engagieren, so müssen sie Folgendes wissen: In der Suchthilfe arbeiten junge Diplompsychologen, Mediziner, Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter, im Ausnahmefall auch Diplompädagogen in einem interdisziplinären Team zusammen. Berufs- und sozialrechtlich steht die Gesamtbehandlung bislang unter der medizinischen Verantwortung des Arztes, während die psychotherapeutische Verantwortung bereits in einigen Einrichtungen in den Händen erfahrener approbierter Psychologen liegt (Vereinbarung »Abhängigkeitserkrankungen« 2001). Das Werkzeug, das allen gemeinsam zur Verfügung steht, ist die Sprache; es handelt sich also hier auch um ein Arbeitsgebiet der »sprechenden Medizin«. Damit tritt zwangsläufig die Persönlichkeit des Therapeuten in Aktion. Über die Sprache wird Beziehung konstelliert und über die Beziehung

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kommt die Persönlichkeit des Helfers ins Spiel. Diese muss ganz bestimmte Voraussetzungen aufweisen. Respekt, Akzeptanz und Authentizität sind Therapeutenhaltungen, die wir aus der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie kennen. Nächstenliebe und Solidarität treten hinzu und drücken die persönliche Haltung des professionellen Helfers aus. Das therapeutische Know-how wird in einem postgradualen Weiterbildungsprozess vermittelt, dem sich der junge Berufskollege nach Abschluss seiner grundständigen Ausbildung zuordnen muss. Hier geht es um Theorieausbildung, Wahrnehmungs- und Verstehenstraining, um fallzentrierte Arbeit und Supervision. Damit ist jedoch nur der fachliche Teil des Qualifizierungsprozesses benannt. Es fehlt die mental-menschliche Seite, ohne die ein guter Therapeut nicht zu einem wirksamen Helfer werden kann. Dies kann er nur dann werden, wenn er selbst mit all seinen Fähigkeiten und Qualitäten, in einer gesicherten, persönlichen, beruflichen Arbeitssituation steht, die ihm die volle Konzentration auf die ihm anvertrauten Patienten ermöglicht. Ferner befinden sich viele Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe, sowohl im ambulanten wie im stationären Bereich, in einem Überlebenskampf. Dies bindet Kräfte und Energien, die den Patienten nicht mehr zugute kommen können. Zu diesen auf die Bundesrepublik Deutschland bezogenen Maßnahmen treten noch die international wirksamen Zugkräfte, die durch die Globalisierung und Internationalisierung unserer Wirtschaft in unserem Land Transformationsprozesse ausgelöst haben, mit dem Ergebnis der Verknappung des Geldzuflusses sowohl für die staatlichen Organisationen wie auch für die Solidargemeinschaften der Renten- und Krankenversicherungen. Konzentrationen von Einrichtungen und deren Privatisierung sind die Folge. Dies muss noch nicht schlecht sein. Aber die neu entstehenden Einrichtungen müssen jene Arbeitsressourcen zur Verfügung stellen,die dem professionellen Helfer nicht durch Arbeitsverdichtung und Zeitdruck das Leben schwer machen, sondern mit großem Respekt und unter Akzeptanz seiner persönlichen Leistung Rahmenbedingungen schaffen, die es ihm wiederum ermöglichen, unter Entfaltung seiner vollen Professionalität heilsam und hilfreich für die suchtkranken Menschen wirken zu können. Die Suchthilfe wird nur dann eine Zukunft haben, wenn es gelingt, diese Rahmenbedingungen erfolgreich zu verteidigen.

Methoden psychoanalytischer Suchttherapie

MethodenpsychoanalytischerSuchttherapie

Wolf-DetlefRost:DieambulanteSuchttherapieinderPraxisdesPsychoanalytikers

Wolf-Detlef Rost

Die ambulante Suchttherapie in der Praxis des Psychoanalytikers

Abstract Psychoanalytische Arbeit mit Süchtigen bedeutet in aller Regel, Abstriche von der klassischen psychoanalytischen Technik wie von deren Zielsetzungen zu machen. Eine aktivere, strukturiertere und weniger regressionsfördernde Technik sollte die Leitlinie der Arbeit sein. Destruktive Anteile bleiben dabei meist unbearbeitet und werden aus der Übertragungsbeziehung herausgehalten; der Therapeut sollte sich dessen jedoch stets bewusst sein. Gearbeitet wird vorwiegend mit den gesunden Anteilen des Patienten, die gestärkt werden. Grundsätzlich ermöglicht die Psychoanalyse auch das Vordringen bis zum »destruktiven Kern« der Persönlichkeit des Patienten. Wenn in der Analyse ein stärker regressiver Prozess gefördert wird, sollte sich der Behandler jedoch darüber klar sein, welche ungeheuren Anforderungen hinsichtlich seiner persönlichen Belastbarkeit und der geforderten Omnipräsenz auf ihn zukommen und dass er sich dann auf eine Behandlungsdauer von mindestens 700 Stunden einstellen sollte. Auch wenn der »destruktive Kern« ausgespart bleibt, dient die analytische Behandlung dennoch einer deutlich verbesserten Lebensbewältigung, reduziert den die Abstinenz üblicherweise begleitenden Symptomwechsel und hilft, die auftretenden Konflikte und Störungen zu bewältigen, ermöglicht es, sich mit der Grundstörung wenigstens zu einem Teil auszusöhnen und mit ihr zu leben.

Zunächst einmal sollte vorausgeschickt werden, dass es vermessen wäre zu behaupten, es gäbe eine »Psychoanalyse der Sucht«, wenn mit Psychoanalyse nur das Standardverfahren und nicht auch die Krankheitslehre, Entwicklungspsychologie und psychoanalytische Methodologie bezeichnet wird. Zumindest wäre es ein erhebliches Missverständnis anzunehmen, es ließe sich mit suchtmittelabhängigen Patienten in einem klassisch-analytischen Setting arbeiten, und es ist auch keine psychoanalytische Technik bekannt, die den Anspruch erheben dürfte, überwiegend oder gar ausschließlich auf die Anforderungen der Suchtkrankenbehandlung ausgelegt zu sein. Psychoanalytische Praxis mit Süchtigen wird von vornherein immer heißen müssen, Abstriche von der »reinen Lehre« der psychoanalytischen Technik zu machen.

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Methoden psychoanalytischer Suchttherapie

Zur psychoanalytischen Technik Es sei erinnert: Die Psychoanalyse ist die intensivste Form der ambulanten Psychotherapie. Sie wird mit drei bis fünf Wochenstunden im Liegen durchgeführt. Grundprinzipien sind die freie Assoziation des Patienten, der die gleichschwebende Aufmerksamkeit des Psychoanalytikers gegenübersteht. Der Analytiker sollte sich abstinent verhalten, wenig nachfragen, geschweige denn direkt intervenieren, sondern das Material des Patienten deuten, wozu er den unbewussten Sinn des Mitgeteilten erfassen und ihn auf seinen biographischen Kontext beziehen soll (genetische Deutung). Durch Abstinenz und Deutung werden die Regression des Patienten gefördert und seine frühkindlichen Gefühls- und Erlebniszusammenhänge reaktiviert, nicht zuletzt auch in Träumen, deren Bearbeitung in der klassischen Analyse eine große Rolle spielt. Seine Gefühle und verinnerlichten Erfahrungen mit den frühen Bezugsobjekten (besonders der Mutter) überträgt er auf den Analytiker, der diese mittels seiner Gegenübertragung erfasst und bearbeitet (Übertragungsdeutung). Die Analyse ist somit ein tief greifendes emotionales Geschehen und nicht etwa ein kognitiv-rationaler Prozess, wie dies oft missverstanden wird und in vielen Analysen leider auch der Fall ist. Tatsächlich sollte jedoch für die Arbeit mit früh gestörten Süchtigen jedes einzelne der genannten Prinzipien des analytischen Arbeitens auf seine Sinnhaltigkeit hin überprüft werden.

Indikation und Rahmenbedingungen der Therapie bei Abhängigen Zur Eingrenzung der Indikation ist darauf hinzuweisen, dass der Indikationskatalog der kassenfinanzierten Psychotherapie die Behandlung einer manifesten Sucht ausdrücklich ausschließt. Diesem Ausschlusskriterium ist aus psychoanalytischer Sicht unbedingt zuzustimmen. Das Suchtmittel ist als Objekt aller möglichen Bedürfnisse, Wünsche, Erfahrungen und Projektionen, eben als sein zentrales Liebesobjekt, viel zu mächtig, als dass sich neben ihm eine tragfähige therapeutische Beziehung entwickeln könnte, von einer echten »Übertragungsanalyse« ganz zu schweigen. Jeder Angehörige oder Partner von Süchtigen weiß davon ein Lied zu singen. Wenn ich also von einer analytischen Psychotherapie mit Süchtigen spreche, meine ich eine Behandlung unter der Bedingung einer zumindest überwiegenden Abstinenz vom Suchtmittel. Die »Trockenlegung« des Al-

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koholikers kann nicht Aufgabe der ambulanten Psychotherapie sein. Meine Erfahrung mit eigentlich allen Abhängigen, die ich kenne, ist jedoch, dass erst unter der Bedingung der Abstinenz von der Droge die Grundstörung des Patienten, die zuvor im Symptom der Sucht gebunden beziehungsweise abgewehrt war, manifest wird. Aus psychoanalytischer Perspektive ist dies banal und Praktikern jeder therapeutischen Schule klinisch immer wieder evident. So schrieb Robert Knight schon 1937: »Man findet niemals einen Alkoholiker, der nüchtern eine gesunde Person ist« (S. 234), oder bei Menninger: »Der Alkoholiker leidet insgeheim an einem unaussprechlichen Schrecken, dem er nicht ins Antlitz zu sehen wagt. Er kennt nur das Mittel des Ertränkens der Furcht« (1974, S. 188f.). Diese Realität wird dennoch vom Mainstream der Suchttherapie, in der Verhaltenstherapie wie in der Psychiatrie, geleugnet. Ihr wird allenfalls in dem modischen Terminus von der »Komorbidität des Süchtigen« Rechnung getragen, wo dann verschiedene Diagnosen zu einem Konglomerat aneinandergereiht werden; eine »Persönlichkeitsstörung« ist hier allemal dabei, ohne dass die kausalen Zusammenhänge zum Symptom »Sucht« gesehen werden, weil einer deskriptiven Diagnostik nach ICD-10 die Basis einer psychogenetischen Theorie fehlt, wie sie hier nur von der Psychoanalyse geliefert werden kann. Der Preis für den Patienten, der in seiner Abstinenz durch immer neue Symptome »überrascht« wird, ist nun der, dass er immer andere Behandlungen bekommt und neue Behandler erlebt, ihm das, was er gerade am meisten braucht und ihm in seiner Entwicklung gefehlt hat, nämlich ein stabiles und zuverlässiges, tragfähiges Bezugsobjekt, verweigert wird. Eine solche längerfristig angelegte Behandlung, in der all seine Symptome, Konflikte und Defizite ihren Platz finden dürfen und von einer Person »contained« werden, kann ihm nur der Psychoanalytiker bieten. In psychoanalytischer Sicht ist die Sucht immer das Symptom einer tiefer liegenden Störung; sie ist eine Abwehrformation oder Reaktionsbildung gegen Ängste, Depressionen, früh erfahrene Traumatisierungen, drohende somatische oder psychotische Regressionen, bewältigt oder kompensiert unterschiedlichste Konflikte, Defekte und Defizite in der Persönlichkeit, die der Suchterkrankung vorausgehen und daher die Primärerkrankung darstellen; Morgenthaler (1974) sprach hier vom Symptom als einer »Plombe«. Dies kann an dieser Stelle nicht detailliert ausgeführt werden (s. Rost 1987ff. und andere Beiträge dieses Bandes). Wenn der Süchtige seines Suchtmittels beraubt ist, was ja niemals wirklich freiwillig geschieht, sondern erst dann, wenn der Druck der Umwelt oder die eigene körperliche Zerstörung übermächtig geworden sind, so ist er seinen zuvor abgewehrten Affekten, seiner Umwelt, und den Defiziten und Defekten in seiner Struk-

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tur hilflos ausgeliefert, erlebt sich von ihnen buchstäblich überflutet. Fast allen Abhängigen, die ich kennen gelernt habe, geht es unter der Bedingung der Abstinenz psychisch, oft aber auch körperlich schlechter, als sie sich je zuvor gefühlt haben. Bisher abgewehrte Ängste und Depressionen brechen durch, oder sie produzieren die unterschiedlichsten (psycho-)somatischen Symptome oder massive Schmerzzustände. Von vielen Patienten habe ich so oder ähnlich formuliert schon gehört: »Solange ich noch getrunken habe, hatte ich ja gar keine Ahnung, wie schlecht es mir wirklich geht.« Ambulante analytische Psychotherapie mit Süchtigen ist daher immer eine Therapie der Grundstörung, die die Sucht bedingt hat. Dies ist nicht nur ein Terminus technicus gegenüber der Krankenkasse beziehungsweise dem Gutachter, sondern die Leitlinie jeder analytischen Psychotherapie mit Abhängigen. Sie ist eine Therapie der Grundstörung unter besonderer Berücksichtigung des Symptoms Sucht. Diese Grundstörung ist in aller Regel eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung (Wurmser bezeichnet sie als »schwere Neurosen«), meist auf dem Borderline-Niveau, wobei in einzelnen Fällen auch weniger schwerwiegende Erkrankungen wie zum Beispiel eine hysterische Neurose durch die Sucht abgewehrt sein können. Dies kann an dieser Stelle jedoch vernachlässigt werden, da diese Fälle eher selten sind und einer Modifikation der analytischen Technik weniger bedürfen.

Exkurs zur Geschichte der psychoanalytischen Suchttherapie Andernorts habe ich wiederholt darauf hingewiesen (s. Rost 1987ff.), dass die Psychoanalyse die Behandlung von Süchtigen sträflich vernachlässigt hat. Theoretische Arbeiten aus der frühen Psychoanalyse (erstmals Abraham 1908) geben uns keine Hinweise auf erforderliche technische Veränderungen, ja beinhalten in der Regel nicht einmal detailliertere Fallbeispiele. Dies gilt auch für die beiden bahnbrechenden Arbeiten von Radó (1926, 1934). Den ersten Bericht über die konkrete therapeutische Arbeit finden wir in Simmels Aufsatz »Die psychoanalytische Behandlung in der Klinik« von 1928. Zwar ist dieser Aufsatz für unsere Fragestellung nur eingeschränkt relevant, weil er zum einen von einer stationären Behandlungssituation ausgeht, zum anderen eigentlich die Entgiftung und weniger die anschließend erforderliche strukturelle Veränderung im Auge hat. Simmels Ansatz ist dennoch interessant, weil er erstmals die Destruktivität des Süchtigen in der Behandlung erwähnt, ein idealtypisches regressionsförderndes Modell einer kausal angelegten Suchttherapie entwickelt und die dafür indizierte Technik detailliert beschreibt:

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»Wenn wir nämlich nach genügend analytischer Vorbereitung dazu übergehen, den Süchtigen im Stadium völliger Versagung zu behandeln, wird dem Patienten dauernde Bettruhe verordnet. Er bekommt eine Sonderschwester, die nur für ihn da ist und sich Tag und Nacht mit mütterlichem Zuspruch um ihn und um seine Ernährung und Körperpflege bemüht. All seinen heftigen Abstinenzerscheinungen (Exaltation, Angst oder Depression) begegnen wir nach Möglichkeit nur mit psychoanalytischer Hilfe, das heißt mit regulärer Behandlung beziehungsweise analytischen Ansprachen, wenn nötig, mehrmals am Tage, auch des Nachts. – Durch diese so veränderte psychoanalytische Situation schaffen wir bei aller bewussten Qual doch für das Unbewusste des Süchtigen die letzte Erfüllung seiner tiefsten Sehnsucht. Denn wieder ein ganz kleines Kind zu sein, im Bett liegen und von einer freundlichen, vom Vater konzedierten Mutter gepflegt und genährt werden dürfen, von einer Mutter, die stets da ist, wenn ihm angst wird, das ist das Geheimnis letzter unbewusster Wunscherfüllung des Suchtkranken« (Simmel 1928).

Es muss nicht eigens belegt werden, dass die Realität der medizinischen Versorgung einer neuerlichen Umsetzung dieses Modells nachhaltig im Wege stand. Relevanter für die spätere Praxis der Suchttherapie wurde daher der oft zitierte Passus von Sigmund Freud aus dem Jahr 1919: »Dann wird sich für uns die Aufgabe ergeben, unsere Technik den neuen Bedingungen anzupassen. [. . .] Wir werden auch sehr wahrscheinlich genötigt sein, in der Massenanwendung unserer Therapie das reine Gold der Analyse reichlich mit dem Kupfer der direkten Suggestion zu legieren. [. . .] Aber wie immer sich auch diese Psychotherapie fürs Volk gestalten, aus welchen Elementen sie sich zusammensetzen mag, ihre wirksamsten und wichtigsten Bestandteile werden gewiss die bleiben, die von der strengen, der tendenzlosen Psychoanalyse entlehnt worden sind.«

Technische Abwandlungen in der analytischen Suchttherapie wurden erstmals 1970 von Krystal und Raskin (deutsch 1983) ausformuliert. Deren Arbeit wurde in Deutschland vor allem von Heigl-Evers (1977) und deren Schülern aufgegriffen, was an anderer Stelle dieses Bandes ausführlicher behandelt wird.

Die Technik der analytischen Suchttherapie Die analytische Behandlung des Süchtigen bedarf im Prinzip der gleichen Modifikationen wie bei anderen Früh- oder Persönlichkeitsstörungen auch, was im Einzelnen bedeutet: – Die Vermeidung übermäßiger Regression, um den Patienten nicht zu sehr unter Druck zu bringen, womit sonst ein destruktives – meist au-

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todestruktives – Agieren oder ein Suchtmittelrückfall ausgelöst werden könnte. In den produzierten Erinnerungen darauf achten, dass nicht nur negatives Material berichtet wird, um einer malignen Regression entgegenzuwirken; stattdessen auch positive Erinnerungen fördern. Mit den gesunden Anteilen arbeiten und diese verstärken. Das Setting zumindest anfänglich eher im Sitzen als im Liegen halten, damit der Therapeut in seinen Reaktionen und Gefühlen als Realperson wahrgenommen werden kann. Eine aktivere Technik mit häufigeren Interventionen, Nachfragen, dem Spiegeln und Benennen von Gefühlen, notfalls auch »Verboten«, was heißt: klare Position beziehen gegen ein destruktives Agieren. Diese Prinzipien finden sich auch in der psychoanalytisch-interaktionellen Psychotherapie nach Heigl-Evers. Eine stärker supportive Technik mit durchaus verhaltenstherapeutischen Elementen wie zum Beispiel positiven Verstärkungen, gegebenenfalls aber auch deutlichen Konfrontationen oder Anweisungen; das bedeutet auch: Eine Relativierung der analytischen Abstinenz; weniger Deutungen und andere genetische Interpretationen; überwiegend wird im Hier-undJetzt gearbeitet. Sich dabei durchaus auch mal vom Patienten leiten lassen und dessen Anregungen und Wünsche hinsichtlich der Technik und des Settings aufgreifen. Das Leitsymptom »Sucht« stets im Auge behalten; eine Laisser-faire-Haltung gegenüber dem Suchtmittel ist nicht akzeptabel; die Abstinenz des Patienten ist stets zu stützen und als Behandlungsbasis zu fordern; Rückfallängste (»Saufdruck«) sind immer ernst zu nehmen und sind oft auch als Ausdruck von Krisen der therapeutischen Beziehung zu bearbeiten. Zumindest anfänglich ein Tolerieren von »Nebenübertragungen«; das zutage tretende destruktive Potenzial kann unter Umständen nicht allein in der Übertragungsbeziehung gehalten und bearbeitet werden, so dass ein Agieren im Außen eine Entlastung der therapeutischen Beziehung darstellen kann. Damit geht einher: Das Herstellen von und Arbeiten mit einer überwiegend positiven Übertragung auf den Therapeuten.

So gesehen plädiere ich also für eine ausgedünnte und »verwässerte« analytische Psychotherapie bei Süchtigen mit einer gleitenden Grenze zur tiefenpsychologisch fundierten Behandlung. Dieses eher pragmatische Vorge-

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hen entspricht meines Erachtens der Realität der therapeutischen Arbeit mit Süchtigen wie übrigens der heutigen psychoanalytischen Praxis insgesamt, wo intensive klassische Psychoanalysen eher eine Seltenheit geworden sind. Es gibt allerdings auch einige Psychoanalytiker, die mit Süchtigen eine regressionsfördernde Behandlung wagen, wozu ich weiter unten Stellung beziehen werde. Zunächst jedoch möchte ich konkreter das Procedere meiner Arbeit mit Süchtigen schildern. Süchtige Patienten – sie stellen etwa 80 % meiner Praxisklientel – suchen mich meist auf, weil sie mit den mit der Abstinenz auftretenden Problemen wie Schlafstörungen, Ängsten, Depressionen, Zwängen, körperlichen Symptomen wie Schmerzzuständen, Beziehungskonflikten und anderes mehr nicht mehr allein fertig werden. Ich beantrage zunächst eine 25-stündige Kurzzeitpsychotherapie, weil es nach meiner Erfahrung am Beginn der Therapie zu vielen Behandlungsabbrüchen kommt. Wenn sich Süchtige erst einmal auf eine Beziehung zum Behandler eingelassen haben, sind sie »treu« und bleiben meist sehr lange und zuverlässig in der Therapie. In den ersten zwanzig Stunden erlebe ich mich allerdings als austauschbar und nicht als Person wahrgenommen. Das Besprechen von Problemen im Umgang mit beziehungsweise der Aufrechterhaltung der Abstinenz vom Suchtmittel (»wie das erste Glas stehen lassen?«) vermeide ich möglichst; dafür halte ich den Austausch mit anderen Betroffenen für sinnvoller. Daher begrüße und unterstütze ich, wenn der Patient parallel zur Therapie eine Selbsthilfegruppe besucht (bei Alkoholabhängigen bevorzugt die Anonymen Alkoholiker), was meistens aber ohnedies der Fall ist. Ferner treffe ich einen mündlichen Behandlungsvertrag in etwa der folgenden Form: »Ihre Behandlung sollte unter Abstinenz vom Suchtmittel erfolgen. Da ich Sie aber nur ein-/zweimal die Woche sehe, kann und will ich dies im Gegensatz zu einer stationären Einrichtung nicht kontrollieren. Die Grundlage unserer therapeutischen Beziehung ist die Offenheit, gerade hinsichtlich des Suchtmittels; deshalb kann ich einen Rückfall auch nicht sanktionieren, weil ich Sie sonst zum Lügen verführen würde. Wenn Sie mir einen Rückfall verschweigen, belügen Sie nicht mich, sondern im Endeffekt sich selbst, weil die therapeutische Arbeit dann sinnlos wird.«

Der Rückfall gehört zur Psychotherapie, da sich das Symptom ja nicht einfach verbieten lässt. Er wird mir meiner Erfahrung nach spätestens nach einigen Wochen »gebeichtet« und ist in aller Regel auch als ein Hinweis auf Konflikte oder Störungen in der analytischen Beziehung zu sehen, die damit auch der Bearbeitung überhaupt erst zugänglich werden. Somit bietet

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der Rückfall auch ein therapeutisches Potenzial, ist jedoch aufgrund des destruktiven Charakters einer Suchterkrankung auch stets ernst zu nehmen, ohne dabei in Panik verfallen zu müssen. Äußerstenfalls muss eine stationäre Entgiftung zwischengeschaltet werden, nach der die Behandlung fortgeführt wird. Es sollte möglichst nicht mit der Sanktion »Therapieabbruch bei Rückfall« gedroht werden. In der Praxis wird sich die therapeutische Beziehung rasch auflösen, wenn das Suchtmittel wieder zum beherrschenden Liebesobjekt geworden ist. Nach der Kurzzeittherapie und einer differenzierten Diagnose der zugrunde liegenden Psychodynamik beantrage ich, wenn vertretbar, eine analytische Psychotherapie, die je nach Fall mit ein bis drei Wochenstunden in der oben beschriebenen aktiveren Technik bis zur Höchstgrenze von 300 Stunden durchgeführt wird. Da jeder Sucht immer auch eine Beziehungsstörung zugrunde liegt, ist es meines Erachtens für den Patienten wichtig, eine möglichst lange therapeutische Beziehung zu erfahren, die ihn durch den dornenreichen Weg seiner Abstinenz und die Begegnung mit den eigenen Anteilen, »den Leichen im Keller« begleitet. Dieser mehrjährige therapeutische Prozess ist meines Erachtens einer kürzeren und intensiveren Analyse vorzuziehen, nach der der Patient erneut sich selbst und seinen destruktiven inneren Objekten hilflos ausgeliefert wäre. Schon Adams (1978) hielt bei Süchtigen einen etwa sieben Jahre lang dauernden Behandlungsprozess für sinnvoll. Nach der psychoanalytischen Theorie der Behandlung ist zwar gerade die in der intensiven Analyse entstehende Abhängigkeit vom Analytiker ein zentraler therapeutischer Wirkfaktor, soll der Patient doch die hier erlebte Abhängigkeit positiver erleben als seine primäre und durch diese Erfahrung seine verinnerlichten Objektbeziehungen (Objektrepräsentanzen) heilen. Rein theoretisch könnte dies gerade für den Süchtigen die Methode der Wahl sein, hat er sich doch stets vor der – unkontrollierbaren – Abhängigkeit von den personalen Objekten in die Abhängigkeit von den – scheinbar beherrschbaren – stofflichen Objekten (= Suchtmitteln) geflüchtet. Manche gescheiterte Analyse belegt jedoch, dass dieser Prozess oft stekken bleibt, selbst bei Lehranalysen, wie es zum Beispiel in dem viel gelesenen Buch von Dörte von Drigalski »Blumen auf Granit« (1980) beschrieben wurde. Gerade der Süchtige hat in aller Regel traumatisierende primäre Objektbeziehungen erfahren (Reinert 2004) und flieht die personalen Objekte ja nicht ohne Grund. Er wird der Abhängigkeit in der Behandlung daher nicht nur große Widerstände entgegensetzen, sondern die Gefahr einer Retraumatisierung in der Therapie ist dann groß, weil der Analytiker unter Umständen nicht in der Lage sein wird, alle auftretenden

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Krisen aufzufangen, Destruktion und Hass in der Übertragung auszuhalten, die freigesetzten Wünsche und Bedürfnisse zu stillen. Hinzu kommt, dass man seltenst das Privileg genießt Patienten zu finden, die über die 300-Stunden-Grenze hinaus bezahlen könnten, und in der analytischen Bearbeitung der schweren und destruktiven inneren Prozesse, die einer Sucht zugrunde liegen, sind 300 oder selbst 360 Stunden nur »ein Tropfen auf den heißen Stein«. Ungünstigstenfalls wird diese Grenze gerade dann erreicht, wenn sich der Patient in tiefster Regression und Abhängigkeit befindet. Bei konsequenter Verfolgung einer solchen aktiven und wenig regressionsfördernden Technik lassen sich nach meiner Erfahrung bei Süchtigen durchaus gute Behandlungsresultate erzielen, die unter dem Strich nicht schlechter ausfallen als bei Neurotikern oder psychosomatischen Patienten. Allerdings lässt sich auch nicht bestreiten, dass sich in der ambulanten analytischen Praxis eine Art von Positivselektion entwickelt und es wohl die Patienten mit den von vornherein gesünderen Anteilen sind, die eine längere Psychotherapie mit Erfolg »durchziehen«. Kommt man stärker an die Grundstörung des Patienten heran, lassen sich Probleme in der Gegenübertragung nicht vermeiden; man erlebt sich dann durch die Destruktivität des Patienten bedroht und entwertet, seiner therapeutischen Potenz beraubt. Hier sind dann eine Supervision beziehungsweise Intervision, ein kollegialer Austausch erforderlich. Gegenübertragungsprobleme bei abhängigen Patienten hat Agnes Ebi (2000) ausführlich beschrieben.

Fallbeispiel Im Folgenden möchte ich den insgesamt positiven Verlauf einer analytischen Psychotherapie mit einem abhängigen Patienten aus meiner Praxis beschreiben. Herr M. stammt aus einer gutbürgerlichen Akademikerfamilie. Allerdings war die Ehe der Eltern schon frühzeitig zerbrochen. Der Vater ging des Öfteren fremd, zumal er als Ingenieur über Jahre weit entfernt vom Wohnort arbeitete und nur am Wochenende zuhause auftauchte. Die Mutter war auf der einen Seite sehr fürsorglich und vereinnahmend – später deutlich ko-abhängig –, auf der anderen jedoch mit ihren beiden Kindern und der Ehesituation stark überfordert und angespannt. Sie war dann sehr streng und litt oft unter schweren Depressionen. Die Ehe hielt sie ihrer beiden Kinder wegen aufrecht. Der Patient orientierte sich stark an der Peergroup Gleichaltriger und war sehr

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sportlich, was ihm von Seiten des Vaters Anerkennung und Unterstützung brachte. So gelangte er im Schwimmen bis zur deutschen Jugendmeisterschaft, verbrachte seine restliche Freizeit jedoch in einer Gruppe von gleichaltrigen Jungen, mit denen er häufig Diebstähle, Einbrüche, kleinere Brandstiftungen und Sachbeschädigungen beging. Auch unternahm er mit diesen Jungen extreme und gefährliche sportliche Aktivitäten: mit dem Fahrrad, Bus-Surfen, Seifenkistenrennen auf sehr steilen und zudem stark befahrenen Straßen etc. Extreme Verhaltensweisen dieser Art finden sich häufig in der Biographie autodestruktives Verhalten Süchtiger. Er wurde mit 14 schließlich beim Stehlen erwischt und beendete dieses daraufhin, da er aufgrund seiner sportlichen Erfolge stadtbekannt war. Er brach die Laufbahn als Leistungsschwimmer mit 16 Jahren ab, nachdem es zur Trennung der Eltern gekommen war. Er hatte sich hierbei mit der Mutter, die er als Opfer erlebte, identifiziert und bekämpfte den Vater heftig. Er schaffte noch das Abitur und lernte danach Elektriker. Seit dem Alter von 14 trank er oft Alkohol, rauchte Haschisch und geriet in dem üblichen Zirkel an stärkere Drogen, die er wahllos und in großen Mengen erst rauchte, dann spritzte. Nicht nur dadurch gefährdete er sich gesundheitlich. Mit dem Älterwerden und dem Wechsel erst aufs Mofa, dann aufs Auto nahmen auch Art, Schwere und Häufigkeit seiner Unfälle zu. Er hatte dabei offensichtlich mehrere Schutzengel, denn er überstand schwerste Unfälle unter Drogen, wobei er zum Beispiel aus dem Auto geschleudert wurde, mit relativ geringen Verletzungen. Weder Unfälle noch Drogenzwischenfälle konnten ihn von aggressiven wie selbstschädigenden Verhaltensweisen abhalten, bis er im Alter von 23 Jahren mit einer größeren Menge von Rauschgiften im Auto gefasst wurde. Er kam sofort in Haft und wurde dadurch zunächst quasi zwangsweise entgiftet. Nach mehr als einem Jahr im Gefängnis ließ er sich in eine Drogentherapieeinrichtung verlegen, wobei er heute zugibt, dass er zu diesem Zeitpunkt längst noch nicht zur Abstinenz motiviert war, sondern nur aus dem Knast herauswollte. Auch hier verhielt er sich zunächst aggressiv und auflehnend, ließ sich jedoch allmählich motivieren und konnte sich im Laufe der Zeit mehr und mehr mit den Therapiezielen identifizieren sowie sich wieder dem Vater annähern. Nach der stationären Behandlung nahm er ein Sozialpädagogikstudium auf, um selbst in einen therapeutischen Beruf gehen und Abhängigen helfen zu können. Die ambulante Psychotherapie bei mir sucht er auf, weil er erkennen muss, dass ihm auch abstinent keine Beziehungen zu Frauen gelingen, wie auch um seine Drogengeschichte und die schwierigen Beziehungen zu den Eltern, insbesondere zur Mutter, aufzuarbeiten. Als ich ihn kennenlerne, weist er die für cleane Süchtige in den ersten Jahren übliche Strenge und einen ausgeprägten Moralismus auf. Parallel zur Therapie bei mir ging er in NA-Gruppen (Narcotics Anonymous) und ordnete sein Leben streng bis zwanghaft. In dieser Zwanghaftigkeit blockierte er sich zugleich in seinen Impulsen, Bedürfnissen und Trieben. Sie ermöglichte es ihm jedoch, clean zu bleiben und sein Studium abzuschließen. Als die rigide Abwehr, die er sich zum Schutz vor dem Rückfall und der Autodestruktion aufgebaut hatte, im Stress der Prüfungszeit etwas aufweicht, gelingt es ihm zugleich plötzlich, gegenüber Frauen

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durchlässiger zu werden und eine Beziehung aufzunehmen. Die über mehrere Jahre geführte analytische Psychotherapie erlaubt es ihm schließlich, sich auch wieder weicher und weniger rigide zu geben, so dass diese Behandlung mit einem beide Seiten – also Therapeut und Patient – befriedigenden Resultat abgeschlossen werden kann. Herr M. hat gelernt, sich mit seiner Kindheit und Lebensgeschichte wie Drogenzeit auszusöhnen und aggressive wie destruktive Impulse zu kompensieren und im Griff zu haben. Der Patient ist nun nicht nur lebens- und arbeits-, sondern auch liebesfähig, muss nicht mehr, wie man es von Alkoholikern oft sagt, leben, um trocken zu bleiben, sondern bleibt clean, um zu leben. In seinem weiteren beruflichen Weg hat sich der Patient mit dem Behandler identifiziert, ein Stück der abgebrochenen väterlichen Beziehung in der Übertragung nachgeholt. Die destruktiven Seiten wurden jedoch in der Therapie nicht wirklich bearbeitet oder in die Übertragung genommen. In einer Phase der Behandlung wurden sie durch vorübergehendes süchtiges Spielen, wobei der Patient mehrere tausend Mark verlor, in etwas kompensierterer Form ausagiert. Dennoch ist festzuhalten, dass als Ergebnis dieser meist dreistündigen Arbeit im Sitzen über insgesamt 300 Stunden die gesunden Selbstanteile und die Beziehungsfähigkeit des Patienten gestärkt wurden, während die destruktiven inneren Objekte quasi eingekapselt blieben. Wie ich aus gelegentlichen Kontakten mit dem Patienten weiß, trägt dies jedoch bis heute, also sechs Jahre nach Behandlungsende.

Analytisch gesehen wurde in diesem Fall die Aggression nicht wirklich bearbeitet, ja nicht einmal richtig in die Übertragung genommen. Schon von daher handelt es sich nicht um eine lege artis durchgeführte Psychoanalyse. Auch wenn sie therapeutisch gesehen, was Lebens-, Liebes- und Arbeitsfähigkeit betrifft, erfolgreich war, fehlen entscheidende Kriterien einer »vollständig« durchgeführten Analyse, da die Aggression unbearbeitet und die Übertragungsbeziehung unaufgelöst bleibt. Aufgrund langjähriger Erfahrungen mit Süchtigen erscheint mir dies heute als das kleinere Übel. Der destruktive Kern in der Persönlichkeit vieler Süchtiger (Möhl 1993; Reinert 2003, 2004, 2005; Rost 1987ff., 2003) scheint mir auch in einer intensiven analytischen Psychotherapie nicht wirklich bearbeitbar. Meines Erachtens ist es wichtig, diesen zu sehen und ihn in der Behandlung immer wieder zu erspüren, wofür eine analytische Ausbildung beziehungsweise Orientierung überaus hilfreich ist. Es erscheint mir aber nicht sinnvoll, diesen »Dämon« zu wecken, denn die Folge wäre dann unter Umständen nicht nur ein Rückfall, sondern der Suizid oder andere Formen schwerster Selbstzerstörung. Es hat mich immer wieder überrascht und erschreckt, welch unterschiedliche Arten konsequenter Selbstschädigung Süchtige entwickeln können, gerade dann, wenn sie suchtmittelabstinent bleiben. Daher erscheint es mir manchmal buchstäb-

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lich als therapeutischer Größenwahn, diese Destruktivität wecken und durcharbeiten zu wollen. Somit muss man sich als Analytiker oft damit zufrieden geben, bei Süchtigen nur so genannte unvollständige Psychoanalysen durchzuführen, in denen die Aggression und die negative Übertragung unbearbeitet bleiben. Man sollte daher die Grenzen der therapeutischen Möglichkeiten zur Kenntnis nehmen. Dies ist meines Erachtens legitim, so lange man sich bewusst ist, was man in der Behandlung macht und was man vermeidet, aus der legitimen Angst vor den meist unbeherrschbaren Konsequenzen. Der Psychoanalytiker muss sich fragen, was er selbst an Hass und Destruktion aushalten kann und wie weit er wirklich zur Verfügung stehen kann, um eine maligne Regression aufzufangen.

Regressionsfördernde (kausale) Therapie der Grundstörung Nur wenige der mit Frühstörungen arbeitenden Analytiker wagen es, bis zu diesem destruktiven Kern vorzudringen. An prominenten Autoren sind hier Otto F. Kernberg und Léon Wurmser (1997; siehe auch seinen Beitrag in diesem Band) zu nennen. Gerade bei Kernberg, der gewissermaßen der »Vater« der aktuellen Literatur zur Borderline-Therapie ist, erscheint mir diese Arbeit oft wenig überzeugend, da der Autor allein aufgrund seiner intensiven Publikations- und Reisetätigkeit gar nicht die für eine solche Therapie erforderliche Omnipräsenz aufbringen kann. Authentischer erscheint mir die Arbeit von Thomas Reinert, Chefarzt einer Fachklinik für Alkoholabhängige, der den therapeutischen Prozess bei schwerst gestörten Abhängigkeitskranken detailliert beschreibt, ohne dabei utopische und realitätsferne Ansprüche an die Therapie vorzugeben. Über den Therapieverlauf schreibt er: »Die Phase der Tiefenregression wird nach etwa 500 Stunden erreicht« (2003, S. 215f.). »Üblicherweise beenden Patienten [. . .] die Behandlung nach etwa 700 bis 800 Stunden, nur in seltenen Fällen wurde erlebt, dass mehr Stunden erforderlich waren« (S. 216; Reinert erwähnt, dass gegebenenfalls bis über 1000 Stunden notwendig wurden). Reinert beschreibt ist diesem Aufsatz und seinem Buch von 2004 auch lebendig und eindrücklich, welche Omnipräsenz (nachts, am Wochenende, im Urlaub) vom Behandler in Stadien tiefer Regression bei destruktiven Patienten erforderlich ist und wie der Behandler dadurch auch persönlich belastet wird. Immerhin dokumentieren diese Arbeiten, dass ein Vordringen zum destruktiven Kern keineswegs unmöglich ist und wahrscheinlich zu einem dauerhafteren und sicherlich auch stabileren Behandlungserfolg

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führen kann, als man dies in einem partiell »zudeckenden« Verfahren zu erreichen vermag. In diesen Arbeiten wird auch verdeutlicht, wie wichtig eine grundsätzlich positive Gegenübertragung, eine Akzeptanz des Patienten für den Verlauf und den Erfolg der Behandlung sind. Reinert (2004) ermöglicht sich diese positive Grundhaltung nicht zuletzt dadurch, dass er die aus der Objektbeziehungstheorie Melanie Kleins stammenden und bei Kernberg ausgearbeiteten Konzepte einer primären Aggressivität des Säuglings verwirft, da diese Modelle letztendlich auf die nicht haltbare Hypothese vom Todestrieb beim späten Freud zurückgehen. Den Erkenntnissen der neueren Säuglingsforschung folgend, erklärt er die Aggressivität und Destruktivität Süchtiger vielmehr aus der elementaren Vernichtungsangst, die diese Patienten in ihrer Kindheit erlebt haben und die sie abzuwehren und zu kontrollieren suchen. Wie es auch Möhl in der »Psychodynamik des Todes in der Trunksucht« (1993) analysiert hat, ist das Ziel des Süchtigen natürlich nicht, seinen realen Tod herbeizuführen (dies ist bereits aus der psychoanalytischen Suizidforschung hinlänglich bekannt), sondern vielmehr den Tod beherrschen zu wollen, indem die Todesnähe immer wieder aufgesucht wird. Es geht also gerade um das Überleben; indem der Süchtige seine frühen Traumata immer aufs Neue wiederholt, sucht er sich zu beweisen, dass er nicht mehr so hilflos ausgeliefert ist wie in der Kindheit, die durch Todes- und Vernichtungsängste beherrscht war. Sich dies immer wieder zu vergegenwärtigen, ermöglicht es Reinert offenbar, in der Behandlung auch reale und manifeste Gewalt wie zum Beispiel bei dem schwerstkranken Patienten »Otto« (Reinert 2005) geduldig auszuhalten und sich durch sie nicht persönlich bedroht zu fühlen. Ob man in der Behandlung so weit zu gehen vermag, ja solch einen Rahmen im ambulanten Setting überhaupt zur Verfügung stellen kann (bei »Otto« handelte es sich offenbar um einen aufgrund seiner schweren Erkrankung hospitalisierten Patienten, der in einem nur mit Matratzen »möblierten« Raum behandelt wurde) oder ob man sich zu der – legitimen – Angst bekennt, »die Geister, die man rief«, nicht wieder loswerden zu können, muss jeder Therapeut für sich selbst entscheiden. Ich habe den Ansatz von Reinert hier am Schluss meines Beitrags etwas ausführlicher dargestellt, um zu zeigen, dass eine aufdeckende analytische Arbeit bei Süchtigen grundsätzlich möglich ist, man sich aber vergegenwärtigen sollte, was hier auf den Behandler zukommt.

WolfgangWöller:TiefenpsychologischfundiertePsychotherapie

Wolfgang Wöller

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie der Suchterkrankung

Abstract Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist in der Suchtkrankenbehandlung von großer Bedeutung. Die Vielfalt der diesem Verfahren zugrunde liegenden theoretischen Paradigmen und Modelle erfordert die Bereitschaft zur Einnahme unterschiedlicher Perspektiven. Die Perspektive der Ich-Funktionen und Fähigkeiten erweist sich als besonders nützlich, um selbstregulatorische Defizite im Bereich der Affektdifferenzierung und Emotionskontrolle zu identifizieren und entsprechende Kompetenzen zu fördern. Ein reflektiertes Verständnis von Übertragung und Gegenübertragung kann zur Verbesserung der therapeutischen Beziehungsgestaltung beitragen und auch vor eigener emotionaler Überbeanspruchung schützen.

Was ist tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie? Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist ein von der Psychoanalyse abgeleitetes psychotherapeutisches Verfahren, das inzwischen in den Psychotherapie-Richtlinien (1988) fest verankert ist und auch in der Suchtkrankenbehandlung eine große Bedeutung erlangt hat. Wie ihre »größere Schwester«, die analytische Psychotherapie, nimmt die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie auf die Persönlichkeits-, Krankheits- und Behandlungstheorie der Psychoanalyse Bezug, sie unterscheidet sich von ihr jedoch durch spezifische behandlungstechnische Besonderheiten. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist unter den psychodynamischen Therapien die am häufigsten praktizierte und am besten untersuchte Therapieform (Rudolf u. Rüger 2001). Sie kann als Einzeltherapie oder als Gruppentherapie zur Anwendung kommen. Eine beträchtliche Anzahl kontrollierter Studien belegt ihre Wirksamkeit bei einer Vielzahl von Störungsbildern. »Analytisch orientierte Psychotherapie« ist im deutschen Sprachraum ein häufig benutzter synonymer Begriff. Ebenso wie die analytische Psychotherapie unterstreicht die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie die Bedeutung von Einsicht und positiver

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Beziehungserfahrung für den Heilungsprozess. Begriffe wie Übertragung und Gegenübertragung, Abwehr und Widerstand haben eine zentrale Stellung. Anders als in der analytischen Psychotherapie wird nicht eine Persönlichkeitsveränderung, sondern eine Symptomreduktion und eine begrenzte Verhaltensänderung angestrebt. Anders als bei jener steht nicht die Rekonstruktion der frühen Psychogenese im Vordergrund, sondern die Erarbeitung der Zusammenhänge zwischen Symptomatik, aktueller auslösender Situation und aktuellen interpersonalen Beziehungen.Durch inhaltliche Fokussierung, zeitliche Begrenzung, den Verzicht auf die Förderung regressiver Prozesse und eine stärkere Aktivität und Direktivität des Therapeuten unterscheidet sie sich weiter von der analytischen Psychotherapie. Der Anwendungsbereich tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie geht inzwischen weit über die eng gefasste Definition der PsychotherapieRichtlinien hinaus. Diese enthält die Einschränkung, dass aktuell wirksame neurotische Konflikte vorliegen müssen, die unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand zu behandeln sind (Psychotherapie-Richtlinien 1998, B I. 1.1.1). Tatsächlich sieht die psychotherapeutische Alltagsrealität anders aus: Mit tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie werden neben neurotischen Störungsbildern zunehmend auch Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen, Patienten mit psychosomatischen Störungsbildern, körperlich kranke Patienten und Patienten mit Suchterkrankungen behandelt. Mehr als in der Behandlung von Patienten mit Konfliktpathologien haben sich – über die psychoanalytische Krankheitslehre hinaus – die Erkenntnisse der modernen Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie ebenso wie die neurobiologischen Befunde zu Bindungs- und Beziehungstraumatisierungen als relevant erwiesen. Aus diesem Grund haben wir uns für eine breitere Konzeption tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie ausgesprochen, die sich nicht auf die Anwendung der psychoanalytischen Krankheitslehre beschränkt, sondern die Erkenntnisse der wichtigen Grundlagenwissenschaften nutzt (Wöller u. Kruse 2001).

Theorien und Perspektivenvielfalt als ein Grundmerkmal tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie Theorien- und Perspektivenvielfalt sind Grundmerkmale tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie. Die Notwendigkeit, mit unterschiedlichen theoretischen Konzepten arbeiten zu müssen, resultiert zunächst schon aus der Vielzahl der theoretischen Paradigmen der »Mutterwissenschaft« Psy-

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choanalyse. Die von Sigmund Freud gemeinsam mit Josef Breuer (Breuer u. Freud 1893–95) begründete Psychoanalyse hat ihr Gesicht in den letzten einhundert Jahren dramatisch verändert. Aufbauend auf den Theorien Freuds entwickelten sich zahlreiche, teilweise erheblich divergierende theoretische Modelle, darunter die Ich-Psychologie und die neuere Objektbeziehungstheorie. Wir sprechen mit Pine (1990) von den »vier Psychologien« oder Paradigmen, die unser heutiges psychoanalytisches Denken leiten. Es handelt sich dabei um das – das triebpsychologische Paradigma, das die Triebe als motivierende Kräfte des Seelenlebens sieht und trotz aller Relativierung durch die neuere Entwicklungsforschung nach wie vor für das klinische Verständnis von Konfliktpathologien nützlich geblieben ist; – das ich-psychologische Paradigma (A. Freud 1936, Hartmann 1960), das die Bedeutung der Abwehrmechanismen und der nicht direkt an TriebAbwehr-Konflikten beteiligten Ich-Funktionen in den Vordergrund stellt und sich für die Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen als außerordentlich nützlich erwiesen hat; – das objektbeziehungspsychologische Paradigma, das, verbunden mit Namen wie Winnicott (1974), Balint (1970) oder Kernberg (1981), alle seelischen Strukturen als Niederschlag früherer Objekterfahrungen versteht und wegen seiner großen Bedeutung für das Verständnis der schweren Persönlichkeitsstörungen immer mehr zu einem zentralen Paradigma moderner Psychoanalyse geworden ist; – das selbstpsychologische Paradigma (Kohut 1979), das die Bedeutung ungenügend wahrgenommener »Selbstobjektbedürfnisse« in der Entwicklung narzisstischer Pathologien hervorhebt und unser Verständnis dieser Störungsbilder entscheidend bereichert hat. Mit der Öffnung der psychodynamischen Therapien gegenüber den Einflüssen anderer Therapieschulen treten weitere Paradigmen hinzu, beispielsweise Paradigmen der Bindungstheorie, der Lerntheorie oder die stark neurobiologischen Paradigmen der Psychotraumatologie. Neben die störungsübergreifende Therapiekonzeption der psychodynamischen Therapien treten nun störungsorientierte Therapiemodelle. Traditionell sind psychodynamische Therapieformen störungsübergreifend konzipiert. Für die Wahl der tiefenpsychologisch fundierten Behandlungstechnik und die psychotherapeutische Beziehungsgestaltung sind demnach andere Parameter, zum Beispiel das ich-strukturelle Niveau oder die Organisation der Abwehr, wichtiger als die aktuelle Beschwerdesymptomatik. Gleichwohl setzt sich zunehmend die Auffassung durch,

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dass – zumindest für bestimmte Störungsbilder – auch eine auf die Zielsymptomatik bezogene störungsspezifische Perspektive eingenommen werden sollte. Das gilt etwa für depressive Störungen, für Essstörungen und selbstverständlich auch für Suchterkrankungen. Insofern hat in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie gerade der Suchterkrankungen die störungsspezifische Perspektive einen wichtigen Stellenwert. Sie fordert, die Entwicklung der aktuellen Forschung zur Krankheitslehre der Suchterkrankungen zur Kenntnis zu nehmen und mit den allgemeinen Behandlungsrichtlinien tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie in Einklang zu bringen. Die Einflüsse der theoretischen Orientierungen auf die psychoanalytische Behandlungstechnik lassen sich kaum überschätzen. Unter dem Einfluss des Denkens Winnicotts und ebenso der Selbstpsychologie waren besonders bei Entwicklungspathologien die haltenden und entwicklungsfördernden Aspekte der therapeutischen Beziehung stärker in den Mittelpunkt getreten; das Prinzip »Beziehung« wurde ebenso bedeutsam wie das Prinzip »Deutung« (Hoffmann 1983). Diese Umorientierungen wurden von der Community der psychoanalytisch oder psychoanalytisch orientiert Behandelnden akzeptiert und integriert. Mit dem Einbezug weiterer Paradigmen störungsorientierter Therapiemodelle wie etwa des traumatherapeutischen ergeben sich behandlungstechnische Neuerungen. Es wird hier entschieden für den Einbezug therapeutischer Techniken und Verfahren auch anderer Therapieschulen plädiert, sofern ihre Anwendung vor dem Hintergrund der Essentials psychodynamischen Denkens reflektiert wird (Wöller u. Kruse 2001). Die Theorienvielfalt hat in der Praxis dazu geführt, dass je nach klinischer Problemstellung und in Abhängigkeit von dem jeweiligen Störungsbild mal dem einen und mal einem anderen Paradigma der Vorzug gegeben wird. Derartige Nützlichkeitserwägungen bei der Bevorzugung bestimmter Paradigmen und Modelle sind nach dem heutigen Kenntnisstand legitim und unverzichtbar, da ein einheitliches und übergreifendes Theoriegebäude auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung stehen wird. Modelle sind anschauliche Gebilde, die uns – ohne den Anspruch auf eine wirklichkeitsgetreue Abbildung – die komplexe therapeutische Realität handhabbar machen können. Die klinische Realität zwingt uns zum Handeln; dieses erfordert eine Orientierung an plausiblen Modellen – immer im Bewusstsein, dass sie nur einen Teil der Wirklichkeit abbilden können. Das vielfältige Angebot an Theorien und Modellen erfordert, dass wir während des gesamten therapeutischen Prozesses unterschiedliche Perspektiven einnehmen, um das aktuelle Prozessgeschehen optimal zu ver-

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stehen. Als eine von zahlreichen möglichen Dimensionen wollen wir die Perspektive der Konflikte versus die Perspektive der Ich-Funktionen und Fähigkeiten und die Traumaperspektive herausgreifen.

Perspektive der Konflikte, Perspektive der Ich-Funktionen und die Traumaperspektive in der Suchtkrankenbehandlung Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist als eine von der Psychoanalyse abgeleitete Therapieform naturgemäß an der Darstellung bewusster und unbewusster, intrapsychischer und interpersoneller Konflikte interessiert. Im Verständnis der Strukturtheorie Freuds (1923) können viele Symptome und Probleme als Ausdruck intrapsychischer oder interpersoneller Konflikte verstanden werden; durch Bewusstmachung unbewusster Wünsche und Ängste lässt sich die Symptomatik günstig beeinflussen. Bei verschiedenen anderen Störungsbildern hat sich jedoch die Perspektive der Ich-Funktionen als hilfreicher erwiesen. Es sind die so genannten Entwicklungspathologien oder Strukturpathologien, oder, um es in der Begrifflichkeit der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD-2) (Arbeitskreis OPD 2006) auszudrücken, die Störungen auf einem geringeren strukturellen Integrationsniveau. Obwohl auch bei diesen Störungsbildern eine Vielzahl intrapsychischer oder interpersoneller Konflikte vorliegen, haben sich therapeutische Strategien wie Abwehrstärkung, Bewältigungsorientierung und systematischer Aufbau von IchFunktionen hier als wichtiger erwiesen als die Bewusstmachung des Unbewussten. Wenn in der Vorgeschichte schwere Traumatisierungen eine wesentliche Rolle spielen, kann es hingegen nützlich sein, eine Traumaperspektive einzunehmen. Das bedeutet, in einer Traumatisierung einen wesentlichen ätiologischen Faktor für die Entstehung einer bestimmten Psychopathologie oder Problematik zu sehen, ohne deshalb Konflikte oder Entwicklungsschäden zu vernachlässigen. Eine Traumaperspektive berücksichtigt im besonderen Maße die neurobiologischen Grundlagen der traumatischen Erinnerungsverarbeitung, vor allem die Funktionsstörung der limbischen Strukturen der Amygdala, des Hippocampus und des präfrontalen Kortex. Mit Hilfe der Traumaperspektive gelingt oft ein besseres Verständnis und eine gezieltere Behandlungsplanung als mit Hilfe der Konfliktperspektive oder der Perspektive des ich-strukturellen Defizits. Auf der Basis dieser Überlegungen können wir drei Modelle der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie unterscheiden:

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– das Modell des unbewussten Konflikts, das die Entwicklung der Sympto-

matik als Kompromissbildung zwischen unbewussten Wünschen und ihrer Abwehr im Rahmen eines neurotischen Konflikts beschreibt; – das Modell des Entwicklungsdefizits, das den Blick auf unzureichend ausgebildete oder regressiv in ihrer Funktion eingeschränkte Ich-Funktionen lenkt – Defizite im Bereich der Affektkontrolle, der Impulssteuerung, der Affektdifferenzierung und der Selbst-Objekt-Differenzierung, wobei diese Ich-Funktions-Defizite sowohl Folge unzureichender Lernerfahrungen wie auch Ausdruck oder Folge schwerwiegender intrapsychischer oder interpersoneller Konflikte sein können; – das Modell der Traumagenese, das die Entstehung bestimmter psychischer Symptome durch die Einwirkung schwerer traumatischer Erfahrungen und das Erleben überwältigender Ohnmacht und Hilflosigkeit erklärt und das auch den traumatisch veränderten Hirnfunktionen eine angemessene Beachtung schenkt. Im Hinblick auf Suchterkrankungen besteht heute eine weitgehende Übereinstimmung, dass eine einheitliche suchtspezifische Ätiopathogenese nicht angenommen werden kann, auch nicht auf der Ebene einer bestimmten Substanzabhängigkeit (Kunzke u. Burtscheidt 2002). Versuche, eine allen substanzabhängigen Patienten gemeinsame »Suchtpersönlichkeit« im Sinne struktureller Übereinstimmungen nachzuweisen, sind sämtlich fehlgeschlagen (Driessen u. Hill 1998). Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die uniform erscheinende Phänomenologie der Abhängigkeitserkrankungen als gemeinsame Endstrecke höchst unterschiedlicher ätiopathogenetischer Prozesse anzusehen ist (Kunzke u. Burtscheidt 2002). Insofern kann es auch kein einheitliches psychodynamisches Modell und keinen einheitlichen psychodynamischen störungsspezifischen Therapieansatz geben. Gleichwohl zeichnet sich bei zunehmender Konvergenz der Auffassungen die Tendenz ab, die emotionsregulierende Funktion des Substanzgebrauchs hervorzuheben: seine Funktion, schwere Störungen der Emotionsregulierung zu bewältigen. Bereits Fenichel (1945) und Radó (1957) hatten auf die Depression hingewiesen, die nach ihrer Auffassung dem Substanzmissbrauch zugrunde liegt. Glover (1956) legte darüber hinaus dar, dass Substanzen eingesetzt werden, um unkontrollierbare und psychosenahe Aggression und Wut zu bewältigen. Rosenfeld (1965) hatte die Substanzabhängigkeit als eine Abwehrmaßnahme gegen die psychotische Dekompensation angesehen. Als Störung der Selbstfürsorge fassten Krystal und Raskin (1970) die Suchterkrankungen auf. Sie fanden bei Suchtkranken ähnliche Entwicklungsstörungen und regressive Zustände wie bei schwer

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traumatisierten und psychosomatischen Patienten und beobachteten bei ihnen ähnliche Störungen der Selbstberuhigung, der Selbsttröstung und des Selbstschutzes wie bei jenen, verbunden mit der Unfähigkeit, Gefühle zu verbalisieren und sie als leitende Signale zu nutzen. In welchem Maße frühe Beziehungserfahrungen die Ausbildung der Fähigkeit zur Selbstfürsorge fördern oder beeinträchtigen, haben die psychoanalytischen Autoren Tolpin (1971) und Sandler und Sandler (1978) beschrieben. In dieser Tradition steht auch die einflussreiche neuere Auffassung von Khantzian et al. (1997), die bei Substanzmissbrauch die Funktion hervorheben, Störungen der Emotionsregulierung quasi pharmakologisch auszugleichen. Die Forschergruppe hatte bei suchtkranken Patienten ausgeprägte Schwierigkeiten in der Regulation der Affekte, des Selbstwertgefühls, der Beziehungen und der Selbstfürsorge diagnostiziert und die lindernden Wirkungen illegaler Drogen beobachtet. Die Autoren sprechen deshalb von der Selbstmedikations-Hypothese des Substanzmissbrauchs. Auf der anderen Seite wird gerade von psychoanalytischen Autoren hervorgehoben, welche bedeutsame Rolle schwere intrapsychische Konfliktkonstellationen bei Patienten mit Suchterkrankungen spielen. Wurmser (1997) hat immer wieder auf die Globalität, Radikalität und Unvereinbarkeit der Konflikte und die daraus resultierenden Scham-Schuld-Dilemmata in der Psychodynamik Suchtkranker hingewiesen. Schließlich wird zunehmend deutlich, wie häufig Substanzmissbrauch und -abhängigkeit als Traumafolgeerkrankungen zu betrachten sind. Patienten mit der Neigung zu Substanzmissbrauch berichten über eine höhere Inzidenz von körperlicher Gewalt (13–15 %) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (Kroll et al. 1985). Substanzmissbrauch kann als Versuch verstanden werden, den Einbruch unerträglicher und traumatischer Affekte, vor allem von Scham, Wut und Verzweiflung, einzudämmen (Peters 1988). Der suchtorientierten tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie fällt in diesem Verständnis die Aufgabe zu, die Bedeutung der drei genannten Perspektiven zu gewichten und einzuschätzen, welche therapeutischen Interventionen Vorrang haben müssen. – In der Regel erweist es sich im ersten Schritt als notwendig, die Perspektive der Ich-Funktionen und Fähigkeiten einzunehmen, selbstregulatorische Defizite zu identifizieren und entsprechende Kompetenzen zu fördern. Die Arbeit an der differenzierten Wahrnehmung von Affekten und die Entwicklung von Fähigkeiten zur Emotionskontrolle haben daher in der Therapieplanung Vorrang vor anderen Interventionen. Die Patienten werden dazu angeleitet, unklare und diffuse Affektzustände zu

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differenzieren und eine Wertschätzung für die eigenen Gefühle zu entwickeln. Sie sollen in die Lage versetzt werden, auch unangenehme und bedrohliche Affekte zu ertragen, statt in Suchtmittelkonsum auszuweichen. Besondere Sorgfalt ist auf den Umgang mit der Schamproblematik zu legen. Die Schamproblematik abhängigkeitskranker Patienten – wegen der erlebten Hilflosigkeit, des Gefühls umfassenden Scheiterns und des wahrgenommenen Kontrollverlusts – erfährt oft eine dramatische Zuspitzung durch die ernorme narzisstische Verletzlichkeit und gestörte Schamregulation der Patienten. Die therapeutische Haltung muss daher besonderen Wert auf Respekt und Takt legen, was notwendige Begrenzungen zur Wahrung des Rahmens der Therapie nicht ausschließt. Besondere Vorsicht ist mit kritisch-konfrontativen Interventionen geboten, wenn das Arbeitsbündnis noch nicht genügend gefestigt ist. Andererseits sind, wenn regressive Tendenzen erkennbar sind oder unreife Abwehrmechanismen zur verzerrten Wahrnehmung der Realität führen, auch strukturierende Maßnahmen zu erwägen. – Wenn sich in der Vorgeschichte Traumatisierungen in Form physischer oder sexualisierter Gewalt finden und besonders wenn eine komorbide Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung oder eine dissoziative Symptomatik besteht, sind zusätzlich traumaspezifische Stabilisierungstechniken sinnvoll, bei hinreichender Stabilität auch traumabearbeitende Verfahren. Je stärker die Patienten Traumatisierungen erfahren haben, desto wichtiger wird es, für Sicherheit, Kontrolle und Transparenz in der therapeutischen Beziehung zu sorgen. Im Hinblick auf die differenzierende Arbeit an den Affekten ist es besonders wichtig, Aspekte reaktualisierter traumatischer Erfahrungen zu identifizieren und der Vergangenheit zuzuordnen (Wöller 2006). – Bei hinreichender Fähigkeit zur Emotionsregulierung wird es schließlich notwendig, die bewussten oder unbewussten intrapsychischen Konfliktspannungen darzustellen und Möglichkeiten der Konfliktlösung zu erarbeiten – ebenso wie die zahlreichen interpersonellen Konfliktkonstellationen, die sich aus den maladaptiven Verhaltensweisen Suchtkranker ergeben.

Fallbeispiel Bei einer 26-jährigen Krankenschwester hat sich eine Benzodiazepin-Abhängigkeit entwickelt. Sie hat die Medikamente eingenommen, weil ihr die Einnahme Erleichterung bei unerträglichen Affektzuständen gebracht haben. Zeitweise hatte sie aus

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dem gleichen Grunde größere Mengen an Alkohol konsumiert, sich mehrmals auch oberflächliche Schnittwunden zugefügt. Oft sei sie depressiv, verzweifelt, Gefühle der Leere träten auf, dann wieder Zustände der Wut und des Hasses. Die weitere Exploration zeigt, dass sie immer wieder in Situationen gerät, in denen sie sich ohnmächtig und schutzlos ausgeliefert fühlt. Die Patientin lebt in häufig wechselnden partnerschaftlichen Beziehungen. Sie kann das Alleinsein nicht ertragen, aber hält es in Beziehungen ebenfalls nicht aus. Immer wieder bindet sie sich an Partner, die sie bedrohen und gewaltsam behandeln. Ihr Selbstwertgefühl ist schwer gestört, sie ist voller Scham- und Schuldgefühle, hält sich für minderwertig, schmutzig und abgrundtief schlecht. Ihre Wahrnehmung wichtiger anderer Personen ist schemenhaft: Menschen sind entweder nur gut oder nur schlecht, sie sind Täter, Opfer oder Retter. In ihrer Kindheit war die Patientin Opfer sexueller Übergriffe ihres Stiefvaters. Darüber hinaus ist sie ist in einem chaotischen familiären Umfeld aufgewachsen. Therapeutisch ist schon während der Entziehungsbehandlung die Vermittlung traumaspezifischer Stabilisierungstechniken empfehlenswert. Im Zentrum der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie stehen die Arbeit an einer differenzierten Wahrnehmung der Affekte und die Verbesserung der Emotionsregulierung. Im weiteren Verlauf der Therapie kommen die vielfältigen intrapsychischen Konflikte, insbesondere ihre Selbstwertkonflikte mit intensiven Schamgefühlen zur Bearbeitung.

Therapeutische Beziehung, Übertragung und Gegenübertragung Wie in jeder Psychotherapie ist auch in der Behandlung Suchtkranker die Herstellung eines therapeutischen Arbeitsbündnisses eine zentrale Aufgabe. Besonders wenn negative frühe Beziehungserfahrungen die Welt der inneren Objekte des Patienten prägen, sind verzerrende Wahrnehmungen der therapeutischen Situation und negative Übertragungsmanifestationen zu erwarten. Die häufig anzutreffende äußerlich angepasste Gefälligkeit und Gefügigkeit abhängigkeitskranker Patienten kann eine tragfähige therapeutische Arbeitsbeziehung vortäuschen, obwohl kritische Vorbehalte verschwiegen werden. Besteht eine Borderline-Struktur, können primitive Idealisierungen anlässlich unvermeidbarer Enttäuschungen in entwertendes Verhalten umschlagen. Für diese Problematik stehen der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie umfangreiche Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung zur Verfügung, die das psychoanalytische Wissen zu Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen nutzen. – Viele Widerstandsphänomene lassen sich als Ausdruck negativer Übertragungen auf die Person des Therapeuten verstehen (Übertragungswiderstände). In Abhängigkeit von der Schwere der strukturellen Störung

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können sich unter Umständen heftige Übertragungsphänomene entwickeln. Hier empfiehlt sich eine Klärung der aktuellen therapeutischen Beziehung mit dem Ziel, übertragungsbedingte Ängste und Schamgefühle zu beruhigen. Fast immer lässt sich ein Bedrohungserleben in der aktuellen therapeutischen Situation identifizieren, das als Übertragungsauslöser gewirkt hat und typischerweise bei dem Patienten das Gefühl entstehen ließ, er solle verurteilt, kritisiert oder gedemütigt werden. Die klärende Auflösung dieser negativen Übertragungsphänomene kann sehr zur Entspannung der therapeutischen Situation beitragen. Die Versicherung, dass die Patienten zu jeder Zeit die Kontrolle über den therapeutischen Prozess haben, kann negative Übertragungsreaktionen vermindern (Wöller u. Kruse 2001). – Besonderer Berücksichtigung bedarf die Tatsache, dass Patienten mit Suchterkrankungen die Behandlung oft nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Druck ihres Umfelds, meist des Partners oder des Arbeitgebers, aufsuchen. Im Sinne der Motivationsstärkung wird empfohlen, Widerstände und Skepsis gegenüber einer suchtorientierten Behandlung ressourcenorientiert als eine legitime Kosten-Nutzen-Abwägung zu validieren, die den mit der Aufgabe des Suchtmittels verbundenen Verzicht dem fraglichen längerfristigen Gewinn durch eine Behandlung gegenüberstellt (Vannicelli 2001). – Ein reflektiertes Verständnis der eigenen Gegenübertragungsreaktionen und -impulse kann ebenfalls zur Verbesserung der therapeutischen Beziehungsgestaltung beitragen. Indem Therapeuten Gefühle, Gedanken, Phantasien und Impulse gegenüber ihren Patienten möglichst deutlich wahrnehmen, Impulse nicht in Handlung umsetzen, Distanz zum eigenen Affekt herstellen und ihre Gegenübertragungsreaktion auf ihre subjektive Bedeutung hin analysieren, gelingt ihnen oft ein Verständnis der aktualisierten inneren Objektbeziehung, die sich ihnen auf anderem Wege nicht erschlossen hätte. Eine sorgfältige Beachtung der eigenen Gegenübertragung schützt auch vor der Gefahr kontraproduktiven oder auch unprofessionellen Therapeutenverhaltens, durch das die Patienten und die Therapie Schaden nehmen könnten. Therapeuten sollten die Gefahr des Ausagierens von Retterphantasien ebenso reflektieren wie die Gefahr eines moralisierenden oder sadistischen Agierens in Reaktion auf ein aggressives, entwertendes oder auch verleugnendes Beziehungsangebot der Patienten. Sie sollten auch bedenken, dass negative Gegenübertragungsreaktionen durch Überfürsorglichkeit als Reaktionsbildung abgewehrt werden können (Ebi 2000, Moore 1965). – Ein reflektiertes Verständnis der eigenen Gegenübertragung kann auch

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vor eigener emotionaler Überbeanspruchung und vor der Gefahr des professionellen Burn-outs schützen. Das stetige Bemühen, zur eigenen Gegenübertragungsreaktion Distanz herzustellen, erweist sich besonders dann als hilfreich, wenn im Kontakt mit Suchtpatienten negative Emotionen, Einstellungen und Impulse gegenüber den Patienten oder auch eigene Gefühle der Unzulänglichkeit, des Versagens, der Hilflosigkeit, der Ohnmacht und auch Scham- oder Schuldgefühle entstehen. Wenn es gelingt, eigene negative Affekte als patienteninduzierte zu identifizieren, kann sich dies sehr entlastend auf die Beziehung auswirken und das empathische Verständnis fördern. Das Container-Konzept Bions (1962b) beschreibt die vielfältige Beobachtung, dass Patienten eigene unerträglich negative Emotionen zur inneren Druckentlastung in der Person des Therapeuten als »Container« deponieren. Ihm obliegt die Aufgabe, sie, solange es notwendig ist, aufzubewahren und dann in reflektierter Weise (»metabolisiert«) dem Patienten wieder zur Verfügung zu stellen. – Der Umgang mit Rückfällen in den Suchtmittelkonsum erfordert eine sorgfältige Beachtung der eigenen Gegenübertragungsreaktionen, insbesondere eine Reflexion eigener Neigungen zu entwertenden und verurteilenden Reaktionen auf das Rückfallgeschehen, das leicht als narzisstische Kränkung oder Scheitern des Therapeuten erlebt werden kann. Fast immer stellt der Rückfall für die Patienten eine schwere narzisstische Krise dar, die sich in Schamgefühlen und Ausbrüchen von Selbsthass und Verzweiflung ausdrücken kann. Eine stützende und entlastende therapeutische Haltung, verbunden mit dem Vorschlag, die Erfahrungen im Sinne der optimierten Problembewältigung auszuwerten, ist ehesten geeignet, kontraproduktive Gefühls des Versagens und des Selbsthasses oder gar des »masochistischen Triumphes« zu begrenzen. Eine sorgfältige Exploration des Rückfallgeschehens sowie der vorausgehenden Emotionen, Kognitionen und Konflikte kann eine Chance sein, die rückfalldisponierenden Auslösemomente schärfer zu fassen (Ebi 2000).

Die Behandlungsplanung Bei der Konzeption der Behandlung sollten die selbstregulatorischen Defizite zunächst Vorrang haben. Bei schweren Störungen der Emotionsregulierung, wie sie bei traumatisierten Patienten und bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung vorkommen, kann es sinnvoll sein, Techniken zur Verbesserung der Emotionsregulierung schon in einem sehr

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frühen Stadium der Behandlung zu vermitteln. So können die Patienten am besten in die Lage versetzt werden, einem drohenden Suchtdruck zu widerstehen. Darüber hinaus gilt der Grundsatz, dass tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie nur wirksam werden kann, wenn der Suchtmittelkonsum zuvor unter Kontrolle gebracht wurde. Bevor eine psychodynamische Therapieplanung erfolgen kann, ist eine umfassende phänomenologisch-deskriptive Diagnostik zur Erfassung und Berücksichtigung der Komorbidität notwendig. Die häufigsten komorbiden Störungen sind: Angsterkrankungen, affektive Störungen, Persönlichkeitsstörungen, psychotische Störungen und die Posttraumatische Belastungsstörung. Hierbei können und sollen auch therapeutische Techniken und Verfahren anderer Therapieschulen einbezogen werden, insbesondere kognitive, edukative, suggestive und störungsspezifische Techniken, sofern ihre Anwendung vor dem Hintergrund der Essentials psychodynamischen Denkens – Übertragung, Gegenübertragung, Abwehr und Widerstand – reflektiert wird (Wöller u. Kruse 2001). Das weitere Vorgehen hängt in starkem Maße davon ab, ob dem zum Suchtverhalten führenden regulatorischen Versagen eine Konfliktproblematik, ein ich-strukturelles Defizit oder eine psychische Traumatisierung zugrunde liegt. Selbstverständlich schließen die Bedingungen einander nicht aus. In jedem Fall sollte eine psychodynamische Strukturdiagnostik erfolgen, um die Präsenz ich-struktureller Defizite angemessen einschätzen zu können. Es ist therapeutisch von großer Bedeutung, ob sich der Substanzkonsum zur Beruhigung einer affektiven Entgleisung auf der Basis einer bewussten oder unbewussten Konfliktproblematik entwickelt hat oder ob er zur Kompensation einer umfassenden Störung der Emotionsregulierung auf dem Niveau einer Borderline-Persönlichkeitsstörung dient. Zur Erfassung des strukturellen Integrationsniveaus der Persönlichkeit bietet sich die Strukturachse der Operationalisierten Psychoanalytischen Diagnostik (OPD-2, Arbeitsgruppe OPD 2006) an. Eine psychodynamische Diagnostik erfasst auch die Art der situativen Auslösung des Substanzkonsums und die zugrunde liegenden bewussten und unbewussten Konflikte. Für letztere steht die Konfliktachse der OPD-2 zur Verfügung. Häufig haben Objektverlusterlebnisse auf der Basis schwerer Autonomie-Abhängigkeits-Konflikte bei hoch ambivalenter Beziehung zu einer Schlüsselfigur eine auslösende Funktion für den Substanzkonsum. Unabhängig von den strukturellen Gegebenheiten und den daraus abgeleiteten therapeutischen Vorgehensweisen muss die Auseinandersetzung mit dem Suchtmittel zu jedem Zeitpunkt der Therapie im Fokus bleiben, da zwei Gefahren drohen: Zum einen können intrapsychische oder inter-

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personelle Probleme so sehr in den Vordergrund getreten sein, dass das Suchtproblembewusstsein verloren geht und der Suchtmittelkonsum sich unbemerkt wieder einstellt. Oder aber der wieder begonnene Suchtmittelkonsum wird – sei es aus Scham oder weil die Verleugnung wieder eingesetzt hat – bewusst verschwiegen, aus Furcht, die als hilfreich erlebte Therapie könne zugunsten einer suchtspezifischen Maßnahme unterbrochen werden. Insofern muss das Symptom des Suchtmittelkonsums immer auch Gegenstand tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie Suchtkranker bleiben.

KlausW.Bilitza:Psychoanalytisch-interaktionelleGruppenp sychotherapie

Klaus W. Bilitza

Psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie und die psychotherapeutische Arbeit mit Gruppen in der Suchtklinik heute Abstract Höchst unterschiedliche Methoden, Techniken oder Arbeitsweisen werden in psychiatrischen Kliniken, Suchtfachkliniken und Suchtberatungsstellen als »Gruppenarbeit«, »Gruppentherapie« oder »Gruppenpsychotherapie« bezeichnet. Um den Stellenwert der psychoanalytisch-interaktionellen Gruppenpsychotherapie als eine moderne psychoanalytische Behandlungsform in der Suchtklinik näher zu bestimmen, wird im Folgenden die Praxis der Arbeit mit Gruppen in der Schnittstelle von psychoanalytischer Krankheitslehre der Sucht, von psychotherapeutischer Arbeit mit Gruppen in klinischen Institutionen und von Professionalisierung des Gruppentherapeuten diskutiert.

Psychoanalytische Krankheitslehre der Sucht und Therapiemethodologie Die psychoanalytische Krankheitslehre der Sucht lässt sich, wie bereits in der Einführung zu diesem Band zusammenfassend ausgeführt (S. 11ff.) und wie auch der thematischen Anlage des Bandes »Psychodynamik der Sucht« (Bilitza 2007a) zu entnehmen ist, als eine Geschichte der psychoanalytischen Paradigmen lesen und zurückverfolgen und soll daher hier nicht nochmals wiederholt werden. Die heutigen Ansätze einer Selbstpsychologie und Objektbeziehungstheorie der Sucht bauten auf den ich-psychologischen Konzepten auf, welche wiederum als Ausdifferenzierung der frühen psychoanalytischen Triebtheorie und der Instanzenlehre gelten können. Parallel zu der Theorieentwicklung der Krankheitslehre findet sich eine Weiterentwicklung der Therapiemethodologie, die in Deutschland von dem klassischen psychoanalytischen Standardverfahren der Psychoanalyse im engeren Sinne bis zu dem heutigen Methodenkanon tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapien mit Kurztherapie, Fokaltherapie, supportiver Psychotherapie, psychoanalytisch-interaktioneller Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994), strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2006) und zur übertragungsfokussierte Psychotherapie nach

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Methoden psychoanalytischer Suchttherapie

Kernberg (Clarkin et al. 1999) reicht. Seit der Entdeckung der dynamischen Kräfte der Gruppe in der 1920er Jahren hat die Gruppenpsychotherapie in Methodologie und Therapiemethodik einen wichtigen Platz eingenommen (Tschuschke 2001).

Psychotherapeutische Arbeit mit Gruppen und Gruppenpsychotherapie Die Gruppenpsychotherapie gilt als die in der Suchttherapie von Klinik und Suchtberatungsstelle am meisten verbreitete Methode (Weber u. Tschuschke 2001). Aber was ist mit Gruppenpsychotherapie genau gemeint? Schon der Blick auf einige Standardwerke der wissenschaftlichen Literatur zeigt eine große Vielfalt und Fülle der Ansätze: – Heigl-Evers und Streeck (1979) bieten in dem Handbuch »Lewin und die Folgen« eine Gesamtübersicht der gängigen Gruppenverfahren. – In dem Band »Methoden und Theorien der Gruppenpsychotherapie« (Kutter 1985) findet sich ein differenzierter Überblick über die psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Ansätze der Gruppenpsychotherapie. – Die Monographie »Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie« (Yalom 1996) gilt als eines der bekanntesten amerikanischen Standardwerke der Gruppentherapie. – Unter dem Titel »Praxis der Gruppenpsychotherapie« (Tschuschke 2001) wurde eine neuere deutschsprachige Gesamtdarstellung der basalen Konzepte der verschiedenen therapeutischen Schulen und ihrer Anwendung für verschieden Indikationsbereiche vorgelegt. Bei näherer Betrachtung verlangt Gruppenpsychotherapie zunächst eine Rückbesinnung auf die Sozialpsychologie der Gruppe, und genau genommen ist mit Gruppe die Kleingruppe gemeint, wobei ein Kollektiv von versammelten Personen noch nicht als Gruppe im sozialpsychologischen Sinne bezeichnet werden kann. Ansammlungen von 3 bis 15 Personen werden zwar schnell »Kleingruppe« genannt, doch eine überschaubare Anzahl von einander unbekannten Personen entwickelt sich erst dann zur »Gruppe« beziehungsweise »Kleingruppe«, wenn die folgenden Merkmale einer Kleingruppe erfüllt sind (Frey u. Irle 2002; Thomas 1992): – Gruppengröße: 3 bis 15 Personen; – Face-to-face-Kontakt: Gelegenheit und Ort zur gegenseitigen Wahrnehmung und Interaktion;

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Klaus W. Bilitza: Psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie

– Entwicklung einer Binnenstruktur: von Positionen und Rollen sowie ei-

ner Funktions- und Aufgabenverteilung; – Aufgabenstellung beziehungsweise Zielsetzung: Internale (auf die Gruppenprozesse und auf den Zusammenhalt der Gruppe ausgerichtet) Aufgabe im Unterschied zur externalen Aufgabe (Erledigung einer von außen vorgegebenen Sachaufgabe); – Geschichte und Identität: Zeiten und Dauer der Zusammenkünfte, Interaktionserfahrungen und Traditionen sowie Normbildung und gemeinsam geteilte Werte müssen gegeben sein. Tabelle 2: Arten der therapeutischen Arbeit mit Gruppen in der Klinik Größe

Internale Auf- Externale gabe Aufgabe

Face-to-faceKontakt

Binnenstruk- Geschichte, tur Identität

Vorbereijede tungsgruppe

therapeutiInformiesche »Prären, Motigung«, vieren Krankheitsbewältigung

unbestimmt

gering

Ko-therapeutische Gruppenarbeit

3–15

gemeinsame Aktivität erfahren unter therapeutischer Zielsetzung

Gestalkurzfristig ge- nach von au- episodisch, tung, Argeben ßen festgeleg- wechselnd beit, Beweten Regeln gung, Tanz, Musizieren unter therapeutischer Zielsetzung

Gruppentraining

3–9

soziale Trainingssituation schaffen

Einübung sozialer Kompetenzen

kurzfristig und nach von außen festgelegten Regeln

nach von außen festgelegten Regeln, wenig Bindung

gering wegen wechselnder Teilnahme am Modul

Gruppenpsy- 3–9 chotherapie

Nutzung der dynamischen Kräfte der Gruppe

Behandlung von Patienten in der Gruppe und durch die Gruppe

Voraussethoch, abhänzung für den gig von der Gruppenpro- Dauer zess

verschieden in Kurz- und Langzeittherapie

Großgrup> 25 penmethode

Demokratische Anpassung und soziale Einfügung und regressive Grenzerfahrung

öffentliche Klärung von Regeln und Organisation der Station

gering, unübersichtlich aufgrund der Gruppengröße

regressive Grenzerlebnisse in der oft anonymen Masse

deutliche Strukturierung durch die Leitung erforderlich

wenig manifeste Geschichte, unbewusste oder latente Beeinflussung

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Methoden psychoanalytischer Suchttherapie

In klinischen Institutionen treffen wir unterscheidbare Formen der Gruppenarbeit an, die meist nach den Aufgabenstellungen beziehungsweise Zielsetzung eingeteilt werden (vgl. Lehmkuhl 2001): – Vorbereitungsgruppe, – ko-therapeutische Gruppenarbeit, – Gruppentraining, – Gruppenpsychotherapie, – Großgruppe. Nach den oben genannten Kriterien können wir allenfalls bei Gruppentraining und Gruppenpsychotherapie von einer Gruppenbildung und damit von einer Kleingruppe ausgehen (vgl. Tab. 2). Vorbereitungsgruppen finden sich vor allem in den Stationen für die so genannte qualifizierte Entgiftung, aber auch in Beratungsstellen und Kliniken, die ihre Patienten nicht unvorbereitet in die eigentliche Gruppentherapie schicken. Im Kollektiv mit anderen wird der Patient über die Suchterkrankung informiert und eventuell zur Aufnahme einer Entwöhnungsbehandlung motiviert, dies geschieht meist in einer Art Frontalunterricht, wobei auf die individuelle Ausgangssituation der Patienten aufgrund der Kürze der Zeit und aufgrund einer nur wenig entwickelten Beziehung zum Patienten nicht eingegangen werden kann. Klinisch sollen diese Gruppen im Dienste der Krankheitsbewältigung durchgeführt werden. Aus Sicht der Betroffenen – auch jeder »Drehtür-Suchtpatient« hatte ein erstes Mal – erfolgt hier der erste psychotherapeutische Kontakt mit der Klinik, der über die medizinische Behandlung hinausgeht. Ich halte diesen Erstkontakt für äußerst entscheidend für den Erfolg der weiteren Therapie. Wenn die Patienten im Zuge der Entgiftung allmählich die oft chronifizierte Regression aufgeben, Züge der früheren Normalperson sichtbar werden, könnte man von »Prägung« durch das Personal und durch die anderen Patienten, besonders durch die, die zum wiederholten Mal entgiften, sprechen. Unter Prägung verstehe ich zum einen eine dauerhafte Einflussnahme auf Handlungen und Einstellungen einer Person. Wir kennen Prägung aus der Verhaltensforschung beziehungsweise Soziobiologie: dass instinkthaft in einer Schwellensituation aus einer angeborenen Disposition heraus einem entsprechenden Figurschema gefolgt wird, im günstigsten Fall dem in dieser Lebensphase hilfreichen Muttertier. Zum anderen meine ich mit Prägung auch eine korrigierende emotionale Erfahrung, die der entgiftende Patient an einer hilfreichen Person erlebt, die seinen Übertragungsangeboten nicht entspricht, zum Beispiel nicht eine strenge Über-Ich-Position als entsprechende häufige Gegenübertragung einnimmt. Wie leicht

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einzusehen ist, wären an dieser Stelle besonders kompetente und gut ausgebildete Mitarbeiter wünschenswert, doch leider wird in vielen Einrichtungen gerade an dieser Stelle gespart. Negative Prägung erfolgt durch den Einfluss der älteren, erfahreneren Suchtkranken. Durch Junkies oder chronifizierte Alkoholkranke, die zum wiederholten Mal und ohne günstige Prognose entgiften, übermittelt sich so nicht selten eine Art »Knast-Effekt«: Werte, Normen und Regeln einer Sucht-Gegenwelt zur therapeutisch gewünschten Welt, zum Beispiel der von Behandlern befürchtete »Entgiftungs-Tourismus«, werden eingeübt oder begierig aufgenommen. Ko-therapeutische Gruppenarbeit. Patienten sollen Aktivitäten wie Arbeit, Bewegung, Tanz, Musizieren, Gestaltung gemeinsam und unter therapeutischer Zielsetzung in der Kleingruppe ausüben. Die entsprechenden Therapieangebote begleiten und fördern beispielsweise im Fall von strukturellen Störungen in erster Linie nonverbal den Prozess der Nachreifung, und weil sie in Gruppen erfolgen, sollen auch insbesondere die sozialen Fähigkeiten, etwa das Gestalten und Ertragen von Beziehungen, angeregt werden. Findet diese gemeinsame Aktivität in Kollektiven wechselnder Zusammensetzung statt, wie es beispielsweise im Konzept der Therapiemodule der Fall ist, kann sich eine Kleingruppe als therapeutisches Agens nur schwer bilden. Im Gruppentraining kommen spezielle Übungen in der Gruppe zur Anwendung, die wiederum auf spezifische therapeutische Ziele ausgerichtet sind wie zum Beispiel Selbstbehauptung, Abbau negativer Kognitionen oder Einübung der Antizipation von Folgen eigenen Verhaltens. Meist handelt es sich hierbei um kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden. Als ein Vorteil derartiger Gruppentrainings, etwa eines Selbstbehauptungstrainings, kann der Operationalisierungsgrad gelten, die Stringenz und Transparenz der zuvor festgelegten Regeln und Abläufe, nach denen das Einüben dieser Fertigkeiten zu erfolgen hat. Ein Nachteil besteht darin, wenn im Einzelfall das Persönlichkeitsprofil nicht genügend berücksichtigt werden kann, wodurch zum Beispiel die schwache Selbstbehauptung des Patienten entstanden ist beziehungsweise wie sie einzuordnen ist: Als Aggressionshemmung im Rahmen einer Abhängigkeitsstörung? Als Selbstentwertung bei einer narzisstischen Störung? Oder als massive Über-Ich-Ängste eines impulsgestörten Borderline-Patienten? Da wir grundsätzlich nicht eine gleiche psychische Ausstattung der Patienten voraussetzen können, dürfen wir auch nicht einen gleichen therapeutischen Effekt erwarten: – Der Abhängigkeitsgestörte könnte seine Ansprüche noch höher schrau-

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ben und aus Frustration über die Begrenztheit des nicht omnipotent versorgenden Therapeuten Wut und Hass auf diesen entwickeln. – Der narzisstisch Gestörte wird vielleicht zukünftig seine Selbstentwertung dadurch überspielen, dass er in einer noch aggressiveren selbstbezogenen Art beim anderen Anstoß erregt und noch mehr Ablehnung erntet. – Wenn der Borderline-Patient die Selbstbehauptung in den Dienst der Spaltung stellen sollte, würde seine Aggressionsspannung in projektividentifikatorischen Abwehrprozessen dadurch zunehmen, dass er die anderen Gruppenmitglieder projektiv aggressiv auflädt und auf deren vermutete Gefährlichkeit mit starker Angst und noch heftigeren aggressiv selbstbehauptenden oder auch mit autoaggressiven Impulsdurchbrüchen reagiert.

Fallbeispiel (zur Verdeutlichung autoaggressiver BorderlinePathodynamik) Ein 25-jähriger Privatpatient mit Borderline-Strukturniveau suchte mich mit dem Wunsch einer Therapie auf, weil seine ehemalige Freundin, ebenfalls Medizinstudentin, aber Kassenpatientin, was hier von Bedeutung ist, nach seinem Eindruck von einer analytischen Langzeittherapie bei mir profitiert hatte. In den probatorischen Sitzungen setzte er mir mit seinem Wunsch nach einer Psychoanalyse mächtig zu, er hatte sich nach einem ersten abgebrochenen Therapieversuch bei einem Kollegen vorgenommen, sich bei mir mit seinem Wunsch zu behaupten, konnte aber Wut und Enttäuschung nicht zeigen, als ich ihm eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, möglichst als Gruppentherapie, und wegen der Nähe zur Freundin bei einem anderen Therapeuten empfahl. Ohne Absage erschien er nicht zur abschließenden Sitzung der Beratungssequenz, rief mich einige Tage später an mit den Worten: Ich solle mir keine Sorgen machen, es sei alles noch einmal gut gegangen. Darauf wurde ich besorgt und beunruhigt. Beim nächsten Termin berichtete er von einem Suizidversuch mit Schlaftabletten und dass die ehemalige Freundin ihn gefunden hatte und er in der Notaufnahme versorgt worden war. Was war geschehen? Er hatte mich aufgrund meiner Empfehlung als kalt, versagend und böse erlebt. Aber die Frustration und die Bedrohung seines Wunsches durch das böse Objekt wurden unerträglich, als er als Privatpatient meine Monatsrechnung erhielt. Damals verwandte ich noch die Formulierung »für meine therapeutischen Bemühungen erlaube ich mir zu liquidieren«. »Liquidieren« erzeugte bei diesem Patienten derartig viel bedrohliche Phantasien, wie er mir glaubhaft erzählte, dass er die Spannungen nicht mehr aushalten konnte. Ich habe mit dem Patienten bearbeitet, dass ich den Text meiner Rechnungen ändern werde, und habe ihn dann erfolgreich an einen Kollegen weiter verweisen können.

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War in den Anfängen der psychoanalytischen Gruppentherapie die Behandlung des Einzelnen in Gegenwart anderer eine Art effektive Rationalisierungsmaßnahme, setzte sich bald die Auffassung einer Nutzung der gruppendynamischen Kräfte für den Behandlungsprozess des einzelnen Patienten durch, die klassische Psychoanalyse wurde zur psychoanalytischen Gruppentherapie erweitert. »Psychoanalytische Gruppentherapie entspricht methodisch einer Kombination zweier psychoanalytischer Verfahren: zum einen der Psychoanalyse des Einzelnen (Psychoanalyse), zum anderen der Analyse der Gruppe (Gruppenanalyse). In zweidimensionaler Perspektive werden gleichzeitig Individuum und Gruppe beachtet« (Kutter 1993, S. 339). In den Zeiten von Kostenbewusstsein, Kürzungen und Kurztherapie hat die psychoanalytisch orientierte Therapie mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie sei für Suchtpatienten nicht indiziert und sei gemessen am Aufwand nicht effektiv genug. Es scheint wenig bekannt zu sein, dass die Entwicklung der psychoanalytischen Krankheitslehre und Therapiemethodik die Weiterentwicklung der Gruppentherapie ebenso wie die psychoanalytischen Auffassungen zur Sucht beeinflusste. Meines Erachtens beziehen sich derartige Einschätzungen, wie zum Beispiel Psychoanalyse sei als Suchtbehandlung nicht geeignet, denen ich in der Supervision immer wieder begegne, auf den Stand der Psychoanalyse vom Anfang bis zur ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, wie er teilweise heute noch in der Ausbildung von Diplom-Psychologen vermittelt wird.1

Psychoanalytisch-interaktionelle Methode Demgegenüber integriert das Göttinger Modell der Gruppenpsychotherapie, das seit den 1970er Jahren von Heigl-Evers, Heigl und anderen entwickelt wurde (Heigl-Evers u. Heigl 1994, Heigl-Evers u. Ott 2001; Lindner 2005), sowohl die Sozialpsychologie der Gruppe als auch die neueren psychoanalytischen Erkenntnisse aus Ich-Psychologie und Objektbeziehungstheorie, die außerhalb der psychoanalytischen wissenschaftlichen Gemeinschaft wenig zur Kenntnis genommen wurden. Es wurden drei gruppenpsychotherapeutische Methoden entwickelt, die unter anderem im Hinblick auf 1 In der klassischen Einführung in die Psychologie von Zimbardo (1992) werden die grundlegenden Auffassungen von S. Freud auf mehreren Seiten vorgestellt und kritisiert, während der Psychoanalyse nach Freud viel weniger Raum gegeben wird und lediglich kurz über Adler, Jung, Horney, Fromm und Sullivan berichtet wird.

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Indikationsbereiche, Therapieziele, therapeutische Technik und die Rolle des Therapeuten unterschieden werden: analytische Gruppenpsychotherapie, psychoanalytisch orientierte Gruppenpsychotherapie und psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie. Die beiden Letztgenannten werden gemäß den Psychotherapierichtlinien heute als »tiefenpsychologisch fundierte Gruppenpsychotherapie« bezeichnet. Im Göttinger Modell werden die oben genannten sozialpsychologischen Kriterien für die Entstehung einer Gruppe psychoanalytisch ergänzt durch gruppendynamische Prozesse und kollektiv ausgestaltete psycho- beziehungsweise sozio-dynamische Strukturen: Tabelle 3: Das Göttinger Modell der Gruppenpsychotherapie im Überblick Indikationsbereiche

Therapieziele

Therapeutische Technik

Rolle des Therapeuten

Analytische Gruppenpsychotherapie

Neurotische Störungen, Konfliktpathologien

Aufdeckung unbewusster Grundkonflikte, Förderung und Auflösung der Übertragungsneurose, Untersuchung psychosozialer Kompromissbildungen

Förderung einer auch tieferen Regression, Deutung des Gruppenprozesses und der Inszenierungen der Gruppenmitglieder, Analyse von Widerstand und Übertragung, Arbeit mit der Übertragung besonders auf die Gesamtgruppe und auf den Gruppenanalytiker

Therapeut als gleichbleibend abstinenter Projektionsschirm für Übertragungen

Psychoanalytisch orientierte Gruppenpsychotherapie [tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie gemäß Psychotherapierichtlinien]

Umgrenzte Konfliktpathologien ohne schwere ichstrukturelle Störungen, Charakterneurosen

Bearbeitung vorbewusster und umgrenzter Konflikte

Einhaltung mittle- Abstinent, aber rer Regressionstie- stützend durch fe, Deutung, Kon- Deutungen fliktzentrierung, Fokussierung

Psychoanalytischinteraktionelle Gruppenpsychotherapie [tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie gemäß Psychotherapierichtlinien]

Präödipale oder strukturelle Störungen bzw. Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen

Förderung der Mentalisierung, Nachreifung psychischer Strukturen, Förderung von normativer Verhaltensregulierung

Einschränkung regressiver Prozesse, Prinzip Antwort, Hier-und-Jetzt, Arbeit in der Übertragung, therapeutisch geplante Offenlegung von Gegenübertragung

Therapeut als Hilfs-Ich und als Hilfs-Über-Ich; Funktion als sozio-kulturelles Modell

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– gemeinsame gruppendynamische Beziehungsgeschichte in einem zeitli-

chen Rahmen, – sich wiederholende Reinszenierungen von Beziehungsformen und -störungen durch die Patienten in der Gruppe, hierzu zählen die Muster von Übertragung und Gegenübertragung, – Entwicklung von kollektiven, das heißt von der Gruppe getragenen, bewusste und unbewusste Phantasien, – kollektive Abwehrformen in der Kleingruppe auf jeweiligem Strukturniveau: Diese können zur Bewältigung von Ängsten, zur Regulierung von Triebwünschen und zur Anpassung an die von außen auferlegten Anforderungen dienen. Aus dem Ansatz des Göttinger Modells folgt eine Definition der Gruppenpsychotherapie als die psychotherapeutische Behandlung von Patienten in der Gruppe und durch die dynamischen Kräfte der Gruppe mit unterscheidbaren Methoden, die das Strukturniveau der Gruppenteilnehmer berücksichtigen. Khantzian (1995) fand bei fast allen Süchtigen eine hohe Dysfunktionalität und Vulnerabilität in den Ich-Funktionen, die im Dienste der Selbstregulation (etwa: Erhalt eines funktionsfähigen, gesunden Selbst) stehen, sowie der komplexen Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen. Dies stimmt durchaus mit der klinischen Erfahrung des Vorherrschens eines präödipalen Strukturniveaus bei Suchtkranken überein. Unter der Voraussetzung dieser Strukturdiagnose erfolgt die Indikationsentscheidung nach dem Göttinger Modell für die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie als das Verfahren der Wahl. Die Therapieziele wie Nachreifung der Ich-Funktionen und Förderung der Entwicklung der Selbst- und Objektbeziehungen, sollen therapeutisch-technisch durch das Bereitstellen einer für den Patienten heilenden Objektbeziehung erreicht werden. »Das heißt, der Therapeut bietet sich im emotionalen Dialog (so wie früher die Mutter) an, in der Funktion eines Hilfs-Ich den Patienten zu befähigen, allmählich seine eigenen Gefühlsverwicklungen, chaotischen Gefühlszustände und Beziehungswirrwarrs zu verstehen und zu erfassen (holding function nach Winnicott 1965; containing function nach Bion 1962a). Der in dieser Form aktive, im Hier-und-Jetzt der therapeutischen Interaktion sichtbar werdende Therapeut benötigt natürlich in besonderem Maße die oben genannte Fähigkeit zur therapeutischen Ich-Spaltung im Dienste seiner beruflichen Aufgabe« (Bilitza 2003, S. 132). Ergänzend zu dieser Hilfs-Ich-Funktion zur Förderung der Mentalisierung übernimmt der Therapeut durch den Modus des Antwortens zugleich

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auch Modellfunktion zur Förderung der Sozialisierung, indem er als authentisch erfahrbarer Interaktionspartner soziokulturelle Maßstäbe und Normierungen zum Beispiel für die Affektentwicklung und -differenzierung oder für den Umgang mit Frustrationen demonstriert. Berghaus (2005) hat die verblüffende Übereinstimmung des Mentalisierungskonzeptes von Fonagy et al. mit dem hier zugrunde gelegten Prozess der Nachreifung hervorgehoben. Bei der psychoanalytisch-interaktionellen Methode fokussiert der Gruppentherapeut zur Bearbeitung dieser Therapieziele auf das Hier-und-Jetzt, er versteht sich als Teilnehmer einer Begegnung und interveniert antwortend als Beteiligter, aber anders, als es der Patient gemäß seiner unbewussten Inszenierung von ihm erwartet (Heigl-Evers u. Nitzschke 1994; Streeck 1994). Zur Differenzierung der Ich-Funktionen bietet er sich dem Patienten als Hilfs-Ich an und bleibt auch dann das unerwartete überwiegend gute Objekt, wenn er im Zuge der Inszenierungen des Patienten, also zum Beispiel der Übertragung eines bösen Partialobjekts mittels projektiver Identifikation, Ärger, Wut und Enttäuschung auf den Patienten, als »erzwungene Identifikation« in sich spürt. Der Therapeut lässt sich aufgrund seiner beruflich gelernten Fähigkeit zur professionellen therapeutischen Ich-Spaltung trotz der vom Patienten massiv herausgeforderten negativen Reaktionen nicht dazu hinreißen. »Die Asymmetrie der Beziehung bleibt dadurch erhalten, dass der Therapeut sich nicht nur ›einfach gesund verhält‹ – wie dies auch ein Laie könnte –, sondern Übertragung und Gegenübertragung diagnostizierend im Blick behält und über seine methodisch geschulten Interventionen in einem konstruktivistischen Sinne in das Geschehen eingreift. Kurz: Der Laie agiert – der Therapeut reagiert« (Bilitza 2003, S. 132). Er bleibt in der professionellen Rolle des Therapeuten, der den Patienten als Kranken akzeptiert und der dessen heftiges Auftreten als Inszenierung pathologischer Objektbeziehungen versteht. Nach der psychoanalytisch-interaktionellen Technik bemüht er sich vorwiegend zu antworten und allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt der Therapie dem Patienten die Szene zu deuten. Nach meiner Erfahrung fördert das Einüben dieser Technik die Bildung von Professionalität des Therapeuten mit Präsenz im Beruf und Akzeptanz der Patienten (vgl. die Beiträge von Dieckmann und Albertini sowie von Fischer in diesem Band). Wir kennen diese Fähigkeiten aus der Erfahrung mit anderen Berufsgruppen: ebenso wie der ausgebildete Sommelier im Spitzenrestaurant auf plumpe, aggressive Herabsetzung durch einen unhöflichen Gast gleich bleibend unaufgeregt reagiert, genauso versteht es der professionelle Theaterschauspieler im Gegensatz zum Laien, nicht aus der Rolle

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zu fallen, wenn er zum Beispiel im Zuschauerraum einen Bekannten entdeckt. Diese Professionalität ist nicht mit der laienhaften Auffassung zu verwechseln, wonach der Therapeut gelernt habe, die Rolle eines »GutMenschen« einzunehmen. Das in einem intensiven hermeneutischen klinischen Zirkel von Psychoanalytikern, Gruppentherapeuten, Gruppendynamikern und Sozialpsychologen entwickelte und in der klinischen Praxis erprobte Göttinger Modell (Lindner 2005, S. 125) wurde bisher wenig empirisch überprüft (z. B. Davies-Osterkamp et al. 1987). Es liegt nun eine umfangreiche Untersuchung an 919 Patienten des Krankenhauses für Psychotherapie, Psychiatrie und psychosomatische Medizin Tiefenbrunn bei Göttingen vor, aus der die Wirksamkeit insbesondere der psychoanalytisch-interaktionellen Methode für strukturell gestörte Patienten hervorgeht. Im Präpost-Vergleich zwischen Aufnahme und Entlassung wurden signifikante Unterschiede im Bezug auf Symptomreduktion gefunden, hier zeigten sich besonders deutliche Veränderungen in Depressivität, Unsicherheit im Sozialkontakt und Zwanghaftigkeit sowie in Bezug auf Umstrukturierung der Persönlichkeit, bestimmt über sozial-kommunikative Fähigkeiten (Rabung et al. 2005). Das Konzept des abstinent deutenden Analytikers gehört nicht nur in dem analytischen Standardverfahren der Vergangenheit an, besonders in Weiterentwicklungen der Verfahren, die wir heute zusammenfassend tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (in Anlehnung an die Richtlinienpsychotherapie; z. B. Wöller u. Kruse 2001) nennen, werden wiederholt neue psychoanalytische Methoden vorgestellt und erprobt. Bekannt wurde auch die Übertragungsfokussierte Psychotherapie von John Clarkin und Otto Kernberg, die in weiten Bereichen, zum Beispiel in der pathogenetischen Begründung, große Ähnlichkeiten mit der psychoanalytisch-interaktionellen Technik aufweist. In einem Vergleich der Methoden arbeitet Dammann (2004) aber auch die Unterschiede heraus: Nach der psychoanalytisch-interaktionellen Methode soll die Beziehung heilen, das heißt, der Patient soll in Interaktion mit dem Therapeuten die Spaltung überwinden und integrierte Selbst- und Objektrepräsentanzen gewinnen. Nach der übertragungsfokussierten Psychotherapie heilt die vorsichtige Deutung: Die in der Inszenierung wiederbelebten (externalisierten) Objektbeziehungen werden dem Patienten so gedeutet, dass sich die Spaltung verringert. Wie bereits König und Lindner (1991, S. 101ff.) ausgeführt haben, ist die Dichotomie von Antwort und Deutung in der Praxis viel geringer zugunsten eines Kontinuums gegenseitiger Ergänzung; jede Deutung und jede Antwort hat einen Interpretations- und einen Re-

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aktionsanteil (vgl. Davies-Osterkamp et al. 1987). Ich zitiere die Zusammenfassung von Dammann: »Um ein schönes Bild von Heigl-Evers und Henneberg-Mönch (1985) aufzugreifen, wird abschließend festgehalten: In der interaktionellen Methode versucht der Therapeut zu beweisen, dass er nicht das ›oral-gierig-destruktive Ungeheuer‹ ist, für das der Patient ihn hält, sondern ein mitfühlendes, verlässliches, reales und humanes Gegenüber. In der TFP (transference-focused psychotherapy) dagegen versucht der Therapeut dem Patienten klar zu machen, dass dieses Ungeheuer in ihm selbst ist und jede humane Beziehung zu zerstören sucht« (2004, S. 328).

So gut wie jede Klinik verwendet die Großgruppen-Methode als Organisationsforum. Erst in den letzten Jahren wurde die therapeutische Kraft der Großgruppe erkannt und als therapeutische Technik eingesetzt (Nitzgen 2003, vgl. hierzu den Beitrag von König in diesem Band). Fazit: In der stationären Psychotherapie finden sich die genannten Arten von Gruppenarbeit in vielfältigen Ausprägungen neben der eigentlichen Gruppenpsychotherapie. Nur im Idealfall haben die Gruppentherapeuten und andere mit Gruppen arbeitende Therapeuten nach meinem Eindruck ausreichend Gelegenheit, sich in Fallbesprechungen und Supervisionen über die therapeutische Entwicklung der Patienten auszutauschen. Unter dem alltäglichen Zeitdruck, der sich durch Krankheits- und Urlaubsvertretungen und durch zunehmende Bürokratisierung der Dokumentation noch erhöht, werden weniger diagnostische Einschätzungen und psychodynamische Prozesse diskutiert, als vielmehr Formalia und Regeln der Patienten-Verwaltung abgesprochen. Im günstigen Fall wird der Berufsanfänger, der in der Regel über keine spezifische Gruppentherapieausbildung verfügt, im Ko-Gespann mit einem erfahreneren Kollegen in dessen Verständnis von Gruppentherapie und damit in die Praxis der Gruppenpsychotherapie eingeführt.2

2 Von dieser nüchternen Einschätzung möchte die fortschrittlichen Kliniken ausnehmen, deren engagierte Leitung die Professionalisierung der Mitarbeiter durch klinikinterne Fortbildungen und ausdrückliche Förderung der Weiterbildung entschieden vorantreibt.

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Zur Professionalisierung des Gruppenpsychotherapeuten Wenn von der Professionalisierung des Gruppentherapeuten die Rede ist, wird eine Entwicklung der letzten Jahre angesprochen, zwischen Psychotherapie als Wissenschaft und Psychotherapie als Profession zu unterscheiden (Buchholz 1999, 2003; Leuzinger-Bohleber et al. 2004). »Die spezifische Leistung des Professionellen besteht im individualisierenden Zuschnitt seiner Kompetenzen; es geht nicht nur um ›Wissen‹, sondern auch um ›Können‹ [. . .] Professionelles Können ist dann, das Richtige im richtigen Moment zu tun; manchmal trösten, manchmal deuten, manchmal abwarten« (Buchholz 2003, S. 89). Professionelle Kompetenz des Psychotherapeuten ist interaktive Kompetenz in der Begegnung mit dem Patienten oder der Gruppe. Hier wird fachliches Können gefordert, das über Lehrbuch- und Alltagswissen hinausgeht. Profession meint legitimierte Ausübung des Berufes eines Psychotherapeuten mit Hilfe von erworbenen beruflich-therapeutischen Kompetenzen und auf der Grundlage einer therapeutischen Berufsidentität. Jeder Gruppenleiter und jeder Gruppentherapeut in der Klinik entwickelt, wie wir immer wieder beobachten können, im Zuge seiner Professionalisierung ein seine praktische Arbeit leitendes theoretisches Arbeitsmodell darüber, wie und durch welche Behandlung Suchtpatienten dauerhaft abstinent werden, das er aus wissenschaftlicher Theorie mit Krankheitslehre und Therapiemethodik seiner bevorzugten therapeutischen Schulrichtung bezogen hat, das er aus dem Betriebswissen seiner Vorgesetzten und Kollegen übernommen hat und das sich weiter aus seinem Alltagswissen und gesundem Menschenverstand zusammensetzt. Das so gewonnene Veränderungsmodell liefert dem Therapeuten seine implizite Orientierung, repräsentiert gewissermaßen die innere Handlungsanleitung für sein Können. Innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, einer Klinik oder eines Teams werden Modelle gebildet, die sich der Einzelne als Mitglied der Einheit derart zu eigen macht. Strauß und Mattke (2001) haben derartige Veränderungsmodelle für die stationäre Gruppentherapie aufgelistet; sie sind »interdisziplinär«, insofern sie sich an die verschiedenen therapeutischen beziehungsweise psychologischen Schulrichtungen anlehnen: – edukatives Modell, – Problemlösungsmodell, – interpersonales Modell, – Objektbeziehungs- und Systemmodell, – psychodynamisches Entwicklungsmodell, – behaviorales Modell, – kognitiv-behaviorales Modell

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Eine Fallvignette über ein alltägliches und allzu menschliches Problem in der Arbeit mit Gruppen, das eine Gruppentherapeutin in der Supervision berichtete und das jeder Gruppentherapeut oder Gruppenleiter kennt, soll die Unterschiede der Veränderungsmodelle illustrieren: Wiederholt verlässt der Patient Herr S. die Gruppensitzung von 60 Minuten zwischenzeitlich mit der Begründung, er müsse austreten. Die Therapeutin fühlt sich jedes Mal gestört und hat aufgrund der Andeutungen von anderen Gruppenteilnehmern die Vermutung, der Patient wolle auf der Toilette eine Rauchpause einlegen. Sie bemerkt eine leichte Verärgerung bei sich, insbesondere auch, weil sie weiß, dass die meisten anderen Kollegen in der Klinik dem keine Bedeutung beimessen.

Versuchen wir uns vorzustellen, wie Gruppentherapeuten entsprechend ihrem bevorzugten jeweiligen Veränderungsmodell intervenieren könnten. – Edukatives Modell: Hier wird der Patient unterrichtet, dass er eine Vereinbarung (z. B. Toilettengänge und Rauchen erfolgen nur in den Pausen) einzuhalten habe, wenn er Sanktionen vermeiden wolle. Gruppenprozess, Vermutungen und Ärgerreaktion der Therapeuten bleiben außer Acht. Beispiel-Intervention: »Herr S., bitte halten Sie sich an unsere Vereinbarung. Es geht nicht, dass sie in jeder Gruppentherapiesitzung auf die Toilette gehen.« – Problemlösungsmodell: Ziel der Therapeutin ist es, das Problem mit der Gruppe zu erfassen und Lernsätze für die Lösung hier und an vergleichbaren anderen Gelegenheiten zu entwickeln. Beispiel-Intervention: »Viele in der Gruppe hier, die nicht austreten müssen, wissen also: Wenn man sich unsicher ist, ob man in den 60 Minuten auf die Toilette muss, geht man vorher.« – Interpersonales Modell (z. B. Yalom 1995): Der individuelle Wunsch wird hier in einen Zusammenhang mit der Interaktion in der Gruppe gesetzt, das heißt, Gruppe und Patient werden aufgefordert, sich mit der Frage des Austreten-Müssens zu beschäftigen. Beispiel-Intervention:»Vielleicht ist es auch schon anderen aufgefallen: in fast jeder Sitzung muss Herr S. auf die Toilette. Was hat die Gruppe damit zu tun?« – Objektbeziehungs- und Systemmodell: Die Therapeutin, die sich zum Beispiel an dem Gruppentherapiemodell von Bion (1971) orientiert, ordnet den Wunsch von Herrn S. in einen Zusammenhang mit dem Entwicklungsstand der Gruppe ein. Sie setzt für sich (im Stillen) diesem Ereignis die Beobachtung von Passivität und gehemmter aggressiver Spannung in der Gruppe entgegen, zugleich spürt sie neben ihrer eigenen Ärgerreaktion auch Angst, im Vergleich mit dem Laisser-faire-Stil der Kollegen

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als streng und pedantisch zu gelten. Sie kommt zu dem Schluss, die Gruppe sei auf die unbewusste Phantasie der Abhängigkeit fixiert, das heißt, die Gruppe erwartet von der Gruppentherapeutin aktive Fürsorge und Versorgung. Gleichzeitig wird ihr bewusst, dass die Gruppe schon ausreichend lange in diesem regressiven Zustand verharrt. Und sie beginnt ihre Angst auch als Hinweis zu verstehen, dass die gemeinsam geteilte Abhängigkeit der Patienten eine kollektive Abwehrleistung gegen Streit und Auseinandersetzung – der Patienten untereinander, aber auch gegen die Therapeutin – bedeuten könnte. Sie beschließt schließlich, die Weiterentwicklung der Gruppe anzuregen. Beispiel-Intervention: »Herr S., vielleicht konnten Sie den Druck in der Gruppe in den letzten Sitzungen nicht gut aushalten und hatten auch deswegen das Bedürfnis auszutreten. Die Gruppe wollte nicht helfen oder kontrollieren, wahrscheinlich erwarten Sie das alle von mir, nämlich dass ich es für Sie tue.« – Psychodynamisches Entwicklungsmodell: Je nach Entwicklungsstand des Patienten wird der Wunsch des Patienten entweder als Ausdruck einer Entwicklungspathologie verstanden, das heißt, das Ich des Patienten verfügt nicht über Fähigkeiten zur Spannungsregulation (Reizschutzfunktion, Frustrationstoleranz) sowie zur Symbolisierung (Affektdifferenzierung) und weicht regressiv auf körperliche Spannungen aus. Zugleich erscheint die Über-Ich-Orientierung nicht genügend entwickelt. Hier wird die Therapie den Wunsch zunächst akzeptieren, vielleicht auch klarifizieren. Psychoanalytisch-interaktionelle Intervention: »Wenn die Spannung in der Gruppe steigt, wird es für manche, ich denke auch für Sie, Herr S., hier schwierig. Ich habe Verständnis dafür, dass Sie, um alles hier auszuhalten, erst mal austreten müssen. Aber weil es in letzter Zeit so oft geschieht, beginnt es mich auch zu stören.« Oder der Wunsch des Patienten wird als Ausdruck einer Konfliktpathologie verstanden, das heißt, der Patient gerät in den regressiven Zustand, eine seelische Spannung, die aus einem verdrängten Konflikt stammt, über körperliche urethrale Spannungslösung ableiten zu wollen. Dies könnte dann der Fall sein, wenn in der Gruppe ödipale oder sexuelle Themen aktiviert sind, denen sich der Patient nicht gewachsen fühlt. Beispiel-Intervention: »Worum es hier in der Gruppe im Augenblick geht, wurde noch nicht ausgesprochen. Aber vielleicht fällt Ihnen auch auf, dass das Austreten-Müssen unsere Aufmerksamkeit auf den Unterleib lenkt.« – Behaviorales Modell: Hier ist das Ziel, eine individuelle Verhaltensänderung durch Einüben zu erreichen. Die Verhaltenstherapeutin versucht drei Fragen zu beantworten: »(1) Welche Verhaltensweisen sollen verän-

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dert werden? (2) Wodurch wird dieses Verhalten aktuell bedingt? (3) Durch welche Maßnahme kann die angestrebte Veränderung am besten erzielt werden? [. . .] Diese [Bedingungs-]Analyse, die jedem verhaltenstherapeutischen Vorgehen und entsprechend auch der therapeutischen Arbeit in der verhaltenstherapeutischen Suchtbehandlung zu Grunde liegt, bezieht sich auf die unmittelbaren funktionalen Zusammenhänge zwischen auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren einerseits und resultierendem Verhalten andererseits. [. . .] Dabei gilt die Grundthese, dass auf kognitiv-emotionale Prozesse (Gedanken, Bilder, Erinnerungen und Erwartungen) ebenso die Prinzipien der klassischen und operanten Konditionierung anzuwenden sind wie auf direkt beobachtbare Stimuli und Reaktionen« (Schuhler 2000, S. 665). – Kognitiv-behaviorales Modell: Therapeutin leitet die Gruppe an, die Kognitionen herauszufinden und zu benennen, an denen sich Herr S. orientiert, wenn er mitten in der Gruppensitzung äußert, dass er Austreten müsse. Wenn dies gelingt, wird sie im Weiteren die Dysfunktionalität dieser Kognition erklären oder ableiten. Schließlich wird sie Übungen vorschlagen, wie diese Kognitionen aufzugeben sind (Schuhler 2003). Seit über 25 Jahren bildet der GVS (Gesamtverband der Deutschen Suchtkrankenhilfe) Sucht- und Sozialtherapeuten aus, die in vielen Institutionen, etwa in niedrigschwelligen Einrichtungen, Beratungsstellen, Suchtstationen psychiatrischer Kliniken und in Suchtfachkliniken, tätig sind. In diesen suchtspezifischen Weiterbildungsgängen, ich spreche hier für die analytisch orientierte Richtung, werden auch Grundkenntnisse in Theorie und Technik der Gruppentherapie vermittelt, die von den Suchtberatern und Suchttherapeuten als wertvolle Hilfe und fachliche Orientierung für die Arbeit mit Gruppen empfunden werden. Allerdings treffen sie in den Teams ihrer Einrichtung auf Kollegen oder auch auf Vorgesetzte, die im günstigen Fall über eine abgeschlossene Einzeltherapieweiterbildung, aber nur sehr selten über Gruppentherapiekompetenzen oder eine suchtspezifische Weiterqualifizierung verfügen. Nach meinem Erfahrung entstehen in diesen heterogenen Teams nicht nur integrierte Vorstellungen von Veränderungsmodellen in Form von originellen Mischungen aus Therapiekonzepten verschiedener Schulrichtungen und aus dem jeweils prägenden Einfluss der Teamleitung, sondern es wird auch eigene Therapiesprache entwickelt, die aus Versatzstücken der therapeutischen Richtungen, aus Alltagspsychologie und eigenen bildhaften Wortschöpfungen, Metaphern, bestehen. Zum Beispiel sagte ein Therapeut: »Der Patient Herr X, der bisher in der Schmollecke saß, zieht sich

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jetzt in der Gruppe ängstlich hinter eine Glaswand zurück, alle bemühen sich, diese zu durchdringen, gleiten aber alle ab und werden allmählich ärgerlich, ohne dass Herr X dies versteht.« Diese metaphorische Therapiesprache mag uns nicht verwundern, denn die äußerst belastende Arbeit unter dem andauernden emotionalen Einfluss der Pathodynamik verlangt vom Gruppentherapeuten Symbolisierungsleistungen in verschiedener Hinsicht: – Mentalisierung von Phänomenen, die dem Therapeuten in seiner vortherapeutischen Zeit (Studium, Praktikum usw.) nicht zugänglich waren und die er nun entweder in einer Weiterbildung oder im Zuge seiner Professionalisierung in Interaktion mit den Kollegen erwirbt; – psychische Metabolisierung von Abwehrformen zur eigenen emotionalen Entlastung als Teilnehmer oder teilnehmender Beobachter pathologischer Gefühls- und Beziehungsmuster auf Seiten der Patienten; – differenzierte Fachsprache für die Verständigung mit Kollegen oder für das Abfassen von Berichten. Das eben genannte Beispiel des Gruppenpatienten X könnte dann übersetzt lauten: »Die frühe Abhängigkeitsund Autonomie-Störung von Herrn X wird in der Gruppe deutlich. Er zeigt eine zunehmend schizoid-paranoide Abwehr gegen die Versorgungsbemühungen der Gruppe. Aufgrund der vergeblichen Bemühungen, gutes versorgendes Objekt für Herrn X zu sein, identifiziert sich die Gruppe allmählich mit der projektiv vermittelten Position des bösen bedrohlichen Objektes. Die zunehmend ängstlich-aggressive Spannung in der Gruppe weist Züge der schizoid-paranoiden Position auf.« Halten wir uns vor Augen, dass Therapeuten in dieser Fachsprache nicht mit den Patienten reden können; diese Situation ist durchaus mit der des Arztes vergleichbar, der seinem Patienten eine körperliche Krankheit erklärt. Daraus folgt eine weitere Anforderung: – Im Umgang mit Patienten ist eine Therapiesprache mit entsprechender Metaphorik zu entwickeln, damit nicht das Niveau einer bloßen alltagssprachlichen Belehrung entsteht.

Folgerungen – In Anamnese und Psychodynamik der Erkrankung von Suchtpatienten

auf dem präödipalen Strukturniveau finden wir fast immer gestörte Beziehungen und Bindungsstörungen in der Kindheit, im emotionalen Dialog versagende Bezugspersonen und daraus resultierende sich schon früh zeigende defizitäre psychische Strukturen. Der spätere Ausweg in

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die Sucht vor den nicht zu bewältigenden Lebensaufgaben wird als ein in der Adoleszenz einsetzender pathologischer Selbstheilungsversuch interpretiert. Nach diesem psychoanalytischen Verständnis benötigt gerade der Suchtpatient sichere, Halt gebende Beziehungen und eine heilende emotionale Bindung an Therapeuten, Personal und Mitpatienten, wie die Untersuchung von Therapieabbrüchen immer wieder belegt. Ich halte daher Konzepte der Summierung von indikationsbestimmten Therapiemodulen für sehr problematisch, die dem Suchtpatienten eine Vielzahl von Therapeuten unterschiedlichster Provenienz in verschiedenen homogenen Gruppen mit wechselnder Patientenzusammensetzung bieten. Der Verlust und kurzfristige Wechsel von Beziehungen, der in der Pathogenese der Patienten erfolgte, wiederholt sich so im therapeutischen Prinzip der Behandlung und kann unter diesen Voraussetzungen nicht genügend bearbeitet werden. Interdisziplinäre Fallkonferenzen oder Teambesprechungen, damit diagnostische Einschätzungen und therapeutisches Vorgehen abgestimmt werden, können die in diesem Fall therapeutisch gewollte Beziehungslosigkeit wohl nicht ausreichend ausgleichen. Die Entwicklung solcher professioneller Kompetenzen wie »handlungsleitendes Veränderungsmodell« und wie »Sprache und Metaphorik« sollte in den Behandlerteams und bei ihren Leitern stärkere Beachtung finden und nicht dem Zufall beziehungsweise dem Berufsanfänger überlassen bleiben. Realität der beruflichen Praxis in Kliniken und Beratungsstellen ist das Zusammentreffen und Zusammenarbeiten von Therapeuten verschiedener Schulrichtungen. Da man nicht darauf warten kann, bis eines Tages die integrative Konzeption von Psychotherapie gebildet ist, sollten von Seiten der Ausbildungsorganisationen und Weiterbildungsträger Curricula entwickelt werden, die die drei gebräuchlichsten therapeutischen Ausrichtungen: verhaltenstherapeutisch, psychoanalytisch und systemisch (Senf u. Broda 2000) – umfassen und die dem Suchttherapeuten neben einer Präferenz für seine gewählte Orientierung zumindest Grundkenntnisse in den anderen therapeutischen Schulrichtungen vermitteln. Die Einrichtung von speziellen Bachelor-Studiengängen würde die Suchttherapie aufwerten und ihre Bedeutung im therapeutischen Feld erhöhen. Wenn in der Suchtfachklinik die Kompetenz des Gruppenpsychotherapeuten immer stärker gefragt wird, dann muss jeder spezifische Weiterbildungsgang noch stärker als bisher darauf vorbereiten.

ThomasFischer:GruppenpsychotherapiebeiAbhängigkeitserkrankungen

Thomas Fischer

Gruppenpsychotherapie bei Abhängigkeitserkrankungen

Abstract Die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen mittels Gruppenpsychotherapie soll beleuchtet werden, die die Entwicklung der Gruppe als Ganzes, ihre Dynamik, Beziehungen, Kommunikation und Konflikte berücksichtigt. Es geht um Behandlung der Gruppe mit Partizipation des Einzelnen, also Gruppenpsychotherapie an sich. Es geht nicht um Behandlung des Einzelnen in Anwesenheit der Gruppe, die letztlich eine Einzeltherapie ist. Aus unterschiedlichen Gründen hat es in den letzten Jahren eine negative Entwicklung in der Anwendung von Gruppenpsychotherapie gegeben. Es soll mit diesem Kapitel an die Möglichkeiten der Gruppenpsychotherapie erinnert werden. Der Text ist außerdem als Statement für eine sinnvolle Kombination unterschiedlicher Behandlungsansätze zu werten, in denen sich die Komplexität der Abhängigkeitskrankheiten abbildet.

Entwicklung der Gruppenpsychotherapie Wesentliche Wurzeln der Gruppentheorie wurden während der Zeit um den Zweiten Weltkrieg in England gesetzt. W. R. Bion, der in den 1940er Jahren die Rehabilitationsabteilung der psychiatrischen Tavistock-Klinik der britischen Armee leitete, war der Erste, der konsequent in der psychotherapeutischen Behandlung der Gruppe diese als Behandlungsobjekt fokussierte. Er vernachlässigte sowohl das einzelne Individuum der Gruppe, als auch die reale Beziehungsebene. Bion (1971) sah bei seinen Gruppen drei Grundphänomene: – Abhängigkeit, das heißt, die Gruppe fordert die Abhängigkeit von einem Leiter, welcher als gottähnliche Autorität nicht in Frage gestellt werden darf; – Kampf/Flucht, das heißt, die Gruppe benötigt etwas, gegen das sie kämpfen oder vor dem sie flüchten kann; – Paarbildung, das heißt, die Gruppe bildet ein oder mehrere Paare, welche der unbewussten Hoffnung der Gruppe entsprechen, die Gruppe über die Fortpflanzung zu erhalten.

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Diese Grundphänomene dienten nach Ansicht Bions zur Abwehr psychotischer Angst. Unbewusst darf die Gruppe keine produktive Arbeitshaltung zulassen, da Letztere Angst vor psychotischer Dekompensation erzeugt. Die Hauptaufgabe des Gruppenleiters sah Bion in der Deutung dieser Reaktion. S. H. Foulkes war neben Bion der maßgebliche Begründer der Gruppenpsychotherapie. Foulkes stammt aus Karlsruhe, musste 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen und emigrierte nach London. Hier wirkte auch er überwiegend in Militärhospitälern. Ein wichtiges Verdienst von Foulkes war die Beschreibung seiner Beobachtungen, nach denen jedes Individuum der Gruppe an einer gemeinsamen bewussten und unbewussten Kommunikation mitwirkt, der wiederum gemeinsame bewusste und unbewusste Symbolisierungen und Bedeutungen zugrunde liegen (Scholz 2006). Für das hypothetische Gewebe aus sämtlicher Kommunikation und Beziehung der Gruppe formulierte Foulkes (1992) den Begriff Matrix. Damit ist die Matrix in gewissem Sinne ein Synonym für die Vorstellung, die Gruppe sei ein eigener psychischer Organismus. Sämtliche Ereignisse in der Gruppe gehen letzten Endes auf die Matrix zurück. Dabei unterscheidet Foulkes eine Grundlagenmatrix von dynamischer Matrix. Die Grundlagenmatrix ist der Vorrat gemeinsamer Bedeutungen und Kommunikation, die die Gruppenmitglieder zur Therapie schon mitbringen. Die dynamische Matrix bildet sich erst spezifisch für die jeweilige Gruppe im Verlauf heraus. Den unbewussten Anteil der Kommunikation in der Gruppe nannte Foulkes Resonanz: Unbewusste Signale des Einen werden sehr genau von anderen aufgenommen und mit unbewussten Signalen beantwortet. Außerdem beschrieb Foulkes das Phänomen der Polarisierung in Gruppen: in der Gruppe verteilen sich verschiedene Funktionen des Gruppenorganismus auf einzelne Personen. So kann das eine Gruppenmitglied die Funktion des Über-Ich in der Gruppe übernehmen, das andere vielleicht das Bedürfnis der Gruppe nach Idealisierung ausleben. Die Kommunikation bewegt sich auf vier möglichen Ebenen (Foulkes 1992, S. 171): Auf der aktuellen Ebene greift die Gruppe zum Beispiel Tagesthemen auf, in der Übertragungsebene können Rollen aus den Primärfamilien reaktualisiert werden, und in der Projektiven Ebene repräsentiert die Gruppe unreife Objektbeziehungen oder Teile des Selbst. Die vierte Ebene ist die Primordiale Ebene, in der zum Beispiel kollektive Bilder und Symbole eine Rolle spielen können. Durch Foulkes wurden erstmals in wesentlichem Ausmaß psychoanalytische Theorien und sozialpsychologische Ansätze miteinander verbunden. Diese Herangehensweise prägte

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dann auch in Deutschland die weitere Entwicklung der Gruppenpsychotherapie. Analytische, tiefenpsychologische und dynamische Konzepte griffen die Theorien von Bion und Foulkes, aber auch zum Beispiel von Argelander auf. Für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen waren auf deutschem Boden zwei Konzeptentwicklungen bis 1990 wesentlich. Im Bereich der alten Bundesländer war es das Göttinger Modell der Anwendung der Psychoanalyse in Gruppen, welches vor allem durch das Konzept der psychoanalytisch-interaktionellen Gruppentherapie ein Verfahren für die Behandlung strukturgestörter Suchtpatienten bot. Auf dem Gebiet der DDR behandelten Psychotherapeuten seit den 1970er Jahren Suchtpatienten mit der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie. Auf beide Therapiemethoden wird in zwei späteren Abschnitten übersichtsartig eingegangen. Einen breiten Raum in den Diskussionen um gruppentheoretische Konzepte nehmen bis heute Überlegungen ein, ob im Gruppenprozess bestimmte Phasen gesetzmäßig auftreten und wie diese therapeutisch genutzt werden können. Sehr verbreitet ist die Nomenklatur von Tuckman (1965), der aus der Sichtung der damals vorhandenen Gruppenuntersuchungen auf vier gesetzmäßige Gruppenphasen schloss: Das Forming dient der Eingewöhnung und Akklimatisierung. Beim Storming werden Konflikte der Gruppe emotional ausgetragen. Norming bezeichnet die Phase, in der die Gruppe sich ihre Regeln und Normen gibt. Daran schließt sich die Arbeitsphase an, Performing genannt. Die Erfahrung zeigte dann aber, dass sich in vielen Gruppen die ersten drei Phasen nicht genau zeitlich und inhaltlich trennen lassen. Außerdem vernachlässigte Tuckman die unbestreitbar vorhandene Abschlussphase jeder Gruppe, die MacKenzie (zitiert bei Mattke 2006) ergänzend Adjourning nannte. MacKenzie (2001) beschrieb an anderer Stelle folgende Phasen, die mindestens im Verlauf von Therapiegruppen auszumachen seien und nach seiner Ansicht ein grundlegendes Vierstufenmodell der Gruppenentwicklung darstellen: – Engagement: Initiale Herstellung von Zusammengehörigkeit. – Differenzierung: Atmosphäre interpersoneller Spannung, die zunehmend toleriert werden kann. Konflikte werden konstruktiv gelöst, individuelle Unterschiede klarer. – Interpersonelle Arbeit: Größere Geschlossenheit in der Gruppe ermöglicht die gemeinsame Bearbeitung zentraler Themen der Gruppe und individueller Probleme. – Beendigung/Trennung: Bearbeitung lebenslang relevanter Themen ist möglich: Verlust, Trauer, Grenzen.

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Besonderen Stellenwert hat das Phasenkonzept für die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie. Hier wird im Rahmen der Gruppenbildung ein Kippprozess ausgemacht, dessen Verlauf eine zentrale Bedeutung für die gesunde Entwicklung der Gruppe und damit der Gesundung des Einzelnen hat. Phasen im Gruppenprozess sind abhängig von den Rahmenbedingungen. So lassen sich am ehesten in geschlossenen Gruppen Phasen erkennen. Geschlossene Gruppen sind Gruppen, in denen die Gruppenteilnehmer die Gruppe gemeinsam beginnen und gemeinsam beenden. Im Verlauf der Gruppe kommen keine neuen Gruppenteilnehmer hinzu. Im stationären Klinikalltag gibt es jedoch kaum noch geschlossene Gruppen. Meistens werden in der Suchttherapie halboffene Gruppen behandelt. In halboffenen Gruppen werden ausscheidende Teilnehmer durch neue Gruppenmitglieder ersetzt, die dann bis zu ihrem eigenen Ausscheiden in dieser Gruppe bleiben. In halboffenen Gruppen stellen sich in Abhängigkeit von der Gruppensituation intermittierend Phasen ein, die mit Anwärmen, Konfliktlösung, Auseinandersetzung mit dem Therapeuten, Arbeit an der individuellen Problematik oder Abschied zu tun haben. Teilweise überlappen sich diese Phasen auch (Fischer 2006). Der Gruppentherapeut sollte mögliche Phasen in einem Gruppenprozess erkennen können. Wie er mit den Phasen umgeht, wird entsprechend dem therapeutischen Konzept unterschiedlich sein. Die Wirkfaktoren der Gruppenpsychotherapie sind ebenfalls seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Es herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass spezifische Wirkfaktoren der Gruppenpsychotherapie nicht ausreichend nachgewiesen sind (Tschuschke 2001). So gibt es auch in der Gruppenpsychotherapie Abhängigkeitskranker keine spezifischen Faktoren, die insbesondere bei dieser Patientengruppe wirken. Vielmehr kommen auch hier die zum Tragen, die allgemein in Gruppen nachzuweisen sind. In der Literatur findet sich eine ganze Reihe von Arbeiten mit der Darstellung unterschiedlicher Wirkfaktoren. Eine Übersicht dazu gibt Tschuschke (2001, S. 143). Bewährt hat sich die Beschreibung der Wirkfaktoren von Yalom (2003), die nachfolgend aufgeführt sind: – Anleitung. Therapeut oder andere Gruppenmitglieder geben konkrete Ratschläge oder Hinweise, die der Patient als wertvoll erlebt und ihm helfen, mit bestimmten Problemsituationen umzugehen. – Altruismus. Zunahme von Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitserleben durch das Erleben in der Gruppe, anderen Hilfe geben zu können und für andere wichtig zu sein.

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– Einflößen von Hoffnung. Entwicklung von Optimismus ist gerade bei –



– –







Suchtpatienten ein wesentlicher therapeutischer Faktor. Einsicht. Verbesserung der Selbstwahrnehmung und Erkennen von Zusammenhängen zwischen Beziehungsverhalten und eigener Lebensgeschichte. Existenzielle Faktoren. Patient begreift existenzielle Grundbedingungen menschlichen Zusammenlebens, zum Beispiel: Das Leben ist ungerecht. Trotz Nähe zu anderen muss ich allein das Leben meistern. Gewissen Nöten kann ich nicht entgehen. Ich muss Verantwortung für mein Leben übernehmen. Gruppenkohäsion. Der Patient erlebt Zusammengehörigkeit, fühlt sich verstanden und angenommen trotz Fehler und Schwächen. Identifizierung: Nachahmungsverhalten gegenüber anderen Patienten, besonders aber gegenüber dem Therapeuten. Patient übernimmt zum Beispiel Verhalten, Stile, Wertesysteme. Interpersonelles Lernen. Intellektuelle Komponente im therapeutischen Prozess, die in Input und Output unterschieden werden kann. Input: was der Patient über sich lernt durch Rückmeldungen der Gruppe; Output: er wendet die neuen Erkenntnisse durch neue Verhaltensmuster wieder nach außen. Katharsis (Wortstamm griechisch: Reinigen). Die Patienten können unterdrückte oder erstickte Affekte loswerden. Dieser Prozess muss aber immer an eine Form des kognitiven Lernens gebunden sein und innerhalb eines interpersonellen Prozesses stattfinden. Affektive Beteiligung ist Voraussetzung von Wirksamkeit, da es sich sonst um eine unwirksame akademische Übung handelt. Die äußerlich erkennbare Intensität des Gefühlsausdrucks ist kein Maß für die Wirkung. Wiederbeleben der Familie. Reaktualisierung emotional besetzter Rollen und Verhaltensmuster aus der Primärfamilie. Regression mit Übertragung und Gegenübertragung. Eröffnet dem Patienten die Möglichkeit, mit neuen Verhaltensweisen zu experimentieren und sich aus alten Familienrollen zu lösen.

Welche Wirkfaktoren in welcher Gruppe in welchem Ausmaß entscheidend sind, ist in Abhängigkeit von Variablen der Gruppenmitglieder, der Therapeuten, der Therapiemethode und letztlich dem jeweiligen Stadium der Gruppe unterschiedlich. Es kommen die Wirkfaktoren in der Gruppe besonders zum Tragen, die durch den Therapeuten und die Gruppe ermöglicht werden. Welche Gruppentherapiewirkungen für Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen besonders wichtig sein könnten, ist so gut wie

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unerforscht. Ebenso mangelt es im Gegensatz zu verhaltenstherapeutischen Konzepten in der Gruppe überhaupt an Studien, die die Wirksamkeit von Gruppenpsychotherapie bei Abhängigkeitserkrankungen nachweisen (Kunzke et al. 2002). Somit besteht hier ein starkes Forschungsbedürfnis. Dieses Bedürfnis ist jedoch schwer zu befriedigen, da es sich bei Gruppenpsychotherapie um ein äußerst komplexes Geschehen handelt. Erfasst man eine Dimension, muss man zwangsläufig viele andere Dimensionen ausklammern. Heute als Goldstandard in der medizinischen Forschung angesehene randomisierte Doppelblindstudien lassen sich in der Psychotherapie nicht durchführen (Revenstorf 2006). Strauß et al. (1996) benannten als Gründe für ein eindeutiges Forschungsdefizit in der Gruppenpsychotherapie neben der Komplexität auch das Fehlen geeigneter Instrumente und die Heterogenität der Gruppendurchführung. Außerdem hat Gruppenpsychotherapieforschung noch keine lange Tradition. Nach 1990 wurde die Position stationärer Gruppenpsychotherapie in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen, wie in der Psychotherapie allgemein, geschwächt. Zu beobachten war vielmehr eine Stärkung der Therapiemethoden, die eher eine Einzelbehandlung in der Gruppe darstellen. Eine Ursache liegt in der einfacheren wissenschaftlichen Beweisführung für die Wirksamkeit zum Beispiel von Verhaltenstherapie in der Gruppe. Hintergrund ist aber auch, dass stationäre Psychotherapie heute überwiegend in Rehabilitationskliniken stattfindet. Die Rehabilitation will nicht die allgemeine Gesundung des Individuums erreichen, sondern steht unter dem aus Sicht der Rentenversicherungen berechtigten Dogma der zielorientierten Wiedereingliederung vor allem ins Erwerbsleben. Es sollen Auswirkungen chronischer Erkrankungen und Behinderungen in den Dimensionen Struktur, Aktivität, Körperfunktion und Teilhabe reduziert werden. Damit sind Methoden gefragt, die möglichst kurzfristig in überschaubaren Bereichen wirken. Gruppenpsychotherapie ist jedoch ein Ansatz, der auf die Gesundung des Individuums in all seinen Lebensbereichen ausgerichtet ist. Die Anwendung von Gruppenpsychotherapie bedarf eines Krankheitsverständnisses, welches die Sucht in gewissem Sinne auch als Störung des Einzelnen in seinen emotional geprägten Beziehungen zu anderen Menschen begreift. Die psychoanalytische Krankheitstheorie sieht Sucht als Folgestörung einer primären, tieferen seelischen Erkrankung. Die gültige WHO-Nomenklatur der Krankheitsdiagnosen ICD-10 orientiert sich jedoch nicht vordergründig an den Krankheitsursachen, sondern ist eine eher phänomenologische Kategorisierung. Danach ist Sucht eine eigenständige Erkrankung. Vielleicht hat diese Herangehensweise phänomenologisch orientierte Behand-

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lungsmethoden begünstigt. Heute ist es schwieriger, plausibel zu erklären, warum ein alkoholabhängiger Mensch nur dann erwerbsfähig bleibt oder wieder wird, wenn er im Rahmen eines Entwicklungsprozesses der Gruppe selbst strukturell reift, unbewusste emotionale Konflikte bewusst werden lässt und löst, neue Beziehungsmuster mit positiven Auswirkungen ausprobieren und insgesamt in seinen Beziehungen zufriedener leben kann und dabei auch den Umgang mit seinen Symptomen verändert. Reicht es da nicht, die Symptome zu behandeln und dann wieder arbeiten zu gehen, zumal die Betroffenen oft wenig Interesse an Gruppenpsychotherapie haben und eher, wenn überhaupt, nach Behandlung suchen, die schnell geht und bequem ist? Die Verführung zu einer oberflächlichen, eindimensionalen Beantwortung der Frage ist groß. Oder wie Revenstorf (2006) sagt, es wird »positivistisches Flachland« erreicht. In dieser Entwicklung gelang es letztlich nur der analytisch-interaktionellen Gruppenpsychotherapie in der suchtmedizinischen Versorgung einen hohen Stellenwert zu behaupten.

Das Göttinger Modell mit der psychoanalytisch-interaktionellen Methode Eine umfassende Übersicht über die Wurzeln und die historische Entwicklung dieser Methode gibt Lindner (2005). Eine analytisch geprägte Gruppe um Franz Heigl und Annelise Heigl-Evers in Tiefenbrunn, Göttingen und Düsseldorf kam in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Konzepten (Bion, Argelander, Foulkes) zu einem Ansatz, nach dem der Einzelne in der Gruppe durch den Gruppenprozess therapiert werden sollte. Diese Gruppe verband in der Foulkes’schen Tradition Ansätze aus der Psychoanalyse mit solchen aus der Sozialpsychologie. In der weiteren Entwicklung differenzierte man dann drei unterschiedliche Herangehensweisen in der Gruppenpsychotherapie, die sich als Göttinger Modell etablierten. – Psychoanalytische Gruppentherapie: Die Regression der Gruppe soll so weit wie nur möglich gefördert werden, um sich entwickelnde Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse bearbeiten zu können. Die Indikation wird für Patienten auf höherem Strukturniveau gesehen. Die therapeutische Technik ist die analytische Deutung, wobei der Therapeut besonders gefordert ist durch die multifokale Aufmerksamkeit auf regressive Übertragungsprozesse des Einzelnen, von Teilgruppen oder der Gruppe gegenüber Therapeuten, der Gruppe, Teilgruppen oder einzelnen Gruppenmitgliedern.

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– Psychoanalytisch orientierte Gruppentherapie (tiefenpsychologisch

fundierte Gruppentherapie): Die Regression bleibt auf mittlerem Niveau. Interpersonell fixierte Konflikte werden durch die Patienten in der Gruppe wiederholt und können bearbeitet werden. Somit ist diese Behandlungsform vor allem für Patienten geeignet, bei denen auf Konflikte und neurotische Symptombildungen fokussiert werden kann, die als Kompromissbildungen Teil des Charakters geworden sind. – Psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie: Dieser Therapieansatz entstand aus den Erfahrungen Annelise Heigl-Evers und Franz Heigls, dass Patienten mit mäßigem oder schlecht integriertem Strukturniveau von dem analytischen Prinzip der Deutung kaum partizipieren. Dazu kam die Beobachtung destruktiver Prozesse in der Behandlung strukturgestörter Patienten innerhalb regressionsfördernder Settings. Deshalb wurde eine Gruppentherapiemethode notwendig, die es dem Patienten ermöglicht, seine Störungen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen zu erkennen und zu ändern, ohne dass seine Möglichkeiten der Selbstund Objektwahrnehmung, der affektiven Regulation, der Abwehr und der Kommunikation überfordert werden. Es war ein Behandlungsmodus notwendig, der eine Nachreifung schwererer struktureller Defizite ermöglichte (Heigl-Evers et al. 1983). Bei ihrem Ansatz der psychoanalytisch-interaktionellen Methode gehören zur Arbeit des Therapeuten Grundeinstellungen, die im Umgang mit den Patienten eingehalten werden müssen. Die Interventionen des Therapeuten folgen meist dem Prinzip »Antwort«. Die Grundeinstellungen des Therapeuten sind: Tabelle 4: Grundhaltungen des Therapeuten Grundhaltung

Inhalt

Schicksalsrespekt

Respekt vor der individuellen Lebensgeschichte und dem biographischen Schicksal des Patienten.

emotionale Akzeptanz Toleranz der Andersartigkeit des Patienten in Erscheinung und Verhalten. Authentizität

Rückmeldungen und Interventionen werden entsprechend den eigenen Einstellungen und Haltungen gegeben. Therapeutische Ich-Spaltung im Dienste der Therapie möglich.

wache Präsenz

Aufmerksamkeit für alle Ausdrucksformen der Patienten. Kommunikation erfolgt bei strukturgestörten Patienten selten auf dem verbalen, häufig auf dem Handlungsniveau.

Der Therapeut nimmt in der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie eine aktive Rolle ein. Er übernimmt Hilfs-Ich-Funktionen, fördert konstruktive Normen in der Gruppe und konzentriert sich in seinen Interven-

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tionen auf Antworten. Vereinfacht ist damit gemeint, dass der Therapeut seine Fähigkeiten zur Wahrnehmung und Kommunikation dem Patienten beziehungsweise der Gruppe zur Verfügung stellt, damit der Patient an Hand der Rückmeldungen, die er vom Therapeuten bekommt, sich und andere in Gefühlen und Beziehungsverhalten verstehen lernen kann. Dadurch wird es dem Patienten ermöglicht, alternative interaktionelle Verhaltensmuster mit Hilfe des Therapeuten und der Gruppe zu finden. Eine schematische Darstellung der Entwicklung einer Antwort in der psychoanalytisch-interaktionellen Methode gibt Dieckmann (Abb. 2). Die Göttinger Gruppe setzte wichtige Impulse für die Anwendung der psychoanalytisch-interaktionellen Methode in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen (Heigl-Evers et al. 1983). Man sah eine besondere Eignung der Methode, da im Krankheitsverständnis bezüglich Sucht von einer frühen Strukturstörung ausgegangen wurde. Ich- und Über-Ich-Defekte, narzisstische Selbstpathologien oder die Dominanz von Teilobjektbeziehungen führen dazu, dass die Patienten in regressionsfördernden Situationen weiter labilisiert werden. Unter der Annahme mangelhaften verbalen Symbolisierungsvermögens beschrieb man die klinische Erfahrung, dass viele Suchtpatienten auf der interpersonellen Ebene ihre Beziehungspartner als Teilobjekte instrumentalisieren. Diese Patienten sind für Deutungen nicht erreichbar. Kritisch anzumerken ist, dass mit der Etablierung der psychoanalytischinteraktionellen Methode in der Behandlung von Abhängigkeitskrankheiten teilweise eine Haltung verbreitet wurde, alle Suchtpatienten hätten strukturelle Defizite, mit denen sie ausschließlich mit der interaktionellen Methode behandelt werden könnten. Das wird dem vielgestaltigen individuellen Erscheinungsbild von Komorbidität und Ursachen der Sucht nicht gerecht. Auch Strukturdefizite sind sehr unterschiedlich. Manchmal ist der Einfluss labiler Struktur auf das Verhalten situationsabhängig. Es ist zu überlegen, ob Gegenübertragungsphänomene manchmal dazu führen, Suchtpatienten pauschal als defekt und »anders als wir selbst« zu erleben. Eine Überpathologisierung der Patienten im Rahmen von Gegenübertragungswiderständen verhindert manchmal die Annahme von Suchtpatienten inklusive ihrer gesunden Anteile und Ressourcen. Trotz aller Kritik muss jedoch betont werden, dass bei sehr vielen Patienten die Methode indiziert und sehr effektiv ist. Selbst zu schwierigsten Patienten lassen sich psychoanalytisch-interaktionell tragfähige therapeutische Beziehungen aufbauen und Strukturdimensionen verbessern. Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode ist streng genommen keine reine Gruppentherapiemethode, die die Behandlung des Einzelnen in

Kausalität, Genese, Theorie

Übertragung

Reinszenierung

Analyse

Wahrnehmung

Gegenübertragungsanalyse

Abbildung 2: Das Prinzip »Antwort« nach Dieckmann (2003)

TherapeutPatientInteraktion

Szene verstehendes Denken

Verständnis

Klassifizierung, Konfrontation, Fragen

Problembenennung

– authentisch – selektiv – expressiv

Hilfs-IchFunktion

»Antwort«

Reifung

Alternative auf strukturellem Niveau des Patienten

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der Gruppe durch den Gruppenprozess erwartet. Sie wird vielmehr auch in der Einzeltherapie und in Beratungs- oder Flurgesprächen angewendet.

Die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie Im Vergleich zum Göttinger Modell soll an dieser Stelle kurz eine Gruppentherapiemethode dargestellt werden, die in der Suchttherapie in Ostdeutschland bis in die 1990er Jahre erfolgreich eingesetzt wurde. Dabei sind Berührungspunkte in der Entwicklung des Göttinger Modells in Westdeutschland mit der Entwicklung der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie in der DDR besonders interessant. So gab es über viele Jahre wissenschaftlichen Austausch. Nicht zuletzt wurde Jürgen Ott (Höck et al. 1982), ein Mitbegründer der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie in Berlin, nach seiner Übersiedlung in die BRD 1985 zu einem wichtigen Lehrer und wissenschaftlichen Motor der psychoanalytisch-interaktionellen Methode. Was Göttingen und Düsseldorf für die psychoanalytisch-interaktionelle Methode darstellte, war das Haus der Gesundheit in Berlin für die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie. Kurt Höck und Helga Hess waren Mittelpunkt einer Gruppe von Psychotherapeuten, die sich theoretisch ebenfalls auf Bion und Foulkes bezogen. Eine große Rolle spielten auch neopsychoanalytische Ansätze Schultz-Henckes, der der Lehrer Kurt Höcks war (Sommer 1997). Mit dem Begriff »intendieren« (beabsichtigen, neigen zu, erstreben; lateinisch: intendere: seine Aufmerksamkeit auf etwas richten; Wahrig 2000) wurde beschrieben, dass der Therapeut Einfluss auf den Gruppenprozess nimmt. Es ist damit nicht gemeint, dass der Therapeut die Gruppe zu bestimmten Handlungs-, Interaktions- oder Prozessmustern manipuliert. Vielmehr ist der Tatsache Rechnung getragen, dass der Therapeut stets Einfluss auf die Gruppe ausübt. »Alles, was der Gruppenleiter tut oder nicht tut, zeigt Wirkung, intendiert etwas, ob der Gruppenleiter schweigt, antwortet, deutet, ob er die Gruppe als Ganzes anspricht oder ein Gruppenmitglied, ob er beispielsweise Gruppenmitglieder mit ›Sie‹ oder mit ›Du‹ anspricht. Für eine Illusion der Tendenzlosigkeit oder eines machtfreien Raumes bleibt dabei kein Platz« (Seidler 2006, S. 48). Dynamisch bezeichnet einen Oberbegriff, mit dem alle Therapieverfahren zusammengefasst werden sollten, die mit Interpretationen, Reflexionen und Konfrontationen einhergingen, zum Beispiel die Gruppenanalyse, die psychoanalytische Gruppenpsychotherapie, Balint-Gruppen und ande-

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re mehr. Mehr als andere Gruppenansätze orientiert sich die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie an Phasen im Gruppenprozess. Welche beschrieben wurden und wie damit umgegangen wurde, lässt sich aus einer Handlungsorientierung für den Therapeuten sehen, welche Höck (1985, auch dargestellt bei Seidler 2006, S. 52) veröffentlichte. Im Wesentlichen wird ein prägruppales Stadium von einem gruppalen unterschieden. Zur prägruppalen Phase zählen Anwärmphase, Regressionsphase und Aktivierungsphase, zu den gruppalen Phasen die Arbeits- und Abschlussphase. Eine überragende Bedeutung für Gruppenverlauf und Wirkung wird einem Kippprozess beigemessen, der den Übergang zwischen prägruppalem und gruppalem Stadium bildet. Der Therapeut erfüllt Abhängigkeitswünsche und andere aus der Regression der Gruppe entstandene Bedürfnisse nicht, weshalb die Gruppe in einen kreativen emotionalen Aufruhr gerät und den Therapeuten aus seiner Position als allgegenwärtige Autorität in eine Position eines realen Gruppenmitglieds kippt. Gleichzeitig kippt die Stimmung der Gruppe aus einer gereizt-unzufriedenen Färbung in eine warmherzige Atmosphäre der Akzeptanz, Offenheit und Nähe. Ich selbst habe sieben Jahre geschlossene Gruppen stationär behandelt und war immer wieder über die sehr emotionale Wandlung des Klimas aus einer aggressiven Gereiztheit in liebevolle Nähe bei ehrlich-offenem Klima in Erstaunen versetzt. Einige konzeptionelle Aspekte geben der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie ebenfalls eine besondere Prägung: – möglichst behandelt ein Therapeutenpaar (Mann und Frau) die Gruppe, – Gruppengespräche werden immer mit nonverbalen Therapieformen kombiniert, wobei die Kommunikative Bewegungstherapie eine besondere Rolle spielt, – die Behandlung erfolgt im geschlossenen Setting. Die Kommunikative Bewegungstherapie ist ebenfalls ein DDR-Spezifikum, dient der Förderung emotionaler Prozesse und bietet zum Teil die Möglichkeit des Ausdrucks auf präverbaler Ebene. Einen Überblick über die Kommunikative Bewegungstherapie kann man bei Küster (2006) nachlesen. Die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie war in Ostdeutschland teilweise weit bis in die 1990er Jahre eine tragende Säule der Psychotherapie. Deshalb nimmt es nicht Wunder, dass diese Methode in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen in nennenswertem Ausmaß angewendet wurde. So empfiehlt von Keyserlingk (1989) die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie als Methode der Wahl zur Entwöhnungsbehandlung Alkoholabhängiger.

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Ideal war in dieser Zeit die gemeinsame Existenz von Entgiftung und Entwöhnung unter einem Dach. Schon während der Motivationsbehandlung auf den Entgiftungsstationen konnten Gruppen zusammengestellt und psychotherapeutisches Verständnis für die weitere Therapie geschaffen werden. Mit Beginn der Entwöhnungsbehandlung kannten sich einige Patienten, Mitarbeiter und Klinik waren ihnen einigermaßen vertraut. Diese Situation schaffte gerade bei den labil strukturierten Patienten eine besonders zu Anfang wichtige Sicherheit. Die klinische Erfahrung mit dieser Therapieform zeigte eine positive Bilanz, auch wenn nicht viele Katamnesedaten erhoben wurden. Die vereinzelten Untersuchungen konnten sich jedoch sehen lassen (Flachsmeyer 1996). Beachtet werden muss bei einer Bewertung der früheren Anwendung der intendierten dynamischen Methode jedoch, dass in der Rekrutierung für die Gruppen im Vergleich zu heute eine Positivauslese betrieben wurde. Man konnte es sich leisten, eher auf neurotischem Strukturniveau organisierte Patienten mit höherer intrinsischer Motivation zu entwöhnen. Patienten mit schwereren Strukturstörungen waren damals in der Entwöhnung weniger zu finden als heute. Für diese Patienten ist die sehr emotionale Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie nur in modifizierter Form geeignet.

Besonderheiten von Gruppen mit Abhängigkeitskranken Zweifellos lassen sich bei vielen Patienten strukturelle Defizite nachweisen. Ebenso gehen Abhängigkeitserkrankungen häufig mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen einher. Besonders emotional-instabile, dissoziale und abhängige Persönlichkeitsstörungen treten überdurchschnittlich häufig auf (Driessen et al. 1998, Vogelgesang 1999). Dennoch muss angezweifelt werden, ob bei Suchtpatienten generell von entwicklungsbedingten strukturellen Defiziten gesprochen werden kann. Nach wie vor lassen sich keine einheitlichen der Sucht zugrunde liegenden Störungen nachweisen. Empirische Versuche dazu sind gescheitert. Deshalb wird es kaum möglich sein, ein einheitliches psychoanalytisches Konzept zur Behandlung zu verfassen (Kunzke u. Burtscheidt 2002). Es gibt bei Abhängigkeitserkrankungen drei für die Gruppenpsychotherapie relevante Faktoren, die bei dieser Patientengruppe zu berücksichtigen sind: – die häufig auftretenden komorbiden Persönlichkeitsstörungen und Strukturdefizite,

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– die durch chronische toxische Wirkung entstandenen Strukturstörun-

gen und – die Spezifität der Symptomatik. Welcher Faktor davon vorherrscht, lässt sich gelegentlich im Einzelfall nicht genau zuordnen, deshalb sollen Beispiele genannt werden, ohne diese in jedem Fall zu werten. Während von anderen stationären Psychotherapiepatienten manchmal verlangt wird, vor Therapieantritt ihre sozialen Probleme zu regulieren, damit man sich voll auf die Therapie konzentrieren könne, ist ein solches Ansinnen an Suchtpatienten nicht zu stellen. Arbeitslosigkeit, Führerscheinverlust, Schulden oder drohende Gerichtsverfahren befinden sich im Gepäck der meisten Patienten. Für den Aufbau einer therapeutischen Beziehung und deren Erhalt ist die Unterstützung des Patienten bei der Klärung dieser Probleme bedeutungsvoll. Eine riskante Verführung ist in der in dieser Konstellation häufig entstehenden Übertragung des versorgenden und beschützenden Objekts auf das Behandlungsteam zu sehen. Therapeuten mit ihren häufig zu findenden Helferstrukturen sind in der Gegenübertragung in Versuchung, diese Rolle anzunehmen und verdeckt entwertend zu agieren: »Du kannst deine Probleme nicht lösen, das kann nur ich.« Deshalb ist darauf zu achten, dass der Patient stets so viel Eigenverantwortung und Initiative übernimmt wie nur möglich. Anfangsphasen einer Gruppenbehandlung sind oft durch die sehr schnelle scheinbare Verbündung der Patienten geprägt. Da meist homogene Alkoholikergruppen behandelt werden, finden die Patienten über die Symptomatik eine gemeinsame Basis. Parallelen in den individuellen Erfahrungen mit der Sucht dienen der Anfangskohäsion. Wobei diese nicht als tragfähiger Beziehungsaufbau zu werten ist. Oder wie Rost (2001, S. 205) auch schreibt, »kann dabei von einer Gruppenstruktur im herkömmlichen Sinne nicht gesprochen werden, das heißt Strukturen, Rollen, Themen verschwinden unter einem diffusen Gemeinsamkeitsgefühl«. Die häufigen Strukturdefizite von Abhängigen führen dazu, dass die Gruppen zu Partialobjektbeziehungen neigen. Der Therapeut wird als gutes Teilobjekt idealisiert oder als böses Teilobjekt entwertet. Die Idealisierungen, die durch den Therapeuten meist besser ertragen werden, verführen zu unkritischer Haltung. In der Anfangsphase können diese Idealisierungen für den Aufbau einer therapeutischen Beziehung nützlich sein, im weiteren Verlauf gehört es zu den Behandlungszielen, die Objektwahrnehmung der Gruppe realistischer zu gestalten. Für den Therapeuten oft schwieriger auszuhalten sind die negativen Übertragungen und Teilobjekt-

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beziehungen der Gruppe. Der Therapeut muss teilweise herbe, manchmal auch sehr versteckte Entwertungen aushalten können. Auch innerhalb der Gruppe werden Teilobjekte gebildet. So muss stets darauf geachtet werden, dass die Gruppe nicht einzelne Patienten in die Omegaposition (Schindler 1957) drängt und so böse Teilobjekte abspaltet. Nicht selten werden diejenigen Patienten in der Gruppe zum Sündenbock erklärt, die in ihrer Abstinenzmotivation am meisten schwanken. Hier muss der Therapeut grundsätzlich eingreifen. Eine weitere Besonderheit von Gruppen mit Abhängigen ist die heftiger als in anderen Gruppen zu beobachtende Verbündung gegen »Außenfeinde«. Im Sinne der Kampf-Flucht-These von Bion (1971) ist der Aggressor die böse Außenwelt, gegen die man sich kämpferisch verbündet. Dazu gehören Arbeitsämter, in denen man schlecht behandelt wurde, Ärzte, die wenig Verständnis für die Suchtprobleme hatten, Nachbarn mit Vorurteilen gegen Suchtkranke oder Politik und Gesellschaft allgemein. So viel Wahres oft auch daran ist, dient jedoch diese Externalisierung zum einen der Abwehr von Angst oder von Schuld- und Schamgefühlen durch Projektion. Zum anderen lassen sich solche Vorgänge oft auch als Widerstand gegen die Klärung gruppeninterner Konflikte werten. So sollte der Therapeut immer wieder prüfen, ob nicht eigentlich auf der Hier-und-JetztEbene oder aber der Übertragungsebene Botschaften an ihn selbst gerichtet sind. Letzteres gilt besonders dann, wenn er in den Botschaften der Gruppe als Bestandteil der bösen Außenwelt angesprochen wird. Rigidität ist ebenfalls ein Merkmal von Gruppen mit Suchtpatienten. Suchtgruppen reagieren fast regelhaft verstört, wenn sie nicht ihre gewohnte Sitzordnung finden. Auch die Vorstellung neuer Patienten oder die Verabschiedung von Gruppenmitgliedern zum Ende der Therapie wird durch Gruppen mit Abhängigkeitskranken gern streng ritualisiert. Auf der einen Seite sind solche Ordnungsprinzipien und Rituale sicherlich Ausdruck der Kompensation von Strukturschwäche der Gruppe. Rigide Organisation verhindert psychotische Fragmentierung. Auf der anderen Seite ist gerade der ritualisierte Umgang mit Abschied ein gutes Beispiel für die Affektabwehr von Suchtgruppen. Abschied und Tod sind zentrale Themen der Sucht. Die Lebensgeschichte vieler abhängiger Patienten ist durch Verlusterlebnisse geprägt. Somit sind gerade die Abschiedsphasen in Suchtgruppen mit der möglichen Reaktualisierung von Affekten wie Trauer, Enttäuschung, Wut oder Todesangst verbunden. Außerdem ist der Aufbau einer Abstinenz per se ein Abschiedsthema, nämlich der Abschied vom Suchtmittel. Der Patient trennt sich von einer ganzen Reihe für ihn positiver Wirkungen und Folgen der Sucht. Des

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Weiteren bedeutet die Trennung von der Gruppe in der Regel auch Trennung von der Sicherheit gebenden Institution, den Therapeuten und den anderen Gruppenmitgliedern. Gefühle von Angst und Verunsicherung bezüglich des Lebens nach der Gruppe, wenn die Gruppe samt Therapeuten mit ihren guten und nährenden Objektanteilen sowie den stützenden Hilfs-Ich-Funktionen nicht mehr da ist, Alltagsprobleme und Abstinenz allein bewältigt werden müssen, treten gesetzmäßig in unterschiedlichem Ausmaß auf und müssen thematisiert und bearbeitet werden. Zwar ist Abschied ein wesentlicher störungsunabhängiger Teil jeder Gruppenbehandlung, jedoch gewinnt bei Suchtpatienten die Bedeutung der Abschiedsphase in der Gruppenbehandlung zusätzlich eine andere Quantität und Qualität. Weiteres Differenzierungsmerkmal im Vergleich mit Patientengruppen anderer Störungsbilder ist in der Gruppenpsychotherapie die stetige Präsenz der Sucht. Sieht man von Essstörungen und pathologischem Glücksspiel ab, die viele Gemeinsamkeiten mit stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen zeigen, gibt es kaum Störungen, bei denen die Symptomatik in den Gruppenstunden derart Thema ist und auch Thema sein muss. Das beginnt schon damit, dass die Patienten Geruch nach Zigarettenqualm mit in die Gruppenstunde bringen, bei manchem die Zigarettenschachtel neben dem Stuhl liegt und einige Gruppenmitglieder am Ende der Gruppenstunde unruhig werden, weil sie nur darauf warten, endlich in die Raucherecke zu kommen. Auch die notwendigen Kontrollen, wie Atemalkoholtests oder Drogenscreening beeinflussen den Ablauf der Gruppengespräche. Ist es in der Gruppenpsychotherapie bei anderen Störungen wichtig, so schnell wie möglich weg von der Symptomebene hin zur Beziehungs- oder Übertragungsebene zu kommen, müssen suchtassoziierte Themen immer Bestandteil der Gruppenpsychotherapie Abhängigkeitskranker sein. Im anderen Fall muss die Frage nach einem Kunstfehler gestellt werden. Im Vordergrund der suchtassoziierten Themen stehen aus meiner Sicht zwei Fokusse: Ambivalenz und Rückfallgefahr. Ambivalenz ist untrennbar mit der Abhängigkeitserkrankung verbunden. So ist jede Gruppe von Abhängigkeitskranken ambivalent gegenüber der Abstinenz, den therapeutisch konstruktiven Miteinander und der Veränderungsbereitschaft in den unterschiedlichen Lebensbereichen. Dass die Gruppe sich damit auseinandersetzt, ist Bestandteil der Therapie. Die Mehrzahl der Patienten in der stationären Entwöhnung ist vordergründig nicht intrinsisch zur Therapie motiviert. Partner, Arbeitgeber, Gerichte oder Ämter drängen die Patienten mehr oder weniger in die Behandlung. Relativ wenige Patienten fassen aufgrund psychosomatischer oder sozialer

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Folgen der Sucht selbst den Entschluss zur Abstinenz beziehungsweise Therapie. Somit ist für den Erfolg einer Gruppenpsychotherapie Voraussetzung, diese Ambivalenz zu verstehen, bewusster zu machen und sich Strategien für schwankende Motivation zu erarbeiten. Kunzke und Burtscheidt (2002, S. 240) halten es in der Gruppenpsychotherapie für besonders hilfreich, im Sinne der Motivationsförderung immer wieder auf die Alltagsrealität zu fokussieren. Für den Therapeuten ist es auch wichtig, auf das Phänomen der Spaltung der Ambivalenz mit Verteilung der beiden Anteile auf Gruppenmitglieder im Sinne der Polarisierung nach Foulkes (1992) zu achten. Es lassen sich auch Bestandteile der Motivierenden Gesprächsführung nach Miller und Rollnick (1999), deren Verdienst die Systematisierung des Umgangs mit Ambivalenz vor allem im Beziehungsaufbau ist, auf das therapeutische Vorgehen in der Gruppenpsychotherapie übertragen, auch wenn das Konzept primär für den Erstkontakt in Beratungsstellen geeignet ist. Rückfallprophylaxe ist ebenfalls eine Besonderheit der Gruppenpsychotherapie mit Abhängigkeitskranken. Die beste Rückfallprophylaxe ist nach wie vor eine erfolgreiche Entwicklung der Gruppe mit Verbesserung gestörter Strukturanteile und Aufarbeitung der Sucht zugrunde liegender Konflikte und Beziehungsmuster. Aber es gehören zur Rückfallprophylaxe unbedingt auch Therapieanteile, in denen emotionale und kognitive Prozesse bezüglich des Entstehens und Ablaufs von Rückfällen direkt am Symptom aufgearbeitet werden. Verhaltenstherapeutische Behandlungselemente mit Erarbeitung von kognitiven Strategien sind nachgewiesenermaßen wirksam (von Keyserlingk u. Sander 2002). Von Vorteil für die Therapie ist das Aufgreifen von Rückfällen und Trinkdruck, welche während der Behandlung von Gruppen mit Abhängigkeitskranken stets auftreten. In der Entwöhnungsbehandlung gibt es keine Gruppen ohne Rückfälle oder Trinkdruck. Für den Behandlungserfolg ist die Gruppennorm wichtig, mit diesen Trinkwünschen und Rückfällen offen umzugehen, zumal in der Regel Scham und Schuldgefühle vorhanden sind.

Institutionelle und gesellschaftliche Einflussfaktoren auf die Gruppenpsychotherapie Die ideale Gruppe ist eine geschlossene Gruppe. Selbst kritische Autoren (Mattke u. Schreiber-Willnow 2002) ermittelten bei ihren Untersuchungen, dass in geschlossenen Gruppen zwar nicht mehr als in halboffenen Gruppen, aber in kürzerer Zeit das Gleiche erreicht werden kann. Im The-

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rapiealltag sind geschlossene Gruppen jedoch kaum mehr möglich. Die störungsspezifisch real schlechten Therapieantritts- und Abbruchquoten bedeuten, dass Behandlungsplätze leer stehen, wenn im Verlauf einer geschlossenen Gruppe ein Patient irregulär die Therapie beendet. Kliniken mit Belegungsdruck von 100 % und mehr können sich das nicht erlauben. Deshalb und wegen des Organisationsaufwands werden die Gruppen heute fast ausschließlich halboffen behandelt. Dadurch lassen sich im Gruppenprozess keine klaren Phasen ausmachen. Am ehesten lässt sich der Gruppenprozess als Dauerarbeitsphase mit intermittierenden Prozessthemen beschreiben. Die Gruppe arbeitet kontinuierlich an individuellen Problemen, muss gleichzeitig immer wieder neue Gruppenmitglieder integrieren oder den Abschied von abreisenden Mitgliedern bearbeiten. Es tauchen Auseinandersetzungs- und Aktivierungsprozesse auf, oder die Gruppe stellt die Autorität des Gruppenleiters in Frage, um dann wieder in engere Kohäsion zu gehen. Die Phasen sind in unterschiedlicher Anordnung, überlappen sich und sind oft nicht klar voneinander abzugrenzen. Die ideale Gruppe wird im ko-therapeutischen Prinzip geführt, also von einem Therapeutenpaar. Nicht nur, dass auf ein Therapeutenpaar bessere Elternübertragungen gelingen und somit sowohl mütterliche als auch väterliche Anteile in der Therapie Einfluss nehmen. Manchmal ist es einfach auch besser, wenn zwei verschiedene Persönlichkeiten die Gruppe im Blick haben. Auch Therapeuten haben individuelle Wahrnehmungen und Handlungsmöglichkeiten, also auch blinde Flecken und Reaktionsschwächen. Günstig ist oft eine Aufteilung der Aktivität. Interveniert der eine Gruppentherapeut, kann der andere sich mehr zurücknehmen und besitzt dann eine schärfere Wahrnehmung für die komplexen Gruppenprozesse. Das hat sich besonders in Gruppen mit Suchtpatienten bewährt, die ein hohes Maß an Strukturstörung, Komorbidität und Traumatisierungen mit in die Gruppe bringen. Leider ist kaum noch eine Institution in der Lage, Gruppentherapiestunden mit zwei Kollegen zu besetzen. Ökonomieassoziierte Aspekte beeinflussen die Gruppengröße. So sind Stellenschlüssel in der ambulanten und stationären Suchttherapie so berechnet, dass ein Therapeut 12 bis 14 Patienten betreut. Dem entsprechend beträgt die Gruppenstärke 12 bis 14 Patienten. Das funktioniert. Gerade bei den strukturschwachen und häufig unter komorbiden Störungen leidenden Patienten wären jedoch kleinere Gruppen von 10 Patienten wünschenswert. Üblicherweise übernehmen junge Therapeuten bei Ersteinstellung in einer Therapieeinrichtung gleich eine Gruppe in ihre Obhut. Es gibt kaum noch die Situation, dass erfahrene Kollegen die jüngeren direkt in der

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Gruppe im Ko-Prinzip einarbeiten. Es braucht Zeit, bis die jüngeren Kollegen im Supervisionsprinzip und durch die tägliche Arbeit ausreichend Erfahrung und Wissen gesammelt haben, um kompetent Gruppen führen zu können. Nicht selten verlassen dann aber die nun ausgebildeten Kollegen die Klinik oder Ambulanz, um sich niederzulassen oder an anderen Kliniken neue Ausbildungsinhalte zu lernen. Die Stellen werden wieder mit unerfahrenen jungen Kollegen besetzt. Gruppenleiter in Kliniken sind also häufiger Anfänger. Umso mehr, als es immer weniger Ausbildung in Gruppenpsychotherapie gibt. Die Selbsterfahrung und Ausbildung betrachtet schwerpunktmäßig Einzeltherapie. Erst durch die bessere Vergütung der Gruppenpsychotherapie durch die GKV und die damit verbundene Forderung nach adäquater Gruppenpsychotherapieausbildung hat das Interesse nach Gruppenselbsterfahrung und Ausbildung wieder etwas steigen lassen. Im aktuellen Zeitalter der evidenzbasierten Medizin stehen Psychotherapiemethoden unter einem hohen Druck, Effizienz und Wirksamkeit mit wissenschaftlichen Methoden nachzuweisen. Gerade die Gruppenpsychotherapie hat es hier sehr schwer, da sich die komplexen Prozesse kaum objektivieren lassen. So gibt es sowohl im deutschsprachigen Raum als auch in der angloamerikanischen Literatur keine wirklich befriedigenden Studien, die die Wirkung komplexer, realitätsnaher Psychotherapie mit Suchtpatienten erfassen, wie auch Lindenmeyer (2006) darstellte. Gesellschaftlich kulturelle Entwicklungen beeinflussen die Gruppenpsychotherapie. Gab es bis Ende der 1980er Jahre eine Gruppenbewegung innerhalb der Psychotherapie, hat das Interesse bei Therapeuten, aber auch bei Patienten stark nachgelassen. Die Ursachen sind vielgestaltig und zum Beispiel bei Richter (2002) beschrieben. Fiedler (2005, S. 8) unterscheidet bei Psychotherapiegruppen grob zwei völlig unterschiedliche Grundansätze: – die konflikt-, beziehungs- und interaktionsorientierten Psychotherapiegruppen und – die störungs-, methoden- und einzelfallorientierten Psychotherapiegruppen. Zu hoffen ist auf eine Renaissance der Gruppenpsychotherapie der ersten Kategorie, welche gleichzeitig in der Lage ist, störungsbezogene und individuelle Aspekte zu berücksichtigen.

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Plädoyer für die Gruppe Eine wichtige Aufgabe der Gruppenpsychotherapie für die Zukunft ist die Zusammenführung bewährter Wirkmechanismen der Gruppe mit suchtspezifischen Therapiebausteinen. So gehören heute Interventionsarten aus der Motivierenden Gesprächsführung (Miller u. Rollnick 1999), psychoedukative Behandlungsbausteine oder verhaltenstherapeutische Ansätze der Rückfallprophylaxe zur Grundausstattung der Suchttherapie. Somit ist nicht eine schulenfreie Psychotherapie, sondern eine integrative Suchttherapie mit Einbindung unterschiedlicher Ansätze auch für die Gruppenpsychotherapie der richtige Weg. In diesem Sinne wurde 2004 in der Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen in Rostock ein Konzept einer Gruppenpsychotherapie erarbeitet und in Absprache mit dem federführenden Leistungsträger LVA Mecklenburg-Vorpommern implementiert. Es handelt sich um eine geschlossene Gruppenpsychotherapie über 12 Wochen (vgl. Abb. 3). Beendet ein Patient die Therapie vorzeitig, konnte der Behandlungsplatz bis zur Aufnahme einer neuen Gruppe frei bleiben. Sehr gute Erfahrungen wurden mit dem Gruppensetting, dem Gruppenprozess und der thematischen Gliederung des Gruppenverlaufs gesammelt. Entsprechend dem Schema (Abb. 3) wurden Themen durch die Therapeuten gefördert und gleichzeitig die Entfaltung der Gruppe ermöglicht. Schwierig war die Zusammenstellung der Gruppen. Neben den allgemei-

Abbildung 3: Geschlossene integrative Gruppenpsychotherapie

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nen Kriterien für die Indikation zur Entwöhnungsbehandlung wurde darauf geachtet, dass die Gruppe in den Persönlichkeitsstilen möglichst inhomogen ist, die Mehrheit der Gruppenmitglieder nicht auf desintegriertem Strukturniveau organisiert ist und die Ambivalenzwaage in der Abstinenzmotivation sich eher im motivierten Bereich befindet. Hier gelang nicht immer eine ausreichende Diagnostik vor Therapiebeginn, auch wenn stets ein ambulantes Vorgespräch stattfand. Wichtig war hier die Zusammenarbeit mit den zuweisenden Suchtberatungsstellen. Das Besondere dieses Konzepts ist neben dem geschlossenen Setting die klare Gliederung des Gruppenprozesses mit Integration psychoedukativer, verhaltenstherapeutischer und interaktioneller Ansätze in ein tiefenpsychologisches Gruppenkonzept. Großer Wert wurde auf Flexibilität in der Haltung der Therapeuten (Rudolf 2004) gegenüber der Gruppe und dem Patienten gelegt. Eine vergleichende katamnestische Untersuchung über die Effektivität der geschlossenen Gruppe in Relation zu den übrigen halboffenen Gruppen der Klinik ist bisher nicht erfolgt, wäre aber sicherlich lohnenswert. Meines Erachtens ist die Gruppenpsychotherapie ein wertvoller Teil einer schulenübergreifenden und ideologiefreien Psychotherapie, die ein breites Repertoire an Methoden und Werkzeugen bietet, welche entsprechend den Störungen und Bedürfnissen der Patienten, den Zielstellungen der Kostenträger, aber auch entsprechend den Voraussetzungen der Therapeuten und Behandlungsinstitutionen eingesetzt werden können.3 Ungeachtet dessen sind für die Weiterbildung zum Gruppenpsychotherapeuten Methoden zu bevorzugen, die konflikt-, beziehungs- und interaktionsorientiert sind. Therapeuten aller Schulen und Richtungen sollten zum Beispiel Gruppenprozesse oder Rollen der Gruppenmitglieder einordnen können. Das geht nur über eine ausreichend fundierte Gruppenselbsterfahrung, die somit Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung der Gruppenpsychotherapie ist.

3 In der Klinik Schweriner See in Lübstorf, in die ich 2006 gewechselt bin, erfolgt die Entwöhnungsbehandlung in halboffenen Gruppen nach einem integrativen Psychotherapiekonzept mit verhaltensmedizinischem Schwerpunkt. Geplant sind hier Untersuchungen zum Einfluss von Wirkfaktoren der Gruppentherapie auf die Prozess- und Ergebnisqualität kognitiv-verhaltenstherapeutischer Behandlungen in der Gruppe. Vielleicht tragen diese Untersuchungen zu einer weiteren sinnvollen Synthese unterschiedlicher Therapierichtungen bei.

KarlKönig:Großgruppen undRegression

Karl König

Großgruppen und Regression

Abstract Besonders bei Großgruppen ist ein steuernder Umgang mit Regression wichtig. Großgruppen sind Auslöser für frühe Mutterübertragungen, die mit Regression einhergehen. Weist der Gruppenleiter auf das Gemeinsame der Gruppenmitglieder hin und spricht er von der Gruppe wie von einer Wesenheit, fördert er Wirkung der Gruppe als Auslöser für solche Mutterübertragungen. Spricht er Rollenunterschiede und die Unterschiede im Erleben und Verhalten der Gruppenmitglieder an, wirkt er der Wahrnehmung der Gruppe als Gesamtheit entgegen. Der Gebrauch von Metaphern kann es den Gruppenmitgliedern erleichtern, mit dennoch stattfindender Regression umzugehen.

In Großgruppen treten Phänomene besonders deutlich auf, die auch in Kleingruppen und in Einzeltherapien vorkommen: Regression und Übertragung. Regression ist Rückwärtsbewegung. Erlebens- und Verhaltensweisen aus der früheren Entwicklungsgeschichte eines Menschen treten wieder in den Vordergrund. Ein Erwachsener im Zustand der Regression erlebt nicht genauso wie ein Kind und verhält sich nicht genauso, aber kindliche und erwachsene Erlebens- und Verhaltensweisen mischen sich bei ihm mit einem höheren Anteil kindlicher Erlebens- und Verhaltensweisen als vorher. Regressive Phänomene treten in Großgruppen besonders deutlich auf, wenn sie einen Leiter haben, der wenig Struktur in die Gruppe einbringt, der also wenig eingreift und wenig oder keine Informationen darüber gibt, wie sich die Gruppenmitglieder verhalten sollen. Solche Gruppen finden zum Zweck der Selbsterfahrung von Therapeuten statt, die Regression kennen lernen möchten. Zum Beispiel können zu Beginn einer solchen Großgruppe nur die Uhrzeiten des Anfangs und des Endes der Gruppe bekannt sein, sonst nichts. Ich habe im Rahmen von mehreren Workshops der Londoner gruppenanalytischen Gesellschaft an Großgruppen teilgenommen, bei denen zu Beginn nicht bekannt gemacht wurde, wer von den Anwesenden der Gruppenleiter war.

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Während in den ersten Workshops kaum einer der Teilnehmer damit vertraut war, wie man sich in einer Großgruppe verhalten könnte, gab es in den folgenden Jahren immer mehr Teilnehmer, die schon an Großgruppen teilgenommen und einen Verhaltensstil in herausgebildet hatten, der den besonderen Verhältnissen in einer Großgruppe Rechnung trug. Diese Teilnehmer gaben der Großgruppe eine gewisse zusätzliche Struktur. Die regressiven Phänomene, die man zu Anfang erleben und beobachten konnte, nahmen umso mehr ab, je mehr Struktur die Gruppe hatte. Großgruppen gibt es nicht nur in Workshops und in manchen Kliniken, sondern auch im Alltagsleben. So kann man Großgruppenphänomene bei den Zuschauern in einem Fußballstadium beobachten. In einer Gruppe, die sich in einem Raum versammelt, kann man nie alle Teilnehmer gleichzeitig sehen, kann aber einander hören, etwa wenn die Zuschauer ihre Mannschaft anfeuern oder »Schiri raus!« rufen. Das Sehen spielt aber auch eine Rolle, zum Beispiel wenn die Zuschauer im Fußballstadion aufstehen und sich wieder hinsetzen in einer wellenförmigen Bewegung, die durch das ganze Stadion läuft. Die Zuschauer sehen, dass die Welle auf sie zukommt und erheben sich im passenden Augenblick. Im Folgenden will ich mich damit beschäftigen, wie Regression in Gruppen zustande kommt. Wichtig erscheint mir aber auch die Abgrenzung regressiver Phänomene von Entwicklungsstillständen, wie man sie bei Patienten im Suchtbereich häufig beobachten kann. Regression und Entwicklungsstillstand sind zunächst schwer voneinander zu unterscheiden. Entwicklungsstillstände finden sich bei Patienten mit so genannten Frühstörungen oder strukturellen Störungen; also Störungen, die damit zusammenhängen, dass Funktionen des Ich, des Über-Ich und des Ich-Ideals unterentwickelt sind; was das Ich betrifft etwa die Fähigkeit, innere Phantasien von äußerer Realität zu unterscheiden; die Fähigkeit, differenzierte Gefühle und Stimmungen zu empfinden, die Fähigkeit auszuwählen, welchen Gefühlen und Stimmungen man handelnd folgen soll oder nicht, wozu gehört, dass man ungefähr einschätzen kann, welche Konsequenzen ein bestimmtes Handeln haben dürfte; die Fähigkeit, starke Gefühle zu ertragen, ohne so zu handeln, wie das Gefühl einen drängt, sich zu verhalten, obwohl man weiß, dass dieses Handeln nachteilig wäre; überhaupt die Fähigkeit, starke Gefühle auszuhalten, darunter auch das Gefühl der Enttäuschung und des Ärgers, wenn man nicht das bekommt, was man gern hätte; die Fähigkeit, realitätsgerecht zu handeln, um Gewünschtes zu bekommen, und die Fähigkeit, darauf zu verzichten, wenn es unerreichbar ist. Man kann sagen, dass strukturell gestörte Patienten, die unter den Suchtkranken häufig vorkommen, in mancher Hinsicht auf einem frühen

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Entwicklungsstadium stehen geblieben sind. Solche Störungen entstehen vorwiegend im ersten, im zweiten und auch noch im dritten Lebensjahr. Bei Menschen mit so genannten neurotischen Störungen, die später entstehen, sind die Ich-Funktionen weiter entwickelt. In Therapien muss man sich bei Patienten mit Störungen aus verschiedener Zeit der persönlichen Entwicklung unterschiedlich verhalten. Der Reifegrad des Ich (und auch des Über-Ich und des Ich-Ideals) müssen berücksichtigt werden. Das Über-Ich kann man als Vertreter des Gewissens ansehen. Es schreibt uns vor, was wir nicht tun sollen. Das Ich-Ideal vertritt, was wir tun sollen, um uns selbst akzeptieren zu können. Bei Wilhelm Busch heißt es in der Bildergeschichte von der frommen Helene: »Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, was man lässt.« Das wäre eine Über-Ich-Position. Eine Position des Ich-Ideals wäre mit dem Satz von Erich Kästner zu charakterisieren: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.« Die Instanzen Über-Ich und Ich-Ideal können mehr oder weniger streng ausgebildet sein, und Menschen mit einem besonders strengen, früh in seiner Reifeentwicklung steckengebliebenen, archaischen Über-Ich wirken oft so, als hätten sie keines, weil sie ihr Über-Ich gewissermaßen einkapseln, was zur Folge hat, dass sie sich amoralisch verhalten. Im Unterschied zur Entwicklungsstörung, die damit zu tun hat, dass es in der Vergangenheit zu einem Entwicklungsstillstand gekommen ist und sich Ich, Über-Ich und Ich-Ideal nicht weiterentwickeln konnten, kommt es in der Regression zu einer Rückkehr in ein früheres Entwicklungsstadium. Ein reiferes Stadium wird verlassen, ein früheres manifestiert sich. Auch jemand mit einem Entwicklungsstillstand kann regredieren, und dann werden Ich, Über-Ich und Ich-Ideal noch unreifer, als sie ohnehin schon waren. Regression kann auf dreierlei Weisen ausgelöst werden: durch Angst, durch eigene Schwäche in der Konfrontation mit Anforderungen, die in einer bestimmten Situation an einen gestellt werden, und durch Übertragung. Angst und Schwäche hängen zusammen. Wenn jemand sich in einer Situation, die Anforderungen an ihn stellt, diesen gewachsen fühlt, wird er nicht regredieren. Er wird versuchen, die Situation aktiv zu bewältigen. Vielleicht wird er in einer Situation, die ihn gefährdet, Angst empfinden, sich aber doch stark genug fühlen, um der Gefahr mit guten Chancen auf Erfolg zu begegnen. Ist die Angst aber stärker als das Vertrauen in die eigene Kompetenz, kann es zu regressiven Bewegungen kommen. So kann sich jemand, der ein

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Examen macht, dessen Anforderungen er sich zu Recht oder zu Unrecht nicht gewachsen fühlt, hilflos und ausgeliefert fühlen. Er kann den Eindruck haben, dass er nicht mehr denken kann, er kann die Fragen des Prüfers nicht verstehen und wenn er sie doch versteht, wird er sie nicht vernünftig beantworten können. Die Angst selbst beeinträchtigt bereits psychische Funktionen, wenn sie ein gewisses Maß überschreitet. Die durch Angst ausgelöste Regression beeinträchtigt sie noch weiter. Das mindert die Kompetenz, und die Kompetenzminderung steigert die Angst. Es kommt zu einem selbstverstärkenden Zirkel. In allen Gruppen gibt es Angst, vor allem zu Beginn, weil man als Teilnehmer nicht weiß, was in der Interaktion mit den unbekannten Gruppenteilnehmern und mit dem Gruppenleiter passieren wird. Im weiteren Verlauf kann es auch zu unrealistischer Euphorie kommen, wenn frühe ideale Objekte übertragen werden, was viele Therapeuten aus Workshops kennen. Eine Gruppe kann in einer real gefährdenden Situation Angst bekommen. Hier ein Beispiel: Eine kleine Gruppe von Leuten macht eine Wanderung in den Bergen, und zwar mit einem Bergführer, der sich gut auskennt Nun zieht aber ein Gewitter auf, und der Bergführer wird von einem Blitz getroffen. Die kleine Gruppe von Leuten, vielleicht fünf oder sechs, ist führerlos. Die Bergwanderer reagieren auf dieses Ereignis zunächst wie erwachsene Menschen, sie versuchen dem Bergführer zu helfen, aber ohne Erfolg. Das Gewitter scheint sich zu entfernen, aber wie kommen die Bergwanderer ohne einen Bergführer von dem Berg wieder herunter? Sie befinden sich in einer Situation eigener Gefährdung, weil sie fürchten müssen, den Weg zurück nicht zu finden und abzustürzen. In einer solchen Situation wäre es zweckmäßig sich zu beraten, um herauszufinden, wer sich noch am besten auskennt, und sich ihm anzuvertrauen, oder eine Führungsgruppe zu bilden, die sich fortlaufend berät. In solchen Situationen kommt es aber oft dazu, dass jemand von sich behauptet, er werde den Weg schon finden, ohne dass das überprüft wird, und die anderen vertrauen sich ihm an, weil sie froh sind, jemanden zu haben, der es sich zutraut, sie aus der gefährlichen Situation herauszuführen. Das Ergebnis kann sein, dass die ganze Gruppe umkommt, weil sie sich einem inkompetenten Führer anvertraut hat. Derlei Situationen kennen wir auch aus der Geschichte unseres Landes, denken wir an die Zeit vor 1933 und die zwölf darauf folgenden Jahre. Nun wissen wir aber, dass Regression nicht nur in Situationen auftritt, wo man sich in Gefahr fühlt. Bei Fußballspielen kommt es immer wieder zu Ausschreitungen; ein Verhalten, das nicht aufgetreten wäre, wenn die

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Betreffenden vernünftig nachgedacht hätten. Dass es unter den Zuschauern bei Fußballspielen während des Spiels oder nach dem Spiel zu derlei unvernünftigem Verhalten kommt, muss nicht mit Angst oder dem Gefühl eigener Schwäche oder einer Inkompetenz bezüglich der Fähigkeit zusammenhängen, eine Situation zu bewältigen. Regression kann auch durch Übertragung ausgelöst werden. Übertragung ist von Psychoanalytikern unterschiedlich konzeptualisiert worden. Ich will hier mein eigenes Konzept (König 1998; 2001) in Kürze darstellen. Wir alle übertragen im Umgang mit Menschen frühere Erfahrungen mit anderen Menschen, sonst gäbe es so etwas wie Menschenkenntnis nicht. Wir verhalten uns, wenn wir einen Menschen neu kennen lernen, nicht so, als wären wir noch nie mit einem Menschen umgegangen. Stattdessen übertragen wir die Erfahrungen, die wir mit anderen Menschen gemacht haben, auf neu kennen gelernte Menschen. Solche Erfahrungen können mehr oder weniger gut passen. Menschen weisen untereinander gewisse Ähnlichkeiten auf, aber sie unterscheiden sich auch. Wie weit wir unsere früheren Erfahrungen für anwendbar halten, hängt mit Überzeugungen zusammen. Diese Überzeugungen können mehr oder weniger gut begründet sein. Letzteres illustriert die Anekdote vom Engländer, der auf einer Kanalfähre einen deutschen Kellner mit roten Haaren sieht und daraus schließt, die Deutschen hätten rote Haare. Das ist eine unzutreffende Verallgemeinerung, und mit unzutreffenden Verallgemeinerungen können wir es bei der Übertragung zu tun bekommen. Die meisten Menschen werden nicht so naiv urteilen wie jener Engländer. Es gibt in unserer Biographie aber Beziehungen zu Menschen, die eine besondere Wichtigkeit hatten und die unsere Erwartungen und Befürchtungen im Umgang mit Menschen, die wir neu kennen lernen, in besonderem Maße prägen; Menschen in unserer Ursprungsfamilie, also Mutter, Vater, Geschwister, Onkel, Tanten, Großmütter oder Großväter, auch Angestellte, die mit in der Familie leben. Die Übertragung früherer Erfahrungen wird umso eher stattfinden, je mehr Merkmale die neu kennen gelernten Menschen mit den Menschen gemeinsam haben, mit denen der Betreffende früher umgegangen ist. Diese Merkmale nenne ich Übertragungsauslöser. Hier handelt es sich nicht um Besonderheiten oder Idiosynkrasien des Menschen, den man neu kennen gelernt hat, sondern um allgemeine Merkmale wie Alter, Geschlecht, Haarfarbe, Sprechweise oder Bewegungstyp. Man kann sagen, dass jeder Mensch Übertragungsauslöser bietet, die bei einem anderen Menschen zu Übertragungen führen können, und zwar zu verschiedenen

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Übertragungen. Jeder Übertragende sucht beim Anderen nach Vertrautem, bei dem seine Erfahrungen gelten. Die Eigenschaften männlich oder weiblich, alt oder jung, dick oder dünn und noch vieles mehr bilden ein Kollektiv von Übertragungsauslösern, unter denen man, wenn man einen Menschen neu kennen lernt, aussucht. Man wählt unbewusst die Auslöser, die zu einer bereitliegenden Übertragung passen. So kann die gleiche Person bei einem Menschen eine Vaterübertragung auslösen, bei einem anderen eine Mutterübertragung, sogar unabhängig vom Geschlecht, weil andere Merkmale als Übertragungsauslöser wirksamer sind. Wenn ein Mensch mehrere Objekte übertragen könnte und die Übertragungswünsche gleich intensiv sind, wird er die übertragen, die am besten zu bestimmten Auslösern passen. Nun sind die Erfahrungen eines Kindes mit den Eltern anders als die Erfahrungen, die man als Erwachsener im Umgang mit anderen Erwachsenen machen kann; schon deshalb kann Übertragung irreführen. Jemand reagiert dann nicht wie ein Erwachsener, sondern in Wahrheit so, wie er als Kind auf Vater, Mutter, Geschwister, Onkel, Tanten, Großmütter oder Großväter reagiert hat. Unsere inneren Objektbilder, das heißt die Repräsentanzen von diesen Personen in unserer inneren Welt, sind vielschichtig. Man könnte sagen, ein Objekt ist wie eine russische Puppe, bei der eine Puppe in der anderen steckt. Im Innersten steckt die ganz frühe Mutter, der ganz frühe Vater und so weiter. Dieser Vergleich hinkt insofern, als die innerste Puppe die kleinste ist. Aber die frühe Mutter war in Relation zu dem Kind am größten. Gerade das spielt eine Rolle bei der Auslösung von Regression in Gruppen. Die Gruppe als ganzes ist größer als der Einzelne in der Gruppe, sie hat mehr Masse. Das kleine Kind kann die Mutter selten als ganze Person sehen, sondern es sieht nur einen Teil der Mutter, so wie jemand in der Gruppe nur einen Teil der Gruppenmitglieder sieht. Die Eigenschaft einer Gruppe, und besonders einer Großgruppe, zusammengenommen größer, schwerer, und auch stärker zu sein als der Einzelne, und die Tatsache, dass man eine Gruppe nie zugleich in ihrer Gänze wahrnehmen kann, wecken Erinnerungen an die ganz frühe Zeit, die ein jeder Mensch im Umgang mit der ersten und wichtigsten Beziehungsperson machte, nämlich der Mutter oder einer Person, die sie ersetzt oder vertreten hat. Das heißt, eine Gruppe bietet Übertragungsauslöser für die ganz frühe Mutterbeziehung (König 1976). Je größer die Gruppe ist, desto lebensgeschichtlich frühere Erfahrungen lösen die Übertragungen. Man fühlt sich, wenn man die ganz frühe Mutter auf die Gruppe überträgt, hilflos, inkompetent und abhängig, so wie man es als kleines Kind war, und bekommt Angst, weil man sich so

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hilflos fühlt. Man kann sich, seltener, auch geborgen fühlen, je nach den aktivierten Erfahrungen: Die Gruppe erzeugt Regression. Die Regression erzeugt meist Angst. Die Angst verstärkt wieder die Regression. Wie kann man nun aber unerwünschte Regression in einer Großgruppe verhindern? Werden in einer Gruppe dem Teilnehmern von vornherein verschiedene Aufgaben zugeordnet, kommt es also zu einer Aufgabenverteilung, wirkt das der Wahrnehmung der Gruppe als Globalobjekt entgegen, zu dem die einzelnen Mitglieder in der vorbewussten Phantasie zusammenfließen. Beim Gruppenmodell von Dieckmann (s. den Beitrag von Dieckmann und Albertini in diesem Band), das ich in der Nervenklinik Spandau kennen gelernt habe, ist eine solche Aufgabenverteilung in einer therapeutischen Großgruppe verwirklicht. Es gibt aber auch noch andere Mittel, so beim Formulieren von Interventionen. Zum Beispiel verstärkt es die Regression, wenn man in der Gruppe nicht von einzelnen Personen, sondern von »der Gruppe« spricht. Damit fördert man in der Phantasie der Gruppenmitglieder eine Entindividualisierung der Gruppenteilnehmer und damit das Erleben der Gruppe als Globalobjekt. Es fördert auch die Regression, wenn der Gruppenleiter selten interveniert und über sich selbst als Person nichts sagt. Beim Gruppenmodell von Dieckmann handelt es sich um eine Großgruppe, an der neben dem Gruppenleiter alle Patienten einer Entwöhnungsabteilung teilnehmen, etwa 40 und daneben auch Gäste, die sich für die Arbeit der Abteilung interessieren. Die Gruppe wird von einem Patienten oder einer Patientin eröffnet und beendet. Zunächst stellen sich die neuen Patienten und etwaige neue Gäste vor. Der eröffnende Patient fragt nach neuen Teilnehmern und nach Rückfällen. Die Rückfälle werden entweder vom Gruppenleiter oder von den Patienten eingebracht. Erwünscht ist, dass sich der Patient, der einen Rückfall hatte, selbst meldet. Über die Motive des Rückfalls soll zunächst nicht gesprochen werden. Die Beschreibung soll sich auf den äußeren Ablauf beschränken. Dabei geht es um die auslösenden äußeren Faktoren. Die bewusste Ebene wird streng eingehalten. Die Interventionen von Dieckmann fassen das Gesagte zusammen und versuchen es zu klären. Er greift in den Zusammenfassungen die emotionalen Komponenten der Ä ußerungen der Patienten auf und versucht, sie klarer darzustellen, was er als Klarifizieren bezeichnet. Dabei benennt er eigene Gefühlsreaktionen auf das vom Patienten Eingebrachte und auf die Patienten selbst, was dem Antworten der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie des Göttinger Modells der Gruppentherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994) entspricht. Entsprechend diesem Modell sagt der Therapeut auch, was er an Stelle des

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Patienten oder der Patientin anders empfunden hätte; oder er sagt, dass er ähnlich oder ebenso empfunden hätte. Dabei wird abgestuft; aggressive Gefühle werden in geringerer Ausprägung mitgeteilt. Auf die Möglichkeit besserer Lösungen wird hingewiesen; sie sollen in der Gruppe erarbeitet werden. Insgesamt wird die Gruppe durch einen vorher festgelegten zeitlichen und inhaltlichen Ablauf mit Aufgabenverteilung auf mehrere Patienten und durch gezielte Interventionen des Therapeuten strukturiert. Während das psychoanalytisch-interaktionelle Verfahren ohne Modifikation in Kleingruppen frühgestörter Patienten angewandt werden kann, weil die spezifische Interventionstechnik dieses Verfahrens der Regression, die durch eine Kleingruppe ausgelöst wird, ausreichend entgegenwirkt, ist bei Großgruppen eine zusätzliche Strukturierung nötig. In der Spandauer Großgruppe wird jeweils weitergegeben oder wird von Leiter in die Gruppe eingebracht, worüber und wie und in welcher Abfolge über bestimmte Themen gesprochen wird. Diese Struktur wirkt einer Regression in der Großgruppe entgegen, die dazu führen könnte, dass die entwicklungsgestörten Patienten, um die es sich in dieser Klinik ganz überwiegend handelt, noch mehr an erwachsener Kompetenz verlieren würden. Als Gast in der Gruppe war ich davon beeindruckt, wie gut die strukturell schwer gestörten Patienten in der Großgruppe kooperieren konnten. Das wäre ihnen in einem regredierten Zustand nicht möglich gewesen. Das Prinzip, Regression durch Strukturgebung einzuschränken, weil Regression nicht vertragen würde und deshalb vermeiden werden muss, lässt sich nicht nur auf Großgruppen der beschriebenen Art anwenden. Auch eine Station oder eine Klinik können als Großgruppen aufgefasst werden, die Regression auslösen. Selbst wenn die Menschen, die zu eines solchen Großgruppe gehören, nicht alle gleichzeitig in einem Raum versammelt sind, können sie doch miteinander kommunizieren und die Station oder die Klinik ist im Bewusstsein der Patienten präsent. Sie kann zu einem Globalobjekt ohne innere Grenzen werden, das unerwünschte Regression induziert. In der Klinik Tiefenbrunn bei Göttingen werden Kurse abgehalten, in denen die drei verschiedenen Verfahren des Göttinger Modells vermittelt werden: die analytische Gruppenpsychotherapie, die tiefenpsychologisch fundierte oder analytisch orientierte Gruppenpsychotherapie und die auch von Dieckmann angewandte psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie. In Kliniken, die sich überwiegend mit Neurosekranken befassen, wird vor allem die tiefenpsychologisch fundierte Form der Gruppentherapie praktiziert, in Kliniken, die mit Suchtkranken arbeiten, die psychoanalytisch-interaktionelle Methode.

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Durch die Supervisionsgruppen im Rahmen dieser Fort- und Weiterbildung habe ich einen vergleichenden Einblick in viele Kliniken mit unterschiedlicher Aufgabenstellung erhalten. In Suchtkliniken lässt sich viel mehr Struktur finden als in Kliniken, die vorwiegend Neurosekranken behandeln. Das Mehr an Struktur hat mehrere Gründe; einer davon, der häufig genannt wird, ist die Substitution von Struktur. Was der Patient an innerer Struktur nicht hat, muss außen substituiert werden. Es müssen Grenzen eingeführt werden, und zwar in einer therapeutisch zweckmäßigen Weise. Ein anderer Grund, warum mehr Struktur zweckmäßig sein könnte, ist der regressionsfördernde Einfluss einer wenig strukturierten Großgruppe. Die Struktur in einer Großgruppe teilt das Globalobjekt Gruppe in Teilbereiche auf. Man tut nicht Beliebiges, sondern man tut bestimmte Dinge in einer bestimmten Reihenfolge, und es gibt zeitliche und örtliche Grenzen. Gibt es wenig Grenzen oder sind die Grenzen schwer erkennbar, konfluiert die Großgruppe in der vorbewussten Wahrnehmung der Patienten zu einem Globalobjekt, das regressionsauslösend wirkt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders in den siebziger Jahren, entstand in vielen Ländern, nicht nur in Deutschland, eine Ideologie der Aufhebung von Grenzen. Es wurden verschiedene Modelle einer therapeutischen Gemeinschaft entwickelt. Das Modell von Maxwell Jones (1976) wurde zur Begründung einer viel weiter gehenden Aufhebung von Grenzen herangezogen, als Jones es gewollt hat. Dabei spielte der Protest gegen dysfunktionale und rigide Strukturen der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Zeiten davor eine wesentliche Rolle. Sicher kann es nicht darum gehen, solche veralteten, rigiden, dysfunktionalen Strukturen wieder einzuführen. Die Entwicklung läuft erfreulicherweise auf eine Strukturbildung in therapeutischen Einrichtungen hinaus, die auf modernen therapeutischen Überlegungen fußt und Interessen sowohl der Patienten wie des Personals berücksichtigt. Eine gut begründete, gut funktionierende Struktur ist ein wichtiger Faktor beim Verhindern von Burn-out des therapeutischen Personals und sie fördert die Therapie der Patienten auch deshalb, weil sie dysfunktionaler Regression entgegenwirkt. Das Personal muss weniger dysfunktionale Verhaltensweisen von Patienten verkraften, die durch Regression verstärkt würden. Viele Großgruppen in Kliniken sind wenig produktiv. Es wird zugelassen, dass zu viel durch Regression bedingte Angst entsteht, was die Abwehr erhöht. Das Ergebnis ist dann eine Gruppe, in der wenig, vor allem wenig Relevantes gesagt wird. In Stationsgruppen, an denen das therapeutische Personal teilnimmt, ist

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eine Struktur an sich durch die unterschiedlichen Rollen der Teilnehmer auf der Station vorgegeben. Die Teilnehmer kennen sich als Individuen von ihren Interaktionen auf der Station. Dass diese Vorinformationen wirksam werden, kann aber dadurch behindert werden, dass der Gruppenleiter die Fiktion fördert, in der Gruppe seien »alle gleich«, etwa indem er in seinen Interventionen von »der Gruppe« spricht. Es sind eben alle Anwesenden Gruppenteilnehmer und sie bilden das Wesen Gruppe. Umgekehrt kann er das Wirksamwerden von Unterschieden dadurch fördern, dass er die Gruppenmitglieder in den Rollen anspricht, die sie auf der Station haben. Ein anderes Mittel, die Regression zu vermindern, die sich auf die Arbeitsfähigkeit einer Gruppe negativ auswirkt, ist der Gebrauch von Metaphern. Er besteht darin, dass die Gruppensituation in einem Bild erfasst wird. Das erfolgt meist unter Rückgriff auf Situationen, die die Gruppenmitglieder von sich selbst oder aus Fernsehsendungen oder Filmen kennen. Man spricht zum Beispiel von einer Talkshow, einer Gerichtsverhandlung oder davon, dass sich alle in einem Boot befinden. Die Metapher bringt eine Struktur in die Großgruppe, mit der dann gearbeitet werden kann. Ardjomandi (Ardjomandi et al. 1995), ein Schüler von Shaked (1993), verwendete in seiner Arbeit mit Großgruppen in der Klinik Tiefenbrunn Metaphern, die er selbst einbrachte. Dadurch entstand eine Kultur der metaphorischen Kommunikation, die es erleichtert, in den Großgruppen über Gefühle, Wünsche und Befürchtungen zu sprechen. Werden Metaphern genutzt, ist zu berücksichtigen, dass ein metaphorisches Erfassen der Gruppensituation durch Bezugnahme auf analoge andere Situationen bei manchen Patienten der Übersetzung in das direkt Beschreibende bedarf. Der therapeutische Prozess bleibt für diese Patienten sonst auf der metaphorischen Ebene stehen, was die Anwendung des in der Gruppe Erfahrenen und vielleicht Erkannten erschwert. Eine weitere Bearbeitung kann in Kleingruppen oder in Einzelsitzungen erfolgen. Nimmt ein Patient in einer Einzelsitzung oder in einer Kleingruppen-Sitzung auf das, was in der Großgruppe passiert ist, von sich aus keinen Bezug, obwohl der Therapeut Grund zu der Annahme hat, dass die Thematik, um die es ging, für den Patienten wichtig ist, sollte er fragen, wie der Patient die Großgruppen-Sitzung erlebt hat. Es soll zu einem Transfer zwischen der Großgruppe und der Kleingruppe beziehungsweise der Einzeltherapie kommen. Viele Therapien bleiben unwirksam, wenn der Transfer (König 2007) nicht gefördert wird. Metaphern können helfen, Verbindungen zwischen Situationen in der Therapie und Alltagssituationen zu erkennen. Der Patient sollte aber gelernt haben, über dieses Erkennen hinaus zu gehen und zu untersuchen, wie weit die Alltagssituation der Situation in der The-

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rapie gleicht und wie weit sie sich unterscheidet. Werden die Alltagssituation und die Situation in der Therapie eins zu eins gleich gesetzt, so dass die Unterschiede unberücksichtigt bleiben, kommt es meist zu negativen Erfahrungen, die den Patienten veranlassen können, bezüglich der Umsetzung des in der Therapie Erfahrenen und Erkannten im Alltagsleben zu resignieren.

Spezielle Fragestellungen der Suchtpsychotherapie

SpezielleFragestellungenderSuchtpsychotherapie

LéonWurmser:ÜbertragungundGegenüb ertragung

Léon Wurmser

Übertragung und Gegenübertragung bei Patienten mit Suchtproblemen

Abstract Wer mit Suchtpatienten arbeitet, sieht sich von besonders intensiven Gegenübertragungsproblemen bedrängt: Die Begehrlichkeit und Unwahrhaftigkeit des Patienten, die Hilflosigkeit des Therapeuten angesichts der Unveränderlichkeit und negativen therapeutischen Reaktion und damit des sich unablässig wiederholenden sadomasochistischen Verhaltens treiben den Therapeuten zum Aufgeben, zu wütenden oder sarkastischen Interventionen oder aber zu verzweifelten Rettungsmissionen. Diese Erfahrungen eröffnen oft aber ein tieferes Verständnis der Psychodynamik, wie an einer Reihe von Beispielen dargestellt wird. Dabei kann das Verstehen der Übertragung der Abwehr und der Über-Ich-Funktionen von besonderer Hilfe sein.

Niemand, der mit Suchtkranken arbeitet, zweifelt auch nur einen Moment daran, dass Gegenübertragungsprobleme im Umgang mit ihnen eine riesige Rolle spielen. Die Abwehr gegen die anscheinend maßlose Begehrlichkeit und grenzüberschreitenden Forderungen, ihre Anspruchshaltung und Lustbestimmtheit entrüsten unseren moralischen Zensor. Unwillig und unwirsch wehren wir diese Seite unser selbst in diesen Patienten von uns ab. In besonderer Weise empört uns außerdem die Grenzverletzung, die bewusste Verletzung der Wahrhaftigkeit, also der Grenze zwischen Wahrheit und bewusster Lüge. Diese Haltung der Täuschung und Lügenhaftigkeit ruht ihrerseits auf einem breiten Sockel der Verleugnung – der unbewussten Verkennung der emotionalen Wertigkeit der Wahrnehmung. Wir wehren uns gegen die souverän allmachtsbeanspruchende Art, die diese Patienten im Umgang mit der Grundvoraussetzung des sozialen Diskurses zeigen: dass man den Aussagen des Anderen vertrauen kann. Ehrlichkeit ist eine der Hauptwerte zivilen Lebens, und für uns Psychotherapeuten und Analytiker, neben Gerechtigkeit, Liebe, innerer Freiheit und Ehrfurcht vor dem Leben, ein Teil des Fünfgestirns von Werten, die uns leiten. Hier sind aber Leute, die diesem Wert resolut abgeschworen haben und uns immer wieder auf dem Glatteis ihrer Spiegelwirklichkeit ausgleiten lassen.

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Als drittes Gegenübertragungsproblem kommt dann die Hilflosigkeit angesichts der Unveränderlichkeit und zwingenden Wiederholung selbstdestruktiven Verhaltens: Keine unserer wohl gemeinten Bemühungen scheint auf die Dauer zu fruchten. Wir fühlen uns immer wieder genarrt in unserem Vertrauen und zornig über unser lächerliches Glaubenwollen; es ist die Scham darüber, dass wir uns so getäuscht haben, oft gegen besseres Wissen. Siri Hustvedts Roman »What I loved« beschreibt diese Abläufe meisterhaft. Am Schluss heißt es über die Hauptgestalt eines Jünglings, auf den alle die Diagnosen von Sucht, Perversion, Borderline und Psychopathie zutreffen: »Die Lust, die er darin fand, anderen zu gefallen, hatte keine Dauer. Unersättlich fraß er sich voll mit Crackers und Doughnuts, mit gestohlenen Dingen und Geld, mit Pharmaka und mit der Jagd selbst« (S. 365). Jedoch gilt dies übrigens auch im viel weiteren Rahmen des charakterbedingten Wiederholens von uns enttäuschendem Verhalten. Bei uns gibt es den Spruch: »Einmal getäuscht, deine Scham; zweimal getäuscht, meine Scham.« Reiten wir in diesem Karussell mit, werden wir Teil desselben Problems – letztlich des sadomasochistischen Agierens. Das demütigt uns. Nun mag dieses Mitmachen eine gute Weile das geringere von mehreren Übeln sein, aber demütigend, beschämend und damit wuterregend ist dieses fortwährende Mitreiten im sadomasochistischen Karussell nichtsdestoweniger. Unsere Suchtpatienten sind aber meistervoll, diesen Zirkus mit uns zu spielen. Ein viertes gegenläufiges Gegenübertragungsproblem ist unser oft tiefes, in der eigenen Geschichte wurzelndes Bedürfnis, verzweifelt kranken, in Lebensfallen gefangenen Menschen aus dem Loch herauszuhelfen. Wir finden oft unseren Selbstwert darin, dem anscheinend sinnlosen Leben anderer wieder Sinn zu geben. Als Hoffnungsträger für andere schöpfen wir für uns selbst Hoffnung. Als Retter anderer retten wir uns selbst, und indem wir das Leiden Schwerstkranker und Schwersttraumatisierter lindern, schaffen wir ein Gegengewicht gegen das Gefühl des selbst erlittenen Schmerzes, Unrechts und der Scham. Umso schlimmer dann, wenn der zu Rettende sich weigert, gerettet zu werden, wenn wir also weder sein Trauma noch unser Trauma aufwiegen können. Dann gibt es einen fünften Aspekt der Gegenübertragung: nämlich die Einfühlung in die unbewusste Dynamik des Patienten, wenn unser eigenes Gefühl uns Seiten zu spüren gibt, die der Patient in uns erregt, ohne sich dessen bewusst zu sein, die aber ein neues Verständnis der verdeckten Gefühle und der Konflikte im Anderen zu eröffnen vermögen. Jede Empathie, also jedes sich Hineinfühlen in den Anderen (denn das ist es ja, was das griechische Wort bedeutet) ist eine Form des Miteinanderteilens von Af-

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fekten und inneren Bildern. Es sind die begabtesten Analytiker und Therapeuten, die dieses Erfühlen zu einer großen Heilkunst entwickelt haben1. Aber zugleich möchte ich warnen: Nicht alles, was wir zu spüren meinen, ist dann auch wirklich da. Nicht alle Gefühle, die der Patient in uns auslöst, können als Orakel für seine Probleme angesehen werden. »Es gibt nichts Nützlicheres für den Menschen als einen weisen Sinn dafür [zu haben], was er nicht glauben soll [eine weise Ungläubigkeit]« (Euripides). So oft beobachte ich in Gruppensupervisionen, wie die Phantasien und der Unwillen oder die Ungeduld und der Ärger der Zuhörer als Wünschelrute zur Auffindung der verschütteten Quellen beim dargestellten Patienten benutzt werden. Gewöhnlich sagen sie mehr über den Sprecher als über den Patienten aus. Ich glaube, damit wird viel Schindluderei getrieben und den Patienten oft auch mannigfach Schaden zugefügt. Im Folgenden möchte ich mehrere Facetten des komplexen Widerspiels von Übertragung und Gegenübertragung auswählen und mit einem eher einfachen Beispiel beginnen.

Rückzug oder Vorpreschen? Ich beginne mit einer banalen kleinen Geschichte. Jüngst suchte mich ein zappeliger junger Mann auf. In inkohärenten, äußerst dumm wirkenden Sätzen berichtet er, er leide unter einer Angststörung, unter Angstanfällen. Es sei, als ob jemand auf seiner Brust sitze; er könne nicht atmen. Er sei internistisch mit verschiedenen Mitteln behandelt worden, aber man verlange dort, dass die Therapie von einem Psychiater weitergeführt werde. Was ihm geholfen habe, sei Xanax (Alprazolam, ein Benzodiazepinderivat) gewesen, aber das sei nun ausgegangen. Er schlafe nicht mehr und brauche dringend Hilfe wegen seiner schon seit Kindheit bestehenden Angst. Er wolle, dass ich sein Psychiater werde, und er werde alles tun, was ich vorschreibe. Was er arbeite? Er sei Mitarbeiter in der seiner Familie gehörenden Druckerei. Da ich nur sehr spärliche Angaben über seine Geschichte von ihm erhalte, wünsche ich, mit einem Verwandten zu sprechen. Er möchte aber nicht, dass seine Eltern mit einbezogen werden. Sie seien streng mit ihm, und er habe Schwierigkeiten mit ihnen. Eine Tante, der er vertraue, wäre ihm lieber oder noch eher ein Freund von ihm. Der Vater habe früher Drogenprobleme gehabt und seine Mutter habe ihn deswegen verlassen, sei aber wieder zurückgekehrt. Es gebe noch eine 7 Jahre jüngere Adoptivschwester. In der Schule habe er Schwierigkeiten mit Mitschülern gehabt. Viele Kinder hätten ihn nicht gern gehabt. Ich frage ihn nach 1 Ich verdanke es vor allem der engen Zusammenarbeit über viele Jahre mit Fr. Dr. Heidrun Jaraß, für diesen Teil unserer Arbeit viel aufgeschlossener geworden zu sein.

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seiner Rastlosigkeit, ob die denn auch früher so schlimm gewesen sei; denn er zappelt wie ein Kasperle auf seinem Stuhl herum. Nein, die Angst sei jetzt viel stärker geworden, und er könne nicht ruhig im Bett liegen. Er habe viele Medikamente versucht, aber keines habe ihm geholfen außer dem Xanax. Ob ich ihm nicht notfallmäßig das Mittel geben könne, das ihm allein helfe. Ich bin mir beinahe sicher, dass der 21-Jährige körperlich von Benzodiazepin abhängig ist. Auch habe ich den Eindruck, dass ich nur einen kleinen Teil der wirklichen Geschichte erfahre. Ich stehe vor der inneren Frage: Soll ich ihn einfach als Drogensüchtigen in akutem Entzug, der sich auf billige Weise sein Suchtmittel verschaffen will, wegschicken? Dies wäre eine einfache Lösung; ich wäre einen unangenehmen, unaufrichtigen Kunden los, der zudem von Introspektion keine Ahnung hat. Ich würde mit der Drogenpolizei in kein Gehedder kommen. Oder soll ich ihm glauben, dass er unter einer wirklichen Angststörung leidet, die auf dieses eine Mittel tatkräftig angesprochen hat, dass seine Zappelei mehr der Angststörung als dem Entzug zuzurechnen sei und dass jetzt das Wichtige sei, ihn erst einmal, auf alle Risiken hin, in Behandlung zu bekommen und dann »mal weiter sehn«. Ich entschließe mich für die zweite Gangart, bestehe jedoch darauf, ihn wenige Tage danach mit seiner Tante zu sehen. Ich fühle mich aber recht beklommen dabei und denke, wahrscheinlich bin ich wieder einmal einem Schelmen auf den Leim gekrochen. Schon habe ich eine Meldung auf dem Anrufbeantworter, dass die Apotheke das Mittel nicht herausgeben möge, ehe sie nicht mit mir gesprochen haben. Ich höre von ihnen, dass der Patient mit einem Freund gekommen sei und sich auffällig benommen habe. Ich spreche kurz mit einer vertrauten Kollegin, die mich erschrocken in meiner letzteren Annahme bestärkt. Ich fühle mich genarrt und sage ihr, ich habe gedacht, der zweite Weg sei das geringere von zwei Übeln gewesen, und sie denkt auch, ich habe es wohl getan, um den Jungen wenigstens mal in Therapie zu bekommen und dann hernach die Entziehung durchzuführen. Ich lasse die Apotheke wissen, dass ich den Patienten mit seinem Begleiter noch einmal sehen möchte, ehe sie ihm die Droge geben. Es stellt sich heraus, dass es der Vater ist, der ihn begleitet hat, und er ist denn auch bereit, am selben Nachmittag mit seinem Sohn zurückzukommen. Aus der Geschichte ergibt sich in der Tat, dass der Junge heroinsüchtig gewesen und jetzt von Xanax abhängig ist, dass er vor einer Reihe von Gerichtsverhandlungen steht und dass die Familie äußerst beunruhigt sei. Ja, vor vielen Jahren habe er auch Drogen genommen. Er, der Vater, habe vor wenigen Wochen einen Schlaganfall erlitten, der ihn mit mannigfachen sensorischen Störungen belassen hat. Er fürchte, dass die großen Aufregungen mit seinem Sohn etwas damit zu tun haben könnten: »Er ist mein Monster, und sie (die Tochter) ist mein gutes Kind. Ich sagte ihm viel gemeines Zeug«, und der Junge fügt bei: »Und das tut weh.« Der Vater beteuert, er werde nun alles daran setzen, seinem Sohn zu helfen. Um es kurz zu machen: Ich sehe seither Sohn und Vater etwa alle ein bis zwei Wochen zu recht kurzen Verabredungen. Ich habe den Entzug von Xanax ambulant durchgeführt. Jetzt ist er, mit Ausnahme von Trazodone zum Schlafen, drogenfrei.

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Er wirkt viel ruhiger. Beide sagen, es gehe ihm und der Familie besser denn je in manchen Jahren. »Wir haben unseren Sohn wiederbekommen.« Er arbeitet tüchtig. Bei den verschiedenen Gerichtsverhandlungen wird er bedingt verurteilt.

An psychodynamische Arbeit ist eigentlich nicht zu denken, aber die kurzfristige Behandlung ist erfolgreich gewesen. Meine Gegenübertragung in Form von Scham und Sorge darüber, genarrt zu werden, die mich zu größerer Zurückhaltung und Zurückweisung gezwungen hätte, stieß auf Gegenwehr in Gestalt sowohl der menschlichen Anteilnahme wie des rationalen Abwägens: »Wie viel Schaden würde ich wirklich verursachen, wenn ich einem Drogensüchtigen diese 50 Tabletten verabreiche, verglichen mit dem Schaden, der erwüchse, wenn ich ihn ohne Hilfe zurückschickte oder, erfolglos, versuchte, ihn gegen seinen Willen, in eine Anstalt einzuweisen?« Die archaische, moralisierende Seite meines Über-Ich hätte ihm hochmütig den Zutritt verwehrt; die abwägende Vernunftseite veranlasste mich, so zu handeln, wie ich es tat, mit der Korrektur, dass ich, dank der Warnung von der Apotheke und meiner Kollegin, mir den Patienten zur Vorsicht noch am selben Tag ein zweites Mal herzitierte und nicht einfach die Bedenken der Apothekerin gleichmütig abwies. Aus einer Medikamentenabgabe wurde dadurch eine Form von Familientherapie. Dies schrieb ich vor bald zwei Jahren. Der Patient verließ die Therapie bald danach – ohne etwas für die Behandlung zu bezahlen, obwohl er versichert war. Ich erhielt keine Antwort auf meine Aufforderungen . . .

Masochistische Provokation Ein anderer, typischer Fall, den ich nur wegen der Gegenübertragungsreaktion des Analytikers kurz darstelle: Eine Frau ist wegen Depressionen in psychotherapeutischer Behandlung. Ihre Ansprüche auf Grenzüberschreitungen mannigfacher Art, die sie selbst als suchtähnlich bezeichnet, sind groß. Doch fühlt sie sich in ihrer schweren Traumatisierung aus früher Kindheit nicht verstanden. Sie verlangt mehr Verständnis, nicht die stereotype Abfertigung, sie solle lernen, die Realität anzunehmen und auf ihre Wünsche zu verzichten: »Können Sie es immer noch nicht aufgeben, dass es das nicht gibt?!« Wolle sie Suizid begehen, sei das ihr Problem. Wie sie einen anderen Kollegen konsultiert und der ihr rät, den Therapeuten zu wechseln, und sie dies ihrem Therapeuten auch mitteilt, reißt dieser die Tür auf: »Gehen Sie sogleich!«

Der Wiederholungszwang schwer traumatisierter Patienten, die dann mannigfache Probleme von Impulsivität und Suchtarten zeigen, erzeugt in den

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Therapeuten oft den Ärger und die Wut der Hilf- und Ratlosigkeit, die dann von manchen auch ausagiert wird. Was hier als projektive Identifikation vom Therapeuten selbstgerecht von sich gewiesen und der Patientin als ihr Problem aufgebürdet wurde, lässt sich bei genauerem Besehen als ein subtiler Vorgang verstehen, bei der es im Hin und Her um die Abfolge des Wunsches für Bewunderung, der Gekränktheit und Beschämung, Wendung dieser Verwundung vom Passiven ins Aktive, Wut und damit Erneuerung der ursprünglichen Traumata geht. Das Schlagwort der projektiven Identifikation lässt sich dadurch auffächern und die darin verhüllte Dynamik verständlicher machen. Klischees sind immer wieder der Feind echten Verstehens. Ein anderer Therapeut lässt sich auf eine sexuelle Verstrickung ein, in der Phantasie, dadurch die leidende Jungfrau zu erlösen und das von ihr erlittene Unrecht durch übermächtige Liebe wieder gut zu machen. Es wird zu Recht verspürt, dass ein gewaltiger Mangel an Liebe und Verständnis und ein überwältigendes Liebesbedürfnis zum Kern der Neurose gehören, aber keine Wiederholung und Wiedergutmachung löst die Neurose auf. Jede Befriedigung, jede Umarmung, jede sexuelle Vereinigung, jedes Klauen von Erreichbarem lässt den Hunger, ja die Gier nur umso stärker anwachsen. Was gewünscht wird, ist unerreichbar, da es in seinem Wesen unbewusst ist und enorm viel mit verdrängter Schuld und uneingestandener Scham zu tun hat. Das Wiederbringen dessen, was in der frühen Kindheit gefehlt hat, das scheinbare Reparieren schwerer Traumatisierung oder Entbehrung, löscht den Durst nur vorübergehend und schafft nur noch mehr Begierde. So heißt es in Shakespeares »Troilus und Cressida«: »Entferne bloß das Bemessene, entstimme die Saite, und horch, welch Missklang folgt! Alles stößt in schierer Gegnerschaft aufeinander . . . Dann hüllt sich alles in Macht, und Macht in Willen, und Willen in Begierde, und Begierde, so unterstützt von Willen und Macht, muss ein allverschlingender Wolf werden, alles zur Beute machen und sich selbst zum Schluss auffressen« (Shakespeare’s Complete Works, Act I, Sc. III; eigene Übersetzung). Nur das allmähliche Erarbeiten der unbewussten Zusammenhänge, nicht das Befriedigen von Wünschen kann zur Auflösung der Neurose und damit des suchtartigen Verhaltens führen. Was als Gier und Abhängigkeit mehr und mehr irritiert abgewiesen wird, besonders im Verlauf von lang dauernden Behandlungen, dient als Rauchwand, die schwere, unbewusste, ungelöste, innere Konflikte verbirgt, und diese haben sehr oft viel mit intensiver Eifersucht zu tun. Eifersucht ist aber der Schmerz darüber, ausgeschlossen zu sein – ausgeschlossen von der Liebe und der Nähe zugunsten von jemandem oder etwas Anderem,

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Dritten. So viel, was heute oft als unbehandelbar dyadisch und symbiotisch angesehen und eben dann nach langer, erfolgloser Behandlung ärgerlich weggestoßen wird, betrifft diese unerkannte Dreieckskonstellation – die Abwehr gegen den ödipalen Konflikt, »den vergessenen Dritten«, wie es Ahrbeck (2000) bezeichnet hat. Dabei spielt die Einladung, die Provokation von Bestrafung, gerade kraft der Unmäßigkeit des Begehrens, also die Rolle von unbewusster Schuld und Scham, eine gewaltige Rolle in Übertragung und Gegenübertragung, und eben dann kommt das große Motto: »Untersuchen statt Urteilen« oder »Verstehen statt Verurteilen« erst recht zum Tragen. Durch meine Nachbehandlungen wie auch durch Supervisionen sehe ich, wie sehr oft die Aggression auf Seiten von Therapeuten, vor allem in Form von Hohn, Abweisung, Beziehungs- und schließlich Behandlungsabbruch, ausagiert wird, statt dass es zu einem Verstehen von Konflikt und Trauma in ihrem Wechselspiel kommt. So viele Behandlungsunterbrechungen, -stagnationen und -abbrüche sind unerkannter, unbewusster, vermiedener Scham, gewöhnlich auf beiden Seiten, zuzuschreiben. Nicht anerkannte Scham verwandelt sich rasant schnell in Wut und in Rache (Lansky 2005), und dann folgt so häufig eine Wendung vom Passiven ins Aktive: »Ich beschäme dich zuerst, bevor du mich wieder beschämen kannst. Ich räche mich an dir für die erlittene Kränkung.« Gegenübertragungsaggressionen sollten nicht primär als Aggressionen behandelt und schon gar nicht ausagiert, sondern auf die zugrunde liegende Beschämung, Erniedrigung und Demütigung untersucht werden. In Lanskys Worten sind die Fixierung auf die Kränkung, die Schwarzweißmalerei und -zuschreibung und das Pochen auf das erlittene Unrecht Ausdruck der Unversöhnlichkeit und das Loslassen solcher Fixierung auf das Unrecht und das beschädigte Selbst und auf dessen Wiedergutmachung Zeichen der Verzeihung. Dies ist aber immer auch eine Sache des Therapeuten und Analytikers, nicht nur des Patienten.

»Ich will, dass du verbrennst« Die masochistische Persönlichkeits- und Sexualstörung, die bei sehr vielen schweren Neurosen zentral ist, und die ihr innewohnende Verdinglichung und die sich anschließende Strapazierung des Übertragungs- und Gegenübertragungsfelds werden im Folgenden noch klarer. Dafür nun ein knapp skizziertes Fallbeispiel einer Patientin mit Problemen episodischen Trinkens, paranoider Verkennungen und schwerer Beziehungs- und psychoso-

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matischer Störungen, die sie über Jahre arbeitsunfähig gemacht haben. Ich gebe ein paar Auszüge aus der Therapie. Gwen war in ihrer Kindheit stark misshandelt worden. Sie durfte nicht versagen, dafür musste sie sich vor dem Vater zutiefst schämen. Sie durfte aber auch nicht Erfolg haben, denn dafür war sie schuldig; so erregte sie den Neid von Mutter und jüngerer Schwester. Alles sei entweder Unwert oder aber Hybris. Der weitgehend unbewusste Gewissenskonflikt besteht zwischen dem Ideal der Stärke, gegenüber Schwäche, und dem Ideal der Bravheit gegenüber jeder Form von Aggression. Zwischen so massiver Scham und ebenso schwerer Schuld fühlt sie sich gelähmt, verwirrt und als ob sie nicht existierte oder dass sie verrückt werde oder sterbe. Ich vergleiche ihr Leben mit der Wanderung auf einem ganz kleinen und immer schmaler werdenden Grat, mit Abgrund links und Abgrund rechts. »Ich bin überhaupt nicht berechtigt zu existieren.« Zugleich war es ein Double-bind-Konflikt: »›Du musst die Beste sein und die besten Zeugnisse heimbringen‹, doch wurde ich dann dafür von beiden Eltern fast verhöhnt. Als ich mein Studium mit lauter Einsen abschloss, beschwerte sich die Mutter darüber, dass nicht eine besondere Auszeichnung dabei war, eine 0,5.« Ihre Wut, ihr Hass und ihre Abscheu werden gleichsam von ihrem inneren Richter übernommen und gegen ihr eigenes Selbst gerichtet, so dass sie immer wieder äußerlich wie innerlich, in Vergangenheit wie Gegenwart als Opfer endet. Die Absolutheit des Urteils erstickt gleichsam das Weiterleben. Dahinter lauert die Globalität ihrer Affekte, und wiederum dahinter die chronische Traumatisierung. Dazu kommt die Angst, dass die Realität verschwinde oder sie ermordet werde, zum Beispiel dass der Handwerker ein Frauenmörder sei. Alles wird in Richtung von Verschwörung, den Bösen draußen und sie selbst als das Opfer umgedeutet. Das hauptsächliche Problem während unserer Arbeit waren jedoch ihre oft schweren und bedrohlichen Trinkexzesse. Als sie in Behandlung kam, war sie in schrecklichem Zustand, völlig arbeits- und funktionsunfähig, immer wieder dem Alkohol verfallen, obwohl sie nie betrunken in die Stunden selbst kam, nur mit dem bitteren Nachgefühl, der Gereiztheit, den Selbstanklagen, Verdächtigungen und Verwünschungen gegen alle und alles. Sie war auch überzeugt, ihr Vater habe sie in ihrer frühen Kindheit sexuell missbraucht, vermochte sich aber an keinen solchen Vorfall zu erinnern. »Nach außen hin erschien die Mutter als eine ganz feine Person, begabt, künstlerisch, klug, redegewandt, hübsch. Das war nur ihre äußere Hülle. Darunter verbarg sich unheimlich viel Schmutz, sexueller Schmutz, auch Exhibition und perverse, mörderische Phantasien. Ich habe ein Muttermal am linken Bein. Sie fragte: ›Wo kommt dieser Fleck her?‹ Wie vor Gericht. ›Es ist gut, dass du diesen Fleck hast. Es könnte ja sein, dass du entführt und verstümmelt wirst, und dann kann man die Leiche identifizieren.‹ Ich finde das sehr pervers. Der Großvater war Nazianhänger, SS-Mann, ein abscheuliches Monster, brüllte ständig, eine Ekel und Furcht erregende Erscheinung. Er war ein sehr brutaler Mann, der meinen Vater misshandelt hat. Mein Vater hatte einmal

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einen Unfall und wurde dafür von ihm zusammengeschlagen. Im Grunde ist mein Vater genau so: dieses Lügen und Vertuschen und Missbrauchen.« Der Vater misshandelte Gwen körperlich schwer, während die Mutter dies mehr durch Verachtung tat und dem Hohn, sie sei verrückt und gehöre in die Anstalt, oder durch Schuldzuweisung, dass Gwen sie ins Grab bringe. Sie beschreibt: »Wie wir [sie und ihre Schwester] ihm den Rücken im Bad waschen mussten, hatte er eine Erektion und stöhnte dabei und legte einen Lappen darüber. Das ist ein Übergriff. Und dann mussten wir in seinem Wasser baden, um Wasser zu sparen. Und ich hatte die Phantasie, dass ich davon schwanger werde. Wie er eine Fliege ans heiße Bügeleisen hielt, holte er uns: Guckt, wie die Fliege brummt! Das hat mich wochenlang verfolgt. Als ich klein war, erzählte mir mein Vater eine Geschichte: ›Ein Feuerwehrmann hatte einen von Kühen gezogenen Löschwagen. Man sagte ihm, er komme aber schön langsam. Er erwiderte: Lieber sollten die Häuser abbrennen.‹ Dann näherte er sich mir – es hatte etwas Sexuelles – und streichelte mich: ›Ja, so ist es, und lieber möchte ich, dass unsere Gwen verbrennt.‹« Sie äußert in immer größerer Eindringlichkeit die ständig stärker werdende, beinahe wahnhafte Überzeugung, dass ich sie für dumm halte, das Interesse an der Analyse verliere und mich von ihr abwende. Die Rachephantasien sind sehr stark und bedrohlich. Über die frühere Therapeutin und den Vater sagt sie: »Ich könnte sie alle beide umbringen. Ich war immer an allem schuld. Wenn ich die Allmacht der Gedanken hätte, würde ich ihn durch meine Gedanken in den Tod treiben. Ich sollte ihm das Messer in den Leib stechen. Wenn ich nicht dafür bestraft würde, brächte ich ihn eiskalt um, ohne Gefühl. Einmal habe ich ihn mit dem Messer bedroht.«

Die Patientin vermutet stark, sie sei von ihrem Vater sexuell missbraucht worden, vermag sich aber nicht an direkt bestätigende Evidenz zu erinnern. Die indirekte Evidenz dafür ist hingegen recht überzeugend. Ein Hauptproblem in der Behandlung war die massive, als real erlebte Übertragung: ich verurteile sie, halte sie für dumm, unfähig, je etwas aus ihrem Leben zu machen, ekelhaft und abstoßend, wolle nicht mit ihr arbeiten. Die Grenze zwischen Phantasie und Realitätsbewusstsein wurde immer wieder in psychosenähnlicher Gewissheit verwischt. Traumatisierung und Über-Ich-Pathologie haben sich dazu verschworen, eine multiple Wirklichkeit, eine Unsicherheit der Wahrnehmung zu schaffen. Absolutheit von Erwartung und Urteil, Globalität des Affekts und Unversöhnlichkeit der Forderungen führen zu gewaltigen Verleugnungen und ebenso gewaltigen, fast wahnhaft festgehaltenen Illusionen, Gegenbildern, konkret erlebten Phantasien. Immer mehr kommt sie aufgebracht mit Anklagen, wobei ihre Phantasien zu Überzeugungen werden und die Grenze zwischen dem Aussprechen des Inneren mit Selbstreflektieren und unreflektiertem Angreifen

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überschritten wird. Die therapeutische Ich-Spaltung zwischen dem erlebenden und dem beobachtenden Ich wird aufgehoben. Der innere Konflikt wird zu einem äußeren Streit, nämlich zu einer paranoiden Anklage gemacht. Das innere Urteil wird mir zugeschrieben und als äußeres, wenigstens momentan völlig geglaubt. Dabei versucht sie, mich deutlich gerade zu dem zu provozieren, wessen sie mich anklagt. Dazwischen hat sie immer wieder Momente der Einsicht, wo sie mir Recht gibt und auch weiteres zum Verstehen beiträgt. Aber der Übergang über jene Grenze zur Absolutheit und Konkretheit und wo die Phantasie zur unbezweifelten Realität, wo die freie Assoziation zum Wahn wird, geschieht immer wieder. Ich frage schließlich (184): »Warum sind Sie so versessen darauf, mit mir die ganze Zeit zu streiten?« »Das ist eine gute Frage. Weil ich wütend bin. . . . Vorher hatte ich ganz hohe Erwartungen, dass ich etwas auflösen kann. Dann geschah genau das Gegenteil; dass ich in diese Hölle stürzte, in diesen Alptraum . . . Ich weiß nicht, warum Sie es als Streiten auffassen.« »Wenn Sie alles anzweifeln, was ich sage, und in den Schmutz ziehen und ins Gegenteil verdrehen. Alles wird zu einem sadomasochistischen Gestreit, und darüber bin ich traurig.« »Sie sagen, dass ich jede Beziehung zerstöre.« »Ich weiß nicht, ob alle, aber manche, und darüber bin ich traurig, denn ich habe gehofft, ich könnte Ihnen helfen, darüber zu reflektieren, über den Sadomasochismus und die Absolutheit, und geglaubt, dass es mir gelingen werde. Und es gelingt mir nicht. Sie sind wie zwei Persönlichkeiten: eine gesunde, gescheite, kompetente Frau, und eine, die ganz in den Sadomasochismus versinkt.« »Das sehe ich auch so.« »Und Sie sind nicht immer die Zweite, aber Sie geben dieser ungeheure Macht, und ich habe nicht genügend eine Verbündete in der ersten, und dieses Bündnis kracht jede Stunde zusammen. Und darüber bin ich traurig, nicht böse.« »Das kann ich verstehen. Dass sie in den Hintergrund getreten ist, das ist Teil der Übertragung, weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass Sie mich dumm finden, und das lähmt mich so sehr, mich zu entfalten. Das ist genau der Punkt, um den sich das Karussell drehte. Ich versuche, aus meinem Leben etwas zu machen und kann es Ihnen nicht erzählen, da Sie höhnisch über mich lachen, wie der innere Richter. Das Problem ist, dass dieser Konflikt, diese Übertragungsbeziehung – dass ich Angst habe, dass Sie alle meine gesunden Anteile höhnisch belächeln, dass ich den nicht auflösen könne.« »Es ist nicht das Problem, dass Sie diese Gefühle haben, sondern dass Sie Ihnen die Herrschaft geben und nicht darüber zu reflektieren vermögen.« »Das ist das Problem. Ich fühle nie, dass Sie etwas von mir und meinen gesunden Anteilen halten. Mag es Einbildung sein, vielleicht ist es auch Realität.«

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»Und das Gegenteil ist wahr.« »Wenn ich das glauben könnte!« »Und das ist so schrecklich für mich, dass das nicht gehört wird, und das ist die Gegenübertragung, das ist schrecklich für mich, dass alles, was ich an Anerkennung sage, nicht gehört wird.« »Das habe ich nicht gehört. Ich habe es gehört, aber ich habe es uminterpretiert: Sie würden es aus Mitleid mit mir sagen, weil ich so dumm bin. Das Gefühl habe ich bei allen Personen; dass sie mich nur für gut finden, wenn sie selber dumm sind, oder dass sie so tun aus Mitleid.« »Und das ist es, was mich zur Verzweiflung treibt: dass nichts, was ich sagen kann, so gehört wird, wie ich es meine, auf die Dauer so gehört wird, und da ist es wirklich unmöglich zu arbeiten.« »Das ist, was ich empfunden habe, dass es nicht geht, weil ich zu sehr leide und ich diesen Konflikt nicht auflösen kann. Ich habe es dahin interpretiert, dass meine Probleme zu schlimm sind, nur unter großer Gefahr, dass ich psychotisch werde.« »Das Problem ist nicht die Psychose, sondern der Sadomasochismus. Und es ist nicht das Trauma, sondern es sind die Konflikte, wie Sie mit den Traumatisierungen umgegangen sind.« »So glauben Sie also nicht, dass ich traumatisiert worden bin?« »Da ist es genau wieder, wie bei K. im ›Prozess‹: ›Sehen Sie denn nicht zwei Schritte weit?‹ Ich habe eben gesagt, wie Sie mit den Traumatisierungen um gegangen sind. Was ich meine: Das Trauma ist nicht das Zentrale.«

Damit bricht die Analyse, wenigstens für den Augenblick, ab. Ein ganz wichtiges Element über die im Text des Dialogs erwähnten hinaus, das vielleicht von mir zu wenig beachtet worden ist, ist das der narzisstischen Wut: die Erwartung auf eine magische Lösung und Rettung von mir und die tiefe und beständige Enttäuschung darüber, dass sie bei mir auch Grenzen spürte und erkannte. Zugleich wurden die symbiotischen, die Liebes- und die sexuellen Wünsche in der Übertragung erregt, wenn nicht geschürt, und doch unweigerlich frustriert. Die Überschreitung der Grenze zwischen Phantasie und Realität und damit das ständige Hin und Her zwischen wahnhafter Überzeugung von der Absolutheit des Urteils, das sie fällte und von mir erlebte, und einer gewissen Einsicht in deren Relativität, waren außerordentlich schwierig zu ertragen. Damit ging die Intensität der mörderischen Wut einher. Nicht nur genügte die Anerkennung jeglicher Art niemals, sondern diese wurde gewöhnlich gleich außer Kraft gesetzt und in deren Gegenteil verkehrt. All das stellte fast unüberwindliche Gegenübertragungsprobleme. Sie bezichtigte mich unter vielem anderen, dass ich die Schwere ihres Traumas nicht ertragen könne, deren Inhalt nicht sehen wolle und davor zurückschrecke. In Wirklichkeit war es aber das Nichtgehörtund Nichtgesehenwerden von ihr, die Aberkennung meines guten Willens

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und des ehrlichen Versuchs, sie zu verstehen und ihr zu helfen, die Verkehrung des Sinnes dessen, was ich ausdrückte, das mir immer weniger erträglich wurde, mich immer stärker aufregte. Ich glaube, es war ihre Seelenblindheit mir gegenüber, die mir ein absolutes Gefühl der Hilflosigkeit gab. Natürlich war dies eine aktive Wiederholung dessen, was sie selbst erlitten haben musste. Doch alles Verstehenwollen und damit jede Deutung der Abwehrformen von Wendung vom Passiven ins Aktive, der Externalisierung, der Projektion und natürlich vor allem der Verleugnung schienen nicht nur immer wieder wirkungslos abzuprallen, sondern verkehrten sich in narzisstische Kränkungen. Was sie von mir wollte, war die Bestätigung, dass alles seinen Grund in ganz bestimmten Traumata, vor allem sexueller Natur, haben müsse, dass dies alles erkläre und dass sie überall und ständig weiterhin das Opfer von Boshaftigkeit, mit einbeschlossen von mir, sei. Selbstverständlich gab ich ihr immer wieder Recht, dass sie sehr traumatisiert worden war, und ihre Erinnerungen an die Gewalt, die Verachtung und den Hass zuhause waren durchaus glaubhaft.

Die Übertragung der Dehumanisierung Ich verstand das Ausagieren weitgehend als Ausdruck der Über-Ich-Übertragung und der rebellischen Wut gegen diesen inneren Despoten und Verhöhner, den sie in mir nicht nur vermutete, nicht nur immer wieder erlebte, sondern auch aktiv immer wieder zu schaffen suchte. Es war die Provokation der Bestrafung, wiederum das, was heute gemeinhin unter projektiver Identifikation verstanden würde. Die massive Verleugnung von allem, was mit Grenzen zu tun hatte, verstehe ich am ehesten als ihren Versuch, das Über-Ich aufzuheben. Dahinter und darunter war es die vorübergehende Verleugnung all der traumatisierenden Erlebnisse mit Hilfe der Berauschung, wobei ich nicht nur an die Gewalt denke, sondern daran, was sie als mörderischen Hass in ihrer Familie erlebte. Ich erkannte von Anfang an die entscheidende Rolle des Über-Ich in diesen Vorgängen, die enorme Angst, die damit einherging, und die Sexualisierung als Abwehr. Die Absolutheit der Verurteilung, die ich stets ansprach, war Ausdruck des totalitären Gewissens. Ich fand es das Allerschwierigste an der sadomasochistischen Übertragung, dass mir unablässig und oft in sehr geschickter Weise die Schuld an allem zugeschoben wurde. Diese Selbstverurteilung, dieser innere Henker war, was gegen außen als sadomasochistisches Agieren, eben durch Externalisierung sichtbar wurde und zwanghaft zu einem unablässigen Provozieren von Verachtung und Hass führte. Und zugleich war es

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das, was sie fast unaufhaltsam zur Selbstvernichtung trieb und so lange unsere Arbeit vereitelte. Gwens paranoide Grundeinstellung schien zumeist unerschütterlich, obwohl es nicht zu einem ausgebildeten Wahn kam. Mir erschien es mehr ein Versinken im sadomasochistischen Sumpf zu sein als das Verfallen in einen Wahn, eher eine schwere sadomasochistische Charakterperversion als eine paranoide Psychose. Die Verleugnung der Grenzen und die ständige Doppelheit von Teilnahme an unserer gemeinsamen Wirklichkeit und einem Leben in Allmacht und Ohnmacht, in absoluten Urteilen und globalen Affekten erwies sich als so stark, dass ich mich selbst in den Strudel hereingerissen fühlte. Allgemeiner gesagt ist die Welt der Absolutheit eine Welt der totalen Affekte und der totalen Abwehr. Die dadurch geschaffenen zwei Welten, die der Phantasie und die der Realität, bedeuten Nein und Ja und stiften die Verwirrung, schaffen also den Ausnahmezustand, die Trance. Wegen der totalen Affekte und Abwehrarten zerfällt in der Dissoziation scheinbar die Persönlichkeit in kleine Stücke, in Fragmente. Nur zu oft ist es so, dass diese Patienten uns durch ihr schweres, destruktives Agieren in das Entweder-oder des archaischen Über-Ich zwingen, statt dass es bei der beharrlichen und bedachten Untersuchung und Selbstbeobachtung bleiben kann. Das Motto »Untersuchen statt Urteilen« wird auf Seiten dieser Patienten immer wieder in die Abwehr »Urteilen statt Untersuchen« verkehrt, und diese teilt sich auch dem Therapeuten unausweichlich mit, sei es in Form der verärgerten Gegenübertragung, sei es als notwendige Intervention: »So geht es nicht weiter.« Bei solchen Formen der Regression wird es deshalb unvermeidlich, dass wir immer wieder in ein Gegenübertragungsagieren hineingezogen werden, dass also der verzweifelte Versuch immer wieder glückt, uns zum Teil ihrer inneren Konflikte zu machen. Doch damit besteht die große Gefahr, dass unsere berufliche Integrität kompromittiert wird. Ein Übertragungs-Gegenübertragungs-Bild, das sich oft in Behandlungen bei schweren Beziehungstraumata finden lässt: Der Analytiker berichtet, die Behandlung habe etwas Lähmendes, Einschläferndes. Es sei wie eine Trance. Auch das ist eine Übertragung der Abwehr: Die Dissoziation wird übertragen. Etwas wird da innerlich unwirklich gemacht, weil es so schmerzbeladen ist: »Ich darf nichts spüren und meinen Affekt nicht ausdrücken, da er sonst überwältigend würde: Schmerz, Trauer, Scham und Angst.« Die eigenen Affekte werden vom Kind unterdrückt und ganz stark blockiert, damit es stattdessen aufpassen kann, wie Mutters Stimmung wirklich ist. Es kann der Mutter die Sache nie recht machen und muss die

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Verantwortung für deren Unglück übernehmen. Dies schafft extreme Verantwortlichkeit, extreme Wut und extreme Abhängigkeit, aber die Gefühle bleiben wortlos, vor allem die Trauer und das Verletztsein; sie sind auf einer sehr archaischen Ebene abgesperrt. Die grollend abweisende, verärgerte Haltung von Eltern ist sehr traumatisierend. Oft finden wir dann, wie der Patient immer wieder Dinge verliert und zugleich durch sein Leben hindurch, und dann auch in der Übertragung, das Gefühl hat, »verloren zu gehen«, vergessen zu werden: Ein ganz wichtiger Schlüssel lässt sich nicht mehr auffinden. Das Auto kann im Traum nicht mehr gefunden werden. Als Kind wurde man in der Tat in einer Garage vergessen, und der Verlust wurde von den Eltern erst ein halbe Stunde später entdeckt. Der Partner fühlt sich immer wieder draußen gelassen und geht verloren. In der Übertragung wird entsprechend denn auch das Trauma aktiv reinszeniert: »Ich brauche dich ja gar nicht. Du erstarrst und bist gefühllos, denn das ist gerade wie ich mich im Innersten empfinde. Ich bin doch letztlich nur ein Ding für dich, und du bist auch nicht mehr als ein Ding für mich.« So werden Dissoziation und Dehumanisierung vom Passiven ins Aktive gewendet; der Spieß wird umgedreht. Die Affekte mögen teilweise zwar da sein, wenngleich in abgestumpfter, verleugneter Form. Zugleich findet sich oft hinter der manifest feindseligen Bindung und ärgerlich abgewehrten Nähe die Sehnsucht nach völliger Verschmelzung und eine tiefe Angst vor Trennung von einem Menschen. Bei manchen ist es so, dass sie jeder Erledigung einer Aufgabe aus dem Wege gehen müssen, um so die Trennung zu vermeiden. So wird es zur Unfähigkeit, sich zu trennen und zu trauern und einen Neuanfang zu machen. Die Angst ist, wenn man sich trennt, dass nichts Neues mehr beginne, dass jede Trennung einen totalen Verlust von Objekt, Welt und Selbst ist. Wenn man die Zeit einfrieren lässt, gibt es keine Trennung und keinen Tod. Die Stimmung ist die der ewigen Wiederkehr des Gleichen – die Trance, eine »Uhr ohne Zeiger« (Carson McCullars, »Clock without Hands«)2. Bei Gwen wurde diese Angst durch unkontrollierbare Wut abgewehrt. Ich zitiere zum Schluss aus der quälend-eindrücklichen Beschreibung des Sadomasochismus in Elfriede Jelineks Roman »Die Klavierspielerin«: »Sie spinnt sich ganz in ihre Gegenständlichkeit ein und sperrt ihre Gefühle aus [. . .] Sie will nur Instrument sein, auf dem zu spielen sie ihn lehrt. Er soll frei sein, sie aber durchaus in Fesseln. Doch ihre Fesseln bestimmt Erika selbst. Sie entscheidet, sich zum Gegenstand, zu einem Werkzeug zu ma-

2 Ich verdanke diese Gedanken Günter Reich.

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chen [. . .] Ihr sehnlichster Wunsch ist es [. . .] dass du mich bestrafst [. . .] Dieses Inventarverzeichnis des Schmerzes. Ich soll dich also als bloßen Gegenstand behandeln« (Jelinek 1983, S. 216–220). Auch Jelineks Stil lässt sich analytisch untersuchen: eine seltsame Mischung von ausgezeichneter, fast liebevoll-voyeuristischer Beobachtungsgabe und -lust, Ekel über die bürgerlich verlogene, seelenblind grausame Gesellschaft und deren Behandlung der Kinder, von Ironie und Zynismus, ein Spielen mit den Floskeln des Alltags und der Prätention, um tiefere Wahrheiten auszusagen. Es sind alles narzisstische, seelenkalte Menschen. Schmerz, Trauer, Liebe und Scham scheinen weitgehend zu fehlen oder doch verhüllt zu sein und durch die spöttische Sprechweise und die völlig verdinglichte Sexualität weit weggewiesen zu werden. Die Arbeit mit diesen Patienten bedarf enormer Geduld und Durchhaltekraft auf beiden Seiten, um den eisernen Griff der Zwanghaftigkeit zu brechen, der Getriebenheit, die in Kafkas Worten so überaus prägnant gefasst ist: »Ich bin hier, mehr weiß ich nicht, mehr kann ich nicht tun. Mein Kahn ist ohne Steuer, er fährt mit dem Wind, der in den untersten Regionen des Todes bläst« (Kafka: Der Jäger Gracchus).

AndreasDieckmannundVa lentinaAlbertini:SuchttherapieinderKlinik

Andreas Dieckmann und Valentina Albertini

Psychoanalytisch-interaktionelle Suchttherapie in der Klinik – Erfahrungen mit einer einheitlichen therapeutischen Haltung Abstract Die von Heigl-Evers und Heigl aus der Psychoanalyse entwickelte psychoanalytischinteraktionelle Methode ist über eine Psychotherapiemethode hinaus eine Grundlage für die Entwicklung von integrierten Institutionssettings und wird damit der zentralen Forderung psychoanalytischer Theorie nach Beziehungskontinuität in der Behandlung Suchtkranker gerecht. Es werden Überlegungen aus der Praxis der stationären Therapie angestellt, die differenten Anforderungen an eine Suchtfachklinik mit einer therapeutischen Haltung in Einklang zu bringen. Unter Berücksichtigung des bedeutsamen Einflusses der Leistungsträger und der angemessenen Forderungen der Sozialmedizin referiert der Beitrag die Erfahrungen einer Entwöhnungs-Fachklinik.

Die Aufgaben der Suchtfachkliniken und ihre Entwicklungen In der Geschichte der Suchtkliniken stand in den beginnenden 1980er Jahren die Psychotherapie im Mittelpunkt des Interesses der Behandler. Psychoanalytisch ausgerichtete Kliniken sahen sich mit ihrem Anspruch an die Therapie gut gerüstet, hat doch Freud (1926, 1916–17) als Therapieziel neben dem eher sekundären Ziel der Symptomlinderung die Aufhebung wesentlicher Verdrängung und Widerstände genannt. Daraus resultiere ein adäquater Umgang mit Triebansprüchen und dies führe zu einer Wiederherstellung der Liebes- und Genussfähigkeit und über die Sublimierung nicht zuletzt zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Die übrigen Behandlungselemente körperbezogener, kreativer und arbeitstherapeutischer Art waren mehr oder weniger beachtete Adjuvantien, die nicht selten unverbunden die Zeit zwischen den Psychotherapiestunden füllten. Das Primat der Psychotherapie blieb weitgehend unangefochten. Die Beziehungsstrukturen im sozialen Gefüge einer Klinik wurden nicht zuletzt vor dem Hintergrund der theoretischen Weiterentwicklung der Psychoanalyse durch die Objektbeziehungstheorie durch Melanie Klein, D. W. Winnicott und W. R. Bion, O. F. Kernberg und anderen rasch als relevante Einflussgrößen auf die Therapie erkannt. Mit der zunehmenden Verbreitung

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des Prinzips der therapeutischen Gemeinschaft war der Versuch verbunden, Teile der Verantwortung für das Gemeinschaftsleben in die Hände der Patienten zu legen. Den Begriff »Therapeutische Gemeinschaft« prägte Main (1946) und wendete das Konzept im Cassel-Hospital in London an. Jones (1976) forderte für solche »Gemeinschaften« die Auflösung der asymmetrischen Arzt-Patient-Beziehung und der hierarchischen Ordnung zugunsten einer demokratischen Partnerschaft, freie Kommunikation und Information auf allen Ebenen, Analyse der zwischenmenschlichen Dynamik auf ihren Motivgehalt, spontanes und veranstaltetes »social learning« als Auseinandersetzung mit der Realität und die Leitidee, dass die gesamte Klinik eine große therapeutische Gemeinschaft sein könnte. Es sei hier am Rande erwähnt, dass Therapeutische Gemeinschaften mit Sucht(selbst)hilfegemeinschaften des Typs Synanon mit dem Konzept von Jones und Main nicht vergleichbar sind. In der Realität deutscher Einrichtungen blieben diese Forderungen zumeist eine Utopie, fanden aber ihren Niederschlag in der Entwicklung eklektisch adaptierter milieutherapeutischer Konzepte. Die Chance einer psychotherapeutisch-sozialpsychologischen Einheit des gesamten Therapieprozesses stieß auf die Befürchtung, ein solches Setting könne aufgrund der Schwere der psychischen Störungen im Chaos und in Überforderung der Therapeuten und Patienten enden. Tatsächlich zeigt die Dynamik einer Vielzahl strukturell gestörter Patienten eine fortwährende Tendenz von Abwertung, Spaltung und Destruktivität. Ebi (2000) hat solche Erfahrungen eindrucksvoll beschrieben und herausgestellt, dass manche Regeln in den Kliniken eher Ausdruck der Befürchtungen ungeklärter negativer Gegenübertragungen der Therapeuten als Ergebnis der Umsetzung psychotherapeutischer Theoriemodelle sind. In der Landschaft klinischer Einrichtungen gab es nur wenige, die den Versuch unternahmen, ihr Gesamtkonzept einer psychotherapeutischen Leitidee zu unterstellen. Im Klinikalltag galten häufig mit dem therapeutischen Anspruch nicht abgestimmte Regeln einer »Hausordnung«. Verstöße dagegen unterlagen zumeist Sanktionen, deren »Höchststrafe« die disziplinarische Entlassung darstellte. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema nahm einen großen Raum ein, weil die mit der Dynamik der Sucht verbundene Grenzüberschreitung in Kliniken allgegenwärtig war und ist. Es entstand ein »Psychotherapieraum«, der einem »Real-Raum« kontrovers gegenüber stand. Der in der Psychotherapiesitzung empathische Behandler konnte und musste im realen Klinikalltag zum strafenden Richter werden oder entzog sich dem Klinikalltag. Janssen (1987) beschreibt zwei Modelle psychoanalytischer Therapie in der Klinik mit der Unterscheidung eines bipolaren (Enke 1965) von einem

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integrativem Modell. Die Übertragungsprozesse sollen im bipolaren Modell mit dem Psychotherapeuten bearbeitet werden, während der soziale Raum der Station als Übungsfeld für eine angemessenere Realitätsbewältigung genutzt werden soll. Der Autor berichtet von der Erfahrung, dass es bei ich-strukturell gestörten Patienten mit primitiven Übertragungsmustern zu Abspaltungen von Übertragungen und damit zwischen Patienten und Personal zu Übertragungs-Gegenübertragungs-Bindungen kommt, die sich therapeutisch nicht bearbeiten lassen. Unter der Vorstellung, dass sich im gesamten klinischen Alltag die gesellschaftlichen Konflikte reinszenieren, versucht das integrative Modell eine Aufhebung unterschiedlicher Räume im therapeutischen Prozess. Die Übertragungsspaltung wird hier als therapeutische Chance für die Behandlung schwerer gestörter Patienten gesehen. Das gesamte klinische Feld wird zu einem therapeutischen Raum, in dem der Patient im Umgang mit Mitpatienten und dem Behandlungsteam seine Pathologie reinszeniert (Senf 1988). Im konkreten Fall bedeutet das auch den Einbezug der anderen Therapiemodi wie Psychoedukation, Ergotherapie, Physiotherapie und Sozialarbeit in ein integriertes Therapieprogramm. Janssen und Senf beschreiben allerdings keine Suchtfachkliniken, die sich von psychosomatischen Kliniken schon durch ein einzelnes dominierendes Krankheitsbild unterscheiden. Die Dynamik in der Behandlung ist hier geprägt von der Aufgabe eines geliebten Hilfsmittels gegen einen sekundären, oft nicht einmal bewusst erlebten Leidensdruck. Die entstehende Ambivalenz gegenüber der Therapie manifestiert sich in der Aufrechterhaltung zweier Welten des Erlebens und einer Doppelbödigkeit im Kontakt mit dem stationären Terrain. Im Rahmen des politischen Paradigmenwechsels von der bestmöglichen Medizin zum dringend medizinisch Notwendigen in den 1990er Jahren wurden psychosomatische Abteilungen in Krankenhäusern geschlossen und unter dem Kostendruck scheinbar effektivere und schnellere Behandlungsmöglichkeiten herausgestellt, die in der Psychiatrie zu einem Boom neurobiologischer Maßnahmen geführt haben – von der neuroleptischen Medikation bis zur schleichenden Rehabilitation der Elektrokrampftherapie (Folkerts 2000), wie etwa die Internetenzyklopädie Wikipedia betont. In der medizinischen Rehabilitation/Entwöhnung hat sich dagegen eine gegenläufige Entwicklung ergeben, die zu einer Erweiterung der Therapiemöglichkeiten (Schallenberg 2001) mit Flexibilisierungen zwischen ambulanten und stationären Modulen auffordert. Die Entwicklung der Leistungsfähigkeit bundesdeutscher Suchtfachkliniken steht im engen Zusammenhang mit der versicherungsrechtlichen

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Zuordnung zur Deutschen Rentenversicherung, die mit ihrem Rehabilitationsauftrag der stärkste Kostenträger der Entwöhnungstherapie ist. Nach dem stationären oder ambulanten qualifizierten Entzug vom Suchtmittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Weiterbehandlung im Rahmen der Entwöhnung auf die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit fokussiert. Das Sozialgesetzbuch VI regelt in § 15, dass die Rentenversicherung Leistungsträger der medizinischen Rehabilitation ist. Anders als im Krankenhauswesen hat die Rentenversicherung damit einen starken Einfluss auf die Behandlung Suchtkranker. Sie knüpft an die Belegung der Kliniken einen dezidiert sozialmedizinischen Anspruch an die Therapieinhalte und -ziele, legt Leistungskataloge vor und fordert deren Umsetzung. In regelmäßigen Visitationen werden aktuelle Entwicklungen diskutiert und die Anpassung der Klinikkonzepte gefordert. Mit dem sozialmedizinisch geprägten biopsycho-sozialen Krankheitsfolge-Modell, das die Komplexität der Störungen aus allen Lebensbereichen in den Blick nimmt, ergeben sich Möglichkeiten, Konzepte zu formulieren, die mit dem ganzheitlichen Anspruch psychoanalytischer Grundhaltung sehr gut vereinbar sind.

Die Kongruenz zwischen Psychotherapie und Gesamtsetting am Beispiel einer Suchtfachklinik Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Erfahrungen einer Klinik (Hartmut-Spittler-Fachklinik, Berlin), die seit fast 30 Jahren arbeitsplatzund wohnortnah psychoanalytisch orientierte Entwöhnungstherapien anbietet. Aus der häufigen Vergesellschaftung von Sucht und struktureller Störung entstand der Gedanke, alle Therapiebestandteile therapeutisch im gleichen Behandlungsstil zu konzeptionalisieren. In einem »Holding« verlässlicher Interventionsstile sollte der frühen Willkürerfahrung entgegengewirkt und eine Bildung reiferer Objektrepräsentanzen ermöglicht werden. Nachreifungsprozesse oder Defizitkompensationen mangelnder Ich-Funktionen, die aus einem realen Versagen der Umweltversorgung hervorgegangen waren, sollten so auf der Grundlage einer »fördernden Umwelt« (Winnicott 1974a) ermöglicht werden. Diese fördernde Umwelt hat hinreichend gute wie frustrierende Eigenschaften. Die eine therapeutische Haltung entspricht in diesem Bild der wesentlichen Anwesenheit einer Bezugsperson während der ersten Lebensmonate, die es möglich macht, Entwicklungsschritte wie Integration und die Fähigkeit, Realität wahrzunehmen, zu fördern.

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Mit Beginn der 1990er Jahre hat sich die Klinik der psychoanalytisch-interaktionellen Vorgehensweise verschrieben. Aus der Möglichkeit der ubiquitären Anwendung der therapeutischen Haltung und der Interventionstechnik entwickelte sich das Konzept, in einem »herrschaftsfreien Dialog« (Habermas 1981) alle Vorgänge in der Klinik unmittelbar in die Therapie einzubeziehen. Mit einem modifizierten Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft gab es keine Unterscheidung zwischen Therapie und Realität des Klinikalltags mehr. Alle Vorgänge in der Interessengemeinschaft »Klinik« sollten ein Training für einen adäquateren und weniger selbstschädigenden Umgang mit den Anforderungen des Lebens bilden.

Die Klinik als Übungsrealität Die Therapeutische Gemeinschaft der Klinik ist allerdings kein primär demokratischer Raum: Eine geringe Zahl notwendiger Regeln bilden mit dem Therapieprogramm das Übungsfeld in einem schützenden, reifungsfördernden Rahmen. Die Therapie geht über einen Zeitraum von 12 Wochen in einer von den Therapeuten organisierten und gegenüber den Patienten verantworteten Struktur. Die Therapiezeit wird nicht als »Auszeit« verstanden, sondern als speziell geprägte Lebensphase, die Teil der Lebenserfahrungen werden soll, auf die sich der Patient später konkret rückbeziehen kann. Die vollstationäre Phase geht über 8 bis 9 Wochen und kann dann mit einem ganztägig ambulanten Setting, bei dem der Patient tagsüber an seinem Therapieprogramm wie zuvor teilnimmt und abends in sein Wohnumfeld zurückkehrt, auf das Leben im individuellem Umfeld vorbereiten. Möglich ist auch eine ambulante Weiterbehandlung in der alten Therapiegruppe einmal wöchentlich für bis zu 40 Gruppenstunden. Aber auch nach der Entlassung stehen ihm bestimmte Therapiegruppen offen und er ist zu dem monatlichen »Ehemaligentreffen« eingeladen. Die Therapien werden ergänzt von eigenverantwortlich organisierten Gemeinschaftsveranstaltungen, Kulturausflügen und anderen Aktivitäten. Auch Aufgaben wie Blumenpflege, Ordnung im Freizeitbereich, Bücherausleihe, Küchendienst, Bewirtung der Ehemaligen in einer offenen Abendgruppe obliegen den Patienten. Die Aufgabenverteilung erfolgt nach einem einheitlichen Wahlmodus in einer wöchentlichen »Allgemeinen Besprechung«. Es ist in der Literatur unbestritten und ausführlich dargestellt, dass die in die Entwöhnungsklinik gelangenden Rehabilitanden häufig strukturelle Störungen aufweisen. Die Entwicklung von Ich-Funktionen und Objektrepräsentanzen, die im späteren Leben zu einer schwerwiegenden Erlebens- und

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Verhaltenspathologie führen, bleibt unvollständig. In einer frühkindlichen Phase kommt es zur emotionalen Unterversorgung durch die primären Objekte (die Eltern). Das Fehlen einer Mutter, die die Veränderungen des Kindes aushält und positiv unterstützt im Sinne einer haltenden Umwelt »holding function« (Winnicott 1974), beziehungsweise ein mangelndes Containment (Bion 1962b) führen beim Säugling zu erhöhten Trieb- und Affektspannungen und zu Störungen in den Objektbeziehungen. Die als Folge auftretenden Externalisierungen der Konflikte, die eingeschränkte sinnliche Wahrnehmungsfunktion sowie die mangelnde Affektdifferenzierung führen zu einer Vielzahl von sozialen Fähigkeitseinschränkungen und Beziehungsstörungen. Hier wiederholt sich dann die ursprüngliche Kommunikationsstörung (Voigtel 2001; Krystal u. Raskin 1983; Burian 2003). Die Sucht ist das Ergebnis scheiternder Kompensation und verstärkt die Spirale aus psychischem und sozialem Elend.

Die Gestaltung einer einheitlichen therapeutischen Haltung Grundlegendes Therapieprinzip für die Entwicklung stabilerer innerer Repräsentanzen ist daher die Beziehungskontinuität. Der suchtkranke Mensch mit strukturell angelegter Entwicklungspathologie hat keine ausreichende Fähigkeit zur therapeutischen Ich-Spaltung im Therapieprozess. Das heißt, er kann den Menschen in seiner Funktion als Psychotherapeut nicht von der als Diensthabender in der Klinik unterscheiden. Daher spricht der Psychotherapeut auffallende Regelverletzungen oder Verhaltensauffälligkeiten auch außerhalb der Therapiesitzung im psychoanalytisch-interaktionellen Modus an. Der konsequente Verzicht auf Sanktionen ermöglicht eine wohlwollende Konfrontation mit der Realität, verhindert anale Machtkämpfe, erübrigt oft pathologisches Agieren und unwahrhaftigen Umgang mit dem Therapeuten. Diese Störungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung, der Konfliktlösung, der perspektivischen und aktuellen Lebensbewältigung finden ihren Ausdruck in der sozialen Kommunität der Klinik. Sie bildet den Realraum des Lebens ab und stellt ein ideales Trainingsfeld zur Erarbeitung angemessener Affektdifferenzierung, Konfliktwahrnehmung und -lösungen dar. Sie bildet gleichzeitig einen Schutzraum gegenüber der Außenwelt in dem Sinne, als Versagen, Reinszenierungen misslungener Konfliktlösung und andere Erscheinungsformen der Pathologie registriert werden können. Konsequenterweise umschließt diese Sichtweise auch die Neuauflagen der frühen Beziehungserfahrungen in realen Alltagskonflikten, die das Zu-

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sammenleben in der Klinik und die Behandlungsmodalitäten von der Körpertherapie bis zur arbeitsbezogenen Therapie betreffen. »Hierdurch entstehen integrative Aspekte, Berührungspunkte und Reibungsflächen mit anderen Therapieverfahren« (Bolm 2005, S. 176). Bereits Simmel hatte 1927 vorgetragen, dass die stationäre Behandlung aufeinander abgestimmt sein müsse, weil die psychoanalytische Therapie ein »Lebenskreis« sei, der die Alltagsbewältigung mit ihren Mechanismen »ziemlich genau widerspiegelt«. Er erkannte, dass die Klinik eine Art erweiterte Person des Analytikers darstellt beziehungsweise »des Urtyps seiner [des Patienten, Anm. der Autoren] Familie überhaupt«. Relativ selbstverständlich spricht er von der »psychoanalytischen Krankenpflege« und bezieht damit alle Berufsgruppen in den Prozess ein. Dass gerade auch das Agieren des Patienten auf der Station als Widerstand verstanden und bearbeitet werden kann, erkannte Simmel bereits vor 80 Jahren und beschreibt ein »integratives Organisationsmodell« wie es Bilitza dem »bipolaren Organisationsmodell« in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Innenleben einer Klinik aus der Sicht des Supervisors gegenüberstellt. Das psychoanalytische Verstehen der Innenwelt der Klinik und ihrer – auch pathologischen – Strukturen wie es über Team-Supervisionen möglich wird, ermöglicht es, die gesamte Klinik als Ort eines multimodalen Übertragungs-Gegenübertragungs-Geschehens zu begreifen, an dem nicht zuletzt via Reflexion und Reifung klinikinterner Strukturen die Ich-Reifung der Patienten positiv beeinflusst werden kann (Bilitza 1994).

Die Rahmenbedingungen im Übertragungsgeschehen Kliniken mit einer Geschichte der psychoanalytisch-interaktionellen Vorgehensweise merken sehr schnell, dass die affektverträgliche Umgehensweise mit der Realität in der Psychotherapie den Mitarbeitern eine hohe Transparenz in der Kommunikation abverlangt: Fehler der Institution werden eingestanden, Mitarbeiter dürfen kritisiert werden und das Eingestehen eigener Unzulänglichkeiten wird wohlwollend bearbeitet. Die kritische Auseinandersetzungsmöglichkeit ermutigt die Patienten, ihrem Widerstand Raum zu lassen. Das übertragungsfokussierende empathische Kommunikationsmuster ermutigt die Patienten, der Pathologie einen relativ angstfreien Platz zu lassen. Der Patient darf sich zeigen, wie er sich erlebt. Um den Patienten den realistischeren Zugang zur Realität zu ermöglichen, können solche Prozesse nur gelingen, wenn die Realität im Einklang mit den Notwendigkeiten des Zusammenlebens steht. Die kritische Sichtung

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des Regelwerks ergibt dann meist eine deutliche Reduzierung auf ein für die soziale Regulierung des Zusammenseins notwendiges Maß. Dennoch bilden die Regeln, eben weil sie äußere Realität verkörpern, eine fassbare Barriere gegen die illusionären Autarkiewünsche der Suchtkranken und müssen sich immer wieder an den Vorstellungen und Ideen der Patienten messen lassen. Auch die Regeleinhaltung unterliegt sinnvollerweise der Verantwortung des Patienten. Das heißt, dass Kontrollen praktisch nicht durchgeführt werden, aber die wache Präsenz der Therapeuten einen ständigen Dialog in Gang hält. Auch Nachfragen an passender Stelle, etwa nach dem rechtzeitigen Abschalten des Fernsehgeräts am Vorabend, wenn der Patient den Frühsport verschlafen hat, halten die Realität an der Oberfläche der Aufmerksamkeit. Die in der Gruppe auszutragenden Konflikte bilden ein Ventil für die innere Wut gegen das Realitätsprinzip. Im begrenzten Umfang kann der Patient die Klinik und ihre Welt zunächst behandeln wie ein Übergangsobjekt: »In der Beziehung zum Übergangsobjekt gelangt das Kind von der (magischen) Kontrolle durch Allmachtsphantasien zu einer Kontrolle durch Handhabung« (Winnicott 1974, S. 19). Zu den weiteren Rahmenbedingungen gehört der Umgang mit der Aufmerksamkeit gegenüber der Suchtmittelabstinenz. Im interaktionellen Umgang miteinander geht die Therapeutische Gemeinschaft von einem ambivalenten Abstinenzwillen des Patienten aus. Macht der Patient einen entsprechenden Eindruck,wird er gefragt, ob er rückfällig ist. Um die Vertrauensbeziehung zum Patienten nicht fortwährend in Frage zustellen, kann auf Überprüfungen des Alkohols in der Atemluft verzichtet werden. Für den psychoanalytisch-interaktionellen Umgang ist diese Begegnung zwischen Therapeut und Patient ein Netz von Übertragungs-Gegenübertragungs-Reaktionen, die der Therapeut in der psychoanalytischen Vorgehensweise aufarbeitet. Dabei antizipiert er bereits die schuldgefühlshafte Reaktion des Patienten, der sich weniger umsorgt als vielmehr – seiner Erfahrung entsprechend – vorwürflich angegriffen fühlt und möglicherweise aggressiv reagiert. Die Affektklarifizierung dieser Reaktion klärt nun die aktuelle Situation. Gleichzeitig oder bei einer späteren Gelegenheit werden die Rollenirritationen angesprochen, indem der Therapeut sich mit der Aggression auseinandersetzt, die er empfunden hat, aber auch mit der schuldgefühlshaften Verarbeitung der erwünschten Zuwendung des Therapeuten, die von den Patienten an anderer – meist unrealistischer Stelle – illusionär erwartet wird. Im Übrigen besteht ein Rückfallkonzept, bei dem unter verschiedenen Aspekten in Gesprächen mit dem Therapeuten, in der Klein- und Großgruppe und mit einer für diesen Zweck gewählten Patientengruppe der

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Rückfall bearbeitet wird. Aus den Erfahrungen kann der Betroffene, ebenso wie die Mitpatienten, antizipatorische Präventionsmaßnahmen ableiten. Gegebenenfalls werden die Therapieziele konkretisiert, um die weitere Behandlung effektiver zu gestalten. (Büchner setzt sich an anderer Stelle dieses Buches ausführlich damit auseinander.)

Die Gestaltung der Beziehungskontinuität In allen Therapiebereichen wünscht sich der Kostenträger ebenso wie der Therapeut die Entwicklung konstruktiver Fähigkeiten. Das ist in einer Kontinuität der Beziehungen innerhalb der Bezugsgruppe besser erreichbar als in immer neu zusammengestellten Indikationsgruppen. Darauf hat Bilitza (2004) pointiert hingewiesen: »Ich halte daher Therapiekonzepte für sehr problematisch, die dem Suchtpatienten eine Vielzahl an Therapeuten unterschiedlichster Provenienz in verschiedenen homogenen Gruppen mit wechselnder Patientenzusammensetzung bieten. Der Verlust von Beziehung in der Pathogenese wiederholt sich so im therapeutischen Prinzip der Behandlung und kann unter diesen Voraussetzungen nicht bearbeitet werden.« Diese Vorgehensweise stellt die Klinik in ihrem Therapieangebot vor die schwierige Aufgabe, die Logistik des Behandlungsplans kompatibel zu gestalten und mit den Forderungen des Leistungsträgers in Einklang zu bringen. Die konsequente Anwendung der psychoanalytisch-interaktionellen Methode in allen Segmenten des Therapieprozesses aktualisiert die Beziehungskonflikte, Ich-Funktionsdefizite und infolge die Beeinträchtigungen der Teilhabe am täglichen Leben und der Arbeitswelt. Allerdings erfordert dieser Arbeitsstil eine hohe Kommunikationsdichte zwischen den Therapeuten im täglichen Ablauf. Über die Teamsitzungen und Kurvenvisiten hinaus bedarf es des fortwährenden Austausches in – manchmal nur kurzen – Nachbesprechungen und informellen Gesprächen zwischen den Therapieeinheiten.

Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode Wenn die psychoanalytisch-interaktionelle Methode auch anderenorts technisch detailliert dargestellt wurde (z. B. Dieckmann 2000, 2003), sollen hier noch einmal die Grundzüge der Methode zusammengefasst werden. Voraussetzung ist eine Haltung des Respekts vor dem Geworden-Sein. Die Autoren beziehen sich dabei auf die oft schwer nachvollziehbaren Verhält-

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nisse, in denen der Patient seine Entwicklung erleben musste. Daraus soll sich eine Akzeptanz des So-Seins ergeben. Dieser Teilaspekt der Haltung bedarf besonderer Aufmerksamkeit, weil er dem Therapeuten nicht selten schwierige innere Prozesse abverlangt, wenn er zum Beispiel einem Sexualstraftäter oder Pädophilen gegenübertritt. Das Verstehen aber ist eine der Voraussetzungen der Entwicklung des Selbstbewusstseins. Dazu bedarf es der wachen Präsenz für alle Äußerungen des Patienten, auch der nonverbalen. Schließlich wird die Authentizität des Therapeuten gefordert, der sich als Person zur Verfügung stellt. Die therapeutische Abstinenz wird hier einerseits relativiert, andererseits speziell beachtet, weil der Therapeut seine individuellen Gefühle ausschließlich in den Dienst des Patienten stellt und sie für dessen Belange in der Gegenübertragungsanalyse interpretiert. Über die Begegnung, in welcher Situation auch immer, reinszeniert sich eine Erfahrungsszene in der Übertragung, deren Bedeutung dem Therapeuten in seiner Gegenübertragungsanalyse erkennbar wird. Damit nimmt er den Patienten in seiner inneren Auseinandersetzung zunächst bedingungslos an und kann ihn verstehen. In geeigneter Situation wird er den verstandenen Affekt, den individuellen Bedeutungshintergrund oder die Dynamik klarifizieren. Er wird die Beziehungsproblematik oder die defizitäre Ich-Funktion fokussieren und mit einer Intervention eine Hilfs-IchFunktion zur Verfügung stellen. Die konsequente Anwendung der Methode erfolgt in mehreren Schritten: 1) Wahrnehmung der Szene mit der aktuellen Übertragung, 2) Wahrnehmung der Gegenübertragungsreaktion, 3) Gegenübertragungsanalyse als Modell des frühen Objekts 4) das verstehende Überdenken, 5) die Klarifizierung, 6) an geeigneter Stelle die Intervention im Sinne einer Hilfs-Ich-Funktion. Diese standardisierte Entwicklung der Intervention ermöglicht es auch im Therapeutenteam, sich rasch zu verständigen. Insbesondere in Konfliktsituationen können die Therapeuten die Spaltungsvorgänge schneller erkennen, weil sie die wahrscheinliche Reaktion des Kollegen einschätzen können.

Die Gestaltung der Behandlungsmodalitäten Die stationäre psychotherapeutische Behandlung in Gruppen hat sich bewährt. In einer Untersuchung an 919 Patienten der Klinik in Tiefenbrunn hat sich herausgestellt, dass schwerer gestörte Patienten vom psychoanaly-

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tisch-interaktionellen Setting mit signifikanten Verbesserungen profitieren (Rabung et al. 2005). In der Hartmut-Spittler-Fachklinik wird in Kleinund Großgruppen gearbeitet, die durch Einzelgespräche ergänzt werden. In dieser Kombination können Beziehungsmuster und Funktionsdefizite von den verschiedenen Ebenen her bearbeitet werden. Es bietet sich an, die Therapeutischen Gemeinschaften innerhalb der Klinik auf 40 bis 50 Rehabilitanden zu begrenzen, um die Therapiekontinuität in den psychotherapeutischen Großgruppen aufrechterhalten zu können. In dieser Gruppengröße lassen sich die triadischen Kommunikationsformen mit den dyadischen Begegnungen im sozialen Gesamtraum auf einer regressionsarmen Ebene gut verbinden. Denn in der Gruppensituation erfährt der Patient eine Triangulierung, die er insofern als therapeutisch hilfreich erfahren kann, wenn es ihm mit Hilfe des Gruppenleiters gelingt, die Übertragungen in der ödipalen Konfiguration zwischen ihm, der Gruppe und dem Gruppenleiter zuzulassen. Dieser Gruppe kommt eine wichtige Schlüsselposition in der Präsenzerhaltung der allfälligen Konflikte zu. Sie sollte von einem erfahrenen Therapeuten möglichst durchgängig gestaltet werden. In unserer Klinik beginnen vier Tage der Woche mit dieser Großgruppenarbeit, bei der die Teilnehmer im Sinne einer Faceto-face-Gruppe im Kreis sitzen. In der Großgruppe werden die Gruppen- und Einzelkonflikte, die in anderen Therapieeinheiten aufgetretenen Themen und die atmosphärischen Aktualsituationen in der Klinik mit Minimalstrukturierung interaktionell verhandelt. Der Therapeut benennt lediglich die Regel der freien Interaktion (Heigl-Evers et al. 1994, S. 227, 239), die anlehnt an die Regel der freien Assoziation als Grundsatz der Psychoanalyse, sonst gelten keine Regeln und Normen. Natürlich gelten die Grenzen dessen, was den anderen Gruppenmitgliedern zumutbar ist. Die Vorgänge in der Großgruppe lassen sich anders als in der Kleingruppe, die als Modell der Familie gilt, durch Freuds bedeutende Schrift »Massenpsychologie und Ich-Analyse« (1921c) besser verstehen, in der er sich mit Le Bons (1912) Psychologie der Massen auseinandersetzt. Freud erforschte die Art der Beziehungen in künstlich strukturierten Massen, Kirche und Heer und nennt als Grundtatsachen der Massenpsychologie die Affektsteigerung und die Denkhemmung. Die Masse hat als Ich-Ideal ein gemeinsames Objekt. Sie projiziert ihr gemeinsames Ich-Ideal auf einen idealisierten Führer. Freud vergleicht die Masse mit der Urhorde, der er sich in »Totem und Tabu« (Freud 1912a–13) zuwendet. Durch den Mord der Söhne am tyrannischen Urvater und dessen Verzehr – von Angst und Reue getrieben – werden die beiden großen gesellschaftlichen Tabus Mord

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und Inzest introjiziert. In der Großgruppe erleben wir nicht selten die Wiederbelebung der archaischen Konflikte. Anders als bei Shaked (1993), dessen Gruppenerfahrungen aus geschlossenen Neurotikergruppen stammen, kommt es in der Einbettung der Großgruppe in einem für strukturell gestörte Patienten erarbeiteten psychoanalytisch-interaktionellen Therapiekonzept nicht zu schweren Regressionen mit der für diese typischen Wiederbelebung tiefer liegender archaischer Konflikte, sehr wohl aber zu Auseinandersetzungen mit dem strafenden Vater in der bergenden Hülle der mütterlichen Figur Großgruppe. »Der Großgruppenleiter wird als der Repräsentant der gesellschaftlichen Normen und Verpflichtungen erlebt, dessen Absetzung Freiheit von Unterdrückung [. . .] bedeuten würde.« Gerade auch bei präödipalen Frühstörungen sieht Shaked in der Großgruppe einen Mittler zwischen privaten Phantasien und kollektivem Geschehen (Shaked 2003). Während der Großgruppe in der Klinik entstehen die im Konzept des Göttinger Modells beschriebenen Effekte der normativen Verhaltensregulierung mit den entsprechenden Abwehrformationen innerseelischer Konflikte, die hier klarifiziert und mit dem Prinzip Antwort einer realistischeren Problemlösung zugeführt werden. Nitzgen (2003) machte die Erfahrung, dass die Großgruppe nicht nur die Pathologie an die Oberfläche holt, sondern reale Konfliktpotenziale in die Bearbeitung kommen. In unserer Klinik wird die Großgruppe vom Oberarzt in vier Stunden wöchentlich geführt und stellt ein wichtiges Bindeglied des Therapieraumes dar. Spaltungen, Entwertungen und Hass werden ebenso bearbeitet wie die Notwendigkeit, sich der Realität der aktuellen Welt zu stellen. Der Therapeut der Großgruppe dient als Projektionsfigur für die innere Realität des Patienten – ohne die Möglichkeit der Ausblendung durch das Suchtmittel –, repräsentiert jedoch gleichzeitig in seiner Funktion als Gruppenleiter die äußere Realität. Die Trauerprozesse um den Abschied von der Illusion eigener Allmacht durch das Suchtmittel, die für den Patienten durch die Konfrontation mit der Realität im klinischen Alltag entstehen, leiten eine Veränderung zu weniger selbstschädigenden Verhaltensweisen ein. Diese Trauerprozesse finden in der Groß- und den Kleingruppen ihren Ausdruck. In einer Nachbesprechung der Großgruppe kommen die anwesenden Therapeuten auf den individuellen und sozialpsychologischen Stand der Zwischenlösungen. Die Beziehungsfiguren und Reinszenierungen, aber auch die zutage getretenen Ich-Funktionszustände werden benannt und geraten so in den weiteren therapeutischen Prozess. In der von je zwei Gruppentherapeuten geleiteten Bezugsgruppe – zeitlich meist im Anschluss an die Großgruppe – mit je 10 bis 12 Patienten

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differenziert sich das in der Großgruppe anstehende Thema zumeist auf die individuelle Ebene der einzelnen Patienten. Der mögliche Widerstand durch Themenwechsel oder die Verleugnung bleiben durch die Funktion des informierten (das Problem »behütenden«) Therapeuten im Prozess. Damit ergeben sich Möglichkeiten milder Konfrontation mit den Begegnungen im Hier-und-Jetzt. In dieser Vorgehensweise liegt eine gewünschte Provokation zu Spaltung und Entwertung, die dem interaktionellen Aushandeln direkt zur Verfügung steht. Diese Bezugsgruppe ist die kontinuierliche Psychotherapiegruppe, die auch in den meisten anderen Therapiemodalitäten zusammenbleibt. Einer der Gruppentherapeuten ist gleichzeitig der persönliche Bezugstherapeut des Patienten. In den Einzelgesprächen nutzt der Therapeut die Kenntnis der psychosexuellen Entwicklung des Individuums für die weitere Erarbeitung von alternativen Beziehungsmöglichkeiten und Entwicklung von Ich-Funktionen für die Lebensbewältigung. Diese häufig dyadisch verlaufende Begegnung ist in der gruppenzentrierten Behandlung der Suchtkranken in diesem Modell das Bindeglied in die Triangularität und berücksichtigt spezielle Probleme des Patienten,zum Beispiel in der Vorbereitung einer ambulanten Psychotherapie im Anschluss an die medizinische Rehabilitation. In den anderen Therapieeinheiten – der Ergotherapie, der Bewegungstherapie, der Gesundheitsinformation, den themenzentrierten Gruppen, den arbeitsbezogenen Modulen, ja auch in der Diätberatung oder der Nachsorgeplanung – kommt es ebenfalls nicht zu einer Pseudoentlastung und einem weiten Feld der Verdrängungs- und Spaltungsmöglichkeiten, sondern der Therapeut weiß um die aktuellen Bedingungen und sozialen Konstellationen, die er bei seiner Arbeit berücksichtigen und gegebenenfalls in den therapiemodulspezifischen Zusammenhang einbringen kann. Dieses Gegenkonzept zur therapeutischen Polipragmasie gilt freilich nicht nur für die psychoanalytisch-interaktionelle Methode, sondern entfaltet auch in anderen Therapieschulen ihre Effektivität, wenn die jeweiligen Theorievorgaben und eine gemeinsam getragene therapeutische Haltung konsequent in das Gesamtmilieu der Klinik eingebracht werden. Es werden in diesem Zusammenhang gelegentlich Befürchtungen geäußert, es entstehe so eine Einseitigkeit im Therapieprozess, die der Realität im Alltag des Patienten nicht gerecht werde. Die Einseitigkeit bezieht sich nach unseren Beobachtungen, zumindest in der psychoanalytisch orientierten Richtung, auf die reifungsfördernde Beziehungskontinuität. Diese kann der Patient durch die Aufrechterhaltung des Kontakts zur Klinik nach seiner Entlassung (offene Gruppen, Ehemaligentreffen) wahren und die Therapie zu einer in den Gesamtablauf seines Lebens gehörenden Phase werden lassen.

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Therapeutisches Dilemma zwischen Theorie und Praxis im klinischen Alltag Der Suchtkrankenhelfer steht in seiner Arbeit vor dem schier unlösbaren Problem, mit dem Patienten Wege aus der Sucht zu finden. Das labile psychische Gleichgewicht des Süchtigen beruhte oft über Jahrzehnte auf der Erfahrung, dass der innere Friede nur im Rausch zu erleben war. Es sind die destruktiven Nebenwirkungen, die den Patienten in die Therapie bringen – nicht die Primärwirkungen des Suchtmittels. Eine primäre Motivation ist deshalb auch nicht zu erwarten. Die strukturelle Störung verhindert zudem eine ich-dystone Einstellung des Patienten zu seiner Erkrankung. Nach einer kurzen Phase des Leidensdrucks erlebt der Patient den Therapeuten rasch als Aggressor gegen die wohltuenden Wirkungen des Suchtmittels. Das Ziel, die Krankheit zum Stillstand zu bringen, ist keine direkte Funktion der Kompetenz des Therapeuten. Er bleibt abhängig von unbeeinflussbaren Faktoren, die nicht in ihm, sondern im Patienten liegen. »Erfolg und Misserfolg werden am Erreichen oder Verfehlen von Zielen gemessen, die von verschiedenen Seiten an den Therapeuten herangetragen werden. Dabei handelt es sich einerseits um den Patienten selbst, andererseits um Angehörige, den Arbeitgeber, die Kosten- und Leistungsträger und nicht zuletzt hat auch der Therapeut Vorstellungen über Therapieziele, an denen er Erfolg und Misserfolg des Therapieprozesses misst« (Büchner 1997, S. 134). Folge überhöhter Erwartungen des Therapeuten an den »Erfolg« sind oft Resignation, Zynismus, eine depressive Entwicklung bis hin zum Burn-out-Syndrom und Arbeitsplatz- oder Berufsfeldwechsel. Es ist ein Phänomen psychotherapeutischer Arbeit mit Abhängigkeitskranken, dass die Anwendung der Theorie häufig zugunsten von oberflächlichem Pragmatismus einer schwarzen Pädagogik (z. B. durch Strafen bei Regelverstößen oder sofortige Entlassung bei Rückfall) zurücktritt. Eine mögliche Erklärung kann in der fehlenden inneren Verknüpfung von Selbsterfahrung und Theoriebezug liegen, wenn der Therapeut den Zusammenhang nicht selbst erlebt hat. Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode macht in der Entwicklung der Antwort durch die Gegenübertragungsanalyse als Reaktion auf die aktuelle Übertragung jedoch einen direkten Transfer der aus der Psychoanalyse stammenden Konzepten der IchPsychologie und der Objektbeziehungstheorie in die Praxis möglich. Durch das Erleben der Gegenübertragung und die folgende Analyse kann der Therapeut erfahren, dass er nicht als Person, sondern als Inszenierungsobjekt genutzt wird. Das ermöglicht in begrenztem Umfang die innere Abweisung von Verletzungen und die Erkenntnis um Prozesse projek-

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tiver Identifikation. Die Methode entlastet insofern von der Forderung, als dass das Ergebnis des Prozesses nicht in einen »richtigen« pädagogischen Vorschlag münden muss, sondern eine aus der professionellen Empathie erwachsene Alternative entstehen kann, die dem Individuum angemessener ist als sein vorheriges Verhalten. Die Ergebnisunsicherheit im therapeutischen Prozess löst nach unserer Erfahrung bei mit der psychoanalytisch-interaktionellen Methode unerfahrenen Therapeuten fast ebenso große Befürchtungen aus wie im Patienten. Festgelegte Regeln mit »Konsequenzen« schützen den Therapeuten vor der Furcht, dass sich das intrapsychische Chaos des Patienten auf den Therapeuten oder gar die ganze Institution ausweitet. Daher wird die wichtige Aufgabe der Entwicklung angemessener innerer Orientierungsstrukturen in den Objektrepräsentanzen nicht selten durch starre Klinikregeln ersetzt. Für den Patienten resultiert daraus die erneute Erfahrung von der Willkür eines verfolgenden Objekts, zum Beispiel durch Stichproben des Alkohols in der Atemluft. Dieses Verhalten fördert zwar eine scheinbare Klarheit in den Abläufen der Institution, in denen aber der Patient lediglich die alten Erfahrungen reproduziert sieht und mit einer pathologischen sozialen Anpassungsleistung fatalerweise die Therapie so verlässt, wie er sie betreten hat. Solche Verhaltensmuster werden besonders in Strafanstalten beobachtet. Bei sorgfältiger Konzeptionierung des klinischen Therapieprozesses im Sinne der psychoanalytisch-interaktionellen Haltung ergeben sich nach der inzwischen jahrzehntelangen Erfahrungen solche Therapiebedingungen, die sich vorwiegend auf den Genesungsprozess richten. Es ist eine erfreuliche Beobachtung, dass anfänglich hoch gespannte und aggressive Patienten, mit denen die Konflikte ausgehalten und -getragen werden konnten, im folgenden Therapieprozess mit Gewinn mitarbeiten können. Eine kleine Vignette mag das veranschaulichen. Ein 42-jähriger Patient mit einer Borderline-Störung mit narzisstischen Zügen saß erstmals in der Großgruppe mit dem Oberarzt. Aus der Vorgeschichte war zu diesem Zeitpunkt nur bekannt, dass er seit mehr als 20 Jahren mit Kontrollverlust getrunken hat und wegen Körperverletzung bereits verurteilt war. Trotz seiner Tätigkeit im Tiefbau war er eher von kleiner Statur und schlank. Nach der üblichen persönlichen Begrüßung und der Erläuterung der beiden einzigen Regeln des Setting – sich melden und warten, bis das Wort erteilt ist, und bei Unwillen den Versuch zu unternehmen, nicht die Gruppe zu verlassen – wollte der Therapeut noch hinzufügen, man möge hier zur Sprache bringen, was einen bewege, und brauche sich nicht an das Thema zu halten, das man zu erkennen glaube. Er wurde aber unmittelbar von dem Patienten unterbrochen, der kurz den Arm gehoben hatte und sofort zu sprechen begann. Die Klinik sei ein KZ und der Grup-

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penleiter der Führer, der dafür sorge, dass er klein bleibe und sich nicht muckse. Man solle nicht glauben, dass er das mit sich machen lasse. Er werde beim Rentenversicherungsträger seine Menschenrechte einklagen und werde das tun, was er für richtig halte. Es sei seine Therapie und er bestimme, was geschieht. Erst nach einiger Zeit wurde klar, dass sich seine Wut auf die Eingewöhnungszeit von 14 Tagen bezog, in der die Patienten die Klinik nicht verlassen sollen und deren Sinn in einem Merkheft für die Patienten erläutert ist. In der inneren Gegenübertragungsreaktion verschaffte sich der Impuls Raum, die Tirade mit einer »Ansage« über die »realen« Verhältnisse zu kontern und ihm anzubieten, er könne die Klinik gern wieder verlassen, wenn es ihm hier nicht passe. Dazu gesellten sich zynisch entwertende Gedanken um seinen Familiennamen, der mit einer die KZ verantwortenden Nazigröße identisch ist. Die Analyse ließ vermuten, dass der Patient, sein Anliegen vorzutragen, ohnehin für zwecklos hielt, so dass er mit Entwertung und Aggression Enttäuschungsprophylaxe betrieb. Die Intervention beschränkte sich demgegenüber auf die Expression der Nachvollziehbarkeit des Gefühls, eingesperrt zu sein. Die Freistellung von den üblichen Verhaltensmustern sozialer Realität überraschte ihn. Solche Tricks kenne er, konterte der Patient. Offenbar zur Aufrechterhaltung der normativen Verhaltensregeln begegneten die Mitpatienten ihm mit Gegenaggression. Er habe noch nicht genug getrunken und solle wiederkommen, wenn er »was für sich tun wolle«. Der Therapeut dankte den Patienten für ihre Teilnahme an der Diskussion und erinnerte daran, wie häufig über die Schwierigkeiten der Eingewöhnung gesprochen werde. Nach der Bemerkung des neuen Patienten, der Therapeut solle nicht glauben, er komme so schnell »aus der Nummer heraus«, schwieg er den Rest der Stunde. In den folgenden Therapieeinheiten der Bezugsgruppe fuhr er mit seinen Tiraden fort. Die Therapeuten seiner Gruppe setzten sich jedoch wiederum mit dem Hierund-Jetzt der dortigen Begegnung auseinander und empfahlen ihm, die Möglichkeit zu nutzen, den Konflikt mit dem Therapeuten der Großgruppe fortzusetzen. Allmählich konnten auch die Aspekte der Gegenübertragung in die Bearbeitung kommen und als einige Test-Regelverstöße wiederum »nur« besprochen wurden, begann er von seinen ähnlich gelagerten Erfahrungen zu berichten. Im Team blieb er ein fortwährendes Thema. In den Nachbesprechungen mussten die aversiven Affekte oft erst entlastend ausgesprochen werden, bevor dann erste Beobachtungen einer Verhaltensänderung – übrigens in der Bewegungstherapie – auch in den Prozess aufgenommen werden konnten. Hilfreich war auch die in diesem Zusammenhang entstehende Anmutung des Patienten, seine letzte Kündigung könne wohl auch so entstanden sein, nachdem ihm eine Therapeutin Einblick in ihre Impulse auf sein Verhalten gewährt hatte. Er hatte in seiner Firma »für Gerechtigkeit« sorgen wollen und sich zum Sprecher der Kollegen gegen Willkür und Ausbeutung gemacht. Nun beschäftigte er sich mit der Frage, ob es nicht die Art und Weise seines Verhaltens war, die ihm die Arbeitslosigkeit eingebracht hatte. Diese Vermutung bestätigte sich für den Patienten übrigens in einem Gespräch mit der Firmenleitung, die ihn als Mitarbeiter schätzte und inzwischen wieder eingestellt hat.

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Im weiteren Prozess erarbeitete er Verhaltensalternativen und berichtete bei seinem Abschied aus der Gruppe, dass »ein falsches Wort« des Therapeuten beinahe dazu geführt hätte, die Klinik wieder zu verlassen, und er habe erlebt, dass er aus dem Wald immer höre, was er zuvor hereingerufen habe. Dem Therapeuten wolle er aber noch sagen, dass es wirklich kaum aushaltbar gewesen sei, die Anfangszeit in der Klinik zu überstehen. Er solle sich da mal was überlegen . . . Der Patient wurde im Laufe des folgenden Jahres der ambulanten Rehabilitation (Nachsorge) nicht rück- und straffällig und fragte bei jeder Begegnung: »Kennen Sie mich noch?«

Die therapeutische Haltung der psychoanalytisch-interaktionellen Methode in der Klinik machte es möglich, die konflikthafte Interaktion durchzustehen. Der Austausch über die soziale Dynamik, die der Patient auslöste, half auch dem Großgruppentherapeuten, die notwendige Spaltung zu verstehen. Mit der professionellen therapeutischen Ich-Spaltung konnte er erkennen, dass er nicht als Individualperson gemeint war, sondern als externalisiertes böses Teilobjekt überwunden werden musste. Zum Verständnis der Situation hilft das Konzept der Objektverwendung (Winnicott 1974b), in dem Winnicott beschreibt, wie das reale Objekt die aggressiven Angriffe des Säuglings überlebt, das heißt sich nicht rächt. Denn Überleben bedeutet, den Projektionen standzuhalten und die dabei projektiv erzeugte Erwartungshaltung eben gerade nicht zu erfüllen. Weil sich der Therapeut nicht mit der Dynamik des Patienten identifiziert, sich nicht von ihm abwendet oder sich ihm entzieht, sondern weil er den Projektionen standhält, entsteht Differenzierung und ein Bereich, der unabhängig von der Phantasie existiert. Dabei erwähnt Winnicott, dass der Mensch nie ganz akzeptiert, dass die Welt unabhängig von ihm ist. Dennoch ist der Verlust der Vorstellung von Omnipotenz ein unerlässlicher Reifungsschritt. Kreische (1997) formuliert, dass die Anwendung der therapeutischen Methode der Persönlichkeit des Therapeuten angemessen sein muss. Supervisoren berichten immer wieder, dass Theorie und Praxis der Kliniken voneinander abweichen. Das fachspezifische Wissen wird dann zu einer Art Überbau oder Glaubensbekenntnis, dem man in der Fortbildung frönt, das aber an der Tür zur Station wieder abgegeben wird. Konzept und Leitidee reduzieren sich zu einer Als-ob-Funktion, die der Erlebens- und Verhaltensweise des Borderline-Patienten ähnelt. Tatsächlich kann eine solche Institutionspathologie Züge der Patientenpathologie annehmen, der sich, wie Rost (1987) beobachtete, die Patienten rasch oberflächlich unterwerfen. Es entsteht »ein Geflecht der expliziten und impliziten Regeln«, eine klinische Doppelbödigkeit. »Die Hausordnung wird dann flugs zum Ersatz der fehlenden Ich-Grenze. Das therapeutische Reglement ersetzt die fehlende

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Struktur, die Sanktionen ersetzen das Über-Ich« (Rost 1987, S. 218), kurz gesagt, es entsteht ein analer Machtkampf. Erschreckend ist dann die häufige Abschiedsformel: »Ich bin stolz darauf, die Therapie überstanden zu haben.« Statt der Chance, einen Prozess zu initialisieren, der die Entwicklung von stabilen Ich-Grenzen, eine konstruktive innere Struktur und eine milde Reifung des Über-Ich ermöglicht, verlässt der Rehabilitand die Klinik mit dem Gefühl, die Therapie als gerechte Strafe für sein Verhalten überstanden zu haben. Wie der Patient die Widersprüchlichkeit zwischen Theorie und Praxis der Therapie spürt, erlebt der Therapeut, bewusst oder unbewusst, die Folgen der Institutionsatmosphäre in Depression, Erstarrung und Zynismus. Deshalb ist sowohl im Sinne der Klinik als auch des Mitarbeiters, bei der Personalauswahl die Identifizierung mit der Therapierichtung abzugleichen. Die Führung einer solchen Klinik braucht hier einen langen Atem zwischen den Notwendigkeiten der Erfüllung der Anforderungen von Kosten- und Klinikträger, der Therapie und der kollegialen Leitung. Mitarbeiter, deren Aufgabe der Versuch ist, bei anderen Menschen Reifungsprozesse anzuregen, bedürfen einer nichtautoritären Begleitung. Diese Gratwanderung stellt hohe Anforderungen an die Klinikleitung, weil sie die Aufgabe übernehmen, die Grenze zur Realwelt zu schützen. In unserer Klinik hat sich die kollegiale Leitung bewährt: In gegenseitiger Intervision zwischen Chef- und Oberarzt wird immer wieder versucht, die Mitarbeiter zu motivieren und ihre eigenständige Kompetenzposition zu erhalten. Die inneren Klinikstrukturen, auch ein mögliches Aufkeimen pathologischer Strukturen, werden in der Hartmut-Spittler-Fachklinik durch eine monatlich stattfindende Team-Supervision, von einem externen psychoanalytischen Supervisor geleitet, reflektiert. Die Teammitglieder übernehmen Mitverantwortung für die Erfüllung des formalen Ablaufs (rechtzeitige Absendung der Therapieberichte usw.) und der Qualitätssicherung.

Ausblick und Perspektiven Eklektizistische Vorgehensweisen sind der Psychoanalyse fremd. Eher ist es in der Geschichte der Psychoanalyse zu Schulspaltungen gekommen. Polipragmasie in der psychoanalytisch orientierten Suchttherapie ist einerseits Ausdruck ökonomischen Drucks, andererseits Folge der Berührungsangst professioneller Psychoanalytiker mit der Praxis der Suchtkrankenbehandlung. Heigl-Evers und andere haben jedoch gezeigt, dass die Entwicklung ganzheitlicher Behandlungsmodi aus der Psychoanalyse möglich ist. Gera-

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de die »wache Präsenz« für alle Äußerungen des Patienten in unterschiedlichen Settings haben zu einer Erweiterung geführt, die es ermöglicht, ein vollständiges Therapiekonzept für die Rehabilitation auf dieser Grundlage zu entwickeln. Wie bereits erwähnt, hat die Sozialmedizin in der Rehabilitation eine zunehmende Bedeutung erlangt. Das Krankheitsfolgemodell des ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health), die das Leben von Menschen in Bezug auf ihren Gesundheitsstatus beschreibt, hat hier eine hilfreiche Funktion. Nicht die Krankheit steht im Fokus der Aufmerksamkeit, sondern die Bewältigung ihrer Folgen. Die Psychoanalyse beschreibt den Menschen in seiner psychischen Situation, die bestimmt ist durch die prägenden psychogenetischen Einflussfaktoren. Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode ist ein abgeleitetes Verfahren, das ebenso wie die anderen Verfahren des Göttinger Modells die sozialpsychologischen Kontextfaktoren einbezieht. Sie berücksichtigt das So-Sein aus dem Entwicklungsschicksal und nimmt therapeutisch die Folgebehinderungen in den Blick. Damit ergänzen sich sozialmedizinische und psychotherapeutische Blickweisen. Die ganzheitliche Betrachtung und Behandlung vermag die Notwendigkeiten der geforderten Arbeitsfähigkeit einzubeziehen. Die psychoanalytisch-interaktionell geführte Suchtfachklinik wird Abhängigkeitskranken mit meist strukturellen Grundstörungen in einem integrierten Behandlungsmodell gerecht. Aus dieser Position heraus könnte für die Zukunft an der Optimierung unter den gegebenen gesellschaftlichen Anforderungen gearbeitet werden. Eine wesentliche Herausforderung ist dabei die Entwicklung von Assessments. Dafür stellt die Ich-Psychologie mit der Herausarbeitung von Ich-Funktionen ein geeignetes Instrument dar, soweit die Zuordnung zu synthetisch integrativen Ich-Funktion gewahrt bleibt. Zu überprüfen wären auch die objektbeziehungstheoretischen Modelle auf die genauere Beschreibung der Teilobjekte und ihre Umsetzung auf die Sprache der Funktionsstörungen (disability, impairment, handicap). Aber auch die Ergebnisse der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) bieten Grundlagen, psychische Fähigkeitseinschränkungen genauer zu beschreiben, um sie effektiv behandeln zu können. Auf der Ebene der geforderten interinstitutionellen Qualitätszirkel lassen sich ebenfalls Weiterentwicklungen der stationären Suchttherapie denken. Die Zusammenarbeit mit anderen Versorgungsträgern mit der Entwicklung einer gemeinsamen therapeutischen Haltung gegenüber dem Krankheitsbild und den Patienten mag noch als visionär gelten.

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Uwe Büchner

Der Rückfall im diagnostischen und therapeutischen Prozess

Abstract Aus Sicht der Psychoanalyse entwickeln sich Suchtkrankheiten auf dem Boden psychischer Erkrankungen. Der Rückfall wird als eine Verschlimmerung der Erkrankung angesehen und führt zu einer strukturierten individuellen Rückfallbearbeitung. Zur Rückfallprävention werden Rückfallpräventionstraining (RPT) und intensive Nachsorge einschließlich Angehörigenarbeit beschrieben.

Wir definieren den Rückfall eines Alkoholkranken als erneutes Trinken von Alkohol nach einer absichtlich eingehaltenen Phase der Abstinenz (Büchner 1984). Trotz der Anerkennung des Alkoholismus als Krankheit durch Urteil des Bundessozialgerichts im Jahre 1968 und der damit verbundenen Implikation, dass der Kranke dem Einfluss körperlicher und psychischer Faktoren erliegt, die jenseits seiner individuellen Kontrolle liegen, stellen sich beim Kranken regelmäßig Schuld- und Schamgefühle ein, wenn er rückfällig wird. Im Verlauf einer vorangegangenen Therapie war das Gefühl, einem unwiderstehlichen inneren Drang zum Trinken folgen zu müssen, meist sehr schnell der Überzeugung gewichen, wieder Herr im eigenen Hause zu sein, also einem eventuell auftretenden Trinkwunsch widerstehen zu können. Die damit einhergehende Vorstellung, wieder zu einer selbstbestimmten Lebensführung fähig zu sein, stärkte das verletzte Selbstwertgefühl beträchtlich und war Voraussetzung für weitere progressive Schritte in allen Lebensbereichen. Dementsprechend schwer wiegt bei Rückfälligkeit die Kränkung, trotz allen Wissens um die Alkoholkrankheit und steter Bemühung um Abstinenz, erneut die Selbstkontrolle verloren zu haben, die Beschämung, rückfällig vor seinen Therapeuten und Angehörigen zu stehen, und die Beladenheit mit Schuldgefühlen, weil sich der Gedanke aufdrängt, vielleicht doch Fehler gemacht zu haben. Marlatt (1978) beschreibt die psychischen Folgen des Rückfalls als Abstinenzverletzungssyndrom (AVS), in dessen Rahmen das Selbstbild des abstinenten Alkoholikers zusammenbricht, nachdem er sich persönlich ei-

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nen Teil des bisherigen Erfolgs zuschrieb und deshalb den Rückfall gleichermaßen als eigene Schwäche, Versagen und Schuld erlebt. Auch bei Verwandten und Arbeitskollegen werden Rückfälle mit Schuldvorwürfen beantwortet. Zweifellos hat der Kranke das Glas mit Alkohol doch selbst zum Munde geführt, also eine Willkürhandlung seiner Motorik vorgenommen. Kaum vorstellbar, dass dies unter Ausschluss freier Willensbestimmung erfolgt sein solle, wird argumentiert, und man habe nun als fatale Konsequenz des Rückfalls erneut die Hoffnung zu begraben, dass der Alkoholkranke seinen Verpflichtungen in Familie und Beruf nachkommt.

Der Rückfall als Erfolgskriterium In Therapieeinrichtungen für Suchtkranke wird Erfolg oder Misserfolg der Therapie überwiegend an der rückfallfreien Beendigung der Therapie und fortdauernder Abstinenz gemessen. In dieser Betrachtungsweise kommt eine Überbewertung des Kriteriums Rückfall zum Ausdruck, weil andere wichtige Parameter, wie die Entwicklung der Persönlichkeit mit ihren Auswirkungen auf die Beziehungsentwicklung und die berufliche Entwicklung, außer Acht bleiben (Büchner 1997). Zahlreiche Krankheitsverläufe zeigen, dass ein Rückfall, der nur wenige Tage dauert, weil der Patient frühzeitig therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt, einen erfolgreichen Genesungsprozess kaum schmälert und die Persönlichkeitsnachreifung mit ihren erfreulichen Auswirkungen auf die Beziehungsentwicklung und die berufliche Konsolidierung erneut voranschreitet.

Der Rückfall als Lernprozess Die therapeutische Rückfallbearbeitung ist Gelegenheit, aus dem Rückfall zu lernen. Es kann geklärt werden, in welchem psychosozialen Kontext sich der Rückfall (der Griff nach dem ersten Glas) ereignet hat. Aus den Erfahrungen des Rückfalls können unter Berücksichtigung früherer Erfahrungen aus ähnlichen Situationen gedankliche Schlussfolgerungen gezogen werden, aus denen Vorsätze und Verabredungen für zukünftiges Verhalten resultieren. Die Frage, bin ich wirklich alkoholkrank oder nicht, wird aktualisiert und erneut beantwortet. Nicht selten wird uns anlässlich eines Rückfalls erst richtig deutlich, dass der betreffende Patient im bisherigen Therapieverlauf sehr verschlossen war und weitgehend isoliert am Rande der therapeutischen Gemeinschaft

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und seiner speziellen Gruppe lebte. Die bessere Zugänglichkeit des Patienten in der psychosozialen Notlage des Rückfallgeschehens bietet dann erstmalig die Möglichkeit für Therapeuten und Mitpatienten, mit ihm intensiver in Berührung zu kommen und den Grundstein für die weitere Zusammenarbeit zu legen. Wohlfarth (1995) führt aus, dass Alkoholiker »in der labilen Stimmung unmittelbar nach dem Rückfall offener und mitteilungsbedürftiger als sonst sind«. Auch bei Patienten nach Suizidversuchen wird dieses »therapeutische Fenster« (Reimer u. Arentewicz 1993) genutzt. Der mögliche Lerneffekt eines Rückfalls hat Marlatt (1978) erwägen lassen, geplante Rückfälle in die Therapie einzuführen. Solche »programmierten Rückfälle« bergen jedoch unkontrollierbare Risiken für Gesundheit und Leben des Patienten in sich und sollten aus medizinethischen Erwägungen (Beauchamp u. Childress 1983), die uns zur Schadensvermeidung verpflichten, unterlassen werden. Wir halten es außerdem im Rahmen einer psychoanalytisch-interaktionellen Therapie für bedenklich, als Ko-Alkoholiker zu agieren und damit unsere Beziehung zum Patienten mit partiell destruktiven Aspekten zu belasten.

Der Rückfall im Rahmen des psychoanalytischen Krankheitsverständnisses Der Umgang mit rückfälligen Alkoholkranken wird wesentlich vom Krankheitsbegriff der jeweiligen therapeutischen Schule und dem Grad der konsequenten Anwendung dieses Krankheitsbegriffs abhängen. Aus psychoanalytischer Sicht (Böhle u. Büchner 1992) ist Alkoholismus ein Verhalten, das unter aktuellen psychosozialen Belastungssituationen auftritt und in seiner Gesamtheit nur durch das Verständnis der frühkindlichen und adoleszenten Entwicklung der intrapsychischen Strukturen des Patienten vollständig erfasst werden kann. Mit Beginn und Entwicklung des unkontrollierten Trinkens setzt beim Patienten eine sowohl psychisch wie biologisch bedingte Regression auf infantile, archaische Verhaltensmuster ein, die seine frühkindlich erworbenen seelischen Entwicklungsstörungen unterhält oder sogar noch vertieft. Der unkontrollierte Konsum von Alkohol beim Entstehen der manifesten Alkoholkrankheit ist also sowohl Folge von seelischen Entwicklungsstörungen als auch deren Stabilisator. Durch die emotionale Besetzung und Personalisierung der Droge Alkohol und durch deren Integration in die sozialen und körperlichen Bezüge des Patienten entwickelt sich der drang-

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hafte Kreislauf von Rückfall und Entzug, der eine eigentümliche Dynamik und Automatik scheinbar fernab von der Biographie des einzelnen Patienten gewinnt. Die genauere Exploration von Alkoholkranken beweist jedoch immer wieder die verbindliche Beziehung zwischen ihrem süchtigen Trinken und ihrer seelischen Struktur, in welcher sich die Erfahrungen ihrer frühen Lebensentwicklung aktualisieren. Die psychoanalytische Entwicklungslehre unterscheidet dabei zwei große klinisch relevante Phasen frühkindlicher Entwicklung: In der ersten so genannten präödipalen Phase, die von der Mutter-Kind-Dyade geprägt ist, kommt es zur Reifung von Ich-Funktionen und der Ausbildung stabiler innerer Bilder von der Welt und den wichtigen Bezugspersonen. Störungen in dieser Phase führen zu einer »Entwicklungspathologie« (A. Freud 1974). Die zweite so genannte ödipale Phase steht unter dem Zeichen des Dreiecks zwischen Eltern und Kind und zeichnet sich durch die Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Gefühlswünschen aus, die der Patient aufgrund seiner stabileren Ich- und Objektbeziehungsstrukturen entweder verdrängen kann oder an denen er durch kompromisshafte Symptombildung erkrankt (Konfliktpathologie). Die Einführung dieser beiden Phasen frühkindlicher Entwicklung ist nützlich, weil sie bei Störungen unterschiedliche psychoanalytische Techniken implizieren. Alkoholkrankheit ist die Endstrecke einer großen Vielfalt seelischer Erkrankungen, die sowohl auf einer Konfliktpathologie wie auch einer Entwicklungspathologie beruhen können. Die Erfahrung gerade der letzten Jahre hat jedoch gelehrt, dass der überwiegende Teil der Alkoholkranken Störungen im Bereich der ersten Entwicklung von Ich-Funktionen (Büchner 1993) und von Objektrepräsentanzen aufweist. Folglich sind Ziel und Wesen einer psychoanalytisch orientierten Behandlung Alkoholkranker die Unterstützung der Abstinenz des Patienten durch Klärung und Besserung seiner Ich-Funktionsdefizite und Störungen der Entwicklung seiner inneren Objekte und deren allmähliche Besserung. Dieses Krankheitsverständnis schließt den Rückfall als Folge von seelischen Entwicklungsstörungen und als dessen Stabilisator ein und macht ihn zum Fokus intensiver diagnostischer und therapeutischer Bemühungen. Diese haben das Ziel, dem Patienten schließlich durch Verbesserung seiner ich-strukturellen Möglichkeiten eine dauerhafte Abstinenz zu ermöglichen.

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Der Umgang mit rückfälligen Alkoholkranken Aus der konsequenten Anwendung dieses Krankheitsbegriffs ergibt sich ein rational begründbarer Umgang mit rückfälligen Alkoholkranken, der, wie bei anderen Krankheiten selbstverständlich üblich, im Fall einer Verschlimmerung der Krankheit (Rückfall) zu einer Verstärkung der diagnostischen und therapeutischen Bemühungen führt. Auch Körkel betont: »Die grundsätzliche Entlassung nach stationärer Rückfälligkeit kann im Rahmen des Verständnisses von Alkoholismus als einer Krankheit als Widerspruch in sich selbst angesehen werden« (1995, S. 21). Ebenso bemerkt Wurmser zu Recht, »es handle sich um eine Krankheitseinheit, die durch Kontrollverlust, also durch die Einbuße innerer Freiheit, bis zu völliger Abhängigkeit und Hilflosigkeit bestimmt sei. Doch dann wird im Handumdrehen von den Kranken verlangt, daß sie auf ihre krankhaften Handlungen und Haltungen willentlich verzichten, um allein so der Vorteile der angebotenen Behandlung teilhaftig werden zu können« (1990, S. 765). Einerseits bietet in der Tat eine gut geführte Suchtklinik eine »erleichternde Umgebung« (Winnicot 1974), in der Patienten einen Zustand des ruhigen Wohlbefindens erleben können, der ihnen den Verzicht auf alte Abwehrformen, wie das Trinken von Alkohol, probehalber ermöglicht und den geistigen und körperlichen Spielraum für kreative Akte neuer Problemlösungsmöglichkeiten gibt. Das schlagartige Verschwinden von Trinkwünschen und das Entstehen relativen Wohlbefindens im stationären Setting ist für manche Patienten so überraschend, dass sie vermuten, von den Therapeuten heimlich ein Medikament ins Essen gemischt zu bekommen. Solche Vermutungen der Patienten geben uns Gelegenheit, auf ihre manipulativen Beziehungserfahrungen und ihre einseitige Theorie der stoffgebundenen Befindlichkeitsbeeinflussung einzugehen und ihnen vor allem vor Augen zu führen, dass sich eine auf Abstinenz und Persönlichkeitsnachreifung ausgelegte Therapie fördernd auf Ich- und Über-Ich-Funktionen auswirkt. Trotz der sich häufig sehr schnell einstellenden Abstinenzerleichternden Wirkung des therapeutischen Milieus wissen wir andererseits, dass der Genesungsprozess Alkoholkranker in Jahren zu bemessen ist, Störungen unterliegt und Rückfälle einschließen kann, die keineswegs automatisch zu Entlassungen führen dürfen. Es entspricht auch nicht unserer Erfahrung, dass das Verbleiben rückfälliger Patienten die Abstinenz von Mitpatienten gefährdet, die Entlassung des Rückfälligen also zum Schutz von Mitpatienten vorgenommen werden müsse. Diese Ansicht beruht möglicherweise auf dem Irrtum, dass Alko-

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holkranke nur auf eine Gelegenheit zum Trinken warteten und das Beispiel eines rückfälligen Mitpatienten, der bleiben darf, als Aufforderung und Alibi für einen eigenen Rückfall dienen könne. Es gibt noch weitere rationalisierende Argumente, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass, wie Rost ausführt, »sich die Therapeuten mit solchen disziplinarischen Entlassungen vor eigenen Gefühlen der Kränkung und Enttäuschung und der Beraubung ihrer therapeutischen Potenz zu schützen versuchen« (1987, S. 226). Insbesondere wenn die Entlassung von Sadismen begleitet wird, verstärkt sie destruktive Introjekte und treibt Patienten in die weitere Selbstzerstörung. Es verwundert insofern nicht, dass Küfner und Feuerlein (1989) fanden, dass die Untersuchung von Abstinenzraten unterschiedlicher Patienten über den Zeitraum von 18 Monaten nach stationärer Entwöhnungsbehandlung (MEAT-Studie) ergab, dass nur 4,5 % wegen stationärer Rückfälligkeit vorzeitig Entlassener abstinent waren. Demgegenüber steht die stattliche Zahl von 42 % Abstinenter, die nach einem stationären Rückfall weiterbehandelt wurden. Diese Überlegungen und Zahlen belegen eindeutig, dass der Krankheitsbegriff auch im Fall eines Rückfalls konsequent angewendet werden muss, um zu einem rational begründbaren Umgang mit rückfälligen Alkoholkranken zu finden, wie dies inzwischen in der überwiegenden Zahl von Fachabteilungen und Fachkliniken für Suchtkranke der Fall ist. Wohlfarth (1991, 1995) beschreibt ein Vier-Schritte-Modell der stationären Bearbeitung von Alkoholrückfällen und Lauer, Richter und Sohns (1996) geben in einem Rahmenmodell Anregungen für eine weitere Differenzierung und empirische Evaluation. Leider sieht das Konzept Wohlfarths eine Entlassung nach dem zweiten Rückfall vor. Darin wird eine Tendenz deutlich, das Krankheitskonzept des Alkoholismus bei offenbar besonders Schwerkranken und schwierigen Verläufen doch wieder aufzugeben, anstatt sich mit verstärkten diagnostischen und therapeutischen Bemühungen dem Schwerkranken zuzuwenden und gegebenenfalls den beschützenden Rahmen einer geschlossenen Station in Betracht zu ziehen.

Rückfallbearbeitung im Rahmen einer psychoanalytisch-interaktionellen Alkoholikertherapie Wir pflegen bereits seit der Gründung unserer Klinik im Jahre 1970 einen differenzierten Umgang mit rückfälligen Alkoholkranken (Büchner 1984, 1997). In mehreren Gesprächen mit dem rückfälligen Patienten unter Einbeziehung des so genannten »Slip-Komitees« (Slip = Ausrutscher = Rück-

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fall), einem von der Patientenvollversammlung gewählten Gremium aus Vertrauenspatienten, das den Klärungs- und Entscheidungsprozess mitträgt, versuchen wir nach einem Rückfall den äußeren Ablauf des Ereignisses und die psychosoziale Situation des Patienten zu klären und schließlich auch die Frage nach Fortsetzung oder Beendigung der Therapie zu stellen. Dabei haben wir festgestellt, dass unter den rückfälligen Patienten mindestens zwei Gruppen zu unterscheiden sind, die auch unterschiedliche therapeutische Konsequenzen erfordern. Es gibt Rückfälle, die ich-synthon sind, also mit den bewussten Strebungen und Überlegungen des Patienten im Einklang stehen. Davon unterscheiden wir ich-dystone Rückfälle, bei denen unter dem Einfluss nicht steuerbarer innerer Kräfte erneut Alkohol getrunken wird und eine Dissonanz zwischen dem Rückfall und den bewussten Absichten des Patienten deutlich wird. In diesen Fällen handelt es sich um erneute Bewältigungsversuche psychischer Notsituationen mit Hilfe des Alkohols, bei denen es meist um phantasierte oder reale Objektverluste mit drohender Angstentwicklung geht. Bei der ersten Gruppe, den ich-nahen Rückfällen, haben sich vom Trinkwunsch genährte Zweifel an der Notwendigkeit der Abstinenz durchgesetzt und zu erneuten Trinkversuchen geführt. Diese sind umso verhängnisvoller als sie häufig zunächst tatsächlich scheinbar gelingen. Die Patienten können, wie sie sich dies vornehmen, nach dem Genuss kleiner Trinkmengen aufhören, ohne sofortige schädliche Folgen zu spüren. Diese Erfahrung führt zu einer Festigung der Überzeugung, wieder trinken zu können, und stellt meist ein unüberwindliches Hindernis für die Fortsetzung der auf Abstinenz gerichteten therapeutischen Bemühungen dar. Nur in diesen Fällen erscheint eine Beendigung der Therapie rational begründbar: Eine zu Erfolglosigkeit verurteilte Therapie sollte man nicht fortsetzen. Bei der anderen Gruppe hat es sich jedoch gezeigt, dass eine Fortsetzung der Therapie, die zwangsläufig wegen der gemeinsam zu meisternden Krisensituation intensiver verläuft, zu einem erfolgreichen Abschluss führen kann, insbesondere dann, wenn die Rückfälle besonders heftig verliefen und die Patienten erschreckt über einen mit Kontrollverlust ablaufenden Rückfall, der sie in kürzester Zeit schwer schädigt, unter erhöhtem Leidensdruck ebenfalls die Therapie fortsetzen wollen.

Fallbeispiel Ein 32-jähriger Elektriker besuchte während eines Ausgangs seine Eltern und wurde nach einigen Stunden »sturzbesoffen« von der Feuerwehr in die Klinik zurück-

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gebracht. Einen Tag nach der Ausnüchterung ergab die Klärung des äußeren Ablaufs und der psychosozialen Situation des Patienten, dass er seine Eltern mit der Absicht aufgesucht hatte, mit ihnen erste Einsichten in seine psychische Entwicklung zu besprechen, die er in der Therapie gewonnen hatte, und in der Erwartung dafür gelobt zu werden, dass er bereits seit einigen Wochen keinen Alkohol mehr trank und endlich den Entschluss zur Therapie gefasst und durchgehalten hatte. Stattdessen saßen Vater und Mutter wie üblich vor dem Fernsehapparat, Vater mit Bier, Mutter mit diversem Knabbergebäck. Sie hatten kaum aufgeblickt und ihn gebeten, handwerkliche Arbeiten in der Wohnung auszuführen. Nachdem er alles erledigt hatte, war er, ohne sich zu verabschieden, still gegangen. Auf dem Weg sei ihm die vertraute Umgebung schlagartig verändert erschienen, fremd und kalt. Innerlich habe er sich »wie tot« gefühlt und wurde von einer ängstlichen Stimmung beschlichen, zu zerfallen und sich aufzulösen. Er unterbrach seinen Gang zur Bushaltestelle an einer ihm bekannten Imbissbude, wechselte einige Worte mit dem Wirt und trank zur »Wiederbelebung« erst einen und dann hastig mehrere Schnäpse. Den Vorsatz, in die Klinik zurückzukehren, gab er vage unter heftigen Schuldund Schamgefühlen auf und setzte das Trinken bis zur Bewusstlosigkeit in seiner gegenüberliegenden Stammkneipe fort, wo ihn schließlich die Feuerwehr abholen musste, die ihn an seiner Ausgangskarte als Klinikpatient erkannte und zurückbrachte.

Wir haben die Therapie mit diesem Patienten fortgesetzt, der offenbar nach einem fehlgeschlagenen Versuch der Beziehungsaufnahme zu seinen Eltern in einen Depersonalisations- und Derealisationszustand geraten war, den er im Sinne eines Selbstbehandlungsversuchs mit Alkohol zu bekämpfen versucht hatte, worüber er nachträglich entsetzt und verzweifelt war.

Rückfallprävention und Angehörigenarbeit Einige Tage später erscheinen vier Mitglieder seiner Familie in meiner regelmäßigen Angehörigensprechstunde, die von Angehörigen unangemeldet aufgesucht werden kann. Zufällig kommen an diesem Tag keine anderen Angehörigen, so dass die Familie unter sich ist. Es handelt sich um den Vater (62 Jahre), die Mutter (59 Jahre), die gleichaltrige Ehefrau und den Bruder des Patienten (1,5 Jahre jünger). Das folgende Protokoll vermittelt einen Eindruck in die Atmosphäre der Familie und die Beziehungsdynamik mit ihren abhängigkeitsfördernden Auffassungen und Interaktionsmustern. Mutter: »Was können wir in Zukunft besser machen?« Therapeut: »Haben Sie denn etwas falsch gemacht?«

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Mutter: »Etwas muss doch sein. Sie haben Ihren Beruf als Arzt gelernt, wir haben nicht gelernt Eltern zu sein. Als er neulich im Ausgang bei uns zu Hause war, habe ich schnell das Bier meines Mannes weggeräumt. Ich wollte nicht, dass er neidisch wird und vielleicht hinterher wieder trinkt. Er hat aber gesagt, er möchte nicht wie ein Kranker behandelt werden.« Dabei blickt sie vorwurfsvoll ihren Mann an und mir wird deutlich, dass sie mit ihrer anfänglichen Frage, was sie in Zukunft besser machen könnten, wahrscheinlich gemeint hat, ihr Mann solle mit dem Trinken aufhören. Vater: »Ja, er hat nichts dagegen, dass ich mein Bier trinke.« Der Vater fällt mir durch seine schlaffen, fast amimischen Gesichtszüge auf, und ich finde seinen Umgang mit der geschilderten Situation wenig einfühlsam und frage deshalb: »Wie fühlen Sie sich denn, wenn Sie in Gegenwart Ihres Sohnes Alkohol trinken?« Vater (ratlos): »Gar nichts.« Ich erläutere dann, dass ich häufig von Angehörigen die Frage gestellt bekomme, ob sie in Gegenwart ihres alkoholkranken Angehörigen Alkohol trinken dürfen, und füge hinzu, dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt. Ich fahre fort, dass wir in der Klinik einen alkoholfreien Raum für nötig halten, weil wir dies am Beginn eines abstinenten Lebens für hilfreich halten. Allerdings sei mir auch bekannt, dass manche Patienten nicht wünschten, dass ihre Angehörigen sich mit Alkohol einschränken, weil sie sich dann als störend erleben, wenn sie in deren Lebensgewohnheiten verändernd eingreifen. Vater: »Mir macht es nichts aus, auf das Bier zu verzichten, wenn er zu Besuch kommt, aber er will es ja nicht.« Therapeut: »Wenn Ihr Sohn spürt, dass es für Sie kein großer Verzicht ist, wenn Sie in seiner Gegenwart nicht trinken, weil Sie sich dann selbst wohler fühlen, wird er es akzeptieren.« Vater: »Das merkt er doch gar nicht, warum ich nicht trinke.« Nun schaltet sich erstmalig die Ehefrau des Patienten ein, indem sie sich etwas keck an den Vater richtet. Ehefrau: »Doch, doch, N. ist sehr feinfühlig, aber er hat bei euch vieles geschluckt. Er hat mir gesagt, dass er jetzt in der Therapie sprechen gelernt hat und dass er jeden von uns in der nächsten Zeit mal beiseite nehmen will, um ihm zu sagen, was er bisher nicht zu sagen wagte.« Vater: »Da wird er sich was ausgedacht haben.« Ehefrau: (wieder zum Vater gewandt): »In der Schule stand er zum Beispiel immer unter Druck, weil du ihm angedroht hast, er müsse bei schlechten Leistungen sonst Müllkutscher werden.« Nach dieser Bemerkung lacht der Vater verlegen und wirkt völlig hilflos. Mutter: »Er hatte es schwer in der Schule. Hatte furchtbare Angst vor Klassenarbeiten, war dann verkrampft und schrieb deshalb schlechte Arbeiten. Und dann kam schon wieder neuer Stoff und er hatte das Gefühl, alles sei viel zuviel und nicht zu schaffen. Wenn er aus der Schule nach Hause kam, ratterte er bei mir nur runter,

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was er an Hausaufgaben aufhatte, und kümmerte sich dann nicht mehr drum. Es war dann für ihn erledigt, er hatte es ja bei mir abgeladen und ich musste ihn dann zur Arbeit anhalten.« Ehefrau: »Er hat sich auch beklagt, dass er in den Ferien für die Schule arbeiten musste, er hat mir gesagt, den Fehler dürfen wir bei unseren zwei Kindern nicht wiederholen. Bei mir zu Hause war das anders, wenn Ferien waren, dann waren Ferien, wenn die Schule begann, dann wurde wieder rangeklotzt.« Es entsteht eine Pause und ich frage dann, wie es zu dem heutigen Gespräch gekommen ist. Vater: »Wir haben den Aushang im Haus gesehen, aber den Ausschlag gab meine Schwiegertochter.« Ehefrau: »Ja, N. hat mich angerufen und ich habe in seinem Auftrag den Eltern gesagt, dass heute Termin ist. Er wollte sie nicht direkt ansprechen.« Therapeut: »Sind Sie oft für ihn so tätig?« Ehefrau: »Ja, er hat vor allem Angst und ich übernehme es dann. Früher hat er ja sogar getrunken, wenn wir nur zu einer Geburtstagsfeier gingen, dann trank er vorher, um sich mit den Leuten unterhalten zu können. Ich regele eigentlich alles für ihn.« Therapeut: »Wird Ihnen das nicht manchmal zuviel?« Ehefrau: »Nein, ich bin das gewöhnt. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, da war ich noch nicht in der Schule, ich blieb bei meinem Vater und habe schnell gelernt, selbständig zu sein und Verantwortung zu übernehmen.« Während des Gesprächs ist mir immer wieder aufgefallen, dass die Ehefrau des Patienten einen sehr lebendigen und beweglichen Eindruck macht mit ihren dunklen Augen, die eine gewisse Lebensfreude ausdrücken, und teile ihr freundlich interessiert diesen Eindruck mit, ergänzt durch die Frage, ob ihr Mann ihr denn nie Sorgen bereitet habe. Ehefrau: »Nein, eigentlich nicht.« Ich gebe dann konkrete Beispiele, was andere Frauen mir von den finanziellen Nöten berichten, in die sie geraten sind, oder dass ihre Männer gewalttätig geworden sind. Ehefrau (lacht): »Ja, das hat er mal versucht, aber er war so voll, das ist ihm nicht gelungen.« Gegen Ende des Gesprächs fällt mir auf, dass der Bruder des Patienten das Gespräch zwar aufmerksam verfolgt hat, sich aber außer einer knappen Bemerkung, dass er kaum Alkohol trinke und deshalb bei Besuchen des Bruders in seiner Familie nie Alkohol auf dem Tisch stehe, nicht am Gespräch beteiligt hatte. Am Ende der Sitzung biete ich der Familie eine Fortsetzung des Gesprächs an, wozu mir allseits Bereitschaft signalisiert wird. Beim Abschied bedankt sich der Vater förmlich für das Gespräch.

Die Arbeit mit Angehörigen alkoholkranker Patienten als Informationsstunde für Angehörige, fortlaufende Angehörigengruppe oder unter Ein-

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beziehung des Patienten als Familien- oder Paartherapie wird neben mannigfaltigen Zielsetzungen auch zur Rückfallprävention durchgeführt. Die Arbeit mit Angehörigen ist nötig, weil eine Rückkehr des Patienten in eine unveränderte familiäre Situation in hohem Maße gefährlich ist, weil nach Änderung der Erlebens- und Verhaltensweisen des alkoholkranken Partners oder Familienmitglieds und der damit verbundenen Störung des »neurotischen Gleichgewichts« bei Angehörigen – mehr oder weniger bewusst – Tendenzen ausgelöst werden, das bisherige Arrangement wiederherzustellen bis hin zu der in Extremfällen offen geäußerten Aufforderung: »Wenn du doch nur wieder saufen würdest!« Diese Einstellung, die als KoAlkoholismus bezeichnet worden ist, behindert oft in beträchtlicher Weise den Genesungsprozess des Alkoholikers, fördert Rückfälle und sollte bei vorhandener Bereitschaft in der Angehörigengruppe bearbeitet werden.

Rückfallprävention durch Rückfallpräventionstraining und intensive Nachsorge In vielen Kliniken wird ein Alkoholrückfallpräventionstraining im Rahmen stationärer Entwöhnungsbehandlung durchgeführt (Lauer et al. 1995). Es werden Rückfallsituationen analysiert und die Patienten auf ähnliche Situationen in der Zukunft vorbereitet. Nach katamnestischen Untersuchungen (Küfner et al. 1988; Körkel u. Kruse 2005) ist jedoch die wirksamste Form der primären Rückfallprävention eine intensive Nachsorge. Die Nachsorge umfasst zumindest den Anschluss an eine Selbsthilfegruppe. Bei wohnortfern durchgeführten Entwöhnungsbehandlungen sollte die Nachsorge außerdem in einer Beratungsstelle am Wohnort angebahnt werden. Bei wohnortnah durchgeführten Entwöhnungsbehandlungen ergeben sich freilich wegen der schnellen Erreichbarkeit der Klinik für die Nachsorge vorteilhafte Möglichkeiten, wie ein teilstationärer Ausklang der Therapie und eine nahtlose ambulante Fortsetzung in der Klinik. Dieser Modus ermöglicht es, die Patienten ohne Wechsel ihrer Gruppentherapeuten beziehungskonstant in der ambulanten Phase über ein Jahr lang zu behandeln. Damit kann die Bildung verlässlicher zwischenmenschlicher Beziehungen und tragfähiger Selbstbilder erheblich länger gefördert werden. Trotz intensiver Nachsorge müssen die Patienten aber auch im Rahmen der sekundären Rückfallprävention darauf vorbereitet werden, wie beim Rückfall größerer Schaden vermieden werden kann und die Abstinenz möglichst schnell wiederhergestellt werden kann. Durch Abbau von

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Scham- und Schuldgefühlen soll erreicht werden, dass sich rückfällige Patienten so schnell wie möglich wieder in Behandlung begeben. Eine erneute Entzugsbehandlung dauert in solchen Fällen meist nur wenige Tage und die Patienten können nach kurzem stationären Aufenthalt ihr abstinentes Leben wieder fortsetzen, ohne dass es zu größeren gesundheitlichen und sozialen Schäden, wie zum Beispiel Arbeitsplatzverlust, gekommen ist.

RobertBeringetal.:PsychodynamischeTraumatherapieundSuchtbehandlung

Robert Bering, Gottfried Fischer und Luise Reddemann

Psychodynamische Traumatherapie und Suchtbehandlung

Abstract Eine Variante psychotraumatischer Folgestörungen ist die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung, die wir als »suchtkompensatorischen Verlaufstyp« bezeichnen. Psychotrope Substanzen werden als Selbstheilungsversuch gegen bestimmte Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung eingesetzt. Hierzu gehören insbesondere Intrusionen und Übererregungssymptome. Zur Auflösung der hiermit verbundenen Traumadynamik ist die Adaptation der tiefenpsychologisch fundierten (TP) und analytischen Psychotherapie (AP) erforderlich. Hierbei müssen wir die Prinzipien der Traumatherapie berücksichtigen, ohne das Anforderungsprofil der suchtspezifischen Behandlung zu vernachlässigen. Diese Leitlinien der Therapieführung gelten für Kurz- und Fokaltherapien ebenso wie für die psychoanalytische Langzeitbehandlung. An einem Beispiel skizzieren wir den Therapieverlauf und zeigen auf, wie eine psychopharmakologische Begleittherapie bei starker Chronifizierung und somatischer Verfestigung der Abhängigkeitserkrankung die psychodynamische Intervention gezielt unterstützen kann. Mit dem traumaorientierten Vorgehen in der Suchtmedizin verbindet sich ein Paradigmenwechsel von der symptomzentrierten Ausrichtung der internationalen diagnostischen Manuale hin zu einer ätiologie- und verlaufsorientierten, kausalen Psychotherapie.

Vorbemerkungen In den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachverbände (AWMF) wird die Adaptation der psychotherapeutischen Richtlinienverfahren für die Behandlung psychotraumatischer Belastungsstörungen ausdrücklich gefordert (Flatten et al. 2004). Die Notwendigkeit einer Modifikation des tradierten psychotherapeutischen Vorgehens kann mit der Einführung der Diagnose der so genannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, F43.1) in die ICD-10 begründet werden (Dilling et al. 1993). Chronifizierte Formen der PTBS können in

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eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung übergehen (ICD-10: F62.0). Im DSM-IV der American Psychiatric Association (APA 1996) finden sich sechs diagnostische Kriterien für die PTBS. Das A-Kriterium erfasst das psychotraumatische Ereignis. Nach dem A1-Kriterium erlebte, beobachtete oder war die Person mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die den tatsächlichen oder drohenden Tod oder eine ernsthafte Verletzung oder Gefahr der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit der eigenen oder anderer Personen beinhaltete. Das A2-Kriterium fordert, dass dieses Ereignis mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen erlebt wurde. Das B-, C-, und D-Kriterium beschreiben jeweils den Symptomenkomplex der Intrusionen, Vermeidung und Übererregung. Das EKriterium fordert, dass die Symptomatik länger als einen Monat besteht; und das F-Kriterium spiegelt die soziale und berufliche Beeinträchtigung des Betroffenen wider. Nach den Leitlinien der AWMF (Flatten et al. 2004) versteht man unter traumatischen Ereignissen erlebte körperliche und sexualisierte Gewalt, auch in der Kindheit (sexueller Missbrauch), Vergewaltigung, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Krieg, Kriegsgefangenschaft, politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Weiterhin ist auf neurobiologische Modelle der Psychotraumatologie hinzuweisen (vgl. Ehlert et al. 1999; Bering et al. 2005). Bahnbrechend für die neurobiologische Modellbildung sind Untersuchungen mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie. Hiernach ist unter experimentell induzierten Flashbacks zum Beispiel das Broca-Areal (motorisches Sprachzentrum) in seiner Aktivität unterdrückt. Dieser Befund deckt sich mit dem klinischen Phänomen, dass viele Traumatisierte das Geschehen oft nur bildhaft wiedererleben, nicht in Worte fassen können und immer wieder von einem Zustand wortlosen Entsetzens (speechless terror) ergriffen werden. Chronische Dysregulationen sind bei PTBS-Patienten für die Kortikoide, Katecholamine und Opiate festzustellen. Bei PTBS-Patienten wurde überwiegend ein relativer Hypokortisolismus bei erhöhtem Corticotropin-ReleasingHormon-Spiegel festgestellt. In verschiedenen Untersuchungen fanden sich deutlich höhere Noradrenalinspiegel im Urin als bei der gesunden Kontrollgruppe. Bei Kriegsveteranen mit einem PTBS führt die Präsentation von Videos über militärische Kampfhandlungen zu einer Anhebung der Schmerzschwelle, die nach Verabreichung eines Opiatantagonisten (Naloxon) reversibel ist. Den psychischen Phänomenen korrespondieren noch folgende Befunde. So ist die Schreckreaktion (startle response) auf ein lautes Geräusch

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bei der PTBS erhöht, die Gewöhnung bei wiederholter Präsentation des Schreckreizes verringert und die Abschwächung durch einen Vorlaufreiz (prepulse inhibition) ist vermindert. Weiterhin findet man bei Patienten mit einer PTBS eine Zuspitzung motorischer Aktivität im Schlaf, vermehrte Schlafunterbrechungen und verlängerte Wachzeiten zwischen den Schlafzyklen. Der Schlaf ist kürzer und weniger erholsam. Volumetrien der Hippokampusformation mit Hilfe der Magnet-Resonanz-Tomographie weisen auf eine selektive Volumenminderung dieser Hirnregion. Ob dieser Befund als Prädisposition, Folge oder als Epiphänomen (z. B. durch Alkoholabhängigkeit) zu betrachten ist, wird unterschiedlich bewertet. Die skizzierte psychobiologische Komponente der PTBS stellt an die Therapie akuter und chronifizierter psychotraumatischer Belastungsstörungen spezifische Anforderungen, die vor Bekanntwerden dieser wissenschaftlichen Forschungsergebnisse aus jüngster Zeit im Standardverfahren der unterschiedlichen Psychotherapieansätze noch nicht berücksichtigt wurden. Insbesondere wurden zeitliche Persistenz der Symptomatik und ihre Durchschlagskraft in der therapeutischen Situation bislang unterschätzt, die erst in den neurobiologischen Forschungsergebnissen eine angemessene Erklärung finden. Nur wenige psychoanalytische Forscher haben die neurobiologischen Hintergründe des Krankheitsbildes erahnt, wie etwa Abram Kardiner, der die traumatische Neurose als eine »Physioneurose« bezeichnete im Unterschied zu den Psychoneurosen, die den bevorzugten Forschungsgegenstand Sigmund Freuds bildeten. Aus dieser aktuellen Forschungslage ergibt sich die Forderung an tradierte Psychotherapieverfahren, Diagnostik, technisches Vorgehen und die verfahrensspezifische Beziehungsgestaltung diesen Erkenntnissen anzugleichen. Insbesondere sollte der Tatsache des therapiebedingten traumatischen Stress entsprochen werden, der durch Therapie der herkömmlichen Art oft regelrecht erhöht statt vermindert wird. Fischer et al. (2003) sind der Frage nachgegangen, welche Kriterien die tiefenpsychologisch fundierte (TP) und analytische Psychotherapie (AP) erfüllen muss, um eine lege-artis-Behandlung traumatisierter Patienten auf dem gegenwärtigen Forschungsstand zu gewährleisten. In diesem Artikel formulieren die Autoren Leitlinien für die Variante des suchtkompensatorischen Verlaufstyps.

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Die Posttraumatische Belastungsstörung und Abhängigkeitserkrankungen Die Diagnose einer Abhängigkeitserkrankung wird im klinischen Alltag häufig im Kontext von Anpassungsstörungen, depressiven Syndromen, Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und sporadisch auch in Verbindung mit Psychotraumatischen Belastungsstörungen gestellt. Der Zusammenhang von Traumatisierungen und Abhängigkeitserkrankungen wurde bisher nur mit großer Zurückhaltung in die gängige Fachliteratur aufgenommen. In den deutschsprachigen Standardwerken, die sich sowohl mit den Folgen von Traumatisierungen als auch mit Suchterkrankungen beschäftigen, findet die Psychotraumatologie als ätiologisches Moment von Abhängigkeitserkrankungen wenig Beachtung. Zu unserer Überraschung wurde das Thema auch in der psychotraumatologischen Fachliteratur bisher nur unzureichend abgedeckt. Wir konstatieren, dass weder die Psychotraumatologie noch die Suchtmedizin die ätiologische Wechselseitigkeit beider Disziplinen angemessen gewürdigt hat. Diese Entwicklung ist damit begründet, dass die symptomzentrierte Orientierung der internationalen diagnostischen Manuale ätiologische Konzepte in den Hintergrund drängt und dazu führt, dass die Interdependenz von Psychotraumatologie und Suchtmedizin aus dem Blickfeld gerät. Es finden sich bisher keine Leitlinien, die das ätiologische Wechselspiel der Diagnosen elaborieren und uns einen Weg weisen, welche therapeutische Vorgehensweise sich hieraus ableitet. Daraus ergibt sich in der Suchtmedizin wie auch in anderen Bereichen die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels von der symptomatologischen hin zu einer ätiologieorientierten Betrachtungsweise in Diagnostik und Behandlungsführung (Fischer 2006). Um die Kluft zu überbrücken, die zwischen dem symptomzentrierten versus ätiologischen Zugang besteht, ist eine prozessorientierte Verlaufsbetrachtung der PTBS erforderlich, um die unterschiedlichen Stadien heuristisch abzubilden. Fischer und Riedesser (2003) beschreiben Subtypen psychiatrischer Erkrankungen als Verlaufsgestalt eines solchen Prozesses. Dieser kann auf der Zeitachse unterschiedliche Symptomkonstellationen hervorbringen, die sich durch ein breit gefächertes Komorbiditätsspektrum auszeichnen. Nathan und Fischer (2001) haben typische Verlaufsmuster der PTBS im traumatischen Prozess ermittelt und einen Sucht-, Angst-, Dissoziations-, Somatisierungs- und Vermeidungstyp identifiziert. Abhängigkeitserkrankungen (ICD-10: F1) erwiesen sich in dieser Studie als eine häufige Komplikation von Psychotraumastörungen. Die Patienten be-

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kämpfen Intrusionen und Übererregungssymptome häufig durch psychotrope Substanzen im Sinne einer Selbstmedikation. Aus dieser traumakompensatorischen Bemühung kann sich dann sekundär eine Abhängigkeitsoder Missbrauchsproblematik entwickeln, die auf der symptomatologischen Ebene den traumatischen Prozess überlagert. In der folgenden Fallvignette werden wir diesen Mechanismus darstellen: Herr P. ist gebürtig aus Oberschlesien (Polen) und dort aufgewachsen. Sein Vater hatte sich in seiner Jugend erhängt. Als Erwachsener ist er gemeinsam mit der Mutter nach Deutschland gekommen. Herr P. befand sich mehrfach in suchtspezifischer Behandlung; es kam zu keiner durchgreifenden Stabilisierung. Die weiterführende Behandlung erfolgte mit einem psychotraumatologischen Ansatz. Anlass für diese Kurskorrektur war die persistierende psychotraumatologische Symptomatik, die am besten mit folgenden Worten des Patienten charakterisiert werden kann: »Ich bin viel alleine gewesen und habe andauernd über den Tod meines Vaters grübeln müssen. Ich habe fast drei Tage lang nur getrunken, um Erinnerungsbilder und die Schlafstörungen mit Alpträumen in den Griff zu bekommen.« Darüber hinaus beklagt Herr P. die Zersplitterung seiner Familie. Unter der Trennung von seinen eigenen Kindern leidet er besonders. Bei seinem Arbeitgeber ist Herr P. sehr geschätzt.

Es handelt sich also um einen chronifizierten Verlauf einer PTBS vom suchtkompensatorischen Verlaufstyp. Diese Variante ist in der Suchtmedizin keinesfalls auf alle Fälle übertragbar; sie ist jedoch hinreichend verbreitet, um sie als besonderes Phänomen zu berücksichtigen. Bei dem suchtspezifischen Verlaufstyp haben wir es mit einer speziellen Ätiopathogenese zu tun. Die biologische Verfestigung der Symptomatik ist sowohl auf Alterationen der PTBS (s. o.) als auch auf die primären und sekundären Folgen der Abhängigkeitserkrankung zurück zu führen, die in der Nervenheilkunde und Allgemeinmedizin ausführlich beschrieben sind. Beide Erkrankungen haben ein somatologisches Profil, was die Durchschlagskraft der Symptomatik und ihre relative Resistenz gegen herkömmliche Therapieansätze erklärt. Haben wir den suchtkompensatorischen Verlaufstyp einer Traumastörung diagnostiziert, so muss die Behandlung nach Leitlinien erfolgen, die innerhalb der psychotherapeutischen Richtlinienverfahren bislang fehlen. Besonders die Gutachter von Kassenanträgen zur TP/AP müssen die Bedeutung von Traumafolgestörungen berücksichtigen. Beim suchtkompensatorischen Verlaufstyp kommt zur Adaptation der Richtlinienverfahren die Notwendigkeit hinzu, auch das Komorbiditätsspektrum der Abhängigkeitserkrankungen einzubeziehen. Wir müssen Verfahrensweisen entwickeln, die sowohl die psychotraumatologische als auch die biologische Verfestigung des Störungsbildes berücksichtigen. Im Folgenden werden wir

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zeigen, wie beim suchtkompensatorischen Verlaufstyp einer Traumastörung innerhalb der TP und der AP vorzugehen ist.

Prinzipien der Traumabehandlung in der psychodynamischen Psychotherapie Trauma war immer schon ein wichtiges Thema der psychodynamischen Psychotherapie und Psychoanalyse, wie beispielsweise die Übersichtsarbeit von Bohleber (2000) verdeutlicht. Es gab allerdings keinen Konsens darüber, in welcher Weise die tradierten psychoanalytischen Behandlungsregeln zu modifizieren seien, um den besonderen Bedingungen traumatogener im Unterschied etwa zu neurotischen Störungen entsprechen zu können. Dem kam entgegen, dass mit dem Konzept der so genannten traumatischen Neurose die Abgrenzung Trauma–Neurose eher unklar blieb. Der entscheidende Grund für die mangelnde konzeptuelle und vor allem behandlungstechnische Differenzierung aber ist wohl in der Tatsache zu sehen, dass die oben ausgeführte psychobiologische Besonderheit der psychotraumatischen Belastungsstörung erst in jüngster Zeit zu Tage getreten ist. Als einer der ersten psychoanalytischen Kliniker und Forscher, welche die Notwendigkeit erkannten, die klassischen Techniken der AP für Traumapatienten weiterzuentwickeln, kann der nordamerikanische Psychoanalytiker und Traumaforscher Mardi Horowitz gelten, zugleich einer der Pioniere der Diagnose PTBS in den USA (Horowitz 1976). Seit dieser Zeit, in mehrfach überarbeiteter Form, stellte Horowitz einen Katalog von Techniken zusammen, der auch heute noch zum Bestand einer traumaadaptierten TP/AP gerechnet werden kann. Im Zentrum des Verlaufsprozesses steht der biphasische Wechsel zwischen Verleugnungs-/Vermeidungsphänomene und intrusives Wiedererleben, wie er als »Zyklus der Traumaverarbeitung« von Fischer und Riedesser in Anlehnung an Mardi Horowitz beschrieben worden ist. In der Traumatherapie sind wir auf das erforderliche Rüstzeug angewiesen, mit diesen alternierenden Erlebniszuständen umzugehen. Durch folgende sieben therapeutische Techniken kann nach Horowitz der Therapeut Verleugnungs-/Vermeidungsphänomene günstig beeinflussen: – Reduzieren von exzessiven Kontrollen durch die Interpretation von Abwehrmanövern und Verhaltensweisen, die kontraproduktiv sind. – Abreaktion. – Förderung der Katharsis. – Der Therapeut unterstützt eine detaillierte Beschreibung der traumati-

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schen Situation und der Situationsfaktoren durch Einfälle, Sprache, Bilder, Rollenspiel, künstlerische Gestaltung oder erneute szenische Darstellung der traumatischen Situation. – Rekonstruktion des traumatischen Geschehens. – Exploration des emotionalen Erlebens in der traumatischen Situation. – Ermöglichung und Unterstützung der Aufnahme sozialer Beziehungen, um der Neigung zu emotionaler Erstarrung und Isolation entgegenzuwirken. Für den Zustand intrusiven Wiedererlebens schlägt Horowitz zwölf Techniken vor, die das Ziel verfolgen, Überflutung zu verhindern und sich aufdrängende Erinnerungsbilder durchzuarbeiten. Im Kontext von Abhängigkeitserkrankungen sollte insbesondere die Bedeutung des intrusiven Symptomflügels hervorgehoben werden. Alkohol ist eine der effektivsten Substanzen, den Erregungsflügel dysfunktional in den Griff zu bekommen. – Die Strukturierung von Ereignissen, Strukturierung und Organisation von Informationen. – Den Patienten von äußeren Belastungen befreien. – Für Ausruhen und Erholung sorgen. – Der Therapeut bietet sich als Identifikationsmodell an und lässt zeitweilige Abhängigkeit und Idealisierung zu. – Kognitive Restrukturierung unterstützen, zum Beispiel Selbstanklagen und eigene Schuldzuschreibung der Opfer in Frage stellen sowie psychoedukative Deutungen. – Dem Patienten bei der Differenzierung zwischen Gegenwart und Vergangenheit behilflich zu sein. – Analyse von Situationselementen, die assoziativ mit dem Trauma in Verbindung stehen, und Anleitung, diese Situationen zu vermeiden. – Lehren von Dosierungstechniken, um dosiert mit traumatischen Erinnerungen umzugehen. Diese Kontrollfunktion wird in der Therapie zunächst vom Therapeuten wahrgenommen, dann lernt der Patient von ihm, die Erinnerung an das Trauma zu begrenzen. In weiteren Schritten kann der Patient die Regulation dann selbst übernehmen, auch auf Techniken der Selbstberuhigung und kognitiven Kontrolle wird zurückgegriffen. – Unterstützung anbieten. – Positive Gefühle hervorrufen, die sich von den negativen Affekten im Zusammenhang mit dem Trauma unterscheiden. – Desensitisierung und andere stressreduzierende Techniken verwenden, wie etwa Entspannungstechniken.

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– Erforderlichenfalls Einsatz von angstdämpfenden und anderen Psycho-

pharmaka, um sehr schwerwiegende Symptome zu mildern, die die Psychotherapie gefährden. Bei der Bearbeitung habitueller Kontroll- und Persönlichkeitsstile ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die prätraumatischen Kontrollstile (= Abwehrmechanismen oder Copingstrategien) nicht dazu einbezogen werden, um Lebensgeschichte aufzuarbeiten. Dennoch empfiehlt es sich, den Persönlichkeitsgesichtspunkt als Moderatorvariable für viele Interventionen zu berücksichtigen. Die gleichen Techniken, eingesetzt bei jeweils verschiedener Persönlichkeitsorganisation des Patienten, können zu unterschiedlichen Resultaten führen. Dieser Gesichtspunkt gilt nach Horowitz (1986, S. 187ff.) für die Verhaltenstherapie ebenso wie für die dynamische Psychotherapie. Wie bereits ausgeführt, erfordert Traumaadaptation ein therapeutisches Vorgehen, das der Persistenz und dem überwältigenden Charakter einer verfestigten Symptomatik Rechnung trägt. Eine Phase der Stabilisierung und Konsolidierung muss jeder weiteren therapeutischen Arbeit vorangehen. Im Überblick lässt sich das klinische Schema der Traumatherapie kennzeichnen durch die Phasenfolge von: – Stabilisierung, – Traumabearbeitung, – Integration. Bei Polytraumatisierung kann die psychoanalytische Traumatherapie mehrere Zyklen dieser Phasensequenz durchlaufen (vgl. Fischer 2000a). Der basale Ablauf der Therapie ist durch die Physiologie des Traumas vorgezeichnet. Traumapatienten müssen zunächst stabilisiert werden, das heißt spezifische Ich-Funktionen müssen installiert und verstärkt werden. Der Therapeut muss ihnen dazu verhelfen, die intrusiven Erinnerungen zu stoppen und zu kontrollieren, da andernfalls eine Retraumatisierung durch die fragmentierten, raum- und zeitlosen Erinnerungsbilder zu befürchten ist. Erst wenn dieser Schritt erreicht ist, kann Traumabearbeitung erfolgen, um die impliziten, automatisierten Erinnerungsmuster schrittweise in das explizite Gedächtnis zu integrieren und das Trauma-Narrativ zu vollenden. Jede dieser drei Phasen erfordert eigene traumatherapeutische Techniken (Courtois 1999; Reddemann 2001, 2004; Fischer 2000a, 2003).

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Traumaspezifische Abwehrmechanismen Zum besseren Verständnis schlagen wir eine Modifikation beziehungsweise Ergänzung der psychoanalytischen Abwehrtheorie vor, die sich an Fischer und Riedesser (2003) orientiert. Für dieses erweiterte Abwehrkonzept haben die beiden Autoren den Begriff der psychotraumatischen und der psychotraumatologischen Abwehr geprägt mit folgender Definition: Prototyp der psychotraumatischen Abwehr sind Notfallreaktionen wie katatonoide Starre oder panikartiger Bewegungssturm, ferner Veränderungen der Selbst- und Realitätswahrnehmung wie Dissoziation, Depersonalisierung, Derealisierung und emotionale Anästhesie. Diese Selbstschutzmechanismen sollen dem Selbst das psychophysische Überleben in bedrohlichen, hilflos erlebten Situationen ermöglichen. Gerichtet ist sie gegen weitere Fragmentierung, den psychischen Tod des Selbst (Was der Abwehr) und sucht das Selbst in seinem Kern vor Fragmentierung zu bewahren (Ziel oder Wozu der Abwehr). Der Abwehrstil (das Wie) ist durch traumakompensatorische Strategien gekennzeichnet. Die psychotraumatologische Abwehr (von Logos = Rede über Traumata) richtet sich gegen die Kenntnisnahme zumeist von fremder oder auch eigener sekundärer Traumatisierung. Ziel (Wozu?) ist die Bewahrung eines oft illusionären Sicherheitsgefühls, abgewehrt (Was?) wird die Erschütterung und Bedrohung eines sicheren Selbst- und Weltverständnisses. Der Abwehrstil (Wie?) ist bestimmt durch Strategien der Reduktion kognitiver Dissonanz, eventuell in Verbindung mit Mechanismen der Triebabwehr und sozialkognitiven Strategien wie der Opferbeschuldigung. Während bei der Neurosentherapie die klassische Konfliktdynamik von (Trieb-)Wunsch und Abwehr im Mittelpunkt steht, muss beim Trauma die Physiologie der PTBS berücksichtigt werden. Um einer Reproduktion der dekontextualisierten Erinnerungsbilder im Sinne einer fortlaufenden Retraumatisierung entgegenzuwirken, steht die psychophysische Persönlichkeit vor der Aufgabe, traumakompensatorische Strategien zu entwickeln. Hierbei verstehen wir das Trauma als unterbrochene Handlung (fight-/, flight-, defense-Reaktion), die sich im Sinne der Vollendungstendenz reproduziert und mit Hilfe des traumakompensatorischen Schemas ausgeglichen wird. Sensorischer und motorischer Flügel der traumatisch unterbrochenen Handlung können zusammenfassend als (sensomotorisches) Traumaschema bezeichnet werden. Als dieses Traumaschema ist die traumatische Erfahrung in Form fragmentierter Erinnerungsmuster visueller, akustischer, taktiler oder olfaktorischer Art abgelegt. Es handelt sich nicht um Erinnerung im gewöhnlichen Verständnis, sondern um das erneute,

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realistische Durchleben der traumatischen Situation, das Bewusstsein, dass es sich nur um Erinnerungsbilder handelt, ist abhanden gekommen. Da die Reproduktion des Traumaschemas einer ständigen Retraumatisierung gleichkäme, ist die Persönlichkeit gezwungen, ihre gesamten Ressourcen aufzubieten, um einer erneuten Schädigung zu entgehen. Hier greifen die Strategien der psychotraumatischen und psychotraumatologischen Abwehr. Von großer Bedeutung sind dabei Täterintrojektion und Phänomene der peritraumatischen Dissoziation, wie Veränderung von Raum- und Zeiterleben, von Depersonalisation und Derealisation sowie süchtiges Verhalten, die postexpositorisch oft in eine zeitüberdauernde Kompensationsstrategie einmünden. Das traumakompensatorische Schema organisiert die Antwort auf Kernfragen wie: Wie hat es dazu kommen können? Wie lässt sich eine Wiederholung vermeiden? Was kann im Rahmen der bevorzugten, persönlichkeitstypischen Kontrollstrategie heilen? In die individuelle Beantwortung dieser Fragen fließen unbewusste Phantasien und irrationale Überzeugungen ein, die durch Deutungsarbeit rekonstruiert und modifiziert werden können. Während der postexpositorischen Phase werden die Selbstschutzmechanismen zu einem traumakompensatorischen System ausgearbeitet, dessen Funktion innerhalb des Persönlichkeitssystems darin besteht, auf der Grundlage des persönlichkeitstypischen Abwehrstils die Dynamik des Traumaschemas biokybernetisch gegen zu balancieren. Für die Ziele der Traumatherapie sollten die Prinzipien analytischer Therapie systematisch umgeschrieben werden. Das gilt für den Umgang mit Widerstand und Abwehr, für die Abstinenzregel oder die Technik der freien Assoziation. Bei Abwehrphänomenen muss zum Beispiel berücksichtigt werden, welches Ziel die Abwehr verfolgt: Richtet sie sich gegen das traumatische Erleben, sollte sie gestärkt werden, während Abwehrbewegungen gegen die subjektive Bedeutung des traumatischen Geschehens in der Regel gedeutet werden sollten. Auch der Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung im Sinne einer systematischen Wahrnehmung und Auswertung für den therapeutischen Prozess bleibt in der psychodynamischen Traumatherapie von zentraler Bedeutung. Freuds Worte »Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten« von 1914 könnten auch heute noch als Motto über die Phase 2 der psychodynamischen Traumatherapie, die »Traumabearbeitung« geschrieben werden (vgl. Fischer et al. 2004). Kontraindiziert bei Traumapatienten allerdings ist die Technik der Übertragungsneurose, die Freud (1940) in späteren Arbeiten ausführt. Hingegen ist Freuds Konzeptualisierung der Übertragung als Widerstand ein nützliches Instrument auch in der Behandlung von traumati-

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sierten Patienten (Freud 1912). Wie wir durch Forschung und klinische Erfahrung heute wissen, wirkt sich eine übertragungszentrierte Traumabehandlung hingegen sehr ungünstig aus (vgl. Zurek et al. 2002).

Technisches Vorgehen Im deutschsprachigen Raum stehen zwei manualisierte Ansätze der psychodynamischen Psychotherapie zur Verfügung: Die Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (MPTT) (Fischer 2000a) und die Psychodynamisch-Imaginative Traumatherapie (PITT) (Reddemann 2004). Der empirische Forschungsstand zur MPTT bestätigt insgesamt empirische und klinisch-experimentelle Ergebnisse (Grothe et al. 2003; Barwinski Fäh 2005; Bering 2005), die für die psychodynamische Traumatherapie nach Horowitz seit längerem vorliegen (Horowitz et al. 1986). In einer umfangreichen kontrollierten Studie an PTBS-Patienten in Holland ermittelten Brom et al. (1989) annähernd gleiche Therapieeffekte für kognitive Verhaltenstherapie, Hypnotherapie und psychodynamische Kurzzeittherapie nach dem Horowitz-Konzept. Die MPTT integriert die wichtigsten Regeln von Horowitz und Lindy (Lindy 1988) und adaptiert, in manualisierter Form, die klassischen Prinzipien einer psychodynamischen und psychoanalytischen Behandlungsführung – wie Abstinenzregel, Deutungstechnik oder den Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung – für akute und chronifizierte Störungsbilder des Traumaspektrums (Fischer 2003). Sowohl in der MPTT wie in der PITT wird die Therapie mit dem Aufbau eines tragfähigen Arbeitsbündnisses eingeleitet. In der PITT wird angeraten, Regression mit Hilfe des Prinzips der »inneren Bühne« zu handhaben (Reddemann 2004). Dem entspricht in der MPTT die Arbeit mit dem »Diagramm persönlichkeitstypischer Erlebniszustände« des Patienten (vgl. Fischer 2000b). Werden erste Erinnerungen an zuvor abgespaltene traumatische Erfahrungen möglich, ist ein moderates Vorgehen notwendig. Zum Beispiel sollten im Unterschied zur klassischen psychoanalytischen Technik Parameter eingeführt werden, indem der Analytiker gezielt ablenkt und gezielt Strategien einsetzt, wie der Patient mit überwältigenden Affekten umgehen kann. So empfiehlt sich beispielsweise eine Beobachterperspektive (Freud 1912; Reddemann 2004). Bei einem klassischen Vorgehen würde der Analytiker den Assoziationen des Patienten folgen, ohne strukturierend in den Behandlungsverlauf einzugreifen, wie zum Beispiel dann, wenn eigene Vorschläge zum Umgang mit traumatischen Affekten unterbreitet werden (vgl. etwa die genannten technischen Empfehlungen von Horowitz). Diese Mo-

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difikation in der Technik ist indiziert, um zu verhindern, dass Patienten durch die in der Therapie ausgelösten Prozesse retraumatisiert werden. Deutungen sollten sich in dieser Behandlungsphase bei Beziehungstraumata auf Vorgänge im Objekt beziehen, um die Verwirrung über die Frage, wer Täter und Opfer ist, zu klären. Erst wenn die Fähigkeit zur Selbst-Objekt-Differenzierung gestärkt ist, wenn beispielsweise die Fähigkeit zur Objektspaltung erreicht wurde (Fischer 2000a), werden zunehmend Subjektdeutungen möglich und notwendig, um innere Konflikte fassbar werden zu lassen und sie einer Lösung zuzuführen. Die mit einer systematischen qualitativen Methodik durchgeführte Untersuchung von Barwinski Fäh (2005) an drei Langzeitbehandlungen traumatisierter Patienten zeigt darüber hinaus, dass auch die psychoanalytische Langzeitbehandlung nach den genannten Prinzipien geführt werden muss, soll die Therapie erfolgreich verlaufen und eine Retraumatisierung der Patienten verhindert werden. Es trifft also keineswegs zu, wie bisweilen behauptet wird, dass die Prinzipien der psychodynamischen Traumatherapie nur für Kurztherapien gelten. Vielmehr belegt die empirische Untersuchung von Barwinski eindrucksvoll, dass Interventionen, die nicht traumaadaptiert geführt werden, auch in einem psychoanalytischen Behandlungsarrangement im engeren Sinne zu einer Verschlechterung der Patienten führen. In der PITT werden die Fähigkeiten vieler Traumapatienten, sich innere Gegenwelten zu den erschreckenden traumatischen Erfahrungen zu gestalten, systematisch genutzt. Abwehrmanöver werden zunächst stets unter Ressourcengesichtspunkten gewürdigt. Des Weiteren geht es darum, Distanzierung von überflutenden inneren Bildern anzuregen durch Imaginationen wie die des »inneren Kindes«, das an einen imaginierten »sicheren Ort« gebracht wird und dort mittels imaginierter »idealer Eltern« Trost und Beruhigung erfährt. Das heißt, das klassische Vorgehen mit dem Ich als Ganzem zu arbeiten wird zugunsten des Konzepts verschiedener Erlebniszustände »ego-states« (Federn 1952; Watkins u. Watkins 1979) modifiziert. Dies ermöglicht zunächst eine Stärkung des erwachsenen Ich im Sinne der Schulung der Binnenwahrnehmung und der Affektsteuerung. Weiterhin wird mit Täterintrojekten mittels imaginativer Techniken gearbeitet, die am Konzept der ego-states orientiert sind. Während der Traumakonfrontation wird im Gegensatz zu den Empfehlungen von Horowitz nicht Abreaktion und Katharsis angestrebt, vielmehr wird die detaillierte Wahrnehmung traumaassoziierter Inhalte empfohlen, um damit eine Integration dieser Inhalte zu erzielen. MPTT und PITT können auch miteinander kombiniert werden, wie am Fallbeispiel weiter unten noch deutlich wird.

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In der Therapie traumatisierter Patienten haben sich therapeutische Strategien als wirksam erwiesen, die der punktdiagnostischen Tradition einer phänomenologischen Krankheitslehre den Rücken gekehrt haben und die PTBS als Verlaufserkrankung betrachten (Bering 2005). Ein traumatischer Prozess tritt ein, wenn der Übergang in die postexpositorische Erholungsphase dauerhaft scheitert. Auch psychopharmakologische Behandlungsstrategien müssen sich an der dann zu erwartenden prozesshaften Verlaufsgestalt dieser Erkrankung ausrichten (Bering et al. 2005). Von diesen Überlegungen aus wenden wir uns erneut unserer Fallvignette zu und rekapitulieren unsere Ausführungen an dem Fallbeispiel. Die stationäre psychotherapeutische Behandlung erfolgte nach der MPTT nach Fischer, die mit der PITT nach Reddemann kombiniert wurde. Jetzt lassen sich die vier Dimensionen der MPTT verständlich machen, an der sich die Interventionsplanung in der geschilderten Fallvignette orientiert und in der Abbildung 4 schematisch dargestellt ist. – Dimension I: Der Erstkontakt mit dem Patienten wird dem bisherigen »natürlichen Traumaverlauf« mit seinen unterschiedlichen Phasen von traumatischer Situation, expositorischer Einwirkung und Erholungsphase beziehungsweise dem traumatischen Prozess zugeordnet (siehe Abb. 4; Zeitachse). – Dimension II bezieht sich auf die traumatischen Situationsfaktoren. Hierbei wird die Konstellation der objektiven und subjektiven Situa-

Abbildung 4: Die vier Dimensionen der Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie im Verlaufsmodell (aus Bering 2005)

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tionsfaktoren (Suizid des Vaters) ermittelt und in der Interventionsplanung berücksichtigt (siehe Abb. 4). – Dimension III bezieht sich auf die Psychodynamik des Traumas vor dem Hintergrund des individuellen Persönlichkeitsstils und der sozialen Umwelt. Hierbei geht es insbesondere um das so genannte Kräfteparallelogramm von Traumaschema und traumakompensatorischem Schema. Die Symptomatik der PTBS, einschließlich des individuellen Verlaufstyps, wird hierbei als Kompromissbildung in diesem Kräftefeld verstanden (siehe Abb. 4). – Dimension IV erfasst den idealtypischen Therapieverlauf und legt die basale Interventionslinie fest. Wie beim Vermessen von unwegsamen Gelände wird die Route festgelegt, die vom pathologischen Bild der Belastungsstörung zur Erholung führen soll (Abb. 4, schwarzer Pfeil). Dimension I setzt den Erstkontakt des Patienten in Beziehung zur Zeitachse des Verlaufsmodells (roter Pfeil). Dimension II beschreibt die Situationsdynamik (grünes Feld). Dimension III (graues Feld) bezieht sich auf das Kräfteparallelogramm von Traumaschema (TS) und Traumakompensatorischem Schema (TKS). Dimension IV definiert den optimalen Therapieverlauf (grüner Pfeil.) Zu Beginn der Therapieplanung (Dimension IV) standen die Stabilisierung des Patienten und die Festlegung der basalen Interventionslinie im Mittelpunkt. Der traumatische Prozess ist in unserem Fallbeispiel bereits eingetreten (Dimension I). Das traumakompensatorische Schema wurde in seinen salutogenen präventiven und reparativen Aspekten gestärkt und in seinen dysfunktionalen, maladaptiven Anteilen hinterfragt, um alternative Umgangsmöglichkeiten zu entwickeln und Veränderungsschritte hin zu einer selbstbestimmten, bewussten Handlungsplanung einzuleiten (Dimension III). Zentraler Inhalt der psychotherapeutischen Einzelgespräche war die Vermittlung von selbststabilisierenden Möglichkeiten und krisenprophylaktischen Bewältigungsstrategien – mit dem Ziel, ein so genanntes antizipatorisches Repertoire (z. B. zuverlässiger Arbeiter, der von seinem Arbeitgeber geschätzt wird) aufzubauen, das ihn vor drohender Rückfälligkeit schützen kann. Herr P. schilderte in diesem Zusammenhang wiederholt Ängste mit suizidalen Inhalten, starke innere Unruhe, massive Schlafstörungen und vermehrte Intrusionen, sobald er sich alleine in seiner Wohnung aufhalte. Im Zuge der Behandlung konnte Herr P. erstmalig die Erlebnisse detailliert schildern. So konnte eine Gestaltbildung der traumatischen Situation (Suizid des Vaters; Dimension II) erfolgen und das zentrale traumatische

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Situationsthema erarbeitet werden (Hilf- und Sprachlosigkeit, die in eine Schulddynamik eingebettet ist »Vater wollte mit seinem Tod für mich die Halbwaisenrente bewirken«). Die problematische Beziehungsdynamik zum Vater und die eigene problematische Vaterrolle konnte aufgearbeitet werden. Die Behandlung zeigte kein lineares Muster der Besserung sondern hat einen zyklischen Verlauf mit erforderlichen korrektiven Rückkopplungsschleifen (Dimension IV). Es kam vielmehr zu erheblichen Rückschritten mit Reintoxikation und suizidalen Impulsen, so dass ein lang gestreckter stationärer Aufenthalt erforderlich war. Im Mittelpunkt standen hier die persistierende depressive Symptomatik und die ausgeprägten Albträume, die es verhindert haben, dass sich Herr P. angstfrei in seiner eigenen Wohnung bewegen konnte. Parallel zur Psychotherapie war die Behandlung durch einen somatologischen Behandlungsansatz gestützt. Neben der traumaspezifischen Symptomatik bestand eine erhebliche depressive Symptomatik, die mit einer antidepressiven Ein- und Umstellung auf Mirtazapin behandelt wurde. Im Verlauf zeigte sich darunter eine leichte Besserung der depressiven Symptomatik. Jedoch persistierte eine ausgeprägte Schlafstörung (vgl. Bering et al. 2006) mit belastenden Albträumen, die den Patienten zunächst davon abhielt, ein Übernachtungstraining in der eigenen Wohnung zu absolvieren. Zu einer Besserung dieser therapieresistenten psychotraumatologischen Symptomatik kam es nach der Anwendung von Doxazosin im Off-Label-Use (Kuschel et al. 2006). Unter dieser Kombination konnte die adjuvante Behandlung mit einem Benzodiazepin langsam reduziert werden. Mit einem kombinierten psychotherapeutischen und somatologischen Ansatz konnten erste integrative Schritte erzielt werden. Die Arbeit mit den inneren Erlebniszuständen und der Identifizierung von Triggern, machte es möglich, dass sich Herr P. zunächst imaginativ und schließlich durch Übernachtungstrainings in seiner eigenen Wohnung wieder aufhalten konnte. Das eigene Bestreben des Patienten, die berufliche Rehabilitation auf den Weg zu bringen, war für den gelungenen beruflichen Wiedereingliederungsprozess ausschlaggebend. Mittlerweile können wir uns auf Bescheinigungen des Arbeitsmediziners berufen, dass Herr P. wieder vollschichtig arbeitsfähig ist. Die Fallvignette zeigt, dass beim suchtkompensatorischen Verlaufstyp einer PTBS ein traumaadaptierter TP/AP-Ansatz hilfreich ist, die Dynamik der Abhängigkeitserkrankung aufzulösen. Hinzu kommt in einigen Fällen die Notwendigkeit einer kombinierten somatologischen und psychotherapeutischen Behandlung, wie im Fallbeispiel ausgeführt. Aber auch die somatische, in diesem Falle psychopharmakologische Behandlung profitiert

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wesentlich von einem verlaufsorientierten Verständnis sowohl der Traumafolgestörung als auch der Abhängigkeitserkrankung. Eine Stärke der psychodynamischen Traumatherapie liegt in der Behandlung chronifizierter und langfristig bestehender Traumatisierung, wie wir sie sehr häufig bei Suchtkranken finden. Klinisch bewähren sich Behandlungsstrategien, wie sie in der MPTT und PITT konzeptionalisiert sind. Hiermit verbindet sich ein Paradigmenwechsel von der symptomzentierten Ausrichtung der internationalen diagnostischen Manuale hin zu einer ätiologie- und verlaufsorientieren kausalen Psychotherapie (Fischer 2006).

Grenzen der Psychotherapie

GrenzenderPsychotherapie

Wulf-VolkerLindner:ZurreligiösenDimensioninderSuchtkrankentherapie

Wulf-Volker Lindner

Zur religiösen Dimension in der Suchtkrankentherapie

Abstract Ausgehend von Peter Sloterdijks kulturgeschichtlich-religionsphilosophischer Interpretation von Sucht und Suchttherapie wird nach der religiösen Dimension in Suchttherapien gefragt und anhand einer Fallvignette und eigenen Forschungen aufgezeigt, wie sie in alltäglichen, therapeutischen Gesprächen, aber auch in wissenschaftlichen Paradigmen zum Ausdruck kommt und wie ihr in der Therapie Raum gegeben werden kann.

Weltflucht, Weltsucht, Therapie und Erlösung Der Philosoph Peter Sloterdijk hat es 1993 unternommen zu fragen, aus welchen anthropologischen Gründen Menschen seit jeher zu Drogen greifen, und die Geschichte der Süchte und ihrer Begrenzung in religiösen Kulten und modernen Therapien religionsphilosophisch zu interpretieren. Das Ergebnis dieser eigenwillig luziden Interpretation ist in doppelter Weise interessant: Sie macht einerseits deutlich, warum Suchttherapien, wollen sie wirksam sein, für den Einzelnen immer Lebenskunst sein, ihm also konkrete Hilfestellungen zur Bewältigung seines konflikthaften Lebensalltages geben müssen, und beantwortet andererseits die Frage, warum Suchttherapeuten, auch wenn sie das selbst nicht intendieren und reflektieren, immer auch über die bloße Bewältigung des konkreten Lebensalltages in Bereiche hinausgreifen und hier Position beziehen, die traditionell religiöser Reflexion vorbehalten waren. Drogen werden seit jeher genommen, um mit der Schwere des Daseins fertig zu werden. Sie sind Teil eines »komplexen psychohistorischen Dramas« im Kampf mit den Härten des Lebens. Auf unterschiedliche Weisen versuchen Individuen, Völker und Zivilisationen diese Härten zu mildern: indem sie die Lasten teilen und gemeinsam tragen, durch Bedürfniseinschränkung reduzieren, auf andere abwälzen oder »mit Hilfe von Rauschmitteln, in der Betäubung vergessen und überfliegen« (Sloterdijk 1993,

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S. 120). Denn die Schwere des Daseins ist nüchtern nicht von allen zu ertragen und zu bewältigen. Sicherlich, die Geschichte der Kulturen macht deutlich, dass der größere Teil der Menschheit seine Vernünftigkeit darauf ausrichtet, »sich mit Geduld unter das Weltjoch zu beugen« (Sloterdijk 1993, S. 120). Der herrschende Begriff vom erwachsenen Menschen enthalte eine starke Dosis Gehorsam, in ihr überlebe bis heute stoisches Erbe. »Wo dieses noch aktiv ist, dort bleibt die Überzeugung von der Grundgüte der Welt und daher von der Zumutbarkeit des Wirklichen in Kraft. Wäre es anders, so müssten die Angehörigen der therapeutischen Berufe, Drogentherapeuten voran, ihre Praxen schließen. Denn sie haben alle nur so lange ein Recht, diese zu betreiben, wie sie glaubwürdig als Anwälte eines hinreichend nüchternen Realitätsprinzips in einer hinreichend guten Welt auftreten können. Wie sonst wollten sie ihre Dienste gegen die falschen Himmelfahrten der Droge aufbieten?« (Sloterdijk 1993, S. 121). Sucht ist demnach »eine individualisierte, das heißt vom Mitwissen der Kulturmitglieder abgespaltene Revolte gegen die Zumutungen des Daseins« (Sloterdijk 1993, S. 147). Darin ist sie Weltflucht. Aber nicht nur! Sie ist auch Protest, »Absage« gegen die Zumutung, sein und in sich die Notwendigkeit der inneren Auseinandersetzung mit den Härten des eigenen Lebens aushalten zu müssen (Sloterdijk 1993, S. 149). Da bietet sich die Droge als »private und heimliche Dienerin der Nichtexistenz« an, die vom Zwang, sein zu müssen, erlöst. Weil es in der Sucht letztlich nicht um Weltflucht geht, sondern um die Negation von ich-haften Spannungen, kann sogar die welthafteste und realitätsgemäßeste Verhaltensweise des Menschen, die Arbeit, eine Drogenfunktion übernehmen. »Die zeitgemäßeste Suchtform unserer Tage, der Workaholismus, mit seinen Derivaten in der Amüsier- und Hobbykultur, illustriert vollkommen die Dynamik eines verwahrlosten und unbemerkten Inexistentialismus. Das von seiner eigenen Existenzialität überlastete Subjekt ist heute wie seit jeher weniger weltflüchtig als weltsüchtig – wobei die Ausstopfung des Inneren mit Weltstoffen selbst einen fundamentalen Negationscharakter besitzt. In der äußeren Betriebsamkeit stehlen sich die Angehörigen der überforderten Gattung zurück in die Weltlosigkeit des Tieres« (Sloterdijk 1993, S. 155). Dies haben die buddhistischen wie christlichen Mönchstraditionen scharf herausgearbeitet: »Man verdrängt das In-der-Welt-Sein ebenso wie das Zur-WeltKommen durch ein permanentes Sich-Anfüllen mit ›Themen‹, ›Projekten‹ und commitments« (Sloterdijk 1993, S. 155). Hinter süchtiger Weltbewältigung macht Sloterdijk also eine unerlöste Sehnsucht vom Zwang aus, unter den Bedingungen der Härten des Lebens leben zu müssen. Therapie, die dieser religiösen Tiefendimension Rech-

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nung trägt, steht also vor der Aufgabe, »der unerlösten Sehnsucht nach Erlösung zu begegnen und der verheimlichten großen Verneinung Wege ins Freie, Gemeinsame, Verwandelbare aufzuzeigen. Wenn sich die Kultur im Ganzen auf theoretisch und menschlich glaubhafte Weise der Inexistentialität annimmt, werden die Individuen vielleicht auch dem pharmazeutischen Eskapismus bewusster widerstehen können« (Sloterdijk 1993, S. 155). Was bedeutet das für Suchttherapeuten konkret? Fürsorglichkeit und Auseinandersetzung um realitätsgerechteres Verhalten – Sloterdijk spricht hier vom Duell zwischen dem Patienten und Therapeuten – allein helfen nicht, zu den Tatsachen des erwachsenen Lebens Ja sagen zu können. Es muss etwas hinzukommen. »Gegen die Überwältigung durch das Weltlose hilft nur die Inspiration durch den Glanz der Welt [. . .] Gegen die schwarzen Formen der Weltfremdheit ist Weltfreundlichkeit, die sich am Faden der Sympathien vorantastet, das wirksamste Gegengift« (Sloterdijk 1993, S. 158). Die Expeditionen ins Nüchterne gelingen, wenn Therapeuten und Patienten »aus der Tiefe des Mitwissens« (Sloterdijk 1993, S. 159) um diese Zusammenhänge die Kunst zu leben weitergeben: »Selbstbejahung« und »Daseinsaufhellung« (Sloterdijk 1993, S. 286). Sie ereignen sich, wenn das Begehren der Seele verstanden wird, auf einen Zustand aus zu sein, in dem das Begehren selbst erlischt. Aurelius Augustin sprach in ähnlicher Weise von der Unruhe des Herzens, die erst in Gott zur Ruhe kommt: »Cor nostrum inquietum est, donec requiescat in te. Unser Herz ist unruhig, bis es ruht in dir« (Augustin 400 I, I). Dieser Zustand ist hoch ambivalent. Er enthält den Urhass darauf, den defizienten Modus der Geburt erleiden zu müssen, und die Sehnsucht danach, dennoch in Liebe aufgehoben zu sein. »Daher gibt es kein ambivalenzfreies In-der-Welt-Sein. Auch in den Phänomenen des positiven erotischen Seelenlebens müssen Psychologen [. . .] die Spur des Negativen wahrnehmen: was Menschen Liebe nennen, ist der Garant des kindlichen ›Urkompromisses mit der Welt‹« (Sloterdijk 1993, S. 290). Voraussetzung für solche Selbst- und Weltbejahung ist also die Erfahrung von dem, was Sloterdijk die »präobjektive Bejahung« nennt, also Erfahrungen der Bejahung, die tragen, umgeben, umfließen und durchdringen – auch den Urhass! (Sloterdijk 1993, S. 291). »In einem solchen präobjektiven Ja läge die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit einer integralen Selbstübernahme als nachträglicher Einwilligung ins Dasein [. . .] Psychotherapie ist das Unternehmen, den Zufluß von vorprädikativen ›Bejahungen‹ zur reflektierten Einwilligung ins selbstentworfene Leben freizulegen. Das ist wohl der Grund, warum wirklich durchgreifende Heilungen nur zustande kommen, wenn das Archaische mit dem Aktuellen

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sich neu verknüpft« (Sloterdijk 1993, S. 291f.) und »warum Heilungen in der Regel nicht präzise Effekte von expliziten Therapien und exakten Techniken sind, sondern aus neuen Lebensanläufen unter verbesserten Konstellationen, unter Mithilfe von Psychologenwissen, resultieren – der Rest ist Flickwerk oder Schlimmeres« (Sloterdijk 1993, S. 287).

Die religiöse Dimension in der Suchttherapie Wenn man etwas Schönes sieht oder hört, zum Beispiel eine Landschaft oder ein Konzert genießt, kann einen dieser Anblick oder dieses Klangerlebnis ganz ausfüllen. Solche Erlebnisse können so intensiv und so dauerhaft sein, dass sie sich auf andere Bereiche der Aufnahme von »Lebens-Mitteln« auswirken. So erzählte ein Mann, dass er auf Urlauben in Südfrankreich, in denen er so viel Schönes erlebte, auf Rauchen ganz verzichten konnte, ja, nicht einmal das Verlangen hatte, nach einer Zigarette zu greifen. Solche Erlebnisse gehören zu den Erfahrungen von Bejahung im Leben, von denen Sloterdijk spricht. Seine Ausführungen machen verständlich, warum es Suchtkranken oft schwer fällt, frei zu werden von ihrer Gier nach materieller oraler Erfüllung, frei zu werden von ihrer Weltsucht für solches Sehen und Riechen. In ihrer diffusen Sucht nach Lebenserfüllung sind sie an dem hängen geblieben, was man materiell in sich aufnehmen und mit dem man sein Bewusstsein manipulieren kann. Diese diffuse Sucht nach Erfüllung soll im Folgenden in Aufnahme und Fortführung der Überlegungen von Sloterdijk aus theologischer und psychoanalytischer Sicht weiter untersucht werden. In meiner Arbeit als Psychotherapeut und Psychoanalytiker sowie als Seelsorger und Theologe habe ich immer wieder gefunden, dass Menschen dann, wenn sie aus der selbstverständlichen Fraglosigkeit, wir können auch sagen: aus dem Getriebe ihres alltäglichen Lebens aufgestöbert werden, nach sich selbst zu fragen beginnen. Ausgelöst werden kann dies durch alltägliche Erfahrungen des Nichtübereinstimmens mit sich selbst: Man kommt morgens aus dem Bett, geht ins Bad, sieht sich im Spiegel und hat vielleicht für eine Sekunde die Idee: »Das soll ich sein?« Andere Beispiele für die Nichtübereinstimmung mit sich selbst sind Erfahrungen eigener Konflikthaftigkeit, von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Ähnlichem. Dann bringen Menschen nicht nur ihre Sorgen und ihre Probleme zur Sprache und hoffen, dass diese in ihren Ursache-, Wirkungszusammenhängen, in ihren Regelkreisen und in ihren biographischen Zusammenhängen verstanden werden. In der Art und Weise, wie sich Menschen dann

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ausdrücken, sind immer wieder auch Wendungen und Sprachbilder zu finden, in denen sie die Gesamtheit ihres Lebens, seine Perspektive thematisieren. Ich verdeutliche, was ich meine, an einem Beispiel aus dem Bereich der Suchttherapie.1 Es ist ein Gespräch am Anfang einer Suchttherapie mit einem Mann, der 54-jährig nach längerem Alkoholmissbrauch in Therapie kam. Er war 20 Jahre lang hochkarätiger Techniker in einem Betrieb gewesen und hatte seine Arbeit nun verloren, nicht nur wegen seiner Abhängigkeit, sondern auch aus Gründen der Umstrukturierung des Betriebes, wie es hieß. Zunächst erzählt der Mann, wie er seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit seine Tage ausfüllt – man beachte die Sprache – er füllt (!) seine Tage aus. Das ist, »oral« gesprochen, etwas Leeres ausfüllen. Das ist ganz süchtig gefühlt und gedacht. Der Mann erzählt dann, wie oft er sich inzwischen beworben und wie ihn die Begegnung mit einer Arbeitsloseninitiative aus seiner Einsamkeit herausgeholt und ins Nachdenken gebracht hat. Der Gesprächspartner fragt daraufhin (in dieser Einrichtung ist es üblich, das man sich duzt): »Magst du das noch ein bisschen näher beschreiben, was das für andere Dinge sind, über die du nachzudenken begonnen hast?« Der Mann antwortet: »Es ist nicht die Politik, die mich jetzt so beschäftigt, also mich beschäftigt insgesamt das gesamte Weltbild so ein bisschen, ich fange an, ich war mein Leben lang immer interessiert an irgendwelchen Dingen, meistens an der Technik, viel auch an gesellschaftspolitischen Dingen, aber nicht so in der Tiefe, wie man das hätte machen müssen, fehlte ja auch die Zeit.« Und dann ein wenig später spricht er auf seine »Technikerart« weiter. Bestimmte Persönlichkeiten suchen sich die ihnen entsprechenden Berufe, und Berufe prägen Menschen. Auch wir werden durch unsere Berufe geprägt, und manchmal nicht nur zu unserem Besten. Der Mann ist Techniker und drückt sich sehr spröde aus, Gefühle sind für ihn etwas, was er schwer über die Lippen bringt. Und seine ganze Vorstellungswelt ist technisch, »stabilbaukastenmäßig«: »Jetzt beschäftigt mich eigentlich so ein bisschen tiefer« – ein Wort, das in diesem Zusammenhang vier Mal vorkommt – »jetzt beschäftigt mich eigentlich so ein bisschen tiefer so unser gesamtes Verhaltensmuster, was wir hier so als Menschen oder als Mitteleuropäer so an den Tag legen«. Und weiter unten fragt er dann: »Und ich weiß nicht, wo das alles noch hinführen soll. Wie das eigentlich so ist mit dem Wert.« Daraufhin fragt der Therapeut zurück: »Mit dem Wert?« – »Ja, mit dem Wert von mir, ich verdiene ja nun nichts mehr, und ich habe ganz viel verdient.« 1 Diese Fallvignette verdanke ich einem Suchttherapeuten. Sie wurde anonymisiert. Die Schweigepflicht ist also gewahrt.

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Ich blende mich an dieser Stelle aus dem Gespräch aus. Mit diesen Zitaten wollte ich zeigen, wie einer in Alltagssprache solches Nachdenken über das Gesamte, die Perspektive seines Lebens in Worte fasst. Der Mann sucht nach Worten, zuweilen stottert er auch, nicht nur weil sein Gesprächspartner ihn sehr allein lässt, sondern weil er hier über etwas ganz Intimes zu reden versucht. Über Sexualität und Geld zu reden, ist viel, viel leichter. Es ist ohne Zweifel etwas sehr Intimes, seine bisherigen Lebensorientierungen, die ihm erst nach und nach aufzugehen beginnen, in Sprache zu heben und nach neuen zu suchen, die ihm noch nicht deutlich sind. Deswegen stottert er auch und deswegen kann er sich zunächst auch nur unklar ausdrücken und das, was er anvisiert, nur mit Worten wie »alles« umschreiben. Im Institut für Praktische Theologie der Universität Hamburg wurden im Rahmen von Forschungsprojekten (Zimmermann 1992, Stubbe 1995, Stahlberg 1998, Steinmeier 1998, Kempin 2001, Lindner 2002) Gesprächsprotokolle nicht nur aus dem Bereich der Suchttherapie, sondern aus Therapie- und Seelsorgesitzungen ganz unterschiedlicher Art nach solchen und ähnlichen Sprachspielen untersucht und es wurde herausgefunden, dass in solchen Zusammenhängen immer wieder Wendungen benutzt werden, die das Gesamte eines Lebens – »alles« – zur Sprache bringen und Redewendungen, die deutlich machen: Es geht nicht nur um irgendwelche Teilaspekte, sondern um das Leben in seiner Ganzheit. Dass dabei viele Unbestimmtheitsäußerungen benutzt werden, sollte nicht verwundern. Wer diese Dimensionen seines Lebens in Worte zu fassen versucht, flüchtet nicht ins Ungenaue, er versucht vielmehr, etwas auszudrücken, was nicht klar umrissen definiert werden kann. Solche und ähnliche Formulierungsversuche haben Tiefendimension und verweisen, manchmal sogar kontrafaktisch, auf den erhofften, ersehnten, geglaubten Grund von Wirklichkeit.

Lebensperspektive, Lebensgrund und Gottesfrage In theologischer Sprache heißt das: Der Grund des eigenen Wirklichkeitsverständnisses kann nicht in Begriffen zureichend zum Ausdruck gebracht werden, sondern nur in Symbolen, mit denen man versucht, sich fühlend, phantasierend und denkend in Redewendungen und Sprachbildern dem anzunähern, was man meint. Auf solche Weisen antworten Menschen auf eine in ihnen verschlüsselte Frage nach dem Sinn ihres Lebens. In den Arten und Weisen, wie Menschen ihr Leben leben, geben sie Antworten auf diese Frage, selbst wenn sie versuchen, ihr Leben wie Tiere abzuleben, ohne sich diese Fragen nach sich

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selbst, nach dem Sinn, nach der Perspektive ihres Lebens selbst zu stellen. Auch dann machen sie deutlich, worauf sie bauen. Allerdings um den Preis, dass sie sich mit allerlei Materiellem, Handeln oder mit Drogen voll stopfen, um diese in sich verschlüsselte Frage weltsüchtig zu beruhigen, wie Sloterdijk ausführt. Jeder Mensch ist auf der Suche nach der Landkarte seines Lebens und etwas, dem er sich hingeben kann, wie Erich Fromm es ausdrückt (Fromm 1974, S. 207ff.). Diese Dimension ist deswegen religiös zu nennen, weil es in solchem Bedenken eben nicht nur um Teilaspekte oder um das bloß Faktische des eigenen Lebens geht, sondern um das Leben in seiner Ganzheit, um seine Perspektive, um das, was dem Leben Halt und Grund gibt und geben kann. Diese Dimension wird nur gesehen, in Bildern, Musik, Tanz und Sprache zum Ausdruck gebracht, wenn das Tatsächliche, das Faktische des Lebens auf seine impliziten Perspektiven und Grundierungen hin durchsichtig wird. Wenn man zum Beispiel im Anschauen einer Landschaft plötzlich zu sehen beginnt, wie wunderschön sie ist und welchen Anteil man an dieser Großartigkeit hat, dann wird das Faktische auf seine Grundierung hin transparent. Das ist der Raum, in dem Philosophen die Metaphysik und Theologen die Gottesfrage ansiedeln. Das ist aber auch der Raum, in dem unheimlich viel Sprachlosigkeit herrscht. Die Arten und Weisen religiöser Lebensbewältigung von Menschen sind immer in ihre individuellen Persönlichkeitsstrukturen eingebunden, die Folge ihrer konflikthaften Lebensgeschichten sind. Insofern ist die religiöse Lebensbewältigung eines Menschen immer auch mit seiner unverwechselbaren Psychodynamik verknüpft. Deswegen sprach Winkler auch vom persönlichkeitsspezifischen Credo (Winkler 1997, S. 307).

Religiöse Perspektiven in den Wissenschaften? Was hier zunächst auf der Ebene individueller Lebenspraxis beschrieben wurde, hat seine Entsprechungen auf der Ebene der Theorien über Menschen und menschliches Leben in biologischen, chemischen, soziologischen, wirtschaftlichen, psychologischen, psychoanalytischen und anderen Zusammenhängen. Auch sie tragen, zumindest implizit, also auch wenn die Betreffenden, die diese Theorien verfechten, niemals darüber nachgedacht haben, anthropologische Vorstellungen und Glaubensüberzeugungen in sich, die oft erst zu Gesicht kommen, wenn die gängigen Paradigmen fragwürdig werden, also auch hier fraglose Selbstverständlichkeiten zerbrechen. In Zeiten von Theoriewechseln, Umbruch- oder Wendezeiten merkt

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Grenzen der Psychotherapie

man, woran man früher geglaubt hat, ohne dass man es gewusst hat, auch in der Theorie. Selbstverständlich kann man sich gegen solche Fragen und Bedenken verschließen. Sigmund Freud zum Beispiel gehörte zu den Menschen, die keinen Sinn fürs Philosophieren hatten. Wenn jemand nach der Perspektive seines Lebens fragte, begann er, dies schon als ein Symptom zu werten. Auf solche Weise dichtete er sich gegen Fragen nach seinen eigenen impliziten und expliziten Grundierungen einerseits ab, andererseits wurde er die Beschäftigung mit der Religion bis ins hohe Alter nicht los. Die meisten seiner Schülerinnen und Schüler taten es ihm nach. Seitdem schlummert die Frage nach der impliziten und expliziten Anthropologie, aber auch die Frage nach der impliziten religiösen Dimension in der Psychoanalyse. Die Erforschung unbewusster Motive im Religiösen ist wichtig, denn es gibt fürchterliche Dinge in religiösen Kontexten, Bemächtigungstendenzen, zum Beispiel mit denen jemand durch sein Verhalten anderen Menschen gegenüber seine frohe Botschaft, die er verbal vorträgt, Lügen straft. Das ist zu untersuchen, auch auf die unbewussten Motive dieses Menschen hin. Wenn aber die Frage der religiösen Dimension auch in Psychotherapien, hier speziell in der Suchttherapie, thematisiert wird, dann ist es wichtig zu verstehen, dass es dann nicht um Teilaspekte, sondern um die Gesamtperspektiven geht, die Therapien innewohnen, wie Sloterdijk dies zum Beispiel in seinem Entwurf einer religionsphilosophischen Interpretation von Sucht und Suchttherapien getan hat. Mit diesen Fragen begeben wir uns in den Raum, in dem Theologen von der Gottesfrage sprechen. Wie formulierte Martin Luther doch? »Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässt, das ist eigentlich dein Gott« (Luther 1529). Die Frage nach Gott, nach dem Guten, Wahren und Liebevollen im Leben unter den Bedingungen der Härten der konflikthaften Existenz ist also keine überholte Frage im Leben.

Religiöse Perspektiven in der Suchttherapie? Welche praktischen Konsequenzen folgen aus diesen Überlegungen für Suchtberatungsstellen und Suchtkliniken und für Suchttherapeutinnen und Suchttherapeuten? Die erste muss lauten, dass man sich als Institution, Institutionsvertreter, aber auch als psychotherapeutisches Individuum selbst prüfen muss, ob einem die aufgezeigten Perspektiven einleuchten und man ihnen bei sich Raum geben möchte. Es gibt Institutionen und Personen, die dieser Dimension keinen Raum

Wulf-Volker Lindner: Zur religiösen Dimension in der Suchtkrankentherapie

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geben, weil sie diese Fragen nicht für wichtig halten und davon überzeugt sind, dass menschliches Leben ohne sie auskommt und mit gesundem Menschenverstand und Wissenschaft ausreichend erfasst ist. Von Peter Sloterdijk müssen sie sich allerdings fragen lassen, wie weit sie ihre Patienten und sich selbst verstehen. »Nur aus der Tiefe des Mitwissens verbünden sich die Menschen zum gemeinsamen Leben; dass solche Bündnisse ohne Kenntnisse über den Tiefenweltkrieg der Kultur- und Wahnsysteme und über die Risiken der technischen Naturmanipulationen heute nicht mehr möglich sind, das gehört zur Signatur unseres Zeitalters [. . .] In der Menschenwelt kommt es, nicht nur für Philosophen und Therapeuten darauf an, sich zu bewähren als Mitwisser vom Dasein und seinem Gegenteil; mit unseresgleichen teilen wir die Verlegenheit, zu sein« (Sloterdijk 1993, 159f.). Die Einschränkungen und Begrenzungen im Gesundheitswesen und die sich in ihnen ausdrückenden Vorstellungen vom Leben machen es allerdings auch für diesen Zusammenhängen gegenüber sehr Aufgeschlossenen gegenwärtig schwer, sich nicht am Vordergründigen aufzureiben. Ist man trotz aller Hindernisse bereit, den hier aufgezeigten Perspektiven Raum zu geben, kann das selbstverständlich nicht bedeuten, in der Suchttherapie seelsorgerlich zu dilettieren. Suchttherapeuten haben ihre eigene Kompetenz! Sie behutsam zu öffnen, darum geht es. Um es an dem Gespräch mit dem arbeitslos gewordenen Techniker zu verdeutlichen: Es geht nicht darum, mit ihm in ein explizit religiöses Gespräch einzutreten,das einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin vorbehalten ist, sondern vielmehr so mit ihm zu sprechen, dass er seine Fragen nach dem Wert und Unwert seines eigenen Lebens ausdrücken kann: »Wodurch definiert sich mein Leben? Dadurch, dass ich gut bezahlt werde? Doch wie ist es, wenn ich plötzlich nicht mehr so viel verdiene, wie ich vorher bekommen habe? Was bin ich dann wert?« Und vielleicht entdeckt er oder entdecken beide, wenn sie solchen Fragen Raum geben, dass der eigene Wert nicht aus bezahlter Erwerbsarbeit gewonnen werden kann (Kempin 2001, S. 311ff.). Wenn sich ein therapeutisches Gespräch auf diese Perspektiven hin öffnet, wird in ihm eine Möglichkeit lebendig, die Sloterdijk durchaus mit dem sinnträchtigen Wort »erlösend« bezeichnet hat: »erlösend zu wirken ist das Eigentümliche von Interventionen, durch welche ansonsten unaufhebbare Hindernisse gegen die nachträgliche Zustimmung zum Dasein ausgeräumt würden. [. . .] Jede Hilfe, die sich bei den Empfängern in Selbstbejahung und Daseinsaufhellung übersetzte, wäre schon ›erlösend genug‹« (Sloterdijk 1993, S. 285f.). Darum geht es. Um mehr nicht, aber auch nicht um weniger.

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Stichwortverzeichnis

Stichwortverzeichnis

A Abhängigkeit – vom Analytiker 74 – Gefahr einer Retraumatisierung 74 Abschied vom Suchtmittel 125 Abstinenz 68, 70, 71, 73, 74, 125, 131, 179, 182, 183, 184, 185, 189, 200 Abstinenz von Abhängigkeitskranken 126 – Abstinenzfähigkeit 24 – Aufmerksamkeit gegenüber der Suchtmittelabstinenz 167 Abwehrmechanismen 49, 82, 87, 198, 199 – kollektive Abwehrformen in der Kleingruppe 101 – projektive Identifikation 150, 174 – psychotraumatische Abwehr 199 – psychotraumatologische Abwehr 199 – Verleugnung 16, 43, 46, 49, 92, 145, 156, 157, 172 Agieren 72, 157, 165, 166 – Gegenübertragungsagieren 157 – sadomasochistisches Agieren 156 Als-ob-Funktion 176 Ambivalenz 126, 127, 162 Anpassungsleistung, pathologische 174 anthropologische (philosophische) Gründe der Sucht 209 – Daseinsaufhellung 211, 217 – Revolte gegen die Zumutungen des Daseins 210 – Schwere des Daseins 209 – Sprachbilder (die die Gesamtheit des Lebens thematisieren) 213 – Unruhe des Herzens (Augustinus) 211 – Urhass 211 – Urkompromiss mit der Welt 211 – Weltfreundlichkeit 211 Arbeit mit Angehörigen 186, 187, 188, 189

Arbeitsbündnis 16, 25, 87 – Herstellung eines Arbeitsbündnisses 88 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachverbände (AWMF) 191 autodestruktives Verhalten 36, 37, 41, 72, 76 B Bezugsgruppe 168, 171, 175 Burn-out 140, 173 D Deutung – genetische Deutung 68 – Übertragungsdeutung 68 DGPT-Therapeutenerhebung 17 disziplinarische Entlassungen 184 E Eifersucht 150 Eigenschaften des Patienten 57 Empathie 56, 146, 174 Entgiftung 70, 74, 96, 123 Entwicklungspathologie 19, 60, 107, 165, 182 – Entwicklungsstörung 134 – Frühstörungen 53, 60, 78, 133, 171 – Störungen auf einem geringeren strukturellen Integrationsniveau 84 Epidemiologie der Suchterkrankungen 15 F face-to-face 94, 170 Formen der Gruppenarbeit 96 – Gruppentraining 96, 97 – ko-therapeutische Gruppenarbeit 96, 97 Formen der Gruppenarbeit – Vorbereitungsgruppen 96

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Stichwortverzeichnis G Globalisierung 51, 64 Großgruppe – als Organisationsforum 104 – als psychotherapeutische Methode 26 – als regressionsauslösendes Globalobjekt 140 – Aufgabenverteilung in einer therapeutischen Großgruppe 138 – regressive Phänomene in 132 Grundphänomene (Grundannahmen) Bion 111, 112 Grundstörung 40, 67, 69, 70, 75, 78 – Primärerkrankung 69 – Therapie der 70 Gruppenpsychotherapie – Ausbildung in 129 – Definition der 101 – Einzelbehandlung in der Gruppe 116 – geschlossene Gruppen 114, 122, 128 – halboffene Gruppen 114 – Wirkfaktoren der 114

– Inkorporation 21, 36 – Introjektion 21, 57 K Katharsis 115, 196, 202 Kleingruppe 94, 96, 97, 101, 132, 139 – Merkmale einer Kleingruppe 94 Ko-Alkoholismus 181, 189 kommunikative Bewegungstherapie 122 Komorbidität 31, 34, 69, 91, 119, 128 Konfliktpathologie 19, 107, 182 Krankheitsmodelle – psychoanalytische 22 Kurzzeitpsychotherapie 73 Kurzzeittherapie 8, 74, 201

M Matrix (Foulkes) 112 Mentalisierung 44, 101, 109 – psychische Metabolisierung 109 Metaphern 108, 132, 141 – Gebrauch von 141 Minimalstrukturierung 170 H Modelle 83 Hier-und-Jetzt 72, 101, 172, 175 – bipolares Modell 162 Hilflosigkeit 85, 87, 90, 145, 146, 156, 183, – fördernde Umwelt 163 192 – integratives Modell 162 – psychoanalytischer Therapie in der KliI nik 161 ICD-10 24, 53, 116, 191, 194 – störungsorientierte Therapie- 82 Ich-Funktionen – Affektdifferenzierung 20, 80, 85, 107, 165 – als Übungsfeld 164 – Frustrationstoleranz 20, 107 N – künstliche 20 nosologische Einheit 16, 32, 48 – Realitätsprüfung 20 – Reizschutzfunktion 107 O Ich-Psychologie 19, 20, 22, 36, 82, 99, 173, Objektbeziehungstheorie 21, 22, 36, 79, 93, 178 99, 160, 173 Indikation – Bezugsobjekt 69 – Entgiftung im stationären Setting 24 – -skatalog der kassenfinanzierten Psycho- – Suche nach dem Guten Objekt 22 – Suchtmittel als Objekt 68 therapie 68 – -sstellung 13, 17, 24, 25, 63 Online Psycho-Letters 54 Intendierte Dynamische GruppenpsychoOperationalisierte Psychodynamische Diagtherapie 26, 114, 121, 122, 123 nostik (OPD) 31, 39, 45, 50, 84, 178 – Gruppenphasen 122 P interaktionistische Wende 22 Internalisierungsprozesse 21, 44 Persönlichkeitsstörung 15, 16, 20, 21, 25, 34, 39, 48, 69, 70, 71, 82, 90, 91, 123, 194 – Identifizierung 21, 115, 177, 205

238 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) 191, 192, 193, 196, 203, 204 – diagnostische Kriterien für 192 – prozessorientierte Verlaufsbetrachtung der 194 – psychobiologische Komponente der 193 – suchtkompensatorischer Verlaufstyp 195 Professionalisierung 53, 54, 93, 104, 105, 109 – heterogene Teams 108 – Professionalität des Therapeuten 102 – Psychotherapie als Profession 105 – theoretisches Arbeitsmodell des Suchttherapeuten 105 professionell – Gefahr des professionellen Burn-outs 90 – -e Kompetenz 62 – -e therapeutische Ich-Spaltung 102 – -er Helfer 55 Psychoanalyse – das reine Gold der Analyse 71 – Grundprinzipien der 68 – Modifikationen der 71 psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie 100, 113, 118 psychoanalytisch-interaktionelle Methode 53, 54, 60, 72, 93, 102, 103, 107, 118, 119, 121, 138, 165, 166, 168, 174, 178 – Hilfs-Ich-Funktion 118 – Modus des Antwortens 101 – Prinzip Antwort 171 – psychoanalytisch-interaktionell ausgebildeter Therapeut 58 psychoanalytische Gruppentherapie – Göttinger Modell der Gruppenpsychotherapie 99 – psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie 101, 139 psychoanalytische Krankheitslehre der Sucht 18, 93 psychoanalytische Suchttherapie – ambulante analytische Psychotherapie mit Süchtigen 70 – analytische Behandlung des Süchtigen 71 – deutschsprachige Veröffentlichungen 17 – Logik der psychoanalytischen Suchttherapie 18

Stichwortverzeichnis Psychodynamik der Sucht 13, 14, 16, 18, 19, 42, 93 – destruktiver Kern in der Persönlichkeit 77 – Psychodynamik des Todes in der Trunksucht 79 Psychologie der Massen 170 psychologische Wirkung des Suchtmittels 36 Psychotherapeutengesetz 59 – Approbation als psychologischer Psychotherapeut 60 Psychotraumatologie 82, 194, 195 – Modifikation in der Technik der psychoanalytischen Traumatherapie 202 – neurobiologische Modelle 192 – psychoanalytische Traumatherapie 198 – Reproduktion des Traumaschemas 200 – traumatische Ereignisse 192 – Zusammenhang von Traumatisierungen und Abhängigkeitserkrankungen 194 R Regression 20, 25, 37, 68, 78, 96, 117, 122, 132, 134, 135, 136, 181, 201 – durch Angst ausgelöste 135 – in Großgruppen 26 – in Gruppen 133, 137, 138 – maligne 72, 78 – Strukturgebung zum Einschränken von 139 – und Entwicklungsstillstand 133 Rehabilitation 26, 116, 162, 163, 172, 176, 178, 205 – -skliniken 116 religionsphilosophische Interpretation der Sucht 209, 211, 214 religiöse Dimension in Suchttherapien 26, 216 – Glaubensüberzeugungen 215 – Gottesfrage 216 Resonanz (Foulkes) 112 Retraumatisierung 198 Rigidität in Gruppen 125 Rückfall – ein therapeutisches Potenzial 74 – ich-dyston 185 – ich-synthon 185

Stichwortverzeichnis – – – – – –

Kreislauf von Rückfall und Entzug 182 psychische Folgen des 179 definieren 179 -prophylaxe (-prävention) 127 therapeutische -bearbeitung 180 Umgang mit 90

S schädlicher Gebrauch 24, 33 Selbstpsychologie 21, 22, 36, 83, 93 Sozialgesetzbuch 52, 59, 163 Sozialgesetzbuch – Reha-Maßnahme Sucht 52 sprechende Medizin 63 stationäre – Entgiftung 74 – Entwöhnung (bzw. Rehabilitation) 26 – Suchtpsychotherapie 24 strukturale Analyse sozialen Verhaltens 57 Strukturniveau – der Objektbeziehungen 21 – präödipales 21 Sucht – Abhängigkeitssyndrom 24 – als Abwehrformation 69 – als Beziehungsstörung 74 – als Folgestörung 116 – als Reaktionsbildung 69 – als Traumafolge-Erkrankung 86 – Geschichte der Süchte 209 – pathologischer Selbstheilungsversuch 110 – Selbstmedikations-Hypothese 86 – -spezifische Ätiopathogenese 85 – Workaholismus 210 Suchtdiagnostik 16, 36 – Erstinterview 23 – psychoanalytische 23 – Strukturdiagnostik im Rahmen der 24 – Suchtanamnese 23 – suchtmedizinische 23 Suchtfachklinik – Geschichte der Suchtkliniken 160 – Hausordnung 161, 176 – Kontinuität der Beziehungen 168 – Psychotherapie-Raum und Real-Raum 161 – Regeln 164

239 – Berufsgruppen in der 51 – Ein-Jahres-Arbeitsvertrag 62 – Gesamtverband der Deutschen Suchthilfe 18, 53, 108 – Hilfesystem für Suchtkranke in Deutschland 52 süchtig – -e Passivität 45 – -e Weltbewältigung 210 suchtmedizinische Grundversorgung 27 Suchtpersönlichkeit 48, 85 Suchtpsychotherapie – für den einzelnen Lebenskunst 209 – integrative Suchttherapie 130 – Traumaadaptation 198 Suchttherapeuten-Weiterbildung – analytisch orientierte 18 – für die Suchtkrankenhilfe 60 – Selbsterfahrung in Gruppen 60 Suizid 45, 77, 149, 204 T Therapeut – Entwicklungsmodell der Professionalisierung zum Psychotherapeuten 54 – Kompetenz der professionellen therapeutischen Ich-Spaltung 176 – als Novize 54, 55, 58 – als Person 56 – Selbstwirksamkeitserwartung als Therapeut 55 – -enhaltungen 64 – -envariablen 57 – -enverhalten 57 – therapeutische Kompetenz 56 therapeutische Beziehung 51, 61, 68, 72, 73, 74, 82, 83, 87, 89, 119, 124 – Metapher für Mitmenschlichkeit 52 therapeutische Fenster 181 Therapeutische Gemeinschaft 161, 164, 167 therapeutische Haltung 160, 164, 165, 178 – Akzeptanz 52, 64, 79, 102, 122, 169 – Authentizität des Therapeuten 169 – Respekt 168 – therapeutische Abstinenz 169 therapeutischen Beziehung 70, 81 Therapiemethodologie 93 Therapiesprache

240 – differenzierte Fachsprache 109 – metaphorische 109 Therapieziele – Entwicklung der Selbst- und Objektbeziehungen 101 – Nachreifung der Ich-Funktionen 101 – Ziel einer psychoanalytisch orientierten Behandlung Alkoholkranker 182 – Ziele der Traumatherapie 2009 tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie 80, 83, 103 – analytisch orientierte Psychotherapie 80 – Anwendungsbereich 81 – Behandlungsplanung 90 – Definition 80 – drei Modelle der 84 – eine breitere Konzeption 81 – synonym – übertragungsfokussierte Psychotherapie 93 Todestrieb 79 Transsubstantiation 21 traumaspezifische Behandlungsmethoden 87 Traumatherapie – Behandlung der Intrusion (intrusives Wiedererleben) 197 – Dosierungstechniken entwickeln 197 – klinisches Schema der Traumatherapie 198 – Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (MPTT) 201 – Psychodynamisch-Imaginative Traumatherapie (PITT) 201 – therapeutische Techniken nach Horowitz 196 – Traumakonfrontation 202

Stichwortverzeichnis – traumaspezifische Behandlungsmethoden 23 – Zyklus der Traumaverarbeitung 196 Trias von Forschen, Handeln und Erkennen 18 Triebtheorie 19, 36, 93 U Überpathologisierung 16, 119 Übertragung – der Dissoziation 157 – Gruppe als Übertragungsauslöser für die frühe Mutterbeziehung 137 – Konzepte 136 – Nebenübertragung 72 – negative 88, 124 – positive 72 – sadomasochistische 156 – Übertragungsauslöser 136 V Veränderungsmodelle für die stationäre Gruppentherapie – behaviorales Modell 107 – edukatives Modell 106 – interpersonales Modell 106 – kognitiv-behaviorales Modell 108 – Objektbeziehungs- und Systemmodell 106 – Problemlösungsmodell 106 – psychodynamisches Entwicklungsmodell 107 W Wiedergutmachung 151 Z Zwei-Personen-Psychologie 20 zyklisch-maladaptive Muster (CMP) 57

DieAutorinnenundAutoren

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Die Autorinnen und Autoren

Valentina Albertini, Diplom-Psychologin, in Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin für Psychoanalyse und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (DPG) sowie Analytische Gruppentherapie (DAGG), Gruppentherapeutin Hartmut-Spittler-Fachklinik Berlin. E-Mail: [email protected] Robert Bering, Priv.-Doz. Dr. med., Diplom-Psychologe, Zentrum für Psychotraumatologie Alexianer-Krankenhaus Krefeld. E-Mail: [email protected] Klaus W. Bilitza, Dr. phil., Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis in Duisburg, Psychoanalytiker (DPG; DGPT); Gruppenanalytiker (DAGG); Lehranalytiker (DGPT) am Institut für Psychoanalyse Düsseldorf; Supervisor (DGPT; DAGG; DGSv); Dozent in der Psychoanalytisch orientierten Weiterbildung zum Suchttherapeuten (GVS). E-Mail: [email protected] Uwe Büchner, Dr. med., Nervenarzt und Psychoanalytiker (DPG, DGPT), Lehranalytiker am Institut für Psychotherapie e. V. Berlin. Dozent in der Psychoanalytisch orientierten Weiterbildung zum Suchttherapeuten (GVS). E-Mail: [email protected] Andreas Dieckmann, Dr. med., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie; Psychotherapie, Psychoanalyse, Sozialmedizin; Ausbildung zum Sozialmediziner; Chefarzt der Vivantes Entwöhnungstherapie Hartmut-Spittler-Fachklinik am AugusteViktoria-Klinikum; Dozent in der Psychoanalytisch orientierten Weiterbildung zum Suchttherapeuten (GVS). E-Mail: [email protected] Gottfried Fischer, Prof. Dr. phil., Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie Universität zu Köln. E-Mail: [email protected]

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Die Autorinnen und Autoren

Thomas Fischer, Dr. med., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychotherapie; Sozialmedizin; Gruppenanalytiker (DAGG) in der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie, Chefarzt der Klinik Schweriner See Lübstorf. E-Mail: [email protected] Irene Helas, Diplom-Pädagogin, Diplom-Sozialarbeiterin. Leiterin GVS Institut Fort- und Weiterbildung in Berlin und stellvertretende Geschäftsführerin des Gesamtverbandes für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands e. V. Berlin. E-Mail: [email protected] Karl König, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Krankheiten und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker (DPG, DGPT), Gruppenpsychotherapeut (DAGG). Lehranalytiker und Supervisor am Lou-Andreas-Salomé-Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie in Göttingen und am Ausbildungszentrum für Psychotherapie und Psychoanalyse Göttingen. Tätig in eigener Praxis in Göttingen. Dozent in der Psychoanalytisch orientierten Weiterbildung zum Suchttherapeuten (GVS). E-Mail: [email protected] Wulf-Volker Lindner, Prof. em. der Praktischen Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge/Pastoralpsychologie, Psychoanalytiker (DPG, IPV) Gruppenanalytiker (DAGG). Dozent in der Psychoanalytisch orientierten Weiterbildung zum Suchttherapeuten (GVS). E-Mail: [email protected] Dieter Nitzgen, M.A., Gruppenanalytiker und gruppenanalytischer Supervisor/Organisationsberater (DAGG); Dozent am Institut für Gruppenanalyse Heidelberg; Psychoanalytiker (AFP); Bereichsleiter Psychotherapie an der Rehabilitationsklinik Birkenbuck, Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen in Malsburg-Marzell. E-Mail: [email protected] Luise Reddemann, Prof. Dr. med., Psychoanalytikerin, Deutsches Institut für Psychotraumatologie. E-Mail: [email protected] Wolf-Detlef Rost, Dr. phil. Diplom-Psychologe, Psychoanalytiker (DPV, IPA) in freier Praxis. Schwerpunktmäßig Therapie von Abhängigkeitskranken; Supervision und Fortbildungen im Suchtbereich. Diverse Publikationen zu Psychoanalyse und Sucht. E-Mail: [email protected]

Die Autorinnen und Autoren

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Wolfgang Wöller, Priv.-Doz. Dr. med., Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalytiker (DPG, DGPT), Lehranalytiker, Dozent an der Universität Düsseldorf, Leitender Abteilungsarzt an der Rhein-Klinik, Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bad Honnef. E-Mail: [email protected] Léon Wurmser, Dr. med., Lehr- und Kontrollanalytiker, klinischer Professor für Psychiatrie und Psychoanalyse an der University of West Virginia, Psychiater und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Towson/Maryland. Lehranalytiker und Supervisor, New York Freudian Society; regelmäßige Lehrtätigkeit in Europa. E-Mail: [email protected]

Wenn Sie weiterlesen möchten ... Klaus W. Bilitza (Hg.) Psychodynamik der Sucht Psychoanalytische Beiträge zur Theorie Psychotherapeuten und Psychoanalytiker werden immer häufiger mit Suchterkrankungen im Zusammenhang mit Depressionen oder Angststörungen konfrontiert. Auch die stationäre Behandlung von Suchtpatienten befindet sich im Umbruch und sucht nach neuen Entwicklungen und Lösungen. Die psychoanalytische Krankheitslehre ermöglicht den Psychotherapeuten und Klinikern ein differenziertes Verständnis der psychischen Prozesse und Strukturen bei Suchterkrankungen. Der Band berücksichtigt die Trieb- und Ich-Psychologie, die Selbst- und Objektbeziehungstheorie und behandelt die grundlegenden analytischen Krankheitsmodelle der Entwicklungspathologie, Konfliktpathologie und Traumatologie. Beiträger Klaus W. Bilitza, Duisburg / Wilhelm Burian, Wien / Andreas Dally, Göttingen / Karl König, Göttingen / Ingeborg Lackinger-Karger, Düsseldorf / Ernst Lürßen, Berlin / Andrea Möllering, Essen / Bernd Nitzschke, Düsseldorf / Peter Subkowski, Bad Essen / Mario Wernado, Leipzig / Léon Wurmser, Towson, Md., USA.

Léon Wurmser Die verborgene Dimension Psychodynamik des Drogenzwangs Aus dem Amerikanischen von Ute Boldt. Der Klassiker der analytischen Suchttherapie ist auch in Deutschland schon seit langen Jahren Grundorientierung für die Behandlung abhängiger Patienten wie auch für die Forschung. Die Verknüpfung psychoanalytischer und psychiatrischer Konzepte zum Verständnis drogengefährdeter Persönlichkeiten, ihrer Suchtkarrieren und ihrer spezifischen Reaktionsweisen in der Therapie haben sich als am tauglichsten für eine umfassende, erfolgreiche Behandlung erwiesen. Léon Wurmser, weltweit anerkannter Spezialist für die Triebdynamik wenig erforschter Affekte, stellt hier die Schlüsselbegriffe für das Verständnis suchtrelevanter Prozesse in einen gültigen theoretischen Rahmen. So ist ein einführendes Lehrbuch entstanden. In vielfältigen Beispielen werden nicht nur die therapeutisch-technischen Verfahren sinnfällig illustriert, sondern auch die Patienten in ihrer Individualität ins Recht gesetzt. Das ist Wurmsers Anliegen, es verspricht aber auch den einzig konstruktiven Zugang zu den Patienten und zu ihrer Heilung.

Christoph Möller JUGEND SUCHT Ehemals Drogenabhängige berichten Mit einem Vorwort von Rainer Thomasius. Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen ist ein Thema, das emotionale Reaktionen hervorruft wie Ablehnung, Angst, aber auch Unverständnis. Anliegen dieses Buches ist es, die betroffenen Jugendlichen selbst zu Wort kommen zu lassen, damit sich die Leser besser in ihre Welt hineindenken und -fühlen können. In zehn Interviews blicken Jugendliche nach ihrer Therapie zurück auf das Leben mit Drogen. Die Erzählenden haben in ihrer Vorgeschichte Gewalt, Traumatisierungen, sexuelle Übergriffe, Ablehnung, Verständnislosigkeit, Beziehungsabbrüche erfahren. Der Weg in die Drogenabhängigkeit ist vielfach eine Flucht aus der Lebensrealität gewesen, ein Versuch, mit Drogen die Schmerzen zu lindern oder vorübergehend zu vergessen. Diese Lebensgeschichten machen vieles nachvollziehbar und verständlich. Eltern, Lehrer, professionelle Helfer und andere, die mit drogensüchtigen Jugendlichen zu tun haben, können hierdurch Zugang zu ihnen und Verständnis entwickeln.

Christoph Möller (Hg.) Sucht im Jugendalter Verstehen, vorbeugen, heilen Das immer niedriger werdende Einstiegsalter beim Cannabiskonsum, die dramatischen Zahlen des Alkohol- und Nikotinmissbrauchs Jugendlicher spiegeln die Zunahme von Suchterkrankungen in der jüngeren Generation. Diese problematische Entwicklung macht eine umfassende Reaktion der Fachwelt erforderlich. An diesem Buch haben deshalb nicht nur Kinder- und Jugendpsychiater, Psychoanalytiker und Pädagogen, sondern auch Neurobiologen, Kriminologen und Soziologen mitgearbeitet. Erst eine Synthese ihrer Sichtweisen kann ein differenziertes Verständnis von Suchtentwicklung bei Heranwachsenden vermitteln. Als roter Faden zieht sich der salutogenetische Ansatz durch die Beiträge: Statt einer defizitorientierten Haltung den Patienten gegenüber rücken gesundheitsfördernde Mechanismen in den Blick. Dieses Werk ergänzt und erweitert den Band Drogenmissbrauch im Jugendalter – Ursachen und Auswirkungen des Herausgebers.

Christoph Möller (Hg.) Drogenmissbrauch im Jugendalter Ursachen und Auswirkungen Der Drogenmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen ist ein wachsendes Problem. In immer jüngerem Alter werden jugendtypische Drogen wie Cannabis, Ecstasy und andere Amphetamine in selbstschädigendem Maß konsumiert. Die Betroffenen bringen bereits ungünstige Entwicklungsbedingungen mit wie beispielsweise frühe Traumatisierungen, die eine Suchtentwicklung begünstigen. Häufig treten Persönlichkeitsentwicklungsstörungen als Komorbidität bei suchtabhängigen Jugendlichen auf. Spezifische Behandlungsangebote für drogenkonsumierende Kinder und Jugendliche können Abhilfe schaffen. »Insgesamt sind die Buchbeiträge sehr gut fundiert und praxisnah dargestellt, so dass das Buch eine Bereicherung darstellt und für Interessierte sehr zu empfehlen ist.« Ulrich Knölker, Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie

Therapien bei Sucht Sucht in systemischer Perspektive

Stavros Mentzos / Alois Münch (Hg.) Psychose und Sucht

Theorie – Forschung – Praxis Hrsg. vom Frankfurter Lehrtherapeutenteam: Walter Schwertl, Günther Emlein, Maria L. Staubach, Elke Zwingmann. Mit einem Vorwort von Günter Schiepek. 1998. 221 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-45818-1

Forum der psychoanalytischen Psychosentherapie, Band 8. 2003. 112 Seiten mit 1 Abb.,, kartoniert ISBN 978-3-525-45109-0

Mit Blick auf Theorie, Forschung und Praxis werden neue und überraschende systemische Ideen formuliert, die in dieser Zusammensetzung erstmalig im deutschen Sprachraum erscheinen. Das Buch schließt Lücken, die im Bereich systemischer Forschung beklagt werden. Für die systemische Arbeit mit als süchtig bezeichneten Menschen wird ein Theoriefundament geliefert. Entscheidender Aspekt ist das Begreifen der Sucht als Selbstmedikation, was für die Praxis eine Betonung der Autonomie des Patienten und der Orientierung an seinen Ressourcen bedeutet. Diese Perspektive trägt zur Entdogmatisierung des Suchtbegriffs bei. Die vom Frankfurter Lehrtherapeutenteam in diesem Band zusammengeführten Arbeiten befassen sich mit der historischen Einordnung von Suchtkonzepten, Erkenntnistheorie, Computersimulation, Neurobiologie, Sprachverhalten von Drogenkonsumenten, Synergetik und Selbstorganisation. Mehrere Praxisberichte widmen sich der Umsetzung der gewonnenen Ideen in systemischer Therapie, ambulanter und stationärer Rehabilitation und Organisationsberatung.

Das Zusammentreffen und die Zusammenhänge von Psychose und Sucht ist vom psychoanalytischen Gesichtspunkt aus selten behandelt worden. Die Autoren dieses Bandes gehen insbesondere auf die Psychodynamik der Alkoholsucht ein, aber auch des süchtigen Rauchens wie auch generell auf Süchte in Verbindung mit psychotischen Störungen. Exemplarisch ist die Schilderung der psychoanalytisch orientierten Behandlung einer psychotischen Patientin nach zuvor überwundener Sucht.

Annelise Heigl-Evers / Irene Helas / Heinz C. Vollmer / Uwe Büchner (Hg.) Therapien bei Sucht und Abhängigkeiten Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Systemische Therapie 2002. 158 Seiten mit 8 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-46163-1 Die therapeutische Arbeit mit abhängigkeitskranken Menschen ist zu einer interdisziplinären Aufgabe geworden. Nur so ist eine sinnvolle Versorgungsstruktur gewährleistet, und nur so wird es gelingen, den betroffenen Menschen nachhaltig zu Integration und Heilung zu verhelfen.

Therapeutische Hilfen Wilhelm Burian (Hg.) Auf der Suche nach dem Guten Objekt

Erik Wenglein / Arno Hellwig / Matthias Schoof (Hg.) Selbstvernichtung

Psychoanalytische Blätter, Band 24. 2003. 125 Seiten mit 9 Abb. und 8 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46023-8

Psychodynamik und Psychotherapie bei autodestruktivem Verhalten 1996. 187 Seiten mit 9 Abb. und 27 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-45786-3

In der therapeutischen Praxis zeigt es sich immer wieder, dass die guten Erfahrungen in Kindheit und Adoleszenz nicht ausreichen, um Traumatisierung, Verelendung und Destruktivität bei einer Drogenabhängigkeit auszugleichen. Ein gutes inneres Objekt konnte der Suchtpatient oft aus realem Mangel in der frühesten Kindheit nicht genügend entwickeln; es ist fragmentarisch geblieben, so dass er destruktiven Anteilen ausgeliefert ist. Die Autoren begreifen ihre Suchtbehandlung als Suche nach dem Guten Objekt: Die institutionelle Behandlung der Drogenabhängigkeit mit den Mitteln der modernen Psychoanalyse zielt auf eine Versöhnung mit der Vergangenheit und will Hoffnung für die Zukunft bieten. Neben der Einzeltherapie wird die therapeutische Arbeit in der Großgruppe und in der Wohngruppe vorgestellt. Zahlreiche Vignetten lassen ein lebendiges Bild der klinischen Arbeit entstehen. Eine Katamnese-Studie gibt einen Einblick in die Ergebnisse der therapeutischen Bemühungen.

Die Zahl der Menschen nimmt zu, die Hilfe benötigen, weil ihr Verhalten zur Selbstschädigung und Selbstvernichtung führt. Ihre Lebenspartner, Familienangehörigen und Arbeitskollegen müssen meist hilflos zusehen, wie sie Handlungen und Lebensweisen fast zwanghaft wiederholen, die zur Selbstzerstörung und zum Tod streben. Die Vielfalt der Erscheinungsformen verwirrt: Neben den meist depressiven Suizidgefährdeten sind es vor allem psychosomatisch Kranke, Patienten mit psychischen Frühstörungen, mit schweren Eßstörungen (Anorexie, Bulimie), Abhängigkeitskranke, Artefakt-Patienten, Operationssüchtige, masochistische Persönlichkeiten und solche mit selbstverletzendem Verhalten, die dieser Gruppe der Autodestruktiven zuzurechnen sind. Die große Bandbreite selbstzerstörerischer Handlungen, ihre Verlaufsformen, ihre Diagnostik und Fortschritte in der Therapie werden in diesem Handbuch anschaulich und kompetent dargestellt.