Kleine Philologische Schriften, I [Reprint 2021 ed.]
 9783112482148, 9783112482131

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D E U T S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N SCHRIFTEN DER

S E K T I O N FÜR

ALTERTUMSWISSENSCHAFT

21

F E L I X JACOBY

KLEINE PHILOLOGISCHE SCHRIFTEN BAND I

HERAUSGEGEBEN VON HANS JOACHIM METTE

AKADEMIE-VERLAG1961

BERLIN

Zum Druck angenommen auf Beschluß der Leitung des Instituts für griechisch-römische Altertumskunde vom 17. 5. 1956

Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktoren dieses Bandes: Bernhard Döhle und Gudrun Gomolka

Alle R e c h t e vorbehalten Erschienen im Akademie-Verlag G m b H , Berlin W 8 , Leipziger Straße 3 — 4 Copyright 1961 b y Akademie -Verlag G m b H , Berlin Lizenz-Nr. 202 • 100/211/60 Gesamtherstellung: D r u c k h a u s „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnr. 2067/21/1 P r i n t e d in Germany ES 7M

INHALTSVERZEICHNIS BAND I Seite

Vorwort

V

Abkürzungen I.

i. Homerisches I, Der Bios und die Person, Herrn. 68, 1933, 1—50

VII . .

1

2. Homerisches II, Die Einschaltung des Schiffskatalogs in die Ilias, SB Berlin 1932, 5 7 2 - 6 1 7

54

3. Die geistige Physiognomie der Odyssee, Antike 9, 1933, 159 — 194 . . . 107 4. Der homerische Apollonhymnos, SB Berlin 1933, 682—751

139

5. Hesiodstudien, Zur Theogonie, Herrn. 61, 1926, 157 —191

219

6. The date of Archilochos, Cl. Quart. 35, 1941, 97 — 109

249

7. Studien zu den älteren griechischen Elegikern, Herrn. 53, 1918, 1—43. 262-307 268 8. Theognis, SB Berlin 1931, 93 S

345

7. Some Athenian epigrams from the Persian wars, Hesperia 14, 1945, 157-211 456 10. Über das Marmor Parium, RhM 59, 1 9 0 4 , 6 3 - 1 0 7

521

INHALTSÜBERSICHT BAND II II.

1. Ein Selbstzeugnis des Terenz, Herrn. 44, 1909, 3 6 2 - 3 6 9 2. Das Prooemium des Lucretius, Herrn. 56, 1921, 1—65 3. Zur Entstehung der römischen Elegie, RhM 60, 1905, 38 — 105 4. Tibulls Erste Elegie, RhM 64, 1909, 6 0 1 - 6 2 2 ; 65, 1910, 2 2 - 8 7 5. Besprechung von M. Ites, De Propertii elegiis, BPhW 29, 1909, 746—751 6. Zur Arbeitsweise des Properz, Herrn. 44, 1909, 304—309 7. Drei Gedichte des Properz, RhM 69, 1914, 3 9 3 - 4 1 3 . 4 2 7 - 4 6 3 8. Eine vergessene Horazemendation, Herrn. 49, 1914, 454—463 9. Besprechung von G. Pasquali, Orazio Lirico, DLZ 42, 1921, 48—53 10. Besprechung von W. J . Oates, The influence of Simonides . . . on Horace, Gnomon 10, 1934, 4 8 1 - 4 8 7

III.

1. Die griechische Moderne, Rede vom 1. 3. 1924 2. Die Universitätsausbildung der klassischen Philologen, Leipzig 1925

VORWORT Unter dem Titel „Abhandlungen zur Griechischen Geschichtsschreibung" gab HERBERT BLOCH im Jahre 1956 im Verlage E. J. Brill-Leiden von den 267 Publikationen von FELIX JACOBY ZU dessen achtzigstem Geburtstag 25 Aufsätze und Besprechungen erneut heraus, die sich mit Problemen der Griechischen Historiographie im engeren Sinne befassen und eine wertvolle Ergänzung zu jACOBYs Monumentalwerk, seiner Ausgabe und Kommentierung der „Fragmente der Griechischen Historiker", bedeuten. Dazu trat in demselben Jahre die sehr dankenswerte Sammlung von 21 umfangreichen RE-Artikeln aus JACOBYS Feder, die STEPHAN WEINSTOCK unter dem Titel „Griechische Historiker" im Verlage Alfred Druckenmüller-Stuttgart herausgab. Ein Verzeichnis der Gesamtschriften v o n F E L I X JACOBY l e g t e H E R B E R T BLOCH auf S. 1 — 1 5 seiner P u b l i k a t i o n

vor: Hier wurde am Schlüsse der einzelnen Nummern durch Angabe der Seitenzahlen gegebenenfalls auf den Wiederabdruck in demselben Werke verwiesen, durch einen vorangesetzten Asteriskus auf den Wiederabdruck bei STEPHAN WEINSTOCK.

Die vorliegende Publikation bedeutet eine unmittelbare Ergänzung zu den genannten beiden Werken. Sie enthält aus dem Verzeichnis von BLOCH die Nummern 227. 226. 228f. 194. 242. 136. 223. 246. 10. 187. 57. 156.11. 58/64. 60. 56. 117f. 170. 238.188. Es handelt sich um die größeren, zum Teil seit langem in die Geschichte der Philologie eingegangenen Aufsätze, in denen FELIX J ACOBY — außerhalb des Rahmens der Griechischen Historiker — Probleme der griechischen und der römischen L i t e r a t u r behandelt und auf weite Strecken hin entscheidend gefördert hat. Dazu treten, speciminis causa, einige Rezensionen. Die Auswahl geht auf die Intentionen meines verehrten Lehrers JACOBY selber zurück. Die Aufsätze und Rezensionen erscheinen in ihrer ursprünglichen Fassung; die Orthographie und die Art der Zitation sind einheitlich gestaltet, für die Zitationen sind die neuesten Ausgaben herangezogen worden. Die vom Herausgeber eingefügten Zitate sind in eckige Klammern gesetzt. Besonderer Dank gebührt dem Berliner Institut für Altertumskunde, das den Wiederabdruck in großzügigster Weise ermöglicht hat.

VI

Vorwort

Nicht berücksichtigt sind hier (naturgemäß) die postum erschienenen Aufsätze: 266. Diagoras rO "A&eog, Abh. Akad. Wiss. Berlin, Kl. f. Sprachen, Literatur und Kunst, Jahrg. 1959, Nr. 3, 48 S. 267. Zwei Doppelfassungen im Iuvenaltext (3, 10—21; 7, 36—61), Herrn. 87, 1959, 449—462. Hamburg

H A N S JOACHIM M E T T E

ABKÜRZUNGEN Abh. Berlin

= Abhandlungen der Deutsehen (Preußischen) Wissenschaften zu Berlin. Phil.-hist. Klasse

Akademie der

AM

= Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Athenische Abteilung

Am. Phil. Ass.

-- Transactions and Proceedings of the American Philological Association

Anth. P.

= Anthologia Palatina

ARW

= Archiv für Religionswissenschaft

AJP

- American Journal of Philology

BCH

= Bulletin de Correspondence Hellénique

BPhW

= Berliner Philologische Wochenschrift

BuJb

— Jahresberichte über die Fortschritte der klassischen Altertums* Wissenschaft (hrsg. von C. Bursian)

CGFr.

= Comicorum Graecorum Fragmenta, ed. G. Kaibel

Cl. Quart.

= Classical Quarterly

Cl. Rev.

= Classical Review

DLZ

= Deutsche Literaturzeitung

D.-Kr.

= H. Diels — W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker

FGrHist

•-•--- F. Jacoby, Die Fragmente der Griechischen Historiker

FHG

= Fragmenta Historicorum Graecorum, ed. C. Müller

GGA

= Göttingische Gelehrte Anzeigen

Gr. G.

= Griechische Geschichte

GdA

= Ed. Meyer, Geschichte des Altertums

Gr. Les.

= U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Griechisches Lesebuch

Gr. L.

= Griechische Literaturgeschichte

Herrn.

= Hermes

VIII

Abkürzungen

HSCP

= Harvard Studies in Classical Philology

IG

= Inscriptiones Graecae

Jdl

= Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts

JHS

= Journal of Hellenic Studies

KZ

= Zeitschrift A. Kuhn

NJbb

= Neue Jahrbücher für Antike und deutsche Bildung

NGG

= Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-hist. Klasse

ÖJh

= Jahreshefte des österreichischen Archäologischen Instituts in Wien

Philol.

= Philologus

P. L. G.

= Th. Bergk, Poetae Lyrici Graeci

P. O.

= Oxyrhynchus Papyri

Phil U

= Philologische Untersuchnungen, U. v. Wilamowitz-Moellendorff

RE

= Real-Enzyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, hrsg. von Pauly-Wissowa-Kroll-Mittelhaus-Ziegler

RhM

= Rheinisches Museum für Philologie

Riv. di Pilol.

= Rivista di Filologia e di Istruzione Classica

Rosch. Lex.

= W. H. Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie

RVV

= Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten

für

vergleichende

Sprachforschung,

begr.

von

hrsg. von A. Kiessling und

SB Bayr. Akad. = Sitzungsberichte der Bayrischen Akademie der Wissenschaften zu München. Phil.-hist. Klasse SB Berlin

= Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Phil.-hist. Klasse

SB Wien

= Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Wien. Phil.-hist. Klasse

SEG

= Supplementum Epigraphicum Graecum

Stud. It.

= Studi Italiani di Filologia Classica

Syll.

= Sylloge Inscriptionum Graecarum, ed W. Dittenberger

Wien. Stud.

= Wiener Studien

I.

1. HOMERISCHES I D E R BIOS U N D D I E P E R S O N * D i e seit einiger Zeit wieder erlaubte Frage nach der Person des Iliasdichters, d e n wir zunächst nur aus Bequemlichkeit H o m e r nennen, k a n n ganz unabhängig v o n allen analytischen P r o b l e m e n u n d m u ß unter allen U m s t ä n d e n unabhängig v o n jedem Geschmacksurteil gewissermaßen roh u n d n a i v gestellt werden. Ob 'Ilias Homers' oder unsere Ilias, ob schöpferischer Geist oder Sammler, Ordner, Redaktor — das große Gedicht erfordert einen Dichter, d. h. einen b e w u ß t arbeitenden Menschen, der sich eine b e s t i m m t e A u f g a b e welcher Art auch immer gestellt u n d sie in bestimmter Weise wie auch i m m e r gelöst h a t . 1 ) D i e Einheit, die m a n auch unserer Ilias wieder zugesteht, weil sie sie offensichtlich hat, ist jedenfalls kein Zufallsprodukt 2 ), | m a g m a n sich auch weiter darüber streiten, ob sie 2 * Herrn. 68, 1933, 1 - 5 0 . *) So wird man formulieren müssen, um nach keiner Richtung hin zu präjudizieren. 1>1 Die ältere Diskussion über Homers Leben hier zu reproduzieren, ist schon aus Raumgründen unmöglich, scheint mir aber auch nutzlos zu sein. Den Wandel der Anschauung in der letzten Generation mögen beispielshalber illustrieren: auf der einen Seite die Äußerungen von W. LEAF (The Iliad 1, 2. Aufl. London 1900, 13) »the one poet can no longer be regarded as historical« oder TH. BIRT (Kritik und Hermeneutik, München 1913, 88; vgl. unten S. 14,28) »Ergebnis, dem man sich schwer entziehen kann, daß die Person Homers nichts ist als Konstruktion, eine Idealfigur, ein Sammelbegriff« ; auf der anderen der Titel eines Aufsatzes v o n ERNST MAASS, Die P e r s o n H o m e r s , N J b b 27, 1911, 539FF., u n d GEFFCKENS

Anfangssatz (Gr. L. 1, 1926, 17) »Homer ist uns heute nach manchem unerläßlichen Irrgang der Kritik wieder eine Persönlichkeit geworden: es hat einmal einen ionischen Genius des Namens . . . gegeben usf.« Im Gegensatz zu dem meist ganz losen Gerede der Unitarier stützte sich auch MAASS — wie vor ihm BERGK (unten S. 16, 30) und nach ihm WILAMOWITZ (ebd.) — auf die Tradition, ging also einen (freilich nicht den einzigen) methodisch zulässigen Weg und hat gewiß recht, daß 'Nichtwissen' nicht 'Nichtexistenz' bedeutet. Aber er setzte den großen Dichter einfach voraus (unten S. 10,19) und war in der Durchführung J seiner These weder vollständig noch glücklich. 2 ) Wenigstens soweit darf man heute von einem Consensus der Urteilsfähigen reden, 1,2 nachdem die Analyse sich »in der Behauptung der künstlerischen Einheitlichkeit der Ilias . . . mit den Unitariern ganz einverstanden« erklärt hat (E. BETHE, Homer, Dichtung und Sage 2, 2. Aufl. Berlin/Leipzig 1929, 3ff., der diese Einheit 1

Jacoby, Kleine Schriften I

2

Homerisches I

das R e s u l t a t einer künstlerischen Großtat ist oder einer verständigen R e d a k t i o n oder der Umarbeit, Erweiterung, Fortführung eines älteren großen Gedichtes. N a c h allem, w a s wir über diese Dinge allmählich gelernt haben, über den epischen Stil i m ganzen u n d den des griechischen E p o s i m besonderen, über die möglichen F o r m e n u n d die Geschichte der Heldendichtung, k ö n n e n wir sagen, daß keine, auch nicht die früheste dieser Formen ihre E n t s t e h u n g d e m 'dichtenden Volksgeist' v e r d a n k t 3 ) oder der 'präexistenten Sage', die sich ihren poetischen Ausdruck selbst erzeugt. Wir können vor allem m i t voller Sicherheit behaupten, daß die große F o r m des E p o s weder ein allgemeines B e s i t z t u m der Menschheit noch etwas Volkstümliches oder besonders Altes ist: die relative J u g e n d der Ilias 3 — die doch das älteste, jedenfalls das älteste uns erreichbare echte Helden-

2,1

3

)

sogar »noch schärfer faßt als R O T H E « , weil er auch bei Homer »überhaupt nicht andere Interpolationen anerkennt als in allen anderen antiken Texten« ), oder ihnen wenigstens zubilligt, daß sie »gesünder und poetischer empfanden als die Liederjäger« , weil »sie sich davon Rechenschaft gaben, was es für die Rhapsodie bedeutet, daß der Epiker sie zum integrierenden Teile eines Ganzen gemacht hat« ( W I L A M O W I T Z , Die Ilias und Homer, Berlin 1 9 1 6 , 3 2 7 , der seinen 'Ordner' gelegentlich recht enthusiastisch beurteilt) ; nachdem umgekehrt die Unitarier den Analytikern mit der Konzession von Quellen, Vorlagen, älteren Dichtungen so weit entgegengekommen sind, daß die Grenzen überhaupt fließend geworden sind und Leute, die sich selbst für ausgesprochene Unitarier halten, wie M Ü L D E R und selbst R O T H E , im Ausland mit B E T H E und W I L A M O W I T Z in einen Topf geworfen werden. Denn die so erzielte concordia discors wird allerdings dadurch wieder bedroht, daß in Frankreich (etwa seit Y. T E R R E T , Homère, Étude historique et critique, Paris 1 8 9 9 ) und den angelsächsischen Ländern (s. J . A. S C O T T , The unity of Homer, Berkeley 1921, u. a.) der alte zugleich naive und strenge eigentliche Unitarismus wieder auflebt, der an dem einen genialen Verfasser von Ilias und Odyssee ebenso festhält wie an dem Wunderglauben, daß gerade seine Gedichte von Entstellungen jeder Art so gut wie völlig verschont geblieben sind. Der Bewegung, die z. Z. äußerlich ebenso stark wie innerlich schwach ist, dürfte schwerlich eine lange Dauer beschieden sein, wenn ihr nicht wider Erwarten ein wirklich bedeutender Vertreter entsteht. Aber diese Dinge müssen in größerem Zusammenhang behandelt werden; für meinen Zweck sind sie, selbst da wo das I ins Spiel kommt (unten Abschn. 5), bedeutungslos. H E R D E R S Gedanken erhielten durch S T E I N T H A L und in der Zeit der kollektivistischen Geschichtschreibung (s. auch G E F F C K E N , Gr. L . 1 , A 6 1 ) durch E H R H A R D T , Die Entstehung der homerischen Gedichte, 1 8 9 4 , einen gewissen Auftrieb; und noch 1 9 0 4 sah I M M I S C H , Die innere Entwicklung des griechischen Epos, der den Begriff 'Volkspoesie' vermeiden wollte und auch der naturwissenschaftlich frisierten 'Entwicklungsgeschichte' einigermaßen skeptisch gegenüberstand, in dem Begriff der 'Gemeinschaftsdichtung' das entscheidende Ergebnis einer vergleichenden Betrachtung der griechischen mit der Epik anderer Völker. Für unser Problem mackt es wieder nichts aus, wie man über die verschiedenen kollektivistischen Auffassungen, über das Verhältnis des Individuums zum Volke, über den Begriff 'schöpferisches Individuum' denkt. Auch wer im Dichter einer bereits ausgesprochen literarischen Zeit nur eine Funktion, das Organ, Mundstück oder was sonst immer des Volkes sieht, ist sich heute darüber klar, daß sich die Ge-

Homerisches I

3

epos ist — springt ebenso in die Augen wie ihr Charakter als Literaturwerk, als bewußtes Erzeugnis schriftstellerischer Arbeit eines einzelnen 4 ), wie immer man die Qualität dieser Arbeit beurteilt. Es erscheint irreführend, auf ein solches Werk den Begriff der Gemeinschaftspoesie (von Volkspoesie nicht zu reden) auch nur in seiner abgeschwächtesten Bedeutung anzuwenden. 5 ) Was man in der neueren Literatur etwa seit STEINTHAL an Vergleichsmaterial herbeigebracht hat, ist alles in allem ge-

nommen nicht geeignet, das griechische Phänomen der großen epischen Form zu klären. 6 ) Ganz roh gesprochen sind vergleichbar nur die germanische und etwa die romanische Heldendichtung (denn von der indischen muß aus verschiedenen Gründen abgesehen werden), die allein zum Epos fortgeschritten sind; und diese Analogien verlieren ihren Wert auch dann nicht, wenn der Fortschritt unter direktem oder indirektem Einfluß des römischen Epos erfolgt ist, dessen Verhältnis zu Homer eigenund einzigartig ist. Die finnische, südslawische, besonders die serbokroatische Dichtung und was an entfernteren Dingen genannt ist, kommt nicht in Betracht. Ihnen allen fehlt die Einheit des großen Epos; wo sie vorhanden zu sein scheint, wie beim Kaiewala, ist sie eben scheinbar, ein Werk des modernen Sammlers. Der verglich zwar seine Leistung mit dem 'peisistratischen Homer', aber da ist inzwischen das griechische Vergleichsobjekt verschwunden: die Rolle des Peisistratos (um den bequemen Namen für ein Stadium im Leben Homers zu brauchen) mag in der Textmeinsehaft nur durch den einzelnen äußern kann und daß wir das Recht und auch die Pflicht haben, uns um die Person dieses einzelnen zu kümmern. Die Frage, ob oder wieweit er frei schafft, ob und wieweit er unter dem Einfluß der sozialen Umstände und von Bewegungen steht, die das ganze Volk ergreifen, ist — soweit sie nicht historisch beschränkt wird und dann mehr oder weniger vollständig beantwortbar ist — eine metaphysische. Taktisch ist in der neueren Literaturwissenschaft trotz aller Verschiedenheit und aller gegenteiligen Versuche die Abwendung von der Kollektivpoesie und die Anerkennung des entscheidenden Einflusses der denkenden und dichtenden Persönlichkeit unverkennbar. 4 ) Am liebsten sage ich, die Ilias ist für Hörer geschrieben, weil dieser nur scheinbar 3,1 paradoxe Ausdruck den tatsächlichen Verhältnissen entspricht und die vielberedete Schriftfrage von vornherein in das richtige Licht rückt. Auf Begründung und Abhebung selbst gegen B E T H E (Homer 2 2 , S. XII) und W I L A M O W I T Z , auf den B E T H E S Gedanken und Formulierungen nicht ohne Einfluß geblieben sind, muß ich hier verzichten. 5 ) Vielmehr gilt für die Ilias, was W I L A M O W I T Z , Gr. Les. 3 11, von »dem schwer be- 3,2 greiflichen Wahn« sagt, »hier Volkspoesie zu sehen, wo alles Kunst ist und wo dem Stande der Dichter als Publikum zunächst gar nicht das Volk entspricht, sondern wieder ein Stand, die Könige oder Herren, die das Volk unter sich nicht stärker verachten können, als Homer es tut«, 6 ) Im letzten Moment kann ich hierfür noch auf M. P. N I L S S O N S neues Buch, The 3,3 Mycenean origin of Greek mythology, Berkeley 1932, hinweisen, ohne Auseinandersetzung auch nur mit dem besonders wichtigen ersten Kapitel. 1*

4

4

Homerisches I

geschickte ihren Platz behalten, mit der Entstehung der viel älteren Ilias hat weder Athen noch eine Kommission etwas zu tun; die Wolfsche Grundthese hat da restlos ausgespielt. Was uns diese Literaturen bieten, was wir aber viel instruktiver in der germanischen Poesie besitzen7), sind alles Einzellieder, kleine Einheiten von geringer Festigkeit, deren formbestimmter Unterschied | von der Ilias und den Kunstepen (wie der schlechte Ausdruck lautet) so offensichtlich ist, daß man darüber kein Wort zu verlieren braucht. Man sollte endlich aufhören, hier von Epik und Epos zu reden, wie denn überhaupt die lockere Terminologie, die oft ganz mangelnde Unterscheidung der verschiedenen Formen der Heldendichtung eine beständige Quelle von Mißverständnissen ist. Verwendbar ist das alles nur für die Frage, was etwa auch auf griechischem Boden in vorliterarischer Zeit (diese Scheidung kann gar nicht scharf genug betont werden) von solchen oder ähnlichen Liedern vorhanden war und wie wir uns das Verhältnis des Epikers zu ihnen vorzustellen haben — eine Frage, die den, der nach der Person des Iliasdichters fragt, zunächst wenigstens gar nichts angeht. Denn selbst wenn man den zunftmäßigen Betrieb einer griechischen Heldendichtung als erwiesene Tatsache gelten läßt, berührt das die Frage nach den Verfassern der großen Epen und nach dem Ursprung der neuen Form praktisch nicht, höchstens die Bedingungen für ihre Erhaltung und Fortpflanzung. Der jetzt beliebte Vergleich des Epikers mit den 'Meistern mittelalterlicher Dome' ist an sich falsch und wird es noch mehr, wenn man »Ungleichheiten und Unstimmigkeiten« der Ilias dadurch erklären will, »daß an großen einzelnen Kompositionen neben dem Meister auch Gesellen mitarbeiteten«.8) 1. Die G r u n d l a g e n der B i o g r a p h i e Die zu stellende Frage ist für den, der sich im Bereiche äußerer Daten so lange halten will, bis die Fundamente mit der hier erreichbaren Sicherheit gelegt sind, zunächst ausschließlich und ganz einfach die, ob wir etwas

3,4 7 ) Bs muß genügen, die Namen W. P. KER und ANDREAS HEUSLER, Lied und Epos in germanischer Sagendichtung, Dortmund 1905, und: Nibelungensage und Nibelungenlied, 3. Aufl. Dortmund 1929, dann auch CHADWICK, The heroic age, Cambridge 1912, zu nennen, deren Gedanken mehr zitiert als wirklich ausgenutzt werden. 4,1 8 ) SCHMID, Gr. L. 1,1, 1929, 83. 90. Die /¿ezaßaois elg aAAo yévog liegt auf der Hand. Selbst der Vergleich von größeren Interpolationen oder Umarbeitungen mit Anbauten oder Umbauten ist bedenklich; und keinesfalls enthebt uns ein Vergleich der Notwendigkeit, erst einmal im einzelnen nachzuweisen, daß die Ilias überhaupt Umbauten erfahren hat. Der ins einzelne getriebene Vergleich von bildender und redender Kunst ist freilich noch immer modern, obwohl sich bedeutsame Stimmen gegen die naiven Parallelen erheben.

Die Grundlagen der Biographie

5

von dem Dichter wissen, der den 'Groll Achills' erzählen wollte und der sein Thema klar und scharf in dem kurzen Prooimion der Ilias hingestellt, abgegrenzt und in einer Weise, die wir doch als sehr persönlich empfinden, der Aufmerksamkeit des Publikums empfohlen hat 9 ). Eine solche Frage muß man, was bekanntlich nicht nur für Homer, sondern ganz allgemein gilt, auf zwei Wegen zu beantworten suchen: a) Gibt das Werk selbst direkte oder indirekte Daten für seinen Dichter?, b) Besteht eine vom Werk unabhängige Tradition über den Dichter? | a) Die erste Frage ist zunächst sehr schnell zu beantworten. Die Ilias 5 sagt direkt nichts über ihren Dichter; und wieder gilt das nicht für die Ilias allein, sondern für das heroische Epos überhaupt. Der Dichter, der eingangs die Muse mit äeids herbeiruft und gelegentlich innerhalb der Erzählung noch eine Bitte um Hilfe ausspricht, sagt nichts von seiner Person, nennt nicht einmal seinen Namen. Man mag es also als »das Charakteristische für dieses Epos« bezeichnen, »daß die Personen der Dichter ganz verschwinden«. Aber der Schluß »daher der einheitliche Stil, der . . . zu der Annahme des einen Verfassers aller Epen verführt hat«, beruht doch wohl auf einer durch das Hineinspielen des analytischen Gedankens verursachten Vermischung ganz verschiedener Dinge: das Zurücktreten der menschlichen Person des Dichters bedeutet an sich in keiner Weise eine Unterdrückung auch seiner dichterischen Persönlichkeit, wie denn gleich darauf mit offenbarem Widerspruch behauptet wird, daß »die Gegensätze des Stils weit mehr als die Widersprüche in der Erzählung dem aufmerksamen Leser die analytische Kritik aufdrängen«.10) Tatsächlich ist dieses Zurücktreten der vortragenden Person ursprungsmäßig schwerlich etwas Stilistisches, d. h. kein bewußt geschaffenes und beobachtetes Verfahren, wenn es auch bei den Nachfolgern des Iliasdichters nach dem bekannten Gesetz der griechischen Poesie zu einem solchen geworden ist, zu einer Konvention, die dann Hesiod kühn und in voller Offenheit durchbricht, während es die Aoiden, die der Odysseedichter auftreten läßt, versteckt mit avxodidaxro$ eljxi u. ä. tun. Es ist, wie schon die Möglichkeit der Durchbrechung zeigt, auch nichts äußerlich durch die epische Form Bedingtes wie in der Tragödie: der Tragiker kann wenigstens namentlich nicht von sich selbst sprechen; der Komiker tut es oft genug; und der Epiker könnte es, tut es später auch zuweilen, freilich selten und kaum je ohne Einwirkung von Hesiod und dem hymnischen Prooimion her, das die Ilias nicht kennt, an dessen Stelle sie das litera9

10

) E s ist selbstverständlich kein Zufall, daß diese Verse das Prototypon — man kann 4,2 sagen aller griechischen Prooimien, nicht nur der epischen und nicht einmal nur der poetischen geworden sind. Interpretiert können sie hier nicht werden, so nötig sie es wieder einmal hätten.

) WILAMOWITZ, G r . L e s . I 3 , 11. 13.

5,1

6

Homerisches I

rische Prooimion als etwas Neues setzt. Wir müssen in dieser Unpersönlichkeit des epischen Dichters ursprungsmäßig wohl einfach ein 'Zeichen der Zeit' sehen: die Person, das Individuum ist dem Stoffe gegenüber gleichgültig; es ist nur der menschliche Mund der Gottheit, für den der H ö r e r w e i t e r k e i n I n t e r e s s e h a t . Mrjnv

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man merkt die spätere Zeit, das in der Odyssee ja deutliche Standes- und Persönlichkeitsgefühl, wenn ein Kykliker mit "I)MV äeidco beginnt oder der Katalogist

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v raTg Movaaig geschwängerte I e t i n zur Zeit der ionischen Wanderung von R ä u b e r n nach Smyrna entf ü h r t , das damals noch lydisches Herrschaftsgebiet ist (überall in diesen alten Erzählungen ist die historische Überlegung sehr deutlich), wird dort | dem lydischen König Maion geschenkt u n d gebiert diaxQißovaa napà rcöi 22 Méhjn xal avaye&Eiaa xmò rrjg wòTvog ròv "OfirjQov ènì rmi noraßwi ; dieser Sohn folgt den Lydern, als sie sich entschließen, dem Druck der Aioler weichend, Smyrna aufzugeben, o&ev àvri MeXrjaiyévcwg "OfirjQog ngoarjyogev&r]. Der gleichen Tradition, wenn m a n das noch Tradition nennen darf 5 0 ), f o l g t E p h o r o s 7 0 P 1 (beiPs.-Plutarch 1, 2), wenn Homers Mutter (poiTüiaa Ini rovg nkvvovg, ol fjoav naoà rcói MéXiqri, àjiexvrjoe ròv "OfxrjQov ¿ni reòi jiorafjmi xal óià rovro Msb]Ciysvr]g exhqffr}, folgt Ps.-Herodot 3, wo sie èt-eh&ovcra fiex aXKow yvvaixmv ngòg éoQTrjV riva ènl ròv nora/uòv ròv xaXov/usvov Méhqra . . . aal riderai övo/ia rwi naiòl MsXrjaiyévsa, ornò 48

) Unten S. 41. 21,2 ) Oben S. 18/19. 21,3 50 ) Es ist in Wahrheit keine Tradition, sondern die aiolische Version der vom ionisch 22,1 gewordenen Smyrna erhobenen Ansprüche; unten S. 25; 32, 69. 49

24

Homerisches I

rov TioTUfiov rrjv ejiwvvfiiav Xaßovaa. Es steht nicht da, daß es ein Meiesfest war; aber der Schluß liegt nahe. Dann deckt sich, was man doch sagen muß (denn die naiven historischen Schlüsse entwerten das onomatologische Resultat nicht), MAASSens sprachlich mindestens sehr erwägenswerte51) Deutung des Namens Mebjai(o)yevrjg als 'der an den Melesia geborene' vollständig mit der gut bezeugten und keinesfalls jungen 'smyrnäischen Tradition', die MARX gar nicht, WlLAMOWITZ nur in einer seiner bekannten nachträglichen Anmerkungen ganz am Schluß [376, 1] berücksichtigt, weil sie seine Argumentation einfach umwirft: »weder ist ein solches Fest in der alten Zeit glaublich, noch ist die Deutung des Namens angesichts von Mefojaidvag, MehrjomTws usw. zulässig«. Den ersten Einwand wird angesichts des besonders alten Flußkultes niemand ernst nehmen, den zweiten widerlegen zahllose analoge Erscheinungen der griechischen Onomatologie. Es ist eigentlich überhaupt kein Einwand: denn wie sollte die Tatsache, daß viele Namen von /j,eXofiai abgeleitet werden, die Möglichkeit der Ableitung eines Namens vom Flusse Meies oder vielmehr von einem Meiesfest widerlegen? Aber mag Mehjaiyevrjg was immer bedeuten, für unsere Frage ist er und sind alle seine Varianten bedeutungslos, so bedeutungslos wie die des Piatonbios. Die Tradition erlaubt nicht, von diesem Namen auszugehen und aus ihm historische Schlüsse zu ziehen; noch weniger natürlich aus seiner einen Deutung als 'Sohn des Meies'. Aber sie erlaubt, ja sie fordert mit ihrem immer wiederholten xarä rovg Ufivgvaiovg u. ä. — und in dieser Beziehung sind wir besser daran als in der Piatonlegende, wo wir den Ausgangspunkt nicht kennen — die Konstatierung, daß die Geschichte 23 von der Namensänderung | in die Aiolis führt: auf sie weisen beide Deutungen des Namens "Ofit]Qog; die Ionier hatten auch ja keinerlei Grund, eine Deutung zu geben. Sie fordert die weitere Konstatierung, daß die ganze Geschichte von einer Namensänderung des Dichters in den Streit um seine Heimat gehört: Homer, der Sohn des Maion (d. h. doch einfach eines Lyders), ist ein Aioler (Kymaier), weil die Kymaier die blinden o/xrjQoi, nennen; er ist Aioler (Smyrnäer), weil er den von Smyrna abziehenden Lydern 'folgte' oder weil er (der Unterschied ist einer der historischen Einordnung und zeitlichen Ansetzung, kein faktischer) im Kriege zwischen 22,2

61 )

Daß man sie nicht als einwandfrei bezeichnen kann, liegt an der Reduktion des vortonigen 10 zu i, für die mir auch ERNST FRAENKEL kein sicheres Beispiel nennen kann, die er aber »a priori nicht für ausgeschlossen hält«. Denn für den doch ganz analogen Verlust einer der beiden Komponenten in der Verbindung so gibt F. BECHTEL, Die griechischen Dialekte 3, Berlin 1924, 92 (s. schon JOH. SCHMIDT, K Z 38, 39FF.) eine ganze Reihe ionischer Beispiele und fügt hinzu, daß sich diese »Reduktion v o n eo zu o oder e fast in jeder Landschaft« findet. Von derartig reduzierten Eigennamen weist mir FRAENKEL kor. &e>cA.rjg, meg. OoxXeidag, lak. Eixkfjc, (aus HioxXfjQ!) u. a. nach.

Der Name des Iliasdichters

25

Smyrna und Kolophon 'als Geisel' gegeben ist usf. 5 2 ); er ist Smyrnäer, weil er, wie sein ursprünglicher Name lehrt, ' a m Meies' geboren ist. 5 3 ) Die sämtlichen Argumente sind schlecht, historisch unbrauchbar u n d offensichtlich erfunden, nicht anders als die Argumente anderer Städte. Die Aioler h a t t e n keine anderen; aber das eine, das eine lokale Beziehung zu Smyrna herstellte, h a t (bezeichnend f ü r die älteste Wissenschaft, aber wahrlich nicht singulär) durchgeschlagen; d. h. es ist von der 'Synthese' 5 4 ) der J a h r h u n d e r t e 5—4 anerkannt worden. Richtiger sagt m a n wohl: es h a t starken Eindruck gemacht. Denn es ist ja keine Rede davon, d a ß es — wie es nach unserer späten u n d zusammengeschnittenen Überlieferung, die, eben vom K e r n des Agon und Ps.-Herodot abgesehen, auf eine hellenistische Kompilation zurückgeht, den Anschein h a b e n könnte — andere Ansprüche sofort oder ganz verdrängt h ä t t e . E s war auch später noch möglich, sich f ü r den früheren N a m e n "AXrrjg einzusetzen oder ihn neu einzuführen. 6 6 ) D a s f ü h r t n u n vom N a m e n auf die Frage nach der H e i m a t ; u n d hier, wo a n Stelle der weitgehend, aber doch nicht völlig einheitlichen Tradition v o n einem Melesigeiies — Homeros, von einer Namensänderung mit Varianten, die die Änderung erklären sollen und die sich daher wesentlich auf den neuen N a m e n beziehen (obwohl auch der ursprüngliche insoweit der Diskussion R a u m läßt, als neben der offenbar älteren D e u t u n g auf den ' a m Meies' oder ' a n den Melesia geborenen' eine zweite ' S o h n des Meies' steht), die Fülle der | miteinander unvereinbaren Ansprüche t r i t t , ist es 24 doppelt notwendig, ganz scharf zwischen den alten Einheiten, wie sie im Agon, in der Herodotvita, aber auch in der Ephorosvita oder der Legende von l o s noch mehr oder weniger kenntlich sind, den 'Synthesen' der ältesten Literaturgeschichte u n d den Kompilationen, wie sie in den gewöhnlichen ßioi uns vorliegen, zu unterscheiden. N u r wenn wir u n s von vornherein klarmachen, daß wir das Material bei weitem nicht mehr ganz u n d k a u m je rein besitzen, ist eine wirkliche Recensio der Überlieferung mög52

23.1 ) Oben S. 15, 29. ) Weil die alten ßioi so deuteten, verliert die Formulierung von M A R X 407 »so- 23.2 bald diese Deutung des Namens als irrtümlich erkannt ist, muß auch die ganze Aufstellung, Smyrna sei die Heimat des Homeros, als ein Irrtum beseitigt werden«, für uns ihre beweisende Kraft. Für W I L A M O W I T Z dagegen, der mit M A R X den Bioi die Deutung Mebjatysvrjg 'Sohn des Meies' zuschrieb, mußte sie schlüssig sein; und nur weil ihm der 'Homer von Smyrna' im voraus feststeht, sucht er sich dem unausweichlichen Schlüsse zu entziehen. Dabei ist doch klar (selbst von der Bezeugung dieser Tradition als smyrnäisch einmal abgesehen), daß ein historischer Dichter Melesigenes von Kolophon [so W I L A M O W I T Z 371], den man mit dem Iliasdichter identifizierte, für die Ansprüche Smyrnas einfach tödlich gewesen wäre, als sicherster Beweis, daß der Dichter eben kein Smyrnäer war. 54 23.3 ) Über Ausdruck und Begriff unten S. 28/9. 55 23.4 ) Oben S. 21, 45. 53

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Homerisches I

lieh, d. h. eine solche, die sich von dem Druck einer zweitausendjährigen Vulgata befreit und das Eingeständnis ihrer Grenze dem unmöglichen Kompromisse vorzieht, das seit BERGK erneut als nun scheinbar methodisch

begründetes Resultat die Literaturgeschichten beherrscht — dem Glauben an den 'ionischen Genius' aus dem aiolischen Smyrna. 3. D i e H e i m a t des I l i a s d i c h t e r s 'Emä

eqidfiaivovoiv

Kv/urj

SFIVQVA

XIOQ

TioXeig diä Kohxpwv

qi^av TIVXOQ

'Oftijgov "Aqyog

'Adfjvai

heißt eines der vielen anonymen Epigramme, in denen man es liebt, solche Namenreihen zusammenzustellen. 56 ) Woher hier die Siebenzahl kommt, ist zweifelhaft; denn es gibt viel mehr Ansprüche. I n der gelehrten Einl e i t u n g des A g o n § 2 h e i ß t es "Optr/oov de näaai ETIOLKOL avrcöv nciQ eavTolg yeyevrjo'&ai

Myovoiv.

djg elnelv

al nöXeiq xal

ol

I n der erhaltenen F a s s u n g

werden dann namentlich nur Smyrna, Chios, Kolophon mit ihren jeweiligen Beweismitteln (rex/ur/gia) angeführt; es sind aber (wie die Elternnamen § 3 beweisen) mindestens noch Ägypten, Kypros, Ithaka, Pylos bekannt. Ähnlich, aber eben nicht auf jene drei sich beschränkend, kürzt Proklos

26, 5 Wilamowitz

ävrjyÖQevaav, ol de Xlov,

ab:

xal

diä

ol de Z/ivQvalov,

rovro

ol juev Kolocpwviov

ol de 'Irjrrjv,

ol de Kvfj,alov,

avrov xal

xa&otovjiäoaTtöfagävTiTioiETTairävdQOS... Die ausführlichste Aufzählung, die wir haben, Hesych, nennt zwanzig Orte und ist trotzdem nicht vollständig. Es hat natürlich keinen Zweck, die für oder von diesen zwanzig und mehr Orten vorgebrachten Argumente, soweit wir sie kennen oder 25 erschließen, einzeln zu prüfen und | gegeneinander abzuwägen. Aber es ist auch methodisch falsch, sie ohne weiteres ganz beiseite zu werfen und nur Smyrna, Chios, Kolophon beizubehalten, weil von ihnen im Ernst allein die Rede sein könne. 5 7 ) Denn diese Auswahl, die nicht einmal antik ist (antik, d. h. spätantik, ist höchstens die Verkürzung, und da ist sie 24,1 56) Anth. P. 16 (Plan. 4), 297, variiert 298 (es steht noch eine Reihe Ähnliches in der Umgebung). W I L A M O W I T Z , I U H . 367, nennt es »obskur«, übersieht aber, daß ein antipatreisches 296 vorangeht, das Kolophon, Smyrna, Chios, los, Salamis, Thessalien »und andere Mütter« nennt. Leider ist nicht zu sagen, ob das der Sidonier Antipatros um ca. 150 v. Chr. oder der Thessalonikenser um Christi Geburt ist. Diese Dinge mögen nicht sehr alt sein, aber sie setzen die Zusammenstellungen der gelehrten hellenistischen Biographie voraus (unten Anhang I) und entziehen sich ihnen mit dem Schluß et de fiE @oißov -/or] jiivvräg äfupadä fiavToavvaq, ndzoa aoi reXe&et jxeyäg ovoavöq XTX. Das hübsche Epigramm auf einem Ostrakon des 2. Jahrhunderts v. Chr. (BKT. 5, 1, 78) ¡ir\ nev&ov riq ' '0/J.TjQog icpv yevog ... Sari yaQ rißt] jiargtg 'Odvaaeirjg •ypä/i/i.a xal 'IXidöog polemisiert geradezu gegen die Philologen und gibt einen sicheren terminus ante quem. 25,1 57) W I L A M O W I T Z , I U H . 367, und die Bemerkung (oben S. 13,26), mit der er 397 die Paraphrase der Agonvita unterbricht. E r verläßt damit gleich anfangs die Re-

Die Heimat des Iliasdichters

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nicht etwa durchgedrungen 58 )), ist nicht nur willkürlich, sondern vereinigt besonders mit der Aufnahme von Kolophon Ansprüche ganz verschiedener Zeit und verschiedener Art. Die unbefangene Analyse des gesamten Tatbestandes führt sogleich zu der Erkenntnis, daß wir mindestens zunächst gar nicht über die Berechtigung der einzelnen Ansprüche urteilen können, sondern nur über ihr Alter; und zwar mehr über das relative als über das absolute. Hier fallen dann gleich eine Reihe von Orten weg, deren Ansprüche sich teils durch die Vertreter, teils durch die Art der Argumente als erst hellenistische Theorien oder als Spielereien in der Art der xaivf] iaxoqia erweisen; aber es bleiben eine ganze Reihe, zwischen denen sich nicht auf diese Weise entscheiden läßt, weil sie alle bis mindestens ins 5. Jahrhundert zurückreichen. Es ist vom Standpunkt der Recensio z. B. in keiner Weise zu begründen, daß man die in unserer Überlieferung offenbar favorisierte, aber keineswegs durchgedrungene Geburt in Smyrna (wäre sie durchgedrungen, so würden die Listen anders aussehen und hätte nicht Pindar sowohl Smyrna wie Chios nennen können 5 9 )) anders, 'ernster' nimmt als das viel unbestrittenere, ja geradezu einheitlich überlieferte Grab in los. Das geschieht zwar immer wieder; aber es geschieht unter dem Einfluß der von BERGK neu belebten Vulgata, die die smyrnäische Tradition mit einer offensichtlichen petitio principii als besonders »wohlbeglaubigt« bezeichnet und daneben — was doch allein schon dieser Art von Kritik den Boden entzieht — »ein günstiges Vorurteil« für Chios hat wegen der »Aufrichtigkeit und Bescheidenheit«, mit der die Insel ihre Ansprüche erhoben hat (oder gleich richtiger gesagt, erhoben haben soll). Diese ganze Argumentation leidet an einem methodischen Fehler, welcher in der an BERGK schließenden knappen D a r s t e l l u n g v o n WLLAMOWLTZ a m d e u t l i c h s t e n h e r v o r t r i t t . WLLAMOWITZ

ist, wie er sagt (IuH. 439), von der »Analyse« zu einem »Versuch der Synthese« vorgeschritten. Aber weder er | noch seine Vorgänger haben sich die 26 Frage vorgelegt, ob im gegebenen Fall eine Synthese und selbst der Versuch zu einer solchen methodisch möglich ist. 60 ) censio zugunsten einer (präokkupierten) sachlichen Entscheidung und tut es auf Grund einer falschen Voraussetzung: denn wenn die erhaltene, stark verkürzte Vita des Agons nur diese drei Orte nennt, so war, wie oben bemerkt (s. auch Anhang I), ihre Vorlage ausführlicher. 58 ) Hierzu vgl. Anhang I. 25,2 59 ) Es ist natürlich möglich, daß schon Pindar »annahm, er sei in Smyrna geboren 25,3 und habe in Chios gelebt« ( B O E C K H , B E R G K u.a.). Dann würde das einen terminus ante quem für die Synthese geben. Aber es ist nicht mehr als möglich; der öfter versuchte Beweis, daß es so gewesen sei, beruht auf falscher Interpretation von Hymn. Horn. Apoll. 172 und Semonides F 29, 1 (unten S. 36, 79). 60 ) W I L A M O W I T Z hat diese Frage, ohne die eine biographische Verwendung der 2 6 , 1 Einzelfakten unmöglich ist, übersprungen und geht nach einer kurzen Be-

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Homerisches I

I c h m u ß diese Möglichkeit, soweit es sich u m die Ansprüche einzelner Orte handelt, strikt bestreiten. Geben wir die Voraussetzung zu, die es allerdings a m einfachsten erklärt, daß wir überhaupt so viel v o n H o m e r hören, daß »die R h a p s o d e n mindestens i m 6. Jahrhundert ihren Hörern H o m e r s L e b e n erzählt haben« u n d daß »wir mancherlei v o n ihren Erzählungen wissen«, so b e s t e h t doch das, w a s wir wissen, aus lauter einzelnen F a k t e n offensichtlich ganz verschiedener H e r k u n f t ; aus lauter Einzelgeschichten, Einzelansprüchen, Polemiken, Repliken u n d Dupliken; aus D a t e n , die gerade d a n n keine ursprüngliche E i n h e i t gebildet haben k ö n n e n , w e n n m a n zugibt, wie m a n es m u ß u n d jetzt meist auch t u t , daß hier »alter ionischer Erzählungsstoff« vorliegt, der »vielfach untrennbar m i t d e n Gedichtchen verbunden« war, die den eigentlichen I n h a l t der H e r o d o t v i t a a u s m a c h e n . 6 1 ) Diese Gedichte s t a m m e n aus ganz verschiedenen Gegenden. 27 W i e alt ihre Zusammenarbeit | z u einer Lebensgeschichte H o m e r s ist, wissen wir a priori gar nicht. Aber ob n u n der erste Vorläufer P s . - H e r o d o t s merkung über die »zahlreichen Biographien literarischer Größen«, die in Ps.Herodots Zeit (d. h. für ihn etwa 130—80 v. Chr.) »vorlagen« (417), sogleich an die Untersuchung der Einzelfakten der Herodotvita. Mit der Bemerkung »man muß sich klar machen, daß wir diese ganze Etappe in der Überlieferung vom Leben Homers und Hesiods nicht kennen« — d. h. die Zeit der »Herakleides, Dikaiarchos, Aristoxenos, Satyros, Istros, Herrn ippos usw.« — setzt die Recensio um etwa 300 Jahre zu spät ein; und in den Schlußworten 439 »Irgendeine Realität muß auch den chiischen Geschichten zugrunde liegen. Wie sollen wir uns ihre Entstehung denken, wenn nicht auf Chios ein Dichter gelebt hat, der Homeros hieß und kein Chier, sondern von Geburt ein Smyrnäer war?« scheint mir die Präokkupation so klar herauszutreten wie das im Prinzip unrichtige Urteil über das Wesen der biographischen Elemente. Was 373 über die ältere Etappe gesagt wird, ist wenig und reduziert sich auf die Behauptung eines in Chios entstandenen »Volksbuches« (oben S. 10, 19), die »erste« Aufzeichnung einer ursprünglich einheitlichen »Lebensgeschichte, die wir jetzt in späten Brechungen lesen, aber mit voller Sicherheit bis ins 6. Jahrhundert hinauf verfolgen«. »Ich sollte meinen, wie die Chier im Gegensatz zu ihren Nachbarn behandelt werden, bewiese das hinlänglich« ist der einzige Beweis dafür. Ich sage umgekehrt: die Tatsache, daß Chios in dieser Vita nicht einmal die Konzeption Homers beansprucht, wie es los und Kyme tun, ist der hinlängliche Beweis dafür, daß dieses Buch oder diese Tradition nicht auf eine chiische Urschrift zurückgeht. Aber die ganze Annahme einer ursprünglichen Einheit ist unglaublich (oben S. 11, 20), widerspricht dem deutlichen Befund der Tradition, die lokale Überlieferungen, Ansprüche und vielleicht Erinnerungen verschiedenster Art, Rhapsodenerzählungen über den Dichter der Ilias und anderer Epen ihres Repertoires, halbgelehrte und gelehrte Konstruktionen vereinigt. B E R G K , der die Herodotvita in die Zeit der Herakleides usf. setzte, hat das viel richtiger beurteilt und hätte nur die Konsequenz seiner Bemerkung (442) zu ziehen brauchen: »ihr eigentlicher Zweck sei, die Ansprüche der einzelnen Städte auszugleichen und die verschiedenen Überlieferungen zu kombinieren, indem jeder eine gewisse Berechtigung zugestanden wird«. 26,2 61) Oben S. 12.

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ein Rhapsode des 6. oder ein Gelehrter des 5. Jahrhunderts war, seine Leistung ist völlig klar: er zeichnete nicht etwa eine ihm irgendwie bekannt gewordene einheitliche Tradition einfach auf, sondern er gab die erste Synthese aus vielen sich widersprechenden Einzeltraditionen und Erfindungen, zwang sie in der Art der ältesten Philologie, die keine Varianten duldete, sondern mit fast dichterischer Freiheit komponierte, rücksichtslos in einen einheitlichen Rahmen. Daß hier in alter Zeit Ausgleichungen erfolgt sind, ist für jeden, der wirkliche griechische Lokalansprüche kennt, gar nicht erst zu diskutieren. So allein erklärt es sich, daß unsere ßioi die Geburt nur in Smyrna kennen (obwohl doch los und Kyme die Konzeption beanspruchen; richtiger müßte man sagen 'bevorzugen'; denn die Kompilationen nennen ja stets eine Reihe sich ausschließender Geburtsorte); den Tod nur in los; dauerndes Leben des Dichters nur in Chios (alles andere sind Stationen). Dabei ist mindestens für Chios ernsthaft gar kein Zweifel, daß man da einmal auch Geburt und Tod, d. h. das ganze Leben und den ganzen Dichter beanspruchte: von den Varianten unserer ßioi ganz abzusehen — wenn die Argiver alle fünf Jahre ein Opfer nach Chios senden 82 ), so beweist das eben, daß sie ihn dort begraben glauben; sonst wäre das Opfer sinnlos. Und wenn ihn Semonides um 600 'den Mann von Chios' nennt, so kann unbefangene Interpretation nur annehmen, daß der Elegiker und Iambograph von Amorgos den Dichter für einen gebürtigen Chier hielt. Das allein ist naive alte Art, dieser volle Anspruch, den doch in Wahrheit auch los sich erlaubt. 63 ) Lokale Tradition ignoriert andere Ansprüche, kennt sie vielleicht gar nicht; und wenn man sie kennt, bestreitet man sie als erlogen; und erst notfalls setzt man sich mit einzelnen Fakten der Tradition (und die wirkliche Tradition, die man vielleicht besser Elemente der Biographie nennen würde, besteht, schon weil sie novellistisch ist, aus lauter Einzelheiten) auseinander; z.B. durch das bequeme Mittel von Reise und Besuch. 64 ) Erst die | 'Synthese', die ihrem Wesen nach 28 62

) Agon 17. WILAMOWITZ, IuH. 430, 2, »bezweifelt nicht, daß diese Ehren einmal 27,1 beschlossen sind, aber das ist auf Grund der Geschichte von Homers Besuch erst spät, kaum vor 300 geschehen«. Ich verstehe die Logik nicht recht und halte persönlich diese Dinge, selbst die Statue, für älter. Aber je später sie sind, um so sicherer erweisen sie das Fortleben der älteren Einzelansprüche neben der oder den Synthesen. Auch unsere gewöhnlichen Viten geben ja nicht diese wieder, sondern verkürzen eine gelehrte hellenistische Kompilation (Anhang I). 63 ) Möglich, daß los in der Ausbildung seiner Ansprüche (deren Zeit nicht genau 27,2 zu bestimmen ist; unten S. 35,75) bereits auf die von Smyrna Rücksicht genommen hat. Das wäre kein Wunder, gibt aber kein Recht, das gleiche für das Verhältnis Kyme ~ Smyrna oder gar Chios ~ Smyrna anzunehmen. Mindestens für das letztere ist die Ausgleichung erst durch die Synthese sicher. e4 ) Auch hier muß man noch Stadien unterscheiden und kann sich die Dinge gar 27,3 nicht kompliziert genug vorstellen. Das älteste ist sicherlich die einfache Be-

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Homerisches I

gelehrt (auch wenn sie schon von Rhapsoden des 6. Jahrhunderts stammt) und vor allem lokal nicht gebunden ist, empfindet die Notwendigkeit, sich mit Widersprüchen wirklich auseinanderzusetzen — dadurch wird sie eben Synthese, deren Entstehung bei Rhapsoden und Sophisten auch durch ein gewisses Geschäftsinteresse bedingt sein kann — und tut es auf die ebenso naive wie gewaltsame, aber durchaus im Geiste dieser ältesten Phase der Biographie liegende Art, daß sie den ganzen Geschichten einzelne Teile entlehnt und daraus ein neues Ganzes aufbaut, in dem die streitenden Ansprüche versöhnt sind. Jetzt bekommt Smyrna die Geburt, aber auch nicht mehr, und los den Tod. 65 ) Es ist methodisch m. E. schlechthin unzulässig, diese (ich wiederhole es, keineswegs durchgedrungene oder einzige) Synthese erst bis zu einem gewissen Grade zu analysieren und dann mit den durch die Analyse aufgedeckten Einzelstücken (deren ganz verschiedene Herkunft vor Augen liegt) eine neue Synthese zu versuchen. Es ist ein durch die Art unseres späten und zusammengeschnittenen Materials doch nur ungenügend entschuldigterTrugschluß, hiervon »wohlbeglaubigter h a u p t u n g "Homer ist unser L a n d s m a n n ' , wobei m a n zunächst n u r an den erwachsenen Homer, den Dichter, denkt. Deshalb ist es f a s t prinzipiell falsch, d a ß auch die neuere Philologie so intensiv gerade nach dem Geburtsort Homers s u c h t : denn alles, was in der Tradition alt ist oder alt sein kann, geht auf den erwachsenen Dichter; alles, was auf die Geburt u n d die Eltern geht, ist offensichtlich erfunden. Man k a n n gar nichts anderes erwarten: weder die Novelle noch den Hörer interessiert das 'Menschliche' in diesem Sinne; erst Spätere befassen sich damit, weil das andere in festen H ä n d e n ist; was interessiert, ist der Dichter u n d sein Werk. Aber das mag beiseite bleiben. Erst als andere Ansprüche zur Auseinandersetzung zwingen (was der Fall sein k a n n , wenn etwa die wandernden Rhapsoden anderes erzählen oder so fragen wie es Herodot t a t ) , gibt m a n Beweise, d. h. m a n zeigt auf vorhandene Denkmäler (und wenn es n u r ein B a u m ist, unter dem Homer rhapsodiert hat), auf Gräber, Nachkommen usf.; erfindet Geburtsansprüche, f ü h r t E p i g r a m m e o. a. an, was Homer a m Orte gedichtet h a t usw. Muß m a n beweisen, wie leicht solche Erfindungen waren, u n d aus der Unmasse des biographischen Materials Parallelen anführen? 28,1 65) Dieses Verfahren des Ausgleichs ist in der Tradition völlig deutlich. Deutlich auch, daß in einer alten Synthese Smyrna-Chios-Ios (nicht Smyrna-Chios-Kolophon), wir wissen nur z. T. weshalb, die festen P u n k t e geworden, alle übrigen Orte zu zeitweisen Stationen degradiert sind. Deutlich schließlich, daß die zerschnittenen Erzählungen neben der 'Synthese' weitergelebt haben, wie die Geschichte von l o s (so gut wie der Beschluß von Argos, oben S. 29, 62) zeigt, die zwar vielleicht in einer Einzelheit der Synthese Rechnung t r ä g t , aber faktisch doch Homers ganzes Leben von der Konzeption in l o s bis zum Tode in l o s beansprucht. Wir h ä t t e n sicher mehr d e r a r t , wenn wir z. B. die Chronik von E r y t h r a i oder die Erörterung des Philochoros besäßen; oder auch n u r alte hellenistische Biographien u n d etwas von den Büchern des 4. J a h r h u n d e r t s u n d der Problemataliteratur. Aber die Synthese h a t , weil sie alt u n d weil sie Synthese war, in der hellenistischen Biographie ihren Platz behalten. Nur durchgesetzt h a t sie sich n i c h t ; u n d das Hin u n d Her, die Repliken u n d Dupliken sind f ü r uns nicht mehr kenntlich.

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Tradition« zu sprechen, wo es sich um eine wie immer bedingte Auswahl des 5. Jahrhunderts (in Wahrheit um eine Reihe von später zusammengewachsenen Aus|wählen) handelt; und es ist bare Willkür, diese Auswahl 29 dadurch zu sanktionieren, daß man nur die Ansprüche der von ihr bevorzugten Orte 'ernst' nimmt. Methodisch berechtigt und möglich ist allein dieser Weg: 1. scharfe und unbefangene Analyse der erhaltenen Einheit(en), 2. Versuch, die dadurch gewonnenen Einzelüberlieferungen mit allem außerhalb oder innerhalb der tradierten Einheit(en) vorhandenen oder noch kenntlichen Material wieder zu den ursprünglichen zahlreichen und miteinander unvereinbaren Einheiten auszubauen, soweit es sich wirklich um Einheiten, nicht (wie in der Mehrzahl der Fälle) um Einzelheiten handelt, die als Elemente in der 'Synthese' verwendet sind, 3. sorgfältige und vor allem auch wieder ganz unbefangene Prüfung dieser Einzelstücke oder alten Einheiten. Ich fürchte freilich, solche Prüfung wird nicht viel Positives ergeben über die Tatsache der Ansprüche hinaus, die für den betreffenden Ort wichtiger sind als für den Dichter, weil wir im allgemeinen wenigstens keine Argumente oder Indizien für oder gegen die Berechtigung des einzelnen Anspruchs mehr beibringen, ihn daher auch nicht gegen seine Konkurrenten abwägen können. Aber es ist schon ein Vorteil, wenn den willkürlichen Kompromissen zwischen ihnen ein für allemal ein Ende gemacht wird. Nehmen wir zuerst die alte und neue Favoritin Smyrna 6 6 ), deren Bevorzugung (sonst sind diese Dinge harmlos) deshalb gefährlich ist, weil sie zu bedenklichen Schlüssen über die Entstehung der epischen Sprache verführt. Man hat ja mehrfach das Ionisch mit seinen aiolischen Residuen daraus erklären zu können geglaubt, daß die ursprünglich aiolische Stadt, 6e

) Strabon 12, 3, 27 S/ivQvav . . . rr¡v vno zwv nXeiarcov Xsyo/iévr¡v rr¡v avzov nazQÍÓa. 29,1 Seit BERGK besteht hier fast ein Consensus, dem WILAMOWITZ, IUH. 369, die zugespitzte Form gibt: »wenn Homer aus dem ionischen Smyrna stammt, so ist er Kolophonier ; wenn aus dem Aiolischen, so ist er Kymäer . . . sobald man das begriffen hat, weiß man, daß die Prüfung unserer Überlieferung zu dem glatten Ergebnis führt : Homer ist aus Smyrna, aber gedichtet hat er in Chios«. Ich nenne noch TERRET, Homère, 1899, LLFF., wegen der tollen Beweisführung aus ü 602/17, À 582/92 und B 867 Kagwv ßaoßaoorpo'jvmv, die »semblent indiquer qu' Homère a vécu au milieu de la population Garienne (!) de Smyrne«; E. MAASS, Die Person Homers, N J b b 14, 1911, 539FÍ. (oben S. 20); SCOTT, The unity of Homer (bei beiden lohnt die Wiedergabe der Argumente nicht) ; TH. W. ALLEN, The Homeric catalogue of ships, Oxford 1921, der jetzt (Ilias 1, Oxford 1931, 194) zu den Chioten übergegangen ist; GEFFCKEN, Gr. L. 1, 1926, 17 u. v. a. Kein Wunder, daß die Sprachwissenschaftler (ex. gr. P. KRETZSCHMER, Gercke-Nordens Einleitung in die Altertumswissenschaft, 3. Aufl., 1, 6, Leipzig/Berlin 1927, 90; G. W. HATZIDAKIS, Zur Beurteilung der homerischen Sprache, RhM 81, 1932, 103) von der »Überlieferung« reden, »die Homers Heimat nach Smyrna verlegt«.

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die 688 Mitglied des ionischen Bundes war 6 7 ), bereits im 8. Jahrhundert 30 v o n den vor|dringenden Ioniern erobert ist. Ob das richtig ist oder nicht (ich halte es für falsch, weil das E p o s ionisch ist und der Iliasdichter älter als die ionische Eroberung Smyrnas 6 8 )), für die Recensio macht das gar nichts aus: denn die antiken ßioi haben nicht mit dem sprachlichen Argument gearbeitet, sondern Smyrna h a t seine Ansprüche ausschließlich auf den N a m e n Melesigenes gestützt, den Homer ursprünglich getragen haben 31 soll. 6 9 ) D a ß dieser N a m e , | der nur existiert, um geändert zu werden, reine 29,2

67

) Das Datum steht bei Pausanias 5, 8, 7 rQhrji öe 'OXvfimddi xal elxoazrji nvyftijg a&Xa cuieöooav 'Ovöfiaozog de evixr]oei> ex Z/XVQVTJQ awtEXovarjg rjdrj rrpixavra ig "Icovag und ist von BELOCH, Gr.G. 2 1, 1, 134. 211, als »möglich genug«, von WILAMOWITZ, Über die ionische Wanderung, SB Berlin 1906, und IuH. 369 u. v. a., ohne Bedenken akzeptiert. Auch ohne Euseb. Arm. S. 91 Karst »hinzugefügt ward der Faustkampf; und Onomastos der Smyrnäer siegte, der auch die Faustkampfgesetze gab« (vgl. Philostr. Gymn. 12) zeigt die Form, daß Pausanias zwei Nachrichten vereinigt: Onomastos' Sieg im Faustkampf aus der Olympionikenliste, in der er als "Ia>v ano Sfivgyr)g verzeichnet war (siehe unten S. 307,43), und das Datum der Chronik für Smyrnas Eroberung durch die Kolophonier (WILAMOWITZ, SB Berlin 1906, 52, 1). Man kann gewiß fragen, welches Zutrauen ein solches Datum der Chronik verdient; aber das berechtigt nicht zu der Argumentation von WILAMOWITZ, Der Glaube der Hellenen 2, Berlin 1932, 5, 3 »der frühe Ansatz eines Smyrnäers erklärt sich so, daß es auf seinen Namen ein Regelbuch gab, weswegen er zum ersten Sieger in diesem Agon gemacht ward; man freut sich, das Datum loszuwerden, das auch für die Aufnahme Smyrnas in den ionischen Bund zu früh ist«. Selbst wenn die Voraussetzung für Onomastos richtig wäre (sie ist ganz fraglich; das 'Regelbuch' kann und wird pseudepigraph gewesen sein; festes Element ist das Datum der Olympionikenliste), ginge das das Datum der Chronik für den Krieg Smyrna ~ Kolophon nichts an. In diesen Krieg hat die Hesychvita 33, 22 Wilamowitz die Namensänderung Melesigenes ~ Homer verlegt (oben S. 15, 29), die Ps.Plutarch I 3, S. 22, 25ff. aus dem smyrnäisch ~ lydischen Gegensatz der Kolonisationszeit, also aus viel früherer Zeit berichtet. Die unseren Viten zugrunde liegende Zusammenstellung (Anhang I) gab die Zeitansätze mit den Geschichten zusammen, und vermutlich genauer. Auch das ist jetzt auseinandergerissen und zum großen Teil verloren, so daß wir uns für den Homer dieser Geschichte mit dem terminus ante quem 688 begnügen müssen. Aber man kann fragen, ob der tiefste uns bekannte Ansatz für Homer — 500 Jahre nach Troias Fall, Theopomp. 115 F 205, wo die Parallelfassung Tatians (Marm. Par. S. 157 Jacoby) die Synchronismen Archilochos, Gyges und eben ol. 23 zufügt — auf diesem Datum der Geschichte Smyrnas beruht. 30.1 68) Weil sie das beim besten Willen nicht bestreiten können, kommen ja BERGK 455ff. und WILAMOWITZ, I U H . 371 f., mit ihren Nachtretern zu dem verzweifelten Kompromiß, daß der Aioler Homaros in ionischer Umgebung gedichtet habe. Man mag das noch so gelehrt umkleiden, es bleibt ein Kompromiß, eine Wiederaufnahme naivster antiker Synthese, ein Abbrechen der Recensio an einem willkürlich bestimmten Punkte. 30.2 °9) Agon 2 u. a. Die Argumente für Homers Aiolertum in der Herodotvita 37 (mit Verweis auf § 1 - 5 ; vgl. noch Schol. T II. A 459. 463, A 259 u. a.) gehen auf

Die Heimat des Iliasdichters

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Erfindung ist, u m H o m e r nach Smyrna zu ziehen, i s t gezeigt worden. Aber — das ist wirklich wichtig — die Erfindung ist nicht j u n g ; denn S m y r n a ist i n der ersten H ä l f t e , vielleicht schon A n f a n g des 6. Jahrhunderts v o n d e n Lydern zerstört u n d h a t bis in hellenistische Zeit nur als Dorf existiert. 70 ) Also gehört die Erfindung i n s 7. Jahrhundert, als i n S m y r n a reges dichterisches Leben herrschte: wir k e n n e n neben d e m v o n N i k . D a m . 90 P 62 b e z e u g t e n Magnes aus der Zeit des Gyges nur g e g e n E n d e dieser Zeit d e n berühmten Elegiker Mimnermos, der sein historisches Gedicht über d e n K a m p f Smyrnas gegen Gyges m i t der Unterscheidung v o n älteren, d. h. doch der homerischen, u n d jüngeren Musen b e g a n n . 7 1 ) D a s seine Kenntnis aiolischer vofiijxa (ganz wie Aristodem, Vit. Rom. 31, 2FF. das Römertum

ex

tivojv

i&ü>v naqä

'Pcopaioig

fiövov ytvo/iEvav

erweist)

und

be-

nutzen den Dialekt nur ganz nebenbei. Ich zweifle nicht, daß auch die Forderung des Zopyros und Dikaiarchos (oben S. 12, 21) nicht etwa auf sprachlichen Beobachtungen beruht, sondern auf einem historischen Schluß: weil Homer aus Smyrna stammt und weil Smyrna erst kurz vor 688 (also lange nach den gewöhnlichen Ansätzen Homers; es ist sehr bedauerlich, daß wir Dikaiarchs Datum f ü r den Dichter nicht kennen) ionisch geworden ist, muß man ihn aiolisch lesen. Ich kann aber auch sonst dem Schlüsse WILAMOWITZ', SB Berlin 1906, 52, 1 (s. auch oben S. 31, 66) »die Homerlegende kannte nur das aiolische Smyrna, was über ihr Alter entscheidet«, nicht zustimmen. Es ist (ich wiederhole, daß wir von der alten Diskussion nur ganz wenige und zufällige Reste haben) an sich ebenso möglich und nach der Sachlage viel wahrscheinlicher, daß jener aiolische Schluß nur die Antwort auf eine ältere umgekehrte Argumentation ist: weil Homer aus Smyrna stammt und weil Homer ionisch heißt und ionisch dichtet, ist Smyrna von alters her ionisch; d. h. es ist durchaus denkbar, daß die erobernden Ionier sich auch auf diese Weise (über anderes s. unten S. 305FF.) einen Besitztitel auf Smyrna schufen. Das bleibt natürlich eine Vermutung, die aber mit dem unten S. 34 Angeführten ebenso gut zusammengehen würde, wie damit, daß (soweit wir sehen) der Anspruch der Aioler auf den Dichter nicht sehr alt ist. Ich glaube daher auch nicht, daß man ihn mit E. SCHWARTZ, Zur Entstehung der Ilias, Straßburg 1918, 23, 1, zum Erweis der an sich richtigen Tatsache benutzen darf, »daß das ionische Epos in der Aiolis eine Nachblüte gehabt hat«. Seine Aufstellung kann allerdings auch damit zusammenhängen. 70 ) Auch das hat schon BERGK 454f. bemerkt. Aber weil er nun das Alter der Homer- 31,1 legende unterschätzte, erschloß er daraus (anders als WILAMOWITZ und doch mit einem ähnlichen Resultat) nicht den terminus ante quem für Smyrnas Anspruch, sondern seine Glaubwürdigkeit: »nur eine wohlbeglaubigte Tradition konnte in dieser Weise respektiert werden«. Wir dürfen wieder umgekehrt sagen: weil Smyrna wüst lag, konnte Kolophon (unten S. 35) wie den Mimnermos so den Homer an sich ziehen, wo dann spätestens die Kaiserzeit Remedur schuf. Im 1. Jahrh. n. Chr. schrieb z. B. der Arzt Hermogenes aus Smyrna [579 T 1 Jac.] 'laxoQixd

tieqI 2/j,VQvrjg ß, üeqI

rijg 'OfirjQov

aotpiag, IIeqI

rfjg ' 0/ir/oov

nargidog.

Das Epigramm, in dem Athen die Ansprüche Smyrnas vertrat — Vit. Scor. S. 29, 2 8 W i l a m o w i t z fmixeQog

xal exelvog o xQvoeog

fp> nohrjTrjg,

Etnso

'A&rjvaToi

ZßVQvav ¿7icoimoafiBV — setzt die peisistratische Rezension voraus und ist spät. 71 ) Mimn. F 13 Bergk. Daß Mimnermos Smyrnäer war, glaube ich unten S. 310ff. 31,2 bewiesen zu haben. Eine gewisse Parallele zu dem Anspruch Smyrnas auf Homer 3

Jacoby, Kleine Schriften I

34

Homerisches I

mag Zeit und Kreis der Erfindung bestimmen, die sich damit als eine Parallele zu dem kolophonischen Anspruch erweist, den allein gebürtige Kolophonier erhoben und vertreten haben. 7 2 ) Fraglich bleibt allein, wieweit sie ging, oder (vorsichtiger) in welcher Form sie auftrat. Wenn sie irgendwie formuliert war, so glaubt man in dieser Frühzeit ungern, daß sie sich mit der Geburt des Dichters begnügte. Aber Ps.-Herodot, der doch die aiolische Herkunft Homers beweisen will, also alles auf Smyrna Deutende besonders beachten mußte, kennt nur die alberne Erfindung vom 32 Adoptivsohn des | Phemios (!), der die Schule des Adoptivvaters übernimmt und sehr in die Höhe bringt (§ 4—5). Wenn er sich dann von dem Handelskapitän Mentes (!) überreden läßt, die Schule aufzugeben und auf Reisen zu gehen, weil es ' f ü r einen jungen Mann gut sei, Länder und Städte zu sehen' (§ 6, überall liegt die Odyssee zugrunde), und wenn Ps.-Herodot hinzufügt 'vielleicht beabsichtigte er schon damals, sich der Poesie zuzuwenden', so macht das freilich den Eindruck, als ob Smyrna nicht einmal Ansprüche derart machen konnte, wie sie Kolophon auf den Margites hatte. Tatsächlich gibt es unter den 27 kleineren Gedichten nicht einmal ein Epigramm, das in Smyrna gedichtet sein will. Man könnte das damit erklären, daß bereits die Erfinder des Melesigenes mit den überragenden Ansprüchen anderer Orte (vor allem wohl mit denen von Chios) rechnen und sich deshalb mit Geburt und Jugend begnügen mußten, was dann eine genaue Parallele zu den noch später erhobenen Ansprüchen von (Kyme und) los gäbe, denen nur noch die Konzeption blieb. Aber vielleicht ist die Grundlage noch geringer: vielleicht ruht die ganze alberne Erfindung der smyrnäischen Jugendgeschichte gar nicht auf einer alten Rhapsodenerzählung, auf einem ausgebauten ßiog, sondern auf einem Zitat im Stile des semonideischen.YZb£, auf Versen eines smyrnäischen Dichters, die ein homerisches Gedicht, einen Vers der Ilias oder was sonst als 'Vers des Melesigenes' anführten 7 3 ), wo man dann den umschreibenden Namen vielleicht sogar mit dem solonischen AiyvaaxddrjQ vergleichen kann. Aber ich will nicht streiten, wenn man die ursprünglichen Ansprüche von Smyrna für weitgehender hält und in der Beschränkung auf Geburt und Jugend die Konsequenz der ältesten Kontamination (Synthese) sieht. 74 ) Wesentlich für die Recensio ist doch nur, daß der auf den liegt darin, daß die Stadt mit Mimnermos auch die 'Erfindung' der Elegie an sich zog. Auch das ist vorhellenistisch. Wenn immer wieder der hexametrische Fall von Mehjaiyevrjg betont wird, kann man an Vorkommen in der Elegie eher denken als in einem poetischen ß(og alter Zeit (oben S. 10, 19). Aber das Phantasieren hat wenig Zweck. 31,3 72) Unten S. 35; oben S. 33, 70. 32.1 Oben S. 33. 32.2 74) Da wir die Herodotvita nur in später Bearbeitung besitzen, ist es schließlich denkbar, daß sie stärker verkürzt ist. Es sieht im ganzen nicht danach aus; nur

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Namen Melesigenes gegründete Anspruch Smyrnas auf die Geburt Homers mindestens bis ins 7. Jahrhundert hinaufreicht und daß die älteste Synthese diesen Anspruch, aber auch nicht mehr, anerkennt, weil hier die Deutung oder Erfindung des Namens MeXrjaiyevtjQ durchgeschlagen

hat, ganz wie los damit durchdrang, daß es ein 'großartiges' Grab Homers mit Grabschrift aufwies. 75 ) | Von Kolophon brauchte man eigentlich gar nicht zu reden. Dorthin 33 gehört der Margites76), der für uns anonym ist, aber noch dem Aristoteles für so sicher homerisch galt, wie der delische Apollonhymnos dem Thukydides. Wir wissen zu wenig einzelnes von dem kolophonischen Anspruch, der u. W. nur von den gebürtigen und recht späten Kolophoniern Antimachos und Nikander vertreten wird. Aber seine Stärke erklärt sich einmal aus der Stärke der Stadt als eines alten und vor allem dauernden Zentrums der ionischen Dichtung (dafür genügt der Verweis auf die Reihe Xenophanes, Antimachos, Hermesianax, Nikander); er erklärt sich vor allem aus dem besonderen Verhältnis von Kolophon zu Smyrna: Kolophon hat die Ruhmestitel des von ihm eroberten und von den Lydern zerstörten Smyrna an sich gezogen. Der Einfluß seiner Dichter und Gelehrten hat es ja auch fertig gebracht, daß Mimnermos nicht nur Kolophonier, sondern auch Erfinder der Elegie geworden ist, § 8, wo man nach xai oflrcog ¿nexelgei xfji noir/oei nähere Angaben erwartet, könnte geschnitten sein. Aber die Vita kann hier nicht analysiert werden. 75 ) Auch dieses Grab ist im Sinne B E R G K S eine 'wohlbeglaübigte Tradition', nicht 3 2 , 3 viel (wenn überhaupt) jünger als der smyrnäische Anspruch auf die G e b u r t : »Den Ieten Homer hat schon Bakchylides gekannt; damit kommen wir bis in das 6 . Jahrhundert« W I L A M O W I T Z , I u H . 4 3 8 . Ich will nicht weiter darauf bestehen, daß die Ieten, die von der Erzeugung Homers zu berichten wußten, gewiß ursprünglich auch seine Geburt beansprucht, sich nicht mit der Konzeption begnügt haben, was ich f ü r offensichtliche Ausgleichung halte (oben S. 29). Aber wenn W I L A M O W I T Z , I U H . 3 7 2 (vgl. 4 3 9 ) , erklärt »das Grab kann uns ziemlich gleichgültig sein, selbst wenn Homer darin lag: denn seine Poesie u n d das E p o s überhaupt hat mit los nichts zu schaffen«, so ist das wieder ßeraßaatg eis aAAo yevog und eskamotiert wieder ein Problem, das die Rezension dem nicht p r ä okkupierten Arbeiter stellt. Gerade wenn das Epos »mit los nichts zu schaffen hat«, wird ja die bedeutende Tradition um so rätselhafter. B E R G K S Frage (S. 4 5 1 , 23), ob »vielleicht der Verfasser des letzten Teiles der Ilias von los gebürtig war«, wird heute gewiß niemand bejahen oder auch nur diskutieren. Aber dem methodischen Problem wird sie gerechter als W I L A M O W I T Z ' Beschränkung der R e zension auf Smyrna, Chios, Kolophon. u ) Agon 2. Die Schwierigkeiten hebt W I L A M O W I T Z , I U H . 369, hervor. Der Anfang 33,1 fjkßi ng ig KoXocpäyva yiqcov xai fteiog äoidög spricht ja gegen die Geburt in Kolophon, gegen die Bezeichnung des Margites als Jugendwerk und erst recht gegen homerischen Ursprung des Gedichtes. Man soll es beherzigen, daß die alten Ansprüche, primitive Biographie und Lokalstolz sich selbst durch so augenfällige Gegengründe in ihren Erfindungen nicht stören lassen. 3*

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Homerisches I

obwohl Kallinos, Archilochos, Tyrtaios und selbst Solon älter sind als er. 77 ) Lassen wir nun Phokaia, Erythrai und so ersichtlich Junges wie Samos, überhaupt die Orte, die in die Synthese nur als von Homer einmal besucht eingegangen sind, ferner Kyme, dessen Ansprüche nicht alt sind und wohl erst erhoben wurden, als man Homer in verwandtschaftliche Beziehungen zu Hesiod brachte 78 ), so bleibt mit wirklich ernsthaften Ansprüchen nur 34 noch | Chios. Als Chier kennt ihn unser ältester Zeuge Semonides. 79 ) Hier " ) Auch hier scheint mir W I L A M O W I T Z , I U H . 3 6 9 , das Rezensionsproblem eher zu verschleiern als zu klären. Über das Zeitverhältnis Solon ~ Mimnermos siehe unten 3 1 9 / 2 1 , 6 7 . Ich halte an meiner Auffassung fest. 33.3 78) Diese Verbindung ist schwerlich älter als das 5. Jahrhundert und die sophistische Literaturgeschichte (oben S. 8f.). Der Agon weiß davon nichts; noch der platonische Ion ist allein neqi 'Oprjoov öeivdg teyetv, nicht über Hesiod und Archilochos (Ion 531 A). Der älteste Zeuge ist Hippias (FGrHist 6 F 13), doch wohl der Sophist (es folgen Ephoros 70 F 1 und die Herodotvita). Das ist die Zeit, aus der wir Vertreter auch von Kolophon kennen. Aber während für Kolophons Anspruch eine Rückdatierung ins 6. Jahrhundert und in die Sphäre der naiven 'rhapsodischen Biographie' und der ebenso naiven Lokalansprüche nicht unmöglich ist, kann man bei dem kymäischen kaum an dem Charakter der gelehrten Konstruktion des 5. Jahrhunderts zweifeln, die den smyrnäischen Anspruch nicht übernimmt (wie es Kolophon tat), sondern ihn benutzt, weil er die Konstruktion ermöglicht. 34,1 '») F 29, 1 Diehl (oben S. 27,59). Außer ihm Pindar F 264 Schröder [Snell] (der aber auch den Smyrnäer gelten ließ; s. oben S. 26/27); Damastes 5 F 1 1 ; Anaximenes 72 F 30 u. a. Es ist doch wirklich nur der Wunsch, Smyrna übrig zu behalten, wenn W I L A M O W I T Z , IuH. 367f., zu dem Xlo; artig bemerkt »ein Widerspruch gegen die smyrnäische Herkunft ist damit nicht ausgesprochen oder braucht es doch nicht zu sein«. Die Frage ist doch auch hier gerade die, ob es ein Widerspruch ist. Unter allen Umständen muß ich da die Interpretation ablehnen, die ein oixsl ös Xuoi etii nach dem »späteren Gebrauch von oixüm iv üeigaea dahin deutet, »daß der Mann kein geborener oder gemachter Bürger von Chios war«, statt nach dem üblichen epischen Ausdruck ( O Ö Ö J I em oixia vaimv Z 15, "Yhqi evi obcia vaicov H 221, äixeov 6' ev FIXEVQÜJVI 3 116 u. a. m.); oder die Alkidamas (Aristot. Rhet. 2,23) ren/n^Haai Xloi "OfirjQOv ovx ovra noXirriv zum Erweis benutzt, daß von den drei ernsthaft genommenen Orten »Chios insofern auch fortfällt, als der Anspruch chiischer Homeriden-Rhapsoden, falls erhoben, jedenfalls nicht aufrecht erhalten worden ist«. Die Worte beweisen doch allein, was keines Beweises bedarf, daß die 'Synthese' älter ist als Alkidamas, der sich ihrer bedient, weil sie ihm im Moment bequem ist. Ich habe das Gefühl, daß es W I L A M O W I T Z bei diesem Wegeskamotieren der Beweise für den sehr ernsthaften Anspruch von Chios selbst nicht behaglich war; denn er läßt die Möglichkeit offen, daß die Ansprüche von Smyrna und Chios so ausgeglichen sind, »daß Chios die Geburt in Smyrna anerkennt, Smyrna die Verpflanzung nach Chios«. Aber ich kann weder den Zusatz »falls sie je miteinander gestritten haben« anerkennen (der nicht Zusatz sein durfte, weil er die Grundfrage enthält) noch die Datierung des Ausgleichs »vor unseren ältesten Berichten« noch endlich die ganze Ausdrucksweise: Chios hat den Anspruch von Smyrna nie anerkannt, und das zerstörte Smyrna 33.2

Die Heimat des Iliasdichters

37

gibt es eine alte ungemein reiche u n d detaillierte Tradition, die auch die Vertreter einer aiolischen H e r k u n f t H o m e r s nicht u m g e h e n k o n n t e n 8 0 ) ; hierhin gehen die Heroenopfer v o n Argos 8 1 ); hier weiß m a n v o n E h e u n d Kindern, u n d die Chier berufen sich darauf, daß bei ihnen das Geschlecht des Dichters noch existierte. 8 2 ) D a s sieht nach viel aus u n d ist doch nicht viel. Die Synthese | h a t nach Chios das eigentlich wichtige, die dich- 35 terische Tätigkeit, gelegt. Aber was die alten Zeugen aus der ersten biographischen E t a p p e im 5. Jahrhundert anerkannten u n d w a s allein ein f e s t e s Zufassen ermöglichen würde, das v o m Dichter sich herleitende Geschlecht, das h a t der Grammatiker Seleukos, wie es scheint, m i t g u t e n Gründen bestritten. 8 3 ) Ob es sich da n u n u m eine unberechtigte Geschlechtslegende oder u m falsche K o m b i n a t i o n eines Biographen handelt, wie stark auch die Ansprüche v o n Chios sind u n d wie allgemein anerkannt — w e n n j e m a n d sie behandelt wie die v o n K o l o p h o n u n d behauptet, daß sie entweder auf dem falsch gedeuteten N a m e n des chiischen Geschlechtes

80

81 82

)

) )

83

)

konnte den von Chios gar nicht anerkennen. Wie soll man sich dergleichen überhaupt vorstellen? Was hier geschehen und was auch allein vorstellbar ist, ist der Ausgleich streitender Ansprüche durch eine außerhalb stehende Instanz, eben die beginnende Literaturgeschichte, sicher schon bei Hellanikos (zu FGrHist 4 F 20). Natürlich entfällt damit die Möglichkeit dessen, was W I L A M O W I T Z wünscht und voraussetzt, in dem Satz »Homer ist aus Smyrna, aber gedichtet hat er in Chios« eine überlieferte Tatsache, historische Wahrheit zu sehen. Die Resignation mag peinlich sein, aber sie ist unvermeidlich (unten S. 37ff.). I n Bolissos ließ Ephoros 70 F 103 den Homer weilen (vgl. Ps.-Herodot § 18 34,2 bis 25) und erwähnte die Behauptung, daß Lykurgos ihn iv Xicoi besucht habe (F 149, 19). Oben S. 29, 63. 34,3 Harp. s. 'Ofirftiidai' . . . yevog ev Xia>i, OJZEO 'Axovaikaog iv y (2 F 2), ' EXXdvixog 34,4 iv xrji 'AxXavriddi (4 F 20) äno rov noir]xov ftrjaiv uwofidoftai. Agon 2 Xloi öe jidf.iv tex/irjoia ipegovaiv, töiov slvai TtoXhrjv Xiyovreg xai negiam^ea&ai rivag ix rov yevovg amov nag avrolg 'O/irjgidag xaXovfievovg. Strab. 14, 1, 35 äfiqiiaßrjtovai de xai 'OprjQov Xloi, fiagrvQtov rovg 'O/xrjgiöag xaAovjuevovg and zov ixelvov yivovg ngoxeigitd/ievoi XTX. Mehr in der Zusammenstellung von R Z A C H , RE8,1913,2145ff. Die Angaben der Herodotvita 25 und die am Schluß lückenhafte Hesychs 33, 31 Wilamowitz über Homers unmittelbare Nachkommen differieren in den Einzelheiten, und es ist offensichtlich, daß man auch hier die Dinge hin und her gewendet hat, um möglichst viel Ansprüche zu befriedigen. Es ist beachtenswert, kann freilich Zufall der Verkürzung sein, daß diese Viten die Homeriden nicht nennen. Harp. s. 'OfirjQidar . . . SeXevxog öe iv ß liegt ßiow äfiagrdveiv qnqai Kgdzrjra vo/ii- 35,1 Zovza iv xalg legonodaig 'O/irjgidag änoyovovg elvai TOV noirjrov" wvoftda&rjmv yäg äno TÖJV ¿/bttfocov, ijtei ai ywatxeg nore rwv Xicov iv AiovvaUnq nagatpgovrjaaaai eig fiaxtjv fjk&ov rolg ävögdai, xai ödvreg aXkfjhoig ofirjga vv/xipiovg xal vvfupag inavoavro, &v rovg änoyovovg 'Ofitjgidag Myovaiv. Das sieht nach einer wirklichen Geschlechtslegende aus, und W I L A M O W I T Z , I u H . 366, wird wohl recht haben, daß »in Wahrheit die 'Ofirjgiöai ähnlich wie die 'Ovirdöai in Milet Diener bei den Zeremonien, oßrjgot, axoAov&oi (oben S. 15, 29) waren«.

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Homerisches I

oder auf dem Selbstzeugnis des Hymnendichters beruhten, der sich den 'blinden Mann von Chios' nannte 84 ) und in dem man natürlich Homer sah, oder auf der Verbindung beider Daten, so ist er nicht zu widerlegen. Der Hymnos ist sehr alt, gewiß frühes 7. Jahrhundert, und der Dichter hat seinen Namen nicht genannt; da konnte sich der lokalpatriotische Anspruch, wenn er von chiischen Dichtern erhoben wurde, leicht durchsetzen. Aber für uns ist auch er weder zu beweisen noch zu widerlegen. Die nicht präokkupierte Prüfung der Tradition ergibt als dürftiges Resultat: 1. daß sie auf einer Ausgleichung widerstreitender Ansprüche durch die älteste Literaturgeschichte beruht, 2. daß mindestens die Ansprüche von Chios und Smyrna bis ins 7. Jahrhundert hinaufreichen, die von Kolophon viel jünger bezeugt sind und ernsthaft wohl erst erhoben wurden, als Smyrna von den Lydern zerstört war, 3. daß wir die Ansprüche von anderen ionischen Orten nicht datieren können, daß aber die von Kyme und die Aiolisierung des Dichters relativ jung sind; sie scheinen den Anspruch des ionisch gewordenen Smyrna auf den Dichter vorauszusetzen und in den Streit um den ursprünglichen Charakter der Stadt zu gehören, in dem auch die Homerlegende als Argument verwendet ist, 4. daß von allen Ansprüchen die chiischen, wenn nicht auch die ältesten, so doch 36 sicher die am reichsten und am festesten | begründeten sind. Als besonderer-Vorzug für sie muß gelten, daß sie auf den Dichter, nicht auf die Geburt gehen, von der eine Tradition überhaupt nicht bestanden haben kann. Aber beweisbar sind auch sie nicht. Und doch ist das nicht ganz so dürftig wie es aussieht. Zwar können wir den Dichter, dessen Name stets die ionische Form Homeros hat, der ionisch schreibt und (davon wird noch zu sprechen sein) ionisch denkt, der also mit aller nur möglichen Sicherheit als Ionier bezeichnet werden kann, nicht einer bestimmten Stadt zuweisen. Die Prüfung der Tradition zwingt weder zur Anerkennung, daß »zwei Menschen, doch wohl zwei Dichter, Homeros von Smyrna und Melesigenes (von Kolophon) leibhaft gelebt haben und gleichgesetzt wurden«; sie zwingt noch weniger zu der Feststellung, »daß der geborene Smyrnäer Homeros (der in seiner Heimat vielleicht noch "0/ua.Qog hieß) wirklich auf Chios gelebt und gedichtet hat« 85 ); sie zwingt vielmehr zu einer negativen und sie erlaubt eine positive Fest35,2

84

) Daß da einmal ein Name gestanden hat (WILAMOWITZ, IUH. 368. 372f. 439 u. a.), der beseitigt ist, damit der Verfasser Homer sein könne, scheint mir nach der Formung der Stelle ausgeschlossen. Wäre es der Fall, so würde es den Anspruch von Chios ins 8. Jahrhundert hinaufdatieren, noch vor den von Smyrna. 36,1 85 ) W I L A M O W I T Z ist freilich seiner Sache so sicher, daß er (Der Glaube der Hellenen 2, Berlin 1932, 65, 1) »die Kyklopie einem chiischen Dichter, dem Homer von Chios« zuweist, weil i 197 f. den guten Wein von Maroneia kennt und »Maroneia Kolonie von Chios« war. Ich kann da gar nicht mit.

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Stellung. Negativ: die novellistische, sehr alte, stark von lokalpatriotischen Ansprüchen bedingte und außerordentlich vielgestaltige Tradition läßt sich zwar analysieren, in ihre Elemente auflösen; aber diese Elemente lassen sich nicht wieder zusammensetzen; sie erlauben weder eine Synthese noch im allgemeinen eine Prüfung ihres Wahrheitsgehaltes. Positiv aber: mag alles 'Dichtung' sein, was die Tradition an Einzelheiten gibt 88 ), sie setzt als real ihren Helden voraus, den großen Dichter Homer. Dieser Dichter aber war — und hier bestätigt die Analyse, die die Elemente der antiken Synthese auseinanderlegt und die einzelnen Ansprüche feststellt, ohne sie miteinander zu vermischen, das Zeugnis des Gedichtes und bestimmt es genauer — zu Hause »in dem nördlichsten Ionien, das vielfach auf äolischen Boden übergegriffen hat . . . das ganze südliche Ionien macht auf Homer in keiner Weise Anspruch«. Diese Formulie|rung 37 WlLAMOWITZens87) können wir unbedenklich annehmen, trotz unserer ganz anderen Betrachtungsweise. Denn alle wirklich alten Ansprüche weisen auf die Hermoshalbinsel und das vorgelagerte Chios, auf ein Gebiet, dessen Basis von Phokaia über Smyrna bis Kolophon reicht. Zieht man hier hinzu, was wir über die offenbar schnelle Verbreitung der neuen epischen Form nach Norden, Süden und ins Mutterland feststellen können, so ist das nur erklärlich, wenn die Homerlegende sehr alt ist, d. h. wenn sie von vornherein an der Ilias und ihrem Dichter hängt. Es ist nicht mehr überliefert, kann es nicht sein, da das älteste Stadium der Tradition darauf aus ist, die Zahl der homerischen Gedichte zu vermehren88), aber es ist nach allem nicht nur »beinahe notwendig«, sondern es ist unausweichlich, »den Homer, den die biographische Tradition zeigt, ) Das gilt besonders für die vielberufene Blindheit, über die W I L A M O W I T Z , I U H . 3 6 , 2 368, das Nötige gesagt hat. Man redet heute viel davon, daß in einer primitiven Gesellschaft Blinde für keinen anderen Beruf als den des Sängers brauchbar sind. Daß es auch in Hellas blinde Sänger gegeben hat, wissen wir; aber die Blindheit des Iliasdichters stammt doch wohl erst aus dem Apollonhymnos ( W I E M E R denkt auch an & 64). Die antike Biographie hat Verstand genug, wenigstens die Blindgeburt abzulehnen; Ps.-Herodot 3 ist die Polemik deutlich. Aber für ihren kompilierenden Charakter, für die 'Synthese' ist doch bezeichnend, daß sie das einmal erfundene Faktum nicht zu verwerfen wagt, weil es durch den Hymnos gut gestützt schien. So hilft sie sich mit späterer Erkrankung. Die Parallele zur Ausgleichung der Ansprüche auf Homers Geburt durch Trennung von Konzeption und Geburt und wieder von Geburt und dichterischer Tätigkeit des Erwachsenen ist unverkennbar und sollte ebenfalls davor warnen, solchen Ausgleichungen historische Tatsachen zu entnehmen. 87 ) IuH. 372 und 372 Anm. 1. Nur los widerspricht auch hier mit seinem alten, 37,1 rätselhaften Anspruch (oben S. 35, 76). 88 ) Oben S. 18, 36. Auch hier spielen neben der natürlichen Anziehungskraft des 37,2 großen Namens vor allem lokale Ansprüche mit, denen die Rhapsoden Rechnung tragen; auf einzelnes kann nicht eingegangen werden. 86

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mit dem Iliasdichter zu identifizieren«. 89 ) Den können wir dann aber auch mit Sicherheit Homeros nennen: denn an dem Namen hängt die ionische Novelle, und der Name ist erhalten, weil das Werk Eindruck gemacht hat. 9 0 ) Die Ilias ist ein ionisches Gedicht, und die Tradition über ihren Dichter f ü h r t nach Ionien. Dieses klare Resultat der Recensio darf keine Spekulation über einen aiolischen Homaros trüben, den die alte Tradition nicht gekannt hat — nichts bezeichnender als die Argumente, mit denen Ephoros und die Herodotvita ihn einzuführen suchen — und auf den die Modernen nicht von der Recensio aus kommen, sondern weil sie mit der Verlegung der Geburt nach Smyrna den Sprachcharakter erklären wollen, was sich von ihrem eigenen Standpunkt aus widerlegt, wenn der Smyrnäer in Chios dichtet. 4. A u s d e m L e b e n d e s I l i a s d i c h t e r s Mit allergrößter Vorsicht kann man nun vielleicht doch noch einmal über die Tradition von Homer hinaus auf das Gedicht selbst zurückgreifen und fragen, ob es, wenn es auch keine direkten Lebensdaten f ü r den Dichter gibt 91 ), nicht doch außer dem Schluß aus der Sprache auch solche auf sein Leben und sein Wesen gestattet. Dieser Schluß aus der Sprache ist im wesentlichen ein Schluß der modernen Philologie; für die antike beruht die ionische Herkunft, wenn überhaupt, dann höchstens in zweiter Linie auf einem Schluß aus den Gedichten; in erster ist sie ihnen durch die biographische Tradition gegeben, die im Gebiet der ältesten ionischen Novellistik und wohl auch der ältesten Homererklärung wurzelt. Darum ist die ionische Herkunft Homers für die antike Wissenschaft ein 38 F a k t u m ; wenn es bestritten wird (und scharf | bestritten wird es von Ps.-Herodot 37), so geschieht es wieder in erster Linie auf Grund einer Tradition, die wir freilich ohne weiteres als Erfindung erkennen und deshalb besser historische Konstruktion nennen, erst in zweiter und nebenbei auf philologischer Beobachtung. Wie wenig sicher der Boden dieser Tradition ist, sobald man über das Elementarste, über Namen und Leistung als Ausgangspunkt der Legende, hinausmöchte, haben wir gesehen. Aber über alles einzelne hinaus steht sie in dem Gesamtbilde, das sie von Homers Leben entwirft, in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem, was wir aus der Atmosphäre der Ilias schließen würden. Die Atmosphäre dieses Gedichtes (nicht auch der Odyssee) ist eine ausgesprochen aristokratische und höfische: Stoff, Personen, Art der Behandlung von Einzelheiten, die gerade wegen ihrer Singularität so charakteristische Thersitesszene, be37.3

37.4 37.5

89

90 91

) WILAMOWITZ, I u H . 3 7 3 .

) Oben S. 9f. ) Oben S. 4ff.

Aus dem Leben des Iliasdichters

41

weisen geradezu einen Dichter, der für eine aristokratische Herrenschicht schreibt und sich selbst in den Kreisen der ßaaikrjsg bewegt, womit durchaus noch nicht gesagt ist, daß er irgendwann und irgendwo die Stellung eines Hofdichters in der Weise der Aoiden der Odyssee gehabt hat. Die ßi01 aber führen in ganz andere, in ausgesprochen kleinbürgerliche, ja geradezu plebeische Kreise: die Mutter, wenn wir einmal die Daten der Herodotvita nehmen, Tochter eines armen Mannes, selbst Tagelöhnerin, die sich von irgendeinem Kymäer außerehelich schwängern läßt 9 2 ); der Adoptivvater ein Schulmeister; Homer selbst Lehrer und fahrender Rhapsode, der mit Schiffskapitänen, Händlern, Hirten und überhaupt lauter kleinen Leuten verkehrt, es im besten Falle mit dem Rat einer Stadt (Ps.-Herodot 12—14) oder einem wohlhabenden Besitzer (wie dem Chier von Bolissos ebd. 23 —24) zu tun hat. Es ist ein Leben, das viel eher dem des Aisopos (und bis zu einem gewissen Grade auch dem Hesiods) entspricht. Deutlich also und wichtig für das Alter der Tradition — denn der Homer der Novelle ist ursprünglich der Iliasdichter; die Ilias aber kennt keine Aoiden, bot daher kein Vorbild und überhaupt keinen Anhalt —, daß die Novelle als solche nicht vom Epos beeinflußt ist und auch keine Schlüsse wie die eben angedeuteten der modernen Philologie vollzogen hat. Sie stellt vielmehr ganz legendarisch einen jüngeren Typus hin, den wirklichen, d. h. den nachhomerischen Rhapsoden einer Zeit, in der das ionische Adelsregiment ins Wanken gekommen war und jedenfalls die Gesellschaft sich längst nicht mehr auf die Höfe der ßaaiXf\e) TiH

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CO esg ßcuriMjeg und wie sie sonst heißen, wo sie zu Kampf, Beratung, Mahl zusammentreten, so sind sie doch nicht einmal in dieser Beziehung vollständig und im ganzen so viel weniger umfassend als der Katalog, daß nach dem Willen des Dichters, den wir (das muß | immer wieder 575 gesagt werden) nicht a priori kennen, dieser auch neben ihnen eine Stelle haben konnte. Darum ist nicht einmal die Verschiedenheit entscheidend, die nicht Einzelheiten trifft, wie sie vielfach schon im Altertum beobachtet sind, sondern den Gesamtcharakter des Kataloges, der an Stelle der Heroen mit ihren exCÜQOI und dem zahlenmäßig unbestimmten, weil gleichgültigen o/utog die Länder, Städte, Völker mit Führern und Schiffszahlen setzt. Das Auftreten von Völkern oder Stämmen auf griechischer Seite ist auch der Ilias nicht ganz fremd, aber es ist die Ausnahme 7 ); im Katalog ist es die Regel, und selbst die Äußerlichkeit des Beginnes mit dem Namen des Heros, der sein Volk ex ' Podov führt, ist Ausnahme. Das ') Wieweit die betreffenden Stellen 'echt' sind, d.h. im Kontext unserer Ilias fest- 575,1 sitzen, kann hier nicht untersucht werden. Jedenfalls sind sie viel seltener als die ja auch 'moderne' Phalanx, die der Iliasdichter überall kennt — was aber die Antwort nach keiner Seite hin präjudizieren soll.

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Homerisches I I

ist historische Art, nicht epische. Der Unterschied ist offensichtlich und unbestreitbar; aber es ist nicht ebenso sicher, daß er auch einen für die Athetese ausreichenden 'Anstoß' bildet. Der Iliasdichter greift zu oft und aus zu verschiedenen Gründen mit kühner Hand über das heroische Element hinaus in die eigene Zeit 8 ), deren Wesen und Interessen, als daß ich in solchen Verschiedenheiten ein sicheres Argument zu sehen wage. Nun kommt hier freilich dazu und verstärkt den Verdacht gegen homerischen Ursprung, daß der Katalog zwar offensichtlich, wenn auch in seinen einzelnen Abschnitten in verschiedener Weise, Rücksicht auf die Ilias nimmt, aber ebenso offensichtlich nicht nach ihr gearbeitet, nicht etwa ein 'Index' zur Ilias ist. 9 ) Sollte er trotz allem dem Iliasdichter gehören, so ist hier einmal der übliche und so oft in dem Schnellverfahren der Analyse mißbrauchte Schluß auf ein vorhomerisches 'Einzelgedicht' unausweichlich; es gibt dann keine andere Erklärung, als daß Homer ein ursprünglich selbständiges, seinem Wesen nach geographisches Gedicht 10 ), eine 'Periegese' zunächst von Hellas und den anliegenden Inseln für seine Zwecke bearbeitet oder eine solche Bearbeitung aus einem anderen Zusammenhang in den der Ilias übernommen hat. Es ist nun eine auch heute noch verbreitete, jüngst wieder ausführlich begründete Behauptung, daß der Katalog ursprünglich in den Kyprien gestanden habe: 'der Redaktor des aus den Kyprien übernommenen 576 Schiffskatalogs' | — sagt ihr letzter Vertreter11) — 'hat richtig gefühlt, 575.2 575.3

8

) S. auch S. 75, 40. ) Wie das wiederE. D R E R U P (oben S. 54, 3; Homerische Poetik 1, Würzburg 1921, 278, 1) behauptet: 'denn der Schiffskatalog ist kaum etwas anderes als ein in poetische Form gebrachtes Inhaltsverzeichnis des Epos nach seinen Haupthelden usw.*. Zu widerlegen braucht man das nicht. 10 575.4 ) Ich sage 'seinem Wesen nach', weil ich hier weder entscheiden will noch kann, ob die Vorlage ein 'periegetisches Lehrgedicht' war oder eines, dessen geographische Interessen sich in ein heroisches Gewand kleideten. Das Wesentliche hat jedenfalls N I E S E , Der homerische Schiffskatalog, gesagt; und das bleibt, obwohl er fast alle seine Resultate allmählich zurückgenommen hat (Die Entwicklung der homerischen Poesie, Berlin 1882, 69; 199, 1 ; 206, 4; 228; bei E. E R H A R D T , Entstehung der homerischen Gedichte, Leipzig 1894, 34, 1). Was N I L S S O N , RhM 60, 1905, 161ff., an N I E S E S überlegten Ausführungen geändert hat, scheint mir selten ein Fortschritt; z. T. ist es nachweisbar falsch. n 576,1 ) W. S C H M I D , Philol. 8 0 , 1 9 2 5 , 67ff. (Gr.L. 1 , 1 , 9 7 ) . Er nennt den Schluß auf die Kyprien 'unausweichlich' und glaubt an eine wirkliche Übernahme des Katalogs aus ihnen: 'die Leistung der Iliaskatalogisten beschränke sich vielleicht beinahe auf kleine Zustutzungen' (über 5 4 7 / 5 8 s. unten S. 6 0 , 1 5 ) . Ebenso sicher sprach über die Quelle L E A F , The Iliad 1, 86. In beiden Richtungen vorsichtiger waren B E R G K und N I E S E (Der homerische Schiffskatalog 24FF.), der die Periegese unter Benutzung des kyklischen Epos, besonders wohl des Pürstenverzeichnisses der Kyprien für die Ilias gearbeitet sein ließ. Diese Vorsicht war sehr berechtigt. Denn das einzige überhaupt diskutable Argument für die Kyprien ist B E R G K S 9

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dieser E i n s c h n i t t zwischen Heeresversammlung u n d A u s m a r s c h sei stark genug, u m i h m die Einschiebung des K a t a l o g s z u gestatten, m i t d e m er noch einen weiteren N a c h t r a g zur E x p o s i t i o n liefert'. N a t ü r l i c h ist d a s — v o n d e m seltsamen Zweck der E x p o s i t i o n ganz abgesehen, d e n die m a n g e l n d e Ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen K a t a l o g u n d Ilias ohne weiteres ausschließt — k e i n Beweis, sondern ein Zirkelschluß, noch d a z u ein recht unüberlegter. W e n n der R e d a k t o r 'richtig fühlte', d a ß hier ein E i n s c h n i t t war, der eine größere Einlage gestattete, wie will m a n d a n n beweisen, d a ß es nicht H o m e r selbst war, der den E i n s c h n i t t , d e n er selbst g e m a c h t h a t t e , so b e n u t z t hat? Hier ist schon die Voraussetzung falsch oder b e w e g t sich i m gleichen Zirkel: ist d e n n zwischen V e r s a m m l u n g d e s H e e r e s u n d A u s m a r s c h überhaupt ein natürlicher E i n s c h n i t t ? E n t s t e h t er nicht erst durch d e n Musenanruf 4 8 4 — 4 9 3 m i t der ganz u n h o m e r i s c h e n ersten P e r s o n i m Schlußvers ag%ovg av vrjcöv EQECO vrjdg re TtQondaag ? D e r Schluß aber l ä ß t sich sowohl v o n der Tradition wie v o n der Überlieferungsgeschichte u n d schließlich v o n der gesunden V e r n u n f t her, die auch nicht z u v e r a c h t e n ist, widerlegen. W a s die Tradition angeht, so weiß die erh a l t e n e I n h a l t s a n g a b e der K y p r i e n v o n solchem K a t a l o g nicht nur nichts, sondern schließt i h n m i t nqog NeaxoQa nagayiverai MsveXaog . . . hzEixa xovg rjyefiovag ä&QoiCovaiv ETLEMÖVTEQ Trjv 'EXXdda . . . xal ¡isxa xavxa avveX-dovxeg elg AvXiöa d-vovar nal ra TIEQI rov ÖQOXOVra xtX.12) schlechthin Anstoß, die Schiffe seien 'hier, wo ein Kampf auf dem Lande geschildert wird, ganz ungehörig'. Es hat merkwürdigen Eindruck gemacht, so schwach es ist: in der ganzen Ilias ist doch immer nur von den Schiffen die Bede; die Völker sind Ausnahme (oben S. 57), Truppenzahlen werden kaum je gegeben. Die Stellung der Übersicht bei späteren Autoren (Eurip. Iphig. Aul. 164ff.; Bibl. Epit. 3, 11) besagt nichts (unten S.99, 103); und die Behauptung, in den Kyprien sei der Beginn mit den Boiotern verständlich, weil Aulis eine boiotische Stadt sei, kann man überhaupt nicht ernst nehmen. 12 ) Proklos Chrest. S. 234, 32 W. = 103, 20 A. = S. 153 Bethe (es ist ärgerlich, daß 576,2 letzterer weder Zeilenzahlen noch Paragraphen im Proklostext gegeben und die einzelnen Pakten des Exzerpts nicht unter die Fragmente eingeordnet h a t ; die Neubearbeitung der Kykliker ist überhaupt eine 'vordringliche' Aufgabe). Da am Schlüsse des Exzerpts S. 236,23 W. = 105,17 A. XARdAoyo? rä>v rolg TQCÜOI ovnfiaxrjodvzwv steht (unten S. 100, 106), kann man darauf bauen, daß die griechische Symmachie eben nicht in Form eines Katalogs, sondern durch die Besuche bei den einzelnen Fürsten gegeben wurde, wo dann besonders der bei Odysseus ausführlich behandelt werden konnte. Dem klaren Tatbestand sucht sich S C H M I D 74 zu entziehen — 'bestimmt wissen wir freilich nur, daß am Schlüsse der Kyprien ein Troerkatalog vorkam. Es wäre aber seltsam, wenn der für den Sachzusammenhang der Kyprien weit wichtigere Achäerkatalog gefehlt h ä t t e ; sein Fehlen in dem flüchtigen Proklosexzerpt kann schwerlich als Gegenbeweis anerkannt werden' — und scheut nicht einmal vor der Annahme zurück (a. O. 78f.), daß die Kyprien 'zwei so gleichartige Kataloge' wie Aufzählung der Freier und Boiotia enthielten. Bei B E T H E vermisse ich eine Erörterung auch dieser

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577 aus. Überlieferungsgeschichtlich ist — ganz | gleich, wie man über Interpolationen aus kyklischen Epen in der Ilias denkt 13 ) — die Übernahme eines Stückes von etwa 400 Versen aus den Kyprien in die Ilias erst recht undenkbar. Die Kyprien existierten zu Herodots Zeit unabhängig von der Ilias, waren ein gerade damals in Dichtung und Kunst viel benutztes Gedieht und sind noch etwa zwei Jahrhunderte auch von einem größeren Publikum gelesen. In einer Zeit, in der man einerseits aus Diskrepanzen beider Gedichte auf Verschiedenheit der Verfasser schloß 14 ), andererseits die kyklischen Epen gerade und bald allein um ihres Stoffes und der äxoXow&ia ngay/udrojv willen schätzte, kann die Umstellung nicht

vorgenommen sein. Keinesfalls wäre sie dann durchgedrungen. Denkbar ist ein solcher Vorgang überlieferungsgeschichtlich nur in sehr früher Zeit, eher im 7. als im 6. Jahrhundert, jedenfalls vor der attischen Panathenäenordnung. Wenn man aber diese Zeit oder gar die 'Kommission des Peisistratos' damit belasten wollte, so widersetzt sich der gesunde Menschenverstand. Wer sollte in einer Zeit, als die kyklischen Epen noch nicht gar so lange im Anschluß an die Ilias, jedenfalls im Hinblick auf sie entstanden waren, als man sie viel anhörte und las — denn sonst hätten sie sich nicht erhalten — auf die wahnschaffene Idee gekommen sein, den Katalog von der einzig passenden Stelle und aus einem Gedicht, dessen Verschronikcharakter er durchaus angepaßt war, zu entfernen und ihn dahin zu rücken, wo er den größten Anstoß erregt! ls ) Solche Hypothesen, Frage; er begnügt sich mit unscharfen Willkürlichkeiten (Homer 2, 233): 'Die Mobilmachung muß von Agamemnon ausgegangen sein, weil er in der Ilias der Herzog ist. So Apollodor; Proklos läßt das aus. Dagegen erwähnt er den Besuch des Menelaos bei Nestor . . . Nestor mußte für den Krieg gewonnen werden, weil er in der Ilias steht'. Stehen die anderen Fürsten nicht in der Ilias? Und was fängt B E T H E mit dem unmißverständlichen eneira rovg riye/iovag ri&QolCovaiv mX. an? Für die Art, wie Philologen mit Zeugnissen umspringen zu dürfen glauben, deren Richtigkeit das einfachste Nachdenken bestätigt (von einem Erweis der Unrichtigkeit ist schon gar keine Rede), ist bezeichnend, daß sie gegen Proklos nicht nur einen griechischen Katalog in die Kyprien interpolieren, sondern auch den bezeugten troischen athetieren (unten S. 100, 106). 577.1 13) Ich bin da ganz skeptisch; mindestens bedarf jede derartige Annahme eines besonders starken Beweises. Für uns wird die Frage bei den vv. 791/5, 811/5 a k u t ; s. unten S. 96f. 577.2 " ) Herodot. I I 116-117. 577.3 15) S C H M I D S Versuch (a. O. 79ff.), das Unglaubliche glaublich zu machen — 'der befremdende Gedanke, den Katalog aus den Kyprien herauszuheben und der Ilias einzuverleiben, erklärt sich nur aus der Absicht, den Ruhm Athens i n d e r I l i a s zu künden' — leidet an starken Unklarheiten und hängt einerseits an der unbegründeten, mindestens eine starke Übertreibung enthaltenden Behauptung, daß 'ohne Zweifel der Ruhm der Kyprien schon um 600 weit überstrahlt war von dem der Ilias', andrerseits an der m. E. indiskutablen Bezeichnung von B 546/58 als einer 'attischen Interpolation', die doch keine Interpolation ist.

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die den Verlust der kyklischen Epen sich zunutze machen, mögen Beifall finden. Was sie aufwirbeln, ist doch nur Staub. Wenn der sich verzieht, zeigt sich, daß die Sache in diesem Fall gerade umgekehrt liegt: Die verhältnismäßig späten und | von der Ilias besonders stark abhängigen 578 Kyprien haben den Schiffskatalog bereits in der Ilias gelesen. Wenn es B 701/2 von Protesilaos heißt xöv ö' exrave Aagdavog ävrjQ vt]oi; crno &Q(bioxovTa nokv TiQOJTiarov 'A%atmv und im Kyprienexzerpt S. 236, 3 W. (104, 24 A.) sneiTa cawßaivovTag avxovg elg "IXwv eiQyovaiv ol Tqcöbq xal {hrjiaxei IlQOJxeaikaog vqf "ExxoQog, so haben wir darin eine der Deutungen oder Ergänzungen der Ilias zu sehen, die für das spätere Epos charakteristisch sind. 16 ) Die Einzelheit — die übrigens interessant ist, weil sie zeigt, wie früh der Unterschied, den die Ilias zwischen Troern und Dardanern macht, vergessen wurde — mag hier als Beweis genügen. 2 Es gibt nur einen Weg, die Frage zu entscheiden, ob der Schiffskatalog Homer gehört oder nicht: nicht von einem modernen 'Anstoß' irgendwelcher Art ist auszugehen (ein solcher liegt in Wahrheit der ganzen Diskussion zugrunde; der Schiffskatalog stört u n s da, wo er jetzt steht), Denn 'sie ist ein Werk der Katalogisten, entstanden mit der ganzen Boiotia im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts' (S. 81), was nach S. 87f. wohl bedeuten soll, daß damals der 'attische Rhapsode' den Katalog 'mit einigen Änderungen' aus den Kyprien übernahm. Die wichtigste dieser Änderungen sei die Streichung von Megara und die Zufügung von 547/51, 553/5, 558. Ich werde den Athenerpassus an anderer Stelle behandeln. Wenn er interpoliert oder interpolatorisch erweitert ist (was ich für ausgeschlossen halte), so würde er geradezu den Beweis liefern, daß der Katalog bereits in vorpeisistratischer Zeit in der Ilias stand. 16 ) Bemerkt hat das wohl zuerst J. A. S C O T T , The Unity of Homer, Berkeley 1921, 578,1 230f.; ob man darin einen Versuch sehen darf, Hektor zu heben, der in der Ilias keinen der bedeutenderen Helden erschlug, bleibe dahingestellt. Daß die Kyprien auch B1 kannten und entsprechend benutzten, zeigt die Variation des Motivs der ÜElga S. 105, 9 A. eneira änovoareiv cjQfir]ßEvovQ rovg 'A%cuov; 'A%Mevg xaTe%et. Ihr Dichter las unsere Hias. An der oben ausgeschriebenen Angabe des Proklos, daß in den Kyprien Protesilaos von Hektors Hand fiel, zu zweifeln, besteht nicht der geringste Grund: die Reihe der Zeugen ( L E A F ZU B 701; T Ü R K , Roschers Lexikon der Mythologie 3, 3156; K. R O B E R T , Die griechische Heldensage 1, Berlin 1920, 62, 2) bestätigt ein berühmtes Gedicht als Quelle dieser Einzelheit. Woher die anderen Namen Schol. A L S 701 (Bibl. Epit. 3, 30 hat nur Hektor) stammen, wissen wir nicht: Aineias und Euphorbos sind bekannte Gestalten, von denen namentlich jener im späteren Epos vielfach gehoben wird; Achates ist sicher ganz spät. B E T H E , Homer 2, 29f., ist flüchtig und falsch: 'Bei der Landung in Troia . . . fällt Protesilaos. Die Kyprien F 15 (vielmehr das Proklosexzerpt! F 15 enthält nichts dergleichen) haben es wie schon B 701 erzählt. Hier ist ein Überwinder noch unbenannt (das Proklosexzerpt nennt ausdrücklich Hektor!), so wird er auch in den Kyprien wohl namenlos gewesen sein'.

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sondern ausschließlich von der Interpretation des Iliastextes, der denn auch eine, wie mir scheint, eindeutige Antwort gibt. Hier ist es am Platze, zunächst einmal die Kataloge genau abzugrenzen. Das ist nach unten einfach, weil der troische Katalog, wie schon gesagt, keinen besonderen Abschluß hat, sondern mit HaQnrjöd>v ö' r/gxev Avxioyv xzX. 875/6 im Sande verläuft; r 1—14 marschieren beide Heere. 17 ) Nach oben weniger. Der Verführung, in der neuen Anrede an die Musen 484/93 den Anfang zu sehen, ist auch W L L A M O W L T Z erlegen.18) Das hängt damit zusammen oder (richtiger wohl) die Folge davon ist, daß er sich die Beurteilung der Gleichnisreihe vor der Musenanrede 455/83 doch etwas zu leicht gemacht hat: 'Die Philologen haben so lange daran herumgeschnitten, bis sie das Maß erhielt, das der ästhetische Kanon des 679 einzelnen gestattete. Eine bessere Vorbereitung für das Verständnis ist es, eine Parade auf dem Tempelhofer Feld mitgemacht zu haben. Da vollzieht sich alles ganz ähnlich, und die Gleichnisse werden lebendig. Die Scharen marschieren heran: da funkeln die Waffen . . . nun ergießt sich ihr Gewimmel auf das Blachfeld: sie fallen ein wie Schwärme von Zugvögeln . . . und schwirren durcheinander wie die Fliegen über den Milchkübeln. Nun ist es Zeit, daß die Offiziere ihre Leute sammeln, wie die Ziegenhirten ihre Herden, und auf ihren Platz bringen. Schließlich kommt der Feldherr, der die Parade abnimmt. Agamemnon erscheint . . . alles stimmt vortrefflich; kein Wort der Verteidigung ist mehr von Nöten'. 19 ) Ich habe nun zwar Paraden nur auf dem Oberwiesenfeld mitgemacht; aber meine Erfahrung zeigt mir, daß es da anders zugeht, als Homer es schildert: die geordneten Regimenter rücken an und nehmen in Ordnung die vorher bestimmten und abgesteckten Plätze ein. Moderne Vergleiche sind immer bedenklich; der antike 'Feldherr' nimmt im allgemeinen überhaupt keine Paraden ab, und für den homerischen General ist das höchste Lob, wenn er es versteht xooftfjcrcu ITZTIOVQ TE xat dvegag äamöimrag, wie denn auch im B und überall in der Ilias die ßaaiXfjeg selbst die Ordnung ihrer Leute vornehmen, während bei uns schon der Hauptmann erst kommt, wenn die Kompanie steht; will man vergleichen, so ist nur die 578.2 l7 ) Tgüeg fiev xXa-yyfji T ¿voitiji T' taav (2) . . . ot g eQrji. 474 rovg 6', g x' ainofaa relaxe alycöv cfmoXoi ävÖQeg qela diaxgivcoaiv, ¿Ttei xe VO/JMI fiiyecooiv, mg xovg ryyeyioveg diEXoa/Lteov ev&a xal ev&a vafiivrjv vs, yhliaaa 435/8). Der Schluß, daß 811/5 ebenso wie 802/6 vom Katalogisten gedichtet sind, um den Troerkatalog vorzubereiten (was sie jetzt wirklich tun), und daß wir, da 791/5 sicher dem Dichter von 811/5 gehören, nur noch Petzen der homerischen Schilderung besitzen, entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit; und er wird nur noch unglaublicher, wenn man ihn auf die ganze Szene ausdehnt, den Eindichter des Katalogs die Iris erfinden und den Polites mitsamt den lokalen | Na- 615 men (793; 813/4) aus dem 'echten B' nehmen läßt. Ich glaube, wir können mit aller nur wünschbaren Sicherheit unterscheiden: den Dichter des B\ den Katalogisten, der eine Periegese von Hellas zum Katalog der griechischen Symmachie umgestaltet und mit sorgfältiger Vorbereitung in die uo

) Darüber an anderer Stelle und in größerem Zusammenhang. Hier genüge der 614,1 nochmalige (oben S. 74) Verweis auf A 12/6 ~ B 50/52; 84/108. A 12/16 fehlt nicht nur die Berufung der Versammlung, sondern auch jeder Hinweis auf die Tatsache, daß überhaupt eine Versammlung stattfindet. Der Grund ist klar, wird aber selten klar ausgesprochen. Sonst mag man etwa noch ©485—565 mit £24:3—314 vergleichen und überlegen, warum im Z das Biwak mit einem halben Verse gerade eben angedeutet wird.

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Schilderung des ersten Auszuges der Achaier zur Schlacht eingelegt h a t ; den Erweiterer, der mit roher Änderung von ein paar Versen den troischen Katalog hinzufügte. Schematisiert also: Homer 1-335

Katalogist

Erweiterer

336-397 398-458 4 5 9 - 4 6 8 ; [469/73] 474 - 4 9 3 (494-760) 761-785 786-802 803-806 807-815 816-877 ri-i4 Der Katalogist, über dessen Heimat ich mich hier nicht weiter äußern möchte, obwohl ich persönlich nicht zweifle, daß er nach Ionien, vielleicht nach Kolophon, gehört 111 ), ist älter als der Dichter der Kyprien, der den griechischen Katalog im B schon las. 112 ) Der Erweiterer, den wohl schon die Form nolirpcaz 806 gleichfalls nach Ionien verweist, ist jünger als der Kypriendichter 1 1 3 ), kennt die Interpolation B130/33 und vermutlich auch das X der Odyssee. 114 ) Der Katalogist h a t den Griechenkatalog sehr wahrscheinlich einer c Quelle' entlehnt und entsprechend umgestaltet; der Erweiterer hat den Troerkatalog vielleicht selbst verfertigt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er dabei den Kyprien folgte, was nicht bedeutet, daß er auch 816—877 einfach aus diesem Gedicht übernahm. 1 1 5 ) Aber selbst das 616 ist nicht unmöglich. Denn | die oben 116 ) gegen Herleitung des Griechen615.1

615.2

615.3 615.4 615.5 616,1

m

) Oben S. 86, 65. Über den athenischen Passus 546/58 (oben S. 60, 19) muß besonders gehandelt werden. Das Gesamtresultat würde er selbst dann nicht ändern, wenn er ganz interpoliert wäre, was er nicht ist. Andere Perikopen des Katalogs machen für die Bestimmung seiner Herkunft viel größere Schwierigkeiten. 112 ) Oben S. 60f. Ich zweifle nicht, daß auch der Dichter unserer Odyssee ihn da las: denn die 12 Schiffe 1159, die x 132 auf das für Irrfahrten reguläre eine reduziert werden, stammen doch wohl sicher aus B 637. Ob erst unser Odysseedichter die Zahl eingeführt hat, ist hier nicht zu entscheiden. 113 ) Oben S. lOOf. 114 ) Oben S. 99, 102. 115 ) 'Vielleicht ist unser gegenwärtiger (Troer)katalog bloß ein Auszug aus dem in dem kyprischen Gedicht' K. O. M Ü L L E R , Gr.L. I 4 , 91; oben S. 100, 106. lie ) S . 58ff.

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katalogs aus den Kyprien geltend gemachten Einwände treffen für den ja auch viel kürzeren Troerkatalog nicht in gleicher Weise zu: avrog yäg ecpehtexai o xaräkryoq o 'EV.rjvixog rov TQCMXOV didxoa/iov. 6 Der griechische Katalog ist eine sehr alte Interpolation in u n s e r e Ilias, der Troerkatalog ist eine Erweiterung dieser Interpolation. Es ist nicht absolut zwingend zu entscheiden, ob der als Dichter durchaus achtungswerte Interpolator den Katalog frei geschaffen oder ob er ein vorhandenes Gedicht, das uns hier nichts weiter angeht, nur eingeschaltet hat. Auch wenn, wie ich glauben möchte, die zweite Eventualität zutrifft, ist der hier kenntliche Vorgang etwas völlig anderes als der Aufweis von 'Einzelliedern', mit dem die Analyse als mit einer ihr ganz selbstverständlichen Voraussetzung arbeitet. Das gilt nicht nur für die unabhängig entstandenen und existierenden 'Einzelgedichte', 'auf Grund deren Homer dichtete', sondern auch für S c H W A R T Z e n s Einzelgedichte, die aus den 'Kleinepen', wie r A E eines gewesen sein soll, 'hervorgewachsen sind' und deren 'typische Eigenschaft' es sein soll, 'daß die Handlung im Kreise läuft und am Ende regelmäßig da wieder anlangt, von wo sie ausging, oder richtiger, aus dem großen Zusammenhang, den das Einzelgedicht stets voraussetzt, ausbog'. Was es mit diesen Einzelliedern oder Einzelgedichten und mit den Kleinepen auf sich hat, davon soll in einem größeren Zusammenhang hoffentlich bald gehandelt werden. Im B haben wir es jedenfalls weder mit einem 'Einzelliede' dieser Art, das aufgenommen werden sollte, noch mit einer Umdichtung oder Bearbeitung 'Homers' zu tun, sondern ganz einfach mit einer Interpolation, sei es einer vom Interpolator selbständig geschaffenen, sei es einer aus ganz anderer Sphäre stammenden und für den Zusammenhang der Ilias nur aptierten. Daß es solche alten und leicht auszulösenden Interpolationen in unserer Ilias gibt, das erscheint mir allerdings sehr wichtig. Die Frage des Phoinix im I gewinnt ein anderes Ansehen; sie scheint — gegenüber den widerspruchsvollen und stets irgendwie präokkupierten analytischen Resultaten — eine bis zu einem gewissen Grade gleichartige Lösung zu gestatten: Phoinix als Gesandter an Achilleus ist für u n s e r e Ilias unmöglich; aber er ist ein passender Mahner des grollenden Helden. Es war ein Interpolator, der die schöne Rede 7430—619 selbst gedichtet hat oder die anderswo gefundene erhalten wollte und der sie locker und gleichgültig genug mit ein paar Klammern einheftete. 117 ) Der Unterschied gegen die Kataloge liegt im Inm

) Natürlich gewinnt damit auch die neuerdings viel behandelte Frage, ob die 616,2 fifjviQ 'A%Mecug eine Nachbildung der /ifjvig MeXedyQov ist, ein sehr anderes Gesicht.

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Homerisches II

617 halt und im Wesen des interpolier|ten Stückes. Wenn der Interpolator des I eine ' Quelle' hatte, so muß sie ein episches Gedicht oder ein Einzelgedicht aus dem troischen Kreise gewesen sein. Wenn ein Einzelgedicht, dann ein jüngeres als die Ilias. Von hier f ü h r t vielleicht ein Weg zu epischen Einzelgedichten, eher im ScHWARTZischen als in dem gewöhnlichen Sinne. Aber — das muß ganz scharf gesagt werden — es ist noch nicht erwiesen, ist vielleicht auch nicht erweisbar, daß er eine 'Quelle' hatte. Auch die Frage des K t r i t t in ein neues Licht und findet vielleicht, wenigstens was das Verhältnis dieses Buches zur Ilias angeht, ihre endliche Erledigung, diesmal wirklich in SCHWARTZens Sinn. Denn das K kann, mit leichter Änderung des Eingangs oder mit einem kurzen rhapsodischen Prooimion, wirklich als Einzelgedicht auf eigenen Beinen stehen, was f ü r die Phoinixrede schwer oder gar nicht denkbar ist. Aber dann war es ein Gedicht, das die Ilias voraussetzte. Es liegt mir fern, von einer Einzelheit aus, wie es die Einschaltung der Kataloge ist, ein Urteil über den Wert der Analyse als Methode, über ihre Resultate und Aussichten zu fällen. Aber das darf m a n allerdings von dieser Einzelheit aus ruhig und entschieden behaupten: ehe nicht die einfache, von keiner Theorie über die Entstehung des großen Epos bestimmte, getrübte und von vornherein aus der Bahn geworfene Interpretation der Ilias mit ganz anderer Energie und Sorgfalt vorgenommen ist, als es bisher geschehen ist, eher hat eine vom festen Boden des gegebenen Textes sogleich in die Wolken der Spekulation entschwebende Analyse überhaupt keine Existenzberechtigung.

3. DIE GEISTIGE PHYSIOGNOMIE DER ODYSSEE* 1. Was ich hier vorlege, macht an den Leser keinen anderen Anspruch, 159 als daß er die Odyssee in die Hand nimmt; am besten natürlich den griechischen Text, sonst eine der in verschiedener Weise erfreulichen neuen Übersetzungen (HANS GEORG MEYER, THASSILO V. SCHEFFER, RUDOLF ALEXANDER SCHRÖDER), obwohl auch der vielgeschmähte alte J O H A N N H E I N R I C H VOSS das gibt, was hier zunächst nötig ist 1 ). Der Fachgenosse wird leicht bemerken, daß es ein Ausschnitt ist und daß der etwas hochtrabende Titel (ich habe leider keinen anderen gefunden) mehr verspricht, als die Ausführung hält. Aber wer in der „Antike" schreibt, 'will weder von den ganz Ungelehrten noch von den ganz Gelehrten gelesen werden, weil die einen nichts verstehen, die andern vielleicht mehr als er selbst', wie der alte Satiriker es ausdrückt. Er darf also alle gelehrten Fragen ausschalten und die Substruktionen eines Baues fortnehmen, der auf wiederholter Durchinterpretation der Odyssee ruht. Ihr Ergebnis besteht darin, daß die auflösende Homerkritik der letzten anderthalb Jahrhunderte auch hier aufgegegeben werden muß, weil sie, welches immer ihre Verdienste sonst waren, vor der Hauptaufgabe versagt, das Verständnis des großen epischen Gedichtes nicht erschlossen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes unter den Massen ihrer teils gelehrten, teils abstrusen Hypothesen verschüttet hat. Die ihrer eigentlichsten Aufgabe sich wieder bewußt gewordene Philologie bestätigt das natürliche Gefühl des unbefangenen Lesers, der unter den Zauber eines Gedichtes gerät, das zweieinhalb Jahrtausende überstanden hat, ohne zu altern und zu verstauben; sie begründet neu und vielleicht | tiefer das Urteil der ältesten Ästhetik des fünften 160 und vierten vorchristlichen Jahrhunderts, der Sophisten, des Piaton und Aristoteles. An Stelle eines unübersehbaren Gewirres von konstruierten * Die Antike 9, 1933, 1 5 9 - 1 9 4 . ) Ich habe mich nach langem Schwanken schließlich doch entschlossen, statt einer 159,1 dieser Übersetzungen zu folgen oder mit ihrer Hilfe eine neue zu versuchen, prosaische Paraphrasen zu geben. Die Bücher der Odyssee zitiere ich in der üblichen Weise mit den kleinen, die der Hias mit den großen Buchstaben des griechischen Alphabets.

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Die geistige Physiognomie der Odyssee

Vorlagen tritt wieder die uns erhaltene Odyssee, die auch im Altertum das einzige bekannte Gedicht von der 'Heimkehr des Odysseus' war, jetzt nicht einfach hingenommen, sondern durch die Mittel der Wissenschaft erwiesen als die einheitlich aufgebaute Schöpfung eines nicht im höchsten Sinne genialen, aber im höchsten Grade kunstverständigen Dichters. Wer dieser Dichter war und wo er lebte, das läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Er hat seinen Namen an den Homer der Ilias verloren, hat von Anfang an Homeros geheißen und hat, da eine ihrer Zeit voraufeilende Ansicht nicht durchdrang, diesen Namen behalten, auch als die teils älteren teils jüngeren, übrigens meist sehr viel kürzeren ionischen Epen des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr., die sogenannten kyklischen Gedichte, aus ganz wesentlich ästhetischen Erwägungen heraus dem genialen 'Erfinder' der epischen Form wieder abgesprochen wurden: wir können von ihm nur anonym, in einer der Kunstgeschichte längst vertrauten Weise, als von 'dem Odysseedichter' reden, dessen Werk für seinen Verfasser keinerlei direkte oder indirekte im eigentlichen Sinne biographische Daten liefert. Anders als in der Ilias ist die Sprache nicht für Entstehung im kleinasiatischen Ionien beweisend, weil sie die allgemeine epische ist und weil wir in den Abweichungen von dem Prototyp dieser Sprache, eben der Ilias Homers, wenigstens bisher keine lokalen Eigentümlichkeiten zu erkennen vermögen; und ebensowenig finden wir in der Odyssee etwas dem Verhältnis Homers zu dem in der Troas des 8. Jahrhunderts herrschenden Fürstengeschlecht der Aineiaden Vergleichbares. Die Behauptungen von Beziehungen des Odysseedichters zu Kyrene sind ebenso bodenlos wie die Schlüsse aus dem Namen des Nestorsohnes Peisistratos, mit denen man die Entstehung des Gedichtes auf etwa 550 v. Chr. datiert hat. Vielmehr läßt sich erweisen, daß das Epos in seinem ganzen Umfange, so wie wir es auch noch lesen, nicht nur dem Athener Solon im Anfang des sechsten, sondern bereits den Dichtern des siebenten Jahrhunderts Alkman und Archilochos bekannt war; wie ich mit Bestimmtheit glaube, lag es schon um 700 dem Hesiodos vor. Wenn aber das erhaltene Epos so hoch hinaufreicht, wenn es anderhalb Jahrhunderte älter ist als die bedeutendsten modernen Homerkritiker glauben, so wird damit zugleich Entstehung im kleinasiatischen Ionien des ausgehenden achten Jahr161 hunderts mehr als nur | wahrscheinlich. Ich verzichte hier gern auf die Widerlegung der herrschenden Anschauung, die die Abfassung der Odyssee oder ihrer 'Vorstufen' in das Mutterland und den 'korinthischen Kulturkreis' verweist; weniger gern auf eine Darlegung, daß und inwiefern vor allem auch die Stoffgeschichte für kleinasiatischen Ursprung spricht. Denn der Beweis dafür, daß die Odysseusgestalt von den asiatischen Ioniern ausgebildet ist, daß erst bei ihnen der uralte 'Odysseus von Ithaka' aus vermutlich prosaischer Erzählung in das Epos eingetreten

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ist und hier seine große Rolle erhalten hat, läßt sich nicht mit wenigen Worten führen. So sei auch nur als Möglichkeit angedeutet, daß der Dichter unserer Odyssee in das südliche Ionien, in die Gegend von Samos und Milet, gehört, womit denn die zweite große faßbare Persönlichkeit der griechischen Literatur auch gegenüber dem nordionischen Homer der llias, an den er den Namen verloren hat, eine gewisse biographische Bestimmtheit erhalten würde. Wie bei der llias kommen wir sogleich auf festen Boden, wenn wir die geistige und künstlerische Physiognomie des Odysseedichters zu erfassen suchen. Die oft betonte Gefahr, daß wir ihm zuschreiben, was seinen Vorlägen gehört, ist hier besonders gering: denn nicht nur erweist die Betrachtung des Aufbaus eine einheitliche dichtende Persönlichkeit, sondern es stellt sich auch ihr Denken als so einheitlich heraus, daß wir diesem Dichter — obwohl oder vielleicht auch weil er stofflich und im Ausdruck stark abhängig ist (aber abhängig von der llias, nicht von seinen' Quellen') — das Gedankengut, auf das in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit sich besonders gerichtet hat, mit großer Sicherheit zu eigen geben. Es ist dabei selbstverständlich, daß wir ihn gegen Homer, das heißt gegen die llias abheben, die, wenn nicht das erste, so das maßgebende Vorbild für die gesamte epische Dichtung von Anfang an gewesen ist. Zur llias hat gerade der Odysseedichter in einem ganz besonderen Verhältnis gestanden, in einer bewußten Rivalität, die ich gern als schöpferische Imitation bezeichne. Diese Feststellung ist fundamental, weil sie das Verständnis eröffnet für den Unterschied sowohl der geistigen Artung wie der künstlerischen Leistung, der zwischen dem zweiten großen Epiker und der Masse der Gedichte des troischen Kyklos besteht: der Odysseedichter h a t mit starkem künstlerischen Willen und einer sehr entschiedenen baumeisterlichen Fähigkeit nicht eine Vorgeschichte oder eine Fortsetzung der llias versucht, wie die zum Teil älteren Dichter der Aithiopis, Persis usw., sondern er hat in der Wahl des Stoffes, iin Umfang wie mit dem Grundprinzip des Aufbaus | eine Parallele zur llias zu schaffen versucht — was 162 ihm denn auch, wie der Erfolg lehrt, weitgehend gelungen ist. Davon wäre ausführlicher in einem anderen Zusammenhang zu sprechen, in dem man ein Urteil über die künstlerische Leistung des jüngeren Dichters zu gewinnen sucht. Hier genügt uns der Hintergrund der llias.

2.

Wer von der llias zur Odyssee kommt, tritt in eine andere Welt. Der Unterschied, der den alten Beurteilern nicht entging — ihre Erkenntnis beginnt mit dem aristotelischen Gegensatze des 'pathetischen' Wesens der llias und des 'ethischen der Odyssee, wobei doch noch beide Epen

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gemeinsam zur Tragödie stehen gegenüber dem 'komischen' Margites; später rückt die Odyssee an die Stelle des Margites und wird zum Prototyp der Komödie, wie die Ilias das der Tragödie ist und bleibt —, ist nicht einfach zu fassen, nicht als Gegensatz zwischen heroischer und biotischer (realistischer) Sphäre, obwohl damit etwas Richtiges und Wichtiges gefaßt ist, vielleicht das Wichtigste. Aber (um hier alle Fragen nach der Herkunft und dem ursprünglichen Wesen des Odysseestoffes in seinem Unterschied vom Stoff der Ilias fernzuhalten) mit der Anerkennung der Tatsache als solcher ist nicht zugleich entschieden, ob da ein bewußtes, auf realistische Darstellung gerichtetes und vor allem ein durchgehendes Streben des Odysseedichters sich betätigt oder ob eine Entwicklung sich verstärkt, die bereits in der Ilias kenntlich ist und die sich dort als Konsequenz aus der Antinomie zwischen der Zeit des Stoffes und der Zeit des Dichters darstellt. Konsequenz wie Antinomie selbst sind natürlich in einer Dichtung, die noch von der lebendigen Freude am Stoffe lebt, den sie ganz naiv als einen lebendigen behandelt, weitgehend konservativ, aber ohne ein künstlich archaisierendes Streben. Man nennt dort meist die Thersitesszene des B als Beispiel 'kecker Realistik'; aber das ist nur eine Einzelheit und durchaus nicht der einzige der kühnen Griffe Homers aus der heroischen Welt in die eigene Zeit. Über der ganzen Welt der Ilias liegt und ist besonders kenntlich etwa in der Zeichnung Hektors oder im Massenkampfe der wirklichen Schlacht (&) das, was ich die Polisatmosphäre nenne; sie verbindet sich unlöslich mit dem heroischen Wesen des epischen Stoffes, so unlöslich wie die Waffen des ionischen Hopliten und die Phalanx des Bürgerheeres mit dem Einzelkampf und dem Turmschild der mykenischen Herren, die mit Streitwagen in den Kampf ziehen 163 und | neben denen der leicht bewaffnete Haufe so wenig Kampf wert hat wie im deutschen Ritterheer. Diese Verbindung zu erkennen, bedarf es scharfer Augen; die Auflösung in ihre Elemente ist selten möglich und auch gar nicht wünschenswert. Denn die Genialität des Dichters hat den als alt und doch zugleich als neu empfundenen Stoff, hat alle Elemente, mit denen seine Phantasie arbeitet, mögen sie aus uralten Liedern oder aus dem Leben des Tages stammen, zu einer Einheit zusammengezwungen, die nicht erlaubt, von Anachronismus zu reden, die auch die Frage archaisch oder archaisierend unmöglich macht. Die wissenschaftliche Untersuchung der sogenannten homerischen Kultur erkannte wohl, daß diese Welt, die Welt der Ilias, als Ganzes nie real war, nicht einem bestimmten Jahrhundert zugewiesen, einer abgrenzbaren Periode der griechischen Geschichte gleichgesetzt werden kann; aber der Eindruck beim Leser ist durchaus der, daß er sich mit dem Dichter in einer einheitlichen und reinen Welt mythisch verklärter Vergangenheit bewegt; daß Ereignisse, Dinge, Personen in sich abgeschlossen in einer von der Gegenwart abgetrennten,

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für immer versunkenen Zeit sich abgespielt, bewegt, gelebt haben. Der Formel 'wie jetzt die Menschen sind' (oloi vvv ßgoroi eimv) und der programmatischen Abgrenzung des 'Geschlechtes der Halbgötter' durch den Iliasdichter selbst (M 1 /33) entspricht der Eindruck, den kaum ein Jahrhundert später schon Hesiod von dieser heroischen Welt des ionischen Epos empfangen h a t : um seinetwillen unterbricht er die absteigende Reihe der Weltalter durch 'das gerechtere und bessere Geschlecht der Heroen, die Halbgötter heißen, unsere Vorgänger auf der weiten Erde' und die trotz dieser unmittelbaren Zeitfolge von der Gegenwart des Dichters so weit entfernt sind wie die 'Reichtum spendenden Daimonen' des goldenen und die 'unterirdischen seligen Menschen' des silbernen Weltalters. Die Gesamtatmosphäre der Ilias ist trotz des wesenhaft (nur wesenhaft) historischen Charakters ihres Stoffes als Ganzes keine historische, sondern eine vom Dichter geschaffene und eben darum eine zeitlose, immer neue, ewige. Es ist nun zunächst kein Zweifel, daß der Odysseedichter die Zugehörigkeit seines aus ganz anderer Sphäre stammenden Helden zu dem Kreise dieser versunkenen heroischen Welt besonders energisch betont; von den ersten Worten 'den Mann sage mir, Muse, der . . . Troias heilige Stadt zerstört h a t . . . all die anderen waren zu Hause aus Krieg und Meerfahrt, ihn allein . . .' über die Erzählungen des Nestor und Menelaos (y ö), der selbst einmal in jene elysischen Felder kommen wird, in denen | bei Hesiod ein Teil dieser 'Halbgötter' dauernd fortlebt, zu dem Zu- 164 sammentreffen des Odysseus mit den alten Kriegsgefährten im Hades (k) und der Hadesfahrt der erschlagenen Freier, denen da unten zuerst Achilleus, Patroklos, Antilochos, Aias und Agamemnon 'samt allen, die mit ihm in Aigisthos' Haus den Tod gefunden hatten' begegnen (co 1 bis 204), läuft eine Linie einheitlicher Gestaltung, mit der der Dichter den Hintergrund umrahmt, von dem sich seine eigene Erzählung abheben soll. Es liegt ihm daran, die 'Heimkehr des Odysseus' als einen Teil jenes großen heroischen Kampfes um Troia erscheinen zu lassen, den Homer aus Stammesgeschichten zum nationalen Epos des ganzen griechischen Volkes gemacht h a t t e ; seinen Helden mit dem ganzen Schimmer jener mythischen Vergangenheit zu umkleiden und ihn so aus der Welt des Tages und — das sollte man neben der oft betonten Realistik nicht vergessen—, aus der niederen oder doch als nieder empfundenen Welt des Märchens, der Novelle und der Volkserzählung in eine höhere Sphäre zu rücken. Gelungen ist das nicht, konnte nicht vollständig gelingen; die Einheit der Atmosphäre, die in der Ilias herrscht, war nicht zu erreichen (oder doch nur in einer ganz anderen Richtung), weil der Stoff sich widersetzte. Der Dichter ist Herr des Stoffes, aber der Stoff zwingt auch den Dichter. Heldenkämpfe und Krieg auf der einen, Märchen, Novelle, See-

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fahrergesch.ich.ten auf der anderen Seite — es war unmöglich, daß diese wesenhaft verschiedenen Stoffe, mochten sie auch alle mit dem gleichen Namen Odysseus sich verbinden, eine gleiche Atmosphäre erzeugten. Der Iliasdichter hatte Odysseus in seine heroische Welt aufnehmen können, weil er eben nur die Person und den berühmten Namen aufnahm, ihn mit der ihm eigenen Energie den kämpfenden Heroen anglich, sein eigentliches Wesen änderte und die mit dem berühmten Namen bei den Ioniern verbundenen Erlebnisse im Dunkel ließ. Der Odysseedichter, dessen Stoff gerade diese Erlebnisse waren, konnte seinen Helden nicht einfach aus der Ilias übernehmen, sondern mußte auf die ältere Gestalt des irrenden Abenteurers zurückgreifen. Es ist das gerade da deutlich, wo er Odysseus als 'Heros' in der Sphäre des Kampfes zeigt. Die Zerstörung der Kikonenstadt (¿39—61), mit der die Irrfahrten beginnen, ist kein Heroenkampf im Sinn und Stil der Ilias, sondern eine Szene aus dem Piratenleben der Kolonisationszeit; und es war ein schwerer Mißgriff, wenn man von hier das Beiwort 'Städtezerstörer' erklären wollte, mit dem schon die Ilias einmal {B 278; das K gehört einem jüngereren Dichter) den Odysseus 165 auszeichnet. Der wirklich ins [ Heroische transponierte Kampf aber mit den Freiern (%) steht in der Odyssee nicht nur singulär, sondern sein Dichter vermochte, richtiger er wollte den alten Bogenkampf der Novelle nicht aufgeben und ließ lieber die 'Unwahrscheinlichkeit' einer Rüstungsszene mitten im Kampfe (^99ff.) zu, um seinem Helden die heroischen Waffen der Ilias geben zu können, die sein eigenes Streben nach Heroisierung der Atmosphäre (nicht das Publikum oder der "Geist der Zeit') forderte. Endlich die Fortsetzung des Freierkampfes (co 412ff.) wird nicht nur gleich im Anfang abgebrochen, sie tritt auch als Ganzes viel näher an die Volksversammlung des ß, deren Redner hier wieder erscheinen. Ich darf nicht auf das einzelne der Durchführung eingehen; aber es sei doch selbst die relative an diesen Kampfszenen geübte Kritik zurückgewiesen; der Erklärer des letzten Buches sollte vielmehr anerkennen, wie bedachtsam dieser Dichter auf eine schematische 'homerische' Schlacht verziehtet hat. Ein Blick auf die Telegonie — das zur Fortsetzung der Odyssee geschaffene, nicht unwesentlich jüngere Gedicht — dürfte das Verständnis für die künstlerische Leistung eröffnen, die in dieser Beschränkung liegt. Noch nach zwei Seiten ist dieser Ausgang der Odyssee aufklärend für das Wesen von Dichtung und Dichter. Der märchenhafte und novellistische Stoff erzwingt den glücklichen Ausgang der Odyssee, jenes 'er bekam die Frau und das Königreich' des Gygesmärchens, das hier in der gleichen Folge begegnet: in der Erzählung des Dichters von der Wiedervereinigung der Gatten 'die kamen froh zur Stätte des alten Ehebettes' (ip 295/6) und in den abschließenden Worten des höchsten Gottes über die Zu-

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stände in Ithaka (CD 478ff.) 'ich will dir sagen, was sich gehört: nachdem Odysseus Rache genommen hat an den Freiern, soll er immer König bleiben; wir wollen den Mord an Kindern und Brüdern vergessen lassen; sie sollen einander freundlich sein, wie früher; Wohlstand und Friede soll im Überfluß sein'. Soviel in der Odyssee von den 'Leiden' ihres 'vielduldenden' Helden die Rede ist, soviel sie von Sehnsucht, Irrfahrten, Kämpfen erzählt — das meiste ist retrospektiv, die Irrfahrten ganz im Stile der fast behaglichen Rückerinnerung des 'am Feuer soll man dergleichen erzählen, im Winter auf weichem Polster, wenn man süßen Wein trinkt und Zuckererbsen dazu knabbert: wer und woher bist du? wie alt warst du, als der Meder einbrach?' Es fehlt durchaus die tieftragische Grundhaltung der Ilias, die wohl dem echten heroischen Epos überhaupt eignet; es fehlt die rauhe Freude der alten Heldenzeit an Tod und Untergang | von Männern und Völkern, die in der Darstellung des späteren Dichters 166 den tragischen Charakter eines düsteren Verhängnisses erhält, das über der Menschenwelt liegt und den Hörer mit jener Stimmung füllt, die Aristoteles als das Eigentliche auch an der Tragödie empfindet. Es liegt ein tiefer Sinn in jener alten Zusammenstellung von Ilias und Tragödie, Odyssee und Komödie. Die beiden Epen befriedigen, jedes für sich, zwei Urtriebe des Menschen, deren Erfüllung er vom Erzähler oder Dichter verlangt. Dies das eine. Das andere: die Stellung der heroisierten Kämpfe, die quantitativ kaum ins Gewicht fallen, am Schluß und so als Gipfel des ganzen Gedichtes von der 'Heimkehr des Odysseus' zeigt deutlich, wie entscheidenden Wert der Odysseedichter auch hier auf die Transponierung seines Helden in die höhere, von der Ilias in klassischer Vollendung geschaffene Sphäre einer idealisierten Heroenwelt legt. Wenn gesagt werden mußte, daß diese Transponierung nicht ganz gelungen ist und nicht ganz gelingen konnte, weil der Stoff sich ihr widersetzte, so ist damit nicht zugleich gesagt, daß nun etwa die Odyssee ein anorganisches Gemisch verschiedener Sphären darstellte. Es ist ja gewiß richtig, daß die Sphäre der in einer Märchenwelt spielenden, ursprünglich mindestens teilweise mythischen Abenteuer immer etwas behält, was nicht völlig in das Leben des Alltags eingeht; aber — anders und doch im letzten Grunde der Art gleich, mit der die Ilias den Stoff einer versunkenen Zeit als einen lebendigen behandelt — weiß auch hier die Kunst des Dichters ein Auseinanderfallen zu verhüten: indem er den Hauptbestandteil jener Abenteuer in die Form der rückerinnernden Selbsterzählung goß, machte er sie zwar nicht real im gewöhnlichen Sinne, wohl aber in jenem höheren, der wieder einer allgemein menschlichen Eigenschaft entgegenkommt, der reinen Freude an der Erzählung wunderbarer Dinge von fernen Ländern und Völkern. Dadurch, daß die Wunder nicht vom Dichter seinen Hörern, sondern von Odysseus den Phaiaken erzählt werden, tritt eine im tiefsten Wesen aller 8

Jacoby, Kleine Schriften I

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erzählenden Kunst begründete Verschiebung ein, die die Frage nach dem Wahrheitsgehalt nicht aufkommen läßt und die erzählten Dinge, obwohl sie an sich von der gewöhnlichen Realität entfernter, 'weniger wahrscheinlich' sind als die Heroenkämpfe der Ilias, in die Sphäre der künstlerischen Realität rückt: nicht die griechischen Hörer und Leser seiner Zeit, die Phaiaken sind das ideale Publikum des Dichters, der von Menschenfressern und Zauberinnen, von der schwimmenden Insel und 167 dem Herrn | der Winde erzählt, speciosa miracula promit Antiphaten Scyllamque et cum Cyclope Charybdin. Dieser große künstlerische Griff der Ich-Erzählung im Epos — bei dem es in diesem Stadium der Frage gar nicht mehr darauf ankommt, ob er in Lied, Kleinepos, prosaischer Erzählung oder wo sonst immer gegeben oder vorgebildet war — ist viel bedeutsamer als die nicht völlig durchgeführte Vermenschlichung der Phaiaken, ihre Umwandlung aus einem mythisch-märchenhaften in ein realgezeichnetes Volk mit einer menschlich gegründeten Stadt, mit politischen Einrichtungen und einer Verfassung. Aber wichtig ist auch das. Denn es führt auf die eigentliche Gesamtatmosphäre, die die Odyssee hat und die durchaus als eine Schöpfung unseres Odysseedichters gelten muß: er hat seinen Stoff nicht durchheroisiert (das konnte er nicht); er hat eher das Gegenteil getan, er hat ihn durchpolitisiert. Das war nur möglich, wenn auch er ihn als einen lebenden begriff und behandelte. Denn so konnte er die inzwischen episch gewordene Gestalt des Odysseus in einer Richtung entwickeln, die von Anfang an in ihr lag und die sich mit der älteren Figur des Märchen- und Novellenhelden, des Abenteurers besser vertrug als die Heroisierung. Was für Homer, der den ionischen Odysseus in den Kreis der achaiischen Helden vor Troia einführte, kaum in leisen Andeutungen brauchbar war, die Reiseabenteuer und das uralte Motiv der Heimkehr des totgeglaubten Gatten, das hat der Odysseedichter eingebettet in eine Handlung, die viel stärker im Lichte des Tages, in der Sphäre eines ionischen Gemeinwesens der Gegenwart spielt. Selbst rein quantitativ überwiegt jetzt durch den Vorsatz der Telemachbücher (a— wie der Hymnos 214 sagt', den Interpreten von P nicht beirren darf. Ohne die von W I L A M O W I T Z berührte Sachfrage zu entscheiden — in P tritt von 221 an als Ziel des Apollonweges das rev^aadm vrjöv re aal äkaea SevÖQijei>ra ein und bleibt zentral im Denken und Erzählen des Dichters; es ist ihm eine Einheit, der 'Orakeltempel' (247/53, 287/93 u. weitere). Für die 11*

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Der homerische Apollonhymnos

gibt als Resultat der Überlegung tzcös t äq a vfivrjcra). Man muß sich die ganze vorhergehende Reihe ergänzen und kann es, da die Konstatierung 703 | 20/1 ndvrrjt, yaQ rot 0otße vo/j,oi ßeßhjar' äoiöfjg xrX. durch 22/4 gewissermaßen begründet wird (an jeden der Kultorte knüpft sich eine Geschichte, von jedem kann man singen); oder man muß annehmen, daß der Dichter gleich beim ersten Thema innehält, weil es eben das erste ist, was man von Apollon erzählen kann — rj OJ? To jiqüjzov.57) Die Propositio erweist sich zweitens als Einheit durch die strophische Form oder — wie man um der natürlich auch auf die Hymnen angewendeten, hier besonders schrecklichen Strophentheorien willen besser sagt — durch den gleichgewichtigen Bau, den wir in anderen bedeutsamen Teilen des Hymnos, auch bei Hesiod und überhaupt vielfach finden. Sie zerfällt nach der Frage (19) in zwei Teile von je 5 Versen (20—24; 25—29), deren erster ganz allgemein gehalten eben jene wählende zweifelnde Frage begründet 58 ), während der zweite (unter Festhaltung der fragenden Form) das gewählte Thema heraushebt, also im eigentlichen Sinne Propositio ist. Damit entfallen ohne weiteres die zahllosen Streichungen in dieser Perikope und die Annahme von Lücken, deren vorgeschlagene Ausfüllungen nicht nur den Aufbau, sondern auch die ganz individuelle Kunst dieses Dichters verkennen. 59 ) Denn es ist ja deutlich, daß auch diese Themastellung zweigeteilt ist — rj ojq ae tiq&xov Arjra) rexe . . . ArjXmi ev afMpiQvrrji . . . sv&ev (moQVVfiEVOQ näai dvr]x6iai ävdaaeiQ, Geburt und Leben (Herrschaft) Apollons — und daß ihren zwei Teilen die Zweiteilung des eigentlichen Hymnos genau entspricht. Prioritätsfrage, an der Delos (79/82) besonders viel liegt, hat er kein Interesse oder schiebt sie, falls sie aufgeworfen war, bewußt zurück, weil er mit den delischen Ansprüchen von Anfang an (179/81; unten S. 201 f.) rechnet. 703.1 57) Nicht nur darum ist es mir zweifelhaft, daß 'die Einführung mit fj a>g dieselbe ist wie in dem ff oitj Hesiods' ( W I L A M O W I T Z , IuH. 443). Die Eoien dürften jünger sein als der delische Hymnos, und Aufzählungen der Art hat schon die Ilias. In D kommt es nicht auf die Reihe an, sondern auf die Kühnheit, die sie vermeidet. Die h a t dem Kallimachos (Del. 28FF.; s. auch WILAMOWITZ, I u H .

458) imponiert, und auch Theokrit 17 hat sie frei nachgebildet. Vor BETHES Kritik an den beiden Propositionen (a. O. 9, 16; dazu S. lOf.) stehe ich wieder mit dem Gefühl, daß hier keine Verständigung möglich ist. 703.2 58 ) Daß '20—23 (lies 24) die folgende geographische Partie vorbereiten' (WILAMOWITZ, IuH. 443, 1), trifft wegen 29 und 140/5 (s. unten S. 176f.) so schwerlich zu. Die funktionell andersartige Aufzählung der vv. 30 ff. bedarf auch keiner Vorbereitung. 703.3 59 ) Alles einzelne, was nicht den Aufbau und die Gedankenführung unmittelbar angeht, bleibt auch hier beiseite, selbst wenn es sich um Dinge handelt, wie den Berg v. 25 und die Palme 117, ein 'Widerspruch', der für den ordentlichen Homeriker natürlich Verschiedenheit der Dichter beweist (BETHE 18). Der pythische Redaktor (unten S. 190 f.) hat 17/18 beides zusammengerückt.

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Sobald die Zweiteiligkeit nicht nur des Prooimions (1—29), sondern auch die seines zweiten Teiles (19—29) und in diesem wieder die der Propositio im engeren Sinne (25—29) festgestellt, die enge Verbundenheit der Themaangabe OJQ ae TIQWTOV Arjra) rexs ArjXmi ev äfMpiQvrrji, ev&ev OJIOQVV/¿evog avdaaeiQ erkannt ist, wird der Abschluß mit v. 29 unverkennbar. Das Mißverständnis, das oooovg 30 von ävaaaeig 29 abhängig macht 60 ), kann gegenüber dem gleichgewichtigen Bau der Propositio selbst beim leisen Lesen und nun gar beim lebendigen Vortrag nicht eintreten. Mit der großen Periode 30—46, die wieder für die Art des Dichters lehrreich ist, tritt er in die Behandlung des gewählten | Themas ein. Der Hörer mußte 704 mit sich steigernder Spannung der langen Namenreihe 30—44 folgen, in der nichts zu streichen und wenig einzelnes zu ändern ist, bis das kunstvoll gebaute Distichon 45/6 diese Spannung löste; sein erstes Wort roaaov nimmt oaaovg 30 auf und schließt rahmend die Reihe zusammen. Mit Bedacht weist mdivovaa 'EmqßoXov (an sich auch eine kühne und schöne Verbindung) auf das rexs der Themastellung (25) zurück und ist so weit wie möglich nach vorne gerückt; ist mit dem einzigen Wort ixero angedeutet, was sich der Geburt entgegenstellt, und wird dieses wesentlichste Faktum durch den kurz herangerückten indirekten Fragesatz 46 in seiner Bedeutung herausgestellt. Es ist eigenartig, wirkungsvoll in der Formung, gegen alle epische Weise und viel eher lyrischen Einsätzen vergleichbar, wie wir ohne jede Vorgeschichte sogleich in das kritische Stadium der zu erzählenden Geschichte versetzt werden. Die Kühnheit wäre noch größer, wenn der ganze Vertrag zwischen Leto und Delos Erfindung dieses Dichters wäre 61 ), was sich aber nicht beweisen läßt, da von einer 'Naht' zwischen Vertrag und Geburtsszene keine Rede sein kann. Nur daß diese Behandlung der Vorgeschichte bewußt ist, lehrt der Eingang der Geburtsszene, der den Grund der Irrfahrt nachbringt und auch so die beiden Teile der Erzählung zusammenschließt.62) Der Dichter hat mit bewundernswerter Kunst eine Schwierigkeit überwunden, diefür ihn in der Verschiedenheit der Tradition, in dem Widerstreit des panhellenischen Epos und der Tatsachen des Kultes lag. Gegeben war von der Ilias der Zeussohn Apollon und die einzig rechtmäßige Zeusgattin Hera, gefordert vom Kult die Trias Leto, Apollon, Artemis und die Bedeutung der Gottesmutter. Weder Hera noch Leto konnten unterdrückt werden, und der Weg Hesiods (die Reihe der Zeusehen Th. 886ff.) oder Homers (Reihe der Zeusliebschaften S S l ö f f . , in der die großen Göttinnen Demeter und Leto zwar kulminierend, aber doch neben sterblichen Frauen stehen) war ihm verschlossen. So hat er mit höchster Kühnheit, mit einer genial naiven, aber 60

) Oben S. 162, 52.

) Wilamowitz, IuH. 456f.; unten S. 168, 68.

61 62

) vv. 95—101; unten S. 168ff.

703,4 704.1 704.2

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Der homerische Apollonhymnos

zweifellos bewußten Selbstverständlichkeit die Eingangsszene gezeichnet (die der delphische Dichter 204/6 wieder nachgeahmt hat), in der 5 Arjtoj ob] fxifivs jcaoal Ad rsQmxsQavvcoi, kein anderer Göttername fällt als Apollon, Leto, Zeus, Here unter den dai[iove*) Die Pentaden 91/95 ~ 97/101 fallen ins Ohr wie der Beginn von 91 und 101 mit dem Namen Arjrd) und die Umrahmung der ersten Pentade mit Atjzai 91 ~ "Hgrjg 95. Genannt werden in ihr außerdem vier große Göttinnen in Gruppen zu zweien; die erste im Halbvers 93b Aio'jvr] re'Petr] re, die zweite durch Epitheta erweitert und geschmückt in einem ganzen Vers 94 Ixvalrj re 0i/iig xai äydarovog 72

) WILAMOWITZ,

'AfKpirghr], worauf der abschließende Vers 95 äXXai r' ä&dvarai voacpiv kevxcoAevov "ÜQrjs mit seiner ersten Hälfte schön zusammenfaßt und mit der zweiten wirkungsvoll die einzig fehlende ausnimmt. WILAMOWITZ* ganz auf das Sachliche gestellte Urteil (IuH. 447) 'die Göttinnen hat er sich zusammengesucht; es war nicht leicht, welche zu finden, wir wollen also das Anrecht der einzelnen nicht prüfen' begreife ich auch sachlich nicht recht. Mir scheint hier sachlich und formal alles vollendet; dieser Dichter verlangt unsere Nachsicht nicht.

Der homerische Apollonhymnos

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bestätigt den überlieferungsmäßigen: 96 i s t V a r i a n t e z u 98, s t a m m t — w i e der f a l s c h e P l a t z im T e x t e z e i g t — a u s einer a n d e r e n Überlieferung; ev exeQooi xelvrai xxX. steht zu 136/8 in den Hss. Es wird sich später zeigen, daß alle diese Varianten alt sind. Übrigens | ist dies 709 die einzige Stelle, wo man über das relative Alter der beiden Fassungen diskutieren könnte. Ich denke aber, der nach II. iV521/4 schön umgebildete Zusammenhang 97/9 ist der ursprüngliche und zugleich der bessere: denn 98 motiviert mit dem märchenhaften Zug der goldenen Wolke das Fehlen Eileithyias, ihre 'Unkenntnis' der Vorgänge auf Delos, weit besser als der ganz blasse, wohl mit Berücksichtigung von 110/1 gebildete v. 96. D a s V e r h ä l t n i s v o n 96 : 98 i s t d e m v o n 72 : 73/8 analog. 7S ) Der zweite Teil des Hymnos ist inhaltlich dadurch als Einheit gekennzeichnet, daß Leto verschwindet (ihr Name erscheint nur noch im Liede der Deliaden 159) und an ihre Stelle als Akteur der neugeborene Apollon tritt. Gedankenführung und Aufbau sind, obwohl die Ausgaben fast alle und fast überall falsch absetzen, so klar wie alles in diesem Gedicht. Auch dieser Teil ist wieder zweiteilig (127/39 ~ 140/64). Der eben geborene Gott tut 127—139 vor den staunenden Göttinnen seine ersten Schritte auf dem Boden von Delos 76 ), und die ärmliche Insel 'blüht ganz von Gold wie eine Bergnase von Waldblumen'. E s ist höchste Kunst, wie mit und in den neun echten Versen der Übergang vom Säugling zum Gott in seiner Macht nicht erzählt, sondern leicht angedeutet ist; wie der Dichter wieder eine der größten Schwierigkeiten dieser religiösen Vorstellung überwindet, das göttliche Kind und den furchtbaren Gott zur Einheit verschmilzt; wie er 75

) Danach ist W I L A M O W I T Z ' Bemerkung (IuH. 4 4 7 , 3 ) über v. 9 6 'verfertigt, als die sinnliche Hinderung durch die goldenen Wolken der Göttin nicht mehr würdig schien' leicht zu modifizieren: von dem delphischen Dichter verfertigt, dem usw. 76 ) Das von M A T T H I A E gefundene esti für an6 1 3 3 hat jetzt auch A L L E N akzeptiert. Es heißt nicht 'über die Erde hin' — das steht erst 140ff., deren Formung (unten S. 174f.) die an sich schon unzweifelhafte Tatsache bestätigt, daß 139 Abschluß ist —, sondern 'auf der Erde' (richtig B A U M E I S T E R ) . Das Imperfektum ¿ßißaaxsv stellt uns hier 'das handelnde Subjekt in seiner damaligen Situation vor Augen' ( K Ü H N E R - G E R T H , Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache 2,1, 3. Aufl. Hannover und Leipzig 1898, §383,3; J . W A C K E R N A G E L , Vorlesungen über Syntax, 1. Reihe Basel 1920 [2. Aufl. 1926], 183), ist Tempus der 'lebhaften Vorstellung', wie gerade auch bei Verben des Gehens häufig (W. H Ä V E R S , Handbuch der erklärenden Syntax, Heidelberg 1931, 40f., mit Literatur), nicht etwa de conatu. Eben hat der Gott noch in den Windeln gelegen, jetzt spricht und schreitet er als ein Erwachsener; darüber staunen die Göttinnen, und Delos blüht unter seinen Schritten auf. Dann geht es 140 mit avrog weiter, und wir treten aus der göttlichen Sphäre und der Urzeit in die Menschenwelt und die dauernde Gegenwart.

709,1

709,2

172

Der homerische Apollonhymnos

zentral die Ankündigung seines Geltungsbereiches 'mein soll sein' stellt. 7 7 ) 710 E s wird v o n d e n für die Überlieferung höchst aufschlußreichen | Versen noch gesprochen werden m ü s s e n ; jetzt nur das Äußerliche, ein oder zwei Analogien zu den eben besprochenen Varianten. K e i n Zweifel b e s t e h t über d e n Schluß der Perikope: 133 mg eimbv eßißaaxev ETIL yfiovog evQvodeirjg 0olßog äxEQoexofirjG exarr]ßoXog, ai d' äga näaai 135 däfißeov ä&dvazai, yQvomi 1 g OTE TE QIOV OVQEOS av&eaiv iV.r/Q. nam hic quidem poeta recte sie eecinit, quippe statim alia in laudem Apollinis additurus. interpolator (im HERMANNschen Sinne der jüngere Dichter des zweiten delischen Hymnos) vero, qui illa quae sequuntur . . . omittere debebat, non potuit non intelligere, si florentem Deli statum uno versu describeret, finem hymni nimis ieiunum atque exilem futurum esse, itaque pleniore usus est et graviore peroratione (135/8)'. Aus dem dann wieder ziellosen Hin und Her der Folgezeit ist höchstens zu erwähnen, daß A L L E N - S I K E S über H E R M A N N hinaus in 136/8 auch sprachliche Anstöße fanden (nicht gerade Wesentliches; zu sagen wäre etwa, daß vrjocov rpiEigov re reines Füllsel sind und xa&oQmaa Aiog Arjzovg TE yeve&krjv ~ ytjdoovvrji 8xi XTX. nicht geschickte Doppelung). Wenn sich aber W I L A M O W I T Z , I U H . 449f., gegen H E R M A N N wieder für 136/8 als 'das echte' entschied (ihm folgen B E T H E 21 mit einer flüchtigen Bemerkung, A L T H E I M 437 und B R E U N I N G 64ff. mit dem wichtigen, aber nicht richtig verwendeten — oben S. 153,35 — Hinweis auf Hymn. Demet. 472/3), so rächt es sich, daß er die Überlieferungsgeschichte von D übergangen hat und deshalb Entstehung und Natur der Varianten nicht erkennen konnte. Er verwirft 139 zögernd und ungern, aber er muß 136/8 bevorzugen, weil es 'die Fassung ist, welche Kallimachos (Hymn. Del. 266/74) bezeugt'; und Kallimachos hat ja, wie W I L A M O W I T Z behauptet, den delischen Hymnos ohne die Fortsetzung gelesen. Nun ist das letztere freilich sehr zweifelhaft (oben S. 152f.); aber auch wenn es stimmte, wäre es kein Beweis: Kallimachos kann j a außer D auch A gekannt haben, muß es eigentlich sogar, da A bereits dem Aristophanes bekannt ist (oben S. 153). Aber es ist überhaupt fraglich, ob er die w . 136/38 'bezeugt': das Goldwunder, 'das Kallimachos ausführt, was es doch nicht gut verträgt', steht ja auch, steht sogar allein und daher wirksamer in der kürzeren Fassung 135, 139. Weiter: Kallimachos 267 rjTistQoi TE xai . . . vfjaoi brauchen nicht aus 136/8 zu stammen, sondern können auf 21 anspielen (auch 138 steht wie 21 beim Hymniker der Singular ijneiQoi, bei Kallimachos ijjieißoi; vgl. W I L A M O W I T Z 4 4 9 , 1 ) ; und sie werden es, obwohl W I L A M O W I T Z den Anschluß an 136/8 'deutlich' findet. Denn Kallim. 268 nimmt Bezug auf Hymn. 57/60 und 269b/70 auf 83/88, d. h. der hellenistische Dichter imitiert auch 266/74 nicht e i n e Stelle des alten Hymnos, sondern arbeitet ganz frei. Sollte aber W I L A M O W I T Z trotz allem recht haben, daß Kallimachos 'die Fassung 136/8 bezeugt', so müßten wir etwas anderes schließen, das freilich sehr wichtig wäre. Dann hätte Kallimachos den selbständigen Hymnos D gar nicht und nur den überall gelesenen Hymnos A, den großen Apollonhymnos, gekannt, und wir erhielten einen terminus post quem für die Ausgabe, aus der unser, durch die Varianten aus D vermehrter Text von A (unten S. 194f.) stammt. Das ist an sich gar nicht unglaublich, und vielleicht gibt Kallim. 269/70 akX an ifielo Arffoog 'ATIÖZAOJV xExhrjOETai ein Argument für diese Annahme: denn diese Berücksichtigung der Kultnamen hat in D gar keine Parallele, aber in A eine ganze Reihe, lauter im Aufbau wichtige Stellen: 371/4 ig vvv IJv&rh HDiXrjaxEzai, oi 6e ävaxra Jlv&iov xaksovaiv embvvßov, 385/7 evda d' ävaxrt ndvreg inixArjOiv TsXipovaim Evxsröavrai, 493/6 &$ ifioi Evxea&ai Asfapivlwi xrL

174

Der homerische Apollonhymnos

Es kommt nicht viel darauf an, daß auch der Anfang der Perikope eine Variante aufweist: 127 avxaQ ¿Tieidrj, &oiße, xaxeßgcog ä/ußgorov elÖaQ, ov OE Y hievt LA%ov %QVGEOI axQocpoi duynaiQovxa 129 ovÖ' in diafiax' ¿QVXE72), Xvovxo de Ttelgara ndvra.

128

129 ist neben 128 unnötig; er schafft eine dem Stil des Dichters D fremde, dem Variator (vgl. 136/8) aber zuzutrauende Breite. Auch dem Ausdruck fehlt die Proprietät und die Unbefangenheit von D : das 'goldene Wickelband' steht 122 im Schluß der Geburtsszene nach dem Kleidchen; 127/8 fassen passend knapp und ohne unnötige Variationen die ganze erste Pflege des Neugeborenen (120/6) zusammen; kaum hat er die Götterspeise genossen, 'strampelt' er sich frei und 'spricht sogleich'. Es ist fraglich, ob deo/iaza und neigaxa überhaupt als •ö/j.vicov so eigenartig wie der v. 1 mit ¡ivr¡ao¡xai ovde M&copai 719,3 figurierten Verse 177/8 den Schluß des delischen Hymnos gebildet haben, ist durch den oben S. 158ff. nachgewiesenen Bau der Perikope 165/78 jedem Zweifel entrückt. Die Interpreten haben sie so vernachlässigt wie die Amphibolie des kompositionell ebenso wichtigen Distichons 214/5 (oben S. 163,56). Aber KIRCHHOFF 914 hat ihren Wortlaut richtig erklärt: 'die Schlußworte enthalten nichts weiter als das Versprechen des Sängers, sich für die erbetene Gnade des Gottes . . . durch auch in Zukunft fortgesetzte Preisung desselben im Liede dankbar erweisen zu wollen'; und auch ALLEN-SIKES haben GEMOLLS unbegreifliche Mißdeutung (S. 112 'die Worte bezeichnen die Rückkehr zum Thema nach einer Digression') kurz zurückgewiesen 'the natural meaning will be that Apollo will be the theme of many hymns on other occasions' (1, 17/9 ist doch etwas anders, aber der Hinweis ist berechtigt). Es ist ein ov navaofiat ras Xdqirar; xrk. Aber das Distichon ließ sich umdeuten zu dem Sinne, den z. B. WILAMOWITZ, Pindaros 74, 3, darin gefunden hat: 'der Rest des Hymnos ist nicht selbständig, sondern die Fortsetzung eines talentlosen delphischen Rhapsoden; die vv. 177/8 sprechen das aus'. Das war ein TQÖKIQ S' ov 7ioiv Ajjfco HAQÍ'Qmv W 224. So hat sie der Delpher

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Der homerische Apollonhymnos

längst erkannt ist, die in der durchgehenden Art des Delphers erfolgende Übernahme und zweckentsprechende Variation des delischen Prooimions 1—13; sie bilden das Prooimion des 'delphischen Teiles' mit einer neuen Schilderung der Erscheinung des Gottes im Olymp. 101 ) Das Bild des freudespendenden Musageten (avxixa ö' a&avdzoioi ¡xeXei xiftaQig xat äoidrj 188) steht in gewolltem Gegensatz zu dem furchtbaren Gott des Bogens, ov re fteol xarä d&fia Aiog TQOfieovaiv lovra (2). Der Gegensatz ist so offensichtlich, daß an der bewußten Gestaltung kein Zweifel möglich erscheint. umgedeutet und sie benutzt, um weitere Geschichten von Apollon anzuknüpfen: sie standen in D am Schlüsse des Ganzen, in A am Schlüsse des ersten Teiles (i —138) und ermöglichten das neue Anheben & ava KTX. (nächste Anm.). 720,1 101 ) Auf die vielen Vorwürfe gegen 182—206 und die darauf gegründeten kritischen Operationen kann ich nicht näher eingehen, hoffe aber auch, daß sie sich durch das oben Gesagte von selbst erledigen. Wer die Wahl der Namen in 179/81 und ihre Folge überlegt, erkennt ohne weiteres, daß sie nicht 'Rest einer Aufzählung von Kultorten' sind, 'die sehr viel umfangreicher sein mußte' (WILAMOWITZ, Pindaros 74, 3), sondern die wohl ausgewählte Nennung der Hauptherrschaftsbereiche und -kultorte des Gottes, übrigens nicht etwa (unten S. 203, 136) in der Form des Weges von seiner Heimat Asien über die wichtigste Station Delos zu dem jetzigen Hauptort Delphi-Pytho. Die Form der Anrede ist vom Charakter als neues Prooimion und von 177/8 her (vorige Anm.) verständlich; sie erfolgte ohne Namennennung (darum können 179/81 nie Anfang eines Gedichtes gewesen sein), weil der Name in den unmittelbar vorhergehenden vv. 177/8 stand. Der Übergang in die Erzählung 182 ff., den W I L A M O W I T Z 'unerträglich' findet, erklärt sich von der Vorlage 1 — 13 aus (unten S. 190ff.). Die Nennung von Pytho (formelhaft IIV&UJ TieTgrjeooa 183 wie 390 und in Übereinstimmung mit dieser immer wieder betonten Lage — 269, 282 ff., 520 — ,-die das eigentliche Problem von P ist; unten S. 197), wo der Tempel doch noch nicht besteht und das Apollon erst auf Telphusas R a t wählt (257ff.), ist die wohlbekannte 'Prolepse' des hymnischen Prooimions. Und endlich: im Hymnos A, der 140 — 176 entfernt hatte, rückt die Schilderung des leierspielenden Gottes (beachte die hervorhebende S p e r r u n g elai de dy>eou r)7ieigoto, äip cazofoxrdfievog ßcdeeiv eis o'ivona novrov, noXkov cot rjneiQOV (Od. e 348ff.) — u n d erkennen, daß auch hier ein alter abergläubischer Brauch, das Xv/xara eig äXa yeqeiv, zugrunde liegt. Aber die Riten des naXiv ginreiv und des ßdXXeiv eig novxov sind so verschieden wie die Situationen des Werfenden u n d wie das zeugende oder vielmehr das mütterliche Element. Braucht m a n n u n wirklich noch zu sagen, daß wir einen so flagranten Widerspruch nicht durch unscharfe oder falsche Übersetzung vor sich selbst verstecken oder sonstwie wegharmonisieren dürfen? 3 8 ) Aber er176,2

37

) Diese Rolle der Gaia wenigstens in der Theogonie hat ROBERT (Mélanges Nicole 485) richtig gewürdigt. 177,1 38) „Die abgeschnittenen Glieder wirft er hinter sich ins Meer" SCHOEMANN 112 (ganz wie er 192 — 193 kontaminierend verwischt mit „die zuerst die Insel Kythera betritt, dann aber zu Kypros ans Land steigt"). Ihm folgen J. SCHMIDT, Roschers Lexikon der Mythologie 6, 111, und verbreiternd, was die Vergewaltigung des Textes nur deutlicher macht, ZIEGLER ebd. 5, 1479 „von den auf sie niedergefallenen Blutstropfen der abgeschnittenen firjôea befruchtet, gebiert

Die Geburt der Aphrodite (v. 188—206)

237

klären muß man ihn allerdings; und ich wenigstens sehe nicht, wie das anders möglich ist als durch die Textgeschichte. Nun haben wir ja schon festgestellt, daß der in sich geschlossene, 'hymnisch' aufgebaute Passus über die Aphroditegeburt in der Verwendung des Eros eine Anschauung enthält, die für Hesiod unmöglich ist. Die irdischen Kultorte in dieser Partie, die Einzelangabe der rifiai — d a s s c h l i e ß t s i c h j e t z t a l l e s zu d e m s e h r e i n f a c h e n R e s u l t a t z u s a m m e n , d a ß d i e A p h r o d i t e g e b u r t a l s G a n z e s e i n f r e m d e r Z u s a t z i s t , als dessen Quelle — wenn man den Ausdruck hier der Bequemlichkeit halber gestattet 39 ); für die Sache wird uns der zweite Abschnitt dieser Untersuchungen eine ebenso überraschende wie erfreuliche Parallele | geben — 178 ein Hymnos auf diese Göttin zu betrachten ist. Aber der Interpolator oder Zudichter, wie wir ihn wohl besser nennen, hat ungewöhnlich geschickt gearbeitet. Sein Kunstgriff, mit betontem ¡x-riòsa òè einzusetzen, das überschriftartig wirkt und in Gegensatz zu den Qa^aftiyyeg treten soll, von denen Hesiod erzählte, hat nicht nur die antiken Leser, sondern auch die modernen Philologen über die Unvereinbarkeit der beiden Geburtsgeschichten hinweggetäuscht. Als Grund für die Eindichtung, wenn man das Recht hat, die Angabe eines solchen zu verlangen, genügt zunächst wohl sicherlich die Tatsache, daß ihr Verfasser die Aphrodite in dem hesiodischen Göttersystem vermißte, wie ein anderer Hekate vermißte und sie mit einer wesentlich einfacheren Anknüpfung (v. 411) hineinbrachte. Das Fehlen der Aphrodite ist in der Tat seltsam und dürfte auch dem antiken Leser der Theogonie noch anfälliger gewesen sein als das der Hekate. Wir finden die sonst und gerade auch in kosmogonisch-theogonischer Poesie so bedeutende Göttin nur in der Partie, die echt Hesiodisches kaum noch enthält und die größtenteils ihrem Wesen nach mehr zu den Katalogen als zur Theogonie gehört — hier sowohl als Person (Mutter des Phobos, Deimos und der Harmonia von Ares v. 933/7; 975; Entführerin des Phaethon v. 988/91 40 )) wie häufiger in den formelhaften Wendungen vTtoòfirj&etaa òià XQvaérjv 'AfpQoòirrjv, Te^dela èv (piXóxr\xi noXvygvaao 'AqtQoòirrjg u. ä. (962 ; 980 ; 1005; 1014), die auch von der sicher interpolierten Typhoeusgeschichte (822), den Katalogen (F 93, 1 ; 143, 3) und, aber in originellerer Fassung, Gaia das Zeugungsglied selbst, das Kronos hinter sieh geworfen hat, fällt ins Meer." Und, umgekehrt verschweigend, PRELLER-ROBERT, Griechische Mythologie 1, 4. Aufl. Berlin 1884, 50, „wie er es hinter sich emporschleudert ( ! ), empfängt die Erde die herabfallenden Blutstropfen . . . das Glied selbst aber fällt ins Meer . . . " Andere ähnlich; es ist eben Vulgata geworden. Harmonistische Versuche waren nicht möglich, ehe der Widerspruch erkannt war; ich zweifle nicht, daß wir sie bald begrüßen dürfen. Über Bibl. I 3 s. unten S. 242. 39 ) S. unten S. 180. 177,2 40 ) WILAMOWITZ, Phaethon, Herrn. 18, 1883, 416. 178,1

238

Hesiodstudien zur Theogonie

von den "Eqya (521 ov Jim Hoya idvla JIO1V%QVCSOV 'AqjQodixrjg) verwendet werden. Überall ist sie hier, wie Th. 188 ff. und in den homerischen Hymnen, die Göttin der geschlechtlichen Liebe. Und als solche ist sie auch in die Prometheusgeschichte der "Egya (65—66) eingedrungen, während die ältere Darstellung der Theogonie41) sie nicht kennt, sondern, wenn v. 573 noch dem alten Hesiod gehört (weiter geht er keinesfalls), an ihrer Stelle Athene hat. Um so merkwürdiger, daß sie auch in der vielberedeten ersten Götterreihe des Prooimions (v. 11—21) steht, die ich als Ganzes für echt zu halten geneigt bin. Aber da sich das nur im Zusammenhang behandeln ließe, begnüge ich mich hier mit dem Hinweis, daß v. 16, der Aphrodites 179 Namen enthält, vor den zwei sicher interpolierten | vv. 17 und 19 steht, die der Florentinus D in dieser Folge, d. h. vor v. 18, hat. Eine Erklärung, warum der echte Hesiod Aphrodite nicht in sein System einbezogen hat, kann ich nicht geben. Daß sie sich der Einreihung widersetzte — ihre Genealogie schwankt bekanntlich stark; für Homer ist sie Tochter des Zeus, für Epimenides (3 B 19 D.-Kr.) des Kronos, für unseren Eindichter des Uranos; dazu kommen die zwei homonymen Göttinnen der Orphik (oben S. 222, 8) —, ist keine Erklärung. Solche Schwierigkeiten zu überwinden, war Hesiods Aufgabe. Wohl aber läßt sich die Tatsache der Eindichtung selbst noch begreiflicher machen. Aus der Art, wie im Hekatehymnos 411 ff. Hekate zur Allgöttin gemacht wird — TCOQSV de ol äykaä dcöoa, fioiQav E'/ELV yairjg re Hai äxQvyeroio d-aXdaarjt;' JJ ÖS xal äaregoevroQ cai ovqavov efiftoge ri/ufjg xxl. —, wie ihre Beziehung zu den Menschen betont und der Reihe nach alle Gebiete aufgezählt werden, wo sie hilfreich und machtvoll tätig ist, hat man immer geschlossen, daß der Dichter in einem besonderen, inneren oder äußeren (denn auch das letztere ist denkbar) Verhältnis zu dieser Göttin stand. Dasselbe gilt in bescheidenerem Maße, aber doch unverkennbar, für den Dichter der Aphroditegeburt. Aphrodite ist ihm nicht Allgöttin, mindestens nicht, nachdem er sie mit bewußter Kunst in den Zusammenhang der Theogonie eingeführt hat; aber, worauf wir schon hinwiesen (oben S. 224), es ist auch nicht Aphrodite schlechthin, die er einführt, weil sie fehlte, aus irgendeinem pedantischen Vollständigkeitsbedürfnis, sondern es ist eine lokal genau bestimmte, die Aphrodite von Kythera, der er ihr Recht verschaffen will. Und dieser Aphrodite gibt er doch auch eine besondere Prädikation, die sie heraushebt aus dem Kreise der herrschenden Olympier: e£ ¿QXVG t a t sie als Uranostochter — man sieht, warum er den homerischen Vater nicht brauchen konnte — ihre rifirj und /uoiga; ganz wie es der Hekatedichter, den ich nicht etwa mit dem der Aphroditegeburt gleichsetzen will, zweimal von seiner Göttin sagt (425; 452), nachdem er schon eingangs 178,2

41 )

Darüber in einem späteren Abschnitt dieser Untersuchungen.

Die Geburt der Aphrodite (v. 188—206)

239

(421 ff.) ausdrücklich hervorgehoben hat, daß ihr Recht in die Zeit der Titanen zurückgeht; und wie es der echte Hesiod von seiner Styx ebenfalls ausführlich berichtet hatte (389ff.). 42 ) | 180 Die Eindichtung, die mit so bemerkenswerter Geschicklichkeit und Überlegung in den Kontext der hesiodischen Theogonie gebracht wurde, ist sehr alt; sie gehört, wie die meisten größeren Interpolationen, in das erste Stadium der Textgeschichte. Nicht nur Piaton im Kratylos (406 C) zitiert sie; sie ist auch schon in den orphischen 'IEQOI Xoyoi benutzt. 4 3 ) Mir wenigstens scheint sicher, daß F 125 Kern, dessen wörtliche Anklänge an unseren Passus längst bemerkt sind — firjdea ö' eg neXayog neaev vtpo&ev, äßitpl de Toiai Aevxog emjihhovaiv ekiaaero ndvro&sv ätpQog' ev de TteQmXofievaia toQaia 'Eviavrog exixre TiaQ&evov aidoirjv, rjv örj naMficua' vnedexxo yeivofidvrjv RO TCQÖJTOV O/iov ZrjXog R 'Anart] re —, nicht älter ist als H 1 . Von den beiden Möglichkeiten aber, daß der Orphiker den gleichen Hymnos benutzte wie H 1 , oder daß er von H 1 ausgeht, möchte ich mich mit der gebührenden Vorsicht für die zweite entscheiden. Nicht nur, weil überhaupt fraglich ist, ob H 1 eine solche hymnische' Quelle' hatte — trotz der Übereinstimmungen mit den homerischen Hymnen auf Aphrodite (V; X und besonders VI) machen seine Verse einen recht originalen Eindruck —; sondern aus einem sachlichen Grunde. Während sonst Hören (Hymn. Horn. VI) oder Chariten (II. £ 3 3 8 ; Od. § 364) die eben geborene Aphrodite empfangen und in den Olymp begleiten, wie hier bei H 1 Eros und Himeros, sind doch wohl Zelos und Apate aus den fieiötfjuaTa oder der (piXorrjt; und den e^caiaxai des H 1 entwickelt, wobei zu beachten ist, daß auch H selbst in anderer Umgebung diese Gestalten kennt, Zelos als Sohn der Styx (384), Apate und Philotes als Kinder der Nyx (224). Damit ist die Aphroditegeburt erledigt. Aber ehe wir den Abschnitt der Theogonie, in den ein alter Rhapsode sie eingefügt hat, verlassen, soll er uns noch in einer anderen Richtung den Grund für die Beurteilung unseres Hesiodtextes abstecken, der überall verlangt, daß man sich ernsthaft bemüht, die schwerflüssige und schwerfällige Weise des alten Dichters zu ) In dieser fast terminologischen Bedeutung kommt ef ¿QXVS sonst nicht vor. 179,1 45 und 115 einerseits, 156, 408 und 512 andrerseits sind verschieden. Sicher hesiodisch ist von ihnen nur 156. 4 3 ) Daraus, daß die Theogonie der Bibliothek Aphrodite als Tochter des Zeus und der 180,1 Dione hat (113), ist kein Zeitindiz zu gewinnen; unten S. 242, 47. 42

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Hesiodstudien zur Theogonie

verstehen, statt oberflächlich über wirkliche Schwierigkeiten fortzulesen 181 oder sie gleich mit ge|waltsamen Mitteln anzugreifen, deren Nutzlosigkeit oder Schädlichkeit nur dem sie Anwendenden verborgen bleibt. Die Erweiterung der gewissermaßen parthenogenetischen Nachkommenschaft des Uranos, bei der schließlich doch wieder Gaia die Mutter ist, des sehr merkwürdigen Kreises der Erinyen, Giganten und melischen Nymphen, der hier sachlich nicht behandelt werden kann, der aber deutlich sonst schwer unterzubringende (mindestens Giganten und Nymphen sind im Geschlecht der Nyx 211 ff. unmöglich; die Erinyen hätte man da erwartet), für den Volksglauben, möglicherweise auch in alter Spekulation sehr bedeutsame Gestalten vereinigt — die Erweiterung dieses Kreises durch die allerdings sehr andersartige Aphrodite ist dem Eindichter auch dadurch noch erleichtert, daß ein nachdenkender Leser recht wohl fragen konnte, was denn nun aus den /xrjdea selbst geworden ist. Der Eindichter hat sich diese 'Lücke' in der Erzählung wirklich zunutze gemacht; nicht umsonst steht /¿ijdea. an so betonter Stelle. 44 ) Dem naiven Hörer freilich kommt ein solcher Gedanke nicht. Wenn die auf rituelle Art fortgeworfenen fj/rjdea noch durch das abtropfende Blut ihre Zeugungskraft erwiesen haben, so hatte der Dichter mit Recht gesagt, daß sie ov ri ercooia ex (pvye xsiQog, und niemand fragt nach dem Schicksal des ausgebluteten Fleischlappens. Hesiod selbst am wenigsten. Es liegt gar nicht in seiner Art, in solchen Dingen 'vollständig' zu sein; nicht einmal in wichtigeren, bei denen er zuweilen mehr voraussetzt, als vielleicht gut ist. Ich will hier die Schreckfrage nicht anrühren, woher das Weib in den "Egya den ntöog (94) hat — die Philologen könnten immerhin daran denken, daß auch Epimetheus v. 84 ganz unvermittelt auftritt; daß also, um in unserem Stil zu reden, der Hörer die Theogonie gelesen haben muß, um zu wissen, wer das ist; natürlich ist dieser Stil unpassend und führt gerade hier ganz sicher in die Irre —; wir können bei der Uranosgeschichte bleiben. Hesiod sagt kein Wort davon, daß die Titanen nach der Entmannung des Uranos befreit worden sein müssen und daß Kronos die Herrschaft der Welt übernommen haben muß. Man mag darüber hinwegsehen, weil es eben eine 182 selbstverständliche Folge von Kronos' Tat ist. 45 ) Aber er sagt | auch nicht, 181.1 181.2

44

) Oben S. 237. ) Genau so wenig hat er die Befreiung von Zeus' Geschwistern aus dem Bauche der Kronos erzählt. Wohl aber vermerkt er ausdrücklich die Übernahme der Weltherrschaft durch Zeus v. 881—885. Denn diese Tatsache ist, wie 68—74 beweisen (die Beziehung ist natürlich längst erkannt), das Ziel der Theogonie. Man sieht, daß solche Unvollständigkeit nicht mit Nachlässigkeit identisch ist, sondern auf dem meist ganz richtigen Gefühl beruht, einerseits für das, was unbedingt ausgesprochen werden muß, andrerseits für das, was jeder nachdenkende Hörer oder Leser sich selbst ohne weiteres sagen kann; endlich aber auch für das, was des Erzählens nicht wert ist, für die gleichgültigen Dinge, die nicht weiter sinn-

45

Die Geburt dor Aphrodite (v. 1 8 8 - 2 0 6 )

241

daß ihre Brüder, die Hekatoncheiren, n i c h t befreit wurden, sondern v710 yßovoq evQvodsirjg bleiben, bis Zeus ihrer zum Kampfe gegen die Titanen bedurfte (v. 617£F.). Er rechnet also offenbar damit, daß seine Hörer oder Leser gar nicht mehr an sie denken, nachdem v. 207—210 die Etymologie des Titanennamens aus der T a t des Titanen Kronos entwickelt ist. Er rechnet aber auch damit, daß v. 617 das überschriftartige BQidgewi — nach der durch die Moral der Prometheusgeschichte (613/16) bedingten natürlichen Pause im Vortrag — ihnen die Existenz der Hekatoncheiren wieder ins Gedächtnis ruft und daß auch von ihnen, so gut wie von der Hauptgruppe der Uranoskinder (337—616), etwas erzählt werden muß oder kann. So ermöglicht sich der Dichter, gewissermaßen als Einleitung eines neuen Kapitels des Uranosstammbaums, die spezialisierende Wiederholung der vv. 617—620 mit der Rückbeziehung auf die viel weniger klaren vv. 154ff., von denen gleich noch zu sprechen sein wird. J a noch mehr: Hesiod rechnet offenbar auch damit, daß seine Hörer aus der Rede des befreiten Kottos (v. 655ff.) sich die Motivierungen und inneren Zusammenhänge, die er nicht ausspricht, selbst entnehmen. Die Rede zeigt ja, daß die Hekatoncheiren wirklich von Kronos nicht befreit sind, daß sie das als ein ihnen angetanes Unrecht empfinden und daß sie eben deshalb so bereit sind, Zeus im Kampfe gegen Kronos zu helfen. Ich beabsichtige nun nicht etwa, diese Weise Hesiods zu kritisieren oder mich apologetisch mit denen auseinanderzusetzen, die von dem Dichter „einen entsprechend niedrigen Begriff haben", um ihm | jeden 183 'Lapsus' zuzutrauen. Es genügt mir, ganz einfach und ohne jedes Werturteil festzustellen, daß das Hesiods Weise ist und daß wir, ob es uns leicht oder schwer fällt, versuchen müssen, uns mit ihr abzufinden. Den modernen Philologen fällt das nun sehr schwer. Was Hesiod seinen Hörern ohne weiteres zumutete, das erregt bei ihnen schwersten Anstoß und hat sie zu dem wohl einschneidendsten Eingriff veranlaßt, den die Hesiodkritik in der Theogonie überhaupt gewagt hat. A. M E Y E R 46) — und man kann nicht sagen, daß der mehrfach erhobene Widerspruch ihn überzeugend widerlegt hat — entfernte die vv. 139—153, an denen die sog. Titanomachie hängt. E r t a t das, obwohl der Anschluß von 154ff. an 138 so völlig voll sind, sondern nur die Erzählung zwecklos verbreitern. Mit einer Kritik, die vor 207—210 den Verlust einiger Verse annimmt, braucht man sich also hier so wenig aufzuhalten wie vor 154ff. (vgl. unten S. 244ff.). Hesiod gibt hier keinen Grund, wenigstens nicht ausdrücklich, für Uranos' Verhalten gegen seine Kinder an; aber Kronos' analoge Handlung begründet er 459ff. ausführlich. Man sieht wieder leicht, warum. 46 ) a. O. S. 54ff.; dazu E. SCHWARTZ, Prometheus bei Hesiod, SB Berlin 1915,133,2. 183,1 S. unten S. 244. 16

Jacoby, Kleine Schriften

242

Hesiodstudien zur Theogonie

unmöglich, ist, daß schon damit die Athetese als ein zur Behebung der von den Modernen empfundenen Anstöße unbrauchbares Mittel sich erweist. Aber auch hier kommt es nicht auf die Einzelheiten, mögen sie noch so wichtig sein, an, sondern auf die Berechtigung der angewandten Methode überhaupt. Mir erscheint diese Art der Hesiodkritik unerlaubt und unmöglich, schon weil sie die Textgeschichte wenig oder gar nicht beachtet. Alle die Anstöße, von denen diese Kritik ausgeht, sind ja überhaupt gar nicht modern, sondern sie sind schon im Altertum ganz ebenso empfunden. Das ergibt sich aus der Theogonie, die stark kondensiert Bibl. I l f f . vorliegt. Der Mythograph läßt (§ 1—4) nur die Kyklopen und Hekatoncheiren in den Hades werfen, nicht auch die bei ihm später geborenen Titanen; er läßt andrerseits alle Titanen, nicht nur Kronos, den Uranoa angreifen — was sich, ebenso wie die Bemerkung 'üxeavov %(aqig, als Lösungsversuch einer Schwierigkeit dadurch erweist, daß dann tatsächlich auch in seiner Darstellung nur Kronos etwas tut: oi ös emxtöevrat, xal KQOVOg aaioxe/icbv xä aldola rov nargog elg Rrjv D-dXaaaav axpirjGiv. Der Mythograph berichtet sodann, daß nach der Entmannung die Titanen xovg xe xaxaxaQxaQw&EVxag ävtjyayov ä6eki TaQxaQcoi naliv diqaag xa&elgl-e. Für diese Maßnahme wird kein Grund angegeben; aber der Ausdruck ist offensichtlich so gewählt, daß jetzt auch der kleine, eigentlich doch mehr 184 scheinbare Widerspruch | zwischen Th. 157 navxag duioxQvnxaaxe xal eg SdQÒewv aXcuaiv SrjXol (cf. Kallisthenes, FGrHist 124 F 29). The same, very much abbreviated, in Aristotle-Herakleides, Pol. 23, 1 and Athen. X I I 29 p. 525 C (it is not necessary to discuss here the textual difficulties in the Strabo and Athenaios passages). A detailed discussion on the chronology of Archilochos which did not deal only with the Magnesian affair (misjudged by BLAKEWAY, 50f., who overlooked the xai) is abbreviated by Clem. Alex., Strom. I 131, 17 Sdv&og Sè ó AvSòg TIEQÌ rrjv Vrj óXv/tmdSa ( 7 0 8 / 4 ) — Tè ( 7 2 0 / 1 7 ) — Qdaov èxria&ai, Cbg elvai av[i(pavèg ròv 'AQXIXOXOV fterà rr¡v x r¡8r¡ yvwgí£ea&at óXv/tmáSa (700/696)• pépvrpcai yovv xal (!) rfjg Mayvrfzwv ànwXelag Jtooaipárcog (that means 'recently') yeyevrj/iévrjg. 2iftcovíSr¡g (that is Semonides of Amorgos; see supra, n. 10) ¡xèv orh> xarà 'AQXIXOXOV rjytfoo/iai XTX. Horat. epod. 16, 66 vate me datur fuga. 13.2

I8

Man denke sich ein solches avran eywv ^ytjaoftai in einer Elegie des Tyrtaiosbuches, und man hat den Anlaß, der aus dem Sänger den Strategen machte. ) Für die Beurteilung der literarischen Form dieses Gedichtes und ihrer Vorlagen genüge es hier, auf R-. R E I T Z E N S T E I N , GGA 1904, 952, zu verweisen. Es ist Rede, wie die Elegie (s. noch M. S I E B O U R G , Horaz und die Rhetorik, NJbb. 13, 1910, 274). Ob politische Rede oder kriegerische, macht keinen Unterschied.

A. Zu Tyrtaios

279

schied, daß die Aufforderung an die véoi oder an andere überhaupt fast ohne Ausnahme das Gedicht eröffnet, während die Wir-Form den emphatischen Schluß abgibt, woraus es sich denn auch ohne weiteres erklärt, daß bei sich steigernder Erregung des Redners der Übergang vom Ihrzum Wir-Typus erfolgt, während der umgekehrte Übergang von der erregten Form zu der kühleren beispiellos ist. 19 ) Die Vorbilder für beide Formen bietet wie immer | das Epos. Den emphatischen Abschluß zeigt 15 beispielsweise ganz wie die Salamiselegie die Sarpedonrede M 326/8: Archilochos spricht die noXitai an (F 50 [52]), wie Kallinos die véoi. Auch Solon spricht zu den 'A&rjvaioi (4 [3], 31) und hat die Anrede in dem sogenannten Tyrannengedicht Ei òè nenóv&ars Avyga (F 11 [8]) und in dem neuen ' Yfieig S' rjovxdoavres (Aristot. 'A&. noA. 3, 2 [F 4, 5]) ; immer in sehr erregten Stücken. Sonst hat er, wie es scheint, eine dritte mögliche Form, die Betrachtung, bevorzugt (El. 4 [F 3] 'Hfierißa òè nóAtg). " ) Der Übergang, der oft den Eindruck einer gewissen Höflichkeit macht, vollzieht 14,1 sich leicht, wenn die Rede mit einer rhetorischen Frage beginnt. So in der Poseidonrede S 364/77 ' Agyetoi, xal d' aike fie&lere "Exxoqi vlxrjv IlQiafiCörji; . . . CtAA' äye&\ d>g äv éycò e meo, tiet&w/ue&a ndvreg. àaniòeg Saaai agiarat évi azgazàic ffiè fiéyiarai éaad/ievoi. . . loftsv avrÒQ èydni rjytfaofiai. Vgl. noch £ 4 6 4 / 9 S> vieti Ilgid/ioio . . . è; ri Sri xreivea&ai idaere Xaòv 'A%aioig;... dAA' äyer' ix rpAoißoio aaóaofiev èo&Aòv ezaioov. Für den Übergang vom 'wir' zum 'ihr' bieten einen scheinbaren Beleg die Worte Nestors Z 67/71 ¿5 (plAoi rjgcoeg . . . firf Tig vvv évagcov imßcMoßevoQ neróma&e fiifivéra) . . . dAA' ävSgag xreivwfiev Sbietta òè xai rà ixrjAoi vexgovg äft neòlov ovAijaere redvrjcàTag. Das ist nun zwar — um vom Sinne gar nicht zu reden; es hegt in dem avAijaere allerdings etwas Besonderes, für den Moment sehr Angemessenes, ein 'meinetwegen mögt ihr dann später . . ., wenn euch an der Beute so viel liegt' — auch in der Form anders, als der Übergang in der Elegie vonfrirfiaxco/ievzu ¿5 vioi, aAAà ¡j,d%£ode, schon weil die dritte Person firi Tis fUfivéTco voraufgeht. Aber es ist immerhin interessant, daß Zenodot Anstoß nahm und schrieb 'Tqcóojv äfi neòlov ovXtfoofiev etnea vexgovg', Iva firj ftóvov eis zfjv TtQägiv, àAAà xal eig r° xégòog av/iTtSQiXaußdvoi éavTÒv v ßovXfji ZfivQvrjv etAo/uev AloXida.

Man pflegt nun die ganze ionische Vorgeschichte jetzt auf Artemidoros von Ephesos zurückzuführen41); und gewiß mit Recht. Ihm gehört also auch der Hauptbericht in unserm Paragraphen, der ja seine Herkunft deutlich genug durch das Bestreben verrät, Smyrna als Tochterstadt von 262,1 40) Schöne Ergänzung von Casaubon. 263,1 « ) S. zuletzt R. DAEBRITZ, De Artemidoro Strabonis auctore, Diss. Leipzig 1905,36 f.

B. Zu Mimnermos

307

E p h e s o s zu erweisen. D a s liegt i n der gleichen R i c h t u n g wie die b e t o n t e Vorrangstellung v o n E p h e s o s i n 1 , 3 , i s t aber sachlich noch weniger begründet. D e n n auch w e n n die auf den i n E p h e s o s v o r k o m m e n d e n N a m e n EfivQva* 2 ) g e s t ü t z t e n Ansprüche v o n E p h e s o s älter sein sollten, so ist doch die Version, die Artemidor hier gibt, die A n n a h m e einer uralten ephesischen Gründung S m y r n a s vor der anerkannten aiolischen, sicherlich jung. D i e Verdoppelung der Ionisierung i n der Folge Leleger — | ephesisches A l t s m y r n a — aiolische Okkupation — kolophonisches 264 S m y r n a stellt sich als ein K o m p r o m i ß dar, das m i t d e m f e s t s t e h e n d e n Verhältnis zwischen K o l o p h o n u n d S m y r n a 4 3 ) als m i t einer gegebenen Tatsache rechnet. 4 4 ) V o n d e m Hauptbericht sondert sich ohne weiteres die zweite Einlage, d a s angehängte Zitat aus Mimnermos, das i m m e r A n s t o ß erregt h a t . 4 5 ) 42

) S. noch Steph. Byz. s. v. "Etpeaoç• ¿xaAeiro ôè xal Zdfioçva; Hesych. s.v. At/uovla 263,2 und Safiovia-, Plin. N. h. V 115. 43 ) Herodot. 116 U/ivgvrjv rrjv àno KoXotp&voç xzia&eïaav. 1150. Pausan. V I I 5, 1. 264,1 Vgl. noch Paus. V I I 3, 4 und WILAMOWITZ, SB Berlin 1906, 52, 2. Das Datum, das Paus. V 8, 7 gibt — rglrrji ôè âhipmàôt xal eixoarfji Tivy/xfjç a M a ànéôoaav 'Ovo/iaaroç ôè èvlxrjaev ix H/J,VQVT]Ç awreXovarjç rjôt] rrjvtxaxka èç "Itovaç —, ist wie der Wortlaut und die Formulierung als terminus post quem in Übereinstimmung mit der Umgebung, in der es sich findet, lehren, ein Schluß des Pausanias aus seiner Olympionikenliste. In ihr war Onomastos, ein bekannter Mann, von dem die Regeln über den Faustkampf herrührten (Eusebios, Die Chronik S. 91 Karst), als "Icov üjio H/uvgvrjg bezeichnet. Solche Heimatsangaben hat die Liste des Africanus noch gelegentlich bewahrt: Ol. 132 'der Aitolier aus Amphissa'; Ol. 153 'der Lesbier aus Antissa'. Verschieden davon sind die Zusätze bei homonymen Städten: Ol. 144 'der Salaminier von der Insel Kypros'; Ol. 186 'der Alexandrier aus Troas'. Das meiste ist fortgefallen. Ob es ein genaues Datum überhaupt gab, bleibt fraglich; für Pausanias war es jedenfalls nicht bequem zu finden. Ich schließe aber daraus, daß die Aufnahme Smyrnas in den ionischen Bund vor 688 erfolgt ist. Wie lange Zeit nach der Einnahme durch die (pvyâôeç rcüv Kohxpwvicav (Herod. I 150) sie erfolgte, sagt Pausanias VII 5, 1 nicht. 264,2 44 ) Ein anderer, wohl gleichfalls später Versuch, den ursprünglich ionischen Charakter Smyrnas zu erweisen, ist seine Anknüpfung an den Athener Theseus (vgl. E. ROHDE, Studien zur Chronologie der griechischen Literaturgeschichte, Kleine Schriften 1, Tübingen/Leipzig 1901, 12f.). Ein Theseus ist der Stadtgründer auch in der Herodoteischen Homervita § 2, aber râtv rr/v Kvfirjv xTiaavxmv iv roïç noo'jTotç &£oaaXü)v àno Evfirßov rov 'Aöfirjxov, der die Stadt nach seiner Gattin nennt. Die Nachricht dürfte WILAMOWITZ, Die Ilias und Homer, Berlin 1916, 4 2 0 (s. auch K A R L O T F R I E D M U E L L E R , Geschichte der griechischen Literatur 1, 4 . Aufl. Stuttgart 1882, 69, 4 ) richtiger gewertet haben als R O H D E a. O . 14. Hier hat man einfach die Homonymie benutzt, um die echte Tradition durch den bekannten Namen zu verdrängen. Ich bezweifle, daß einer dieser Versuche, die Aiolier ins Unrecht zu setzen, älter ist als die Neugründung Smyrnas in der frühhellenistischen Zeit. 45 ) K R A M E R hielt nur die Verse für Randnotiz, 'cum parum quadrent ad ea quae 2 6 4 , 3 Strabo ipse tradiderat in proximis'. 20«

308

Zu den älteren griechischen Elegikern

Daß der Text Strabons in Ordnung ist, hat Wilamowitz 4 6 ) freilich gezeigt, nachdem N L E S E die Überlieferung festgestellt hatte. 47 ) Aber in265 haltlich widerstreiten die Verse von der ZfivQvr) | AloMg doch so offenkundig der geschlossenen Beweisführung von dem ursprünglich ionischen Charakter der Stadt, daß Artemidor sie unmöglich zitiert haben kann. Also ist das ein Zusatz, den Strabon an die ursprünglichen deutlichen Schlußworte des Beweises rrjv acpexegav ajieXaßov gehängt hat und der sich allein auf das Verhältnis von Kolophon und Smyrna bezieht. Der Autor, dem er den Beleg entnahm, kannte gewiß nur die kolophonische Ionisierung Smyrnas. Nicht so auffällig und beim oberflächlichen Lesen kaum anstößig ist der erste Zusatz. Aber auch er zerreißt den geschlossenen Zusammenhang des Beweises, daß Smyrna eine alte ephesische Gründung ist. Die These des ganzen Anhanges lautet, daß die Smyrnaeer ovvoixoi rö naXaiöv der Ephesier waren; und sie wird ganz sachgemäß durch den Nachweis begründet, der sich auf ein sorgfältig interpretiertes Zitat aus dem ephesischen Lokaldichter Hipponax stützt, daß ein Teil von Altephesos Efivqva geheißen habe. Das war natürlich der Stadtteil, wo die späteren Smyrnaeer ursprünglich gewohnt hatten. Der Satz, der diesen Nachweis einleitet, nai xonog de rig rfjg 'E b' ÊV&DÔE vfjeç êveixav aoi TE xaxov xai mizQi xai ÜLXOIAI TQWBOOIV und B 352 f. . . . og exeXeve ev ßovkevtriQiov "Icovag ¿XTRJO&at, ro öe elvai ev Tetoi . . . rag de atäag nöXiag oixeofievag firjöev fjoaov vofii£eo&at xazd neQ ei öfj/toi elev gehört hierher.

B. Zu Mimnermos

323

ionischen Aufstand als R a t des Hekataios, der auch an einen erfolgreichen Widerstand gegen die Barbaren nicht mehr glaubte (Herod. V 36), wieder a u f t a u c h t (Herod. V 125), sind in derselben Weise historisch, wie die Ber a t u n g in Samos sechs J a h r z e h n t e später. Sie sind ein Zeichen der Stimmung, die u m 540 so viele der besten Ioner in die Fremde t r i e b : sie verzweifelten an dem Schicksal ihrer Heimat. Der Gedanke, d a ß Ionien den Asiaten gehört, ist in die Blüte geschossen. Dem Mimnermos war er noch etwas Neues. E r erscheint ihm von ferne als ein drohendes Gespenst, dem Widerstand zu leisten er vielleicht noch auffordert, aber in dem d u m p f e n Gefühl, daß dieser Widerstand vergeblich sein wird u n d daß die übermütigen Eroberer sich v e r t r a u t machen müssen m i t dem Schluß des Schicksals, das jetzt die verachteten Asiaten zu ihren Herren m a c h t : EX yaQ 'Ogearao rtcng eaasrai 'Argstöao oder, wie Solon den allgemeinen Satz ethisch formuliert, der dieser Anschauung zugrunde liegt, ov yäg drjv {hrjtolQ vßqioq eqya nekei. Die Versreihe lehrt uns nichts über die bürgerliche Stellung u n d die politischen Überzeugungen des Mimnermos, aber als der Ausdruck einer Stimmung, die damals in Ionien entsteht u n d die, obwohl sie sich stetig wandelt, nicht wieder verschwunden ist, gewinnt sie, wenn ich nicht irre, ein besonderes historisches Interesse. | U n d auch f ü r die E r k e n n t n i s vom 283 Wesen des Dichters ist sie in diesem Falle nicht ganz bedeutungslos. Das politische Schwächegefühl, das sich in dem Gedanken ausdrückt, p a ß t besser zu dem Bilde, das wir uns aus seinen übrigen Dichtungen von dem Menschen Mimnermos machen, als eine prononcierte politische Stellungnahme gegen die herrschende Klasse, mit der m a n sich den berufsmäßigen Auleten 7 0 ) lieber in guten Beziehungen denkt. Auch damals m u ß t e ja der 70

) Daß er das war, wird man glauben, obwohl Strabons (XIV 1, 28) avXrjzrjg ätua 283,1 xai noiTjrijg eXeyeiag nicht viel besagt. Auch Tyrtaios heißt in der Suidasvita ¿XeyuoTioioQ xai avh)rtjq, und den hält man doch gemeinhin für einen Mann von Stand. Dergleichen geht auf die ältere Biographie zurück, deren Schlüsse selten viel Wert haben. Darum kann ich auch auf Hermesianax' Schilderung wenig Wert legen. Die Anrede Solons an den AtyvaioTaörjg, die D I E L S erklärt hat, die aber noch immer mißbraucht wird, Mimnermos aus einem Musikergeschlecht abzuleiten, konnte genügen, ihn zu einem Berufsmusiker zu machen. Dem Glauben Nahrung gab dann, daß man Kompositionen unter Mimnermos' Namen oder doch Noten für den Vortrag seiner Dichtungen besaß, die man natürlich auf den alten Ionier selbst zurückführte; solche Noten kannte Chamaileon (Athen. XIV 620 C; vgl. 632 D): fieA.(oiSrj&rjvai de ov /xovov rä 'O/urjgov, dkXä xai rd 'Haiööov xai 'AQXMXOV xai 75 ) Wir finden die bekannten Verschiedenheiten von der einfachen Übernahme 287,3 epischer Floskeln, der Vereinigung mehrerer zu einer scheinbar neuen, bis zur Um- und Fortbildung von Sinn und Form und zu Neubildungen nach epischer Analogie. Bemerkenswert ist die vielfach knappere Fassung des breiten epischen Ausdrucks und das Zurücktreten der Odyssee gegenüber der Ilias. Das letztere liegt natürlich z. T. am Stoffe, gilt aber f ü r die ganze ältere ionische Elegie. V. 1 : Od. A 562 öd/iaoov dì fiévog xaì àyijvoQa évfióv. II. Y 174 fièeog xaì frvfiòg dyr/vaiQ und Q 42 àyrjvooi dvpuoi (Hex.-Schlüsse) V. 2: II. K124 vvv ó' ipiéo TtQÓxeQog. V. 3: zu ¡jinofiaxiov s. S. 329. II. E 93 mg VJIÒ Tvòdòrji nvxivaì xXovéovxo ipdÀayyeg TQÓCOV . . . , 96 &vvovz' a/x neòlov JIQÒ i&ev xXovéovxa tpàXayyag. V. 4: fioi

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ifojöovog ßiog erwählen oder ihn charakterisieren. Es fehlt uns hier eben das Material, geradeso wie es uns für die Frage nach der Entstehung 96 )

Gern wüßte man, wohin F 17 [14] üaiovag äväqag äycov, Iva xe xAeirdv yevog 298,3 uinvjv gehört. Die Form, die aus dem Schiffskatalog stammt, spricht für ein historisches Gedicht. Der ähnliche Vers des Kallinos [F 4] TQ^geas ävSgag äyojv stand wohl, wie sicher F 4 [3] vvv ö' enl KififieqUov argarog eQxsxai oßQi/uoEQytöv, in dem Gebet an Zeus. Doch läßt sich für Mimnermos auch an eine Elegie mit sagengeschichtlichem Inhalt denken. •') Über das, was wir wissen, an anderer Stelle. Die Frage kann nicht gut getrennt 299,1 werden von den Erotica des Archilochos. Seine Iamben und Epoden sind voll vön persönlicher Erotik, freilich aus einer anderen Sphäre, als die es ist, in der sich wenigstens die ionische Liebesdichtung zu bewegen scheint. Es sind doch Dichtungen ganz eigener Art. Leider ist auch nicht zu entscheiden, ob nur eines dieser Gedichte aus der Zeit des Liebesglückes stammt, ob sie nicht vielmehr sämtlich aggressiver Natur waren. Die Reste der Elegien, die allerdings äußerst spärlich sind, weisen nichts dergleichen auf. Das kann Zufall sein; aber ich bezweifle es. Denn daß für diese Zeit Elegie und Iambos durchaus nicht als gleichwertige und gleichbehandelte Ausdrucksformen empfunden werden, lehrt der Solonische Nachlaß, der bei oft ganz gleichem Inhalt den Unterschied in Stil und Ton deutlich erkennen läßt. Das Gegenteil wäre auch wunderlich. Umgekehrt würde man für Mimnermos gewiß 'kräftige Iamben in archilochischer Art' glauben und Nannos Namen in ihnen suchen. Daß nur Elegisches aus der 'Nanno' zitiert wird, wäre kein Hindernis. Die Ausgabe hätte eben wie die der Solonischen Gedichte beides enthalten. Die Buchteilung, wenn sie bestand (s. unten S. 340 Anm. 106), ist j a doch erst alexandrinisch. Aber es fehlt nun einmal in den Resten jede sichere Spur von Iamben (über eine scheinbare WILAMOWITZ, Sappho und Simonides 1Ö82, 1); und aus Hermesianax' Versen sie mit CRUSIUS ZU erschließen, geht nicht an. 22

Jacoby, Kleine Schriften I

338

Zu den älteren griechischen Elegikern

u n d E x i s t e n z einer erzählenden Elegie m i t mythologischem I n h a l t fehlt, die m a n jetzt u m so eher d e m Mimnermos vindizieren möchte, als erzäh300 lende | Elegien historischen I n h a l t s für i h n feststehen. 9 8 ) Soweit wir sehen, s t e h t die Erotik des Mimnermos d e m Liebeslied noch fern. D a s m a g m a n entwicklungsgeschichtlich erklären oder als einen besonders tückischen Zufall der Überlieferung b e t r a c h t e n . D a s F a k t u m bleibt doch, daß wir auch nicht die Spur eines Ausdrucks persönlicher Liebe i n d e n R e s t e n der Gedichte finden. Wir wissen v o n seiner N a n n o nichts, als w a s H e r m e s i a n a x s a g t " ) u n d w a s der B u c h t i t e l 1 0 0 ) lehrt oder vielmehr nicht lehrt. ' D a ß das Ganze nur novellistische Erfindung ist, 301 vielleicht aus falsch verstandener Überlieferung | kombiniert' 1 0 1 ), bleibt freilich nur Vermutung. Aber ausschließen k a n n m a n diese Möglichkeit 300.1 »8) Auch darüber an anderem Orte. Hier sei nur auf einen bemerkenswerten Gegensatz hingewiesen zwischen den ionischen Elegikern Kallinos und Mimnermos, von denen auch jener möglicherweise schon zu den Berufsdichtern gehörte, auf der einen, den mutterländischen Solon und Tyrtaios auf der anderen Seite. Dort zum mindesten starke Berücksichtigung der Sage, wenn nicht in eigenen Gedichten, so doch in Anspielungen und ausgedehnteren Paradeigmata; hier nichts dergleichen. Das kann nicht Zufall sein. Wie sich Archilochos stellte, ist mit Sicherheit nicht zu sagen. Aber es scheint, daß er zu Tyrtaios-Solon tritt. 300.2 9i ) [F 2, 37 D. 2 ] xaleio fiev Nawovg. Dazu der gleichzeitige Poseidippos, Anth. Pal. 12, 168 [ = P. SCHOTT, Posidippi epigrammata, Diss. Berlin 1905, 66] Nawovg xal Avör]s ¿m%et övo. Bei den Späteren ist sie vergessen; wenn Athenaios X I I I p. 597 A rfjv Mifirdg/iov avXtjTQida Nawa> unter den eyöofot iralgai nennt, so ist das eben aus dem gleich dazu zitierten Hermesianax genommen. Auch hier steht sie neben Lyde, und gerade die Zusammenstellung weckt den Verdacht, daß die ganze Geschichte aus einer einzigen Elegie herausgesponnen ist, die man sich schließlich als Anregerin des Antimacheischen Gedichtes denken könnte. Die Bücher waren jedenfalls so verschieden, wie nur denkbar. Vielleicht wüßten wir Bescheid, wenn Suidas den ßCog des Mimnermos nicht am Schlüsse gekürzt hätte (s. S. 340 Anm. 106). 300.3 10°) Daß dieser Buchtitel hellenistisches Fabrikat ist, nach der AvSrj gegeben auf Grund und infolge der Heraushebung des oder der Nannogedichte, wie wir sie bei Hermesianax und Poseidippos finden, denen nicht am Buch, sondern an einem Frauennamen lag, scheint mir selbstverständlich. Wie W I L A M O W I T Z , Sappho und Simonides 287, zu dem zweiten Teile seines Schlusses 'die Alexandriner haben also die Gedichte des Mimnermos weder zusammengestellt noch den Titel erfunden' gekommen ist, ist mir nicht klar geworden. Textgeschichte der griechischen Lyriker (Berlin 1900, Abh. Ges. Wiss. Gött. N. F. Bd. 4 Nr. 3) 58 urteilt er anders. Der erste Teil ist selbstverständlich. Gelesen worden ist Mimnermos nicht nur in hellenistischer Zeit, für die die von K A I B E L aufgezeigte Benutzung durch den Bhodier Apollonios an hervorragender Stelle sehr wesentlich ist. Auch in Athen ist Eurip. Herakl. 638 doch nicht 'der einzige Beleg für seine Geltung'. Die beginnt mit Solon und reicht bis zu den Theognideern. 3 0 1 , 1 ioi) E . B E T H E , Einleitung in die Altertumswissenschaft hrsg. von G E R C K E - N O R D E N 1 , 2 . Aufl. Leipzig/Berlin 1 9 1 2 , 1 4 5 ( 2 8 8 ) . Die naive Vorstellung, daß Mimnermos' 'dichterisches Talent geweckt oder doch vorzugsweise genährt wurde durch die Liebe zur Nanno', teilt heute wohl schwerlich noch jemand.

339

B. Zu Mimnermos

auch nicht unbedingt; und jedenfalls tut man gut, sich nicht zu weit auf dem entgegengesetzten Wege vorzuwagen. Wer garantiert uns, daß, wenn der Name Nanno einmal oder öfter in den Gedichten vorkam, es in anderer Weise geschah, als wenn Archilochos seine Gedanken über das konventionelle Trauerwesen an Perikles richtet, oder Alkaios, dessen Poesie manche Spuren Archilochischen Einflusses zeigt, seine Trinkerphilosophie an den Namen Bykchis hängt [F 335 Lobel-Page]: ov XQV xaxolai dv/mv E7UtQÉnr¡v. TiQOxóifOfiEV yaQ ovöev áaáfievoi,

c5 Bvx%c

(paQjjiaxov ö'

ägurrov

olvov évsixa/iévoig ¡xe'&vaßrjv. Durch den Namen allein wird die Reflexion doch nicht zum lyrisch gestimmten Liebeslied. Gewiß ist es möglich, daß schon bei Mimnermos diese Reflexionen z. B. über das Alter einmal so persönlich gewendet waren wie etwa bei Anakreon 14 [F 5 D.2] HcpaiQrjc dems fie noQcpvoérji oder in den Elegien F 96 [ F 98 D . 2 ] ovxéri {TICOÄOV)

&Qr¡imr¡g

euuaxQÉfpofjLai. Glaublieh scheint es nicht. Ich wage auch nicht,

in den gut klingenden Namen Pherekles und Hermobios und Hexamyes, die Hermesianax gewiß den Gedichten entnommen hat und die man nicht benutzen darf, um Mimnermos' Leben in einer möglichst niedrigen Stufe sich abspielen zu lassen, mehr zu sehen als freundliche und feindliche Anreden dieser Art. Solche Anreden tragen fast schon den Charakter von Widmungen102), wenn sie auch noch nicht als solche gemeint sind, sondern nur dem Dichter das äußere Recht geben, die Gedanken, die sein Inneres bewegen, auch vor die Öffentlichkeit zu bringen. Nachdem die Form gefunden und anerkannt war, werden diese Anreden seltener.103) Ich bezweifle, daß man auch | nur ein Recht hat, aus solchen Äußerlichkeiten 302 auf die Situation zu schließen, in der der Dichter seine Stücke zuerst vorgetragen hat oder sich vorgetragen denkt. Jedenfalls macht es für das Gedicht keinen Unterschied, ob Archilochos eine Elegie im älteren Typus mit der Anrede beginnt [F 9 D.3] Aiaifiidt],

drj/xov fisv104)

émQQr¡ai{v) ¡xeXeöadvmv

ovdelq av ¡láXa JTO'A/T IfisQÓevra ná&of 102)

Besonders da, wo keine Beziehung des Angesprochenen zum Inhalt des Gedichtes 301,2 zu erkennen ist. Die Formen der Widmung sind von F. STEPHAN, Quomodo poetae Graecorum Romanorumque carmina dedicaverint, Diss. Berlin 1910, namentlich für die älteste Zeit nicht vollständig und, wie mir scheint, auch nicht überall richtig behandelt. 103) Daß sie bei Mimnermos fehlen, wird Zufall der Überlieferung sein. Denn die An- 301,3 rede hat auch er noch. Solon scheint die Namen nur in echter Ansprache zu verwenden, wie an den kyprischen König und an Kritias. Dafür geht diese aber bei ihm schon an den nicht körperlich, sondern nur im Liede Anwesenden. Wenn er in seinem größten Gedicht seine Gedanken in die Form des Gebetes kleidet, so dient das der feierlichen Wirkung. Die Elegie Mvr]ßoavvrji£o/j,evaH i/iol den persönlichen Teil der Vorrede beginnt — und es wird noch zu zeigen sein, daß das 0Öq>L0fj,a eben darin besteht, daß er nicht den eigenen Namen 94,2 9) Ähnlich ist der Abschluß von 129 — 192 durch 183/92 (unten S. 452,287). Jenes umfaßt 5 Distichen, eine Abmessung, die Theognis für größere Stücke liebt: s. noch 27/38 (nach Entfernung der Interpolation) und 43/52. Beliebt ist ferner das Lied von vier Distichen, wo dann der Bau entsprechend anders ist: 19/26; 133/40 (141/42 ist Doppelfassung); und verdoppelt 53—68 (dazu »93/100; *105/112 u. a.). Der Vergleich zeigt die Eigenart der Durchkomposition in 19/26 (S. 375ff.), die nur in 237/54 eine Parallele hat.

Die Gebete

351

zum Siegel macht, sondern den des Geliebten — und mit ev av/ußovXeveiv xoi öeaTwivai, rcöt (pQovriaxrji ¡lexemqoi —

r

98 | ruft doch offensichtlich eine (komisch erfundene) 'Kultdreiheit' an. Darum ist seine Formung unbedingt einheitlich und von der 'Gebetsdreiheit' des Theognis ganz verschieden. Für diese ist gerade die formale Geschlossenheit jedes einzelnen der drei Gebete bezeichnend 17 ), die so vollständig ist, daß scheinbar — ich betone scheinbar — jedes einzelne von ihnen als Vorspruch genügen würde. Erst wenn zwischen den drei formalen Einheiten ein innerer Zusammenhang sich herausstellen sollte, kann von einem einheitlichen Prooimion gesprochen werden. Von diesem Gesichtspunkt aus helfen also Parallelen überhaupt nicht viel. Es gibt aber mindestens eine ganz schlagende, die R E I T Z E N S T E I N schon beigebracht hatte und die F R I E D L A E N D E R , wenn ihm auch ihre symposiastische Sphäre mit den möglichen Konsequenzen unbehaglich war, nicht einfach übergehen durfte*) — die attische Skoliensamm98,1

17

) Insoweit passen die beiden anderen Parallelen (Thesm. 1136ff.; Frösche 371 ff.) etwas besser; wirklich gleichartig sind auch sie nicht. Über die Parabasenlieder jetzt ED. FRAENKEL, Der Zeushymnos im Agamemnon des Aischylos, Philol. 86, 1930, lff. *) [6,16ff. Diehl 2 .]

Die Gebete

355

lung. 18 ) Die beginnt wirklich mit vier in sich geschlossenen Stücken: Gebet an Pallas Athene (oqd-ov xrjvde TioXiv xe xal noXixaq) und ihren Vater Zeus (av xe xal Tiaxrjo); an Demeter und ihre Tochter (^aigerov, EV de xrjvd' äfitpenexov nofav); dann ein kleiner Hymnos, der die Geburt der Letokinder auf Delos erzählt ('Ev ArjXoJi not" entere xexva Aarco xxX.; hier scheint die Ähnlichkeit mit Theognis besonders groß, nur daß dieser mit 0olße ävai v. 5 wenigstens die Form des Anrufs wahrt); endlich und an letzter Stelle — und wieder frappiert die Ähnlichkeit mit dem letzten Stück des theognideischen Götteranrufs (15/8) — Anruf Pans, des Herrn von Arkadien und Gefährten der Bromischen Nymphen, der in besondere Beziehung zum Dichter gesetzt wird (yeMaeiag, co IJdv, in' ¿fia.lt; evcpQooi xalaS' äoidcäg xe%aQr}[ievo£ o /ivfioq, eloazo u. s. f.' Unbegreiflich bleibt sie trotzdem. Theognis ist nach einstimmiger, auf dem eben herangezogenen Selbstzeugnis v. 22f. be- 109 « ) S. die Interpretation der vv. 19—26 unten S. 372ff. 108,1 ) Nirgends wird in den rhapsodischen Prooimien der älteren Zeit so starker Akzent 108,2 auf das Verhältnis des Vortragenden zu dem angerufenen Gott gelegt, wie hier in

47

der Doppelung des Ausdrucks ov nore — djioTcavö/xvog: akX del — äeiaw. Ver-

gleichbar ist allein das Prooimion der Theogonie. 4S ) 1, 1, 1896, 370. Der Widerspruch von K . R O B E R T , Pausanias als Schriftsteller, 108,3 Berlin 1909, 180, 2, nach dem 'die Sagen der Megarer das Gepräge der Altertümlichkeit an der Stirne tragen', geht zu weit; der von KjELLBERG, R E 9, 2590, ist auffallend matt; nichts geben G. F R A Z E R S Pausanias II V (London 1912—1913) und L. H I G H B A R G E R , History and civilisation of ancient Megara, Baltimore 1927, 15. 38. Wie umgekehrt H U D S O N - W I L L I A M S ZU v. 12 und W. S C H M I D , Geschichte der griechischen Literatur 1, 380, 8, dazu gekommen sind, den Kallimachosvers auf Megara zu beziehen, bleibe ununter sucht.

368

Theognis

ruhender Tradition Megarer 4 9 ); megarische Tradition aber ist es n a c h Pausanias 5 0 ), daß Iphigeneia in Megara gestorben sei u n d ein H e r o o n gehabt h a b e ; u n d weiter, daß A g a m e m n o n der Artemis in Megara ein H e i l i g t u m g e s t i f t e t hat, als er K a l c h a s für den Zug gegen Troia warb. D a ß diese vier D a t e n zusammengehören, h a t i m Vorbeigehen — weil i h n Kalchas interessierte, nicht Artemis — E. M A A S S gesagt 5 1 ). Sie k ö n n e n zumal in ihrer Vereinigung nur bedeuten, daß in Pausanias' Quelle Megara die zuerst in den Kyprien 5 2 ) erzählte u n d (nach II. B 303) in Aulis lokalisierte Opferung der A g a m e n o n t o c h t e r Iphigeneia an sich gezogen u n d d a m i t den Anspruch erhoben hat, Ausgangshafen der Fahrt nach Troia gewesen zu sein 5 3 ): die S t i f t u n g eines Artemisheiligtums durch A g a m e m n o n (Theognis, Pausanias) beweist das ebenso unwiderleglich wie sjtkse (Theognis) 5 4 ) u n d die singulare Herbeiholung des K a l c h a s a u s Megara. V o n K a l c h a s sagt die Ilias A 71, daß er mjeaa' rjy^aar' 'A^amv 109.1

49

) Daß nur das nisaeische Megara in Betracht kommt, wird unten S. 395ff. gezeigt. 109.2 50) I 43, 1 Myovai de elvai xai' hpiyeveiag rjQ&ioV amo&aveiv yäg xai zavrrjv iv Meydooiq (andere Traditionen), E/EI Öe naoä MeyaQEvai xai "Adgaarog TI/MIQ' q>aai ÖE OJIOfiaveiv TiaQa aipiai xai rovxov . . . xai 'Agrepiidog ieQov o 'Ayafiifivayv inoirjoev, rjvixa rjk&e KdXxavxa oixovvra iv Msydooig ig "Ifaov enso&ai nelomv. Die Notiz über Adrastos beweist, was des Beweises kaum bedarf, daß Pausanias hier megarischen Historikern folgt (vgl. Dieuchidas, F H G 4, 389, 3 Müller). Sie zerreißt den Zusammenhang der ohnehin lockeren Notizen über Iphigeneia in Megara; Pausanias selbst scheint ihn nicht mehr verstanden zu haben. Aber der Text ist in Ordnung; R O B E R T S Änderungsvorschläge (a. O . 179f.) verderben nur. Auch hat er nicht beachtet, daß Pausanias das Heroon der Iphigenie nicht selbst gesehen hat, sondern nur die Tradition wiedergibt. Offenbar existierte es nicht mehr, wenn es überhaupt je existiert hat (S. 369). Man darf also nicht fragen, 'ob die Heroa der Iphigenie und des Adrastos auf dem Weg zum Prytaneion lagen': höchstens wo Pausanias sie sich dachte (S. 370, 59). 109.3 51) Mythische Kurznamen, Herrn. 23, 1888, 619. 1 0 9 . 4 52) W I L A M O W I T Z , Die beiden Elektren, Herrn. 1 8 , 1 8 8 3 , 2 4 9 ; SB Berlin 1 9 2 5 , 2 3 6 . Die megarische Version ist ersichtlich von den Kyprien abhängig; man braucht, um das zu sehen, nur etwa die brauronische Kultlegende zu vergleichen. Man muß wohl auch erwähnen, daß eine megarische Königstochter Tauropolis hieß (Paus. I 42, 7), woraus man auf Kult der Tauropolos in Megara schließt (O. G R U P P E , Die griechischen Kulte und Mythen in ihren Beziehungen zu den orientalischen Religionen, Leipzig 1887, 125 u. a.). Ob mit Recht? Für S E E L I G E R S (Die Überlieferung der griechischen Heldensage, Meißen 1886, 15) Vermutung, daß 'megarische Seefahrer die Iphigeneiasage in den Pontos gebracht haben', bietet der Artemiskult von Byzanz keine tragfähige Unterlage. 53 109.5 ) Der Widerspruch H I T Z I G - B L Ü M N E R S (nach S E E L I G E R ) 'vielmehr dürfte Pausanias' Quelle die aus dem Skythenland mit dem Bilde der Göttin heimkehrende Iphigeneia für Megara in Anspruch genommen haben' ist sehr unbedacht. 54 109.6 ) 'includes the preparations for the voyage' H U D S O N - W I L L I A M S . Ich sehe nicht, wie das eine Tempelgründung in Megara erklären soll. Es wird doch die Verzögerung der Abfahrt durch Artemis sein.

Die Gebete

369

"Ifaov Eiaoj f j v diä ¡lavxoavvrjv, rrjv oi noqe 0olßog 'AjioAACOV — möglich, daß in einer Erzählung die Fahrt an der Gewinnung gerade dieses Führers hing; das bekannte Motiv ließ sich in der freien Vorgeschichte des Zuges leicht unterbringen —; und mit Megara verbindet ihn der Vollname seines Sohnes Kalchedon, des Eponymen der um 684 gegründeten megarischen Kolonie.55) Wir brauchen hier nicht zu untersuchen, ob die Gleichsetzung des megarischen Kalchas mit dem Seher 'willkürlich und sicher falsch' ist; genug, daß sie den megarischen Anspruch nach unten hin (die obere Grenze geben die Kyprien) in eine Zeit datiert, in der allein solche recht ernsthaft gemeinten Erfindungen und Annexionen möglich sind. Sie j gehört in den Kampf, den die der Ilias unbekannte Stadt um ihre Stellung 110 im panhellenischen Epos führte und der sich ganz gewiß nicht auf die bekannten Aiasverse B 557/8 beschränkte. Wer da von 'frechen Räubereien an der Sage' und dem 'armseligen Megara'56) spricht, beweist nur, daß er die Stellung Megaras in den Jahrhunderten 8 und 7 ebenso verkennt wie die Geschichte der epischen Dichtung im Mutterland. Wir können es ferner den Religions- und Mythistorikern überlassen zu fragen, ob allein die dünne und nicht unbestrittene Verbindung KaXyat; ~ Kal%r]d(x>v die Annexion ermöglichte oder ob der Kult einer "ÄQrefMg ' I c p i y e v e i a auch in Megara57) ein viel stärkeres Argument bot. Wesentlich ist für uns allein, daß die Tempellegende dem Theognis bekannt war: es ist nach unserer Kenntnis der antiken Lokaltradition schlechthin pervers, die Übereinstimmung zwischen ihm und Pausanias anders zu deuten, als daß der Dichter in der Mitte des 6. Jahrhunderts sehr deutlich auf die im 7. Jahrhundert entstandene Legende anspielt, die der Perieget notizenhaft den megarischen Historikern des 4. und 3. Jahrhunderts entnimmt. Vielleicht läßt es sich auch noch erkennen, warum Theognis gerade diese Artemis anruft. Die Göttin wurde in Megara verehrt als Agrotera, zusammen mit Apollon Agreios unterhalb der Akropolis, was die Tempellegende auf Alkathoos zurückführt (Paus. I 41, 3; das ist möglicherweise der Apollon, an den der Dichter von *757/82 denkt); als Soteira seit dem großen Perserkriege (Paus. I 40, 2f.; 44,4; vgl. Theogn. *764; *775); endlich als die von Agamemnon gestiftete (Paus. I 43, 1; Theogn. 11—12). Den Kultnamen nennt Pausanias nicht; und wenn die Epiklesis nicht " ) Hesych. Miles. F I IG 4, 150 [FGrHist 390 F 1, 21]; MAASS a. O.; die sonstige 109,7 Überlieferung bei H. MERLE, Geschichte der Städte Byzantion und Chalkedon von ihrer Gründung bis zum Eingreifen der Römer in die Verhältnisse des Ostens, Diss. Kiel 1916, 9; OBERHUMMER, R E 10, 1555; G. BUSOLT, Handbücher der alten Geschichte 1, 2. Aufl. Gotha 1893, 472, 1. 66

) H I T Z I G - B L U E M N E R a . O. n a c h F I N S L E R .

57

110,1

) Ein 'AOTEßIÖOQ emxhfoiv 'hpiyeveiag ISQOV kennt Pausan. I I 35, 1 in Hermione; 1 1 0 , 2 weiteres über die Göttin Iphigeneia WERNICKE, R E 2, 1357; K J ELLBERG, R E 9, 2588FF.

24

Jacoby, Kleine Schriften I

370

Theognis

Iphigeneia war, können wir ihn nicht erraten. Sicher war es nicht Qrjqocpovrj; denn die megarische •&r]Qoq>6vr] hieß Agrotera. 58 ) Alle drei Kulte sind alt; aber der der Soteira ist doch erst nach Theognis' Zeit gestiftet. Die Bedeutsamkeit der beiden anderen bezeugt die Lage der Kultstätten; denn Agamemnons Stiftung war 'wohl in der Nähe des Prytaneion belegen . 59 ) Für den Megarer mußte der Alkathoostempel das älteste Heiligtum sein; aber die agamemnonische Artemis hatte vor der Agrotera den Vorzug des berühmteren, richtiger des panhellenischen Gründers. Das konnte den Dichter, der — sehr anders als sein jüngerer Landsmann — den panhellenischen Apollon anrief, weil er besonderen Wert darauf legte, 111 überall gelesen zu werden 80 ), locken: seine Artemis ist | zwar die megarische Göttin und konnte als solche in ihrer Bestimmtheit nur von den Landsleuten des Dichters erkannt werden; aber den nicht-megarischen Hörern bot der Name Agamemnon eine Beziehung, die die Prädikation nicht leer erscheinen und die Frage nach dem 'wo' kaum aufkommen ließ. Die megarische Artemis zieht vor einem megarischen Hörerkreis ihren Bruder Apollon nach sich. Sie zwingt uns endgültig, den unmittelbaren Anschluß der Gebete 1—4 und 11 — 14 herzustellen. Der kleine Hymnos 5—10 auf den delischen Apollon, den der abweichende Umfang schon formal verdächtig machte (nur dieser Anstoß ist einer; alles andere wird durch die Parallele der Skolia gedeckt), fällt jetzt auch inhaltlich heraus, weil er den Zusammenhang des megarischen Götterpaares zerreißt. Er tut es freilich nur — und darum hat man die Interpolation so spät entdeckt und wird sie (dessen bin ich gewiß) jetzt, wo sie bewiesen ist, bestreiten — für einen megarischen, d. h. für den ursprünglichen, den ersten Hörerkreis des Theognis. Jeder andere mußte den Beginn mit zwei Gedichten an und auf Phoibos einfach hinnehmen. Er konnte es aber auch, weil das zweite — wieder genügt der Hinweis auf die Skolia — gar keine eigentliche 'Interpolation, wahrscheinlich aus einem delischen Hymnos gel l 0,3

58

) Bei Theognis ist &r]QO(pdvrj dichterisch preisendes Beiwort, wohl eher von der allgemeinen Tätigkeit der Göttin genommen, als von der Iphigeniengeschichte her (&rjo heißt der heilige Hirsch, den Agamemnon tötet, z. B. Soph. El. 572). &7]Qo) NJbb 7, 1904, 237. 114.2 75) Studies in Theognia 1902, 237ff.: natürlich sah IMMISCH, daß aocpi&odai nicht onovda&iv ist und daß schon damit HARRISONS 'when I play the sage at least', 'in my wiser vein' unmöglich wird. Immerhin hatte der Engländer die richtige Empfindung, daß 19—26 den gesuchten Gegensatz nicht boten. 76 114.3 ) HUDSON-WILLIAMS 51, 1; FRIEDLAENDER 576, 3 {¿yd> ptv smihrjoa>, rd 6' enrj ov h^oei). CRUSIUS 624 wollte die 'Unklarheit' dem Dichter zur Last legen; andere sprachen von zusammengeschobenen Fragmenten usw. 114.4 ") F 5 (3). Möglich, daß auch die neuen Sprüche des Epicharm (unten S. 388) mit 12 ff. ravxa dr] 'ywv eiaaxovaag owri&rjjui zäv xiyyav rdvä', oncog efcirji Tis 'EnlxaQftog aorpog ng eybero' xrX. die Theognisverse im Kopf haben. Sie stehen dem Prototypon (bös öe rig eTjieaxe näher, das Theognis mit dem vielen auch sprachlich, aber zu Unrecht, anstößigen näg ng übersteigert hat.

Die Selbstvorstellung des Dichters

375

aber Theognis könnte ihn gemacht haben, wenn v. 21 das hieße, was R E I T Z E N S T E I N will: 'niemand wird meine Verse ändernd schlechter machen'. 78 ) Aber das heißt es nicht; es heißt 'niemand wird das Schlechtere eintauschen wollen, wenn er das Gute zur Hand hat (wenn das Gute da ist)'. Des Dichters Gedanken gehen, ehe er zu der zweiten Hälfte seiner Antithese, dem c Dir will ich Lehren geben' gelangt, einen anderen Weg. Richtiger, sie gehen auf dem einmal eingeschlagenen Wege weiter, gehen ihn bis zu Ende. Die vv. 19/26, die sich an Kyrnos wenden, sprechen | doch noch nicht eigentlich zu ihm wie 27/38 und all die folgenden Lehren; 115 sie sprechen auch nicht von ihm wie die Antithese oder auch das ganze Schlußgedicht 237/54; sie sprechen ausschließlich von dem Dichter Theognis, von seiner Dichtung und von seiner Person. Von hier aus versteht man die Gedankenführung und ihre syntaktische Formung. Wenn Theognis seine Verse siegeln will, so tut er es, weil er Wert auf sein geistiges Eigentum legt; und er legt Wert darauf, weil er seine Verse für gut (ecr&Xov 21) hält. Zum ersten Male, soweit unsere Kenntnis reicht, spricht ein Dichter den Stolz auf seine dichterische Leistung in dieser Form aus. Neu ist aber — immer soweit wir wissen — nur die ausdrückliche Aussprache; denn praktisch dient xal rode &coxvAidea>, dient auch das allerdings etwas spätere fjLvfj/ia röd' 'Innä.Qypro dem gleichen Zweck. Und der Stolz auf die Leistung, der die Nennung des Namens bedingt, ist erst recht älter: al vv 7ta&' 'Haiobov xaXrjv edidagav äoiörjv (Theog. 22); deutlicher noch (weil das hesiodeische Motiv der Beglaubigung bei ihm nicht wirksam ist) in dem m. E. hesiodeisch beeinflußten Hymnos auf den delischen Apollon (169ff.) c5 xovgai, rig 8' vfx/uiv ävrjQ rjdiarog äotöcöv ev&dde izcoAeXrcu xal rdcoi xeQ7iea§e ¡idhoxa; v/uel? d' ev ¡j,ahi neu.rat vnoxQivaa&ai | a de xe üeQOrji exrjxvjjia fMvdrjoai/j,r]v, und in der Formung noch ähnlicher im Eingang des zweiten großen Hauptstückes108) Eoi d' eyoj ea&Xä voecov sgea), fieya vrjme nigarj (286ff.), wo nach Abschluß des oder der grundlegenden Gedanken107) 124.1

Den Aufbau der Erga, der m. E . in den wesentlichen Punkten unerkannt ist, kann ich hier nicht einmal andeutungsweise behandeln und muß auch darauf verzichten, Ähnlichkeit und Unterschied des theognideischen Prooimions von den hesiodischen 'Themastellungen' herauszuheben. Die Formung ist bei Hesiod wesentlich archaischer, auch ungewandter; dazu hatte Theognis den großen Vorteil, daß er die gnomologische Form des Einzelgedichtes — das Einzelgedicht bleibt, auch wenn es Teil einer einheitlichen Gedankenführung ist — auf das Prooimion übertragen und so die Gedanken gleichsam auf die einzelnen Gedichte verteilen konnte, obwohl gerade hier der gedankliche Zusammenhalt sehr eng ist und selbst der formale durch das oben S. 373/4 besprochene fiev — Se hergestellt ist. 124.2 107) Grundlegend ist die jetzt ganz allgemeine, aus der Rechts- und Gerichtssphäre des ersten Teiles herausgehobene Scheidung der zwei Wege, der Gegensatz von ägertj und xaxorjjg, den mit den theognideischen Gegensatzpaaren zu vergleichen lockt (es liegt eine Welt dazwischen); aber nicht minder die Qualifikation des Dichters als Ratgeber. WILAMOWITZ, Hesiodos Erga, Berlin 1928, hat die offensichtliche Gedankeneinheit und die Funktion des Abschnittes 286/97 erkannt, auch die notwendige Folgerung für die Wahl zwischen den Varianten von 287 gezogen; verkannt ist (s. bes. S. 132) m. E . der Aufbau des Ganzen.

Themastellung und Widmung

387

der Übergang zur ersten Mahnung 'AXXä av y rjfiezeQt]G fiefivrjfievog aiev ¿(perfifjQ egyaCev, IJegat] (298f.) in einer Weise erfolgt, m i t der der theognideische Abschluß ravra [la&cbv aya&olaiv o/ziÄee trotz der durch das Einzelgedicht veränderten Formungsweise in unverkennbarem Zusammenhang steht. Daß dieser Zusammenhang ein direkter ist, möchte ich nicht b e h a u p t e n : ich finde, wie schon gesagt 1 0 8 ), beim echten Theognis nirgends sichere Kenntnis Hesiods; die zwischen den beiden stehende gnomologische Literatur ist bis auf dürftigste Fetzen verloren u n d das bei Theognis offenbar schon technisch gebrauchte vno&rjao/j,ai, das die Erga nicht kennen, t a u c h t erst in den pseudohesiodischen XiOCOVOQ ' Ynodfjxai auf. 1 0 9 ) Die 'Themastellung' u m f a ß t die ganze Perikope. Das ist oben aus dem G e s a m t a u f b a u des Prooimions gezeigt; jetzt k a n n aus der Interpretation v o n 19/26 hinzugefügt werden, daß bei einer Sonderstellung von 27—28 die sogenannte 'erste Lebensregel' 29—38 ohne Sphragis sein würde. Weiter | beweisen aus der Betrachtung von 27—38 selbst die bewußten, 125 stichwortartigen Wiederholungen dato rcöv äya&mv 28 — rcöv äya&ü>v eyeo 32 ~ a.ya&olaiv 6/J.iXee 37 und efiadov 28 ~ fiadrjaeai 35 ~ ¡ I O & W V 37 den engen Zusammenhang des Gedankens. 1 1 0 ) Endlich m a g die Typologie des Prooimions beachtet werden: eine Themastellung m u ß jedes Gedicht haben — Mfjviv äside fiea (A 1), "Avöga ¡jtoi SVVSTZE Movaa (a 1), "Ifaov aeidco (Kl. Ilias F l b ) , Ar/firjTQ' rjvxo/nov aefivrjv &eov ägyofi asidstv (Hy. Horn. Cer. 1) und xai ¡i ixe?iOv{F vfivelv fiaxdQMv yevog (Theog. 33), Fl¿Qorji errjTVfia /xvdrjaaifirjv (Erg. 10), u m die zwei H a u p t t y p e n in ihren verschiedenen Gestaltungen herauszugreifen. Beim Epiker geht seit der u n d durch die Ilias das Streben nach Zusammendrängung in kürzester F o r m u n d möglichst im allerersten Vers, dem d a n n eine preisende, spannungserregende Ausführung von o f t beträchtlicher Länge folgen k a n n ; Hesiod beschränkt sich auf die kurze Angabe u n d stellt sie an oder gegen den Schluß des Prooimions. Theognis steht zwischen ihnen: sein Prooimion l ä u f t auf die Inhaltsangabe aus, erläutert aber gleichsam die aufs äußerste zusammengedrängte, d a r u m auch ganz allgemeine Fassung 27/28 durch die vv. 29/38, die den f ü r die Einzelratschläge grundlegenden Satz 1 1 1 ) ausführen. Das ist genau 108

) Oben S. 363, 37. 124,3 loa) F R I E D L A E N D E R 577f. macht mit Recht darauf aufmerksam, daß vnoörjoo/tai 124,4 zwar an sich vor irgendeiner einzelnen Paraenese stehen kann, tatsächlich aber 'auf 1000 Verse hin nicht vorkommt und überhaupt an keiner Stelle, die notwendig dem Theognis gehören müßte', s. *1007; *1049; vgl. *1235/6 äxovaov ¿¡ubv — £qcö. Ebenso hat die Demonikea 12 einmaliges iyio aoi TzeiQcioo/jai awröficog vnori&ea&ai XTL am Schluß des Prooimions; s. oben S. 349, 7. 110 ) Die mehr bindenden als trennenden Halbverse ravra ftsv oßrcoz la&i 31 und 125,1 ravra fia&cbv äya&olatv ofiiXee 37 treffen nur 29—38. ni ) Oben S. 349. 125,2 25*

388

Theognis

wie in dem eben angeführten Teilprooimion Hesiods, wo das ganz allgemeine eaftXä (286) vor den Einzelratschlägen erst durch die allgemeine Auseinandersetzung rrjv fiev xoi xaxoxrjxa — xrjg d' aQencfjg (287—292) u n t e r b a u t wird. Leider fehlen Prooimien älterer Gnomologien; der neue Prolog der epicharmischen Pv&fiai112) zeigt neben bemerkenswerten Übereinstimmungen ebenso bemerkenswerte Unterschiede. Zunächst solche der F o r m : Epicharm beginnt (wenn es wirklich der Anfang ist) m i t Inhaltsangabe, Zweckbestimmung u n d Betonung des Nutzens relö' eveaxi noXXa xal Tcavrota, xotg %^r\a (Th. 28) entspricht Phokylides F 15 xgrj nald' er' eovxa xaÄä öiddaxeiv eqya. Das ist dann seit Piaton ein wichtiges Kapitel der Pädagogik. 127.3 "')'will', nicht "gibt". Ich zitiere gern eine Note HEUSLERS zu dem alten Sittengedicht der Edda (Thüle 2,121 GENZMER; oben S. 379,88):'mit unbeirrbarer Sicherheit trägt dieser Nordmann seine volkstümliche Weisheit vor. Eine Gesinnung spricht zu uns, die seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn gegangen, die selbstverständlich und triebhaft geworden ist und die noch nichts ahnt von der Erschütterung durch den Glauben des Südens'. Ich vermag natürlich nicht zu prüfen, ob auch die letzten Worte zutreffen. Dann ist es exemplum e contrario. Denn Theognis steht in bewußtem Gegensatz zu einer neuen Gesinnung, besser gegen die Haltung einer neuen Zeit. In der Abwehr und Abneigung gegen sie wird ihm Wesen und Wert der alten Adelsethik bewußt, gelangt er zu ihrer Formulierung. Die Lage Catos ist nicht ganz unähnlich; aber Horazens Vajter oder vielmehr Horaz selbst steht in einem Kampfe theoretisch begründeter und diskutierter 'Ethiken'. Dies nur, damit man die oben gegebenen Beispiele in ihrer Verschiedenheit auffaßt und den Ausdruck 'z. T. analoge gesellschaftliche Verhältnisse' nicht mißversteht. Auf die Demonikosethik und die Diskussion liegt evyevsiag kann hier auch nicht eingegangen werden.

Themastellung und Widmung

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lung ebenso zu lösen beginnt oder bereits stärker gelöst hat, als die Haltung des teilweise in der Defensive stehenden Adels, ovre xax&v yvcbfiag eidoreg ovr' äya&cöv sagt der Dichter von ihnen | (v. 60). Der Ausdruck ist 128 wichtig. 1 1 8 ) Denn natürlich gibt es auch eine Ethik der xaxoi {de/MQ würde der Odysseedichter sagen); und nach der Neuordnung der Rechte erscheint sie ins Politische umgesetzt bei Solon ( F 5) örjficoi fiev ycLQ edoaxa und dfjfiog v /xeyab] övvafiig und damit in dem ganzen Distichon steht genau das Gegenteil von dem, was in 31/2 und 35/6 steht: nicht 'halte Dich an die Edlen', sondern'halte Dich an die,die die Macht haben'. 129 ) Das ist an sich und für Theognis unmöglich: sachlich, weil zu seiner | Zeit die äya&oi eben nicht mehr die Macht haben (soviel ist aus 53/68 sicher, mag der Dichter im Exkurs 56/8 noch so stark übertreiben); und gedanklich, weil 128)

Von den neueren Herausgebern mit R e c h t Piatons und Xenophons öiödgeai vorgezogen, das vom Diskussionsthema ei ötdaxrdv rj ägerrf her eingedrungen ist. Die verschiedenen Konjekturen aus einer Zeit, der in der Textbehandlung omne naturale sordebat, verdienen keine Erwähnung. Den Gedanken von der allgemeinsten Fassung des 'Aöptfrov Myog Skol. 14 an bis zu sehr speziellen Anwendungen ( * 5 6 3 / 6 ; * 1 1 6 5 / 6 ) und in den verschiedenen Abschattungen zu verfolgen, ist wieder Sache des Kommentars. 1 3 0 . 3 1 2 9 ) E t w a s anderes als 'Macht' kann dvvaftig schon wegen des Epithetons nicht heißen: so die 'Vorlage' Solon 5, 3 D., ol ö' etyov övva/uv xal %QIj/uaaiv fjcrav äyrjtol (Ggstz. dfjfios) und die Imitation * 3 7 4 (Zeus xißrpi avrog £%a>v xal fisydXrjv övvafiiv (synon y m auch da xodrog 376). Wünschenswerte Eigenschaft des Einzelnen, die K r a f t das als richtig E r k a n n t e auch auszuführen (vgl. Xenophan. 1, 15 evgaftevovg xä öixaia övvaa&ai jiQijaaecv), ist es im Kyrnosspruch 4 1 1 / 2 ovöevog äv&Q(07tmv xaxicov öoxei elvai IralQOQ, &i yvdi/xt] enerat, Kvgye, xal au dvva/iig. Die modernen Erklärer sagen nichts — FRIEDLAENDER, YIIO&HKAI, Herrn. 48, 1913, 578, läßt in der Paraphrase das Distichon einfach aus — oder Falsches f(5w. von geistiger, zugleich auch politischer Überlegenheit' BUCHHOLZ-PEPPMÜLLER; 'die Stelle ist geschrieben, ehe die Gemeinen die politische Macht errungen hatten' F . CAUER, Parteien und Politiker 1890, 32).

Die Heimat des Kyrnoadichters

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die politische Macht schlechthin ihm, der nicht im Parteikampf" steht, nichts Erstrebenswertes ist; im Gegenteil, das Streben der großen Herren nach Geld und Macht (46) ist oder bringt dem einzelnen xaxàrr)ç (42 ; Verlust des adligen Sinnes) und dem Staate Unheil. E s ist also sicher, daß wir in dem Distichon eine jener nicht ganz seltenen 'Interpolationen' haben, deren Verfasser dem gegebenen Text widersprechen will. 1 3 0 ) Dergleichen pflegt alt zu sein : es überrascht nicht, daß Piaton (Menon 95 D) die Verse schon las; den, der Piaton kennt, auch nicht, daß er über den Halbvers weglas. Aber Musonios ( I I S. 62, 5 Hense) hat die Schwierigkeit empfunden und versucht sie in einer paraphrasierenden Erklärung zu beseitigen : ort, ye fifjv ovx akXovç rcvàç rj rovç âyaêovç avôgaç Aéyei /ueydÀtjv ë'/eiv ôvvafuv TZOOÇ âr&QAMCÛv âxpéXsiav, el ovvecr&ioi xaï avymivoi riç avroîç xal avyxadêÇorto. 6. D I E H E I M A T D E S

KYRNOSDICHTERS

Wir können endlich von der Interpretation des Prooimions zu der Person seines Dichters übergehen und zunächst aus der Interpretation heraus die unendlich viel beredetete Streitfrage nach seiner Heimat hoffentlich endgültig entscheiden. Voraussetzung dafür ist aber einmal — was prinzipiell gewiß heute von niemand bestritten, faktisch aber immer wieder übersehen oder zu umgehen versucht wird —, daß wir uns dabei allein auf das Buch und die Selbstzeugnisse des Dichters stützen, nicht auf Daten der biographischen Tradition, die allein am Buche gemessen werden dürfen, mögen sie noch so alt sein und noch so bedeutende Vertreter haben. Sodann aber müssen wir unbedingt den inneren Widerstand überwinden, den der philologische Sinn immer wieder dem ehrlichen Eingeständnis entgegensetzt, daß eine Frage gar nicht oder wenigstens nicht sicher zu beantworten ist. Das klingt und ist banal, muß aber gesagt werden bei der Art, wie noch und gerade in den neuesten Äußerungen über Theognis gegen diese einfachsten Grundsätze verstoßen wird. Aus dem Allgemeinen ins Besondere übersetzt: wenn das Buch zweifelsfrei bezeugt, daß sein Dichter aus dem mutterländischen (nisaeischen) Megara stammt, und wenn Piaton ebenso unzweideutig sagt, daß Theognis | Bürger des sizilischen (hybläischen) Megara ist; wenn also dem Selbst- 132 130

) Sie stehen im Grunde auf der gleichen Stufe, wie die nicht seltenen Gedicht- 131,1 paare. Antworten, Fortführungen, Variationen und Paraphrasen eines älteren oder zeitgenössischen Gedichtes, über die REITZENSTEIN viel Gutes gesagt hat, wenn er auch im Einzelurteil gerade bei Theognis meist nicht glücklich war. Ob der Verfasser von 33/4 das Distichon 31/2 ersetzen oder in seiner Weise fortsetzen und umbiegen wollte, läßt sich kaum sagen. Das erstere ist 133 — 142 der Fall, wo 141/2 kürzere und spätere Fassung für 135/40 zu sein scheint. Über das Distichon 189/90 unten S. 452, 287.

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Theognis

zeugnls des Dichters alle oder ein Teil der äußeren Zeugnisse widersprechen 1 3 1 ), so m u ß der Widerspruch auch d a n n anerkannt werden, w e n n es nicht gelingt, P i a t o n s Irrtum z u erklären. D e n n nur u m einen wie immer z u erklärenden Irrtum des Zeugen k a n n es sich handeln, w e n n der Widerspruch ein unauflöslicher ist; u n d d a s ist er in diesem Falle. D e r D i c h t e r d e s K y r n o s b u c h e s s t a m m t aus d e m m u t t e r l ä n d i s c h e n Megara. D a s ist die natürliche u n d durch d e n allgemeinen Gebrauch 1 3 2 ) b e s t ä t i g t e D e u t u n g v o n &evyvidog rov MeyaQBCog (22/3): i n der feierlichen, für die ganze griechische W e l t (nävrag xav' äv&Qconovg) b e s t i m m t e n Selbstv o r s t e l l u n g k o n n t e sich ein Sizilier nicht einfach Meyagevg nennen. 1 3 3 ) D i e s e 132.1

m

) Scheinbar ein Teil: aber tatsächlich scheint Piaton der einzige alte 'Zeuge' gewesen zu sein: KarTixoXov&rjaav öi x&i IIMrwvi noXkol sagt Didymos (Harpokr. s. Qioyvig), der das wissen konnte. Daß die megarischen Lokalhistoriker, bei denen man allein unabhängige Überlieferung über ihren Landsmann erwarten könnte, nichts hatten, zeigt die antike Diskussion. Es ist nicht verwunderlich, da Theognis nicht politisch hervorgetreten ist. Sicher auf Piaton — durch das Zwischenstadium der hellenistischen Pinakographie — geht auch die Heimatangabe bei Suidas s. @eoyvig• MeyaQEvg rwv ev ZmeXiai Meyagiaiv zurück. Wenn R E I T Z E N S T E I N 2 7 2 das als 'eine völlig grundlose und abenteuerliche Behauptung' bezeichnet, so hat ihn die Polemik wieder einmal beträchtlich über das Ziel hinausschießen lassen: der Wert der pinakographischen Nachrichten des Suidas (s. unten S. 442 f.), die für die älteren Autoren geradenwegs auf den kallimacheischen Hauptkatalog zurückgehen, ist ganz unabhängig von den biographischen Angaben dieses Katalogs, deren Autorität keine besondere ist ( F . S C H M I D T , Die Pinakes des Kallimachos, in: J A C O B Y S Klass.-Philol. Studien 1, Berlin 1922, 66f.). 132.2 132) Die mutterländischen Megarer heißen in älterer Zeit, wie ganz natürlich, stets nur MeyaQeig. Der in den Scholien, d. h. frühestens bei den hellenistischen Grammatikern, übliche unterscheidende Zusatz Nioaioi findet sich zuerst bei Ephoros, wenn Diodor X I 53, 5 auch in dieser Einzelheit Ephoros ist; sonst erst im ps.theokriteischen Aites 12,27. Zu Unrecht führt man Simonides F 96 a n : das Epigramm beginnt 'EXXddi ml MeyaQevaiv ¿XsvDsqov äfiag äe£eiv iefievoi &avdrov fiolQav ¿öe^d/ie&a. Es ist ziemlich allgemein anerkannt, daß nur dieses Distichon alt ist, alles übrige zeitlich nicht genauer bestimmbare Erweiterung (s. H I L L E R v. G Ä R T R I N G E N , Historische griechische Epigramme, Bonn 1926, 30); aber auch sonst würde der Schluß mit dem alten Stadtnamen äorol de apfii T¿8' (dvögeiag) yioag öfifpaXwi äfiÄexo ö' A'iag eaftlog 'OiAiadrjg afjiaiv aaxacr&aliaig sind für einen Athener eher bedenklich. Man wird sich m i t der mehr empfindungsm ä ß i g e n Feststellung begnügen müssen, daß E recht gut 5. Jahrhundert, sogar frühes, sein k a n n ; u n d daß auch E*, in d e m ein Stück E u e n o s steht, gewiß nicht später als 4. Jahrhundert ist. 2 4 S ) D e n n solche Bücher werden, 167 w e n n sie | überhaupt einschlagen, schnell i m Gebrauch erweitert. U n d eingeschlagen m u ß es haben; sonst wäre es schwerlich erhalten. W e n n Apollon. Rhod. 4, 445 ff. E%exXi "Egcog, fieya nrj/na, ¡ieya ffxvyog äv&gcojzoiaiv, ex oeftev ovko/btevai r' eqideg xxX. auf das Prooimion anspielt — u n d das ist u n d bleibt das einzig Wahrscheinliche 2 4 6 ) —, dann genoß das B u c h OXOIVWV

166.3 243) Pseudo-Theognis Elegie B und die alte Komödie, Philol. 70, 1911,315ff.; obszöne Bedeutung von xQiftri Axistoph. Fried. 965 — E 1249/50 (sie ist an sich im Vergleich cog innog ejzei XQidmv exogia&rjs nicht allzu sicher); arddtov 'als Schnelligkeitsmessung' Frösche 91, Wölk. 430 ~ E* 1305/6. 166.4 2 4 4 ) C R U S I U S , R E 5,2274, nannte das einen' Gebetshymnos, der Theseus und Aias gilt'! 166.5 245) 'Um 400 oder doch nicht lange danach' R E I T Z E N S T E I N 84, für den der Unterschied von E und E* nicht besteht. Seine Argumente — Fehlen aller alexandrinischen Züge, allgemeine Bekanntschaft mit der sententiösen Gelageelegie — würden eine Entstehung noch in aristotelisch-theophrastischer Zeit ermöglichen. Ich weiß überhaupt nicht, wieweit so allgemeine Gründe zur Datierung noch reichen, seitdem wir mehr vom Fortleben der Skolienpoesie wissen. Gegen die Spätdatierung aus sprachlichen Gründen s. H U D S O N W I L L I A M S 6 0 . Andere Argumente, wie der Mangel an Zitaten aus Buch I I , beweisen nichts. Natürlich ist das Buch hinter der reichen päderastischen Epigrammatik der hellenistischen Zeit zurückgetreten. Aber was würde aus Buch I, wenn wir es nach seinem Vorkommen in der Anthologia Palatina usw. beurteilen wollten? 1 6 7 , 1 2 4 6 ) R E I T Z E N S T E I N 8 1 meint mit C O R S E N N , 'daß beide Dichter von einem alten Epiker abhängen'. Wenn er noch Elegiker gesagt hätte! Aber hier scheint wirklich die formale Übereinstimmung für direkten Zusammenhang zu beweisen. Die Paradeigmata von E kann Apollonios natürlich nicht brauchen: er ersetzt Ilios durch die allgemeinen eQiSeg usf., Theseus und Aias noch in der hymnischen Form durch oiog Mrjdeirji orvyeQip' (pfjeaiv efißaAeg ärrjv.

Das Corpus Theognideum und der Theognis des 4. Jahrhunderts

auch in Alexandreia ein gerade vom Standpunkt leicht zu erklärendes Ansehen.

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REITZENSTEINS247)

10. DAS CORPUS T H E O G N I D E U M UND D E R T H E O G N I S D E S 4. J A H R H U N D E R T S Desinit in piscern — was jetzt noch gesagt werden muß, ist leider teils unsicher, teils negativ. Aber es ist notwendig, daß wir uns über die Grenzen und Möglichkeiten unseres Wissens ganz klar werden. Es ließ sich mit einem, wie mir scheint hohen Grade von Sicherheit erkennen, was in 'Th' steckt: zuerst und als Fundament die Bücher KME, verschiedener Zeit und von mehr oder weniger bestimmbaren, jedenfalls durchaus persönlichen Dichtern, die in die griechische Literaturgeschichte gehören; als Ältestes die 'Ynadrjxai des Theognis von Megara an seinen geliebten Kyrnos 2 4 8 ) (K), die uns in ihrer Eigenart besonders gut kenntlich sind und die höchstwahrscheinlich bis fast in die Mitte des 6. Jahrhunderts hinaufgerückt werden müssen; als Ganzes ebenso gut kenntlich das paiderastische Buch E, das zeitlich kaum bestimmbar, aber möglicherweise 100 oder noch mehr Jahre jünger als K ist; dann (zeitlich wohl zwischen beiden) das megarische Buch M aus der Zeit des großen Perserkrieges, wie es scheint ebenfalls 'gnomisch-lehrhafter' Art und im Gefolge von K stehend. M kennen wir bisher am wenigsten, und es verlangt sehr eingehende Arbeit, ehe über seine Art und wie es erweitert ist, geurteilt werden kann. Denn keines der genannten Bücher liegt in 'Th' in seiner ursprünglichen Gestalt vor. Sie sind alle im Gebrauche erweitert (K*? M*; E*), kaum oder nur wenig auseinander, aber aus andern Quellen oder aus dem Leben, d. h. der Dilettantendichtung vor allem wohl der Symposien; sie haben anderen als Grundlage gedient (K für A) oder sind mit anderen zu einer neuen Einheit verbunden (K* und A zu KA?) oder durch Anhänge vermehrt (M* durch X?). Es sind publizierte Bücher, die zu privaten geworden sind (K, M, E); vielleicht ist dann auch einmal wieder das Umgekehrte vorgekommen, daß ein in privatem Gebrauche erweitertes Buch einer neuen Publikation als Grundstock gedient hat (K* für A?). Wir haben neben dem Werke und neben Einzelstücken wirklicher Dichter die Leistungen der Dilettanten; diese von Umdichtungen und oft recht selbstständigen Variationen einer gegebenen Vor|lage bis herunter zur einfachen Über- 168 nähme von Stücken aus älteren Gedichten. Der Unterschied von schriftlicher und mündlicher Tradition wird in diesem deutlichen Hin und Her *") a. O. 84, 1. 167 248) w e n n W I L A M O W I T Z , Sapphound Simonides 283,2, von ihm sagt, daß es 'den 167 Grundstock bildet, weil es das j ü n g s t e war', so ist das gewiß der bekannte Schreibfehler des gegensätzlichen Begriffes.

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Theognis

sinnlos, zu einer jener scheinbar äußerst logischen, in Wahrheit das Verständnis von vornherein verbauenden Dichotomien, mit denen die Schreibtischphilologie das Leben einfangen, meistern und tabellarisieren zu können glaubt. An ihre Stelle muß wieder das Leben vor allem des 5. Jahrhunderts treten mit der Fülle seiner Bedürfnisse, Möglichkeiten, Interessen; mit der größeren Zahl der Kreise und Einzelpersonen, die Träger dieser sich teils deckenden, teils überschneidenden, teils schlechthin widersprechenden Bedürfnisse und Anschauungen sind. Wer diese Bedingungen klar vor Augen hat und daneben stellt, was unsere Sammlung dem unbefangenen Blick an Tatsachen von selbst bietet, der wird nicht verkennen, daß dieser Fülle des Lebens diese Fülle der Bücher wohl entspricht, die lose oder gar nicht verbunden — darüber sogleich — in 'Th' erhalten sind. Er wird eine Konkordanz konstatieren zwischen Ursprungsoder Existenzbedingungen und Tatsachen der Überlieferung, indem er diese Tatsachen bescheiden und geduldig aus der Überlieferung abliest, soweit diese es zuläßt, statt sie in das Prokrustesbett einer Theorie zu spannen, in das der lebendige Leib doch nie paßt. Er wird sich mit der komplexen Lösung als der zu erwartenden auch dann begnügen, wenn sie mehr oder weniger unvollständig bleibt oder in Teilfragen Elemente der Unsicherheit enthält, statt nach einer Formel zu suchen, die das wesenhaft Verschiedene einheitlich erfassen will und das nicht kann, mag sie Schulbuch, Anthologie — wo dann bald wieder ästhetische Interessen, bald patriotische oder gar gelehrte den Impuls geben sollen — oder selbst Kommersbuch heißen249). Denn so außerordentlich klärend und in ihrer Bedeutung für das Verständnis, wie mir scheint, durchaus noch nicht genügend, jedenfalls von zu wenigen gewürdigt RElTZENSTEINs Gelagehypothese ist, so unterliegt doch auch sie in der gegebenen Formulierung dem Grundfehler aller dieser Hypothesen, daß sie ein einfaches Resultat haben will und — was doch gar nicht notwendig ist — anstelle von Tatsachen gleich einen 'Zweck' schiebt, der es 'einfach erklärt, wie die echte Theognissammlung zu einer allgemeinen Sammlung von ekeyela umgestaltet werden konnte' 250). Ich habe oben gesagt, daß wir von der uns in einer Hs. des 10. Jahrhunderts überlieferten Sammlung gleich um fast 1 y2 Jahrtausende zurückspringen. Dazu zwingt die Überlieferung selbst; aber wenn wir so springen müssen, dann müssen wir uns auch klar sein, daß wir damit eine Arbeitshypothese aufstellen, und dürfen nicht in ihr gleich das Resultat vorwegnehmen, indem wir ausgesprochen oder versteckt in 'Th' von vornherein einen erweiterten Theognis oder sonst eine ursprüngliche Einheit sehen, für die wir dann etwa einen 'Redaktor' ein168.1 * » ) Oben S. 417f. 168.2 25 °) Epigramm und Skolion 75; ebenso WILAMOWITZ, Textgeschichte der griechischen Lyriker 58 (unten S. 441).

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schalten 251 ); was übrigens immer noch, besser ist, als die | Arbeit mit dem 169 Gegensatz echt — unecht, der des Sinnes ebenso entbehrt wie der eben zurückgewiesene der mündlichen und schriftlichen Überlieferung. Nun könnte man vielleicht sagen: wenn in der Sammlung des Mutinensis in der aufgezeigten Weise eine Reihe von Büchern des 5. Jahrhunderts und von Erweiterungen vielleicht noch des 4. vereinigt sind; wenn alle Theorien über das Wesen dieser Sammlung sich als einseitig und meist als schlechthin unmöglich erweisen, so verliere die Sammlung als solche alles Interesse und man solle sich mit dem Resultat begnügen, das WlLAMOWlTZ in vielleicht sehr weiser Beschränkung auf Grund von REITZENSTElNs Erkenntnis formuliert hatte: 'Das mannigfach vermehrte und veränderte Buch des Theognis von Megara, das Piaton und Xenophon gekannt haben . . ., ein aus disparaten Stücken zusammengewachsenes V7Zófivrjfia, das einem Athener des 4. Jahrhunderts die rezitative Poesie lieferte, die er beim Weine brauchte'. Ich täte es gern, weil, wie gesagt, der Zwischenraum etwa von Piaton bis zum Mutinensis für uns wirklich fast ganz im Dunkel liegt. Aber eine Tatsache ist doch noch deutlich und zwingt zu einer veränderten Fragestellung, wenn auch die Antwort ganz oder in Teilen unsicher bleibt. Der 'Th' des Mutinensis ist nämlich kein 'zusammengewachsenes' vnó[ivr¡¡xa, sondern ist eine, wie es scheint, ganz mechanische Zusammenschiebung mehrerer Bücher, deren Fugen wenigstens zum Teil noch jetzt kenntlich sind an den Prologen und Epilogen. Das ist ganz klar und kaum bestritten für Buch E ; es ist uns aber ebenso klar geworden für die Bücher A und M, deren Epilog und Prolog mit *753/6 und *757/92 unverkennbar aneinanderstoßen. Nur im Schlußteil des Buches I der Hss. ist keine Abgrenzung mehr möglich, verläuft das Buch M (M*) ins ungewisse; und innerhalb von A ist der Epilog von K (237/54) vielleicht anders zu beurteilen; hier kann ein Zusammenw a c h s e n mehrerer Bücher oder die bewußte Erweiterung des einen stattgehabt haben, die aber in sehr alte Zeit gehört. Da muß denn doch gefragt werden, wie alt diese Zusammenschiebung der selbständigen Bücher ist; ob sie beabsichtigt oder eine Zufälligkeit der Überlieferung ist. Läßt sich etwa doch die Existenz wenigstens der einzelnen Bücher A M ( * ) E noch etwas weiter verfolgen? Etwa auch ihre Schicksale? Sind vielleicht die Titel, die sie einst trugen, im Laufe der Zeit fortgefallen, sagen wir etwa (aber nur beispielsweise) bei der Umschrift in den Kodex; oder auch früher, nachdem absichtlich oder zufällig Verluste im einzelnen ein251

) Wie es HEINEMANN, Theogonidea, Herrn. 34, 1899, 595ff., tut und alle Vertreter 168,3 des Schulbuches (die es wirklich noch immer gibt) und der Anthologie tun müßten. Davon hatte sich R E I T Z E N S T E I N ursprünglich freigehalten — später hat er den gelehrten Sammler des theognideischen Nachlasses eingeführt (oben S. 416f.) —, und W I L A M O W I T Z hat es stets getan.

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Theognis

getreten waren, die die Bücher zu klein für eine eigene Rolle werden ließen? Erklärt sich etwa so der völlig verwirrte Zustand des Schlußteiles von Buch I (denn das Buch A scheint ja äußerlich wenigstens intakt)? Soviel Fragen, so wenig Antworten. Ich kann auch die Untersuchung, die nötig wäre, über das Fortleben des Theognis oder der anderen Bücher — denn mit den paar Zitaten ist es nicht getan — hier nicht geben, sondern muß mich wieder begnügen, andeutend auf einige Tatsachen hinzuweisen, die man etwa unter den Titeln 'Schriftenliste der alexandrinischen Bibliothek' und 'Zitate bei Autoren von Piaton bis Athenaios' (oder auch Stobaios) zusammenfassen kann, ohne damit scharf sondern zu wollen. Es handelt sich da zunächst um den Umfang von 'Th'. Man ist im all170 gemeinen der Ansicht, | daß 'Th' vorhellenistisch ist 262 ). Das ist richtig, wenn man vom Inhalt redet, und bleibt richtig auch dann, wenn G. A. GERHARD253) mit Recht in einer Reihe von Stücken hellenistische Zutaten sieht; denn dann handelt es sich um wenige Gedichte, die der Masse des Älteren gegenüber nicht ins Gewicht fallen. Es wird sehr zweifelhaft, wenn man damit meint, die 'Sammlung' in Buch I des Mutinensis als solche sei vorhellenistisch. Die Sache liegt da gar nicht einfach. Wir haben noch bei Athenaios und Stobaios — und für Stobaios ist längst bewiesen, daß sein Theognis nicht der echte und nicht ein Stück von I, sondern das ganze Buch I ist 254 ) — Gedichte, die nicht in unseren Hss. stehen. Es sind nur vier distichische Stücke 255 ) (1221/6 aus Stob., *1229/30 aus Athenaios), deren Fortfallen in den Hss. man schließlich auf äußere Zufälle zurückführen könnte und nicht schwerer zu nehmen brauchte als die paar etwa vorhandenen hellenistischen Zutaten. Aber es kommt bei der im ganzen geringen äußerlichen Bezeugung nicht auf die Zahl, sondern auf die Tatsache an. Man kann deshalb nicht umhin, die Schriftenliste des Theognis bei Suidas in Betracht zu ziehen, die ernst zu nehmen ist, weil sie letztlich aus dem alexandrinischen Bibliothekskatalog stammt. Ich drucke sie gleich, wie ich glaube, daß sie zu verstehen ist: 170.1

252

)S. vor allem REITZENSTEIN, Eprigramm und Skolion 79fF. u. ö. (so urteilten schon BERGK und HILLER). Die Argumentation, die die Entstehung von Buch I 'ums Jahr 400' datiert, ist freilich in mehrfacher Hinsicht nicht schlüssig (vgl. S. 438, 245): sie setzt die Einheit von I voraus und denkt gar nicht an die oben angedeuteten Möglichkeiten eines Einzellebens seiner Elemente. Bei REITZENS T E I N steht sie nicht gerade in Widerspruch zu seiner Behandlung der platonischen und aristotelischen Zitate; aber nur, weil er diese in Wahrheit zusammengehörigen Dinge vereinzelt. 170.2 253) Phoinix von Kolophon, Berlin/Leipzig 1909, 257ff.; sehr viel ist es nicht, und das meiste ist unsicher, einiges sicher irrig. S. auch S. 428, 220. 170.3 254) Über Athenaios s. unten S. 445. 170.4 255) Beiseite bleiben natürlich moderne Herstellungen von Theognisversen aus Piaton und Aristoteles, über die HUDSON-WILLIAMS 81 das Nötige gesagt hat.

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eyqafev 'EXeyeiav slg xovg aco&évrag xcov Evqaxovai'mv év rfji TCOXIOQXÍCLIPvco/xag di eXeyeíag elg enr] ßco. xal TIQÖg KVQVOV TÓV avrov ¿(xófievov rvcofioÁoyíav DI eXeyeiwv xal ¿TÉgag vjco&ijxag naQaivsxixág, ra návra f emxcög. E s folgt (mit ort eingeleitet) der Zusatz über die /MOQOI xal naidixoi SQCOreg, den ich beiseitelasse: daß es ein Zusatz (des Suidas?) ist, zeigt die F o r m ; ob er auf Buch E geht, kann uns hier gleich sein. Über die außer der Reihe stehende sizilische Elegie ist bereits gesprochen. 256 ) Das verdorbene emx&g hat ScHOEMANN 257 ), wie mir scheint, schlagend in eTtrj ßm(g) verbessert. | Aber auch ohnedies ist evident, daß wir, wie so oft bei 171 Suidas, eine doppelte Liste haben, verbunden durch das erste xai, das BERNHARDY nicht streichen durfte: einmal ganz allgemein und alles deckend, was es von Theognis gab, die 2800 Verse /Vöyeat; dann getrennt die Gnomologie an Kyrnos und erceqai 'Yjtodijxcu256) (von zusammen ebenfalls 2800 Versen). Sehr bedauerlich, daß Suidas hier nicht Einzelzahlen gibt: seine Gesamtzahl aber beträgt über das Doppelte des uns als Buch I erhaltenen, fast genau das Doppelte des ganzen 'Th' im Mutinensis. Natürlich kann die Zahl korrupt sein; man könnte sie schließlich sogar (so unwahrscheinlich das bei ihrer Wiederholung ist) als Zusammenrechnung der Verszahl in den beiden von Suidas zusammen256 ) 25 ')

Oben S. 401. 170,5 Opuscula académica 4, Berlin 1861, 24; s. auch TH. BIRT, Das antike Buch- 170,6 wesen, Berlin 1 8 8 2 , 1 6 5 , 2 . emeixwg die Hs. E, ¿Aeyeiaxcög S C H N E I D E W I N , rftixäig DILTHEY

usf.

Bei

REITZENSTEIN,

Epigramm

u. Skolion

54,

ertrinkt

der

diskutierbare und m. E. halbrichtige Gedanke, daß Suidas 'verschiedene Sammlungen bezeugt', in der Fülle der UnWahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten: aus ra návra ¿mxaig soll 'notwendig folgen, daß die sregat vnodf¡xai . . . in Hexametern oder lamben . . . verfaßt waren'. Das soll Piaton bestätigen, dessen Frage und Antwort ( M E N O N 9 5 D; S. unten S. 4 4 7 f.) iv noloig eneaiv; — ev To ig iAeyeioig, ov Áéyei . . . doch wirklich nur bedeuten wo? — v. 33 ff.'; höchstens deuten sie noch an, daß Menon von Theognis nichts weiß, und sind dann zu übersetzen mit 'in welchem Gedicht?' (zov noir¡xr¡» geht vorauf!) — 'in der Elegie, die die Verse nal naga xolaiv xtL enthält'. 'Eine Spur derartiger Gedichte' findet R E I T Z E N S T E I N in dem Spruch 'Yfieig ö', ¿5 Meyaoelg, ovrs rQÍXOI xrX., den Clem. AI. Strom. VII110, 1 (s. TH. BERGK, Poetae lyrici graeci 2, 4. Aufl. Leipzig 1878—82, 234) als Theognis zitiert. Ich kann da gar nicht mit. 258 ) Aus den Titeln ist nichts weiter zu entnehmen. Theognis wird selten mit 171,1 Buchtiteln zitiert: Piaton (s. S. 447f.; Xenophon unten S. 451ff. ist zweifelhaft) nennt die Gedichte, wie Theognis 22 selbst und wie in vorhellenistischer Zeit üblich, allgemein enr¡ und spezialisiert ra sÁeyeía (so Pherekrates Athen. V I I I 364 c; s. unten S. 445, 269). Athen. V I I 317 a sagt Iv ralg ¿Áeysíaig; wenn das aus Klearchos ist, wird es bei diesem rolg éfayeíoig geheißen haben. 'Yno&fjxai überschreiben Schol. Thukyd. I I 43 (s. schon Th. 27 und Isokr. 77g. Nixoxh 43); rvcoßoTuoylai Plut. De aud. poet. 2 p. 16 c.

444

Theognis

gezogenen Katalogen erklären. 259 ) Aber was ist mit so vagen Möglichkeiten gewonnen? Oder wie will man den widerlegen, der auf Grund der überlieferten pinakographischen Zahl und der außerhalb unserer Sammlung überlieferten Distichen und schließlich des Zustandes der vv. 757—1220, eine starke Einbuße, sei es der ganzen Sammlung, sei es der einzelnen Bücher vor oder nach ihrer Vereinigung zu 'Th' behauptet? Sie brauchte erst in der Zeit zwischen Stobaios und dem Archetypus unserer Hss. eingetreten zu sein. Ich wage hier keinerlei Entscheidung. Aber mit größerer Zuversicht stellt man die Frage, deren Bejahung die Tatsache der Doppelliste bei Suidas gut erklären würde, ob nicht hinter denbeiden Sammlungen der zweiten Liste, der RVOI/wXoryia ngog KVQVOV und den eregair YNO&FJXCU, unsere Bücher A und M (M*) stecken? Die würden dann — und es wird sich sofort herausstellen, daß dafür auch anderes spricht — noch in kallimacheischer Zeit gesondert und als eigene Werke umgelaufen sein. E s ist dabei nicht einmal nötig, daß M* schon den Namen des Theognis trug, als es in die Bibliothek kam. Ich verweise auf die Textgeschichte von Hekataios' ÜEQioöoQ rrjs 2 6 0 ), von der nur der erste Teil unter Hekataios' Namen lief, während der zweite in den IKvaxet; unter dem eines Nrjoubrrjg stand und erst von Eratosthenes auf Grund der sachlichen und sprachlichen Übereinstimmung mit dem ersten für Hekataios beansprucht wurde. War etwa das Buch M* anonym — und wenigstens im Text stand ja kein Dichtername —, so lag, da es eine Reihe vonKyrnosgedichten enthielt 261 ) und der megarische Ursprung aus dem Prooimion erhellte, der Schluß nahe auf den Autor von A, als der nach den vv. 1—38 Theognis außer Zweifel stehen mußte. Er kann schon von Kallimachos selbst, der das 172 BuchM sicher | kannte 2 6 2 ) (wieApollonios,derRhodier 263 ), undgewiß noch andere das Buch E), im Katalog gezogen sein, und wir hätten eine immerhin noch recht einfache Erklärung dafür, daß und wie alles, was im Mutinensis steht, unter den e i n e n Namen Theognis trat. 2 6 4 ) Noch ein25I ) H U D S O N - W I L L I A M S 1 0 1 , der sich fälschlich auf B I R T a. O . beruft. 171.3 26») RE 7, 2672f.; FGrHiat zu 1 F 15. 171.4 2«) Oben S. 430. 262 172.1 ) Ein Verweis auf R E I T Z E N S T E I N 69f. mag genügen. Es ist auffällig, daß mit einer Ausnahme alle Beziehungen, die er bei Kallimachos und einigen anderen hellenistischen Epigrammatikern findet und die meist überzeugend sind, auf M* gehen. Die eine Ausnahme ist Kallimachos Epigr. 28, das auf *959/62 und *579/80 anzuspielen scheint. Ganz sicher ist das nicht; aber daran, daß auch A bekannt war, ist ja nicht zu zweifeln: Theognis 25 steht unter den 12 Sentenzen des Ostrak. Berol. 12319 saec. I I I 0 (v. W I L A M O W I T Z , Dichterfragmente aus der Papyrussammlung der Kgl. Museen, SB Berlin 33,1918,742) neben Ps.-Epicharm, Komödie, Hesiod, Homer usw. 172.2 2 ") Oben S. 438f. Sonst scheint es keine sichere Nachahmung von E bei den Hellenisten zu geben (vgl. R E I T Z E N S T E I N 8 1 ) . 172.3 2M ) Die FvajfioÄoyta ngo; KVQVOV 'is probably a reference to the collected gnomes designed for Cyrnos which once existed in a separate bookpublished by the poet himself'sagt

171.2

Das Corpus Theognideum und der Theognis des 4. Jahrhunderts

445

facher liegt die Sache freilich, wenn, was ja durchaus nicht unmöglich ist, auch der Dichter von M Theognis hieß 265 ). Ich bilde mir nicht ein, damit b e w i e s e n z u haben, daß die verschiedenen Bücher erst in nachhellenistischer Zeit zu ' T h ' zusammengeschoben sind. Es ist nur eine Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit, die auf die überlieferungsgeschichtlichen Tatsachen sowohl wie auf die Nachrichten über das Buch eine stärkere Rücksicht nimmt, als die laufenden Theorien es tun. Und wenn ich nun noch kurz auf die älteren Zitate aus Theognis eingehe, so ist auch das, was sich hier beobachten läßt, nicht als irgendwie stringenter Beweis gemeint. Es ist (wie gesagt) allgemein anerkannt, daß Stobaios seine Exzerpte aus ' T h ' oder wenigstens aus seinem Buch I nimmt. 266 ) Aber schon die Sicherheit, mit der man das Gleiche fürAthenaios behauptet 267 ), ist trügerisch : wenn er V I I 3 1 0 a b für tjv dexalo 0£oyvig neQir^övTta&eiav die v v . *997 bis 1002 zitiert und dann fortfährt ovde ro ncudegaarsiv caiavaivexai o OCKPOS OVXOQ' Myei yovv (*993/6), so beweist das in Wahrheit nichts, als daß er das Buch M * als Theognis kannte, was uns jetzt selbstverständlich ist. Ich möchte nicht in den entgegengesetzten Fehler verfallen, indem ich ungebührlichen Nachdruck darauf lege, daß Clemens nicht über 509/10, die hellenistischen Autoren Plutarchs 288 ) nicht über 432, die verschiedenen Scholiasten, Philon, Musonios, Dion nicht über 535/6 hinaus zitieren, also alle im Rahmen des Buches A sich halten. Man wird wohl auch daraus Schlüsse wenigstens für die Buchteilung der hellenistischen Zeit ziehen dürfen, wie sie für die IJivaxeg schon angedeutet sind. Aber m. E . wird die Bedeutung der doch nicht sehr zahlreichen älteren Zitate so maßlos übertrieben wie die der 'wiederholten Verse'. Sie geben auf unsere Fragen keine ganz eindeutigen Antworten, auch wenn man sie noch so sehr foltert und noch so viele Schlüsse e silentio | zieht. Selbst wenn ein Autor des 173 4. Jahrhunderts ein Kyrnos g e d i e h t zitiert, so beweist das nie und nimmer, daß er es dem alten ungetrübten K y r n o s b u c h entnimmt. 269 ) Man achtet HUDSON-WILLIAMS 100. Aber dieses 'echte' Buch kannte schon Piaton mehr (unten S. 446ff.); und daß in xov avrov ¿QOJ/IEVOV eine Anspielung Movaa naidixrj liegt, ist nicht einmal 'just possible'. 265) Oben S. 401 f. 266 ) Zusammenstellung bei HUDSON-WILLIAMS (77,1); 99. Über seinen Text überall zureichend O. CRÜGER, De locorum Theognideorum apud veteres tores extantium . . . pretio, Diss. Königsberg 1882.

nicht auf die 172.4 nicht 172.5 scrip-

B . R E I T Z E N S T E I N 69; die Z i t a t e bei H U D S O N - W I L L I A M S 96FF. 172.6 Mit der Zusammenstellung der späteren Zitate bei HUDSON-WILLIAMS 92FF. 172.7 (aber auch bei anderen) ist wenig anzufangen, weil sie die Quellenfrage nicht beachten. i M ) Das gilt selbst für die wenigen sicheren 'Zitate' bei Autoren des 5. Jahrhunderts, 173,1 weil sie aus Athen stammen: Kritias F 3,3 Diehl —19/26 (oben S. 375); Aristoph. Vögel 1362ff. ~ 27/28 (oben S. 398f.; über Wesp. 1342ff. oben S. 437f.); Euenos

267)Z.

26S )

446

Theognis

— ich will jetzt davon absehen, daß schon v. 5/10 die Aptierung des alten Buches für Athen 270 ) beweisen und daß durch sie und das Verhältnis von Sphragisversen und sphragislosen in den Resten dieses alten Buches (1—254) die längere Existenz des unerweiterten Buches fast ausgeschlossen ist — viel zu wenig darauf, daß die paar wirklich alten Zitate von Piaton bis Chrysippos, die von den Späteren unermüdlich wiederholt werden, sich fast ausnahmslos auf einige besonders berühmte Stücke beziehen; richtiger noch auf ein paar Fragen, die die ethische Diskussion schon des 5. Jahrhunderts hin und her gewendet und neben anderen auch mit Gedichten aus dem Buche, das damals Theognis hieß, belegt hatte: auf die Frage nach der Lehrbarkeit der agerrj (27/38; *429/38), nach dem Wert und dem Wesen der svyeveia (183/92) und etwas später der kynischstoische Preis der Ttsvia (173/82). Bemerkenswert aber ist, daß sich unter diesen in der philosophischen Diskussion spätestens des 4. Jahrhunderts besonders berühmten Gedichten eines befindet, das keine Sphragis hat und das daher nicht von Theognis stammt — 0vacu xal dqiipai QÖIOV ßQoxov f j q>QEvag ead-XaQ ev&dfiev (*429/38).

Wir wollen den Stier bei den Hörnern packen, wollen Antisthenes, Xenophon, Aristoteles, Klearchos, Epikuros, Chrysippos, Bion, Teles, Eratosthenes beiseite lassen 271 ), um uns zum Schluß noch einmal Piaton Theogn. »1349/50 ~ 191/2 (Pherekrates Athen. 364c ~ *467ff. kann sich ebensogut auf Euenos direkt beziehen). Über Sophokles oben S. 425, 214. Auf den bekannten Streit über Herod. I I I 80 ~ 43/52 will ich nicht eingehen, weil er eine •Behandlung des politischen Denkens im 6. J a h r h u n d e r t verlangen würde. F ü r die Theognisfrage kommt dabei nichts heraus: denn die Annahme, daß Herodot ihn kennt, scheint mir nach Wortlaut und Gedanken gleich unausweichlich. R E I T Z E N S T E I N , Literaturhistorische Kleinigkeiten, Eine ionische Quelle Herodots, Philol. 57, 1898, 45ff., h a t bekanntlich einen ionischen T r a k t a t etwa aus dem J a h r e 495 als Quelle von Theognis und Herodot konstruiert. Das erledigt sich, nachdem Theognis mit großer Wahrscheinlichkeit auf etwa 540 datiert ist; der T r a k t a t würde so alt werden, daß ihn niemand mehr glauben kann. Gegen W. N E S T L E S (Gab es eine ionische Sophistik?, Philol. 70, 1911, 253ff.) Reihe Theognis—Antiphon—Herodot ist vom Theognis her nichts einzuwenden; aber f ü r Herodot, der die Wahrheit seiner Perserdiskussion so entschieden versichert, ist eine zeitgenössische Quelle schlechthin unmöglich. 1 7 3 . 2 27«) H I G H B A R G E R S Naivitäten (Transact. and Proceed. Am. Phil. Ass. 5 8 , 1 9 2 7 , 1 8 1 ) 'it is not likely, t h a t Theognis was populär in the democracies, as at Athens' erledigen sich durch das zweifelsfreie Material. Als ob es in Athen keine aristokratischen Hetairien gegeben hätte! Daß Isokrates (77g. NixoxX. 43) 'expressly states t h a t Theognis was neglected in his time' (ebd.) ist noch falscher als HUDSON-WILLIAMS Behauptung ( S . 9 1 ) 'Isokrates had a great admiration for Theognis, and was intimately acquainted with his works etc.'. Aber damit kommen wir schon ins 4. Jahrhundert. 173.3 271) Für Antisthenes haben wir nur die Buchtitel (Diog. L. VI 15ff.) liegt öixaioavvrjg xal dvögeiag ngorgenrixog a ß y, JIEQ'L ©eoyviSog d e und KVQVOQ (vulg. KVQOQ hss.) f j ¿QÖißeog, schwerlich auch KVQVOQ ( K V Q O Q hss.) f j tcardateonoi; f ü r Isokrates

Das Corpus Theognideum und der Theognis des 4. Jahrhunderts

447

zuzuwenden. D a s | läßt sich ja jetzt kurz machen. Vor d e m Abschluß des 174 'Menon', der die Lösung der Antinomie bringen soll 2 7 2 ), wird das Problem, dessen Möglichkeiten die ersten Worte des Dialogs umreißen, ' v o n d e n beiden Hauptunterrednern zu E n d e besprochen. Nirgends . . . herrscht eine einheitliche Überzeugung. Die Politiker sind keineswegs sicher, ob sie Lehrer der bürgerlichen T u g e n d seien. Die Sophisten m a c h e n gar nicht alle diesen Anspruch . . . Menon selbst ist schwankend. D e m Dichter Theognis wird das gleiche Schwanken nachgewiesen.' olxvnoöcov and muXcov) is factually impossible because the Athenians at Marathon did not fight on horseback (see p. 470), his opinion is for me a perfect example of straining at a gnat and swallowing a camel—or rather a whole body of Athenian cavalry. If MAAS is to insist on the syntactic point, he ought to state at the same time that the epigram(s) cannot refer to Marathon, which till now he has not; nor should I be prepared in the face of the facts duly set out above to admit this disastrous but unavoidable consequence. I prefer to admit the syntactical uniqueness which does not create an obscurity for the willing reader. There also is no valid objection to WILHELM'S restoration of I I 3 — 4 : the öe in the fourth place is justified because the words ayyiaXov ngijaai ß[ovAevaa/nEvcov] äarv form one notion. But this supplement is of course highly conjectural.

Athenian epigrams from Persian wars

464

1 AI E l i N . . P I.G. 2 (non ahi, e.g. xar]à rerq\anoX . •> Hiller 1 ); A I E I vel AI E T Oliver 1 (qui primum I certum esse et signum, quo in linea 2 finis hexametri indicatur, litteras A I E I certe non statim sequi adseverat; infimam eius signi partem supra secundum X dispexisse sibi visus est Peek; " I still fail to see any trace of the punctuation . . . and the surface is partly preserved here" Oliver 2 ); A I E I " s o gut wie sicher" Wilhelm. dgeré[g XAjjupaei xXéog atp&tzov] atei Wilhelm (Peek); àgerè [oxéoei xXéog aqf&irov] Bowra; àgerè [Siaelòerai i%aoyog\ ahi Arv(anitopulos). I I E P 2 0 dispexisse sibi visus est Meritt; " t h e P is quite clear. I think I can see the E and the 2 , but I am quite uncertain about the word" Oliver 1 ; "mir scheint Jlegaov völlig unmöglich, ich kann nach wiederholtem Studium des Steins nur N////P erkennen" Peek; " i t is probably best to retain the clearly visible P and disregard hol arÓQeaav òvvafuv] Wilhelm ; the hypothetical letters" Oliver 2 . [eiiroX/toi IIE\Q\OÓV [dvriov hoi] IIEQGOV [èv Maoa&óvi &avov] Bowra; [Méòov hol rò nd\O[og ròv aróXov iarÓQEaav] Arv. 2 Tispol rè[v ßa(/ßa.Qrj rovg ini Tiàai xaXov/névovg) ; 17 199 avtòq Ènei òri ndvrag àfi' fiye/iovEoaiv 'AyiXXsvg j arrjaev iti xqivag ; the same meaning Z 433 Xaòv Sé arfjaov JMIQ' EQIVEÓV, év&a ¡xàhaxa j à/ifìaróg iati nóXig. Then aix/trf ought to be taken metaphorically for a "body of spearbearers," as in Pindar, O. 7 , 1 9 , 'Aoyeiai avv aìxftài (aim nhfj&si 'AoyEÌwv schol.) and Eurip., Heraklid. 275, jjfco Ss noXXr/v "Aoeog 'Agyeicov Xaptbv / 7idy%aXxov alyjxrp) ÒEVQO XTX. But as there are no generals mentioned, nobody who is arraying the men, it seems much more plausible to take as subject the men themselves who in Athenian epigrams are usually called nalòeg 'A&rjvaicov and who here are praised as "those who had an àòdftag iv q ware awd'éa&ai rr¡v 7ieQif}ór]TOV eigrjvr¡v, xrX. In any case, the breaking of Persian morale

("resource" or "hope") did not begin with the occupation of Eion; no Greek poet could or would have said that, thus ignoring the great battles fought in 480 and 479 B.C. These battles broke Persian morale, if you like, and men like Boges and Maskames were honorable exceptions from the general defeatism. If the Eion poet had been fool enough to exaggerate in an altogether reckless manner the importance of Eion, he would have said so clearly; there were many possibilities to express a complete breakdown of the Persian spirit as well as of the Persian forces. He does not say that; he uses the word áfj,r¡xavírj which has not a vague and general meaning, but a quite definite and special one: the enemy was not morally broken, he was made helpless. It is an apt word, the mot juste, like TalaxáQÓioi for the event which the poet praises. Perhaps his words are untranslateable, but we can get their exact meaning by a paraphrase: "they found a way to create a situation from which the enemy could not extricate himself," as he could, though with great losses, at Salamis and Plataea. What the men of Eion did, was, in fact, something new in the history of warfare with the barbarians, comparable only with the fate of Troy: not a pitched battle, were it ever so victorious, but a siege which ended with the complete destruction of the enemy's force, because the beleaguerers left him no choice but either to surrender or to destroy himself. It was a feat of arms which brought honour to victors and vanquished alike, and which lived in the memory of the Athenians and not the Athenians alone, for Herodotus heard about Boges also from his "Persian friends." That was a evgrjfia in the Greek sense of the word which does not always mean what we call an invention, but very often signifies somebody who first did a thing. Of course, it is possible that later writers sought after a special evQTj/m meant here (Pausanias, V I I I 8 , 9 ; WILAMOWITZ, Aristóteles und Athen 1, p. 155, note 69), but that does not affect the use which the poet made of the idiom. For those who like personal explanations—and I am quite prepared to admit that here such an explanation is justified—I will add that the poet may well have stressed the priority claim not (or not so much) for factual reasons, but to preconize Kimon and his (aristocratic?) colleagues. We are entering in 476/5 B.C. the period of a conservative government (Aristotle, 'A&. UoX. 23, 1), and it was the conservative general who had won this victory with the forces of the new League, while the gloires of the Xerxes War and even the foundation of the League rested with the "confounded democrats," Themistokles and Aristides. " 3 ) VII 107. 3 3 Jacoby, Kleine Schriften I

206,173

514

Athenian epigrams from Persian wars

a word which has a definite meaning by calling it a stop-gap, though I believe that here too one should always take into account "the mesmeric effect" of phrases and particularly of parts of verses coined by a famous poet. Even apart from this possibility 174 ) the principle itself is not so simple as it sounds: the drawback is that we have to infer the intention of the poet from the words he uses and the context in which he uses them ; and neither may be in every case obvious. Now noré means "at some time"; it is also used of "some unknown point of time"; and, of course, there always must be an interval between the writing of a poem and the event with which it is concerned. The interval is often an appreciably long one, and noté then may be translated by "once upon a time," "long before." But this is by no means always the case: 1 7 5 ) there are vast differences as to the period covered by noté—about half a thousand years or even seven centuries in the first part of the Eïon poem, one year and a half (or at the utmost between two and three years) in the Phyle epigram, or (to give some examples from a period nearer the Eïon poem) in the epitaph for the Spartans at Thermopylae, in the Simonidean poem for Megistias, and in the dedicatory epigram which the Athenians set up in the Artemision. WADE-GERY is at pains to explain why in the last mentioned cases the use of noré for a relatively short period does not give offence, 176 ) and he may well be right. But his inference from the noré in the "first" Eïon epigram (and exclusively from this noré) "that, in fact, the verses are written after the battle of the Eurymedon and perhaps 207 after Kimon's | death," is arguable only if this "epigram" is the only genuine one among the three quoted by Ais chines and Plutarch—and this is certainly not the case, because it would compel us to refer the xai of xâxsïvoi to the victors in later battles which, I submit, is manifestly impossible. Let us be quite clear about the state of things. We are of course not on unshakable ground for the Eïon poem in so far as one cannot 206.174 i' 4 ) Or even probability, for I have little doubt that the Eïon poet knew the one certainly Simonidean epigram which in 476/5 B.c. was brand-new and probably already famous. The end of an hexameter oï noie Mrjôcov followed in the pentameter by a geographical determination reminds us at once of the epitaph for the seer Megistias, Sv TIOTB Mrjôoi / Znegxeiov noxapow xrelvav dfieiifidfievoc, and who (though he well knew his impending fate) ovx èrfo) ZndQTtjç fjyefiôvaç TiQoXineïv. Not that he copied it or was diverted by it from his own path, but it was present to his mind, as Homer was. WADE-GERY, p. 73 rightly states that noré in a genuine epitaph, referring to the circumstances of the death, is "exceptional." We may even regard it as "the exceptio probans regulam"; but can we disregard the literary influence of such an exceptio in one of the first examples for the use of the temporal particle Î 206.175 1 ? 5 ) II. & 108 where it is even used of the day before, and the fact remains if one athetizes the verse with Aristarchos, ôrt to 'noré' xQovtx*lv èxel ëfiipaoïv. 206.176 "«) See especially pp. 72f.

The EI ON Poem

515

definitely refute a n assertion t h a t the monument was set u p and the poem engraved a considerable time after 475 B.C., though the burden of proof rests with the scholars who vote for a late date, and so f a r t h e y have failed to prove the likelihood of it. 177 ) On t h e other hand, t h e story told b y Aischines and Plutarch cannot be regarded as proof incontrovertible t h a t t h e monument was granted as soon as the generals, one of whom also brought home the relics of Theseus, returned f r o m Thrace: it is the n a t u r a l assumption, and just for t h a t reason it m a y have been a wrong inference of Aischines, 178 ) or (as we had better say now) of Leptines. B u t we are justified in demanding proof t h a t it was a wrong inference; a t least, t h e late date ought to be made plausible. Till proof is brought forward or t h e plausibility made out, I venture t o reverse the argument of WADEGERY : no one who reads this poem with attention can d o u b t t h a t it was written very soon after t h e events to which it refers, and t h e only event mentioned in it is t h e siege and occupation of Eion. The long a n d t h e short of t h e matter is t h a t , as soon as we make ourselves free of t h e baneful influence of DoMASZEWSKl's t r e a t m e n t of t h e tradition, all arguments which one could take seriously if there were only one genuine epigram, completely lose their force. And I a m afraid even if t h e thesis of t h e one genuine epigram could be proved or made plausible, we should not restore the Kimon monument of DOMASZEWSKI, b u t would have t o prefer WEBER'S Siegesallee. As things are, two points are fairly certain: we have to start with 475 B.C. as the probable date of t h e Eion monument, and we are fully justified in assuming t h a t t h e Eion poet, whoever he was, 1 7 9 ) was quite able not only aptly to paraphrase Homer, b u t also t o express his own ideas clearly and well. If therefore we disapprove of t h e explanation of noré as a mere stop-gap, and if we disallow t h e claim t h a t noré must mean "long before," we have to t r y t o show what the poet intended when he used noré in dating not only a mythological event, b u t also the historical and contemporaneous one. Negatively it is evident t h a t he did not aim a t stressing the usual difference in time between the paradeigma and the event; otherwise he would have p u t into t h e second p a r t of his poem a vvv or a similar word indicating t h e contrast, and we cannot doubt t h a t he would h a v e been able to find his way to do so. Perhaps the usual manner of employing a | paradeigma 208 appeared commonplace to him, perhaps he did not regard t h e mention of 177

) I feel personally sure that the monument was granted and set up before the 207,177 catastrophe which befell the first colonists. It seems that Schol. Aischin. 2, 31 are dating the catastrophe, not the occupation in 476/5 B.C. If that is so, the Herms were set up in the winter or the spring of Phaidon's year. 178 ) As WADE-GERY, pp. 74f. argues. 207,178 178 ) See below, pp. 518ff. 207,179 33«

516

Athenian epigrams from Persian wars

Menestheus as a technical paradeigma at all. In any case, the doubling of noté seems to show that he aimed at the exact contrary, not to stress the difference in time, but to abolish it, which means to abolish also the difference in the appreciation of the two facts, to put the Homeric and the contemporaneous event on the same level. Consequently we have to ascertain his standpoint in regarding the facts mentioned, to seek the common denominator for both events; and this is not difficult, as the poet indicates his standpoint with perfect lucidity in the third part and the last distich of his poem. The common denominator is Posterity: the succeeding generations when seeing the monument, shall and will be willing to contend for the good of the commonwealth with their forbears, the men who endured the siege of Troy and those who acted likewise at Eïon.180 ) For Posterity the difference in time between these two events is indifferent, both belong to the past, both are shining examples for the spirit of the Athenians, well fitted to fill their descendants with the same spirit and the wish to emulate rf]v rwv TtQoyovcov âgeTT/v. It is the same view-point which is noticeable in the funeral speeches, when the orator enumerates the men who died for their country from the beginning of Athenian history down to the dead of the present year, without making a distinction in value between them.181) The men recently fallen and buried now enter at once the sacred companionship of the heroes of the past, they become at once models for their surviving contemporaries as well as for the succeeding generations. This idea, which is the main characteristic for the annual ceremony in the public cemetery, had become a topos in 432/1 B.C., and probably earlier; it was not yet a topos in 476/5. If there is a typical idea in the Eïon poem, it derives from Homer and epic poetry. The Eïon poet perceives his task as the epic poet does who has to tell of men and deeds which are to become models for Posterity, bad and good models; even his heroes think of posterity as the judge of their actions —alaxQov yàg r6ôe y sort xai èaaofisvoiai Jivâêoâm182), tbç xai 208.180

18 °)

Incidentally we get an new proof for the superior quality of Plutarch's text:

SfjQiv exeiv is doubtless preferable to fioy&ov e%eiv which echoes noXvv novov VTiofieiveiv in Aischines' prose. I think that the text above answers again W A D E GERY, pp. 76f., and his important footnote 2 3 : " t o the long futurity of readers, jrore will qualify the whole story, unexceptionally if dully; for the poet it must refer to things which, at the moment at which he writes, have definitely receded into the past." The mind of the E'ion poet is fixed on futurity—futurity pure and simple, not a long or a short one—for which the events which he mentions have receded into the past and have become models for posterity. They are certainly not depicting a odog xarcrn, while Thucydides, true to his general historical outlook, presents his readers with a ¿dog avm. 208.182 182 ) II. B 119 (the book from which he took the idea of zXfjvai apparent in rakaxaQdtoi); Od. (p 255; co 433; cf. II. T 287=460. For the preposition and posterity 208.181

181 )

The E Ï O N Poem

517

omaaca / av&Qwnoun mhaiueft' aoidiftoi eooo/isvoicn1*3), \ fj/fj [mv acmovdi ye 209 xal axfauog catotoifirjv, j aXXa fieya QE^OQ n xai eaao/xevoiai nvftecr&ai.1**)

Perhaps the later age shows in a discreet stressing of what they now call the agonistic idea—A/Mpl TIEQL ¡-vvoiq NQ^YFIAAI drjgiv eyew. In this third part of the poem, formerly the second epigram, which is a real and suitable conclusion of the poem, we do not meet with any particular difficulty, for the indefinite xa.be clearly refers to the monument as a whole with which the Demos rewarded the victorious generals. 185 ) Its principal interest for us lies in its indicating the conditions under which the Demos granted permission to them to set up theHerms commemorating their victory. I do not mean here "the childish tale that the Demos forbade the generals to mention their own names", as WADEG E R Y has it, the invention of the moralizing orator, as I prefer to call it less inimically, whose reasons I believe I have sufficiently explained above. 1 8 6 ) I do not mean the story at all, or the question, insoluble for us and hardly of the first importance, whether the poem confirms the traditional story that the generals had asked for a reward, or whether the story was evolved from the fiicr&ov edcoxav of the poem. 1 8 7 ) I mean the fact which emerges from the poem, which cannot be doubted, and which is the historical testimony for the spirit of and the feelings in Athens in 476/5 B.C., as valuable as the Marathon epigrams are for the spirit of 490/89 B . C . ) : the Athenians were so proud and happy about the victory which rightly appeared to them as a great achievement of their new and own league, the promising beginning of the offensive war under their leadership for the liberation of the European and Ionian Greeks, which moreover held out fair prospects for an Athenian settlement in the rich and much coveted regions of Thrace, that they accorded their generals an honour unheard-of 1 8 8

183) 1M)

) ) 187 ) 185

186

188

)

hearing of the past event cf. the famous epicene oracle Herod. V I 77, 2 : &Ç noté TIÇ èoéei xal ijieaao/iévmv âv&Qcômov / ôeivoç ocpiç TQIÉXIKTOQ rbiœXezo ôovgl ôafmaêeiç. I t may well have been known to the Eïon poet. Cp. also H. H 81 if. (WADE-GERY, p. 77, note 23). 208.183 II. Z 357f.; Od. y 203f.; & 579f. 209.184 II. X 304f. 209.185 See note 54. 209.186 See pp. 507ff. Because of the vagueness of dtöövai, even when connected with /xia&ov, it can 209,187 mean 'give' or 'permit.' It really does not matter much, though of course we should like to know, whether the honour was decreed spontaneously (even then there must have been a mover), or by the gentle pressure of the friends of Kimon, or on the demand of Kimon and his colleagues. One ought not to forget the colleagues, as W I L A M O W I T Z , W A D E - G E R Y , p. 9 5 , note 9 7 , and most scholars do. Surely it is the simplest explication for the three Herms, that there were three generals (cf. notes 128. 140). See above, pp. 490f. . 209,188

518

Athenian epigrams from Persian wars

till t h e n a n d one which seems t o have remained unique. 1 8 9 ) If Do2 1 0 MASZEVVSKI is surprised about this "exceptional | honour for t h e single vctory of t h e Strymon," 1 9 0 ) I regard his surprise as a n example of t h e curious habit prevalent in a certain class of modern historians who are so clever t h a t they either do not look a t t h e evidence a t all, or use it only with a view t o show how clever they are, when t h e y should instead "transfuse themselves into t h e spirit of t h e ages p a s t . " Let us rather state t h a t these are still t h e times for devising new honours which though new are always moderate and therefore astonishing t o t h e orators of t h e f o u r t h century a n d their public—ri/xag [xeyalaq dig TOT edoxei, as Aischines expresses it succinctly a n d much more happily t h a n Plutarch with his ravra XAITIEQ ovdafiov TO Ki/xcovog ovofia drjXovvra TIFTF/*; vneQ^oXr/v e%eiv edoxei roig TOT' av&Qdbnoig. These are still t h e times in which t h e young democracy finds itself and becomes slowly conscious of its immense strength a n d of t h e devotion of its citizen-soldiers. I t was t h e first two generations after the establishment of democracy which adorned t h e grave of t h e men who h a d died a t t h e Euripos with a modest epigram of t w o lines 191 ), which instituted a hero cult for t h e dead of Marathon inscribing their names on a stele at t h e grave 1 9 2 ), and which set u p a victory monument in t h e city for t h e men who h a d saved their t o w n from destruction, again originally only in two lines, though t h e y soon added a second epigram; it was t h e men of these generations who honoured t h e first generals because t h e y h a d reported a resounding victory with t h e united troops of t h e new league, and who finally about 465/4 B.C. decreed a public burial in t h e Kerameikos for all citizens (and not only citizens) who h a d given their lives for Athens. The authors of all these poems are unknown t o us and were u n k n o w n t o Antiquity, and I think we had better refrain f r o m seeking after t h e 209.189

1S9

) See pp. 508f. No similar honour was granted for the battles of Salamis and Plataea (of. note 159), nor, for that matter, to the victors of Marathon. Probably Miltiades did not ask for a special honour, nor had he any right to it; he had not been the commander of the army, as the descendants of the polemarch Kallimachos are at pains to imply by the posthumous epigram which they inscribed on his votive offering (note 8). What he asked for was, according to Herodotus (VI132), the command of a great fleet for an unknown destination. After the sorry issue of this expedition he could not set up a votive offering of whatever character. He died äri/iog, and it was left to his son to vindicate the honour of the house; and I for one am quite preprared to admit that the demand for a victory monument in 476/5 B.C. (see note 187) was his first step. In any case, he had a hand in it. 210.190 19°) LOEWY, pp. 25f., asks an even more curious question: "wer konnte sich durch dieses Epigramm einer Herme geehrt fühlen, wer es als Lohn für seine Verdienste ansehen?" 210.191 1M) Above, pp. 459f.; 480f. 210.192 l n ) Above, p. 480.

The E I ON Poem

519

name of the Elon poet, who probably was an Ionian, and perhaps a client of Kimon. 1 9 3 ) After the interpreation | of his poem I do not think it ne- 211 cessary to attempt a general assessment of its value, defending it against some ill-considered sneers. The poem, if compared with most "patriotic" poetry, is in my opinion a good one, provided t h a t one reads what the poet wrote and not what Leptines made of it. 194 ) To this primary question 193

) If it was Ion of Chios, he contrasts favourably with his Samian namesake, who 210,193 some seventy years later fulsomely praised Lysandros and other Spartan officers. But this suggestion of K I R C H H O F F is not at all a plausible one. I t rests entirely on the wrong dating of the occupation of Elon in 01. 77 (472—69). Ion came to Athens navxajiaaiv fIEIQAXIOV (Plutarch, Kimon 9, 1) and was invited to a dinner at which-Kimon told an anecdote about a axQaxr{yr)fia räv Idlcav cos ffotpcorarov, concerning the distribution of the booty ex Zrjarov xal Bv^avxiov. Apart from the question what that means, the story of the dinner is "ganz zeitlos überliefert" (BELOCH, Gr. G.2 2, 2, 1916, p. 187). I t does not follow from the comparison which the guests make between Kimon and Themistokles t h a t the latter was not yet banished (or rather ostracised). The terminus ante is 461/0 B.C., and we must assume not too short an interval between the event (whatever it was) and the dinner at which Kimon reviews his career as a general. I should say t h a t the dinner took place between 475 and 465, and probably nearer to the latter year. That suits the few dates which we have for Ion quite well, but it seems most improbable t h a t "the very young lad" was chosen by Kimon to furnish him and his colleagues with the inscription for a rather important public monument. There is nothing in the poem which recommends Ion, even if the objection of W I L A M O W I T Z ("Ion der Freund des Abstrusen") is of little value. The vague guesses of B E R G K , P.L.G. 4 3 (1914), pp. 518f.—Melanthios, Archelaos (see Plutarch, Kimon 4), "rhapsodus aliquis ex Ionia oriundus velut Stesimbrotus Thasius"—are mere guesses. K I R C H H O F F and B E R G K have both rejected Simonides: the chronological argument is valueless, as Simonides reported a victory a t Athens in 477/6 B.C. ; the stylistic argument is weak, as we know next to nothing of his epigrammatic style. From the dialect K I R C H H O F F has established the fact that the poet was an Ionian, though I would not dare to introduce a typically Ionian TtQfjyfia into a poem destined to be engraved on a public monument. But the fact hardly helps to decide the question which we have said to be not decidable for us, whether the honour was granted or demanded—in any case a somewhat narrow alternative (see note 187). I n the first case the Boule (or whoever controlled public inscriptions) may have commanded t h e epigram, but one may well imagine that the motion was accompanied by a copy of the contemplated inscription. If the generals were permitted to set up Herms and left a free hand, Kimon in agreement with his brother generals will have commanded the poem from a poet personally known to him. In any case, a dedication meant an inscription, and, apart from the uniqueness of the Elon case, we do not know whether there was anything like a censorship at Athens for inscriptions on votive offerings. 194 ) I t is short, well-poised, and to the point, and, as to its concept, it is surely not 211,194 inferior to the Cyprus poem and most of the Kerameikos epitaphs. The language is simple and clear, never high-flown and never clumsy. The paraphrase of Homer is distinctly good, and the epithets are well-chosen: XQVSQOS is opposite to al&cov and does not justify the assumption that the siege lasted into the winter

520

Athenian epigrams from Persian wars

I do not return: as I believe the restored poem has stood the test, I feel confident that the suggestion about Leptines tampering slightly with the original inscription is at least plausible, though personally I think even better of it. In any case, the fact remains that we have to choose between a perhaps brilliant hypothesis which for all its brilliancy is conspicuous by a hardly conceivable amount of disregard for and misstatement of the evidence, partly rebuilding the Athenian Agora and evolving from the "inner consciousness" a monument for Kimon which is historically and archaeologically (to put it mildly) a rather curious one; and on the other hand a simple critical operation of a nature not unusual in the tradition of stone-epigrams, an operation which is easily explained by the purpose of the man who introduced the epigram into literature. Personally I infinitely prefer the simple way of restoring the work of the poet. But perhaps I am biased, or—crassa Minerva mihi 'st. (see BELOCH, Gr.G.2 2,2, p. 183). I am rather astonished how severe the critics are against the poet: KIRCHHOFF, p. 56, characterizes his poem "als die Arbeit eines ziemlich mittelmäßigen Kopfes oder eines noch sehr jugendlichen Anfängers"; R. REITZENSTEIN, Epigramm und Skolion, Gießen 1893, p. 113, note 1 and ED. MEYER, Forschungen zur alten Geschichte 2, Halle 1899, pp. 12 f., are altogether scornful. Perhaps WILAMOWITZ comes nearest the truth: "Die Gedichte [i.e. The Eion poem] . . . sind . . . ein unverächtliches Denkmal der attischen Poesie jener Zeit, wenn sie auch kein großer Dichter gemacht hat . . ." But it is not Attic, and I do not think that he did justice to the achievement of the poet.

10. Ü B E R DAS MARMOR PARTUM* [FGrHist 239]

Die neue Bearbeitung dieses wichtigsten Denkmals voralexandrinischer 63 Chronographie i m I n s e l c o r p u s 1 ) durch F . HILLER VON

GÄRTRINGEN

und der Abschluß einer eigenen Ausgabe gibt mir Veranlassung, mich hier über einige das Mamor betreffende Fragen auszusprechen. 1

Jetzt zum ersten Male lassen sich methodische Grundsätze für die Behandlung des Textes aufstellen, läßt sich namentlich die Frage beantworten, auf welches Maß von Sicherheit Ergänzungen im ersten jetzt verlorenen Teile der Inschrift Anspruch machen können. Denn die 'Überlieferung' für die einzelnen Teile des Marmors ist bekanntlich eine sehr verschiedene. Während wir für das neugefundene Fragment B 2 ) durch A . WILHELMS 3 )

v o n R . MUNRO 4 ) nur i n u n w e s e n t l i c h e n

Einzelheiten

verbesserte Lesung genau wissen, was auf dem Steine zur Zeit seiner Auffindung noch zu lesen war, während wir für A vv. 46—93 | neben den 64 a l t e n L e s u n g e n v o n SELDEN (S), FÖRSTERS G e w ä h r s m a n n (F), CHAND-

LER (C) die Kontrolle durch die vereinten Bemühungen HLLLERS VON GÄRTRINGEN und MUNROS (M) besitzen, sind wir für A 1—45 ganz allein * RhM 59, 1904, 6 3 - 1 0 7 . !) IG X I I 5, 1 (nach der neuen Bezifferung) Nr. 444, S. 100—111. 2 ) Da ich trotz der geringen Aussicht (s. O. RUBENSOHN, Paros 2, AM 26, 1901, 198f.) doch die Hoffnung, daß noch weitere Bruchstücke zutage treten werden, nicht ganz aufgeben mag, so halte ich es für praktischer, die Zeilen und Epochen nicht, wie im Corpus geschehen ist, durchzuzählen, sondern das alte Fragment als A, das neue als B zu bezeichnen und für jedes die Zeilen und Epochen besonders zu zählen. Da im Corpus die erste Zeile von B mit 101 bezeichnet ist, so ist die Umsetzung einfach. 101 des Corpus ist nach meiner Zählung B 1, 102 = B 2 usw. Was die Epochen betrifft, so ist ep. 102 des Corpus bei mir B ep. 1, 103 = B ep. 2 usw. 3 ) Parische Marmorchronik (Ein neues Bruchstück der parischen Marmorchronik), AM 22, 1897, 1 8 3 - 2 1 7 , Tafel 14. 4 ) Notes on the text of the Parian marble 2, Class. Rev. 15, 1901, 360f.

63,1 63,2

63,3 63,4

522

Über das Marmor Parium

auf SELDENs editio princeps angewiesen. Bis zu einem gewissen Grade ist das freilich selbst in dem erhaltenen Teile von A der Fall, da im Laufe der Zeit sowohl einzelne Buchstaben wie ganze Gruppen namentlich in der rechten Hälfte bis etwa v. 64 unlesbar geworden sind, außerdem die rechte obere Ecke ganz verloren ist. Immerhin sind diese verlorenen Stücke 5 ) dem Umfang nach gering gegenüber dem Teile des Textes, der die Kontrolle erlaubt. Da sich ferner, auch wenn die Buchstaben unlesbar sind, die Ausdehnung der Lücken meist nachmessen läßt, so stehen wir für die Ergänzung auf recht sicherem Boden. Anders in dem verlorenen Teile A 1—45. Hier muß einmal methodisch die Frage nach SELDENS fides beantwortet werden, namentlich auch die nach dem Verhältnis seines Majuskeltextes (S) zur Minuskel (s). Denn BOECKH hat es für erlaubt gehalten, jenen aus dieser zu verbessern, und auch HILLER hat die Abweichungen der Minuskeltranskription wenigstens nicht ganz weggeworfen. Die Antwort auf unsere Fragen kann nur eine durchgeführte Vergleichung der Lesungen von SsFCM in dem erhaltenen Teile liefern, wobei natürlich alle die Stellen auszuschließen sind, die M nicht mehr las. Ich lasse diese Zusammenstellung unten S. 524—531 folgen. Diese Zusammenstellung ergibt 1. die sehr geringe Bedeutung, die FC neben SM für den Text haben, a) F hat zwar vielfach richtiger gelesen als S und selbst als C (bes. Nr. 35. 58. 85); aber die meisten dieser Besserungen sind unbedeutend. Daneben stehen Verlesungen, wie Nr. 1 (N ist AT) und Nr. 40 {N ist A&). Was aber bedenklicher ist: es läßt sich meist gar nicht erkennen, ob wir es wirklich mit einer besseren Lesung oder mit einer Konjektur zu tun haben. Daß F solche eingemengt hat, erkannte schon BOECKH aus Nr. 13, obwohl er noch nicht wußte, daß der Stein rAMOPQN hat: 'ex coniectura pridem facta, non ex lapide, ut saepe fecit etiam in ea parte Marmoris, quae pridem perierat. sie deineeps multa ex coniecturis doctorum vel editis fontibus adscripsit'. So erweist sich auch 65 IPON Nr. 100 als Konjektur. Damit verliert aber F, wo | er nicht durch M kontrolliert wird, eigentlich jeden Wert als Textzeuge. b) C hat vielfach S verbessert. Aber die Grundlage seines Textes ist nicht der Stein, sondern S selbst, den er mit gelegentlichen Änderungen nach dem Steine wiedergibt. Dies Verhältnis ergibt sich deutlich aus Nr. 40, wo S in den Errata das dritte A von EAAAAAA . . . streicht und C EAAAAA druckt, obwohl EAAAAAA noch von M gelesen ist. Dasselbe ergeben z. B. 12. 56. 76, wo überall mit und nach S ZYPAKOYZQN geschrieben wird, oder 35. 58, wo von S übersehenes, von F gelesenes O und HN auch bei C fehlt. Dagegen hat er 39 mit S TPATDAIAI, aber 64,1 5) Im Corpus sind sie in punktierten Buchstaben gegeben.

Über das Marmor Parium

523

59. 70 richtig TPAFQIAIAI. Sehr merkwürdig sind 77. 85, in denen m a n k a u m etwas anderes sehen kann, als Konjekturen, die ohne Hinweis in den T e x t gesetzt sind. Nach alledem ist auch C fast wertlos, zumal die jetzt zerstörten Stellen zum größten Teile schon zu seiner Zeit unlesbar waren oder jedenfalls von ihm nicht gelesen sind. 2. W e n n n u n a n FC, wo wir M haben, nicht viel liegt, so sind die Resultate, die sich f ü r S ergeben, u m so trauriger, a) H a t er a n zahllosen Stellen dem Steine weniger abgewonnen, als sich ihm, wie die späteren Kollationen zeigen, abgewinnen ließ, b) Ebenso zahlreich sind seine Falschlesungen; nicht nur Verwechslungen ähnlicher Buchstaben wie E mit K (Nr. 29. 45) oder H (17. 70), 0 mit 0 (18. 22) oder Q (60), i V m i t AI (18) oder H (41) oder Ä"(41), JJ m i t P (18), A m i t A oder A (9. 18. 33. 96), merkwürdigerweise auch von 7 1 oder T mit O (13. 48); oder Auslassungen einzelner Buchstaben u n d Worte (12. 21. 35. 39. 42. 50. 56. 58. 59. 70. 73. 76. 85) — nein, auch Verlesungen, f ü r die es k a u m eine Erklärung gibt, die ein nochmaliger Blick auf den Stein als irrig h ä t t e erweisen müssen (z. B. 8. 18. 22. 25). Ganz unbrauchbar ist S in den rein orthographischen Fragen; so wenn es sich u m v ecpehtvarixov, u m i adscriptum, u m Augmente handelt. W e n n er einmal das Wortbild auf dem Stein erkannt h a t , so schreibt er das Wort, wie er es gewöhnt ist, nicht wie der Stein es bietet. Auf diese Weise k o m m t dreimal EYPAKOYZÜN, ebenso oft TPArQAIAI, zweimal HYPQN zustande. Ferner ÜIKIS0H statt OIKIE0H des Steines (97), EN f ü r assimiliertes ET (67). D a s ist nicht unwichtig f ü r die Beurteilung der "Tonismen', die nur auf SELDENs Text beruhen. c) Am allerbedenklichsten aber ist seine grobe Ungenauig|keit in den 72 Lückenangaben. Die genaue K e n n t n i s der Ausdehnung der einzelnen Lücken ist die Grundbedingung f ü r die Möglichkeit probabler Ergänzungen. U n d gerade hier sündigt S a m meisten. Ich sehe ab v o n den Punkten, die er da setzt, wo die Zeilenenden weggebrochen sind. Bei diesen ist die Zahl k a u m ernsthaft gemeint. Aber im übrigen r ü h m t er sich ausdrücklich, er habe danach gestrebt, d a ß im Druck ' q u a fieri potuit, iustam h i a t u u m et lacunarum proportionem exhiberi'. U n d dabei sehe m a n z . B . Nr. 6. 7. 16. 18. 19. 25. 37. 83. 84; vor allem N r . 20. N a c h aQ'/ovxoQ steht ein P u n k t ; u n d die Lücke m u ß die 6 Buchstaben A 0HNHE enthalten haben. Oder N r . 41, wo 4 P u n k t e den Ausfall v o n TONA0QAIQPYSE bezeichnen. Oft sind auch Lücken am Zeilenende übersehen (30. 34. 40. 52 usw.). | F ü r die Behandlung des verlorenen Teiles ist diese Willkür in der 73 Bemessung der Lücken v o n fundamentaler Wichtigkeit. D a der Parier nicht aroixrjdov schreibt, so sind die Buchstabenzahlen in den einzelnen Zeilen ziemlich verschieden. Nicht nur, daß viele I oder O oder Zahlen mit Einerstrichen die Schlußsummen oft stark beeinflussen, auch die

Über das Marmor Parium

524 Nr.

Zeile

1 2 3 4

46 47 47 47/48

5 6

48 49

7 8 9 10 11 12 13 14

50 50 50 51 51/52 52 52 52/53

. .. AHSE KAI EMIIPOZQEMO YAIKHN

15

53/54

A0OY. .. 1 s ANITHE

16 17 18

55 55 55

19 20 21 22 23 24 25

56 56 56/57 57 57 58 58

26 27

59 59

28

60

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Über das Marmor Parium

525 M

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Über das Marmor Parium

526 Nr.

Zeile

29 30 31 32 33 34

60 60/61 61 61 61 62/63

35 36

63 63

37

64

38 39 40

65 65 65/66

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A 6HNHIIN TPArüAIAI ZTH2IXOPOZIIOIHTHZ/ THN EAAAAAA (in den Errata gestrichen) . . . . 0

41

66/67

42 43 44 45

67 67 68 68/69

46 47

69 69

48 49 50 51 52

69 69 69 69 69/70

53 54 55

70 70 71

KAI.... ENAINEN OEPMOl Z EA AHZI KAA .... AOY TAIAIZ EPEYK

[so die Errata,

EPYHKText]../

H....FI sANrmnoY

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527

Über das Marmor Parium M

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528

Über das Marmor Parium

Nr.

Zeile

56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73

71 71 72 72 72 72 73 73 73/74 74 74 74 75 75 75 76 76 76

74 75 76 77

76 77 77 77

78 79 80 81 82 83

77/78 78 78 78 79 79

84 85

79 80

86 87

80 80/81

88

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529

Über das Marmor Parium M

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0IAOZO0 . ZETEAEYTHZENQNETH

AAXHTOZ A0OYAI

AAXHTOZA0OYATI . . ..¡A0A0OYS.AOZ ME... PIANO Z

=

3 4 Jacoby, Kleine Schriften I

S

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S

O0IAOZO0. ZETEAEYTHZENBIO YZE TH =

S

AAXHTOZA0OYAP.ZT** .. .A0A 00 YnOA YIA OZZHAYMB PIANO Z

/

530

Über das Marmor Parium

Nr.

Zeile

89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

81 82 82 82 83 84 84 85 85 87 87 89

101

92

8

S

H.. wn H..n

A&HNHEI AETE ..OY

FA HAH

TENETO &PAEIKAEIAOY IMEPAIOE QKIKIE6H AEYEI AEA&OIE E EO&OE ....T..

.TOYTOYA0OYKA

Schritt an sich ist nicht gleichmäßig. Die einzelnen Buchstaben stehen oft sehr eng, dann wieder haben sie ziemlich weite Seitenabstände. In diesem Wechsel der Schreibart lassen sich aber Gruppen benachbarter Zeilen aussondern, die etwa die gleichen Schlußsummen aufweisen. So haben B 2—8 zwischen 121 und 131 Buchstaben, B 9—20 zwischen 107 und 123 (und zwar vv. 9 - 1 2 : 1 1 1 —113 Buchstaben, w . 13—15:120—123, 74 w . 16—20: 107 — 116). | Ebenso haben in dem erhaltenen Teile von A — auch hier nur die vollständigen oder sicher ergänzten Zeilen genommen — vv. „ „ „

46—55 57-59 60—72 73—76

zwischen 101 und 111 Buchstaben, über 130, zwischen 119 und 130, zwischen 110 und 123,

nirgends aber sinkt die Zahl unter 100 Buchstaben. In dem verlorenen Teile von A sind wirklich sicher nur die Zeilen 4—6 mit 102, 107, 101 Buchstaben; annähernd, aber auch nur annähernd sicher die Zeilen 8 mit ca. 92, 10 mit 90 (?), 33 mit 101, 38 mit 108, 39 mit 102, 42 mit 108, 43 mit 100 Buchstaben. Es haben also die allein ganz sicheren 3 Zeilen, die ganz oben auf dem Steine standen, über 100 Buchstaben; aber auch unter den sieben annähernd sicheren haben 5 über 100, keine unter 90. Das genügt, um mit Sicherheit zu behaupten, daß die B u c h s t a b e n z a h l der einzelnen Zeilen in dem o b e r e n T e i l e

531

Über das Marmor Parium F

=

M

c =

S

=

s

=

S

= =

S S

=

S

CM

HA*

0 PA SIKAEIA O Y IIAEYEI AEA&OIZIPON QXO

. . AEYEI

=

HAH AfJHNHZIN ASTEIOY

S

. rENETO 0PAZIKAEIA O YK** IMEPAIOE ' OIKIE0H .. AEYEI AEA0OIZMA QXOZ H

M

ZO&OZ - . . AZArü .... EYTOY T . . . TOYA0OYK TOYA0OYKA der I n s c h r i f t bis v. 55, also etwa in dem e r s t e n D r i t t e l , zwis c h e n 90 und 110 sich b e w e g t e , d a b e i m e i s t der o b e r e n Grenze n ä h e r l a g , während sie in dem unteren Teile, um diesen als Einheit zu fassen, zwischen 110 und 130 liegt, ja zuweilen selbst diese oberste Grenze überschreitet. Der Grund für diesen ganz deutlichen Wechsel in der Schreibweise liegt ja auf der Hand. Messen wir nun SELDENs Angaben an dem so gewonnenen Resultat, indem wir erhaltene Buchstaben und Punkte, deren jeder ja nach ausdrücklicher Angabe einen Buchstaben bedeutet, zusammenzählen; da ergeben sich unter den vv. 7—37 nur 11 mit 91—100 Stellen (alles Zeilen, von denen noch über 70 Buchstaben erhalten sind), aber 8 mit 81—90 und 12 mit 70—80 Stellen. Aufs deutlichste zeigt sich darin die völlige Wertlosigkeit von S' Lückenangaben. Wie er z. B. am Schlüsse von v. 28 nur 8 Punkte setzt, während die (weil es sich um eine Datierung handelt) absolut sichere Ergänzung über 25 Stellen einnimmt, so hat er die größeren Lücken im Innern der Zeilen aufs Geratewohl angegeben, meist mit 10—15 Punkten. Dieser T a t b e s t a n d m a c h t f ü r den ganzen v e r l o r e n e n T e i l dem W o r t l a u t nach s i c h e r e E r gänzungen e i g e n t l i c h v ö l l i g unmöglich. Will man wenigstens probable erhalten, so muß man als Grundgesetz beobachten, daß alle E r g ä n z u n g e n , die Zeilen von 70—90 B u c h | s t a b e n e r g e b e n , 75 e n t w e d e r f a l s c h oder wenigstens u n z u r e i c h e n d sind. 34*

532

Über das Marmor Parium

Es bleibt die Frage nach dem Verhältnis von S zu s. Wie ist es zu beurteilen, wenn gleich v. 1 so aussieht: S S

OY

NITAN . . . ÜN

NÜN

OV . . . V7W.V . . . . OJV . . . vcov ?

Als Nachteil von s fällt zuerst ins Gewicht, daß ihm die Zeilentrennung fehlt, so daß es für die besonders zahlreichen über zwei Verse sich hinziehenden Lücken von vornherein unbrauchbar ist. Aber auch in allem übrigen zeigt sich seine Minderwertigkeit nur zu deutlich. Wo wir die Kontrolle von M haben, sind die Lückenangaben von s bald viel zu kurz (Nr. 4. 11. 14. 21), bald viel zu lang (30. 52. 72. 80. 85. 98). Verschiedentlich setzt es Punkte, wo keine Lücke ist (7. 18); an anderen Stellen wieder fehlt die Bezeichnung einer vorhandenen Lücke (10. 29. 51). Nur ganz selten bemißt s die Lücke richtiger als S (20. 63); und dies offenbar, weil S E L D E N in der Minuskeltranskription auf den Sinn Rücksicht nahm, wie er in sie auch einige Ergänzungen eingeführt hat, ohne sie als solche zu kennzeichnen (69. 72. 91 usw.). Aber überall, wo s sachlich von S abweicht, handelt es sich entweder um bloße Flüchtigkeiten bei der Abschrift, indem Buchstaben, die S hat, in s fehlen (Nr. 24. 83. 84. 85. 86. 89), oder um Druckfehler (90) oder um Versehen (¿ßaaikevae statt ßaaiXevei Nr. 65. 74). In den ganz seltenen Fällen, in denen S scheinbar durch s verbessert wird, sind in Wahrheit nur Druckfehler, von denen die Majuskel wimmelt, in der Minuskel vermieden (Nr. 48. 50; wohl auch 26. 53). K u r z , nirgends f i n d e t sich auch nur die l e i s e s t e S p u r , die auf n o c h m a l i g e V e r g l e i c h u n g des S t e i n e s d e u t e t e . Im Gegenteil; Fehler von S sind nicht in s, sondern erst in den Errata verbessert: z.B. haben Ss v. 64 AAAF, die Errata . . . ü . . QNAAAP. D i e Minuskel s t e l l t sich also dar als eine zur B e q u e m l i c h k e i t des B e n u t z e r s h e r g e s t e l l t e A b s c h r i f t der M a j u s k e l , und zwar als eine sehr l i e d e r l i c h e A b s c h r i f t . Ihre Abweichungen von S haben also auch in dem verlorenen Teile nicht den geringsten Wert für die Herstellung des Textes. Anders steht es mit den Errata, in denen B O E C K H mit Unrecht Konjekturen S E L D E N S ZU sehen geneigt ist. Soweit wir sie zu kontrollieren vermögen, bieten sie nichts als meist richtige (eine Schlimmbesserung 76 Nr. 40) Korrekturen von Druckfehlern — übri|gens bei weitem nicht von allen, die dastehen. Dabei handelt es sich meist um einzelne Buchstaben. Nur in v. 19/20 und 22 ist die Beurteilung der Errata entscheidend für die Richtung, in der sich die Ergänzung zu bewegen hat. Nach alledem stehen wir für A I — 4 5 auf ganz unsicherem Boden. Willkürlich ist der Umfang unserer Ergänzungen; auch der Annahme von Falschlesungen ist ein weiter Spielraum gegeben. Ergänzungen in diesem

Über das Marmor Parium

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Teile der Inschrift können im besten Falle den Sinn des Verlorenen wiedergeben; auf die Wiedergewinnung des Wortlautes wird man keinen Anspruch erheben. Nur mit dieser reservatio setzen wir die größeren Ergänzungen überhaupt in den Text. Neben die Beurteilung des modernen Abschreibers tritt als zweiter Faktor die des antiken Steinmetzen. Dieser Mann hat — das darf man sagen, ohne ihm Unrecht zu tun — ungewöhnlich nachlässig gearbeitet. In den erhaltenen Teilen hat Munros scharfes Auge zahlreiche Rasuren nachgewiesen, die im Corpus noch nicht alle bezeichnet sind. Der Stein ist demnach durchkorrigiert worden, und zwar nach seiner Fertigstellung. Denn B 9 ist AAMIAN aus ursprünglichem EAAAMINA gemacht, indem NA eradiert und durch AN ersetzt wurde, die Stelle des eradierten SA dagegen freigeblieben ist. Und A 62 ist AWYPAMBOIIOIOZ eradiert. Ohne Zweifel hatte der Steinmetz ursprünglich ENIKHSENA&HNHEIN ausgelassen, das nicht fehlen durfte. Um es einfügen zu können, mußte er das immerhin entbehrliche öidvgafißoTioiog eradieren; der ihm zur Verfügung stehende Raum war also bereits begrenzt. Aber auch dem Korrektor sind eine Reihe von Fehlern entgangen: so das Fehlen von xai elxoorov A 39 und die Wiederholung von Meveo&ecog TQeiaxaiösxdrov ETOVQ A 44. Auch in dieser Beziehung hat also die Kritik Spielraum, dessen sie sich z. B. A ep. 6. 20. 37 mit Vorteil bedienen kann. 2 Der Name des Chronisten ist mit der Überschrift — wenn eine solche vorhanden war7)'— oder mit dem größten Teile der Präskripte verschwunden. Die Versuche, ihn wiederzugewinnen, sind so unglücklich wie nur möglich ausgefallen. Ein alter Rätselrater 8 ) | hat die Reste der Präskripte 77 zu [ArjurjTQVOç o 0avoatQdx]ov [&afo]Qevç] — — âvêyQaipa ergänzt und die Behauptung gewagt, daß wir auf unserem Steine des Phalereers 'AQXOVTCDV 'AvayQaxprj besäßen 9 ). Leider ist diese wichtige Entdeckung ebensowenig diskutierbar wie Th. R e i n a c h s 1 0 ) Frage: 'Oserai-je émettre l'hypothèse que notre chronique est l'oeuvre de Sosiphanès II'. So amüsant die edle Bescheidenheit wäre, mit der dieser Mann seine eigene Geburt unter die wichtigsten Ereignisse der Diadochenzeit gerechnet ') Unten S. 554. 8) S. Daniel secundum L X X . . . nunc primum editus e singulari Chisiano codice . . . Romae 1772, 481 f. 9) 'In Pario Marmore Arundelliano, in quo nihil(!) occurrit, quod non conveniat Demetrio.' — 'plura autem certissime evincunt Phalerei de Archontibus Commentarium adhuc in eo Marmore exstare'. 10) Bulletin Epigraphique, Revue des Études Grecques 11, 1898, 333.

76,1 76,2 77,1 77,2

534

Über das Marmor Parium

hätte (B ep. 22), ich weiß doch nicht recht, wie REINACH dazu kommt, ihm eine solche Narrheit zuzutrauen. Wollte man überhaupt eine Vermutung wagen, so läge es immer noch am nächsten, an Demeas zu denken, den uns die Archilochosinschrift (IG X I I 5, 1 Nr. 445) als Verfasser eines Buches über Paros kennen gelehrt h a t und den HLLLER VON GÄRTRINGEN11) vorPhylarch ansetzt, womit wir etwa in die Zeit unseres Chronisten kommen. Aber HILLER selbst warnt vor allzu hastiger Gleichsetzung der beiden. Und gewiß mit Recht; denn die Interessen des einen richten sich auf die Lokalgeschichte von Paros, höchstens — wenn die in der R E a. 0 . mitgeteilte Vermutung BAUERS richtig ist, daß dieser Demeas Verfasser auch einer 'Iaxoqia neql ArjXov sei (von Suidas dem Arjfiddrji; 'Athjvalog gegeben) — auf die der Inseln, die mit Paros damals dem Koinon der Nesioten angehörten. U n d wenn der volle Titel dieses Buches lautet IISQI Atjkov xai Tpjg ysveascog T&V Arjrovg naidcov, wenn der Verfasser des Buches, von dem die Archilochosinschrift abhängt, ausführlich z. B. die Koiranosgeschichte erzählt, so läßt das auf einen Mann anderer Anlage schließen, als unser Chronist es war. Wir werden also •— und nicht nur aus diesen Gründen 1 2 ) — darauf verzichten müssen, den letzteren zu benennen. Weniger aussichtslos dagegen erscheint ein Versuch, die Heimat des Mannes zu bestimmen. Sein Wohnsitz war jedenfalls Paros; denn die alten Angaben, nach denen Fragm. A von dort stammen soll, sind durch den Fund von B bestätigt. Nur wenn er auf pansche Benutzer rechnet, ist 78 auch die Gleichung des | parischen mit dem athenischen Eponymen für das Schlußjahr der Chronik verständlich, während sonst durchgängig nach den athenischen Beamten datiert wird. Diese eine Gleichung an hervorragender Stelle gibt dem parischen Leser die Möglichkeit, jedes der bezeichneten Ereignisse mit leichter Mühe in die heimische Zeitrechnung umzusetzen. Aber war unser Chronist auch ein geborener Parier? Dagegen zu sprechen scheint — und ist auch zu allen Zeiten dagegen geltend gemacht— die völlige Vernachlässigung der parischen Geschichte. Wir können darüber jetzt sicherer urteilen, nachdem sich die früher geäußerte Vermutung, der Chronist habe wenigstens die jüngste Geschichte von Paros berücksichtigt, als irrig herausgestellt hat. I n Wahrheit wird nicht ein einziges spezifisch parisches Ereignis erwähnt; denn der ep. 34 mit großer Wahrscheinlichkeit ergänzte Archilochos gehört der allgemeinen Literaturgeschichte an. Wir finden weder etwas über die Ursprünge von Paros selbst noch die Gründung von Thasos oder die glückliche Verteidigung der Insel gegen Miltiades; nichts auch von Paros' Schicksalen in der Zeit Alexanders und der Diadochen. Bei einer so vollständigen Gleichgültigkeit des 77.3 ii) Archilochosinschrift aus Paros, AM 25, 1900, lff.; RE, Suppl. 1, 340f. 77.4 12) S. unten S. 555.

Über das Marmor Parium

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Verfassers gegenüber der parischen Geschichte mag wirklich die Autorschaft eines Pariers ausgeschlossen erscheinen: m a n möchte doch glauben, daß ein solcher, selbst wenn er daneben noch vielleicht ein eigenes Werk über Paros geschrieben hätte, wie das Demeas t a t , doch auch in einer allgemeinen Chronik seiner Heimat wenigstens gedacht h ä t t e . Erwägt m a n n u n dem gegenüber das überragende Interesse f ü r die Geschichte Athens, das nicht nur in der Auswahl, sondern auch in der Behandlung des Stoffes aufs deutlichste hervortritt 1 3 ), so könnte die Vermutung locken, in unserem Chronisten einen auf Paros ansässigen Athener zu sehen, der auch in der neuen Heimat wenigstens literarisch f ü r die Interessen der alten t ä t i g war. Das gleich hervorzuhebende Interesse des Chronisten f ü r die Dynastie, der Ptolemaier würde dieser Vermutung nicht widersprechen. W a r doch Ptolemaios I I . gerade zu der Zeit, als der Chronist höchstwahrscheinlich a n seiner Tabelle arbeitete, der Verbündete Athens gegen Makedonien. Was aber die Vermutung unmöglich macht, das ist die sprachliche Betracht u n g unserer Inschrift, die unten gegeben werden soll 14 ) und die meines Erachtens die Verfasserschaft eines Atheners entschieden ausschließt. | N u n lassen die sprachlichen Indizien zwar keinen positiven Schluß 79 auf die engere Heimat des Verfassers zu; aber sie widersprechen nicht der Annahme, daß wir es m i t einem Inselgriechen zu t u n haben. U n d f ü r einen solchen p a ß t noch besser als f ü r einen Athener die ganz auffällige Berücksichtigung der ägyptischen Dynastie, deren Einfluß auf die Inseln des Ägäischen Meeres zur Zeit der Abfassung unserer Inschrift noch ungebrochen war. Wenn der Chronist B ep. 8 den Tod Alexanders verzeichnet u n d beifügt xal (ajio) IIxoXefMiiov Alyvjirov xvQievasajq, so entspricht das nicht dem tatsächlichen Hergange, wohl aber der dynastischen Fabel, wie sie von den Ptolemaiern sicher verbreitet oder wenigstens begünstigt ist. Damit erscheint Ptolemaios Lagu allein unter den Diadochen gleichsam als legitimer Nachfolger Alexanders in seinem Reichsteile. Denn diese Bevorzugung der ägyptischen Dynastie h a t hier noch nicht, wie in den Chronographien späterer Zeit von Eratosthenes an, n u r einen technisch-chronographischen Zwecke— nämlich die Angabe des Filums, das von n u n an die Synchronismen liefert. D a ß d a n n Ptolemaios auch in den folgenden Epochen häufig erwähnt wird, liegt in der N a t u r der Sache. Aber sehr bemerkenswert ist es, daß wie er allein als legitimer Nachfolger Alexanders erscheint, so allein von ihm die Annahme des Königstitels berichtet wird (B ep. 23) — übrigens abweichend von unserer gewöhnlichen Überlieferung unter dem richtigen Jahre, was bei der Fülle von Fehlern in den Zeitangaben unseres Chronisten auch nicht ganz ohne Be13

) S. besonders A ep. 52. ") S. S. 555ff.

78.1 78.2

536

Über daa Marmor Parium

deutung ist. Weiter wird B ep. 19 die Geburt seines als IlToÄE/uaios o viog bezeichneten Thronerben verzeichnet15). Es ist der einzige Fall in den uns erhaltenen Teilen der Chronik, daß der Parier die Geburt einer Persönlichkeit der politischen Geschichte der Aufzeichnung für wert erachtet. Wir wissen nicht, ob etwa Alexander d. Gr. die gleiche Ehre widerfahren ist. Für sehr wahrscheinlich halte ich es nicht, da auch für ihn der Chronist keine Ausnahme von seiner Regel macht, das erreichte Lebensalter nur beim Tode literarischer Persönlichkeiten anzugeben. Diese ganz ausnahmsweise Behandlung des zweiten Ptolemaiers aber erklärt sich leicht, 80 wenn es sich um den König | handelt, unter dessen 'Regierung' der Chronist lebte und schrieb. Wir wissen ja, daß Philadelphos das Freundschaftsverhältnis oder besser gesagt die Hegemonie über die Nesioten von seinem Vater übernommen hat16). A l s o der V e r f a s s e r unserer Chronik ist j e d e n f a l l s ein Inselg r i e c h e , der sicher auf Paros lebt. Ob er auch ein g e b o r e n e r P a r i e r war, ist z i e m l i c h g l e i c h g ü l t i g . Jeder muß es mit sich ausmachen, ob er einem solchen die v ö l l i g e Vernachlässigung der parischen L o k a l g e s c h i c h t e zutrauen mag oder nicht. 3 Wenn unser Chronist (B ep. 19) einfach von üroXe/ialoQ o vlog spricht, so entnehmen wir daraus, daß er einen dritten König dieses Namens noch nicht kannte, daß er unter Philadelphos geschrieben hat. Denselben Schluß konnten wir allerdings auch früher unmittelbar aus den Präskripten ziehen, in denen der Parier angibt, daß er die Ereignisse vom Beginne des Kekrops bis zum Jahre des athenischen Archon Diognetos aufzeichnen wolle; denn wenn darin auch streng genommen für den Verfasser der Chronik keine Zeitbestimmung liegt, so ist es bei dem Charakter des Werkes17) doch nicht anzunehmen, daß er später geschrieben habe, als eben im Jahre des Diognetos oder in einem der unmittelbar folgenden. Ein ausdrückliches Zeugnis für das Jahr dieses Archonten besitzen wir nicht; und auch der Parier selbst legte ihn nicht ganz fest, da uns wegen seiner wechselnden Zählweise die Wahl zwischen den Jahren 264/3 und 263/2 blieb. Da wir auch für den Archon Arrheneides, unter dem das erste 79,1

Es ist schade, daß WILHELMS schöne Vermutung zu dieser Epoche eben nur eine Vermutung bleibt, da äußere Stützen für sie fehlen. Die Befreiungsfahrt des Ägypters nach Griechenland würden wir hier brauchen können. 80.1 16 ) Dekret der Nesioten, DITTENBERGER, Syll. 2 202, 16 xal vvv o ßaadevQ \ nroAefiaiog, diaöeidfievoi; rtj/x ßaoikeiav TIAO \ ä rov TKXZQÖQ, rrjv avrtjv evvoiav xai inifiiXeiav 7t\aQEx6fiEvos diaxeXel eiq re rovg vtjaiwrag xai | rot); atäovg"EUrjvag. 80.2 " ) S. unten S. 548f. 15 )

Über das Marmor Parium

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Schulhaupt der Stoa gestorben ist, auf die gleichen Jahre kamen, so ist die Frage, ob Diognetos-Arrheneides oder Arrheneides-Diognetos die richtige Reihenfolge sei, sehr viel verhandelt worden. Sie schien, während B O E C K H Diognetos auf 264/3 ansetzte, nach den Untersuchungen von ROH DE, Die Chronologie des Zeno von Kition, RhM 33, 1878, 622ff., G O M P E R Z , Zur Chronologie des Zeno und Kleanthes I., RhM 34, 1879, 154f., W L L A M O W I T Z , Antigonos von Karystos, PhilU 4, 1881, 251 f., zugunsten der zweiten Mög|lichkeit entschieden. Und noch jüngst hatte 81 ich selbst geglaubt 18 ), durch Nachweis eines Antipatros als Vorgängers des Arrheneides die Reihenfolge 265/4 [Antip]atros 264/3 Arrheneides 263/2 Diognetos endgültig feststellen zu können. Aber seitdem B E L O C H in Lehmanns Beiträgen 2, 1902, 473ff. die Kol. I V des Pap. Herc. 339 vollständiger gegeben hat, als ich sie besaß19), so daß die betreffenden Zeilen jetzt lauten: 9

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