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German Pages XXIII, 296 [314] Year 2020
Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik
Eva-Maria Schulte-Wißing
Kinder deuten Zahlenmuster Epistemologische Analysen kindlicher Strukturattributionen
Essener Beiträge zur M athematikdidaktik Reihe herausgegeben von Bärbel Barzel, Essen, Deutschland Andreas Büchter, Essen, Deutschland Florian Schacht, Essen, Deutschland Petra Scherer, Essen, Deutschland
In der Reihe werden ausgewählte exzellente Forschungsarbeiten publiziert, die das breite Spektrum der mathematikdidaktischen Forschung am Hochschulstandort Essen repräsentieren. Dieses umfasst qualitative und quantitative empirische Studien zum Lehren und Lernen von Mathematik vom Elementarbereich über die verschiedenen Schulstufen bis zur Hochschule sowie zur Lehrerbildung. Die publizierten Arbeiten sind Beiträge zur mathematikdidaktischen Grundlagenund Entwicklungsforschung und zum Teil interdisziplinär angelegt. In der Reihe erscheinen neben Qualifikationsarbeiten auch Publikationen aus weiteren Essener Forschungsprojekten.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13887
Eva-Maria Schulte-Wißing
Kinder deuten Zahlenmuster Epistemologische Analysen kindlicher Strukturattributionen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Heinz Steinbring
Eva-Maria Schulte-Wißing Essen, Deutschland Dissertation der Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Mathematik, 2019 Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades Dr. rer. nat. Die vorliegende Arbeit ist als Dissertation unter dem Titel: „Kinder deuten Zahlenmuster – Eine epistemologische Analyse kindlicher Strukturierungsattribute operativer, arithmetisch-symbolischer Lernumgebungen“ an der Universität Duisburg-Essen, von der Fakultät für Mathematik, 2019, angenommen worden. Datum der mündlichen Prüfung: 03.07.2019 Erstgutachter: Prof. Dr. Heinz Steinbring, Universität Duisburg-Essen Zweitgutachterin: Prof. Dr. Elke Söbbeke, Bergische Universität Wuppertal
ISSN 2509-3169 ISSN 2509-3177 (electronic) Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik ISBN 978-3-658-30952-7 (eBook) ISBN 978-3-658-30951-0 https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Für meine Familie
Geleitwort In der mathematikdidaktischen Grundlagenforschung ist in den letzten Jahren die Untersuchung von Mustern und Strukturen vermehrt ins Blickfeld gerückt. Grund dafür ist eine zunehmende Bewusstheit darüber, dass mathematisches Wissen in fundamentaler Weise theoretischer Natur ist, das heißt, mit Mathematik wird die dingliche Umwelt nicht unmittelbar sinnlich erfasst, mathematisches Wissen bezieht sich essenziell auf nicht direkt zugängliche Strukturen und Beziehungen, die in Anwendungsbereichen mathematischen Wissens (Sachrechnen, Geometrie, Arithmetik, …) aufgedeckt und untersucht werden. Die Arbeit von Frau Schulte-Wißing zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass die Arithmetik der Grundschule – ansonsten in der Schulpraxis hauptsächlich unter dem prozeduralen Aspekt von »vielfältigen Rechenaktivitäten« betrachtet – hier unter einem stärker konzeptuellen Blick von Mustern und strukturellen Beziehungen thematisiert wird. Bisherige Untersuchungen haben sich vor allem auf visuelle Muster und Strukturen beim Lernen von Geometrie und Anschauungsmaterialen konzentriert. Die zentrale Besonderheit dieser Forschung ist zum anderen, dass sie einen bedeutenden wissenschaftlichen Beitrag zur Disziplin der Mathematikdidaktik darstellt. Dies soll im Folgenden ein wenig angedacht werden, um das Interesse von Leserinnen und Lesern an dieser Arbeit zu wecken. Arithmetisch repräsentierte Kontexte als Anlässe für Deutungen zu sehen, ist für viele Kinder eine ungewohnte Herausforderung: (An-)Ordnungen von sichtbaren Phänomenen und mögliche unterliegende, arithmetische Regeln können miteinander in Konflikt geraten. Dementsprechend werden »Mathematische Muster« als Komplementarität von »phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnungen« in einer Wechsel-Beziehung zu »gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen« konzipiert. Diese Komplementarität beruht auf der epistemologischen Kennzeichnung mathematischen Wissens als einem Zusammenspiel von Sichtbarem zu Unsichtbaren. Mathematische Zahlenmuster sind Ergebnis eines permanenten Wechsels zwischen phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnungen und unsichtbaren mathematischen Gesetzmäßigkeiten und Strukturen. Auf diesem epistemologischen Fundament für das mathematische Zahlenmuster werden in konsistenter Weise vier »Typen der Zahlenmusterdeutung« ausdifferenziert, um so die Komplexität der Deutungsanforderungen für Grundschulkinder besser zu verstehen und theoretisch charakterisieren zu können. Das Konzept »Mathematisches Muster« zusammen mit dem Konstrukt der »Typen der Zahlenmusterdeutung« sind die wesentlichen und tiefgreifenden Beiträge zur Mathematikdidaktik als Wissenschaft.
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Geleitwort
Dieses theoretische mathematikdidaktische Begriffsfeld (Konzept »Mathematisches Muster« und das Konstrukt »Typen der Zahlenmusterdeutung«) wird in empirischen Interviewszenen auf seine wissenschaftliche Relevanz überprüft. Es geht hier um Deutungskompetenzen von Grundschulkindern in drei geplanten Aufgabenbereichen (Strukturierte Päckchen, Zahlenfelder, Triff die 50). In allen klinischen Szenen mit ihren theoriebasierten Analysen zeigt sich, dass die von den Schülerinnen und Schülern aktivierten Weisen der Bezugnahme auf »Sichtbares«, auf »Unsichtbares« und auf die jeweils zwischen ihnen hergestellten Beziehungen sehr anspruchsvoll und komplex sind. Dies entspricht nicht den so vertrauten Rechnungen mit ihren einzigen richtigen Ergebnissen. Die Analysen verweisen auf die unerschöpfliche Vielfalt kreativer mathematischer Aktivitäten. Muster sehen und erkennen, Muster auf mögliche unterliegende Zusammenhänge prüfen und dann zielgerecht fortsetzen zu können, und auch Muster abzuändern und durch andere zu ersetzen, ist keine wohldefinierte rezeptmäßige, und immer schrittweise abstrakter werdende Bearbeitungsprozedur. Sie ist durch spontane und probierende Wechsel gekennzeichnet. Sie ist ein forschendes Suchen, ein Hin-und-Her zwischen Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit. Das Ergebnis des Forschungsprojekts von Frau Schulte-Wißing ist in erster Linie eine wissenschaftliche, mathematikdidaktische Grundlagenarbeit, in der auf einer ausführlich gesicherten Theoriebasis und durch sorgsame interpretative Analysen mit konsistenten mathematikdidaktischen Forschungsmethoden das theoretische Konstrukt aus »Mathematischem Muster« und den »Typen der Zahlenmusterdeutung« entwickelt wird. Dabei handelt es sich um die Herstellung eines neuen mathematikdidaktischen Grundlagenkonzepts in Weiterentwicklung von vorhandenen didaktischen Theorieelementen.
Essen im Dezember 2019
Heinz Steinbring
Danksagung Zum erfolgreichen Abschluss meines Forschungsvorhabens habe ich vielen Personen zu danken. Mein erster und größter Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Heinz Steinbring. Dank ihm habe ich die Möglichkeit erhalten, ein spannendes Promotionsvorhaben zu generieren und durchzuführen. Bereits während meines Studiums hat er mir Freude und Neugier an der mathematikdidaktischen Wissenschaft vermittelt. Innerhalb meiner Promotionsphase habe ich sehr viel von ihm gelernt. Insbesondere hat er mich durch die sehr guten und kritischen Diskussionen meiner Kapitelentwürfe unterstützt. Vielen Dank, lieber Heinz, dass du mich stets mit deinem Wissen, deinen kritischen Fragen und Anregungen und deinem offenen Ohr unterstützt und mich zum Weiterdenken angeregt hast. Mein nächster Dank gilt meiner Zweitgutachterin, Frau Prof. Dr. Elke Söbbeke. Auch sie hat mir während meines Studiums die Begeisterung für die mathematikdidaktische Wissenschaft vermittelt und mir bei der Entwicklung meines Projekts während unserer gemeinsamen Zeit an der Universität Duisburg-Essen mit zahlreichen Ideen, Anregungen und kritischen Fragen beiseite gestanden. Ferner durfte ich zwei Jahre Teil ihrer Arbeitsgruppe an der Bergische Universität Wuppertal sein. Unsere harmonische Zusammenarbeit habe ich immer sehr genossen. Vielen Dank, liebe Elke, dass du meine Dissertation als Zweitgutachterin unterstützt und sie mit produktiven Fragen und Anregungen weiterentwickelt hast. Ein weiterer Dank geht an meine ehemaligen Essener Kolleginnen der Arbeitsgruppe EInmaL unter Leitung von Prof. Dr. Heinz Steinbring: Prof. Dr. Elke Söbbeke, Dr. Anke Steenpaß, Andrea Gellert und Judith Stanja. Sie haben mir vor allem zu Beginn meines Projektes mit Rat und Tat zur Seite gestanden und durch reflektierte und kritische Fragen und Anmerkungen mein Projekt unterstützt und gefördert. Ich habe mich zu jeder Zeit in der Arbeitsgruppe sehr wohl gefühlt und die freundliche und produktive Arbeitsatmosphäre sehr genossen. Zudem danke ich allen Kolleginnen und Kollegen der Mathematikdidaktik der Universität Duisburg-Essen an der Fakultät für Mathematik. Sie haben mir in unserem regelmäßig stattfindendem Forschungskolloquium wertvolle und produktive Rückmeldungen zu meinem Forschungsvorhaben gegeben. Durch das freundliche und kollegiale Miteinander habe ich mich sehr wohl gefühlt. Ich werde die Zeit nie vergessen. Der Deutsche Telekom Stiftung danke ich für die einjährige finanzielle Unterstützung meines Vorhabens. Dank des Stipendiums Fellowship Fachdidaktik
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Danksagung
MINT - Junior Fellowship konnte ich mich voll und ganz auf die Fertigstellung meiner Dissertation konzentrieren und Ideen für ein Post-Doc Vorhaben entwickeln. Ein liebes Dankeschön geht an meine Kolleginnen Frederike Welsing, Lara Vanflorep, Iris Schweizer und Katharina Mros. In unseren UMWEG-Treffen habt ihr viele konstruktive Ideen für die Auswertung meiner empirischen Daten gehabt. Unsere angenehme und entspannte Arbeitsatmosphäre habe ich sehr genossen. Ein weiteres Dankeschön geht an alle Mitglieder der Arbeitsgruppen DoEs und EMZ. In unseren gemeinsamen Arbeitssitzungen habt ihr viele unterschiedliche Anregungen und Interpretationen in mein Projekt eingebracht. Ein weiteres großes Dankeschön geht an die beiden Grundschulen, an denen ich mit den Kindern die Interviews und Interventionen durchgeführt habe. Danke für das mir entgegengebrachte Vertrauen und die Bereitschaft mein Forschungsvorhaben unkompliziert und interessiert zu unterstützen. Ein besonders herzliches Dankeschön geht in diesem Zusammenhang an alle Schülerinnen und Schüler, die mein Projekt durch all ihre mathematischen Ideen und Entdeckungen spannend gemacht und bereichert haben. Ich danke herzlich allen studentischen Hilfskräften für ihre technische als auch transkribierende Unterstützung. All meinen Freundinnen und Freunden danke ich für das aufgebrachte Verständnis, dass ich in den vergangenen Jahren wenig Zeit hatte. Ich wusste und weiß eure Unterstützung sehr zu schätzen. Meiner Familie danke ich für das sorgfältige Korrekturlesen meiner Dissertation. Meiner Schwester danke ich hierüber hinaus für die vielen inhaltlichen, konstruktiven, kritischen und mitdenkenden Rückfragen und Anregungen. Danke, dass ihr mich in meinem Vorhaben zu jeder Zeit unterstützt habt. Hierdurch habt ihr mir unheimlich viel Kraft und Motivation gegeben! Ein ganz liebevolles Dankeschön geht an meinen Mann, der während dieser Zeit geduldig an meiner Seite war und mir verständnisvoll die nötigen zeitlichen Freiräume einräumte.
Essen im Dezember 2019
Eva-Maria Schulte-Wißing
Inhaltsverzeichnis Einleitung .................................................................................... 1 1
2
Muster und Strukturen ..................................................... 5
1.1 Muster und Strukturen im allgemeinen Sprachgebrauch ........... 6 1.2 Muster und Strukturen in der elementaren Fachmathematik...... 8 1.3 Muster und Strukturen aus unterrichtspraktischer Perspektive 21 1.3.1 Muster und Strukturen in den Bildungsstandards ............. 22 1.3.2 Muster und Strukturen im Lehrplan Mathematik für die Grundschule des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ...... 23 1.3.3 Muster und Strukturen im Mathematikunterricht der Grundschule.................................................................... 24 1.4 Muster und Strukturen in der empirischen Unterrichtsforschung ............................................................................... 28 1.5 Arithmetische Muster als (Unterrichts-)Gegenstand des vorliegenden Forschungsprojektes.......................................... 37
Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik ..................................................................... 41 2.1 Die theoretische Natur mathematischen Wissens .................... 42 2.2 Deutungskonstruktion mathematischer Begriffe aus 2.3
3
epistemologischer Perspektive – Das epistemologische Dreieck .................................................................................. 44 Zahlenmuster aus epistemologischer Perspektive ................... 46
Das theoretische Konstrukt der arithmetischsymbolischen Strukturierungsfähigkeit ......................... 49 3.1 Komplementäres Verständnis - Mathematisches Muster ......... 50 3.1.1 Beispiel „Triff die 50“..................................................... 51 3.1.2 Beispiel Einmaleins-Tafel ............................................... 56 3.1.3 Beispiel Bandornamente ................................................. 61 3.2 Theoretisches Konstrukt - Typen der Zahlenmusterdeutung.... 63 3.2.1 Zur Entwicklung des theoretischen Konstrukts ................ 64
Inhaltsverzeichnis
XII
3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7
4
Anmerkungen zum theoretischen Konstrukt .................... 67 Typ Ziffern-Anordnung................................................... 72 Typ Zahl-Operation einfach ............................................ 76 Typ Zahl-Operation komplex .......................................... 78 Typ Zahl-Struktur ........................................................... 80 Übersicht der Zahlenmusterdeutungstypen ...................... 82
Design der Untersuchung ................................................ 83 4.1 Ziel der Untersuchung und Forschungsfragen ......................... 83 4.1.1 Ziel der Untersuchung ..................................................... 83 4.1.2 Forschungsfragen ............................................................ 84 4.2 Methodologischer Rahmen..................................................... 84 4.3 Konzeption der qualitativen Studie......................................... 85 4.4 Das klinische Interview .......................................................... 88 4.4.1 Interviewaufgaben .......................................................... 89 4.4.1.1 Strukturierte Päckchen ..........................................................90 4.4.1.2 Zahlenfelder .........................................................................96 4.4.1.3 Triff die 50 ......................................................................... 100 4.4.2 Durchführung der Interviews......................................... 103 4.4.2.1 Strukturierte Päckchen ........................................................ 103 4.4.2.2 Zahlenfelder ....................................................................... 105 4.4.2.3 Triff die 50 ......................................................................... 106 4.4.3 Dokumentation der Daten ............................................. 109 4.5 Intervention ......................................................................... 110 4.5.1 Konzeption der Interventionsstunden ............................ 111 4.5.2 Substanzielle Lernumgebungen der Intervention ........... 113 4.5.2.1 Umkehrzahlen (zweistellig) ................................................ 113 4.5.2.2 Zahlenmauern..................................................................... 113 4.5.2.3 Zahlengitter ........................................................................ 114 4.5.2.4 Vierersummen an der Hundertertafel................................... 114 4.5.3 Durchführung der Intervention ...................................... 115 4.5.3.1 Umkehrzahlen (zweistellig) ................................................ 115 4.5.3.2 Zahlenmauern..................................................................... 116 4.5.3.3 Zahlengitter ........................................................................ 118 4.5.3.4 Vierersummen an der Hundertertafel................................... 120 4.6 Methode und Verfahren der Interviewanalyse ...................... 121
Inhaltsverzeichnis
5
XIII
Analyse, Vergleich und Interpretation ausgewählter Szenen ............................................................................ 125 5.1 Hinweise zur Transkription .................................................. 125 5.2 Analyse ausgewählter Szenen .............................................. 127 5.2.1 Marvin deutet ein Strukturiertes Päckchen (SP2) ........... 127 5.2.1.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis........... 127 5.2.1.2 Schritt 2: Informationen zur Szene ...................................... 129 5.2.1.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene........... 129 5.2.1.4 Schritt 4: Analyse ............................................................... 137 5.2.1.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive .................... 137 5.2.1.4.2 Schritt 4.2: Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck ................. 156 5.2.1.4.3 Schritt 4.3: Einordnung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung................. 160 5.2.1.5 Schritt 5: Resümee.............................................................. 165 5.2.2 Anna deutet ein Strukturiertes Päckchen (SP2) .............. 166 5.2.2.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis........... 166 5.2.2.2 Schritt 2: Informationen zur Szene ...................................... 166 5.2.2.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene........... 166 5.2.2.4 Schritt 4: Analyse ............................................................... 169 5.2.2.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive .................... 169 5.2.2.4.2 Schritt 4.2: Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck ................. 175 5.2.2.4.3 Schritt 4.3: Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung................. 178 5.2.2.5 Schritt 5: Resümee.............................................................. 179 5.2.3 Valentin deutet ein Zahlenfeld (ZF2) ............................. 181 5.2.3.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis........... 181 5.2.3.2 Schritt 2: Informationen zur Szene ...................................... 183 5.2.3.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene........... 185 5.2.3.4 Schritt 4: Analyse ............................................................... 187 5.2.3.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive .................... 187 5.2.3.4.2 Schritt 4.2: Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck ................. 193 5.2.3.4.3 Schritt 4.3: Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung................. 194
Inhaltsverzeichnis
XIV
5.2.3.5 Schritt 5: Resümee.............................................................. 197
5.2.4
Justus deutet ein Zahlenfeld (ZF2)................................. 198
5.2.5
Marvin deutet Triff die 50 ............................................. 212
5.2.4.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis........... 198 5.2.4.2 Schritt 2: Informationen zur Szene ...................................... 198 5.2.4.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene........... 199 5.2.4.4 Schritt 4: Analyse ............................................................... 201 5.2.4.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive .................... 201 5.2.4.4.2 Schritt 4.2: Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck ................. 207 5.2.4.4.3 Schritt 4.3: Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung................. 209 5.2.4.5 Schritt 5: Resümee.............................................................. 211 5.2.5.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis........... 212 5.2.5.2 Schritt 2: Informationen zur Szene ...................................... 214 5.2.5.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene........... 215 5.2.5.4 Schritt 4: Analyse ............................................................... 217 5.2.5.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive .................... 217 5.2.5.4.2 Schritt 4.2: Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck ................. 228 5.2.5.4.3 Schritt 4.3: Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung................. 234 5.2.5.5 Schritt 5: Resümee.............................................................. 237
5.3 Vergleich der ausgewählten Szenen und Interpretation ......... 238 5.3.1 Marvin und Anna deuten SP2........................................ 238 5.3.1.1 Vergleich............................................................................ 238 5.3.1.2 Interpretation ...................................................................... 238
5.3.2
Valentin und Justus deuten ZF2..................................... 239
5.3.3
Vergleich der Lernumgebungen .................................... 241
5.3.2.1 Vergleich............................................................................ 239 5.3.2.2 Interpretation ...................................................................... 240 5.3.3.1 Vergleich............................................................................ 241 5.3.3.2 Interpretation ...................................................................... 242
5.4 Vorstellung, Interpretation und Resümee zusätzlicher Beobachtungen ........................................................................ 243 5.4.1 Strukturierte Päckchen .................................................. 243 5.4.1.1 Vorstellung und Interpretation ............................................ 243
Inhaltsverzeichnis
XV
5.4.1.2 Resümee............................................................................. 243
5.4.2
Zahlenfelder .................................................................. 244
5.4.3
Triff die 50.................................................................... 245
5.4.2.1 Vorstellung und Interpretation ............................................ 244 5.4.2.2 Resümee............................................................................. 244 5.4.3.1 Vorstellung und Interpretation ............................................ 245 5.4.3.2 Resümee............................................................................. 246
6
7
Zusammenfassung der Ergebnisse ............................... 247
6.1 Wechselspiele beim Deuten von Zahlenmustern ................... 247 6.1.1 Ausrechnen Strukturen sehen .................................... 247 6.1.2 Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen .............. 247 6.1.3 Strukturen sehen Strukturen nutzen ........................... 248 6.2 Beantwortung der Forschungsfragen .................................... 249 6.2.1 Forschungsfrage 1 ......................................................... 249 6.2.2 Forschungsfrage 2 ......................................................... 250 6.3 Das theoretisches Konstrukt „Typen der Zahlenmusterdeutung“ ....................................... 250 6.4 Einflussfaktoren beim Deuten von Zahlenmustern................ 251 6.5 Das Analyseverfahren .......................................................... 252
Resümee und Ausblick .................................................. 255
Literaturverzeichnis................................................................ 261 Anhang .................................................................................... 271
Abbildungsverzeichnis Abb. 0.1
Strukturiertes Päckchen (SP2)........................................................ 1
Abb. 0.2
Fabians Fortsetzung (SP2) ............................................................. 1
Abb. 1.1
Kubikzahlen in der Einmaleins-Tafel ............................................16
Abb. 1.2
Tetraederzahlen in der Einmaleins-Tafel .......................................17
Abb. 1.3
Auszug aus den Bildungsstandards für die Grundschule Muster und Strukturen (vgl. KMK 2005, S. 10f) ...........................22
Abb. 1.4
Herangehensweisen beim Strukturieren nach Ehrlich (2013) .........36
Abb. 1.5
Wechselspiel: Ausrechnen Strukturen sehen .............................38
Abb. 1.6
Wechselspiel: Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen ........38
Abb. 1.7
Wechselspiel: Strukturen sehen Strukturen nutzen ....................39
Abb. 2.1
Das epistemologische Dreieck nach Steinbring .............................45
Abb. 3.1
Komplementäre Beziehungen des didaktischen Konzepts „Mathematisches Muster“.............................................................50
Abb. 3.2
Triff die 50...................................................................................51
Abb. 3.3
Lösungsstreifen Td50 ...................................................................52
Abb. 3.4
Operativer Ausgleich der fünf Feldzahlen .....................................53
Abb. 3.5
Komplementäres Zahlenmusterverständnis „Mittelzahl5=Zielzahl“ ................................................................54
Abb. 3.6
Tausch von AZ und SZ (Zahlenbeispiel) .......................................55
Abb. 3.7
Tausch von AZ und SZ (Variablen) ..............................................55
Abb. 3.8
Komplementäres Zahlenmusterverständnis Td50 Vertausch von AZ und SZ ............................................................56
Abb. 3.9
Einmaleins-Tafel (Wittmann & Müller 2012a, i.O. farbig) ............57
Abb. 3.10 Entdeckung in der Einmaleins-Tafel .............................................58 Abb. 3.11 Komplementäres (Zahlen-)Musterverständnis am Beispiel der Einmaleins-Tafel ..........................................................................59 Abb. 3.12 Kubikzahlen in der Einmaleins-Tafel ............................................60
XVIII
Abbildungsverzeichnis
Abb. 3.13 Komplementäres Zahlenmusterverständnis der Einmaleins-Tafel am Beispiel der Kubikzahlen .............................61 Abb. 3.14 Komplementäres Musterverständnis am Beispiel "Bandornament" 62 Abb. 3.15 Bandornament und dazugehörige Grundfigur ................................63 Abb. 3.16 Komplementäres Musterverständnis am Beispiel eines Bandornaments ............................................................................63 Abb. 3.17 Schönes Päckchen (Wittmann & Müller 1994, S. 150 und Material 4/11) ........................................................................65 Abb. 3.18 Strukturiertes Päckchen Typ IV ....................................................68 Abb. 3.19 Strukturiertes Päckchen Typ IV - Merles Bearbeitung ...................69 Abb. 3.20 Typen der Zahlenmusterdeutung...................................................70 Abb. 3.21 Deutungsspanne ...........................................................................70 Abb. 3.22 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyps „Ziffern-Anordnung“ ....72 Abb. 3.23 Buchstaben-Päckchen...................................................................73 Abb. 3.24 Strukturiertes Päckchen Typ IV ....................................................74 Abb. 3.25 Fabians Fortsetzung des Strukturierten Päckchens Typ IV.............75 Abb. 3.26 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyp „Zahl-Operation einfach“ .............................................................77 Abb. 3.27 Zahlenfeld ZF2.............................................................................77 Abb. 3.28 Marvins Bearbeitung von ZF2 ......................................................77 Abb. 3.29 Marvin beschreibt die Lageveränderung der Zahlen ......................78 Abb. 3.30 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyps „Zahl-Operation komplex“ ...........................................................79 Abb. 3.31 Strukturierten Päckchen Typ IV - Valentins Bearbeitung...............80 Abb. 3.32 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyps „Zahl-Struktur“ .............81 Abb. 3.33 Typen der Zahlenmusterdeutung...................................................82 Abb. 4.1
Studienkonzeption ........................................................................86
Abb. 4.2
Aufbau und Zeitplan der Studie ....................................................87
Abbildungsverzeichnis
XIX
Abb. 4.3
Charakterisierung bzw. Schwerpunktsetzung der Lernumgebungen .........................................................................90
Abb. 4.4
Strukturierte Päckchen - Übersicht ................................................91
Abb. 4.5
SP1 ..............................................................................................92
Abb. 4.6
SP2 ..............................................................................................93
Abb. 4.7
SP3 ..............................................................................................94
Abb. 4.8
SP4 ..............................................................................................95
Abb. 4.9
SP5 ..............................................................................................96
Abb. 4.10 ZF1 ..............................................................................................97 Abb. 4.11 ZF2 ..............................................................................................97 Abb. 4.12 ZF1 - Berechnung unter Ausnutzung von Gesetzmäßigkeiten ........99 Abb. 4.13 ZF2 - Berechnung unter Ausnutzung von Gesetzmäßigkeiten ........99 Abb. 4.14 ZF1 - Operativer Ausgleich ........................................................ 100 Abb. 4.15 ZF2 - Operativer Ausgleich (zeilenweise) ................................... 100 Abb. 4.16 Triff die 50................................................................................. 101 Abb. 4.17 Triff die 50 mit Variablen ........................................................... 101 Abb. 4.18 Operative Veränderung der Startzahl .......................................... 102 Abb. 4.19 Operative Veränderung der Additionszahl................................... 102 Abb. 4.20 Zahlenmauer .............................................................................. 113 Abb. 4.21 Zahlengitter................................................................................ 114 Abb. 4.22 Vierersummen an der Hundertertafel .......................................... 114 Abb. 4.23 Umkehrzahlaufgaben mit dem Ergebnis 27 ................................. 116 Abb. 4.24 Zahlenmauern - Beschreibungen................................................. 116 Abb. 4.25 Zahlenmauern - Leitfaden für die Arbeitsphase ........................... 117 Abb. 4.26 Zahlengitter - Beschreibungen .................................................... 118 Abb. 4.27 Zahlengitter - Leitfaden für die Arbeitsphase .............................. 119
Abbildungsverzeichnis
XX
Abb. 4.28 Vierersummen in der Hundertertafel - Leitfaden für die Arbeitsphase .............................................................................. 120 Abb. 4.29 Vierersummen in der Hundertertafel - Zusatzaufgabe .................. 121 Abb. 5.1
SP2 - Abkürzungen .................................................................... 126
Abb. 5.2
ZF2 - Abkürzungen .................................................................... 126
Abb. 5.3
Td50 - Abkürzungen 126
Abb. 5.4
SP2 ............................................................................................ 127
Abb. 5.5
SP2 Marvin - Komplementäres Zahlenmusterverständnis ............ 128
Abb. 5.6
SP2 und seine visuellen Brüche bei der Fortsetzung .................... 129
Abb. 5.7
SP2 Marvin - Phase 2.1 .............................................................. 130
Abb. 5.8
SP2 Marvin - Phase 2.3 .............................................................. 131
Abb. 5.9
SP2 Marvin - Phase 2.4 .............................................................. 132
Abb. 5.10 SP2 Marvin - Phase 2.5 .............................................................. 132 Abb. 5.11 SP2 Marvin - Phase 2.6 .............................................................. 133 Abb. 5.12 SP2 Marvin - Phase 2.7 ............................................................. 133 Abb. 5.13 SP2 Marvin - Phase 2.8 .............................................................. 134 Abb. 5.14 SP2 Marvin - Phase 2.9 .............................................................. 134 Abb. 5.15 SP2 Marvin - Phase 3 ................................................................. 135 Abb. 5.16 SP2 Marvin - Phase 4.2 .............................................................. 136 Abb. 5.17 SP2 Marvin - Phase 1 - Epistemologisches Dreieck..................... 157 Abb. 5.18 SP2 Marvin - Phase 3 - Epistemologisches Dreieck..................... 158 Abb. 5.19 SP2 Marvin - Phase 4.2 - Epistemologisches Dreieck .................. 159 Abb. 5.20 SP2 Marvin - Phase 4.3 - Epistemologisches Dreieck .................. 160 Abb. 5.21 SP2 Marvin - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“ ..... 164 Abb. 5.22 SP2 Anna - Phase 1 .................................................................... 167 Abb. 5.23 SP2 Anna - Phase 2 .................................................................... 168 Abb. 5.24 SP2 Anna - Phase 3 .................................................................... 168
Abbildungsverzeichnis
XXI
Abb. 5.25 SP2 Anna - Phase 1 - Epistemologisches Dreieck........................ 176 Abb. 5.26 SP2 Anna - Phasen 1 und 2 - Epistemologisches Dreieck ............ 177 Abb. 5.27 SP2 Anna - Phase 3 - Epistemologisches Dreieck........................ 178 Abb. 5.28 SP2 Anna - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“ ........ 179 Abb. 5.29 ZF 2 ........................................................................................... 181 Abb. 5.30 ZF2 - Doppelt vorkommende Zahlen .......................................... 182 Abb. 5.31 ZF2 Valentin - Komplementäres Zahlenmusterverständnis .......... 182 Abb. 5.32 ZF2 Valentin .............................................................................. 183 Abb. 5.33 ZF2 Valentin - Valentin beschreibt Wege in ZF2 ........................ 183 Abb. 5.34 ZF2 Valentin - Möglichkeit 2 ..................................................... 184 Abb. 5.35 ZF2 Valentin - Phase 1 ............................................................... 185 Abb. 5.36 ZF2 Valentin - Phase 3 ............................................................... 186 Abb. 5.37 ZF2 Valentin - Phase 4 ............................................................... 186 Abb. 5.38 ZF2 Valentin - Epistemologisches Dreieck ................................. 194 Abb. 5.39 ZF2 Valentin - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“ ... 196 Abb. 5.40 ZF 1 ........................................................................................... 198 Abb. 5.41 ZF2 Justus - Phase 1 .................................................................. 199 Abb. 5.42 ZF2 Justus - Phase 2 (b) ............................................................. 200 Abb. 5.43 ZF2 Justus - Phase 2 (a).............................................................. 200 Abb. 5.44 ZF2 Justus - Phase 2 - Epistemologisches Dreieck ...................... 208 Abb. 5.45 ZF2 Justus - Phase 3 - Epistemologisches Dreieck ...................... 209 Abb. 5.46 ZF2 Justus – Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“ ...... 211 Abb. 5.47 Td50 Marvin .............................................................................. 212 Abb. 5.48 Td50 Marvin - Komplementäres Zahlenmusterverständnis .......... 214 Abb. 5.49 Td50 Marvin - Entstehungsreihenfolge ....................................... 215 Abb. 5.50 Td50 Marvin - Streifen 4 und 5 (Phase 1) ................................... 216 Abb. 5.51 Td50 Marvin - Phase 1 - Epistemologisches Dreieck................... 229
XXII
Abbildungsverzeichnis
Abb. 5.52 Td50 Marvin - Phase 2 - Epistemologisches Dreieck................... 231 Abb. 5.53 Td50 Marvin - Phasen 3 und 4 - Epistemologisches Dreieck ....... 233 Abb. 5.54 Td50 Marvin - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“ ... 236 Abb. 6.1
Typen der Zahlenmusterdeutung................................................. 249
Abb. 7.1
Komplementäres (Zahlen-)Musterverständnis ............................. 255
Abb. 7.2
Theoretisches Konstrukt „Typen der Zahlenmusterdeutung“ ....... 256
Abkürzungsverzeichnis AZ
Additionszahl
bzgl.
bezüglich
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
E
Einer
ebd.
ebendies
engl.
Englisch
etc.
et cetera
ESW
Eva-Maria Schulte-Wißing
H
Hunderter
Kap.
Kapitel
lat.
lateinisch
S.
Seite
s.
siehe
sec.
Sekunden
s.o.
siehe oben
SZ
Startzahl
u.a.
unter anderem
vgl.
Vergleiche
z. B.
zum Beispiel
Z
Zehner
Z.
Zeile
ZZ
Zielzahl
„Das wissenschaftliche Bedürfnis, in seinen mannigfaltigsten Erscheinungen, ist, wenn man es auf sein einfaches Wesen zurückführt, immer das Erkennen des Unsichtbaren im Sichtbaren“ (Humboldt 1814, S. 559f.)
Einleitung Muster und Strukturen sind innerhalb der Mathematik, die als Wissenschaft der Muster und Strukturen (vgl. Devlin 1998 & 2003) verstanden wird, von wichtiger und zentraler Bedeutung. Der Lehrplan Mathematik für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen gibt explizit an, dass sie „integraler Bestandteil“ (MSW 2008, S. 56) aller inhaltlichen Bereiche sind. Muster, mit denen sich Grundschulkinder innerhalb des Mathematikunterrichts beschäftigen, unterscheiden sich von denen des Alltags. Während die Muster des Alltags (z. B. Rhythmus von Tag und Nacht, Ablauf des Tages und der Wochen, Rhythmus der Jahreszeiten, Handlungsmuster tagtäglicher Interaktionen) in der Realität vorkommen (vgl. Eichler 2017, S. 6), kommen „Mathematische Muster und Strukturen [...] streng genommen in der Realität gar nicht vor, sondern sind theoretische Konstrukte“ (Wittmann & Müller 2007, S. 50), in deren Zusammenhänge sich Kinder hineinlesen müssen (vgl. Wittmann 2003, S. 28) Dieses Hineinlesen ist allerdings nicht per se so trivial, wie man vielleicht vermuten mag, was an folgenden Beispiel deutlich wird: Fabian (4. Schuljahr) betrachtet das Strukturierte Päckchen SP2 (Abb. 0.1) und setzt zügig die zweiten Summanden fort (wie in Abb. 0.2) dargestellt. 0.
734
1.
724
2.
714
3.
704
4. 5. 6. 7.
+ 222 + 233 + 244
=
0.
734
= =
1. 2.
724 714
+ 255 + + + +
=
3.
704
= = = =
4. 5.
+
=
10..
... 10..
Abb. 0.1 Strukturiertes Päckchen (SP2)
6. 7. ...
Abb. 0.2
+ 222 + 233 + 244
=
+ 255 + 266 + 277 + 288 + 299
=
+ 322
=
= = = = = =
Fabians Fortsetzung (SP2)
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_1
Einleitung
2 Er begründet seine Fortsetzung folgendermaßen:
„Weil hier immer die gleichen Zahlen stehen (zeigt auf die Zehner und Einer der 2. Summanden von Aufgabe 0, 1, 2 und 3). Zweiundzwanzig, dreiunddreißig, vierundvierzig, fünfundfünfzig, dann muss jetzt eigentlich sechsundsechzig (trägt 266 als 2. Summanden von Aufgabe 4 ein) und dann hier siebenundsiebzig (trägt 277 als 2. Summanden von Aufgabe 5 ein), achtundachtzig (trägt 288 als 2. Summanden von Aufgabe 6 ein), neunundneunzig (trägt 299 als 2. Summanden von Aufgabe 7 ein).“ Fabian konzentriert sich zuerst auf die Fortsetzung und Beschreibung der zweiten Summanden von SP2. Sein Fokus liegt dabei auf der Zehner- und Einerstelle („immer die gleichen Zahlen“). Die Hunderterstelle übernimmt er bis Aufgabe 7 kommentarlos. Weiter begründet er: „Weil ich ehm jetzt erstmal hier (zeigt auf den 2. Summanden der 7. Aufgabe) (unverständlich) dann muss hier die dreihundert hin (zeigt unterhalb des 2. Summanden der 7. Aufgabe), weil hier die zweihundertneunundneunzig (zeigt auf den 2. Summanden der 7. Aufgabe) ist. Dann dreihundertelf und dann dreihundertzweiundzwanzig, weil zwischen der elf und der zweiundzwanzig kommt ja nix mehr, was ne doppelte Zahl ergibt.“ Ab Aufgabe 8 erhöht er die Hunderterstelle auf drei und benennt für die Zehnerund Einerstelle jeweils die nächsten doppelten Zahlen (300, 311 und 322). Bei den Aufgaben 8, 9 und 10 müssen eigentlich die Summanden 310, 321 und 332 folgen. Fabian hingegen hat sich weiter an den rein sichtbaren doppelten Zahlen orientiert und dabei die Gesetzmäßigkeit des Musters immer plus elf nicht berücksichtigt. Fabians eingenommene Deutungsperspektive verdeutlicht das Anliegen dieser Arbeit, denn beim Deuten von Zahlenmustern geht es stets um das Wechselspiel zwischen den sichtbaren (An-)Ordnungen (äußere Schönheit) und den zugrundeliegenden unsichtbaren gesetzmäßigen Zusammenhängen (innere Schönheit). In bisherigen mathematikdidaktischen Forschungsarbeiten zur Thematik (Zahlen-)Muster wurde bisher keinerlei Unterscheidung von innerer und äußerer Schönheit berücksichtigt. In der vorliegenden Arbeit wird diese wichtige Unterscheidung vorgenommen.
Einleitung
3
Ziel ist die Entwicklung eines theoretischen Konstrukts, welches Strukturierungsattribute (kennzeichnende Charakteristika) von kindlichen Zahlenmusterdeutungen abbildet. Um dies zu erlangen, werden Grundschulkindern des vierten Schuljahres verschiedene Zahlenmuster vorgelegt, die sie deuten sollen, um für das Konstrukt verschiedene Zahlenmusterdeutungen zu erhalten. Im ersten Kapitel stehen (mathematische) Muster und Struktur im Fokus. Zunächst wird die etymologische Herkunft der beiden Wörter herausgearbeitet (Kap. 1.1) um im Anschluss erfolgt eine Untersuchung der beiden Begriffe innerhalb der elementaren Fachmathematik (Kap. 1.2). Anschließend wird herausgestellt, welche Bedeutung und Rolle sie aus unterrichtspraktischer Perspektive einnehmen (1.3). Im darauffolgenden Abschnitt des Kapitels werden aktuelle Erkenntnisse innerhalb der empirischen Unterrichtsforschung vorgestellt und diskutiert (Kap. 1.4). In diesem Zusammenhang wird das Forschungsdesiderat der vorliegenden Arbeit begründet. Zum Abschluss des ersten Kapitels wird der Fokus auf arithmetische Muster gerichtet, da diese im Zentrum dieser Arbeit stehen (Kap. 1.5). Das zweite Kapitel erörtert die epistemologische Bedeutung des Lernens von Mathematik. Hierfür wird zunächst die theoretische Natur mathematischen Wissens herausgearbeitet (Kap. 2.1) und dann folgt eine Erläuterung zur Deutungskonstruktion mathematischer Begriffe aus epistemologischer Perspektive (Kap. 2.2). In diesem Zusammenhang wird das epistemologische Dreieck, das als ein Analyseinstrument für diese Arbeit herangezogen wird, vorgestellt. Abschließend wird der Fokus auf Zahlenmuster gerichtet, die hier ebenfalls aus epistemologischer Perspektive betrachtet werden. Im dritten Kapitel wird das theoretische Konstrukt der arithmetisch-symbolischen Strukturierungsfähigkeit entwickelt. Diese Entwicklung baut auf die theoretische Fundierung der beiden ersten Kapitel auf. Zunächst wird das komplementäre Zahlenmusterverständnis, das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, vorgestellt (Kap. 3.1). Nach einer allgemeinen Vorstellung wird dieses an drei Beispielen weiterführend erläutert und veranschaulicht. Im zweiten Abschnitt des Kapitels wird das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung, das ein wesentliches Ergebnis der vorliegenden Arbeit darstellt, entwickelt, begründet und an Beispielen verdeutlicht (Kap. 3.2). Im anschließenden vierten Kapitel wird das Untersuchungsdesign der Forschungsarbeit beschrieben. Zu Beginn des Kapitels werden das Ziel der Forschungsarbeit und die Forschungsfragen, die sich aus der vorherigen theoretischen Erörterung ergeben, aufgezeigt (Kap. 4.1). Im Anschluss werden der methodologische Rahmen (Kap. 4.2) und die Konzeption der Studie (Kap. 4.3)
4
Einleitung
dargestellt. Ferner wird die Erhebungsmethode des Forschungsprojektes, das klinische Interview, erläutert und dessen Auswahl begründet (Kap. 4.4). Hiernach werden drei substanzielle Lernumgebungen (Strukturierte Päckchen, Triff die 50 und Zahlenfelder) vorgestellt, die innerhalb der klinischen Interviews von Viertklässlern gedeutet werden, und hinsichtlich ihrer zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge analysiert (Kap. 4.4). Es folgt die Vorstellung der Intervention (Kap. 4.5). Das Kapitel endet mit der Erläuterung der Methode und des Verfahrens der Interviewanalyse. Im fünften Kapitel erfolgen fünf ausführliche Analysen aussagekräftiger Szenen zu Zahlenmusterdeutungen. Für jede Analyse wird zunächst das zu deutende Zahlenmuster der Szene hinsichtlich seines komplementären Zahlenmusterverständnisses untersucht. Anschließend werden wichtige (allgemeine) Informationen zur Szene gegeben, bevor dann die Szene objektiv beschrieben wird. Es folgt eine Analyse in drei Schritten: Zuerst wird die vollständige Szene interpretativ analysiert. Im zweiten Schritt werden zentrale Deutungsaussagen der Kinder mit einem epistemologischen Schwerpunkt analysiert. Dieser Analyseschritt erfolgt mit Hilfe des epistemologischen Dreiecks (Steinbring 2005). Im dritten Analyseschritt werden die Deutungsaussagen der Schülerinnen und Schüler mit dem theoretischen Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung analysiert und in das theoretische Konstrukt eingeordnet. Abschließend erfolgt ein Resümee zu dieser Einordnung. Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusammenfassend dargestellt. Hierfür werden Erkenntnisse hinsichtlich vorkommender Wechselspiele beim Deuten von Zahlenmustern zusammengetragen (Kap. 6.1). Im An-schluss werden die Forschungsfragen beantwortet (Kap. 6.2), bevor dann Ergebnisse hinsichtlich des in dieser Arbeit entwickelten Konstrukts Typen der Zahlenmusterdeutung zusammengefasst werden (Kap. 6.3). In einem weiteren Schritt werden Einflussfaktoren beim Deuten von Zahlenmustern vorgestellt (Kap. 6.4) und es werden Erkenntnisse zum Analyseverfahren dieser Arbeit erläutert (Kap. 6.5). Im abschließenden siebten Kapitel erfolgen das Resümee und ein Ausblick. Hierfür werden die zentralen Schritte und Ergebnisse dieser Arbeit dargestellt. Hierüber hinaus werden unterrichtspraktische Konsequenzen abgeleitet, bevor dann weiterführende Forschungsideen entwickelt werden.
1 Muster und Strukturen Die Begriffe (mathematisches) Muster und (mathematische) Struktur stehen im Fokus der vorliegenden Arbeit, in der Kinder explizit zu Erkundungen von Zahlenmustern aufgefordert werden. Daher stellen sich gleich zu Beginn die Fragen: Was ist ein (mathematisches) Muster? Was ist eine (mathematische) Struktur? Der US-amerikanische Mathematiker Hersh gibt diesbezüglich an: „It’s easy to give examples of patterns. Less easy to give a coherent, inclusive definition“ (Hersh 1997, S. 178). Laut Hersh ist es einfach, Beispiele für Muster zu nennen. Es ist aber schwierig, eine allumfassende, zusammenhängende, kohärente Definition anzugeben. Auch wenn der Begriff Muster nicht eindeutig zu definieren ist, so existiert dennoch ein Verständnis bzw. eine Vorstellung darüber, was ein Muster ist bzw. was ein Muster ausmacht. Hershs soeben zitierte Aussage gilt nicht nur für den Begriff Muster. Es gibt beispielsweise im Alltag viele weitere Begriffe, zu denen gewisse Vorstellungen existieren und für die Beispiele gefunden, die aber dennoch nicht eindeutig definiert werden können. Zwei Beispiele hierfür sind die Begriffe Schönheit (vgl. Hardy 1973, S. 85, s. Kap.1.2) und Mode. Auch in der Mathematik existieren viele Begrifflichkeiten auf die besagtes zutrifft. Betrachten wir beispielsweise den Begriff der Variablen. Was ist eine Variable? Wie kann der Begriff Variable definiert werden? Auch hier kann keine eindeutige und klare mathematische Definition angegeben werden. Es existieren jedoch konsistente didaktische Charakterisierungen des Variablenbegriffs1. Diese können für das Lehren und Lernen elementarer Algebra eine sinnvolle Stütze darstellen. 2 Getreu dieser Tatsache, dass auch der Begriff Muster nicht eindeutig und allumfassend definitorisch bestimmt werden kann, werden im ersten theoretisch basierten Kapitel grundlegende Konzepte zu den Begriffen Muster und Strukturen entwickelt. Diese stellen die Basis für die Entwicklung eines komplementären (Zahlen-)Musterverständnisses (vgl. Kap. 3.1) dar, das dieser Arbeit zugrunde liegt.
1
So unterscheidet beispielweise Malle eine Variable in drei Aspekte: Gegenstandsaspekt, Einsetzungsaspekt, Kalkülaspekt. (vgl. Malle 1993, S. 45ff)
2
Da die Erläuterung des Begriffs Variable hier nur als Beispiel dienen soll, wird auf die verschiedenen Charakterisierungen des Variablenbegriffs an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Siehe hierzu Freudenthal (1983); Küchemann (1978); Malle (1993); Ursini & Trigueros (2001) und Steinweg (2013).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_2
6
1 Muster und Strukturen
Im ersten Kapitel wird nach einer allgemeinen Betrachtung der beiden Begriffe (Kap. 1.1) die Rolle von Mustern und Strukturen in der elementaren Fachmathematik (Kap.1.2) herausgearbeitet. In einem weiteren Schritt werden Muster und Strukturen aus unterrichtspraktischer Perspektive betrachtet (Kap. 1.3). Anschließend werden zur Thematik passende Studien aus der empirischen Unterrichtsforschung, auf deren Erkenntnisse und Ergebnisse die vorliegende Studie aufbaut, vorgestellt und kritisch konstruktiv diskutiert. Es wird das Forschungsdesiderat für diese Studie aufgezeigt und begründet (Kap. 1.4). Abschließend wird der Fokus auf arithmetische Muster gerichtet, da diese im Mittelpunkt des vorliegenden Forschungsvorhabens stehen (Kap. 1.5).
1.1 Muster und Strukturen im allgemeinen Sprachgebrauch Das deutsche Wort Muster (engl. pattern) lässt sich zurückführen auf das lateinische Wort monstrare3, was im Deutschen mit zeigen4 übersetzt werden kann. Aus dem Italienischen lässt sich das Wort von den beiden Worten mostra und mostrare ableiten. Mostra kann mit Ausstellung(sstück) und mostrare mit zeigen bzw. weisen ins Deutsche übersetzt werden. Im allgemeinen Sinne bezeichnet das Wort Muster eine „Vorlage, nach der etwas hergestellt wird“ (Brockhaus 2006a, S. 178; vgl. Zeitverlag 2005a, S. 180; vgl. Duden 2018a). Es ist „etwas in seiner Art Vollkommenes“ (Brockhaus 2006a, S. 178; vgl. Zeitverlag 2005a, S. 180), das einen Vorbildcharakter besitzt und nachahmenswert ist (vgl. Duden 2018a). Unter einem Muster kann ein Flächendekor verstanden werden, das aus Kombinationen einzelner oder mehrerer Elemente bzw. Figuren besteht (vgl. Brockhaus 2006a, S. 178; vgl. Zeitverlag 2005a, S. 180). Diese (regelmäßigen) Elemente wiederholen sich fortwährend, wie beispielsweise bei einer Tapete oder einem Stoff. Anhand eines kleinen Ausschnitts kann aufgrund der regelmäßigen Beschaffenheit das vollkommen Ganze erkannt
3
Die Begriffe Muster und Struktur können nicht durch rein etymologische Erforschung der Wörter vollumfänglich verstanden und entwickelt werden: Denn nicht das Wort gibt die Bedeutung vor, sondern in das Wort muss die Bedeutung hineingegeben werden. An dieser Stelle sei dennoch die historische Entstehung der beiden Begriffe kurz vorgestellt, sodass erste Ideen der Begriffsbedeutung entwickelt werden können.
4
Betont sei, dass es bei dieser Übersetzung zu einer Deutungsverschiebung gekommen ist. Denn im Gegensatz zu dieser Übersetzung stehen didaktische und kognitionspsychologische Erkenntnisse und Sichtweisen: Ein Muster zeigt nicht per se etwas. Vielmehr muss es durch konstruktive Tätigkeit aktiv gedeutet werden, sodass beispielsweise dem Muster zugrundeliegende Gesetzmäßigkeiten erkannt und gedeutet werden können.
1 Muster und Strukturen
7
werden (vgl. Duden 2018a). Mit einem Muster ist somit jedes wiederholt zu beobachtende, geordnete, regelhafte Phänomen gemeint. Muster sind im alltäglichen Leben von beachtlicher Bedeutung. So unterstützen sie beispielsweise die Ökonomie unseres Denkens, da „viele Einzelfälle mit einem Schlag gemeinsam erfasst werden können. Unser ganzes kognitives System ist auf Muster ausgerichtet, denn das Gehirn wäre gar nicht in der Lage, jeden Einzelfall gesondert zu behandeln“ (Wittmann & Müller 2007, S. 48). Ferner basieren sie auf Ordnung, welche in unserer geordneten Welt von essentieller Bedeutung ist (vgl. Poincaré 1973, S. 12; vgl. Sawyer 1955, S. 12; vgl. Orton 2005, S. vii), denn „Ordnung zu schaffen, vor allem intellektuelle Ordnung, ist eines der größten menschlichen Talente“ (Davis & Hersh 1986, S. 177). Muster können unter anderem aufgrund dessen als ein weitreichendes, fundamentales Konzept angesehen werden und spielen gerade auch deshalb für die Wissenschaften eine immens wichtige Rolle. Zumal beispielsweise nach Davis und Hersh „die Mathematik die Wissenschaft der totalen intellektuellen Ordnung ist“ (ebd.). Da im vorliegenden Forschungsvorhaben Grundschulkinder explizit zum Deuten von Zahlenmustern aufgefordert werden, sei hier eine allgemeine Beschreibung der Mustererkennung aufgeführt. Im Rahmen der Mustererkennung (engl. pattern recognition), bei der es um die Identifizierung von Mustern geht, lassen sich die folgenden vier Schritte charakterisieren: Ein Objekt wird zunächst erfasst, sodass anschließend gewonnene Daten (digitalisiert und) gespeichert werden können. In einem zweiten Schritt werden diese Daten vorverarbeitet. Hierdurch können im dritten Schritt Merkmale dieser Daten gewonnen werden. Zuletzt erfolgt die Klassifikation des Musters, indem es mit vorhandenen Mustern abgeglichen wird (vgl. Brockhaus 2006a, S. 178; vgl. Zeitverlag 2005a, S. 180).
Das Wort Struktur stammt vom lateinischen Wort structura ab. Es kann mit Ordnung bzw. Bau ins Deutsche übersetzt werden. Eine Struktur steht im Allgemeinen für „die Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander“ (Brockhaus 2006b, S. 501; Zeitverlag 2005b, S. 239, Hervorhebung ESW). Hierbei liegt ein Aufbau mit einer inneren Gliederung vor. Somit verweist das Wort auf ein Gefüge, was in sich strukturiert ist und in dem die einzelnen Elemente wechselseitig voneinander abhängig sein können (vgl. Duden 2018b). Im wissenschaftlichen Bereich wird das Wort Struktur in dreierlei Hinsicht unterschieden: Zum einen wird dieses Wort als ein Beziehungsgefüge und dessen Eigenschaften verstanden. Zum anderen versteht man es als ein „nach Regeln aus Elementen zu einer komplexen Ganzheit aufgebautes Ordnungsge-
8
1 Muster und Strukturen
füge“ (Brockhaus 2006b, S. 501). Als drittes wird es als ein System von Zwecken verstanden (vgl. ebd.; vgl. Zeitverlag 2005b, S. 239), weshalb Beziehungen und Zusammenhänge eine wichtige Rolle spielen. Aufgrund ihrer fundamentalen Eigenschaften sind Strukturen, genau wie Muster, generell, aber vor allem auch für die Wissenschaften, von beachtlicher Bedeutung. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf die geordnete Welt. Dabei liegen einer Ordnung stets Strukturen zugrunde. Somit können Strukturen ebenfalls als ein weitreichendes, fundamentales Konzept (für die Wissenschaften) angesehen werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die nicht mathematisch eindeutig zu definierenden Begriffe Muster und Struktur eine immens wichtige Bedeutung für das alltägliche Leben und die Wissenschaften, in denen Ordnung eine beachtliche Rolle spielt, einnehmen. Sie sind eng miteinander verknüpft und nur schwer voneinander abzugrenzen. Das Problem der Trennung ist vor allem in einer allgemeinen, begrifflichen Kennzeichnung schwierig. In der Mathematik wird eine Betrachtung der beiden Konzepte vorgeschlagen, in der sie sich unterscheiden (begriffliche Trennung), sich aufeinander beziehen (im Sinne einer Wechselbeziehung) und sich gegenseitig stützen (durch Beziehungen). Hierbei geht es ums Trennen, aber nicht ums voneinander Abtrennen, was im Folgenden gezeigt wird.
1.2 Muster und Strukturen in der elementaren Fachmathematik Muster und Strukturen haben innerhalb der Mathematik, sowohl in der Fachwissenschaft als auch in der Fachdidaktik, eine elementare und zentrale Bedeutung. Dies kann man daran erkennen, dass sich das Verständnis von Mathematik in den letzten Jahrzehnten zu einer Wissenschaft der Strukturen (vgl. Shapiro 1997; Shapiro 2000, S. 257) und der Muster5 entwickelt hat (vgl. u.a. Devlin 1998).
5
Das Verständnis auf die Frage „Was ist Mathematik“ hat sich im Hinblick auf die geschichtliche Perspektive der Mathematik immer wieder gewandelt. So geben Davis und Hersh diesbezüglich an: „Die Definition der Mathematik wechselt. Jede Generation und jeder scharfsinnige Mathematiker innerhalb einer Generation formuliert eine Definition, die seinen Fähigkeiten und seinen Einsichten entspricht“ (Davis & Hersh 1986, S. 4). Derzeit herrscht die Auffassung der Mathematik als Wissenschaft der Muster und Strukturen vor. Auf den geschichtlichen Kontext der Entstehung der verschiedenen Ansichten der Mathematik wird in dieser Arbeit nicht eingegangen, da diese Thematik nicht im Fokus der vorliegenden Arbeit steht. Siehe hierzu z. B. Sawyer (1955); Bourbaki (1974); Davis & Hersh (1986); Devlin (1997); Resnik (1997); Shapiro (2000) und Wußing (2008; 2009).
1 Muster und Strukturen
9
In der Literaturrecherche zu dieser Arbeit zeigte sich immer wieder, dass die beiden Begrifflichkeiten Muster und Struktur meist synonym verwendet und nicht voneinander abgegrenzt werden. Hierauf verweisen unter anderem Lüken (2012) und Ehrlich (2013) in ihren Dissertationsschriften. So geben beispielsweise die australischen Mathematikdidaktiker Mulligan, Mitchelmore und Prescott in einer ihrer Erläuterungen des Begriffs Muster explizit an: „In this paper we refer to the term ‘structure’ to encompass our definition of both pattern and structure“ (Mulligan, Mitchelmore & Prescott 2006, S. 209). In den Erläuterungen zu den Bildungsstandards für die Grundschule weisen die beiden deutschen Mathematikdidaktiker Müller und Wittmann ebenfalls auf den meist synonymen Gebrauch der beiden Begriffe hin. Sie geben an, dass sich die Begriffe nicht scharf definieren und voneinander abgrenzen lassen. Ferner erläutern sie ihre Verwendung der beiden Begriffe folgendermaßen: „Wir verwenden Muster in diesem Kapitel als Oberbegriff und sprechen vor allem dann von Struktur, wenn es sich um grundlegende, vorgegebene Muster handelt.“ (Wittmann & Müller 2007, S. 43) Hierbei werden der synonyme Gebrauch und eine zeitgleiche Vermischung der beiden Begriffe deutlich. Müller und Wittmann gehen zudem davon aus, dass manche Muster keine Struktur besitzen, was sich im zweiten Teil des zitierten Satzes finden lässt. Es bleibt jedoch offen, was Müller und Wittmann unter einem grundlegenden, vorgegebenen Muster verstehen. Für das vorliegende Forschungsvorhaben ist eine Schärfung6 der beiden eng miteinander verknüpften Begriffe allerdings unabdingbar. Diese Begriffsschärfung sei an dieser Stelle bereits kurz erläutert. In Kapitel 3.1 wird sie ausführlich vorgestellt. Im Anschluss an diese Erläuterung folgt dann die Erörterung der beiden Begriffe aus elementar-fachmathematischer Perspektive. Ein mathematisches (Zahlen-)Muster besteht nach Auffassung der vorliegenden Arbeit aus einer Wechselbeziehung zwischen zwei komplementären Komponenten, die sich wechselseitig bedingen (vgl. Wißing 2016, S. 1070; Wißing 2017, S. 39f): -
6
Den phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnungen, welche visuell wahrnehmbar und somit konkret erfassbar bzw. sichtbar sind, wie z. B. Regelmäßigkeiten an der Oberfläche
Lüken und Ehrlich nehmen in ihren Dissertationsarbeiten ebenfalls eine Schärfung der Begriffe vor. Diese werden in Kapitel 1.4 der vorliegenden Arbeit vorgestellt.
10
1 Muster und Strukturen
und -
den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen, die den visuellen (An-) Ordnungen zugrunde liegen, die aber (zunächst) nicht (unmittelbar) sichtbar sind. Diese können jedoch durch das Herstellen von Beziehungen zwischen den einzelnen visuell-sichtbaren Elementen eines Musters gedeutet werden, wodurch sie sichtbar gemacht werden können. Sie stellen die Struktur eines Musters dar.
Während bei Mustern des Alltags meist eine rein phänomenologische Betrachtungsweise im Fokus des Interesses liegt, stehen bei Mustern der Mathematik neben der phänomenologischen Betrachtungsweise vor allem auch die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge im Fokus. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise bei Betrachtung (und Wahl) eines Tapetenmusters vor allem die phänomenologische (An-)Ordnung von Bedeutung ist („Gefällt mir die Tapete?“). Die Frage nach den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen ist hierbei in der Regel irrelevant. Bei einem mathematischen Muster, wie beispielsweise bei einem Bandornament (vgl. Kap. 3.1.3), sind aber neben der phänomenologischen (An-)Ordnung vor allem auch die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge von wesentlichem Interesse. Wie umfassend ein Muster gedeutet wird, hängt also vom jeweiligen (Deutungs-) Kontext ab (z. B. Alltag, Mathematik). Grundschulkinder müssten es bereits gewohnt sein, alltägliche Muster zu deuten. Im Mathematikunterricht sollen sie aber auch mathematische Muster und deren unsichtbare, gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge deuten. Dies stellt sie vor eine meist noch ungewohnte und besondere Anforderung. Bevor hierauf und auf weiterführende didaktische Besonderheiten beim Deuten von Mustern im dritten Abschnitt dieses Kapitels eingegangen wird, soll nun zunächst erläutert werden, was aus elementar-fachmathematischer Perspektive unter den Begriffen mathematische Struktur und mathematisches Muster verstanden wird.
Wegweisend für die Erläuterungen des Begriffs mathematische Struktur sind die Ansichten des Autorenkollektivs der Gruppe mit dem Pseudonym Nicolas Bourbaki, die sich in den 1934er Jahren etablierte und die aus vorwiegend französischen Mathematikern bestand. Ausgehend von der axiomatischen Me-
1 Muster und Strukturen
11
thode7, gibt die Bourbaki-Gruppe (nach vorhergehendem Beispiel8) an, was allgemein unter dem Begriff der mathematischen Struktur zu verstehen ist: „Den verschiedenartigen Vorstellungen, die mit diesem Gattungsnamen bezeichnet werden, ist gemeinsam, dass sie angewandt werden können auf Mengen von Elementen, deren Natur nicht festgelegt ist; um eine mathematische Struktur zu definieren, nimmt man eine oder mehrere Relationen zwischen diesen (nicht weiter definierten) Elementen als gegeben an [...]; dann postuliert man, daß die gegebene Relation (oder die gegebenen Relationen) gewisse Bedingungen erfüllen, welche explizit festgesetzt werden und welche die Axiome der betrachteten Struktur sind.“ (Bourbaki 1974, S. 148f.) Nach Bourbaki sind mathematische Strukturen demnach durch die Beziehung zwischen den Elementen einer Menge beschrieben. Obwohl diese „Definition“9 von Allgemeinheit geprägt ist, merkt Bourbaki kritisch an, dass die aufgeführte „Definition der Struktur für die Bedürfnisse der Mathematik nicht allgemein genug“ (ebd.) ist. So müsste nach Ansicht der Kollektivgruppe nicht nur nach den Relationen der betrachteten Menge geschaut werden, sondern auch nach Relationen zwischen den Teilmengen dieser Mengen. Mit der Unterteilung in Mengen und Teilmengen wird deutlich, dass Bourbaki eine hierarchische Ordnung der verschiedenen Strukturen vornimmt. Einhergehend mit der axiomatischen Vorstellungsweise verknüpft Bourbaki die verschiedenen Themengebiete der Mathematik (Algebra, Geometrie, etc.), die fortan nicht mehr isoliert nebeneinanderstehen sollen. Im „Mittelpunkt des mathematischen Kosmos“ (ebd., S. 153), stehen fortan drei Strukturtypen, die 7
Die axiomatische Methode setzt sich die Durchschaubarkeit der Mathematik bis in die Tiefe als Ziel. Eckstein der axiomatischen Überzeugung ist, dass die Mathematik weder als eine zufällig sich entwickelnde Aneinanderreihung von Syllogismen, noch als eine Sammlung von mehr oder weniger ‚schlauen’ Tricks, die durch geschickte Kombination zu rein technischen Fertigkeiten führen, angesehen wird. „Wo der oberflächliche Beobachter nur zwei oder mehrere ganze getrennte Theorien sieht, die einander durch das Eingreifen eines genialen Mathematikers ‘unerwartete Unterstützung’ gewähren, da lehrt uns die axiomatische Methode, nach den tiefliegenden gemeinsamen Gründen einer solchen Entdeckung zu suchen, die gemeinsamen Ideen dieser scheinbar sehr verschiedenen Theorien zu finden, die oft unter einer Anhäufung von Einzelheiten begraben sind, diese Ideen hervorzuholen und sie ins richtige Licht zu setzen“ (Bourbaki 1974, S. 144).
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Die Erläuterung des Beispiels erfolgt an dieser Stelle nicht, da es für das hier vorgestellte StrukturVerständnis nicht notwendig ist. Es wird daher lediglich auf die Quelle verwiesen, sodass es bei Interesse dort nachgelesen werden kann (s. Bourbaki 1974, S. 144ff).
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Bourbaki verwendet in seinen Ausführungen den Begriff „Definition“. Da dieser Begriff in der vorliegenden Arbeit allerdings bewusst nicht gewählt wird, wird er hier hervorgehoben.
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aufgrund ihrer beachtlichen Bedeutung von Bourbaki als „Mutterstrukturen“ (ebd.) bezeichnet werden:
Algebraische Struktur Ordnungsstruktur (Ordnungsbeziehung) und Topologische Struktur
Neben diesen drei Mutterstrukturen existieren unzählige weitere Strukturen, die auf die Mutterstrukturen zurückzuführen sind10. Durch die Kombination der Mutterstrukturen (z. B. algebraische Topologie, topologische Algebra) entstehen nach Bourbaki sogenannte mehrfache Strukturen, die durch mindestens ein Axiom miteinander verbunden sind. Da nach Bourbaki alle mathematischen Sachverhalte auf die drei Mutterstrukturen zurückgeführt werden können, beschreibt die Bourbaki-Gruppe die Mathematik als die Wissenschaft der Strukturen. Neben Bourbaki erläutern die beiden Mathematiker Davis und Hersh ebenfalls den Begriff Mathematische Struktur. Sie geben an: „Nach den heutigen mathematischen Gepflogenheiten besteht eine mathematische Struktur aus einer Menge von Gegenständen S, die man sich als Träger der Struktur denken kann, einer Menge von Operationen und Beziehungen, die auf dem Träger definiert werden, und einer Menge ausgezeichneter Elemente im Träger, wie zum Beispiel 0, 1 usw. Man sagt, dass diese Grundbestandteile die «Signatur» der Struktur ausmachen, und sie werden oft in Form von n-Tupeln dargestellt. Zum Beispiel bedeutet die Menge der reellen Zahlen, kombiniert durch die Addition und Multiplikation, mit zwei ausgezeichneten Elementen 0 und 1. Wenn eine Signatur einer Menge von Axiomen unterworfen wird, die Forderungen an ihre Elemente stellt, bildet sich eine mathematische Struktur.“ (Davis & Hersh 1986, S. 143) Eine mathematische Struktur ist nach Davis und Hersh demzufolge ein komplexes System, das aus mathematischen Gegenständen besteht. Diese mathematischen Gegenstände fungieren wiederum als Träger der Struktur und diese Träger stehen durch Beziehungen und Operationen zueinander in Beziehung (vgl. Kap. 3.1.3, Bandornamente, Kongruenzabbildungen).
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So lassen sich beispielsweise die Primzahlen der algebraischen Struktur zuordnen.
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Nachdem soeben vorgestellt wurde, was unter einer mathematischen Struktur verstanden werden kann, soll im Folgenden der Begriff mathematisches Muster erörtert werden. Neben Hersh (1997) weist u. a. auch der britische Mathematikdidaktiker Orton auf die Schwierigkeit hin, dass der Begriff Muster11 nicht eindeutig, allumfassend definiert werden kann. Darüber hinaus gibt Orton an, dass der Begriff Muster eine große Vielfalt unterschiedlicher Bedeutungen besitzt: „It is not easy to define what we mean by ‚pattern’, even in mathematics. One of the difficulties is that the word has a variety of different meanings. On the one hand, ‘pattern’ can be used simply in relation to a particular disposition or arrangement of shapes, colours or sounds with no obvious regularity. Indeed, sometimes the arrangement might form a recognizable representation or picture. On the other hand, it might be required that the arrangement possesses some kind of clear regularity, perhaps through symmetry or repetition. In mathematics, we more often than not use the word ‘pattern’ in relation to a search for order, so regularity is more likely than not.“ (Orton 2005, S. vii) Nach Orton wird der Begriff Muster somit genutzt, wenn eine besondere Gliederung oder Anordnung von Formen, Farben oder Geräuschen besteht, die keine offensichtliche Regelmäßigkeit vorweist. Diese Anordnung kann jedoch zu einer wiedererkennbaren Repräsentation oder zu einem wiedererkennbaren Bild werden. Ferner kann für Orton bei einer Anordnung eine klare Regelmäßigkeit notwendig sein, die beispielsweise durch Symmetrie oder Wiederholung gegeben ist. Muster innerhalb der Mathematik stehen häufig im Zusammenhang mit dem Finden von Ordnung. Das wiederum heißt, dass eine vorkommende Regelmäßigkeit wahrscheinlich ist (vgl. auch Davis & Hersh 1986, S. 177). Für Orton, wie auch für die Entwicklung des theoretischen Konzepts der vorliegenden Forschungsarbeit, ist die Regelmäßigkeit, die sich durch die besondere Anordnung von Elementen ergibt, eine wichtige Facette eines Musters. Die dahintersteckende Regelmäßigkeit bzw. der strukturelle Zusammenhang muss hierbei jedoch nicht zwangsläufig immer sofort offensichtlich sichtbar sein (vgl. Orton 2005, S. vii, vgl. Kap. 3).
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Angemerkt sei an dieser Stelle, dass bei Übersetzungen von englischsprachiger Fachliteratur in die deutsche Sprache Übersetzungsfehler auftreten können. So kann es gut sein, dass der englische Begriff pattern, im Deutschen sowohl mit dem Begriff Muster als auch mit dem Begriff Struktur übersetzt wird. Hierdurch kann zum Teil nicht eindeutig rekonstruiert werden, welcher der beiden Begrifflichkeiten im Original ursprünglich gemeint war.
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Betont sei an dieser Stelle, dass ein Muster nicht nur aus Formen, Farben oder Geräuschen zusammengesetzt sein muss, wie es Orton angibt. Ein Muster kann auch aus anderen Elementen zusammengesetzt sein, beispielsweise aus Zahlen wie es in der vorliegenden Arbeit der Fall ist. Innerhalb der Mathematik wird der Begriff Muster vor allem auch zur Beschreibung wesentlicher Charakteristika mathematischen Wissens herangezogen. Auf die Frage Was ist Mathematik? findet man nicht selten die Antwort „Mathematik ist die Wissenschaft von den Mustern“ (vgl. u.a. Sawyer 1955, Devlin 1998 & 2003, Resnik 1997). So beschreibt der englische Mathematiker und Mathematikdidaktiker Sawyer die Mathematik als „the classification and study of all possible patterns” (Sawyer 1955, S. 12). Auch Devlin beschreibt die Mathematik als „die Wissenschaft von den Mustern“ (Devlin 1998, S. 3). Ferner charakterisiert er die Aufgaben eines Mathematikers: „Der Mathematiker untersucht abstrakte „Muster“ – Zahlenmuster, Formenmuster, Bewegungsmuster, Verhaltensmuster und so weiter. Solche Muster sind entweder wirkliche oder vorgestellte, sichtbare oder gedachte, statische oder dynamische, qualitative oder quantitative, auf Nutzen ausgerichtete oder bloß spielerischem Interesse entspringende. Sie können aus unserer Umgebung an uns herantreten oder aus den Tiefen des Raumes und der Zeit oder aus unserem eigenen Innern.“ (ebd., S. 3f.) Auch bei Devlin wird deutlich, dass ein Muster nicht nur aus Formen, Farben oder Geräuschen bestehen muss. Vielmehr wird bei ihm durch die Auflistung verschiedener Musterarten und der anschließenden Wortwahl „und so weiter“ deutlich, dass es viele weitere unterschiedliche Muster innerhalb der Mathematik gibt. Zudem nennt Devlin weitere mögliche Eigenschaften eines Musters, die er konträr gegenüberstellt. Sawyer beschreibt den Begriff Muster, indem er angibt: Ein Muster „is to be understood in a very wide sense, to cover almost any kind of regularity that can be recognized by the mind“ (Sawyer 1955, S. 12). Somit legt auch Sawyer ein besonderes Augenmerk auf die Regelmäßigkeit eines Musters, welche vom Geist wahrnehmbar ist. Ferner gibt er an, dass das intellektuelle Leben nur aufgrund von gewissen Regelmäßigkeiten, die es in der Welt gibt, möglich ist (vgl. Sawyer 1955, S. 12 der sich auf Poincaré 1973 bezieht). Ein Muster ist für ihn „the only relatively stable thing in a changing world“ (Sawyer 1955, S. 12). In diesem Zusammenhang gibt er das Beispiel an, dass wir ein und dasselbe Gesicht nie ein zweites Mal aus dem exakt gleichen Winkel betrachten. Wir können es aber wiedererkennen, da „certain patterns remain identifiable“ (ebd.). Die Identifizierbarkeit eines Musters ist daher von großer Bedeutung. Demzufolge ist die
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Struktur, die dem Muster zugrunde liegt, etwas Unveränderliches, während das Muster durch beispielsweise verschiedene Betrachtungsweisen veränderlich sein kann. Dieses von Sawyer angegebene alltägliche Beispiel lässt sich auch auf Muster innerhalb der Mathematik übertragen. Es lässt sich vor allem auch auf dieses Forschungsprojekt beziehen. Die an der Studie teilnehmenden Schülerinnen und Schüler deuteten in den Prä- und Post-Interviews dieselben arithmetisch-symbolischen Lernumgebungen. Hierbei zeigte sich, dass sie sich in den Post-Interviews zwar zum Teil an die Lernumgebungen und die hierin enthaltenen Zahlenmuster der Prä-Interviews erinnerten (Identifizierbarkeit eines Musters), dass sie aber in den Post-Interviews unterschiedliche Deutungen, Vorgehensweisen, Blickwinkel und Sichtweisen vor- bzw. einnahmen. Somit gestaltete sich das Post-Interview nie als eine reine Eins-zu-eins-Kopie des Prä-Interviews, in welchem vor allem spontane Deutungen der Schülerinnen und Schüler im Vordergrund standen. Dies beruht unter anderem auf der Tatsache, dass sich die Deutungssichtweisen der Schülerinnen und Schüler innerhalb einer achtstündigen Intervention12, die nach den Prä-Interviews erfolgte, ausdifferenzieren konnten. Durch eine erneute und aktive Auseinandersetzung der Zahlenmuster in den Post-Interviews konnten so neue Aspekte des Musters in den Vordergrund treten und neue mathematische Zusammenhänge entdeckt werden. Da nach Sawyer alle Wissenschaften auf Regelmäßigkeiten der Natur beruhen, fordert er, dass „the classification of types of regularity, of patterns, should then be of practical value. And the mind should find pleasure in such a study. In nature, necessity and desire are always linked“ (ebd.). Der praktische Umgang zur Klassifizierung von Regelmäßigkeiten und Mustern sollte nach Sawyer somit geübt werden. Hierbei sollte der Geist Vergnügen empfinden, da Notwendigkeit und Lust immer in einem wechselseitigen Verhältnis stehen. Daher ist es auch für den Mathematikunterricht an Grundschulen wichtig, dass Kinder das Deuten von (Zahlen-)Mustern nicht nur üben und vornehmen sollen, weil es eine vorgegebene Aufgabenstellung so vorsieht. Vielmehr sollten sie erkennen und erfahren, warum es von Vorteil sein kann, sich auf die Suche nach Mustern zu begeben, sodass der praktische Nutzen Motivation genug sein sollte (z. B. geschickteres Rechnen, Fortsetzen, Finden von Fehlern, etc.). Weiterhin merkt Sawyer an, dass in der Natur meist dieselben Muster stets mehrmals ausfindig gemacht werden können, obwohl sie sich in unterschied12
Eine ausführliche Vorstellung und Erläuterung des Studiendesigns, inklusive einer ausführlichen Erläuterung der Prä- und Post-Interviews und der Intervention, erfolgt in Kapitel 4.
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lichen Bereichen befinden. Gleiches gilt für die Mathematik. So lässt sich beispielsweise ein bestimmtes Zahlenmuster in mehreren Bereichen der Mathematik wiederfinden. In diesem Zusammenhang kann die folgende Einmaleins-Tafel (Abb. 1.1) innerhalb unterschiedlicher mathematischer Kontexte hinzugezogen und genutzt werden, um verschiedene strukturierte mathematische Hintergründe zu zeigen und zu beweisen. In der gegebenen Einmaleins-Tafel können die Summen der Würfelzahlen (Kubikzahlen) (Abb. 1.1) oder der Tetraederzahlen (Abb. 1.2) abgelesen werden. Zum Ablesen der Summen der Würfelzahlen (Kubikzahlen) n3 betrachte man die Einmaleins-Tafel mit den bereits eingetragenen Winkeln. Addiert man die in jedem Winkel eingetragen Zahlen, so erhält man die einzelnen Summen der Würfelzahlen (1, 8, 27, 64, etc.).13 1
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3. Winkel: 3+6+9+6+3= 27=3 3
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Abb. 1.1
1. Winkel: 1=13 2. Winkel: 2+4+2= 8 =23
usw.
Kubikzahlen in der Einmaleins-Tafel %,%"-,%"-
- betrachte Zum Ablesen der Summen der Tetraederzahlen ,% ) ! man die in der Einmaleins-Tafel dargestellten Diagonalen (Abb. 1.2). Addiert man die Zahlen der einzelnen Diagonalen, so ergeben sich die Tetraederzahlen (1, 4, 10 20, etc.).
13
Der Beweis hierzu befindet sich in Kap. 3.1.2 (2. Beispiel).
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1. Diagonale:
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2. Diagonale:
2+2=4
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3. Diagonale:
3+4+3=10
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4. Diagonale:
4+6+6+4=20
usw.
Abb. 1.2 Tetraederzahlen in der Einmaleins-Tafel
Sawyer fordert, dass bei einem wiederkehrenden Muster untersucht werden sollte, warum es existiert. „It is meant to support the thesis, where there is a pattern there is significance. If in mathematical work of any kind we find that a certain striking pattern recurs, it is always suggested that we should investigate why it occurs.“ (Sawyer 1955, S. 36) Demzufolge sollte Sawyers Forderung, ein (wiederkehrendes) Muster genauer zu untersuchen und zu begründen, aufgrund der hohen Bedeutung, so früh wie möglich nachgegangen werden - also auch schon im Mathematikunterricht der Grundschule. Daher werden in diesem Forschungsvorhaben die Schülerinnen und Schüler stets explizit auch nach dem Warum gefragt. Gerade die Frage nach dem Warum fordert, dass etwas nicht nur beschrieben, sondern auch erklärt werden soll. Damit man etwas erklären kann, muss man das in Frage gestellte näher untersuchen, analysieren, Beziehungen herstellen, es tiefer durchdringen. Man wird somit selbst tätig und versteht es hierdurch besser (vgl. Freudenthal 1982). Beim Deuten von Zahlenmustern regt die Frage nach dem Warum zudem zu Überlegungen auf struktureller Ebene an. Hierbei müssen sichtbare Elemente mit Hilfe des Unsichtbaren gedeutet werden. Neben Sawyer setzte sich auch der britische Mathematiker Hardy (1973) mit der Klärung des Begriffs Muster auseinander. Er vergleicht die Muster der Mathematik mit denen der Dichter und Maler und weist auf die Langlebigkeit eines mathematischen Musters hin: „A mathematician, like a painter or a poet, is a maker of patterns. If his patterns are more permanent than theirs, it is because they are made with ideas. A painter makes patterns with shapes and colours, a poet with
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words. A painting may embody an ‘idea’, but the idea is usually commonplace and unimportant. In poetry, ideas count for a good deal more; but, as Housman14 insisted, the importance of ideas in poetry is habitually exaggerated: ‘I cannot satisfy myself that there are any such things as poetical ideas.... Poetry is not the thing said but a way of saying it.’ Not all the water in the rough rude sea Can wash the balm from an anointed King.15 Could lines be better, and could ideas be at once more trite and more false? The poverty of the ideas seems hardly to affect the beauty of the verbal pattern. A mathematician, on the other hand, has no material to work with but ideas, and so his patterns are likely to last longer, since ideas wear less with time than words.“ (Hardy 1973, S. 84f) Der Mathematiker, der laut Hardy ein maker of patterns ist, erzeugt Muster, die von Langlebigkeit geprägt sind, da sie auf Ideen basieren. Mit den Ideen meint Hardy vermutlich die Gesetzmäßigkeiten, die einem Muster zugrunde liegen und die nicht veränderlich sind. Von kürzerer Langlebigkeit sind beispielsweise Muster der Dichter, da diese auf Worten beruhen und sich Worte und ihre Bedeutungen im Laufe der Zeit wandeln können. Die Bedeutung der Ideen mathematischer Muster ist und bleibt stabil. Auch wenn sich die Sichtweise auf ein Muster ändern kann und sich hierdurch das ästhetische Empfinden ändert, so bleiben die Ideen und Gesetzmäßigkeiten eines mathematischen Musters erhalten. Somit haben beispielweise die Ideen und Gesetzmäßigkeiten (Verschiebung, Schubspiegelung, etc., s. Kap. 3.1.3) eines Bandornaments (z. B. in Form einer Tapete) langlebig Bestand, auch wenn sich der Geschmack des Betrachters (die Ästhetik - modern, unmodern) ändert. Hardy fährt fort, indem er auf die für ihn notwendige Schönheit eines Musters eingeht: „The mathematician’s patterns, like the painter’s or the poet’s must be beautiful; the ideas like the colours or the words, must fit together in a harmonious way. Beauty is the first test: there is no permanent place in the world for ugly mathematics. […] It would be difficult now to find an educated man quite insensitive to the aesthetic appeal of mathematics. It may be very hard to define mathematical beauty, but that is just as true of
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Housman (1859 – 1936): Englischer Gelehrter und Dichter.
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Die beiden Zeilen stammen aus einem Gedicht von William Shakespeare.
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beauty of any kind – we may not know quite what we mean by a beautiful poem, but that does not prevent us from recognizing one when we read it.“ (ebd., S. 85) Obwohl Hardy nicht angeben kann, was ein (mathematisches) Muster zu einem schönen Muster macht, ist er der Ansicht, dass sowohl die Muster der Mathematiker als auch die der Dichter und Maler von Schönheit geprägt sein sollten. Die Ideen eines Musters (z. B die Zahlen) müssen zusammenpassen und eine Harmonie ergeben. So existiert für Hardy in dieser Welt kein dauerhafter Platz für hässliche Mathematik. In seinem Buch Muster der Mathematik nimmt Devlin Bezug auf Hardys Aussage zur Schönheit eines Musters. Er gibt an, dass Hardy mit der Schönheit eines Musters meist eine abstrakte innere Schönheit meint. Im mathematischen Sinn wäre dies beispielsweise eine „Schönheit der abstrakten Form und der logischen Struktur“ (Devlin 1998, S. 6). Die innere Schönheit eines Musters, von der hier gesprochen wird, entspräche demnach der dem Muster zugrundeliegenden Struktur. Das vorliegende Forschungsvorhaben geht ferner davon aus, dass ein Muster neben dieser inneren Schönheit auch eine äußere Schönheit besitzt, welche durch die Eigenschaften und gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge der inneren Schönheit eines Musters entsteht. Diese äußere Schönheit ist somit durch die innere Schönheit geprägt und wird von ihr beeinflusst. So gibt auch Hardy diesbezüglich an: „The ideas do matter to the pattern, even in poetry, and much more, naturally, in mathematics“ (Hardy 1973, S. 90f). Daher sind diese beiden Komponenten, die innere und die äußere Schönheit eines Musters, eng miteinander verknüpft und sie stehen stets in einer wechselseitigen Beziehung zueinander (vgl. komplementäres Musterverständnis, Kap. 3.1). Es existieren demnach also zwei Arten von Schönheit: Eine äußere Schönheit, die vergänglich sein kann (Oberflächenschönheit) und eine abstrakte, innere Schönheit (strukturelle Schönheit), die langlebig ist. Anhand der folgenden Zahlenfolge, die aus einem Strukturierten Päckchen (vgl. 4.4.1.1, SP2) stammt, das Kinder in den Prä- und Post-Interviews deuten sollten, lässt sich dies veranschaulichen: 222, 233, 244, 255, 266, 277, 288, 299 Diese Zahlenfolge ist auf phänomenologischer Ebene (Oberflächenschönheit) durch die gleichbleibende Ziffer Zwei im Hunderter und stets derselben Ziffer im Zehner und Einer gekennzeichnet (22, 33, ...). Die abstrakte, innere Schönheit ist durch die gesetzmäßige, strukturelle Beziehung plus elf beschrieben. Wird diese Zahlenfolge weiter fortgeführt, so bleibt die strukturelle Schönheit plus elf erhalten. Die Oberflächenschönheit erfährt allerdings aufgrund der dekadischen
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Struktur des Stellenwertsystems einen Umbruch. So sind die Ziffern des Zehners und Einers nun nicht mehr identisch, sondern die Ziffer des Zehners ist bis zum nächsten Hunderterübergang stets um eins größer als die Ziffer der Einerstelle. 310, 321, 332, 343, ... Da die strukturelle Schönheit erhalten bleibt, ist sie demzufolge langlebiger als die Oberflächenschönheit. Diese ist vergänglich und kann sich innerhalb eines Musters verändern. Ferner gibt Devlin an, dass diese innere Schönheit, die in der Regel abstrakt ist, nur von jemandem wahrgenommen und gewürdigt werden kann, der sich mit der Materie auskennt und sich mit ihr auseinandersetzt. Dies bestätigte sich in dieser Studie: So haben die an der Studie teilnehmenden Schülerinnen und Schüler bei den zu deutenden arithmetisch-symbolischen Lernumgebungen (s. Kap. 4.4.1) zunächst keine Struktur(en), oder wie Hardy und Devlin es nennen würden, keine innere Schönheit wahrgenommen. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lernumgebungen entdeckten sie dann aber schließlich die dem Zahlenmuster zugrundeliegende(n) Struktur(en) bzw. dessen innere Schönheit. Das Wahrnehmen und Ergründen dieser inneren Schönheit eines Musters wurde dabei in der Regel durch die äußere Schönheit eines Musters angeregt und beeinflusst, da visuell wahrnehmbare Elemente und ihre Auffälligkeiten begründet werden sollten (z. B. die Einer mehrerer Zahlen sind stets gleich). Neben der Schönheit eines Musters ist für Hardy auch die Seriosität ein wichtiges Kriterium: „The best mathematics is serious as well as beautiful […] The ‘seriousness’ of a mathematical theorem lies […] in the significance of the mathematical ideas which it connects. We may say, roughly, that a mathematiccal idea is ‘significant’ if it can be connected, in a natural and illumineting way, with a large complex of other mathematical ideas. Thus a serious mathematical theorem, a theorem which connects significant ideas, is likely to lead to important advances in mathematics itself and even in other sciences.” (Hardy 1973, S. 89) Eine weitere wichtige Facette eines mathematischen Musters ist nach Devlin die Unendlichkeit. Während sich ein mathematisches Muster in alle Richtungen bis ins Unendliche fortsetzen kann, kann ein alltägliches Muster, wie beispielsweise ein regelmäßiges, sich wiederholendes Tapetenmuster, nur eine begrenzte Fläche vollständig abdecken (vgl. Devlin 1998, S. 183). Wittmann und Müller (2012) nehmen im Projekt mathe 2000 die Begriffe Muster und Strukturen ebenfalls in den Blick. Sie berufen sich auf Sawyer und Devlin
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und geben an, dass „unter einem ‚mathematischen Muster‘ eine Gesetzmäßigkeit, Regelmäßigkeit oder eine allgemeine Beziehung zu verstehen ist, die sich nicht auf einzelne Fälle, sondern auf eine umfangreiche Klasse spezieller Fälle bezieht. Alle Sätze, Formeln und Algorithmen der Mathematik sind in diesem Sinn ein ‚Muster‘ “ (Wittmann & Müller 2012b, S. 66; vgl. auch Wittmann & Müller 2007, S. 48). Im Sinne des Musterverständnisses des vorliegenden Forschungsvorhabens (s. o., vgl. Kap. 3.1) würde diese von Müller und Wittmann beschriebene Erläuterung des Begriffs mathematisches Muster eine Erläuterung der komplementären Komponente gesetzmäßiger, struktureller Zusammenhang entsprechen, der einen Teil des komplementären Musterverständnisses ausmacht. Nach dieser elementar fachmathematischen Erörterung der Begriffe Muster und Strukturen in der Mathematik, werden Muster und Strukturen im Folgenden aus unterrichtspraktischer Perspektive näher betrachtet. Hierbei werden neben Forderungen, die die verbindlichen Bildungsstandards und der verbindliche Lehrplan (NRW) vorgeben, vor allem Bedingungen, Konsequenzen und Forderungen für ein erfolgreiches und gewinnbringendes Lehren und Lernen mit Mustern und Strukturen im Mathematikunterricht der Grundschule aufgezeigt.
1.3 Muster und Strukturen aus unterrichtspraktischer Perspektive Muster und Strukturen spielen innerhalb der Mathematik, die als Wissenschaft der Muster (vgl. Devlin 1998 & 2003) bezeichnet wird, eine sehr bedeutende Rolle. Da Muster abstrakt sind, stellen sie - vor allem für Grundschulkinder eine besondere und sehr komplexe Deutungsanforderung dar. Zudem kommen mathematische Muster und Strukturen „streng genommen in der Realität gar nicht vor, sondern sind theoretische Konstrukte, die in die Realität „hineingelesen“ werden. Man kann bei Anwendungen der Mathematik zwar einzelne Zahlen, einzelne Einmaleinsaufgaben und einzelne Rechnungen interpretieren, aber nicht die Menge aller Zahlen, nicht das gesamte Einmaleins und nicht das Rechensystem als Ganzes“ (Wittmann & Müller 2007, S. 50; vgl. auch Wittmann & Müller 2012b, S. 68). Dennoch sollte die Mathematik schon in der Grundschule als Wissenschaft von den Mustern entwickelt werden, da die frühen Stufen der Mathematik nicht von den höheren Stufen getrennt werden dürfen (vgl. Dewey 2012; vgl. auch Wittmann & Müller 2012b, S. 78). Zudem sind Muster nach Ansicht von Poincaré die einzigen relativ stabilen Dinge in einer Welt, die sich ununterbrochen verändert (vgl. Kap. 1.2). Und diese Stabilität kann den Kindern Halt geben, da das intellektuelle Leben nur aufgrund von gewissen Regelmäßigkeiten, die es in der Welt gibt, möglich ist (vgl. Poincaré
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1973). Wittmann und Müller betonen zudem, dass das „Denken in Mustern auch das Erlernen elementarer Fertigkeiten befördern kann: Muster und Strukturen sind ein Grundkonzept des Mathematiklernens vom Kindergarten an“ (Wittmann & Müller 2012b, S. 79). Zudem stellt der Umgang mit Mustern und Strukturen auch für Lehrerinnen und Lehrer eine anspruchsvolle Herausforderung dar. Er erfordert eine Unterrichtskultur, in der die Schülerinnen und Schüler frei und offen denken und arbeiten können. Hierfür werden idealerweise substanzielle Lernumgebungen (vgl. Wittmann 1995b, S. 528; 1998 und 2001, S. 2) benötigt, die den Kindern diese notwendige Freiheit geben (vgl. Wittmann & Müller 2012b, S. 78). Zur weiterführenden Betrachtung der Thematik aus unterrichtspraktischer Perspektive, wird im Folgenden zunächst herausgearbeitet, was die Bildungsstandards und der Lehrplan Mathematik für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen an Kompetenzerwartungen diesbezüglich fordern und erwarten. In einem weiteren Schritt werden schließlich Konsequenzen für den Umgang mit Muster und Strukturen im Mathematikunterricht aufgezeigt. 1.3.1
Muster und Strukturen in den Bildungsstandards
In den verbindlichen Bildungsstandards für den Mathematikunterricht an Grundschulen, in denen Lernziele bzw. Leistungsstandards klar definiert werden, wird der Themenbereich Muster und Strukturen als einer von fünf Standards für inhaltsbezogene mathematische Kompetenz folgendermaßen aufgeführt (Abb. 1.3; vgl. KMK 2005, S. 8): Gesetzmäßigkeiten erkennen, beschreiben und darstellen
funktionale Beziehungen erkennen, beschreiben und darstellen
- strukturierte Zahldarstellungen (z.B. HunderterTafel) verstehen und nutzen, - Gesetzmäßigkeiten in geometrischen und arithmetischen Mustern (z.B. in Zahlenfolgen oder strukturierten Aufgabenfolgen) erkennen, beschreiben und fortsetzen, - arithmetische und geometrische Muster selbst entwickeln, systematisch verändern und beschreiben. - funktionale Beziehungen in Sachsituationen erkennen, sprachlich beschreiben (z.B. Menge – Preis) und entsprechende Aufgaben lösen, - funktionale Beziehungen in Tabellen darstellen und untersuchen, - einfache Sachaufgaben zur Proportionalität lösen.
Abb. 1.3 Auszug aus den Bildungsstandards für die Grundschule - Muster und Strukturen (vgl. KMK 2005, S. 10f)
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Wittmann und Müller machen darauf aufmerksam, dass „in der linken Spalte allgemeine inhaltsunabhängige Kompetenzen aufgeführt sind, bei ihrer Ausformulierung in der rechten Spalte aber alle großen Inhaltsbereiche der Grundschulmathematik angesprochen werden (Arithmetik, Geometrie sowie Größen und Sachrechnen)“ (Wittmann & Müller 2012b, S. 61). Diese Tatsache ist für sie ein klarer Hinweis dafür, dass „der Bereich Muster und Strukturen den Inhaltsbereichen übergeordnet ist“ (ebd.), wodurch die fundamentale Bedeutung des Themenbereichs Muster und Strukturen deutlich wird.
1.3.2
Muster und Strukturen im Lehrplan Mathematik für die Grundschule des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen
Im aktuellen Lehrplan Mathematik für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen16, dessen Grundlage die Bildungsstandards darstellen, gibt es ebenfalls keinen separaten Bereich Muster und Strukturen. Vielmehr sind Muster und Strukturen allen anderen Bereichen übergeordnet. So gibt der Lehrplan explizit an: „Dem Erkennen und Nutzen von Mustern und Strukturen kommt eine wesentliche Rolle im Mathematikunterricht zu. Muster und Strukturen bestimmen häufig die einzelnen Themenbereiche und können zur Verdeutlichung zentraler mathematischer Grundideen genutzt werden. Von daher werden sie im Folgenden nicht als eigener Bereich ausgewiesen, sondern sind integraler Bestandteil aller Bereiche.“ (MSW 2008, S. 56) Wenngleich der Bereich Muster und Strukturen als integraler Bestandteil aller inhaltlichen Bereiche des Lehrplans angesehen wird, wird der Begriff Muster im Bereich der Inhaltsbezogenen Kompetenzen zweimal explizit genannt. Beide Male erfolgt die Nennung interessanterweise im Bereich Raum und Form:
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Schwerpunkt Ebene Figuren Als Kompetenzerwartung am Ende der vierten Klasse wird die Erwartung formuliert: „Die Schülerinnen und Schüler setzen Muster fort (z. B. Bandornamente, Parkettierungen), beschreiben sie und erfinden eigene Muster“ (ebd., S.64).
Es sei darauf hingewiesen, dass in der vorliegenden Studie nur der Lehrplan Mathematik für die Grundschule des Landes Nordrhein-Westfalen als ein exemplarisches Beispiel herangezogen wird. Es erfolgt keine Betrachtung, Untersuchung oder Auswertung der Lehrpläne der anderen deutschen Bundesländer. Betont sei jedoch, dass der Bereich Muster und Strukturen in den Lehrplänen der anderen Bundesländer ebenfalls integriert ist.
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Schwerpunkt Zeichnen Als Kompetenzerwartung am Ende der Schuleingangsphase wird die Erwartung formuliert: „Die Schülerinnen und Schüler zeichnen Linien, ebene Figuren und Muster aus freier Hand und mit Hilfsmitteln wie Lineal, Schablone und Gitterpapier“ (ebd., S. 65).
Als eine von fünf zentralen Leitideen des Mathematikunterrichts wird die Strukturorientierung angegeben und folgendermaßen erläutert: „Das Prinzip der Strukturorientierung unterstreicht, dass mathematische Aktivität häufig im Finden, Beschreiben und Begründen von Mustern besteht. Dazu werden die Gesetze und Beziehungen aufgedeckt, die Phänomene aus der Welt der Zahlen, der Formen und der Größen strukturieren. So werden auch Vorgehensweisen wie Ordnen, Verallgemeinern, Spezifizieren oder Übertragen entwickelt und geschult.“ (ebd., S. 55) Es wird hier also explizit angegeben, dass das Finden, Beschreiben und Begründen von Mustern für eine aktive Auseinandersetzung mit der Mathematik Bestandteil sein sollte. Der Lehrplan wie auch die Bildungsstandards geben also an, welche inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen Grundschulkinder im Umgang mit Mustern und Strukturen erwerben sollten. Sie geben jedoch keinerlei Hinweise oder Anregungen, wie dies in der Schulpraxis umgesetzt werden könnte. Unbeantwortet bleibt somit auch die Frage, wie die notwendige Deutungskultur beim Deuten von Mustern und Strukturen im Mathematikunterricht entstehen kann (vgl. Kap. 1.3.3). Erste Hinweise, Anregungen und Beispiele zur Umsetzung werden in den Erläuterungen zu den Bildungsstandards für die Grundschule aufgeführt (vgl. Walther et al 2012).
1.3.3
Muster und Strukturen im Mathematikunterricht der Grundschule
Der Umgang mit Mustern und Strukturen jeglicher Art stellt für Schülerinnen und Schüler immer wieder aufs Neue eine besondere Deutungsanforderung dar. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass ein Muster nicht per se durch einfaches Hinschauen erfasst, verstanden, gedeutet und begründet werden kann. Vielmehr müssen die sichtbaren, konkreten Elemente und Phänomene eines Musters zueinander in Beziehung gesetzt werden, um die dem Muster zugrundeliegenden strukturellen und unsichtbaren Gesetzmäßigkeiten entdecken, deuten
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und verstehen zu können (vgl. Komplementäres (Zahlen-)Musterverständnis, das dieser Arbeit zugrunde liegt, s.o. oder Kap. 3.1). Um also das Abstrakte und Unsichtbare deuten zu können, muss sich der Betrachter des Musters vom Konkreten lösen, um allgemeine Beziehungen und Strukturen hineindeuten zu können (vgl. Steinbring 2005, vgl. Kap. 2). Da es sich im Mathematikunterricht primär um mathematische Muster und nicht um alltägliche Muster aus der Lebenswelt der Kinder handelt, ist dieser Prozess in der Regel sehr ungewohnt und zudem umfangreich, anspruchsvoll und komplex. Er erfordert daher eine spezielle Deutungskultur, die von den Schülerinnen und Schülern erst einmal kennengelernt werden muss. So gibt Steinbring an: „Mathematical knowledge cannot be revealed by a mere reading of mathematical signs, symbols and principles. They have to be interpreted, and this interpretation requires experiences and implicit knowledge – one cannot understand these signs without any presuppositions. Such implicit knowledge, as well as attitudes and ways of using mathematical knowledge, are essential within a culture. Therefore, the learning and understanding of mathematics requires a cultural environment.“ (Steinbring 2005, S. 17) Um diese Deutungskultur kennenzulernen und zu erfahren, eignen sich vor allem soziale, aktiv-entdeckende Lernsituationen (Wittmann 1995a), denn diese bieten die Möglichkeit, dieser speziellen Deutungskultur zu begegnen, sie zu festigen und auszudifferenzieren. Aufgabe der Lehrperson ist es, solche Lernsituationen zu arrangieren und anzubieten. Ziel sollte es sein, dass Schülerinnen und Schüler einen flexiblen, adäquaten und reflektierenden Umgang mit anspruchsvollen Muster- und Strukturdeutungsanforderungen erlernen können. Ausgehend von dem Standpunkt, dass die Mathematik nicht als fertiges Produkt, welches vom Lehrer an die Schülerin oder den Schüler übergeben wird, sondern als aktive konstruktive Tätigkeit aufgefasst wird, ist es daher unerlässlich, dass sich Kinder selbstständig mit Mustern auseinandersetzen und Deutungen aushandeln können (vgl. Kap. 2.1, vgl. Wittmann 1994). Sowohl die verbindlichen Bildungsstandards als auch der Lehrplan sowie zahlreiche fachdidaktische Studien fordern und belegen, dass ein Kind von der Mathematik nur ein Verständnis aufbauen kann, wenn es die Möglichkeit erhält, selbst tätig zu werden. Es muss sich lebendig und aktiv mit der Mathematik auseinandersetzen können. So gibt beispielsweise Freudenthal an: „Mathematik ist keine Menge von Wissen. Mathematik ist eine Tätigkeit, eine Verhaltensweise, eine Geistesverfassung.“ (Freudenthal 1982, S. 140; vgl. auch Lorenz 1998)
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Zudem ermöglicht die selbstständige Auseinandersetzung mit dem Lernstoff, dass neu gewonnene Erkenntnisse mit bereits vorhandenem Wissen zueinander in Beziehung gesetzt und hierdurch gut integriert und vernetzt werden können (vgl. Steinbring 2005). Neben dem selbstständigen Tätigsein spielt zudem die soziale Interaktion eine bedeutende Rolle. „Denn erst die soziale Interaktion führt dazu, dass ein echtes Verständnis für mathematische Muster und Strukturen aufgebaut werden kann“ (Götze 2013, S. 29; vgl. auch Freudenthal 1982; vgl. KMK 2005, S. 6f.) - oder, wie Steinbring es formuliert: „The emerging of the mathematical knowledge is fundamentally taking place in the context of social construction and individual interpretation processes. Mathematical knowledge is thus not previously a given; it is constructed by means of social activities and individual interpretations.” (Steinbring 2005, S. 7) Zudem kann nach Miller (1986) fundamentales Lernen nur in der sozialen Interaktion durch kollektive Lernprozesse und Argumentation erfolgen (vgl. Miller 1986; vgl. auch Steinbring 2005). Hierbei wird vor allem auch der vorhin beschriebene kulturelle Austausch der Kinder untereinander geübt und ausdifferenziert. Die Kinder sollten also regelmäßig die Chance erhalten, ihre eigenen Musterdeutungen anderen Kindern vorstellen zu können. Durch diesen Austausch können sie dann ihre individuellen Sichtweisen und Musterdeutungen miteinander vergleichen, anpassen und ausdifferenzieren. Dies ist ein wichtiger Prozess im Umgang mit Mustern, da das Deuten von Mustern, wie beispielsweise auch das Deuten von Anschauungsmitteln (vgl. Lorenz 1998; vgl. Söbbeke 2005), grundsätzlich nicht eindeutig ist. Vielmehr ist ein weites Deutungsspektrum möglich. Neben naheliegenden Musterdeutungen sind eben auch Musterdeutungen möglich, die zunächst vielleicht völlig unerwartet erscheinen mögen (vgl. Götze 2013, S. 28). Es sind also verschiedene Deutungen eines Musters möglich, sofern sie zum Muster passen17 und stichhaltig begründet werden können. Das heißt aber auch, dass es Deutungen geben kann, die (eher) nicht passend sind. Daher sollten Musterdeutungen gemeinsam mit den lernenden Kindern reflektiert werden. In diesem Zusammenhang sollte dann gemeinsam ausgehandelt werden, ob eine Deutung passend oder nicht passend er-
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In dieser Arbeit wird bewusst die Begriffsgruppe passend und nicht passend bei der Beurteilung von Musterdeutungen gewählt, da in diesem Zusammenhang nicht von richtig oder falsch gesprochen werden sollte.
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scheint. Diese Sensibilisierung ist beim Deuten von Mustern sehr wichtig (vgl. Söbbeke 2005; vgl. Götze 2013, S. 28). Häufig soll ein Muster fortgesetzt werden. Da das Fortsetzen eines Musters von den zuvor angestellten Musterdeutungen, bei denen die dem Muster zugrundeliegenden Strukturen bestimmt werden, abhängig ist, sind folglich Musterfortsetzungen ebenfalls nicht eindeutig. Betrachten wir illustrierend hierfür das folgende Zahlenmuster, welches fortgesetzt werden soll: 3, 5, 7,
,
,
,
,...
Eine mögliche Fortsetzung der Zahlenfolge wäre: 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, ... Demnach wären die ersten drei Folgeglieder als die ungeraden Zahlen (2n+1) ≥ 3 gedeutet worden und die Folge wäre entsprechend dieser Regel mit den jeweils nächsten ungeraden Zahlen fortgesetzt worden. Werden die ersten drei Folgeglieder jedoch anders gedeutet, beispielsweise als Primzahlen ≥ 3, ergibt sich die folgende Fortsetzung: 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, ... Es wird deutlich, dass anhand der hier ersten drei sichtbaren Folgeglieder der Zahlenfolge verschiedene Strukturen hineingedeutet werden können, sodass diese Zahlenfolge nicht eindeutig fortzusetzen ist. Die Offenheit der Deutungsmöglichkeit und die damit einhergehende Fortsetzungsvielfältigkeit stellt nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer vor eine besondere Anforderung. So erfordert sie ein ständiges und flexibles Umdenken und ein Einlassen auf Fortsetzungen, die gegebenenfalls nicht sofort als passend deklariert werden. Durch die Offenheit, die das Deuten von Mustern meist innerhalb eines Aufgabenformates beinhaltet, ist zudem eine hervorragende Gelegenheit zu differenzierendem Arbeiten gegeben (vgl. Eichler 2010, S. 37). Diese kann aus der Sache heraus entstehen und entspricht somit einer natürlichen Differenzierung (vgl. Wittmann & Müller 2004; Krauthausen & Scherer 2010). Da es beim Deuten von Mustern eben nicht nur die eine richtige Lösung gibt, benötigen Kinder Freiheiten. So geben Wittmann und Müller an: „Bei der Entdeckung, Beschreibung und Begründung von Mustern sowie der Lösung von Problemen und der Erklärung von Lösungswegen mithilfe von Mustern benötigen die Kinder Freiheiten. An die Stelle von Un-
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1 Muster und Strukturen terrichtseinheiten, in denen die Bearbeitung von Aufgaben im Detail vorgeschrieben ist, müssen daher ‚Lernumgebungen‘ treten, die bewusst Spielräume bieten.“ (Wittmann & Müller 2012b, S. 78)
Um dieser Anforderung nachzukommen, bietet sich vor allem der Einsatz substanzieller Lernumgebungen an (vgl. Wittmann 1995b; 1998; 2001). Hierbei regen Fragen wie: „Wieso ist das so?“, „Wie geht es weiter?“, die Kinder dazu an, sich Gedanken über das Muster und seine gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge zu machen. So müssen zur Beantwortung der Fragen die Kinder kreative Ideen generieren, sich auf die Suche nach neuen Beziehungen begeben, Elemente des sichtbaren Musters miteinander vergleichen, Zusammenhänge aufdecken, Vermutungen und Thesen aufstellen, sie überprüfen, verallgemeinern und abstrahieren und dann auch wieder konkretisieren. Das heißt, sie werden zu vielfältigen Prozessen aufgefordert, die vor allem auch eine Entwicklung allgemeiner geistiger Fähigkeiten fördern (vgl. Eichler 2017, S. 8f.). Das Deuten von Mustern bietet somit vielfältige Anlässe zum Beschreiben, Kommunizieren und Argumentieren. „Etwas zu entdecken, zu erforschen, nach Mustern zu suchen sowie Strukturen zu erkunden, sollten nicht nur Tätigkeiten eines Wissenschaftlers sein. Kinder entwickeln eine beachtliche Motivation und sie fühlen sich ernst genommen, wenn sie mathematische Aufgaben selbst erforschen, Entdeckungen aufschreiben sowie diese präsentieren“ (Götze 2013, S. 26).
Nachdem die Thematik Muster und Strukturen aus unterrichtspraktischer Perspektive betrachtet wurde, sollen im folgenden Abschnitt empirische Forschungsprojekte zur Thematik Muster und Strukturen vorgestellt werden, die (wissenschafts-) theoretische Überlegungen im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Mustern und Strukturen darstellen.
1.4 Muster und Strukturen in der empirischen Unterrichtsforschung Im Vergleich zur vorangehenden fachmathematischen Erörterung, setzt sich die didaktische Forschung auf einer anderen Ebene mit dem Themengebiet Muster und Strukturen auseinander. So untersucht die didaktische Forschung, wie Kinder mit dieser besonderen und anspruchsvollen Deutungsanforderung umgehen. Hierbei nimmt sie eine eher rekonstruktive Perspektive ein. Im Folgenden werden die Studien von Söbbeke (2005), Lüken (2012), Steinweg (2001), Link (2012) und Ehrlich (2013) vorgestellt und im Hinblick auf das vorliegende Forschungsvorhaben kritisch reflektiert. In diesem Zusammenhang wird
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das aktuelle Forschungsdesiderat aufgezeigt und das vorliegende Forschungsvorhaben begründet. Söbbeke (2005) untersuchte in ihrem Forschungsvorhaben Zur visuellen Strukturierungsfähigkeit von Grundschulkindern, wie Grundschulkinder bildlich dargestellte Diagramme und Anschauungsmittel innerhalb arithmetischer Deutungsanforderungen nutzen. Anhand epistemologisch-orientierter Analysen ihrer qualitativ erhobenen Daten (Fallstudien) konnte sie vier Ebenen der visuellen Strukturierungsfähigkeit rekonstruieren. Die erste und vierte Ebene stellen dabei eine gewisse Pole bzw. Extreme dar, die eine Bandbreite von stark dinglich, empirischen18 (Ebene I) bis hin zu strukturorientierten, relationalen Herangehensweisen (Ebene IV) aufspannen. Zwei Mischformen dieser beiden Ebenen stellen die zweite und die dritte Ebene dar, in denen in unterschiedlicher Gewichtung das Zusammenspiel von empirischen und strukturorientierten Deutungen charakterisiert wird (vgl. Söbbeke 2005, S.135).
Ebene konkret empirischer Deutungen (Ebene I) Ebene des Zusammenspiels von partiell empirischen Deutungen mit ersten strukturorientierten Deutungen (Ebene II) Ebene strukturorientierter Deutungen mit zunehmender, flexibler Nutzung von Beziehungen und Umdeutungen (Ebene III) Ebene strukturorientierter, relationaler Deutungen mit umfassender Nutzung von Beziehungen und flexiblen Umdeutungen (Ebene IV)
Während sich Söbbeke ausschließlich auf die visuelle Strukturierungsfähigkeit von Grundschulkindern konzentriert hat, wird in dieser Arbeit der Frage nachgegangen, wie sich die arithmetisch-symbolische Strukturierungsfähigkeit von Grundschulkindern beschreiben und charakterisieren lässt. Zudem untersuchte Söbbeke, deren Forschungsarbeit eine veränderte Betrachtungsweise der Thematik innerhalb der Mathematikdidaktik mit sich brachte, ausschließlich spontane Schülerdeutungen. In der vorliegenden Forschungsarbeit werden neben spontanen Deutungen der Schülerinnen und Schüler vor allem aber auch Deutungen in den Blick genommen, die nach einer umfangreichen Deutungsaktivität (Intervention) erfolgen. Das Forschungsdesign von Söbbeke wird somit um eine umfangreiche Intervention und anschließende Post-Interviews erweitert, um den Kindern differenzierte Deutungen zu ermöglichen.
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In der interpretativen mathematikdidaktischen Forschung, insbesondere unter Berücksichtigung der Natur mathematischen Wissens, wird empirisch im Kontext der visuellen Strukturierungsfähigkeit als dinglich verstanden.
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Anliegen der Forschungsarbeit von Lüken (2012) mit dem Titel Muster und Strukturen im mathematischen Anfangsunterricht ist die Klärung der Bedeutung von Mustererkennungs- und Strukturierungsfähigkeiten für mathematisches Lernen im Anfangsunterricht. Hierbei stehen ebenfalls visuelle Muster im Fokus. Lükens Arbeit basiert auf dem Verständnis, dass ein Muster eine Regelmäßigkeit beschreibt, die numerischer oder räumlicher Art ist. Hierbei stellen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Bestandteilen eines Musters seine Struktur dar. Unter dem Begriff Struktur wird also die Art und Weise verstanden, in welche ein Muster gegliedert ist (vgl. Lüken 2012, S. 22). In Lükens Forschungsarbeit wird demzufolge nicht das komplementäre Wechselspiel der sichtbaren (An-)Ordnungen eines Musters und seine gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge in den Blick genommen. Auf diesem Musterverständnis baut die hier vorliegende Arbeit auf und es steht zentral im Fokus. Die Art und Weise, wie die an den Studien teilnehmenden Kinder Musterdeutungen vornehmen sollen, ist unterschiedlich. Während die Kinder in der Längsschnittstudie von Lüken Deutungen an konkreten Materialien (z. B. ZehnerPerlenkette, Plättchen) vornehmen konnten, nehmen die Schülerinnen und Schüler, die an der vorliegenden Studie teilnehmen, Deutungen ausschließlich an symbolischen Repräsentationen vor. Zudem unterscheidet sich das Alter der an der Studie teilnehmenden Kinder. Lüken betrachtet Deutungen von Kindern im mathematischen Anfangsunterricht zu dreierlei Zeitpunkten: Kurz vor Schuleintritt, am Schulanfang und am Ende der zweiten Klasse. Die Schülerinnen und Schüler, die in dieser Studie zu Zahlenmusterdeutungen aufgefordert werden, befinden sich im ersten Schulhalbjahr der vierten Jahrgangsstufe. Zudem erfolgten bei Lüken weder eine Intervention noch Post-Interviews. Inhaltlich betrachtet prüft Lüken, ob ein möglicher Zusammenhang von Mustererkennungs- und Strukturierungsfähigkeiten mit mathematischen Kompetenzen besteht. Sie entwickelt ferner ein Konstrukt des Struktursinns. Dieses Konstrukt differenziert sie in einem ersten Anlauf inhaltlich aus, indem sie die dem Struktursinn konstituierenden Fähigkeiten beschreibt und zur Diskussion stellt. Das von Lüken entwickelte Konstrukt des Struktursinns19 basiert auf Beobachtungen, die sie während der Studie machte, ihren Auswertungen der quantita-
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Unter Struktursinn versteht Lüken „die gute Intuition über Muster und Strukturen oder anders gesagt, die Leichtigkeit und Beweglichkeit im Umgang mit Mustern und Strukturen“ (Lüken 2012, S. 221).
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tiven und qualitativen Studie und auf Ergebnissen anderer empirischer Studien zur entsprechenden Thematik. Es beschreibt die folgenden Fähigkeiten: -
- -
-
„das Wiedererkennen einer Anordnung als bereits bekanntes Muster (z.B. Würfelbilder, Figurenmuster, ...), insbesondere das Wiedererkennen eines bekannten Musters in seiner einfachsten Form und als Teil einer komplexeren Anordnung; das flexible Aufteilen eines Musters in Teile (Struktureinheiten); das Erkennen wechselseitiger Verbindungen, Beziehungen und Zusammenhänge zwischen den Struktureinheiten (z.B. das Finden von Regelmäßigkeiten, Entdecken von Ähnlichkeiten / Unterschieden, ...); das Integrieren der Struktureinheiten und Betrachten des Musters als Ganzes (z.B. um seine Mächtigkeit zu bestimmen, ...)“ (ebd., S. 221).
Lüken gibt explizit an, dass es sich bei der Entwicklung des soeben vorgestellten Konstrukts um einen „ersten Versuch“ (ebd., S. 220) und eine „erste inhaltliche Ausdifferenzierung“ (ebd., S. 222) handelt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die arithmetisch-symbolische Strukturierungsfähig von Grundschulkindern weitergehend auszudifferenzieren, wofür das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung entwickelt werden soll (vgl. Kap. 3.2). Nach Auswertung ihrer empirischen Studie, die sowohl qualitativ als auch quantitativ angelegt ist, bestätigt Lüken einen Zusammenhang zwischen mathematischer Leistung und Fähigkeiten im Umgang mit Mustern und Strukturen auf einem mittelhohen Niveau (vgl. ebd., S. 210). In ihrer Forschungsarbeit belegt sie, dass Kinder in der Schuleingangsphase schon über Strukturierungskompetenzen verfügen und dass der Schulanfang somit „keine „Stunde Null“ (Selter 1995) des Wissenserwerbs“ (ebd., S. 211) darstellt. Sie kann allerdings einige Unterschiede in den Muster- und Strukturfähigkeiten der Kinder ausmachen. So zeigt sie eine Spanne von der Mustererkennungs- und Strukturierungsfähigkeit von leistungsschwachen und leistungsstarken Mathematiklernern auf. Hierbei kommt sie zu der Zusammenfassung, dass „schwache Kinder zu einer festgelegten Sicht- und Strukturierungsweise eines Musters“ (ebd., S. 212) tendieren und dass sie Struktureinheiten eines Musters entweder gar nicht oder maximal auf nur eine Weise zueinander in Beziehung setzen. Sie fokussieren eher auf äußere Merkmale eines Musters und betrachten Anschauungsmittel eher aus einer alltäglichen Perspektive. Im Gegensatz hierzu sind leistungsstarke Mathematikschülerinnen bzw. -schüler dazu in der Lage, verschiedene Sichtweisen einzunehmen und Muster flexibel zu strukturieren. Ferner können sie die verschiedenen Struktureinheiten eines Musters auf unterschiedliche Weisen zueinander in
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Beziehung setzen. Während leistungsschwache Kinder sich auf äußere Merkmale eines Musters konzentrieren, fokussieren sich leistungsstarke Kinder eher auf Zerlegungen und Struktureinheiten, die sie gebildet haben. Auch wenn in der vorliegenden Arbeit kein geschlechts- oder leistungs-spezifischer Vergleich von Deutungen vorgenommen wurde, zeigte sich eine deutliche Spanne der Deutungen der Schülerinnen und Schüler. Deutungen sind generell individuell und somit von unterschiedlicher Natur. Die Deutungsspanne im vorliegenden Projekt lässt sich mit den verschiedenen Typen der Zahlenmusterdeutung, die rekonstruiert werden konnten, beschreiben (vgl. Kap. 3.2).
Steinweg (2001) fokussiert sich in ihrer Forschungsarbeit mit dem Titel Zur Entwicklung des Zahlenmusterverständnisses bei Kindern auf arithmetische Muster. Nach Auswertung ihrer Daten, die sowohl quantitativ als auch qualitativ erhoben wurden, kategorisiert sie das Zahlenmusterverständnis in die folgenden drei Phasen (Steinweg 2001, S. 115): I Erkennen und Intuitives Fortsetzen eines Musters II Beschreiben eines Musters • exemplarisch • generalisierend III Erklären des Musters • Argumentieren am Beispiel • auf Allgemeingültigkeit zielendes Argumentieren In ihrer Forschungsarbeit konzentriert sich Steinweg ausschließlich auf das Erkennen und Fortsetzen (Phase I) sowie auf das Beschreiben arithmetischer Muster (Phase II). Sie untersucht nicht, wie Kinder Muster erklären (Phase III). Im vorliegenden Forschungsprojekt werden Erklärungen und Begründungen eines Musters, das sich aus einem Wechselspiel zwischen den Phänomenen an der Oberfläche und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen ergibt, explizit eingefordert. Sie stehen somit neben dem Erkennen, Beschreiben und Fortsetzen eines Musters ebenfalls im Fokus des Interesses. Zudem zeigte sich im vorliegenden Projekt, dass sich Fortsetzungen, Beschreibungen und Begründungen bzw. Erklärungen häufig miteinander vermischen. Die einzelnen Deutungsphasen lassen sich somit nicht trennscharf voneinander abgrenzen. Betrachtet man die drei von Steinweg beschriebenen Phasen des Deutens eines Zahlenmusters, so lässt sich festhalten, dass diese relativ pauschal beschrieben sind. Im vorliegenden Forschungsvorhaben soll anhand der individuellen und zahlreichen Zahlenmusterdeutungen der interviewten Kinder eine Ausdifferen-
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zierung erfolgen. Diese soll im theoretischen Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung auf Basis epistemologischer Analysen von Schülerdeutungen entwickelt werden (vgl. Kap. 3.2 und Kap. 5). Steinweg fasst am Ende ihrer Arbeit ihre Hauptergebnisse (mathematische, psychologische und pädagogische Grundlage) zusammen, von denen nun diejenigen kommentiert vorgestellt werden, die für das vorliegende Forschungsvorhaben eine Grundlage darstellen bzw. weiterführende Aspekte offenlassen (vgl. ebd., S. 261). So gibt Steinweg an, dass die Entdeckungspotentiale von Zahlenmusteraufgaben sehr hoch sind, weshalb unterschiedliche Zugangsweisen und verschiedene Lösungen möglich sind. Von dieser Tatsache sollen die Kinder in der vorliegenden Studie profitieren, indem sie in der Intervention zahlreiche und ausgiebige Möglichkeiten erhalten, sich mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern über ihre individuellen und verschiedenartigen Deutungen auszutauschen. Hierdurch erhalten sie die Chance, ihre Sichtweisen auf Zahlenmuster und deren Deutungen auszudifferenzieren und zu vertiefen. Steinweg kommt zu dem Schluss, dass Zahlenmuster aus sich heraus für Kinder interessant sind und nicht besonders eingekleidet oder an die Lebenswelt der Kinder geknüpft sein müssen. Auch wenn dies in der vorliegenden Studie nicht primär untersucht und analysiert wurde, so lässt sich diese Aussage, basierend auf den Erfahrungen und Beobachtungen, die während der Pilot- und Hauptstudie gemacht wurden, ausdrücklich bestätigen und bekräftigen. Laut Steinweg können Kinder Zahlenmuster auch ohne unterrichtliche Vorerfahrung erkennen und beschreiben. Meist gehen sie mit ihnen aber anders um, als von Erwachsenen erwartet. Dies zeigte sich teilweise auch in der vorliegenden Studie (vgl. hierzu u.a. die Erläuterungen zum Zahlenmusterdeutungstyp Ziffern-Anordnung, Kap. 3.2.3; oder Annas Deutungen zum Strukturierten Päckchen SP2, Kap. 5.3). Steinweg „konnte keine spontane Entwicklung des Zahlenmusterverständnisses im Laufe der Grundschulzeit“ (ebd., S. 261) nachweisen. Die vorliegende Forschungsarbeit betont die besondere und komplexe Deutungsanforderung beim Deuten von abstrakten Zahlenmustern. Zudem ist nach ihrer Auffassung eine besondere Deutungskultur beim Deuten von eben solchen Mustern unabdingbar. Eine Einführung in diese Deutungskultur bzw. das Erlernen dieser Deutungskultur ist jedoch kein spontaner Akt. Sie benötigt vielmehr intensive und vor allem regelmäßige Übung (vgl. Kap. 1.3.3). Von daher ist es nachvollziehbar, dass Steinweg innerhalb ihrer Studie keine spontane Entwicklung verzeichnen konnte.
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Link (2012) entwickelt innerhalb seiner Dissertationsschrift mit dem Titel Grundschulkinder beschreiben operative Zahlenmuster Unterrichtsaktivitäten, in denen das Beschreiben von Zahlenmustern angeregt werden soll. Er geht zunächst der Frage nach, was eine gute Beschreibung eines Zahlenmusters ausmacht. Seine konzipierten Unterrichtsaktivitäten, die auf Erkenntnissen seiner Voruntersuchung aufbauen, werden von ihm erprobt, reflektiert und überarbeitet. Hierbei bezieht sich Link ausschließlich auf das Aufgabenformat Strukturiertes Päckchen. Dieses Aufgabenformat ist Grundschulkindern in der Regel aus dem alltäglichen Mathematikunterricht vertraut. Im vorliegenden Projekt werden neben Strukturierten Päckchen weitere substanzielle Aufgabenformate (vgl. Kap. 4.3 und 4.4) eingesetzt. Diese kennen die Kinder vermutlich eher nicht aus dem alltäglichen Mathematikunterricht an Grundschulen. Hierbei ist es von Interesse, wie Kinder mit diesen für sie neuen Deutungsanforderungen umgehen. Wie Grundschulkinder Muster begründen und wie deren Begründungskompetenz angeregt und ausdifferenziert werden kann, wird in Links Arbeit nicht berücksichtigt. Dies findet aber ausdrücklich Berücksichtigung in der vorliegenden Arbeit.
Ehrlich (2013) untersucht in ihrem Forschungsprojekt mit dem Titel Strukturierungskompetenzen mathematisch begabter Sechst- und Siebtklässler Niveaus und Herangehensweisen beim Strukturieren. Ihr erstes Hauptziel besteht in der theoretischen Modellierung des Konstrukts Strukturierungskompetenz als wesentliches Merkmal mathematischer Begabung bei Sechst- und Siebtklässlern. Das zweite Hauptziel beschreibt sie als Kennzeichnung von Herangehensweisen beim Strukturieren und Niveaus von Strukturierungskompetenzen beim Bearbeiten mathematischer Aufgaben ebensolcher Schülerinnen und Schüler (vgl. Ehrlich 2013, S. 15). Dabei basiert ihre Arbeit auf dem Verständnis, dass eine Struktur „eine allgemein formulierte mathematische Beziehung zwischen mindestens zwei Elementen in einem mathematischen Kontext“ (ebd., S. 117) beschreibt. Unter einem Muster versteht sie mindestens einen konkreten Repräsentanten einer mathematischen Struktur (z. B. mit Hilfe einer Zahlenfolge dargestellt). Allerdings gibt sie nicht an, wodurch dieser Repräsentant charakterisiert ist. Sie unterscheidet bei ihrer Definition (vgl. Fußnote 9) zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten. Diese Unterscheidung spiegelt sich bei der Kennzeichnung von Herangehensweisen beim Strukturieren (2. Hauptziel) wieder, indem sie zwischen einer Musterebene, die meist weniger anspruchsvoll ist, und einer Strukturebene, die (aus struktureller Sicht) qualitativ hochwertiger ist, unterscheidet. Diese Unterscheidung ist zudem begrifflich differenziert gekennzeichnet und es wird „explizit zwischen der Muster- und der Strukturebene
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unterschieden“ (ebd., S. 119). Ehrlichs Arbeit nimmt demnach ebenfalls nicht das Wechselspiel zwischen den komplementären Komponenten phänomenologische (An-)Ordnungen und gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge in den Blick. Bezogen auf Verallgemeinerungen unterscheidet Ehrlich zwei Typen: Die ferne und die nahe Verallgemeinerung. Demnach ist eine Verallgemeinerung umso anspruchsvoller, je ferner das gesuchte Folgenglied von den bereits gegebenen Folgengliedern entfernt ist. Dies zeigte sich bei der Fortsetzung einiger Strukturierter Päckchen in der vorliegenden Studie. So sollte beispielsweise bei dem Päckchen Typ II neben der 4., 5., 6. und 7. Aufgabe auch die 10. und sogar die 50. Aufgabe bestimmt werden. Der Sprung von der 10. zur 50. Aufgabe stellte viele Kinder vor eine große Herausforderung (vgl. Kap. 4.3.1.1). In ihrer Studie betrachtet Ehrlich ausschließlich Deutungen von Schülerinnen und Schülern, die mathematisch als begabt eingestuft werden. Dies unterscheidet sich zur vorliegenden Studie. Ebenso unterscheidet sich das Alter der an den beiden Studien teilnehmenden Kinder. Gemäß den Auswertungen und Analysen der erhobenen Daten, fasst Ehrlich eine tabellarische Übersicht zu den Herangehensweisen beim Strukturieren zusammen (ebd., S. 242, Abb. 1.4). In der tabellarischen Darstellung der Herangehenswiesen beim Strukturieren wird deutlich, dass es neben einer eindeutigen Muster- bzw. Strukturebene auch eine gemischte Ebene gibt. In dieser werden sowohl Muster als auch Strukturen betrachtet. Die verschiedenen Herangehenswiesen, die in neun Kriterien unterteilt sind (s. linke Spalte), geben jedoch keinen Aufschluss darüber, wie die Schülerdeutungen inhaltlich ausgestaltet sind. Beispielsweise wäre es neben der Tatsache, dass Muster verbal beschrieben werden (s. mustergeprägte Herangehensweise beim Beschreiben von Mustern und Strukturen), spannend zu wissen, wie und in welchem Umfang solche Beschreibungen inhaltlich ausgestaltet sind. Dieser Frage wird in der vorliegenden Forschungsarbeit nachgegangen (s. Kap. 3.2).
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36 Allgemeines Kriterium
mustergeprägte Herangehensweise
Sowohl musterals auch strukturgeprägte Herangehensweise
Strukturgeprägte Herangehensweise
Muster- und Strukturnutzung
vorwiegende Musternutzung
sowohl Muster- als auch Strukturnutzung
vorwiegende Strukturnutzung
Reihenfolge der Muster- und Strukturnutzung
erst Muster- und anschließend evtl. Strukturnutzung
beides möglich
erst Struktur- und anschließend Musternutzung
Muster- und strukturebene
bevorzugtes Arbeiten auf der Musterebene
beides möglich
bevorzugtes Arbeiten auf der Strukturebene
Art des genutzten Musters oder der Struktur
meist rekursiv
beides möglich
meist explizit
Beschreibung von Mustern oder Strukturen
meist verbal, tendenziell keine Nutzung von Formeln und Variablen
eher verbal, z.T. aber auch Nutzung von Formeln und Variablen
meist mit abstrakter Symbolik in Formeln, selten verbal
Repräsentationsebene
meist formalsymbolisch, z.T. ikonisch, z.B. um Figurenfolgen fortzuführen
meist formalsymbolisch, z.T. Mangel an Alternativen enaktives Probierens
meist formalsymbolisch, selten ikonisch, um strukturellen Ansatz zu finden
Nutzung von Hilfsmitteln
sehr häufig Tabellen, z.T. Zeichnungen, z.B. zum Fortführen von Figurenfolgen
z.T. Tabellen, z.T. Zeichnungen
selten Zeichnungen oder Tabellen, vorwiegend, um Systematiken darzustellen
Transfer von Mustern und Strukturen
Muster- und Lösungsprinzipien werden z.T. transferiert
erkannte Muster und Strukturen werden z.T. transferiert
Strukturen werden transferiert
Umkehren von Mustern oder Strukturen
findet nicht statt
findet nicht statt, wenn einfachere Wege zur Verfügung stehen
Strukturen werden umgekehrt
Abb. 1.4 Herangehensweisen beim Strukturieren nach Ehrlich (2013)
Es wird deutlich, dass bisherige Studien eine gute Basis und einen soliden Ausgangspunkt für das vorliegende Forschungsvorhaben darstellen, weshalb es auf bisherigen Erkenntnissen der empirischen Unterrichtsforschung aufbaut. Da es bisher noch keine Studie mit dem Schwerpunkt der inhaltlichen Charakterisierung von Schülerdeutungen zu Zahlenmustern gibt, wird in der vorliegenden Studie dieser Frage nachgegangen. Hierfür werden weiterführende Untersuchun-
1 Muster und Strukturen
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gen und epistemologisch orientierte Analysen durchgeführt, um neue Erkenntnisse und reichhaltigere Aussagen über das Deuten von Zahlenmustern von Grundschulkindern rekonstruieren und treffen zu können. Dies gelingt neben der Analyse von spontanen Deutungen vor allem dadurch, dass die Kinder innerhalb neuartiger Deutungsaktivitäten (Intervention) in eine Deutungskultur eingeführt werden, in welcher sie die Chance erhalten, ihre Deutungen und ihre Deutungsspanne auszudifferenzieren. In allen bisherigen Studien standen vor allem spontane Deutungen der Schülerinnen und Schüler im Fokus des Interesses. Durch das der Arbeit zugrundeliegende komplementäre Musterverständnis (vgl. Kap. 3.1) wird zudem ein neuartiger Blickwinkel auf Zahlenmuster gerichtet, indem das Wechselspiel zwischen den phänomenologischen (An-) Ordnungen und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen im Mittelpunkt steht. Die vorliegende Forschungsarbeit ist daher als weiterführende Arbeit anzusehen, die diese Thematik tiefergehend betrachtet.
1.5 Arithmetische Muster als (Unterrichts-)Gegenstand des vorliegenden Forschungsprojektes Neben den didaktischen Besonderheiten beim Deuten von Mustern und Strukturen, die in Kapitel 1.3 herausgearbeitet wurden, ergeben sich für das Deuten von Zahlenmustern weitere Besonderheiten, die nun erörtert werden.
Hoher Abstraktionsgrad Zahlenmuster bestehen ausschließlich aus Zahlen (und gegebenenfalls aus Operationszeichen). Sie enthalten keinerlei Bilder, Anschauungsmittel oder ähnliches. Von daher sind sie von anderer Beschaffenheit als beispielsweise geometrische Muster. Demzufolge sind Zahlenmuster stets durch einen entsprechend hohen Abstraktionsgrad gekennzeichnet (vgl. Devlin 1998 & 2003; Kap. 2.3). 1. Wechselspiel: Ausrechnen Strukturen sehen Sollen Kinder im Mathematikunterricht eine Aufgabe bearbeiten, die Zahlen beinhaltet, so fühlen sie sich in der Regel zum sofortigen Ausrechnen aufgefordert. Doch gerade beim Deuten von Zahlenmustern ist es meist wichtig, Aufgaben nicht unmittelbar auszurechnen. Vielmehr ist es häufig sinnvoll, die konkret sichtbaren Elemente, die an der Oberfläche vorzufinden sind (sprich die Zahlen) zunächst genau zu betrachten und sie zueinander in Beziehung zu setzen. Nur
1 Muster und Strukturen
38
durch das Herstellen von Beziehungen können die dem Muster zugrundeliegenden Strukturen entdeckt werden. Hierbei liegt also ein Wechselspiel zwischen dem bloßen Ausrechnen und dem Sehen von Strukturen vor (Abb. 1.5).
Ausrechnen
Strukturen sehen
Abb. 1.5 Wechselspiel: Ausrechnen Strukturen sehen
2. Wechselspiel: Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen Das Erkennen gesetzmäßiger, struktureller Zusammenhänge eines Musters gestaltet sich nicht so einfach, wie man möglicherweise vermuten könnte, da etwas Unsichtbares gedeutet werden muss. Dies kann nur gelingen, wenn die sichtbaren Elemente des Musters zueinander in Beziehung gesetzt werden. Es findet hierbei also immer ein Wechselspiel zwischen den sichtbaren Elementen und den unsichtbaren Strukturen des Musters statt (Abb. 1.6). Dies ist auf das der Arbeit zugrunde liegende komplementäre Verständnis des Begriffs Mathematisches Zahlenmuster zurückzuführen (Kap. 2.1 und 3.1). Für Grundschulkinder stellt dieses Wechselspiel stets eine besondere und anspruchsvolle Deutungsanforderung dar, da sie das Unsichtbare (Abstrakte) aus dem Sichtbaren (Konkreten) deuten müssen (Kap. 2).
Sichtbare Elemente
Unsichtbare Strukturen
Abb. 1.6 Wechselspiel: Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen
3. Wechselspiel: Strukturen sehen Strukturen nutzen Nachdem Strukturen schließlich gesehen wurden, stellt sich die Frage, ob die entdeckten Strukturen im Folgenden auch tatsächlich genutzt werden. Bleiben sie ohne Anwendung, so wäre dies schade. Werden sie jedoch genutzt, so ist interessant, in welchem Umfang und wofür sie Anwendung finden.
1 Muster und Strukturen
Strukturen sehen
39
Strukturen nutzen
Abb. 1.7 Wechselspiel: Strukturen sehen Strukturen nutzen
Notation von Zwischenschritten Bei der Erkundung und Fortsetzung eines Zahlenmusters kann es sinnvoll sein, Zwischenschritte/-ergebnisse oder die sich entwickelnden arithmetischen Terme zu notieren. Hierdurch können Veränderungen, Entwicklungen oder ähnliches besser in den Fokus genommen werden. Dies ermöglicht vermutlich einen tiefergehenden Blick auf das Muster und seine versteckten, unsichtbaren Strukturen. Mit dieser Art der Notation sind Grundschulkinder in der Regel jedoch nicht vertraut. Daher müssen sie diese Vorgehensweise erst einmal kennenlernen.
Es lässt sich festhalten, dass auf Grundschulkinder beim Deuten von Zahlenmustern eine besonders hohe und komplexe Anforderung zukommt. Diese ist durch einen hohen Abstraktionsgrad und durch die drei Wechselspiele Ausrechnen
Strukturen sehen, Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen und Strukturen sehen Strukturen nutzen charakterisiert. Eine Notation von Zwischenschritten kann beim Deuten hilfreich sein. Sie ist für Grundschulkinder aber meist ungewohnt.
2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik Wie in Kapitel 1 dargestellt, wird die Mathematik als die Wissenschaft der Muster und Strukturen verstanden. Da mathematische (Zahlen-)Muster aus einer Wechselbeziehung zwischen den phänomenologisch, sichtbaren (An-) Ordnungen und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen bestehen (vgl. Kap. 3.1 und 1.2), kommt auf Grundschulkinder, die (Zahlen-)Muster deuten sollen, eine besondere Deutungsanforderung zu. Sie müssen neben den sichtbaren Elementen eines (Zahlen-)Musters auch die unsichtbaren und somit verborgenen, zugrundeliegenden Strukturen des Musters deuten. Das Deuten unsichtbarer, gesetzmäßiger, struktureller Zusammenhänge setzt das Wahrnehmen der sichtbaren Elemente voraus. Diese müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Hierbei ist zu beachten, dass „for an example in the ‚world of numbers‘, the new objects are not immediately and directly perceivable“ (Steinbring 2005, S. 67). Da mathematische Objekte nicht materieller Art sind, sind sie nicht unmittelbar wahrnehmbar (vgl. Hersh 1998, S. 13; vgl. auch Hersh 2006, S. viii). Ferner sprechen sie nicht für sich selbst. Sfard betont, dass sie vielmehr schwer zugänglich und zum Teil sogar unerreichbar sind: „Unlike material objects, however, advanced mathematical constructs are totally inaccessible to our senses – they can only be seen with our mind’s eyes. Indeed, even when we draw a function or write down a number, we are very careful to emphasize that the sign on the paper is but one among many possible representations of some abstract entity, which by itself can be neither seen nor touched.“ (Sfard 1991, S. 3) Da Zahlen an sich schon abstrakt sind, müssen beim Deuten von Zahlenmustern grundsätzlich abstrakte, immaterielle und nicht greifbare Objekte gedeutet werden. Es stellt sich demzufolge die Frage nach den epistemologischen Bedingungen beim Deuten von Zahlenmustern. In diesem zweiten Kapitel werden daher die epistemologischen Bedingungen des Lernens von Mathematik und des Deutens von Zahlenmustern herausgearbeitet. Hierfür wird dargestellt, was die besondere Natur mathematischen Wissens ist (Kap. 2.1). Ferner werden Besonderheiten der Deutungskonstruktion mathematischer Begriffe erläutert (Kap. 2.2). Hierbei wird eine epistemologische Perspektive eingenommen. In diesem Zusammenhang wird das epistemologische Dreieck (Steinbring 2005), das als Analyseinstrument in der vorliegenden Arbeit herangezogen wird (vgl. Kap. 4.6 und Kap. 5), vorgestellt. Abschließend werden
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_3
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2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik
Zahlenmuster aus epistemologischer Perspektive betrachtet und hierauf basierende Besonderheiten beim Deuten von Zahlenmustern herausgearbeitet (Kap. 2.3).
2.1 Die theoretische Natur mathematischen Wissens Weit verbreitet ist die Annahme, dass mathematisches Wissen bzw. mathematische Inhalte als ein fertiges Produkt verstanden werden, das fest vorgegeben ist. So erscheinen mathematische Inhalte als „logisch festgefügte Systeme von abgeklärten Begriffen, Regeln und Verfahren, die auf bestimmte Klassen von Aufgaben zugeschnitten sind“ (Wittmann 2003, S. 22; vgl. auch Steinbring 2005). Dies impliziert, dass mathematische Inhalte ausschließlich durch schrittweises Üben bis zu einer erstrebenswerten, fehlerlosen Reproduktion erlernt werden können. Mit einhergehend besteht die Annahme, dass mathematisches Wissen nicht aufgrund eigener Überlegungen erschlossen werden kann. Vielmehr kann es portionsweise auswendig gelernt werden, ohne ein Verständnis dafür entwickeln zu müssen. Zudem existiert häufig die Ansicht, man müsse mathematisch besonders begabt sein, um die Mathematik bzw. mathematische Inhalte vollends verstehen zu können (vgl. Wittmann 2003, S. 22; Steinbring 2005). Doch die Mathematik ist eben genau dies nicht. Sie ist kein fertiges Produkt (vgl. u.a. Freudenthal 1977; Wittmann 2003; Steinbring 2005). So betont Freudenthal (1977), dass es im Laufe der Zeit zu einer Entwicklungs- und Verstehensverschiebung gekommen ist. Während die damalige Maxime der Comenischen Didaktik davon ausging, dass man eine Tätigkeit am besten lehrt, wenn man sie vorführt, herrscht heutzutage das Verständnis, dass man eine Tätigkeit am besten lernt, wenn man sie ausführt (vgl. ebd., S. 107). Dies bedeutet, dass sich die Aktivität des Lehrers zu der der Schülerin bzw. des Schülers verschiebt, wodurch dieser bzw. diesem immer mehr Selbstständigkeit gewährt wird (vgl. ebd., S. 108). Zu beachten ist nach Freudenthal jedoch Folgendes: „Daß es neben der fertigen Mathematik noch Mathematik als Tätigkeit gibt, weiß jeder Mathematiker unbewußt, aber nur wenigen scheint es bewußt zu sein, und da es nur selten betont wird, wissen Nicht-mathematiker es gar nicht.“ (ebd., S. 110) Mit Entwicklung der Annahme, dass die Mathematik als eine Tätigkeit verstanden wird, standen sich somit zwei Gegensätze gegenüber. Zum einen der stoffliche Aspekt, dass die Mathematik eine fertige Wissenschaft verstanden wird (deduktives System) und zum anderen ein pädagogischer bzw. didaktischer Aspekt, dass die Schülerin bzw. der Schüler selbst tätig lernen soll (vgl. ebd., S. 112). Die didaktische Komponente erhielt in der vergangenen Zeit, in welcher die Mathematik stets bedeutsamer wurde, immer mehr an Bedeutung:
2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik
43
„Soll Mathematik angewandt werden, so muß das Anwenden der Mathematik unterrichtet und gelernt werden. Was man oft so nennt, das Einsetzen numerischer Werte für Parameter in allgemeine Sätze und Theorien, ist keine Anwendung. Man wendet Mathematik an, indem man sie jeweils von neuem erschafft [...]. Das übt man nicht, indem man Mathematik als Fertigfabrikat lernt.“ (ebd., S. 113) Heutzutage wird die Mathematik daher als „Mathematik in statu nascendi“ (ebd.) verstanden. Somit wird die Mathematik als ein Prozess verstanden. Darum soll die Mathematik durch aktive Konstruktionsprozesse vom Mathematiktreibenden selbstständig und in sozialen Kontexten erschlossen werden (vgl. Kap 1.3.3). Hinzu kommt, dass mathematisches Wissen erst in sozialen Kontexten seine besondere epistemologische Bedeutung erhält, und dass die Entwicklung und das Verstehen mathematischen Wissens durch den sozialen Kontext beeinflusst wird (vgl. Steinbring 1998, S. 161). Diese Tatsache ist in der besonderen theoretischen Natur mathematischen Wissens begründet, welche durch Beziehungen und Strukturen charakterisiert ist. Mathematisches Wissen besteht aus Relationen und mathematischen Objekten, die abstrakte, mentale Konstruktionen darstellen. Da diese Objekte abstrakter und mentaler Art sind, gibt es keinen unmittelbaren Zugang zu ihnen (vgl. Sfard 1991, S. 3). Mathematische Begriffe sind somit theoretischer Natur, weshalb ihr Inhalt „in Beziehungen und Relationen zwischen den Dingen und nicht in Substanzen und Eigenschaften“ (Otte 1983, S. 190) besteht. Otte weist darauf hin, dass das theoretische Denken auf Visualisierungen bzw. Repräsentationen angewiesen ist, da nur so Beziehungen vergegenwärtigt werden können (vgl. ebd.). Die Visualisierung bzw. Repräsentation eines mathematischen Begriffs stellt dabei ein vermittelndes Medium dar, das als Träger für Beziehungen fungiert. Hierbei handelt es sich „um ein Symbol, das ‚lediglich‘ auf mathematische Inhalte verweist“ (Söbbeke 2005, S. 18). Somit bedarf jedes mathematische Wissen „bestimmter Zeichen- bzw. Symbolsysteme zur Erfassung und zur Kodierung des Wissens“ (Steinbring 2000, S. 34). Diese Zeichen- und Symbolsysteme sprechen allerdings nicht für sich selbst. Vielmehr muss die Bedeutung eines Zeichens/Symbols vom Lernenden selbst hergestellt werden. Nur so erhält er die Chance, dem Zeichen/Symbol eine Bedeutung geben zu können (vgl. Kap. 2.2). Und hierfür eignen sich vor allem soziale Interaktionen, in denen „die Herstellung von Beziehungen zwischen Symbolsystemen und Deutungskontexten in den Mittelpunkt gestellt wird“ (ebd., S. 29). Ein „echtes Verstehen mathematischer Begriffe kann nur dann entstehen, wenn der Lernende aktiv wechselseitige Beziehungen zwischen diesen kulturellen Kontexten und den Zeichen und Symbolen aufbaut, indem er eigenständig Deutungen zwischen beiden herstellt“ (Söbbeke 2005, S. 117). Hierbei
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2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik
muss sich der Lernende jedoch stets der epistemologischen Besonderheit mathematischen Wissens bewusst sein. Es lässt sich also festhalten, dass mathematisches Wissen eine eigene theoretische Welt mit ihren eigenen Gesetzen und Strukturen bildet.
2.2 Deutungskonstruktion mathematischer Begriffe aus epistemologischer Perspektive – Das epistemologische Dreieck Mathematische Begriffe verkörpern Beziehungen und Strukturen in symbolisierter und operativer Weise (vgl. Steinbring 2000, S. 45; vgl. Steinbring 2009). Sie beziehen sich also nicht direkt auf Dinge der Welt, „sondern auf Beziehungen zwischen den Dingen“ (Steinbring 1998, S. 161). Beim Deuten mathematischer Begriffe (z.B. eines Zahlenmusters) müssen demnach unsichtbare gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge gedeutet werden. Diese sind durch Zeichen und Symbole (semiotisches System) repräsentiert. Hierbei kommt der von Duval beschriebene Paradoxical character of mathematical knowledge zum Tragen: „[…] there is an important gap between mathematical knowledge and knowledge in other sciences such as astronomy, physics, biology, or botany. We do not have any perceptive or instrumental access to mathematical objects, even the most elementary […] The only way of gaining access to them is using signs, words or symbols, expressions or drawings. But, at the same time, mathematical objects must not be confused with the used semiotic representations. This conflicting requirement makes the specific core of mathematical knowledge. And it begins early with numbers which do not have to be identified with digits and the used numeral systems (binary, decimal).“ (Duval 2000, S. 61) Das von Duval beschriebene semiotische Problem besteht darin, dass mathematisches Wissen nicht (direkt) sinnlich zugänglich ist, dass es aber mit konkreten Repräsentationen, die auf Beziehungen verweisen, dargestellt werden kann. Mathematische Zeichen dürfen hierbei also nicht mit dem Begriff verwechselt werden. Mit Hilfe des epistemologischen Dreiecks kann das von Duval beschriebene semiotische Problem differenziert werden (vgl. Steinbring 2009, S.96).
2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik
45
Das epistemologische Dreieck20 Das von Steinbring (2005) entwickelte epistemologische Dreieck (Abb. 2.1) stellt ein theoretisches Instrument dar, das die Herstellung von Beziehungen zwischen Symbolsystemen und Deutungskontexten in den Fokus der Wissenskonstruktion rückt (vgl. u.a. Steinbring 1993a, S. 118; 1993b; 2000, S. 29, 2005). Bedeutungen für mathematische Begriffe werden hierbei als Wechselbeziehung zwischen Zeichen/Symbol und Gegenstandsbereich/ Referenzkontext verstanden, welche von der bzw. dem Lernenden selbst aktiv konstruiert werden müssen (vgl. u.a. Steinbring 1993a; 1993b; 2000; 2005). Dabei ist zu beachten, dass die Beziehungen zwischen den Eckpunkten dieses Dreiecks nicht explizit definiert sind. Vielmehr bilden sie „ein sich wechselweise stützendes und ausbalancierendes System. In der fortschreitenden Entwicklung des Wissens werden entsprechend die Interpretationen der Zeichensysteme und der entsprechenden Referenzkontexte modifiziert bzw. verallgemeinert“ (Steinbring 2000, S. 34; vgl. auch Steinbring 2009, S. 97). Zeichen / Symbol
Gegenstand / Referenzkontext
Begriff Abb. 2.1 Das epistemologische Dreieck nach Steinbring
Zur Deutung eines (auch in Teilen nur) fraglichen Zeichens/Symbols werden angemessene Referenzkontexte eingesetzt. Diese Kontexte, die nicht fertig und eindeutig vorgegebenen sind, werden innerhalb eines Deutungsprozesses von der bzw. dem Lernenden selbst konstruiert und möglicherweise umgedeutet (Steinbring 2005, S. 25). Mit ihnen kann die bzw. der Lernende die ihm unbekannten und neuen, zu deutenden Symbole zueinander in Beziehung setzen, um neue begriffliche Bedeutungen herzustellen (vgl. Steinbring 2000; 2005). Hierbei gilt grundsätzlich, dass Zeichen/Symbole sowie Referenzkontexte lediglich auf etwas verweisen und daher nicht für sich selbst sprechen. Folglich geben sie auch nicht direkt und unvermittelt neu konstruiertes mathematisches Wissen wieder. Sie fungieren vielmehr als Träger des Wissens mit dessen Hilfe strukturelle Be-
20
Für eine ausführliche Herleitung und Entwicklung des epistemologischen Dreiecks siehe Steinbring (2005).
46
2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik
ziehungen und Zusammenhänge des Begriffs entdeckt werden können. Hierdurch stellen sie eine mögliche Grundlage zur Konstruktion neuen mathematischen Wissens dar (vgl. Steinbring 2000, S. 48). Da die Bedeutung mathematischer Begriffe nur auf strukturelle Zusammenhänge und Beziehungen hinweist, kommt auf Lernende eine besondere und anspruchsvolle Deutungsanforderung zu. So müssen sie sich von den konkreten (sichtbaren) Objekten loslösen, um allgemeine Beziehungen und Strukturen in die Objekte hineinzudeuten. Sie müssen also das Allgemeine im Besonderen erkennen (vgl. Mason & Pimm 1984; Cobb 1986; Steinbring 2000, S. 48). Auf die an dieser Studie teilnehmenden Kinder kommt schließlich genau jene Anforderung zu, denn sie sollen aus einem vorgegebenen Zahlenmuster die zugrundeliegenden, allgemeinen Gesetzmäßigkeiten identifizieren.
2.3 Zahlenmuster aus epistemologischer Perspektive Wie in Abschnitt 1 herausgearbeitet, ist mathematisches Wissen grundsätzlich von theoretischer Natur. Somit sind Zahlen, die auf einen mathematischen Begriff verweisen, ebenfalls von theoretischer Natur. Sie sind weder konkrete Dinge noch konkrete Eigenschaften. Vielmehr sind sie gedankliche Konstrukte. Denn obwohl sie zur Beschreibung realer Situationen verwendet werden, kommen sie in der Realität gar nicht vor (vgl. Steinbring 1994). „Im arithmetischen Anfangsunterricht werden die natürlichen Zahlen vorwiegend durch vielfältige, empirische Bezüge zu konkreten Dingen und Sachsituationen begründet“ (ebd, S. 7). Die Darstellung einer Zahl, z. B. durch Plättchen, besitzt hierbei eine doppelte Natur. Einerseits handelt es sich bei den Plättchen um konkrete Objekte, die man anfassen kann und andererseits handelt es sich um vom Menschen erzeugte „Artefakte, durch deren Anordnungen und Umordnungen von Plättchen Beziehungen zum Ausdruck gebracht werden können“ (Wittmann 2003, S. 28). Dieser Tatsache sollten sich Lehrpersonen und Kinder bewusst sein, denn um die Mathematik verstehen zu können, muss man sich notwendiger Weise in die theoretische Natur der Mathematik einarbeiten (vgl. Wittmann 2003, S. 28; vgl. Kap. 2.1). Im Laufe der Grundschulzeit sollte daher eine dingliche Deutung von Zahlen durch eine relationale Sichtweise ersetzt werden, sodass die Zahl-Beziehungen im Vordergrund stehen (vgl. Steinbring 1994, S. 7). Langfristig gesehen ist die Einnahme einer relationalen Sichtweise unerlässlich. So stellt sie beispielsweise eine wichtige und notwendige Vorbereitung für den Mathematikunterricht an den weiterführenden Schulen dar (z. B. als Vorbereitung für die elementare Algebra). Auch für das Deuten von Zahlenmustern ist es notwendig, sich von den konkreten Zahlen zu lösen. Nur so können allgemeine Gesetzmäßigkeiten, die einem
2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik
47
Muster zugrunde liegen, entdeckt und formulieret werden. Hierbei ist zu beachten, dass es für (einige) Kinder schwierig sein wird, von einer beispielbezogenen Entdeckung eine allgemeingültige Regel abzuleiten (vgl. Cobb 1986). „To be the number 3 is no more and no less than to be preceded by 2, 1, and possibly 0, and to be followed by 4, 5 and so forth. […] Any object can play the role of 3; that is, any object can be the third element in some progression. What is peculiar to 3 is that it defines that role - not being a paradigm of any object which plays it, but by representing the relation that any third member of a progression bears to the rest of the progression.“ (Benacerraf 1984, S. 291) Eine Zahl, die eine Kombination aus Ziffern darstellt, verkörpert also Beziehungen. Ferner konstruiert sie ihre eigene mathematische Realität im Sinne einer systemischen Struktur. Nicht ihr verbaler Name ist von Interesse, sondern die Beziehung der einzelnen Stellen dieser Zahl. So sind zwei benachbarte Stellen der Zahl durch ihre Beziehung mal zehn charakterisiert (vgl. ebd., S. 293). Somit erhält „jedes Zahlzeichen erst durch seinen seine Stellung im gesamten System seine Bedeutung“ (Steinbring 2017, S. 27). Ein Zahlenmuster, das aus mehreren Zahlen besteht, ist ebenfalls von theoretischer Natur und besitzt einen relationalen Zusammenhang. Werden die einzelnen Zahlen eines Zahlenmusters separat betrachtet, so erhalten sie keine Bedeutung innerhalb des vorgegebenen Zahlenmusters. Erst wenn mindestens zwei Zahlen des vorgegebenen Musters zueinander in Beziehung gesetzt und einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang des Musters entdeckt wird, erhält jede einzelne Zahl eine Bedeutung innerhalb des vorgegebenen Musters. Die hier konträr gegenübergestellten Ansichtsweisen beschreiben eine Deutungsspanne, die sich von pseudo-dinglichen bis hin zu systemisch-relationalen Deutungen erstreckt (vgl. Söbbeke 2005; Steinbring 2005; vgl. Kap. 1.4). Hierbei beziehen sich die pseudo-dinglichen Deutungen auf die Welt der Dinge und die systemisch-relationalen Deutungen auf die Welt der Beziehungen (vgl. Steenpaß 2014). In der Welt der Dinge beziehen sich Deutungen auf einen Referenzkontext, der durch individuelle Eigenschaften bestimmt ist und auf dem die konkreten Bedeutungen auf die Zeichen der Arithmetik übertragen werden. Hierbei wird nicht berücksichtigt, dass sich die Bedeutungen mathematischer Begriffe (Zahlen eines Zahlenmusters) aus deren vielfältigen wechselseitigen Beziehungen zu anderen Begriffen (Zahlen des Zahlenmusters) ergeben. Im Gegensatz hierzu werden in der Welt der Beziehungen die einzelnen Elemente (Zahlen eines Zahlenmusters) als Beziehungen beschrieben, die im strukturellen Wechselspiel mit den anderen Elementen (den anderen Zahlen des Zahlenmusters) stehen (vgl. Steinbring 2005, Steenpaß 2014).
2 Epistemologische Bedingungen des Lernens von Mathematik
48
Basierend auf den aufgeführten mathematischen, mathematikdidaktischen (Kapitel 1) und epistemologischen (Kapitel 2) Erkenntnissen bzw. Besonderheiten, lassen sich abschließend die nachfolgenden Konsequenzen für den Umgang mit Zahlenmustern zusammenfassen: -
-
-
-
-
-
-
Zahlenmuster basieren auf der besonderen theoretischen und epistemologischen Natur mathematischen Wissens, für die es keine direkten sinnlichen Zugänge gibt. Zahlenmuster verdeutlichen ein fundamentales epistemologisches Grundproblem, das zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit besteht. Während die Zahlen eines Zahlenmusters sichtbar sind, sind die zugrundeliegenden innermathematischen Strukturen bzw. gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge unsichtbar. Zahlenmuster sprechen nicht für sich. Sie müssen von der Betrachterin bzw. vom Betrachter selbstständig gedeutet werden. Hierfür müssen die sichtbaren (An-) Ordnungen des Zahlenmusters zueinander in Beziehung gesetzt werden, um die zugrundeliegenden unsichtbaren, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge zu entdecken. Es müssen also aktiv Strukturen und Beziehungen zwischen den einzelnen Komponenten des vorgegebenen Musters gedeutet werden. Beim Deuten von Zahlenmustern bezieht sich die Deutende bzw. der Deutende auf angemessene Referenzkontexte (z. B. Sichtbare Elemente oder strukturelle, operative Zusammenhänge). Hierbei handelt es sich nicht um standardisierte Referenzkontexte, sodass diese individuell und flexibel handhabbar sind. Das Deuten von Zahlenmustern stellt eine anspruchsvolle und besondere Deutungsanforderung für Grundschulkinder dar. Dies ist vor allem in ihrer Abstraktheit und Unerreichbarkeit begründet. Zahlenmuster können sowohl aus einer Welt der Dinge als auch aus einer Welt der Beziehungen betrachtet und gedeutet werden. Dementsprechend bewegen sich die Deutungen innerhalb einer Spanne von konkret-dinglich bis hin zu systemisch-relational. Grundsätzlich ist zu beachten, dass Zahlenmuster, auch wenn sie vorgegeben sind, nicht starr und fest sind. Sie können umgedeutet und in ein neues Muster weiterentwickelt werden.
3 Das theoretische Konstrukt der arithmetischsymbolischen Strukturierungsfähigkeit Zentrales Interesse dieser Arbeit besteht in der Entwicklung des theoretischen Konstrukts zur arithmetisch-symbolischen Strukturierungsfähigkeit von Grundschulkindern. Das Deuten von Zahlenmustern ist eine besondere und anspruchsvolle Anforderung, denn sie können nicht per se durch einfaches Hinschauen erfasst werden. Dazu bedarf es einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dieser Thematik. In Kapitel 1 wurden Muster und Strukturen aus allgemeiner, elementar fachmathematischer sowie aus unterrichtspraktischer Perspektive erläutert und diskutiert. Ferner wurden aktuelle Erkenntnisse aus der empirischen Unterrichtsforschung vorgestellt. Anschließend sind Besonderheiten beim Deuten von Zahlenmustern aufgezeigt worden, die sich in drei Wechselbeziehungen beschreiben lassen: Ausrechnen Strukturen sehen, Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen, Strukturen sehen Strukturen nutzen (vgl. Kap. 1.5). In Kapitel 2 erfolgte eine grundlegende Erörterung der besonderen epistemologischen Bedingungen des Lernens von Mathematik bzw. des Deutens von Zahlenmustern. Zudem wurde die Deutungskonstruktion mathematischer Begriffe auf epistemologischer Perspektive dargestellt. Abschließend wurden epistemologische Besonderheiten für das Deuten von Zahlenmustern zusammengefasst. Basierend auf den in Kapitel 1 und 2 aufgezeigten und herausgearbeiteten Grundlagen und Erkenntnissen, wird im ersten Abschnitt dieses dritten Kapitels ein komplementäres (Zahlen-)Musterverständnis entwickelt und vorgestellt (Kap. 3.1). Es stellt die Basis für die vorliegende Studie und die hier durchgeführten Analysen und Auswertungen dar. Dieses Musterverständnis wird an substanziellen Lernumgebungen aus dem Bereich der Arithmetik (Triff die 50 / Kap. 3.1.1 und Einmaleins-Tafel / Kap. 0) illustriert. Zudem wird gezeigt, dass das in dieser Arbeit entwickelte komplementäre Musterverständnis auch in anderen mathematischen Gebieten Berechtigung findet. Hierfür wird es am Beispiel der Bandornamente (Geometrie) erläutert (Kap. 3.1.3). Neben der Entwicklung des komplementären Musterverständnisses steht insbesondere die Herausarbeitung des theoretischen Konstrukts Typen der Zahlenmusterdeutung im Fokus des dritten Kapitels (Abschnitt 2). Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Entwicklung der Zahlenmusterdeutungstypen chronologisch gesehen nach der Durchführung der Analysen anzusiedeln ist. Dennoch werden die Vorstellung und Beschreibungen des theore© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_4
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3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
tischen Konstrukts den Analysen vorangestellt. Dies bietet dem Leser eine notwendige Orientierung für die in Kapitel 5 durchgeführten Analysen.
3.1 Komplementäres Verständnis - Mathematisches Muster Die in der einschlägigen Fachliteratur diskutierten begrifflichen Aspekte Muster und Strukturen werden in dieser Arbeit weiterentwickelt. So wird im vorliegenden Forschungsprojekt unter einem mathematischen (Zahlen-)Muster eine Wechselbeziehung zwischen zwei komplementären Komponenten verstanden: Den phänomenologisch sichtbaren (An-) Ordnungen und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen. Diese bedingen sich wechselseitig (Abb. 3.1).
Mathematisches Muster Zahlenmuster
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge Abb. 3.1
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
Komplementäre Beziehungen des didaktischen Konzepts „Mathematisches Muster“
Unter den phänomenologisch sichtbaren (An-) Ordnungen ist das visuell Wahrnehmbare gemeint - also das, was an der Oberfläche zu sehen ist und was unmittelbar beschrieben werden kann. Dies können beispielsweise Ziffern, Zahlen oder Operationszeichen sein. Die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge, die einem Muster zugrunde liegen, sind im Gegensatz zu den phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnungen nicht unmittelbar sichtbar. Sie können allerdings sichtbar gemacht werden, sofern die sichtbaren Elemente der Oberfläche zueinander in Beziehung gesetzt werden. Werden beispielsweise zwei sichtbare Zahlen miteinander verglichen und zueinander in Beziehung gesetzt, so kann ihre nicht sichtbare Differenz sichtbar gemacht werden. Beim Deuten eines (Zahlen-)Musters ist das stetige Wechselspiel der beiden komplementären Komponenten in Form von sichtbaren und unsichtbaren Elementen stets vorhanden.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
51
3.1.1 Beispiel „Triff die 50“ Triff die 50 (vgl. Steinbring 1995, im Original „Wer trifft die 50?“) ist eine substanzielle, arithmetisch symbolische Lernumgebung, die Kinder in der vorliegenden Studie erkunden (Abb. 3.2). Additionszahl +
Startzahl
Zielzahl Abb. 3.2
Triff die 50
Zu Beginn muss eine beliebige Startzahl a ( -(SZ) und eine beliebige Additionszahl b ( - (AZ) gewählt werden. Die Summe beider Zahlen wird im Feld rechts neben der Startzahl (Feld 2 (F2)) notiert. Zu diesem Ergebnis wird die Additionszahl addiert und die hieraus entstehende Summe in das Feld rechts daneben (F3) notiert. Es erfolgt ein analoges Vorgehen bis alle fünf Felder ausgefüllt sind. Abschließend werden die fünf Zahlen, die in den fünf Feldern stehen, addiert. Ihre Summe wird im Feld Zielzahl (ZZ) notiert. Ziel ist es, Startund Additionszahl so zu wählen, dass die Zielzahl 50 getroffen wird (vgl. ebd.).
Anhand zweier Beispiele sei im Folgenden das komplementäre Wechselspiel zwischen den Phänomenen an der Oberfläche und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen der Lernumgebung Td5021 erläutert. Hingewiesen sei darauf, dass es sich bei diesen Beispielen lediglich um zwei mögliche Zusammenhänge handelt. Neben diesen beiden Zusammenhängen gibt es unerschöpflich viele weitere Zusammenhänge, die das Wechselspiel zwischen den Phänomenen an der Oberfläche und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen aufgreifen.
21
Eine ausführliche Analyse des substanziellen Aufgabenformats erfolgt in Kap.4.4.2.3.
52
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
Beispiel 1 Es gibt insgesamt sechs Lösungen zu Triff die 50. Diese sind in Abb. 3.3, geordnet von der kleinsten zur größten Startzahl, dargestellt.
A
Additionszahl + 5
5
0
10
15
20
Startzahl
B
Zielzahl
Additionszahl + 4
2
6
10
14
18
Startzahl
C
Zielzahl
7
10
13
16
Startzahl
Zielzahl
8
10
12
14
Startzahl
50 Zielzahl
Additionszahl + 1
8
9
10
11
12
Startzahl
F
50
Additionszahl + 2
6
E
50
Additionszahl + 3
4
D
50
50 Zielzahl
Additionszahl + 0
10
10
10
10
10
Startzahl
Abb. 3.3 Lösungsstreifen Td50
50 Zielzahl
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
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Betrachtet man die sechs Lösungsstreifen, so lassen sich an der Oberfläche sämtliche besondere Phänomene bzw. Auffälligkeiten erkennen: - - - - - -
Die AZ wird von Streifen zu Streifen je um eins kleiner. Die SZ (F1) wird von Streifen zu Streifen je um zwei größer. Die Zahlen in F2 werden von Streifen zu Streifen je um eins größer. In F3 steht jeweils die gleiche Zahl (10). Die Zahlen in F4 werden von Streifen zu Streifen je um eins kleiner. Die Zahlen in F5 werden von Streifen zu Streifen je um zwei kleiner.
Zudem lässt sich ein Zusammenhang zwischen der dritten Feldzahl und der Zielzahl beschreiben: „Multipliziert man die dritte Feldzahl mit der Anzahl der Felder (5), so erhält man die Zielzahl.“ Diese Entdeckung lässt sich erkennen und begründen, wenn die sichtbaren Elemente des Td50-Streifens zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die einzelnen Feldzahlen können operativ so verändert werden, dass sie jeweils zehn ergeben. Exemplarisch wird dies für Streifen A aus Abb. 3.3 gezeigt: So können von der 15 (F4) fünf ‚weggenommen werden‘, die zur Fünf (F2) ‚hinzugetan werden‘. Außerdem können von der 20 (F5) zehn ‚weggenommen werden‘, die zur Null (F1) ‚hinzugefügt werden‘. Hierdurch steht in allen Feldern die Zahl Zehn.
A Additionszahl + 5 0+10
5+5
10
15-5
20-10
Startzahl
50 Zielzahl
Abb. 3.4 Operativer Ausgleich der fünf Feldzahlen
Dieser operative Ausgleich der Zahlen des Zahlenmusters lässt sich im folgenden Schaubild (Abb. 3.5) darstellen:
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
54
Zahlenmuster
Multipliziert man die Mittelzahl (F3) mit der Anzahl der Felder, so erhält man die Zielzahl.
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge A
A Additionszahl + 5 0+10
5+5
10
15-5 20-10
Startzahl
50
0 Startzahl B
6+4
10
14-4
18-8
Startzahl
50
2 Startzahl C
4+6
7+3
10
13-3
16-6
50
4 Startzahl D
6+4
8+2
10
12-2
14-4
Startzahl
50
6 Startzahl E
8+2
9+1
10
11-1
12-2
Startzahl
50
8 Startzahl F
10
10
Startzahl
Abb. 3.5
10
10
10
20
50 Zielzahl
6
10
14
18
50 Zielzahl
7
10
13
16
50 Zielzahl
8
10
12
14
50 Zielzahl
Additionszahl + 1
Zielzahl
F Additionszahl + 0
15
Additionszahl + 2
Zielzahl
E Additionszahl + 1
10
Additionszahl + 3
Zielzahl
D Additionszahl + 2
5
Additionszahl + 4
Zielzahl
C Additionszahl + 3
Startzahl
Additionszahl + 5
Zielzahl
B Additionszahl + 4 2+8
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
9
10
11
12
50 Zielzahl
Additionszahl + 0
50
10
Zielzahl
Startzahl
10
10
10
10
50 Zielzahl
Komplementäres Zahlenmusterverständnis - „Mittelzahl 5 = Zielzahl“
Beispiel 2 Das zweite Beispiel bezieht sich auf den Austausch von Additions- und Startzahl. Welche Auswirkung hat dieser Austausch und mit welchen zugrundeliegenden strukturellen Gesetzmäßigkeiten lässt er sich begründen? Hierfür wird das folgende Beispiel betrachtet (Abb. 3.6):
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit A
Additionszahl + 3
10
7
13
16
19
65
Startzahl
B
55
Zielzahl
Additionszahl + 7
3
10
17
24
85
31
Startzahl
Abb. 3.6
Zielzahl
Tausch von AZ und SZ (Zahlenbeispiel)
Werden AZ 3 und SZ 7 aus Streifen A (Abb. 3.6) getauscht, so wird die ZZ des neuen Td50-Streifens B um zwanzig größer. Sie bleibt folglich nicht gleich. Warum dies so ist, lässt sich gut nachvollziehen, wenn anstelle von Zahlen, Variablen eingesetzt werden (Abb. 3.7): A
Additionszahl + b
a
a+b
a + 2b
a + 3b
a + 4b
5a + 10b
Startzahl
B
Zielzahl +5a - 5b
Additionszahl + a
b
b+a
b + 2a
b + 3a
b + 4a
5b + 10a
Startzahl
Abb. 3.7
Zielzahl
Tausch von AZ und SZ (Variablen)
Demnach verändert sich die ZZ aus Streifen B (Abb. 3.6 bzw. Abb. 3.7) um genau +5a-5b. Sie wird also um das Fünffache der Zahl a größer und zugleich um das Fünffache der Zahl b kleiner. Durch den Einsatz von Variablen wird die unterschiedliche Gewichtung von SZ und AZ in der ZZ deutlich. Während die SZ lediglich fünf Teile des Ergebnisses ausmacht, macht die AZ zehn Teile des Ergebnisses aus. Dies entspricht einem ein Drittel (SZ) zu zwei Drittel (AZ) Verhältnis. Das komplementäre Wechselspiel vom Vertauschen der AZ und SZ lässt sich somit im folgenden Schaubild darstellen (Abb. 3.8):
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
56
Zahlenmuster
Vertauscht man AZ und SZ, so verändert sich die ZZ.
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
a + b a + 2b a + 3b a + 4b
5a + 10b
7
Zielzahl
Startzahl
Additionszahl + a b
b + a b + 2a b + 3a b + 4a
Startzahl
10
13
16
19
65 Zielzahl +20
a
Startzahl B
A Additionszahl + 3
Additionszahl + b
+5a - 5b
A
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
B Additionszahl + 7
5b + 10a
3
Zielzahl
Startzahl
10
17
24
31
85 Zielzahl
Abb. 3.8 Komplementäres Zahlenmusterverständnis Td50 - Vertausch von AZ und SZ
3.1.2 Beispiel Einmaleins-Tafel Die Einmaleins-Tafel nimmt eine bedeutende Rolle innerhalb der Mathematik ein, da sie eine reichhaltige Struktur besitzt. Deswegen wurde sie in der Geschichte der Mathematik häufig verwendet (z.B. in der elementaren Zahlentheorie). In der Grundschule wird sie heutzutage zur Einführung in die Multiplikation und deren Entwicklung genutzt. Das komplementäre Zahlenmusterverständnis wird auch hier anhand zweier Beispiele veranschaulicht.
Beispiel 1 Es sei die folgende Einmaleins-Tafel gegeben (Abb. 3.9). Diese Form der Tafel wird häufig in Grundschulen verwendet. In ihr sind alle Aufgaben des kleinen Einmaleins systematisch notiert. Die Ergebnisse der einzelnen Aufgaben sind nicht angegeben.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
57
Abb. 3.9 Einmaleins-Tafel (Wittmann & Müller 2012a, i.O. farbig)
Die in Abb. 3.9 dargestellte Einmaleins-Tafel kann als Zahlenmuster angesehen werden. Es besteht aus dem komplementären Wechselspiel von Phänomenen an der Oberfläche und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen. Phänomenologisch sichtbare und unmittelbar beschreibbare Elemente der EinmaleinsTafel sind beispielsweise folgende (in Kindersprache formuliert):
„Es kommen nur Zahlen von eins bis zehn vor.“ „Jede Aufgabe besteht aus zwei Zahlen und einem Mal-Zeichen.“ „In der ersten Diagonalen (links oben nach rechts unten) ist die erste Zahl immer eins. Die zweite Zahl ist in der Reihenfolge: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun. In der zweiten Diagonalen ist die erste Zahl immer zwei. Die zweite Zahl ist in der Reihenfolge: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun. usw.“
Die drei soeben aufgeführten Aussagen beschreiben stets ausschließlich die sichtbaren Phänomene des gegebenen Zahlenmusters. Weiterführende Zusammenhänge und Beziehungen wurden noch nicht beschrieben. Werden diese sichtbaren Phänomene jedoch zueinander in Beziehung gesetzt, so können gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge, die der Einmaleins-Tafel zugrunde liegen, entdeckt und benannt werden. Hierdurch können allgemeine Aussagen, die sich
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
58
auf strukturelle Zusammenhänge der abgebildeten Einmaleins-Tafel beziehen, getroffen werden. Zum Beispiel:
„Das Produkt einer Quadratzahlaufgabe ist immer genau um eins kleiner als das Produkt der darunter stehenden Aufgabe.“ „Die Produkte der senkrecht untereinanderstehenden Multiplikationssaufgaben von 81 bis 18 sind jeweils um zehn kleiner als die Produkte der rechts daneben angrenzenden Aufgabe.“
Beide Aussagen beschreiben je einen gesetzmäßigen Zusammenhang, der innerhalb der vorliegenden Einmaleins-Tafel nicht unmittelbar sichtbar ist. Weder die Produkte der einzelnen Aufgaben, noch die Differenzen der entsprechenden Produkte sind notiert. Die Aussagen beschreiben demzufolge unsichtbare Beziehungen, die auf die verborgenen, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge der Einmaleins-Tafel zurückzuführen sind. Um die verborgenen, derzeit noch unsichtbaren gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge sichtbar zu machen, sei hierfür im Folgenden die erste Aussage genauer untersucht (Abb. 3.10): „Das Produkt einer Quadratzahlaufgabe ist immer genau um eins kleiner als das Produkt der darunter stehenden Aufgabe.“
Abb. 3.10 Entdeckung in der Einmaleins-Tafel
In der Einmaleins-Tafel sind die Quadratzahlaufgaben (22, 33, etc.) und die darunterstehenden Aufgaben (13, 24, etc.) sichtbar (Abb. 3.10). Vergleicht man die Aufgabenpaare 22 und 13, 33 und 24, etc. miteinander, so lässt sich erkennen, dass der erste Faktor jeweils um eins abnimmt während der zweite Faktor jeweils um eins zunimmt. Zu dieser ersten Erkenntnis gelangt man, wenn die sichtbaren Zahlen zueinander in Beziehung gesetzt werden (erste unsichtbare Beziehung). Verknüpft man diese Erkenntnis mit obiger Aussage und setzt man für die Zahlen Variablen ein, so ergibt sich die dritte binomische Formel ' ) , ' -, & -. Nach Auflösen der dritten binomischen Formel ist die Aussage symbolischarithmetisch bewiesen, denn es gilt: ' ) '
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
59
Indem also die phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnungen bzw. Elemente der Einmaleins-Tafel betrachtet, verglichen und zueinander in Beziehung gesetzt wurden, wurden die dem Muster zugrundeliegenden unsichtbaren gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge sichtbar gemacht. Das komplementäre Zahlenmuster-Verständnis lässt sich somit im folgenden Schaubild (Abb. 3.11)22 darstellen: Zahlenmuster
Das Produkt einer Quadratzahlaufgabe ist immer genau um eins kleiner als das Produkt der darunter stehenden Aufgabe.
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
a² - 1 = (a-1) (a+1) a² - 1 = a² - 1
Abb. 3.11 Komplementäres (Zahlen-)Musterverständnis am Beispiel der EinmaleinsTafel
Beispiel 2 Das zweite Beispiel bezieht sich auf die in Kapitel 1.2 (Abb. 1.1, Abb. 3.12) vorgestellte Einmaleins-Tafel. In Kap. 1.2 wurde herausgearbeitet, dass aus der gegebenen Einmaleins-Tafel die Summe der Würfelzahlen/Kubikzahlen herausgelesen werden kann. Diese überraschende Anordnung bzw. Entdeckung wirft die Frage nach den Gründen hierfür auf. Sie kann erörtert werden, indem sich auf die strukturellen Zusammenhänge der Einmaleins-Tafel bezogen wird. Das Warum
22
Hinweis: Für eine der besseren Lesbarkeit ist für die Darstellung der Phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnung lediglich ein Ausschnitt der Einmaleins-Tafel gewählt worden. Der vollständige Ausschnitt wäre zu klein, um ihn darzustellen. Alle sichtbaren Aufgaben können Abb. 3.10 entnommen werden.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
60
führt somit zu Überlegungen auf struktureller Ebene und zur Beantwortung muss das Sichtbare mit Hilfe des Unsichtbaren analysiert werden.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
2
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
3
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
4
4
8
12
16
20
24
28
32
36
40
5
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
3. Winkel: 3+6+9+6+3= 27=3 3
6
6
12
18
24
30
36
42
48
54
60
4. Winkel: 4+8+12+16+12+8+4= 64=4 3
7
7
14
21
28
35
42
49
56
63
70
8
8
16
24
32
40
48
56
64
72
80
9
9
18
27
36
45
54
63
72
81
90
10
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
1. Winkel: 1=13 2. Winkel: 2+4+2= 8 =2 3
usw.
Abb. 3.12 Kubikzahlen in der Einmaleins-Tafel
Multipliziert man die sichtbaren Randzahlen der Einmaleins-Tafel miteinander, so erhält man: , & & & & & - , & & & & & - ) % % ) , % -. Das Produkt der Randzahlen ist also das Quadrat der Dreieckszahlen. Bildet man nun die Summe der Zahlen im i-ten Winkel, so ergibt sich: , & & & & & & & & & ) , & & & & & - & *, ' - & & & & + ) $ & $# , & - , ' ) . & / & & ' / ) . ) ) . So erhält man, dass die Summe der Zahlen im i-ten Winkel das Quadrat der Dreieckszahlen ist. Das Produkt der Randzahlen als auch die Summe der Zahlen im i-ten Winkel ergeben also das Quadrat der Dreieckszahlen, womit die Aussage bewiesen ist.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
61
, & /
% ) , & & & & & & & - ) . Das hier erläutere Zahlenmuster lässt sich somit in folgendem Schaubild darstellen (Abb. 3.13): Zahlenmuster
Das Produkt der Randzahlen als auch die Summe der Zahlen eines Winkels ergeben die Kubikzahl.
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
Produkt der Randzahlen Das Produkt der Randzahlen ergibt das Quadrat der Dreieckszahlen (Formel s.o.) Summe der Zahlen im i-ten Winkel Die Summe der Zahlen im i-ten Winkel ergibt das Quadrat der Dreieckszahlen (Formel s.o.) Das Produkt der Randzahlen ist gleich der Summe der Zahlen im i-ten Winkel (Formel s.o.)
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
3 6 9 12 15 18 21 24 27 30
4 8 12 16 20 24 28 32 36 40
5 10 15 20 25 30 35 40 45 50
6 12 18 24 30 36 42 48 54 60
7 14 21 28 35 42 49 56 63 70
8 16 24 32 40 48 56 64 72 80
9 18 27 36 45 54 63 72 81 90
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Abb. 3.13 Komplementäres Zahlenmusterverständnis der Einmaleins-Tafel am Beispiel der Kubikzahlen
3.1.3 Beispiel Bandornamente Eine Stärke der Mathematik ist, dass Dinge aus verschiedenen Bereichen auf die gleiche Weise beschrieben werden können. So kann auch das in dieser Arbeit entwickelte komplementäre (Zahlen-)Musterverständnis in anderen mathematischen Gebieten verwendet werden, um Muster zu beschreiben. Dies sei im Folgenden exemplarisch am geometrischen Beispiel Bandornament gezeigt.
Ein Bandornament meint eine geometrische Figur, die sich aus der regelmäßigen und periodischen Wiederholung der Grundfigur zusammensetzt. Die Grundfigur ist dabei der jeweils kleinste Teil der Figur, die durch Verschiebung das Ornament fortsetzt. Die Verschiebung wird durch ein ganzzahliges Vielfaches des Verschiebungsvektors erzeugt. Die Klassifizierung von Bandornamenten erfolgt anhand von Deckabbildungen, mit denen sich das Ornament auf sich
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
62
selbst abbilden lässt. Insgesamt gibt es sieben Typen von Bandornamenten. Dabei prägen die folgenden Kongruenzabbildungen die Struktur dieser sieben Typen (vgl. Stein 1999, S. 39ff.; vgl. Eichler 2016, S. 57ff.; Franke & Reinhold 2016, S. 289f.):
Verschiebung: Verschiebung parallel zum Streifen Längsspiegelung: Spiegelung an der Mittelachse Querspiegelung: Spiegelung an der Senkrechten zur Mittelachse Punktspiegelung: Spiegelung an einem Punkt der Mittelachse Schubspiegelung: Spiegelung an der Mittelachse und Verschiebung
Die Klassifikation von Bandornamenten erfolgt somit nach internen Strukturen und Beziehungen. Hierbei stellen die Kongruenzabbildungen die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge dar. Die phänomenologisch sichtbare (An-) Ordnung eines Bandornaments, also die wahrnehmbaren sichtbaren Elemente, fungieren dabei als Träger der Struktur. In Abb. 3.14 ist das hier vorgestellte Musterverständnis dargestellt: Muster
Ein Bandornament entsteht aus einer Grundfigur F und mindestens einer Transformation, die das Muster auf sich selbst abbildet.
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
Gruppe Kongruenzabbildungen
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
Bandornament
Abb. 3.14 Komplementäres Musterverständnis am Beispiel "Bandornament"
Betrachten wir das Bandornament aus Abb. 3.15, so lassen sich zunächst seine phänomenologisch sichtbaren Elemente beschreiben. Es besteht aus Strichen, quadratähnlichen Formen mit abgerundeten Ecken, das innerste Quadrat ist jeweils grau gefärbt, etc. Werden die sichtbaren Elemente zueinander in Beziehung gesetzt, so lassen sich die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge, die dem Bandornament zugrunde liegen, festmachen. Hierdurch lässt sich zudem die Grundfigur erkennen. Indem diese Grundfigur durch Verschiebung, Querspiegelung, Längsspiegelung, Punktspiegelung und Schubspiegelung vervielfacht wird, wird das Bandornament erzeugt (Abb. 3.15).
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
Bandornament
63
Grundfigur
Abb. 3.15 Bandornament und dazugehörige Grundfigur
Das komplementäre Musterverständnis des soeben angeführten Beispiels lässt sich im folgenden Schaubild darstellen (Abb. 3.16): Muster
Ein Bandornament entsteht aus einer Grundfigur F und mindestens einer Transformation, die das Muster auf sich selbst abbildet.
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
Verschiebung Querspiegelung Längsspiegelung Punktspiegelung Schubspiegelung
Grundfigur F
Abb. 3.16 Komplementäres Musterverständnis am Beispiel eines Bandornaments
3.2 Theoretisches Konstrukt - Typen der Zahlenmusterdeutung Neben vorangegangener Ausdifferenzierung des komplementären (Zahlen-) Musterverständnisses ist der zweite wesentliche Kern der vorliegenden Studie die Entwicklung und Konkretisierung des theoretischen Konstrukts Typen der Zahlenmusterdeutung23. Dieses Konstrukt greift den komplexen und schwierigen Transfer von den sichtbaren Zeichen hin zu den nicht sichtbaren Beziehungen eines Zahlenmusters auf. Hierbei besteht das generelle Grundproblem, dass die begriffliche Bedeutung nicht direkt durch Zeichen und Symbole widergegeben wird. Obwohl semiotische Zeichen zur Darstellung mathematischer Inhalte ver23
In Kapitel 3.2.1 wird ausführlich erläutert, wie die Typen der Zahlenmusterdeutung in der vorliegenden Studie entwickelt bzw. rekonstruiert wurden.
64
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
wendet werden, stellen sie nicht das mathematische Objekt selbst dar. Sie fungieren vielmehr als Zeichenträger. Die Bedeutung eines mathematischen Objekts - hier eines Zahlenmusters - muss dabei selbst erkundet und hergestellt werden (Kap. 2). Das in dieser Arbeit entwickelte theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung ermöglicht also einen Zugang zum genannten Grundproblem. Hierdurch leistet es einen Beitrag, um das von Duval beschriebene Problem der Dualität für die semiotische Zeichenwelt der Zahlen(muster) genauer und besser zu verstehen (Kap.2.2). Es geht darum, Sichtbares zu sehen und hinter das Sichtbare zu schauen, um das Unsichtbare zu entdecken. Hierfür berücksichtigt es einen vierfachen Blick, der eine Teilsicht zur Bearbeitung des Problems liefert. Dieser Blick erstreckt sich von sichtbaren Phänomenen, hin zu Beziehungen zwischen Sichtbarem, hin zu Beziehungen zwischen Unsichtbarem bis hin zu Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem. Das theoretische Konstrukt stellt somit ein Instrument dar, das einen Zugang zum Grund-problem ermöglicht und darüber hinaus in eine unsichtbare Welt übergeht.
3.2.1
Zur Entwicklung des theoretischen Konstrukts
Ausgangspunkt für die Entwicklung des theoretischen Konstrukts der arithmetisch-symbolischen Strukturierungsfähigkeit ist das fundamentale epistemologische Grundproblem zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. In Kapitel 2 wurde aufgezeigt, dass mathematisches Wissen von theoretischer Natur ist. Daher sind mathematische Zeichen und Symbole Kindern nicht immer sofort zugänglich. Kinder müssen sich intensiv mit ihnen auseinandersetzen und diese selbstständig und aktiv deuten sowie interpretieren. Nur so können sie ein echtes Begriffsverständnis von ihnen aufbauen. Zahlen sind ebenfalls theoretischer Natur und somit gedankliche Konstrukte (vgl. Steinbring 1994). Im Mathematikunterricht der Grundschule stellt jedoch „die Arbeit bzw. die Handlung mit dem konkreten Material“ (Schülke 2013, S. 47) den Ausgangspunkt für die Entwicklung abstrakter Zahl- und Operationsvorstellungen stellen dar. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass diese Herangehensweise „an ihre Grenzen stößt, wenn im erweiterten Zahlenraum mathematisch effektiv und einsichtig gearbeitet werden soll“ (Söbbeke 2005, S. 64). Auch beim Deuten von Zahlenmustern, die auch von theoretischer Natur sind, stößt man diesbezüglich an Grenzen. Bei ihnen stehen die Zahlbeziehungen der sichtbaren Zahlen im Vordergrund, weshalb beim Deuten die Einnahme einer relationalen Sichtweise notwendig ist. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Deutungsanforderung, da die sichtbaren Zahlen (Oberflächenmerkmale bzw. Oberflächenstrukturen) zunächst zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen, um die unsichtbaren innermathematischen Strukturen deuten zu können. Grundschulkinder müssen somit abstrakte Bezie-
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
65
hungen deuten, um das Allgemeine im Konkreten zu entdecken (vgl. Steinbring 2005). Hierdurch wird das epistemologische Grundproblem hinsichtlich der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit deutlich. Dieses Grundproblem spiegelt sich zudem im komplementären Zahlenmusterverständnis (Kap. 3.1), das innerhalb dieser Arbeit entwickelt wurde und auf welchem die Arbeit basiert, wider. Das bisher noch nicht erforschte Grundproblem ist Anlass für diese Arbeit. Ziel ist es, kindliche Deutungen im Kontext von Zahlenmustern genauer zu verstehen, sodass das fundamentale epistemologische Grundproblem Sichtbar – Unsichtbar besser verstanden und charakterisiert werden kann. Um dieses Ziel erreichen zu können, wird ein Studiendesign (Kap. 4) gewählt, das eine Entwicklung des theoretischen Konstrukts der arithmetisch-symbolischen Strukturierungsfähigkeit a posteriori zulässt. Basis hierfür sind klinische Interviews mit Grundschulkindern, die interpretativ sowie epistemologisch orientiert analysiert werden, sodass eine aus der Erfahrung gewonnene und argumentativ gestützte Entwicklung ermöglicht wird. Eine erste Idee bzw. Orientierung zur Entwicklung des Konstrukts lieferten sieben verschiedene Schöne Päckchen, aus dem Handbuch produktiver Rechenübungen (vgl. Wittmann & Müller 1994). Eines dieser Päckchen ist in der folgenden Abbildung (Abb. 3.17) dargestellt.
Abb. 3.17 Schönes Päckchen (Wittmann & Müller 1994, S. 150 und Material 4/11)
Betrachtet man das Päckchen aus Abb. 3.17, so lassen sich besondere sichtbare (An-)Ordnungen erkennen und beschreiben: Der Multiplikator wird von Zeile zu Zeile um je eine Stelle erweitert und ist stets aus der aufsteigenden Reihenfolge der natürlichen Zahlen zusammengesetzt. Zur Multiplikationsaufgabe wird jede Zeile eine Zahl hinzuaddiert, die jeweils um eins größer wird.
66
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
Ermittelt man die Ergebnisse der Aufgaben, entsteht auch hier eine besondere visuelle (An-)Ordnung, da die Ergebnisse von Zeile zu Zeile jeweils um einen Stellenwert zunehmen und zudem alle Stellenwerte ausschließlich mit der Ziffer eins besetzt sind (1, 11, 111, ...). Hierdurch können die Ergebnisse der Aufgaben zunächst ohne großen Aufwand ermittelt werden. So könnte man die Ergebnisspalte entsprechend der besonderen phänomenologischen (An-)Ordnung fortsetzen ohne jede einzelne Aufgabe ausrechnen zu müssen. Spannend ist die Frage, wieso sich die Ergebnisse so schön fortsetzen lassen und warum diese Ergebnisse zustande kommen. In dieser Frage wird das fundamentale epistemologische Grundproblem sichtbar – unsichtbar deutlich. Während die Zahlen des Schönen Päckchens (Abb. 3.17) unmittelbar sichtbar sind, sind die dem Päckchen zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge unsichtbar. Um diese Zusammenhänge sichtbar zu machen, müssen die sichtbaren Zahlen bzw. Aufgaben zueinander in Beziehung gesetzt werden. Hierdurch kann erkannt werden, dass die Unterschiede von Zeile zu Zeile jeweils genau einer Zehnerpotenz entsprechen (10=101, 100=102, 1000=103, etc.). Das bedeutet, dass das Ergebnis der zweiten Aufgabe um zehn größer wird als das Ergebnis der ersten Aufgabe, da insgesamt 19+1=10 hinzukommen. Von der zweiten zur dritten Aufgabe kommen insgesamt 119+1=100 hinzu, usw. An diesem Beispiel wird somit das Wechselspiel zwischen den Phänomenen an der Oberfläche und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen deutlich. Zur Genese Basierend auf den theoretischen Grundlagen wurden erste Vorabannahmen und Besonderheiten für das Deuten von Zahlenmustern zusammengetragen und Lernumgebungen entwickelt, bei denen das epistemologische Grundproblem im Vordergrund steht. Diese wurden innerhalb einer Pilotierung erprobt und im Anschluss interpretativ ausgewertet. Die gewonnen Erkenntnisse führten zu einer ersten Spezifikation der kindlichen Deutungen und dienten zudem zur Anpassung und Weiterentwicklung der Hauptstudie (Kap. 4). Schließlich wurde die Hauptstudie durchgeführt und interpretativ sowie epistemologisch orientiert ausgewertet (Kap. 5). Hierfür wurden zahlreiche umfangreiche, spannende, interessante und unerwartete Deutungsprozesse der Kinder herausgesucht. Diese wurden von der Verfasserin sowie in verschiedenen Arbeitsgruppen (z.B. AG EInmaL24, Mathematikdidaktisches Forschungskolloquium der Universität Duis-
24
Epistemologische Interaktionsforschung mathematischer Lehr- und Lernprozesse (Universität Duisburg-Essen, Leitung Prof. Dr. H. Steinbring)
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
67
burg-Essen, EMZ25, DoEs26, UMWEG27) ausführlich diskutiert und interpretiert. Parallel hierzu wurde ein erstes theoretisches Konstrukt der arithmetisch-symbolischen Strukturierungsfähigkeit entwickelt. Die Entwicklung des theoretischen Konstrukts erfolgte in Wechselwirkung mit den theoretischen Grundlagen und interpretativen sowie epistemologisch orientierten Analysen zu Zahlenmusterdeutungen von Grundschulkindern, die innerhalb der vorliegenden Arbeit sowie innerhalb der verschiedenen Arbeitsgruppen erfolgten. Fokus hierbei war stets die Herausarbeitung und Gegenüberstellung von sichtbaren (An-) Ordnungen und unsichtbaren gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen eines beliebigen (Zahlen-)Musters (fundamentales epistemologisches Grundproblem). Es wurden Strukturierungsattribute (kennzeichnenden Charakteristika) der Schülerdeutungen rekonstruiert. Diese wurden zusammengefasst und kategorisiert, sodass die Typen der Zahlenmusterdeutung argumentativ gestützt a posteriori entwickelt wurden.
3.2.2 Anmerkungen zum theoretischen Konstrukt Bevor die Typen der Zahlenmusterdeutung vorgestellt und erläutert werden, muss geklärt werden, was genau unter den Charakteristika sichtbar und unsichtbar im vorliegenden Projekt verstanden wird. Hierfür sei das folgende Strukturierte Päckchen Typ IV28 (Abb. 3.18) gegeben, das gedeutet werden soll.
25
Erkennen mathematischer Zusammenhänge (Forschungskreis der Bergische Universität Wuppertal, Universität Duisburg-Essen, Universität zu Köln, Universität Münster, Universität Paderborn, Technische Universität Dortmund)
26
Dortmund-Essener Kolloquium (Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr. H. Steinbring, Technische Universität Dortmund, Prof. Dr. M. Nührenbörger)
27
Untersuchungen zum Mathematiklernen (in der Grundschule) – Wuppertal-Essen-Gruppe (Bergische Universität Wuppertal, Universität Duisburg-Essen)
28
Erläuterung und Analyse zum angegebenen Päckchen befinden sich in den Kapiteln 5.2 und 5.2.2.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
68
0. 1.
529 528
+ 320 + 323
= =
2.
527
+ 326
=
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
526 524 522 520 519
+ + + + + + + + +
= = = = = = = = =
329 334 339 344 347
Abb. 3.18 Strukturiertes Päckchen Typ IV
Sichtbare Elemente des Strukturierten Päckchens aus Abb. 3.18 sind:
Nummerierung von 0. bis 11. Zahlen Operationszeichen „+“ Gleichheitszeichen Striche.
Unsichtbar sind sämtliche Beziehungen und strukturelle Zusammenhänge, die in das Strukturierte Päckchen hineingedeutet werden können:
Der erste Summand wird dreimal um eins kleiner, dann dreimal um zwei kleiner und dann wieder um eins kleiner. Der zweite Summand wird dreimal um drei größer, dann dreimal um fünf größer und dann wieder um drei größer. Ausgehend vom Ergebnis der 0. Aufgabe: Das Ergebnis wird im Folgenden dreimal jeweils um zwei größer, dann dreimal um drei größer, dann wieder um zwei größer. etc.
Werden im Deutungsverlauf die soeben genannten unsichtbaren Beziehungen angegeben und dadurch sichtbar(er) gemacht, indem sie beispielsweise verbalisiert und/oder notiert werden, so bleibt es dennoch dabei, dass sie als unsichtbare, gesetzmäßige Zusammenhänge eingestuft werden, da sie ursprünglich unsichtbarer Natur waren. So hat beispielsweise die Schülerin Merle innerhalb ei-
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
69
nes Interviews unsichtbare gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge entdeckt und sie durch Notation sichtbar gemacht (Abb. 3.19).
Abb. 3.19 Strukturiertes Päckchen Typ IV - Merles Bearbeitung
Beziehungen sind grundsätzlich unsichtbar. Sie sind im Umkehrschluss somit auch nicht per se sichtbar. Erst durch das Herstellen von Zusammenhängen zwischen den sichtbaren Dingen und Elementen können sie sichtbar(er) gemacht werden. Da es eine unendliche Vielzahl von verschiedenen mathematischen Beziehungen gibt, muss an dieser Stelle geklärt werden, welche Arten mathematischer Beziehungen für das vorliegende Forschungsprojekt relevant sind und folglich untersucht werden: In der vorliegenden Arbeit wird erst von einer mathematischen Beziehung gesprochen, wenn in ihr Aspekte der zugrundeliegenden Struktur enthalten sind. Das heißt, es sind vor allem die Beziehungen relevant, die durch die zugrundeliegenden, strukturellen Zusammenhänge eines Musters gegeben sind. Von großem Interesse sind insbesondere arithmetisch operative Beziehungen.
70
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
Typ
Gedeutet wird/werden
Ziffern-Anordnung
Sichtbares
Zahl-Operation
einfach
Beziehungen zwischen Sichtbarem
komplex
Beziehungen zwischen Unsichtbarem Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem
Zahl-Struktur
Zunehmender Grad an Abstraktion
Das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung lässt sich in folgender tabellarischer Übersicht (Abb. 3.20) zusammenfassend darstellen:
Abb. 3.20 Typen der Zahlenmusterdeutung
Die vier Typen Ziffern-Anordnung, Zahl-Operation einfach, Zahl-Operation komplex und Zahl-Struktur beschreiben Deutungen, die sich innerhalb einer Spanne von konkret-dingbezogenen (Typ Ziffern-Anordnung) bis hin zu strukturorientierten, systemisch-relationalen (Typ Zahl-Struktur) Deutungen bewegen (vgl. Söbbeke 2005, vgl. Abb. 3.21). Sie charakterisieren also Deutungen, die sich auf konkret sichtbare Objekte beziehen, bis hin zu Deutungen, bei denen eine Ablösung von den konkreten Objekten erfolgt, sodass allgemeine Beziehungen und Strukturen, die nicht unmittelbar sichtbar sind, in die Objekte hineingedeutet werden (vgl. Steinbring 2005, vgl. Kap. 2). Der Grad an Abstraktion nimmt hierbei dementsprechend von Typ zu Typ stetig zu.
Konkret-dingbezogene Deutungen
Systemisch-relationale Deutungen
Abb. 3.21 Deutungsspanne
Die vier Zahlenmusterdeutungstypen bauen zum Teil aufeinander auf. So beinhaltet beispielsweise der Typ Zahl-Struktur, dass im Vorfeld Überlegungen und Entdeckungen zu einfachen und komplexen Zahl-Operationen durchgeführt wurden. Dennoch sind sie nicht als strenge Entwicklungs- oder Stufenfolge zu verstehen. Der Typ Zahl-Struktur entspricht auch nicht dem optimalen Deutungstypen, der bei jedem arithmetisch-symbolischen Aufgabenformat erreicht werden muss. Zudem ist nicht jeder Deutungstyp in jeder arithmetisch-symbolischen
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
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Lernumgebung gleichermaßen zu erwarten und sinnvoll. Dies hängt unter anderem von der konkreten Aufgabenstellung bzw. dem Kontext, was genau das Kind erkunden und erklären soll, ab. So kann die Einnahme der Sichtweise ZahlStruktur einfach bei einem Aufgabenformat sinnvoll und effizient, bei einem anderen Aufgabenformat aber von geringerer Bedeutung sein. Zudem gibt es Deutungssituationen, in denen zu Beginn Deutungen des Typs Zahl-Struktur und im späteren Verlauf Deutungen des Typs Ziffern-Anordnung vorgenommen werden (vgl. Kap.5.2). Dies impliziert dann nicht, dass die Deutungen im Verlauf des Prozesses an Qualität verlieren. Vielmehr kann das Gegenteil der Fall sein, da sich die verschiedenen Deutungstypen sinnvoll ergänzen und hierdurch umfangreichere, differenzierte und sich ergänzende Deutungen vorgenommen werden können. Verbleiben Deutungen jedoch ausschließlich bei den Typen ZiffernAnordnung und/oder Zahl-Operation einfach, so sind diese Deutungen allerdings in der Regel von geringerer Qualität. Eine Funktion des theoretischen Konstrukts Typen der Zahlenmusterdeutung besteht darin, individuelle Deutungen und Herangehensweisen der Kinder im Umgang mit Zahlenmustern zu charakterisieren und mit Hilfe des Konstrukts einzuordnen. Es sollen unter anderem Antworten auf die Fragen Worauf achten die Kinder?, Worauf beziehen sie sich bei ihren Deutungen?, Was nutzen sie und wie nutzen sie es? gefunden werden. Hierdurch sollen die individuellen und meist komplexen Schülerdeutungen und Vorgehensweisen besser verstanden werden können. Einzelne Analysen von Schülerdeutungen und die hierauf basierenden Typen-Zuordnungen beziehen sich dabei stets nur auf die eine zu analysierende Szene. Sie sagen in keinem Fall etwas über den allgemeinen mathematischen Leistungsstand eines Kindes aus. Auch gibt es keine Klassifizierung im Sinne von richtig oder falsch.
Im Folgenden werden die vier Typen der Zahlenmuster einzeln vorgestellt. Jeder Typ wird hierfür nach einer allgemeinen Erläuterung und Vorstellung anhand eines Beispiels illustriert. Hierbei handelt es sich um Beispiele aus den klinischen Interviews dieser Studie. Diese wurden so gewählt, dass die Besonderheiten und Charakteristika des entsprechenden Typs prägnant dargestellt werden.
72
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
3.2.3 Typ Ziffern-Anordnung Deutungen sind dem Zahlenmusterdeutungstyp Ziffern-Anordnung zugeordnet, wenn sie sich ausschließlich auf die sichtbaren Elemente eines Zahlenmusters beziehen und ausnahmslos auf konkret-dingbezogener bzw. pseudo-dinglicher Ebene verbleiben. Eine Benennung oder Deutung unsichtbarer Strukturen und Beziehungen erfolgt nicht. Die sichtbaren Elemente werden in ihre Einzelelemente zerlegt. Hierbei stehen sie weitestgehend isoliert nebeneinander. Das heißt, dass Zahlen in ihre einzelnen Ziffern zerlegt werden, die separat voneinander betrachtet werden. Zahlen werden hierbei nicht als eine Beziehung des dekadischen Stellenwertsystems verstanden. Diese sichtbaren Einzelelemente des Musters können als Gleichheit („hier hinten ist immer die Eins“) oder als Folge von Ziffern („hinten ist immer eins, zwei, drei“) wahrgenommen und beschrieben werden. Eine Musterfortsetzung erfolgt auf elementarer Art und Weise. So können beispielsweise Ziffern in der Abfolge ihres Vorkommens übernommen werden (Abb. 3.22). Typ
Ziffern-Anordnung Sichtbares
- Zerlegung in (zeichenmäßige) Einzelelemente - Elementare Anordnung, Fortsetzung - Gleichheit von Elementen - Folgen von Elementen Abb. 3.22 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyps „Ziffern-Anordnung“
Die hier beschriebene Sichtweise auf die Einzelelemente eines Zahlenmusters lässt sich mit dem Deuten eines Buchstaben-Päckchens vergleichen. Da Buchstaben keinem strukturellen System angehören, besitzen sie auch keine strukturellen Beziehungen untereinander. Es können daher ausschließlich Merkmale an der Oberfläche gedeutet werden. Betrachtet man das Buchstaben-Päckchen aus Abb. 3.23, so sind lediglich phänomenologisch sichtbare Besonderheiten beschreibbar, wie z.B. „In der ersten Spalte ist vorne stets ein „l“, in der Mitte geht das Alphabet rückwärts, hinten ist immer ein „f“. In der zweiten Spalte ist vorne immer ein „h“, in der Mitte und hinten ist jeweils der gleiche Buchstabe. Es folgt immer der nächste Buchstabe des Alphabets.“ Müsste man das Päckchen fortsetzen, so kommt das System der Buchstaben schnell an seine Grenzen, denn auf Fragen wie Was kommt vor einem „a“? Was kommt nach einem „z“?, bleiben die Antworten offen. Ein generelles und allgemeingültiges, dem Buchstaben-Päckchen
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
73
zugrundeliegendes System, existiert daher nicht. Demnach können auch nur ganz konkret-dingbezogene Deutungen vorgenommen werden.
a.
ldf +
hhh
=
b.
lcf +
hii
=
c.
lbf +
hjj
=
d.
laf +
hkk
=
e.
+
=
f.
+
=
g.
+
=
h.
+
=
+
=
... k.
Abb. 3.23 Buchstaben-Päckchen
Beispiel: Fabian deutet das Strukturierte Päckchen (Typ IV)29 In der Pilotierung des Forschungsprojekts deutet Fabian das Strukturierte Päckchen Typ IV30 (Abb. 3.24). Dieses Päckchen besteht aus acht Additionsaufgaben mit je zwei dreistelligen Summanden.
29
Das für Deutungstyp Ziffern-Anordnung angegebene Beispiel soll an dieser Stelle lediglich der Illustration des Zahlendeutungsmustertyps dienen. Daher werden die Aussagen des Schülers Fabian zum Teil zusammenfassend wiedergegeben. Es erfolgt hier keine detailgetreue Analyse. Sorgfältige qualitative, epistemologisch orientierte Analysen erfolgen in Kapitel 5.
30
Ein Päckchen des Typs IV beschreibt eine rhythmische Veränderung der beiden Summanden. Siehe Kap. 4.4.1.1, in welchem die verschiedenen Typen der in der Studie verwendeten Strukturierten Päckchen vorgestellt werden.
74
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit 0.
529
+ 320
=
1.
528
+ 323
=
2. 3.
527 526
+ 326 + 329
= =
4. 5. 6. 7.
524 522 520 519
+ + + +
= = = =
334 339 344 347
8. 9. 10.
+ + +
= = =
11.
+
=
Abb. 3.24 Strukturiertes Päckchen Typ IV
Nach der Deutungsaufforderung „Schau dir das Päckchen gut an. [...] Was istn dir schon aufgefallen?“ beschreibt Fabian zunächst die Einerstellen des ersten Summanden. Er benennt die sichtbaren Ziffern und zeigt auf sie: „Neun, acht, sieben, sechs, fü, äh, warte mal, sechs, vier, zw.“ Er wiederholt die Ziffern und gibt an, dass Zahlen fehlen: „Neun, acht, sieben, sechs, hier fehlt die fünf, vier, hier fehlt die drei (zeigt zwischen die Einer von S1-A331 und S1-A4), hier fehlt die eins (zeigt zwischen die Einer von S1-A5 und S1-A6).“ Im Anschluss setzt er die Einer des ersten Summanden fort: Acht, sieben, sechs, vier (Abb. 3.25). Sein Vorgehen erläutert er nicht. Aufgrund seines weiteren Vorgehens bei den Zehnern des ersten und zweiten Summanden als auch bei den Einern des zweiten Summanden, lässt sich relativ sicher vermuten, dass Fabian die sichtbaren Einer der Aufgaben null bis sechs als eine Folge von sieben Elementen (neun, acht, sieben, sechs, vier, zwei, null) gedeutet hat. Diese Folge beginnt bei der siebten Aufgabe von Neuem, da hier eine neun im Einer steht. Die Neun stellt somit das erste Element der von Fabian erzeugten Folge dar. Er hat somit eine Folge von sieben Einzelelementen erzeugt, die sich wiederholt.
31
Die Abkürzungen stehen für: S1 - Summand 1, S2 - Summand 2, A0 - Aufgabe 0, A1 - Aufgabe 1, etc. S1-A1 steht für Summand 1 - Aufgabe 1, etc. Alle Abkürzungen sind in Kapitel 5.1 aufgeführt.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
75
Abb. 3.25 Fabians Fortsetzung des Strukturierten Päckchens Typ IV
Fabian deutet im Anschluss die Einer des zweiten Summanden, indem er diese benennt und ebenfalls Zahlen angibt, die seiner Ansicht nach fehlen. Auch hierbei orientiert er sich an der Zahlwortreihe. Zu den Zehnern des ersten Summanden benennt er eine Folge von Zahlen, die aus siebenmal zwei und einmal eins besteht. Er setzt sie Zehner entsprechend fort. Da bei den sichtbaren Hundertern des zweiten Summanden ausschließlich Dreien zu sehen sind, setzt Fabian die Reihe entsprechend fort (Gleichheit von Einzelelementen). Die Zehner des zweiten Summanden beschreibt er wie folgt: „viermal die zwei und, (...) und dann sind hier drei und da die drei (zeigt auf die Zehner von S2-A4 und S2-A5), und dann die vier und die vier (zeigt auf die Zehner von S2-A6 und S2-A7) und dann muss dann jetzt fünf, fünf (zeigt auf die noch leeren Zehnerstellen von S2-A8 und S2-A9) und dann sechs, sechs (zeigt auf die noch leeren Zehnerstellen von S2-A10 und S2-A11).“ Fabian benennt also zunächst eine Viererfolge und bündelt im Folgenden je zwei gleiche Ziffern. Entsprechend dieser Zweierbündelung setzt er die Zehner des zweiten Summanden fort. Die Einer des zweiten Summanden setzt er ab der achten Aufgabe fort, indem er die Ziffern der ersten vier Aufgaben in derselben sichtbaren Abfolge wie oben (A0 bis A3) notiert (Abb. 3.25). Fabian zerlegt also die dreistelligen Summanden in ihre Einzelelemente (Ziffern). Diese stehen hierbei völlig isoliert nebeneinander. Sie werden nicht zueinander in Beziehung gesetzt. Er ist auf die sichtbaren Einzelelemente fokussiert und setzt diese auf elementare Weise fort. Sichtbares deutet er entweder als
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3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
Gleichheit von Elementen (Hunderter beider Summanden) oder als Folge von Einzelelementen (Zehner und Einer beider Summanden). Die Anzahl der Elemente innerhalb der verschiedenen Folgen variiert dabei. Während er bei den Zehnern des ersten Summanden und bei den Einern des zweiten Summanden je eine Folge aus acht Elementen bildet, bildet er bei den Einern des ersten Summanden eine Folge aus sieben Elementen. Bei den Zehnern des zweiten Summanden formuliert er sogar zwei unterschiedliche Folgengrößen: Nach einer Viererfolge folgen Zweierfolgen mit je gleichen Ziffern. Die Anzahl der Elemente einer Folge ist demnach nicht festgelegt und hängt von den sichtbaren Auffälligkeiten und (An-)Ordnungen des Zahlenmusters ab. Fabian orientiert sich an der Zahlwortreihe. Ist diese nicht vollständig aufgeführt, so gibt er an, welche Zahlen fehlen. Er nimmt ausschließlich konkret-dingbezogene Deutungen vor, denn es werden keinerlei unsichtbare Gesetzmäßigkeiten, die dem Muster zugrunde liegen, gedeutet. Auch wenn Fabian seine elementaren Fortsetzungen der einzelnen Stellenwerte in gewisser Weise begründet, so entsprechen sie aufgrund der unterschiedlichen Anzahl an Elementen der verschiedenen Folgen doch eher reiner Willkür. Daher sind Fabians Deutungen dem Zahlenmusterdeutungstyp Ziffern-Anordnung zuzuschreiben.
3.2.4 Typ Zahl-Operation einfach Beim Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation einfach werden Zahlen nicht mehr in ihre Einzelelemente zerlegt. Für den Fall, dass Zahlen doch in ihre Einzelelemente zerlegt werden, so geschieht dies mit dem Bewusstsein darüber, dass die einzelnen Ziffern einer Zahl stets im Gesamtzusammenhang der vollständigen Zahl bzw. des dekadischen Stellenwertsystems zu verstehen und zu deuten sind. Das Kind fängt nun allmählich damit an, sich von den konkreten Objekten zu lösen. Es stellt erste elementare Zusammenhänge zwischen einzelnen Zahlen des Musters her, welche es auch benennen kann. Somit werden erste Beziehungen zwischen den sichtbaren Elementen des Zahlenmusters gedeutet. Hierbei handelt es sich allerdings noch um lokale und elementare Zahlbeziehungen. Die entdeckten Beziehungen werden noch nicht verallgemeinert (Abb. 3.26).
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit Typ
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Zahl-Operation einfach Beziehungen zwischen Sichtbarem
- Lokale, elementare Zahlbeziehungen - Zusammenhänge zwischen einzelnen Zahlen - Kombination / Folge von Zahlen Abb. 3.26 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyp „Zahl-Operation einfach“
Beispiel Marvin wird dazu aufgefordert, das 4x4-Zahlenfeld ZF2 (Abb. 3.27) zu deuten. Er gibt an, dass „fast alle Zahlen zweimal vorkommen“ und markiert die doppelt vorkommenden Zahlen in derselben Farbe (Abb. 3.28; 15/rot, 21/grün, 27/grau, 12/blau, 18/orange, 24/braun). Zudem gibt er an, dass vier Zahlen (6, 9, 30, 33) nur einmal vorkommen.
15 21 27 33 12 18 24 30 9 15 21 27 6 12 18 24 Abb. 3.27 Zahlenfeld ZF2
Abb. 3.28 Marvins Bearbeitung von ZF2
Auf die Frage, ob ihm sonst noch etwas auffalle, antwortet er, dass ihn die Lage der Zahlen an das Springen der Schachfigur Pferd erinnert. Diese verbale Beschreibung wird durch das Zeigen des Pferdesprungs (ein Feld nach rechts, zwei Felder nach unten) an Hand der Zahl 21 unterstützt. Ferner gibt er an, dass die Zahl 15 (3. Reihe, 2. Feld) demnach unter der Zahl 18 (vierte Zeile, drittes Feld) erneut stehen müsse, wenn man das Zahlenfeld fortsetzt (Abb. 3.29).
78
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
35 5 px x 27 15 21 33
12 18 24 330 82,536 82 5 6 px p 21 9 15535 px 27
6 12 18 8 3 24 82,536 82 px Abb. 3.29 Marvin beschreibt die Lageveränderung der Zahlen
Marvin konzentriert sich hier auf die phänomenologischen Besonderheiten des Zahlenfeldes und stellt Beziehungen zwischen Sichtbarem auf. Hierfür markiert er doppelt vorkommende Zahlen in der gleichen Farbe. Ferner beschreibt er die Lageveränderung, indem er sie mit dem Sprung des Pferds des Spiels Schach beschreibt. Er stellt keinerlei Beziehungen zwischen Unsichtbarem auf. Daher sind seine Deutungen dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation einfach zuzuordnen.
3.2.5 Typ Zahl-Operation komplex Weiterführend zum Typ Zahl-Operation einfach werden beim Typ Zahl-Operation komplex neben Beziehungen zwischen den sichtbaren Elementen nun auch Beziehungen zwischen den unsichtbaren Elementen gedeutet. Hierbei handelt es sich um globalere und umfassendere Zahlbeziehungen, die den Zusammenhang mehrerer Zahlen in den Fokus nehmen. Das Kind löst sich immer mehr von den konkreten Objekten und formuliert für einzelne Teilstrukturen des Musters erste allgemeine Beziehungen und Regeln. So werden beispielsweise regelbasierte und/oder rhythmisch konstante Veränderungen und Regelmäßigkeiten benannt. Es werden mehrere Teilstrukturen des Musters entdeckt und gedeutet. Diese stehen allerdings isoliert nebeneinander (Abb. 3.30).
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit Typ
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Zahl-Operation komplex Beziehungen zwischen Unsichtbarem
- Globale, umfassende Zahlbeziehungen - Teilstruktur(en) des Zahlenmusters - Zusammenhänge zwischen mehreren Zahlen - Regelbasierte Veränderungen - Regelmäßigkeiten - (rhythmisch) konstante Veränderungen Abb. 3.30 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyps „Zahl-Operation komplex“
Beispiel: Bezogen auf das Strukturierte Päckchen aus Abbildung Abb. 3.24 (Abb. 3.31) heißt dies, dass allgemeine Regeln für die Veränderung der Summanden des Strukturierten Päckchens gedeutet werden. So beschreibt beispielsweise Valentin die ersten Summanden des Strukturierten Päckchens (1. Teilstruktur) wie folgt: „Minus eins (fährt von S1-A032 zu S1-A1), minus eins (fährt von S1-A1 zu S1-A2), minus eins (fährt von S1-A2 zu S1-A3), minus zwei (fährt von S1-A3 zu S1-A4), minus zwei (fährt von S1-A4 zu S1-A5), minus zwei (fährt von S1-A5zu S1-A6), minus eins (fährt von S1-A6 zu S1A7). Hier ist es dann, man muss, hier muss dann immer nur dreimal minus zwei machen und viermal minus eins. Dann wird es fünfhundertachtzehn (notiert „518“ als S1-A8) und fünfhundertsiebzehn (notiert „517“ als S1-A9). Jetzt muss es ja minus zwei sein, fünfhundertfünfzehn (notiert „515“ als S1-A10). Oder? Ja, fünfhundertfünfzehn. Und hier minus zwei, dann ist es fünfhundertdreizehn (notiert „513“ als S1-A11).“
32
Die Abkürzungen stehen für: S1 – Summand 1, S2 – Summand 2, A0 - Aufgabe 0, A1 - Aufgabe 1, etc. S1-A1 steht für Summand 1 - Aufgabe 1, etc.
80
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
Abb. 3.31 Strukturierten Päckchen Typ IV - Valentins Bearbeitung
Valentin formuliert eine allgemeine Regel für den ersten Summanden (1. Teilstruktur): „hier muss dann immer nur dreimal minus zwei machen und viermal minus eins“33. Er setzt den ersten Summanden gemäß seiner entdeckten Regel fort (Abb. 3.31). Den zweiten Summanden (2. Teilstruktur) beschreibt Valentin mit: „Also da muss immer plus drei, plus drei, plus drei, plus fünf, plus fünf, plus fünf, dann plus drei, plus drei, plus drei, immer so [weiter]“. Sein Finger wandert dabei von oben nach unten. Valentin beschreibt die rhythmisch konstanten Veränderungen beider Summanden. Bei beiden Teilstrukturen nimmt er eine globale Sicht ein („immer“, „immer so weiter“). Im weiteren Verlauf des Interviews lässt er die beiden zuvor entdeckten und beschriebenen Teilstrukturen allerdings isoliert nebeneinanderstehen. Da die beiden Teilstrukturen nicht miteinander verknüpft werden, sind die angeführten Deutungen dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahloperation komplex zuzuordnen.
3.2.6 Typ Zahl-Struktur Beziehungen von Beziehungen von unsichtbaren Strukturen sind ein fester Bestandteil der Deutungen, die dem Typ Zahl-Struktur zugeschrieben werden. Die
33
Hinweis: Die allgemeine Regel müsste eigentlich „dreimal minus zwei und dreimal minus eins“ heißen. Da es aber an dieser Stelle nicht auf richtig oder falsch ankommt, wird hierauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
81
entdeckten unsichtbaren Teilstrukturen des Zahlenmusters stehen fortan nicht mehr isoliert nebeneinander, sondern sie werden zueinander in Beziehung gesetzt. Hierbei werden umfangreiche, allgemeine Beziehungen und Regeln des Musters und seiner zugrundeliegenden Struktur formuliert. Diese können zudem begründet werden. Des Weiteren wird die Gesamtheit der Struktur des Musters mit möglichen operativen Auswirkungen (im Sinne des operativen Prinzips) erfasst. Mit dem Wort Gesamtheit ist hier nicht gemeint, dass alle, dem Muster zugrundeliegenden Strukturen, erkannt und gedeutet werden müssen. Dies ist sogar quasi unmöglich, da das Erkennen und Deuten von Strukturen unerschöpflich sein kann. Vielmehr ist damit gemeint, dass in einem sehr umfangreichen Rahmen Strukturen innerhalb eines Gesamtzusammenhangs gedeutet werden. Die entdeckten gesetzmäßigen Zusammenhänge des Zahlenmusters können genutzt werden, um das entsprechende Aufgabenformat geschickt zu bearbeiten bzw. zu lösen. Hiermit ist beispielsweise gemeint, dass die entdeckten Beziehungen dahingehend genutzt werden, dass das Rechnen vereinfacht wird (vgl. z.B. operative Veränderung eines Zahlenfelds, s. Kap. 4.4.1.2) oder dass geschickt weitere Lösungen gefunden werden können (vgl. z.B. Triff die 50, vgl. Kap. 4.4.1.3). Da dies vom Aufgabenformat abhängig ist, können sich durch das Nutzen und Anwenden von entdeckten, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen je nach Aufgabenformat andere Vorteile bzw. Gegebenheiten bilden und ergeben (Abb. 3.32). Typ
Zahl-Struktur Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem
- 'Gesamtheit' der Struktur - Ausgeprägte Zahlbeziehungen - Beziehungen von Beziehungen - Operatives Prinzip - Konstanzgesetze Abb. 3.32 Übersicht des Zahlenmusterdeutungstyps „Zahl-Struktur“
Beispiel: Deutungen, die dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Struktur zugeordnet werden, verknüpfen die entdeckten Teilstrukturen, die im Beispiel des Zahlenmusterdeutungstyps Zahloperation komplex vorgestellt wurden, miteinander.
3 Das theoretische Konstrukt der arith.-symb. Strukturierungsfähigkeit
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Hätte demzufolge Valentin seine beiden beschrieben Teilstrukturen (rhythmische Veränderung des ersten und rhythmische Veränderung des zweiten Summanden) zueinander in Beziehung gesetzt und hierdurch eine allgemeine Aussage über die Entwicklung der Ergebnisse der Aufgaben des Strukturierten Päckchens gemacht, so wären seine Deutungen dem Typ Zahl-Struktur zugeordnet worden. Eine mögliche Verknüpfung der beiden Teilstrukturen wäre die Folgende: „Da der erste Summand im Wechsel dreimal um eins und dreimal um zwei kleiner und der zweite Summand im Wechsel dreimal um drei und dreimal um fünf größer wird, werden die Ergebnisse entsprechend im Wechsel dreimal um zwei und dreimal um drei größer.“
3.2.7 Übersicht der Zahlenmusterdeutungstypen Die vier soeben vorgestellten Typen der Zahlenmusterdeutung lassen sich im folgenden tabellarischen Schaubild zusammenfassend darstellen (Abb. 3.33) Typ
Gedeutet wird / werden
Ziffern-Anordnung
einfach
Charakterisierung
Sichtbares
- Zerlegung in (zeichenmäßige) Einzelelemente - Elementare Anordnung, Fortsetzung - Gleichheit von Elementen - Folgen von Elementen
Beziehungen zwischen Sichtbarem
- Lokale, elementare Zahlbeziehungen - Zusammenhänge zwischen einzelnen Zahlen - Kombination / Folge von Zahlen
Zahl-Operation
komplex
Zahl-Struktur
- Globale, umfassende Zahlbeziehungen - Teilstruktur(en) des Zahlenmusters Beziehungen - Zusammenhänge zwischen mehreren Zahlen zwischen Unsichtbarem - Regelbasierte Veränderungen - Regelmäßigkeiten - (rhythmisch) konstante Veränderungen - 'Gesamtheit' der Struktur Beziehungen von - Ausgeprägte Zahlbeziehungen Beziehungen - Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem - Operatives Prinzip - Konstanzgesetze
Abb. 3.33 Typen der Zahlenmusterdeutung
4 Design der Untersuchung Nachdem in den ersten drei Kapiteln der theoretische Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt wurde, wird in diesem vierten Kapitel das Design der Untersuchung präsentiert und begründet. Hierfür werden zunächst das Ziel der Untersuchung (4.1.1) sowie die Forschungsfragen (4.1.2) vorgestellt. Anschließend werden der Methodologische Rahmen (4.2) und die Konzeption der Studie (4.3) ausführlich dargestellt. Ferner werden die Erhebungsmethode des klinischen Interviews (4.4) sowie die in der Erhebung durchgeführte Intervention (4.5) erläutert bevor dann in Abschnitt (4.6) die Methode und das Verfahren der Interviewanalyse vorgestellt werden.
4.1 Ziel der Untersuchung und Forschungsfragen 4.1.1 Ziel der Untersuchung Muster und Strukturen spielen innerhalb der Mathematik eine zentrale Rolle (Kap. 1). Daher fordern die verbindlichen Bildungsstandards (Kap. 1.3.3) sowie die Lehrpläne (Kap. 1.3.2) für Grundschulen eine aktive Auseinandersetzung mit Mustern und Strukturen. Wie in Kapitel 1.4 aufgezeigt wurde, existieren derzeit noch keine Studien zur inhaltlichen Charakterisierung kindlicher Deutungen zu Zahlenmustern. Deshalb besteht ein wesentliches Ziel der vorliegenden Untersuchung in der Entwicklung eines theoretischen Konstrukts der arithmetischsymbolischen Strukturierungsfähigkeit von Grundschulkindern, welches sich in Form der Typen der Zahlenmusterdeutung konkretisiert (Kap. 3.2). Basis hierfür ist das komplementäre Verständnis des Begriffs Muster, das dieser Arbeit zugrunde liegt und das bisherige theoretische Erörterungen und Diskussionen zum Begriff Muster aufgreift, weiter fortführt und den Fokus auf ein Wechselspiel zweier Komponenten richtet. Nach diesem komplementären Musterverständnis besteht ein (Zahlen-)Muster aus einem Wechselspiel zwischen den phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnungen und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen (Kap. 3.1). Dieses Wechselspiel greift das fundamentale epistemologische Grundproblem der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit auf (Kap. 2). Mit Hilfe des komplementären Musterverständnisses und theoretischen Konstrukts Typen der Zahlenmusterdeutung soll dieses Grundproblem näher charakterisiert werden, um es besser verstehen zu können. Zur Erörterung und Erreichung des hier aufgezeigten Forschungsziels wurden zwei zentrale Forschungsfragen entwickelt, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_5
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4 Design der Untersuchung
4.1.2 Forschungsfragen Basierend auf den in Kapitel 1 dargestellten theoretischen fachmathematischen als auch fachdidaktischen Grundlagen zu den Begriffen Muster und Strukturen sowie auf den in Kapitel 2 zu den epistemologischen Bedingungen des Lernens von Mathematik aufgezeigten Besonderheiten, ergeben sich für die vorliegende Arbeit zwei Forschungsfragen:
Forschungsfrage 1 Welche Strukturierungsattribute (kennzeichnenden Charakteristika) lassen sich innerhalb von Zahlenmusterdeutungsprozessen von Grundschulkindern (4. Schuljahr) rekonstruieren? Forschungsfrage 2 Welche Typen der Zahlenmusterdeutung lassen sich aufgrund der Strukturierungsattribute (kennzeichnenden Charakteristika) zusammenfassen?
4.2 Methodologischer Rahmen Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine qualitative Untersuchung, die in die interpretative Unterrichtsforschung34 (vgl. Bauersfeld 1978; Maier & Voigt 1991; Voigt 1991; Beck & Maier 1994; Cobb & Bauersfeld 1995; Krummheuer & Naujok 1999; Jungwirth 2003) einzuordnen ist. Dieser Forschungsansatz ist vor allem in der Mathematikdidaktik bekannt und eignet sich sehr gut, um umfangreiche Interaktionsprozesse und Deutungen zu analysieren. Um das Ziel der vorliegenden Arbeit erreichen zu können, müssen anstelle von kurzen, separaten und isolierten Aussagen der Kinder längere Sinneinheiten analysiert werden, die in einen Gesamtzusammenhang gesetzt werden können. Nur so können Zahlenmusterdeutungen angemessen rekonstruiert und ausgewertet werden. Würden lediglich einzelne Aussagen der Kinder betrachtet werden, so wären diese nicht aussagekräftig genug. Somit müssen einzelne Aussagen der Kinder stets in den Gesamtzusammenhang gesetzt werden. Dies ist nur möglich, wenn es sich um eine umfassenden Deutungssituation handelt. Ferner wären ansonsten keine eindeutigen Interpretationen aufgrund fehlender Informationen/ 34
Für eine ausführliche Beschreibung und Entstehung der interpretativen Forschungsmethode siehe u.a. Bauersfeld 1978; Maier & Voigt 1991; Voigt 1991; Beck & Maier 1994; Cobb & Bauersfeld 1995; Krummheuer & Naujok 1999; Jungwirth 2003.
4 Design der Untersuchung
85
Aussagen zulässig. Wichtig hierbei ist die interpretative Weltsicht, bei der das „Tun und Denken des Menschen vor Ort, der Prozess, der zu dem nach außen hin sichtbaren Ergebnis führt“ (Jungwirth 2003, S. 189) im Vordergrund steht. Zudem handelt es sich um eine explorativ angelegte Studie. Dieser erforschende und erkundende Charakter ist für die Entwicklung des theoretischen Konstrukts Typen der Zahlenmusterdeutung unbedingt notwendig. So können durch den Einsatz klinischer Interviews individuelle und unterschiedliche Deutungen verschiedener Schülerinnen und Schülern gewonnen werden. Hierdurch entsteht eine große Bandbreite verschiedenster Deutungen, sodass basierend hierauf, das theoretische Konstrukt aufgrund von Rekonstruktion der Deutungen entwickelt werden kann. Ferner bedient sich diese Studie der hypothesengenerierenden Methode. Es besteht das Ziel, auf der theoretischen Fundierung und mit dem empirisch erhobenen Datenmaterial ein neues theoretisches Konstrukt zu generieren bzw. zu entwickeln.
4.3 Konzeption der qualitativen Studie Um die arithmetische Strukturierungsfähigkeit von Grundschulkindern adäquat charakterisieren zu können, ist diese Studie als Interventionsstudie mit Prä- und Post-Interviews angelegt worden. Für die Interviews wurde die halbstandardisierte Methode des klinischen Interviews (vgl. Selter & Spiegel 1997, s. Kap. 4.4) gewählt, da hierdurch authentisches Datenmaterial gewonnen werden kann. Nach den Prä-Interviews, bei denen vor allem spontane Deutungen der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler zu drei substanziellen arithmetischen Lernumgebungen im Vordergrund standen, erfolgten insgesamt vier Interventionseinheiten á 90 Minuten. Die beiden Hauptziele der Intervention bestanden in der Förderung des arithmetischen Struktursinns und damit einhergehend in der Einführung in eine besondere und anspruchsvolle Zahlenmusterdeutungskultur. Hierfür wurden vier substanzielle arithmetische Lernumgebungen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet (Kap. 4.5.2). Diese Lernumgebungen unterschieden sich zu den Lernumgebungen der Interviews. Nach Durchführung der Intervention erfolgten die Post-Interviews. Die substanziellen Lernumgebungen der Post-Interviews entsprachen dabei denen der Prä-Interviews. An der Hauptstudie nahmen insgesamt zwei vierte Klassen (Schule 1 und Schule 2) mit heterogenen Klassenzusammensetzungen teil. Die Erhebung erfolgte für beide Klassen innerhalb des ersten Schulhalbjahres. Zunächst erfolgte die Erhebung an Schule 1 und im Anschluss an Schule 2. In den klinischen Interviews wurden insgesamt zehn Kinder (drei Mädchen und sieben Jungen) zu Zahlen-
4 Design der Untersuchung
86
musterdeutungen aufgefordert. Da in dieser Studie keinerlei geschlechterspezifische Untersuchungen und -analysen erfolgen, ist die Ungleichverteilung von insgesamt drei Mädchen und sieben Jungen nicht von Interesse. Die Wahl der Interviewkinder erfolgte durch die Klassenlehrerin bzw. den Klassenlehrer der jeweiligen Klasse. Wichtig hierfür war vor allem die freiwillige Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, sich interviewen zu lassen. Wenngleich der mathematische Leistungsstand der Interviewkinder für diese Untersuchung keine Rolle spielt und nicht in den Fokus der Analysen und Auswertungen genommen wird, so wurde von der Verfasserin eine Auswahl an Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Leistungsständen gewünscht. An den Interventionsstunden nahmen die gesamten Klassen teil. In den Arbeitsphasen durften die Kinder ihre Gruppenpartner frei wählen, sodass sowohl Interviewkinder und Kinder, die nicht an den Interviews teilnahmen, zusammenarbeiteten. Die Konzeption der Studie ist in Abb. 4.1 zusammenfassend dargestellt.
Prä-Interviews
n=10 (3w, 7m) 3 Lernumgebungen 30 Interviews
Intervention
im Klassenverband 4 Lernumgebungen insg. 8 Unterrichtsienheiten kein Fertigkeitstraining
insg. 60 Interviews ca. 43 h Datenmaterial
Abb. 4.1 Studienkonzeption
Post-Interviews
n=10 (3w, 7m) 3 Lernumgebungen 30 Interviews
4 Design der Untersuchung
87
Der Aufbau und der zeitliche Ablauf der Studie, mit all ihren Phasen (Einarbeitung in das Thema, Pilotierung, Auswertung, Hauptstudie, Auswertung) ist der folgenden Abbildung zu entnehmen (Abb. 4.2).
Phase
1.
2.
3.
Beschreibung der Phase Einarbeitung in das Forschungsgebiet, Erstellung von Forschungsfragen sowie Erstellung von Interviewleitfäden und Einführungsstunden zu folgenden Lernumgebungen - Strukturierte Päckchen - Umkehrzahlen - Zahlenfelder - Triff die 50! Pilotierung Einführung der Kinder in die Thematik „Muster und Strukturen“ durch Einführungsstunden Erprobung der Interviewleitfäden mit insgesamt 9 Kindern eines 4. Schuljahres Auswertung der Daten der Pilotierung Modifikation der Interviewleitfäden zu den Lernumgebungen Strukturierte Päckchen, Triff die 50! und Zahlenfelder Entwicklung der Intervention auf Grundlage der Datenauswertung
Zeitlicher Rahmen
05/13 - 01/14
02/14
03/14 - 09/14
Durchführung der Hauptstudie
4.
5.
... an einer ersten Grundschule Mit 6 Kindern wurden je 3 Prä- und 3 PostInterviews geführt ( insgesamt 36 Interviews) Mit der gesamten Klasse erfolgte die Intervention
10/14 - 12/14
... an einer zweiten Grundschule Mit 4 Kindern wurden je 3 Prä- und 3 PostInterviews geführt ( insgesamt 24 Interviews) Mit der gesamten Klasse erfolgte die Intervention
01/15 - 02/15
Auswertung der Daten der Hauptstudie
03/15 - 04/16
Abb. 4.2 Aufbau und Zeitplan der Studie
88
4 Design der Untersuchung
4.4 Das klinische Interview Das klinische Interview war ursprünglich Teil der klinischen und therapeutischen Praxis. Dort diente es in unterschiedlichen Graden der Strukturiertheit der Diagnose von Erkrankungen (vgl. Hopf 2009, S. 352). Der Begriff klinisches Interview wird jedoch schon lange nicht mehr ausschließlich in den beiden genannten Bereichen verwendet. So wird er schon länger in forschungsbezogenen Kontexten angewandt. Bei Psychologen fungiert der Begriff als ein Sammelbegriff für teilstandardisierte oder nicht-standardisierte Erhebungsformen (vgl. ebd.). Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget charakterisierte das klinische Interview maßgeblich. Er beschäftigte sich mit den Inhalten des kindlichen Denkens. Da (kleine) Kinder ihre Gedanken teilweise noch nicht ausführlich artikulieren können, war er für sein Forschungsvorhaben auf eine Methode angewiesen war, die sensibel genug und möglichst präzise war, sodass (kleine) Kinder ihre Gedanken mitteilen konnten. (vgl. Ginsburg & Opper 2004, S. 122). Das klinische Interview verfolgt als Hauptziel, „dem kindlichen Denken zu folgen, ohne es suggestiv zu verformen oder ihm den Standpunkt des Erwachsenen aufzuzwingen“ (ebd., S. 124). Dabei ist es geprägt durch einen hohen Grad an Flexibilität. Beim klinischen Interview handelt es sich um ein einheitliches, halbstandardisiertes Interviewschema, das zum einen die Unvorhersehbarkeit der Denkwege eines Kindes durch einen nicht im Detail vorherbestimmten Verlauf berücksichtigen kann und bei dem zum anderen eine Vergleichbarkeit durch verbindlich festgelegte Leitfragen bzw. Kernaufgaben erfolgen kann (vgl. Selter & Spiegel 1997, S. 101). In der Mathematikdidaktik werden klinische Interviews häufig als Erhebungsinstrument eingesetzt, um Erkenntnisse über das mathematische Denken von Kindern zu gewinnen (vgl. ebd., S. 149). Selter und Spiegel formulieren für diesen Bereich der Anwendung einen Leitfaden zur Durchführung von klinischen Interviews (vgl. ebd., S. 107ff.). Er thematisiert folgende Bereiche: Zielgerichtete Flexibilität, Angenehme Gesprächsatmosphäre, Transparenz, Herausforderung statt Belehrung, Annahme von Rationalität, Erzeugung (sozio-) kognitiver Konflikte, Entdeckung der Langsamkeit, Achtung vor Gesprächsroutinen, Relativität der Information und Reflexion des Designs.35 Das klinische Interview diente in dieser empirisch angelegten Arbeit zur Erhebung authentischen Datenmaterials. Bei der Erhebung wurden die von Selter und
35
Für eine ausführliche Erläuterung der einzelnen Punkte siehe Selter & Spiegel (1997), S. 107ff.
4 Design der Untersuchung
89
Spiegel angeführten Kriterien beachtet. Das erhobene Datenmaterial stellte die Basis für die Rekonstruktion der Deutungen der Kinder dar (vgl. 4.4.3).
4.4.1 Interviewaufgaben In den Interviews wurden von den Kindern zu drei substanziellen Lernumgebungen Zahlenmusterdeutungen vorgenommen: Strukturierte Päckchen (SP, Kap. 4.4.1.1), Zahlenfelder (ZF, Kap. 4.4.1.2) und Triff die 50 (Td50, Kap. 3 und 4.4.2.3) und. Die Auswahl dieser Zahlenmuster erfolgte basierend auf unterschiedlichen Eigenschaften der Lernumgebungen, welche durch verschiedene Strukturierungsgrade bzw. -schwerpunkte charakterisiert sind: Fest vorgegebene Struktur ohne Veränderungsmöglichkeit (SP) Fest vorgegebene Struktur mit Veränderungsmöglichkeit (ZF) Offene arithmetische Struktur mit Vorgabe(n) (Td50) Jeder Lernumgebung wurde einer dieser Schwerpunkte zugeordnet (Abb. 4.3). Allerdings ist diese Zuordnung keinesfalls eindeutig, sondern sie kann sich beispielsweise durch einen unvorhersehbaren und individuellen Interaktionsverlauf verschieben. So wurde beispielsweise der substanziellen Lernumgebung Strukturierte Päckchen der Schwerpunkt Fest vorgegebene Struktur ohne Veränderungsmöglichkeit zugeordnet, da der gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang eines Päckchens durch die vorgegebenen Zahlen in der Regel fest vorgegeben ist. Sofern das Päckchen aber z.B. anders als erwartet, aber dennoch sinnvoll fortgesetzt wird, erscheint die gegebene Struktur nicht mehr als fest vorgegeben. Dies bedeutet, dass die Struktur flexibel gedeutet und demnach verändert werden kann. Dies hätte dann zur Folge, dass die substanzielle Lernumgebung nun dem Schwerpunkt Fest vorgegebene Struktur mit Veränderungsmöglichkeit zugeordnet werden muss. Analoges gilt für die beiden anderen substantiellen Lernumgebungen Zahlenfeld und Triff die 50. In der folgenden Übersicht der Zuordnungen (Abb. 4.3, vgl. Wißing 2015) ist die Verschiebung des Strukturierungsschwerpunktes durch gestrichelte Linien dargestellt.
4 Design der Untersuchung
90 Charakterisierung/ Schwerpunkt Fest vorgegebene Struktur ohne Veränderungsmöglichkeit Fest vorgegebene Struktur mit Veränderungsmöglichkeit Offene arithmetische Struktur mit Vorgabe(n)
Lernumgebungen Interviews Strukturierte
Intervention
Päckchen
- Umkehrzahlen
Zahlenfeld
- Zahlengitter
- Zahlenmauern - Vierersummen an
Triff die 50!
der Hundertertafel
Abb. 4.3 Charakterisierung bzw. Schwerpunktsetzung der Lernumgebungen
Obwohl in diesem Abschnitt die Lernumgebungen der Interviews im Fokus stehen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die vier substanziellen Lernumgebungen der Intervention (Umkehrzahlen, Zahlenmauern, Zahlengitter und Vierersummen an der Hundertertafel) ebenfalls durch die drei Schwerpunkte charakterisiert wurden. So wurden in den Arbeitsaufträgen entsprechende Schwerpunkte gesetzt. Da sich auch diese innerhalb einer Lernumgebung aufgrund verschiedener Aufgabenstellungen und innerhalb der sozialen Interaktion verschieben können, erfolgt hier keine eindeutige Zuordnung. Je substanzieller Lernumgebung SP, ZF und Td50 erfolgte ein separates klinisches Prä- und Post-Interview. Hierfür erhielten die Kinder Arbeitsblätter. Die Deutungsaufforderungen wurden von der Interviewerin ausschließlich verbal präsentiert. Die Kinder waren frei in der Wahl bereitgestellter Materialien (verschiedene Bunt- und Filzstifte, kariertes Papier). Im Folgenden werden nun die drei Lernumgebungen vorgestellt. Nach dieser Vorstellung erfolgt eine Analyse der zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge, die für das vorliegende Projekt von Relevanz sind.
4.4.1.1 Strukturierte Päckchen Für diese Studie wurden insgesamt fünf Strukturierte Päckchen (SP1 bis SP5) entwickelt, welche durch Merkmale hinsichtlich ihrer gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge charakterisiert wurden. So ergeben sich die folgenden Päckchentypen (Abb. 4.4):
4 Design der Untersuchung Typ
91 a+b=c
Veränderung eines Summanden Veränderung beider Summanden ohne Muster bzw. Strukturen
a oder b wird um ݔverändert
SP1
I
SP2
II
SP3
V
SP4
III
Alternierende Veränderung
a wird abwechselnd um ݒund ݓund b abwechselnd um ݔund ݕverändert
SP5
IV
Rhythmische Veränderung
a wird ݎ-mal um ݒund ݏ-mal um ݓund b wird ݎ-mal um ݔund ݏ-mal um ݕverändert
a wird um ݔund b wird um ݕverändert a und b werden beliebig verändert
Auswirkung auf c േݔ (േݔሻ ሺേ)ݕ nicht vorherzusagen (േݒሻ ሺേ)ݔ (േݓሻ ሺേ)ݕ (േݒሻ ሺേ)ݔ ... ݎή ൫ሺേݒሻ ሺേݔሻ൯ ݏή ൫ሺേݓሻ ሺേݕሻ൯ ݎή ൫ሺേݒሻ ሺേݔሻ൯ ...
Abb. 4.4 Strukturierte Päckchen - Übersicht
Es sei darauf hingewiesen, dass die Strukturierten Päckchen im weiteren Verlauf der Arbeit mit SP1, SP2, SP3, SP4 und SP5 abgekürzt werden. Diese Abkürzungen ergeben sich aus der Reihenfolge, in welcher die Kinder die Päckchen innerhalb der Interviews gedeutet haben. Demzufolge wurde den Kindern in den Interviews zunächst SP1 (Typ I) zur Deutung vorgelegt. Dies sollte einen angenehmen Interviewstart für die Kinder ermöglichen. Es folgte das Päckchen des Typs II (SP2). Als drittes sollte das Päckchen vom Typ V (SP3) gedeutet werden. Nachdem bei den ersten beiden Strukturierten Päckchen jeweils gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge vorhanden waren, sollte dies beim dritten Päckchen im Sinne einer produktiven Irritation nicht der Fall sein. So geben Nührenbörger und Schwarzkopf diesbezüglich an, dass „Kinder gerade dann eine Notwendigkeit sehen, mathematische Argumente zu suchen und mit anderen auszuhandeln, wenn sie sich aus dem Fach ergeben; oder anders formuliert, wenn produktive Irritationen entstehen“ (vgl. Nührenbörger & Schwarzkopf 2013, S. 718). Dadurch das SP3 vermutlich eher nicht den Erwartungen und Vorstellungen der Kinder entsprach, sollten sie im Anschluss mit neu erworbenen Erkenntnissen, Zugangsweisen sowie mit neuer Aufmerksamkeit das vierte (SP4, Typ III) und schließlich das fünfte Päckchen (SP5, Typ IV) deuten. Diese beiden Päckchen weisen nun wieder gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge auf. Alle fünf für die Studie entwickelten Strukturierten Päckchen werden im Folgenden vorgestellt und erläutert. Angemerkt sei, dass hier mögliche Deutungssichtweisen vorgenommen werden. Es handelt sich hierbei um keine vollständige Auflistung aller Möglichkeiten.
4 Design der Untersuchung
92 SP1 Veränderung eines Summanden - Typ I
Wie der tabellarischen Übersicht der Strukturierten Päckchen (Abb. 4.4) zu entnehmen ist, handelt es sich bei SP1 um ein Päckchen, bei dem sich lediglich ein Summand von Aufgabe zu Aufgabe um (verändert. Entsprechend ändert sich die Summe von Aufgabe zu Aufgabe um (. Basierend auf diesem Strukturierungsmerkmal wurde für die Erhebung dieser Arbeit das in Abb. 4.5 dargestellte Päckchen entwickelt. Bei diesem Päckchen bleibt der erste Summand (523) konstant, während der zweite Summand von Zeile zu Zeile um plus zwei größer wird, beginnend mit der Zahl 16. 0.
523
+
16
=
0.
523
+
16
=
539
1.
523
+
18
=
1.
523
+
18
=
541
2.
523
+
2.
523
+
=
523
+
20 22
=
3.
=
3.
523
+
=
543 545
4.
523
+
=
4.
523
+
20 22 24
=
547
5.
+
=
5.
523
+
26
=
6. 7.
+ +
= =
6. 7.
523 523
+ +
28 30
= =
549 551 553
+
=
10..
523
+
36
=
559
=
... 20.
523
+
56
=
571
... 10.. ... 20.
...
+
Abb. 4.5
SP1
SP1 soll neben einer Beschreibung der Zahlen fortgesetzt werden. Hierbei besteht eine Besonderheit in der Fortsetzung, da nach der siebten Aufgabe die zehnte Aufgabe und nach der zehnten Aufgabe die zwanzigste Aufgabe ermittelt werden soll. D.h., dass bei der Fortsetzung des zweiten Summanden diese Sprünge zu beachten sind. Während der erste Sprung lediglich ein kleinerer Sprung von drei Aufgaben ausmacht, ist der Sprung von Aufgabe 10 zu Aufgabe 20 größer. Wie die zehnte und zwanzigste Aufgabe ermittelt werden, bleibt dem Kind überlassen. Es sind verschiedene Strategien denkbar. Eine mögliche Strategie besteht in der schrittweisen Ermittlung von Aufgabe 8, Aufgabe 9 und Aufgabe 10. Bei einer weiteren Möglichkeit können die dem Päckchen zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge genutzt werden: „Von der siebten bis zur zehnten Aufgabe fehlen drei Aufgaben. Von Aufgabe zu Aufgabe wird der zweite Summand um plus zwei größer. Al-
4 Design der Untersuchung
93
so ist der Summand der zehnten Aufgabe um sechs größer als der Summand der siebten Aufgabe, da drei mal zwei gleich sechs ist.“ Neben diesen beiden vorgestellten Strategien sind natürlich weitere vorstellbar. Zur Ermittlung des 20. Summanden können ebenfalls beide Strategien Anwendung finden. Eine weitere Strategie könnte sein, dass die Differenz der Summanden der nullten und zehnten Aufgabe ermittelt wird und dass diese Differenz dann zum zweiten Summanden der zehnten Aufgabe hinzuaddiert wird. Hierbei würden ebenfalls strukturelle Eigenschaften von SP1 genutzt. Weitere Vorgehensweisen sind auch hier denkbar.
SP2 Veränderung beider Summanden - Typ II Bei einem Strukturierten Päckchen des Typs II verändern sich beide Summanden. So verändert sich der erste Summand um(und der zweite Summand um ( Das Ergebnis verändert sich dementsprechend um ,(- & ,(-. Bei dem für die Studie konzipierten SP2 (Abb. 4.6) wird der erste Summand jeweils um zehn kleiner, während der zweite Summand stets um elf größer wird. Setzt man diese beiden Veränderungen zueinander in Beziehung, so lässt sich hiervon ableiten, dass die Ergebnisse von Aufgabe zu Aufgabe jeweils um eins größer werden (denn „-10+11=1“). 0.
734
1.
724
2.
714 704
3.
+ 222 + 233
=
0. 1.
734 724
+ 244
=
2.
714
3. 4.
704 694
5.
=
956
+ 222 + 233 + 244
= = = =
684 674 664
+ 255 + 266 + 277 + 288 + 299
=
960 961
= =
962 963 966
=
957 958
+ 255
=
4. 5.
+ +
= =
6. 7. ...
+ +
= =
6. 7.
10..
+
=
10..
634
+ 332
=
=
... 50.
234
+ 772
= 1006
... 50.
959
...
+
Abb. 4.6
SP2
Da dieses Päckchen mit all seinen Besonderheiten und Brüchen ausführlich innerhalb der Analyse von Marvin (Kap. 5.2) vorgestellt wird, wird es hier nicht näher erläutert, sondern es wird auf den zweiten Schritt der Analyse (Komplementäres Zahlenmusterverständnis) verwiesen.
4 Design der Untersuchung
94 SP3 Ohne Muster bzw. Struktur - Typ IV
SP3, ein Päckchen des Typs V beschreibt und besitzt keinen allgemeinen, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang. Es besteht aus rein willkürlich zusammengesetzten Zahlen. Infolgedessen, können keine allgemeinen Regeln für das Päckchen angegeben werden. So besitzt auch das Strukturierte Päckchen SP3 (Abb. 4.7) keinen allgemeinen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang. Angemerkt sei, dass ein Kind in den Interviews entdeckte, dass die sichtbaren Zahlen der Aufgaben folgendes Kriterium erfüllen: Die kleinste Zahl wird mit der größten, die zweitkleinste mit der zweitgrößten, die drittkleinste mit der drittgrößten und die größte mit der kleinsten Zahl addiert. Weiterführende Zusammenhänge existieren allerdings nicht. + 400 + 123
=
+ 97 + 723 +
= = =
5. 6. 7.
+ + +
= = =
... 10..
+
=
0.
327
1. 2.
535
3. 4.
888 15
0. 1. 2.
=
888 15
+ 400 + 123 + 97
= =
+ 723 + +
= = = =
6. 7. ...
+ +
= =
10..
+
=
3. 4. 5.
Abb. 4.7
327 535
727 658 985 735
SP3
SP4 Alternierende Veränderung - Typ III Bei einem Strukturierten Päckchen des Typs II existieren alternierende Veränderungen beider Summanden. D.h., dass sich der erste Summand abwechselnd um und verändert, während sich der zweite Summand abwechselnd um und verändert. Die Summen der einzelnen Aufgaben verändern sich entsprechend abwechselnd um ((- & ,() und ((- & ,(). Basierend auf diesem gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang wurde für die Erhebung dieser Studie das folgende SP4 entwickelt (Abb. 4.8). Beim konzipierten SP4 wird der erste Summand abwechselnd um drei größer und um sieben kleiner. Der zweite Summand wird abwechselnd um plus sieben größer und um drei kleiner. Hieraus ergibt sich, dass die Summe der ersten
4 Design der Untersuchung
95
Aufgabe um zehn größer wird als die Summer der nullten Aufgabe. Die Summe der zweiten Aufgabe ist um zehn größer als die Summe der ersten Aufgabe. Allgemeiner ausgedrückt heißt dies, dass die Summen abwechselnd um zehn kleiner und dann um zehn größer werden. Das heißt wiederum, dass jede zweite Summe gleich ist. So wechseln sich die beiden Summen 527 und 537 bei SP4. Betrachtet man den Unterschied von einem zum übernächsten Summanden, so lässt sich entdecken, dass der Unterschied in der Spalte der ersten Summanden jeweils minus vier und in der Spalte der zweiten Summanden jeweils plus vier beträgt. Auch bei diesem Päckchen werden Kinder zur Fortsetzung aufgefordert. Bei der Fortsetzung ist ebenfalls ein Sprung von der siebten zur zehnten Aufgabe zu verzeichnen. + 310 + 317 + 314
=
527
= =
537
=
537
=
205 208
+ 321 + 318 + 325 + 322 + 329
= = =
527 537 527 537
197
+ 330
=
527
+ 310 + 317
=
0.
217
=
+ 314
=
1. 2.
220 213
+ 321 + 318
= =
3.
216 209
5.
+
=
+ +
= =
5. 6. 7. ...
212
6. 7.
+
=
10..
0.
217
1.
220
2.
213 216 209
3. 4.
4.
... 10..
Abb. 4.8
527
SP4
SP5 Rhythmische Veränderung - Typ IV SP5 wird durch eine rhythmische Veränderung der Summanden charakterisiert. So verändert sich der erste Summand -mal um und -mal um . Der zweite Summand verändert sich -mal um und -mal um . Für die Entwicklung der Summen bedeutet dies, dass sich diese abwechselnd um ,,(- & ,(-- und ,,(- & ,(-- verändern. Konkret heißt dies für SP5 (Abb. 4.9), dass sich der erste Summand von der nullten bis zur dritten Aufgabe insgesamt dreimal um minus eins verringert, während der zweite Summand insgesamt dreimal um plus drei vergrößert wird. Hieran anschließend wird der erste Summand von der dritten bis zur sechsten Aufgabe um dreimal minus zwei verringert und der zweite Summand um dreimal plus fünf er-
4 Design der Untersuchung
96
höht. Von der sechsten bis zur neunten Aufgabe verändert sich der erste Summand wieder um dreimal minus eins und der zweite Summand um dreimal plus zwei. Werden diese rhythmischen Veränderungen zueinander in Beziehung gesetzt, so wird deutlich, dass die Summen der einzelnen Aufgaben jeweils von Aufgabe zu Aufgabe um zwei größer werden. 0.
529
+ 320
=
1.
528
+ 323
=
2. 3.
527 526
+ 326 + 329
= =
4.
524
+ 334
=
5. 6. 7.
522 520 519
+ 339 + 344 + 347
= = =
8.
+
=
9. 10.
+ +
= =
11.
+
=
Abb. 4.9
0. 1.
529 528
+ 320 + 323
= =
849 851
2.
527
+ 326
=
853
3. 4.
526 524
+ 329 + 334
= =
855 858
5.
522
+ 339
=
861
6. 7. 8.
520 519 518
= = =
864 866
9.
517
+ 344 + 347 + 350 + 353
=
868 870
10. 11.
515 513
+ 358 + 363
= =
873 876
SP5
Angemerkt sei, dass es für dieses entwickelte Päckchen SP5 viele weitere sinnvolle und passende Fortsetzungen gibt. So könnte beispielsweise in der Rhythmik variiert werden, da die Summanden nur bis zur einschließlich siebten Aufgabe vorgegeben sind. Für den ersten Summanden könnte dies beispielsweise heißen, dass er dreimal um minus eins, dann dreimal um plus zwei, dann zweimal um minus eins und zweimal um plus zwei, etc. verändert werden könnte.
4.4.1.2 Zahlenfelder Die substanzielle Lernumgebung Zahlenfeld besteht aus einer rechteckigen Anordnung von Feldern. In jedem dieser Felder stehen Zahlen. Für diese gelten von Spalte zu Spalte bzw. von Zeile zu Zeile dieselben additiven Operatoren a bzw. b. Hierdurch ergeben sich innerhalb der einzelnen Zeilen und Spalten Zahlenfolgen, die einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang vorweisen. Für das vorliegende Projekt wurden zwei Zahlenfelder entwickelt. Hierbei handelt es sich um ein 3x3-Zahlenfeld (ZF1, Abb. 4.10) und ein 4x4-Zahlenfeld (ZF2, Abb. 4.11). Innerhalb der Interviews wurde ZF 1 als erstes und ZF2 als zweites gedeutet. Die Kinder sollten die Zahlenfelder zunächst beschreiben und im Anschluss die Summe aller neun bzw. 16 Zahlen geschickt bestimmen.
4 Design der Untersuchung
97
Zahlenfeld 1 - Beschreibung
11
12 13
21 22 23 31 32 33 Abb. 4.10 ZF1
ZF1 stellt einen Ausschnitt aus der Hundertertafel dar. Die Zahlen werden von links nach rechts um einen und von oben nach unten um zehn größer. Betrachtet man die Diagonalen von oben links nach unten rechts, so werden die Zahlen um elf größer, während die Zahlen der Diagonalen, die von oben rechts nach unten links verlaufen, um neun kleiner werden. Zudem lässt sich festhalten, dass die neun sichtbaren Zahlen ausschließlich aus den Ziffern eins, zwei und drei bestehen.
Zahlenfeld 2 – Beschreibung 15 21 27 33 12 18 24 30 9 15 21 27 6 12 18 24 Abb. 4.11 ZF2
Da innerhalb der Analyse von Justus (Kap. 5.4) eine ausführliche Analyse hinsichtlich des komplementären Zahlenmusterverständnisses erfolgt, wird hier keine ausführliche Beschreibung vorgenommen, sondern es wird auf das Kapitel 5.4 (Analyseschritt 2) verwiesen.
98
4 Design der Untersuchung
Zahlenfeld 1 und 2 – (Geschickte) Bestimmung der Summe aller Zahlen Die Bestimmung der Summe aller neun bzw. 16 Zahlen ist auf vielfältige Weise möglich. Mögliche Vorgehensweisen lassen sich in zwei Kategorien unterscheiden: 1) Rein rechnerische Vorgehensweisen36 Schrittweises Addieren aller Zahlen Schriftliches Addieren aller Zahlen Stellenweises Addieren von Zehnern und Einern Addition von Zahlenpaaren ... 2) Auf Gesetzmäßigkeiten basierende Vorgehensweisen Teilstrukturen des Zahlenmusters nutzen Operatives Verändern der Zahlen Neben den beiden genannten Vorgehensweisen, die Gesetzmäßigkeiten aufgreifen, existieren sicherlich noch weitere mögliche Vorgehensweisen. Im Folgenden liegt der Fokus allerdings auf diesen beiden Strategien. Beide können bei den Zahlenfelder ZF1 und ZF2 angewandt werden.
Teilstrukturen des Zahlenmusters nutzen Werden die beiden Teilstrukturen von ZF1 - die Zahlen werden von oben nach unten jeweils um zehn kleiner und pro Zeile gibt es drei Zahlen - zueinander in Beziehung gesetzt, so lässt sich hieraus ableiten, dass die Summe einer jeden Zeile von oben nach unten um 30 größer wird (310=30). So könnte man die Summe der ersten Zeile rechnerisch bestimmen, indem man 11+12+13=36 rechnet. Die Summe der zweiten Zeile könnte basierend auf dem gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang (drei Zahlen werden je um zehn größer) ermittelt werden, indem zur Summe der Zahlen der ersten Zeile 30 hinzuaddiert werden. Analoges Vorgehen bietet sich zur Ermittlung der Summe der dritten Zeile an (Abb. 4.12). Nach Addition der drei ermittelten Teilsummen erhält man dann die Gesamtsumme des Zahlenfeldes. Ermittelt man die Teilsummen von ZF1 spaltenweisen, so werden diese Teilsummen von links nach rechts betrachtet jeweils um drei größer (Abb. 4.12). 36
Da die rein rechnerischen Vorgehensweisen für die vorliegende Arbeit nicht weiter von Interesse sind, werden sie hier lediglich aufgelistet.
4 Design der Untersuchung
99 36
11
21 22 23
36 + 30 = 66
21 22 23
31 32 33
66 + 30 = 96
31 32 33
11
12 13
12 13
66 + 3 = 69
63 + 3 = 66
63
Abb. 4.12 ZF1 - Berechnung unter Ausnutzung von Gesetzmäßigkeiten
Für ZF2 können analog zum beschriebenen Vorgehen die Teilsummen der Zeilen bzw. Spalten ermittelt werden. So ergibt sich für eine zeilenweise Teilsummenbestimmung, dass die Summen um insgesamt zwölf kleiner werden, da insgesamt vier Zahlen um je drei kleiner werden (Abb. 4.13). 15 12 9 6
21 18 15 12
27 24 21 18
33 30 27 24
15
21
27
33
12
18
24
30
9
15
21
27
6
12
18
24
-12 -12 -12
+ 24 + 24 + 24
Abb. 4.13 ZF2 - Berechnung unter Ausnutzung von Gesetzmäßigkeiten
Die Teilsummen der Spalten werden von links nach rechts betrachtet um 24 größer, da vier Zahlen jeweils um sechs größer werden. Hingewiesen sei darauf, dass zu diesem Sachverhalt innerhalb der Analysen dieser Arbeit zwei Szenen analysiert werden, in denen Valentin (Kap.5.4) und Justus (Kap. 5.5) Deutungen hierzu vornehmen.
Operatives Verändern der Zahlen Die neun Zahlen von ZF1 lassen sich operativ ausgleichen (Abb. 4.14), sodass in allen neun Feldern die Zahl 22 steht. Der Ausgleich ergibt sich, indem von der 33 elf ‚weggenommen‘ und diese zur elf ‚dazugetan‘ werden, sodass in beiden Feldern eine 22 steht. Von der Zahl 32 kann man zehn ‚wegnehmen‘ und diese
4 Design der Untersuchung
100
zur 12 ‚hinzutun‘. Für die Zahlen 13 und 31 (Veränderung um +/- 9) und 21 und 23 (Veränderung um +/- 1) kann ebenfalls ein operativer Ausgleich vorgenommen werden. Hierdurch werden diese acht Zahlen so ausgeglichen, dass sie 22 ergeben. D.h., dass nun in allen neun Feldern die Zahl 22 steht und man ‚nur noch‘ 922 rechnen muss. + / - 11
+ / - 10
+/-9
+/-1
12 13
22 12 13
22 22 13
22 22 22
22 22 22
21 22 23
21 22 23
21 22 23
21 22 23
22 22 22
31 32 33
31 32 22
31 22 22
22 22 22
22 22 22
11
Abb. 4.14 ZF1 - Operativer Ausgleich
Bei ZF2 kann ebenfalls ein Ausgleich der 16 Zahlen vorgenommen werden. Hier ist es jedoch nicht möglich, die Zahlen so auszugleichen, dass in allen Feldern die gleiche Zahl steht. Ein möglicher Ausgleich kann hier zeilenweise erfolgen, sodass in jeder Zeile viermal dieselbe Zahl steht (Abb. 4.15). +/-9
+/-3
15
21
27
33
24
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6
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15
15
15
15
Abb. 4.15 ZF2 - Operativer Ausgleich (zeilenweise)
4.4.1.3 Triff die 50 In Kapitel 3.1.1 wurde die substanzielle Lernumgebung Triff die 50 (Abb. 4.16) erstmalig vorgestellt (vgl. Steinbring 1995, im Original „Wer trifft die 50?“). Hier sei die Lernumgebung erneut erläutert37, da im Anschluss ihre gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge herausgearbeitet werden.
37
Die Wortwahl wird hierbei eins-zu-eins übernommen.
4 Design der Untersuchung
101
Zu Beginn muss eine beliebige Startzahl a ( -(SZ) und eine beliebige Additionszahl b ( - (AZ) gewählt werden. Die Summe beider Zahlen wird im Feld rechts neben der Startzahl (Feld 2 (F2)) notiert. Zu diesem Ergebnis wird die Additionszahl addiert und die hieraus entstehende Summe in das Feld rechts daneben (F3) notiert. Es erfolgt ein analoges Vorgehen bis alle fünf Felder ausgefüllt sind. Abschließend werden die fünf Zahlen, die in den fünf Feldern stehen, addiert. Ihre Summe wird im Feld Zielzahl (ZZ) notiert. Ziel ist es, Startund Additionszahl so zu wählen, dass die Zielzahl 50 getroffen wird (vgl. ebd.). Additionszahl +
Startzahl
Zielzahl Abb. 4.16 Triff die 50
Wählt man für die Startzahl a und für die Additionszahl b, so ergibt sich der folgende ausgefüllte Triff die 50-Streifen (Abb. 4.17):
Additionszahl + b
a
a+b
a + 2b
a + 3b
a + 4b
Startzahl
5a + 10b Zielzahl
Abb. 4.17 Triff die 50 mit Variablen
Durch die Wahl zweier Variablen lässt sich der gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang der Lernumgebung Triff die 50 gut erkennen. So sind in der Zielzahl fünfmal die Startzahl und zehnmal die Additionszahl enthalten. Bei der substanziellen Lernumgebung können zwei verschiedene operative Veränderungen vorgenommen werden: Operative Veränderung der Startzahl sowie Operative Veränderung der Additionszahl.
4 Design der Untersuchung
102 Operative Veränderung der Startzahl
Verändert man die Startzahl um c ( -, so verändert sich die Zielzahl um das Fünffache von c. Diese Auswirkung auf die Zielzahl ergibt sich, da c in insgesamt fünf Feldern je einmal hinzukommt (Abb. 4.18). Additionszahl + b
a+c
a+c+b
a+c+2b a+c+3b a+c+4b
5a+5c+10b
Startzahl
Zielzahl Abb. 4.18 Operative Veränderung der Startzahl
Operative Veränderung der Additionszahl Wird die Additionszahl um d ( - verändert, so verändert sich die Zielzahl um das Zehnfache der Zahl d. Während bei der Startzahl noch kein d hinzukommt, kommt es in F2 einmal, in F3 zweimal, in F4 dreimal und in F5 viermal hinzu. Addiert man das zusätzliche Vorkommen der Variable d zur Zielzahl hinzu, so wird diese um +10d größer (Abb. 4.19). Additionszahl + b+d
a
a+b+d a+2b+2d a+2b+3d a+4b+4d
Startzahl
5a+10b+10d Zielzahl
Abb. 4.19 Operative Veränderung der Additionszahl
Eine weiterführende Analyse hinsichtlich dieser operativen Veränderung befindet sich innerhalb der Analyse von Marvin (Kap. 5.2). Dort wird im zweiten Analyseschritt das komplementäre Zahlenmusterverständnis dieser operativen Veränderung analysiert.
4 Design der Untersuchung
103
Kombination der beiden operativen Veränderungen Kombiniert man die beiden soeben erläuterten operativen Auswirkungen miteinander (Veränderung der Startzahl um c und Veränderung der Additionszahl um d), so verändert sich die Zielzahl entsprechend um (+5c+10d). Da ein formaler Beweis hierzu bereits in Kap. 3.1.1 (1.Beispiel) erfolgte, wird an dieser Stelle nur hierauf verwiesen. Ferner wurden in Kap. 3.1.1 innerhalb des 2. Beispiels alle sechs möglichen Lösungsstreifen der Lernumgebung vorgestellt, weshalb an dieser Stelle ebenfalls auf eine erneute Vorstellung verzichtet wird.
Des Weiteren beinhaltet die Lernumgebung Td50 eine weitere Beziehung, die durch die zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge gegeben ist. Multipliziert man die Mittelzahl der fünf Feldzahlen mit der Anzahl der Felder, so erhält man die Zielzahl. Da dieser Zusammenhang bereits in Kapitel 3.1.1 (Beispiel 1) vorgestellt und hinsichtlich des komplementären Zahlenmusterverständnis erörtert wurde, wird hier lediglich auf dieses Kapitel verwiesen.
4.4.2 Durchführung der Interviews Damit die Interviews der Kinder vergleichbarer wurden, wurde ein Interviewleitfaden für jede substanzielle Lernumgebung entwickelt. Dieser Leitfaden enthält Fragen, die in der Regel allen Kindern so gestellt wurden. Trotz des Leitfadens ergaben sich Situationen, in denen vom Leitfaden abgewichen wurde, da eine Interaktion nicht eindeutig vorhersagbar ist. So traten beispielsweise unerwartete (Nach-)Fragen oder Deutungen der Kinder auf, auf die dann spontan reagiert wurde. Hierbei wurde jedoch stets der Forschungskontext mitbedacht, sodass diese Fragen, Impulse etc. entsprechend formuliert wurden. Im Folgenden werden die Leitfragen zu jeder Lernumgebung vorgestellt.
4.4.2.1 Strukturierte Päckchen Einführung Ich habe dir fünf Päckchen mitgebracht, die du untersuchen sollst. Das heißt: Du sollst sie dir gut anschauen, beschreiben, fortsetzen, lösen und Auffälligkeiten beschreiben und begründen.
4 Design der Untersuchung
104
Hier habe ich das erste/zweite/dritte/vierte/fünfte Päckchen für dich (auf den Tisch legen).
SP1, SP2, SP4 und SP5 Beschreibung Bevor du die Aufgaben gleich ausrechnest, schau dir die Aufgaben genau an und beschreibe sie. Was siehst du? Was kannst du entdecken? Was fällt dir auf? Fortsetzung
Setze das Päckchen fort. Wie geht es weiter? Warum geht es so weiter? Wie hast du die Summanden der 10./20./50. Aufgabe ermittelt? Was hast du dir überlegt? Gibt es eine Aufgabe vor der 0. Aufgabe? Wenn ja, welche?
Bestimmung der Summen
Rechne das Päckchen jetzt bitte aus. Wie hast du die Aufgaben gerechnet? Kannst du das auch anders rechnen? Wie? Vergleich von Rechenwegen: Du hast erst diese Aufgaben und dann diese Aufgabe gerechnet. Was haben die beiden Aufgaben miteinander zu tun? In welcher Reihenfolge hast du die Aufgaben ausgerechnet? Nacheinander von 1 bis 7, oder...? Warum in dieser Reihenfolge? War das Ausrechnen des Päckchens leicht oder schwierig für dich? Warum war es leicht/schwierig?
Reflexion der Summen
Was fällt dir auf? Warum wird das Ergebnis immer genau um x größer/kleiner? SP4: Warum wechseln sich die Ergebnisse 527 und 537 immer ab? Wie lautet wohl das Ergebnis der 10./20./50. Aufgabe?
Alternative Fortsetzungsmöglichkeit(en) Hättest du das Päckchen auch anders fortsetzen können?
4 Design der Untersuchung
105
SP3 Da SP3 keine gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge aufweist, sind hierfür folgende Impulse/Fragen vorgesehen:
Bevor du die Aufgaben gleich ausrechnest, schau dir die Aufgaben genau an und beschreibe sie. Was siehst du? Was kannst du entdecken? Was fällt dir auf? Hat das Päckchen etwas Besonderes? Hat es eine Ordnung? Begründe. Wie lautet die vierte Aufgabe? Warum kannst du das Päckchen nicht fortsetzen? Rechne die Aufgaben aus. War das Ausrechnen leichter/schwieriger als bei SP1 und SP2? Warum?
4.4.2.2 Zahlenfelder Dem Kind ZF1 bzw. ZF 2vorlegen. Beschreibung des Zahlenfeldes
Schau dir die Zahlen genau an. Was fällt dir auf?
(Geschickte) Bestimmung der Summe aller Zahlen
Bestimme bitte (geschickt) die Summe aller Zahlen. Wie hast du gerechnet? Warum hast du so gerechnet? Überlege dir eine weitere Möglichkeit, wie man die Zahlen addieren kann. Überlege bitte: Gibt es wohl noch (eine) weitere Möglichkeit(n) die Summe der Zahlen auszurechnen? Welche?
Wenn ein Kind strukturelle Zusammenhänge beim Bestimmen der Summe nutzt, können beispielsweise bei einer zeilen- oder spaltenweisen Addition, aufgrund der konstanten operativen Veränderungen, Vorhersagen über das Ergebnis der nächsten Zeile oder Spalte angestellt werden. Hier nachfragen. z. B. Kind hat die ersten beiden/drei Zeilen/Spalten ausgerechnet und die Zahlen der nächsten Zeile/Spalte notiert, hat sie aber noch nicht addiert:
Kannst du schon etwas zum Ergebnis sagen, ohne die einzelnen Zahlen (der Reihe/Spalte) zu addieren?
4 Design der Untersuchung
106
Betrachte die Ergebnisse. Was fällt dir auf? Warum wird das Ergebnis immer um x größer/kleiner?
Reflexion der Lösungswege
Du hast jetzt mehrere Möglichkeiten gefunden, erklärt und begründet, um die Summe der Zahlen auszurechnen. Welche Möglichkeit findest du denn am besten? Welche Möglichkeit würdest du beim nächsten Mal wieder wählen? Warum? Und welche Möglichkeit findest du nicht so gut? Warum?
4.4.2.3 Triff die 50 Einführung Die Aufgabe, die du gleich untersuchen sollst, heißt Triff die 50. Zunächst erkläre ich dir, was du machen musst. (Td50-Streifen vorlegen). Beschreibe erst einmal, was du hier siehst. Du suchst dir eine frei wählbare Startzahl aus und trägst sie in dieses Feld. Dann suchst du dir eine frei wählbare Additionszahl aus und schreibst sie hier hin. Nun rechnest du zur Additionszahl die Startzahl und trägst das Ergebnis in das nächste freie Feld. Zu diesem Ergebnis rechnest du wieder die Additionszahl und trägst dieses Ergebnis in das nächste Feld usw. Wenn alle 5 Felder ausgefüllt sind, addierst du die Zahlen der fünf Felder. Das Ergebnis ist die Zielzahl, die du hier einträgst. Ziel ist es, die Zielzahl 50 zu treffen. Suche dir eine Startzahl und eine Additionszahl aus und versuche die 50 zu treffen!
Je nach Vorgehen der Schülerin bzw. des Schülers wird zwischen drei Situationen unterschieden: Situation 1: Schüler/in trifft nicht die 50
Du hast jetzt mehrere Versuche unternommen und die Zielzahl 50 nicht getroffen. Schau dir deine Streifen gut an. Sortiere sie. Wonach hast du sie sortiert? Warum hast du sie so sortiert?
4 Design der Untersuchung
107
Schau dir deine Streifen ganz genau an. Was fällt dir auf? Du hast hier (auf einen Td50-Streifen zeigen) die Zielzahl xx erreicht. 1. Fall: ZZ < 50 Deine Zielzahl ist um y zu klein. Was kannst du machen, damit deine Zielzahl größer wird? Warum wird sie dann größer? Um wie viel wird sie größer? 2. Fall ZZ > 50 Deine Zielzahl ist um y zu groß. Was kannst du machen, damit deine Zielzahl kleiner wird? Warum wird sie dann kleiner? Um wie viel wird sie kleiner?
Situation 2: Schüler/in trifft mindestens eine und maximal fünfmal die 50
Du hast x Möglichkeiten gefunden, um die Zielzahl 50 zu erreichen. Beschreibe bitte, wie du vorgegangen bist. Wie bist du auf deine Lösungen gekommen? Was hast du gemacht, um weitere Lösungen zu finden? Gibt es auch noch weitere Möglichkeiten? Wenn nein: Warum gibt es keine weiteren Möglichkeiten? Eventuell: Ich verrate dir jetzt mal, dass es noch weitere Möglichkeiten gibt. Versuche sie zu finden. Wenn ja: Warum? Welche? Finde eine weitere Möglichkeit. Wie machst du jetzt weiter, um eine weitere Möglichkeit zu finden? Du hast hier (auf einen Td50-Streifen zeigen) die Zielzahl xx erreicht. 1. Fall: ZZ < 50 Deine Zielzahl ist um y zu klein. Was kannst du machen, damit deine Zielzahl größer wird? Warum wird sie dann größer? Um wie viel wird sie größer? 2. Fall ZZ > 50 Deine Zielzahl ist um y zu groß. Was kannst du machen, damit deine Zielzahl kleiner wird? Warum wird sie dann kleiner? Um wie viel wird sie kleiner?
4 Design der Untersuchung
108 Situation 3: Schüler/in trifft sechsmal die 50
Du hast sechs Möglichkeiten gefunden, um die Zielzahl 50 zu erreichen. Beschreib bitte, wie du vorgegangen bist. Wie bist du auf deine Lösungen gekommen? Was hast du gemacht, um weitere Lösungen zu finden? Meinst du, es gibt noch mehr Möglichkeiten? Wenn nein: Warum gibt es keine weiteren Möglichkeiten? Wenn ja: Warum? Welche? Finde eine weitere Möglichkeit: Wie machst du jetzt weiter, um eine weitere Möglichkeit zu finden?
Fragen/Impulse an alle Kinder Operative Veränderung der Startzahl
Was passiert, wenn du die Startzahl um eins größer/kleiner machst? Warum wird das Ergebnis um fünf größer/kleiner?
Operative Veränderung der Additionszahl
Was passiert, wenn du die Additionszahl um eins größer/kleiner machst? Warum wird das Ergebnis um zehn größer/kleiner?
Sortierung der Streifen
Schau dir deine Streifen gut an. Sortiere sie. Wonach hast du sie sortiert? Was fällt dir auf?
Variation der ZZ
Kannst du die Zielzahl 51 erreichen? Wenn ja: Warum? Wenn nein: Warum geht das nicht? Welche Zielzahlen kannst du erreichen? Warum? Welche nächstgrößere/nächstkleinere Zielzahl kannst du erreichen? Warum?
4 Design der Untersuchung
109
4.4.3 Dokumentation der Daten Die insgesamt 60 klinischen Interviews wurden per digitaler Videokamera aufgezeichnet. Hierdurch konnten sowohl verbale als auch non-verbal Äußerungen der Kinder dokumentiert werden. Jedes Interview wurde von zwei Kameras gefilmt. Die eine Kamera war hierbei stets frontal, die andere Kamera seitlich-frontal vom Kind aufgestellt. Hierdurch war garantiert, dass sowohl das Kind mit seiner Mimik, Gestik und seinen Handlungen als auch der Tisch, auf denen die Arbeitsblätter lagen, im Blickfeld waren. Beide Kameras wurden mit einem externen Mikrofon versehen, sodass die Aussagen der Schülerinnen und Schüler sowie der Interviewerin gut zu verstehen waren. Bei fast allen Interviews war eine studentische Hilfskraft mit anwesend. Sie unterstützte den technischen Aufbau und Ablauf. Zudem fertigte sie während eines Interviews ein stichpunktartiges Protokoll an. Am Ende eines jeden Interviews hielt die Verfasserin dieser Arbeit ihre spontanen Eindrücke schriftlich fest. Ferner erstellte sie eine Zusammenfassung des Interviews. Interessant erscheinende Deutungen wurden farblich markiert. Alle Interviews wurden vollständig gesichtet. Da das Datenmaterial sehr umfangreich ist (ca. 43 Stunden Videomaterial), wurden die Interviews nicht vollständig transkribiert. Dafür wurde für das Aufgabenformat Zahlenfeld eine tabellarische Übersicht eines jeden Interviews angefertigt. Sie unterteilte sich in die Bereiche Beschreibung des Zahlenfelds und Vorgehensweise der Bestimmung der Summe. Hierbei wurden die Vorgehensweisen im Prä- und Post-Interview schülerweise gegenübergestellt. Zu den Strukturierten Päckchen als auch zu Triff die 50 wurden bei Sichtung der Interviews Mitschriften der verbalen Äußerungen angefertigt. Hierbei wurden zahlreiche interessante, spannende, prägnante und sehr umfangreiche Szenen herausgesucht. Die Wahl basierte stets auf Basis des Forschungsinteresses. Die ausgewählten Szenen wurden dann zunächst von studentischen Hilfskräften transkribiert. Hierfür erhielten die Hilfskräfte eine Schulung und einen Leitfaden zur Erstellung eines Transkripts. Dieser Leitfaden zur Transkription befindet sich im Anhang dieser Arbeit (s. Anhang 1). Die von den Hilfskräften erstellten Transkripte wurden von der Verfasserin dieser Arbeit sorgsam überarbeitet und fertiggestellt. Die Transkription einer jeden Szene beinhaltet neben den verbalen Äußerungen ausführliche Beschreibungen der non-verbalen Äußerungen bzw. Handlungen (Zeigegesten, Betonung, Sprechpausen, Handlungspausen, etc.). Angemerkt sei, dass, obwohl diese Beschreibungen möglichst objektiv formuliert worden sind, sie dennoch in gewisser Weise eine erste Interpretation der Handlung darstellen können. Nichtsdestotrotz stellen die Transkripte insgesamt eine möglichst detailgetreue Eins-zu-eins-Verschriftlichung der videographierten Szenen dar, die für die Analysen der Szenen genutzt werden.
110
4 Design der Untersuchung
4.5 Intervention In dieser qualitativen Studie wurden insgesamt vier Interventionsstunden á 90 Minuten durchgeführt. Die Interventionsstunden fanden im Anschluss an die Prä-Interviews mit den entsprechenden vierten Klassen im Rahmen des Mathematikunterrichts statt. Die Intervention verfolgte vor allem zwei Hauptziele. Zum einen sollten die Kinder in die besondere und anspruchsvolle Zahlenmusterdeutungskultur eingeführt werden und zum anderen ihren arithmetischen Struktursinn ausdifferenzieren. Um diese beiden Hauptziele zu erreichen, wurden die Kinder zu verschiedenen Deutungssichtweisen angeregt, indem sie (u.a.) ihre individuellen Sichtweisen mit denen ihrer Mitschülerinnen und Mitschülern vergleichend gegenüberstellen sollten. Hierfür waren die substanziellen Lernumgebungen der Intervention bewusst offen konzipiert, sodass die Kinder Chancen und Möglichkeiten erhielten, individuelle Zahlenmusterdeutungen vorzunehmen. Die Art der Aufgabenstellungen implizierte, dass es nicht immer nur die eine richtige Lösung bzw. Deutung gibt. Durch einen sozialen und kommunikativen Austausch über mögliche Deutungen, sollten die Kinder ihre Deutungsmöglichkeiten anreichern und einen flexiblen Umgang mit Zahlenmusterdeutungsanforderungen kennenlernen. Hierbei stand stets das Deuten der zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge eines Zahlenmusters und nicht das bloße Ausrechnen einer Aufgabe im Vordergrund. Betont sei, dass die Intervention dieser Arbeit nicht mit einer klassischen Intervention gleichzusetzen ist, die das Ziel verfolgt, beispielweise ein festgelegtes algorithmisches, prozedurales Verfahren Schritt für Schritt zu erlernen. Sie stellt zudem keineswegs eine Art Trainingsprogramm dar, das den Kindern den richtigen Umgang mit Zahlenmusterdeutungsanforderungen vermittelt. Vielmehr sollen die Kinder angeregt werden, selbstständig Deutungen vorzunehmen, diese zu erläutern, zu begründen und mit anderen Deutungen zu vergleichen. Denn nur so können produktive und reichhaltige Zahlenmusterdeutungsprozesse entstehen. Innerhalb der Intervention soll eine Deutungskultur entwickelt werden, in der das Kind selbst eine differenzierte und flexiblere Sicht auf die entsprechenden arithmetischen Lernumgebungen entwickeln kann. Hierbei ist stets die epistemologische Natur mathematischen Wissens (Kap. 2) zu berücksichtigen. Für die Intervention wurden bewusst andere Lernumgebungen als die in den Interviews thematisierten gewählt. Die Lernumgebungen wurden so entwickelt bzw. ausgesucht, dass sie aufgrund der ausgewählten Aufgabenstellungen Analogien zu den Interviewaufgaben aufwiesen. Hierdurch erhielten die Interviewkinder die Chance, ihre Deutungen innerhalb verschiedener substanzieller Lernumgebungen auszubauen. Ferner war es den Interviewkindern hierdurch möglich, Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Lernumgebungen zu entdecken
4 Design der Untersuchung
111
und zu beschreiben. Bei der Auswahl der Lernumgebungen wurde zudem berücksichtigt, dass sie eine Vielzahl an arithmetisch-symbolischen Mustern und Strukturen beinhalteten und dass die Kinder operative Veränderungen durchführen sowie etwas fortsetzen und/oder etwas selbstständig verändern konnten. Bevor in den nächsten Abschnitten die Konzeption der Interventionsstunden (Kap. 4.5.1) sowie die substanziellen Lernumgebungen der Intervention (Kap. 4.5.2) vorgestellt werden, sei angemerkt, dass die Intervention in dieser Arbeit nicht untersucht und analysiert wird. Demzufolge wird auch nicht analysiert, welchen Einfluss die durchgeführte Intervention auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler genommen hat.
4.5.1 Konzeption der Interventionsstunden Die Intervention mit dem Thema „Wir untersuchen Zahlenmuster“ - Förderung der Deutungskompetenz bei arithmetisch-symbolischen Aufgabenkontexten zur Entwicklung der arithmetischen Strukturierungskompetenz verfolgte die folgenden Ziele: Die Schülerinnen und Schüler…
… erkennen, beschreiben und begründen Muster in arithmetischen Aufgabenkontexten. … setzen entdeckte Muster weiter fort. … erkennen, dass es bei den hier thematisierten substanziellen Aufgabenformaten mehrere richtige Lösungsmöglichkeiten gibt. … nutzen Strukturen, um systematisch weitere Lösungsmöglichkeiten zu finden. … entwickeln aus einer bereits gefundenen/gegebenen Lösungsmöglichkeit eine neue Lösungsmöglichkeit. … nehmen operative Veränderungen vor und treffen Vorhersagen über ihre Auswirkung bzw. erklären, wie und warum sich die Auswirkung der operativen Veränderung entsprechend ergeben hat (erklären Zusammenhänge). … beschreiben ihre Vorgehensweise beim Finden neuer Lösungsmöglichkeiten. … begründen, warum weitere Lösungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden können. … erkennen, dass es verschiedene Vorgehensweisen gibt. … überprüfen, vergleichen und bewerten verschiedene Vorgehensweisen.
112
4 Design der Untersuchung
Alle Interventionseinheiten waren so aufgebaut, dass nach einer Einführungsphase eine Phase der Einzelarbeit folgte. Hierdurch erhielt jedes Kind die Chance, sich zunächst individuell mit der Lernumgebung auseinandersetzen. Im Anschluss erfolgten Partner- und/oder Gruppenarbeitsphasen, da das Lernen als Prozess der sozialen Interaktion hierbei eine bedeutende Rolle spielt. Söbbeke gibt im Rahmen ihrer Studie zur visuellen Strukturierungsfähigkeit an, dass dieser Prozess bei der Förderung der visuellen Strukturierungsfähigkeit von immenser Bedeutung ist, denn eine „umfassende Erkundung von Anschauungsmitteln kann nicht von einem völlig isoliert stehenden Individuum geleistet werden. Sondern es bedarf der Einbettung in sozial-kulturelle Kontexte“ (Söbbeke 2005, S. 29). Da auch die in dieser Intervention zu bearbeitenden arithmetischen Lernumgebungen sehr umfangreich und komplex sind, kommt dieses Argument widerstandslos auch hier zum Tragen. Ferner betont Floer: „Man lernt mit und von anderen, kann helfen und sich helfen lassen, im Gespräch Einsichten gewinnen und Bedeutungen aushandeln“ (Floer 1993, S. 108; vgl. auch Kap. 2.1). Auch der Lehrplan NRW misst dem Austausch von Schülerinnen und Schülern über mathematische Vorgehensweisen, Entdeckungen oder Lösungsstrategien eine grundlegende Bedeutung bei. So sollen Schülerinnen und Schüler laut den Kompetenzerwartungen umfangreichere Aufgabenstellungen gemeinsam bearbeiten und dabei Verabredungen treffen sowie eigene und fremde Standpunkte in Beziehung setzen (Kooperieren und Kommunizieren) (vgl. MSW 2008, S. 60). Ferner sollen sie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern gefundene Gesetzmäßigkeiten und Beziehungen bzw. Muster und Strukturen an Beispielen begründen sowie die Begründung anderer nachvollziehen (vgl. ebd.). Schülke gibt an, dass für das Lernen von Mathematik eine Auseinandersetzung mit fremden Vorgehensweisen und Entdeckungen eine bedeutende Grundlage ist, da Schülerinnen und Schüler hierdurch neue Einsichten gewinnen und ihr mathematisches Wissen weiterentwickeln können (vgl. Schülke 2007, S.291). Jede Interventionsstunde wurde mit einer ausführlichen Abschlussreflexion beendet, in welcher vor allem die den Lernumgebungen zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten im Fokus standen. Ferner konnten die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeitsergebnisse vorstellen, verschiedene Vorgehensweisen miteinander vergleichen, Fragen stellen, Diskussionen anstiften etc. Angemerkt sei, dass bei Bedarf (spontane) Zwischenreflexionen vorgenommen wurden, um Fragen zu klären und um erste spannende Entdeckungen mitzuteilen.
4 Design der Untersuchung
113
4.5.2 Substanzielle Lernumgebungen der Intervention Im Folgenden werden die substanziellen Lernumgebungen der Intervention vorgestellt. Da diese innerhalb der Arbeit keine weitere Berücksichtigung finden, werden sie nicht weitergehend analysiert.
4.5.2.1 Umkehrzahlen (zweistellig) Die Intervention zur substanziellen Lernumgebung „Umkehrzahlen“ stand unter dem Thema „Wir finden alle Umkehrzahlaufgaben mit dem Ergebnis 27 – Systematisches Finden von Möglichkeiten durch Ausnutzung von Strukturen“. Ziel dieser Interventionseinheit war es, dass die Schülerinnen und Schüler den Nutzen einer systematischen Vorgehensweise unter Ausnutzung entdeckter Muster und Strukturen erkennen. Hierfür sollten sie Umkehrzahlaufgaben genau betrachten, Muster und Strukturen entdecken, beschreiben und diese nutzen/fortsetzen, um geschickt alle Umkehrzahlaufgaben mit dem Ergebnis „27“ zu finden. Indem sie strukturelle Zusammenhänge zur Begründung heranziehen konnten, sollten sie ferner begründen, warum es keine weiteren Möglichkeiten gibt.
4.5.2.2 Zahlenmauern Thema der Intervention zur Lernumgebung „Zahlenmauer“ war: „Wir finden (alle) dreistöckigen Zahlenmauern mit der Zielzahl 14 – Systematisches Finden von Möglichkeiten durch operative Veränderung.“ 14
Abb. 4.20 Zahlenmauer
Zunächst sollten die Schülerinnen und Schüler mindestens eine Zahlenmauer mit der Zielzahl 14 ermitteln (Abb. 4.20). Im Anschluss sollten den Nutzen einer systematischen Vorgehensweise erkennen, indem sie aus einer bereits ermittelten, vollständig ausgefüllten Zahlenmauer, neue Lösungsmöglichkeiten ableiteten. Hierfür sollten sie Gesetzmäßigkeiten entdecken, beschreiben, erklären und nutzen. Ferner sollten sie operative Veränderungen vornehmen und deren Auswirkungen beobachten, beschreiben und begründen.
4 Design der Untersuchung
114
4.5.2.3 Zahlengitter „Wir finden alle Zahlengitter mit der Zielzahl 20 – Finden aller Lösungsmöglichkeiten und aufgrund struktureller Beziehungen begründen, warum es keine wieteren Lösungsmöglichkeiten gibt“ war Thema der dritten Interventionsstunde. + +
0
20
Abb. 4.21 Zahlengitter
Die Schülerinnen und Schüler sollten (möglichst) alle verschiedenen Zahlengitter mit der Startzahl Null und der Zielzahl 20 finden (Abb. 4.21) und begründen, warum es keine weiteren Möglichkeiten gibt. Hierfür sollten sie strukturelle Zusammenhänge entdecken und untersuchen sowie mit Hilfe dieser Entdeckungen (systematisch) Lösungsmöglichkeiten finden. Abschließend sollten sie weitere Lösungsmöglichkeiten aufgrund der gegebenen strukturellen Bedingungen begründet ausschließen.
4.5.2.4 Vierersummen an der Hundertertafel Thema der vierten Intervention war: „Wir finden Vierersummen an der Hundertertafel mit dem Ergebnis 70 – Systematisches Finden von Lösungen durch operative Veränderungen“.
1
2
3
4
11
12
13
14
21
22
23
24
31
32
33
34
Abb. 4.22 Vierersummen an der Hundertertafel
4 Design der Untersuchung
115
In dieser Intervention sollten die Schülerinnen und Schüler jeweils vier beliebige Zahlen des Ausschnitts der Hundertertafel (Abb. 4.22) addieren, deren Summe 70 beträgt. Hierbei sollten sie den Vorteil einer systematischen Vorgehensweise durch operative Veränderungen erkennen, indem sie aus einer Lösung weitere Lösungsmöglichkeiten durch operative Veränderung ableiteten und Zusammenhänge begründeten.
4.5.3 Durchführung der Intervention 4.5.3.1 Umkehrzahlen (zweistellig) Nach dem inhaltlichen Einstieg, in dem zunächst geklärt wurde, was (zweistellige) Umkehrzahlen sind und wie man Umkehrzahlaufgaben bildet, sollte jede Schülerin und jeder Schüler in Einzelarbeit (1. Arbeitsphase, Anhang 2) mindestens acht Umkehrzahlenaufgaben finden und sie ausrechnen. Ferner bekamen sie den Forscherauftrag: Schau dir deine Aufgaben und Ergebnisse gut an. Beschreibe: Was fällt dir auf? In der anschließenden Zwischenreflexion wurden Umkehrzahlaufgaben gesammelt und per Overheadprojektor an die Wand projiziert. Jede Aufgabe wurde dabei separat auf einem Folienstreifen notiert, sodass die einzelnen Aufgaben von den Kindern auf dem Overheadprojektor platziert werden konnten. Hierbei ergab sich die Chance, dass die Schülerinnen und Schüler eine Sortierung bzw. Anordnung der einzelnen Aufgaben vornehmen konnten. Neben der Nennung von Aufgabenbeispielen wurden sie ferner dazu aufgefordert Auffälligkeiten zu nennen (z.B., dass die Ergebnisse Vielfache von 9 sind, dass einige Ergebnisse mehrmals auftreten, etc.). Nach der Zwischenreflexion erfolgte eine zweite Arbeitsphase (Anhang 2), die sich als Gruppenarbeitsphase definierte. Der Forscherauftrag lautete: Findet möglichst alle Umkehrzahlaufgaben mit dem Ergebnis 27. In einem zweiten Arbeitsschritt dieser Arbeitsphase wurden die Kinder dazu aufgefordert, ihre Ideen zu notieren und ihr Vorgehen zu beschreiben. Des Weiteren sollten sie die Frage, ob es noch weitere Umkehrzahlaufgaben mit dem Ergebnis 27 gibt, begründet beantworten. Sofern bis dahin noch nicht erfolgt, sollten sie alle gefundenen Aufgaben sortiert notieren und Auffälligkeiten beschreiben. Als Zusatz-Forscherauftrag stand eine analoge Bearbeitung mit dem Ergebnis Neun zur Verfügung, um gewonnene Erkenntnisse zu übertragen (Anhang 2). In der anschließenden Abschlussreflexion wurden zunächst alle gefundenen Umkehrzahlaufgaben an der Tafel gesammelt. Die Kinder sollten ihr Vorgehen mündlich erläutern und Auffälligkeiten beschreiben. Ferner sollten sie eine Sortierung der an der Tafel notierten Umkehrzahlaufgaben begründet vornehmen. Hier wäre eine mögliche Sortierung in Form eines Strukturierten Päckchens
4 Design der Untersuchung
116
denkbar (Abb. 4.23), sodass ein Transfer zu den Strukturierten Päckchen, die in den Interviews gedeutet werden sollen, geleistet werden kann.
30 - 3 41 - 14 52 - 25 63 - 36 85 - 58 96 - 69
= 27 = 27 = = = =
27 27 27 27
Abb. 4.23 Umkehrzahlaufgaben mit dem Ergebnis 27
Abschließend sollten die Schülerinnen und Schüler begründet Antwort geben, ob es noch weitere Umkehrzahlaufgaben mit dem Ergebnis „27“ gibt. Falls Aufgaben fehlten, sollten diese hergeleitet werden.
4.5.3.2 Zahlenmauern Im Einstieg wurde zunächst mit den Kindern besprochen, wie die einzelnen Steine der Zahlenmauer bezeichnet werden können (Abb. 4.24). Dies sollte dazu dienen, dass die Schülerinnen und Schüler beim Beschreiben von Vorgängen und Überlegungen sprachlich unterstützt wurden.
Abb. 4.24 Zahlenmauern - Beschreibungen
4 Design der Untersuchung
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Anschließend wurde den Kindern der Forscherauftrag Finde möglichst alle dreistöckigen Zahlenmauern mit der Zielzahl 14 gestellt. Eine Lösung wurde von den Schülerinnen und Schülern im Plenum ermittelt und an der Tafel notiert. Ausgehend von dieser Lösung sollten sie nun weitere Lösungen finden. „Überlege dir, wie du geschickt bzw. clever vorgehen kannst. Wie könntest du etwas verändern, um eine neue Möglichkeit zu finden?“ Mit diesen Impulsen wurden die Schülerinnen und Schüler in die Arbeitsphase geschickt. Hierbei handelte es sich zunächst um eine Einzelarbeitsphase, sodass die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrem Bearbeitungsniveau die Aufgabe bearbeiten konnten. Neben dem Finden von weiteren Lösungen, sollten sie sich Gedanken über ihre Vorgehensweise machen und diese verschriftlichen, um in der anschließenden Partnerarbeitsphase in einen Austausch gehen zu können. Nachdem sich die Kinder über ihr Vorgehen in der Partnerarbeit ausgetauscht haben, sollten sie weitere Lösungen bestimmen. Während der Arbeitsphase wurden die Schüler daran erinnert, dass sie aus einer gefundenen Lösung eine neue Lösung ableiten sollten. Im Anschluss an diese Partnerarbeit erfolgte eine Gruppenarbeitsphase, welche durch einen Leitfaden strukturiert wurde (Abb. 4.25).
1. Stellt euch nacheinander eure Vorgehensweisen vor. 2. Vergleicht eure Vorgehensweisen. 3. Vergleicht eure Lösungen. 4. Findet gemeinsam weitere Lösungen. 5. Wie viele Lösungen habt ihr gefunden? 6. Gibt es wohl noch mehr Möglichkeiten? Warum? Abb. 4.25 Zahlenmauern - Leitfaden für die Arbeitsphase
Als Zusatzarbeitsauftrag sollten von den Schülerinnen und Schülern vierstöckige Zahlenmauern mit der Zielzahl 14 gefunden werden (Anhang 3). In der Abschlussreflexion sollten die Kinder neben der Präsentation gefundener Zahlenmauern ihr Vorgehen erläutern. Die Lösungen wurden auf Folienstreifen notiert und auf dem Overheadprojektor gesammelt. Jede Lösung wurde einzeln notiert, sodass die ‚Lösungsstreifen’ frei beweglich waren und die Schüler begründete individuelle Sortierungen der Lösungs-Zahlenmauern vornehmen konnten. Hierbei wurde unter anderem thematisiert, was passiert, wenn man die linke Eckzahl um 1 vergrößert (operatives Prinzip). Abschließend wurde die Frage dis-
118
4 Design der Untersuchung
kutiert, ob es noch weitere Zahlenmauern mit der Zielzahl 14 gibt. Die Schülerinnen und Schüler wurden zu begründeten Antworten aufgefordert. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass dieses Aufgabeformat in der Art und Weise der hier vorgestellten Bearbeitung, Analogien zum substanziellen Aufgabenformat Triff die 50 vorweist. So sollen operative Vorgehensweisen durchgeführt, beschrieben und begründet werden, um (eine) neue Lösung(en) zu entwickeln.
4.5.3.3 Zahlengitter Nachdem zunächst in der Einstiegsphase das Aufgabenformat sowie hierfür benötigte Wörter zur Beschreibung der Felder, etc. (Abb. 4.26) geklärt wurden, wurden die Schülerinnen und Schüler in eine erste Arbeitsphase geschickt, in der sie sich individuell in Einzelarbeit mit dem Aufgabenformat vertraut machten, indem sie frei wählbare Beispiele rechneten.
Abb. 4.26 Zahlengitter - Beschreibungen
In der anschließenden Zwischenreflexion wurden Fragen hinsichtlich des Aufgabenformates geklärt. Ferner wurde der nächste Forscherauftrag Finde möglichst alle Zahlengitter mit der Zielzahl 20, wenn die Startzahl 0 ist. Wie viele Möglichkeiten findest du? gestellt. Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich zunächst in Einzelarbeit mit diesem Forscherauftrag. Nach der Phase des ‚Ausprobierens’ sollten sie notieren, wie sie ihre gefundenen Möglichkeiten entwickelt haben. Ferner sollten sie begründet überlegen, ob es noch weitere Lösungsmöglichkeiten geben kann. Im Anschluss erfolgte eine Gruppenarbeitsphase, deren Ablauf durch einen Leitfaden gestützt wurde (Abb. 4.27).
4 Design der Untersuchung
119
1. Stellt euch nacheinander eure Vorgehensweisen vor. 2. Vergleicht eure Vorgehensweisen. 3. Vergleicht eure Lösungen. 4. Gibt es wohl noch mehr Möglichkeiten? Warum? Falls ja: Findet gemeinsam weitere Lösungen. 5. Wie viele Lösungen habt ihr gefunden? 6. Holt euch das Arbeitsblatt 3. Abb. 4.27 Zahlengitter - Leitfaden für die Arbeitsphase
Bei einem weiteren Arbeitsblatt (Anhang 4) beschäftigen sich die Kinder innerhalb der Kleingruppe mit der Fragestellung: Was passiert, wenn man eine Kreiszahl um 1 erhöht? Hierfür sollten sie ein beliebiges Zahlenbeispiel wählen und das Zahlengitter entsprechend ausfüllen. Im nächsten Schritt sollten sie dann eine Kreiszahl erhöhen, dieses Zahlengitter entsprechend ausfüllen und erkunden, welche Auswirkung diese operative Veränderung hat. Ferner wurden sie zu einer Begründung, warum sich diese Veränderung ergibt, aufgefordert. Beim Zusatzarbeitsblatt (Anhang 4) sollten die Schülerinnen und Schüler Zahlengitter mit der Zielzahl 35 finden, wenn die Startzahl 0 ist. Sie sollten analog zum Hauptforscherauftrag ihr Vorgehen beschreiben. Da hier keine Lösungen gefunden werden können, folgte ein weiteres Arbeitsblatt (Anhang 4) mit den Fragen: Warum kann man die Zielzahl 35 nicht treffen, wenn die Startzahl 0 ist? Könnt ihr Zahlengitter mit der Zielzahl 35 treffen, wenn du die Startzahl frei wählen darfst? Warum? Welche Eigenschaften müsste dann die Startzahl haben? In der Abschlussreflexion wurden die Schülerinnen und Schüler zunächst dazu aufgefordert ihr Vorgehen zu beschreiben sowie eine gefundene Lösung zu präsentieren. Die verschiedenen Lösungen wurden auf Folienstreifen (je Lösung ein Streifen) auf dem Overheadprojektor gesammelt. Hierdurch erhielten die Schülerinnen und Schüler die Chance, Sortierungen vorzunehmen. Sie wurden ferner dazu aufgefordert, entdeckte Beziehungen zu zeigen, zu beschreiben und, wenn möglich, zu begründen. Schließlich sollten sie begründet Stellung zur Frage, ob es noch weitere Möglichkeiten gibt, nehmen. Im Anschluss wurde die operative Veränderung einer Kreiszahl um „+1“ thematisiert, indem die Kinder ihre Entdeckung(en) beschreiben und ferner (anschaulich und verbal) begründen sollten. Die Inhalte dieser Interventionsstunde, bei der eine offene arithmetische Struktur mit Vorgaben im Vordergrund stand, lässt vor allem einen Transfer zum Inter-
4 Design der Untersuchung
120
view-Aufgabenformat Triff die 50 zu, da man auch hier eine operative Vorgehensweise zum Finden weiterer Möglichkeiten nutzen kann.
4.5.3.4 Vierersummen an der Hundertertafel Den Schülerinnen und Schülern wurde in der Einstiegsphase der ausgewählte 4x4-Ausschnitt der Hundertertafel (Abb. 4.22) gezeigt. Diese sollte zunächst beschrieben werden. Anschließend wurde der Forscherauftrag gestellt: Finde immer genau 4 Zahlen, die zusammen addiert 70 ergeben. Nachdem ein Beispiel von den Kindern gefunden und zusammen im Plenum besprochen wurde, wurden sie in die Arbeitsphase geschickt (Arbeitsblatt 1, Anhang 5). In dieser setzten sie sich zunächst in Einzelarbeit, anschließend in Partnerarbeit und abschließend in einer Gruppenarbeit mit dem Forscherauftrag auseinandersetzten. Auch diese Gruppenarbeitsphase wurde durch einen Leitfaden unterstützt (Abb. 4.28).
1. Stellt euch gegenseitig eure Vorgehensweisen vor. 2. Vergleicht eure Vorgehensweisen. 3. Vergleicht eure Lösungen. 4. Findet gemeinsam weitere Lösungen. 5. Wie viele Lösungen habt ihr gefunden? 6. Holt euch das Arbeitsblatt 2. Abb. 4.28 Vierersummen in der Hundertertafel - Leitfaden für die Arbeitsphase
Zum Abschluss der Gruppenarbeitsphase wurden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, die Summe aller 16 Zahlen zu bestimmen (Arbeitsblatt 2, Anhang 5). Sie sollten überlegen, wie sie geschickt vorgehen könnten, ohne viel rechnen zu müssen. Zur Vertiefung gab es als Zusatzarbeitsauftrag einen analogen Forscherauftrag zu einem 3x3-Zahlenfeld (Abb. 4.29).
4 Design der Untersuchung
121 5
7
9
15
17
19
25
27
29
Abb. 4.29 Vierersummen in der Hundertertafel Zusatzaufgabe
In der Abschlussreflexion sollten die Schülerinnen und Schüler zunächst gefundene Lösungen präsentieren und zu jeder gefundenen Lösung ihr Vorgehen erläutern. Da mehrere Schülerinnen und Schüler hierzu aufgefordert werden sollten, konnten verschiedene Vorgehensweisen miteinander verglichen werden. Das Ende dieser Unterrichtseinheit gestaltete sich darin, dass die Kinder ihre Bestimmung der Summe aller 16 Zahlen beschrieben und begründeten. Hierbei wurden verschiedene Vorgehensweisen gegenübergestellt, miteinander verglichen und reflektiert. Dieses Aufgabenformat lässt vor allem einen Transfer zu der Lernumgebung Zahlenfelder zu, da hier Zahlenfelder ebenfalls beschrieben werden und Summen von Zahlen (geschickt) bestimmt werden sollten.
4.6 Methode und Verfahren der Interviewanalyse Das vorliegende Projekt ordnet sich in die interpretative Unterrichtsforschung ein (vgl. Bauersfeld 1978, 1982, 1983; Maier & Voigt 1991; Cobb & Bauersfeld 1995), bei dem eine epistemologische Perspektive eingenommen wird. (vgl. Kap. 2). Für die Analyse wurde eine eigens für dieses Vorhaben generierte Methode entwickelt, die der Zielsetzung und den Ansprüchen der vorliegenden Arbeit gerecht wird. So erfolgt zunächst eine interpretative Analyse einer Szene. In einem nächsten Schritt werden mit Hilfe des Analyseinstruments Epistemologisches Dreieck (Steinbring 2005, Kap. 2.2) Sequenzen der Szene, in denen es um die Herstellung von Beziehungen geht, weitergehend analysiert. Hierbei werden die Phänomene des Zahlenmusters gedeutet, um gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge deuten zu können. In einem letzten Schritt wird das in dieser Arbeit entwickelte theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung herangezogen, sodass die Deutungen der Kinder entsprechend eingeordnet werden können. Die Analyse der ausgewählten Szenen erfolgt in den folgenden Schritten:
122
4 Design der Untersuchung
Schritt 1 Komplementäres Zahlenmusterverständnis Schritt 2 Informationen zur Szene Schritt 3 Zusammenfassende Wiedergabe der Szene Schritt 4 Analyse Schritt 4.1 Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive Schritt 4.2 Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck Schritt 4.3 Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung Schritt 5 Resümee Schritt 1 Komplementäres Zahlenmusterverständnis Das in der ausgewählten Szene vom Kind gedeutete Zahlenmuster wird vorgestellt. Ferner wird es bezüglich seines komplementären Zahlenmusterverständnisses analysiert. Schritt 2 Informationen zur Szene Für die Szene wichtige Informationen werden beschrieben. Diese können sein: Informationen über das Kind, Länge des gesamten Interviews und der ausgewählten Szene, Besonderheiten der Szene, Informationen zum vorherigen Interviewverlauf, etc. Schritt 3 Zusammenfassende Wiedergabe der Szene In Schritt 3 erfolgt eine zusammenfassende Wiedergabe der Szene. Es handelt sich hierbei um eine Beschreibung ohne Bewertung oder Einordnung der Szene. Die Beschreibung soll lediglich einen Überblick über die vollständige Szene geben. Die Szene wird in diesem Zusammenhang in Phasen und Unterphasen eingeteilt. Schritt 4 Analyse Die Analyse der Szene erfolgt in drei Schritten: Schritt 4.1 Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive Es erfolgt eine interpretative Analyse der kompletten Szene. Die einzelnen Phasen bzw. Unterphasen werden hierfür nacheinander analysiert. Dies geschieht stets unter epistemologischer Perspektive.
4 Design der Untersuchung
123
Schritt 4.2
Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck Nach erfolgter interpretativer Analyse mit epistemologischem Fokus, werden zentrale Deutungen der Szene mit Hilfe des epistemologischen Dreiecks analysiert. Hierbei wird die Herstellung von Beziehungen zwischen den Symbolsystemen (des Zahlenmusters) und den Deutungskontexten in den Mittelpunkt gestellt (vgl. Kap. 2.2). Angemerkt sei, dass nicht alle Deutungen eines Kindes mit dem epistemologischen Dreieck analysiert werden. Es werden nur die Deutungen betrachtet und analysiert, bei denen begriffliche Bedeutungen bzw. gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge des Zahlenmusters geklärt werden. Szenen, in denen z.B. nur gerechnet wird, werden dementsprechend nicht mit dem epistemologischen Dreieck analysiert. Schritt 4.3
Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung Es erfolgt eine Einordnung der Deutungen des Kindes in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung. Diese Einordnung basiert auf den vorausgegangenen Analyseergebnissen. Schritt 5 Resümee Abschließend erfolgt ein Resümee zur Einordnung der Deutungsaussagen in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung.
5 Analyse, Vergleich und Interpretation ausgewählter Szenen Für die Analysen dieser Arbeit wurden fünf aussagekräftige Szenen ausgewählt. Alle Szenen werden nach den in Kap. 4.6 vorgestellten Analyseschritten analysiert. Es handelt sich um die folgenden Szenen: - - - - -
Marvin deutet ein Strukturiertes Päckchen (Kap. 5.2.1) Anna deutet ein Strukturiertes Päckchen (Kap. 5.2.2) Valentin deutet ein Zahlenfeld (Kap.5.2.3) Justus deutet ein Zahlenfeld (Kap. 5.2.4) Marvin deutet Triff die 50 (Kap. 5.2.5)
Die fünf Szenen beinhalten interessante und wichtig erscheinende Deutungsaussagen der Kinder und nehmen einen bedeutsamen Part zur Beantwortung der Forschungsfragen (Kap. 4.1.2) ein. Sie spiegeln das Spektrum möglicher Zahlenmusterdeutungen von Grundschulkindern, die an der Studie teilnahmen, wider. Innerhalb dieser Szenen spielen die in Kap. 1.5 herausgearbeiteten Wechselspiele Ausrechnen Strukturen sehen, Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen und Strukturen sehen Strukturen nutzen eine wesentliche Rolle. Die Szenen wurden zudem so ausgewählt, dass im Anschluss an die Analysen Vergleiche zwischen den Deutungsaussagen der Schülerin Anna und den Schülern Marvin, Valentin und Justus vorgenommen werden können. Neben direkten Vergleichen zu einer Lernumgebung (Marvin und Anna deuten SP2, Valentin und Justus deuten ZF2) sind zudem lernumgebungsübergreifende Vergleiche möglich.
5.1 Hinweise zur Transkription In den Transkripten und Analysen werden die folgenden Abkürzungen verwendet. Diese sollen die Transkription, das Lesen der Transkripte und die Analysen erleichtern.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_6
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
126
Strukturierte Päckchen (Abb. 5.1) 0.
S1-A0
+
S2-A0
=
E0
1. 2.
S1-A1 S1-A2
+ +
S2-A1 S2-A2
= =
E1 E2
S1-A0 Summand 1 - Aufgabe 1 ...
3. 4. 5.
S1-A3 S1-A4 S1-A5
+ + +
S2-A3 S2-A4 S2-A5
= = =
E3 E4 E5
S2-A0 Summand 2 - Aufgabe 0
6. 7. ...
S1-A6 S1-A7
+ +
S2-A6 S2-A7
= =
E6 E7
10.
S1-A10
+ S2-A10
= E10
S1-A50
+ S2-A50
= E50
S1-A0 Summand 1 - Aufgabe 0
S2-A1 Summand 2 - Aufgabe 1 ... E0 ...
... 50.
Ergebnis von Aufgabe 0
Abb. 5.1 SP2 - Abkürzungen
1. Spalte
2. Spalte
3. Spalte
4. Spalte
Zahlenfelder (Abb. 5.2)
1. Zeile F1
F2
F3
F4
2. Zeile F5
F6
F7
F8
3. Zeile F9 F10 F11 F12 4. Zeile F13 F14 F15 F16
Abb. 5.2 ZF2 - Abkürzungen
Triff die 50 (Abb. 5.3): Additionszahl + AZ
SZ (F1)
F2
F3
F4
F5
Startzahl
ZZ Zielzahl
Abb. 5.3 Td50 - Abkürzungen
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
127
5.2 Analyse ausgewählter Szenen 5.2.1
Marvin deutet ein Strukturiertes Päckchen (SP2)
5.2.1.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis Marvin deutet in der hier ausgewählten Szene eine Strukturiertes Päckchen vom Typ II (im Folgenden SP2, Abb. 5.4, s. auch Kap. 4.4.1.1). 0. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. ...
734 724 714 704
+ + + + + + + +
222 233 244 255
= = = = = = = =
10. ...
+
=
50.
+
=
Abb. 5.4
SP2
In SP2 sind insgesamt acht dreistellige Zahlen, das Additionszeichen +, das Gleichheitszeichen und die Aufgabennummerierung sichtbar. Zudem sind Striche sichtbar, die als Platzhalter für die fortzusetzenden Zahlen dienen sollen. Unsichtbar sind sämtliche gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge. So wird der erste Summand stets um zehn kleiner und der zweite Summand stets um elf größer. Setzt man diese beiden unsichtbaren, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge zueinander in Beziehung, so lässt sich über die Ergebnisse bzw. Summen der einzelnen Aufgaben aussagen, dass diese dementsprechend stets um eins größer sind. Das soeben beschriebene Wechselspiel zwischen den sichtbaren (An-) Ordnungen und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen ist in Abb. 5.5 zusammengefasst. Hierbei handelt es sich um Grundformen minimaler operativer Beziehungen, die die Basis für das Deuten des Zahlenmusters SP2 darstellen. Innerhalb eines Deutungsprozesses können sie variieren und ausgebaut werden, wie es das Beispiel von Marvin zeigen wird.
128
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen Zahlenmuster
Strukturiertes Päckchen Typ II (SP2)
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
1. Summand: Immer zehn weniger 2. Summand: Immer elf mehr Summe: Immer einer mehr, da 11-10=1
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
0. 1. 2.
734 724 714
+ 222 + 233 + 244
= = =
3. 4. 5.
704
+ 255 + +
= = =
6. 7. ...
+ +
= =
10.
+
=
+
=
... 50.
Abb. 5.5 SP2 Marvin - Komplementäres Zahlenmusterverständnis
Für SP2 wurden die Zahlen so gewählt, dass mehrere auffällige Besonderheiten bestehen. Bei einer Fortsetzung werden diese jedoch zum Teil so verändert, das Brüche entstehen. Besondere phänomenologische (An-)Ordnungen der vier sichtbaren Additionsaufgaben sind: a) Der Hunderter des ersten Summanden ist stets sieben. b) Der Zehner des ersten Summanden wird um eins kleiner. Man könnte die visuelle (An-)Ordnung mit Zahlwortreihe rückwärts beschreiben. c) Der Einer des ersten Summanden ist stets vier. d) Der Hunderter des ersten Summanden ist stets zwei. e) Zehner und Einer sind bei den zweiten Summanden einer jeden Aufgabe stets gleich und sie werden von Aufgabe zu Aufgabe je um eins größer. Die Auffälligkeit a) existiert aufgrund des Hunderterübergangs schon ab dem nächsten fortgesetzten Summanden (Sechs als Hunderter) nicht mehr. Hier entsteht also ein erster Bruch (Abb. 5.6). Auffälligkeit b) bleibt erhalten bzw. startet mit der ersten Fortsetzung (4. Aufgabe) wieder mit der Neun. Da jeweils ein
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
129
glatter Zehner subtrahiert wird, behält Auffälligkeit c) immer ihre Gültigkeit. Im Gegensatz hierzu verändert sich Auffälligkeit d) beim nächsten Hunderterübergang und es entsteht ein zweiter Bruch. Die in diesem Päckchen hervorgerufene Besonderheit der gleichen Ziffern in Zehner und Einer erzeugt einen dritten Bruch. Dieser besteht darin, dass ab der achten Aufgabe die Zehnerstelle fortan um einen größer als die Einerstelle ist. Diese phänomenologische Besonderheit ändert sich generell nach jeder zehnten Addition der Zahl elf, denn 1011=110. Der Unterschied beider Ziffern wird somit nach jeder zehnten Addition der Zahl Elf um einen größer. 0.
734
+ 222
=
1.
724
+ 233
=
2.
714
+ 244
=
3.
704
= =
956 957 958
684 674 664
=
... 10..
634
+ 3 32
=
966
=
... 50.
234
+ 772
= 1006
5.
+
=
6. 7.
+ +
= =
+
714 704 694
= =
960
=
+
2. 3.
+ 222 + 233 + 244
= = = =
=
+
... 50.
734 724
+ 255 + 266 + 277 + 288 + 2 99
+ 255
4.
... 10.
0. 1.
1. Bruch
2. Bruch
4. 5. 6. 7.
959 961 962 963
3. Bruch
Abb. 5.6 SP2 und seine visuellen Brüche bei der Fortsetzung
5.2.1.2 Schritt 2: Informationen zur Szene Die hier ausgewählte Szene stammt aus dem Prä-Interview zu den fünf Strukturierten Päckchen (Kap. 4.4.1.1). Das gesamte Interview dauert insgesamt 55 Minuten. Davon umfassen die Bearbeitungen und Deutungen zu SP2 circa 13 Minuten. Im Folgenden werden Marvins Äußerungen der ersten 12 Minuten dieser Deutungssequenz vorgestellt und analysiert. In der 13. Minute setzt Marvin SP2 nach oben fort.
5.2.1.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene Phase 1 (Z. 1-8) Die Interviewerin legt Marvin SP2 vor. Nachdem er SP2 für sieben Sekunden still betrachtet hat, beschreibt er die Veränderung der zweiten Summanden („im-
130
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
mer elf mehr“, Z. 2). Im Anschluss gibt er dann die Veränderung der ersten Summanden an („immer zehn weniger“, Z. 4) und sagt ferner: „Also wird das Ergebnis immer ein mehr“ (Z. 4). Die Interviewerin fordert hierfür eine Begründung ein, die Marvin wie folgt formuliert: „die Zahlen werden ja immer elf größer und aber die um zehn kleiner“ (Z. 6) und „dann elf minus zehn sind eins“ (Z. 8).
Phase 2 (Z. 9-43) Phase 2.1 (Z. 9-16) Die Interviewerin bittet Marvin SP2 fortzusetzen (Z. 9). Daraufhin trägt Marvin die Ergebnisse E0, E1, E2 und E3 ein. Anschließend gibt er an, dass E4 960 sein müsste (Z. 10). Hieraufhin fragt die Interviewerin: „Also könntest du die Ergebnisse schon eintragen, ohne dass hier (fährt mit dem rechten Zeigefinger von E4 bis E7) die Aufgaben (zeigt mit dem Zeigefinger auf die Felder der Summanden von A4 bis A7) stehen?“ Marvin bejaht dies und antwortet auf die Frage, warum er dies tun kann mit (Z. 13): „Weil ich weiß, die Zahlen werden ja immer ein mehr“ (Z. 13). Im Anschluss notiert er E4 bis E7 (Z. 16) (Abb. 5.7). 0. 1.
734 724
+ 222 + 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ 244 + 255
= =
958 959
4. 5.
+ +
= =
960 961
6. 7. ...
+ +
= =
962 963
10. ...
+
=
50.
+
=
Abb. 5.7 SP2 Marvin - Phase 2.1
Phase 2.2 (Z. 17-21) Zu Beginn von Phase 2.2 wird Marvin von der Interviewerin gefragt, ob er auch schon das zehnte Ergebnis sagen könne (Z. 17). Marvin bejaht diese Frage und sagt, dass es „dann eigentlich drei mehr werden. Neunhundertsechzig“ (Z. 18). Die Interviewerin fragt: „Drei mehr, weil?“, woraufhin Marvin antwortet: „Ähm, von der Zahl (tippt mit dem Stift auf die Aufgabennummerierung „7.“ und dann
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
131
auf die Aufgabennummerierung „10.“) bis zu der sinds ja auch drei mehr“ (Z. 20).
Phase 2.3 (Z. 22) In Phase 2.3 setzt Marvin die Summanden S2-A4 bis S2-A7 fort (Abb. 5.8). 0. 1.
734 724
+ 222 + 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ 244 + 255
= =
958 959
4. 5.
+ 266 + 277
= =
960 961
6. 7. ...
+ 288 + 299
= =
962 963
10. ...
+
=
50.
+
=
Abb. 5.8 SP2 Marvin - Phase 2.3
Phase 2.4 (Z. 22-28) Phase 2.4 startet mit einer acht Sekunden langen Sprechpause. Im Anschluss äußert Marvin, dass es „schwerer“ sei, die ersten Summanden fortzusetzen, „weil man weiß, das hier werden ja eigentlich drei (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A0), zwei (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A1), eins (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A2), null (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A3). Und dann müsste es aber eigentlich hier (zeigt auf das Feld von S1-A4) rauskommen, sechshundert (..) vierundneunzig.“ (s. Z. 22) Daraufhin notiert er „694“ als S1-A4 (Z. 24). Im Folgenden wird er gefragt, was ihm mit „drei, zwei, eins“ aufgefallen ist (Z. 25). Er antwortet, dass es „immer ein Zehner wen weniger“ (Z. 26) wird und er setzt S1-A4 bis einschließlich S1-A7 fort (Abb. 5.9).
132
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen 0. 1.
734 724
+ 222 + 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ 244 + 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ 266 + 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ 288 + 299
= =
962 963
10. ...
+
=
50.
+
=
Abb. 5.9 SP2 Marvin - Phase 2.4
Phase 2.5 (Z. 28-32) Marvin bestimmt S2-A10. Er gibt an, dass es „elf mehr“ werden (Z. 28) und notiert „310“ als S2-A10. Die Interviewerin fragt nach, was er gerechnet hat, „um auf die dreihundertzehn zu kommen“ (Z. 29). Daraufhin gibt Marvin an „plus elf“ und sagt weiter: „Ne, das ist falsch [...] bei der acht wärns dreihundertzehn. Das heißt dann neun dreihundert (.) zweiundzwanzig und hier (S2-A10) dreihundertdreindreißig.“ Er streicht seine zuvor notierte Zahl 310 durch und notiert 333 als S2-A10 (Abb. 5.10). 0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= =
962 963
10. ...
+
310 333
=
50.
+
=
Abb. 5.10 SP2 Marvin - Phase 2.5
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
133
Phase 2.6 (Z. 32) In Phase 2.6 bestimmt Marvin S-A10. Hierfür gibt er an, dass „immer minus einen (zeigt mit dem Stift zwischen den Bereich S1-A7 und S1-A10) sind dann (zeigt mit dem Stift auf S1-A7) dreihundert (.) (tippt mit dem Stift zwischen den Bereich S1-A7 und S1-A10) vierundfünfzig, dreihundert (.) (tippt mit dem Stift zwischen den Bereich S1-A7 und S1-A10) vierundvierzig und dann (tippt mit dem Stift auf S1-A10) hier (öffnet den Stift) dreihundertvierndreißig. (schüttelt leicht den Kopf) Äh sechshundertvierndreißig.“ (Z. 32) Schließlich trägt Marvin 634 als S1-A10 ein (Abb. 5.11). 0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= =
962 963
10. ...
634
+
310 333
=
+
50.
=
Abb. 5.11 SP2 Marvin - Phase 2.6
Phase 2.7 (Z. 32-34) Marvin bestimmt E10 und E50. Er sagt, dass E10 drei mehr als E7 (Z. 32) und E50 insgesamt 40 mehr als E10 sein müsste (Z. 34). Schließlich notiert er 966 als E10 (Z. 32) und 1006 als E50 (Z. 34) (Abb. 5.12). 0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= =
962 963
10. ...
634
+
310 333
=
966
=
1006
50.
+
Abb. 5.12 SP2 Marvin - Phase 2.7
134
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Phase 2.8 (Z. 34-42) Zu Beginn dieser Phase bestimmt Marvin S2-A50 („immer elf mehr werden, dann vierzig mal elf“, Z. 34). Er sagt: „Vierhundertvierzig“ (Z. 36) und wird von der Interviewerin nach seinem Rechenweg gefragt (Z. 37). Diesen erläutert er (4010=400, 140=40, 40+400=440, Z. 38) und er notiert im Anschluss S2-A50 (Abb. 5.13). 0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= =
962 963
10. ...
634
+
310 333
=
966
+
440
=
1006
50.
Abb. 5.13 SP2 Marvin - Phase 2.8
Phase 2.9 (Z. 42-43) Zur Bestimmung von S1-A50 gibt Marvin an, dass es „immer minus zehn, also insgesamt minus vierzig, also fünfhundertvierundneunzig sind.“ (Z. 42) Er notiert 594 als S1-A50, schließt den Stift, schaut zur Interviewerin und dann wieder auf SP2. (Abb. 5.14) 0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= =
962 963
10. ...
634
+
310 333
=
966
50.
594
+
440
=
1006
Abb. 5.14 SP2 Marvin - Phase 2.9
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
135
Phase 3 (Z. 44-54) Nach einer 16 Sekunden langen Sprechpause äußert Marvin: „Ne, aber das klappt nicht. Habe ich gerade gesehen.“ (Z. 44) Er gibt an, dass das Ergebnis der 50. Aufgabe 1006 sein müsste. Im Anschluss beugt er sich über SP2 und sagt, dass es 1034 wären. Die Interviewerin fragt: „Und was machen wir jetzt?“ (Z. 45), woraufhin Marvin äußert, dass er weiß, dass S1-A50 richtig ist. (Z. 46). Von der Interviewerin wird er gefragt, warum er das wisse. Er antwortet: „Weil ja da ist es ja nur vierzig weniger (zeigt dabei von S1-A1 zu S1-A50)“ (Z. 48). Zudem sagt er, dass er sich sicher ist, dass E50 ebenfalls stimmt, da „man ja auch nur plus vierzig rechnen“ muss (Z. 50). Die Interviewerin fragt nach: „Wo könnte denn dann der Fehler liegen?“ (Z. 51). „Dann muss der Fehler bei der vierhun-dertvierzig (S2-A50) liegen [...] man weiß, das Ergebnis (E50) und die (S1-A50) sind richtig, dann muss man nur ausrechnen, wie viel es ist von fünfhundert (S1-A50) bis eintausendsechs (E50)“ (Z. 54). Im Folgenden bestimmt Marvin S2-A50. Er streicht seine notierte 440 durch und notiert 312 als S2-A50 (Z. 54, Abb. 5.15). 0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= =
962 963
10. ...
634
+
310 333
=
966
50.
594
+
440 312
=
1006
Abb. 5.15 SP2 Marvin - Phase 3
Phase 4 (Z. 55-86) Phase 4.1 (Z. 55-62) Marvin wird von der Interviewerin gefragt: „Also stimmt das jetzt?“ (Z. 55). Er bejaht diese Frage, beugt sich nach vorne, blickt auf SP2 und äußert, dass bei E10 ein Fehler sei (Z. 56). Er gibt an, dass E10 dreihundertsiebensechzig ist. (Z. 58) Die Interviewerin fragt, warum er dies meint und er nennt folgende Rechenaufgabe: „dreihundert plus sechs sind neunhundert, dreißig plus dreißig sind sechzig, aber drei plus vier sind sieben“ (Z. 62).
136
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Phase 4.2 (Z. 63-73) In Phase 4.2 fragt die Interviewerin, ob 967 als E10 noch in die Reihe der Ergebnisse passt (Z. 63). Marvin verneint diese Frage und gibt an, dass bei S2-A10 332 hinkommen muss (Z. 64). Auf die Frage der Interviewerin, warum dort 332 anstelle von 333 hinkommen muss (Z. 65), antwortet Marvin: „Weil sonst ist das ja dreihundertsiebensechzig (zeigt auf E10) mit dreihundertdreindreißig (zeigt auf S2-A10), und wenn man dann (tippt auf S2-A10) einen abzieht, sind das (tippt auf E10) aber dreihundertsechsnsechzig.“ Hierüberhinaus gibt er an, dass er weiß, dass im Einer von S1-A10 eine vier hinkommt, „weil hier ist es immer so und dann kann das ja plötzlich nicht sein, dass da eine drei ist.“ (Z. 68). Schließlich streicht er die Drei (Einerstelle) seines notierten Summanden S2-A10 durch und notiert eine zwei. (Z. 70, Abb. 5.16). Die Frage der Interviewerin: „Und so stimmt das dann?“ (Z. 71), bejaht Marvin (Z. 72). 0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
956 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
958 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= =
960 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= =
962 963
10.
634
+ 310 333 2
=
966
... 50.
594
+
=
1006
440 312
Abb. 5.16 SP2 Marvin - Phase 4.2
Phase 4.3 (Z. 74-86) Marvin überprüft in Phase 4.3, ob der neue Summand S2-A10 in die Spalte der zweiten Summanden passt (Z. 74). Ihm fällt auf: „das (S2-A7) passt ja jetzt nicht zu denen (S2-A0 bis S2-A7)“ (Z. 74). Die Interviewerin fragt nach, was jetzt nicht passt (Z. 75), woraufhin er antwortet: „Da ja immer zweiundzwanzig (tippt auf S2-A0), dreindreißig (tippt auf S2-A1), viernvierzig (tippt auf S2-A2), aber hier (tippt auf S2-A10) ist zweindreißig“ (Z. 76). Die Interviewerin erwähnt, dass es „auf einmal irgendwie (.) komisch“ und „auf einmal anders“ ist (Z. 79). Im Folgenden bezieht sich Marvin auf S2-A50: „Und das ist jetzt eigentlich genauso [...] Weil hier sind ja auch dreihundertzwölf (S2-A50)“. Die Interviewerin fragt nach: „Was ist jetzt wie da die?“ (Z. 81). Marvin antwortet: „Also hier ist auch nicht dreihundertelf, sondern dreihundertzwölf.“ (Z. 82) Von der Interviewerin wird Marvin nun gefragt, ob er eine Idee habe, „warum da son Wechsel von zwei
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
137
gleichen Zahl, Ziffern zu zwei unterschiedlichen zustande kommt?“ (Z. 83). Marvin vermutet: „Vielleicht weil das, ähm ja hier (S2-A10) dreihundert ist und nicht zweihundert.“ Die Frage ob es „trotzdem noch hierzu (fährt mit dem Finger von S2-A10 zu S2-A2) passt“ (Z. 85) bejaht Marvin.
5.2.1.4 Schritt 4: Analyse 5.2.1.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive Phase 1 (Z. 1-8) 1
I
2
Ma
3 4
I Ma
5 6
I Ma
7 8
I Ma
So, hier (legt SP2 vor Ma) ist einmal das zweite Päckchen. Da schaust du dir die Zahlen bitte auch ganz genau an und beschreibst erst mal wieder. (7 sec. Sprechpause, Ma betrachtet SP2) Also hier sieht man (zeigt mit dem Stift auf S2-A0) das werden immer elf mehr (tippt mit dem Stift nacheinander auf S2-A1, S2-A2 und S2-A3, schaut zu I). Mhm. Also zweihundertzweinzwanzig (zeigt mit dem Stift auf S2-A0), zweihundertdreindreißig (zeigt mit dem Stift auf S2-A1, leiser) zweihundertviernvierzig (zeigt mit dem Stift auf S2-A2). Und hier (zeigt mit dem Stift auf S1- A0) werdens immer zehn weniger (tippt mit dem Stift auf S1-A1, S1-A2 und S1-A3). Also wird das Ergebnis (zeigt mit dem Stift vage in Richtung Ergebnis-Spalte) insgesamt immer ein mehr (blickt zu I). Warum um einen mehr? Weil (blickt kurz zu I), ähm, es wird ja elf (zeigt mit dem Stift auf die zweiten Summanden und macht mit dem Stift in der Luft einen Bogen und zeigt auf die Ergebnis-Spalte) meh[r] (macht mit der rechten Hand in der Luft einen größeren Bogen von links nach recht), äh das (zeigt mit dem Stift auf S2-A0 und dann auf S2-A2) die Zahlen werden ja immer elf größer und aber (zeigt mit dem linken Zeigefinger auf S1-A3) die um zehn kleiner (macht mit dem Stift, den er in der linken Hand hält einen kleinen Bogen von rechts nach links) # und (unverständlich) # Mhm Und dann elf minus zehn sind eins (blickt zu I).
138
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Nach Aufforderung der Interviewerin, sich SP2 genau anzusehen und zu beschreiben (Z. 1), beschreibt Marvin nach einer sieben Sekunden langen Betrachtung von SP2 einen ersten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang („immer elf mehr“, Z. 2). Dieser Zusammenhang ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht unmittelbar sichtbar. Um die Veränderung der zweiten Summanden benennen zu können, müssen zuvor die sichtbaren Zahlen der zweiten Summanden zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies hat Marvin mit großer Sicherheit gemacht, ohne dass er es an dieser Stelle explizit zum Ausdruck bringt. Marvin verallgemeinert zudem seine Entdeckung („immer“). Im weiteren Verlauf beschreibt Marvin einen zweiten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang („immer zehn weniger“, Z. 4). Dieser bezieht sich auf die Veränderung der zweiten Summanden und ist ebenfalls nicht unmittelbar sichtbar. Auch hier muss Marvin die sichtbaren Elemente, in diesem Fall die ersten vier Summanden, zueinander in Beziehung gesetzt und miteinander verglichen haben. Obwohl Marvin an dieser Stelle die Summen der einzelnen Aufgaben noch nicht ermittelt hat, folgert er, dass „das Ergebnis (zeigt mit dem Stift vage in Richtung Ergebnis-Spalte) insgesamt immer ein mehr“ (Z. 4) wird. Hierbei handelt es sich um einen dritten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang von SP2. Diesen formuliert er als eine Aussage bzw. Vorhersage über derzeit noch vollkommen unsichtbare Elemente und beschreibt ihn in Form einer allgemeinen Beziehung („immer ein mehr“). Um diese Vorhersage treffen zu können, muss Marvin die beiden zuvor benannten, unsichtbaren, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge zueinander in Beziehung gesetzt haben. Schließlich begründet Marvin seine Vorhersage über die Veränderung der Summen, indem er die regelmäßigen Veränderungen beider Summanden benennt („immer um elf größer und aber die um zehn kleiner“, Z. 6) und diese hierüberhinaus zueinander in Beziehung setzt („elf minus zehn sind eins“, Z. 8). Seine Begründung stützt er somit auf zwei unmittelbar zuvor entdeckte und beschriebene Teilstrukturen von SP2, die er zueinander in Beziehung setzt. In dieser ersten Phase entdeckt Marvin somit drei Teilstrukturen von SP2, die eine gewisse Gesamtheit der gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge von SP2 ausmachen. Indem er die beiden ersten Teilstrukturen (Veränderung der ersten und zweiten Summanden) zueinander in Beziehung setzt, kann er den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang der Summenspalte angeben. Hierbei deutet er somit Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
139
Phase 2 (Z. 9-43) Phase 2.1 (Z. 9-16) 9
I
10
Ma
11
I
12
Ma
13 14
I Ma
15 16
I Ma
Mhm. Okay. Dann kannst du das Päckchen ja auch mal fortsetzen und ausrechnen. Du hast ja schon alles ganz toll beschrieben und erklärt. (leiser) Jaa, ähm (blickt mit den Augen in Richtung der Summanden, leiser) siebenhundert, (..) neunhundert, (etwas lauter) neunhundertsechsnfünfzig (notiert „956“ als E0), neunhundertundsiebenfünfzig (notiert „957“ E1, leiser) neunhundert (..) achtnfünfzig (notiert „958“ als E2), neunhundert (..) neunundfünfzig (notiert „959“ als E3, lauter) Und dann müsste das hier (zeigt mit dem Stift das Feld von E4) neunhundertsechzig und so (fährt mit dem Stift von E4 entlang der Ergebnis-Spalte herunter). Also könntest du die Ergebnisse (fährt mit dem rechten Zeigefinger entlang der E4 bis E7) schon eintragen ohne, dass hier (zeigt mit dem Zeigefinger auf die Felder der ersten Summanden von A4 und A7) die Aufgaben stehen? (blickt zur Interviewerin) Ja! (notiert „960“ als E4, setzt den Stift bei dem Feld E5 an) Warum kannst du die da jetzt schon eintragen? Weil ich weiß, die Zahlen (zeigt mit dem Stift in Richtung der Summanden) werden ja immer ein mehr (blickt zur Interviewerin). Okay. Also die Ergebnisse. (notiert „961“ als E5, notiert „962“ als E6, notiert „963“ als E7, leise)
Nachdem Marvin E0 rechnerisch ermittelt hat (Z. 10), notiert er unmittelbar im Anschluss zügig E1 bis E3. Es scheint, dass er die Summen E1, E2 und E3 nicht durch Addition der jeweiligen beiden Summanden ermittelt hat, sondern es lässt sich an dieser Stelle vermuten, dass er die zuvor entdeckte, beschriebene und begründete Vorhersage über die Summenentwicklung nutzt („immer ein mehr“, Z. 4, Phase 1). Ferner trifft er eine Aussage über E4 (960), ohne die Summanden S1-A4 und S2-A4 zu kennen. Er wendet also auch hier seine Entdeckung über die Summenentwicklung an und sagt, dass er E4 bis E7 eintragen kann, ohne die einzelnen Summanden zu kennen (Z. 11 und 12). Er begründet sein Vorgehen
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
140
damit, dass er „weiß, die Zahlen (zeigt mit dem Stift in Richtung der Summanden) werden ja immer ein mehr (blickt zu I). Also die Ergebnisse “ (Z. 14 und 16). Warum die Summen jeweils um ein mehr werden, erläutert Marvin hier nicht. Da er dies in Phase 1 bereits ausführlich gemacht hat, ist dies an dieser Stelle auch nicht zwingend notwendig. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Marvin bei der Notation der Summen E0 bis E7 in dieser Phase insgesamt sehr sicher vorgeht. Nach einer rechnerischen Ermittlung von E0 bestimmt er die Summen E1 bis E7, indem er sich auf die dem Päckchen zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge bezieht, die er in Phase 1 entdeckt und begründet hat.
Phase 2.2 (Z. 17-21) 17
I
18
Ma
19 20
I Ma
21
I
Könntest du jetzt auch schon hier (tippt mit dem rechten Zeigefinger zweimal auf das Ergebnisfeld E7 und dann auf die Aufgabennummerierung „10.“) unten was über das zehnte Ergebnis sagen? (schließt den Stift, ..) Jaa, ähm das müsste dann eigentlich drei mehr werden. Also (öffnet den Stift und zeigt mit ihm auf das Ergebnisfeld E10) neunhundert (.) sechnsechzig (schließt den Stift). Drei mehr, weil? Ähm, von der Zahl (tippt mit dem Stift auf die Aufgabennummerierung „7.“ und dann auf die Aufgabennummerierung „10.“) bis zu der sinds (blickt kurz zur Interviewerin) ja auch drei mehr. Mhm.
In Phase 2.2 gibt Marvin E10 verbal an (Z. 18), ohne auch hier die beiden dazugehörigen Summanden zu kennen. Bevor er E10 explizit ermittelt (966), benennt er den Zusammenhang zwischen E7 und E10 („drei mehr“, Z. 18). Sehr wahrscheinlich nutzt er auch hier den in Phase 1 entdeckten und begründeten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang. Hierbei stellt er eine Beziehung von einer Beziehung zwischen völlig Unsichtbarem her. Auf die Nachfrage der Interviewerin, warum es drei mehr werden (Z. 19), bezieht er sich interessanterweise nicht auf den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang von SP2. Vielmehr setzt er nun die Aufgabennummerierungen der
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
141
siebten und zehnten Aufgabe zueinander in Beziehung. Er muss die Differenz dieser beiden Nummerierungen gebildet haben, die ja ebenfalls drei ergibt. Die Summe E10 wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetragen.
Phase 2.3 (Z. 22) 22
Ma
(öffnet den Stift, ..) Ja und hier müs (man hört Schritte auf dem Flur, dreht sich kurz zur Tür) sten dann auch zweihundertsechsnsechzig (notiert „266“ als zweiten Summanden von A4), zweihundertsiebensiebzig (notiert „277“ als zweiten Summanden von A5), zweihundertachtnachzig (notiert „288“ als zweiten Summanden von A6), (leiser) zweihundertneunneuzig (notiert „299“ als zweiten Summanden von A7).
Marvin benennt und notiert in Phase 3.1 ohne weitere Erläuterung S2-A4 bis S2A7. Seine Fortsetzung von S2 wird sehr wahrscheinlich auf seinen in Phase 1 entdeckten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang immer elf mehr (Z. 1) basieren. Es könnte aber auch sein, dass er sich an den Oberflächenphänomenen der sichtbaren zweiten Summanden orientiert und die Hunderterstelle beibehält, während Zehner und Einer jeweils um eins entsprechend der Zahlwortreihe erhöht werden.
Phase 2.4 (Z. 22-28) 22
Ma
23 24 25
I Ma I
(8 sec. Sprechpause) Und hier (zeigt mit dem Stift auf das Feld S1-A4), ist es jetzt schwerer, weil man weiß, dass hier (zeigt mit dem Stift auf das Feld S1-A4 und fährt dann mit dem Stift runter entlang der Spalte bis S1-A3 und fährt dann mit dem Stift wieder hoch) werden ja eigentlich drei (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A0), zwei (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A1), eins (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A2), null (zeigt vage auf den Zehner von S1-A4, schließt den Stift, ..). Und dann müsste es aber eigentlich hier (zeigt auf das Feld von S1-A4) rauskommen, sechshundert (..) vierundneunzig. Mhm. (notiert „694“ als S1-A4) Und du hast ja gerade auch noch hier mit diesen drei (zeigt mit
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
142
26
Ma
27 28
I Ma
dem rechten Zeigefinger auf S1-A0), zwei (fährt mit dem Zeigefinger weiter zu S1-A1), eins (fährt mit dem Zeigefinger weiter zu S1-A2), null (fährt mit dem Zeigefinger weiter zu S1-A3) das so an-gesprochen. W (.) was ist dir denn da aufgefallen? Na, dass (fährt mit dem Stift in der Luft von S1-A1 runter zu S1-A3) wird ja immer ein Zehner (zeigt mit dem Stift auf das Feld von S1-A4) wen weniger. Mhm. (..) Und dann (leiser) sechshundert (14 sec. Sprechpause, notiert „694“ als S1-A4, notiert „684“ als S1-A5, notiert „674“ als S1-A6, notiert „664“ als S1- A6, schließt den Stift, blickt kurz über die Schulter, atmet laut aus)
Obwohl Marvin bereits in Phase 1 angegeben hat, dass die sichtbaren ersten Summanden „immer zehn weniger“ (Z. 1) werden und die Subtraktion mit zehn eigentlich keine große Schwierigkeit für einen Viertklässler darstellen sollte, gibt er in Zeile 22 zunächst an, dass es hier „schwerer“ sei, die Summanden fortzusetzen. Er bezieht sich hier folglich nicht auf seine in Phase 1 entdeckte und allgemein beschriebene Gesetzmäßigkeit für die ersten Summanden. Vielmehr fokussiert er anscheinend auf die Zehnerstellen, indem er angibt „drei, zwei, eins, null“ (Z. 22). Die Verringerung des Zehners um eins impliziert jedoch eine Veränderung um zehn weniger. Die Hunderter- und Einerstelle benennt er nicht. Er geht auch nicht darauf ein, dass die Hunderter der ersten Summanden stets sieben und die Einer stets vier sind. Nachdem Marvin die einzelnen Zehner von S1-A0 bis S-A3 benannt hat, gibt er dann jedoch an, dass S1-A4 694 sein müsste. Er geht nicht weiter auf die Zehnerstelle ein, sondern gibt eine dreistellige Zahl an. Somit hebt Marvin seinen lokalen Blick wieder auf. Basierend auf Nachfrage der Interviewerin (Z. 25), steht Marvins Benennung der Zehner noch einmal im Fokus. Es zeigt sich in seiner Aussage, dass er die Veränderung des Zehners im Gesamtzusammenhang der dreistelligen Zahlen betrachtet („immer ein Zehner [...] weniger“, Z. 26). In Phase 2.4 fokussiert Marvin erstmalig auf lokale Einzelelemente (Zehner der sichtbaren ersten Summanden). Diese Einzelelemente stehen in seinen Deutungen jedoch nicht separat nebeneinander, sondern er setzt sie in einen Zusammenhang, um eine regelmäßige Veränderung der ersten Summanden zu beschreiben (Z. 26).
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
143
Phase 2.5 (Z. 28-32) 28
Ma
Und jetzt müsste es dann (..) (zeigt auf das freie Feld von S2-A10) hier (.) würden es elf mehr zweihu (öffnet den Stift), äh dreihundertzehn. (# notiert „310“ als S2-A10)-
29
I
30
Ma
31 32
I Ma
# Und was hast du da jetzt gerechnet, um auf die dreihundertzehn zu kommen? Einfach, ähm, (schließt den Stift) plus elf. (.., hält den Stift mit beiden Händen ans Kinn) Ne, (blickt zu I) das ist falsch, ist mir gerade eingefallen. Bei der (tippt den Stift in den Bereich zwischen S2-A7 und S2-A10) acht wären’s zwei (blickt zu I, hält den Stift zeigt weiterhin in den Bereich zwischen S2-A7 und S2-A10) dreihundertzehn. Das heißt dann, neun (tippt mit dem Stift auf den Bereich zwischen S2-A7 und S2-A10) sind dreihundert (.) zweiundzwanzig und hier (tippt mit dem Stift auf das Feld von S2-A10) dreihundertdreindreißig. (streicht „310“ als S2-A10 durch) Schreibste drüber oder daneben, genau. (8 sec. Sprechpause, notiert „333“ hinter der durchgestrichenen Zahl „310“, schließt den Stift)
Bei der Bestimmung von S2-A10 beachtet Marvin zunächst nicht, dass ein Sprung von der siebten zur zehnten Aufgabe existiert. Hierdurch bestimmt er somit eigentlich S2-A8 (Z. 28), notiert S2-A8 aber als S2-A10. Dieser Fehler fällt ihm jedoch im Anschluss unmittelbar und selbstständig auf. Er ermittelt nun nacheinander S2-A8, S2-A9 und schließlich S2-A10. Bei der Bestimmung von S2-A9 unterläuft ihm jedoch ein Rechenfehler. So müsste S2-A9 321 und nicht 322 sein (Z. 30). Genau an dieser Stelle existiert ein Bruch in der phänomenologischen Anordnung (vgl. Analyseschritt 1). Während bei allen bisher sichtbaren zweiten Summanden (S2-A1 bis S2-A7) Zehner und Einer jeweils aus der gleichen Ziffer bestehen (222, 233, 244, 255, etc.), ist ab S2-A8 die Ziffer des Zehners je um eins größer als die Ziffer des Einers. Dieser Bruch entsteht im dekadischen Stellenwertsystem nach zehnmaliger Addition der Zahl Elf (1011=110). Da Marvin sich in allen Interviews als sicherer Rechner zeigt, liegt hier die Vermutung nahe, dass er sich an dieser Stelle von der phänomenologischen Besonderheit der zweiten Summanden verleiten lässt.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
144
Abgesehen davon, dass Marvin der soeben beschriebene Fehler passiert, lässt sich abschließend festhalten, dass Marvin S2-A10 durch schrittweise Addition der Zahl Elf bestimmt. S2-A10 ist basierend auf Marvins Fehler um eins zu groß.
Phase 2.6 (Z. 32) 32
Ma
Und (tippt mit dem Stift kurz auf das leere Feld S1-A10) hier immer minus einen (zeigt mit dem Stift zwischen den Bereich S1-A7 und S1-A10) sind dann (zeigt mit dem Stift auf S1-A7) dreihundert (.) (tippt mit dem Stift zwischen den Bereich S1-A7 und S1-A10) vierundfünfzig, dreihundert (.) (tippt mit dem Stift zwischen den Bereich S1-A7 und S1-A10) vierundvierzig und dann (tippt mit dem Stift auf S1-A10) hier (öffnet den Stift) dreihundertvierndreißig. (schüttelt leicht den Kopf) Äh sechshundertvierndreißig (6 sec. Sprechpause, notiert „634“ als S1-A10, schließt den Stift, öffnet den Stift).
Marvin wiederholt zunächst den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang der ersten Summanden, der diesem Päckchen zugrunde liegt („hier immer minus einen“, Z. 32). Diesen Zusammenhang hatte er im Vorfeld schon erläutert (s. Phase 2.4, Z. 26). Allerdings ist Marvins Aussage in Zeile 32 unpräziser formuliert als in Zeile 26. Während er in Zeile 26 sagte, dass es „immer einen Zehner weniger“ wird, gibt er nun lediglich an, dass es „immer minus einen“ wird. Die von ihm verwendete Formulierung „immer minus einen“ würde jedoch eigentlich aussagen, dass die Zahl „minus eins“ (1 Einer) gerechnet werden muss. Marvin möchte hier jedoch eigentlich zum Ausdruck bringen, dass insgesamt jeweils zehn abgezogen werden müssen. Dies wird im Folgenden deutlich, da er von der 664 zehn abzieht und 654 erhält. Im weiteren Verlauf zieht er von der 654 erneut zehn ab und erhält somit 644. Hiervon subtrahiert er ebenfalls zehn und erhält 634 als S1-A10. Bei der Bestimmung von S1-A10 geht Marvin folglich schrittweise vor, indem er zunächst S1-A8, dann S1-A9 und schließlich S1-A10 rechnerisch ermittelt. Hierbei unterlaufen ihm keine Fehler.
Phase 2.7 (Z. 32-34) 32
Ma
[Gut] und dann (zeigt auf E7) aei müssen das drei mehr also neunhundertsechsundsechzig (notiert „966“ als E10). (schließt
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
33 34
I Ma
145
den Stift und blickt zu I) Und jetzt ist da (blickt kurz zu I und zeigt dann kurz mit der rechten Hand in Richtung des AB) aber nicht (tippt zweimal mit dem Stift auf die Aufgabennummerierung „50.“ und blickt dabei zur Interviewerin) die zwanzig, sondern (blickt auf das AB) die fünfzig. Mhm. Also das Ergebnis müsste dann eigentlich um vierzig mehr sein. Also (blickt zur Interviewerin) eintausendsechs. (9 sec. Sprechpause, notiert „1006“ als E50, schließt den Stift)
Marvin ermittelt zunächst E10, indem er angibt, dass es „drei mehr“ werden (Z. 32). Er gibt hierbei nicht explizit an, warum es drei mehr werden müssen. Von der Interviewerin wird dies auch nicht nachgefragt. Aufgrund der Deutungen, die dieser Deutungssituation vorausgegangen sind, lässt sich jedoch Folgendes ver-muten: Da Marvin weiß, dass die Ergebnisse von Aufgabe zu Aufgabe je um eins größer werden (vgl. Phasen 1; 2.1 und 2.2) und dass die Aufgabe 10 von Aufga-be 7 drei Aufgaben entfernt ist (vgl. Phase 2.2, Z. 20), kann er daraus ableiten, dass die Summe der zehnten Aufgabe um drei größer werden muss als E7, da „31=3“ ist. Unmittelbar im Anschluss bestimmt er E50. Hierbei geht er analog vor. Es lässt sich somit festhalten, dass Marvin in Phase 2.7 E10 und E50 ermittelt, indem er die von ihm entdeckten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge von SP2 nutzt. Dies wird vor allem bei E50 deutlich, da bisher weder S1-A50 noch S2-A50 von ihm ermittelt wurden und von daher eine rechnerische Bestimmung von E50 auszuschließen ist.
Phase 2.8 (Z. 34-42) 34
Ma
35 36
I Ma
37
I
Hier (zeigt auf das Feld S2-A50) müssen das dann, (leiser) das werden immer elf mehr (blickt zu I), (lauter) dann vierzig mal elf, (4 sec. Sprechpause) (leise) mh (sehr leise) vierzich (blickt kurz nach rechts). Möchs Möchtest du sonst noch n Zettel haben, wo du was Ehm nein (öffnet den Stift). Vierhundertvierzig (beugt sich leicht nach vorne über den Zettel und hält die Stiftspitze über das Feld S2-A50). Das hast du aber schnell ausgerechnet. Wie hast du das denn
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
146
38
Ma
39 40 41 42
I Ma I Ma
ausgerechnet? (Blickt zu I) Ich hab einfach, ähm, vierzig mal zehn sind vierhundert (blickt zum AB) und dann noch (blickt gerade), weil das ja ähm (blickt zu I) elf sind aber (blickt schräg nach links), noch ähm (blickt zum Boden) einmal vierzig sind ja (blickt zu I) vier (.) [z]ich so (blickt leicht nach oben an I vorbei), ähm, und dann (blickt zu I) vierzig plus vierhundert sind vierhundertvierzig. Mhm. (öffnet den Stift) Super. (notiert „440“ als S2-A50)
Marvin beachtet bei der Bestimmung von S2-A50 den Sprung von der zehnten zur fünfzigsten Aufgabe (Z. 34). Dies wird daran deutlich, dass er zunächst den Zuwachs des Summanden von Aufgabe zu Aufgabe angibt („immer elf mehr“, Z. 34) und diesen im Anschluss mit 40 multipliziert („dann vierzig mal elf“, Z. 34). Marvin berechnet die Aufgabe „4011“ im Kopf. Die Interviewerin bietet ihm als Unterstützung einen Zettel an, auf dem er Notizen, Zwischenschritte, Rechnungen oder ähnliches aufschreiben könnte (Z. 35). Unmittelbar nach diesem Angebot, welches Marvin ablehnt, benennt er das Ergebnis der Aufgabe (440). Es scheint, dass er dieses als S2-A50 notieren möchte. Zumindest beugt er sich über SP2 und hält die Stiftspitze über S2-A50. Allerdings wird er von der Interviewerin unterbrochen (Z. 37). Diese richtet mit ihrer Frage den Fokus auf seine rechnerische Ermittlung des Zuwachses von S2-A10 zu S2-A50. Marvin erläutert schließlich seinen schrittweisen Rechenweg und er notiert nach einem „Mhm“ (Z. 39) und einem „Super“ (Z. 41) der Interviewerin 440 als S2-A50 Demzufolge berücksichtigt Marvin nicht, dass 440 lediglich den Zuwachs von S2-A10 zu S2-A50 beschreibt. Es könnte durchaus sein, dass die Interviewerin ihn durch ihre Nachfrage in Zeile 37 in seinen Gedankengängen unterbrochen und er somit die Verknüpfung vom Zuwachs und S2-A10 (333+440) nicht weiter beachtet hat. Diese Verknüpfung wäre notwendig gewesen, um S2-A50 korrekt bestimmen zu können. In dieser Phase benennt Marvin also zunächst den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang der zweiten Summanden („immer elf mehr“, Z. 34), den er im Vorfeld bereits mehrfach angegeben hat (Phasen 1 und 2.5). Zudem vervielfacht er diesen mit 40, da 40 Aufgaben übersprungen werden („dann vierzig mal elf“,
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147
Z. 34). Den von ihn berechneten Zuwachs addiert er jedoch nicht zu S2-A10, sondern er notiert ihn als S2-A50. Bei der Berechnung des Zuwachses von S2-A10 hin zu S2-A50 nutzt er den in Phase 1 entdeckten gesetzmäßigen, strukturelle Zusammenhang. Allerdings setzt er den ermittelten Zuwachs nicht mit den strukturellen Eigenschaften von SP2 in Zusammenhang. So addiert er diesen nicht zu S2-A10 hinzu. Phase 2.9 (Z. 42-43) 42
Ma
43
I
Und hier (zeigt auf S1-A10) sind das immer minus zehn (schließt den Stift), also insgesamt minus vierzig (öffnet den Stift), also fünfhundert (notiert „5“ im Feld S1-A50) (..) vierundneunzig (notiert „94“ rechts neben der zuvor notierten „5“ im Feld S1-A50). (4 sec. Sprechpause, schließt den Stift, blickt zu I, blickt auf das AB) Mhm.
Bei der Bestimmung von S1-A50 wiederholt Marvin ebenfalls zunächst die den ersten Summanden zugrundeliegende Gesetzmäßigkeit („immer minus zehn“, Z. 42). Im Anschluss gibt er dann jedoch an, dass er „minus vierzig“ rechnen muss, um S1-A50 zu erhalten (Z. 42). Er berücksichtigt hier also nicht, dass er die Zehn insgesamt 40-mal von S1-A10 abziehen müsste, um S1-A50 zu erhalten. Da er die Zehn insgesamt nur viermal subtrahiert, hat Marvin folglich nicht S1-A50, sondern S1-A14 ermittelt. In Zeile 42 setzt er jedoch die (falsch) berechnete Differenz in Beziehung zu S1-A10, denn er notiert diese nicht als S1-A50, sondern subtrahiert sie von S1-A10. Marvin stützt die Berechnung der Differenz in dieser Phase auf zwei Teilstrukturen von SP2. So nutzt er den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang der ersten Summanden („immer minus zehn“, Z. 42). Diesen vervielfacht er, wenn auch nicht ausreichend oft, und setzt diese Veränderung in Zusammenhang mit S1-A10.
Phase 3 (Z. 44-56) 44
Ma
(16 sec. Sprechpause, Ma blickt auf SP2) Ne (blickt zu I), aber das klappt nicht. Habe ich grade gesehen. Weil hier (tippt mit dem Stift auf E50) weiß ich ja, das müssen eintausendsechs (tippt rechts neben E50). Aber das (zeigt mit dem Stift in Richtung
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45 46
I Ma
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I
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Ma
49 50
I Ma
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I
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53 54
I Ma
von A2-A50) wärn (..) (schüttelt kurz den Kopf) über (blickt zu I) also das (beugt sich vor) wärn neunhun (leiser:) dert, (..) (lauter:) eintausendsechs eintausendvierndreißig (blickt zu I). Und was machen wir jetzt? (…) Also hier (zeigt mit dem Stift auf S1-A50) weiß ich (tippt mit dem Stift zweimal auf S1-A50), das ist richtig. Warum weißt du, dass das hier (tippt mit dem Zeigefinger auf S1-A50) richtig ist? Weil ja da (tippt mit dem Stift auf S1-A10) ist es ja nur vierzig (tippt mit dem Stift auf S1-A50 und blickt zu I) einfach weniger. Mhm. (..) Mh (beugt sich über das AB), ja und (tippt mit dem Stift zwischen den Bereich E10 und E50) beim Ergebnis bin ich mir eigentlich auch sicher, weil da (tippt zweimal mit dem Stift auf E50) muss man ja auch nur plus vierzig rech#nen. # Mhm. Wo könnte denn dann der Fehler liegen? Dann muss der Fehler (tippt mit dem Stift auf S2-A50) bei der vierhundertvierzig liegen. (..) Dann bräuchte man (zeigt mit dem Stift auf S2-A10) eigentlich gar nicht mehr, aber (tippt zweimal mit dem Stift auf S2-A10) das rechnen (fährt mit dem Stift von S2-A10 zu S2-A50). Sondern man weiß, n das Ergebnis (zeigt auf S2-A50), das Ergebnis (tippt zweimal auf E50) und die (tippt auf S1-A50) sind richtig, dann muss (blickt zur Interviewerin) man nur (zeigt auf S1-A50) ausrech [oder] gucken (tippt zweimal auf S1-A50) wie viel das ist von (tippt auf S1-A50) fünfhundert bis (zeigt auf E50). Dann mach das doch mal. Nja, also fünfhundert und vierhundert sind neunhundert, nnhhee, (beugt sich nach vorne und stützt mit dem Ellenbogen auf dem Tisch und der Hand im Gesicht seinen Kopf ab) das (zeigt mit dem Stift auf S2-A50) muss auf jeden Fall dreihundert sein. Weil das (zeigt mit dem Stift von S2-A50 zu S1-A50 und wieder zu S2-A50) sind ja schon fast sechshundert. Also wären das dreihundertsechs sind tausend (bleibt mit dem Stift über S2-A50). Also dreihundert (..) (tippt mit dem Stift auf S2-A50) zwölf. (5 sec. Sprechpause, blickt zur Interviewerin, öffnet den Stift) Oder? (leiser) Fünfhundert (hält den geöffneten Stift über dem
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„+“ zwischen S1-A50 und S2-A50), achthundert, ja. (streicht „440“ als S2-A50 durch und schreibt „312“ rechts daneben, schließt den Stift) Okay. Und so stimmt das jetzt? Ja.
Nach vollständiger Fortsetzung von SP2 (Phase 2) betrachtet Marvin selbstständig, das heißt ohne jegliche Aufforderung der Interviewerin, das ihm vorliegende ausgefüllte Päckchen. Hierbei fallen ihm zwei Ungereimtheiten auf. Eine erste Ungereimtheit wird in dieser dritten Phase festgestellt, überprüft und rechnerisch angepasst. Eine zweite Ungereimtheit fällt Marvin in Phase 4 auf. In Phase 2.7 hatte Marvin die Summe E50 ermittelt, indem er die gesetzmäßigen, strukturellen Eigenschaften des Päckchens genutzt hat. S1-A50 und S2-A50 waren zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Erst in der anschließenden Phase 2.8 ermittelte er S2-A50 und in der darauffolgenden Phase 2.9 S1-A50. In Zeile 44 dieser dritten Phase überprüft Marvin schließlich, ob die beiden ermittelten Summanden und die Summe zusammenpassen. Nach rechnerischer Überprüfung (Addition der beiden Summanden) kommt er zu der Folgerung, dass das E50 nicht zur Summe der beiden Summanden passt. Die Interviewerin stellt ihm daraufhin eine offene Frage („Und was machen wir jetzt?“, Z. 45), die Marvin zwar dazu auffordert, die fehlerhafte 50. Aufgabe zu überprüfen, ihm die Art und Weise der Überprüfung aber freilässt. Daraufhin überprüft Marvin zunächst S1-A50 und dann E50. Bei beiden Überprüfungen wird deutlich, dass er „weiß“ (Z. 46) bzw. dass er sich „sicher“ (Z. 50) ist, dass sowohl S1-A50 als auch E50 stimmen müssen. So argumentiert er bei S1-A50, dass „nur vierzig“ (Z. 48) abgezogen werden müssen. Dass er sich hierbei verrechnet haben könnte, stellt er nicht in Frage. Seine vorherige (fehlerhafte) Bestimmung von S1-A50 (Phase 2.9) stellt er ebenfalls nicht in Frage. Diese Überprüfung wäre auch wesentlich komplexer und kognitiv anspruchsvoller, da er unsichtbare gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge miteinander in Beziehung setzen müsste (immer zehn weniger und das 40-mal). Bei der Überprüfung von E50 bezieht er sich ebenfalls auf die zugrundeliegende gesetzmäßige, strukturelle Eigenschaft, dass es von E10 zu E50 insgesamt 40 mehr sind, die hinzuaddiert werden müssen (Z. 50). Hier stimmt der Zuwachs von E10 zu E50. Nachdem Marvin zwei von drei Zahlen durch Überprüfung als richtig deklariert hat, fragt die Interviewerin explizit nach, wo dann der Fehler liegen könnte (Z.51). Auch wenn die Interviewerin diese Frage durch die Wahl des Wortes könnte relativiert, so scheint die Beantwortung dieser Frage doch relativ eindeu-
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
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tig und vorhersagbar zu sein: Denn wenn zwei von drei Zahlen einer Rechnung richtig sind, dann muss ein Fehler bei der dritten, noch nicht überprüften Zahl existieren. Marvin antwortet entsprechend, indem er angibt, dass der Fehler dann bei S2-A50 liegen muss (Z. 52). Ergänzend gibt er an, dass er den Sprung bzw. den Zuwachs von S2-A10 zu S2-A50 gar nicht überprüfen muss, da er den neuen Summanden S2-A50 nun rein rechnerisch bestimmen kann. So bestimmt er S2-A50, indem er berechnet, wie viel von S1-A50 zu E50 fehlt (Z. 52 und 54). Hierbei verrechnet er sich um 100, was ihm jedoch nicht auffällt. Nach dieser rein rechnerischen Bestimmung von S2-A50 bestätigt er der Interviewerin auf Nachfrage (Z. 55) sicher, dass A50 nun stimmt („Ja“, Z. 56). In dieser dritten Phase lässt sich somit zusammenfassen, dass Marvin von alleine seine ermittelten Summanden und das Ergebnis der 50. Aufgabe überprüft. Die Überprüfung dieser Aufgabe erfolgt rein rechnerisch (Z. 44). Im Anschluss überprüft er S1-A50 und E50. Hierfür zieht er zuvor entdeckte, ermittelte und zum Teil begründete gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge heran. Hierbei fällt ihm jedoch nicht auf, dass er S1-A50 zuvor falsch ermittelt hat, weshalb sich hier ein Folgefehler ergibt. Die Ermittlung von S2-A50 erfolgt ausschließlich rechnerisch, indem er von S1-A10 zu E50 ergänzt.
Phase 4 (Z. 56-86) Phase 4.1 (Z. 56-63) 56
Ma
57 58
I Ma
59 60 61 62
I Ma I Ma
(5 sec. Sprechpause, Ma blickt auf SP2) Nh (beugt sich nach vorne), oder (leise) Warte hier (zeigt auf E10) ist ein Fehler, (leise) sehe ich (...) mein ich (.) hier Wo ist der Fehler? Weil (zeigt auf E10) Hier (tippt mit dem Stift auf E10), das sind (tippt mit dem Stift auf E10) dreihundert (tippt mit dem Stift auf E10) siebensechzig. (4 sec. Sprechpause) Warum meinst du wärn das da jetzt dreihundertsiebensech? (zeigt S2-A10) Ja, # ich hab # Neunhundertsiebensechzig, ne? Ja, neunhundertsiebensechzig, (zeigt auf S2-A10) weil dreihundert (zeigt auf S1-A10, dann auf S2-A10 und dann wieder S1-A10) plus sechs (zeigt auf S1-A10) sind neunhundert (zeigt auf E10). Dreißig (zeigt auf S2-A10) plus dreißig (tippt auf S1- A10) sind sechzig (tippt auf E10), aber drei plus vier sind sieben (blickt
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
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zur Interviewerin). Mhm.
63
Die Fehlerermittlung bei A10 erfolgt, analog zur Fehlerermittlung bei A50 (Phase 3), rein rechnerisch. So addiert Marvin die beiden Summanden S1-A10 und S2-A10. Nachdem er die beiden Summanden in Zeile 56 im Kopf berechnet hat, addiert er sie in Zeile 62 nach der halbschriftlichen Rechenstrategie Stellenwerte extra. Er ermittelt als Summe 367 (Z. 58). Hierbei hat er sich allerdings versprochen, denn es sind 967, was die Interviewerin in Zeile 61 angibt.
Phase 4.2 (Z. 63-73) 63
I
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Ma
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I
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67 68
I Ma
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I
(...) Aber wenn das (zeigt mit dem Zeigefinger auf E10) jetzt neunhundertsiebenneunzig, äh (tippt mit dem Zeigefinger auf E10) neunhundertsiebensechzig wär, passt (fährt mit dem Zeigefinger E10 nach E7 und wieder nach E10) das dann noch hier (nimmt den Arm aus dem Bild) in die Reihe? (..) Mhh, nein (...) (beugt sich über SP2) (leise) oder (4 sec. Sprechpause) Mhh (.) (leise) Nein (zeigt mit dem Stift auf den rechten Rand des AB auf Höhe von E10, schüttelt leicht mit dem Kopf und blickt zu I) (lauter) nein das passt nicht (zeigt mit dem Stift auf E10). Also muss hier (tippt auf S2-A10) dreihundert (.) zweiunddreißig (tippt mit dem Stift erneut auf S2-A10) hin. Warum muss da dreihundertzweiunddreißig hin und nicht dreihundertdreiunddreißig? Weil (blickt kurz zur Interviewerin) sonst ist das ja dreihundertsiebensechzig (zeigt auf E10) mit dreihundertdreindreißig (zeigt auf S2-A10), und wenn man dann (tippt auf S2-A10) einen abzieht, sind das (tippt auf E10) aber dreihundertsechsnsechzig. Mhm. Und hier weiß man ja, dass die Vier hinkommt (zeigt auf den Einer von S1-A10). Weil hier (tippt mit dem Stift auf die Einer von S1-A0 bis S1-A7) ist das ja immer so und dann kann das ja plötzlich nicht sein, dass da eine drei ist (zeigt auf den Einer von S1-A10). Mhm.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
152 70
Ma
71 72 73
I Ma I
Also muss (öffnet den Stift) hier (...) mh ich streich jetzt mal die Zahl durch (streicht die „3“ Einer von S2-A10 durch und notiert über der durchgestrichenen „3“ eine „2“), eine zwei hin (schließt den Stift). Okay. Und so stimmt das dann? Ja. Gut.
Die Interviewerin scheint mit der von Marvin neu ermittelten Summe E10 nicht einverstanden zu sein, denn sie stellt mit ihrer Aussage, die mit einem aber beginnt, die von Marvin rechnerisch korrekt ermittelte Summe von S1-A10 und S2-A10 in Frage (Z. 63). Ferner bringt sie mit ihrer Frage: „Passt das dann noch hier in die Reihe?“ (Z. 63), eine neue Deutungsperspektive ein. So stand im bisherigen Verlauf der Szene nicht zur Diskussion, ob etwas in eine Reihe passt oder nicht. Folglich wird Marvin hier von der Interviewerin auf etwas aufmerksam gemacht, was bisher nicht explizit beachtet wurde bzw. werden sollte. Mit ihrer Aussage führt die Interviewerin zudem eine neue Formulierung ein, die von ihr allerdings nicht näher erläutert wird. Das heißt, dass sich Marvin eine Bedeutung dieser Aussage selbstständig konstruieren muss. Marvin wird also dazu aufgefordert, die Ergebnis- bzw. Summenspalte näher zu betrachten, um zu überprüfen, ob E10 zu den übrigen sichtbaren Summen passt. Um dies überprüfen zu können, muss er die einzelnen sichtbaren Summen zueinander in Beziehung setzen und deuten, ob die von ihm neu ermittelte Summe E10 in einem gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang mit den anderen Summen steht. Marvin verneint ohne Begründung die Frage der Interviewerin (Z. 64). Vermutlich basiert seine Antwort auf seiner Erkundung der Summen, die er bereits in Phase 1 vorgenommen hatte. Dort hatte er den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang, der der Summenspalte zugrunde liegt herausgearbeitet und begründet (vgl. Phase 1). Nachdem Marvin verneint hat, dass die neu ermittelte Summe E10 (967) in die Reihe passt, folgert er unmittelbar im Anschluss, dass S2-A10 falsch sein muss und er gibt einen neuen Summanden S2-A10 an (232 anstelle von 233, Z. 64). Auf Nachfrage der Interviewerin, warum S2-A10 anstelle von 333 nun 332 sein soll (Z. 65), antwortet Marvin mit einem zunächst rein rechnerischen Argument (Z. 66). So argumentiert er, dass E10 mit 333 als S2-A10 insgesamt 967 wären. Aber dass 967 als E10 nicht stimmen kann, wurde bereits in seiner Aussage in Zeile 64 vom ihm ausgeschlossen. Schließlich schlussfolgert er, dass man von S2-A10 „einen abziehen“ muss. Durch die Subtraktion von eins erhält man dann 966. Und dieses Ergebnis hatte er in Phase 2.2
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
153
und auch in Phase 2.7 - basierend auf den gesetzmäßigen, strukturellen Eigenschaften von SP2 - hergeleitet und begründet. Ohne dass die Interviewerin weiter nachfragt, begründet er selbstständig, warum sein ermittelter Summand S1-A10 stimmen muss (Z. 68). Hierfür betrachtet Marvin jedoch lediglich die Einerstelle des Summanden S1-A10 und setzt diese in Zusammenhang mit den Einerstellen der Summanden S1-A0 bis S1-A7. Er argumentiert, dass im Einer immer eine vier vorkommen muss und da bei S1-A10 eine vier im Einer steht, muss sein ermittelter Summand richtig sein. Marvin bezieht sich hier auf die konkret sichtbaren Einerstellen und argumentiert mit der besonderen visuellen Anordnung der ersten Summanden (regelmäßiges und konstantes Vorkommen der Vier im Einer). Somit ist sein Blick hierbei auf lokale Einzelelemente (Einerstelle) gerichtet. In Zeile 70 formuliert er schließlich eine Konklusion seiner zuvor vorgenommenen Deutungsaspekte und passt S2-A10 entsprechend an: Er verkleinert den bisherigen Summanden S1-A10 um eins. Angemerkt sei, dass Marvin nicht überprüft, ob sein neu ermittelter Summand in die Reihe (vgl. Wortwahl der Interviewerin in Z. 63) der zweiten Summanden passt, die als gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang die regelmäßige Addition der Zahl Elf beinhaltet. Abschließend lässt sich für diese Phase festhalten, dass Marvin durch rechnerische Überprüfung von A10 feststellt, dass ein Fehler bei A10 vorliegen muss. Nachdem die Interviewerin den Fokus auf das von ihm neu berechnete Ergebnis (967) lenkt und fragt, ob es in die Reihe passt, verneint Marvin dies. Die Basis für seine Antwort kann leider nicht genau ermittelt werden, da hierzu keine eindeutige Aussage erfolgt. Die Überprüfung von S1-A10 basiert auf lokaler Argumentation, in der auf die besondere phänomenologische Anordnung eingegangen wird (im Einer der ersten Summanden ist immer eine vier). Da er somit E10 sowie S1-A10 als korrekt bestätigt hat, korrigiert er S2-A10. Er verringert diesen Summanden um eins, damit die Addition der Summanden S1-A10 und S2-A10 E10 ergibt. Eine Überprüfung, ob der neu ermittelte zweite Summand der zehnten Aufgabe zu den anderen sichtbaren zweiten Summanden passt, erfolgt hier nicht.
Phase 4.3 (Z. 74-86) 74
Ma
(5 sec. Sprechpause, Ma blickt auf SP2) Und (lehnt sich nach vorne) dann gucken (stützt den linken Ellenbogen auf dem Tisch auf und legt die Stirn in die Handfläche) ob das noch hier (zeigt mit dem Stift, den er in der rechten Hand in Richtung auf S2-A7 und
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I Ma
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I Ma I
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Ma
mit ihm vage von S2-A7 zu S2-A4 und wieder zurück bis S2-A7) rein (leise) passt (..) (lauter) Jetzt ist aber wieder die Sache, das (tippt auf S2-A7) passt ja jetzt nicht zu denen (fährt mit dem Stift vage von S2-A7 bis S2-A0, blickt zur Interviewerin). Was passt jetzt wo nicht zu? Mh (..) hier (zeigt mit dem Stift vage auf S2-A10 und fährt dann mit dem Stift von S2-A10 bis S2-A0 entlang) das ist ja immer zweiundzwanzig (tippt auf S2-A0), dreindreißig (tippt auf S2-A1), viernvierzig (tippt auf S2-A2), aber hier (tippt auf S2-A10) ist zweindreißig (blickt kurz zur Interviewerin). Mhm. (...) (leise) Mh. Ist auf einmal irgendwie (.) komisch, ne? Ist auf einmal anders. (leise) Ja. (.) (lauter) Und das ist jetzt eigentlich genauso (zeigt mit dem linken Zeigefinger unterhalb von S2-A50) aber wie da. Weil hier sind ja auch dreihundertzwölf (tippt auf S2-A50). (..) Was ist jetzt wie da die? Also hier (tippt auf S2-A50) ist auch nicht dreihundertelf, sondern # dreihunderzwölf. #Achso. Okay, mhm. Hättest du denn (zeigt mit dem Zeigefinger auf S2-A7) ne Idee warum da (tippt auf S2-A7, fährt mit dem Zeigefinger dreimal zwischen S2-A7 und S2-A10 hin und her) son Wechsel (zeigt abwechselnd auf den Zehner und den Einer von S2-A7) von zwei gleichen Zahl Ziffern zu zwei (zeigt auf den Zehner und dann auf den Einer von S2-A10) unterschiedlichen zustande kommt? Mhh, ja vielleicht weil das ähm, ja (zeigt auf S2-A10) hier dreihundert ist (blickt zur Interviewerin und zeigt kurz in Richtung von S2-A10) und nicht zweihundert. Mhm, okay. Ja. (5 sec. Sprechpause) Aber (zeigt auf S2-A10 und fährt mit dem Zeigefinger die Reihe der Summanden von A10 bis A0 und von A0 bis A10 entlang) das passt trotzdem noch hier dazu? (blickt zur Interviewerin) Ja.
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Nachdem Marvin in Phase 4.2 eine Ungereimtheit bei A10 entdeckt und daraufhin einen Fehler bei S2-A10 ausgemacht und korrigiert hat, überprüft er in dieser Phase, ob der von ihm neu ermittelte Summand S2-A10 zu den anderen sichtbaren zweiten Summanden passt („noch hier rein passt“ Z. 74). Diese Überprüfung wird von ihm hier selbst angeregt und eingeleitet. Marvin verneint die Passung von S2-A10 und begründet dies mit einem Oberflächenphänomen: Er bezieht sich auf die Zehner- und Einerstellen von S2-A0 bis S2-A7 und benennt exemplarisch die entsprechenden Stellen von S2-A0, S2-A1 und S2-A2 (22, 33, 44; Z. 76). Diese stellt er kontrastierend mit der Zehner- und Einerstelle von S2-A10 gegenüber („aber hier ist zweiunddreißig“, Z. 76). Worin sich S1-A0 bis S1-A2 im Vergleich zu S2-A10 unterscheiden, benennt und differenziert er nicht weiter. Aufgrund der besonderen phänomenologischen Anordnung lässt sich vermuten, dass Marvin zum Ausdruck bringen möchte, dass die Zahl 32 im Vergleich zu den Zahlen 22, 33 oder 44 nicht aus zwei gleichen Ziffern besteht. Marvin scheint von dem Bruch, der sich in der phänomenologischen Anordnung des Zahlenmusters ergibt, irritiert zu sein. So hatte er S1-A10 und E10 überprüft, als richtig bestätigt und im Anschluss 332 als S2-A10 rechnerisch ermittelt. Nachdem die Interviewerin ein bestätigendes „Mhm“ (Z. 77) und Marvin daraufhin ein leises und nachdenklich wirkendes „Mh“ (Z. 78) äußert, versprachlicht die Interviewerin die Veränderung der entsprechenden Stellen („Ist auf einmal anders“, Z. 79), die sie als komisch bezeichnet. Marvin bezieht sich daraufhin nicht mehr auf die Summanden, die oberhalb von S2-A10 stehen, sondern er bezieht sich nun auf S2-A50, bei welchem die Zehner- und die Einerstelle ebenfalls nicht gleich sind (312). Er gibt sogar explizit an, dass dort nicht die 311, sondern die 312 steht (Z. 82). Auch hier umschreibt er die phänomenologische Auffälligkeit, indem er exemplarisch Zahlen benennt. Die von ihm herangezogene Zahl 311 besteht ebenfalls aus gleicher Einer- und Zehnerstelle. S2-A50 stellt er hier nicht in Frage. Dies liegt vermutlich daran, dass er in Phase 3 die Korrektheit von S2-A50 als 312 ermittelt und begründet hat. In Zeile 82 nutzt er S2-A50 zudem als Grund, warum 332 als S2-A10 richtig sein kann bzw. ist (Z. 86). Eine sichere Begründung für den Bruch in der visuellen Anordnung der zweiten Summanden kann er nicht angeben. Auf die Frage der Interviewerin, warum dieser Wechsel zustande kommt (Z. 83) äußert er eine Vermutung, die jedoch sehr unspezifisch ist. So gibt er an, dass dies „vielleicht“ (Z. 84) an dem Wechsel der Hunderterstelle liegt. Abschließend lässt sich für diese Phase festhalten, dass Marvin selbstständig angeregt die Passung von S2-A10 im Vergleich zu den anderen zweiten Summanden überprüft. Hierfür untersucht er die visuellen Besonderheiten der zweiten Summanden. Ihm fällt auf, dass die ersten zweiten Summanden stets aus
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5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
gleicher Zehner- und Einerstelle bestehen, während S2-A10 und S2-A50 unterschiedliche Zehner- und Einerstellen besitzen. Obwohl er zunächst angegeben hatte, dass S1-A10 aufgrund der anderen phänomenologischen Anordnung nicht zu S2-A0 bis S2-A7 passt (Z. 74), ändert er seine Meinung, da S2-A50 ebenfalls eine andere phänomenologische Anordnung als S2-A0 bis S2-A7 aufweist.
5.2.1.4.2
Schritt 4.2: Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck
In dieser Deutungssequenz zu SP2 werden zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Zeichen und Symbole fraglich gemacht. In Phase 1 soll Marvin die sichtbaren Zahlen betrachten und deuten. Somit wird das sichtbare SP2, in dem bisher noch keine Eintragungen vorgenommen wurden, zum fraglichen Zeichen, das von Marvin gedeutet werden soll. Marvin bezieht sich bei seinen Deutungen zunächst auf die zweiten Summanden. Er gibt eine allgemeine Beziehung an, die die Veränderung der Summanden von Zeile zu Zeile beschreibt („immer elf mehr“, Z. 2). Anschließend beschreibt er die Veränderung der ersten Summanden, die er ebenfalls in Form einer allgemeinen Beziehung angibt („immer zehn weniger“, Z. 4). Diese beiden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge, die SP2 zugrunde liegen, setzt er ferner zueinander in Beziehung („elf minus zehn sind eins“, Z. 8) und leitet hieraus eine allgemeine Beziehung für die Veränderung der Summen ab („immer einen mehr“, Z. 4). Somit lässt sich diese erste Deutungsphase in folgendem epistemologischen Dreieck zusammenfassend darstellen (Abb. 5.17):
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
157
Zeichen / Symbol
Objekt / Referenzkontext
2. Summand „immer elf mehr“ (Z. 2)
„Da schaust du dir die Zahlen bitte auch ganz genau an und beschreibst erst mal wieder.“
1. Summand „immer zehn weniger“ (Z. 4)
0. 1.
734 724
+ 222 + 233
= =
Summen „Also wird das Ergebnis insgesamt immer ein mehr“ (Z. 4), „weil, [...] die Zahlen (S2) werden ja immer elf größer und aber die (S1) um zehn kleiner“ (Z. 6) „Und dann elf minus zehn sind eins“ (Z. 8)
2. 3.
714 704
+ 244 + 255
= =
4. 5.
+ +
= =
6. 7. ...
+ +
= =
10. ...
+
=
50.
+
=
Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von SP 2
Abb. 5.17 SP2 Marvin - Phase 1 - Epistemologisches Dreieck
In Phase 2, in der es um das Fortsetzen von SP2 geht, greift Marvin auf die in Phase 1 entdeckten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge von SP2 zurück. Diese nutzt er aktiv, um SP2 fortzusetzen. Da hierbei jedoch vor allem die rechnerische Bestimmung der einzelnen Summanden im Vordergrund steht und keine begrifflichen Aspekte gedeutet werden, erfolgt zu dieser Phase keine epistemologische Analyse. In Phase 3 entdeckt Marvin bei der 50. Aufgabe eine Ungereimtheit, weshalb er diese Aufgabe in Frage stellt und wodurch diese zum fraglichen Zeichen / Symbol wird. Die Ungereimtheit entdeckt er rechnerisch, indem er berechnet, dass die Summe von S1-A50 und S2-A50 1034 und nicht 1006 ist (Z. 44).
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
158
Im Anschluss überprüft er S2-A50 und E50. Für diese Überprüfungen zieht er A10 als Referenzkontext heran. Sowohl bei S1-A50 als auch bei E50 benennt er den Zuwachs von S1-A10 zu S1-A50 bzw. von E10 zu E50. Da hier seiner Ansicht nach alles korrekt ist, muss der Fehler bei S2-A50 liegen. Die Bestimmung von S2-A50 erfolgt nun auf rechnerischer Art, indem er von S1-A50 bis E50 ergänzt. Somit lässt sich diese Deutungssequenz im folgenden epistemologischen Dreieck zusammenfassend darstellen (Abb. 5.18): Objekt / Referenzkontext
A50: 594+440=1034 (Z. 44) 10. ... 50.
634 + 310 333 = 594 +
440
966 Zeichen / Symbol
= 1006
„das klappt nicht“ (Z. 44) S1-A50 „hier weiß ich (zeigt auf S1-A50) das ist richtig“ (Z. 46) „weil da (zeigt auf S1-A10) ist es ja nur vierzig einfach weniger (tippt auf S1-A50)“ (Z. 48)
50.
594 + 440 = 1006
E50 „beim Ergebnis bin ich mir eigentlich auch sicher, weil da muss man ja auch nur plus vierzig rechnen“ (Z. 50) S2-A50 „594 + =1006“ (Z. 52) → „Also dreihundertzwölf. Oder? [...] ja.“ (Z. 54)
Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von SP 2
Abb. 5.18 SP2 Marvin - Phase 3 - Epistemologisches Dreieck
In der anschließenden Phase 4 entdeckt Marvin in Phase 4.1 zunächst eine rechnerische Ungereimtheit bei A10. In Phase 4.2 überprüft er dann selbstständig, ob S1-A10 richtig ist. Somit wird S1-A10 zum fraglichen Symbol / Zeichen (Z. 68). Als Referenzkontext für seine Begründung, warum 634 als S1-A10 richtig ist, bezieht er sich auf die lokalen und sichtbaren Einerstellen von S1-A0 bis S1-A7. Da dort überall eine vier im Einer vorkommt, kann es seiner Ansicht nach nicht sein, dass anstelle einer vier eine drei im Einer vorkommt (Z. 68). Auf die entsprechenden Einerstellen verweist er zudem durch Zeigen (Abb. 5.19).
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
159
Objekt / Referenzkontext
0. 1.
734 724
+ +
222 233
= 956 = 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= 958 = 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= 960 = 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= 962 = 963
10.
634
+ 310 333 = 966
... 50.
594
+ 440 312 = 1006
Zeichen / Symbol
Überprüfung von S1-A10 (Z. 68) 634
„Und hier weiß man ja, dass die Vier hinkommt (zeigt auf den Einer von S1-A10). Weil hier (tippt mit dem Stift auf die Einer von S1-A0 bis S1-A7) ist das ja immer so und dann kann das ja plötzlich nicht sein, dass da eine drei ist (zeigt auf den Einer von S1-A10)“ (Z. 68) Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von SP 2
Abb. 5.19 SP2 Marvin - Phase 4.2 - Epistemologisches Dreieck
In Phase 4.3 wird der neu ermittelte Summand S2-A10 von Marvin hinsichtlich seiner Passung zu den anderen sichtbaren zweiten Summanden (Z. 74) zum fraglichen Zeichen/Symbol gemacht. Für diese Überprüfung zieht Marvin ausschließlich phänomenologische Besonderheiten des Zahlenmusters heran. So stellt er zunächst fest, dass die Zehner- und Einerstelle von S2-A10 nicht zu den Zehner- und Einerstellen von S1-A0 bis S1-A7 passen. Diese weisen die Besonderheit auf, dass beide Stellen die gleiche Ziffer besitzen. Schließlich entdeckt er, dass die Zehner- und Einerstelle von S2-A50 ebenfalls nicht diese phänomenologische Besonderheit aufweist, sondern ebenfalls aus zwei unterschiedlichen Ziffern in der Zehner- und Einerstelle besteht. Da somit nun schon zwei Summanden mit einer anderen visuellen Anordnung existieren, ist Marvin der Ansicht, dass 332 als S2-A10 in die Spalte der zweiten Summanden passt. Eine Überprüfung von S2-A10 hinsichtlich seines zugrundeliegenden gesetzmäßigen Zusammenhangs nimmt Marvin nicht vor. Auch wenn Marvin diese strukturelle Über-
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
160
prüfung nicht vorgenommen hat, so sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass A10 mit 332 als S2-A10 nun wieder strukturell zu SP2 passt. Abschließend lassen sich Marvins Deutung der Phase 4.3 in folgendem epistemologische Dreieck darstellen (Abb. 5.20): Objekt / Referenzkontext
0. 1.
734 724
+ +
222 233
= 956 = 957
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= 958 = 959
4. 5.
694 684
+ +
266 277
= 960 = 961
6. 7. ...
674 664
+ +
288 299
= 962 = 963
10.
634
+ 310 333 2 = 966 Zeichen / Symbol
... 50.
594
Passung von S2-A10 „gucken, ob das (S2-A10) noch hier rein passt“ (S2-A0 bis S2-A7) (Z. 74)
+ 440 312 = 1006
Vergleich der Zehner- und Einerstellen von → S2-A0 bis S2-A7 und S2-A10 „hier (zeigt auf S2-A10 und fährt mit dem Stift hoch bis S2-A0) das ist ja immer zweiundzwanzig (zeigt auf S2A0), dreindreißig (zeigt auf S2-A1) viernvierzig (zeigt auf S2-A2), aber hier (zeigt auf S2-A10) ist zweindreißig.“ (Z. 76) → S2-A10 und S2-A50 „das ist jetzt eigentlich genauso (zeigt unterhalb von S2A50) aber wie da. Weil hier sind auch dreihundertzwölf “ (Z. 80) „also hier (tippt auf S2-A50) ist ja auch nicht dreihundertelf, sondern dreihundertzwölf “ (Z. 82) Abschließende Bewertung I: „das passt trotzdem noch hier dazu?“ (Z. 85) Ma: „Ja“ (Z. 86) Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von SP 2
Abb. 5.20 SP2 Marvin - Phase 4.3 - Epistemologisches Dreieck
5.2.1.4.3 Schritt 4.3:
Einordnung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung
Marvin Deutungsaussagen zu SP2 lassen sich basierend auf den in Schritten 4.1 und 4.2 angestellten Analysen, hinsichtlich der Einordnung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung folgenderweise analysieren:
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
161
Gleich zu Beginn entdeckt und benennt Marvin (Phase 1) zwei Teilstrukturen von SP2: 1. Teilstruktur: 2. Teilstruktur:
S2: „immer elf mehr“ (Z. 2) S1: „immer zehn weniger“ (Z. 4)
Bei diesen beiden Teilstrukturen handelt es sich um unsichtbare, gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge, die SP2 zugrunde liegen. Nur durch den Vergleich der sichtbaren ersten bzw. zweiten Summanden kann Marvin zu diesen Entdeckungen gelangt sein. Diese beiden Teilstrukturen setzt er ferner in Beziehung zueinander. Hierdurch entdeckt und beschreibt er eine dritte Teilstruktur von SP2. 3. Teilstruktur:
„Also wird das Ergebnis immer ein mehr“ (Z. 4)
Da bisher keine einzige Summe notiert ist, beschreibt Marvin mit dieser dritten Teilstruktur völlig unsichtbare Elemente des Zahlenmusters. Diese gibt er in Form einer allgemeinen Beziehung an („immer ein mehr“, Z. 4). Um diese Teilstruktur benennen zu können, hat Marvin die beiden zuvor benannten, unsichtbaren Beziehungen zueinander in Beziehung gesetzt. So begründet er die Entwicklung der Summen folgenderweise: „weil [...] die Zahlen (S2) werden ja immer um elf größer und aber die (S1) um zehn kleiner.“ (Z. 6) „Und dann elf minus zehn sind eins“ (Z. 8) In dieser ersten Phase hat Marvin demzufolge Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem gedeutet. Daher können seine Deutungen in dieser ersten Phase dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Struktur zugeordnet werden. In Phase 2 wiederholt und nutzt Marvin die in Phase 1 entdeckten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänger zur Fortsetzung von SP2. Die Fortsetzungen basieren dann allerdings überwiegend auf rechnerischer Art (Phasen 2.3, 2.5, 2.6 und 2.7). In den Unterphasen 2.1, 2.2 und 2.7, in denen es um die Fortsetzung der Summen geht, stehen jedoch vor allem die strukturellen Aspekte im Vordergrund. Nachdem Marvin die erste Summe E0 zunächst rechnerisch ermittelt hat, bestimmt er die anderen Summen strukturell, indem er ausschließlich auf die in Phase 1 entdeckten und begründeten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge zurückgreift. So gibt er an, dass „die Zahlen ja immer einen mehr“ (Z. 14) werden. Entsprechend setzt er die Summen fort. Er beachtet zudem die Sprünge von der siebten zur zehnten („drei mehr“, Z. 18 und 32) sowie von der zehnten zur fünfzigsten Aufgabe („vierzig mehr“, Z. 34). Zu beachten ist an dieser Stelle,
162
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
dass von den Summen E4 bis E7, E10 und E50 die beiden Summanden noch unbekannt sind. Marvin deutet also auch hier weiterhin Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem (vgl. Phase 1). In Phase 2.4 benennt Marvin zudem eine Auffälligkeit in der phänomenologischen Anordnung der ersten Summanden. Er fokussiert seine Sicht auf die Zehner dieser ersten Summanden und liest sie laut vor: „drei, zwei, eins, null“ (Z. 22). Obwohl er hier auf lokale Einzelelemente verweist, wird in seinen folgenden Aussagen deutlich, dass er diese Einzelelemente nicht im Sinne des Zahlenmusterdeutungstyps Ziffern-Anordnung deutet. So lässt er diese Einzelelemente nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern gibt deren zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang an („das wird ja immer ein Zehner weniger“, Z. 26). Marvin deutet hier folglich eine Beziehung zwischen sichtbaren Elementen des Zahlenmusters, die er zueinander in Beziehung setzt, um deren Differenz zu benennen. Daher kann diese Deutungssequenz dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation einfach zugeordnet werden. In den Phasen 2.8 (Bestimmung von S2-A50) und 2.9 (Bestimmung von S1-A50) nutzt Marvin ebenfalls Teilstrukturen, um die Summanden zu ermitteln. Bei der Ermittlung von S2-A50 setzt er die regelmäßige Veränderung der zweiten Summanden („immer elf mehr“, Z. 34) mit der Häufigkeit der Veränderung („vierzig mal“, Z. 34) zueinander in Beziehung und er erhält die Differenz von S2-A10 und S2-A50. Allerdings berücksichtigt er nicht, dass er diese Differenz mit S1-A10 in Beziehung setzen muss. Zur Bestimmung von S2-A50 deutet Marvin somit Beziehungen zwischen Unsichtbaren, sodass seine Bestimmung von S2-A50 dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation komplex zugeordnet werden können. Bei der Bestimmung von S1-A50 benennt Marvin zunächst ebenfalls die zugrundeliegende Teilstruktur „immer minus zehn“ (Z. 42). Anschließend gibt er an, dass es dann „insgesamt minus vierzig“ (Z. 42) sind. Er setzt hier anscheinend die (falsch) ermittelte Differenz mit S1-A10 in Beziehung, da er 40 von S1-A10 subtrahiert. Allerdings hat er diese Differenz nicht richtig ermittelt, da er insgesamt 400 hätte abziehen müssen. Marvin subtrahiert die Zehn demzufolge nicht vierzigmal, sondern lediglich viermal von S1-A10. Nichtsdestotrotz deutet Marvin bei der Bestimmung von S2-A50 Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem, sodass diese Deutungen dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Struktur zugeordnet werden können. In Phase 3 stellt Marvin zunächst eine rechnerische Ungereimtheit fest. Bei der Überprüfung von S1-A50 und S2-A50 bezieht er sich zwar teilweise auf gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge, diese stehen jedoch nicht im Vordergrund.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
163
Vielmehr steht die rechnerische Ermittlung von S2-A50 im Vordergrund. Daher können Deutungen dieser Phase nicht in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung eingeordnet werden. In Phase 4 entdeckt Marvin eine weitere Ungereimtheit, die er durch rechnerische Überprüfung entdeckt (Phase 4.1). Bei der anschließenden Überprüfung von S1-A10 bezieht sich Marvin auf die sichtbaren Einerstellen der Summanden S1-A0 bis S1-A7. Er argumentiert mit der Gleichheit dieser Argumente (immer vier, Z. 68) und schließt aus, dass diese Gleichheit aufgehoben werden kann („dann kann das ja plötzlich nicht sein, dass da eine drei ist“, Z. 68). Da er hier lediglich dieses Argument zur Überprüfung von S1-A10 heranzieht und keine weitere zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge untersucht und deutet, wird diese Deutungsaussage dem Zahlenmustertyp Ziffern-Anordnung zugeordnet. Auch die anschließende Phase 4.3 kann dem Zahlenmusterdeutungstyp ZiffernAnordnung zugeordnet werden, da Marvin zur Überprüfung, ob der neue Summand S2-10 in die Reihe der sichtbaren Summanden S1-A0 bis S1-A7, auf lokale Einzelelemente eingeht. So gibt er exemplarisch Teile der dreistelligen Summanden S1-A0 bis S1-A2 an, die die phänomenologische Besonderheit der gleichen Ziffer im Zehner und Einer aufweisen (22, 33, 44; Z. 76). Da aber die Zehner- und Einerstelle von S1-A10 nicht zu dieser phänomenologischen Besonderheit passt („aber hier ist zweinreißig“, 76), zieht er zur Legitimierung von 332 als S1-A10 ein weiteres Oberflächenphänomen heran: „Also hier (tippt auf S2-A50) ist auch nicht dreihundertelf, sondern dreihundertzwölf“ (Z. 82). Da die phänomenologische Anordnung des Zehners und des Einers von S2-A50 ebenfalls nicht zur besonderen Anordnung von S2-A0 bis S2-A7 passt, gibt er sich mit 332 als S1-A10 zufrieden. Auch obwohl Marvin hier dreistellige Zahlen benennt („dreihundertelf“, „dreihundertzwölf“) stehen hier keine dreistelligen Zahlen im Vordergrund. Vielmehr stehen einzelne Ziffern der Zahlen im Fokus. Eine Überprüfung, ob die gesetzmäßige, strukturelle Eigenschaft immer plus elf bei den Summanden S2-A10 und S2-A50 vorliegt, erfolgt hier nicht.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
164
Abschließend lassen sich die Zahlenmuster-Einordnungen der Deutungen von Marvin zu SP2 zusammenfassend in folgender Abbildung darstellen (Abb. 5.21): Typ
Gedeutet wird / werden
Charakterisierung Überprüfung S1-A10 „hier weiß man ja, dass die Vier hinkommt (zeigt auf den Einer von S1-A10). Weil hier (tippt auf die Einer von S1-A0 bis S1-A7) ist das ja immer so und dann kann das ja plötzlich nicht sein, dass da eine drei ist (zeigt auf den Einer von S1A10)“ (Z. 68) 222
Ziffern-Anordnung
einfach
Sichtbares
Beziehungen zwischen Sichtbarem
Zahl-Operation komplex
Beziehungen zwischen Unsichtbarem
Überprüfung S2-A10 233 Vergleich der Zehner- und Einerstellen 244 255 → S2-A0 bis S2-A7 und S2-A10 266 „immer zweiundzwanzig (zeigt auf S2-A0), 277 dreindreißig (zeigt auf S2-A1) viernvierzig 288 299 (zeigt auf S2-A2), aber hier (zeigt auf S2332 A10) ist zweindreißig.“ (Z. 76) 312 → S2-A10 und S2-A50 „ist jetzt eigentlich genauso (zeigt unterhalb von S2-A50) aber wie da“ (Z. 80) „hier (tippt auf S2A50) ist ja auch nicht dreihundertelf, sondern dreihundertzwölf “ (Z. 82) Phase 2.4 - Beschreibung S1 „drei, zwei, eins, null (zeigt dabei auf die Zehner von S1-A0 bis S1-A3 “ (Z. 22) „das wird ja immer ein Zehner weniger“ (Z. 26) Phase 2.8 - Fortsetzung S2-A50 „immer elf mehr, dann vierzig mal elf“ (Z. 34) Phase 1 - Beschreibung SP2 „Also wird das Ergebnis insgesamt immer ein mehr“ (Z. 4), „weil, [...] die Zahlen (S2) werden ja immer elf größer und aber die (S1) um zehn kleiner“ (Z. 6) „Und dann elf minus zehn sind eins“ (Z. 8)
Zahl-Struktur
Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem
Phasen 2.1, 2.2, 2.7 - Fortsetzung E2 bis E7, E10, E50 „die Zahlen werden ja immer einen mehr“ (Z. 14) E10 „drei mehr“ (Z. 32) als E7 E50 „Das Ergebnis müsste dann eigentlich um vierzig mehr sein“ (Z. 34) als E10 Phase 2.9 - Fortsetzung S1-A50 „immer minus zehn, also insgesamt minus vierzig“ (Z. 42)
Abb. 5.21 SP2 Marvin - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
165
5.2.1.5 Schritt 5: Resümee Anhand der Zahlenmustereinordnung von Marvins Deutungsaussagen zu SP2 (Abb. 5.21) lässt sich deutlich erkennen, dass Marvin viele verschiedene Blickwinkel beim Deuten des Päckchens einnimmt. Bei seiner ersten spontanen Beschreibung von SP2 bezieht sich Marvin sofort auf gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge, die er zudem zueinander in Beziehung setzt. Er konzentriert sich somit gleich zu Beginn auf die innermathematische Struktur des Päckchens. Hierdurch gelingt es ihm, eine sicher begründete Entwicklung der Summen vorherzusagen, auf welche er sich im weiteren Verlauf der Szene mehrfach beruft. So bestimmt er lediglich das Ergebnis der Aufgabe 0 rein rechnerisch. Alle anderen Ergebnisse bestimmt er, indem er seine strukturell-begründete Vorhersage anwendet, wodurch er die anderen Ergebnisse schnell, sicher und ohne großen Aufwand strukturell ermitteln kann. Auch bei den Fortsetzungen der beiden Summanden konzentriert sich Marvin auf die innermathematische Struktur von SP2. Auf besondere Anordnungen der Oberflächenstruktur geht er nicht ein. Diese spielen für ihn erst eine Rolle als er auf Fehlersuche bei den Aufgaben 10 und 50 geht. So ist er sich bei S1-A10 sicher, dass bei diesem Summanden eine Vier im Einer stehen muss. Ähnlich verfährt er bei der Legimitation des korrigierten Summanden S2-A10. Hier darf für ihn der Bruch in der visuellen Anordnung existieren, da die Oberflächenstruktur von S2-A10 zur Oberflächenstruktur von S2-A50 passt (unterschiedlicher Zehner und Einer). In beiden Situationen schenkt er der Oberflächenstruktur mehr Gewichtung als der innermathematischen Struktur, obwohl dieser nicht mehr Gewichtung geschenkt werden sollte. In dieser Szene und anhand der Zahlenmustereinordnung zeigt sich somit insgesamt, dass Marvin eine globale Deutungsperspektive einnimmt und SP2 ganzheitlich betrachtet. Zu verschiedenen Zeitpunkten konzentriert er sich auf unterschiedliche Deutungsschwerpunkte. Somit ist Marvin in seiner Betrachtungsweise schon sehr flexibel. Zum Ende hin lässt er sich jedoch von der besonderen Oberflächenstruktur bei den zweiten Summanden verleiten, wodurch die innermathematische Struktur in den Hintergrund gerät. Zwar passen Oberflächenstruktur und innermathematische Struktur bei S2-A10 zusammen, da er sie jedoch nicht aktiv miteinander verknüpft, setzt er eine falsche Gewichtung der beiden Strukturarten. Hieraus lässt sich ableiten, dass ein Zusammenspiel beider Strukturarten gewinnbringend, sinnvoll und effizient ist, sofern der innermathematischen Struktur stets mehr Gewichtung als der Oberflächenstruktur zugesprochen wird.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
166 5.2.2
Anna deutet ein Strukturiertes Päckchen (SP2)
5.2.2.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis In der hier ausgewählten Szene deutet Anna dasselbe Strukturierte Päckchen SP2 wie Marvin. Da innerhalb Marvins Analyse eine ausführliche Erläuterung des komplementären Zahlenmusterverständnisses erfolgte und dieses für beide Szenen identisch ist, wird an dieser Stelle auf den ersten Analyseschritt von Marvins Analyse verwiesen (Kap.5.2.1.1).
5.2.2.2 Schritt 2: Informationen zur Szene Die hier ausgewählte Szene stammt aus dem Prä-Interview mit Anna zu SP2. Das gesamte Interview zu den fünf Strukturierten Päckchen dauert insgesamt 60 Minuten. Zu SP2 nimmt Anna insgesamt neuneinhalb Minuten lang Deutungen vor. Hiervon werden die ersten dreieinhalb Minuten im Folgenden vorgestellt und analysiert.
5.2.2.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene Phase 1 (Z. 1-7) Zu Beginn von Phase 1 wird Anna von der Interviewerin dazu aufgefordert, sich „die Zahlen wieder gut“ (Z. 1) anzuschauen und zu beschreiben. Erst danach soll gerechnet werden. Als erstes beschreibt Anna die Hunderter der zweiten Summanden („erstmal alles mit zwei“, Z. 2). Im Anschluss geht sie auf S2-A0 ein („erstmal alles mit zwei“, Z. 2) und liest dann die Summanden S2-A1, S2-A2 und S2-A3 ziffernweise vor (zwei, drei, drei, zwei, vier, vier, etc., Z. 2). Beim Nennen einer Ziffer zeigt sie auf die entsprechende Ziffer. Nachdem Anna alle sichtbaren zweiten Summanden benannt hat, schaut sie zur Interviewerin. Diese fragt sie dann: „wie sähe das dann aus, wenn du das fortsetzen müsstest?“ (Z. 3). Anna antwortet: „Zwei, sechs, sechs“ (Z. 4). Dabei tippt sie mit dem geschlossenen Stift insgesamt dreimal von links nach rechts oberhalb der Linie, die einen Platzhalter für S2-A4 darstellen soll. Anna sagt erneut „zwei“ und die Interviewerin fängt parallel an zu sprechen. Sie gibt Anna den Hinweis, dass sie S2-A4 eintragen kann, sofern sie sich mit der Fortsetzung sicher ist (Z. 5), woraufhin Anna die Summanden S2-A4, S2-A5, S2-A6 und S2-A7 notiert. Hierbei geht sie so vor, dass sie jeweils eine Ziffer nennt und diese im Anschluss notiert (Z. 7, Abb. 5.22).
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen 0. 1.
734 724
+ 222 + 233
= =
2. 3.
714 704
+ 244 + 255
= =
4. 5.
+ 266 + 277
= =
6. 7. ...
+ 288 + 299
= =
10. ...
+
=
50.
+
=
167
Abb. 5.22 SP2 Anna - Phase 1
Phase 2 (Z. 8-16) In Phase 2 beschreibt Anna den ersten Summanden: „Am Anfang erst einmal alles sieben ist (fährt mit dem Stift hoch und runter über die Hunderter von S1A0 bis S1-A3) und dann geht’s hier so runter (zeigt auf den Zehner von S1-A0). Drei (zeigt auf den Zehner von S1-A0), zwei (zeigt auf den Zehner von S1-A1), eins (zeigt auf den Zehner von S1-A2), null (zeigt auf den Zehner von S1-A3)“ (Z. 8). Im Anschluss äußert sie sich zu den Hundertern und Einern der ersten Summanden: „also auf beiden Seiten die Sieben und die Vier sind (.) alle gleich. Außer hier in der Mitte die Zahl, das ist, das geht so runter von der Drei“ (Z. 8). Anna schaut zur Interviewerin und wird von ihr gefragt, wie es weitergehen würde und was „nach der Null käme“ (Z. 9). Zunächst gibt Anna an, dass vor der Null nichts kommt und dass man den Zehner von S1 nicht fortsetzen könne. Ihren Blick richtet sie auf SP2 und äußert nach einer fünf Sekunden langen Sprechpause: „Oder? Oder man (..) sieben vierundsiebzig“ (Z. 12). Die Interviewerin möchte im Anschluss wissen was sie überlegt hat, „was gehen würde“ (Z. 13). Daraufhin antwortet Anna: „Vielleicht wenn die Null weg wäre, vierundsiebzig“ (Z. 14). Sie wird von der Interviewerin darauf hingewiesen, es so zu machen wie sie meint, und Anna notiert 74 als S1-A4 (Z. 16, Abb. 5.23).
168
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
0. 1.
734 724
+ +
222 233
= =
2. 3.
714 704
+ +
244 255
= =
4. 5.
74
+ +
266 277
= =
6. 7. ...
+ +
288 299
= =
10. ...
+
=
50.
+
=
Abb. 5.23 SP2 Anna - Phase 2
Phase 3 (Z. 16-22) Nachdem Anna 74 als S1-A4 notiert hat, sagt sie: „Mm. (..) das wären dann (...), siebzich“ (Z. 18) Die Interviewerin fragt nach, ob sie gerade rechnet. Anna bejaht die Frage. Die Interviewerin unterbricht ihren Rechenvorgang, indem sie sagt: „Aber wir bleiben noch mal hier (zeigt zwischen S1-A4 und S1-A5). Wie sähe die nächste Zahl dann aus?“ (Z. 20). Und sie weist Anna darauf hin, dass die ersten Summanden noch weiter fortgesetzt werden müssen. Nach einer sieben Sekunden langen Sprechpause äußert Anna: „Vielleicht gehen die beiden Zahlen (zeigt vage auf S1-A4) immer eine runter“ (Z. 22). Schließlich notiert Anna 63 als S1-A5. Die Interviewerin sagt: „Ja dann mach das mal so“ (Z. 23), woraufhin Anna 52 als S1-A6 und 41 als S1-A6 notiert (Abb. 5.24). 0. 1.
734 724
+ 222 + 233
= =
2. 3.
714 704
+ 244 + 255
= =
4. 5.
74 63
+ 266 + 277
= =
6. 7. ...
52 41
+ 288 + 299
= =
10. ...
+
=
50.
+
=
Abb. 5.24 SP2 Anna - Phase 3
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
169
5.2.2.4 Schritt 4: Analyse 5.2.2.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive Phase 1 (Z. 1-7) 1
I
2
An
3 4
I An
5
I
6
An
Hier hab ich das zweite Päckchen (legt SP2 vor An). Hier schaust du dir auch erst einmal die Zahlen (umkreist mit dem Zeigefinger die Summanden von A0 bis A4) wieder gut an bevor wir gleich ausrechnen und dann beschreibst du erst einmal, was du da so siehst. Ähm. (hält sich den Stift an die rechte Wange und beugt sich nach vorne) Hier sehe ich schon etwas. Also hier ist (fährt mit dem Stift in der Luft von oben nach unten über die Hunderter S2-A0 bis S2-A3) erstmal alles mit zwei. Hier (kreist mit dem Stift in der Luft S2-A0 ein) erstmal alles mit zwei. Dann zwei (tippt mit dem Stift auf den Hunderter von S2- A0), drei (tippt mit dem Stift auf den Zehner von S2-A0), drei (tippt mit dem Stift auf den Einer von S2- A0). Zwei (tippt mit dem Stift auf den Hunderter und dann auf den Zehner von S2-A1), vier (tippt mit dem Stift auf den Zehner von S2-A1), vier (tippt mit dem Stift auf den Einer von S2-A1). Zwei (tippt mit dem Stift auf den Hunderter von S2-A3), fünf (tippt mit dem Stift auf den Zehner von S2-A3), fünf (tippt mit dem Stift auf den Einer von S2-A3, blickt zur Interviewerin). Und wie sähe das dann aus, wenn du das fortsetzen müsstest? Mmm. Dann hier zwei sechs sechs. (tippt mit dem Stift dreimal von links nach rechts oberhalb der Linie von S2-A4) #1 zwei #1 Trag das ruhig schon ein, wenn du dir da #2 sicher bist bist #2 mhm. (öffnet den Stift) (notiert eine „2“ oberhalb der Linie von S2-A4) Zwei, (leiser:) sechs, (notiert eine „6“ rechts neben der zuvor notierten „2“, dann eine weitere „6“ rechts neben der zuvor notierten „6“, notiert eine „2“ oberhalb der Linie von S2-A5, leiser:) sieben (notiert eine „7“ rechts neben der zuvor notierten „2“) sieben (notiert eine „7“ rechts neben der zuvor notierten „7“). (..) [Ähm], zwei, (notiert eine „2“ oberhalb der Linie von S2-A6) acht, (notiert eine „8“ rechts neben der zuvor notierten „2“) acht (notiert eine „8“ rechts neben der zuvor notierten „8“). Zwei, (notiert eine „2“ oberhalb der Linie von S2-A7) neun, (notiert eine „9“ rechts
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
170
7
I
neben der zuvor notierten „2“) neun (notiert eine „9“ rechts neben der zuvor notierten „9“). Mhm.
Nach Aufforderung der Interviewerin, die Zahlen von SP2 zu betrachten und zu beschreiben (Z. 1), konzentriert sich Anna zunächst auf die sichtbaren Ziffern der zweiten Summanden. Als erste Auffälligkeit gibt sie an, dass die Hunderter der zweiten Summanden „erstmal alles mit zwei“ (Z. 2) beginnen. Ihre Aussage unterstützt sie mit Zeigegesten. So fährt sie von oben nach unten über die Hunderterstellen der zweiten Summanden. Danach kreist sie mit dem Stift in der Luft S1-A0 ein und beschreibt diesen Summanden mit genau dem gleichen Wortlaut, mit welchem sie zuvor die Hunderter beschrieben hatte („erstmal alles mit zwei“, Z. 2). Sie gibt hier eine visuelle Gemeinsamkeit der drei Einzelelemente der Zahl 222 an. Im Anschluss liest sie alle weiteren sichtbaren Summanden nacheinander vor, indem sie jede Ziffer einer Zahl von links nach rechts separat benennt. Anhand von Annas Aussagen wird deutlich, dass sie Zahlen nicht als Ganzes, sondern als drei Einzelelemente wahrnimmt. Die sichtbaren zweiten Summanden werden von Anna aus drei Perspektiven betrachtet: Zunächst beschreibt sie die sichtbaren, vertikal angeordneten Hunderter. Als zweites beschreibt sie die phänomenologische Besonderheit von S1-A0 (gleiche Ziffern), bevor sie dann als drittes die einzelnen Teilelemente einer jeden Zahl Schritt für Schritt vorliest. In Zeile 3 leitet die Interviewerin dann eine Aktivität ein. Nachdem Anna ursprünglich dazu aufgefordert wurde, die Zahlen zu beschreiben, soll sie nun die zweiten Summanden fortsetzen. Anna gibt unmittelbar und sicher wirkend S2-A4 an: „Dann hier zwei, sechs, sechs“ (Z. 4). Auch hier benennt Anna die Zahl nicht als Ganzes („Zweihundertsechsundsechzig“), sondern sie benennet erneut jeden Stellenwert separat. Beim Nennen einer jeden Ziffer tippt sie zudem je einmal auf den Bereich, in dem die Ziffer stehen müsste. Sie benennt dann den Hunderter von S2-A5 und zeitgleich fordert die Interviewerin sie auf, diese „ruhig schon“ einzutragen, „wenn du dir da sicher bist“ (Z. 5). Anna scheint sich sicher zu sein. Zumindest öffnet sie unmittelbar im Anschluss ihren Stift und trägt S2-A4, S2-A5, S2-A6 und S2-A7 ein. Bei ihrer Fortsetzung verwendet sie den gleichen Sprechrhythmus wie zuvor. D. h., sie gibt eine Ziffer an, notiert diese, gibt dann die nächste Ziffer an, notiert diese, usw. Abschließend lässt sich festhalten, dass sich Anna bei der Beschreibung und Fortsetzung auf alle sichtbaren zweiten Summanden konzentriert, die sie in ihre Einzelelemente zerlegt. Sie beschreibt phänomenologische Auffälligkeiten (glei-
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
171
che Hunderter, gleiche Ziffern bei S1-A0) und liest die zweiten Summanden von A1 bis A3 stellenweise vor. Bei der Fortsetzung des zweiten Summanden geht sie analog vor, da sie ebenfalls die einzelnen Stellen benennt, notiert und dann zur nächsten Stelle weitergeht.
Phase 2 (Z. 9-16) 8
An
9
I
10 11
An I
12
An
13
I
14
An
15
I
(6 sec. Pause) Uund. (lehnt sie sich nach vorne) hier sehe ich (zeigt mit dem Stift in Richtung S1-A0), dass hier (fährt mit dem Stift runter hoch und wieder runter über die Hunderter von S1-A0 bis S1-A3) am Anfang erst einmal alles sieben ist und dann (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A0) geht’s hier so runter. (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A0) Drei, (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A1) zwei, eins (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A2), null (zeigt mit dem Stift auf den Zehner von S1-A3). Und hier (zeigt mit dem Stift auf den Einer von S1-A0) also auf beiden Seiten die Sieben (tippt mit dem linken Zeigefinger auf die „7“ von S1-A0) und die Vier (tippt mit dem linken Zeigefinger auf die „4“ von S1-A2 und fährt dann mit dem Finger gerade nach unten über die Zehner bis S1-A6) sind (.) alle gleich außer hier (fährt mit dem Stift über die Spalte der Zehner S1-A0 bis S1-A3) in der Mitte die Zahl, das ist, (fährt mit dem Stift in der Luft insgesamt dreimal hoch und runter) das geht dann so von runter von der Drei (blickt zur Interviewerin). Mhm. Wie würde das dann da weiter gehen? Was käme dann da nach der Null? (lächelt) Gar nix. (lächelt) Geht nicht [so], # weil #Also kannst du das dann da gar nicht fortsetzen? Ne. (blickt auf das Blatt, nimmt ihre linke Hand an das Kinn, 5 sec. Sprechpause) Oder? (beugt sich vor, nimmt die Hand vom Kinn weg) (…) Oder man (..) sieben vierundsiebzig? (blickt zur Interviewerin und dann wieder auf SP2) (..) Mm. Was, was hast du jetzt gesagt? Also was hattest du gerade überlegt, was gehen würde? Vielleicht wenn die Null weg wäre, vierundsiebzig. (blickt zur Interviewerin) Mhm. Ja, mach das mal so wie du meinst.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
172 16
An
Mmmmm (pustet die Backen auf und blickt auf das Blatt, dann notiert sie „74“ als S1-A4)
Bei ihrer Beschreibung der ersten Summanden zerlegt Anna diese ebenfalls in ihre einzelnen Stellenwerte bzw. Einzelelemente. Sie betrachtet insgesamt drei Spalten: Die Spalte der Hunderter, die der Zehner und die der Einer. Die dazugehörigen Fachbegriffe (Hunderter, Zehner und Einer) verwendet sie nicht. Ihre Aussagen unterstützt sie durch umgangssprachliche Bezeichnungen („am Anfang“, „in der Mitte die Zahl“, „auf beiden Seiten“, Z. 8) und durch Zeigegesten. Nachdem sie die Hunderter zunächst separat betrachtet hat, fasst sie ihre Beschreibung im Folgenden mit der Beschreibung der Einer zusammen („also auf beiden Seiten die Sieben (zeigt auf den Hunderter von S1-A0) und die Vier (zeigt auf den Zehner von S1-A2 und fährt dann mit dem Finger gerade nach unten über die Zehner bis S1-A6) sind (.) alle gleich“, Z. 8). Sie benennt hier die phänomenologische Besonderheit, dass beide Stellenwerte konstant bleiben („alle gleich“). Die visuell sichtbaren Zehner beschreibt sie mit den Worten: „dann geht’s hier so runter von der Drei“ (Z. 8) und sie liest die visuell sichtbaren Zehnerstellen vor („drei, zwei, eins, null“). Am Ende von Zeile 8 formuliert sie ihre Beobachtung bezüglich der Zehner erneut. Hierfür wählt sie ähnliche Worte und sie markiert als Startpunkt die Drei von S1-A0, von der es runter geht. In Zeile 9 wird Anna von der Interviewerin erneut zu einem Rollenwechsel aufgefordert. Nachdem sie die visuellen Besonderheiten beschrieben hat, soll sie nun aktiv eigene Ideen über die Fortsetzung der ersten Summanden entwickeln. Während die erste Frage der Interviewerin noch offen formuliert ist („Wie würde das dann da weitergehen?“, Z. 9), bezieht sich ihre zweite Frage konkret auf die Fortsetzung der Zehnerstelle. Mit ihrem Wortlaut: „was käme dann da nach der Null?“, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die Null. So kann die Null aufgrund ihrer Frage zum einen im Gesamtzusammenhang des dekadischen Stellenwertsystems (als Zehner von S1-A3, also als Zehner von 704) oder aber als separat zu betrachtende, einzelne Zahl bzw. Ziffer gedeutet werden. Nach der ersten Deutungsperspektive käme demnach die Neun, da die Zahl um einen Zehner kleiner wird. Würde die zweite Deutungsperspektive eingenommen werden, so käme vor der Null die minus Eins. Anna nimmt bei ihren folgenden Deutungen die zweite Deutungsperspektive ein. So gibt sie an, dass vor der Null nichts kommt. Da in der Grundschule nur die natürlichen Zahlen eingeführt werden, ist Annas Ansicht, dass vor der Null nichts kommt, eine übliche Ansicht von vielen Grundschulkinder. Schließlich schlussfolgert sie, dass die Fortsetzung nicht geht (Z. 10). Die Interviewerin formuliert daraufhin eine Frage (Z. 11), die jedoch offenhält, ob die grundsätzliche Fortsetzung von S1 oder aber lediglich die Zeh-
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
173
nerstelle bzw. die rückwärtsverlaufende Reihenfolge drei, zwei, eins, null nicht fortsetzbar ist. Anna verneint diese Frage und stellt ihre Verneinung nach einer fünf Sekunden langen Pause wieder in Frage. Schließlich gibt sie eine zweistellige Zahl (74) als Vermutung für S1-A4 an (Z. 12). Sie benennt hier erstmalig eine Zahl im Ganzen, die sie nicht in ihre Stellen bzw. Einzelelemente zerlegt. Annas Deutungen lassen darauf schließen, dass sie 74 als S1-A4 ermittelt, weil vor der Null nichts kommt und man die Zehnerstelle daher nicht fortsetzen kann. Demnach könnte Anna die Zehnerstelle weggelassen haben, sodass lediglich der Hunderter und der Einer von S2-A3 erhalten bleiben. Durch das Weglassen der Null wird der ursprüngliche Hunderter von S1-A3 allerdings zum Zehner von S1-A4. Die hier angestellte Vermutung bestätigt sich im weiteren Verlauf des Interviews („vielleicht wenn die Null weg wäre, vierundsiebzig“, Z. 14). Anna scheint sich nicht ganz sicher zu sein („vielleicht“, Z. 14). Sie wird aber dann von der Interviewerin dazu aufgefordert, es so zu machen, wie sie meint (Z. 15). Diese Aussage scheint Anna Sicherheit zu geben, denn sie notiert nun 74 als S1-A4 (Z. 16). Angemerkt sei, dass es sein könnte, dass Anna trotz Besuch des vierten Schuljahres den Zahlenraum bis 1000 noch nicht sicher erschlossen hat. Abschließend lässt sich für Phase 2 festhalten, dass Anna bei der Beschreibung der ersten Summanden die sichtbaren dreistelligen Zahlen in ihre Einzelelemente zerlegt. Sie beschreibt phänomenologische Besonderheiten, die sie als Folge (3, 2, 1, 0) oder als Gleichheit von Elementen beschreibt („auf beiden Seiten die Sieben und die Vier sind alle gleich“, Z. 8). Da ihrer Ansicht nach vor der Null nichts kommt (Z. 10), lässt sie beim folgenden fortzusetzenden ersten Summanden S1-A3 die Zehnerstelle weg. Hierdurch wird S1-A3 zu einer zweistelligen Zahl.
Phase 3 (Z. 17-22) 16 17
An I
18
An
19
I
(4 sec. Sprechpause). Mm. (..) Das wären dann (...) , siebzich Du rechnest gerade (tippt mit dem rechten Zeigefinger in Richtung Blatt) schon aus, ne? (grinst und tippt sich mit dem Zeigefinger gegen das Kinn) Mjaha. Ja, (tippt mit dem rechten Zeigefinger oberhalb der Linie S1-A4, fährt dann mit dem Finger runter zu S1-A7) aber wir bleiben noch mal hier (tippt zweimal mit dem rechten Zeigefinger oberhalb der Linie S1-A4, dann einmal oberhalb der Linie von S1-A5
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20
An
21 22
I An
und dann dreimal oberhalb der Linie S1-A4). Wie, wie sähe das die nächste Zahl dann aus? (nimmt ihre Hand beiseite) Das müsste dann ja auch noch son (fährt mit dem rechten Zeigefinger von oben nach unten über die Summanden von S1-A4 bis S1-A7) bisschen weiter fortgesetzt werden. (leise) Mhh. (hat ihren rechten Zeigefinger weiterhin am Kinn) (7 sec. Pause) Vielleicht, dann gehen die (nimmt die Hand vom Kinn und zeigt mit dem Stift vage in Richtung S1- A4, nimmt ihren rechten Zeigefinger wieder an ihr Kinn) beiden Zahlen immer eine runter. Mmm sozusagen. Das wären dann (…) dreiundsechzig. (blickt zur Interviewerin und dann wieder auf das Blatt) Ja, dann mach das mal so. (notiert „63“ als S1- A4, nimmt ihren rechten Zeigefinger wieder zum Kinn) (…) Mmm und hier (zeigt vage mit dem Stift in Richtung der freien Linien der ersten Summanden, hält dann direkt den Zeigefinger wieder an ihr Kinn) wären das dann (..), mmh (5 sec. Pause) (leiser:) mhh (4 sec. Pause) fünfzig, (lauter:) zweiundfünfzig (blickt zur Interviewerin und notiert „52“ als S1- A6). Und hier (zeigt vage mit dem Stift in Richtung S1- A7) wären das dann (notiert „41“ als S1- A7) einundvierzig.
Aufgrund von Annas Aussage in Zeile 16 („das wären dann (...) siebzich“, Z. 16), vermutet die Interviewerin, dass Anna ein Ergebnis ausrechnen möchte (Z. 17). Es hätte aber auch sein können, dass Anna S1-A5 bestimmen wollte. Anna bestätigt (Z. 18) jedoch in ihrer folgenden Aussage die Vermutung der Interviewerin, woraufhin diese den Fokus auf die Fortsetzung von S1 setzt. So fragt sie explizit nach, wie „die nächste Zahl dann“ aussähe (Z. 19). Zudem weist sie darauf hin, dass S1 weiter fortgesetzt werden müsste. Warum Anna nach der Bestimmung von S1-A4 nicht mit der Fortsetzung weitermacht, lässt sich hier nur vermuten. Es könnte sein, dass Anna das Ausrechnen von sichtbaren Summanden vorzieht, da dies sicherer oder einfacher erscheint, wohingegen die Fortsetzung der ersten Summanden für Anna eine Schwierigkeit darstellen könnte. Bei der Fortsetzung der zweiten Summanden wirkte Anna hingegen sicher in ihrem Vorgehen und zeigte keinen Ansatz zum Ausrechnen. Nachdem sie explizit zur weiteren Fortsetzung von S1 aufgefordert wird, stellt sie nach einer sieben Sekunden langen Betrachtung von SP2 eine Vermutung über die weitere Fortsetzung der ersten Summanden auf. Sie formuliert eine von ihr neu erzeugte Regel: „Vielleicht gehen die beiden Zahlen immer eine runter“
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
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(Z. 20). Mit Zahlen meint sie offensichtlich die beiden Ziffern der zweistelligen Zahl 74 (S1-A4), denn als S1-A5 gibt sie 63 an. Hier erfolgt somit ein Bruch in Annas Betrachtungsweise der ersten Summanden. Denn obwohl bei den Summanden S1-A0 bis S1-A3 die Hunderter und Einer von Anna als „auf beiden Seiten alle gleich“ (Z. 8) beschrieben wurden, verändern sich diese beiden Ziffern nun. So wird aus der Sieben eine Sechs und aus der Vier eine Drei. Dieser Bruch ergibt sich womöglich durch den Bruch in der Fortsetzung von S1-A4. Aufgrund des Wegfalls der Zehnerstelle, ist S1 nun nicht mehr drei-, sondern zweistellig und die ursprüngliche Hunderterstelle existiert nicht mehr. Zudem könnte es sein, dass sie sich bei der hier neu formulierten Regel an der von ihr in Zeile 8 beschriebenen Regel zur Entwicklung des Zehners orientiert („das geht dann so runter“, Z. 8). Hier wendet sie diese Regel jedoch nicht ausschließlich für die Zehnerstelle, sondern auch für die Einerstelle an. Die Interviewerin gibt ihr schließlich eine bestätigende Rückmeldung („Ja dann mach das mal so.“, Z. 21), woraufhin Anna S1-A5, S1-A6 und S1-A7 entsprechend ihrer neu aufgestellten Regel fortsetzt. Die neu entwickelten Summanden benennt Anna korrekt und zerlegt sie nicht in ihre Einzelelemente (Z. 22). Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass Anna in dieser dritten Phase die ersten Summanden fortsetzt. Bei ihrer Fortsetzung ist sie jedoch durch die Null im Zehner von S1-A3 irritiert. Ihrer Ansicht nach kommt vor der Null nichts, weshalb man sie weglassen kann. Demzufolge lässt sie auch tatsächlich die Null bei S1-A4 weg. Hierdurch wird S1-A4 zu einer zweistelligen Zahl. Für die Bestimmung von S1-A5 bis S1-A6 kreiert Anna eine neue Regel („vielleicht gehen die beiden Zahlen eine runter“, Z. 20). Anna orientiert sich hier ausschließlich an den phänomenologischen Besonderheiten von SP2 und beachtet keinen zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang.
5.2.2.4.2 Schritt 4.2:
Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck
Innerhalb der hier analysierten Deutungsszene von Anna zu SP2 werden insgesamt drei Zeichen/Symbole fraglich gemacht. Zu Beginn von Phase 1 fordert die Interviewerin Anna dazu auf, die Zahlen von SP2 zu betrachten und zu beschreiben. Somit muss Anna die sichtbaren Zahlen von SP2 deuten, die somit zum fraglichen Zeichen/Symbol werden. Hierdurch wird der dem Zahlenmuster zugrundeliegende gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang von SP2 zum begrifflichen Kontext.
176
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
In Phase 1 fokussiert Anna ihre Deutungen auf die sichtbaren zweiten Summanden und in Phase 2 auf die sichtbaren ersten Summanden. Bei den zweiten Summanden deutet sie zunächst die Hunderter der vier Summanden („erstmal alles zwei“, Z. 2) und dann S2-A0 („erstmal alles zwei“, Z. 2). In einem nächsten Schritt liest sie die einzelnen Ziffern einer Zahl vor. Anna verbalisiert bei der Beschreibung von S2 somit visuell sichtbare, auffällige besondere (An-)Ordnungen. Zu diesem Zeitpunkt werden von ihr noch keine gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge, die SP2 zugrunde liegen, gedeutet. Nach ihrer Beschreibung setzt Anna die Spalte der zweiten Summanden fort. Hierbei stellt Anna ebenfalls keine Beziehungen her, sondern sie orientiert sich an den phänomenologischen Besonderheiten der sichtbaren zweiten Summanden (vorne eine zwei, danach zwei gleiche Ziffern, die von Zeile zu Zeile entsprechend der Zahlwortreihe zunehmen). Zur Beschreibung der ersten Summanden betrachtet Anna die sichtbaren Summanden gemäß ihrer Stellenwerte und teilt sie quasi in drei Spalten ein, wobei sie die phänomenologische Besonderheit der Hunderter- und Einerspalte zusammenfassend beschreibt („auf beiden Seiten die Sieben und die Vier sind (.) alle gleich“, Z. 8). Die phänomenologische (An-) Ordnung der Zehner („das geht dann so runter von der Drei“, Z. 8) benennt sie separat. Auch hier werden von Anna keine strukturellen Beziehungen gedeutet. Anna bezieht sich in ihren Beschreibungen von SP2 somit ausschließlich auf die sichtbaren Summanden, die sie ferner in ihre Einzelelemente zerlegt. Somit lassen sich Annas Aussagen in folgendem epistemologischen Dreieck darstellen (Abb. 5.25): Objekt / Referenzkontext
Zeichen / Symbol
Fortsetzung von S1 „Wie würde das dann da weiter gehen? Was käme dann da nach der Null?“ (Z. 9)
„Gar nix. Geht nicht.“ (Z. 10) „Vielleicht, wenn die Null weg wäre, vierundsiebzig“ (Z. 14)
Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von SP 2
Abb. 5.25 SP2 Anna - Phase 1 - Epistemologisches Dreieck
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
177
Innerhalb der zweiten Phase entsteht ein weiteres fragliches Zeichen (Z. 9), das von der Interviewerin aufgeworfen wird: „Was käme dann da nach der Null?“ Da die Null als Zehnerstelle von S1-A3 eine Bedeutung innerhalb des Zahlenmusters einnimmt, stellt sie zugleich einen begrifflichen Kontext dar, der auf dem gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang von SP2 basiert. Anna bezieht sich in ihrer Beantwortung der Frage nicht auf das vorliegende Päckchen SP2, sondern sie hat die Vorstellung, dass vor der Null nichts kommt, weshalb man die Null weglassen kann (Z. 14). Bei dieser Aussage beruft sie sich somit auf ihr Vorwissen, das ihr als Referenzkontext dient. Auch hier deutet Anna keine, dem Päckchen zugrundliegenden, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge von SP2. Ihre Deutung lässt sich im folgenden epistemologischen Dreieck zusammenfassend darstellen (Abb. 5.25). Objekt / Referenzkontext
Beschreibung S2 (Z. 2) 222 Hunderter: 233 S2-A0: „erstmal alles mit zwei“ 244 S2-A0 bis „zwei, drei, drei, 255 S2-A3: zwei, vier, vier, etc.“
Zeichen / Symbol
Beschreibung von SP2 „beschreib[...] erst einmal, was du siehst?“ (Z. 1)
Beschreibung S1 (Z. 8) 734 „Am Anfang erstmal alles sieben ist, 724 und dann gehts hier so runter. Drei, 714 zwei, eins, null. Und hier, also auf 704 beiden Seiten die sieben und die vier sind (.) alle gleich außer hier in der Mitte die Zahl, das ist, das geht dann so runter von der drei.“ Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von SP 2
Abb. 5.26 SP2 Anna - Phasen 1 und 2 - Epistemologisches Dreieck
In Phase 3 wird von der Interviewerin nach Annas Fortsetzung von S1-A4 der Summand S1-A5 fraglich gemacht („Wie sähe da die nächste Zahl dann aus?“, Z. 19). Somit soll auch hier wieder der gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang von SP2 gedeutet werden (Begriff). Nach einer sieben Sekunden langen Betrachtung von SP2 kreiert Anna eine neue Regel für die Entwicklung der bei-
178
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
den sichtbaren Ziffern: „Vielleicht gehen die beiden Zahlen immer eine runter“ (Z. 20). An dieser Stelle wird von der Interviewerin leider nicht nachgefragt, wie sie zu dieser Aussage bzw. Regel kommt. Wie in der interpretativen Analyse erwähnt, könnte es sein, dass Anna sich auf die zuvor entdeckte und beschriebene Entwicklung der Zehner von S1-A0 bis S1-A3 bezieht und diese Regel hier überträgt. Zumindest ist der Wortlaut sehr ähnlich. Da dies jedoch nur eine Vermutung ist und nicht sicher belegt und begründet werden kann, ist diese Aussage im folgenden epistemologischen Dreieck in grauer Schriftfarbe markiert (Abb. 5.27). Objekt / Referenzkontext
„Vielleicht, dann gehen die beiden Zahlen immer eine runter.“ (Z. 20) „dreiundsechzig ... zweiundfünfzig ... einundvierzig“
Zeichen / Symbol
Fortsetzung von S1 / S1-A5 „Wie sähe da die nächste Zahl dann aus?“ (Z. 19)
Vermutung: Es könnte sein, dass Anna sich auf die Veränderung der Zehner von S1-A0 bis S1-A3 bezieht und die Regel von dort („das geht dann so runter“, Z. 9) hier überträgt. Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von SP 2
Abb. 5.27 SP2 Anna - Phase 3 - Epistemologisches Dreieck
5.2.2.4.3 Schritt 4.3:
Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung
Anna deutet in der hier vorgestellten und analysierten Szene ausschließlich Phänomene, die an der Oberfläche unmittelbar sichtbar sind. Sie stellt keinerlei gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge des Zahlenmusters auf. Vielmehr verbalisiert sie die sichtbaren Elemente. Diese unterteilt sie zudem in ihre Einzelelemente (Ziffern), welche weitestgehend isoliert nebeneinanderstehen. So passiert es, dass sie die Null der Zahl 704 (S1-A3) bei der Fortsetzung einfach weglässt, da vor der Null „gar nix“ (Z. 10) ist. Hätte Anna die Null als Zehner der Zahl 704 wahrgenommen und interpretiert, so hätte sie erkennen können, dass vor der Null sehr wohl etwas kommt. Dreistellige Zahlen liest Anna ausschließlich ziffernweise vor (z.B. „zwei, sechs, sechs“, Z. 6). Die zweistelligen Zahlen gibt sie als vollständiges Zahlwort an („vierundsiebzig“, Z. 14). Da Anna in dieser Szene
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
179
ausnahmslos Sichtbares deutet und zudem die sichtbaren (An-)Ordnungen in ihre Einzelelemente zerlegt, die weitestgehend isoliert nebeneinanderstehen, sind ihre Deutungen dem Zahlenmusterdeutungstyp Ziffern-Anordnung zuzuordnen (Abb. 5.28). Typ
Gedeutet wird / werden
Charakterisierung Beschreibung S2 (Zeile 2) 222 Hunderter: „erstmal alles mit zwei“ 233 S1-A0: „erstmal alles mit zwei“ 244 S1-A0 bis „zwei, drei, drei, 255 S1-A3: zwei, vier, vier, etc.“ Fortsetzung S2 Fortsetzung erfolgt gemäß der visuellen Ansicht, die Anna in einer Art Sprechrhythmus verbalisiert. Dabei ist der Hunderter stets gleich, Zehner und Einer bestehen aus der gleichen Ziffer und werden je um eins größer.
Ziffern-Anordnung
Beschreibung S1 (Zeile 8)
Sichtbares
734 724 714 704
„Am Anfang erstmal alles sieben ist, und dann gehts hier so runter. Drei, zwei, eins, null. Und hier, also auf beiden Seiten die sieben und die vier sind (.) alle gleich außer hier in der Mitte die Zahl, das ist, das geht dann so runter von der drei.“
Fortsetzung S1 S1-A4 Vor der Null kommt „gar nix“ (Z. 10) . „Wenn die Null weg wäre, vierundsiebzig.“ (Z. 15) S1-A5 „Vielleicht dann gehen die beiden Zahlen bis immer eine runter.“ (Z. 20) S1-A7 einfach
Beziehungen zwischen Sichtbarem
/
komplex
Beziehungen zwischen Unsichtbarem
/
Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem
/
Zahl-Operation
Zahl-Struktur
Abb. 5.28 SP2 Anna - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“
5.2.2.5 Schritt 5: Resümee Durch die Zahlenmustereinordnung von Annas Deutungen zu SP2 (Abb. 5.28) wird deutlich, dass Anna in dieser Deutungssequenz ausschließlich lokale Deutungen vornimmt. So bezieht sie sich sowohl bei der Beschreibung als auch bei der Fortsetzung beider Summanden von SP2 ausschließlich auf sichtbare Einzelelemente, die zudem isoliert nebeneinanderstehen. Durch ihre lokale Betrach-
180
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
tungsweise nimmt sie SP2 nicht ganzheitlich wahr, wodurch sie wichtige und grundlegende innermathematische Strukturen bei ihrer Deutung außer Acht lässt. Somit spielen gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge bei ihrer Deutung keinerlei Rolle. Annas lokalen und somit elementaren Deutungen in dieser Szene zeigen, dass eine Beschreibung oder Fortsetzung, die ausschließlich auf Oberflächenphänomene bzw. -strukturen ausgerichtet ist, (auf Dauer) nicht möglich und ausreichend ist. Da die Oberflächenstruktur von der innermathematischen Struktur abhängig ist, muss die innermathematische Struktur beim Deuten immer mitbedacht und berücksichtigt werden, da sie ansonsten nicht weiter existiert. Angemerkt sei jedoch, dass eine Fortsetzung, die nur Oberflächenmerkmale berücksichtigt, grundsätzlich möglich ist, solange besondere phänomenologische (An-) Ordnungen (Oberflächenstruktur) eines Zahlenmusters im Einklang mit der innermathematischen Struktur ist, wenngleich dies nicht zu empfehlen ist. Da sich beim zweiten Summanden von SP2 erst ab Summand S2-A8 ein Bruch in der visuellen (An-)Ordnung ergibt, setzt Anna die Summanden S2-A4 bis S2-A7 trotz ausschließlicher Betrachtung der Oberflächenstruktur passend fort. Bei den ersten Summanden gestaltet sich dies anders, da ein Bruch bereits bei Summand S1-A4 auftritt. Anna, die die Zehner der ersten Summanden isoliert von den anderen beiden Stellenwerten der ersten Summanden betrachtet, ist durch die Null im Einer von S1-A3 irritiert und verunsichert. Dadurch, dass sie diese Null nicht in den Gesamtzusammenhang (Teilelement einer dreistelligen Zahl, die wiederum ein Teilelement der ersten Summanden ist) setzt (vor der Null kommt „gar nix“, Z. 10), gelingt es ihr nicht, S1 passend fortzusetzen. Dies macht deutlich, wie bedeutsam es ist, sich bei der Beschreibung und Fortsetzung eines Zahlenmusters nicht ausschließlich auf die Einzelelemente zu konzentrieren. Vielmehr müssen diese Einzelelemente stets im Gesamtzusammenhang, unter Berücksichtigung der innermathematischen Struktur, betrachtet und gedeutet werden.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen 5.2.3
181
Valentin deutet ein Zahlenfeld (ZF2)
5.2.3.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis In der hier ausgewählten Szene soll Valentin Zahlenfeld 2 (ZF2) deuten. Aus phänomenologischer Sichtweise setzt sich ZF2 aus 16 Feldern zusammen, in denen jeweils eine Zahl steht. Hiervon sind zwei Zahlen einstellig. Die anderen 14 Zahlen sind zweistellig. Die insgesamt 16 Felder sind in Form eines 4x4-Quadrates angeordnet. 15 21 27 33 12 18 24 30 9 15 21 27 6 12 18 24 Abb. 5.29 ZF 2
Betrachtet und vergleicht man die 16 sichtbaren Zahlen miteinander, so lassen sich folgende Besonderheiten feststellen: -
- -
- - - -
Die Zahlen werden von links nach rechts / von Feld zu Feld jeweils um sechs größer. Entsprechend werden die Zahlen von rechts nach links um jeweils sechs kleiner. Die Zahlen werden von oben nach unten / von Feld zu Feld jeweils um drei kleiner bzw. von unten nach oben betrachtet jeweils um drei größer. Zahlen innerhalb einer Diagonalen, die von oben links nach unten rechts verläuft, werden jeweils um drei größer bzw. jeweils um drei kleiner, wenn man sie von unten rechts nach oben links betrachtet. Zahlen innerhalb einer Diagonalen, die von rechts oben nach links unten verläuft, werden jeweils um neun kleiner bzw. jeweils um neun größer, wenn man sie von unten links nach oben rechts betrachtet. Alle Zahlen sind Zahlen der Dreierreihe. Die Zahlen der 2. Spalte und 4. Spalte sind Zahlen der Sechserreihe. Insgesamt sechs Zahlen kommen doppelt vor (Abb. 5.30).
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
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Abb. 5.30 ZF2 - Doppelt vorkommende Zahlen
Diese Besonderheiten basieren und ergeben sich alle durch den zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang, der dem Zahlenfeld zugrunde liegt (Abb. 5.31). Ausgehend von der Feldzahl 1 (F1, hier 15) erhöht sich die rechts angrenzende Feldzahl um sechs. Die unten angrenzende Feldzahl verringert sich um drei. Nach dieser Regelmäßigkeit setzt sich das Zahlenfeld zusammen. Zahlenmuster
Zahlenfeld 2 (ZF2)
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
→ immer plus sechs ↓ immer minus drei Hieraus ergeben sich u.a. folgende weitere Zusammenhänge:
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immer plus drei
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↖ immer minus drei
6
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← immer minus sechs ↑ immer plus drei
↗ immer plus neun ↙ immer minus neun
Abb. 5.31 ZF2 Valentin - Komplementäres Zahlenmusterverständnis
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
183
5.2.3.2 Schritt 2: Informationen zur Szene Die ausgewählte Szene stammt aus den Prä-Interviews. Das Interview zu ZF1 und ZF2 dauerte insgesamt etwa 41 Minuten. Hiervon nahm Valentin ca. 14 Minuten Deutungen zu ZF1 und ca. 27 Minuten Deutungen zu ZF2 vor. Betrachtet und analysiert wird im Folgenden eine Szene von ungefähr vier Minuten (29:15 33:12). Unmittelbar vor dieser Szene ereignete sich Folgendes: Im Anschluss an die Bearbeitung von ZF1 wird Valentin ZF2 vorgelegt. Er wird aufgefordert, es sich zunächst genau anzuschauen und zu beschreiben. Valentin betrachtet ZF2 still für 13 Sekunden und gibt dann an, dass das Zahlenfeld 16 Zahlen beinhaltet („vier mal vier Felder”). Ihm fällt auf, dass Zahlen doppelt vorkommen (Paare) und er benennt die doppelt vorkommenden Zahlen. Ferner benennt er die Zahlen, die nicht doppelt vorkommen (30, 6, 9 und 33). Mit dem Stift umfährt er den äußeren Rahmen der Felder (Abb. 5.32), in denen die doppelten Zahlen vorkommen. Es sind insgesamt „zwölf Zahlen“ bzw. „sechs Paare”. Valentin betrachtet die vier Zahlen, die je nur einmal vorkommen und sagt: „Bei den vier Zahlen, da muss man von der unteren Zahl nur drei plus rechnen, dann wird es neun (ausgehend von der sechs) und bei der dreißig zur dreiunddreißig ist es auch so.” Auf die Frage der Interviewerin, ob es nur bei diesen Zahlen so ist, erwidert er, dass es bei den Paaren auch so ist. Daraufhin beschreibt er zwei Wege (Abb. 5.33). Bei jedem Weg sind jeweils sechs Zahlen nicht enthalten. Hierbei handelt es sich genau um die doppelt vorkommenden Zahlen. 15
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Abb. 5.32 ZF2 Valentin
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21
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Weg 1
Weg 2
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Abb. 5.33 ZF2 Valentin - Valentin beschreibt Wege in ZF2
184
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Nachdem Valentin äußert, dass ihm nichts weiter auffällt, wird er von der Interviewerin dazu aufgefordert, die Summe aller Zahlen geschickt zu bestimmen. Hierfür wählt er drei Möglichkeiten:
Möglichkeit 1 Zunächst gibt er an, dass er die doppelten Zahlen nacheinander berechnen könnte. Er berechnet die ersten Pärchen, kommt hierbei allerdings durcheinander und bricht daher sein Vorgehen ab. Er sagt: „Besser, wenn ich ganz unten anfange.“
Möglichkeit 2 Als nächstes unterteilt er das Feld in drei Teilbereiche, die er farblich markiert (Abb. 5.34). Von jedem Teilbereich ermittelt er die Summe der darin enthaltenen Zahlen. Ferner bestimmt er die Summe aller Zahlen, indem er die drei berechneten Zwischenergebnisse addiert.
Abb. 5.34 ZF2 Valentin - Möglichkeit 2
Möglichkeit 3 Seine dritte Möglichkeit besteht aus der Addition der Zahlen, die auf seinem Weg 1 (Abb. 5.33) vorkommen. Er rechnet ein paar Aufgaben aus, bricht sein Vorgehen dann aber ohne Angabe eines Grundes ab. Im Anschluss erwähnt er, dass ihm keine weiteren Möglichkeiten zur Summenbestimmung einfallen.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
185
5.2.3.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene Phase 1 (Z. 1-5) Nach einer 14 Sekunden langen Sprechpause fällt Valentin auf, dass die Zahlen innerhalb einer Zeile von links nach rechts immer um jeweils sechs größer werden (Z. 1). Er bestimmt die Summe der Zahlen der ersten Zeile. Zunächst summiert er die Zehner (Z. 1) und dann die Einer dieser vier Zahlen (Z. 3). Als Ergebnis erhält er 96 (Z. 5). Die Summe der Zahlen der ersten Zahlen ermittelt er ein zweites Mal, zeichnet dann rechts neben F4 einen Pfeil und notiert „96“ (Abb. 5.35).
Abb. 5.35 ZF2 Valentin - Phase 1
Phase 2 (Z. 5-10) Rechts neben F8 zeichnet Valentin einen Pfeil und fragt sich selbstständig: „Was wird das wohl?“ (Z. 5). Im Folgenden sagt er: „Das muss glaub ich jetzt neunzig sein. Oder?“ (Z. 5). Die Interviewerin fragt nach, warum er dies meint. Er gibt an: „Oder zwei weniger“ (Z. 7). Im Anschluss begründet er seine Vermutung: „Von jeder Zahl immer drei weniger (fährt mit dem Stift in ZF2 F1 zu F5, dann F4 zu F8, dann F3 zu F7, tippt mit dem Stift nacheinander auf F2, F6, F1 und F5) und dann ist insgesamt zwölf weniger und dann kann es vierundacht oder? Ja, vierundachtzig werden“ (Z. 9).
Phase 3 (Z. 11-17) Zu Beginn von Phase 3 bestimmt Valentin die Summe der Zahlen der zweiten Zeile rechnerisch (Z. 11). Als Ergebnis erhält er 64, welche er rechts neben seinem gezeichneten Pfeil notiert. Zudem gibt er an: „Hier werden, werdn hier werden dann (lacht) ein großer Unterschied, zwanzig.“ Die Interviewerin fordert ihn zum erneuten Ausrechnen auf (Z. 12) und fügt hinzu: „Dreißig plus zwanzig
186
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
sind ja schon fünfzig“ (Z. 14). Valentin streicht seine zuvor notierte 64 durch, schaut auf ZF2 und sagt dann: „Zehn (zeigt auf F5 von ZF2) plus zehn (zeigt auf F6 von ZF2) gleich zwanzig, vierzig (zeigt mit dem Stift auf das F3 von ZF2), siebzig (zeigt mit dem Stift auf F8 von ZF2) (..) siebzig, (laut:) jaa, es wird vierundachtzig!“ Die Interviewerin erwähnt daraufhin: „Wie du schon vermutet hattest, ne?“ (Z. 15). Valentin bejaht dies und schreibt die Zahl „84“ neben die durchgestrichene „64“ (Z. 16, Abb. 5.36).
Abb. 5.36 ZF2 Valentin - Phase 3
Phase 4 (Z. 17) Valentin zeichnet einen Pfeil rechts neben F12 und sagt: „dann werden hier dann wieder zwölf abgezogen, dann wird, dann wird es zweiundsiebzig sein.“ Im Anschluss berechnet er die Summe der Zahlen der dritten Zeile. Er erhält 72 und notiert diese Zahl rechts neben seinem gezeichneten Pfeil. Anschließend zeigt er auf die vierte Zeile: „Und dann (zeichnet einen Pfeil rechts neben die 4. Zeile von ZF2), dann muss hier dann auch sechzig sein.“ Die Summe der Zahlen der vierten Zeile bestimmt er rechnerisch und erhält 60 als Ergebnis. Nachdem er diese Zahl notiert hat, sagt er: „Genau wie ich gesagt hab, hier, es wird immer zwölf weniger“ (Abb. 5.37).
Abb. 5.37 ZF2 Valentin - Phase 4
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
187
5.2.3.4 Schritt 4: Analyse 5.2.3.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive Phase 1 (Z. 1-5) 1
Va
2 3
I Va
4
I
5
Va
Ah, hier wird auch immer, hier wird es dann immer plus (fährt mit dem Stift von F1 zu F4) plus sechs gerechnet (fährt mit dem Stift von F5 zu F8 und von F9 zu F12), sogar hier (fährt mit dem Stift über F13 und F14 und dann von F13 zu F16). Okay, wenn ich das jetzt hier (zeigt mit dem Stift auf F1) so rechne (.) zehn (tippt mit dem Stift auf F1) plus zwanzig (tippt mit dem Stift auf F2) gleich dreißig (fährt mit dem Stift von F1 zu F2), fünfzig (tippt mit dem Stift auf F3) (..) (zeigt mit dem Stift auf F1 und fährt mit ihm rüber zu F3) fünfzig und danach wird es (zeigt mit dem Stift auf F3) (...) dann wird es achtzig (tippt mit dem Stift auf F4). Wenn ich d, wenn ich jetzt so rechne (fährt mit dem Stift insgesamt dreimal über die Zahlen der 1. Zeile, zunächst von links nach rechts und wieder nach links und wieder nach rechts) Mhm. Wird es achtzig. Und we wenn ich die Einer plus rech auch mache, dann wird es, mal zählen (zeigt mit dem Stift zwischen F3 und F4), sechzehn (zeigt mit dem Stift in Richtung F2 und ‚springt’ mit ihm zu F4) und dann wird es sechenneunzig, wenn ich die plus rechne (fährt mit dem Stift insgesamt fünfmal über die Zahlen der 1. Zeile, zunächst von links nach rechts und wieder nach links und wieder nach rechts, wieder nach links und dann nach rechts). Willst du nochmal irgendwie nen neunen Zettel haben (nimmt ein neues ZF2 und legt es vor Va). Dann kannste das sonst auch nochmal daneben schreiben oder. Nur wenn du möchtest. Mhm. (..) Mmmh (.) Ich mach das hier (nimmt das neue ZF2, schiebt es vor sich, schiebt ZF2 nach links zur Seite, es ist noch im Blickfeld). Also, man das jetzt hier so macht dann (…) also hier ist jetzt die Zahl (zeichnet einen Pfeil rechts neben die erste Zeile von ZF2) was war das nochmal, sechsundneunzig, oder? (fährt mit dem Stift F2 zu F3 von ZF2) (..) Mal machen, dreißig (fährt mit dem Stift von F1 zu F2 von ZF2), fünfzig (zeigt mit dem Stift auf F3 von ZF2), achtzig (zeigt mit dem Stift auf F4 von ZF2), zehn (fährt mit dem Stift von F4 zu F3 von ZF2), sech (zeigt mit dem Stift auf F2 von ZF2) ja. (..), Sechsenneunzig (schreibt „96“ hinter den von ihm eingezeichneten Pfeil rechts neben der 1. Zeile von ZF2),
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
188
Valentin entdeckt und beschreibt zu Beginn von Phase 1 einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang von ZF2 („immer plus sechs“, Z.1). Hierfür muss er die sichtbaren Zahlen zueinander in Beziehung gesetzt haben, um diese unsichtbare Beziehung entdecken und benennen zu können. Im unmittelbaren Anschluss berechnet er die Summe der Zahlen der ersten Zeile. Hierbei geht er stellenweise vor, indem er zunächst die Zehner und dann die Einer addiert. Die Summe der Zehner addiert er schließlich mit der Summe der Einer (Z. 3). Der zuvor von ihm entdeckte gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang von SP2 spielt bei seiner Berechnung keine Rolle. Nachdem Valentin ein neues ZF2 von der Interviewerin erhält, berechnet er die Summe der Zahlen erneut. Seine erneute Addition dient vermutlich der Überprüfung und/oder Absicherung. Anscheinend ist er sich nicht mehr sicher, ob 96 die Summe der Zahlen F1 bis F4 ist („Was war das nochmal? Sechsundneunzig, oder?“, Z. 5). Bei seiner zweiten Berechnung summiert er ebenfalls erst die Zehner und dann die Einer. Hierbei summiert er zunächst die Einer von F3 und F4. Vermutlich tut er dies, da drei und sieben einen glatten Zehner ergeben. Es könnte aber auch sein, dass er die Zehner von links nach rechts und die Einer von rechts nach links berechnet. Abschließend lässt sich festhalten, dass Valentin gleich zu Beginn von Phase 1 einen zuvor noch nicht genannten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang entdeckt und benennt („immer plus sechs“, Z. 1). Die Summe der Zahlen der ersten Zeile von ZF2 berechnet er insgesamt zweimal. Der zuvor genannte gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang steht jedoch völlig isoliert neben Valentins Berechnungen.
Phase 2 (Z. 5-10) 5
Va
6 7
I Va
8
I
erstmal hier den Pfeil machen (zeichnet einen Pfeil rechts neben die 2. Zeile von ZF2), wie welche Zahl hier drinne ist. (…, schließt den Stift) Was wird das wohl? (4 sec. Pause, fährt mit dem Stift vage von rechts nach links über die Zahlen der 2. Zeile) Das muss glaub ich jetzt neunzig sein (zeigt mit dem Stift auf F5). (..) Oder? Warum? (…) Oder zwei weniger weil (‚springt’ mit dem Stift von F5 zu dem von ihm gezeichneten Pfeil hinter der 2. Zeile und dann zu F6, zeigt mit dem Stift zwischen F5 und F6) (..) Warum meinst du denn neunzig?
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen 9
Va
10
I
189
Weil (…) warte nein (.) ah nein von jeder Zahl ist ja immer drei weniger (fährt mit dem Stift von F1 zu F5, dann von F4 zu F8, dann F3 zu F7, tippt mit dem Stift nacheinander auf F2, F6, F1 und F5). Weil, wenn man jetzt hier guckt, dann (.) (zeigt mit dem Stift auf F1) dann wird das ja hier immer drei weniger (tippt mit dem Stift nacheinander auf F1, F5, F2, F6, F3, F7, F4 und F8) und dann ist insgesamt (…, zeigt mit dem linken Zeigefinger und dem Stift, den er in der rechten Hand hält, auf F5, fährt dann mit dem Stift von links nach rechts über die zweite Zeile) zwölf weniger und dann kann es (zeigt mit dem Stift auf den von ihm gezeichneten Pfeil hinter der 1. Zeile) (..) vierundacht oder? Ja, vierundachtzig werden. Mhm.
In Zeile 5 formuliert Valentin eine Vermutung über die Summe der Zahlen der zweiten Zeile: „Das muss glaub ich jetzt neunzig sein.“ Wie er zu dieser Vermutung gelangt, äußert er nicht. Er stellt sie jedoch zugleich wieder in Frage („Oder?“, Z. 5). Vermutlich will er sich nicht genau festlegen. Oder aber, er hat festgestellt, dass seine soeben aufgestellte Vermutung nicht stimmt. Auf die Nachfrage der Interviewerin („Warum?“, Z. 6) geht Valentin nicht ein. Es erscheint, dass er sich weiterhin Gedanken darüber macht, welche Summe die Zahlen der zweiten Zeile ergeben, denn er sagt: „Oder zwei weniger weil“ (Z. 7). Mit zwei weniger könnte Valentin zum Ausdruck bringen, dass die Summe um zwei weniger als 90 ist (1. Vermutung, Z. 7). Oder aber er meint, dass die Summe um zwei weniger als 96 ist (Summe der Zahlen der ersten Zeile). Es erscheint, dass Valentin mit dem Wort „weil“ einen Begründungsansatz einleitet. Dieser wird jedoch nicht weiter ausgeführt. Schließlich fordert die Interviewerin eine Begründung von ihm (Z. 8). Hierbei bezieht sie sich konkret auf Valentins erste Vermutung („neunzig“, Z. 8). Auf seine Aussage „zwei weniger“ geht sie nicht ein. Valentin antwortet mit „weil“, pausiert dann für drei Sekunden und macht deutlich, dass seine bisherigen Vermutungen nicht stimmen („warte nein (.) ah nein“, Z. 9). Valentin entwickelt nun ein differenziertes Argument, welches er vollständig ausführt: Er benennt eine erste Teilstruktur des Zahlenmusters: „von jeder Zahl ist ja immer drei weniger“ (Z. 9). Seine verbalen Äußerungen stützt er durch Zeigegesten (zeigt auf F1/F5, F2/F6, F3/F7, F4/F8). Er charakterisiert hier also vier visuell sichtbare Zahlenpaare und beschreibt deren gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang. Ferner fasst er zusammen: „dann insgesamt zwölf weniger“ (Z. 9). Er muss hier also die viermalige Veränderung (vier Zahlenpaare) um je drei weniger zueinander in Beziehung gesetzt haben (43=12).
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
190
Hierüberhinaus äußert er, dass die Summe der Zahlen der zweiten Zeile 84 wird. Hierfür muss er die Veränderung um zwölf weniger mit der Summe der ersten Zahlen (96) zueinander in Beziehung gesetzt haben. Nachdem er die begründete Entwicklung der Summe 84 zunächst kurz in Frage stellt („oder?“), bestätigt er sie im unmittelbaren Anschluss: „Ja, vierundachtzig“ (Z. 9). Diese Äußerung deutet darauf hin, dass er sich sicher ist. Das in Zeile 9 entwickelte Argument über die Veränderung der Summe von der ersten zur zweiten Zeile erhält nun eine andere Definiertheit als die in Zeile 5 („neunzig“) und Zeile 7 („zwei weniger“) angestellten Vermutungen über die Summe der Zahlen der zweiten Zeile. Während diese sich nur in Form von Vermutungen ohne Entwicklung bzw. Begründung darstellen, wird das Argument in Zeile 9 vollständig und differenziert entwickelt. Die Entstehung und Gültigkeit des Arguments basiert auf zwei Teilstrukturen des Zahlenfeldes, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Diesen operativen Zusammenhang könnte man folgenderweise formulieren: Da sich je vier Zahlen um je drei verringern, verringert sich die Summe der Zahlen der darunterliegenden Zeile um insgesamt zwölf.
Phase 3 (Z. 11-17) 11
Va
12 13 14 15
I Va I Va
Mal gucken. (..) Zehn (zeigt mit dem Stift auf F5) plus zehn (zeigt mit dem Stift auf F6) gleich zwanzig (fährt zweimal mit dem Stift von F5 zu F6 hin und her), (..) zwanzig (fährt mit dem Stift von F5 zu F6) vierzig (fährt mit dem Stift zu F7), fünfzig (fährt mit dem Stift zu F8) ( ...) mmh sechzig (fährt mit dem Stift mehrfach über F5 und F6 hin und her, ...) ja vier, nein, es wird vierundsechzig (lacht, schreibt „64“ hinter den von ihm gezeichneten Pfeil hinter der 2. Zeile von ZF2). Hier werden, werdn hier werden dann (lacht) ein großer Unterschied, zwanzig. Da rechne aber nochmal. Oder? (…) # Dreißig plus zwanzig sind ja schon fünfzig. # (zeigt mit dem Stift auf F5, dann auf F8 und dann auf F7) Achsooo. (fährt mit dem Stift von F8 zu F7, öffnet den Stift) Weg (streicht die „64“, die er in hinter den von ihm gezeichneten Pfeil hinter der 2. Zeile geschrieben hatte, durch, schließt den Stift). (leise:) (unverständlich) (zeigt mit dem Stift auf F5) Zehn (zeigt auf F5) plus zehn (zeigt auf F6) gleich zwanzig, vierzig (zeigt mit dem Stift auf das F3), siebzig (zeigt mit dem Stift auf F8 von)
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
16 17
I Va
191
(..) siebzig, (lauter:) jaa, es wird vierundachtzig! (lacht, schreibt „84“ rechts neben der durchgestrichenen „64“) Wie du schon vermutet hattest, ne? Ja (lacht).
Trotz der ausführlichen und sicheren Entwicklung sowie Begründung des Arguments über die Summenentwicklung von Zeile 1 zu Zeile 2 (Phase 2), bestimmt Valentin in Phase 3 die Summe der Zahlen der zweiten Zeile rechnerisch. Diese rechnerische Ermittlung stellt für ihn vermutlich eine Überprüfung und Absicherung seiner strukturellen Entdeckung dar. Bei seiner rechnerischen Bestimmung verrechnet er sich jedoch um 20 (Z. 11). Er notiert die rechnerisch ermittelte Summe und benennt ferner die Differenz zwischen Vorhersage und rechnerisch ermittelter Summe („ein großer Unterschied, zwanzig“, Z. 11). Da Valentin die rechnerisch ermittelte Summe umgehend notiert, lässt sich darauf schließen, dass er diese nicht in Frage stellt und sich sicher ist. Im Gegensatz hierzu wurde die von ihm in Zeile 9 strukturell entwickelte Summe der Zahlen der zweiten Zeile nicht notiert. Sie steht anscheinend nicht mehr zur Diskussion. Denn obwohl es nicht zu seiner vorherigen ausführlichen, sicheren und begründeten Vermutung passt, wird die Diskrepanz der beiden Zahlen von ihm nicht in Frage gestellt. Erst nach Aufforderung der Interviewerin, dass er seine Rechnung überprüfen soll (Z. 12) stellt er etwas in Frage („oder?“, Z. 13). Es wird allerdings nicht deutlich, was er in Frage stellt. Anschließend berechnet Valentin die Summe der Zahlen F5, F6, F7 und F8 erneut. Relativ schnell streicht er seine notierte 64 durch (Z. 15). Entweder hat er selbstständig gemerkt, dass 64 als Summe der Zahlen der zweiten Zeile nicht stimmen kann oder aber der Hinweis der Interviewerin in Zeile 14 hat ihn darauf aufmerksam gemacht („Dreißig plus zwanzig sind ja schon fünfzig“, Z. 14). Schließich bestimmt Valentin die Summe erneut rechnerisch, indem er auch hier stellenweise vorgeht. Er sagt laut und deutlich: „Jaa, es wird vierundachtzig“, und er notiert 84 als Summe von F5, F6, F7 und F8. Die 84 wird von ihm und der Interviewerin akzeptiert. Schließlich erinnert ihn die Interviewerin an seine Vermutung (Z. 16). In Phase 3 wird deutlich, dass Valentin seine anfängliche sichere, strukturelle Entwicklung einer Vermutung über die Veränderung der Summe von Zeile 1 zu Zeile 2 aufgrund seiner rechnerischen Überprüfung verwirft. Erst nach Aufforderung der Interviewerin, seine rechnerische Ermittlung zu überprüfen, merkt er, dass er sich verrechnet hat. Valentins Erläuterungen deuten darauf hin, dass für ihn die rechnerische Ermittlung einer Summe wichtiger ist bzw. mehr Bedeutung hat, als eine Vermutung, die er basierend auf gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen von SP2 entwickelt hat.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
192 Phase 4 (Z. 17) 17
Va
(…) (zeichnet einen Pfeil hinter die 3. Zeile) Dann muss hier dann auch die Zahl (schließt den Stift), dann werden hier dann wieder zwölf abgezogen, dann wird, dann wird es zweiundsiebzig sein. (..) Mmh, okay. Zehn (zeigt mit dem Stift auf F10) plus zwanzig (zeigt mit dem Stift auf F11) erst mal zweienzwanzig (zeigt mit dem Stift auf F11) vierzig (zeigt mit dem Stift auf F12 und tippt mit dem Stift auf F11), fünfzig (zeigt mit dem Stift auf F10) oder? (fährt mit dem Stift in der Luft von F10 zu F12) Ja, fünfzig, sechzig (tippt mit dem Stift auf F9 und dann auf F11) (.) sechzig (tippt mit dem Stift auf F9 und dann auf F11 von). (leiser:) Und danach (..) (lauter:) Ja, zweiundsiebzig (schreibt mit dem Stift „72“ hinter den von ihm gezeichneten Pfeil hinter der 3. Zeile) ( ..). Und dann (zeichnet einen Pfeil rechts neben die 4. Zeile), dann muss hier dann auch sechzig sein (zeigt mit seinem linken Zeigefinger auf F16 und mit dem Stift, den er in der rechten Hand hält, auf den von ihm gezeichneten Pfeil rechts neben der 4. Zeile). Mmh, (leiser:) wenn ich das richtig [gemach] (zeigt mit dem Stift auf F13) erstmal hier (fährt mit dem Stift von F13 zu F16), dann wird es auf jeden Fall (lauter:) dreißig (fährt mit dem Stift von F16 zu F13 und dann wieder F16), mhm (..) dreißig (zeigt mit dem Stift vage in Richtung von F13), vierzig (zeigt mit dem Stift auf F14 und dann auf F16), fünfzig (zeigt mit dem Stift auf F15), sechzig (zeigt mit dem Stift F14, schreibt „60“ hinter den von ihm gezeichneten Pfeil hinter der 4. Zeile). Genau wie ich gesagt hab (schließt den Stift), hier, es wird immer zwölf weniger (fährt mit dem Stift von der von ihm notierten „96“, zur „84“, zur „72“ und weiter zur „60“).
Zu Beginn von Phase 4 überträgt Valentin seine in Phase 2 entwickelte und in Phase 3 bestätigte Vermutung über die Entwicklung der Summen von Zeile zu Zeile („dann werden wieder zwölf abgezogen, dann wird es zweiundsiebzig“, Z. 17). Obwohl Valentin die hier aufgestellte Vermutung in Zeile 9 argumentativ entwickelt und mit den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen des Zahlenfeldes begründet und in Phase 3 sogar rechnerisch überprüft hat, bestimmt überprüft er seine Vorhersage über die Summe der vier Zahlen der dritten Zeile rechnerisch. Gleiches gilt für die Bestimmung der Summe der Zahlen der vierten Zeile, da er auch hier das vorhergesagte Ergebnis („dann muss hier dann auch sechzig sein“, Z. 17) rechnerisch überprüft. Die Gültigkeit der in Zeile 9 ent-
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
193
wickelten strukturellen Bestimmung bzw. Entwicklung der Summen wird von Valentin als tragfähiges Argument, das für dieses Zahlenfeld ZF2 immer gilt („es wird immer zwölf weniger“, Z. 17) angesehen und auf die Summenentwicklung der anderen Zeilen übertragen Allerdings überprüft er seine Vorhersagen über die Summen stets rechnerisch. Die rechnerische Überprüfung stellt für Valentin eine Garantie und einen Nachweis bzw. Bestätigung seiner Vorhersage dar, welche ihm Sicherheit liefert. Obwohl Valentin ein vollständiges und schlüssiges Argument entwickelt hat, muss er dieses jedes Mal mittels einer Rechnung überprüfen und absichern. Somit wird deutlich, dass er sich nicht auf sein sicher begründetes strukturelles Argument verlässt. In dieser Szene stehen sich folglich zwei Strategien zur Bestimmung der Summen gegenüber: Eine strukturelle und eine rechnerische Strategie. Von diesen beiden Strategien schenkt Valentin der rechnerischen Bestimmung mehr Gewichtung, sodass sich diese durchsetzt und als Verifikation dient. Die erste Strategie, die auf den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen von ZF2 basiert, dient für ihn lediglich als Vorhersage von zu ermittelnden Summen.
5.2.3.4.2 Schritt 4.2:
Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck
Nachdem in Phase 1 dieser Szene vor allem die rechnerische Bestimmung der Summe der Zahlen der ersten Zeile im Vordergrund steht, wird von Valentin in Phase 2 die Summe der Zahlen der zweiten Zeile zum fraglichen Zeichen / Symbol gemacht, das gedeutet werden soll („Was wird das wohl?“, Z. 5). Zur Beantwortung dieser Frage zieht Valentin verschiedene Referenzkontexte heran. So bezieht er sich bei seinen Deutungen auf die insgesamt acht Felder der ersten beiden Zeilen (F1 bis F8). Hierbei nimmt er eine spaltenweise Einteilung der Felder bzw. Zahlen vor. Dies wird durch seine Zeigegeste deutlich, da er nacheinander auf die vier Feld- bzw. Zahlenpaare F1 und F5, F2 und F6, F3 und F7 sowie F4 und F8 zeigt. Er kommentiert diese Zeigegeste mit den Worten: „wenn man jetzt hier guckt, dann dann wird das ha hier immer drei weniger“ (Z. 9). Zudem folgert er weiter: „und dann insgesamt zwölf weniger“ (Z. 9). Auch wenn Valentin es nicht explizit äußert, so muss er die Veränderung immer drei weniger mit den vier gezeigten Zahlenpaaren zueinander in Beziehung gesetzt haben. Denn wenn bei vier Zahlenpaaren eine Veränderung von minus drei existiert, dann verändert sich die Summe der Zahlen entsprechend um minus zwölf, da 4·('3)='12. Valentin bringt schließlich auch die Veränderung zwölf weniger mit der Summe der Zahlen der ersten Zeile in Zusammenhang: „und dann kann es vierundacht oder? Ja, vierundachtzig werden“ (Z. 9). Folglich muss Valentin
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
194
von der 96 zwölf subtrahiert haben. Abschließend gibt er 84 als Summe der vier Zahlen der zweiten Zeile an. Innerhalb dieser zweiten Phase wurde die begriffliche Bedeutung eines gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhangs von ZF2 von Valentin gedeutet und aktiv konstruiert. Somit lässt sich diese Phase im folgenden epistemologischen Dreieck darstellen (Abb. 5.38): Objekt / Referenzkontext
15
21
27
33
12
18
24
30
96 Zeichen / Symbol
Summe der Zahlen der zweiten Zeile „Was wird das wohl?“ (Z. 5)
Zeile 9: „Von jeder Zahl ist ja immer drei weniger“ (zeigt auf 15 → 12, 21 → 18, 27 → 24, 33 → 30) „Dann insgesamt zwölf weniger“ „dann kann es vierundachtzig [...] werden“ Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von ZF 2
Abb. 5.38 ZF2 Valentin - Epistemologisches Dreieck
Zu den Phasen 3 und 4 erfolgen keine epistemologischen Analysen, da in ihnen keine (neuen) begrifflichen Kontexte gedeutet werden.
5.2.3.4.3 Schritt 4.3:
Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung
Basierend auf den angestellten Analysen in den beiden vorherigen Schritten, lassen sich Valentins Deutungen hinsichtlich der Einordnung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung folgenderweise einordnen: Gleich zu Beginn der Szene entdeckt und beschreibt Valentin einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang, der dem Zahlenmuster zugrunde liegt. 1. Teilstruktur: „immer plus sechs“, Z.1 Die Zahlen werden von links nach rechts / von Feld zu Feld immer um jeweils sechs größer.
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195
Um diese erste Teilstruktur deuten zu können, muss Valentin die sichtbaren Zahlen einer jeden Zeile zueinander in Beziehung gesetzt haben. Zudem verweist er durch Zeigen auf jede Zeile und verallgemeinert seine Entdeckung („immer“, Z. 1). Valentin hat hier also den Zusammenhang zwischen mehreren Zahlen gedeutet und eine regelbasierte Veränderung angegeben. Deshalb kann diese Aussage dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation komplex zugeordnet werden. Angemerkt sei, dass die hier entdeckte Teilstruktur im weiteren Verlauf dieser Szene allerdings völlig unbeachtet bleibt. In Phase 2 entdeckt und benennt Valentin zwei weitere Teilstrukturen des Zahlenfeldes (Z. 9): 2. Teilstruktur:
„von jeder Zahl ist ja immer drei weniger“, Z. 9 Die Zahlen werden von oben nach unten / von Feld zu Feld immer um jeweils drei weniger.
Bei der zweiten Teilstruktur handelt es sich analog zur ersten Teilstruktur um einen weiteren unsichtbaren, dem Zahlenmuster zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang. Um diesen benennen zu können muss Valentin auch hier (zwei) sichtbare Elemente (Zahlen) zueinander in Beziehung gesetzt und deren Differenz ermittelt haben. Hier nimmt Valentin allerdings einen lokalen Vergleich von Zahlen vor. So vergleicht er zunächst nur für die ersten acht Zahlen F1 bis F8 vier Zahlenpaare (F1/F5, F2/F6, F3/F7 und F4/F8), auf die er durch Zeigen verweist. Obwohl Valentin diesen strukturellen Zusammenhang verallgemeinert („ist ja immer drei weniger“, Z. 9), verbleibt er an dieser Stelle noch relativ lokal. Erst im späteren Verlauf der Szene wird deutlich, dass er diese regelbasierte Veränderung globaler, also für das komplette ZF2, deutet. Eine dritte Teilstruktur wird durch Valentins Zeigegeste deutlich: 3. Teilstruktur:
„von jeder Zahl ist ja immer drei weniger [...] dann wird das ja immer drei weniger (tippt mit dem Stift nacheinander auf F1, F5, F2, F6, F3, F7, F4 und F8)“, Z. 9 In jeder Zeile gibt es vier Felder/Zahlen.
So teilt Valentin die erste und zweite Zeile in insgesamt vier Feld- bzw. Zahlenpaare ein. Durch Zeigen verweist Valentin somit auf eine sichtbare, strukturelle Eigenschaft des gegebenen Zahlenfeldes ZF2. Schließlich setzt er die zweite und dritte Teilstruktur zueinander in Beziehung und leitet deren Konsequenz ab, die er in Form einer operativen Auswirkung beschreibt: 4. Teilstruktur:
(„und dann ist insgesamt (…) (zeigt mit dem linken Zeigefinger und dem Stift, den er in der rechten Hand hält, auf
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F5, fährt dann mit dem Stift von links nach rechts über die zweite Zeile) zwölf weniger“, Z. 9) Die Summen werden von Zeile zu Zeile um zwölf kleiner. Diese vierte Teilstruktur, die die zweite und dritte Teilstruktur miteinander verknüpft, beschreibt somit eine Vorhersage über die Entwicklung der Summe der Zahlen von Zeile zu Zeile (Z. 9). Innerhalb von Phase 2 ist diese Vorhersage noch lokal bezogen auf die Entwicklung der Summe von der ersten zur zweiten Zeile. In Phase 4 wird jedoch anhand von Valentins Aussagen deutlich (Z. 17), dass er diesen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang auch als Vorhersage für die Summenentwicklung der anderen Zeilen heranzieht. In dieser vierten Teilstruktur wird somit die ‚Gesamtheit‘ von ZF2 für eine zeilenweise Bestimmung der Summen deutlich. Hierfür hat Valentin Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem zueinander in Beziehung gesetzt, weshalb diese Teilstruktur in Verbindung mit der zweiten und dritten Teilstruktur als Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Struktur gedeutet werden kann. Für Valentins Deutungen innerhalb dieser Szene ergibt sich somit ein Zusammenspiel verschiedener Zahlenmusterdeutungstypen. Dieses ist in Schaubild Abb. 5.39 zusammenfassend dargestellt. Typ
Gedeutet wird / werden
Charakterisierung
Ziffern-Anordnung
Sichtbares
/
einfach
Beziehungen zwischen Sichtbarem
/
komplex
Beziehungen zwischen Unsichtbarem
Zahl-Operation Beschreibung der Zahlen von links nach rechts „immer plus sechs“ (Z. 1) Vorhersage, Beschreibung und Begründung der Summenentwicklung von Zeile zu Zeile „Dann insgesamt zwölf weniger“ (Z. 9) → „Von jeder Zahl ist ja immer drei weniger“ (Z. 9)
Zahl-Struktur
Beziehungen von → Vier Felder / Zahlen Zahlenpaare Beziehungen zwischen Unsichtbarem
15
21
27
33
12
18
24
30
96
(tippt mit dem Stift nacheinander auf F1, F5, F2, F6, F3, F7, F4 und F8) (Z. 9)
Abb. 5.39 ZF2 Valentin - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
197
5.2.3.5 Schritt 5: Resümee Die Einordnung von Valentins Deutungsaussagen zu ZF2 in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung (Abb. 5.39) zeigen, dass Valentin zur Erläuterung und Begründung seiner selbstständig entwickelten Vorhersage über die Summen Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem herstellt. Hierfür deutet er zugrundeliegende innermathematische Strukturen von ZF2, die nicht unmittelbar sichtbar sind. Auffällig ist, dass Valentin bei seiner Beschreibung von ZF2 (s. Kap. 5.2.3.2) fast ausschließlich Oberflächenstrukturen bzw. -merkmale wahrnimmt und beschreibt. Lediglich einen innermathematischen Zusammenhang entdeckt er, wobei er diesen nur lokal beschreibt (von unten nach oben betrachtet „plus drei“ bei den Zahlenpaaren und in seinen beschriebenen Wegen). Bei der geschickten Bestimmung der Summe aller Zahlen deutet er jedoch mehr in das Zahlenfeld hinein. So deutet er nun zugrundeliegende innermathematische Zusammenhänge von ZF2, die er zueinander in Beziehung setzt. Hierdurch gelingt es ihm, eine Vorhersage über die Summenentwicklung von Zeile zu Zeile zu treffen. Diese auf innermathematische Strukturen basierende begründete Vorhersage gibt ihm jedoch keine ausreichende Sicherheit. So kontrolliert er diese stets durch rechnerische Bestimmung der Summen. Valentins Zahlenmustereinordnung zeigt zudem, dass nicht jede einzelne Aussage unmittelbar in das theoretische Konstrukt eingeordnet werden darf. Vielmehr müssen die Deutungen im Gesamten gesehen werden. Konkret heißt dies, dass Valentins Aussage in Zeile 9 durch einen direkten Zahlvergleich („von jeder Zahl immer drei weniger (F1 zu F5, F2 zu F6, F3 zu F7 und F4 zu F8)“) zunächst lokal ist. Hätte man diese Aussage sofort eingeordnet, so würde sie dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation einfach entsprechen. Im weiteren Verlauf zeigt sich jedoch, dass er diese lokale Entdeckung zueinander in Beziehung setzt („insgesamt zwölf weniger“, Z. 9) sowie auf weitere Zahlen von ZF2 überträgt. Hierdurch wird deutlich, dass Valentin einen globalen Blick auf ZF2 einnimmt. Da er diese Entdeckung zudem mit weiteren Entdeckungen zueinander in Beziehungen setzt, deutet er Beziehungen von Beziehungen. Hierdurch zeigt sich, dass er die Gesamtheit der Struktur berücksichtigt.
198 5.2.4
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen Justus deutet ein Zahlenfeld (ZF2)
5.2.4.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis Genau wie Valentin deutet Justus ZF2. Da das dazugehörige komplementäre Zahlenmusterverständnis innerhalb Valentins Analyse ausführlich erläutert wurde, wird hier lediglich auf den ersten Analyseschritt von Valentins Analyse verwiesen (Kap. 5.2.3.1).
5.2.4.2 Schritt 2: Informationen zur Szene Die ausgewählte Szene ist eine Deutungssequenz zu ZF2, die aus den Post-Interviews stammt. Das Post-Interview zu beiden Zahlenfeldern dauert etwa 17 Minuten. Es teilt sich auf in eine siebenminütige Deutungsphase zu ZF1 und eine zehnminütige Deutungsphase zu ZF2. 11
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Abb. 5.40 ZF 1
Da Justus bei seinen Deutungen zu ZF2 Bezug auf ZF1 (Abb. 5.40) nimmt (Berechnung der Summe aller Zahlen), wird seine dortige Vorgehensweise kurz genannt. Justus hat - nach vorheriger Beschreibung von ZF1 - die Summe aller Zahlen auf fünffache Art berechnet: Nach einer zeilenweisen Berechnung, bestimmt er die Summe aller Zahlen im Kopf. Anschließend erfolgt eine spaltenweise Berechnung. Im Anschluss teilt er ZF 1 in zwei Diagonalen auf. Die erste Diagonale verläuft von oben links nach unten rechts (11, 22 und 33), die zweite von unten links nach oben rechts (31, 22 und 13). Zur Summe dieser beiden Diagonalen addiert er die vier übriggebliebenen mittleren Randzahlen (12, 21, 23 und 32). Da die Zahl in der Mitte (22) in beiden Diagonalen vorkommt und er sie somit zweimal addiert hat, subtrahiert er sie am Ende einmal. Als fünfte Möglichkeit berechnet er die Summe aller Zehner und dann die aller Einer (Stellenwerte extra). Nachdem er alle fünf Möglichkeiten durchgeführt hat, reflektiert er sie und gibt an, dass er von diesen Vorgehensweisen die zeilenweise Berechnung beim nächsten Mal bevorzugen würde. Justus soll nun ZF2 deuten. Zunächst beschreibt er die sichtbaren Zahlen. Er nennt die folgenden Auffälligkeiten:
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen - - - - -
199
Von links nach rechts werden es immer sechs mehr. Von oben nach unten werden es immer drei weniger. Von links oben nach rechts unten werden es immer drei mehr. Von links unten nach rechts oben werden es immer neun mehr. Von rechts oben nach links unten werden es immer neun weniger.
Direkt im Anschluss an diese Entdeckungen folgt die ausgewählte Szene.
5.2.4.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene Phase 1 (Z. 1-10) Justus wird in Phase 1 dazu aufgefordert, die Zahlen geschickt zu addieren. Er zeigt und verbalisiert, dass er die Summe der Zahlen nicht zeilenweise sondern spaltenweise berechnet. Daraufhin fragt ihn die Interviewerin: „Warum?“. Er antwortet: „Weil es sind se hier niedrig (fährt von oben nach unten über die erste Spalte von ZF2), hier en bisschen höher (fährt von oben nach unten über die zweite Spalte von ZF2), hier noch höher (fährt von oben nach unten über die dritte Spalte von ZF2) und hier am höchsten (fährt von oben nach unten über die vierte Spalte von ZF2). Und dann da höher hohe Zahlen plus hohe Zahlen kann ich immer am besten rechnen und niedrige plus niedrige“ (Z. 4). Ferner gibt er auf erneute Nachfrage der Interviewerin an (Z. 5), dass er „das Ergebnis dann leichter kriegen“ kann, „weil höhere plus höhere kann ich besser rechnen als niedrige plus, nee, niedrige plus höhere“ (Z. 6). Justus notiert im Anschluss die Additionsaufgabe zur ersten Spalte auf einem karierten Blankoblatt und berechnet deren Summe. Danach schreibt er die Zahlen der zweiten Spalte auf und ermittelt auch deren Summe. Es folgen die Notation und die Berechnung der Zahlen der dritten Spalte (Abb. 5.41).
Abb. 5.41 ZF2 Justus - Phase 1
Phase 2 (Z. 11-18) Zu Beginn von Phase 2 notiert Justus die Zahlen der vierten Spalte als Additionsaufgabe (Z. 10, Abb. 5.43).
200
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Abb. 5.43 ZF2 Justus - Phase 2 (a)
Nach dieser Notation fragt ihn die Interviewerin, ob er etwas über das Ergebnis dieser Aufgabe sagen könne, ohne die Summe vorher ausgerechnet zu haben (Z. 11). Justus fährt mit dem Stift über seine notierten Aufgaben und bejaht die Frage. Ferner sagt er: „Es werden vierundzwanzig mehr. Weil hier (fährt von Summe Zeile 1 zu Summe Zeile 2) werdens vierundzwanzig (tippt kurz auf die Lücke für die Summe der vierten Aufgabe) mehr und da (fährt von Summe Zeile 2 zu Summe Zeile 3) werdens vierundzwanzig mehr, dann wirds hier (fährt von Summe Zeile 3 zum noch freien Feld für die Summe Zeile 4) auch vierundzwanzig mehr. Das heißt, das Ergebnis wird (..) einhundertvierzehn sein“ (Z. 14). Nun fragt die Interviewerin nach, warum es vierundzwanzig mehr werden. Justus sagt, dass er es nicht wisse und äußert, dass es von Summe 1 zu Summe 2 und von Summe 2 zu Summe 3 auch 24 mehr werden (Z. 16). Daraufhin erwidert die Interviewerin: „Und dann meinst du, wenn schon zweimal vierundzwanzig mehr geworden ist, muss beim dritten auch vierundzwanzig mehr werden“ (Z. 17). Diese Aussage bejaht Justus und er berechnet die Summe der vier Zahlen. Als Ergebnis erhält er 114, welches er notiert (Z. 18, Abb. 5.42).
Abb. 5.42 ZF2 Justus - Phase 2 (b)
Phase 3 (Z. 19-22) Die Interviewerin fordert Justus noch einmal auf, zu überlegen, warum es vierundzwanzig mehr werden. Daraufhin richtet Justus seinen Blick für acht Sekunden auf sein notiertes Aufgabenpäckchen und gibt an: „Weil es werden ja hier (fährt von oben nach unten über die ersten Summanden der ersten bis vierten
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
201
Aufgaben, fährt von oben nach unten über die zweiten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt von oben nach unten über die dritten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt von oben nach unten über die vierten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben) immer sechs mehr. Und ähm viermal sechs sind vierundzwanzig und deshalb werdens vierundzwanzig mehr (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die Summen der Aufgaben)“ (Z. 20). Abschließend wiederholt er seine soeben vorgenommene Aussage noch einmal (Z. 22).
5.2.4.4 Schritt 4: Analyse 5.2.4.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive Phase 1 (Z. 1-10) 1
I
2
Ju
3 4
I Ju
5 6
I Ju
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I Ju
Dann würde ich dich bitten, dass du da auch einmal die Zahlen geschickt addierst. (Justus schiebt ZF 2 nach oben, nimmt sich ein kariertes Blatt, welches er vor sich legt) Das rechne ich jetzt nicht so (kreist mit dem Stift in der Luft die erste Zeile von ZF2 ein), ich rechne das so (kreist mit dem Stift in der Luft die erste Spalte von ZF2 ein). Warum? Weil es sind se hier niedrig (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die erste Spalte von ZF2), hier en bisschen höher (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die zweite Spalte von ZF2), hier noch höher (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die dritte Spalte von ZF2) und hier am höchsten (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die vierte Spalte von ZF2). Und dann da höher hohe Zahlen plus hohe Zahlen kann ich immer am besten rechnen und niedrige plus niedrige. Bitte, und dann? Und deshalb kann ich das Ergebnis dann leichter kriegen, weil (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die vierte Spalte von ZF2) höhere plus höhere kann ich besser rechnen als nieder (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die erste Spalte von ZF2) niedrige plus, nee, niedrige plus höhere. Mhm, okay. (16 sec. Sprechpause, Ju schreibt „15+12+9+9=“ auf das karierte Blatt vor sich)
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
202 9
I
10
Ju
Mh, da (zeigt auf die letzte „+9“ von Justus Aufgabe) hast du aber nicht plus neun plus neun, da haste dich jetzt, da muss da (zeigt auf das dreizehnte Kästchen von ZF2) ne sechs hin. Oh (unverständlich) (4 sec. Sprechpause, schreibt „6“ über die letzte „9“ in seiner Aufgabe). Zwanzig, siebenzwanzig, sechsendreißig, zweienvierzig (5 sec. Sprechpause, schreibt „42“ hinter das Gleichheitszeichen seiner Aufgabe). (leise:) (schreibt „21“ unter die erste Aufgabe) Einenzwanzig, achtzehn (schreibt „+18“ hinter die „21“) plus fünfzehn (schreibt „+15“ hinter die „+18“) plus zwölf (schreibt „+12“ hinter die „+15“) gleich (schreibt „=“ hinter die „+12“) (…) (lauter:) also (…) dreißig, neununddreißig, vierzig neunundvierzig, vierundfünfzig, vierundsechzig, sechsundsechzig (schreibt „66“ hinter das Gleichheitszeichen der zweiten Aufgabe) (7 sec. Pause, klopft mit dem Stiftdeckel auf den Tisch). (leiser:) Okay. (12 sec. Sprechpause, schreibt „272“, schreibt „+“ über die hinterste „2“, schreibt „24“ hinter das „+“) Plus (schreibt „+“ hinter die „24“) einundzwanzig (schreibt „21“ hinter das „+“) plus achtzehn gleich (7 sec. Pause, schreibt „+18=“ hinter die „21“). (lauter:) (stützt den Kopf auf die Hände) sechzig, siebensechzig, einundsiebzig, zweiensiebzig, achtzig, (..) neunzig (schreibt „90“ hinter das Gleichheitszeichen der dritten Aufgabe).
Die Interviewerin fordert Justus dazu auf, die sichtbaren Zahlen von ZF2 geschickt zu addieren (Z. 1). Was sie mit dem Begriff geschicktes Addieren meint, bleibt hier offen. Justus ist durch ihre Aussage aufgefordert, den Begriff geschicktes Addieren zu deuten. Die Formulierung könnte ihn darauf hinweisen, dass er ein Verfahren wählen soll, dass besonders sinnvoll ist. Dies könnte beispielsweise ein für ihn einfaches, persönlich favorisiertes oder ein auf Schnelligkeit ausgelegtes Verfahren darstellen. Ferner kommt in diesem Terminus explizit das Wort Addieren auf, was zum bloßen Rechnen anregt und den Blick von den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen weglenkt. Justus entscheidet sich schließlich dazu, die Zahlen spaltenweise zu berechnen. Das heißt, er berechnet zunächst die Summe jeder Spalte und im Anschluss wird er sehr wahrscheinlich diese vier Teilsummen addieren, um die Gesamtsumme zu erhalten. Da Justus nach fünffacher Berechnung der Summe von ZF1 die zeilenweise Vorgehensweise favorisierte, wäre hier davon auszugehen gewesen, dass er dieses
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203
Vorgehen hier als erstes anwenden würde. Justus entscheidet sich hier jedoch gegen eine zeilenweise und für eine spaltenweise Berechnung. Dies wird in Zeile 1 durch seine Aussage und der dazugehörigen Zeigegeste deutlich: „Das rechne ich jetzt nicht so (kreist mit dem Stift in der Luft die erste Zeile von ZF2 ein), ich rechne das so (kreist mit dem Stift in der Luft die erste Spalte von ZF2 ein)“ (Z. 1). Er begründet seine Entscheidung damit, dass die visuell sichtbaren Zahlen unterschiedlich hoch sind. So sind die Zahlen für ihn in der ersten Spalte niedrig, in der zweiten Spalte ein bisschen höher, in der dritten Spalte noch höher und in der vierten Spalte am höchsten (Z. 4). Justus nimmt für die Beschreibung der Zahlen eine vierfache Steigerung bzw. Abstufung vor. Seine Beschreibung ist jedoch relativ unspezifisch und beinhaltet zudem keinen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang, der dem Zahlenmuster zugrunde liegt. Ferner gibt er an, dass er „hohe plus hohe Zahlen“ und „niedrige plus niedrige Zahlen“ besser rechnen kann. Auf Nachfrage der Interviewerin (Z. 5) begründet er sein Vorgehen damit, dass er so „die Ergebnisse dann leichter kriegen“ (Z. 6) kann. Justus hat die Aufforderung zum geschickten Rechnen demnach so interpretiert, dass er sein anscheinend persönlich favorisiertes Verfahren („hohe plus hohe Zahl“ und „niedrige plus niedrige Zahl“) anwenden kann. Seine Wahl des Rechenweges basiert somit nicht auf den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen, die dem Zahlenfeld zugrunde liegen. Warum er am liebsten hohe mit hohen bzw. niedrige mit niedrigen Zahlen addiert, bleibt offen. Justus berechnet schließlich die vier Zahlen der ersten Spalte im Kopf. Hierbei nutzt er das halbschriftliche Verfahren Stellenwerte extra (Summe der Zehner plus Summe der Einer). Die Summe der Zahlen der zweiten Spalte berechnet er schrittweise. Die ersten beiden Summanden unterteilt er hierfür noch einmal in Zehner und Einer. So berechnet er erst die Summe der Zehner und fügt dann die Summe der Einer hinzu. Danach addiert er den dritten Summanden und zuletzt den vierten Summanden. In Phase 1 dominiert das bloße Ausrechnen der Zahlen der ersten drei Spalten. Hierbei nutzt Justus sein persönlich bevorzugtes Verfahren der Addition gleich großer bzw. gleich kleiner Zahlen. Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge des Zahlenfeldes spielen herbei keine Rolle.
Phase 2 (Z. 11-18) 10
Ju
(12 sec. Sprechpause, schreibt „33+30+27+24=“ unter die dritte Aufgabe).
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204 11
I
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13 14
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Ju
Könntest du da jetzt schon über das etwas über das Ergebnis sagen, ohne dass du jetzt die einzelnen Summanden ausrechnest? Oäh. (7 sec. Pause, fährt mit dem Stift über dem karierten Blatt hin und her) Ja (guckt zu I). Was denn? Es werden vierundzwanzig mehr (tippt kurz auf die Lücke für die Summe der vierten Aufgabe, guckt zu I). Weil hier werdens vierundzwanzig mehr (fährt mit dem Stift von Summe Zeile 1 zu Summe Zeile 2) und da werdens vierundzwanzig mehr (fährt mit dem Stift von Summe Zeile 2 zu Summe Zeile 3), dann wird’s hier (fährt mit dem Stift von Summe Zeile 3 zum noch freien Feld für die Summe Zeile 4) auch vierundzwanzig mehr. Das heißt das Ergebnis wird (..) einhundertvierzehn sein. Warum werden das denn vierundzwanzig mehr? (…) (guckt aufs karierte Blatt) Weiß nicht (guckt zu I) (..). Jedenfalls werdens hier (fährt mit dem Stift vom Ergebnis der ersten Aufgabe zum Ergebnis der zweiten Aufgabe) vierundzwanzig mehr und da (fährt mit dem Stift vom Ergebnis der zweiten Aufgabe zum Ergebnis der dritten Aufgabe) vierundzwanzig mehr (guckt zu I). Mhm. Und dann meinst du, wenn schon zweimal vierundzwanzig mehr geworden ist, muss beim dritten auch vierundzwanzig mehr werden. Ja (nickt). Aber ich kann ja erstmal ausrechnen, und dann werden wirs ja sehen. Dreißig, dreiendreißig äh (..) (schüttelt den Kopf) dreiensechzig (5 sec. Pause) also hundert hundertdrei, ja. (…) (schreibt „114“ hinter das Gleichheitszeichen der vierten Aufgabe) (leiser:) War doch richtig.
Nachdem Justus, anknüpfend an Phase 1, die vier Zahlen der vierten Spalte als Additionsaufgabe notiert hat (Z. 10), fordert ihn die Interviewerin zu einer Vorhersage über die Summe der vier Zahlen der vierten Zeile auf (Z. 11). Hierdurch versucht sie womöglich, Justus Blick weg vom bloßen Rechnen hin zu den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen zu lenken. Zunächst formuliert sie diese Aufforderung jedoch als geschlossene Frage mit einer Ja-Nein-Antwortmöglichkeit. Justus antwortet entsprechend mit einem einfachen „Ja“ (Z. 12). Daraufhin fragt die Interviewerin offener nach („Was denn?“, Z. 13), woraufhin
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Justus nun ausführlicher antwortet. So gibt er an, dass es 24 mehr werden und formuliert hierüberhinaus einen ersten Begründungsansatz für seine Vorhersage (Z. 14). Bei seiner Begründung bezieht er sich auf seine zuvor rechnerisch ermittelten Summen der ersten, zweiten und dritten Spalte. Diese muss er miteinander verglichen und in Beziehung gesetzt haben, denn er gibt an, dass diese eine Differenz von jeweils 24 vorweisen. So ist die Summe der zweiten Zeile um 24 größer als die Summe der ersten Zeile. Die Summe der dritten Zeile ist ebenfalls um 24 größer als die Summe der zweiten Zeile. Hieraus folgert er: „dann wird’s hier auch vierundzwanzig mehr“ (Z. 14). Justus Schlussfolgerung könnte daher auch wie folgt formuliert werden: Weil die Summen von Zeile zu Zeile schon zweimal 24 mehr geworden sind, muss auch die Summe der nächsten Zeile um 24 zunehmen. Im Anschluss gibt er die zu erwartende Summe der Zahlen der vierten Spalte von ZF2 an. Hierfür hat er seinen Äußerungen in Zeile 14 zufolge, nicht die Summe der sichtbaren vier Summanden rechnerisch ermittelt, sondern 24 zur Summe der Zahlen seiner notierten dritten Zeile, die mit der Summe der Zahlen der dritten Spalte gleichzusetzen ist, addiert. Die Interviewerin scheint mit Justus Begründungsansatz nicht zufrieden zu sein. Zumindest fragt sie nun genauer nach. So möchte sie wissen, warum es 24 mehr werden (Z. 15). Justus bekundet Unwissenheit und wiederholt daraufhin seine zuvor getätigte Aussage, dass bei den Summen der ersten drei Aufgaben jeweils eine Differenz von 24 existiert (Z. 16). Daraufhin fasst die Interviewerin sein Argument in Form einer These zusammen (Z. 17), die dem Sinn der oben formulierten Schlussfolgerung entspricht. Justus stimmt dieser These kurz zu und überprüft seine Vermutung über die Summenentwicklung, indem er die Summe durch Rechnen überprüft (Z. 18). Seine Rechnung liefert schließlich eine Bestätigung für seine Vermutung über die Summenentwicklung. Es lässt sich für die zweite Phase festhalten, dass Justus nach Aufforderung der Interviewerin, eine Vorhersage über die Summe der Zahlen der vierten Spalte von ZF238 zu treffen, eine Besonderheit bzw. Regelmäßigkeit in der Entwicklung der Summen entdeckt hat („vierundzwanzig mehr“, Z. 14). Hierfür hat er die sichtbaren Elemente (Summen der ersten drei Aufgaben) zueinander in Beziehung gesetzt. Die entdeckte Regelmäßigkeit überträgt er auf die Summenentwicklung von der dritten zur vierten Aufgabe, wodurch er die Summe der vierten Aufgabe vorhersagen kann. Die Überprüfung seiner Vorhersage basiert dann aber wieder auf dem bloßen Ausrechnen der Additionsaufgabe.
38
Bezogen auf Justus Notation handelt es sich hierbei um die vierte Zeile.
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206 Phase 3 (Z. 19-22) 19
I
20
Ju
21 22
I Ju
So, jetzt überleg nochmal, warum könnten das da jetzt vierundzwanzig mehr sein? Ähm, (schließt den Stift, 8 sec. Pause, guckt auf seine Aufgaben) ich weiß es jetzt. Weil es werden ja hier (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die ersten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die zweiten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die dritten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die vierten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben) immer sechs mehr. Und ähm viermal sechs sind vierundzwanzig und deshalb werdens vierundzwanzig mehr (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die Summen der vier Aufgaben, guckt zu I). Mhm. So (fährt mit dem Stift von oben nach unten über die ersten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die zweiten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die dritten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die vierten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben) werdens vierundzwanzig mehr.
Die Interviewerin gibt sich offenbar nicht mit Justus schlussfolgerndem Argument, das er in Phase 2 entwickelt hat, zufrieden. So fordert sie ihn zu Beginn von Phase 3 erneut auf, zu überlegen, warum es 24 mehr werden (Z. 19). Ihre Nachfrage könnte Justus darauf hinweisen, dass es einen genauen Grund geben muss, wie die Veränderung von 24 mehr zustande kommt. Justus blickt daraufhin acht Sekunden auf seine notierten Aufgaben und entdeckt eine Auffälligkeit bei den Summanden („immer sechs mehr“, Z. 20), für die er die sichtbaren Summanden zueinander in Beziehung gesetzt haben muss. Parallel zu seiner Aussage fährt er nacheinander von oben nach unten über die vier Spalten der einzelnen Summanden und leitet hieraus ab: „Viermal sechs sind vierundzwanzig und deshalb werdens vierundzwanzig mehr“ (Z. 20) Justus Äußerung und sein spaltenweises Zeigen auf die sichtbaren Summanden seiner notierten Aufgaben weisen darauf hin, dass er die Veränderung um sechs mehr mit vier Spalten seiner Notation zueinander in Beziehung gesetzt hat. Die vier Spalten setzen sich dabei wie folgt zusammen: Die erste Spalte besteht aus den ersten Summanden, die
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207
zweite Spalte besteht aus den zweiten Summanden, die dritte Spalte besteht aus den dritten Summanden und die vierte Spalte schließlich aus den vierten Summanden einer jeden Aufgabe. In Phase 3 hat Justus seinen Blick nach erneuter Aufforderung der Interviewerin auf seine notierten Aufgaben gerichtet. Die sichtbaren Zahlen hat er dabei in vier Spalten unterteilt. Die Zahlen einer Spalte hat er ferner miteinander verglichen und daraufhin einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang, der ZF2 zugrunde liegt, entdeckt und beschrieben („immer sechs mehr“, Z. 20). Diese beiden Eigenschaften (sechs mehr, vier Spalten) hat er ferner operativ zueinander in Beziehung gesetzt (4·6) und somit die Summenentwicklung um 24 mehr begründet. Justus hat hier also ein in sich schlüssiges und vollständiges Argument entwickelt, das die gesetzmäßigen, strukturellen Eigenschaften von ZF2 aufgreift.
5.2.4.4.2 Schritt 4.2:
Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck
Innerhalb der Deutungsprozesse von Justus zu ZF2 werden zwei Zeichen fraglich gemacht. Nach einer zunächst rein rechnerischen Bearbeitung in Phase 1 wirft die Interviewerin in Phase 2 das erste fragliche Zeichen auf. So fordert sie ihn auf, eine Aussage über die Summe der vierten Aufgabe bzw. der Zahlen der vierten Spalte zu treffen (Z. 11 und Z. 13). Justus betrachtet daraufhin seine notierten Aufgaben und konzentriert sich auf die bereits sichtbaren Ergebnisse der ersten, zweiten und dritten Aufgabe. Diese setzt er zueinander in Beziehung, wodurch er deren Differenz benennen kann („vierundzwanzig mehr“, Z. 14). Er schlussfolgert: „Hier (Summe der 1. Zeile zu Summe der 2. Zeile) werdens vierundzwanzig mehr und da (Summe der 2. Zeile zu Summe der 3. Zeile) vierundzwanzig mehr, dann wirds hier (Summe der 3. Zeile zu Summe der 4. Zeile) auch vierundzwanzig mehr“ (Z. 14). Justus zieht somit die sichtbaren Summen und deren Differenzen als Referenzkontext heran, um eine Aussage über das Ergebnis der vierten Zeile zu treffen. Der begriffliche Kontext ist hierbei der gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang von ZF2. Nur durch dessen Beschaffenheit ergibt sich die gleichbleibende Differenz der Ergebnisse. Somit ergibt sich für Phase 2 das folgende epistemologische Dreieck (Abb. 5.44):
208
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen Objekt / Referenzkontext
24 mehr 24 mehr Zeichen / Symbol
Summe der Zahlen der vierten Aufgabe (Spalte) (Z. 11 und Z. 13)
„Es werden vierundzwanzig mehr. Weil hier werdens vierundzwanzig mehr (fährt von Summe Zeile 1 zu Summe Zeile 2) und da werdens vierundzwanzig mehr (fährt von Summe Zeile 2 zu Summe Zeile 3), dann wirds hier auch vierundzwanzig mehr (fährt von Summe Zeile 1 zu Summe Zeile 2). Das heißt, das Ergebnis wird (..) einhundertvierzehn sein.“ (Z. 14) Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von ZF 2
Abb. 5.44 ZF2 Justus - Phase 2 - Epistemologisches Dreieck
Nachdem Justus das erste fragliche Zeichen mit „vierundzwanzig mehr, also einhundertvierzehn“ gedeutet hat, fordert ihn die Interviewerin in Phase 3 dazu auf, die Veränderung um 24 zu erörtern bzw. zu begründen. Somit entsteht ein neues fragliches Zeichen (Z. 15 und Z. 19). Dieses Mal zieht Justus als Referenzkontext nicht seine zuvor ermittelten Summen, sondern seine notierten Summanden der einzelnen Aufgaben, die den Zahlen von ZF2 entsprechen, heran. Hierfür umfährt er die jeweils ersten, zweiten, dritten und vierten Summanden einer jeden Aufgabenzeile, wodurch er vier Spalten markiert. Er setzt die sichtbaren Zahlen einer jeden Spalte zueinander in Beziehung und entdeckt einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang, der dem Zahlenfeld zugrunde liegt („immer sechs mehr“, Z. 20). Diese beiden Teilstrukturen (vier Spalten, immer sechs mehr) setzt er zueinander in Beziehung und formuliert deren operative Auswirkung in Form einer Einmaleins-Aufgabe („vier mal sechs sind vierundzwanzig“, Z. 20). Justus nutzt hier also die visuelle Anordnung seiner spaltenweisen Notation (auch wenn er hierbei verrutscht, da er die Zahlen nicht stellengerecht notiert) sowie einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang (sechs mehr), um die Veränderung um 24 mehr zu begründen. Demzufolge ergibt sich das folgende epistemologische Dreieck (Abb. 5.45):
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
209
Objekt / Referenzkontext
Zeichen / Symbol
„Warum vierundzwanzig mehr?“ (Z. 15 und 19) „Weil es werden ja hier immer sechs mehr (fährt dabei nacheinander von oben nach unten über die vier Spalten der einzelnen Summanden). Und ähm viermal sechs sind vierundzwanzig (fährt von oben nach unten über die vier Summen)“ (Z. 20) Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von ZF 2
Abb. 5.45 ZF2 Justus - Phase 3 - Epistemologisches Dreieck
5.2.4.4.3 Schritt 4.3:
Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung
Justus entdeckt und beschreibt in Phase 2 einen ersten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang von ZF2, der die Summenentwicklung der ersten zur zweiten und der zweiten zur dritten Aufgabe beschreibt: 1. Teilstruktur:
„es werden vierundzwanzig mehr“ (Z. 14) Die Summe wird von Zeile zu Zeile um 24 mehr.
Um diese Teilstruktur entdecken zu können, muss Justus die sichtbaren Summen zueinander in Beziehung gesetzt haben. Nachdem er die erste mit der zweiten und die zweite mit der dritten Summe verglichen hat, formuliert er schließlich den unsichtbaren gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang. Hierüberhinaus leitet er von dieser Entdeckung eine Aussage über die Summe seiner vierten Aufgabe ab. Im weiteren Verlauf der Szene entdeckt Justus schließlich zwei weitere gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge von ZF2: 2. Teilstruktur:
„immer sechs mehr“ (Z. 20) Die Summanden werden von links nach rechts um sechs größer.
210
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen 3. Teilstruktur:
„(fährt mit dem Stift von oben nach unten über die ersten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die zweiten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die dritten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben, fährt mit dem Stift von oben nach unten über die vierten Summanden der ersten bis vierten Aufgaben)“ (Z. 20) Es existieren vier Spalten.
Justus muss die sichtbaren Elemente, in diesem Fall die sichtbaren Summanden einer jeden Spalte mit den sichtbaren Summanden der nächsten Spalte, zueinander in Beziehung gesetzt haben, um diese zweite Teilstruktur entdecken und beschreiben zu können. Zudem unterteilt er die Summanden in insgesamt vier Einheiten bzw. Spalten. Die Unterteilung verbalisiert er zwar nicht, sie kann jedoch von seiner Zeigegeste abgeleitet werden. Ferner setzt er die entdeckten Teilstrukturen zueinander in Beziehung und bringt sie in Form einer Einmaleins-Aufgabe zum Ausdruck („vier mal sechs sind vierundzwanzig“, Z. 20). Justus geht bei der Entwicklung seines Arguments rekursiv vor, da er zunächst die Auswirkung der Veränderungen der Summanden beschreibt und erst im Anschluss Überlegungen dazu anstellt, wie diese Auswirkung zustande kommt. Nachdem er die regelmäßige Auswirkung entdeckt hat, stellt er Beziehungen zwischen den sichtbaren Summanden her, wodurch er eine globale Sichtweise auf die Zahlen einnimmt, um einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang der Zahlen zu benennen („immer sechs mehr“, Z. 20). Diese Entdeckung setzt er mit seiner Entdeckung, dass es vier Summanden bzw. Spalten gibt, zueinander in Beziehung, weshalb er dann die Regelmäßigkeit der Summenentwicklung begründen kann. Diese bestätigt er durch eine ihm bekannte Aufgabe des kleinen Einmaleins. Da er die beiden entdeckten Teilstrukturen zueinander in Beziehung setzt, seine Beschreibungen allerdings relativ konkret bzw. beispielbezogen durch Beobachtung am Einzelfall orientiert sind, sind seine Deutungen dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation komplex zuzuordnen.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen Typ
Gedeutet wird / werden Charakterisierung
Ziffern-Anordnung
Sichtbares
/
Beziehungen zwischen Sichtbarem
/
einfach Zahl-Operation
komplex
Zahl-Struktur
211
Summenentwicklung von Zeile zu Zeile „es werden vierundzwanzig mehr“ (Z. 14) → 4 Spalten Hierauf verweist Justus durch Zeigen, indem Beziehungen er nacheinander die ersten, dann die zweiten, zwischen Unsichtbarem dann die dritten und schließlich die vierten Summanden umfährt (Z. 20) → Vergleich der Summanden je Spalte „immer sechs mehr“ (Z. 20) Beziehungen von Beziehungen / zwischen Unsichtbarem
Abb. 5.46 ZF2 Justus – Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“
5.2.4.5 Schritt 5: Resümee Die Zahlenmustereinordnung von Justus Deutungsaussagen zu ZF2 (Abb. 5.46) zeigt, dass Justus zur Begründung, warum die Summen von Spalte zu Spalte (in seiner Notation von Zeile zu Zeile) um 24 größer werden, Beziehungen zwischen Unsichtbarem herstellt. Dies ist notwendig, da diese Veränderung nur begründet werden kann, wenn die zugrundliegende innermathematische Struktur untersucht und entdeckt wird. Mitzubedenken ist, dass Justus diesen Zusammenhang vermutlich nur entdeckt und hineingedeutet hat, da er im Vorfeld von der Interviewerin explizit hierzu aufgefordert wurde („Könntest du da jetzt schon etwas über das Ergebnis sagen, ohne dass du die einzelnen Summanden ausrechnest?“, Z. 11; „Warum werden das denn vierundzwanzig mehr?“, Z. 15). Wäre Justus Blick durch die Fragen der Interviewerin nicht auf eine mögliche Vorhersage über das Ergebnis gerichtet worden, hätte er die vierte Summe vermutlich ebenfalls bloß rein rechnerisch ermittelt. Dadurch, dass sein Blick durch die Interviewerin nun aber weg vom bloßen Ausrechnen gerichtet wurde, war er dazu in der Lage, innermathematische Zusammenhänge zu deuten. Ferner sei darauf hingewiesen, dass Justus unmittelbar vor dieser Szene dazu aufgefordert wurde, ZF2 zu beschreiben. Hier entdeckte er fünf innermathematische Strukturen (s. Analyseschritt 2, Kap. 5.2.4.2). Bei seiner (geschickten) Bestimmung aller Zahlen, schenkt er diesen Entdeckungen allerdings keinerlei Be-
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
212
achtung mehr. Erst als die Interviewerin Justus zur Vorhersage der Summenentwicklung auffordert, nutzt er einen der zuvor entdeckten und benannten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge. Hierdurch wird - stellvertretend für viele weitere Deutungsszenen zu ZF1 und ZF2 - deutlich, dass Kinder zwar häufig viele innermathematische Strukturen entdecken, dass diese aber im weiteren Deutungsprozess meistens nicht weiter beachtet werden. Erst wenn Kinder explizit dazu aufgefordert werden, diese mit zu bedenken, richten sie ihren Blick wieder auf die zugrundeliegenden innermathematischen Strukturen und berücksichtigen diese.
5.2.5
Marvin deutet Triff die 50
5.2.5.1 Schritt 1: Komplementäres Zahlenmusterverständnis In der hier ausgewählten Szene steht die Erkundung der in Abb. 5.47 dargestellten Td50-Streifen im Fokus. Streifen 4
Streifen 5
Abb. 5.47 Td50 Marvin
Marvin soll begründen, warum die ZZ um 20 kleiner wird, wenn die Startzahl beibehalten und die Additionszahl um zwei kleiner wird. Hierfür liegen zwei von Marvin ausgefüllte Td50-Streifen (Streifen39 4 und 5) vor ihm auf dem Tisch, die 39
Die Streifen sind entsprechend der chronologischen Entstehung durchnummeriert.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
213
diese Bedingung erfüllen. Beide Streifen besitzen je eine konkrete AZ, eine konkrete SZ, vier konkrete Feldzahlen (F2 bis F5) sowie je eine konkrete ZZ. Vergleicht man die beiden Streifen miteinander, lässt sich unmittelbar erkennen, dass beide Streifen mit der gleichen Startzahl beginnen. Wie sich die Veränderung der AZ um minus zwei im Detail auswirkt, kann hingegen nicht unmittelbar gesehen werden. Es kann lediglich an der Oberfläche erkannt werden, dass sich F2 von Streifen 4 im Vergleich zu F2 von Streifen5, F3 von Streifen 4 zu F3 von Streifen 5, etc. unterscheiden. Betrachtet man die Zahlen genauer, so lassen sich Unterschiede der Zahlen F2, F3, F4 und F5 wie folgt beschreiben: F2/Streifen 4 ist um zwei größer als F2/Streifen 5, F3/Streifen 4 ist um vier größer als F3/Streifen 5, F4/Streifen 4 ist um sechs größer als F4/Streifen 5, F5/Streifen 4 ist um acht größer als F5/Streifen 5. Ferner ist die ZZ/Streifen 4 um zwanzig größer als die ZZ/Streifen 5. Vergleicht man die hier genannten Veränderungen von F2, F3, F4 und F5 miteinander, so lässt sich feststellen, dass die Veränderungen von Feld zu Feld um je zwei größer werden (von Streifen 5 zu Streifen 4: +2, +4, +6, +8). Diese Entdeckung basiert auf dem gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang der Lernumgebung Td50: Die AZ ist in F2 einmal, in F3 zweimal, in F4 dreimal und in F5 viermal enthalten. Entsprechend ist die Veränderung der Additionszahl um plus zwei (von Streifen 5 zu Streifen 4) ebenfalls in F2 einmal, in F3 zweimal, in F4 dreimal und in F5 viermal enthalten. Da es sich in Marvins Beispiel um eine Veränderung um plus zwei handelt, wird die Zielzahl somit um genau 20 größer, denn es ergibt sich: 1·(+2) + 2·(+2) + 3·(+2) + 4·(+2) = 20. Setzt man in einen Td50-Streifen anstelle von konkreten Zahlen Variablen ein, ergibt sich für die Startzahl a und die Additionszahl b folgender gesetzlicher Zusammenhang für die Zielzahl (genaue Herleitung in Abb. 5.48): 5a + 10b = ZZ. Wird nun die Additionszahl um +d verändert, so ergibt sich für diese Zielzahl folgende Zusammensetzung: 5a + 10b + 10d = ZZ. Die Veränderung um +10d lässt sich herleiten, wenn man die Veränderung der einzelnen Feldzahlen miteinander vergleicht. Es ergibt sich: 1d + 2d + 3d + 4d = 10d.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
214
Zahlenmuster
Die ZZ wird um 20 kleiner, wenn die SZ beibehalten und die AZ um 2 verkleinert wird.
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge
Additionszahl + b
a
a+b
Additionszahl + 6
a + 2b a + 3b a + 4b 5a + 10b
Startzahl
Zielzahl
a
0
6
12
18
24
Startzahl
60 Zielzahl
Additionszahl + 4
Additionszahl + b+d
a+b+d a+2b+2d a+2b+3d a+4b+4d 5a+10b+10d
Startzahl
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
Zielzahl
0
4
8
12
16
Startzahl
40 Zielzahl
→ Veränderung um 1d + 2d + 3d + 4d = 10d
Abb. 5.48 Td50 Marvin - Komplementäres Zahlenmusterverständnis
5.2.5.2 Schritt 2: Informationen zur Szene In der ausgewählten Szene nimmt Marvin Deutungen zur Lernumgebung Triff die 50 vor. Die Szene stammt aus dem Post-Interview, das insgesamt 23 Minuten dauert. Die ausgewählte Szene umfasst sechs Minuten und 47 Sekunden. Im Vorfeld nahm Marvin bereits knappe acht Minuten Deutungen zu Td50 vor, in denen Folgendes geschah: Marvin erinnert sich zu Beginn des Interviews an die Lernumgebung Td50, die er bereits in den Prä-Interviews kennengelernt hatte. Beim Ausfüllen des ersten Streifens (Abb. 5.49) ist er sich allerdings hinsichtlich des korrekten Vorgehens (Ausfüllen des Streifens) unsicher. Er verweist darauf, dass er Td50 mit den Zahlengittern verwechselt, die in der Intervention bearbeitet wurden. Die richtige Vorgehensweise wird daraufhin von der Interviewerin erläutert. Im Anschluss wird Streifen 2 von Marvin entwickelt. Die ZZ 50 wird getroffen. Marvin gibt an, dass er sich an eine weitere Lösung vom letzten Mal erinnert und füllt Streifen 3 aus: „Da war vier und sechs, oder so.“ Als ZZ bei Streifen 3 erhält er 70, die zu groß ist. Er entwickelt Streifen 4 und gibt an, dass er es mit der AZ6 und der SZ0 einfach mal ausprobiert. Die ermittelte ZZ (60) von Streifen 4, die
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
215
von ihm nur genannt und nicht eingetragen wird, ist um zehn zu groß. Daraufhin fragt ihn die Interviewerin, ob er eine Idee hat, was man machen in diesem Fall machen könnte. Es folgt eine 45 Sekunden lange Sprechpause. Anschließend gibt Marvin an: „Ich denke, das müsste klappen, wenn man mit der Vier anfängt“. Streifen 5 wird von Marvin entwickelt. Er notiert neben AZ und SZ auch die Feldzahlen F2 bis F5. Additionszahl +
Streifen 1
0
10
10 20
30
40
100
10
10
50
18
22
70
18
24
12
14
Startzahl Additionszahl +
Streifen 2
10
10
0
10
Startzahl Additionszahl +
Streifen 3
6
10
4
14
Startzahl Additionszahl +
Streifen 4
0
6
6 12
Startzahl Additionszahl +
Streifen 5
0
4
4 8
Startzahl
Abb. 5.49 Td50 Marvin - Entstehungsreihenfolge
5.2.5.3 Schritt 3: Zusammenfassende Wiedergabe der Szene Phase 1 (Z. 1-10) Marvin wird zu Beginn der Phase von der Interviewerin gefragt, warum er die AZ „zwei kleiner gemacht“ (Z. 1) hat. Daraufhin sagt er, dass es insgesamt fünf Felder sind (F1 bis F5) und, dass alle fünf Feldzahlen je einen kleiner werden, wenn man die AZ um eins verringert. Ferner äußert er: „Und wenn man die dann nochmal einen kleiner macht, werden die dann nochmal (.) (leiser:) aber jetzt ist
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
216
es zu klein“ (Z.2). Die Interviewerin möchte von Marvin im Anschluss wissen, welche ZZ er erhält (Z. 3). Marvin ermittelt 38 als ZZ (Z.4). Daraufhin wird er von der Interviewerin dazu aufgefordert, sein Ergebnis zu überprüfen (Z. 5). Er widerruft seine Aussage und gibt 36 als ZZ an (Z. 6). Die Interviewerin weist ihn dann darauf hin, dass er sich bei F5 verrechnet hat (Z. 7). Marvin korrigiert diesen Fehler (aus F5 wird eine 16) und ermittelt infolgedessen 40 als ZZ von Streifen 5. Am Ende von Phase 1 notiert er die Zielzahlen von Streifen 4 und 5 (Z. 10, Abb. 5.50). Additionszahl +
Streifen 4
0
6
6 12
18
24
60
12
16
40
Startzahl Additionszahl +
Streifen 5
0
4
4 8
Startzahl
Abb. 5.50 Td50 Marvin - Streifen 4 und 5 (Phase 1)
Phase 2 (Z. 11-28) Zu Beginn von Phase 2 fangen Marvin und die Interviewerin parallel an zu sprechen. Während die Interviewerin auf die Additionszahl eingeht (Z. 11), geht Marvin auf die ZZ ein („dann wird die um zwanzig kleiner“, Z. 12). Die Aussage der Interviewerin bricht ab und sie geht auf Marvins Aussage ein („Warum [...] um zwanzig kleiner?“, Z. 13). Marvin antwortet: „Weil, ich glaube, wenn die Additionszahl (tippt auf AZ von Streifen 4) ein kleiner wird, wird das Ergebnis zehn kleiner“ (Z. 14). Die Interviewerin fragt nach: „Warum wär das so?“ (Z. 15), und es folgt eine 45 Sekunden lange Sprechpause. In dieser Sprechpause hat Marvin seinen Blick auf die Streifen 4 und 5 gerichtet (Z. 16). Nach dieser Pause sagt Marvin: „Ah, weil ja da, ehm“ (Z. 16) und die Interviewerin möchte wissen, was er überlegt (Z. 17). Es erfolgt eine zweite Sprechpause mit 25 Sekunden. Nach dieser Sprechpause gibt Marvin an, dass F2 von Streifen 5 um zwei kleiner ist als F2 von Streifen 5 (Z. 18) und, dass SZ von Streifen 4 ebenfalls um zwei kleiner ist als die SZ von F4 (Z. 20). Dabei zeigt er auf F2 von Streifen 4 und auf F2 von Streifen 5. Die Interviewerin macht ihn darauf aufmerksam, dass die Startzahlen gleich sind (Z 21). Marvin erwidert daraufhin: „Ja äh die ähm Zahlen danach“ (Z. 22), und zeigt dabei auf F2 von Streifen 4 und F2
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
217
von Streifen 5. In Zeile 24 beschreibt Marvin die Veränderungen von F2, F3, F4 und F5: F2 von Streifen 4 ist um zwei, F3 von Streifen 4 um vier, F5 von Streifen 4 um sechs und F5 von Streifen 4 um acht mehr als bei Streifen 5 (Z. 24). Die Interviewerin wiederholt in ihrer darauffolgenden Aussage die vier von ihm benannten Veränderungen (Z. 25). Daraufhin gibt Marvin an, dass es insgesamt 20 sind und äußert zudem: „Und deshalb sind das schon zwanzig weniger“ (Z. 28).
Phase 3 (Z. 29-34) Zu Beginn von Phase 3 fragt die Interviewerin nach, warum die Feldzahl F2 von Streifen 5 um zwei mehr ist als F2 von Streifen 4 (Z. 29). Marvin antwortet, dass dies so sei, weil die AZ von Streifen 4 auch um zwei größer ist als die AZ von Streifen 5 (Z. 30). Nachdem die Interviewerin Marvins Aussage wiederholt (Z. 31) möchte sie wissen, warum F3 von Streifen 5 um vier größer ist als F3 von Streifen 4 (Z. 33). Die Phase endet mit Marvins Erläuterung (Z. 34).
Phase 4 (Z. 35-48) Die Interviewerin gibt zu Beginn von Phase 4 an, dass sie bei Marvins Erläuterung (Phase 3) nicht vollständig mitgekommen ist (Z. 35). Daraufhin erklärt Marvin seine Aussage erneut. Die Interviewerin fragt hierbei zum Teil präzise nach (Z. 41, 43, 45, 47).
5.2.5.4 Schritt 4: Analyse 5.2.5.4.1 Schritt 4.1: Interpretative Analyse unter epistemologischer Perspektive Phase 1 (Z. 1-10) 1
I
2
Ma
3
I
Sag erstmal, bevor du es ausrechnest, warum hast du die Additionszahl (zeigt mit dem Zeigefinger auf die AZ von Streifen 5) jetzt zwei kleiner gemacht? Ja, ehm, ja weil das sind ja fünf (fährt mit dem Stift von F1 bis F5 von Streifen 5) und dann dacht ich, wenn man ehm dann hier die Additionszahl einen kleiner macht, dann werden die (fährt mit dem Stift von F1 bis F5 von Streifen 5) alle einen kleiner. #1 Und wenn man die dann nochmal einen kleiner macht, werden die dann nochmal (.) (leiser:) aber jetzt ist es zu klein. #1 Mhm.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
218
4 5 6 7
Ma I Ma I
8
Ma
9
I
10
Ma
Wie viel #2 kommt da denn jetzt raus? #2 Das wärn dann jetzt achten (...) achtendreißig. Mmm, da rechne nochmal nach. Ne sechsunddreißig. Ah ich seh grad, du hast hier (zeigt auf F5 von Streifen 5) auch verrechnet. Zwölf plus vier sind Oh, sechzehn. (.) Und dann sind das (tippt mit dem Stift auf Streifen 5) vierzig. Mhm. Guck mal, jetzt hattest du, vielleicht trägst du das nochmal ein (zeigt auf das Feld ZZ von Streifen 4) vorher sechzig # (zeigt auf Streifen 4) und da jetzt vierzig (zeigt auf Streifen 5). # (Ma trägt „60“ als ZZ bei Streifen 4 und „40“ als ZZ bei Streifen 5 ein) vierzig.
Gleich zu Beginn von Phase 1 fordert die Interviewerin Marvin zu einer Begründung auf („Warum...“, Z. 1). Folglich soll Marvin vor einer rechnerischen Bestimmung der noch unbekannten ZZ von Streifen 5 seine Wahl der AZ begründen. Er begründet seine Wahl damit, dass ein Td50-Streifen aus fünf Feldern besteht. Seine Aussage unterstützt er durch Zeigegesten auf die fünf Felder. Hierdurch greift er eine strukturelle Eigenschaft der substanziellen Lernumgebung auf. Diese setzt er ferner mit der Auswirkung der Veränderung der AZ um eins in Beziehung, denn er schlussfolgert: „wenn man ehm dann hier die Additionszahl einen kleiner macht, dann werden die (F1, F2, F3, F4 und F5) alle einen kleiner“ (Z. 2). Angemerkt sei, dass Marvins hier angebrachtes Argument nicht für die Auswirkung der Veränderung der AZ, sondern für die Auswirkung der Veränderung der SZ Gültigkeit besitzt (vgl. Kap. 4.4.1.3). Von seiner (falschen) Entdeckung über die Auswirkung der Veränderung der AZ um eins leitet er zudem eine entsprechende operative Auswirkung der Veränderung der AZ um zwei ab („nochmal einen kleiner“, Z. 2). Seine Aussage bricht er jedoch ab, da er vermutlich aufgrund seines ausgeprägten Zahlblicks erkannt hat, dass die ZZ nun zu klein wird. Die Interviewerin fragt im Anschluss nach, welche ZZ er erhält, womit sie ihn explizit zum Rechnen auffordert (Z. 3). Wie Marvin die insgesamt fünf Feldzahlen addiert, wird nicht deutlich. Aufgrund seines angegebenen Ergebnisses (38, Z. 4) weist ihn die Interviewerin mit ihrer Aussage in Zeile 5 auf einen Rechenfehler hin, der jedoch gar nicht existiert, da die Addition der fünf sichtbaren Zahlen (0, 4, 8, 12, 14) tatsächlich 38 ergibt. Der eigentliche Fehler liegt bei der vorherigen Bestimmung von F5. F5 hätte um zwei größer sein müssen. Schließlich macht ihn die Interviewerin mit ihrer Aussage in Zeile 7 hierauf
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
219
aufmerksam. Im weiteren Verlauf erfolgt die Korrektur von F5 und die Berechnung der ZZ von Streifen 5. Marvin stellt in dieser ersten Phase eine erste Vermutung über die Auswirkung der Veränderung der AZ auf. Diese beruht auf gesetzmäßige, strukturellen Eigenschaften der Lernumgebung (5 Felder) und der, wenn auch fehlerhaft hergeleiteten und somit falsch beschriebenen, Auswirkung der Veränderung der AZ. Basierend auf dieser Vermutung hat Marvin die AZ von Streifen 4 um zwei verringert, um hierdurch eine um zehn kleinere ZZ zu erhalten.
Phase 2 (Z. 11-28) 11 12
I Ma
13 14
I Ma
15 16
I Ma
17 18
I Ma
19 20
I Ma
21
I
Du # hattest ja jetzt die Additionszahl [vorhin] # (unverständlich) ja dann wird die um zwanzig kleiner. (Ma greift nach einem neuen Streifen). Warum wird die denn um zwanzig kleiner? Weil, ich glaube, wenn die Additionszahl (tippt auf AZ von Streifen 4) ein kleiner wird, wird das Ergebnis zehn kleiner. Warum wär das so? Mmm. (45 Sek. Sprechpause, Marvin blickt dabei auf Streifen 4 und 5) (schaut zur Interviewerin) Ah, (blickt wieder auf Streifen 4 und 5) weil ja da, ehm # # Was überlegst du? (leise:) ja, warum. (25 Sek. Sprechpause, Marvin blickt dabei auf Streifen 4 und 5) A, weil die Weil diese da (wedelt mit dem Stift über Streifen 4 und Streifen 5 hin und her) weil nur die ersten Zahlen (tippt kurz auf F2 Streifen 4 und auf F2 Streifen 5) also die (tippt auf AZ Streifen 5 und dann auf AZ Streifen 4) sind ja zum Beispiel zwei kleiner. Mmh. Das dann sind die Startzahlen (hält Zeigefinger und Daumen der linken Hand so gespreizt, dass der Zeigefinger über F2 Streifen 4 und der Daumen über F2 Streifen 5 ist) ja auch zwei kleiner. Die Startzahl ist gleich (zeigt mit dem rechten Zeigefinger auf SZ Streifen 4 und mit dem kleinen Finger der rechten Hand auf SZ Streifen 5), ne?
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
220 22
Ma
23 24
I Ma
25
I
26 27 28
Ma I Ma
Ja äh die ähm Zahlen danach (zeigt mit dem linken Zeigefinger auf F2 Streifen 4 und mit dem linken Daumen auf F2 Streifen 5). Ok. Also und dann, weil das ja ein kleiner ist (zeigt mit dem linken Zeigefinger auf F2 Streifen 5 und mit dem Stift, den er in der rechten Hand hält, auf F2 Streifen 4), ähm wi äh wird das (tippt mit dem Stift auf F3 Streifen 4) ja insgesamt vier kleiner (springt mit dem linken Zeigefinger von F2 zu F3 Streifen 5) weil ähm (.) ja ehm, weil die (zeigt mit dem Stift, den er in der rechten Hand hält, auf F2 Streifen 4 und mit dem linken Zeigefinger auf F2 Streifen 5) is dann ja schon zwei größer und die wird ja auch immer zwei grö (zieht den Stift von F1 zu F2 Streifen 4, tippt mit dem Stift auf F3 Streifen 4) zwei me mehr zwei (unverständlich) äh zw z ähm zwei einer mehr als die (tippt mit dem Stift unterhalb von F3 Streifen 5) und deshalb wird das dann ja hier (bewegt den Stift von F3 Streifen 4 zu F3 Streifen 5 und zurück) vier mehr, dann sind das hi [hier] (fährt mit dem Stift mehrmals von F4 Streifen 4 zu F4 Streifen 5) ja schon sechs mehr, und hier (fährt mit dem Stift von F5 Streifen 4 zu F5 Streifen 5, zeigt mit dem Stift auf F5 Streifen 5) acht. Mmh. (..) Du hast jetzt zwei mehr, vier mehr, sechs mehr und acht mehr (macht dabei mit dem rechten Zeigefinger von links nach rechts vier Bögen auf dem Tisch). (schaut zur I) Ja und das sind dann insgesamt zwanzig. Ja Und deshalb sind das dann zwanzig weniger.
Phase 2 startet, indem die Interviewerin auf die Additionszahl verweist (Z. 11) und Marvin parallel hierzu die Auswirkung der Veränderung der AZ um minus zwei angibt (Z. 12). Während Marvin seine Aussage weiter fortführt, bricht die Interviewerin ihre Aussage ab. Somit wird nicht deutlich, was genau die Interviewerin mit der AZ ansprechen möchte. Im Folgenden geht die Interviewerin schließlich auf Marvin Aussage ein, indem sie wissen möchte, warum die ZZ um 20 kleiner wird (Z. 13). Sie fordert für diese Auswirkung der ZZ um minus 20 somit eine Begründung ein. Marvin beantwortet die Frage, indem er eine Vermutung über die Veränderung der Auswirkung der AZ um minus eins angibt („wenn die Additionszahl einen kleiner wird, wird das Ergebnis zehn kleiner“, Z. 14). In Phase 1 hatte er eine erste Aussage über die Auswirkung der Veränderung der
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
221
AZ getroffen (Z. 2). Diese wurde jedoch durch rechnerische Überprüfung widerlegt (Z. 2 und 10). Marvin startet nun einen zweiten Begründungsversuch. Es scheint, dass er hierbei etwas vorsichtiger geworden ist („Ich glaube“, Z. 14). Die Interviewerin ist mit Marvins Aussage noch nicht zufrieden, denn sie fragt explizit weiter nach („Warum wär das so?“, Z. 15). Dass sie in ihrer Nachfrage den Konjunktiv wählt, lässt für Marvin offen, ob seine Vermutung stimmt oder nicht. Zudem fordert sie ihn mit ihrer Nachfrage auf, eine detaillierte Aussage zu treffen. Hierfür ist eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen der substanziellen Lernumgebung unumgänglich. Das heißt, dass Marvin die sichtbaren Zahlen genauer betrachten und sie zueinander in Beziehung setzen sollte, um seine Vermutung sicher zu begründen. Es folgt eine 45 Sekunden lange Sprechpause (Z. 16), auf die eine weitere Sprechpause von 25 Sekunden folgt (Z. 18). An dieser Stelle lassen sich keine sicheren Aussagen bzw. Deutungen darüber treffen, was Marvin in diesen Sprechpausen denkt. Da sein Blick jedoch stets auf die beiden Streifen 4 und 5 gerichtet ist, besteht eine mögliche Vermutung darin, dass er die ausgefüllten Td50-Streifen 4 und 5 genau betrachtet und miteinander vergleicht. So könnte es sein, dass er die miteinander korrespondierenden Zahlenpaare (F1 Streifen 4 und F1 Streifen 5, F2 Streifen 4 und F2 Streifen 5, etc.) gegenüberstellt und in Zusammenhang setzt. Nach diesen beiden Sprechpausen bezieht sich Marvin in Zeile 18 zunächst unspezifisch auf F2 („weil diese da [...] weil nur die ersten Zahlen“, Z. 18) und dann spezifisch auf die AZ von Streifen 4 und 5 („auch zwei kleiner“, Z. 20). In Zeile 20 entwickelt er einen kausalen Zusammenhang, der sich aus der Veränderung der AZ ergibt: „dann sind die Startzahlen ja auch zwei kleiner“ (Z. 18). Angemerkt sei, dass er F2 als „die ersten Zahlen“ (Z. 18) und „die Startzahlen“ (Z. 20) bezeichnet. Die Wahl seiner Bezeichnung für die Zahlen in F2 könnte implizit zum Ausdruck bringen, dass ab hier Veränderungen der Feldzahlen existieren. Das Feld F2 stellt somit den Startpunkt für diese Veränderungen dar. Auch obwohl Marvin bei seiner Aussage mit seinem linken Zeigefinger und seinem linken Daumen auf die von ihm gemeinten Felder F2 zeigt, wird eine Irritation der Interviewerin deutlich. So weist sie ihn darauf hin, dass „die Startzahl“ (Z. 21) gleich ist. Dabei zeigt sie auf die von der Lernumgebung her so bezeichneten Startzahlen, die links neben F2 stehen. Daraufhin passt Marvin seine Bezeichnung für die Zahlen aus F2 an („die [...] Zahlen danach“, Z. 22). Nach Klärung des begrifflichen Missverständnisses gibt die Interviewerin schließlich ihr Einverständnis („Ok“, Z. 23). Dieses Ok entspricht an dieser Stelle einer institutionalisierten, positiven Rückmeldung, die Marvin entsprechend aufgreift.
222
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Marvin bezieht sich bei seinen Äußerungen unmittelbar auf F2 und gibt hierfür eine erste Auswirkung der Veränderung der AZ an. Auf die Startzahl (F1) geht er nicht ein. Dies könnte daran liegen, dass sich die Veränderung der AZ hier noch nicht auswirkt und die Startzahlen (F1) somit nicht von Relevanz für die Veränderung der ZZ ist. In Zeile 24 führt Marvin seinen Begründungsansatz, warum die ZZ um 20 größer wird, weiter fort. Da es sich hierbei um eine komplexe Aussage handelt, sei diese im Folgenden noch einmal angegeben, um die anschließende Interpretation nachvollziehbarer zu gestalten. „Also und dann, weil das ja ein kleiner ist (zeigt mit dem linken Zeigefinger auf F2 Streifen 5 und mit dem Stift, den er in der rechten Hand hält, auf F2 Streifen 4), ähm wi äh wird das (tippt mit dem Stift auf F3 Streifen 4) ja insgesamt vier kleiner (springt mit dem linken Zeigefinger von F2 zu F3 Streifen 5) weil ähm (.) ja ehm, weil die (zeigt mit dem Stift, den er in der rechten Hand hält, auf F2 Streifen 4 und mit dem linken Zeigefinger auf F2 Streifen 5) is dann ja schon zwei größer und die wird ja auch immer zwei grö (zieht den Stift von F1 zu F2 Streifen 4, tippt mit dem Stift auf F3 Streifen 4) zwei me mehr zwei (unverständlich) äh zw z ähm zwei einer mehr als die (tippt mit dem Stift unterhalb von F3 Streifen 5) und deshalb wird das dann ja hier (bewegt den Stift von F3 Streifen 4 zu F3 Streifen 5 und zurück) vier mehr, dann sind das hi [hier] (fährt mit dem Stift mehrmals von F4 Streifen 4 zu F4 Streifen 5) ja schon sechs mehr, und hier (fährt mit dem Stift von F5 Streifen 4 zu F5 Streifen 5, zeigt mit dem Stift auf F5 Streifen 5) acht.“ (Z. 24) Zu Beginn benennt Marvin den Unterschied zwischen F2 Streifen 5 und F2 Streifen 4. Marvin wählt hier die Formulierung, dass F2 Streifen 5 um „ein kleiner“ als F2 Streifen 4 ist. Tatsächlich beträgt dieser Unterschied allerdings zwei. Da Marvin im Vorfeld angab (Z. 20), dass F2 Streifen 5 um zwei kleiner als F2 Streifen 4 ist, liegt die Vermutung nahe, dass Marvin an dieser Stelle zum Ausdruck bringen möchte, dass F2 Streifen 5 um einmal zwei kleiner geworden ist als F2 Streifen 4. Nachdem er den Unterschied von F2 benannt hat, geht er auf den Unterschied von F3 Streifen 4 und F3 Streifen 5 ein („insgesamt vier kleiner“). Nach Benennung dieses Unterschiedes begründet er zudem die Entwicklung dieses Unterschiedes. So begründet er dies damit, dass F2 Streifen 4 bereits um zwei größer als F2 Streifen 5 ist. Ferner setzt er diese Beziehung mit der Tatsache in Zusammenhang, dass die Zahlen in Streifen 4 immer um zwei größer mehr werden als die Zahlen in Streifen 5. Deshalb ist F3 Streifen 4 um vier größer als F3 Streifen 5 („die (F2 Streifen 4) is dann ja schon um zwei größer und die wird ja auch immer zwei [...] mehr“). Für F4 und F5 gibt er im Folgenden
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
223
keine allzu ausführliche Erläuterung mehr an. So benennt er lediglich die Veränderung („sechs mehr und hier acht“). In Zeile 24 verbleibt Marvin für den Vergleich der sichtbaren Zahlen somit ausschließlich in den beiden konkreten Td50-Streifen 4 und 5. Sein Fokus liegt dabei auf den Unterschieden der sichtbaren Feldzahlen. Hierfür nimmt er einen vertikalen und direkten Vergleich der Zahlenpaare F2, F3, F4 und F5 vor. Ferner geht er auf die horizontale Entwicklung der Feldzahlen eines Streifens ein. Hierbei berücksichtigt er jedoch, dass die Zahlen in Streifen 4 immer um zusätzlich zwei mehr werden als die Zahlen in Streifen 5. Auf die Additionszahl geht er dabei nicht explizit ein. Ihre Veränderung (von vier zu sechs bzw. zwei mehr/ weniger) spielt hierbei aber stets implizit eine Rolle, die von ihm berücksichtigt wird. Nachdem die Interviewerin Marvins Aussage in Zeile 24 kurz Zustimmung („Mhm“, Z. 25) gibt, wiederholt sie die von ihm entdeckten Unterschiede der Zahlenpaare F2, F3, F4 und F5 (Z. 25). Ihre Aussage erscheint als ein Resümee von Marvins Entdeckungen. Daraufhin setzt Marvin die von der Interviewerin zusammengefassten Unterschiede zueinander in Beziehung, indem er die Summe dieser vier Veränderungen ermittelt (Z. 26). Abschließend gibt er die ermittelte Summe 20 als Grund für die Veränderung der ZZ an („Und deshalb sind das dann zwanzig weniger“, Z. 20). Die Frage nach dem Warum, die am Anfang der Szene von der Interviewerin gestellt wurde (Z. 13), scheint somit geklärt zu sein. Abschließend lässt sich festhalten, dass Marvin zur Beantwortung der Frage, warum die AZ um 20 kleiner wird, die sichtbaren Zahlen zueinander in Beziehung setzt und deren Veränderungen benennt. Hierüberhinaus hat er die Entstehung der Veränderungen mitbedacht und mit angegeben. Diese Veränderung ist an dieser Stelle nicht unmittelbar sichtbar. Das von Marvin entwickelte Argument, warum die ZZ um 20 größer bzw. kleiner wird, wenn man die AZ um eins erhöht bzw. verringert, stellt ein fallbezogenes, an konkreten Zahlen festgelegtes Ergebnis dar.
Phase 3 (Z. 29-34) 29
I
30
Ma
Und warum wurd, vielleicht sag nochmal warum (zeigt kurz auf F2 Streifen 4) wurd das jetzt (zeigt auf F2 Streifen 5) hier die erste Zahl um zwei mehr? Weil die (zeigt mit dem Stift auf AZ Streifen 4) ist ja die Additionszahl is ja auch um zwei größer als (zeigt mit dem Stift auf Streifen 5) die Additionszahl.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
224 31
I
32 33
Ma I
34
Ma
Ok (zeigt noch immer auf F2 Streifen 5) bei der ersten Addition hat man ja zweimal mehr zwei mehr dazu getan, ne? Ja. Und warum wird das denn dann danach (zeigt auf F3 Streifen 5) um vier mehr? (zeigt auf F3 Streifen 4 und dann wieder auf F3 Streifen 5) Ähm ja weil dann is ja schon um zwei kleiner (zeigt in Richtung F2 Streifen 5), und dann ähm n die wenn das (tippt mit dem Stift auf F2 Streifen 4) plus zwei wär wär die erst ähm äh gleich groß weil die (zeigt mit dem Finger kurz auf F3 und dann auf F2 Streifen 4) is ja um zwei größer und die wird ja nur um vier größer (zeigt auf F3 Streifen5) das heißt (fährt mit dem Stift über F2 und F3 Streifen 5) der Unterschied von den bei von der und der (tippt auf F2 Streifen 5 und dann auf F2 Streifen 4) is ähm nur zwei und da (zeigt vage in Richtung AZ Streifen 4 und dann auf F3 Streifen 4) rechnet man ja dann plus sechs.
Nachdem in Phase 2 Marvins Begründung akzeptiert zu scheinen schien, wird Marvin in Phase 3 erneut zu einer Begründung aufgefordert (Z. 29). So soll er erklären, warum F2 von Streifen 4 um zwei größer ist als F2 von Streifen 5. Marvin wiederholt sein in Phase 2 entwickeltes Argument nicht einfach, sondern er stützt seine Aussage nun explizit auf die Veränderung der AZ, indem er diese miteinander vergleicht und den existierenden Unterschied benennt (Z. 30). Während dieser Aspekt in Phase 2 nicht explizit genannt wurde, wird er hier also nun explizit genannt. Es bleibt dabei jedoch offen, ob es sich bei Marvins Aussage um eine reine Beobachtung handelt oder um eine Beziehung, die er nutzt, um den Zusammenhang der Zahlen in den Streifen zu erläutern. Auf Marvins Aussage gibt die Interviewerin erneut ihr Einverständnis („Ok“, Z. 31) und fasst mit ihren Worten zusammen, dass bei der ersten Addition „zwei mehr dazugetan“ (Z. 31) wurden. Hierdurch fokussiert sie auf eine erste Addition, die sie sprachlich auch so benennt. Bei ihrer Aussage verspricht sie sich („zweimal mehr“) und verbessert sich schließlich („zwei mehr dazugetan“). Nachdem geklärt wurde, warum sich die Feldzahlen F2 von Streifen 4 und 5 um zwei unterscheiden, lenkt die Interviewerin den Fokus auf die Veränderung bei F3 („Warum wird das denn dann danach um vier mehr?“, Z. 33). Marvin betrachtet die vor ihm liegenden Streifen 4 und 5 und bezieht sich erneut darauf, dass F2 von Streifen 5 schon um zwei kleiner ist. Als F2 von Streifen 4 (Z. 34). Anschließend gibt Marvin an, dass eine Addition der Feldzahl F2 von Streifen 4
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
225
mit der Zahl Zwei das gleiche Ergebnis hätte wie die Feldzahl F3 von Streifen 5. Warum Marvin hier eine andere arithmetische Bestimmung von F3 von Streifen 4 angibt, die nicht auf den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen der Lernumgebung Td50 basiert, bleibt unklar. Jedenfalls wären dann die beiden Feldzahlen F3 von Streifen 4 und 5 gleich. Marvins folgende Aussage („weil die (zeigt mit dem Finger kurz auf F3 und dann auf F2 Streifen 4) is ja um zwei größer und die wird ja nur um vier größer (zeigt auf F3 Streifen 5)“, Z. 34), die vermutlich eine Begründung für seine zuvor aufgestellte neue arithmetische Rechnung darstellen soll („weil“, Z. 34) kann nicht eindeutig rekonstruiert werden. Es wird nicht deutlich, worauf Marvin sich bezieht und was genau er mit dieser Aussage kundtun möchte. Im Folgenden fasst er seine zuvor getätigte Aussage zusammen („das heißt“, Z. 34). Hierbei benennt er zunächst erneut den Unterschied zwischen F2 von Streifen 4 und F2 von Streifen 5. Seine Aussage unterstützt er durch Zeigegesten, indem er auf die entsprechenden Feldzahlen zeigt. Abschließend gibt er an, dass man zur Bestimmung von F3 die Additionszahl Sechs hinzuaddieren muss. Das Wort Additionszahl verwendet er hier nicht, er verweist jedoch durch Zeigen auf die AZ von Streifen 4. Abschließend lässt sich festhalten, dass in Phase 2 zunächst erneut geklärt wird, warum sich die Feldzahlen F2 von Streifen 4 und 5 um zwei unterscheiden (Z. 29 und 30). Marvin begründet dies mit der Tatsache, dass die AZ sich ebenfalls um zwei unterscheiden. Im Anschluss soll dann von Marvin erklärt werden, warum sich die Feldzahlen F3 von Streifen 4 und 5 um vier unterscheiden. Marvins angebrachte Äußerungen hierzu lassen sich leider nicht eindeutig nachvollziehen bzw. rekonstruieren. Es kann lediglich sicher festgehalten werden, dass er erneut den Unterschied der Feldzahl F2 benennt und abschließend die konstante Veränderung der Feldzahlen von Streifen 4 benennt („da rechnet man ja plus sechs“, Z. 34).
Phase 4 (Z. 35-48) 35
I
36
Ma
37
I
(unverständlich) da bin ich jetzt grad nicht ganz mitgekommen. (..) Nochmal. Mm also ähm hier (legt den linken Zeigefinger auf F2 Streifen 4 und den linken Daumen auf F2 Streifen 5) hier is ja ein zwei größer. Oben (zeigt links neben Streifen 4) haben wir sechs unten haben wir die Vier (zeigt auf F2 Streifen 5).
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
226 38 39 40
Ma I Ma
41
I
42
Ma
43
I
44
Ma
45
I
46
Ma
47
I
48
Ma
Ja. Ja. Und dann rechnet (hält den Stift oberhalb von F3 Streifen 4) man ja plus sechs. Warum ist das (zeigt mit dem Finger auf F2 Streifen 4) denn jetzt schon alleine dann um zwei (fährt mit dem Finger zu F2 Streifen 5) größer geworden? Na weil, weil die (zeigt auf AZ Streifen 5) Additionszahl (zeigt auf AZ Streifen 4 und wieder auf AZ Streifen 5) ja um zwei kleiner ist. Gut, ok. #1 Bis dahin (zeigt mit dem linken kleinen Finger auf F2 Streifen 4 und mit dem linken Zeigefinger auf F2 Streifen 5) hab ich das jetzt verstanden wie die vier und die sechs. Und dann? #1 (unverständlich) Und dann ähm wär da war mh die sechs (zeigt mit dem Stift, den er mit der rechten Hand hält, vage in Richtung AZ Streifen 4) is ja zwei größer, und äh ja und da (zeigt mit dem linken Zeigefinger auf F2 Streifen 5 und mit dem Stift auf F2 Streifen 4) ist die ja schon also die ist ja schon zwei größer und wird (deutet mit dem Stift von links nach rechts zwei Bögen in der Luft an) immer um zwei größer #2 , also wird die da (zeigt mit dem Stift auf F3 Streifen 4 und mit dem linken Zeigefinger auf F3 Streifen 5) schon um vier größer. #2 Mmh. Und beim nächsten dann? Dann (zeigt mit dem Stift auf F4 Streifen 4) wird die ja schon um sechs größer weil die is ja schon um um vier größer (macht mit der rechten Hand einen Bogen in der Luft), und wird noch um #3 zwei größer (macht mit der rechten Hand einen zweiten Bogen in der Luft). #3 Mmh Ja und beim letzten Mal? Ja dann is sie ja schon um sechs größer und dann wird die um acht größer.
Im unmittelbaren Anschluss an Phase 3 gibt die Interviewerin kund, dass sie Marvins vorherige Äußerung (Z. 34) nicht vollständig nachvollziehen konnte
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
227
(Z. 35). Mit dem Wort „Nochmal“ fordert sie ihn somit zur erneuten Erläuterung auf. Bei seiner folgenden Erläuterung bezieht sich Marvin zunächst wieder auf die Veränderung der sichtbaren Feldzahlen F2 von Streifen 4 und 5. So wiederholt er erneut deren Unterschied: „ein zwei größer“ (Z. 36). Aufgrund seiner vorherigen Aussagen lässt sich darauf schließen, dass sich Marvin verspricht („ein“) und korrigiert („zwei“) oder aber, dass er zum Ausdruck bringen möchte, dass F2 einmal um zwei größer wird. Auch hier basieren Marvins Deutungen erneut auf die konkret vorkommenden sichtbaren Zahlen der beiden Td50-Streifen 4 und 5. Die Interviewerin verschärft dies, indem sie die beiden sichtbaren Feldzahlen F2 benennt („Oben (zeigt links neben Streifen 4) haben wir sechs, unten haben wir die vier (zeigt auf F2 Streifen 5)“, Z. 37). Nachdem sowohl Marvin als auch die Interviewerin kurze Zustimmung geben, fährt Marvin mit seiner Erläuterung weiter fort. So gibt er an, dass man zur Berechnung von F3 (Streifen 4) „plus sechs“ (Z. 40) rechnen muss. Marvin beschreibt hier den Entstehungsprozess von F3, der auf den Regeln von Td50 beruht. Die Interviewerin geht hierauf im Folgenden gar nicht ein, sondern sie legt den Fokus erneut auf F2 und fordert wiederholt einen Grund dafür ein, warum F2 (Streifen 4) um zwei größer geworden ist. Da Marvin bereits mehrfach den Unterschied zwischen F2 Streifen 4 und F2 Streifen 5 begründet hat, lässt sich daraus schließen, dass ihr Marvins bisherige Erläuterungen noch nicht präzise genug sind. Marvin beantwortet schließlich erneut ihre Frage (Z. 42). Hierbei geht er dieses Mal explizit auf die Differenz der beiden AZ der Streifen 4 und 5 ein („weil die (zeigt auf AZ Streifen 5) Additionszahl (zeigt auf AZ Streifen 4 und dann wieder auf AZ Streifen 5) ja um zwei kleiner geworden ist“, Z. 42). Schließlich gibt die Interviewerin ihr Einverständnis und gibt ferner kund, dass sie seine Erläuterungen bis zu diesem Punkt verstanden hat (Z. 43). Zudem fragt sie nach, wie es dann weitergeht („Und dann?“, Z. 43). Diese Nachfrage impliziert, dass sie auch für die noch zu erklärenden Unterschiede der Feldzahlen F3, F4 und F5 eine Erläuterung bzw. Begründung haben möchte. Marvin wiederholt daraufhin den Unterschied der beiden AZ („sechs (AZ Streifen 4) is ja zwei größer“, Z. 44). Anschließend bezieht er sich erneut auf F2 von Streifen 4 und 5. Da die Veränderung (der AZ) zwei größer schon einmal in F2 enthalten ist, ist F2 von Streifen 4 entsprechend um zwei größer als F2 von Streifen 5. Ferner führt er fort, dass die Veränderungen innerhalb eines Streifens (horizontal betrachtet), immer eine Veränderung „um zwei größer“ (Z. 44) mit sich bringen. Daraus folgert er („also“, Z. 44), dass F3 von Streifen 4 insgesamt schon um vier größer ist als F2 von Streifen 5. Die Interviewerin signalisiert ihm Zustimmung („Mhm“, Z. 45) und fragt ferner nach, wie es sich bei der nächsten Feldzahl verhält. Zur Erläuterung
228
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
und Begründung, warum F4 von Streifen 4 um sechs größer als F4 von Streifen 5 wird, bezieht sich Marvin auf F3. Da F3 von Streifen 4 bereits um vier größer ist als F3 von Streifen 5, muss man zu dieser Veränderung erneut zwei hinzutun, da diese Zahl noch um zwei größer wird. Eine analoge und vom Wortlaut her ziemlich identische Begründung entwickelt Marvin schließlich für die Entstehung von F5 (Z. 48). Durch Marvins sehr konkrete und kleinschrittige Aussagen wird sein Vorgehen nun deutlich. So bezieht er sich zur Entstehung einer Feldzahl stets auf die vorherige Feldzahl und setzt diese mit der neuen bzw. folgenden Feldzahl zueinander in Beziehung. Dies wird exemplarisch an der folgenden Aussage zur Entstehung der Feldzahl F4 deutlich: „Dann (zeigt mit dem Stift auf F4 Streifen 4) wird die ja schon um sechs größer weil die is ja schon um um vier größer (macht mit der rechten Hand einen Bogen in der Luft), und wird noch um # zwei größer (macht mit der rechten Hand einen zweiten Bogen in der Luft).“ (Z. 46) Abschließend lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Marvin in Phase 4 seine Überlegungen und Vorgehensweisen kleinschrittig benennt. Hierdurch wird sein Vorgehen verständlich, was in Phase 3 nicht der Fall war. Zur Begründung der Veränderungen der Feldzahlen F2, F3, F4 und F5 der Streifen 4 und 5 bezieht er sich auf die Veränderung der AZ, welche in Streifen 4 um zwei größer ist als die in Streifen 5. Diese operative Veränderung berücksichtigt er bei der Auswirkung und somit Entstehung der neuen Feldzahl. Zudem lässt sich festhalten, dass er sich zur Entstehung der neuen Feldzahl stets auf die vorherige Feldzahl bezieht.
Abschließend sei noch erwähnt, dass Marvin in seinen Deutungen zwischen größer und kleiner hin- und herwechselt. Da ihm hierbei jedoch keinerlei Fehler bzw. Verwechslungen passieren, wurde dieser Wechsel bei den Analysen außer Acht gelassen.
5.2.5.4.2 Schritt 4.2:
Einordnung zentraler Analyseergebnisse in das epistemologische Dreieck
Innerhalb der ersten Deutungsphase wird von der Interviewerin in Zeile 1 die Veränderung der Additionszahl um minus zwei zum fraglichen Zeichen, indem sie nach einem Grund für diese Veränderung fragt. Marvin begründet seine Veränderung in zwei Schritten. Zunächst erläutert er die Auswirkung der Veränderung der AZ um minus eins. Hierbei bezieht er sich auf eine strukturelle Eigenschaft des Aufgabenformates (fünf Felder). Seine verbale Äußerung unterstützt
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
229
er zudem durch Zeigen auf die fünf Felder. In diesem Zusammenhang gibt er an, dass jede der fünf Feldzahlen um eins kleiner werden (Z. 2). Hierdurch ergibt sich eine Veränderung der ZZ um minus fünf. Im weiteren Verlauf nutzt er diese Entdeckung bzw. Vermutung über die Auswirkung der Veränderung der AZ um minus eins und führt sie schlussfolgernd weiter fort. So gibt er an, dass die fünf Feldzahlen bei erneuter Verringerung um eins erneut je um einen kleiner werden (Z. 2). Diese erneute Verringerung hat somit zur Folge, dass die ZZ um zehn kleiner wird. Insgesamt lassen sich Marvins Deutungen der ersten Phase somit in folgendem epistemologischen Dreieck darstellen (Abb. 5.51): Objekt / Referenzkontext
Additionszahl + 4 0 Startzahl
4
8
12
16 Zielzahl
Zeichen / Symbol
„Warum hast du die Additionszahl (Streifen 5) jetzt zwei kleiner gemacht?“ (Z. 1)
AZ einen kleiner „weil das sind ja fünf Felder (fährt von F1 bis F5 von Streifen 5) und [...] wenn man die Additionszahl einen kleiner macht, dann werden die (fährt von F1 bis F5 von Streifen 5) alle einen kleiner.“ (Z. 2) AZ zwei kleiner „und wenn man die dann nochmal einen kleiner macht, werden die dann nochmal“ (Z. 2) Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von Td50
Abb. 5.51 Td50 Marvin - Phase 1 - Epistemologisches Dreieck
Indem die Interviewerin in Phase 2 von Marvin eine Begründung für die Verringerung der Zielzahl um 20 (Z. 13) einfordert, wird diese Veränderung zum fraglichen Zeichen gemacht, das gedeutet werden soll. Bei einer Begründung für diese Veränderung spielen die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge der substantiellen Lernumgebung Triff die 50 eine bedeutende Rolle (Begriff). Marvin bezieht sich in seinen Erläuterungen bzw. in seiner Begründung stets auf die
230
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
beiden vor ihm liegenden Td50-Streifen 4 und 5. So vergleicht er zum einen die sichtbaren und konkreten Feldzahlen F2, F3, F4 und F5 der Streifen 4 und 5 miteinander. Hierfür gibt er zu F2 an, dass F2 Streifen 5 „ein kleiner“ (Z. 24) (im Sinne von einmal zwei kleiner) als F2 Streifen 4 ist. Zu F3 gibt er an, dass F3 Streifen 5 um insgesamt 4 kleiner wird als F3 Streifen 4 bzw. andersherum betrachtet F3 Streifen 4 um „vier mehr“ (Z. 24) wird als F3 Streifen 5. Dies begründet er damit, dass F2 Streifen 4 schon um zwei größer als F2 Streifen 5 ist, und dass die Zahlen in Streifen 4 um zwei mehr werden als die Zahlen in Steifen 5. Er berücksichtigt hier also neben dem konkreten Vergleich der beiden Streifen auch die Entwicklung der Feldzahlen innerhalb eines Streifens. Diese Entwicklung beruht auf den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen des Aufgabenformats Td50. Abschließend werden die entdeckten und beschriebenen vier Unterschiede der Feldzahlen F2, F3, F4 und F5 von ihm zueinander in Beziehung gesetzt, indem er die Summe dieser Zahlen ermittelt (Z. 26 und 28). Basierend auf den angestellten Analysen (s. auch Analyseschritt 4.1 - Phase 2) lassen sich Marvins Äußerungen im folgenden epistemologischen Dreieck40 darstellen (Abb. 5.52).
40
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass Marvins sehr umfassende und komplexe Äußerung in Zeile 24 innerhalb des epistemologischen Dreiecks zusammengefasst bzw. paraphrasierend wiedergegeben wird. Diese zusammenfassende Wiedergabe basiert auf den zuvor angestellten Analysen. Marvins genaue verbale Aussagen sowie seine dazugehörigen Zeigegesten lassen sich dem Transkript entnehmen.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
231
Objekt / Referenzkontext
▶ Vergleich der Feldzahlen Streifen 4
Additionszahl + 6 0
6
12
18
24
Startzahl Streifen 5
60 Zielzahl
Additionszahl + 4 0
4
8
12
16
Startzahl
40
Zeichen / Symbol
Zielzahl
Begründung für die Veränderung der ZZ „Warum wird die (ZZ) denn um zwanzig kleiner?“ (Z. 13)
▶ Zeile 24 (zusammengefasst, s. Tranksript) F2 Streifen 5 „ein kleiner“ als F2 Streifen 4 einmal um zwei kleiner F3 Streifen 4 vier mehr als F3 Streifen 5 Grund: F2 Streifen 4 schon um zwei größer als F2 Streifen 5 Die Zahlen in Streifen 4 werden ja immer um zwei größer als die Zahlen in Streifen 5 F4 Streifen 4 sechs mehr als F4 Streifen 5 F5 Streifen 5 acht mehr als F5 Streifen 5
▶ Abschluss „zwei mehr, vier mehr, sechs mehr und acht mehr“ (Z. 25) Ma „insgesamt zwanzig“ (Z. 26) „deshalb zwanzig weniger“ (Z. 28) I
Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von Td50
Abb. 5.52 Td50 Marvin - Phase 2 - Epistemologisches Dreieck
Für die Phasen 3 und 4 lässt sich ein epistemologisches Dreieck erstellen, da Marvins Vorgehen in Phase 3 nicht eindeutig zu rekonstruieren ist und er seine Deutungen aus Phase 3 in Phase 4 kleinschrittiger und präziser wiederholt. Somit ist in beiden Phasen das gleiche Zeichen / Symbol fraglich, was von Marvin gedeutet werden soll: Marvin soll begründen, wie die Veränderungen bzw. Unterschiede der Feldzahlen F2 (zwei mehr), F3 (vier mehr), F4 (sechs mehr) und F5 (acht mehr) der Td50-Streifen zustande kommen. D. h., dass beim Deuten dieser
232
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Unterschiede der begriffliche Kontext, der sich in den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen der Lernumgebung Td50 ergibt, geklärt werden soll. Marvin erläutert und begründet die Unterschiede der Feldzahlen F2, F3, F4 und F5 nacheinander. Zur Erläuterung des Unterschieds der Feldzahlen F2 von Streifen 4 und 5 bezieht er sich zunächst auf die sichtbaren und konkreten Feldzahlen, auf die er durch Zeigen verweist. So gibt er an, dass F2 Streifen 4 um zwei größer ist als F2 von Streifen 5. Diesen Unterschied begründet er damit, dass die AZ der beiden Streifen ebenfalls einen Unterschied von zwei aufweisen. Um den Unterschied der beiden Feldzahlen F3 zu begründen, bezieht sich Marvin auf zwei Teilstrukturen des Zahlenmusters. So berücksichtigt er zum einen die Differenz der beiden AZ und zum anderen die Beziehung bzw. den regelmäßigen Zuwachs der Feldzahlen eines Streifens („wird immer um zwei mehr“, Z. 44). Dieser Zuwachs steht für Marvin wiederum in Abhängig mit der Differenz der beiden AZ. Daraus ergibt sich für Marvin der gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhang, dass F2 schon um zwei, aufgrund der um zwei größeren AZ, größer wurde und F2 erneut um zwei größer wird, sodass F3 von Streifen 4 insgesamt vier größer wird als F3 von Streifen 5. Um die Unterschiede bei F4 und F5 zu begründen, überträgt Marvin sein für F3 entwickeltes Argument. Marvin nutzt zur Klärung des fraglichen Zeichens der entstehenden Unterschiede der Feldzahlen der Streifen 4 und 5 somit die konkreten Td50-Streifen 4 und 5. Seine verbalen Äußerungen unterstützt er zudem durch Zeigegesten, welche im epistemologischen Dreieck durch Pfeildarstellungen dargestellt sind. Somit ergibt sich für die Phasen 3 und 4 das in Abb. 5.53 dargestellte epistemologische Dreieck.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
233
Objekt / Referenzkontext
Vergleich der Feldzahlen in Streifen 4 und 5 F2 „hier (zeigt auf F2 Streifen 4 und F2 Streifen 5) [...] zwei größer“ (Z. 36) weil „AZ (Streifen 5) um zwei kleiner geworden ist (AZ Streifen 4)“ (Z. 42) + 6
„zwei größer“ 0
Streifen 5
6
12
4
18
F2 F3 F4 F5
24
„AZ um zwei kleiner“
„w ei l“
0
Streifen 4
Zeichen / Symbol
Begründung für die Veränderungen der Feldzahlen F2, F3, F4 und F5
+ 4
8
12
(Z. 29 und 41) (Z. 33 und 43) (Z. 34 und 45) (Z. 34 und 47)
16
F3 „sechs (AZ Streifen 4) is ja zwei größer [...] und da (zeigt auf F2 Streifen 5 und dann auf F2 Streifen 4) ist die ja schon also die ist ja schon zwei größer und wird (deutet mit dem Stift von links nach rechts zwei Bögen in der Luft an) immer um zwei größer, also wird die da schon um vier größer (zeigt parallel auf F3 Streifen 4 und F3 Streifen 5)“ (Z. 44) „also wird die da schon um vier größer“ „wird immer um zwei größer“ Streifen 4
0
6
+ 6 12
„schon zwei größer“ Streifen 5
0
4
18
24
„AZ zwei größer“ + 4 8
12
16
F4 „wird [...] um sechs größer, weil die is ja schon um vier größer und wird noch um zwei größer“ (Z. 46)
F5 „dann is die ja schon um sechs größer und dann wird die um acht größer“ (Z. 48)
Begriff
Gesetzmäßig, struktureller Zusammenhang von Td50
Abb. 5.53 Td50 Marvin - Phasen 3 und 4 - Epistemologisches Dreieck
234
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
5.2.5.4.3 Schritt 4.3:
Einordung in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung
In Phase 1 stellt Marvin eine erste Vermutung über die operative Auswirkung der Veränderung der AZ um zwei auf. Nachdem er zunächst die operative Veränderung der AZ um eins erörtert, folgert er im Anschluss hieraus die operative Veränderung der AZ um zwei. Seine Vermutung basiert auf gesetzmäßige, strukturelle Eigenschaften der substanziellen Lernumgebung Td50 und setzt sich zusammen aus den beiden folgenden Teilstrukturen: 1. Teilstruktur:
„weil das sind ja fünf (fährt mit dem Stift von F1 zu F5)“ (Z. 2) Es existieren fünf Felder.
2. Teilstruktur:
„dann werden die alle einen kleiner (fährt mit dem Stift von F1 zu F5)“ (Z. 2) Jede Feldzahl wird um eins kleiner.
Bei der von Marvin entdeckten ersten Teilstruktur handelt es sich um eine strukturelle Eigenschaft der Lernumgebung Td50. Die strukturelle Unterteilung in fünf Felder entspricht einem sichtbaren Phänomen, das unmittelbar wahrgenommen werden kann. Im Gegensatz hierzu beschreibt die zweite Teilstruktur eine unsichtbare Beziehung der sich verändernden Feldzahlen. Diese Beziehung wird erst sichtbar, wenn die Feldzahlen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Indem man diese beiden Teilstrukturen zueinander in Beziehung setzt, lässt sich eine Auswirkung der Veränderung der AZ um minus eins treffen: Verringert man die AZ um minus eins, so verringert sich die ZZ um fünf. Marvin äußert diesen Zusammenhang nicht explizit. Seine anschließende Äußerung („und wenn man die dann nochmal einen kleiner macht, werden die dann nochmal“, Z. 2) lässt jedoch darauf schließen, dass er diesen Zusammenhang entdeckt hat. Auch wenn Marvins in Phase 1 angestellte Vermutung über die Entwicklung der ZZ bei Veränderung der AZ um zwei nicht passt41, lässt sich dennoch Folgendes festhalten: Beim Aufstellen der Vermutung bezieht sich Marvin zum einen auf die sichtbaren Phänomene der Lernumgebung (fünf Felder). Zum anderen bezieht er sich auf gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge, die nicht unmittelbar sichtbar sind („dann werden die alle einen kleiner (fährt mit dem Stift von F1
41
Marvin benennt hier die Auswirkung der Veränderung der SZ.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
235
zu F5)“, Z. 2), die der Lernumgebung jedoch zugrunde liegen. Somit lassen sich Marvins Aussagen der Phase 1 dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation komplex zuordnen. In Phase 2 nimmt Marvin einen Vergleich der beiden Td50-Streifen 4 und 5 vor. Hierfür vergleicht er konkret sichtbare Zahlen miteinander, die er zueinander in Beziehung setzt. Ferner entwickelt er Aussagen über die Unterschiede der Feldzahlen F2, F3, F4 und F5. Da er sich hierbei ausschließlich auf die konkret sichtbaren Zahlen sowie auf lokale Zahlenpaare (F2 Streifen 4 und 4, F3 Streifen 4 und 5, etc.) bezieht, können die dazugehörigen Äußerungen dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation einfach zugeordnet werden. Ferner untersucht und beschreibt Marvin in Phase 2 die Entwicklung der Feldzahlen, die auf dem gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang der Lernumgebung Td50 basiert. Hierfür gibt er regelbasierte Veränderungen an, die nicht unmittelbar sichtbar sind. Die Zusammenhänge, die er beschreibt, beziehen sich auf mehrere Zahlen, wodurch er hier eine globalere Sicht auf das Zahlenmuster einnimmt. Somit können diese Deutungen dem Zahlenmusterdeutungstyp ZahlOperation komplex zugeordnet werden. In den Phasen 3 und 4 nutzt Marvin die beiden folgenden Teilstrukturen zur Erläuterung bzw. Begründung, wie die Unterschiede der Feldzahlenpaare F2, F3, F4 und F5 zustande kommen: 1. Teilstruktur:
„Additionszahl um zwei kleiner (zeigt auf AZ Streifen 4 und AZ Streifen 5)“ (Z. 36)
2. Teilstruktur:
Eine Feldzahl „wird immer um zwei größer“ (Z. 44)
Er benutzt hier also zum einen eine Beziehung, die die beiden Streifen übergreifend miteinander verbindet und zum anderen eine Beziehung der Zahlen innerhalb eines Streifens, die jedoch in Abhängigkeit zur Differenz der AZ steht. Er schlüsselt sich somit den Unterschied eines jeden Feldzahlenpaares in zwei Teilkomponenten auf: Vorherige mitschwingende Veränderung und zusätzliche Veränderung aufgrund der um zwei größeren AZ. Hierbei deutet er somit Beziehungen von Beziehungen. Diese besitzen in dieser Szene jedoch nur durch Beobachtung konkreter Zahlen am Einzelfall ihre Gültigkeit. Somit verbleiben Marvins Aussagen zum einen relativ lokal (an den Beispielen) und zum anderen global, indem er regelbasierte, unsichtbare Veränderungen in seine Überlegungen mit einbezieht und diese zudem verallgemeinert (Feldzahl „wird immer zwei größer“, Z. 44). Daher lassen sich Marvins Äußerungen der Phasen 3 und 4 dem Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation komplex zuordnen.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
236
Aufgrund der vorangestellten Analysen ergibt sich die folgende Übersicht der Typen der Zahlenmusterdeutung für die hier analysierte Szene (Abb. 5.54):
Typ
Gedeutet wird / werden Charakterisierung
Ziffern-Anordnung
Sichtbares
einfach
Beziehungen zwischen Sichtbarem
Zahl-Operation
/ Phase 2 - Vergleich der Td50-Streifen „ein kleiner (F2 Streifen 5 - F2 Streifen 4) [...] insgesamt vier kleiner (F3 Streifen 4 - F3 Streifen 5) [...] sechs mehr (F4 Streifen 4 - F4 Streifen 5) und hier acht (F5 Streifen 4 - F5 Streifen 5)“ (Z. 24) Phase 1 - Vermutung über die Auswirkung der Veränderung der AZ „weil das sind ja fünf (fährt mit dem Stift von F1 zu F5) [...] wenn man die Additionszahl einen kleiner macht, dann werden die (fährt mit dem Stift von F1 zu F5) alle einen kleiner. Und wenn man die dann nochmal einen kleiner macht, werden die dann nochmal “ (Z. 2) Phase 2 - Entwicklung der Feldzahlen
komplex
Beziehungen zwischen Unsichtbarem
„ wird das (springt mit dem linken Zeigefinger von F2 zu F3 von Streifen 5) [...] weil die (zeigt auf F2 Streifen 4 und auf F2 Streifen 5) is ja dann schon zwei größer und die werden ja auch immer zwei größer“ (Z. 24) Phasen 3 und 4 - Veränderung/Unterschied der Feldzahlenpaare F2, F3, F4, F5 „also wird die da schon um vier größer“ „wird immer um zwei größer“ Streifen 4
0
6
+ 6 12
18
24
„AZ zwei größer“ „schon zwei größer“
Streifen 5
Zahl-Struktur
Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem
0
+ 4 4
8
12
16
/
Abb. 5.54 Td50 Marvin - Einordnung „Typen der Zahlenmusterdeutung“
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
237
5.2.5.5 Schritt 5: Resümee Die Zahlenmustereinordnung (Abb. 5.54) von Marvins Deutungsaussagen zur Lernumgebung Td50 zeigt, dass für unterschiedliche Deutungsschwerpunkte verschiedene Zahlenmusterdeutungstypen sinnvoll und angemessen sind und das nicht bei jeder Deutungsanforderung der gleiche Zahlenmusterdeutungstyp eingesetzt werden muss. Für einen vorgenommenen Vergleich der Td50-Streifen reicht es aus, wenn lokale Beziehungen zwischen den sichtbaren Elementen hergestellt werden, indem Zusammenhänge zwischen einzelnen Zahlen angegeben werden. Somit müssen bei einem Vergleich von zwei konkreten Td50-Streifen nicht zwingendermaßen (Beziehungen von) Beziehungen zwischen Unsichtbarem gedeutet werden. Geht der Deutungsschwerpunkt über einen Vergleich hinaus und soll etwas begründet werden, so nimmt bei dieser Deutungsanforderung der Grad an Abstraktion zu, da nun mindestens Beziehungen zwischen Unsichtbarem gedeutet werden müssen, um den gegebenen mathematischen Sachverhalt angemessen zu erkunden. Dies zeigt sich auch in Marvins Deutungsszene. So ist Marvin dazu aufgefordert, Beziehungen zwischen Unsichtbarem herzustellen. Hierfür berücksichtigt er die Auswirkung der operativen Beziehung („AZ + 2“), die bei der Lernumgebung Td50 nicht konstant ist, da sie sich von Feld zu Feld weiterentwickelt. Durch die nicht konstante Weiterentwicklung wird der Komplexitätsgrad dieser Deutungsanforderung zudem noch einmal erhöht. Für das Aufstellen einer angemessenen Vorhersage müssen ebenfalls mindestens Beziehungen zwischen Unsichtbarem hergestellt werden. Nur so können gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge berücksichtigt werden, die für eine solche Vorhersage notwendig sind. Dies kann nur gelingen, wenn sich Deutungen auf innermathematische Strukturen berufen.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
238
5.3 Vergleich der ausgewählten Szenen und Interpretation Bevor die fünf analysierten Szenen von Marvin, Anna, Valentin und Justus miteinander verglichen werden, sei angemerkt, dass zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der für diese Studie gewählten Erhebungsmethode des klinischen Interviews um eine halbstandardisierte Methode handelt. Trotz der Interviewleitfäden (vgl. Kap. 4.4.2.1, 4.4.2.2 und 4.4.2.3) lässt diese Methode bewusst individuelle Interaktionsverläufe zu. Auch wenn hierdurch keine reinen Eins-zu-eins-Vergleiche möglich sind, liefern die Vergleiche erste Einsichten, wie Grundschulkinder des vierten Schuljahres Zahlenmuster deuten.
5.3.1
Marvin und Anna deuten SP2
5.3.1.1 Vergleich Vergleicht man Marvins und Annas Zahlenmusterdeutungen zu SP2, so wird schnell deutlich, dass sich diese erheblich voneinander unterscheiden. Während Anna ausschließlich eine lokale Deutungsperspektive einnimmt, die sich auf überwiegend isoliert nebeneinanderstehende Einzelelemente konzentriert, nimmt Marvin eine globale Deutungsperspektive ein. Er berücksichtigt die Gesamtheit der zugrundeliegenden innermathematischen Strukturen von SP2 und erzeugt Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem. Dadurch, dass er innerhalb der Deutungssequenz verschiedene Betrachtungs- und Deutungsweisen einnimmt, zeigt sich, dass er diese flexibel anwenden kann. So nimmt er zu unterschiedlichen Deutungsanlässen verschiedene Deutungsperspektiven ein und wendet diese (meist) zielsicher und reflektiert an.
5.3.1.2 Interpretation Da sowohl Marvin als auch Anna die vierte Jahrgangsstufe der Grundschule besuchen, zeigt sich insgesamt eine sehr große Deutungsspanne von Kindern einer Jahrgangsstufe auf, die die Heterogenität von Lerngruppen widerspiegelt. Sowohl Marvin als auch Anna nehmen innerhalb ihrer Deutungsprozesse lokale Deutungen vor, die dem Zahlenmusterdeutungstyp Ziffern-Anordnung zugeordnet werden können. Die Art und Weise des Einsatzes dieser Deutungsperspektive unterscheidet sich allerdings. Während Anna die lokale Ziffernsichtweise sowohl zur Beschreibung als auch zur Fortsetzung der Summanden heranzieht, nutzt Marvin diese zur Ergründung von Fehlern. Die Beschreibung von Oberflächenstrukturen eines Zahlenmusters ist zunächst per se nicht falsch oder schlecht. So
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
239
kann sie hilfreich sein, um im Anschluss innermathematische Strukturen zu erkennen und zu deuten. Verbleibt eine solche Beschreibung jedoch ausschließlich bei der äußeren Schönheit, so vernachlässigt sie die wichtige zugrundeliegende innere Schönheit eines Musters. Erfolgt die Fortsetzung eines Zahlenmusters ebenfalls ausschließlich anhand von Oberflächenstrukturen, so funktioniert dies nur so lange richtig wie die innermathematische Struktur keine Brüche in der Oberflächenstruktur erzeugt. Um ein Zahlenmuster angemessen fortzusetzen, ist die Berücksichtigung gesetzmäßiger, struktureller Zusammenhänge unerlässlich. Der Blick auf Ziffern kann bei einer Fehlersuche bzw. bei der Überprüfung von fortgesetzten Zahlen aufgrund regelmäßiger, besonderer Anordnungen von Ziffern, die auf innermathematischen Zusammenhängen basieren, sinnvoll und effizient sein, da so schnell Fehler gefunden werden können. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Ziffernsichtweise stets in Kombination mit den innermathematischen Strukturen in Verbindung stehen sollte. Ferner ist daran zu denken, dass den Oberflächenmerkmalen aufgrund ihrer möglichen Vergänglichkeit weniger Gewichtung bzw. Bedeutung zugesprochen werden sollte als den innermathematischen Strukturen, die von Langlebigkeit geprägt sind. Es zeigt sich somit, dass Deutungen, die sich ausschließlich an Oberflächenmerkmalen bzw. -strukturen orientieren, nicht angemessen bzw. ausreichend sind, um Zahlenmuster adäquat zu beschreiben und fortzusetzen. Daher muss unbedingt mehr in ein Zahlenmuster hineingedeutet werden, da nur so innermathematische Strukturen, die von wichtiger Bedeutung für ein Zahlenmuster sind, entdeckt und genutzt werden können.
5.3.2
Valentin und Justus deuten ZF2
5.3.2.1 Vergleich Valentin und Justus nehmen beide Deutungen zu ZF2 vor. Vergleicht man deren Beschreibungen von ZF2 miteinander, so fällt auf, dass sich Valentin bei seiner Beschreibung fast ausschließlich auf Oberflächenmerkmale bzw. -strukturen von ZF2 bezieht (16 Zahlen, sechs Zahlen kommen doppelt vor, vier Zahlen kommen nicht doppelt vor). Er entdeckt und benennt lediglich einen gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhang von ZF2 (von unten nach oben betrachtet „plus drei“ bei den Zahlenpaaren und in seinen beschriebenen Wegen, Kap. 5.2.3.2). Im Gegensatz hierzu geht Valentin in seiner Beschreibung der Zahlen von ZF2 auf keinerlei Oberflächenmerkmale ein. Justus benennt vielmehr gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge (z. B. Zahlen werden von links nach rechts immer um sechs größer), die ZF2 zugrunde liegen.
240
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Die Vorgehensweisen beider Schüler zur geschickten Bestimmung der Summe aller Zahlen unterscheiden sich ebenfalls. Hierbei ist erstaunlich, dass Valentin, der zunächst seinen Blick vor allem auf Oberflächenmerkmale gerichtet hatte, nun einen strukturellen Blick einnimmt. So entdeckt er bei seiner zeilenweisen Summenbildung nun innermathematische Strukturen, setzt diese zueinander in Beziehung und entwickelt basierend hierauf Vorhersagen über weitere Summen der Zahlen einer jeden Zeile. Justus hingegen beachtet seine zuvor entdeckten innermathematischen Strukturen nicht, sondern ermittelt die Summen der einzelnen Zahlen innerhalb einer jeden Spalte rein rechnerisch. Erst nach Aufforderung der Interviewerin, eine Vorhersage über das letzte Ergebnis zu treffen, richtet er seinen Blick auf seine drei ermittelten (sichtbaren) Summen. Nachdem er diese zueinander in Beziehung gesetzt hat, trifft er eine Vorhersage über die Entwicklung der Summen („es werden vierundzwanzig mehr“, Z. 14). Als er die Veränderung der Summen begründen soll, richtet er seinen Blick wieder auf die zugrundeliegenden innermathematischen Strukturen. Hierdurch gelingt es ihm seine Vorhersage über die Summenentwicklung zu begründen.
5.3.2.2 Interpretation Es zeigt sich, dass Valentin bei seiner Beschreibung von ZF2 zwar lokale Entdeckungen anstellt, er allerdings bei seiner Bestimmung der Summen eine globale Deutungsperspektive einnimmt. Diese globale Sichtweise hilft ihm, Vorhersagen über Folgeergebnisse zu treffen. Auch obwohl er diese stets rechnerisch überprüft, wird deutlich, dass er die Gesamtheit der innermathematischen Struktur für die zeilenweise Berechnung der Zahlen des Zahlenfeldes durchdrungen hat. Da Justus hingegen erst nach einem Impuls der Interviewerin seinen Blick wieder auf innermathematische Strukturen richtet und diese letztendlich nur an einer lokalen Vorhersage erörtert, kann nicht sicher gedeutet werden, ob er die Gesamtheit der innermathematischen Struktur für die spaltenweise Berechnung von ZF2 tatsächlich durchdrungen hat. Abschließend ist zu sagen, dass eine zu Beginn eingenommene Deutungsperspektive nicht den weiteren Deutungsverlauf eines Kindes vorhersagen kann. Wäre dem so, hätte man davon ausgehen können, dass Valentin bei seiner geschickten Bestimmung der Summe aller Zahlen keine innermathematischen Strukturen genutzt hätte. Zudem sei festgehalten, dass der spontane und individuelle Interaktionsverlauf zwischen Interviewerin und Kind, den die halbstandardisierte Erhebungsmethode des klinischen Interviews bewusst zulässt, durch Fragen, Impulse etc. eine neue Orientierung erhalten kann. Hierdurch kann die bisher eingenommene Deutungs-
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
241
perspektive eines Kindes (bewusst oder unbewusst) beeinflusst und verändert werden.
5.3.3
Vergleich der Lernumgebungen
5.3.3.1 Vergleich Vergleicht man die substanziellen Lernumgebungen SP2, ZF2 und Td50 miteinander, so lässt sich festhalten, dass bei SP2 als auch bei ZF2 Zahlen vorgegeben sind, die gedeutet werden sollen. Alle Kinder haben somit dieselbe Ausgangssituation. Im Gegensatz hierzu müssen bei Td50 von den Kindern eigenständig Td50-Streifen entwickelt werden. Da diese Entwicklung beliebig ist, variiert das zu deutende Zahlenmaterial, sodass die Deutungssituationen für die Kinder verschieden ist.
Äußere Schönheit Das Strukturierte Päckchen SP2 setzt sich aus Zahlen zusammen, die eine besondere phänomenologische (An-)Ordnung besitzen, die relativ schnell auffällt (Kap. 5.2.1.1). Hierdurch ist eine schöne Oberflächenstruktur vorgegeben. Das Zahlenfeld ZF2 besitzt keine auf Anhieb auffällige Zusammensetzung der Zahlen, die eine schöne Oberflächenstruktur aufweist. Erst nach einem Vergleich der sichtbaren Zahlen lässt sich erkennen, dass alle 16 Zahlen zur Dreierreihe des kleinen Einmaleins gehören. Erst wenn viele oder gar alle möglichen Td50-Streifen mit der ZZ50 gefunden und miteinander verglichen werden, kann man gewissen Reihenfolgen entdecken. Sortiert man die Streifen nach aufsteigender Startzahl, so lassen sich folgende Merkmale festhalten: Die AZ wird von Streifen zu Streifen um eins kleiner, die Startzahl wird von Streifen zu Streifen um zwei größer, die Feldzahl F2 wird von Streifen zu Streifen um eins größer, die Mittelzahl (F3) ist immer die Zehn, die Feldzahl F4 wird von Streifen zu Streifen um eins kleiner und die Feldzahl F5 wird von Streifen zu Streifen um zwei kleiner (vgl. Kap. 3.1.1)
Operative Veränderungen Wird bei der Lernumgebung Td50 die AZ verändert, so ist die Auswirkung dieser Veränderung nicht konstant, sondern sie entwickelt sich von Feldzahl zu Feldzahl.
242
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
Alle anderen möglichen Operativen Veränderungen der Lernumgebungen entwickeln sich konstant.
5.3.3.2 Interpretation Äußere Schönheit Wird SP2 ausschließlich aufgrund der Oberflächenstruktur fortgesetzt, so ist eine Fortsetzung nur bis Aufgabe 7 möglich, da ab der achten Aufgabe ein Bruch in der visuellen (An-)Ordnung der zweiten Summanden entsteht (vgl. Einleitung oder Annas Deutungen zu SP2, Kap. 5.2.2). Im Gegensatz hierzu können bei der Lernumgebung Td50 problemlos fehlende Lösungen gefunden werden, wenn man sich an der Oberflächenstruktur bereits gefundener Lösungen orientiert. Entdeckt man, dass z.B. Lösungsstreifen mit den Startzahlen 10, 6, 4, 2 und 0 und Additionszahlen 0, 2, 3, 4 und 5 existieren, liegt die Vermutung nahe, dass es einen weiteren Lösungsstreifen mit der Startzahl 8 und der Additionszahl 1 geben muss. So kann sicher eine neue Lösung gefunden werden, ohne innermathematische Strukturen berücksichtigen zu müssen.
Operative Veränderung Dadurch, dass die Auswirkung der operativen Veränderung der AZ bei der Lernumgebung Td50 nicht konstant ist, ist die Deutungsanforderung Begründe wesentlich komplexer als bei den anderen Lernumgebungen. Dies zeigt sich vor allem in der Deutungsszene von Marvin zur Lernumgebung Td50 (Kap. 5.2.5), in der er die Auswirkung der Veränderung der AZ um minus zwei begründen soll. Aufgrund der äußerst anspruchsvollen Begründungsanforderung ist ein Begründunen für Grundschulkinder hier zunächst (nur) durch den Vergleich der Zahlen zweier Td50-Streifen, in denen diese operative Veränderung durchgeführt wurde, möglich. Hierdurch kann entdeckt werden, dass sich die Feldzahlen F2 um zwei, F3 um vier, F4 und sechs und F6 um acht verändern. Eine weitere anspruchsvolle Deutungsanforderung liegt ferner in der Begründung der entstandenen Unterschiede dieser Feldzahlenpaare.
Somit lässt sich abschließend festhalten, dass jede Lernumgebung ihre individuellen und besonderen Eigenschaften besitzt. Der Schwierigkeitsgrad unterscheidet sich hierbei von Lernumgebung zu Lernumgebung.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
243
5.4 Vorstellung, Interpretation und Resümee zusätzlicher Beobachtungen Zusätzlich zu den Analysen der ausgewählten Szenen ließen sich weitere spannende Beobachtungen zu den Lernumgebungen machen. Im Folgenden werden wesentliche und interessante Beobachtungen zusammenfassend vorgestellt und interpretiert sowie resümiert.
5.4.1
Strukturierte Päckchen
5.4.1.1 Vorstellung und Interpretation Die substanzielle Lernumgebung Strukturierte Päckchen war den Kindern aus ihrem Mathematikunterricht vertraut. Dies wurde vor allem bei der Beschreibung als auch bei der Fortsetzung der Strukturierten Päckchen deutlich, da viele Kinder spontan ihren Blick auf innermathematische Strukturen richteten und diese deuteten. Lediglich in der Pilotierung nahm Fabian und in der Hauptstudie Anna (s. Annas Deutungen zu SP2, Kap. 5.2.2) bei einigen Päckchen eine Deutungsperspektive ein, die sich ausschließlich auf Oberflächenmerkmale konzentrierte. Da im Gegensatz hierzu viele Kinder Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem (z.B. Marvins Deutungen zu SP2, Kap. 5.2, Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Struktur) deuteten, zeigte sich bei dieser Lernumgebung die größte Deutungsspanne. Diese Spanne wird vor allem durch die in dieser Arbeit analysierten Szenen von Anna (Kap. 5.2.2) und Marvin aufgezeigt (Kap. 5.2). Zudem waren viele Kinder dazu in der Lage, Vorhersagen über die Entwicklung der Summen zu treffen oder Regelmäßigkeiten bei den Summen zu entdecken und zu begründen. Dies konnten viele von ihnen mit den zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen der beiden Summanden begründen.
5.4.1.2 Resümee Insgesamt lässt sich festhalten, dass beim Deuten der substanziellen Lernumgebung Strukturierte Päckchen grundsätzlich viele innermathematische Strukturen erkundet wurden, die zudem bei Fortsetzungen sowie bei Begründungen berücksichtigt wurden. Einige Kinder ließen sich von besonders auffälligen Oberflächenstrukturen, wie sie vor allem beim zweiten Summanden von SP2 gegeben waren, ablenken, sodass diese dann im Vordergrund standen.
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
244 5.4.2
Zahlenfelder
5.4.2.1 Vorstellung und Interpretation Das explizite Deuten von Zahlenfeldern war den Kindern aus ihrem alltäglichen Mathematikunterricht unbekannt. Es zeigte sich, dass das Beschreiben der sichtbaren Zahlen für kein Kind ein Problem darstellte. Interessanterweise deutete kein Kind ausschließlich Oberflächenmerkmale, wie es beispielsweise bei den Strukturierten Päckchen der Fall war (vgl. Annas Deutungen zu SP2). Zudem wurden die Zahlen stets als Ganzes betrachtet und nicht in isoliert nebeneinanderstehende Einzelelemente zerlegt. Da die beiden Zahlenfelder innerhalb dieser Studie nicht fortgesetzt werden mussten, lässt sich an dieser Stelle diesbezüglich nichts verbindlich festhalten. Angemerkt sei dennoch, dass Marvin als einziger Schüler selbstständig auf eine mögliche Fortsetzung von ZF2 einging, indem er die Anordnung der Zahlen mit dem Sprung der Spielfigur Pferd beim Schach gleichsetzte (s. Beispiel zur Erläuterung des Zahlenmusterdeutungstyps Ziffern-Anordnung einfach, Kap. 3.2.4). Obwohl die Kinder bei ihren Beschreibungen der Zahlenfelder viele gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge entdeckten, nutzten sie diese in der Regel nicht, um die Summe der Zahlen geschickt zu bestimmen. So ermittelten sie die Summe aller Zahlen in der Regel rein rechnerisch (vgl. Justus Deutungen zu ZF2, Kap. 5.2.4). Nur sehr selten nutzten Kinder von sich aus (zuvor entdeckte) innermathematische Strukturen zur geschickten Bestimmung der Summe aller Zahlen. Ein Beispiel hierfür stellt die in dieser Arbeit analysierte Szene von Valentin dar (Kap. 5.2.3). Es lässt sich an dieser Stelle vermuten, dass das meist sofortige bloße Rechnen zur Bestimmung der Summe aufgrund der Aufgabenformulierung „Bestimme bitte geschickt die Summe aller Zahlen“ erfolgte. Es könnte jedoch auch daran gelegen haben, dass den Kindern das Rechnen vertrauter war als das Nutzen innermathematischer Zusammenhänge innerhalb dieses Kontextes. Angemerkt sei zudem, dass kein Kind einen operativen Ausgleich der Zahlen vornahm (Kap. 4.4.1.2), der auf den gesetzmäßigen, strukturellen Eigenschaften der Zahlenfelder beruht. Lediglich zwei Kinder glichen Zahlen aus. Hierfür lag die Motivation jedoch in der einfacheren Addition von glatten Zehnerzahlen, die sich aufgrund von allgemeinem Zahleigenschaften ergab.
5.4.2.2 Resümee Für die substanzielle Lernumgebung Zahlenfelder lässt sich abschließend insgesamt festhalten, dass der Fokus vor allem bei der rechnerischen Bestimmung der
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
245
Summe lag, in der gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge in der Regel keine Rolle spielten.
5.4.3
Triff die 50
5.4.3.1 Vorstellung und Interpretation Die substanzielle Lernumgebung Triff die 50 war für alle an der Studie teilnehmenden Kindern unbekannt und stellte zugleich die komplexeste Deutungsanforderung für die Kinder dar. Zur Entwicklung von Lösungen zogen die Kinder verschiedene Herangehensweisen heran. Zunächst probierten viele Kinder beliebige Additions- und Startzahlen aus. Das Ausprobieren wurde bei fast allen Kindern zunehmend systematischer, indem sie beispielsweise neue Td50-Streifen aufgrund eines Zahlenblicks entwickelten. So verringerten bzw. erhöhten sie Start- und/oder Additionszahl, wenn ihre ermittelte Zielzahl zu groß bzw. zu klein war. Hatten Kinder die Auswirkungen der Veränderung der Additionszahl und/oder Startzahl entdeckt, so nutzten einige von ihnen diese Entdeckung, um neue Lösungen zu generieren. Einige Kinder fanden neue Lösungen, indem sie ihre bisherigen Lösungsstreifen mit der Zielzahl 50 verglichen und sortierten. So fiel ihnen auf, dass die Startzahlen von null bis fünf und die Additionszahlen in geraden Zweierschritten von null bis zehn vorkamen. Fehlte eine Startzahl oder eine Additionszahl, so entwickelten sie aufgrund dieser Oberflächenstruktur die fehlende Lösung. Es zeigte sich, dass das Begründen operativer Veränderungen von Start- oder Additionszahl häufig auf Vermutungen, die sich auf die sichtbaren (An-) Ordnungen der Oberfläche bezogen, sowie auf rechnerischem Erkunden basierte. Dabei fiel das Begründen der Auswirkung der operativen Veränderung der Startzahl den Kindern wesentlich leichter als das Begründen der Auswirkung der Veränderung der Additionszahl. Eine Begründung bzgl. der Auswirkung der operativen Veränderung der Startzahl konnte relativ leicht abgelesen werden, indem die sichtbaren Zahlen zweier ausgefüllter Td50-Streifen miteinander verglichen wurden. So stellten die Kinder beispielsweise bei einer Veränderung der Startzahl um plus eins fest, dass alle fünf Feldzahlen im direkten Vergleich mit den Feldzahlen des anderen Td50-Streifens je um eins größer geworden sind. Diese Entdeckung setzten sie mit der Tatsache, dass es fünf Feldzahlen gibt, in Zusammenhang und konnten so die Veränderung der Zielzahl um plus fünf begründen. Eine Begründung für die Veränderung der Zielzahl nach operativer Veränderung der Additionszahl gestaltete sich nicht so einfach (vgl. Marvins Deutungen zu Td50, Kap. 5.2.5), da hier mehr unsichtbare Zusammenhänge gedeutet werden
246
5 Analyse, Interpretation und Vergleich ausgewählter Szenen
müssen (Kap. 4.4.2.3 und Kap. 5.2.5 ). Sofern die Kinder einen Begründungsansatz über die Auswirkung der Veränderung der Additionszahl vornahmen, bezog sich dieser fast ausschließlich auf das Vergleichen der sichtbaren Zahlen zweier Td50-Streifen (F2 wird um zwei, F3 um vier, F4 um sechs und F5 um acht größer). Marvin ist einer von zwei Schülerinnen und Schülern, die versuchten eine Begründung anzugeben, die neben den phänomenologischen Besonderheiten auch die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge berücksichtigte. Das in dieser Arbeit analysierte Beispiel von Marvin zeigt sehr schön den Komplexitätsgrad dieser Deutungsanforderung auf (vgl. Marvins Deutungen zu Td50 – Phase 2, Kap. 5.2.5).
5.4.3.2 Resümee Für die substanzielle Lernumgebung Triff die 50 lässt sich festhalten, dass die Kinder zur Entwicklung neuer Lösungen viele Ideen hatten und sie hierbei zum Teil entdeckte zugrundeliegende innermathematische Entdeckungen nutzten. Das Begründen von gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen bzgl. der Auswirkung der Veränderung der Additionszahl war eine sehr komplexe und für viele Kinder fast unmögliche Deutungsanforderung.
6 Zusammenfassung der Ergebnisse Basierend auf den in dieser Arbeit sorgsam durchgeführten Analysen, dem Vergleich der Szenen sowie weiterführender Beobachtungen, lassen sich für dieses Forschungsvorhaben Ergebnisse zusammenfassen und hieraus Konsequenzen ableiten. Bevor die Ergebnisse der angestellten Analysen jedoch zusammengefasst werden, wird darauf hingewiesen, dass es sich um eine qualitative Studie mit einer geringen Anzahl an teilnehmenden Schülerinnen und Schülern handelt. Obwohl das Datenmaterial mit 60 klinischen Interviews dennoch sehr umfangreich ist, heißt dies nicht, dass innerhalb dieser Studie alle möglichen Deutungsaussagen von Grundschulkindern enthalten sind, zumal das Repertoire an individuellen Deutungsaussagen unerschöpflich ist.
6.1 Wechselspiele beim Deuten von Zahlenmustern In Kapitel 1.5 wurden die Wechselspiele Ausrechnen Strukturen sehen, Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen und Strukturen sehen Strukturen nutzen, die beim Deuten von Zahlenmustern eine Rolle spielen, herausgearbeitet. Im Folgenden werden wesentliche Ergebnisse hinsichtlich dieser Wechselspiele zusammengefasst.
6.1.1
Ausrechnen Strukturen sehen
Das Wechselspiel Ausrechnen Strukturen sehen war ebenfalls stets präsent. Welchen Schwerpunkt die Kinder einnahmen, war vor allem von der jeweiligen Deutungsaufforderung abhängig. Sollten die Kinder etwas beschreiben (z.B. „Beschreibe die Zahlen“), so lag der Fokus vor allem beim Sehen von Strukturen. Sollten die Kinder etwas rechnen (z.B. „Bestimmte geschickt die Summe aller Zahlen“), so lag der Fokus beim Ausrechnen. Wurde den Kindern die Wahl frei gelassen, so fiel insgesamt auf, dass den Kindern das Ausrechnen vertrauter erschien, ihnen Sicherheit gab und sie gerne bei jeder Aufgabe sofort drauf los gerechnet hätten (v.a. bei den Strukturierten Päckchen).
6.1.2
Sichtbare Elemente Unsichtbare Strukturen
Innerhalb der Analysen zeigte sich, dass das Wechselspiel Sichtbare Elemente
Unsichtbare Strukturen beim Deuten eines Zahlenmusters stets präsent ist. Ein © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_7
248
6 Zusammenfassung der Ergebnisse
sehr prägnantes Beispiel hierzu stellt insbesondere die Deutungsszene von Marvin zum Strukturierten Päckchen SP2 dar (vgl. Kap. 5.2.1). So nahm Marvin zunächst ausschließlich Deutungen vor, die sich auf gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge des Zahlenmusters konzentrierten. Hierdurch gelang es ihm, Vorhersagen über Summen zu treffen, von denen noch kein Summand bekannt war. Zudem konnte er die Summanden, basierend auf den entdeckten Regelmäßigkeiten, fortsetzen. Im weiteren Verlauf des Interviews entdeckte er aufgrund eines ausgeprägten Zahlenblicks Unstimmigkeiten bei zwei Aufgaben. Diese korrigierte er, indem er zum einen rechnerische Argumente entwickelte und zum anderen Argumente, die sich auf die besonderen phänomenologischen (An-)Ordnungen bezogen. Bei dieser Überprüfung spielten für ihn die zuvor ausführlich entdeckten und begründeten gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge keine weitere Rolle mehr. Vielmehr ließ er sich durch die phänomenologischen Besonderheiten von den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen ablenken. Marvins Beispiel zeigt sehr deutlich, dass ein Zusammenspiel beider Deutungsperspektiven, also die Konzentration auf die visuellen und die strukturellen Komponenten eines Zahlenmusters, sehr sinnvoll, wichtig und effizient sein kann. Hierbei sollten jedoch stets die gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge im Vordergrund stehen, da diese bei eventuell auftretenden Brüchen in der visuellen (An-)Ordnung stets Gültigkeit besitzen bzw. von Langlebigkeit geprägt sind, wohingegen visuelle (An-)Ordnungen aufgehoben werden können. Grundsätzlich zeigte sich: Je dominanter und auffälliger die Phänomene an der Oberfläche eines Zahlenmusters waren, desto eher und öfter waren die Kinder von den gesetzmäßigen, strukturellen Strukturen abgelenkt.
6.1.3
Strukturen sehen Strukturen nutzen
Auch das Wechselspiel Strukturen sehen Strukturen nutzen war in allen Deutungssituationen präsent. Obwohl die Kinder zum Teil viele Strukturen sahen, nutzten sie diese im weiteren Deutungsverlauf nicht immer. Bei der Lernumgebung Strukturierte Päckchen nutzten die Kinder die meisten zuvor entdeckte Strukturen. Dies kann der Tatsache geschuldet sein, dass beim Fortsetzen eines Päckchens die innermathematischen Strukturen eine notwendige Voraussetzung für eine angemessene Fortsetzung darstellen. Bei der Lernumgebung Zahlenfelder entdeckten die Kinder zwar viele Strukturen, bei der geschickten Bestimmung der Summe aller Zahlen wurden diese aber nur sehr selten beachtet (vgl. Justus Deutungen zu ZF2, Kap. 5.2.4).
6 Zusammenfassung der Ergebnisse
249
Bei der Lernumgebung Triff die 50 nutzten viele Kinder entdeckte Strukturen (z.B. SZ +1 ZZ +5; AZ +1 ZZ +10) um neue Lösungsstreifen zu entwickeln.
6.2 Beantwortung der Forschungsfragen 6.2.1
Forschungsfrage 1
Welche Strukturierungsattribute (kennzeichnenden Charakteristika) lassen sich innerhalb von Zahlenmusterdeutungsprozessen von Grundschulkindern (4. Schuljahr) rekonstruieren? Die Strukturierungsattribute, die sich innerhalb von Zahlenmusterdeutungsprozessen von Grundschulkindern des vierten Schuljahres rekonstruierten lassen, lassen sich aus der Übersicht Typen der Zahlenmusterdeutung (Abb. 6.1, Spalte Charakterisierung) entnehmen. Da sie innerhalb der Vorstellung des theoretischen Konstrukts zur arithmetisch-symbolischen Strukturierungsfähigkeit ausführlich erläutert wurden, sei an dieser Stelle auf das Kapitel 0 - und insbesondere - auf die Unterkapitel 3.2.3, 3.2.4, 3.2.5 und 3.2.6 verwiesen.
Typ
Gedeutet wird / werden
Ziffern-Anordnung
einfach
Charakterisierung
Sichtbares
- Zerlegung in (zeichenmäßige) Einzelelemente - Elementare Anordnung, Fortsetzung - Gleichheit von Elementen - Folgen von Elementen
Beziehungen zwischen Sichtbarem
- Lokale, elementare Zahlbeziehungen - Zusammenhänge zwischen einzelnen Zahlen - Kombination / Folge von Zahlen
Zahl-Operation
komplex
Zahl-Struktur
- Globale, umfassende Zahlbeziehungen - Teilstruktur(en) des Zahlenmusters Beziehungen - Zusammenhänge zwischen mehreren Zahlen zwischen Unsichtbarem - Regelbasierte Veränderungen - Regelmäßigkeiten - (rhythmisch) konstante Veränderungen - 'Gesamtheit' der Struktur Beziehungen von - Ausgeprägte Zahlbeziehungen Beziehungen - Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem - Operatives Prinzip - Konstanzgesetze
Abb. 6.1 Typen der Zahlenmusterdeutung
6 Zusammenfassung der Ergebnisse
250 6.2.2
Forschungsfrage 2
Welche Typen der Zahlenmusterdeutung lassen sich aufgrund der Strukturierungsattribute (kennzeichnenden Charakteristika) zusammenfassen? Es lassen sich die Zahlenmusterdeutungstypen Ziffern-Anordnung, Zahl-Operation einfach, Zahl-Operation komplex und Zahl-Struktur (Abb. 6.1) zusammenfassen. Diese Typen wurden hinsichtlich ihres Abstraktionsgrades unterschieden (s. Abb. 6.1, Spalte „Gedeutet wird/werden). Sie beschreiben eine Deutungsspanne von sichtbaren Phänomenen bis hin zu Deutungen von Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem. Da in Kapitel 3.2 dieser Arbeit die rekonstruierten Zahlenmusterdeutungstypen ausführlich vorgestellt wurden, sei an dieser Stelle vor allem auf die Unterkapitel 3.2.3, 3.2.4, 3.2.5 und 3.2.6 verwiesen.
6.3 Das theoretisches Konstrukt „Typen der Zahlenmusterdeutung“ Das a posteriori entwickelte theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung ist das zentrale Ergebnis der vorliegenden Arbeit. Es dient dazu, das fundamentale epistemologische Grundproblem zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verständlicher zu machen. Um dies zu erreichen, wurde zunächst ein komplementäres Verständnis des Begriffs Mathematisches (Zahlen-)Muster herausgearbeitet und entwickelt. Dieses Musterverständnis greift das Wechselspiel zwischen den Oberflächenstrukturen bzw. Oberflächenmerkmalen (äußere Schönheit) und den innermathematischen Strukturen (innere Schönheit) auf. In einem weiteren Schritt wurden Deutungsaussagen der Schülerinnen und Schüler, die an der Pilot- und Hauptstudie teilnahmen, analysiert, interpretiert und miteinander verglichen. Hierdurch konnte ein breites Deutungsspektrum an möglichen Kinderdeutungen rekonstruiert werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das theoretische Konstrukt das Wechselspiel zwischen den Phänomenen an der Oberfläche (Sichtbarkeit) und den gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen (Unsichtbarkeit) aufgreift. Es differenziert das Deuten von Zahlenmustern in vier Typen. Während beim Typ Ziffern-Anordnung nur Sichtbares gedeutet wird (vgl. z.B. Annas Deutungen zu SP2, Kap. 5.2.2), werden beim nächsten Zahlenmusterdeutungstyp ZahlOperation einfach schon lokale Beziehungen zwischen Sichtbarem hergestellt werden (vgl. z.B. Marvins Deutungen zu Td50 – Phase 2, Kap. 5.2.5). Beim Zahlenmusterdeutungstyp Zahl-Operation komplex werden dann schon globalere Beziehungen zwischen Unsichtbarem gedeutet (vgl. z.B. Justus Deutungen zu ZF2, Kap. 5.2.4). Der Typ Ziffern-Struktur beschreibt das Deuten von Beziehungen
6 Zusammenfassung der Ergebnisse
251
von Beziehungen zwischen Unsichtbarem. Ihm wird der höchste Abstraktionsgrad zugesprochen (vgl. z.B. Marvins Deutungen zu SP2, Kap. 5.2). Betont sei an dieser Stelle, dass das theoretische Konstrukt, auch wenn der Abstraktionsgrad von Typ zu Typ stetig zunimmt, nicht als strenge Entwicklungs- oder Stufenfolge zu verstehen ist. Bei den Analysen der kindlichen Deutungsaussagen zeigte sich, dass Kinderdeutungen nur sehr selten ausschließlich beim Deutungstyp Ziffern-Anordnung verbleiben (z.B. Annas Deutungen zu SP2, Kap. 5.2.2). Daher lässt sich insgesamt festhalten, dass Kinder in der Regel Deutungen vornehmen, die zugrundliegende innermathematische Strukturen berücksichtigen. Viel häufiger nehmen Kinder innerhalb eines Deutungsprozesses zu einem Zahlenmuster verschiedene Deutungsperspektiven ein (vgl. beispielsweise Marvins Deutungen zu SP2, Kap. 5.2 oder Valentins Deutungen zu ZF2, Kap. 5.2.3). Dies könnte eventuell darauf zurückgeführt werden, dass jede in dieser Arbeit analysierte Deutungsszene aus einem (unvorhersehbaren) Interaktionsprozess (klinisches Interview) zwischen einem Kind und der Interviewerin stammt, in welchem die Kinder von der Interviewerin (unbewusst) durch Nachfragen und Impulse dazu beeinflusst wurden, andere Blickwinkel einzunehmen. Das Suchen nach einer neuen Deutung könnte mit ein Grund dafür sein, dass ein Kind keine eindeutigen Deutungsaussagen vornimmt, die nur einem Zahlenmusterdeutungstyp zugeordnet werden können. Alternativ besteht auch die Möglichkeit, dass ein Kind bereits über einen relativ differenzierten Blick auf Zahlenmuster verfügt und das Zusammenspiel verschiedener Blickwinkel geschickt anwendet. Da sich in dieser Arbeit hierüber keine sicheren Aussagen treffen lassen, stellen die beiden vorherigen Aussagen lediglich Vermutungen dar. Zu berücksichtigen ist, dass Kinder bei ihren Zahlenmusterdeutungen beeinflusst werden können. Mögliche Einflussfaktoren werden im folgenden Abschnitt zusammengefasst.
6.4 Einflussfaktoren beim Deuten von Zahlenmustern Beim Deuten von Zahlenmustern ist grundsätzlich zu beachten, dass Zahlenmusterdeutungsprozesse aufgrund verschiedenster Faktoren beeinflusst werden können. Hierdurch kann ein Kind seine eingenommene Deutungsperspektive verändern oder in ihr bestärkt werden. Basierend auf den Analysen der klinischen Interviews, konnten folgende Einflussfaktoren beim Deuten eines Zahlenmusters rekonstruiert werden:
6 Zusammenfassung der Ergebnisse
252 -
-
-
- - -
-
Enthielt das Zahlenmuster eine besonders auffällige Oberflächenstruktur, so lenkte diese den Blick der Kinder häufig vor allem auf die Oberflächenmerkmale, sodass die zugrundeliegenden innermathematischen Strukturen in den Hintergrund traten (z.B. doppelte Zahlen bzw. Paschzahlen beim zweiten Summanden von SP2, vgl. Deutungen von Marvin/Kap. 5.2 (Phase 3 und 4) und Deutungen von Anna/Kap. 5.2.2). Waren die zugrundeliegenden innermathematischen Strukturen leicht bzw. schnell zu erkennen (z.B., weil es sich um kleine Zahlen handelte - vgl. SP1/4.4.1.1), so war eine strukturelle Deutungsperspektive „zugänglicher“. Da es sich bei der Erhebungsmethode (klinische Interviews) um ein halbstandardisiertes Verfahren handelt und soziale Interaktionen nicht exakt vorherzusagen und zu planen sind, wurden Deutungsperspektiven aufgrund von (spontanen) Impulsen oder Nachfragen der Interviewerin beeinflusst. So wurde z.B. Justus rechnerische Deutungsperspektive durch die Frage der Interviewerin, ob er etwas über das Ergebnis vorhersagen könne (vgl. Kap. 5.2.4, Phase 2, Z. 10), zu einer strukturellen Deutungsperspektive. Die eingenommene Deutungsperspektive hing von der Art der Aufgabenstellung bzw. Deutungsaufforderung ab. Oft setzte sich bei den Kindern ein sofortiges, bloßes Rechnen durch, da es für sie eine Gewohnheit darstellte, die ihnen Sicherheit verlieh. Die Art und Weise wie flexibel, sicher und reflektiert ein Kind mit einer Zahlenmusterdeutung umging, hing von seinen bisherigen Erfahrungen mit Zahlenmusterdeutungsanforderungen ab. So zeigte es sich, dass die Lernumgebung der Strukturierten Päckchen den Kindern vertrauter war als die Lernumgebungen Zahlenfelder und Triff die 50, die für sie neue (und ungewohnte) Lernumgebungen darstellten. Zudem zeigte sich, dass die Kinder in den Post-Interviews zum Teil differenzierte Deutungen einnahmen als in den Prä-Interviews. Dieses könnte daran gelegen haben, dass sie die Lernumgebungen aus den Prä-Interviews kannten und sie innerhalb der Intervention ihren Zahlenmusterdeutungsblick ausdifferenzieren konnten. Angemerkt sei, dass sich dies an dieser Stelle nur vermuten lässt, da in dieser Arbeit hierzu keinerlei Analysen und Auswertungen vorgenommen wurden. Die Einnahme einer Deutungsperspektive hängt sicherlich immer auch von der individuellen Vorliebe eines Kindes ab.
6.5 Das Analyseverfahren Zur Erreichung des Ziels dieser Arbeit wurde ein Analyseverfahren entwickelt, das sich aus drei Schritten zusammensetzt. So erfolgte nach der interpretativen Analyse einer jeden Szene eine epistemologisch orientierte Analyse ausgewähl-
6 Zusammenfassung der Ergebnisse
253
ter Deutungsaussagen der Kinder. Abschließend wurden im dritten Schritt die Zahlenmusterdeutungen in das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung begründet einsortiert. Hieraus wurden Resümees abgeleitet. Das für diese Studie entwickelte dreischrittige Analyseverfahren erwies sich insgesamt als sehr angemessen, da hierdurch umfangreiche Einblicke für das Deuten von Zahlenmustern gewonnen werden konnten. So diente die interpretative Analyse dazu, einen ersten Gesamtüberblick der Szene zu erhalten, wodurch die kindlichen Deutungen besser verstanden werden konnten. Die epistemologischorientierte Analyse fokussierte dann den Blick auf wesentliche und spannende Deutungsprozesse, in denen das Herstellen von Beziehungen zwischen den Symbolsystemen eines Zahlenmusters und den Deutungskontexten im Mittelpunkt stand. Durch diesen Fokus konnten Deutungen, in denen Kinder begriffliche Kontexte (gesetzmäßig, strukturelle Zusammenhänge eines Zahlenmusters) herstellten, besser verstanden werden. Die begründete Einordnung der Zahlenmusterdeutungen der Kinder in das Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung erwies sich als hilfreich und effizient, um detailliert herauszuarbeiten, wie Kinder mit Zahlenmusterdeutungsanforderung umgingen und welchen Fokus sie bei ihren Deutungen einnahmen. Mit Blick auf die Schulpraxis muss festgehalten werden, dass das hier gewählte Analyseverfahren für den alltäglichen Mathematikunterricht aufgrund des großen Umfangs nicht zum Tragen kommen kann. Das Analysevorgehen und die hieraus erhaltenen Ergebnisse können und sollten Lehrerinnen und Lehrer jedoch im Umgang mit Zahlenmusterdeutungsprozessen dahingehend sensibilisieren, dass es sich um komplexe und anspruchsvolle Prozesse handelt, in denen Kinder stets im Wechselspiel zwischen der Sichtbarkeit und der Unsichtbarkeit stehen.
7 Resümee und Ausblick Basis dieser Arbeit waren Zahlenmuster, bei deren Deutung in bisherigen Forschungsvorhaben das fundamentale epistemologische Grundproblem zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit nicht berücksichtigt wurde. Geleitet vom Anliegen, eine Unterscheidung ihrer inneren und äußeren Schönheit vornehmen zu können, war das Ziel der Arbeit die Entwicklung eines theoretischen Konstrukts, welches Strukturierungsattribute (kennzeichnende Charakteristika) von kindlichen Zahlenmusterdeutungen abbildet. Um dies zu erlangen, wurden Grundschulkindern des vierten Schuljahres verschiedene Zahlenmuster vorgelegt, die sie deuten sollten, um für das Konstrukt verschiedene Zahlenmusterdeutungen zu erhalten. In einem ersten Schritt wurden die, für diese Arbeit nötigen, theoretischen Grundlagen herausgearbeitet. Es wurden die Begriffe Muster und Strukturen erläutert, indem sie fachmathematisch und fachdidaktisch diskutiert wurden. Basierend auf den theoretischen Erkenntnissen dieser Erörterung wurde vor allem der Begriff Muster hinsichtlich des Spannungsfeldes Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit weiterführend ausgeschärft. So wurde ein komplementäres Begriffsverständnis entwickelt, das eine wesentliche Grundlage für diese Arbeit darstellt. Nach diesem Begriffsverständnis setzt sich ein Muster aus einer Wechselbeziehung zwischen den phänomenologisch sichtbaren (An-)Ordnungen und den dem (Zahlen-)Muster zugrundeliegenden gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhängen zusammen (Abb. 7.1).
Mathematisches Muster Zahlenmuster
Gesetzmäßige, strukturelle Zusammenhänge Abb. 7.1
Phänomenologisch sichtbare (An-)Ordnungen
Komplementäres (Zahlen-)Musterverständnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7_8
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Ein Muster besitzt also eine äußere und eine innere Schönheit (vgl. Hardy 1973, S. 90f; vgl. Devlin 1998, S. 6). Hierbei ist zu beachten, dass die innere Schönheit (innermathematische Strukturen) langlebiger ist als die äußere Schönheit (Oberflächenmerkmale bzw. -strukturen), da die äußere Schönheit nur so lange Bestand hat, bis die innere Schönheit einen Bruch in der äußeren Schönheit (visuellen (An-)Ordnung) erzeugt. Wie das in der Einleitung angeführte Beispiel von Fabian aufzeigte, stehen Kinder beim Deuten von Zahlenmustern stets im Spannungsfeld von sichtbaren Elementen und unsichtbaren innermathematischen Strukturen. Um dieses Spannungsfeld genauer untersuchen zu können, wurden dreischrittige Analysen von Zahlenmusterdeutungsaussagen durchgeführt. In dieser Arbeit sind fünf aussagekräftige Szenen exemplarisch analysiert worden. Nach der interpretativen Analyse jeder Szene erfolgte eine epistemologisch orientierte Analyse. In dieser wurden Deutungsaussagen, in denen begriffliche Deutungen vorgenommen wurde, mit Hilfe des epistemologischen Dreiecks (vgl. Steinbring 2005) analysiert. Basierend auf diesen Analyseergebnissen wurden die vorgenommenen Zahlenmusterdeutungen der Kinder in das in dieser Arbeit entwickelte theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung eingeordnet (Abb. 7.2). Typ
Gedeutet wird / werden
Ziffern-Anordnung
einfach
Charakterisierung
Sichtbares
- Zerlegung in (zeichenmäßige) Einzelelemente - Elementare Anordnung, Fortsetzung - Gleichheit von Elementen - Folgen von Elementen
Beziehungen zwischen Sichtbarem
- Lokale, elementare Zahlbeziehungen - Zusammenhänge zwischen einzelnen Zahlen - Kombination / Folge von Zahlen
Zahl-Operation
komplex
Zahl-Struktur
Abb. 7.2
- Globale, umfassende Zahlbeziehungen - Teilstruktur(en) des Zahlenmusters Beziehungen - Zusammenhänge zwischen mehreren Zahlen zwischen Unsichtbarem - Regelbasierte Veränderungen - Regelmäßigkeiten - (rhythmisch) konstante Veränderungen - 'Gesamtheit' der Struktur Beziehungen von - Ausgeprägte Zahlbeziehungen Beziehungen - Beziehungen von Beziehungen zwischen Unsichtbarem - Operatives Prinzip - Konstanzgesetze
Theoretisches Konstrukt „Typen der Zahlenmusterdeutung“
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Da in den Analysen dieser Arbeit somit der Fokus auf dem Wechselspiel zwischen den sichtbaren und unsichtbaren Elementen eines Zahlenmusters ausgerichtet war, grenzt sich diese Studie von bisherigen Studien ab. Anhand des eigenommenen Fokus lassen sich für die mathematikdidaktische Forschung neue Erkenntnisse beim Deuten von Zahlenmustern festhalten. Die Erörterung epistemologischer Bedingungen des Lernens von Mathematik stellte die zweite theoretische Perspektive für dieses Vorhaben dar (Kap. 2), die das fundamentale Grundproblem zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit herausstellte. Es wurde herausgearbeitet, dass Kinder beim Deuten von Zahlenmustern abstrakte Beziehungen deuten müssen, um im Konkreten das Allgemeine zu erkennen (vgl. Steinbring 2005). So müssen Kinder die sichtbaren Elemente eines Zahlenmusters wahrnehmen und zueinander in Beziehung setzen, um die zugrundeliegenden unsichtbaren gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge eines Zahlenmusters deuten zu können. Hierdurch können die unsichtbaren innermathematischen Strukturen sichtbar(er) gemacht werden. Dabei ist zu beachten, dass das Deuten von Zahlenmustern stets als aktive Tätigkeit (Freudenthal 1982) verstanden werden sollte, bei dem das Kind sich aktiv und selbstständig mit dem Zahlenmuster auseinandersetzen muss, um ein echtes Verständnis erwerben zu können. Da zudem mathematisches Wissen erst in sozialen Kontexten seine besondere epistemologische Bedeutung erhält (vgl. Steinbring 1998, S. 161), sollten Kinder stets zu einem sozialen Austausch, im Sinne des von- und miteinander Lernens, mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern angeregt werden. So liefert das a posteriori entwickelte theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung erste Hinweise, um das fundamentale epistemologische Grundproblem zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit näher zu charakterisieren. Es sei angemerkt, dass es sich bei dieser Studie um eine qualitative Studie handelt, weshalb die Ergebnisse dieser Studie lediglich die Deutungen der an der Studie teilnehmenden Kinder widerspiegeln und daher keine Verallgemeinerung für alle Kinder des vierten Schuljahres zulassen. Zudem ist anzumerken, dass Zahlenmusterdeutungen zu insgesamt drei substanziellen Lernumgebungen (Strukturierte Päckchen, Zahlenfelder, Triff die 50) erhoben wurden. Daher können auch hier keine generalisierbaren Aussagen für das Deuten einer beliebigen Zahlenmusterdeutungsanforderung getroffen werden. Es lassen sich aber dennoch mögliche Tendenzen erkennen, wie Kinder mit entsprechenden Deutungsanforderungen umgehen. Die Ergebnisse dieser Arbeit liefern daher aussagekräftige Ergebnisse und lassen Tendenzen zu, da sie theoretisch und wissenschaftlich fundiert sind.
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Die Daten dieser Studie zeigen trotz des oben erwähnten Einwands eine große Spanne an individuellen Deutungen auf, sodass sich trotz allem aussagekräftige Ergebnisse festhalten lassen: - Um ein Zahlenmuster adäquat zu deuten, reicht es nicht aus, ausschließlich die Oberflächenstruktur (äußere Schönheit) zu deuten. Es muss vor allem die dem Muster zugrundliegende innermathematischen Struktur (innere Schönheit) gedeutet werden, da diese langlebiger (vgl. Hardy 1973, Kap. 1.2) ist als die äußere Schönheit eines Musters. Zudem wird die äußere Schönheit von der inneren Schönheit beeinflusst, was zu einer Veränderung der äußeren Schönheit führen kann. - Ein Zusammenspiel verschiedener Betrachtungs- und Deutungsweisen kann sehr produktiv und sinnvoll sein. Dabei muss aber stets die Gewichtung der einzelnen Deutungssichtweisen zueinander passen. Je reflektierter der Umgang mit den verschiedenen Betrachtungsweisen ist, desto effizienter gestaltet sich deren Anwendung. - Es hängt von der Aufgabenstellung bzw. der Deutungsaufforderung ab, welchen Blick bzw. welchen Zahlenmusterdeutungstyp man beim Deuten am besten einnimmt. Das heißt, dass die Deutungsperspektive des Zahlenmustertyps Zahl-Struktur nicht zwingend eingenommen werden muss. Somit sind die Typen der Zahlenmusterdeutung, die zwar vom Abstraktionsgrad her von Typ zu Typ zunehmen, nicht mit einer strengen Stufenfolge zu verwechseln. - Ein ausgeprägter, flexibler und reflektierter Muster- und Strukturblick kann dabei helfen, Fehler zu entdecken, neue bzw. weitere Lösungsmöglichkeiten abzuleiten sowie Beziehungen (geschickt) zu nutzen, sodass Vorteile (z.B. beim Rechnen) entstehen. Zudem verleiht er Sicherheit und lässt verschiedene Kontrollmöglichkeiten zu. Ferner kann er dazu verhelfen, schnell eine optimale und passende Deutungsperspektive einzunehmen. - Die an der Studie teilnehmenden Kinder zeigten beim Erkunden und Deuten von Zahlenmustern drei verschiedene Grundlagen für die Herstellung einer begrifflichen Beziehung auf: Eine rechnerische, eine visuelle und/oder eine strukturelle Grundlage. - Von der Interaktion her können Übergänge zwischen den Typen der Zahlenmusterdeutung entstehen. - Zudem ermöglicht ein ausgeprägter Muster- und Strukturblick die leichtere Ermittlung neuer Lösungsmöglichkeiten, indem die zugrundeliegenden, gesetzmäßigen, strukturellen Zusammenhänge erkannt und genutzt werden (vgl. Td50).
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Mit Blick auf die Schulpraxis lassen sich die folgenden unterrichtspraktischen Konsequenzen zusammentragen: - Da das Deuten von abstrakten Zahlenmustern äußerst komplex und anspruchsvoll ist, sollte die Lehrkraft den Kindern innerhalb des Mathematikunterrichts regelmäßig Zahlenmusterdeutungsanforderungen zur Verfügung stellen und sie stets zu einer umsichtigen Aktivierung des Muster- und Strukturverständnisses anregen. Hierfür eignen sich vor allem substanzielle Lernumgebungen, da die Kinder so individuelle Deutungen entwickeln können. Hierbei sollte die Lehrperson die verschiedenen Deutungsperspektiven der Kinder stets im Blick haben, um die Kinder zu neuartigen und tiefergehenden Deutungen anzuregen. - Die Lehrperson muss sich auf die Offenheit der substanziellen Lernumgebungen und somit zugleich auf verschiedene und individuelle Deutungen der Kinder einlassen können. Das heißt, dass sie eine womöglich nicht intendierte Deutung nicht per se als falsch titulieren darf. Vielmehr muss sie die Kinder zu Begründungen auffordern, warum sie sich für ihre Deutung entschieden haben. Die Kinder sollen selbstständig einschätzen können, ob eine Deutung passend oder nicht passend ist. - Die Lehrperson hat die Aufgabe, die Kinder in die notwendige Zahlenmusterdeutungskultur einzuführen. Sie sollte verschiedene Deutungen vergleichend gegenüberstellen, sodass die Kinder ihre Deutungssichtweisen ausdifferenzieren können. Hierfür ist es notwendig, dass die Kinder zu einem sozialen Austausch, im Sinne des von- und miteinander Lernens, mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern angeregt werden. - Die Lehrperson sollte stets verschiedene Deutungsperspektiven im Blick haben und die Kinder dazu anregen, diese so miteinander zu vergleichen, dass sie einen reflektierten Umgang mit ihnen kennenlernen (Wann bietet sich welche Deutungssichtweise an?). - Die Ergebnisse dieser Arbeit sollten Lehrpersonen dazu sensibilisieren, spannende Gesprächsanlässe über unsichtbare innermathematische Strukturen, die die Kinder zum Nachdenken anregen, zu erzeugen.
Mit Blick auf die mathematikdidaktische Forschung lassen sich von den Ergebnissen dieser Arbeit spannende neue Forschungsideen entwickeln. So wäre ein Transfer der hier gewonnen Erkenntnisse auf andere mathematische Bereiche interessant. Kann das komplementäre Musterverständnis und/oder das theoretische Konstrukt Typen der Zahlenmusterdeutung auf andere inhaltliche Bereiche übertragen werden? Welche Strukturierungsattribute könnten beispielsweise im Be-
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reich der Geometrie (Bandmuster) rekonstruiert werden? Worin bestehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
Im Hinblick auf das wissenschaftliche Bedürfnis, sei zum Ende dieser Arbeit das bereits ganz zu Beginn der Einleitung angegebene Zitat angegeben, das den Kern dieser Arbeit trifft. So formulierte Humboldt im Jahre 1814:
„Das wissenschaftliche Bedürfnis, in seinen mannigfaltigsten Erscheinungen, ist, wenn man es auf sein einfaches Wesen zurückführt, immer das Erkennen des Unsichtbaren im Sichtbaren“ (Humboldt 1814, 559f.)
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Anhang ANHANG 1 Leitfaden zur Transkription Abkürzung der Namen Pilotstudie Al Alex Co Conrad Fa Fabian Fe Felix Ju Juliane Me Melody Lu Lukas Vi Viola Hauptstudie Ad Adrian An Anna Da David Em Emil Ju Justus Le Leon Lo Lotta Ma Marvin Me Merle Va Valentin Gesprochenes 1 Die einzelnen Aussagen werden pro Szene beginnend bei 1 durchnummeriert. 2 3 Und hier kommt eins heraus. Gesprochenes wird dick gedruckt. An Elf, ähm # ich meine Ein Sprecher fällt dem anderen ohne I # Warum elf? vorherige Pause ins Wort. Gleichzeitig verlaufende Sprechakte oder auch Handlungen werden mit einer Raute („#“) markiert. An Dann #1 hab ich die hier Bei mehreren Unterbrechungen innerhalb #2 gerechnet. eines Sprehaktes, werden diese durchnum#1 mhm I meriert #2 Zeig das mal. Dreizehn plus vier gleich Zahlwörter und Rechenzeichen werden © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E.-M. Schulte-Wißing, Kinder deuten Zahlenmuster, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30952-7
Anhang
272 siebzehn Ähm, du meenst Sach mal Mmh Hmhm Hm? Mmm Betonung Und dann hab ich die Aufgabe gerechnet. dreizehn
(lauter) (leiser) etc.
? Unverständliche Beiträge (unverständlich) Und dass dann [bei allen]
Handlungen Zuerst habe ich die hier fortgesetzt (fährt mit dem rechten Zeigefinger von oben nach unten über die Spalte der ersten Summanden). Zuerst hab ich drei plus vier gerechnet (notiert „3 + 4“). Pausen (.) (..) (...)
ausgeschrieben Berücksichtigung stockender Sprechweisen und deutlich hörbarer „Mundarten“ eindeutige Bejahung eindeutige Verneinung nachfragend überlegend Besonders betonte Wörter werden durch Unterstreichung kenntlich gemacht. Besonders lang gezogene Wörter werden durch gestrichelte Unterstreichung kenntlich gemacht Charakterisierung von Tonfall und Sprechweise (Die Charakterisierung steht vor der entsprechenden Stelle und gilt bis zum Äußerungsende oder bis zu einer neuen Charakterisierung Durch Intonation oder Satzstellung erkennbare Frage Beitrag bei dem ca. ein Wort völlig unverständlich war. Unverständlicher Beitrag in eckigen Klammern, bei dem eine Vermutung über den Inhalt besteht Handlungen, Ausdruck, Anmerkungen werden in kursiver Schrift wiedergegeben – Klammern aber nicht. Hierbei markiert das Satzzeichen die Gleichzeitigkeit von Handlung und Sprechakt. Die Beschreibung der Notation von Rechenwegen erfolgt in Anführungszeichen. Pause von ca. 1 Sekunde Pause von ca. 2 Sekunden Pause von ca. 3 Sekunden
Anhang
273 Arbeitsblätter zur Lernumgebung Umkehrzahlen
ANHANG 2
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Anhang ANHANG 3
281 Arbeitsblätter zur Lernumgebung Zahlenmauern
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285 Arbeitsblätter zur Lernumgebung Zahlengitter
ANHANG 4
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293 Arbeitsblätter zur Lernumgebung Vierersummen an der Hundertertafel
ANHANG 5
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Anhang
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