Kants "Kategorien der Freiheit" 9783110272338, 9783110272109, 2011030894

Only recently have researchers gradually begun to consider the categories of freedom developed by Kant in his Critique o

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German Pages 329 [332] Year 2011

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Table of contents :
Einleitung
I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft
1. Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik . .
2. Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bösen (KpV A 100–114)
3. Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft (KpV A 119–126)
4. Der Übergang von den Begriffen des Guten und Bösen zu den Kategorien der Freiheit (KpV A 114 f.)
II. Praktisches Urteil und Kategorie
1. Die Kategorien der Freiheit und Kants allgemeiner Vernunftbegriff: Urteil, Funktion, Kategorie
2. Die Kategorien der Freiheit und die praktische Vernunft I: Wille und praktisches Urteil
3. Die Kategorien der Freiheit und die praktische Vernunft II: Wille und Freiheit
4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.)
5. Benötigen die Kategorien der Freiheit eine transzendentale Deduktion?
III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)
1. Die Freiheitskategorien der Quantität (KpV A 118 f.)
2. Die Freiheitskategorien der Qualität
3. Die Freiheitskategorien der Relation
4. Die Freiheitskategorien der Modalität
Siglenverzeichnis
Bibliographie
Personenregister
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Kants "Kategorien der Freiheit"
 9783110272338, 9783110272109, 2011030894

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Stephan Zimmermann Kants „Kategorien der Freiheit“

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner F. Klemme und Thomas M. Seebohm

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De Gruyter

Stephan Zimmermann

Kants „Kategorien der Freiheit“

De Gruyter

ISBN 978-3-11-027210-9 e-ISBN 978-3-11-027233-8 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Zimmermann, Stephan. Kants „Kategorien der Freiheit“ / Stephan Zimmermann. p. cm. - (Kantstudien. Ergänzungshefte, ISSN 0340-6059) Includes bibliographical references (p. ) and index. ISBN 978-3-11-027210-9 (hardcover : alk. paper) 1. Kant, Immanuel, 1724-1804. Kritik der praktischen Vernunft. 2. Practical reason. 3. Categories (Philosophy) 4. Free will and determinism. I. Title. B2774.Z56 2011 170-dc23 2011030894

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

” 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Meiner Mutter

Vorwort Die hier vorgelegte Arbeit wurde im Wintersemester 2008/09 von der Philosophischen Fakultt der Ruprecht-Karls-Universitt zu Heidelberg unter dem Titel „Praktisches Urteil und Kategorie. Die Kategorien der Freiheit in der kritischen Philosophie Immanuel Kants“ als InauguralDissertation zur Erlangung der Doktorwrde im Fach Philosophie angenommen. Fr die Drucklegung wurden einige Kapitel umgeschrieben – insbesondere um berechtigten Einwnden und hilfreichen Anregungen der beiden Gutachter Rechnung zu tragen –, ohne dabei jedoch die innere Substanz der berlegungen anzutasten. Der flligen Pflicht, all jenen Dank zu sagen, die meine Studien auf die eine oder andere Weise untersttzt haben, komme ich hier mit Neigung nach. Mein erster Dank gilt den Betreuern und engagierten Kant-Kennern, Prof. Dr. Hans Friedrich Fulda (Heidelberg) und Prof. Dr. Jrgen Stolzenberg (Halle), die mir durch die Wirrungen des kantischen Textes hindurch so manches Licht aufgesteckt haben. Vor allem die unermdlichen, nicht selten bis spt in die Nacht hineinreichenden lebhaften Streitgesprche im Hause Fulda werden mir auf immer eine der herzlichsten Erinnerungen meiner Studentenzeit bleiben. Daneben schulde ich Prof. Dr. Markus Gabriel Dank, der mir als Mitarbeiter des Projektes „Skeptizismus und Idealismus in der Antike“ von Beginn an eine konzentrierte Arbeit innerhalb des universitren Betriebes ermçglicht hat; ebenso der Graduiertenfçrderung des Landes BadenWrttemberg, als dessen Stipendiat ich die Niederschrift meiner Untersuchungen zu einem glcklichen Ende bringen konnte. Zuletzt mçchte ich ganz besonders meiner Mutter danken. Ihr ist das vorliegende Buch zugedacht, denn allen Beschwerlichkeiten zum Trotz hat sie nicht allein meinem Studium und damit meiner Promotion den Weg geçffnet.

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 1. 2. 3. 4.

Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik . . Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bçsen (KpV A 100 – 114) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft (KpV A 119 – 126) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der bergang von den Begriffen des Guten und Bçsen zu den Kategorien der Freiheit (KpV A 114 f.) . . . . . . . . . . . . . . .

1 13 14 28 50 63

II. Praktisches Urteil und Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Die Kategorien der Freiheit und Kants allgemeiner Vernunftbegriff: Urteil, Funktion, Kategorie . . . . . . . . . . . 75 2. Die Kategorien der Freiheit und die praktische Vernunft I: Wille und praktisches Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Die Kategorien der Freiheit und die praktische Vernunft II: Wille und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5. Bençtigen die Kategorien der Freiheit eine transzendentale Deduktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. 1. 2. 3. 4.

Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117) . . . . . . . . . Die Freiheitskategorien der Quantitt (KpV A 118 f.) . . . . . . . Die Freiheitskategorien der Qualitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Freiheitskategorien der Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Freiheitskategorien der Modalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196 204 225 240 267

Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Einleitung „Ich fge hier nichts weiter zur Erluterung gegenwrtiger Tafel bei, weil sie fr sich verstndlich genug ist.“ (KpV A 118) Und wahrlich, allzu viele Worte hat Kant in der Tat nicht ber die so genannte „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bçsen“ (KpV A 117) verloren, wie sie sich in der Kritik der praktischen Vernunft findet. Insgesamt sind es nicht mehr als vier Abstze, in denen er dazu kommentierend Stellung bezieht, zwei unmittelbar vor der Kategorientafel und zwei direkt im Anschluss. Nach der Originalausgabe von 1788 macht das gerade einmal viereinhalb Seiten, was sich im Vergleich zu den raumgreifenden Ausfhrungen ber die Kategorien der Natur in der Kritik der reinen Vernunft nachgerade sprlich ausnimmt. Warum dem so ist, darber lsst sich im Großen und Ganzen sicherlich nur spekulieren. Ob Kant wirklich deshalb keine ausgedehnten Erklrungen anzubieten fr nçtig befunden hat, weil er meinte, die Kategorientafel wrde fr sich selber sprechen; ob er Detailzeichnungen aus strategischen Grnden bewusst unterlassen wollte, um die zeitgençssische Rezeption nicht von seiner Einschtzung nach vordringlicheren Theoriestcken abzulenken und um zermrbende Kleinstdebatten von vornherein abzuwenden; oder ob Kant die Kategorienthematik im Praktischen vielleicht doch nicht ganz so klar vor Augen stand, wie er vorgibt – eines jedenfalls muss man klar aussprechen, dass nmlich die Tafel der Kategorien der Freiheit keineswegs ohne Weiteres einleuchtend und ihr Sinn unmittelbar evident ist. Neben dem eher bescheidenen Textkorpus sind aber auch noch andere Umstnde bemerkenswert. So handelt Kant die Freiheitskategorien nicht nur nicht in einem eigenen Kapitel oder sogar Hauptstck ab, wie man es durchaus erwarten drfte. Das „Zweite Hauptstck“ fungiert als sachlicher Rahmen fr zwei Unterkapitel, deren erstes die berschrift trgt „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 100). Hier ist es, dass Kant sich mit den Kategorien der praktischen Vernunft beschftigt, aber das noch nicht einmal allein und ausschließlich, sondern zusammen mit den Begriffen des Guten und Bçsen. Und damit nicht genug. Die Kategorienproblematik kommt darber hinaus auch nicht vorrangig und an erster Stelle zur Sprache, sondern erst gegen Ende des Kapitels, in den allerletzten Abstzen. Der Schwerpunkt liegt ganz

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Einleitung

eindeutig auf der moralphilosophischen Neufassung der Begriffe des Guten und Bçsen. Das erweckt den Eindruck, als wrde Kant ihr kein allzu großes Gewicht beimessen. In dieselbe Richtung kçnnte weisen, dass die Kategorien der Freiheit sonst nirgendwo im Haupttext ausdrcklich Erwhnung finden. Bloß in einer Fußnote der „Vorrede“, wo Kant einige terminologische Vorabrichtigstellungen anbringt, werden neben anderen Begriffen auch sie kurz angeschnitten.1 Entwicklungsgeschichtlich bekundet sich das erste, noch zaghafte Aufleuchten eines anstehenden Projekts vermutlich in den Ausdrcken „Categorien der moralitaet“ (R6854) und „Categorien der reinen Willkhr“ (R6888, 6948), wie Kant sie in seiner Ausgabe der Baumgarten’schen Initia philosophiae practicae als Randbemerkungen notiert. Das fllt in die Jahre zwischen 1776 und 1778. In seinen eigenen Schriften zur Moral- und praktischen Philosophie hingegen, die nach der kritischen Wende entstanden sind, ist von praktischen Kategorien, Kategorien der Freiheit oder hnlichem an keiner weiteren Stelle mehr die Rede. So fhrt Kant zwar in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten die „Kategorien der Einheit […], der Vielheit […] und der Allheit“ auf; und er bezieht sie nacheinander auf die „Form des Willens“, auf dessen „Materie“ und auf die „vollstndige Bestimmung“ oder „Totalitt“ (GMS A/B 80) einer Willensbestimmung. Doch dabei handelt es sich um theoretische Kategorien, namentlich die der Quantitt. Genauso in der Metaphysik der Sitten, wo Kant in §4 der Rechtslehre im Zuge der „Exposition des Begriffs vom ußeren Mein und Dein“ die ußeren Gegenstnde der menschlichen Willkr einteilt gemß den „Kategorien der Substanz, Kausalitt, und Gemeinschaft zwischen mir und ußeren Gegenstnden nach Freiheitsgesetzen“ (MSR A/B 59). Das sind offenkundig keine anderen als die Naturkategorien der Relation. In der Religions-Schrift schließlich gibt Kant mehrere „Kennzeichen der wahren Kirche“ (Rel. A 134/B 142) an. Hier sind es nun die vier Titel, unter denen sich alle theoretischen Kategorien ordnen, die Pate stehen, also die Begriffe Quantitt, Qualitt, Relation und Modalitt.2 Diese textliche Randstndigkeit darf gleichwohl nicht als eine Marginalitt in der Sache ausgelegt werden. Denn der systematische Anspruch, den Kant mit den Kategorien der Freiheit und deren Tafel verbindet, steht um kein Jota hinter dem zurck, den er an die Naturkategorien und deren Tafel richtet. In der Kritik der praktischen Vernunft notiert er ausdrcklich: „Dergleichen nach Prinzipien abgefaßte Einteilung ist aller Wissenschaft, 1 2

Vgl. KpV A 20 f. Anm. Vgl. Rel. A 135 f./B 143 f.

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ihrer Grndlichkeit sowohl als Verstndlichkeit halber, sehr zutrglich.“ (KpV A 118) Und er fhrt kurz darauf fort: „Auf diese Weise bersieht man den ganzen Plan, von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist.“ (KpV A 119)3 Die Freiheitskategorien sollen demnach wie die Kategorien der Natur eine wissenschaftlich-methodische Anwendung haben. Kants Idee ist anscheinend, dass sich die Systematik der ersteren zur Metaphysik der Sitten so verhlt, wie die Systematik der letzteren zu den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft steht. Whrend das eine Kategorientableau den Grundriss fr die reine Naturlehre vorzeichnet, entwirft das andere den Grundriss der philosophischen Sittenlehre. Dass Kant ursprnglich gedachte, seine Sittenlehre nach Maßgabe der Tafel der Kategorien der Freiheit anzulegen, lsst sich ebenfalls an den unverçffentlichten Vorarbeiten ablesen. In denen zur Vorrede und Einleitung in die Tugendlehre zum Beispiel zhlt Kant einige, wie er sie hier nennt, „Categorien der Moralitt“ (AA XXIII 382) auf. Deren Zusammenstellung und Einteilung aber erfolgt nach einem ganz und gar unersichtlichen Muster. Auch erinnern ihre Bezeichnungen nur sehr vage, wenn berhaupt, an die Kategorien der Freiheit. In den Vorarbeiten zum Privatrecht wiederum nennt Kant „12 Categorien des blos-rechtlichen Besitzes“ (AA XXIII 274). Abgesehen von den vier Titeln, also Quantitt, Qualitt, Relation und Modalitt, haben sie allerdings so gar nichts mehr gemein mit den Kategorien in der Kritik. Dasselbe gilt fr die „Categorien der Quantitt u. Qualitt des Rechts“, die Kant in einem Zusammenhngenden Entwurf zur Rechtslehre anfhrt und die er um die entsprechenden Kategorien „der Relation und Modalitt“ (AA XXIII 218) ergnzt. Einzig der Begriff der Erlaubnis scheint sich hier erhalten zu haben. Man beachte in diesem Zusammenhang auch Kants Brief an Heinrich Jung-Stilling, der auf die Zeit kurz nach dem 1. Mrz 1789 datiert wird. Darin kndigt Kant an, im Sommer mit der Ausarbeitung seiner Metaphysik der Sitten beginnen zu wollen, und er skizziert Jung-Stilling gegenber seine vorlufige Antwort auf die Frage, „wie Gesetze in einer schon vorausgesetzten brgerlichen Gesellschaft gegeben werden sollen“ (AA XXIII 495). Danach habe sich die Gesetzgebung im Staat bei der Auseinandersetzung mit einer Rechtsmaterie stets an den vier Kategorientiteln zu orientieren. Mit anderen Worten scheint Kants allgemeine Vorstellung die gewesen zu sein, dass die interne 3

Vgl. KrV B 109 f.

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Einleitung

Gliederung der Rechtslehre (ius) sich nach kategorialen Begriffen richten muss. Trotz Kants erklrter Versicherung ist nun die „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bçsen“ alles andere als unumstritten. Schon unter Kants Zeitgenossen gingen die Meinungen deutlich auseinander. Die Rezeption in den Jahren unmittelbar nach Erscheinen der Kritik hat ein hçchst unterschiedliches Echo hervorgerufen. Die Reaktionen waren von Zustimmung, von Zweifel und Ablehnung oder aber von Stillschweigen geprgt. Nicht wenige haben sich der Ansicht des Meisters nahezu vorbehaltlos angeschlossen, darunter etwa Lazarus Bendavid4, Gebhard U. Brastberger5, Christian F. Michaelis6 und Georg S. A. Mellin.7 Andere hingegen, beispielsweise Christian G. Schtz, einer der treuesten Schler Kants, fhlten sich dazu aufgerufen, Vorschlge zu unterbreiten, in welchen Punkten die Tafel wie zu verbessern sei.8 Und wieder andere haben das Kategorientableau schlichtweg bergangen. So spart Johann C. Zwanziger, der den ersten durchgehenden Kommentar zur Kritik der praktischen Vernunft verfasst hat, die Kategorien der Freiheit vollkommen aus.9 Andere haben es ihm gleichgetan, zum Beispiel Carl C. E. Schmid10 und, in einer anderen seiner Schriften, Georg S. A. Mellin.11 An dieser kontroversen Situation hat sich bis heute nichts wesentlich gendert. Ein Blick in die Forschungsliteratur der letzten Jahrzehnte, die trotz der sich zunehmend vertiefenden Debatte nach wie vor mehr als berschaubar bleibt, gibt das zu erkennen. Nachdem der Neukantianismus 4 Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, Wien 1796. 5 Brastberger, Gebhard U.: Untersuchungen ueber Kants Kritik der practischen Vernunft, Tbingen 1792. 6 Michaelis, Christian F.: Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen. Ein Versuch zur Erluterung ber I. Kants Kritik der praktischen Vernunft, 2 Bde., Leipzig 1796/97. 7 Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie oder Versuch einer fasslichen und vollstndigen Erklrung der in Kants kritischen und dogmatischen Schriften enthaltenen Begriffe und Stze, 6 Bde., Jena/Leipzig 1797 – 1804. 8 Siehe den Brief an Kant vom 23. Juni 1788 (AA X 514 ff.). 9 Zwanziger, Johann C.: Commentar ber Herrn Professor Kants Kritik der praktischen Vernunft, Leipzig 1794. 10 Schmid, Carl C. E.: Wçrterbuch zum leichteren Gebrauch der Kantischen Schriften nebst einer Abhandlung, Jena 17984. 11 Mellin, Georg S. A.: Kunstsprache der kritischen Philosophie oder Sammlung aller Kunstwçrter derselben, mit Kants eigenen Erklrungen, Beyspielen und Erluterungen, aus allen seinen Schriften gesammelt und alphabetisch geordnet, Jena/Leipzig 1798.

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sein Augenmerk vornehmlich auf die theoretische Philosophie gelegt hat und an einer erkenntnistheoretischen Grundlegung der modernen Naturwissenschaften interessiert war, ist erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts Kants Katalogisierung praktischer Kategorien in den Blickpunkt geraten. Entscheidender Auslçser war der englischsprachige und mittlerweile Standardkommentar zur Kritik der praktischen Vernunft von Lewis W. Beck aus dem Jahre 1960.12 Dem folgten einige Aufstze aus den 70er und 80er Jahren von Jean-Claude Fraisse13, Robert J. Benton14, Gerhard Schçnrich15 und Susanne Bobzien16. In diesen Zeitraum fllt auch eine nicht verçffentlichte Magisterarbeit von Thomas Zwenger17 sowie einige knappe berlegungen von Annemarie Pieper.18 In den 1990er Jahren haben die Arbeiten zu diesem Thema dann in einem relativen kurzen Zeitraum bis heute merklich zugenommen. Zu nennen sind hier die Beitrge von Theo Kobusch19, Josef Simon 20, Bruno Haas21, FranÅois Marty22, Annemarie 12 Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, Mnchen 19953. 13 Fraisse, Jean-Claude: Les catgories de la libert selon Kant, in: Revue philosophique de la France et de l’tranger 99 (1974), S. 161 – 166. 14 Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, in: Kant-Studien 71 (1980), S. 181 – 201. 15 Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, in: Prauss, Gerold (Hg.): Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, Frankfurt a. M. 1986, S. 246 – 270. 16 Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, in: Oberer, Hariolf (Hg.): Kant. Analysen – Probleme – Kritik, Bd. 1, Wrzburg 1988, S. 193 – 219. 17 Zwenger, Thomas: Die Stellung der „Kategorien der Freiheit“ in Kants ,Kritik der praktischen Vernunft’ und die Probleme ihrer Interpretation, unverçffentl. Magisterarbeit, Mnchen 1976. 18 Pieper, Annemarie: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit. Das Problem der Ethik als autonomer Wissenschaft, Stuttgart et al. 1973, S. 142 ff. 19 Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit. Stationen einer historischen Entwicklung: Pufendorf, Kant, Chalybus, in: Allgemeine Zeitschrift fr Philosophie 15 (1990), S. 13 – 37. 20 Simon, Josef: Kategorien der Freiheit und der Natur. Zum Primat des Praktischen bei Kant, in: Koch, Dietmar/Bort, Klaus (Hg.): Kategorien und Kategorialitt. Historisch-systematische Untersuchungen zum Begriff der Kategorie im philosophischen Denken. Festschrift fr Klaus Hartmann zum 65. Geburtstag, Wrzburg 1990, S. 107 – 130. 21 Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, in: Oberer, Hariolf (Hg.): Kant. Analysen – Probleme – Kritik, Bd. III, Wrzburg 1997, S. 41 – 80. 22 Marty, FranÅois: Les catgories de la libert, in: Moutsopoulos, Michle (Hg.): Droit et vertu chez Kant: Kant et la philosophie grcque et moderne. Actes du 3e congrs de la socit internationale d’tudes kantiennes de langue franÅaise en Athnes 14 – 17 mai 1997, Athen 1997, S. 141 – 151.

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Pieper23, Volker Dieringer24 und Ralf M. Bader25. Claudia Graband hat eine Zusammenfassung ihrer ansonsten nicht publizierten Magisterarbeit verçffentlicht.26 Alles in allem lsst sich die Rezeptionsgeschichte jedoch nicht in verschiedene Epochen oder Interpretationsparadigmata einteilen. Was bis heute aussteht, ist eine monographische Studie zu den Freiheitskategorien – was umso erstaunlicher ist, als die Naturkategorien trotz einer mittlerweile unberschaubaren Literaturlage noch immer einen beliebten Gegenstand neuer und alter Fragestellungen abgeben. Was an Kants Tafel praktischer Kategorien strittig ist und der Aufklrung bedarf, lsst sich der Sache nach zu drei Punkten gruppieren. Der erste Punkt betrifft den Status, den Kategorien berhaupt im Bereich des Praktischen haben. Was sind Kategorien der praktischen Vernunft, so steht zu fragen. Kann man hier noch im Vollsinne von Kategorien sprechen? Wieso sind sie Kategorien der Freiheit, und welche Freiheit ist gemeint? Des Weiteren, wenn es Kategorien in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen gibt, lsst sich dann daneben auch noch eine andere Ansehung denken, also noch ein anderer Gesichtspunkt, unter dem die Kategorien dargestellt werden kçnnen? Der zweite Punkt erstreckt sich auf das Zustandekommen der Kategorientafel. Warum hat Kant die Tafel in vier Quadranten unterteilt („Titel“), als da sind Quantitt, Qualitt, Relation und Modalitt? Und warum begreift jeder dieser Quadranten genau drei Positionen ein („Momente“)? Warum sind die Kategorien des letzten Quadranten in Gegensatzpaaren angeordnet? Zudem, welcher Gedanke steckt dahinter, dass Kant die Tafel grafisch als ein auf die Spitze gestelltes Quadrat arrangiert? Und wie kommt er gerade auf die Kategorien, die er angibt? Kann es noch andere geben, oder ist die Tafel vollstndig? Der dritte Punkt schließlich bezieht sich auf den Sinn jeder Kategorie. Wie genau hat man sich die einzelnen Freiheitskategorien klar zu machen? Was ist ihr jeweiliger begrifflicher Gehalt? Diesen und anderen Fragen wird man meines Erachtens am besten gerecht, wenn man sich innerhalb der abgesteckten Grenzen der kantischen Philosophie bewegt. Immerhin steht Kant mit seinen Kategorien der 23 Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck (57 – 71), in: Hçffe, Ottfried (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft, Berlin 2002, S. 115 – 133. 24 Dieringer, Volker: Was erkennt die praktische Vernunft? Zu Kants Begriff des Guten in der Kritik der praktischen Vernunft, in: Kant-Studien 93 (2002), S. 137 – 157. 25 Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, in: British Journal for the History of Philosophy 17/4 (2009), S. 799 – 820. 26 Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit. Kants Kategorien der praktischen Vernunft, Kant-Studien 96 (2005), S. 41 – 65.

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Freiheit philosophiehistorisch als Solitr da, so dass man sich kaum auf geschichtliche Autoritten und sachkundige Vorgnger zurckzuberufen vermag. Ich mçchte die vorliegende Untersuchung stattdessen an der Analogie ausrichten, die Kant selbst gleich in mehreren Hinsichten zwischen den Freiheitskategorien und den Kategorien der Natur herausstreicht. Fr diese analogische Deutung spricht allein schon, dass Kant beide unter demselben Namen fhrt, eben als Kategorien. Auch werden sie von der jeweiligen Kritik innerhalb eines gleichlaufenden Methodenstckes traktiert, einer Analytik der Begriffe. Diese ist je durch eine Analytik der Grundstze und eine Lehre der Sinnlichkeit (sthetik) eingerahmt, wenn auch in umgekehrter Abfolge. Des Weiteren zeigen beide Kategorienregister, die Tafel der Kategorien der Freiheit und die Tafel der Naturkategorien, ersichtlich denselben Aufbau. Sie enthalten dieselbe Anzahl an Kategorien, dieselbe Einteilung in vier Titel mit jeweils drei Momenten, Gegensatzpaare im letzten Quadranten und die gleiche figrliche Anordnung eines auf der Spitze stehenden Quadrates. Ein Zufall? Wohl kaum. Meine berlegungen sind getragen von der Vorstellung, dass das Kategorienverzeichnis der praktischen Vernunft ein und denselben Ursprung besitzt wie das der theoretischen. Dieser Ursprung liegt nirgendwo anders als in der Tafel aller „logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen“ (KrV A 70/B 95). Die so genannte Urteilstafel ist es, welche beide Kategorientafeln fundiert und ihre eigene Ordnung an diese gleichsam forterbt. An ihr muss jede Beschftigung mit der Kategorienproblematik, sei es im Theoretischen, sei es im Praktischen, Orientierung suchen. Der Tafel der „logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen“, wie Kant sie in der Kritik der reinen Vernunft vorlegt, kommt eine nicht zu berschtzende Bedeutung fr die Tafel der Freiheitskategorien zu. Wie schon die Tafel der Naturkategorien muss sich jene aus ihr entwickeln lassen. Eine solche Ableitung heißt Kant metaphysische Deduktion. Meine Hauptthese besagt, dass Kategorien der Freiheit fr die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch dasjenige sind, was Kategorien der Natur fr die Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch sind. Sie stellen die konstitutiven Bedingungen der Mçglichkeit, nicht der Erfahrung von Gegenstnden, sondern des Wollens von Objekten dar.27 Dabei sind sie durch und durch

27 Ich gebrauche den Terminus ,Vernunft‘ (statt ,Verstand‘) hier und im Weiteren fr das obere Erkenntnisvermçgen in toto, das heißt fr das ganze diskursive Vermçgen des Menschen. Kant selbst drckt sich mitunter so aus (vgl. etwa KpV A 29). Dadurch soll die Parallele zwischen dem Praktischen und dem Theoretischen im

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Einleitung

urteilstheoretisch zu verstehen. Insofern der menschliche Intellekt von Kant insgesamt als ein Urteilsvermçgen expliziert wird, kann die Kategorienthematik nicht dahinter zurckfallen: Es besteht ein unauflçslicher Zusammenhang zwischen objektiv gltigen Urteilen und kategorialen Begriffen. Whrend die einen Kategorien die „Stammbegriffe“ (KrV A 81/ B 107) alles theoretischen Denkens ausmachen, also des Urteilens ber Gegenstnde der Anschauung, sind die anderen die „Elementarbegriffe“ (KpV A 116) alles praktischen Denkens, das heißt des Urteilens ber Objekte des Begehrens. Wie Kant selbst sich ausdrckt, werden die Urteilsfunktionen des oberen Erkenntnisvermçgens entweder bettigt, „um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein“ zu bringen oder aber „um das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins […] zu unterwerfen“ (KpV A 115). Praktische Urteile, so werde ich darzulegen versuchen, sind solche, die eine Bestimmung des Willens enthalten. In ihnen ist es, dass sich das Begehren eines Menschen oder sonst eines mit Vernunft begabten Lebewesens artikuliert, mag dieses Begehren unter der empirischen Voraussetzung eines Gefhls der Lust und Unlust stehen oder unter der intelligiblen Bedingung des Gedankens transzendentaler Freiheit. Eine Sache zu wollen und absichtsvoll zu verfolgen, ist fr Kant so oder so eine propositionale Einstellung, wie die Transzendentalphilosophie das auch von jedem erfahrungsmßigen Umgang mit den Dingen lehrt. Und das Objekt des Wollens bleibt davon nicht unberhrt. Gegenstand der praktischen Vernunft ist nur, was Gegenstand eines praktischen Urteils ist und insofern den Charakter eines propositional geordneten Sachverhaltes besitzt. Wenn das zutrifft, rckt die so genannte Urteilstafel in ein erweitertes Licht. Sie entdeckt sich alsdann als der Konvergenzpunkt von Kants Theorie theoretischer Urteile und seiner, wie wir sehen werden, nur unvollstndig ausgearbeiteten Theorie praktischer Urteile. Die Kategorienproblematik im Praktischen durch eine Konfrontation mit der Kategorienproblematik im Theoretischen aufzuschließen, meint aber keineswegs eine nur einseitige Suche nach bereinstimmungen. Im Gegenteil, die Rede von einer Analogie soll ebenso sehr bestehende Unterschiede hervortreten lassen. Im Begriff der Analogie steckt von sich aus bereits ein abweichendes Moment, denn eine Analogie kombiniert stets Identisches und Nichtidentisches. Sie behauptet, dass sich a zu b verhlt wie c zu d. Die Relate sind verschieden, nur ihr Verhltnis zueinander ist sprachlichen Ausdruck so augenfllig wie mçglich werden. Ich spreche also von theoretischer und praktischer Vernunft.

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dasselbe. In diesem Sinne soll die direkte Gegenberstellung von Kategorien der Freiheit und denen der Natur offen legen, dass erstere zu dem „Mannigfaltige[n] der Begehrungen“ so stehen wie letztere zu dem „Mannigfaltige[n] der (sinnlichen) Anschauung“. Sie sind diejenigen reinen Begriffe, nach deren Maßgabe die jeweilige Mannigfaltigkeit qua Synthesis in der Einheit des Bewusstseins zusammengedacht wird. Jede Analogie hat selbstverstndlich ihre Grenzen. So auch hier. Der Vergleichsblick, der die Kategorien der theoretischen und die der praktischen Bettigung des Intellekts zusammenfhrt und nebeneinander hlt, fçrdert auch Disanalogien zutage. Das ist eine zweite Form der Abweichung. Und diese ist nicht minder bedeutsam. Zum Beispiel verstatten die Kategorien der Freiheit im Gegensatz zu denen der Natur, wie wir uns nher vor Augen werden fhren mssen, eine Hinsichtenunterscheidung. Kant exponiert sie „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“, was wohl mindestens einen weiteren Gesichtspunkt anzeigt, unter dem sie dargestellt werden kçnnen. Es gibt nicht nur Kategorien des reinen Willens, Kant rechnet offenkundig auch mit solchen des empirischen Willens. Diese sind, so werde ich vorschlagen, in Anbetracht der Begriffe des Guten und Bçsen herzuleiten, was Kant selbst jedoch nicht unternommen hat und aufgrund seiner gezielt moralphilosophischen Fragerichtung auch gar nicht unternehmen musste. Die Kategorienlehre aber scheint im Ganzen weiter zu sein als die von Kant vorgelegte Kategorientafel. Sie umfasst die Kategorien der gesamten praktischen Vernunft. Darber hinaus, wenngleich eng damit zusammenhngend, soll auch die Kategorientafel nicht aus einem Guss sein, wenn man so sagen darf. Das ist ebenfalls eine gravierende Disanalogie. Denn die Begriffe, die sie befasst, gehen, wie Kant ankndigt, „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fort“ (KpV A 116). Sie betreffen mithin „die praktische Vernunft berhaupt“ (ebd.). Die Kategorien, die Kant prsentiert, gehen ber von denen der „praktischen Prinzipien berhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV A 118). Auch das hat aufseiten des Theoretischen keine Entsprechung. Ein Zusammenstehen von Kategorien verschiedener Sorte innerhalb einer einzigen Tafel findet sich dort nicht. Das wird vielmehr der Eigenart der praktischen Vernunft geschuldet sein. Doch was sind das fr unterschiedliche Typen von Kategorien, die Kant hier anspricht? Und wo genau in der Tafel verluft die Linie, die sie voneinander trennt? Ich werde in drei Schritten vorgehen.

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Einleitung

Der erste Teil nhert sich der Kategorientafel indirekt, nmlich ber ihre kompositorische Stellung. Kant hat die Kritik der praktischen Vernunft unter anderem in Analytik und Dialektik und die Analytik wiederum in drei Hauptstcke unterteilt. Die Kategorienproblematik hat ihren angestammten Ort im „Zweiten Hauptstck“ und damit innerhalb der Begriffsanalytik. Im Lichte dieser methodischen Einteilungen lsst sich ein erstes Verstndnis der Freiheitskategorien gewinnen. Dazu sei als Erstes das Außenverhltnis des „Zweiten Hauptstckes“ zu den beiden anderen Hauptstcken der Analytik betrachtet (1.). Das ist das Verhltnis zur Analytik der Grundstze im „Ersten Hauptstck“ und zur sthetik der Triebfedern im „Dritten Hauptstck“. Als Nchstes sind die Innenverhltnisse des „Zweiten Hauptstckes“ zu beleuchten. Dazu gehçrt die Beziehung der Freiheitskategorien einerseits zu den Begriffen des Guten und Bçsen (2.), die Kant beide in einem gemeinsamen Kapitel behandelt, und andererseits zur Typik der reinen praktischen Urteilskraft (3.), in der sich die Analytik der Begriffe vollendet. Zuletzt ist zu sehen, wie Kant die Erçrterung der Begriffe des Guten und Bçsen berleitet in die Auseinandersetzung mit den Kategorien der Freiheit (4.). Dafr ist der dreizehnte Absatz des Kapitels „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ einschlgig. Der zweite Teil der Arbeit entfaltet den Wesenszusammenhang von praktischen Urteilen und Kategorien der Freiheit. Dafr ist zuerst und fr alles Weitere verbindlich Kants Verstndnis der menschlichen Vernunft berhaupt einzuholen, wie es die Kritik der reinen Vernunft vortrgt (1.). Denn dieses Verstndnis liegt dem Auseinandergehen von theoretischem und praktischem Vernunftgebrauch begrifflich noch voraus, indem es in seiner Abstraktheit auf den gemeinschaftlichen Kern geht, in dem beide zusammenfallen: Das obere Erkenntnisvermçgen ist nichts anderes als das Vermçgen eines Subjekts, funktional geregelt zu urteilen. Sodann ist in zwei Anlufen das demgegenber Spezifische der praktischen Bettigung der Vernunft zu profilieren. Das kann nur aus dem Kontext rekonstruiert werden, da Kant berlegungen zur philosophia practica universalis keinen eigenstndigen Raum zugemessen hat. Dazu gehçrt einmal die These, dass Bestimmungen des Willens nichts anderes sind als praktische Urteile (2.). Und wir mssen fragen, welcher Begriff von Willensfreiheit es eigentlich ist, der in der Wendung ,Kategorien der Freiheit‘ zum Tragen kommt (3.). Darauf aufbauend lassen sich Problem und Durchfhrung jener metaphysischen Deduktion herausschlen, die Kant selbst lediglich in Umrissen und auch eher nur beilufig in seinen Ausfhrungen andeutet (4.). Dem zufolge sind die Freiheitskategorien wie die Kategorien der Natur aus den

Einleitung

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Urteilsfunktionen des Denkens zu entwickeln als die realen Funktionen, nicht der theoretischen, sondern der praktischen Vernunft. Abschließend steht zu prfen, ob die Kategorien der Freiheit darber hinaus gleichfalls einer transzendentalen Deduktion bedrfen, wie man das von den Naturkategorien her kennt (5.). Im dritten und letzten Teil wende ich mich der „Tafel der Kategorien der Freiheit“ selbst zu. Diese zeigt dieselbe Architektur wie die „Tafel der Kategorien“ (KrV A 80/B 106) der Natur in der ersten Kritik. Und das kommt nicht von ungefhr. Schon die so genannte Urteilstafel, die beiden zugrunde liegt, besteht einerseits aus vier Quadranten; darin spiegelt sich auf subtile Weise Kants Gliederung des Intellekts in mehrere Teilvermçgen. Andererseits umfasst jeder dieser Quadranten exakt drei Stellen; das rhrt daher, dass diese Stellen jeweils einer, wie Kant sie nennt, synthetischen Einteilung a priori aus Begriffen entspringen. Und dieselbe Ordnung zeigen die beiden Kategorientableaus. Aus der Urteilstafel abgeleitet, sind auch sie in vier Kategorientitel mit je drei Momenten untergliedert. Zu fragen ist hier deshalb erstens, was es in der Tafel der Kategorien der Freiheit mit den Titeln auf sich hat, unter denen Kant alle Kategorien versammelt. Was ist mit Quantitt, Qualitt, Relation und Modalitt gemeint? Zweitens, welches ist der Begriffsinhalt der jeweiligen Momente. Was ist die Bedeutung jeder einzelnen Freiheitskategorie? Und drittens, in welchem Verhltnis stehen die Kategorien zueinander, aus denen sich ein Quadrant je aufbaut. Was heißt, dass es sich um eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen handelt? Kants Reihenfolge einhaltend soll das erst fr die Kategorien der Quantitt (1.) geklrt werden, dann fr die der Qualitt (2.), der Relation (3.) und schlussendlich fr die Kategorien der Modalitt (4.). Die vorliegende Studie hat sonach eine bewusst eingegrenzte Reichweite. Sie will den Kategorien der Freiheit lediglich in Kants kritischer Philosophie nachspren. Unter kritischer Philosophie versteht Kant die Wissenschaft der „bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen“ (KrV A 11/B 25). Sie ist eine Propdeutik fr die doktrinale Philosophie, welch letztere die Wissenschaft vom ausgefhrten „System der reinen Vernunft“ (ebd.) ausmacht. Ich werde also unentschieden lassen, ob und, wenn ja, wie die Kategorien der Freiheit gleich den Naturkategorien eine wissenschaftlich-methodische Anwendung haben und das System der reinen praktischen Vernunft, die Metaphysik der Sitten, organisieren. Das kann hier nicht mit dem nçtigen Umfang und der gebhrenden Tiefe

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verhandelt werden, sondern wre einer eigenen Monographie wert.28 Ferner kann auch innerhalb der kritischen Philosophie selbst nicht alles seine angemessene Bercksichtung finden. Dazu zhlt beispielsweise die „Dialektik“ (KpV A 198) in der Kritik der praktischen Vernunft. Diese ist der Kategorienproblematik zwar nachgeschaltet, scheint sich aber dennoch erstaunlicherweise mit dieser einen Begriff zu teilen. Darauf, dass Kant den Begriff der Persçnlichkeit als Postulat fhrt, kann nur insoweit eingegangen werden, dass sich die Spannung lçsen lçst, die darin liegt, dass Kant denselben Begriff zugleich als Kategorie apostrophiert. Dazu gehçren zuletzt aber auch diverse Aspekte der Vollzugsweise unserer praktischen Vernunft, die fr ein vollstndiges Bild derselben unverzichtbar wren. Zum Beispiel werde ich nicht ausfhrlich auf Kants aristotelisierendes Modell praktischer Syllogismen eingehen kçnnen, welches die Anwendung allgemeiner praktischer Grundstze auf die konkrete Handlungssituation beschreibt. Ich werde es aber auch nicht mssen, wie ich argumentieren werde, weil die Freiheitskategorien in ihrem eigensten Wesen gar nicht durch derlei Syllogismen zu charakterisieren sind.

28 Vgl. Snger, Monika: Die kategoriale Systematik in den „Metaphysischen Anfangsgrnden der Rechtslehre“. Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants, Berlin/New York 1982; Gregor, Mary J.: Laws of Freedom. A Study of Kant’s Method of Applying the Categorical Imperative in the Metaphysik der Sitten, Oxford 1963; Eisenberg, Paul D.: From the Forbidden to the Supererogatory: The Basic Ethical Categories in Kant’s „Tugendlehre“, in: American Philosophical Quarterly 4 (1966), S. 255 – 269.

I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft Nhern wir uns den Kategorien auf einem Umweg, indem wir sie zunchst in der Großaufnahme betrachten. Ein einfhrendes Verstndnis verspricht der weiter ausgreifende Blick auf die kompositorische Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft. Was sagt es ber die Kategorien der Freiheit aus, dass sie innerhalb der methodischen Einteilungen der Analytik gerade dort verhandelt werden, wo sie verhandelt werden? Kant baut die Analytik der reinen praktischen Vernunft aus drei Hauptstcken auf. Das erste beschftigt sich mit „den Grundstzen der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 35). Das zweite Hauptstck ist seinerseits in zwei Unterkapitel gegliedert, deren eines „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 100) handelt. Damit sollen neben den Begriffen des Guten und Bçsen auch die Kategorien der Freiheit gemeint sein; hier hat die „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“ (KpV A 117) ihren Ort. Das zweite Unterkapitel befasst sich sodann mit der „Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ (KpV A 119). Und schließlich widmet sich das letzte Hauptstck „den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 126). Wir wollen sehen, welche Anhaltspunkte sich fr die Interpretation der Kategorienthematik gewinnen lassen, wenn sie im Lichte dieser Einteilungen erwogen wird. Das ist aber nicht alles. Aussichtsreich nmlich scheint es, immer wieder ber den Tellerrand des Textes hinauszusehen und die zahlreichen Analogien und Disanalogien mit der Kritik der reinen Vernunft zu bercksichtigen. Kant selbst bemht wiederholt den Vergleich zwischen beiden Schriften. So vermerkt er etwa gegen Ende der Analytik: „Betrachten wir nun aber auch den Inhalt der Erkenntnis, die wir von einer reinen praktischen Vernunft, und durch dieselbe, haben kçnnen, so wie ihn die Analytik derselben darlegt“, so finden sich, „bei einer merkwrdigen Analogie zwischen ihr und der theoretischen, nicht weniger merkwrdige Unterschiede.“ (KpV A 162 f.) Laut Kant bestehen also zwischen der Analytik der reinen praktischen Vernunft in der zweiten Kritik und der Analytik der reinen theoretischen Vernunft in der ersten Kritik sowohl

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

verbindende bereinstimmungen als auch trennende Unterschiede. Diese mssen fr uns soweit von Interesse sein, als sie die methodische Gliederung der Analytiken und die kompositorische Stellung der jeweiligen Kategorientafel darin angehen. Unsere eigentliche Aufmerksamkeit soll allein der Frage gelten, inwieweit sich diese Analogien und Disanalogien fr eine erste und grundstzliche Weichen stellende Annherung an die Kategorienproblematik im Praktischen fruchtbar machen lassen. Als Erstes sei die Stellung der Kategorientafel in Bezug auf die Einteilung der Kritik der praktischen Vernunft in drei Hauptstcke beleuchtet (1.). Welche Anforderungen lassen sich an eine Interpretation der Freiheitskategorien formulieren, wenn das Außenverhltnis des „Zweiten Hauptstckes“ zu den beiden anderen Hauptstcken der Analytik zugrunde gelegt wird? Anschließend sind die Innenverhltnisse des „Zweiten Hauptstckes“ zu untersuchen, erst die Stellung der Kategorientafel in ihrer Beziehung zu den Begriffen des Guten und Bçsen (2.) und sodann in ihrer Beziehung zur Typik der reinen praktischen Urteilskraft (3.). Hier steht unter anderem zu klren, inwiefern die Kategorien der Freiheit „Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ sind und warum sie ausgerechnet in der Mitte des „Zweiten Hauptstckes“ behandelt werden, also nach den Begriffen des Guten und Bçsen, aber vor dem Typus der Urteilskraft. Zuletzt soll der dreizehnte Absatz des Kapitels „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ eingehend Satz fr Satz analysiert werden (4.). Hier leitet Kant die Diskussion der Begriffe des Guten und Bçsen ber in die Diskussion der Kategorien der Freiheit.

1. Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik Das Inhaltsverzeichnis der Kritik der praktischen Vernunft gibt bemerkenswerte Parallelen zur Kritik der reinen Vernunft zu erkennen. Beide Schriften folgen ersichtlich derselben Einteilung. Sie sind zunchst untergliedert in eine Elementarlehre und eine Methodenlehre; die Elementarlehre wiederum zerfllt jeweils in eine Analytik und eine Dialektik.29 Der Grund dafr liegt nach Kant in der Identitt der Vernunft beschlossen. Das Projekt einer Kritik der reinen Vernunft und das Projekt einer Kritik der praktischen Vernunft mssen mit denselben methodischen Einteilungen verfahren, weil es in beiden Fllen ein und dieselbe Vernunft ist, die 29 Vgl. KpV A 31.

1. Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik

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Quellen, Umfang und Grenzen ihrer jeweiligen Ttigkeit kritisiert und ber ihre eigenen Geltungsansprche zu Gericht sitzt.30 Es ist „immer noch reine Vernunft“, so schreibt er, „deren Erkenntnis hier dem praktischen Gebrauche zum Grunde liegt“, und deshalb wird „die Einteilung einer Kritik der praktischen Vernunft […] der der spekulativen gemß angeordnet werden mssen“ (KpV A 32). Die Vernunft, verstanden als das Subjekt der Kritik, vollzieht ihre Selbsterkenntnis als praktische und als theoretische Vernunft, verstanden jeweils als das Objekt der Kritik, in denselben Erkenntnisschritten.31 Die Gliederung der zweiten Kritik hat aber noch mehr mit der der ersten gemein. ber die Dichotomie von Analytik und Dialektik hinaus zeigt die Elementarlehre in beiden Schriften bereinstimmungen gleichfalls in den Unterabteilungen der Analytik: „Allein die Ordnung in der Unterabteilung der Analytik wird wiederum das Umgewandte von der in der Kritik der reinen spekulativen Vernunft sein. Denn in der gegenwrtigen werden wir von Grundstzen anfangend zu Begriffen und von diesen allererst, wo mçglich, zu den Sinnen gehen“ (KpV A 31 f.).

Einerseits fllt die Elementarlehre hinsichtlich ihrer Unterabschnitte jeweils dreigliedrig aus. Bringt man beide Schriften in eine direkte Gegenberstellung, so erhlt man folgende Zuordnungen. Das „Erste Hauptstck“ der zweiten Kritik, also das Kapitel „Von den Grundstzen der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 35), bildet das Gegenstck zum „Zweiten Buch“ der „Transzendentalen Analytik“ in der ersten Kritik, der „Analytik der Grundstze“ (KrV A 130/B 169). Dem „Zweiten Hauptstck“, und zwar im Besonderen dem Kapitel „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 100), entspricht das „Erste Buch“ der „Transzendentalen Analytik“, die „Analytik der Begriffe“ (KrV A 65/B 90).32 Und dem „Dritten Hauptstck“, dem Kapitel 30 Fr die Wendung „Quellen, Umfang und Grenzen“ siehe KrV A XII, B XXII; KpV A 15, 21. Zur juridischen Metapher des obersten Gerichtshofes (forum) siehe KrV A XI, A 669/B 697, A 740/B 768, A 751/B 779; GMS A/B 93. 31 „Nun hat praktische Vernunft mit der spekulativen so fern einerlei Erkenntnisvermçgen zum Grunde, als beide reine Vernunft sind.“ (KpV A 159) Siehe auch KpV A 11 f., 96; GMS A/B XIV. Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 49; Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ. Eine Untersuchung zu Kants Moralphilosophie, Berlin 1962, S. 86 f. 32 Hier ist eine erste Abweichung zu notieren. Whrend die Urteilskraft in der Kritik der reinen Vernunft innerhalb der Grundsatzanalytik untersucht wird, nmlich innerhalb des Schematismus-Kapitels, ist sie in der Kritik der praktischen Vernunft

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

„Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 126), korrespondiert „Die transzendentale sthetik“ (KrV A 19/B 33). Weil es ein und dieselbe Vernunft ist, die sich theoretisch oder praktisch bettigt, hat die Elementarlehre der jeweiligen Kritik eine Analytik der Grundstze, eine Analytik der Begriffe sowie eine sthetik (Sinnenlehre) zu befassen. Die Selbsterkenntnis der Vernunft impliziert nach Kant in jedem Fall eine Erkenntnis ihrer Grundstze, ihrer Begriffe sowie der ihr jeweils zugehçrigen Sinnlichkeit.33 Andererseits muss aber, wie Kant an der zitierten Textstelle bemerkt, „die Ordnung in der Unterabteilung der Analytik […] das Umgewandte von der in der Kritik der reinen spekulativen Vernunft sein“. Die methodischen Unterabteilungen der Elementarlehre einer Kritik der praktischen Vernunft kçnnen nicht anders als in umgekehrter Reihenfolge gegenber denen einer Kritik der reinen Vernunft bearbeitet werden. Derselbe Gedanke findet sich in einer spteren Passage bekrftigt: „So teilete denn die Analytik der praktischen reinen Vernunft ganz analogisch mit der theoretischen den ganzen Umfang aller Bedingungen ihres Gebrauchs, aber in umgekehrter Ordnung.“ (KpV A 161) Whrend die Kritik der reinen Vernunft mit der transzendentalen sthetik anheben und von dort aus bergehen muss in die transzendentale Analytik, und zwar zuerst in die Analytik der Begriffe und sodann in die Analytik der Grundstze, hat die Kritik der praktischen Vernunft den Anfang mit der Grundsatzanalytik im „Ersten Hauptstck“ zu machen, danach fortzuschreiten zur Begriffsanalytik im „Zweiten Hauptstck“ und zu schließen mit der Triebfedernsthetik im „Dritten Hauptstck“.34

unter der berschrift „Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ (KpV A 119) ein Bestandteil der Begriffsanalytik. Siehe dazu unten Kapitel I.3. 33 Daran ndert auch eine weitere Abweichung nichts, dass sich nmlich in der Kritik der reinen Vernunft die sthetik nicht der Dualitt von Analytik und Dialektik fgt. Die transzendentale sthetik ist als eigenstndige Wissenschaft der transzendentalen Logik vorgeschaltet (vgl. KrV A 21/B 35 f.). Anders in der Kritik der praktischen Vernunft. Hier ist die sthetik in die Analytik inkorporiert, wodurch Kant eine vollstndige Dichotomie von Analytik und Dialektik erreicht. Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67 – 76; B 92 – 101, Hamburg 1991, S. 94 f. 34 „Die Analytik der theoretischen reinen Vernunft wurde in transzendentale sthetik und transzendentale Logik eingeteilt, die der praktischen umgekehrt in Logik und sthetik der reinen praktischen Vernunft […], die Logik wiederum dort in die Analytik der Begriffe und die der Grundstze, hier in die der Grundstze und Begriffe. Die sthetik hatte dort noch zwei Teile, wegen der doppelten Art einer

1. Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik

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Diese entgegengesetzte Abfolge der Unterabschnitte wird durch die Natur des zu verhandelnden Gegenstandes motiviert. Nach Kant findet die jeweilige Kritik den Gang ihrer Untersuchung vorgezeichnet durch die Eigenart des Vernunftgebrauchs, der je kritisiert wird. Whrend die Identitt der Vernunft, die theoretisch oder praktisch gebraucht wird, die Identitt der Erkenntnisschritte verbrgt, mit denen die Vernunft die Bedingungen ihres Gebrauchs aufarbeitet, ist es die Differenz des theoretischen und praktischen Vernunftgebrauchs, die eine Differenz in der Reihenfolge dieser Erkenntnisschritte diktiert. Es kann und muss daher eine „Untersuchung und Rechtfertigung“ geben, „warum sie [die Wissenschaft; d. Verf.] gerade diese und keine andere systematische Form haben msse, wenn man sie mit einem anderen System vergleicht, das ein hnliches Erkenntnisvermçgen zum Grunde hat“ (KpV A 159). Diese Aufgabe fllt nach Kant der so genannten „Kritischen Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft“ zu, wo es entsprechend heißt: „Die Analytik der reinen theoretischen Vernunft hatte es mit dem Erkenntnisse der Gegenstnde, die dem Verstande gegeben werden mçgen, zu tun, und mußte also von der […] Sinnlichkeit anfangen, von da aber allererst zu Begriffen (der Gegenstnde dieser Anschauung) fortschreiten, und durfte, nur nach beider Voranschickung, mit Grundstzen endigen.“ (KpV A 159 f.)

Dagegen hat es die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch, so Kant weiter, gerade „nicht mit Gegenstnden, sie zu erkennen, sondern mit ihrem eigenen Vermçgen, jene (der Erkenntnis derselben gemß) wirklich zu machen, d.i. […] mit einem Willen zu tun“ (KpV A 160). Folglich muss die Analytik der reinen praktischen Vernunft in Anbetracht der ihr eigenen Problemstellung „von der Mçglichkeit praktischer Grundstze a priori anfangen“ (ebd.). Erst danach kann sie „zu Begriffen der Gegenstnde einer praktischen Vernunft […] fortgehen“ und schließlich enden mit „dem Verhltnisse der reinen praktischen Vernunft zur Sinnlichkeit und ihrem notwendigen, a priori zu erkennenden Einflusse auf dieselbe, d.i. vom moralischen Gefhle“ (KpV A 160 f.). Was bedeutet das fr die Kategorien der Freiheit? Das ist fr uns das Entscheidende, und dem ist im Folgenden nachzugehen. Welche Konsequenzen, so wollen wir fragen, hat es fr die Kategorien im Gegensatz zu den Naturkategorien, dass sie in der Kritik der praktischen Vernunft von einer Begriffsanalytik traktiert werden, die, anders als die Begriffsanalytik der Kritik der reinen Vernunft, auf einer Grundsatzanalytik aufbaut und der sinnlichen Anschauung; hier wird die Sinnlichkeit gar nicht als Anschauungsfhigkeit, sondern bloß als Gefhl […] betrachtet“ (KpV A 161). Vgl. KpV A 32.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

eine sthetik erst nachfolgt? Inwieweit kann man der methodischen Umkehrung der Unterabteilungen in Grundsatzlehre, Begriffslehre und Sinnenlehre erste grundlegende Entscheidungen fr die Interpretation der Kategorien der Freiheit entnehmen?35 Zunchst zum Verhltnis von Begriffsanalytik und sthetik. In der ersten Kritik ist es die Obliegenheit der transzendentalen sthetik, die Sinnlichkeit, welche neben dem Verstand den zweiten Stamm menschlicher Erkenntnis bildet,36 zu isolieren. Die transzendentale sthetik sondert all dasjenige von der Erfahrungserkenntnis ab, was der Verstand mithilfe seiner Begriffe dabei denkt. Unter Sinnlichkeit versteht Kant die Fhigkeit, „Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenstnden affiziert werden, zu bekommen“ (KrV A 19/B 33). Sie ist die Rezeptivitt des Gemts, der Verstand dagegen das Vermçgen der Spontaneitt.37 Die transzendentale sthetik trennt weiterhin auch noch dasjenige an einer Erfahrung ab, was an der Sinnlichkeit empirisch ist, so dass lediglich die reine Anschauung und deren Formen, Raum und Zeit, brig bleiben. Sie liegt damit der Charakterisierung aller Gegenstnde, die uns durch die Sinne gegeben werden kçnnen, als Erscheinungen (phaenomena) zugrunde. Kant bestimmt die transzendentale sthetik als die „Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori“ (KrV A 21/B 35).38

35 Die Einteilung der Kritik in Elementarlehre und Methodenlehre wollen wir dagegen außen vor lassen. Diese Unterscheidung ist einschlgig in zeitgençssischen Lehrbchern zur formalen Logik. Beispielsweise ist die Logik von Pierre Nicole und Antoine Arnauld aus dem Jahre 1662, besser bekannt als Logik von Port Royal (La logique ou l’art de penser), untergliedert in vier Teile, deren letzter berschrieben ist mit „De la Mthode“ (vgl. KrV A 707/B 735). Genauso wenig soll die Einteilung der Elementarlehre in Analytik und Dialektik im Blickpunkt stehen oder die Vollstndigkeit der drei Unterabteilungen der Elementarlehre, die Kant ausdrcklich behauptet (vgl. KpV A 161). All diese Einteilungen sind nicht erst dem realen Gebrauch der Vernunft eigentmlich, weder dem praktischen noch dem theoretischen, sondern sie hngen mit dem logischen Vernunftgebrauch zusammen, das heißt mit der Vernunft als solcher, und mssen sich daher zurckfhren lassen auf die so genannte Urteilstafel in der Kritik der reinen Vernunft. 36 Vgl. KrV A 15/B 29 und A 50/B 74. 37 Vgl. KrV A 19/B 33, A 50/B 74 und passim. 38 Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism. An Interpretation and Defense, New Haven/London 1983, S. 81 ff.; Brandt, Reinhard: Transzendentale sthetik §§1 – 3, in: Mohr, Georg/Willaschek, Marcus (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, Berlin 1998, S. 81 – 106; Mohr, Georg: Transzendentale sthetik §§4 – 8, in: Ders./Willaschek, Marcus (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 81 – 106; Baum, Manfred: Kants Raumargumente und

1. Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik

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Verantwortlich dafr, dass die Kritik der reinen Vernunft mit der transzendentalen sthetik zu beginnen hat, zeichnet die Spezifik des theoretischen Vernunftgebrauchs. Wie Kant erklrt, bezieht sich die Vernunft, wenn sie theoretisch gebraucht wird, auf Gegenstnde, die ihr anderswoher, nmlich in sinnlicher Anschauung, gegeben sein mssen. Und die transzendentale sthetik beleuchtet die Bedingungen, unter denen dies allein geschehen kann. Ihre „wichtige Angelegenheit“ ist dabei, dass sie „so gewiß und ungezweifelt sei, als jemals von einer Theorie gefordert werden kann, die zum Organon dienen soll“ (KrV A 46/B 63). Kant misst der Untersuchung der sinnlichen Anschauung und ihrer reinen Formen, Raum und Zeit, fr den weiteren Verlauf der Kritik eine instrumentelle Funktion bei.39 Sie ist das ,Werkzeug‘ vor allem fr die Kategorienlehre. Denn diese hat zu ergrnden, ob das Denken reine Begriffe ursprnglich in sich enthlt, die aber gleichwohl a priori Bedeutung fr sinnlich gegebene Gegenstnde haben.40 Wrde die transzendentale sthetik vorweg zu dem Resultat kommen, dass die Rezeptivitt des menschlichen Gemts keine reinen Formen des Anschauens aufwiese, denen alles Angeschaute, mithin jedes Objekt der Erfahrung, je schon gemß wre, so wren auch keine reinen Formen des Denkens mçglich, die Gltigkeit a priori fr diese Erfahrungsobjekte besßen. Die transzendentale sthetik bildet somit den notwendigen Ausgangspunkt fr die transzendentale Begriffsanalytik und deren unverzichtbare Ermçglichungsbedingung.41 Anders in der Kritik der praktischen Vernunft, hier setzt die Sinnenlehre den methodischen Schlusspunkt der Elementarlehre. Die sthetik der Triebfedern folgt der Analytik der Begriffe und damit der Auseinandersetzung mit den Kategorien der Freiheit nach. Damit dreht sich aber nicht einfach die Reihenfolge um, mit der Sinnenlehre und Begriffslehre abgearbeitet werden. Nimmt man Kants Feststellungen ernst, wonach die Abfolge der Unterabteilungen der Elementarlehre nicht willkrlich, sondie Begrndung des transzendentalen Idealismus, in: Oberer, Hariolf (Hg.): Kant. Analysen – Probleme – Kritik, Bd. II, Wrzburg 1996, S. 41 – 64. 39 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 92. 40 Vgl. KrV A 65 f./B 90 f. und A 124 f./B 92 f. 41 „In einer transzendentalen Logik isolieren wir den Verstand (so wie oben in der transzendentalen sthetik die Sinnlichkeit) und heben bloß den Teil des Denkens aus unserm Erkenntnisse heraus, der lediglich seinen Ursprung in dem Verstande hat. Der Gebrauch dieser reinen Erkenntnis aber beruhet darauf, als ihrer Bedingung: daß uns Gegenstnde in der Anschauung gegeben sein, worauf jene angewandt werden kçnnen. Denn ohne Anschauung fehlt es aller unserer Erkenntnis an Objekten, und sie bleibt alsdenn vçllig leer. [Herv. d. Verf.]“ (KrV A 62/B 87)

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

dern vorgeschrieben ist durch die Charakteristik des jeweils zu kritisierenden Vernunftvermçgens, dann ist das so zu verstehen, dass es das Begrndungsverhltnis zwischen sthetik und Begriffsanalytik sein muss, das sich in sein Gegenteil verkehrt. Die Begriffsanalytik hat der sthetik deshalb voraufzugehen, weil sie diese allererst in ihre Mçglichkeit bringt. Es darf als Kants Gedanke gelten, dass eine durchgefhrte und erfolgreich abgeschlossene Analytik der Begriffe der reinen praktischen Vernunft, der Begriffe des Guten und Bçsen wie der Kategorien der Freiheit, eine instrumentelle Funktion hat fr die sthetik der reinen praktischen Vernunft. Das „Zweite Hauptstck“ fungiert als ,Werkzeug‘ des „Dritten Hauptstckes“. Das Thema des „Dritten Hauptstckes“ ist, ganz allgemein gesagt, das der Handlungsmotivation. Es erçrtert die Bedingungen der Ausfhrung des Willens, sthetik ist im Gebiet des Praktischen eine Lehre der Triebfedern (elater animi).42 Die Sinnlichkeit der praktischen Vernunft ist das Gefhlsvermçgen, insofern es „eine Beziehung auf das Begehrungsvermçgen“ (KU A 5/B 5) besitzt. Eine Triebfeder ist ein „praktisches“ (KU A 14/B 14) Gefhl.43 Kant spricht auch von Interesse, denn ein Interesse ist ein Gefhl, das nicht der bloßen Vorstellung eines Objekts, sondern der Vorstellung des Daseins dieses Objekts anhngt.44 Eines solchen Gefhls bedarf es immer, wenn der Wille realisiert werden kçnnen soll. Triebfedern sind die Ursache des Handelns endlicher Vernunftwesen. Das Hauptaugenmerk des „Dritten Hauptstckes“ gilt dabei allerdings den „Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 136). Der reine Wille verfgt ber eine eigene Ausfhrungsursache, eine sittliche Triebfeder, welche Kant bekanntlich „Achtung frs moralische Gesetz“ (KpV A 130) nennt. Das moralische Interesse muss seines sittlichen und apriorischen Charakters wegen durch den aus Freiheit bestimmten Willen im Gemt ausgelçst werden und ihm bedingungslogisch nachfolgen. Jedes Interesse, das dem Willen voranginge und ihm als Bestimmungsgrund diente (und enfin auch als Ausfhrungsursache), wre empirisch. Einzig die Achtung vor dem Gesetz ist ein durch reine Vernunft gewirktes und somit praktisches Gefhl 42 Vgl. Scarano, Nico: Moralisches Handeln. Zum dritten Hauptstck von Kants Kritik der praktischen Vernunft (71 – 89), in: Hçffe, Ottfried: Immanuel Kant. Kritik der praktischen Ver-nunft, a.a.O., S. 135 – 152; Reath, Andrews: Kant’s Theory of Moral Sensibility. Respect for the Moral Law and the Influence of Inclination, in: Kant-Studien 80 (1989), S. 285 f. 43 Vgl. KpV A 161; MS A/B 1 und 3. 44 „Interesse wird das Wohlgefallen genannt, was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden.“ (KU A 5/B 5)

1. Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik

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a priori. Sie ist das Interesse an der Verwirklichung dessen, was Pflicht gebietet.45 Die abweichende Anordnung von Begriffsanalytik und Triebfedernsthetik wird nun in der zweiten Kritik durch die Eigenart des praktischen Vernunftgebrauchs festgelegt. Diese Eigenart ist darin zu sehen, dass sich die Vernunft, wie wir Kant oben zitiert haben, auf Gegenstnde bezieht, die sie vermittels des Begehrungsvermçgens selber hervorbringen kann. In ihrem praktischen Gebrauch bestimmt die Vernunft den Willen durch die Vorstellung von Objekten, und sie kann diese Objekte durch Ausbung der Kausalitt des Willens in der ußeren Welt zur Existenz bringen.46 Wenn nun aber die Problemstellung der Triebfedernsthetik im „Dritten Hauptstck“ den Motiven gilt, zu handeln und den Willen auszufhren, und wenn dem weiterhin die Begriffsanalytik im „Zweiten Hauptstck“ vorgeordnet sein muss, dann wird man die Problemstellung der letzteren wohl darin zu erblicken haben, wie der Wille durch die Vorstellung von Objekten berhaupt bestimmt werden kann – noch ehe er realisiert wird. Die Verwirklichung des Willens ist der Bildung des Willens logisch und zeitlich nachgeordnet; und das findet seinen methodischen Reflex in der Aufeinanderfolge von Begriffsanalytik und Triebfedernsthetik. Kant begrndet die Freiheitskategorien offensichtlich vor aller Triebfederndiskussion als objektiv gltige Begriffe a priori. In diesem Sinne stellt er schon in der „Einleitung“ fest, dass die Kategorien der Freiheit bereits innerhalb des „Zweiten Hauptstckes“ in „Anwendung auf Gegenstnde“ stehen, noch bevor „das Subjekt und dessen Sinnlichkeit“ (KpV A 32) thematisch werden. Die Kategorien der praktischen Vernunft haben unabhngig davon objektive Realitt, dass die Kausalitt des Willens ausgebt und sein Objekt in der ußeren Welt verwirklicht wird, sondern allein schon dadurch, wie es aussieht, dass der Wille berhaupt nur durch die 45 Nach Kant ist „mit dem Begehrungsvermçgen notwendig Lust oder Unlust verbunden“, es sei, „daß sie, wie beim unteren, vor dem Prinzip desselben vorhergehe, oder, wie beim oberen, nur aus der Bestimmung desselben durch das moralische Gesetz folge“ (KU A XXIII/B XXIV f.). Vgl. KpV A 130; MS A/B 1 f.; MST A IX; KU A/B 5. Siehe dazu Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 126; Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, Cambridge 1995, S. 120 ff.; Herrera, Larry: Kant on the Moral „Triebfeder“, in: Kant-Studien 91 (2000), S. 401 f. 46 Es wird noch zu berlegen sein, ob Kants gngige Rede von der Bestimmung des Willens nur im Sinne eines Genitivus obiectivus zu nehmen ist, so dass es der Wille ist, der (durch die Vernunft) bestimmt wird, oder ob man sie auch im Sinne eines Genitivus subiectivus zu verstehen hat; danach wre es der Wille, der (sich selbst) bestimmte. Siehe unten Kapitel II.5.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

Vorstellung eines Objekts bestimmt ist. Die Angelegenheit des „Dritten Hauptstckes“ ist damit noch nicht berhrt, die Bedingungen der Ausbung des Willens sind eine cura posterior. Mit anderen Worten scheinen die Triebfedern nicht in den begrifflichen Gehalt der Freiheitskategorien mit einzugehen. Hier drngt sich eine erste Vermutung auf. Nach dem bisher Ausgefhrten wird man damit rechnen drfen, dass die Kategorien der Freiheit so etwas wie Formen der Willensbildung sein mssen, das heißt diejenigen Weisen, wie die Vernunft den Willen durch die Vorstellung eines Gegenstandes festlegen kann.47 Zugleich zeigt sich aber auch zum ersten Mal, dass die Analogie zwischen den Kategorien der Freiheit und den Kategorien der Natur Grenzen hat. Offenbar verhalten sich die Triebfedern nicht zu ersteren wie die sinnlichen Anschauungen zu letzteren. Die Inversion der Methodenstcke kommt einer Analogieunterbrechung gleich. Die Begriffslehre muss die Kategorien der Freiheit nicht nur unabhngig von der Triebfedernlehre exponieren, was in der ersten Kritik Aufgabe der so genannten metaphysischen Deduktion ist; sie hat darber hinaus bereits deren objektive Gltigkeit a priori darzutun, was dem Lehrstck der transzendentalen Deduktion entsprche. Damit ist zwar mitnichten gesagt, dass die Triebfedernsthetik der zweiten Kritik im Ganzen akzidentell wre und ebenso gut auch ausgespart bleiben kçnnte. Aber, und nur das ist hier wichtig, sie trgt nichts bei zur metaphysischen und transzendentalen Deduktion der Freiheitskategorien (gesetzt freilich, dass diese Unterscheidung auch im Praktischen ihre berechtigte Anwendung hat, was erst noch zu prfen sein wird). Das ist Sache ausschließlich der Begriffsanalytik. Wir werden daher angeben mssen, wie sie das leistet und wo sich dies am Text festmachen lsst. Damit zum Verhltnis von Begriffsanalytik und Grundsatzanalytik. In der Kritik der reinen Vernunft ist der Analytik der Grundstze das Ziel gesteckt, das „System aller Grundstze des reinen Verstandes“ (KrV A 148/ B 187) zu erstellen. Sie soll die „Urteile, die der Verstand […] wirklich a priori zu Stande bringt, in systematischer Verbindung“ namhaft machen, „wozu uns ohne Zweifel unsere Tafel der Kategorien die natrliche und sichere Leitung geben muß“ (ebd.). Diese Urteile enthalten eine erfahrungsunabhngige Erkenntnis davon, wie Gegenstnde, die dem Denken 47 Vgl. Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 599 f., der in seiner Konjektur von Kants Tafel der Freiheitskategorien beinahe jeder Kategorie das Wort ,Willensbestimmung‘ voranstellt.

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im Horizont unseres Erfahrungslebens berhaupt begegnen kçnnen, immer schon beschaffen sind. Sie haben die „Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf mçgliche Erfahrung“ (KrV A 160/B 199), das heißt auf den Begriff der Erscheinung, zum Inhalt. Kant drckt das auch so aus, dass sie die „Regeln des objektiven Gebrauchs“ (KrV A 161/B 200) der reinen Verstandesbegriffe sind. In ihnen werden Erscheinungen als die noch unbestimmten Gegenstnde einer raumzeitlichen Anschauung unter den Kategorien des theoretischen Denkens als bestimmt vorgestellt. Danach sind alle Erscheinungen extensive Grçßen, haben eine intensive Grçße, sind durch das Verhltnis von Substanz und Akzidenz geprgt usf. Die transzendentalen Grundstze des Verstandes sind die unverbrchlichen Gesetze der uns in Erfahrungen begegnenden Natur.48 Die Analyse der Begriffe des reinen Verstandes muss der Analyse seiner Grundstze vorgeschaltet sein. Die Grundsatzlehre kann ihre Aufgabe, die Begriffe des reinen Verstandes als Prdikate in Urteilen, den transzendentalen Verstandesgrundstzen, zu verwenden, nur dann ins Werk setzen, wenn diese Begriffe bereits metaphysisch und transzendental deduziert sind, will sagen, wenn sie vorab vollstndig und systematisch aus den logischen Funktionen des Denkens in Urteilen abgeleitet und in ihrer objektiven Realitt a priori ausgewiesen sind. berdies soll laut Kant das System der Kategorien die „ganz natrliche Anweisung“ (KrV A 161/B 200) fr die vollstndige Darstellung des Systems der Grundstze geben. Anders als zuvor ist es jetzt also die Begriffsanalytik, der eine instrumentelle Funktion zukommt. Sie dient zum Organon fr die Grundsatzanalytik. Und das ist abermals der Spezifik des theoretischen Vernunftgebrauchs geschuldet. Denn indem es die Vernunft mit Objekten zu tun hat, die ihr durch sinnliche Anschauung gegeben sein mssen, ist die Frage der Begriffslehre vorrangig gegenber der der Grundsatzlehre, die Frage nmlich, ob das Denken berhaupt reine Begriffe in sich begreift, die nichtsdestoweniger fr alle Gegenstnde der sinnlichen Anschauung notwendig Gltigkeit besitzen. In anderen Worten, die transzendentale Analytik der Begriffe muss allererst den Boden bereiten, auf dem die transzendentale

48 Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 195 ff.; Melnick, Arthur: Kant’s Analogies of Experience, Chicago 1973, S. 48 ff.; Seel, Gerhard: Die Einleitung in die Analytik der Grundstze, der Schematismus und die obersten Grundstze, in: Mohr, Georg/Willaschek, Marcus (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 240 ff.; Thçle, Bernhard: Kant und das Problem der Gesetzmßigkeit der Natur, Berlin 1991.

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Analytik der Grundstze sich aufpflanzen kann. Ein Fortgang in umgekehrter Richtung ist sachlich ausgeschlossen. Die Kritik der praktischen Vernunft bietet hier erneut ein anderes Bild. Im „Ersten Hauptstck“ gelangt Kant in acht aufeinander aufbauenden Paragraphen schrittweise zu der Einsicht, dass ein freier Wille, ein moralischer Wille und ein gesetzesfçrmiger Wille dasselbe und dass sie als ein unleugbares und als das einzige Faktum der reinen praktischen Vernunft wirklich sind. Die Analyse von Maximen, hypothetischen Imperativen – die Kant auch als Vorschriften bezeichnet49 – und praktischen Gesetzen – die fr endliche Vernunftsubjekte die Gestalt kategorischer Imperative haben50 – fhrt auf eine binre Opposition. Die Vernunft bestimmt den Willen entweder unter der empirischen Bedingung eines Gefhls der Lust und Unlust (Maximen, Vorschriften) oder unter der intelligiblen Voraussetzung des Gedankens transzendentaler Freiheit (Gesetze). Interesse und Freiheit sind fr Kant die beiden einzigen, nicht weiter zurckfhrbaren Sorten von Bestimmungsgrnden des menschlichen Begehrungsvermçgens. Aber nur der reine Gedanke der Freiheit taugt zum Fundament der Moralphilosophie, praktische Gesetze sind Gesetze der Freiheit (leges libertatis). Freiheit und Gesetz verweisen mithin wechselweise aufeinander.51 Unter Grundstzen versteht Kant allgemein solche Urteile, welche zwar „die Grnde anderer Urteile in sich enthalten“, die aber „selbst nicht in hçhern und allgemeinern Erkenntnissen gegrndet sind“ (KrV A 148/B 188).52 Die Kritik der praktischen Vernunft identifiziert im „Ersten Hauptstck“ vier solche Grundstze. Einer davon ist das Prinzip aller empirischen praktischen Urteile, der Grundsatz der Selbstliebe. Darunter fallen Maximen und Vorschriften, denn diese enthalten allesamt einen Willen, welcher der Endlichkeit und Bedrftigkeit des Subjekts Rechnung trgt. Die Vernunft legt den Willen gleichsam in fremdem Auftrag fest, sie

49 Vgl. KpV A 37, 47, 59 f., 110, 117, 118; MS A/B 19. 50 Vgl. GMS A/B 39; KpV A 36; MS A/B 19. 51 Vgl. Allison, Henry E.: Autonomy and Spontaneity in Kant’s Conception of the Self, in: Ders.: Idealism and Freedom. Essays on Kant’s Theoretical and Practical Philosophy, Cambridge 1996, S. 134 ff.; Ders.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 201 ff.; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 50 ff.; Prauss, Gerold: Kant ber Freiheit als Autonomie, Frankfurt a. M. 1983, S. 62 ff. 52 Vgl. Jsche A 172 (§34).

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steht im Dienst von Neigungen und Interessen.53 Diese Abhngigkeit erfasst Kant mit dem zweiten Grundsatz, dem Prinzip der Heteronomie. Dagegen gehçren alle reinen praktischen Urteile, sprich alle Gesetze, unter den dritten Grundsatz, das Sittengesetz. Gesetze enthalten einen Willen, der unter einer intelligiblen Bedingung bestimmt ist. Die Vernunft hat dann nur sich selbst zur Voraussetzung, nmlich in Gestalt des reinen Gedankens absoluter Freiheit, welchen sie ursprnglich aus sich selber schçpft. Das Prinzip der Autonomie, das dieses Selbstvoraussetzungsverhltnis auf den Begriff bringt, macht den vierten Grundsatz aus.54 Diese vier Grundstze, die das „Erste Hauptstck“ enumeriert, sind keine den transzendentalen Verstandesgrundstzen in der Kritik der reinen Vernunft vergleichbaren Urteile. Weder die beiden Prinzipien der Willensbestimmung, das Prinzip der Selbstliebe und das Prinzip der Sittlichkeit, noch die beiden Prinzipien des Verhltnisses von Willensbestimmung und Grnden der Willensbestimmung, Heteronomie und Autonomie, sind Stze dieser Art. In ihnen werden nicht die Begriffe, mit denen sich die Begriffsanalytik im „Zweiten Hauptstck“ auseinander setzt, die Kategorien der Freiheit oder die Begriffe des Guten und Bçsen, auf den Begriff von einem Gegenstand des Begehrungsvermçgens angewandt. Die vier Grundstze bringen keine Erkenntnis a priori davon zum Ausdruck, wie die Objekte immer schon beschaffen sind, die Objekte unseres Willens ausmachen. Kurz, das „Erste Hauptstck“ beschftigt sich nicht mit den Prinzipien, welche die allgemeinsten Strukturen der Objektivitt unseres Wollens enthalten. Die Analogie zwischen den Kategorien der Freiheit und den Kategorien der Natur findet damit ein weiteres Mal eine deutliche Begrenzung ihrer 53 „Alle materiale praktische Prinzipien sind, als solche, insgesamt von einer und derselben Art, und gehçren unter das allgemeine Prinzip der Selbstliebe, oder eigenen Glckseligkeit.“ (KpV A 40) 54 Diese Auffassung von Freiheit geht zurck auf die erste Kritik und die Auflçsung der dritten Antinomie (vgl. KrV A 532/B 561). Zu den Begriffen Autonomie und Heteronomie siehe Henrich, Dieter: Selbstverhltnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie, Stuttgart 1982, S. 11 f.; Prauss, Gerold: Kant ber Freiheit als Autonomie, a.a.O.; Reath, Andrews: Hedonism, Heteronomy and Kant’s Principle of Happiness, in: Pacific Philosophical Quarterly 72 (1989), S. 42 – 72. Zur Auflçsung der dritten Antinomie siehe Allison, Henry: Kant’s Theory of Taste. A Reading of the Critique of Aesthetic Judgement, New York 2001, S. 11 – 28; Heimsoeth, Heinz: Zum kosmotheologischen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie, in: Kant-Studien 57 (1966), S. 206 – 229; Rçttges, Heinz: Kants Auflçsung der Freiheitsantinomie, in: Kant-Studien 65 (1974), S. 33 – 49.

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Reichweite. Die vier genannten Grundstze verhalten sich nicht zu ersteren wie die transzendentalen Verstandesgrundstze zu letzteren. Das Praktische scheint hier sein Eigenrecht zu fordern, die Umkehrung der Methodenstcke fhrt aufs Neue zu einer Disanalogie. So wenig sich die sachliche Aufgabe und kompositorische Funktion der Triebfedernlehre eins zu eins auf die transzendentale sthetik abbilden lsst, so wenig ist das im Falle der beiden Grundsatzanalytiken zu machen. Dass nun die Analytik in der zweiten Kritik „von Grundstzen anfangend zu Begriffen“ (KpV A 32) fortgehen muss, ist wiederum durch die Eigenart des praktischen Gebrauchs der Vernunft vorgegeben: „Hievon liegt der Grund nun wiederum darin: daß wir es jetzt mit einem Willen zu tun haben, und die Vernunft nicht im Verhltnis auf Gegenstnde, sondern auf diesen Willen und dessen Kausalitt zu erwgen haben, da denn die Grundstze der empirisch unbedingten Kausalitt den Anfang machen mssen, nach welchem der Versuch gemacht werden kann, unsere Begriffe von dem Bestimmungsgrunde eines solchen Willens […] allererst festzusetzen.“ (ebd.)

Die Kritik der praktischen Vernunft hat eine moralphilosophische Aufgabenstellung, sie will ermitteln, wie Kants einschlgige Formulierung lautet, ob es reine praktische Vernunft gibt.55 Der praktische Gebrauch der Vernunft besteht aber allgemein darin, dass die Vernunft das menschliche Begehrungsvermçgen durch die Vorstellung eines Gegenstandes bestimmt. Grundlegend fr alles Weitere sind daher die Bedingungen, unter denen dies allein geschehen kann, das heißt die Grnde der Willensbildung. Vor allem anderen ist die Frage zu erçrtern, ob „reine Vernunft einen praktisch, d.i. zur Willensbestimmung hinreichenden Grund in sich enthalten kçnne“ (KpV A 35 f.), wie Kant selbst sie zu Beginn des „Ersten Hauptstckes“ ausgibt. Ist der Wille nur unter empirischen Voraussetzungen bestimmbar und damit selbst empirisch? Oder gibt es auch eine intelligible Bedingung und in der Folge einen moralischen Willen? Dies zu ergrnden, ist fr Kant Sache einer Wissenschaft, die dem Zusammenhang von Willensbestimmung und Bestimmungsgrnden des Willens nachsprt und die diesen Zusammenhang jeweils in Grundstzen artikuliert. Ihre eigentliche Aufmerksamkeit liegt dabei freilich auf dem Prinzip der Autonomie, in welchem der Grundsatz der moralischen Willensgesinnung,

55 Vgl. KpV A 3, 30, 35 f., 72 und 79.

1. Die Kategorien der Freiheit und die Einteilungen der Kritik

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das Sittengesetz, als verbunden gedacht wird mit dem Bestimmungsgrund des moralischen Willens, der Idee der Freiheit.56 Infolge dessen muss sich in der zweiten Kritik erneut das Begrndungsverhltnis umdrehen, das in der Kritik der reinen Vernunft zwischen Grundsatzanalytik und Begriffsanalytik besteht. Das „Erste Hauptstck“ gibt alle nur mçglichen „Bestimmungsgrnde des Willens“ (KpV A 36) an,57 wobei es sich, wie gesagt, hauptschlich fr den Bestimmungsgrund eines solchen Willens interessiert, der die Form des Gesetzes hat, also eines moralischen Willens. Und das hat seinen guten Sinn. Wrde die Analytik der Grundstze zu dem Ergebnis kommen, dass es eine nichtempirische Bedingung der Willensbildung und dementsprechend einen gesetzeshaften Willen gar nicht gibt, wre einer Analytik der Begriffe der reinen praktischen Vernunft von vornherein der Weg verbaut. Erstere fungiert gerade als das ,Werkzeug‘ der letzteren. Sie hat eine instrumentelle Funktion nicht nur fr die Lehre von den Begriffen des Guten und Bçsen, welche Kant als dezidiert moralische Begriffe versteht,58 sowie fr die Typik der reinen praktischen Urteilskraft, die nichts anderes ist als die Lehre von einer moralischen Urteilskraft,59 sondern auch fr die dazwischen angesiedelte Kategorienlehre. Denn wie Kant die Kategorientafel betitelt, sind die dort versammelten Kategorien allein schon deshalb – vielleicht im Ganzen, mindestens wohl aber in Teilen – moralische Begriffe, weil sie als „Kategorien der Freiheit Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“ (KpV A 117) angekndigt werden. Wir haben oben die vorlufige Annahme gewagt, dass die Kategorien der Freiheit zu explizieren sein kçnnten als Strukturen der Willensbildung. Dafr hat sich nun ein weiteres Indiz eingestellt. Die Anordnung von Grundsatzanalytik und Begriffsanalytik deutet in dieselbe Richtung wie die von Begriffsanalytik und Triebfedernsthetik. Wenn nmlich das „Erste Hauptstck“ den Bedingungen gewidmet ist, unter denen der Wille festgelegt werden kann, und wenn weiterhin das „Dritte Hauptstck“ die Bedingungen der Ausfhrung des Willens untersucht, dann wird man erwarten drfen, dass das „Zweite Hauptstck“, das thematisch in der Mitte angesiedelt ist, sich – wenigstens unter anderem – mit den Formen 56 „Das Gesetz der Kausalitt aus Freiheit, d.i. irgend ein reiner praktischer Grundsatz, macht hier unvermeidlich den Anfang“ (KpV A 32). Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 70 ff. 57 Vgl. KpV A 32. 58 Siehe unten Kapitel I.2. 59 Siehe unten Kapitel II.3.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

der Bestimmung des Willens befasst. Die Kategorien der Freiheit kçnnen weder die Bestimmungs- noch die Ausfhrungsgrnde, sondern sie mssen allem Anschein nach die Bestimmungshinsichten des Willens darstellen. Sie spezifizieren, wie ein endliches Vernunftsubjekt berhaupt nur irgendetwas begehren und durch seine Handlungen die Wirklichkeit ttig mitzugestalten beabsichtigen kann. Eine andere Frage aber bleibt vorerst offen: Warum hat Kant im Anschluss an die Tafel der Freiheitskategorien kein Tableau von Grundstzen vorgelegt, die den transzendentalen Verstandesgrundstzen in der Kritik der reinen Vernunft analog sind? Kant exponiert eine solche Tafel nicht nur nicht, er gibt auch keine Auskunft darber, weshalb er dies nicht tut. Wir werden daher eigene berlegungen anstellen mssen. Lsst sich ein Set von Prinzipien aufstellen, in welchen ganz parallel der Begriff eines Objekts des Willens durch die Kategorien der Freiheit bestimmt wird? Fhren die Kategorien zugleich auf die allgemeinsten Strukturen der Gegenstnde unseres Wollens? Sicher ist auf jeden Fall, dass das Verzeichnis der Freiheitskategorien nicht schon das in Rede stehende Verzeichnis von Grundstzen ist. Man darf das nicht verwechseln oder beide ineinander fließen lassen.60 Begriffe sind keine Grundstze, und das System der Freiheitskategorien ist kein System von Grundstzen, sondern ein System von Begriffen. Wir kommen darauf zurck. Es wird sich dann allerdings herausstellen, dass es eine derartige Tafel an Grundstzen weder gibt noch braucht.61

2. Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bçsen (KpV A 100 – 114) Die Kritik der praktischen Vernunft enthlt noch weitere methodische Einteilungen, die fr eine Vorverstndigung ber die Kategorien der Freiheit hilfreich sind und daher Aufmerksamkeit verdienen. Diese Einteilungen betreffen nun aber nicht mehr das Außenverhltnis des „Zweiten Hauptstckes“ zu den beiden anderen Hauptstcken der Elementarlehre, 60 Diesen gewichtigen Unterschied droht Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck (57 – 71), a.a.O. zu verwischen, wenn sie meint, die Tafel der Kategorien der Freiheit fasse „die apriorischen Grund-Stze zusammen, die die praktische Vernunft als an den empirischen Willen ergehende sittliche Forderungen generiert“ (S. 121). 61 Siehe unten S. 240 ff.

2. Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bçsen

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also zur Analytik der Grundstze und zur sthetik der Triebfedern. Es handelt sich stattdessen um interne Gliederungen, um Gliederungen innerhalb der Begriffsanalytik. Diesen wollen wir uns nun zuwenden. Prima facie scheint das „Zweite Hauptstck“ zweigeteilt. Es zerfllt vollstndig in die beiden Unterkapitel „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 100) und „Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ (KpV A 119). Doch diese kompositorische Anlage darf nicht den Blick dafr verstellen, dass das „Zweite Hauptstck“ der Sache nach aus insgesamt drei Partien besteht. Das erste Unterkapitel versammelt unter einer gemeinsamen berschrift sowohl die Wissenschaft von den Begriffen des Guten und Bçsen wie auch die Wissenschaft von den Kategorien der Freiheit; dem schließt sich die Wissenschaft der Urteilskraft in einem eigenen Unterkapitel an. Und alle drei Partien zusammen machen die Analytik der Begriffe der reinen praktischen Vernunft aus. Das ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Schon was den Umfang anbelangt, fllt die Begriffsanalytik um ein Betrchtliches krzer aus als in der Kritik der reinen Vernunft. In der Originalausgabe zhlt sie gerade einmal 27 Seiten. Dagegen kommt ihr Pendant in der ersten Kritik, das „Erste Buch“ der transzendentalen Analytik, in der Auflage von 1781 auf 80 Seiten und in der zweiten, teilweise modifizierten Auflage von 1787 sogar auf 95 Seiten. Außerdem, die Kritik der praktischen Vernunft rumt den Kategorien der Freiheit nicht nur kein eigenstndiges Kapitel ein, sie traktiert sie darber hinaus an auffallend zurckgesetzter Stelle. Erst nachdem Kant die Begriffe des Guten und Bçsen in zwçlf mitunter redseligen Abstzen erçrtert hat, wendet er sich in nicht mehr als vier Abstzen den Kategorien der Freiheit zu, die noch dazu hçchst undurchsichtig und erluterungsbedrftig bleiben. Und schließlich die Urteilskraft, sie ist in der ersten Kritik der Grundsatzanalytik zugeteilt und nicht der Begriffsanalytik wie in der Kritik der praktischen Vernunft. Einige dieser Aufflligkeiten sind fr uns relevant, auf andere trifft dies weniger zu. So drfte es mßig sein darber zu spekulieren, warum der Textkorpus in der ersten und in der zweiten Kritik quantitativ so unterschiedlich ausgefallen ist. Es wre sicherlich vergebliche Mhe, wollte man Mutmaßungen darber anstellen, warum Kants Ausfhrungen zur Begriffslehre im Ganzen, insbesondere aber zu den Freiheitskategorien, derart knapp gehalten sind. Fragen dieser Art betreffen zuletzt die intentio auctoris und drften zum Verstndnis des vorliegenden Textmaterials wenig bis gar nichts beitragen. Dass hingegen der geringe textliche Umfang keineswegs als ein Hinweis auf die Unbedeutendheit der darin untersuchten Sache

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

ausgelegt werden darf, dafr lassen sich gute Grnde vorbringen. Die Hypothese, die uns unsere bisherige Beschftigung mit den methodischen Gliederungen der Elementarlehre in der Kritik der praktischen Vernunft erçffnet hat, legt genau das nahe. Danach sind die Kategorien der Freiheit, so haben wir formuliert, nichts Geringeres als Begriffe, welche aufs Begehrungsvermçgen in Bestimmung seiner zu Objekten und damit auch auf diese Objekte selber gehen. Wir wollen diesen Weg nun weiterverfolgen. Den Anfang soll das Verhltnis machen, in dem die Kategorien zu den Begriffen des Guten und Bçsen stehen. Zu fragen ist hier einerseits, inwiefern die Freiheitskategorien und die Begriffe des Guten und Bçsen einander hneln, so dass sie von Kant gleicherweise als „Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ apostrophiert werden kçnnen – so jedenfalls signalisiert es die berschrift, unter der Kant beide zusammen abhandelt; und andererseits, worin sie sich unterscheiden, so dass die einen in Ansehung der anderen, nmlich die „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“ (KpV A 117), von Kant vorgelegt werden kçnnen. Die Freiheitskategorien, wie auch immer sie ausgedeutet werden mçgen, drfen auf keinen Fall mit den Begriffen des Guten und Bçsen ineinsgesetzt werden. Kant stellt die Kategorientafel eben nur „in Ansehung“ der Begriffe des Guten und Bçsen dar. Wir werden zu berlegen haben, wie genau diese Hinsichtenangabe zu verstehen ist und was es berhaupt heißt, Kategorien in der einen oder anderen Hinsicht darzustellen. Doch gut und bçse, so viel ist klar, kommen nicht selbst innerhalb der Kategoriensystematik vor: Sie figurieren weder als Titel einer der vier Quadranten, noch nehmen sie eine der drei Stellen pro Quadrant ein. Die Begriffe des Guten und Bçsen haben nicht selber den Rang von Kategorien.62 Gut und bçse sind Begriffe, die auf das Objekt des Begehrens gehen. Was man als gut oder als bçse bezeichnen kann, ist der Kritik der praktischen Vernunft zufolge nicht der Wille, sondern dessen Gegenstand, das, was begehrt wird: unsere Handlungen und deren absehbare, mitintendierte Folgen.63 Kant greift die bis in die Antike zurckreichende Anschauung auf, wonach ein endliches Vernunftwesen wie der Mensch nur dasjenige 62 Diese Differenz untergrbt Pieper, wenn sie von „Gut und Bçse als Kategorien der Freiheit“ spricht. Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 118. 63 Das stellt gegenber der berhmten Erçffnung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten eine Przisierung dar, wo Kant verkndet, dass nichts zu denken mçglich sei, was ohne Einschrnkung fr gut gehalten werden kçnne, als allein ein guter Wille (vgl. GMS A/B 1).

2. Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bçsen

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will, was in irgendeiner Weise positiv ausgezeichnet ist. Was wir begehren, erscheint uns in irgendeiner Hinsicht erstrebenswert zu sein. Dagegen ist ein Sachverhalt, zu deren Verhinderung sich ein Subjekt bestimmt, ein solcher, der auf die eine oder andere Weise negativ qualifiziert ist. Wir verabscheuen, was wir in irgendeiner Hinsicht fr schlecht halten. „Es ist eine alte Formel der Schulen“, so beruft sich Kant auf einen Gemeinplatz der praktischen Philosophie: „nihil appetimus, nisi sub ratione boni; nihil aversamur, nisi sub ratione mali“ (KpV A 103).64 Es sind prinzipiell zwei Mçglichkeiten denkbar, wie die Begriffe des Guten und Bçsen mit dem Objekt des Begehrungsvermçgens zusammenhngen kçnnen: als Grund oder als Folge. Eine dritte Alternative gibt es nicht. Entweder geht die Beurteilung eines Gegenstandes als gut oder bçse dem Willen bedingungslogisch vorher und ist die Voraussetzung, ihn durch die Vorstellung des betreffenden Gegenstandes zu bestimmen; oder die Beurteilung folgt dem Willen, der durch die Vorstellung eines Gegenstandes bereits festgelegt ist, nach und hat in ihm ihren Maßstab. Kants Frage ist also, ob wir ein Objekt deshalb begehren, weil es gut ist, oder ob das Objekt gut ist, weil wir es begehren?65 „berdem ist der Ausdruck sub ratione boni auch zweideutig. Denn er kann so viel sagen: wir stellen uns etwas als gut vor, wenn und weil wir es begehren (wollen); aber auch: wir begehren etwas darum, weil wir es uns als gut vorstellen, so daß entweder die Begierde der Bestimmungsgrund des Begriffs des Objekts als eines Guten, oder der Begriff des Guten der Bestimmungsgrund des Begehrens (des Willens) sei“ (KpV A 104 Anm.).

Die „alte Formel der Schulen“ verschleiert, dass die lateinischen Substantive ,bonum‘ und ,malum‘ ein doppeltes Verstndnis zulassen. Die deutsche Sprache kann hier helfen, sie stellt die passenden Ausdrcke bereit, um die verschiedenen Bedeutungsfelder sauber auseinander zu halten. Demnach kann das Objekt des Willens ebenso durch die Begriffe des Wohls und bels gedacht werden. Was man begehrt, das ist ein Wohl, was man verabscheut, ist uns ein bel. Diese doppelte bersetzung ist weit davon entfernt, nur ein philologisches AperÅu zu sein. Ganz im Gegenteil, 64 Diese „Formel“ geht zurck auf die Ethica Nicomachea von Aristoteles, wo der Begriff des Guten bekanntlich als dasjenige definiert wird, wonach alles strebt: di¹ jak_r !pev¶mamto t!cahºm, ow p²mt( 1v¸etai. (Eth. Nic. 1094a2 f.) 65 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O, S. 28 ff.; Dieringer, Volker: Was erkennt die praktische Vernunft?, a.a.O., S. 145 f.; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 116 f.; Silber, John R.: The Copernican Revolution in Ethics: The Good Reexamined, in: Kant-Studien 51 (1959/60), S. 86 f.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

es sind „zwei ganz verschiedene Beurteilungen“, wenn „wir bei einer Handlung das Gute und Bçse derselben, oder unser Wohl und Weh (bel) in Betrachtung ziehen“ (KpV A 104 f.). Kants Gedanke ist, dass bonum und malum die eine oder die andere Bedeutung annehmen, je nachdem, ob sie als Grund oder als Folge mit dem Begehrungsvermçgen und dessen Gegenstand zusammenhngen.66 Die Begriffe des Wohls und bels haben ihre Anwendung vor der Bestimmung des Willens. Die Beurteilung eines Gegenstandes als ein Wohl oder bel ist der Grund dafr, dass die Vernunft den Willen durch die Vorstellung des betreffenden Gegenstandes festlegt. Wir begehren etwas, weil wir darin unser Wohl zu finden glauben, und wir verabscheuen es, sofern wir es in der jeweiligen Lebenssituation als ein bel ansehen. Ihre Grundlage findet diese Beurteilung in einem „Gefhl der Lust und Unlust“ (KpV A 102). Ein Wohl ist Kant zufolge das, wozu man eine Neigung versprt, wovon man sich Annehmlichkeiten verspricht, ein bel hingegen, wogegen man eine Abneigung empfindet, was Unannehmlichkeiten erwarten lsst.67 Wie Kant jedoch wiederholt versichert, ist es unmçglich a priori einzusehen, welche Vorstellung mit Lust und welche mit Unlust begleitet sein wird. Das ist nicht nur von Individuum zu Individuum unterschiedlich, auch bei ein und derselben Person ndert sich das im Laufe der Zeit. Das besagte Gefhl ist mithin ein empirisches.68 Das Gleiche trifft in der Folge auch auf jedes Wollen zu, das darin seinen Ursprung nimmt. Da es „sich nur auf die subjektive Bedingung der Empfnglichkeit einer Lust oder Unlust (die […] nicht fr alle vernnftige Wesen in gleicher Art gltig sein kann) grndet“ (KpV A 39), kann es kein gesetzesfçrmiges Wollen sein. Die Beurteilung eines Gegenstandes als ein Wohl oder bel gehçrt zum empirischen Bestimmungsgrund des empirischen Willens.69 66 In der sprachlichen Unkenntlichkeit des Bedeutungsunterschiedes von bonum und malum sieht Kant den „veranlassenden Grund aller Verirrungen der Philosophen in Ansehung des obersten Prinzips der Moral“ (KpV A 112) und den „Fehler“ (KpV A 113) der Alten. Die Konsequenz dieser sprachlichen Unkenntlichkeit beschreibt er andernorts mit drastischen Worten: „Wenn dieser Unterschied nicht beobachtet wird: wenn Eudmonie (das Glckseligkeitsprinzip) statt der Eleutheronomie (des Freiheitsprinzips der inneren Gesetzgebung) zum Grundsatze aufgestellt wird, so ist die Folge davon Euthanasie (der sanfte Tod) aller Moral.“ (MST A IX) 67 „Das Wohl oder bel bedeutet immer nur eine Beziehung auf unseren Zustand der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, des Vergngens und Schmerzens“ (KpV A 105). Vgl. Anthr. A/B 168 f. 68 Vgl. KpV A 39, 102, 111, 113; KU A/B 35 f. 69 „Wenn der Begriff des Guten“, schreibt Kant, der Bestimmung des Willens zugrunde liegt, so „kann er nur der Begriff von etwas sein, dessen Existenz Lust

2. Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bçsen

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Anders die Begriffe des Guten und Bçsen. Ihr Gebrauch erfolgt logisch spter, nmlich nach der Bestimmung des Willens. Ob ein Objekt gut ist oder bçse, kann nur durch Bezug auf das Begehrungsvermçgen entschieden werden, das schon durch die Vorstellung des betreffenden Objekts festgelegt ist. Es gilt hier gerade umgekehrt, dass etwas gut ist, weil wir es begehren, und dass etwas bçse ist, wenn wir es verabscheuen.70 Was dieser Beurteilung zugrunde liegt, ist aber nicht irgendein, sondern der sittliche Wille. „Das Gute oder Bçse“, so notiert Kant, bedeutet „jederzeit eine Beziehung auf den Willen, so fern dieser durchs Vernunftgesetz bestimmt wird“ (KpV A 105). Der sittliche Wille hat die Form des Gesetzes. Er ist der reine Wille, der in der Idee absoluter Freiheit seinen intelligiblen Bestimmungsgrund besitzt. Und sein Gegenstand kann als gut oder bçse bewertet werden, wobei auch diese Bewertung den Anspruch mit sich fhrt, fr alle vernnftigen Subjekte notwendig, das heißt a priori, gltig zu sein. „Was wir gut nennen sollen, muß in jedes vernnftigen Menschen Urteil ein Gegenstand des Begehrungsvermçgens sein, und das Bçse in den Augen von jedermann ein Gegenstand des Abscheues“ (KpV A 106).71 Ich lasse Kants Behauptung außen vor, wonach die „alleinigen Objekte einer praktischen Vernunft […] die vom Guten und Bçsen“ (KpV A 101) sind. „Denn“, so fhrt der nchste Satz fort, „durch das erstere versteht man einen notwendigen Gegenstand des Begehrungs-, durch das zweite des Verabscheuungsvermçgens, beides aber nach einem Prinzip der Vernunft.“ (ebd.) Die Absicht ist offenbar, die Dichotomie des Guten und Bçsen zu fundieren durch die Entgegensetzung eines Begehrungsvermçgens und eines Verabscheuungsvermçgens: Weil es neben Begehren und Verabscheuen kein Drittes gibt, soll es auch neben dem Guten und Bçsen kein Weiteres geben kçnnen. Doch fr gewçhnlich ist in Kants Schriften nur von einem Vermçgen die Rede, und zwar vom Begehrungsvermçgen. Die Stellen, an denen das Verb ,verabscheuen‘ terminologisch verwendet wird, lassen sich leicht an zwei Hnden abzhlen. Und was meint Verabscheuen auch anderes als begehren, etwas nicht zu tun? Vor allem im Hinblick auf die Kategorien der Freiheit ist man gut beraten, lediglich von einem „praktischen Vermçgen“ (KpV A 116) zu sprechen, wie Kant es dort selber tut. Schließlich hat Kant nicht mehrere Kategorientafeln angefertigt, eine mit den Kategorien des Begehrungs- und dann noch einmal eine mit den verheißt und so die Kausalitt des Subjekts zur Hervorbringung desselben, d.i. das Begehrungsvermçgen bestimmt“ (KpV A 101 f.). Vgl. KpV A 39. 70 Vgl. KpV A 101 f., 110 und 112 f. 71 Vgl. GMS A/B 38.

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Kategorien des Verabscheuungsvermçgens. Es handelt sich nur um eine Tafel; und diese enthlt die Kategorien des einen Willens. Die vermçgenstheoretische Doppelung, sofern sie sich berhaupt aufrechterhalten lsst, ist meines Erachtens fr die Kategorienthematik nicht von Belang.72 Die Lehre von den Begriffen des Guten und Bçsen sttzt die Meinung, die wir uns im vorigen Kapitel ber die Kategorien der Freiheit erarbeitet haben. Denn die Kategorien fgen sich ganz offenkundig nicht in das Schema, von dem Kants Auseinandersetzung mit den Begriffen des Guten und Bçsen getragen ist; sie hngen weder als Grund noch als Folge mit dem zu einer Handlung bestimmten Begehrungsvermçgen zusammen. Wenn die Beurteilung eines Gegenstandes als gut oder bçse der Bestimmung des (sittlichen) Willens nachgeht, und wenn die Beurteilung eines Gegenstandes als ein Wohl oder als ein bel der Bestimmung des (empirischen) Willens vorhergeht, dann bleibt fr die Kategorien kein Raum. Sie kçnnen weder mit dem Grund noch mit irgendeiner Folge der Willensbildung zu tun haben. Nun gibt es aber neben Grund und Folge keine dritte Mçglichkeit, die Disjunktion ist erschçpfend. Folglich mssen die Kategorien der Freiheit ihren Ort gleichsam in der Mitte zwischen beiden Begriffspaaren haben, Wohl und bel einerseits, Gut und Bçse andererseits. Sie mssen die Willensbestimmung selbst betreffen. Wir wiederholen daher die Annahme, dass praktische Kategorien die begrifflichen Ausformungen des Wollens von Objekten sind – gleichgltig wie diese Objekte vorgngig oder nachgngig beurteilt werden mçgen. In dieselbe Richtung weist auch die Kategorientafel. Ein erster, der ausfhrlichen Analyse vorgreifender Blick offenbart, dass im Quadranten der Quantitt neben den Kategorien „Maxime“ und „Vorschrift“ eine Kategorie anzutreffen ist, die Kant als „Gesetz“ (KpV A 117) bezeichnet.73 Kant geht demnach die Begriffe des Guten und Bçsen und die Kategorien der Freiheit nicht in der Reihenfolge durch, wie sie an sich zueinander stehen. Der Begrndungsfluss verluft genau andersherum: Es sind die 72 Zu Kants Wendung „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ (KpV A 115), durch die er die Kategorien der Freiheit charakterisiert, siehe unten Kapitel I.4. 73 Ich whle hier fr den Zweck der Argumentation aus den vielfltigen Angaben, die Kant zu den Quantittskategorien macht, diese drei aus, weil es sich dabei um wohl bekannte Begriffe innerhalb der Kritik der praktischen Vernunft handelt, deren Sinngehalt als einigermaßen gelufig vorausgesetzt werden darf, und die deshalb eine prgnante Gegenberstellung erlauben; außerdem nenne ich alle drei Begriffe im Singular statt im Plural, wie Kant das tut. Damit soll nichts vorentschieden sein, beide Punkte sind noch nher zu beleuchten. Davon aber bleibt die jetzige berlegung unberhrt. Siehe unten Kapitel IV.1.

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Kategorien der Freiheit, die den Begriffen des Guten und Bçsen zugrunde liegen und nicht umgekehrt. Denn wie wir uns bewusst gemacht haben, kommen die Begriffe des Guten und Bçsen erst im Gefolge der Bestimmung des Begehrungsvermçgens zum Einsatz. Sie empfangen ihre Bedeutung von und haben ihre Anwendungsbedingungen in dem sittlichen Willen, der bereits auf ein bestimmtes Objekt aus ist. Die Begriffe des Guten und Bçsen setzen ein gesetzesfçrmiges Wollen voraus. Wenn nun aber, und das verrt eben der Blick auf die Kategorientafel, der Begriff des Gesetzes Kategorienstatus besitzt, kommt man nicht umhin zu schlussfolgern, dass die Begriffe des Guten und Bçsen den Kategorien der Freiheit logisch nachgeordnet sind. Es ist mindestens die Kategorie des Gesetzes, die dafr verantwortlich zeichnet, dass der menschliche Wille berhaupt die Form des Gesetzes aufweisen und dass sein Gegenstand in der Folge als gut oder bçse beurteilt werden kann. Dann sind aber wohl auch alle brigen Kategorien der Tafel als Formen zu begreifen, nach deren Maßgabe der Wille gebildet und auf ein Objekt gerichtet zu werden vermag. Indes, die Begriffe des Guten und Bçsen sind doch in der Kategorientafel gegenwrtig. Wenn sie auch vor der Kategorienthematik abgehandelt werden, sind sie damit doch nicht abgetan. Denn Kant stellt die Freiheitskategorien „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“ dar. Was heißt das? Die Angabe einer solchen Hinsicht lsst zunchst einmal eine Einseitigkeit erahnen. Sie bringt den Verdacht auf, dass es nicht nur diese eine gibt, sondern dass daneben noch mindestens eine weitere Hinsicht zur Verfgung steht – wenngleich sie vielleicht nicht in Kants moralphilosophischem Interesse liegen und daher nicht im Fokus der Kritik der praktischen Vernunft stehen mag. Die Kategorien der Freiheit sind jedenfalls nicht per se auf die Begriffe des Guten und Bçsen bezogen. Und man wird nicht lange suchen mssen, argumentiert doch Kant dafr, dass das Gute und das Bçse nur eine mçgliche bersetzung der lateinischen Ausdrcke ,bonum‘ und ,malum‘ ausmachen; die andere lautet im Deutschen das Wohl und das bel. Es liegt daher nicht fern anzunehmen, dass darin die zweite Hinsicht vorhanden ist, dass also die Freiheitskategorien ebenso in Ansehung der Begriffe des Wohls und bels dargestellt werden kçnnen.74 Und damit sind wohl alle Optionen ausgeschçpft, eine dritte Hinsicht ist ausgeschlossen. Denn neben den beiden Begriffspaaren Gut und Bçse sowie Wohl und bel soll es ja kein weiteres geben. 74 So andeutungsweise auch Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 144.

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Kant leistet in dieser Angelegenheit bedauerlicherweise keine Verstndnishilfe. Weder erlutert er, was es mit der besagten Hinsichtenunterscheidung auf sich hat; ob sie fr die Kategorienlehre unverzichtbar ist oder ob sie doch ußerlich bleibt und man die Kategorien ebenso gut rein fr sich darstellen kçnnte; wie genau die Begriffe des Guten und Bçsen in die Tafel einfließen und sich in jeder einzelnen Kategorie zur Geltung bringen. Noch gibt Kant einen Hinweis darauf, ob wirklich noch eine andere Hinsicht offensteht, von ihm aber nur ausgespart bleibt; ob es sich tatschlich um die Begriffe des Wohls und bels handelt und, wenn ja, wie diese sich auf die Tafel auswirken und ihr gegebenenfalls ein anderes Gesicht verleihen wrden. Der Leser bleibt in diesen Punkten auf sich allein gestellt. Gewiss aber ist, dass wir es hier mit einer weiteren, vielleicht sogar mit der maßgeblichen, Disanalogie zwischen den Kategorien der Freiheit und den Kategorien der Natur zu tun haben. Die Beziehung, in welcher erstere auf die Begriffe des Guten und Bçsen einerseits und die Begriffe des Wohls und bels andererseits, wenn es denn diese sind, stehen, hat im Theoretischen kein Pendant; letztere kennen und gestatten keine vergleichbare Hinsichtenunterscheidung. Und das kann man sich nicht anders erklrlich machen, als dass man davon ausgeht, dass diese Hinsichtenunterscheidung im eigensten Wesen der praktischen Vernunft begrndet liegen muss, darin nmlich, dass sich die Vernunft auf doppelte Weise praktisch bettigen kann. Der reinen Vernunft gehçren die Begriffe des Guten und Bçsen, der empirischen Vernunft die Begriffe eines Wohls und bels zu. Was soll es aber bedeuten, Kategorien in Ansehung von etwas darzustellen? Diese Frage verlangt eine Przisierung. Kant verwendet die Fgung ,in Ansehung von‘ so, dass dadurch ein bestimmter Umgang mit einer Sache angezeigt wird. Man verfhrt mit dieser Sache im Hinblick auf eine andere, eines wird so behandelt, dass dabei ein anderes Bercksichtigung findet. Beispielsweise kann eine politische Partei die Listenpltze zur anstehenden Bundestagswahl in Ansehung sozialstruktureller Gegebenheiten besetzen und damit statistisch signifikanten gesellschaftlichen Gruppierungen bei der Kandidatenaufstellung Rechnung tragen; oder eine berufliche Stellung wird ohne Ansehung der Person rein meritokratisch nach Kompetenz und Leistung vergeben. Die entscheidende Frage ist allerdings, welches Verb Kant hier vor Augen hat: Was genau ist es berhaupt, das mit den Kategorien der Freiheit geschieht, sei es in der einen oder der anderen Ansehung? Der berschrift der Tafel ist das nicht zu entnehmen. Ich habe bislang unverfnglich davon gesprochen, dass die Kategorien ,dargestellt‘ werden. Kant selbst tut das; in dem Absatz, welcher auf die Kategorientafel

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folgt, erklrt er im Zuge einer auf etwas ganz anderes abhebenden Feststellung, dass „die Kategorien […] dargestellt werden“ (KpV A 118). Jedoch, das kann zweierlei bedeuten. ,Darstellen‘ kann einmal so viel heißen wie ,der Betrachtung vorlegen‘. Ein und dieselben Kategorien wrden demnach auf verschiedene Weise betrachtet, entweder unter dem Gesichtspunkt der Begriffe des Guten und Bçsen oder dem der Begriffe des Wohls und bels.75 Dafr kçnnte sprechen, dass Kant direkt im Anschluss an die Kategorientafel konstatiert, „daß, in dieser Tafel, die Freiheit, als eine Art von Kausalitt, die aber empirischen Bestimmungsgrnden nicht unterworfen ist, in Ansehung der durch sie mçglichen Handlungen, als Erscheinungen in der Sinnenwelt, betrachtet werde“ (KpV A 118). Doch es sind gar nicht die Kategorien, von denen hier gesagt wird, dass sie in einer ganz bestimmten Hinsicht genommen werden, sondern die Kausalitt aus Freiheit. Genauso wenig hat die angegebene Betrachtungshinsicht etwas mit den Begriffen des Guten und Bçsen zu tun. Kant berhrt hier eine ganz andere Seite der Kategorienthematik. Er stellt, wie schon einmal kurz zuvor,76 fest, dass all unsere Handlungen, die aus der Verwirklichung des Willens in der ußeren Welt hervorgehen, und sei es auch des freien Willens, raumzeitliche Ereignisse und folglich den „Kategorien ihrer Naturmçglichkeit“ (ebd.) gemß sind. Die Gegenstnde des Willens unterstehen den Bedingungen, unter denen sie allein als Erscheinungen in Raum und Zeit mçglich sind, nmlich den Kategorien der Natur. Wir werden auf diesen Zusammenhang von Kategorien der Freiheit und Naturkategorien noch nher zu sprechen kommen.77 Es gibt keine Textevidenz dafr, dass die infrage stehende Hinsichtenunterscheidung eine Differenz in der Betrachtung der Kategorien markiert. Im nheren Umfeld der Kategorientafel jedenfalls und auch sonst wo macht Kant an keiner Stelle mehr in dieser Angelegenheit von dem Verb ,betrachten‘ Gebrauch; genauso wenig von anderen, sinnverwandten Worten, die indizierten, dass er die Freiheitskategorien schlicht aus einem von vielen mçglichen Blickwinkeln in Augenschein nhme oder dass er eine bestimmte Facette an ihnen selektiv ins Licht der Aufmerksamkeit rckte und andere demgegenber zurcktreten ließe.

75 So etwa Pieper, Annemarie: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 150 f. 76 Vgl. KpV A 115. 77 Siehe unten S. 64 ff.

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Und auch von der Sache her gesehen mag diese Auffassung nicht recht einleuchten. Denn wie soll man es sich zusammenreimen, dass Kant beispielsweise die Kategorien der Maxime, der Vorschrift und des Gesetzes in der vorliegenden Tafel so auffhrt, wie sie sich in Anbetracht der Begriffe des Guten und Bçsen ausnehmen? Was wre anders, erwçge man sie stattdessen im Hinblick auf die Begriffe des Wohls und bels? Vor allem aber msste man sie doch wohl auch in ihrer ungetrbten Reinheit, also ohne irgendeinen besonderen Standpunkt einzunehmen, angeben kçnnen. Welchen begrifflichen Gehalt htten sie dann? Wenn das aber mçglich ist, warum sollte man berhaupt den Schritt unternehmen, die Kategorien auf irgendwelche Gesichtspunkte zu beziehen? Was wre der zustzliche Ertrag, worin bestnde der Gewinn? Ihr begrifflicher Gehalt ndert sich ja sicherlich nicht mit, wenn man lediglich die Blickrichtung wechselt, aus der man sich ihnen nhert; sie existieren darum nicht mehrfach, nicht in ebenso vielen Versionen. Oder nehmen wir die Qualittskategorien; die Kategorien des „Begehens“ und des „Unterlassens“ (KpV A 117) haben sicherlich ein neutrales Aussehen. Wie macht sich an ihnen die Betrachtungsweise bemerkbar? Kann nicht der empirische Wille ebenso wohl wie der freie Wille auf eine Begehungs- oder eine Unterlassungshandlung ausgerichtet sein?78 Hilfestellung gibt hierbei die Kritik der reinen Vernunft. Diese bedient sich bereits an einschlgiger Stelle des Verbs ,darstellen‘. So vermerkt Kant im Vorfeld der so genannten Urteilstafel, dass „die Funktionen des Verstandes“ insgesamt gefunden werden kçnnen, „wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollstndig darstellen kann“ (KrV A 69/B 94). Damit ist mitnichten beabsichtigt, die Funktionen des Intellekts vollstndig zu betrachten, sondern sie allesamt in einem System zusammenzustellen und zu ordnen. Die so genannte Urteilstafel ist das Verzeichnis smtlicher Funktionen, welche die Vernunft ausbt, wenn sie denkt. Sie liegt der Tafel der reinen Verstandesbegriffe zugrunde, Kant gewinnt die letztere, indem er sie aus der ersteren herleitet. Diese Ableitung der Kategorien ist ihre metaphysische Deduktion. Und hier ist abermals von einer Darstellung die Rede. Die „reinen Begriffe“, so lesen wir, werden „bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstande“ verfolgt und „in ihrer Lauterkeit dargestellt“ (KrV A 66/B 91). Sie sollen vollzhlig und dem Gliederbau des oberen Erkenntnisvermçgens entsprechend in einer Tafel aufgefhrt werden. Wir kommen darauf noch einmal zurck.79 78 Vgl. MS A/B 21, 30; MST A 67. 79 Siehe unten Kapitel IV.

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Frs Erste interessiert nur Kants Darstellungsbegriff. Diesen werden wir uns zum Vorbild nehmen und in die Kritik der praktischen Vernunft bertragen drfen. Die dazu erforderliche sachliche Nhe ist ohne Zweifel gegeben. Anstatt einer Betrachtung der Kategorien muss dann mit ,Darstellung‘ deren Herleitung und Aufstellung in einem systematischen Verzeichnis gemeint sein. Denn auch die Kategorien der Freiheit werden von Kant in einer Tafel zusammengeordnet; und sie grnden sich gleichermaßen auf die so genannte Urteilstafel, wie ich noch argumentieren werde, weshalb ihre Tafel auch aufflligerweise denselben Aufbau besitzt wie diese.80 Wir wollen daher frher ansetzen und davon ausgehen, dass die Kategorien nicht in der einen oder anderen Hinsicht betrachtet, sondern entwickelt werden, dass also die Hinsichtenunterscheidung bereits in ihrer metaphysischen Deduktion wirksam ist. Und nur hier. Kant leitet die Freiheitskategorien nicht aus den logischen Funktionen des Denkens ab, um sie dann hinterher noch in diese oder jene Perspektive zu bringen, vielmehr sind sie von vornherein entweder in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen oder in Ansehung der Begriffe des Wohls und bels deduziert. Ihr begrifflicher Gehalt hngt ab von dem Gesichtspunkt, dem sich die metaphysische Deduktion jeweils unterstellt. Wenn sich das erweisen ließe, besße in der Konsequenz die Kategorienlehre allpraktische Reichweite: Sie umfasste die Kategorien der ganzen praktischen Vernunft. Kant assoziiert ja die Begriffe des Guten und Bçsen, wie wir wissen, mit dem reinen und die Begriffe eines Wohls und bels mit dem empirischen Willen. Die Kategorien der Freiheit sollen offenbar die Strukturen aller nur mçglichen Willensbestimmung berhaupt sein, sie regulieren das gesamte Bettigungsfeld der praktischen Vernunft.81 Und das hat durchaus sein sachliches Recht. Denn bekanntermaßen steht im Zentrum der kantischen Morallehre die scharfe und irreduzible Trennung 80 Siehe unten Kapitel II.4. 81 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O, S. 146 f.; Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 183; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 194; Fulda, Hans F.: Notwendigkeit des Rechts unter Voraussetzung des Kategorischen Imperativs der Sittlichkeit, in: Jahrbuch fr Recht und Ethik 14 (2006), S. 200 f.; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 42 und 44; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 26 f.; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 259 f. Siehe auch schon Brastberger, Gebhard U.: Untersuchungen ueber Kants Kritik der practischen Vernunft, a.a.O., S. 112; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 603.

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zwischen einem Wollen aus Neigung und einem freien Wollen. Die Vernunft findet im Praktischen eine zweifache Bettigung, sie legt das Begehrungsvermçgen entweder im Dienste der Glckseligkeit auf ein Objekt fest, womit der Bereich der Naturkausalitt nicht verlassen wird, oder sie weist dem Willen mit moralischer Verbindlichkeit einen Gegenstand, was nach Kant als das Ergebnis einer Kausalitt aus Freiheit zu postulieren ist. Wenn es daher so etwas gibt wie Kategorien der praktischen Vernunft, ist sicherlich damit zu rechnen, dass es Kategorien sowohl fr den empirischen wie fr den reinen Gebrauch der praktischen Vernunft gibt.82 Wir kçnnen sonach angeben, was die Kategorien der Freiheit mit den Begriffen des Guten und Bçsen gemein haben und worin sie sich unterscheiden. Sie stimmen fraglos darin berein, dass sie beide Begriffe sind vom zu einem Gegenstand bestimmten Willen. Man darf allerdings bezweifeln, dass es sich insgesamt um „Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ handelt, wie die berschrift des Kapitels glauben macht. Diese Dachformel ist einseitig auf die Begriffe des Guten und Bçsen gemnzt – was sicherlich darauf vorbereitet, dass die Freiheitskategorien auch nur in Ansehung ihrer dargestellt werden sollen. Doch Kant lsst das gesamte Kapitel gewiss nicht ohne Hintergedanken mit der Erklrung anheben, was er unter „einem Begriffe [eines Gegenstandes]83 der praktischen Vernunft“ berhaupt versteht, nmlich „die Vorstellung eines Objekts als einer mçglichen Wirkung durch Freiheit“ (KpV A 100). Erst im nchsten Satz schrnkt er sich auf den Begriff von einem „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ (ebd.) ein, wobei „reinen“ im Text eigens sperrig gesetzt ist.84 Beide Definitionen finden im Laufe des Kapitels ihre Anwendung. Whrend das Gute und das Bçse Begriffe sind von den Objekten des reinen Willens, sind die Kategorien anders und grundstzlicher zu fassen als die Begriffe des Wollens von Objekten berhaupt.85 82 „Diese Kategorieen“, schreibt bereits Christian F. Michaelis, „sind Kategorieen der Freiheit, d. h. sie betreffen nicht blos die reine praktische, empirisch-unbedingte, sondern auch die empirisch-bedingte Vernunft, wiefern sie Willensbestimmung berhaupt angehen.“ (Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen, Bd.1, a.a.O., S. 197) 83 Ich bernehme hier die Konjektur der Akademie-Ausgabe, die sich an der berschrift des Kapitels orientiert. 84 Die Freiheit, von der Kant an der zitierten Stelle spricht, kann folglich nicht transzendentale Freiheit, sondern muss irgendeine andere Form von Freiheit sein, und zwar eine solche, die mit dem Willen qua talis in Zusammenhang zu bringen ist. Siehe unten Kapitel III.3. 85 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 194.

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Doch sptestens hier beginnen die Probleme. So sieht man sich vor die Frage gestellt, was es eigentlich heißen soll, dass die Kategorien ausgerechnet in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen bzw., wie wir vermutend wieder hinzufgen wollen, in Ansehung der Begriffe des Wohls und bels dargestellt werden. Wir haben uns bereits darber ins Bild gesetzt, dass ,darstellen‘ im Sinne einer metaphysischen Deduktion zu verstehen ist. Es bleibt aber noch Kants dunkle und von ihm selber nicht nher erluterte Feststellung in der berschrift der Kategorientafel, wonach es gerade diese Begriffe sind, in Anbetracht derer die Kategorien der Freiheit entwickelt sein sollen. Und diese Frage hat einen Zug ins Allgemeine. Denn was bedeutet es berhaupt, so mçchte man gerne wissen, Kategorien im Hinblick auf bestimmte Begriffe zu deduzieren? Fr den mit der Kritik der reinen Vernunft Vertrauten ist das ganz und gar neu. Auch was das angeht, belsst Kant seine Leser im Unklaren. Es scheint hier ein Zirkel in der Argumentation zu drohen. Hat es doch anfangs den Eindruck erweckt, als sei Kant etwas eigenwillig verfahren, indem er zunchst die Begriffe des Guten und Bçsen diskutiert und dann erst die Kategorien der Freiheit in Angriff nimmt; schließlich ziehen die ersteren ihren Sinngehalt aus den letzteren und dem durch sie bereits spezifizierten sittlichen Willen, so dass sie eigentlich erst an zweiter Stelle verhandelt werden drfen. Auf der anderen Seite sieht es so aus, als wrde nun das diametrale Gegenteil behauptet und Kant Recht gegeben. Ist doch eben gesagt worden, dass es sehr wohl seine Notwendigkeit hat, vor der Wissenschaft von den Kategorien der Freiheit die Lehre von den Begriffen des Guten und Bçsen zu bewltigen; immerhin sollen die letzteren in der metaphysischen Deduktion der ersteren eine gewichtige Rolle spielen, weshalb sie wohl folgerichtig bereits vorgngig etabliert sein mssen. Dieser Punkt ist ußerst vertrackt. Nichtsdestotrotz besteht der Widerspruch meiner Meinung nach nur scheinbar und lsst sich mit etwas Fingerspitzengefhl auflçsen. Zunchst muss man zur Kenntnis nehmen, dass Kant nicht erst jetzt, sondern schon von Anbeginn der Kritik an diese Sprache fhrt. Hat er nicht bereits im „Ersten Hauptstck“, wo man von Kategorien der Freiheit noch gar nichts wusste, von einem Willen gesprochen, der die Form des Gesetzes hat? Und hat er nicht ebenda in §7 sogar das hçchste Prinzip der Sittlichkeit unter dem Namen des Sittengesetzes eingefhrt? Fr Kant scheint folglich die Rede von einem gesetzeshaften Wollen mçglich, auch wenn noch nicht ausdrcklich enthllt ist, dass der Begriff des Gesetzes eine praktische Kategorie ist. Und im „Zweiten Hauptstck“ setzt Kant diese Arbeitsweise fort. Er befasst sich mit den Begriffen des Guten und Bçsen, deren Grundlage er im gesetzesfçr-

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migen Willen entdeckt, ohne schon untersucht und sichtbar gemacht zu haben, dass es sich dabei um nicht weniger als eine Kategorie der Freiheit handelt, ja dass es berhaupt derartige Kategorien gibt. Allein, eine nuancierte Auseinandersetzung mit den Begriffen des Guten und Bçsen erforderte in der Tat vorab die Vertiefung in die Kategorienthematik. Denn sind nicht die Gebrauchsbedingungen der Begriffe des Guten und Bçsen in Wahrheit viel differenzierter anzugeben? Ob der Inhalt eines Willens, der in quantitativer Hinsicht mit der Form des „Gesetze[s]“ (KpV A 117) gebildet ist, als gut oder als bçse bewerten werden muss, scheint doch gerade davon abzuhngen, wie der betreffende Wille in modaler Hinsicht spezifiziert ist. Auf die Kategorien der Modalitt kommt es an. Nimmt man den vierten Quadranten der Tafel zur Hand, wird man sicherlich sagen kçnnen, dass der Gegenstand eines Willens, der mittels der Kategorien „Pflicht“, „Vollkommene“ oder „unvollkommene Pflicht“ (ebd.) bestimmt ist, als ein Gut zu beurteilen ist. Was uns Pflicht zu tun oder zu unterlassen vorschreibt, ist in jedem Fall moralisch gut. Mit den anderen Kategorien verhlt es sich indes weit wenig eindeutig. Das Objekt eines Willens, der auf etwas sittlich „Unerlaubte[s]“ (ebd.) ausgerichtet ist, ist gewiss etwas Bçses. Aber wie steht es mit dem „Erlaubte[n]“ und dem „Pflichtwidrige[n]“ (ebd.)? Ist das, was bloß erlaubt ist, ohne dass man darber hinaus schon weiß, ob es auch Pflicht oder pflichtwidrig ist, moralisch bçse? Und was meint Kant eigentlich mit dem Pflichtwidrigen? Wir kommen darauf zurck.86 Jedenfalls mssen, das wird man nicht gut ableugnen kçnnen, die sittlichen Kategorien bereits vollstndig vorliegen, ehe man daran gehen kann, auch die Begriffe des Guten und Bçsen in der ganzen Breite ihrer Bedeutung aufzuhellen. Ich bleibe daher dabei, dass Kants Vorgehen die eigentliche Ordnung invertiert. Die erste und zweite Partie der Begriffsanalytik stehen der Sache nach in einem umgekehrten Verhltnis zueinander. Wie ist dann aber die metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien realisierbar, die ja gerade in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen gefhrt werden soll? Wie wir eingangs gesehen haben, legt Kant die letzteren dahin gehend aus, dass er sie als eine bertragung der lateinischen Ausdrcke ,bonum‘ und ,malum‘ ins Deutsche versteht und an den reinen Willen koppelt. Und er stellt ihnen die Begriffe eines Wohls und bels als die zweite bersetzungsmçglichkeit zur Seite. Diese leiten ihren Gehalt nicht von den Kategorien der Freiheit her, vielmehr liegen sie der Bildung des empirischen Willens voraus und sttzen sich auf eine sinnliche Neigung 86 Siehe unten Kapitel IV.4.

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oder ein Interesse der jeweiligen Person. Und darin scheint mir ein bestechender Hinweis zu liegen, was es eigentlich ist, das in der metaphysischen Deduktion zum Tragen kommt. Denn mit dem Gefhl der Lust und Unlust sind wir zu dem zurckgebracht, was den Begriffen des Guten und Bçsen der Gedanke absoluter Freiheit ist und was fr Kant und die Kritik das primre Thema in praktischen Angelegenheiten darstellt: die ratio determinans des Willens. Die Begriffe des Guten und Bçsen bzw. die des Wohls und bels stehen nach meinem Dafrhalten stellvertretend fr etwas anderes, obgleich eng damit Zusammenhngendes – etwas, das frher ansetzt als diese Begriffe und auch die Kategorien der Freiheit. Und das ist die fr Kant alles beherrschende und allem zugrunde liegende Unterscheidung der Bestimmungsgrnde des Willens, die bereits das „Erste Hauptstck“ entfaltet und die daher das „Zweite Hauptstck“ fertig vorfindet. Diese Unterscheidung wirkt sich bis in die Kategorienlehre hinein aus und verleiht ihr ein charakteristisches Geprge. Wie wir wissen, heißt der Wille reiner Wille und ist mit den Begriffen des Guten und Bçsen assoziiert, sofern er unter der intelligiblen Bedingung des Gedankens transzendentaler Freiheit gebildet wird; ist der Wille dagegen unter der empirischen Voraussetzung eines Gefhls der Lust oder Unlust bestimmt, ist er selber empirisch, und ihm gehçren alsdann die Begriffe des Wohls und bels zu. Um den drohenden Zirkel zu vermeiden, gehe ich davon aus, dass es genau genommen der jeweilige Bestimmungsgrund des Willens ist, dem in der metaphysischen Deduktion die zentrale Rolle zufllt. Je nachdem, welcher Bercksichtigung findet, werden aus den Funktionen der Vernunft entweder die Kategorien des reinen Willens abgeleitet, eben die so genannten „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“, oder die Kategorien des empirischen Willens, also die, wie man sie wird nennen mssen, Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Wohls und bels. Doch noch weitere Schwierigkeiten erheben sich. Von ihnen kann sich die Interpretation nicht so leicht freizumachen hoffen. Denn nach dem, was bisher ausgefhrt worden ist, msste man erwarten, dass Kategorientafel und Kategorienlehre auseinander zu halten sind; dass die von Kant vorgelegte Tafel der Kategorien nur ein Teil der von Kant nicht vollstndig ausgearbeiteten Lehre der Kategorien ist; dass letztere nicht nur diejenigen Freiheitskategorien einbegreift, die in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen, sondern auch die, welche im Hinblick auf die Begriffe des Wohls und bels deduziert werden; schließlich, dass nur die einen zur philosophia practica moralis gehçren und die Aufmerksamkeit einer Kritik

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der praktischen Vernunft auf sich ziehen, wohingegen die anderen auf dem Gebiet der allgemeinen praktischen Philosophie liegen und anderwrts zu erçrtern sind. Kurz, man msste sich darauf einstellen, dass die Kategorien, die Kant in der „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bçsen“ versammelt, allzumal Begriffe allein des sittlichen Willens sind. Diese Vermutung findet allerdings kaum Rckhalt in der Tafel. Sie lsst sich nur teilweise erhrten, und zwar an den Kategorien des vierten und vielleicht auch an denen des dritten Quadranten. Die Kategorien der Modalitt, wie Kant sie angibt, sind ersichtlich Kategorien allein der reinen praktischen Vernunft; die Namen, die Kant ihnen gibt, das „Erlaubte und Unerlaubte“, die „Pflicht und das Pflichtwidrige“, „[v]ollkommene und unvollkommene Pflicht“, lassen daran keinen wirklichen Zweifel. Wir werden das noch in aller gebotenen Ausfhrlichkeit darlegen.87 Und fr die Kategorien der Relation, wenngleich sie nicht ganz so leicht zu durchschauen sind – Kant charakterisiert sie durch die Angabe „Auf die Persçnlichkeit“, „Auf den Zustand der Person“, „Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen“ (KpVA 117) – gilt hçchstwahrscheinlich das Gleiche; denn die Begriffe Person und Persçnlichkeit sind fr Kant unbestreitbar strikt moralphilosophische Begriffe, wie noch zu sehen sein wird.88 Demgegenber bieten der erste und der zweite Quadrant ein abweichendes Bild. Zunchst lsst der Umstand, dass es neben der Kategorie des Gesetzes auch eine Kategorie der Vorschrift und der Maxime gibt, tief blicken. Kant fhrt diese Begriffe zum ersten Mal in §1 der Kritik ein, wenn er sie dort auch nicht als Kategorien kennzeichnet; und er gibt im Anschluss an die Tafel eine knapp formulierte Erluterung. Wir kommen darauf noch detailliert zu sprechen.89 Der Grundgedanke aber ist beide Male, dass Gesetze, Vorschriften und Maximen solcherart differieren, dass sie fr alle, fr manche oder lediglich fr ein einziges Vernunftsubjekt Bedeutung haben. Die Kategorie des Gesetzes ist die quantitative Form desjenigen Willens, der unter der intelligiblen Bedingung des Gedankens transzendentaler Freiheit bestimmt und in allen vernnftigen Wesen als solchen anzutreffen ist. Anders Maxime und Vorschrift. Sie sind die quantitativen Formen eines Willens, der unter der empirischen Voraussetzung eines Gefhls der Lust oder Unlust festgelegt ist und der nicht ohne 87 Siehe unten Kapitel IV.4. 88 Siehe unten Kapitel IV.3. 89 Siehe unten Kapitel IV.1.

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Weiteres allen Personen unterstellt werden darf. Sie sind mithin Kategorien des empirischen Willens. Wie aber passt das zusammen? Wie kçnnen in einer Tafel, welche Kategorien „in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bçsen“ befassen soll, Kategorien der empirischen praktischen Vernunft Platz haben, Kategorien also, die doch wohl gerade mit den Begriffen des Wohls und bels in Verbindung stehen mssten? Ferner die Kategorien der Qualitt. Es macht den Eindruck, als wren sie weder Kategorien nur der reinen noch Kategorien nur der empirischen praktischen Vernunft. Denn etwas tun oder es unterlassen wollen ist sicherlich nicht von sich aus ein aus Freiheit bestimmtes Wollen. Ein Wille, der einer Neigung oder einem Interesse entspringt, kann genauso gut diese Form aufweisen. Man ist auf etwas aus, weil man sich einen Vorteil davon verspricht, oder man verzichtet darauf, weil es Unannehmlichkeiten erwarten lsst. Wir werden uns damit noch genauer beschftigen.90 Jedenfalls sieht es sehr danach aus, das die Qualittskategorien von Kant weder in Anbetracht der Begriffe des Guten und Bçsen noch im Hinblick auf die Begriffe des Wohls und bels deduziert werden, dass sie weder Formen nur des sittlichen noch Formen nur des empirischen Willens sind. Was aber dann? Sind sie Begriffe der praktischen Vernunft als solcher? Also Kategorien des Willens berhaupt? Aber was soll das sein? Und wie ist es mçglich, dass die Hinsichtenunterscheidung nur fr manche Kategorien verbindlich ist? Anhand welcher Kriterien entscheidet Kant, fr welche sie in Kraft ist und fr welche nicht? Aus diesem Tatbestand erwachsen weitere drngende Fragen. In Bezug auf die Kategorientafel im Ganzen muss man klren, ob sie womçglich gar nicht aus einem Guss ist. Die berschrift jedenfalls, unter der wir sie exponiert finden, scheint gar nicht alle Kategorien durchgngig abzudecken. Vielmehr hat es den Anschein, dass die Tafel unterschiedliche Arten von Kategorien befasst: solche des reinen Willens, die an die Begriffe des Guten und Bçsen geknpft sind, solche des empirischen Willens, die wohl mit den Begriffen des Wohls und bels zusammenhngen mssen, und dann eventuell noch Kategorien des Willens berhaupt, die sich der Hinsichtenentscheidung gnzlich entziehen. Ist die Tafel in diesem Sinne uneinheitlich? Ist sie heterogen zusammengesetzt? Und wenn ja, warum ist dem so? Befasst sie doch schon die gesamte Kategorienlehre? Ist alles, was sich zu den Kategorien der praktischen Vernunft sagen lsst, mit ihr bereits gesagt? Diesen Fragen muss eine angemessene Interpretation begegnen 90 Siehe unten Kapitel IV.2.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

kçnnen. Man wird daher nicht umstandslos mit Lewis W. Beck91, Theo Kobusch92 oder Claudia Graband93 annehmen kçnnen, dass die Kategorientafel zwçlf verschiedene Begriffe bzw. zwçlf Modifikationen des Guten und Bçsen enthalte, oder mit Susanne Bobzien davon ausgehen, dass die Kategorientafel die notwendigen Bestimmungsstcke des zusammen einen moralisch Guten darbiete.94 In diesen Zusammenhang gehçrt, dass Kant selber in dem Absatz, welcher der Kategorientafel unmittelbar voransteht, erklrt, dass „diese Kategorien nur die praktische Vernunft berhaupt angehen“ und dass sie „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlichbedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“ (KpV A 116). hnlich in dem Passus, der direkt an die Kategorientafel anschließt. Hier ist von einem „bergang“ die Rede, der innerhalb der Tafel stattfinden soll, und zwar „von praktischen Prinzipien berhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV A 118). Die Feststellung, dass die Kategorien die praktische Vernunft als solche angehen, besttigt unsere Auffassung vom allgemein-praktischen Charakter der Kategorienlehre. Und die Gegenberstellung von Kategorien des sinnlich unbedingten und solchen des sinnlich bedingten Willens spricht unverhohlen aus, dass Kant verschiedene Typen von Kategorien vorschweben.95 Undurchsichtig bleibt hingegen, was das fr Kategorien sein sollen, die fr „praktische Prinzipien berhaupt“ zustndig sind und die Kant ausdrcklich von den Kategorien fr praktische Prinzipien „der Sittlichkeit“ abgrenzt. Sind damit die Kategorien des empirischen Wollens gemeint? Oder haben wir hier ein weiteres Indiz, um von einer Dreiteilung auszugehen? Muss man neben den Kategorien des sittlichen und denen des empirischen Willens zustzlich noch Kategorien des Willens berhaupt ansetzen, sprich Kategorien, die der strikten Dichotomie enthoben sind, 91 92 93 94 95

Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O, S. 142 ff. Vgl. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 26. Vgl. Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 49. Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 205. Die Rede von „sinnlich-bedingten“ Kategorien steht in keinem Widerstreit dazu, dass es sich bei Kategorien um „Begriffe a priori“ (KpV A 116) handelt. Die Kategorien der Selbstliebe gehen dadurch, dass sie sinnlich bedingt sind, mitnichten ihres kategorialen Status verlustig. So wenig eine empirische Anschauung, die durch die Kategorien der Natur gedacht wird, den nichtempirischen Charakter dieser Kategorien infrage stellt, so wenig degradiert ein empirischer Bestimmungsgrund des Willens die Kategorien der Freiheit zu empirischen Begriffen. Vgl. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 27.

2. Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bçsen

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welche Kant zwischen einem Wollen aus Neigung und einem freien Wollen sieht? Schon Lewis W. Beck beanstandet Kants „verwirrende[s] Herberund Hinbergehen von den Kategorien der reinen praktischen Vernunft zu denen der empirischen praktische Vernunft und der praktischen Vernunft im allgemeinen“96. Gibt es also wirklich drei Sorten von Freiheitskategorien? Und wenn ja, wodurch genau unterscheiden sie sich? Im Andeutungshaften verbleibt ferner der „bergang“, der sich innerhalb der Kategorientafel ereignen soll. Erfolgt er in jedem einzelnen Quadranten immer wieder aufs Neue? Darauf deuten die Quantittskategorien hin, beginnen sie doch mit zwei Kategorien des sinnlich bedingten Willens, der Kategorie der Maxime und der der Vorschrift, und schließen mit einer Kategorie des sinnlich unbedingten Willens, nmlich der Kategorie des Gesetzes. Allerdings lsst sich ein hnlicher Fortgang prima vista nicht auch in den brigen Kategoriengruppen beobachten. Vollzieht sich der bergang dann vielleicht nur ein einziges Mal? Und zwar an irgendeiner Stelle im Durchgang durch die Tafel vom ersten hin zum vierten Quadranten? Diese Auffassung kann sich auf Kants Feststellung berufen, der zufolge es allein „die Kategorien der Modalitt“ sind, welche den besagten bergang „einleiten“ (KpV A 118). Alle anderen Kategorien sind danach solche des empirischen oder solche des Willens berhaupt, erst die Modalkategorien sind Kategorien des sittlichen Willens. Dem widerstreitet jedoch, dass bereits die Quantittskategorie des Gesetzes und vermutlich auch smtliche Relationskategorien sittliche Kategorien sind. Oder muss man besser trennen? Stimmt vielleicht beides? Meint Kant mit „bergang“ gar nicht dasselbe wie mit „Fortgang“? Soll sowohl eine Art bergang in jedem Quadranten als auch ein Fortgang von Quadrant zu Quadrant zu verzeichnen sein? Nehmen wir uns die eine der beiden zitierten Passagen noch einmal genauer vor. Die, welche der Kategorientafel nachfolgt, besagt ausfhrlich, dass „die Kategorien der Modalitt den bergang von praktischen Prinzipien berhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur problematisch, einleiten, welche nachher durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden kçnnen“ (ebd.). Die Kategorien der Modalitt, und nur sie, sollen erst problematisch und sodann dogmatisch dargestellt werden. Was damit nicht gemeint sein kann, ist ein Unterschied bezglich der Betrachtung; die Kategorien werden nicht erst als etwas Fragliches und 96 Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 140. Vgl. Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 260.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

dann als etwas Unstrittiges angesehen. Man muss Kants Worte vielmehr dahin gehend auslegen, dass die bloße Mçglichkeit, die Kategorien metaphysisch zu deduzieren, noch nicht garantiert, dass es berhaupt solche Kategorien braucht, dass es also modale Kategorien des sittlichen Willens gibt. Dazu ist „nachher“, wie Kant sich ausdrckt, sprich nach der metaphysischen Deduktion, noch etwas Zustzliches vonnçten. Und das kann nichts anderes sein als das, was mit der Faktums-Lehre ausgesprochen ist, auch wenn diese ihren Ort kompositorisch vor der Kategoriendiskussion hat: Was noch hinzutreten muss, damit die Modalkategorien ihren problematischen Status ablegen und eine dogmatische Geltung erlangen, ist das Faktum der reinen praktischen Vernunft, welches, kurz gesagt, in dem Bewusstsein eines Menschen besteht, berhaupt einen sittlichen Willen zu besitzen. Nur dank dieses Faktums verlieren die Modalkategorien den Rang einer Mçglichkeit und erheben sich zu derselben Wirklichkeit, wie sie auch dem sittlichen Willen zu Eigen ist, dessen Formen sie sind.97 Noch ein weiteres Problem zeichnet sich in diesem Zusammenhang ab: Welchen Begriff von Freiheit bringt Kant in Anschlag, wenn er von Kategorien der Freiheit spricht? Das ist alles andere als offensichtlich. Kant selbst ußert sich dazu nicht. Es gibt jedoch mehrere Anhaltspunkte, die dafr sprechen, dass es sich nicht, wie man intuitiv zu glauben geneigt ist, um Freiheit im transzendentalen Verstande handeln kann. Denn bereits die berschrift der Tafel verrt, dass nicht nur die Kategorien, die in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen, sondern auch die, welche unter einem anderen Gesichtspunkt, etwa dem der Begriffe des Wohls und bels, zu deduzieren sind, mithin die Kategorien der ganzen praktischen Vernunft, Kategorien der Freiheit heißen sollen. Gleichviel welche Hinsicht zum Tragen kommen mag, die Kategorienlehre im Praktischen ist eine Lehre von Freiheitsbegriffen. Des Weiteren apostrophiert die berschrift smtliche Kategorien, die Kant innerhalb der Tafel vorgelegt hat, ex aequo als Kategorien der Freiheit – und das, obwohl Kants Bemerkungen zu dem ber- bzw. Fortgang, der in der Tafel stattfinden soll, zeigen, dass die Tafel nicht nur Kategorien des reinen, sondern auch solche des empirischen und des Willens berhaupt zu enthalten scheint. Drittens schließlich versieht Kant von allen Kategorien einzig die Kategorie des Gesetzes mit dem Nachtrag „der Freiheit“ (KpV A 117) und rumt damit jeden Zweifel aus, 97 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O, S. 150; Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 806 f. Den Zusammenhang von Kategorien der Freiheit und Faktum der reinen praktischen Vernunft erwhnt auch Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 26.

2. Die Kategorien der Freiheit und die Begriffe des Guten und Bçsen

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dass hier eine zustzliche Freiheit ins Spiel kommt. Es ist zwischen zwei verschiedenen Sorten von Freiheit zu unterscheiden: derjenigen, die zu allen Kategorien als solchen gehçrt, und derjenigen, die lediglich mit der Kategorie des Gesetzes bzw. mit allen Kategorien des sittlichen Willens einhergeht. Erstgenannte kann nur eine Freiheit im empirischen Verstande sein, eine Freiheit, die dem Willen als solchem zukommt. Und es muss sich um dieselbe handeln wie die, von der Kant, wie wir weiter oben gesehen haben, feststellt, dass ein jedes Objekt des Willens „eine mçgliche Wirkung durch Freiheit“ ist.98 Alle Fragen, die wir im Vorstehenden erarbeitet haben, brden der Auseinandersetzung mit den praktischen Kategorien eine nicht eben geringe Beweislast auf. Kants ußerungen, soweit wir sie bisher zur Kenntnis genommen haben, sind nicht nur geradezu reserviert, manche von ihnen sind vage und fr mehrere Deutungen zugnglich, andere wirken gar ungereimt. Insbesondere scheinen einige der Ausknfte, die Kant im Text erteilt, im Widerspruch mit der Tafel zu stehen. Man muss daher verschiedene Mçglichkeiten der Auslegung sorgfltig erproben und zusehen, ob sich eine Interpretation finden lsst, die allem Rechnung zu tragen und alle neuralgischen Punkte miteinander zu versçhnen in der Lage ist. Wie sich allerdings herausstellen wird, ist das nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen. Selbst bei aller hermeneutischen Flexibilitt und im vorgreifenden Vertrauen auf die Sinnvollkommenheit von Kants Ausfhrungen ist nach meinem Dafrhalten keine einheitliche Interpretation zu haben, die nicht wenigstens geringfgige Korrekturen an den ipsissima verba Kants gestattet, was dann von den meisten Interpreten auch auf die eine oder andere Weise unternommen worden ist. Solche Korrekturen fallen insofern leicht, als Kant seine Haltung zu den praktischen Kategorien in keiner anderen Schrift wiederholt und bekrftigt hat. Aber sie drfen freilich, wenn sie berzeugen wollen, nicht vorschnell, sondern erst dann zum Zuge kommen, wenn sonst nichts mehr geht; sie mssen penibel von der Sache her gefhrt und sie mssen idealerweise mit Kant gegen Kant begrndet werden. Die interpretatorische Konjektur, mit der ich selbst liebugele, sei hier in aller Krze vorweggenommen. Ich mçchte sie in Kapitel IV. im Zuge der Diskussion der einzelnen Freiheitskategorien und ihres begrifflichen Gehalts als Gegenangebot anregen, wo immer die kantische Vorlage unbefriedigend bleibt, und das wird genau zweimal der Fall sein. Danach ist 1) tatschlich zu distinguieren zwischen der vollstndigen Kategorienlehre 98 Siehe unten Kapitel III.2.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

und der von Kant ausgearbeiteten Kategorientafel. 2) Die Kategorien der ersten drei Quadranten der kantischen Tafel sind, teilweise gegen den Wortlaut der Tafel, aber strikt nach Maßgabe ihrer metaphysischen Deduktion aus den Funktionen des Denkens, als Kategorien des Willens berhaupt zu entwickeln. Das heißt, sie spezifizieren das Wollen unabhngig davon, ob es sich um ein empirisches oder ein sittliches Wollen handelt. Sie betreffen das eine ebenso sehr wie das andere.99 3) Nur die Kategorien des vierten Quadranten werden entweder im Hinblick auf die Begriffe des Guten und Bçsen oder unter dem Gesichtspunkt der Begriffe des Wohls und bels entwickelt. Das hat mit der Besonderheit der modalen Kategorien zu tun, welche nicht den Inhalt, sondern den Wert des Wollens angehen. Diesen spezifizieren sie in Beziehung auf den Bestimmungsgrund des Willens: ein Gefhl der Lust oder Unlust im Falle des empirischen, den Gedanken transzendentaler Freiheit im Falle des reinen Willens. Vielleicht kçnnte man in Anlehnung an Kants eigenen Sprachgebrauch die einen als Kategorien der Sittlichkeit und die anderen als Kategorien der Selbstliebe bezeichnen.100 Entsprechend kçnnen 4) nicht smtliche Modalkategorien in einer Tafel vorgestellt werden. Hier und nur hier sind zwei Ausfhrungen der Tafel anzufertigen, von denen Kant lediglich eine erstellt hat und aufgrund seiner dezidiert moralphilosophischen Fragestellung auch nur erstellen musste. Wir wollen aber das Ganze der Kategorienlehre nicht von vornherein aus der Hand geben, denn nur vom Ganzen her lsst sich wirklich ermessen, was Kant in der Kritik geleistet hat und was in dieser Schrift vielleicht nicht zu Wort gekommen ist.

3. Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft (KpV A 119 – 126) Verweilen wir auch weiterhin bei den Innenverhltnissen des „Zweiten Hauptstckes“. Kant unterscheidet die Kategorien der Freiheit nicht nur von den Begriffen des Guten und Bçsen, er grenzt sie darber hinaus von dem ab, was er den Typus der reinen praktischen Urteilskraft nennt. Die Analytik der Begriffe schließt in der Kritik der praktischen Vernunft mit 99 So auch Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 199; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 50. 100 Vgl. KpV A 118; R6854; AA XXIII 382. Robert J. Benton spricht stattdessen von „moral“ und „prudential categories“ (Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 183).

3. Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft

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einer Lehre der Urteilskraft, der so genannten Typik. Mit ihr wollen wir uns im Folgenden auseinander setzen. In welcher Beziehung, so ist zu untersuchen, steht die reine praktische Urteilskraft zu den Freiheitskategorien? Und welche neuen Einsichten in die Kategorienthematik gewhrt die Aufhellung dieser Beziehung? Das Kapitel „Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ (KpV A 119) ist ußerst knapp gehalten. Man kann schwerlich behaupten, Kant prsentiere hier eine reife und ausgefeilte Theorie praktischer Urteilskraft. Genauso wenig lassen sich die Bausteine zu einer solchen Theorie in seinen anderen Werken zur praktischen Philosophie ausfindig machen und umstandslos zu einem Gesamtbild zusammensetzen.101 Von einer reinen praktischen Urteilskraft ist weder in der Grundlegungs-Schrift noch in der Metaphysik der Sitten oder der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft die Rede, ebenso wenig von einer praktischen Urteilskraft berhaupt.102 Diese Wendung findet sich ausschließlich in der Kritik der praktischen Vernunft. Und hier umfasst das entsprechende Kapitel in der Originalausgabe weniger als acht Seiten, die noch dazu ihr Anliegen nichts weniger als unverblmt zu erkennen geben und vermutlich nicht zuletzt darum in der Kant-Forschung bisher mehr als Anhngsel denn als eigenstndiges Themenstck behandelt wurden. Das fhrt uns anfnglich zu der Frage, auf welche Problemstellung Kant berhaupt mit der Wissenschaft vom Typus der reinen praktischen Urteilskraft reagiert.103 Nehmen wir zunchst einmal das ganze „Zweite Hauptstck“ in den Blick. Was kçnnte es sein, das die Lehre von den Begriffen des Guten und Bçsen und die Lehre von den Kategorien der Freiheit offen lassen, so dass die Begriffsanalytik noch einer weiteren Partie bedarf ? Wir haben erfahren, dass durch die Begriffe des Guten und Bçsen das Objekt des Willens beurteilt wird; Maßstab dieser Beurteilung ist der sittliche Wille, das heißt derjenige Wille, der mit der Form des Gesetzes bestimmt ist. Wir haben 101 Vgl. Hçffe, Ottfried: Universalistische Ethik und Urteilskraft: ein aristotelischer Blick auf Kant, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 44 (1990), S. 541. 102 In der Grundlegung spricht Kant einmal beilufig von einem „praktische[n] Beurteilungsvermçgen“ (GMS A/B 21), und in der Religions-Schrift erwhnt er ebenso flchtig eine „moralische Urteilskraft“ (Rel. A 271/B 288; vgl. A 35/B 38). 103 Konturlos bleiben auch die Termini ,Typus‘ und ,Typik‘. Sie finden sich in keiner anderen Schrift. berdies scheint Kant in der Kritik einen eher diffusen Gebrauch von ihnen zu machen, ihre Bedeutung wird nirgendwo definiert. Unverkennbar ist allerdings zwischen Typus und Typik so zu unterscheiden, dass die Typik die Untersuchung oder Wissenschaft des Typus ausmacht. Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 283, Anm. 61.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

weiterhin mehrfach Anlass gehabt anzunehmen, dass die Kategorien der Freiheit die Formen sind, mit denen der Wille bestimmt sein kann; dazu gehçrt neben anderen auch die sittliche Kategorie des Gesetzes. Vorausgesetzt nun, diese Interpretation der ersten und zweiten Partie der Begriffsanalytik ist zutreffend, muss in der Tat noch mehr kommen. Zwei Mçglichkeiten sind hier denkbar. Einerseits erçffnet sich die Anschlussfrage, wie die Begriffe des Guten und Bçsen sowie die Kategorien der Freiheit mit der konkreten Handlungssituation vermittelt werden kçnnen. Die reine praktische Urteilskraft htte demnach eine der aristotelischen vqºmgsir vergleichbare Funktion. Ihre Ttigkeit bestnde darin, moralische Regeln (!qetμ Ahij¶) auf den Einzelfall anzuwenden. Und in der Tat, Kant erkennt das moralphilosophische Erfordernis einer solchen Leistung uneingeschrnkt an, er konzipiert diese sogar als eine Leistung der Urteilskraft. Allerdings bestreitet er, dass sie in der „reine[n] Moralphilosophie“ (GMS A/B VIII), wozu klarerweise auch die Kritik der praktischen Vernunft gehçrt, ihren Platz finden kann. Denn es handelt sich dabei um eine, wie er schreibt, „durch Erfahrung geschrfte Urteilskraft“ (ebd.).104 Gegenber der Phronesis des Aristoteles stellt die reine praktische Urteilskraft vielmehr eine theoriegeschichtliche Innovation dar. Aristoteles kennt kein Vermçgen, das der reinen praktischen Urteilskraft entsprche, nmlich ein Vermçgen, Handlungsregeln allererst auf ihre Sittlichkeit hin zu bedenken. Kants Frage am Ende des „Zweiten Hauptstcks“ ist aber gerade diese: anhand welches Kriteriums (= Typus) man berhaupt die Sittlichkeit von Willensbestimmungen ermitteln kann. Denn ob der Gegenstand meines Wollens gut oder bçse ist, kann ich erst entscheiden, nachdem ich zuvor die Sittlichkeit meines Wollens evaluiert habe, nachdem ich also herausgefunden habe, wie sich mein Wille ausnimmt, wenn ich ihn in einem Gedankenexperiment verallgemeinere und probehalber mit der Form des Gesetzes denke. Dieses Experiment soll sich vollstndig im reinen Denken bewegen, es will keine Anleihen bei den Inhalten unseres Erfahrungslebens und den vorfindlichen Traditionen und Gepflogenheiten einer sozialen Gemeinschaft machen. Die Typik der reinen praktischen Urteilskraft hat es mit nichts anderem zu tun als dem moralischen berprfungsverfahren von Willensbestimmungen.105 104 Vgl. Hçffe, Ottfried: Universalistische Ethik und Urteilskraft, a.a.O., S. 542 f., 545 und 547 f. 105 Vgl. Hçffe, Otfried: Kants kategorischer Imperativ als Kriterium des Sittlichen, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 31 (1977), S. 364 f.; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 130. So auch schon Johann Christian Zwanziger,

3. Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft

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Sollte sich das bewahrheiten lassen, arbeitet Kant in der Begriffsanalytik ein zweistufiges moralisches Erkenntnisprogramm auf, allerdings gegen dessen Verlaufsrichtung. Die erste Erkenntnisstufe besteht dabei in der Besinnung auf die sittliche Form meines jeweiligen Wollens. Dazu dient der Typus. Er fungiert als Kriterium, um die sittlichen Kategorien zu benennen, durch welche die zur Prfung vorgelegte Willensgesinnung je spezifiziert ist. Die zweite Erkenntnisstufe bildet sodann die Einsicht in den sittlichen Wert der Objekte meines Wollens. Das Kriterium dafr ist nun seinerseits der in allen kategorialen Hinsichten spezifizierte sittliche Wille; an ihm lsst sich bemessen, ob der betreffende Gegenstand gut ist oder bçse. Auch die dritte Partie der Begriffsanalytik kommt daher wie schon die zweite der Sache nach vor der ersten: Die Frage nach der Gesetzlichkeit des Wollens von Gegenstnden ist die Voraussetzung fr die Beurteilung der Gegenstnde des gesetzlichen Wollens. Und die Gelenkstelle dieses zweistufigen moralischen Erkenntnisprogramms bilden die Kategorien der Freiheit. Indem sie die Formen des Willens berhaupt sind, auch die des sittlichen Willens, stiften sie den Zusammenhang zwischen dem Typus der reinen praktischen Urteilskraft und den Begriffen des Guten und Bçsen. Nun zum Kapitel selber. Es fllt auf, dass Kant von Anfang an bemht ist, die Typik der praktischen Urteilskraft parallel zum Schematismus der theoretischen Urteilskraft zu entwickeln. Er selber stellt einen Vergleich zwischen der Kritik der praktischen Vernunft und der Kritik der reinen Vernunft an, in dem er mit ausdrcklichen Worten die Analogie heraushebt, die zwischen der theoretischen und der praktischen Urteilskraft bestehen soll: „Also ist die Urteilskraft der reinen praktischen Vernunft eben denselben Schwierigkeiten unterworfen, als die der reinen theoretischen“ (KpV A 120). Der so genannte Typus verhlt sich zur reinen praktischen Urteilskraft wie ein Schema zur reinen theoretischen Urteilskraft. Das ist Kants Grundidee. Dieser wollen wir folgen.106 In der ersten Kritik fllt die Lehre der Urteilskraft mit der Analytik der Grundstze zusammen, welche Kant dort als „Kanon fr die Urteilskraft“ allerdings hlt er die Typik fr „unbrauchbar“ (Commentar ber Herrn Professor Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 78 ff.). Siehe ebenso Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 5, Jena/Leipzig 1802, S. 591 ff. 106 Zur Analogie zwischen Schematismus und Typik vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 153 f.; Pleines, Jrgen-Eckhardt: Praxis und Vernunft. Zum Begriff praktischer Urteilskraft, Wrzburg 1983, S. 112 – 132; Vollrath, Ernst: Die Rekonstruktion der politischen Urteilskraft, Stuttgart 1977, S. 141 ff.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

(KrV A 132/B 171) charakterisiert. Sie erçrtert in zwei Etappen, wie die reinen „Verstandesbegriffe, welche die Bedingung zu Regeln a priori enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden“ (ebd.) sind. Das erste Hauptstck befasst den Schematismus der reinen theoretischen Urteilskraft. Es beschftigt sich mit „der sinnlichen Bedingung […], unter welcher reine Verstandesbegriffe allein gebraucht werden kçnnen“ (KrV A 136/B 175). Solch eine sinnliche Bedingung des richtigen Gebrauchs der Naturkategorien nennt Kant Schema.107 Das zweite Hauptstck entfaltet daraufhin die Systematik aller Grundstze des reinen Verstandes. Es handelt von den „synthetischen Urteilen, welche aus reinen Verstandesbegriffen unter diesen Bedingungen a priori herfließen, und allen brigen Erkenntnissen a priori zum Grunde liegen“ (ebd.). In transzendentalen Verstandesgrundstzen wird von den Kategorien der Natur der einzig richtige Gebrauch gemacht, indem sie auf den Begriff von einer Erscheinung in Raum und Zeit angewandt werden. Die Urteilskraft expliziert Kant bekanntlich als „das Vermçgen, unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht“ (KrV A 132/B 171). Die Handlungen der Urteilskraft stellen Verhltnisse der Unter- und berordnung her, subsumtive Verhltnisse zwischen Besonderem und Allgemeinem.108 Whrend die formale Logik, weil sie „von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahiert“ (ebd.), der Urteilskraft keine Direktiven fr die korrekte Anwendung von Begriffen an die Hand geben kann, ohne darber in einen infiniten Regress zu geraten, ist die transzendentale Logik dazu imstande.109 Ihr Geschft ist es gerade, „die Urteilskraft, im Gebrauch des reinen Verstandes, durch bestimmte Regeln zu berichtigen und zu sichern“ und somit „Fehltritte der Urteilskraft (lapsus iudicii) im Gebrauch der wenigen 107 Zum Schematismus vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 173 – 198; Bartuschat, Wolfgang: Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1972, S. 23 – 38; Curtius, Ernst R.: Das Schematismuskapitel in der Kritik der reinen Vernunft, in: Kant-Studien 19 (1914), S. 338 – 366; Pendlebury, Michael: Making Sense of Kant’s Schematism, in: Philosophy and Phenomenological Research 55 (1995), S. 777 – 797; Seel, Gerhard: Die Einleitung in die Analytik der Grundstze, der Schematismus und die obersten Grundstze, a.a.O., S. 219 – 240. 108 Vgl. KU A XXIII/B XXV. 109 Wollte die formale Logik nmlich zeigen, „wie man unter diese Regeln subsumieren, d.i. unterscheiden sollte, ob etwas darunter stehe oder nicht, so kçnnte dieses nicht anders, als wieder durch eine Regel geschehen“ (KrV A 133/B 172). Doch diese Regel wrde „darum, weil sie eine Regel ist, aufs neue eine Unterweisung der Urteilskraft“ (ebd.) erfordern und so weiter in infinitum.

3. Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft

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reinen Verstandesbegriffe“ (KrV A 135/B 174) zu verhten. Diese Regeln sind die Schemata. Sie werden im ersten Hauptstck etabliert als Leitfaden fr den fehlerfreien Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe, jenes Gebrauchs, der dann im zweiten Hauptstck von ihnen gemacht wird und sich als Kanon der transzendentalen Verstandesgrundstze niederschlgt. In der zweiten Kritik sticht zwar erst einmal ins Auge, dass die Wissenschaft von der Urteilskraft eine andere kompositorische Stelle einnimmt. Weder deckt sie sich mit der Grundsatzanalytik, noch macht sie eines ihrer Teilstcke aus. Stattdessen gehçrt sie zur Analytik der Begriffe, deren dritte und letzte Partie sie bildet. Doch trotz dieser Disanalogie sind zahlreiche inhaltliche Parallelen zwischen Typik und Schematismus nicht zu bersehen. So behlt Kant die Erklrung der Urteilskraft bei, wonach sie das Vermçgen ist, besondere Flle unter allgemeine Regeln zu subsumieren.110 Außerdem liegt die Schwierigkeit, mit der sich Typik und Schematismus gleichermaßen konfrontiert sehen, in einer Heterogenitt des zu Subsumierenden; nur deshalb nmlich bençtigt die Urteilskraft den Typus bzw. die Schemata als etwas, was vermittelt.111 Und schließlich darf der Typus ebenso wenig wie ein Schema aus der Erfahrung abgeleitet, sondern muss eine Regel a priori sein.112 Fr uns sind allerdings andere Berhrungspunkte zwischen Typik und Schematismus relevant. Erstens ist der Typus ein Kanon fr die praktische Urteilskraft, wie das Schema ein Kanon ist fr die theoretische Urteilskraft. Unter einem Kanon versteht Kant ganz allgemein den „Inbegriff der Grundstze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermçgen berhaupt“ (KrV A 796/B 824). Auch die praktische Urteilskraft ist ein solches Gemtsvermçgen; und auch sie kann richtig oder falsch gebraucht werden. Doch das, was gewhrleistet, dass ihre Resultate gegebenenfalls korrigiert werden kçnnen, ist nur eines, es gibt hier lediglich einen einzigen Grundsatz a priori: den Typus. Er allein ist es, der Verfehlungen der Urteilskraft abwenden und ihr einen sicheren Gang verschaffen kann. Wie die Schemata die Operationen der theoretischen Urteilskraft leiten, so gibt der Typus den Handlungen der praktischen Urteilskraft Fhrung.113 110 111 112 113

Vgl. KpV A 119. Vgl. KpV A 122; KrV A 138 f./B 177 f. Vgl. KpV A 124 und 125; KrV A 138/B 177, A 138/B 177 f. So spricht Kant in der Grundlegung gelegentlich der Beschreibung des sittlichen Testverfahrens von einem „Kanon der moralischen Beurteilung derselben [einer Maxime unserer Handlung; d. Verf.]“ (GMS A/B 57), womit dort noch das Sittengesetz gemeint ist.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

Wenn es den Tatsachen entspricht, dass die Aufgabe der reinen praktischen Urteilskraft, wie ich annehme, in der Beurteilung der Sittlichkeit von Willensbestimmungen besteht, dann erscheinen die zahllosen Textstellen der Kritik in einem neuen Licht, an denen Kant beteuert, dass „die Stimme der Vernunft in Beziehung auf den Willen so deutlich“ (KpV A 62) sei, dass gar kein Zweifel aufkommen kçnne, wie es jeweils um die Sittlichkeit meines Wollens bestellt ist. Desgleichen im vorliegenden Kapitel, wo es unter anderem heißt: „So urteilt selbst der gemeinste Verstand“ (KpV A 123).114 Denn Kant glaubt ja nicht nur, denjenigen Grundsatz explizit gemacht zu haben, nach dem sich die allgemeine Menschenvernunft im moralischen Testverfahren immer schon implizit richtet. Er glaubt vor allem, dass die Anwendung dieses Grundsatzes zuverlssig ist und untrgliche Ergebnisse hervorbringt. Sogar ohne Unterweisung lasse er sich „ganz leicht und ohne Bedenken“ (KpV A 64) von jedermann handhaben. Und es ist der Typus, dem sich diese Einfachheit und Gewissheit verdankt. Er gehçrt demnach mit zum innersten Kern von Kants Moralphilosophie.115 Zweitens ist der Typus der reinen praktischen Urteilskraft nicht nur ein Kanon, er fhrt auch zu einem solchen, nmlich – analog dem Kanon der transzendentalen Verstandesgrundstze – zum Kanon der reinen praktischen Vernunft. Auf diesen ist seit der ersten Kritik das Bestreben von Kants praktischer Philosophie gerichtet: „wenn es berall“, so hatte Kant dort in Aussicht gestellt, „einen richtigen Gebrauch der reinen Vernunft gibt, in welchem Fall es auch einen Kanon derselben geben muß, so wird dieser nicht den spekulativen, sondern den praktischen Vernunftgebrauch betreffen“ (KrV A 796 f./B 824 f.). Der Kanon der reinen praktischen Ver114 Vgl. KpV A 49, 56, 63 und 164 f. 115 Wenn der Sittlichkeitstest tatschlich das Thema der Typik ist, hat das die folgenschwere Konsequenz, dass es nicht das Sittengesetz ist, das als Testkriterium figuriert. Fr die Grundlegung mag das noch zutreffen, dort geht Kant in der Tat noch davon aus, dass es das Sittengesetz ist, mittels dessen das moralische berprfungsprozedere durchgefhrt wird. In der Kritik allerdings tritt an diese Stelle ein spezielles Prinzip und ein eigenes Gemtsvermçgen: der Typus der reinen praktischen Urteilskraft. Und dem ist eine neue Wissenschaft gewidmet: die Typik. Das hat in der Literatur bislang noch nicht den nçtigen Widerhall gefunden. Vgl. Hçffe, Otfried: Kants kategorischer Imperativ als Kriterium des Sittlichen, a.a.O.; Hoerster, Norbert: Kants kategorischer Imperativ als Test unserer sittlichen Pflichten, in: Riedel, Manfred (Hg.): Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Bd. II: Rezeption, Argumentation, Diskussion, Freiburg 1974, S. 455 f.; Schnoor, Christian: Kants Kategorischer Imperativ als Kriterium der Richtigkeit des Handelns, Tbingen 1989.

3. Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft

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nunft ist der Inbegriff aller moralischen Gesetze, das heißt aller Willenshaltungen, die der „Quantitt“ (KpV A 117) nach die kategoriale Form des Gesetzes aufweisen und mit strenger Allgemeinheit fr alle Vernunftsubjekte gelten.116 Da diese Willensbestimmungen ebenfalls unter dem Gesichtspunkt ihrer „Modalitt“ (ebd.) kategorial spezifiziert sind, befasst der Kanon im Ganzen alles sittlich „Erlaubte und Unerlaubte“, alle „Pflicht und das Pflichtwidrige“ sowie alle „vollkommene[n] und unvollkommene[n] Pflicht[en]“ (ebd.). Er ist das Gesetzbuch des Sittlichen, der Kodex der Moral aus reiner Vernunft. Alles, was man aus einer Neigung heraus begehrt, kann daraufhin abgeglichen werden, wie es im Kanon kodifiziert ist. Der Kanon bildet insofern die Richtschnur oder Norm des richtigen Gebrauchs unseres praktischen Vermçgens. Denn die Bestimmungen des empirischen Willens verwirft er entweder gnzlich, oder er schrnkt sie auf die Zusammenstimmung mit moralischen Gesetzen ein.117 Der Interpretation von Annemarie Pieper zufolge ist das Problem, das Kants Typus-Theorie zugrunde liegt, das „Problem der Seins-SollensDifferenz“118. Pieper meint, dass die reine praktische Urteilskraft dadurch auf den Plan gerufen werde, dass „zwei vçllig unterschiedliche Regelsysteme einander gegenberstehen und passend gemacht werden mssen“119. Diese beiden Regelsysteme seien die Kausalitt der Natur (= Sein) und die Kausalitt aus Freiheit (= Sollen). Die Frage sei daher, wie „eine unbedingte Sollensforderung (das Postulat der Freiheit) auf etwas angewendet werden“ kçnne, das „zu den Begebenheiten in der Welt der Erscheinungen gehçrt, ber die das Sittengesetz keine Macht hat, da sie der Notwendigkeit von Naturgesetzen unterstehen“120. hnlich auch Lewis W. Beck. Er sieht die zu lçsende Schwierigkeit gleichfalls darin, wie „die Kluft zwischen dem, was sein soll, und dem, was ist, berbrckt werden“121 kçnne. Ließe sich diese Frage nicht beantworten, so bliebe laut Beck „die Unterscheidung zwischen Sein und Sollen, Tatsachen und Normen, Normativitt und Faktizitt, der Kant so großes Gewicht beimißt, ein unberwindbarer Graben“122. 116 Vgl. Kvist, Hans-Olof: Zum Verhltnis von Wissen und Glauben in der kritischen Philosophie Immanuel Kants. Struktur- und Aufbauprobleme dieses Verhltnisses in der Kritik der reinen Vernunft, Slottsgatan 1978, S. 85. 117 Vgl. KpV A 129 f. 118 Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 124. 119 Ebd., S. 125. 120 Ebd. 121 Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 153. 122 Ebd.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

Dieser Deutung steht jedoch der zweite Absatz des Kapitels entgegen. Kant stellt dort fest: „Es ist bei der Subsumtion einer mir in der Sinnenwelt mçglichen Handlung unter einem reinen praktischen Gesetze nicht um die Mçglichkeit der Handlung, als einer Begebenheit in der Sinnenwelt, zu tun“ (KpV A 121). Diese Mçglichkeit auszuloten, ist nicht Sache der reinen praktischen Urteilskraft. Sie befasst sich nicht damit, ob der Gegenstand des sittlichen Willens „in der Sinnenwelt“ realisiert werden kann. Nicht der „physische[n] Mçglichkeit“ einer Handlung sprt sie nach, sondern deren „moralische[r] Mçglichkeit“ (KpV A 101), wie Kant sich ausdrckt. Sie interessiert sich dafr, ob eine Bestimmung des Willens „sittlich-unmçglich“ (KpV A 123) ist oder nicht.123 Mit der (unpassenden) Sprache der Sein/Sollen-Differenz formuliert, fragt die reine praktische Urteilskraft nicht danach, ob man in der Natur tun kann, was man aus Freiheit tun soll, sondern danach, was man berhaupt tun soll. Wenn wir durch Bettigung der Urteilskraft unseren so oder so gebildeten Willen einer moralischen Revision unterziehen, stellen wir keine Vermittlung von Sein und Sollen her, sondern wir untersuchen, was die Inhalte des Sollens sind.124 Nimmt man den Vergleich ernst, den Kant zwischen einem Schema der theoretischen und dem Typus der praktischen Urteilskraft anstrengt, empfiehlt sich eine andere Interpretation. Eine wichtige Parallele zwischen Schematismus und Typik, die nicht außer Acht gelassen werden darf, ist, dass sie ihren Platz jeweils direkt im Anschluss an die Kategorienlehre haben und auf ihr aufbauen. Diese Komposition behlt die Kritik der praktischen Vernunft bei. Wie auf die Wissenschaft von den Kategorien der Natur die Doktrin der reinen theoretischen Urteilskraft folgt, so folgt auf die Wissenschaft von den Kategorien der Freiheit die Doktrin der reinen praktischen Urteilskraft. Das legt die Annahme nahe, dass fr die Typik nicht minder gilt, was Kant ber den Schematismus geußert hat: dass sie 123 Vgl. MSR A/B 19. 124 Dagegen wird die von Pieper und Beck angerissene Problematik erst von der Kritik der Urteilskraft angegangen, wo eine „Lcke im System unserer Erkenntnisvermçgen“ (AA XX 244) geschlossen bzw. eine „unbersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem bersinnlichen“ (KU A/B XIX) berbrckt werden soll. Hier erst will Kant sicherstellen, dass „die Natur […] so gedacht werden kçnne, daß die Gesetzmßigkeit ihrer Form nach wenigstens zur Mçglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme“ (KU A/B XIX f.). Vgl. Allison, Henry: Kant’s Theory of Taste, a.a.O., S. 195 – 218; Bek, Michael: Die Vermittlungsleistung der reflektierenden Urteilskraft, in: Kant-Studien 92 (2001), S. 296 – 327; Dsing, Klaus: Die Teleologie in Kants Weltbegriff, Bonn 1968, S. 102 ff.

3. Die Kategorien der Freiheit und die Typik der reinen praktischen Urteilskraft

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die Bedingungen des richtigen Gebrauchs der Kategorien namhaft macht. Die Lehre von der reinen praktischen Urteilskraft gibt mit dem so genannten Typus die Bedingung des richtigen Gebrauchs der Freiheitskategorien an, genauer gesagt der sittlichen Freiheitskategorien, der Kategorien des sittlichen Willens. Die Kategorien des sittlichen Willens finden ihre korrekte Anwendung nirgendwo anders als im moralischen Prfverfahren (was oben als die erste Stufe eines insgesamt zweistufigen Erkenntnisprogramms identifiziert wurde). Die Kategorien werden genau dann nach einer sicheren und verlsslichen Regel gebraucht, wenn eine Bestimmung des Willens gezielt auf ihre Sittlichkeit hin getestet wird. Alsdann nmlich erkennt die reine praktische Urteilskraft, und zwar nach Maßgabe des Typus, durch welche sittlichen Kategorien die jeweilige Willenshaltung angemessen zu spezifizieren ist; sie ordnet dem Inhalt des sinnlich unbedingten Willens die ihm gebhrenden sittlichen Formen zu.125 Und sie arbeitet auf diese Weise am Kanon der reinen praktischen Vernunft. Die Urteilskraft, indem sie den Willen jener „Probe“ (KpV A 123) unterzieht, rekonstruiert, was fr alle praktischen Vernunftsubjekte immer schon und ohnehin gilt. Allerdings ist es nicht in der Kritik, dass Kant diesen Kanon darlegt, hier gibt er wie in der Grundlegung nur dessen oberstes Prinzip an, das Sittengesetz. Erst die Metaphysik der Sitten entfaltet die Anfangsgrnde aller Pflichten und gibt damit einen Teil des besagten Kanons wieder. Der Zusammenhang zwischen den sittlichen Freiheitskategorien und dem Typus der reinen praktischen Urteilskraft ist aber noch konkreter zu fassen. Dagegen ist hier nicht der passende Ort, den Typus und seine Verwendung en dtail auszuarbeiten. Worin dieser sein Eigenes und spezifisch Auszeichnendes hat, wie der Sittlichkeitstest im Einzelnen funktioniert und auf welche Weise genau der Typus darin seine kriterielle Funktion erfllt – all diese an sich berechtigten Fragen fhren zu weit ber unseren Problemhorizont hinaus, in dessen Zentrum die Kategorien der Freiheit stehen.126 125 Vgl. KpV A 123. 126 Es wre einer eigenstndigen Untersuchung wert, dem Textbefund Rechnung zu tragen, dass Kant die Ttigkeit der reinen praktischen Urteilskraft darin sieht, „in der Sinnenwelt mçgliche Handlung[en]“ (KpV A 121) unter die sittlichen Freiheitskategorien zu subsumieren; dass er den Typus als das dazu nçtige vermittelnde Dritte und als die „Form der Gesetzmßigkeit berhaupt“ (KpV A 124) bestimmt; und dass er den Unterscheid zwischen der „Natur der Sinnenwelt“ und einer „intelligiblen Natur“ (KpV A 124) heranzieht. Diese Momente mssen in die Beschreibung des Sittlichkeitstests eingehen.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

Die bisherigen Ausfhrungen haben bereits durchscheinen lassen, dass man der reinen praktischen Urteilskraft eine falsche Aufgabenstellung unterschiebt, wenn man davon ausgeht, dass sie die Gesetzestauglichkeit einer Willensgesinnung testet; oder dass sie ber deren Verallgemeinerbarkeit entscheidet.127 Als ob sich manche Bestimmungen des Willens verallgemeinern lassen und sich zum Gesetz eignen, andere aber nicht! Die moralische Kontrollmethode nimmt nicht nur eine einzige sittliche Kategorie in Anspruch, nmlich die quantitative Kategorie des Gesetzes, sondern auch und in der Hauptsache die Kategorien im Quadranten der Modalitt. Der Kanon der reinen praktischen Vernunft enthlt zwar durchweg praktische Gesetze, diese aber sind modal hçchst unterschiedlich spezifiziert. Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten fhrt das schçn vor Augen. Kant exerziert dort den Sittlichkeitstest an mehreren Stellen vor. Am Ende des „Ersten Abschnitts“ gibt er die Frage aus: „[D]arf ich, wenn ich im Gedrnge bin, nicht ein Versprechen tun, in der Absicht, es nicht zu halten?“ (GMS A/B 18) Um diese Aufgabe zu lçsen, beginnt Kant zwar damit, die entsprechende Willensbestimmung zu verallgemeinern: „[S]o frage ich mich selbst: wrde ich wohl damit zufrieden sein, daß meine Maxime […] als ein allgemeines Gesetz (sowohl fr mich als andere) gelten solle“ (ebd.). In einem ersten Schritt rekurriert der Test also auf die Kategorie des Gesetzes. Damit hat es aber nicht sein Bewenden. Denn Kant beendet sein Beispiel mit der aufschlussreichen Feststellung, dass die allgemeine Menschenvernunft in allen Fllen sehr gut Bescheid wisse, „zu unterscheiden, was gut, was bçse, pflichtmßig, oder pflichtwidrig sei“ (GMS A/B 20 f.). Demnach greift die Testprozedur in einem zweiten Schritt auf Modalkategorien zurck. Namentlich fhrt Kant das Pflicht127 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 154 f.; Cramer, Konrad: ,Depositum‘. Zur logischen Struktur eines kantischen Beispiels fr moralisches Argumentieren, in: Gerhardt, Volker/Horstmann, Rolf-Perter/Schumacher, Ralph (Hg.): Kant und die Berliner Aufklrung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses, Bd. 1, Berlin/New York 2001, S. 119; Hoerster, Norbert: Kants kategorischer Imperativ als Test unserer sittlichen Pflichten, in: Riedel, Manfred (Hg.): Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Freiburg 1974, S. 455 f.; Hçffe, Otfried: Die Form der Maximen als Bestimmungsgrund (§§4 – 6, 27 – 30), in: Ders. (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 70; Recki, Birgit: sthetik der Sitten: die Affinitt von sthetischem Gefhl und praktischer Vernunft bei Kant, Frankfurt a. M. 2001, S. 123; Schnoor, Christian: Kants Kategorischer Imperativ als Kriterium der Richtigkeit des Handelns, a.a.O., S. 110 – 123; Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft. Handlungstheorie und Moralbegrndung bei Kant, Stuttgart/Weimar 1992, S. 202 ff.

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widrige und das Pflichtmßige an, also das zweite modale Kategorienpaar der Tafel.128 Die nchste Textstelle liegt im „Zweiten Abschnitt“. Hier klassifiziert Kant Pflichten „nach der gewçhnlichen Einteilung derselben“ (GMS A/B 52) und unterscheidet „Pflichten gegen uns und gegen andere Menschen“ sowie „vollkommene und unvollkommene Pflichten“ (GMS A/B 52 f.). Ein Blick auf die Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft offenbart, dass es sich hierbei ein weiteres Mal um Kategorien der Freiheit handelt; vollkommene Pflicht und unvollkommene Pflicht machen das dritte modale Kategorienpaar aus. Augenscheinlich muss das moralische Prfungsverfahren immer auch ermitteln, ob es sich bei einer Pflicht um eine vollkommene oder um eine unvollkommene Pflicht handelt. Kant gibt dafr Beispiele. Beachtenswert ist dabei, dass es sich um exakt dieselben Beispiele handelt, die unverndert auch im Kapitel ber die Typik begegnen: „zu betrgen“, „sich das Leben abzukrzen, so bald [einen] ein vçlliger berdruß desselben befllt“ und „anderer Not mit vçlliger Gleichgltigkeit“ (KpV A 123) anzusehen. Man kann das als einen weiteren Anhaltspunkt dafr werten, dass die Typik sich in der Tat mit dem Sittlichkeitstest auseinander setzt.129 Dessen Obliegenheit erklrt Kant alsdann dahin gehend, dass er festzustellen habe, „ob die Maxime seiner Handlung wohl ein allgemeines Naturgesetz werden“ (GMS A/B 53) bzw. ob sie „als allgemeines Naturgesetz gelten“ (GMS A/B 54) kçnne. Doch das ist zu kurz gedacht. Zwar verrt diese Aufgabenstellung eine gewisse Nhe zum Typus der Kritik, fr dessen Erklrung Kant erneut den Begriff des Naturgesetzes heranzieht.130 Allerdings ist sie zu unbestimmt, eigentlich sogar irrefhrend. Denn sie suggeriert, dass es bei der Antwort nur darum geht, ob mein Wollen als (Natur-)Gesetz mçglich ist oder nicht. Fertig. Allerdings reformuliert Kant mehrmals, und das unter Zuhilfenahme von Kategorien, die allesamt zur Gruppe der Modalitt gehçren. Danach ist eigentlich zu fragen, ob eine gegebene Willensbestimmung „nicht etwa der Pflicht […] zuwider sei“ (GMS A/B 53), ob sie „nicht unerlaubt und pflichtwidrig sei“ (GMS A/B 128 In der Kategorientafel der Kritik steht anstelle des Pflichtmßigen kurz „Pflicht“ (KpV A 117). 129 Vgl. GMS A/B 53 ff. und 67 ff. In der Grundlegung sind es allerdings vier Maximen. Die vierte Maxime, die eigenen „Naturanlagen“ (GMS A/B 55) zu vervollkommnen, fehlt in der Kritik. 130 So schreibt Kant beispielsweise: „Wenn die Maxime der Handlung nicht so beschaffen ist, daß sie an der Form eines Naturgesetzes berhaupt die Probe hlt, so ist sie sittlich-unmçglich.“ (KpV A 123)

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

54) bzw. ob sie „mit dem, was man Pflicht nennt, bereinstimme“ (GMS A/B 55). Nimmt man Kant beim Wort, besteht das Resultat des Tests nicht in einem einfachen Ja oder Nein. Vielmehr ist die betreffende Willensbestimmung, die hinsichtlich ihrer Quantitt zum Gesetz verallgemeinert wurde, gerade bezglich ihrer Modalitt zu spezifizieren. Und dazu gehçrt nicht zuletzt das erste modale Kategorienpaar, also erlaubt und unerlaubt. Ziehen wir daraus unsere Schlsse. Aufgabe der reinen praktischen Urteilskraft kann es nach alledem nicht sein, Bestimmungen des Willens auf ihre Gesetzestauglichkeit oder Verallgemeinerungsfhigkeit hin zu kontrollieren. Sie stellt keine simple Entweder/Oder-Frage. Der Zusammenhang zwischen den sittlichen Freiheitskategorien und dem Typus der reinen praktischen Urteilskraft ist ungleich komplexer. Das moralische berprfungsverfahren untersucht nicht, ob ein Objekt des Willens mit der quantitativen Form des Gesetzes vereinbar ist; denn das ist immer der Fall. Die Frage ist stattdessen, was fr ein Gesetz das ist, das heißt welche modale Formbestimmung der Wille besitzt: Ist der Inhalt des Wollens etwas Erlaubtes oder Unerlaubtes, eine Pflicht oder Pflichtwidrigkeit, eine vollkommene oder unvollkommene Pflicht? Und gleichgltig, wie das Ergebnis jeweils ausfllt, in allen Fllen handelt es sich um ein Gesetz, das als solches fr alle Vernunftsubjekte gilt. Was erlaubt ist, das ist fr jedermann erlaubt, was Pflicht ist, das ist fr alle Pflicht usw. Anders gesagt, es gibt keine Bestimmung des Willens, die als Gesetz prinzipiell nicht im Kanon der reinen praktischen Vernunft verzeichnet sein kçnnte. Die Funktion der reinen praktischen Urteilskraft jedoch ist es zu diagnostizieren, durch welche sittliche Modalkategorie sie dort spezifiziert ist.131 Die Typik der reinen praktischen Urteilskraft kann folglich nicht vor, sondern allererst im Anschluss an die Kategorienthematik ausgearbeitet werden. Die kompositorische Reihenfolge, die Kant hierbei whlt, ist keineswegs arbitrr. Denn der Sittlichkeitstest, dem Bestimmungen des Willens unterworfen werden, setzt smtliche sittlichen Formen voraus, die der Wille berhaupt nur annehmen kann. Die Tafel der Kategorien der Freiheit bahnt gleichsam den Weg, den der Test abzuschreiten hat. Indem

131 Fr detaillierte Untersuchungen, die das bercksichtigen, vgl. Ebert, Theodor: Kants kategorischer Imperativ und die Kriterien gebotener, verbotener und freigestellter Handlungen, in: Kant-Studien 67 (1976), S. 570 – 583; Hçffe, Otfried: Kants kategorischer Imperativ als Kriterium des Sittlichen, a.a.O., S. 354 – 384; Kersting, Wolfgang: Der kategorische Imperativ, die vollkommenen und die unvollkommenen Pflichten, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 37 (1983), S. 404 – 421.

4. Der bergang von den Begriffen des Guten und Bçsen

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sie die „Fcher“132 bereitstellt, in die eine zur Prfung anstehende Willensgesinnung einzuordnen ist, gibt die Tafel vor, woraufhin der Wille genau zu prfen ist. Erst dann, wenn alle kategorialen Formen des Wollens von Objekten bekannt sind, kann man der Frage nachgehen, welche sittlichen Formen das Wollen eines bestimmten Objekts hat. Kurz, die sittlichen Kategorien haben neben ihrer zentralen determinativen Funktion, die Bestimmung des reinen Willens zu kanalisieren, nicht nur eine dijudikative Funktion, nmlich die Bewertung von dessen Gegenstnden als gut oder bçse, sondern auch eine experimentelle Funktion; sie wirken am moralischen berprfungsverfahren mit, das strittige oder sonst wie auffllig gewordene Bestimmungen des Willens zu durchlaufen haben.

4. Der bergang von den Begriffen des Guten und Bçsen zu den Kategorien der Freiheit (KpV A 114 f.) Wenden wir uns derjenigen Passage in der Kritik der praktischen Vernunft zu, wo Kant die Analyse der Begriffe des Guten und Bçsen bergehen lsst in die Analyse der Kategorien der Freiheit. Das ist der dreizehnte Absatz des Kapitels „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpVA 100). Zwar ist in diesem Absatz, der aus lediglich zwei, jedoch ußerst verschachtelten Stzen besteht, zu keiner Zeit von Freiheitskategorien, Kategorien der praktischen Vernunft oder dergleichen die Rede. Tatschlich begegnet die Wendung „Kategorien der Freiheit“ erst kurz darauf. Allerdings wird sie dann rckbezglich gebraucht; Kant beginnt den vierzehnten Absatz mit den Worten: „Diese Kategorien der Freiheit […]“ (KpV A 115). Offenkundig nimmt hier nur seine Fortsetzung, was zuvor bereits begonnen wurde. Anderes wre das Pronomen „diese“ gar nicht zu verstehen. Unsere Frage soll es daher sein, wie genau Kant von der ersten in die zweite Partie der Begriffsanalytik berleitet. Wie genau fhrt er in die Kategorienthematik ein? Eine detaillierte Satz-fr-Satz-Interpretation ist dabei ratsam. Der vorliegende Absatz lsst sich zur besseren Bearbeitung in fnf Sinneinheiten zerlegen. Die erste lautet: 132 So nennt Kant in der Kritik der reinen Vernunft die Titel der vier Kategorienquadranten, unter denen jeweils drei Kategorien versammelt sind (vgl. KrV A83/B 109). An spterer Stelle spricht er diesbezglich von einem „logischen Ort“ (KrV A268/B 324).

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

(i) „Da nun die Begriffe des Guten und Bçsen, als Folgen der Willensbestimmung a priori, auch ein reines praktisches Prinzip, mithin eine Kausalitt der reinen Vernunft voraussetzen: so beziehen sie sich, ursprnglich, nicht (etwa als Bestimmungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen in einem Bewußtsein) auf Objekte, wie die reinen Verstandesbegriffe, oder Kategorien der theoretisch-gebrauchten Vernunft, […]“ (KpV A 114).

Dieses Satzfragment enthlt etwas Bekanntes und etwas Neues. Schon bekannt ist, was Kant einleitend ber die Begriffe des Guten und Bçsen bemerkt. Er rekapituliert, dass sie „Folgen der Willenbestimmung a priori“ sind und dass sie als solche ein „reines praktisches Prinzip […] voraussetzen“, nmlich „eine Kausalitt der reinen Vernunft“. Die Begriffe des Guten und Bçsen, so wissen wir, hngen mit Willenbestimmungen a priori, das heißt mit praktischen Gesetzen, und mit der Kausalitt der reinen Vernunft, will sagen der Kausalitt aus Freiheit, zusammen. Wenn nmlich die Vernunft den Willen unter der intelligiblen Bedingung transzendentaler Freiheit festlegt, dann hat der Wille die kategoriale Form des Gesetzes; und es ist dieser gesetzeshafte Wille, welcher aufgrund seiner kategorialen Formeigenschaften sodann die Beurteilung seines eigenen Gegenstandes als gut oder bçse gestattet. Das Bedingungsgeflle verluft mithin vom Begriff absoluter Freiheit ber die sittliche Kategorie des Gesetzes hin zu den Begriffen des Guten und Bçsen.133 Das Neue des Satzfragmentes besteht demgegenber in einem Vergleich, den Kant anstrengt. Er bringt die Begriffe des Guten und Bçsen in eine direkte Gegenberstellung mit den „Kategorien der theoretisch-gebrauchten Vernunft“. Diese Kategorien charakterisiert Kant nherhin als die „Bestimmungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen in einem Bewußtsein“. Und er sagt von ihnen, dass sie sich „ursprnglich“ auf Objekte beziehen. Damit ist in nuce eines der großen, vielleicht sogar das zentrale Ergebnis der ersten Kritik aufgerufen: dass die Naturkategorien die konstitutiven Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung von Gegenstnden berhaupt sind.134 Ganz anders die Begriffe des Guten und Bçsen; sie sind zwar genauso wenig der Erfahrung entlehnt, jedoch haben sie keinen direkten Bezug auf Erscheinungen in Raum und Zeit. Mit ihnen wird der Bereich mçglicher Erfahrung vielmehr verlassen.135 Denn die Urteile, in denen etwas als gut oder bçse ausgezeichnet wird, 133 Siehe oben S. 51 f. 134 Vgl. KrV A 79 f./105 f., B 165 f. und A 158/B 197. 135 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 127 und 138.

4. Der bergang von den Begriffen des Guten und Bçsen

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sttzen sich nicht auf Anschauungen, sondern auf moralische Gesetze und deren Geltungsgrund, den reinen Gedanken der Freiheit. Mit anderen Worten fllt der Vergleich negativ aus: Die Begriffe des Guten und Bçsen haben fr unser praktisches Vernunftvermçgen und dessen Objektivitt keine den Kategorien der Natur analoge Konstitutionsfunktion. (ii) „[…], sie [die Begriffe des Guten und Bçsen] setzen diese [Objekte] vielmehr als gegeben voraus […]“ (KpV A 114).

Wenn nicht die Begriffe des Guten und Bçsen, welche dann? Welche Begriffe bilden im Bereich des Praktischen das Pendant zu dem, was die Naturkategorien im Bereich des Theoretischen sind? Diese Frage ist das Leitmotiv des ganzen restlichen Absatzes. Sie kndigt sich in Kants Feststellung an, wonach die Begriffe des Guten und Bçsen ihre Gegenstnde „als gegeben“ voraussetzen kçnnen. Denn das bedeutet, dass die Objekte des Willens, welche als gut oder bçse bewertet werden kçnnen, vor und unabhngig von dieser Bewertung bereits als Objekte des Willens etabliert sein mssen. Und die Vermutung liegt nahe, was sich im letzten Satzfragment auch besttigen wird, dass es die Kategorien der Freiheit sind, welche dies leisten. Die berlegung ist die: Weil sich die Begriffe des Guten und Bçsen auf Gegenstnde desjenigen Willens beziehen, der die Form des Gesetzes hat, und weil diese Form nichts anderes ist als die sittliche Kategorie des Gesetzes, deshalb muss man schlussfolgern, dass es eben diese Kategorie und damit smtliche Kategorien des reinen Willens sind, welche den Begriffen des Guten und Bçsen ihre Gegenstnde vorsetzen. Die Kategorien der reinen praktischen Vernunft, so muss man Kant verstehen, legen fest, wie ein Objekt des sittlichen Willens konstituiert zu werden vermag. Von hier aus wird man dann aber verallgemeinern drfen, das Gleiche muss mutatis mutandis auch auf alle anderen Kategorien zutreffen. Zur Erinnerung, in unserer Beschftigung sowohl mit einigen von Kants Bemerkungen vor und nach der Tafel, insbesondere zum ber- bzw. Fortgang, der sich innerhalb der Tafel ereignen soll, als auch mit der Tafel selber hat sich abgezeichnet, dass nicht nur mit Kategorien des reinen Willens zu rechnen ist, sondern dass daneben vermutlich auch solche des empirischen Willens anzusetzen sind und vielleicht sogar auch so etwas wie Kategorien des Willens berhaupt, das heißt Kategorien, die gegenber dem Bestimmungsgrund des Willens, mag es sich um den Gedanken der Freiheit handeln oder um ein Gefhl der Lust und Unlust, gleichgltig sind.136 Wie auch immer man diese etwaige Dreiteilung des Kategorienspektrums zu 136 Siehe oben S. 35 ff.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

verstehen haben mag, muss doch fr smtliche Kategorien dieselbe Analogie gelten, die Kant, wie wir im fnften Satzfragment sehen werden, bemht. Alle Freiheitskategorien befinden sich als Kategorien auf Augenhçhe mit den Kategorien der Natur und besitzen denselben Status: Sie erbringen eine entsprechende Konstitutionsleistung. Sie stehen in einer vergleichbaren Beziehung auf Objekte, einer Beziehung, die ebenfalls „ursprnglich“ zu nennen ist. Jedoch sind die Gegenstnde nicht solche der Anschauung, sondern die des Begehrungsvermçgens. Geradeheraus gesagt: Die Kategorien der Freiheit sind die konstitutiven Bedingungen der Mçglichkeit des Wollens von Objekten. Sie geben vor, wie etwas berhaupt nur als Gegenstand des Willens begrndet werden kann.137 (iii) „[…] sondern sie [die Begriffe des Guten und Bçsen] sind insgesamt Modi einer einzigen Kategorie, nmlich der der Kausalitt, so fern der Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben besteht, welches, als Gesetz der Freiheit, die Vernunft sich selbst gibt und dadurch sich a priori als praktisch beweiset.“ (KpV A 114)

Mit diesem Satzfragment endet der erste der insgesamt zwei Stze, aus denen sich der dreizehnte Absatz aufbaut. Es enthlt die oft missverstandene Formulierung: „sie sind insgesamt Modi einer einzigen Kategorie“. Und zwar missverstanden schlicht aus grammatikalischen Grnden. Diese Wendung kann nmlich nicht so gelesen werden, als wrde Kant hier ex abrupto auf die Freiheitskategorien referieren und nicht mehr wie bisher auf die Begriffe des Guten und Bçsen.138 Lewis W. Beck deutet die Textstelle sogar in beide Richtungen, wonach hier sowohl von den einen als auch von den anderen die Rede sei.139 Doch diese Lesart geht am Text vorbei. Die Kategorien der Freiheit haben bis zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Erwhnung gefunden, weder explizit noch implizit. Der grammatische Zusammenhang gestattet lediglich eine, aber eindeutige Zuordnung. Das allein infrage kommende Satzsubjekt, auf welches sich das Personalpronomen „sie“ beziehen kann, sind nach wie vor „die Begriffe des Guten und Bçsen“. Diese, 137 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 197 f.; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 136; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 52. 138 Vgl. Fulda, Hans F.: Notwendigkeit des Rechts unter Voraussetzung des Kategorischen Imperativs der Sittlichkeit, a.a.O., S. 199; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 27; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 600; Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O., S. 25. 139 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 134 f. und 142 f.

4. Der bergang von den Begriffen des Guten und Bçsen

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und keinesfalls die Freiheitskategorien, bezeichnet Kant als Modi einer einzigen Kategorie.140 In Wirklichkeit behauptet Kant hier etwas ber die Beziehung der Begriffe des Guten und Bçsen zum Objekt des freien Willens. Er gibt dieser Beziehung mithilfe des Terminus ,Modus‘ lediglich einen eigenen sprachlichen Ausdruck. Denn Kant macht ja nicht nur deutlich, auf welche Kategorie er abstellt; die Begriffe des Guten und Bçsen sind Modi der Kategorie der „Kausalitt“. Sondern er przisiert: „so fern der Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben besteht, welches, als Gesetz der Freiheit, die Vernunft sich selbst gibt“. Das ist nichts anderes als die Kausalitt aus Freiheit (causalitas originaria). Wenn die Vernunft den Willen unter der Bedingung transzendentaler Freiheit bestimmt, dann ist das Verhltnis zwischen dem Bestimmungsgrund des Willens und seiner Bestimmung, wie Kant bereits in der Kritik der reinen Vernunft formuliert, von der Art der Freiheitskausalitt. Die Begriffe des Guten und Bçsen kçnnen daher als Modi einer einzigen Kategorie apostrophiert werden, weil sie die beiden Werte darstellen, die einem Gegenstand des freien Willens zugemessen werden kçnnen. (iv) „Da indessen die Handlungen einerseits zwar unter einem Gesetze [stehen]141, das kein Naturgesetz, sondern ein Gesetz der Freiheit ist, folglich zu dem Verhalten intelligibeler Wesen, andererseits aber doch auch, als Begebenheiten in der Sinnenwelt, zu den Erscheinungen gehçren, so werden die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien des Verstandes gemß […] Statt haben kçnnen.“ (KpV A 114 f.)

Das menschliche Begehrungsvermçgen ist nicht beliebig bestimmbar. Es gibt Bedingungen, denen alle Objekte des Willens als solche je schon gengen. Einmal, von Kant hier nicht genannt und an dieser Stelle auch nicht weiter interessant, Bedingungen der formalen Logik. Die Vernunft kann das Begehrungsvermçgen nicht durch die Vorstellung eines solchen Gegenstandes festlegen, den zu denken allein schon formal-logisch unmçglich ist. So kann man beispielsweise nicht beabsichtigen, einen viereckigen Kreis zu zeichnen. Die formale Logik ist nicht nur eine Voraussetzung der Erfahrung von Objekten, der „negative Probierstein der Wahrheit“ (KrV A 60/B 84), 140 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 195; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 41. Siehe bereits Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 596; Michaelis, Christian F.: Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 195. 141 Dieses oder ein hnliches Verb scheint mir im Originaltext der Kritik zu fehlen.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

wie es in der Kritik der reinen Vernunft heißt, sie ist genauso die Voraussetzung des Wollens von Objekten, gewissermaßen der negative Probierstein fr das, was man berhaupt nur begehren kann.142 Kants Augenmerk allerdings liegt auf etwas anderem. Es sind die „Kategorien des Verstandes“, die er als Vorbedingungen dafr namhaft macht, dass etwas Gegenstand des Willens werden kann. Die Vernunft vermag das Begehrungsvermçgen nicht durch die Vorstellung eines Objekts zu bestimmen, das aus transzendentallogischen Grnden unmçglich ist. Gegen die Kategorien der Natur findet keine Willensbildung statt.143 Das trifft ausnahmslos auf alle Gegenstnde des Willens zu, des empirischen wie des freien. Denn auch solche Handlungen, die unter einem „Gesetz der Freiheit“ stehen, gehçren „zu den Erscheinungen“. Wie alle Handlungen sind sie „Begebenheiten in der Sinnenwelt“. Wenn Kant hier von Handlungen spricht, ist das in dem engeren Sinne zu verstehen, wie wir alltagsweltlich gewohnt sind, von Handlungen zu reden: als einer Wirkung des Willens in der ußeren Welt. Man handelt, wenn man seine Absichten realisiert, wenn man durch willentlichen Einsatz seines Kçrpers etwas in Raum und Zeit tut, etwa den Arm hebt oder sich mit jemandem unterhlt. Die Vernunft, wenn sie nach Maßgabe der Freiheitskategorien den Willen zu einem Objekt bestimmt, untersteht einer zweiten Gruppe an Voraussetzungen: den Naturkategorien. Ich kann nichts wollen, was kein Gegenstand mçglicher Erfahrung ist. Unsere Alternativen zu handeln sind jederzeit umgrenzt durch das, was als Ereignis in Raum und Zeit umsetzbar ist. Die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft [kçnnen] nur in Beziehung auf die letztere, folglich […] den Kategorien des Verstandes gemß […] Statt haben“. Was die notwendigen Ermçglichungsbedingungen des Wollens von Objekten erfllt, das heißt die Kategorien der praktischen Vernunft, das erfllt eo ipso auch die notwendigen Ermçglichungsbedingungen der Erfahrung von Objekten, sprich die Kategorien der theoretischen Vernunft. Wie Kant im Anschluss an die Kategorientafel wiederholt, sind unsere „Handlungen, als Erscheinungen in der Sinnenwelt, […] auf die Kategorien ihrer Naturmçglichkeit“ (KpV A 118) bezogen. 142 Weil es ein und dieselbe Vernunft ist, die theoretisch oder praktisch gebraucht wird, gelten die Gesetze der formalen Logik, das heißt die Gesetze der Vernunft berhaupt, sowohl fr die theoretische wie fr die praktische Vernunft – wenngleich nur „in Ansehung des Formalen ihres Gebrauchs“ (KrV A 53/B 77). 143 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 135 f.; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 194 f.; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 51; Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 51.

4. Der bergang von den Begriffen des Guten und Bçsen

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Vor diesem Hintergrund gewinnt das Verhltnis, in dem die Begriffe des Guten und Bçsen zu Gegenstnden stehen, seine vollstndige Gestalt. Bislang ist gesagt worden, dass es die Objekte des reinen Willens sind, die gut oder bçse genannt werden kçnnen; und dass die sittlichen Kategorien die Formen darstellen, wie der reine Wille berhaupt nur auf Gegenstnde ausgerichtet zu werden vermag. Nun erfahren wir darber hinaus, dass diese Objekte raumzeitliche Erscheinungen sind. Das Begehrungsvermçgen ist allein durch die Vorstellung solcher Gegenstnde bestimmbar, die in Raum und Zeit realisiert werden kçnnen. Die Kategorien der Sittlichkeit bewerkstelligen folglich eine Vermittlung, sie vermitteln zwischen den Begriffen des Guten und Bçsen und den Objekten mçglicher Erfahrung. Obgleich diesen Begriffen keine eigene Anschauung korrespondiert, haben sie doch einen – nicht „ursprnglichen“, aber – mittelbaren Bezug auf die Sachverhalte und Vorgnge in der Natur. Die Differenz gut/bçse spannt innerhalb der phnomenalen Sinnenwelt eine noumenale Geltungsdimension auf, der sich nichts entziehen kann, was unseren Handlungen zugnglich ist.144 (v) „[Die Bestimmungen einer praktischen Vernunft werden] nicht in der Absicht eines theoretischen Gebrauchs desselben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen, sondern nur, um das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen, Statt haben kçnnen.“ (KpV A 115)

Auch im letzten Satzfragment ist an keiner Stelle von Kategorien die Rede, jedenfalls nicht mit ausdrcklichen Worten. Stattdessen spricht Kant wie bereits zuvor von den „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“. Doch dahinter verbergen sich recht besehen die Freiheitskategorien. Denn zum einen beginnt der nchste Absatz des Kapitels, wie schon erwhnt, mit einem Rckbezug. Er hebt mit der Wendung an: „Diese Kategorien der Freiheit […]“. Dabei kann sich das Demonstrativpronomen „diese“ nur auf die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ beziehen. Ein anderes Satzsubjekt, das kçnnen wir nun ausschließen, kommt nicht infrage – weder „die Begriffe des Guten und Bçsen“ noch die „Kategorien der theoretisch-gebrauchten Vernunft“, weder „die Handlungen“ noch die „Kategorien des Verstandes“.145 Zum anderen bringt Kant jene „Bestimmungen“ als Glied 144 Susanne Bobzien spricht von den sittlichen Kategorien als einer Art Nahtstelle zwischen noumenaler Verstandeswelt und phnomenaler Sinnenwelt. (Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 195) 145 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 137.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

eines neuen Vergleiches auf. Sie treten an die Stelle, welche vordem die Begriffe des Guten und Bçsen eingenommen haben, das heißt, sie sind es nun, die den Kategorien der Natur gegenbergestellt werden. Und das vollauf mit dem Duktus der Zustimmung, der Vergleich fllt positiv aus: Was auch immer von den „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ des Nheren zu sagen sein mag, sie besitzen eine den Naturkategorien entsprechende Funktion. Worum sonst kçnnte es sich dann aber handeln als um die Kategorien der Freiheit? Gehen wir also nunmehr davon aus, dass es die Freiheitskategorien sind, die Kant unter dem Namen „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ den Naturkategorien entgegenstellt. Was erfahren wir von ihnen? Kant beschreibt zunchst die Funktion der letzteren; sie besteht darin, „das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“. Demgegenber ist die Aufgabe der ersteren, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen“. Kant ist hier offensichtlich um gleichlaufende Formulierungen bemht, er sucht die Analogie. Die Kategorien der Freiheit sollen fr die praktische Vernunft das sein, was die Kategorien der Natur fr die theoretische Vernunft darstellen. Er versucht die einen zu profilieren, indem er sie parallel zu den anderen entwickelt, indem er also vor Augen fhrt, was sie gemeinsam haben, aber auch, wo die Unterschiede liegen. Beide Arten von Kategorien werden unter drei Gesichtspunkten aufeinander bezogen. Erstens nennt Kant jeweils eine gewisse Art von Mannigfaltigkeit, das Mannigfaltige einer sinnlichen Anschauung auf der einen Seite und das Mannigfaltige der Begehrungen auf der anderen.146 Zweitens ist diese Mannigfaltigkeit jeweils zur Einheit des Bewusstseins zu bringen. Und dies geschieht drittens durch einen intelligenten Akt, einen Akt der Synthesis. Das erwhnt Kant zwar nur im Hinblick auf die Naturkategorien explizit, 146 Bei „Begehrungen“ kann es sich wohlgemerkt nicht um so etwas wie Neigungen und Interessen handeln, wie viele Interpreten meinen. Siehe etwa Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 801. Die Kategorien der Freiheit sind Begriffe der praktischen Vernunft, sie gehen nicht auf Gefhle der Lust oder Unlust, mçgen diese empirisch sein oder a priori. Kant trennt zwischen dem Gemtsvermçgen der Anschauungen, der Gefhle und der Begehrungen. Vgl. dazu insbesondere in der Ersten Einleitung zur Kritik der Urteilskraft die Kapitel „Von dem System aller Vermçgen des menschlichen Gemts“ (AA XX 205 ff.) und „Enzyklopdische Introduktion der Kritik der Urteilskraft in das System der Kritik der reinen Vernunft“ (AA XX 241 ff.). In der verçffentlichten Einleitung siehe KU A/B XX ff. und A LI ff./B LIII ff.

4. Der bergang von den Begriffen des Guten und Bçsen

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doch fr die Freiheitskategorien wird hnliches zu gelten haben: Auch sie sind Formen der Einheit einer Synthesis von Mannigfaltigem, Bestimmungen, wie eine Mannigfaltigkeit unter die synthetische Einheit der Apperzeption zu bringen ist. Mit den Theorievokabeln Synthesis, Mannigfaltigkeit und Einheit transportiert Kant drei essenzielle Bestandteile der Kategoriendiskussion aus der Kritik der reinen Vernunft herber in die Kritik der praktischen Vernunft – ein weiterer Beleg dafr, dass es sich bei den „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ in der Tat um die Kategorien der Freiheit handeln muss.147 Sie sind die Formen derjenigen Ttigkeit des Intellekts, so wollen wir festhalten, durch welche, nicht das Mannigfaltige einer sinnlichen Anschauung, sondern das Mannigfaltige der Begehrungen in einem einheitlichen Bewusstsein verbunden wird. Nun charakterisiert Kant die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ aber des Nheren als die Bestimmungen der „im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori“. Das heißt, er fasst sie so eng, dass damit allein die Bestimmungen der reinen praktischen Vernunft gemeint sein kçnnen. Warum diese Einschrnkung? Alle brigen Freiheitskategorien wren demnach vom Vergleich mit den Kategorien der Natur ausgenommen. Oder gibt es das gar nicht, gibt es gar keine anderen Kategorien? Handelt es sich berhaupt nicht um eine Einschrnkung? Wir begegnen hier ersichtlich aufs Neue einer bereits bekannten Schwierigkeit im Umgang mit dem kantischen Text. Gibt es wahrhaftig nur Kategorien des sittlichen Willens? Dafr kçnnte die berschrift sprechen, unter die Kant das gesamte Kapitel stellt. Denn laut dieser berschrift soll es sich bei den Kategorien der Freiheit um „Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft [Herv. d. Verf.]“ (KpV A 100) handeln. Unsere berlegungen haben jedoch ergeben, dass diese Titelzeile einseitig ist. Was sie anspricht, kçnnen allein die Begriffe des Guten und des Bçsen sein.148 Auf derselben Linie liegt auch die berschrift der Kategorientafel. Danach befasst die Tafel ausschließlich „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bçsen“ (KpV A 117), und das heißt doch wohl: Kategorien des sittlichen Willens. Wir haben allerdings festgestellt, dass es sich hierbei abermals um eine unsachgemße, mindestens aber irrefhrende Vereinseitigung handeln muss. 147 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 197 f.; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 136; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 52; Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 52. 148 Siehe oben S. 40.

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I. Die Stellung der Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft

Denn zum einen widerstreitet diese Wendung klar der im Text wiederholt vorgetragenen Meinung Kants, dass in der Tafel auch noch andere Kategorien anzutreffen sind; ist doch die Rede von einem Fort- bzw. bergang innerhalb der Tafel nur verstndlich, wenn eine Differenz von mindestens zwei verschiedenen Sorten an Kategorien unterstellt wird, eine, von der aus-, und eine andere, zu der fort- oder bergegangen wird. Auf der anderen Seite ist es auch das Kategorientableau selbst, das sich gegen seine eigene berschrift strubt. Nicht alle Kategorien, die hier versammelt sind, scheinen einen ihrem Wesen innerlichen Bezug zu den Begriffen des Guten und Bçsen zu haben.149 In diese Reihe stellt sich nun auch Kants pauschale Charakterisierung der Freiheitskategorien als Bestimmungen der „im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori“. Sie verengt meines Erachtens ebenfalls die Bandbreite der Kategorienthematik, denn sie trgt weder der Realitt der Kategorientafel noch Kants Vorstellung von einem Fort- bzw. bergang innerhalb der Tafel Rechnung. Das fnfte Satzfragment bietet eine unbegrndet auf Sittlichkeit hin reduzierte Sicht, es nimmt eine Beschneidung der Vergleichsperspektive vor, die Kant zwischen den Kategorien der Freiheit und denen der Natur erçffnet. Sicherlich, der Weg, den die Kritik der praktischen Vernunft beschreiten soll, ist ein konsequent moralphilosophischer. Insofern sind Kants einseitige Akzentuierungen ohne jede Frage legitim. Aber sie sind eben nur das, sie sind lediglich Akzentuierungen; aus einem umfassenderen Ganzen greifen sie ein Element heraus und heben es gesondert hervor. Jedoch muss man entgegen dem kantischen Wortlaut weiter ausholen, mçchte man nicht an der Komplexitt der Kategorientafel und vor allem der Kategorienlehre im Ganzen nachlssig vorbeidenken. Die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ gelangen erst dann zu ihrem vollen Recht, wenn sie genauso undifferenziert und allgemein genommen werden, wie es der Ausdruck will: als Bestimmungen der praktischen Vernunft, es mag sich um reine Vernunft handeln oder nicht. Alle Kategorien der Freiheit, und nicht nur die des sittlichen Willens, sind zu explizieren als Bestimmungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Begehrungen. Das, so scheint mir, ist in Wahrheit das Ergebnis der Gegenberstellung und bekrftigt unsere Ansicht: Wie die Kategorien der Natur die „Form[en] aller Erfahrung“ (KrV A 310/B 367) stellen die Freiheitskategorien die Formen alles Wollens dar.

149 Siehe oben S. 35 f.

II. Praktisches Urteil und Kategorie Das vorige Kapitel hat nicht aus dem Stegreif auf die Kategorien der Freiheit zugedacht. Der Umweg, den wir stattdessen zur Einleitung eingeschlagen haben, fhrte ber die Lage der Kategorientafel innerhalb der Komposition der Kritik der praktischen Vernunft und der methodischen Einteilungen der Analytik in drei „Hauptstcke“. Diese einkreisende Annherung an das Thema praktischer Kategorien hat bereits erste Einsichten erarbeitet. Die wichtigsten Resultate lassen sich wie folgt resmieren. Erstens ist die Kategorienlehre im Praktischen eine Lehre (nicht der Formen der Erfahrung, sondern) der Formen des Wollens von Gegenstnden. Das Geschft der Freiheitskategorien liegt in der Willensbildung, sie geben an, wie die Vernunft das Begehrungsvermçgen durch die Vorstellung eines Objekts bestimmen kann. Zweitens scheint die Kategorientafel, wie Kant sie vorlegt, nicht nur Kategorien des reinen Willens zu beinhalten, sondern auch solche des empirischen und vielleicht sogar auch solche, die sowohl den einen als auch den anderen betreffen, das heißt Kategorien des Willens berhaupt. Es sieht so aus, als rechnet Kant mit Kategorien fr die ganze praktische Vernunft. Alle aber erbringen sie drittens eine den Naturkategorien analoge Konstitutionsleistung. Die Kategorien der Freiheit sind die notwendigen Bedingungen der Mçglichkeit (nicht der Erfahrung, sondern) des Wollens von Objekten. Viertens sind sie wie die Kategorien der Natur anhand der Begriffe Mannigfaltigkeit, Synthesis und Einheit erklrlich zu machen. Sie sind die Bestimmungen der Einheit einer Synthesis von Mannigfaltigem, die ursprnglichen Weisen, wie das Mannigfaltige (nicht einer Anschauung, sondern) der Begehrungen zur synthetischen Einheit des Bewusstseins gebracht werden kann. Wir sind nun im Stand, uns an die Kategorien der Freiheit und Kants Ausfhrungen dazu heranzuwagen. Das ist Aufgabe des vorliegenden Kapitels. Es soll jedoch nicht schon um jede einzelne Kategorie der Tafel und ihren genauen begrifflichen Gehalt gehen. Vielmehr ist auch weiterhin noch im Allgemeinen zu verweilen und zu klren, wie Kant die Kategorien der praktischen Vernunft konzipiert. Unsere bisherigen Ergebnisse mssen sich darin bewhren und weiter konkretisieren. Und wie bisher soll uns dabei der Vergleich mit den Kategorien der Natur behilflich sein.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

In der Kritik der reinen Vernunft traktiert Kant die Kategorien der Natur im Kontext der Auffassung, dass der Intellekt, das heißt das obere Erkenntnisvermçgen, das Vermçgen ist zu denken und dass sich dieses im Urteil vollzieht. Denken heißt urteilen. Vor diesem rationalittstheoretischen Hintergrund prsentieren sich die reinen Verstandesbegriffe in der Folge als die funktionalen Regularitten theoretischen Urteilens. Denn sie werden in ihrer metaphysischen Deduktion systematisch und vollstndig von den „logischen Funktion[en] des Verstandes in Urteilen“ (KrV A 70/B 95) abgeleitet. Sie sind eben diese Funktionen, insofern sie real gebraucht, das heißt auf Objekte der sinnlichen Anschauung und deren jeweilige Mannigfaltigkeit angewandt, werden. Die Naturkategorien sind die „ursprnglich reinen Begriffe der Synthesis, die der Verstand a priori in sich enthlt, und um deren willen er auch nur ein reiner Verstand ist“ (KrV A 80/B 106). In der anschließend erforderlichen transzendentalen Deduktion rechtfertigt Kant ihre objektive Gltigkeit a priori, und zwar durch Bezug auf die „ursprnglich-synthetische Einheit der Apperzeption“ (KrV B 131). Die Kritik der praktischen Vernunft entwirft die Freiheitskategorien in Analogie dazu. Das soll im Folgenden ausgefhrt werden. Kant bernimmt einerseits das rationalittstheoretische Konzept, dass die Vernunft insgesamt das Vermçgen ist zu urteilen. Zwar finden sich dazu keine expliziten ußerungen im Text, doch wenn jeder Fall von Denken ein Fall von Urteilen ist, muss das auch auf den praktischen Gebrauch der Vernunft zutreffen. Die praktische Vernunft ist wie die theoretische im Kern ein Urteilsvermçgen. Willensbestimmungen, so werde ich darzulegen versuchen, haben die Gestalt praktischer Urteile. Andererseits behlt Kant die Auffassung bei, wonach die Kategorienlehre eine funktionstheoretische Basis besitzt. Die Kategorien der Freiheit, so meine Hauptthese, sind die funktionalen Regularitten praktischen Urteilens. Sie sind die Identitten der dem Menschen offen stehenden Mçglichkeiten zur Willensbildung, mithin die Funktionen der Vernunft, insofern diese real gebraucht, und das heißt jetzt: auf Objekte des Begehrungsvermçgens und deren jeweilige Mannigfaltigkeit angewandt, werden. Infolge dessen mssen sie ebenfalls in einer metaphysischen Deduktion systematisch und vollzhlig aus den „logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen“ hergeleitet sein. Als Erstes sei Kants allgemeiner Begriff der Vernunft skizziert (1.). Er liegt der Unterscheidung einer theoretischen und einer praktischen Bettigung des Intellekts zugrunde. Sodann soll in zwei Schritten untersucht werden, worin das Spezifische des praktischen Vernunftgebrauchs besteht, jedenfalls soweit es fr unsere Interessen von Belang ist. Ich werde zunchst

1. Die Kategorien der Freiheit und Kants allgemeiner Vernunftbegriff

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argumentieren, dass sich hinter dem Terminus ,Willensbestimmung‘, der seit der Kritik der praktischen Vernunft ins Zentrum von Kants praktischer und Moralphilosophie gerckt ist, nichts anderes verbirgt als die Struktur eines praktisches Urteils (2.). Im Anschluss ist das Verstndnis von Freiheit auszuweisen, das in der Bezeichnung ,Kategorien der Freiheit‘ zum Tragen kommt. (3.). Handelt es sich dabei wirklich um Freiheit im transzendentalen Verstande, wie man zunchst glauben mçchte? Alle diese berlegungen arbeiten im Ganzen der Auseinandersetzung mit dem zu, was im Herz der Kategorienproblematik liegt, und das ist die Deduktion der Kategorien. Wir mssen einerseits die Textpassage in der zweiten Kritik eingehend durchleuchten, wo Kant sich mehr oder weniger ausdrcklich zur Sache der metaphysischen Deduktion der Freiheitskategorien ußert (4.). Andererseits steht zu fragen, ob die Kategorien der Freiheit auch so etwas wie eine transzendentale Deduktion bençtigen (5.).

1. Die Kategorien der Freiheit und Kants allgemeiner Vernunftbegriff: Urteil, Funktion, Kategorie Die Kritik der reinen Vernunft und die Kritik der praktischen Vernunft sind durch einen gemeinsamen Vernunftbegriff fundiert. Kant macht dies vielfach deutlich. So heißt es bereits in der „Einleitung“ zur zweiten Kritik, dass es „immer noch reine Vernunft ist, deren Erkenntnis hier dem praktischen Gebrauche zum Grunde liegt“ (KpV A 32). Die erste Kritik untersucht demnach keine andere, sondern dieselbe Vernunft nur in einem anderen Gebrauch, nmlich dem theoretischen. Die gleiche Auskunft findet sich in der „Kritischen Beleuchtung“. Hier schreibt Kant: „Nun hat praktische Vernunft mit der spekulativen so fern einerlei Erkenntnisvermçgen zum Grunde, als beide reine Vernunft sind“ (KpV A 159). Theoretische und praktische Vernunft unterscheiden sich nur darin, wie sich die Vernunft bettigt, auf die eine oder auf die andere Weise. Ferner stellt Kant gegen Ende des Kapitels „Von dem Befugnisse der reinen Vernunft“ heraus, dass es ein einheitlicher Intellekt ist, der in einer Beziehung zum Anschauungsvermçgen und in einer Beziehung zum Begehrungsvermçgen steht: „Außer dem Verhltnisse aber, darin der Verstand zu Gegenstnden (im theoretischen Erkenntnisse) steht, hat er auch eines zum Begehrungsvermçgen, das darum der Wille heißt“ (KpV A 96).150 150 Vgl. ebenso KpV A 11 f. Siehe auch in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, der zufolge es „am Ende nur eine und dieselbe Vernunft sein kann, die bloß in der

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

Die eine Vernunft kann unterschiedlich bettigt werden. Den kantischen Schriften ist die Rede von einem so genannten Gebrauch des oberen Erkenntnisvermçgens (usus intellectus) gelufig. Die Kritik der reinen Vernunft hat den theoretischen Gebrauch der Vernunft zum Gegenstand und die Kritik der praktischen Vernunft den praktischen Gebrauch derselben.151 Das fhrt uns zunchst vor die Frage, und dem ist in diesem Kapitel nachzugehen, wie Kant das obere Erkenntnisvermçgen als solches bestimmt. Einschlgig ist dafr die erste Kritik, genauer gesagt die drei Abschnitte „Des transzendentalen Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe“; das ist diejenige Textpassage, die Kant die „metaphysische Deduktion“ (KrV B 159) der Naturkategorien nennt. Hier ist der Ort, an dem er seinen allgemeinen Begriff der Vernunft entwickelt und festlegt, was Denken berhaupt heißt. Hier legt er das rationalittstheoretische Fundament, das grundlegend ist fr alles Weitere, auf dem nicht nur die Kategorien der theoretischen, sondern auch die der praktischen Vernunft aufruhen, das heißt die Kategorien der Freiheit. In der zweiten Kritik finden sich dazu bedauerlicherweise keine Ausfhrungen. Das verwundert allerdings auch nicht unbedingt, denn insofern es ein und dieselbe Vernunft ist, die sich theoretisch oder praktisch bettigt, wre es mßig, das, was anderenorts bereits dargelegt wurde, Punkt fr Punkt noch einmal zu wiederholen, obgleich natrlich die eine oder andere verstndnisfçrdernde Bemerkung wnschenswert gewesen wre. Die zweite Kritik jedenfalls hat zum Begriff des oberen Erkenntnisvermçgens nichts hinzuzufgen, sie setzt ihn vielmehr voraus. Was Kant ber den Intellekt im Allgemeinen gesagt hat, ist nicht auf das Feld des Theoretischen limitiert, sondern besitzt auch fr den Bereich des Praktischen Verbindlichkeit. Dem soll im Folgenden unsere Aufmerksamkeit gelten. Ein Blick in die metaphysische Deduktion der Naturkategorien wird Aufschluss darber geben, was man – analog dazu – von einer metaphysischen Deduktion der Freiheitskategorien wird erwarten mssen. Anwendung unterschieden sein muß“ (GMS A/B XIV). Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 49; Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ, a.a.O., S. 86 f. 151 Vgl. KrV B XXV, 5, A 52/B 76, A 63/B 88, A 66/B 90, A 67/B 92, A 298/B 355; KpV A 29 und passim. Dem gesellt sich in der Kritik der Urteilskraft noch ein dritter Gebrauch der Vernunft bei, und zwar der sthetische. Auch Geschmacksurteile beruhen auf einer Bettigung des oberen Erkenntnisvermçgens, „denn im Geschmacksurteile ist immer noch eine Beziehung auf den Verstand enthalten“ (KU A/B 3 Anm.).

1. Die Kategorien der Freiheit und Kants allgemeiner Vernunftbegriff

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In der Kritik der reinen Vernunft unterscheidet Kant zwischen einer metaphysischen und einer transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. Erstere hat es mit quaestiones facti, mit Tatsachenfragen zu tun. Sie fhrt den Nachweis, dass die reine Vernunft die Quelle gewisser Begriffe in sich birgt; sie soll den „Geburtsbrief“ (KrV A 85/B 117) dieser Begriffe beibringen und ist damit eine „Erklrung des Besitzes“ (KrV A 87/ B 119) derselben. Dagegen kmmert sich letztere um quaestiones iuris, um Rechtsfragen; ihre Aufgabe liegt darin, den „Rechtsgrund“ (KrV A 85/B 117) der reinen Verstandesbegriffe zu liefern, das heißt ihre objektive Realitt a priori zu dokumentieren. Whrend also eine metaphysische Deduktion gewisse Vorstellungen, ber welche die Vernunft verfgt, als nichtempirische Vorstellungen belegt, rechtfertigt eine transzendentale Deduktion, dass diesen Vorstellungen gleichwohl objektive Gltigkeit a priori zukommt. Dies ist freilich nicht durch einen Rekurs auf Erfahrungsgehalte zu leisten. Besagte Vorstellungen sollen vielmehr aus der reinen Vernunft ursprnglich abgeleitet werden, und ihr Gebrauch ist entsprechend allein durch die reine Vernunft zu legitimieren. Fr beide Deduktionen reserviert Kant ein eigenes Methodenstck, sie fallen mit der „Analytik der Begriffe“ (KrV A 65/B 90) zusammen. Deren „Erstes Hauptstck“ bildet die metaphysische Deduktion, das „Zweite Hauptstck“ enthlt die transzendentale Deduktion. Die Begriffsanalytik verfolgt darber jedoch eine einheitliche Aufgabenstellung. Sie will keine gewçhnliche Zergliederung von Begriffen sein, um deutlich zu machen, was in ihnen gedacht wird. Vielmehr ist sie laut Kant „die noch wenig versuchte Zergliederung des Verstandesvermçgens selbst“ (KrV A 65/B 90).152 Die erste Etappe auf diesem Weg ist die metaphysische Deduktion. Sie hat, so notiert Kant in der B-Auflage, den „Ursprung der Kategorien a priori berhaupt durch ihre vçllige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens“ (KrV B 159) darzutun. Sie leitet die Kategorien der Natur aus den logischen Urteilsfunktionen des Denkens ab und entwickelt sie als die Funktionen theoretischen Urteilens. Die zweite Etappe stellt die transzendentale Deduktion dar. Durch sie wird „die Mçglichkeit derselben als Erkenntnisse a priori von Gegenstnden einer Anschauung berhaupt […] dargestellt“ (ebd.). Sie weist die Na152 Bereits in seiner Schrift De mundi, die noch der vorkritischen Epoche seines Schaffens zugehçrt, formuliert Kant in §8, dass die Begriffe, die in der Metaphysik verhandelt werden, Begriffe also wie possibilitas und existentia, necessitas und substantia, in der Natur des reinen Verstandes selbst („in ipsa natura intellectus pari“) zu suchen sind.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

turkategorien als die konstitutiven Ermçglichungsbedingungen der Erfahrung von Objekten berhaupt aus. In Bezug auf die Kritik der praktischen Vernunft erçffnen sich nun parallel gerichtete Erwartungen. Kant selbst sagt dort mit keinem Wort, was die Begriffsanalytik zu leisten hat, auch nicht, warum sie mehr als nur die Kategorienlehre umfasst, namentlich die Wissenschaft von den Begriffen des Guten und Bçsen sowie die Typik der reinen praktischen Urteilskraft; und schließlich ist im Umfeld der Kategorientafel weder von einer metaphysischen noch von einer transzendentalen Deduktion die Rede, jedenfalls nicht ausdrcklich. Erst die Orientierung an der ersten Kritik verspricht hier Klrung. Sie erlaubt, wie sich zeigen wird, eine tiefenschrfere Bestandsaufnahme des vorliegenden Textmaterials. Erstens kann man davon ausgehen, dass es auch in der Kritik der praktischen Vernunft nicht die Obliegenheit der Begriffsanalytik ist, eine normale Analyse von Vorstellungen ins Werk zu setzen. Es wird kaum darum gehen kçnnen, die Kategorien der Freiheit in ihre Elemente zu sezieren und auf diese Weise nur bewusst zu machen, was ohnehin in ihnen gedacht wird. Stattdessen ist, so kçnnen wir per analogiam formulieren, ihre Mçglichkeit als objektiv gltige Begriffe a priori dadurch zu ergrnden, dass sie im Intellekt selber aufgesucht und in ihrer Anwendung erforscht werden: Die Analytik der Begriffe leistet in Form der Kategorienlehre eine Zergliederung des oberen Erkenntnisvermçgens, nicht in seiner theoretischen, sondern in seiner praktischen Bettigung, um dadurch die hçchsten kategorialen Grundbegriffe dieser Bettigung auszuheben. Es gilt hier, was Kant schon zu den Kategorien der Natur erklrt hat: „Wir werden also die reinen Begriffe bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstande verfolgen, in denen sie vorbereitet liegen“, und wo sie „bei Gelegenheit der Erfahrung entwickelt und durch eben denselben Verstand, von den ihnen anhngenden empirischen Bedingungen befreiet, in ihrer Lauterkeit dargestellt werden.“ (KrV A 66/B 91) Zweitens ist damit zu rechnen, dass auch die Freiheitskategorien einer metaphysischen Deduktion bedrfen. Denn dass es sich bei ihnen um reine Begriffe handelt, kann nicht einfach vorausgesetzt werden. Es versteht sich keineswegs von selbst, dass die Vernunft auch in ihrem praktischen Gebrauch ber kategoriale Grundbegriffe verfgt. Dieser Nachweis ist allererst zu erbringen. Aufgrund dessen wird sich in der Kritik der praktischen Vernunft die Begriffsanalytik ebenfalls zunchst auf die Quid-facti-Frage verpflichtet sehen. Sie hat die Herkunft gewisser Vorstellungen, in deren Besitz sich das Denken faktisch befindet – Vorstellungen wie etwa Maxime und Vorschrift, Gesetz und Pflicht, Erlaubtes und Unerlaubtes – zu er-

1. Die Kategorien der Freiheit und Kants allgemeiner Vernunftbegriff

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klren, also gewissermaßen deren Geburtsurkunde zu beschaffen. Sie muss den Ursprung dieser Vorstellungen im reinen Denken freilegen, und das unabhngig von aller Erfahrung. Nach Maßgabe der Analogie mit den Kategorien der Natur heißt das konkret, dass die Kategorien der Freiheit genauso durch „ihre vçllige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens“ zu gewinnen, aber als die Funktionen praktischen Urteilens darzulegen sind. Wir werden sehen, dass sich fr diese Annahme durchaus Evidenzen im Text finden lassen. Dem durch die Kritik der reinen Vernunft geschrften Auge entdeckt sich, dass die Ausfhrungen, die Kant in den beiden Abstzen unmittelbar vor der Kategorientafel macht und in denen er selber die praktischen Kategorien den theoretischen gegenberstellt, das Programm zu ihrer metaphysischen Deduktion konturiert.153 Drittens schließlich steht zu erwarten, dass die Freiheitskategorien desgleichen eine transzendentale Deduktion verlangen. Denn auch das ist nicht selbstverstndlich, dass ihre Anwendung, da sie einmal als reine Begriffe erwiesen sind, rechtens ist. Gerade weil es sich um „Begriffe a priori“ (KpV A 116) handelt, wie Kant selber bemerkt, ist ihre objektive Gltigkeit zunchst einmal fraglich und eigens zu rechtfertigen, fordert ihr Gebrauch einen entsprechenden Rechtsgrund. Die Analytik der Begriffe wird sich in der zweiten Kritik daher ebenso der Quid-iuris-Frage stellen mssen. Und wieder versteht man den Text besser, wenn man ihn im Spiegel der ersten Kritik liest. Man gewahrt alsdann, was sonst nicht ohne Weiteres ersichtlich wre, dass nmlich Kant auch in dieser Sache Stellung bezieht. Wir finden im Text durchaus Hinweise darauf, wie eine solche Deduktion und warum sie ohne grçßere Schwierigkeiten zu leisten ist. Das ist eine weitere Analogie: Die transzendentale Deduktion der Freiheitskategorien hat ebenfalls „die Mçglichkeit derselben als Erkenntnisse a priori von Gegenstnden“ darzustellen, aber nicht von Gegenstnden der Erfahrung, sondern des Willens. Sie identifiziert die Kategorien als die konstitutiven Ermçglichungsbedingungen des Wollens von Objekten berhaupt.154 Lassen wir uns nun auf die metaphysische Deduktion der reinen Verstandesbegriffe ein. Was uns daran interessiert, ist freilich nicht die ganze Flle ihrer ausgearbeiteten Feinheiten und Details, sondern allein die wichtigsten der darin zu treffenden begrifflichen Unterscheidungen und deren Verhltnis zum praktischen Gebrauch der Vernunft. 153 Siehe unten Kapitel III.4. 154 Siehe unten Kapitel III.5.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

Die metaphysische Deduktion kann auf drei elementare Schritte gebracht werden. Am Anfang steht die Einsicht der transzendentalen Logik, dass „die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen, Verstandes eine Erkenntnis durch Begriffe“ ist und dass der Verstand von diesen Begriffen „keinen andern Gebrauch machen [kann], als daß er dadurch urteilt“ (KrV A 68/B 93). Kant wendet sich gegen die altberkommene, insbesondere in der traditionellen Schullogik vertretene Ansicht, dass es einen urteilsfreien Gebrauch von Begriffen gebe. Demgegenber besteht der erste Schritt der metaphysischen Deduktion in der Feststellung, dass Denken Synthesis von Vorstellungen ist und dass diese Synthesis im Urteil stattfindet. Die Vernunft ist das Vermçgen zu denken, und alles Denken vollzieht sich im Urteil. „Wir kçnnen […] alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurckfhren, so daß der Verstand berhaupt als ein Vermçgen zu urteilen vorgestellt werden kann.“ (KrV A 69/B 94)155 Das Urteil ist nach Kant die zentrale Leistung des Intellekts. Wenn berhaupt irgendetwas gedacht wird, so geschieht dies im Urteil. Das hat selbstverstndlich Konsequenzen fr alles, was als Objekt des Denkens auftreten kann. Jeder Gegenstand der Vernunft ist einzig und allein als der Gegenstand eines Urteils mçglich. Das aber heißt, er ist in keinem Fall ein Einfaches und Differenzloses, sondern selber ein Zusammengesetztes. Er vereinigt stets mehrere Momente in sich, diejenigen nmlich, welche durch die vielen, im Urteil zusammenstehenden Vorstellungen gedacht werden. Er ist mithin eine Einheit, in der sich eine Sache zu einer anderen verhlt, will sagen ein Sachverhalt.156 Diese rationalittstheoretische Grundannahme hintergreift die Differenz von theoretischer und praktischer Vernunft. Sie gehçrt mit zu dem, was die Vernunft als solche charakterisiert. Sie bildet noch keinen Teil des eigentlichen Ableitungsgeschehens, sondern entwickelt allererst das, woraus die Kategorien abgeleitet werden kçnnen. Dem zufolge ist der Unterschied von theoretischer und praktischer Vernunft zu begreifen als der Unterschied von theoretischem und praktischem Denken und dieser wiederum als der Unterschied von theoretischem und praktischem Urteilen. Auch der praktische Gebrauch des Intellekts – wenn die Vernunft 155 Vgl. KrV A 81/B 106; AA XXIV 662 f.; Fortschr. A 40; Prol. A 119, 88. 156 Zu Kants Rckfhrungsthese vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 66 ff.; Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 48 ff. Zur Begrndung dieser These siehe die ausfhrliche Erçrterung bei Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay ber Freges Begriffsschrift, Frankfurt a. M. 1995, S. 74 ff. und 88 ff.

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das Begehrungsvermçgen durch die Vorstellung eines Gegenstandes bestimmt – besitzt au fond eine propositionale Struktur. Bestimmungen des Willens, so werden wir an spterer Stelle noch eingehender ausfhren, sind praktische Urteile. Und der Gegenstand des Willens ist entsprechend stets ein aus mehreren Elementen sich zusammensetzender Sachverhalt.157 Der Ausdruck „Handlung des Verstandes“ ist ein terminus technicus der zeitgençssischen Logik Kants. Er findet sich in den meisten der in Deutschland gngigen Logikkompendien des 17. und 18. Jahrhunderts. Diesen Kompendien zufolge bilden die so genannten Handlungen des Verstandes den eigentmlichen Gegenstand der formalen Logik. Die formale Logik verzeichne die Gesetze von Verstandeshandlungen.158 Dabei werden blicherweise insgesamt oder mindestens drei fundamentale Verstandesoperationen unterschieden: das einfache, nicht-propositionale Vorstellen von Gegenstnden durch singulre Begriffe, das Urteilen und das Schließen. Die formale Logik hat demnach in ihrem allgemeinen Teil drei Gebiete zu umfassen: eine Begriffslehre, eine Urteilslehre und eine Schlusslehre – ergnzt mitunter durch einen vierten Teil, welcher die Methode des Denkens behandelt. Die Reihenfolge, in der die Grundoperationen des Intellekts durchgefhrt werden, soll dabei nicht beliebig sein. Erst komme das Begreifen, dann das Urteilen und zuletzt das Schließen. Die zweite Verstandeshandlung setze die erste als schon vollzogen voraus, und sie selbst ermçgliche wiederum die dritte. Kein Urteil ohne bereits gebildete Begriffe und kein Schluss ohne vorgngig gefllte Urteile.159 Kant macht sich den Fachausdruck der Verstandeshandlung zu Eigen. Dieser lsst sich nicht nur in der Kritik der reinen Vernunft und anderen (vor)kritischen Schriften nachweisen, sondern auch in den Mitschriften seiner Logik-Vorlesungen. Aber Kant bricht rigoros mit der Vorstellung einer Ermçglichungsfolge unter den Verstandeshandlungen. In der Kritik der reinen Vernunft hebt die metaphysische Deduktion gerade mit der berlegung an, dass es keine Operation des oberen Erkenntnisvermçgens 157 Siehe unten Kapitel III.3. 158 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 53 f. Brandt nennt beispielshalber die Logik von Port Royal, von Joachim Jungius, Pierre Bayle, Christian Wolff, Johann Peter Reusch und Hermann Samuel Reimarus. 159 Vgl. Menne, Albert: Die Kantische Urteilstafel im Lichte der Logikgeschichte und der modernen Logik, in: Zeitschrift fr allgemeine Wissenschaftstheorie 20 (1989), S. 317 – 324; Tonelli, Giorgio: Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteilstafel in der Logik des 18. Jahrhunderts, in: Kaulbach, Friedrich (Hg.): Kritik und Metaphysik. Studien, Berlin 1966, S. 134 – 158.

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gibt, die nicht in oder zusammen mit einer Urteilsoperation ausgebt wird. Es gibt keine Ttigkeit des Intellekts, die nicht eine Urteilshandlung ist bzw. an einer solchen mitwirkt. So wenig der Gebrauch von Begriffen ein Akt ist, der vor allem Urteilen stattfindet, so wenig ist das Schließen eine Leistung, die dem vollendeten Urteilen erst nachfolgt. Kants Rckfhrungsthese besagt, dass Begriffe nur in Urteilen verwendet (inklusive erçrtert und definiert) werden kçnnen160 und dass auch ein Schluss letzten Endes nichts anderes ist als ein Urteil, das sich aus Urteilen (statt aus Begriffen) zusammensetzt.161 Urteilsakte sind ganz allgemein Akte der Synthesis. Wie Kant herausstellt, muss es sich bei diesen Vorstellungen keineswegs immer um Begriffe handeln. In §19 der transzendentalen Deduktion erklrt er: „Ich habe mich niemals durch die Erklrung, welche die Logiker von einen Urteile berhaupt geben, befriedigen kçnnen: es ist, wie sie sagen, die Vorstellung eines Verhltnisses zwischen zwei Begriffen.“ (KrV B 140) Das Urteil als eine Beziehung zwischen zwei Begriffen anzugeben, stellt eine Verkrzung dar, denn eine solche Beziehung liegt nur im kategorischen Urteil vor. Dagegen enthalten hypothetische und disjunktive Urteile „nicht ein Verhltnis von Begriffen, sondern selbst von Urteilen“ (KrV B 141). Folglich sind die Urteilshandlungen des Intellekts weiter zu fassen. Urteilen im allgemeinsten Verstndnis besteht darin, eine Vielheit von Vorstellungen zu verbinden und durch Synthesis Einheit unter ihnen herzustellen. Denken ist Einheitsstiftung.162 Und das gilt fr theoretische und praktische Urteile in gleichem Maße. Als Urteile sind sie jeweils wesenhaft ein Verbund von Vorstellungen, der einer synthetischen Leistung des Subjekts entspringt. Darin liegt das Gemeinsame beider Urteilsarten, dass durch sie etwas einheitlich vorgestellt wird und dass dies durch intelligente Akte des Beziehens und Ordnens von Vorstellungen geschieht. Dagegen divergieren theoretische und praktische Urteile erst im Hinblick auf das, worauf sie sich jeweils beziehen. Das Trennende ist darin zu sehen, dass in theoretischen Urteilen ein Gegenstand der sinnlichen Anschauung, in praktischen Urteilen ein Objekt des Begehrens vorgestellt wird. In beiden Fllen aber, das gilt es explicite 160 Vgl. KrV A 68/B 93; AA XXIX 801 f. 161 Vgl. KrV A 330/B 386, A 307/B 364. 162 Vgl. Longuenesse, Batrice: Kant and the Capacity to Judge. Sensibility and Discursivity in the Transcendental Analytic of the Critique of Pure Reason, Princeton/ Oxford 1998, S. 81 ff.; Stuhlmann-Laeisz, Rainer: Kants Logik. Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, verçffentlichten Werken und Nachlaß, Berlin/ New York 1976, S. 56 ff.

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festzuhalten, weil es an spterer Stelle wichtig wird und wir darauf zurckkommen mssen, kann ein Urteil, sei es theoretisch, sei es praktisch, grundstzlich entweder Begriffe oder Urteile zum Inhalt haben.163 Der zweite Schritt der metaphysischen Deduktion wird von dem Begriffspaar Funktion/Form getragen. Er ist in der Idee zu sehen, dass jedes Urteil auf der Ausbung von Funktionen der Vernunft beruht und dass diese Funktionen in das Urteil als dessen Form eingehen: Die Form des Gedankens ist das Resultat der Funktion des Denkens.164 Diese Funktionen und Formen will Kant vollzhlig ermitteln und in einer Tafel systematisch katalogisieren. Gemß der Gleichsetzung von Denken und Urteilen handelt es sich dabei um Urteilsfunktionen bzw. Urteilsformen: „Die Funktionen des Verstandes kçnnen also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollstndig darstellen kann.“ (KrV A 69/B 94) Ohne hier auf Details einzugehen, lsst sich sagen, dass Kant im Ausgang von den Formen des Urteils die zugrunde liegenden Funktionen des Urteilens aufdeckt; erstere sind die ratio cognoscendi der letzteren. Im Gegenzug bedeutet das, dass die Urteilsformen in den Urteilsfunktionen ihren Ursprung haben und durch sie regressiv erklrt werden kçnnen; letztere sind die ratio essendi der ersteren. Und die Tafel, wie Kant sie in §9 vorlegt, ist in einem ein Register von Funktionen wie von Formen; beide tragen denselben Namen.165 Unter einer Funktion des oberen Erkenntnisvermçgens versteht Kant „die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“ (KrV A 68/B 93). Dieser Bestimmung ist zweierlei zu entnehmen. Zum einen, dass der Begriff der Funktion auf den 163 Siehe unten Kapitel IV.3. 164 Vgl. Longuenesse, Batrice: The Divisions of the Transcendental Logic and the Leading Thread (A 50/B 74-A 83/B 109; B 109 – 116), in: Mohr, Georg/Willaschek, Marcus (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 143. 165 Es wird hier nicht behauptet, dass die transzendentale Logik von einer fertigen Tafel an Urteilsformen, welche die formale Logik darbietet, auf die Tafel der Urteilsfunktionen zurckschließt. Kant streicht mehrfach heraus, dass er „von der gewohnten Technik der Logiker abweich[t]“ (KrV A 70/B 96; vgl. Prol. 119). Die transzendentale Logik allein kann aufzeigen, dass die Tafel vier Quadranten („Titel“) haben und dass jeder Quadrant drei Stellen („Momente“) einbegreifen muss – nur kann sie nicht aufzeigen: welche Titel und welche Momente (vgl. KrV B 145 f.). Sie bereitet die Urteilsformen, welche die formale Logik vorlegt, auf, indem sie sie diesem System zuordnet und dadurch zugleich das zugrunde liegende System der Urteilsfunktionen gewinnt. Die transzendentale Logik ist die Grundlagenwissenschaft der formalen Logik. Vgl. Reich, Klaus: Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, Hamburg 19863, S. 10.

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Begriff der Handlungen bezogen ist. Nur dort, wo Handlungen durchgefhrt werden, lsst sich auch von Funktionen sprechen. Andererseits aber sind Funktionen doch von den konkreten Handlungen zu unterscheiden. Eine Funktion ist der Einheitsaspekt einer Handlung.166 Betrachtet man „die Einheit der Handlung“, so betrachtet man die Funktion, die durch die Handlung realisiert wird. Demnach sind die Urteilsfunktionen des Intellekts die Einheitsmomente derjenigen Akte, welche der Intellekt ausbt, wenn er urteilt. Und diese Einheit des Urteilens geht in das Ergebnis ein, sie ist am Urteil ablesbar. Der Einheit der Synthesishandlung entspricht die synthetische Einheit ihres Resultats. Urteilsformen sind die Arten, wie Vorstellungen im Urteil miteinander verknpft sein kçnnen.167 Eine Handlung hinsichtlich ihrer Einheit zu erwgen, bedeutet zunchst einmal negativ, von den Begleitumstnden und Realisierungsbedingungen der bestimmten Handlungen abzusehen. Die Funktion stellt gegenber der konkreten Handlung eine Abstraktion dar, man abstrahiert von den einzelnen Ausfhrungen und deren jeweiligen Besonderheiten.168 In diesem Sinne besteht beispielsweise die Funktion der menschlichen Hand im Greifen; wenn die Hand etwas greift, dann bt sie eine Funktion aus. Damit ist aber nicht dieser oder jener besondere Akt des Greifens mitsamt der Flle seiner Eigenschaften bezeichnet. Die Einheitshinsicht einer Handlung ist im Gegensatz zur konkreten Handlung kein datierbares und lokalisierbares Ereignis. Vielmehr bt die Hand in vielen verschiedenen Handlungen stets ein und dieselbe Funktion aus. Eine Handlung als Einheit aufzufassen, bedeutet folglich positiv, auf die wiedererkennbare Identitt einer Handlung zu achten. So auch im Falle der Operationen des oberen Erkenntnisvermçgens. Wenn die Vernunft urteilt, bt sie Funktionen in der eben beschriebenen Weise aus. Diese Funktionen sind die

166 Vgl. Kreis, Guido: Cassirer und die Formen des Geistes, Berlin 2010, S. 69. 167 Die Urteilsfunktionen der Vernunft sind also weder mit den Formen der Urteile zu identifizieren (so etwa Paton, Herbert J.: Kant’s Metaphysic of Experience. A Commentary on the First Half of the Kritik der reinen Vernunft, Bd. 1, London 1936, S. 246; Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 117), noch sind diese Funktionen mit Urteilen selbst gleichzusetzen, wie Kant einmal zu suggerieren scheint (vgl. Schulthess, Peter: Relation und Funktion. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur theoretischen Philosophie Kants, Berlin 1981, S. 272; Kreis, Guido: Cassirer und die Formen des Geistes, a.a.O., S. 71, Anm. 25). 168 Vgl. Reich, Klaus: Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 30.

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Handlungseinheiten, die sich in den konkreten Urteilshandlungen des Intellekts wiederfinden. Sie sind die Identitten des Urteilsvollzuges.169 Kant deutet die Funktionen des Intellekts als Gesetzmßigkeiten. Die operationes intellectus geschehen nicht beliebig. Die Arten, wie die Vernunft Vorstellungen im Urteil platzieren und aufeinander beziehen kann, sind in allen Fllen dieselben. Die Urteilsfunktionen sind die unvordenklichen Betriebsroutinen des Denkens, wobei Unvordenklichkeit besagt, dass es kein Denken wovon auch immer geben kann, das nicht diese Funktionen realisiert; sie bilden das syntaktische Grundgerst, das denkend nicht durchbrochen werden kann.170 Reinhardt Brandt stellt zu Recht fest: „Die Form aller Verstandeshandlungen […] ist in der Urteilstafel erfaßt, in ihr hat alle Kritik, Transzendentalphilosophie und Metaphysik (der Sitten und der Natur) ihr Fundament – wenn es einen Fels gibt, auf dem das Lehrgebude der Kantischen Philosophie erbaut ist, so muß es die Urteilstafel sein.“171 Und der Ort, an dem dieser Fels innerhalb der praktischen Philosophie als tragendes Fundament in Erscheinung tritt, ist die Kategorientafel in der Kritik der praktischen Vernunft. Kategorien der Freiheit sind sonach zu explizieren als die Identitten praktischen Urteilens, als die unverbrchlichen Gesetzmßigkeiten dessen, wie ein vernnftiges Subjekt berhaupt nur seinen Willen bilden und zu einem Gegenstand bestimmen kann. Kants Auffassung von den Funktionen des Intellekts besitzt physiologische Zge.172 Eine Funktion, so verstanden, ist eine Handlung im 169 Vgl. Kreis, Guido: Cassirer und die Formen des Geistes, a.a.O., S. 71 f.; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 20 ff. und 66 ff. 170 Vgl. KrV A 294/B 350. Das lsst sich schon an Kants berhmtem Brief an Marcus Herz vom 21. Februar 1772 festmachen, der nicht zu Unrecht als die Geburtsstunde der Kritik der reinen Vernunft angesehen wird. Dort schreibt Kant, dass alle Kategorien der Natur „sich selbst durch einige wenige Grundgesetze des Verstandes von selber in Klassen einteilen“ (AA X 126). Diese Grundgesetze sind die logischen Urteilsfunktionen des Intellekts. 171 Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 1. Siehe auch Baum, Manfred: Systemform und Selbsterkenntnis der Vernunft bei Kant, in: Fulda, Hans F./Stolzenberg, Jrgen (Hg.): Architektonik und System in der Philosophie Kants, Hamburg 2001, S. 36 f. 172 Vgl. Kreis, Guido: Cassirer und die Formen des Geistes, a.a.O., S. 68 f.; Longuenesse, Batrice: The Divisions of the Transcendental Logic and the Leading Thread (A 50/B 74-A 83/B 109; B 109 – 116), a.a.O., S. 139; Reich, Klaus: Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 30; Schulthess, Peter: Relation und Funktion, a.a.O., S. 219 und 233; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 20 ff. und 65 f.

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Sinne einer eigentmlichen Leistung. Beispielweise kann man vom Greifen als der Funktion der Hand sprechen oder vom Sehen als der Funktion des Auges. Diderot und d’Alembert definieren in der Encyclopdie von 1557: „Fonction est une action correspondante  la destination de l’organe qui l’excute“173. Danach ist eine physiologische Funktion die (Einheit einer) Handlung, durch die das ausfhrende Organ seine ihm spezifisch zufallende Aufgabe erfllt. Dieser physiologische Sprachgebrauch, der bis auf die aristotelische Teleologie zurckgeht, ist auch bei Kant vielfach nachweisbar. So charakterisiert er die Struktur der reinen Vernunft als einen „wahren Gliederbau […], worin alles Organ ist“ (KrV B XXXVII f.).174 Ferner bernimmt er die allgemeine Rede von den functiones animae, wenn er etwa die Einbildungskraft als eine „Funktion der Seele“ (KrV A 78/B 103) kennzeichnet.175 Und die „Funktion, die dem Verstande zukommt“ (KrV A 78/B 103), ist das Urteilen. Die Urteilsoperationen des Intellekts sind dessen spezifische Leistung. Sie sind diejenigen Handlungen, durch deren Ausfhrung der Intellekt seine ihm eigenste Bestimmung erfllt, und zwar gleichermaßen im theoretischen wie im praktischen Urteilen.176 Es ist aber zu unterscheiden zwischen der Hauptfunktion der Vernunft, ihren Grundfunktionen und ihren Elementarfunktionen.177 So ist in der Kritik der reinen Vernunft bald von der Funktion der Vernunft im Singular die Rede, bald von den Funktionen im Plural. Mit beidem hat es jedoch 173 Diderot, Denis/d’Alembert, Jean B.: Encyclopdie ou dictionnaire raisonn des sciences, des arts et des mtiers, Bd. 7 (Fo-Gy), Lucques 17602, S. 43. 174 Vgl. KrV B XXIII, A 832 ff./B 860 ff. 175 Vgl. KrV A 51/B 75, B 100 Anm., A 145/B 185, A 164/B 205, A 247/B 304, A 321/B 378. 176 Daneben schwingt aber noch eine weitere Bedeutung von Funktion mit. Sptestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts steht dem physiologischen ein mathematischer Funktionsbegriff entgegen. Fr Kants Philosophie ist gerade eine subtile Engfhrung dieser beiden Begriffskonnotationen wesentlich. Danach ist es die physiologische Funktion des Intellekts, sich mathematischer Funktionen zu bedienen, wenn er denkt. Vgl. Schulthess, Peter: Relation und Funktion, a.a.O., S. 283 – 289; Kreis, Guido: Cassirer und die Formen des Geistes, a.a.O., S. 64 ff.; Mahnke, Dietrich: Die Entstehung des Funktionsbegriffes, in: Kant-Studien 31 (1926), S. 426 – 428; Cassirer, Ernst: Kant und die moderne Mathematik, in: Kant-Studien 12 (1907), S. 1 – 49; Enskat, Rainer: Logische Funktionen und logische Fhigkeiten in der kantischen Theorie der Urteilsfunktionen und in der Junktorenlogik, in: KantStudien 77 (1986), S. 231; Reich, Klaus: Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 30. 177 Dieses Vokabular entlehne ich Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 25 ff. Siehe schon Reich, Klaus: Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 44.

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seine Richtigkeit. Die Hauptfunktion des oberen Erkenntnisvermçgens nmlich ist nur eine und besteht im Urteilen. Die Vernunft, wo sie ihre Funktion erfllt, urteilt. Dagegen sind sowohl die Grundfunktionen wie auch die Elementarfunktionen des Intellekts mehrere. Wie Kant notiert, kçnnen „die Funktion des Denkens in demselben [im Urteil; d. Verf.] unter vier Titel gebracht werden […], deren jeder drei Momente unter sich enthlt“ (KrV A 70/B 95). In diesem Sinne prsentiert er eine Tafel mit vier Grundfundfunktionen: der quantitativen, der qualitativen, der relationalen und der modalen.178 Und die Tafel gibt drei Elementarfunktionen pro Quadrant an: die, auf der das allgemeine Urteil beruht, die, aus der das besondere Urteil hervorgeht etc. Wenn Kant hier auch von Momenten spricht, so sind damit gleichwohl Funktionen gemeint. Die „Momente des Denkens“ (KrV A 96/B 71), das sind die elementaren Identitten, die nicht weiter reduzierbaren Gesetzmßigkeiten des Urteilsgeschehens.179 In der Unterscheidung einer Hauptfunktion des Intellekts einerseits und mehrerer Grund- und Elementarfunktionen andererseits drckt sich der Gedanke aus, dass fr das Zustandekommen eines Urteils viele verschiedene Handlungen vonnçten sind. Die Hauptfunktion der Vernunft wird nur dadurch ausgebt, dass vier Grundfunktionen bzw. mindestens eine der jeweils drei Elementarfunktionen ausgebt werden. Eine Handlungseinheit kann viele verschiedene Handlungseinheiten in sich begreifen. Die in einer konkreten Handlung realisierte Funktion kann, obschon sie in ihrer Bestimmtheit nicht weiter zerlegbar ist, zugleich einen Komplex unterschiedlicher Subfunktionen bilden. So schließt auch, um im obigen Beispiel zu bleiben, das Greifen der menschlichen Hand eine Vielheit von Leistungen ein: die kontrahierenden Bewegungen jedes einzelnen Fingers, das Beugen der Handinnenflche, das Drcken und Festhalten usf. Ebenso im Falle des oberen Erkenntnisvermçgens. Jeder Urteilsakt, dem als Ganzem ein Urteil entspringt, befasst diverse Denkakte in sich. Die Hauptfunktion der Vernunft ist als eine numerische Einheit anzusehen, sie enthlt eine Mehrheit von Grund- und Elementarfunktionen, die immer dann bettigt werden, wenn die Vernunft denkt. Und gemß dem Parallelismus zwischen Urteilsfunktionen und Urteilsformen ist in der Konsequenz auch zwischen den Elementarformen eines Urteils, seinen vier Grundformen und der einen Gesamtform zu differenzieren. Auch die

178 Vgl. KrV A 406/B 432; Prol. A 129; AA XXIV 929; AA XXIV 577; AA XXIV 661. 179 Vgl. KrV A 76/B 101, A 73/B 98, A 131/B 170; Prol. A 85, 88, 122.

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Form eines Urteils bildet einen Komplex aus vielen Formen, die als Momente einer Formeinheit aufzufassen sind.180 Ein jedes Urteil ist stets in allen vier Hinsichten spezifiziert. Fr Kant kommt ein Urteil nur so zustande, dass unter dem „Titel“ der Quantitt mindestens ein „Moment“ des Denkens aktiviert wird, mindestens ein „Moment“ unter dem „Titel“ der Qualitt, der Relation und der Modalitt. Das geschieht freilich nicht im Modus des Nacheinander, sondern in uno eodemque actu. Und prinzipiell sind alle Kombinationen denkbar. Ein Urteil, das beispielsweise hinsichtlich seiner Quantitt allgemein ist, kann bezglich seiner Qualitt bejahend sein oder verneinend oder unendlich usw. Das Gleiche muss dann auch auf praktische Urteile zutreffen. Fr sie gilt, was fr alle Urteile berhaupt richtig ist: Sie beruhen gleichfalls auf der Ausbung von Funktionen, sie weisen ebenso entsprechende Formen auf, und auch hier sind alle Zusammenstellungen grundstzlich denkbar.181 Ein praktisches Urteil, das etwa in Bezug auf seine Quantitt ein Gesetz ist, kann, was seine Qualitt anlangt, sowohl das Begehen einer Handlung enthalten wie auch deren Unterlassung wie auch eine Ausnahme usf. Die so genannte Urteilstafel und in der Folge die Kategorientafeln tabellieren daher nicht zwçlf verschiedene Urteilsarten, wie Annemarie Pieper im Hinblick auf die Freiheitskategorien behauptet.182 Mit dem Begriffspaar Funktion/Form kommen Kants Ausfhrungen zum allgemeinen Begriff des Intellekts zu ihrem Ende. Was der zweite Schritt der metaphysischen Deduktion vortrgt, sind immer noch rationalittsphilosophische Grundberlegungen, die der Differenz von theoretischem und praktischem Gebrauch der Vernunft vorhergehen; er entfaltet nach wie vor das Wesen des oberen Erkenntnisvermçgens. Dem zufolge besitzen auch die Kategorien der Freiheit ein funktions- und formtheoretisches Profil, wenn sie tatschlich wie die Kategorien der Natur aus der so genannten Urteilstafel abgeleitet werden. Praktische Urteile, halten wir das in aller Deutlichkeit fest, beruhen auf der Ausbung der-

180 Vgl. KrV B 111 f.; Jsche A 163. Siehe dazu Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 11 ff. und 26 ff. 181 Vgl. Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 261. 182 Vgl. Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 122. Zur Kritik dieser Auffassung siehe Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 86; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 9 ff.

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selben logischen Funktionen wie theoretische Urteile;183 und sie mssen folgerichtig dieselben logischen Formen aufweisen wie diese.184 Mit einem Wort, die so genannte Urteilstafel in der Kritik der reinen Vernunft bildet den Konvergenzpunkt einer Theorie theoretischer Urteile, in welchen sich die Erfahrung eines Objekts vollzieht, und einer Theorie praktischer Urteile, welche das Wollen eines Objekts enthalten. Zuletzt zum dritten Schritt der metaphysischen Deduktion. Er findet sich in der Feststellung ausgesprochen: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedruckt, der reine Verstandesbegriff heißt.“ (KrV A 79/B 104 f.) Und Kant setzt hinzu: „Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung berhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.“ (KrV A 79/B 105)

Kant trgt hier offensichtlich eine Identittsthese vor. Doch man muss sich vorsehen; wenn er in §26 der B-Auflage rckblickend sagt, dass in der metaphysischen Deduktion „der Ursprung der Kategorien a priori berhaupt durch ihre vçllige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens dargetan“ wurde, lsst das zwei Interpretationen zu. Man kçnnte das so verstehen, als sei es die Aufgabe der Deduktion, die bereinstimmung zwischen zwei selbstndig existierenden Tafeln vorzufhren, der so genannten Urteilstafel (§9) und der Tafel der Naturkategorien (§10). Darin aber liegt ein Irrtum. Die metaphysische Deduktion geht gerade nicht von der schieren Voraussetzung aus, dass es reine Ver183 Vgl. Pieper, Annemarie: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 149; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 266. 184 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 142 f.; Fulda, Hans F.: Notwendigkeit des Rechts unter Voraussetzung des Kategorischen Imperativs der Sittlichkeit, a.a.O., S. 200; Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 51 ff. und 72; Patzig, Gnther: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik. Wilhelm Kamlah zum 60. Geburtstag gewidmet, in: Kant-Studien 56 (1965), S. 237 f.; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 120 und 122. Siehe bereits Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O, S. 25 ff.

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standesbegriffe gibt, sie argumentiert stattdessen auf sie hin. Ihr Interesse gilt dem Ursprung derartiger Begriffe: Sie entwickelt sie aus den Urteilsfunktionen und -formen. Die Tafel der einen wird im Ausgang von der Tafel der anderen erstellt und durch sie begrndet. 185 Diese Vorgehensweise drfen wir ohne Weiteres ins Praktische bertragen. Die metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien wird die gleiche Verlaufsrichtung einschlagen mssen; auch sie wird die Kategorien nicht einfach als gegeben annehmen kçnnen, sondern muss sie allererst gewinnen, indem sie sie gleichfalls aus den Urteilsfunktionen und -formen herleitet und dabei die so genannten Urteilstafel zum Leitfaden nimmt. Kants Identittsthese besagt, dass diejenige Funktion, welche Vorstellungen im Urteil vereinigt, und diejenige Funktion, welche das Mannigfaltige einer sinnlichen Anschauung verknpft, identisch sind.186 Es ist der Intellekt, der das eine wie das andere leistet; und er vollzieht in beiden Fllen ein und dieselbe Handlung. Das obere Erkenntnisvermçgen kann durch die Ausbung seiner Funktionen nicht nur Vorstellungen im Urteil synthetisieren, es kann zustzlich die korrespondierenden Erscheinungen in Raum und Zeit miteinander verbinden und eine Ordnung unter ihnen herstellen. Das Mannigfaltige der Sinne, wenn es berhaupt durch den Intellekt gedacht wird, das ist Kants entscheidender Punkt, kann nicht anders gedacht werden als den Grundgesetzen alles Denkens gemß. Kraft dieser berlegung kommt die metaphysische Deduktion zu dem Ergebnis, dass die theoretische Vernunft in der Tat die Quelle reiner Begriffe in sich trgt und dass diese Begriffe nichts anderes sind als die Urteilsfunktionen der Vernunft, sofern diese theoretisch gebraucht, das heißt auf die Objekte des Anschauungsvermçgens angewandt, werden. „Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstnde der Anschauung berhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen mçglichen Urteilen gab“ (KrVA 79/B 105).187

185 Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 115 f.; Longuenesse, Batrice: The Divisions of the Transcendental Logic and the Leading Thread (A 50/B 74-A 83/B 109; B 109 – 116), a.a.O., S. 153 f. 186 Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 123 ff.; Schulthess, Peter: Relation und Funktion, a.a.O., S. 272; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 29. 187 Die Kategorien sind die „Funktionen des Denkens (Urteilens) schon auf unsere sinnliche Anschauung angewandt“ (KrV B 429). Vgl. KrV B 128, 143, A 147/B 186 f., A 244 f., A 321/B 377, A 348 f.; Prol. A 85, 89; Fortschr. A 40 f.; MAN A XVI f.; AA XXIX 801. Dass es dagegen kein sinnlich Mannigfaltiges der An-

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Der Fortgang hin zum letzten Schritt der Deduktion lsst sich terminologisch an dem Begriffspaar logisch/real festmachen.188 Diese Unterscheidung entstammt Kants Inaugural-Dissertation De mundi von 1770 und findet sich, wenngleich mit modifizierter Bedeutung, in der Kritik der reinen Vernunft wieder. Danach ist zwischen einem logischen und einem realen Gebrauch des oberen Erkenntnisvermçgens zu distinguieren. Gemeint sind damit jedoch nicht zwei gnzlich verschiedene Ttigkeitsarten der Vernunft, sondern lediglich zwei besondere Ausbungsarten der einen Ttigkeit, zwei Weisen, wie die Vernunft ihre Funktion erfllt, wie sie urteilt.189 Die ersten beiden Schritte der metaphysischen Deduktion haben den logischen Gebrauch des Intellekts (usus logicus intellectus) zum Gegenstand. Das ist darin augenfllig, dass die §§8 und 9 ausdrcklich „Von dem logischen Verstandesgebrauche berhaupt“ (KrV A 67/B 92) und „Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen“ (KrV A 70/B 95) handeln. So lauten ihre berschriften. Die Operationen der Vernunft werden hier rein fr sich betrachtet, das heißt gleichgltig gegen den Ursprung und den Inhalt der Vorstellungen, mit denen die Vernunft operiert. „Das Denken, fr sich genommen“, so vermerkt Kant spter, „ist bloß die logische Funktion“ (KrV B 428) und bleibt „in Ansehung alles Objekts unbestimmt“ (Prol. A 119 f.). Demgegenber thematisiert der dritte Schritt der Deduktion den realen Gebrauch des Intellekts. Zwar verwendet Kant das Adjektiv ,real‘ nicht im einschlgigen §10, doch sind andere Textstellen der Kritik unmissverstndlich. So lesen wir anderwrts, dass es „von ihr [der Vernunft; d. Verf.], wie von dem Verstande, einen bloß formalen, d.i. logischen Gebrauch [gibt], da die Vernunft von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert, aber auch einen realen, da sie selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundstze enthlt“ (KrV A 298/B 355).190 Der Sache nach ist vom usus realis intellectus immer dort die Rede, wo Kant von der objektiven Realitt spricht, die den Urteilsfunktionen zukommt. In diesem Sinne betrachtet der letzte Schritt der metaphysischen Deduktion die Funktionen schauung gibt, das nicht durch die Urteilsfunktionen der Vernunft gedacht ist, ist erst das Beweisziel der transzendentalen Deduktion. Siehe unten Kapitel II.5. 188 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 45; Longuenesse, Batrice: The Divisions of the Transcendental Logic and the Leading Thread (A 50/B 74-A 83/B 109; B 109 – 116), a.a.O., S. 138 f.; Schulthess, Peter: Relation und Funktion, a.a.O., S. 70. 189 Vgl. Longuenesse, Batrice: Kant and the Capacity to Judge, a.a.O., S. 26 ff. 190 Zur Verwendung des Adjektivs ,real‘ im Kontrast zum Adjektiv ,logisch‘ vgl. KrV A 214/B 261, A 225/B 273, B 293, A 244/B 302, A 272 f./B 329 f. und A 598/B 626.

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des Intellekts auf die Bedingungen hin, unter denen sie objektiv gltig ausgebt werden. Er fhrt den Nachweis, dass die reinen Verstandesbegriffe eben diese Funktionen sind, sofern sie mit Bezug auf Gegenstnde der Anschauung und deren Mannigfaltigkeit gebraucht werden. Kurz, Kant entwickelt die Kategorien der Natur aus den logischen Urteilsfunktionen des Intellekts als die, wie wir formulieren wollen, realen Urteilsfunktionen der theoretischen Vernunft.191 Nimmt man es genau, verbirgt sich hinter den reinen Verstandesbegriffen etwas Doppeltes. Wir mssen abermals entflechten, was Kant nur zusammengefasst darbietet. Denn auch die Kategorientafel ist in einem ein Verzeichnis von Funktionen und von Formen. Kategorien der Natur – so heißen nicht nur die Urteilsfunktionen der Vernunft, wenn sie theoretisch bettigt werden, sondern ebenso die Formen derjenigen Urteile, die aus dieser Bettigung resultieren. Hinter ein und demselben Namen versteckt sich erneut jeweils eine Funktion und eine Form.192 Fr die Form eines Urteils kommt es gerade darauf an, ob das Urteil auf der logischen oder auf der realen Ausbung der Denkfunktionen basiert. Es besitzt entweder eine logische oder, wie wir sagen wollen, eine reale Form. Kant erklrt den Unterschied dahin, dass im ersten Fall die Vorstellungen des Urteils beliebig vertauscht werden kçnnen, dass man also beispielsweise statt ,Alle Kçrper sind teilbar‘ genauso gut sagen kann ,Manches Teilbare ist ein Kçrper‘, wohingegen das im letzten Fall nicht mçglich ist. Es verschçbe sich alsdann nmlich die Wahrheitsbedingung des Urteils.193 Und man erkennt ohne große Anstrengung, dass sich dies im Bereich des Praktischen hnlich verhalten muss. Auch das praktische Urteil besitzt als solches eine reale Form, worin der Gedanke seinen Ausdruck findet, dass auch ein solches Urteil objektiv gltig ist. Denn die Identittsbedingungen des Gegenstandes, auf den mein Wille gerichtet ist, lassen ebenso wenig eine willkrliche Vertauschung der Vorstellungen zu, durch die ich mir diesen 191 Vgl. Aebi, Magdalena: Kants Begrndung der „Deutschen Philosophie“. Kants transzendentale Logik, Kritik ihrer Begrndung, Basel 1947, S. 182. 192 Zwar benutzt Kant vorwiegend den Ausdruck ,Kategorien‘, wenn von den Urteilsfunktionen die Rede ist, den Ausdruck ,reine Verstandesbegriffe‘ hingegen, wenn es um die Urteilsformen geht. Das aber mitnichten konsequent. Vgl. KrV A 79/B 105, A 299/B 356 bzw. B 150, 288. 193 Vgl. KrV B 128 f.; MAN A XVII f. Die logische Form des Urteils ist, mit Bertrand Russell gesprochen, symmetrisch, die reale Form asymmetrisch (vgl. The Principles of Mathematics, Cambridge 1903, §§94 ff.). Russell lobt Kant, als Erster den Unterschied von symmetrischen und asymmetrischen Relationen entdeckt zu haben (vgl. §217).

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Gegenstand als bestimmt denke. Es wre eben nicht dasselbe, nhme man sich vor, mit allem nçtigen Fleiß der bevorstehenden Abschlussprfung entgegenzulernen und hinterher in wohlverdienter geselliger Runde das Ende des Studiums zu begehen, oder wollte man umgekehrt fleißig trinken und sich sodann erst auf das Examen vorbereiten. Kant bezeichnet die reinen Verstandesbegriffe in namentlicher Anlehnung an Aristoteles als Kategorien (jatgcoq¸ai).194 Weit davon entfernt, philosophiehistorische Neuerfindungen zu sein, finden sich diese Begriffe in den gebruchlichen „ontologischen Lehrbcher[n]“ (KrV A 82/B 108). Sie sind im Großen und Ganzen ein fester Bestandteil der tradierten Ontologien, nicht nur der aristotelischen Metaphysik sowie deren Wiederaufnahme in der Scholastik, sondern auch den zeitnheren Metaphysiken etwa von Christian Wolff und Alexander G. Baumgarten.195 Allerdings liefert Kant eine neuartige und ingeniçse Begrndung der Kategorien. Er entontologisiert sie, indem er sie im Sinne des transzendentalen Idealismus als die fundamentalen Strukturen theoretischer Subjektivitt ausweist.196 Und er sondert diejenigen der reinen Verstandesbegriffe, die einen bloß abgeleiteten Status haben (Prdikabilien), von denen ab, die nicht selber wieder auf hçhere Begriffe zurckgefhrt werden kçnnen (Prdikamente); nur die letzteren heißen Kategorien. Die Tafel der Naturkategorien befasst ausschließlich die „Stammbegriffe des reinen Verstandes“ (KrV B A 81/107).197 Das Gelingen der metaphysischen Deduktion hngt von einer entscheidenden Bedingung ab. Sie ist in Kants merkwrdiger Formulierung vorhanden, wonach der Intellekt durch die Verbindung des Mannigfaltigen einer sinnlichen Anschauung „in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt [bringt], weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann“. Was meint Kant hier mit „transzendentalem Inhalt“? Wie unschwer zu sehen, stimmt diese Textstelle mit der Unterscheidung von transzendentaler und formaler Logik zusammen, die Kant etwas frher erçrtert. Die Letztgenannte nmlich „abstrahieret […] von allem Inhalt der Erkenntnis, 194 195 196 197

Vgl. KrV A 79/B 105; Fortschr. A 40; Prol. A 118 ff. Vgl. Prol. A 123 Anm. Vgl. KrV A 247/B 303; Prol. A 122 Anm. Zwar sind alle Kategorien reine Verstandesbegriffe, aber nicht alle reinen Verstandesbegriffe sind auch Kategorien. Denn reine Verstandesbegriffe heißen beide, die so genannten Prdikamente wie auch die Prdikabilien. Doch erstere sind ursprnglicher als letztere, die Prdikabilien sind von den Prdikamenten abgeleitet. Vgl. KrV A 82/B 108; Prol. A 120, 123 Anm.

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d.i. von aller Beziehung derselben auf das Objekt, und betrachtet nur die logische Form im Verhltnisse der Erkenntnisse auf einander“ (KrV A 55/B 79). Die Erstgenannte dagegen ist eine Wissenschaft, in der gerade „nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahiert“ (KrV A 55/B 80) wird. Wovon die transzendentale Logik absieht, das sind allein die empirischen Inhalte des Denkens. Dadurch aber wird sie mitnichten inhaltsleer. Sie ist die Wissenschaft von den Gesetzmßigkeiten des Denkens, insofern das Denken – um nun beide Passagen zusammenzubringen – einen „transzendentalen Inhalt“ besitzt.198 Hier helfen die Bemerkungen, mit denen Kant den letzten Schritt der Deduktion vorbereitet. Bezeichnenderweise beginnt §10 damit, an den Unterschied von formaler und transzendentaler Logik zu erinnern. Dem zufolge sieht die transzendentale Logik nicht „von allem Inhalt der Erkenntnis“ ab und erwartet nicht, dass „ihr anderwrts […] Vorstellungen gegeben werden“ (KrV A 76/B 102), sondern sie hat „ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen, welches die transzendentale sthetik ihr darbietet“ (KrV A 76 f./B 102). Die transzendentale sthetik gibt „den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff“, „ohne den sie ohne allen Inhalt, mithin vçllig leer sein“ (KrV A 77/B 102) wrden. Dieser Stoff ist nun kein anderer als der, den Kant wenig spter „transzendentalen Inhalt“ nennt. Um es kurz zu machen: Dass die Urteilsfunktionen des Intellekts einen transzendentalen Inhalt haben, bedeutet, dass ihnen mit dem „Mannigfaltigen der reinen Anschauung a priori“ (ebd.), den so genannten Schemata, ein Material fr ihre Ausbung zur Verfgung steht, das im Gemt bereitliegt und nicht empirischen Ursprungs ist. Nur dank dieser Voraussetzung kçnnen die reinen Verstandesbegriffe berhaupt reine Begriffe sein und metaphysisch deduziert werden, das heißt unabhngig von aller Erfahrung.199 198 „Eine solche Wissenschaft, welche den Ursprung, den Umfang und die objektive Gltigkeit solcher Erkenntnisse bestimmete, wrde transzendentale Logik heißen mssen, weil sie es bloß mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zu tun hat, aber lediglich, so fern sie auf Gegenstnde a priori bezogen wird“ (KrV A 57/B 81 f.). 199 Im Schematismus-Kapitel identifiziert Kant das „Mannigfaltige der reinen Anschauung a priori“ klar mit den Schemata: „Die Zeit, als die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknpfung aller Vorstellungen, enthlt ein Mannigfaltiges a priori in der reinen Anschauung.“ (KrV A 138/B177). Und dieses „Mannigfaltiges a priori in der reinen Anschauung“ setzt Kant mit den „transzendentalen Zeitbestimmung[en]“ (KrV A 139/B178) gleich, die jeweils einer Urteilsfunktion des Intellekts korrespondieren. Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 125 f.; Longuenesse, Batrice: The Divisions of

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Was ist damit nun fr die Kategorien der Freiheit gewonnen? Der letzte Schritt in der metaphysischen Deduktion hat nicht mehr wie die beiden vorigen das obere Erkenntnisvermçgen als solches zum Gegenstand. Vielmehr ist hier die Stelle erreicht, an der die eigentliche Ableitung der Naturkategorien durchgefhrt wird. Das Nmliche wird dann auch fr die metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien zu gelten haben. Diese steht zwar auf demselben rationalittstheoretischen Boden, aber sie wird in ihrem dritten Schritt einen anderen Weg einschlagen mssen. Und wir kçnnen bereits jetzt einige Punkte fixieren, die fr ein solches Parallelunternehmen kennzeichnend sein werden. Erstens haben wir auch hier mit einer Identittsthese zu rechnen. Der dritte Schritt in der metaphysischen Deduktion der Freiheitskategorien muss gleichfalls dafr argumentieren, dass der Intellekt durch ein und dieselbe Handlung nicht nur Vorstellungen im Urteil, sondern darber hinaus eine Mannigfaltigkeit synthetisiert, welche diesen Vorstellungen korrespondiert – nicht zum Objekt der Erfahrung, sondern zum Objekt des Willens. Wie Kant sich ausdrckt und wir im vorigen Kapitel bereits kennen gelernt haben, wird es sich dabei um „das Mannigfaltige der Begehrungen“ (KpV A 115) handeln, was auch immer damit im Detail gemeint sein mag. Nur auf diese Weise lsst sich belegen, dass der praktischen Vernunft ebenfalls reine Begriffe entspringen und dass diese Begriffe nichts anderes sind als die Urteilsfunktionen der Vernunft, sofern diese praktisch gebraucht, das heißt auf Objekte des Begehrungsvermçgens angewandt, werden. Zweitens ist der bergang hin zum letzten Schritt der Deduktion abermals an der terminologischen Unterscheidung logisch/real festzumachen. Die Urteilsfunktionen des Intellekts, so ist darzulegen, mssen noch eine weitere, ber die logische Ausbung hinausreichende reale Anwendung besitzen, denn die Differenz von theoretischem und praktischem Gebrauch der Vernunft ist eine Differenz im realen Gebrauch derselben. Das Augenmerk gilt daher aufs Neue den Bedingungen, unter denen die Funktionen des oberen Erkenntnisvermçgens objektiv gltig bettigt werden kçnnen, Bedingungen jedoch, die jetzt nicht mehr im Anschauungs-, sondern im Begehrungsvermçgen zu suchen sind. Die Kategorien der Freiheit sind als eben jene Funktionen zu dokumentieren, die aber nun mit Bezug auf Gegenstnde des Begehrens und deren Mannigfaltigkeit the Transcendental Logic and the Leading Thread (A 50/B 74-A 83/B 109; B 109 – 116), a.a.O., S. 135 ff. und 150.

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gebraucht werden. Das heißt, sie sind aus den logischen Urteilsfunktionen herzuleiten als die realen Urteilsfunktionen der praktischen Vernunft. Drittens sind genauso die Freiheitskategorien hinsichtlich ihrer Doppelnatur zu durchschauen. Mit ihnen hlt man nicht lediglich, wie es wohl den Anschein haben kçnnte, Formen praktischer Urteile in den Hnden, sondern ebenso und ursprnglicher die zugrunde liegenden Urteilsfunktionen, die der Intellekt ausbt, wann immer er sich praktisch bettigt. Als Gesetz beispielsweise, als Vorschrift oder als Maxime bezeichnet Kant in Wahrheit nicht nur bestimmte quantitative Formen praktischer Urteile (also des Willens), wie man seine Redeweise in der Kritik der praktischen Vernunft und in anderen Schriften zur praktischen und Moralphilosophie zu deuten gewohnt ist. Als Gesetz, Vorschrift oder Maxime muss Kant auch die Identitten des Urteilsvollzuges bezeichnen, aus dem praktische Urteile allererst mit ihrer jeweiligen Form hervorgehen. Die Tafel der Kategorien der Freiheit, wie sie uns vorliegt, ist daher erneut zwei in einem, ein Katalog von Funktionen wie von Formen, nur dass beide wiederum denselben Namen fhren. Viertens wird man in den Kategorien der Freiheit die fundamentalsten Strukturen praktischer Subjektivitt zu sehen haben. Macht man Kants Herauslçsung des Kategorienkonzepts aus dem Theoretischen und die bertragung auf das Gebiet des Praktischen sorgfltig mit, dann figurieren die Kategorien als Grundbegriffe, die nicht auf hçhere Begriffe zurckgefhrt und aus diesen erschlossen werden kçnnen. Sicherlich, die Unterscheidung von Prdikabilien und Prdikamenten taucht in der Kritik der praktischen Vernunft nicht namentlich auf, und es mag zudem offen bleiben, welche praktischen Begriffe Kant fr Prdikabilien halten wrde – aber man kommt nicht umhin zu bemerken, dass er die Freiheitskategorien expressis verbis als „Elementarbegriffe“ (KpV A 116) markiert. Und das bedeutet doch wohl, dass sie die hçchsten Grundbegriffe sind, sprich die Prdikamente der praktischen Vernunft. Fnftens schließlich wird sich auch die metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien lediglich dann erfolgreich durchfhren lassen, wenn eine ganz bestimmte Bedingung erfllt ist: Es bedarf nicht nur eines Mannigfaltigen, auf das die Urteilsfunktionen des Intellekts angewandt werden kçnnen, um real gebraucht zu werden, sondern eines Mannigfaltigen a priori. Denn nur, wenn es ein Pendant zu dem gibt, was Kant im Falle der Naturkategorien „transzendentalen Inhalt“ nennt, ein Material also, das im Subjekt selbst verfgbar ist und das nicht aus empirischen Quellen stammt, kçnnen die Kategorien der Freiheit berhaupt reine Begriffe und damit Kategorien im vollgltigen Sinne sein. Allein unter

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dieser Voraussetzung kçnnen sie metaphysisch, das heißt ohne Rekurs auf Erfahrung, deduziert werden. Wir haben uns also darauf einzustellen, dass es so etwas geben muss wie „das Mannigfaltige der Begehrungen“ a priori.

2. Die Kategorien der Freiheit und die praktische Vernunft I: Wille und praktisches Urteil Im letzten Kapitel sind wir den erprobten Pfad abgeschritten, den in der Kritik der reinen Vernunft die metaphysische Deduktion der Naturkategorien nimmt. Wir haben dabei festgestellt, dass diese in ihrer finalen Phase die Eigenart des theoretischen Vernunftgebrauchs ins Spiel bringt. An diesem Vorbild drfen wir uns orientieren und Anhalt suchen, wenn wir uns auf die bislang noch unbekannte und unvertraute metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien einlassen. Denn von dieser wird hnliches zu erwarten sein: Sie wird an entsprechender Stelle ganz analog den spezifisch praktischen Gebrauch des Intellekts zur Geltung zu bringen haben. Wodurch aber, so muss man zuvor fragen, zeichnet sich dieser aus. Wie genau fasst Kant das praktische Vernunftvermçgen des Menschen? Wir wollen das gesondert vorab klren. Die Ausfhrungen des vorliegenden und des nchsten Kapitels sollen dies leisten, jedenfalls in dem Umfang, wie es fr unsere Interessen erforderlich ist. In einem ersten Schritt ist der terminologische Zusammenhang von Begehrungsvermçgen, Willen und Vernunft aufzuhellen. Da Kant berlegungen zur allgemeinen scientia practica nirgendwo Raum gegeben, sondern zugunsten seiner moralphilosophischen Problemstellung ausgeklammert und nur gelegentliche Ad-hoc-Anmerkungen in dieser Sache gemacht hat, mssen wir das, soweit es von Belang ist, aus dem Kontext rekonstruieren. Am Ende dieser Fragerichtung steht der einschlgige, aber kryptische Ausdruck ,Willensbestimmung‘. In ihm kristallisiert, wie sich zeigen wird, die begriffliche Beziehung zwischen Begehrungsvermçgen, Willen und Vernunft. Denn was meint Kant damit? Der Terminus wird an keiner Stelle eigens eingefhrt und grundlegend erlutert, obschon er mit der zweiten Kritik zu einem zentralen Instrumentarium der kantischen Theorie avanciert. In Auseinandersetzung mit dem kantischen Text einerseits und unter Rckgriff auf die Ergebnisse des vorigen Kapitels andererseits lsst sich dafr argumentieren, dass Bestimmungen des Willens eine propositionale Struktur besitzen. Willensbestimmungen, so die These, sind praktische Urteile. Es wird zu sehen sein, welche Implikationen das fr

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die Kategorien der praktischen Vernunft, also die Kategorien der Freiheit, birgt. Ausgangspunkt soll uns die Kritik der reinen Vernunft sein. Dort merkt Kant gleich zu Beginn, und zwar in der „Vorrede“ zur zweiten Auflage, erstmals in seiner kritischen Schaffensphase an, worin der Unterschied von theoretischer und praktischer Vernunft liegt. Er schreibt: „[…] und ihre Erkenntnis [der Vernunft; d. Verf.] kann auf zweierlei Art auf ihren Gegenstand bezogen werden, entweder diesen und seinen Begriff (der anderweitig gegeben werden muß) bloß zu bestimmen, oder ihn auch wirklich zu machen. Die erste ist theoretische, die andere praktische Erkenntnis der Vernunft.“ (KrV B IX f.)

Die Vernunft kann sich auf „zweierlei Art auf ihren Gegenstand“ beziehen. Kant legt die Differenz von theoretischer und praktischer Vernunft offenbar als eine Differenz im Objektbezug des Denkens aus. Entweder ist der Vernunft ein Gegenstand „anderweitig gegeben“; sie heißt alsdann theoretische Vernunft. Das obere Erkenntnisvermçgen geht in seiner theoretischen Bettigung auf Objekte, die ihm durch die sinnliche Anschauung dargereicht werden. Oder der Gegenstand wird durch die Vernunft selbst „wirklich“ gemacht; in diesem Falle spricht Kant von praktischer Vernunft. Der Intellekt wird genau dann praktisch gebraucht, wenn er es mit solchen Objekten zu tun hat, die durch Ausbung des Begehrungsvermçgens allererst hervorgebracht werden kçnnen. In anderen Worten zeichnet sich das theoretische Denken (Erfahren) durch ein rezeptives, das praktische Denken (Wollen) durch ein produktives Verhltnis zu seinem Gegenstand aus. Im letztgenannten Fall kommt der Vernunft die Mçglichkeit einer Kausalitt in Ansehung ihrer eigenen Objekte zu.200 Die Eigenart des jeweiligen Vernunftgebrauchs verleiht den entsprechenden Kategorien ihr charakteristisches Geprge. Die Kategorien der Natur muss man sich klar machen als reine Begriffe, durch welche die Vernunft Gegenstnde denkt, die ihr qua sinnlicher Anschauung gegeben werden. Anders die Kategorien der Freiheit. Sie sind demgegenber vorzustellen als diejenigen reinen Begriffe, welche vorgeben, wie die Vernunft Gegenstnde berhaupt nur zu denken vermag, die sie qua Begehrungsvermçgen selbst zum Dasein bringen kann. In diesem Sinne sind, wie Kant in der zweiten Kritik im Umfeld der Kategorientafel mit eigenen Worten 200 „Als praktische Vernunft wird diejenige bestimmt, die als Ursache fr ein InsDasein-Rufen, zur Existenz-bringen in Frage kommt.“ Kaulbach, Friedrich: Kants Theorie des Handelns, in: Funke, Gerhard (Hg.): Akten des IV. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 6.–10. April 1974, Berlin/New York 174, S. 76.

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gegenberstellt, die einen „theoretische Begriffe“ (KpV A 115), die anderen „praktische Begriffe“ (KpV A 116). Der Unterschied zwischen theoretischem und praktischem Intellekt ist ein Unterschied im Erkennen. Es ist „ihre Erkenntnis“, so lesen wir, nmlich die Erkenntnis der Vernunft, die auf zwei Weisen auf den Gegenstand bezogen sein kann. Erkennen (cognitio) ist nicht nur das Geschft der theoretischen, sondern, das darf man nicht bersehen, ebenso und nicht minder das der praktischen Vernunft. Je nachdem, wie das Denken auf sein Objekt referiert, erkennt es dieses Objekt auf die eine oder auf die andere Art. Whrend die theoretische Vernunft Gegenstnde erkennt, die ihr von außen gegeben werden, nmlich durch die Sinne, erkennt die praktische Vernunft solche, die sie selbst aus sich heraus realisieren kann, also Objekte des Begehrungsvermçgens.201 Dieser Begriff von Erkenntnis ist freilich sehr weit. Die klassische, bis auf Platon zurckgehende Vorstellung zum Beispiel, die nachgerade als Standardanalyse angesehen werden darf, verlangt, dass mindestens drei notwendige Voraussetzungen erfllt sein mssen, damit ein Fall von Erkenntnis vorliegt: die Glaubensbedingung, die Rechtfertigungsbedingung und die Wahrheitsbedingung. Wissen ist wahre begrndete Meinung (!kghμr dºna let± kºcou). Wenn jemand weiß, dass p, dann gilt auf jeden Fall, dass er erstens glaubt, dass p der Fall ist, dass er zweitens ausreichende Grnde fr diese berzeugung hat und dass drittens p tatschlich vorliegt. Wer also etwas, das er fr wahr hlt, auch zu wissen beansprucht, muss ber zulngliche Grnde verfgen, um das Bestehen des entsprechenden Sachverhaltes belegen zu kçnnen. Dagegen hat der kantische Begriff des Erkennens lediglich ein wesentliches Kriterium, und zwar den Gegenstandsbezug. Vorstellungen gelten allein schon dann als Erkenntnis, wenn ihnen objektive Realitt anhaftet.202 Sie haben alsdann nicht ins Beliebige hinein diesen oder jenen Inhalt, sondern sie stellen das zum Wasgehalt (realitas) eines Objekts Gehçrige vor, sei dieses nun des Nheren ein Objekt der Erfahrung oder eines des Willens. Wie Kant notiert, eignet ihnen Objektivitt, nicht in einem veritativen, sondern im referenziellen Sinne.203

201 Vgl. KU A/B XVII. Siehe dazu Benton, Robert J.: Kant’s Second Critique and the Problem of Transcendental Arguments, Den Haag 1977. 202 Kant spricht, statt von objektiver Realitt oder Gltigkeit, zuweilen auch von Sinn oder Bedeutung. Vgl. KrV B 149, A 156/B 195 und passim. 203 Vgl. KrV A 320/B 376 f. Siehe auch KrV B 137; AA XX 208.

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Die Rede von praktischer Vernunft ist keineswegs selbstverstndlich. Kant benutzt den Ausdruck nachweislich seit 1765.204 Einer der frhesten Interpreten der kantischen Philosophie, Georg S. A. Mellin, erklrt, dass die Formel ,praktische Vernunft‘ vor Kant nicht blich gewesen sei; statt von theoretischer Vernunft habe man nur von Verstand gesprochen und statt von praktischer Vernunft vom Willen.205 Theoriegeschichtlich lsst sich die Unterscheidung wohl bis zu Aristoteles und dem Gegensatz von moOr heyqgtijºr und moOr pqajtijºr zurckverfolgen. Allerdings bringt Kant den theoretischen und den praktischen Intellekt in einen scharfen und strikten Gegensatz – aber nicht so, wie Otfried Hçffe meint, dass nmlich „die praktische Vernunft von allen erkennenden Elementen freigesetzt“ werde und dass „die epistemischen Elemente […] geradezu liquidiert“206 wrden. Auch die praktische Vernunft ist nach Kant ein Erkenntnisvermçgen. Nur richtet sie sich nicht auf einen besonderen Seinsbereich, etwa die Praxis, sondern es ist die Art, wie die Vernunft auf Gegenstnde Bezug nimmt, die ihren theoretischen und ihren praktischen Gebrauch jeweils kennzeichnet. Auch die praktische Vernunft, so muss man przise sagen, erkennt, aber nicht anderes, sondern anders als die theoretische.207 Dem menschlichen Denken kommt also fr Kant in der Erfahrung und im Wollen Objektivitt zu.208 Demgemß formuliert er auch in der Kritik der praktischen Vernunft, und zwar gleich zu Anfang des „Zweiten Hauptstckes“ in dem Kapitel, welches sich mit der Kategorienproblematik auseinander setzt: „Ein Gegenstand der praktischen Erkenntnis, als einer solchen, zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er, oder sein Gegenteil, wirklichgemacht wrde“ (KpV A 100). Das Objekt einer cognitio practica im weitesten Verstande ist ein Objekt des Willens, das heißt eine Handlung und deren mitbeabsichtigte Folgen, die wir durch die Ausfhrung unseres Willens in Raum und Zeit 204 Das frheste Zeugnis bildet die Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen im Winter Halbjahr von 1765 – 66. Vgl. Nachr. A 14. 205 Vgl. Mellin, Georg S. A.: Kunstsprache der kritischen Philosophie, a.a.O., S. 283. 206 Hçffe, Otfried: Einfhrung in die Kritik der praktischen Vernunft, in: Ders. (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 1 f. 207 Daneben spricht Kant noch in einer anderen Hinsicht von praktischer Erkenntnis (vgl. KrV A 633/B 661; KpV A 36, 52; KU A 462/B 468). Denn das gesamte Projekt einer Kritik der praktischen Vernunft ist ein Projekt praktischer Erkenntnis, und zwar der Selbsterkenntnis der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch. Vgl. Prauss, Gerold: Kant und das Problem der Dinge an sich, Bonn 1977, S. 62 – 85. 208 Vgl. AA XX 208.

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verwirklichen kçnnen. Und Kategorien sind auch im Gebiet des Praktischen Gegenstandsbegriffe, Begriffe von der Gegenstndlichkeit des Denkens: Auch die Kategorien der praktischen Vernunft haben die Funktion, Vorstellungen Objektivitt zu verschaffen; sie machen Vorstellungen zu Erkenntnissen, indem sie das ihnen entsprechende Objekt, welches ein Objekt des Willens ist, konstituieren. Man kann daher zwischen den Natur- und den Freiheitskategorien derart differenzieren, dass erstere Begriffe der Erkenntnis im Sinne der Erfahrung von Gegenstnden sind, letztere dagegen Begriffe der Erkenntnis im Sinne des Wollens von Gegenstnden. Kant identifiziert nun die praktische Vernunft wiederholt mit dem Willen. Diese Gleichsetzung findet sich erstmals in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, doch auch in spteren Schriften hat Kant sie mehrfach bekrftigt. Danach „ist der Wille nichts anders […] als praktische Vernunft“ (GMS A/B 36).209 Wie ist das zu verstehen? Zunchst einmal ist es gleichgltig, ob die Vernunft den Willen unter der Voraussetzung eines Gefhls der Lust und Unlust bestimmt oder unter der Bedingung des Gedankens transzendentaler Freiheit. Der empirische Wille ist Kants Identifikation zufolge nichts anderes als empirische praktische Vernunft und der reine Wille nichts anderes als reine praktische Vernunft. Die Kritik formuliert in diesem Punkt unmissverstndlich: „Außer dem Verhltnisse aber, darin der Verstand zu Gegenstnden (im theoretischen Erkenntnisse) steht, hat er auch eines zum Begehrungsvermçgen, das darum der Wille heißt, und der reine Wille, so fern der reine Verstand […] praktisch ist.“ (KpV A 96). Unabhngig davon, ob es sich um empirische oder reine Vernunft handelt, die sich in Beziehung auf das Begehrungsvermçgen bettigt, ist vom Willen zu sprechen, im einen Fall aber vom empirischen, im anderen Fall vom reinen Willen. Indem Kant den Willen mit der praktischen Vernunft gleichsetzt, ist jede Mçglichkeit benommen, den Willen als eine ungebrdige Vitalitt oder ein leeres Streben zu deuten. Ganz im Gegenteil, er besitzt au fond ein rationales Moment. Die Vernnftigkeit des Begehrens ist fr Kant geradezu das Abgrenzungskriterium gegen das rein Instinkthafte aller nichtvernnftigen Wesen. Whrend die „Naturnotwendigkeit“, so heißt es in der 209 Vgl. GMS A/B 89, 101; KpV A 96, 160; MSR A/B 5, 27. Siehe auch in den Vorarbeiten zur Vorrede und Einleitung in die Metaphysik der Sitten AA XXIII 383. Das bersieht Pieper, die „die praktische Vernunft (als Ursache)“ vom „Willen (als Wirkung)“ abgrenzt. Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck (57 – 71), a.a.O., S. 119.

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Grundlegung, „die Eigenschaft der Kausalitt aller vernunftlosen Wesen [ist], durch den Einfluß fremder Ursachen zur Ttigkeit bestimmt zu werden“, ist der Wille „eine Art von Kausalitt lebender Wesen, so fern sie vernnftig sind“ (GMS A/B 97).210 Vielleicht mçgen alle Lebewesen als solche ber ein Begehrungsvermçgen verfgen, Kant ist in diesem Punkt nicht ganz eindeutig, aber nur vernunftbegabte Wesen wie der Mensch besitzen einen Willen.211 Etwas wollen heißt nicht einfach begehren, sondern vernnftig begehren. Der Wille ist gerade kein blindes Strebevermçgen, kein energetisches Kraftpotenzial  la Nietzsche. Auch rangiert er nicht, wie spter prominent bei Schopenhauer, ber der Vernunft. Das Moment seiner Vernnftigkeit liegt fr Kant allein schon darin beschlossen, dass der Wille als ein gerichtetes Aussein auf etwas, als eine intentionale Tendenz zu begreifen ist.212 Im Begriff des Willens sind der Intellekt und das Begehrungsvermçgen des Menschen als Momente aufgehoben. Nach Kant ist der Wille eben das Begehrungsvermçgen, insofern es durch Vernunft bestimmt wird. Im Gegensatz zu dem Strebevermçgen von Wesen, die nicht mit Rationalitt ausgestattet sind, ist er ein „Begehrungsvermçgen nach Begriffen“ (MSR A/ B 4).213 Diese Haltung verrt eine gewisse Nhe zur deutschen Schulphilosophie, wo blicherweise unter der Bezeichnung eines oberen Begehrungsvermçgens die Fhigkeit rationalen Strebens verhandelt wird.214 210 „Das Vermçgen, sich berhaupt irgend einen Zweck zu setzen, ist das Charakteristische der Menschheit (zum Unterschiede von der Tierheit).“ (MST A 23) Vgl. GMS A/B 63. 211 Einerseits kçnne man „nach der Analogie schließen, daß die Tiere auch nach Vorstellungen handeln (nicht, wie Cartesius will, Maschinen sind)“ (KU A 443 f./B 449 Anm.); und Kant definiert den Begriff des Lebens ber das Begehrungsvermçgen, was dann wohl auch Tiere als lebende, obgleich vernunftlose Wesen trifft (vgl. Trume A 25 f. Anm.; MAN A 120 f.; KpV A 16 Anm.). Auf der anderen Seite aber spricht Kant im Zusammenhang mit Tieren nie ausdrcklich von Begehren, soweit ich sehen kann, sondern nur vom Instinkt (vgl. KpVA 108; KU A/B XII f.; Rel. A 19/B 21 Anm.). 212 Vgl. Sala, Giovanni B.: Kants Kritik der praktischen Vernunft. Ein Kommentar, Darmstadt 2004, S. 81 f. 213 Vgl. Hçffe, Otfried: Einfhrung in die Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 5; Horn, Christoph: Wille, Willensbestimmung, Begehrungsvermçgen, in: Hçffe, Ottfried (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 49 ff.; Sala, Giovanni B.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 82. 214 Alexander G. Baumgarten definiert in §690 seiner Metaphysica, die Kant bekanntermaßen seinen eigenen Metaphysik-Vorlesungen zugrunde gelegt hat: „Appetitio rationalis est volitio.“ (Metaphysica. Editio VII (1779), Hildesheim/New York 1982, S. 264) hnlich heißt es bei Christian Wolff: „Dicitur autem appetitus

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Denn auch Kant denkt den Willen auf der einen Seite als ein Vermçgen vernunftgeleiteten Begehrens. Er ist ein „vom bloßen Begehrungsvermçgen noch verschiedene[s] Vermçgen (nmlich sich zum Handeln als Intelligenz […] zu bestimmen)“ (GMS A/B 120).215 Auf der anderen Seite jedoch sieht Kant die Differenz zwischen unterem und oberem Begehrungsvermçgen nicht mehr darin, dass die Vorstellungen, durch welche die Richtung des Begehrens festgelegt wird, entweder „in den Sinnen, oder dem Verstande ihren Ursprung haben“ (KpV A 41). Er entwickelt stattdessen einen diesen Unterschied umfassenden Begriff des Willens, dem zufolge es allemal die Vernunft ist, welche das Begehrungsvermçgen durch die Vorstellung irgendeines Gegenstandes bestimmt. Die Differenz zwischen unterem und oberem Begehrungsvermçgens wird damit zu einem Unterschied der „Bestimmungsgrnde des Begehrens“ (ebd.). Das untere Begehrungsvermçgen (appetitus sensitivus) kehrt bei Kant wieder als der empirische Wille, der sich auf die Bedingung eines empirischen Gefhls der Lust oder Unlust sttzt, das obere Begehrungsvermçgen (appetitus rationalis) als der reine Wille, der den intelligiblen Gedanken der Freiheit zur Voraussetzung nimmt. Und die Kategorien des Willens, des einen wie des anderen, sind allemal Formen vernnftigen Begehrens.216 Man darf sich nicht beirren lassen, wenn Kant bisweilen unentschieden oder gar inkonsistent zu sein scheint. Es ist durchaus kein Widerspruch in re, wenn er einesteils den Willen mit der praktischen Vernunft identifiziert, anderenteils aber davon spricht, dass es die Vernunft ist, die den Willen bestimmt. Einmal also ist die Vernunft der Wille, das andere Mal bestimmt sie ihn. Eine fr diese verwirrende Redeweise exemplarische Textstelle findet sich in der Grundlegungs-Schrift, wo es heißt: „[…] so ist der Wille nichts anders, als praktische Vernunft. Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt […]“ (GMS A/B 36).217 Diese Unstimmigkeit betrifft lediglich den sprachlichen Ausdruck. Fasst man es trennscharf, muss man folgendermaßen formulieren: Die Vernunft ist fr Kant dann praktisch, wenn sie das Begehrungsvermçgen bestimmt; und ein solcherart bestimmtes oder bestimmbares Begehrungsvermçgen heißt Wille. rationalis voluntas“. (Psychologia empirica (1738), Hildesheim 1968, S. 663 (§880)) Siehe dazu Baum, Manfred: Gefhl, Begehren und Wollen in Kants praktischer Philosophie, in: Jahrbuch fr Recht und Ethik 14 (2006), S. 136. 215 Vgl. GMS A/B 63, 97; KpV A 57, 96 f., 105, 160; KU A/B XII, A/B 14. 216 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 137 f. 217 Vgl. ebd., S. 49; Hill Jr., Thomas E.: Kant’s Theory of Practical Reason, in: Ders.: Dignity and Practical Reason in Kant’s Moral Theory, Ithaca 1992, S. 124 f.; Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ, a.a.O., S. 87.

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Darber, was eine Bestimmung des Willens ist, gibt Kant keine nhere Auskunft. Er setzt diese Wendung schlichtweg als gegeben voraus. Whrend er sie 1781 in der ersten Kritik lediglich ein einziges Mal und selbst noch in der vier Jahre spter erschienen Grundlegung in kaum nennenswertem Umfang verwendet,218 steigt sie 1788 mit der Kritik der praktischen Vernunft zu einer der zentralen und am hufigsten vorkommenden Theorievokabeln auf. In der Forschungsliteratur finden sich jedoch im Großen und Ganzen nur bescheidene Versuche der Verdeutlichung.219 Und auch ein Blick in die Theoriegeschichte hilft hier nicht weiter, handelt es sich doch um keinen Fachbegriff der klassischen oder zu Kants Zeiten verbreiteten Moral- und praktischen Philosophie. Was also, so mssen wir fragen, hat man sich unter einer Willensbestimmung vorzustellen? Man kann diese eine Frage in zwei aufschlsseln und damit besser handhabbar machen. Zum einen will man wissen, was bei einer Willensbestimmung das Subjekt und was das Objekt der Ttigkeit ist. Ist es der Wille, der bestimmt wird, oder ist vielmehr er es, der bestimmt? Zum anderen steht zu klren, in welcher Bedeutungshinsicht das Wort ,Bestimmung‘ in diesem Zusammenhang genommen werden muss. Welche Leistung liegt im Akt des Bestimmens? Beginnen wir mit der zweiten Frage, denn diese lsst sich leichter beantworten. Im Deutschen kann man von dem Substantiv ,Bestimmung‘ und dem dazugehçrigen Verb ,bestimmen‘ ganz unterschiedlichen Gebrauch machen. In unserem Rahmen sind vor allem zwei Bedeutungsfelder auseinander zu halten. Auf der einen Seite heißt bestimmen so viel wie: definieren, beschreiben, klassifizieren, klren. So kann man beispielshalber die Bedeutung eines Wortes bestimmen oder das Alter eines palontologischen Fundes. Andererseits meint bestimmen auch so viel wie: festlegen, anordnen, vorgeben, entscheiden. Entsprechend kann man zum Beispiel den Preis einer Ware bestimmen, oder man kann jemanden zu seinem Nachfolger bestimmen. Zwar hat sich Kant in dieser Angelegenheit nicht selber geußert, doch drfte ohne Schwierigkeiten erkennbar sein, dass nur letzteres infrage kommt: Dass der Wille bestimmt wird, heißt sicherlich nicht, dass er beschrieben oder klassifiziert, sondern stattdessen, dass er auf

218 Vgl. KrV A 803/B 831; GMS A/B 16 Anm., 17, 29, 37, 94 und 119. 219 Eine Ausnahme bildet Horn, Christoph: Wille, Willensbestimmung, Begehrungsvermçgen, a.a.O.

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etwas festgelegt wird. Indem der Wille bestimmt wird, wird ihm ein Gegenstand als Strebensziel vorgesetzt.220 Damit zur ersten Frage. In Kants Schriften lassen sich zahllose Textpassagen mobilisieren, die einsichtig machen, dass die Wortprgung ,Willensbestimmung‘ auf jeden Fall in der Weise eines Genitivus obiectivus auszulegen ist: Es ist der Wille, der bestimmt wird. Er ist das Objekt der Ttigkeit, ihm widerfhrt etwas, indem er auf einen Gegenstand festgelegt wird.221 Selbstredend ist das nicht einseitig nur auf den reinen oder nur auf den empirischen Willen gemnzt. Es gilt vielmehr fr beide; dem Willen als solchem wird Bestimmung zuteil. Der reine und der empirische Wille unterscheiden sich ja voneinander lediglich hinsichtlich der Bedingung, unter der dies geschieht. Kant lsst aber darber hinaus auch keinen Zweifel daran aufkommen, was das Subjekt der Ttigkeit ist. Auch das artikuliert er an unzhligen Stellen mit wnschenswerter Deutlichkeit. Danach ist es in jedem Fall die Vernunft, welche diese Aufgabe versieht. Es ist die Vernunft, welche dem Willen sein Objekt bestimmt, mag es nun der reine oder mag es der empirische Wille sein.222 Indessen darf nicht leichthin darber hinweggelesen werden, dass Kant sehr wohl auch in der Weise eines Genitivus subiectivus von Willensbestimmung spricht. So verstanden ist der Wille das Subjekt der Ttigkeit: Er selbst ist es, der bestimmt.223 Das findet sich jedoch allein in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Dort heißt es: „Der Wille wird als ein Vermçgen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemß sich selbst zum Handeln zu bestimmen.“ (GMS A/B 63) Der Wille ist hier sogar zugleich das Objekt seiner eigenen Ttigkeit. Es „bestimmt sich der Wille […] selbst durch die Vorstellung der Handlung“ (GMS A/B 94). Die Bestimmung des Willens ist demnach als ein Selbstverhltnis zu denken, als eine „Selbstbestimmung“ (GMS A/B 63).224 220 Vgl. Horn, Christoph: Wille, Willensbestimmung, Begehrungsvermçgen, a.a.O., S. 45 f.; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 81. 221 Vgl. GMS A/B 17, 38, 94; KpV A 37, 41, 44 f., 51, 52, 55, 72, 105, 119; MSR A/ B 4 und passim. Siehe dazu Hill Jr., Thomas E.: Kant’s Argument for the Rationality of Moral Conduct, in: Ders.: Dignity and Practical Reason in Kant’s Moral Theory, a.a.O., S. 109; Horn, Christoph: Wille, Willensbestimmung, Begehrungsvermçgen, a.a.O., S. 45. 222 Vgl. KpV A 43, 44, 45, 77, 105; MSR A/B 5 und passim. 223 Das bersieht Horn, Christoph: Wille, Willensbestimmung, Begehrungsvermçgen, a.a.O., S. 45. 224 Eine Willensbestimmung ist ein „Verhltnis eines Willens zu sich selbst, so fern er sich bloß durch Vernunft bestimmt“ (GMS A/B 63). Vgl. Bittner, Rdiger:

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Man mag in diesem Zusammenhang eine andere Stelle aus der Grundlegungs-Schrift aufgreifen. Dort lehnt Kant allem Anschein nach seine eigene Theorie der praktischen Vernunft an das aristotelische Modell praktischer Syllogismen an.225 Die Deutung dieser Textstelle, die ohnehin nur drei Stze umfasst, ist jedoch ausgesprochen kontrovers. „Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernnftiges Wesen hat das Vermçgen, nach der Vorstellung der Gesetze, d.i. nach Prinzipien, zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfodert wird, so ist der Wille nichts anders, als praktische Vernunft.“ (GMS A/B 36)226

Entscheidend ist die Formulierung, wonach zur „Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft“ erfordert wird. Das weist darauf hin, dass Kant dann, wenn er in der Folge von „praktischer Vernunft“ spricht, die Vernunft nur in einem sehr eingeschrnkten Verstndnis meint, nmlich als das Vermçgen des Schlussfolgerns: Wenn ,ableiten‘ die Bedeutung hat von ,schließen‘, dann wre die praktische Vernunft ein Vermçgen praktischen Schließens. Das trgt deutliche Signaturen von Aristoteles Modell eines sukkocisl¹r pqajtijºr.227 Ein Syllogismus ist normalerweise ein Argument, das aus zwei Vorderstzen und einem Schlusssatz besteht. Ein praktischer Syllogismus ist allerdings kein Argument in diesem herkçmmlichen Sinn, denn in ihm wird nicht ein Urteil aus anderen abgeleitet, sondern die Handlung selbst. Der praktische Syllogismus ist fr Aristoteles die ontologische Struktur der Hervorbringung einer Handlung.228 Um dies mit Aristoteles eigenem Beispiel zu illustrieren: Wenn der Obersatz sei ,Ich will Sßes essen‘ und der Untersatz laute ,Das hier ist etwas Sßes‘, dann wre der Schlusssatz nicht ein Urteil ber eine

225 226 227

228

Maximen, in: Funke, Gerhard (Hg.): Akten des IV. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 6.–10. April 1974, Teil II.2: Sektionen, Berlin/New York 1974, S. 491 ff. Vgl. Aristoteles: Eth. Nic. 1144a31 ff. und 1147a24 ff. Siehe dazu auch in einer Fußnote kurz zuvor: „[…] aus solchen [sittlichen Prinzipien; d. Verf.] aber, wie fr jede vernnftige Natur, also auch fr die menschliche, praktische Regeln mssen abgeleitet werden kçnnen.“ (GMS A/B 32 Anm.) Zur aristotelischen Syllogistik im Allgemeinen vgl. die Studie von Patzig, Gnther: Die Aristotelische Syllogistik. Logisch-philologische Untersuchungen ber das Buch A der Ersten Analytiken, Gçttingen 19693. Und zur Lehre praktischer Syllogismen im Besonderen vgl. Cooper, John M.: Reason and Human Good in Aristotle, Cambridge 19772, S. 24 ff.; Vigo, Alejandro G.: Die aristotelische Auffassung der praktischen Wahrheit, in: Internationale Zeitschrift fr Philosophie 2 (1998), S. 285 – 308. Vgl. Aristoteles: De mot. an. 701a10 ff. und 701a19 f.

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Handlung, das besagt, dass man diese Handlung will oder dass man sie sogar soll. Sondern sie wre die Handlung selbst, dass nmlich das Sße faktisch gesessen wird.229 So oder so hnlich scheint es sich dem vorstehenden Zitat zufolge auch bei Kant zu verhalten. Rdiger Bittner hat daher die Ansicht geußert, dass Kants Willenstheorie in ihrem Kern aristotelisch (und damit, wie er meint, verfehlt) sei.230 Mithilfe des Modells praktischer Syllogismen lsst sich die Bestimmung des Willens in der Weise eines Genitivus subiectivus plausibel machen. Die propositio maior ist ein praktisches Prinzip. Ein solches enthlt eine allgemeine Bestimmung des Willens. Ich habe es mir etwa, um Kants berhmtes Depositum-Beispiel zu bemhen, „zur Maxime gemacht, mein Vermçgen durch alle sichere Mittel zu vergrçßern“ (KpV A 49). Der Wille ist hier im Sinne eines Genitivus obiectivus bestimmt, er ist auf ein Objekt festgelegt, wenngleich nur im Groben. Die propositio minor ist demgegenber nicht praktisch. Sie enthlt stattdessen die theoretische Beschreibung einer Handlungssituation, die einen Fall des praktischen Prinzips darstellt. Beispielsweise ist „ein Depositum in meinen Hnden, dessen Eigentmer verstorben ist und keine Handschrift darber zurckgelassen hat“ (ebd.). Die conclusio ist dann das Ergebnis einer Vermittlung des allgemeinen Prinzips mit der besonderen Situation. „Ich wende jene [die Maxime; d. Verf.] also auf gegenwrtigen Fall an“ (ebd.). Hier liegt in der Tat eine Art Selbstverhltnis des Willens vor. Denn dem Willen wird nun kein Objekt bestimmt, er bestimmt es sich vielmehr selbst, er bestimmt sich selber zu einem konkreten Objekt. Im Vollzug eines praktischen Syllogismus wre es folglich, dass eine Person ihre weit hinausreichenden Absichten und Lebensziele in eine konkrete Tat hier und jetzt berfhrt. Wir kçnnen es bei diesen wenigen Ausfhrungen zum Thema praktischer Syllogismen bewenden lassen. Inwieweit Kants Willenstheorie wirklich der aristotelischen Tradition verhaftet bleibt, ob die Bestimmung des Willens notwendig immer auch in der Art eines Genitivus subiectivus verstanden werden muss, ob der Wille stets auch das Subjekt der Bestimmung ist und ob er in jedem Fall zwingend als Selbstbestimmung 229 Vgl. ebd. 701a32 f. 230 Vgl. Bittner, Rdiger: Handlungen und Wirkungen, in: Prauss, Gerold (Hg.): Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, Frankfurt a. M. 1986, S. 21 f. Siehe ebenso Albrecht, Michael: Kants Maximenethik und ihre Begrndung, in: Kant-Studien 85 (1994), S. 138, Anm. 40; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 79 und 84; Bittner, Rdiger: Maximen, a.a.O., S. 493.

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gedacht werden muss – das sind Fragen, denen hier nicht nachgegangen zu werden braucht. So wichtig ihre Beantwortung auch sein mag, um das Bild von Kants Auffassung der praktischen Vernunft abzurunden, in unserem Zusammenhang kçnnen wir sie dahingestellt sein lassen. Denn einmal abgesehen davon, dass sich Kant mit der Problematik praktischer Schlsse nirgendwo ausdrcklich auseinander setzt – was die Kategorien der praktischen Vernunft, also die Kategorien der Freiheit, auch immer sein mçgen, eines sind sie nicht: Gesetzmßigkeiten praktischer Syllogismen. Sie sind keine Regeln fr praktische Schlsse. Was sie leisten, ist nicht eine Verknpfung von praktischen und theoretischen Urteilen dergestalt, dass aus einem allgemeinen praktischen Urteil und einem beschreibenden theoretischen Urteil ein besonderes praktisches Urteil oder gar eine Handlung geschlussfolgert wird. Wenn Kant von praktischer Vernunft spricht und diese mit dem Willen gleichsetzt, meint er nicht die Vernunft in jenem engen Verstndnis, da sie das Vermçgen ist zu schließen.231 Der Begriff der Willensbestimmung ist tiefer anzusetzen. Fhrung bietet dabei Kants Auffassung von der Vernunft im Allgemeinen, die wir uns bereits im vorigen Kapitel angeeignet haben. Danach ist der Intellekt im Ganzen das Vermçgen zu urteilen, die Akte des oberen Erkenntnisvermçgens sind Urteilsakte. Diese Einsicht unterluft die Beschneidung der Vernunft auf das Vermçgen zu schlussfolgern, indem sie stattdessen eine umfassendere, nmlich urteilstheoretische, Deutung des Ausdrucks ,Willensbestimmung‘ auf den Weg bringt. Wenn das Wesen der Vernunft richtig beschrieben ist damit, dass die Vernunft als Urteilsvermçgen angegeben wird, dann kann sie weder im theoretischen noch in ihrem praktischen Gebrauch dahinter zurck. Wo wir eine Erfahrung machen, da urteilen wir – das war die Lehre der ersten Kritik; und wenn wir etwas wollen, urteilen wir auch – das muss als eine der Lehren der zweiten Kritik gelten. Einen Gegenstand zu wollen, ist nicht weniger eine „propositionale Einstellung“232 als die Erfahrung eines solchen. Wann immer es die Vernunft ist, die das Begehrungsvermçgen durch irgendeine Vorstellung festlegt, kann sie es nicht anders festlegen als dadurch, dass sie denkt. Bestimmungen des Willens mssen den Charakter von Urteilen haben. Die urteilstheoretische Auffassung der Willensbestimmung stellt aber mitnichten, das sei betont, die Richtigkeit oder Relevanz praktischer Syllogismen fr Kants Konzeption der praktischen Vernunft in Abrede. Bestritten wird nur, dass die Kategorien der praktischen Vernunft in der ihnen 231 Vgl. Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ, a.a.O., S. 85. 232 Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 54.

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eigenen Funktion bereits durch derlei Syllogismen zu charakterisieren sind. Wohl mag Kant selbst eine derartige Vorstellung veranlassen dadurch, dass er im ersten Quadranten der Kategorientafel von „Prinzipien“ spricht und im zweiten Quadranten von „praktische[n] Regeln“ (KpV A 117). Das weckt die Assoziation, als sei der erste Quadrant allein fr solche praktischen Urteile zustndig, die praktische Prinzipien sind, und der zweite Quadrant fr solche, die praktische Regeln darstellen – ganz so, als ob man es unter dem Titel der Quantitt mit der propositio maior, unter dem Titel der Qualitt mit der propositio minor und unter den brigen zwei Quadranten mit den restlichen Bestandteilen eines praktischen Syllogismus zu tun htte. Doch ein solcher Durchgang durch die Kategorientafel, das haben wir bereits erfahren, ist unstatthaft.233 Die Kategorien der Freiheit versagen sich einem solchen Verfahren. Urteilen ist fr Kant vielmehr eine konzertierte Aktion; die vier Grundfunktionen des Denkens („Titel“) bzw. die jeweiligen Elementarfunktionen („Momente“), welche die so genannte Urteilstafel darbietet und aus denen die Kategorien metaphysisch deduziert sind, werden uno actu ausgebt. Und das, was sie dadurch in Gemeinschaftsarbeit ins Werk setzen, ist kein praktischer Syllogismus, sondern viel grundlegender: ein praktisches Urteil.234 Man kann auch nicht beide Annahmen miteinander kombinieren. Man kann nicht die Auffassung der Freiheitskategorien, wonach diese die konstitutiven Ermçglichungsbedingungen praktischer Urteile sind, mit der anderen Auffassung verschmelzen, so dass die Kategorien darber hinaus auch noch die Gesetze der syllogistischen Verknpfung praktischer Urteile ausmachen. Das ist mit Kants Idee einer metaphysischen Deduktion unvereinbar, enthlt doch bereits die so genannte Urteilstafel keine Schlussregeln. Stattdessen handelt es sich um ein Verzeichnis von Funktionen, die beim Urteilen ausgebt werden, und von korrespondierenden Formen, welche Urteile in der Folge aufweisen. Die so genannte Urteilstafel reflektiert den Gliederbau der Vernunft in dem weiten Sinne, in dem sie das Vermçgen des Denkens berhaupt ist. Und auf die Kategorien der Freiheit, wenn sie wie die Naturkategorien aus dieser Tafel entwickelt werden, muss 233 Siehe oben S. 99 ff. 234 Nicht nur verbietet sich die Rede von Zeitlichkeit, es gibt genauso wenig eine Rangordnung unter den Kategorien. Weder wird erst die eine Grund- bzw. Elementarfunktion ausgebt, dann die nchste und so weiter, bis das Urteil fertiggestellt ist. Noch kann es unter den Quadranten einen geben, dem eine Vorrangstellung vor den anderen gebhrt, einen, der wichtiger ist als alle anderen. Letzteres behauptet mit Bezug auf die Tafel der Freiheitskategorien Simon, Josef: Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 116.

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das ebenfalls zutreffen. Sie sind ebenso wenig Gesetzmßigkeiten der Verknpfung von Urteilen in Schlssen, sondern der dem noch voranliegenden und sie allererst ermçglichenden Bildung von Urteilen.235 Wenn wir nun weiterfragen, was ein praktisches Urteil ist, verdient zunchst einmal festgehalten zu werden, dass Kant in der Regel keinen Unterschied macht zwischen Urteilen und Stzen. Ohne erkennbare Bedeutungsverschiedenheit spricht er bald von diesen, bald von jenen.236 In seinen Schriften zur Moral- bzw. praktischen Philosophie ist sogar weit çfter von praktischen Stzen die Rede als von praktischen Urteilen. In der Grundlegung beispielsweise erlutert er die Differenz von hypothetischen und kategorischen Imperativen fortgesetzt als die Differenz zwischen zwei Arten „praktische[r] Stze“ (GMS A/B 71).237 Desgleichen in der Kritik der praktischen Vernunft.238 Und auch die unverçffentlichte „Einleitung“ der dritten Kritik verdient in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit. Dort lsst sich Kant so eingehend wie nirgendwo anders ber die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen theoretischen und praktischen Stzen aus. Danach gehçren zwar nicht alle praktischen Stze zur praktischen Philosophie, sofern diese scientia moralis und nicht allgemeine praktische Philosophie ist. Gleichwohl ist es abermals der praktische Satz berhaupt, welcher der Differenzierung in Maximen, Vorschriften und Gesetzen zugrunde liegt.239 Wenn Kant abwechselnd von praktischen Urteilen oder praktischen Stzen spricht, ist damit nicht Verschiedenes gemeint. Kant macht die strikte Trennung von mentalen Operationen einerseits, will sagen Denk235 Die Verhltnisse sind indes etwas komplexer. Denn das obere Erkenntnisvermçgen umfasst nach Kant mehrere Teilvermçgen. Der fr alle Urteilsoperationen zustndige Intellekt, den Kant fr gewçhnlich als Verstand oder als Vernunft im weitesten Sinne bezeichnet (vgl. KrV A 69/B 94, A 835/B 863), schließt drei Teilvermçgen ein, von denen zwei selber wiederum Verstand bzw. Vernunft heißen (vgl. KrV A130/B 169). Und die Vernunft in dieser engeren Bedeutung ist das Vermçgen mittelbaren Schließens (vgl. KrV A 299/B 355). Der Gedanke ist, dass jeder Akt des Urteilens immer auch einen Akt des Schließens impliziert. Die Operationen der drei Teilvermçgen sind nicht selbstndige Leistungen, sondern Aspekte jedes Urteilsvollzuges. Der Akt des Schließens fhrt daher keineswegs zu einem syllogistischen Zusammenhang unter mehreren, bereits fertigen Urteilen, sondern er ist intern an der Hervorbringung eines jeden Urteils beteiligt. Siehe unten Kapitel IV.3. 236 Vgl. KrV A 73/B 98 und A 75/B 100 f. 237 Vgl. GMS A/B 48, 50, 50 Anm., 51, 87, 95 und passim. 238 Vgl. KpV A 55, 56, 217 und passim. 239 Vgl. MSR A/B 28, 63; Rel. A/B XI.

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handlungen, und sprachlichen Operationen andererseits, das heißt Sprechhandlungen, nicht mit. Urteile sind fr ihn keine rein psychischen Ereignisse und Stze keine rein sprachlichen. Er wendet sich gegen eine Grenzziehung, wie man sie etwa bei John Locke findet. Dieser hatte in seinem Essay Concerning Human Understanding zwischen zwei Typen an Stzen unterschieden, gedachten („mental propositions“) und ausgesprochenen („verbal propositions“), und in der Konsequenz auch zwischen zwei Arten von Wahrheit, Wahrheit der Gedanken und Wahrheit der Worte.240 Demgegenber steht Kant in einer anderen Traditionslinie, und zwar der platonischen. Platon begreift das Denken als ein Sprechen der Seele mit sich. Wenn die Seele denkt, ist sie in einem Selbstgesprch begriffen. „Denken“, so schreibt auch Kant in seiner Anthropologie, „ist Reden mit sich selbst“ (Anthr. A/B 109).241 Demnach ist ein Urteil kein bersprachliches Denkgeschehen, keine sprachfreie Mentalhandlung. Kant beanstandet die Definition des Satzes als eines durch Worte ausgedrckten Urteils, denn die Vernunft, wenn sie urteilt, muss sich immer schon der Worte bedienen, die wir beim Sprechen verwenden. Sie denkt nicht unabhngig von und jenseits der Sprache.242 Es macht daher keinen Unterschied, dass Kant einmal von praktischen Stzen, einmal von praktischen Urteilen und dass er hufiger von den einen als von den anderen spricht. Wir ziehen allerdings die Rede von praktischen Urteilen vor. Sie ist fr den Vergleich von theoretischem und praktischem Intellekt allein schon deshalb geeigneter, weil Kant die Vernunft eben als ein Vermçgen zu urteilen charakterisiert. In dieser Vergleichsperspektive sind die Urteile, die „jedem Grundvermçgen des Gemts eigentmlich sind“, wie Kant selber aufzhlt, „theoretische […] und praktische Urteile“ (AA XX 246).243 240 Vgl. Essay IV.5, 2 ff. 241 Und er beschreibt die „Natur des Denkens“ als „ein Sprechen zu und von sich selbst“ (Anthr. A 75/B 67). Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 42, Anm. 20 und S. 76, Anm. 54; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 23 f. 242 Vgl. AA VIII 194, XXIV 934, XXI 103. 243 Es soll jedoch angemerkt sein, dass Kant einmal einen Unterschied macht zwischen Urteil und Satz. In seiner Schrift ber eine Entdeckung erklrt er: „Ein assertorisches Urteil ist ein Satz.“ (AA VIII 194) Ein Satz muss gegenber einem bloßen Urteil „gegrndet“ (ebd.) sein. Allerdings behlt Kant diesen Unterschied zwischen Urteil und Satz im Bereich des Praktischen nicht bei. Wir kçnnen diese exzeptionelle Fassung des Verhltnisses von Urteil und Satz daher beiseite lassen. Vgl. Patzig, Gnther: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik, a.a.O., S. 237, Anm. 1.

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Ein praktisches Urteil kann nicht die Grundform haben ,Ich will x‘. So einleuchtend das auf den ersten Blick scheinen mag, wre damit bereits zu viel gesagt. Was hier schon zur Geltung kme, wre nichts anderes als das Selbstbewusstsein. Grundstzlich natrlich nicht zu Unrecht, denn was Kant in der ersten Kritik ber das Denken im Allgemeinen ausfhrt, gilt sicherlich auch fr das praktische Denken, das in der zweiten Kritik Thema ist. Danach hngt alles Denken an jenem „hçchste[n] Punkt“, „an dem man allen Verstandesgebrauch […] heften muß“ (KrV B 134 Anm.). Dieser Punkt ist die ursprnglich-synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption. Nicht nur in seiner theoretischen, auch in seiner praktischen Bettigung hat der Intellekt den unhinterschreitbaren Einheitspol seiner Denkleistungen in der einfachen Vorstellung des Ich, welches da denkt. Man wird daher zwischen einem theoretischen und einem praktischen Selbstbewusstsein unterscheiden mssen, das aber doch immer ein und eben dasselbe Selbstbewusstsein ist, in dem sich das menschliche Denken lediglich seiner unterschiedlichen Ausbungsweisen vergewissert.244 Indes, praktische Urteile schließen genauso wenig wie theoretische schon Selbstbewusstsein ein. Der zweite Schritt darf nicht mit dem ersten zusammen gemacht werden, man darf die intentio recta nicht in den Selbstbezug des Denkens auflçsen. Kant formuliert in jenem berhmten §16 mit großer Umsicht, wenn er schreibt, dass das ,Ich denke‘ „alle meine Vorstellungen begleiten kçnnen“ (KrV B 131) muss. Damit ist nicht gesagt, dass jeder Fall von Bewusstsein immer auch ein Fall von Selbstbewusstsein ist. Wenn ein vernnftiges Subjekt die Erfahrung eines Gegenstandes macht, muss es sich dieser Erfahrung nicht bereits als seiner Erfahrung bewusst sein. Gefordert ist lediglich, dass es sich dessen bewusst werden kçnnen muss. Genauso wird es sich auch beim Wollen verhalten. Wir drfen die Konsequenzen von Kants berlegung ebenso ins Praktische hin ausziehen. Denn wenn ein Subjekt seinen Willen auf ein Objekt festgelegt hat, bedeutet es sicherlich einen darber noch einmal hinausgehenden apperzeptiven Zusatzakt, sich darauf zurckzubesinnen, sich ein reflexives Bewusstsein davon zu verschaffen, dass sein Wille eben so und so bestimmt ist. Wohl ist es richtig, dass in die Willensbildung oftmals Er244 Kant selbst spricht das in der Kritik der praktischen Vernunft aus, wenn er sich auch nicht ausfhrlich darauf einlsst. Es ist in der Formulierung enthalten, dass die Kategorien der Natur „das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori“ bringen und die Kategorien der Freiheit „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins“ (KpV A 115) unterwerfen.

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wgungen taktischer oder sittlicher Art eingehen oder dass wir einen Entscheidungsprozess durchlaufen, in dem wir unter mehreren Optionen auswhlen; doch impliziert auch das nicht schon, sich in einem Akt der Rckwendung dessen vergewissert zu haben. Und man denke nur an die breite Masse der Handlungen, die eher leicht und unbedacht dahinfließen, sei es aus Zeitmangel, sei es aus Gewohnheit, und deren zugrunde liegende Absicht den Akteuren erst im Falle des Misslingens oder auf Anfrage durch andere hin zu einem klaren und deutlichen Bewusstsein kommt; wir reden hier gleichwohl von Handlungen und sind kaum bereit, sie von der Zurechnung auf Personen auszunehmen. Kurzum, wenn wir etwas wollen, wissen wir nicht notwendig in ipso actu, dass wir es wollen.245 Eine Grundform praktischer Stze lsst sich deshalb nicht angeben, weil es sie gar nicht gibt. Einerseits ist das Selbstbewusstsein fr Kant eine externe, weil dem jeweiligen Urteil noch einmal vorausliegende Ermçglichungsbedingung alles Denkens, die sich nicht als Formeigenschaft am Urteil selbst bemerkbar macht; schon theoretische Urteile haben mitnichten den Zuschnitt ,Ich erfahre x‘. Zwar sind Urteile, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, intern zwar immer Kombinate mehrerer Formen; doch lsst sich keines dieser Kombinate umstandslos privilegieren und zur Kardinalform stilisieren. Weder hat ein Urteil zwingend die logische Form ,S ist P‘, wie oftmals behauptet, da einem Subjekt ein Prdikat zugesprochen wird; dabei handelt es sich ganz offensichtlich um die Form eines kategorischen Urteils, neben der es aber noch andere gibt, die ein Urteil im Hinblick auf seine Relation aufweisen kann. Noch lsst sich irgendwo ein Hinweis darauf finden, dass Kant einer bestimmten kategorialen Form der Erfahrung eine Sonderstellung eingerumt htte; kein theoretisches Urteil hat, was seine Form anbelangt, allen anderen etwas an Wichtigkeit oder Rang voraus. Auf der Grundlage der der so genannten Urteilstafel und Kants Lehre von den dort systematisch zusammengetragenen Urteilsfunktionen scheint mir das ganz und gar ausgeschlossen. Nein, das Praktische eines praktischen Urteils ist in etwas anderem zu suchen. Und man kann davon ausgehen, dass es sich dabei – in Kants Terminologie – um eine Eigentmlichkeit im Gebrauch eines Urteils oder, 245 Zum praktischen Selbstbewusstsein vgl. Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 40; Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 52; Stolzenberg, Jrgen: Das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft. Zu den Grundlagen von Kants und Fichtes Theorien des sittlichen Bewußtseins, in: Henrich, Dieter/Horstmann, Rolf-Peter (Hg.): Metaphysik nach Kant?, Stuttgarter HegelKongreß 1987, Stuttgart 1988, S. 181 ff.

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vielleicht besser, der Rolle handeln muss, die das betreffende Urteil im Zusammenhang unseres Gemtshaushaltes spielt. Wie die Vernunft praktisch gebraucht wird, so sind auch ihre Urteile dann praktische, wenn mit ihnen etwas ganz Bestimmtes geleistet wird, wenn sie nmlich in Beziehung stehen zum Begehrungsvermçgen des denkenden Subjekts. Kant selber hat in seinen verçffentlichten Schriften, soweit ich sehen kann, genau zwei Erklrungen des praktischen Satzes vorgelegt. Schauen wir uns diese nacheinander an. Die erste befindet sich in der Kritik der praktischen Vernunft. Sie hat geradezu definitorischen Charakter: „Praktische Grundstze“, so erçffnet Kant in §1, „sind Stze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat.“ (KpV A 35) Hier muss man zweierlei beachten. Erstens spricht Kant nicht von praktischen Stzen berhaupt, sondern speziell von praktischen Grundstzen. Doch welchen Allgemeinheitsgrad ein praktischer Satz auch immer haben mag, ob er ein Grundsatz ist oder nur eine darunter stehende Regel, er bleibt, was er ist: ein praktischer Satz. Man wird Kant hier daher so verstehen mssen, dass praktische Stze ihrem Wesen nach eine Bestimmung des Willens enthalten. Ob sie Grundstze oder nur Regeln sind, hngt demgegenber von der Abstraktions- bzw. Konkretionsstufe ihres Inhalts ab. Zweitens darf man den Ausdruck „enthalten“ nicht im Sinne von ,behaupten‘ missdeuten; eine Bestimmung des Willens zu enthalten, heißt nicht, dass ein praktisches Urteil etwas ber eine solche behauptet. Das wrde praktische Stze, wie Lewis W. Beck mit Recht zu bedenken gibt, theoretischen Stzen verdchtig nahe angleichen; sie bezçgen sich alsdann nur beschreibend oder konstatierend auf den Willen und dessen Objekt.246 Dagegen muss es als Kants Meinung gelten, dass praktische Stze unser Wollen nicht in die Distanz einer entgegenstehenden Tatsache bringen, ber die sich etwas aussagen lsst, sondern dass sie selbst einen Faktor in der Bestimmung des Willens ausmachen, ja dass sie selber Bestimmungen des Willens sind. Es ist in praktischen Urteilen, dass wir etwas wollen, wie sich in theoretischen Urteilen unsere Erfahrungen vollziehen. Ganz hnlich lautet eine Fußnote zu „Lehrsatz II“. In der letzten „Anmerkung“ ist Kant unter anderem bemht, praktische Stze abzugrenzen von denjenigen, in denen sich „allgemeine Regeln der Geschicklichkeit (Mittel zu Absichten auszufinden)“ (KpV A 46) artikulieren; 246 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 81 f. Siehe ebenso Albrecht, Michael: Kants Maximenethik und ihre Begrndung, a.a.O., S. 130.

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solche Urteile nmlich nennt Kant „theoretische Prinzipien, (z. B. wie derjenige, der gerne Brot essen mçchte, sich eine Mhle ausdenken habe)“ (KpV A 46 f.). Man darf das lebens- und praxisgesttigte Wissen um regelmßige Ursache/Wirkungs-Beziehungen, das mit der Lebenserfahrung bestndig mitwchst und das sich in den Dienst der klugen Wahl zwischen erfolgversprechenden und aussichtslosen Mitteln zur Erreichung bestimmter Handlungsziele stellt, nicht verwechseln mit einer sich darauf aufbauenden Willensbildung. Ersteres bleibt noch auf dem Boden des Theoretischen, erst mit dem letzteren ist der eigentliche Bereich des Praktischen erreicht. Wie Kant nun in der Fußnote anmerkt, sollten die einen Stze eher „technisch heißen“; praktischen Stzen dagegen ist es um die „Willensbestimmung“ zu tun: „Stze, welche in der Mathematik oder Naturlehre praktisch genannt werden, sollten eigentlich technisch heißen. Denn um die Willensbestimmung ist es diesen Lehren gar nicht zu tun; sie zeigen nur das Mannigfaltige der mçglichen Handlung an, welches eine gewisse Wirkung hervorzubringen hinreichend ist, und sind also eben so theoretisch, als alle Stze, welche die Verknpfung der Ursache mit einer Wirkung aussagen. Wem nun die letztere beliebt, der muß sich auch gefallen lassen, die erstere zu sein.“ (KpV A 46 Anm.)

Was damit jeweils gesagt ist, tritt heraus, wenn wir eines der zentralen Motive der kritischen Philosophie Kants mit hinzunehmen. Ich berufe mich auf die Idee der ersten Kritik, wonach sich alle Denkhandlungen des Intellekts auf Urteilshandlungen zurckfhren lassen, dass also das obere Erkenntnisvermçgen insgesamt das Vermçgen der Urteile ist. Diese rationalittstheoretische Fundamentalannahme ber den modus operandi der Vernunft greift bis ins Praktische durch, denn sie liegt noch vor der Unterscheidung einer entweder theoretischen oder praktischen Vernunft; wir mssen sie jetzt nur mit dem zusammenfhren, was sich uns als das Spezifische des praktischen Vernunftgebrauchs gezeigt hat. Die berlegung ist die: Wenn die Vernunft das Vermçgen ist zu urteilen, und wenn sie genau dann praktisch gebraucht wird, wenn sie das Begehrungsvermçgen durch die Vorstellung eines Gegenstandes bestimmt, dann folgt daraus, dass jene Vorstellung nichts anderes sein kann als ein Urteil. Wodurch die Vernunft das Begehrungsvermçgen allein zu bestimmen vermag, ist ein Produkt des Denkens: eine synthetische Einheit, die durch regelgeleitete Akte des Verbindens vieler Vorstellungen hergestellt ist. Und die Kategorien der Freiheit mssen damit in Zusammenhang gebracht werden; sie sind als das elementare Regelwerk eben dieser praktischen Urteilsvollzge verstndlich zu machen.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

Ein praktisches Urteil, so kçnnen wir festhalten, ist eine Bestimmung des Willens. Durch es denkt ein vernnftiges Subjekt etwas als den Gegenstand seines Begehrens. Und die diskursive Verfasstheit des menschlichen Intellekts wirft ihre Schatten voraus. Denn das, was berhaupt als Objekt der praktischen Vernunft auftreten kann, ist in der Konsequenz prinzipiell nur mçglich als der Gegenstand eines praktischen Urteils. Mit den Worten von Marcus Willaschek sind nicht nur die Objekte der Erfahrung, sondern ebenso die unseres Wollens „,propositional‘ strukturierte Sachverhalte“247. Und das gilt umfassend. Es betrifft in der gleichen Weise die reine wie die empirische praktische Vernunft. Kant unterscheidet daher in der Sache zwischen reinen und empirischen praktischen Urteilen. Erstere enthalten eine Bestimmung des reinen Willens; Kant bezeichnet sie auch als „moralisch-praktisch“ (KU A/B XVI).248 Letztere hingegen enthalten eine Festlegung des empirischen Willens.249 Es wird jetzt auch handgreiflich, wie das Vernunftmoment zu interpretieren ist, das der Wille im Gegensatz zu einem bloßen Begehren laut Kant stets aufweist. Denn wir haben oben erfahren, dass allem Wollen ein rationales Moment einwohnen soll. Das aber nicht im Stile der vorausschauenden çkonomischen Mittelwahl. Vernnftiges Begehren meint nicht, dass die unsere Vorteile verwaltende und etwaigen Schaden minimierende Klugheitsvernunft umsichtig unsere Interessen mitsamt allen absehbaren Handlungsfolgen verrechnet und in eine hierarchische und transitive Ordnung bringt, so dass aktuellen und knftigen Neigungen nach Maßgabe bisheriger Erfahrungen so wirkungsvoll wie mçglich nachgegangen werden kann. Zweckrationalitt ist weniger eine Sache der Willensbestimmung als vielmehr der dem zugrunde liegenden Bestimmungsgrnde; die Frage ist, ob und inwiefern in die Festlegung des Begehrungsvermçgens nutzenkalkulatorische berlegungen des Intellekts Eingang finden. Im Gegensatz dazu muss man Kants Ansicht, dass der Wille wesenhaft vernnftig ist, viel allgemeiner veranschlagen, die Rolle der Vernunft bei der Bestimmung des Willens ist ungleich elementarer zu bemessen. Ein intelligentes Wesen wie der Mensch kann die Orientierung seines Begehrens im Denken finden: Der Wille ist als solcher stets durch eine vernnftige Vorstellung bestimmt, eine Vorstellung, die unserem diskursiven Vermçgen entstammt. Und das ist ein Urteil. 247 Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 53. 248 Vgl. KU A/B XIII; MSR A/B 12 f. 249 Vgl. AA XX 199 f.

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Kants zweite Stellungnahme enthlt die Kritik der Urteilskraft. In der ersten, fr die Publikation spter neu geschriebenen Fassung der „Einleitung“ gibt Kant an: so „mag immer der Satz, der die Mçglichkeit des Gegenstandes durch Kausalitt der Willkr enthlt, ein praktischer Satz heißen“ (AA XX 197). Und wenige Zeilen spter notiert er, dass praktische Stze „dem Inhalte nach […] die Mçglichkeit eines vorgestellten Objekts (durch willkrliche Handlung) betreffen“ (AA XX 198).250 Kant geht es an dieser Stelle zwar nicht um die allgemeine Natur des praktischen Satzes. Der Kontext ist vielmehr der, dass er die Differenz zwischen theoretischer und praktischer Philosophie zu profilieren versucht. Das Augenmerk liegt daher auf solchen Stzen, die eine eigene, von der theoretischen strikt zu trennende praktische Wissenschaft erforderlich machen. Und das sind praktische Gesetze, ihre Wissenschaft ist die Sittenlehre. Im Rahmen dieser Abgrenzungsbemhungen finden sich jedoch ußerungen, die, wie die eben zitierten, einen Zug ins Allgemeine besitzen und auf praktische Stze als solche gehen. Die Quintessenz dieser Formulierungen ist, dass es sich bei einem praktischen Urteil um ein solches Urteil handelt, das als mçgliche Ursache seines eigenen Objekts vorgestellt wird. Damit stimmt zusammen, dass Kant den Willen im Kern als eine Kausalitt konzipiert. In ihm liegt die Fhigkeit endlicher Vernunftwesen, Wirkungen in Raum und Zeit auszulçsen und handelnd in die ußere Welt der Tatsachen einzugreifen. In einer Fußnote der „Vorrede“ zur Kritik der praktischen Vernunft erklrt er exemplarisch: Das Begehrungsvermçgen ist das Vermçgen eines Wesens, „durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV A 16 Anm.).251 Indem die Vernunft den Willen durch die Vorstellung eines Objekts bestimmt, legt sie seine Kausalitt auf die Verwirklichung dieses Objekts fest, was freilich nicht automatisch heißt, dass der Wille in der Folge auch notwendig und unausbleiblich ausgebt wird. Wir machen uns 250 Vgl. AA XX 197. 251 Vgl. KpV A 29 f., 37, 96 f.; GMS A/B 100 f.; MSR A/B 1; AA XXIIX 1061 und passim. – Es geht daher am kantischen Denken vorbei, wenn man, wie Josef Simon, Kant eine Willenskonzeption unterstellt, die unter anderem der von Descartes entspricht. Danach ist der Wille das Vermçgen, einem Urteil zuzustimmen oder es abzulehnen, es zu bejahnen oder zu verneinen. In diesem Sinne schreibt Simon ber Kant: „Urteilsakte sind also solche immer zugleich Willensakte, in denen sich eine Person in einer bestimmten Weise gegenber anderen Personen und deren Urteilen verhlt.“ Und er kommt auf dieser Grundlage zu dem Schluss: „Insofern sind die Kategorien der Freiheit ursprnglicher als die der Natur.“ (Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 125)

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Plne, bilden Vorstze aus, fassen Entschlsse – und setzen manche davon, aber beileibe nicht alle in die Tat um. Wir handeln nach unseren Vorstellungen davon, was jeweils zu tun oder was zu lassen ist. Das heißt, wir wirken nach einer vorhergehenden Vorstellung von der Wirkung. Ein praktisches Urteil, so kann man daher sagen, ist ein Urteil, das sich nicht auf einen gegebenen Gegenstand der sinnlichen Anschauung bezieht, sondern das uns in unserem Handeln leitet, das also sein Objekt vermçge der Kausalitt des Willens selber hervorzubringen vermag.252 Die Kausalitt des Willens ist eine besondere, und zwar eine intentionale Kausalitt. Der Wille besitzt aufgrund seiner Vernnftigkeit eine teleologische Grundstruktur, weshalb ihn Kant kurzerhand als „das Vermçgen der Zwecke“ (KpV A 103) charakterisiert. Ist doch ein Zweck eben das, was den realen Grund seiner Mçglichkeit im Denken einer Intelligenz hat, ein Objekt, das als die Wirkung seines eigenen Begriffs vorgestellt wird.253 Der Begriff nimmt gewissermaßen die kommende Wirkung vorweg, an ihm kann man abnehmen, was geschehen wird, wenn die Kausalitt des Willens zur Ausbung gelangt. Was als Zweck gedacht wird, wird als der Gegenstand, das heißt als die mçgliche oder wirkliche Wirkung, eines Willens gedacht. Folglich ist der Wille keine blindlings sich entladende Energie oder ein ins Leere laufender Impuls, sondern, wie Kant sich des fteren ausdrckt, eine „nach Absichten wirkende Ursache“ (KU A 376/B 381).254 Denn eine Absicht ist der eigentlichen Wortbedeutung nach das, was abzusehen ist. Die Absichten, mit denen wir uns tragen, sind die Zwecke, die wir uns setzen. Die Leistung der praktischen Vernunft besteht sonach darin, dem Begehren ein Telos vorzugeben. Willensbildung ist Zwecksetzung.255 Und das geschieht durch einen Akt des Urteilens.

252 Eine feinere Differenzierung wrde hier den Begriff des Wunsches fordern. Unter einem Wunsch versteht Kant ein Begehren, das mit dem Bewusstsein des Unvermçgens verbunden ist: Der Wunsch ist im Gegensatz zum Wollen ein Begehren, das auszufhren nicht in meiner Macht steht. Vgl. GMS A/B 4; AA XX 231 Anm.; MSR A/B 5; Anthr. A 203/B 202. 253 Vgl. KpV A 241; KU A XXVI/B XXVIII, A/B 32, A 172/B 174, A285/B 290, A 346/B 350, A 377/B 381; MST A 4, 8, 11, 18, 29; AA XX 232. 254 Vgl. GMS A/B 13; KpV A 38; KU A 266/B 270, A 319/B 323, A 323/B 327, A 326/B 330, A 329/B 333, A 334/B 338, A 376/B 381; AA XX 236, 240. Siehe dazu Sala, Giovanni B.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 81 f. 255 „Das Begehrungsvermçgen, sofern es nur durch Begriffe, d.i. der Vorstellung eines Zwecks gemß zu handeln, bestimmbar ist, wrde der Wille sein.“ (KU A/B 33) Vgl. KpV A 103, 241; MST A 30; KU A 131/B 133. Siehe dazu Munzel, Felicitas G.: Kant’s Conception of Moral Character. The ,Critical‘ Link of Morality, An-

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Welchen Zweck ein intelligentes Wesen auch immer verfolgen mag, er ist der Gegenstand eines praktischen Urteils. Es vollzieht sich in praktischen Urteilen, dass ein vernnftiges Subjekt die Ziele seines Strebens intendiert. Fr die Kategorien der Freiheit bedeutet das, dass, indem der praktische Urteilsvollzug durch sie seine Ordnung und Regelmßigkeit erhlt, in den Kategorien smtliche Mçglichkeiten angelegt sind, wie eine Person sich berhaupt nur Handlungszwecke ausbilden und ihr Absehen auf etwas richten kann. Etwas ist aber noch unausgesprochen geblieben. Meine These, wonach die praktische Vernunft insgesamt zu explizieren ist als das Vermçgen praktischen Urteilens, besitzt eine breitere textliche Basis als bislang eingestanden. Kant bedient sich nmlich nicht selten eines synonymen Ausdrucks. Oftmals ist dort gar nichts anderes gemeint als ein praktisches Urteil, wo Kant von einer praktischen Regel spricht. Zunchst muss man zur Kenntnis nehmen, dass Kant durchaus keine einheitliche Verwendung von dem Ausdruck ,praktische Regel‘ macht.256 Dieser steht bisweilen fr Gesetz257 oder fr Imperativ258, manchmal fr Vorschrift259 und mitunter fr Maxime260. Eine praktische Regel kann vieles sein. Der scheinbar konfuse Sprachgebrauch bekommt jedoch einen systematischen Duktus, wenn er auf die Tafel der Freiheitskategorien zurckgerechnet wird. Dann offenbart sich, dass Kant immer solche praktischen Urteile als Regeln bezeichnet, die durch eine der drei Quantittskategorien spezifiziert sind. Maximen, Vorschriften und Gesetze, welch letztere bei endlichen Vernunftwesen imperativischen Charakter annehmen, apostrophiert Kant alle gleichermaßen als praktische Regeln. Das haben sie ber alle trennenden Unterschiede hinweg miteinander gemein: Sie sind besondere Arten praktischer Regeln.261 Wenn Kant daher auch, wie

256 257 258 259 260 261

thropology, and Reflective Judgement, Chicago/London 1999, S. 94 f.; Wood, Allen W.: Kant’s Ethical Thought, Cambridge 1999, S. 51. Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 82; Albrecht, Michael: Kants Maximenethik und ihre Begrndung, a.a.O., S. 130, Anm. 4. Vgl. GMS A/B 30, 70, 94; KpV A 38, 55, 119. Vgl. GMS A/B 40, 87, 94; KpV A 36; MSR A/B 20. Vgl. GMS A/B VIII; KpV A 38; KU A/B XIV. Vgl. GMS A/B 51 Anm. und 84. Um nur einige Beispiele zu zitieren: „Der Imperativ ist eine praktische Regel […]“ (MSR A/B 20); „[…] die praktische Regel selbst, die also hier Gesetz ist […]“ (KpV A 55); „[…] heißen dergleichen praktische Regeln […] Vorschriften“ (KU A/B XIV); „[…] Maximen, d.i. sich selbst auferlegten Regeln […]“ (GMS A/B 84). Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 80.

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weiter oben erwhnt, im ersten Quadranten der Tafel Kategorien fr „Prinzipien“ und lediglich im zweiten Quadranten Kategorien fr „Regeln“ zu sehen scheint (wir haben hier bereits erhebliche Zweifel angemeldet), fhrt er doch an etlichen anderen Textstellen eine davon abweichende Sprache. Nimmt man diese Sprache ernst, sind auch die Kategorien der Quantitt, ja alle Freiheitskategorien berhaupt in einer bestimmten, ganz basalen Weise Kategorien fr das Bilden und Haben praktischer Regeln. Noch eine weitere Ungenauigkeit ist zu bercksichtigen. Praktische Urteile haben sicherlich wie alle Urteile ein unterschiedliches Abstraktionsniveau. Sie weisen graduelle Abstufungen auf. Es gibt solche, die Grundstze sind, und andere, die konkreter ausfallen; letztere nennt Kant normalerweise Regeln. So haben wir bereits die zweite Kritik zitiert, der zufolge praktische Grundstze solche Stze sind, „welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat“. Praktische Stze reichen von situationsnahen Absichten, zum Beispiel hier und jetzt dieses Depositum zu verschweigen und einzubehalten, bis hin zu situationsferneren, das ganze Leben betreffenden Verhaltensdevisen, etwa das eigene Vermçgen durch alle sicheren Mittel zu vermehren. Mithin besteht eine Art hierarchische Ordnung unter praktischen Stzen; in Analogie zu Begriffen lassen sie sich in eine Rangfolge bringen und nach hçheren und niederen pyramidal staffeln. Zu jedem wird sich ein speziellerer Satz finden lassen, der unter ihm steht, aber auch einer mit noch grçßerer Reichweite.262 Allein, Kant hlt seine terminologische Unterscheidung von Regel und Grundsatz nicht konsequent durch, und zwar ebenso wenig im Praktischen wie im Theoretischen. Als Regeln kennzeichnet er nicht nur solche Stze, die unter Prinzipien fallen, sondern genauso diese Prinzipien selbst. Sie alle werden in einer gewissen, ganz grundstzlichen Hinsicht als Regeln qualifiziert.263 Es trgt nun dem fundamentalen Rang, den der Begriff der Regel in beiden Fllen einzunehmen scheint, Rechnung, dass Kant ihn aufs Engste mit der Natur des Intellekts verquickt. Dem Regelbegriff kommt eine

262 Vgl. Albrecht, Michael: Kants Maximenethik und ihre Begrndung, a.a.O., S. 133; Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 93; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 81; Korsgaard, Christine M.: Kants Analysis of Obligation: The Argument of Foundations I, in: Monist 73 (1989), S. 324; Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ, a.a.O., S. 106 ff.; Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 66. 263 Vgl. KrV A 134/B 173, A 307/B 364; KpV A 36 f. und passim.

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zutiefst rationalittstheoretische Bedeutung zu.264 In der Kritik der reinen Vernunft etwa beschreibt Kant den „Verstand berhaupt als das Vermçgen der Regeln“ (KrV A 132/B 172). Und er meint damit das obere Erkenntnisvermçgen im weitesten Sinne, welches von ihm zuvor an anderer Stelle als das Vermçgen zu urteilen ausgezeichnet wurde. Derselbe Gedanke zieht sich durch die Logik-Vorlesungen. In der Logik-Busolt beispielsweise heißt es: „[…] so kann man den Verstand den man vorher als das Vermçgen der Begriffe erklrt hat, als das Vermçgen der Urteile, oder Regeln erklren: Denn der Verstand ist die Quelle der Regeln, weil jedes Urteil eine Regel jede Regel ein Urteil ist“ (AA XXIV 662 f.).265 In beiden Zitaten wird der Intellekt rein fr sich betrachtet, also gleichgltig dagegen, ob er sich theoretisch oder praktisch bettigt. Man darf daher davon ausgehen, dass Kant auch in den Angelegenheiten der praktischen Philosophie auf diesem Standpunkt steht: Wenn alle Urteile Regeln sind, dann sind praktische Urteile praktische Regeln; und wenn die Vernunft das Vermçgen der Regeln ist, muss man die praktische Vernunft als das Vermçgen praktischer Regeln definieren. Kant nimmt diese Gleichsetzung selber vor. Zwar identifiziert er nirgendwo ausdrcklich praktische Urteile als praktische Regeln, doch entspricht es dem grundlegenden Stellenwert des Regelbegriffs, dass Kant ihn mehrfach zur Erluterung und Analyse des menschlichen Willens heranzieht. So heißt es etwa in der Kritik der praktischen Vernunft: „[…] vernnftige Wesen, so fern sie berhaupt einen Willen, d.i. ein Vermçgen haben, ihre Kausalitt durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen […]“ (KpV A 57). Und an spterer Stelle ist zu lesen, dass der Wille „ein Vermçgen ist, sich eine Regel der Vernunft zur Bewegursache einer Handlung (dadurch ein Objekt wirklichwerden kann) zu machen“ (KpV A 105).266 Kants Gedanke ist es demnach, dass der Wille eine Kausalkraft darstellt, die nach allgemeinen und abstrakten Vorstellungen wirkt. Er ist eine Fhigkeit intelligenter Wesen, nach der Maßgabe von Regeln zu begehren und, in der Folge, zu handeln. In anderen Worten versteht Kant den Willen, welchen er sonst, wie wir wissen, mit der praktischen Vernunft gleichsetzt, als ein Vermçgen von Regeln. Die Vernunft in ihrem prakti-

264 Vgl. Schulthess, Peter: Relation und Funktion, a.a.O., S. 248 ff.; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 96 ff. 265 Vgl. Prol. A 89. 266 Der Wille ist „das Begehrungsvermçgen, sofern es unter der Vorstellung einer Regel bestimmbar ist“ (AA XIX 275).

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schen Gebrauch ist das Vermçgen praktischer Regeln, und diese sind ihrerseits nichts anderes als praktische Urteile. Inwiefern hat nun ein Urteil den Charakter einer Regel? Nicht deshalb, weil es ber alle Objekte etwas Bestimmtes aussagt, die zu seiner Extension gehçren, weil es also seiner Quantitt nach allgemein oder sogar streng allgemein ist. Ein Urteil ist vielmehr deswegen seiner Natur nach etwas Regelhaftes, weil es stets, auch als einzelnes oder als besonderes Urteil, eine Unzahl potenzieller Anwendungsflle besitzt. Ein und dasselbe Urteil kann auf viele verschiedene, prinzipiell sogar unendliche viele Sachverhalte bezogen werden, weil sein propositionaler Gehalt sie doch alle, ber kontextuelle Unterschiede und indexikalische Partikularitten hinweg, in gleicher Weise betrifft. Was die Sache ist, gewinnt seine Bestimmung jeweils durch dieselben im Urteil verbundenen Begriffe. Das hat seinen Grund natrlich in der Endlichkeit des menschlichen Intellekts. Nach Kant bewegt sich alles Denken endlicher Subjekte im Medium der Diskursivitt. Kein Urteil vermag in seiner Abstraktheit von sich aus zu diktieren, auf welchen konkreten Gegenstand es zu beziehen ist. Es ist gerade nicht auf ein einziges Objekt eingeschrnkt, sondern kann sich in verschiedenen Zusammenhngen unterschiedlich individualisieren.267 Machen wir uns das zunchst anhand eines theoretischen Urteils klar. Nehmen wir etwa eine so simple Erfahrung wie die, dass eine Wand weiß ist. Das Urteil, das darin enthalten ist, kann sowohl die Wand hier in meinem Bro im Philosophischen Seminar der Universitt Heidelberg als auch die Wand zuhause in meinem Wohnzimmer oder aber irgendeine andere Wand meinen. Desgleichen sind es natrlich nicht nur Wnde, die weiß sein kçnnen, sondern auch unzhlige andere Dinge mehr. Das Urteil, in dem sich jene Erfahrung vollzieht, das heißt das diskursive Moment der Erfahrung, ist in allen Fllen identisch. Nicht anders, wenn wir zum praktischen Urteil bergehen. Hier lsst sich das Gleiche wieder antreffen. Die Absicht beispielsweise, ein Glas Wasser zu trinken, kann sich auf das vor mir auf dem Schreibtisch stehende Glas richten oder aber zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort auf ein anderes Glas; man will ja nicht nur einmal im Leben Wasser trinken. Auch hier ist das diskursive Moment des Wollens, das Urteil, welches die Absicht artikuliert, in allen Fllen ein und dasselbe. Kurz gesagt, ein praktisches Urteil – sei dieses eine Maxime, eine Vorschrift oder ein Gesetz – ist insofern als eine Regel des Begehrungsvermçgens aufzufassen, als es die Eigenschaften und Merkmale 267 Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 66.

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in abstracto enthlt, durch die verschiedene Handlungen bei unterschiedlichen Gelegenheiten ihre Bestimmung finden kçnnen.268 In diesen Zusammenhang gehçrt zuletzt eine leicht zu missverstehende ußerung Kants in §1 der Kritik. Diese lautet: „Die praktische Regel ist jederzeit ein Produkt der Vernunft, weil sie Handlung, als Mittel zur Wirkung, als Absicht vorschreibt.“ (KpV A 36) Was damit nicht schon gemeint sein kann, auch wenn das Verb ,vorschreiben‘ darauf hindeutet, sind Imperative. Erst im Anschluss schrnkt Kant die praktische Regel auf Imperative ein und unterscheidet zwischen solchen, die hypothetisch, und denen, die kategorisch sind. Aber auch die Maxime, die Kant gar nicht als Imperativ versteht, sondern davon noch einmal klar abgehoben wissen will, fasst er in der Folge als praktische Regel. Wir haben es hier dementsprechend mit nichts Geringerem zu tun als einer weiteren Erklrung des praktischen Urteils berhaupt. Danach ist ein praktisches Urteil ein Produkt der Vernunft, weil es eine Handlung als Mittel zu einer Wirkung als Absicht angibt. Und diese Erklrung hat durchaus ihren guten Sinn. Denn einerseits gilt doch in der Tat fr jedes praktische Urteil, dass es „ein Produkt der Vernunft“ ist; es beruht auf einer intelligenten Leistung des Beziehens und Ordnens von Vorstellungen. Andererseits enthlt ein praktisches Urteil eine „Handlung, als Mittel zur Wirkung, als Absicht“. Die genaue Bedeutung dieser Formulierung springt sicherlich nicht leicht ins Auge. Doch wenn man sich Kants weiten Handlungsbegriff vergegenwrtigt, wonach es auch und gerade Handlungen von Gemtskrften gibt, scheint sie besagen zu wollen, und damit lge sie ganz auf der Linie unserer Interpretation, dass ein praktisches Urteil eine Handlung des Willens vorab bestimmt und in Aussicht stellt, welche das Mittel ist zu der daraus hervorgehenden Wirkung des Willens, die in meiner Absicht liegt; und diese beabsichtigte Wirkung ist das, was wir gemeinhin eine Handlung nennen, nmlich ein absichtlich herbeigefhrtes Ereignis in der ußeren Welt.269 268 Vgl. Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 66; Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 801. 269 Kants Begriff des Handelns ist allgemeiner, als wir gemeinhin von Handlungen zu sprechen pflegen. Er ist nicht an den Bereich des Praktischen gebunden. Die Kritik der reinen Vernunft erçrtert ihn in unmittelbarer Nhe zur Kausalkategorie als einen davon abgeleiteten reinen Verstandesbegriff, das heißt als eine Prdikabilie (vgl. KrV A 82/B 108, A 203 f./B 249 f., A 544/B 572). Der Handlungsbegriff hat seinen Ort im Begriffsfeld von Substanz, Ursache und Wirkung. Er fllt mit dem Begriff des Bewirkens zusammen: Handeln heißt bewirken. Alles, was einen Effekt hervorruft, tut dies, indem es handelt. So auch der Wille. Eine Handlung des Willens ist nicht die ußerlich beobachtbare Wirkung des Willens, das, was im

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3. Die Kategorien der Freiheit und die praktische Vernunft II: Wille und Freiheit Welche Auffassung von Freiheit hat Kant vor Augen hat, wenn er von „Kategorien der Freiheit“ (KpV A 117) spricht? Dem ist im Folgenden nachzugehen. Und das hat durchaus seine Misslichkeit, bleibt doch Kant selbst die Antwort darauf schuldig. Weder im nheren Umkreis der Kategorientafel noch sonst wo in der Kritik der praktischen Vernunft gibt er dem Leser ausdrcklich und unmissverstndlich Rechenschaft in diesem Punkt. So tendiert man zunchst und, wie der Blick in die Sekundrliteratur zeigt, auch zumeist zu der sich wie selbstverstndlich anbietenden Vorstellung, dass Kant hier einmal mehr denjenigen Begriff von Freiheit zur Geltung bringt, der ohnedem seine ganze Moralphilosophie wie ein roter Faden durchzieht und von Grund auf prgt: Freiheit im transzendentalen Verstande. Diese Annahme hat auch zweifellos ihre gute Berechtigung, denn es lassen sich wenigsten verstreute Hinweise auffinden und zusammentragen, die in diese Richtung weisen. Allein, die Sache ist keineswegs so eindeutig. Der kantische Text gibt bei genauem Hinsehen auch Grnde an die Hand, und sogar mehr, die gegen diese Auffassung sprechen und die dabei durchaus ihre berzeugungskraft besitzen. Die Rede von Freiheit ruft, wo immer sie auftritt, einen Katalog von Fragen auf den Plan, die auf Erluterung dringen. Drei solche Fragen mssen sich mindestens stellen lassen. So will man vor allen Dingen wissen, wer oder was es ist, dem das Attribut ,frei‘ beigelegt wird. Freiheit ist sicherlich keine schwebende Qualitt oder ein an sich selber Existierendes, vielmehr beziehen wir uns damit je auf etwas ganz Bestimmtes, das im Zusammenhang mit anderem stehend den Charakter eines Freien besitzt. Ferner will Freiheit besagen, dass eine Freiheit von etwas vorliegt. Freisein heißt in seiner negativen Bedeutung so viel wie Unabhngigsein; eines ist dem Einfluss eines anderen entweder vollkommen oder mal mehr, mal weniger entzogen. Und schließlich meint Freiheit immer Freiheit zu etwas. Das ist das positive Moment. Wo Freiheit am Werk ist, da kommt es gewçhnlichen und so auch in Kants Sprachgebrauch oftmals Handlung heißt, sondern der zugrunde liegende Willensakt, das Wirken des Willens. Siehe dazu Gerhardt, Volker: Handlung als Verhltnis von Ursache und Wirkung. Zur Entwicklung des Handlungsbegriffs bei Kant, in: Prauss, Gerold (Hg.): Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, Frankfurt a. M. 1986, S. 98 – 131; Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 82; Kaulbach, Friedrich: Kants Theorie des Handelns, a.a.O., S. 67.

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mitnichten zum Stillstand alles Geschehens. Ganz im Gegenteil, sie erlaubt gerade einen eigenen Verlauf der Ereignisse, der sich in irgendeinem Sinne aus sich selber heraus bestimmt. Diesen Nachfragen muss sich auch Kants Lehre von den praktischen Kategorien stellen, wenn anders diese Kategorien Begriffe der Freiheit sein sollen. Gehen wir sie daher nacheinander durch. Man unterscheidet fr gewçhnlich zwischen Willensfreiheit und Handlungsfreiheit. Die letztere zeigt sich im ußeren, die libertas agendi ist eine externe Freiheit. Denn sie definiert sich durch das Fehlen von Hindernissen, die jenseits der Willensgesinnung einer Person liegen, und die ungehemmte Entfaltung einer absichtlichen Ttigkeit dieser Person. Dabei bleibt der Begriff des Ungehindertseins bewusst so weit, dass er all das mit abdeckt, was den Handlungsspielraum eines Subjekts zu beschneiden vermag. Jene Hindernisse mçgen entweder soziale sein; entsprechende Freiheiten werden alsdann durch gesellschaftliche Institutionen oder berhaupt andere Subjekte eingerumt (oder auch nicht) wie etwa Rechte zur Abwehr staatlicher Zugriffe oder auf partizipative Teilhabe am politischen Leben. Oder sie kçnnen naturaler Art sein; Freiheit meint so jede Abwesenheit kçrperlicher Gebrechen, die unseren motorischen Apparat beeintrchtigen und unsere Bewegungsmçglichkeiten einschrnken. In der Metaphysik L1 nach Pçlitz nennt Kant die Freiheit des Handelns insgesamt eine physische und illustriert sie unter Verweis auf den antiken Philosophen Epiktet: „Die practische Freiheit, oder die Freiheit der Person muß unterschieden werden von der physischen Freiheit, oder von der Freiheit des Zustandes. Die persçnliche Freiheit kann bleiben, wenn auch die physische fehlt, wie z. B. beim Epiktet.“ (AA XXVIII 257) Epiktet nmlich, so wird berliefert, hatte ein lahmes Bein. Demgegenber hat die Freiheit des Wollens ihre Domne im Inneren. Die libertas volendi ist eine innere Freiheit, denn sie hat es mit den internen Faktoren der Vorbereitung von Handlungen zu tun. Dabei begreift die Fhigkeit, wie Kant selber notiert, seinen Willen frei zu bilden und gegebenenfalls unter alternativen Mçglichkeiten zu whlen, keineswegs schon mit ein, dass die Umstnde so beschaffen sind, dass wir letztendlich auch wirklich ausfhren kçnnen, was wir uns vorgenommen haben. Whrend die Handlungsfreiheit eines Menschen durch die Lebensverhltnisse, in denen sich dieser bewegt, begrenzt wird, trifft dies auf die Willensfreiheit nicht zu. Wer in Ketten liegt, um mit Rousseaus berhmter Erçffnungspassage seines Contrat social zu sprechen, kann vieles nicht tun, weil ihn ußerer Zwang zurckhlt; aber kein Gefngnis hindert daran, Vorstze zu fassen und sich zu situationsnahen oder auf das ganze weitere

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Leben sich erstreckenden Zwecksetzungen aufzuschwingen. Mithin scheint die Freiheit des Wollens mit einem erheblichen Maß an ußerlicher Unfreiheit vereinbar zu sein. Und das rhrt daher, dass sie ursprnglicher ist und frher ansetzt als die Freiheit des Handelns. Die Bildung des Willens und der feste Entschluss, aktiv zu werden, sind eines, dessen tatschliche Verwirklichung aber ist etwas ganz anderes; und ersteres liegt der letzteren offenkundig voran. Diejenige Freiheit nun, von der die „Kategorien der Freiheit“ knden, ist ganz entschieden eine Freiheit des Willens, nicht der Handlungen. Es ist der Wille eines Menschen, der durch sie als frei charakterisiert wird. Das begrndet sich nicht nur daher, dass Handlungsfreiheit fr Kant zu keiner Zeit zu einem wichtigen Thema angewachsen ist und dass die Kritik sowie auch sonst alle seine Schriften zur praktischen und Moralphilosophie ausschließlich den Komplex der Willensfreiheit in den Vordergrund rcken und als das Eigentliche und Vordringliche behandeln. Entscheidend ist vielmehr ein Grund, der sich aus der Sache selbst speist. Denn Kant versteht die Kategorien der praktischen Vernunft, wie sich uns bereits in mehreren Anlufen besttigt hat, als Bestimmungsformen des Willens. Sie sind keine Begriffe, unter die wir Handlungen von Akteuren, die in der ußeren Welt stattgefunden haben, subsumieren, um sie zu beschreiben und wirksam voneinander abzugrenzen. Vielmehr spielen sie in der dem je vorausgehenden Bildung von Handlungsabsichten eine tragende Rolle. Indem die Kategorien der Freiheit die Mçglichkeiten vorgeben, wie die Vernunft den Willen bestimmen kann, beziehen sie sich in Kants Worten nicht auf die „physische“, sondern auf die „practische Freiheit“ des Menschen. Als Begriffe des Wollens von Gegenstnden kçnnen die Kategorien nichts anderes sein als Begriffe von der Freiheit eben dieses Wollens. Was aber ist Willensfreiheit? Das heißt, wovon ist der menschliche Wille frei? Und wozu ist er frei? Es empfiehlt sich, beide Fragen gemeinsam zu bearbeiten, denn das, was durch sie je angezeigt wird, lsst sich nicht strikt voneinander ablçsen und zu Eigenem verselbstndigen. Man kçnnte zwar von so etwas wie einer negativen Freiheit sprechen und dabei beispielsweise eine staatsanwaltschaftlich zugesicherte Straffreiheit oder die gesetzliche Befreiung von Steuern vor Augen haben; hnlich bei positiven Freiheiten, hier kçnnte man an die Freiheit zu grenzberschreitendem Waren- und Personenverkehr oder an das grundgesetzliche Recht zur freien Rede denken. Doch genau besehen meint die Unterscheidung eines Wovon und eines Wozu der Freiheit stets nur eine Unterscheidung von Momenten ein und derselben Freiheit. Redefreiheit etwa ist einerseits die Unabhngigkeit von meinungskontrollierender Zensur und damit andererseits die

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Chance, sich in einem gewissen Rahmen ber bestimmte Themen çffentlich mitzuteilen. Und das trifft nicht nur auf die genannten Freiheiten im Handeln, sondern ebenso und vor allem auf die libertas voluntatis zu, gleichgltig welchen begrifflichen Zuschnitt sie des Nheren aufweisen mag. Auch sie besitzt immer einen negativen und einen positiven Aspekt, die aber nur zusammengenommen die Freiheit des Willens ausmachen. Durch die Erkundigung nach dem Wovon und dem Wozu konkretisiert sich der Begriff der Willensfreiheit. Es lassen sich dann mehrere Fassungen unterscheiden, nicht nur ideengeschichtlich, sondern auch bei Kant selbst, wie wir noch sehen werden. Willensfreiheit ist nicht gleich Willensfreiheit. Eine mçgliche Spielart ist die, welche Kant prominent unter dem Namen der transzendentalen Freiheit eingefhrt hat. Sie entstammt bekanntlich dem Kontext der theoretischen Philosophie, genauer der Auflçsung der dritten Antinomie.270 Nach Kant handelt es sich um eine unvermeidliche Dialektik, in die das menschliche Nachdenken gert, wenn es einerseits vçllig zu Recht dafr pldiert, dass die kausalgesetzliche Ereignisreihe des Naturgeschehens lckenlos bestimmt ist, aber andererseits mit der gleichen Berechtigung behaupten kann, dass Freiheit gleichwohl denkbar, ja im Gebiet der Kosmologie, in welcher sich die Herausforderung eines erstens Anfangs der Welt im Ganzen stellt, berdies eine Denknotwendigkeit ausmacht. Freiheit, so verstanden, ist ein starker, ein metaphysischer Begriff und bedeutet im Gegensatz zum jederzeit raumzeitlich bedingten Anfangen der Naturkausalitt den schlechthinnigen Neubeginn einer Kausalkette, mithin die nicht weiter zurckfhrbare Spontaneitt einer ersten Ursache.271 Wenn erst einmal der Raum erçffnet ist, eine solche Freiheit zu denken, lsst sie sich Kant zufolge bis in den Bereich des Praktischen hinein ausziehen.272 Es erwchst dann die Aufgabe zu prfen, ob vielleicht auch dem 270 Vgl. Allison, Henry: Kant’s Theory of Taste, a.a.O., S. 11 – 28; Heimsoeth, Heinz: Zum kosmotheologischen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie, a.a.O.; Rçttges, Heinz: Kants Auflçsung der Freiheitsantinomie, a.a.O.; Watkins, Eric: The Antinomy of Pure Reason, Sections 3 – 8 (A462/B490-A515/B543), in: Mohr, Georg/Willaschek, Marcus (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 447 – 464; Wood, Allen W.: Kant’s Compatibilism, in: Ders. (Hg.): Self and Nature in Kant’s Philosophy, Ithaca 1984, S. 73 – 101. 271 „Dagegen verstehe ich unter Freiheit, im kosmologischen Verstande, das Vermçgen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalitt also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte.“ (KrV A 532 f./B 560 f.) 272 Vgl. KrV A 450/B 478.

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menschlichen Willen Freiheit im transzendentalen Verstande zukommt. Das ist eben die Frage, die die Kritik der praktischen Vernunft motiviert und anleitet. Und Kant hat das begrifflich scharf gefasst. Danach geht es bei dieser Frage um die Beziehung zwischen der Bestimmung des Willens und den zugrunde liegenden Bestimmungsgrnden. Diese Beziehung begreift Kant grundstzlich als ein Kausalverhltnis, als ein Verhltnis von Ursache und Wirkung. Die Willensgesinnung eines Subjekts ist entweder der Auslufer eines von weit herkommenden Naturgeschehens (causa phaenomenon), oder sie nimmt ihren Ausgang bei etwas, was nicht selber eine Erscheinung in Raum und Zeit ist (causa noumenon). Im ersten Fall spielt die Biografie eines Akteurs, seine Vergangenheit und seine Erziehung eine Rolle; der Wille ist fest im Erfahrungsleben verankert und unter der empirischen Voraussetzung eines Gefhls der Lust oder Unlust gebildet. Im zweiten Fall wird das alles beiseite gesetzt; jenseits aller individuellen lebensgeschichtlichen Ereignisse ist der Wille unter der in allen vernnftigen Subjekten anzutreffenden intelligiblen Bedingung der Freiheitsidee bestimmt. Wenn demnach der Begriff der Willensfreiheit auf diese Weise erlutert wird, drckt er die Mçglichkeit einer schlechthin ersten Regung unseres praktischen Vermçgens aus. Freiheit ist dann praktische Selbstbestimmung aus reiner Vernunft. Ist es dieses berhmt-berchtigte Freiheitsverstndnis, das Kants Beschftigung mit der Kategorienlehre beherrscht? Apostrophiert er die Kategorien der praktischen Vernunft deshalb als „Kategorien der Freiheit“, weil er sie als Begriffe eines transzendental freien Willens betrachtet? Darauf deutet zunchst einmal einiges hin. Denn zum einen ist es gerade die genannte Freiheit, die in Kants philosophischem Œuvre federfhrend ist. Sie will das unerschtterliche Fundament einer Moralphilosophie geben, die von allen Schattierungen eudmonistischer Klugheitslehren radikal absticht und sich demgegenber auf eine andere Art der Begrndung beruft. Alle moralischen Gesetze, die diesen Titel verdienen, legt Kant als leges libertatis aus, als Gesetze der Freiheit. Es liegt daher intuitiv nahe zu vermuten, dass die „Tafel der Kategorien der Freiheit“, zumal sie „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“ (KpV A 117) dargestellt ist, Begriffe befasst, die allesamt in den Bannkreis jener Freiheit gehçren. Zweitens kçnnte man von der sachlichen Aufgabenstellung einer Kritik der praktischen Vernunft her erwarten, dass sie sich ausschließlich mit den Kategorien des freien Willens auseinander setzt – unausgemacht, ob es daneben berhaupt noch andere praktische Kategorien geben mag. Denn die Kritik soll, wie Kant sich in der „Einleitung“ erklrt, den Anspruch auf

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„Alleinherrschaft“ (KpV A 31), welchen die sinnlich bedingte empirische Vernunft im Dienste der Glckseligkeit erhebt und wodurch sie das Bestehen jeder wahrhaft sittlichen Verbindlichkeit leugnet, auf der Grundlage der Mçglichkeiten reiner praktischer Vernunft berprfen und, wie Kant gezeigt zu haben sich schmeichelt, negativ bescheiden. „Die Kritik der praktischen Vernunft“, so schreibt er, hat „die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen.“ (KpV A 30 f.) Und in dieser Stoßrichtung, so darf man meinen, begegnen dann nur Kategorien eines solchen Willens, der seinen Bestimmungsgrund in dem reinen Vernunftbegriff der Freiheit hat. Des Weiteren ist in der direkten Umgebung der Kategorientafel mit ausdrcklichen Worten von dieser Freiheit die Rede. In dem Absatz, welcher der Tafel voransteht, erçrtert Kant die Freiheitskategorien dahin gehend, dass sie einen „augenscheinlichen Vorzug“ an sich haben, der darin besteht, dass sie „die Form eines reinen Willens […] als gegeben zum Grunde liegen haben“, weshalb sie „in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen warten drfen, um Bedeutung zu bekommen“ (KpV A 115 f.). Und so erneut im Anschluss an die Tafel. Dort heißt es: „Man wird hier bald gewahr, daß, in dieser Tafel, die Freiheit, als eine Art von Kausalitt, die aber empirischen Bestimmungsgrnden nicht unterworfen ist, in Ansehung der durch sie mçglichen Handlungen […] betrachtet werde“ (KpV A 118). Und weiter: dass „jede Kategorie so allgemein genommen wird, daß der Bestimmungsgrund jener Kausalitt auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligibelen Wesens angenommen werden kann“ (ebd.). Offenbar stellt Kant hier, und zwar gleich zweimal, einen Zusammenhang her zwischen den Kategorien der praktischen Vernunft und der Vorstellung absoluter Spontaneitt. Dazu gehçrt auch die Gegenberstellung, in die Kant im vierzehnten Absatz des Kapitels die Kategorien der Freiheit mit den „Kategorien der Natur“ (KpV A 115) bringt. Diese Gegenberstellung gibt sich berschneidungsfrei, sie scheint keine gemeinsame Schnittmenge zuzulassen: Freiheit und Natur schließen sich wechselseitig aus und so auch die jeweiligen Kategorien. Das wird darin augenfllig, dass Kant die Freiheitskategorien erst als „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ ausgibt, die „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori“ (KpV A 115) unterwerfen und dann, mit derselben Absicht, den gerade erwhnten „augenscheinlichen Vorzug“ der Frei-

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heitskategorien in den Blickpunkt bringt, der sich ihrer „Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit“ (KpV A 115 f.) verdankt. Mit anderen Worten hat die Freiheit, deren Kategorien Kant mit den Naturkategorien vergleicht, ihren Bereich nicht in, sondern jenseits der Welt raumzeitlicher Erscheinungen und deren kausaler Verkettungen. Sie ist mit dem Bereich der Phnomene inkompatibel und macht demgegenber eine eigene, bernatrliche Sinndimension aus.273 Ist damit nun schon alles gesagt? Hlt man sich an das, was wir im Vorstehenden von verschiedenen Ansatzpunkten her an Textmaterial und berlegungen herbeigebracht haben, sieht es zweifellos so aus. Die angefhrten Indizien lassen darauf schließen, dass diejenige Auffassung von Willensfreiheit, die in der kantischen Wendung „Kategorien der Freiheit“ zum Tragen kommt, Freiheit in spekulativer Bedeutung nimmt. Kategorien der praktischen Vernunft wren demnach begriffliche Ausformungen ausschließlich des sittlichen Willens. Indessen wird sich eine angemessene Interpretation doch aufgeschlossen und von solcherlei voreiligen Einschrnkungen freihalten mssen. Denn wir haben den Text der Kritik bislang nur hçchst einseitig zur Kenntnis genommen. In Wahrheit liegen die Dinge ganz und gar nicht so einfach. Ohne grçßere Mhe lassen sich aus der nchsten Umgebung von Kants Kategorientafel gleich mehrere Anhaltspunkte aufbieten, die die Sachlage nachhaltig komplizieren und eine viel weiter ausgreifende Deutung zu fordern scheinen. Die ersten drei Anhaltspunkte liefert sogar das Kategorientableau selbst. Im Quadranten der „Quantitt“, um damit zu beginnen, prsentiert es drei Kategorien: die Kategorie der „Maxime“, die der „Vorschrift“ und die des „Gesetze[s]“ (KpV A 117).274 Bei der letzteren handelt es sich wohl 273 Kompatibilismus und Inkompatibilismus sind Theorien ber den Zusammenhang von der Freiheit des Willens und dem Determinismus der Natur. Die Frage allerdings, ob beide miteinander kompatibel sind, ist doppelsinnig. Sie meint etwas anderes, je nachdem, wie die Prposition ,mit‘ verstanden wird. ,Kompatibel mit‘ kann heißen, dass die Freiheit in der Natur oder dass sie außerhalb der Natur mçglich ist. Ich bediene mich hier der ersten Bedeutung und bezeichne mit Kant eine Freiheitstheorie als inkompatibilistisch, wenn sie die Mçglichkeit von Freiheit innerhalb der Natur aufgrund der kontinuierlichen Kausalgesetzmßigkeit effektiv ausschließt. 274 Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass ich die Bezeichnungen „Maxime“, „Vorschrift“ und „Gesetz“ vorlufig nur fr den Zweck der Argumentation aus den vielfltigen Angaben, die Kant zum Quadranten der Quantitt macht, herausgreife und als die griffigen Namen fr die drei Quantittskategorien behandle. Die nhere Untersuchung wird freilich erst noch zeigen mssen, ob das im Sinne Kants ist oder nicht. Siehe unten Kapitel IV.1.

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unbestritten um eine Kategorie des sittlichen Willens. Das entspricht Kants blicher Terminologie. Das Gesetz ist die, ja die einzige quantitative, Form eines Wollens, das bei allen vernnftigen Subjekten das gleiche ist, weil es auf eine gemeinsame, in der Struktur von Subjektivitt wurzelnde Vernunftidee zurckgeht. Der Wille, der die Form des Gesetzes aufweist, hat seinen Bestimmungsgrund im reinen Gedanken absoluter Freiheit. Genauso wenig kann aber in Abrede gestellt werden, dass die beiden anderen Kategorien mit dem nichtsittlichen Willen zusammenhngen. Wie auch Kants Kommentar zu diesem Quadranten (der einzige Quadrant, den Kant kommentiert) offen ausspricht, sind sie Formen desjenigen Willens, der als Bestimmungsgrund ein Gefhl der Lust oder Unlust voraussetzt: Maximen grndet „jeder auf seine Neigung“, und Vorschriften gelten „fr eine Gattung vernnftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen bereinkommen“ (KpV A 118). Sonach scheint die Tafel auch Kategorien des empirischen Willens zu umfassen, Kategorien, die gerade nichts mit Freiheit in sensu transcendentali zu schaffen haben. Und die Tafel gibt noch einen zweiten Hinweis, der damit bereinstimmt. Denn man darf nicht leichtfertig ber die Merkwrdigkeit hinweggehen, dass Kant zwar alle Kategorien als „Kategorien der Freiheit“ auffhrt – so jedenfalls kndigt es die berschrift der Tafel an –, dass er aber trotzdem die Kategorie des Gesetzes, und nur sie, durch einen eigenen qualifizierenden Zusatz auszeichnet und damit vor allen anderen Quantittskategorien hervorhebt, der da lautet: „der Freiheit“ (KpV A 117). Whrend sie also geradeso wie die Kategorie der Maxime und die der Vorschrift eine Freiheitskategorie darstellt, scheint die Kategorie des Gesetzes im Gegensatz zu diesen eine Kategorie zu sein, die darber hinaus noch mit einer anderen und besonderen Art von Freiheit in Zusammenhang steht.275 Offenbar sind hier zwei verschiedene Begriffe von Freiheit im Spiel. Und weil die Freiheitsvorstellung, welche der Kategorie des Gesetzes anhngt, diejenige der libertas moralis, das heißt der metaphysischen Freiheit, sein muss, wird man schließen drfen, dass das Verstndnis von Willensfreiheit, das sich in der berschrift der gesamten Tafel, nmlich in dem allgemeinen Ausdruck „Kategorien der Freiheit“, widerspiegelt, ein anderes und in der Konsequenz ein moralindifferentes ist. Bleiben wir gleich bei dem Titel, unter dem Kant die Kategoriensystematik vorlegt. Dieser hat im Ganzen den Wortlaut „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen“ (KpV A 117). Das ist ein weiterer Fingerzeig. Dass Kant eigens eine Hinsicht nennt, in 275 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 210.

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der er die Kategorien dargestellt wissen will, lsst durchblicken, dass es daneben auch andere, wenigstens jedenfalls noch eine solche Hinsicht gibt. Wir haben uns damit bereits an frherer Stelle auseinander gesetzt.276 Unsere Vermutung ging dahin, dass, weil Kant das Gute und das Bçse als eine von zwei mçglichen bersetzungen der lateinischen Ausdrcke ,bonum‘ und ,malum‘ diskutiert, der zweite Gesichtspunkt, unter dem die Kategorien exponiert werden kçnnen mssen, der Sache nach entsprechend in der anderen bersetzung vorhanden ist, also in den Begriffen des Wohls und des bels. Wenn das zutrifft, gestattet Kants Redeweise Rckschlsse auf die Frage nach der dahinter stehenden Freiheitsvorstellung. Denn man wird kaum umhinkçnnen zu folgern, dass diese der Hinsichtenunterscheidung noch vorausliegen muss: Ob die Kategorien unter Bercksichtung der Begriffe des Guten und Bçsen oder aber in Ansehung der Begriffe des Wohls und bels deduziert werden – bleiben sie nicht allemal, was sie sind, nmlich „Kategorien der Freiheit“? Der vierte Anhaltspunkt ist nun in dem Text anzutreffen, der das Kategorientableau einrahmt. In dem Passus unmittelbar vor der Tafel schreibt Kant, und auch das haben wir schon festgehalten,277 dass „diese Kategorien nur die praktische Vernunft berhaupt angehen“ (KpV A 116). Und er fhrt damit fort, dass sie „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten, zu denen, die, sinnlichunbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“ (KpV A 116). Ganz hnlich in dem Absatz, welcher der Kategorientafel nachfolgt. Dort ist nochmals von einem „bergang“ die Rede, und zwar „von praktischen Prinzipien berhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV A 118). Wie auch immer man das im Detail zu explizieren haben mag, fr unseren momentanen berlegungszusammenhang kçnnen wir daraus die Information ziehen und dadurch unsere vorige Schlussfolgerung bekrftigen, dass Kant „diese Kategorien“ – und das heißt die „Kategorien der Freiheit“ (KpV A 115), denn das Demonstrativpronomen „diese“ bezieht sich auf das Satzsubjekt des vorigen Satzes – im Gesamten als Begriffe einer Freiheit konzipiert, die alle internen Differenzierungslinien einheitlich umgreift. Diese Freiheit soll ja anscheinend durch den Fort- bzw. bergang von der einen hin zur anderen Sorte an Kategorien nicht berhrt werden. Sie betrifft die eine ebenso sehr wie die andere.278 276 Siehe oben S. 35 ff. 277 Siehe oben S. 45 ff. 278 Es ist zwar mçglich, dass die Formulierung „Kategorien der Freiheit“ von Kant gar nicht einsinnig intendiert ist. Es kçnnte sein, dass sich hier nicht nur eine Vor-

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Der letzte Wink schließlich, den Kants Ausfhrungen geben, liegt etwas unaufflliger, entdeckt sich aber der sorgfltigen Analyse als nicht minder bedeutungsvoll. Kant erçffnet das vorliegende Kapitel, welches neben den Kategorien der Freiheit die Begriffe des Guten und Bçsen behandelt, also das Kapitel „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 100), mit den folgenden Worten: „Unter einem Begriffe [eines Gegenstandes]279 der praktischen Vernunft verstehe ich die Vorstellung eines Objekts als einer mçglichen Wirkung durch Freiheit.“ (ebd.) Kant erklrt hier wohlgemerkt nicht, was ein Begriff der reinen, sondern was ein Begriff der praktischen Vernunft berhaupt ist. Erst im Anschluss verschmlert er diese Definition zum Begriff von einem „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ (ebd.). Dabei ist das Wort „reinen“ im Text eigens hervorgehoben.280 Auch dieser Umstand ist uns nicht neu. Wir haben uns schon darber ins Bild gesetzt, dass beide Begriffsbestimmungen im Zuge des Kapitels zur Anwendung gelangen; die letztere ist allein auf die Begriffe des Guten und des Bçsen gemnzt, wohingegen sich die erstere auf die Freiheitskategorien bezieht.281 Fr das Thema der Freiheit scheint daran nun vollends kenntlich zu werden, dass fr Kant jeder Begriff von einem Gegenstand des Willens die „Vorstellung eines Objekts als einer mçglichen Wirkung durch Freiheit“ darstellt. Nicht erst der „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ ist eine Sache der Freiheit menschlichen Wollens. Demgemß kann die Freiheit, von der Kant an der zitierten Stelle spricht, nicht transzendentale Freiheit sein, die im Falle des reinen Willens als Bestimmungsgrund fungiert, sondern es muss sich stattdessen um irgendeine andere Art von Freiheit handeln, und zwar eine solche, die Kant offenbar mit dem Willen qua talis in Verbindung bringt, auch mit dem empirischen. Der Vernunft scheint in ihrem praktischen Gebrauch ein Moment von Freiheit westellung von Freiheit auswirkt, ja dass die Kategorien der praktischen Vernunft, je nachdem, ob sie den sittlichen Willen oder den sinnlich bedingten Willen angehen, Kategorien einmal im transzendentalen Sinne, das andere Mal in irgendeinem anderen Verstndnis von Freiheit sind. Doch rechne ich mit dieser Mçglichkeit nicht ernsthaft. Denn einerseits erscheint sie mir kontraintuitiv; es findet sich im kantischen Text nicht der Hauch einer Spur, die darauf hindeutet. Und andererseits ist es ein hermeneutisches Gebot, nicht gleich eigene, berfrachtende Zusatzunterscheidungen einzufhren, wo der Autor keinen Anlass dazu bietet; zunchst ist die einfachste Lçsung zu testen. 279 Konjektur der Akademie-Ausgabe. 280 Das bersieht Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck (57 – 71), a.a.O., S. 115. 281 Siehe oben S. 40.

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senseigen zu sein: Der Wille eines vernnftigen Subjekts, wie Kant ihn allem Anschein nach versteht, ist seiner eigensten Natur nach ein freier Wille. Mit guten Recht kçnnten deshalb seine kategorialen Grundbegriffe, mçgen sie nun Kategorien des sittlichen oder des sinnlich bedingten Wollens sind, „Kategorien der Freiheit“ heißen, auch wenn Kant an keiner der angefhrten Stellen Auskunft darber gibt, was es mit dieser Freiheit genau auf sich hat. Es sollte nun deutlich geworden sein, dass die Textlage als durchaus vielschichtig zu bewerten ist. Kants ußerungen sind auf den ersten Blick widersprchlich, jedenfalls scheinen sie sich nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang bringen zu lassen. Dazu muss sich die Interpretation irgendwie verhalten. Und es stehen hier meines Erachtens zwei Alternativen offen. Entweder folgt man der einen Serie an Indizien und liest in den Ausdruck „Kategorien der Freiheit“ konsequent die Vorstellung einer absoluten Spontaneitt hinein; das wrde bedeuten, dass die Kategorientafel allein Kategorien des sittlichen Willens enthielte, ja dass die gesamte Kategorienthematik im Praktischen ausschließlich solche Kategorien kennte. Oder man hlt es mit den anderen Gruppe von Hinweisen, die eine grçßere Vielfalt und Bandbreite des Spektrums praktischer Kategorien vermuten lsst; das brchte alsdann die Schuldigkeit mit sich, bei Kant eine Form von Freiheit identifizieren zu mssen, welche dieser so grundstzlich denkt, dass sie auch den sinnlich bedingten Willen, mithin das ganze praktische Vermçgen des Menschen und damit auch alle praktischen Kategorien als solche anbelangt. Werfen wir zunchst einen Blick in die Forschungsliteratur. Wie sind die Kant-Kenner bislang mit dieser Schwierigkeit verfahren? Soweit ich sehen kann, lassen sich hier im Groben zwei Umgangsweisen unterscheiden. Die eine finde ich beispielhaft bei Annemarie Pieper ausgeprgt. Pieper pldiert, wie ich sie verstehe, fr die erste von mir skizzierte Alternative. Die „Kategorien der Freiheit“, so schreibt sie, seien „,in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen‘ zu rekonstruieren […], also aus der Perspektive des Sittlichen“, mithin seien sie durchweg „als moralische Postulate resp. Imperative zu lesen“282. Und noch einmal: Die Kategorien der praktischen Vernunft kçnnten „kraft der Autonomie der praktischen Vernunft direkt als Freiheitspostulate formuliert und unmittelbar als sittliche Grundstze ausgedrckt werden“283. Einmal abgesehen davon, 282 Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 122 f., Anm. 6. 283 Ebd. S. 121. Vgl. schon Dies.: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 148 f.

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dass Pieper die Kategorien statt als Begriffe als Grundstze wiedergibt: Indem sie alle Kategorien beharrlich auf den reinen Willen hin auslegt, kann ein Problem des rechten Verstndnisses von Freiheit von vornherein gar nicht aufbrechen. Es handelt sich dann je schon um Freiheit in spekulativer Bedeutung. Im Gegenzug mssten natrlich, was Pieper aber nicht tut und was wohl auch nicht so leicht zu machen sein wird, die oben aufgelisteten Bedenklichkeiten ausgerumt werden, die wir aus dem kantischen Text herausgezogen haben. Die Mehrheit der Interpreten hat dann auch Partei fr eine zweite Lesart ergriffen. Diese hat ihren Ort gewissermaßen zwischen den von uns abgegrenzten Alternativen, indem sie Elemente aus beiden miteinander verbindet. Symptomatisch dafr ist bereits die frhe Abhandlung von Christian F. Michaelis Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen aus dem Jahre 1796. Michaelis gibt zunchst aus: „Diese Kategorieen sind Kategorieen der Freiheit, d. h. sie betreffen nicht blos die reine praktische, empirisch-unbedingte, sondern auch die empirisch-bedingte Vernunft, wiefern sie Willensbestimmungen berhaupt angehen.“284 Kontext dieser Feststellung sind Kants Bemerkungen zum Fortbzw. bergang, der innerhalb der Kategorientafel zu verzeichnen sein soll. Zugleich aber behauptet Michaelis, nun eine andere Formulierung Kants aufgreifend: „Die Freiheit wird hier betrachtet als eine Art von Kausalitt, […] die keinen empirischen oder physischen Bedingungen unterworfen ist“285. Dass hier eine Spannung besteht zwischen dem weit gefcherten Anwendungsbereich der praktischen Kategorien auf der einen Seite und der nichtempirischen Auffassung von Freiheit auf der anderen Seite, eine Spannung, die, wie wir dargetan haben, bereits bei Kant selbst offen zutage liegt, ist dem wortgetreuen und enthusiastischen Exegeten der ersten Stunde sichtlich entgangen. Michaelis hat das Problem schlicht nicht als Problem wahrgenommen. Und viele sind ihm darin gefolgt. Ich greife nur einige Beispiele heraus. Lewis W. Beck etwa spricht sich ganz hnlich dafr aus, dass die „Kategorien der praktischen Vernunft oder der Freiheit […] in zwei Arten“ zerfielen, solche „der empirischen praktischen Vernunft“ und solche „der reinen praktischen Vernunft“286. Der dabei stillschweigend investierte Freiheitsbegriff jedoch bleibt bei ihm vollkommen ausgeblendet. Nur 284 Michaelis, Christian F.: Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 197. 285 Ebd., S. 199. 286 Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 141.

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beilufig, als Klammerzusatz, ußert Beck, dass „die Kategorien der praktischen Vernunft nicht […] rein formal sind, sondern in einer bestimmten Kausalitt (Freiheit), die die ratio essendi des moralisch Guten ist, ihren Inhalt haben“287. Wie selbstverstndlich verlegt sich Beck auf die Vernunftidee von Freiheit. Und auch Gerhard Schçnrich deutet die Kategorien der Freiheit so, dass diese „unter zwei Perspektiven thematisierbar“ seien, der „moralneutralen einer Funktionsanalyse praktischer Spontaneitt berhaupt“ und der „spezifisch moralischen einer Beurteilung der sittlichen Qualitt solcher Spontaneitt“288. In der Folge unterlsst es Schçnrich jedoch nachzufragen, welche Konsequenzen diese Annahme fr die stets mitlaufende Freiheitsvorstellung hat. Schließlich geht auch Susanne Bobzien davon aus, dass die Freiheitskategorien die gesamte Spannweite des praktischen Gebrauchs der Vernunft regulieren: Sie seien „nicht nur Kategorien der reinen praktischen Vernunft“, so fhrt sie aus, „sondern Kategorien, durch die jede Erscheinung, wenn sie als durch den Willen als Begehrungsvermçgen nach Begriffen ,verursacht‘ begriffen werden soll, bestimmt gedacht werden muß“289. Gleichwohl setzt auch sie, ohne dafr weiter zu argumentieren, fr alle Kategorien jene sittlichkeitsspezifische Form von Freiheit an: „Das, worauf sich die Kategorien der praktischen Vernunft fr ihre Anwendung beziehen mssen, […] ist die freie Willkr. […] Willkr ist nun freie Willkr nur dann, wenn ihr ein reines praktisches Gesetz a priori zugrundeliegt.“290 Ich mçchte demgegenber einen dritten Weg einschlagen. Die Deutung, die mir vorschwebt und von allen am aussichtsreichsten erscheint, deckt sich mit der letzten der beiden oben aufgestellten Alternativen. Diese Mçglichkeit ist bis heute unversucht. Soweit ich es berschaue, hat bisher noch niemand in Erwgung gezogen, dass es sich bei der Freiheit, welche sich in Kants Ausdrucksweise „Kategorien der Freiheit“ zur Geltung bringt, vielleicht nicht um Freiheit im transzendentalen Verstande handeln kçnnte. Ich werde deshalb im Folgenden in zwei Schritten vorgehen. Als Erstes setze ich mich kritisch mit den oben aufgelisteten Textstellen bei Kant auseinander, die einer solchen Auffassung im Wege zu stehen scheinen. Danach 287 Ebd., S. 143. 288 Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 260. 289 Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 208. 290 Ebd., S. 199. Siehe dazu auch Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 50 und Anm. 39; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 26 f. und 27; Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 183.

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werde ich in verschiedenen Schriften Kants einen sich konstant durchhaltenden Freiheitsbegriff freilegen, der nach meinem Dafrhalten bei der Charakterisierung der praktischen Kategorien als Freiheitsbegriffen Pate steht. Wir haben oben Indizien zusammengetragen, die es prima facie nahe legen anzunehmen, dass die Kategorien der praktischen Vernunft durchweg Begriffe der Freiheit im Sinne der aus der Kritik der reinen Vernunft bekannten Vorstellung eines schlechthin unhinterschreitbaren Entspringens von Kausalreihen sind. Auf den zweiten Blick jedoch lassen sich all diese Hinweise entweder relativieren oder sogar gnzlich zerstreuen; teilweise haben wir das auch schon an anderen Stellen und in anderen Zusammenhngen getan. So ist es zunchst einmal ohne jeden Zweifel zutreffend, dass Kants moralphilosophisches Hauptaugenmerk demjenigen Standpunkt der Freiheit gilt, ber welchen sich das zentrale Konzept der Autonomie definiert. Demgegenber nimmt seine Beschftigung mit allen anderen Erscheinungsformen von Freiheit begreiflicherweise einen zurckhaltenden bis ablehnenden Duktus an. Man denke etwa nur an den bersteigert spçttischen Ton, mit dem Kant in der Kritik der praktischen Vernunft erklrt, die Freiheit unseres Willens, wenn sie keine andere wre als die, welche er dort „komparativ“ (KpV A 171) nennt, sei der Freiheit eines Bratenwenders vergleichbar. Man muss sich allerdings davor hten, das Kind mit dem Bade auszuschtten. Denn Kant leugnet mit keinem einzigen Wort, und zwar weder hier noch anderswo, dass der menschliche Wille eine derartige Freiheit besitzt. Was Kant leugnet, und das mit Entschiedenheit, ist, dass diese Freiheit als tragfhiges Fundament der Sittenlehre taugt – wie die Empiristen annehmen und wie Kant selbst noch in seiner Habilitation Nova dilucidatio von 1755 angenommen hat.291 Das sei nur eine bequeme „Ausflucht“ (ebd.), wie er jetzt meint, und ein „elender Behelf, womit sich noch immer einige hinhalten lassen“ (KpV A 172). Das heißt, Kant verwirft jene komparative Freiheit des menschlichen Willens nicht, aber er berbietet sie mittels der Vorstellung einer absoluten Willensfreiheit.

291 Zu Kants Freiheitsverstndnnis in der Nova dilucidatio vgl. Milz, Bernhard: Freiheit und Unbestimmtheit. Kants Problem mit der Willensfreiheit, in: Schmidt, Kirsten/Steigleder, Klaus/Mojsisch, Burkhard (Hg.): Die Aktualitt der Philosophie Kants. Bochumer Ringvorlesung Sommersemester 2004, Amsterdam/Philadelphia 2005, S. 137 ff.

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Entsprechend ist es auch, zweitens, nicht unangemessen zu erwarten, dass sich eine Kritik der praktischen Vernunft zum Mindesten um die Kategorien jener reinen praktischen Vernunft bemht. Was sie zu beleuchten hat, sind auf jeden Fall smtliche kategorialen Grundbegriffe des sittlichen Willens. Das bedeutet aber im Gegenzug keineswegs, dass es dabei auch schon sein Bewenden haben muss. Denn wir haben gesehen, dass das „Erste Hauptstck“ die Bestimmungsgrnde des reinen und, als Kontrastfolie, des empirischen Wollens auseinander legt, dass ferner das „Zweite Hauptstck“ mit den Begriffen des Guten und Bçsen sowie den Begriffen des Wohls und bels die Prdikate fr die Bewertung der Objekte des reinen und des empirischen Wollens diskutiert und dass schließlich das „Dritte Hauptstck“ die Triebfedern der Verwirklichung des reinen und des empirischen Wollens untersucht.292 Es wrde daher durchaus in das Gesamtpanorama der Kritik passen, wenn sie in Gestalt der Freiheitskategorien die Bestimmungsformen nicht nur des sittlichen, sondern auch des sinnlich bedingten Willens, wenngleich vielleicht nicht erschçpfend wiedergbe, so doch wenigstens in Aussicht stellte. Aus der bloßen Aufgabenstellung einer Kritik der praktischen Vernunft jedenfalls lsst sich nicht mit Sicherheit herleiten, dass die Vorstellung von Freiheit, welche in der Kategorienlehre wirksam wird, die Vorstellung der libertas transcendentalis sein muss. Bleiben noch die beiden Anhaltspunkte aus dem Text brig, welcher die Kategorientafel flankiert. Was zunchst den „augenscheinlichen Vorzug“ anlangt, den die Kategorien der praktischen Vernunft im Vergleich zu denen der theoretischen voraushaben sollen und den Kant durch ihren Bezug auf das „oberste Prinzip der Freiheit“ erlutert, so stelle ich diese Behauptung hier noch zurck. Sie hat die metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien zum Thema und wird uns daher im nchsten Kapitel ausfhrlich beschftigen. Wie sich dann allerdings zeigt, hat sie einen ußerst heiklen Stand. Die fragliche Verknpfung der praktischen Kategorien mit dem metaphysischen Prinzip der Freiheit lsst sich anhand dieser Aussage Kants alles andere als bedenkenlos dokumentieren. Im Vorgriff auf die Ergebnisse des folgenden Kapitels wollen wir sie deshalb an dieser Stelle beiseite setzen. Hingegen ist Kants andere Bemerkung, wonach in der Kategorientafel die Freiheit „als eine Art von Kausalitt, die aber empirischen Bestimmungsgrnden nicht unterworfen ist,“ und damit als „Eigenschaft eines intelligibelen Wesens“ betrachtet wird, so meine ich, in einem grçßeren 292 Siehe oben Kapitel II.1 und 2.

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Rahmen zu sehen. Denn diese Feststellung scheint sich in eine Reihe zu stellen mit den anderen Formulierung Kants, die hçchst einseitige Akzente setzen und deren vermeintlich zwingende Eindeutigkeit darum zweifelhaft ist – angefangen bei der berschrift des gesamten Kapitels,293 ber die Betitelung der Kategorientafel294 bis hin zu Kants sachlicher Verengung des Vergleichs von Freiheits- und Naturkategorien im dreizehnten Absatz295. In all diesen Fllen, und so auch hier, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um moralphilosophische Verkrzungen des Themengebiets, Verkrzungen zwar, die nachvollziehbar sein mçgen, insofern Kant niemals beabsichtigt hat, das weite Feld der philosophia practica universalis erschçpfend zu bearbeiten (man beachte, dass man es hier lediglich mit einer Kritik und keiner ausgefhrten Doktrin der praktischen Vernunft zu tun hat), an denen aber nichtsdestominder Kants eigene Ausfhrungen, welche wir oben als eine zweite Gruppe von Hinweisen rekonstruiert haben, in ihrer Gesamtheit massive Zweifel wecken. Warum aber dann sind die Kategorien der praktischen Vernunft „Kategorien der Freiheit“? Es kommt nun in einem zweiten Schritt alles darauf an, dass sich in Kants Schriften ein Freiheitskonzept ausweisen lsst, das bereits analytisch im Begriff des Willens liegt und daher das praktische Vermçgen eines jeden vernnftigen Subjekts als eines solchen angeht. Zunchst zur Kritik der reinen Vernunft. Im Zuge der Auflçsung der dritten Antinomie, also innerhalb der „transzendentalen Dialektik“, und dann erneut im „Kanon der reinen Vernunft“, das heißt innerhalb der „Methodenlehre“, distinguiert Kant zwischen zwei Begriffen von Freiheit: Freiheit im „kosmologischen“ (KrV A 533/B 561) bzw. „transzendentalen Verstande“ (KrV A 446/B 474)296 einerseits und andererseits Freiheit „im praktischen Verstande“ (KrV A 534/B 562)297. Heikel an dieser Unterscheidung ist, dass sie in der „Dialektik“ anders auszufallen scheint als im „Kanon“, was bis heute Anlass fr diverse Erklrungsversuche geboten hat.298 Der mutmaßliche Widerspruch betrifft dabei wohlgemerkt nicht, was Kant zur transzendentalen Freiheit ausfhrt, vielmehr besteht er zwischen seinen beiden Erçrterungen der praktischen Freiheit. Whrend nmlich in der „Dialektik“ zu lesen ist, dass der praktische Begriff der 293 294 295 296 297 298

Siehe oben S. 40. Siehe oben S. 35 ff. Siehe oben S. 67 ff. Vgl. KrV A 801 f./B 829 f. Vgl. KrV A 801/B 829. Ein berblick ber die Literatur findet sich bei Schçnecker, Dieter: Kants Begriff transzendentaler und praktischer Freiheit, Berlin/New York 2005, S. 5 ff.

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Freiheit den transzendentalen Begriff derselben voraussetzt und als Merkmal in sich enthlt, lçst der „Kanon“ ersteren vollstndig von letzterem ab und prsentiert beide als voneinander gnzlich unabhngig.299 Schauen wir in den „Kanon“. Den Auftakt bildet hier Kants viel beachtete Erklrung, wonach all das praktisch heißen soll, was durch Freiheit mçglich ist. Die betreffende Freiheit kann nicht, wie man zunchst vielleicht glauben mçchte, eine intelligible sein, fhrt Kant doch folgendermaßen fort: „Wenn die Bedingungen der Ausbung unserer freien Willkr aber empirisch sind […]“ (KrV A 800/B 828). Kant bewegt sich hier und im Weiteren im Feld der „Klugheit“, er spricht von „Zwecke[n], die uns von unseren Neigungen aufgegeben sind“, von „Glckseligkeit“ und von den „Mittel[n], um dazu zu gelangen“; und es ist das „Geschfte der Vernunft“, wie Kant sich hier ausdrckt, „pragmatische Gesetze des freien Verhaltens zu Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke“ (ebd.) vorzuschreiben. Mit anderen Worten ist auch dem empirischen Willen, der unter der Bedingung von Neigungen und Interessen bestimmt ist, eine gewisse Freiheit zu Eigen. Und diese Freiheit kann selber nur eine empirische sein.300 Das wird im Anschluss vollends deutlich. Kant kommentiert sein weiteres Vorgehen mit den Worten, dass er sich „vorjetzt des Begriffs der Freiheit nur im praktischen Verstande bedienen werde“ (KrV A 801/B 829) und dass er dazu „den in transzendentaler Bedeutung, welcher […] ein Problem fr die Vernunft ist, hier […] bei Seite setze“ (ebd.). Der menschliche Wille ist hiernach selbst dann frei, wenn er gar nicht transzendental frei wre. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Was daher praktische Freiheit des Nheren auch immer heißen mag, Kant gibt sie im „Kanon“ als ein Moment des Willens berhaupt zu erkennen. Der Wille eines vernunftbegabten Wesens ist sua natura frei, und zwar frei „im praktischen Verstande“. Diese Auffassung von Freiheit hat ihren Ursprung und ihre Anwendungsbedingungen in der Erfahrung. Anders als die „reine transzendentale Idee“ der Freiheit, wie Kant in der „Dialektik“ schreibt, die „nichts von der Erfahrung Entlehntes enthlt“ und „deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung bestimmt gegeben werde kann“ (KrV A 533/B 561), handelt es sich bei der praktischen Freiheit um eine Erfahrungstatsache. Wir wissen von ihr wie von allen raumzeitlichen Sachverhalten. Und das muss jeder an 299 Vgl. Prol. A 155 f. 300 Vgl. Schçnecker, Dieter: Kants Begriff transzendentaler und praktischer Freiheit, a.a.O., S. 19 und 77.

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sich selber nachvollziehen kçnnen. Kant redet einem Verstndnis von Willensfreiheit das Wort, wonach Freiheit eine Erscheinung ist, die sich in der allgemeinen und alltglichen Selbstwahrnehmung von Akteuren erschließt. Indem sie mit zum empirischen Phnomenbereich menschlichen Handelns gehçrt,301 muss sie streng kompatibilistisch verstanden werden; sie begegnet nicht erst jenseits, sondern gerade innerhalb des kontinuierlich bestimmten Kausalzusammenhangs der Natur. Wie Kant sich etwas berschwnglich ausdrckt, kann sie „durch Erfahrung bewiesen werden“ (KrV A 802/B 830).302 Worin hat diese Freiheit ihre Wurzel? Nun, in nichts anderem als in der menschlichen „Vernunft“ (ebd.). Die libertas practica ist bereits mit dem praktischen Vernnftigsein gegeben. Anders nmlich als beim Tier, so meint Kant, kann sich beim Menschen oder berhaupt einem rationalen Wesen die Vernunft jederzeit einschalten und durch „berlegungen […] von dem, was in Ansehung unseres ganzen Zustandes begehrungswert, d.i. gut und ntzlich ist“ (ebd.), die Verwirklichung des Willens verzçgern, umlenken oder sogar ganz versagen. Und das, wie Kant an dieser Stelle meint, aus Grnden der Klugheit. Der Mensch hat einen Sinn fr Zuknftiges, da er das, was gegenwrtig nicht ist, vorwegnehmen und in der Vorwegnahme auf das hin beziehen kann, was gegenwrtig ist. Wir kçnnen uns Zwecke setzen und Mittel suchen, die zweckmßig sind. Das setzt einen gewissen Abstand von dem voraus, was uns augenblicklich einnimmt. Das je Nchste bindet nicht vçllig, indem man auch das bevorzugen kann, was eigentlich unangenehm ist, etwa eine bittere Medizin, aber aufgrund der erhofften, hier der heilenden, Wirkung einen neuen Wert annimmt. Was die Vernunft alsdann leistet, ist, Kosten und Nutzen einer beabsichtigten Handlung und deren voraussichtlicher Folgen gegeneinander zu halten und miteinander zu verrechnen. Auf diese Weise kann sie die Befriedigung 301 Vgl. Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 46. 302 „Wir erkennen also die praktische Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Naturursachen“ (KrV A 803/B 831). – Eine Strategie, dieses Resultat zu umgehen, besteht darin, die Erfahrung, durch welche die praktische Freiheit nach Kant „bewiesen“ werden kçnnen soll, fr keine Erfahrung im strengen Sinne zu nehmen. Vgl. Baumbach, Rudolf: Das Irrationale in Kants Religionsphilosophie, Marburg 1929; Funke, Gerhardt: Kants Satz: Die praktische Freiheit kann durch Erfahrung bewiesen werden, in: Revue internationale de philosophie 35 (1981), S. 207 – 221; Heidemann, Ingeborg: Das Ideal des hçchsten Gutes. Eine Interpretation des Zweiten Abschnittes im „Kanon der reinen Vernunft“, in: Dies./Ritzel, Wolfgang: Wolfgang: Beitrge zur Kritik der reinen Vernunft 1781 – 1981, Berlin/New York 1981, S. 233 – 305.

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gegenwrtiger und knftiger Interessen nach Maßgabe bisheriger Erfahrungen so effektvoll wie mçglich gestalten.303 Mit dem Vokabular der deutschen Schulphilosophie nennt Kant die Willkr endlicher Wesen arbitrium sensitivum. Das meint, dass diese durch Bewegursachen der Sinnlichkeit bedingt ist. Je nachdem aber, um was fr eine Art Bedingungsverhltnis es sich dabei des Nheren handelt, ist sie eine Willkr, die nur sinnlich affiziert, oder eine solche, die sinnlich nezessitiert wird. Letztere ist die Willkr von Wesen, die nicht mit Vernunft ausgestattet sind: „Eine Willkr nmlich ist bloß tierisch (arbitrium brutum), die nicht anders als durch sinnliche Antriebe, d.i. pathologisch bestimmt werden kann.“ (KrV A 802/B 830) Erstere heißt dagegen arbitrium liberum und ist die Willkr etwa des Menschen. Whrend die vernunftlose Willkr der Tiere durch Beweggrnde der Sinnlichkeit gezwungen wird, indem der strkste Reiz unweigerlich zu einem entsprechenden Verhalten fhrt, drngt das bloße Vorliegen sinnlicher Antriebe beim Menschen nicht notwendig zur Handlung. Die vernnftige Willkr wird nicht unausbleiblich zur Tat gençtigt. Darin hat sie ihre Freiheit. Die Erfahrung also, die jeder an sich selber nachvollziehen kçnnen soll, sofern er nur ein vernnftiges Wesen ist, ist die Erfahrung, dass den eigenen Handlungen niemals hinreichende Bedingungen vorhergehen. Die Wendung „praktische Freiheit“ findet sich schon lange vor der Kritik, etwa in Vorlesungsnachschriften aus den 1770er Jahren. In der Metaphysik L1 nach Pçlitz beispielsweise teilt Kant das menschliche Begehrungsvermçgen ein in ein unteres und ein oberes. In beiden Fllen aber soll die Willkr frei sein: Das „arbitrium humanum ist liberum, es mag seyn sensitivum oder intellectuale“ (AA XXVIII 255). Diese Freiheit steht hier gleichsam quer zu der Differenz von unterem („sensitivum“) und oberem („intellectuale“) Begehrungsvermçgen. Und es ist abermals die Vernunft, die laut Kant dafr verantwortlich zeichnet. „Der Mensch hat“, so schreibt er zunchst, „eine freie Willkhr; und alles, was aus seiner Willkhr entspringt, entspringt aus einer freien Willkhr.“ (AA XXVIII 255) Interessant sind nun die Ausnahmen, die Kant nennt. Danach hat der 303 Das ist im Wesentlich der Begriff von Freiheit, wie ihn auch der englische Empirismus vertreten hat. Man vgl. etwa John Lockes Essay Concerning Human Understanding, wo es heißt: „For the mind having in most cases, as is evident in Experience, a power to suspend the execution and satisfaction of any of its desires, and so all, one after another, is at liberty to consider the objects of them; examine them on all sides, and weigh them with others. […] [W]e have a power to suspend the prosecution of this or that desire, as every one daily may experiment in himself.“ (Essay II.21, 47)

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Mensch „z.E. in der zartesten Kindheit, oder wenn er wahnsinnig ist, und in der hohen Traurigkeit, welches aber auch eine Art von Wahnsinn ist“ (ebd.), keine freie Willkr. Alle diese Beispiele kommen darin berein, dass es sich um Zustnde geistiger Ohnmchtigkeit handelt. Man kann daher zurckschließen, dass die Freiheit der Willkr mit der Leistungskraft des Intellekts korreliert. In dem Maße, in dem der letztere sich einbringen kann, in dem Maße ist die erstere frei. Eine weitere Vorlesungsmitschrift ist die von Paul Menzer herausgegebene Vorlesung Kants ber Ethik. Sie stammt aus der Zeit kurz vor 1781.304 Sie geht in Sachen Freiheit mit der Kritik der reinen Vernunft und der Metaphysik L1 konform. In gewohnter Manier bemerkt Kant: „Die menschliche Willkr ist ein arbitrium liberum, indem sie nicht per stimulos necessitiert wird. Die tierische Willkr ist ein arbitrium brutum und nicht liberum, weil sie durch stimulos necessitiert werden kann“305. Als Beispiel fr die letztere nennt Kant einen Hund; dieser muss fressen, wenn ihn der Hunger drckt. Dagegen vermag ein Mensch selbst durch große Qualen, die ihm gezielt zugefgt werden, nicht zu einer Handlung gezwungen zu werden. Er kann die Marter ausstehen und die Handlung verweigern. Genauer gesagt kann man ihn lediglich comparative, aber nicht stricte zwingen; immer nmlich muss er sich eigens zur Handlung entschließen.306 In dieser Vorlesung gibt Kant nun aber den Ttigkeitsbereich der Vernunft in seinem vollen Umfang an. Die Willkr eines lebenden Wesens ist genau deshalb frei, so bemerkt er, weil die Bewegungsgrnde eines solchen Wesens „Bewegungsgrnde der Vernunft“307 sind. Aber Kant nennt nicht nur Bewegungsgrnde („motiva“), die „pragmatica“ sind, sondern auch solche, die „moralia“308 sind. Mithin stellt er der çkonomisch kalkulierenden Vernunft die Sittenvernunft an die Seite und vervollstndigt in diesem Punkt seine Angaben in der Kritik der reinen Vernunft und 304 Vgl. Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 258, Anm. 23; Menzer, Paul: Anmerkungen, in: Ders. (Hg.): Eine Vorlesung Kants ber Ethik, Berlin 1924, S. 322 – 328; Ders.: Der Entwicklungsgang der Kantischen Ethik in den Jahren 1760 – 1785, in: Kant-Studien 3 (1899), S. 41 – 104; Schçnecker, Dieter: Kants Begriff transzendentaler und praktischer Freiheit, a.a.O., S. 122, Anm. 36. 305 Menzer, Paul (Hg.): Eine Vorlesung Kants ber Ethik, a.a.O., S. 34. 306 Vgl. ebd. So auch in der Metaphysik L1 nach Pçlitz: „Alle Arten von Marter kçnnen nicht seine [des Menschen; d. Verf.] freie Willkhr zwingen; er kann sie alle ausstehen und doch auf seinem Willen beruhen.“ (AA XXVIII 255; vgl. 256) 307 Menzer, Paul (Hg.): Eine Vorlesung Kants ber Ethik, a.a.O., S. 36. 308 Ebd.

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der Metaphysik L1. Das menschliche Nachdenken kann gleichfalls durch moralische berlegungen die Realisierung des Willens aufschieben, umleiten oder untersagen. Was die Vernunft dann tut, ist nicht abzuwgen, ob eine intendierte Handlung und deren absehbare Folgen ntzlich oder schdlich, sondern stattdessen, ob sie gut oder bçse sind. Genauer gesagt macht sie nichts anderes, als die jeweils vorliegende Willensgesinnung, ein praktisches Urteil, dem moralischen berprfungsverfahren zu unterziehen und zu fragen, was sub specie moralitatis zu tun und zu lassen ist. Die Vernunft eines Menschen kann immer auch aus Grnden der Sittlichkeit Einfluss auf die Ausbung des Willens nehmen.309 Am klarsten ausgeprgt findet sich der Zusammenhang von Freiheit und praktischem Vermçgen in der Metaphysik der Sitten. Obwohl der Sache nach schon in allen frheren Schriften am Werk, wird die Differenz von Willen und Willkr erst hier terminologisch fixiert. Kant wiederholt diese Unterscheidung in der „Einleitung“ an zwei verschiedenen Stellen, einmal in dem Kapitel, welches das „Verhltnis der Vermçgen des menschlichen Gemts zu den Sittengesetzen“310 behandelt, das andere Mal in dem Kapitel „Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten (philosophia practica universalis)“311. Beide Passagen sind zwar inhaltlich nicht unmittelbar identisch, aber sie kommen in mindestens zwei entscheidenden Punkten berein. Demnach handelt es sich bei Wille und Willkr nicht um eigenstndige Gemtskrfte, sondern um zwei Aspekte eines einheitlichen Vermçgens. Dieses nennt Kant ebenfalls Wille. Es ist zu unterscheiden zwischen einem Willen im weiteren und einem Willen im engeren Sinne.312 Ferner ist die Differenz von Wille und Willkr zu begreifen als die Differenz zwischen der determinativen und der exekutiven Dimension des menschlichen Begehrungsvermçgens. Der Wille (voluntas) heißt genau dann Wille im engeren Sinne, wenn er in Beziehung auf seine Bestimmungsgrnde betrachtet wird, und er heißt Willkr (arbitrium), wenn man

309 Vgl. in der Vorlesungsnachschrift von Vigilantius zur Metaphysik der Sitten aus dem Wintersemester 1793/94 AA XXVII 493 f. Und schon in einer frhen Handschrift aus den 1760er Jahren heißt es: „Man muß sich selbst zu klugen und sittlich guten Handlungen zwingen. Daher imperativi. Die Ursache ist, weil seine Willkr auch sinnlich ist, und die erste Bewegung ist von daher. Je mehr man sich selbst zwingen kann, selbst durch pragmatischen Zwang, desto freier ist man.“ (R6998) 310 Vgl. MSR A/B 4 f. 311 Vgl. MSR A/B 26 ff. 312 Vgl. Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 130; Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 51 f.

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ihn in Beziehung auf die Wirkungen fasst, die er in der ußeren Welt hervorzubringen vermag, unsere Handlungen und deren Folgen.313 Die Unterscheidung von Willen und Willkr geht nun Hand in Hand mit einer eleutherologischen Differenz. Beiden misst Kant eine je eigene Freiheit zu. Die Freiheit des Willens im engen Sinne ist die Vernunftidee der Freiheit. Sie hngt mit der Bestimmung des Willens zusammen. Denn der Wille kann nicht nur unter der Voraussetzung eines Gefhls der Lust und Unlust, sondern auch unter der Bedingung des Gedankens transzendentaler Freiheit gebildet werden. Diese Freiheit ist fr Kant die einzige und damit genuin moralische Freiheit; sie ist nichts anderes als die Autonomie der praktischen Vernunft. Dagegen betrifft die Freiheit der Willkr die Entschließung zur Ausfhrung des Willens. Kant gibt sie an als das „Vermçgen, nach Belieben zu tun oder zu lassen“ (MSR A/B 5). Und diese Freiheit ist im Kern keine andere als die, welche wir bereits im „Kanon“ der ersten Kritik, der Metaphysik L1 und der Vorlesung Kants ber Ethik kennen gelernt haben. Eine unleugbare Konstante also in Kants Denken. Bei der libertas arbitrii geht es nicht um die allerersten Impulse der Willensbildung. Sie zeigt sich vielmehr in dem, was mit jenen Regungen weiterhin geschieht. Entscheidungen stehen nicht am Anfang, sondern am Ende der Handlungsvorbereitung. Die Frage ist, ob sich unsere individuellen Neigungen und Absichten ebenso wie die universalen Gebote der Sittlichkeit gleichsam automatisch, ohne unser Zutun und an uns vorbei in die Wirklichkeit berfhren. Oder stehen wir in der Mçglichkeit, Alternativen zu prferieren, innezuhalten, uns zu bedenken und gegebenenfalls auf Distanz zu gehen, aus welchen Grnden auch immer? Die Freiheit der Willkr ist die Freiheit der Wahl. Wo immer sich mehrerlei Optionen auftun, wo immer Konflikte zwischen widerstreitenden Neigungen oder zwischen Pflicht und Neigung aufreißen, da steht ein handlungsauslçsender Entschluss an. Und die Freiheit dieser Entschlussfassung ist ob ihrer 313 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 188; Geismann, Georg: Kant ber Freiheit in spekulativer und in praktischer Hinsicht, in: Kant-Studien 98 (2007), S. 284 f.; Horn, Christoph: Wille, Willensbestimmung, Begehrungsvermçgen, a.a.O., S. 53; Stekeler-Weithofer, Pirmin: Willkr und Wille bei Kant, in: Kant-Studien 81 (1990), S. 307 f. Eine bersicht ber den zu Kants Zeiten blichen Wortgebrauch von ,Wille‘ und ,Willkr‘ findet sich bei Meerbote, Ralf: Wille and Willkr in Kant’s Theory of Action, in: Gram, Moltke S. (Hg.): Interpreting Kant, Iowa City 1982, S. 78 ff.; Silber, John R.: The Ethical Significance of Kant’s Religion, in: Religion within the Limits of Reason Alone, New York 1960, S. xciv.

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Allgemeinheit und Allgegenwrtigkeit eine moralisch unbestimmte. Dass wir uns fr dieses und gegen jenes entscheiden kçnnen, und sei es auch das, was die Moral von uns verlangt, ist ein Phnomen, das die Vernunft in ihrem ganzen praktischen Gebrauch kennzeichnet. Kurz, die menschliche Willkr ist ihrem eigensten Wesen nach frei, und sie wre es auch, wenn der Wille im engeren Sinne nicht frei wre.314 Dem scheint eine Bemerkung Kants diametral entgegenzustehen. In der zweiten Passage nmlich stellt er mit Nachdruck fest: „Die Freiheit der Willkr aber kann nicht durch das Vermçgen der Wahl, fr oder wider das Gesetz zu handeln (libertas indifferentiae), definiert werden – wie es wohl einige versucht haben – […]“ (MSR A/B 27). Einer, gegen den sich Kant hier wendet, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Reinhold.315 Dieser hat in seinen Briefen ber die kantische Philosophie die Kritik aufgebracht, und dem haben sich viele angeschlossen, dass es selbst ein Akt der Freiheit sei, sich dem moralischen Gesetz zu entziehen und ihm zuwiderzuhandeln. Das bersehe Kant. Reinhold selbst pldiert daher fr einen indifferentistischen Freiheitsbegriff. Danach ist die Freiheit des Willens „das Vermçgen der Person“, „sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens entweder nach dem praktischen Gesetze oder gegen dasselbe zu bestimmen“316. Der Schlssel zum rechten Verstndnis liegt darin, wie Kant den angefangenen Satz beendet: „[…], obzwar die Willkr als Phnomen davon in der Erfahrung hufige Beispiele gibt“ (MSR A/B 27). Kant bestreitet demnach nicht, wovon zuvor die Rede war. Er dementiert keineswegs, dass die menschliche Willkr jene besagte Freiheit in sensu empirico hat, die unter anderem auch darin besteht, sich fr oder wider das praktische Gesetz zu entscheiden, ihm nachzukommen oder es zu verletzen. Ganz im Gegenteil sogar, Kant bejaht das offen. Wogegen er sich einmal mehr wendet, 314 Schon in den Vorarbeiten heißt es, dass die Willkr frei ist „zu thun oder zu lassen was das Gesetz befiehlt“ (AA XXIII 249), dass sie das „Vermçgen unter zwey entgegengesetzten [Handlungen des Menschen; d. Verf.] (der gesetzmßigen und gesetzwidrigen) zu whlen“ (AA XXIII 248) oder, so allgemein wie mçglich, dass sie „das Vermçgen unter gegebenen Gegenstnden zu whlen“ (ebd.) darstellt. 315 Vgl. Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 133 ff.; Bojanowski, Jochen: Kants Theorie der Freiheit. Rekonstruktion und Rehabilitierung, Berlin/New York 2006, S. 230 ff.; Milz, Bernhard: Freiheit und Unbestimmtheit, a.a.O., S. 147 ff. 316 Reinhold, Carl L.: Erçrterungen des Begriffs von der Freiheit des Willens (1792), in: Bittner, Rdiger/Cramer, Konrad (Hg.): Materialien zu Kants Kritik der praktischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1975, S. 255.

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das ist eigentlich, dass sich auf dieser Freiheit das Gebude der Sittenlehre errichten ließe. Wie es nur wenige Zeilen spter heißt: „[…] daß, obgleich der Mensch, als Sinnenwesen, der Erfahrung nach ein Vermçgen zeigt [sc. die Willkr; d. Verf.], dem Gesetze nicht allein gemß, sondern auch zuwider zu whlen, dadurch doch nicht seine Freiheit als intelligiblen Wesens definiert werden kçnne, […] und daß die Freiheit [des Willens im engeren Sinne; d. Verf.] nimmermehr darin gesetzt werden kann, daß das vernnftige Subjekt auch eine wider seine (gesetzgebende) Vernunft streitende Wahl treffen kann, wenn gleich die Erfahrung oft genug beweist, daß es geschieht [Herv. d. Verf.]“ (MSR A/B 27 f.).

Kommen wir zum Schluss. Das erste Fazit, das wir ziehen kçnnen, besagt, dass das Problem der Willensfreiheit innerhalb des kantischen Theorierahmens doppeldeutig ist.317 Schlsselt man es auf, verbirgt sich dahinter sowohl die Freiheit des Willens im engen Sinne als auch die der Willkr. Von dieser Doppeldeutigkeit hat schon Schelling Notiz genommen. Er sieht den Grund fr die Meinungsverschiedenheit, die zwischen Kant und Reinhold besteht, in einer sprachlichen Ungenauigkeit: eine von Kant aufgebrachte und nie ganz beseitigte Homonymie in seiner Rede von der Freiheit des Willens.318 Dementsprechend enthllt sich Kants Auseinandersetzung mit der Problematik erst in ihrem vollen Umfang, wenn man die Differenz von Wille und Willkr konsequent veranschlagt. Es zeigt sich dann, dass Kant nicht unentschlossen zwischen zwei Vorstellungen von Freiheit schwankt, genauso wenig optiert er bald fr diese und bald fr jene. Vielmehr koppelt er unterschiedliche Freiheitsauffassungen an verschiedene funktionale Hinsichten unseres praktischen Vermçgens. Die Willkr ist auf eine andere Art frei, als es der Wille im engeren Sinne ist. Whrend die Freiheit der ersteren fr das allgemeine Konzept der rational agency 317 Vgl. Aune, Bruce: Kant’s Theory of Morals, Princeton 1979, S. 92 f.; Sidgwick, Henry: The Kantian Conception of Free Will, in: Mind 13 (1888), S. 405 – 412. Beck dokumentiert in Kants Werken sogar fnf verschiedene Freiheitsbegriffe. Diese berschneiden sich teilweise, setzen sich voraus oder sind miteinander unvereinbar. Bei einigen, so Beck, ist die Bezeichnung variabel, fr manche hat Kant gar keinen Namen. Vgl. Beck, Lewis W.: Five Concepts of Freedom in Kant, in: Srzednicki, Jan T. J. (Hg.): Stephan Kçrner. Philosophical Analysis and Reconstruction, Dordrecht 1987, S. 35 – 51. 318 „Wenn Kant behauptet: Der Wille an sich ist weder frei noch unfrei, also auch weder gut noch bçse; Reinhold dagegen sagt, der Wille, als solcher, kçnne nicht anders, als frei seyn, und er sey nur insofern Wille, als er bçse oder gut seyn kçnne: so ist doch hier offenbar von zwei ganz verschiedenen Willen die Rede“ (SW I/1, S. 435).

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konstitutiv ist, begrndet sich die moral agency vernnftiger Wesen allein durch die Freiheit des letzteren. Im Lichte der Unterscheidung von Willen und Willkr lçst sich auch der vermeintliche Widerspruch zwischen der „Dialektik“ und dem „Kanon“ in der Kritik der reinen Vernunft. Obgleich Kant dort normalerweise vermischt und ohne erkennbare Regel von Wille oder Willkr spricht,319 darf man den sachlichen Gehalt dieser Differenz bereits veranschlagen – was Kant vielleicht sogar selbst tut, denn interessanterweise ist im „Kanon“ ausschließlich von der Willkr die Rede, kein einziges Mal vom Willen. Und das ist der springende Punkt: „Dialektik“ und „Kanon“ behandeln arbeitsteilig verschiedene Teilvermçgen des menschlichen Willens, die aber erst zusammen das komplette Bild ergeben.320 So wendet sich die „Dialektik“ dem Willen im engeren Sinne zu; praktische Freiheit meint hier die Herauslçsung der transzendentalen Freiheit aus dem Zusammenhang der Kosmologie und ihre bertragung in den Bereich der praktischen Philosophie. Ab der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten wird Kant diesbezglich nur noch von Autonomie sprechen. Dagegen widmet sich der „Kanon“ der anderen Seite des Willens, nmlich der Willkr. Hier bedeutet praktische Freiheit die jederzeit bedingte und gradmßig unterschiedliche eingeschrnkte Spontaneitt in der Wahl zwischen Handlungsmçglichkeiten.321 319 Vgl. Meerbote, Ralf: Wille and Willkr in Kant’s Theory of Action, a.a.O., S. 75. 320 Wenn das stimmt, kommt man ohne die so genannte Patchwork-Theorie aus, der zufolge die Kritik nicht aus einem Guss, sondern ein aus Zeugnissen verschiedener Entwicklungsphasen Kants zusammengestckeltes und daher unfreiwllig widerspruchsvolles Flickwerk ist. Vgl. Adickes, Erich (Hg.): Einleitung und Anmerkungen, in: Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft, Berlin 1889; Smith, Norman K.: A Commentary to Kant’s Critique of Pure Reason (1918), Basingstoke 20032, S. xxviii ff.; Vaihinger, Hans: Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Zum hundertjhrigen Jubilum derselben, Stuttgart 1882/92. 321 Dass es sich um eine sprachliche Doppelsinnigkeit im Ausdruck ,praktische Freiheit‘ handelt, sehen auch Baumann, Peter: Die Autonomie der Person, Paderborn 2000, S. 140 ff. und Hutter, Axel: Das Interesse der Vernunft. Kants ursprngliche Einsicht und ihre Entfaltung in den transzendentalphilosophischen Hauptwerken, Hamburg 2003, S. 137 ff. – Insgesamt jedoch ist die Textlage noch ein wenig komplexer als hier dargestellt. Kant macht noch einen Unterschied im Umgang mit der Freiheitsthematik, der mit dem jeweiligen Erkenntnisinteresse korreliert. Wenn es lediglich darum geht zu bestimmen, was aus sittlicher Sicht zu tun und was zu lassen ist, sei es, so Kant, vçllig ausreichend vorauszusetzen, dass der Wille transzendental frei ist. Hier gengt die bloße Unterstellung einer Als-obFreiheit. Etwas anderes sei demgegenber die „spekulative Frage“ (KrV A 803/B 831), ob der Wille tatschlich frei ist im transzendentalen Sinne oder nicht. Siehe

3. Die Kategorien der Freiheit und die praktische Vernunft II: Wille und Freiheit

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Unser zweites Resultat lautet, dass auch die Freiheit der Willkr fr Kant klar ein negatives und ein positives Moment einbegreift. Sie ist eine Freiheit von etwas und eine Freiheit zu etwas. Beide Aspekte sind begrifflich zu unterscheiden, wenn sie auch faktisch niemals getrennt voneinander vorkommen. Das Wovon der Freiheit besteht in der Unabhngigkeit von innerem Zwang (libertas ab intrinseca necessitate).322 Die Willkr ist weder durch Interessen noch durch Pflichten zur Handlung gençtigt. Das entspricht einer Erfahrung, die wir tagtglich machen, dass nmlich die Bestimmung und die Ausfhrung unseres Willens nicht ineinsfallen; die erstere ist nur eine notwendige Bedingung fr die letztere. Weder kçnnen unsere Neigungen normalerweise so von uns Besitz ergreifen, dass sie unausbleiblich zu einem entsprechenden Verhalten fhren. Noch lçsen unsere Pflichten gleichsam durch uns hindurch Handlungen aus; wir tun eben nicht immer, was wir tun sollen. Das Wozu der Freiheit liegt demgegenber in der Wahl oder Entscheidung (arbitrium liberum). Gemeint ist nichts anderes als die Spontaneitt des Nachdenkens, insofern diese sich praktisch auswirkt. Denn selbst wenn alle inneren Faktoren gegeben sind, kann sich der menschliche Intellekt unter gewçhnlichen Umstnden (erneut) reflektierend zur Geltung bringen und Einfluss auf anstehende Handlungen nehmen. Die Vernunft, indem sie das menschliche Begehrungsvermçgen bestimmt, begrndet dieses als ein Vermçgen der Freiheit. Dabei ist es eine empirische Frage, wie weit diese Freiheit im Einzelfall reicht. Ein vernunftbegabtes Wesen ist in dieser Hinsicht nur mehr oder weniger frei, je nachdem, wie viel Druck von den inneren Handlungsfaktoren ausgeht.323 Das dritte und fr uns zentrale Ergebnis geht nun auf die Kategorien der Freiheit. Wir haben gesehen, dass fr Kant die Willkr mitsamt der ihr zugehçrigen Freiheit ein integrales und nicht wegzudenkendes Moment dazu Bojanowski, Jochen: Kants Theorie der Freiheit, Berlin/New York 2006, S. 198 – 203; Geismann, Georg: Kant ber Freiheit in spekulativer und in praktischer Hinsicht, a.a.O., S. 283 – 305; Schçnecker, Dieter: Kants Begriff transzendentaler und praktischer Freiheit, a.a.O., S. 19 f. 322 „Diese practische Freiheit“, so wird Kant in der Metaphysik L1 von Pçlitz zitiert, „beruht auf der indepententia arbitrii a necessitatione per stimulos“ (AA XXVIII 257). Siehe auch AA XXVIII 267. 323 Vgl. Allison, Henry E.: Autonomy and Spontaneity in Kant’s Conception of the Self, a.a.O., S. 129 – 142; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 169 ff.; Ders.: Five Concepts of Freedom in Kant, a.a.O., S. 35 ff.; Stekeler-Weithofer, Pirmin: Willkr und Wille bei Kant, a.a.O., S. 307; Willaschek, Marcus: Praktische Vernunft, a.a.O., S. 48 ff.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

menschlichen Handelns ist. Jede absichtliche Ttigkeit bewegt sich als solche in einem Feld der Kontingenz, in dem nicht die sture Notwendigkeit herrscht, aber auch nicht alles der unbeschrnkten Beliebigkeit berlassen ist, in dem jedoch die Dinge grundstzlich immer auch anders liegen kçnnen. Wie Kant notiert, muss „die Handlung sowohl als ihr Gegenteil in dem Augenblicke des Geschehens in der Gewalt des Subjekts sein“ (Rel. B 59 Anm.). Unter gegebenen Umstnden auch anders kçnnen ist Bestandteil des kantischen Willensbegriffs. Wo der Weltlauf ein fr allemal festgeschrieben ist, wo es niemals mehr als eindeutig genau eine einzige Anschlussmçglichkeit gibt und sich die Ereignisse jeder wohlvertrauten Einflussnahme entrckt dahinwlzen, wrden wir auch gemeinhin nicht von Handlungen sprechen wollen. Vielmehr implizieren bereits unsere gewçhnlichen Handlungsbeschreibungen eine Mindestunterstellung an Freiheit. Und diese Freiheit ist in der Theoriesprache Kants die Freiheit der Willkr. Wer nicht so-oder-anders kann, der kann berhaupt nicht handeln. Handeln ist praktisches Setzen von Bestimmtheit im Bereich des Andersseinkçnnens.324 Dieser fundamentalen Tatsache, dass also der Mensch seine Handlungen nur per libertatem hervorbringen kann, trgt nach meinem Dafrhalten Kants Ausdruck „Kategorien der Freiheit“ Rechnung. Wenn es korrekt ist, dass sowohl die Kategorien des sittlichen wie auch die des sinnlich bedingten Willens, mithin alle Kategorien des Willens Freiheitskategorien sind, und wenn es weiterhin zutrifft, dass der Wille als Willkr wesenhaft frei ist, und wenn schließlich diese Freiheit der Willkr eine Freiheit im empirischen Verstande ist, legt sich dann nicht die Schlussfolgerung nahe, dass in der Wendung „Kategorien der Freiheit“ die empirische Freiheit der Willkr aufscheint? Die Freiheitskategorien verdanken ihre Bezeichnung einer Willenstheorie, der zufolge nur dort sinnvoll von einem Willen die Rede sein kann, wo ein mit Vernunft ausgestattetes Wesen in bestimmten Situationen Entscheidungen fr eine Handlungsalternative und wider alle anderen zu treffen und diese Entscheidung gegebenenfalls auf kritische Nachfrage hin durch die Angabe der ausschlaggebenden Motive zu rechtfertigen vermag, wo folglich im Hinblick auf den Entschluss zur Verwirklichung des Willens ein gewisses Maß an Freiheit zu verzeichnen ist. 324 Ich bediene mich hier einer Formulierung von Rdiger Bubner, die dieser allerdings nicht mit Blick auf die kantische Philosophie benutzt. Vgl. Geschichtsprozesse und Handlungsnormen. Untersuchungen zur praktischen Philosophie, Frankfurt a. M. 1984, S. 122.

4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.)

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Um kein Missverstndnis herauszufordern, sei vorsorglich angemerkt, dass die Kategorien selbstverstndlich das ganze praktische Vermçgen eines Menschen betreffen. Sie sind, was ihre Funktion anlangt, die Grundbegriffe des Willens im weiten Sinne. Denn als dessen Formbestimmtheiten mssen sie unvermeidbar je mitgedacht werden, mag dieser nun auf seine Bestimmungsgrnde hin betrachtet werden oder auf die mçglichen Wirkungen, welche der Ausbung seiner Kausalitt entspringen kçnnen. Nicht nur, wenn vom Willen im engen Sinn die Rede ist, dessen Bildung unter der Voraussetzung eines empirischen Gefhls oder des Freiheitsgedankens mçglich ist, sondern auch im Fall der Willkr, die zwischen verschiedenen Absichten auswhlen kann, hat man es mit dem Willen als einem bestimmten oder wenigstens bestimmbaren zu tun. Und die begrifflichen Formen dieser seiner Bestimmbarkeit sind die Kategorien der Freiheit. Allerdings leiten die Kategorien, das ist der entscheidende Punkt, ihren Namen nicht vom Willen im Ganzen, sondern meinem Interpretationsvorschlag zufolge von einem seiner beiden Teilvermçgen her. Und das ist die Willkr mitsamt der ihr zugehçrigen Freiheit.325

4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.) Was den sachlichen Ursprung der Freiheitskategorien anbelangt, bt sich Kant einmal mehr in zurckhaltendem Schweigen. Wie kommt er zu diesen Begriffen? Warum erklrt er gerade sie und nicht ganz andere Begriffe zu Kategorien? Abgesehen von einer kurzen Erwhnung in einer Fußnote zur „Vorrede“ bietet die Kritik an keiner Stelle ihrer Gedankenfhrung Anlass zu erwarten, dass sie an spterem Ort mit derartigen Begriffen aufwartet. Nahezu unangekndigt und ohne jede nennenswerte 325 In der Tiefe des Begriffs „Kategorien der Freiheit“ ist so die Mçglichkeit dessen angelegt, was Kant als einen Fort- bzw. bergang anspricht. Durch das Spektrum der Freiheitskategorien kçnnen genau deshalb Differenzierungslinien laufen, die unterschiedliche Arten von Kategorien voneinander abheben, weil die Freiheitskategorien nicht eo ipso auf den reinen Willen und die mit ihm begrifflich verschmolzene Freiheit als sittliche Autonomie eingeschrnkt sind. Sie halten sich vielmehr von sich her offen fr einen Willen, der nicht im metaphysischen Sinne frei ist. Die Kategorien der Freiheit kçnnen trotz, nein wegen, ihrer Benennung durchaus auch Kategorien des empirischen Willen sein. Ja, es wrde sogar selbst dann solche Kategorien der Freiheit geben, wenn der menschliche Wille nicht frei wre im transzendentalen Verstande.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

interpretative Hilfestellung baut sich ihre Tafel vor dem Leser auf. So hat man keine kriterielle Handhabe, um zu entscheiden, ob man sich hinsichtlich der Bestimmung und Zusammenstellung der Kategorien Kant mit Grnden anschließen darf oder ob man ihm vielleicht die eine oder andere Ungereimtheit zu verweisen htte. Eine wohlwollende Interpretation wird sicherlich unterstellen mssen, dass Kants Zuversichtlichkeit aus einer stillschweigenden Inanspruchnahme von Bekanntem und Gelufigem herrhrt. Er scheint aufseiten seiner Leser ein gewisses Maß an gelehrtem Vorwissen und eine bestimmte Versiertheit im Geschft der Vernunftkritik vorauszusetzen, die es ihm erlauben, die eigenen Erluterungen auf das Nçtigste zu beschrnken. Das jedoch heißt, dass es am Interpreten ist, diejenigen Begriffe von anderswo beizubringen, welche zum vollkommenen Verstndnis erforderlich sind. In diesem Sinne haben wir vermutet, dass die angemessene Art der Rechenschaftsgabe, die hier unausgesprochen im Hintergrund steht, in dem aus der ersten Kritik bekannten Programm einer metaphysischen Deduktion liegt: Auch die Kategorien der Freiheit, so die These, haben ihren Ursprung in der Seinsverfassung des menschlichen Intellekts und werden wie schon die Kategorien der Natur aus dieser abgeleitet. Wir haben in den vorangegangenen Kapiteln alle erforderlichen Voraussetzungen eingeholt – Kants allgemeine Funktions- und Urteilstheorie des Denkens und das Besondere am praktischen Gebrauch der Vernunft – und kçnnen dieser These nun nachgehen. Worin genau hat eine metaphysische Deduktion ihre Aufgabe? Und wie geht sie dabei vor? Grundlegend sind dafr Kants Ausfhrungen in der Kritik der reinen Vernunft. Danach geht eine Deduktion von Tatbestnden aus und fragt hinter diese zurck. Sie stellt eine Frage, wie Kants sich ausdrckt, die „die Tatsache angeht (quid facti)“ (KrV A 84/B 116). Diese Tatsachen sind nicht beliebig in der Welt aufzulesen, sie sind nicht diese oder jene, sondern es handelt sich dabei um in reflexiver Einstellung begegnende Vorstellungen, ber die unser Denken faktisch verfgt. Im vorliegenden Fall sind das Begriffe wie etwa Gesetz und Pflicht, Maxime und Vorschrift, Erlaubtes und Unerlaubtes. Und eine Deduktion soll der Herkunft dieser Vorstellungen nachspren; sie hat ihren „Geburtsbrief“ (KrV A 85/B 117) aufzutreiben und eine „Erklrung des Besitzes“ (KrV A 87/B 119) derselben zu geben. Deduktion meint demnach so viel wie das Freilegen eines Ursprungs. Anstelle der Zurckfhrung einer Folge von Stzen auf einen Grundsatz oder der syllogistischen Begrndung der ersteren durch den letzteren zielt die Deduktion, wie Kant sie versteht, auf die

4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.)

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Bestimmung der Quellen, aus der dem menschlichen Denken Gehalte entspringen kçnnen. Was die Deduktion als eine metaphysische qualifiziert, ist, dass sie diesen Ursprung im reinen Denken selber sucht. Das ist keineswegs selbstverstndlich, denn die meisten unserer Vorstellungen entstammen der Erfahrung. Empirische Begriffe bilden sich, in der Regel wohl unbemerkt, im kontinuierlichen Sinnfluss der Auseinandersetzung mit den Dingen und der Teilnahme an einer gesellschaftlichen Praxis. Sie nehmen ihren Ausgang von anschaulich gegebenen Sachverhalten, die miteinander verglichen und deren Gemeinsamkeiten zu einer eigenen Vorstellung zusammengezogen werden. Anders im Falle der metaphysischen Deduktion. Diese will den Nachweis erbringen, dass die betreffenden Vorstellungen bereits vorgngig in der Struktur vernnftiger Subjektivitt beschlossen liegen. Sie tut dar, dass es sich um Vorstellungen handelt, die gerade nicht aus der Erfahrung gewonnen werden und denen entsprechend auch kein Erfahrungsgegenstand vollauf korrespondieren kann, sondern die vielmehr apriorischen Charakters sind und ein Ordnungsprinzip des menschlichen Intellekts ausmachen. Dieses Ziel lsst sich freilich nicht auf dem Umweg ber die Erfahrung erreichen. Dass es sich bei einem bestimmten Begriff um einen Begriff a priori handelt, kann nicht anders denn aus reiner Vernunft entfaltet werden. Die Kategorien der Freiheit mssen sich wie alle anderen Vorstellungen auch, die in unserem Gemtshaushalt zu finden sind, einer Deduktion stellen. Sie lassen sich in der philosophischen Reflexion ebenfalls auf ihren Ursprung hin untersuchen, aus dem sie fr das Bewusstsein hervorgehen. Und sie verlangen eine nicht durch Erfahrung abgesttzte Deduktion. Denn Kant bezeichnet sie nicht nur ausdrcklich als „praktische Begriffe a priori“ (KpV A 116). Schon der schiere Umstand, dass es sich terminologisch um Kategorien handeln soll, und das heißt fr den bewanderten Leser der ersten Kritik: um reine Begriffe von der Objektivitt der Vernunft, zeigt ein Rechtfertigungsproblem an. Dass diese Begriffe Begriffe a priori sind und dass sie zudem einen kategorialen Rang bekleiden, kann man nicht ohne Weiteres unterstellen. Es versteht sich ganz und gar nicht von selbst, dass die Vernunft nicht nur in ihrem theoretischen, sondern ebenso in ihrem praktischen Gebrauch ber solche Grundbegriffe verfgt. Das ist allererst zu belegen. Die anstehende Deduktion muss folglich eine metaphysische sein. Sie muss dokumentieren, dass die Freiheitskategorien ihren Sitz nirgendwo anders denn in ipsa natura intellectus pari haben.326 326 In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten schreibt Kant einmal ber die

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

In der Kritik der reinen Vernunft hat das die konkrete Gestalt, dass Kant die Kategorien der Natur aus den Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts entwickelt. Wie er notiert, wird der „Ursprung der Kategorien a priori berhaupt durch ihre vçllige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens“ (KrV B 159) dargetan. Die metaphysische Deduktion meldet nmlich an entscheidender Stelle eine Identittsthese an. Danach kann das obere Erkenntnisvermçgen seine Synthesisfunktionen auf zweierlei Weise bettigen. Im einen Fall verbindet es diskursive Vorstellungen im Urteil; seine Funktionen nennt Kant alsdann logisch (usus logicus intellectus). Im anderen Fall verknpft es darber hinaus auch intuitive Vorstellungen; es verbindet die anschaulich gegebenen Gegenstnde, die unter die korrespondierenden Begriffe im Urteil fallen, das heißt Erscheinungen in Raum und Zeit. Wenn nmlich berhaupt das Mannigfaltige der Sinne gedacht wird, so kann dies nicht anders geschehen als nach Maßgabe der Gesetzmßigkeiten alles Denkens; und diese Gesetzmßigkeiten sind die Urteilsfunktionen. Das Resultat der metaphysischen Deduktion lautet sonach, dass die „Stammbegriffe“ (KrV A 81/B 107) der theoretischen Vernunft, wie Kant sie nennt, nichts anderes sind als die Funktionen des Denkens, insofern diese auf Objekte der sinnlichen Anschauung und deren Mannigfaltigkeit angewandt werden. Sie sind die funktionalen Regularien der Erfahrung, wie sie sich im theoretischen Urteil vollzieht. In Anlehnung an Kants Dissertation von 1770 haben wir diesbezglich von realen Urteilsfunktionen gesprochen (usus realis intellectus). Erhebt man das zum Vorbild und bertrgt es mit den nçtigen Abnderungen auf die Kritik der praktischen Vernunft, fhrt das zu der Vermutung, dass Kant ebenfalls die Kategorien der Freiheit aus den Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts ableitet. Auch hier wird gelten mssen, dass sich der „Ursprung der Kategorien a priori berhaupt durch vçllige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens“ ausweist. Urteilen ist die zentrale Leistung des oberen Erkenntnisvermçgens, auf die sich alle anderen zurckfhren lassen; der praktische Gebrauch der Vernunft muss deshalb als eine eigene Weise „Vorstellung der Pflicht“ und berhaupt smtliche Vorstellungen, mit denen die „Sittenlehre“ arbeitet: „daß alle sittliche Begriffe vçllig a priori in der Vernunft ihren Sitz und Ursprung haben, und dieses zwar in der gemeinsten Menschenvernunft eben sowohl, als der im hçchsten Maße spekulativen; daß sie von keinem empirischen und darum bloß zuflligen Erkenntnisse abstrahiert werden kçnnen; daß in dieser Reinigkeit ihres Ursprungs eben ihre Wrde liege, um uns zu obersten praktischen Prinzipien zu dienen“ (GMS A/B 33 f.).

4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.)

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verstanden werden, wie der Intellekt seine Urteilsfunktionen ausben kann. Folgt man der Analogie, wird man sagen mssen, dass die „Elementarbegriffe“ (KpV A 116) der praktischen Vernunft, wie Kant nun sagt, eben die Funktionen der Vernunft sind, sofern diese real gebraucht werden, was aber jetzt so viel heißen muss wie: sofern sie auf Objekte des Begehrens und deren Mannigfaltigkeit angewandt werden. Mit anderen Worten hat man damit zu rechnen, dass die metaphysische Deduktion auch im Bereich des Praktischen einen unauflçslichen Zusammenhang von objektivem Urteil und kategorialem Denken etabliert. Sie muss aufzeigen, dass die Kategorien der Freiheit nichts anderes sind als die funktionalen Regularien des Wollens, das als solches je den Charakter eines praktischen Urteils hat.327 Wir haben damit eine Arbeitshypothese artikuliert. Sie stellt bisher lediglich das Resultat einer abstrakten Transferleistung dar und hat sich erst noch zu bewhren. Doch kann sie uns gewissermaßen als Lupe dienen, durch die wir Kants eigene Darstellung in der Kritik der praktischen Vernunft lesen und so entscheiden kçnnen, was im Text fr die Frage nach dem sachlichen Ursprung der Freiheitskategorien berhaupt von Relevanz ist und was nicht. Die Tafel der Freiheitskategorien aus der Tafel aller „logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen“ (KrV A 70/B 95) herzuleiten, ist in der Literatur bis heute, wenn berhaupt, nur mit Abstrichen in Betracht gezogen worden. Entweder wird die Kategorientafel gar nicht erst urteilstheoretisch gelesen. Gnther Patzig zum Beispiel sieht mit Recht, dass Kant in seinen Schriften zur praktischen und Moralphilosophie gelufige Attribute seiner Urteilslehre bernimmt, etwa hypothetisch und kategorisch, analytisch und synthetisch. Allerdings kommt Patzig zu dem Ergebnis, dass „logische Termini im Bereich der Kantischen Ethik nur in einem eingeschrnkten, analogischen Sinn Anwendung finden kçnnen“328. Oder, wenn doch eine urteilstheoretische Lesart der praktischen Kategorien an327 Dem steht die Auffassung entgegen, dass Kant lediglich aufgrund von Symmetriezwngen Kategorien der Freiheit vorgesehen hat, also nur, um die Analogie zu den Kategorien der Natur zu wahren. In der Sache hingegen sei das kaum zu rechtfertigen, und ihre Tafel sei nur ein missliches Anhngsel sturen Systemdenkens. Vgl. Heimsoeth, Heinz: Zur Geschichte der Kategorienlehre, in: Ders.: Studien zur Philosophiegeschichte, Kçln 1961, S. 229 f.; Adickes, Erich: Kants Systematik als systembildender Faktor, Berlin 1887, S. 140 ff.; Ritter, Christian: Der Rechtsgedanke Kants nach den frhen Quellen, Frankfurt a. M. 1971, S. 285. 328 Patzig, Gnther: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik, a.a.O., S. 237.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

gestrengt wird, dann mit einer schwerwiegenden Beschrnkung, der Beschrnkung nmlich auf reine praktische Vernunft. So spricht etwa Annemarie Pieper einseitig von einer nur „ethischen Urteilslehre“329 Kants. Damit aber wird die Kategorientafel nicht so aufgenommen, wie Kant sie vorlegt (ganz zu schweigen, wie wir vermutet drfen, von der Kategorienlehre in ihrem vollen Umfang). Sie wird gewissermaßen halbiert, denn die Tafel soll ja laut Kant nicht nur die Funktionen solcher praktischen Urteile enthalten, die sittliche Formen aufweisen wie etwa Gesetze. Sie befasst auch Funktionen von Urteilen, die nichtsittliche Formen besitzen, zum Beispiel Maximen oder Vorschriften.330 Schauen wir nun in den Text, der die Kategorientafel umgibt. Lsst sich dort Auskunft ber das Programm einer metaphysischen Deduktion einholen? Oder gibt Kant zumindest Anhaltspunkte, wie ein solches Parallelunternehmen durchzufhren wre? Es berrascht nicht unbedingt, dass sich in der gesamten Kritik kein eigenstndiges Kapitel findet, dessen berschrift eine Herleitung der Freiheitskategorien ankndigt; rumt doch Kant der Kategorienproblematik ohnedem kein separates Kapitel ein.331 Und dennoch, wenn man weiß, wonach man Ausschau halten muss, wird man im Text durchaus fndig. Kant nennt die metaphysische Deduktion zwar nicht klar und unmissverstndlich bei ihrem Namen, gleichwohl lsst er der Sache nach mehrmals durchscheinen, worauf es bei ihr ankommen soll. Im dreizehnten und im vierzehnten Absatz des Kapitels „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“, sinnvollerweise also in den Abstzen unmittelbar vor der Exposition der Kategorientafel, finden sich gleich mehrere Hinweise. 329 Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 115. Siehe auch Dies.: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 148 330 Die Nhe der Tafel der Freiheitskategorien zur so genannten Urteilstafel erwhnen Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 142 f.; Fulda, Hans F.: Notwendigkeit des Rechts unter Voraussetzung des Kategorischen Imperativs der Sittlichkeit, a.a.O., S. 200; Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 51 ff. und 72; Patzig, Gnther: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik, a.a.O., S. 237 f.; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 120 und 122; Dies.: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 149; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 266. Siehe bereits Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O, S. 25 ff. 331 Fr diejenigen Deduktion, welche das Kapitel „Von der Deduktion der Grundstze der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 72) erçrtert, die aber nichts mit den Kategorien der Freiheit zu tun hat, sondern die Mçglichkeit der Rechtfertigung des Sittengesetzes diskutiert, siehe unten S. 162 f.

4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.)

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Setzen wir mit dem vierzehnten Absatz ein. Dort behauptet Kant, dass die Kategorien der Freiheit einen „augenscheinlichen Vorzug“ (KpV A 115) htten vor den Kategorien der Natur. Dieser sei darin vorhanden, so erklrt er, dass sie, „statt der Form der Anschauung (Raum und Zeit), die nicht in der Vernunft selbst liegt, sondern anderwrts, nmlich von der Sinnlichkeit, hergenommen werden muß, die Form eines reinen Willens in ihr, mithin dem Denkungsvermçgen selbst, als gegeben zum Grunde liegen haben; dadurch es denn geschieht, daß […] die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen warten drfen, um Bedeutung zu bekommen, und zwar aus diesem merkwrdigen Grunde, weil sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung), selbst hervorbringen“ (KpV A 116).

Im verschlungenen Labyrinth dieses langen Satzes, der sich im Ganzen fast ber eine volle Buchseite hinzieht, bietet Kant bei aufmerksamem Hinsehen gleich zwei Begrndungen an fr den „augenscheinlichen Vorzug“ der praktischen Kategorien. Einmal heißt es, dass sie „in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen warten drfen, um Bedeutung zu bekommen“, das andere Mal soll der Vorzug darin begrndet liegen, dass die Freiheitskategorien „die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung), selbst hervorbringen“. Gehen wir das nacheinander durch. Die beiden Wendungen „Erkenntnis werden“ und „Bedeutung bekommen“, derer sich das erste Argument bedient, haben denselben Sinn. Das ist dem Leser sptestens seit der Kritik der reinen Vernunft gelufig, wo Kant einem sehr weit gehaltenen Erkenntnisbegriff das Wort redet.332 Das lsst sich schçn an der Stufenleiter der Vorstellungen studieren. Danach ist die Gattung „Vorstellung berhaupt (repraesentatio)“, unter ihr steht die „Vorstellung mit Bewußtsein (perceptio)“ (KrV A 320/B 376). Und eine Perzeption, so Kant weiter, „die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht, ist Empfindung (sensatio), eine objektive Perzeption ist Erkenntnis (cognitio).“ (KrV A 320/B 377) Das Kriterium also, an dem bemessen eine Vorstellung als Erkenntnis gelten darf, ist nicht schon ihre Wahrheit, sondern, dem noch vorausgehend und diese berhaupt erst ermçglichend, der Gegenstandsbezug.333 Nichts anderes besagt die Rede von der Bedeutungshaftigkeit einer Vorstellung. Beispielsweise nennt Kant den „Umfang“ eines Begriffs, das heißt die 332 Siehe oben S. 92 ff. 333 Vgl. KrV A 55/B 79, A 58/B 83, A 62 f./B 87, B 137 und passim.

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Menge der Dinge, die unter ihn fallen, dessen „Bedeutung“ (KrV A 71/B 96). Und im Schematismus-Kapitel sagt er von den Schemata, dass sie die Bedingungen sind, den Kategorien „eine Beziehung auf Objekte, mithin Bedeutung zu verschaffen“ (KrV A 146/B 185).334 Mit anderen Worten ist eine Vorstellung, die den Status einer Erkenntnis besitzt, eine Vorstellung, die Bedeutung hat. Und das meint je die Anspruchshaltung, dass durch eine Vorstellung das zum Sosein eines Objekts Zugehçrige gedacht wird. Was sich darin zur Sprache bringt, besitzt eine unleugbare Nhe zum Thema der metaphysischen Deduktion. Der gemeinsame Sinnkern beider Ausdrcke nmlich und worauf auch die metaphysische Deduktion abstellt, ist der Objektbezug unserer Vorstellungen, mithin die Gegenstndlichkeit des Denkens. So werden in der Kritik der reinen Vernunft die Kategorien der Natur dadurch gewonnen, dass die Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts auf ihre Anwendung hin, die sie auf Objekte der sinnlichen Anschauung haben, untersucht werden. Wie Kant einmal bndig bemerkt: „Die Sinnlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Objekt, worauf dieser seine Funktion anwendet, ist der Quell realer Erkenntnisse.“ (KrV A 294/B 351 Anm.)335 Entsprechend darf man die Fragerichtung der metaphysischen Deduktion in der zweiten Kritik extrapolieren. Diese soll ja, wie wir vermuten, die Kategorien der Freiheit gleichfalls aus den Urteilsfunktionen der Vernunft herleiten: Sie hat zu ermitteln, unter welcher Bedingung diese Funktionen – Kant spricht hier von „Gedankenformen“ (KpV A 115) – einmal mehr, aber jetzt auf eine ganz andere Weise objektiv gltig gebraucht werden kçnnen. Welche Voraussetzung muss erfllt sein, damit die Funktionen des Denkens in sensu practico Erkenntnisse werden und Bedeutung bekommen? Kant arbeitet die Sonderstellung der praktischen Kategorien heraus, indem er sie gegen die theoretischen Kategorien zur Abhebung bringt. Danach liegt die Bedingung, unter der die Urteilsfunktionen theoretisch angewandt werden kçnnen, in der „Form der Anschauung (Raum und Zeit)“, die Voraussetzung hingegen, die einen praktischen Gebrauch verstattet, identifiziert Kant als die „Form eines reinen Willens“ (KpV A 116). Kant ist hier sichtlich um Vergleichbarkeit und einen mçglichst parallel gehaltenen Wortlaut bemht. Wir haben es ganz offenkundig mit einer Analogie zu tun. Sie besagt, dass die „Form eines reinen Willens“ fr die 334 Vgl. KrV A 90/B 123, B 149, A 147/B 186, A 155/B 194, A 241/B 300 und passim. 335 Dagegen ist es erst Aufgabe der transzendentalen Deduktion zu prfen, ob es umgekehrt einen Gegenstand der sinnlichen Anschauung geben kann, der nicht durch die Funktionen gedacht wird. Siehe unten Kapitel III.5.

4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.)

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Kategorien der Freiheit das ist, was die „Form der Anschauung (Raum und Zeit)“ fr die Kategorien der Natur darstellt. Und diese Analogie untermauert aufs Neue, dass Kants Behauptung eines „augenscheinlichen Vorzugs“ die Sache der metaphysischen Deduktion betrifft. Denn Kant macht hier gerade das namhaft, worin das Denken jeweils die Ermçglichungsbedingung seiner Objektivitt hat. Die Voraussetzung, unter der sich die menschliche Vernunft in Bezug auf Gegenstnde gehaltvoll bettigen kann, ist im theoretischen Bereich die „Form der Anschauung (Raum und Zeit)“ und im Felde des Praktischen, das scheint der Gedanke zu sein, die „Form eines reinen Willens“. Den Vorteil der Freiheitskategorien formuliert Kant nun zunchst anhand der Gegenberstellung der Form der Anschauung und der des reinen Willens. Demnach haben die Kategorien „statt der Form der Anschauung (Raum und Zeit), die nicht in der Vernunft selbst liegt, […] die Form eines reinen Willens in ihr, mithin dem Denkungsvermçgen selbst, als gegeben zum Grunde liegen“. Whrend das theoretische Denken seine Objektivittsbedingung anderswo hat, und zwar in der Sinnlichkeit, soll im Falle einer praktischen Bettigung der Vernunft das, was ein seinshaltiges Verhltnis auf Gegenstnde vermittelt, je schon im eigensten Besitz der Vernunft sein. Der Vorzug der Kategorien der Freiheit ist laut Kant, dass sie im Gegensatz zu den Kategorien der Natur allein aus der Potenz des oberen Erkenntnisvermçgens metaphysisch deduziert werden kçnnen sollen. Dieselbe Stoßrichtung zeigt auch Kants daran anschließende Formulierung. Diesmal schreibt er, dass „die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen warten drfen, um Bedeutung zu bekommen“. Hiernach ist es das „oberste Prinzip der Freiheit“, das dem Denken seine Gegenstndlichkeit sichert. Die Grundidee bleibt indes dieselbe. Denn indem es sich bei diesem Prinzip um den Begriff transzendentaler Freiheit handelt, der sich als solcher nicht aus der Erfahrung herschreibt, sondern zu den Strukturprinzipien menschlicher Subjektivitt gehçrt, soll die Vernunft im Stande sein, ihren Urteilsfunktionen aus sich selber heraus objektive Gltigkeit zu geben. Kants Rechtfertigungsversuch wirft allerdings mehr Fragen auf, als er beantwortet. So soll sich der augenscheinliche Vorzug der Kategorien bald an der „Form eines reinen Willens“, bald an dem „obersten Prinzip der Freiheit“ festmachen. Was also, so muss man nachhaken, besorgt denn nun den Kategorien ihre Bedeutung? Mit der „Form eines reinen Willens“ scheint man sich in einer Art Erklrungszirkel zu verfangen. Denn wie Kant formuliert, sollen die Ka-

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tegorien etwas „als gegeben zum Grunde liegen haben“. Dieses Etwas ist die besagte „Form eines reinen Willens“. Oder, wie es kurz zuvor im selben Satz heißt, haben die Kategorien etwas „a priori zum Grunde liegen“, nmlich „ein reines praktisches Gesetz“ (KpV A 115). Und damit ist wohl dasselbe gemeint; die Form des reinen Willens ist nichts anderes als die Form des Gesetzes. Es fragt sich aber, wie das mçglich sein kann. Ist nicht der Begriff des Gesetzes selber eine Kategorie? Wird er nicht von Kant innerhalb der Tafel aufgefhrt? Wie also vermag die Gesetzeskategorie ihren eigenen Erkenntnischarakter zu begrnden? Und mehr noch. Kant spricht ja in der ganzen Breite und Allgemeinheit von den Kategorien der Freiheit. Anscheinend soll die Kategorie des Gesetzes nicht nur die Voraussetzung ihrer selbst, sondern zugleich auch aller brigen Kategorien sein. Wie aber kann man sich das zusammenreimen? Wie vermag eine Kategorie als die Objektivittsbedingung von anderen Kategorien zu fungieren? Auf der anderen Seite ist kaum plausibel zu machen, wie es das „oberste Prinzip der Freiheit“ sein kann, das der objektiven Realitt aller Kategorien zugrunde liegt. Wie sollen Begriffe, so muss man allein schon fragen, gegenstndliche Erfllung erlangen, indem man sie auf einen anderen Begriff bezieht, der selber nicht objektiv gltig ist? Aber damit nicht genug, der Gedanke geht ja dahin, dass der Bestimmungsgrund des reinen Willens diejenige Bedingung sein soll, unter der allein die Synthesisfunktionen des menschlichen Intellekts praktisch gebraucht werden kçnnen. An dieser Annahme ist nicht nur problematisch, dass Kant, wie wir schon mehrmals in Erinnerung gebracht haben, in der Kategorientafel auch Begriffe aufgelistet wissen will, die mit der Vorstellung absoluter Spontaneitt nichts zu schaffen haben, etwa die Kategorie der Maxime oder die der Vorschrift. Nimmt man das ernst, hat es keinen aufweisbaren Sinn, dass der intelligible Gedanke transzendentaler Freiheit, auf dem ja lediglich der reine Wille und dessen kategoriale Formen basieren, jedwedem praktischen Gebrauch der Vernunft vorherliegen soll. Vor allem aber ist nicht einzusehen, wie es berhaupt der Bestimmungsgrund des Willens sein kann, der den Funktionen des Denkens objektive Gltigkeit beschafft. Denn dabei handelt es sich ja nur um die Bedingung, unter welcher die Vernunft dem Willen einen Gegenstand bestimmt, nicht um diesen Gegenstand selbst. Muss aber die Frage nicht gerade darauf zielen? Ist nicht eine synthetisierbare Materie zu benennen, eine Mannigfaltigkeit, auf die die Funktionen angewandt werden und die sie als Objekt des Willens konstituieren kçnnen?336 336 Vgl. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 25.

4. Die metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit (KpV A 115 f.)

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Kommen wir zu Kants zweiter Argumentationslinie. Diese schlgt eine abweichende Richtung ein, denn es ist nun nicht mehr die Rede von der gesetzeshaften Form des Willens oder von seinem Bestimmungsgrund, der Idee der Freiheit. Stattdessen soll das Privileg der praktischen Kategorien darin bestehen, dass diese „die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung), selbst hervorbringen“. Was auch immer das im Detail bedeuten mag, Kant scheint sich hier abermals auf eine Art Eigenmchtigkeit des Intellekts zu berufen. Das ist die Gemeinsamkeit beider Begrndungsstrategien: Anstatt dass der Vernunft etwas gegeben werden muss, ber das sie nicht von sich her verfgt, soll sie in praktischen Angelegenheiten ihre Selbstndigkeit beweisen, indem sie etwas aus eigener Ttigkeit heraus zustande bringt. Und das ist, wie Kant sich nun ausdrckt, die Wirklichkeit der „Willensgesinnung“. Kants Formulierung schließt zunchst einmal implizit aus, dass die Kategorien des Willens erst dann einen sachhaltigen Bezug auf Gegenstnde haben, wenn der Wille zur Ausfhrung gelangt ist, wenn wir also unseren Absichten gemß handeln. In Wahrheit ist der Wille niemals inhaltslos. Als bestimmter Wille hat er stets eine Ausrichtung auf einen Zweck. So notiert Kant an einer frheren Stelle in der Kritik: „Nun ist freilich unleugbar, daß alles Wollen auch einen Gegenstand, mithin eine Materie haben msse“ (KpV A 60). Und die „Materie des Begehrungsvermçgens“ definiert er in bereinstimmung damit einige Seiten zuvor als „einen Gegenstand, dessen Wirklichkeit begehret wird“ (KpV A 38).337 Die Existenz eines Objekts zu begehren, bedeutet, dass das betreffende Objekt noch nicht wirklich ist und vielleicht auch niemals verwirklicht wird; seine Vorstellung ist bis auf Weiteres nur die mçgliche Ursache seines Daseins im Ereigniszusammenhang der ußeren Welt. Gleichwohl ist es eben ein Objekt, auf das das Begehren geht. Der Wille besitzt einen Gegenstand, ohne dass er diesen bereits realisiert htte oder berhaupt zu realisieren bruchte. Seine Materie ist das, dessen Wirklichkeit er intendiert. Der Wille hat allein dadurch einen Gegenstand, dass er auf etwas aus ist. Allgemein gesprochen liegt fr Kant die modale Differenz von Mçglichkeit und Wirklichkeit quer zu dem, was er unter objektiver Gltigkeit versteht. Vorstellungen haben nicht nur dann Bedeutung, wenn sie sich auf Gegenstnde beziehen, die tatschlich existieren. Das wre zu eng gedacht. Gegenstandsbezug kommt ganz grundstzlich all dem zu, was als zur Realitt, das heißt zum washaften Sachgehalt, eines Objekts gehçrig vorgestellt wird – dieses mag ein Objekt sein, das in welterfassender Ein337 Vgl. MST A 11; Gem. A 211 Anm.

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stellung begegnet, oder eines, das wir als handelnde Wesen selber spontan hervorzubringen vermçgen. Und dabei spielt es schlechterdings keine Rolle, wie der Gegenstand seiner Seinsweise nach gedacht wird, ob er ein unter bestimmten Umstnden nur mçglicher oder ob er aber ein in den Tatschlichkeitszusammenhang mit anderen Sachverhalten eingelassener wirklicher Gegenstand ist. Fr Kant ist die Modalitt selbst ein kategorialer Formcharakter der Objektivitt von Objekten.338 Hier tritt eine gewichtige Disanalogie zwischen der theoretischen und der praktischen Vernunft zutage. Dass Kant die letztere mit dem Willen gleichsetzt und dass er diesen im Kern als eine Kausalitt denkt, findet aufseiten der ersteren keine Entsprechung. Der noch nicht in ußeren Handlungskontexten verwirklichte Gegenstand des Willens, der nur in der Weise einer Intention ist, verweist auf etwas anderes; er kndigt die mçgliche Wirklichkeit seiner selbst an, wie sie durch die Ausbung der Kausalitt des Willens hervorgebracht werden kann. Anders ein Objekt der Erfahrung. Dieses steht in keinem vergleichbaren Verweisungszusammenhang; es ist, was es ist, und entwirft sich nicht auf knftige Vernderungsmçglichkeiten seiner eigenen Modalitt hin. Die Kausalkraft, die dem menschlichen Intellekt im Bereich des Praktischen zukommt, hat auf dem Gebiet des Theoretischen kein Pendant. Die Analogie zwischen den Kategorien der theoretischen und denen der praktischen Vernunft erstreckt sich sonach lediglich auf die Erfahrung und auf das Wollen von Gegenstnden, sie betrifft nur die Bildung des Willens, nicht aber dessen Ausfhrung. Das muss seine Spuren auch an der jeweiligen Objektivitt der Kategorien hinterlassen. Diese wird im Praktischen nicht, oder jedenfalls nicht ganz, dieselbe sein kçnnen wie im Theoretischen. Und in der Tat unterscheidet Kant in der Kritik zwischen einer theoretischen und einer demgegenber praktischen objektiven Realitt. Das finden wir insbesondere in den beiden Kapiteln, welche das „Erste Hauptstck“ und damit die Analytik der Grundstze beschließen. Zwar ist es Kant dort nicht um die Kategorien, sondern um den reinen Vernunftbegriff der Freiheit zu tun. Von diesem bemerkt er, dass es keine Anschauung gibt, die „ihm seine objektive theoretische Realitt bestimmte, aber er hat nichts desto weniger wirkliche Anwendung, die sich in concreto in Gesinnungen oder Maximen darstellen lßt, d.i. praktische Realitt“ (KpV A 98 f.); und erneut, die Freiheitsidee hat „objektive, obgleich nur praktische Realitt“ (KpV A 338 Vgl. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 22 ff.; Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 134 ff.

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83).339 Doch etwas hnliches lsst sich mit gutem Recht auch von den Kategorien der Freiheit sagen. Denn einerseits wird durch diese Begriffe die Seinsbestimmtheit eines Gegenstandes vorgestellt; indem es sich dabei aber andererseits nicht um irgendeinen, sondern einen Gegenstand des Willens handelt, ist die realitas obiectiva, die den Freiheitskategorien zu Eigen ist, eine genuin praktische.340 Worin die Kategorien der Freiheit ihre Gegenstndlichkeit haben, gibt Kant durch das Wort „Willensgesinnung“ an. Es lsst sich jedoch nicht ohne Weiteres sagen, was genau es damit auf sich hat. Der Ausdruck taucht in Kants Schriften, soweit ich sehen kann, kein weiteres Mal auf. Es handelt sich nicht um einen terminus technicus seiner praktischen Philosophie; nur hier, im Umfeld der Kategorienthematik, macht er von ihm Gebrauch. Und Kant liefert dem Leser auch keine einladende Erklrung fr den neu eingefhrten Begriff. Was da gemeint ist, lehrt allein der Zusammenhang, in welchem er als eingeschobener Klammerzusatz steht. Danach ist die Gesinnung des Willens das, worauf sich die Kategorien der praktischen Vernunft erstens „beziehen“ und deren „Wirklichkeit“ sie zweitens „selbst hervorbringen“. Mit anderen Worten verschrnkt Kant die Begriffe der Freiheit derart innig mit dem Begriff der Willensgesinnung, dass sie kaum losgelçst voneinander geklrt werden kçnnen. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht man sich mit der Rede von der Gesinnung eines Menschen auf dessen geistige Einstellung, mit der er der Welt und dem Lauf der Dinge begegnet. Die Gesinnung ist die Haltung, die jemand einer anderen Person oder einer Sache gegenber einnimmt. In diesem Sinne kann man etwa von einer fortschrittlichen Gesinnung sprechen oder davon, seine politische Gesinnung zu wechseln. Und diese Sprachverwendung ist auch die von Kant. Das allein stehende Wort ,Gesinnung‘ nmlich lsst sich beinahe durch alle kantischen Schriften hindurch und in unterschiedlichsten Sachzusammenhngen nachweisen. Und aus den entsprechenden Textstellen erhellt, dass die Gesinnung zum einen dem Seinsbereich vorausliegt, in dem sich unsere zurechenbaren Handlungen ereignen und miteinander zu grçßeren Ablufen verketten. Die Gesinnung hat ihren angestammten Ort im Innenleben des menschlichen Bewusstseins, aus dem heraus unsere Taten als absichtsvolle Wirkungen 339 Vgl. KpV A 85, 97, 99; KU A/B XIX, A 429/B 434; Rel. A/B VIII, XIII Anm.; Gem. A 250, 269; MSR A 208/B 238. 340 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 198; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 22.

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entspringen.341 Zum anderen verkrzt Kant die Gesinnung nicht von vornherein auf ihre sittliche Dimension. Sie ist nicht immer schon moralische Gesinnung, die mit den Widerstnden der Pflicht in uns und der hinderlichen Einrichtung der Welt und menschlichen Gesellschaft im Kampfe liegt und sich im Falle ihres Triumphes zur Tugend veredelt. Der Begriff der Gesinnung ist von solchen Einschrnkungen zunchst einmal freizuhalten, er ist von Natur aus kein moralphilosophischer Begriff.342 Nun spricht aber Kant im vorliegenden Zusammenhang nicht von Gesinnung tout court, sondern speziell von „Willensgesinnung“. Was ist damit gesagt? Was muss man sich unter einer Gesinnung des Willens vorstellen? Die Interpreten haben dem bislang keine gesonderte Aufmerksamkeit geschenkt. Meiner Meinung nach verstrkt das von Kant gebildete Kompositum durch die Voranstellung des Nomens ,Willen‘ nur den Zug ins Praktische, der in dem Substantiv ,Gesinnung‘ ohnedem bereits angelegt ist. Denn eine Gesinnung ist nicht einfach nur die Lebensund Weltanschauung einer Person, die sich unter anderem darin besttigt, welchen Sinn sie den Verhltnissen, in denen sie steht, und den Begebenheiten, an denen sie teilhat, abgewinnt, was sie als wahr anerkennt oder im Streitgesprch als guten Grund gelten lsst. Sie ist vielmehr die Gemtsart eines Menschen, insofern sie zu Handlungen drngt und in diesen sich offenbart und besttigt. Die Gesinnung des Willens ist eine eminent praktische Gesinnung. Der ganzen offenen Spannweite des Begriffs entsprechend meint sie so etwas wie den allgemeinen, durch Erziehung, Erfahrung und Gewohnheit abgesteckten geistigen Horizont, innerhalb dessen ein in Handlungszusammenhngen Stehender seine Vorstze und Entschlsse zu fassen pflegt. Dass sich die Kategorien der Freiheit auf die „Willensgesinnung“ beziehen und dass sie deren „Wirklichkeit […] selbst hervorbringen“, wie Kant behauptet, heißt dann nichts anderes, als dass die Kategorien die Formen jeder nur mçglichen Willensbildung sind. Ohne sie oder sogar gegen sie kann kein vernnftiges Subjekt sein praktisches Vermçgen zu einem Gegenstand bestimmen und seinem Begehren eine vernnftige Richtung geben. Wo immer eine Willensgesinnung wirklich ist, das heißt, 341 Vgl. KrV A 829/B 857; GMS A/B 25, 43; KpV A 59, 150 f., 225, 252, 265 und passim. 342 Kant spricht zwar hufig von so etwas wie der „Rechtschaffenheit der Gesinnung“ (KrV B 425) oder von der „moralischen Gesinnung“ (KpV A 149). Jedoch ist bisweilen auch die Rede von einer Gesinnung, die dem, was Pflicht fordert, gerade zuwider ist (vgl. KpV A 146, 153) oder von einer solchen, die berhaupt nichts mit den Fragen der Moral zu tun hat (vgl. KrV A 750/B 778; KU A 193 f./B 196 f.).

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wo immer der Wille bestimmt ist – gleichviel wie und unter welcher Bedingung –, da sind notwendig auch die Kategorien am Werk. Sie geben den Absichten und Zwecken, mit denen sich ein Mensch trgt, ihre begriffliche Form und begrnden einen Gegenstand allererst als einen gewollten Gegenstand. Nur vermçge der Freiheitskategorien haben wir berhaupt eine praktische Gesinnung. In Kants eigener Terminologie gesagt, sind sie die konstitutiven Bedingungen der Mçglichkeit aller Willensbildung (wenn diese Gewissheit auch erst das Ergebnis der transzendentalen Deduktion im nchsten Kapitel sein wird).343 Dieses zweite Argument, das Kant anbietet, um den „augenscheinlichen Vorzug“ der Freiheitskategorien zu motivieren, berzeugt im Gegensatz zum ersten. Demnach ist der besagte Vorzug nicht darin zu sehen, dass die Kategorien ihre Objektivittsbedingung in der reinen Vernunft haben, namentlich in der Idee der Freiheit, sondern dass sich ihre metaphysische Deduktion ohne jeden Vorgriff auf die Triebfedernsthetik vollenden lsst. Das Thema des „Dritten Hauptstckes“ spielt diesbezglich keine Rolle. Die Kategorien kçnnen ganz und gar unabhngig von der der praktischen Vernunft zugehçrigen Sinnlichkeit entwickelt werden, sie haben objektive Realitt, gleichgltig ob eine Person ihre Bestrebungen und Plne in die Tat umsetzt und so handelt, wie sie es sich vorgenommen hat. Denn unter einer Triebfeder versteht Kant ja die subjektive Ausfhrungsursache des menschlichen Willens; durch sie bersetzen wir unsere Absichten in Taten. Whrend fr die Ableitung der theoretischen Kategorien das Vermçgen der Anschauung mit seinen reinen Formen grundlegend ist, lassen sich die praktischen Kategorien als objektive Begriffe ableiten, noch bevor sich die Kritik auf den Problemkomplex der Handlungsmotivation und das Gefhlsvermçgen einlsst. Mithin wird den Freiheitskategorien ihre Gegenstandsbedeutung nicht durch praktische Gefhle (die Triebfedern des Willens) vermittelt. Sie sind allein schon dadurch gegenstandshaltige Begriffe, dass der Wille berhaupt auf die eine oder andere Weise bestimmt und auf ein Objekt festgelegt ist.344 Diese Auskunft ist indes nur eine negative, sie sagt, wie es sich nicht verhlt. Das Privileg der praktischen Kategorien besteht so zunchst nur 343 Fr diese allgemeine Ausdeutung des Ausdrucks ,Willensgesinnung‘ und sein Verhltnis zu den Kategorien der Freiheit vgl. Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 42, 49, 50, 51 und passim; Brastberger, Gebhard U.: Untersuchungen ueber Kants Kritik der practischen Vernunft, a.a.O., S. 112; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 26 f. 344 Siehe oben S. 22 f.

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darin, dass sie etwas nicht bençtigen, dessen aber die theoretischen Kategorien bedrfen. Die Frage bleibt daher, wie die Kategorien stattdessen aus den logischen Denkfunktionen des menschlichen Intellekts zu entwickeln sind. Wenn nicht die Triebfedern, was dann kommt in der metaphysischen Deduktion zum Tragen? Wodurch ist es, dass die Kategorien der Freiheit „die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung), selbst hervorbringen“ kçnnen? Lsst man sich von der Analogie leiten, die wir oben zwischen den Kategorien der Freiheit und den Naturkategorien aufgestellt haben, muss es sich dabei um eine wie auch immer geartete Vielheit handeln, die einen realen Gebrauch der Synthesisfunktionen verstattet, um etwas also, dessen Verknpfung berechtigterweise Objektivitt fr sich reklamieren darf. Und genau das liefert der letzte und, wie ich meine, entscheidende Hinweis, den Kant zur Sache der metaphysischen Deduktion gibt. Schauen wir dafr nun in Absatz dreizehn. An dessen Ende stellt Kant, wie wir bereits beobachtet haben,345 einen Vergleich an zwischen den Natur- und den Freiheitskategorien. Erstere nennt er hier wie blich „reine Verstandesbegriffe“ oder „Kategorien der theoretisch-gebrauchten Vernunft“ (KpV A 114); sie haben die Funktion, so notiert er, „das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“ (KpV A 115). Letztere dagegen bezeichnet Kant schlicht als „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ (ebd.). Erst im nchsten Absatz werden sie als die Kategorien der Freiheit kenntlich gemacht. Sie sind, so drfen wir paraphrasieren, die Kategorien der praktisch-gebrauchten Vernunft. Und ihre Leistung soll darin bestehen, so Kant weiter, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins […] zu unterwerfen“ (ebd.). Die Gegenberstellung erstreckt sich auf drei Vergleichsgesichtspunkte: Vielheit, Synthesis und Einheit. Es ist je eine Vielheit, die durch einen Akt der Synthesis zur Einheit des Bewusstseins gebracht wird. Das Kategorienverstndnis, das hier am Werk und aus der Kritik der reinen Vernunft bekannt ist, besagt im Kern, dass Kategorien Formen sind der Einheit einer Synthesis von Mannigfaltigem. Diese Erçrterung der Kategorienproblematik in der Kritik der praktischen Vernunft lsst sich in sachlicher Hinsicht ohne viel Mhe auf die in der ersten Kritik zurckbeziehen. Denn die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ sind mit den Bordmitteln der Funktions- und Urteilstheorie der Vernunft auszudeuten: Sie sind die Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts, nur dass diese Funktionen jetzt in einer anderen 345 Siehe oben Kapitel I.4.

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gegenstandsbezogenen Anwendung stehen, und zwar der praktischen. Die Differenz zwischen der theoretischen und der praktischen Bettigung des oberen Erkenntnisvermçgens ist gerade eine Differenz im realen Gebrauch desselben. Es sind ein und dieselben Synthesisfunktionen, durch welche entweder das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung“ oder das „Mannigfaltige der Begehrungen“ zur Einheit des Selbstbewusstseins verbunden wird. Die Kategorien der Natur und die Kategorien der Freiheit sind als Kategorien gleicherweise Einheitshinsichten einer Synthesis; aber es handelt sich um eine andere Art von Vielheit, mit der sie es je zu tun haben. Das „Mannigfaltige der Begehrungen“ muss so interpretiert werden, dass es fr die Kategorien der praktischen Vernunft das ist, was das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung“ fr die Kategorien der theoretischen Vernunft darstellt.346 Kants Rede von einem „Mannigfaltigen der Begehrungen“ ist allerdings nicht hinreichend bestimmt. Sie lsst zwei verschiedene Auslegungen zu. So kann man sie einmal im Sinne eines Genitivus quantitatis auffassen. Mit dieser Genitivform wird normalerweise eine genaue oder ungenaue Anzahl von Elementen aus einer Gesamtmenge herausgehoben, so etwa in der Wendung ,der Grçßte der Brger‘ oder ,manche der Brger‘. Wre auch das „Mannigfaltige der Begehrungen“ auf diese Weise zu verstehen, wre damit eine Pluralitt an Begehrungen bezeichnet, das heißt mannigfaltige Begehrungen. Die Kategorien der Freiheit msste man in der Folge begreifen als Bestimmungen, wie ein vernnftiges Subjekt viele seiner Begehrungen zur synthetischen Einheit seines Bewusstseins miteinander verbindet. Diese Deutung hat in der Sekundrliteratur weithin Anklang gefunden. So schreibt etwa Bruno Haas: „Jede Kategorien (und jede Urteilsform) enthlt eine Synthesis, und Kategorien sind gar nichts anderes als die Prinzipien und Modi aller Synthesis“; dann aber fhrt er fort: „Das Material dieser Synthesis ist nun keine eigene Mannigfaltigkeit der Empfindung, sondern das ,Mannigfaltige der Begehrungen‘“, und das heißt „die im Hinblick auf eine kategorial konstituierte Welt selbst kategorial konstituierten Begehrungen, insofern sie nunmehr der Einheit des Ich will 346 Die Vorarbeiten zur Kritik der praktischen Vernunft erhrten diese funktions- und urteilstheoretische Auffassung. Danach enthalten Kategorien „die Einheit des Bewußtseyns des Manigfaltigen der Vorstellung die allem mçglichen Erkentnis eines Obiects zum Grunde liegt (und [sind] so fern nur logische Functionen des Denkens auf ein Obiect berhaupt angewandt)“ (AA XXIII 69 f.). Kant bleibt hier so abstrakt, dass sich in dieser Beschreibung, die eigentlich die Kategorien der Natur anvisiert, ebenso gut die Kategorien der Freiheit wiedererkennen kçnnen.

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unterworfen werden sollen“347. Haas scheint hier die von Kant ausgegebene Analogie zwischen den Kategorien der theoretischen und denen der praktischen Vernunft aufzugreifen. Es obliege den letzteren, eine Vielheit von Begehrungen zu verbinden, wie es den ersteren zufalle, eine Vielheit von Empfindungen zu verknpfen. Sie bezçgen die Elemente dieser Vielheit jeweils aufeinander und fassten sie in einem einheitlichen Selbstbewusstsein zusammen. Dabei sei jede einzelne Begehrung fr sich bereits begrifflich etabliert. Sie wird, wie Haas ausdrcklich vermerkt, als „kategorial konstituierte Begehrung“ gedacht.348 Diese Auffassung kann jedoch nicht die richtige sein, denn sie zerstçrt gerade die Analogie, der sie zu folgen vorgibt. Das tritt in Haas Formulierung zutage, wonach es „kategorial konstituierte Begehrungen“ sein sollen, welche „nunmehr der Einheit des Ich will unterworfen werden“. Wenn es sich so verhielte, ginge die Funktion der Freiheitskategorien berhaupt nicht mit der Funktion der Naturkategorien konform. Denn die Kategorien der Freiheit kmen erst dann ins Spiel, wenn eine Vielheit von Begehrungen, von denen jede schon als eine „kategorial konstituierte“ vorlge (durch welche Kategorien?), der „Einheit des Ich will“ unterworfen werden soll. Sie konstituierten nicht jede einzelne Begehrung, sondern regulierten stattdessen die Ordnung unter unseren vielen Begehrungen. Damit aber drften sie wohl eher den aus der ersten Kritik bekannten transzendentalen Ideen entsprechen. Sie wren subjektiv gltigen Begriffen vergleichbar, die einen hçherstufigen Gesamtzusammenhang unter smtlichen unserer Gemtsinhalte herstellen.349 Das „Mannigfaltige der Begehrungen“ muss folglich anders interpretiert werden. Nach meinem Dafrhalten ist dieser Ausdruck wie schon das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung“ als ein Genitivus possesivus zu lesen. Diese Genitivform zeigt ein Zugehçrigkeitsverhltnis an, beispielsweise in der Fgung ,die Schuhe des Freundes‘ oder ,das Rot des Autos‘. Die Schuhe sind Eigentum des Freundes, und das Rot ist ein Teil 347 Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 52. 348 Vgl. Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 801; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 137 f.; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 49; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck (57 – 71), a.a.O., S. 120. 349 Das findet sich mit aller Klarheit bereits bei Christian F. Michaelis ausgesprochen. Michaelis versteht das „Mannigfaltige der Begehrungen“ gleichfalls im Sinne eines Genitivus quantitatis. Danach sind, wie er schreibt, durch die Kategorien der Freiheit viele Begehrungen auf eine „Vernunfteinheit zu bringen“ (Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 195).

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des Autos. Mit diesem Sinn ist bereits in der ersten Kritik von dem Mannigfaltigen der Sinnlichkeit die Rede; gemeint ist damit nicht eine Pluralitt von Anschauungen, sondern das Mannigfaltige, das je einer Anschauung zugehçrt, das heißt der Gehalt dieser Anschauung, das durch sie Angeschaute.350 Und in der gleichen Weise ist in der Kritik der praktischen Vernunft die Rede von einem Mannigfaltigen der Begehrungen zu nehmen. Es gibt keinen Grund, Kant zu unterstellen, dass er gerade hier, wo er dem „Mannigfaltigen der Begehrungen“ ganz offensichtlich eine analoge Stellung zuzumessen bestrebt ist zu dem „Mannigfaltigen der (sinnlichen) Anschauung“, mit dieser sprachlich bewhrten Gepflogenheit unversehens brechen sollte. Vielmehr muss damit ganz parallel das Mannigfaltige bezeichnet sein, das je zu einer Begehrung gehçrt, will sagen der Inhalt dieser Begehrung, das durch sie Begehrte.351 Damit wrde sich nun auch fr die metaphysische Deduktion der praktischen Kategorien die fllige Identittsthese abzeichnen. In Anlehnung an Kants eigene ußerung in der ersten Kritik, aber unter Bercksichtigung der Eigenart des praktischen Vernunftgebrauchs kçnnte man sagen: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen“ in einer Begehrung, anstatt in einer Anschauung, Einheit. Das scheint mir Kants Kernidee zu sein. Denn auf diese Weise haben die Synthesisfunktionen eine ber die logische Ausbung hinausreichende reale Anwendung. Sie verknpfen eine den Vorstellungen im Urteil korrespondierende Mannigfaltigkeit zur objektiven Einheit eines Gegenstandes, aber nicht der Erfahrung, sondern des Willens. Dieses Willensobjekt lsst sich daher unter erneuter Berufung auf die erste Kritik ganz allgemein charakterisieren als dasjenige, „in dessen Begriff das Mannigfaltige“, nicht einer Anschauung, sondern einer Begehrung „vereinigt ist“ (KrV B 137).352 Damit ist aber natrlich noch nicht alles gesagt. Denn was soll das eigentlich sein, das „Mannigfaltige der Begehrungen“? Auch davon spricht Kant an keiner weiteren Stelle des Textes mehr, weder in der Kritik noch anderswo, nur hier, da er den Vergleich zwischen den praktischen und den 350 Vgl. KrV A 78 f./B 104, B 132, 137, 145, 153, 164, A 305/B 362 und passim. 351 Vgl. Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 193 ff. 352 Das findet sich in Anstzen bei Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 129; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 194.

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theoretischen Kategorien zuspitzt. Was also ist damit gemeint? Das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung“, so viel wissen wir aus der Kritik der reinen Vernunft, wird dem menschlichen Intellekt als der Stoff, an dem dieser seine Funktionen bettigen kann, gegeben. Das Vermçgen der sinnlichen Anschauung versteht Kant als eine Empfnglichkeit des Gemts, sie ist die „Fhigkeit (Rezeptivitt), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenstnden affiziert werden, zu bekommen“ (KrV A 19/B 33). Ganz anders das Begehrungsvermçgen. Dieses fasst Kant von vornherein nicht als eine eigenstndige Quelle mentaler Gehalte. Das Begehrungsvermçgen ist von sich aus berhaupt kein Vorstellungsvermçgen. Wo aber dann, so muss man fragen, kommt das „Mannigfaltige der Begehrungen“ her? Worin hat es seinen Ursprung? Zunchst einmal ist daran zu erinnern, dass, wann immer wir unser Absehen auf etwas richten, wir es dabei mit einem komplexen Sachverhalt zu tun haben. Was wir wollen, ist niemals ein absolut Einfaches und Differenzloses, das jegliche Form von Vielheit aus sich ausschließt. Ganz im Gegenteil, es findet seine Einheit je im Zusammensein unterschiedlicher prdikativer Bestimmungen und Momente, denn fr Kant ist aufgrund der propositionalen Verfassung des menschlichen Intellekts alles, was berhaupt gedacht wird, und so auch der Gegenstand des Willens, ein Zusammengesetztes.353 Wenn ich etwa Durst verspre und infolge dessen darauf aus bin, mir aus dem Khlschrank ein Glas Wasser einzuschenken, so befasst die Struktur meiner Absicht eine Vielzahl von begrifflichen Elementen, die nur vereinigt den Gegenstand meines Wollens ausmachen; zu der Handlung, die ich im Sinn habe, gehçrt allein schon der Khlschrank, ein Glas, Wasser und die Ttigkeit, die wir als ,Einschenken‘ bezeichnen. Mithin stellt jedes praktische Objekt – und etwas ganz hnliches lehrt Kant bereits ber den Gegenstand der Erfahrung – ein Bndel von Relationen dar, die das „Mannigfaltige der mçglichen Handlung“ (KpV A 46 Anm.), wie er einmal schreibt, in einer Einheit zusammenhalten. Spricht Kant auch im Plural vom „Mannigfaltigen der Begehrungen“, so meint er der hier vorgeschlagenen Lesart zufolge damit doch dasjenige Mannigfaltige, auf das jede einzelne Begehrung jeweils geht, das heißt die vielen Aspekte des Gegenstandes, auf den sich eine Begehrung richtet – hnlich den verschiedenen Facetten des Objekts, das in einer sinnlichen Anschauung sich offenbart. Ferner darf man nicht vergessen, dass Kant die theoretische und die praktische Vernunft unter anderem nach der Art ihres Objektbezuges 353 Siehe oben S. 76 f., 101 und 107 f.

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unterscheidet.354 Das Denken kann auf doppelte Weise gegenstndlich erfllt sein. Das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung“ auf der einen Seite ist, wie gesagt, ein solches, das sich dem menschlichen Intellekt, ob dieser will oder nicht, darbietet und nicht zur freien Disposition steht. An dieser gediegenen Vorfindlichkeit bricht sich jede assoziative Ungebundenheit unseres Denkens. Dagegen hat das „Mannigfaltige der Begehrungen“ auf der anderen Seite seine Wurzel in der Vernunft selbst. Die praktische Bettigung des Intellekts ist eine gegenstndliche Selbsterfllung des Denkens. Denn dieses schçpft seine objektiven Gehalte aus sich heraus und verhlt sich nicht aufnehmend gegen sie. Um im Beispiel zu bleiben, wenn es mir nach einem Glas Wasser verlangt, weil ich durstig bin, so muss mir nicht erst irgendein bestimmtes mit Wasser angeflltes Glas in der Anschauung gegenwrtig ansichtig werden, damit sich mein Begehren auf derlei richten kann. Vielmehr verfalle ich auf diese Vorstellung ohne alle ußere Vorgaben allein vermçge der Spontaneitt meines Intellekts und dem mnematisch abrufbaren Erfahrungswissen, was im Falle des Durstes Erleichterung verschafft. Und durch diese Vorstellungen, in denen sich die Selbstttigkeit meines Daseins als eines vernunftbegabten Wesens bezeugt, denke ich mir das begrifflich bestimmte Telos meines Wollens. Die Gegenstnde also, auf die sich die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch bezieht, nmlich die Gegenstnde des Willens, werden durch die Vernunft selbst gemacht. Das eben ist es, was immer schon im Besitz der praktischen Vernunft ist und worin sich sozusagen ihre ungetrbte Machtvollkommenheit beweist, wie wir oben anhand von Kants Argumentation fr den „augenscheinlichen Vorzug“ der Freiheitskategorien gehçrt haben, dass sie das, was sie intendiert, aus sich heraus sich vorsetzt und allererst schafft, womit sie es an sachhaltiger Objektivitt zu tun hat. Ihre Eigenmchtigkeit ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Seinsmchtigkeit. In dem Maße, in dem die Kategorien der Freiheit die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen, eigens hervorbringen, und das ist laut Kant die Wirklichkeit der Willensgesinnung, in dem Maße muss man zugeben, dass sie ihre eigene Gegenstndlichkeit hervorbringen, was die Kategorien der Natur nicht vermçgen. Die Synthesisfunktionen der Vernunft erzeugen im Akt ihrer Ausbung die Vorstellungen, an denen sie sich ausben und durch die die Vernunft die vielen verschiedenen Hinsichten eines Objekts unseres Willens bestimmt, das heißt, die sie als mçgliche Ursache ihrer eigenen Gegenstnde denkt. Das meint, so glaube ich, Kants bndige Rede von dem „Mannigfaltigen der Begehrungen“. 354 Siehe oben S. 92 ff.

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Aber noch eine Frage drngt sich auf. Denn unsere Beschftigung mit der metaphysischen Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft hat gezeigt, dass diese eine ganz bestimmte Erfolgsvoraussetzung in Anspruch nimmt. Die Kategorien der Natur kçnnen nur deshalb als reine Begriffe entwickelt werden, weil den Funktionen des Intellekts „ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori“ (KrV A 76 f./B 102) zugrunde liegt.355 Und so etwas muss auch im Falle der Freiheitskategorien wieder anzutreffen sein. Kçnnen doch diese gleichfalls nur dann metaphysisch deduziert werden, wenn im Subjekt selbst ein Material verfgbar ist, das nichts Empirisches an sich hat, sondern mit zur Anlage vernnftiger Subjektivitt gehçrt. Braucht es daher nicht so etwas wie ein „Mannigfaltiges der Begehrungen“ a priori? Was aber sollte das sein? Den Ausschlag gibt hier Kants Auffassung, dass die Objekte des Willens geradeso wie die der Erfahrung den transzendentalen Charakter von Erscheinungen haben. In demselben Satz, wo Kant die Natur- und die Freiheitskategorien gegeneinander stellt, konstatiert er unmissverstndlich: Weil unsere „Handlungen, als Begebenheiten in der Sinnenwelt, zu den Erscheinungen gehçren, so werden die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich […] den Kategorien des Verstandes gemß […] Statt haben kçnnen“ (KpV A 115). Der Spielraum der Vernunft, wenn sie den Willen bestimmt, unterliegt gewissen Einschrnkungen. Das sind insbesondere Kriterien der transzendentalen Logik, nmlich keine Geringeren als die Kategorien der Natur („Kategorien des Verstandes“). Indem diese die Gegenstnde jedweder Erfahrung konstituieren, geben sie zugleich vor, was durch die Kategorien der Freiheit berhaupt als Objekt des Willens begrndet werden kann. Denn der Wille eines endlichen Wesens muss sein Objekt allemal „in der Sinnenwelt“, und das heißt in Raum und Zeit, realisieren kçnnen. Er kann daher grundstzlich nur auf etwas aus sein, was als Gegenstand der Erfahrung mçglich ist. Menschliches Handeln und Natur stehen in keiner Opposition, weder sind sie begrifflich voneinander getrennt noch schließen sie einander faktisch aus. Kants Naturbegriff umfasst den ganzen Ereignisbereich unseres Handelns, von der handwerklichen Technik bis zur gesellschaftlichen Praxis, und schließt ihn in sich ein. Alle etwaigen „Handlungen, als Erscheinungen in der Sinnenwelt,“ sind immer schon „auf die Kategorien ihrer Naturmçglichkeit“ (KpV A 118) bezogen.356 355 Siehe oben S. 88 f. 356 Siehe oben S. 65 f.

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Die Kritik der Urteilskraft wiederholt diese Ansicht. Zu Beginn der verçffentlichten „Einleitung“ finden sich Reflexionen zur Philosophie als System und ihre Untergliederung in einen theoretischen und einen praktischen Systemteil. In dem Kapitel „Vom Gebiete der Philosophie berhaupt“ fhrt Kant aus, dass die theoretische und die praktische Vernunft zwar zwei verschiedene Gebiete (ditio) verwalten, dass sich beide allerdings auf ein und demselben Boden (territorium) bewegen. „Unser gesamtes Erkenntnisvermçgen hat zwei Gebiete, das der Naturbegriffe, und das des Freiheitsbegriffs“ (KU AXVII/B XVII).357 „Aber“, so Kant weiter, „der Boden, auf welchem ihr Gebiet errichtet, und ihre Gesetzgebung ausgebt wird, ist immer doch nur der Inbegriff der Gegenstnde aller mçglichen Erfahrung, sofern sie fr nichts mehr als bloße Erscheinungen genommen werden“ (ebd.). Die Objekte der praktischen Vernunft sind wie die Objekte der theoretischen Vernunft phnomenal strukturierte Sachverhalte. Sie sind Erscheinungen im vollwertigen Sinne des transzendentalen Idealismus. Die Bandbreite der Handlungen, die uns zu Gebote stehen, ist jederzeit umgrenzt durch das, was berhaupt in Raum und Zeit mçglich ist.358 Die Kategorien der theoretischen Vernunft haben hiernach eine gewisse Prioritt vor denen der praktischen. Die Kategorien der Natur sind denen der Freiheit in einem bestimmten Sinne vorgngig. Nicht, als ob theoretische Subjektivitt bereits voll ausgebildet sein msste, bevor ein Mensch dann endlich zum ttigen Handeln und der Teilnahme an einer gemeinsamen Praxis bergehen kann. Der Zusammenhang, wie Kant ihn versteht, ist sicherlich weniger ein lebensgeschichtlicher, obgleich Kant selbst in der ersten Kritik bemerkt, dass die theoretischen Kategorien „die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung in der Erfahrung“ haben, „wo alsdenn die Eindrcke der Sinne den ersten Anlaß geben, die ganze Erkenntniskraft in Ansehung ihrer zu erçffnen, und Erfahrung zu Stande zu bringen“ (KrV A 86/B 118). Und das wird auch im Falle der praktischen Kategorien nicht ganz falsch sein kçnnen. Diese sind sicherlich nicht von Geburt an voll da, sie haben nicht den Status angeborener Vorstellungen, sondern sind vielmehr genauso als eine Art Anlage mitgegeben, die sich in 357 Wenn Kant in diesem Zusammenhang wiederholt von einem „Freiheitsbegriff“ spricht, und zwar im Singular von dem „Freiheitsbegriff“, so sind damit nicht die vielen Kategorien der Freiheit gemeint. Kant bezieht sich damit auf die eine Idee transzendentaler Freiheit, sofern deren Wirklichkeit durch das Sittengesetz als dem Faktum der reinen praktischen Vernunft feststeht. 358 „Verstand und Vernunft haben also zwei verschiedene Gesetzgebungen auf einem und demselben Boden der Erfahrung“ (KU A XVIII/B XVIII).

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der wiederholten Bettigung allererst auswachsen und zum strukturierten Ganzen praktischer Subjektivitt entwickeln muss. Der Zusammenhang zwischen beiden Kategorientypen ist ein begrndungslogischer. Folgt man Kant, so sind die Kategorien der theoretischen Vernunft grundlegend fr die der praktischen, indem sie vorgeben, was berhaupt Objekt der letzteren werden kann. Theoretische und praktische Vernunft bearbeiten ihr Gebiet wohl auf demselben Boden – dem Boden aber, welchen die theoretische Vernunft begrndet und bereitstellt. Nicht nur vermçgen die Kategorien der Freiheit keine Willensgesinnung hervorzubringen gegen die Kategorien der Natur, sie setzen diese sogar positiv voraus. Weil unsere Handlungen und deren Wirkungen wie alle Naturereignisse phnomenale Begebenheiten in Raum und Zeit sind, ist die Konstitution praktischer Objektivitt nur mçglich, wenn die Konstitution einer theoretischen Objektivitt vorauslaufend gesichert ist. Was demnach den notwendigen Ermçglichungsbedingungen des Wollens von Gegenstnden gengt, das gengt ipso facto auch den notwendigen Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung von Gegenstnden.359 Und das ist fr die Objekte des reinen Willens nicht weniger wahr als fr die des empirischen. Unbesehen, ob der Wille unter der Bedingung eines Gefhls der Lust oder Unlust oder aber unter der Voraussetzung des Gedankens absoluter Freiheit steht, sein Inhalt ist je schon als ein raumzeitliches Ereignis gedacht. Man darf sich hier nicht beirren lassen, kçnnte es doch so scheinen, als seien die Gegenstnde der reinen praktischen Vernunft – beispielsweise Erwerbungen von etwas ußerem als Eigentum (possessio noumenon),360 sei es qua Okkupation,361 sei es qua Versprechen oder Vertrag,362 oder Akte einer çffentlichen Gerichtsbarkeit, aus denen dem Einzelnen Rechte und Pflichten erwachsen363 – so etwas wie intelligible anstatt empirische Objekte. Doch muss man hier genauer differenzieren. Alle Gegenstnde des Willens sind Erscheinungen in Raum und Zeit; ob eine Handlung demgegenber eine pflichtgebotene ist, ob sie Eigentum begrnden oder entußern oder aber Rechtspositionen verndern kann, hngt davon ab, ob der Wille eine entsprechende sittliche Form aufweist. Nicht das materiale Was, so kçnnte man sagen, sondern das 359 Ich wende mich damit gegen die These von Josef Simon, der genau andersherum behauptet, „die Kategorien der Freiheit“ seien „ursprnglicher als die der Natur“. (Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 107) 360 Vgl. MSR A/B 55 f. 361 Vgl. MSR A/B 77 f., A 86 f./B 86. 362 Vgl. MSR A/B 99 f. 363 Vgl. MSR A/B 139 f.

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formale Wie des Wollens ist hier entscheidend. Und dieses kann niemals in der empirischen Erfahrung angetroffen werden, sondern begegnet ausschließlich in der um die Kategorien des Willens sich bemhenden philosophischen Reflexion. Damit ist keineswegs das Eigene und Außerordentliche des Freiheitsgedankens geleugnet, der ja gerade eine Spontaneitt in Aussicht stellt, die gewissermaßen nicht von dieser Welt ist. Indes, diese Spontaneitt wirkt sich doch in der Welt aus und bleibt daher in ihren Wirkungen deren Bedingungen unterworfen.364 Die metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien kann damit zu ihrem Abschluss gebracht werden, das gesuchte Mannigfaltige der Begehrungen a priori scheint nun greifbar. Wenn nmlich die Deduktion den kopernikanisch gewendeten Gegenstandsbegriff nicht unterlaufen darf, der mit den Naturkategorien aufgestellt ist, wenn mithin die Kritik der praktischen Vernunft den Begriff der Erscheinung nicht verndern soll, diesen vielmehr uneingeschrnkt aus der ersten Kritik zu bernehmen hat, kann man dann nicht sagen, dass die betreffende Mannigfaltigkeit in den apriorischen Strukturprinzipien liegt, welche jede Erscheinung als eine solche auszeichnen? Kçnnen die Urteilsfunktionen des Intellekts nicht genau deshalb eine Anwendung haben auf ein Mannigfaltiges a priori und sich darin als praktische Kategorien beweisen, weil die Kategorien der theoretischen Vernunft logisch frher sind, weil also die kategorial konstituierten Objekte mçglicher Erfahrung das Material abgeben fr die kategoriale Konstituierung von Gegenstnden des Willens? Die Kategorien der Freiheit, so meine ich, entwickelt Kant aus den Funktionen des Denkens, indem er den vollen Begriff der Erscheinung mit allen dazugehçrigen transzendentalen Bestimmungen zugrunde legt und diesen auf das menschliche Begehrungsvermçgen bezieht. Dann nmlich besitzen die Kategorien, indem sie die Verknpfung einer Mannigfaltigkeit von Er364 Genauso wenig ist damit Kants Lehre vom Primat der praktischen Vernunft aufgehoben. Diese Lehre bezieht sich gar nicht auf die Objekte des Willens, sondern geht der Frage nach, „welches Interesse das oberste sei“, nachdem sich gezeigt hat, dass das Faktum der reinen praktischen Vernunft, das Sittengesetz, mit „gewisse[n] theoretische[n] Positionen unzertrennlich verbunden“ ist, „die sich gleichwohl aller mçglichen Einsicht der spekulativen Vernunft“ (KpV A 216 f.) entziehen, nmlich die drei Postulate der Willensfreiheit, der Unsterblichkeit der Seele und des Daseins Gottes. Und Kant sieht die theoretische Vernunft mit all ihren Erkenntnisrestriktionen der praktischen Vernunft und deren Erweiterungsansprchen untergeordnet, weil sich nur so der drohende Widerspruch der Vernunft mit sich selbst wirksam ausschließen lsst (vgl. KpV A 218 f.). Siehe dazu Wood, Allen W.: Kant’s Moral Religion, Ithaca/London 1970, S. 145 ff.

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scheinungen, deren Vorstellungen das Denken aus sich selber nimmt, zur Einheit eines Objekts des Willens regeln, in der Tat ein „Mannigfaltiges der Begehrungen“ a priori, an dem sie sich bettigen.

5. Bençtigen die Kategorien der Freiheit eine transzendentale Deduktion? In der Kritik der reinen Vernunft unterscheidet Kant zwischen zwei Typen von Deduktionen, einer metaphysischen und einer transzendentalen. Wir haben uns bislang lediglich mit der ersteren beschftigt; wir haben nachgezeichnet, wie Kant die Kategorien der Natur aus den logischen Urteilsfunktionen der Vernunft entwickelt, und wir haben im Anschluss daran die ganz analoge Ableitung der Freiheitskategorien versucht, wie man sie hinter Kants schlichten Ausfhrungen vermuten darf, die eher thesenhaft Ergebnisse referieren, als den Weg transparent machen, auf dem man zu ihnen gelangt. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob damit schon alles abgetan sein kann. Ist die Lehre von den Kategorien der praktischen Vernunft wirklich bereits in der vollen Weite ihres Umfangs entfaltet? Oder muss man doch noch mehr sagen? Bedrfen die Kategorien der Freiheit ebenfalls einer transzendentalen Deduktion? Was aber wre damit im Bereich des Praktischen genau gemeint? Und wie ußert sich Kant selbst in dieser Angelegenheit? In der Kritik der praktischen Vernunft mag es sich dem ersten Anschein nach wahrlich so ausnehmen, als fhrte Kant eine solche Deduktion durch. Ist doch davon ausdrcklich die Rede. Kant lsst das „Erste Hauptstck“ und damit die Analytik der Grundstze mit zwei Kapiteln enden, von denen eines die berschrift trgt „Von der Deduktion der Grundstze der reinen praktischen Vernunft“. Der Eindruck tuscht allerdings. Nicht nur, dass das besagte Kapitel sich nicht innerhalb des „Zweiten Hauptstckes“, das heißt nicht innerhalb der Begriffsanalytik, findet, wo die Kategorienlehre ihren Ort hat; bereits dieser kompositorische Umstand signalisiert, dass die Deduktion, die Kant hier bespricht, kein Parallelunternehmen sein kann zur transzendentalen Deduktion der Naturkategorien. Und in der Tat, stattdessen steht die Mçglichkeit oder Unmçglichkeit einer Rechtfertigung des obersten Grundsatzes der Moral auf dem Prfstand. Kant setzt sich hier selbstkritisch von seinem eigenem Versuch in der Grundlegungs-Schrift ab, das Sittengesetz in der Idee der Freiheit letztverbindlich zu fundieren, so dass die Imperative der Moral jedem vernnftigen Subjekt

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andemonstriert werden kçnnen, sofern es berhaupt nur die Freiheitsvorstellung in sich trgt. „Mit der Deduktion, d.i. der Rechtfertigung seiner objektiven und allgemeinen Gltigkeit [des obersten Grundsatzes der praktischen Vernunft; d. Verf.] und der Einsicht der Mçglichkeit eines solchen synthetischen Satzes a priori, darf man nicht so gut fortzukommen hoffen, als es mit den Grundstzen des reinen theoretischen Verstandes anging“ (KpV A 80).

Seine Spitze hat das Kapitel jedoch darin, dass die angesprochene Deduktion aus bestimmten Grnden nicht mçglich sein kann. Welche Grnde das sind, soll uns hier nicht weiter interessieren.365 Doch lsst sich das hçchste Prinzip aller Sittlichkeit, das ist die berzeugung des ,reifen‘ Kant, weder in einem syllogistischen Schlussverfahren noch aus dem reinen Bewusstsein der Freiheit heraus beweisen. An die Stelle eines derartigen Bemhens tritt stattdessen die Lehre vom Sittengesetz als einem und dem einzigen Faktum der reinen praktischen Vernunft.366 Noch an einer anderen Stelle spricht Kant von einer Deduktion, und diesmal sogar mit ausdrcklichen Worten von einer transzendentalen. „Weil aber diese Verbindung“, so erklrt er dort, „als a priori, mithin praktisch notwendig, folglich nicht aus der Erfahrung abgeleitet, erkannt wird, und die Mçglichkeit des hçchsten Guts also auf keinen empirischen Prinzipien beruht, so wird die Deduktion dieses Begriffs transzendental sein mssen.“ (KpV A 203) Damit befinden wir uns im „Zweiten Hauptstck“, allerdings nicht der „Elementarlehre“, sondern der „Dialektik“. Womit sich Kant hier auseinander setzt, ist nicht die Kategorienthematik, sondern der Begriff eines hçchsten Gutes. Da in diesem eine notwendige Verbindung zwischen dem Maß der gelebten Tugend einer Person und einer entsprechend proportionierten Glckseligkeit gedacht werden soll, kann dieser Begriff nicht mit Blick auf Tatsachen, die uns eventuell in der Erfahrung begegnen mçgen, in seiner Objektivitt ge365 Vgl. Henrich, Dieter: Die Deduktion des Sittengesetzes, in: Schwan, Alexander (Hg.): Denken im Schatten des Nihilismus. Festschrift fr Wilhelm Weischedel zum 70. Geburtstag, Darmstadt 1975, S. 104 ff.; Moritz, Manfred: Die Probleme der Deduktion des Kategorischen Imperativs (Ein Vorbericht), in: Beck, Lewis W. (Hg.): Proceedings of the Third International Kant Congress March 30-April 4 (1970), Dordrecht 1970, S. 424 – 433; Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ, a.a.O., insb. S. 304 ff.; Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 227 ff.; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 110; 366 Vgl. Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 239 ff.; Henrich, Dieter: Der Begriff der sittlichen Einsicht, in: Ders. (Hg.): Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Tbingen 1960, S. 110 f.

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rechtfertigt werden. Es handelt sich nicht um einen empirischen Begriff, weshalb seine Deduktion eine transzendentale sein muss. „Es ist a priori (moralisch) notwendig, das hçchste Gut durch Freiheit des Willens hervorzubringen; es muß also auch die Bedingung der Mçglichkeit desselben lediglich auf Erkenntnisgrnden a priori beruhen.“ (ebd.) Davon abgesehen kommt das Wort ,Deduktion‘ in keinem anderen sachlichen Kontext innerhalb der Kritik vor. Wohl verwendet Kant den Ausdruck noch einige Male, aber niemals im Zusammenhang mit den Kategorien der Freiheit. Weder ist explizit von deren metaphysischer Deduktion die Rede, wie wir bereits wissen, noch ußert sich Kant ber ihre etwaige transzendentale Deduktion. Dennoch bietet der Text, auch das haben wir im vorigen Kapitel gesehen, zweifellos Anhaltspunkte, die es plausibel machen, davon auszugehen, dass Kant die Kategorien nirgendwo anders aufsprt als in der Ordnung des menschlichen Intellekts selbst. Diese Anhaltspunkte haben sich allerdings erst als solche zu erkennen gegeben, nachdem wir von der ersten Kritik her kommend und durch diese belehrt bereits wussten, wonach im Text zu suchen ist. Was, wenn es sich nun in Bezug auf das Thema der transzendentalen Deduktion ebenso verhlt? Womçglich lsst sich die gedankliche Tiefe von Kants ohnehin dicht gedrngten Erçrterungen auch in diesem Punkt erst voll ausschçpfen, wenn der Leserblick abermals durch die Kritik der reinen Vernunft und die transzendentale Deduktion der Naturkategorien geschrft ist? Die transzendentale Deduktion der Kategorien der Natur ist ein Theoriestck, das Kant nur mit Mhe zu einer nach seiner Einschtzung befriedigenden Darstellungen bringen konnte. Er hat sie fr die zweite Auflage vçllig neu geschrieben. Wir wollen uns an diese berarbeitete, letzte Version halten. Kant geht aber nicht direkt in medias res, sondern er bringt sein Vorhaben durch einleitende Vorbemerkungen in Gang. Er entfaltet von Grund auf die Aufgabenstellung einer transzendentalen Deduktion, und er bestimmt die Richtung, in der sie dabei vorgehen muss. So empfiehlt es sich, hier einzusetzen. Nach der 1787 hinzugefgten Paragraphenzhlung sind das die Paragraphen dreizehn und vierzehn. Zunchst klrt Kant darber auf, dass viele verschiedene Arten von Deduktionen zu unterscheiden sind. „Die Rechtslehrer“, so hebt §13 an, „wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage ber das, was Rechtens ist (quid iuris), von der, die die Tatsache angeht (quid facti)“; und „indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den erstern, der die Befugnis, oder auch den Rechtsanspruch dartun soll, die Deduktion“ (KrV A 84/B 116). Diese juristische Unterscheidung adaptiert Kant an das Unternehmen einer kritischen Selbstbe-

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sinnung der Vernunft. In diesem Fall sind die erwhnten Tatsachen aber keine ußeren Tatbestnde, dass jemand etwas getan oder nicht getan hat, sondern die unserem Denken innerlichen Begriffe, in denen sich alles menschliche Urteilen bewegt. Die Frage, welchen Ursprungs diese Vorstellungen sind, ist nach Kant grundverschieden von der, ob mit ihrer Hilfe Erkenntnis mçglich ist. Entgegen seiner ausdrcklichen Erklrung belegt Kant in Wahrheit doch beide Untersuchungen mit dem gemeinsamen Titel einer Deduktion, was die Rede von einer metaphysischen Deduktion der Kategorien bezeugt. Diejenige Deduktion allerdings, die auf die Frage nach einem „Rechtsgrund“ (KrV A 85/B 117) antwortet, und nur um diese soll es uns jetzt zu tun sein, will eine Forderung zu ihrem Recht bringen. So wie vor Gericht Personen zurate gezogen werden, die verlsslich Auskunft geben und damit helfen kçnnen, eine Streitigkeit mit einem schlichtenden Richterspruch zu beenden, so mssen auch im Fall des sich auf sich selber zurckwendenden Denkens Zeugen aufgefhrt werden, welche den Erkenntnisanspruch, der mit dem Gebrauch eines Begriffes einhergeht, legitimieren. Der fllige Rechtsgrund ist hier einer, der die objektive Realitt dieses Begriffes dokumentieren soll.367 Kant nimmt noch eine weitere Differenzierung vor. Danach sind Deduktionen prinzipiell nicht auf reine Begriffe eingeschrnkt; auch empirische mssen sich auf ihre Quelle hin befragen lassen, und es muss andererseits ber die Befugnis entschieden werden, mittels ihrer Erkenntnisse anmelden zu kçnnen. „Wir bedienen uns einer Menge empirischer Begriffe ohne jemandes Widerrede, und halten uns auch ohne Deduktion berechtigt, ihnen einen Sinn und eingebildete Bedeutung zuzueignen“ (KrV A 84/B 117). Der Grund dafr ist, so Kant weiter, dass „wir jederzeit die Erfahrung bei der Hand haben, ihre objektive Realitt zu beweisen“ (KrV A 84/B 117 f.). Empirische Begriffe leiten sich einerseits von der Erfahrung her; sie entstehen, indem anschaulich gegebene Sachverhalte miteinander verglichen werden, so dass auf das, was an ihnen identisch ist, reflektiert werden und von allem abgesehen werden kann, worin sie voneinander differieren.368 Auf der anderen Seite ist es aber auch die Erfahrung, welche die objektive Gltigkeit 367 Vgl. Henrich, Dieter: Kant’s Notion of a Deduction and the Methodological Background of the First Critique, in: Fçrster, Eckhart (Hg.): Kant’s Transcendental Deductions. The Three Critiques and the Opus postumum, Stanford 1989, S. 31 ff. 368 Vgl. §6 der Jsche-Logik. Siehe dazu Kugelstadt, Manfred: Synthetische Reflexion. Zur Stellung einer nach Kategorien reflektierenden Urteilskraft in Kants theoretischer Philosophie, Berlin/New York 1998, S. 242 – 303; Stuhlmann-Laeisz, Rainer: Kants Logik, a.a.O., S. 81 ff.

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dieser Begriffe garantiert. Auf sinnlich gegebene Gegenstnde nmlich kçnnen sie jederzeit rechtmßig angewandt werden, weil sie sich ja von eben diesen, sei es mittelbar, sei es unmittelbar, herleiten. Anders im Falle reiner Begriffe. „Unter den mancherlei Begriffen“, so gibt Kant zu bedenken, „gibt es einige, die auch zum reinen Gebrauch a priori (vçllig unabhngig von aller Erfahrung) bestimmt sind“ (KrV A 85/B 117). Dazu zhlen unter anderem die Kategorien der Natur. Ihre Deduktion lsst sich nicht mit derselben Leichtigkeit besorgen. Denn weil „zu der Rechtmßigkeit eines solchen Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind“, man aber doch „wissen muß, wie diese Begriffe sich auf Objekte beziehen kçnnen, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen“ (ebd.), so kann man hier nicht die Erfahrung und deren mçgliche Gehalte konsultieren. Auf der einen Seite liegt der Ursprung der Kategorien laut Kant in der Struktur menschlicher Subjektivitt; das hat ihre metaphysische Deduktion ergeben. Und auch die Berechtigung, sich ihrer im Hinblick auf Gegenstnde zu bedienen, was aber jetzt heißt: mit ihrer Hilfe zu Erkenntnissen a priori zu gelangen, kann andererseits nur durch das reine Denken erteilt werden. Die entsprechende Rechtfertigung muss mithin eine, wie Kant sie charakterisiert, transzendentale sein: „Ich nenne […] die Erklrung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstnde beziehen kçnnen, die transzendentale Deduktion derselben“ (KrV B 117). Der transzendentalen Deduktion der Naturkategorien haftete indessen eine „unvermeidliche Schwierigkeit“ (KrV A 88/121) an. Kant macht das durch eine Gegenberstellung deutlich: „Wir haben jetzt schon zweierlei Begriffe von ganz verschiedener Art, die doch darin mit einander bereinkommen, daß sie beiderseits vçllig a priori sich auf Gegenstnde beziehen“ (KrV A 85/B 118). Die Begriffe, von denen hier die Rede ist, sind neben den Kategorien die Begriffe des Raumes und der Zeit. Kant vergleicht die Problematik, vor der sich die transzendentale Deduktion der ersteren gestellt sieht, mit derjenigen, welche die transzendentale Deduktion der letzteren bereits in der sthetik erfolgreich gemeistert hat. Denn darber darf nicht eilfertig hinweggesehen werden, dass Kant seine vielleicht prominenteste Theoriefigur nicht nur ein einziges Mal zum Einsatz bringt. Die Begriffe des Raumes und der Zeit werden geradeso wie die Kategorien transzendental deduziert, das heißt im Hinblick auf die Mçglichkeit ihrer objektiven Realitt ausgewiesen. Wie Kant expressis verbis vermerkt: „Wir haben oben die Begriffe des Raumes und der Zeit, vermittelst einer transzendentalen

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Deduktion zu ihren Quellen verfolgt, und ihre objektive Gltigkeit a priori erklrt und bestimmt.“ (KrV A 87/B 119 f.)369 Die transzendentale Deduktion der Raum- und der Zeitvorstellung lsst sich ohne grçßere Anstrengungen bewerkstelligen. „Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und der Zeit mit leichter Mhe begreiflich machen kçnnen, wie diese als Erkenntnisse a priori sich gleichwohl auf Gegenstnde notwendig beziehen mssen“ (KrV A 89/B 121) Den Grund dafr rekapituliert Kant an dieser Stelle wie folgt: Da „nur vermittelst solcher reinen Formen der Sinnlichkeit uns ein Gegenstand erscheinen, d.i. ein Objekt der empirischen Anschauung sein kann, so sind Raum und Zeit reine Anschauungen, welche die Bedingung der Mçglichkeit der Gegenstnde als Erscheinungen a priori enthalten“ (KrV A 89/B 121 f.).

Weil Raum und Zeit die Bedingungen sind, unter denen wir berhaupt nur Gegenstnde sinnlich anschauen kçnnen, mssen ihnen notwendig alle sinnlich angeschauten Gegenstnde immer schon entsprechen. Es kann keine Erscheinung geben, die sich nicht in raumzeitlichen Verhltnissen hlt, weil uns ohne die Vorstellungen des Raumes und der Zeit berhaupt nichts als das, was es ist, erscheinen kçnnte.370 Die Schwierigkeit, welche demgegenber die Deduktion der Kategorien aufwirft, entzndet sich an der Differenz von Sinnlichkeit und Intellekt. „Die Kategorien des Verstandes“, so beginnt Kant, „stellen uns gar nicht die Bedingungen vor, unter denen Gegenstnde in der Anschauung gegeben werden“ (KrV A 89/B 122). Diese Bedingungen sind die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit. Aus diesem Grunde, so folgert Kant, kçnnten uns durchaus „Gegenstnde erscheinen, ohne daß sie sich notwendig auf Funktionen des Verstandes beziehen mssen, und dieser also die Bedingungen derselben a priori enthielte“ (ebd.). Die Funktionen, von denen Kant hier spricht, sind die logischen Urteilsfunktionen des Intellekts, mithin die reinen Formen alles Denkens. Mit Blick auf diese zeigt sich „eine Schwierigkeit, die wir im Felde der Sinnlichkeit nicht antrafen“ (ebd.). Denn es ist erst einmal gar nicht einzusehen, wieso die Gegenstnde der Sinnlichkeit noch weiteren Bedingungen a parte subiecti unterliegen sollten, nicht nur den Formen der Anschauung, sondern ebenfalls denen des Denkens, weshalb 369 Vgl. Baum, Manfred: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur Kritik der reinen Vernunft, Kçnigstein/Ts. 1986, S. 55 ff. 370 „Mit dieser formalen Bedingung der Sinnlichkeit stimmen also alle Erscheinungen notwendig berein, weil sie nur durch dieselbe erscheinen, d.i. empirisch angeschauet und gegeben werden kçnnen.“ (KrV A 93/B 125) Vgl. KrV A 20/B 35, A 22/B 36, A 26/B 42, A 27/B 43, A 34/B 50, A 42/B 59 und passim.

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also alle Erscheinungen notwendig auch durch die Funktionen des Intellekts gedacht werden mssen. Warum sollten Begriffe, die ihren Sitz im reinen Denken haben, a priori gltig sein fr Gegenstnde der empirischen Anschauung?371 Bereits diese einfhrenden berlegungen erçffnen die ganze vielfltig schattierte Bandbreite des Anwendungszusammenhangs, den Kant mit dem Konzept einer Deduktion abzudecken beabsichtigt. Eine Deduktion kann in mannigfachen Gestalten auftreten. Und die philosophische Reflexion muss grundstzlich eine jede oder wenigstens jede Art von Vorstellung mit ihrer Deduktion konfrontieren. Das macht es wenig glaubhaft anzunehmen, die Kategorien der Freiheit kçnnten von dieser allgemeinen Verbindlichkeit ausgenommen sein. Nicht nur stellt sich die Frage nach ihrer Herkunft; was ihren begrifflichen Gehalt, aber auch die Vollstndigkeit ihrer Systematik anbelangt, kçnnen die Kategorien nicht von einer Freilegung des Ursprungs, in dem sie verwurzelt sind, Abstand nehmen. Und man wird darber hinaus auch nach ihrer Gegenstandsbedeutung fragen mssen; weil sie ihren Sitz im reinen Denken haben, ist es keineswegs auf Anhieb evident, sondern vielmehr erst eigens zu rechtfertigen, dass ihre Anwendung auf Objekte rechtens ist. Indem es sich jedoch um „Begriffe a priori“ (KpV A 116) handelt, wird sich dieser Nachweis nicht auf Erfahrungsinhalte sttzen drfen. Mit einem Wort, die objektive Realitt der Freiheitskategorien auszuweisen, muss selber mit apriorischem Anspruch gefhrt werden. Das heißt, es braucht eine transzendentale Deduktion derselben. Warum Kant nicht offen von einer solchen Deduktion spricht, lsst sich nur erahnen. Es werden aber sicherlich dieselben Grnde ausschlaggebend gewesen sein, die ihn bereits bewogen haben, der Kategorienproblematik insgesamt nur einen geringen Textumfang einzurumen und auch die metaphysische Deduktion nicht namentlich und mit der gewohnten Deutlichkeit vor dem Leser auszubreiten. Dieser Umstand darf gleichwohl nicht darber hinwegtuschen, dass fr die Kategorien gelten muss, was fr alle Begriffe a priori gilt, dass wir uns ihrer nmlich nicht guten Gewissens ohne 371 Zur Problemstellung der transzendentalen Deduktion vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 133 ff.; Baum, Manfred: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie, a.a.O., S. 59 ff.; Carl, Wolfgang: Die transzendentale Deduktion in der zweiten Auflage (B129-B169), in: Mohr, Georg/ Willaschek, Marcus (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 192 ff.; Henrich, Dieter: Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion, in: Prauss, Gerold (Hg.): Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, Kçln 1973, S. 90 – 104; Ders.: Identitt und Objektivitt. Eine Untersuchung ber Kants transzendentale Deduktion, Heidelberg 1976.

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eine transzendentale Deduktion bedienen kçnnen. Nicht zuletzt mit Blick auf ihre mçgliche methodisch-wissenschaftliche Anwendung in einer doktrinal ausgefhrten Metaphysik der Sitten vermag sich die Kritik der praktischen Vernunft dem nicht zu entziehen, oder jedenfalls nur um den Preis der Unvollstndigkeit. Die Vernunft, wenn sie Quellen, Umfang und Grenzen ihres praktischen Vermçgens kritisiert und ber die Geltungsansprche, die damit verbunden sind, zu Gericht sitzt, muss sich auch davon Rechenschaft ablegen, ob die Begriffe, deren Quelle sie rein in sich enthlt, objektive Gltigkeit a priori haben. Doch wird man Kant in diesem Betreff auch einen sachlichen Grund unterstellen und sein Schweigen dadurch ins Positive wenden drfen. Denn es kçnnte ja sein, dass es bei der transzendentalen Deduktion der Freiheitskategorien ganz hnlich zugeht wie bei der der Begriffe des Raumes und der Zeit. Vielleicht hlt Kant die Deduktion deshalb nicht fr des Aufhebens wert, weil sie berhaupt keine nennenswerte Hrde fr die philosophische Reflexion darstellt? Womçglich ist die Deduktion oder wenigstens eine greifbare Anspielung auf sie wahrhaftig im Text der Kritik zu finden, nur dass sie still und leise bleibt und zum Darberhinweglesen einldt, weil sie gar keine so außergewçhnliche Schwierigkeit bereitet und daher keine weit ausholenden und diffizilen berlegungen nçtig macht, wie das bei den Naturkategorien der Fall ist? Im anschließenden §14 der Kritik der reinen Vernunft gibt Kant das Prinzip der bevorstehenden Deduktion an. Demnach kommt den Kategorien genau dann objektive Gltigkeit a priori zu, wenn sich dartun lsst, dass die Kategorien die „Bedingungen a priori der Mçglichkeit der Erfahrungen“ (KrV A 94/B 126) sind. Um das zu erreichen, muss man die Blickrichtung auf Intellekt und Sinnlichkeit gleichsam umkehren. Die metaphysische Deduktion hat vom ersteren hin zur letzteren gefhrt; sie hat argumentiert, dass die Kategorien nichts anderes sind als die Urteilsfunktionen des Denkens, sofern sie theoretisch gebraucht, das heißt auf Gegenstnde der sinnlichen Anschauung angewandt, werden. Dagegen gilt es nun, gerade andersherum zu verfahren. Es ist zu dokumentieren, dass es keinen Gegenstand der sinnlichen Anschauung geben kann, der nicht durch die Urteilsfunktionen des Denkens bestimmt ist, dass uns mithin kein Objekt erscheinen kann, ohne durch jene Funktionen gedacht zu sein. Wenn das gelingt, beziehen sich die Kategorien „notwendiger Weise und a priori auf Gegenstnde der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer berhaupt irgend ein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann“ (KrV A 93/B 126). Das heißt, die Kategorien sind dann als die konstitutiven Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung von Objekten herausgestellt.

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Damit wird nicht weniger als ein fundamentaler Umbau fr den Erkenntnis- und Gegenstandsbegriff in Aussicht genommen. Die transzendentale Deduktion schließt die Mçglichkeit aus, dass Intellekt und Sinnlichkeit zwei separate Weisen des Erkennens mit je eigenen Seinsbereichen sind. Sie argumentiert gegen die althergebrachte Auffassung, die Kant insbesondere in der zeitgençssischen „Leibniz-Wollfische[n] Philosophie“ ausmacht, dass der „Unterschied der Sinnlichkeit vom Intellekt bloß als logisch“ betrachtet werden kann, „da er offenbar transzendental ist, und nicht bloß die Form der Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt derselben betrifft“ (KrV A 44/B 61 f.). Nicht gibt uns die Anschauung ein nur ungenaues und vages Wissen von sich bestndig verndernden Sachverhalten, wohingegen die wahre und bleibende Natur der Dinge allein dem Denken sich offenbart. Die transzendentale Deduktion motiviert vielmehr die Einsicht, dass beide, Sinnlichkeit und Intellekt, zusammenwirken mssen, um Erkenntnis von Gegenstnden zustande zu bringen. Anschauen und Denken sind nur als Momente einer sie umfassenden Einheit: Erkennen heißt Erfahren, und die Objekte menschlicher Erkenntnis sind Objekte der Erfahrung. Von hier aus baut sich wie von selbst eine Erwartung an die transzendentale Deduktion der Freiheitskategorien auf, die einen durchaus parallelen Verlauf annehmen lsst. Doch steht nun natrlich nicht mehr die Differenz von Intellekt und Sinnlichkeit im Mittelpunkt, mithin das theoretische Vermçgen des Menschen, sondern es geht stattdessen um seine praktischen Fhigkeiten und damit um die Differenz von Intellekt und Begehrungsvermçgen. Im Hinblick darauf wird man mit gutem Recht die Vermutung hegen kçnnen, dass die allgemeine Stoßrichtung der Deduktion ganz analog darin wird liegen mssen, die Kategorien der Freiheit in ihrer objektiven Realitt a priori zu erweisen dadurch, dass man sie als die Bedingungen a priori der Mçglichkeit des Wollens aufzeigt. Sie gelten ohne Ausnahme und mit Notwendigkeit fr alle Gegenstnde des menschlichen Willens, wenn nur vermittels ihrer berhaupt ein Gegenstand des Willens gedacht werden kann. Tatschlich hat sich uns dieser Gedanke schon einmal, und zwar in der Auseinandersetzung mit der zweiten Kritik selbst, herausgebildet.372 Indes, kauft man sich damit auch schon zwangslufig die Annahme mit ein, dass hier ebenfalls eine Umkehrung der Blickrichtung zu vollziehen ist? Damit ist ein tief greifendes sachliches Problem aufgeworfen. Man kann ja durchaus sagen, dass die metaphysische Deduktion ihren Weg vom Intellekt hin zum Begehrungsvermçgen gegangen ist; denn sie hat dargelegt, dass die 372 Siehe oben Kapitel II.4.

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Kategorien der Freiheit gerade die Urteilsfunktionen des Denkens sind, insofern sie praktisch gebraucht werden, und das heißt, insofern sie in einer Anwendung auf Objekte des Begehrens stehen. Muss man nun von der entgegengesetzten Richtung her kommen? Kann man einfach stur der Analogie folgend sagen, dass die transzendentale Deduktion den Beleg zu erbringen hat, dass es keinen Gegenstand des Begehrens geben kann, der nicht durch die Funktionen des Denkens bestimmt ist, dass also endliche Vernunftwesen nichts begehren kçnnen, ohne es durch jene Funktionen zu denken? Das Problem, das sich hier auftut, ist doch, dass man Kant damit auf die Annahme verpflichtete, dass er auch die Bettigung dieser beiden Gemtsvermçgen so ineinander verzahnt, dass ein vernunftloses Begehren undenkbar wird. Ist das Kants erklrte Meinung? Kann der Mensch aus Grnden, die in der transzendentalen Deduktion der Freiheitskategorien zu finden sind, nichts begehren, was nicht auf die Funktionen des Intellekts bezogen, das heißt vernnftig bestimmt und kategorial geformt, ist? Mit §15 beginnt in der Kritik der reinen Vernunft die eigentliche Deduktion. Den Ausgangspunkt bilden berlegungen zur „Mçglichkeit einer Verbindung berhaupt“ (KrV B 129). Denn alle Verbindung ist laut Kant eine Handlung des Intellekts. Sie ist ein „Actus der Spontaneitt der Vorstellungskraft“ (KrV B 130). Wir mçgen uns ihrer bewusst sein oder nicht, und sie mag eine Verbindung des Mannigfaltigen einer Anschauung oder von vielerlei Begriffen oder Urteilen sein, Kant belegt sie mit dem einheitlichen Namen der Synthesis. Denn sie ist ursprnglich nur eine und in jedem Vollzug dieselbe. Die Vernunft ist ein synthetisches Vermçgen. Wir kçnnen „uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen […], ohne es vorher selbst verbunden zu haben“ (ebd.). Nun gehçrt aber, so Kant weiter, zu jeder Verbindung nicht nur eine Vielheit, die verbunden wird, und die Einheit, zu der sie verbunden wird. Etwas Drittes fehlt noch. Verbindung nmlich „ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen“ (KrV B 130 f.). Alle Verbindung hngt von einer vorgngigen Einheit ab. Der synthetischen Einheit, verstanden als Einheit einer Vielheit von Vorstellungen durch Synthesis, ist eine synthetische Einheit vorgeordnet, verstanden als Einheit der Synthesis einer Vielheit von Vorstellungen. Diese Einheit liegt hçher als jede andere. Sie ist die Bedingung jeder Verbindung und damit die Bedingung „des Verstandes“ (KrV B 131) berhaupt.373 Paragraph sechzehn identifiziert sie bekanntermaßen als die „ursprnglich-synthetische Einheit der Apperzeption“ (KrV B 131). Im Zen373 Sie ist „die Bedingung, unter der ich berhaupt denke“ (KrV A 346/B 404). Vgl. KrV B XL Anm., A 341/B 399, A 345 f./B 404 f.

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trum der transzendentalen Deduktion steht das Selbstbewusstsein vernnftiger Wesen, genauer gesagt die Einheit des reinen Selbstbewusstseins. Dieses hat einen apperzeptiven Charakter in dem Sinne, als es zu allen meinen Vorstellungen durchgngig hinzugedacht werden kçnnen muss. Kants berhmtes Diktum lautet: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten kçnnen“ (ebd.).374 Die Einheit des reinen Selbstbewusstseins ist die Letzteinheit und damit der Urgrund aller Verbindung, alles intelligenten Beziehens und Ordnens von Vorstellungen. Die Synthesis jeder Vielheit von Vorstellungen steht unter der Bedingung, unter der allein ein Subjekt sich dieser Vorstellungen als seiner Vorstellungen bewusst werden kann, dem einfachen und identischen Ich seines Denkens.375 Dieses Ich ist als der Pol smtlicher Gemtsinhalte immer schon mit im Spiel, wo berhaupt gedacht wird, so dass alles Bewusstsein unabdingbar egozentrisch angelegt ist. Die entscheidende Schlussfolgerung lautet: „Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird.“ (KrV B 132)376 Das reine Selbstbewusstsein gestattet Kant nun in den folgenden Paragraphen die transzendentale Deduktion der Kategorien. Danach nehmen die Synthesisfunktionen des Intellekts eine Art Mittelstellung ein, sie haben eine Mittlerposition inne zwischen dem Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung und der Einheit des reinen Selbstbewusstseins. Kants in §20 zusammengefasstes Argument geht so: Da das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung in einer notwendigen Beziehung zu der Einheit des reinen Selbstbewusstseins steht, und da die Urteilsfunktionen des Intellekts smtliche Weisen darstellen, wie jene Beziehung hergestellt wird, deshalb kann es kein sinnlich Mannigfaltiges geben, das nicht durch diese Funktionen gedacht ist. Sie vermitteln zwischen der Anschauung und dem Selbstbewusstsein; nur durch ihren Einsatz kann das Mannigfaltige der ersteren zur Einheit des letzteren gebracht werden. Und, so Kant weiter, weil nun die Kategorien nichts anderes sind als eben die Funktionen des Denkens, insofern durch sie das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung verbunden wird, darum steht das letztere in einer notwendigen Beziehung zu den ers374 Vgl. KrV B XL Anm. 375 Die Einheit der transzendentalen Apperzeption ist, wie Kant bemerkt, „der hçchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß, ja dieses Vermçgen ist der Verstand selbst“ (KrV B 134 Anm.). 376 Vgl. Cramer, Konrad: ber Kants Satz: Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten kçnnen, in: Ders. (Hg.): Theorie der Subjektivitt, Frankfurt a. M. 1987, S. 167 – 202.

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teren. Alle Erscheinungen fallen unter die Kategorien, da nur diese die Phnomene in ein Verhltnis zur Einheit des reinen Selbstbewusstseins bringen.377 So sicher es ist, dass auch die praktischen Kategorien einer transzendentalen Deduktion bedrfen, so gewiss ist es doch, dass diese anders ausfallen muss als die der theoretischen Kategorien. Und das liegt an dem fundamentalen Unterschied zwischen Begehrungsvermçgen und Anschauungsvermçgen. Denn ersteres denkt Kant von Grund auf gar nicht als Vorstellungsvermçgen, es ist im Gegensatz zum letzteren berhaupt keine eigenstndige Quelle von Vorstellungen. Die sinnliche Anschauung bietet dem Intellekt einen Stoff dar, an dem dieser seine Funktionen bettigen kann; eine „(sinnliche) Anschauung“ enthlt ein „Mannigfaltiges“ (KpV A 115), das auf einer Affektion des menschlichen Gemts beruht. Dagegen ist das „Mannigfaltige der Begehrungen“ (ebd.), wie Kant es nennt, keines, das dem Intellekt erst von außen zuteil werden muss und gegen das er sich aufnehmend zu verhalten htte. Er schçpft es vielmehr aus sich heraus. Die Vernunft hat in ihrem praktischen Gebrauch, wie wir schon im vorigen Kapitel erinnert haben, ein produktives Verhltnis zu ihren Gegenstnden, kein rezeptives.378 Das Begehrungsvermçgen durch die Vorstellung eines Objekts zu bestimmen, ist nichts anderes als ein Akt der Spontaneitt, in dem sich die Selbstttigkeit eines zum absichtlichen Handeln befhigten intelligenten Wesens manifestiert. Weit davon entfernt, ein originrer Ursprung von mentalen Inhalten zu sein, ist das Begehrungsvermçgen vielmehr darauf angewiesen, dass es bestimmt wird. Die Begriffe, die seine Kausalitt auf ein Objekt hin festlegen, entspringen dem menschlichen Intellekt. Folglich kann die Schwierigkeit in Sachen transzendentaler Deduktion von vornherein nicht darin liegen, wie es im Bereich des Theoretischen eingetreten ist, dass 377 Die transzendentale Deduktion hat in der B-Auflage eigentlich zwei Beweisschritte. Die erste Beweisschritt umfasst die §§15 bis 20, der zweite findet sich in §26. In den Paragraphen dazwischen beschreibt Kant vor allem die Einbildungskraft und deren verschiedene Synthesisleistungen, was aber dem Gang der Deduktion nicht wesentlich ist, sondern deren berlegungen nur vertieft. Wir kçnnen diese Beschreibungen daher außen vor lassen. Insgesamt besteht der zweite Beweisschritt in einem Fortgang vom Genus (Anschauung berhaupt) zu einer besonderen Unterart (menschliche Anschauung in Raum und Zeit) und drfte relativ unproblematisch sein. Siehe dazu Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 133 ff.; Henrich, Dieter: The Proof-Structure of Kant’s Transcendental Deduction, in: Review of Metaphysics 22 (1969), S. 640 – 659; Zocher, Rudolf: Kants transzendentale Deduktion der Kategorien, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 8 (1954), S. 163 – 194. 378 Siehe oben S. 92 f., 148 ff. und 157 f.

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eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen, die nicht dem Denken entstammt, ihre notwendige Vermittlung mit dem Denken allererst finden muss. In dieser Abweichung bringt sich das Eigene und Charakteristische unseres praktischen Vermçgens zur Geltung. Und dazu gehçrt darber hinaus auch, dass das Begehrungsvermçgen an ihm selber nichts aufweist, was den reinen Formen der Sinnlichkeit vergleichbar wre, den Vorstellungen a priori des Raumes und der Zeit. Es schließt keine eigenen, vom Intellekt und den reinen Formen des Denkens ursprnglich verschiedenen Bedingungen in sich ein, unter denen wir berhaupt nur einen Gegenstand begehren kçnnen und denen in der Folge alle begehrten Gegenstnde unweigerlich entsprechen. Eine solche Parallele zum Anschauungsvermçgen gibt es nicht, jedenfalls ußert sich Kant nirgendwo in dieser Weise. Weder also ist das menschliche Begehrungsvermçgen von sich her berhaupt ein Vermçgen der Vorstellungen, noch besitzt es ihm eigentmliche Formeigenschaften, die seine Vorstellungen vor denen aller anderen Gemtsvermçgen auszeichnen und bleibend prgen. Daran ndert auch der Umstand nichts, dass Kant an einschlgiger Stelle die Einheit des Selbstbewusstseins zur Sprache und mit den Kategorien in Verbindung bringt. Im dreizehnten Absatz, wo er die Freiheitskategorien mit den Kategorien der Natur vergleicht, schreibt er, dass es die Funktion der letzteren ist, „das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“, und die der ersteren, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins […] zu unterwerfen“ (KpV A 115). Wohlgemerkt: der Einheit des Bewusstseins. Wir haben im Ausgang von dieser aufschlussreichen Gegenberstellung versucht, der metaphysischen Deduktion der praktischen Kategorien eine Gestalt zu geben, die ihr Vorbild an der der theoretischen Kategorien findet. Jedoch, die transzendentale Deduktion derselben lsst sich nicht auch noch darauf aufbauen. Das reine Selbstbewusstsein und sein Einheitscharakter kçnnen dabei gerade keine Rolle spielen. Denn indem die Urteilsfunktionen des Intellekts das „Mannigfaltige der Begehrungen“, also das Mannigfaltige, auf das eine Begehrung gerichtet ist, nicht als etwas wie auch immer Gegebenes vorfinden, agieren sie nicht in der Rolle eines Mittlers, der von einem vorhandenen Mannigfaltigen aus eine Brcke schlagen muss hin zur Einheit des Selbstbewusstseins. Dass Kants Theorie des Selbstbewusstseins nicht auch das Rckgrat der transzendentalen Deduktion der Freiheitskategorien abgibt, heißt jedoch im Gegenzug nicht, dass sie auf den Bereich des Theoretischen limitiert wre. Was Kant ber das Selbstbewusstsein ausfhrt, ist so umfassend angelegt, dass es sich nicht minder als der tragende Bezugspunkt alles Praktischen

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erweist. Wenn es nmlich stimmt, dass die Einheit des reinen Selbstbewusstseins die Ermçglichungsbedingung jedweden Beziehens und Ordnens von Vorstellungen ist, dann kçnnen diejenigen Vorstellungen davon nicht ausgenommen sein, in denen ein intelligentes Wesen das Objekt seines Begehrens denkt und bestimmt. Auch die Verbindung des „Mannigfaltige[n] der Begehrungen“ steht unter der hçchsten Bedingung, unter der allein sich das Subjekt dieser Vorstellungen als seiner bewusst werden kann. Und das ist, Kant sagt es selbst, die „Einheit des Bewußtseins“. Nicht nur in ihrem theoretischen, auch in ihrem praktischen Gebrauch hat die Vernunft den unaufgebbaren und unhinterschreitbaren Einheitspunkt ihrer Synthesisleistungen in der Einfachheit und Identitt des Ich. Man wird daher zwischen einem theoretischen und einem praktischen Selbstbewusstsein zu unterscheiden haben, je nachdem, ob das ,Ich denke‘ ein theoretisches Urteil begleitet (,Ich erfahre‘) oder ein praktisches Urteil (,Ich will‘). Kants eigene gelegentliche Bemerkungen, die zwar nur verstreut zu finden und keineswegs systematisch ausgearbeitet sind, erhrten diese Annahme.379 Worauf soll man sich aber sonst aufsttzen, um die Kategorien der Freiheit transzendental zu deduzieren? Wenn schon nicht auf das Selbstbewusstsein, tritt dann vielleicht etwas anderes an seine Stelle? Oder muss man gar nicht ber das, was bereits in den Kategorien gedacht wird, hinausgehen und sich an eine zustzliche Instanz wenden? Ich vermute den Schlssel zu diesen Fragen in einer der Formulierungen des vierzehnten Absatzes, mit der wir uns bereits im vorigen Kapitel ausfhrlich befasst haben; Kant gibt den entscheidenden Hinweis abermals im unmittelbaren Vorfeld der Kategorientafel, und das sicherlich nicht von ungefhr. Und ich glaube darber hinaus, dass die transzendentale Deduktion der praktischen Kategorien in der Tat keine sonderliche Herausforderung darstellt; hnlich den Begriffen des Raumes und der Zeit lassen sie sich vçllig unkompliziert und ohne erst subtile Argumente bemhen zu mssen hinsichtlich ihrer Gegenstandsbedeutung rechtfertigen. Die entsprechende Bemerkung Kants ist in den berlegungszusammenhang eingeflochten, welcher den Großteil des vierzehnten Absatzes einnimmt und in dem von einem augenscheinlichen Vorzug der Freiheits379 Siehe etwa KpV A 52, 115, 132; MST A 102. Vgl. Stolzenberg, Jrgen: Subjektivitt und Freiheit. Zu Kants Theorie praktischer Selbstbestimmung, in: Chotas, Jir / Kar sek, Jindrich/Ders. (Hg.): Metaphysik und Kritik. Interpretationen zur „Transzendentalen Dialektik“ der Kritik der reinen Vernunft, Wrzburg 2008, S. 181 ff.; Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Freedom, a.a.O., S. 40; Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 52.

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kategorien die Rede ist. Wie wir gesehen haben, bietet Kant gleich mehrere Begrndungen fr diese Behauptung an. Die, welche sich mit gutem Sinn verteidigen lsst, so haben wir gefunden, ist in der gedrngten Feststellung vorhanden, dass die Kategorien der Freiheit „die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung), selbst hervorbringen“ (KpV A 116). In diesen wenigen Worten bringt sich meiner Meinung nach ein dem Leser bereits hinlnglich bekannter und durchaus vertrauter gedanklicher Horizont in Erinnerung, der es Kant erlaubt, die transzendentale Deduktion geradezu als beiherlaufend erledigt zu betrachten. Es liegt in der Natur der praktischen Vernunft, dass die metaphysische und die transzendentale Deduktion ihrer Kategorien nachgerade ineinsfallen. Das, was den praktischen Gebrauch des oberen Erkenntnisvermçgens in seinem Innersten ausmacht, hat nicht nur zur Folge, dass es berhaupt praktische Kategorien gibt, es garantiert zugleich, dass sie objektive Realitt a priori besitzen. Auch darin kommt die Eigenmchtigkeit, ja Machtvollkommenheit der praktischen Vernunft zum Ausdruck, die fr Kant den augenscheinlichen Vorzug ihrer Kategorien vor denen der theoretischen Vernunft begrndet. Jenen Vorzug haben die Freiheitskategorien nicht nur hinsichtlich ihrer metaphysischen, sondern gleichfalls ihre transzendentale Deduktion betreffend. Wenn nmlich die Kategorien das, worauf sie sich beziehen, wie Kant sagt, ihrer Wirklichkeit nach allemal selber hervorbringen, dann kann das, worauf sie sich beziehen, ex hypothesi niemals gnzlich unabhngig von ihnen vorkommen. Indem durch die Funktionen des Intellekts nicht ein von anderswoher Vorgegebenes und in sich selber Stehendes gedacht wird, sondern vielmehr etwas, das diese Synthesisttigkeit im Akt ihrer Durchfhrung allererst zur Wirklichkeit bringt, ist garantiert, dass es kein solches Etwas geben kann, das nicht den Kategorien gemß ist. Das Mannigfaltige, auf das sich eine Begehrung richtet, ist ein solches, das das Denken aus sich heraus nimmt und zur Einheit eines Gegenstandes des Willens verknpft. Die Kategorien der Freiheit sind mithin die konstitutiven Bedingungen der Mçglichkeit des Wollens von Objekten, eben weil sie „die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung), selbst hervorbringen“ und daher ohne sie gar nichts als Objekt des Willens mçglich ist.380 Wenn es also die Vernunft ist, die das Begehrungsvermçgen bestimmt, tut sie dies stets nach Maßgabe der Kategorien. Es tritt jedoch bei Kant nicht immer klar heraus, ob es im Falle endlicher Vernunftwesen zwingend die 380 Siehe oben S. 148 ff. Vgl. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 25.

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Vernunft sein muss, die das leistet. Die Einteilung seiner Begriffe ist in diesem Punkt nicht ganz eindeutig. Auf der einen Seite scheint Kant auch Tieren ein Begehrungsvermçgen zuzuschreiben, das heißt ein „Vermçgen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV A 16). So kçnne man „nach der Analogie schließen“, schreibt er, „daß die Tiere auch nach Vorstellungen handeln (nicht, wie Cartesius will, Maschinen sind)“ (KU A 443 f./B 449 Anm.). Und er definiert den Begriff des Lebens schon sehr frh ber den Begriff des Begehrungsvermçgens, was dann wohl auch Tiere als zweifellos lebende, obgleich vernunftlose Wesen trifft.381 Andererseits jedoch grenzt Kant vom „bloßen Begehrungsvermçgen“ den Willen als das vernnftige Vermçgen ab, „sich zum Handeln als Intelligenz, mithin […] unabhngig von Naturinstinkten, zu bestimmen“ (GMS A/B 120 f.). Und er spricht im Zusammenhang mit Tieren niemals ausdrcklich von Begehren, sondern stattdessen vom Instinkt, was im Gegenzug heißt, dass ausschließlich vernunftbegabte Wesen wie der Mensch ber ein Begehrungsvermçgen verfgen. Denn Instinkt ist gerade eine Art Bedrfnis, sich auf bestimmte Weise zu verhalten, wovon man aber keine Vorstellung hat und das gleichsam mechanisch zur Wirklichkeit drngt.382 Man muss indessen sehen, dass Kant das menschliche Verhalten durchaus differenziert beschreibt. Keineswegs ist es durchweg die Vernunft, die unser Tun und Lassen bestimmt. So sind auch beim Menschen Instinkte ausgeprgt, obschon in einer Art Abhngigkeit davon, in welchem Maße der Mensch seine Anlagen kultiviert und verfeinert hat. Da ist die Rede von einem gutherzigen Instinkt, wofr Kant als Beispiel das Mitleid nennt, vom Trieb zur Nahrung und zum Geschlecht und davon, dass der Mensch, frei von Instinkt und mitunter gegen den Ruf der Natur, durch eigene Vernunft geleitet gnzlich aus sich herausbringen solle, was ber sein tierisches Dasein hinausgehe und dem moralischen Endzweck seiner Existenz entspreche.383 Ich vermute daher, dass man Kant dahin gehend verstehen muss, dass instinktgeleitetes Verhalten gerade keines ist, das aus der vorwegnehmenden Vorstellung dieses Verhaltens herfließt. Instinkt heißt nicht, „durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“, sondern immer so viel wie ein natrlicher Antrieb, der sich mehr oder weniger von selbst verwirklicht. Mithin schließen sich Instinkt und vernnftiges Begehren aus. Das aber nicht in ein und demselben Wesen; der Mensch mag, wie gesagt, durchaus seine Instinkte haben. Aber diese besitzen 381 Vgl. Trume A 25 f. Anm.; MAN A 120 f.; KpV A 16 Anm. 382 Vgl. KpV A 108; KU A/B XII f.; Rel. A 19/B 21 Anm.; Idee A 387. 383 KpV A 172; Rel. A 19/B 21 Anm., A 21 f./B 24; Idee A 388 ff.; Anfang A 8 f.

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eine ganz andere Seinsweise und sind daher begrifflich sauber zu trennen von allem Begehren und Wollen. Wenn ich mit dieser Einschtzung richtig liege, dann ist berall dort, wo berhaupt von Begehren gesprochen wird, in der Tat auch von Vernunft zu sprechen. Alles andere mag man als Instinkt, Naturtrieb oder sonst wie bezeichnen, doch wenn es dem Handeln vorgreifende Vorstellungen sind, nach denen der Mensch intentional in die ußere Welt hineinhandelt, kçnnen es allein solche sein, die vernnftig sind in dem Sinne, dass sie auf der Spontaneitt des Subjekts beruhen, eine diskursiv-abstrakte Natur haben und nur in der synthetischen Einheit eines Urteils ihre gegenstndliche Erfllung finden. Der Mensch kann mithin nicht anders begehren, als dass er sich den Gegenstand seines Strebens denkt, mag dies auch noch so sehr in einem ins Dunkle und Unbewusste zurckgesunkenen Denkakt oder mit der kaum fasslichen Flchtigkeit eines im Strom des Bewusstseins vorberjagenden Gedankens geschehen. Intellekt und Begehrungsvermçgen sind fr Kant auf hnliche Weise im Begriff des Willens miteinander verschrnkt wie Intellekt und Sinnlichkeit im Begriff der Erfahrung – aber, und nur darauf kommt es hier an, das ist nicht erst das Ergebnis der transzendentalen Deduktion. Unser Begehren ist je schon so sehr mit dem Denken vermittelt, dass es, genau wie das Anschauen, nur nachtrglich als ein Moment herausabstrahiert und knstlich isoliert werden kann. Doch ist das eher das Resultat von Kants begrifflichen Festlegungen und seiner allgemeinen Auffassung unseres praktischen Vermçgens, dass begehren nur kann, wer mit der Anlage zur Vernnftigkeit ausgestattet ist.384 In der Kritik der reinen Vernunft hat die transzendentale Deduktion eine ausgesprochen anti-ontologische Pointe. Wie Kant im Brustton der Gewissheit schreibt, muss „der stolze Name einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen berhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben […] dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen“ (KrV A 247/B 303). Und das ist die Konsequenz der transzendentalen Deduktion. Diese dokumentiert die Kategorien der Natur nicht nur als die Gesichtspunkte, die all unserer Erfahrung von Objekten Ordnung geben, sie weist sie ipso facto auch als diejenigen Gesichtspunkte aus, nach denen sich die Gegenstnde unserer Erfahrung zusammenordnen. Weil es das Subjekt ist, das durch seine kategorial verfassten Synthesisleistungen die Natur als kategorial strukturiertes Gefge von Erscheinungen konstituiert, sind die Kategorien doppelt zu explizieren: nicht nur als der Inbegriff dessen, wie unsere Urteile gebildet sein 384 Siehe oben S. 95 ff.

5. Bençtigen die Kategorien der Freiheit eine transzendentale Deduktion?

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mssen, um objektiv gltig zu sein, sondern auch als der Inbegriff dessen, worauf wir uns mit solchen objektiv gltigen Urteilen berhaupt nur beziehen kçnnen. Kant bringt das gegen Ende der Deduktion auf den Punkt, wenn er formuliert, dass die Kategorien Begriffe sind, „welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriff aller Erscheinungen […], Gesetze a priori vorschreiben“ (KrV B 163). Damit ist das Reflexionsniveau der Analytik der Grundstze erreicht. Diese schließt unmittelbar an und etabliert unter Rckgriff auf die Tafel der Naturkategorien ein dieser entsprechendes „System der Grundstze des reinen Verstandes“ (KrV A 158/B 197). Dabei handelt es sich um diejenigen synthetischen Urteile a priori, deren Klrungsbedrftigkeit das ganze Projekt einer Kritik der reinen Vernunft allererst in Gang gebracht hat. In ihnen werden die theoretischen Kategorien zu einer Erkenntnis a priori von Erscheinungen berhaupt gebraucht. Die Grundstze buchstabieren aus, wie die Welt immer schon beschaffen ist, die uns im Horizont unserer Erfahrungen begegnen kann. Whrend also die Kategorientafel smtliche modi cogitandi befasst, enthlt die Tafel der Verstandesgrundstze die davon hergeleiteten modi essendi, so kçnnte man sagen. Denn gemß der transzendental-idealistischen Wende sind es die ersteren, die den Rechtsgrund abgeben fr die letzteren. Kant drckt das bekanntlich so aus: Die „Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung berhaupt sind zugleich Bedingungen der Mçglichkeit der Gegenstnde der Erfahrung“ (ebd.). Die Kategorien der Freiheit allerdings sind nicht auf eine hnliche Weise zweifach auszulegen. Das ist eine der gravierenden Disanalogien zwischen beiden Kategoriensorten. Wir kommen damit auf die Frage zurck, die wir schon an frherer Stelle aufgeworfen haben, warum nmlich die Kritik der praktischen Vernunft im Anschluss an die Tafel der praktischen Kategorien kein Tableau von Prinzipien darbietet, das dem der reinen Verstandesgrundstze gleichkommt.385 Die in Rede stehende Grundsatztafel kann es aber nicht geben, und es braucht sie auch nicht.386 Wohl bezieht Kant in dieser Angelegenheit nicht ausdrcklich Stellung. Er gibt dem Leser gegenber weder zu erkennen, ob er eine derartige Tafel in der Hinterhand hat, sie aber aus welchen Motiven und berlegungen auch immer einfach nur nicht vorlegt, noch setzt er darber in Kenntnis, ob vielleicht gewichtige Grnde gegen deren Existenz und 385 Siehe oben S. 29. 386 Vorschlge, wie eine solche Tafel beschaffen sein msste, unterbreiten Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 142 ff.; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 207.

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II. Praktisches Urteil und Kategorie

Mçglichkeit sprechen. Dennoch kann man in dieser Sache eine wirksame Entscheidung erreichen. Ausschlaggebend ist dafr Kants Bemerkung, dass unsere „Handlungen, als Begebenheiten in der Sinnenwelt, zu den Erscheinungen gehçren“ und dass daher „die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich […] den Kategorien des Verstandes gemß […] Statt haben kçnnen“ (KpV A 115). hnlich in dem Absatz, der auf die Kategorientafel folgt. Dort heißt es abermals, dass sich unsere „Handlungen, als Erscheinungen in der Sinnenwelt, […] auf die Kategorien ihrer Naturmçglichkeit“ (KpV A 118) beziehen. Wir haben uns damit bereits an anderer Stelle auseinander gesetzt und wenden unsere Deutung nun auf den gegenwrtigen Fragezusammenhang an.387 Und damit wird unleugbar, dass die Kategorien der Freiheit keine doppelte Konstitutionsleistung vollbringen. Sie sind zwar die begrifflichen Formen, die vorzeichnen, wie man berhaupt nur einen Gegenstand wollen kann, dieser Gegenstand aber ist nach Kant notwendig eine Erscheinung im transzendentalen Verstande. Und das ist er nicht kraft der praktischen Kategorien, sondern aufgrund der theoretischen. Erstere begrnden ein Objekt als Objekt des Willens, letztere hingegen begrnden ein Objekt als Objekt mçglicher Erfahrung, denn das heißt eben als Erscheinung. Unsere Handlungen und deren mitintendierte Folgen hngen, sofern sie Phnomencharakter haben, und das tun sie alle, von den Kategorien der Natur ab; von den Kategorien der praktischen Vernunft dagegen hngen sie ab, sofern sie Gegenstand des Willens sind, und das heißt doch, sofern sie Handlungen im gewçhnlichen Sinne des Wortes sind. Die Kategorien der Freiheit sind zwar die Einheits- und Ordnungsgesichtspunkte unseres Wollens von Gegenstnden, mithin die modi volendi; als solche sind sie der Inbegriff dessen, wie unsere praktischen Urteile berhaupt nur gebildet sein kçnnen. Jedoch sind sie in der Folge nicht auch die Einheits- und Ordnungsgesichtspunkte der Objekte unseres Wollens. Sie sind nicht zugleich der Inbegriff dessen, was wir mit praktischen Urteilen allein zu intendieren vermçgen. Das kçnnen und das brauchen sie nicht, denn das leisten bereits die Kategorien der Natur. In der Kritik der praktischen Vernunft darf man folglich mit keinem Tableau an Grundstzen rechnen, in dem sich die Objektivitt der praktischen Vernunft entfaltet. Ein solches Analogon zur Tafel der reinen Verstandesgrundstze gibt es nicht. Da dasjenige, was als Gegenstand des Willens, mithin als Handlung, gelten kann, stets ein Gegenstand mçglicher Erfahrung sein muss, will sagen eine Erscheinung, so ist ersterer durch diejenigen Grundstze vollstndig charakterisiert, denen letzterer immer 387 Siehe oben S. 65 f. und 158 ff.

5. Bençtigen die Kategorien der Freiheit eine transzendentale Deduktion?

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schon unterliegt. Gegenstnde des Willens sind wie alle Gegenstnde der Erfahrung berhaupt durch die reinen Verstandesgrundstze durchgehend und a priori bestimmt: Sie sind extensive Grçßen, haben eine intensive Grçße, sind durch das Verhltnis von Substanz und Akzidenz gekennzeichnet usw. Die reinen Verstandesgrundstze sind als die Gesetze der uns in Erfahrungen begegnenden Objekte auch die Gesetze der uns in Erfahrungen begegnenden Handlungen eines Menschen. Sie sind die Gesetze auch derjenigen Objekte, die wir selber willentlichen hervorbringen oder wenigstens doch hervorbringen kçnnen.

III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117) In der Kritik der reinen Vernunft stellt Kant die Kategorien der Natur in einem Verzeichnis dar, das den schlichten Titel trgt „Tafel der Kategorien“ (KrV A 80/B 106). Diese Tafel hat ein ganz bestimmtes Aussehen, das nicht von ungefhr an die im Hintergrund stehende Urteilstafel erinnert, welche smtliche ursprnglichen Bettigungsweisen des menschlichen Intellekts in Urteilen verzeichnet. Wie diese setzt sie sich aus vier fortlaufend durchnummerierten Quadranten zusammen, dem Quadranten der Quantitt, dem der Qualitt, der Relation und der Modalitt. Dabei handelt es sich nicht selbst schon um Kategorien, sondern, wie Kant sich gemeinhin ausdrckt, um die „Klassen“ (KrV B 110)388, „Fcher“ (KrV A 83/B 109) oder „Titel“ (KrV A 70/B 95)389, in die oder unter die sich alle Kategorien einordnen lassen. Und jeder dieser Quadranten befasst genau drei Kategorien in sich. Kant nennt sie „Momente“ (KrV A 70/B 95)390, „Stelle[n]“ (KrV A 67/B 92)391 oder, in terminologischer Anlehnung an die Topik des Aristoteles und das altgriechische Wort ,topos‘, transzendentale Orte.392 Im Falle des letzten Quadranten, das heißt dem der Modalitt, sind das jeweils zwei komplementre Kategorien. So umfasst das System aller Kategorien der theoretischen Vernunft im Ganzen fnfzehn Begriffe. Ganz hnlich zeigt es sich in der Kritik der praktischen Vernunft. Die Kategorien der Freiheit prsentiert Kant ebenfalls in Gestalt eines Tableaus, das er als „Tafel der Kategorien“ berschreibt, aber mit dem lngeren Zusatz versieht „der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bçsen“ (KpV A 117). Diese Tafel weist dieselbe interne Gliederung auf, denn auch sie, das war unsere leitende berlegung, wird von Kant aus der 388 389 390 391 392

Vgl. KrV A 403; Prol. A. 143; MAN A XVI. Vgl. KrV B 111, A 187/B 230, A 269/B 324, A 415/B 442. Vgl. KrV A 71/B 96; Prol. A 85. KrV A 71/B 97, A 83/B 109. Vgl. A 268 f./B 324 f. Siehe zu diesem sachlichen Zusammenhang Leitner, Heinrich: Systematische Topik. Methode und Argumentation in Kants kritischer Philosophie, Wrzburg 1994; Reuter, Peter: Kants Theorie der Reflexionsbegriffe. Eine Untersuchung zum Amphiboliekapitel der Kritik der reinen Vernunft, Wrzburg 1989, insb. S. 210 ff.; Schndelbach, Herbert: Reflexion und Diskurs. Fragen einer Logik der Philosophie, Frankfurt a. M. 1977, S. 61 – 134.

III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

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so genannten Urteilstafel entwickelt. Sie besteht genauso wie diese aus vier durchgehend bezifferten Quadranten, dem der Quantitt, der Qualitt, der Relation und der Modalitt. Diese fungieren abermals, wie Kant ausdrcklich vermerkt, als „Titel“ (KpV A 20 Anm.), unter denen sich alle Kategorien zusammenfinden. Und es sind erneut jeweils drei Kategorien, die sich zu einem Quadranten gruppieren, bzw. Kategorienpaare im Falle des letzten, des Modalquadranten. Alles in allem beinhaltet daher auch das System der praktischen Kategorien, wie Kant es vorlegt, fnfzehn Begriffe. Was bislang lediglich im Allgemeinen erçrtert wurde, muss sich nun im Detail bewhren, und das ist die metaphysische Deduktion der Freiheitskategorien. Im Folgenden gilt es, das schwierige Geschft auf sich zu nehmen und Kants Ableitung jeder einzelnen Kategorie aus der korrespondierenden Urteilsfunktion zu rekonstruieren, wie sie sich in der Urteilstafel der ersten Kritik aufgelistet findet. Dabei muss die besondere Eigenart des praktischen Vernunftgebrauchs zum Tragen kommen, das heißt, die Funktionen sind in ihrer Anwendung auf eine Mannigfaltigkeit von Erscheinungen zu betrachten, das „Mannigfaltige der Begehrungen“ (KpV A 115), wie Kant formuliert, die sie zur Einheit eines Objekts des menschlichen Willens synthetisieren. Auf diese Weise, und nur so, lsst sich eine verlssliche Bestimmung des begrifflichen Gehalts jeder Kategorie erwarten. Was genau hat man sich beispielsweise unter einer „Ausnahme“ (KpV A 117) vorzustellen? Was besagt die Kategorie „Auf den Zustand der Person“, und was ist nach Kant eine „unvollkommene Pflicht“ (ebd.)? Aber mehr noch. Denn nicht nur die Momente der Kategorientafel, auch die Titel bedrfen einer Klrung. Das gehçrt ebenso dazu, dass man fragt, was es mit den vier Fchern auf sich hat, in die Kant die Kategorien einsortiert. Was bedeutet hier „Quantitt“ (ebd.)? Vor allem, wessen Quantitt? Und was heißt entsprechend „Qualitt“, „Relation“ und „Modalitt“ (ebd.)? Im Zuge dieser Untersuchung mssen zwei ußerungen Kants zur Ordnung der so genannten Urteilstafel Bercksichtung finden. Die eine bahnt sich dadurch an, dass nach Kant das obere Erkenntnisvermçgen aus mehreren Teilvermçgen aufgebaut ist. Mit dem oberen Erkenntnisvermçgen ist der gesamte diskursive Apparat intelligenter Wesen gemeint. Von ihm ist es, dass Kant sagt, dass es insgesamt „als ein Vermçgen zu urteilen vorgestellt werden kann“ (KrV A 69/94). Das obere Erkenntnisvermçgen ist der fr alle Urteilsoperationen zustndige Intellekt. Kant bezeichnet ihn bald als Verstand,393 spricht aber gelegentlich auch von Vernunft.394 Und 393 Vgl. KrV A 15/B 39, A 51/B 75, A 52/B 76, A 69/B 94; Anthr. A/B 115; AA XX 223.

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von diesem weiten ist je ein enger Begriff zu unterscheiden, denn Kant schlsselt das obere Erkenntnisvermçgen in drei Teilvermçgen auf, namentlich in „Verstand, Urteilskraft und Vernunft“ (KrV A 130/B 169).395 Nicht nur deren Gesamtheit, auch eines dieser Teilvermçgen selbst heißt Verstand bzw. Vernunft. Den Verstand in engerer Bedeutung erklrt Kant als das „Vermçgen der Begriffe“ (KrV A 160/B 199), die Urteilskraft als das „Vermçgen, unter Regeln zu subsumieren“ (KrV A 132/B 171), und die Vernunft in engerer Bedeutung als das „Vermçgen mittelbar zu schließen“ (KrV A 299/B 355).396 Die Gliederung der Urteilstafel in Quadranten reflektiert nun diese Gliederung des oberen Erkenntnisvermçgens. Einerseits verbirgt sich hinter den ersten drei Titeln je ein Teilvermçgen des Intellekts: hinter der „Quantitt“ der Verstand, hinter der „Qualitt“ die Urteilskraft und hinter der „Relation“ die Vernunft. Kant trennt die drei Vermçgen nicht so voneinander, dass eines unabhngig von den anderen ausgebt wrde. Vielmehr wird jedes immer nur dann bettigt, wenn das obere Erkenntnisvermçgen als Ganzes sich bettigt. Andererseits sollen aber diese Teilvermçgen auch smtliche Momente der Modalitt stellen, die nicht weniger ein integrierender Bestandteil jedweden Urteils ist. Das in sich geschlossene Dreieck der ersten drei Quadranten klappt Kant gleichsam nach unten und spiegelt es innerhalb des neu gewonnen vierten Quadranten ab. „Gleich, als wenn das Denken im ersten Fall eine Funktion des Verstandes, im zweiten der Urteilskraft, im dritten der Vernunft wre.“ (KrV A 75/B 100 Anm.). Das wird in der Folge ebenso fr die Tafel der Kategorien der Freiheit zu gelten haben. Obgleich sich Kant darber in der zweiten Kritik nicht explizit auslsst, mssen doch auch im praktischen Gebrauch des menschlichen Intellekts alle drei Teilvermçgen ttig sein. Es ist der Sache nach zu unterscheiden zwischen dem praktischen Verstand im engen Sinn, der praktischen Urteilskraft (die aber nicht verwechselt werden darf mit derjenigen Urteilskraft, die in dem Kapitel ber die Typik thematisch ist und die Sittlichkeit von Willensbestimmungen testet) und der praktischen 394 Vgl. KrV A 835/B 863. 395 Vgl. Anthr. A/B 115 f.; KU A/B III f., A/B XXI; AA XX 201. 396 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 50 f.; Rameil, Udo: Kant ber Logik als Vernunftwissenschaft, in: Doy, Sabine/Heinz, Marion/Ders. (Hg.): Metaphysik und Kritik. Festschrift fr Manfred Baum zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, S. 56, Anm. 19; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 89 ff.

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Vernunft im engen Sinn.397 Und es muss sich zeigen lassen, dass sie als Strukturmomente des praktischen Urteilsvollzuges hinter den ersten drei Titeln der Kategorientafel stehen. Inwiefern kann man sagen, dass die Freiheitskategorien der Quantitt dem „Vermçgen der Begriffe“ zugehçren, die der Qualitt dem „Vermçgen, unter Regeln zu subsumieren“, und die der Relation dem „Vermçgen mittelbar zu schließen“? Des Weiteren ist zu klren, wie diese drei Vermçgen sich in den vierten Quadranten hinein verlngern. Auch die Modalkategorien mssen fr das Zustandekommen eines praktischen Urteils unverzichtbar sein doch mit welchem Recht kann man hier behaupten, dass das Denken „im ersten Fall eine Funktion des Verstandes, im zweiten der Urteilskraft, im dritten der Vernunft“ ist? Zu beachten ist zweitens, dass Kant jeden einzelnen Quadranten der so genannten Urteilstafel nach Maßgabe einer bestimmten Methode durchmisst. Es ist keineswegs Zufall, geschweige denn Willkr, dass unter jedem Titel exakt drei Momente enthalten sind, nicht mehr, aber auch niemals weniger. In einer berhmten Fußnote der dritten Kritik gibt Kant darber Aufschluss. Er reagiert dort auf nicht namentlich erwhnte Kritiker, die es „bedenklich gefunden [haben], daß meine Einteilungen in der reinen Philosophie fast immer dreiteilig ausfallen“ (KrV A LV/B LVII Anm.). Um diese Einwnde zu zerstreuen, versichert Kant zunchst: „Das liegt aber in der Natur der Sache.“ (ebd.). Und er begrndet das mit der Behauptung, dass es sich bei den „Einteilungen in der reinen Philosophie“ (ebd.) stets um synthetische Einteilung a priori aus Begriffen handelt.398 Eine Einteilung, die apriorisch gefhrt sein will, beruht per definitionem auf keinem empirischen Fundament. Sie sttzt sich nicht auf das bestndig im Wandel begriffene, sich vermehrende und immer wieder neu ansetzende Wissen unseres Erfahrungslebens. Anderenfalls wre sie unabschließbar, da jederzeit neue Einteilungsglieder zum Vorschein kommen oder alte sich als Irrtum herausstellen und daher wegfallen kçnnten. Das ist im Falle einer Einteilung a priori grundstzlich ausgeschlossen. Sie bringt den Anspruch auf Notwendigkeit mit sich und kann infolge dessen nur eine endliche Anzahl von genau angebbaren Elementen haben. Eine solche Einteilung vermag entweder analytisch oder synthetisch zu verfahren. Geht sie analytisch vor, folgt sie bloß dem „Satze des Widerspruchs“ und ist „jederzeit zweiteilig“, indem sie sich in kontradiktorischen Gegenstzen 397 Vgl. Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ, a.a.O., S. 85; Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 83. 398 Zum Folgenden vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 163 ff.

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bewegt: „quodlibet ens est aut A aut non A“ (ebd.).399 Anders Einteilungen, die synthetisch operieren. Das kçnnen entweder solche der Mathematik sein; diese werden „aus der a priori dem Begriffe korrespondierenden Anschauung“ (ebd.) vollzogen, sprich durch Konstruktion in reiner Anschauung.400 Oder es handelt sich um Einteilungen der „reinen Philosophie“; diese werden allein „aus Begriffen“ vorgenommen. Hier „muß, nach demjenigen, was zu der synthetischen Einheit berhaupt erforderlich ist, […] die Einteilung notwendig Trichotomie sein“ (ebd.). Die Einteilungsglieder sind stets drei: eine „1) Bedingung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt“ (ebd.).401 Eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen geht in zwei Schritten vor. Der erste besteht darin, aus einem vorgelegten Begriff zwei Einteilungsglieder herauszuziehen. Das geschieht durch Analyse. Die einzuteilenden Begriffe sind in unserem Fall die Titel der so genannten Urteilstafel. Und die zwei Glieder sind je die ersten beiden Momente. Das eine Moment figuriert dabei als „Bedingung“, das andere als „Bedingtes“. In einem zweiten Schritt wird sodann das letzte Einteilungsglied aufgestellt. Das geschieht nun qua Synthese, das heißt durch Verknpfung der beiden ersten. Der „Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt“ (ebd.), erweitert und vollendet die Einteilung. Man muss sich allerdings vor dem Missverstndnis hten zu glauben, das dritte Moment wre uneigenstndig, sprich kein ursprngliches, sondern den anderen gegenber von minderem Rang. Dem ist ganz und gar nicht so. Wenn der Begriff auch die synthetische Einheit der beiden ersten Momente ausmacht, enthlt er doch etwas Neues und Zustzliches, was in diesen noch nicht enthalten war. Und das liegt jeweils in der Art und Weise, wie er beide miteinander kombiniert.402

399 Vgl. AA XXIV 925 ff. 400 Zum Konzept einer Konstruktion in reiner Anschauung vgl. KrV B XII, A 165/B 206, A 220 f./B 268, A 223 f./B 271, vor allem aber A 712 ff./B 740 ff. Siehe dazu Friedman, Michael: Kant and the Exact Sciences, Cambridge/London 1992, S. 55 – 164; Wolff-Metternich, Brigitta-Sophia von: Die berwindung des mathematischen Erkenntnisideals. Kants Grenzbestimmung von Mathematik und Philosophie, Berlin/New York 1995, S. 43 ff. und 140 ff. 401 Vgl. Prol. A 122 Anm. 402 Die Kritik ist daher unberechtigt, wonach die Trichotomie der Momente pro Titel keinem Prinzip folge. So etwa Kneale, William/Kneale, Martha: The Development of Logic, Oxford 1964, S. 355 f.

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Derselbe Gedanke findet sich bereits in der Kritik der reinen Vernunft. In §11, der fr die Zweitauflage von 1787 neu hinzugefgte wurde, stellt Kant im Anschluss an die metaphysische Deduktion einige berlegungen zur Tafel der Naturkategorien an. Deren zweite besagt: „Daß allerwrts eine gleiche Zahl der Kategorien jeder Klasse, nmlich drei sind, welches eben sowohl zum Nachdenken auffodert, da sonst alle Einteilung a priori durch Begriffe Dichotomie sein muß.“ (KrV B 110) Das hat seine Ursache darin, so Kant weiter, dass „die dritte Kategorie allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt“ (ebd.). Die Kategorientafel ererbt also auch diese Einteilungsmethode von der Urteilstafel, von der sie herkommt. Und Kant wehrt mit Entschiedenheit ab, dass „die dritte Kategorie ein bloß abgeleiteter und kein Stammbegriff des reinen Verstandes sei. Denn die Verbindung“, so seine Begrndung, „der ersten und zweiten, um den dritten Begriff hervorzubringen, erfodert einen besonderen Actus des Verstandes, der nicht mit dem einerlei ist, der beim ersten und zweiten ausgebt wird.“ (KrV B 111)403 Man darf nun folgerichtig erwarten, auch die Quadranten, in welche die Tafel der Freiheitskategorien zerfllt, in ihrem Inneren jeweils nach demselben Muster arrangiert zu finden. Wenn diese Tafel nmlich ebenso aus der so genannten Urteilstafel metaphysisch deduziert ist, muss sie nicht nur die gleiche Primrdifferenzierung in vier Quadranten aufweisen, es wird sich auch bei der Weitereinteilung jedes einzelnen Quadranten um eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen handeln mssen. Wir haben daher zu prfen, ob sich wirklich aus jedem Titel, will sagen aus den Begriffen der Quantitt, der Qualitt, der Relation und der Modalitt, durch Analyse zwei Einteilungsglieder herausbringen lassen und ob sich das dritte Moment je Quadrant als die Synthese dieser beiden darstellen lsst. Inwiefern kann man etwa die Kategorie der „Maxime“ als Bedingung auffassen zu der der „Vorschrift“ als Bedingtem und dann die Kategorie des „Gesetzes“ als deren Verbindung ansehen? Und lsst sich die Kategorie der „Ausnahme“ tatschlich als die synthetische Einheit der Kategorien des „Begehens“ und des „Unterlassens“ plausibel machen? Und wie verhlt es sich in den brigen Quadranten?

403 Siehe dazu auch Kants Brief an Johann Schultz vom 17. Februar 1784, wo er schreibt: „Die dritte Categorie nmlich entspringt zwar freylich durch die Verknpfung der ersten und zweyten, aber nicht blos durch Zusammennehmung, sondern eine solche Verknpfung, deren Mçglichkeit selbst einen Begrif ausmacht und dieser Begrif ist eine besondere categorie“ (AA XX 366).

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In beiden Ordnungsprinzipien zusammen erfllt sich die Forderung der Kategorientafel nach Vollstndigkeit. Die architektonische Gliederung der Tafel in vier Quadranten sowie die Einteilung jedes Quadranten in drei Momente will nichts Kontingentes an sich haben. Zwar artikuliert Kant diese Behauptung nicht mit derart unmissverstndlichen Worten, wie er das im Falle der theoretischen Kategorien getan hat. Doch wird man sie wohl allein schon an der Aussage ablesen drfen, wonach eine solche „nach Prinzipien abgefaßte Einteilung […] aller Wissenschaft, ihrer Grndlichkeit sowohl als Verstndlichkeit halber, sehr zutrglich“ (KpV A 118) ist. Denn auf diese Weise bersieht man, wie Kant sagt, „den ganzen Plan, von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist“ (KpV A 119). Kant muss den Gedanken der Vollstndigkeit indessen gar nicht eigens vorbringen. Denn das ist ein Erbe, das die Tafel der Kategorien der Freiheit unweigerlich von der so genannten Urteilstafel berkommen hat. Bereits das System der „logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen“ (KrV A 70/B 95) soll, so die erklrte Absicht, nichts unbercksichtigt lassen. Nichts an ihr sei zu viel, nichts zu wenig. Dasselbe gilt dann aber in der Folge notwendigerweise auch fr die beiden darauf sich aufpflanzenden Kategoriensysteme.404 Kants ambitionierte Behauptung, die Urteilstafel sei erschçpfend, hat Generationen von Autoren herausgefordert. Folgt man Martin Heidegger oder Herbert J. Paton, so hat Kant lediglich eine Beweislcke hinterlassen.405 Schon Kants Zeitgenosse Georg S. A. Mellin fragt in seinem Brief vom 12. April 1794: „Allen Verehrern der Critik, die ich noch gesprochen habe und mir selbst, liegt die Beantwortung der Frage auf dem Herzen; wie deducirt man die Vollstndigkeit der Tafel der Urtheile, auf der die Vollstndigkeit der Tafel der Kategorien beruhet“ (AA XI 479). Seit Salomon Maimon und Georg W. F. Hegel ist immer wieder die grundstzliche Frage aufgeworfen worden, woran sich denn die Vollstndigkeit dieser Tafel festmache, oder in Abrede gestellt worden, dass sich dies innerhalb des kantischen Denkansatzes beweisen lasse.406 Auf diese weitlufige Debatte 404 Vgl. KrV A XII, XX, XXI, A 64/B 89, A 67/B 92, A 69/B 94, A 79/B 105, A 80 f./B 106 f. und passim. 405 Vgl. Heidegger, Martin: Kant und das Problem der Metaphysik, Bonn 1929, S. 50 f.; Paton, Herbert J.: Kant’s Metaphysic of Experience, Bd. 1, a.a.O., S. 208. 406 Vgl. Maimon, Salomon: Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens (1794), Berlin 1912, S. 248 ff.; Hegel, Georg W. F.: Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil: Die Wissenschaft der Logik 1830, Frankfurt a. M. 19954, §§40 f.

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sich einzulassen, ist hier jedoch nicht der rechte Ort. Ich begnge mich damit festzustellen, dass das System der Freiheitskategorien einen Anspruch auf Vollstndigkeit anmeldet, dass aber ber die Berechtigung dieses Anspruchs an ganz anderer und viel frherer Stelle bereits vorentschieden ist. Alles steht oder fllt, je nachdem, ob es gelingt, die Idee von der Vollstndigkeit der so genannten Urteilstafel berzeugend darzutun.407 Noch ein Drittes ist schließlich zu bedenken. Das aber hat nichts mehr mit der zugrunde liegenden Urteilstafel zu tun, sondern betrifft nun das System der Freiheitskategorien selbst. Denn es bleibt noch Kants dunkle ußerung, wonach innerhalb der Kategorientafel ein Fort- bzw. bergang zu diagnostizieren sein soll. In dem Absatz unmittelbar vor der Tafel schreibt er, dass „diese Kategorien nur die praktische Vernunft berhaupt angehen“ und dass sie „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“ (KpV A 116). Und in dem Absatz direkt nach der Tafel ist von einem „bergang“ die Rede, und zwar „von praktischen Prinzipien berhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV A 118). Wie hat man das zu verstehen? Wo genau verluft diese Grenze, die wir im Durchgang durch die Tafel unweigerlich passieren mssen? Ist sie in jedem Quadranten aufs Neue anzutreffen? Oder nur ein einziges Mal beim Fortschreiten von irgendeinem der Quadranten hin zum nchsten? Immerhin vermerkt Kant, dass es erst „die Kategorien der Modalitt“ sind, welche den besagten bergang „einleiten“ (ebd.). Oder muss man vielleicht sogar beides annehmen? Meint „bergang“ gar nicht dasselbe wie „Fortgang“?408 Ineins damit sind die Unterschiede zwischen den Kategorien aufzuhellen, die Kants Rede von einem Fort- bzw. bergang unvermeidlich anzeigt. Die Grenzlinie, wie sie durch die Kategorientafel hindurchgehen soll, ist eine Grenze zwischen verschiedenen Arten von praktischen Kate407 Meilensteine der Kant-Forschung sind diesbezglich Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O. und Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O. 408 Was man sicherlich a limine ausschließen darf, ist die Vorstellung einer gradweisen Entwicklung, wie sie Ralf M. Bader aus den Ausdrcken ,bergang‘ und ,einleiten‘ heraushçren will (Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 805 Anm.). Diese Worte kçnnen im Deutschen zwar durchaus eine solche Konnotation besitzen. Jedoch scheint es mir ein ganz und gar unkantischer Gedanke anzunehmen, eine Kategorie kçnnte zu, sagen wir, 35 % moralisch bestimmt und zu den restlichen 65 % moralisch unbestimmt sein. Was sollte das heißen? Bader fhrt seinen Einfall dann auch nicht weiter aus.

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gorien. Whrend alle Kategorien der Freiheit als solche „nur die praktische Vernunft berhaupt angehen“, wie Kant notiert, trennt er diejenigen, die „moralisch noch unbestimmt“ bleiben, von solchen, die „bloß durchs moralische Gesetz bestimmt“ sind. Wie ist diese Differenz zu denken? Spricht Kant hier einer Zweiteilung des Kategorienspektrums das Wort? Die Kategorien, die „sinnlich-unbedingt“ sind und die Kant Kategorien „der Sittlichkeit“ nennt, gehçren sicherlich dem reinen Willen zu. Doch wie hat man jene aufzufassen, die Kant als „sinnlich-bedingt“ charakterisiert? Sind das Kategorien des empirischen Willens? Und die „von praktischen Prinzipien berhaupt“? Sind damit dieselben gemeint, oder kndigt Kant hier noch eine dritte Kategoriensorte an? Gibt es so etwas wie Kategorien des Willens berhaupt? Mit anderen Worten gefragt, werden in der Kategorientafel wirklich alle Kategorien „in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bçsen“ dargestellt, wie es die berschrift erwarten lsst? Wie soll dann aber ein Fort- bzw. bergang mçglich sein? Muss die metaphysische Deduktion dazu nicht vielmehr manche der Kategorien unter einem ganz anderen Gesichtspunkt herleiten, etwa dem der Begriffe des Wohls und bels? Oder entwickelt Kant vielleicht auch einige der Kategorien so, dass sie ganz und gar jenseits dieser Hinsichtenunterscheidung angesiedelt sind?

1. Die Freiheitskategorien der Quantitt (KpV A 118 f.) Die Tafel der Kategorien der Freiheit hebt mit der Klasse der Quantittskategorien an. Diese Kategorienklasse steht nicht nur grafisch an der Spitze der Tafel, Kant listet den Quadranten auch versehen mit der Nummer „1“ (KpV A 117) auf. Das ist bereits aus der Kritik der reinen Vernunft bekannt, denn sowohl die so genannte Urteilstafel wie auch die Tafel der Naturkategorien erçffnet mit demselben Titel und unter derselben Ziffer. Hier soll unsere Untersuchung einsetzen und dann Kants Nummerierung folgend fortgehen. Der erste Quadrant fhrt insgesamt drei Kategorien der Quantitt an. Welche sind das? Nun, das lsst sich gar nicht unmittelbar sagen, jedenfalls nicht so einfach, wie man erwarten mçchte. Denn hier begegnet eine erste Merkwrdigkeit: Anstatt, wie gewohnt, eindeutige und handliche Begriffe, die sich schnell ins Gedchtnis einprgen und auf Anfrage leicht wiedergeben lassen, gibt Kant dem Leser teilweise umstndlich anmutende wortreiche Formulierungen an die Hand, die sich durch qualifizierende Adjektive voneinander abheben sollen und die um Nachtrge in Klammern

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ergnzt sind. So lsst sich nicht a prima vista erkennen, was jeweils die Kategorie und was demgegenber nur erluternde Beigabe ist. Nehmen wir daher zunchst einmal Kants Angaben in ihrem bloßen Wortlaut auf. Auf der ersten Stelle steht „Subjektiv, nach Maximen“, auf der zweiten „Objektiv, nach Prinzipien“ und auf der dritten „A priori objektive sowohl als subjektive Prinzipien der Freiheit“; und in Parenthese ist dem jeweils hinzugefgt „Willensmeinungen des Individuums“, „Vorschriften“ und „Gesetze“ (ebd.). Kant lsst die Kategorientafel bedauerlicherweise nahezu vçllig unkommentiert, eine erfreuliche Ausnahme bildet allerdings die Klasse der Quantittskategorien. Zu dieser findet sich doch eine, wenn auch zugegebenermaßen ußerst kurze, richtungsweisende ußerung. Im Anschluss an die Exposition der Tafel, im allerletzten Absatz des Kapitels, ist zu lesen: „So weiß man z. B. aus obiger Tafel und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon man in praktischen Erwgungen anfangen msse: von den Maximen, die jeder auf seine Neigung grndet, den Vorschriften, die fr eine Gattung vernnftiger Wesen, sofern sie in gewissen Neigungen bereinkommen, gelten, und endlich dem Gesetze, welches fr alle, unangesehen ihrer Neigungen, gilt usw.“ (KpV A 118)

Allem Anschein nach sollen die Kategorien der Quantitt so etwas wie die subjektive Reichweite eines praktischen Urteils festlegen. Wie viele wollen dieses oder jenes? Bin ich allein mit dem, was ich begehre, oder kann ich die Absichten, mit denen ich mich trage, und die Zwecke, die ich verfolge, ber die Grenzen meines eigenen Willens hinaus erweitern und auch anderen Subjekten ansinnen? Und wenn ja, wie vielen? Manchen? Oder sogar jedem? Das scheint die Frage zu sein, auf welche die Quantittskategorien alle dem Menschen grundstzlich verfgbaren Antwortmçglichkeiten abstecken. Und whrend Maximen, so muss man Kants Ausfhrungen verstehen, eine nicht auf andere Personen ausdehnbare Bestimmung des Willens enthalten und nur ein einziges vernnftiges Subjekt betreffen, ist dies bei Vorschriften und Gesetzen durchaus mçglich; sie sollen von einigen bzw. sogar von allen endlichen Vernunftwesen Anerkennung reklamieren kçnnen.409

409 Vgl. Simon, Josef: Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 125; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 54 ff.; Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 807; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 211; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 599 ff.

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Das ist freilich alles andere als neu. Was sich hier in Erinnerung bringt, sind die Worterklrungen, die Kant schon im ersten Paragraphen der Kritik allen seinen weiteren berlegungen vorausgeschickt hat. Dem zufolge enthalten Maximen solche „Bestimmungen des Willens“, wie er dort schreibt, deren „Bedingung nur als fr den Willen des Subjekts gltig von ihm angesehen wird“ (KpV A 35). Gesetze hingegen beinhalten eine Willensbestimmung, deren Bestimmungsgrund „fr den Willen jedes vernnftigen Wesens gltig erkannt wird“ (ebd.). Und dazwischen rangieren Vorschriften. Sie hngen einerseits wie Maximen „von pathologischen, mithin dem Willen zufllig anklebenden Bedingungen“ (KpV A 37) ab, die man als solche „nicht in allen Subjekten in gleichem Grade voraussetzen“ (KpV A 38) kann. Aber anders als Maximen empfehlen Vorschriften eine Handlung als ntzliches Mittel zur Verwirklichung eines ersehnten Zwecks, so dass sie fr all diejenigen Subjekte Verbindlichkeit haben, welche den gleichen Zweck zu erreichen suchen. Beide Textstellen gehen darin d’accord, dass die unterschiedliche Geltungsreichweite von Maximen, Vorschriften und Gesetzen in dem jeweiligen Bestimmungsgrund des Willens wurzelt. Maximen nmlich „grndet“ jeder auf seine Neigung, wie Kant konstatiert. Eine Maxime beruht unmittelbar auf einem empirischen Gefhl der Lust oder Unlust, und das ist gerade nicht a priori bei allen Menschen das gleiche und wechselt sogar bei ein und derselben Person im Laufe ihres Lebens.410 Eine Vorschrift – Kant spricht auch von hypothetischen Imperativen411 – hat zwar in letzter Instanz dieselbe Voraussetzung, das jedoch nur indirekt. Was sich hier zwischenschaltet, ist das vorteilsmaximierende und Schaden abhaltende pragmatische Denken eines mit Vernunft begabten Lebewesens, das erlaubt, nahen und weiter entfernten Zielen unter Bercksichtigung bisheriger Erfahrungen so umsichtig und klug wie mçglich nachzugehen. So handelt es sich zuletzt ebenfalls um „dem Willen zufllig anklebende Bedingungen“, wie Kant schreibt, doch sprechen sich in Vorschriften Mçglichkeiten strategischen Vorgehens aus, die zumindest fr all jene 410 Vgl. Albrecht, Michael: Kants Maximenethik und ihre Begrndung, a.a.O., S. 131; Bittner, Rdiger: Maximen, a.a.O., S. 486 f.; Bubner, Rdiger: Handlung, Sprache und Vernunft. Grundbegriffe praktischer Philosophie, Frankfurt a. M 19822, S. 185 und 188; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 54; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 600; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 120; Simon, Josef: Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 125. 411 Vgl. KpV A 37, 47, 59 f., 110, 117, 118; MS A/B 19.

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Personen bindend sind, die „in gewissen Neigungen bereinkommen“.412 Ganz anders Gesetze. Gesetze – Kant nennt sie auch kategorische Imperative413 – haben berhaupt keine empirische, sondern stattdessen eine solche „Bedingung“, die in der reinen Vernunft selbst beschlossen liegt, und das ist die intelligible Idee transzendentaler Freiheit. Indem Gesetze auf ein Ordnungsprinzip reiner Vernunftsubjektivitt zurckgehen, sind sie fr jedes vernnftige Wesen verpflichtend.414 Mit der Auskunft, die Kant im Gefolge der Kategorientafel gibt und von der, wie wir sehen, bereits das ganze Unternehmen der Kritik ausgeht, scheint auch die Charakterisierung der Quantittskategorien mithilfe der subjektiv/objektiv-Distinktion zusammenzustimmen. Darin, dass Kant die erste Kategorie als „subjektiv“ qualifiziert, die zweite als „objektiv“ und die dritte als „objektiv sowohl als subjektiv“ leuchtet das Ordnungsmuster auf, das fr eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen typisch ist; die dritte Kategorie soll ganz offensichtlich aus der Verbindung der beiden ersten Kategorien hervorgehen. Doch was ist mit dieser Distinktion genau gesagt? Maximen sind nach Kant subjektiv, ja sie sind nur subjektiv. Diese Kennzeichnung, die sich in allen einschlgigen Schriften Kants zur praktischen und Moralphilosophie wiederfindet, ist im Sinne von individuell oder persçnlich zu nehmen. Subjektive Gltigkeit meint hier Privatgltigkeit, denn eine Maxime bleibt eben wesenhaft auf den Willen einer einzelnen Person restringiert.415 Dagegen sind Vorschriften und Gesetze objektiv. Erstere aber sind bloß objektiv, letztere hingegen sollen objektiv und subjektiv sein. Vorschriften gelten fr alle endlichen Vernunftsubjekte, jedoch nur dann, wenn diese zuflligerweise gewissen Handlungszielen 412 Vgl. Bittner, Rdiger: Hypothetische Imperative, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 34 (1980), S. 210 – 226; Downie, Robert S.: The Hypothetical Imperative, in: Mind 93 (1984), S. 481 – 490; Hill Jr., Thomas E.: The Hypothetical Imperative, in: The Philosophical Review 82 (1973), S. 429 – 450; Patzig, Gnther: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik, a.a.O.; Seel, Gerhard: Sind hypothetische Imperative analytische praktische Stze?, in: Hçffe, Otfried (Hg.): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar, Frankfurt a. M. 19932, S. 148 – 171; Staege, Roswitha: Hypothetische Imperative, in: KantStudien 93 (2002), S. 42 – 56. 413 Vgl. GMS A/B 39; KpV A 36; MS A/B 19. 414 Vgl. Patzig, Gnther: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik, a.a.O.; Willaschek, Marcus: Was ist ein praktisches Gesetz?, in: Proceedings of the Eights International Kant Congress, Bd. 2, Milwaukee 1995, S. 533 – 540; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 601. 415 Vgl. GMS A/B 15 Anm., 52, 60; KpV A 35, 49 und passim.

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zustreben. Fr alle etwa, denen gemeinsam ist, dass sie ihr Sinnen und Trachten darauf richten, um mit Kants berhmtem Beispiel zu sprechen, ihr Vermçgen durch alle sicheren Mittel zu vergrçßern, ist es ein Gebot der Klugheit, ein Depositum abzuleugnen, dessen Niederlegung ihnen niemand nachweisen kann.416 Bei Gesetzen fllt dieser Vorbehalt weg. Wie Kant in einer Fußnote der Grundlegungs-Schrift feststellt, ist „das objektive Prinzip (d.i. dasjenige, was allen vernnftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen wrde, wenn Vernunft volle Gewalt ber das Begehrungsvermçgen htte) […] das praktische Gesetz“ (GMS A/B 15). Sittliche Gesetze sind zugleich subjektiv notwendig, indem schlechthin alle Vernunftwesen unvermeidlich nach ihnen handelten, wenn die Vernunft fr sich allein den Willen bestimmte. Da dies bei endlichen Wesen wie dem Menschen nicht der Fall ist, nehmen Gesetze fr sie gegebenenfalls einen imperativischen Charakter an.417 Das subjektiv/objektiv-Schema, das Kant in die Kategorientafel mit aufnimmt, benutzt er demnach bereits vor und außerhalb der Tafel, um Maximen, Vorschriften und Gesetze gegeneinander abzuheben. Doch lsst sich dieses Schema wirklich fr eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen einspannen? Denn was soll im Fall von Gesetzen ,subjektiv‘ heißen? Gewiss nicht mehr das, was es im Fall einer Maxime heißt, nmlich so viel wie privatgltig. Von Gesetzen, wie Kant sie begreift, kann man das gerade nicht behaupten. Und weiter: Whrend die Subjektivitt einer Maxime deren Inhalt anbelangt, das heißt die Bestimmung des Willens, von der alsdann gilt, dass sie nur eine Person betrifft, soll die Subjektivitt des Gesetzes, wie wir gelesen haben, dessen Erfllungsweise betreffen, sprich die Ausfhrung des Willens, die, wenn wir reine Vernunftwesen wren, notwendig erfolgte. Verndert sich also der Sinn des Adjektivs ,subjektiv‘ von der ersten hin zur dritten Kategorie? Und was besagt schließlich ,objektiv‘? Um dieselbe Objektivitt wie bei Vorschriften kann es sich ebenfalls nicht mehr handeln. Wahrhaft parteilos und fr jedermann geltend sind nur Gesetze, Vorschriften indessen entfalten die stets einge416 Vgl. GMS A/B 37; KpV A 36 f. und passim. 417 „Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen eines solchen Wesens, die als objektiv notwendig erkannt werden, auch subjektiv notwendig […]. Bestimmt aber die Vernunft fr sich allein den Willen nicht hinlnglich, […] ist der Wille nicht an sich vçllig der Vernunft gemß (wie es bei Menschen wirklich ist): so sind die Handlungen, die objektiv als notwendig erkannt werden, subjektiv zufllig zufllig, und die Bestimmung eines solchen Willens, objektiven Gesetzen gemß, ist Nçtigung“ (GMS A/B 36 f.). Vgl. GMS A/B 102 f.; KpV A 38.

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schrnkte Allgemeinheit ihrer Herrschaft nur unter Voraussetzung individuell verhafteter Zwecksetzungen. Findet hier also auch unter der Hand eine Bedeutungsverschiebung des Adjektivs ,objektiv‘ statt? Wie aber ist so etwas mçglich? Eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen jedenfalls sieht das nicht vor. Eine weitere Sonderbarkeit liegt in der Wendung „Willensmeinung des Individuums“. Schon der Ausdruck „Willensmeinung“ stellt fr sich genommen keine gelufige Vokabel in Kants Theoriesprache dar. Er ist ganz im Gegenteil sogar im gesamten kantischen Œuvre nur noch an genau einer weiteren Textstelle nachweisbar, das allerdings ohne jede sachliche Sagkraft fr unseren gegenwrtigen Zusammenhang und berhaupt ohne Referenz auf die Kategorienthematik.418 Was also soll das sein, eine Meinung des Willens? Denkt man von der Sache her, wie sie sich in der gewçhnlichen Bedeutung dieser Worte spiegelt, lsst sich sagen, dass der Begriff des Individuums, um damit zu beginnen, Assoziationen weckt an etwas, was als Einzelnes dasteht und sich nicht ohne Weiteres verallgemeinern lsst. Was individuell ist an einem Menschen, bleibt allemal durch dessen Eigenart und die Verflochtenheit mit anderen Zgen seines Wesens so nachhaltig bestimmt, dass es kaum herauslçsbar und als gemeinsames Merkmal einer grçßeren Anzahl vorstellbar ist. Das In-dividuelle bezeugt sich dort, wo sich ein Zusammenhang nicht fein suberlich in seine Elemente zerlegen lsst, ohne dass diese einen Seinsverlust erleiden. Damit stimmt der Begriff der Meinung durchaus berein. Denn eine Mein-ung ist nicht nur formal je meine. Sie ist untrennbar von der konkreten Lebensgeschichte, von der Erziehung und Erfahrung einer Person, jedenfalls solange ihr das abgeht, was sie anderen gegenber unabweisbar macht. Eine bloße Meinung ist, die anderen zuzumuten ich keinen berechtigten Anlass habe. Ihr fehlt die Dignitt einer zwingenden Begrndung, weshalb sie in den Horizont meines eigenen Erlebens und Wahrnehmens gebannt bleibt. Bringt man beide Begriffe zusammen, wie das Kant in der Fgung „Willensmeinung des Individuums“ tut, ergibt sich folgendes Bild. Von einer Meinung des Willens zu reden, bedeutet, dass mein auf einen Gegenstand hin ausgerichtetes Wollen in sensu eminenti meines ist. Es lsst sich nicht von der Individualitt meines Daseins absondern und umstandslos einigen oder allen anderen Personen unterstellen. Eine Willensmeinung ist eine solche Bestimmung des menschlichen Willens, die auf Ursachen beruht, welche privat und von Individuum zu Individuum 418 Vgl. KU A 400/B 404.

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verschieden sind – und das sind keine anderen als subjektive Interessen und Neigungen. Ich gehe folglich davon aus, dass Kant mit seiner Rede von der „Willensmeinung des Individuums“ in der Tat einen anderen und erluternden Ausdruck anbietet fr das, was eine Maxime zum Inhalt hat, und das ist ein Wollen, das sich aus empirischen Gefhlen der Lust oder Unlust speist. Doch warum hat Kant den anderen beiden Kategorien nichts Entsprechendes beigesellt? Wenn eine Maxime die „Willensmeinung eines Individuums“ ausmacht, was ist dann der Gehalt einer Vorschrift und der eines Gesetzes? Was wre das jeweilige Pendant? „Meinen ist“, wie Kant in der Kritik der reinen Vernunft terminologisch festlegt, „ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv, als objektiv unzureichendes Frwahrhalten.“ (KrV A 822/B 850) Demgegenber ist Wissen ein Frwahrhalten, das sich auf der Basis guter Grnde jedermann gegenber auszuweisen vermag. „Endlich heißt das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Frwahrhalten das Wissen.“ (ebd.) Indes, man wird kaum formulieren wollen, Vorschriften und Gesetze enthielten ein Art ,Willenswissen‘. Das klingt fr deutsche Ohren nicht nur unnatrlich und gestelzt, die Dichotomie von Meinen und Wissen scheint auch und gerade der Sache nach vçllig unpassend, um die Trichotomie der Quantittskategorien zu erfassen. Der Unterschied zwischen Vorschriften und Gesetzen lsst sich durch den Unterschied von Meinung und Wissen gar nicht angemessen abbilden. berdies kann es sich bei der bertragung dieser Begriffe in das Feld des Praktischen nur um uneigentliche Rede handeln. Anders als im Theoretischen liegt ja das Herzstck alles Wollens und Handelns fr Kant gar nicht im Frwahrhalten, obschon ein bestimmtes Maß an Weltkenntnis damit freilich immer einhergehen muss. Bei nherem Hinsehen kommen in der Klasse der Quantittskategorien noch mehr Aufflligkeiten zum Vorschein. Da ist zum einen Kants klrungsbedrftige Verwendung der Prposition ,nach‘. Nicht nur, dass sie allein beim ersten und zweiten Moment zu finden ist, nicht aber beim dritten. Man mçchte doch auch wissen, wie das berhaupt gemeint sein soll, wenn Kant schreibt „nach Maximen“ und „nach Prinzipien“. Das Wort ,nach‘ kann in der deutschen Sprache mit Dativ verwendet werden und markiert dann entweder eine bestimmte rumliche Richtung, wie man etwa sagt ,nach oben‘ und ,von links nach rechts‘, oder eine zeitliche Nachfolge, beispielsweise in den Wendungen ,nach wenigen Minuten‘ und ,nach langem Hin und Her‘. Kant scheint hier allerdings einen anderen syntaktischen Gebrauch von der Prposition zu machen. Man kann nmlich auch in Abhngigkeit von bestimmten Verben sagen, dass man

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nach etwas greift oder dass man nach jemandem sieht. Was aber wre das, was nach Maximen oder Prinzipien geschieht? Handelt man danach? Oder bildet man seinen Willen nach ihnen? Beides macht keinen rechten Sinn. Denn auf der einen Seite kommt es bei den Kategorien, das wissen wir, nur darauf an, wie der Wille bestimmt wird. Wie sollte sich der abrupte bergang zum Thema des Handelns erklren? Und andererseits, auch das ist bereits bekannt, enthalten Maximen ebenso wie Vorschriften eine Bestimmung des Willens. Was sollte es also heißen, den Willen nach Maßgabe einer Maxime oder Vorschrift zu bestimmen? Kant bleibt die Antwort hierauf abermals schuldig. Des Weiteren ist der Nachtrag hçchst bemerkenswert, mit dem Kant die letzte Quantittskategorie auszeichnet und dadurch allen anderen gegenber in den Vordergrund rckt. Dieser Nachtrag lautet: „der Freiheit“ (KpV A 117). Praktische Gesetze sind in einem eigenen Sinn leges libertatis.419 Wir haben uns damit bereits eingehend auseinander gesetzt. Die berlegung war, dass Kant zwar der berschrift der Tafel zufolge smtliche Kategorien durchweg als „Kategorien der Freiheit“ aufgefhrt wissen will, dass er aber anscheinend die dritte Kategorie der Quantitt mit einer zustzlichen und besonderen Art von Freiheit in Zusammenhang bringt. Whrend sie in derselben Weise wie die ersten beiden Kategorien eine Freiheitskategorie darstellt, ist sie doch im Gegensatz zu diesen eine Kategorie, mit der ein zweiter, eminenter Begriff von Freiheit ins Spiel kommt. Und das ist die Vorstellung von Freiheit im transzendentalen Verstande, die als der Bestimmungsgrund des reinen Willens fungiert, wohingegen diejenige Freiheit, die auch dem empirischen Willen stets zu Eigen ist und sich in der Bezeichnung aller praktischen Kategorien als „Kategorien der Freiheit“ zur Geltung bringt, die Freiheit der Wahl ist, aus der jedes menschliche Handeln als ein solches entspringt.420 Man muss fernerhin zur Kenntnis nehmen, das Kant auch das im Plural stehende Substantiv ,Prinzipien‘ uneinheitlich einsetzt. Whrend er die zweite Quantittskategorie qualifiziert als „nach Prinzipien“ und die dritte beschreibt als „objektive sowohl als subjektive Prinzipien der Freiheit“, fehlt eine entsprechende Charakterisierung bei der ersten Quantittskategorie.421 Hat das etwas zu bedeuten? Muss man das vielleicht dahin 419 Vgl. KrV A 447/B 475, A 802/B 830; GMS A/B 128; KpV A 114, 115, 119, 120, 122, 224; AA XX S. 15; KU A LI/B LIV; Rel B 10 Anm.; MSR A/B 6, 33, 72. 420 Siehe oben Kapitel III.3. 421 Das sieht auch Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 143.

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gehend verstehen, dass Maximen als einzige keine Prinzipien sind oder nicht in den Status eines Prinzips erhoben werden kçnnen? Was aber wrde das genau besagen? Und wrde daraus etwas folgen? Auch dazu bezieht Kant keine Stellung. Im Hinblick auf ihren begrifflichen Gehalt jedenfalls sind praktische Urteile sicherlich nicht zwingend Grundstze. Indem Kant Vorschriften und Gesetze als „Prinzipien“ kennzeichnet, suggeriert er etwas dieser Art. Doch obwohl praktische Urteile wie alle Urteile hinsichtlich ihres Inhalts verschiedene Allgemeinheitsgrade aufweisen, deren bergnge fließend sind, bleibt ein praktisches Urteil doch stets, was es ist, eben ein praktisches Urteil, gleichgltig welchen Abstraktionsgrad es auch haben mag. Mithin kçnnen Gesetze, Vorschriften und Maximen, was den Gegenstand des Willens anlangt, Prinzipien sein, mssen dies aber nicht.422 Apropos Plural. Warum spricht Kant bestndig in der Mehrzahl? Warum ist von Maximen und von Vorschriften, von Gesetzen und von Prinzipien die Rede? Bringt sich dadurch etwas zum Ausdruck, was fr die Sache, um die es geht, entscheidend ist? Wie leicht zu sehen, werden auch die Kategorien des zweiten Quadranten, das heißt die Qualittskategorien, von Kant durchgehend im Plural angegeben. Da heißt es, wir greifen kurz vor, „Praktische Regeln des Begehens“, „Praktische Regeln des Unterlassens“ und „Praktische Regeln der Ausnahmen“ (ebd.). Dagegen verhlt es sich bei den brigen Kategorien, denen der Relation und denen der Modalitt, nicht so. Dort formuliert Kant jeweils im Singular. Warum ist das so? Kant lsst das ebenfalls offen. Man kann sich aber dieser Bedenklichkeit leicht entledigen, indem man davon ausgeht, dass die Quantittskategorien nicht selber Maximen oder Vorschriften, Gesetze oder Prinzipien sind, sondern dass sie vielmehr deren Bildung zugrunde liegen: Sie sind Begriffe, welche die Herausbildung von Maximen, Vorschriften und Gesetzen, ursprnglich ermçglichen. Das Trachten und Streben eines Subjekts, das ist wohl Kants Gedanke, kann sich nur deshalb in vielen verschiedenen praktischen Urteilen artikulieren, die doch darin bereinstimmen, dass sie allesamt Maximen sind, weil sich in ihnen ein und dieselbe Kategorie ausprgt; ebenso beruhen die inhaltlich unterschiedlichsten Vorschriften und Gesetze je auf einer einheitlichen Kategorie, die macht, dass die betreffenden praktischen Urteile gemeinsame Formeigenschaften aufweisen. Die Kategorien der Quantitt selbst sind mithin im Singular zu bestimmen: Es gibt eine Kategorie fr Maximen, eine fr Vorschriften und eine fr Gesetze. 422 Siehe oben S. 106.

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Da Kant in seine eigene Erluterung des ersten Kategorienquadranten ausschließlich die Begriffe Maxime, Vorschrift und Gesetz aufnimmt, wird man sicherlich unterstellen drfen, dass es sich dabei um die eigentlichen Kategorien handelt und dass alles andere demgegenber nur klrende Zugabe oder erluternde Paraphrase ist. Und das macht Sinn, denn diese Begriffe kennt der Leser bereits aus der Kritik der reinen Vernunft, sptestens seit der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten sind sie ihm wohlvertraut; und es sind eben diese Begriffe, wie wir uns berzeugt haben, in denen auch die Kritik der praktischen Vernunft von Beginn an denkt. Dieser berwltigenden Textevidenz folgend nehme ich daher an, dass die Kategorien der Quantitt namentlich anzugeben sind als, und zwar jeweils in der Einzahl: Maxime, Vorschrift, Gesetz. Die Kategorie, welche der Bildung von Maximen zugrunde liegt, ist der Begriff der Maxime, und die Kategorien, auf denen Vorschriften und Gesetze beruhen, heißen ihrerseits Vorschrift bzw. Gesetz. Indem Kant Theorievokabeln in der Kategorientafel verortet, die dem Leser gelufig sind, gibt er, das ist nun das Neue, deren kategorialen Rang zu erkennen. Die Begriffe der Maxime, der Vorschrift und des Gesetzes entdecken sich jetzt als Kategorien der Freiheit.423 Bleibt zu kontrollieren, ob sich die drei Quantittskategorien so, wie Kant sie anfhrt, tatschlich aus ihrem Ursprung im menschlichen Intellekt entwickeln lassen. Dazu ist ein Blick in die Kritik der reinen Vernunft nçtig. Die metaphysische Deduktion der Kategorien aus den zugrunde liegenden Urteilsfunktionen zu rekonstruieren, ist der einzige Weg, um sich Gewissheit hinsichtlich ihres genauen begrifflichen Gehalts zu verschaffen. Der erste Quadrant der so genannten Urteilstafel ist berschrieben mit „Quantitt der Urteile“ (KrV A 70/B 95). Kant spricht gleichbedeutend auch von „Grçße“ (KrV A 71/B 96).424 Unter diesem Titel sind nacheinander aufgelistet „Allgemeine“, „Besondere“ und „Einzelne“ (ebd.).425 Danach ist ein Urteil mit Bezug auf seine Quantitt entweder ein allgemeines bzw., wie Kant einmal sagt, ein „gemeingltige[s]“ (KrVA 71/B 96) Urteil, ein besonderes oder aber ein einzelnes. Das lsst sich leicht an einem Beispiel illustrieren. Nehmen wir etwa die Begriffe Mensch und sterblich; sie kçnnen, was die Quantitt des Urteils anbelangt, auf drei Weisen miteinander verknpft sein. Man kann vermittels ihrer entweder formu423 Vgl. Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck (57 – 71), a.a.O., S. 122. 424 Vgl. KrV A 74/B 100 und A 161/B 200. 425 Vgl. Prol. A 86.

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lieren ,Alle Menschen sind sterblich‘ oder ,Manche Menschen sind sterblich‘ oder schließlich ,Dieser Mensch ist sterblich‘.426 Fr die quantitas iudicii ist nach Kant ein besonderes Vermçgen des menschlichen Intellekts zustndig, nmlich der Verstand. Der Verstand ist das erste von insgesamt drei Teilvermçgen, in die Kant das obere Erkenntnisvermçgen gliedert. Er firmiert als das „Vermçgen der Begriffe“ (KrV A 160/B 199).427 In jedem Urteil muss unter anderem der Umfang der verwendeten Begriffe festgelegt werden, also die Anzahl der Objekte, die durch diese Begriffe gedacht werden. Und das ist die Leistung des Verstandes. Dass ein Urteil hinsichtlich seiner Quantitt spezifiziert ist, ist das Resultat seiner Ttigkeit. Wie Kant einseitig am Modell des kategorischen Urteils ausfhrt, besorgt er eine Quantifikation „dessen, was unter dem Begriff des Subjekts enthalten ist“ (KrV A 71/B 96). Der Verstand bezieht, allgemein gesprochen, die Vorstellungen des Urteils auf die logische Menge der Gegenstnde, die jeweils unter diesen Vorstellungen enthalten sind, und er quantifiziert diese Beziehung. Wie viele Elemente der jeweiligen Menge betrifft, was das Urteil aussagt? Kant zufolge ist der Extensionsbereich entweder uneingeschrnkt; das iudicium communia428 gilt fr alle Elemente. Oder der Geltungsbereich ist eingeschrnkt; das iudicium plurativum429 erstreckt sich auf einige Objekte, das iudicium singulare430 nur auf ein einziges.431 Die Einteilung der Quantitt der Urteile ist eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen.432 Die erste Stelle, das „Allgemeine“, fungiert als Bedingung, die zweite, das „Besondere“, stellt das Bedingte dar. Darin drckt sich der Gedanke aus, dass die Verkrzung des Geltungsbereichs einer Vorstellung auf einige Elemente eine Voraussetzung hat. Sie setzt den 426 Vgl. §21 der Jsche-Logik. 427 „Es wird aber das Wort Verstand auch in besonderer Bedeutung genommen: da er nmlich als ein Glied der Eintheilung mit zwei anderen dem Verstande in allgemeiner Bedeutung untergeordnet wird, und da besteht das obere Erkenntnißvermçgen (materialiter, d.i. nicht fr sich allein, sondern in Beziehung aufs Erkenntniß der Gegenstnde betrachtet) aus Verstand, Urtheilskraft und Vernunft“ (Anthr. A/B 115 f.) Vgl. KrVA 130/B 169; KU A/B III f., A/B XXI; AA XX 201. 428 Vgl. KrV A 71/B 96. 429 Vgl. Prol. A 84. 430 Vgl. KrV A 71/B 96. 431 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 61; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 143 f. 432 Zum Folgenden vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 170 f.

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Geltungsbereich der betreffenden Vorstellung in seiner Gesamtheit voraus, da nur so berhaupt sinnvoll von einer Einschrnkung die Rede sein kann. Und diese Opposition lsst sich, so Kant, allein durch Analyse des Begriffs der Quantitt eines Urteils gewinnen. Die dritte Stelle, das „Einzelne“, bildet sodann die Synthese von Bedingung und Bedingtem. Kant wendet sich damit gegen die formalen „Logiker“, welche „die einzelnen Urteile gleich den allgemeinen“ (KrV A 71/B 96) behandeln. In „einer vollstndigen Tafel der Momente des Denkens berhaupt“ verdienen sie jedoch gesonderte Stellen, denn der transzendentale Logiker erwgt ein Urteil nicht „nach seiner innern Gltigkeit“, sondern nach außen hin „als Erkenntnis berhaupt“ (ebd.). Und da zeigt es sich, dass die dritte Stelle etwas Eigenes enthlt, was sich nicht auf die beiden anderen zurckfhren lsst. Wird doch der Extensionsbereich einer Vorstellung als so weit verkleinert gedacht, dass darber hinaus keine weitere Verringerung mehr mçglich ist.433 Aus den Urteilsfunktionen leitet Kant die Kategorien der Natur ab. Das geschieht, indem er die Eigentmlichkeit des theoretischen Gebrauchs der Vernunft in Anschlag bringt. Die Naturkategorien sind eben jene Urteilsfunktionen, sofern sie real gebraucht und auf das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung angewandt werden. Die metaphysische Deduktion fhrt zu drei Kategorien, die Kant in der Kategorientafel unter dem Titel der „Quantitt“ (KrV A 80/B 106) bzw. der „Grçße“434, wie er sich bisweilen ausdrckt, zusammenstellt. Sie heißen der Reihe nach „Einheit“, „Vielheit“ und „Allheit“;435 letztere nennt Kant mitunter auch „Totalitt“ (KrV B 111)436 oder „universitas“ (KrVA 322/B 379)437. Was sie leisten, ist, die Quantitt eines theoretischen Urteils zu spezifizieren. Der Verstand wird nun aktiv, indem er die Vorstellungen im Urteil auf die Sphre der Erscheinungen bezieht, die jeweils unter diese Vorstellungen fallen, und 433 Da aus dem Blickwinkel der formalen Logik einzelne Urteile „gar keinen Umfang haben, kann das Prdikat derselben nicht bloß auf einiges dessen, was unter dem Begriff des Subjekts enthalten ist, gezogen, von einigem aber ausgenommen werden. Es gilt also von jenem Begriffe ohne Ausnahme, gleich als wenn derselbe ein gemeingltiger Begriff wre, der einen Umfang htte, von dessen ganzer Bedeutung das Prdikat gelte.“ (KrV A 71/B 96) Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 72 ff.; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 154 ff. 434 Vgl. KrV B 115, 162; KpV A 186. 435 Vgl. Prol. A 86. 436 Vgl. KrV A 322/B 379. 437 Vgl. KrV A 572/B 600 Anm.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

diese Beziehung bestimmt, das heißt, er quantifiziert die betreffenden Gegenstnde in Raum und Zeit, wie sie in der Erfahrung begegnen.438 Die Anordnung der Quantittskategorien untersteht gleichfalls dem Prinzip einer synthetischen Einteilung a priori aus Begriffen. Kant merkt dazu an, dass „die Allheit (Totalitt) nichts anders [ist] als die Vielheit als Einheit betrachtet“ (KrV B 111). Man hat das problematisch gefunden, und nicht ganz zu Unrecht. Wrde man doch intuitiv erwarten, dass die Kategorie der Allheit auf die allgemeine Urteilsfunktion und die Kategorie der Einheit auf die einzelne Urteilsfunktion zurckgeht.439 Hier lohnt es, die Prolegomena zurate zu ziehen. Kurz vor der Exposition der Urteils- und Kategorientafeln heißt es da in einer Fußnote: „Wenn ich aber von der Einheit (in einzelnen Urteilen) anhebe und so zur Allheit fortgehe […]“ (Prol. A 84). Demnach beruht die Kategorie der Einheit in der Tat auf der einzelnen und die Kategorie der Allheit entsprechend, obwohl Kant das nicht auch explicite mitteilt, auf der allgemeinen Urteilsfunktion. Allerdings werden die Quantittskategorien, wie nun ersichtlich wird, in umgekehrter Reihenfolge abgeleitet. „Dieses ist nçtig“, erklrt Kant, „wenn die logische Momente den reinen Verstandesbegriffen untergelegt werden sollen; im logischen Gebrauche kann man es beim Alten lassen.“ (Prol. A 85) Warum das nçtig ist, lsst Kant jedoch im Dunkeln. In allen anderen Quadranten der Kategorientafel jedenfalls hlt er sich an die durch die Urteilstafel vorgezeichnete Ordnung. Die Kritik der praktischen Vernunft bietet in diesem Punkt denselben eigenartigen Anblick. Auch hier, das wird nun durch die Gegenberstellung offenbar, entwickelt Kant die Quantittskategorien in entgegengesetzter Abfolge aus den Urteilsfunktionen des Intellekts. Denn die Kategorie der Maxime scheint sich, auch wenn sie an erster Stelle steht, eher von der einzelnen Urteilsfunktion abzuleiten, und die Kategorie des Gesetzes, die an dritter Stelle gesetzt ist, erweckt vielmehr den Eindruck, als grnde sie sich auf die allgemeine Urteilsfunktion. Sollen doch Maximen, wie Kant eigens erlutert, nur fr ein einzelnes und Gesetze fr alle vernnftigen Subjekte in Geltung sein. Die Grnde, warum es dennoch ebenfalls in der 438 Zu den quantitativen Naturkategorien vgl. Bçhme, Gernot: ber Kants Unterscheidung von extensiven und intensiven Grçßen, in: Kant-Studien 65 (1974), S. 239 – 258; Ders.: Quantifizierung als Kategorie der Gegenstandskonstitution. Zur Rekonstruktion der Kantischen Erkenntnistheorie, in: Kant-Studien 70 (1979), S. 1 – 16; Frede, Michael/Krger, Lorenz: ber die Zuordnung der Quantitten des Urteils und der Kategorien der Grçße bei Kant, in: Kant-Studien 61 (1970), S. 28 – 49. 439 Vgl. Longuenesse, Batrice: The Divisions of the Transcendental Logic and the Leading Thread (A 50/B 74-A 83/B 109; B 109 – 116), a.a.O., S. 155 f.

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Tafel der Freiheitskategorien zu einer solchen Umstellung kommt oder kommen muss, und das auch nur im Falle des ersten Quadranten, unterschlgt Kant einmal mehr.440 Die Aufstellung der quantitativen Freiheitskategorien muss sich gleichermaßen als eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen explizieren lassen. Wie Kant die Tafel vorlegt, ist die Kategorie der Maxime als die Bedingung zu nehmen zur Kategorie der Vorschrift als dem Bedingten, und die Kategorie des Gesetzes soll die synthetische Einheit beider darstellen. Dadurch erlangt die Einteilung Vollstndigkeit, eine weitere Kategorie kann es nicht geben.441 Doch wie soll man das erklrlich machen? Durch Kants bewusste Vertauschung der Kategorien und der in ihnen enthaltenen Urteilsfunktionen wird ja die Argumentation aus der ersten Kritik auf den Kopf gestellt. Es msste jetzt genau das Umgekehrte gelten, dass nmlich auf der einen Seite die Einschrnkung des Umfangs einer Vorstellung nur mçglich sein kann, wenn eine Extension vorausgesetzt wird, die von sich her bereits keine weitere Verminderung mehr gestattet; und dass andererseits die vçllige Uneingeschrnktheit der Sphre einer Vorstellung nur denkbar ist auf der Grundlage von partieller Begrenztheit. Wie aber wre dieser argumentative Widerspruch durchzuhalten? Das verblasst jedoch neben einer anderen, ungleich tiefer greifenden Merkwrdigkeit. Sptestens seit dem Vergleich mit den quantitativen Naturkategorien drngt die Abweichung auf Beachtung, die doch darin liegt, dass Kant die korrespondierenden Freiheitskategorien auf das Subjekt der praktischen Vernunft bezieht. Die Kategorien der Freiheit sollen die Menge derer quantifizieren, die etwas Bestimmtes begehren. Doch muss man hier nicht einhalten und verwundert zurckfragen, ob es sich dabei berhaupt um den begrifflichen Gehalt von Kategorien handeln kann? Hat 440 Lewis W. Beck will die Kategorie der Maxime und die der Vorschrift in der Kategorie des Gesetzes zusammendenken, das aber, indem er letztere befremdlicherweise „als Maximen fr Individuen“ charakterisiert. (Kants „Kritik der praktischen Vernunft“, a.a.O., S. 144) Als Fehleinschtzung muss auch gelten, dass Claudia Graband mit nivellierendem Impetus meint, der erste Kategorientitel wrde „drei Mçglichkeiten“ enthalten, „eine Maxime zu bilden“. (Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 56 f.) Genauso wenig kann man, wie erneut Beck anregt, Vorschriften in ihrer Selbstndigkeit beschneiden, indem man sie kurzerhand zu einer Spielart der Maxime degradiert und als „allgemeinmenschliche Maxime“ statt als „bloße Maxime“ begreift. (Kants „Kritik der praktischen Vernunft“, a.a.O., S. 143) 441 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 143 f.; Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O, S. 29.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

nicht die kantische Philosophie seit ihrer kritischen Wende eingeschrft, dass Kategorien als solche Gegenstandsbedeutung haben? Dass sie reine Begriffe von der Objektivitt der Vernunft sind? Begriffe also, welche die Mçglichkeit dessen konstituieren, worin das Denken eines intelligenten Wesens seine seinshaltige Erfllung finden kann? Und hat Kant nicht selbst das ganze Kapitel, in welchem er die Kategorienthematik verhandelt, mit der Definition dessen erçffnet, was er unter dem Begriff eines Gegenstandes der praktischen Vernunft versteht? Stellt sich auf diese Weise nicht die Beschftigung mit den Kategorien der Freiheit von vornherein unter das Vorzeichen, den Bedingungen der Objekte unserer praktischen Vernunft nachzudenken?442 Schließlich und endlich: Liegt es nicht wesenhaft im programmatischen Vorhaben einer transzendentalen Deduktion beschlossen, die objektive Realitt a priori von Begriffen darzulegen? Und hat sich Kant nicht, wie wir gezeigt haben, den Anforderungen einer solchen Deduktion in der Tat gestellt, wenn diesen auch leicht zu gengen war? Muss man die Freiheitskategorien daher nicht gerade als objektiv gltige Begriffe vorstellen?443 Die Sekundrliteratur hat, soweit ich sehen kann, an dieser Schwierigkeit bisher keinen Anstoß genommen. Theo Kobusch etwa schreibt, dass „die Kategorien der Freiheit nicht ,auf Anschauungen warten‘ [drfen], um Erkenntnisse zu werden oder um ,Bedeutung zu bekommen‘, d. h. objektive Realitt zu erhalten“444. Und noch einmal: „Die Kantische Rede von der ,objektiven praktischen Realitt‘ der Kategorien der Freiheit besagt […], daß diese selbst den Gegenstand als gewolltes Objekt ermçglichen und somit zum gewollten Objekt gehçren.“445 Auf der anderen Seite folgt Kobusch Kants eigener Auslegung der Quantittskategorien, wenn er interpretiert: „Danach ist die Handlung als ,Maxime‘ zu bestimmen, wenn sie gut fr das Individuum, als allgemeine praktische Vorschrift, wenn sie als gut fr viele Individuen und als ,Gesetz‘, wenn sie als gut fr das Vernunftwesen als solches angesehen wird.“446 Einmal also spricht Kobusch den Kategorien im Ganzen eine Geltung fr den Gegenstand des Willens zu, das andere Mal hingegen bezieht er die Kategorien der Quantitt auf das Willenssubjekt. Ganz hnlich steht auch Susanne Bobzien auf dem Standpunkt, dass Kant die „Objekte der praktischen Vernunft bestimmt 442 443 444 445 446

Siehe oben S. 40 und 123. Siehe oben Kapitel III.5. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 22. Ebd., S. 25. Ebd., S. 28.

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[…] als die mçglichen Gegenstnde des Begehrungsvermçgens durch Begriffe. Auf sie beziehen sich die Kategorien der praktischen Vernunft oder der Freiheit.“447 Mithin haben „die Kategorien der praktischen Vernunft praktische objektive Realitt“448. Andererseits jedoch wiederholt auch Bobzien mit Kant, dass das, was „bei den Quantittskategorien zur Debatte steht, […] allein der Aspekt der Quantitt, d.i. das (gut) fr einen, viele oder alle“449, ist.450 Außer in der Kritik der praktischen Vernunft hat Kant nirgendwo sonst die Begriffe Maxime, Vorschrift und Gesetz zu Kategorien der Freiheit deklariert. Er hat diese Einschtzung zu keinem Zeitpunkt wiederholt, weder direkt noch andeutungsweise, auch nicht in unverçffentlichten Vorarbeiten. Man ist folglich sehr weit davon entfernt, darin die letzte und verbindliche oder gar eine bleibende und konstante berzeugung Kants sehen zu drfen. Zu der Problematik, die damit verbunden ist, ußert sich Kant selbst mit keiner Silbe. Eventuell ist die Abweichung der Besonderheit der praktischen Vernunft geschuldet, doch sehe ich offen gesagt nicht, woran sich das festmachen ließe. Im Gegenteil sogar, sowohl das, was Kant seit der ersten Kritik in allen seinen Schriften unter Kategorie versteht, wie auch die Analogie speziell mit den Kategorien der Natur, des Weiteren Kants vorausgeschickte Erklrung, dass Freiheitskategorien Begriffe von einem Objekt der praktischen Vernunft sind, und schließlich die textliche Evidenz fr die Notwendigkeit und Durchfhrbarkeit einer transzendentalen Deduktion weisen in eine ganz andere Richtung. Dieser Unstimmigkeit kann man sich nicht gut entziehen. Um einer vollstndigen Interpretation willen erscheint es mir daher geboten, auch die Mçglichkeit einer alternativen metaphysischen Deduktion in Betracht zu ziehen. Wie htte diese andere Deduktion auszusehen? Die Kategorien der Freiheit sind, so haben wir uns in Auseinandersetzung mit Kants Bemer447 448 449 450

Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 194. Ebd., S. 198. Ebd., S. 211. Einige Interpeten machen um diese Schwierigkeit einen eleganten Bogen, indem sie den Kategorien von vornherein keine objektive Realitt zugestehen. Sie gehen stattdessen davon aus, dass die Freiheitskategorien sich nicht unmittelbar auf Gegenstnde, sondern dass sie sich auf die Handlungsmaximen bzw. praktischen Regeln eines Subjekts beziehen. So hindert zwar nichts, die Kategorien als Begriffe mit subjektiver Gltigkeit zu denken. Doch ist das nicht ein bis zur Unkenntlichkeit verzerrtes Kategorienverstndnis? Wollte man das innerhalb des kantischen Theoriegbudes wirklich noch Kategorie nennen? So etwa Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 801; Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 183.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

kungen vor und nach der Kategorientafel klar gemacht, dadurch zu entwickeln, dass die Urteilsfunktionen des Intellekts auf die Eigenart des praktischen Vernunftgebrauchs hin betrachtet werden, welcher darin besteht, das Begehrungsvermçgen durch die Vorstellung eines Gegenstandes zu bestimmen. Die Freiheitskategorien sind jene Urteilsfunktionen, insofern diese eine reale, und das bedeutet nun: eine Anwendung auf das von Kant so genannte Mannigfaltige der Begehrungen, haben. Im Falle des Quantittsquadranten erhielte man auf diese Weise drei Kategorien, die konsequent auf das Objekt der praktischen Vernunft bezogen wren. Sie bestimmten alsdann nicht die Anzahl derer, die etwas wollen, sondern die Anzahl dessen, was gewollt wird. Das heißt, sie quantifizierten die Inhalte des menschlichen Willens. Die leitende Frage lautete, auf wie viele Gegenstnde mein Wollen sich erstreckt: auf einen einzigen Fall der betreffenden Handlung, auf mehrere oder gar auf alle Flle. Will ich hier und jetzt, unter diesen Umstnden die Wahrheit sagen? Oder trage ich mich mit der weiter ausgreifenden Absicht, das auch in hnlichen Situationen zu tun? Oder habe ich gar den Vorsatz gefasst, immer und berall, jedem gegenber und in jeder Angelegenheit aufrichtig zu sein?451 Die Kategorien der Quantitt regulieren hiernach die objektive Reichweite eines praktischen Urteils. Es ist der Gegenstand, auf welchen das Begehren abzielt, der durch sie spezifiziert wird. Analog zu den Naturkategorien, die auf das Objekt der Erfahrung gehen, beziehen sie sich auf das Objekt des Willens. Die erste Quantittskategorie ist die Funktion eines singulren praktischen Urteils, die zweite die eines besonderen und die dritte Kategorie die eines allgemeinen praktischen Urteils.452 Und dahinter steht nach wie vor dasselbe Teilvermçgen des menschlichen Intellekts. Die Leistung der Quantifikation bleibt eine Aufgabe, fr deren Erledingung der Verstand verantwortlich zeichnet. Er bezieht die Begriffe im Urteil auf die Menge der Erscheinungen, die jeweils unter die Begriffe gehçren, Erscheinungen, die durch die Ausbung der Kausalitt des Willens in der Sinnenwelt zum Dasein gebracht werden kçnnen. Und er bestimmt diese Beziehung, will sagen, er legt die Hufigkeit der Handlungen fest, die das Subjekt intendiert.453 451 Vgl. Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 54 f. 452 In den Vorarbeiten zur Vorrede und Einleitung in die Metaphysik der Sitten ist von Kategorien die Rede, die da heißen „Principia Voluntatis Universale / Particulare / Singulare“ (AA XXIII 382). 453 Zur allgemeinen urteilstheoretischen Differenz von subjektiver und objektiver Quantitt eines Urteils, die besonders in der Kritik der Urteilskraft von heraus-

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So sehr praktische Urteile selbstverstndlich eine unterschiedliche subjektive Quantitt besitzen wie alle Urteile berhaupt und so fundamental auch die Begriffe Maxime, Vorschrift und Gesetz fr die kantische Moralphilosophie sind – im Anschluss an die hier vorgeschlagene Deduktion haben sie keine kategoriale Stellung. Dadurch sind sie wohlgemerkt nicht weniger wichtig fr die praktische Philosophie, sie werden nicht an den Rand gedrngt oder gar durch andere Begriffe ersetzt. Die berlegungen, mit denen die Kritik im „Ersten Hauptstck“ beginnt, mssen gerade, wie wir uns an frherer Stelle vergewissert haben, den Bestimmungsgrund des Willens und damit den Unterschied zwischen Maximen, Vorschriften und Gesetzen zum Thema machen. Ihre Begriffe sind und bleiben grundlegend fr das gesamte Projekt einer Kritik der praktischen Vernunft. Nur sind sie, wenn ich Recht habe, schlicht und ergreifend keine Kategorien, was Kant dort ja auch mit keinem Wort behauptet oder fr den Zweck der Argumentation unterstellen muss. Zwischen der subjektiven und der objektiven Quantitt eines praktischen Urteils sind sicherlich alle Kombinationen mçglich. Die Wesensart des Bestimmungsgrundes des Willens diktiert keineswegs von sich aus die Anzahl der Objekte, zu der der Wille bestimmt wird. Ein singulres praktisches Urteil muss nicht zwingend eine Maxime sein, ein besonderes praktisches Urteil keine Vorschrift und ein allgemeines praktisches Urteil kein Gesetz. Wenn ich aus Neigung und Interesse heraus die Wahrheit zu sagen mir vornehme, kann ich das fr einen besonderen Fall mir vornehmen, fr mehrere oder fr alle Flle. hnliches gilt beim freien Willen, was sich schçn anhand verschiedener Rechtspflichten in der Metaphysik der Sitten veranschaulichen lsst. Man denke etwa an das Eltern- oder das Hausherrenrecht, dem zufolge die Eltern gegenber dem Kind und der Hausherr gegenber dem Gesinde weisungsbefugt sind. Damit ist das Recht gemeint, Anweisungen zu geben, die zwar durchaus auf einen Einzelfall eingeschrnkt sein kçnnen, die aber nichtsdestotrotz verpflichtende Kraft entfalten, also den Charakter von praktischen Gesetzen haben.454 Desgleichen der „Ausspruch einer çffentlichen Gerichtsbarkeit“ (MSR A/B 139). Die Rechtsurteile eines Gerichtshofes betreffen als solche ragender Wichtigkeit ist, vgl. KrV A 820 ff./B 848 ff.; KpV A 102; KU A XLIV/B XLVI, A/B 23 f., A 73/B 74, A 133/B 134, A 140 f./B 142. Siehe dazu Allison, Henry E.: Kant’s Theory of Taste, a.a.O., S. 104 ff.; Fricke, Christel: Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, Berlin/New York 1990, S. 33 f.; Kulenkampff, Jens: Kants Logik des sthetischen Urteils, Frankfurt a. M. 1978, S. 71 f. 454 Vgl. MSR A/B 111 ff. und 115 ff.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

einen einzigen Fall, haben aber gleichwohl, wenn gewisse Bedingungen erfllt sind, moralische Verbindlichkeit fr den oder die Verurteilten. Und im Staat gehen schließlich auch Verwaltungsakte, also Maßnahmen der Exekutive, nicht selten auf einen konkreten Fall, ohne dadurch gegenber allgemein gehaltenen Anordnungen an sittlicher Kraft einzubßen.455 Wie Kant die Quantittskategorien deduziert, findet ein bergang innerhalb des ersten Quadranten statt. Von den Kategorien der Maxime und der Vorschrift, die offensichtlich Formen des empirischen Willens sind, geht es weiter zur Kategorie des Gesetzes, die eine Form des reinen Willens darstellt. Hier wre das Wort erfllt, wonach die Kategorien „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlichbedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“ (KpV A 116).456 Das rhrt daher, wie wir gesehen haben, dass Kant den Bestimmungsgrund des Willens mit einberechnet. Der Wille ist jeweils unter einer anderen Voraussetzung gebildet, im Falle von Maximen und Vorschriften unter der Bedingung eines Gefhls der Lust oder Unlust, im Falle von Gesetzen unter der Bedingung des Gedankens absoluter Freiheit. Und der Bestimmungsgrund des Willens, indem er in der metaphysischen Deduktion Bercksichtigung findet, bewirkt, dass die Kategorien der Quantitt als Formbestimmtheiten entweder des sinnlich bedingten oder des sinnlich unbedingten Willens abgeleitet werden. Mithin entwickelt Kant – entgegen der berschrift der Tafel, die eine gewisse Homogenitt in Aussicht stellt – nur die letzte Kategorie in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen, das heißt als eine Kategorie, die moralisch bestimmt ist, die ersten beiden Kategorien hingegen, so steht zu vermuten, unter dem Gesichtspunkt der Begriffe des Wohls und bels, will sagen als Kategorien, die moralisch unbestimmt sind. Diese Deutung ist jedoch keineswegs unwidersprochen geblieben. Einige Autoren haben ihre Haltbarkeit nachdrcklich in Zweifel gezogen und wider den Augenschein des kantischen Wortlauts bestritten, dass im ersten Quadranten ein bergang von einer Kategoriensorte hin zu einer anderen erfolgt oder berhaupt erfolgen darf. Im Hintergrund steht dabei die grundstzliche Frage, ob sich nach Kant ein derartiger Fortgang in jedem einzelnen Quadranten immer wieder aufs Neue wiederholt, oder ob man Kant nicht vielmehr dahin gehend verstehen muss, dass die in Rede 455 Vgl. MSR A 170 ff./B 200 ff. 456 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 144, 149; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 56 f.

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stehende Scheidelinie zwischen verschiedenen Typen an Kategorien quer durch die Kategorientafel hindurchgeht und nur ein einziges Mal zu berqueren ist, nmlich im Voranschreiten von einem Quadranten zum nchsten. Diese Auffassung findet durchaus ihre Berechtigung im Text, denn sie kann sich auf die zweite ußerung sttzen, die Kant in dieser Angelegenheit tut und der zufolge es erst „die Kategorien der Modalitt“ sind, die „den bergang von praktischen Prinzipien berhaupt zu denen der Sittlichkeit […] einleiten“ (KpV A 118). In diesem Sinne meinen etwa Robert J. Benton und Susanne Bobzien, dass die Quadranten eins bis drei ausschließlich sinnlich bedingte Kategorien befassen und dass allein die Kategorien des vierten Quadranten solche sein kçnnen, die sinnlich unbedingt sind.457 Die schwer lastende Hypothek dieser Auffassung besteht freilich darin, sich mit der Kategorie des Gesetzes, wie sie unter dem Titel der Quantitt zu finden ist, versçhnen zu mssen. Entgegen Kants blichem Sprachgebrauch und seiner ausdrcklichen Erluterung im Anschluss an die Tafel, muss die Gesetzeskategorie anstatt als sittliche als eine nichtsittliche Kategorie plausibel gemacht werden. Bobzien und Benton sind sich dann auch einig in dem Bemhen, Kant einen Denkfehler zu verweisen. Dieser bestehe darin, bereits das als Gesetz zu bezeichnen, was nur das quantitative Kriterium der Allgemeinheit erfllt, nicht aber auch das modale Kriterium der Notwendigkeit. „A law is always both universal and necessary“, wie Benton einwendet, „so that by putting the moral law under the heading of quantity Kant has abstracted from the law’s necessity and treated it only according to its universality.“458 Die Kategorie des Gesetzes sei daher nicht im strengen Sinne des Begriffs zu nehmen, vielmehr msse man den Gedanken zulassen, dass es fr Kant so etwas wie außermoralische Gesetze gebe. Diese Schlussfolgerung geht Ralf M. Bader zu weit. Es sei zwar in der Tat korrekt, so rumt er ein, dass die dritte Quantittskategorie lediglich die Extension von Gesetzen widerspiegelt, also deren Universalitt. „This, however, does not prevent this category from being sensibly unconditioned and determined by the moral law.“459 Bader appelliert, dass die Univer457 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 208 f.; Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 185 ff.; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 29. 458 Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 187. Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 210 f. 459 Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 808.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

salitt eines Gesetzes stets von besonderer Art sei, nmlich eine empirisch unbedingte, was durch die Kritik von Benton und Bobzien gnzlich unberhrt bleibe. Das Sittengesetz lege fest, dass „moral principles must hold for everyone and accordingly that moral principles are ,a priori objective as well as subjective principles of freedom‘. From this it follows“, so Bader weiter, „that the third category of quantity is determined by the moral law“460. Man kçnne daher Kants Gleichsetzung vom Moralitt und Gesetzlichkeit prinzipiell aufrechterhalten, auch wenn diese Gleichsetzung innerhalb der Kategorientafel lediglich auf die Quantitt einer Willensgesinnung abstelle und deren Modalitt unbercksichtigt lasse. Die vorstehende Kontroverse scheint mir indessen in der Luft zu hngen. Denn msste man nicht eigentlich viel frher ansetzen und erst einmal abklren, wie sich berhaupt zuverlssig ber die Bestimmung des begrifflichen Gehalts der Kategorien entscheiden lsst, aus denen sich der erste Quadrant zusammensetzt oder zusammensetzen sollte? Wie kann man sicher wissen, ob die Kategorie des Gesetzes, wo sie doch den Gesetzesbegriff nur zur Hlfte abzudecken scheint, moralisch unbestimmt bleibt, wie Benton und Bobzien glauben, oder doch moralisch bestimmt ist, wie Bader annimmt? Wir haben dem gerecht zu werden versucht, indem wir Kants allgemeiner Grundidee folgend hinter die Freiheitskategorien zurckgedacht und ihre ursprngliche Ableitung aus den Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts nachgezeichnet haben. Das hat uns allerdings berraschenderweise zu ganz anderen Ergebnissen gefhrt. Nach Maßgabe der oben skizzierten alternativen Deduktion vollzieht sich kein wie auch immer gearteter bergang innerhalb des ersten Quadranten. Die Quantittskategorien unterscheiden sich hier nicht in solche, die nur den einen, und in solche, die nur den anderen angehen: Kategorien entweder des empirischen oder des reinen Willens. Stattdessen sind alle Kategorien durchgngig von ein und derselben Art. Und das hat seine Ursache gerade darin, dass der Bestimmungsgrund des Willens nicht in der metaphysischen Deduktion zum Tragen kommt. Er fließt nicht in den begrifflichen Gehalt der Kategorien mit ein, weshalb die Kategorien der Quantitt, so verstanden, der Hinsichtenunterscheidung noch vorherliegen, die mit den Begriffen des Guten und Bçsen bzw. des Wohls und bels gegeben ist. Sie sind allesamt etwas, was man Kategorien des Willens berhaupt nennen kçnnte oder, mit Kant zu sprechen, Kategorien „von praktischen Prinzipien berhaupt“. Das heißt, sie betreffen das Wollen als solches, unbesehen seines jeweiligen Bestimmungsgrundes. Sie regeln die 460 Ebd.

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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Bildung sowohl des sinnlich bedingten als auch des sinnlich unbedingten Willens, indem sie allein auf dessen objektiven Wasgehalt gehen. Nach ihnen bemisst und legt sich nicht das Weshalb, sondern allein das Was des Begehrens fest, und das muss unausbleiblich bei jedweder Willensbestimmung geschehen.461

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt In der Tafel der Kategorien der Freiheit folgt unter der Ziffer „2“ (KpV A 117) die Klasse der Qualittskategorien. Diese Klasse bildet, wenn man die Tafel grafisch als ein auf der Spitze stehendes Quadrat ansieht, den linken Eckpunkt der Figur. Man zieht eine diagonale Linie vom ersten Kategorientitel nach links unten und gelangt so zum zweiten. Dieser Titel versammelt abermals genau drei Momente unter sich. Doch anstatt mit bndigen und markanten Begriffe aufzuwarten, wie man das von der so genannten Urteilstafel und der darauf aufbauenden Tafel der Naturkategorien her kennt, dehnt Kant sie erneut zu mehrteiligen Phrasen aus und ergnzt sie jeweils um einen Klammerzusatz. Anders als bei den Kategorien der Quantitt jedoch ist Kant diesmal offensichtlich auf eine strikte Gleichfçrmigkeit der Formulierungen bedacht. So notiert er an erster Stelle „Praktische Regeln des Begehens“, an zweiter Stelle „Praktische Regeln des Unterlassens“ und an dritter Stelle „Praktische Regeln der Ausnahmen“; und dem ist nacheinander in Parenthese hinzugefgt „praeceptivae“, „prohibitivae“ und „exceptivae“ (ebd.). Beginnen wir mit den lateinischen Adjektiven, die Kant jeder Kategorie beigibt. Dabei handelt es sich um Fachbegriffe der damaligen Schulmetaphysik. Das gilt vor allem fr die Ausdrcke „praeceptivae“ und „pro461 Vielleicht kann man sich hier die Differenz von Prdikabilien und Prdikamenten aus der ersten Kritik zunutze machen. Die „abgeleiteten und subalternen“ Verstandesbegriffe nennt Kant dort „Prdikabilien“, dagegen heißen die „ursprngliche[n] und primitive[n]“ Verstandesbegriffe „Prdikamente“ (KrV A 82/B 108). Letztere, und nur sie, sind die Kategorien (der Natur). Zwar findet diese Differenz in der Kritik der praktischen Vernunft keine namentliche Erwhnung. Doch kçnnte man die Kategorien der Freiheit, wie ich sie aufgestellt habe und wie sie sich auf das Objekt der praktischen Vernunft beziehen, als Prdikamente bezeichnen. Demgegenber wren die Begriffe Maxime, Vorschrift und Gesetz als Prdikabilien zu charakterisieren, denn sie setzen die Kategorien voraus und leiten sich von ihnen her, indem etwas Zustzliches Beachtung findet, und zwar der Bestimmungsgrund des Willens.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

hibitivae“, die unter anderem in der praktischen Philosophie von Christian Wolff und Alexander G. Baumgarten einschlgig sind. Sie gehçren in den Rahmen der Naturrechtslehre und tauchen dort in Verbindung mit dem Begriff des Gesetzes auf. Die Rede ist dann von der lex iuris praeceptiva und der lex iuris prohibitiva. Baumgarten etwa definiert: „Leges affirmative obligantes […] sunt praeceptivae, […] negative obligantes […] sunt prohibitivae“462. Und Wolff erklrt: „Das Gesetz der Natur nennt man ein Geboth, oder gebiethendes Gesetz (praeceptiva), welches uns verbindet, Handlungen auszuben; ein Verboth, oder verbiethendes Gesetz (lex prohibitiva), welches uns verbindet, Handlungen zu unterlassen“463. Im gleichen Atemzug ist aber noch ein Drittes zu nennen, nmlich die lex iuris permissiva. Sie bestimmt Wolff wie folgt: „eine Erlaubniß, oder ein erlaubendes Gesetz (permissiva), welches uns das Recht giebt, etwas zu thun, oder zu unterlassen.“464 Es wird demnach im Ganzen unterschieden zwischen Gebots-, Verbots- und Erlaubnisgesetzen. Diese Begriffe lassen sich auch in Kants Denken nachweisen. In seiner Schrift Zum ewigen Frieden beispielsweise stellt Kant zusammenfassend fest, nachdem er alle Prliminarartikel aufgelistet hat, welche die negativen Bedingungen des knftigen Friedens enthalten, dass es sich bei einem solchen Artikel nicht um ein „Gebot (leges praeceptivae)“, sondern um ein „Verbot (leges prohibitivae)“ (Frieden A/B 15 Anm.) handelt.465 Einige von ihnen sind allerdings, so Kant weiter, „von der strengen, ohne Unterschied der Umstnde geltenden Art (leges strictae), die so fort auf Abschaffung dringen“, andere dagegen sind „in Rcksicht auf die Ausbung derselben, durch die Umstnde, subjektiv fr die Befugnis erweiternd (leges latae)“ und enthalten „Erlaubnisse […], die Vollfhrung aufzuschieben“ (Frieden A/B 14). Es gibt folglich Gesetze, die denjenigen, dem sie etwas gebieten oder verbieten, obendrein mit der Befugnis ausstatten, die Umsetzung den 462 Baumgarten, Alexander G.: Initia philosophiae practicae. Primae acroamatice, Halle 1760, S. 32 f. (§68). 463 Wolff, Christian: Grundstzen des Natur- und Vçlkerrechts worin alle Verbindlichkeiten und alle Rechte aus der Natur des Menschen in einem bestndigen Zusammenhange hergeleitet werden, Halle 1754, S. 28 f. (§47). Siehe auch Ders.: Philosophia practica universalis (1738), Hildesheim/New York 1971, S. 166 ff. (§§210 ff.). 464 Wolff, Christian: Grundstzen des Natur- und Vçlkerrechts, a.a.O., S. 29 (§47). Siehe auch Baumgarten, Alexander G.: Initia philosophiae practicae, a.a.O., S. 33 (§ 68). 465 An anderer Stelle bezeichnet Kant die ersteren als „lex mandati“, die letzteren als „lex vetiti“ (MSR A/B 22).

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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Verhltnissen anzupassen und zu verzçgern, bis der rechte oder ein gnstigerer Zeitpunkt da ist. Solche Gesetze sind insofern keine engen, sondern weite Gesetze, wie sich Kant mit einer im Naturrecht des 18. Jahrhunderts gelufigen pflichtentheoretischen Unterscheidung ausdrckt. Und mit einem Terminus der deutschen Schulphilosophie nennt er sie „Erlaubnisgesetze (leges permissivae)“ (Frieden A/B 15 Anm.).466 Kant scheint sonach der Dreiteilung moralischer Gesetze grundstzlich beizustimmen, wie sie sich schon bei Baumgarten und Wolff findet. Ja, er bringt sogar das Selbstverstndliche, das darin liegen soll, eigens zur Sprache, wenn er in der gleichen Fußnote schreibt: „Ich habe hiemit nur beilufig die Lehrer des Naturrechts auf den Begriff einer lex permissiva, welcher sich einer systematisch-einteilenden Vernunft von selbst darbietet, aufmerksam machen wollen“ (Frieden A/B 16 Anm.). Fr die Sache der Freiheitskategorien allerdings erwachsen daraus Interpretationsschwierigkeiten. Nicht nur, dass Kant die systematische Unterscheidung, die mit den Wçrtern „praeceptivae“, „prohibitivae“ und „exceptivae“ aufleuchtet, in der Kritik der praktischen Vernunft kein weiteres Mal mehr erwhnt, er bietet dem Leser auch im Umfeld der Kategorientableaus keine Erluterung dieser so unversehens in das hçhere begriffliche Umfeld von Kategorien erhobenen Ausdrcke an. Dagegen fehlt dort, wo Kant sich ihrer bedient und dadurch eine Dreigliedrigkeit des gesamten Pflichtenspektrums anklingen lsst, jede erkennbare Bezugnahme auf die Kategorienthematik.467 Indem Kant naturrechtliche Traditionslinien aufnimmt und fortfhrt, stellen sich mit Blick auf die Kategorien der Freiheit zum Mindesten zwei Fragen. Man will einerseits wissen, ob damit bereits ausgemacht ist, dass die Qualittskategorien durchweg Begriffe des reinen Willens sind. Zeigen die dazugesetzten Adjektive „praeceptivae“, „prohibitivae“ und „exceptivae“ einen eindeutig moralischen Begriffsgehalt der Kategorien an? Sind die drei Kategorien der Qualitt zu verstehen als systematische Untereinteilung praktischer Gesetze? Annemarie Pieper zum Beispiel vertritt so eine Auffassung. Danach „fordern“ smtliche praktischen Regeln, und zwar die des Begehens als auch die des Unterlassens und der Ausnahme, „kategorisch“ – die einen, „sich jederzeit an Prinzipien zu halten, die dem Sittengesetz konform sind“, die anderen, „jene Prinzipien zu verwerfen, die den Text des kategorischen Imperativs nicht bestehen“, und die letzten schließlich fordern, „Prinzipien, deren Sittlichkeit außer Frage steht, nur dann zu466 Vgl. MSR A/B 22, 58, 105 f.; MST A 78 f., 124; AA XXVII 1422. 467 Vgl. auch MSR A/B 22.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

zulassen, wenn es dafr gute, d. h. ihrerseits sittlich zu rechtfertigende Grnde gibt“468. Andererseits ist zu klren, ob „exceptiva“ berhaupt dasselbe meinen kann wie das Baumgarten’sche und Wolff ’sche „permissiva“. Denn whrend das erstere bei Kant allein in der Kategorientafel begegnet und sonst nirgendwo mehr, verwendet er das letztere, wie gesehen, gleich an mehreren Textstellen und in unterschiedlichen Schriften. Ist also die Kategorie der „Ausnahme“, wie Kant im Deutschen schreibt, wirklich die Kategorie dessen, was als sittlich erlaubt gelten darf ? Einen Frsprecher findet diese Lesart unter anderem in Lewis W. Beck. Beck sieht in der dritten Kategorie die „Erlaubnis, von Regeln des Tuns oder Lassens eine Ausnahme zu machen“469. Durch sie wrden „Handlungen aus dem Bereich einer der beiden voranstehenden Regeln“470 ausgeschlossen. Und auch Bruno Haas versteht Ausnahme im Sinne einer moralischen Befugnis, vom Sittengesetz abzuweichen. Ausnahme sei gerade nicht eine simple „Zuwiderhandlung gegen das Gebot“471, vielmehr gebe es praktische Regeln, die gebçten, „was im Falle einer Ausnahme geschehen soll“472. Ist es da nicht sonderbar, dass der Begriff der Erlaubnis selber eine Kategorie der Freiheit darstellt? Dass er von Kant innerhalb der Kategorientafel aufgefhrt wird? Im letzten Quadranten jedenfalls lesen wir wortwçrtlich „Das Erlaubte“ (KpV A 117). Spricht also nicht gegen jede Mçglichkeit, Ausnahme und Erlaubnis begrifflich zu identifizieren, allein der schiere Umstand, dass erstere eine Qualitts- und letzere eine Modalkategorie ist? Ich meine schon. Beide werden kaum dasselbe bedeuten kçnnen. Was auch immer Ausnahme genau heißen mag, es wird nicht so viel heißen kçnnen wie Erlaubnis. Was aber dann? Eine weitere Aufflligkeit betrifft den Begriff der Regel, den Kant mit heranzieht, um die drei Qualittskategorien zu charakterisieren. Anstatt die Kategorien kurz Begehen, Unterlassen und Ausnahme zu nennen, wie man es vielleicht erwarten mçchte, ist da die Rede von praktischen Regeln, und zwar Regeln des Begehens, Unterlassens und der Ausnahmen. Daran ist nicht nur merkwrdig, dass Kant einmal mehr konsequent im Plural schreibt. Schon die Kategorien der Quantitt werden, wie wir im vorigen 468 Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 122. Siehe schon Dies.: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 149. Vgl. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 28. 469 Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 144. 470 Ebd. 471 Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 60. 472 Ebd., S. 61.

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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Kapitel erçrtert haben, durchgngig in der Mehrzahl aufgefhrt als „Maximen“, „Vorschriften“ und „Gesetze“ (KpV A 117). So stehen wir erneut vor der Frage, was es mit dieser Ausdrucksweise auf sich hat. Welchen sachlichen Unterschied macht es, ob man hier von Regeln spricht oder aber jeweils schlicht und einfach von einer Regel? Warum gibt Kant die Kategorien der Qualitt nicht wieder als Regel des Begehens, Regel des Unterlassens und Regel der Ausnahme? Damit wird eine weitere, vielleicht noch schwerer wiegende Nachfrage fllig. Denn warum verfllt Kant hier eigentlich auf den Regelbegriff ? Wieso denkt er die Qualittskategorien berhaupt als oder im Hinblick auf praktische Regeln? Weder der Text noch das Kategorienverzeichnis selber lsst das durchblicken. Auf der Grundlage dessen, was wir bereits diskutiert haben, sind hier zwei Mçglichkeiten vorstellbar. Auf der einen Seite kçnnte der Umstand, dass Kant im ersten Kategorienquadranten von Prinzipien und im zweiten Quadranten von Regeln spricht, glauben machen, Kant liebugelte hier mit einem aristotelisierenden Modell praktischer Syllogismen, wie es sich dem belehrten Auge in Grundzgen bereits in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten entdeckt. Es kçnnte so scheinen, als htte man es unter dem Titel der Quantitt mit dem Obersatz, unter dem Titel der Qualitt mit dem Untersatz und unter den brigen zwei Quadranten mit den restlichen Bestandstcken einer Schlussfigur zu tun, die allgemeine praktische Prinzipien auf die Situation, in der sich ein Handelnder befindet, anwendet und konkrete praktische Regeln hervorbringt. Doch haben wir uns aus mehreren Grnden gegen diese Lesart der Kategorientafel ausgesprochen. Die Kategorien der Freiheit sind keine Ordnungsregelmßigkeiten praktischer Syllogismen, unter ihrer Anleitung verknpfen sich nicht mehrere Urteile zu einem Schluss. Vielmehr sind sie in die Konstitution eines jeden praktischen Urteils involviert als die Formbestimmtheiten des Wollens von Gegenstnden berhaupt.473 Auf der anderen Seite haben wir dafr argumentiert, dass fr Kant alle praktischen Urteile den Charakter von Regeln haben. So wie alle Urteile Regeln sind, so sind praktische Urteile praktische Regeln; und der Wille ist das entsprechende Vermçgen dazu. Infolge dessen sollte es nicht verwundern, dass im Zusammenhang mit den Kategorien der Freiheit und sogar innerhalb der Kategorientafel der Regelbegriff anzutreffen ist – wenngleich natrlich die Frage bleibt, warum Kant nur im zweiten Quadranten ausdrcklich davon spricht. Doch hat die Deutung ihre ausweisbare Berechtigung, dass die Qualittskategorien nicht selber 473 Siehe oben Kapitel III.2.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

praktische Regeln sind, sondern dass sie wie alle anderen Kategorien auch deren Bildung betreffen: Sie sind Kategorien fr die Herausbildung praktischer Urteile, in diesem Fall fr solche praktischen Urteile, in denen sich ein Begehen, Unterlassen oder eine Ausnahme artikuliert. In diesem Sinn schreibt auch Claudia Graband: „Der Qualitt nach ist das, was die Kategorien als mçgliche Willensgesinnung produzieren, […] eine Regel, die sich das Subjekt zu eigen machen kann.“474 Ich gehe also davon aus, dass die Freiheitskategorien der Qualitt in den Begriffen gegeben sind: Begehen, Unterlassen, Ausnahme. Doch was ist damit gesagt? Ohne Zweifel sind alle drei Ausdrcke fest in der lebendigen Praxis der deutschen Alltagssprache verankert, wie man sich leicht vergegenwrtigen kann. Beim ersten schwingen dabei fr gewçhnlich abfllige oder missbilligende Untertçne mit. So sagt man, jemand hat eine Dummheit oder ein Verbrechen, Verrat oder Selbstmord begangen und meint damit, das Betreffende ist verbt oder durchgefhrt worden. Kant selbst spricht beispielsweise davon, dass die Gegner der Transzendentalphilosophie nolens volens gewisse Widersprche begingen475 oder dass es im Staat dem Volke nicht erlaubt sei, an der Regierung vorbei eigenmchtig Akte exekutiver Gewalt zu begehen.476 Dagegen ist ,unterlassen‘ weder positiv noch negative belegt. Jemand kann eine Sache sowohl aufgrund besserer Einsicht unterlassen als auch mahnend dazu aufgefordert werden mit den Worten ,Unterlass das bitte!‘. Unterlassen heißt dann so viel wie etwas, was getan werden kçnnte, nicht tun, darauf verzichten oder davon ablassen. Dieser Sprachgebrauch ist gleichfalls bei Kant zu finden, wenn er etwa schreibt, dass es manche Menschen Mhe koste, Gutes zu unterlassen, wozu sie einen inneren Antrieb verspren,477 oder dass ein Tter seine Lge htte unterlassen kçnnen.478 Bei der Ausnahme schließlich handelt es sich nicht wie bei den beiden vorigen Begriffen um ein substantiviertes Verb, anderenfalls Kant ,Ausnehmen‘ htte notieren mssen. Eine Ausnahme aber ist ein Sonderfall, die Abweichung von einer Regel. Man kndigt zum Beispiel an, eine Ausnahme machen zu wollen, oder bittet um Nachsicht mit der Entschuldigung, es wre nur eine Ausnahme und kme bestimmt nicht wieder vor. In diesem Sinne formuliert auch 474 Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 57. Siehe auch Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 144. 475 Vgl. KpV A 181 f. 476 Vgl. MSR A 181/B 211. 477 Vgl. Grçßen A 28. 478 Vgl. KrV A 556/B 584.

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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Kant an anderen Stellen, dass die durch Induktion erreichte Allgemeinheit lediglich besage, dass sich, so viel wir bisher wissen, von dieser oder jener Regel keine Ausnahme findet,479 dass eine gewisse Regel keine Ausnahme duldet480 und dass eine Pflicht keine Ausnahme zum Vorteil der Neigung verstattet.481 Indem Kant den Begriffen des Begehens, Unterlassens und der Ausnahme den Rang von Kategorien verleiht, misst er ihnen eine ber das gemeine Sprachverstndnis hinausgehende fundamentale Rolle in seiner praktischen Philosophie zu. Zwar hat er sie, so weit ich sehen kann, nur ein einziges Mal als Kategorien apostrophiert, nmlich in der Kategorientafel, doch kçnnte sich dieser Zug ins Grundstzliche bereits darin widerspiegeln, dass Kant nicht selten die Entgegensetzung von Begehen und Unterlassen bemht, wenn es darum geht, allgemein zu bestimmen, worauf sich die Absicht eines handelnden Wesens richtet. Danach, so scheint es, tut man entweder etwas, oder man lsst es, indem man handelt.482 Das gilt nicht minder fr das, was Pflicht uns gebietet. Wie Kant sich des fteren ausdrckt, legen Pflichten a priori fest, was endliche Vernunftsubjekte wie der Mensch tun und was sie lassen sollen. Es gibt „Begehungspflichten“ und „Unterlassungspflichten“ (MST A 67).483 Ferner unterscheidet Kant innerhalb der Moralphilosophie zwischen einer sittlichen Verfehlung, die in dem Begehen einer Tat, und einer, die in dem Unterlassen einer Tat liegt, zwischen „Begehungssnden“ und „Unterlassungssnden“484, wie er es einmal nennt. Hingegen lsst der Begriff der Ausnahme, wie Kant ihn normalerweise verwendet, seinen grundlegenden Stellenwert fr den Bereich des Praktischen gar nicht erkennen. Was sich hufig findet, sind allein Wendungen der Art, dass die Verbindlichkeit eines praktischen Gesetzes keine Ausnahme verstatte, was aber fr unseren gegenwrtigen Problemzusammenhang keine Aussagekraft besitzt.485 Was also bedeuten die Kategorien der Qualitt im Einzelnen? Was genau ist ihr begrifflicher Gehalt? Das lsst sich nur mit Sicherheit he479 480 481 482

Vgl. KrV B 3 f. Vgl. Prol A 105. Vgl. GMS A/B 53 Anm. Vgl. Grçßen A 26 ff.; KrV A 803/B 831; GMS A/B 22; Frieden A 68/B 73; MSR A/B 4 f., 8 und passim 483 Vgl. KrV A 807/B 835, A 841/B 869; GMS A/B 6, 25, 37, 80 Anm., 114 f.; MSR A/B 21 f., 22; MST A 90 Anm.; Rel. A/B VII, A 138/B 145, A 255/B 271 und passim. 484 Grçßen A 28. 485 Vgl. GMS A/B 28, 58; KpV A 50, 64; Lgen A 314 und passim.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

rausbringen, indem man den Weg, welchen Kant bei ihrer metaphysischen Deduktion gegangen ist, nachgeht und die Kategorien aus den entsprechenden Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts entwickelt. In der Kritik der reinen Vernunft trgt der zweite Quadrant der so genannten Urteilstafel die berschrift „Qualitt“ (KrV A 70/B 95). Das ist elliptisch fr Qualitt der Urteile. Unter diesem Titel zhlt Kant auf „Bejahende“, „Verneinende“ und „Unendliche“ (ebd.).486 Das heißt, ein Urteil ist im Hinblick auf seine Qualitt entweder ein bejahendes Urteil oder ein verneinendes oder ein unendliches. Um Kants eigenes Beispiel zu zitieren, kçnnen die Begriffe Seele und sterblich auf drei Arten miteinander verbunden sein: ,Die Seele ist sterblich‘, ,Die Seele ist nicht sterblich‘ und ,Die Seele ist nichtsterblich‘.487 Und dafr ist das zweite von insgesamt drei Teilvermçgen des Intellekts verantwortlich, die Urteilskraft. Wie Kant sie charakterisiert, ist die Urteilskraft das „Vermçgen, unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe“ (KrV A 132/B 171).488 In einem jeden Urteil ist unter anderem ber die Beschaffenheit der Gegenstnde entschieden, ber die das Urteil etwas aussagt. Wird das, was durch die eine Vorstellung des Urteils gedacht wird, auch durch die andere Vorstellung gedacht? Auf diese Frage reagiert die Urteilskraft. Ihrer Ttigkeit verdankt sich die qualitas iudicii. Die Urteilskraft bezieht die Elemente, die zum logischen Umfang des einen Begriffs gehçren, auf den anderen im Urteil verknpften Begriff, und sie qualifiziert diese Beziehung. Sie bejaht im iudicium affirmans, sie verneint im iudicium negans, und im iudicium infinitum bejaht sie die Verneinung.489 Die Einteilung der Qualittsmomente eines Urteils fllt trichotomisch aus, weil es sich um eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen handelt.490 Die erste Stelle, das „Bejahende“, ist die Bedingung zur zweiten Stelle, dem „Verneinenden“, als dem Bedingten. Wenn der Gegenstand, der in die Sphre der einen Vorstellung des Urteils fllt, auf die andere Vorstellung des Urteils bezogen wird, dann kann diese Beziehung – das soll nach Kant eine analytische Einsicht in den Begriff der Qualitt eines Urteils sein – entweder affirmiert oder negiert werden. Dem Objekt wird ein 486 487 488 489

Vgl. Prol. A 86. Vgl. KrV A 72 f./B 97 f. Siehe auch §22 der Jsche-Logik. Vgl. KrV A 130/B 169; Anthr. A/B 115 f.; KU A/B III f., A/B XXI; AA XX 201. Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 61; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 144 f. 490 Zum Folgenden vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 171 f.

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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Merkmal entweder zugeschrieben, oder es wird ihm aberkannt. Und nach Kant ist es die Negation, die unter der Voraussetzung der Affirmation steht. Damit ist natrlich nicht der tatschliche Vollzug von Handlungen des Denkens gemeint. Die These ist nicht, dass man erst ein bejahendes Urteil fllen muss, bevor man ein verneinendes Urteil sonst gleichen Inhalts fllen kann. Der Punkt betrifft vielmehr die systematische Ordnung der Funktionen des Intellekts. Die Verneinung (ist nicht x) setzt die Bejahung (ist x) deswegen voraus, weil sie dieser gegenber etwas Neues hinzufgt, wie Kant meint, nmlich „das Wçrtchen: Nicht“ (KrV A 574/B 602).491 Die dritte Stelle, das „Unendliche“, schließt alsdann Bedingung und Bedingtes zu einer synthetischen Einheit zusammen. Kant bezieht damit abermals Position gegen die formale Logik, denn diese zhlt die unendlichen Urteile den bejahenden bei. Indem sie „von allem Inhalt des Prdikats (ob es gleich verneinend ist)“ abstrahiert und nur darauf achtet, „ob dasselbe dem Subjekt beigelegt, oder ihm entgegengesetzt werde“ (KrV A 72/B 97), gelangt sie zu der nach Kant irrigen Ansicht, alles Urteilen bestehe allein darin, Prdikate entweder zuzusprechen oder abzusprechen.492 Anders die transzendentale Logik. Sie behandelt das unendliche Urteil als ein eigenstndiges Glied der Einteilung. Denn sie „betrachtet das Urteil“, so fhrt Kant aus, nach dem „Inhalt dieser logischen Bejahung vermittelst eines bloß verneinenden Prdikats, und was diese in Ansehung des gesamten Erkenntnisses fr einen Gewinn verschafft“ (KrV A 72/B 97). Im infiniten Urteil ist sowohl eine Bejahung als auch eine Verneinung zu finden. Was bejaht wird, das ist die Kopula, was verneint wird, ist das Prdikat (ist nicht-x). Dadurch wird eine „Ausnahme“ (KrV A 72/B 98) behauptet. Es wird behauptet, dass der Gegenstand, der zur Extension des 491 „Nun kann sich niemand eine Verneinung bestimmt denken, ohne daß er die entgegengesetzte Bejahung zum Grunde liegen habe.“ (KrV A 575/B 603) Vgl. Heimsoeth, Heinz: Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Bd. 3, Berlin 1969, S. 413 – 459; Henrich, Dieter: Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit, Tbingen 1960, S. 139 ff.; Wundt, Max: Kant als Metaphysiker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1924, S. 238 ff. Eine hnliche Auffassung findet sich bereits in Aristoteles De Interpretatione. Dort liest man, dass das affirmative Urteil logisch frher sei (pq_tor) als das negative Urteil: 5sti d³ eXr pq_tor kºcor !povamtij¹r jat²vasir, eWta !pºvasir. (De int. 5, 17a8 f.) 492 So etwa bei Georg F. Meier: „Die Beschaffenheit der Urtheile […] besteht in ihrer Bejahung und Verneinung.“ (Auszug aus der Vernunftlehre, Halle 1752, S. 82 (§294)) Siehe auch Wolff, Christian: Vernnftige Gedanken von den Krften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis und Wahrheit (1713), Hildesheim/Zrich 1978, S. 156.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

einen Begriffs im Urteil gehçrt, außerhalb der Extension des anderen Begriffs liegt. Dieser Raum aber ist unendlich. Es bleibt gerade unausgemacht, was der betreffende Gegenstand stattdessen ist. Gesagt wird nur, dass er aus der Sphre der einen Vorstellung ausgenommen ist und zur Sphre einer anderen Vorstellung gehçrt, unbestimmt welcher.493 Aus jeder Urteilsfunktion leitet Kant eine Naturkategorie her. Die metaphysische Deduktion liefert drei Kategorien, die in der Kategorientafel unter dem Titel der „Qualitt“ (KrV A 80/B 106) aufgelistet sind. Der Reihe nach sind das „Realitt“, „Negation“ und „Limitation“ (ebd.); letztere gibt Kant auch mit dem deutschen Wort „Einschrnkung“ (KrV B 111) wieder.494 Was diese Kategorien reglementieren, ist die Spezifikation der Qualitt theoretischer Urteile. Es sind nun Gegenstnde in Raum und Zeit, woraufhin sich die Urteilskraft bettigt. Sie bezieht die Erscheinungen, die zum Umfang der einen Vorstellung gehçren, auf die andere Vorstellung des Urteils, und sie bestimmt diese Beziehung. Das heißt, sie entscheidet darber, wie die Objekte unserer Erfahrung beschaffen sind. Und die Ordnung, mit der Kant die Qualittskategorien vorlegt, folgt als Konsequenz ihrer Herkunft ebenfalls dem Muster einer synthetischen Einteilung a priori aus Begriffen. Kant spricht es selber aus, dass „die Einschrnkung nichts anders als Realitt mit Negation verbunden“ (ebd.) ist.495 Auf die gleichen Funktionen grndet sich auch jeweils eine Kategorien der Freiheit. Die drei Qualittskategorien entspringen denselben Urteilsfunktionen. Auf diese muss daher erst zurckgehen, wer zu einer nachvollziehbaren Bestimmung des begrifflichen Gehalts der Kategorien vordringen mçchte. Doch zuvor hat man sich zwei grundstzlichen Fragen zu stellen, die nicht schon durch den bloßen Rekurs auf die so genannte Urteilstafel erledigt sind, deren Beantwortung aber ausschlaggebend ist fr die Verlaufsrichtung der metaphysischen Deduktion. Folgt man Josef Simon, so wird unter dem Titel der Qualitt der „Unterschied des Handelns oder Nichthandelns“496 thematisch. Begehen heißt Handeln, Unterlassen meint Nichthandeln. Doch, so muss man nachhaken, wo bleibt dabei die dritte Kategorie? Wie soll neben Handeln 493 Vgl. AA XXIV 930. Siehe dazu Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 73 ff.; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 157 ff. 494 Vgl. Prol. A 86. 495 Zu den qualitativen Naturkategorien vgl. Bçhme, Gernot: ber Kants Unterscheidung von extensiven und intensiven Grçßen, a.a.O.; Maier, Anneliese: Kants Qualittskategorien, Berlin 1930, S. 38 – 73. 496 Simon, Josef: Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 125.

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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und Nichthandeln noch Raum sein fr Weiteres? Wie passt der Begriff der Ausnahme in das Panorama dieser anscheinend binren Opposition? Die Methode jedenfalls, nach der eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen verfhrt und die ja aufgrund des Ursprungs der Kategorientafel auch hier wirksam sein muss, bewegt sich gerade nicht in kontradiktorischen Gegenstzen. Eine derartige Einteilung wre vielmehr analytisch; sie unterstnde allein dem „Satze des Widerspruchs“ und wre „jederzeit zweiteilig“, wie es aber Kant zufolge in der „reinen Philosophie“ (KrV A LV/B LVII Anm.) gerade nicht mçglich sein soll. Die Kategorie des Begehens muss vielmehr als Bedingung fungieren zur Kategorie des Unterlassens, die das Bedingte ausmacht, und die Kategorie der Ausnahme muss deren synthetische Einheit darstellen.497 Simons Deutung lebt von der Vorstellung, dass dasjenige, was durch die Kategorien des Begehens und Unterlassens bejaht bzw. verneint wird, die Willensbestimmung als Ganze sei. Und das in dem wçrtlichen Sinn, dass man eine bestimmte Absicht entweder verfolgt oder nicht verfolgt. So reden wir natrlich im alltglichen Umgang mit anderen, wenn wir beispielsweise sagen, dass jemand vorhat, Physik zu studieren, oder aber, dass es ihm gar nicht einfllt, ein naturwissenschaftliches Studium aufzunehmen. Die Kategorien der Qualitt wren dann das philosophische Fundament dieser Redeweise. Der Begriff des Begehens besagte, dass man etwas will, der des Unerlassens, dass man es nicht will. Denn nur der Wille, den ein Subjekt nicht hat, kann klarerweise auch nicht realisiert werden. Er kann zu keiner Handlung fhren, von nichts kommt ja nichts. Was sich in der ußeren Welt ereignete, wre alles, nur keine zurechenbare Handlung, es wre eben eine „Nichthandlung“, mit Simon gesprochen. Das aber ist ganz und gar nicht Kants Meinung. Unterlassen heißt nicht einfach nicht handeln. Wie andere Interpreten richtig sehen, darunter Susanne Bobzien, Claudia Graband und Gerhard Schçnrich,498 ist das Gegenteil von unterlassen fr Kant nicht handeln, sondern begehen. Unterlassen und Begehen einer Handlung ist gleichermaßen etwas, was wir begehren kçnnen. Man handelt auch dann, wenn man etwas unterlsst. Eine solche Handlung

497 Vgl. Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O, S. 29. 498 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 206; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 57; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 262.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

heißt Unterlassungshandlung. Sie ist besonders von strafrechtlicher Relevanz, man denke nur an Omissivdelikte wie unterlassene Hilfeleistung.499 Eine hnliche Auffassung schlgt in Claudia Grabands Interpretation der dritten Qualittskategorie durch. Danach komme der Begriff der Ausnahme immer dann zum Einsatz, wenn verschiedene „Regeln kollidieren“500. In einer solchen Situation nmlich sei abzuwgen, so Graband, „welcher der in ,Konkurrenz‘ stehenden Regeln der Vorrang gegenber der anderen zu gewhren ist“501. Ich mag mich etwa dazu entschließen, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit hier und heute bei Rot ber die Ampel zu fahren, weil ich dadurch einen drohenden Auffahrunfall mit dem Auto hinter mir vermeiden kann, das aufgrund seines hohen Tempos und trotz Vollbremsung voraussichtlich nicht mehr rechtzeitig zum Stehen kommen wird. „Ausnahme bedeutet in diesem Sinn die Einschrnkung einer Regel durch eine andere.“502 Das mag gewiss zunchst einleuchtend sein, denn das bezeichnet man ja als Ausnahme, dass man vom blichen abweicht. Doch htten die Kategorien alsdann wohl eher eine regulative Aufgabe. Sie regulierten das Verhltnis unter unseren vielen Wollungen, wozu auch der sicherlich nicht seltene Fall gehçrt, dass diese einmal unvereinbar sind und sich hinsichtlich ihrer Verwirklichung gegenseitig ausschließen. Die dritte Kategorie sorgte fr Ausgleich, indem sie eine Regel, die man sich gemacht hat, zugunsten einer anderen einschrnkt. Doch ist das wirklich das Geschft der Kategorien? Besitzen die Kategorien der Freiheit nicht vielmehr eine konstitutive Funktion? Konstituieren sie nicht jede einzelne Wollung fr sich genommen? Das heißt, liegen sie nicht am Grunde des Wollens von 499 Eine Unterlassungshandlung besitzt also keinen niedrigeren moralischen Stellenwert. Wie jede andere Tat (factum) kann sie Personen als deren Urheber zugerechnet werden. Zur Imputabilitt von Handlungen, die Kant zufolge das Sittengesetz stiftet, vgl. MSR A/B 22. Siehe dazu Kahlo, Michael: Die Handlungsform der Unterlassung als Kriminaldelikt. Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung zur Theorie des personalen Handelns, Frankfurt a. M. 2001; Prauss, Gerold: Kant ber Freiheit als Autonomie, a.a.O., S. 216 ff.; Wachter, Alexander: Das Spiel in der sthetik. Systematische berlegungen zu Kants Kritik der Urteilskraft, Berlin 2006, S. 149 ff. 500 Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 57. 501 Ebd. 502 Ebd. Vgl. Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 56; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 262; Simon, Josef: Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 125. In den Vorarbeiten zur Vorrede und Einleitung in die Metaphysik der Sitten zhlt Kant selbst auf „Principia Voluntatis Permissiua / Prohibitiva (Limitatiua) / Inhibentia (in collisione)“ (AA XXIII 382).

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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Gegenstnden, so wie die Naturkategorien jedweder Erfahrung von Objekten zugrunde liegen? Graband und Simon nehmen, allgemein gesprochen, die Kategorien der Qualitt als subjektiv gltige Begriffe. Einmal soll sich durch diese Begriffe festlegen, ob ein Subjekt einen bestimmten Willen hat oder nicht hat, das andere Mal sollen sie den Zusammenhang unter mehreren Bestimmungen des Willens regeln. Aus den im vorigen Kapitel bereits dargelegten Grnden503 halte ich jedoch dafr, dass man gut daran tut, die Kategorien stattdessen auf den Inhalt des Willens zu beziehen. Auch die Qualittskategorien, so glaube ich, haben nach Kant Bedeutung fr die Gegenstnde der praktischen Vernunft. Mithin sind auch sie Begriffe, denen objektive Realitt zukommt. Als solche werden sie deduziert, indem den Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts, anstatt dass Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung, das Mannigfaltige der Begehrungen unterlegt wird, wie Kant es nennt, als das Material, an dem sie sich bettigen und das sie zu einem Objekt des Willens synthetisieren. Die Kategorien des zweiten Quadranten bestimmen die Beschaffenheit dessen, was begehrt wird. Und das ist noch immer die Leistung der Urteilskraft. Die Urteilskraft bezieht die Gegenstnde in Raum und Zeit, welche in den Geltungsbereich der einen Vorstellung des Urteils fallen, auf die andere Vorstellung im Urteil und bestimmt diese Beziehung. Sie qualifizieren die Phnomene, die unser Wille intendiert. Mit anderen Worten spezifizieren die drei Qualittskategorien die objektive Qualitt praktischer Urteile. Die zweite Problematik, der wir im Vorfeld der Deduktion ins Gesicht sehen mssen, kennen wir schon. Man muss sich nmlich darber im Klaren sein, ob die Deduktion zu sinnlich unbedingten Kategorien oder zu solchen fhren muss, die sinnlich bedingt sind. Haben wir es bei den Kategorien der Qualitt in toto mit moralisch bestimmten Begriffen zu tun? Susanne Bobzien vertritt die entgegengesetzte Meinung. Sie behauptet, dass die Qualittskategorien insgesamt moralisch unbestimmt sind, „insofern in ihnen selbst das moralische Gesetz noch kein Bestimmungsstck ist, und eine Handlung daher durch sie noch nicht in Hinsicht auf ihre Moralitt (im weiteren Sinne) bestimmt wird“504. Doch womçglich kann man das gar nicht so pauschal sagen? Sind vielleicht einige der Kategorien von der einen Art, die restlichen dagegen von der anderen? Wie unschwer zu erkennen, ist damit das Thema des „bergang[s]“ (KpV A 118) berhrt, von dem Kant spricht. Findet im zweiten Quadranten ein 503 Siehe oben S. 199 f. 504 Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 208.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

Fortgang statt von Kategorien der empirischen zu denen der reinen praktischen Vernunft? Ralf M. Bader ist dieser Auffassung. Am Vorbild des Quantittsquadranten sich orientierend, sieht er in den Kategorien des Begehens und Unterlassens Begriffe des empirischen Willens, in der Kategorie der Ausnahme dagegen einen Begriff des reinen Willens: „all moral rules are rules of exceptions“505. Regeln der Ausnahme seien solche, die von dem, worauf Neigung und Interesse dringen, grundstzlich ausgenommen seien, weil sie im Gegensatz zu diesen auf der Idee der Freiheit beruhen. Die Frage, die sich hier vor uns aufbaut, ist recht besehen keine andere als die Frage danach, ob in der metaphysischen Deduktion der Qualittskategorien der Bestimmungsgrund des Willens Bercksichtigung finden muss oder nicht. Denn der Wille ist nach Kants berzeugung deshalb ein empirischer oder ein reiner Wille, weil er entweder einen empirischen oder einen reinen Bestimmungsgrund besitzt. Er ist entweder unter der Voraussetzung eines bestndig im Wechsel und Wandel begriffenen Gefhls der Lust und Unlust festgelegt oder aber unter der Bedingung des Gedankens transzendentaler Freiheit, wie er in der apriorischen Vernunftstruktur menschlicher Subjektivitt wurzelt. Folglich ist es der Bestimmungsgrund des Willens, der, wenn er denn in der Deduktion zum Tragen kme, zwangslufig zur Folge htte, dass die Kategorien der Qualitt als Formen entweder des sinnlich bedingten oder des sinnlich unbedingten Willens hergeleitet wrden. Ich glaube allerdings nicht, dass dem so ist. Und das aus zwei Grnden nicht. Erstens, weil Kant die Begriffe des Begehens und Unterlassens so allgemein einsetzt, dass damit ohne jeden Zweifel sowohl ein Handeln charakterisiert wird, das sittliche Beweggrnde hat, wie auch eines, das aus sinnlichen Antrieben herfließt. Baders Interpretation blendet das offenkundig aus, dass man nach Kant sowohl aus Pflicht wie auch aus Neigung etwas tun oder lassen kann. Alle Kategorien der Qualitt sind mit allen drei Quantittskategorien kombinierbar, was auch allein schon nach Maßgabe der zugrunde liegen Urteilstafel so sein muss. Und das nicht nur in der Gestalt, mit der Kant den ersten Quadranten angibt; Maximen, Vorschriften und Gesetze sind von sich aus alle mit den kategorialen Formen des Begehens, Unterlassens und der Ausnahme kompatibel. Auch in der konjizierten Fassung, die wir vorgeschlagen haben, verhlt es sich so; denn ob mein Wollen auf einen Fall, auf mehrere oder auf alle Flle einer bestimmten Handlung abzielt, es kann sich dabei allemal um eine Handlung des Begehens, des Unterlassens oder der Ausnahme handeln. Zweitens ist 505 Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 809.

2. Die Freiheitskategorien der Qualitt

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gar nicht einzusehen, warum die Qualittskategorien sich nach dem Bestimmungsgrund des Willens richten sollten, da sie doch, wie wir uns berzeugt haben, auf den objektiven Wasgehalt des Willens gehen. Denn muss das nicht in jedem Fall geschehen? Muss nicht der Gegenstand sowohl der empirischen wie auch der reinen praktischen Vernunft hinsichtlich seiner Beschaffenheit spezifiziert werden? Ist nicht stets die Qualitt dessen, was ich begehre, festgelegt, gleichgltig unter welcher Bedingung mein Begehren steht? Auch unter dem Titel der Qualitt ist daher meines Erachtens kein bergang von einem Kategorientyp hin zu einem anderen zu beobachten. Der Quadrant befasst nicht Begriffe, die eindeutig genau dem empirischen Willen zugeordnet sind, und solche, die eindeutig genau dem reinen Willen zugehçren. Im Gegenteil, die Kategorien, die Kant auflistet, sind dahin gehend zu verstehen, dass sie durch die Bank von ein und eben derselben Sorte sind. Mit Bobzien gehe ich davon aus, dass alle Qualittskategorien moralisch unbestimmte Begriffe sind, aber ich glaube nicht wie Bobzien, dass sie Kategorien des sinnlich bedingten Willens darstellen. Wenn nmlich der Bestimmungsgrund des Willens keine Rolle spielt in der metaphysischen Deduktion, dann schlgt er sich auch nicht im begrifflichen Gehalt der Kategorien nieder. Die Kategorien der Qualitt werden, wie zuvor schon die der Quantitt, so meine ich, weder in Anbetracht der Begriffe des Guten und Bçsen noch im Hinblick auf die Begriffe des Wohls und bels entwickelt. Sie sind, was wir Kategorien des Willens berhaupt genannt haben bzw., in Kants eigenen Worten, Kategorien „von praktischen Prinzipien berhaupt“ (KpV A 118). Denn sie betreffen das Begehren und sein Objekt, der Bestimmungsgrund ist dabei unerheblich. Sie bilden die Formen sowohl des aus einem Gefhl der Lust oder Unlust heraus bestimmten Willens als auch des unter der Vernunftvorstellung der Freiheit stehenden Willens.506 Was sind nun die Ergebnisse der metaphysischen Deduktion, die die im Vorstehenden getroffenen Grundsatzentscheidungen beherzigt? Die Kategorie des Begehens ist als die Funktion eines bejahenden, die Kategorie des Unterlassens als die Funktion eines verneinenden praktischen Urteils zu begreifen. In einem solchen Urteil wird der Gegenstand des Willens positiv

506 Vgl. Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 185; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 602.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

bzw. negativ gedacht.507 Was man begehrt, ist entweder etwas Positives oder etwas Negatives, eine Handlung, der etwas zu- oder etwas abgesprochen wird. Zum Beispiel will ich mit meinem Auto an der roten Ampel anhalten, oder ich will mein Auto nicht anhalten. Was bejaht oder verneint wird, ist nicht das Wollen eines Objekts als Ganzes, sondern allein das Objekt des Wollens. Die Kategorie der Ausnahme muss als die Funktion eines unendlichen praktischen Urteils verstanden werden. Hier ist der Inhalt des Willens positiv und negativ ausgezeichnet.508 Worauf mein Begehren zielt, ist in einem etwas Positives und etwas Negatives, eine Handlung, die ihre Bestimmtheit darin findet, dass ihr zugleich etwas zu- und abgesprochen wird.509 Um das Beispiel fortzufhren, so ist das, was ich will, alles, außer an der roten Ampel zu halten, irgendetwas anderes, nur nicht das. Ausnahme bedeutet, dass der Gegenstand meines Wollens insofern unbestimmt bleibt, als er sich in seiner Verneinung fr unendlich viele bejahende Bestimmungen offenhlt.

3. Die Freiheitskategorien der Relation Die nchste Kategorienklasse ist die der Relationskategorien. Kant fhrt sie unter der Zahl „3“ (KpV A 117) auf. Diese Klasse macht den rechten Eckpunkt der Figur aus. Die Tafel gewinnt dadurch, wenn wir sie grafisch betrachten, die geometrische Gestalt eines gleichseitigen Dreiecks. Man zieht eine waagerechte Linie vom zweiten Kategorientitel nach rechts und zugleich eine diagonale Linie vom ersten Kategorientitel nach rechts unten, so dass sich beide Geraden im dritten Titel treffen und die Figur abschließen. Die Kategorien, die dieser Quadrant beinhaltet, sind, um es gleich unumwunden einzubekennen, die dunkelsten und undurchsichtigsten von allen. An erster Stelle notiert Kant „Auf die Persçnlichkeit“, an zweiter Stelle „Auf den Zustand der Person“ und an dritter Stelle „Wechselseitigkeit einer Person auf den Zustand der anderen“ (ebd.). Ein weiteres Mal also bietet Kant dem Leser keine griffigen und prgnanten Begriffe an, sondern lngere, aus mehreren Bestandteilen sich zusammensetzende Wendungen, die nun aber kein Bemhen um Parallelitt

507 Vgl. Haas, Bruno: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 56; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 28. 508 Vgl. ebd. 509 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 144.

3. Die Freiheitskategorien der Relation

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erkennen lassen. Auch ist diesen Kategorien anders als bisher keine erluternde Anmerkung in Klammern mehr angefgt. Die Verlegenheit, in die sich der Interpret durch Kants Darstellung der Relationskategorien gebracht sieht, geht hauptschlich von den Begriffen Persçnlichkeit und Person aus. Unklar ist außerdem, worauf der Ausdruck ,Zustand‘ zu beziehen, das heißt welche Art Zustand damit gemeint, ist. Ferner, wie die Prposition ,auf‘ hier zu verstehen ist. Und schließlich wird die Sachlage, wo nicht komplizierter, so doch komplexer dadurch, dass mit den Kategorien der Relation das Gebiet der so genannten mathematischen Kategorien verlassen und das der dynamischen Kategorien betreten wird. Beginnen wir mit den Begriffen Persçnlichkeit und Person. Diese Begriffe begegnen dem Leser hier keineswegs zum ersten oder gar einzigen Mal, vielmehr sind sie ein fester und wichtiger Bestandteil der kantischen Moralphilosophie. Ihren Ausgang nehmen sie bereits von der Kritik der reinen Vernunft, genauer vom „Ersten Hauptstck“ der transzendentalen Dialektik, welches „Von den Paralogismus der reinen Vernunft“ handelt. Kant unterzieht dort die rationale Psychologie einer einschneidenden Kritik.510 Jene nmlich glaubt, den Nachweis antreten zu kçnnen, dass denkende Wesen einfache „Substanzen sind“ und dass sie „als solche […] Persçnlichkeit unzertrennlich bei sich fhren“ (KrV B 409). Dasjenige, dem berhaupt nur Persçnlichkeit zukommen kann, ist das Subjekt des Denkens; und sie kme ihm genau dann zu, wenn es als Substanz und damit als zeitlich beharrend vorgestellt wrde. Persçnlichkeit bedeutet, dass ein intelligentes Wesen zu „den verschiedenen Zeiten“, an denen es existiert, „numerisch-identisch, d.i. Einheit (nicht Vielheit)“ (KrV A 344/B 402), ist.511 Kant rechnet der psychologia rationalis jedoch einen Fehlschluss vor. Der Kern des Vorwurfs lautet, dass ein unzulssiger Gebrauch gemacht wird von den reinen Verstandesbegriffen (Kategorien). Diese werden auf Objekte angewendet, von denen es prinzipiell keine sinnliche Anschauung geben kann, nmlich die bloßen Gedankendinge, die durch die reinen

510 Betroffen ist aber nicht nur die deutsche Schulphilosophie, Kants Kritik reicht wesentlich weiter. Zu nennen sind hier der Sache nach unter anderem Platons Unsterblichkeitsbeweis im Phaidon, Moses Mendelssohns Dialog Phaedon oder ber die Unsterblichkeit der Seele (1767) und Descartes Meditationes de prima philosophia (1641). 511 Die „Identitt derselben [der Seele; d. Verf.], als intellektuelle Substanz, gibt die Personalitt“ (KrV A 345/B 403).

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

Vernunftbegriffe (Ideen) vorgestellt werden.512 Eine solche Vernunftidee ist auch die Vorstellung von einem denkenden Wesen bzw. der Seele. Der Gegenstand dieser Vorstellung kann lediglich gedacht, niemals aber in Raum und Zeit wahrgenommen werden. Indem die rationale Seelenlehre allerdings das nur „logische Subjekt“ des Denkens unter die Kategorie der Substanz bringt, verzerrt sie es zu einem „realen Subjekt“ (KrV A 350).513 Sie tut irrtmlicherweise so, als ob es ein Objekt sinnlicher Anschauung wre, mithin behandelt sie die Seele contra intentionem wie einen Gegenstand mçglicher Erfahrung und gewinnt darber ihre vermeintlichen Einsichten.514 Damit ist allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen. Der Begriff der Persçnlichkeit kehrt in der Kritik der praktischen Vernunft wieder, und das abermals im Zusammenhang der Dialektik. Kant behauptet nun, dass „die Unsterblichkeit der Seele“ (KpV A 219) ein so genanntes Postulat ist. Das, worauf die rationale Psychologie zuletzt hinauswill, nmlich demonstrieren, dass die Seele auch außer dem commercium mit dem Kçrper, mithin „nach dem Tode“ (KrV B 247), fortexistiert, dass sie also an und fr sich Substanz und insofern unsterblich ist, lsst sich, wie in der ersten Kritik aufgezeigt, nicht im theoretischen Gebrauch der Vernunft dartun. Persçnlichkeit ist keine Sache des Wissens, sondern des Glaubens. Im Glauben ist es, dass sich unser Denken ber die Grenzen dessen hinaus erweitert, was objektiv gewusst werden kann.515 Und das ist nur mçglich im praktischen 512 Vom „Objekt, welches einer Idee korrespondiert“, kçnnen wir „keine Kenntnis, obzwar einen problematischen Begriff, haben“ (KrV A 339/B 397). Vgl. KrV A 313/B 370, A 320/B 377, A 327/B 383 und A 642 ff./B 670 ff. 513 Vgl. KrV B 407, 413, A 355, B 419 und 431. Zu dem Begriffspaar logisch/real siehe Rosefeldt, Tobias: Das logische Ich. Kant ber den Gehalt des Begriffes von sich selbst, Berlin/Wien 2000, S. 11 f., 34 und 59 ff. 514 Vgl. Ameriks, Karl: Kant’s Theory of Mind, New York 1982, insb. S. 129 – 176; Gbe, Lder: Die Paralogismen der reinen Vernunft in der ersten und in der zweiten Auflage von Kants Kritik, Marburg 1954; Hatfield, Gary: Empirical, Rational, und Transcendental Psychology. Psychology as Science and as Philosophy, in: Guyer, Paul (Hg.): The Cambridge Companion to Kant, Cambridge 1992, S. 200 – 227; Horstmann, Rolf-Peter: Kants Paralogismen, in: Kant-Studien 83 (1993), S. 408 – 425; Rosefeldt, Tobias: Das logische Ich, a.a.O. 515 „Ich kann also Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Behuf des notwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal annehmen, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung berschwenglicher Einsichten benehme […]. Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“ (KrV B XXX). Vgl. KrV A 825 ff./B 853 ff.; KpV A 241 ff., 255 ff. Siehe dazu Wood, Allen W.: Kant’s Moral Religion, a.a.O., S. 13 – 17 und 100 – 152; Wundt, Max: Kant als Metaphysiker, a.a.O., S. 265 ff.

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Vernunftgebrauch, genauer gesagt auf der Grundlage des Sittengesetzes. Kants eigener Unsterblichkeitsbeweis der menschlichen Seele ist ein moralphilosophischer. Dem Subjekt des Denkens eignet genau dadurch Persçnlichkeit, dass es dem Sittengesetz untersteht, dass es „Subjekt des moralischen Gesetzes“ (KpV A 155) ist. Die Anerkennung der Gltigkeit des Sittengesetzes zieht die Anerkennung von Postulaten nach sich, das heißt von Artikeln eines moralischen Vernunftglaubens, wozu auch das Postulat von der Substanzialitt dessen gehçrt, welcher da denkt. Ein intelligentes Wesen, das sich dem Sittengesetz unterworfen weiß, kann nur um den Preis eines Selbstwiderspruchs nicht an seine „ins Unendliche fortdauernde Existenz und Persçnlichkeit […] (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt)“ (KpV A 220) glauben.516 Mit dem Begriff der Persçnlichkeit ist der der Person aufs Engste verquickt. Das lsst sich etwa am „Dritten Hauptstck“, dem TriebfedernKapitel, abnehmen. Nachdem Kant seine schwrmerische Lobrede auf die Pflicht und ihren erhabenen Namen beendet hat, kommt er auf den Zusammenhang beider Begriffe zu sprechen. Sie stehen hier im Kontext der Unterscheidung zweier Ordnungen, einer intelligiblen Welt unter Gesetzen der Freiheit und der sinnlichen Welt unter Gesetzen der Natur.517 „Es kann nichts Minderes sein“, schreibt Kant, „als was den Menschen ber sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knpft, die nur der Verstand denken kann“ (KpV A 154 f.). Gemeint ist die Persçnlichkeit. Diese erklrt Kant als „die Freiheit und Unabhngigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur“ (KpV A 155). Der Mensch ist „vermçge der Autonomie seiner Freiheit“ (ebd.) Teil einer Verstandeswelt und hat insofern Persçnlichkeit. Das ist aber nur die eine Seite. Indem er „zu beiden Welten gehçrig“ (ebd.) ist, hat der Mensch noch eine andere Seite. Er ist ein endliches Vernunftwesen mit Interessen und Neigungen, Bedrfnissen und Gefhlen. Das Subjekt des Denkens heißt fr Kant genau dann Person, wenn es nicht nur dem Sittengesetz, sondern 516 Unter einem „Postulat der reinen praktischen Vernunft“ versteht Kant des Nheren „einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz“, „so fern er einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhngt“ (KpV A 220). Vgl. KpV A 22 f. Anm.; KrV A 633 f./B 661 f. Siehe dazu Guyer, Paul: In praktischer Absicht: Kants Begriff der Postulate der reinen praktischen Vernunft, in: Philosophisches Jahrbuch 104 (1997), S. 1 – 18; Ricken, Friedo: Die Postulate der reinen praktischen Vernunft (122 – 148), in: Hçffe, Otfried (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 187 – 202; Wood, Allen W.: Kant’s Moral Religion, a.a.O., insb. S. 116 – 124 und 176 – 182. 517 Vgl. KpV A 74 f.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

ebenso Anforderungen der Sinnlichkeit unterliegt. Person, so kçnnte man sagen, ist Persçnlichkeit unter empirischen Bedingungen. Der Begriff der letzteren – Kant spricht von einer „Idee“ (KpV A 156) – ist im Begriff der ersteren enthalten. So hat Gott Persçnlichkeit, aber er ist keine Person. Die Persçnlichkeit macht den sittlichen Kern der Person aus, welchselbe aber zugleich als ein Sinnenwesen gedacht wird. Die Unterscheidung von mundus intelligibilis und mundus sensibilis geht gewissermaßen durch die Person hindurch.518 Um die Begriffe Persçnlichkeit und Person rankt sich nun eine nicht unerhebliche Schwierigkeit. Nicht, dass diese Begriffe an sich selber problematisch wren. Das mag sein, fr uns ist aber etwas anderes von Belang, wie man nmlich mit diesen Begriffen umgehen soll, da sie innerhalb der Kategoriensystematik auftauchen. Was bedeutet es, dass Kant sie offenbar zu Kategorien der Freiheit erhebt? Die Begriffe Persçnlichkeit und Person haben, wie gesehen, fr Kant einen durch und durch moralischen Gehalt. Sie stehen sogar in unmittelbarer Verbindung mit dem Herzstck der kantischen Moralphilosophie, haben sie doch nur insofern Sinn und Berechtigung, als das Sittengesetz bereits als Faktum der reinen praktischen Vernunft unverrckbar feststeht. Und genau darin liegt im Hinblick auf die Tafel der Freiheitskategorien ein seriçses Problem. Denn einerseits soll es der mit der Form des Gesetzes bestimmte Wille sein, der die Bedingung dafr abgibt, das Subjekt dieses Willens als Persçnlichkeit bzw. Person zu denken. Das ist, auf das Wesentliche verkrzt, die Auffassung, wie sie Kant in der Postulatenlehre entfaltet. Andererseits aber ist die Form des Gesetzes ein Begriff mit Kategorienstatus. So jedenfalls zeigt es das „Zweite Hauptstck“ an, wo Kant den Gesetzesbegriff innerhalb des Kategorientableaus anfhrt. Wie aber ist das mçglich? Wie kçnnen die Begriffe Persçnlichkeit und Person, wo sie doch die Kategorien der Freiheit voraussetzen, selber Kategorien der Freiheit sein? Wie kann, was zum Inhalt der Postulate gehçrt, Geltungsgrund dieser Postulate sein? Oder anders ausgedrckt, erklrt Kant nicht die Begriffe Persçnlichkeit und Person, indem er sie als Kategorien der 518 Vgl. Nenon, Thomas: Freedom, Responsibility, Character: Some Reflections on Kant’s Notion of the Person, in: Jahrbuch fr Recht und Ethik 1 (1993), S. 159 – 168; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 57 ff. In diesem Sinne spricht Kant wiederholt von der Menschheit in meiner Person. Vgl. KpV A 155, 157, 237; GMS A/B 69, 66 f.; KU A 55/B 56, A 104/B 105, A 121/B 123; Frieden A/B 9 f.; MSR A/B 43, 96. Dazu passt, dass Kant in den Vorarbeiten zur Vorrede und Einleitung in die Metaphysik der Sitten von zwei Kategorien spricht, die da lauten „Humanitatis sustantialis / respectu hum. inhaerentis“ (AA XXIII 382).

3. Die Freiheitskategorien der Relation

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Freiheit angibt, zu Formbestimmtheiten des Willens, whrend sie seinen eigenen Ausfhrungen in der „Dialektik“ zufolge Postulate darstellen, welche als solche erst im Gefolge des kategorial bestimmten Willens ins Spiel kommen?519 Wir sind ineins damit erneut vor die Frage nach einem eventuellen „bergang“ (KpV A 118) gestellt. Ist unter dem Titel der Relation ein Fortgang zu verzeichnen, ausgehend von einer Kategoriensorte und hin zu einer anderen? Oder sind die Kategorien allesamt von ein und derselben Art? Kants dezidiert moralisches Verstndnis der Begriffe Persçnlichkeit und Person scheint das nahe zu legen, schließt doch jede der drei Kategorien entweder den einen oder den anderen Begriff ein. Schauen wir, was die Kant-Forschung zu diesem Problemkomplex zu sagen weiß. Lewis W. Beck war der erste, der mit einer differenzierten Auslegung der Relationskategorien gerungen hat. Die erste Kategorie allerdings, so meint er, sei hinreichend klar. So wie die Substanz die Ursache von Wirkungen ist und sich im Wechsel ihrer Merkmale erhlt, so sei „die Person eine intelligible Substanz, die sich in ihren Handlungen behaupten soll“520. Da nur eine Person Zwecke setze, sei sie selber ein Zweck an sich bzw. Selbstzweck. Beck reformuliert die Kategorie daher wie folgt: „Die Regel, daß alle Handlungen als Handlungen eines Subjekts zu beurteilen sind.“521 Die zweite und die dritte Kategorie seien demgegenber heikler, weil nicht klar sei, wie Kants Rede vom Zustand einer Person zu nehmen ist. Wir werden darber gleich noch etwas zu sagen haben. Beck schlgt jedoch der Reihenfolge nach die paraphrasierende Deutung vor: „Die Regel, daß alle Handlungen im Hinblick auf Konsequenzen fr den Zustand der Person zu beurteilen sind.“522 Und: „Die Regel, daß in einer nach moralischen Grundstzen lebenden Gemeinschaft die Handlungen der einen Person danach bewertet werden sollen, wie sie den Zustand einer anderen beeinflussen, und umgekehrt.“523 Beck ußert sich indes nicht explizit dazu, welchem Kategorientyp die Kategorien der Relation seiner 519 Die Begriffe Person und Persçnlichkeit scheinen vielmehr den Begriffen des Guten und Bçsen vergleichbar. Wie diese hngen sie von den Freiheitskategorien ab. Die letzteren allerdings gehen auf das Objekt, nicht das Subjekt, der reinen praktischen Vernunft und bestimmen dieses als einen sittlich entweder guten oder bçsen Gegenstand. 520 Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 145. 521 Ebd. 522 Ebd. 523 Ebd.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

Einschtzung nach angehçren. Anhand seiner Ausfhrungen jedenfalls lsst sich das nicht eindeutig entscheiden. hnlich verhlt es sich bei Claudia Graband. Nachdem sie die Begriffe Persçnlichkeit und Person sorgfltig aus Kants Schriften rekonstruiert hat, stellt sie in aller Krze fest: „Die Kategorie der Relation auf die Persçnlichkeit bezeichnet demnach den Bezug der Maxime auf die Persçnlichkeit als Idee des moralischen Gesetzes und Achtung fr dasselbe“524. Die Maxime einer Handlung kçnne sich auf diese Idee richten, so Graband, und konstituiere alsdann eine Willensgesinnung, welche eine Handlung zur Folge hat, die den Kern der Moralitt berhaupt trifft. Die zweite und die dritte Kategorie seien aufgrund der Ambiguitt des Zustandsbegriffs weder nur der empirischen noch ausschließlich der reinen praktischen Vernunft zuordenbar. „Die Kategorie der Relation auf den Zustand der Person kann […] so gefasst werden, dass das handelnde Subjekt die aufgrund der geordneten Begehrungen zu bildende Maxime seiner Handlung auf seinen oder den Zustand einer anderen Person richten kann“525. Und die letzte Kategorie besage nichts anderes, fhrt Graband fort, „als dass eine frei handelnde Person, insofern sie wirkende Ursache ist, auf den Zustand anderer Personen (ebenfalls als zurechnungsfhige Wesen) Einfluss nehmen kann“526, was sich in einer Vernderung des Zustandes dieser Personen ausdrcke. Auch Graband bezieht nicht mit ausdrcklichen Worten Stellung in der Frage, ob die Kategorien der Relation moralisch bestimmt oder unbestimmt sind. Theo Kobusch, wie ich ihn verstehe, liest alle Kategorien unter dem Titel der Relation als sittliche Kategorien. Sie „bestimmen die Handlung“, so erklrt er allgemein, „als zu etwas in Beziehung Stehendes, nmlich zur Einzelperson, zum ,Zustand‘ der Person und als auf die ,Wechselwirkung‘, d. h. den ,Verkehr‘ der Personen untereinander Bezogenes“527. Kobusch bleibt bedauerlicherweise sehr zurckhaltend in der Ausmalung dieses Gedankens. Einmal sei die Person, so legt er dar, „als intelligible Substanz“ gemeint, worin man einen Widerschein der traditionellen, von Pufendorf aufgebrachten Vorstellung der „entia moralia“528 sehen kçnne. Den Zustand einer Person deutet Kobusch im Lichte der blichen Auffassung sowohl als „moralische Verfassung“, in der sich eine Person befindet, wie 524 525 526 527 528

Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 59. Ebd. Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 60. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 28. Ebd., S. 29.

3. Die Freiheitskategorien der Relation

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auch als „Alter, Geschlecht, brgerlichen Stand usw.“529, durch die sich jemand ußerlich auszeichne und von anderen abhebe. Schließlich werde durch die Vorstellung einer Wechselseitigkeit der Personen von Kant die Idee einer „moralischen Gemeinschaft“ und damit „der traditionelle Begriff der persona moralis composita wieder aufgenommen“530. Auch Annemarie Pieper legt die Relationskategorien durchgngig als Kategorien des sittlichen Willens aus. „Die Kategorie der Persçnlichkeit besagt“, so notiert sie, „daß der Mensch sich als intelligibles Wesen hervorbringen soll“531. Und in Klammer fgt sie erluternd hinzu, dass die erste Kategorie zum Ausdruck bringe, dass man sich unabhngig von jedem empirischen Begehren vernnftig bestimmen solle. „Die den Zustand der Person betreffende Kategorie gebietet Sittlichkeit“532. Der Mensch soll seinen Willen durch das Sittengesetz autonom bestimmen, wie Pieper bndig anmerkt. „Die Kategorie der personalen Wechselwirkung oder der Intersubjektivitt schließlich fordert ein Handeln, das sich in der Realisierung eigener Freiheit immer auf die Freiheit anderer Subjekte bezogen und von daher bestimmt weiß“533. Dieser Bemerkung stellt Pieper kurzerhand ein Zitat aus der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zur Seite, wo Kant den Kategorischen Imperativ so formuliert, dass er vorgibt, man soll stets auf eine Weise handeln, dass man die Menschheit sowohl in der eigenen als auch in der Person eines jeden andern niemals bloß als Mittel, sondern zugleich als Zweck brauche.534 Ralf M. Bader dagegen beruft sich auf das beispielgebende Modell des Quadranten der Quantitt. Dem zufolge seien auch im Relationsquadranten die ersten beiden Kategorien Begriffe des empirischen Willens, die dritte Kategorie aber ein Begriff des reinen Willens. Mithin finde hier in der Tat ein bergang von einer Kategoriensorte zu einer anderen statt. Zwar sei, so Bader, der Begriff der Persçnlichkeit an die Vorstellung einer Unabhngigkeit von der lckenlos determinierten kausalgesetzlichen Er529 530 531 532 533 534

Ebd. Ebd. Pieper, Annemarie: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 149. Ebd. Ebd. Vgl. GMS A/B 66 f. An anderer Stelle schreibt Pieper: „1. Handle stets als ein freies Wesen, das nur zufllig auch kçrperliche Bedrfnisse hat. 2. Unterstelle Deine Willensbildung der im Sittengesetz sich manifestierenden Kausalitt aus Freiheit. 3. Respektiere bei deinen Willensbildungen die Freiheit anderer Personen, die ihrerseits sittlich verpflichtet sind, deine Freiheit zu achten.“ Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 123.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

eigniskette des Naturgeschehens gebunden und impliziere diejenige Art von Selbstbestimmung, die in der Vorstellung moralischer Autonomie liege. „However, while the notion of personality itself is non-sensible, the category ,to personality‘ is sensibly conditioned insofar as that which inheres in personality, i. e. its accident, is sensibly conditioned since it is an ordering of desires.“535 Laut Bader ist das, was „Auf die Persçnlichkeit“, wie Kant sich ausdrckt, bezogen ist, sinnlicher Natur, und nur darum gehe es in der ersten Kategorie. „We are not concerned with personality per se, but with a relational category connecting rules to personality.“536 Auch die zweite Kategorie ist nach Bader eine sinnlich bedingte, denn „it concerns the material effects on the state or condition of persons“537. Mehr sagt Bader dazu nicht. Allein die dritte Kategorie sei „sensibly unconditioned because it involves abstracting from the material effects and only passes the formal question as to whether or not the practical rule or maxim is reciprocally implementable.“538 Sie sei eine moralisch bestimmte Kategorie, da praktische Regeln, die gemß der Vorstellung der Wechselseitigkeit synthetisiert sind, das Reich der Zwecke bzw., mit einer Formel aus der ersten Kritik, eine „moralische Welt“ (KrV A 808/B 836) herbeifhrten. Nach Susanne Bobzien schließlich sind smtliche Kategorien der ersten drei Quadranten der Tafel sinnlich bedingte Kategorien. Denn, so Bobzien, durch sie sollen „Handlungen als Erscheinungen in der Sinnenwelt als Folge von Freiheit mçglich werden“, weshalb es „die Sinnenwelt ist, die diese Kategorien erforderlich macht, damit freie Handlungen als Erscheinungen in sie eingegliedert werden kçnnen“539. Folgt man Bobzien, so muss, damit „eine Folge von Erscheinungen in der Zeit als Handlung begriffen werden kann“, ihr „eine Persçnlichkeit, ein Vernunftvermçgen, als ,Handlungstrger‘, als – in dieser Folge von Erscheinungen – beharrend, zugrunde gelegt werden“540. Die Handlung msse von einem Wesen, das Persçnlichkeit habe, ausgefhrt werden, wenn anders ihr die sittlichen Prdikate gut und bçse zukommen kçnnen sollen. Durch die zweite Kategorie werde sodann eine Handlung gedacht als die Wirkung aus dem Zustand einer Person. Dieser Zustand sei dabei so weit zu fassen, dass damit die „Gesamtsituation, in der sich eine Person befindet, als Ausgangsbasis 535 536 537 538 539 540

Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 812. Ebd. Ebd., S. 813. Ebd. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 205. Ebd., S. 211.

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fr die jeweilige Handlung betrachtet, gemeint“541 ist. Entsprechend bençtige die letzte Kategorie keiner erluternden Ergnzungen mehr, meint Bobzien. Denn es sei klar, dass „in der ,Erscheinungswelt‘, von der Personen und ihre Handlungen einen Teil ausmachen, prinzipiell die Mçglichkeit der Einwirkung von Handlungen einer Person auf den Zustand und die Handlungen anderer Personen besteht“542. Wir sehen also, dass die Kategorien der Relation keineswegs eine einheitliche Deutung erfahren haben. Ganz im Gegenteil sogar, bereinstimmung besteht unter den Kant-Exegeten hçchstens in Beziehung auf die Begriffe der Persçnlichkeit und der Person. Auf die Spannung jedoch, die meines Erachtens darin vorhanden ist, dass Kant diese Begriffe – ausschließlich in der Kritik der praktischen Vernunft und auch hier lediglich ein einziges Mal – als Kategorien der Freiheit ausgibt, wo er sie doch zugleich, getragen von den Gedanken der ersten Kritik, an viel spterer Stelle erst systematisch einfhrt, und zwar als Postulate, und mit diesem Sinn auch unverndert in alle seine spteren Schriften hinein bernimmt und, abgesehen von unterschiedlichen Betonungen, wiederholt besttigt, geht keiner der zitierten Autoren ein. Dabei scheint das Problem, will man Kant beim Wort nehmen, die Glaubwrdigkeit der Relationskategorien, so wie sie dastehen, geradezu bis zum Zerreißen zu strapazieren. Genauso wenig sind tragfhige oder berhaupt eingehende berlegungen dazu angestellt worden, warum eigentlich die Kategorien der Relation durch die Begriffe Persçnlichkeit und Person charakterisiert sein mssen. Stattdessen haben die Interpreten ihr Bemhen vorwiegend darangewendet, sich auf die Gegebenheiten des Textes einzustellen und ihm aller Sperrigkeit zum Trotz einigen Sinn zu entlocken. Darin besteht ohne Frage ein unbezweifelbares Verdienst, allerdings bleibt dabei der Gebrauch als solcher ungedeckt, den Kant von diesen Begriffen innerhalb der Kategorientafel macht. Denn weshalb verfllt Kant berhaupt, das mçchte man doch grundstzlich gern einmal wissen, auf die Vorstellung der Persçnlichkeit und die der Person, wo es darum geht, den begrifflichen Gehalt der Relationskategorien zu bestimmen? Warum sind diese Begriffe dafr einschlgig? Warum sie und nicht ganz andere? An diese prinzipielle Frage rhren heißt tiefer graben, heißt die Kategorien, wie Kant sie exponiert, allererst in der ihnen eigenen Tiefe entfalten und nicht als eine schiere Unvordenklichkeit hinnehmen. Man muss gerade hinter sie zurck und ihnen bis zu ihrem Ursprung im menschlichen Intellekt folgen, will man 541 Ebd. 542 Ebd., S. 212.

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Kants Resultate berprfen. Man muss den Weg ihrer Herleitung erneut abschreiten, ihre metaphysische Deduktion von Grund auf rekonstruieren. Das aber ist, soweit ich sehe, bislang nicht oder nicht mit der nçtigen Entschiedenheit versucht worden. Eine weitere Hrde fr die Interpretation, wir haben es schon angeschnitten, liegt im Begriff des Zustandes, dem durch seine Einbindung in die Kategorientafel ebenfalls eine bedenkenswerte Rolle zufllt. Um welchen Zustand handelt es sich, wenn Kant in der zweiten und in der dritten Kategorie formuliert „Zustand der Person“ bzw. „Zustand einer Person“? In der Literatur ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass hier mit Zustand hçchst Verschiedenes gemeint sein kann. Der Begriff ist von sich her nichts weniger als eindeutig, zumal Kant im Umfeld des Kategorientableaus kein Wort dazu verliert und es dem Leser so nicht gerade erleichtert, ihm in seinen berlegungen zu folgen. Wohl wird, das kann man mit Sicherheit sagen, einzig und allein von einem Zustand die Rede sein, in den ein intelligentes Subjekt gelangen oder in dem es verweilen kann, und beispielsweise nicht von dem Zustand irgendeines Kçrpers oder von einem gesamtgesellschaftlichen Zustand. Indem die Kategorien der Freiheit die Willensbildung eines Menschen betreffen, muss auch der fragliche Zustand zwangslufig einer sein, in dem sich ein einzelnes Individuum qua zur Willensbestimmung fhiges Wesen zu befinden vermag. Mit dem Begriff des Zustandes hat es seine eigene Relevanz. Seine systematische Stelle hat der Begriff in der Kritik der reinen Vernunft, wo ihn Kant mehrfach komplementr zum Begriff der Substanz und damit, so macht es allen Anschein, als Synonym fr den Akzidenzbegriff verwendet. Die Rede von einem Zustand besitzt mithin bereits als solche kategoriales Geprge. Sie ist Bestandteil einer Kategorie der Natur, und zwar genauer derjenigen, die Kant unter dem Titel der Relation an erster Stelle notiert. Wo immer etwas als beharrend vorgestellt wird gegenber seinen prdikativen Eigenschaften, die im Laufe der Zeit wechseln und sich verndern, so dass eine die andere ablçst, da wird nach Kant eine Substanz gedacht. Dieses zugrunde Liegende bleibt, was es ist, whrend der akzidentelle Zustand, in dem es sich zum Zeitpunkt t1 befindet, bergeht in einen anderen zum Zeitpunkt t2 und sich gerade nicht gleich bleibt. Die Tr beispielweise ist erst geschlossen und wird dann geçffnet, oder das Wetter schlgt um, aus vereinzelten Regenschauern wird strahlender Sonnenschein.543 543 Vgl. KrV B 128 f., A 147/B 186 f., A 182 ff./B 224 ff., A 242/B 300. Siehe dazu

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Lewis W. Beck hat nun mehrere Arten von Zustnden ins Feld gefhrt, die grundstzlich in Betracht kommen kçnnten, wenn Kant vom Zustand der bzw. einer Person spricht. Er unterscheidet zwischen einem moralischen Zustand, dem des Glcks oder Unglcks und einem physischen Zustand. Und diese Unterscheidung lsst sich der Sache nach oder sogar wortwçrtlich bei Kant selbst nachweisen.544 Zunchst zu dem Zustand, den Beck einen moralischen heißt. Dabei handelt es sich zwar nicht um einen terminus technicus der kantischen Philosophie, doch ist wiederholt die Rede etwa vom Zustand der menschlichen Gesittung545 oder dem der Gesinnung.546 Und Kant spricht verschiedentlich selbst von einem moralischen Zustand, womit er das Maß der Tugend eines Menschen bezeichnet547 oder sein Herz, ob es gut oder bçse ist.548 Des Weiteren gehçrt zum moralischen Zustand die Hçhe der Snde oder die Strke einer Schuld, die jemand auf sich geladen hat, bzw. die Unanfechtbarkeit seiner Reinheit oder Unschuld.549 Und vermutlich wird man auch noch den Zustand der Achtung hinzufgen drfen, jenes Gefhls a priori, das durch einen intellektuellen Grund in uns ausgelçst wird.550 Mit anderen Worten, der so genannte moralische Zustand findet das Bestimmende, an dem er sich bemisst, letzten Endes im Sittengesetz. Was Beck mit dem Zustand des Glcks oder Unglcks im Auge hat, lsst sich unmittelbar am kantischen Wortlaut festmachen. Gemeint ist damit die emotionale Verfassung, die das Dasein eines endlichen Vernunftwesens prgt, genauer die empirische Bestimmtheit seines Gefhlsvermçgens. In diesem Sinne ußert sich Kant ber den Zustand des Gemts, in dem bald Lust, bald Unlust berwiegt,551 ber den Zustand des Genusses552 und den fr eine wirkliche oder erdenkliche Neigung befriedigenden Zustand.553 Ferner formuliert er direkt in dem Kapitel, in welchem auch die Kategorienthematik ihren Ort hat, dass die Begriffe des

544 545 546 547 548 549 550 551 552 553

Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 193 f. und 205 f.; Schulthess, Peter: Relation und Funktion, a.a.O., S. 158 ff. Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 146. Siehe ebenso Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 59. Vgl. Rel. A 26/B 29. Vgl. Rel. A 89 f./B 96. Vgl. KpV A 151. Vgl. MST A 104. Vgl. Grçßen A 28. Vgl. KpV A 130. Siehe ebenso Trume A 45; KpV A 209 und passim. Vgl. Grçßen A 24. Vgl. KpV A 209. Vgl. GMS A/B 113.

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Wohls und bels immer eine Beziehung auf unseren Zustand der Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit bedeuten, des Vergngens oder Schmerzes; und er spricht in diesem Zusammenhang vom Empfindungszustand einer Person.554 berdies charakterisiert Kant einmal Glckseligkeit als den Zustand eines Menschen, dem im Ganzen seiner Existenz alles nach Wunsch und Willen geht.555 Der Zustand schließlich, den Beck einen physischen nennt, ist im Gegensatz zu den beiden vorigen ein rein ußerlicher. Er betrifft entweder das natrliche Dasein eines Einzelnen, seine Kçrperlichkeit, oder aber die weiter auslaufenden sozialen Verhltnisse, in denen sich unser Handlungsleben abspielt und mit dem der anderen zu einem gemeinsamen zusammengeschlossen ist. Zum ersteren zhlt so etwas wie das Alter eines Menschen, sein gesundheitlicher Zustand, biologisches Geschlecht, kçrperliche Merkmale und Charakteristika, Kçrperschmuck wie Tattoos556 und sicherlich vieles andere mehr. Letztere umfassen dagegen so etwas wie gesellschaftlichen Status, Reputation, Rollenerwartungen, die das Umfeld an eine Person adressiert, Milieuzugehçrigkeit, beurkundeter Bildungsgrad usw. Kant verwendet den Ausdruck selbst und spricht verschiedentlich von einem physischen Zustand. Er meint dann allerdings nicht das, was Beck vorschwebt; zudem hat der Ausdruck bei Kant keine stabile Bedeutung, sondern besitzt je nach Kontext eine andere Stoßrichtung.557 Auf welche dieser drei Zustandsarten aber muss man Kant und die Kategorientafel festlegen? Darber hat die Forschung bislang nicht zu einer einhelligen Meinung gefunden. Je nachdem, wie man sich in diesem Punkt entscheidet, stehen in der Folge ganz unterschiedliche Ausdeutungen der zweiten und dritten Relationskategorie offen; und entsprechend mag unter dem Titel der Relation ein bergang stattfinden von einer Kategorienart zu einer anderen oder aber nicht. Beck seinerseits pldiert dafr, dass es sich um den Zustand des Glcks oder Unglcks handelt. Das sei die plausibelste Lesart.558 Rechtfertigende Grnde allerdings, warum er das findet, lsst Beck vermissen. Doch nehmen wir einmal an, er lge richtig: Wre es dann nicht im Grunde hçchst verwunderlich, in diesem Zusammenhang den Begriff der Person 554 Vgl. KpV A 105. 555 Vgl. KpV A 224. Siehe ebenso AA XX 230; KU A 116/B 117, A 141/B 143 und passim. 556 Vgl. KU A/B 50. 557 Vgl. KpV A 209; Rel. A 80/B 86. 558 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 146.

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anzutreffen? Wenn das, was in der Bildung des Willens zum Tragen kommt, lediglich der empirische Zustand eines intelligenten Wesens ist, warum sollte es dafr erforderlich sein, dieses Wesen zur Person zu erhçhen und die Vorstellung seiner moralisch aufzuladen? Warum muss in der zweiten und dritten Kategorie das Subjekt des Denkens vorgestellt werden als das Subjekt des Sittengesetzes, wo es doch um Gefhle der Lust und Unlust geht? Immerhin scheinen die beiden Kategorien ja nicht auf jene besondere Tugendpflicht spezialisiert und eingeschrnkt, die uns genau so etwas auftrgt, nmlich uns um die Glckseligkeit unserer Mitmenschen zu besorgen und sie je nach Mçglichkeit zu befçrdern. Beck jedenfalls behauptet das nicht und auch sonst niemand, soweit ich sehen kann.559 Claudia Graband und Susanne Bobzien wollen demgegenber die Relationskategorien so weit halten, dass sie alle Zustandsarten gleichermaßen abdecken. Der betreffende Zustand, meinen sie, kçnne sowohl ein moralischer als auch ein physischer oder ein Zustand des Glcks und Unglcks sein. „Da die Kategorien“, schreibt etwa Bobzien, „eine Handlung als Erscheinung in der Sinnenwelt begreiflich machen sollen, und ,Zustand der Person‘ ohne Zusatzbestimmung allein als Kategorie auftritt, so scheint mir eine Entscheidung fr eine der von Beck genannten Mçglichkeiten nicht sinnvoll zu sein.“560 Doch auch hier muss man einhaken. Denn hat es sich nicht mit Blick auf das Thema des bergangs zu entscheiden, was das fr Kategorien sind, die auf diese Weise beides umfassen kçnnen? Kategorien, die mit dem Begriff des Zustandes wahlweise ein moralisches oder ein moralindifferentes Moment einschließen? Sind das aufs Ganze gesehen sinnlich bedingte Kategorien oder sinnlich unbedingte? Oder lsst sich das bei einer derartigen begrifflichen Zwitterbildung gar nicht einwandfrei ausmachen? Eine weitere Erschwernis findet der Umgang mit den Kategorien der Relation in Kants unvollstndig bleibender Verwendung der Prposition ,auf‘. Natrlich bedeutet es keinen grammatischen Fehler, dass Kant jede Kategorie entweder mit dieser Prposition anheben lsst oder doch unter Zuhilfenahme ihrer formuliert: „Auf die Persçnlichkeit“, „Auf den Zustand der Person“ und „Wechselseitigkeit einer Person auf den Zustand der anderen“. Allerdings ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, was damit genau gesagt sein soll, scheint doch etwas gerade ungesagt zu bleiben. 559 Vgl. MST A 16 f. 560 Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 211. Vgl. Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 59 f.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

Als Prpositionen bezeichnet man ganz allgemein Verhltniswçrter. Prpositionen setzen mehrere Wçrter in eine Beziehung zueinander und bringen dadurch ein bestimmtes, vornehmlich zeitliches oder rumliches Verhltnis zur Sprache. Dazu zhlen Ausdrcke wie ,an‘, ,bei‘, ,zu‘ oder ,fr‘. Und auch der Ausdruck ,auf‘ hat diese syntaktische Funktion, so etwa wenn wir jemandem schildernd beschreiben, was fr eine Vase auf dem Tisch steht, oder mitteilen, dass wir mit einem Segelboot auf das offene Meer hinauszufahren beabsichtigen. Welche Relation aber zeigt das Wçrtchen ,auf‘ im Falle der Kategorien an? Sicher, das eine Relatum nennt Kant ausdrcklich. Es steht da und wir brauchen es nur abzulesen: Etwas wird eben „Auf die Persçnlichkeit“, „Auf den Zustand der Person“ oder wechselseitig „auf den Zustand der anderen“ Person bezogen. Doch, und das ist die Frage, die Kant in der Kategorientafel unbeantwortet lsst, was ist dieses Etwas? Was ist das andere Relatum? Wir wissen, worauf es bezogen wird, wir wissen aber nicht, was es denn ist, das da bezogen wird. Handelt es sich um das Objekt des Willens? Oder den zu einem Gegenstand bestimmten Willen im Ganzen? Und was soll es berhaupt heißen, das eine oder das andere in eine derartige Beziehung zu bringen? Vor allem, warum mag das fr die Bildung des menschlichen Willens unabdingbar sein und den Stellenwert einer kategorialen Bestimmung einnehmen? Die Forschung bietet in dieser Sache unterschiedliche Vorschlge an. Annemarie Pieper zum Beispiel meint: „Die Grundstze, die Kant als praktische Kategorien der Relation aufzhlt, beziehen sich auf die Person, deren Zustand sowie deren Wechselwirkung zwischen Personen.“561 Einmal abgesehen davon, dass die Kategorien der Freiheit wohl kaum selber Grundstze sind, sondern vielmehr an deren Konstitution formierend mitwirken, ist Piepers Gedanke, dass es eben solche praktischen Grundstze sein mssen, die im Zuge ihrer Konstitution durch die Kategorien der Relation ins Verhltnis gesetzt werden. Ganz hnlich Ralf M. Bader: „The categories of relation are concerned with the relation in which practical rules stand.“562 Und Bader fgt konkretisierend hinzu: „The categories are still concerned with […] determining their content. It is simply the case that one is no longer concerned with the intrinsic, but the relational features of the rule.“563 Lewis W. Beck hingegen deutet die Prposition in der Richtung, dass sie allein auf die Handlung gemnzt ist, welche der Wille intendiert. „Alle Regeln oder Grundstze der praktischen Vernunft setzen, 561 Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 122. 562 Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 814. 563 Ebd., S. 815.

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wenigstens implizit, die Handlung zu etwas in Beziehung, und sie bestimmen das Gute entsprechend dieser Beziehung.“564 Und auch Theo Kobusch steht auf diesem Standpunkt, er bezieht die Prposition auf den Inhalt des Willens: „Die Kategorien der Relation“, so kommentiert er, „bestimmen die Handlung als zu etwas in Beziehung Stehendes“565. Vielleicht trgt es zur Auflçsung dieser Schwierigkeit bei, den Unterschied zwischen mathematischen und dynamischen Kategorien in Rechnung zu stellen. Kant bemht diesen Unterschied zwar nicht explizit in der zweiten Kritik, in der Kritik der reinen Vernunft aber charakterisiert er die Naturkategorien der ersten beiden Quadranten als mathematische, die des dritten und vierten Quadranten als dynamische Kategorien. Letztere zeichnet dabei aus, dass sie jeweils Relata bzw., wie Kant sagt, Korrelate besitzen. Dem sollten wir unsere Aufmerksamkeit schenken, denn Kants Verwendung des Wçrtchens ,auf‘ kçnnte genau diese Relation bzw. Korrelation anzeigen.566 Die so genannte Urteilstafel kndigt den dritten Quadranten durch die berschrift „Relation“ (KrV A 70/B 95) an. Relation steht hier verkrzend fr Relation der Urteile. Kant spricht synonym auch von „Verhltnis“ (KrV A 73/B 98). Die drei Momente, welche dieser Titel unter sich versammelt, sind der Reihe nach „Kategorische“, „Hypothetische“ und „Disjunktive“ (ebd.).567 Ein Urteil ist seiner Relation nach immer entweder ein kategorisches, ein hypothetisches oder ein disjunktives. Kant veranschaulicht das leider nicht an einem identisch sich durchhaltenden Urteilsgehalt. Sein Beispiel fr ein hypothetisches Urteil lautet „[W]enn eine vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der beharrlich Bçse bestraft“ (KrV A 73/B 98), und ein disjunktives Urteil ist „[D]ie Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Notwendigkeit, oder durch eine ußere Ursache“ (KrV A 74/B 99). In der von Jsche besorgten Logik verhlt es sich hnlich. Dort findet sich als Beispiel fr ein kategorisches Urteil „Alle Kçrper sind teilbar“568, fr ein hypothetisches „Wenn alle Kçrper zusammengesetzt sind: so sind sie teilbar“569 und fr ein disjunktives Urteil „Ein Gelehrter ist entweder ein historischer oder ein Vernunftgelehrter“570. 564 Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 145. 565 Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 28. 566 In der Kritik der praktischen Vernunft wiederholt Kant lediglich mit Bezug auf die theoretischen Kategorien, dass sie alle „in zwei Klassen, die mathematische […] und die dynamische […], eingeteilt“ (KpV A 186) sind. 567 Vgl. Prol. A 86. 568 §25 der Jsche-Logik. 569 Ebd.

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Fr die relatio iudicii ist das letzte der insgesamt drei Teilvermçgen zustndig, aus denen sich das obere Erkenntnisvermçgen aufbaut. Deshalb, weil also der menschliche Intellekt nun vçllig ausgemessen und erschçpft ist, kann man berhaupt sagen, wie wir es oben getan haben, dass die ersten drei Quadranten eine nach außen hin geschlossene Figur ausmachen, dass sie nmlich in Gestalt eines gleichschenkeligen Dreieckes optisch darstellbar sind. Und dieses letzte Teilvermçgen ist die Vernunft. Kant charakterisiert sie als das „Vermçgen mittelbar zu schließen“ (KrV A 299/B 355).571 Man darf das aber nicht verwechseln mit einer ausgebildeten Schlussfigur, die mehrere Urteile als Obersatz, Untersatz und Konklusion miteinander verknpft. Kants Idee ist vielmehr, dass jeder Akt des Urteilens bereits einen Akt mittelbaren Schließens impliziert. Die Operation des mittelbaren Schließens dient hier keineswegs der Hervorbringung eines syllogistischen Zusammenhangs unter vielen, an sich bereits fertigen Urteilen, sondern sie wirkt intern mit an der Hervorbringung eines jeden Urteils selbst. Damit berhaupt ein Urteil zustande kommt, gleichviel was fr eines, ist diese Leistung unverzichtbar. Sie ist ein integrierendes Moment jedes Urteilsvollzuges.572 Die Vernunft entscheidet beim Urteilen ber das Verhltnis, in dem die den Vorstellungen des Urteils korrespondierenden Objekte zueinander stehen. Sie bezieht also nicht mehr Gegenstnde auf Vorstellungen, wie der Verstand und die Urteilskraft das tun, sie bezieht stattdessen die betreffenden Objekte aufeinander und bestimmt diese Beziehung. Durch welche Art von Relation, das ist die Frage, sind die Gegenstnde zu einem Sachverhalt zusammengeschlossen? Durch das iudicium categoricum wird eine unbedingte Relation vorgestellt, durch das iudicium hypotheticum eine bedingte und durch das iudicium disiunctivum, so formuliert man am besten, eine unbedingt-bedingte Relation.573 Und diese Vernunfthandlung hat insofern den Charakter eines mittelbaren Schlusses, als sie die Ttigkeit des Verstandes und der Urteilskraft voraussetzt, und zwar nach der Art von Prmissen, aus denen nun eine Folgerung zu ziehen ist. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen, nehmen wir Kants eigenen Satz ,Alle Kçrper sind teilbar‘. Man muss sich das wohl so zurechtlegen, dass erst dann, wenn die 570 Ebd. 571 Vgl. KrV A 130/B 169; Anthr. A/B 115 f.; KU A/B III f., A/B XXI; AA XX 201. 572 Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 70 f. und 75 f.; Longuenesse, Batrice: Kant and the Capacity to Judge, a.a.O., S. 94 f. 573 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 61; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 145 ff.

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entsprechenden Objekte auf den Begriff des Kçrpers bezogen sind (Quantitt) und auf den Begriff des Teilbaren (Qualitt), sich darber befinden lsst, wie diese Gegenstnde zueinander stehen und in der Einheit eines Sachverhalts aufgehen (Relation).574 Die drei Momente im Quadranten der Relation sind Glieder einer synthetischen Einteilung a priori aus Begriffen.575 Der Einteilungsgrund, von dem hier auszugehen ist, ist wie blich der Titel des Quadranten; die Einteilung nimmt ihren Ausgang vom Begriff der Urteilsrelation. Dieser soll sich mittels Analyse in zwei Einteilungsglieder aufschlsseln lassen. Wird nmlich ein Verhltnis unter Gegenstnden gedacht, so handelt es sich dabei um Gegenstnde, die entweder durch erst noch zu verbindende Begriffe oder selbst schon im Verbund eines vollendeten Urteils vorgestellt werden. Eine andere Mçglichkeit soll es nach Kant nicht geben. Der erste Fall ist das kategorische Urteil. In diesem sind „zwei Begriffe“ (KrV A 73/B 98) miteinander verknpft; es handelt sich dabei um die Relation „des Prdikats zum Subjekt“ (ebd.). Der zweite Fall ist das hypothetische Urteil. In diesem werden „zweene Urteile“ (ebd.) als verbunden gedacht; das ist die Relation „des Grundes zur Folge“ (ebd.). Und die beiden Einteilungsglieder verhalten sich zueinander wie Bedingung und Bedingtes. Die erste Stelle, das „Kategorische“, ist die Bedingung, die zweite Stelle, das „Hypothetische“, das Bedingte. Denn kategorische Urteile bilden fr Kant die Letztelemente hypothetischer (aber auch disjunktiver) Urteile. Nur indem etwas als Subjekt eines Prdikats vorgestellt wird, kann es auch als der Grund zu einem anderen Subjekt/Prdikat-Verhltnis als Folge gedacht werden. Das dritte Moment geht sodann aus einer Synthese hervor. Die letzte Stelle, das „Disjunktive“, entspringt einer Verknpfung und vereinigt die Bedingung und das Bedingte in sich. Im disjunktiven Urteil werden „mehrere Urteile im Verhltnis gegen einander betrachtet“ (ebd.). Es handelt sich dabei um die Relation einer „eingeteilten Erkenntnis und der gesammleten Glieder der Einteilung unter einander“ (KrV A 73/B 98). In einem disjunktiven Urteil also ist es, dass man eine Einteilung vornimmt. Und die Urteile, aus denen es besteht, heißen die Glieder dieser Einteilung. Als solche sind sie einerseits einander entgegengesetzt; sie stehen in einer „logischen Entgegensetzung, so fern die Sphre des einen die des andern 574 Vgl. Allison, Henry E.: Kant‘s Transcendental Idealism, a.a.O., S. 169 ff.; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 96 ff. 575 Zum Folgenden vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 172 f.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

ausschließt“ (KrV A 73/B 99). Andererseits bilden sie eine „Gemeinschaft, in so fern sie zusammen die Sphre der eigentlichen Erkenntnis ausfllen“ (ebd.). Sie machen zusammen den ganzen Umfang derjenigen Erkenntnis aus, deren Einteilungsglieder sie darstellen. Dass man es hierbei mit einem synthetischen Begriff zu tun hat, ist wohl leicht ersichtlich. Denn die eingeteilte Erkenntnis hat zu ihren Gliedern eine unbedingte Relation, wie sie das kategorische Urteil kennzeichnet, die Erkenntnisse aber, worein sie eingeteilt wird, stehen untereinander in einer bedingten Relation, wie sie fr das hypothetische Urteil charakteristisch ist. Und zwar bedingen sich die Glieder wechselweise. Sie sind einander „Ergnzungsstck[e]“ (KrV A 74/B 99) zu einem Ganzen.576 Die metaphysische Deduktion der Naturkategorien geht von diesen Urteilsfunktionen aus. Sie entwickelt die Kategorien, indem sie den Funktionen das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung unterlegt als die Materie, an der diese sich bettigen. Dadurch erhlt Kant drei Kategorien, die er in der Kategorientafel unter dem Titel der „Relation“ (KrV A 80/B 106) enumeriert. Das sind die Kategorien der „Inhrenz und Subsistenz“, der „Kausalitt und Dependenz“ sowie der „Gemeinschaft“ (ebd.).577 Vermçge dieser Kategorien wird die Relation eines theoretischen Urteils spezifiziert. Die Vernunft legt das Verhltnis fest, in welchem die Erscheinungen, ber die das Urteil etwas aussagt, zueinander stehen. Sie relationiert die raumzeitlichen Gegenstnde unserer Erfahrung auf die eine oder andere Weise zu einem Sachverhalt, entweder als „substantia et accidens“, als „Ursache und Wirkung“ oder als „Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden“ (ebd.), wie Kant den Kategorien jeweils in Klammer erluternd hinzufgt. Und die Einteilung des Quadranten folgt dem gewohnten Schema. Sie ist eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen. Denn die „Gemeinschaft“, so Kant, ist nichts anderes als „die Kausalitt einer Substanz in Bestimmung der andern wechselseitig“ (KrV B

576 „Das Erkenntnis aus einer dieser Sphren wegnehmen, heißt, sie in eine der brigen setzen, und da gegen sie in eine Sphre setzen, heißt, sie aus den brigen wegnehmen. Es ist also in einem disjunktiven Urteile eine gewisse Gemeinschaft der Erkenntnisse, die darin besteht, daß sie sich wechselseitig einander ausschließen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkenntnis bestimmen, indem sie zusammengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkenntnis ausmachen.“ (KrV A 74/B 99) Vgl. KrV B 112. Siehe dazu Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 76 ff.; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 157 ff. 577 Vgl. Prol. A 86.

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111). Die dritte Kategorie bildet die Synthese der beiden ersten Kategorien, welche ihrerseits die Rolle der Bedingung und des Bedingten versehen.578 Fr die zweite Auflage der Kritik hat Kant nun in Paragraph elf einige „artige Betrachtungen“ (KrV B 109) ber die Kategorien nachgeschoben. In der ersten von insgesamt drei Anmerkungen fhrt er aus, dass durch deren Tafel gleichsam ein Schnitt geht und dass sich die Kategorienquadranten zu zwei Gruppen bndeln lassen. Sie zerfallen, wie er sagt, „in zwei Abteilungen“ (KrV B 110). Die Kategorien der ersten Abteilung sind „auf Gegenstnde der Anschauung (der reinen sowohl als empirischen)“ gerichtet, die der zweiten Abteilung „auf die Existenz dieser Gegenstnde (entweder in Beziehung auf einander oder auf den Verstand)“ (ebd.). Und Kant gibt diesen Kategoriengruppen eigene Namen. Die erste nennt er „die der mathematischen, die zweite [die] der dynamischen Kategorien“ (ebd.). Demnach befassen die Klassen der Quantitts- und Qualittskategorien mathematische Kategorien, die Klassen der Relations- und Modalittskategorien hingegen dynamische Kategorien.579 Die besagte Unterscheidung tritt aber genau genommen nicht erst bei den Kategorien auf. Wie Kant unmissverstndlich ausspricht: „Dieser Unterschied muß doch einen Grund in der Natur des Verstandes haben.“ (ebd.) Das heißt, die in Rede stehende Differenz hat eine viel tiefer sitzende Wurzel. Die Verschiedenartigkeit der Kategorien ist bereits in der so genannten Urteilstafel angelegt: Schon die Urteilsfunktionen des oberen Erkenntnisvermçgens gliedern sich auf in solche, die mathematische, und solche, die dynamische sind. Die Funktionen der ersten beiden Quadranten sind von der einen Art, die der letzten beiden Quadranten von der anderen.580 Und das vererbt sich in der Konsequenz nicht nur an die Naturkategorien, sondern auch an die Kategorien der Freiheit. Durch deren Tafel muss genauso eine unsichtbare Linie verlaufen und die Qua578 Zu den relationalen Naturkategorien vgl. Gloy, Karen: Der Substanzsatz in der Kritik der reinen Vernunft und in den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft, in: Dies.: Studien zur theoretischen Philosophie Kants, Wrzburg 1990, S. 82 – 114; Strawson, Peter: Kant on Substance, in: Ders.: Entity and Identity, Oxford 1997, S. 268 – 279; Weizscker, Carl F. von: Kants ,Erste Analogie der Erfahrung‘ und die Erhaltungsstze der Physik, in: Prauss, Gerold (Hg.): Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, Kçln 1973, S. 151 – 166. 579 In der Folge unterteilt Kant auch die Tafel der transzendentalen Verstandesgrundstze, die nach dem Leitfaden der Kategoriensystematik erstellt ist, in die Gruppe mathematischer und die dynamischer Grundstze. Vgl. KrV A 162/B 201, B 201 f. Anm., A 178 f./B 220 ff., A 215/B 262, A 529 f./B 557 f. 580 Vgl. Reich, Klaus: Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 76 ff.

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dranten in zwei Gruppen aufspalten. Die Freiheitskategorien sind mithin ebenfalls entweder mathematische oder dynamische.581 Kant buchstabiert die Differenz mathematisch/dynamisch an verschiedenen Textstellen aus. Dabei bedient er sich nicht immer derselben Formulierungen. Zwei scheinen mir besonders aufschlussreich. So haben die mathematischen Funktionen und Kategorien zunchst einmal „keine Korrelate“ (KrV B 110). Damit ist der Umstand gemeint, dass der Verstand (Quantitt) und die Urteilskraft (Qualitt) Vorstellungen „auf Gegenstnde der Anschauung“ beziehen. Sie stellen zwar eine Beziehung her, wie ja der menschliche Intellekt schlechthin das Vermçgen des Verbindens ist, aber die Relata dieser Beziehung bezeichnet Kant nicht als Korrelate. Was auch immer solche Korrelate sein mçgen, hier jedenfalls sind keine zu finden. Die zweite Kritik bringt denselben Punkt positiv zum Ausdruck. Danach bewerkstelligen die mathematischen Funktionen und Kategorien eine „Synthesis des Gleichartigen“ (KpV A 186).582 Diese Gleichartigkeit ist es, von der Kant auch an anderer Stelle spricht, wo er konstatiert, dass „in allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff […] die Vorstellung des ersteren mit der letztern gleichartig sein“, dass also „der Begriff […] dasjenige enthalten [muß], was in dem darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird“ (KrV A 137/B 176). Der Verstand und die Urteilskraft verbinden Gleichartiges, als sie Vorstellungen auf die ihnen jeweils korrespondierenden Objekte beziehen. Die „mathematische Synthesis“ (KrV A 178/B 221) bringt ein Verhltnis zwischen Gleichem zustande.583 Anders die dynamischen Funktionen und Kategorien. Sie zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie Korrelate besitzen. Denn die Vernunft (Relation) setzt Objekte „in Beziehung auf einander“, ein Objekt bezieht sie auf ein anderes. hnlich verhlt es sich im Falle der Modalitt; wir werden das im nchsten Kapitel noch nher beleuchten. Bleiben wir aber im Augenblick bei der Vernunft. Sie stellt eine Beziehung her, und die Relata dieser Beziehung nennt Kant Korrelate. Die Vernunft korreliert Gegenstnde mit Gegenstnden. Die Korrelate, die sie dadurch begrndet und die wechselseitig aufeinander verweisen, so wissen wir bereits, heißen im Falle des bloß logischen Denkens Subjekt und Prdikat, Bedingung und Bedingtes sowie Glieder einer Einteilung, im Falle des realen Denkens 581 Vgl. Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 53; Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 810. 582 Vgl. KrV B 201 f. Anm., A 530/B 558. 583 Vgl. KrV A 529/B 557.

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dagegen Substanz und Akzidenz, Ursache und Wirkung sowie Glieder einer Wechselwirkung.584 Die zweite Kritik macht nun namhaft, was es mit solchen Korrelaten auf sich hat. Demnach zeigen die dynamischen Funktionen und Kategorien jene „Gleichartigkeit […] nicht“ (KpVA 186). Hier gibt es kein Entsprechungsverhltnis wie das zwischen Vorstellung und Gegenstand, die jeweils dieselben Bestimmtheiten aufweisen und darin bereinstimmen. Stattdessen findet eine Synthesis des Ungleichartigen statt.585 Die „dynamische Synthesis“ (KrV A 529/B 557) bringt ein Verhltnis zwischen Ungleichem zuwege. Die Vernunft verbindet mehrere Objekte miteinander, die sich durch je verschiedene Bestimmtheiten voneinander abheben. Sie relationiert einen Gegenstand zum Beispiel als Trger von Merkmalen mit einem ganz anderen Gegenstand als dessen bestimmender Eigenschaft. Wie verhlt es sich nun mit den Kategorien der Freiheit? Wir sind oben von der Aufgabe ausgegangen festzustellen, worauf die Proposition ,auf‘ gemnzt ist, die Kant in seiner Erklrung der Relationskategorien heranzieht. Welches ist das zweite Relatum, das Kant nicht namentlich nennt? Wir haben sodann gesehen, dass die Kategorien der Relation von allen bisher untersuchten Kategorien verschieden und so genannte dynamische Kategorien sind. Sie haben eine Eigentmlichkeit an sich, die sie, zusammen mit den Modalkategorien, von den Quantitts- und Qualittskategorien abgrenzt. Wir kçnnen daher unsere Fragestellung umformulieren und im Lichte dieser Eigentmlichkeit przisieren: Was ist, das wollen wir wissen, das zweite Korrelat? Was ist hier jenes Ungleichartige, das auf ein anderes Ungleichartiges bezogen und mit diesem zu einer Einheit synthetisiert wird? Durch den Vergleich mit den Kategorien der Natur wird augenfllig, dass Kant die Korrelate bei den Freiheitskategorien von vornherein ganz anders ansetzt. Im Falle der ersteren sind sie beide an die Objektseite verteilt, so dass sie gleichermaßen den Gegenstand der Erfahrung charakterisieren; dagegen scheint das im Falle der letzteren nicht so zu sein. Anstatt analog alle zwei Korrelate wiederum aufseiten des Objekts zu verorten dergestalt, dass auch sie nur zusammen den Gegenstand des Willens bestimmen, macht es den merkwrdigen Eindruck, dass Kant sie 584 „[…] daß in denen [Kategorien; d. Verf.] von der Grçße und Qualitt bloß ein Fortschritt von der Einheit zur Allheit, oder von dem Etwas zum Nichts […] fortgehen, ohne Correlata oder Opposita, dagegen die der Relation und Modalitt diese letztere bei sich fhren“ (Prol. A 122 f. Anm.). 585 Vgl. KrV B 201 f. Anm., A 530/B 558.

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nun auseinander zieht und vçllig unterschiedlichen Instanzen zuweist. Vermutlich ist es das Objekt des Begehrens, das als das gesuchte zweite Korrelat „Auf die Persçnlichkeit“, „Auf den Zustand der Person“ oder wechselseitig „auf den Zustand der anderen“ Person bezogen wird. Mit Sicherheit aber ist dasjenige, worauf es bezogen wird, das ist unbersehbar, das Subjekt des Begehrens. Die Kategorien der Relation, wie Kant sie herleitet, sollen Objekt und Subjekt der praktischen Vernunft aufeinander beziehen und diese Beziehung nher bestimmen. Das, was einander ungleich ist und in einer Einheit zusammengedacht wird, ist einerseits das, was begehrt wird, und andererseits derjenige, der es begehrt. Hier melden sich sogleich Zweifel an. Wir haben uns einen berblick darber verschafft, was in Kants Terminologie Korrelate sind, dass sie eine besondere Sorte von Relata darstellen, solche nmlich, die einander als ergnzende Entsprechung zugeordnet sind. Bei den theoretischen Kategorien sind das klarerweise Substanz und Akzidenz, Ursache und Wirkung oder die Glieder einer Wechselwirkung. Was aber ist das Pendant bei den praktischen Kategorien? Kants Idee ist offenbar, dass, wo immer ein Subjekt ein Objekt begehrt, sich beide in diesem Verhltnis auf unterschiedliche Weise wechselseitig bestimmt finden. Indes, wie heißen denn hier die Korrelate? Das eine Relatum, der Wollende, kennzeichnet Kant als Persçnlichkeit oder als Person mit gewissen Zustnden. Doch wie ist das andere Relatum, das Gewollte, zu denken? Was ist ein Gegenstand, den eine Persçnlichkeit begehrt? Und wie heißt demgegenber ein Objekt, auf das eine Person aus ist? Schließlich, wie ist in diesem Zusammenhang die Bezugnahme auf den Zustand einer Person auszulegen? Finden sich im Rahmen der kantischen Philosophie Begriffe, die sich hier an systematischer Stelle einsetzen ließen? Ich sehe offen gestanden nicht, welche das sein kçnnten. berdies lsst sich an den Relationskategorien schwerlich ein Prinzip ablesen, das ihre metaphysische Deduktion einheitlich beherrscht. Auf welche Weise leitet Kant sie denn aus den zugrunde liegenden Urteilsfunktionen ab? Was tritt jeweils hinzu, damit die Funktionen zu Kategorien ausgezogen werden? Wie lsst sich mithin die allgemeine Vorgehensweise auf einen gemeinsamen Begriff bringen? Nehmen wir die erste Kategorie. In ihr kommt deutlich die kategorische Urteilsfunktion zur Geltung. Durch diese Funktion wird etwas als Subjekt mit etwas anderem als seinem Prdikat in Beziehung gesetzt. Jetzt sind es die Absichten und Zwecke, die jemand verfolgt, die als Eigenschaften vorgestellt und einem Subjekt zugeschrieben werden, welches nun ein denkendes Wesen und, als dem Sittengesetz unterworfen, Persçnlich-

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keit ist. Warum aber, so muss man fragen, sollte das nçtig sein? Weshalb verlangt die Selbstzurechnung des eigenen Wollens das Postulat der Persçnlichkeit? Wenn wir uns sonst unseres Habens von Vorstellungen reflexiv vergewissern, ist das jedenfalls Kant zufolge nicht so. Um die hypothetische Urteilsfunktion in der zweiten Kategorie wiederfinden zu kçnnen, braucht es dagegen ein gehçriges Quntchen an Kreativitt und Einfallsreichtum. Denn was mag der Zustand einer Person mit dem Verhltnis eines Grundes zu seiner Folge zu tun haben? Hinter der Vorstellung einer Wechselseitigkeit, wie sie schlussendlich die dritte Kategorie einbegreift, steht wieder unbersehbar die disjunktive Urteilsfunktion. Diese begrndet ja die Wechselseitigkeit der Glieder einer Einteilung. Doch was ist es hier, das eingeteilt, mithin durch den ausschließenden Gegensatz eines EntwederOder miteinander verbunden, ist? Ich mçchte aufs Ganze gesehen sagen, dass sich in den Relationskategorien zwar die jeweiligen Urteilsfunktionen grçßtenteils irgendwie identifizieren lassen, dass man sich aber des Eindrucks kaum erwehren kann, dass die Kategorien, wie Kant sie angibt, in ihrer vollen Gestalt ein nicht nachvollziehbares Moment der Beliebigkeit zurckbehalten. Zu all diesen Ungereimtheiten tritt zuletzt die Bedenklichkeit, die bereits unsere Auseinandersetzung mit Kants Exposition der Quantittskategorien dominiert hat. Kçnnen die Kategorien der Relation wahrhaftig das Objekt und das Subjekt der praktischen Vernunft betreffen? Nicht nur, dass die grundstzliche Bedeutsamkeit fr den Leser an dieser Stelle des Textes sicherlich ein wenig berraschend kommt, die dem Verhltnis von Willensobjekt und Willenssubjekt dadurch zuteil wird, dass es eine begriffliche Bestimmung auf kategorialem Niveau erfahren soll. Die Frage ist doch die, ob es berhaupt Kategorien sein kçnnen, die das leisten. Sind Kategorien nicht seit der Kritik der reinen Vernunft gerade solche Begriffe, die eine entschiedene Bedeutung fr Gegenstnde haben, indem sie die Mçglichkeit der Objektivitt menschlichen Denkens allererst konstituieren? Außerdem haben wir gesehen, dass Kant selbst die gesamte Kategorienthematik in der zweiten Kritik von der Warte aus erçrtert, dass es sich bei Kategorien der Freiheit um Begriffe von einem Gegenstand der praktischen Vernunft handelt; so jedenfalls geht es aus den einleitenden Stzen des Kapitels hervor. Und schließlich ist der Umstand, auch das haben wir uns klar gemacht, dass Kant zu erkennen gibt, wie die Freiheitskategorien transzendental zu deduzieren sind, ein weiterer Anhaltspunkt dafr, dass es sich um objektiv gltige Begriffe handeln muss.586 586 Siehe oben S. 199 f.

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Ich schlage daher als Alternative eine Deduktion vor, die sich den angefhrten Kritikpunkten nicht mehr ausgesetzt sieht. Wie im Fall der Quantittskategorien mçchte ich mit Kant gegen Kant argumentieren und den Wortlaut des Autors ein letztes Mal korrigieren. Denn sind nicht auch die Kategorien der Relation wie gewohnt streng nach dem Grundsatz zu entwickeln, der da besagt, dass die Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts genau dann Kategorien der Freiheit sind, wenn ihnen das „Mannigfaltige der Begehrungen“ (KpV A 115), wie Kant es nennt, untergelegt wird als der Stoff, an dem sie sich ausben? Durch diese Verfahrensweise gelangte man zu drei Kategorien, die abermals allein den Gegenstand der praktischen Vernunft angingen. Die Relation, die sie stifteten, wre nicht eine zwischen Subjekt und Objekt, sondern eine Relation unter den verschiedenen Objekten, auf die ein Urteil als Ganzes geht. Denn was wir fr gewçhnlich im emphatischen Singular als den Gegenstand des Willens bezeichnen, ist ja aufgrund der propositionalen Verfasstheit unseres Intellekts genau genommen ein Verbund von Gegenstnden, das heißt ein Sachverhalt. Die Kategorien, so verstanden, konstituierten das „Mannigfaltige der Begehrungen“ als Objekte, die immer schon als Momente zur Einheit dessen zusammengefgt sind, worauf das Begehren jeweils abzielt. Das Ungleiche also, das die Relationskategorien miteinander korrelieren, wren Objekte unseres Willens. Und das ist natrlich die Leistung desselben Teilvermçgens wie bisher. Es ist die Vernunft, der es zukommt, die Relation eines praktischen Urteils zu spezifizieren. Sie bringt die Gegenstnde, die durch ein Urteil vorgestellt werden, in eine Beziehung zueinander und bestimmt diese Beziehung. Das heißt, sie relationiert Erscheinungen auf unterschiedliche Weise zu einem Sachverhalt, den ein Subjekt vermçge der Kausalitt seines Willens in Raum und Zeit verwirklichen kann. Gehen wir das Schritt fr Schritt durch. Die erste Relationskategorie ist die Funktion eines kategorischen praktischen Urteils. In einem solchen Urteil wird der Inhalt des Willens durch ein Subjekt/Prdikat-Verhltnis gedacht. Die Handlung, wie sie intendiert wird, ist durch eine unbedingte Relation charakterisiert. Das ist nicht durcheinander zu werfen mit der Kategorizitt eines kategorischen Imperativs. Diese sagt ja etwas ber die Bestimmungsgrnde des Willens aus, dass nmlich der Wille empirisch unbedingt ist, dass er nicht unter der Voraussetzung eines Gefhls der Lust oder Unlust steht. Dagegen betrifft die Kategorizitt, um die es hier geht, ausschließlich das, was begehrt wird. Dieses ist, so muss man korrekt sagen, an sich etwas Kategorisches. Was ich will, um ein einfaches Beispiel zu nehmen, ist etwa, mich mit der rechten Hand irgendwo kratzen. Durch

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den Begriff der rechten Hand wird hier der Trger einer Bestimmung und durch den Begriff des Kratzens dessen Zustand vorgestellt. Die zweite Relationskategorie ist die Funktion eines hypothetischen praktischen Urteils. Ich denke den Inhalt meines Willens als ein Grund/ Folge-Verhltnis, das heißt, die Handlung, die ich vorhabe, zeigt intern eine bedingte Relation. Auch das ist nicht zu verwechseln, diesmal mit der Hypothetizitt eines hypothetischen Imperativs. Betrifft diese doch gleichfalls den Grund der Willensbestimmung und besagt im Wesentlichen, dass der Wille empirisch bedingt und unter der Voraussetzung eines Gefhls der Lust oder Unlust festgelegt ist. Ganz anders die Hypothetizitt, die hier zur Sprache kommt. Es ist wiederum das, was ich begehre, welches als etwas Hypothetisches ausgezeichnet ist. Denn im hypothetischen Urteil sind zwei praktische Urteile verknpft. Die entsprechenden Handlungen werden als so miteinander verkettet vorgestellt, dass sie zusammen eine ausmachen. Sie stehen zueinander wie Bedingung und Bedingtes; die eine baut auf der anderen auf, man muss erst die eine ausfhren, um anschließend die andere ausfhren zu kçnnen. Beispielsweise vollendet sich meine Handlung nicht schon im Anziehen und Schnren meiner Sportschuhe, vielmehr will ich das nur tun, damit ich daraufhin wie jeden Morgen einige Kilometer durch den Wald joggen kann. Beide Einzelhandlungen sind nur Etappen in der Einheit des bergreifenden Handlungsverlaufs, auf den ich als Ganzes aus bin.587 Die dritte Relationskategorie ist die Funktion eines disjunktiven praktischen Urteils. Der Inhalt meines Willens ist nun durch ein Verhltnis charakterisiert, in dem die Glieder einer Einteilung zueinander stehen. Die Handlung, die ich beabsichtige, hat in sich eine unbedingt-bedingte Relation. Damit ist aufs Neue eine durchaus alltgliche und wohlvertraute Begebenheit philosophisch auf den Begriff gebracht. Wenn ich beispielsweise noch unentschlossen bin, was ich mit meinem dreizehnten Monatsgehalt anfangen soll, befinde ich mich wie so oft in der Situation, in der eine Entscheidung unvermeidlich wird. Das aber nicht, und darauf kommt es an, weil ich mich mit zwei vçllig verschiedenen Absichten trage, die sich nicht gemeinsam realisieren lassen, wie wenn ich abwge, ob ich an einem 587 Patzig konstatiert zu Recht, dass Kant die Differenz kategorisch/hypothetisch in einem urteilstheoretisch ungewçhnlichen Sinn verwendet, wo er von kategorischen und hypothetischen Imperativen spricht. Die Ausdrcke ,kategorisch‘ und ,hypothetisch‘ bezeichnen alsdann keine Form praktischer Urteile, sondern das Verhltnis dieser Urteile zu etwas anderem, und zwar ihrem jeweiligen Geltungsgrund. Vgl. Patzig, Gnther: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik, a.a.O., S. 237 ff.

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heißen Sommertag im Schwimmbad Abkhlung suche oder doch standhaft an der Doktorarbeit weiterschreibe, sondern deshalb, weil es ein und dasselbe Geld ist, das ich sowohl sparen als auch fr irgendetwas ausgeben will. Worauf mein Wille gerichtet ist, das ist eine Vielzahl von Handlungsalternativen, die sich unter einem einheitlichen Gesichtspunkt ergeben. Mit Blick auf den Gegenstand ist das eine andere Situation als die erstgenannte. Im disjunktiven Urteil sind zwei oder mehr praktische Urteile miteinander verbunden, so dass das, was begehrt wird, przise gesprochen, etwas Disjunktives ist. Meine vorhandenen Mçglichkeiten sind einerseits einander entgegengesetzt, andererseits stehen sie aber auch in einer Gemeinschaft und ergnzen sich zu einem Ganzen. Sie bilden die Optionen, die mir in Bezug auf eine bestimmte Sache zur Verfgung stehen. Und wie bei jeder Einteilung ist die Relation des Einteilungsgrundes zu seinen Gliedern unbedingt, die Relation der Einteilungsglieder untereinander dagegen eine wechselseitig bedingte. Die Deduktion, wie ich sie anrege, darf sich wohl mehrere Vorzge zugute halten. 1) In ihrem Ergebnis verzichtet sie auf die Begriffe Persçnlichkeit und Person und umgeht dadurch von Grund auf den drohenden Widerspruch, dass dieselben Begriffe sowohl Kategorien der Freiheit als auch Postulate der reinen praktischen Vernunft sein sollen. Die Begriffe Persçnlichkeit und Person werden dadurch, das sei betont, nicht abgewertet, sie haben ohne jeden Zweifel einen herausragenden Stellenwert in der kantischen Moralphilosophie. Es wird jedoch zurckgenommen, dass sie den Status von Kategorien haben. Im Gegenzug bleibt dadurch die Stellung unangefochten, die Kant selbst ihnen zumisst, wenn er sie zu Postulaten erklrt. 2) Die alternative Deduktion kommt ohne den heiklen Begriff des Zustandes aus. Sie vermeidet damit die Mehrdeutigkeit, die bei Kant mit diesem Begriff Einzug in die Kategorientafel hlt. 3) Auch ist die Prposition ,auf‘ nicht lnger vonnçten, um den begrifflichen Gehalt der Kategorien wiederzugeben. Die Deduktion entwickelt die Relationskategorien konsequent nach Maßgabe der zugrunde liegenden Urteilsfunktionen als dynamische Kategorien, und sie versteht die Korrelate als Bestandteile einer durch und durch objektiven Relation. 4) Fernerhin lsst sich nun leicht einsehen, inwiefern es sich bei der Einteilung des Kategorienquadranten um eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen handelt. Die erste Relationskategorie figuriert als Bedingung, die zweite als Bedingtes und die dritte Kategorie als deren synthetische Einheit, und das ganz so wie bei den dahinter stehenden Urteilsfunktionen. 5) Wie Kant die Kategorien der Relation deduziert, lsst sich kaum entscheiden, ob innerhalb des Quadranten ein bergang stattfindet oder

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nicht. Sind alle Kategorien ausschließlich von ein und derselben Art? Oder geht man fort von einem Kategorientyp zu einem anderen? Die alternative Deduktion dagegen macht die Entscheidung leicht. Danach ist auch im dritten Quadranten kein bergang anzutreffen. Die Kategorien der Relation – ich berhebe mich hier einer eigenen Namensgebung – sind keine Formbestimmtheiten entweder nur des sinnlich bedingten oder nur des sinnlich unbedingten Willens. Vielmehr gehçren sie ohne Ausnahme der gleichen Sorte an. Sie alle sind, was wir bisher Kategorien des Willens berhaupt genannt haben und Kant selbst in seinen eigenen Worten Kategorien „von praktischen Prinzipien berhaupt“ (KpV A 118) nennt. Sie regeln die Bildung sowohl des empirischen als auch des reinen Willens, denn der eine wie der andere kann prinzipiell auf ein kategorisch, ein hypothetisch oder ein disjunktiv strukturiertes Objekt gerichtet sein.588 Der Bestimmungsgrund des Willens, mag er in einem Gefhl der Lust und Unlust, mag er im Gedanken transzendentaler Freiheit bestehen, kommt in der metaphysischen Deduktion gar nicht zur Geltung und wirkt sich folglich auch nicht auf den begrifflichen Gehalt der Kategorien aus. Mithin sind die Kategorien der Relation, wie schon zuvor die der Quantitt und der Qualitt, meiner Meinung nach weder in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen noch mit Bezug auf die Begriffe des Wohls und bels zu entwickeln. Sie sind vielmehr gleichgltig gegen diese Unterscheidung.

4. Die Freiheitskategorien der Modalitt Die zuletzt noch ausstehende Kategorienklasse ist die der Modalkategorien. Diese Klasse bildet den Schlusspunkt des Kategoriensystems, was daran deutlich wird, dass sie in der Reihenfolge der Quadranten die Nummer „4“ (KpV A 117) trgt. Mit ihr ist die Kategorientafel vollendet, weitere Kategorien sieht Kant nicht vor. Die Tafel der Kategorien der Freiheit besitzt nun ihre endgltige Gestalt. Wir ziehen vom zweiten Kategorientitel aus eine diagonale Linie nach rechts unten und zugleich eine andere vom dritten Titel aus nach links unten und erhalten auf diese Weise den vierten Kategorientitel dort, wo sich beide Geraden schneiden. Dadurch erweitert sich die Tafel in grafischer Hinsicht von einem Dreieck zu einem Viereck. 588 Beck merkt so etwas fr den Fall von Imperativen an. Ein kategorischer wie auch ein hypothetischer Imperativ, so schreibt er, kann entweder mit einer kategorischen oder mit einer hypothetischen Urteilsform formuliert werden. Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 116 und 276, Anm. 14.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

Das Kategorientableau zeigt jetzt die typische Figur eines auf der Spitze stehenden Quadrates. Typisch deshalb, weil bereits die so genannte Urteilstafel und die Tafel der Kategorien der Natur in der Kritik der reinen Vernunft mit demselben Quadranten beschließen und insgesamt dasselbe geometrische Arrangement darbieten. Die Kategorien der Freiheit, wie sie sich unter dem Titel der Modalitt zusammenfinden, sind durch die Bank weg Begriffe, die man aus Kants Schriften kennt. Das Neue sind weniger diese Begriffe selber, als vielmehr die Einsicht, dass sie den Stellenwert von Kategorien besitzen. Das hat Kant bisher nirgendwo behauptet, und auch nach der Kritik der praktischen Vernunft hat er diese Auffassung nicht mehr ausdrcklich wiederholt.589 Man wird aber sicherlich sagen drfen, dass die Modalkategorien mit zu den Kategorien der Tafel zhlen, deren begrifflicher Gehalt sich relativ unkompliziert ausmessen lsst. Es hat seinen vollauf berechtigten Sinn, wie ich zeigen mçchte, diese Begriffe als Kategorien zu apostrophieren. Auf der ersten Stelle notiert Kant „Das Erlaubte und Unerlaubte“, auf der zweiten „Die Pflicht und das Pflichtwidrige“ und auf der letzten Stelle „Vollkommene und unvollkommene Pflicht“ (ebd.). Wir haben es ganz offenkundig mit drei begrifflichen Gegensatzpaaren zu tun, wodurch sich die Kategorien markant von denen unter den brigen Titeln abheben. Das ist eine der Besonderheiten des Quadranten, dass jeder Kategorie jeweils eine andere komplementr entgegensteht, so dass man summa summarum auf sechs Kategorien der Modalitt kommt. Und alle scheinen sie moralisch bestimmte Kategorien zu sein. Der Pflichtbegriff jedenfalls ist gewiss sptestens seit der Grundlegungs-Schrift eine der zentralen und terminologisch einschlgigen Theorievokabeln von Kants Moralphilosophie, wohingegen die Aufteilung in vollkommene und unvollkommene Pflichten vor allen Dingen in der doktrinal ausgefhrten Sittenlehre wichtig wird, das heißt in der Metaphysik der Sitten. Und ich werde dafr argumentieren, dass es auch um die restlichen Begriffe nicht anders bestellt ist. Einige Autoren halten zwar daran fest, dass nach dem Vorbild des ersten Quadranten hier ebenfalls ein bergang stattfinden msse, dass von Kategorien einer Art fortzugehen sei zu Kategorien einer ganz anderen Art. Sie meinen, dass Kant den Pflichtbegriff hier gerade nicht im blichen, sondern entgegen jeder Leserintuition in irgendeinem weiten Sinn verwende, so dass es auch eine sinnlich bedingte, eine solche 589 Vielmehr gibt Kant den Begriff der Pflicht des fteren fr eine Idee aus. Vgl. GMS A/B VIII, 28; MSR A/B 15, 16; Rel. A 54/B 57, A 250/B 266; Gem. A 223, 230, 231 und passim.

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Pflicht gebe, deren Verbindlichkeit keine sittliche ist. Nach meinem Dafrhalten jedoch vollzieht sich im Quadranten der Modalitt kein solcher bergang. Die Modalkategorien, wie Kant sie prsentiert, sind allesamt von derselben Sorte. Unter ihnen ist keine, die unser sinnlich bedingtes Begehren betrifft oder berhaupt moralisch unbestimmt bleibt. Ohne Ausnahme sind sie, so meine ich, Kategorien des sinnlich unbedingten Willens. Wenn sich das dartun lsst, ergibt sich aufs Ganze gesehen das folgende Bild. Wir haben in den vorangegangenen Kapiteln die Kategorien der ersten drei Quadranten – teilweise von Kant abweichend, aber stets, wie ich hoffe, auf der soliden Grundlage ihrer metaphysischen Deduktion – als Kategorien des Willens berhaupt interpretiert bzw. als Kategorien „von praktischen Prinzipien berhaupt“ (KpV A 118). Als solche spezifizieren sie den objektiven Sachgehalt des Willens, einerlei ob es sich dabei um einen Gegenstand der empirischen oder der reinen praktischen Vernunft handelt. Lediglich die Kategorien des vierten Quadranten sind, so lautet nun meine These, in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen zu entwickeln und werden von Kant auch so entwickelt. Sie sind Kategorien einzig und allein des reinen, nicht aber zugleich auch des empirischen, Willens. Und das hngt, wie zu sehen sein wird, mit einer weiteren Eigentmlichkeit der modalen Kategorien zusammen. Ich will also sagen, dass Kant, indem er im Umfeld der Kategorientafel einmal einen bergang, das andere Mal einen Fortgang innerhalb der Tafel ankndigt, in meinen Augen nicht Verschiedenes, sondern ein und eben dasselbe meint. Denn wenn sich tatschlich in keinem einzigen der Quadranten, wie ich glaube, Kategorien unterschiedlichen Typs miteinander kombiniert finden, muss die Rede vom ber- oder Fortgang anders verstanden werden. Sie besagt dann gerade nicht, dass so etwas unter jedem einzelnen Titel immer wieder aufs Neue anzutreffen ist. Vielmehr kann es sich nur um etwas handeln, was lediglich ein einziges Mal, und zwar im Durchgang durch die ganze Kategoriensystematik, sich ereignet, im Voranschreiten von einem Quadranten hin zu einem anderen. Und es sind die „Kategorien der Modalitt“, denen Kant selbst explicite eine ausgezeichnete Stellung einrumt, indem er schreibt, dass erst sie es sind, die „den bergang von den praktischen Prinzipien berhaupt zu denen der Sittlichkeit […] einleiten“ (ebd.). Die Moralitt des Willens ist fr Kant, um es mit den Worten von Robert J. Benton auszudrcken, „a Question of Modality“590. 590 Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 188.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

Beginnen wir gleich mit der so genannten Urteilstafel. Wir wollen die Problematik geradewegs bei ihrer Wurzel packen, indem wir zunchst fragen, was man ber die Urteilsfunktionen wissen muss, die Kant dort unter dem Titel der Modalitt anfhrt, um aus ihnen die entsprechenden Freiheitskategorien erklren zu kçnnen. Entgegen Lewis W. Becks Einschtzung lsst sich durchaus mit guten Grnden verteidigen, dass Kants Darstellung der modalen Freiheitskategorien konsequent durch die zugrunde liegenden Funktionen des menschlichen Intellekts gefhrt ist.591 Die Urteilsfunktionen des Modalquadranten unterscheiden sich von allen anderen. „Die Modalitt der Urteile“, stellt Kant fest, „ist eine ganz besondere Funktion derselben“ (KrV A 74/B 99). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie „nichts zum Inhalte des Urteils beitrgt (denn außer Grçße, Qualitt und Verhltnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte)“ (KrV A 74/B 100). Stattdessen geht sie, positiv gesprochen, „nur den Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken berhaupt an“ (ebd.).592 Diese Formulierung ist insofern missverstndlich, als mit dem „Denken berhaupt“ sicherlich nicht das Denken bar jeden Inhalts, mithin die bloße Fhigkeit zu denken gemeint sein kann. Vielmehr muss man Kant so verstehen, dass, whrend die Funktionen unter den Titeln der Quantitt, der Qualitt und der Relation das Was des Denkens festlegen, die unter dem Titel der Modalitt ber das Wie entscheiden. Es geht nun nicht mehr darum, was, sondern um „die Art und Weise […], wie im Urteile etwas“ (ebd.) gedacht wird. Das ist alles andere als eine beliebige, dem freien Ermessen des Subjekts anheim gestellte Zutat. Folgt man Kant, steht kein Urteil jemals vollkommen isoliert da. Ganz im Gegenteil sogar, die Festlegung der Modalitt eines Urteils ist geradeso eine unverzichtbare Komponente jedes Urteilsvollzuges.593 Ein Gedanke wird logisch modalisiert, indem er in den Prozess des Denkens eingeordnet und in einen bestimmten Zusammenhang mit anderen Gedanken gebracht wird. Der so genannte „Wert der Kopula“ ist stets ein relativer, nicht im psychologiSiehe ebenso Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 212 f; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 29. 591 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 147. Siehe ebenso Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 189 ff. 592 hnlich wird Kant auch in §30 der Jsche-Logik zitiert, wonach die Modalitt eines Urteils „das Verhltnis des ganzen Urteils zum Erkenntnisvermçgen“ bestimmt. 593 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 61 f.

4. Die Freiheitskategorien der Modalitt

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schen, sondern im urteilstheoretischen Sinne: Er ist relativ auf andere Urteile.594 Durch die Modalfunktionen wird, wie Kant sich auch erklrt, ein Urteil „gradweise dem Verstande einverleibt“ (KrV A 76/B 101). Mit Verstand ist dabei das gemeint, was eben noch das „Denken berhaupt“ hieß, also der gesamte diskursive Apparat des Menschen, der fr alle Urteilsoperationen zustndige Intellekt.595 Unterschiede in der Modalitt von Urteilen sind unterschiedliche Grade der Einverleibung dieser Urteile in das obere Erkenntnisvermçgen. Dieser Sprachgebrauch ist ohne Zweifel metaphorisch. Er lsst sich schon vor Kant nachweisen, etwa bei Johann G. H. Feder und bei Johann G. Sulzer.596 In jedem Urteil muss, nchtern ausgedrckt, unter anderem darber befunden werden, wie man zu dem, was in einem Urteil gedacht wird, steht. Wie verhlt sich ein Gedanke, den ich fasse, zu meinen anderen berzeugungen und Meinungen? Das ist ein reflexiver oder ein Denkakt zweiter Ordnung. Die Rede von einer Einverleibung ist daher streng epistemisch zu nehmen: Modale Bestimmungen sind fr Kant genauso wie alle anderen das Resultat einer Synthesis, die der menschliche Intellekt vollbringt. Fr den modus iudicii ist kein besonderes Teilvermçgen, sondern der Intellekt als Einheit zustndig. Wir haben gesehen, dass Kant die Gliederung der Urteilstafel ber der Gliederung des oberen Erkenntnisvermçgens erstellt. Hinter den Funktionen der Quantitt steht der Verstand, hinter denen der Qualitt die Urteilskraft und hinter den Funktionen der Relation die Vernunft. Damit aber nicht genug, denn die Funktionen der Modalitt sind davon mitnichten ausgenommen. Jedoch sollen sie je einem der genannten Teilvermçgen zurechenbar sein: „Gleich, als wenn das Denken im ersten Fall eine Funktion des Verstandes, im zweiten der Urteilskraft, im dritten der Vernunft wre.“ (KrV A 75/B 100 Anm.) Kant trgt dem optisch Rechnung, indem er die Urteilstafel nicht ohne Hintersinn als ein auf der Spitze stehendes Quadrat gestaltet. Das Dreieck, das durch den ersten, zweiten und dritten Quadranten abgesteckt ist, wird sozusagen heruntergeklappt und seine Eckpunkte in den vierten Qua594 Vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 127 f.; Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 71 und 79 ff. 595 Vgl. KrV A 15/B 39, A 51/B 75, A 52/B 76, A 69/B 94, A 835/B 863; Anthr. A/B 115; AA XX 223. 596 Darauf macht Reinhard Brandt aufmerksam (Die Urteilstafel, a.a.O., S. 83, Anm. 61). Vgl. Feder, Johann G. H.: Logik und Metaphysik, Gçttingen 17744, S. 88; Sulzer, Johann G.: Psychologische Betrachtungen ber den sittlichen Menschen (1769), in: Vermischte philosophische Schriften, Leipzig 17822, Bd. 1, S. 297.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

dranten hineingespiegelt.597 Die drei Momente, die der vierte Quadrant befasst, heißen der Reihe nach „Problematische“, „Assertorische“ und „Apodiktische“ (ebd.).598 Ein Urteil ist hinsichtlich seiner Modalitt entweder ein problematisches Urteil, ein assertorisches oder ein apodiktisches. Und das erste beruht auf einer Leistung des Verstandes, das zweite entspringt der Urteilskraft und das dritte verdankt sich der Vernunft. Verstand, Urteilskraft und Vernunft beziehen jeweils ein Urteil auf ein anderes Urteil, und sie bestimmen diese Beziehung.599 Gehen wir das im Einzelnen durch.600 „Problematische Urteile“, schreibt Kant, „sind solche, wo man das Bejahen oder Verneinen als bloß mçglich (beliebig) annimmt“ (KrV A 74/B 100). Das ist mit Sicherheit nur die halbe Wahrheit. Wie spter bei den darauf aufbauenden Kategorien muss es sich hier bereits um eine zweiwertige Alternative handeln, um „logische Mçglichkeit“ (KrV A 75/B 101) einerseits und logische Unmçglichkeit andererseits. Da man die Modalitt einem Urteil nicht direkt ansieht, kann man sie ausdrcklich machen und im Falle eines problematischen Urteils darstellen durch den Modalausdruck ,Es ist mçglich‘ bzw. ,Es ist unmçglich‘ und die Proposition ,p‘.601 Die problematische Funktion modalisiert die Proposition entweder als mçglich oder als unmçglich. Unter der Voraussetzung eines anderen Urteils ist es widerspruchsfrei, sie zu denken, oder aber widersprchlich. So hat es beispielsweise keine Schwierigkeit zu meinen, dass die Linie, sagen wir, irgendeines Kreises in roter Farbe gezogen ist, wenn man davon ausgeht, dass ein Kreis wesenhaft etwas Rundes ist. Man hat die „freie Wahl, einen solchen Satz gelten zu lassen“ (ebd.). Es handelt sich dann um eine „bloß willkrliche Aufnehmung desselben in den Verstand“ (ebd.). Dagegen steht es nicht frei zu glauben, der betreffende Kreis sei mit vier Ecken gezeichnet. Das anzunehmen, ist gerade ausgeschlossen. Mithin kann ein 597 Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 60; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 142. 598 Vgl. Prol. A 86. 599 Vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 147 ff. 600 Fr das Folgende siehe auch Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 79 ff.; Reich, Klaus: Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 74; Stuhlmann-Laeisz, Rainer: Kants Logik, a.a.O., S. 63 ff.; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 148 ff. 601 Vgl. Kneale, William/Kneale, Martha: The Development of Logic, a.a.O., S. 82; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 126; Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 62 und 80.

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solches Urteil dem Denken eigentlich gar nicht einverleibt werden, weil es nicht mit dem vereinbar ist, was wir uns unter einem Kreis als solchem vorstellen.602 Die assertorische Funktion modalisiert einen Satz als wirklich oder als unwirklich. „Assertorische [Urteile], da es als wirklich (wahr) betrachtet wird.“ (KrV A 74 f./B 100) Das ist gewiss wiederum einseitig, das Gegenstck zu „logischer Wirklichkeit“ (KrV A 75/B 101) ist logische Unwirklichkeit bzw. Unwahrheit. Im assertorischen Urteil ist der Proposition ,p‘ der Modalausdruck ,Es ist wirklich‘ bzw. ,Es ist unwirklich‘ vorangestellt.603 Unter der Bedingung eines anderen Urteils ist die Proposition wahr oder unwahr. Mein Interpretationsvorschlag dieser im Detail nicht ganz leicht zu durchschauenden Urteilsfunktionen geht dahin, das der Geltungsgrund eines Gedankens entweder in einem anderen Gedanken liegt, sprich im Denken selber, oder dass er außerhalb zu suchen ist. Beispielsweise lsst sich ber den Anspruch der Behauptung ,Dieser Junggeselle ist nicht verheiratet‘ allein durch eine Analyse der darin verwendeten Begriffe entscheiden, insofern wir unter einem Junggesellen einen unverheirateten Mann verstehen. Das Urteil ist alsdann logisch wahr, es ist ein analytisches Urteil. Anderenfalls wre es logisch unwahr. Die Annahme zum Beispiel, der betreffende Junggeselle sei reich, ist ein synthetisches Urteil, weil sich nicht mit rein logischen Mitteln ber ihre Rechtmßigkeit befinden lsst. Gemß unserem Begriffsverstndnis ist ja ein Junggeselle nicht per se ein wohlhabender Mensch. Dass einem Gedanken durch den bloßen Rckbezug auf andere Gedanken Wirklichkeit oder Unwirklichkeit zukommt, ist mithin meiner Ansicht nach nichts anderes als Kants urteiltheoretische Fundamentalunterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Stzen.604 Die apodiktische Funktion modalisiert einen Satz als notwendig oder als zufllig. „Apodiktische [Urteile], in denen man es als notwendig ansieht.“ (KrV A 75/B 100) Auch hier muss es sich wie bei den daraus abgeleiteten Kategorien genau genommen um zweierlei handeln, „logische Notwendigkeit“ (KrV A 76/B 101) und logische Zuflligkeit. Ein apodiktisches Urteil lsst sich darstellen als zusammengesetzt aus dem Modalausdruck ,Es ist notwendig‘ bzw. ,Es ist zufllig‘ und der nominalisierten 602 Vgl. KrV B XXVI Anm., A 244/B 302, B 302 f. Anm., A 610/B 638. 603 Vgl. Kneale, William/Kneale, Martha: The Development of Logic, a.a.O., S. 82; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 126; Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 62 und 80. 604 Vgl. KrV A 6 ff./B 10 ff.; A 150 ff./B 189 ff.; Prol. A 24 ff.; Jsche A 173.

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Proposition ,dass p‘.605 Ausgehend von einem anderen Urteil ist es notwendig oder zufllig, die betreffende Proposition zu denken. Und ein Urteil fhrt nach Kants Vorstellung genau dann Notwendigkeit mit sich, wenn sein Gegenteil nicht vorstellbar ist. Es wird sodann „als unzertrennlich mit dem Verstande verbunden […] behauptet“ (ebd.). Dass beispielsweise ein Kreis einen Durchmesser hat, liegt bereits vollkommen im Begriff eines Kreises darin, so dass jede gegenteilige Vorstellung logisch unmçglich ist. Dagegen eignet einem Urteil Zuflligkeit, sofern dessen Gegenteil sehr wohl gedacht werden kann. Dass der Kreis, den wir meinen, einen Durchmesser von zehn Zentimetern besitzt oder doch nur von fnf, ist in dem Begriff des Kreises nur teilweise, das heißt unvollkommen, enthalten, weshalb hier alternative Behauptungen logisch mçglich sind. Ob fr die eine oder fr die andere optiert wird, bleibt dem Denken, bemessen an der logischen Ordnung seiner Begriffe, zufllig.606 Aus diesen Urteilsfunktionen deduziert Kant die Kategorien der theoretischen Vernunft. Das geschieht, indem die Funktionen des menschlichen Intellekts auf das Anschauungsvermçgen in Bestimmung seiner und damit auch der angeschauten Objekte angewendet werden. Auf diese Weise erhlt man unter dem Titel der „Modalitt“ (KrV A 80/B 106) insgesamt sechs Kategorien, die in Gegensatzpaaren auftreten. Sie heißen „Mçglichkeit – Unmçglichkeit“, „Dasein – Nichtsein“ und „Notwendigkeit – Zuflligkeit“ (ebd.).607 Das ist nun aber nicht mehr im logischen, sondern im empirischen Sinne zu verstehen. Es geht jetzt um die Art und Weise, wie etwas erfahren wird. Jede Erfahrung, die wir machen, steht Kant zufolge mit anderen in Zusammenhang und ist an den Verlauf bisheriger Erfahrungen zurckgebunden. Ein objektiv gltiges Urteil modalisieren heißt festlegen, ob es unter der Voraussetzung anderer objektiv gltiger Urteile, das heißt nach Maßgabe der Gewohnheiten und Selbstverstndlichkeiten unseres Erfahrungslebens, mçglich oder unmçglich, wirklich oder unwirklich, notwendig oder zufllig ist.608 Die Einteilung des Qua605 Vgl. Kneale, William/Kneale, Martha: The Development of Logic, a.a.O., S. 82; Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 126; Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 62 und 80. 606 Vgl. KrV A 594/B 622; AA XXVIII 557. 607 Vgl. Prol. A 86. Statt von Dasein spricht Kant mitunter auch von „Existenz“ (KrV B 111), wozu das Pendant dann wohl Nichtexistenz lauten drfte. 608 So spricht Kant ausdrcklich von realer Mçglichkeit (vgl. KrV B XXVI Anm., A 244/B 302, B 302 f. Anm.; Denken A 210) und von realer Wirklichkeit bzw. Wahrheit (vgl. KrV A 57 ff./B 82 ff., B 115 f., A 157/B 196 f., A 191/B 236, A 292/B 247, A 237/B 296).

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dranten erfolgt dabei nach dem blichen Muster. Sie ist eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen. Wie Kant ausdrcklich erklrt, ist „die Notwendigkeit nichts anders, als die Existenz, die durch die Mçglichkeit selbst gegeben ist“ (ebd.). Das erste Kategorienpaar ist als Bedingung zu nehmen zum zweiten Kategorienpaar als Bedingtem, und das dritte Kategorienpaar bildet deren Synthese.609 Die modalen Naturkategorien sind dynamische Kategorien. Im Gegensatz zu den mathematischen Kategorien des ersten und zweiten Quadranten haben sie „Korrelate“ (KrV B 110). Was sie leisten, ist eine Synthesis von Ungleichartigem. Sie korrelieren Ungleiches miteinander und verbinden es zu einer synthetischen Einheit. Das heißt nun aber etwas anderes als im Falle der relationalen Kategorien. Whrend nmlich bei den Kategorien des dritten Quadranten die Korrelate innerhalb ein und desselben Urteils liegen, sind im Fall der Kategorien des vierten Quadranten verschiedene Urteile im Spiel. Die relationalen Funktionen regeln das Innenverhltnis eines Urteils, indem sie die Vorstellungen des Urteils als Korrelate begrnden und so zu einer Einheit zusammendenken. Anders die modalen Funktionen. Sie regeln das Außenverhltnis eines Urteils, indem sie es mit einem anderen Urteil in Zusammenhang bringen. Und damit geht eine weitere Differenz einher. Denn bei den relationalen Funktionen kommen beide Korrelate stets gleichzeitig zum Einsatz. Die Korrelate sind komplementre Stellen, auf die Vorstellungen im Urteil platziert werden. So ist die Subjekt-Stelle komplementr zur Prdikat-Stelle usw. Dagegen verteilen die modalen Funktionen die Korrelate nicht an unterschiedliche Urteile. Nicht ist das eine Urteil mçglich und das andere unmçglich, sondern das eine ist unter der Voraussetzung des anderen mçglich oder unmçglich etc. Mithin kommen die Modalfunktionen und -kategorien nicht gemeinsam zur Anwendung, sondern sie selbst sind als Korrelate angeordnet, als einander zu einem Ganzen sich ergnzende Entsprechungen. Die Kategorien unter dem Titel der Modalitt haben gleichfalls „das Besondere an sich“, wie Kant notiert, dass sie die „Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhltnis zum Erkenntnisvermçgen ausdrcken“ (KrV A 219/B 266). Durch sie werden 609 Zu den modalen Naturkategorien vgl. Guyer, Paul: The Postulates of Empirical Thinking in General and the Refutation of Idealism (A218/B265-A235/B294), in: Mohr, Georg/Willaschek, Marcus (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 299 ff.; Schneeberger, Guido: Kants Konzeption der Modalbegriffe, Basel 1952.

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„keine Bestimmungen mehr im Objekte selbst gedacht, sondern es frgt sich nur, wie es sich […] zum Verstande“ (ebd.) verhlt. Eines der drei Teilvermçgen des menschlichen Intellekts spezifiziert nach Maßgabe der Kategorien die Modalitt eines theoretischen Urteils. Dieses wird in eine Beziehung gesetzt zu einem anderen theoretischen Urteil und diese Beziehung bestimmt. Keine Erfahrung findet isoliert statt. Indem sie modalisiert ist, ist sie vielmehr immer schon in den kontinuierlichen Sinnfluss unseres weltauffassenden Erkennens eingearbeitet. Wenn ich etwa gerade gesehen habe, wie meine Lebensgefhrten in Frankfurt das Flugzeug Richtung Sydney bestiegen hat, dann ist es nach allem, was ich bisher ber die Welt weiß, mçglich, dass sie mich in rund zwanzig Stunden aus Australien anruft, aber es ist ganz und gar unmçglich, dass sie nach meiner ungefhr halbstndigen Heimfahrt nach Heidelberg dort bereits in der gemeinsamen Wohnung auf mich wartet. Und modalisiert zu sein, ist unserem erkennenden Umgang mit Gegenstnden in Raum und Zeit essenziell. Wie sich die Dinge zu dem zusammenfinden, als was sie uns erscheinen, hat laut Kant notwendig eine modale Komponente. Die Kategorien der praktischen Vernunft sind nun der Sache nach ebenfalls aufzufchern in mathematische und dynamische, auch wenn Kant das nicht explizit sagt. Indem sie ihren Ursprung nicht minder in der so genannten Urteilstafel haben und aus dieser entwickelt werden, geht deren Ordnung und Einteilung auch auf sie ber.610 Das bedeutet, dass die modalen Freiheitskategorien der letzten Abteilung zugehçren. Sie sind keine mathematischen, sondern dynamische Kategorien. Und sie mssen ebenfalls „das Besondere an sich“ haben, um Kant erneut zum Sprechen zu bringen, dass sie die „Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhltnis zum Erkenntnisvermçgen ausdrcken“. Dieses Objekt ist aber nicht das der Erfahrung, sondern das des Willens. Durch die Freiheitskategorien unter dem Titel der Modalitt wird „keine Bestimmungen mehr im Objekte selbst gedacht, sondern es frgt sich nur, wie es sich […] zum Verstande“ verhlt. Das heißt, mit ihrer Hilfe wird ber das Wie des Wollens entschieden, nachdem die Kategorien unter den Titeln der Quantitt, der Qualitt und der Relation das Was des Wollens bereits vollstndig festgelegt haben. Die Frage ist nicht mehr, was

610 Vgl. Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 53; Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 813 f.

4. Die Freiheitskategorien der Modalitt

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es denn ist, das begehrt wird, sie lautet nunmehr stattdessen, auf welche Art die betreffende Sache begehrt wird.611 Die Kategorien des letzten Quadranten spezifizieren die Modalitt eines praktischen Urteils. Aber wie tun sie das? Nun, auf eine andere Weise, als die Naturkategorien das leisten. Sie beziehen gerade nicht ein praktisches Urteil auf ein anderes praktisches Urteil. Richtig bleibt zwar, dass verschiedene Urteile miteinander verbunden werden; ein Urteil wird in Zusammenhang gebracht mit einem anderen. Es geht bei der Modalitt eines praktischen Urteils durchaus um dessen Außenverhltnis. Doch ein praktisches Urteil zu modalisieren, heißt, so behaupte ich, es an den Bestimmungsgrund des Willens zurckbinden: Ein praktisches Urteil enthlt eine Bestimmung des Willens, und seine Modalitt legt sich mit Bezug auf den Grund dieser Willensbestimmung fest. Der Verstand, die Urteilskraft oder die Vernunft bezieht ein praktisches Urteil auf dessen Geltungsbedingung zurck und spezifiziert diese Beziehung. Die Korrelate sind so an zwei Stze verteilt, aber nur einer davon ist ein praktischer Satz. In dem anderen artikuliert sich eine der Voraussetzungen, unter der mein Wollen unvermeidlich steht; dabei kann es sich um den intelligiblen Gedanken transzendentaler Freiheit handeln oder um ein, wie Kant es in der Kritik der Urteilskraft nennt, sthetisches Urteil, in welchem sich ein empirisches Gefhl der Lust oder Unlust bekundet. Und das ist nichts, was ebenso gut auch unterbleiben kçnnte. Jedes praktische Urteil, jedes menschliche Wollen besitzt als solches unausbleiblich eine modale Formbestimmtheit. Ich glaube also, dass Kant die Freiheitskategorien der Modalitt allesamt als Kategorien des reinen Willens ableitet.612 Und ich glaube, dass er das deshalb tut, weil in ihrer metaphysischen Deduktion der Bestimmungsgrund des reinen Willens zum Tragen kommen muss. Das ist neu und war bisher nicht der Fall, jedenfalls nicht in meiner mit Konjekturen behafteten Lesart der Kategorientafel. Die Modalkategorien werden aus den zugrunde liegenden Urteilsfunktionen entwickelt, indem diese Funktionen auf das Begehrungsvermçgen in Bestimmung seiner und damit auch der begehrten Objekte angewendet werden. Nun aber geht die Quelle, 611 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 147 und 149 f.; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, S. 60 f.; Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 188 f.; Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 813 f. 612 Vgl. Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 29; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 212 ff.; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 123. Siehe bereits Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O., S. 27 f.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

aus der sich mein Begehren speist, wesenhaft in den begrifflichen Gehalt der Kategorien mit ein. Und das liegt an der Besonderheit der Modalkategorien, weil sie nichts mehr zum Inhalt eines praktischen Urteils beitragen, sondern, um abermals mit Kant zu sprechen, „nur den Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken berhaupt“ betreffen.613 Schauen wir uns vor diesem Hintergrund die einzelnen Modalkategorien im Detail an. Das erste modale Kategorienpaar umfasst nach Kant die Kategorie des Erlaubten und die Kategorie des Unerlaubten. Mit ihnen hat man die Funktionen, auf denen problematische praktische Urteile beruhen. Das Erlaubte (licitum) ist auszulegen als das sittlich Mçgliche, das Unerlaubte (illicitum) als das sittlich Unmçgliche.614 Diese Charakterisierung mag zunchst ungewohnt anmuten, ist in den kantischen Schriften aber durchaus nicht selten anzutreffen. In der Kritik der praktischen Vernunft selbst, und zwar in einer fr die Kategorienthematik wichtigen Fußnote in der „Vorrede“, hngt Kant wie selbstverstndlich den erluternden Klammerzusatz an: „das Erlaubte und Unerlaubte (praktisch-objektiv Mçgliche und Unmçgliche)“ (KpV A 20 f. Anm.). Desgleichen lesen wir in der Metaphysik der Sitten, dass „gewisse Handlungen erlaubt oder unerlaubt, d.i. moralisch mçglich oder unmçglich“ (MSR A/B 19), sind. Man muss sich das so zurechtlegen, dass die Kategorien, indem sie ein reines praktisches Urteil als erlaubt oder unerlaubt modalisieren, festlegen, dass der Gegenstand dieses Urteils unter der Bedingung absoluter Freiheit entweder mçglich ist oder aber nicht. Und das zu entscheiden, ist Aufgabe des Verstandes, des ersten der drei Teilvermçgen des menschlichen Intellekts. Er bestimmt, ob eine Handlung sittlich verboten oder zulssig ist, mithin befindet er darber, ob ein Objekt des Willens mit der Autonomie 613 Claudia Graband und Theo Kobusch glauben, dass die Modalkategorien ein Urteil in ein Verhltnis „zum (moralischen) Gesetz“ bringen (Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 61) bzw. dass sie „schon das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund als Voraussetzung ihrer selbst“ enthalten (Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 29). Siehe auch Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 212. Das halte ich fr wenig plausibel, weil durch die Kategorien der Freiheit allererst so etwas konstituiert wird wie ein gesetzesfçrmiger Wille. Das Sittengesetz ist kaum vorab und unabhngig davon bereits das, was es ist, so dass es hinterher dann auch noch auf die Kategorien bezogen werden kann. 614 Vgl. Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 599; Michaelis, Christian F.: Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 198; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 267.

4. Die Freiheitskategorien der Modalitt

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des Willens vereinbar ist, oder ob es ihr widerspricht. Ganz auf dieser Linie erklrt Kant in der Grundlegungs-Schrift: „Die Handlung, die mit der Autonomie des Willens zusammen bestehen kann, ist erlaubt; die nicht damit stimmt, ist unerlaubt.“ (GMS A/B 86)615 Das zweite modale Kategorienpaar besteht aus den Kategorien der Pflicht und des Pflichtwidrigen. Sie sind die Funktionen eines assertorischen praktischen Urteils. Pflicht (officium), so muss man hier lesen, ist das moralisch Wirkliche, und das Pflichtwidrige ist das moralisch Unwirkliche.616 Doch was soll das heißen? Wir haben es hier sicherlich nicht mit gebruchlichen Begriffsbestimmungen zu tun, derer sich Kant wiederholt bedient. Schon gar nicht handelt es sich um die Standarderklrung dessen, was eine Pflicht oder Pflichtwidrigkeit ist. Ganz im Gegenteil sogar, dem Wortlaut nach findet sich diese oder eine hnliche Formulierung bei Kant selber an keiner Stelle, soweit ich sehen kann. Wie also hat man sie zu verstehen? Die Kant-Literatur hat ihr Augenmerk hauptschlich auf den Pflichtbegriff gelegt, wie er innerhalb der Kategorientafel auftaucht. Und sie hat in dieser Angelegenheit verschiedene Deutungsanstze hervorgebracht. Georg S. A. Mellin beispielsweise schaltet die drei modalen Kategorienpaare mit der Differenz von problematischen, assertorischen und apodiktischen Imperativen gleich, wie sie Kant anderswo vornimmt. Die Erstgenannten sind Ausprgungen eines hypothetischen Imperativs, wohingegen nur die zuletzt Genannten kategorische Imperative darstellen.617 Und die „Pflicht ist“, schreibt Mellin, „die Willensbestimmung zu einer Handlung, deren Imperativ assertorisch ist.“618 Das setze allerdings voraus, wie Mellin mehrfach betont, dass man das „Wort Pflicht […] hier nicht bloß in moralischer Bedeutung“ nimmt, sondern Kant einen „weitern Begriff der Pflicht“619 unterstellt. Dieselbe Auffassung vertreten auch Lewis W. Beck und Ralf M. Bader. Beck allerdings gesteht freimtig zu, dass „Kant diesem offenbar einfachen Leitfaden zu den Begriffen der Modalitt 615 Vgl. MSR A/B 10, 19, 21, 21 f., 73, 133, 181, A 222/B 252; MST A 17, 52 f., 74, 78, 121; Gem. A 227, 244, 255; Frieden A/B 15, A 73/B 78. 616 Vgl. Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 267; Michaelis, Christian F.: Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 199; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 600. 617 Vgl. GMS A/B 40 ff.; KpV A 21 Anm. 618 Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 4, a.a.O., S. 534. 619 Ebd.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

nicht“620 zu folgen scheint. Ganz anders Robert J. Benton. Er liest in die Klasse der Modalkategorien die Differenz zwischen der Legalitt und der Moralitt menschlichen Handelns hinein. Das zweite Modalpaar habe es nur mit der Legalitt einer Handlung zu tun und besage „according to duty/contrary to duty“621. Erst das dritte Modalpaar betreffe die Moralitt einer Handlung. Es unterscheide zwischen zwei Handlungen, die aber doch beide „for the sake of duty“622 ausgefhrt wrden. Wir kommen indes zu einem anderen Ergebnis. Arbeiten wir das Schritt fr Schritt heraus. Als Erstes mssen wir zur Kenntnis nehmen, wie Kant seinen Begriff der Pflicht an einschlgigen Textstellen außerhalb der Kategorientafel darzulegen pflegt. So heißt es in der Kritik der praktischen Vernunft: „Die Handlung, die nach diesem Gesetze, mit Ausschließung aller Bestimmungsgrnde aus Neigung, objektiv praktisch ist, heißt Pflicht“ (KpV A 143). Und die Metaphysik der Sitten statuiert: „Pflicht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist. Sie ist also die Materie der Verbindlichkeit“ (MSR A/B 21).623 Es ist das zu einem Objekt bestimmte Begehren, das von Kant als Pflicht oder, so wollen wir gleich ergnzend hinzufgen, als pflichtwidrig gedacht wird, der Wille, der einen bestimmten Gegenstand intendiert. Nicht anders hat es sich uns bereits im Fall des ersten Kategorienpaares gezeigt. Auch die Begriffe des Erlaubten und Unerlaubten heben auf den Willen und seinen Inhalt ab, erlaubt oder unerlaubt ist das absichtsvolle Aussein auf etwas. Gegen Benton ist daher einzuwenden, dass die Kategorien der Freiheit der Unterscheidung von Legalitt und Moralitt noch vorangehen. Whrend erstere allein die Bestimmung des Willens regeln, ist die letztere auf die Ausfhrung desselben gemnzt. Die Rede von der Legalitt oder Moralitt einer Handlung meint bei Kant zwei gesinnungsdifferente Gestalten der Pflichterfllung, eine Verschiedenheit der Motive, aus denen heraus man seiner Pflicht nachkommen kann. In einem zweiten Schritt mssen wir sodann, wie es fr die Kategorien der Modalitt berhaupt kennzeichnend ist, unseren Blick auf das richten, was dem zu einem Gegenstand bestimmten Willen seinerseits noch vorausliegt. Und das ist der Grund der Willensbestimmung. Denn nach 620 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 147; Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 814 ff. 621 Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 189. 622 Ebd. Vgl. Pieper, Annemarie: Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit, a.a.O., S. 150; Dies.: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 123. 623 Vgl. GMS A/B 8, 20, 76, 86; KpV A 57; MST A 2, 7, 46.

4. Die Freiheitskategorien der Modalitt

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Kants Auffassung kann das Begehren eines Objekts bekanntlich nur dann den Charakter einer Pflicht oder Pflichtwidrigkeit haben, wenn es unter der Voraussetzung der Idee der Freiheit steht. Es ist der Inhalt des freien Willens, der durch diese Begriffe vorgestellt wird, mithin der Gegenstand der reinen praktischen Vernunft. Und fr die Frage, ob das eine oder das andere der Fall ist, ist das zweite Teilvermçgen unseres Intellekts zustndig, die Urteilskraft. Sie modalisiert ein reines praktisches Urteil als Pflicht oder als Pflichtwidrigkeit, indem sie es auf seinen Geltungsgrund bezieht: Ist der Wille unter der Bedingung absoluter Freiheit bestimmt, dann legt die Urteilskraft fest, ob das Objekt des Begehrens ein wirkliches ist oder ein unwirkliches. Was auch immer das des Nheren besagen mag, gegen Mellin, Beck und Bader kann man jedenfalls durchaus daran festhalten, das der Pflichtbegriff, wie Kant ihn in die Kategorientafel einbringt, in seinem normalen terminologischen Verstndnis zu nehmen ist. Wir haben es hier, so meine ich, mit dem engen, dem moralischen Begriff der Pflicht zu tun.624 Was ist nun aber ein Gegenstand des Willens, der als sittlich wirklich oder als sittlich unwirklich vorgestellt wird? Gemß dem Verfahren der metaphysischen Deduktion baut Kant den moralischen Begriff der Wirklichkeit bzw. Unwirklichkeit auf den logischen Begriff derselben auf. Die beiden Modalkategorien leiten sich von den zugrunde liegenden Urteilsfunktionen her, die letzteren werden in die ersteren aufgehoben. Und wir haben gesehen, um damit zu beginnen, dass ein Urteil genau dann logisch wirklich ist, wenn sich der mit ihm verbundene Anspruch bloß mit den Mitteln des Denkens rechtfertigen lsst, weil der Inhalt des Urteils in einem anderen Urteil beschlossen liegt. Muss man dann nicht im Hinblick auf die Kategorien ganz hnlich formulieren? Hat man nicht recht eigentlich zu sagen, dass ein praktisches Urteil dann moralisch wirklich ist, wenn sein Inhalt ebenfalls in einem anderen Urteil enthalten ist? Jetzt aber im Bestimmungsgrund des reinen Willens? Wenn also die Vorstellung des Gegenstandes, durch die das Begehren bestimmt ist, bereits analytisch in der Vorstellung der Freiheit darin liegt? In diesem Sinne verstehe ich Kants einzige Anmerkung zur Kategorie der Pflicht in der vorgenannten Fußnote der „Vorrede“, wo er erklrt, dass durch diese Kategorie vorgestellt wird, „was in […] Beziehung auf ein in der Vernunft berhaupt wirklich liegendes Gesetz steht“ (KpV A/B 21 Anm.). 624 Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 214 f.; Kobusch, Theo: Die Kategorien der Freiheit, a.a.O., S. 29; Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstck, a.a.O., S. 123.

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III. Die Tafel der Kategorien der Freiheit (KpV A 117)

Das geht jedenfalls voll und ganz zusammen mit Kants Lehre, wonach die „Freiheit, wenn sie uns beigelegt wird, uns in eine intelligibele Ordnung der Dinge“ (KpVA 72) versetzt. Denn wir kçnnen zwar das, was Pflicht uns gebietet, so meint Kant sptestens seit der Kritik der praktischen Vernunft, nicht aus der Idee der Freiheit herausziehen und durch sie rechtfertigen, aber umgekehrt gibt das, was uns als Pflicht auferlegt ist und was sich unmittelbar einsehen lsst, mittelbar die Gesetze zu erkennen, wie sie in jener „reinen Verstandeswelt“ (KpV A 74 f.) gelten, der wir als „Wesen an sich selbst“ (KpV A 72) angehçren. In dem, was die Pflicht uns vorschreibt, bekundet sich eine intelligible, dem sinnenflligen Naturmechanismus enthobene und insofern freie Ordnung, an der wir als vernnftige Subjekte teilhaben und die in der phnomenalen Welt zu verwirklichen uns aufgegeben ist. Auf diese Weise wird die Idee der Freiheit, die fr die theoretische Vernunft leer bleiben muss, durch die praktische Vernunft inhaltlich angereichert: Der Gedanke von einem Reich der Freiheit impliziert immer schon, was sich uns als endlichen Wesen erst nachtrglich durch die Gewissheit unserer Pflicht erschließt. Wie Kant unmissverstndlich sagt: „Man kçnnte jene die urbildliche (natura archetypa), die wir bloß in der Vernunft erkennen, diese aber, weil sie die mçgliche Wirkung der Idee der ersteren, als Bestimmungsgrundes des Willens, enthlt, die nachgebildete (natura ectypa) nennen [Herv. d. Verf.].“ (KpV A 75)625 hnliches gilt auch fr die Kategorie des Pflichtwidrigen. Diese darf zunchst einmal nicht mit der Kategorie des Unerlaubten ineinsgesetzt werden, wovor Kant selbst ausdrcklich warnt. In der bereits erwhnten Fußnote der „Vorrede“ ist zu lesen: „So hat in der Tafel der Kategorien der praktischen Vernunft, in dem Titel der Modalitt, das Erlaubte und Unerlaubte […] mit der nchstfolgenden Kategorie der Pflicht und des Pflichtwidrigen im gemeinen Sprachgebrauche beinahe einerlei Sinn“ (KpV A 20 f. Anm.).626 Kants Wortwahl ist hier sicherlich nicht ganz glcklich. Im Deutschen bringt das Suffix ,-widrig‘ in Bildungen mit Substantiven zum Ausdruck, dass die beschriebene Person oder Sache gegen etwas gerichtet ist, dass sie dagegen verstçßt. Und unter dem Lemma ,pflichtwidrig‘ findet man im Wçrterbuch eine Erklrung wie ,einer Pflicht zuwider‘. Doch das meint Kant hier gar nicht. Das Pflichtwidrige darf gerade nicht als Pflichtverstoß ausgelegt werden, es kann kein gegen eine 625 Vgl. Paton, Herbert J.: Der kategorische Imperativ, a.a.O., S. 277 – 290. 626 Dagegen meint etwa Bobzien, dass „Unerlaubtes und Pflichtwidriges […] umfangsgleich“ seien. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 218.

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Pflicht gerichtetes Handeln oder Wollen bedeuten. Denn dasjenige, was einer Pflicht zuwider ist, kommt doch seinem Begriff nach bereits an anderer Stelle in der Kategorientafel vor. Es ist nichts anderes als das Unerlaubte, das, was sittlich verboten ist. Das so genannte Pflichtwidrige muss daher anders gedacht werden. Ich schließe mich Christian G. Schtz an, der in einem Brief an Kant vom 23. Juni 1788 eine przisere Ausdrucksweise vorgeschlagen hat. Den Begriff der Pflicht schlicht negierend – wie Kant selbst im Falle des Erlaubten verfhrt – kommt er zu dem im Deutschen zugegebenermaßen etwas unnatrlich klingenden Begriff der Nichtpflicht. Der Sache nach scheint mir das ganz treffend: Die Rede vom Pflichtwidrigen ist die Rede von einer „Nichtpflicht“627. Und zwar ist eine Handlung exakt dann eine Nichtpflicht, wenn ihre Vorstellung nicht schon analytisch in der Idee der Freiheit beschlossen liegt. Ein praktisches Urteil ist moralisch unwirklich, wenn sein Inhalt nicht im Bestimmungsgrund des reinen Willens enthalten ist, sondern sich einer anderen Quelle verdankt. Mithin haben wir es mit etwas zu tun, das in jenem Reich der Freiheit, welches wir in der Sinnwelt verwirklichen sollen, keine Rolle spielt, das also durch kein Gesetz jener intelligiblen Ordnung berhrt wird. Kant nennt so etwas in der Metaphysik der Sitten eine „gleichgltige Handlung (adiaphoron)“ (MSR A/B 22). Sie ist eine Handlung, die nicht Gegenstand einer unserer Pflichten ist. Wie Kant sich ausdrckt, steht es in so einem Fall gerade jedem frei, „nach seinem Belieben zu tun, oder zu lassen“ (MSR A/B 21 f.). Das Pflichtwidrige ist fr Kant das moralisch Indifferente. Dafr lsst sich weiter argumentieren, wenn man bercksichtigt, dass in der Urteilstafel die Einteilung des Modalquadranten eine synthetische Einteilung a priori aus Begriffen ist.628 Der einzuteilende Begriff ist der Titel des Quadranten. Dieser soll sich, wir kennen das Prozedere bereits, zunchst mithilfe einer Analyse in zwei Einteilungsglieder differenzieren lassen. Wenn ein Urteil hinsichtlich seiner logischen Modalitt bestimmt, das heißt auf ein anderes Urteil bezogen, wird, kann man zunchst entweder darber entscheiden, ob das Urteil mit den Begriffen, in denen sich unser Denken bewegt, berhaupt vereinbar ist – das ist der Fall des problematischen Urteil –, oder, ob der Geltungsgrund des Urteils sogar in unserem Denken selber liegt – so im assertorischen Urteil. Die erste Stelle, das „Problematische“, fungiert dabei als Bedingung, die zweite Stelle, das 627 Vgl. AA X 515. 628 Zum Folgenden vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 173 f.; Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 79 ff.

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„Assertorische“, als das Bedingte. Hier zeigt sich allerdings eine gravierende Abweichung vom gewohnten Muster. Anders als alle brigen Quadranten befasst der Modalquadrant Gegensatzpaare, Paare aus einander entgegen stehenden und sich zu einem Ganzen zusammenschließenden Urteilsfunktionen. Das problematische Urteil und das assertorische Urteil haben jeweils zwei Spielarten. Um es kurz zu machen, es ist allein die logische Mçglichkeit, die sich in den kontradiktorischen Gegensatz von logischer Wirklichkeit und Unwirklichkeit verzweigt. Die logische Unmçglichkeit bleibt dagegen außer Betracht. Nur das, was mçglich ist, so Kants Idee, kann als wirklich oder unwirklich weiterbestimmt werden. In der Konsequenz vollzieht sich auch in der Tafel der Kategorien der Freiheit die Einteilung des Modalquadranten als eine synthetische Einteilungen a priori aus Begriffen. Das heißt, die Unterscheidung zwischen dem ersten und dem zweiten Kategorienpaar verdankt sich einer Analyse. Der Titel des Quadranten lsst sich in die ersten zwei Einteilungsglieder aufschlsseln. Denn wenn ein praktisches Urteil, so hat man nun zu sagen, auf den Bestimmungsgrund des reinen Willens bezogen wird, kann man entweder beurteilen, ob das Urteil mit der Idee der Freiheit berhaupt kompatibel ist, oder, ob der Geltungsgrund des Urteils berdies gar in der Freiheitsidee enthalten ist. Und die beiden Einteilungsglieder stehen abermals in einem Bedingungsverhltnis. Das erste Kategorienpaar figuriert als Bedingung, das zweite als Bedingtes.629 Dabei tritt dieselbe Besonderheit zutage wie bei den zugrunde liegenden Funktionen. Es ist nmlich lediglich das sittlich Mçgliche, das sich in den kontradiktorischen Gegensatz von sittlich Wirklichem und Unwirklichem aufgliedert. Das sittlich Unmçgliche kommt im Weiteren nicht mehr zum Tragen. Dasjenige, was eine Pflicht oder eine Pflichtwidrigkeit ist, das ist als solches immer auch etwas Erlaubtes.630 Im Lichte dessen kann man das, was der Begriff des Pflichtwidrigen besagen will, noch anders darlegen. Wir sehen nun einerseits, dass dasjenige, was Kant kurz das Erlaubte nennt, genauer betrachtet ein unbestimmt-Erlaubtes ist. So jedenfalls mçchte ich es nennen. Das unbestimmtErlaubte ist insofern unbestimmt, als offen bleibt, wie der Gegenstand des 629 Vgl. Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O, S. 29. 630 Bobzien dagegen dementiert, dass es sich bei dem zweiten und dann auch bei dem dritten modalen Kategorienpaar um kontradiktorisch entgegengesetzte Begriffe handelt wie bei den dahinter stehenden Urteilsfunktionen. Vgl. Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 217 ff.

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Willens weiterzubestimmen ist. Die betreffende Handlung ist zwar nicht verboten, ob sie aber darber hinaus eine Pflicht ist, ist damit noch nicht ausgelotet. Andererseits lsst sich, was Kant mit dem irritierenden Namen des Pflichtwidrigen belegt, auch wiedergeben als das bestimmt-Erlaubte. Wie es in der Metaphysik der Sitten heißt: „Eine Handlung, die weder geboten noch verboten ist, ist bloß erlaubt, weil es in Ansehung ihrer gar kein die Freiheit (Befugnis) einschrnkendes Gesetz und also auch keine Pflicht gibt. Eine solche Handlung heißt sittlich-gleichgltig (indifferens, adiaphoron, res merae facultatis).“ (ebd.)631 Beim bestimmt-Erlaubten ist gerade bestimmt, dass die infrage stehende Handlung zwar mit der Autonomie unseres Willens vereinbar wre, dass sie uns aber doch nicht durch die Autonomie des Willens aufgegeben ist. Sie ist „weder geboten noch verboten“, wie Christian G. Schtz in seinem Schreiben an Kant formuliert.632 Damit zum letzten modalen Kategorienpaar. Es setzt sich aus der Kategorie der vollkommenen Pflicht und der Kategorie der unvollkommenen Pflicht zusammen. Das sind die Funktionen, aus deren Bettigung apodiktische praktische Urteile hervorgehen. Eine vollkommene Pflicht (officium perfectum) ist etwas sittlich Notwendiges, eine unvollkommene Pflicht (officium imperfectum) etwas sittlich Zuflliges.633 Der Gegensatz von vollkommenen und unvollkommenen Pflichten beschftigt Kant bereits in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Zwar will er sich die vollstndige „Einteilung der Pflichten fr eine knftige Metaphysik der Sitten […] vorbehalte[n]“, doch gibt er in einer Fußnote die folgende fr uns interessante Erluterung: „brigens verstehe ich hier unter einer vollkommenen Pflicht diejenige, die keine Ausnahme zum Vorteil der Neigung verstattet“ (GMS A/B 53 Anm.). Und Kant nennt dafr zwei Beispiele. In beiden Fllen handelt es sich um Verbote, einmal „sich das Leben zu nehmen“ (GMS A/B 53), das andere Mal ein Versprechen zu geben „mit dem Vorsatz, es nicht zu halten“ (GMS A/B 55). Im 631 Vgl. AA XXVII 512 f. 632 AA X 516. Die terminologische Unterscheidung von unbestimmt- und bestimmtErlaubtem verdanke ich einer mndlichen Anregung von Hans F. Fulda. 633 Vgl. Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 190; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 215; Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 600; Michaelis, Christian F.: Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 199; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 267; Simon, Josef: Kategorien der Freiheit und der Natur, a.a.O., S. 127.

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Gegenzug heißt dies jedoch, dass unvollkommene Pflichten solche sein mssen, die Ausnahmen zulassen. Sie fhren eine Erlaubnis zur Zuwiderhandlung mit sich und gestatten, einer Neigung zu folgen, welche der Pflicht entgegen ist. Dazu soll laut Kant die „Erweiterung und Verbesserung [m]einer glcklichen Naturanlagen“ (ebd.) gehçren sowie der Beitrag zu eines anderen „Wohlstand“ (GMS A/B 56). Wie unschwer zu erkennen ist, sind das die beiden „Zwecke“, von denen die Metaphysik der Sitten sagen wird, dass sie „zugleich Pflichten sind“ (MST A 13), nmlich die „eigene Vollkommenheit“ (MS A 14) und die „fremde Glckseligkeit“ (MST A 16), wie es dort heißt. Mit anderen Worten scheint Kant schon sehr frh einen gewissen Zusammenhang herzustellen zwischen unvollkommenen Pflichten und denen, die er spter Tugendpflichten nennt. Kant hat diese Auffassung, woran die Differenz vollkommener und unvollkommener Pflichten sich festmacht, allerdings nicht durchgehalten. Auch von dem damit eng zusammenhngenden moralischen Testkriterium ist er abgerckt. „Einige Handlungen“ nmlich sind, wie er hier noch schreibt, „so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß man noch wollen kçnne, es sollte ein solches werden.“ (GMS A/B 57) Wenn wir eine vorliegende Willensbestimmung auf ihre Sittlichkeit hin berprfen mçchten, htten wir uns zu fragen, ob die bereffende Bestimmung des Willens mit der Allgemeinheit eines Naturgesetzes entweder gedacht oder gewollt werden kann. Das Nicht-denken-Kçnnen sei das Unterscheidungskriterium vollkommener Pflichten, das Nicht-wollen-Kçnnen das unvollkommener Pflichten. Und Kant bezeichnet die ersteren als „strenge oder engere (unnachlaßliche)“, letztere hingegen als „weitere (verdienstliche)“ (ebd.) Pflichten. Dieses Einteilungsschema gehçrt zum festen Bestand der zeitgençssischen Naturrechtslehre, und es findet sich auch bei Kant an mehreren Stellen, jedoch nicht immer mit ein und derselben Bedeutung. Folgt man der Grundlegungs-Schrift, so sind leges strictae „unnachlaßlich“ im Sinne von in jedem Fall zu befolgenden Pflichten, leges latae hingegen sind „verdienstlicht“, weil ihre Einhaltung, da sie nicht unbedingt notwendig ist, Anerkennung verdient.634 Unter den Kant-Exegeten besteht im Großen und Ganzen Einhelligkeit darber, dass das pflichtentheoretische Vollkommenheitskriterium unmçglich als ausnahmslose Geltung interpretiert werden kann. Sollen doch gemß Kants eigener grundstzlicher berzeugung alle Pflichten als 634 In seiner Schrift Zum ewigen Frieden beispielsweise verwendet Kant die Unterscheidung von engen und weiten Pflichten ganz anders. Siehe oben S. 207.

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solche ohne Ausnahme gelten. Darauf hat schon Carl C. E. Schmid einige Jahre nach Erscheinen des Werkes Kant hingewiesen. Wie kçnnen, so fragt er in seinem Brief vom 21. Februar 1789, „die Begriffe Pflicht u. erlaßlich, verdienstlich etc. sich miteinander ohne Widerspruch vereinigen lassen, wie die Notwendigkeit einer Handlung verschiedene Arten und Grade haben“ kçnnen und „inwiefern die eigene Neigung freien Spielraum in Ansehung einiger pflichtmßigen […] Handlungen behalten kçnne[n] und drfe[n]“635 ? Der kantische Pflichtbegriff sperrt sich gegen jede graduelle Abstufung, denn das dahinter stehende transzendentale Freiheitsverstndnis lsst nur eine strikte Entweder/Oder-Opposition zu; entweder ist der Wille frei, oder er ist es nicht. Die unbedingte Geltungskraft des Sollens wrde geradezu demontiert, wollte man Pflichten nach der „Art der Verbindlichkeit“ (ebd.) unterteilen, wie Kant dies tut. Denn was wre das noch fr eine Pflicht, die zu erfllen oder zu verletzen jedem anheimgestellt bleibt? Wre eine unvollkommene Pflicht, so verstanden, nicht eine contradictio in adiecto? Wrde sie sich nicht selbst als Pflicht aufheben?636 In der Tat fhrt Kant auch selbst an zahlreichen Stellen dieselbe Sprache, um dann aber etwas ganz anderes damit zu sagen. Die reine praktische Vernunft nmlich, so drckt er sich des fteren aus, gebietet allemal „unnachlaßlich“, und das heißt gerade, ohne sich an unseren sinnlichen Neigungen und empirischen Interessen zu kehren.637 Was perfekte und was imperfekte Pflichten stattdessen auszeichnet, gewinnt seine gebhrende Schrfe, wenn wir auf die so genannte Urteilstafel zurckgehen. Wir mssen bercksichtigen, dass und wie dort im Quadranten der Modalitt das letzte Einteilungsglied aus einer Synthese der beiden ersten entspringt. Die dritte Stelle, das „Apodiktische“, leistet die Verknpfung von Bedingung und Bedingtem.638 Dabei zeigt sich dieselbe Eigentmlichkeit wie zuvor. Das apodiktische Urteil kennt nicht nur ebenfalls zwei Ausprgungen; wir haben es hier erneut mit einem Gegensatzpaar zu tun, mit zwei verschiedenen Urteilsfunktionen, die aber 635 AA XI 2. 636 Siehe etwa Kersting, Wolfgang: Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwchere der Gtigkeit Kant und die Pflichtenlehre des 18. Jahrhunderts, in: Studia Leibnitiana 14 (1982), S. 185 f.; Ross, David: Kant’s Ethical Theory. A Commentary on the Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Oxford 1954, S. 45. Weiterhin daran festhalten will hingegen Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 816. 637 Vgl. GMS A/B 23, 28; KpV A 7, 221, 258. 638 Zum Folgenden vgl. Wolff, Michael: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel, a.a.O., S. 173 f.; Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 79 ff.

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begrifflich zusammengehçren. Sondern es ist wiederum nur eines, das sich in den kontradiktorischen Gegensatz von logischer Notwendigkeit und Zuflligkeit gabelt, nmlich die logische Wirklichkeit. Lediglich das, was wahr ist, kann nach Kant als notwendig oder zufllig weiterbestimmt werden. Die logische Unwirklichkeit hingegen bleibt außen vor. Wie Kant einmal bezglich der modalen Naturkategorien feststellt, kann man von dem Gegenstand eines theoretischen Urteils „fragen, ob er bloß mçglich, oder auch wirklich, oder, wenn er das letztere ist, ob er gar auch notwendig sei“ (KrV A 219/B 266). Und das muss bereits auf die zugrunde liegenden Urteilsfunktionen zutreffen. Der Begriff des logisch Wirklichen teilt sich aber nicht allein aus sich heraus in den Begriff des logisch Notwendigen und den des logisch Zuflligen. Dass das „Apodiktische“ eine Verbindung herstellt von Bedingung und Bedingtem, heißt vielmehr, dass es aus dem Zusammengehen der ersten Stelle, dem „Problematischen“, mit der zweiten Stelle, dem „Assertorischen“, resultiert. Und zwar ist es die erste Komponente des assertorischen Gegensatzpaares, die einmal mit der ersten, das andere Mal mit der zweiten Komponente des problematischen Gegensatzpaares in eine Beziehung zu bringen ist, um die erste bzw. die zweite Komponente des apodiktischen Gegensatzpaares zu erhalten. Logisch notwendig ist fr Kant, dessen Gegenteil unmçglich als wirklich gedacht werden kann. Es verstattet als solches keine Alternativen, die betreffende Sache ist, wie sie ist, aber niemals anders. Dagegen ist dasjenige logisch zufllig, dessen Gegenteil als wirklich zu denken durchaus mçglich ist; man rumt ein, schreibt Kant in der „Einleitung“ zur Kritik, dass die infrage stehende Sache einen begrifflichen Raum fr Variationen gestattet und immer auch „anders sein kçnne“ (KrV B 3).639 Das ist die Folie, vor der auch in der Tafel der Kategorien der Freiheit die Momente unter dem Titel der Modalitt zu deuten sind. Auch das Kategorienpaar der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten muss sich als eine Synthese der beiden anderen erklrlich machen lassen. Das aber so, dass es erstens nur der Begriff der Pflicht ist, der weiterdifferenziert wird: Es ist allein die moralische Wirklichkeit, die sich in den kontradiktorischen Gegensatz von moralisch Notwendigem und Zuflligem 639 So heißt es schon in Kants vorkritischer Schrift ber Den einzig mçglichen Beweisgrund: „Schlechterdings notwendig ist, dessen Gegenteil an sich selbst unmçglich ist.“ (Beweis A 25) Und in seiner Dissertation De mundi schreibt Kant: „Was irgend einmal nicht gewesen ist, ist zufllig“ (De mundi A 36). Vgl. Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel, a.a.O., S. 79 ff.

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teilt.640 Die Namen, die Kant den beiden Kategorien gibt, lassen das schçn hervortreten. Gleichgltig ob es sich um eine vollkommene oder um eine unvollkommene Pflicht handelt, in jedem Fall ist es eine Pflicht. Das moralisch Unwirkliche hingegen wird fr die weitere Einteilung des Quadranten nicht bedeutsam. In anderen Worten verengt sich im Durchgang durch den Modalquadranten sukzessive der Gegenstandsbereich eines reinen praktischen Urteils: Was erlaubt ist, ist entweder eine Pflicht oder nicht, und eine Pflicht ist ihrerseits entweder eine vollkommene oder eine unvollkommene.641 Zweitens gewinnt man das apodiktische Kategorienpaar, indem die erste Komponente des assertorischen Kategorienpaares einmal mit der ersten und einmal mit der zweiten Komponente des problematischen Kategorienpaares verknpft wird. Dasjenige heißt sittlich notwendig, dessen Gegenteil unmçglich als sittlich wirklich vorgestellt werden kann. Dagegen ist sittlich zufllig, dessen Gegenteil als sittlich wirklich zu denken sehr wohl mçglich ist.642 Doch was bedeutet das? Alles hngt davon ab, was hier unter Vollkommenheit und Unvollkommenheit zu verstehen ist. Was an einer Pflicht ist es, das entweder perfekt oder imperfekt sein kann? Um die „Art der Verbindlichkeit“, so haben wir gesehen, kann es sich dabei kaum handeln. Es kann keine Pflichten geben, die weniger streng gelten als andere, indem sie eine „Ausnahme zum Vorteil der Neigung“ verstatten. Sptestens seit der Kritik ist in Kant das klare Bewusstsein ausgereift, auch das haben wir erfahren, dass Pflicht die „Materie der Verbindlichkeit“ ist. Und mssen wir nicht daran anknpfen? Muss nicht, was fr die Pflicht berhaupt charakteristisch ist, in der Folge auch fr alle pflichtinternen Einteilungen richtig sein? Ich gehe daher davon aus, dass Kants Pflichtendifferenzierung auf den Inhalt der Verpflichtung abstellt. Was durch sie differenziert wird, ist nicht das Wie des Verpflichtetseins, sondern das Wozu: Es ist das Objekt des Willens, das entweder vollkommen oder unvollkommen ist. Und zwar ist es vollkommen oder unvollkommen bestimmt. Pflichten haben zwar 640 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 148. 641 In diesem Sinne schreibt Kant einmal in der Metaphysik der Sitten, dass „gewisse Handlungen erlaubt oder unerlaubt, d.i. moralisch mçglich oder unmçglich, einige derselben aber, oder ihr Gegenteil moralisch notwendig, d.i. verbindlich sind“ (MSR A/B 19). 642 Vgl. Bader, Ralf M.: Kant and the Categories of Freedom, a.a.O., S. 817; Bendavid, Lazarus: Vorlesungen ber die Critik der practischen Vernunft, a.a.O., S. 27. Dagegen meint Beck, „die dritte Kategorie“ entstehe lediglich „aus einer Unterteilung der zweiten Kategorie“: „Alles Wirkliche ist entweder notwendig oder zufllig.“. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 148.

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keinen unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrad, aber sie kçnnen einen unterschiedlichen Informationsgehalt aufweisen. Vollkommenheit und Unvollkommenheit sind rein epistemisch aufzufassen, sie markieren eine Bestimmtheitsdifferenz hinsichtlich der Handlungen, die uns aufgegeben sind. Wie auch Wolfgang Kersting es sieht, ist die „Kantische Qualifikation der unvollkommenen Pflicht nicht als eine den Pflichtbegriff selbst tangierende Geltungseinschrnkung […], sondern als fehlende pflichtgesetzliche Determinierung der Handlung“643 aufzufassen. Kants pflichtentheoretisches Vollkommenheitskriterium liegt, so meine ich, in der Vollbestimmtheit des Pflichtinhalts, Unterbestimmtheit dagegen ist das pflichtentheoretische Unvollkommenheitskriterium. Die beiden Modalkategorien sind Begriffe des letzten Teilvermçgens unseres Intellekts. Es ist die Vernunft, die ein praktisches Urteil als vollkommene oder als unvollkommene Pflicht modalisiert. Sie befindet darber, ob der Inhalt des Willens uns bereits durch die Autonomie des Willens als ein vollstndig bestimmter aufgegeben ist oder nicht. Im einen Fall ist die Handlung eindeutig genau vorgeschrieben. Hier gibt es keine alternativen Mçglichkeiten der Pflichterfllung, die Situation ist durch das Fehlen jedes Entscheidungsspielraumes charakterisiert. Sie ist bersichtlich und besitzt die schlichte Einfachheit des Ja oder Nein; die Handlung, die ich vorhabe, gengt der Pflicht entweder ganz oder gar nicht. Ein reines praktisches Urteil ist mithin sittlich notwendig, wenn sein Inhalt als Ganzer, das heißt vollkommen, in der Idee der Freiheit beschlossen liegt und deshalb keine noch so minimale Abweichung duldet. Im anderen Fall ist die Handlung nicht erschçpfend festgelegt. Die Pflichterfllungssituation ist hier insofern ungewiss, als ich meiner Pflicht auf unterschiedliche Weise nachkommen kann. Es stehen prinzipiell mehrere Handlungen zur Verfgung, um zu tun, was verlangt ist. Und indem ich mich dabei mehr oder weniger engagieren kann, indem ich also mehr oder weniger tun kann, kennt die Erledigung meiner Pflicht graduell verschiedene Stufen. Ein reines praktisches Urteil ist sittlich zufllig, wenn sein Inhalt nur teilweise, sprich unvollkommen, im Bestimmungsgrund des reinen Willens enthalten ist, so dass in der Hinsicht, die unbestimmt bleibt, Alternativen bestehen. Kant bernimmt das Gros seiner pflichtentheoretischen Klassifikationen aus der Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts. Dazu zhlt auch und gerade die terminologische Unterscheidung von vollkommenen und un643 Kersting, Wolfgang: Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwchere der Gtigkeit, a.a.O., S. 203.

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vollkommenen Pflichten. Sie ist sogar die einzige, die Kant in der Kategorientafel verortet und damit vor allen anderen hervorhebt. Sie darf als die Fundamentalunterscheidung schlechthin gelten: Alle Pflichten sind stets und primr in perfekte und imperfekte Pflichten eingeteilt. Liegt es da nicht nahe zu vermuten, dass diese Differenz, wenn sie derart grundlegend ist, keine andere sein kçnnte als die, welche auch Kants „System der allgemeinen Pflichtenlehre“ (MST A 1) von Grund auf beherrscht und strukturiert? „Alle Pflichten“, schreibt Kant in der Metaphysik der Sitten, „sind entweder Rechtspflichten (officia iuris) […] oder Tugendpflichten (officia virtutis, s. ethica)“ (MSR A/B 47).644 Und da der Tafel der Kategorien der Freiheit ohnehin der „ganze Plan“ eingeschrieben sein soll „von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist“ (KpV A 119), drngt sich unweigerlich die Vorstellung auf, die Zweiteilung des Systems der Sittenlehre kçnnte im System der Freiheitskategorien und deren Zweiteilung aller Pflichten berhaupt angelegt sein. Sind vollkommene Pflichten, so muss man fragen, Rechtspflichten und unvollkommene Pflichten Tugendpflichten? Es gibt gute Grnde, die fr eine solche Identifikation sprechen, was auch schon mehrfach beobachtet worden ist.645 Zwar kommt der Unterschied von juridischen und ethischen Pflichten innerhalb der Kritik der praktischen Vernunft gar nicht zur Sprache, doch lassen sich vornehmlich in der Metaphysik der Sitten mehrere Indizien zusammentragen. Beispielsweise setzt das Schaubild zur „Einteilung der Metaphysik der Sitten berhaupt“ die „Vollkommene Pflicht“ gleich mit der „(Rechts-)Pflicht“ (MSR A/B 49). Des Weiteren beschreibt Kant das, wozu man juridisch verbunden ist, genauso, wie wir dasjenige entwickelt haben, wozu eine vollkommene Pflicht besteht. Denn im Fall von Rechtspflichten, so Kant einige Seiten zuvor, sei „mit mathematischer Genauigkeit […] bestimmt“, was zu tun und was zu lassen ist, „welches in der Tugendlehre nicht erwartet werden darf“ (MSR A 37 f./B 37). Das Recht enthlt przise Verhaltensrichtlinien. Die Erledigung einer juridischen Pflicht ist durch die beste644 Vgl. MSR A/B 6, 14 f., 17; MST A 28. 645 Vgl. Beck, Lewis W.: Kants Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 148; Bobzien, Susanne: Die Kategorien der Freiheit bei Kant, a.a.O., S. 215 f.; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 61 und 64; Kersting, Wolfgang: Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwchere der Gtigkeit, a.a.O., S. 212; Ders.: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt a. M. 1993, S. 192; Hill, Thomas E.: Kant on Imperfect Duty and Supererogation, in: Kant-Studien 62 (1971), S. 56 ff.

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hende Schuldigkeit unmittelbar vorgezeichnet. Wenn ich etwa einen Vertrag unterzeichne, legt dieser mit Notwendigkeit fest, was von mir erwartet werden kann. Man beachte hierzu auch Vigilantius Mitschrift von Kants Vorlesung zur Metaphysik der Sitten, die aus dem Wintersemester 1793/94 stammt. Dort heißt es: „Pflichten von engerer Verbindlichkeit (obligatio stricta sive perfecta) d.i. diejenigen Pflichthandlungen, welche unmittelbar durch das Gesetz bestimmt werden, z.E. Bezahlung einer Schuld. […] Sie ist vollkommene Pflicht.“ (AA XXVII 578) Pflichten, die durch das Recht erwachsen, sind in diesem Verstndnis stets enge Pflichten: „Man nennt alle officia stricta – sonst perfecta – Rechtspflichten“ (AA XXVII 581).646 Und noch etwas verdient in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit. Wie seit Hugo Grotius, Samuel von Pufendorf und Christian Thomasius blich, verbindet Kant mit juridischen Pflichten eine Zwangserlaubnis. Die Einhaltung von Rechtspflichten ist ußerlich erzwingbar, was einer dem anderen schuldet, darf gegebenenfalls durch gewaltsame physische Einflussnahme sichergestellt werden (coactio externa). Doch entgegen dieser Tradition leiten sich juridische Pflichten fr Kant nicht aus dem vorgngig bestehenden Recht auf etwas ab. Gerade andersherum gilt, dass Rechtspflichten deshalb mit einer Zwangsbefugnis verbunden sind, weil sie Pflichten besonderer Art darstellen. Nur weil ein juridisches Gesetz von sich her das ist, was es ist, ist mit ihm „zugleich eine Befugnis, den, der ihm Abbruch tut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknpft“ (ebd.). Und kçnnte das nicht gerade daran liegen, dass es sich um eine vollkommene Pflicht handelt? Muss man nicht sagen, dass der Zwang, der einem Hindernis der Freiheit entgegengesetzt wird, genau deshalb „als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d.i. recht“ (ebd.) ist, weil das juridische Gesetz eines ist, dessen Inhalt zureichend bestimmt ist? Dass also eine Handlung abgençtigt werden darf, weil, was auf ethische Gesetze nicht zutrifft, fr alle einsehbar ist, welche Handlung genau Pflicht ist?647 646 In den Vorarbeiten zur Vorrede und Einleitung in die Metaphysik der Sitten teilt Kant unter dem Titel „Categorien der Moralitt“ alle „Leges arbitrii“ ein in solche, die „Strictae“, und solche, die „Latae“ sind (AA XXIII 382). Vgl. MST A 21, 55 f.; AA XXVII 585. 647 Vgl. Kersting, Wolfgang: Wohlgeordnete Freiheit, a.a.O., S. 181 ff. Daran liegt es meines Erachtens auch, dass Kant den Rechtspflichten eine unbedingte Prioritt einrumt. Im Falle der Anwendungskollision verschiedener Pflichten steht dem Recht der Verwirklichungsvorrang zu. An den Bestimmungen des Rechts finden alle anderen pflichtgesetzlichen Festlegungen ihre Grenze, gegen das Recht kann

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Und auch dafr, dass unvollkommene Pflichten Tugendpflichten sind, finden sich Anhaltspunkte im kantischen Text. Neben dem bereits erwhnten Schaubild, das die „Unvollkommene Pflicht“ ganz offenkundig mit der „(Tugend-)Pflicht“ (MSR A/B 49) gleichsetzt, ist in dieser Sache das siebte Kapitel in der „Einleitung zur Tugendlehre“ von Belang. Dort liest man expressis verbis: „Die unvollkommenen Pflichten sind […] allein Tugendpflichten.“ (MST A 21). Und die Unvollkommenheit besteht darin, so fhrt Kant aus, dass sie „der Befolgung (Observanz) einen Spielraum (latitudo) fr die freie Willkr“ (MST A 20) lsst.648 Was zu tun und was zu lassen ist, das kann die Ethik „nicht bestimmt angeben“ (ebd.). Auch das deckt sich mit unserer Darstellung unvollkommener Pflichten. Ethische Gesetze sind individuell und situativ ausfllungsbedrftig, denn sie enthalten keine konkrete Handlung, sondern einen allgemeinen Zweck, den es handelnd zu erreichen gilt. Wie das geschehen mag, lassen sie jedoch offen. „Das Prinzip der Ethik“, schreibt Wolfang Kersting, „ist ein zweckbestimmendes Gesetz […], das den Handlungsbereich unbestimmt lassen muß und daher den einzelnen Ausbungshandlungen […] nicht die Prdikate der praktischen Notwendigkeit zusprechen kann“649. Wodurch die Vervollkommnung eigener Anlagen oder die Glckseligkeit anderer Personen jeweils zu befçrdern ist, und unter diese beiden Rubriken fallen laut Kant alle Tugendpflichten, bedarf der Anwendung auf den Einzelfall und damit der welt- und praxiserfahrenen Urteilskraft. Hier steht nicht nur eine Mçglichkeit offen, „in Ansehung der Handlungen […], ihrer Art und ihrem Grade nach“, ist „nichts bestimmt“ (MST A 113). Jeder muss fr sich entscheiden, „wie und wie viel“ (MST A 20) er zur Erfllung seiner Pflicht aufbieten mçchte. So bleibt es beispielsweise zufllig, wie hoch finanzielle Hilfeleistungen fr Bedrftige ausfallen; meiner Pflicht genge ich dadurch jedoch so oder so. Die Eigenart der Pflichten, ber welche die Tugendlehre unterrichtet, soll sogar fr den Aufbau verantwortlich sein, mit dem diese auftritt. „Wie komme ich […] dazu“, fragt Kant, „die Einteilung der Ethik in Elemennichts moralisch Gutes getan werden. Und diese Suprematie hngt daran, dass juridische Pflichten im Gegensatz zu denen der Ethik materialiter definitiv bestimmt sind. Vgl. Hill, Thomas E.: Kant on Imperfect Duty and Supererogation, a.a.O., S. 57. 648 „Also ist diese Pflicht nur eine weite; sie hat einen Spielraum, mehr oder weniger hierin zu tun, ohne daß sich die Grenzen davon bestimmt angeben lassen.“ (MST A 27) Vgl. MST A 24, 113. 649 Kersting, Wolfgang: Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwchere der Gtigkeit, a.a.O., S. 219.

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tarlehre und Methodenlehre einzufhren: da ich ihrer doch in der Rechtslehre berhoben sein konnte? – Die Ursache ist: weil jene es mit weiten, diese aber mit lauter engen Pflichten zu tun hat“ (MST A 55). Das Recht ist seiner „Natur nach strenge (przis) bestimmend“, so lautet die Antwort, und bedarf infolge dessen „eben so wenig wie die reine Mathematik einer allgemeinen Vorschrift (Methode), wie im Urteilen verfahren werden soll“ (MST A 55 f.) Die Tugendlehre „hingegen fhrt, wegen des Spielraums, den sie ihren unvollkommenen Pflichten verstattet, unvermeidlich dahin, zu Fragen, welche die Urteilskraft auffordern auszumachen, wie eine Maxime in besonderen Fllen anzuwenden sei“, und so „gert sie in eine Kasuistik, von welcher die Rechtslehre nichts weiß“ (MST A 56). Ethische Pflichten sind, wie Vigilantius sie in seiner Vorlesungsmitschrift charakterisiert, „Wahlpflichten […], da sie es dem Menschen berlassen, in wie weit der ihm von der Menschheit, es sey fr seine eigene Person, oder zum Glck anderer, vorgesteckte Zweck erfllt werden kann“ (AA XXVII 578). Solche Pflichten bleiben in diesem Sinne weite Pflichten: „Man nennt alle […] officia lata – imperfecta – Tugendpflichten“ (AA XXVII 581).650 Gegen die Gleichsetzung der beiden Pflichtklassifikationen scheint sich jedoch auch Widerstand zu regen. berblickt man den kompositorischen Aufbau, mit dem Kant die Tugendlehre ausarbeitet, mçchte man meinen, die Unterscheidung von perfekten und imperfekten Pflichten wirke sich gleichfalls innerhalb der Tugendlehre aus. Deren „Elementarlehre“ nmlich zerfllt in zwei Teile. Der eine trgt den Titel „Von den Pflichten gegen sich selbst berhaupt“, der andere ist berschrieben mit „Von den Tugendpflichten gegen andere“. Ersterer setzt sich seinerseits wiederum aus zwei so genannten Bchern zusammen. Das eine Buch handelt „Von den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst“, das andere „Von den unvollkommenen Pflichten des Menschen gegen sich selbst (in Ansehung seines Zwecks)“. Anstatt insgesamt nur unvollkommene Pflichten zu befassen, hat es den Anschein, dass die Tugendlehre gleichfalls vollkommene Pflichten kennt. Mithin sieht es so aus, als ob es ethische Pflichten gbe, die nichtsdestotrotz vollkommene Pflichten sind. Hier muss man den Text allerdings nher heranholen. Der bloße Blick auf das Inhaltsverzeichnis bleibt zu abstrakt. Nicht nur, dass Kant die berschriften ungenau und keineswegs einheitlich formuliert; bei der Primreinteilung der Elementarlehre etwa spricht er bald von „Tugendpflichten“, bald von „Pflichten“, obgleich mit den letzteren natrlich 650 Vgl. AA XXVII 585; AA XIX 157, 232; AA XXIII 380, 391 ff.

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ebenfalls Pflichten der Ethik gemeint sind. Darber hinaus zeigt sich, dass Kant im Verlauf des zweiten Buches explizit erlutert, inwiefern die betreffenden Pflichten, und es handelt sich um insgesamt zwei, unvollkommen sind. Diese Erluterung hat ohne jeden Abstrich denselben Sinn, mitunter sogar denselben Wortlaut, wie das, was Kant in der Einleitung sowohl zur Rechtslehre als auch zur Tugendlehre ber ethische Pflichten als solche ausfhrt. Zu der Pflicht „gegen sich selbst in Entwickelung und Vermehrung seiner Naturvollkommenheit“ (MST A 110) schreibt Kant, dass sie „nur weite und unvollkommene Pflicht“ ist, weil „sie zwar ein Gesetz fr die Maxime der Handlungen enthlt, in Ansehung der Handlungen selbst aber, ihrer Art und ihrem Grade nach, nichts bestimmt, sondern der freien Willkr einen Spielraum verstattet“ (MST A 113). Und ber die „Pflicht gegen sich selbst in Erhçhung seiner moralischen Vollkommenheit“ (ebd.) lesen wir, dass sie „dem Grade nach weite und unvollkommene Pflicht“ ist (MST A 114). Denn wodurch ich meine Empfnglichkeit fr die Imperative der Moral vertiefen und damit die Bereitschaft zu einem Handeln aus Pflicht vergrçßern kann, entscheidet sich jeweils „in Rcksicht […] auf das Subjekt“ (ebd.). Mithin enthalten beide Pflichten, wie es bereits die berschrift sagt, nur eine Verbindlichkeit „in Ansehung eines Zwecks“, nicht aber hinsichtlich der konkreten Handlung, durch welche der betreffende Zweck zu erreichen ist. Demgegenber findet sich im ersten Buch, wo gemß dem Titel von vollkommenen Pflichten die Rede sein soll, keine entsprechende Erklrung. Ja, der Ausdruck ,vollkommen‘ taucht im Laufe des Textabschnitts berhaupt nicht mehr auf. Weder mit ausdrcklichen Worten noch der Sache nach gibt Kant dem Leser zu erkennen, mit welcher Art von Vollkommenheit man es hier zu tun hat. Und das, wo doch dieser Begriff gar nicht in allen Fllen dasselbe meinen muss. Eine Sache kann in ganz verschiedenen Hinsichten vollendet (oder mangelhaft) sein. Kant selbst hat das Begriffspaar vollkommen/unvollkommen in verschiedenen Zusammenhngen seines Œuvres unterschiedlich verwendet.651 Da ist es alles andere als selbstverstndlich, dass es sich hier um diejenige Vollkommenheit handeln muss, die auch juridische Pflichten kennzeichnet. Noch dazu, wo Kant im Anschluss an jede der betreffenden Pflichten, etwa dem Verbot von Lge, von Geiz und von Kriecherei, „kasuistische Fragen“ 651 Vgl. Gregor, Mary J.: Laws of Freedom, a.a.O., S. 95 ff.; Nell, Onora: Acting on Principle. An Essay on Kantian Ethics, New York 1975, S. 43 ff.; Eisenberg, Paul D.: From the Forbidden to the Supererogatory, a.a.O., S. 259 ff.; Hill, Thomas E.: Kant on Imperfect Duty and Supererogation, a.a.O., S. 56 ff.

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ausbreitet, Fragen, die auf besonders heikle Grenzflle der geschichtlichen berlieferung und unseres eigenen alltglichen Lebens gehen. Denn haben wir nicht erfahren, dass eine Kasuistik nur im Fall von Tugendpflichten nçtig ist? Und zwar genau deshalb, weil es sich um unvollkommene Pflichten handelt? Liegt hier eine weitere Ungenauigkeit des Textes? Msste man nicht auseinander halten, dass die in Rede stehenden Pflichten einerseits unvollkommen sind in dem Sinne, wie es fr ethische Pflichten typisch ist, dass sie aber andererseits zugleich in einer ganz anderen Hinsicht ein Moment von Vollkommenheit an sich haben? Kants Ausfhrungen lsst sich nicht unmittelbar entnehmen, worin dieses Vollkommenheitsmoment zu sehen sein kçnnte. Er gibt dazu keine Auskunft. Die Spannung aber, die zwischen den angefhrten Passagen des Textes besteht, lsst sich nicht gut leugnen. Sich darauf einzulassen, muss einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Metaphysik der Sitten vorbehalten bleiben, wie ich sie hier nicht leisten kann. Gleichwohl neige ich dazu, der zweifellos dominanten Mehrheit von Kants ußerungen den Vorzug zu geben, welche eindeutig dahin gehen, dass Rechtspflichten ihrem Wesen nach vollkommene und Tugendpflichten unvollkommene Pflichten sind. Und ich glaube, dass es diese Unterscheidung ist, von der bereits die Tafel der Kategorien der Freiheit kndet. Wir sind damit aber noch nicht am Ende. Denn es ist doch oben ganz allgemein gesagt worden, dass sich die Modalitt einer Willensbestimmung prinzipiell mit Bezug auf den Grund dieser Willensbestimmung festlegt. Ein praktisches Urteil zu modalisieren, bedeutet es auf seine Geltungsbedingung beziehen und diese Beziehung spezifizieren. Nun kann aber die Voraussetzung, unter der mein Begehren steht, nicht nur der intelligible Gedanke transzendentaler Freiheit sein. Das ist lediglich der Fall des reinen Willens. Der empirische Wille dagegen bildet sich unter einer ganz anderen Voraussetzung, nmlich einem Gefhl der Lust oder Unlust. Wie steht es damit? Muss sich diese Quelle meines Begehrens nicht gleichfalls in dem begrifflichen Gehalt von Kategorien niederschlagen? Kategorien aber, die dann nicht mehr die der reinen praktischen Vernunft sein kçnnen? Mssen also aus den Urteilsfunktionen des menschlichen Intellekts nicht auch Freiheitskategorien der Modalitt entwickelt werden, die der empirischen praktischen Vernunft zugehçren? Ich denke, dass dem in der Tat so ist. Ich sehe keinen zwingenden Grund, warum in der metaphysischen Deduktion nicht genauso der Bestimmungsgrund des sinnlich bedingten Willens zur Geltung kommen sollte oder kçnnte. Im Gegenteil sogar, die Frage, auf welche Art und Weise eine Sache begehrt wird, muss hier zu ganz anderen kategorialen Form-

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bestimmtheiten fhren. Das Wie des Wollens ist in diesem Fall unterschiedlich geartet, der Wert eines praktischen Urteils besitzt differente Ausprgungen. Die Kategorien des vierten Quadranten, und nur sie, sind aufgrund ihrer Besonderheit, so meine ich, ebenfalls in Ansehung der Begriffe des Wohls und bels abzuleiten. Das aber ist kaum in ein und derselben Tafel darstellbar. Wir mssen wohl distinguieren zwischen der vollstndigen Lehre der Kategorien und der von Kant ausgearbeiteten Kategorientafel. Kant selbst exponiert die Modalkategorien allein im Hinblick auf die Begriffe des Guten und Bçsen, mehr verlangt sein moralphilosophisches Interesse auch nicht. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass es nicht doch mehr gibt. Wir haben es hier abschließend noch einmal mit einer Disanalogie zu tun, einer Disanalogie zwischen den modalen Freiheitskategorien und den modalen Naturkategorien. Letztere stehen allesamt in einer einzigen Tafel zusammen, auf erstere trifft das nicht zu. Sie kçnnen nicht in ein und demselben System sowohl als Kategorien der Sittlichkeit wie auch als Kategorien der Selbstliebe, wie ich sie der Krze halber getauft habe, aufgefhrt werden. Die beiden Hinsichten, die Kant unterscheidet, schließen sich vielmehr aus und kçnnen nicht gemeinsam in der metaphysischen Deduktion der Kategorien wirksam werden. Es ist zwar nicht nçtig, zwei vçllig verschiedene Kategorienverzeichnisse anzulegen, aber doch, die Klasse der modalen Freiheitskategorien zweimal auszufertigen. Nur im einen Fall gehçrt diese Klasse zu dem Gebiet der philosophia practica moralis, das andere Mal steht sie auf dem Boden der allgemeinen praktischen Philosophie. Welches sind die Modalkategorien des empirischen Willens? Auch bei ihnen wird es sich zweifelsohne allemal um grundlegende Regelmßigkeiten der Willensbildung handeln mssen, solche zwar, die uns aus unserem alltglichen Selbstverstndnis als Akteure mit sinnlichen Beweggrnden entgegenwachsen, die sich aber erst in der philosophischen Reflexion als Begrifflichkeiten mit Kategorienstatus erweisen. Welche sind das? In der bereits mehrfach erwhnten Fußnote in der „Vorrede“ zur Kritik der praktischen Vernunft tritt Kant dem etwaigen Vorwurf entgegen, eine neue philosophische Fachsprache inaugurieren zu wollen. Es sei ein geradezu kindisches Unterfangen, so verwahrt er sich, neue Worte zu erknsteln, wo es der lebendigen Sprache an Ausdrcken fr gegebene Begriffe nicht mangele. Wie schon in der ersten Kritik habe er sich daher bemht, auf gngige Ausdrcke der Populrsprache zurckzugreifen, wenn und soweit sie dem jeweiligen Gedanken angemessenen sind. Dennoch

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besorge er „hin und wieder eine Mißdeutung in Ansehnung einiger Ausdrcke“ (KpV A 20 Anm.). Im Zuge dessen streift er unter anderem auch die Kategorien der Freiheit. Gleich zu Beginn kommt er auf das erste modale Kategorienpaar zu sprechen, wie er es in der Tafel angibt, „das Erlaubte und Unerlaubte“ (KpV A 20 f. Anm.). Das Beispiel jedoch, das veranschaulichen soll, was damit gemeint ist, lautet merkwrdigerweise: „So ist es z. B. einem Redner, als solchem, unerlaubt, neue Worte oder Wortfgungen zu schmieden; dem Dichter ist es in gewissem Maße erlaubt; in keinem von beiden wird hier an Pflicht gedacht.“ (KpV A 21 Anm.) „Denn“, das fhrt Kant als Begrndung an, „wer sich um den Ruf eines Redners bringen will, dem kann es niemand wehren.“ (ebd.) Dieses Fallbeispiel will nicht recht zu einer sittlichen Lesart der Kategorien des Erlaubten und Unerlaubten passen. Dass es einem Rhetor untersagt ist, neue sprachliche Wendungen einzufhren, wre nur schwer als ein moralisches Verbot, dass dagegen ein Poet dies darf, kaum als eine moralische Befugnis erklrlich zu machen. Vielmehr riskiert der Rhetor, der sich unblicher Formulierungen und allzu unkonventioneller Aussprche bedient, Kant sagt es selbst, seinen guten Ruf. Doch ob er das will und, wenn ja, warum, ist sicherlich keine Frage, auf welche die Moral eine allgemein verbindliche Antwort zu geben vermag, sondern eine Frage des Charakters und der individuellen Neigung. Schon Christian G. Schtz weist in seinem vordem zitierten Brief an Kant darauf hin: „Daß in der Vorrede zur Kritik der reinen praktischen Vernunft zu den erlaubten Handlungen als ein Beispiel angefhrt wird, was einem Redner qua tali erlaubt sey etc. scheint mir eine letabasir eQr !kko cemor zu seyn“, also ein plçtzlicher und unstatthafter Sprung in eine andere Begriffssphre, „nmlich in die Regeln der Geschicklichkeit, die Sie selbst so scharfsinnig von den Geboten der Sittlichkeit unterschieden haben.“652 Robert J. Benton hat daraus den Schluss gezogen, dass das erste Kategorienpaar, wie Kant es versteht, „morally totally neutral“653 sei. Benton sagt aber nicht, warum. Genauso wie vor ihm schon Georg S. A. Mellin fhrt er keinen sachlichen Grund an, aus dem ersichtlich werden kçnnte, warum die Kategorien des Erlaubten und Unerlaubten als moralisch neutral vorzustellen seien.654 Stattdessen vermutet er hier den Ort jenes berganges, wie ihn Kant ankndigt. Benton meint, dass der besagte 652 AA X 516. 653 Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 189. 654 Vgl. Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 3, a.a.O., S. 603.

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Fortgang weder in jedem einzelnen Quadranten immer wieder aufs Neue sich wiederhole noch dass er von irgendeinem Quadranten hin zum nchsten geschehe. Er pldiert fr eine dritte Deutung, der zufolge nur innerhalb des vierten Quadranten von Kategorien eines Typs berzugehen sei zu Kategorien eines anderen Typs. Benton versteht Kants Aussage, wonach „die Kategorien der Modalitt den bergang […] einleiten“ (KpV A 118), so, dass das Verb „einleiten“ hier so viel bedeutet wie vorbereiten, in die Wege leiten. Mit dem ersten Modalkategorienpaar soll der bergang noch nicht vollzogen sein, er wird vielmehr allererst angebahnt. Doch auch die Kategorie der Pflicht und die des Pflichtwidrigen seien, so Benton, noch nicht „a moral category in the very strictest sense“, so dass „the transition to morality […] would not yet have occurred“655. Benton glaubt, erst mit dem dritten Kategorienpaar sei die Sphre der Sittlichkeit erreicht. Mithin sei unter dem Titel der Modalitt von zwei moralisch unbestimmten Kategorienpaaren fortzugehen sei zu einem einzigen, das moralisch bestimmt ist. Wie muss man sich in diesem Punkt stellen? Was uns das Beispiel von dem Redner und dem Dichter ohne jeden Zweifel vor Augen fhrt, ist, dass Kant die Ausdrcke ,erlaubt‘ und ,unerlaubt‘ der Sache nach doppelsinnig verwendet. Erlaubt oder unerlaubt kann etwas dem kantischen Sprachgebrauch zufolge auf verschiedene Weise sein. Aus den Textstellen, die wir oben zusammengetragen haben, geht unbestreitbar hervor, dass das Erlaubte und das Unerlaubte einerseits einen sittlichen Begriffsgehalt haben kann. Erlaubt ist fr Kant, das haben wir gesehen, was sittlich mçglich, unerlaubt, was sittlich unmçglich ist. Doch, so mssen wir nun zur Kenntnis nehmen, das Erlaubte und Unerlaubte kann daneben auch noch „dasjenige bedeuten“, wie Kant erlutert, „was mit einer bloß mçglichen praktischen Vorschrift in Einstimmung oder Widerstreit ist (wie etwa die Auflçsung aller Probleme der Geometrie und Mechanik)“ (KpV A 21 Anm.). Das ist sicherlich ein anderes Verstndnis. Erlaubtsein und Unerlaubtsein, was auch immer damit des Nheren gemeint sein mag, ist hier in einem ganz und gar moralindifferenten Sinne zu nehmen. Gleichwohl glaube ich nicht, dass damit unsere Interpretation ins Wanken gert. Denn wenn es sich bei Modalbegriffen in der Tat um Begriffe handelt, durch die ein Urteil in ein Verhltnis zu einem anderen Urteil gesetzt und dieses Verhltnis als bestimmt gedacht wird, dann kann etwas immer nur unter der Voraussetzung von etwas anderem als erlaubt oder unerlaubt gelten. Und es ist der Bestimmungsgrund des Willens, der 655 Ebd.

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fr die Modalitt eines praktischen Urteils den Ausschlag gibt. Er liegt entweder im Gedanken absoluter Freiheit oder in einem Gefhl des Lust und Unlust. Dass also das, was wir begehren, erlaubt oder unerlaubt ist, wird unter der einen Bedingung etwas anderes besagen mssen als unter der anderen. Ich halte deshalb daran fest, dass die Kategorien der Modalitt ihrem Wesen nach entweder in Ansehung der Begriffe des Guten und Bçsen oder in Ansehung der Begriffe des Wohls und bels metaphysisch zu deduzieren sind. Das gibt Kant durch sein eigenes Beispiel zu verstehen, dass die Kategorien des Erlaubten und Unerlaubten nicht nur, wie sonst blich, als Begriffe des sinnlich unbedingten, sondern dass sie auch als Begriffe des sinnlich bedingten Willens entwickelt werden kçnnen. Beides aber ist, wie man sich leicht ausmalen mag, nicht in ein und derselben systematischen Darstellung zu haben. Und ich bleibe dabei, dass Kant die beiden Kategorien, wie sie in der von ihm vorgelegten Tafel auftreten, als Begriffe der ersten Art versteht. Es sind Kategorien der Sittlichkeit. Das erste modale Kategorienpaar umfasst, was seine Benennung anlangt, so oder so die Kategorie des Erlaubten und die Kategorie des Unerlaubten, mag es sich dabei nun im Besonderen um Begriffe der reinen oder der empirischen praktischen Vernunft handeln. Unter einer gemeinsamen sprachlichen Oberflche verbirgt sich ein unterschiedlicher begrifflicher Gehalt. Kant folgend, behalte ich die Namen bei, meine damit aber nun – wie ich mich ausdrcken mçchte, um griffig formulieren zu kçnnen – das eudmonistisch Mçgliche und das eudmonistisch Unmçgliche. Ich gebrauche das Adjektiv ,eudmonistisch‘ hier und im Weiteren lediglich als das Adjektiv zum deutschen Wort ,Glckseligkeit‘, das ein fester Bestandteil von Kants Theoriesprache in der Kritik der praktischen Vernunft ist. Anleihen bei oder Anspielung auf antike Moraltheorien oder sonstige anspruchsvolle Theorieberlegungen sind damit nicht beabsichtigt. Ich will nur sagen, dass man mit den Kategorien des Erlaubten und Unerlaubten die Funktionen hat, auf denen problematische praktische Urteile beruhen, Urteile aber, die jetzt insofern empirische sind, als sie eine Bestimmung des empirischen Willens beinhalten – welcher als solcher wesenhaft im Dienste der Glckseligkeit steht und daher nicht bei allen Vernunftsubjekten notwendig ein und derselbe sein muss.656

656 Vgl. Benton, Robert J.: Kant’s Categories of Practical Reason as Such, a.a.O., S. 189; Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 61 f.; Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 264.

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Die beiden Kategorien modalisieren ein empirisches praktisches Urteil als erlaubt oder unerlaubt, indem sie es mit dem Bestimmungsgrund des Willens in Zusammenhang bringen. Ist das menschliche Begehren unter der Bedingung einer Lust oder Unlust bestimmt, entscheidet der Verstand als das erste Teilvermçgen unseres Intellekts, ob der Gegenstand des Begehrens eudmonistisch mçglich ist oder aber unmçglich. Die jeweilige Handlung gestattet oder verbietet sich in dem Sinne, dass sie mit einer der Prferenzen, die ein Subjekt hat, vereinbar ist oder ihr widerstreitet. Infrage steht sonach die Mçglichkeit oder Unmçglichkeit, sein Absehen auf eine bestimmte Sache zu richten unter der Voraussetzung, dass man eine gewisse Neigung hegt. Um in dem von Kant geschilderten Szenario zu bleiben, kann derjenige, der ein Interesse daran hat, auch weiterhin als Redner geachtet zu sein, nicht von den gngigen rhetorischen Figuren abweichen wollen; dem Dichter dagegen steht das offen. Das zweite modale Kategorienpaar setzt sich zusammen aus, wie ich es nennen will, dem eudmonistisch Wirklichen und dem eudmonistisch Unwirklichen. Das sind die Funktionen eines assertorischen praktischen Urteils. Durch sie spezifiziert die Urteilskraft, das zweite Teilvermçgen des menschlichen Intellekts, ein empirisches Urteil, indem sie es auf den Grund der Willensbestimmung zurckbezieht. Der Gegenstand des Willens ist, wenn der Wille unter der Voraussetzung einer Lust oder Unlust festgelegt ist, wirklich oder unwirklich.657 Was auch immer das bedeuten mag, diese Kategorien wird man sicherlich nicht mehr unter der gleichen Bezeichnung fhren kçnnen. Im Rahmen der kantischen Moralphilosophie lsst sich ein nichtsittlicher Begriff der Pflicht und des Pflichtwidrigen nur gegen vehemente Widerstnde denken.658 Allerdings mçchte ich mich hier der Namensgebung berheben und bescheide mich damit, beide Kategorien lediglich im Hinblick auf ihren Begriffsgehalt zu entfalten. Dazu muss man der Vorstellung Sinn abgewinnen, dass die eudmonistischen Begriffe der Wirklichkeit und Unwirklichkeit dieselbe Wurzel haben wie die sittlichen. Beide grnden auf den logischen Begriff derselben. Um das zu illustrieren, kçnnen wir an Kants eigenes Beispiel anknpfen. Wir haben gesagt, dass es nicht angeht, dass ein Rhetor bekannte und gebruchliche Redefiguren wahllos aufgibt, jedenfalls dann nicht, wenn er auch 657 Vgl. Schçnrich, Gerhard: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe, a.a.O., S. 264 f. 658 Das versuchen Graband, Claudia: Das Vermçgen der Freiheit, a.a.O., S. 62 und Mellin, Georg S. A.: Encyclopdisches Wçrterbuch der kritischen Philosophie, Bd. 4, a.a.O., S. 533 ff.

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knftig in diesem Beruf ein gewisses Ansehen genießen mçchte. Ein Poet hingegen darf dies durchaus. Ja, von einem guten Dichter, so wird man die berlegung weitertreiben mssen, erwarten wir das sogar. Fr ihn ist es geradezu unerlsslich, dass er alte sprachliche Stilmuster aufbricht und die abgetretenen Pfade, auf denen die Frheren sich bewegten, hinter sich lsst. Mit anderen Worten zeigt der Schritt vom ersten modalen Kategorienpaar hin zum zweiten die bereits bekannte Aufflligkeit. Es ist allein das eudmonistisch Mçgliche, das sich in den kontradiktorischen Gegensatz von eudmonistisch Wirklichem und Unwirklichem verzweigt. Denn dem Dichter ist es nicht nur erlaubt, er steht regelrecht in der Erwartung, seine Erfindungsgabe und Kreativitt im Ausprobieren neuer Ausdrucksmçglichkeiten unter Beweis zu stellen. Wenn er seine Glckseligkeit daran hngt, in seinem Metier sich einen Namen zu machen, dann muss er im kraftvollen Einsatz geistiger Energie dem, was er im Kunstwerk zur Darstellung bringt, eigene und neuartige Formungen geben. Ein praktisches Urteil ist, so muss man wohl sagen, dann eudmonistisch wirklich, wenn sein Inhalt bereits in einem anderen Urteil beschlossen liegt. Dabei muss es sich um den Bestimmungsgrund des empirischen Willens handeln. Das heißt, die Vorstellung des Gegenstandes, durch die mein Begehren bestimmt ist, liegt hier analytisch in der Vorstellung dessen, worauf mein Interesse zielt. Die betreffende Handlung ist nicht nur mit irgendeinem vorgngigen Gefhl der Lust oder Unlust vertrglich, ihr Wert legt sich gerade im Bezug auf dasjenige Gefhl fest, dessen Objekt sie selber ist. Was ich will, ist genau das, was mich auf gewisse Weise reizt und fr sich einnimmt. Dagegen heißt ein praktisches Urteil eudmonistisch unwirklich, wenn das nicht der Fall ist. Die Handlung, auf die ich aus bin, ist in Bezug auf eine bestimmte Neigung weder unerlaubt noch vorgeschrieben, sie ist vielmehr ganz und gar freigestellt. Es spielt hier keine Rolle, wie ich mich verhalte, jedenfalls dann nicht, wenn nur jene Neigung zur Bemessungsgrundlage genommen wird. Meine Vorlieben oder Schwchen lassen die betreffende Handlung unberhrt, mein Tun und Lassen ist gerade die Sache freien Beliebens. Man kçnnte Kants Terminologie bertragen und sagen, dass es sich hier um das eudmonistisch Indifferente handelt. Das dritte modale Kategorienpaar besteht aus dem Begriff des eudmonistisch Notwendigen und dem des eudmonistisch Zuflligen. In ihnen hat man die Funktionen, aus deren Bettigung ein apodiktisches praktisches Urteil resultiert. Die Vernunft, sprich das letzte der insgesamt drei Teilvermçgen unseres Intellekts, modalisiert ein empirisches Urteil als notwendig oder als zufllig, indem sie es auf den Bestimmungsgrund des Willens be-

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zieht. Der Wille, der unter der Bedingung einer Lust und Unlust bestimmt ist, hat ein Objekt, das entweder ein notwendiges ist oder ein zuflliges. Die eudmonistischen Begriffe der Notwendigkeit und Zuflligkeit sind gleichfalls aus den logischen Begriffen derselben einsichtig zu machen. Die dritte Stelle unter dem Titel der Modalitt stellt auch hier eine Synthese dar. In ihr werden das erste und das zweite Moment des Quadranten, Bedingung und Bedingtes, zusammengedacht. Dabei gabelt sich ausschließlich das eudmonistisch Wirkliche in den kontradiktorischen Gegensatz von eudmonistischer Notwendigkeit und Zuflligkeit. Die erste Komponente des assertorischen Kategorienpaares ist einmal mit der ersten und sodann mit der zweiten Komponente des problematischen Kategorienpaares zu verknpfen; auf diese Weise gelangt man zum apodiktischen Kategorienpaar. Wir wollen also sagen, dasjenige ist eudmonistisch notwendig, dessen Gegenteil unmçglich als eudmonistisch wirklich vorgestellt werden kann. Eudmonistisch zufllig dagegen ist, dessen Gegenteil als eudmonistisch wirklich zu denken durchaus mçglich ist. Was bedeutet das? Man muss das sicher wieder so verstehen, dass die Materie des Willens entweder vollkommen oder unvollkommen durch den Bestimmungsgrund des Willens festgelegt ist. Entweder ist das Objekt meines Begehrens bereits vollstndig mit dem gegeben, worauf mein Interesse abzielt, oder aber es ist nur unvollstndig in der Vorstellung dessen enthalten, von dessen Gegenwart ich mir eine Lust oder Unlust verspreche. Im einen Fall ist durch den zugrunde liegenden sinnlichen Antrieb, auf den hin das praktische Urteil modal spezifiziert wird, eindeutig bestimmt, was zu tun ist. Die Handlung ist vollbestimmt. Es gibt keine offenen Wahlmçglichkeiten, und es braucht keine zustzlichen berlegungen, wie zu erreichen oder umzusetzen ist, was man sich vorgenommen hat. Im anderen Fall ist das nicht schon entschieden. Die konkrete Handlung, die es hier und jetzt oder wann auch immer auszufhren gilt, bleibt gerade unterbestimmt. Dem dahinter stehenden Interesse lsst sich nur die grobe Richtung entnehmen, so dass es verschiedene Wege gibt, das betreffende Interesse zu befriedigen. Kants Beispiel ist gewiss von dieser Art. Denn der Dichter, der sich einigen Ruhm erwerben mçchte, muss zwar, wie gesagt, eine eigene Handschrift ausbilden und seinen Werken ein charakteristisches Geprge verleihen. Doch wie genau das zu machen ist, und wie viel dabei an Altem verworfen und an Neuen ausgetestet wird, ist damit noch nicht im Detail vorgezeichnet. Welche der sich anbietenden Mçglichkeiten der Knstler ergreift und sich zu Eigen macht, bedarf vielmehr einer Bettigung der durch Erfahrung und Lebenspraxis gebten Urteilskraft.

Siglenverzeichnis Die Werke Immanuel Kants werden nach dem Text der Werkausgabe (12 Bde., hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 200412) zitiert; zunchst durch Angabe der Sigle, dann der Paginierung der Originalausgaben (A- und/oder B-Auflage) und schließlich der Seitenzahl (Beispiel: KrV A 15/B 29). Anfang Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte Anthr. Anthropologie in pragmatischer Absicht Beweis Der einzig mçgliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes De mundi De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis Denken Was heißt: sich im Denken orientieren? Fortschr. Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf ’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? Frieden Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf Gem. ber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fr die Praxis GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Grçßen Versuch, den Begriff der negativen Grçßen in die Weltweisheit einzufhren Idee Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht Jsche Immanuel Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen KpV Kritik der praktischen Vernunft KrV Kritik der reinen Vernunft KU Kritik der Urteilskraft Lgen ber ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lgen MAN Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft MS Metaphysik der Sitten MSR Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgrnde der Rechtslehre MST Metaphysik der Sitten. Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgrnde der Tugendlehre Nachr. Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbjahre von 1765 – 1766

306 Prol.

Siglenverzeichnis

Prolegomena zu einer jeden knftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten kçnnen Rel. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Trume Trume eines Geistersehers, erlutert durch Trume der Metaphysik Alle brigen Werke Kants werden nach den Gesammelten Schriften zitiert (hg. von der (Kçniglich) Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1900 – 1966), und zwar mittels der Abkrzung AA, Angabe des Bandes und der Seitenzahl (Beispiel: AA XX 233). Hervorhebungen des Quellentextes durch Kant werden bei der Zitation grundstzlich nicht bernommen. Smtliche Hervorhebungen durch Kursivierung stammen vom Verfasser und sind entsprechend kenntlich gemacht (Herv. d. Verf.).

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Personenregister Adickes, Erich 148, 155 Aebi, Magdalena 92 Albrecht, Michael 107, 114, 119f., 206 Allison, Henry E. 18, 21, 23–25, 54, 58, 80, 84, 90, 94, 113, 120, 122, 127, 143f., 146, 149, 162, 177, 182, 187, 189, 221, 251, 256f. Ameriks, Karl 242 Aristoteles 31, 52, 93, 100, 106, 196, 233 Arnauld, Antoine 18 Aune, Bruce 147 Bartuschat, Wolfgang 54 Baum, Manfred 18, 85, 103, 181f., 198 Baumann, Peter 148 Baumbach, Rudolf 141 Baumgarten, Alexander G. 93, 102, 226–228 Bayle, Pierre 81 Beck, Lewis W. 5, 15, 21, 24, 27, 31, 35, 39, 46–48, 51, 53, 57f., 60, 64, 66, 68f., 71, 76, 89, 103, 105, 107, 114, 119f., 135f., 145, 147, 149, 156, 168f., 177, 193, 199, 211, 217, 222, 228, 230, 240, 245, 251–255, 267, 270, 277, 279–281, 289, 291 Bek, Michael 58, 72, 101, 132 Bendavid, Lazarus 4, 66, 89, 156, 217, 235, 277, 284, 289 Benton, Robert J. 5, 39, 50, 99, 136, 169, 219, 223f., 239, 269f., 277, 280, 285, 298–300 Bittner, Rdiger 105, 107, 146, 206f. Bobzien, Susanne 5, 39f., 46, 66–69, 71, 131, 136, 163, 169, 193, 205, 218f., 223f., 235, 237, 239,

248f., 253, 270, 277f., 281f., 284f., 291 Bçhme, Gernot 216, 234 Bojanowski, Jochen 146, 149 Brandt, Reinhard 16, 18f., 80f., 85, 88, 91, 111, 198, 203, 214f., 232, 234, 256, 258, 270–274, 283, 287f. Brastberger, Gebhard U. 4, 39, 165 Bubner, Rdiger 150, 206 Carl, Wolfgang 4, 146, 182, 259 Cassirer, Ernst 84–86 Cooper, John M. 106 Cramer, Konrad 60, 146, 186 Curtius, Ernst R. 54 d’Alembert, Jean B. 86 Descartes, Ren 117, 241 Diderot, Denis 86 Dieringer, Volker 6, 31 Downie, Robert S. 207 Dsing, Klaus 58 Ebert, Theodor 62 Eisenberg, Paul D. 12, 295 Enskat, Rainer 86 Feder, Johann G. H. 271 Fraisse, Jean-Claude 5 Frede, Michael 216 Fricke, Christel 221 Friedman, Michael 200 Fulda, Hans F. 1, 39, 66, 85, 89, 156, 285 Funke, Gerhardt 98, 106, 141 Gbe, Lder 242, 294 Geismann, Georg 145, 149 Gerhardt, Volker 60, 124, 141

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Personenregister

Gloy, Karen 259 Graband, Claudia 6, 39, 46, 50, 66–68, 71, 136, 165, 168, 205f., 217, 222, 230, 235–237, 244, 246, 251, 253, 260, 276–278, 291, 300f. Gregor, Mary J. 12, 295 Guyer, Paul 242f., 275 Haas, Bruno 5, 68, 71, 89, 113, 156, 167f., 189, 220, 228, 236, 240 Hatfield, Gary 242 Hegel, Georg W. F. 113, 202 Heidegger, Martin 202 Heidemann, Ingeborg 141 Heimsoeth, Heinz 25, 127, 155, 233 Henrich, Dieter 25, 113, 177, 179, 182, 187, 233 Herrera, Larry 21 Hill Jr., Thomas E. 103, 105, 207 Hoerster, Norbert 56, 60 Hçffe, Otfried 6, 20, 51f., 56, 60, 62, 100, 102, 207, 243 Horn, Christoph 102, 104f., 145 Horstmann, Rolf-Peter 60, 113, 242 Hutter, Axel 148 Jsche, Gottlob B. 24, 88, 179, 214, 232, 255, 270, 273, 304 Jungius, Joachim 81 Kahlo, Michael 236 Kaulbach, Friedrich 81, 98, 124 Kersting, Wolfgang 62, 287, 290–293 Kneale, Martha 200, 272–274 Kneale, William 200, 272–274 Kobusch, Theo 5, 39, 46, 48, 66, 136, 160, 162f., 165, 190, 218, 223, 228, 240, 246, 255, 270, 277f., 281 Korsgaard, Christine M. 120 Kreis, Guido 67, 84–86, 272–274 Krger, Lorenz 216 Kugelstadt, Manfred 179 Kulenkampff, Jens 221 Kvist, Hans-Olof 57

Leitner, Heinrich 196 Locke, John 111, 142 Longuenesse, Batrice 82f., 85, 90f., 94, 216, 256 Mahnke, Dietrich 86 Maier, Anneliese 234 Maimon, Salomon 202 Marty, FranÅois 5 Meerbote, Ralf 145, 148 Meier, Georg F. 233 Mellin, Georg S. A. 4, 22, 39, 53, 66f., 100, 202, 205–207, 239, 278f., 281, 285, 298, 301 Melnick, Arthur 23 Mendelssohn, Moses 241 Menne, Albert 81 Menzer, Paul 143 Michaelis, Christian F. 4, 40, 67, 135, 168, 278f., 285 Milz, Bernhard 137, 146 Mohr, Georg 18, 23, 83, 127, 182, 275 Moritz, Manfred 177 Munzel, Felicitas G. 118 Nell, Onora 295 Nenon, Thomas 244 Nicole, Pierre 18 Paton, Herbert J. 15, 76, 84, 103, 108, 120, 177, 199, 202, 282 Patzig, Gnther 89, 106, 111, 155f., 207, 265 Pendlebury, Michael 54 Pieper, Annemarie 5f., 28, 30f., 37, 52, 57f., 88f., 101, 133–135, 156, 168, 206, 213, 227f., 247, 254, 277, 280f. Platon 99, 111, 241 Pleines, Jrgen-Eckhardt 53 Prauss, Gerold 5, 24f., 100, 107, 124, 182, 236, 259 Rameil, Udo 198 Reath, Andrews 20, 25 Recki, Birgit 60

Personenregister

Reich, Klaus 83–86, 120, 248, 259, 272f., 282f. Reimarus, Hermann S. 81 Reinhold, Carl L. 146f. Reusch, Johann P. 81 Reuter, Peter 196 Ricken, Friedo 243 Ritter, Christian 155 Rosefeldt, Tobias 242 Ross, David 287 Rçttges, Heinz 25, 127 Russell, Bertrand 92 Sala, Giovanni B. 102, 118 Snger, Monika 12 Scarano, Nico 20 Schelling, Friedrich W. J. 147 Schmid, Carl C. E. 4, 287 Schndelbach, Herbert 196 Schneeberger, Guido 275 Schnoor, Christian 56, 60 Schçnecker, Dieter 139f., 143, 149 Schçnrich, Gerhard 5, 39, 47, 88f., 136, 156, 235f., 278f., 285, 300f. Schulthess, Peter 84–86, 90f., 121, 251 Seel, Gerhard 23, 54, 86, 111, 175, 207, 232, 241–243 Sidgwick, Henry 147 Silber, John R. 31, 145 Simon, Josef 5, 109, 117, 174, 205f., 234–237, 285 Smith, Norman K. 148 Staege, Roswitha 207

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Stekeler-Weithofer, Pirmin 145, 149 Stolzenberg, Jrgen 1, 85, 113, 189 Strawson, Peter 259 Stuhlmann-Laeisz, Rainer 82, 179, 272 Sulzer, Johann G. 271 Thçle, Bernhard 23 Tonelli, Giorgio 81 Vaihinger, Hans 148 Vigo, Alejandro G. 106 Vollrath, Ernst 53 Wachter, Alexander 236 Watkins, Eric 127 Weizscker, Carl F. von 259 Willaschek, Marcus 18, 23, 60, 83, 108, 116, 123f., 127, 141, 144, 149, 182, 207, 275 Wolff, Christian 81, 93, 102, 226–228, 233 Wolff, Michael 80, 85f., 88, 90, 111, 121, 198f., 203, 214f., 232, 234, 256–258, 271–274, 283, 287 Wolff-Metternich, Brigitta-Sophia von 200 Wood, Allen W. 119, 127, 175, 242f. Wundt, Max 233, 242 Zocher, Rudolf 187 Zwanziger, Johann C. 4, 52 Zwenger, Thomas 5