Kants Metaphysik der Natur 9783110832167, 9783110032352


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German Pages 197 [208] Year 1966

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Table of contents :
INHALT
A. Einleitung Kants Bestimmung der Metaphysik der Natur als gegenwärtiges Problem
B. Darstellung der kantischen Metaphysik der Natur
ERSTES HAUPTSTÜCK
ZWEITES HAUPTSTÜCK
DRITTES HAUPTSTÜCK
VIERTES HAUPTSTÜCK
C. Natorps Schrift: „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften“ als "Wiederholung der kantischen Metaphysik der Natur
Zitierweise und benutzte Abkürzungen
Verzeichnis der benutzten Literatur
Personenregister
Sachregister
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Kants Metaphysik der Natur
 9783110832167, 9783110032352

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KANTS METAPHYSIK

DER

NATUR

Q U E L L E N UND S T U D I E N Z U R GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE HERAUSGEGEBEN VON

PAUL WILPERT

BAND IX

1966

WALTER

DE

GRUYTER

& CO.

/

BERLIN

VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG • J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG • GEORG REIMER . KARL J . TRUBNER . VEIT Sc COMP.

KANTS METAPHYSIK DER NATUR VON

LOTHAR

SCHÄFER

1966

WALTER

DE

G R U Y T E R

Sc C O .

/

B E R L I N

VORMALS G. J . GÖSCHF.N'SCHE VERLAGSHANDLUNG . J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG . GEORG REIMER . KARL J . TROBNER . VEIT & COMP.

A r d i i v - N r . 3 496 661

© 1966 by W a l t e r de G r u y t e r Sc C o . , v o r m a l s G. J . Göschen'sche V e r l a g s h a n d l u n g - J . G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung - Georg R e i m e r - K a r l J . Trübner - Veit & C o m p . , Berlin 30 P r i n t e d in G e r m a n y Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, v o r b e h a l t e n . Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder T e i l e d a r a u s auf photomechanischem Wege ( P h o t o k o p i e , M i k r o k o p i e , X e r o k o p i e ) zu v e r v i e l f ä l t i g e n S a t z und Druck: H . H e e n e m a n n KG, Berlin 31

MEINEN ELTERN

Die vorliegende Arbeit hat im SS 1962 der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation vorgelegen. H e r r n Professor P. Wilpert und dem Verlag W . de Gruyter danke ich f ü r die Übernahme der Arbeit in die Reihe Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie, der Deutschen Forschungsgemeinschaft f ü r die großzügige Finanzierung der Drudekosten. - Mein besonderer D a n k gilt H e r r n Professor K a r l Ulmer, unter dessen wohlwollender Leitung und Förderung die Untersuchung entstanden ist. Tübingen, Dezember 1965

INHALT

A. Einleitung: Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r als gegenwärtiges Problem 1 Kants doppelte Neubestimmung der Metaphysik als Endzweck der Vernunft und als apriorische Wissenschaft von der Natur § 2 Das apriorische Wissen von der N a t u r § 3 Die Metaphysik der N a t u r im Ansatz als reine Bewegungslehre § 4 Uber die Konstruktion als Methode der Metaphysik der Natur

1

§

B. Darstellung der kantischen Metaphysik der N a t u r

10 18 25 30

39

Erstes Hauptstück Bewegung als reines Quantum: Phoronomie § 5 Die apriorische Bestimmtheit des Seienden als extensive Größe § 6 Die Bestimmung der Bewegung als bloßes Quantum

43 44 50

Zweites Hauptstück Bewegende K r a f t als Qualität der Materie: Dynamik § 7 Der transzendentale Begriff der Materie als realitas phaenomenon § 8 Der dynamische Materiebegriff als durch Grundkräfte den Raum erfüllende Widerständigkeit § 9 Teilbarkeit der Materie und dynamischer Zusammenhang . . § 10 Die Auseinandersetzung mit apriorischer und empirischer Atomistik

61 62 70 77 81

Drittes Hauptstück Bewegung als durchgängige Verknüpfung aller Seienden in einer N a t u r : Mechanik § 11 Die Substanz-Akzidens-Relation als Verknüpfung von Qualitäten an einem Selbigen § 12 Das Substanz-Akzidens-Verhältnis in metaphysischer Ausdeutung: Materie und ihre Bewegungszustände

90 93 95

§ 1 3 Die Relation von Ursache und Wirkung als Verknüpfung von Qualitäten in einer notwendigen Folge: Einheit eines Geschehens 100 § 14 Die metaphysische Auslegung von Substanz und Kausalität im Trägheitssatz 105 § 15 Wechselwirkung der Substanzen als die Weise des Bestehens der Einheit der N a t u r 109 § 16 Das Bestehen des Gesetzeszusammenhanges der körperlichen N a t u r nach dem Prinzip der gleichen Wechselwirkung . . . . 112 Viertes Hauptstück Bewegung in ihrem Wissensbezug zur Struktureinheit der reinen Vernunft: Phänomenologie § 17 Die Modalitäten als verschiedene Weisen des Zusammenstimmens von Vorstellungen mit dem Bewußtsein § 18 Das Wissen von der Bewegung in seinen modalen Bestimmtheiten § 19 Das Resultat der kantischen Metaphysik der N a t u r und die Möglichkeit eines Neuansatzes

118 119 128 136

C. Natorps Schrift: „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften" als Wiederholung der kantischen Metaphysik der N a t u r 151 § 20 Natorps naturphilosophischer Ansatz als logische Grundlegung der Naturwissenschaften § 21 Der Begriff der Logik bei N a t o r p § 22 Das System der logischen Grundfunktionen: Die Kategorien § 23 Natorps Begriff der Erfahrung als ständiger Progreß der logischen Determination § 24 Gegebenheit und Anschauung als logische Bestimmtheiten bei Natorp § 25 Natorps Auffassung der Mathematik § 26 Raum und Zeit als Bedingungen der eindeutigen Bestimmbarkeit der Existenz § 2 7 Die reine Mechanik Ausblick

155 157 159 165 167 173 179 183 189

Zitierweise und benutzte Abkürzungen

192

Verzeichnis der benutzten Literatur

193

A. Einleitung Kants Bestimmung der Metaphysik der Natur als gegenwärtiges Problem

„In aller Philosophie ist das eigentlich Philosophische die Metaphysik der Wissenschaft. Alle Wissenschaften, worin Vernunft gebraucht wird, haben ihre Metaphysik." Kant, Refl. XVIII, Nr. 5681

Wer die große Zahl der naturphilosophischen Untersuchungen zu überblicken sucht, wird sich kaum des Eindruckes erwehren können, daß problematischer als die naturphilosophischen Probleme die Naturphilosophie selber geworden scheint. Denn von der Naturphilosophie als einer eindeutig verfaßten und einheitlich anerkannten Wissenschaft läßt sich kaum mehr sprechen. Zwar, in den Fragen, die, in ihrem Problemrang von den Naturwissenschaften vorbewertet, behandelt werden, findet man weithin Ubereinstimmung; doch in der Art ihrer Behandlung, der Methode also, in der Bestimmung der Absicht, die verfolgt werden soll, und im jeweiligen Ansatz, mithin in den Punkten, die die Naturphilosophie nicht in ihrem Objekt, sondern sie als Philosophie betreffen, läßt sich kaum eine Gemeinsamkeit ausmachen. Diese Situation gibt einer Skepsis Nahrung, die in der Vielfalt der Versuche nur ein Neben- und Gegeneinander verschiedenartiger Bestrebungen am Werk sieht und diese als endgültige Zerstücktheit der Philosophie deutet, wodurch, die Unmöglichkeit jeglicher Philosophie heute aufs deutlichste bezeugt sei. Dagegen will mir scheinen, daß wir heute in steigendem Maße die Vielfalt der Betrachtungsweisen als Ausdruck der vielfältigen Bestimmbarkeit der Sache sehen lernen müssen. Wir beginnen einzusehen, daß durchaus den vielfältigen Spielarten eine relative Berechtigung zukommen kann, insofern sie Seiten an der Sache entdecken, die nur in ihrer spezifischen Einstellung aufzeigbar sind. Der Schluß, der aus der Tatsache der Aufsplitterung der Naturphilosophie auf die Unmöglichkeit derselben gehen möchte, scheint jedenfalls nicht zwingend. Wir sehen außerdem, daß erst mit der Durchführung und Ausgestaltung der verschiedenen Ansätze die Grenze der jeweiligen Leistungs- und Aussagefähigkeit hervortreten kann und hervortritt. So treffen wir vor allem bereits ein ausgeprägtes Bewußtsein von der Grenze der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise selbst. Wir müssen uns fragen, was diese Grenze denn positiv besagt. Es scheint damit ein neuer Raum gewonnen für Betrachtungen, die den Rahmen der Physik überschreiten. Aber, nach welchen Gesichtspunkten kann man in diesem Feld überhaupt vorgehen und wie ist dessen Verhältnis zur Physik zu bestimmen? C. F. von Weizsäcker bringt die Begrenztheit und Ergänzungsbedürftigkeit der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise zum Ausdruck, indem er

4

Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

sagt: „Das physikalische Weltbild hat nicht unrecht mit dem, was es behauptet, sondern mit dem, was es verschweigt 1 ." Verschweigen kann man aber nur ein Sagbares. H a t also die Physik ein Sagbares im Hintergrund, das sie nur nicht eröffnet? Oder ist es für die Physik ein Unsagbares, das etwa eine andere Einstellung zur Natur durchaus zu sagen vermöchte, das aber der Physik qua Physik verschlossen bleiben muß? Ist dieses Ungesagte aber solches, welches den physikalischen Aussagen einfach adjungiert werden kann? Oder verwandelt sich, wenn dieses zur Sprache gebracht wird, nun der Wert der physikalischen Aussage im Ganzen, ohne daß es den physikalischen Aussagen sich ergänzend beifügen ließe. Unsere Frage heißt: tritt jenes „Verschwiegene der Physik" erst hervor, wenn sie als solche überstiegen werden kann und zwar so, daß dieser Überstieg selbst als Wissenschaft von der Natur geschieht, aber als Wissenschaft anderer Art? Von welcher Art wäre aber diese Wissenschaft, die die Natur als das Objekt der Physik transzendiert? In dieser Situation des Suchens, in der die Philosophie der Gegenwart durchgängig steht, gewinnen die Systeme der Tradition eine über das historische Interesse hinausgehende Bedeutung. War der Systematiker vorher versucht, sie nur als eine mehr oder weniger falsche bzw. richtige Vorstufe des eigenen Systems zu sehen, so gewinnen sie in einer Situation eigenen Suchens paradigmatischen Charakter, um durdi ihren Nachvollzug sich über das, was Philosophie überhaupt will, soll, kann, belehren zu lassen. Das historische Wissen und Interesse wird vom Systematiker heute notwendig in Dienst genommen, und umgekehrt regt das systematische Interesse den Historiker an, bestimmte Fragen eingehender zu untersuchen. Dieses Zusammengehen von historischer und systematischer Philosophie dürfte das Kennzeichnendste der gegenwärtigen philosophischen Situation sein, in der die Naturphilosophie keine Ausnahme bildet. Die vorliegende Arbeit versteht sich aus dieser Situation. Sie entspringt aus einem systematischen Interesse und wendet sich einer historischen Gestalt einer Naturphilosophie zu. Sie versucht durch Nachvollzug der kantischen Metaphysik der Natur zu klären, was Metaphysik der Natur überhaupt sein kann. Man wird fragen, warum dafür gerade Kant gewählt wurde. Die Zuwendung zu einem System der Uberlieferung, sofern sie ein systematisches Interesse verfolgt, hat immer schon sachliche Gesichtspunkte im Blick, die diese Wahl steuern. Aus einem sachlichen Interesse heraus zeigen sich die Systeme der Tradition bereits in einer bestimmten Wertung, die von der des Historikers verschieden ist. Kant wurde gewählt, weil bei ihm, wie bei keinem anderen das, worum es uns geht, nämlich die Bestimmung des Wesens der Naturphilosophie, selber zum Thema gestanden hat. Die Durchi

C. F. von Weizsäcker, Zum Weltbild

der Physik,

Stuttgart '1962, S. 25.

Einleitung

5

führung, die er von seiner Naturphilosophie gab, wird uns heute nicht mehr in allen Punkten genügen können, aber was sie vor allem auszeichnet, ist die Schärfe, mit der Kant die Problematik einer Naturphilosophie gesehen hat. Auch zeigt sich, daß sich die Diskussion, obwohl Kant als widerlegt und überholt gilt, noch immer weitgehend in kantischer Begrifflichkeit bewegt und in Unterscheidungen, die seiner Philosophie entstammen oder doch durch ihn eine entscheidende Umprägung und Neubestimmung erfuhren. Das Bewußtsein dieser terminologischen Abhängigkeit von Kant, die ihrerseits Ausdruck der denkerischen ist, äußert sich in einer allenthalben anzutreffenden positiven und negativen Auseinandersetzung mit Kant, und der Prozeß der Klärung der eigenen Position vermittelt sich weithin durch Abhebung gerade vom kantischen Denken. Vorzüglich gruppiert sich dabei die Auseinandersetzung um Kants Raum- und Zeitlehre und den Begriff der Kausalität. Hierin sind sowohl die stärksten Beziehungspunkte wie auch die Sachverhalte bezeichnet, in denen man sich am entschiedensten von Kant distanziert. Nach grundsätzlich verbreiteter Ansicht nämlich gilt Kant als Newtonianer und als Exponent der philosophischen Deutung der klassischen Physik. Diese Ansicht ist jedoch nicht ohne Nachteil für die Kantauslegung geblieben. Zweifellos ist sie berechtigt, wenn sie zum Ausdrude bringen will, daß er in seiner Naturphilosophie sich notwendig auf die Physik seiner Zeit verwiesen sah und damit in inhaltlicher Abhängigkeit von Newton bzw. dessen Physik steht. Sie ist auch noch berechtigt, wenn man damit zum Ausdruck bringen will, daß Kant selbst für die Philosophie das leisten wollte, was Newton für die Physik geleistet hatte, nämlich ihren Ausbau zu einer Wissenschaft im Vollsinn des Wortes. Sie verstellt aber die Einsicht in das kantische Denken, wenn sie die kantische Philosophie in ihrer Geltung und in ihrer Methode an die newtonsche Physik bindet. Das transzendentale Denken läßt sich nicht zureichend von der Physik her fassen. Die inhaltliche Identifizierung der kantischen Begriffsentwicklungen mit Aussagen der newtonschen Physik wird verhängnisvoll, wenn man damit das Denken Kants gänzlich in die Sphäre der klassischen Physik zieht, so daß nun durch die neue Physik die kantischen Bestimmungen zumal mit denen Newtons als eingeschränkt, relativiert, überholt gelten sollen. Diese Identifizierung ist aber keineswegs das Werk des Positivismus oder Empirismus, sondern es ist eine fragwürdige Frucht des Neukantianismus. Daß die Marburger Schule eine Verlebendigung Kants unter dem Titel des Newtonianers Kant versuchte, welche Festlegung sich von Cohen bis zu Cassirer gehalten hat, ist im eigenen Ansatz der Marburger begründet. Nicht die Nähe kantischer Formulierungen zu solchen der newtonschen Naturwissenschaft führte dazu, auch seine Philosophie an die bestimmte Gestalt der Physik zu binden, sondern diese Verknüpfung hat ihren Grund in der Auslegung der kantischen Philosophie als Erkenntnistheorie und in dem Ver-

6

Kants Bestimmung der Metaphysik der Natur

such, die Wissenschaftlichkeit der Philosophie durch Bindung an die mathematische Naturwissenschaft zu sichern (wissenschaftliche Vernunft) 2 . Gerade die These vom Newtonianer Kant wird in dieser Arbeit in Frage gestellt; es wird untersucht, ob sich in der kantischen Naturphilosophie unterscheiden läßt zwischen der sachgebundenen Enge der Formulierung in Hinsicht auf die newtonsche Physik und dem Entwurf dieser Naturphilosophie selbst; dahinter steht die Vermutung, daß der kantische Entwurf, gleichgültig, ob sich allgemeine Bestimmungen aus der Bindung an die newtonsche Physik herausdestillieren lassen oder nicht, auch f ü r unsere heutige Situation von Wichtigkeit sein könnte. Kant als Newtonianer wirklich verstehen, kann nicht bedeuten, ihn so apostrophiert einer zwar klassischen jedoch überholten Epoche zuzuschlagen, sondern kann nur als Ausdruck der Aufgabe gelten, ihn als Denker in seiner bestimmten geschichtlichen Situation auszulegen, um unsere Aufgabe in Hinsicht auf die moderne Physik deutlicher erfassen zu können. Dennoch bleibt die Frage, wozu überhaupt Metaphysik der N a t u r und wozu diese Anknüpfung bei Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft? Gibt das bloße Faktum, daß heute noch immer in der Diskussion kantische Terminologie herumgeistert, schon die Berechtigung oder gar Notwendigkeit dafür her, erneut bei einer Schrift einzusetzen, die sich doch als voller Fehler erwiesen hat? H a t nicht die Arbeit von E. Adickes 3 diesen Versuch von vornherein zur Unfruchtbarkeit verurteilt, wenn sie zeigen konnte, daß die Mängel, Schwächen und Beweisfehler gerade aus der Anwendung der Transzendentalphilosophie auf diesen Sachbereich herrühren? Wenn das Resultat eines so gründlichen Werkes in einer grundsätzlichen Ablehnung des philosophischen Verfahrens endet 4 , hingegen der positive Ertrag in der Darlegung einer bestimmten Ansicht von der Materie bestehe, die zudem schon früher sich finde und auch dort deutlicher ausgeführt sich zeige, erscheint dann nicht der hier vorgelegte Versuch als eine Frucht der Unverbesserlichkeit, die sogar wider bessere Einsicht an einer Lieblingsidee festhält? Man muß aber, wenn man so schließen will, sehen, daß es Adickes gar nicht um die Problematik einer Metaphysik der N a t u r geht, die ihm ganz verschlossen bleibt, sondern um die Sichtung der kantischen Ansichten, sofern sie sich auf Gegenstände der Naturwissenschaften beziehen. Es werden also Ansichten Kants, die aus den verschiedensten Abschnitten seines Schaffens und aus den verschiedensten Einstellungen zur Sache herkommen, miteinander nach „systematischem" Gesichtspunkt verglichen, worauf dann ihre 2 3 4

H . Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 31918, S. 79-93. E. Adickes, Kant als Naturforscher, Berlin 1924, 2 Bde. „Nicht gegen den Denker, nur gegen die transzendentale Methode richten sich die Angriffe. Diese hat nach meiner Ansicht in den M. A. d. N . nur Unheil gestiftet." (a. a. O., I, S. 377).

Einleitung

7

Wahrheit, Richtigkeit oder Fruchtbarkeit für die naturwissenschaftliche Forschung untersucht wird. Die Blickrichtung seiner Untersuchung geht also durchaus auf die Einzelwissenschaft, an deren Ergebnissen die kantischen Aussagen gemessen werden. Adickes verkennt im Grunde die Art der metaphysischen Aussage, wenn er sie in Konkurrenz zur empirischen setzt, um dann zu entscheiden, daß für den Fortschritt der Naturwissenschaft Kants Methode ungeeignet sei; was dagegen der Naturwissenschaft nottue, das seien „empirisch-induktiv gerichtete Männer von echt naturwissenschaftlichem Geisteshabitus" 5 . Bei Adickes wird die Metaphysik der Natur nur insofern betrachtet, als sie direkt auf die konkrete Forschung zurückwirkt6, indem sie durch weit ausholende Entwürfe diese anregt. Gemäß der Absicht der Metaphysik der Natur kann das aber allenfalls ein beiläufiger Effekt sein, da es primär nicht um eine Einflußnahme großen Stiles auf die Linie konkreter Forschung geht, sondern wie wir zeigen werden, um die Explikation des in der Naturwissenschaft gesetzten Naturverständnisses. Die grundsätzliche Ablehnung der M. A. d. N. kommt bei Adickes also aus einer grundsätzlich unmetaphysischen Einstellung zu den dort vorgetragenen Gedanken; deshalb macht die Arbeit von Adickes die unsere nicht überflüssig und von vornherein unfruchtbar, sondern sie nötigt uns, trotz der nachgewiesenen Mängel, Lücken und Schwächen in Hinsicht auf die Beurteilung einzelner Sachverhalte, die Idee der Metaphysik der Natur herauszustellen, die Ebene ihrer Aussagen und Festlegungen aufzuzeigen und so das Verhältnis von philosophischer und naturwissenschaftlicher Aussage zu klären. Dabei ist das Ziel, das wir hier verfolgen, ebenfalls zu unterscheiden von dem, das A. Stadler in seiner Untersuchung der M. A. d. N. anstrebte7. Auch dort nämlich wird nicht am Problem der Metaphysik der Natur festgehalten, vielmehr wird diese als „angewandte Erkenntnistheorie" zur schon gesicherten Basis gemacht, wobei es nun darum geht, die durchgängige innere Konsequenz des Werkes zu erweisen. Dies geschieht in Hinsicht auf die klassische Mechanik, ohne daß die inzwischen schon stark einsetzende Umbildung der Bedeutung der Mechanik für die Physik berücksichtigt würde. Es geschieht also bei Stadler eine weitere Verschärfung der kantischen Festlegungen in Richtung der ganz bestimmten Physik, auf die sich Kant nur beziehen konnte, die newtonsche Mechanik. Auch Höflers Untersuchungen der Metaphysischen Anfangsgründe der 5

a. a. O., I, S. 59.

6

Entgegen schäftigt erweitern wendung

7

A. Stadler, Kants Theorie

Kants Erklärung, „daß Metaphysik so viele Köpfe bisher nidit darum behat und sie ferner beschäftigen wird, um Naturerkenntnisse dadurch zu (welches viel leichter und sicherer durch Beobachtung, Experiment und Ander Mathematik auf äußere Erscheinung geschieht) . . (IV 477) der Materie, Leipzig 1883.

8

Kants Bestimmung der Metaphysik der Natur

Naturwissenschaft 8 haben das Unzureichende schon im Ansatz, daß sie den Zusammenhang der kantischen Naturphilosophie zur Transzendentalphilosophie nicht erfassen. Höflers Interesse ist „ganz einfach das eines Physikers, der sich bei der gegenwärtigen Neugestaltung der Prinzipien der Mechanik gelegentlich auch einmal der Anregung durch einen Philosophen vom Fach nicht überheben will". Zwar ist Höfler der Meinung, daß Kant „uns auch heute noch auf ungedeckte Bedürfnisse nach unanfechtbaren Grundlagen unseres Denkens über Mechanik aufmerksam machen kann" 8 a . Aber gerade das apriorische Begründungsproblem der Physik, das Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft angeht und das ihn auf die Grundbestimmungen der Kritik der reinen Vernunft verweist, bleibt H ö f l e r verborgen, ja er hält die kantischen Entsprechungen zu dem Kategorienschema für eine „bloße Lieblingsmeinung" und „Taschenspielerei" Kants, die ihm nur ein „Lächeln der Bewunderung" entlockt. Deshalb versucht H ö f l e r gar nicht den Zusammenhang mit der K. d. r. V. zu sehen, sondern er diskutiert die kantischen Aussagen über physikalische Grundbegriffe (Kraft, Materie, Bewegung usw.) in Hinsicht auf seine eigene psychologische Erkenntnistheorie bzw. auf Maxwell und die Physik seiner Zeit. Wenn aber heute, nachdem die Mechanik nicht mehr in dem Sinn mit Naturwissenschaft gleichgesetzt werden kann, wie es f ü r Kant selbstverständlich war, erneut bei den M. A. d. N . eingesetzt werden soll, dann muß ausdrücklich immer darauf geachtet werden, ob die kantischen Formulierungen tatsächlich unlösbar in die newtonsche Physik eingebunden sind, oder ob sie nicht ablösbar und einer Verallgemeinerung fähig sind, die der veränderten Verfassung der Physik Rechnung trägt. Da es aber bislang keine Untersuchung der M. A. d. N . unter diesem Gesichtspunkt gibt, ist die Gewinnung eines der heutigen Sicht angemessenen Verständnisses der kantischen Metaphysik der N a t u r die erste Aufgabe, die die gegenwärtige Untersuchung zu erfüllen hat. Erst dann nämlich wird eine zureichende Basis entwickelt sein, die es erlaubt, auch eine echte Vergleichung der Position Kants mit der von der modernen Naturwissenschaft geforderten durchzuführen, die sich nicht nur an einzelne Begriffe hält und im Feld der Physik bewegt, sondern auf die besondere Ebene der naturphilosophischen Aussage achtet und auf das Ganze von N a t u r und Erfahrung zielt und die also erst eine philosophische heißen kann. Die hier versuchte Bemühung um eine Metaphysik der N a t u r und die Anknüpfung bei Kant, zielen auf dasselbe und haben beide bereits ihren 8

A. Höfler, Studien zur gegenwärtigen Mechanik. Als Nachwort zu „Kants metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft". Leipzig 1900. Veröffentlichungen der philosophischen Gesellschaft an der Universität zu Wien, Bd. III b. «» a. a. O., S. 8/9.

Einleitung

9

Bezug zur Gegenwart, weil zwar eine Philosophie der Natur gefordert, über ihre Verfassung aber durchaus keine Klarheit zu finden ist9. Es ist nun Aufgabe der Einleitung, zunächst den Titel Metaphysik in seiner wesentlichen Doppeldeutigkeit zu entwickeln und den jeweils zugehörigen Sachbereich aus der kantischen Gesamtkonzeption zu skizzieren; dann zur Bestimmung der Metaphysik als apriorischer Wissenschaft von der Natur überzugehen, sie in ihrem Ansatz zu umreißen und eine erste Reflexion auf das methodische Verfahren der Metaphysik der Natur in Abhebung von Mathematik und mathematischer Physik anzuschließen. Im Hauptteil werden zwei Absichten verfolgt: die Festlegung der Ebene der Naturphilosophie im kantischen Gesamtentwurf wird Schritt für Schritt nachvollzogen; dabei wird versucht, die von Kant gegebene Exposition des Erfahrungsbegriffes in solcher Allgemeinheit herauszustellen, daß über die Bindung an die klassische Physik hinaus sie für die gegenwärtige Problematik diskutierbar wird. Für die Anlage dieses Hauptteils ergibt sich so, Abschnitt für Abschnitt der kantischen Schrift zu folgen, um das jeweilige Hauptmoment herauszuarbeiten. Dazu wird jeweils von dem entsprechenden „Grundsatz" der K. d. r. V. ausgegangen. Der Versuch, unmittelbar bei Kant einzusetzen, um ihn für die gegenwärtige naturphilosophische Problematik fruchtbar zu machen, sah sich konfrontiert mit dem entsprechenden Versuch der Neukantianer, wie er am geschlossensten in Natorps Hauptwerk „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften" vorliegt. Deshalb schließt sich der Kantdarstellung eine kritische Analyse von Natorps Werk an, die dieses dem eigenen Anspruch gemäß an Kants Entwurf mißt. Ein eigener Versuch, mit dem gewonnenen Rüstzeug einen ersten Schritt zur Analyse der modernen Physik zu tun, der in der Hauptsache die vor allem von den Physikern selbst schon geleisteten Klärungen zusammenstellte und der - kantisdi gesprochen - zunächst im Bereich einer physica generalis verblieb, wurde nicht in diese Veröffentlichung aufgenommen. Da aber der Absicht der Arbeit gemäß diese nicht mit Natorp abbrechen kann, wird nur thesenhaft angedeutet, in welcher Richtung und in welchem Sinn die durch die neue Entwicklung der Physik einer Naturphilosophie gestellten Probleme mit Kant angegangen werden können. 9

Die Entfaltung der metaphysischen Dimension des modernen naturwissenschaftlichen Denkens wurde von K. Ulmer am Beispiel der Bewegungslehre Galileis durchgeführt und mit der in der aristotelischen Bewegungslehre verbundenen Metaphysik ins Verhältnis gesetzt, um zu zeigen, daß die Kontinuität des abendländischen Denkens darin besteht, daß es sich jeweils in einer Metaphysik festlegt und sein Wandel sich in der Metaphysik selbst vollzieht (K. Ulmer, Die Wandlung des naturwissenschaftlichen Denkens zu Beginn der Neuzeit bei Galilei; Symposion II, S. 291-349). Die mit der neuzeitlichen Physik verbundene Metaphysik hat Kant in den M. A. d. N . zu entwickeln versucht und indem wir bei ihm ansetzen, orientieren wir unsere Absicht an der These der angegebenen Arbeit.

10

Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

§ 1. Kants doppelte Neubestimmung der Metaphysik als Endzweck der Vernunft und als apriorische Wissenschaft von der Natur Die Kantauslegung hat lange Zeit, dadurch, daß sie die Transzendentalphilosophie als Erkenntniskritik verstand und Kants Gegenwendung gegen die Leibniz-Wolffische Metaphysik als Zerstörung der Metaphysik überhaupt, verdeckt, daß Kant den Titel Metaphysik für seine Philosophie in Anspruch nimmt, ja, daß seine ganze philosophische Absicht auf Begründung der Metaphysik hinausläuft 11 . Jene Abwehr der überlieferten Metaphysik betrifft nicht sie überhaupt, sondern zunächst sie in ihrer überkommenen Gestalt, wobei die Dignität der metaphysischen Bemühung so wenig angetastet wird, daß er an ihr als dem Endzweck der Vernunft festzuhalten vermag. Denn die Absicht 12 , „die den Grund der Bewerbung um eine dergleichen Wissenschaft enthält" ist keine beliebige, sondern in der Natur des Menschen verwurzelt (B 21). Weil aber die überlieferte Metaphysik noch weit davon entfernt war, in der Verfolgung ihrer Absicht die rechten Prinzipien zu besitzen, und ohne Einsicht in ihre eigene Ermöglichung ihr Ziel zu erreichen suchte, konnte sie sich nicht als wissenschaftliche Metaphysik gewinnen und brachte sich in beständigen Mißkredit. Die Metaphysik, die sich so sicher fortschreitenden Wissenschaften wie Mathematik und Physik gegenübergestellt findet, ist durch das ständige Scheitern ihrer Bemühung 11

11

Die gegenläufige Kantinterpretation, die K a n t s metaphysische Bezogenheit und sein eigenes metaphysisches Denken hervorhebt, setzt erst spät ein. Vor allem sind hier zu nennen H . Heimsoeths Kant-Arbeiten (beginnend 1924 mit der Abhandlung: Die metaphysischen Motive in der Ausbildung des kritischen Idealismus), die jetzt im Band I seiner gesammelten Abhandlungen (Köln 1956, KS E - H . 71, Studien zur Philosophie Immanuel Kants) vereinigt greifbar sind; M. Wundts W e r k : Kant als Metaphysiker (Stuttgart 1924) und ebenfalls aus dem J a h r e 1924 N . H a r t m a n n s Beitrag: Diesseits von Idealismus und Realismus (KS X X I X S. 160-206). Ihren Zielpunkt findet diese K a n t a u f f a s s u n g in Heideggers Schrift: Kant und das Problem der Metaphysik (Bonn 1929, F r a n k f u r t 2 1951) - als Ergänzung dazu jetzt: Heidegger, Die Frage nach dem Ding. Z u K a n t s Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (Tübingen 1962) - die die K. d. r. V. als eine Grundlegung der Metaphysik auslegt. In der Folge bezieht G. Martin eine Mittelstellung dazu, vgl.: Immanuel Kant. Ontologie und Wissenschaftstheorie (Köln 1951) und in G. Martin, Gesammelte Abhandlungen und Vorträge Bd. I N r . 5-10 (Köln 1961, KS E - H . 81). - Eine kritische Sichtung der diesbezüglichen Kantliteratur (allerdings ohne Berücksichtigung von N . H a r t m a n n und Heidegger findet sich zu Eingang des Artikels von G. Lehmann, Kritizismus und kritisches Motiv in der Entwicklung der Kantischen Philosophie (KS X L V I I I / 1956-57 / S. 25-54). Für die Auseinandersetzung mit Heidegger s. E. Cassirer, Kant und das Problem der Metaphysik (KS X X X V I / 1931 / S. 1-26). Eine Würdigung von Heimsoeths Kantarbeiten findet man bei I. Heidemann, Person und Welt. Zur Kantinterpretation von H e i n z Heimsoeth (KS X L V I I I S. 344-60), bei H . Knittermeyer, Zu Heinz Heimsoeths Kantdeutung. (KS X L I X S. 293-311). „Sie ist eine Wissenschaft, vom Erkenntnis des Sinnlichen zu dem des Obersinnlichen fortzuschreiten." F d M X X 316.

§ 1. Kants doppelte Neubestimmung der Metaphysik

11

fragwürdig geworden, und Kant rückt die Frage nach der Möglichkeit der Metaphysik als „transzendentale Hauptfrage" 13 ins Zentrum seines Denkens. Ein Wissen, das ein geordnetes Ganzes ausmacht, bei dem also das Gewußte unter obersten Begriffen nach Regeln geordnet ist, nennt Kant Wissenschaft. Wissenschaft meint gerade den Zusammenhang des Wissens, die Ausweisbarkeit des Gewußten von den Prinzipien her, in denen die Ganzheit des Wissens gehalten ist, und damit System (IV 468) 14 . Metaphysisches Wissen steht aber in einem eigenen Bereich, der von dem des Erfahrungswissens zu unterscheiden ist. Infolgedessen können auch die Prinzipien metaphysischen Wissens nicht gleichartig mit denen des Erfahrungswissens sein. Je nach der Verschiedenheit der Prinzipien können so die Wissenschaften einen verschiedenen Rang haben. Diese Verschiedenheit betrifft den Grad der Gewißheit des Wissens. Die höchste Gewißheit kann nur in einer Wissenschaft angetroffen werden, in der die Prinzipien selbst von höchster Gewißheit sind, d. h. rational. Die Gewißheit des Erfahrungswissens ist stets nur eine bedingte; sie bleibt gebunden an das Sichzeigen der Sache und kann demnach nur feststellen, was sich vom Seienden in dieser und jener Befragung zeigt: Assertion. Die Notwendigkeit des Wissens, in der die Sache so offenbar ist, daß sie nicht anders sein kann, ist allein dem rationalen Wissen möglich. Wenn aber auch in den empirischen Wissenschaften, hier in der Physik, Aussagen auftreten, die notwendige Geltung bei sich führen, dann kann nach Kant deren Notwendigkeit und Gewißheit nur im rationalen Wissen ihren Grund haben. „Alle eigentliche Naturwissenschaft bedarf also einen reinen Teil, auf den sich die apodiktische Gewißheit, die die Vernunft in ihr sucht, gründen könne." (IV 469) - Als das rationale (reine) Wissen, auf das jegliche Gewißheit gegründet ist, soll die Metaphysik ausgewiesen werden. Wenn die Metaphysik selbst im Wesen der menschlichen Vernunft begründet ist, muß die Frage „Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" zur Frage nach der Ausweisbarkeit des metaphysischen Wissens aus der menschlichen Vernunft werden. Die Begründung der Metaphysik als Wissenschaft verlangt also den Rückgang auf den Quell der Metaphysik, auf das Wesen des Menschen als endliche Vernunft. In der endlichen Vernunft ist für Kant das rationale Prinzip gefaßt, auf das alle Metaphysik als Wissenschaft gegründet werden muß, und der Ausweis der Vernunft als das einzige Prinzip des Wissens überhaupt ist die sich ihm zunächst stellende Aufgabe. Die Frage „Was kann ich wissen?" gibt den äußersten Rahmen des Begründungsproblems vor, in 13 14

„Ohne Auflösung dieser Frage tut sich Vernunft niemals selbst genug." Prol. IV 327. In den Text sind die Belege aus der K. d. r. V. (A/B) und den M. A. d. N. (Seitenzählung nach Bd. IV der Pr. Ak. Ausg.) aufgenommen.

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Kants Bestimmung der Metaphysik der Natur

dem die Frage nach der Möglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft den ersten Zielpunkt bezeichnet 15 . Wenn Metaphysik überhaupt Wissen a priori aus reiner Vernunft ist, so ist hier f ü r Kant ein besonderes apriorisches Wissen abzuheben, jenes nämlich, das nicht ein apriorisches Wissen von Dingen oder deren N a t u r ist, sondern das sich mit den Bedingungen befaßt, die ein Wissen von Seiendem überhaupt erst ermöglichen. Diese Differenz innerhalb des apriorischen Wissens ist f ü r die kantische Philosophie von fundamentaler Bedeutung 16 . Kant entdeckt also ein Wissen von den Bedingungen, die allem Wissen vom Seienden zugrunde liegen und dieses selbst erst möglich machen. Dieses Wissen nennt Kant das transzendentale. In ihm werden Grund und Möglichkeit sowohl des metaphysischen wie auch des empirischen Wissens entfaltet. Dabei steht f ü r Kant fest, daß empirisches Wissen sich nicht aus sich selbst begründen kann, sondern metaphysisches Wissen voraussetzt. (IV 469) Die zu lösende transzendentale Frage aber betraf die Metaphysik in ihrer wissenschaftlichen Gestalt. Wenn nämlich Metaphysik so der Erfahrung vorgängiges Wissen ist, daß diese nur möglich wird durch ihren metaphysischen Grund, dann muß die Metaphysik selbst zunächst in ihrer Wissenschaftlichkeit ausgewiesen werden, wenn anders sie Wissenschaft soll fundieren können. Für die Begründung der Metaphysik als Wissenschaft erwächst so der Transzendentalphilosophie die Aufgabe, die Vernunft als das Prinzip der Metaphysik auszuweisen, und dieser Aufgabe entspricht sie durch eine dreifache Entwicklung: (1) Darstellung der Strukture/emewie der reinen Vern u n f t : Formen der Anschauung, transzendentale Schemata, Kategorien, Ideen. (2) Darstellung der Struktur«'»Aeii der reinen Vernunft, Ermöglichung des Erkennens: Schematismus, Grundsätze des reinen Verstandes, Vernunftprinzipien. (3) Absteckung des Feldes des Wissens, Bestimmung des Erkenntnisvermögens nach U m f a n g und Grenzen hinsichtlich der Endzwecke der reinen Vernunft: Von den dialektischen Schlüssen der reinen Vernunft. In dieser dreifachen Aufgabe und ihrer Durchführung, bei der die Analyse des mathematischen und physikalischen Wissens von fundamentaler

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D a ß es zunächst diese Grundabsicht zu erkennen gilt, hat Kant veranlaßt, die Prol. zu schreiben, die genau in ihrem Aufbau jener Absicht untergeordnet sind. Die Frage „Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" vermittelt sich dort durch die drei Fragen: (1) „Wie ist reine Mathematik möglich?" (2) „Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?" (3) „Wie ist Metaphysik überhaupt möglidi?". Dabei werden Mathematik und Naturwissenschaft nicht als erläuternde Bereiche herangezogen, sondern bezeichnen Begründungsstadien des Metaphysikproblems. „Und hier mache ich eine Anmerkung, die ihren Einfluß auf alle nachfolgenden Betrachtungen erstreckt, und die man wohl vor Augen haben muß, nämlich: daß nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder möglidi sind, transzendental heißen müsse." (A 56 / B 80)

§ 1. Kants doppelte Neubestimmung der Metaphysik

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Bedeutung ist, versucht Kant die wissenschaftliche Begründung des menschlichen Wissens überhaupt und damit auch die einer möglichen Metaphysik. Die in der K. d. r. V. vorgelegte Transzendentalphilosophie ist so wenig in einem ausschließenden Sinn der Metaphysik entgegenzusetzen, als Kant, indem er an der Metaphysik als der Vollendung des Wissens festhielt, sie lediglich als Vorbereitung der eigentlichen Philosophie verstand, ihr den Titel einer Propädeutik gab. „Die Philosophie der reinen Vernunft ist nun entweder Propädeutik (Vorübung), welche das Vermögen der Vernunft in Ansehung aller reinen Erkenntnis a priori untersucht, und heißt Kritik, oder zweitens das System der reinen Vernunft (Wissenschaft), die ganze (wahre sowohl als scheinbare) philosophische Erkenntnis aus reiner Vernunft im systematischen Zusammenhange und heißt Metaphysik . . . " (A 841 / B 869) Hier gibt Kant zwar noch keine genaue Bestimmung der Metaphysik selbst, wichtig ist jedoch, daß er den Titel Metaphysik als Vollendungsbegriff der Philosophie festhält, indem er die in der K. d. r. V. vorgelegte Transzendentalphilosophie als Vorstufe zu dieser versteht. Durch die Transzendentalphilosophie bleibt damit keineswegs der alte Anspruch der Metaphysik, vom Sinnlichen zum Übersinnlichen aufzusteigen, aus dem Wissen ausgeschlossen, sondern, so deutet Kant an, sie wird gerade die Fundierung dieses Anspruches geben. „Die Transzendentalphilosophie, d. h. die Lehre von der Möglichkeit aller Erkenntnis a priori überhaupt, welche die Kritik der reinen Vernunft ist, von der itzt die Elemente vollständig dargelegt worden, hat zu ihrem Zweck die Gründung einer Metaphysik, deren Zweck wiederum als Endzweck der reinen Vernunft, dieser ihre Erweiterung von der Grenze des Sinnlichen zum Felde des Ubersinnlichen beabsichtigt18." Wird nun durch das Festhalten an der Absicht der Metaphysik als „Uberstieg zum Unbedingten" nicht das Ergebnis der K. d. r. V. umgestoßen19? Denn da war doch hervorgetreten, daß wahre Erkenntnis die auf Sinnlichkeit bezogene Verstandeserkenntnis sei: Synthesis von Anschauung und Begriff. Diese Synthesis ist Maßstab aller Erkenntnis. Es zeigt sich, daß dann die Idee, in der der Uberstieg von der Sphäre der Sinnlichkeit zum Übersinnlichen vorgestellt ist, kein konstitutives Element der Erkenntnis ist, da ihr keine Anschauung korrespondierend gegeben werden kann. Sie ist auf die Sinnlichkeit nur vermöge der Kategorien bezogen und hat nur regulative Funktion, indem sie den Verstand auffordert, so weit wie möglich sein Wissensfeld zu erweitern. Die Vernunft, auf sich selbst gestellt, zeigt sich dialektisch, d. h. sie setzt notwendig widerstreitende Forderungen, die schlechthin unerfüllbar bleiben. « 19

FdM X X 272. H. Knittermeyer hat den Begriff des Überganges bei Kant untersucht; er versuchte dort, den „Ubergang" als die Erfüllung der transzendentalen Methode zu erweisen: Der „Übergang" zur Philosophie der Gegenwart (ZphF Bd. 1, S. 266-287 und 521-540).

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K a n t s B e s t i m m u n g der M e t a p h y s i k der N a t u r

Wenn nun dies das Resultat der K . d. r. V. ist, was soll dann noch die Rede vom Festhalten an der Absicht der Metaphysik, als deren Grundlegung die Transzendentalphilosophie verstanden sein will? Denn eine Wissenschaft vom Ubersinnlichen, als dem aller Erfahrung Jenseitigen, ist nicht möglich. Wissen nämlich ist nur möglich im Felde des sinnlich Erfaßbaren. Wozu dann noch Metaphysik? Denn, so sagt jetzt die Wissenschaft, metaphysisches Wissen ist leeres Wissen. Was ist, erfaßt die jeweilige „positive" Wissenschaft, die sich auf dem Boden der Realität, in der gegenständlichen Welt angesiedelt hat. Was das Wissen von der Natur betrifft, so ist die mathematische Naturwissenschaft die einzige zuständige Erkenntnisinstanz. Was bleibt dann einer Metaphysik der Natur anders übrig, als auf dem Boden der Naturwissenschaft zu bleiben, Wissenschaft zu werden wie sie, allem Metaphysischen abzuschwören 20 ? Kann sich also nicht gerade die metaphysikfeindliche Wissenschaftstheorie als Konsequenz der K . d. r. V. betrachten? Bringt man die Metaphysik, die Kant bekämpfte, und das Resultat der K . d. r. V. rein äußerlich zusammen, dann erscheint in der Tat der Positivismus als einzig verbleibende Möglichkeit. Es muß aber jetzt die kantische Neubestimmung der Metaphysik in ihrer wesentlichen doppelten Bedeutung aufgezeigt werden. - Das Festhalten an der Metaphysik als dem Endzweck der Vernunft kann nur als Vorausgriff Kants auf eine neue Gestalt oder Bestimmung der Vernunft selbst verstanden werden, die solches Wissen gewinnen kann. Wie diese verfaßt sein muß als vollendete Systemvernunft, wird aus der K . d. r. V. nicht deutlich21. Der Begriff der Metaphysik als Endzweck der Vernunft ist also zwar für Kant bestimmend, insofern er seine Position unter diesen bringt, aber Kant ist selbst nicht Metaphysiker in diesem Sinn und diese Metaphysik gibt es (noch) nicht in ihrer Vollgestalt, sondern nur im kritischen Vorbegriff22. 20

Diese K o n s e q u e n z formuliert mit positivistischem Pathos H . Reichenbach: „ D i e Philosophie der N a t u r e r k e n n t n i s will keines v o n den Systemen sein, die aus dem K o p f e eines einsamen D e n k e r s entspringen und wie steinerne Monumente vor dem betrachtenden Blick der Generationen stehen - sondern sie will Wissenschaft sein, sein wie die anderen 'Wissenschaften auch, ein Schatz v o n gemeinsam erarbeiteten Sätzen, deren Anerkennung unabhängig v o m R a h m e n eines Systems von jedem verlangt werden kann, der überhaupt in diesen Dingen mitdenken w i l l . " (Philosophie der Raum-Zeit-Lehre, Berlin 1928, S. 7.)

21

Knittermeyer zieht f ü r seine Untersuchung (a. a. O., s. o. A n m . 19) auch insbesondere die P r o b l e m a t i k der K . d. U . und des O p . post. heran.

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M i t dieser Bezeichnung soll z u m Ausdruck gebracht werden, d a ß mehr gemeint ist als hypothetischer E n t w u r f oder reine V o r w e g n a h m e der E n d g e s t a l t der Metaphysik, und d a ß K a n t ebensosehr d a v o n entfernt ist, Metaphysiker in diesem letzten Sinn zu sein. K a n t unterscheidet „drei S t a d i e n der reinen V e r n u n f t " ( F d M X X 2 7 3 ) : Wissensdiaftslehre (Fortschritt), Zweifelslehre (Stillstand) und Weisheitslehre (Überschritt z u m E n d -

§ 1. Kants doppelte Neubestimmung der Metaphysik

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Kant hat aber den Titel Metaphysik noch in einem ganz anderen, von diesem streng unterschiedenen Sinn gebraucht, wenn er nämlich von Metaphysik der Natur und Metaphysik der Sitten spricht. Man kann in dem Zusammenhang von einer Kant-immanenten Bedeutung sprechen. Obwohl hierbei bestimmte wohldefinierte und getrennte Disziplinen benannt sind, ist die Bedeutung von Metaphysik in diesem Zusammenhang doch nicht ohne Bezug zu der erstgenannten, wie wir zeigen werden. „Die im engeren Verstände so genannte Metaphysik besteht aus der Transzendentalpkilosophie und der Physiologie23 der reinen Vernunft. Die erstere betrachtet nur den Verstand, und die Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die gegeben wären (Ontologia); die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff gegebener Gegenstände (sie mögen nun den Sinnen oder, wenn man will, einer anderen Art von Anschauung gegeben sein), und ist also Physiologie (obgleich nur rationalis)." (A 845 / B 873) Die Physiologie, die sich mit den Gegenständen, sofern sie den Sinnen gegeben werden, befaßt, gliedert sich gemäß der äußeren und inneren Sinnlichkeit in die „Metaphysik der körperlichen Natur (rationale Physik)" und „Metaphysik der denkenden Natur (rationale Psychologie)" 24 . Um die Erfassung derjenigen Disziplin, die Kant Metaphysik der körperlichen Natur oder rationale Physik nennt, geht es uns hier, und es ist zunächst zu fragen, weshalb Kant berechtigt ist, die rationale Physik eine

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zweck). E r selbst redinet sich der zweiten Phase zu, die er auch skeptischen Stillstand nennt, und um diesen propädeutischen und Mittelcharakter auszudrücken, die Prägung: kritischer Vorbegriff. - Die Diskussion um K a n t als Metaphysiker ist nicht zuletzt deshalb so verwirrend, weil in den drei Kritiken und im Op. post. jeweils eine verschiedene Nähe zum „Endzweck" erreicht wird, und die Interpreten dementsprechend verschiedene Ansätze gegeneinander stellen können. Hier stützen wir uns auf die K . d. r. V. und damit auf einen Metaphysikbegriff, der in der Folge der metaphysica generalis (Ontologie) steht. In diesem Zusammenhang steht die Kantauslegung Heideggers (a. a. O . , s. o. Anm. 11). Dagegen scheint Cassirer (s. ebd.) eine nicht haltbare Trennung vorzunehmen, wenn er von Metaphysik bei K a n t nur im Zusammenhang mit der K . d. p. V. und K . d. U . sprechen möchte, für die K . d. r. V. jedoch den Titel Erkenntnistheorie festhalten will, indem er diesen gegen den Metaphysikbegriff setzt. K a n t verwendet diesen Titel in einem ganz allgemeinen Sinn: von der Natur (cpúaig) ein Wissen (Xóyo;) haben; wenn K a n t aber hier an Stelle des deutschen Wortes „Naturlehre" die griechische Wortbildung verwendet, dann darf das nicht zur Annahme verleiten, es liege hier auch ein griechisches Verständnis der N a t u r vor und es werde in ihm etwa dasselbe gedacht wie bei den „Ionischen Naturphilosophen", die Aristoteles auch als cpucHoXoYOi bezeichnet. Auch wenn K a n t den griechischen Terminus verwendet, denkt er die Natur ganz neuzeitlich, d. h. sie im Gegensatz zur sittlich-geistigen Welt und als rationales Gefüge zumal, wohingegen die Griechen in ihm eine umfassende, in sich ruhende Ordnung des Hervor- und wieder Vergehenlassens all dessen, was ist, denken.

2* Vgl. A 846 / B 874, I V 467, G M S I V 387.

Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

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Metaphysik der Natur zu nennen. Eine Disziplin, die sich ganz auf die Physik bezieht, scheint zunächst nichts mit Metaphysik als Lehre vom Endzweck, vom Unbedingten zu tun zu haben, da die Physik doch ganz dem Bereich des Bedingten, den sinnlichen und endlichen Erscheinungen angehört. Gerade aber diese Begrenzung der Erfahrungswissenschaft auf das Feld der Erscheinungen setzt zugleich die Forderung, diese Grenze in ihrer positiven Bestimmung zu untersuchen und sie damit auch zugleich zu überschreiten. Denn, so sagt Kant: „Der Erfahrungsgebrauch, auf welchen die Vernunft den reinen Verstand einschränkt, erfüllt nicht ihre ganze Bestimmung25." Es ist also nach Kant eine vordergründige Betrachtungsweise, die Erfahrungswissen und Metaphysik in einem nur ausschließenden Verhältnis festzuhalten sucht; solange nur auf das Ausschließende des Unterschiedes geachtet wird, kommt gerade die positive Bestimmung der Grenze, die zu dem Erfahrungswissen gehört, nicht in den Blick. „Aber die Begrenzung des Erfahrungsfeldes durch etwas, was ihr sonst unbekannt ist, ist doch eine Erkenntnis, die der Vernunft in diesem Standpunkt noch übrig bleibt, dadurch sie nicht innerhalb der Sinnenwelt beschlossen, auch niciit außer derselben schwärmend, sondern so, wie es einer Kenntnis der Grenze zukommt, sich bloß auf das Verhältnis desjenigen, was außerhalb derselben liegt, zu dem, was innerhalb enthalten ist, einschränkt26." Erkenntnis dieser Grenze bedeutet aber keineswegs nur Einsicht in die faktische Begrenztheit des Erfahrungswissens; die Einsicht in diese würde kaum zureichend die Anstrengung um eine Metaphysik rechtfertigen, denn sie könnte ebenso durch einfadien Hinweis auf die immer begrenzt bleibende Arbeit der betreffenden Wissenschaft geliefert werden. Was jene Erkenntnis der Grenze der Erfahrung, die hier gemeint ist, liefert, ist die Sicht auf ein die Erfahrung Übersteigendes, das sich aber gerade als der Grund der Erfahrung erweist. „Diese Einschränkung" (der Vernunft auf das Feld möglicher Erfahrung) „hindert nicht, daß sie uns nicht bis zur objektiven Grenze der Erfahrung, nämlich der Beziehung auf etwas, was selbst nicht Gegenstand der Erfahrung, aber doch der oberste Grund aller derselben sein muß, führe, ohne uns doch von demselben etwas an sich, sondern nur in Beziehung auf ihren eigenen vollständigen und auf die höchsten Zwecke gerichteten Gebrauch im Felde möglicher Erfahrung, zu lehren27." Hier ist nun der Metaphysik, indem an ihrer alten Absicht festgehalten wird, ein neues Feld eröffnet, und zwar so, daß sie ganz auf Erfahrung bezogen bleibt, ohne jedoch in der Ebene der Erfahrung zu stehen. Die Sache, auf die die Metaphysik bezogen ist, das Unbedingte, nämlich 25 Prol. IV 327/8. "

Prol. IV 361.

27 Prol. IV 361/2.

§ 1. Kants doppelte Neubestimmung der Metaphysik

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ist nicht ein der Erfahrungswissenschaft schlechthin Jenseitiges, sondern Erfahrung ist selbst auf dieses oder in diesem gegründet, der Bezug zur Metaphysik gehört zur Erfahrungswissenschaft als solcher. Ist denn, so müssen wir fragen, jenes Erfassen dessen, was ist, nach Art der „positiven" Wissenschaften ohne weiteres möglich? Vollzieht es sich nicht immer schon unter ganz bestimmten Festlegungen, die das Seiende im Grunde betreffen, seine Seins- und Wesensbestimmungen? Steht es aber damit nicht unmittelbar in einer metaphysischen Dimension? Ist nicht auch die Totalität, nach der sidi die Naturwissenschaft als alleinige wahre Wissensart von der Natur versteht, Ausdruck eines metaphysischen Anspruchs, unter den sie also gerade gerät, indem sie die Metaphysik negieren will? Und besteht nicht Wissenschaft im Zusammenhang des Gewußten unter Prinzipien, wobei gerade der Zusammenhang der Grundvorstellungen nicht erst aus der Erfahrung stammen kann, da Erfahrung vielmehr erst durch solchen ihr vorgängigen Entwurf möglich wird? Die Wissenschaft, die am sinnlich Aufweisbaren ihren Halt nimmt und ihr Wissen unmittelbar an ihm verifiziert, scheint also zwar in sich selbst zu stehen, verweist aber nach Kant auf einen Grund, den sie als Erfahrungswissenschaft nicht fassen kann, den auch eine bloß methodische Reflexion auf die empirischen Verfahrensweisen nicht erreichen kann, sondern der Metaphysik in diesem gezeigten Sinn nötig macht. Wir halten fest: Die transzendentale Untersuchung des Erkenntnisvermögens stellte als wahres Wissen die Synthesis von Anschauung und Begriff (rein oder empirisch) nach Grundsätzen des reinen Verstandes heraus. In den Einzelwissenschaften sind diese aber immer schon in einer bestimmten Weise verstanden, d. h. festgelegt, ohne daß sie den metaphysischen Charakter ihrer Festlegungen entfalten könnten. In welcher Weise also in diesen Festlegungen ein Vorblick auf Sachverhalte der Metaphysik impliziert ist, das bleibt ihnen wesentlich verschlossen. Die metaphysischen Implikationen als solche zu explizieren, ist die damit geforderte Aufgabe der Metaphysik, die damit bei den Einzelwissenschaften anzusetzen hat. Die Metaphysik in diesem Sinn nimmt also bei Kant eine Zwischenstellung zwischen Empirie und Transzendentalphilosophie ein, wobei die erste sich schlechthin ans Gegebene hält, aber durch apriorische Bedingungen bestimmt ist, während die letzte bloß auf die Bedingungen, nach denen ein Haben von Gegebenem überhaupt möglich ist, sich bezieht und solchermaßen noch nicht die Bestimmtheit, in der sich Seiendes jeweils zeigt und verstanden wird, betrachten kann. Nachdem nun hier die kantische Festlegung der Metaphysik in einer ersten Abhebung gegen Transzendentalphilosophie und Empirie vorgestellt wurde, muß im folgenden die Metaphysik der Natur unser ausschließliches Thema werden, wobei nun ihre Aufgabe und ihre Verfassung als Wissenschaft verdeutlicht werden müssen.

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Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

§ 2. Das apriorische Wissen von der Natur Metaphysik ist apriorisches Wissen aus reiner Vernunft. Sofern hier die Metaphysik der Natur, wobei für uns, hierin Kant folgend, Natur einfach als das Feld einer bestimmten Naturwissenschaft, Physik, gilt, der Gegenstand der Untersuchung ist, betrachten wir das apriorische Wissen von der körperlichen Natur. Indessen zeigte aber bereits die vorbereitende Festlegung auf, daß von einem Unbedingten, dem Übersinnlichen, das als der Grund des empirischen Erfassens sich zeigte, nicht für sich ein Wissen gewonnen werden kann; das Wissen vom Grund der Erfahrung kann nur eruiert werden, indem bei dieser selbst angesetzt wird; vom Unbedingten ist für Kant nur in Hinsicht auf das Bedingte eine Aussage möglich. Formelhaft läßt sich jenes erste Resultat so ausdrücken, daß vom Unbedingten nur im Bedingten, oder nur von seinem Bedingendsein für das Bedingte, nicht aber von ihm als solchen eine Erkenntnis statthaben kann. Deshalb muß dem Ansatz zufolge die eigentliche Metaphysik der Natur die empirische Bestimmtheit der physikalischen Grundbegriffe in sich aufnehmen. Wenn aber die Metaphysik auch nur in einem Punkt Empirisches, empirische Bestimmtheit, in sich aufnimmt, könnte dadurch nicht die ganze Apriorität ihres Wissens in Frage gestellt sein? Bislang war von Wissensprinzip (philosophischem) nur im Sinne des transzendentalen Prinzips die Rede, insofern durch dieses „die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis überhaupt werden können" 28 . Diesem transzendentalen Prinzip setzt Kant ein gleichwohl apriorisches entgegen, das er metaphysisches Prinzip (metaphysisch in unserer zweiten, kantimmanenten Bedeutung) nennt: „Dagegen heißt ein Prinzip metaphysisch, wenn es die Bedingung a priori vorstellt, unter der allein Objekte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß, a priori weiter bestimmt werden können28." Es zeigt sich hier, wie Kant den Bezug der Metaphysik auf Gegebenes denkt, ohne daß sie dadurch in die durchgehende Bedingtheit der Erfahrung fällt und ihre Apriorität verliert. Nämlich sie bezieht sich nicht auf die Empirie, indem sie diese zur Basis ihres Wissens macht, um auf diese eine metaphysische Überhöhung zu setzen, welche Überhöhung mit der Gesichertheit der Erfahrung steht und fällt; vielmehr nimmt sie die empirischen Grundbegriffe in die in sich gegründete metaphysische Betrachtungsweise auf, wobei die aufgenommenen Bestimmungen eine neue Bedeutung gewinnen. Diese neue Bedeutung steht nicht unabhängig und jenseits der physikalischen. Sie tritt an den physikalischen Grundbegriffen hervor, sofern gefragt wird, wie durch sie Erfahrung konstituiert wird. 28 K U V 181.

§ 2. Das apriorische Wissen von der N a t u r

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Die Metaphysik der N a t u r ist so wenig ein Überbau, der sich über die Erfahrung wölbt und auf dieser steht, als die metaphysische Frage gerade nach dem Grund unserer Kenntnis vom Seienden fragt, wobei die aufgenommene empirische Bestimmtheit nicht ihre Form bedingt, sondern nur ihren Sachgehalt. Sie bestimmt nicht den Gang der Metaphysik, insofern sie sich in ihrer Schlußweise an bestimmte Erkenntnisse der Empirie halten muß, sondern bestimmt ihre materiale Konkretheit, den Inhalt, betrifft sie im Ansatz. Nicht durch die Übernahme physikalischer Verfahren und Lehrsätze in die metaphysische Methode, wird die „ K l u f t " zwischen Erfahrung und Metaphysik überbrückt und die letzte zur sicher schreitenden Wissenschaft, sondern die Verbindung geschieht durch die Aufnahme der faktischen Festlegungen der Erfahrungswissenschaft in die metaphysische Betrachtung, d. h. in die Erörterung jenes Grundes, auf dem diese steht, sich wandelt, sich versteht. Die Metaphysik der N a t u r entfaltet das apriorische Wissen von der N a t u r , indem sie die Festlegungen der physikalischen GrundbegrifTlichkeit reflektiert. In welchem Sinn ist aber dabei von N a t u r die Rede? Kant unterscheidet eine doppelte Bedeutung des Naturbegriffs: eine formale und eine materiale. Die Vorrede der M. A. d. N . beginnt mit dieser grundlegenden Unterscheidung: N i m m t man das Wort N a t u r in bloß „formaler Bedeutung", so bedeutet es „das erste, innere Prinzip alles dessen, was zum Dasein eines Dinges gehört". Kant hebt diesen Begriff von dem des Wesens ab: „Wesen ist das erste, innere Prinzip alles dessen, was zur Möglichkeit eines Dinges gehört." In diesem „formalen" Sinn sprechen wir von der N a t u r des Menschen, einer Sache, eines Geschehens usf. und nennen in ihm den einigen Zusammenhang aller Bedingungen, die das Dasein, das „verwirklichte Wesen", des Menschen usf. ausmachen. Schärfer tritt der Zusammenhang der konstituierenden Momente unter dem Prinzip, der in diesem Naturbegriff gemeint ist, in der Formulierung hervor, die Kant in der K. d. r. V. bringt: „Natur, adjektive (formaliter) genommen, bedeutet den Zusammenhang der Bestimmungen eines Dinges nach einem inneren Prinzip der Kausalität." (A 418 / B 446) Die dieser formalen Bedeutung korrespondierende materiale bestimmt Kant so: „Sonst wird aber auch N a t u r in materieller Bedeutung genommen, nicht als eine Beschaffenheit, sondern als Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein können." (IV 467) Mit diesem Naturbegriff wird jetzt nicht mehr nur der Zusammenhalt der Bedingungen, die zum Dasein des Gegenstandes gehören, gemeint, sondern es wird die Gesamtheit aller Gegenstände, denen dieselbe N a t u r zukommt, in ihm begriffen. Würde aber dieser Inbegriff als eine nur äußerliche Mengenbildung vorgestellt, dann wäre in ihr wieder das zuerst erörterte Prinzipsein der N a t u r verschwunden. Beide Seiten des Naturbegriffs

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Kants Bestimmung der Metaphysik der Natur

gehören aber zusammen. Es wird also im zweiten, materialen Sinn nicht nur eine Menge von Objekten gleicher Natur ausgegrenzt und einander äußerlich festgehalten, sondern sie werden zugleich in einem Zusammenhang vorgestellt. Wie also der formale Begriff der Natur eines Dinges die Seinsstruktur des Seienden (seine innere Gliederung und Einheit) meint, so auch der Naturbegriff materialiter den Zusammenhang der gleichnaturigen Seienden. So sagt Kant in der K. d. r. V. deutlicher: „Dagegen versteht man unter Natur, substantive (materialiter), den Inbegriff der Erscheinungen, sofern diese vermöge eines inneren Prinzipes der Kausalität durchgängig zusammenhängen 29 ." (A 418 / B 446) Unter diesem Titel wird also eine bestimmte Ausgrenzung von Objekten vorgestellt, die einen geschlossenen Zusammenhang bilden, wofür Kant auch die Bezeichnung Kontext, Gewebe verwendet. Metaphysik der Natur (Natur jetzt als „Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein können, worunter also das Ganze aller Erscheinungen, d. i. die Sinnenwelt mit Ausschließung aller nicht sinnlichen Objekte verstanden wird" [IV 467]), will in diesem Sinn apriorisches Wissen aus reiner Vernunft von der Natur der (körperlichen) Dinge sein. Auf dieses apriorische Wissen wiederum ist alles empirische Wissen von der körperlichen Natur gegründet, weil nur durch die Gründung auf apriorische Naturgesetze ein empirisches Kennen Wissenschaft werden kann. Allem Wissen vom Seienden in seiner empirischen Bestimmtheit geht also ein Kennen von Natur und Wesen des Seienden als solchen vorher, und damit ist gemeint ein erfahrungsvorgängiges Erfassen der Bestimmtheiten, die zur Möglichkeit und zum Dasein einer Sache notwendig gehören. Dabei beansprucht Kant gemäß seiner Konzeption von Wissenschaft und seiner Bestimmung der Vernunft, daß diese Bedingungen nicht nur irgendwie, sondern unter einem obersten Prinzip vorgestellt werden sollen, d. h. nach einer notwendigen Gliederung und inneren Einheit. Die Möglichkeit des apriorischen Wissens von der Natur in dem angegebenen Sinn ist also getragen von der Offenbarkeit der Natur als Idee30. Natur als Idee vorstellen, d. h. sie als oberstes Prinzip so denken, daß alles Naturhafte in systematischem Zusammenhang erscheint31. Wenn aber die Idee nur vorgestellt wird als der höchste Punkt einer systematischen Ordnung, der zudem nie erreicht werden mag, dann ist sie 29

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In den beiden Zitaten ist der Begriff Kausalität nicht kategorial, d. h. erfahrungskonstitutiv zu verstehen, sondern in einem umfassenderen Sinn von Begründung, Hervorbringung - nicht bezogen auf Einzelnes, sondern auf die Natur als Totalität, d. h. in einem metaphysischen Sinn. „Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, sofern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Teile untereinander, a priori bestimmt wird." (A 832 / B 860). „Ich verstehe aber unter einem System die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee." (A 832 / B 860).

§ 2. Das apriorische Wissen von der Natur

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nur in ihrer wissenschaftsbildenden Funktion, nur formal die Architektonik der reinen Vernunft betreifend vorgestellt, nur in ihrer Bedeutung für eine Methodenlehre. Wodurch allein sie aber diese Bedeutung haben kann, leitet sich von ihrer metaphysischen Bedeutung her, derzufolge sie das auf das Bedingte bezogene Unbedingte ist. Das Unbedingte ist irgendwie im Bedingten involviert; angesetzt werden muß beim Bedingten. Andererseits vermag Metaphysik das gegebene Bedingte auf seine, sich in ihm manifestierende Unbedingtheit hin nur deshalb zu entwickeln, weil sie einen eigenen Vorblick auf das Unbedingte hat, in dem sich N a t u r als erstes Prinzip des ganzen Objektbereichs zeigt. Es ist unzureichend, die Ideen bei Kant nur als Ursprung des dialektischen Widerspruchs der Vernunft zu sehen. Das ist nur eine Seite, nur ein Moment an ihnen, über dem nicht das andere Moment des positiven Bezuges auf Erfahrung, das Kant ausdrücklich festgehalten hat, unberücksichtigt bleiben darf. Es scheint, als werde jene „regulative Funktion" der Ideen allzusehr aus dem f ü r die wirkliche Erkenntnis unfruchtbaren Vernünfteln als abschreckende Funktion gedeutet, so, daß der Verstand angesichts solch wirklichkeitsleerer Dialektik befriedigt ins Feld der Sinnlichkeit zurückkehre, weil er in dem übersinnlichen Felde doch nichts vermöchte. Wir werden genauer zu zeigen haben, inwieweit jene „regulative" Funktion nicht schlechthin in Gegensatz zur „konstitutiven" gebracht werden kann, sondern eine Differenz innerhalb des Konstitutiven zum Ausdruck bringt 32 . Vom Bezug der Ideen zur Erfahrung ist diese im Ganzen betroffen, so daß Kant einleitend im Abschnitt „Von den transzendentalen Ideen" sagt, daß sie „den Verstandesgebrauch im Ganzen der gesamten Erfahrung nach Prinzipien bestimmen". (A 321 / B 378) Sie vermögen das, weil sie den unbedingten Grund aller Synthesis des Bedingten vorstellen. „Also ist der transzendentale Vernunftbegriff kein anderer als der von der Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten. Da nun das Unbedingte allein die Totalität der Bedingungen jederzeit möglich macht, und umgekehrt die Totalität der Bedingungen jederzeit selbst unbedingt ist; so kann ein reiner Vernunftbegriff überhaupt durch den Begriff des Unbedingten, sofern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthält, erklärt werden." (A 322 / B 379 letzte Sperrung v. V.) 32

In einem viel weitergehenden und umfassenderen Sinn hat Knittermeyer das „Konstitutive" in der „regulativen Funktion der Idee" ausgelegt, wenn er sagt: „Ist nicht die Idee als regulatives Prinzip ein abgewandeltes Schema, ein ,Analogon' (B 693), das einen Obergang vom Sein zum Sollen, von der Theorie zur Praxis zum wenigsten postulieren läßt? Bildet sich nicht wirklich eine neue Transzendenz in der Idealisierung der Begriffe, und ist die Idealisierung etwas anderes als ein ,Analogon' der ,Versinnlichung'?" (Knittermeyer, Übergang a . a . O . , S. 270.) Wir meinen oben nur den erfahrungsimmanenten Konstitutionsbezug der Idee, nicht die mögliche Erschließung der noumenalen Welt, die Knittermeyer durch sie vorgezeichnet findet.

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Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

Alle Synthesis im Bereich der Erfahrung ist also selbst nur eine bedingte, die ihren Grund nicht in sich hat, und die diesen Grund auch nicht in einer beliebigen Schrittfolge vom Bedingten zum Bedingenden, da dieser Regressus immer innerhalb des Bedingten verbleibt, gewinnen kann; der Grund der Synthesis des Bedingten kann nur im Uberstieg über jedes Bedingte, den ganzen Bereich des Bedingten, vorgestellt werden in einer Vorstellung von der Totalität der Bedingungen alles Bedingten. N u r in diesem Uberstieg kann Natur im Ganzen gedacht werden; und damit das Mannigfaltige, das im Naturerfassen gegeben ist, als Bestimmtheit der Natur aufgenommen werden kann, bedarf es des Vorblicks auf die Natur als Idee vom durchgängig zusammenhängenden Ganzen des vorliegenden Mannigfaltigen 33 . Apriorisches Wissen von der Natur, das der sich etablierenden Erfahrung zugrunde liegt, ist so zuletzt Wissen von dem unbedingten Zusammenhang, der letzten Ganzheit, des Sachfeldes der materiellen, sinnlichen Dinge; der faktisch von der Physik jeweils ausgewiesene und ausweisbare Zusammenhang ist fundiert in einem Vorblick auf den notwendigen Zusammenhang aller Gegenstände, sofern sie mögliche Objekte eines naturalen Erfassens sein können 34 . Diesen Sachverhalt drückt Kant aus, wenn er sagt, die eigentliche Metaphysik enthält „ . . . Begriffe und Grundsätze a priori, welche das Mannigfaltige empirischer Vorstellungen allererst in die gesetzmäßige Verbindung bringt, dadurch es empirisches Erkenntnis, d. i. Erfahrung, werden kann". (IV 472) 33 Von der Vorstellung der N a t u r als Idee (eine Vorstellung, die leicht mißverstanden werden kann, weil hier nicht auf die Antinomien, die aus dem Vernunftbegriff des unbedingten N a t u r g a n z e n entspringen, Bezug genommen wird) wird so betont gesprochen, um weiter zu verdeutlichen, weshalb K a n t die konzipierte Wissenschaft von den apriorischen Setzungen der Naturwissenschaft Metaphysik nennen konnte. O b w o h l sie nicht Wissenschaft vom N a t u r g a n z e n im Sinne der rationalen Kosmologie ist, ist sie doch nur durch die leitende Vorstellung vom N a t u r g a n z e n (Idee) möglich, eine Vorstellung, die den Bereich der erfahrbaren Objekte transzendiert und sich zugleich als deren G r u n d erweist. K a n t hat die Metaphysik der N a t u r in dieser Neukonzeption ausdrücklich zur Metaphysik als Endzweck in bezug gesetzt und bezeichnet sie als einen „aus ihrer Wurzel sproßenden Sprößling", den er „besonders (gesondert) pflanzt, ohne dennoch dessen Abstammung aus jener zu verkennen". ( I V 477) Die Idee vom N a t u r g a n z e n als Bedingung jeglicher Naturerkenntnis hat K a n t dann vor allem im O p . post. beschäftigt und im Begriff des „Weltsystems der Materie" in schärferem Erfahrungsbezug vorgestellt. Für diese Sicht, auf die wir nicht eingehen können, vgl. den reichhaltigen Aufsatz von G. Lehmann, Ganzheitsbegriff und Weltidee in Kants Opus postumum, KS X L I (1936), S. 307-330. 34 „ N a t u r a l e E r f a h r u n g " meint E r f a h r u n g der N a t u r , wobei E r f a h r u n g immer als wissenschaftliche (im Sinne der Physik) verstanden ist, nicht also natürliche E r f a h r u n g als vorwissenschaftliche. Diese Einsicht, d a ß bei K a n t mit E r f a h r u n g stets wissenschaftliche Erfassung gemeint ist, hat besonders der Neukantianismus (vgl. insbesondere Cohen, Kants Theorie der Erfahrung) herausgestellt. D e r Wortgebrauch hält sich an den Husserls, w o mit naturaler E r f a h r u n g das aus „doxisch-theoretischer Einstellung" herkommende naturwissenschaftliche Erfassen benannt ist (Ideen, II S. 2).

§ 2. Das apriorische Wissen von der Natur

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Versteht man aber Natur als das erste Prinzip, das alle Momente, die zum Dasein des Objektes gehören, zusammenhält und gliedert, dann wird einsichtig, daß „das Wort Natur schon den Begriff von Gesetzen bei sich führt". ( I V 468) Denn durch den Titel Natur ist der unbedingte Zusammenhang aller Momente gesetzt. „Nun heißt aber die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltige (mithin auf einerlei Art) gesetzt werden kann, eine Regel, und wenn es so gesetzt werden muß, ein Gesetz." (A 113) Das apriorische Wissen von der Natur läßt sich jetzt auch als das Wissen von der notwendigen Gesetzlichkeit, die die gesamte Natur notwendig und durchgängig bestimmt, bezeichnen. Als Metaphysik einer bestimmten Natur, hier der im physikalischen Wissen eröffneten, muß sie das dieser Wissenschaft zugrunde liegende Wissen von der Natur entfalten. Das kann sie nur solchermaßen leisten, daß sie die bestimmten Festlegungen der Grundbegriffe und Grundgesetze, in denen alles Wissen verankert ist, daraufhin untersucht, was in diesen Festlegungen über die Natur im Ganzen implizite gesetzt ist. Bei dem Gesagten wird aber nun unmittelbar deutlich, daß eine solche Betrachtung der Grundgesetze der Naturwissenschaft nur möglich ist, wenn eine hinreichend ausgearbeitete Metaphysik schon vorliegt, wenn also das philosophische Wissen selbst einen bestimmten Begriff von sich hat und es also in seinen Fundamentalbestimmungen soweit klar geworden ist, daß bestimmte Fragen eine philosophische Untersuchung erfahren können. Denn die Metaphysik der Natur soll nicht einfach eine Verallgemeinerung der „speziellen" Bestimmungen der physikalischen Grundbegriffe geben oder abstrahierte Formalisierung 35 . Wenn auch die philosophischen Prägungen der Begriffe sich denen der Erfahrungswissenschaften gegenüber als allgemeiner und abstrakter erweisen, so ist damit doch weder eine für alle speziellen Fassungen gleich geltende Allgemeinheit noch eine von aller Bestimmtheit absehende Form einfach abgelöst. Vielmehr hat die Bestimmung der philosophischen Begriffe eigenen Hinsichten zu folgen und einer eigenen Methode, die nicht gegenüber der „strengen Wissenschaft" in einem freien Belieben steht, obwohl sie auch nicht in der einfachen Weise am Verfahren der Wissenschaft angehängt werden kann, als sei sie eine bloße Verallgemeinerung der hier entwickelten Methoden. Die Metaphysik der Natur bedarf daher des Vorblicks auf das schon hinreichend entwickelte begriffliche Grundgerüst des philosophischen Feldes, damit überhaupt in Hinsicht auf die Natur ihre Fragen als philosophische stellbar werden. - Kant gibt an, daß das Schema der Vollständigkeit der 35

Das Abheben der formalen Allgemeinheit der Naturwissenschaft führt auf die Betrachtung der mathematischen Methoden, nicht aber zur Metaphysik d. N. (physica rationalis). Kant merkt dazu an: „Man denke ja nicht, daß ich hierunter dasjenige verstehe, was man gemeiniglich physica generalis nennt, und mehr Mathematik, als Philosophie der Natur ist." (A 847 / B 875 Anm.)

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Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

metaphysischen Betrachtung die Tafel der Kategorien sei. ( I V 473 f.) Damit ist aber nur das formale Moment, nämlich die äußere Gliederung, genannt, in dem sich diese an der allgemeinen Ontologie orientiert: denn die Kategorien als einzelne oder auch in ihrer Zusammenstellung in der Kategorientafel sind keineswegs die einzigen Orientierungspunkte für die Metaphysik der Natur, sondern gerade der Zusammenhang aller ontologischen Bestimmungen, in dem die Kategorien nur eine bestimmte, wenn auch ausgezeichnete Stelle einnehmen, muß für sie entfaltet sein. In der K . d. r. V. ist die Entfaltung dieses Zusammenhanges aller ontologischen Grundbestimmungen hinreichend geleistet, und nur im Hinblick auf die dort entfalteten Grundbestimmungen, die sich im Abschnitt über die Grundsätze des reinen Verstandes zentrieren, ist für K a n t die Durchführung der Metaphysik der Natur möglich. Das System der Grundsätze des reinen Verstandes gibt das Schema für die Metaphysik der N a t u r ab, insofern in ihm überhaupt die Hinsichten eröffnet sind, nach denen eine naturphilosophische Frage sich verdeutlichen kann. Die Zwischenstellung der Metaphysik der Natur, das Eigentümliche der Ebene ihrer Aussagen, betrifft damit nicht nur, wie wir am Ende des vorigen Paragraphen festlegten, die Geltung ihrer Prinzipien, sondern auch die Möglichkeit ihrer Durchführung, d. h. diese hängt ab von der Klarheit, zu der die Festlegungen der Grundbegriffe der Erfahrungswissenschaft einerseits und des Wissens vom Sein des Seienden andererseits geführt sind. Weil sie solchermaßen in eine Zwischenstellung verspannt ist, ist es oft schwierig, ihre Eigenständigkeit (freilich relative) gegenüber der Erfahrungswissenschaft wie auch gegenüber der „reinen" Philosophie zu begründen. Von der einen Seite her steht sie in der Gefahr als bloße Verallgemeinerung und Abstraktion zu gelten, von der anderen her als bloße Anwendung. Gegen beide Seiten muß sowohl ihre doppelte Angewiesenheit wie aber auch ihr eigener Ansatz sich ausweisen und behaupten. Die größere Bestimmtheit ihrer Begriffe wird ja nicht im Ausgang vom Allgemeinen der „reinen" Philosophie durch Limitation, durch formale Spezialisierung auf einen besonderen Fall, gewonnen, sondern durch ihren eigenen Ansatz beim schon bestimmten Wissen von der Natur (Physik) 3 6 . Diesem gegenüber aber gilt 36

Zwar spricht Kant selbst an verschiedenen Stellen von der Metaphysik der Natur als einer Anwendung der Transzendentalphilosophie auf Erfahrungsgegenstände (vgl. MS V I 205, 216). Doch ist damit nicht Anwendung in dem Sinne gemeint, in dem der Jurist ein Gesetz auf den besonderen Fall anwendet, oder überhaupt das Verhältnis bloß logischer Dependenz. Kant hat neben solchen Wendungen auch immer den eigenen Ansatz der M. d. N . betont. Und selbst dort, wo er vom „Dienst der Metaphysik der Natur für die allgemeine Metaphysik" spridit, „indem sie Beispiele herbeischafft, die Begriffe und Lehrsätze der letzteren zu realisieren", ist damit nicht das pejorative Moment des Beispiels im Sinne Hegels ausgesprochen, sondern Kant präzisiert das Herbeischaffen von Beispielen: „ D . h . einer bloßen Gedankenform Sinn und Bedeutung unterzulegen". (IV 478)

§ 3. Die Metaphysik der Natur als reine Bewegungslehre

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festzuhalten, daß die aufgenommenen Grundbegriffe ganz und gar in philosophischem Respektus stehen, d. h. im Hinblick auf das rein entfaltete Verständnis von Seins- und Wesensverfassung des Seienden, seinem Was-sein, Daß-sein und Wahr-sein 3 7 . Die Transzendentalphilosophie hat den Zusammenhang der Seins- und Wesensbestimmungen des Seienden aus einem obersten Prinzip, der entfalteten Struktur der menschlichen Vernunft, entfaltet, an der sich die Metaphysik der N a t u r im Ganzen orientiert.

§ 3. Die Metaphysik

der Natur im Ansatz als reine

Bewegungslehre

Das Feld der physikalischen Forschung ist der Inbegriff aller Dinge, die Gegenstand äußerer E r f a h r u n g sein können. D a ß also überhaupt E r f a h r u n g statthat, setzt voraus, daß ein Etwas unseren Sinnen gegeben ist, oder daß wir Dinge des äußeren Sinnes empfinden. Dasjenige, was durchgängig in aller äußeren Empfindung empfunden wird, nennt K a n t das Reale der Empfindung (realitas phaenomenon) oder die Materie. (A 166-76 / B 207 bis 18) Was so aller Naturwissenschaft zugrunde liegt als einer Erfahrungswissenschaft, ist die Materie. N a t u r , so können wir jetzt auch sagen, ist der Inbegriff aller materiellen Dinge. Die Physik als die Wissenschaft, die Aussagen über das in der E r f a h rung E r f a ß t e macht und diese in Gesetzen ausspricht, formuliert so Gesetze der Materie. Sagten wir oben, d a ß Erkenntnis nur als Synthesis von Anschauung und Begriff geschehen kann, so ist hier klar, d a ß Empfindung allein noch keine Erkenntnis ausmacht. Sie ist so wenig Erkenntnis, als sie vor sich noch gar kein O b j e k t hat, wenn anders Objektivität erst entspringt in der Synthesis des Mannigfaltigen einer Anschauung unter der Einheit des Begriffs. Wir sagten, das, was in der Empfindung perzipiert werde, sei das Reale der Empfindung oder die Materie. Insofern es aber um Erkenntnis des Realen geht, das Bewußtsein bei der bloßen Empfindung von Etwas nicht stehen bleiben darf, m u ß das der Sinnlichkeit Vorliegende vom Verstand beurteilt werden. Allen bestimmten Prädikationen, die auf das vorliegende Einzelne gehen, m u ß aber eine allgemeine Bestimmung des Empfundenen als solchen vorhergehen, in der die mannigfaltigen Bestimmungen als von dem Selben geltend, nämlich jeweils von der Materie, geeint sind. D a m i t der Bereich der N a t u r nicht zersplittert in eine zusammenhanglose Mannigfaltigkeit verschiedenartigster Empfindungen, m u ß das E m p f u n d e n e als solches durch eine ursprüngliche Bestimmung zusammengehalten sein; diese ist a u f z u suchen, sie beträfe als Fundamentalbestimmung der N a t u r die Naturwissenschaft in ihrem Ansatz. 37 Heidegger, Vom Wesen des Grundes, 4. Aufl. S. 7 und: Kant u. d. Prbl. d. M., S. 201-4.

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Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

Wenn wir also fragen: Was kann vor aller Erfahrung von der N a t u r gewußt werden, so fragen wir genauer: welches Urteil aus reiner Vernunft ist von der N a t u r vor jeder Einzelerfahrung schon gesetzt? Was den Sinnen ständig als das Reale korrespondiert, das nannte Kant die Materie. Alles von der N a t u r Gewußte ist auf die Materie hin ausgesagt. Apriorisches Wissen von der N a t u r wäre also apriorisches Wissen von den Eigenschaften der Materie. N u n ist aber die Materie doch jeweils in der Empfindung präsent, mithin immer nur a posteriori zugänglich. Wie soll also bei solcher Verfaßtheit der Erkenntnis ein der Einzelerfahrung vorgängiges Urteil über die Materie möglich sein? Wir bewegen uns bereits innerhalb der speziellen Metaphysik der N a t u r ! U n d hier liegt notwendig ein empirischer Begriff zugrunde, der einer bestimmten N a t u r , hier der der körperlichen. Unter Metaphysik der N a t u r verstanden wir ja gerade (nach Kant) jenes Wissen aus reiner Vernunft, das sich auf diesen bestimmten empirischen Begriff richtet, ohne daß außer diesem noch etwas anderes aus der Erfahrung herangezogen würde 38 . Formelhaft: bei dem der Begriff empirisch, die Synthesis aber apriorisch ist. Wenn, wie die K. d. r. V. zeigte, das Erkenntnisvermögen nicht zerspalten sein soll in Sinnlichkeit und Verstand, sondern zunächst und ständig in einer Einheit von beiden steht: wenn somit am Anfang die Synthesis von Anschauung und Begriff steht, d. h. eine Anschauung, die schon vom Verstand begriffen, und eine Verstandeshandlung, die schon sinnlich erfüllt ist, wie, so fragt die Metaphysik der N a t u r , sieht diese Einheit im N a t u r erfassen aus? Die Materie als das der Sinnlichkeit vorliegende Reale muß ursprünglich mit einem Urteil bedacht sein, muß als Etwas (nicht als Einzelnes) begriffen sein. Als was ist Materie in aller Erfahrung immer schon angesprochen, wenn sie begegnet? Diese ursprüngliche Einheit des naturalen Erfassens spricht sich in dem Satz aus: Die Materie ist das Bewegliche. Immer schon, wenn wir Materie sinnlich erfassen, geben wir ihr die Bestimmung der Beweglichkeit. Kant sagt: „Die Grundbestimmung eines Etwas, das ein Gegenstand äußerer Sinne sein soll, mußte Bewegung sein." (IV 476) „Mußte Bewegung sein", d. h. immer und notwendig geben wir der Materie die Bestimmung der Bewegung. Wie begründet Kant dieses „muß sein"? Er fährt in demselben Satz fort: „Denn dadurch allein können diese Sinne affiziert werden." Hier ist eine Notwendigkeit ausgesagt, die nicht weiter begründet wird, sondern die aus dem Charakter des Affizierens stammen muß. Sie ist nicht Notwendigkeit, weil alle Naturwissenschaft de facto Materie als Bewegliches versteht, sondern sie stammt aus dem apriorischen Wissen. Das Faktum, daß der Verstand „auch" alle übrigen Prädikate der Materie, die zu ihrer N a t u r gehören, auf Bewegung zurückführt, und so alle NaturwissenJ8 Vgl. KU V 181.

§ 3. Die Metaphysik der N a t u r als reine Bewegungslehre

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schaft entweder reine oder angewandte Bewegungslehre ist (IV 477), ist selbst Resultat dieser Notwendigkeit, nicht aber Basis für sie. Wenn dem nicht so sein sollte, dann bliebe das „auch" ganz ohne Sinn 39 . Es handelte sich um bloße Bekräftigung nicht aber um Begründung. Um die Notwendigkeit, weshalb die Grundbestimmung eines Etwas des äußeren Sinnes Bewegung sein muß, aufzuzeigen, müssen wir den Sinn dessen, was Affektion hier meint, aufhellen 40 . Unmöglich werden wir uns bei einem so fundamentalen Sachverhalt mit einer sinnesphysiologischen Erklärung zufrieden geben können 41 . Affizieren meint das Festheften des Vernehmens auf ein einzelnes Objekt, Einschränkung auf Individuelles, die auf diese Weise anderes zurücktreten läßt. Dieses Festhalten durch Einzelnes ist aber selbst nicht ein Einfaches, so unmittelbar es auch scheinen mag, sondern bereits vermittelt; 39

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Die Auslegung dieser Stelle bei Stadler (a. a. O., S. 6-11), geht dem P r o b l e m aus dem Weg, wenn er die beiden Sätze auseinander nimmt, indem er den ersten als physiologische, den zweiten als physikalische Begründung auslegt. Das zur Rede stehende „ m u ß " drückt dann in keinem Fall philosophische Notwendigkeit aus. Der eigentliche G r u n d liegt dann nach Stadler in der schlichten Übernahme des Bewegungsbegriffes von der Physik, mit Affektion werde dagegen nur die „mittelbare Abhängigkeit des Subjektes von den äußeren Objekten" erklärt, indem den inneren Erscheinungen der Wechsel der Empfindungen, den äußeren vermöge der gesetzmäßigen Beziehung Bewegung zugeschrieben werden müsse. D a m i t verkennt er, d a ß der erste Satz den transzendentalen G r u n d f ü r den faktischen Ansatz der Physik als Bewegungslehre gibt oder doch geben will. Die Auffassung der A f f e k t i o n als äußerliche E i n w i r k u n g auf die Sinne, h a t entschieden Heidegger widerlegt, indem er zeigte, daß keineswegs ein fertiges Selbst da sei, das dann durch Affektion Gegenstände auf sich beziehe, sondern daß durch das G r u n d geschehen der A f f e k t i o n sich das Selbst als solches, als endliches, ü b e r h a u p t erst k o n stituiere. „Die reine Selbstaffektion gibt die transzendentale U r s t r u k t u r des endlichen Selbst als eines solchen." (Kant u. d. Prblm. d. M., S. 173) Die Idee der reinen Selbstaffektion vermag Heidegger so zu entwickeln, i n d e m er die Zeit als den tragenden G r u n d der Subjektivität des Subjektes auslegt. - Wir k ö n n e n hier, da es nicht u m die K o n s t i t u t i o n des Selbst als solchen, sondern u m die K o n s t i t u t i o n eines b e s t i m m t e n („naturale Einstellung") geht, nicht bei der reinen Selbstaffektion der Zeit stehenbleiben, sondern müssen den Bezug auf das Ä u ß e r e im Begriff der A f f e k t i o n m i t denken, so, daß in i h m nicht n u r das H i n n e h m e n aus dem reinen Selbst, sondern zugleich ein H i n n e h m e n von A n d e r e m , Unterschiedenem durch den äußeren Sinn, das Selbst als erfahrendes Bewußtsein konstituierend, gefaßt wird. D a ß wir hier im Zusammenhang einer primär naturphilosophischen Problematik durchaus zu Recht auf das Phänomen der Selbstaffektion als das ursprüngliche Affizieren rekurrieren, bestätigt uns K a n t selbst im Opus postumum, wie G. Lehmann, Ganzheitsbegriff und Weltidee in Kants Opus postumum (KS X L I S. 308 f.) zeigt. „Der ganzheitliche A u f b a u der Wahrnehmungsregion setzt voraus, d a ß die empirische Affektion durch .Erscheinungen' nur der Ausdruck einer transzendentalen Selbstaffektion ist, als deren Modi Raum und Zeit auftreten (sie sind ,actus der Vorstellungskraft, sich selbst zu setzen', X X I I , 88)." Keineswegs gibt K a n t hier „nur" die alte „Grundthese der mechanistischen Weltanschauung" wieder aus der kantischen Traditionsgebundenheit, die sich über Locke bis Demokrit zurückverfolgen läßt, wie es A. H ö f l e r in den Sachlichen Erläuterungen zu den M. A. d. N . a u f f a ß t . (IV 640)

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Kants Bestimmung der Metaphysik der N a t u r

denn ein Einzelnes vermag nur dann solchermaßen das Vernehmen zu bestimmen, wenn es für dergleichen offen ist. Daß uns ein Etwas zu affizieren vermag, setzt voraus, daß wir uns dem Bereich, in dem das Etwas auftaucht, überhaupt zuvor zugewandt haben. Es läßt sich also in Umwendung des ersten Aspektes sagen, daß dasjenige, wodurch wir eigentlich affiziert werden, nicht das Einzelne als dieses Isolierte ist, sondern streng genommen jene allgemeine vorgängige Offenheit des Vernehmens für derartige Einzelne. Die Notwendigkeit, nach der allein uns ein Etwas, das durch Bewegung bestimmt ist, soll affizieren können, kann sich damit nur auf die allgemeine Einstellung auf Bewegung beziehen. Nur sofern das Vernehmen allgemein auf Bewegung ausgerichtet ist, muß die Grundbestimmung eines Etwas, das affizieren soll, durch Bewegung bestimmt sein, weil sonst es gar nicht aufgenommen werden könnte. Wie ist es aber um jenen ursprünglichen Ausblick auf Bewegung selbst bestellt? Ist diese ursprüngliche Zuwendung zur Natur, die diese unter dem Titel der Bewegung eröffnet sieht, und die eine Grundbestimmung der Natur von Anfang an ist, selbst zufällig? Mit dem Begriff der Natur war der des Gesetzes wesentlich verbunden, weil Natur als das innerlich einigende Prinzip des Mannigfaltigen, das zum Seienden als solchen gehört, verstanden war. Das Feld der Erscheinung ist das Feld der Sinnlichkeit, das Feld von Raum und Zeit. Natur ist das in Raum und Zeit Erscheinende, und somit das a priori durch Raum- und Zeitstruktur Bestimmte. Inwiefern ist damit zugleich die Bestimmung der Bewegung gesetzt? Wenn das Mannigfaltige, das im naturalen Erfassen in der Sinnlichkeit begegnet, nicht sowohl Raum- als auch Zeibestimmtheit tragen soll, sondern gerade durch die Einheit von beiden zu kennzeichnen ist, dann gehört dem Vernehmen ein Ausblick auf die Einheit von Raum und Zeit zu. Wenn wir aber die Einheit von Raum und Zeit denken, dann denken wir Bewegung, die nicht nur in Raum und Zeit stattfindet, sondern die selbst die Vermittlung von Raum und Zeit ist. Der dem naturalen Erfassen zugehörige ursprüngliche Ausblick auf die Einheit der Sinnlichkeit, in welcher Natur begegnet, ergibt im Einigen von Raum und Zeit den ursprünglichen Ausblick auf Bewegung. Die Gesetze der Natur sind also Gesetze der Bewegung, der Veränderung, und jene sind das Stehende und Bleibende in aller Veränderung, in allem Wandel. Weil das naturale Vernehmen als Stehendes und Bleibendes auf einen Bereich der Veränderung und Bewegung, einen Bereich reiner und in sich unbestimmter Raum-Zeitlichkeit, hin geöffnet ist, trägt ein Etwas, das das Vernehmen soll affizieren können, als Grundbestimmung: Bewegung. Der empirische Ansatz der Physik, daß die Natur unter der Hinsicht der Bewegung erforscht wird, der hier übernommen ist, wird damit als einer metaphysischen Notwendigkeit folgend ausgewiesen. Daß Natur als das Bewegliche verstanden wird, ist nicht im Belieben des

§ 3. Die Metaphysik der Natur als reine Bewegungslehre

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freien Ansatzes der Physik, sondern gerade in ihrem Grundansatz zeigt sie sich einer metaphysischen Notwendigkeit verhaftet, die ans Licht kommt, wenn die konstituierenden Momente des naturalen Erfassens herausgestellt werden. D a ß der empirisch-physikalische Verstand alle übrigen Prädikate auf Bewegung zurückbringt, ist dann die notwendige Folge dieses Ansatzes. Die Grundaussage aller Naturerfahrung heißt: Das Reale der Empfindung, die Materie, ist bestimmt durch Bewegung 42 . Die Philosophie der Natur, die nach dem apriorischen Wissen von der Natur fragt, muß also fragen, wie die Materie a priori hinsichtlich ihres Bewegungscharakters bestimmt ist 43 . Die Hinsichten solcher Untersuchung sind in den transzendentalen Festlegungen der Seins- und Wesens Verfassung des Seienden eröffnet. Die Grundgliederung, nach der ein Etwas, das ein Gegenstand der Erfahrung sein soll, bestimmbar, apriorisch bestimmbar ist, stellt Kant nach der Ordnung der Kategorien vor. Dabei werden aber die Kategorien nicht als isolierte reine Verstandsbegriffe, Notionen, zu nehmen sein, sondern sie in ihrem erfahrungskonstituierenden Vollzug, wie sie gemäß den Grundsätzen des reinen Verstandes jeweils schematisierend das Mannigfaltige der Anschauung bestimmen. Damit ist die Gliederung der Untersuchung vorgezeichnet: „Der Begriff der Materie mußte daher durch alle vier genannten Funktionen der Verstandsbegriffe (in vier Hauptstücken) durchgeführt werden, in deren jedem si5og eWai.

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Phänomenologie

Da die Möglichkeit in Hinsicht auf die Erfahrung verstanden werden muß, kann sie auch nur in der Ubereinkunft, Identität, mit den Bedingungen, die die Erfahrung konstituieren, hervortreten und die Unmöglichkeit als das NichtÜbereinkommen damit. In dieser Formulierung sind zwar Identitäts- und Widerspruchssatz impliziert, die Möglichkeit resp. Unmöglichkeit von Etwas kann nicht ohne diesen Satz eingesehen werden (A 220 / B 268), aber er ist nicht das Prinzip, sondern nur das Instrument der dabei zu vollziehenden Vergleichung. Möglich ist f ü r Kant alles, „was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung oder dem Begriffe nach) übereinkommt". (A218/B265) Zu entscheiden, ob etwas möglich sei, erfordert also einen Vergleich. Das Maß aber, woran der Vergleich gemessen werden soll, ob ein Zusammenstimmen oder eine Diversität vorliege, ist die entfaltete Erkenntnisstruktur. Diese ist ausgelegt als zureichende Bedingung f ü r — mögliche Erfahrung. Die zureichenden Bedingungen f ü r mögliche Erfahrung sind aber auch das Maß f ü r den Vergleich, in dem etwas als möglich resp. unmöglich sich zeigen soll. Der Zirkel, der sich hierin zeigt, Möglichkeit als Zusammenstimmen mit den formalen Bedingungen f ü r mögliche Erfahrung, ist nicht eine tautologische Erschleichung. Wenn wir von Bedingungen f ü r mögliche Erfahrung sprechen, verstehen wir möglich nicht im Gegensatz zu wirklich und notwendig, weil im Begriff der möglichen Erfahrung keine Anwendung der kategorialen Möglichkeit vorliegt, sondern ein weiterer Gebrauch, der aufzuzeigen wäre durch die Reflexion auf die philosophische Methode; Möglichkeit ist für die Philosophie nicht nur aussagbar als ontologisches Prädikament. Wir sollten, um diesen Unterschied zu zeigen, besser sagen: Bedingungen der Ermöglichung der Erfahrung. Das will sagen: Erfahrung ist f ü r endliche Vernunftwesen an gewisse Bedingungen gebunden. Diese Bedingungen, die Strukturelemente der reinen Vernunft, sind aber nicht starre Bausteine, aus denen die Erfahrung komponierbar ist, sondern sie sind Momente eines einigenden Geschehens, Synthesis, in welchem Geschehen Erfahrung erst ermöglicht wird. Die Grundsätze des reinen Verstandes bezeugen das Geschehen dieser Ermöglichung, indem sie jeweils das Übergehen von einem reinen Verstandesbegriff zu den formalen Bedingungen der Sinnlichkeit in einem Grundsatz geschehen lassen. Die Grundsätze sind zu charakterisieren als die Bewegung des Übereinkommens aller Bedingungen des Erkennens von Objektivität in einer synthetischen Einheit, in welcher Bewegung die Idee der Erfahrung heraustritt und Erfahrung im empirischen Vollzug ermöglicht wird. Die Bewegung ist zugleich, wie wir sahen, das Hervorgehenlassen der Seins- und Wesensverfassung des Seienden als Erscheinung aus der Struktur der reinen Vernunft als dem Prinzip aller Metaphysik, seiner als Phänomenon. Diese ineins geschehende Ermöglichung der Einheit der N a t u r und der Einheit der Erfahrung kann selbst nicht einer Unmöglichkeit gegenüberstehen noch einer

§ 17. Die Modalitäten

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Wirklichkeit noch einer Notwendigkeit im kategorialen Sinn. Sie ist vielmehr das Zugrundeliegende, an welchem sich alle anderen Bestimmungen erst als sinnvoll bestimmen lassen. N u r in Hinsicht auf die hier ermöglichte Erfahrung wird man sinnvollerweise von Möglichkeit im kategorialen (engeren) Sinn als Gegensatz zur Unmöglichkeit, Wirklichkeit (Dasein) als Gegensatz zu Nichtsein und Notwendigkeit als Gegensatz zu Zufälligkeit, reden können. (A 80 / B 106) Es ist also mit Ermöglichung und Möglichkeit etwas fundamental anderes gemeint, wenn auch nicht etwas durchaus Verschiedenes, und nur ein formalisierendes Denken, das den Sachgehalt aus den Augen verliert, kann daraus einen Widerspruch konstruieren. Die Möglichkeit tritt jetzt hervor als das Übereinstimmen mit den formalen Bedingungen des Vernehmens, die eine Erfahrung ermöglichen. Die Möglichkeit als Kategorie ist nichts anderes als der Begriff dieses Ubereinund Zusammenstimmens selbst. In dem Begriff der Möglichkeit wird damit dem Vernehmen zugleich auf dem Boden der rein ermöglichten Erfahrung ein Territorium der Denkbarkeiten eröffnet. Indem das Denken ständig darauf achtet, in Übereinstimmung mit sich zu bleiben, und die Diversitäten als Unmöglichkeiten aus diesem Feld ausschließt, bestimmt sich hier das Denken das Feld aller Erfahrung nach Umfang und Grenzen. (A 224 / B 272 u. bes. K. d. U. Einl. II) Den Begriff der Wirklichkeit (Dasein) in den Sinnzusammenhang der Erfahrung zu bringen, kann nicht auf andere Weise geschehen wie bei der Möglichkeit. Auch hier ist eine Ubereinkunft mit den die Erfahrung ermöglichenden Bedingungen zu betrachten. War aber die Möglichkeit charakterisiert als der Zusammenhang mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, so ist die Wirklichkeit als das Zusammenstimmen mit den materialen Bedingungen zu bestimmen. Welches sind die materialen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung? Materiale Bedingungen können nur solche sein, dadurch uns Etwas gegeben ist. N u r in der Sinnlichkeit können uns Gegenstände gegeben werden. Die Sinnlichkeit, sofern sie auf Materie bezogen ist, ist Wahrnehmung. „Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung." (A 225 / B 272) Alles Erfassen der Wirklichkeit ist fundiert in dem Realen der Wahrnehmung, als dem einzigen Material, das dem Wissen vorliegt. „Wo also Wahrnehmung und deren Anhang nach empirischen Gesetzen hinreicht, dahin reicht auch unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge." (A 226 / B 273) Von einem Begriff die Wirklichkeit erweisen, heißt also, sein Übereinstimmen mit den materialen Bedingungen der Erfahrung aufzeigen, d. h. ihn auf Wahrnehmung beziehen, weil nur in der Wahrnehmung ein Material der Empfindung angetroffen werden kann.

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Phänomenologie

Wie der Erweis der Möglichkeit eines Begriffes seine Sinnlichmachung erfordert, so erfordert der Erweis der Wirklichkeit das Übergehen zum Erfüllenden der Anschauung. Die Kategorie der Wirklichkeit ist der Begriff, der den Bezug des Bewußtseins zur Materie artikuliert. Die Antezipationen der Wahrnehmung, die wir im zweiten Hauptstück erörterten als Bedingung der Möglichkeit des Erfassens von Realität, werden hier ausdrücklich als eine Weise, wie das Bewußtsein mit einem Gewußten übereinstimmt, unter der Kategorie der Wirklichkeit bestimmt. Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit sind apriorische Begriffe, die jeder Aussage über das, was ist, den Sinn des Seins bezeichnen. Der Seinssinn des jeweils vorgestellten Seienden tritt hervor an dem Verhältnis, in dem das Seiende zu der Einheit des Bewußtseins vorgestellt wird. Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit sind die Begriffe, die das Verhältnis der vorgestellten Naturdinge zur Wissenseinheit der endlichen Vernunft artikulieren. Deshalb kann sich die Erörterung nicht darin erschöpfen, diese Begriffe nur in ihrem apriorischen Charakter auszuweisen, wobei das Apriori als der rätselhafte Ursprungsort dieser Begriffe im Gegensatz zu aposteriorisch (vermöge Komparation, Reflexion, Abstraktion) gewonnenen Begriffen vage bleibt. Bei allem Tiefsinn, der auf eine solche Betrachtungsweise des kantischen Apriori verwendet wird, wird dieses in seinem eigentlichen Charakter, dem synthetischen nämlich, verfehlt. Das Apriorische eines Begriffes ist nur dann voll erfaßt, wenn der Begriff als synthetisches Geschehen hervortritt. Das will sagen, daß der Begriff in seinem Ubereinkommen mit einer Anschauung deutlich werden muß. Die Apriorität dieses Übereinkommens wird dann nicht nur negativ zu denken sein als das ganz andere gegenüber den empirisch erfaßten Beziehungen, sondern dieses apriorische Geschehen muß ausgelegt werden als Bedingung der Ermöglichung von Erfahrung. Erfahrung steht hier als Titel f ü r das wissenschaftliche Erfassen im Felde des sinnlich Gebbaren. Sie bezeichnet, wie wir sahen, den eigentlichen Sinn des Wissens, und ist deshalb das Prinzip der Auslegung der apriorischen Synthesis von reiner Anschauung und reinem Begriff. N a t u r besagt strukturell ein Gleiches wie Erfahrung auf Seiten des Gegenstandes des Wissens (isomorph). Das will sagen: während Erfahrung den Zusammenhalt allen Wissens in einem Prinzip bezeichnet, ist N a t u r der Titel, unter dem der Zusammenhalt der Seienden untereinander vorgestellt wird. Die ganze K. d. r. V. muß ausgelegt werden als der Versuch, das theoretische Wissen, um das es uns hier einzig geht, und das, worauf dieses Wissen immer gerichtet ist, N a t u r , in eins zu denken. Erfahrung ist die von Kant gesehene Einheit des Wissens und der N a t u r . Erfahrung ist f ü r ihn nicht der Inbegriff all dessen, was die Erfahrungswissenschaften als Wissen verwahren, sondern es ist die wahre Art zu wissen, die hervortritt in einer Kritik der reinen Vernunft, d. h. des Wissens überhaupt, in der alle Wissens-

§ 1 7 . Die Modalitäten

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demente sich zeigen als konstituierende oder regulierende Momente eines Wissens im Felde des sinnlich Gebbaren, welches Wissen Erfahrung der N a t u r heißt. Wenden wir uns jetzt zur Erörterung der Modalitäten zurück. Wir hatten gezeigt, wie Möglichkeit resp. Wirklichkeit den Seinssinn des Ausgesagten artikulieren, indem sie dessen Zusammenstimmen mit den formalen resp. materialen Bedingungen der Ermöglichung der Erfahrung a priori bezeichnen. Das läßt sich auch so ausdrücken: Diesen Begriffen wurde a priori eine Anwendungsmöglichkeit in Hinsicht auf die Einheit des Wissens (Erfahrung) eröffnet. Möglichkeit und Wirklichkeit sind nicht nur Ausdruck des verschiedenen Zusammenstimmens mit den formalen resp. materialen Bedingungen der Erfahrung, sondern selbst solche Weisen des Zusammenschließens mit den Bedingungen der Erfahrung, als formales und materiales Zusammenschließen. Was aber darin zusammengeschlossen wird, sind nicht Möglichkeit resp. Wirklichkeit, sondern das sind die jeweils in den Kategorien erfaßten Bestimmungen, bzw. sind die Kategorien selbst. In den je verschiedenen Weisen des Zusammenschließens von Quantitäten, Qualitäten und Relationen in einer Einheit des Wissens treten Möglichkeit und Wirklichkeit als verschiedene Weisen vom Seienden zu Wissen (Modalitäten) hervor. In den Modalitäten werden also alle Kategorien, die wir schon im Gang der Untersuchung nach ihrem sachlichen Zusammenhang jeweils aufzeigten, nochmals geeint, das aber nicht so, daß sie schlechthin in Ubereinstimmung mit der transzendentalen Apperzeption gesetzt werden, sondern dies Zusammenstimmen der Wissenseinheit wird selbst modifiziert. Die Weise, wie Quantitäten, Qualitäten, Relationen untereinander zusammenstimmen können, wird bestimmt aus der Art und Weise, wie sie mit der obersten Wissenseinheit zusammenstimmen können. Dieses Zusammenstimmen kann formal sein: Möglichkeit, oder material: Wirklichkeit. Hier ist je ein partielles Zusammenstimmen inauguiert, nämlich in je einem Moment des Wissens: Der Form oder der Materie nach 65 . Etwas kann der Form oder der Materie nach mit der Wissenseinheit zusammenstimmen. Was der Materie nach übereinkommt, kommt zwar auch der Form nach überein, aber dieses auch läßt Form und Materie (Möglichkeit und Wirklichkeit) gerade nebeneinander 65

Die Entsprechung der modalen Momente zu den Kategorienklassen bietet sich gleichsam von selbst an, so d a ß man der formalen Synthesis (Möglichkeit) die Q u a n t i t ä t zuordnet, der materialen (Dasein) die Qualitäten und der verknüpfenden (Notwendigkeit) die Relationen, wie es K a n t in den M. A. d. N . selbst f ü r die entsprechenden Hauptstücke angibt. Aber durch diese formale Entsprechung ist allein noch nichts erkannt, ja sie ist recht gefährlich, wenn über die formale Entsprechung nicht hinausgegangen wird, welche G e f a h r bei N a t o r p sich zeigen wird. Diese Entsprechung w i r d bei einer bloß formalen Betrachtung deshalb leer, weil es gerade der in den Kategorien vorgestellte Sachgehalt ist, der jenen Bezug erst verdeutlicht, wie besonders A. Maier, Kants Qualitätskategorien, f ü r die Entsprechung von Wirklichkeit und Realität gezeigt hat. Nach ihrem Resultat folgt aus jener Entsprechung „kein Zusammenhang zwischen

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Phänomenologie

bestehen und bezieht sie nur zufällig aufeinander in dem Faktum, daß etwas wirklich ist. So haben wir zwei unterschiedene Weisen des Zusammenstimmens nebeneinanderstehen, und analog zwei Weisen des Übereinkommens der Quantitäten, Qualitäten und Relationen untereinander, indem diese einmal nur formal, dann material geeint sind. Also fällt an dieser Stelle die Einheit des Wissens gerade noch in einer Duplizität auseinander. Es gilt also noch, diese beiden nebeneinanderstehenden Weisen des Zusammenstimmens in einer obersten, die die beiden ineins zusammennimmt, zu bedenken. Formal gesprochen will das sagen: Eine Möglichkeit, die schon aus sich selbst als Wirklichkeit gesetzt ist, ohne daß die Möglichkeit für sich festgehalten, dann die Wirklichkeit für sich untersucht werden müßte, woraus sich dann ein Zusammenstimmen nach Form und auch Materie ergeben würde. Formal geht es um die Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit, die Möglichkeit und Wirklichkeit erst als Modalitäten, d. h. als Weisen eines Zusammenstimmens deutlich werden ließe, was nur dadurch deutlich werden kann, daß das ihnen Gemeinsame oder ihre Einheit bestimmt wird. Dieses kategoriale Moment des obersten Zusammenstimmens nennt Kant Notwendigkeit. Etwas, was durch seine Möglichkeit schon Wirklichkeit hat, ist notwendig. (B 111) Würde aber das Zusammenstimmen auf diese Weise nur formal durchgeführt, dann stände diesem doch wiederum das Materiale gegenüber, und wir hätten nur eine scheinbare oberste Einheit gefunden, eine bloß formale. Die Erörterung der Notwendigkeit muß also über diese bloß logische Verknüpfung von Möglichkeit und Wirklichkeit hinaus die „materiale Notwendigkeit im Dasein" betrachten. (A 226 / B 279) Da aber das Wissen als endliches Wissen sich bereits als Erfahrungswissen, d. h. als angewiesen auf Hinnahme, bestimmt hat, kann das Dasein der Dinge, ihre Wirklichkeit, a priori gar nicht bestimmt werden. Die materiale Notwendigkeit scheint also für das endliche Wissen ein leerer Begriff zu sein. Das wäre auch der Fall, sofern festgehalten würde an den Dingen als an sich Seienden, als Noumena, deren Dasein a priori notwendig bestimmt werden sollte. Dagegen geht es ja um die Dinge als Erscheinungen, als Phaeden beiden K a t e g o r i e n R e a l i t ä t und Wirklichkeit, als den apriorischen F o r m e n , in die sich die M a t e r i e einfügt. Sie stehen selbständig nebeneinander als verschiedene M o d i des Denkens, d. h. als voneinander unabhängige K o m p o n e n t e n des transzendentalen Selbstbewußtseins. Eine Beziehung besteht nur zwischen ihren gegenständlichen K o r r e laten - und sie gründet sich a u f das materiale, nicht a u f das formale M o m e n t in den letzteren. Die qualitätskategoriale F o r m u n g hat als solche, d. h. als synthetische T ä t i g keit des Denkens, mit der modalkategorialen nichts zu t u n . " (a. a. O . , S. 7 5 ) Immerhin w i r d an einer N ä h e des modalen Momentes der Wirklichkeit zu der K a t e g o r i e der Q u a l i t ä t doch festgehalten werden müssen, und z w a r in besonderer Weise, nicht nur solchermaßen, wie die M o d a l i t ä t e n im ganzen Q u a n t i t ä t , Q u a l i t ä t und Relation v o r aussetzen, wie es A . Maier allein zuläßt.

§ 17. Die Modalitäten

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nomena, d. h. um sie als Gegenstände möglicher Erfahrung. Die N o t w e n d i g keit k a n n sich also n u r richten auf das Dasein der Dinge in Hinsicht auf mögliche E r f a h r u n g . Aus einem Gegebenen soll auf das Dasein eines Anderen nach Bedingungen der E r f a h r u n g geschlossen werden. (A 227 f. / B 279 f.) Die Notwendigkeit betrifft also nicht, und k a n n f ü r ein endliches Vernunftwesen auch nicht betreffen, das faktische Vorhandensein eines Seienden als solchen, sondern die V e r k n ü p f u n g der Seienden nach einem notwendigen Zusammenhang. Aus einem Gegebenen soll geschlossen werden können auf ein anderes, so, daß dieses Gegenstand der E r f a h r u n g sein kann. Die N o t wendigkeit betrifft also den Zusammenhalt aller Dinge als Gegenstände der E r f a h r u n g in einer Erfahrung. Nicht d a ß Quantitäten, Qualitäten, Relationen formal oder material zusammenstimmen, ist notwendig in Hinsicht auf die Einheit des Wissens, sondern dies, d a ß der Zusammenhalt dieser untereinander überhaupt notwendig gedacht werden muß, konstituiert die Einheit der E r f a h r u n g . Die V e r k n ü p f u n g der Dinge untereinander nach notwendigen Regeln „sind solche Gesetze, durch welche das Spiel der Veränderungen einer N a t u r der Dinge (als Erscheinungen) unterworfen wird, oder welches einerlei ist, der Einheit des Verstandes, in welcher sie allein zu einer Erfahrung, als der synthetischen Einheit der Erscheinungen, gehören können". (A 228 / B 281) D a ß also überhaupt alle Seienden als Gegenstände der E r f a h r u n g im Zusammenstimmen in einer E r f a h r u n g gedacht werden, das allein ist notwendig. Aus diesem notwendigen Zusammenstimmen aller Quantitäten, Qualitäten, Relationen mit der Wissenseinheit ergibt sich die Vorstellung der notwendigen V e r k n ü p f u n g dieser untereinander. Das ist es, was wir N a t u r nennen. K a n t nennt diese notwendige V e r k n ü p f u n g der Seienden untereinander nexus und unterscheidet sie deutlich von der „mathematischen Synthesis", die er Zusammensetzung (compositio) nennt. Jene „Verbindung (nexus) ist die Synthesis des Mannigfaltigen, sofern es notwendig zueinander g e h ö r t , . . . mithin auch als ungleichartig doch a priori verbunden vorgestellt wird, welche Verbindung, weil sie nicht willkürlich ist, ich d a r u m dynamisch nenne, weil sie die Verbindung des Daseins des Mannigfaltigen betrifft". (B 201 f . / A n m . ) Das Zusammenstimmen des Mannigfaltigen mit den allgemeinen Bedingungen der E r f a h r u n g w i r d an derselben Stelle unterschieden in physische und metaphysische Verbindung. Nach dem Vorangegangenen ist klar, d a ß diese Unterscheidung nicht, obwohl dieselbe Terminologie verwendet ist, das gleiche meint wie oben, wo K a n t den physischen und metaphysischen Satz von der unendlichen Teilbarkeit der Materie (IV 506) unterscheidet. H i e r wird durch das physische Zusammenstimmen der Zusammenhang des Mannigfaltigen untereinander in einer Natur nach Naturgesetzen gemeint, durch das metaphysische Zusammenstimmen aber die Synthesis des Mannigfaltigen in einer Erfahrung als einem Wissen, dazu die Bedingungen der Er-

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Phänomenologie

möglichung in einer transzendentalen Untersuchung über die Möglichkeit überhaupt zu Wissen herausgestellt wurden. In beiden ist ein notwendiger Zusammenhang als das Wesentliche gesetzt. Das will sagen: In beiden tritt ein oberstes Prinzip hervor, unter dem die Notwendigkeit als der in jenem gehaltene unbedingte Zusammenhang des Mannigfaltigen sich zeigt. U n d so formuliert K a n t das oberste Postulat des kategorialen modalen Erfassens: „Dessen Zusammenhang mit dem W i r k lichen nach allgemeinen Bedingungen der E r f a h r u n g bestimmt ist, ist (existiert) notwendig." (A 218 / B 246)

§ 18. Das Wissen von der Bewegung in seinen modalen

Bestimmtheiten

In den Postulaten des empirischen Denkens überhaupt w u r d e der Gebrauch der Modalbegriffe: Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit f ü r die Empirie ermöglicht. Der Sinn dieser Begriife ergab sich aus dem Verhältnis, in dem Vorstellungen zu der obersten Einheit des Wissens stehen können. Aus dem darüber Entwickelten m u ß jetzt klar werden, vor welche Aufgabe die Phänomenologie noch gestellt ist. Sofern wir Aufgabe und Absicht der Phänomenologie von hierher deutlich machen, werden wir uns um so leichter davor bewahren, an kantischen Gewaltsamkeiten, die sich bei seiner straffen Systematisierung finden, Anstoß zu nehmen und dabei das Positive aus den Augen zu verlieren. D a es sich bei der Phänomenologie um einen Abschnitt innerhalb der Metaphysik der N a t u r handelt, müssen wir uns daran erinnern, daß das Wovon des Wissens hier inhaltlich festgelegt ist als Wissen von der Materie als dem Beweglichen im R a u m . Alle Vorstellungen, die thematisch werden können, sind a priori als Vorstellungen von der Materie als dem Beweglichen im R a u m bestimmt. Sie sind hier zu betrachten, das ist das spezifische Moment der Metaphysik der N a t u r als Phänomenologie, inwiefern sie als solche Gegenstand einer E r f a h r u n g sein können. So gibt K a n t die Erklärung der Phänomenologie: „Materie ist das Bewegliche, sofern es als ein solches, ein Gegenstand der E r f a h r u n g sein kann." (IV 554) Das ist aber f ü r uns jetzt klar geworden, daß das nichts anderes heißen k a n n als dies: es sind die verschiedenen Weisen des Bezogenseins von Bewegungsprädikationen auf das Subjekt (Einheit der Erfahrung) und von dorther die Zusammenhänge des Beweglichen untereinander in einer N a t u r zu entwickeln. Das Zusammenstimmen der Materie in ihren Bewegungszuständen bezüglich des Bewußtseins und bezüglich der Einheit der N a t u r m u ß f ü r den empirischen Gebrauch in seinen modalen Bestimmtheiten herausgehoben werden. „Hier ist nicht die Rede von Verwandlung des Scheins in Wahrheit, sondern der Erscheinung in Erfahrung 6 6 ." (IV 555) 66

Es erstaunt zu sehen, wie sowohl Stadler als auch Adickes, die aber beide Vorläufer

§ 1 8 . Das Wissen von der Bewegung

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Das Zusammenstimmen von Bewegung mit den allgemeinen Bedingungen für Erfahrung kann, wie im transzendentalen Teil gezeigt, der Form nach und der Materie nach betrachtet werden. Der Form nach: Bewegung ist dann in rein phoronomischem Sinn zu nehmen, bloß als das Bewegliche im Raum. Das Wissen von der Bewegung in ihrem rein formalen Bestimmtsein wurde in der Phoronomie dargestellt. Die Phänomenologie, die nun das Zusammenstimmen mit dem Bewußtsein in den Modalitäten artikuliert, muß dieses formale Zusammenstimmen als Möglichkeit prädizieren. Die Bewegung in all ihren Bestimmtheiten, die die Phoronomie entwickelte, wird von der Phänomenologie aus insgesamt in dem Gegensatz von Möglichkeit und Unmöglichkeit verstanden. Das will folgendes sagen: Wenn immer aus einer phoronomischen Betrachtungsweise heraus ein Etwas durch Bewegung prädiziert wird, so ist dies Prädikat entweder als möglich oder als unmöglich bestimmt, und zwar so, daß phoronomische Relativbewegungen als mögliche (nämlich als entweder dem Beweglichen oder dem relativen Raum zukommend) dagegen absolute Bewegungen als unmöglich gesetzt werden. (IV 555) Kant meint nun, daß die phoronomische Betrachtungsweise nur auf gleichförmig geradlinige Bewegung zutreffe, weil diese Bewegung als einzige und Nachfolger haben, die Sätze der Phänomenologie, j a deren ganze Absicht verkannt haben. Am weitesten geht hier Stadler fehl, obwohl er sich gegen Schwab und v. Kirchmann wendet, die in der Phänomenologie nur ein spitzfindiges Spiel mit Kategorien sahen. Stadler dagegen: „Das vierte Hauptstück bringt nichts weiter, als einen methodischen Rückblick. D e r Denker . . . besinnt sich noch einmal auf das Verhältnis, in welchem die gefundenen Sätze zu seiner erkenntnistheoretischen Uberzeugung stehen." (Stadler, a. a. O., S. 220 f.) Diese Auffassung, die die Phänomenologie nicht in ihrer sachlichen Notwendigkeit erkennt, erstaunt um so mehr, als Stadler eigentlich am stärksten die M. A. d. N . als „Anwendung" der transzendentalen Erkenntnisse auslegt und damit doch die Notwendigkeit der Phänomenologie von den „Postulaten" her einsehen müßte. Von einer Kritik an K a n t ist Stadler aber so weit entfernt, daß er das Fehlen der sachlichen Notwendigkeit nicht gegen K a n t auslegt, sondern als positive Bestätigung der „subjektiven Gewissenhaftigkeit", welchen fast moralisierenden Ausdruck er objektiviert als „Selbstkontrolle streng methodischer Reflexion", ohne aber diese in Hinsicht auf die Postulate zu begründen. So zeigt sich hierin nicht nur das Mißverständnis der Phänomenologie, sondern eigentlich das der Postulate des empirischen Denkens überhaupt. - Adickes wiederum stößt sich an der Entsprechung zu den Postulaten und findet sie gewaltsam. E r billigt den Lehrsätzen der Phänomenologie nur wenig Bedeutung zu, da sie fast nur Wiederholungen vorstellen (Adickes, a. a. O., S. 353); woran man sich doch nicht sollte stoßen können, nachdem K a n t ausdrücklich dargelegt hat, daß die Modalitäten den Gegenständen sachlich keine neuen Bestimmungen hinzufügen, vielmehr ihre Bedeutung darin liegt, alle Momente der Konstitution von Objektivität in der Wissenseinheit zusammenzufügen und dieses Verhältnis der Vorstellungen zum Bewußtsein zu modifizieren. Wenn also Adickes versucht, K a n t zu unterstellen, daß auch für den 1. und 3. Lehrsatz K a n t ein Neues, das Adickes im 2. erkennen will, habe setzen wollen, so verfehlt auch er wie Stadler, nur jeder in einer anderen Richtung, den eigentlichen Sinn der Postulate des empirischen Denkens überhaupt (a. a. O., S. 370).

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Phänomenologie

ohne Annahme bewegender Kräfte verstanden werden können (vgl. o. S. 51). Deshalb formuliert Kant den dem ersten Postulat des empirischen Erkennens überhaupt entsprechenden Grundsatz der Phänomenologie für die gleichförmige geradlinige Bewegung, die als mögliche bestimmt wird. Das ist aber in der Tat zu eng. Es ist darin begründet, daß Kant idealtypisch denkt. Er nimmt also nicht den allgemeinen Fall von Bewegung in phoronomischem und ebenso dann auch dynamischem Sinn, sondern nimmt die nach den jeweiligen Hinsichten ausgezeichneten Fälle: geradlinige und kreisförmige Bewegung. So kann das Mißverständnis aufkommen, als ob es an der Geradlinigkeit oder Kreisförmigkeit liege, daß die eine in der Phoronomie, die andere in der Dynamik abgehandelt werde. Phoronomie und Dynamik sind aber je umfassender. Sie sind nicht nur Lehre von der geradlinigen resp. kreisförmigen Bewegung. Denn Phoronomie und Dynamik sind von verschiedenen Momenten ausgehende fundamentale Betrachtungsweisen der Bewegung: die formale und materiale. Nicht weil die Phoronomie die gleichförmig geradlinige Bewegung zum Gegenstand der Betrachtung hat, noch weil sie der Kategorie der Quantität als Fundamentalaspekt korrespondiert, wird die phoronomische Bewegung als mögliche bestimmt, sondern weil die phoronomische Betrachtungsweise die bloß formale ist. Diese formale Seite drückt sich natürlich in ihrem Hauptbegriff, dem der Größe, und ihrer Denkweise, der mathematischen, aus. Das letzte aber zeigt zugleich, daß damit die Betrachtung über die Phoronomie, so wie sie Kant abhandelt, hinaustreibt. Denn in allen Abschnitten unserer Untersuchung können wir einen formalen Teil, den mathematischen, herausheben. Und in der Tat, alles dies muß modal unter der Kategorie der Möglichkeit bestimmt werden 67 . Weil die mathematische Betrachtungsweise schlechthin formal ist, ist der Gegenstand, sofern er mathematisch betrachtet wird, ebenfalls nur formal bestimmt. Und weil in der Phoronomie das Zusammenstimmen mit dem Bewußtsein und das der phoronomischen Vorstellungen untereinander ebenfalls nur nach der formalen Seite genommen ist, deshalb ist die phoronomische Relativbewegung modal als mögliche Bewegung bestimmt. Der Begriff der Möglichkeit der Bewegung muß aber hier noch vor einer weiteren Mißdeutung geschützt werden. Es ist in dem „möglich" kein Belieben ausgedrückt, ein Etwas bewegt zu denken oder auch nicht. Bewegung ist immer nur als solche aussagbar in Bezug auf einen Raum, in dem sie statthat. Für die Erfahrung ist es gänzlich unmöglich, die Bewegung eines Etwas im absoluten Raum zu erfassen. Der absolute Raum ist lediglich die Idee, die nötigt, jede Bewegung in einem umfassenden, relativ dazu ruhenden 67

So ist etwa in der D y n a m i k die von der M a t h e m a t i k ausgesagte unendliche Teilbarkeit des Raumes ein bloß mögliches Prädikat, das in Hinsicht auf die Materie erst physisch, d. h. in Hinsicht auf die Wirklichkeit bestimmt werden muß, was die Mathematik selbst nicht mehr zu leisten vermag.

§ 1 8 . Das Wissen von der Bewegung

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Raum zu denken. Nur in Bezug auf diesen absoluten Raum ist die Bewegung als Möglichkeit im oben angegebenen Sinn angemessen zu denken68. Denn das war das Ergebnis der Phoronomie, daß statt der Bewegung a eines Etwas im Raum diesem relativen Raum die entgegengesetzte Bewegung -a im absoluten Raum gegeben und das Etwas in Hinsicht auf diesen als ruhend vorgestellt werden könne. Formal betrachtet ist die Bewegung relativ in dem Sinn, daß in Hinsicht auf den absoluten Raum der Körper bewegt resp. ruhend und umgekehrt dann der relative Raum als ruhend resp. bewegt vorgestellt werden kann. Und das heißt ebendasselbe wie: Die Bewegung eines Etwas im phoronomischen Sinn ist überhaupt nur relativ aussagbar, nämlich durch Bezug auf einen relativen Raum, und modal bestimmt als ein bloß mögliches Prädikat. Nehmen wir dagegen die materiale Seite desselben Zusammenhanges: In welcher Weise ist das Zusammenstimmen mit den materialen Bedingungen der Erfahrung zu denken? Die materiale Bedingung der Erfahrung ist allein in dem Realen der Empfindung gegeben, das in der Dynamik unter dem Titel der ursprünglich bewegenden Kräfte abgehandelt wurde. Immer, wo in irgendeiner Weise die Materie dynamisch, d. h. sie unter der Qualität als bewegende Kraft gedacht wird, kommt das materiale Zusammenstimmen ins Spiel. Die sich in Schranken haltenden Grundkräfte stiften ein Gefüge von Bewegungen, deren Veränderungen als von diesen hervorgerufen gedacht werden müssen. Der Zusammenhang der Bewegungen durch bewegende Kräfte ist ein Zusammenhang, der durch die materialen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist. Ein Zusammenstimmen mit den materialen Bedingungen der Erfahrung war aber modal als Wirklichkeit bestimmt. Da die Dynamik insgesamt die Materie unter der Bestimmung der bewegenden Kraft als Materie der Empfindung dachte, ist die Bewegung im Sinne der Dynamik als wirklich prädizierbar. Auch hier formuliert Kant den dem zweiten Postulat entsprechenden Grundsatz der Phänomenologie nur für die Kreisbewegung als einer ausgezeichneten Art von beschleunigter Bewegung (konstante Änderung der Richtung bei gleicher Geschwindigkeit). Die Dynamik aber betrachtet nicht nur die Kreisbewegung, sondern jegliches Bewegliche, sofern es unter dem Einfluß von bewegenden Kräften die Bewegung vollführt, die es vollführt; d. h. sie betrachtet Bewegungszustände als Qualitäten. Durch die bewegenden Grundkräfte erfüllt die Materie einen Raum, 68

Vgl. o. S. 51-54, wo die Bedeutung des absoluten Raumes als Bedingung f ü r die Relativität aller Bewegung ausgelegt wurde. „Der absolute Raum ist also nicht als ein Begriff von einem wirklichen Objekt, sondern als eine Idee, welche zur Regel dienen soll, alle Bewegung in ihm als bloß relativ zu betrachten, notwendig, und alle Bewegung und Ruhe muß auf den absoluten Raum reduziert werden, wenn die Erscheinung derselben in einen bestimmten Erfahrungsbegriff (der alle Erscheinungen vereinigt), verwandelt werden soll." (IV 560)

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Phänomenologie

ist so das Reale der Empfindung, die Materie der Sinnlichkeit, und deshalb modal unter der Kategorie der Wirklichkeit bestimmt. Die Wirklichkeit der Bewegung will aber hier nicht im Gegensatz zur möglichen Bewegung so verstanden werden, als wäre hier der bloß relative Bewegungszustand des Bewegten in Hinsicht auf den absoluten Raum überstiegen. Auch die Wirklichkeit der Bewegung ist nur relativ auf einen Raum, in dem sie statthat, aussagbar. Aber sie bestimmt den Bewegungszustand des Bewegten und des Bewegungsraumes nicht nur formal, so nämlich, als könne jedes als bewegt resp. ruhend gedacht werden; sondern, weil die Bewegungsänderungen ursprünglich bewegenden Kräften der Materie zugesprochen werden, die diesen bestimmten Bewegungszustand hervorrufen, die bewegenden Kräfte das Reale repräsentieren, ist diese Bewegung als wirklich bestimmt. Der GegenbegrifF zur Wirklichkeit ist die Unwirklichkeit oder der Schein. Die Bewegung des Raumes, in dem das Bewegte beschrieben wird, ist zwar ein logisch (formal) gleichberechtigtes Prädikat, aber hier in der dynamischen Betrachtungsweise muß die in der formalen Betrachtungsweise ebenso mögliche Gegenbewegung des relativen Raumes als Scheinbewegung deklariert werden69. Wir haben jetzt von der Bewegung als einem möglichen und wirklichen Prädikat gehandelt. Der Fortgang zur Bewegung als notwendigem Prädikat 69

Es ist bei K a n t an vielen Stellen der Versuch gemacht, zwischen der wirklichen Bewegung und der absoluten Bewegung zu unterscheiden, und z w a r betont er ausdrücklich, d a ß auch die wirkliche Bewegung nur als relative aussagbar sei (IV 559-62), dennoch bleiben Dunkelheiten zurück. Was aber hier vor allem verdeutlicht werden muß, ist der Gegensatz, in dem die Bewegung als wirkliche zu denken ist; es ist bei Bewegungen, die durch bewegende K r ä f t e sich bezeugen, ungleichförmige Bewegungen, nicht möglich, entweder die eine oder die andere Bewegung als in gleicherweise möglich vorzustellen, vielmehr behauptet sich eine solche Bewegung durch bewegende K r ä f t e als wirklich (das Bewegungsurteil ist nicht mehr alternativ, sondern disjunktiv). Wenn aber beide Bewegungen als wirkliche sich bekunden, dann kann nur die eine als wahre (wirkliche), die andere als scheinbare gesetzt werden. Das allein ist wichtig f ü r diesen phänomenologischen Lehrsatz, d a ß die eine Bewegung als wahre, die andere als scheinbare zu setzen ist, wenn es sich um Bewegungen handelt, die sich durch K r ä f t e manifestieren. Es bleibt also auch durch diesen Lehrsatz von der wirklichen Bewegung der C h a r a k t e r der vollkommenen Relativität der Bewegung gewahrt. Wenn nun K a n t im Anschluß an Newtonsche Beispiele aus den Ph. nat. pr. math. Überlegungen anstellt, wie sich experimentell die eine dieser beiden Bewegungen als die wahre, die andere als die scheinbare bestätigen lasse, so kommt hier ein Gesichtspunkt herein, der diese Unterscheidung nicht aufhebt, sondern voraussetzt und in ihr eine Entscheidung treffen will; aber das geschieht nicht auf absolute Weise, sondern hält sich innerhalb bestimmter physikalischer Thesen. M a n muß jedenfalls festhalten, d a ß durch die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, auf experimentellem Wege eine Entscheidung zwischen wahrer und scheinbarer Bewegung zu treffen, die Disjunktion der Bewegungen nach ihrer Wirklichkeit nicht angetastet wird, weil hier nur festgelegt wird, d a ß sich das Auffassen von Bewegungen im Unterschied von wahren (wirklichen) und scheinbaren vollzieht, und d a ß dieser Unterschied der Geltung notwendig hier zu thematisieren ist.

§ 18. Das Wissen von der Bewegung

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muß sich daran orientieren. Eine Bewegung nämlich, die schon aus ihrer Möglichkeit wirklich ist, ist eine notwendige. In der Mechanik war im Prinzip der gleichen Wechselwirkung ein Gefüge von Bewegungen gedacht, das das Zusammenstimmen des Beweglichen sowohl formal wie material überstiegen hatte. In ihm war eine unbedingte Einheit jedes Beweglichen mit allen gesetzt, und darin hatte sich für uns die Einheit der N a t u r vollendet. Das unbedingte Ineinandergefügtsein von allen mit jedem, das nicht mehr in dem Moment der Form oder des Inhaltes sich einseitig verankert, ist das, was das Bewußtsein als notwendig setzt. Denn nur so ist ein schlechthinniges Zusammenstimmen von Bewegungen mit dem Bewußtsein und von Bewegungen untereinander gegeben. Wie sind in diesem Begriff von Notwendigkeit Möglichkeit und Wirklichkeit geeint? Das Prinzip der durchgängigen und gleichen Wechselwirkung beinhaltet genau diesen Zusammenschluß von Möglichkeit und Wirklichkeit. O b es allerdings die einzige Denkbarkeit dafür darstellt, ist eine andere Frage, die mit der Gesamtauffassung der Physik als Bewegungslehre zusammenhängt. Für eine solche Auffassung allerdings ist die Erklärung des N o t wendigkeitsbegriffes f ü r die Physik hinreichend. Gesetzt, ein Körper bewirke an einem anderen eine Bewegungsänderung, dann muß, sofern das geschieht, nach dem Prinzip der gleichen Wechselwirkung diesem Körper notwendig eine gleichgroße Gegenwirkung beigelegt werden, die auf den ersten zurückwirkt. Natürlich gehen wir damit nicht über das Faktische hinaus. Mehr als wirklich kann in diesem Sinn etwas nicht sein. Die Notwendigkeit ist kein Mehr an Existenz, sondern liegt in dem Zusammenhang, der damit gesetzt ist. Sie liegt in dem Wenn-Dann, das den durchgängigen Zusammenhang aller Seienden bestimmt. Zwar bewegt sidi die Erde um die Sonne und diese durch die Galaxis usf. und beide Bewegungen sind gleicherweise wirklich. Die Notwendigkeit, die von einer Bewegung ausgesagt wird, wird erst dann deutlich, wenn wir sagen: Falls die Erde resp. die Sonne ihren Bewegungszustand ändert, dann wird sich notwendig auch der Zustand der dahinein verflochtenen Bewegungen, und das heißt, der Bewegungszustand aller H i m melskörper, entsprechend ändern. Das Einzelne ist freilich nie um seiner selbst willen notwendig. Notwendig kann nur das Ganze sein, notwendig ist die N a t u r Eine; denn nur dann kann sich das Wissen von der N a t u r in einem System vollenden. Das aber ist eine Forderung, die, wie wir nach Kant sahen, mit dem Wissen als solchen gegeben und für es notwendig ist. Weil aber das System nur wirklich ist in den ineinander verfügten Seienden, deshalb tritt die Notwendigkeit an jedem Einzelnen hervor, indem dieses gerade als Einzelnes unwichtig wird gegenüber dem allgemeinen Gesetzeszusammenhang, in dem es steht. Dieser allgemeine Gesetzeszusammenhang der Seienden in einer N a t u r wird von

Phänomenologie

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K a n t gesehen in d e m P r i n z i p der gleichen W e c h s e l w i r k u n g , das s o m i t a n sich die N o t w e n d i g k e i t der in i h m verflochtenen Seienden in i h r e r B e s t i m m t heit ausdrückt. W e n n w i r v o n einem E t w a s sagen, es sei n o t w e n d i g , so w i e es ist, d a n n f r a g e n w i r , u m dies in seiner N o t w e n d i g k e i t a u s z u w e i s e n : W o f ü r ist es n o t w e n d i g ? D i e F r a g e : W a r u m o d e r w a n n ist E t w a s n o t w e n d i g , g e h t n u r d a r a u f , die B e s t i m m u n g s s t ü c k e zu k l ä r e n , die es e r l a u b e n , diesem V o r l i e g e n d e n das P r ä d i k a t „ n o t w e n d i g " z u geben, erhellt a b e r nicht die N o t w e n d i g k e i t selbst. D i e N o t w e n d i g k e i t selbst i m p l i z i e r t a l s o ein W o z u , f ü r das sie als solche ist 7 0 . W e l c h e r A r t ist das W o z u , f ü r das die N o t w e n d i g k e i t als solche ist? D a s W o z u k a n n n u r m e h r das W i s s e n selbst sein, nicht m e h r n u r ein Teilbereich des L e b e n s , d e r W i s s e n s c h a f t usf. D i e N o t w e n d i g k e i t

schlechthin ist als

solche f ü r d a s W i s s e n , d a m i t das W i s s e n W i s s e n ist. Notwendigkeit

besagt,

wie wir

zeigten,

die u n b e d i n g t e

Einheit

des

M a n n i g f a l t i g e n in einem n e x u s u n d das Z u s a m m e n s t i m m e n des M a n n i g f a l t i g e n m i t d e r o b e r s t e n W i s s e n s e i n h e i t z u m a l . N a t u r u n d E r f a h r u n g sind die beiden B e g r i f f e , P r i n z i p i e n , I d e e n , die je die gleiche N o t w e n d i g k e i t aus sich entlassen in d e r u n b e d i n g t e n R e g e l des Z u s a m m e n h a n g e s a l l e r B e s t i m m u n g e n , die u n t e r ihnen g e f a ß t w e r d e n . D a m i t E i n h e i t der N a t u r u n d E i n heit d e r E r f a h r u n g sei, m u ß das P r i n z i p der gleichen W e c h s e l w i r k u n g die N o t w e n d i g k e i t bei sich f ü h r e n , die alles m i t j e d e m v e r k n ü p f t , u n d so eine R e l a t i v i t ä t aller erfaßten Bestimmungen setzt71. 70

71

Dieses „Wozu" kann durchaus beschränkt sein und doch Notwendigkeit aus sich entlassen: z. B. ist es, um eine Rede zu verstehen, notwendig daß man hinhört, oder damit der Mensch leben kann, ist es notwendig zu atmen. Deutlicher wird dieses notwendige Bedingendsein an einem bekannten Beispiel aus der Mathematik. In der Euklidischen Geometrie beträgt die Winkelsumme im Dreieck notwendig zwei Rechte. Der Satz läßt sich aus den Axiomen der Euklidischen Geometrie herleiten. In der Sphärischen Trigonometrie ist es nicht so. Um aber eine Geometrie als Euklidische zu charakterisieren, ist es hinreichend zu verlangen, daß die Dreieckswinkelsumme notwendig zwei Rechte betrage. Der Satz ist also zwar eine Aussage innerhalb der Euklidischen Geometrie, aber zugleich ist in ihm die ganze Euklidische Geometrie versammelt, so daß man diesen Satz nicht preisgeben kann, ohne damit zugleich die Geometrie als Euklidische aufzuheben. Daß Kants Auffassung der Relativität der Bewegungszustände über die Newtons hinausgeht, wird besonders deutlich an der Kreisbewegung, die Kant als wirkliche doch von der absoluten unterscheidet. (Bei Newton trifft die Unterscheidung von wahrer oder scheinbarer Bewegung genau die von absoluter oder relativer.) Völlig nichtssagend ist aber in dem Zusammenhang die Begründung für diesen Unterschied in der Auffassung der Relativität der Bewegung, die Adickes gibt, wenn er sie aus der „Art ihres Erlebens" begründet, indem er feststellt: „das Newtons ist viel realistischer als das Kants" (a. a. O., I, S. 365). Geht es doch bei Kant um nichts anderes als um die metaphysische Entwicklung des Newtonschen Relativitätsprinzips, d. h. um die Entwicklung der dadurch gesetzten Bedeutung oder Geltung der Bewegungsbestimmungen für das Wissen von der Natur. Dadurch geht aber Kant nicht über das GalileiNewtonsche Relativitätsprinzip hinaus und nähert sich dem Einsteinschen, sondern, wie wir meinen, geht er damit in jenen metaphysischen Grund des Erfahrungsdenkens, das

§ 18. Das Wissen von der Bewegung

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Damit Erfahrung sei, das heißt, damit das Wissen Wissen sei; denn das war ja das Resultat der Kritik der reinen Vernunft, daß Erfahrung die einzige Wissensart sei, in der sich das Wissen vollenden könne. Die Notwendigkeit des unbedingten Zusammenhanges des Mannigfaltigen garantiert die Einheit der Erfahrung und damit das Wissen in seiner wahren Möglichkeit. Hier am Ende der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft kommt also die wahre Absicht der Schrift erst voll zum Vorschein, auch wenn Kant diesen Bezug der Phänomenologie zur Kritik der reinen Vernunft nicht mehr entwickelt. Über die Absicht der Schrift hatte Kant in der Einleitung geschrieben. Über das Resultat und die Bedeutung der Untersuchung dagegen finden wir nichts. H a t Kant das Resultat selbst für so vorläufig oder unzureichend gehalten? Fast scheint es so. Wir finden nämlich an Stelle einer abschließenden Feststellung der damit erreichten Position eine Bemerkung, die das ganze in der Metaphysik der N a t u r Erarbeitete zurücknimmt in die Bewegung des transzendentalen Denkens. Kant knüpft diese Bemerkung an Fragen, die sich mit dem leeren Raum beschäftigen. Dieses Leere und damit Unfaßliche wirft das Vernehmen zurück auf sich selbst, indem erneut die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit überhaupt zu Wissen gestellt werden muß. Alle je und je erreichte Festlegung und Bestimmung im Felde der Wissenschaften führt zu Fragen, die eine erneute Entfaltung der Wissensbedingungen nötig machen. für Newton wie für Einstein in gleicher Weise fundamental ist. Es ist deshalb sachlich unergiebig, wenn man mit Adickes die Frage stellt, wie sich ein wiedererstandener K a n t zur Einsteinschen Theorie verhalten würde. Solange nicht die kantischen Bestimmungen sachlich in Hinsicht auf jene Fragestellungen der modernen Physik entwickelt werden, ist die Frage und ihre Beantwortung, gleich ob sie positiv oder negativ ausfällt, eine unfruchtbare Entscheidung, wie es sich auch bei Natorp zeigen wird, der die Anerkennung Einsteins durch K a n t als bloße Bestätigung seiner Entwicklungen behauptet (Natorp, Logische Grundlagen, S. 399 und 401). Lediglich Cassirer hat versucht, aus dem kantischen Ansatz, das will sagen: aus seiner Modifikation des Marburger Neukantianismus, die Einsteinsche Theorie zu untersuchen, ohne aber die M. A. d. N . dabei als Leitfaden zu benutzen. Die Untersuchung von A. C. Elsbach, Kant und Einstein (Berlin 1924), steht weit hinter den Arbeiten der Neukantianer zurück; weder nämlich stellt sie K a n t dar noch Einstein, sondern in dürftiger Exzerption von Cassirers Substanz- und Funktionsbegriff versucht sie ein Fundament zu gewinnen für einen Vergleich der Marburger Kantschule (Cohen, Natorp, Cassirer) mit der Raum-ZeitLehre der Relativitätstheorie, ohne dabei in eine sachliche Entwicklung der Problematik zu finden, nicht einmal eine saubere Gegenüberstellung der verschiedenen Positionen läßt sich finden. Ebensowenig kann ich der Arbeit von P. Drossbach, Kant und die gegenwärtige Naturwissenschaft (Berlin 1943), folgen, die zwar einiges über den Charakter physikalischer Hypothesen treffend sieht, aber zu uneinheitlich in der Durchführung ist, indem sie nicht streng die kantische Begrifflichkeit durchhält und insbesondere sich mit außerhalb der Frage liegenden Affronts gegen die „ungesunde moderne Physik" belastet und einen K a m p f gegen den Positivismus auf der Linie der „deutschen Physik" führt.

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Phänomenologie

Damit tritt zugleich in einem neuen Sinn die Stellung der Metaphysik als jenes „Zwischen" hervor, in dem wir sie zu Anfang charakterisierten. Sie ist nicht mehr nur jenes „Zwischen", das gehalten ist von den festen Ebenen der Transzendentalphilosophie und der Erfahrungswissenschaft. Sondern sie zeigt sich als das Zwischenstadium einer Bewegung, als die sich die Philosophie vollzieht, indem sie von der Untersuchung der reinen Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens übergehen muß in die Sphäre der Bestimmtheit, in der sich deren Anwendungsmöglichkeit f ü r die Erfahrung verdeutlicht, die aber nicht in der rein begrifflichen Analyse der Seins- und Wesensverfassung des Seienden verweilen kann in einem ständigen Fortschritt, sondern die dann wieder zurückgeworfen wird in die anfänglichere Frage nach dem Vermögen zu Wissen überhaupt, um sich erneut ihrer selbst als Wissen zu versichern. „Und so endigt sich die metaphysische Körperlehre mit dem Leeren und eben darum Unbegreiflichen, worin sie einerlei Schicksal mit allen übrigen Versuchen der Vernunft hat, wenn sie im Zurückgehen zu Prinzipien den ersten Gründen der Dinge nachstrebt, da, weil es ihre N a t u r so mit sich bringt, niemals etwas anders, als so fern es unter gegebenen Bedingungen bestimmt ist, zu begreifen, folglich sie weder beim Bedingten stehen bleiben, noch sich das Unbedingte faßlich machen kann, ihr, wenn Wißbegierde sie auffordert, das absolute Ganze aller Bedingungen zu fassen, nichts übrig bleibt, als von den Gegenständen auf sich selbst zurückzukehren, um anstatt der letzten Grenze der Dinge, die letzte Grenze ihres eigenen sich selbst überlassenen Vermögens zu erforschen und zu bestimmen." (IV 564 f.)

§ 19. Das Resultat der kantischen Metaphysik der und die Möglichkeit eines Neuansatzes

Natur

An dieser Stelle ist nun das Resultat der M. A. d. N . zu diskutieren. Dies aber in zweifacher Weise: einmal das Resultat in Hinsicht auf Kant selbst, d. h. es ist die Bedeutung der M. A. d. N . innerhalb seines philosophischen Gesamtentwurfes zu betrachten; zum andern ist zu fragen, inwiefern durch dieses Resultat zugleich für uns der Anfang einer neuen Bewegung gegeben ist. Diese beiden Aufgaben gehören eng zusammen, die beiden Hinsichten auf das Resultat müssen sich ergänzen. Sie betreffen nämlich dieselbe Sache, und auf die immanente Kantdarstellung wird ein helleres Licht fallen, wenn wir seiner Wirksamkeit in der Geschichte nachfragen, wie auch umgekehrt diese K r a f t , die in den Nachfolgern Kants am Werk ist, nicht nur aus den Äußerungen dieser K r a f t verstanden werden kann, weil es ja unter Umständen ein ganz mißverstandener Kant ist, an dem jene anknüpfen, sondern nur, indem man offen ist für das Denken Kants in Hinsicht auf dieses Denken selbst.

§ 1 9 . Resultat und Möglichkeit eines Neuansatzes

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Die M. A. d. N . haben die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung in dem Begriff der Natur zusammengebracht. Es war dabei von Natur im Sinne derjenigen Sache die Rede, die aller Erfahrung korrespondiert. Mit der Konstruktion einer möglichen Erfahrung ist auch dasjenige, was da erfahren wird, Natur, deutlich geworden. Natur erschöpft sich aber nicht in dieser einfachen Korrespondenz von Erfahrung und Sache, die zu erfahren ist. Natur ist auch nicht nur jener umfassende Sachbereich, den es in angemessener Weise zu erfahren gilt. Es zeigt sich, daß dieses schlichte Erfassen (Erfahrung) nicht möglich ist, d. h. transzendental nicht zureichend gedacht werden kann, wenn nicht Natur über dieses korrespondierende Sachmoment hinaus als Prinzip entfaltet wird. Wir haben in unserer Interpretation zwar schon von dieser Seite Gebrauch gemacht, aber es gilt jetzt das, was dort für die Entwicklung des einzelnen Grundsatzes benutzt wurde, in die Ausdrücklichkeit zu heben. Wir haben dort von Natur als dem „Prinzip" der Ableitung der möglichen Erfahrung gesprochen. Natur war dort keineswegs nur das Wovon des Wissens, das sich als Erfahrung bestimmte, sondern war zugleich Prinzip der Synthesis dieses Wissens. Zwar ist in gewissem Sinn jede Sache, auf die sich ein Wissen bezieht, Prinzip für dieses, insofern sie das Maßgebende ist; denn um Erfassen der Sache selbst geht es dem Wissen. Hier aber gibt sich Natur nicht als sie selbst in der Maßnahme der Erfahrung kund, sondern nur einzelnes „naturales Seiende" wird erfahren. Natur ist gar nicht die Sache, auf die sich ein empirisches Erfassen unmittelbar bezieht. Natur im Ganzen kann nicht die Sache des unmittelbaren Naturerfassens sein72, ist also auch nicht im obigen Sinn Prinzip als das Maßgebende in diesem Verhältnis. Der Prinzipcharakter der Natur ist umfassender. Sie, die Natur, überragt 72

I m folgenden, w o w i r v o n der N a t u r als dem unbedingten Ganzen aller Objekte, die dem endlichen Vernehmen in möglicher E r f a h r u n g können gegeben werden, handeln, welche Vorstellung all unser naturales Erfassen v o r g ä n g i g leitet, werden wir in den K a n t - B e l e g e n statt dessen den Titel W e l t finden; wir werden dem nicht folgen, weil der Weltbegriff bei K a n t selbst vieldeutig ist, und wir ihn in unserem Zusammenhang synonym mit N a t u r gebrauchen können; denn die Unterscheidung v o n N a t u r und W e l t (im engeren Sinn), wie sie innerhalb der Antinomien auftritt, brauchen wir in unserem Zusammenhang nicht ausdrücklich weiter zu verfolgen. W i r werden also W e l t immer verstehen als „Inbegriff aller Erscheinungen". ( A 3 3 4 / B 3 9 1 ) K a n t bemerkt zu seiner im naturalen verbleibenden Unterscheidung von N a t u r und W e l t : „ W i r haben zwei Ausdrücke: Welt und Natur, welche bisweilen ineinander laufen. D e r erste bedeutet das mathematische G a n z e aller Erscheinungen und die T o t a l i t ä t ihrer Synthesis, im G r o ß e n sowohl als im Kleinen, d. i. sowohl in dem Fortschritt derselben durch Z u s a m mensetzung, als durch Teilung. Eben dieselbe W e l t w i r d aber N a t u r genannt, sofern sie als ein dynamisches Ganzes betrachtet wird, und m a n nicht auf die Aggregation im R ä u m e oder der Zeit, um sie als eine G r ö ß e zustande zu bringen, sondern auf die E i n heit im Dasein der Erscheinungen sieht." ( A 4 1 8 f . / B 4 4 6 f.) F ü r die Unterscheidung der beiden Weltbegriffe bei K a n t , nach der „kosmologischen" und der „existenziellen" Bedeutung, vgl. Heidegger, Vom Wesen des Grundes, 4. Aufl., S. 2 7 - 3 6 .

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Phänomenologie

nämlich jedes mögliche naturale Erfassen. Ist dies nicht ein Widerspruch: N a t u r überragt jede mögliche Erfahrung der Natur? (A 327 / B 383) Was heißt aber hier überragen? Soll das jene Transzendenz bedeuten, die, da alle Erfahrung ja nur Erscheinungen vor sich hat, die N a t u r als das setzt, was da in der Erscheinung nicht miterscheint, obwohl es das Erscheinen trägt, und die also den Bereich der Erfahrung insofern überragt, als Erkenntnis der N a t u r dann den Überschritt zum Ansich erfordern würde? Kant verwendet den Terminus N a t u r nie im Sinne des ansich-seienden Bestandes. Und das Uberragen meint hier nicht das Transzendieren in den Bereich des Ansich, welches Transzendieren dem endlichen Vernehmen nicht möglich ist. N a t u r überragt mögliche Erfahrung zunächst darin, daß sie Totalität beinhaltet, Erfahrung aber jederzeit nur in Grenzen möglich ist. (A 322 / B 379) Der Begriff der N a t u r ist des weiteren Ursprung von Notwendigkeit, während Erfahrung immer nur feststellen kann, daß ein Sachverhalt faktisch sich so verhält, wie es sich zur Erscheinung bringt. Der Begriff der N a t u r schließlich ist absolut (A 324 / B 380 ff.), ein absoluter Begriff, die Erfahrung dagegen ist immer an ganz bestimmte Bedingungen gebunden, die gegeben sein müssen, damit Erfahrung statthaben kann. In diesen Charakteren übersteigt N a t u r den Begriff, in dem sie als Korrelat möglicher Erfahrung gedacht ist, und zugleich übersteigt sie damit alle mögliche Erfahrung. N a t u r ist damit ein alle Erfahrung übersteigender Begriff, der Notwendigkeit, Totalität und Unbedingtheit mit sich führt. N a t u r ist aber als dieser nicht eine abstrahierte Bezeichnung für den uns unzugänglichen Bereich eines Transzendenten. N a t u r ist kein abstrahierter Begriff, sondern der Vernunft ursprünglich zugehörig. Der Vernunft ursprünglich zugehörig heißt nichts anderes als: seinen Ursprung in der reinen Vernunft habend. Demnach ist die Vernunft selbst Ursprung der im Naturbegriff gesetzten Totalität, N o t wendigkeit, Unbedingtheit. Wie verhält es sich aber mit der Sache dieser Begriffe? Sie kann in keiner Weise angeschaut werden, denn sie kann in keiner Sinnlichkeit adäquat gegeben werden. Die Sinnlichkeit nämlich ist ganz und gar durch Grenze bestimmt, nichts davon ist aber im reinen Vernunftbegriff anzutreffen. N a t u r als totale übersteigt also alle mögliche Erfahrung, weil sie alle mögliche Anschauung übersteigt, d. h. weil sie nie in einer Sinnlichkeit adäquat gegeben werden kann. Sie übersteigt alle mögliche Erfahrung zudem, weil sie alle Verstandesbegriffe übertrifft bezüglich des logischen Umfanges, der logischen Gültigkeit, und des logischen Ranges. Damit ist aber nicht gesetzt, daß sie solchermaßen mögliche Erfahrung übersteigt, daß sie auch über sie hinausliegt, indem sie davon ganz und gar geschieden ist. Das Gegenteil davon ist der Fall. Als diese die Erfahrung übersteigende N a t u r ist sie gerade Prinzip aller Erfahrung. Als die die Erfahrung über-

§ 19. Resultat und Möglichkeit eines Neuansatzes

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steigende N a t u r steht sie doch in ausschließlichem Bezug zur möglichen Erfahrung und ist über diesen Bezug auf mögliche Erfahrung hinaus nichts für sich selbst. Welchen Charakter hat nun dieser Bezug auf mögliche Erfahrung, da doch hier N a t u r das alle Erfahrung Übersteigende ist? Dieser Bezug kann nicht so in die Erfahrung eingehen, daß er sich selbst als Erfahrungssatz aussprechen ließe; denn N a t u r ist das alle Erfahrung Ubersteigende, aber gerade darin auf Erfahrung bezogen und zumal ist sie das Prinzip der Erfahrung. Kant nennt den Bezug der N a t u r auf mögliche Erfahrung in diesem Prinzipsein einen regulativen Bezug im Gegensatz zum konstitutiven. Diese Begriffsunterscheidung scheint auf den ersten Blick sehr einleuchtend, ist aber im Grunde mißverständlich. Denn jedes Prinzip ist per definitionem konstitutiv, insofern es ein Moment ist, bei dem das anhebt, wovon es das Frühere (prius) ist. Ohne dieses Anfängliche könnte sich nichts konstituieren, in welcher Art auch nun dieses Prinzipsein näherhin zu bestimmen ist. N u n ist N a t u r zudem oberstes Prinzip - sie beinhaltet Totalität, Unbedingtheit und Notwendigkeit - d. h. ein solches, zu dem nicht ein weiterer Vernunftbegriff gefunden werden kann, der für es wiederum seinerseits Prinzip wäre. N a t u r muß als dieses oberste Prinzip also in exzeptioneller Weise konstitutiv für alle Erfahrung sein. Wenn Kant in Hinsicht auf mögliche Erfahrung konstitutive und regulative Prinzipien unterscheidet, so ist dabei konstitutiv in einem engeren Sinn verwendet und beide Bestimmungen betreffen einen Unterschied, der innerhalb des Konstitutiven selbst im weiteren Sinn besteht. Das Regulative hat dabei also keine pejorative Bedeutung, auch wenn Kant sagt: „bloß regulativ"; kommt doch in dem „regulativ" gerade das Herrschen, Ordnen und Gliedern zum Ausdruck, welche Bestimmungen dem Vernunftvermögen entsprechen, das Kant als das oberste bezeichnet. Wenn Kant „bloß regulativ" sagt, dann geht es ihm um Herausarbeitung des Unterschiedes zwischen Kategorie und Idee. Diesen Unterschied macht er zunächst deutlich, indem er sie als Grundbegriffe des Verstandes und der Vernunft unterscheidet, d. h. bezüglich ihres unterschiedlichen Ursprungsfeldes. Von dorther sind sie in ihrem logischen Wert unterschieden. Der Unterschied tritt aber erst in seiner vollen Schärfe hervor, wenn Kant in Hinsicht auf die Synthesis der Einheit des Wissens (die eine Erfahrung) sie in ihrer unterschiedlichen Funktion entwickelt. Dabei geht die K. d. r. V. einen bestimmten Weg, indem sie bei der Anschauung anfängt, dann den Verstand und die Einheit beider (Schematismus, Einbildungskraft), und jetzt erst das Vernunftvermögen betrachtet. (A 298 / B 355) N u n sind aber alle Einheitsstiftungen des naturalen Wissens kategorial, d. h. sie geschehen durch die einigende Synthesis der reinen Verstan-

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Phänomenologie

desbegriffe (Notionen), wie wir in der Darstellung der Grundsätze zeigten; der Beitrag der Vernunftbegriffe ist aber nicht von dieser selben Art; es handelt sich bei der Funktion der Vernunftbegriffe nicht um ebensolche Einheitsstiftungen, die bloß dem Umfang oder der Festigkeit nach die des Verstandes überragen. Die Synthesis des Vernunftbegriffs bezieht sich vielmehr auf die Verstandesbegriffe und führt deren Synthesis in die Einheit. (A 302 / B 359 und A 645 ff. / B 675 ff.) Die Idee heißt Regulativ aller Synthesis, insofern sie sich auf die verschiedenen Weisen der kategorialen Synthesis bezieht, sie in eins zusammennimmt, und so durch diese ihre regulative Einigung die Ganzheit der verschiedenen Bedingungen stiftet. N u r dadurch, daß sich der Vernunftbegriff, der Totalität, Notwendigkeit, Unbedingtheit bei sich führt, auf die verschiedenen Weisen der kategorialen Einheitsstiftung bezieht, gibt er ihnen die Führung auf die durch sie zu erstellende Einheit des Wissens, seine Ganzheit. Die Idee ist damit als das Regulativ aller Synthesis zuhöchst konstitutiv für die Einheit des Wissens73, indem sie die verschiedenen Weisen der Konstitution, d. h. der kategorialen Erstellung des Naturobjektes, auf die ursprüngliche Ganzheit und Unbedingtheit der N a t u r selbst notwendig zusammennimmt. Damit ist aber nun deutlich, daß die Charaktere, die die Kategorien darstellen, nur in ihrem Sinn verstanden werden können, wenn sie unter der regulativen Einheit der Idee betrachtet werden. Alle kategorial vollzogene Einigung ist von hier aus nichts anderes als die Entsprechung des Verstandes auf den Anspruch des totalen Vernunftbegriffes 74 . N a t u r als Idee ist damit nicht nur Prinzipum in einem beliebigen Sinn, sondern ist die ausdrückliche Forderung der zu leistenden Einheit des Wissens, die dem Verstand als Pro73

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D a m i t ist nicht entgegen Kants Festlegung doch die Vorstellung von der Totalität der Reihe der Bedingungen zu einem „konstitutiven Prinzip der V e r n u n f t " e r k l ä r t („den Begriff der Sinnenwelt über alle mögliche E r f a h r u n g zu erweitern"), sondern es soll nur der positive Bezug dieser Vorstellung auf mögliche E r f a h r u n g deutlich zum Ausdruck gebracht w e r d e n ; weil der Gegensatz regulativ-konstitutiv mit der verschiedenen F u n k t i o n von V e r n u n f t u n d Verstand einfach gleichgesetzt wird, k a n n es so weit kommen, d a ß die V e r n u n f t als ein überflüssiges, da nicht konstitutives Vermögen erscheint. Dieses irrige Verständnis des Verhältnisses von k o n s t i t u t i v e n u n d regulativen M o m e n t e n der E r f a h r u n g s k o n s t i t u t i o n steht z. B. hinter Stadlers Auslegung der Grundsätze des reinen Verstandes (Stadler, Kants Analogien der Erfahrung), w o er die Konstitution der E r f a h r u n g zu zeigen versucht, ohne überhaupt auf jene regulative Funktion des Vernunftbegriffs bezug zu nehmen, weil sie offenbar nicht „konstitutiv" f ü r E r f a h r u n g ist. Dagegen betont K a n t ausdrücklich, d a ß er das V e r n u n f t p r i n z i p regulativ nenne im Gegensatz zum konstitutiven Vernunftprinzip, das ohne restriktive Beziehung auf Verstand und Sinnlichkeit wissenskonstitutiv sein könnte, „dessen Nichtigkeit ich durch ebendiese Unterscheidung habe anzeigen wollen". (A 509/B 537) „Um nun den Sinn dieser Regel der reinen V e r n u n f t gehörig zu bestimmen, so ist zuvörderst zu bemerken, d a ß sie nicht sagen können, was das Objekt sei, sondern wie der empirische Regressus anzustellen sei, um zu dem vollständigen Begriffe des Objektes zu gelangen." (A 511/B 538)

§ 1 9 . Resultat und Möglichkeit eines Neuansatzes

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blem aufgegeben ist. (A 508 / B 536) Sie ist dem Verstand nicht nur aufgegeben, sondern auch vorgegeben. Das heißt, alles Einigen des Verstandes setzt die oberste Einheit der Vernunft voraus, die dem einigenden Verstand die Führung und den H a l t gibt. Haben wir damit schon die Idee der N a t u r in ihrem positiven Gehalt entwickelt? Diese positive Seite ist ganz und gar in ihrem Verhältnis auf mögliche Erfahrung beschlossen, welches Verhältnis Kant ein regulatives nennt, dessen konstitutive Seite wir aber bereits aufgezeigt haben. Bei der Erörterung der Idee der N a t u r steht aber bei Kant nicht dieser ursprüngliche Bezug zur Konstitution der Einheit des Wissens im Vordergrund. Bei der Erörterung der Ideen nimmt die Darstellung der Dialektik der reinen Vernunft entschieden den größten Raum ein. Die dialektische Situation der reinen Vernunft entspringt aus dem Versuch des endlichen Vernunftvermögens, vom Vernunftbegriff nach Art des Verstandes einen logischen Gebrauch zu machen. So wenig aber der Idee ein Objekt adäquat gegeben werden kann, kann auch hier ihre objektive Gültigkeit nach Art der Notionen dargelegt werden. Der Begriff wird deshalb, sofern er nach Art der Kategorien gebraucht wird, notwendig in einem transzendenten Sinn gebraucht. Die K. d. r. V. ist bezüglich der Dialektik die Katharsis vom transzendentalen Gebrauch des Vernunftbegriffs, und die Lehre vom notwendigen transzendentalen Schein, der zwar als solcher zu erkennen, aber nicht zu vermeiden ist. Die Aufdeckung dieser Grenze der reinen Vernunft durch die Darstellung des transzendentalen Scheins, ist selbst eine positive Analyse der reinen Vernunft. Was aber das Verhältnis zum Verstandesgebrauch, d. h. zur wirklichen Erkenntnis, oder zur Erkenntnis des Wirklichen betrifft, so zeigt sich diese Analyse als nur in ihrer negativen Seite durchgeführt. Muß nicht diese Grenze der Vernunft in ihrer positiven Bedeutung für die Konstitution des wahren Wissens herausgearbeitet werden? Oder ist es schon damit getan, die Idee durch den Titel des Regulativen zu kennzeichnen, so daß von hierher die Dialektik und der transzendentale Schein bloße Verdrehung ohne konstitutiven Bezug zum wahren Wissen sind 75 ? 75

K a n t verdeckt diesen positiven Bezug selbst in gewisser Weise, wenn er nur vom Regulativ der Idee spricht, den Widerstreit der V e r n u n f t mit sich selbst aber nur als dialektischen Schein bestimmt. Denn da es zu jeder Idee eine Thesis und Antithesis gibt, muß doch zuerst geklärt werden, welche Setzung der Idee als Regulativ zu gelten hat. K a n t entscheidet dabei einfach f ü r eine Seite, und auch das nur unzureichend. Es gilt aber doch gerade den positiven Bezug des Widerstreitens selbst zur Erfahrungskonstitution zu beachten. Wenn also K a n t die Antinomie der reinen V e r n u n f t dadurch behebt, d a ß er zeigt „sie sei bloß dialektisch und ein Widerstreit eines Scheins, der daher entspringt, d a ß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung, und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im sukzessiven Regressus, sonst aber gar nicht existieren" (A 506/B 534), so wird darin nur der negative Gebrauch der Idee in seiner Wurzel bezeichnet und in seine Schranke gesetzt, aber die positive Funktion der Ver-

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Phänomenologie

Wir haben oben die Metaphysik der Natur als ein Moment in der Bewegung der kantischen Philosophie gekennzeichnet. "Wenn wir das Erkennen als Bewegung verstehen, dann meinen wir damit nicht die Bewegung des Angleichens an eine bestimmte Sache, sondern wir meinen damit, daß dieses Erkennen im Ganzen durch Bewegung gekennzeichnet ist, insofern nämlich, als diese Erkenntnis nie eine abschließende Gestalt findet, wesentlich offen ist. Sie kann sich nur als Erkenntnis behaupten, indem sie dasselbe stets neu durchlaufen muß. Ein so verstandenes Denken kommt zwar auch zu gültigen und definiten Aussagen. Aber diese seine Aussagen sind ihm nur sinnvoll durch den Bezug zum Ganzen des Erkennens, d. h. durch den Bezug auf die Grundsätze, in denen sich das Ganze expliziert. Das System als ganzes ist aber für dieses Erkennen immer wieder neu zu begründen. Die Grundsätze können nicht ihre Festlegung ein für allemal finden, sondern die Bedingungen, unter denen jegliches Vernehmen steht, und das heißt die Grundsätze, unter denen alle übrigen Aussagen stehen, sind für das Vernehmen stets Problem, müssen stets neu durchdacht und festgelegt werden. Dieser Diskurs, der sich als Rückbesinnung auf die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung vollzieht, ist oben gemeint, wenn wir das Erkennen durch Bewegung kennzeichneten. Diese Bewegung ist aber ihrerseits nur möglich, wenn es eine bewegende Kraft gibt, die den Diskurs in Gang hält. nunftidee bleibt völlig unbestimmt. Dabei hat K a n t im einzelnen durchaus diesem positiven Bezug Ausdruck gegeben (z. B. A 555/B 527), ohne ihn aber im allgemeinen zu entwickeln. Die Stellung Kants zu dieser Frage ist überdies noch innerhalb der Antinomien deshalb zwiespältig, weil er sich durch die Unterscheidung der mathematischen und dynamischen Ideen resp. Antinomien, wobei die Setzungen der ersten beide falsch sein müssen, der letzten beide wahr sein können (A 532/B 560), eine ungleichartige Funktion der Vernunftbegriffe vorstellt, w ä h r e n d doch dieser U n t e r schied auf der jenen gemeinsamen Grundlage des positiven Bezuges erst entwickelt werden sollte. Diesen Bezug, der bei K a n t in der Unterscheidung vom logischen und transzendentalen (objektiven) V e r n u n f t p r i n z i p (A 648/B 676) angelegt ist, hat die Kantauslegung lange v e r k a n n t ; M. W u n d t hat zuerst neben der logischen die t r a n szendentale in ihrer objektiven Bedeutung herausgestellt (vgl. M. W u n d t , Kant als Metaphysiker, S. 243-265). Des weiteren ist in dieser Richtung vor allem H . Knittermeyer vorgedrungen, wobei er einerseits die kantischen Ideen im Verfolg der alten Metaphysik den Transzendentalien (unum, verum, bonum seu perfectum) interpretierend zuordnet, zum anderen in der Konzeption der Ideen eine Ö f f n u n g „vom anderen U f e r (dem intelligiblen) her" erblickt, in der der Entwurf einer neuen „kritischen Metaphysik" sich ankündige. „So berühren wir in der Gottesidee einen äußersten Punkt der philosophischen Systematik, und es kann nicht ausbleiben, d a ß die regulative Auswirkung dieses Prinzips sich nicht in dem unendlichen Fortschritt der kategorialen Reihenbildung erschöpft, sondern d a ß hier plötzlich vom anderen Ufer her die Welt sich uns erschlossen zeigt." (H. Knittermeyer, I. Kant. I n : Abhandlungen und Vorträge herausgegeben von der Bremer Wissenschaftlichen Gesellschaft, Bd. 12, H . 4, 1939, S. 99.) Vgl. auch Knittermeyer, Der „Übergang" zur Philosophie der Gegenwart.

§ 1 9 . Resultat und Möglichkeit eines Neuansatzes

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Durch welche Spannung, müssen wir also fragen, ist diese Bewegung in Gang gehalten, und was ist das, was sich da bewegt, im Sinne des Denkens? Wir sagen, daß es die Spannung ist, in der Anschauung und Vernunft zueinander bezogen sind. In welcher Weise ist Vernunft auf Anschauung bezogen und Anschauung auf Vernunft? Ist nicht lediglich ein Bezug zwischen Anschauung und Verstand möglich? War nicht gerade das das wichtigste Resultat der K. d. r. V., daß den Ideen keine Anschauung korrespondiere, d. h. daß keine Beziehung zwischen Idee und Anschauung obwaltet? Zwar wissen wir schon, daß der Vernunftbegriff einen positiven Bezug zur Erkenntnis hat, den Kant als regulativen bezeichnet. An jener Stelle aber haben wir nur gezeigt, daß dieser Bezug der Regulation sich auf die einigenden H a n d lungen der Kategorien bezieht, von der Anschauung war dabei noch nicht die Rede. Wie aber sollen wir uns überhaupt den Bezug von Anschauung und Idee denken, da doch beide zuhöchst inadäquat sind? Die Anschauung nämlich ist völlig durch Einzelheit und Grenze bestimmt, d. h. sie stellt den ausgezeichneten Charakter der Endlichkeit dar, während der Vernunftbegriff Begriff vom Unbedingten, absoluter Begriff ist. So ist das Verhältnis der Idee zur Kategorie zwar einsichtig, insofern beide als Begriffe allgemeine Vorstellungen sind, aber den Bezug der Idee zur Anschauung können wir nicht ohne weiteres denken. Kant sagt aber ausdrücklich: „Also ist der transzendentale Vernunftbegriff kein anderer, als der von der Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten." (A 322 / B 379) Damit ist in aller Deutlichkeit betont, daß die Unbedingtheit der Idee nicht für sich steht, sondern daß sie die Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten ausdrückt. (A 307 / B 364) Wenn aber die Unbedingtheit der Idee nicht für sich selbst stehen kann, sondern es zu ihr wesentlich gehört, auf Gegebenes bezogen zu sein, dann ist ihre Unbedingtheit ebenfalls restringiert. Die Idee ist also im Denken Kants nicht schlechthin unbedingter Begriff, sondern sie ist ihrerseits bedingt, insofern sie nur das Unbedingte zu einem gegebenen Bedingten vorstellen kann. Damit ist sie zwar nicht in dem Sinn durch das Vorliegende bestimmt wie der empirische Begriff; auch nicht in dem Sinn, in dem das reine Mannigfaltige der Sinnlichkeit die Notionen bestimmt; aber dadurch daß ihre Unbedingtheit nicht ohne Hinsicht auf Gegebenes überhaupt ausgesagt werden kann, ist sie durch Gegebenheit als solche bedingt. Das, worinnen uns aber ein Bedingtes überhaupt nur gegeben sein kann, ist Anschauung. Der Vernunftbegriff ist damit nicht nur als Regulativ der oberste Punkt des Vermögens zu Schließen, ist nicht nur Ausdruck des obersten Punktes, der in jeder wissenschaftlichen Systematisierung angestrebt wird (A 645 / B 673), sondern ist zumal und ursprünglicher die auf Anschauung bezogene vorgestellte Unbedingtheit zu jeglichem Gegebenen (Bedingten).

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Diese Seite des Unbedingten, seine Bezogenheit auf Gegebenes, ist f ü r das Gegebene nun nicht gleichgültig und diesem äußerlich. Dieses Bezogensein nennt K a n t nämlich ebenfalls Synthesis, aber in einem ausgezeichneten Sinn, nämlich als Grund der Synthesis. „So kann ein reiner Vernunftbegriff überhaupt durch den Begriff des Unbedingten, sofern er einen G r u n d der Synthesis des Bedingten enthält, erklärt werden." (A 322 / B 379) Die Einheit von Anschauung und Begriff als objektive Synthesis geschieht auf zweifache Weise und h a t also einen doppelten G r u n d : Einmal gründet sie in der transzendentalen Einheit der Einbildungskraft und vermittelt Anschauung und Kategorie, andererseits enthält aber auch der Begriff des Unbedingten, die Idee, einen G r u n d der Synthesis des Bedingten. Also ist Anschauung ursprünglich, vom G r u n d her nämlich, nicht nur bezogen auf Verstand vermöge der Einbildungskraft, sondern ebenso auf Vernunft. So kommt der Anschauung nicht n u r auf G r u n d ihrer Einheit mit dem Verstand Spontaneität zu, sondern in ihr m u ß auch Unendlichkeit anzutreffen sein, wegen dieser ihrer ursprünglichen Bezogenheit auf Vernunft 7 6 . In der A n schauung m u ß etwas von der Totalität, die der Vernunftbegriff ausdrückt, aufzufinden sein, die ihr ursprünglich zugehört 7 7 . D a aber die Idee in keiner Anschauung adäquat gegeben werden kann, und dennoch auf Anschauung bezogen ist, insofern sie auf Gegebenheit als solche sich bezieht, kann dieser Bezug nur den Charakter einer Forderung haben. D a Idee und Anschauung ursprünglich zueinander gehören, ohne daß ihr Bezug adäquat sein kann, m u ß die Totalität in der Anschauung anzutreffen sein, ohne als solche ihren vollen Gehalt zu tragen. Das heißt, die Totalität der Anschauung ist wesentlich nur als Aufgabe da. Anschauung ist zwar ursprünglich totum, aber doch, sofern ihr etwas gegeben ist, völlig auf dieses eingegrenzt und ganz und gar durch die Vielheit der Wahrnehmung beeindruckt; dieser Vielheit der einzelnen Anschauungen gegenüber gilt es, stets die ursprüngliche Ganzheit der Anschauung zu retten 773 . „Wäre es nicht die Grenzenlosigkeit im Fortgang der Ansdhauung, so 76

77

77a

Für den w e s e n h a f t e n Bezug des reinen D e n k e n s zur Anschauung vgl. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, § 29, S. 1 3 4 - 4 2 . Für den R a u m hat H . H e i m s o e t h in seinem A u f s a t z : Der Kampf um den Raum in der Metaphysik der Neuzeit (KS E H 71, S. 9 3 - 1 2 4 ) eine Entwicklung gegeben, die sich an den drei Wesensmerkmalen: Unendlichkeit, Gleichförmigkeit und Rationalität orientiert. D o r t sagt er in bezug auf Kant, um die N a t u r des Raumes als „unendliches Totalitätsprinzip", das zugleich formale Anschauung ist, d. h. als Idee zu kennzeichnen: „Die quantitativ-extensive Unendlichkeit ist eine Anschauungsweise des endlich-sinnlichen Geistes nicht eine Daseins- oder Wirkungsweise des unendlichen Verstandes selber. Wir sehen alles äußerlich gegebene Endliche auf dem Hintergrund der R a u m unendlichkeit: D a s ist eine fundamentale Wesensbestimmtheit unseres Geistes und ein Unendlichkeitsmoment an diesem selbst." (a. a. O., S. 120) Zur Totalität in der Anschauung vgl. für den Raum A 25/B 40, für die Zeit A 32/B 48.

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§ 19. Resultat und Möglichkeit eines Neuansatzes

würde kein Begriff von Verhältnissen ein Principium der Unendlichkeit derselben bei sich führen." (B 40) Die Grenzenlosigkeit im Fortgang der Anschauung korrespondiert dem als actu vorgestellten Unendlichen der Idee. Die Inadäquatheit besteht darin, daß die Unendlichkeit der Anschauung nur im unendlichen Progress der Hinzufügung des gleichartigen Mannigfaltigen in indefinitum, als potentielle Unendlichkeit wirklich ist; die Idee aber enthält nichts von Progress, sondern stellt das Unendliche ganz und gar actu vor. Der Bezug zur Anschauung ist zugleich der Bezug der aktuellen Unendlichkeit auf die potentielle, indem er nämlich angibt, wie der empirische Regressus anzustellen sei, um zur vollständigen Erfassung des Objektes zu führen, (vgl. A 511 / B 538) Die Spannung, die das endliche Vernehmen also in Bewegung hält, ist die Spannung von Anschauung und Vernunft, so zwar, daß sie sich als eine Spannung der Unendlichkeit erweist. Die Unendlichkeit ist selbst gedoppelt in dem endlichen Erkennen. Schon der Titel sinnliche Vernunft drückt das aus. Es ist die Spannung zwischen der actualen Unendlichkeit in der Idee und der potentiellen Unendlichkeit in der Anschauung. Erst wenn wir diese Spannung von reiner Anschauung und reiner Vernunft als die Spannung des gedoppelten Unendlichen sehen, und zumal den Verstand als in die Bewegung gestellt, die aus dieser Spannung resultiert, können wir verstehen, was Kant meint, wenn er sagt, die Ganzheit (Totalität) des Wissens sei dem Verstand als Problem aufgegeben. (A 508 / B 536) Der Verstand hat nach beiden Seiten hin einer Unendlichkeit zu entsprechen, und zwar einer und derselben Unendlichkeit, insofern Anschauung und Vernunft ursprünglich einig sind. So ist die Synthesis des reinen Verstandes hineingespannt in die beiden Formen der Unendlichkeit als Idee und Anschauung, die actual vorgestellte Unendlichkeit und die potentielle, ständig voranzutreibende Unendlichkeit des Prozesses. In dieser Spannung steht der Verstand. Und sofern Erkenntnis bei Kant primär Verstandeserkenntnis besagt, d. h. Synthesis von Anschauung und Verstandesbegriff, steht Erkenntnis allgemein in dieser Spannung. Genau genommen ruht damit alle Erkenntnis keineswegs auf einem „fundamentum inconcussum", sondern sie ist in einem „Zwischen" angesiedelt. Dieses Zwischen heißt nun hier nicht mehr Transzendentalphilosophie und Empirie und bezeichnet die Ebene der Metaphysik, sondern ist das „Zwischen", das durch die beiden Gestalten des Unendlichen aufgespannt ist. Es steht zwischen Anschauung und Idee. In das Erkennen kommt die Bewegung, insofern es auf Anschauung verwiesen

ist und der Idee zu entsprechen

hat.

Diese Bewegung des Verstandes zwischen Sinnlichkeit und Vernunft muß sich, wenn sie nicht ein leeres Hin- und Hergehen zwischen beiden sein soll, in den Verstandesbestimmungen manifestieren. Wollen wir also die kantische Analyse der sinnlichen Vernunft ernst nehmen, dann sind wir genötigt, an den Entwicklungen der Grundsätze des reinen Verstandes, wie sie Kant

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Phänomenologie

gegeben hat, jene Bewegung einzuräumen; d. h. die Grundsätze des reinen Verstandes oder, wenn man will, der Schematismus der Kategorien, darf nicht in der unveränderlichen Starrheit dogmatischer Bestimmungen ausgelegt werden, sondern n u r als ein offenes System von Grundsätzen, das in einer doppelten Bewegung steht, die durch den Bezug auf Anschauung (Versinnlichung) und V e r n u n f t (Systematisierung) bezeichnet ist. Diesen beiden Tendenzen zufolge, m u ß sich das System der Grundsätze beständig spezifizieren in Hinsicht auf die Mannigfaltigkeit des in der empirischen A n schauung Vorgestellten und zumal generalisieren in Hinsicht auf den A n spruch der Vernunftidee, zu stets größerer Allgemeinheit und Einheit f o r t zuschreiten. Das System der Grundsätze des reinen Verstandes haben wir damit als einen sowohl offenen als auch abgeschlossenen Gesetzeszusammenhang zu denken: offen, insofern er aus der Empirie ständig neue Bestimmungen in sich aufnimmt, sich ständig modifiziert; abgeschlossen, insofern er die Vielheit dieser Bestimmungen in dem Begriff der einen N a t u r zusammenbringt; beides in Hinsicht auf die Anschauung genommen. In Hinsicht auf die Vern u n f t ist der Gesetzeszusammenhang ebenfalls offen und abgeschlossen zu denken: offen, insofern die Grundgesetze nicht absolute Geltung haben können, und prinzipiell durch ursprünglichere Auslegung erweitert und verallgemeinert werden können; abgeschlossen, weil in ihnen jeweils eine unüberbietbare Ganzheit vorgestellt wird, unter welche alles bestimmte Erfassen sich gestellt sieht. Wenn die N a t u r so auf eine doppelte Weise gemäß einem abgeschlossenen und offenen Gesetzeszusammenhang vorgestellt wird, dann wird die Beständigkeit des Naturzusammenhanges zum Problem, denn alles scheint nun in die Bewegung gerissen zu sein. Die Beständigkeit des Geflechtes kann nicht einem Glied dieses Konnexes zur Last gelegt werden, denn keines hat f ü r sich letzte Gültigkeit und Bestand. Der Bestand w i r d vielmehr in der Gleichursprünglichkeit der Grundgesetze gesichert. Die obersten Grundsätze des reinen Verstandes stehen in sich und garantieren sich gegenseitig den Bestand, indem alle aufeinander verweisen. Die Ganzheit w i r d also z w a r in den unterschiedenen Grundsätzen vorgestellt, aber nicht so, d a ß diese als Bausteine, die f ü r sich einen Sinn hätten, nun zu dem Ganzen als Resultat zusammengefügt w ü r den. Vielmehr stellen sie selbst die Ganzheit dar, indem die gleichursprünglichen Sätze nur einsichtig sind durch ihren Bezug zueinander. Die Beständigkeit dieses Ganzen ist die Beständigkeit einer Struktur. Dieser Entwurf der Grundgesetzlichkeit kann n u r deshalb jene Ganzheit bilden, weil er vorgängig geleitet ist von der Vorstellung der Totalität aller Bedingungen, d. h. von der Idee des unbedingten Gesetzeszusammenhanges aller Erscheinungen. (A 337 / B 394) Diese Totalität soll aber gelten von dem gegebenen Bedingten; die Idee verpflichtet also den Verstand

§ 1 9 . Resultat und Möglichkeit eines Neuansatzes

147

ursprünglich zu dieser Leistung der Synthesis des Zusammenhanges aller Erscheinungen in einer N a t u r , diese Leistung ist ihm „aufgegeben". Damit ist der Verstand, und das heißt letztlich das Erkenntnisvermögen, vor eine Aufgabe gestellt, die es nicht zur Ruhe kommen läßt. Diese Bewegung der Erkenntnis, die keinen Abschluß findet, nicht in ihr Ziel kommt, ist also nicht nur als Dialektik der Vernunft anzutreffen, sondern in viel radikalerer Weise im Verstand, besser in der Einigung des Verstandes und der Anschauung, d. h. im Schematismus. In radikalerer Weise deshalb, weil die Kritik auf die Beantwortung der Thesen und Antithesen der reinen Vernunft keinen Wert zu legen braucht; denn mit der Antwort, wenn sie möglich wäre, wäre nicht viel gewonnen, da das Objekt, das sie vorstellen, in keiner Weise in einer Anschauung adäquat gegeben werden kann, insofern nie in dem Zusammenhang der Erfahrung seine Stelle haben kann. Erfahrung ist aber einzig wahres Wissen, und um deren Begründung geht es letztlich. Hier aber zeigt sich, daß das Erfahrungswissen nicht die Stabilität besitzt, die in ihm gemeinhin gesehen wird, daß die Konstruktion der Erfahrung selbst als die beständige Aufgabe f ü r die endliche Vernunft bleibt; daß Erfahrung eine Bewegung ist, die nie abschließend zum Stehen kommen kann, weil in ihr Forderungen verspannt sind, die schlechthin unerfüllbar bleiben müssen. Das nämlich ist in der N a t u r der endlichen Vernunft begründet. Das Naturerfassen steht unter einer prinzipiellen aber unfixierten Grenze, und es ist selbst von dieser Grenze her ermöglicht. Diese offene Grenze ist durch die Idee der N a t u r bezeichnet 78 . Erst von hier aus verstehen wir das rätselhafte, infragestellende Ende der M. A. d. N . besser: „Und so endigt sich die metaphysische Körperlehre mit dem Leeren und ebendarum Unbegreiflichen, worin sie einerlei Schicksal mit allen übrigen Versuchen der Vernunft hat, wenn sie im Zurückgehen zu Prinzipien den ersten Gründen nachstrebt, da, weil es ihre N a t u r so mit sich bringt, niemals etwas anders, als so fern es unter gegebenen Bedingungen bestimmt ist, zu begreifen, folglich sie weder beim Bedingten stehen bleiben, noch sich das Unbedingte faßlich machen kann, ihr, wenn Wißbegierde sie auffordert, das absolute Ganze aller Bedingungen zu fassen, nichts übrig bleibt, als von den Gegenständen auf sich selbst zurückzukehren, um anstatt der letzten Grenze der Dinge, die letzte Grenze ihres eigenen, sich selbst überlassenenen Vermögens zu erforschen und zu bestimmen." Aber an dieser Stelle wird sich nun niemand mehr zurückhalten können mit dem Einwand, daß die oben skizzierte Spannung innerhalb der endlichen 78

Diese Bewegung, die von der Idee als Totalität zu einem gegebenen Bedingten ausgeht, meint K a n t , wenn er in den Prolegomena sagt, d a ß uns die Einschränkung auf die Sinnlichkeit nicht hindere, „daß sie uns nicht bis zur objektiven Grenze der Erfahrung, nämlich der Beziehung auf etwas, was selbst nicht Gegenstand der E r f a h r u n g , aber doch der oberste G r u n d aller derselben sein muß, führe . . .". (IV 361)

148

Phänomenologie

Vernunft, deren Konsequenz die ständig neu zu vollziehende Konstruktion der Ganzheit der Erfahrung ist, auch wenn sie in kantischer Terminologie sich bewegt und sich an der kantischen Analyse des Erkenntnisvermögens orientiert, dennoch keine Darstellung und auch keine Interpretation Kants sein könne. Kant selbst habe, so wird man dagegen sagen, mit aller Entschiedenheit an den Formulierungen seiner Grundsätze festgehalten als unüberholbarer apriorischer Grundlage des Naturerfassens. Diese Ansicht soll auch nicht widerlegt werden, denn sie ist richtig. Die Absicht der obigen Skizze ist auch anders orientiert als die Auslegung der M. A. d. N . und geht von einer neuen Einstellung aus. Sie ist nicht durch den Titel „Interpretation" zureichend vorgestellt. Keineswegs soll Kant hier ein genialer Weitblick angedichtet werden, derart, als habe Kant die kommende Umwandlung des ganzen Naturbildes schon vor Augen geschwebt. Diese Darlegung versucht vielmehr dem Faktum Rechnung zu tragen, daß wir heute, was die Naturphilosophie betrifft, immer noch kantisch denken, obwohl die Auffassung von der Natur im Ganzen sich gewandelt hat. Die Interpretation der M. A. d. N . gab die Möglichkeit an die Hand, da sie nicht pure Textinterpretation war, sondern zugleich versuchsweise Darstellung der Sache selbst, zu unterscheiden zwischen der Enge der Formulierung und der Tragweite des Gedankens. Es legte sich der Gedanke nahe, Kant von dieser seiner eigenen zeitbedingten Enge zu befreien, um ihn erneut fruchtbar zu machen. Daß Kant noch bis auf uns eigentlich bewegende K r a f t haben kann, das muß einen Grund im Denken Kants selbst haben. Es ist nicht anders denkbar, als daß Kants Ansatz selbst auf Wiederholung aus ist, und darin sich selbst dem ständigen Neuentwurf anbietet 79 . Die Möglichkeit dafür aus der kantischen Analyse der endlichen Vernunft zu entwickeln, war die damit verbundene Aufgabe. Die Aufgabe geht damit über die Interpretation des kantischen Denkens hinaus, und versucht eine in Kant angelegte Denkmöglichkeit, die nicht bei ihm selbst realisiert ist, aufzuzeigen. Es wird also damit nicht versucht, eine neue Kantauslegung zu geben, sondern es geht um die Entfaltung eines bei Kant implizierten Sachverhaltes in seiner Begrifflichkeit. Wenn wir aber nun dem nachfragen wollen, woran denn die Bewegung des Naturerfassens jeweils an ihre Grenze kommt, in welcher Weise sie an das Unfaßliche stößt, verlassen wir Kant selbst und fragen in die Geschichte 79

N . Hartmann hat in seinem „Beitrag zur Scheidung des Geschichtlichen und Ubergeschichtlichen in der Kantischen Philosophie", Diesseits von Idealismus und Realismus ( K S X X I X , 1924), eine Trennung in Kant dargestellt, von der sich die obige unterscheidet. Nicht um die Trennung zweier „Tendenzen" (der „systematischen" und der „aporetischen" Denkweise) geht es uns, denen eine „standpunktliche", „zeitgebundene", „geschichtliche" bzw. „überzeitliche", „übergeschichtliche" Aussage zuzuordnen wäre. Kants philosophischer Ansatz bleibt hier ungeschieden und ganz, und ihn stellen wir heraus aus der durch die naturwissenschaftliche Situation induzierten Enge der Formulierung.

§ 1 9 . Resultat und Möglichkeit eines Neuansatzes

149

seines Denkens und der Naturauslegung. Kant selbst hat primär die Ausarbeitung der Grundlegung f ü r Erkenntnis überhaupt vor Augen gehabt. Die Aufklärung der Frage, wie ist überhaupt Erkenntnis möglich, ist seine eigenste Absicht. Er beantwortet sie, indem er im transzendentalen Denken die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung aufdeckt und ihre Einheit in einer möglichen Erfahrung konstruiert. Diese Einheit zu entwickeln ist die Aufgabe der Transzendentalphilosophie, und in ihr beantwortet sich die Frage nach der Erkenntnismöglichkeit. Kant fragt aber nicht mehr nach der Stelle des Erkennens in der Geschichte, oder nach der Geschichtlichkeit des Erkennens. Er fragt, enger formuliert, nicht mehr nach den geschichtlichen Bedingungen dieser bestimmten Wissenseinheit, die zwar nie verloren gehen darf, damit Erkenntnis Erkenntnis sei, die aber gleichwohl gewissen Wandlungen und Gestaltungen unterworfen sein kann. Es ist zu fragen, ob es nur eine Möglichkeit gibt, die Einheit des Wissens und damit die eine N a t u r zu denken, oder ob diese Einheit selbst auf verschiedene Weise vorstellbar ist. Für uns heute ist die Frage, ob die Einheit der N a t u r auf verschiedene Weise gedacht werden kann, durch den Gang der Geschichte überholt; das abendländische Denken zeigt sich uns, wenn auch nicht im Ganzen so aber doch in einem wesentlichen Punkt, gekennzeichnet durch die Abfolge eben dieser verschiedenen ganzheitlichen Naturentwürfe. Wenn aber nun verschiedene Möglichkeiten der Konstruktion der Einheit des Wissens ins Auge gefaßt werden können, dann ist zu fragen, wie sich diese zueinander verhalten; schließen sie sich gegenseitig aus oder umfassen sie einander? In welcher Art läßt sich die eine als eine Fortentwicklung der anderen verstehen? Oder stehen sie alle gleichgültig nebeneinander, und folgen sie sich ohne innere Notwendigkeit? Diesen Fragen können wir hier nicht nachgehen. Als gewiß können wir dagegen feststellen, daß eine solche Bewegung der Wiederholung, wie sie oben ins Auge gefaßt wurde, nur dadurch zustande kommen kann, daß sich die entworfene Einheit selbst als unzureichend erweist. Es ist nicht eine neue Einzelerkenntnis, die f ü r sich isoliert dasteht, und das Alte umwirft. Die Bewegung nimmt zwar am Einzelnen ihren Anfang, insofern dieses als das Unfaßliche auftaucht. Das Unfaßliche ist solches, das in diesem Entwurf der Natureinheit keine Stelle finden kann, das aber trotzdem sich vor dem Naturerfassen behauptet, d. h. das nicht innerhalb des Naturentwurfes als Scheinproblem zum Verschwinden gebracht werden kann, das aber auch keine Erklärung in ihm findet. Es gibt nichts schlechthin Unfaßliches, gleichwohl können dem Vernehmen Sachverhalte vorliegen, die ihm unverständlich bleiben. Dieser Sachverhalt wird dann unter Bedingungen erfaßt, die sich f ü r ihn als inadäquat erweisen, d. h. er negiert diese Bedingungen durch seine aufdringliche Unfaßlichkeit und verweist damit auf eine neue Möglichkeit der Natureinheit im Ganzen. Wie diese nun wiederum hervortritt, ist wieder eine weitergehende Frage.

150

Phänomenologie

Diese Bewegung in dem Grundgefüge der Naturwissenschaft wie auch jeder anderen Wissenschaft ist selbst ein transzendentales Problem. Kant hat, wie das Zitat zeigt, von dieser Bewegung gewußt, wenn er sie auch nicht f ü r sich zum Problem gemacht hat. Für uns aber scheint es einsichtig dargelegt, daß diese Bewegung selbst ermöglicht ist im kantischen Entwurf der endlichen Erkenntnis, die ihrer Konstitution nach zumal auf Erweiterung und Verfeinerung ihrer Bestimmungen in Hinsicht auf die Totalität der Bedingungen der Erfahrung und damit auf die ständige Neubesinnung ausgelegt ist. Als die ausdrückliche Wiederholung der Grundlegung der N a t u r aus kantischen Prinzipien versteht sich der Neukantianismus. Ihm müssen wir uns jetzt zuwenden. Er soll betrachtet werden, inwiefern er eine echte Wiederholung der kantischen Grundlegung darstellt. Es wird vor allem darauf zu achten sein, die veränderte Physik und die Kenntnisse, die aus der neuen Gestalt der Physik herfließen, nicht auch schon als neue Metaphysik der N a t u r gelten zu lassen.

c. Natorps Schrift: „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften" als "Wiederholung der kantischen Metaphysik der Natur

In der Geschichte der Philosophie läßt sich kaum noch eine so systematische und durchgängige Anschließung und Weiterführung eines Denkansatzes als Beispiel denkgeschichtlicher Wirksamkeit aufzeigen, wie es für Kant verzeichnet werden kann. Kein nach ihm sich etablierendes Denken hielt die gründliche Auseinandersetzung mit seinen Ideen für überflüssig, weil durch alle vorangegangenen Anknüpfungen schon erschöpft; bis auf den heutigen Tag ist die Konfrontation eines Denkens mit Kant nicht nur eine anmutige Schicklichkeit, oder Attrappe einer prätentiösen Geschichtlichkeitsmode, sondern die aus dem Gang des Denkens sich anbietende Möglichkeit, den eigenen Denkansatz zur Klarheit zu bringen. Und dennoch, wenn Fichte sagte, Kant sei bislang nur mißverstanden worden, und seine Arbeit, die Wissenschaftslehre, stehe ganz im Dienste des rechten Kantverständnisses (Fichte, Erste Einleitung in die W.-L., Vorerinnerung), so geht damit zugleich von ihm eine bestimmte Akzentuierung aus, unter der wir auch heute noch stehen. Dies nämlich, daß Kant hinfort fast ausschließlich bekannt sein wird als der Autor der drei Kritiken. Diese Tatsache, daß von Kant bezüglich der theoretischen Philosophie (nach wie vor haben wir es nur mit ihr zu tun) lediglich die K. d. r. V. als wichtig erachtet wurde, ist nicht zuletzt mitbestimmend für die Art der Kantauslegung der „Marburger Schule", die sein Denken unter dem Titel „transzendentale Methode" ausschließlich in der Sphäre der Transzendentalphilosophie untersuchte. Die Auffassung, die das Wesen des kantischen Denkens in die „reine Erkenntniskritik" setzte, mußte ihren Mangel zeigen in der um die Jahrhundertwende erneutes Interesse findenden Naturphilosophie, weil bei einer solchen Auffassung die Möglichkeit eines Schrittes in Hinsicht auf die Festlegungen der Empirie nicht ausgearbeitet wurde, es sich bei diesem Schritt also entweder um einen unausgewiesenen Sprung in die Sphäre der Erfahrungswissenschaften handeln mußte, oder um die bloße Reflexion ihrer allgemeinen Grundsätze. Zwar sind die naturphilosophischen Schriften Kants keineswegs unbekannt, sie werden sogar studiert, es erstaunt aber, wie gewaltig die Bedeutung dieser Schriften für die Konzeption der kantischen Philosophie mißverstanden wird 1 . Weil der „eigentliche und wahre Kant" jener Autor der 1

Cassirer gibt dem so abschließenden Ausdruck: „Kant hat allerdings in den M e t a physischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft' eine apriorische Ableitung und Konstruktion auch des Begriffs der ,Materie', als notwendigen Grundbegriff der Physik, versucht: aber es ist leicht zu erkennen, daß diese Ableitung nicht mehr auf der gleichen Stufe steht und nicht mehr die gleiche Beweiskraft für sich in Anspruch nehmen

,Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften"

154

K . d. r. V . ist, o p f e r t m a n leicht seine g a n z e K o n z e p t i o n einer M e t a p h y s i k d e r N a t u r als reine B e g e i s t e r u n g f ü r die N e w t o n s c h e P h y s i k , die n u n ihr G e f ü g e , als das sie M u s t e r a l l e r e x a k t e n W i s s e n s c h a f t sein k o n n t e ,

ver-

loren hat. D a ß a b e r die M e t a p h y s i k d e r N a t u r , t r o t z d e r N ä h e , die sie bei K a n t z u d e m physikalischen G e b ä u d e der N a t u r w i s s e n s c h a f t N e w t o n s h a t u n d h a b e n m u ß t e , wesentlicher B e s t a n d t e i l u n d n o t w e n d i g e s M o m e n t seines p h i l o sophischen S y s t e m s ist, das w u r d e nicht eingesehen. A l l z u schnell s p r a c h m a n diesen S c h r i f t e n den philosophischen R a n g ab u n d d e k l a r i e r t e K a n t

zum

S y s t e m a t i k e r N e w t o n s , w o m i t jene s o w o h l K a n t m i ß v e r s t a n d e n u n d z u gleich das V e r h ä l t n i s v o n W i s s e n s c h a f t u n d P h i l o s o p h i e a u f eine die E b e n e d e r kantischen M e t a p h y s i k ü b e r s p r i n g e n d e W e i s e i m B e g r i f f d e r „ w i s s e n schaftlichen V e r n u n f t " n e u z u b e s t i m m e n v e r s u c h t e n 2 . W o r u m es uns a b e r , w e n n m i t a l l e r E n t s c h i e d e n h e i t a u f K a n t s

Meta-

p h y s i k d e r N a t u r W e r t g e l e g t w i r d , g e h t , das ist nicht die W a h r u n g gewisser k a n t i s c h e r G e d a n k e n z u r K a u s a l i t ä t o d e r z u r R a u m - u n d Z e i t l e h r e in H i n sicht a u f die n e u e P h y s i k , s o n d e r n es soll v o n h i e r h e r d e r k a n t i s c h e

Ansatz

d e r M e t a p h y s i k der N a t u r h e r v o r g e k e h r t w e r d e n . K a n t h a t j a in dieser S c h r i f t ( M . A . d. N . ) nicht sosehr eine abschließende „ L e h r e v o n d e r N a t u r " gegeben, s o n d e r n der M e t a p h y s i k in p r ä z i s e r W e i s e e r s t m a l i g i h r e A u f g a b e gegeben, ihr das ihr eigene F e l d e r ö f f n e t u n d i h r e M e t h o d e e n t f a l t e t 3 .

2

3

kann, wie die transzendentale Ästhetik oder die Analytik des reinen Verstandes. Er selbst hat freilich geglaubt, in diesen Deduktionen noch eine philosophische Begründung der Voraussetzungen der Newtonschen Naturwissenschaft zu besitzen; aber wir erkennen heute immer bestimmter, daß das, was er als solche ansah, in Wahrheit nicht mehr als eine philosophisdie Umschreibung eben dieser Voraussetzungen war." (Cassirer, Zur Einsteinschen Relativitätstheorie, S. 51 f.) Hier wird also zwar richtig der Unterschied der Stufe der Aussage gesehen, aber die philosophische Bedeutung der Entwicklungen der kantischen Metaphysik der Natur wird nicht mehr erkannt, sondern nur noch als philosophische Umschreibung aufgefaßt, der metaphysischen Konstruktion kommt nach dieser Auffassung keine Beweiskraft mehr zu. Vgl. H. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, S. 10. „Die Geschichte der Wissenschaft ist der Grund und Boden, in weldiem, als in der Geschichte der Vernunft, auch die Geschichte der Philosophie wurzelt. Durch diese Wurzelkraft in der Wissenschaft wird die Philosophie als die Vernunft, die wissenschaftliche Vernunft begründet." Zwar wurde Kants Schrift M. A. d. N. nie mit der gleichen Anerkennung bedacht wie die K. d. r. V., und man hat bald ihre Mängel gesehen. So nennt Hegel sie: „an Inhalt etwas ganz Dürftiges, enthaltend einige allgemeine Qualitäten und Begriffe der Materie, und in Ansehung des Wissenschaftlichen oder Apriorischen, wie es Kant nennt, etwas durchaus Unbefriedigendes". (Hegel, Geschichte der Philosophie, WW / Glockner / Bd. 19, S. 587.) Aber trotz dieser Vorbehalte anerkennt er als Verdienst die kantische Absicht und Festlegung der Naturphilosophie. „Es ist der .Anfangsgründe der Naturwissenschaft' großes Verdienst, für einen Anfang der Naturphilosophie darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß die Physik Gedankenbestimmungen ohne deren weitere Untersuchung gebraucht, welche die wesentlichen Grundlagen ihrer Gegenstände ausmachen . . . Es ist Aufzeigen der Metaphysik, der

§ 20. Natorps naturphilosophischer Ansatz

155

Die eigene Art dieses Ansatzes aber hat der Marburger Neukantianismus nicht gesehen, und in Natorps Werk „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften" liegt, obwohl es sich auf Kant beruft, in dieser Hinsicht ein durchaus unkantisches Denken vor. Das soll an Natorps Begriff der Erfahrung aufgezeigt werden. Natorps Werk bietet sich für unser Vorhaben, den kantischen Begriff der Metaphysik der Natur zu klären durch Konfrontation mit einem neuen Versuch auf kantischer Basis, gleichsam von selbst an, weil es, was die Konsequenz der Durchführung betrifft, einzig dasteht. Es ist der einzige neukantianische Versuch, die Naturphilosophie systematisch durchzuführen, wobei sich Natorp an den gleichen Gesichtspunkten nach Vollständigkeit und Zusammenhang der Bestimmungen orientiert wie Kant und die Zielsetzung direkt von Kant übernimmt. Natorp als eine Wiederholung der kantischen Metaphysik auszulegen, ist also eine durchaus legitime, ja geforderte Betrachtungsweise, weil es nicht um die Feststellung geht, ob Natorp in allen Punkten „orthodox" ist, was er selbst von vornherein abwehrt, sondern um die Konzeption der Naturphilosophie im ganzen, deren Fragestellung und Zielsetzung Natorp von Kant übernommen hat.

§ 20. Natorps

naturphilosophischer Ansatz als logische der Naturwissenschaften

Grundlegung

Natorp hat mit wachem Geist die grundlegenden Wandlungen verfolgt, die sich zu Anfang des Jahrhunderts in Mathematik und Physik vollzogen4. So ist Natorp der kantische Begriff des „Faktums" einer Wissenschaft fragwürdig geworden, und diese Umbildung der Naturwissenschaft veranlaßt ihn, die Erfahrungswissenschaften nun als durch diese Bewegung bestimmt zu denken. Das Faktum der Wissenschaft ist für ihn ein leerer allgemeinen Begriffe von der N a t u r . . . Es ist Versuch zu denken, d. h. die Gedankenbestimmungen aufzuzeigen, deren Produkt solche Vorstellungen wie Materie seien." (a. a. O.) 4

Vor allem nimmt Natorp lebhaftes Interesse an den Arbeiten, die sich mit der Logifizierung der Grundlegung der Mathematik befassen, und ist ganz von diesem Programm beeinflußt. Mit G. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, beginnt 1884 eine sehr rasche und heftige Bemühung um die Durchführung dieses Grundlagenprogramms. Freges Hauptwerk, Grundgesetze der Arithmetik (I. 1893, II. 1903), ist kaum erschienen, als bereits durch B. Russells Untersuchung, The Principles of Mathematics (1903), im Zuge der gleichen Bemühung an der Fregeschen Durchführung die implizierten Widersprüche aufgezeigt werden. Russeis Typenlehre versucht die Widersprüche zu vermeiden, indem ausdrücklich gewisse mengenbildende Operationen nicht zugelassen werden. Für Natorp ist dieses Programm eng verknüpft mit dem Namen L. Couturat, Die philosophischen Prinzipien der Mathematik (Dtsch. 1908), von dem er vor allem das Verhältnis von Mathematik und Logik als Hauptthema der positiven Auseinandersetzung aufnimmt.

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„Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften"

Begriff, die Wissenschaft ist nichts Statisches. Das Faktum ist nur wirklich als das „Fieri" 5 . Diese Bewegung gehört aber nicht als ein einmaliges oder gelegentlich sich wiederholendes historisches Ereignis der Wissenschaft zu, sondern sie gehört ihr wesentlich zu. Das Fieri bezeichnet zugleich die Art, wie die Wissenschaft besteht. Das Perfekt ist ihr nicht möglich, sie ist als solche ständig ein Fieri, ohne je als Faktum in einen Stillstand zu kommen. Zwar wurde auch früher die Wissenschaft in einer beständigen Bewegung gedacht, doch so, daß sie in der Verzeichnung ihrer Grundbegriffe vollendet war; für die Bewegung blieb lediglich die ständige Erweiterung von diesem Fundament aus „nach Vorne" in das Reich des noch nicht Erfahrenen, das aber im Prinzip keine neue Zurüstung der Grundbegrifflichkeit erforderte, um es zu erfassen. Jetzt aber bei N a t o r p wird die Wissenschaft ausdrücklich durch das Fieri gekennzeichnet, d. h. es gibt nicht nur den ständigen Progreß, sondern ebenso sind die Grundbegrifflichkeit und die Grundsätze der Wissenschaft in ständiger Bewegung. Die Bewegung, in der die Wissenschaft als solche besteht, geht damit in zwei einander entgegengesetzte Richtungen, die N a t o r p als „peripherische und zentralisierende" terminologisch unterscheidet. Diese beiden Richtungen der Bewegung sind gleichursprünglich, N a t o r p sagt „streng korrelativ", d. h. keine hat einen Vorrang vor der anderen, so, als wäre die eine die eigentliche Bewegung der Wissenschaft, die andere aber eine bloße Umkehrung davon. Vielmehr ist keine auf die andere zurückführbar. Dabei versteht N a t o r p unter der peripherischen Bewegung die ständige Ausgliederung der Grundbegriffe, die also in beständigen Distinktionen immer speziellere Begriffsbestimmungen erreicht. Wohingegen die zentralisierende zur immer ursprünglicheren Fassung der Grundbegriffe in Richtung auf den logischen Ursprung selbst begriffen ist. Aus welcher Quelle, so ist nun zu fragen, nährt sich das Fortschreiten in den beiden Richtungen, so daß sich nie ein Perfektum des Fieri, d. h. die Wissenschaft als Faktum absehen läßt? Wenn wir so fragen, fragen wir in den Grund, der aus sich die ständige Bewegung der Wissenschaft entläßt. Der Titel des Natorpschen Werkes deutet an, daß dieser Grund nur ein „logischer" sein wird. In der Tat nennt der Titel nicht nur einen bestimmten Sektor von Grundlagen, die logischen, denen etwa noch andere, seien sie welcher Art sie wollen, bei- oder übergeordnet sind, die aber aus irgendwelchen Gründen hier nicht zur Betrachtung kommen sollen. Vielmehr sind die Grundlagen der Wissenschaft f ü r N a t o r p schlechthin logische und darüber hinaus oder daneben gibt es keine weiteren. N a t o r p versteht auch die logischen Grundlagen nicht in dem Sinn, als seien es die vom Gebrauch in 5

P. Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, (im folgenden wird dieses Werk in den Belegen abgekürzt: LG).

Teubner 1910, S. 14

§ 21. Der Begriff der Logik bei Natorp

157

den Wissenschaften abstrahierten allgemeinen formalen Grundregeln, die nun hier gesondert zur Darstellung gelangen sollten. Vielmehr bestimmt er es sich zur Aufgabe, die Grundlegung der Wissenschaft allererst zu leisten. Die Absicht Natorps ist also die Grundlegung der exakten Wissenschaften; diese Grundlegung vollzieht er als logische; d. h. alle Bestimmungen, die das Wissen der exakten Wissenschaften tragen, sind logische und zumal aus dem logischen Ursprung zu entwickeln. Ein Begriff der Wissenschaft ist dann als logisch begründet anzusehen, wenn er aus dem logischen Ursprung selbst entwickelt ist. Die Ausweisung einer Erkenntnis geschieht also nur auf genetische Weise, d. h. als die Erzeugung ihrer Bestimmungen aus dem logischen Grund 6 . Die Aufgabe, die Naturwissenschaft in ihrem Ursprung zu betrachten, ist von Kant als Metaphysik der N a t u r angegangen worden, und er hat insbesondere die Metaphysik der N a t u r in diesem Sinn neu bestimmt. In Natorps Werk „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften" ist diese Aufgabe übernommen. Wir haben also in ihm eine Wiederholung der Metaphysik der N a t u r zu sehen, und in der Dimension, die durch den Titel Metaphysik gekennzeichnet ist, müssen wir es auslegen. Es ist zu betrachten, ob diese Wiederholung eine echte ist; negativ formuliert, ob nicht gewisse Fragestellungen und Probleme einfach verloren gingen, die notwendig zu einer Metaphysik der N a t u r gehören; positiv formuliert, ob seine Durchführung konsequent ist und die gesetzte Aufgabe bewältigt.

§ 21. Der Begriff der Logik bei

Natorp

Natorps Konzeption der Logik basiert auf Kants transzendentaler Logik, radikalisiert diese aber so, daß die Logik zum alleinigen „Rechtsgrund", d. h. zum alleinigen transzendentalen Prinzip der Erkenntnis wird. Ursprung von allem ist der logische Ursprung und sonst keiner. Logik selbst aber geschieht als Bestimmen. „Das ursprünglichste Sein ist das logische, das Sein der Bestimmung 7 ." Wenn das Logische in allem das Ursprünglichste ist, dann kann Erkenntnis nicht mehr verstanden werden als das Beziehen von Begriffen auf etwas Vorliegendes. Denn dem Denken voraus kann nichts Bestimmtes liegen. „Jede Beschreibung eines Hervorgehens des primitiven Denkinhaltes aus etwas, das dem Denken schlechthin voraus läge, ist somit aus klar einzusehender Notwendigkeit abzuweisen als ein leeres Spielen mit Worten 7 ." Während also bei Kant die begriffliche Synthesis nur möglich ist, insofern sie sich auf ein Mannigfaltiges der Anschauung bezieht, sei es rein oder empirisch, entspringt bei N a t o r p „in einem und demselben ursprünglichen « 7

LG S. 12,34. LG S. 49.

158

,Die logischen G r u n d l a g e n der e x a k t e n

Wissenschaften"

Akte des Denkens . . . mit dem Bewußtsein der Einheit zugleich das der Mannigfaltigkeit, als beiderseits gleich sehr gedankliche und in ihrem gedanklichen Bestand streng aufeinander bezogene Bestimmungsweisen" 8 . Das Erkennen selbst erweist sich als ein Bestimmen, das in sich steht, nicht als ein Aufnehmen oder als eine Angleichung an ein Objekt, oder als Synthesis im kantischen Sinn; das Erkennen ist das ständig weiterschreitende Bestimmen, Determinieren. „Die Bestimmtheit des ,Was', das ist genau, was der Urakt der Erkenntnis als Akt des Bestimmens erst zu erbringen hat 8 ." Dieses Bestimmen geschieht nun in einer Bewegung, die nicht nach Belieben gehen kann, sondern die einem strengen Gesetz, das die Schrittfolge festlegt, folgt. Das Entwicklungsgesetz des synthetischen Prozesses besteht in einem logischen Dreischritt, der aus dem Denken selbst als fortschreitendem Setzen entspringt. Die Stufen dieses Dreischrittes benennt Natorp, in leichter Abänderung des Hegeischen Dreischrittes der dialektischen Vermittlung, als Ansatz, Fortgang, Abschluß9. Während bei Hegel aber der dritten Phase der dialektischen Bewegung, dem Schluß, eindeutig ein höherer Rang in dem Sinn zukommt, daß sie die beiden anfänglich Gesetzten als Momente in einem höheren Begriff aufhebt, ist bei Natorp die Seinsweise des Abschlusses nicht eindeutig festgelegt. Sie ist sowohl die Vereinigung der beiden Erstsetzungen in einem höheren Begriff, oft aber auch nur die bloße Zusammenfassung dieser beiden zu einer Menge, die in derselben Ebene bleibt (z. B. bei der Bildung der Zahlreihe). Der Dreischritt bei Natorp wird also in einer doppelten Bedeutung ausgesprochen, welche Bedeutungen aber nicht weiter gegeneinander unterschieden werden, inwiefern es dennoch dieselbe Bewegung der logischen Determination sei, die in beiden am Werk ist, so daß sie einmal den ProzeßCharakter in einem linearen Sinn ausdrückt, zum anderen in einer begrifflichen Subordination (so erzeugt etwa Natorp vermöge dieses Dreischrittes die Kategorien der Relation als Potenzierung der Quantität und Qualität) 10 . Auf den Fortgang in der gleichen Ebene, nämlich die Entwicklung der Wissenschaft, kommt es Natorp jedoch im Grunde an, und darin liegt das eigentliche Problem für ihn: im Fieri der Wissenschaft. Diesen beständigen Fortgang findet er am ehesten ausgedrückt in dem zweiten Moment des Dreischritts, und der zweite Schritt ist auch derjenige, dem die größte Bedeutung beigelegt wird; der dritte erbringt (im Gegensatz zu Hegel) bei Natorp kaum einen neuen Sachgehalt und wird eigentlich immer nur formal benutzt 11 . Den zweiten Schritt erläutert Natorp: „Wohl der bezeichnendste Ausdruck s 9

L G S. 4 8 . L G S. 7 0 .

10

L G S . 66. Diese doppelte Bedeutung seines Dreischrittes (lineare Progression und Potenzierung) liegt also offenbar an einer schwankenden Auffassung des Ranges, der den Momenten in dem Dreischritt z u k o m m t .

11

159

§ 22. Die K a t e g o r i e n

dafür ist die Reihe oder Reihung, Auf- und Aneinanderreihung. Diese ist als solche unbeschränkt, zufolge der Immer-wieder-Anwendbarkeit dieses zweiten Grundverfahrens des Denkens, das Verfahren der Zusetzung; . . . Der sehr positive Sinn und die entscheidende Notwendigkeit dieses Denkschrittes liegt also in der Notwendigkeit des Fort- und Überganges, der durch das Denken als Procedere, nachdem ein Anfang einmal gesetzt, unerläßlich gefordert ist12." In diesem zweiten Schritt wird also eigentlich die sachliche Erweiterung zu suchen sein, sie läßt Mehrheit und das stets Neue hervorgehen, wohingegen der dritte Schritt nur eine Zusammenfassung vornimmt, die erreichte Mehrheit als bestimmte heraushebt. „Es wird gleichsam ein Einschnitt gemacht, ein Haltpunkt markiert, ein erreichtes Ziel konstatiert, nicht um bei ihm dauernd stehen zu bleiben, sondern des bis dahin Gewonnenen gerade als fester Grundlage für den weiteren Fortschritt des Denkens sich zu versichern13." 5 22. Das System der logischen

Grundfunktionen:

die

Kategorien

In diesem Dreischritt also werden zunächst die Kategorien entwickelt; dabei werden Quantität und Qualität ganz parallel, streng korrelativ, betrachtet, aber in ihrer Bewegungsrichtung gegeneinander gesetzt, die Quantität als peripherische, die Qualität als zentrale. „Zusammen stellen beide die Grundform aller logischen Entwicklung, alles Denkfortschrittes; als zugleich peripherische Ausbreitung und zentrale Vertiefung, und zwar Ausbreitung kraft der Vertiefung, in ihrer Reinheit dar 14 ." In der Leistung werden Quantität und Qualität ganz von den Denkschritten der Mathematik her gedacht und erläutert. Die Quantität als Verfahren der Reihung, als „Diskretion des Kontinuierlichen", die Qualität als Verfahren des Rückganges auf die Grundlagen, auf das Zentrum, als „Kontinuation des Diskreten" 13 . 12 L G S . 55. " L G S . 56. 14 L G S . 64. is Hierin nun nimmt N a t o r p an einem entscheidenden P u n k t eine in K a n t angedeutete (vgl. o. S. 59, 83) v o n Hegel ausgestaltete Möglichkeit, K o n t i n u i t ä t und Diskretion als ursprünglich zusammengehörend zu denken, a u f , indem er das Zusammengehören der beiden A r t e n v o n G r ö ß e n mit seinem logischen V e r f a h r e n des Determinierens v e r bindet, w i e es besonders L G S. 1 0 6 ausgesagt w i r d : „In dem dreistufigen Gange des synthetischen Prozesses, wie w i r im vorigen Kapitel ihn konstruiert haben, v e r t r i t t die erste und dritte S t u f e vorzugsweise die Diskretion, obgleich immer in Rückbeziehung auf die K o n t i n u i t ä t des Denkens; die z w e i t e vorzugsweise den Denkfortschritt, obgleich immer als Fortschritt v o n D e n k p u n k t zu D e n k p u n k t . N u r f ü r einen Augenblick kann es p a r a d o x erscheinen, d a ß in der Fortschreitung, die doch die Glieder auseinanderstellt, die K o n t i n u i t ä t , in dem A n h a l t des Denkens dagegen, in dem das v o r h e r A u s e i n a n d e r -

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„ D i e logischen G r u n d l a g e n der exakten Wissenschaften"

Mit Quantität und Qualität sind die einfachen Möglichkeiten der logischen Synthesis bereits erschöpft. Die Relationen, die Natorp, Kant folgend, als nächste logische Grundfunktion entwickelt, versteht er bereits als Synthesis, die sich auf Quantität und Qualität aufbaut, als „Synthesis von Synthesen" 16 . Diese bestimmt die möglichen Abhängigkeiten der quantitativ-qualitativen Gegenstände, um die Einheit eines dynamischen Zusammenhanges zu ermöglichen17. Die Relationen nun, Natorp nennt sie Ordnungssynthesen, obwohl sie „rein mathematisch" sind, bezeichnen die Stufe der reinen Erkenntnis, auf der der Begriff einer Natur hervortritt. Nach Natorps Ansatz, alles Wissen abzuleiten als logisches Bestimmen, müssen hier konsequenterweise die drei Schritte der Ordnungssynthese als fortschreitende Determination ausgelegt werden. Diese hält sich wieder an das allgemeine Grundgesetz der Entwicklung jedes synthetischen Prozesses: Ansatz, Fortschritt, Abschluß. Diesen entsprechen die Kategorien der Relation: Substanz, Kausalität, Wechselwirkung. Es wird aber sofort deutlich, daß von Entwicklung der Kategorien der Relation nicht eigentlich die Rede sein kann; vielmehr wird jede Kategorie von Kant her in ihrer vollen Sachhaltigkeit übernommen und lediglich in das Schema der logischen Determination eingereiht. So wird insbesondere die Vorstellung des notwendigen Gesetzeszusammenhanges der Natur von Natorp der Entwicklung einfach zugrunde gelegt, als eine notwendige Voraussetzung, die sich zwar hier nicht als aus dem logischen Ursprung entwickelt zeigt und das auch nicht muß, weil sie ganz selbstverständlich von Kant übernommen ist 18 . Wenn nun diese Vorstellung des durchgängigen Gesetzeszusammenhanges, die sich bei Natorp zur „Forderung der allseitigen Bestimmung" wandelt, als Idee der Entwicklung zugrunde gelegt wird, zeigt sich für den Aufbau der Ordnungssynthese, daß zunächst eine bleibende konstante Grundreihe vorausgesetzt werden muß, in welcher sich alle übrigen als Bestimmuntretende sich erst zusammenschließt, die Diskretion sich darstelle. D e n n es ist klar, d a ß in letztem Betracht K o n t i n u i t ä t nur der B e w e g u n g des Denkens z u k o m m e n k a n n , Diskretion ein Anhalten beim jedesmal erreichten P u n k t v e r l a n g t . " Während also N a t o r p an dieser Stelle das Zusammengehören g a n z mit dem logisdien P r o z e ß als solchem v e r k n ü p f t , gibt es wie oben weitere Stellen (besonders im Z u s a m menhang mit der E r ö r t e r u n g des StetigkeitsbegrifFs / vgl. 188 f.), an denen er es ausschließlich den beiden Schrittmomenten der Q u a l i t ä t und der Q u a n t i t ä t zuordnet. Sosehr wir also der Natorpschen Ansicht „ K o n t i n u i t ä t ist ein so ursprüngliches, unverbrüchliches G e s e t z des Denkens, d a ß überhaupt irgendwelche Diskretion sich nur als Diskretion eines K o n t i n u u m s will denken lassen" ( L G S. 237) beipflichten, sosehr scheint uns in dieser Festlegung v o n K o n t i n u i t ä t und Diskretion auf Q u a l i t ä t und Q u a n t i t ä t eine ungenügende E r f a s s u n g dieses Zusammengehörens vorgestellt zu sein. L G S . 66. 17 L G S . 67. i s L G S. 68 f.

§ 22. Die Kategorien

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gen verzeichnen. Die Substanz wird also hier funktional verstanden als das Supponieren einer festen „Grundreihe, die für die verlangten Ordnungen das einige und selbige, gleichförmige und stetige Maß darstelle"19. „Hier nun", so fährt Natorp, nachdem er die Darstellung der Kategorie der Substanz gegeben hat, fort, „entspringt uns zuerst der Begriff der Zeit, als einziger, für alles Geschehen unterschiedslos gemeinsamer und fundamentaler Ordnungsweise20." Es erstaunt, weshalb Natorp gerade im Zusammenhang mit der Substanz die Vorstellungen von Raum und Zeit entspringen läßt. Denn Raum und Zeit sind ja nicht nur Ordnungsweisen besonderer kategorialer Art, die den Relationen zugeordnet werden können, sie müssen ja zugleich als das „Worinnen" der Ordnung, die die Kategorien erstellen, von diesen unterschieden werden. Raum und Zeit, als die beiden Formen, in denen alle naturale Ordnung sich verzeichnet, müssen ja in gewisser Weise den Ordnungssynthesen schon vorgängig zugrunde liegen, das aber nicht nur für die Kategorien der Relation, sondern ebenso für Quantität und Qualität. So jedenfalls denkt Kant und zeigt, daß die Kategorien in ihrer Sachhaltigkeit nur entwickelt werden können, wenn sie als ein Einigen des Mannigfaltigen der Anschauung ausgelegt werden. Natorp aber übernimmt die sachhaltige Bestimmtheit der Kategorien von Kant, ohne allerdings die Bedingung der Ausweisung mitzuübernehmen. Zwar sieht Natorp auch Raum und Zeit als die aller Ordnung zugrunde liegenden Bedingungen, aber er vermengt dieses allgemeine Zugrundeliegen mit der spezifischen Leistung des Substanzbegriffes, die auch ein Zugrundeliegen meint. Das Zugrundeliegen der Substanz setzt schon die allgemeine Ordnung voraus, in welcher sie jetzt erst ein bestimmtes Sichgleichbleibendes auszeichnen kann; das kann sie aber nicht ohne Hinsicht auf das Mannigfaltige, von welchem die erste Grundreihe als die Sichgleichbleibende ausgezeichnet wird. Die verschiedenen Veränderungsreihen können gar nicht, wie Natorp meint, „auf dieselbe einzige Grundreihe, eben die Zeitreihe, bezogen werden" 21 , denn diese liegt ja nicht vor. Das hat ja Kant mit größter Deutlichkeit gezeigt, daß für die Erfahrung weder Raum noch Zeit als solche bestimmbar sind, sondern nur ein empirischer Raum und eine empirische Zeit das aller räumlich-zeitlichen Bestimmung Zugrundeliegende sein können. Es kann sich also hier nur um einen Repräsentanten der Zeitreihe handeln. Diesen auszuzeichnen, das ist die eigentliche Leistung der Substanzkategorie. Natorp nimmt die Art, wie in der Physik von der Vorstellung der Zeit Gebrauch gemacht wird, ihre Parameterdarstellung in den Naturgesetzen, für die Zeit selbst. Sie wird also nicht mehr als die Möglichkeit der Bestimmung von Sukzessionen gedacht, sondern selber als sukzessive Bestimmtheit w LGS.71. 20 LGS. 72. 21 LGS. 73.

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Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften"

oder als bestimmte Sukzession. Wovon aber diese Bestimmtheit gelten soll, oder worin sie selber möglich sein soll, das ist unklar; denn sie ist ja nicht die an sich bestehende Ordnung der quantitativ-qualitativen Elemente, die etwa dem Erkennen nun rein vorliegt, sondern diese Ordnung selbst ist reine Leistung des Denkens. Als solche muß sie aber als eine Bestimmung einer allgemeineren aufgezeigt werden, insbesondere wenn Natorp das Denken selbst als Prozeß fortschreitender Determination auslegen will. Demzufolge müßten die Relationen allgemein als besondere Bestimmungen der quantitativ-qualitativen Synthesis ausgelegt werden, welches aber nicht der Fall ist noch sein kann, da die Kategorien hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit nicht voneinander unterschieden sind, sie nicht abgeleitet auseinander sind, sondern gleichursprünglich22. Kausalität und Wechselwirkung erzeugen, auf der Substanz aufbauend, den Ordnungszusammenhang, indem sie nach den Momenten der Sukzession und der Simultaneität die einzelnen Veränderungsreihen der Grundreihe beiordnen. Wir müssen hier fragen, wieso durch die Ordnungssynthese, als streng mathematischen Funktionalzusammenhang, der auf streng mathematische Weise erzeugt wird, ein dynamisches System zustande kommen kann 23 . Was meint Natorp hier mit mathematisch und dynamisch? Wie soll ein auf mathematische Weise Verknüpftes zu einem dynamischen Zusammenhang werden? Diese Frage soll im Zusammenhang der Modalität genauer untersucht werden. Denn für Natorp ist es die Modalität, die „den Schritt von der bloßen Mathematik zur Naturwissenschaft" 24 vollzieht. So hätten wir es bei den kategorialen Leistungen von Quantität, Qualität und Relation mit bloßer Mathematik zu tun? „Quantiät, Qualität und Relation beschreiben nur die Instrumente, definieren nur das Verfahren des Aufbaues des Gegenstandes, aber stellen noch 22

Natorps Prozeß der logischen Determination verbleibt nicht in der gleichen Sphäre der Allgemeinheit, sondern ihr erklärtes Ziel geht auf die Erreichung der Individualbestimmung, d. h. seine logische Entwicklung impliziert zugleich Determination als Limitation. Hierbei ist nun offenbar nur die eine Seite, die „peripherische", der Wissenschaftsentwicklung für den ganzen logischen Prozeß in Anspruch genommen, während jene „zentrierende", die ja ein Verallgemeinern enthält, nicht mitberücksichtigt ist. Wie wenig aber die Entwicklung der Kategorien als ein limitierendes Bestimmen vom Allgemeinen zum Einzelnen hin aufgefaßt werden kann, das zeigt die spätere Auffassung Natorps selbst an, wo er dieselbe Entwicklung der Kategorien in genau umgekehrter Reihenfolge vorstellt, so daß mit den Modalitäten als dem Allgemeinen begonnen wird und die Kategorien der Quantität und Qualität als Kategorien der Individuation auftauchen (vgl. Philosophische Systematik, S. 83-290), und sich auch die Auffassung der einzelnen kategorialen Momente nach dem Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit umkehrt. " L G S . 81. 24 L G S . 84 f.

§ 22. Die Kategorien

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nicht ihn selbst dar; die Modalität gibt die allgemeinen Bedingungen an, auf Grund dieser Verfahrensweisen nun den Gegenstand selbst, als den der Naturwissenschaft, aufzustellen 24 ." Dabei sind es aber nicht neue Leistungen der synthetischen Einheit, die sachlich Neues erstellen könnten; diese Leistungen sind in den schon aufgeführten Kategorien erschöpft, sondern sie bringen nur das Gemeinsame von diesen zum Ausdruck. So „beschreibt die Modalität den allgemeinen Stufengang des synthetischen Prozesses unterschiedlos f ü r die einfache Synthesis und die Synthesis der Synthesen, hinsichtlich des Beitrages, den eine jede Stufe des Prozesses f ü r das, worauf der ganze Prozeß zielt: f ü r die Erkenntnis des Gegenstandes, liefert" 25 . Jeder kategoriale Dreischritt aber vollzog sich zunächst als Ansatz. Diesen quantitativ-qualitativ-relationalen Ansatz drückt die erste Modalitätsstufe als Möglichkeit aus, der Ansatz wird zur Hypothesis. Dabei bleibt allerdings offen, ob es je eine quantitative, qualitative, relationale Möglichkeit gibt, oder ob diese in ihrem Zusammenwirken den Gegenstand als Möglichen vorstellen. Das Zusammenwirken aber wäre ganz unklar, wenn die Kategorien nicht als gleichursprünglich sondern in logischer Konsequenz vorgestellt würden. Es müßte dann das Zusammengehören der drei ersten Schritte gesondert zur Darstellung kommen. Es genügt jedenfalls nicht, daß sie nur durch die Tatsache, je die ersten zu sein, auch schon in ihrem sachlichen Zusammengehören, inwiefern sie zusammen die Möglichkeit des Gegenstandes ausmachen, ausgewiesen wären. Die zweite Modalitätsstufe, die Wirklichkeit, erläutert N a t o r p durch den Fortgang der Erfahrung, den Prozeß 26 . Da aber die Wirklichkeit als ein logisches Verfahren (ein überaus mißverständlicher Terminus) gekennzeichnet werden muß, erläutert N a t o r p sie von der Beweisart her als „Wirklichkeitsbeweis". Wirklichkeitsbeweis ist der Beweis der Wirklichkeit dessen, was vorher als nur möglich gesetzt war. Der Wirklichkeitsbeweis k n ü p f t also an der hypothetischen Erstsetzung an, und damit ist die Wirklichkeit selbst nichts anderes als die bewiesene Hypothese. Deshalb wird der „allgemeine Sinn der zweiten Modalitätsstufe" am deutlichsten bezeugt durch den Gang des Experimentes. Aber wenn man den Gang des Beweises der Wirklichkeit f ü r die ursprüngliche Wirklichkeit selbst ausgibt, heißt das nicht schon die Dinge in ihrer Rangordnung verkehren? Selbst wenn konzediert wird, daß alle Erkenntnis aus dem logischen Ursprung zu erzeugen ist, so sind doch dann zuerst die logischen Grundbegriffe selbst zu erzeugen, und dann erst der abkünftige Gebrauch dieser Grundbegriffe. Der W i r k l i c h k e i t s f e r n kann sich doch nur als der Nachweis der Existenz, d. h. eigentlich der Richtigkeit einer Einzelbehauptung vollziehen, setzt also doch die Wirklichkeit als solche voraus, 25 L G S . 87. 26 L G S . 88.

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Die logisdien Grundlagen der exakten Wissenschaften"

und das nicht nur als Hypothese. Hypothese ist nur die herausgegriffene, zu erweisende Einzelaussage, und beweisen läßt sich eine Aussage in Hinsicht auf ihr Wirklichsein, was ihre Wahrheit ausmacht. Aber die Wirklichkeit läßt sich nicht beweisen. Wollte man die Wirklichkeit als solche von dem sogenannten Wirklichkeitsbeweis her verstehen, dann wäre sie nichts anderes als die Zusammenfassung der bewiesenen Wirklichkeiten, zufälligem Wachstum unterworfen. Alles Erkennen soll aber zugleich fortschreitendes Determinieren sein. Also muß die Wirklichkeit als Determination der Möglichkeit verstanden werden, das aber in einem stetigen Prozeß. So ist die Wirklichkeit nichts Neues, in sich Ruhendes, sondern eine Fortführung der Möglichkeit, und von dieser her zu verstehen als „complementum possibilitatis"27. „Das nur Mögliche ist stets in irgendeiner Hinsicht nicht determiniert, fordert also eben die weitere Determination. Die Ergänzung der Möglichkeit zur Wirklichkeit, das complementum possibilitatis, ist nichts anderes als die Determination des zuvor nicht Determinierten; diese Determination ist somit das Ganze des Wirklichkeitsbeweises28." Die Wirklichkeit im Denkschema der Progression ist also nicht im Ganzen gedacht, sondern sie wird in einzelnen Schritten der Möglichkeit zugesetzt. „Aber es definiert doch einen sicheren Fortschritt; es determiniert sich auf jeder folgenden Stufe des Prozesses etwas, das auf der vorigen nicht determiniert war, es schließt damit der Kreis der Möglichkeiten sich enger und enger, und bald wird die Stufe erreicht, wo eine weitere Determination aus den Datis (d. h. aus dem Problem) nicht mehr vollziehbar, aber nach der gegebenen Problemlage auch nicht gefordert ist29." Der dritten Modalitätsstufe, der Notwendigkeit, nun ordnet Natorp den Beweis, der streng geführt wird, zu, die Deduktion. Die Notwendigkeit ist also nichts anderes als das durch Deduktion Erkannte. Hier müssen sich notwendig zwei Fragen anschließen. Wenn die Notwendigkeit sich nur auf das nach Deduktion Erkannte bezieht, wie verhält es sich dann mit den Grundgesetzen selbst, die aller Deduktion zugrunde 27

Mit einer solchen Auffassung hat sich Kant schon früher ausführlich auseinandergesetzt, in der 1763 erschienenen Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (vgl. I. Abt. 1. u. 2. Betr.). Die Ubereinstimmung Natorps mit der von Kant kritisierten Auffassung von Wolff und Baumgarten ist frappierend, doch weder scheint sich Natorp darüber im klaren gewesen zu sein, noch ist diese Seite bislang Gegenstand einer Untersuchung geworden. Für die hier in Betracht kommende Stelle (den Bezug auf Wolfis principium omnimodae determinationis und die Verschärfung, die es durch Baumgarten erfuhr) verweisen wir auf A. Maier, Kants Qualitätskategorien (II. Kap., S. 15-23), wo sich die wichtigsten Stellen aus Wolfis Philosophia prima und Baumgartens Metaphysica angeführt finden. 28 L G S . 89. 29 L G S . 90.

§ 23. Natorps Begriff der Erfahrung

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liegen? Denn Deduktion heißt das Verfahren, aus allgemeinen Sätzen die besonderen, die darunter fallen, abzuleiten. Die Begründung der Grundgesetze selbst kann also nicht ebenfalls durch Deduktion geschehen. Sind sie also nicht notwendig, obwohl sie Quell aller Notwendigkeit sind? Und die andere, wie gewinnt Natorp die obersten Grundgesetze? Hier muß man nun staunen: vermöge Induktion. Alle Induktion erhebt die Reihe der beobachteten Fakten durch Formalisierung zum Gesetz. Das heißt, unter Gesetz wird ein Satz der Erfahrung verstanden. Es ist also nur von induktiver Allgemeinheit. Aber sofern nun aus diesem durch induktives Verfahren gewonnenen Gesetz deduziert wird, und alle Induktion zielt darauf ab oberstes Glied einer Deduktion zu werden, wird dieses zum Quell der Notwendigkeit. „Führt also die Induktion durch Tatsachen zum Gesetz, als dem Allgemeinausdruck eines geschlossenen Bereiches von Tatsachen, so leitet die Deduktion, indem sie scheinbar den umgekehrten Weg des Gedankens beschreibt, aus dem erkannten Gesetz die Tatsachen ab und bestimmt sie damit als nicht bloß tatsächlich gewiß, sondern notwendig 30 ." Hier ist nun wohl der Punkt, an dem es sich lohnt, Natorps Neukantianismus mit Kant selbst zu konfrontieren. Es ist der Punkt, in dem sich das System der logisdien Grundfunktionen vollendet, und der Begriff der Erfahrung resp. die Ganzheit des endlichen Wissens hervortritt.

Erfahrung § 23. Natorps Begriff der als ständiger Progreß der logischen Determination Es ist unmöglich, den Begriff der Erfahrung zu erörtern, ohne den Begriff der Gegebenheit von Etwas zu entfalten. Das gilt auch für Natorps Begriff der Erfahrung. Was aber unter Gegebenheit zu verstehen ist, das soll zunächst von Kant her verdeutlicht werden. Was bezeichnet Kant mit Gegebenheit? Als sinnliche Vernunft ist der Mensch in seinem Erkennen verwiesen auf räumlich-zeitliche Gegenstände, wovon ihm ein theoretisches Wissen möglich ist. In dieser Bezogenheit auf das Wißbare steht er immer schon, und zwar so, daß dieses Gewußte als von ihm unterschieden gesetzt ist; es ist bei jedem Wissen von Gegenständen mitgewußt, daß diese nicht es selbst sind, sondern Anderes. Der Inbegriff dieses unterschiedlichen Gegenständlichen ist Natur. Die Art der Bezogenheit auf diesen naturalen Sachbereich geschieht als Empfindung. In der Empfindung ist die Bezogenheit auf die Natur wirklich, dergestalt, daß in ihr sich das Seiende gibt, vernehmlich macht. Das, was sich 30 LGS. 92.

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»Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften"

so vernehmlich macht, heißt zurecht Erscheinung, insofern es ein Sichzeigendes ist. Es offenbart sich f ü r das endliche Vernehmen als das, das sich prinzipiell nicht im Letzten, d. h. im Grunde durchschauen läßt 31 ; es behauptet sich in seiner eigenen Gegenständigkeit gegenüber dem Vernehmen, indem es als Erscheinung auf ein Anderes verweist, das nicht mit erscheint. Das, was da nicht mit erscheint, aber die Erscheinung hält, ist also das eigentlich Wirkliche, ohne das Gegebenheit nicht gedacht werden kann. Es gibt sich dem Vernehmen aber nicht schlechthin, kann sich ihm nicht schlechthin geben, weil sein Geben gebunden ist an die Bedingungen des Vernehmens, nach denen diesem etwas gegeben werden kann. Diese Bedingung denkt Kant als Rezeptivität der Anschauung, deren empirischer Vollzug als Empfindung geschieht. Erfahrung nun ist solches Wissen, das mit der Empfindung materialiter zusammenstimmt. Die Leistung des Wissens selbst ist also das Bestimmen dieses Zusammenhanges, nicht bloß die Determination der einzelnen Empfindung, sondern eigentlich die Bestimmung des Gefüges, das heißt Erkenntnis der N a t u r . N a t u r als Zusammenhang der Erscheinungen und deren Inbegriff zumal ist der dem rezeptiven Sensorium korrespondierende transzendental gedachte Sachbereich, dessen Bezug auf das Vernehmen als ein Geben geschieht. Die Gegebenheit von Etwas steht immer schon in dem Horizont der so entfalteten N a t u r , und ist nicht ein schlichtes Bezogensein des Dings an sich auf das Subjekt. Im Begriff der Erfahrung nun wird diese ursprüngliche Einheit der Bedingungen des Vernehmens in dem Begriff der N a t u r vorgestellt, d. h. die Einheit von Wissen und Sache. Erst wenn so die Ganzheit vorgängig verstanden ist, kann das Empfundene, das einzelne Gegebene, überhaupt bestimmt werden. Denn alles Bestimmen ist nur möglich in einem Allgemeinen, darin es bestimmt werden kann. Diesen allgemeinen Horizont der Bestimmbarkeit von Etwas hat Kant in dem transzendentalen Begriff der N a t u r gedacht, das Prinzip der Bestimmung aber ist der transzendentale Begriff des Gegenstandes als Objekt einer möglichen Erfahrung. Was immer nämlich im naturalen Erfassen apprehendiert wird, ist in einen Kontext der Erfahrung gesetzt; und damit das möglich sei, ist es notwendig, daß jedes Etwas in seiner Gegebenheit ursprünglich bezogen ist auf die durchgängige Verknüpfung in einer N a t u r . Gegebenheit von Etwas ist also, und das ist wenig verstanden, nicht das pure Faktum des Vorliegens einer Materie, sondern bezeichnet eine Struktur, nämlich die Einheit des Vernehmens, die jegliches Vorliegende als Gegenstand der Erfahrung auf die ursprüngliche Ganzheit der N a t u r bezieht und es in diesem Horizont bestimmt nach Prinzipien, die das Denken eines Gegenstandes der Erfahrung selbst tragen, d. h. nach den Einheiten der Kategorien und den Grundsätzen des reinen Verstandes. 3i Vgl. Heidegger, Kant u. d. Probl. d. M., § 5, S. 31-39.

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§ 24. Gegebenheit und Anschauung

§ 24. Gegebenheit

und Anschauung als logische Bestimmtheiten

bei

Natorp

Ähnlich wie die Philosophie des Deutschen Idealismus an Kants Begriff der Gegebenheit Anstoß nimmt, und die Struktur, die von dem Gebenden selbst, dem Ansich, und dem Vernehmen als endlichem Subjekt gehalten ist, aus einem Prinzip zu entfalten suchte, will auch Natorp den Begriff des Gegebenen aus seinem System eliminieren. Gelang aber diese Elimination beim Deutschen Idealismus nur dadurch, daß das endliche Subjekt zum absoluten Ich wurde, um von hier aus die ganze Struktur zu entfalten (man hielt also an dem Begriff der Gegebenheit selbst fest, und versuchte ihn abzuleiten), denkt Natorp das Erkennen durchaus als endliches. Wie versucht Natorp, den Begriff der Gegebenheit von seinem Denkansatz her zu fassen, ohne damit zugleich den Charakter der Endlichkeit dieses Vernehmens aufzuheben? Das Wesen des Vernehmens ist bei Natorp das Bestimmen, das Setzen von logischer Bestimmtheit. Es ist Bestimmen und nichts als das. Dieses Bestimmen ist als endliches zu denken, welche Endlichkeit an dem Bestimmen auftritt als das Nie-zu-Ende-kommen des Bestimmens. Wird aber damit nicht gerade eine Unendlichkeit gedacht? In der Tat wäre ein Bestimmen doch dann endlich, wenn es nach endlich vielen Schritten an sein Ende gekommen wäre. Die Endlichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens ist aber auch nie im Sinne des Finiten der Mathematik eine Frage gewesen, sondern gerade dort, wo die Endlichkeit des Menschen ausdrückliche Problembasis war, wie bei Kant, bestand das Problem immer in der Aufweisung des Unendlichen im Endlichen als ein Verhältnis, das das Unendliche nicht vom Endlichen einfachhin ausschließt, sondern in welchem erst durch den positiven Bezug auf das Unendliche sich das Endliche als solches abheben läßt. Die Endlichkeit des Menschen ist also bei Natorp wie bei Kant keine schlichte mathematische Endlichkeit, sondern eine Unendlichkeit in der Form der Endlichkeit. Die Erfahrung nun soll als solches Bestimmen, das in indefinitum weitergeht, verstanden werden. Es ist zu fragen, unter welchen Bedingungen dieses Bestimmen steht, die diesen Fortgang in indefinitum ermöglichen; in einer beschreibenden Weise gibt Natorp dieses Prinzip an: „Der Zusammenhang, die Doppelrichtung des Denkens auf Vereinigung des zugleich Geschiedenen, Differenzierung des zugleich Geeinten, in der Differenz doch als Einheit sich Erhaltenden, das ist es wohl, was zuletzt zugrunde liegt 32 ." Er gibt damit aber nicht eigentlich einen Grund, sondern die allgemeine Beschreibung des Denkvollzuges an, der in allen Denkschritten derselbe ist, so in Qualität, so in Quantität, so in der Relation und ihren Prädikamenten. Es ist Beschreibung der Struktur des Bewußtseins, so wie sie etwa Hegel in 32 L G S . 26.

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„Die logischen Grundlagen der e x a k t e n Wissenschaften"

der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes ausspricht: „Das Bewußtsein aber unterscheidet nämlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht." Aber hier geht es darum, anzugeben, wieso dieses Unterscheiden und Beziehen nicht zu einem Stillstand kommt, sondern in einem beständigen Prozeß der Determination sich bewegt. Wenn die Korrelation dieser logischen Grundmomente der alleinige Ursprung der Erkenntnis sein soll, dann muß in ihm auch das Prinzipium zu finden sein, nicht nur daß überhaupt bezogen und unterschieden wird, sondern daß aus dem Beziehen und Unterscheiden eine Progression resultiert 33 . Wenn Natorp im Anschluß an die Beschreibung der logischen Grundmomente sagt: „So allein ist Erkenntnis als Erweiterung, als Fortgang und zwar unendlicher, und nicht Stillstand, als Hinausgehen über jedes Gegebene, das heißt im Denken (auf abgrenzende Weise) zuvor schon Gesetzte ,möglich', d. h. verständlich"34, könnte das ein Hinweis darauf sein, wie er sich den Prozeß als im Gang gehalten denkt. Zwar wird auch hier zunächst nur angegeben, wie der Prozeß geschieht, nämlich „als Hinausgehen über jedes Gegebene", aber wir müssen fragen, was das Gegebene bei Natorp noch besagt. Da aber bei unserer vorbereitenden Erörterung nach Kant deutlich wurde, daß gegeben etwas nur werden kann in Raum und Zeit, so müssen wir fragen, wo bei Natorp die Anschauung ihre Stelle hat, und wie er Anschauung als Bestimmung der logischen Ursprungseinheit denkt. „In dem, was man Anschauung nennt, wirken im Grunde die sämtlichen reinen Denkfunktionen nur in unaufgelöster Verflechtung zusammen35." Unter Anschauung verstanden werden soll demnach die Durchführung und Vollendung der Synthesis, „also gerade das echteste und ursprünglichste Denken, geradezu das Ursprungsdenken selbst"36. Wenn also Anschauung als Ursprungsdenken verstanden sein soll, dann E s ist klar, d a ß N a t o r p hier, wenn er alles a u f den logischen U r s p r u n g reduzieren will, am L e i t f a d e n der Systeme des Deutschen Idealismus denkt. W ä h r e n d aber bei Fichte, Schelling, H e g e l dieser logische U r s p r u n g nicht nur deskriptiv vorgestellt w i r d , sondern das P r i n z i p zugleich als bewegende K r a f t gedacht ist, die aus sich den Vollzug des Beziehens und Unterscheidens notwendig entläßt, fehlt diese letzte Begründung bei N a t o r p , weil er nämlich überhaupt auf ein erstes P r i n z i p v e r zichtet ( L G S. 2 6 ) . Das oberste P r i n z i p w i r d im Deutschen Idealismus stets als bewegend gedacht; so Fichte: D a s Ich ist das sich selbst Setzende. So Schelling: D a s Ich ist die unendliche Tendenz, sich selbst Objekt zu werden. So H e g e l : D e r Geist ist die B e w e gung, sich ein anderes, d. h. Gegenstand seines Selbsts zu werden, und dieses Anderssein aufzuheben. Hierbei w i r d jeweils ein Erstes gesetzt als U r s p r u n g jener Bewegung des Ganzen, die bei N a t o r p nur formal f a ß b a r ist, weil nur die Schrittfolge beschrieben w i r d , ohne d a ß der G r u n d der determinierenden Progression beigebracht würde. 34 L G S . 2 7 . 35 L G S . 2 6 4 . L G S . 273.

33

§ 2 4 . Gegebenheit und Anschauung

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ist sie, so muß man doch hier denken, das Anfängliche der Erkenntnis, in welchem sich alles Erkennen nun verzeichnet; als das echteste und ursprünglichste Denken müßte die Anschauung Basis sein, denn es geht ja doch um eine Basis, die das Vorschreiten des logischen Bestimmens trägt. Aber Natorp setzt die Anschauung nicht als Basis seines Prozesses, sondern er versteht sie als Antezipation, als Prolepsis. „Im Terminus .Anschauung' wird im Grunde nichts als jene letzte wechselseitige Durchdringung aller reinen Denkleistungen . . . , d. h. die Unendlichkeit und Einheit des Ursprungs, antezipiert37." Als Antezipation der ursprünglichen Einheit des logischen Ursprungs rückt die Anschauung nun in die Nähe der Idee, die auch Vorstellung der nie erreichbaren Unendlichkeit und Vollständigkeit der Bedingungen ist38. Die Anschauung antezipiert bei Natorp diese Einheit bloß, „sie enthält sie nur als Problem, das allein durch reines Denken seine Auflösung finden kann" 39 . Wenn nun aber die Anschauung die letzte Einheit bedeutet, die durch reines Denken erst aufzulösen ist, die nur das Problem für dieses enthält, dann ist die Anschauung doch nicht das Letzte der Erkenntnis, vielmehr scheint es nun so, als vollende sich das Erkennen als analytisches Denken, da ja Anschauung Ursprungsdenken, synthetisches Denken ist, das es aber erst aufzulösen gilt. „Insofern ist also die Berufung auf die Anschauung in der Logik schlechthin unzulässig, als sie eine Umgehung der eigentlichen Aufgabe der Logik bedeutet, die darin besteht, das Konkrete der ,Anschauung' selbst durch strenge, bis zur Wurzel dringende Analyse in die reinen Denkbestimmungen, die in ihr verflochten sind, auseinanderzulegen39." Anschauung ist also Prolepsis des einzig konkreten Denkens, doch so, daß das Konkrete der Anschauung das eigentliche Problem der Logik darstellt, die als Analyse des Konkreten sich vollendet. So wäre Anschauung die je vorweggenommene Synthesis, auf die sich die Analyse bezieht? Und die Bewegung des fortschreitenden Bestimmens eben die, daß eine gesetzte Anschauung in die logischen Bestimmtheiten aufzulösen ist? Dann wäre aber in der Tat die Anschauung jenes AnfänglichBewegende des ganzen Prozesses der Determination! Aber gerade das lehnt Natorp entschieden ab. Der systematische Ort der Anschauung kann weder als Basis noch als das Bewegende der Bewegung genommen werden: „Also wäre ihre richtige Stelle erst da, wo die bis dahin durch Abstraktion voneinander gesonderten und je nach ihrer eigentümlichen 37 L G S. 2 7 7 . 38 K a n t s A n t e z i p a t i o n der W a h r n e h m u n g gehört, wenn auch das W o r t es nahe legen mag, nicht hierher, weil die A n t e z i p a t i o n d o r t nicht eine problematische V o r a u s n a h m e ist, sondern die K o n s t r u k t i o n der formalen Bedingungen leistet, die eine Empfindung als intensive G r ö ß e zu betrachten erlaubt. 39 L G S. 2 6 4 .

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„Die logisdien Grundlagen der exakten Wissenschaften"

Leistung erwogenen, eben darum die volle Gegenständlichkeit noch nicht erbringenden Momente des Erkenntnisprozesses zusammengeführt werden, um alle im Verein erst den vollen, d. h. einen Gegenstand der einen Erfahrung zu konstituieren. Und so kann gar kein Zweifel mehr bleiben, daß sie erst das Resultat und nicht eine voraufgehende Bedingung jener Synthesis des Denkens ist, welche eine Erfahrung, nämlich eine Erfahrung, die Einheit der Erfahrung erst möglich macht40." Hier ist mit aller Entschiedenheit ausgesprochen, daß die Anschauung keine vorgängige Bedingung der Synthesis, und damit der Einheit der Erfahrung ist, sondern daß sie Resultat eben dieser Synthesis ist. Wie ist diese Aussage mit der früheren, daß die Anschauung Antezipation der synthetischen Einheit sei, zusammenzubringen? Nur so, daß die Anschauung als antezipierte synthetische Einheit, nicht konstitutiv ist für den Gang der Erkenntnis, denn sie ist ja wesentlich Resultat. Anschauung bedeutet also für Natorp eigentlich die Bezeichnung für das zu Ende gekommene Denken, ist Resultat und Endphase dieses Denkens. Sie hat keine eigenständige Funktion, sie bietet dem Begriff kein Mannigfaltiges dar, sondern ist nur der Endpunkt, die Endphase des Denkens41. Wenn also die Anschauung als konstitutives Moment des logischen Prozesses ausgeschlossen ist, dann bleibt die Antezipation ohne Einfluß auf diesen Prozeß selbst, sie ist eine Gleichgültigkeit gegen ihn, denn sie ist kein ihn bestimmendes Prinzip. Dann wäre also die Antezipation selbst zufällig? Denn zufällig muß sie ja sein, wenn sie keinen Ort im Gang des Erkennens selbst hat, und keinerlei Notwendigkeit für das Zustandekommen der Erkenntnis. Selbst das Faktum der Antezipation der synthetischen Einheit als An40 LG S. 274 f. Kant hat der „logisdien Vollkommenheit" der Erkenntnis ausdrücklich eine „ästhetische Vollkommenheit" zur Seite gestellt, in deren Beurteilung es allerdings bei Kant starke Schwankungen gibt (hauptsächlich begründet in der zweifachen Bedeutung der Anschauung als reine / mathematische / Anschauung, und bezogen auf das Gefühl der Lust und Unlust als Ästhetik des Schönen). Wenn nun zwar Kant als Regel festhält, „daß die logische Vollkommenheit die Basis aller übrigen Vollkommenheiten sei und daher keiner anderen gänzlich nachstehen oder aufgeopfert werden dürfe" (Kants Logik / Jäsche / Einleitung Kap. V), so läßt sich die ästhetische Vollkommenheit doch auch nicht in die logische aufheben oder als deren Endphase auffassen. Beiden Stämmen der Erkenntnis, dem begrifflichen wie dem sinnlichen Vermögen, kommt eine eigene, nicht wechselweise aufeinander zu reduzierende Bewegung auf Vollkommenheit zu. Natorp aber erwägt nirgends so etwas wie eine Vollkommenheitssteigerung der Anschauung, sondern Anschauung ist für ihn wesentlich dem Prozeßhaften entgegengesetzt, vom Fieri ausgeschlossen, deshalb auch ohne Stelle im wissenschaftlichen Erkenntnisgang. Die doppelte Bestimmung der Anschauung als das noch-nicht des Denkens und als zu Ende gekommene Synthesis ist dabei Widerspiegelung der ambiquen Bewertung der Anschauung selbst, die einerseits keinen Beitrag zur wissenschaftlichen Erkenntnis liefert, andererseits aber als die höchste, für uns unerreichbare, aber im Progreß ständig angezielte Erkenntnismöglichkeit gesehen wird.

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§ 24. Gegebenheit und Anschauung

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schauung ist dann zufällig, unerklärt, ja unerklärbar, ein Rätsel, das eine geduldete Funktion innerhalb der empirischen Erkenntnisweise hat, indem damit je ein Problem f ü r die Logik bezeichnet wird. Es gibt also nur einen f ü r die Wissenschaft legitimen Gebrauch des Terminus Anschauung, nämlich als abkürzende Bezeichnung für die Enddeterminierung des Denkens, dann „wenn man unter Anschauung nichts mehr versteht als die Durchführung und Vollendung der Synthesis" 42 . Die Berufung auf Anschauung im Sinne der Antezipation der Ganzheit ist in der Wissenschaft „schlechthin unzulässig", weil die Antezipation nicht als Vorblick auf die Art des Gegebenwerdens, sondern als eine Umgehung des Ganges der Logik geschieht. Damit ist die bei Kant notwendige Leistung der Anschauung für das Zustandekommen von Erkenntnis eliminiert, die Anschauung als das Worinnen der Gegenstände möglicher Erfahrung selbst liquidiert. „Anschauung kann dem Denken nichts ,geben', sie kann selbst nur durch Denken ,gegeben', d. h. bestimmt werden 43 ." Gegebenheit ist damit selbst als eine Bestimmtheit, und zwar rein logische Bestimmtheit gedacht. Etwa als ein besonderer Modus des Bestimmens? Keineswegs! Das Gegebene ist nichts anderes als das je zuvor im Denken Gesetzte. Es ist also keine besondere Art und Weise des Bestimmens, die das Etwas als Gegebenes setzt, sondern das, was ein Gesetztes als Gegebenes auszeichnet, ist lediglich seine Stelle, die es im Prozeß des Bestimmens hat. Ein Gegebenes ist jegliches Gesetzte, sofern es im Gang der Determination überschritten wird. So ist die Gegebenheit nicht mehr Ausdruck einer Bezogenheit des Erkennens, welcher Bezug das Erkennen in Bewegung hält, sondern es ist Moment im übergeordneten Prozeß der Determination und muß von hierher auch gedacht werden. Erkenntnis geschieht „als Hinausgehen über jedes Gegebene, d. h. im Denken (auf abgrenzende Weise) zuvor schon Gesetzte" 44 . Damit ist jedes Etwas, das dem Vernehmen vorliegt, eine Bestimmtheit der allgemeinen logischen Grundbegriffe, in denen es sich bewegt. Alles « LG S. 273. 43 LG S. 265. 44 L G S . 27. Daß aber das „zuvor schon Gesetzte" und „auf einschränkende Weise" zwei spezifische Probleme des Natorpschen Entwurfes darstellen, zeigt sich an diesem Punkte unmittelbar. Wenn nämlich das Erkennen geschieht als das Überschreiten der zuvor schon gesetzten Schranke, dann ist nach dem Ursprung dieser Schranke und von Schranke überhaupt zu fragen. Das zuvor schon Gesetzte soll als in einschränkender Weise Gesetztes verstanden werden, d. h. aus einem Allgemeinen her, in das es als Einschränkung gesetzt ist. Die beiden Probleme haben bei Natorp keine Erörterung gefunden, obwohl sich für seinen Ansatz die Frage nach dem Prinzip der Individuation aufdrängte, denn die bloße Idee der letzten Determination und Individualbestimmtheit von allem ist unzureichend, weil bei Natorp das Erkennen keineswegs beim Einzelnen ursprünglich ist, sondern beim unbestimmten und zu bestimmenden Allgemeinen.

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Fremde, Andere, in einer Anschauung Gegebene ist nur nicht recht verstandene logische Bestimmtheit, die aus dem logischen Ursprung erzeugt ist45. Hier scheint nun in der Tat ein in sich konsequentes System vorzuliegen, das alles Wissen aus der Logik begründet. Denn es sind alle Begriffe, in denen ein Wissen sich vollzieht, nichts anderes als Bestimmtheiten der logischen Grundfunktionen. Zumal scheint dieses System ein zur letzten Konsequenz gebrachtes Kantisches zu sein, denn alle bei Kant angeführten Bedingungen für mögliches Wissen, sind als Momente im System der logischen Grundfunktionen aufgezeigt, so Raum, so Zeit, so Anschauung überhaupt, so Gegebenheit, bzw. sie sind in Wahrheit die ursprünglichen Korrelationen der Grundverfahrungsweisen selbst, so die Kategorien. Es ist in letzter Konsequenz dargestellter Kant, insofern die Kategorien selbst als die Bewegung des fortlaufenden Bestimmens in ihrer größten Allgemeinheit entwickelt werden. Es ist zugleich eine Vereinheitlichung des kantischen transzendentalen Denkens, insofern alle Bedingungen, die ein Wissen ermöglichen, also alle transzendentalen Bedingungen, auf solche der Logik zurückgeführt werden. Dieses Denken versteht sich selbst als die Wiederholung des kantischen Denkens auf einer Grundlage, die anscheinend kantischer als Kants Basis ist. Aber die Berufung auf Kant und der Gebrauch der kantischen Termini ist noch nicht hinreichend, um ein Denken als kantisch zu erklären, das alles kann prätentiös sein oder auch in einer ganz bestimmten historisch wie systematisch bedingten Einstellung gerechtfertigt. Als kantisch wird man aber erst im eigentlichen Sinn ein Denken betrachten dürfen, wenn es in Absicht und Methode sich an Kant anschließt, und sich in dessen Grundunterscheidungen bewegt, dies aber nicht nur formal, sondern bezüglich der Sachhaltigkeit. Es ist schon deutlich geworden, daß das, was wir bisher über N a t o r p ausgeführt haben, sich nicht in der Ebene der kantischen Metaphysik bewegt, weil von der Fassung der logischen Grundbegriffe in Hinsicht auf einen bestimmten Begriff der N a t u r noch gar nicht die Rede war; insofern die von ihm entwickelte Begrifflichkeit als reines apriorisches System vorgestellt wird, ruht ihr Geltungsanspruch auf dem Boden der Transzendentalphilosophie, die aber bei N a t o r p nur als Analytik der reinen logischen Vernunft entfaltet wird. Die Frage, ob N a t o r p die Ganzheit dieses reinen logischen Systems zureichend entwickelt hat, können wir hier zurückstellen, da es die Absicht Natorps ist, eine logische Grundlegung der exakten Wissenschaften zu geben; die Durchführung dieser Absicht soll nun zur Darstellung kommen; dabei wird sich dann zugleich zeigen, inwiefern der gelegte Grund sich f ü r die Durchführung der gesetzten Absicht als zureichend erweist, und inwieweit diese selbst zu Ende gekommen ist. 45

Vgl. hierzu J. v. Malottki, Das Problem des Gegebenen (1929). 4. K a p . D e r Monismus der F u n k t i o n : Die Auflösung des Gegebenen zum Aufgegebenen.

§ 25. Natorps Auffassung der Mathematik

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Soll Natorps System der logischen Grundfunktionen eine transzendentale Zurüstung der Grundlegung der exakten Wissenschaften sein, so muß dieses jetzt weiter entwickelt werden, inwiefern die Bestimmtheit, die die Begriffe der exakten Wissenschaften haben, von ihm getragen werden kann. Hierbei geht Natorp nicht durch einen neuen Ansatz in die Sphäre der Bestimmtheit über (so Kant, indem er ein metaphysisches Prinzip — in dem Begriff der Materie als dem Beweglichen - in Ansatz bringt, auf welche Bestimmtheit nun alle transzendentalen Bedingungen gebracht werden müssen), sondern Natorp konstruiert den Übergang zu der Bestimmtheit der Begriffe der Mechanik als stetigen. Das, was den Ubergang von der reinen Logik zur Mechanik vermittelt, ist die Mathematik, die einerseits völlig aus den logischen Grundfunktionen entwickelt werden kann (eine reine Disziplin ist), andererseits doch schon zu einer Bestimmtheit ihrer Begriffe kommt. Wir werden sehen, wie Natorp die Mathematik im ganzen gleichsam als einen Schematismus denkt, der den Ubergang der allgemeinen Grundbegriffe zu den Begriffen der exakten Wissenschaften erlaubt. Das alles erinnert zunächst an Kant, es gilt aber doch auf folgenden gewaltigen Unterschied zu achten, der, wie wir meinen, kennzeichnend ist für Natorps Ansatz, welcher selbst nur möglich ist durch die Verkennung dessen, was Kant unter Metaphysik der Natur verstanden hat. Wir werden deshalb Natorps Übergang von der allgemeinen Logik zur reinen Mechanik vermöge und als Mathematik vergleichen mit dem Schematismus Kants.

§ 25. Natorps Auffassung der Mathematik Kants Satz, „daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist", ist ein sehr mißverständlicher Satz, der gerade deshalb zu einer irrigen Auffassung führen kann, wenn er in dem einfachen, vordergründigen Sinn genommen wird, als der er sich, wenn man ihn für sich losgelöst betrachtet, zunächst darstellt. Er kann nämlich dann in dem ganz einfachen Sinn genommen werden, als müsse man nur in der betreffenden Wissenschaft nachschauen, ob sie sich mathematischer Symbole bediene, ob sie die Sprache der Mathematik spreche, um sie, sofern das der Fall ist, auch schon als wahre Wissenschaft erkannt zu haben. Bei solchem Denken wird die Mathematik a priori als die höchste aller Wissenschaften festgehalten und alles wird an diesem Maß gemessen, inwiefern es mehr oder weniger vermischt mit Wissenschaftsfremdem (NichtMathematischem) doch noch den Charakter der Wissenschaft trage. Hebe man dann noch den Teil, der in mathematische Formeln gefaßt ist, von dem

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Ganzen ab, so halte man den wahren und eigentlichen Teil der Wissenschaft in Händen. So aber ist der Satz vordergründig verstanden. Der Satz sagt viel mehr, wenn man hinzuzieht, weshalb K a n t zu dieser Formulierung kommt, denn sie ist eine Kurzformel, die, wenn sie nicht entfaltet wird, das Wesentlichste verdecken kann. Eigentlich so zu nennende Wissenschaft ist nicht nur, jedenfalls nicht zunächst, die Mathematik, die schon als solche das Maß aller Wissenschaft wäre, sondern eigentlich so zu nennende Wissenschaft ist die rationale reine Wissenschaft, d. h. ein solches Wissensganze, das seinen Zusammenhang der Wissensbestimmungen apriorisch, rein entfaltet, so daß all ihr Wissen sich in diesen reinen Prinzipien und Grundsätzen vollzieht. Eine empirische Wissenschaft, die nach reinen apriorischen Prinzipien verfährt, ist aber nur denkbar, wenn es eine Möglichkeit gibt, die allgemeinen Prinzipien in Hinsicht auf die Einzelheit der Erfahrung bestimmen zu können, kantisch gesprochen, wenn es eine Methode gibt, die allgemeinen Grundbegriffe zur Bestimmtheit der Sinnlichkeit zu bringen. Das Übergehen vom Begriff zur Sinnlichkeit geschieht als Schematisieren des Begriffs, und während das transzendentale Schema die reine Anschauung mit dem reinen Verstandesbegriff vermittelt, zeigt die Metaphysik der Natur, daß die Verzeichnung der (dort schon in der durch das Prinzip der Materie vorgestellten Bestimmtheit) Grundbegriffe in der diesen korrespondierenden Anschauung durch ebenso modifizierte Schemata geschieht. Diese Vermittlung ist eine konkrete Art der ontologischen Synthesis, metaphysische Konstruktion. Sie gibt das Schema der betreffenden Wissenschaft, dessen materiale Erfüllung nur der Vollzug als Erfahrung beibringen kann. Dieses apriorische, wenn auch nicht reine, Schema der Wissenschaft im Ganzen, nicht nur gewisser Grundbegriffe, verzeichnet damit den ganzen Bereich des Wißbaren, entwirft also das dieser Wissenschaft mögliche Wissen im Grundriß und stellt selbst die Ermöglichung des naturalen Erfassens dar. Alle Mathematik nun ist nach Kant Konstruktion von Begriffen in der Anschauung durch transzendentale Einbildungskraft, ist also selbst vom Schematismus her ermöglicht und die Realisierung des reinen Schematismus. Es muß also der Unterschied des transzendentalen Schematismus und der Mathematik festgehalten werden, wobei jener den Grund, das Fundament f ü r diese bedeutet. Die „angewandte Mathematik", sofern sie die allgemeinen Grundgesetze der Naturwissenschaft formuliert und den Kalkül ihrer Entwicklung, muß also als Durchführung des metaphysischen Schemas der Naturwissenschaft verstanden werden, wovon dieses metaphysische Schema selbst wiederum als Grund zu unterscheiden wäre. Dieser Unterschied ist so wichtig, daß, wenn er nicht gesehen wird, der Naturphilosophie gerade diese ihre eigene Aufgabe wegfällt, und sie sich selbst als Mathematik mißverstehen muß, wie es bei N a t o r p letztlich der Fall ist; Kants Metaphysik der N a t u r aber gibt

§ 25. Natorps Auffassung der Mathematik

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die Entwicklung des Schemas der Naturwissenschaft und damit die Darlegung, wie eine mathematische Naturwissenschaft selbst möglich ist. „Um deswillen habe ich für nötig gehalten, von dem reinen Teil der Naturwissenschaft, wo metaphysische und mathematische Konstruktionen durcheinander zu laufen pflegen, die erstere, und mit ihnen zugleich die Prinzipien der Konstruktion dieser Begriffe, also der Möglichkeit einer Mathematischen Naturlehre selbst, in einem System darzustellen", sagt Kant unmißverständlich in der Vorrede zu den M. A. d. N. Weil nun Mathematik die Durchführung dieses Schemas darstellt, und nicht weil sie für sich das Supremum an Wissenschaftlichkeit ist, formuliert Kant den obigen Satz so. Der Satz, der von der in der Erfahrung angewendeten Mathematik spricht, wird also erst deutlich, wenn man diesen transzendentalen Grund der Mathematik selbst beizieht, und von hierher ihre konstitutive Bedeutung als Durchführung des metaphysischen Schemas einsieht. Natorp hat, hierin Kant konsequent erfassend, ebenso klar eingesehen, daß die Mathematik kein bloß äußerliches, wenn auch sehr brauchbares Instrument der Naturwissenschaft ist. Er hat sich entschieden gegen jene Auffassung gewandt, die die Rolle der Mathematik in der Naturwissenschaft als Denkökonomie versteht, als Methode also, die erlaube, die Sachverhalte kurz, prägnant, in eindeutigen Formeln zu beschreiben, woraus dann dazu noch ein besonderer Charakter der Schönheit resultiere46. Für Natorp steht es außer Zweifel, daß die Naturwissenschaft notwendig sich nur vermöge der Mathematik konstituieren kann. Deshalb schließt er beim logischen Aufbau der exakten Wissenschaften an die Darstellung des Systems der logischen Grundfunktionen (Kategorien) die Darstellung der Mathematik an, ohne welche Natur nicht zureichend gedacht werden kann. Während allerdings Kant Mathematik sagte und Bedingungen der Möglichkeit der Mathematik verstand, Mathematik in der Naturwissenschaft sagte und Bedingungen der Anwendung der Mathematik verstand, diese Differenz auch jeweils voll entfaltete, verschwindet sie bei Natorp. Das heißt, das Stadium im logisdien Prozeß, das den allgemeinen Grundsätzen folgt, der Vermittlungsschritt von den allgemeinen Grundsätzen zur Natur hin, geschieht als Grundlegung, Ermöglichung der Mathematik und als Mathematik zumal. Es gibt bei Natorp nicht mehr den Unterschied von dem die Anwendung der Mathematik tragenden Schematismus und dieser selbst, sondern die Mathematik ist selbst jenes Schema, das konstitutiv ist für das Zustandekommen der Erfahrung. Natorps Logik prätendiert damit, die Mathematik selbst aus dem logisdien Ursprung entwickeln zu können. Insofern aber die Mathematik ein bestimmtes Stadium in dem logischen Prozeß ausmacht, wird ihre Eigenes L G S . 322, 365.

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ständigkeit in die logische Bewegung hinein aufgehoben. Inwiefern allerdings die Mathematik dennoch eine Ganzheit als Wissenschaft ganz eigener Prägung ausmacht und wie sie selbst als solche auch für sich besteht, das versäumt Natorp zu entwickeln47. So steht die ganze Erörterung der Mathematik in einer zwielichtigen Doppeldeutigkeit, insofern sie einmal als bloße Vorstufe für das Denken der Natur, das „Denken der Existenz" 48 , gedacht ist - hier sollte er eigentlich von „Mathematik der Natur" (Hegel) sprechen zum anderen als die bestehende Einzeldisziplin Mathematik. Die Mathematik aber (1) als spezielle Wissensart aus dem logischen Ursprung zu entwickeln und (2) sie als Bedingung für den „Aufbau der Natur", das sind zwei verschiedene Hinsichten, die unbedingt voneinander gesondert erörtert werden müßten. Natorps ganzer Absicht zufolge steht die zweite Seite im Vordergrund 48 "; dennoch konfrontiert er seine Grundlegung mit der innermathematischen Grundlegung, die sie ganz in Hinsicht auf sich selbst vollzieht und zu vollziehen hat, so als lägen beide Ansätze in der gleichen Ebene, als wären sie gleichrangig. Obwohl Natorp bei der Diskussion der Grundlagenfragen der Mathematik große Sachkenntnis zeigt, und hier insbesondere die Versuche von Frege, Russell, Whitehead, Couturat, Cantor u. a., die Mathematik zu logihzieren, für sich in Anspruch nimmt, bleibt seine Entwicklung letztlich unbestimmt, weil sie im Ansatz mehrdeutig ist. So bestimmt er die Zahl als das erste und zugleich umfassendste Gebilde der Mathematik. An ihr zeigt sich somit die ganze Doppeldeutigkeit am deutlichsten. Sie muß, wenn sie Basis der strengsten Wissenschaft sein soll, eindeutig bestimmt sein; diese Eindeutigkeit entwickelt aber Natorp nicht an Hand der Methoden der Mathematiker, nach denen sie ihre Widerspruchsfreiheit aufweisen, sondern, da die Forderung der Eindeutigkeit eine allgemein logische ist, soll auch die Einzigkeit der Zahl aus der allgemeinen Logik aufgezeigt werden. Es ist aber sehr fraglich, ob die „Einzigkeit der Zahl", d. h. sie als Basis eindeutiger Bestimmung, überhaupt an ihrem bloßen Begriff abgesehen werden kann, wie es Natorp versucht in den Begriffen der Homogeneität und Geradheit 49 ; denn die Natorpschen Begriffe erweisen sich als viel zu wenig scharf formuliert, als daß dieser Nachweis streng geführt werden könnte. So versteht er unter der Homogeneität der Zahlreihe: „Damit soll ausgedrückt sein, daß in strenger Identität stets der Art nach dieselbe, jedoch von Haus aus doppelsinnige Grundbeziehung, eben jene mit plus und 47

« 48a

«

Für das Verhältnis von Mathematik und Logik vgl. LG S. 1-32. LG S. 305. Hierin folgt Natorp ganz Cohen, der in seiner Logik der reinen Erkenntnis geradezu die „angewandte Mathematik" als „reine" bestimmt hatte. „Aber wir wissen bereits, in welcher Bedeutung wir die Mathematik zu nehmen haben: sie ist die Mathematik der mathematischen Naturwissenschaft. . . . Wir sehen ihre Reinheit nicht in ihrer Isoliertheit, sondern vielmehr gerade in ihrer Anwendbarkeit." (102). LG S. 228,226.

§ 25. N a t o r p s Auffassung der Mathematik

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minus bezeichnete (des Gegenglieds zum Grundglied und des Grundglieds zum Gegenglied) für irgendwelche zwei Glieder der Reihe, welches auch ihr Abstand in der Reihe, gleichsam die Schrittzahl vom einen zum anderen sei, geltend bleibt. Dadurch ist nicht nur ein Zurücklaufen der Reihe in sich selbst, sondern überhaupt irgendeine Mehrheit der Relationsart oder der Art der Nullbeziehung (abgesehen von ihren beiden .Sinnen') ausgeschlossen50." Diese Aussage kann allenfalls als definitorisdie Umschreibung der Einzigkeit gelten51, die aber für den Erweis selbst nicht herangezogen werden kann, weil ihre Festlegung nicht in die mathematische Begrifflichkeit verflochten ist. Daß aber Natorps Entwicklung der Zahl im Grunde vom zweiten Motiv, sie als Basis der exakten Wissenschaften zu entwickeln, geleitet ist, das zeigt sich an der folgenden Bestimmung: „Mit der Einführung 1. der Stetigkeit und 2. der Mannigfaltigkeit der Dimensionen und Richtungen in die Zahl, d. h. in die allgemeine und allumfassende Gesetzlichkeit der Ordnungs- und Maßbestimmung, ist eben diese und damit das gesamte mathematische Verfahren zubereitet für die gedankliche Bewältigung der Raumordnung und ebenso der Zeitordnung - soweit wenigstens sie nicht das Problem der 50 LG S. 226. 51 Auf die Rolle dieser definitorisch umschreibenden Begriffsbildung, wie sie sich in der mathematischen Grundlagenarbeit vorfinden von Euklid bis Frege, und die immer eine rätselhafte Rolle gespielt haben, weil sie bei der Beweisführung nie herangezogen wurden, hat neuerdings ein Aufsatz von P. Lorenzen neues Licht geworfen (P. Lorenzen, Das Begründungsproblem der Geometrie als Wissenschaft der räumlichen Ordnung, in: Philosophia Naturalis, Bd. IV, H . 4, 1961, S. 415-31). Lorenzen, der hierin an Arbeiten von Dingler a n k n ü p f t , axiomatisiert zunächst die Euklidische Geometrie unter Vermeidung des Kongruenzbegriffes durch die Relationen und Begriffe: Gleichheit, Inzidenz, Zwischen, Parallelität und Orthogonalität, die hinreichen, um die Kongruenz zu definieren. N u n zeigt sich, d a ß diese Begriffe nicht in der Dunkelheit bloß axiomatischer Forderung stehen bleiben müssen, sondern d a ß sie als räumliche Formen durch gewisse Homogeneitäten charakterisierbar sind: „homogene G r u n d f o r m e n " . Lorenzen skizziert dann die Möglichkeit, aus diesen Homogeneitätsprinzipien die Sätze der Euklidischen Geometrie abzuleiten. Das setzt aber voraus, d a ß diese so formalisiert und präzisiert werden, d a ß sie f ü r die Grundlegung einer mathematischen Theorie taugen. O b w o h l dieser Ansatz erst als P r o g r a m m konzipiert ist, läßt sich doch schon, wie Lorenzen zeigt (S. 428 f.), absehen, d a ß „sich aus der hier vorgetragenen Begründung nur die euklidische, nicht eine nichteuklidische Geometrie ergeben w i r d " . Dieser Versuch Lorenzens berührt sich insofern mit dem Vorhaben von N a t o r p und O . Becker, als es auch hier auf eine Begründung des Vorrangs des Euklidischen R a u m typus hinausläuft; sie geht aber über das bei Becker versuchte hinaus, insofern sie nicht auf die vorwissenschaftliche Raumanschauung zurückgreift, sondern die Geometrie als axiomatische begründet und zugleich zeigt, d a ß damit mehr als bloß eine axiomatisdie Theorie unter vielen gesetzt ist, wenn man nämlich die Grundbegriffe als räumliche G r u n d f o r m e n interpretiert. D a m i t wird eine Möglichkeit gewonnen, über die reine Mathematik hinaus zu einer A n w e n d u n g der Geometrie auf physikalische Sachverhalte zu kommen. Diese Möglichkeit ist deshalb von unmittelbar einzusehender Bedeutung in Hinsicht auf das Begründungsproblem, weil sie direkt den starren Körper zu definieren erlaubt (S. 430). Weil diese Geometrie den ersten Sdiritt über eine reine Mathematik hinaus zur Physik tut, nennt sie Lorenzen eine „protophysikalische Theorie".

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„Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften"

Existenz miteinschließen, das Einzige, was mit bloß mathematischen Mitteln nicht zu zwingen ist 52 ." Zwar kann sich Natorp im ersten Punkt auf Dedekind berufen, der den Stetigkeitsbegriff allgemein für Mengen angewandt hat, und auf eine Verwendung des Dimensionsbegriffs im Raum der reellen Zahlen stützen, doch ist zu sagen, daß diese Begriffe keineswegs eine ursprüngliche und ausdrückliche Beziehung zur Zahl haben, sondern erst durch ganz bestimmte Modifikationen überhaupt in Hinsicht auf die Zahl brauchbar werden. Nur weil Natorp die genaue mathematische Herkunft und Festlegung dieser Begriffe außer acht läßt, und sie in einem allgemeinen Sinn, der die mathematische Prägnanz verloren hat, verwendet, kann er sie so der Zahl beilegen; das aber nicht in Hinsicht auf die Mathematik selbst, sondern in Hinsicht auf die Bewältigung der Probleme, die eine mathematische Naturwissenschaft aufgibt. Die Zahl selbst, mit soviel ihr Fremdem belastet, muß dann allerdings über die Mathematik hinaustreiben, „um konkret zu werden", weil sie Bestimmungen trägt, die in der Mathematik nicht realisiert werden können. „Sind also Zeit und Raum Bedingungen der Existenzbestimmung in möglicher Erfahrung, so gehen sie eben damit hinaus über die bloße Gesetzlichkeit der Zahl, die, für sich betrachtet, nicht zur zeit-räumlichen Gesetzlichkeit durchgeführt, den Charakter abstrakter Generalität nicht überwände. Erst durch Zeit und Raum, oder sollte man nicht besser sagen als Zeit und Raum, wird die Zahl selbst konkret, wird sie Zahl der Dinge, geradezu der Existenz 5 3 ." Ist aber die Konkretion der Zahl, die sie in Hinsicht auf die Natur als Zahl der Dinge (Maß) erfährt, dieselbe wie ihre eigentliche mathematische Konkretion? Muß nicht hier, wenn von Konkretion der Zahl, allgemeiner von Konkretion der mathematischen Gebilde die Rede ist, unterschieden werden? So doppeldeutig bei Natorp die Zahl selbst gedacht ist, so doppeldeutig ist auch deren Konkretion. Diese Unterscheidung müßte getragen werden von dem Unterschied der Ermöglichung der Mathematik als solcher und der Ermöglichung der mathematischen Naturerfassung. D a Natorp aber hier nicht unterscheidet, sondern beides zusammendenkt, ohne freilich aufzuzeigen, inwiefern sie sachlich ein Selbes besagen, kann er diese Fragen gar nicht gesondert angehen 54 . 52 LG S. 263 f. 53 LG S. 278. 54 Wenn Natorp von der Konkretion der Zahl, d. h. aber der mathematischen Objekte insgesamt, in Raum und Zeit spricht, dann darf das nicht vermischt werden mit ebendemselben Argument, das eine Begründung der Mathematik vermöge Abstraktion ausspricht, wie es bei Aristoteles schon der Fall war. Auch dort nämlich, da die mathematischen Gegenstände durch Abstraktion von gegebenen Gegenständen oder Relationen gebildet werden, haben sie eigentliche Konkretion in diesen Dingen, d. h. in der zeit-räumlichen Bestimmtheit. Als mathematische Gebilde haben sie nur in eben der geleisteten Abstraktion Bestand. Die Realität der mathematischen Objekte ist also

§ 26. Raum und Zeit

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Dort, wo Natorp zwischen dem Begriff oder einem Erfahrungssatz und den entsprechenden jene ermöglichenden transzendentalen Bedingungen unterscheidet, behält er nur das formale Gesetz der logischen Korrelation zurück, das aber nichts erklärt, sondern nur formal beschreibt. Die großartige Leistung Natorps liegt darin, daß er trotz dieses formalen Ansatzes, der immer unbestimmt bleibt, in Hinsicht auf konkrete Fragestellungen sachgerechter denkt, als er es von seinem Ansatz her könnte.

§ 26. Raum und Zeit als Bedingungen der eindeutigen der Existenz

Bestimmbarkeit

So problematisch die Einführung von Dimension und Richtung in die „Zahl" sein mag, so unangefochten bleibt dadurch der letzte Teil der Aussage, die bloße Ordnung von Raum und Zeit läßt sich mit mathematischen Mitteln erfassen. Aber hier fängt die Problematik erst an bedrängend zu werden: wie nämlich, so müssen wir fragen, hängt diese mathematisch entworfene Raum- und Zeitordnung mit der physikalischen zusammen? Es geht ja nicht um irgendgeartetes Erfassen von Raum- und Zeitstrukturen, sondern um die Darstellung der die Natur kennzeichnenden räumlich-zeitlichen Bestimmtheit. Das Problem, wenn man von der in der Mathematik entworfenen Raum- resp. Zeitstruktur ausgeht, ist dies, wie kann man aus der Mannigfaltigkeit, die die Mathematik anbietet, eine bestimmte auszeichnen, die als die Basis der Naturauslegung fungieren soll. Denn auch Natorp weiß, daß die Mathematik eine Vielzahl von Raumtypen als für sie ganz und gar gleichrangig anbietet, und so stellt sich für ihn das Problem der Auswahl. Oder ist vielleicht die Frage schon falsch gestellt? Vielleicht besteht das Problem gar nicht in der Auszeichnung einer bestimmten, von der Mathematik vorgegebenen Raum- und Zeitordnung, sondern in der Entwicklung einer solchen, die sich von Anfang an im Blick auf die Erfassung der Natur vollzieht? Steht also vielleicht Natorps ganze Entwicklung der Mathematik in dieser Grundrichtung, aus der Zahl die Raumordnung und die Zeitordnung zu entwickeln und diese selbst in Hinsicht auf die Erfassung der Natur? Allerdings denkt Natorp an anderer Stelle auch die Ordnung von Raum und Zeit einerseits in den Dingen begründet, von denen abstrahiert wurde, andererseits in dem Verstand, der die Abstraktion hält und leistet. Natorp aber anerkennt nicht den Ursprung der Mathematik vermöge Abstraktion, sondern die Gegenstände der Mathematik sind rein apriorisch erzeugte logische Gebilde; als solche sind sie allgemeine, der Konkretion bedürftig, gleichsam unwirkliche; die gesamte Mathematik aber in diesem Sinn der Konkretion bedürftig zu denken, ist nur möglich in Hinsicht auf den Wirklichkeitsbegriff der Physik, oder jedenfalls auf einen außerhalb der Mathematik liegenden Sachbereich, in dem sich die Mathematik aber als solche vollenden soll.

„Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften"

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nicht als die fortgeführte Ordnung der Zahl, sondern als „bestimmte Seite eben der Gesetzlichkeit der Ordnungsbeziehung überhaupt, die wir als den letzten Sinn der Zahl und damit des Mathematischen überhaupt erkannten" 55 . Hier ist eine breitere Basis für die Mathematik angedeutet, auf welcher vielleicht der Unterschied zwischen Mathematik als solcher und mathematischer Naturwissenschaft Platz hätte. Aber über diese bestimmte „Seite der allgemeinen Ordnungsbeziehung", die sich als Raum und Zeit manifestiert, erfahren wir nichts. Im Letzten geht Natorp immer wieder auf das von der bestehenden Mathematik Angebotene zurück, nicht aber auf diesen allgemeinen Grund, und in seiner Ausführung ist es die dort aufgegriffene Zahl, die die Gesetzlichkeit des Raumes und der Zeit aus sich entläßt. Wenn er aber auf die von der Mathematik entwickelten Raumtypen zurückgeht, dann sieht er sich aufs entschiedenste in die Wahlsituation gestellt. Die Aussonderung bedarf aber eines Auswahlprinzips. Dieses findet Natorp in dem Begriff der letzten Bestimmtheit, auf die alles Erkennen abzweckt. „Denn Denken will zuletzt Denken der Existenz sein; auf nichts als sie zielt es überhaupt; richtiger: Existenz ist nur der Ausdruck dessen, worauf als letztes alles Denken abzielt. Denn Denken heißt Bestimmen, und Existenz bedeutet die letzte Bestimmung, die, in der nichts unbestimmt bliebe56." Aus der Bestimmung der Existenz als letzter Determiniertheit des logischen Prozesses wird nun sowohl Raum und Zeit überhaupt als die Basis der letzten Bestimmtheit als auch der dafür nur zureichende Raumtyp begründet. „Ihre Begründung (nämlich die Begründung von Raum und Zeit als Basis der Bestimmung) liegt in ihrer Bedeutung als Bedingung des Urteils der Existenz, d. i. der vollständigen Determination des Gegenstandes in der Erfahrung. Einen einzigen Funktionalzusammenhang des Geschehens aufzustellen ist die Aufgabe, die durch den Begriff der Existenz, durch den Sinn der Setzung, daß etwas sei, im Vollsinn allseitiger Bestimmtheit des Gedachten, gestellt ist 57 ." Wenn so die Existenz als letzte allseitige Bestimmtheit, Raum und Zeit als Basis dieser Bestimmung gedacht sind, dann kann allerdings Natorp sagen: „Es ist also ein ,analytischer' Satz, daß, sofern die Existenz zeiträumlich bestimmt sein soll, diese Bestimmung selbst als schlechthin eindeutige gefordert, obzwar nie gegeben ist 58 ." Nun könnte man an dieser Stelle vermuten, es könne genügen, von dem Raum als Basis zu fordern, daß in ihm die empirischen Daten eindeutig bestimmbar sein müssen. Hier könnte also durchaus eine Vielheit von Räu55 56 57 58

LG LG LG LG

S. S. S. S.

270. 305. 338. 328.

§ 26. Raum und Zeit

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men noch in Frage kommen, die alle diese Voraussetzung erfüllen. Das aber will N a t o r p ausschließen, indem er a priori von dem Raum, der die eindeutige Bestimmbarkeit der Existenz erlaubt, zugleich Einzigkeit fordert. „In ebendieser seiner Funktion muß der Raum selbst nicht bloß überhaupt gesetzmäßig, sondern in dieser Gesetzmäßigkeit auch schlechthin eindeutig konstruiert werden; dieser Forderung aber genügen, wie gezeigt, nicht die Bestimmungen nicht-euklidischer Räume, die zuletzt alles in unendlicher Unbestimmtheit zurücklassen würden, sondern ihr genügt allein, eben k r a f t seines Einzigkeitscharakters, der Euklidische Raum 5 9 ." Was den Euklidischen Raum also vor allen auszeichnet, ist nicht seine besondere geometrische Bestimmtheit, ihm kommen nicht neue geometrische Eigenschaften zu, die den anderen Raumtypen ermangeln, sie alle haben nur je verschiedene Ausprägung. „Das Unterscheidende liegt in dem Hinzutritt der Bedingung der Einzigkeit, nicht irgendwelcher besonderer räumlicher Bestimmungen, sondern des Zusammenhanges aller der Bestimmungen, die mitsammen die Koexistenz der Dinge gesetzmäßig darstellbar machen 60 ." Es müßte nun hier gezeigt werden, inwieweit aber die Darstellung des Zusammenhanges aller Bedingungen, die die Koexistenz der Dinge in Gesetzen vorstellen, wirklich an den Euklidischen Raum gebunden ist. Das unterläßt N a t o r p . Auf die Erfahrung aber kann er sich nicht berufen, da es ja seine Absicht ist, den Euklidischen Raum als eine apriorische Denknotwendigkeit auszuweisen. Zwar: „Die so sich ergebende Notwendigkeit' ist also nicht absolute Denknotwendigkeit, auch nicht subjektive Anschauungsnotwendigkeit, sondern die rein objektive Notwendigkeit der einzigen Bedingung eindeutiger Bestimmbarkeit zeit-räumlicher Veränderung, die sonst, vom Standpunkt abstrakten Denkens und Rechnens ebenso wie vom Standpunkt bloßer Erfahrung, in absoluter Unbestimmtheit bleiben müßte 61 ." Aber, wenn sich nicht der Euklidische Raum als absolute Denknotwendigkeit ausweisen läßt, sondern nur in Hinsicht auf die eindeutige Bestimmbarkeit eines Geschehens, so ist nun um so schärfer der Nachweis dieser Behauptung zu fordern, inwiefern nicht vom bloßen Begriff der Bestimmtheit her (auf Berufung auf subjektive Anschauungsformen kann LG S. 316. GO LG S. 312. LG S. 323. - Man vgl. mit dieser Ansicht N a t o r p s die diametral entgegengesetzte bei F.. Cassirer: „Die Relativitätstheorie w a g t es, auf diese A u s n a h m e s t e l l u n g " (die des Euklidischen Raumes) „zu verzichten; nicht als ob sie auf die Forderung der eindeutigen Bestimmtheit des Geschehens verzichten könnte und wollte, sondern weil sie über neue gedankliche Mittel verfügt, um dieser Forderung zu genügen. D i e unendliche M a n n i g faltigkeit möglicher Systeme ist m i t der unendlichen V i e l d e u t i g k e i t der in ihnen zu e r m i t t e l n d e n M a ß w e r t e nicht gleichbedeutend - sofern alle diese Systeme durch eine gemeinsame Regel aufeinander bezogen und miteinander verknüpft sind." (Cassirer, Zur Einsteinschen Relativitätstheorie, S. 49.)

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„Die logisdien Grundlagen der exakten Wissenschaften"

sich N a t o r p ja nicht einlassen), auch andere Raumtypen, nichteuklidische, diese Bedingung erfüllen 62 . Es ist aber überhaupt zu fragen, wozu N a t o r p mit solcher Entschiedenheit auf dieser Euklidischen Raumstruktur insistiert. Denn die mathematische Naturwissenschaft, um deren logische Grundlegung es ja geht, hat sich bereits von dieser Vorstellung befreit. N a t o r p hat auch mit Poincaré eingesehen, daß die empirischen Daten mit jeder Geometrie in Einklang zu bringen sind 63 . Es müßte also, wenn es nicht Willkür sein soll, die eine bestimmte 62

63

In Hinsicht auf die Anwendung der Geometrie auf Probleme der Physik hat ebenfalls O. Becker in seiner Schrift, Beiträge zur phänomenologischen Begründung der Geometrie und ihrer physikalischen Anwendungen" (Jahrb. f. Phil. u. phän. Forschung, Bd. 6, S. 386-560), den Vorrang des Euklidischen Raumtypus vor allen anderen zu begründen versucht. Ein kurzer Vergleich des Vorgehens ist hier von bedeutsamem Interesse. Natorp nämlich begründete den Vorrang des Euklidischen Raumes ausschließlich in Hinsidit auf die Rolle, die ihm in der Physik zukommt; dabei wird also die mathematische Seite ganz unberührt gelassen (obwohl mit mathematischen Bestimmtheiten des Euklidischen Raumes argumentiert werden muß), er erfährt aber seine Auszeichnung nur in Hinsidit auf die Physik („eindeutige Existenzbestimmung der Physik"). Dagegen versucht Becker die „apriorisdie Kontingenz der geometrischen Axiome" zu überwinden, das aber im ganzen, um auf diese Weise die Einzigkeit und damit die transzendentale Notwendigkeit des Euklidischen Raumes zu erweisen. Das aber versucht er nicht in Hinsidit auf die Physik, obwohl es audi bei ihm letztlich auf die Anwendung geometrischer Strukturen in der Physik ankommt, sondern im Rüdegang auf die Konstitution des „vorwissenschaftlich angeschauten Raumes der Natur". Erst von hierher wird dann bei Becker die Frage gestellt, inwiefern mit Sinn und Recht nicht-euklidisdie Maßbestimmungen in der Physik Anwendung finden können. Deshalb muß zunächst aus dem Phänomen der Raumkonstitution (vorwissenschaftliche) abgeleitet werden, was das ausgezeichnete Beschaffensein des Euklidischen Raumes ausmacht: 1. die Metrik (Krümmungsmaß Null), 2. die Zusammenhangsverhältnisse (offene und einfachzusammenhängende Topologie) und 3. die Dimensionsbestimmtheit (Dreidimensionalität) betreffend. Nachdem so die apriorische Notwendigkeit der Euklidischen Raumstruktur aufgezeigt ist, kann die Anwendung nicht-euklidischer Raumstrukturen in der Physik nur dann eingesehen werden, wenn die dort verwendeten Raumtypen gegenüber der Euklidischen, die die „normale" ist, als mögliche Abweichungen von der topologischen oder metrischen Beschaffenheit des Euklidischen Raumes vorgestellt werden können. Daß aber überhaupt eine von der Euklidischen Raumstruktur abweichende Geometrie für die Physik Anwendung finden kann, das hängt mit der veränderten Auffassung der Naturgesetzlidikeit zusammen, und wird erst in dem Moment möglich, da nicht mehr ausschließliche Kausalgesetzlichkeit gilt, sondern daneben die Möglichkeit einer anders gearteten („Struktur-")Gesetzlichkeit auftaucht. Für eine Physik, die streng an der Kausalgesetzlidikeit der Natur festhält, ist der Raumtyp, in dem sie die Gesetze verzeichnet, einzig der Euklidische. „Wir können also schon jetzt sagen: die Möglichkeit der Anwendung nicht-euklidischer Geometrien beruht einzig und allein auf der Möglichkeit, jene Voraussetzung der klassischen Physik von der Alleinherrschaft der Kausalität in der Natur nicht gelten zu lassen, und nicht kausale, d. h. strukturale Gesetzmäßigkeiten in der Natur zuzulassen." (a. a. O., S. 508) Gegen diese, auf Helmholtz und vor allem Poincaré zurückgehende Auffassung, die man als Konventionalismus bezeichnet, hat sich allerdings H. Reichenbach gewandt. Nach ihm gibt es „eine objektive Aussage über die Geometrie des wirklichen Raumes:

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Geometrie zugrunde legt, nach Prinzipien gesucht werden, die es erlauben, diese Grundlegung aus dem Ganzen des Wissens zu leisten. Dieser Aufgabe aber wird das Beharren auf der Euklidischen Geometrie nicht gerecht, insofern es nicht das Faktum aus der Welt schafft, daß die Naturwissenschaft z. T . auf der Basis nichteuklidischer Geometrie arbeitet. Aber Hier läßt Natorp zum großen Erstaunen seines großen Anspruchs sich alles aus der Hand nehmen, wenn er sagt: „Die Raumordnung des Empirischen ist natürlich Sache der Empirie. Sie ist nicht bloß nicht vollständig, sondern gar nicht a priori bestimmbar. Aber nach ihr war hier gar nicht die Frage, sondern nach den Grundbestimmungen des reinen, geometrischen Raumes 6 4 ." Aber wie denn? Konnte denn vorher die Einzigkeit des Euklidischen Raumes nicht nur in Hinsicht auf mögliche Existenzbestimmung dargetan werden? Nun aber war vom Raum, der als wirkliche Basis der Existenzbestimmung dient, gar nicht die Rede, sondern nur vom reinen, geometrischen Raum? Wenn es so ist, dann ist aber Natorp keinen Schritt vorangekommen, denn es ist nicht die Einzigkeit des Euklidischen Raumes im innermathematischen, rein geometrischen Sinn dargelegt, weil er seinen ausgezeichneten Charakter nur in Hinsicht auf mögliche Existenzbestimmung erhielt, zum anderen aber sieht Natorp keine Möglichkeit, seinen so abgeleiteten Raum, der für jegliche Existenzbestimmung, weil für das Denken von Existenz überhaupt notwendig ist, mit der von der Naturwissenschaft vorgestellten Raumstruktur zu vergleichen. Natorp zeigt also weder, wie sein apriorisch abgeleiteter Raumbegriff jegliche empirische Raumstruktur, die von der Naturwissenschaft ausgesprochen wird, ermöglicht, noch zeigt er, welche transzendentalen Bedingungen in der Setzung der Struktur des Raumes, die die Empirie ja ständig vollzieht, enthalten sind. Zwischen dem transzendentallogischen Bereich und dem der Empirie besteht danach bei Natorp eine unaufhebbare Kluft, die doch gerade überbrückt werden sollte, so daß zu fragen ist, was dann eine solche logische Grundlegung noch soll, die weder empirische Bestimmung in die transzendentale Reflexion aufnimmt, noch von der Logik her eine Brücke zur Empirie schlagen kann.

§ 27. Die reine

Mechanik

Wir sahen, wie Natorp das Denken der Existenz als das Bestimmen des Zusammenhanges aller Bedingungen, die ein Wissen eindeutig festlegen, versie ist eine Aussage über eine Beziehung zwischen dem Universum und starren Maßstäben. Die zur Charakterisierung dieser Beziehung gewählte Geometrie ist freilich nur eine Sprechweise; aber gerade die Erkenntnis der Relativität der Geometrie ermöglicht erst, den objektiven Charakter einer Aussage über die Weltgeometrie als eine Relationsaussage zu formulieren". (H. Reichenbach, Phil. d. R-Z-Lehre, S. 50) 64 L G S. 325.

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steht. Das Bestimmen dieses Zusammenhanges geschieht in Hinsicht auf den reinen Raum der Euklidischen Geometrie und die absolute Zeit. Die Naturwissenschaft aber, die auf Daten empirischer Messungen ihre Berechnungen stützt, kann dieses Messen und Berechnen nicht auf den absoluten Raum oder die absolute Zeit beziehen. Eine Wissenschaft, die ihre Aussagen auf den absoluten Raum und die absolute Zeit bezieht, muß von anderem als empirischem Charakter sein. Als die Wissenschaft, die Aussagen in Bezug auf den absoluten Raum und die absolute Zeit formuliert, versteht Natorp die reine Mechanik. Die Mechanik, von der Kant sagte, daß sie einen reinen Teil enthalte, den abzusondern Aufgabe der Metaphysik der Natur sei, wird also hier im Ganzen als reine Wissenschaft vorgestellt. Sie steht damit in ihrem logischen Rang auf der gleichen Stufe wie die Aussagen der Mathematik 65 . Wie stellt nun Natorp die Mechanik als reine Wissenschaft vor? Er erörtert sie ganz vom Begriff des Gesetzes her, also von den Kategorien der Relation. Insofern diese bei Natorp als Synthesis von Synthesen verstanden sind, setzen sie die ursprüngliche Synthesis von Quantität und Qualität voraus. Es ist aber nicht so zu denken, als würden Quantität und Qualität als solche auf die Bestimmtheit der Mechanik gebracht, vielmehr treten Quantität und Qualität als Bestimmtheit der Raum- und Zeitstruktur auf, auf welche hin die Gesetze der reinen Mechanik ihre Aussagen formulieren. Dabei genügt die bloße, mathematische Struktur von Raum und Zeit nicht - reine Quantität — sondern es muß noch dasjenige, wovon die Gesetze der reinen Mechanik Veränderungen aussagen, gesetzt werden. „Also vielmehr irgendein, noch sonstwie zu bestimmendes Etwas im Raum (nach Kants Ausdruck Reales) wird so gedacht werden müssen, daß es wechselnd andere und andere Stellen im Raum einnimmt. Das heißt: es muß jene wechselnd andere und andere Ordnung der Elemente im Raum sich darstellen als andere und andere, nämlich in der Zeit dem Raum nach wechselnde Ordnung gewisser Elemente oder Punkte eines Existierenden, welches noch irgendwie anders als bloß durch die Einnahme dieser und dieser Stellen im Raum zu der und wieder zu der und der Zeit zu bestimmen ist; und zwar ist, wenn in diesem Wechsel die Einheit des Existierenden streng gewahrt bleiben soll, die weitere Voraussetzung unerläßlich, daß es zuletzt immer dieselben Elemente desselben, somit allein (zeit-räumlichen) Existierenden seien, die in der Zeit ihren Ort und zwar stetig wechseln. Daraus folgt das große Gesetz: daß aller in der Zeit und im Raum geschehende Wechsel nur Stellwechsel, also gegenseitige Lageänderung immer derselben Elemente eines und desselben Existierenden, dieses also, abgesehen von diesem Stellenwechsel, unveränderlich (weil notwendig auf einzige Art bestimmt) zu denken ist 66 ." «s L G S. 337. «« L G S. 349.

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Dieses Gesetz, das noch kein Satz der Mechanik im eigentlichen Sinne ist, ist das Grundgesetz, das die Prinzipien trägt und den Gesetzen ihr Feld eröffnet. Die Gesetze der Mechanik aber erörtert N a t o r p ganz in demselben Sinn wie Kant, indem er Substanz, Kausalität und Wechselwirkung mit den ihnen entsprechenden Grundsätzen entwickelt, die aber finden ihren bestimmten Gehalt in den drei Grundgesetzen der Newtonschen Physik. Dabei ist allerdings zu bemerken, daß Kant in der K. d. r. V., die Grundsätze des reinen Verstandes als Bedingungen möglicher Erfahrung in einem noch nicht weiter bestimmten Sinn entwickelt. Erst in der Metaphysik der Natur, wo der bestimmte Begriff einer körperlichen N a t u r durch den Begriff der Materie als metaphysisches Prinzip hinzukommt, vermag er die allgemeinen Grundsätze auf die Bestimmtheit der Newtonschen Gesetze zu bringen. Der bloße Begriff des Realen der Empfindung, als das in Raum und Zeit Gesetzte, genügt noch nicht, um zu dieser Bestimmtheit zu kommen. Wieso Natorp, ohne ein solches metaphysisches Prinzip ausdrücklich an die Spitze zu stellen, dennoch zu derselben Bestimmtheit der Gesetze kommt, bleibt dunkel. Es zeigt sich hier wieder wie bei der Erörterung der Mathematik, daß N a t o r p Bestimmungen benutzt, ohne sie aus seinem Ansatz entwickelt zu haben. Wenn aber so die Mechanik als eine Wissenschaft vorgestellt wird, die Aussagen in Bezug auf den absoluten Raum und die absolute Zeit macht, welche aber selbst nie durch Erfahrung wißbar sind, dann muß der Unterschied zwischen Logik und Empirie, der sich als unüberbrückbar in Natorps Denken zeigte, jetzt als Unterschied zwischen Mechanik und Physik erneut sich zeigen. „Richtig dagegen und sehr wichtig ist, daß die Gesetze der abstrakten, auf die absolute mathematische Zeit und den absoluten mathematischen Raum bezogene Mechanik nicht schon physikalische Gesetze sind 67 ." Nicht schon? Oder nicht mehr? Denn von H a u s aus ist die Mechanik doch keine reine Wissenschaft, sondern eine bestimmte Gestalt der Physik. Wenn nun aber hier bei N a t o r p die Mechanik im Ganzen als reine Wissenschaft ausgesprochen wird, dann muß hier eine Möglichkeit vorliegen, wie empirisches Wissen in die reine Logik aufgenommen werden kann. Vermöge Abstraktion? „Je strenger sich die Mechanik als ,reine' Wissenschaft gleich der Mathematik und in sozusagen stetigem Zusammenhang mit dieser konstituiert, um so weniger darf sie eine andere Geltung als die einer Abstraktion völlig auf gleicher Linie mit denen der reinen Mathematik beanspruchen 67 ." Allein, was heißt bei N a t o r p Abstraktion? Dieser Begriff hängt bei N a t o r p völlig in der Luft; denn nach der Überlieferung ist darin das Verfahren gedacht, das von einer gegebenen Vielheit das ihnen Gemeinsame, das Allgemeine heraushebt, und das sich in bestimmten Schritten (Kompara«7 LG S. 398.

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tion, Reflexion, Abstraktion) vollzieht. Bei N a t o r p aber ist der Begriff der Gegebenheit völlig verschwunden, und das Erkennen ist als ein logisches Bestimmen ganz bei sich (s. o. S. 171). Hier kann also von Abstraktion nicht in dem oben angezeigten Sinn die Rede sein. N a t o r p spricht auch die Abstraktion nicht in diesem Zusammenhang als die Weise der Konstitution der Mechanik aus, sondern er bezeichnet durch diesen Terminus lediglich die logische Geltung, wohingegen sich ihre Konstitution in stetigem Zusammenhang mit der Mathematik vollzieht. Damit ist aber ausgesprochen, daß sich die Probleme der reinen Mechanik im Grunde als mathematische erweisen, oder daß sie ganz mit mathematischen Mitteln zu bewältigen sind. N a t o r p hält die Mechanik im Ganzen als reine Disziplin und zwar im Sinne der Mathematik fest und sieht in ihr nicht Aussagen über die Empirie, sondern konditionale Sätze. Sie sind konditional, insofern „durch sie eine eindeutige Bestimmung des Empirischen überhaupt nur möglich wird" 6 8 . Wie aber soll das verstanden werden? Wir müssen fragen, welchen Sinn die Aussage „Bestimmung des Empirischen" bei N a t o r p hat. Bestimmen richtete sich, soweit dargestellt, nur auf etwas zuvor schon im und durch das Denken Gesetztes (s. o. S. 167-173). Hier aber ist von Bestimmung des Empirischen die Rede. Was das heißen soll, das sagt uns N a t o r p . Bestimmen des Empirischen Ermöglichen heißt: „die obersten Voraussetzungen zu formulieren, gemäß welchen eine theoretische Darstellung der Bewegungen nach ihrem gesetzlichen Zusammenhange überhaupt nur möglich ist" 69 . Aber wie das selbst möglich ist, und welche Stelle es in seinem logisdien Prozeß des Bestimmens hat, welche Stelle dort überhaupt der Begriff der Empirie hat, das bleibt ganz und gar dunkel. Zwar leugnet N a t o r p nicht die Empirie, aber in seinem Entwurf, obwohl er als Grundlegung der exakten Wissenschaft, d. h. als Ermöglichung der Erfahrung verstanden ist, hat sie keine Stelle. Erfahrung ist ein „denkfremder Faktor" 7 0 , der in keiner Weise dem Denken angeglichen werden kann. Dort wo es geschieht, in der Mechanik, ist es eine Erschleichung. Die Grundlegung der exakten Wissenschaften kommt also nie auf den Boden der Physik, bleibt in der unbestimmten Allgemeinheit. Weil N a t o r p seine Grundlegung ganz und gar formal ansetzt, deshalb kann er nur bei formaler Beschreibung stehen bleiben; die äußerste Möglichkeit, die ihm offen steht, ist die Gewinnung mathematischer Prinzipien der Naturlehre, eine Möglichkeit, die aber Kant gegenüber Newton bereits verworfen hatte bzw. an eine andere Stelle gerückt 71 . Die Erfahrung der Wirk«» L G S. 337. L G S. 367. ™ L G S. 324. 71 „Es gibt nicht mathematische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, sondern des Überganges v o n den metaphysischen Anfangsgründen zur Physik. Transitus a metaphysicis

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lidikeit aber, „Existenz, das Einzige, was mit bloß mathematischen Mitteln nicht zu zwingen ist" 72 , muß darum das Rätsel bleiben, das nicht bewältigt werden kann. Natorps Ansatz ist wesentlich zu kennzeichnen als die Darstellung der Wissensart f ü r sich durch die Abstraktion von der Sache, auf die das Wissen aus ist und mit der es ursprünglich einig ist, d. h. als Methodologie. Sie ist aber nicht Methodologie der exakten Wissenschaften in dem schlichten Sinn der Zusammenfügung der in der Physik angewendeten Methoden, d. h. Praktiken. N a t o r p setzt die Darstellung der Methode der exakten Wissenschaften nicht auf dem Boden der Physik an, sondern seine Basis ist das logische Verfahren als solches und zwar als transzendentale Logik. Kants oberster Grundsatz aller synthetischen Urteile: „Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteil a priori" (A 158 / B 197), stellt die ursprüngliche Ganzheit des Wissens, die Einheit von Wissen und Sache aus einem Prinzip vor. Die ganze Transzendentalphilosophie ist im Grunde nichts anderes als die Ausführung dieses Satzes. U n d ebenso kann sich die Entwicklung des Erfahrungsbegriffes in der Metaphysik der N a t u r nur im beständigen Hinblick auf die Sache selbst vollziehen. N a t o r p hingegen legt den ganzen Bereich der transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung aus, indem er nur eine Seite des Verhältnisses berücksichtigt, nämlich er nimmt das Moment des Wissens für sich als allein bestimmendes Prinzip des ganzen Verhältnisses. Von Kant her bedingt das zwei Konsequenzen für eine so angesetzte transzendentale Logik: Ihr Ansatz kann nicht unbedingt sein, weil er selbst nur durch die Abstraktion der einen Seite, des Subjektiven, sich etablieren kann, er weist also über sich hinaus auf die ursprünsliche Ganzheit von Wissen und Sache; zum andern muß diese Methodologie erkennen, daß ihr Ansatz ganz leer ist, weil von der Sache selbst abstrahiert wurde. Methodologie will aber zuletzt nicht bloße Lehre vom rechten Schließen, Bestimmen sein, sondern Lehre von der rechten Erfassung eben dieser Sache. Es wird also ein bloß formaler Begriff der Sache festgehalten, ohne daß das Wissen in ihm eine solche vor sich hat. In dem Prozeß des logischen Determinierens ist also die Sache immer „draußen" festgehalten, und in Hinsicht auf sie f a ß t das Wissen ständig seine Bestimmungen enger, wobei aber alle Bestimmtheit immer logische Bestimmtheit, eine solche des formalen Wissens bleibt; die Sache selbst ist das immer Transzendente. „Existenz vielmehr ist

"

prineipiis ad physicam prineipia mathematica, weil die Bewegungslehre a priori mathematisch bestimmbar ist. D a ß der Übergang von den M. A. d. N . zur Physik durch die Mathematik geschehe, wird vorausgesetzt als Postulat und ist oarentas." (Op. post, X X I I , 519 f.) LG S. 264.

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erst das letzte Wißbare, oder richtiger: das, was man wissen müßte; in Wahrheit das ewig Unwißbare. Sie ist die ewige Frage der Erkenntnis, auf die alle die heiße Arbeit der Begriffe zielt 73 ." Jeder Versuch, die Sache selbst zu erfassen, Anschauung, muß sich von hierher als unerlaubte Prolepsis zeigen. Dieses Wissen muß, da es als leeres anhob auch ewig leer bleiben, aller Reichtum, den es in seiner fortschreitenden Determination gewinnt, ist nur die Mannigfaltigkeit seiner eigenen Spezifizierung allgemeiner Bestimmungen. Dieses fortschreitende Bestimmen ist geführt von der Idee der allseitigen Determination. Aber die bloße Idee der völligen Bestimmtheit legt ja noch nicht die Bestimmtheit als einzelne fest, sondern sagt etwas ganz allgemeines aus: Jegliches ist ein Bestimmtes. Existenz ist so völlig formal und leer und sagt nur einen bestimmten Modus des Wissens aus, nämlich es als zu Ende gekommenes Bestimmen. Woran soll aber das Bestimmen, da es ja auf Einzelnes, Konkretes aus ist, das Maß des Bestimmens nehmen? Wie kann ein Übergang gefunden werden von der bloß formalen Idee der letzten Bestimmtheit zur jeweiligen Sachbestimmtheit, die erst das eine vom anderen unterscheidet, denn daß beide überhaupt Bestimmte sind, das unterscheidet sie nicht, sondern das ist das ihnen Gemeinsame. Was Natorp als Mechanik entwickelt, ist nicht die Basis der exakten Wissenschaften, bezeichnet nicht den Grund, auf dem die Physik aufruht, sondern ist die Idee einer vollendeten Wissenschaft, das Regulativ der Physik 74 . Diese Aussage hatte ihren bestimmten Sinn, solange die Mechanik als exemplarische Wissenschaft festgehalten wurde, und alle übrigen Disziplinen (Elektrodynamik, Wärmelehre usw.) mechanisiert, d. h. nach Art der Mechanik abgehandelt und in ihren Begriffen auf die der Mechanik zurückgeführt wurden; eine Ansicht, die schon vor Natorp ihr Ende gefunden hatte. Es ist also zu fragen, welchen Sinn wir noch mit der Entwicklung der Mechanik als Idee der Physik verbinden sollen? Inwiefern ist zum Beispiel die Relativitätstheorie aus der Hinsicht auf die absolute Mechanik konzipiert, da sie doch gerade diese Disziplin aus dem obersten Rang der Wissenschaften, den sie vormals innehatte, hob? Natorp fühlt sich von diesen Fragen nicht tangiert. Wenn auch nach seiner Ansicht die Relativitätstheorie unbestritten nicht die kantische Unterscheidung zwischen reinem und empirischem Raum aufhebt, sondern „gerade dem Prinzip nach unwidersprechlich bestätigt, allerdings zugleich in der Durchführung noch weiter verschärft und strenger ausgestaltet" 75 , so greift sie aber doch die Mechanik als Idee der Physik an! In welchem genauen Verhältnis steht also Natorps rein logisch entwickelte Mechanik zur Naturwissenschaft, da sie die Vermittlung mit der Empirie 73 L G S. 340. ™ L G S. 398. L G S. 3 9 9 , 4 0 1 .

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nicht leistet, und als Idee zwar ausgesprochen aber nicht in ihrer sachlichen Notwendigkeit ausgewiesen ist? Natorps Schrift „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften" gibt keine Antwort auf diese Fragen. Da Natorps Philosophie wesentlich Methodologie ist, kommt er nur bis zu der Aussage, daß alles Wissen fortschreitendes Bestimmen ist und die Sache die Vorstellung der letzten Bestimmtheit. Wie aber von den hier aufgezeigten Bestimmtheiten das faktische Wissen der Naturwissenschaft konstituiert ist, das aufzuzeigen ist die eigentliche Aufgabe einer Metaphysik der Natur nach kantischem Begriff, kann Natorp nicht verdeutlichen. - Damit geht Natorp an der eigentlichen Aufgabe, die Kant der Philosophie in Hinsicht auf die Physik zuweist, vorbei, obwohl er ungleich mehr Material aus mathematischer und physikalischer Forschung in seine Grundlegung einarbeitete als vor ihm je einer. Diese der Metaphysik eigene Ebene, die Kant als Schrittmoment einer Bewegung des Ubergangs zur Ebene der Physik auffaßte 76 , ist es, die Natorp verfehlt hat, so daß ihm die Möglichkeit des Überganges von den rein apriorischen Bestimmungen zu denen der empirischen Physik verschlossen bleibt, oder aber nur als unausgewiesener Sprung in die Ebene der Physik geschehen kann. *

Dieses Resultat, daß also Natorp, der die Einsicht in das grundsätzlich prozeßhafte Wesen der ErfahrungsWissenschaft aufs deutlichste herausgestellt hat, dem genuinen Verständnis der Gegebenheit blind gegenübersteht und damit das Eigentümliche der Erfakrungswissensdiaft verkennt, würde, jedenfalls wenn es bedeutete, daß das kantische Denken überhaupt der modernen Naturwissenschaft unangemessen gegenübersteht, das Unzulängliche an der Durchführung Natorps also seiner Kant-Tradition anzulasten ist, unmittelbar gegen das eigene Vorhaben sprechen. Wenn es aber stimmt, was zu zeigen versucht wurde, daß gerade die Verkennung der Eigenständigkeit der Anschauung der Grund für die unangemessene Betrachtungsweise Natorps ist, daß also das Versagen des Natorpschen Ansatzes gerade seiner Fehlinterpretation des Phänomens der Anschauung angelastet werden muß, dann spricht das Resultat unmittelbar für den Rückgang auf Kant. Auf Kant soll nicht zurückgegangen werden, weil Natorp weniger weit in der Analyse von Einzelproblemen gekommen ist als Kant, sondern weil bei Natorp ein entscheidendes Moment der kantischen Philosophie, auf dem die Möglichkeit seiner Naturphilosophie entscheidend beruhte, verlorengegangen ist. Wird dadurch der Rückgang auf Kant zunächst nur negativ motiviert, so schließt sich die positive Begründung nur noch in Thesen an, die sich unausgeführt nur als Fragen formulieren lassen: Wird nicht den Fragen, die 76 Vgl. o. S. 159.

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„Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften"

durch die moderne Physik der Philosophie aufgegeben sind, näherzukommen sein, wenn man die Anschauung selbst zunächst als philosophisches Problem festhält und nach ihren Modifikationen fragt, die sie etwa im experimentellen Bereich der gegenwärtigen Physik erfahren hat, und dann diese philosophisch zu bestimmen sucht? Mit Auflösung und Ausklammerung des Problems kann nicht gedient sein, auch wenn gerade durch die neuere Physik der formale Charakter, d. h. die mathematisch-logische Seite der Physik besonders stark hervorgetreten ist. Muß nicht gerade die Rede von der modernen Physik als einer unanschaulichen zunächst zu einer Analyse der „Anschaulichkeit" führen, damit überhaupt eingesehen werden kann, was es bedeutet, daß sich die moderne Physik als eine „unanschauliche" von der klassischen als einer „anschaulichen" abhebt? Ferner: muß nicht gerade f ü r eine Physik, die sich in einem mathematischen Kalkül begründet, die Frage aufdringlich werden, wie sie als Erfahrungswissenscha.it zu verstehen ist, d. h. in welchem Modus von Gegebenheit ihr Sachverhalt präsent ist, auf dessen angemessene Beschreibung die Naturgesetze abzwecken? Mit dem Problem der Unanschaulichkeit geht ferner konform jener durch den Terminus Komplementarität benannte Tatbestand, der besagt, daß zur gesetzmäßigen Beschreibung desselben Phänomens zwei einander ausschließende Vorstellungsweisen nötig sind, deren widerspruchsfreie Benutzung innerphysikalisch zwar gesichert, über deren allgemeine Bedeutsamkeit auch vielfältiges schon gesagt, deren grundsätzliche Relevanz aber f ü r das wissenschaftliche Naturverständnis noch kaum expliziert ist. Kant hat das Grundproblem aller auf Gegebenheit angewiesenen Gegenstandserkenntnis im Problem des Schematismus zentriert, insofern dort gefragt ist, wie ein gegebenes Mannigfaltige als Gesetzeszusammenhang, d. h. als N a t u r begriffen werden kann. Deshalb scheinen die oben angedeuteten Fragen erst in der ihnen zukommenden Bedeutung erfaßbar und einer angemessenen Aufhellung zuführbar zu sein, wenn sie in den Problemkreis des kantischen Schematismus gestellt werden. Kants Durchführung zeigt zugleich, daß sich dieses Problem in den verschiedenen Ebenen wachsender Konkretion wiederholt. Die Ausführungen in der K. d. r. V., den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft und schließlich in dem Systementwurf im Opus postumum sind nicht Ausdruck eines Versuchs, alles Empirische in einen Apriorismus zu verwandeln, sondern zeigen, wie das, was Kant als allgemeine Struktur oder als allgemeines Geschehen in der transzendentalen Einbildungskraft herausstellte, sich als Begründungsgeschehen des faktischen Naturerfahrens vollzieht. Diese verschiedenen Ansätze Kants bedeuten nicht die zunehmende Überdehnung des Apriorischen und einen Mißverstand Kants mit sich selbst, wie es etwa Cassirer und auch C. F. v. Weizsäcker auffaßten 7 7 , sondern jene Schrittfolge, 77

Cassirer, Zur Einsteinschen S. 101.

Relativitätstheorie

S. 51 f., C. F. v. Weizsäcker,

Weltbild

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in der sich das Apriori Kants als synthetisches erfüllt, insofern die transzendentalen Bedingungen Bedingungen aller möglichen Erfahrung, d. h. aber vor allem der faktisch vorliegenden und geübten Weise der Erfahrung sind, auf die diese Bedingungen also bezogen werden müssen. Die Aufgabe sehen wir, abschließend formuliert, darin, daß es im Blick nicht auf die kantischen Festlegungen in ihrer Fixiertheit, sondern im Hinblick auf die Bedeutung dieser Festlegungen gilt, diese Schrittfolge in umgekehrter Richtung zu vollziehen, wobei vermutlich sich weitere Zwischenschritte als nötig und möglich erweisen, so daß hervortreten kann, was das gewandelte Vorgehen der Physik f ü r das Selbst- und Wirklichkeitsverständnis besagt. Dann könnte die naturphilosophische Frage eine schrittweise Reduktion der physikalischen Aussagen und Verfahrensweisen auf das in ihnen involvierte ontologische Verständnis leisten, d. h. sie könnte explizieren, was das in der physikalischen Wissensart gesetzte Verständnis von Sein, Wissen, Wahrheit beinhaltet.

Zitierweise und benutzte Abkürzungen Kants W e r k e werden zitiert nach der Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, die K. d. r. V. wie üblich nach den beiden Erstausgaben. In den Belegen wurden neben den gebräuchlichen folgende Sigel b e n u t z t : FdM

Über die von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin f ü r das J a h r 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1804)

GMS

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785)

MS

Die Metaphysik der Sitten (1797)

ÜeE

Über eine Entdeckung nach der alle neue Kritik der reinen V e r n u n f t durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll (1790)

EE

Erste Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft

BDG

Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763)

N e b e n den sonst üblichen Abkürzungen wurden folgende benutzt: KS

Kant-Studien

KS E H

Ergänzungshefte der Kant-Studien

ZphF

Zeitschrift f ü r philosophische Forschung

Verzeichnis der benutzten Literatur Adidces, E.: Kant als Naturforscher, Berlin 1924 Becker, O.: Beiträge zur phänomenologischen Begründung der Geometrie und ihrer physikalischen Anwendungen (1923), in: Jahrb. f. Philos. u. phänom. Forschung Bd. VI Cassirer, E.: Zur Einsteinschen Relativitätstheorie, Berlin 1921 - Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik, Göteborg 1937 (die beiden Arbeiten wurden zit. nach Cassirer, Zur modernen Physik, Darmstadt 1957) - Kant und das Problem der Metaphysik, in: KS X X X V I (1931) Cohen, H.: Das Prinzip der Infinitesimal-Methode, Berlin 1883 - Kants Theorie der Erfahrung, Berlin 3 1918 - Logik der reinen Erkenntnis, Berlin 1902 Drossbach, P.: Kant und die Gegenwärtige Naturwissenschaft, Berlin 1943 Elsbach, A. C.: Kant und Einstein, Berlin 1924 Hartmann, N.: Philosophie der Natur, Berlin 1950 - Diesseits von Idealismus und Realismus (192'4), in: KS X X I X Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik, Leipzig 1951, PhB 56 (Lasson) Heidegger, M.: Kant und das Problem der Metaphysik, Frankfurt/M. 2 1951 - Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen, Tübingen 1962 - Vom Wesen des Grundes, Frankfurt/M. 4 1955 Heimsoeth, H.: Studien zur Philosophie Immanuel Kants (Gesammelte Abhandlungen Bd. I), Köln 1956, KS E H 71 - Zur Geschichte der Kategorienlehre, in: Gesammelte Abhandlungen Bd. II, Köln 1961, KS E H 82 - Atom, Seele, Monade. Historische Ursprünge und Hintergründe zu Kants Antinomie der Teilung. Abh. der Akad. d. Wissensch, u. Literatur, Mainz 1960 Heisenberg, W.: Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft, Stuttgart '1959 Helmholtz, H . v.: Die Tatsachen in der Wahrnehmung, Berlin 1879 Höfler, A.: Studien zur gegenwärtigen Mechanik. Als Nachwort zu Kants Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. Leipzig 1900. Veröffentlichungen der philosophischen Gesellschaft an der Universität zu Wien, Bd. III b. Husserl, E.: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Bd. II, Haag 1952 Kaulbach, F.: Metaphysik des Raumes bei Leibniz und Kant, Köln 1960, KS E H 79 Knittermeyer, H.: Der „Ubergang" zur Philosophie der Gegenwart, in: ZphF Bd. 1 - I. Kant. In: Abh. u. Vorträge herausgegeben von der Bremer wissenschaftlichen Gesellschaft, Bd. 12 H . 4, 1939 Lehmann, G.: Kritizismus und kritisches Motiv in der Entwicklung der Kantischen Philosophie, in: KS XLVIII (1956/7) - Ganzheitsbegriff und Weltidee in Kants Opus postumum, in: KS XLI (1936) Lorenzen, P.: Das Begründungsproblem der Geometrie als Wissenschaft der räumlichen Ordnung (1961), in: Philosophia naturalis Bd. VI Maier, A.: Kants Qualitätskategorien, Berlin 1930, KS E H 65 Malottki, J. v.: Das Problem des Gegebenen, Berlin 1929, KS E H 63

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Literatur

Martin, G.: I. Kant. Ontotogie und Wissenschaf tstheorie, Köln 1951 - Gesammelte Abhandlungen und Vorträge, Bd. I, Köln 1961, KS E H 81 Natorp, P.: Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, Leipzig 1910 - Philosophische Systematik, Hamburg 1958 Reichenbach, H . : Philosophie der Raum-Zeit-Lehre, Berlin 1928 Stadler, A.: Kants Theorie der Materie, Leipzig 1883 Ulmer, K.: Die Wandlung des naturwissenschaftlichen Denkens zu Beginn der Neuzeit bei Galilei, in: Symposion Bd. II - Von der Sache der Philosophie, in: Symposion I I I , und Freiburg/München 1959 Weyl, H.: Was ist Materie?, Berlin 1924 - Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaften, in: Handbuch der Philosophie, München 1928 Weizsäcker, C. F. v.: Zum Weltbild der Physik, Stuttgart »1962 Wundt, M.: Kant als Metaphysiker, Stuttgart 1924

Personenregister Adickes, E. 6, 7, 29, 32, 53, 57, 71, 74, 75, 79,86, 97,113, 128,134 Aristoteles 15, 46, 121 Becker, O. 177, 182 Cassirer, E. 5, 10, 15, 72, 105, 108, 135, 153, 181, 190 Cohen, H. 5, 22, 68, 108, 154, 176 Couturat, L. 155, 176 Dedekind 178 Demokrit 88 Descartes 78 Dingler, H . 177 Drossbach, P. 135 Elsbach, A. C. 135 Fichte, J. G. 153, 168 Frege, G. 155, 177 Galilei 51, 107 Hartmann, N. 10, 148 Hegel 24, 83, 87, 154, 167, 168, 176 Heidegger, M. 10, 15, 25, 27, 35, 137, 144, 166 Heidemann, I. 10 Heimsoeth, H . 10, 79, 144 Heisenberg, W. 88 Helmholtz, H . v. 37, 182

Hilbert, D. 53 f. Höfler, A. 7, 8, 27 Husserl, E. 22 Kaulbach, F. 29 Knittermeyer, H . 10, 13, 14, 21, 142 Lambert, J. H . 71 Lehmann, G. 10, 22, 27 Lorenzen, P. 177 Maier, A. 62, 125, 164 Malottki, J. v. 172 Martin, G. 10 Muschenbroek, P. v. 71 Newton 5, 53, 113, 132, 134, 186 Plato 88 Poincaré, H . 182 Reichenbach, H . 14,48,182 Russell, B. 155,176 Schelling 168 Schlick, M. 48 Stadler, A. 7, 27, 29, 54, 57, 60, 74, 86, 128, 140 Ulmer, K. 9, 51, 107 Weizsäcker, C. F. v. 3, 100, 190 Weyl, H. 109 Wundt, M. 10, 142

Sachregister Affektion 26-28 Allheit 45 ff., 58 Ansatz der M. d. N . 18, 24 logischer 158 ff., 73 Anschauung 30 f., 44, 48, 63, 143 f., 168 ff., 190 Antinomie 141 Anwendung der Mathematik 49, 55, 57, 60 Atomistik 87 f. - , apriorische 81-87 - , empirische 85-87 Attraktion 73 ff., 76, 83

Gesetzlichkeit 23, 30 G r a d der Empfindung 67 f. - der Gewißheit 119 f. Grenze 16 f., 66 - der V e r n u n f t 141 f. Größe, diskrete 68, 78, 83, 115 - , extensive 44 f., 59, 69, 115 intensive 59, 69, 115 kontinuierliche 68 f., 78, 83, 115 Größenschätzung, mathematische 46 ff. Grundgesetze der Physik 18, 106, 112 Grundsätze 24, 145 f.

Bewegung 26, 28 f., 50 f., 54 f. - , absolute 52 - des Erkennens 142 ff. - der Wissenschaft 155 f. - , mechanische 95 ff. - , phoronomische 50 ff. - , relative 52 f., 56 f., 113 f., 130 f.

Idee 53, 85, 140-147 Implikation, metaphys. 17, 23 Infinitesimalmethode 68

Definition 31, 73 Determination 158 ff., 188 Dialektik 85 f. Dreischritt, logischer 158 f. Dynamik 61-89

Kausalität 100 ff., 161 Konstruktion 31, 33, 55 - , mathematische 34 f., 49 - , metaphysische 30, 32, 36 f. - , schematische 34 f. Kontinuität, s. Größe, s. Zusammenhang K r a f t , bewegende 71 ff. Limitation 66 ff., 72

Funktion, konstituive 21, 84 ff., 139-145 - , regulative 21, 84 ff., 139-145

Maßeinheit 46, 58 M a ß z a h l 46, 58 Materie 26, 62, 79 f., 87 f. Materiebegriff, dynamischer 70 ff. - , monadischer 82 ff. - , transzendentaler 69 Mathematik, s. Wissen Mathematisierbarkeit 60, 81 Methodologie 187 Möglichkeit 119-128, 131, 163 f.

Gegebenheit 165 f., 171 ff. Geschichtlichkeit des Erkennens 148 f. Gesetz 23, 37, 133 f., 145 f., 165 - der Kontinuität 104, 114 f. - der Trägheit 107 f., 115 Gesetze der Mechanik 99, 107, 113

N a t u r als Idee 20 f., 22, 118, 138-147 - , formaliter 19, 91 - , materialiter 19, 91 Negation 64 f. Nominaldefinition 73 Notwendigkeit 119-128, 133 f., 164 f.

Einheit 45 ff., 58 Empfindung 25, 63, 67, 165 Endlichkeit des Erkennens 167 Endzweck 14, 16 Existenz 181, 188 Exposition 31, 73

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Sachregister

Ordnungsgefüge 111 f., 114 Phänomenologie 118-136 Phoronomie 43-60, 130 Physik, rationale 15 f. Position 65 f. Prinzip, mathematisches 18 f. - , transzendentales 18 Qualität 62 ff., 159 Qualitas occulta 75, 82 Q u a n t i t ä t 45 ff., 159 Raum, absoluter 52 f., 58, 131, 184 - als Idee 53 f., 131 - , empirischer 50, 52 - , euklidischer 181 ff. Realdefinition 73 realitas phaenomenon 62 ff. Repulsion 71 f., 76, 83 Seins- und Wesensverfassung 24 f., 29 Schein, transzendentaler 141 Solidität 74 f. Substanz 93 ff., 98, 101, 161 Synthesis 13, 21 f., 26, 35, 63 ff., 144 System d. Grundsätze 146

Teilbarkeit d. Materie 79 ff. - des Raumes 78 ff. Ursprung, logischer 156 ff. Vielheit 45 ff., 58 Wechselwirkung 109-112, 133, 161 Wirklichkeit 119-128, 131 f., 163 f. Wissen 11 - , empirisches 12 - , mathematisches 33 ff., 49, 173 ff. - , metaphysisches 11 f., 15, 19 - , rationales 11 - , transzendentales 12 Zusammenhang 20, 22 - der Erscheinungen 166 - der Materie 78 ff. - des Wissens 119 ff. - , dynamischer 162 - , mathematischer 162 - , mechanischer 113 ff. - mit der Wahrnehmung, s. Wirklichkeit - von Kontinuität und Diskontinuität 59, 83, 115 f., 159 f. Zusammensetzung von Bewegungen 54 ff. Zwischenstellung der M . d . N . 17, 24, 136, 145

Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie Herausgegeben von Paul Wilpert

Band 1

Prodi Diadochi tria opuscula (De Providentia, libertate, malo). Latine Guilelmo de Moerbeka vertente et Graece. Ex Isaacii Sebastocratoris aliorumque scriptis collecta. Edidit Helmut Boese. Groß-Oktav. X X X I , 343 Seiten. 1960. Ganzleinen DM 78,~

Band 2 Eusebio Colomer S. J.

Nikolaus von Kues und Raimund Llull Aus Handschriften Kueser Groß-Oktav. XVIII,der200 Seiten.Bibliothek. 1961. Ganzleinen DM 3 2 Band 3 Francis Josef Kovach

Die Ästhetik des Thomas von Aquin Eine genetische und systematische Analyse. Groß-Oktav. X, 279 Seiten. 1961. Ganzleinen DM 3 2 Band 4

Boetii de Dacia tractatus de aeternitate mundi Editio altera auctoritate quinque codicum manu scriptorum revisa et emendata. Edidit Géza Sajó. Groß-Oktav. VIII, 70 Seiten. 1964. Ganzleinen DM 1 8 -

Walter de Gruyter & Co • Berlin 30

Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie Herausgegeben von Paul Wilpert

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Kants Gesammelte Schriften Herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 24 Bände. Groß-Oktav. Halbleder DM 1648,I. Band ( I . A b t . Werke. l.Band). Vorkritische Schriften I. 17471756. Mit 2 Tafeln. X X I , 585 Seiten. 1910. Nachdruck. DM 57,II. Band (I. Abt. Werke. 2. Band). Vorkritische Schriften II. 17571777. VIII, 526 Seiten. 1912. Nachdruck. DM 52,III. Band (I. Abt. Werke. 3. Band). Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787. IX, 594 Seiten. 1911. Nachdnuk. DM57,IV. Band (I. Abt. Werke. 4. Band). Kritik der reinen Vernunft. (I. Auflage). Prologomena. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. VIII, 655 S. 1911. Nachdr. DM62,50 V. Band (I. Abt. Werke. 5. Band). Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft. XI, 544 Seiten. 1913. Nachdr. DM 52,50 VI. Band ( I. Abt. Werke. 6. Band) Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Die Metaphysik der Sitten. X, 549 Seiten. 1914. Nachdruck. D M 5 2 , VII. Band (I. Abt. Werke. 7. Band). Der Streit der Fakultäten. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. IX, 417 S. 1917. DM 18,VIII. Band (I. Abt. Werke. 8. Band). Abhandlungen nach 1781. VIII, 531 Seiten. 1923. DM 18,IX. Band (I. Abt. Werke. 9. Band). Logik, Physische Geographie, Pädagogik. VII, 572 Seiten. 1923. Nachdruck. DM 5 5 X. Band (II. Abt. Briefwechsel. 1. Band). 1747-1788. 2. Auflage. X X , 559 S. 1922. Nachdr. D M 5 4 , XI. Band (II. Abt. Briefwechsel. 2. Band). 1789-1794. 2. Auflage. XV, 536 S. 1922. Nachdr. D M 5 2 X I I . Band (II. Abt. Briefwechsel. 3. Band). 1795-1803. Anhang. 2. Auflage. XVI, 442 Seiten. 1922. Nachdruck. DM 46,X I I I . Band (II. Abt. Briefwechsel. 4. Band). Anmerkung und Register. X X X I , 699 Seiten, 1922. Nachdruck. DM 68,-

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Die Bände 1-23 werden einzeln nur broschiert abgegeben.

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