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German Pages 172 [86] Year 1970
NORBERT HINSKE
Kants Weg zur Transzendentalphilosophie Der dreißigjährige Kant
W. KOHLHAMMER VERLAG STUTTGART BERLIN KÖLN MAINZ
Inhalt
Meinen lieben Eltern
Vorwort
......................................................
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EINLEITUNG
Der kritische Begriff des Transzendentalen, seine Ambivalenz und Vieldeutigkeit (Die Voraussetzungen der Fragestellung)
§ 1. Die Schwierigkeiten des Begriffs und ihre Gründe . a) Zum Stand der Frage ....................... ;,;.-. . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen und Aufbau der vorliegenden Un~.~·~·suchung . . . .
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§ 2. Die Doppeltendenz des Begriffs (Die Einleitungsdefini~i~~··a·~~\'Jr~?:~~· szendentalen KrVA 11 f., B 25) '-. " :·. ' a) Die Anknüpfung an die Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Die neue Akzentsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Die Änderungen der zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 ERSTES KAPITEL
Der überlieferte Begriff des Transzendentalen und seine Stellung im Frühwerk Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 3. Der Begriff des Transzendentalen in der M onadologia physica (Kants Anknüpfung an die transzendentale Kosmologie) a) Metaphysik, Kosmologie und Transzendentalphilosophie in Kants Monadologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Nachwirkungen des frühen Sprachgebrauchs in der Kritik . . . .
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Alle Rcd1te vorbehalten. © 1970 W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Berlin Köln Mainz. Verlagsort: Stuttgart. Druck: W. Kohlhammer GmbH. Stuttgart 1970. Printcd in Germany. 82040
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§ 4. Der Begriff des Transzendentalen im Baumgartensehen Metaphysikkompendium (Kants Reflexionen zur >Transzendentalienlehre< des Wolffianismus) a) Die Schwierigkeiten der chronologischen Anordnung der Reflexionen 55 b) Der Leitfaden der Datierung und Interpretation der Reflexionen . . 59 c) Kants frühes Verständnis der Wolffianischen >Transzendentalienlehre< . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 d) Die Nachwirkungen der frühen Reflexionen in der Kritik . . . . . . . . 72 5
ZWEITES KAPITEL
Die erste Gestalt der Antinomienproblematik und Kants irenische Vermittlungsversuche ................................................. .
§ 5. Die Grundthemen des dreißigjährigen Kant a) Die Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte .. b) Die Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels ...... . c) Die Nova dilucidatio .................................... . d) Die Monadologia physica ................................ . e) Der gemeinsame Boden ................................... .
Gesamtplan 78 Kants Begriff des Transzendentalen
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88 92 95
§ 6. Der Begriff der Antinomie und die Etappen seiner Ausarbeitung a) Die Kritik Reichs ....................................... . 97 b) Die dreifache Bedeutung des Kantisch.en Antinomiebegriffs ..... . 99 c) Die Etappen der Antinomienproblematik ........... . ........ . 106
§ 7. Die Lage der Metaphysik a) Die Lage der Metaphysik im Urteil des >vorkritischen< Kant ..... 112 b) Das Projekt einer künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, und das Vorbild der Mathematik ......... . . . 115
Band
I: Kants Weg zur Transzendentalphilosophie Transzendentalphilosophie und Antinomien im Denken Kants von 1746 bis 1772 Erster Halbband: Der dreißigjährige Kant Zweiter Halbband: Analysis
Band II: Der erste Entwurf der Transzendentalphilosophie Transzendentalphilosophie und Analytik im Denken Kants von 1772 bis 1781 Band III: Die Ausarbeitung der Transzendentalphilosophie Transzendentalphilosophie und System im Denken Kants von 1781 bis 1790 Band IV: Die Krisis der Transzendentalphilosophie im opus postumum
§ 8. Der Vorrang des Methodenproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
§ 9. Das irenische Modell der »Auflösung« der Streitigkeiten a) Der Anstoß Bülfingers und Kants eigenes Lösungsschema . . . . . . . . 123 b) Die Durchführung .................................... . ... 127 Nachbemerkung zum ersten Halbband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 BEILAGEN
I: Rezension der Erlanger Litteratur-Zeitung, hrsg. von Johann Georg Meusel, Bd. I, Nr. 8 (11. Jan. 1799), Sp. 57-62 zu Buhles Entwurf der Transscendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II: Fakultätsgutachten von Hermann Cohen und Paul Natorp zur Dissertation von Abram Gideon, Der Begriff Transscendental in Kant's Kritik der reinen Vernunft, Marburg 1903 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Sachregister a) Deutsche Stichworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Lateinische Stichworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Spezialbibliographie 1. Zu Kants Begriff des Transzendentalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Zum Problem der Antinomien .............................. 167 Verzeichnis der gebrauchten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 6
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Vorwort
»So vermag schon die Richtigstellung des Sinnes eines Ausdrucks auf unsere Gesamtauffassung der Kantischen Philosophie zurückzuwirken.« Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus
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Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um den ersten Halbband einer umfangreicheren Untersuchung, die der Erhellung des Kantischen Transzendentalbegriffs gewidmet ist. Als solcher enthält sie im wesentlichen Vorstudien zur Kantischen Transzendentalphilosophie, und zwar in zweifacher Richtung. Die Arbeit versucht erstens klarzustellen, in welchen Bedeutungen und Zusammenhängen Kant in seinen philosophischen Bildungsjahren den Begriff des Transzendentalen kennengelernt und aufgenommen hat. Sie steht in ihren Ergebnissen weitgehend in Widerspruch zu den Darstellungen, wie sie auf der einen Seite vor allem von Benno Erdmann und Hans Leisegang, auf der anderen von Hinrich Knittermeyer und August Faust zu diesem Thema vorgelegt worden sind und in zentrale Untersuchungen der Kantforschung Eingang gefunden haben. Sie versucht in bewußtem Gegensatz zu den genannten Darstellungen zu zeigen, daß der Begriff im 18. Jahrhundert keineswegs mehr ausschließlich (oder auch nur an erster Stelle) die »Ontologische Tradition«, also die »alte scholastische Lehre« von den transzendentalen Prädikaten des unum, verum, bonum (den sogenannten Transzendentalien) repräsentierte; daß er vielmehr in die verschiedenartigsten Bedeutungen aufgesplittert und so, ähnlich wie heute die Begriffe Dialektik, Ideologie, Entfremdung usw., zu einem Unbegriff geworden war. Ihm in der Aufnahme und Weiterführung der verschiedensten Tendenzen die Härte und >Prägnanz< eines philosophischen Begriffs zurückgewonnen zu haben, war die epochemachende transzendentalphilosophische Leistung Kants. Die Arbeit versucht zweitens, die philosophische Ausgangslage sichtbar zu machen, die Kant von Anfang an in seinen Problemstellungen und Lösungsversuchen bestimmt und schließlich, nach mehreren Jahrzehnten eigenen Nachdenkens und immer neuer » Umkippungen«, zu einem selbständigen Entwurf der Transzendentalphilosophie veranlaßt hat. Diese innere Ausgangslage - das ist eine der zentralen Thesen der Arbeit - ist weitgehend durch die später so genannte Problematik der Antinomien gekennzeichnet. Die Rolle, die die »transzendentale« Dialektik in Kants >kritischer< Konzeption der Transzendentalphilosophie spielt, ist ohne diese Ausgangslage nicht hinreichend zu verstehen. Aber auch Kants lebenslängliches Interesse am Methodenproblem (das für ihn mc
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Selbstzweck. gewesen ist) findet erst von hier aus seine Erklärung. Antinomieproblem und Methodenproblem hängen in Kants Konzeption zusammen wie Zug und Gegenzug. Wichtige Anstöße zum Verständnis der >Antinomienlehre< und ihrer Stellung im Ganzen der Kantischen Philosophie dankt der Verfasser den Untersuchungen von Benno Erdmann, Heinz Heimsoeth und Gottfried Martin. Dementsprechend beschäftigt sich der erste Teil der vorliegenden Arbeit mehr mit den terminologischen, der zweite mehr mit den eigentlich philosophischen Vorbedingungen der Kantischen Transzendentalphilosophie. Es mag daher für den Leser nahe liegen, die beiden Teile (die die Arbeit bewußt miteinander verzahnt) wieder zu trennen und den ersten unter die Untersuchungen zur Begriffsgeschichte, den zweiten unter die zur >Entwicklungsgeschichte< der Kantischen Philosophie einzuordnen. Der zweifache Vorblick, den die Arbeit - am Leitfaden der >Transzendentalienlehre< und des Antinomieproblems - auf den Gang des Kantischen Denkens im ganzen gibt, sowie die gesamte Anlage der Untersuchung mögen den >entwicklungsgeschichtlichen< Aspekt noch. unterstreichen. Es soll daher an dieser Stelle wenigstens kurz begründet werden, weswegen die Arbeit den Begriff der Entwicklung in diesem Zusammenhang so geflissentlich umgeht. 1 Diese Zurückhaltung will die Verdienste der >entwicklungsgeschichtlichen< Forschung vor allem um das Verständnis des >kritischen< Kant gewiß nicht in Abrede stellen. Die vorliegende Arbeit ist ihr auf Schritt und Tritt verpflichtet. Doch enthält der Begriff der >Entwicklung< gleichsam als »macula haud dubia originis suae« eine Reihe von Momenten und Implikationen, an denen die Kantforschung heute zwar kaum noch ausdrücklich festhält, von denen sie aber dennoch unausgesprochen und oft unreflektiert auch weiterhin geleitet wird. Er enthält eine stillschweigende Antwort auf die Frage, was Philosophieren, was der spezifische Prozeßcharakter des Philosophierens sei, und bestimmt damit im vorhinein alle Untersuchungen, wie dieser Prozeß im einen oder anderen historischen Einzelfall verlaufen sein mag. Die gemeinten Momente und Implikationen des Entwicklungsbegriffs treten großenteils schon oder gerade bei Kuno Fischer (dessen generelle Gleichsetzung von Kritik und Entwicklungsgeschichte2 noch das Die zweite Hälfte dieses ersten Bandes wird in ihrem Einleitungskapitel eine eingehende Diskussion des Begriffs der >Entwicklungsgeschichte< und der >Entwicklungsphasen< der Kantischen Philosophie enthalten. 2 Vgl. K. Fischer, Immanuel Kant und seine Lehre, Teil 1: Entstehung und Grundlegung der kritischen Philosophie (Geschichte der neuern Philosophie Bd. IV), Heidelberg 6 1928 (1 1860), S. 6: »Die Enststehung und Entwicklung der Objekte sind die Probleme des kritischen Denkens; die entwicklungsgeschichtliche Vorstellung der Dinge ist dessen Arbeit und Frucht.« »Ich brauche bloß die Namen Kant und Laplace, Lamarck und Darwin, Fr. A. Wolf und G. Niebuhr, D. Fr. Strauß und F. Chr. Baur u. a. zu nennen, um den Anblick eines Jahrhunderts hervorzurufen, welches von allen Seiten auf den Wegen kritischer Forschung der entwicklungsgeschichtlichen Weltansicht zustrebt.« Vgl. auch ders., Clavis Kantiana. Qua via Immanuel Kant philosophiae criticae elementa invencrit, Jena 1858.
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ganze ursprüngliche Pathos des Begriffs verrät) deutlich hervor. So spricht Fischer wiederholt von dem »inneren Entwicklungsgang des Philosophen ... , worin allmählidi die kritische Epoche reifte« 3 : »jedes neue Werk erscheint als die Frucht eines reifen, sich lange beratenden, tief nachdenkenden Verstandes«; »nichts wird in ungestümer Eile vorausgenommen und wie eine Offenbarung verkündet, nich.ts voreilig geboren« 4 • Bei einer solch.en, >organischen< Betrachtungsweise müssen Kants frühe, >vorkritische< Schriften zwangsläufig als bloße >VorstufenDurchgangsstadien< oder »ausgelebte Gedanken« 4 erscheinen. Eben damit aber entsteht die Gefahr, dieselben immer nur im Horizont der Problemstellungen des >kritischen< Kant zu lesen und so in ihrer Eigenproblematik und doch zum mindesten intendierten Geschlossenheit und Endgültigkeit gar nicht in den Blick zu bekommen. Die fast beiläufige Erklärung Riehls: »man versteht eine Entwicklung nur von den Zielen aus, zu denen sie führte« 5 , gibt dieser Gefahr deutlichen Ausdruck.. Sch.on Paulsen, der selber der Idee der Entwicklungsgeschichte aufs stärkste verhaftet ist, bemerkt in diesem Zusammenhang: »Fischer tritt an seine Aufgabe gleichsam mit der allgemeinen Maxime, daß die Entwicklung Kants aus ihrem Abschluß, der kritischen Philosophie, verstanden werden müsse. Hierdurch ist er nicht selten verhindert worden, die Dinge einfach zu nehmen, wie sie liegen.« 8 In der Konsequenz der skizzierten Betrachtungsweise ist die erste Etappe des Kantischen Denkens immer wieder allzu voreilig als die >Phase des Dogmatismus< ausgelegt und abgetan worden. Im folgenden wird anhand von Einzelfällen wiederholt darauf hinzuweisen sein, in welchem Maße das Verständnis des >vorkritischen< Kant durch eine solche Auslegung verkürzt worden ist. 7 Es ist eine der leitenden Absichten des vorliegenden Halbbandes, die philosophische Gedankenwelt des »dreißigjährigen Kant« in ihrem eigenständigen Rech.t wieder zur Geltung zu bringen. 3 Immanuel Kant und seine Lehre, Teil I, a. a. 0. S. 40. 4 A. a. 0. S. 146 f. 5 A. Riehl, Der philosophische Kritizismus, Geschichte und System, Bd. I: Geschichte des philosophischen Kritizismus, Leipzig 2 1908 (1 1876), S. 294. 6 F. Paulsen, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie (Habil.schrift), Leipzig 1875, S. V. 7 G. Klaus hat in seiner Einleitung zu den Frühschriften Kants (Die Frühschriften Immanuel Kants - ihre philosophiehistorische und wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung in: Immanuel Kant, Frühschriften, Bd. I, Unter Mitarbeit von Manfred Buhr herausgegeben und eingeleitet von Georg Klaus, Berlin 1961) den Versuch gemacht, den »eigenständigen Wert« (S. XI) derselben herauszustellen und ihnen »jenen Platz einzuräumen, der ihnen auf Grund ihrer wirklichen Bedeutung, ihres Gedankenreichtums und tatsächlichen Inhalts zukommt« (S. VII). Trotz aller seiner Vorurteile, Verzerrungen und Fehlinterpretationen bleibt Klaus das Verdienst, in entschiedenem Bruch mit der gängigen Betrachtungsweise darauf hingewiesen zu haben, »daß das philosophische Denken Kants vor 1770 einen außerordentlichen Reichtum an fruchtbaren, in die Zukunft weisenden Ideen beinhaltet« (S. XI), die in den Werken der Kritik weder ihre geradlinige Weiterführung finden noch von daher zureichend verstanden werden können.
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Die genan~t~n Verkürzungen haben zwar auch wieder ihrerseits die Aneignung d~r >kritischen< Transzendentalphilosophie beeinträchtigt, betreffen aber mehr die vorangehenden Etappen des Kantischen Denkens. Dagegen mußte eine andere Implikation der entwicklungsgeschichtlichen Interpretation das Verständnis gerade des >kritischen< Kant tiefgreifend beeinflussen. Zu den kennzeichnendsten Momenten dieser Betrachtungsweise (die sich stillschweigend am Modell des Lebewesens orientiert 8 ) gehört die Vorstellung von der Geradlinigkeit oder Irr~versibi~ität ~er >Entwicklung< bis hin zu ihrem schließlichen Höhepunkt: »kem. Schntt wird zurückgenommen« 9 • Einer der charakteristischsten Züge des Kant1s~en Denkens, die Rücknahme zu weit gesteckter Positionen, die Milderung zu heftiger Polemik, die >Revision< zu revolutionärer Programme und die Wiederaufnahme bestimmter Traditionen, kurz: die nachträgliche Selbstkorrektur von früheren >ProjektenAntinomientafel< oder bei der Eingrenzung der skeptischen Methode auf den Bereich der »Transzende~talphiloso~hie« ?icht etwa um die Fortführung und >Weiterentwicklung< von fruheren, >keimartigen< Überlegungen, sondern eher um >retractationesTranszendentalienlehre< des Wolffianismus vom gängigen Entwicklungsschema stark abweicht wird im ersten Kapitel (§ 4 b) dieser Arbeit ausführlich erörtert werden. ' Ge~ade die ~rörterung des letztgenannten Themenkreises hat sich überwiegend au~ die ~eflexionen d.es Kantischen Nachlasses zu stützen. Es gehört nun zu den philologischen Nebenmteressen der vorliegenden Arbeit - darauf sei bereits an dieser Stelle hingewiesen -, die Frage nach der chronologischen Ordnung dieser Aufzeichnungen wieder in Gang zu bringen. Die Arbeit verweist daher immer wieder auf die bisherigen Datierungen und deren Schwierigkeiten. Erich Adickes (dessen imponierende und aufopfernde Leistung bei der Edition des Nachlasses im Rahmen der Akademie-Ausgabe außer Frage steht) hat die Kritik Schön10 dörffers wohl doch allzu souverän beiseitegeschoben 11. Schöndörffer war ein 8 Vgl. H. Vaihinger, Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft Bd. I StuttB 1' L. · 2 1 ' , gart, . er m, ~i~zig ~922 ( 1881), S. 47: »Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist, daß dte~e Dreiteilu~g m Dogmat., Skeptiz. und Kritizismus im großen und ganzen ~ants ezge~e Entwicklung rekapituliert, wie sie seiner Ansicht nach auch die natürliche Aufe.manderfol~e des ge~chichtlichen Verlaufes der Philosophie ist. Die phylogcne.ttsche Entwicklung wiederholt sich, um darwinistisch zu reden in der ' ontogenetischen Entwicklung des Individuums«. 9 Fischer, a. a. 0. S. 146. 10 Vgl. Al~preußische Monatsschrift LIII/1916, S. 105 ff. und LVl/1919, S. 73 ff. 11 Vg~. se111 Vorwort Akad.-Ausg. Bd. XVII S. VII ff.: »dieser Einspruch klingt in !1~.cm.en Ohren gerade so, als wenn ein Forscher neue Länder mit neuen Pflanzen- und l 1erJormcn c111dccktc, und ein Geograph in der Heimat lehnte diese Entdeckungen
guter Kenner der Kantischen Handschriften. Auch dem Verf. sin~ die erste.n Zweifel an dem von Adickes befolgten Verfahren bei längerer Arbeit an Kantischen Manuskripten gekommen. Die sachlichen Schwierigkeiten, vor allem die Diskrepanzen zwischen dem Stand der Reflexion in den Druckschriften un~ den >gleichzeitigen< Nachlaßphasen, haben diese Zweifel - bei bestimmten ~eitan gaben - verstärkt. Daß Adickes selber die Diskrepanzen allem Anschem nach nicht gesehen hat, sondern alles in schönster Harmon~e und .Ord~ung ~laubte 12, macht die Sachlage noch undurchsichtiger. Eine neuerliche Diskussion dieser.Probleme mag, um eine Kantische Formulierung zu gebrauchen, ~~r »Bearbeitung einer Sandwüste« ähneln. Doch kann die vorschnelle Kanomsierung der von Adickes vorgenommenen Anordnung, auch wenn nur relativ we~~ge Reflexion~n falsch datiert sein sollten, die Kantforschung auf Abwege fuhren oder fur Jahrzehnte blockieren. 13 • • • • Der vorliegende erste Halbband enthält als Anhang zwei Beilagen, die die Aufnahme des Kantischen Transzendentalbegriffs noch zu Lebzeiten Kants und im Marburger Neukantianismus illustrieren sollen. Bei der ersten hand~lt es si~ ui_n die Erlanger Rezension zu Buhles Entwurf der Transzendentalphilosophie, die den äußeren Anlaß zu Kants Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wtssenschaflslehre gegeben hat. Die Rezension ist, ähnlich wie Buhles En~wurf selb::, ch~rak teristisch für jenes, wohl durch Maimon und Beck inaugunerte Verstandms des Transzendentalen, das in Kant nicht den Erneuerer und Reformator, sondern den eigentlichen Urheber und Begründer der Transzendentalphilosophie gesehen hat. Die zweite Beilage enthält ein bisher unveröffentlichtes Fakultätsgutachten von Hermann Cohen und Paul Natorp zu der Dissertation von Gideon Der Begriff Transzendental in Kants Kritik der reinen Vernunfl und beleuchtet die terminologischen Schwierigkeiten, in die Cohen durch seine - einseitig wissenschaftstheomit der Begründung ab, er glaube nicht an sie, weil es ih? un~öglich o~~r unwahrscheinlich dünke daß es so etwas wirklich gebe.« »Auch die scharfste Kritik und der größte Scharfsin'n verpuffen wirkungslos, wenn die i:ötige ~achken.ntn~s fe~lt«. 12 Vgl. a. a. O. S. VIII f.: »Zumal ... außerdem au~. i.nha~th:11e Kriterien die. Anordnung bestätigen, sowohl was die Zusammengehorigke~t mner?alb der emzelnen Gruppen als was deren zeitliche Auf7inander~o!ge betrifft:« ~die .Tatsache, daß ~11 die genannten, so ganz verschiedenartigen Indizien und Knte~ien ~.n voller tJ_berez?,stimmung auf ein und dieselbe chronologische Anordnung hmdrangen, spricht fur die Sicherheit der Datierungen« (Hervorhebung vom Verf.). 13 Vgl. neuerdings auch die kritischen Ausführungen zu diesem Thema von J. Fang, Kant-Interpretationen I: Das Antinomienproblem im Entstehungsgang de.~ Tran~zen dentalphilosophie, Münster (Westf.) 1967, vor allem~· 41-46. ~ang erklart lap1d~r: »Im folgenden bezweifeln wir grundsätzlich die Datierung Ad1ckes, besonders hinsichtlich der Periode von 1769-70« (S. 46 Anm. 248). Freilich sind Fangs Einwände streckenweise allzu pauschal und gelegentlich auch nicht frei von Mißverständnissen. So verwechselt er z. B. S. 42 (Zeile 8 ff.) die Schriftphase x {1769) mit der Phase 'X (1778-79). Auch seine These, die sogenannte~ Stellung~indiz~en. (auf die Adi~es seine Datierung weitgehend gestützt hatte) seien »nur em Knte.nun:i der Gr~ppze rung, nicht aber der Datierung« (S. 44), dürfte in solcher Allgememhe1t schwerlich zu halten sein.
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retisch orientierte - Interpretation des Transzendentalen geraten war. Erst auf ihrem Hintergrund kann beispielsweise der wirkliche Fortschritt sichtbar werden, den die Arbeiten von Hinrich Knittermeyer für das Verständnis des Kantischen Transzendentalbegriffs bedeuten. So sind die beiden Beilagen, wenngleich sie am Schluß des Bandes stehen, vielleicht geeignet, als eine Art Einleitung einen ersten Einblick in die in Frage stehende Problematik zu vermitteln. Die Anlage der Untersuchung bringt es mit sich, daß eine Reihe von Kußerungen Kants, vor allem bestimmte Nachlaßreflexionen, in verschiedenen Zusammenhängen erörtert werden mußten. Die Arbeit enthält daher neben dem Namen- und dem Sachregister ein Verzeichnis aller herangezogenen Textstellen: in manchen Fällen wird erst die Zusammenstellung der verschiedenen Erörterungen eines und desselben Textes ein halbwegs vollständiges und ausgewogenes Bild ergeben. Daneben wird das Stellenregister dazu dienen können, zu den einzelnen Texten die vorgelegte Interpretation, beigebrachte historische Referenzen, Hinweise auf die Sekundärliteratur u. a. m. ohne größere Mühe nachzuschlagen. Der hier veröffentlichte Teil der Untersuchung, der für den Druck noch einmal überarbeitet wurde, hat der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin im Frühjahr 1966 als Habilitationsschrift vorgelegen. Das Erstgutachten fertigte Prof. Dr. Wilhelm Weischedel, der das Entstehen de·r Arbeit seit einem ersten Entwurf des Jahres 1956 mit Rat und Kritik begleitet hat. Das Zweitgutachten verfaßte Prof. Dr. Michael Landmann. Beiden Herren ist der Verfasser für zahlreime Hinweise zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Sein Dank gilt ferner Prof. Dr. Dieter Henrich, der in den Jahren seiner Berliner Lehrtätigkeit von 1960 bis 1965 die hier behandelten Fragen immer wieder mit dem Verf. diskutiert und im Sommersemester 1964 ein Oberseminar über »Probleme der philosophischen Entwicklung Kants« gehalten hat. Bei aller Verschiedenheit der Standpunkte und Betrachtungsweisen sind diese Diskussionen in vielfältiger Weise der vorliegenden Arbeit zugute gekommen. Herzlich zu danken hat der Verf. schließlich den Herren Michael Albrecht und Hans-Jürgen Engfer, die bei der Herstellung der Register sowie bei den Korrekturen unermüdlich mitgeholfen haben. Ihre Einwände und Bedenken haben den Verf. wiederholt gezwungen, die Thesen und Begründungen der vorliegenden Arbeit von neuem zu durchdenken. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Drucklegung des Bandes mit einem großzügigen Druckkostenzuschuß unterstützt. Der Verlag hat sich der komplizierten Druckvorlagen mit äußerster Sorgfalt angenommen. Beiden gebührt gleichermaßen der Dank des Verfassers.
Berlin-Lankwitz, den 8. August 1969
Norbert Hinske
EINLEITUNG
Der kritische Begriff des Transzendentalen, seine Ambivalenz und Vieldeutigkeit (Die Voraussetzungen der Fragestellung)
i.Es ist unmöglich zu verhüten, daß, wenn die ~r kenntnis nach und nach weiter fortrückt, mcht gewisse schon klassisch gewordne ~usdrück.e, die noch von dem Kindheitsalter der Wissenschaft her sind in der Folge sollten unzureichend und übel anp~ssend gefunden werden, und ein gewisser neuer und mehr angemessener Gebrauch mit dem alten in einige Gefahr der Verwechselung geraten sollte.« Prolegomena § 5 Anm.
§ 1. Die Schwierigkeiten des Begriffs und ihre Gründe
a) Zum Stand der Frage Kants Begriff des Transzendentalen ist ähnlich wie der der Kritik imme~ wieder als eine Art Sdl.lüsselbegriff seines Denkens verstanden worden. Er se1 derjenige Terminus, erklärt Cohen, »welcher die gesamte P~ilosophie Kan:s 14 charakterisiert« und »unzweifelhaft das Zentrum des Ganzen bildet« , und sem H H Cohen Kommentar zu Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft, Leipzig
i907 (2. 'unveränderte Aufl. 1917), S. 18. - Au~ die ~nr~gung Co~ens, der den Begriff des Transzendentalen mit größter Entsch1~denhe1t m ~en Mittelpunkt der Kantinterpretation gerückt hat, gehen auch eine Rei~e von Spez1al.untersuchungen ~u diesem Thema zurück, so die vorzügliche Dissertation von A. G1deo?, D.er Beg;iff Transzendental in Kants Kritik der reinen Vernunft, ~ar~urg 1?03, _die Disserta.uon von H. Knittermeyer, Der Terminus transzenden_tal z.n seine: historischen Entwickelung bis zu Kant, Marburg 1920 (vgl. S. 6), und die Dissertation M ..v. Zyndas, K~nt Reinhold-Fichte. Studien zur Geschichte des Transzendental-Begriffs,. Kantstu~.1en Ergänzungshefte Nr. 20, Berlin 1910. Aber au~ die. weitgehen? polemischen Erorterungen Vaihingers zu diesem Thema sind offensichtlich durch die Darstellung Cohcns hervorgerufen.
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Kontrahent Vaihinger schreibt, er sei der »Grundbegriff der K.'schen Philosophie und der Kritik insbesondere« 15. Nicht zuletzt aufgrund dieser zentralen Stellung wurde er, in einer bestimmten Ausprägung, bald zum »Schlagwort seiner Philosophie und seiner Schule« 16 • Zugleich aber ist man sich immer wieder der Problema tik des »unseligen Wortes« 11 bewußt geworden: dieser »merkwürdige, ja rätselhafte Terminus« »bietet bei weitem das schwierigste terminologische Problem bei Kant, ja in der ganzen neueren Philosophie dar« 18 • Proteusartig scheint der Begriff auf Schritt und Tritt seine Bedeutung zu wechseln, ja, man ist in Zweifel, ob und inwieweit man überhaupt von einem einheitlichen Begriff sprechen darf. »Wir werden ... festzustellen haben«, konstatiert Gideon, »daß nicht überall volle Klarheit in der Anwendung des Terminus zu Tage tritt, daß vielmehr sein Gebrauch die größten Schwankungen, selbst Gegensätze verrät, die viel dazu beitragen, seine ursprüngliche Tendenz zu verdunkeln oder gar zu verdächtigen.« »Die Mißverständnisse und Kontroversen, die schon zu Kants Lebzeiten über den Sinn seiner Lehre entstanden ..., sind nicht zum wenigsten auf diesen mehrdeutigen Sprachgebrauch zurückzuführen.« 111
15 H. Vaihinger, Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Bd. I, a. a. 0. S. 467. 16 Ders., Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Bd. II, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1 1892 (2. unveränderte Aufl. 1922), S. 353. Vgl. G. I. Wenzel, Kanonik des Verstandes und der Vernunft. Ein Kommentar über Immanuel Kants Logik, Wien 1801, S. 57 Anm.: »Das Wort transzendental ist seit einiger Zeit zum Lieblingsworte der Philosophen geworden. Man verstehet darunter alles, was über die Erfahrung ist, und gehet gar so weit, daß man behauptet, wir könnten alles, selbst die Geschichte, a priori, also transzendental erkennen«; E. Laas, Einige Bemerkungen zur Transzendentalphilosophie in: Straßburger Abhandlungen zur Philosophie, Eduard Zeller zu seinem siebenzigsten Geburtstage, Freiburg i. Br. u. Tübingen 1884, S. 79: »Vermöchten wir über die Kantianer von heute irgend etwas, so möchten wir sie daher bitten, da der Gegensatz gegen den Wolffianismus keine Aktualität mehr hat, im Interesse der Unbefangenheit und Sachlichkeit sich der Bezeichnung >kritisch< für die >neue< Methode zu entschlagen und sich ausschließlich des Attributs >transzendental< zu bedienen, das ja markant genug ist und auch sonst seine Reize hat«. 17 C. Grapengiesser, Aufgabe und Charakter der Vernunftkritik, Jena 1878, S. 19: »Dies unselige Wort! Diese Bezeichnung Kants, die in der Tat bei ihm, wie er darüber in der Einleitung zur Kritik redet, selbst nicht recht klar ist, ist zum wahren Popanz geworden. Alle philosophischen Schwätzer in unseren Tagen, um. ihr Gerede, das sonst wohl als Unsinn erscheinen könnte, als eine absonderliche Weisheit zu schildern, behaupten, daß ihre Philosophie nicht die gewöhnliche, sondern eben Transzendentalphilosophie sei. Sie wissen uns aber nicht zu sagen, was das Wort in der Tat ursprünglich bei Kant bedeutet«. 18 Vaihinger, Kommentar Bd. I, a. a. 0. S. 467. Vgl. S. 474: »Es ist unmöglich, in diesem Chaos Ordnung zu schaffen bei Kants terminologischer Lizenz und sachlicher Unklarheit ... «; Bd. II S. 352: »Ohne davon zu sprechen, verwendet er einen, ja den Haupt-Terminus seiner Philosophie in einem ganz andern, als dem definierten Sinne«; Bd. I S. 468: »bei keinem Ausdruck so wie bei diesem zeigt sich die namenlose Willkür vieler Kommentatoren bis auf den heutigen Tag«. t 9 Gidl·on, a. a. 0. S. 5 f. und S. 147 f. 16
Der Begriff des Transzendentalen hat daher in der wechselreichen und verschlungenen Geschichte der Kantforschung zu immer neuen Auslegungen, Mißverständnissen 20 und Differenzen Anlaß gegeben. Mit gewissen Einschränkungen und Verschiebungen spiegelt sich in seinem Schicksal die Geschichte der Kantinterpretation im ganzen mit ihren so verschiedenartigen Ansätzen und Motiven, Blickpunkten und lnteressen. 21 So hat z.B. schon Beck den Begriff des Transzendentalen auf »diejenigen Erkenntnisse a priori, die als Bedingungen der Erfahrung zum Grunde liegen« 22 , also auf einen bestimmten Bereich des Apriori, auf die Voraussetzungen objektiver, raumzeitlicher Erfahrung, eingeengt. Die Ausklammerung der »transzendentalen« Dialektik aus dem Bereich der Transzendentalphilosophie, die sich damit noch zu Lebzeiten Kants und gleichsam unter seinen Augen vollzieht, hat sich dann in der weiteren Geschichte der Kantforschung unter verschiedenstem Vorzeichen wiederholt. 23 Zugleich ist Beck wohl 20 Vgl. A. Metz, Kurze und deutliche Darstellung des Kantischen Systemes, Bamberg 1795, S. 41: Eleme~ta~- und M~t~oden~ehre »heißen in der Kantischen Kunstsprache tr~nszendental, weil ~ie es lediglich mit transzendentalen (überschwenglichen), d. i. mit solchen Erkenntnissen zu. tun haben, welche zwar vor der Erfahrung (a priori) vorhergehen, aber doch zu mchts mehrerm bestimmt sind, als lediglich Erfahrungserkenntnisse ... möglich zu machen«. 21 Die fo.lgenden .Bel~ge beschränke~ sich ~uf einige kennzeidmende Beispiele für die Verschiedenartigkeit und Gegenlaufigke1t der Deutungsversuche. Eine ausführliche Dokumentation der Geschichte des Begriffs wird der Band »Wege der Forschung« Transze'!dent~l und Tr_anszendent im Denken Kants. Zur Vorgeschichte, Bedeutung und Wezterwzrkung beider Begriffe, Darmstadt 1971, bringen. 22 J. S. Be~, Erläuternder Auszug aus den kritischen Schriften des Herrn Prof. Kant, Bd. I, Riga 1793, S. 7. »Überhaupt soll ein Erkenntnis transzendental heißen das als Bedin~ung der. Erfahrung gedacht werden muß.« »Die Philosophie, die de~ Zweck hat, diese Bedmgunge~ au~zusu.chen, .hei~.t die Transzendental-Philosophie« (S. 5). Dementsprechend gehort die D1alekt1k fur Beck zwar zur Kritik der reinen Vernunft, nicht aber zur Transzendentalphilosophie. Die Kritik ist daher für ihn - in scharfem Gegensatz zu Kants eigenen Ausführungen Kr VB 25 ff. - die umfassendere Wisse~sch.aft: »Sie. wird weiter gehen als die Transzendental-Philosophie, aber dieselbe m sich begreifen« (S. 6). Die Bezeichnung »transzendentale Dialektik« die die In.terpreten immer wieder in Verlegenheit gebracht hat, erklärt sich für Beck 'aus dem Mi~brauch, den .die Dialek.tik mi~ jenen apriorischen Bedingungen der Erfahrung treibt: »Da es sich nun zeigen wird, daß diese Erkenntnisse sich auf einen Mißbr.auch gr~nden, de:11 die V ~r~rnnft von den Bedingungen der Erfahrung macht, so wird endlich der Teil der Kntik, der denselben aufdeckt, die transzendentale Dialektik h~ißen« (S. 7). - Becks Auslegung ist vermutlich durch Kants Erläuterung des Terminus Prol. A 204 Anm. veranlaßt: »das Wort transzendental ... bedeutet nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern, was vor ihr (a priori) zwar vorh~rge~t, ~ber doch zu nichts Mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis mogl~ch zu machen_« (Herv~rhebung vom Verf.). Daß einer solchen Einengung des Begriffs schon allem zahlreiche Textstellen der Kritik der reinen Vernunfl entge~enst~hen, machen die von Gideon, a. a. 0. S. 46 ff., S. 142 ff. angeführten Beispiele sichtbar. Im Fortgang der »Erläuterungen« zeigt der Begriff bei Bed1:. dcment ·· sprechend auch starke Schwankungen; vgl. S. 118 f., S. 197. 23 Vgl. unten § 2c.
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auch einer der ersten der Interpreten, bei denen das Wort transzendental seinen emphatischen Klang gewinnt. 24 Kuno Fischer dagegen hat den Begriff mit dem des Apriori in seiner allgemeinsten Bedeutung nahezu gleichgesetzt: beide sind weitgehend Wechselbegriffe; »transzendental« bezeichnet die apriorische Ausstattung des Subjekts, seine apriorische Erkenntnisverfassung im weitesten Umfang, und sodann »auch« - in einem zweiten, abgeleiteten Sinne - die »Erforschung jener [seil. apriorischen] Prinzipien« 25 • In diesem zweiten Punkt berührt sich die Auffassung Fischers mit dem generellen Verständnis Vaihingers. 26 Hermann Cohen, der zweifellos eine neue Etappe im Verständnis des Begriffs eingeleitet hat, hat »das Transzendentale« bei Kant durch die Frage nach der Wissenschaft (im Sinne der mathematischen Naturwissenschaft Newtons), ihrer Möglichkeit, ihren Gesetzen und Methoden definiert gesehen - »Auf den Wert dieser Methoden richtet sich die transzendentale Frage« 27 • Sie fragt nicht nach der apriorischen Erkenntnisverfassung schlechthin (oder nach einem bestimmten Bereich derselben), nicht nach irgendwelchen psychologischen Erkennt-
nisvermögen oder -anlagen, sondern nach »Wert und Geltungsgrund« 28 des Apriori. In der Folge hat Cohen dann freilich wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß sich dieser »neue Begriff« des Transzendentalen bei Kant immer wieder mit der »alten Bedeutung« des »Grundwortes« überkreuze: »So wenig wie etwa Plato diese Geschmacklosigkeit zeigt 29 , war Kant pedantisch genug, nur nach seiner Definition laut seinem Paragraphen Ausdrücke einer reichen Ge"" schichte gebrauchen zu wollen« 30, »Der alte Gebrauch 31 des Wortes schleicht sich immer noch unversehens ein ... Man wird sich davon nicht beirren lassen, wenn man den methodischen Sinn des neuen Begriffes sicher versteht.« 32 Hinrich Knittermeyer, dessen Dissertation über die »historische Entwickelung« des Terminus vermutlich durch diese letzte Beobachtung Cohens veranlaßt worden ist 33 , hat im Transzendentalen zwei ganz verschiedene »Gesichtspunkte« oder »Motive« vereinigt gesehen, das Interesse an der »inneren Systematik der Erkenntnis des Gegenstandes überhaupt« und das einer »Bindung und Sicherung alles Menschlichen im Transzendenten«: »Der Terminus des Transzenden talcn
24 Vgl. Erläuternder Auszug, Bd. III (Einzig-möglicher Standpunkt, aus welchem die kritische Philosophie beurteilt werden muß), Riga 1796, Vorrede S. IX: »Diese Beurteilung sucht eigentlich zu zeigen, daß uns die ganze kritische Philosophie in allen ihren Behauptungen vollkommen aufgeschlossen ist, wenn wir uns jenes transzendentalen Standpunkts vollkommen bemächtigt haben.« Ähnlich J. G. Buhle, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie und einer kritischen Literatur derselben, Teil VIII, Göttingen 1804, S. 538 (§ 2166): »Die Transzendentalphilosophie hat den einzig möglichen Standpunkt alles echten Philosophierens gezeigt«. 25 K. Fischer, Immanuel Kant und seine Lehre, Teil 1, a. a. 0. S. 336: »Wir wissen, daß Kant die in unserer Vernunft enthaltenen Bedingungen der Erkenntnis ... mit dem Ausdruck >a priori< oder >transzendental< bezeichnet; der zweite Ausdruck bezeichnet auch die Erforschung jener Prinzipien«. Vgl. S. 5: » >a priori< oder >transzendentaltranszendental< mißverstanden, ... weil er die verschiedenen teils gröberen, teils feineren Nuancen der Bedeutung des Terminus nicht unterscheidet und alles in die unklare und verwaschene Gesamtvorstellung >das Transzendentale< zusammenwirft«; Kommentar Bd. I, a. a. 0. S. 472). Sofern diese Polemik Cohen allererst zu seiner Unterscheidung zwischen der »alten« und der »neuen« Bedeutung des Transzendentalen Anlaß gegeben hat, ist die Darstellung Vaihingers für die weitere Diskussion des Begriffs von nicht zu unterschätzendem Einfluß gewesen. - Gideon (der Cohens systematischen Ansatz teilt) geht auch über jenen modifizierten Standpunkt der 2. Aufl. von Kants Theorie der Er/ahrung noch hinaus: er zeigt mit großer Eindringlichkeit, daß bei Kant nicht nur eine »alte« und eine »neue« Bedeutung >nebeneinander< stehen, sondern daß der Terminus in der Tat (wie Vaihinger behauptet hatte) zahlreiche Bedeutungen oder Bedeutungsnuancen in sich aufnimmt. Dementsprechend spricht Cohen in seinem Gutachten zu der Dissertation Gideons (vgl. unten Beilage II) auch nicht mehr von einer »alten Bedeutung«, sondern nur noch von einem »Schwanken in dem Sprachgebrauche bezüglich des Titelbegriffs«. 31 Cohen verwendet hier, bewußt oder unbewußt, dieselbe Formulierung wie Kant; vgl. Kr VB 368 f.: »Neue Wörter zu schmieden, ist eine Anmaßung zum Gesetzgeben in Sprachen, die selten gelingt, und, ehe man zu diesem verzweifelten Mittel schreitet, ist es ratsam, sich in einer toten und gelehrten Sprache umzusehen, ob sich daselbst nicht dieser Begriff samt seinem angemessenen Ausdrucke vorfinde, und wenn der alte Gebrauch desselben durch Unbehutsamkeit ihrer Urheber auch etwas schwankend geworden wäre, so ist es doch besser, die Bedeutung, die ihm vorzüglich eigen war, zu befestigen (sollte es auch zweifelhaft bleiben, ob man damals genau eben dieselbe im Sinne gehabt habe), als sein Geschäfte nur dadurch zu verderben, daß man sich unverständlich machte« (Hervorhebung vom Verf.). 32 Kommentar, a. a. 0. S. 44. Vgl. S. 34, S. 106 und öfter. 33 Vgl. oben Anm. 14.
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wird da von uns gebraucht, wo das logische Interesse zu einem Anstieg zu oder zu einer Herleitung aus dem Transzendenten führt« 34 • Was Knittermeyer von Cohen trennte, war vor allem die Überzeugung, daß Kant »im Transzendentalen unter keinen Umständen ein gegen dessen historischen Sinn gleichgültiges, nur ihm eigentümliches und wohl gar durch den Eindruck der Newtonischen Wissenschaft hervorgerufenes systematisches Motiv« hat »ausdrücken können« 35 • Vielmehr sei die »Übernahme« des Begriffs bei Kant »gerade um seiner historischen Bedeutung willen erfolgt« 36 • Mit gleicher Entschiedenheit hat Knittermeyer sich gegen die Annahme einer »Doppeldeutigkeit des Kantischen Transzendentalbegriffs« gewandt: »Daß Kant ... gerade den Begriff, in dem sich für ihn der Sinn des kritischen Philosophierens am innerlichsten ausprägt, in lässiger Doppeldeutigkeit gebraucht haben sollte, ist nicht weniger unbegreiflich« 37 • Knittermeyers Interpretationsversuche lassen sid:i nur unter Zugrundelegung dieser beiden Prämissen ganz verstehen. Freilid:i hat sich Knittermeyer, was die
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34 Transzendent und Transzendental in: Festschrift für Paul Natorp, Berlin u. Leipzig 1924, S. 204. Vgl. S. 204 f.: »Auch bei Kant ist der Rückgang aufs Transzendentale mehr als eine letzte logische Selbstsicherung.« »Der Sinncharakter des Transzendentalen darf dabei nicht um den von ihm eingeschlossenen Nerv des Transzendenten gebracht werden. Transzendentale Rechtfertigung besagt durchaus, daß das Bedingte im Unbedingten allein gegründet werden kann.« In der Folge hat sich der Begriff bei Knittermeyer immer mehr erweitert und verfärbt, vgl. ders., Immanuel Kant, Vorlesungen zur Einführung in die kritische Philosophie, Bremen 1939, S. 12: » ••• daß ... eine rechtschaffene Philosophie ... auf die Transzendenz bezogen und gebunden bleiben muß, daß sie - wie Kant es ausgedrückt hat - Transzendentalphilosophie sein muß«; ähnlich S. 16. Ein Exemplar dieses Buches (im Besitz des Verf.s) trägt die aufschlußreiche Widmung: »Herrn Walther Schönfeld, dem Wegbereiter einer neuen, wiewohl urindogermanischen Transzendentalphilosophie in Verehrung Bremen 8/5 44 H Knittermeyer«. - Knittermeyers Auslegung wird von der Annahme bestimmt, daß auch bei Kant noch zwischen dem Transzendentalen und dem Transzendenten - unerachtet der strengen Unterscheidung beider Begriffe, die Kant vornimmt - eine den Sinn des Terminus mitbestimmende Beziehung bestehe. Diese Annahme geht vermutlich weitgehend auf die begriffsgeschichtlichen Arbeiten für seine Dissertation zurück. Daneben verweist er wiederholt (Transzendentalphilosophie und Theologie, Die Christliche Welt XXXVIII/1924, Sp. 226; Von der klassischen zur kritischen Transzendentalphilosophie, Kant-Studien XL V/ 1953/54, S. 123) auf eine Notiz des Opus postumum, derzufolge die Transzendentalphilosophie »ihren Namen davon« hat, »daß sie an das Transzendente grenzt« (XXI 74). 35 Transzendent und Transzendental, a. a. 0. S. 200. Ähnlich schon in der Dissertation, a. a. 0. S. 212 Anm. 1: »Dabei darf das Transzendentale bei Kant nicht von aller Tradition abgelöst interpretiert werden. Cohen hat den Begriff des Transzendentalen viel zu einseitig als bloß wissenschaftskritisch verstanden, und dadurch das Problem der transzendentalen Methode unzulässig verengt.« Vgl. auch Von der klassischen zur kritischen Transzendentalphilosophie, a. a. 0. S. 113. 36 Transzendentalphilosophie und Theologie, a. a. 0. Sp. 223. Vgl. Sp. 265. 37 Transzendent und Transzendental, a. a. 0. S. 200; Von der klassischen zur kritischen Transzendentalphilosophie, a. a. 0. S. 116. Ebenso neuerdings E. Gerresheim, Die Bedeutung des Terminus transzendental in Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft (Diss.), Köln 1962, S. 7 unSynthesis< « verstanden. »Eine das Wesen dieser Synthesis betreffende Untersuchung nennt Kant eine transzendentale.« »Transzendentale Erkenntnis untersucht also nicht das Seiende selbst, sondern die Möglichkeit des vorgängigen Seinsverständnisses, d. h. zugleich: die Seinsverfassung des Seienden. Sie betrifft das über~ schreiten (Transzendenz) der reinen Vernunft zum Seienden«.42 Ahnlich wie vor ihm Knittermeyer sieht auch Heidegger eine sprachliche bzw. terminologische Beziehung zwischen den Begriffen transzendental und transzendent, nur daß er, weitgehend vom eigenen philosophischen Ansatz geleitet, den Sinn der in Frage stehenden Transzendenz in ganz anderer Richtung bestimmt. Und ähnlich wie Knittermeyer, nur ungleich entschiedener, wendet auch er sich gegen jede Auslegung der Kantischen Transzendentalphilosophie als Wissenschafts- oder Erkenntnistheorie: »Mit dem Problem der Transzendenz wird an die Stelle der Metaphysik nicht >Erkenntnistheorie< gesetzt, sondern die Ontologie auf ihre innere Möglichkeit befragt« 43. Neuerdings schließlich hat Gottfried Martin, an die· Ergebnisse Cohens und Knittermeyers anknüpfend, die Auffassung vertreten, daß bei Kant »in dem 38 Knittermeyers polemische Behauptung, Gideon komme :nur Feststellung einer Unzahl [ !] z. T. gegensätzlichster Bedeutungen, die Kant nicht selten in einem Satz durcheinanderwirft« (Transzendent und Transzendental, a. a. 0. S. 200 Anm. 1), entstellt die Ergebnisse dieser bisher eindringlichsten Untersuchung. 39 Transzendentalphilosophie und Theologie, a. a. 0. Sp. 258. 40 Vgl. a. a. 0. Sp. 259: »In dem Jahrzehnt der vorbereitenden Arbeit an der Kr.d.r.Vn. muß« Kant »der Begriff in seiner überlieferten Ausprägung auf irgendeine Weise so wichtig geworden sein, daß er den Aufriß dieses Werkes von ihm aus zu gewinnen beschloß. Genaues aber läßt sich bei der Kärglichkeit sicher datierbarer Nachrichten über die Entwicklung Kants zwischen 1770 und 1781 schwer ermitteln«. 41 Vgl. unten Kap. I. 42 M. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, Frankfurt am Main 1 1951 ( 1 1929), S. 24 f. Vgl. S. 25, S. 46 und öfter. 43 A. a. 0. S. 26. Vgl. auch H. Driesch, Skizzen zur Kantauffassung und Kantkritik, Kant-Studien XXII/1918, S. 92 f.
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Terminus transzendental eine aus der ontologischen Tradition kommende Bedeutung mit einer neuen und spezifisch Kantischen Bedeutung sich verbindet«44. So handele es sich z.B. bei der Rede von der »absoluten und transzendentalen« Realität der Zeit (KrV B 53) keineswegs um die »spezifisch Kantische«, sondern um die »alte überlieferte Bedeutung«. »Transzendental bezeichnet hier die allgemeinsten Bestimmungen des Seins, also ens, unum, bonum, verum, sowohl dem Objekt, als auch der Methode nach. Eine transzendentale Untersuchung ist also eine solche, die ihr Objekt nur auf diese allgemeinsten Bestimmungen hin erwägt« 44 . In bewußtem Hinblick auf (und in Abgrenzung gegen) diese traditionelle, ontologische Bedeutung habe Kant seinen eigenen, »spezifischen« Begriff des Transzendentalen formuliert: »vom Kantischen Standpunkt muß eine transzendentale Untersuchung auf unsere menschliche Erkenntnisart gehen, und so wird denn eine transzendentale Untersuchung zu einer Untersuchung von unserer Erkenntnisart« 45. Sucht man nach den Gründen der Vielfalt und Gegensätzlichkeit der hier nur grob skizzierten Interpretationsversuche, die die eingangs erwähnten Schwierigkeiten noch einmal unterstreichen, so wird man zunächst einen überraschenden Tatbestand zu konstatieren haben: fast jeder der genannten Autoren - in den Anmerkungen wurde bereits darauf hingewiesen 46 - nimmt andere Äußerungen Kants über den Sinn des Terminus zum Ausgangspunkt seiner eigenen Interpretation. Die herangezogenen Texte aber scheinen auf das beirrendste zu differieren. 47 Darüber hinaus jedoch sind selbst die sogenannten Hauptdefinitionen nicht frei von Schwierigkeiten. Schon ihr bloßer Textbestand hat zu zahlreichen Konjekturen und Kontroversen Anlaß gegeben. 48 Daneben hat die erste Hauptdefinition (KrV A 11 f., B 25) in der zweiten Auflage der Kritik Änderungen erfahren, deren Funktion auch wieder die verschiedensten Auslegungen gefunden 44 G. Martin, Immanuel Kant. Ontologie und Wissenschaftstheorie, Köln 21958 (11951), S. 47. Vgl. S. 129. 45 A. a. 0. S. 48. Vgl. ders., Wilhelm von Ockham, Untersuchungen zur Ontologie der Ordnungen, Berlin 1949, S. 247: »Von der Aufgabe her ist die Transzendentalphilosophie die Lehre von den allgemeinsten Bestimmungen des Seins, also die Lehre vom Sein als Sein. II An dieser aristotelischen Aufgabe, der auch die scholastische Lehre von den Transzendentalien galt, hält auch Kant fest. II Nun hat aber Kant gesehen, daß ein Seiendes nur dann für uns Bedeutung haben kann, wenn es uns gegeben werden kann. 11 In den allgemeinen Begriff des Seienden, des Dinges also, gehen daher von dieser Lösung Kants für uns Menschen die Probleme der möglichen Gegebenheit ein. Das Ding ist daher für uns Menschen das Ding, insofern es uns gegeben werden kann, und die Transzendentalphilosophie, die der Aufgabe nach die Lehre vom Ding als Ding war, ist nun der Lösung nach die Lehre vom Ding, insofern es uns gegeben werden kann« (Hervorhebungen vom Verf.). 46 Vgl. oben Anm. 22, 25, 26, 27, 34. 47 Vgl. B. Erdmann, Beiträge zur Geschichte und Revision des Textes von Kants Kritik der reinen Vernunft, Berlin 1900, S. 27 Anm. 3. 48 Vgl. Erdmann, a. a. 0. S. 27 ff. und S. 34; Vaihinger, Kommentar Bd. I, a. a. 0. S. 470; Gidcon, a. a. 0. S. 54.
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hat. 49 Was schließlich den Sinn der von Kant gegebenen Erklärungen angeht, so liegt dieser keineswegs, wie man doch bei der zentralen Stellung des Begriffs erwarten möchte, offen und eindeutig zutage. Bei der zweiten Hauptdefinition, jener in der Kantforschung immer wieder erörterten »Anmerkung« zu Beginn der transzendentalen Logik, »die ihren Einfluß auf alle nachfolgende Betrachtungen erstreckt« (KrV B 80), notiert z.B. Schopenhauer in seinem Handexemplar: »qu'est ce que cela veut dire?« 50 und Vaihinger nennt diese, wie er schreibt, »im übrigen sehr verworrene Stelle« dunkel und widerspruchsvoll 5 1 •
b) Voraussetzungen und Aufbau der vorliegenden Untersuchung Die vorliegende Untersuchung wird von der Annahme geleitet, daß die angeführten Schwierigkeiten nicht allein und nicht einmal zuerst in den weitreichenden inneren Problemen wurzeln, vor die eine Transzendentalphilosophie gestellt ist, sondern vornehmlich auf die folgenden zwei Gründe zurückzuführen sind 61 : 1. Kant hat den Begriff des Transzendentalen weder geschaffen noch einfachhin aus seinem historischen Zusammenhang gerissen. Er war weder der »Erfinder der Transzendentalphilosophie« 53, wie ihn großenteils bereits die Zeitgenossen 49 Vgl. unten § 2c. 50 A. Schopenhauers sämtliche Werke, hrsg. v. P. Deussen, Bd. XIII, München 1926, s. 38. 51 Kommentar Bd. I, a. a. 0. S. 469, Bd. II, S. 112, S. 352 Anm. 1. 52 Gideon, a. a. 0. S. 6 ff. nennt drei Faktoren, aus deren Zusammenspiel die Schwierigkeiten des Begriffs »Wenigstens teilweise« zu erklären seien: 1. »Die Komplikation mit dem Begriff des Transzendenten« in seiner traditionellen wie in seiner spezifisch Kantischen Bedeutung (zwischen denen Gideon nicht hinreichend unterscheidet); vgl. S. 142 ff.; 2. die verschiedenen Frontstellungen (gegen Sensualismus und dogmatischen Rationalismus), in denen Kant den Begriff verwendet; 3. die »Eigentümlichkeit von Kants schri:A:stellerischer Art«: »Er kümmert sich wenig um die hergebrachte Bedeutung des Wortes, oftmals nicht um die von ihm selbst festgestellte; er bildet neue Gegensätze, ohne Rückschau zu halten oder seinem Leser über jede Abweichung Mitteilung zu machen«. . Die ersten zwei Punkte decken sich teilweise mit den im folgenden angeführten beiden Gründen; der dritte, eine ohne Zweifel zutreffende Charakterisierung, gibt eine auch in diesem Zusammenhang zu beachtende Ergänzung, deren Recht an anderer Stelle verhandelt werden wird (vgl. unten § 6b S. 105 f.). Die vorliegende Untersuchung unterscheidet sich aber von der Auffassung Gideons vor allem in der Annahme, daß die »alte« und die »neue«, »spezifische« Bedeutung des Begriffs bei Kant nicht zufällig und aus bloßem Mangel an terminologischer Genauigkeit nebeneinander herlaufen sondern daß Kant seinen »neuen« Begriff des Transzendentalen als Aufnahm; und Weiterführung einer alten Fragestellung hat verstanden wissen wollen (vgl. unten§ 2a). 53 J. G. Buhle, Entwurf der Transzendentalphilosophie, Göttingen 1798, S. 18. (Buhles Auffassung des »transzendentalen Standpunktes« scheint weitgehend auf Beck - vgl. oben Anm. 24 - zurückzugehen.) Vgl. auch die Rezension der Erlanger Literatur-
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gesehen haben, noch hat er sich selbst in dieser Weise verstanden. Vielmehr knüpft er mit dem Begriff bewußt an vorliegende Traditionen und Fragestellungen an, denen er jedoch zugleich eine neue Richtung zu geben sucht. 54 Xhnlich wie er im Begriff der Kritik die Stimmung des eigenen Jahrhunderts aufzunehmen trachtete (»Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik« 55), suchte er sich allem Anschein nach im Begriff der Transzendentalphilosophie der Tradition zu versichern. Auch die Absicht, sich auf diese Weise gegen eine Philosophie der bloßen Aufklärung oder Analysis abzugrenzen, mag dabei mitgespielt haben. Diese bewußte Anknüpfung aber, Aufnahme und Umdeutung zugleich, mußte fast zwangsläufig dazu führen, daß der Terminus immer wieder zwischen seiner »alten« und seiner »neuen« Bedeutung oszillierte. 56 Eben daher eignet ihm bei Kant eine kaum aufhebbare Ambivalenz; sie ist eine der wesentlichen Ursachen für die Vieldeutigkeit des Begriffs. Diese Anknüpfung und Umdeutung verliert einen Teil ihrer Gewaltsamkeit, wenn man in Rechnung stellt, daß Kant der den Zeitgenossen zwar nicht unbekannte aber auch nicht geläufige Begriff 57 in den verschiedensten Bedeutungen und Zusammenhängen begegnet war 58, so daß er sich zu Recht vor die Aufgabe gestellt sehen konnte, von seinen eigenen Sachproblemen her den >eigentlichen< Sinn des Terminus - dessen »alter Gebrauch ... durch Unbehutsamkeit« seiner »Urheber ... schwankend geworden« war (KrV B 369) - neu zu >definierender< Tradition (die schon für sich genommen nicht auf einer Linie lagen), auch wenn man die folgenden Schwierigkeiten hier noch außer acht läßt, schwerlich zu voller Deckung bringen. 2. Kant ist auf jenen Begriff, der das Gesicht seines Philosophierens so entscheidend bestimmen sollte, erst überraschend spät zurückgekommen. In seinen deutschen Schriften hat er ihn, bevor er die Kritik der reinen Vernunft schrieb, nie gebraucht, in seinen lateinischen findet er sich - 1756 und 1770 - an zwei
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Zeitung I/1799, Sp. 61: »Kant ist der erste Lehrer der Transzendental-Philosophie und Reinhold der trefflichste Verbreiter der kritischen Lehre: aber der erste Transzendental-Philosoph selbst ist unstreitig Fidite« (vgl. unten Beilage I S. 140). Vgl. die Ausführungen von Knittermeyer und Martin oben S. 20 und S. 21 f. Ferner unten§ 2. Kr VA XI Anm.; vgl. Refi. 5645 (XVIII 287), Logik A 39 f. sowie Metaph.vorl. Pölitz S. 16. Die beiden am häufigsten angeführten Belege für die alte Bedeutung sind KrV B 113: »in der Transzendentalphilosophie der Alten« und B 346: »Der höchste Begriff, von dem man eine Transzendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Einteilung in das Mögliche und Unmögliche« (so z.B. in A. G. Baumgartens Metaphysica Sectio I, Possibile). Vgl. Martin, Wilhelm von Ockham, a. a. 0. S. 248 f. Vgl. Knittermeyer, Der Terminus transzendental, a. a. 0. S. 197 ff.; G. Tonelli, Das Wiederau/leben der deutsch-aristotelischen Terminologie bei Kant während der Entstehung der >Kritik der reinen VernunftSystemszusammenstelltetranszendentalen< Dialektik) ihrerseits nidit weniger bestimmen, als sie von ihm bestimmt und umgeformt werden. 63 Vgl. De mundi sens. A 16 f. (§ 14, 5), A 20 (§ 15 D). 64 Vgl. De mundi sens. A 10 (§ 7). Welchen Schwankungen der Terminus dabei unterliegt, zeigen die Parallelen Pro!. A 65, Anthr. B 25 Anm., in denen Kant statt transzendental bedenkenlos genetisdi bzw. real oder psychologisch sdireiben kann. Gerresheims Polemik gegen Gideon (»Kant fiele seinem eigenen Standpunkt des transzendentalen Idealismus in den Rücken, wenn er diese Differenz mit einem realen, d. h. in der Sache selbst [?) begründeten Unterschied wiederum in Verbindung bringen würde«; a. a. 0. S. 43), erledigt sidi durch die angeführten Parallelen. 65 Vgl. Refi. 3733 (XVII 274), 3775 (XVII 290), 3907 (XVII 338).
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zu seinen Nachfolgern ist Kant nicht von einer bestimmten Definition des Transzendentalen ausgegangen. Er hat den Begriff zunächst stillschweigend und ohne feste Umgrenzung in sein Denken übernommen - Grund und Stelle dieser Übernahme werden im zweiten Halbband eingehend erörtert werden müssen 66 - und dann im Laufe der Zeit in den verschiedensten Zusammenhängen gebraucht. Er hat mit dem Begriff zunächst operiert und experimentiert. Nachträglich hat er die Notwendigkeit empfunden, den Sinn des Ausdrucks zu fixieren, und zwar einmal im Hinblick auf das von der Tradition >eigentlich< damit Gemeinte, zum anderen im Hinblick auf die Bedeutung des Begriffs im eigenen >SystemDefinitionsIdee< der Transzendentalphilosophie ist Kant immer wieder Problem geworden. Die skizzierten beiden Voraussetzungen, die im folgenden ihre eingehende Begründung finden werden, bestimmen Aufbau und Gang der vorliegenden Untersuchung. 69 Diese hat sich, um Kants Begriff des Transzendentalen verständlich zu machen, mit zwei verschiedenartigen Themenkreisen zu beschäftigen. Bei ihrem ersten Kapitel handelt es sich - mit einer Formulierung Hans Vaihingers - »um, freilich sehr mühsame, positiv historische terminologische Forschung« 70 • In diesem Kapitel wird erörtert werden müssen, in welcher Bedeutung (bzw. in welchen Bedeutungen) Kant die Begriffe >transzendental< und >Transzendentalphilosophie< gekannt und gebraucht hat, bevor er sie zur Markierung seines eigenen, >kritischen< Standpunktes verwandte, mit anderen Worten: worin für Kant selber die »alte Bedeutung« des Terminus bestanden bzw. in welchen »Schwankungen«, Schattierungen, »Nuancen« er denselben vorgefunden hat. In den folgenden Kapiteln wird dann der Weg nachzuzeichnen sein, der Kant zur selbständigen und bewußten Aufnahme des Begriffs geführt hat, 66 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Gideon, a. a. 0. S. 145 f. und S. 7 f. 67 Vgl. Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunft (Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie, hrsg. von B. Erdmann, Bd. II), Leipzig 1884, S. 37 Anm. 4. 68 Vgl. Knittermeyer, Transzendentalphilosophie und Theologie, a. a. 0. Sp. 409 ff. Es ist eine der leitenden Absichten dieser kaum beachteten Skizze, auf die Knittermeyer selbst zeitlebens besonderes Gewicht gelegt hat, sichtbar zu machen, wie die spezifisdi transzendentalphilosophische Problematik bei Kant unablässig weiterdrängt und bis zuletzt unabgeschlossen bleibt. Seine Darstellung ist gewiß reich an Fehldeutungen, unausgeführten, nicht »deutlidi gemachten« Ideen, Sprüngen und Dunkelheiten. Dennoch bleibt es das Verdienst Knittermeyers, darauf hingewiesen zu haben, daß die »transzendentale Entwicklung Kants« (Sp. 410) nicht mit den Kritiken, geschweige denn mit der Kritik der reinen Vernunft zum Abschluß kommt. Vgl. ferner ders., Immanuel Kant, a. a. 0. S. 138 ff.; Von der klassischen zur kritischen Transzendentalphilosophie, a. a. 0. S. 122 ff. 69 Vgl. zum folgenden den Gesamtplan der Untersudiung oben S. 7. 70 Kommentar Bd. I, a. a. 0. S. 468 Anm. 26
und zwar unter besonderer Berücksichtigung derjenigen überlegungsstränge, die ihrerseits »Kants Begriff des Transzendentalen« mit geprägt oder gefärbt haben. Als »Ausschlag gebender Faktor« 71 wird sich dabei, wie der Untertitel des ersten Bandes, » Transzendentalphilosophie und Antinomien«, ankündigt, das »Labyrinth« der später so genannten Antinomien erweisen. Deren Problematik kann zugleich als Leitfaden dienen, die verschiedenen Etappen des Kantischen Denkens in ihrer Eigenart zu kennzeichnen und gegeneinander abzugrenzen.72 Freilich handelt es sich bei »Kants Weg zurTranszendentalphilosophie« nicht um die >allmähliche< >Entwicklung< eines eigenen, von Anfang an festgehaltenen Begriffs von Transzendentalphilosophie und auch nicht um eine stetige Annäherung oder »Emporarbeitung« 73 zu derselben, sondern um das schließliche Auftreten einer neuen Fragestellung, deren Formulierung auf alle vorangegangenen Überlegungen zurückschlägt. - Zunächst soll jedoch in einem zweiten einleitenden Paragraphen die erste der skizzierten beiden Voraussetzungen anhand einer Interpretation der sogenannten ersten Hauptdefinition eingehender erläutert und begründet werden. Zugleich soll der Paragraph dazu dienen, Kants Begriff des Transzendentalen wenigstens vorläufig in seinen wichtigsten Momenten zu kennzeichnen und gegen das traditionelle, vorkantische Verständnis des Begriffs abzusetzen.
71 Erdmann, Die Entwicklungsperioden von Kants theoretischer Philosophie in: Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunfl, a. a. 0. S. XXIV. 72 Vgl. unten § 6. Jedoch soll damit keinesfalls die Auffassung vertreten oder auch nur stillschweigend nahegelegt werden, bei der Antinomienproblematik handele es sich um den einzig möglichen Leitfaden für eine Interpretation der sogenannten Kantischen >EntwicklungsEntwicklungsgeschichte< des >vorkritisdien< Kant.)
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§ 2. Die Doppeltendenz des Begriffs (Die Einleitungsdefinition des Transzendentalen KrV A 11 f„ B 25) a) Die Anknüpfung an die Tradition Die erste ausdrückliche Definition des Transzendentalen inder Kritik der reinen Vernunft wie in Kants Schriften überhaupt beginnt mit jener formelhaften, fast stereotypen Redewendung, mit der Kant vom gängigen Sprachgebrauch abweichende Begriffsbildungen seiner Philosophie einzuführen pflegt: »Ich nenne alle Erkenntnis transzendental ... « 74 Mit diesem Gebrauch der ersten Person verrät die Einleitungsdefinition von vornherein das Bewußtsein des Eigenständigen und Neuen, das für Kants Begriff des Transzendentalen kennzeichnend ist. »Man sieht, daß Kant das Gefühl und die Absicht hatte, auf seine Veränderung dieses Begriffes den Leser aufmerksam zu machen. Nicht wie der Terminus gemeinhin genommen wird, soll er hier gelten.« 75 Mit den unmittelbar anschließenden Formulierungen aber, deren scheinbare Schwerfälligkeit den Interpreten immer wieder zu schaffen gemacht hat, verrät die Einleitungsdefinition kaum weniger deutlich die Absicht, mit dieser Neubestimmung an eine vorliegende >Tradition< (bzw. an vorliegende Traditionen) anzuknüpfen und den »neuen Begriff« des Transzendentalen auf dem Hintergrund der »alten Bedeutung« (Cohen) auszugrenzen und zu definieren: »... die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegenständen überhaupt beschäftigt«. Das altertümliche »nicht so wohl ... sondern«, das auch die zweite Auflage beibehält, entspricht dem lateinischen »non tarn ... quam potius« 76 (klassisch »non tarn ... quam«), das Kant mit Wendungen wie »nicht so wohl ... als vielmehr«, »nicht so wohl ... als«, »nicht so wohl ... sondern vielmehr«, »nicht so
74 ~ervorheb~nge? vom Verf. Vgl. De mundi sens. A 37 (§ 30): »Voco autem principia Convement1ae ... «; KrV B 34: »Ich nenne alle Vorstellungen rein (im transzendentalen Verstande), in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird«; B 117: »Ich nenne ... die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können, die transzendentale Deduktion«; B 434: »Ich nenne alle transzendentale Ideen, so fern sie die absolute Totalität in der Synthesis der Erscheinungen betreffen, Weltbegriffe« usw. und demgegenüber z.B. De mundi sens. A 11 (§ 9): »Maximum perfectionis vocatur nunc temporis Ideale, Platoni Idea«; KrV B 2: »Man nennt solche Erkenntnisse a priori«. Kant unterscheidet also schon in der Art seiner Formulierungen, wo er geläufige Begriffe aufnimmt und wo er eigene, von der gängigen Bedeutung abweichende Begriffsbestimmungen gibt. 75 Cohen, Kommentar, a. a. 0. S. 18. 76 Vgl. auch die - die zweite Auflage der Kritik zugrunde legende - Übersetzung von P. G. Born, lmmanuelis Kantii opera ad philosophiam criticam, Bd. I, Leipzig 1796, S. 19: » Iam vcro omnes eas notitias liceat transscendentales dicere, quae non tarn in rcbus ipsis propositis atque obiectis, quam potius in modo cognoscendi eas res nobis proprio et naturali, quatcnus is pracsumi et antecapi potest, omnino versantur«.
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wohl ... sondern« wiedergibt. 77 Es besagt einen Vergleich zwischen zwei Gliedern, denen derselbe Sachverhalt in verschiedenem Grade zukommt oder die ein und dieselbe Sache in verschiedenem Grade kennzeichnen, und unterscheidet sich grundsätzlich von dem bloßen Gegensatz des »nicht ... sondern«. 78 Es besagt einen Unterschied der Akzentsetzung, betont das eine und rückt das andere demgegenüber in den Hintergrund. Dasjenige nun, das im vorliegenden Fall an die zweite Stelle treten soll, ist die primäre Blickrichtung auf die »Gegenstände«, wie sie für die traditionelle, vorkantische Transzendentalphilosophie kennzeichnend ist, 79 gleichgültig ob man dabei an einzelne, ausgezeichnete Gegenstände wie die Seele, die Welt oder den Gott zu denken hat, also an die zentralen Themen der überlieferten metaphysicae speciales, oder an die »Gegenstände« bzw. »Dinge überhaupt« der Ontologie (für die Kant nicht selten den Ausdruck 77 Vgl. De mundi sens. A 25 (§ 17): influxus physicus (secundum vulgarem ipsius sensum) »non tarn sit systema aliquod, quam potius omnis systematis philosophici ... neglectus«; Gedanken A XII: »so ist dieses nicht so wohl ein Fehler des Menschen, als vielmehr der Menschheit«; A 230: »wiewohl dieser [seil. Irrtum] nicht so wohl persönlich dem Herrn von Musschenbroek, als vielmehr den gesamten Verteidigern der Leibnizischen Kräftenschätzung eigen ist«; Beweisgrund, Vorrede A 7: »In meinem Falle ist die nicht völlig ausgebildete Gestalt des Werks nicht so wohl einer Vernachlässigung als einer Unterlassung aus Absichten beizumessen«; Fortschritte A 160: »die Metaphysik, wenn man sie nicht so wohl nach ihrem Zweck, sondern vielmehr nach den Mitteln ... erklären will«; Fak. A 199: »welcher Fehler nicht sowohl ein Fehler des Geistes, noch . . . des Gedächtnisses allein, sondern der Geistesgegenwart ... ist«; Fortschritte A 188: »sie kann sich nicht so sehr darauf verlassen, ihre Behauptung zu beweisen, als vielmehr die des Gegners zu widerlegen« (das modernere »sehr« statt »wohl« geht möglicherweise auf die Redaktion Rinks zurück); vgl. ferner Nachricht A 15, Fortschritte A 162. 78 Vgl. R. Kühner/C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Satzlehre, Hannover 8 1955, Teil II, S. 457 ff. 79 Vgl. KrV B 810: »Die Beweise transzendentaler und synthetischer Sätze haben das Eigentümliche ... an sich, daß die Vernunft bei jenen vermittelst ihrer Begriffe sich nicht geradezu an den Gegenstand wenden darf, sondern zuvor die objektive Gültigkeit der Begriffe und die Möglichkeit der Synthesis derselben a priori dartun muß«. Die gleiche Abgrenzung gegen die Blickrichtung der » Transzendentalphilosophie der Alten« (Kr V B 113) auf die Gegenstände bringt die Erklärung Prof. A 71: »Das Wort transzendental aber, welches bei mir niemals eine Beziehung unserer Erkenntnis auf Dinge, sondern nur aufs Erkenntnisvermögen bedeutet, sollte diese Mißdeutung verhüten« (Hervorhebungen vom Verf.). Daß Kant im vorliegenden Text, nur zwei Jahre später, statt »nicht so wohl ... sondern« stillschweigend »niemals ... sondern nur« schreibt, mag durch den vorliegenden Zusammenhang zu erklären sein: die >Erläuterung< des Ausdrucks »transzendentaler Idealismus« gegenüber den Mißverständnissen derer, die für »jede Abweichung von ihrer verkehrten obgleich gemeinen Meinung gerne einen alten Namen haben möchten, und niemals über den Geist der philosophischen Benennungen urteilen« (Prol. A 70), konnte die kategorische Schreibweise nahelegen. Doch sei schon hier darauf hingewiesen, daß der Sprachgebrauch der Prolegomena (die das Wort transzendental nur vierunddreißigmal gebrauchen und offensichtlich um eine eindeutigere, >kritischere< Anwendung des Begriffs bemüht sind) von dem der Kritik abweicht. Vgl. auch Vaihinger, Kommentar Bd. II, a. a. 0. S. 352 f.; Gideon, a. a. 0. S. 148. 29
Transzendentalphilosophie verwendet 80 ). Diese Blickrichtung auf die Gegenstände soll, dem Wortlaut der Einleitungsdefinition zufolge, aus dem Themenkreis transzendentaler Erkenntnis keineswegs ausgeschlossen werden 81, aber sie soll innerhalb seiner an die zweite Stelle treten. Die >kritische< >Analyse< der Erkenntnis selber soll gegenüber der Behandlung der inhaltlichen Fragen der Metaphysik (die nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Transzendentalphilosophie bleiben) den Vorrang erhalten. Nicht die Errichtung des »Gebäudes«, sondern die »Grundlegung« (»wie denn der Verstand zu allen diesen Erkenntnissen a priori kommen könne, und welchen Umfang, Gültigkeit und Wert sie haben mögen«) soll im Vordergrund stehen (Kr VB 7 ff.). s2 Verrät schon das behutsame, fast zögernde »nicht so wohl ... sondern« den Willen, bei der neuen >Definition< des Transzendentalen die Fragestellungen der überkommenen Transzendentalphilosophie nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern unter veränderter Akzentsetzung weiterzuführen, so bezeugt sich diese Absicht noch deutlicher in der Rede von den »Gegenständen überhaupt«. Sie erinnert an das Grundthema der Ontologie, wie es bei den deutschsprachigen Autoren des 18. Jahrhunderts in dieser oder ähnlicher Formulierung auf Schritt und Tritt begegnet: die Frage nach den »Gegenständen«, »Objekten« oder »Dingen über„
haupt« (ens in genere, ens ut ens, av fl 8v ) und dessen »allgemeinsten Bestimmungen«. So trägt schon in Wolffs (1679-1754) deutschem Hauptwerk, den Vernünftigen Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (1719), das zweite Kapitel (das Wolffs Ontologie enthält) die Überschrift: »Von den ersten Gründen unserer Erkenntnis und allen Dingen überhaupt«.8 3 In seinem >Kommentar< zu dieser Schrift bezeichnet Wolff die transzendentale Wahrheit als eine »Eigenschaft des Dinges überhaupt« 84 ; auch die Verbindung zwischen dem Begriff des Transzendentalen und dem der Pinge (Gegenstände) überhaupt ist also bereits lange vor der Kritik der reinen Vernunft anzutreffen. Besonders aufschlußreich für Problemlage und Sprachgebrauch der siebziger Jahre ist in diesem Zusammenhang J. N. Tetens' (1736 bis 1807) Abhandlung über die allgemeine spekulativische Philosophie, die an zahlreichen Stellen frühe Kantische Gedanken reflektiert und vermutlich ihrerseits stark auf Kant zurückgewirkt hat. 85 Thema dieses »Versuchs« ist nicht die »spekulativische Philosophie« oder »Metaphysik« im ganzen, sondern die »allgemeine spekulativische« oder »allgemeine transzendente Philosophie, die man Grundwissenschaft, Ontologie, nennet« (S. 23), und ihre »Perfizierung« durch den Realitätserweis (die »Realisierung«) ihrer Grundsätze und Begriffe. Diese
80 Vgl. KrV B 873; Fortschritte A 10 f.; Refi. 4236 a (XVII 471); Hauptvorl. Metaph. S. 19. Vgl. unten§ 4d (B 1). 81 Schon die ersten Kommentatoren haben, möglicherweise im Hinblick auf Prol. A 71, Kants »nicht so wohl ... sondern« ohne Bedenken sinngemäß in »nicht ... sondern« verändert; vgl. Beck, Erläuternder Auszug Bd. I, a. a. 0. S. 5: »Die TranszendentalPhilosophie hat es lediglich mit unsrer Erkenntnisart von Gegenständen zu tun«; Buhle, Entwurf, a. a. 0. S. 10: »Eine jede Erkenntnis heißt transzendental, welche die Möglichkeit und Gültigkeit einer Erkenntnis von Dingen überhaupt a priori betrifft«. Dieses Verständnis der Einleitungsdefinition ist in der Folge herrschend geblieben und hat Auslegung und Aneignung der Kantischen Philosophie im ganzen tiefgreifend beeinflußt. Die gedankenlose Modernisierung des Textes (»nicht sowohl« statt »nicht so wohl«) mag das ihre dazu beigetragen haben. - Cohens Interpretation der Redewendung ist schwankend: Kants Theorie der Erfahrung (a. a. 0. S.135) heißt es: »Die transzendentale Erkenntnis hat es also gar nicht mit >Gegenständen< zu tun, >sondern nur mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein sollBegriffe a priori< „. zur Erkenntnis kommen«. Die Transzendentalphilosophie hätte es danach also nicht mit Gegenständen im allgemeinen, sondern mit Gegenständen der »Wissenschaft« zu tun. Diese Erklärung läßt sich jedoch mit dem Satzbau der Einleitungsdefinition schwer vereinbaren, Kant schreibt nicht: ... die sich nicht so wohl mit Gegenständen überhaupt, sondern mit Gegenständen, sofern sie »vermöge der Begriffe a priori zur Erkenntnis kommen«, beschäftigt. 82 Noch 1790 stellt Kant die »Transzendentalphilosophie, als objektive Lehre« (bzw. als »das System der Wissenschaften der reinen Vernunft«) der »Kritik aller a priori bestimmbaren Vermögen des Gemüts« ausdrücklich gegenüber (vgl. Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft H 54 f.; Abschnitt XI).
83 Vgl. J. H. Lambert, Anlage zur Architektonik, oder Theorie des Einfachen und des Ersten in der philosophischen und mathematischen Erkenntnis, Riga 1771, Bd. I, S. 48 (§ 57): »Die Theorie eines Dinges überhaupt betrachtet, wird dem buchstäblichen Verstande nach Ontologie genennet«. - Zu Wolff vgl. auch Gerresheim, a. a. 0. S. 28 ff., sowie unten§ 4c. 84 Ch. Wolff, Der vernünftigen Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Anderer Teil, bestehend in ausführlichen Anmerkungen, Frankfurt am Main 3 1733 (11724, 2 1727), S. 90 (§ 43; Ad § 142): »Indem hier die Wahrheit durch die Ordnung in den Veränderungen der Dinge erkläret wird: so verstehet man diejenige Wahrheit, welche die Welt-Weisen Veritatem transscendentalem genennet, und als eine Eigenschaft des Dinges überhaupt angegeben: Denn diese Art der Wahrheit wird dem Traume entgegen gesetzet«. 85 Bützow u. Wismar 1775. Wiederabgedruckt in: Neudrucke der Kantgesellschaft Bd. IV, Berlin 1913. (Die nachfolgenden Zitate geben die dort vermerkten Seitenzahlen der Originalausgabe.) - Neben den namentlichen Erwähnungen Kants (S. 28 Anm., S. 46, S. 52, S. 55 Anm.) vgl. man beispielsweise die Parallele (oder stillschweigende Korrektur) zu Kants Beweisgrund, Vorrede A 5: »so ist die Metaphysik eine Reise um die Welt, über den Ozean, wo man nur hie und da an einigen allgemeinen Erfahrungssätzen etliche Insuln und Ufer antrifft« (S. 20); ferner Beweisgrund, Vorrede A 3 und Tetens S. 19 f., Deutlichkeit A 87 und Tetens S. 84 f. Auf der anderen Seite erinnert an KrV A VIII Tetens' Bemerkung: »weil es die Mode mit sich bringet, dieser Wissenschaft, weiland Königin der Wissenschaften, jetzo quaestionem status zu machen« (S. 23); vgl. ferner Pro!. A 11 und Tetens S. 16 f. sowie Hamanns Brief an Herder vom 17. Mai 1779 (der sich freilich auch auf die 1777 erschienenen Philosophischen Versuche über die menschliche Natur beziehen kann): »K. arbeitet frisch drauf los an seiner Moral [sie] der reinen Vernunft und Tetens liegt immer vor ihm« (J. G. Hamann, Briefwechsel, hrsg. von A. Henkel, Bd. IV, Wiesbaden 1959, S. 81).
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»transzendente Philosophie(( 8il nun ist, wie Tetens immer wieder einschärft, »nichts als eine allgemeine Theorie, die an sich selbst keine wirkliche Dinge zum Gegenstande hat, so wenig als die Analysis der Mathematiker. Sie hat einerlei Natur mit dieser, und könnte ganz wohl in Vergleichung mit ihr eine höhere Analysis 87 der Dinge heißen . . . Sie hat mit wirklich vorhandnen Objekten nichts zu tun, und beschäftiget sich nur mit dem, was möglich oder notwendig ist bei allen Arten von Dingen überhaupt« (S. 24; Hervorhebungen vom Verf.). Sie soll daher »die allgemeinen Grundsätze enthalten, wornach wir über alle Dinge überhaupt« - die spezifische Weise von >TranszendenzDefinition< des Transzendentalen an eine weit zurückreichende, den Zeitgenossen geläufige Themenstellung der Ontologie an. 93 Auch seine Kritik ist, freilich auf ganz anderem Wege, in weiten Teilen ein Versuch, eben diese Wissenschaft zu »perfizieren« oder ihr vielmehr allererst den Rang einer Wissenschaft zu erkämpfen. Die alte, immer wieder erneuerte Hoffnung, »die denkende Köpfe zu einerlei Bemühungen« zu »vereinbaren« (Deutlichkeit A 69) und eine gemeinsame Neubearbeitung dieser traditionsreichen Wissenschaft in Gang zu bringen, um sie mit »vereinigter Bemühung« endlich »ganz und doch dauerhaft zu vollführen« (KrV A XIX f.), gehört zu den tragenden Impulsen, ohne die Kants erster Entwurf einer Transzendentalphilosophie nicht zureichend zu verstehen ist. So erscheint die Kritik der reinen Vernunft auch nur als deren architektonischer »Plan« (KrV B 27) und als die »Propädeutik« (KrV B 25) zu einem phie, oder die Grundwissenscha:fl:, muß zuvörderst als ein Teil der beobachtenden Philosophie von dem menschlichen Verstande und seinen Denkarten, seinen Begriffen und deren Entstehungsarten, behandelt werden, ehe sie zu einer allgemeinen Vernunftwissenschaft von den Gegenständen außer dem Verstande gemacht werden kann« (S. 72). Tetens' „transzendente« Philosophie ist einer der wichtigsten und aufschlußreichsten Vorläufer der Kantischen Transzendentalphilosophie (und Kants Notiz in einer Vorarbeit zu den Prolegomena: »Er [seil. der Göttinger Rezensent] hat also niemals über die Möglichkeit solcher Erkenntnis a priori nachgedacht, ob ihm gleich Herr Tetens hätte Anlaß geben können« (XXIII 57), ist allem Vermuten nach in eben diesem Sinne zu verstehen). 92 »Überhaupt« ist daher in beiden Auflagen der Kritik der reinen Vernunft, wenn es in der zweiten Auflage nicht nur durch ein »Versehen« (Erdmann) stehen geblieben ist, auf »Gegenstände« zu beziehen. Erdmanns Einwand, daß damit auch die neue Fassung im Widerspruch zur zweiten Hauptdefinition KrV B 80 f. bliebe (»die Erkenntnis a priori, daß der Raum sowie jede geometrische Bestimmung desselben nicht empirischen Ursprungs sei, sowie die Erkenntnis, wie sich diese gleichwohl auf Gegenstände der Erfahrung beziehen können, sind nicht Fälle der Möglichkeit a priori unserer Erkenntnisart von Gegenständen überhaupt«, Beiträge, a. a. 0. S. 28), übersieht den eigentlichen Unterschied der beiden >Definitionendefiniertdie< Tradition, wie er gerade für die Einleitungsdefinition kennzeichnend ist, kann zugleich auch verständlich machen, weshalb in der Kritik der reinen Vernunft so häufig der »alte Gebrauch des Wortes« (Cohen) in den verschiedensten Schattierungen hervortritt. 96 In solchen »Schwankungen« (Vaihinger, Gideon) - an deren Vorhandensein kein vernünftiger Zweifel mehr bestehen kann - verrät sich keine »lässige Doppeldeutigkeit« (Knittermeyer). Vielmehr bezeugt sich. in ihnen immer wieder die Absicht Kants, an die Thematik der überlieferten Transzendentalphilosophie anzuknüpfen, ihre >Wahrheit< aufzunehmen und die neuen Fragestellungen gegen sie abzugrenzen. Die »alte« und die »neue«, die »überlieferte« und die »spezifisch Kantische« Bedeutung des »Grundwortes« stehen daher (wie Gottfried Martin gezeigt hat) in der Kritik der reinen Vernunft nicht bezugslos nebeneinander: sie sind jedenfalls sehr viel enger verknüpft, als Cohen gemeint und geahnt hatte - in diesem Punkt wird man der Kritik Knittermeyers 97 zustimmen müssen. 94 Vgl. unten Beilage 1S.138; ferner Grapengiesser, a. a. 0. S. 19 ff.; Vaihinger, Kommentar Bd. 1, a. a. 0. S. 472 ff., besonders S. 474: »Man sieht hieraus, daß K. sich absolut unklar war über das, was über seine Kritik hinauslag, und was er nach ihr noch vornehmen sollte«. 95 Vgl. Kants Briefe: an Markus Herz (nach dem 11. Mai 1781): »Daß Herr Mendelssohn mein Buch zur Seite gelegt habe, ist mir sehr unangenehm, aber ich hoffe, daß es nicht auf immer geschehen sein werde. Er ist unter allen, die die Welt in diesem Punkte aufklären könnten, der wichtigste Mann, und auf ihn, Herrn Tetens und Sie, mein Wertester, habe ich unter allen am meisten gerechnet« (X 270); an Christian Garve vom 7. August 1783: »Garve, Mendelssohn u. Tetens wären wohl die einzige Männer, die ich kenne, durch deren Mitwirkung diese Sache in eben nicht langer Zeit zu einem Ziele könnte gebracht werden, dahin es Jahrhunderte nicht haben bringen können; allein diese vortreffliche Männer scheuen die Bearbeitung einer Sandwüste« (X 341); an Moses Mendelssohn vom 16. August 1783: »Allein meine Hoffnung ... ist nur klein. Mendelssohn, Garve u. Tetens scheinen dieser Art von Gesclüfte entsagt zu haben« (X 346); ferner - in bezug auf Lambert - X 277 f. 96 Vgl. oben§ la. 97 Vgl. oben Anm. 35.
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b) Die neue Akzentsetzung Freilich darf die Feststellung, daß Kant bei seiner ersten Fixierung des Terminus an >transzendentalphilosophische< Fragestellungen der Tradition wie der Zeitgenossen anzuknüpfen sucht, nicht über die neue, kritische Akzentsetzung hinwegtäuschen, die für seine eigene »Idee« (KrV A 1) der Transzendentalphilosophie bestimmend ist. Nicht die »Gegenstände« und nicht die »Gegenstände überhaupt«, sondern »unsere Begriffe ... von Gegenständen überhaupt« sollen ihr zufolge im Vordergrund stehen. Auch darin stimmen Tetens und Kant der Sache nach noch weitgehend überein. 98 Aber während Tetens sich an der »beobachtenden Philosophie« Lackes orientiert, handelt es sich für Kant um »unsere Begriffe a priori von Gegenständen überhaupt«. 99 Die von Tetens geforderte l\.nderung der Blickrichtung und das von Wolff gestellte oder festgehaltene Problem des Apriori gehen damit eine folgenschwere Verbindung ein, erst durch sie gewinnt das Tetenssche Programm seine wohl entscheidende Verschärfung, jetzt erst ist es imstande, in eine umfassende Kritik (und Neubegründung) der Metaphysik umzuschlagen. Diese neue Reflexion auf das Apriori - und seine Möglichkeit (wie die zweite Auflage das Thema und die Aufgabe der Transzendentalphilosophie präzisieren oder einengen wird) - also ist es, die vor allem anderen das Eigenständige, »Spezifische« der Kantischen Definition ausmacht, ihre neue Akzentsetzung. Nicht die >TranszendenzTranszendenz< der allgemeinsten Begriffe und Grundsätze »Über alle Gattungen wirklicher Wesen« (Tetens), sondern die >Transzendenz< der apriorischen Begriffe des erkennenden Subjekts über das empirisch Gegebene bildet das beherrschende Thema und Problem der neuen Transzendentalphilosophie. 100 Man wird daher, was diesen Aspekt der Einleitungsdefinition angeht, der Darstellung Vaihingers zustimmen können, dergemäß »transzendentale Erkenntnis und Philos.« »nach dieser Stelle« »SO viel ist, als Theorie der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis, oder kürzer Theorie des Apriori« 101 ; »nach dieser Stelle«, d. h. im Unterschied beispielsweise zu Prol. A 204 Anm„ wo transzen98 Vgl. oben Anm. 91. 99 Vgl. Refl. 4901 (XVIII 23): »Tetens untersucht die Begriffe der reinen Vernunft bloß subjektiv (menschliche Natur), ich objektiv. Jene Analysis ist empirisch, diese transzendental« (nach der Datierung von Adickes um 1776-78; nach Erdmann Kritizismus, erste Periode). 100 Vgl. Refl. 4890 (XVIII 20): »Erkenntnis a priori wird der empirischen entgegengesetzt; Philosophie über dieselbe ist Transzendentalphilosophie« (nach der Datierung von Adickes zwischen 1770 und 1778; nach Erdmann spätere Zeit des Kritizismus). Vgl. unten § 3b (2c), S. 53. 101 Kommentar Bd. 1, a. a. 0. S. 467 f. (vgl. oben Anm. 26). Doch ist auch Vaihingers Auslegung von der Verkürzung bestimmt, »daß die transz. Erk. nicht mit den Objekten, sondern mit dem Subjekt es zu tun habe« (a. a. 0. S. 471; Hervorhebungen vom Verf.); vgl. oben Anm. 81.
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dental nicht die Theorie des Apriori, sondern das Apriori selber meint. Darüber hinaus hat Vaihinger auch bereits auf die Parallele aufmerksam gemacht, die in diesem Punkt zwischen der ursprünglichen Fassung der Definition A 11 f. und Kants Brief an Markus Herz vom 21. Februar 1772 besteht. 102 In diesem Brief in der Korrespondenz taucht das Wort transzendental hier zum ersten Mal auf, doch scheint es beiden Partnern bereits geläufig zu sein (vgl. X 145) - berichtet Kant im Anschluß an jene folgenschwere, immer wieder diskutierte Erklärung (»wie mein Verstand gänzlich a priori sich selbst Begriffe von Dingen bilden soll, mit denen notwendig die Sachen einstimmen sollen, ... diese Frage hinterläßt immer eine Dunkelheit in Ansehung unsres Verstandesvermögens«): »Indem ich auf solche Weise die Quellen der intellektualen Erkenntnis suchte, ohne die man die Natur u. Grenzen der Metaphysik nicht bestimmen kann, brachte ich diese Wissenschaft in wesentlich unterschiedene Abteilungen und suchte die Transzendentalphilosophie, nämlich alle Begriffe der gänzlich reinen Vernunft, in eine gewisse Zahl von Kategorien zu bringen« (X 131 f.; Hervorhebung vom Verf.). Die Transzendentalphilosophie erscheint hier als eine - und zwar allem Anschein nach als die erste - von mehreren, »wesentlich unterschiedenen Abteilungen« der Metaphysik. 1oa Ihr Thema sind eben jene Kategorien, »so wie sie sich selbst durch einige wenige Grundgesetze des Verstandes von selbst in Klassen einteilen«. Schon hier sind diese Kategorien - als Begriffe der »gänzlich reinen Vernunft« gegen die des »Aristoteles, der sie so, wie er sie fand, in seinen 10 Prädikamenten aufs bloße Ungefähr neben einander setzte« (anstatt sie systematisch abzuleiten), deutlich abgesetzt (X 132). Vermutlich hat auch noch die erste Fassung der Einleitungsdefinition bei der Formulierung »Begriffe a priori von Gegenständen überhaupt« die so verstandenen Kategorien vor Augen. Die Transzendentalphilosophie umfaßt also Anfang 1772 weder die »transzendentale« Ästhetik noch die »transzendentale « Dialektik ioaa, deren Probleme eine Zeitlang in den Hintergrund zu treten scheinen. Auch fehlt noch die Beziehung der »Begriffe der gänzlich reinen Vernunft« auf die »Gegenstände überhaupt « (die möglicherweise durch die oben herangezogene, 1775 erschienene Abhandlung Tetcns' veranlaßt ist). Das Verhältnis der Transzendentalphilosophie zur »Kritik der reinen Vernunft« - auch dieser Titel erscheint bereits an dieser Stelle -- bleibt schon hier in der Schwebe. 102 A. a. 0. S. 469. 103 Vgl. KrV B 873: »Die im engeren Verstande so genannte Metaphysik besteht aus der Transzendentalphilosophie und der Physiologie der reinen Vernunft. Die erstere bctraditct nur den Verstand, und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die gegeben wären (ontologia)«. 103" Vgl. Refl. 4456 (XVII 558): »In der Transzendentalphilosophie kommen Nationen, aber nicht Ideen vor« (nach der Datierung von Adickes etwa 1772). Zum Unterschied von Notion (Verstandesbegriff) und Idee (Vernunftbegriff) vgl. Enz.vorl. S. 42 und KrV B 377, zum Begriff der Notion selber und zu seiner Stellung in der Transzcndcntalphilosophie vgl. Tetens, a. a. 0. S. 51.
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c) Die Änderungen der zweiten Auflage Die in der Einleitung A 11 f. gegebene Umgrenzung des Terminus scheint daher einen außerordentlich frühen Begriff von Transzendentalphilosophie zu repräsentieren, der durch Architektonik und Sprachgebrauch der Kritik der reinen Vernunft genau genommen bereits 1781 überholt war. So mußte es für Kant naheliegen, bei der Herstellung der zweiten Auflage an der Einleitungsdefinition gewisse Korrekturen vorzunehmen, um sie der vorliegenden Ausarbeitung der Transzendentalphilosophie anzupassen. Der Text der Definition lautet nunmehr: »Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt«. Diese Änderungen haben das Verständnis der Definition jedoch noch weiter kompliziert. Auf die Schwierigkeit, die in der (adnominalen oder adverbialen) Beziehung des Wortes »überhaupt« liegt, ist bereits oben (Anm. 92) hingewiesen worden. Vor allem aber hat der altertümliche Ausdruck »Erkenntnisart« zu den merkwürdigsten und willkürlichsten Auslegungen Anlaß gegeben. Für Benno Erdmann liegt der Grund, der Kant zur Änderung der Einleitungsdefinition veranlaßt habe, »ohne Zweifel« in der »inhaltlichen Differenz« der ursprünglichen Fassung zur zweiten Hauptdefinition B 80 f. Nach der letzteren nämlich könne sich eine »transzendentale Erkenntnis« nicht nur auf »Begriffe«, sondern ganz allgemein auf »gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe)« beziehen.104 Der eigentliche Sinn der Umarbeitung wäre demgemäß in einer Erweiterung der Definition im Hinblick auf die Probleme der »transzendentalen« Ästhetik zu suchen. Eine ähnliche Erklärung geben beispielsweise auch Staudinger und Gideon; 105 nach Meinung des letzteren enthält die neue Fassung jedoch zugleich noch einen zweiten »Fortschritt«: durch sie komme nämlich allererst »die spezifische Tendenz der transz. Methode in der Frage nach der Möglichkeit des Apriori ... zum prägnanten Ausdruck« 106 . Vaihinger vermutet das Motiv der »Änderung« u. a. in dem Umstand, daß Begriffe »noch keine Urteile, noch keine Erkenntnis« seien. 107 Er scheint dabei vornehmlich den Problembestand der »transzendentalen« Analytik im Auge zu haben, der durch die ursprüngliche Fassung der Definition genau genommen nur unvollständig erfaßt wird. Weshalb Kant freilich »Begriffe« gerade durch »Erkenntnisart« ersetzt hat, 104 Beiträge, a. a. 0. S. 28. 105 F. Staudinger, Zur Durchführung des Transzendentalbegriffs, Kant-Studien XXIV/ 1920, S. 215: »Raum und Zeit werden ja von Kant nicht nur in ihrer Begriffsform, sondern schon in ihrer Ansdiauungsform als a priori bezeidinet, und auch die Kategorien sind zunächst im Erkenntnisvorgang nicht Begriffe, sondern unmittelbare >Synthesentranszendentale ErkenntnisErkenntnisart< beachten. Nicht auf den objektiven Inhalt der Erkenntnis geht die transzendentale Untersuchung aus, sondern auf den erhobenen Wertanspruch, auf die Methode ist sie gerichtet«. 109 Kommentar, a. a. 0. S. 19. 110 A. a. 0. S. 36: »Das Bewußtsein des Notwendigen und Allgemeingültigen . . . nennt Kant mit Bezug auf das Problem des Gegenstandes die Erkenntnisart des Gegenstandes, denn um Erfahrung, um mathematische Naturwissenschaft handelt es sich zunächst«; vgl. auch S. 37 und S. 55. 111 Adickes verlegt die Reflexion in die Jahre 1776-78 (u 2-3). Die Parallele mit der zweiten Fassung der Einleitungsdefinition macht eine Datierung vor 1781 nicht allzu wahrscheinlich. 112 In anderem Zusammenhang gebraucht Kant das Wort »Erkenntnisart« einmal bereits in der ersten Fassung der Einleitung (KrV A 6, B 10), nämlich bei der Unterscheidung der analytischen und synthetischen Urteile.
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Hervorhebungen im Original!) 113. Schon der bloße Sprachgebrauch der Einleitung also hätte Cohen und v. Zynda bei ihrer wissenschaftstheoretischen Interpretation der Stelle stutzig machen sollen. Darüber hinaus aber entspricht dem Zweifel an der »Möglichkeit« der Metaphysik, von dem im angeführten Text die Rede ist, die vorsichtige, jede Entscheidung offenlassende Wendung der Definition: »mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll« (nicht etwa: »möglich ist«). 114 In Bezug auf Mathematik und Naturwissenschaft wäre eine solche Vorsicht nach allem Vorangegangenen nur schwer zu verstehen. 115 Kant scheint daher bei der Änderung der Einleitungsdefinition vornehmlich die Probleme der »transzendentalen« Dialektik (in der Sprache der überlieferten Metaphysik: der metaphysicae speciales) im Blick gehabt zu haben, jene Probleme also, die die neue, kritische Akzentsetzung ursprünglich hervorgetrieben hatten und nach Architektonik und Sprachgebrauch der ganzen Kritik auch schon 1781 zum Grundbestand der Transzendentalphilosophie gehörten. Die erste Fassung der Einleitungsdefinition hatte sich jedoch allzu einseitig an den Problemen der Analytik, genauer noch: der Analytik der Begriffe (in der Sprache der überlieferten Metaphysik: an der Ontologie oder metaphysica generalis) orientiert. Die Umarbeitung sollte demgegenüber allem Vermuten nach auch die alten Probleme der Dialektik in den Umkreis des Transzendentalen einbeziehen oder eine solche Einbeziehung zum mindesten möglich machen. Daß der Begriff damit Disparatestes, Ontologie und spezielle Metaphysik, Analytik und Dialektik, Wissenschaftstheorie und primäre Philosophie, in sich aufnehmen mußte, liegt auf der Hand, und vermutlich ist der tiefere Grund, der Erdmann, Vaihinger, Cohen usw. bei ihrer Interpretation geleitet hat, in dem Bestreben zu suchen, Kants Begriff des Transzendentalen eine solche, von ihrem Standpunkt aus unnötige Zerreißprobe zu ersparen. - Die Definition rückt damit - unbeschadet ihres neuen, kritischen Akzentes, der sie von aller traditionellen Transzendentalphilosophie unterscheidet - von ihrer Thematik her wieder näher an eine alte, überlieferte Bedeutung, in der auch der dreißigjährige Kant den Begriff »Transzendentalphilosophie« im Sinne von Metaphysik gebraucht hatte. Dieser Gebrauch, der für das Verständnis der »alten Bedeutung« des Terminus von größter Wichtigkeit ist, wird im folgenden Paragraphen zu erörtern sein.
113 Vgl. Deutlichkeit A 69: »Wenn die Methode fest stehet, nach der die höchstmögliche Gewißheit in dieser Art der Erkenntnis [seil. der höheren Philosophie] kann erlangt werden ... «; A 74: » ••• in dieser Art der Erkenntnis [seil. der Weltweisheit]«. 114 Vgl. Vaihinger, Kommentar Bd. I, a. a. 0. S. 471. 115 Vgl. Kr V B 20: »Von diesen Wissenschaften [seil. Mathematik und Naturwissenschaft], da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: wie sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen, wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen«.
KAPITEL 1
Der überlieferte Begriff des Transzendentalen und seine Stellung im Frühwerk Kants
Die ausdrückliche Aneignung und Definition des Begriffs des Transzendentalen, von der in den Einleitungsparagraphen die Rede war, leitet ohne Zweifel eine neue Etappe des Kantischen Philosophierens ein. Eine der beiden Voraussetzungen, die den Aufbau der vorliegenden Untersuchung bestimmen, ist die Annahme, daß Kant damit bewußt an vorgegebene Fragestellungen anknüpfen, daß er seine Überlegungen in den Zusammenhang >der< Tradition einordnen und den eigenen, »spezifischen« Begriff des Transzendentalen auf dem Hintergrund der »alten Bedeutung« definieren wollte. 116 Diese Voraussetzung macht die Frage notwendig, in welchen Bedeutungen und Zusammenhängen Kant den Begriff in den vorangegangenen Etappen seines Philosophierens gekannt und selber gebraucht hat. Eine Antwort auf diese Frage stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten. Auf der einen Seite hat sich die Untersuchung, so paradox das angesichts der zahlreichen >systematischen< wie historischen Untersuchungen zur Transzendentalphilosophie auch klingen mag, auf weiten Strecken in Neuland zu bewegen. Die Erforschung der Geschichte des Terminus ist, was die Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts angeht, bis jetzt über eine sporadische Aufsammlung von Stellen kaum hinausgekommen. Die verschiedenen - alten und neuen - Bedeutungen und Problemstellungen, in denen der Begriff im 18. Jahrhundert auftaucht, sind nicht geklärt und gegeneinander abgegrenzt, ja nicht einmal ausdrücklicher Gegenstand der Untersuchung; die Motive, die die Autoren dieses Zeitraums gerade bei der neuen Verwendung des Terminus geleitet haben, liegen vollends im Dunkeln. 117 Von einer wirklichen philosophischen Durchdringung
116 Vgl. oben§§ lb und 2a. 117 Knittermeyers Dissertation über die »historische Entwickelung« des Terminus »bis zu Kant« (1920), als Quellensammlung bis heute auf weiten Strecken nicht ersetzt, interpretiert den Begriff und seine Rolle im »Deutschen Dogmatismus des 18. Jahrhunderts« (S. 181 ff.) zu stark von der Transzendentalienlehre der Hochscholastik her. Sie interessiert mehr, »welche Reste der alten Transzendentienspekulation sich noch behauptet haben« (S. 183), als welche neue Bedeutung (oder Bedeutungen) der Begriff gerade im 18. Jahrhundert gewinnt. Das gleiche gilt für R. Euckens Ge-
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der in Frage kommenden Zusammenhänge ist die Forschung gegenwärtig weit entfernt, ja, ihre Lage scheint fast ein Beleg für Kants Bemerkung: »Es gibt Wissenschaften, wo die Belesenheit eher schädlich als nützlich ist, z. B. die transzendentale Philosophie« (Enz.vorl. S. 55). - Auf der anderen Seite hat Kant den Terminus in seinen >vorkritischen< Schriften (und zwar ausschließlich in den lateinischen) nur zweimal gebraucht, so daß die Untersuchung in Bezug auf sein eigenes frühes Verständnis und dessen unmittelbare Quellen teilweise auf Mutmaßungen angewiesen bleibt. Hinsichtlich der Refiexionen des handschriftlichen Nach lasses bestehen insbesondere nicht zu übersehende Schwierigkeiten der Datierung. 11 s Dennoch scheinen sich im Gebrauch des Begriffs bei Kant wie bei den Autoren seines Jahrhunderts zwei grundlegende Bedeutungsrichtungen abzuzeichnen. Von ihnen hat die eine mehr die metaphysicae speciales, und zwar vor allem die »transzendentale« Kosmologie, die andere die metaphysica generalis oder Ontologie im Auge. Aus einem moderneren Gesichtspunkt heraus betrachtet handelt es sich bei der einen mehr um die wissenschaftstheoretische, bei der anderen um die ontologische Tradition der Transzendentalphilosophie. Während die erstere Transzendentalphilosophie und Metaphysik unbesehen gleichsetzt, führt paradoxerweise gerade die letztere dazu, beide immer dezidierter zu unterscheiden. 119
schichte der philosophischen Terminologie (Leipzig 1879), für die von diesem stark beeinflußte Darstellung A. Fausts "Was heißt >transzendental