Jungfrauengeburt und Greisinnengeburt: Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 21,1f im antiken Judentum und im frühen Christentum [1 ed.] 9783788732554, 9783788732547, 9783788732530


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Jungfrauengeburt und Greisinnengeburt: Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 21,1f im antiken Judentum und im frühen Christentum [1 ed.]
 9783788732554, 9783788732547, 9783788732530

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Gudrun Holtz

Jungfrauengeburt und Greisinnengeburt Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 21,1f im antiken Judentum und im frühen Christentum

2017

Vandenhoeck & Ruprecht

Biblisch-Theologische Studien 172 Herausgegeben von Jörg Frey, Friedhelm Hartenstein, Bernd Janowski und Matthias Konradt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978–3–7887–3254–7 Weitere Angaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2017 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D – 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter www.sonnhueter.com DTP: Gudrun Holtz / Rolf Noormann

Vorwort

Die vorliegende Studie ist das Nebenprodukt eines Vortrages zur Jungfrauengeburt als Teil des christlichen Credos, den ich auf einem Symposion in Leipzig im März 2015 gehalten habe und der unter dem Titel: »›Kein Wort wird unwirksam sein, das von Gott kommt‹ (Lk 1,37). Die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria als Erweis der schöpferischen Macht des Wortes Gottes«, in dem dazu gehörigen Tagungsband: »Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolikums im Dialog zwischen Bibelwissenschaft und Systematischer Theologie« erscheinen wird. Für die Einladung zu der Tagung und damit die Anregung zu einer ausführlicheren Beschäftigung mit der Thematik danke ich Herrn Prof. Dr. Jens Herzer sehr herzlich. Mein Dank gilt ferner meinem Tübinger Kollegen Prof. Dr. Matthias Morgenstern, der mir ein stimulierender Gesprächspartner zu einigen der hier bearbeiteten rabbinischen Texte und Grundfragen der Entstehung von rabbinischem Judentum und frühem Christentum in ihrer wechselseitigen Beziehung war. Herrn Prof. Dr. Jörg Frey und Herrn Prof. Dr. Matthias Konradt habe ich für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe der Biblisch-Theologischen Studien zu danken. Herrn Dr. Volker Hampel vom Neukirchener Verlag danke ich für die gründliche editorische Betreuung des Bandes und die überaus freundliche Zusammenarbeit. Der Abteilung Technical Support des von mir verwendeten Textverarbeitungsprogramms Nota Bene danke ich für Unterstützung bei den Finessen der Erstellung der Druckvorlage.

6

Vorwort

Gewidmet sei dieses Buch dem Studienprogramm »Studium in Israel«, das es mir vor vielen Jahren ermöglicht hat, an der Hebräischen Universität Jerusalem den Umgang mit der rabbinischen Literatur von der Pike auf zu erlernen. Denkendorf, im August 2017

Gudrun Holtz

Inhalt

Kapitel 1: Einführung ..................................................... 9 Kapitel 2: Zur Forschungsgeschichte ........................... 13 Kapitel 3: Der Ausgangstext: Gen 21,1f im Kontext von Gen 15,1–25,19 .................................. 23 Kapitel 4: ›Rewritten Bible‹: Die Herkunft Isaaks im Jubiläenbuch ...................................................... 33 Kapitel 5: Die Herkunft Isaaks in der nachbiblischen hebräisch-aramäischen Traditionsbildung .............. 45 5.1

Die Herkunft Isaaks in den Targumim ................ 45

5.2

Die Herkunft Isaaks im rabbinischen Midrasch ............................................................ 51

Kapitel 6: Die Herkunft Isaaks bei Philo von Alexandrien ............................................................ 73 Kapitel 7: Die frühchristliche Deutung von Gen 21,1 .................................................................. 83 7.1

Isaak als Sohn Saras nach der Verheißung bzw. nach dem Geist im Galaterbrief ................. 83

7.2

Der Sara-Abraham-Stoff im Protevangelium Jacobi .................................................................. 93

8

Inhalt

7.2.1

Der Sara-Abraham-Stoff als Interpretament der Empfängnis Annas in ProtEvJac 1–6 ....... 93

7.2.2

Zur Rezeptionsgeschichte von Jes 54,1 und 49,21 ...................................................... 104

7.2.3

Zur Debatte um die ›jungfräuliche‹ Empfängnis Annas ........................................ 109

Kapitel 8: Ergebnisse und Perspektiven ..................... 115 8.1

Zur Rezeption von Gen 21,1f im antiken Judentum: Eine forschungsgeschichtliche Perspektive ........................................................ 115

8.2

Jungfrauengeburt und Greisinnengeburt: Lk 1,26–38 und die Interpretationsgeschichte von Gen 21,1f .................................................... 119

8.3

Gen 21,1f im Kontext der jüdisch-christlichen Kontroverse in neutestamentlicher und nachneutestamentlicher Zeit ............................. 127

Literatur ...................................................................... 135 1. 2. 3.

Quellen: Textausgaben und Übersetzungen ................................................... 135 Hilfsmittel ......................................................... 138 Sekundärliteratur ............................................... 140

Stellenregister ............................................................. 147

Kapitel 1 Einführung

Die Herkunft Jesu gehört seit frühester Zeit zu den zwischen Juden und Christen strittigen Themen. Neutestamentlich klingt die Kontroverse bereits in der matthäischen Version von der Empfängnis Marias durch den heiligen Geist an (Mt 1,18–25). Ab dem 2. Jh. n. Chr. schlägt sie sich dann auch im Protevangelium Jacobi sowie vor allem in der rabbinischen Literatur nieder. Dabei spielt das Handeln Gottes mit Sara und Abraham im Zusammenhang mit der Hervorbringung Isaaks eine zentrale Rolle. Die Interpretationsgeschichte dieses Überlieferungskomplexes reicht in das vorneutestamentliche Judentum zurück, ist aber im Neuen Testament auch in der lukanischen Version von der Empfängnis Marias von tragender Bedeutung. Damit ist die Frage nach der Rezeptionsgeschichte des Sara-Abraham-Stoffes gestellt. Zu den Hauptstellen, die zur Frage nach einer möglichen jüdischen Vorgeschichte der Jungfrauengeburt erörtert werden, gehört Gen 21,1f: »Und der HERR suchte (‫ פקד‬/ επεσκε' ψατο) Sara gnädig heim, wie er gesagt hatte, und der HERR tat (‫ ויעׁש‬/ εποι'ησεν) an Sara, wie er gesprochen hatte, und Sara empfing und gebar Abraham einen Sohn (‫ בן‬... ‫ ותהר ותלד שרה‬/ συλλαβουñ σα ε» τεκεν Σαρρα ... υιο' ν) in seinem hohen Alter zu der Zeit, wie Gott (bzw. der HERR)1 zu ihm gesprochen hatte«.

________________________ 1

Der masoretische Text liest ‫אלהים‬, die LXX κυ' ριος.

10

Kapitel 1

Ein Teil der Forschung geht davon aus, dass dieser Text in seiner Deutung im hellenistischen Judentum bei der Entstehung des neutestamentlichen Theologumenons von der Jungfrauengeburt eine Rolle gespielt haben könnte. Dazu wird eine in Lk 1,26–38 und Mt 1,18–25 gleichermaßen verarbeitete gemeindliche Tradition wahrscheinlich gemacht, in der Geistzeugung und jungfräuliche Empfängnis bereits verbunden gewesen seien. Diese Überlieferung wird auf die Sara-Deutung Philos zurückgeführt, deren traditionsgeschichtliche Wurzeln in paganen Traditionen vermutet werden. Für das hebräischaramäischsprachige Judentum hingegen wird in der Forschung eine Deutung von Gen 21,1f im Sinne einer göttlichen Hervorbringung Isaaks ohne Zutun Abrahams einhellig in Abrede gestellt. Dass der Sara-Abraham-Stoff bereits in der Matthäus und Lukas vorausgehenden Gemeindetradition eine Rolle gespielt haben könnte, wird durch die lukanische Version der Ankündigung der Geburt Jesu nachdrücklich bekräftigt. So könnte einschlägige Überlieferung in der Tat die intensive Rezeption von Traditionen aus dem AbrahamSara-Zyklus in Lk 1 befördert haben, die sich im gesamten Kapitel, besonders aber in Lk 1,26–38 zeigt. In diesem Text ist V. 37 mit der an Gen 18,14 angelehnten Aussage, kein Ding sei bei Gott unmöglich, der deutlichste Beleg. Die sachliche Fortsetzung von Gen 18,14 in Gen 21,1f aber: »Heiliger Geist wird auf dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten«, scheint auf Lk 1,35 Einfluss genommen zu haben2. Zudem spielt Lk 1,30 mit der Aussage, Maria habe Gnade bei Gott gefunden, auf Gen 18,3 an; die Sohnesverheißung in Lk 1,31 greift auf Gen 16,11 zurück, die Aussage Marias (Lk 1,34), sie wisse von keinem Mann, auf Gen 24,163.

________________________ 2

Strutwolf/Nestle/Aland verzeichnen Gen 21,1 nicht als Verweisstelle zu Lk 1,35. Hinweise auf Gen 21,1f fehlen auch in den konsultierten Kommentaren; s. aber unten Kap. 2.

Einführung

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Die Dichte der Bezüge in Lk 1,26–38 zu Stoffen aus dem Abraham-Sara-Zyklus lässt vermuten, dass Lukas in Gen 21,1f eine Art Schriftbeweis für den aus der Gemeindetradition überkommenen Zusammenhang von Geistzeugung und jungfräulicher Empfängnis gesehen und darum weitere Stellen aus dem Sara-Abraham-Stoff für seine Erzählung fruchtbar gemacht hat. So sehr jedoch die skizzierte These einer Verarbeitung von Gemeindetradition in der matthäischen und lukanischen Erzählung von der Jungfrauengeburt vieles für sich hat, so sehr spricht der Befund der Quellen gegen die in der Forschung damit häufig verbundene Ableitung der Motivverbindung von Geistzeugung und jungfräulicher Empfängnis aus dem paganen Bereich vermittels der Sara-Deutung Philos4. Demgegenüber bietet das hebräisch-aramäischsprachige Judentum hier – trotz gegenteiliger Behauptungen in der Forschung – reiches Vergleichsmaterial. Die traditionelle Sicht der Dinge gründet maßgeblich auf einer heute als überholt zu beurteilenden Quellenlage. Sie hat ihren Grund aber auch in einer unzureichenden Auswertung der relevanten Texte aus dem Buch Genesis, die von frühjüdischen Auslegern als in hohem Maße interpretationsbedürftig empfunden wurden. Die vorliegende Studie wertet das relevante Material aus dem Buch Genesis und seiner Interpretationsgeschichte im hellenistischen wie auch im hebräisch-aramäischsprachigen Judentum neu aus, um so zu einer differenzierteren Sicht auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Jungfrauengeburt in der Fassung des Lukas zu kom-

________________________ 3

Vgl. Lk 1,34: επει` α» νδρα ου γινω' σκω, mit Gen 24,16: παρθε' νος ηò ν, ανη` ρ ουκ ε» γνω αυτη' ν. Dies ist zwar eine Aussage über Rahel, sie ist aber Teil der Abraham-Sara-Geschichte, die erst mit Gen 25,18 schließt. Vgl. ferner Ri 11,39; 21,12; Num 31,18.35. Da die einschlägigen Aussagen in Lk 1,26–38 in Verbindung mit einer eindeutigen Bezugnahme auf den Gen-Stoff (Gen 18,14) stehen, kommt diesem Stoff hier besondere Bedeutung zu. 4 Zur Begründung s.u. Kap. 6 und Kap. 8.2.

12

Kapitel 1

men. Darüber hinaus wird der Streit um die Deutungshoheit über den Sara-Abraham-Stoff, der in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung zwischen Juden und Christen mit bemerkenswerter Intensität geführt worden ist, erhellt. Bevor die Quellen analysiert werden, ist aber zunächst der Forschungsstand im Einzelnen darzulegen.

Kapitel 2 Zur Forschungsgeschichte

Als maßgeblich für die religionsgeschichtliche Beurteilung der Jungfrauengeburt im Raum des hebräisch-aramäischsprachigen Judentums gilt bis heute das Urteil von Hermann L. Strack / Paul Billerbeck. Ihnen zufolge »galt es der alten Synagoge« vor dem Hintergrund von Gen 17,17; 18,11–24; 21,1–7 und 25,21 »für ausgemacht, daß Isaaks u. Jakobs Empfängnis wie Geburt auf das unmittelbare schöpferische Eingreifen Gottes zurückzuführen sei. Dagegen klingt die Vorstellung, daß ein Mensch ohne Zutun eines Mannes allein durch göttliche Wirkung von einem Mutterschoß empfangen u. geboren werden könne, nirgends in der älteren jüdischen Literatur auch nur leise an«1.

Ist Strack/Billerbeck für den ersten Teil ihrer Aussage uneingeschränkt zuzustimmen, so trifft deren zweiter Teil, wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird, nicht zu. Was das hebräisch-aramäische Judentum anbelangt, stellt sich die Sache für Martin Dibelius ähnlich dar. Auch er behauptet für den rabbinischen Midrasch, dass er »natürlich nichts von einer Ausschaltung Abrahams« wisse, wohl »aber Gottes Urheberschaft bei dem Wunder« an Sara betone. Es würde »seinem Konservativismus gegenüber dem konkreten geschichtlichen Inhalt der Bibel« widersprechen, »wenn er Gott in noch nähere Beziehung zu solchen wunderbaren Erzeugungen bringen wollte«2.

________________________ 1 2

Strack/Billerbeck, Kommentar, I 49. Dibelius, Jungfrauensohn, 28.

14

Kapitel 2

Gleichwohl hat die Jungfrauengeburt für Dibelius eine Vorgeschichte im Judentum, allerdings nur im hellenistischen Judentum, das sich »gegenüber außerjüdischen Vorstellungen nicht so spröde« zeige3 und um »die ausschließliche Urheberschaft Gottes bei gewissen Geburten durch fromme Frauen« wisse4. Dafür nennt Dibelius zwei Argumente. Zum einen weist er darauf hin, dass die von Justins Dialogpartner Tryphon zitierten Lehrer, die als Nachfolger der Pharisäer und Schriftgelehrten zu gelten hätten und das Judentum Palästinas verträten, von einer jungfräulichen Geburt des Messias nichts wüssten5. Zum anderen verweist er auf die Interpretationsgeschichte der für die Frage relevanten biblischen Texte im hellenistischen Judentum und im frühen Christentum, d.h. konkret auf die Deutung von Jes 7,14 MT durch die LXX, Matthäus und Justin6, sowie auf die Auslegung von Gen 21,1 in der hellenistisch-jüdischen Tradition, die von einer Jungfrauengeburt wisse. Für die hellenistisch-jüdische Überlieferung reklamiert Dibelius drei Traditionen, das Jubiläenbuch, Philo von Alexandrien und Paulus. Für Philo verweist er mit gewichtigen Argumenten auf Cher 40–52, für Paulus mit gleichermaßen bedenkenswerten Argumenten auf Gal 4,21–31. Das Buch der Jubiläen nimmt er, obwohl es ursprünglich auf Hebräisch abgefasst ist, darum für das hellenistische Judentum in Anspruch, weil die für ihn ausschlaggebende äthiopische Version »aus einer griechischen Übersetzung des hebräischen Urtextes« stamme

________________________ 3

Ebd. Ebd., 35. 5 Vgl. ebd., 26f. Die betreffende Auseinandersetzung steht bei Justin, Dial 66,1–85,9; zu den Lehrern Tryphons vgl. bes. § 68,7–9; 71,1.3; 77,1; 83,1; 85,6. 6 Dibelius, Jungfrauensohn, 27. Die Deutung von Jes 7,14 MT spielt im Folgenden keine Rolle, weil sich hier keine neuen Gesichtspunkte ergeben; vgl. dazu u.a. Davies/Allison, Gospel, 215; Brown, Birth, 143–153; Luz, Evangelium, 150, und Rico, La mère. 4

Forschungsgeschichte

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»und es sein mag, daß der Text beim Passieren des griechischen Sprachbereiches der LXX-Übersetzung nachgeformt wurde. Sie liest: και` κυ' ριος επεσκε' ψατο τη` ν Σα' ρραν, und nichts Anderes besagt der äthiopische Text«7.

Dibelius standen die hebräischen Fragmente des Jubiläenbuches nicht zur Verfügung, weil sie erst später in Qumran entdeckt wurden, so dass er die hohe Qualität der Übersetzungen im Vergleich zum Urtext nicht einschätzen konnte8. Er hätte allerdings problemlos feststellen können, dass es sich bei der LXX-Version von Gen 21,1 um eine wörtliche Übersetzung des masoretischen Textes handelt: ‫ויהוה פקד את שרה‬. Der Begriff επισκε' πτομαι ist auch sonst fast durchgängig Wiedergabe von ‫פקד‬9. Daher gibt es keinen Grund, Jub 16,12: »›Gott suchte die Sara heim (oder ›schaute an‹) ... und sie wurde schwanger und gebar‹«10, für das hellenistische Judentum in Anspruch zu nehmen. Angesichts der Übereinstimmung von Gen 21,1 MT und LXX legt es sich vielmehr nahe, Dibelius entgegen seiner eigenen Intention als Zeugen für eine mögliche Auslegung von Gen 21,1 im Sinne einer »Ausschaltung von Abraham« bei der Hervorbringung Isaaks bereits im ursprünglichen Text anzusehen. Dibelius versteht die Vorstellung der Jungfrauengeburt freilich nicht als ein im hellenistischen Judentum unabhängig entstandenes Theologumenon. Es »könnte ... kaum gebildet und noch weniger verstanden worden sein, wenn die Vorstellung von einem solchen Eingreifen Gottes bei der Erzeugung eines Menschen völlig unbekannt gewe-

________________________ 7

Dibelius, Jungfrauensohn, 27f. Laut VanderKam, Studies, 94, gehört es zu den »definite conclusions«, dass der »text of Jub. which the Ethiopic manuscripts provide is very accurate and reliable. It reproduces the Hebrew text (via a Greek intermediate stage) literally and precisely in nearly all cases«. 9 Vgl. Hatch/Redpath, Concordance, 527f, s.v. επισκε' πτειν. 10 So die Wiedergabe des Jub-Textes durch Dibelius, Jungfrauensohn, 27. 8

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Kapitel 2

sen, völlig abwegig erschienen wäre. Man kannte gewiß im hellenistischen Judentum jene Lehre, die uns in einem gelegentlichen Referat des Plutarch als ägyptisch überliefert ist und die besagt, daß der Geist eines Gottes sich einem sterblichen Weibe nähern und in ihr Keime des Lebens zeugen könne«11.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Hervorbringung Jesu, wie sie im Neuen Testament erzählt wird, und der Sara-Geschichte in ihrer Rezeption im Midrasch, bei Paulus und bei Philo liegt Dibelius zufolge nun darin, dass es sich in all diesen Fällen »um Ehefrauen, in der Marienlegende aber um eine Jungfrau« handelt12. Das hellenistische Judentum aber biete »wenigstens Voraussetzungen für diese Variation des Stoffes«13. Bei diesen Stoffen denkt er an Jes 7,14 LXX sowie an Cher 45 und Gal 4,27, wo auf die Einsamkeit Saras angespielt werde. Bei Philo findet Dibelius hinter all den verschiedenen Texten zur Jungfrauenfrage den gemeinsamen Gedanken, »daß allein die Jungfrau der Verbindung mit Gott fähig und würdig sei. Es ist nicht ein Gedanke jüdischen Ursprungs. Und da er uns bei Philo begegnet, liegt es nahe, seinen Ursprung in Ägypten zu vermuten«14.

________________________ 11

Ebd. 35 (tw. gesperrt). Zudem verweist Dibelius, ebd., 35f, auf »gewisse Heilungsberichte aus Epidauros ..., die erzählen, wie der Gott Asklepios, keineswegs als Liebhaber, sondern als Helfer den Bann der Unfruchtbarkeit von sterilen Frauen nimmt und ihnen unter Ausschaltung des Ehemanns zu Kindern verhilft; diese gelten dann aber als Kinder des Ehemannes. Diese Vorstellungen kommen für das jüdische Theologumenon von der göttlichen Zeugung nicht als Quelle, sondern nur als Analogie in Frage; als eine indirekte Bestätigung dessen, was Plutarch von den Ägyptern zu sagen weiß« (tw. kurs.). 12 Dibelius, Jungfrauensohn, 42. 13 Ebd. 14 Ebd., 43 (kurs.). Vgl. ähnlich bereits Norden, Geburt, 80: »das von Philon berichtete ›Mysterium‹ (sc. der Jungfräulichkeit der Gottesbraut) beruhte auf einer graeco-aegyptischen Synthese, die er durch Gewaltmaßregeln dem Judentum aufzuzwingen versucht«, dem »der Begriff der Jungfräulichkeit in religiösem Sinne wesensfremd« ist.

Forschungsgeschichte

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Pierre Grelot hat die These von Dibelius einer eingehenden Prüfung unterzogen und sie als substanzlos verworfen15. Weder führe von den ägyptischen und griechischen Mythen der Insemination der Jungfrau durch einen Gott ein Weg zu Philo16 noch erweise Gal 4,21–31 Paulus als Zwischenglied zwischen Philo als dem Repräsentanten des hellenistischen Judentums und den Evangelien17. »Il faut renoncer à chercher dans le Judaïsme hellénistique les traces d’un mythe de maternité virginale, qui pourtant aurait pu se réclamer de la Septante d’Is 7, 14: ›Voici que la Vierge enfantera un fils‹«18.

Eben darauf habe Philo nicht anders als Paulus verzichtet. Eine hellenistisch-christliche Spekulation über die wunderbare Geburt Isaaks »›né selon l’Esprit‹ c’est-à-dire sans intervention paternelle ... n’a joué aucun rôle dans la formation du théologouménon relatif à la conception virginale de Jésus«19.

Für eine solche »spéculation« wäre Paulus zwar »un bon témoin«20, mit der jungfräulichen Empfängnis Marias

________________________ Das von Philo umgeprägte Theologumenon: »Gott zeugt in pneumatischer Vereinigung mit einer Jungfrau einen Sohn«, sei dann auch ins »Evangelium« gekommen (ebd., 81). 15 Grelot, La naissance. Die Ergebnisse dieser Studie übernehmen Davies/Allison, Gospel, 215, für Philo und Paulus. 16 Grelot, La naissance, 487.568–573. 17 Vgl. ebd., 471. 18 Ebd., 570. 19 Ebd., 487. 20 Ebd. Für Philo, Cher 40–52, leugnet Grelot, ebd., 569, zwar nicht, dass »le thème de la maternité sans intervention de l’homme ... est présent ici dans quatre exemples empruntés à l’Ecriture«, nämlich bei den Beispielen Abrahams, Isaaks, Jakobs und Moses, es sei aber nicht um dieser Beispiele willen relevant, sondern »exclusivement à cause de son utilité dans l’élaboration d’une doctrine relative à la fécondité de la vertu«. Zur Kritik dieser Deutung s.u. Kap. 6.

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Kapitel 2

habe dies aber nichts zu tun. Zugleich aber betont Grelot, dass Paulus »ne dit rien qui l’affirme, rien non plus qui la nie«. Gleichwohl aber sei die Vorstellung der jungfräulichen Empfängnis Marias ohne seine Christologie unverständlich21: Die Verbindung zwischen Christus und dem Geist als Macht Gottes bei Paulus »rend seul pensable la façon«, in der Mt 1,20 und Lk 1,35 über die jungfräuliche Empfängnis sprächen22. Damit postuliert er implizit einen Zusammenhang zwischen Gal 4,29 und den beiden Evangelienstellen, der das Handeln Gottes, nicht aber die Jungfräulichkeit Marias betrifft. Angeregt durch das Zitat Jes 54,1 in Gal 4,27 reflektiert Grelot auf die Verbindung der Jes-Stelle mit Gen 21 im palästinischen Judentum, konkret in der Liturgie der Synagoge, in der nach manchen Traditionen die Haftara zu Gen 16 der Text Jes 54 gewesen sei23. Paulus sei womöglich ein früher Zeuge für diese Verbindung, wenn er in Gal 4 die unfruchtbare Sara mit dem unfruchtbaren Jerusalem und die Tröstung Saras durch einen Sohn mit der Tröstung Jerusalems durch viele Söhne verknüpfe24. Der

________________________ 21

Grelot, La naissance, 486: »... une christologie sans laquelle, de fait, la conception virginale eût été proprement inintelligible« (tw. kurs.). 22 Ebd.; zum Geist als Macht Gottes vgl. ebd., 484f 23 Vgl. ebd., 477–480. 24 Es ist jedoch zu bemerken, dass in Gen 16 die Tröstung Saras noch nicht einmal ins Auge gefasst wird. Hier ist sie nur die Unfruchtbare (V. 2), die sich von Hagar gedemütigt fühlt (Vv. 4f). Die Tröstung Saras erfolgt erst in Gen 21,1f. Die Argumentation Grelots hätte dann mehr Gewicht, wenn der Toraabschnitt Gen 16 und 17 umfasst hätte, wo die Geburt eines Sohnes der Sara angekündigt und insofern ihre Tröstung in den Blick genommen wird. Dies wird von Mann, Bible, 122, auf den sich Grelot bei seinen Überlegungen bezieht, erwogen, von diesem aber nicht aufgenommen. Mann weist aber zugleich darauf hin, dass der mit Gen 16,1 beginnende »Seder was not generally accepted«. Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion vgl. Boer, Galatians, 302. Sellin, Hagar, 66, Anm. 14, zufolge ist der »älteste Beleg für eine Beziehung von Jes 54,1 auf Sara ... Philon, Praem 158f«.

Forschungsgeschichte

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für Gal 4,21–31 relevante palästinische Befund betreffe freilich die beiden Frauen Abrahams, nicht aber die wunderbare Geburt Isaaks nach dem Geist. Deshalb sei »la spéculation attribuée à saint Paul à propos de la naissance d’Isaac, qui serait fils de Sara sans intervention paternelle«, eine »illusion d’optique«25. Grelot selbst verweist zur Erklärung der Herkunft des Theologumenons von der jungfräulichen Empfängnis Marias auf die Tatsache, dass Maria »la seule survivante qui l’avait expérimentée« sei26, und gibt damit zu erkennen, dass er diese Empfängnis als historische Tatsache versteht27. Mit Strack/Billerbeck, Dibelius und Grelot sind die grundlegenden traditionsgeschichtlichen Herleitungsmöglichkeiten markiert, die sich bis heute in der einen oder anderen Weise in der Diskussion zur Jungfrauengeburt widerspiegeln28. Auch das von ihnen für die Erforschung der Rezeptionsgeschichte von Gen 21,1 herangezogene Textmaterial hat sich nicht wesentlich verändert29. Die Diskussionslage seit diesen Arbeiten lässt sich

________________________ 25

Grelot, La naissance, 480. Ebd., 486. 27 Genauer argumentiert er ebd. folgendermaßen: Das Geheimnis der jungfräulichen Empfängnis, über das, hypothetisch gesprochen, nur Maria, »la seule survivante qui l’avait expérimentée«, gesprochen haben könne, habe zur Zeit der Abfassung des Gal das hellenistische und palästinische Milieu, mit dem Paulus in Verbindung stand, noch nicht durchdrungen gehabt und sei ihm darum unbekannt gewesen. Auf das Verständnis der Jungfrauengeburt als eines historischen Faktums läuft im übrigen die gesamte Argumentation Grelots zu Paulus hinaus. Zu diesem Deutungsansatz vgl. bes. Bovon, Evangelium, 66 mit Anm. 8. 28 Dies gilt unbeschadet dessen, dass Grelots Schlussfolgerungen aus seinen traditionsgeschichtlichen Analysen in der jüngeren wissenschaftlichen Diskussion keinen Widerhall gefunden haben. 29 Das schließt das umfangreiche Material ein, das Aus, Matthew, 52– 70, zu Jochebed, den Töchtern Zelofchads, sowie zu Sara und Miriam zusammengetragen hat. In diesem Material geht es um die Wiederherstellung der Jugend bzw. der Gebärfähigkeit dieser Frauen. Keiner der von Aus aufgeführten palästinischen Texte rechnet mit der Möglich26

20

Kapitel 2

damit folgendermaßen zusammenfassen: Noch immer wird, bei Unterschieden im Einzelnen, die maßgeblich durch Dibelius begründete Herleitung der Jungfrauengeburt aus Ägypten und / oder der griechisch-hellenistischen Tradition vertreten30, die durch die Vermittlung des hellenistischen Judentums in das hellenistische Judenchristentum Eingang gefunden habe31. Dabei wird in aller Regel eine Anknüpfung an das Alte Testament oder das palästinische Judentum explizit oder implizit ausgeschlossen32. Nur wenige Stimmen plädieren für eine direkte Ableitung der Jungfrauengeburt aus dem Alten Testament33. Andere Ausleger wiederum sehen die alt-

________________________ keit einer durch Gott gewirkten Zeugung unter Absehung von einem Mann. 30 Vgl. bes. Kügler, Pharao, 283–288; Blumenthal, Weihnachtsgeschichte, 33f; Radl, Jungfrauengeburt, 706f; Luz, Evangelium, 144; Klein, Lukasevangelium, 101f; Lincoln, Luke, 653f, und Konradt, Evangelium, 36. Abgelehnt wird die These u.a. von Rengstorf, Evangelium, 25f; Grelot, La naissance, 570–574; McHugh, Mother, 284– 292.307; Fitzmyer, Gospel, 342; Gnilka, Matthäusevangelium, 28; Nolland, Luke, 43f, und Brown, Birth, 523f. 31 Das hellenistische Judenchristentum als Traditionsmilieu der Jungfrauengeburt vermuten etwa Luz, Evangelium, 145; Aus, Conception, 64; Wolter, Lukasevangelium, 87, und Lüdemann, Jungfrauengeburt, 138. 32 Vgl. u.a. Mayordomo-Marín, Anfang, 255 (»Dem Judentum ist diese Vorstellung fremd«), Luz, Evangelium, 145 (»[im palästinischen Judentum nicht belegten] Gedanken der Jungfrauengeburt«) sowie implizit die oben, Anm. 30 (Teil 1) und Anm. 31 (mit Ausnahme von Aus), genannten Autoren. Lincoln, Luke, 651f, weist im Anschluss an Kessler, Israel, 113, für das AT und die rabbinische Überlieferung darauf hin, dass »despite the normal assumption that three parties are involved«, nämlich Gott, der Mann mit seinem Samen und die Frau mit dem Blut und den Flüssigkeiten ihres Schoßes, »texts can also simply talk of conceptions as needing just two – God and the woman«. So werde die Bedeutung des Mannes »›de-emphasized relative to God’s‹«, bleibe aber dennoch bestehen. 33 Vgl. Gese, Natus ex Virgine, 131: »Äußere Gründe, wie eine Entstehung dieses Stoffes in Ägypten, sind bei dem palästinischen Charakter gerade der lukanischen Vorgeschichte rein hypothetisch. Es

Forschungsgeschichte

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testamentlich-jüdische Tradition als einen wesentlichen Faktor, um den Gesamtkomplex, d.h. die bei Lk wie bei Mt mit der jungfräulichen Empfängnis verbundene Vorstellung einer Erzeugung Jesu durch den heiligen Geist, traditionsgeschichtlich zu erhellen, und sie verweisen in diesem Zusammenhang auch auf Traditionen aus dem Raum des hebräischsprachigen Judentums, ohne jedoch für die jungfräuliche Empfängnis selbst signifikante jüdische Parallelen zu erkennen34. Die vorliegende Studie vermag in manchem an die dargelegte Forschung anzuknüpfen, geht im Entscheidenden aber eigene Wege. Ausgehend von dem Befund im Lukasevangelium nimmt sie, darin Strack/Billerbeck und Dibelius folgend, erneut die Frage nach der Bedeutung der Stelle Gen 21,1f und ihrer Interpretationsgeschichte für die traditionsgeschichtliche Herleitung der jungfräulichen Empfängnis Marias auf. Mit Gen 21,1f stellt sie zu-

________________________ bleibt also die Frage, wie und warum die Tradition von der Jungfrauengeburt hat entstehen können, und eine Antwort scheint nur vom Ganzen der biblischen Traditionsbildung her möglich zu sein.« Besondere Bedeutung haben für Gese dabei Jes 7,10–17, bes. V. 14; Ps 2,7; 110,3; Jes 9,5f (vgl. ebd., 139–145). S. ferner Bovon, Evangelium, 66, der aber ebd., 66–69, zugleich mit weiteren Einflüssen rechnet, sowie Green, Gospel, 85 (»echo effect« bezogen auf Jes 7,10– 17). 34 Vgl. Davies/Allison, Gospel, 201f, die die Vorstellung einer Hervorbringung Jesu durch den heiligen Geist v.a. auf biblisch-jüdische Vorstellungen zurückführen, aber auch paganen Einfluss nicht ausschließen, während sie ebd., 214–216, die für die Jungfrauengeburt diskutierten paganen wie jüdischen Parallelen zurückweisen; vgl. ferner Nolland, Luke, 46 (»should be understood in relation to the thought world of Judaism«), und in eigener Zuspitzung Aus, Conception, 57–64. Aus betont zwar die Bedeutung von Cher 40–52 für Mt und Lk, leitet die Jungfrauenthematik in Cher aber nicht aus dem paganen Bereich ab, sondern aus dem palästinischen Judentum. Von diesem habe das alexandrinische Judentum die Vorstellung einer durch Gott gewirkten »woman’s restoration to virginity« (ebd., 63) erhalten und diese dann im Sinne der jungfräulichen Empfängnis weiter entwickelt.

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Kapitel 2

gleich einen Text ins Zentrum, der bei denjenigen Autoren, die diese Vorstellung in jüngerer Zeit aus der alttestamentlich-jüdischen Tradition abzuleiten suchten, ganz zu Unrecht keine Rolle spielt35. Eigene Wege beschreitet die Studie darin, dass sie die Bedeutung der Überlieferung des hebräisch-aramäischsprachigen Judentums für die Traditionsgeschichte des Theologumenons von der jungfräulichen Empfängnis Marias herausarbeitet. Neben dem hebräisch-aramäischsprachigen Material werden auch Gal 4,21–31 und Philos Abhandlung Cher 40–52 einer Analyse unterzogen, obwohl zu diesen Texten, insbesondere zu Gal 4, bereits eine Reihe von Studien vorliegt. Mit ihrer neuerlichen Untersuchung verbindet sich die Absicht, ihren traditionsgeschichtlichen Ort bei der Entstehung der Vorstellung der jungfräulichen Empfängnis zu klären. Mit dem Protevangelium Jacobi wird zudem ein bislang kaum beachteter Text, für den der Sara-Abraham-Stoff einschließlich der Stelle Gen 21,1f eine wichtige Rolle spielt, in die Diskussion einbezogen. Das Protevangelium ist dabei nicht nur unter traditionsgeschichtlichen Gesichtspunkten relevant, sondern vermag zugleich die zwischen Juden und Christen geführte Auseinandersetzung um die Jungfrauengeburt historisch und inhaltlich zu erhellen.

________________________ 35

Dass Jes 7,14 LXX für die Entstehung des Theologumenons von der jungfräulichen Empfängnis Marias von entscheidender Bedeutung gewesen ist, wird hier mit Grelot bezweifelt. Das Zitat Jes 7,14 LXX in Mt 1,23 und die Anspielung auf Gen 21,1 in Lk 1,35 sind vielmehr als Schriftbelege für das bereits bestehende Theologumenon von der Jungfrauengeburt anzusehen.

Kapitel 3 Der Ausgangstext: Gen 21,1f im Kontext von Gen 15,1–25,19

Wie bereits angedeutet, lässt sich Gen 21,1: »Und der HERR suchte Sara gnädig heim (‫ פקד‬/ επεσκε' ψατο), wie er gesagt hatte, und der HERR tat an Sara, wie er gesprochen hatte«,

so lesen, dass Gott selbst unter Absehung von Abraham die Schwangerschaft Saras gewirkt hätte1. Das hat seinen

________________________ 1

Für die Literatur zum Alten Testament lassen sich für die Frage nach der Entstehung Isaaks grundsätzlich zwei Zugangsweisen unterscheiden. Für die große Mehrzahl der Kommentatoren ist festzustellen, dass sie sich mit dieser Frage erst gar nicht befassen; vgl. Jacob, Genesis, 477; Skinner, Commentary, 320f; Speiser, Genesis, 154. 156f; Westermann, Genesis 12–36, 406; Sarna, Genesis, 145; Wenham, Genesis 16–50, 79f (ebd., 87, setzt er aber implizit die biologische Vaterschaft Abrahams voraus); Seebass, Genesis, II 177; Towner, Genesis, 177; Waltke, Genesis, 292; Cotter, Genesis, 139, und Arnold, Genesis, 194. Die wenigen Autoren, die die Frage nach der Herkunft Isaaks erörtern, kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen. Während die einen Isaaks Geburt im Rahmen der natürlichen Ordnung verstehen und in Abraham den Erzeuger Isaaks sehen, verweisen andere auf Gott als Ursache seiner Geburt. Erstere Position vertreten besonders Brueggemann, Genesis, 182: »›Miracle‹ (and this is a miraculous birth) is not a violation of natural order«; die Verheißung habe bei Isaak anders als bei Jesus ein »fleshly fulfillment« (ebd., 181), sowie Hamilton, Genesis. Chapters 18–50, 72, der die Deutung zurückweist, »that we have here the torso of a myth about Isaac’s divine paternity«. Ähnlich wie Brueggemann weist auch Chouraqui, La Bible, 211, auf den »caractère miraculeux de la naissance d‹Is.’hac«, präzisiert dies dann aber folgendermaßen: »Il se serait agi d’une 1

24

Kapitel 3

Grund zunächst ganz einfach darin, dass Abraham in V. 1 nicht erwähnt wird. Auffällig ist zudem die Verwendung der Begrifflichkeit ‫ פקד‬/ επισκε' πτεσθαι, die in den übrigen Erzählungen der jüdischen Bibel, die von der Überwindung der Unfruchtbarkeit der Mütter Israels handeln, keine Verwendung findet2. Sie steht für die »direct involvement and intervention of God in human affairs«3. In den auf die Sara-Geschichte folgenden Aqara-Erzählungen, die explizit oder implizit eine natürliche Zeugung voraussetzen, ist demgegenüber statt von einem ‫ פקד‬/ επισκε' πτεσθαι Gottes davon die Rede, dass Gott der jeweiligen Frau »gedachte«4 und ihren

________________________ visitation semblable à celle de Marie«. In eine ähnliche Richtung scheint Grelot, La naissance, 569, zu denken: Die Geburt Isaaks ist »la seule que la Genèse présentait comme merveilleuse«. Vgl. auch Wick, Jerusalem, 333: »Es wird dort (sc. in Gen 21,1f) nicht davon gesprochen, dass Abraham ihn (sc. Isaak) gezeugt habe, sondern dass Gott Sara heimsuchte und sie daraufhin schwanger wurde«. 2 Eine entsprechende Formulierung findet sich zwar auch in 1Sam 2,21, aber nicht im Kontext der Geburt Samuels (so Sarna, Genesis, 145), sondern im Zusammenhang mit der Geburt von Samuels nachgeborenen Geschwistern: Gott sieht fürsorglich (‫ )פקד‬auf Hanna, so dass sie mit drei weiteren Söhnen und zwei Töchtern schwanger wird. Darin vollzieht sich der Segen Elis über sie und Elkana. Samuel selbst ist ausweislich von 1Sam 1,19f nicht das Ergebnis einer Sara gleichen Heimsuchung Gottes, sondern ist auf natürlichem Weg entstanden: Elkana erkennt (‫ )וידע‬seine Frau Hanna, Gottes Intervention besteht hier in seinem Gedenken Hannas (‫)ויזכרה‬, das ihre Unfruchtbarkeit überwindet, so dass sie schwanger wird (‫)ותהר‬. Deshalb ist auch die Argumentation von Hamilton, Genesis. Chapters 18–50, 72f, dass, »as evidenced by 1. Sam. 2:21, we have here an instance where visit takes on the connotation of Yahweh mercifully delivering one from an apparently hopeless situation, that is, infertility«, ohne Anhalt am Text. 3 Sarna, Genesis, 145. Das Verb sei ein »leitmotif of the divine promises of national redemption from Egyptian slavery« (in diesem Sinne wird es erstmals in Gen 50,24f gebraucht). Die Geburt Isaaks bedeute daher »a new and momentous stage in the unfolding plan of history«. Vgl. auch Hamilton, Genesis. Chapters 18–50, 73, Anm. 5. 4 Vgl. Gen 30,22 (‫ ויזכר‬/ εμνη' σθη), bezogen auf Rahel, und 1Sam

Der Ausgangstext: Gen 21,1f

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»Schoß öffnete«5, dass er sich »erbitten« ließ6, dass er sie »erhörte«7. So ist der auffällige Sprachgebrauch in Gen 21,1 ein weiteres Indiz für die außergewöhnliche Entstehung Isaaks. Der Deutung der Aussage Gen 21,1 auf eine Hervorbringung Isaaks unter Absehung von Abraham scheinen im weiteren Kontext aber wenigstens zwei Formulierungen entgegenzustehen, nämlich Gen 15,4 und 25,19, die die Erzählung von der Nachkommenschaft Abrahams umschließen8. Im ersteren Text ergeht die Verheißung an Abraham, dass nicht Elieser ihn beerben werde, sondern derjenige, der »aus deinen Lenden hervorgehen wird (‫יצא‬ ‫ ממעיך‬/ εξελευ' σεται εκ σουñ )«, d.h. der leibliche Sohn Abrahams9. Im letzteren Text heißt es: »Abraham zeugte (‫ הוליד‬/ εγε' ννησεν) Isaak«. Damit ist Isaak in diesen Rahmenaussagen eindeutig als der leibliche Sohn Abrahams verstanden. Allerdings ist es bemerkenswert, dass letzterer Satz »an dieser Stelle« als »rätselhaft«10 und die Betonung der biologischen Vaterschaft Abrahams als auf-

________________________ 1,19, bezogen auf Hanna. Zu Gen 30,22 bemerkt Chouraqui, La Bible, 316, mit Recht: »Ici il n’est pas question de visitation comme c’était le cas pour Sara«. 5 Vgl. Gen 30,22 (‫ ויפתח את־רחמה‬/ ανε' ω, ξεν αυτηñ ς τη` ν μη' τραν). 6 Vgl. Gen 25,21: Gott lässt sich aufgrund des Gebetes Isaaks erbitten (‫ ויעתר‬/ επη' κουσεν); s. auch 1Sam 1,19. 7 Vgl. Gen 30,17: Gott erhört (‫ וישמע‬/ επη' κουσεν) Lea. 8 Zuvor wird diese Frage bereits in Gen 11,30; 12,2 berührt, ohne jedoch weiter ausgeführt zu werden. 9 Vgl. dazu etwa Hamilton, Genesis. Chapters 1–17, 422: »Abram’s own flesh and blood or issue«; Wenham, Genesis 1–15, 329: »a real son, not simply a legal heir«, sowie Westermann, Genesis 12–36, 263f. 10 Westermann, Genesis 12–36, 503; er folgt hier Speiser, Genesis, 196: »The initial phrase, traditional ›these are the generations of Isaac,‹ leads one to expect a genealogical list, but none is forthcoming. The only birth recorded is that of Isaac himself, so that tōledōt, if applied here in its usual technical sense, should actually have referred to Abraham as begetter, and not to Isaac. Something is obviously out of line here«; s. ferner Hamilton, Genesis. Chapters 18–50, 175.

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Kapitel 3

fällig gilt11. So kann man fragen, ob die Endredaktion diese Auffälligkeiten aus dem Grund nicht glättete, weil sie dem in Gen 21,1f zum Ausdruck kommenden Geheimnis der Rolle Abrahams bei der Hervorbringung Isaaks Rechnung zu tragen suchte. In diesem Zusammenhang verdient zudem die Tatsache Beachtung, dass es in der Genesis zwar Toledot Terachs (Gen 11,27), Ismaels (25,12), Isaaks (25,19), Esaus (36,1) und Jakobs (37,212) gibt, aber keine Toledot Abrahams, obwohl er doch Isaak »zeugte« (‫ הוליד‬/ εγε' ννησεν). Dass dies dem Endredaktor entgangen sein sollte, ist schwer vorstellbar. Offenbar wollte er die Unstimmigkeit des Textes unaufgelöst lassen. Aber nicht nur in Gen 15,4 und 25,19, sondern auch im unmittelbaren Kontext von Gen 21,1 finden sich Formulierungen, die als Aussagen über Abraham als Erzeuger Isaaks gelesen werden können, allerdings nicht so gelesen werden müssen. So heißt es, Sara habe Abraham in seinem hohen Alter (‫ לזקניו‬/ εις το` γηñ ρας [V. 213]), in seinem hundertsten Jahr (V. 5), einen Sohn geboren. Hierin spricht sich das Erstaunen darüber aus, dass ein Hundertjähriger noch einen Sohn haben kann. Doch beweisen diese Aussagen für die hier zur Debatte stehende Frage wenig. Denn Sohnschaft ist in der Abraham-Sara-Geschichte nicht zwingend physisch-genealogisch gedacht. Gen 16,2 zufolge hofft Sara, von ihrer Magd Hagar einen Sohn zu bekommen (‫ אבנה ממנה‬/ «ινα τεκνοποιη' ση, ς εξ αυτηñ ς), wenn sie diese Abraham zur Frau gibt14. Derjenige, der genealogisch nicht ihr Sohn ist, kann rechtlich

________________________ 11

Vgl. Arnold, Genesis, 231: »The narrator clearly wanted to underline the biological lineage from Abraham to Isaac. Perhaps in light of the covenant promises and the long struggle of barrenness that preceded Isaac’s birth, it seemed worthy of emphasis here at the beginning of Isaac’s tôlědôt: he is Abraham’s son!« 12 Vgl. auch Gen 35,22–26. 13 Vgl. auch V. 7. 14 Vgl. auch Gen 30,3.

Der Ausgangstext: Gen 21,1f

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zu ihrem Sohn werden15. Wie Gen 15,2f zeigt, hatte Abraham mit Elieser von Damaskus Entsprechendes im Sinn: Er sollte an Sohnes statt sein gesetzlicher Erbe werden16. Zugleich finden sich aber auch zwei Zusammenhänge, in denen die Mutterschaft Saras zu Lasten der Vaterschaft Abrahams betont wird. In Gen 21,5 ist davon die Rede, dass dem hundertjährigen Abraham sein Sohn Isaak geboren wurde. Diese Altersangabe weist auf Gen 17,17 zurück und wird in Gen 18,11f in einem sachverwandten Zusammenhang mit dem Hinweis auf sein hohes Alter sachlich aufgenommen. Beide Stellen thematisieren aber zugleich das Alter Saras. Hier wie dort fällt auf, dass das jeweilige menschliche Gegenüber Gottes – in Gen 17 Abraham, in Gen 18 Sara – mit dem hohen Alter beider Eheleute, das einer Elternschaft im Weg steht, argumentiert, während Gott jeweils darauf hinweist, dass Sara einen Sohn haben wird. So lautet die Antwort Gottes auf die Bitte Abrahams für das Leben Ismaels: »Nein, Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären (‫ ילדת לך בן‬/ τε' ξεται' σοι υιο' ν)« (17,19), nachdem es zuvor geheißen hatte: »Ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben (‫ וגם נתתי ממנה לך בן‬/ και` δω' σω σοι εξ αυτηñ ς τε' κνον)« (V. 16).

Während in V. 19 Sara das Subjekt ist, ist es in V. 16 Gott, der sie segnet und Abraham einen Sohn von ihr gibt. Abraham kommt dagegen nur als derjenige in den Blick, dem der Sohn Saras geboren wird (V. 19), bzw. als der, der in Vorwegnahme von Gen 21,1 von Gott einen Sohn von ihr erhält (17,16). Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Abraham in Gen 17 als Erzeuger

________________________ 15

Vgl. etwa Speiser, Genesis, 120f; Seebass, Genesis, II 87; Arnold, Genesis, 163, sowie Krause, Law, 22f. 16 Vgl. dazu Sarna, Genesis, 113, sowie Wenham, Genesis 1–15, 329.

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Kapitel 3

Isaaks betrachtet wird. Der Wortlaut von V. 16 erlaubt aber ebenso die Deutung, dass der Verfasser in Vorwegnahme von Gen 21,1 bereits hier Gott als Subjekt der Hervorbringung Isaaks ins Spiel bringt. Entsprechendes ist in Gen 18 zu beobachten. In V. 13 werden die zuvor vom Erzähler formulierten (V. 11) und dann Sara in den Mund gelegten Gedanken zu ihrem und Abrahams Alter (V. 12) von Gott als Frage zusammengefasst, die allein Sara betrifft: »Warum lacht Sara und denkt: Sollte ich wirklich gebären (‫)אלד‬, ich bin doch alt«, um in V. 14 fortzufahren: »Ist denn für den HERRN (irgend)eine Sache unmöglich? Über das Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen17, dann wird Sara einen Sohn haben (‫ לשרה בן‬/ ε» σται τηñ, Σαρρα υιο' ς)«.

Subjekt ist in V. 14 Gott selbst, der an Sara handelt und ihr einen Sohn verschafft. Abraham dagegen spielt eine untergeordnete Rolle, nämlich die Rolle dessen, dem jetzt die Worte Gottes gelten und binnen Jahresfrist sein Besuch (Vv. 10.14)18.

________________________ 17

Wörtlich: »Zur Frist werde ich wieder zu dir kommen, jetzt um’s Jahr« (vgl. Jacob, Genesis, 444). 18 Vgl. demgegenüber die tendenziöse Deutung von Hamilton, Genesis. Chapters 18–50, 13, der zu V. 13 darauf hinweist, dass Gott »has Sarah drawing attention to her own advanced age. He discretely avoids any reference to Abraham the centarian, for conceivably a man might father a child even at such an age«. Demgegenüber heißt es zu 17,17, Abraham »knows that he and his wife are well beyond parenting years«; dabei vergesse er, dass er »had already fathered a child as recently as fourteen years ago (16:16)« (ders., Chapters 1–17, 477 [ob dies in Abrahams Alter eine solch kurze Zeitspanne ist, sei dahingestellt]). Damit übersieht Hamilton allerdings die strukturellen Übereinstimmungen zwischen Gen 17,17–19 und Gen 18,11–13. Vgl. auch Wenham, Genesis 16–50, 49, zu Gen 18,12: Sara »was pathetic and blamed her husband«, während Gott ihre Aussage in V. 13 »kindly« zusammenfasse.

Der Ausgangstext: Gen 21,1f

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So ist zwar weder für Gen 17 noch für Gen 18 sicher auszuschließen, dass Abraham als Erzeuger Isaaks verstanden ist, es wird aber auch nicht explizit behauptet, und die Texte lassen sich durchaus auch anders lesen19. Zwar lässt sich insbesondere für Gen 17 auch dahingehend argumentieren, dass die biologische Vaterschaft Abrahams stillschweigend vorausgesetzt ist und es hier v.a. darum geht, die Mutterschaft Saras herauszustellen. Doch bleibt auffällig, dass das hohe Alter Abrahams zwar zweimal erwähnt wird, dieser einer Schwangerschaft Saras potentiell ebenfalls im Weg stehende Grund von Gott aber nicht thematisiert wird. Deshalb sind beide Zusammenhänge auch offen für eine Deutung auf Gott als Subjekt der Hervorbringung Isaaks. Wie zurückhaltend die Genesis-Erzählung Abraham bei der Hervorbringung Isaaks ins Spiel bringt, zeigen zwei weitere Beobachtungen. Die erste betrifft Gen 16,2–4, wo zweimal davon die Rede ist, dass Abraham zu Saras Magd Hagar »eingeht« (‫ יבא אל‬/ εισηñ λθεν προ' ς o.ä.) und also mit ihr sexuell verkehrt20, eine entsprechende Aussage bezogen auf Sara in den hierfür relevanten Kapiteln dagegen fehlt. Die zweite Beobachtung betrifft den Samen-Begriff (‫ זרע‬/ σπε' ρμα). Isaak wird dem »Samen« Abrahams nur so lange subsumiert, wie der Name Saras als Mutter des verheißenen Sohnes und dessen eigener Name noch nicht genannt sind21. Danach, d.h. ab Gen 17,15, wird ‫ זרע‬bezo-

________________________ 19

Anders Seebass, Genesis, II 109, für Gen 17: »Gott ist es, der nun gerade die Unmöglichkeit zur Möglichkeit erhebt, die Unfruchtbare zur Segensträgerin macht, den Überalterten zum glücklichen Erzeuger«. Letzteres sagt der biblische Text ausdrücklich nicht. 20 Vgl. ähnlich Gen 30,3f (bezogen auf Bilha, die Magd Rahels); 30,16 (‫ ;ישכב עמה‬bezogen auf Lea). 21 Vgl. Gen 15,3–5, wo der Nachkomme (‫ ;זרע‬V. 3) als leiblicher Sohn Abrahams (‫ ;אשר יצא ממעיך‬V. 4) näherbestimmt wird; in V. 5 dagegen ist an die gesamte Nachkommenschaft Abrahams von seinen drei Frauen gedacht; vgl. Hamilton, Genesis. Chapters 1–17, 476. In Gen 17,7f ist allgemein von einem Bund Gottes mit Abraham und sei-

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Kapitel 3

gen auf Isaak nur noch für dessen Nachkommen gebraucht22. Isaak selbst dagegen wird nicht als ‫ זרע‬/ σπε' ρμα, d.h. als leiblicher Nachkomme Abrahams, bezeichnet. Aufschlussreich ist hier besonders Gen 21,12f, wo es im Rahmen der göttlichen Begründung dafür, dass Abraham dem Ansinnen Saras nachgeben und Hagar zusammen mit ihrem Sohn Ismael fortschicken soll, folgendermaßen heißt (V. 12): »Denn in Isaak soll dir Same genannt werden (‫ביצחק יקרא לך זרע‬ / εν Ισαακ κληθη' σεται' σοι σπε' ρμα)«.

Demgegenüber lautet das Gotteswort über Hagars Sohn Ismael (V. 13): »Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem Volk machen, denn er ist dein Same (‫ כי זרעך הוא‬/ ο« τι σπε' ρμα σο' ν εστιν)«23.

________________________ nen Nachkommen (‫ )זרע‬die Rede. Erst von 17,19 her ist deutlich, dass sich dieser Bund über Isaak vermittelt. Dazwischen ist in Vv. 10–14 u.a. vom Bund der Beschneidung die Rede, der ein »Bund zwischen mir und euch und deinen Nachkommen« (o.ä.) ist. Dieser Bund wird ausweislich von Gen 17,23 zuerst an Ismael vollzogen, wenn auch nicht am achten Tag (V. 12). 22 Vgl. Gen 17,19; 21,12. Das Gesagte gilt in eigener Weise auch für diejenigen Stellen der Abraham-Erzählung Gen 12,1–25,19, in denen Isaak sachlich zwar dem ‫ זרע‬bzw. σπε' ρμα Abraham subsumiert ist, der Samenbegriff (und sachverwandte Vorstellungen) aber weit über Isaak hinausgreift und sich nicht eigens auf ihn bezieht: Gen 22,17f (die große Nachkommenschaft Abrahams, die wie die Sterne des Himmels sein wird [vgl. bereits Gen 12,2; 15,5; 17,4–6] und mit der sich die Völker Segen wünschen sollen [vgl. bereits Gen 12,2; 18,18]); 24,7 (Landverheißung für die Nachkommen Abrahams [vgl. bereits Gen 15,18f; 17,8]); 24,60 (von den zahlreichen Nachkommen Rebekkas). 23 Demgegenüber bezieht Seebass, Genesis, II 179f, den ‫זרע‬-Begriff auf beide Abrahamssöhne: »V13b nennt nämlich Ismael neben Isaak als Abrahams Nachkomme«.

Der Ausgangstext: Gen 21,1f

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Während also Ismael als leiblicher Nachkomme Abrahams bezeichnet wird, bezieht sich die Samenaussage bei Isaak nicht auf diesen selbst, sondern auf seine leiblichen Nachkommen: In Isaak wird Abraham Nachkommenschaft genannt werden. Diese ist aber nicht »dein Same«, d.h. Abrahams Same, sondern Isaaks. So ist nicht ausgeschlossen, dass die als »obscure« beurteilte Formulierung in V. 1224 mit Bedacht gewählt ist, um das Geheimnis der Herkunft Isaaks ein weiteres Mal anzudeuten. Liest man die erörterten Aussagen nicht von den den Gesamtzusammenhang rahmenden Versen Gen 15,1 und 25,19 her, sondern, wie im nachbiblischen Judentum üblich, auch vom Kontext unabhängig versweise, so bieten sie für die Nachfrage nach der genauen Rolle Abrahams bei der Hervorbringung Isaaks genügend Raum. Dies gilt, wie gesehen, in gewisser Weise sogar für die auf den ersten Blick scheinbar gegenläufige Stelle Gen 25,19. Dem einfachen Wortsinn von Gen 21,1 nach verdankt sich die Schwangerschaft Saras jedenfalls keinem anderen als Gott selbst.

________________________ 24

Vgl. Wenham, Genesis 16–50, 83, der den »precise sense« von V. 12 für »obscure« hält; s. auch Westermann, Genesis 12–36, 416, dem zufolge dieser Satz »nicht leicht zu verstehen« ist.

Kapitel 4 ›Rewritten Bible‹: Die Herkunft Isaaks im Jubiläenbuch

Der früheste nachbiblische Text, der sich mit der Frage nach der Herkunft Isaaks beschäftigt, ist das Jubiläenbuch. Die Darstellung stimmt, was die hier interessierende Frage anbelangt, in den Grundzügen mit den Aussagen in Genesis, wie sie im Voranstehenden entfaltet wurden, überein. Einige Besonderheiten fallen gleichwohl auf. Die erste findet sich in Jub 14,21–24 par Gen 16,1–4.15f, wo der Verfasser seine Version von den Umständen der Geburt Ismaels bietet. Anders als in Genesis ist es hier nicht Sara, von der die Initiative ausgeht, Hagar Abraham zur Frau zu geben, damit sie, dessen gewahr geworden, dass Gott sie »verschlossen« hatte, durch ihre Magd einen Sohn bekäme. Vielmehr ist es zunächst Abraham, der Sara voller Freude von der ihm zuteil gewordenen Nachkommensverheißung (Jub 14,1–5 par Gen 15,1–5) berichtet, weil er davon ausgeht, dass sie sich in Sara erfüllen werde (Jub 14,21): »Und er glaubte, dass er Samen haben werde, aber sie gebar nicht«. So ist es im Jubiläenbuch die von Abraham geäußerte Hoffnung auf Nachkommenschaft, die Sara dazu bewegt, ihm Hagar zur Frau zu geben: »Geh ein zu Hagar, meiner ägyptischen Magd; vielleicht, dass ich dir aus ihr Samen erbaue«. Im Unterschied zum Ausgangstext Gen 16,2 geht es m.a.W. also nicht darum, dass Sara einen Sohn durch Hagar bekommt, sondern um den Samen Abrahams25.

________________________ 25

Ruiten, Abraham, 132f, hebt mit Blick auf Gen 16,1–4.15f par Jub 14,21–24 hervor, dass Sara in Genesis »for selfish reasons« agiert,

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Kapitel 4

Der Begriff des Samens fällt in Gen 16,1–4.15f anders als in der Parallele Jub 14,21–24 nicht. Zweimal gebraucht, scheint in der Samen-Vorstellung deshalb ein spezifisches Interesse von Jub 14 zu liegen. »Samen«, d.h. leibliche Nachkommenschaft durch Geschlechtsverkehr26, bekommt Abraham von Hagar, nicht von Sara. Der Verfasser spitzt hier zu, was in der Genesis-Erzählung zwar angelegt ist, aber nicht eigens ausgeführt wird. Ansonsten wird der Begriff des Samens im Jubiläenbuch im Wesentlichen wie in Genesis gebraucht: Nachdem Sara als Mutter des verheißenen Sohnes und dessen Name Isaak genannt sind, wird der Terminus speziell mit Blick auf Isaak nicht mehr verwendet27. Der wichtigste Zusammenhang für die hier verhandelte Frage aber ist Jub 16,1–19, wo der Verfasser u.a. Gen 18,1–15 und Gen 21,1–7 verarbeitet. Zunächst wird Gen 18,1–15 kurz zusammengefasst. Mit Blick auf unsere Fragestellung fällt hier besonders auf, dass der Verfasser des Jubiläenbuchs im Unterschied zu Genesis Sara als eigenständige Gesprächspartnerin der Gottesboten betrachtet. Sie tadeln sie nicht nur wie in Gen 18,15 wegen ihres Lachens (V. 2), sondern richten ihr – in Analogie zum Gotteswort an Abraham in Jub 15,19 par Gen 17,19 – eigens den Namen ihres Sohnes aus und kündigen ihr

________________________ während im Jubiläenbuch »(t)he partners work together harmoniously to work out the promise of God«. 26 Vgl. den zweimaligen Gebrauch der Wendung: »zu ihr eingehen«, in Jub 14,22.24 par Gen 16,2.4. 27 Vor der Namensnennung ist Isaak wie in Genesis in den SamenBegriff eingeschlossen: Der Begriff wird hier m.a.W. umfassend für die ganze über Isaak vermittelte Nachkommenschaft Abrahams gebraucht; vgl. Jub 15,9f par Gen 17,7f. Nach der Namensnennung wird der Begriff des Samens nur noch bezogen auf den Samen Isaaks, mit dem Gott einen Bund errichten werde, verwendet (vgl. Jub 15,20 par Gen 17,19). Dem widerspricht auch Jub 17,3 nicht, weil »Same« hier als Oberbegriff für Ismael und Isaak verwendet wird (Analoges ist für den Sohnesbegriff zu beobachten; dazu s. im Folgenden).

Jubiläenbuch

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einen späteren Besuch an (16,3f)28. Die differenzierende Betrachtung von Abraham und Sara zeigt sich erneut am Ende des Zusammenhangs in Jub 16,15–19, einem Abschnitt, der als ganzer in Genesis keine Parallele hat. Nachdem der Verfasser in Vv. 15–18 ausführlich von der Erscheinung der Gottesboten bei Abraham berichtet hat, richtet sich sein Blick in V. 19 auf Sara: »Und wir gingen unseren Weg und verkündeten Sara alles, was wir ihm (sc. Abraham) gesagt hatten. Und beide freuten sich mit sehr großer Freude«29.

Die strikte Unterscheidung zwischen den Abraham auf der einen und Sara auf der anderen Seite betreffenden Ereignissen zeigt sich zudem in der Mitte von Jub 16, in V. 10–14, im Kontext der Darstellung der Begebenheiten, die die Hervorbringung und Geburt Isaaks direkt beglei-

________________________ 28

Die Ankündigung eines solchen Besuches ist in Gen 18,10.14 an Abraham gerichtet. In der Genesis-Erzählung wendet sich der Bote nur im Modus der Kritik an Sara (Gen 18,15 par Jub 16,2). Jacob, Genesis, 445, hebt zwar zu Recht hervor, dass Sara Abraham dadurch gleichgestellt werden soll, dass nicht nur Abraham die Verheißung erhält, dass Sara einen Sohn gebären wird (Gen 17,19), sondern auch sie selbst (18,10). Gleichwohl fällt auf, dass die Gleichstellung der beiden in Gen 17f hinter Jub 16 zurück bleibt, da das Gespräch in Gen 18 mit Abraham geführt wird und Sara weitgehend auf die Rolle der, wenngleich aktiven, Zuhörerin im Hintergrund des Zeltes beschränkt ist. 29 Sara kommt bereits in 16,15–16a im Rahmen der Einleitung in den Blick. Der sie betreffende Erzählfaden wird in V. 19 wieder aufgenommen. In den dazwischen liegenden Versen (Vv. 16b-18) handelt der Verfasser von Abraham. So zeigt sich auch hier, dass der Erzähler die Aussagen über seine Protagonisten streng auseinander hält. Dies wird auch von Halpern-Amaru, Empowerment, 52–54, hervorgehoben, die hierin die »independent matriarchal function« (ebd., 53) von Sara zum Ausdruck gebracht sieht. Die für unsere Fragestellung zentrale Stelle Jub 16,12f (dazu s. im Folgenden) erörtert sie freilich nicht.

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Kapitel 4

ten. Der biblische Referenztext ist Gen 20,1; 21,1–430. Jub 16,10–14 lautet: »10 Und in diesem Monat wanderte Abraham von Hebron weg. Und er zog fort und wohnte zwischen Qadesch und Sur auf dem Gebirge Gerar. 11 Und in der Mitte des fünften Monats zog er fort von hier und wohnte bei dem Brunnen des Schwures. 12 Und in der Mitte des sechsten Monats suchte der HERR Sara gnädig heim und er tat an ihr, wie er gesagt hatte. 13 Und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn im dritten Monat; und in der Mitte des Monats, an dem Tag, den der HERR Abraham gesagt hatte, am Fest der Erstlinge der Ernte, wurde Isaak geboren31. 14 Und Abraham beschnitt ihn, als er acht Tage alt war. Er wurde als erster beschnitten gemäß dem Bund, der festgesetzt wurde für ewig«.

In diesem Textausschnitt ist Abraham in den Rahmenversen das Subjekt32. In V. 10f wird von seinen Wanderungen erzählt. Die erste findet in demselben Monat, dem vierten, statt, in dem die Boten Abraham an der Eiche von Mamre erschienen waren und ihm angekündigt hatten, dass er von Sara einen Sohn erhalten werde (V. 1), die zweite in der Mitte des fünften Monats. Von Sara ist dabei nicht die Rede. Sie kommt erst in V. 12 in den Blick. Thema sind hier die Ereignisse, die einen Monat nach der letzten Notiz über Abraham eintreten: Sara erhält in der Mitte des sechsten Monats von Gott Besuch,

________________________ 30

Die Vv. 5–7 werden im Jubiläenbuch nicht rezipiert. In der folgenden, auf der Basis von VanderKam, Jubilees, 1989, 96f, erstellten Übersetzung ins Deutsche sind die interpretierenden Zusätze zum Text der Genesis bzw. Änderungen daran kursiv gesetzt. 31 Berger, Jubiläen, 412, übersetzt statt »wurde schwanger« »sie empfing« und statt »an dem Tag« »in den Tagen«. 32 Ruiten, Abraham, 185, stellt Jub 16,10–31 unter die Überschrift der Geburt Isaaks. V. 10f par Gen 20,1 behandelt er unter »3.1. Abraham’s Journey from Haran to Beersheba ...« (kurs.). Isaaks Geburt (= 3.2.) im engeren Sinn weist er Jub 16,12–14 par Gen 21,1–7 zu.

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der an ihr der Verheißung gemäß handelt. Die Formulierung unterscheidet sich in den Details zwar von Gen 21,1, in der hier interessierenden inhaltlichen Frage ist aber kein Unterschied zu erkennen. Wie dort ist auch hier Gott Subjekt, Sara dagegen Gegenstand seines Handelns. Von Abraham ist nicht die Rede. In V. 13b ist Sara Subjekt – sie wird schwanger33 und gebiert einen Sohn –, in V. 13b Isaak – er wird geboren34. Abraham wird hier zwar erwähnt, aber nur als Empfänger der vorgängigen Verheißung. Als Handelnder betritt Abraham erst in V. 14 wieder die Bildfläche: Er beschneidet seinen Sohn am achten Tag. Im Vergleich zu Gen 21,1–4 fällt v.a. auf, dass das Jubiläenbuch die Aussagen über Abraham und Sara strikt von einander trennt. Das zeigt sich über das bereits Gesagte hinaus auch in V. 13. Der Verfasser lässt hier die in Gen 21,2 stehende Angabe: »sie gebar dem Abraham (einen Sohn) in seinem Alter«, weg35. Mit der Streichung dieser Wendung verbinden sich drei in unserem Zusammenhang erwähnenswerte Auffälligkeiten. Anders als in Gen 21,1–7, wo insgesamt fünfmal erwähnt wird, dass Sara Abraham einen Sohn geboren hat36, wird der Patriarch im Jubiläenbuch in diesem Zusammenhang nicht einmal erwähnt. Dies ist umso bemerkenswerter,

________________________ 33

Bei Kugel, Walk, 102, heißt es hierzu: »God’s visit to her here, on the 15th of the sixth month, was what apparently enabled Sarah to become pregnant, since Isaac was then born exactly nine months later«. Der Wendung »enabled ... to become pregnant« zufolge scheint Kugel die Schwangerschaft Saras als Ergebnis einer natürlichen Zeugung zu verstehen. 34 Das vom Verfasser hervorgehobene Geburtsdatum Isaaks, die Mitte des dritten Monats (V. 13), fällt mit dem Zeitpunkt des Bundesschlusses zwischen Gott und Abraham zusammen (Jub 14,10); vgl. VanderKam, Jubilees, 2001, 49. 35 Für Gen 21,1 par Jub 16,12 ist daneben die Streichung einer der beiden Hinweise auf die Erfüllung der Verheißung: »wie er gesagt hatte« (V. 1a) bzw. »wie er gesprochen hatte« (V. 1b), zu vermerken. 36 Vgl. neben V. 2 die Aussagen in V. 3 (zweimal), V. 5. und V. 7.

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als es von den sechs Söhnen der Ketura heißt, sie habe sie ›ihm‹ geboren (Jub 19,12). Eine entsprechende Formulierung findet sich im Übrigen auch mit Bezug auf die Zwillinge Rebekkas (V. 13)37. Bei Hagar wird in der Geburtsnotiz: »Und sie empfing und sie gebar einen Sohn« (14,24), Abraham zwar nicht als derjenige genannt, dem Ismael geboren wurde, wohl aber in V. 22, wo Sara ihm ihre Magd mit den Worten zur Frau gibt: »vielleicht, dass ich dir aus ihr Samen erbaue«. Die Formel: ›ihm‹, d.h. dem Vater des Kindes, ›einen Sohn gebären‹ o.ä., findet sich im Jubiläenbuch auch sonst sehr häufig38. Umso stärker fällt ihr Fehlen in Jub 16,13 ins Gewicht, zumal sie in der biblischen Vorlage auffällig oft gebraucht wird. Es kommt hinzu, dass die Wendungen: »er zeugte einen Sohn« und »sie gebar ihm einen Sohn«, ausweislich von Jub 4,27f und 8,5f weitgehend synonym gebraucht sind. Auch dies wird ein Grund sein, warum der Verfasser die in Gen 21,2 vorgegebene Aussage, Sara habe dem Abraham einen Sohn geboren, übergeht, vermeidet er so doch zugleich die damit verbundene Assoziation einer natürlichen Zeugung. Mit dem Verzicht auf die Wendung: »sie gebar ihm« (o.ä.), geht zudem ein Ver-

________________________ 37

Sie »gebar dem Isaak zwei Söhne«. Vgl. Jub 4,7 (Seth); V. 9 (Henoch); V. 11 (Enosch); V. 14 (Mahalalel); V. 20 (Methusalem); V. 28 (Noah); V. 33 (Shem, Ham, Japhet); Jub 8,1 (Kainan), V. 6 (Eber); V. 8 (Peleg); Jub 10,18 (Regu); Jub 11,1 (Serug); V. 8 (Nachor); V. 9 (Terach); V. 15 (Abraham); Jub 28,11.13–15.18–21; 32,33 (neun der Jakobssöhne). Dagegen fehlt ›für ihn‹ o.ä. bei den beiden Lea-Söhnen Issachar und Sebulon (sowie dessen Zwillingsschwester Dina; 28,22f) und dem unmittelbar im Anschluss erwähnten Rahel-Sohn Joseph (V. 24); in diesen Fällen ist eine sexuelle Zeugung aber durch den Kontext gesichert. Die Formel fehlt des Weiteren in Jub 4,1 im Zusammenhang der Geburt von Kain und Abel, doch heißt es in Jub 3,34 Adam habe Eva »erkannt«. Entsprechendes gilt für die Geschichte Tamars und ihrer Söhne (vgl. Jub 41,10.21). Zu den Genealogien im Jubiläenbuch vgl. Berner, Jahre, 267–302. Zu Jub 15,19.22 s.u. im Zusammenhang mit der Erörterung Isaaks als Sohn Abrahams. 38

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zicht auf die väterliche Namensgebung einher, die sowohl in Gen 21,3 als auch in Jub 4,27f; 8,5f mit dieser Aussage verknüpft ist. Die Nichtverwendung dieser beiden Elemente in Jub 16 dürfte kein Zufall, sondern als Hinweis darauf zu verstehen sein, dass für das Jubiläenbuch die Vaterschaft Abrahams im Blick auf Isaak in Frage steht. Mit der Streichung der Angabe: »dem Abraham (einen Sohn) in seinem Alter«, entfällt in Jub 16,12–14 zugleich die Bezeichnung Isaaks als Sohn Abrahams39. Dies fällt umso stärker ins Gewicht, als in Gen 21,1–7 insgesamt fünfmal von Isaak als Sohn Abrahams o.ä., den Sara ihm geboren habe, die Rede ist40. In dem auf Jub 16,12–14 folgenden Abschnitt wiederholt sich dies. In V. 15 heißt es, Sara sei mit einem Sohn schwanger. In V. 16 wird der Sohnesbegriff dann zwar auch mit Blick auf Abraham als Vater verwendet, auffälligerweise aber nicht für Isaak, sondern bezogen auf die sechs Söhne, die Abraham mit Ketura zeugt41.

________________________ 39

Vgl. VanderKam, Jubilees, 1989, 96f, auf der Basis des äthiopischen Textes, dem Ruiten, Abraham, 186, folgt. Anders Wintermute, Jubilees, 88; Littmann, Jubiläen, 68f, und Kugel, Jubilees, 351, die in V. 14 mit der lateinischen Übersetzung und den äthiopischen MSS C, D und F »his son« bzw. »seinen Sohn« statt »him« bzw. »ihn« lesen. Berger, Jubiläen, 412, gibt die Stelle mit »den Sohn« wieder. In V. 13 fällt, wie angedeutet, zwar auch der Begriff ›Sohn‹, er wird aber nicht Abraham als Vater zugeordnet. 40 Vgl. Gen 21,2.3.4.5.7. 41 Dazu s. ausführlich unten. In V. 17, wo der Verfasser die Enkelgeneration in den Blick nimmt, ist Isaak zwar partiell unter die summarisch genannten Söhne Abrahams subsumiert: »Aller Same seiner Söhne werde zu Völkern und unter die Völker gezählt werden«, die Söhne, einschließlich Isaaks, werden damit aber gerade nicht als Same Abrahams und so als seine Söhne im genealogischen Sinn identifiziert, das Interesse gilt vielmehr dem Samen der Söhne. Dies arbeitet der Verfasser für Isaak im Weiteren eigens aus, wenn er betont, dass einer der Söhne Isaaks, der hier ungenannt bleibende Jakob, als Same bezeichnet wird, und zwar als »heiliger Same«, der als solcher »nicht unter die Völker gezählt werden« wird.

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Ohne dass dies im Widerspruch zum Gesagten stünde, wird Isaak dagegen in den beiden Jub 16 rahmenden Kapiteln mehrfach als Sohn Abrahams bezeichnet. In Jub 15,15–19, wo sich der Erzähler eng an Gen 17,15–19 anschließt, liegt der Ton auf der Feststellung, dass Abraham einen Sohn von Sara haben werde, nachdem er bereits einen Sohn von Hagar hat. In Jub 17,1–3, wo Isaak entgegen der biblischen Vorlage (Gen 21,8) als Sohn Abrahams bezeichnet wird, geht es dem Verfasser darum, Abraham als den von Freude erfüllten Vater zweier Söhne zu charakterisieren42, dem Gott die Nachkommensverheißung erfüllt hat (Jub 17,3). Diese Freude verkehrt sich aber alsbald in Traurigkeit, weil Sara die Vertreibung Ismaels fordert, der für Abraham so sehr Sohn ist wie Isaak (V. 5)43. So geht es in Jub 15 und 17 weniger um die Sohnschaft Isaaks als um die Mutterschaft Saras auf der einen und die gleichberechtigte Sohnschaft Ismaels auf der anderen Seite. Schließlich wird mit der als auffällig empfundenen »triple omission of Abraham’s old age« das in Gen 21 zum Ausdruck kommende Staunen über die späte Vaterschaft Abrahams eliminiert und so der Gedanke an eine mögliche biologische Vaterschaft Abrahams für Isaak weiter abgeschwächt44.

________________________ 42

Während des anlässlich der Entwöhnung »seines Sohnes, Isaak«, von Abraham ausgerichteten Festmahls stand »Ismael, der Sohn Hagars, der Ägypterin, ... vor seinem Vater Abraham«, so dass dieser »sich freute und den HERRN pries, weil er seine eigenen Söhne sah und nicht ohne Söhne gestorben war« (Jub 17,2). 43 Für Sara (V. 4) wie auch für Gott (V. 7) ist Ismael der Sohn Hagars, für Abraham dagegen »sein Sohn« (V. 5); vgl. ähnlich Gen 21,9–13. 44 Ruiten, Abraham, 187, äußert demgegenüber folgende Vermutung: »Possibly, the nature of the miracle in Genesis, that is, the begetting children in old age, is of no importance for Jubilees«. Die Streichung des Hinweises auf das hohe Alter Abrahams ist Ruiten zufolge »(m)ore striking« als die der Aussage über Abraham als Namensgeber Isaaks (»somewhat remarkable«; ebd.).

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Der auf die Geburt Isaaks folgende Abschnitt Jub 16,15– 19 enthält weitere Hinweise darauf, dass sich die Hervorbringung Isaaks grundlegend von der der anderen Abrahamssöhne unterscheidet. In einer Rückblende auf die Zeit vor der Geburt Isaaks45 wird in V. 15f im Anschluss an Gen 18,10.14 berichtet, die Gottesboten seien ihrer Ankündigung gemäß zu Abraham und Sara gekommen und hätten diese schwanger vorgefunden. Als Zeitpunkt dafür wird hier der siebte Monat, d.h. der auf Gottes Besuch bei Sara folgende Monat, angegeben. In den Monaten um die Hervorbringung Isaaks wird Abraham damit im vierten, fünften und siebten Monat erwähnt, auffälligerweise aber nicht im sechsten Monat, als Gott »Sara heimsuchte und er an ihr tat, wie er gesagt hatte« (V. 12). In Vv. 16c–18 folgt die Segensverheißung an Abraham, die er im siebten Monat von den Engeln erhält. Teil dessen ist die Aussage V. 16: »Angeordnet für ihn war, dass er nicht sterben werde, bis er der Vater von sechs Söhnen werde46, und (dass) er (sie) sehen werde, bevor er sterbe; aber (dass) er durch Isaak einen Namen und Samen haben werde«.

Diese für Abraham angeordnete Zeugung der sechs Söhne der Ketura47 hat im Jubiläenbuch auf Seiten Isaaks

________________________ 45

VanderKam, Jubilees, 2001, 51; Kugel, Walk, 102, und Ruiten, Abraham, 189, sprechen für diesen Abschnitt unisono von einem »flashback«. Wintermute, Jubilees, 88, Anm. 16b, dagegen klammert V. 16 als Glosse ein, da der Vers den Text unterbreche. 46 »Vater werden« ist die Übersetzung in der neueren englischsprachigen Literatur (»became the father«); vgl. VanderKam, Jubilees, 1989, 97: »that he would not yet die until he became the father of six sons«; ähnlich Kugel, Walk, 103, und Ruiten, Abraham, 189. Andere übersetzen stattdessen sinngemäß »zeugen« o.ä.; vgl. Littmann, Jubiläen, 69; Wintermute, Jubilees, 88 (»begot«), und Berger, Jubiläen, 412. 47 Vgl. dazu biblischerseits Gen 25,1.

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keine Entsprechung. Der Zeugung der Ketura-Söhne durch Abraham wird hier die Feststellung kontrastiert, dieser werde durch Isaak Name und Samen haben. Same Abrahams ist demnach nicht Isaak selbst, sondern dessen Kinder. Jub 16 behauptet damit auch in diesem Zusammenhang nicht die biologische Vaterschaft Abrahams für Isaak48. Entsprechend fehlt im Jubiläenbuch auch ein Äquivalent zu Gen 25,19b: »Abraham zeugte Isaak«. Die besondere Herkunft Isaaks wird indirekt durch die Weise, in der die Umstände der Geburt der Zwillinge Isaaks und Rebekkas und der Jakobssöhne dargestellt werden, untermauert. Im Unterschied zum biblischen Text, demzufolge auch Rebekka unfruchtbar war und erst auf das Gebet Isaaks hin schwanger wurde (Gen 25,21), wird in Jub 19 nur in aller Kürze berichtet, Abraham habe für Isaak eine Frau namens Rebekka genommen (V. 10) und sie habe ihm zwei Kinder mit Namen Jakob und Esau geboren (V. 13)49. Bei Lea und Rahel heißt es in Übereinstimmung mit dem biblischen Text, Gott habe »ihren Schoss geöffnet«50. Vom Kontext her ist freilich deutlich, dass für das Jubiläenbuch trotz dieses Gotteshandelns Jakob der biologische Vater der Söhne beider

________________________ 48

Berger, Jubiläen, 412; Wintermute, Jubilees, 88; Kugel, Walk, 103, sowie ders., Jubilees, 351, ergänzen »noch sechs Söhne« bzw. »six more sons« (Hvb. G.H.), so dass sie die Hervorbringung Isaaks offenbar mit Abraham als biologischem Vater verbinden. Dabei handelt es sich um eine interpretierende Hinzufügung, worauf Kugel, Walk, 103, mit der Kursivierung verweist. 49 Das Interesse der Darstellung gilt dem Zeitpunkt von Heirat (»im vierten Jahr«; V. 10) und Geburt (»in der sechsten Woche des zweiten Jahres«; V. 13) sowie den Details der Herkunftsfamilie Rebekkas (V. 10). In den Zwischenversen V. 11f wird von Abrahams dritter Frau, Ketura, berichtet, und es werden die Namen der Söhne aufgeführt, die sie »ihm« gebar. 50 Vgl. Gen 29,31 par Jub 28,11 und Gen 30,22 par Jub 28,24. Bei Rahel geht dem unmittelbar ein Hinweis auf das »Gedenken« (‫)זכר‬ Gottes (Gen 30,22) bzw. auf sein »Gnädig-sein« (Jub 28,24) voraus.

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Frauen ist51. Schließlich scheint bemerkenswert, dass die biblische Erzählung von Hagar und den Jakobsfrauen vom Verfasser vergleichsweise textnah wiedergegeben wird, während das in Jub 16,1–19 zusammengefasste Material vergleichsweise frei interpretiert wird. Die aufgezeigten Änderungen, die das Jubiläenbuch im Zuge des ›rewriting‹ der Genesiserzählung vornimmt, weisen allesamt in ein und dieselbe Richtung: Der Verfasser zeichnet Abraham deutlich weniger als Erzeuger Isaaks als dies in der in dieser Hinsicht bereits ohnehin sehr ambivalenten Darstellung in Genesis geschieht. So fällt nicht nur das Fehlen einer Gen 25,19 korrespondierenden Aussage auf, sondern auch und vor allem das Bemühen des Erzählers, in Jub 16 die im Verhältnis zu Abraham eigenständige Rolle Saras als Gegenüber Gottes zu betonen und zugleich die Vorstellung einer Vaterschaft Abrahams für Isaak weitestmöglich in den Hintergrund treten zu lassen. Dies wird nicht zuletzt im Vergleich zu den Söhnen Hagars und Keturas deutlich. Insofern gibt es auch abgesehen von der konkreten Formulierung in Jub 16,12, auf die in der Literatur verschiedentlich hingewiesen worden ist52, genügend Hinweise darauf, dass der Verfasser der Schrift die Hervorbringung Isaaks aus Sara als alleiniges Werk Gottes versteht, auch wenn er dies nicht explizit sagt.

________________________ 51

Zu Lea vgl. Jub 28,13, wo es im Kontext der Zeugung des zweiten Lea-Sohnes heißt, Jakob sei »wiederum« in Lea eingegangen. Hier präzisiert der Verfasser also. Entsprechendes gilt für die Zeugung Josephs, Rahels Erstgeborenen. In Gen 30,1f par Jub 28,16 weist Jakob Rahels Klage über ihre Kinderlosigkeit mit dem Argument zurück, es sei nicht er, der ihr Leibesfrucht vorenthalten habe. Daraus ergibt sich, dass Joseph dann die auf natürlichem Wege entstandene Leibesfrucht der durch Gott von ihrer Unfruchtbarkeit befreiten Rahel ist. 52 Neben Dibelius, Jungfrauensohn, 27f (s.o. Kap. 2), vgl. auch Brown, Birth, 319: Jub 16,12 »tells us ... that the Lord visited Sarah and made her pregnant according to His Word«.

Kapitel 5 Die Herkunft Isaaks in der nachbiblischen hebräisch-aramäischen Traditionsbildung

Innerhalb der hebräisch-aramäischen Traditionsbildung des Frühjudentums hat die Frage der Herkunft Isaaks außer im Jubiläenbuch besonders im Raum der rabbinischen Überlieferung und ihrem Umfeld großes Gewicht. Sie wird in den Targumim und insbesondere im rabbinischen Midrasch breit erörtert1. Dabei zeigen sich verschiedentlich auch Berührungspunkte. 5.1

Die Herkunft Isaaks in den Targumim

In der Targumtradition gibt es drei Texte, die Gen 21,1f wiedergeben. Sie setzen in der Frage der Vaterschaft Abrahams sehr unterschiedliche Akzente. Targum Onqelos übersetzt den hebräischen Text im Prinzip wörtlich2: »Und der HERR gedachte (‫ )דכיר‬Saras, wie er gesagt hatte, und der HERR tat an Sara, wie er gesprochen hatte« (V. 1)3. ‫ דכר‬wird in TOnq gleichermaßen zur Wiedergabe der hebräischen Lexeme ‫ פקד‬und ‫ זכר‬ver-

________________________ 1

Zum Sitz im Leben der Targumim vgl. Schäfer, Bibelübersetzungen, 217f. 2 Nach Schäfer, Bibelübersetzungen, 221, erfolgte die Endredaktion von TOnq »in der ersten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. in Babylonien«. Er entstand »in Palästina in der Zeit vom Ende des 1. Jh. bzw. dem Anfang des 2. Jh. n. Chr.« (Gleßmer, Einleitung, 93). 3 V. 2 ist ganz wörtlich wiedergegeben und muss hier darum nicht angeführt werden. – Bei den hier und im Folgenden kursiv gesetzten Ausschnitten aus den Targumim handelt es sich um nicht wörtliche Wiedergaben des masoretischen Textes.

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wendet4. Auffälligerweise wird in dem sachverwandten Zusammenhang des Gedenkens Gottes an die ebenfalls unfruchtbare Rahel in Gen 30,22 ‫ ויזכר‬aber nicht mit dem Verbum ‫ דכר‬wiedergegeben, sondern nominal: »Und das Gedenken (‫ )דוכרנה‬an Rahel kam vor den HERRN«. Insofern ebnet TOnq die Unterschiede in der Begrifflichkeit des masoretischen Textes nicht gänzlich ein. Da signifikante Unterschiede zwischen Gen 21,1 MT und TOnq nicht zu erkennen sind, gibt es bei TOnq ähnlich wie im biblischen Text Raum für die Nachfrage nach der genauen Rolle Abrahams bei der Hervorbringung Isaaks. Deutungsfreudiger zeigt sich Targum Neofiti5. Es paraphrasiert ‫ פקד‬mit: »in seiner barmherzigen Güte gedachte er (‫«)אדכר ברחמוי טבי]י[א‬6, nämlich »Saras, wie er gesprochen hatte, und der HERR wirkte für Sara Wunder (‫)ועבד ייי ניסין‬, wie er gesprochen hatte« (V. 1). V. 2 fährt fort: »und Sara wurde schwanger (‫ )ועברת‬und gebar Abraham einen Sohn in der Zeit seines hohen Alters ...«; die Wiedergabe bleibt damit sachlich ganz auf der Linie von Gen 21,2. Anders verhält es sich mit V. 1. Die zitierte Wiedergabe von ‫ פקד‬mit ‫ דכר‬ist in TNeof geläufig7. Allerdings verwendet das Targum den Ausdruck

________________________ 4

Zu ‫ פקד‬vgl. Gen 50,24f; Ex 3,16; 4,31; 13,19 MT par TOnq; zu ‫זכר‬ Gen 8,1; 9,15f; 19,29 MT par TOnq. Das aramäische Lexem ‫ פקד‬entspricht hebräisch ‫ צוה‬und bedeutet »befehlen«; vgl. Levy, Wörterbuch, 283, s.v. ‫פקד‬. 5 Für die Datierung der »Hauptmasse des im Codex Neofiti verarbeiteten Traditionsmaterials ... gehen die meisten Forscher von einem zeitlichen Ansatz im 1./2. Jh. n. Chr. aus« (Schäfer, Bibelübersetzungen, 219). Das Datum der Endredaktion ist dagegen äußerst strittig (zwischen dem 1. und 2. Jh. bis zum Spätmittelalter; vgl. ebd. sowie Gleßmer, Einleitung, 110–115). McNamara, Targum, 45, zufolge gibt es »fairly strong grounds for seeing continuity between our present texts with fourth-century Palestine or earlier«. 6 Wörtlich: »in seinen gütigen Barmherzigkeitserweisen«. Obige Wiedergabe schließt an Díez Macho, Neophyti, I 116: »sus buenas misericordias (= en su bondad misericordiosa)«, an. 7 Vgl. McNamara, Targum, 112, Anm. 1; er weist hier allerdings

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auch im Zusammenhang mit dem Gedenken (‫ )זכר‬Gottes an Rahel (Gen 30,22), so dass TNeof anders als der masoretische Text und TOnq sprachlich nicht zwischen der Heimsuchung (‫ )פקד‬Saras durch Gott und seinem Gedenken (‫ )זכר‬Rahels unterscheidet. Damit verbindet sich aber keine inhaltliche Nivellierung, da das Handeln Gottes an Sara im Unterschied zu dem an Rahel zugleich als Wunder bezeichnet wird. Für TNeof sind die Wunder Gottes an Sara demnach die Ursache für ihre Schwangerschaft. Daraus dürfte zu folgern sein, dass nach diesem Targum Abraham keinen Anteil an der Hervorbringung Isaaks hat8. In Targum Pseudo-Jonathan9 zu Gen 21,1f ist ebenfalls von einem Wunder Gottes an Sara die Rede, die beiden hier zusätzlich ergänzten Aussagen beziehen in der Frage der Rolle Abrahams bei der Hervorbringung Isaaks aber eine derart klare Position, dass das Wunder an Sara nur in dem bestehen kann, was Gott nach Gen 30,22 auch an

________________________ darauf hin, dass auch ein anderer Ausdruck verwendet werden kann. TNeof ergänze ‫( ברחמוי טביא‬o.ä.), wenn das »›remembering‹ of the HT (sc. des hebräischen Textes) is predicated of God and not explicitly connected with the covenant« (ebd., 77, Anm.1). 8 Vgl. auch Levy, Targum, 159: »Perhaps this (sc. die ‫ )ניסין‬was added to maintain a more appropriate distance between God and Sarah«. Levy scheint daran zu denken, dass TNeof mit der Einführung des Begriffs der Wunder mögliche sexuelle Konnotationen ausgeschlossen sehen möchte. Damit wäre auch Levy zufolge Abraham in TNeof von der Hervorbringung Isaaks ausgeschlossen. 9 TPsJon ist »das am wenigsten wörtliche Targum«. Es enthält haggadische Erweiterungen »und steht somit der Midraschtradition sehr nahe« (Schäfer, Bibelübersetzungen, 221). Schäfer, ebd., 222, zufolge »erlaubt der sehr inhomogene Charakter des verarbeiteten Traditionsmaterials ... (wenn überhaupt) nur die Datierung von Einzelüberlieferungen und nicht des Targums als Ganzen«. Gleßmer, Einleitung, 189f, identifiziert Material ebenso aus dem 7. Jh. n. Chr. wie aus der zwischentestamentlichen Zeit. Nach Maher, Targum, 12, kann die Endredaktion nicht vor dem 7. oder 8. Jahrhundert stattgefunden haben; auch er geht jedoch von sehr alten Traditionen in diesem Targum aus.

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Rahel wirkte: Er »gedachte Rahels und hörte auf sie und öffnete ihren Schoß«. Damit ist das, was TOnq mit dem masoretischen Text offenhält und TNeof im Sinne eines exklusiven göttlichen Wunderhandelns zu deuten scheint, von TPsJon explizit im Sinne einer auf wundersame Weise ermöglichten, aber natürlichen Zeugung Isaaks verstanden: »Und der HERR gedachte (‫ )דכיר‬Saras, wie er zu ihm (sc. Abraham) gesprochen hatte, und der HERR wirkte für Sara ein Wunder (‫ ניסא‬... ‫)ועבד‬, wie (das, wovon) Abraham in seinem Gebet für Abimelech gesprochen hatte. 2 Und Sara wurde schwanger (‫ )ואיתעברת‬und gebar Abraham in seinem hohen Alter einen Sohn, der ihm ähnlich war (‫)דמי ליה‬, zu der Zeit, von der der HERR gesprochen hatte«.

Das Gebet Abrahams für Abimelech, von dem das Targum spricht, bezieht sich auf Gen 20,17f, wo berichtet wird, Gott habe auf die Fürbitte Abrahams hin »Abimelech, seine Frau und seine Mägde geheilt (‫)וירפא‬, so dass sie Kinder bekamen«, nachdem er zuvor »jeden Mutterschoß im Haus Abimelechs um Saras willen ... verschlossen hatte«. Im Kontext von Gen 20 ist das Gebet Abrahams für Abimelech freilich ein Gebet um dessen Fruchtbarkeit ebenso wie um die der Frauen seines Hauses10. Da das von Gott gewirkte Wunder TPsJon zufolge allein an Sara geschieht, war nur sie von Unfruchtbarkeit zu heilen, nicht aber Abraham11. Deshalb konnte der an-

________________________ 10 Vgl. Sarna, Genesis, 144. Vgl. auch TPsJon zu Gen 20,18. Josephus, Ant 1,208, spricht dagegen von einer Abimelech von Gott zugefügten schweren Krankheit. Nach einigen rabbinischen Traditionen bestand die Krankheit Abimelechs und seiner Untertanen in der Verschließung aller ihrer körperlichen Öffnungen; vgl. GenR 52,13 u.a. 11 Auffälligerweise weiß TPsJon im Zusammenhang mit Gen 25,21 um die Unfruchtbarkeit nicht nur Rebekkas, sondern auch um die Isaaks. Durch Isaaks Gebet auf dem Berg, auf dem Abraham ihn gebunden hatte, wird sie bei beiden überwunden (vgl. auch bJev 64a), so dass Isaak »in der Lage war zu zeugen, und Rebekka, seine Frau,

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gekündigte Sohn nach Saras Wiederherstellung im Sinne von TPsJon auf natürlichem Wege von Abraham gezeugt werden. Dass es dem Targum eben darum geht, zeigt die Ergänzung am Ende von V. 2: »der ihm ähnlich war«. Die Bedeutung dieses Gedankes für TPsJon zeigt sich daran, dass er ihn in seiner Paraphrase von Gen 25,19 wiederholt: »Und diese sind die Nachkommen Isaaks, des Sohnes Abrahams. Weil die Gesichtszüge (‫ )איקונין‬Isaaks den Gesichtszügen Abrahams ähnlich waren (‫)מדמיין‬, sagten die Menschenkinder (‫)בני נשא‬: In Wahrheit: Abraham zeugte Isaak«.

Mit dieser Aussage geht es dem Targum offenbar darum, Stimmen zurückzuweisen, die auch und gerade die Vaterschaft Abrahams in Frage stellten12. Bei diesen Stimmen handelt es sich ausweislich des Begriffs ›Menschenkinder‹ um nicht-jüdische Stimmen. Verschiedene Gründe für die Infragestellung der Vaterschaft Abrahams scheinen in der mit der Targumtradition inhaltlich verbundenen rabbinischen Literatur durch. Einigen Traditionen zufolge wurde die Vaterschaft Abrahams wegen seines Alters bezweifelt13, nach anderen war Abraham unfruchtbar, so dass Isaak als Sohn Abimelechs galt14. Wieder andere verbanden die Geburt Isaaks mit einem exklusiven Gotteshandeln15. In TPsJon dürfte der zweite

________________________ schwanger wurde«. TOnq und TNeof beschränken sich hier auf die Wiedergabe des biblischen Textes. 12 Bei eigener Akzentuierung ähnlich auch Maher, Targum, 74, Anm. 3: »The words ›who was like him‹ are added to refute those who would say that the aged Abraham and Sarah could not have begotten a child«. 13 Vgl. bBM 87a; bSanh 107b; GenR 53,6 und dazu unten Kap. 5.2 (2) und Kap. 8.3. 14 Vgl. Tanch Toledot 1 (und dazu unten Kap. 5.2 [2]); s. ferner GenR 53,6. 15 Dazu vgl. bes. GenR 53,5f und TanchB Wajjera 32; 36 (und dazu Kap. 5.2 [1]) sowie die in Kap. 5.2 (3) erörterten Texte.

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Grund im Blick sein, da Abimelech in der aramäischen Wiedergabe von Gen 21,1 ausdrücklich erwähnt wird. Weit davon entfernt also, dass Abimelech Isaak zeugte, hielt Abraham, nachdem Sara zu ihm zurückgekehrt war, Fürbitte für Abimelech, so dass dessen Fruchtbarkeit, die er während des Aufenthaltes von Sara in seinem Haus verloren hatte, wieder hergestellt wurde. Erst danach wurde Isaak gezeugt, und d.h. von Abraham. So gibt es in den Targumim mit TPsJon einen Beleg, der die biologische Vaterschaft Abrahams in einer Weise herausstellt, dass dahinter gegenläufige Positionen erkennbar werden. Dies entspricht den bekannten »polemischen Tendenzen in den haggadischen Erweiterungen des Targum Pseudo-Jonathan«, die sich, so Schäfer, »offenbar ... gegen sektiererische und häretische Gruppen im Judentum« richteten16. Dabei hat das Targum kaum die hinter dem Jubiläenbuch stehende Gruppe oder auch Philo und Paulus im Blick, die die Herkunft Isaaks unter Ausschluss Abrahams auf Gott zurückführen17. Denn deren Interesse gilt ausschließlich dem Wirken Gottes, nicht der Rolle Abrahams. Zieht man dagegen den Befund des rabbinischen Midrasch zur Herkunft Isaaks mit in Betracht, so kommt man der Frage nach der Identität der Gruppen, gegen die sich TPsJon wendet, näher. Der Midrasch reflektiert die Bandbreite der in den Targumim zu Gen 21,1f sichtbar werdenden Positionen ausführlich. Dabei zeigt sich, dass die Hervorbringung Isaaks zwar auch innerrabbinisch kontrovers diskutiert wurde, die verschiedenen im Midrasch vertretenen Auslegungen aber wiederholt auf die Auseinandersetzung mit dem christlichen Theologumenon der Jungfrauengeburt ver-

________________________ 16

Schäfer, Bibelübersetzungen, 222. Wie zu zeigen sein wird, handelt es sich bei der hier kritisierten Auffassung aber nicht um eine ausschließlich gegen die von Schäfer genannten Gruppen gerichtete Auffassung. 17 Zum Jubiläenbuch s.o. Kap. 4, zu Philo s.u. Kap. 6, und zu Paulus Kap. 7.1.

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weisen. Vermutlich aus polemischen Gründen spielt Lukas bei seiner Entfaltung der Thematik auf Gen 21,1 und weitere Elemente aus dem Sara-Abraham-Stoff an18. Entsprechendes gilt im 2. Jh. n. Chr. für die Deutung der Empfängnis Annas im Protevangelium Jacobi, die eine Reihe von Berührungspunkten mit rabbinischer Tradition aufweist19. Vor diesem Hintergrund ist bei den gegnerischen Gruppen, die TPsJon offenbar im Blick hat, mit großer Wahrscheinlichkeit jedenfalls auch an Christen zu denken. 5.2

Die Herkunft Isaaks im rabbinischen Midrasch

Die Frage der Hervorbringung Isaaks und ihrer Voraussetzungen wird in der rabbinischen Literatur breit diskutiert. Ein Teil der Texte erörtert das Problem im Zusammenhang mit Gen 21,1: ‫ פקד את שרה‬Ø‫›( וה‬und der HERR suchte Sara gnädig heim‹), andere Texte erörtern das Thema unabhängig von diesem exegetischen Bezug. Im Folgenden wird eine Auswahl aus den Texten zu Gen 21,1 diskutiert, es werden aber auch andere Überlieferungen herangezogen. Im Kontext dieser Untersuchung sind dabei v.a. drei Aspekte von Bedeutung. Eine erste Gruppe von Texten stellt in Auslegung von Gen 21,1 heraus, dass Gott selbst Isaak im Zuge seiner Heimsuchung Saras ins Sein ruft, ohne dass Abraham daran in irgendeiner Weise beteiligt wäre (1). Des Weiteren sind zwei polemisch zugespitzte Texte ins Auge zu fassen, denen zufolge die ›Völker der Welt‹ die Vaterschaft Abrahams anzweifeln, so dass sich Gott genötigt sieht, den Sara-Sohn Isaak in mirakelhafter Weise dem Bild Abrahams anzugleichen; auch hier ist die alleinige Urheberschaft Gottes implizit vorausgesetzt

________________________ 18 19

Dazu s.o. Kap. 1 und ausführlich unten Kap. 8.2. Dazu s.u. Kap. 7.2.1 und 8.3.

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(2). Schließlich finden Traditionen Berücksichtigung, nach denen Isaak auf natürlichem Wege gezeugt wurde, seiner Zeugung aber die wunderbare Erneuerung Saras, nach manchen Traditionen darüber hinaus auch die Abrahams durch Gott vorausgingen (3). (1) Der grundlegende Textzusammenhang für die Auslegung von Gen 21,1 ist GenR 53,5f20, wo sich eine Reihe von Deutungen der Aussage Gen 21,1: ‫ פקד את שרה‬Ø‫וה‬, finden, darunter drei Auslegungen, die die Schwangerschaft Saras ausschließlich auf das Handeln Gottes unter Ausschluss Abrahams zurückführen. Sachverwandte Traditionen aus Midrasch Tanchuma B zu Gen 21,1, die das Eingreifen Gottes zugunsten Saras mit der Unfruchtbarkeit Abrahams in Verbindung bringen, werden im Folgenden mit herangezogen. Die erste hier zu berücksichtigende Deutung steht am Anfang von GenR 53,5. Sie vergleicht das Handeln Gottes mit Abraham einerseits und Sara andererseits: »›Der du deinem Diener David, meinem Vater, gehalten hast, was du ihm zugesagt hast‹ (1Kön 8,24a). ›Der du deinem Diener gehalten hast (‫‹)דברת‬, bezieht sich auf Abraham. ›Was du ihm zugesagt hast‹ (bezieht sich auf Gen 18,14): ›zu der festgesetzten Zeit werde ich zu dir zurückkehren usw. (sc. und Sara hat einen Sohn)‹. ›Du hast es zugesagt (‫ )ותדבר‬mit deinem Mund (‫)בפיך‬, und durch deine Hand (‫ )ובידך‬hast du es erfüllt (‫)מלאת‬, wie es an diesem Tag ist‹ (1Kön 8,24b) (bezieht sich auf Gen 21,1): ›Und der HERR suchte Sara gnädig heim (‫‹)פקד‬.«

Der anonyme Midrasch deutet 1Kön 8,24a auf Abraham und versteht die Aussage: ›was du ihm zugesagt hast‹ (1Kön 8,24a), bezogen auf die Rückkehr Gottes zu Abraham zu der von ihm festgesetzten Zeit21, wie er es ihm im

________________________ 20

Die Endredaktion von GenR fällt in die erste Hälfte des 5. Jh.s; vgl. Stemberger, Einleitung, 310. Der Midrasch enthält aber älteres Material. 21 Diese Rückkehr wird in Genesis nicht erzählt.

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Kontext der Ankündigung der Geburt des Sara-Sohnes verheißen hat. Zu dieser Zeit hat Sara nach dieser Stelle bereits einen Sohn. Dagegen erfüllt sich in der Heimsuchung Saras durch Gott im Anschluss an 1Kön 8,24b das Wort der Verheißung, indem Gott, bildlich gesprochen, Hand an Sara anlegt und ihr den zugesagten Sohn verschafft. Dass Abraham hier eine Rolle hätte, scheint nirgendwo durch. Zu Abraham also kehrt Gott zurück, nachdem er an Sara gehandelt hat, an Sara aber handelt er. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der sich unmittelbar daran anschließende, ebenfalls anonyme Midrasch: »›Der Wohnung gibt der Unfruchtbaren im Haus als einer fröhlichen Mutter von Kindern‹ (Ps 113,9): ›Der Wohnung gibt der Unfruchtbaren im Haus‹: Das (bezieht sich auf) Sara, (wie in Gen 11,30 geschrieben steht): ›Und Sara war unfruchtbar‹. ›Als einer fröhlichen Mutter von Kindern‹, denn es steht geschrieben (Gen 21,7): ›Sara stillt Kinder‹.«

Derjenige, der bewirkt, dass Sara von einer Unfruchtbaren zu einer stillenden Mutter wird, ist im Sinne dieses Midrasch wiederum kein anderer als Gott. Abraham bleibt hier außerhalb der Betrachtung und hat im Sinne des Midrasch keine Rolle bei der Statusveränderung Saras. Der dritte Midrasch, der im Kontext der Deutung von Gen 21,1 das Handeln Gottes an Sara herausstellt, beschließt die Reihe der Auslegungen zu der Aussage: »Und der HERR suchte Sara gnädig heim«22.

________________________ 22

Diejenigen Texte, die die Schwangerschaft Saras exklusiv auf ein Gotteshandeln zurückführen, legen sich in GenR 53,5f damit als inclusio um die gesamte Auslegung von Gen 21,1. Dazwischen stehen Auslegungen mit unterschiedlicher Aussageabsicht. Zwei davon sind für unsere Fragestellung insofern relevant, als sie inhaltlich in die entgegengesetzte Richtung von den im Haupttext erörterten Midraschim weisen. R. Nechemja, ein Tannait der 3. Generation (vgl. Stemberger, Einleitung, 93), sieht in Gen 21,1 einen Hinweis auf die Verjüngung

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»R. Jehuda b. R. Simon sagte: Auch wenn R. Huna sagte23: Ein Engel ist es, der über das Begehren gesetzt ist, (so ist doch klar, dass) Sara diese Dinge (‫ )לדברים הללו‬nicht brauchte, sondern: ER in Seiner Herrlichkeit (‫)אלא הוא בכבודו‬. (Daher heißt es:) ›Und der HERR suchte Sara heim (‫( «‹)פקד‬GenR 53,6)24.

________________________ Saras durch Gott, die dadurch zu einer natürlichen Empfängnis bereit wurde (dazu s. ausführlich unten [3]). Entsprechend ist die Deutung von R. Judan, einem palästinischen Amoräer der 4. Generation (vgl. ebd., 109), im Namen von Resch Laqisch, einem palästinischen Amoräer der 2. Generation (vgl. ebd., 102), zu verstehen: »Sie hatte keinen Eierstock (‫)עקר מיטרין‬, (weshalb) ihr der Heilige, gepriesen sei er, einen Eierstock formte« (GenR 53,5); s. auch GenR 47,2. Diese Aussage wird in GenR 63,5 bezogen auf Rebekka wiederholt; vgl. dazu Morgenstern, Beobachtungen, 45–49. Ausschließlich diese beiden Stellen werden von Strack/Billerbeck, Kommentar, I 49, für den ersten Teil ihrer These als Belege genannt (s.o. [Kap. 2]). Ähnlich führt Aus, Conception, 57–61, eine Vielzahl von Traditionen auf, die von der wundersamen Verjüngung Saras handeln. Diese schließt in einem Text ausdrücklich die Rückkehr zu ihrer »physical virginity« (‫)בתולה‬ ein (ebd., 60). Insgesamt scheint Aus das Jungfrauenmotiv bei seinen Auslegungen aber überzubetonen. Er stellt es auch bei denjenigen Texten heraus, die von der ‫ נערות‬bzw. der ‫ עלימותא‬sprechen, d.h. im Zusammenhang mit Begriffen, die das jugendliche Alter der betreffenden Frauen aussagen sollen. Ihre Jungfräulichkeit ist hier impliziert, ohne aber hervorgehoben zu werden; zu Sara vgl. ebd., 58, zu Jochebed, der Mutter Moses, ebd., 55f. Wie Aus wiederholt hervorhebt (vgl. ebd., 71, u.ö.), handelt es sich in diesen Texten dann aber um eine natürliche Empfängnis. Die rabbinischen Texte, die die Geburt Isaaks ausschließlich auf das Handeln Gottes zurückzuführen scheinen, bearbeitet Aus hingegen nicht. Eine exklusiv von Gott gewirkte Schwangerschaft hält er für ein Spezifikum des alexandrinischen Judentums (ebd., 71). 23 Bei beiden Rabbinen handelt es sich um palästinische Amoräer der 4. Generation; vgl. Stemberger, Einleitung, 109. 24 So die Wiedergabe auf der Basis der Ausgabe von Mirkin, Midrash Rabba, II 240: ‫ פקד את‬Þ‫ –ה‬:‫ אלא הוא בכבודו‬,‫אבל שרה לא נצרכה לדברים הללו‬ –‫שרה‬. Das wichtige MS Vatikan 30 weicht hiervon in mehreren Details ab. Die hier entscheidende Wendung ist aber auch in diesem MS belegt: ‫אלא הוא בכבודו‬.

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Der Plural: ›diese Dinge‹, muss sich auf mindestens zwei Sachverhalte beziehen. Dabei kann es sich nur um die beiden zuvor genannten Größen handeln, nämlich den Engel und das sexuelle Begehren, das Sara nach Gen 18,12 abhanden gekommen war. Beides braucht sie nicht, weder das sexuelle Begehren, so dass sie mit Abraham verkehrt hätte und Isaak aus einem Beischlaf hervorgegangen wäre, noch den darüber wachenden Engel. Denn es ist Gott selbst in seiner Herrlichkeit, der Sara gnädig heimsucht bzw. sich ihrer annimmt25.

________________________ 25 Vgl. ähnlich Yuval, Völker, 95, Anm. 125. Dagegen bemerkt Mirkin, Midrash Rabba, II 240, zur Stelle zunächst, dass Sara das Begehren bereits verloren gehabt habe (Gen 18,12), »und der Heilige, gepriesen sei er, kam in seiner Herrlichkeit und seiner Stärke und erweckte in ihr das Begehren«. Nach dieser Auslegung hätte Gott Sara zu einer natürlichen Schwangerschaft verholfen. Mirkin erwägt aber sodann die Deutung, dass Gott selbst die Schwangerschaft Saras verursacht habe. Dazu verweist er auf der Grundlage von Hi 5,25: »Und wenn du deine Wohnstatt prüfst (‫)ופקדת‬, so fehlt dir nichts«, auf die Bedeutung von ‫ פקד‬im Sinne des »sexuellen Begehrens (‫«)תאווה מינית‬ bzw. in der Sprache der Weisen ausgedrückt: »›Ein Mann ist verpflichtet, mit seiner Frau eheliche Beziehungen zu pflegen‹« (‫חייב אדם‬ ‫ ;לפקוד את אשתו‬bJev 62b). Somit träte Gott – im Sinne des Midrasch allerdings nicht-sexuell verstanden – an die Stelle Abrahams. Diese Deutung wird auch durch den unmittelbar vorausgehenden Kontext nahegelegt, wo R. Isaak, ein palästinischer Amoräer der 2. Generation (vgl. Stemberger, Einleitung, 104), Num 5,28 auf Sara bezieht, die das Haus Pharaos und das Abimelechs “rein (‫ ”)טהורה‬verlassen habe, so dass sie sich das Recht erwarb, dass ihrer gedacht wurde (‫תפקד‬ [nifal]; auffälligerweise wird hier nicht die Samen-Begrifflichkeit aus Num 5,28 [‫ ]ונזרעו זרע‬verwendet, sondern die Wurzel ‫)פקד‬. Dieses Gedenken realisiert sich im Kontext von GenR 53,6 in der Heimsuchung (‫ )פקד‬Saras durch Gott. In diesem Sinne liest Yuval, Völker, 95, im Anschluss an D. Daube auch die Aussage der Pessach-Haggada: »›Er sah unser Elend‹ – das ist die Unterbindung des ehelichen Zusammenlebens, wie es heißt: ›Und Gott sah die Israeliten, und Gott erkannte‹«, im Sinne des sexuellen Erkennens, so dass die israelitischen Zwangsarbeiter in Ägypten, obwohl sie »keinen Geschlechtsverkehr mit ihren Frauen hatten, ... Kinder (bekamen), und zwar durch wundersame Schwängerung«. Yuval vermutet, dass die Pessach-Haggada

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Die Zurückweisung der Auslegung R. Hunas durch R. Jehuda b. R. Simon dürfte ihren theologischen Grund in der damit verbundenen Infragestellung der Schöpfermacht Gottes haben. Darauf deuten zwei Texte hin, die sich mit der Frage nach dem Subjekt beschäftigen, dem Schöpfermacht eignet, wenngleich nicht bezogen auf Sara, sondern ausgehend von Rahels Unfruchtbarkeit. Bei diesen Texten handelt es sich um GenR 73,4 par TNeof zu Gen 30,22. Beide Texte betonen auf der Basis von Gen 30,22: »und er öffnete ihren Schoß«, die alleinige Schöpfermacht Gottes26. Der Text von GenR lautet: »R. Menachem sagte im Namen von R. Bevai27: Drei Schlüssel sind in der Hand des Heiligen, gepriesen sei er: der Schlüssel des Begräbnisses, der Schlüssel des Regens und der Schlüssel des Schoßes (‫)רחם‬. Aus (welcher Schriftstelle wird) der Schlüssel des Begräbnisses (erschlossen)? Denn es heißt (Ez 37,12): ›Siehe, ich öffne eure Gräber‹. Woher der Schlüssel des Regens? ›Der HERR wird dir sein (gutes) Schatzhaus, (den Himmel), öffnen, um deinem Land Regen zu geben (zu seiner Zeit)‹ (Dtn 28,12). Woher der Schlüssel des Schoßes? Denn es heißt (Gen 30,22): ›Und er öffnete ihren Schoß‹. Und manche sagen: auch der Schlüssel der Lebensmittel, denn es heißt (Ps 145,16): ›du tust deine Hand auf (und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen)‹.«

Der Text wendet sich gegen die Vorstellung, Gott würde die genannten Bereiche Boten überantworten. Die rabbinische Tradition denkt bei diesen Boten zum einen an die Propheten Elia und Elisa, von denen Totenerweckungen, die Herbeiführung von Regen und wunderhafte Speisun-

________________________ mit dieser Deutung auf die »christliche Lehre von der Jungfrauengeburt« reagiert; vgl. dazu ausführlich unten Kap. 8.3. 26 Eine weitere Version dieses Midrasch findet sich in TanchB, Wajjera 35 (= Bietenhard, Tanh.uma B, 111), wo er auffälligerweise der Auslegung von Gen 21,1 zugeordnet ist. 27 Bei letzterem handelt es sich um einen palästinischen Amoräer der 3. Generation; vgl. Stemberger, Einleitung, 106.

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gen erzählt werden28, zum anderen an Engel o.ä. Dies wird deutlich in dem in TNeof zu Gen 30,22 überlieferten, mit GenR 73,4 fast identischen Midrasch29, der in der Einleitung folgendermaßen präzisiert : »Vier Schlüssel sind es, die in die Hand des Gebieters der ganzen Welt, des HERRN, gegeben sind, und er übergibt sie nicht an einen Engel und nicht an einen Seraf (‫)לא למלאכא ולא לשרף‬30: den Schlüssel des Regens und den Schlüssel der Lebensmittel und die Schlüssel der Gräber und den Schlüssel der Unfruchtbarkeit (‫ )עקרתא‬...«.

So könnten diese beiden Texte erklären, warum R. Jehuda b. R. Simon in GenR 53,6 den über das Begehren gesetzten Engel und Gott einander entgegenstellt: Schöpfung, Neuschöpfung und creatio continua liegen ausschließlich in der Hand Gottes. Engel oder sonstige Mittler spielen dabei keine Rolle31. Zur Verdeutlichung der Argumentationsweise des Midrasch ist hier mit dem unmittelbar im Anschluss an die Auslegung von Gen 21,1 durch R. Jehuda b. Simon überlieferten anonymen Midrasch zu Gen 21,2: »Und Sara wurde schwanger und gebar Abraham (einen Sohn)«, eine Tradition aufzunehmen, die im

________________________ 28

Vgl. Mirkin, Midrash Rabba, III 135f, der unter dem Stichwort: Ø‫שלשה מפתחות ביד הקדוש ברוך הוא וכו‬, auf 1Kön 17f; 2Kön 4 einerseits und Midrasch Buber 13,21 (hier aber ohne Hinweis auf die beiden Propheten) und bSanh 113a andererseits verweist. 29 Zu textgeschichtlichen Fragen vgl. McNamara, Targum, 148, Anm. 12 (mit weiterer Literatur), sowie Levy, Targum, 201. 30 MS Nfmg liest stattdessen: »(Seraph) or to a troupe (of angels)«; vgl. McNamara, Targum, 148, hh. 31 Ob GenR und insbesondere TNeof hier auch gegen charismatische Figuren wie Honi, den Kreiszieher, von dem ein Regenwunder überliefert ist, oder Jesus, von dem Totenauferweckungen und Speisewunder erzählt werden, oder auch den Engel Gabriel, der Maria die Geburt Jesu ansagt, polemisierten, kann man erwägen. Zur Polemik in TPsJon s.o. Kap. 5.1, zur polemischen Dimension der rabbinischen Texte s. im Weiteren sowie Kap. 8.3.

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Gegensatz zu den bislang erörterten Texten Abraham als leiblichen Vater Isaaks deutet. Die Stelle lehre, so der Midrasch, »dass sie nicht Samen (‫ )זרע‬von anderswoher stahl«, d.h. von einem anderen Mann. Sara wurde demnach von Abraham schwanger und gebar deshalb ihm einen Sohn. Weiter heißt es, die Aussage: »einen Sohn in seinem Alter« (Gen 21,2), lehre, dass die Gesichtszüge Isaaks (‫ )זיו איקונין‬denen Abrahams glichen (‫ ;דומה לו‬GenR 53,6)32. In dem aufgezeigten Kontext kann es nach dieser Tradition so keinen Zweifel darüber geben, dass Abraham der Erzeuger Isaaks ist. Die vom Redaktor von GenR nebeneinander gestellten Auslegungen spitzen damit den biblischen Text von Gen 21,1f, der widerspruchsfrei lesbar ist, in gegensätzliche Richtungen zu, so dass der kommentierende Text von GenR 53,5f eine spannungsvolle Einheit darstellt. Offenbar sollte beides tradiert werden, die Vaterschaft Abrahams, aber eben auch die Hervorbringung Isaaks aus dem Handeln Gottes an Sara unter Ausschluss Abrahams. Damit verdichtet GenR die beiden bereits in Gen 15,1-25,19 sichtbar gewordenen Auslegungstendenzen auf engstem Raum.

Mit Midrasch Tanchuma B liegt, wie erwähnt, ein weiteres Textcorpus mit Auslegungen zu Gen 21,1 vor33. Zwei

________________________ 32

Dieser auf den ersten Blick überraschenden Deutung liegt ein Wortspiel zugrunde: ‫'בן זקניו' – מלמד שהיה זיו איקונין שלו דומה לו‬. Die drei Radikale von ‫ זקניו‬sind in der hier vorgegebenen Reihenfolge in ‫זיו‬ ‫ איקונין‬enthalten, das Suffix ‫יו‬- in ‫זיו‬, in Einzelbuchstaben zudem in ‫איקונין‬. Letzterer Begriff ist ein griechisches Lehnwort (εικω' ν). – Die beiden zuletzt vorgestellten Traditionen finden sich zusammen oder getrennt der Sache nach auch in anderen Zusammenhängen. Tanch Toledot 1 kommt dem hiesigen Text besonders nahe; dazu s. ausführlich unten (3). 33 Die Datierung von Tanchuma-Yelamdenu ist strittig. F. Böhl kommt aufgrund der »genannten Tradenten ... zum Schluss, dass dieser ›materiell spätestens um 400 vorlag‹«, M. Bregman zufolge begann sich diese Literatur »›toward the end of the Byzantine period in Palestine (5–7th century C.E.)‹« herauszukristallisieren, »›but continued to evolve and spread ... well into the middle ages‹«. Stemberger vermutet, ohne sich im Einzelnen festzulegen, »eine frühe Datierung« von Predigtsammlungen zu den Pentateuch-Lesungen, »die jedoch nie

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der hier verhandelten Traditionen stellen ausgehend von der Unfruchtbarkeit Abrahams das Gotteshandeln an Sara ins Zentrum. In TanchB Wajjera 32 heißt es: »›... Denn der HERR hatte jeden Mutterschoss verschlossen‹ usw. (Gen 20,18). Der Heilige, gepriesen sei er, sprach: Abraham betet vor mir für den gottlosen Abimelech, und ich bin erfüllt von Erbarmen über ihn. Siehe, ich nehme mich Abrahams an (‫( )פוקד לאברהם‬zusammen) mit ihm, wie es heißt: ›Und Gott heilte Abimelech, seine Frau und seine Mägde, dass sie Kinder bekamen‹ (Gen 20,17). Was steht hernach geschrieben? ›Und der HERR suchte Sara gnädig heim (‫( ‹)פקד את‬Gen 21,1)«34.

Nach diesem Text vollzieht sich die Annahme (‫ )פוקד‬Abrahams nicht in strenger Analogie zur Annahme Abimelechs, den Gott von seiner Unfruchtbarkeit heilte, so dass er von den Frauen seines Hauses auf natürlichem Weg gezeugte Kinder bekam. Das Erbarmen Gottes über Abraham realisiert sich vielmehr in der Heimsuchung (‫ )פקד‬Saras durch Gott, so dass sie durch das Gotteshandeln schwanger wurde – ohne Zutun Abrahams, wie es scheint – und ihm einen Sohn gebar. Noch deutlicher ist eine Auslegung zu Gen 20,17: »Nun betete er (sc. Abraham)«, in TanchB Wajjera 36: »Die Dienstengel sagten vor dem Heiligen, gepriesen sei er: HERR der Welt! Abraham heilt andere, aber er ist (selber) der Heilung bedürftig (‫)והוא צריך רפואה‬. Er hat Abimelech geheilt und sein Haus und seine Kinder, wie es heißt: ›Und Gott heilte‹ (Gen 20,17). Aber du heilst ihn nicht! Der Heilige, gepriesen sei er, sprach: Es ist genug für ihn, dass ich ihm Söhne geben

________________________ eine absolut endgültige Form« erreichten (Stemberger, Einleitung, 338f). Die hier herangezogenen Traditionen gehören zu den Pentateuch-Lesungen. Wie alt die in ihnen verarbeiteten Einzeltraditionen, um die es sich bei den beiden hier ausgewählten Texten handelt, genau sind, lässt sich nicht sagen. Sie gehen aber sicher den Predigtsammlungen zeitlich voraus. 34 Wiedergabe im Anschluss an Bietenhard, Tanh.uma B, 111.

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werde (‫)כדאי הוא שאתן לו בנים‬. Deswegen heißt es: ›Und der HERR suchte gnädig heim‹ (Gen 21,1)«35.

Abraham wird nach dieser Auslegung nicht geheilt, so dass er selbst Söhne zeugen kann. Er muss sich damit begnügen, dass Gott ihm Söhne gibt. Das Zitat Gen 21,1 lässt dabei an Isaak, den Sohn der Sara, denken, der aus der Heimsuchung Saras durch Gott hervorgegangen ist. Der Midrasch versteht dieses schöpferische Handeln Gottes dabei als Gnadenhandeln. Wie die vorgestellten Texte zeigen, gibt es mit GenR 53,6 nur einen Midrasch, der die Hervorbringung Isaaks mit Hilfe einer Formulierung zum Ausdruck bringt, die der lukanischen Rede vom Herabkommen des Geistes und der Überschattung Marias mit δυ' ναμις entspricht (Lk 1,35). Es handelt sich hierbei um die Vorstellung der göttlichen Herrlichkeit (‫)בכבודו‬. In den übrigen Texten aus GenR und TanchB werden andere Ausdrucksweisen gewählt, um zu verdeutlichen, dass Isaak von Gott geschaffen und also nicht von Abraham gezeugt wurde. Die Ausleger zeigen sich unabhängig davon, ob die Hervorbringung Isaaks wie in GenR aus der Perspektive Saras oder wie in TanchB aus der Abrahams thematisiert wird, im eigentlichen Sinn weder an der Zeugungsfähigkeit Abrahams noch an der Fähigkeit Saras zu empfangen, interessiert, und d.h.: weder an der Frage des Zutuns Abrahams noch an einer ›jungfräulichen‹ Empfängnis, sondern allein an der Schöpfer- und Handlungsmacht Gottes. Die beiden Texte aus TanchB verdeutlichen dieses theologische Gefälle durch den für sie charakteristischen Perspektivwechsel von Sara zu Abraham.

________________________ 35

Das Zitat Gen 21,1 fehlt in Bubers Ausgabe von TanchB, wird aber von Bietenhard geboten, dessen Textbasis Cod. Vat. Ebr. 34 ist, der von Bubers Text oft abweicht; vgl. Stemberger, Einleitung, 336. Bei den beiden im Kontext genannten Rabbinen, R. Samuel b. Nachman und R. Zavdai b. Levi, handelt es sich um palästinische Amoräer der 3. bzw. der 1. Generation; vgl. ebd., 104.100.

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(2) Was sich bereits in den beiden zuletzt besprochenen Midraschim aus GenR 53,6 andeutet36, der Zweifel an der Vaterschaft Abrahams, wird in manchen Traditionen auch direkt zum Thema gemacht. Die diesbezüglichen Fragen werden der im Midrasch häufigen literarischen Figur der ›Völker der Welt‹ in den Mund gelegt. Deren Erwähnung verweist auf die kontroverstheologische Dimension der Diskussion um die Herkunft Isaaks. Indem diese Texte die Vaterschaft Abrahams mit Blick auf Isaak problematisieren, sind sie zugleich indirekte Belege für die Hervorbringung Isaaks aufgrund des schöpferischen Handelns Gottes an Sara. Der erste hier zu erörternde Text ist Tanch Toledot 1, in dem Traditionen, wie sie in dem Exkurs zu GenR 53,6 erörtert wurden, in eigener Zuspitzung verarbeitet sind. Hier findet sich folgende Auslegung zu der Mahnung: »Komm und sieh die Kraft des Friedens!« »Als Sara hin und her geworfen wurde aus der Hand Pharaos in die Hand Abimelechs und mit Isaak schwanger wurde, sagten die Völker der Welt (‫)אומות העולם‬: Sollte ein Hundertjähriger noch zeugen (können)? Nein, sie ist von Abimelech oder Pharao schwanger! Nun legte sich ein Verdacht auf Abrahams Herz wegen dieser Redensarten. Was tat der Heilige, gepriesen sei er? Er sprach zu dem Engel, der über die Embryonenbildung gesetzt ist: Mache seine ganze Gestalt (‫ )אקונין‬nach dem Bild seines Vaters (‫)כדמות אביו‬, damit alle bezeugen, dass er der Sohn Abrahams ist37. Woher dies? Weil man zu diesem Thema (in der Schrift) liest: ›Dies sind die Zeugungen Isaaks, des Sohnes Abrahams‹ (Gen

________________________ 36

In TanchB ist zwar vorausgesetzt, dass Isaak nicht der leibliche Sohn Abrahams ist. Dieser Sachverhalt wird hier aber im Horizont einer Gnadentheologie interpretiert. 37 Eine verwandte Version dieses Midrasch findet sich in Raschis Auslegung zu Gen 25,19. Raschi ersetzt den in Tanch z.St. verwendeten Begriff der ›Völker der Welt‹ durch den der Spötter (‫)ליצנים‬, der in Tanch Toledot 6 im Kontext der Auslegung von Gen 25,19 ebenfalls fällt.

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25,19a). Aus der Tatsache, dass es heißt: ›Isaak der Sohn Abrahams‹, weiß ich da nicht (schon), dass Abraham den Isaak zeugte? Wozu sagt der Text noch: ›Abraham zeugte den Isaak‹ (Gen 25,19b)? Damit jeder, der Abraham sah, mit Überzeugung (‫ )בודאי‬sagen konnte: ›Abraham zeugte den Isaak‹. Denn ihre Gesichtszüge waren einander ähnlich (‫קלסתר פנים‬ ‫)דומים זה לזה‬38. Daher steht geschrieben: ›Abraham zeugte den Isaak‹«39.

Wie beide Teile dieses Abschnitts zeigen, der narrative erste und der exegetische zweite Teil, geht es dem Midrasch in der Auseinandersetzung mit den ›Völkern der Welt‹ darum, die biologische Vaterschaft Abrahams gegen die von den ›Völkern‹ artikulierten Gerüchte zu verteidigen. Deshalb springt Gott dem verunsicherten Abraham bei und sendet einen Engel, um den Embryo, der einmal Isaak werden sollte, so zu verändern, dass er Abraham äußerlich gleicht. Damit ist die Frage aufgeworfen, warum der Embryo zunächst die Anlagen für ein anderes Aussehen in sich trug. Ohne dass es explizit gesagt würde, lässt der Midrasch, die Kenntnis der Traditionen von der göttlichen Heimsuchung Saras vorausgesetzt, Raum für die Annahme, dass Gott es war, der Isaak ins Sein rief. Im Kern aber geht es dem Midrasch darum zu verdeutlichen, dass die »Völker der Welt« bzw. »jeder, der Isaak sah«, in ihm den Sohn Abrahams erkennen. Damit ist zugleich gesagt, dass Isaak – halachisch gesehen – kein Bastard ist, der Abimelech40 oder Pharao zum Vater hat. Dies ist, wie angedeutet, kontroverstheologisch relevant. In eigener Weise wird die Fraglichkeit der Vaterschaft Abrahams in einem mit dem Namen R. Levis, einem palästinischen Amoräer der dritten Generation41, verbun-

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Dieses Motiv findet auch in Tanch Toledot 3 und 6, wenngleich in eigener Zuspitzung, Verwendung; s. ferner GenR 53,6 (dazu s.o. [1]) und bBM 87a (dazu s. im Folgenden). 39 Zu Text und Übersetzung vgl. Singermann, ‫מדרׁש תנחומא‬, 162f. 40 Vgl. auch GenR 53,6.

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denen Midrasch im babylonischen Talmud thematisiert42. Ausgangspunkt dieser in bBM 87a überlieferten Auslegung ist Gen 21,7: »Und sie (sc. Sara) sprach: Wer hätte je zu Abraham gesagt: Sara stillt Kinder!?« Die Frage, die R. Levi zunächst zu beantworten sucht, ist die nach der Zahl der Kinder, die Sara stillte, da in der Schrift nur von einem Kind, von Isaak eben, die Rede ist. R. Levi gibt dazu die nachfolgende Erklärung, in deren Verlauf er sich jedoch einem anderen Thema, nämlich, der Vaterschaft Abrahams, zuwendet. »An jenem Tage, an dem Abraham Isaak, seinen Sohn, entwöhnte43, veranstaltete er ein großes Gastmahl (Gen 21,8). Da räsonnierten alle Völker der Welt (‫ )כל אומות העולם‬und sprachen: Habt ihr gesehen, dass dieser Greis und diese Greisin einen Findling von der Straße heimgebracht und gesagt haben: Er ist unser Sohn. Und nicht nur das, sondern sie veranstalten (auch noch) ein großes Fest, um ihre Worte zu bekräftigen. Was tat unser Vater Abraham? Er ging und lud alle Großen des Zeitalters ein, und Sara, unsere Mutter, lud ihre Frauen ein, und jede Einzelne von ihnen brachte ihren Sohn mit und die Amme brachte(n) sie nicht mit. Und ein Wunder geschah (‫ )ונעשה נס‬an Sara, unserer Mutter. Ihre Brüste wurden wie zwei Quellen geöffnet, und sie stillte sie alle. Aber noch immer räsonnierten sie und sprachen: Wenn Sara im Alter von 90 Jahren geboren hat (‫)תלד‬, sollte (womöglich) auch der hundertjährige Abraham gezeugt haben (‫ ?)יוליד‬Sofort wurde(n) die Züge des Angesichts Isaaks verwandelt (‫נהפך קלסתר‬ ‫ )פנים‬und glich(en dem) Abrahams (‫)ונדמה לאברהם‬. Sie alle öffneten (ihren Mund) und sprachen: ›Abraham zeugte (‫ )הוליד‬den Isaak‹ (Gen 25,19b).«

Dass Sara ihren Sohn Isaak stillte, setzt der auszulegende Text voraus. Innerhalb des Midraschs von R. Levi spiegelt sich dies in der Aussage, Abraham habe Isaak ent-

________________________ 41

Vgl. Stemberger, Einleitung, 104. Eine Parallele dazu findet sich in Tanch Toledot 3. 43 Hier steht ‫ גמל‬im Qal, während in Gen 21,8 ein Nifal gebraucht ist (‫ יגמל‬o.ä.): Isaak wird entwöhnt. 42

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wöhnt. Demgemäß geht es ihm, zumindest vordergründig, um die Deutung des Plurals der auszulegenden Schriftaussage Gen 21,7: »Sara stillt Kinder«. Das Räsonnement der ›Völker der Welt‹ bezieht sich aber von Anfang an auf beide, auf Sara und Abraham; letzterer ist dann auch der Zielpunkt der Auslegung von R. Levi. Dass es dem Rabbinen dabei vor allem um Abraham geht, wird durch zwei Beobachtungen untermauert: Während Abraham in dem zur Auslegung stehenden Schriftvers nur eine Nebenrolle spielt, ist er im Midrasch die Hauptperson44. Dies gilt entsprechend für die Kinder, mit denen es Abraham auf der einen und Sara auf der anderen Seite zu tun bekommen: Abraham mit Isaak, Sara mit den Kindern der Großen der Welt. Die Mutterschaft Saras wird den ›Völkern der Welt‹ mit einem Wunder bewiesen, das Gott zu Demonstrationszwecken an ihr vollbringt. Es liegt in der Konsequenz des im biblischen Text erzählten ursprünglichen Eingreifens Gottes zugunsten Saras, der ihr zur Schwangerschaft und damit zu der Fähigkeit, ihren Sohn zu stillen, verhalf45. In dem in bBM 87a erzählten Wunder geschieht dies nun in gesteigerter Form. Mit dem Wunder an Sara sind die Zweifel an Abrahams Vaterschaft aber noch nicht zum Schweigen gebracht. Das ihm geltende Wunder46 hat am biblischen Text keinen Anhalt: Die Gesichtszüge Isaaks werden verwandelt, so dass sie denen Abrahams gleichen. Das Wunder stimmt zwar im Grund-

________________________ 44

Er entwöhnt Isaak, veranstaltet das Gastmahl und lädt die Großen der Welt ein (Sara folgt ihm darin). Zudem mündet der Midrasch in das Abraham geltende Wunder, das mit der Aussage der ›Völker der Welt‹ in dem hier entscheidenden Schriftzitat kulminiert. 45 Mit bBB 119b–120a liegt im Talmud ein weiterer Text vor, der den Wundercharakter der Geburt eines Kindes durch eine alte Frau betont; hier ist es die 120-jährige Jochebed, die in diesem Alter Mose zur Welt bringt. 46 Vgl. das Verbum ‫נהפך‬, das hier ähnlich wie ‫ נעשה נס‬als passivum divinum zu verstehen ist.

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satz mit den bereits erörterten Abschnitten aus TPsJon, GenR und Tanch Toledot überein. Anders als dort wird Isaaks Gesicht hier jedoch erst nachgeburtlich beim Fest seiner Entwöhnung transformiert. Von der Größe des Wunders überwältigt, sehen sich die ›Völker‹ darum wider Willen genötigt zuzugestehen, worüber sie zuvor gespottet haben. Dies geschieht mit der Deklamation der Schriftstelle Gen 25,19b. Mit dem Wunder, das den ›Völkern der Welt‹ geschieht, wird ihnen eine einfache Antwort gegeben, die ausreicht, um ihre Zweifel zum Schweigen zu bringen47. Damit ist die Frage aber noch nicht geklärt, warum es, von Demonstrationszwecken einmal abgesehen, überhaupt eines Wunders bedurfte, damit Isaaks Aussehen dem Abrahams gleich wurde. Sein ursprüngliches Aussehen bleibt ein Rätsel und seine Herkunft darum ein Geheimnis. So ist die von R. Jehuda b. R. Simon in GenR und anderen Midraschim gegebene Antwort auch hier eine Denkmöglichkeit, ohne dass sie von R. Levi auch nur mit einer Silbe angedeutet würde. Seine Auslegung gibt aber Raum, mit dieser und ähnlichen Antworten gedanklich zu spielen. Polemisch gewendet, könnte dies bedeuten, dass die ›Völker‹ mit ihren Fragen nach der Vaterschaft Abrahams nur an der Oberfläche kratzen und sie über ihrer Faszination für das sichtbare Wunder zum eigentlichen Geheimnis gar nicht erst durchdringen. Unmittelbar im Anschluss an den erörterten Midrasch wird die von R. Levi den ›Völkern der Welt‹ in den Mund gelegte Antwort mit Hilfe einer weiteren Tradition redaktionell bekräftigt. Sie erhält dadurch eine Eindeutigkeit, die sie bei R. Levi noch nicht hat48:

________________________ 47

Hier scheint ein Beispiel für die in der rabbinischen Literatur auch sonst anzutreffende Darstellungsform vorzuliegen, die die Nichtjuden mit einer einfachen, ins Wunderhaft-Okkulte gehenden Antwort abspeist, die aber nicht die eigentliche Antwort ist. Vgl. R. Jochanan ben Sakkai und seine Antwort an die Nichtjuden auf der einen und an seine Schüler auf der anderen Seite in PRK 4,7.

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»Bis Abraham gab es kein Altern; wer mit Abraham sprechen wollte, sprach mit Isaak, und wer mit Isaak sprechen wollte, sprach mit Abraham. Da kam Abraham und flehte um Erbarmen, und das Altern entstand, denn es heißt: ›Abraham war alt geworden und wohlbetagt‹ (Gen 24,1)«49.

Im redaktionellen Zusammenhang gelesen50, kann nach diesem Text keine Rede davon sein, dass Abraham zu alt gewesen sein könnte, um einen Sohn zu zeugen, weil das Alter zu dieser Zeit noch gar nicht in die Welt gekommen war. Auch waren bis zum Flehen Abrahams Vater und Sohn einander zum Verwechseln ähnlich. In ihrem redaktionellen Zusammenhang stellen diese beiden Argumente sicher, dass sich die Ambiguität der Auslegung R. Levis zugunsten der Überzeugung auflöst, dass Abraham der leibliche Vater Isaaks war. (3) Schließlich sind hier noch diejenigen Traditionen aufzunehmen, für die Abraham fraglos der leibliche Vater Isaaks ist. Angesichts des hohen Alters sowohl Saras als auch Abrahams, das eine auf natürlichem Wege entstandene Schwangerschaft nicht mehr erlaubt, sehen diese Traditionen die Voraussetzung ihrer leiblichen Elternschaft in einem wunderhaften schöpferischen Gotteshandeln. Nach einigen Traditionen besteht die Notwendigkeit einer solchen Verjüngung allein für Sara, nach anderen bedurfte auch Abraham eines Wunders. Eine Erneuerung allein Saras geht aus einem Midrasch von R. Nechemja hervor51, demzufolge »der Heilige, gepriesen sei er, sie zu den Tagen ihrer Jugend zurückgeführt hat (‫«)שהחזירה הקדוש ברוך הוא לימי נערותה‬52.

________________________ 48

Vgl. ähnlich oben den Exkurs zu GenR 53,6. S. ähnlich bSanh 107b; Tanch Toledot, 6. 50 Davon bleibt unberührt, dass der Text eine Eigenaussage hat, die hier aber nicht zu erörtern ist. 51 R. Nechemja ist ein Tannait der 3. Generation; vgl. Stemberger, Einleitung, 93. 49

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Ähnlich bekam Sara nach R. Meir während des Besuchs des Boten Gottes bei Abraham in Mamre ihre Menstruation53, infolge derer sie fruchtbar wurde. Ohne dass dies in den beiden Midraschim ausdrücklich gesagt würde, ist mit der Verjüngung Saras zugleich die Voraussetzung für eine natürliche Vaterschaft Abrahams gegeben. Mit einem beiden Partnern gleichermaßen geltenden Wunder rechnet hingegen bBQ 97b, wo es in einer Baraita heißt: »Welche ist die Abraham-Münze? Ein Greis und eine Greisin auf der einen Seite, ein Jüngling und eine Jungfrau auf der anderen Seite«54.

Nach diesem Midrasch wurden Abraham und Sara verjüngt, von Greisen zu ganz jungen, noch unverheirateten Personen ohne sexuelle Erfahrung55. So an Leib und Gliedern erneuert, sind die beiden dann in der Lage, auf

________________________ 52

GenR 53,5; s. auch PesR 42,4. In bBM 87a wird die Verjüngung Saras in einer Gen 18,12 gewidmeten Auslegung von R. Chisda, einem babylonischen Amoräer der 3. Generation (vgl. Stemberger, Einleitung, 107), im Einzelnen beschrieben. 53 Vgl. die Deutung R. Ephrajims im Namen R. Meirs zu Gen 18,6 in bBM 87a. Meir ist ein Tannait der 3. Generation (vgl. Stemberger, Einleitung, 91), Ephrajim sein Schüler. Der Midrasch R. Meirs ist Teil einer bBM 86b–87a umfassenden Auslegungseinheit zu Versen aus Gen 18,1–15 sowie zu Gen 21,7. Die Auslegung R. Meirs ist reinheitshalachisch zugespitzt. 54 ‫זקן וזקנה מכן בחור ובתולה מכן‬. Diese durch ‫ תנו רבנן‬eingeleitete und so als Baraita kenntlich gemachte Tradition, die in tannaitische Zeit verweist, findet sich als Teil eines komplexen Midraschs auch in GenR 39,11 und wird dort von R. Berechja im Namen R. Chelbos tradiert, d.h. von Rabbinen der 4. bzw. 5. Generation palästinischer Amoräer; vgl. Stemberger, Einleitung, 109.111. S. ferner SER (5) 6 sowie zum Ganzen Aus, Conception, 60f. 55 Dass die Jungfräulichkeit Saras hier nicht in besonderer Weise betont wird – anders Aus, Conception, 60 –, erhellt aus der Tatsache, dass auch Abraham als ‫ בחור‬bezeichnet wird, d.h. als »young man, youth, unmarried« (Jastrow, 154f, s.v. 2).

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natürliche Weise den verheißenen Sohn zu zeugen bzw. zu empfangen56. Auf den bereits erwähnten R. Jehuda b. R. Simon57, dem zufolge Isaak durch den ‫ כבוד‬Gottes erschaffen wurde, wird bemerkenswerterweise zugleich eine Auslegung zurückgeführt, die die in bBQ 97b offen bleibende Frage nach dem Subjekt der Verjüngung von Sara und Abraham mit einem Hinweis auf Gott beantwortet58. So heißt es in GenR 48,19 in Auslegung von Gen 18,14: »Ist für den HERRN irgendeine Sache (‫ )דבר‬unmöglich?« »R. Judan b. R. Simon sagte: Dies gleicht einem, der zwei Ketten in der Hand hielt. Er brachte sie zu einem Schmied und sagte zu ihm: Kannst du mir sie reparieren? Er sagte zu ihm: Sie schaffen (‫ )לבראתן‬wie am Anfang kann ich, sollte ich sie dir (dann) nicht (auch) reparieren (‫ )לתקנם‬können? So (verhält es sich auch) hier: Sie (sc. Menschen) erschaffen (‫ )לבראתן‬wie am Anfang kann ich, sollte ich sie (dann) nicht (auch) zu den Tagen ihrer Jugend zurückführen können (‫«?)להחזירם‬

In Analogie zu reparaturbedürftigen Ketten wird die Verjüngung Abrahams und Saras mit der Erschaffung des Menschen im Anfang verglichen. Wenn Gott das eine im Anfang vermochte und bei der Hervorbringung jedes einzelnen Menschen auch weiterhin vermag, kann ihm das andere nicht unmöglich sein. Das Gotteshandeln wird hier somit als Schöpfungserneuerung interpretiert. So fügen sich auch die in diesem Abschnitt erörterten Traditionen in die für GenR 53 und TanchB beobachtete

________________________ 56

Die rabbinische Deutung steht hier in einer alten Auslegungstradition. So gehen auch Röm 4,19 und Hebr 11,11f davon aus, dass nicht nur Sara unfruchtbar war, sondern auch Abraham; vgl. dazu Lohse, Brief, 160, und Wolter, Brief, 307. 57 Er firmiert hier allerdings unter dem Namen R. Judan b. R. Simon; vgl. dazu Bacher, Agada, III 160, und Aus, Conception, 59. 58 Dies ist ein Beispiel für den nichtdogmatischen Charakter des Midrasch. In der Sache führt die Auslegung das oben zitierte Diktum R. Meirs aus GenR 53,5 weiter.

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Auslegungstendenz ein, die die Hervorbringung Isaaks ganz in der Schöpfermacht Gottes verankert sieht: Es ist Gott, der Abraham und Sara dazu befähigt, trotz ihres Alters ein Kind zu bekommen. Er transformiert den Leib, in GenR 53 (und implizit auch in TanchB) den Leib Saras im Kontext ihrer gnädigen Heimsuchung bzw. in bBQ 97b und GenR 48,19 den Abrahams und Saras, damit er seine biologischen Möglichkeiten ausschöpfen kann und dem verheißenen Sohn zum Leben verhilft. Diese Gemeinsamkeit gilt unbeschadet der fundamentalen Differenz, dass Isaak sich nach einigen Auslegungen von GenR 53,5f und Tanch B einer unmittelbaren Heimsuchung Saras durch Gott verdankt, nach anderen Traditionen dagegen einem durch das schöpferische Handeln Gottes wieder ermöglichten Koitus. Auslegungsgeschichtlich scheint es bemerkenswert, dass sich bei dem mittelalterlichen jüdischen Bibelkommentator Raschi das in GenR und bBM zu beobachtende spannungsvolle Nebeneinander der Erschaffung Isaaks durch Gott einerseits und seiner Zeugung durch Abraham andererseits ebenfalls zeigt. Raschi legt Gen 21,1 vergleichbar aus wie der mit R. Jehuda b. R. Simon in GenR 53,6 verbundene Midrasch. »›Bedachte Sara, wie ER gesagt (‫‹)פקד את שרה כאשר אמר‬, mit Mutterschaft; ›wie ER gesprochen (‫‹)כאשר דבר‬, mit der Geburt; und wo ist das Sagen, und wo ist das Sprechen? Das Sagen (17, 19): ›Gott sagte (‫)ויאמר‬, in Wahrheit, deine Frau Sara‹; das Sprechen (Gen 15,4), ›das Wort (‫ )דבר‬des Ewigen‹ erging an Abram, beim Bund zwischen den Stücken; dort steht, dieser wird dich nicht beerben, und ER brachte den Erben, der von Sara stammte (‫«)והביא היורש משרה‬59.

________________________ 59

Übersetzung im Anschluss an Bamberger, Pentateuchkommentar, 61 (die oben zwischen einfachen Anführungzeichen stehenden Wörter sind im Original teilweise fett gedruckt).

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Abraham kommt hier lediglich als Träger der Verheißung in den Blick. Das Sein Isaaks aber verdankt sich dem Handeln Gottes, der den Erben aus Sara hervorbrachte. Zu Gen 25,19 dagegen bietet Raschi zwei Auslegungen, die Abraham als Erzeuger Isaaks bestimmen60. Mit dieser Deutung ist Raschi ein später Zeuge für die seit dem Jubiläenbuch im hebräisch-aramäischsprachigen Judentum immer wieder zu beobachtende Deutung von Gen 21,1 auf das schöpferische Handeln Gottes an Sara. Angesichts der Breite der Überlieferung, die sich mit den Ursachen und den Umständen der Geburt Isaaks beschäftigt, stellt sich die Frage nach dem Grund für die Intensität der Diskussion. Die rabbinische Literatur sucht »konkrete historische Bezüge konsequent zu vermeiden«61. Deshalb ist es grundsätzlich mit Unwägbarkeiten verbunden, ihre Traditionen in konkreten geschichtlichen Auseinandersetzungen zu verorten. Aufgrund ihrer guten Bezeugung in Schriften beider Gemeinschaften62 lässt sich aber mit gutem Grund davon ausgehen, dass im Horizont der neutestamentlichen Vorstellung von der Jungfrauengeburt die Herkunft Isaaks zu den Streitpunkten zwischen Juden und Christen gehörte63. Dafür gibt es in den erörterten Texten einige Indizien. Das deutlichste ist die in diesem Zusammenhang im rabbinischen Schrifttum eingesetzte literarische Figur der ›Völker der Welt‹, die Abimelech bzw. Pharao als Vater

________________________ 60

Die erste erklärt, Abraham habe Isaak gezeugt, nachdem ihm der Namen Abraham gegeben worden sei; zur zweiten Antwort s.o. zu Tanch Toledot 1. 61 Morgenstern, Beobachtungen, 49. 62 Zur Rezeption von Gen 21,1 in der nachneutestamentlichen christlichen Tradition s.u. Kap. 7.1. 63 Vgl. hierzu Yuval, Völker, 95, sowie Morgenstern, Beobachtungen, 45–49.

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Isaaks behaupten64 und damit nicht nur die Vaterschaft Abrahams in Frage stellen, sondern darüber hinaus Isaak zu einem ›Bastard‹ machen. Die Hinterfragung der Vaterschaft Abrahams unter Hinweis auf die beiden Könige könnte eine christliche Reaktion auf die der rabbinischen Tradition und Celsus gemeinsame, vermutlich aus jüdischen Quellen schöpfende Überlieferung sein, Jesus sei ein ›Bastard‹ gewesen, bei dessen Vater es sich um einen gewissen Panthera handele65. Ist dies ein gewichtiges Argument für eine kontroverstheologische Verortung der Debatte um die Hervorbringung Isaaks, dann beginnen auch andere Aspekte der erörterten Texte eine deutlichere Sprache zu sprechen. Die Zurückweisung der Engel als Instanzen, die in einer wie auch immer gearteten Weise in die Hervorbringung menschlichen Lebens involviert sind, könnte ebenfalls in diese Richtung weisen. Die entsprechenden Deutungen würden sich dann gegen die – offenbar polemisch verzerrte – Rolle des Verkündigungsengels bei Lukas wenden. Analoges gilt Yuval zufolge für die Behauptung R. Jehudas b. Simon in GenR 53,6, Isaak sei durch den ‫כבוד‬ Gottes entstanden66. Damit verbände sich dann möglicherweise eine Zurückweisung der christlichen Lehre von der Jungfrauengeburt und der für sie essentiellen Rolle des heiligen Geistes. Demgegenüber bleiben die Auslegungen, die die Hervorbringung Isaaks auf die schöpferische Erneuerung Saras durch Gott zurückführen, im Grundsatz auf der Deutungslinie der alttestamentlichen Aqara-Geschichten, denen zufolge das Eingreifen Gottes zugunsten der unfruchtbaren Frauen eine natürliche Zeugung ermöglicht.

________________________ 64

Zu Abimelech s. auch oben Kap. 5 zu TPsJon, zu Pharao Morgenstern, Beobachtungen, 49. 65 Vgl. Schäfer, Jesus, 29–49.195–199, bes. 40f. S. ferner Brown, Birth, 534–542; Aus, Conception, 76–79, und Morgenstern, Beobachtungen, 50f. 66 Dazu s. auch unten Kap. 8.3.

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Kapitel 5

Auch dies lässt sich als Zurückweisung der christlichen Vorstellung der Jungfrauengeburt verstehen. Dass im Midrasch auch Abrahams Fruchtbarkeit in Frage steht, könnte ebenfalls kontroverstheologische Gründe haben. So könnte sich hierin nicht nur der erwähnte Einwand der ›Völker der Welt‹ gegen die Vaterschaft Abrahams widerspiegeln67, sondern sich damit zugleich die Absage an eine durch Gott selbst gewirkte Hervorbringung eines Menschen verbinden, die christlicherseits für Jesus behauptet wird. Auf diese mögliche kontroverstheologische Dimension der rabbinischen Isaak-Deutung wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.

________________________ 67

Vgl. in diesem Sinne GenR 53,6 (s.o. [1]).

Kapitel 6 Die Herkunft Isaaks bei Philo von Alexandrien

Philo von Alexandrien kommt auf die Entstehung Isaaks in drei Zusammenhängen zu sprechen, in QG 3,18, Leg 3,219 und Cher 40–52. Die Stellen haben ein sehr unterschiedliches Gepräge, doch gibt es auch Berührungspunkte. Dazu gehört die Überzeugung, dass Isaak nicht infolge einer natürlichen Zeugung geboren wurde, sondern infolge des Handelns Gottes. QG 3,18 beschäftigt sich ausgehend von Gen 16,1 mit der Frage, »warum Sara, die Frau Abrahams, ihm keine Kinder gebar«. Auf der Ebene der wörtlichen Auslegung (το` ρητο' ν) gibt Philo dazu zwei Erklärungen: Die Unfruchtbare ist die Mutter des Volkes, »erstens damit der Same der Nachkommenschaft als auf unbegreifliche Weise wunderbar gewirkt (παρα' δοξος ... θαυματουργηθειñσα) erscheine. Zweitens, damit das Empfangen und Gebären nicht so sehr durch das Zusammensein (συνουσι' α) mit einem Mann geschehe, sondern durch die Vorsehung Gottes1. Denn wenn eine unfruchtbare Frau gebiert, war es nicht ein Werk der Zeugung2, sondern der göttlichen Kraft (τηñ ς θε' ας δυνα' μεως ε» ργον)«.

________________________ 1

Vgl. Marcus, Philo. Supplement, I 203, Anm. a: »προνοι' α, or επιμελει' α, ; the Greek frag. from Cod. Barb. ap. Wendland has επιφροσυ' νη, , Procopius has επ ευφροσυ' νη.« 2 Nach Marcus, ebd., Anm. b, lautet die wörtliche Übersetzung des armenischen Textes: »›not of being in accordance with generation‹ (or ›offspring‹)«. Das griechische Fragment bietet hier ου γεννη' σεως ... (ε» ργον).

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Kapitel 6

Während die erste Begründung den übernatürlichen Charakter der Nachkommenschaft der unfruchtbaren Sara ins Zentrum stellt, geht es in der zweiten um die Betonung der Schöpfermacht Gottes. Bleibt es im ersten Teil der zweiten Deutung noch offen, ob trotz der Betonung der Vorsehung nicht doch zugleich an eine natürliche Zeugung gedacht ist, so wird dies in dem begründenden zweiten Satz strikt alternativ gedeutet: nicht durch Zeugung, sondern durch das Werk der Dynamis Gottes. Demnach versteht die zweite der von Philo vorgetragenen Erläuterungen die Hervorbringung Isaaks als Werk Gottes unter Ausschluss einer Beteiligung Abrahams3. In der Sache ähnlich argumentiert Philo in Leg 3,219, wo er das Sarawort Gen 21,6: »Ein Lachen hat mir der HERR geschaffen (εποι' ησε). Denn wer immer es hört, freut sich mit mir«, auslegt. Philo setzt das ›Lachen‹ mit der ›Freude‹ gleich und bestimmt »das ›er hat geschaffen‹« als »gleichbedeutend mit dem ›er hat gezeugt‹ (το` δε` ›εποι' ησεν‹ »ισον τω ñ, εγε' ννησεν)«4. Deshalb besage der Schriftvers Gen 21,6 eben dies: »den Isaak hat der HERR gezeugt ( Ισαα` κ εγε' ννησεν ο κυ' ριος)«. Begründet wird dies damit, dass Gott »der Vater der vollkommenen Natur ist5, der in den Seelen das Glücklichsein (το` ευδαιμνειñν) sät (σπει' ρων) und erzeugt (γεννω ñ ν)«. ›Isaak‹ ist darum das ›Lachen‹, weil ›Isaak – ‫ ‹יצחק‬im Hebräischen – die Bedeutung: »er wird lachen«, hat. Ein solches Lachen wird in Gen 17,17 von Abraham ausgesagt, in Gen

________________________ 3 Anschließend fährt Philo mit der allegorischen Deutung der Stelle fort. Zu Aufbau und Methode von QG 3,18 vgl. Böhm, Rezeption, 333f. 4 Philo rechnet diese Auslegung des Textes den »heiligsten Lehren (τελετα` ς ιερωτα' τας)« zu; s. ähnlich Cher 48. 5 Vgl. auch Cher 45. Entsprechend verkörpert Isaak nach Abr 52 die dem Menschen von Natur (φυσικηñ ς) beigelegte Tugend, während Abraham die durch Belehrung, Jakob die durch Übung erworbene Tugend symbolisiert. Zur Vollkommenheit Isaaks vgl. auch Sellin, Hagar, 77–80.

Philo von Alexandrien

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18,12–15 von Sara. Es ist ihre Reaktion auf die göttliche Verheißung der Geburt eines Sohnes im hohen Alter (§ 217f). Das Kind der beiden ist demgemäß »Lachen und Freude, denn das bedeutet ja Isaak« (§ 218). Ein ganz eigenes Profil hat der komplexe Abschnitt Cher 40–52. Während in § 45–47 ähnlich wie in QG 3,18 im Rahmen der wörtlichen Auslegung der Gedanke einer durch Gott veranlassten Schwangerschaft Saras begegnet, der auch hier mit der Schöpfermacht Gottes verbunden wird, thematisiert Philo in § 48–52 in allegorischer Deutung im Horizont seiner Sara-Deutung des Eingangsteils die Frage der Jungfräulichkeit. Dieser Abschnitt ist deshalb in der neutestamentlichen Forschung auf breites Interesse gestoßen6. Der Ausgangstext, der Cher 40–52 zugrunde liegt, ist Gen 4,1: »Adam aber erkannte (ε» γνω) seine Frau. Und sie empfing (συνε' λαβε) und gebar (ε» τεκε) den Kain und sprach: ›Ich habe durch Gott (δια` τουñ θεουñ ) einen Menschen erworben‹« (§ 40)7.

Auf diesen Text, konkret auf die Worte: »und gebar den Kain«, läuft Cher 40–52 insgesamt zu. Kain ist, allegorisch verstanden, ein Sprössling der Sinnlichkeit, die die Seele von einer Jungfrau zur Frau macht (§ 52)8. Dieser Gedanke ist bereits in § 40f vorausgesetzt: Da die Frau, bildlich gesprochen, die Sinnlichkeit (αι»σθησιν) repräsentiert, die Erkenntnis sich aber in der Abwendung von Sinnlichkeit und Körper (αισθη' σεως και` σω' ματος) zeigt,

________________________ 6

Vgl. u.a. Dibelius, Jungfrauensohn, 32–34; Grelot, La naissance, 565–568; Davies/Allison, Gospel, 201; Kügler, Pharao, 235f; Luz, Evangelium, 144, und Radl, Jungfrauengeburt, 706. 7 So die Wiedergabe des biblischen Textes durch Philo. 8 § 52 fährt fort: Als Sprössling der Sinnlichkeit ist Kain Brudermörder und als solcher verflucht, »ein nicht zu besitzendes Besitztum; denn Kain heißt ›Besitz‹«. Zur Deutung Kains als Besitz vgl. Holtz, Nichtigkeit, 135f.144 u.ö.

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weisen die Liebhaber der Weisheit (σοφι' ας εραστα' ς) die Sinnlichkeit zurück. Deshalb lasse der Gesetzgeber die tugendhaften Männer, namentlich Abraham, Isaak, Jakob und Mose, ihre Frauen nicht erkennen (γνωρι' ζοντας). Als Liebhaber der Weisheit sind sie ihnen in dem, wofür sie wirklich stehen, nämlich in den Tugenden, verbunden. So sind die Patriarchen mitsamt Mose Gegenbilder zu Adam, der »seine Frau erkannte (ε» γνω)«, und, von der Sinnlichkeit in Beschlag genommen, den Brudermörder Kain hervorbrachte. Im übergeordneten Zusammenhang geht es Philo mit der Absage an die leiblich vollzogene Zeugung darum, die tugendhaften Männer von der Sinnlichkeit zu trennen9. In § 43–47 entfaltet Philo das, was er in § 42 »göttliche Lehren« nennt. Sie betreffen die Empfängnis und die Geburtswehen der Tugenden. In § 43 rekapituliert Philo in sachlicher Aufnahme von Gen 4,1, wie die Erzeugung von Kindern vonstatten geht, um sich vor diesem Hintergrund sodann der Frage zuzuwenden, wie die Tugenden vollkommene Früchte hervorzubringen vermögen. Philo wechselt damit die Ebene und wendet sich der Erhebung der tieferen Bedeutung des biblischen Textes zu. Die

________________________ 9

In QG 4,154 sucht Philo in Erläuterung von Gen 25,20, wo berichtet wird, Isaak habe 40-jährig Rebekka zur Frau genommen, die mit zwei Kindern schwanger geworden sei (V. 21), diesen ebenfalls weitestmöglich von der Sinnlichkeit zu trennen, obgleich er hier davon ausgeht, dass Isaak Kinder gezeugt hat. Seine gewissermaßen salomonische Lösung zwischen der Aussage des biblischen Textes und seinen eigenen Überzeugungen lautet folgendermaßen: »For at this time it was not for the sake of irrational sensual pleasure (δι α» λογον ηδονη' ν) or with eagerness that he had intercourse with his wife but for the sake of begetting legitimate children, (and so) it was wholly appropriate that he should undertake marriage when the number of his years was the same as the number of days of the embryo in the womb« (zitiert nach der Übersetzung von Marcus, Philo. Supplement, I 438f). Zu der Vorstellung, der männliche Embryo verbringe 40 Tage im Mutterleib, vgl. ebd., 438, Anm. l, mit Verweis auf weitere Stellen bei Philo.

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negative Antwort, die er zunächst gibt, lautet: Vollkommenheit kann nicht einem sterblichen Mann entstammen. »Wenn sie (sc. die Tugenden) aber nicht von einem anderen Samen (γονη' ν) empfangen haben (δεξα' μεναι), werden sie niemals aus sich allein (εξ εαυτω ñ ν μο' νον) schwanger werden (κυη' σουσι)« (§43).

Deshalb lautet seine positive Antwort, dass Gott es ist, der das Gute sät (σπει' ρων), »der Vater (aller) Dinge, der ungewordene (αγε' νητος) Gott und Erzeuger (γεννω ñ ν) von allem. Nun sät dieser zwar, das eigene Gezeugte (το` γε' ννημα το` »ιδιον) aber, das er gesät hat, gibt er als Geschenk (δωρειñται). Denn Gott erzeugt (γενναñ, ) nichts für sich selbst (ουδε`ν αυτω ñ, ), da er keiner Sache bedarf, sondern alles für denjenigen, der zu empfangen (λαβειñν) nötig hat« (§ 44)10.

In den beiden zuletzt zitierten Textausschnitten beschreibt Philo die Hervorbringung der Früchte der Tugend in partieller Analogie zum menschlichen Zeugungsvorgang. Damit legt er zugleich die Wendung δια` τουñ θεουñ von Gen 4,1 aus: Gott allein ist es, der die Tugenden für andere hervorbringt. In § 45–47 führt Philo dazu den Schriftbeweis. Er verweist hier auf den hochheiligen Mose als unhinterfragbaren Zeugen. Damit wechselt er zugleich von der Allegorie zurück zum Literalsinn11. Ziel des Schriftbeweises

________________________ 10

Der letzte Satzteil lautet im Original: πα' ντα δε` τω ñ, λαβειñν δεομε' νω, . δεο' μαι kann auch die Bedeutung »bitten« haben, die hier insbesondere vor dem Hintergrund der biblischen Mütter-Erzählungen ebenfalls in Betracht kommt. 11 S. auch Dibelius, Jungfrauensohn, 32f: »Man hat beim Lesen den Eindruck, daß diese Beweisführung (sc. mit den vier Frauengestalten) unabhängig ist von der Deutung der Frauen auf die Tugenden ... Die Idee der göttlichen Zeugung mit diesen Frauen scheint von einem bestimmten Verständnis des Bibeltextes getragen zu sein, scheint aber nicht mit der Tugend-Allegorie zusammenzuhängen.« Ebenso Bligh,

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ist es, die Schöpfermacht Gottes, die Philo im Zusammenhang mit den Tugenden behauptet, aus dem Handeln Gottes an den Frauen der eingangs genannten Männer zu erweisen12. Sara wurde zu dem Zeitpunkt schwanger (κυ' ουσαν), als Gott sie, wie Philo Gen 21,1 paraphrasierend formuliert, »in ihrer Einsamkeit besuchte (μονωθειñσαν επισκοπειñ)« (§ 45). Sie gebar nun freilich nicht dem, der ihr den Besuch abstattete (τω ñ, τη` ν επι' σκεψιν πεποιημε' νω, ), sondern, wie es in Auslegung von Gen 21,2 heißt, dem Weisheitssucher Abraham. Die Schwangerschaft Saras wird von Philo damit unzweifelhaft auf Gott zurückgeführt, das Kind aber gehört Abraham. Als noch deutlicher sieht er den Fall bei Lea gelagert (§ 46). Von ihr heiße es, dass Gott ihren Schoß geöffnet habe (τη` ν μη' τραν ανε' ω, ξεν αυτηñ ς ο θεο' ς; Gen 29,3113). Lea habe aber, wie Philo er-

________________________ Galatians, 400, der hier von einer »ultra-literal interpretation of phrases in Genesis and Exodus« spricht, und Grelot, La naissance, 567, der auf die »silences de l’Ecriture« verweist, die Philo ausdeute; dabei betont er, dass die Schrift bei den vier Frauengestalten das Verbum γιγνω' σκω anders als in Gen 4,1 nicht verwendet. Grelot, ebd., 569, spricht Philos Deutung von Gen 21,1 aber ausdrücklich eine eigenständige Bedeutung ab: Die übernatürliche Hervorbringung Isaaks sei »exclusivement à cause de son utilité dans l’élaboration d’une doctrine relative à la fécondité de la vertu« behauptet. Angesichts von QG 3,18 und Leg 3,219 (vgl. ferner die in dieser Frage mehr oder minder deutlichen Philo-Texte, die Sellin, Hagar, 77–82, aufführt) ist jedoch davon auszugehen, dass die Deutung von Gen 21,1 in Cher keine Gelegenheitsaussage ist, sondern zum Grundbestand der Überzeugungen Philos gehört. Vgl. demgegenüber Philos gegensätzliche Deutung der Entstehung der Rebekka-Zwillinge hier und in QG 4,154 und dazu s.o. Anm. 9. 12 Dass Philo das göttliche Handeln nicht im Sinne eines physisch vollzogenen Zeugungsaktes versteht, ergibt sich aus seinem Gottesverständnis. Anders Norden, Geburt, 78: »Der hauptsächliche Inhalt« von Cher 40–52 »ist dieser: Gott steigt in den Schoß sterblicher Frauen hinab, um mit ihnen zu zeugen. Die Voraussetzung ihrer Jungfräulichkeit ist ihm ... gegeben«; ähnlich Dibelius, Jungfrauensohn, 43 (Zitat s.o. Kap. 2 [mit Anm. 14]).

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neut herausstellt, nicht Gott geboren, sondern Jakob14. Losgelöst vom Kontext lässt sich die Stelle zwar so lesen, da hier von einem Beischlaf Jakobs in der Tat nicht die Rede ist. Der weitere Kontext in Gen 29f widerrät einer solchen Deutung aber offenkundig15. Ebenso wird Rebekka Philo zufolge nicht von Isaak schwanger (§ 47), sondern »von dem, der« von Isaak »angefleht worden war (εκ τουñ ικετευθε' ντος)«, nämlich Gott. Auch hier geht der alexandrinische Exeget über den biblischen Text hinaus und gibt ihm eine Zuspitzung, die er in Gen 25,21 nicht hat. Dies gilt entsprechend für seinen vierten Belegtext, Ex 2,22, dem er entnimmt, dass Zippora »von keinem Sterblichen (εξ ουδενο` ς θνητουñ )«, sprich Mose, »schwanger wurde«, sondern, wie aus dem philonischen Kontext zu erschließen ist, durch die Wirkmacht Gottes. Auch wenn bei Philos Auslegung der vier Frauengestalten bereits die allegorische Deutungsebene anklingt16, so ist doch festzuhalten, dass seine Auslegung in § 45–47 dem Wortlaut der biblischen Texte gilt. Mag es, wie besonders das Beispiel Leas zeigt, auch eine interessengeleitete Deutung sein, so hat Philo doch ausschließlich Stellen ausgewählt, in denen kein Mann als Erzeuger erwähnt wird. In unserem Zusammenhang kommt es jedoch darauf an, dass mit Cher 45 ein weiterer Text vorliegt, in dem Gen 21,1 im Sinne einer göttlichen Hervor-

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Der Text der LXX lautet: η» νοιξεν τη` ν μη' τραν αυτηñ ς. Diese Aussage wird im Anschluss allegorisch gedeutet: Die Tugend empfange den göttlichen Samen vom göttlichen Urheber, sie gebäre aber einem ihrer Liebhaber. So zeigt sich hier die Verbindung von Literalis und allegorischer Deutung besonders deutlich. 15 Explizit erwähnt wird ein Koitus im Zusammenhang mit der Zeugung des fünften Lea-Sohnes (‫ וישכב עמה‬o.ä. / Προ' ς με εισελευ' ση, bzw. εκοιμη' θη μετ αυτηñ ς); vgl. Gen 30,15–17. 16 Philo flicht bei Lea, Rebekka und Zippora Hinweise auf die durch sie repräsentierte jeweilige Tugend ein; s. auch Dibelius, Jungfrauensohn, 33. Auffälligerweise fehlt ein solcher Hinweis bei Sara; dies könnte darin begründet sein, dass Philo die göttliche Hervorbringung Isaaks als Teil des Literalis versteht. 14

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bringung Isaaks aus Sara unter Ausschluss Abrahams gedeutet wird. Philo rechnet seine Auslegung der vier Frauengestalten zwar den Geheimnissen zu, die nicht »ausgeplaudert« werden dürfen (§ 48), doch belegen nicht nur QG 3,18 und Leg 3,219, sondern auch andere Texte aus dem Raum des antiken Judentums, dass seine Deutung der Sara-Geschichte nicht wirklich zu den esoterischen Geheimnissen zählt. Zu diesen Geheimnissen rechnet Philo des Weiteren die von ihm in § 48–52 entfaltete Thematik der Jungfräulichkeit, die er aus Jer 3,4 LXX herleitet17. Die Deutung dieser Stelle vollzieht sich im Unterschied zu seiner Auslegung der Frauengestalten ausschließlich auf der allegorischen Ebene, auf der es ihm zentral um die Jungfräulichkeit der Seele, d.h. um die durch keine Leidenschaften verunstaltete Seele, geht. Insofern trägt dieser Abschnitt nichts für das Verständnis der Hervorbringung Isaaks auf der Ebene des Wortsinns aus18. Wo Philo die Frage der Jungfräulichkeit mit dem konkreten Körper Saras verbindet, bezieht sie sich auf ihren menopausalen Leib: Gott habe nicht mit ihr gesprochen (διαλε' ξεται)19, bis sie alle Eigenschaften einer Frau verloren habe. Philo denkt dabei an Gen 18,11, wo es heißt, es gehe Sara nicht mehr nach der Frauen Weise. Damit sieht er sie zur »Stellung einer reinen Jungfrau (αγνευου' σης παρθε' νου τα' ξιν)« zurückgekehrt (Cher 50). So haben Philos Aussagen nicht einmal hier, wo er es unternimmt, die Jungfräulichkeit Saras physisch-leiblich zu bestimmen, etwas mit dem üblichen Verständnis einer Jungfrau

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Dieser Abschnitt wird in § 48–49 mit einer ausführlichen Reflexion auf die Geheimnisse der Mysten eröffnet. 18 Dies gilt entsprechend für die weiteren von Dibelius, Jungfrauensohn, 43, im Zusammenhang mit Cher 40–52 diskutierten Stellen (Cong 7; QE 2,3; Somn 2,185), die Jungfräulichkeit o.ä. allesamt allegorisch auslegen. 19 Die Übersetzung von Cohn u.a., Philo, 3 185, Gott habe mit Sara »verkehrt«, ist missverständlich.

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zu tun20. Seine vermeintlich biologischen Aussagen zur Jungfräulichkeit Saras sind – im Rahmen einer allegorischen Auslegung – von seiner Perzeption der Seele her konzipiert, die wieder zur Jungfrau werden kann. Insgesamt aber spielen die Jungfrau und die Jungfräulichkeit in den philonischen Texten, die auf die Mutterschaft Saras und die Entstehung Isaaks bezogene Fragen erörtern, eine nur marginale Rolle21. Entscheidend ist in den drei erörterten Zusammenhängen der Gedanke, dass Isaak das Werk Gottes ist. Philo drückt dies unterschiedlich aus. Dabei kann er auch vom Säen und Zeugen Gottes reden. Dass dies metaphorische Sprache ist, versteht sich angesichts des philonischen Gottesdenkens von selbst. Die in Cher in diesem Zusammenhang begegnende Rede von der Jungfrau (παρθε' νος) und der Jungfräulichkeit (παρθενι' α) ist ein Grenzgedanke, der auf das Gegenüber Gottes reflektiert, dem sein schöpferisches Handeln gilt. Bei diesem Gegenüber geht es um die Seele, sofern es sich bei ihr um die »unbefleckte, unberührte und reine Natur« handelt22. Für diese Seele sind Jungfrau und Jungfräulichkeit Metaphern, die ihr Wesen und ihre Funktionsweise verdeutlichen. Vor diesem Hintergrund ist der philonische Diskurs über die Jungfrau und die Jungfräulichkeit in Cher 48–52 kaum als geeignetes religionsgeschichtliches Vergleichsmaterial zur neutestamentlichen Vorstellung der Jungfrauengeburt zu betrachten, als welches es in der Forschung vielfach herangezogen wird23. Anders verhält es

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Die Sara betreffenden Aussagen dienen in diesem Zusammenhang ausschließlich der Verdeutlichung des Umgangs Gottes mit der Seele. Auch ihr quantitatives Gewicht ist in Philos Aussagen zum Thema Jungfrau und Jungfräulichkeit in Cher 48–52 gering. 21 Vgl. dazu auch Sellin, Hagar, 81f. 22 Vgl. § 50: αμια' ντω, ... και` αψαυ' στω, και` καθαραñ, φυ' σει. Nach § 51 kann die παρθε' νον ψυχη' ν durch zügellose Leidenschaften befleckt (μιανθειñσαν) werden. 23 Dazu s.o. Kap. 2.

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sich mit Cher 45–47, QG 3,18 und Leg 3,219, die als aussagekräftige Parallelen zur Frage der Herkunft Jesu zu beurteilen sind. Gemeinsam ist diesen drei Stellen die schöpfungstheologische Deutung der Entstehung Isaaks. Wie Jesus, insbesondere nach der Darstellung des Lukas24, verdankt sich Philo zufolge auch Isaak der schöpferischen Macht Gottes.

________________________ 24

Vgl. dazu Holtz, Wort, Kap.2.

Kapitel 7 Die frühchristliche Deutung von Gen 21,1

Abgesehen von den impliziten Bezugnahmen in Lk 1 wird die Herkunft Isaaks in der christlichen Literatur des 1. und 2. Jh.s außerdem im Galaterbrief und im Protevangelium Jacobi im Blick auf Personen thematisiert, die dem christlichen Heilsgeschehen zugeordnet sind, im Galaterbrief als Analogon zur Herkunft der Glaubenden, im Protevangelium als Analogon zur Hervorbringung Marias. Auffallend dabei ist, dass die Beanspruchung der Genesis-Erzählung für das christliche Narrativ in beiden Schriften im Kontext einer Auseinandersetzung mit jüdischer Selbstdefinition zu stehen kommt, im Galaterbrief im Gegenüber zu dem durch Hagar und Ismael repräsentierten Judenchristentum der galatischen Lehrer, im Protevangelium zu dem insbesondere durch einen gewissen Rubel repräsentierten Judentum. 7.1 Isaak als Sohn Saras nach der Verheißung bzw. nach dem Geist im Galaterbrief In Teilen der Forschung wird Gal 4,21–31 als ein weiterer Beleg für die Deutung von Gen 21,1f auf die Hervorbringung Isaaks durch Gott angesehen. Im Kontext seiner allegorisch-typologischen Auslegung des Hagar-SaraStoffes in Gal 4,21–31 qualifiziert Paulus die Söhne der beiden Frauen u.a. ihrer Herkunft nach. Der eine, Ismael, »wurde aus der Magd nach dem Fleisch gezeugt (κατα` σα' ρκα γεγε' ννηται)«, wohingegen der andere, Isaak, »aus der Freien aufgrund einer Verheißung (δι επαγγελι' ας)« hervorgebracht wurde (V. 23). In V. 29 wird diese unter-

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schiedliche Herkunft auf den Gegensatz von κατα` σα' ρκα und κατα` πνευñ μα gebracht. Es besteht ein Konsens darüber, dass die Zeugung Ismaels κατα` σα' ρκα die natürliche Zeugung des Erstgeborenen Abrahams meint, die er mit allen anderen Menschen teilt. Demgegenüber werden die paulinischen Aussagen zum Ursprung Isaaks in der Forschung unterschiedlich gedeutet. Neben denjenigen, die sich zu dieser Frage nicht äußern1, stehen diejenigen, die δι επαγγελι' ας und κατα` πνευñ μα mehr oder weniger deutlich entweder auf eine durch das Eingreifen Gottes ermöglichte natürliche Zeugung Isaaks deuten2 oder aber dessen Ursprung in einem Gotteshandeln unter Ausschluss Abrahams sehen3. Diese gegensätzliche Beurteilung des Problems hat

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Vgl. Betz, Galatians, 242.249, und Vouga, Galater, 116.119. Vgl. Schlier, Brief, 217; Mußner, Galaterbrief, 318 (»der bejahrten Sara ... wohnte der selbst bejahrte Abraham bei aufgrund einer ausdrücklichen, unglaublich klingenden Verheißung Jahwes«); Rohde, Brief, 95 mit Anm. 23; Longenecker, Galatians, 208 (»the antithesis« zwischen den beiden Geburten »is not one of mutual exclusion«, also keine »›virgin birth‹«); Dunn, Epistle, 247; Lémonon, L’épître, 160; Boer, Galatians, 293 (»There is no hint in the Genesis text or in Paul’s summary of it that the conception of Isaac did not involve or require the sexual union of Abraham and Sarah. The point is the miraculous nature of Isaac’s begetting and birth«; zu Gen 21 s. aber oben Kap. 2), und Moo, Galatians, 308, der unter Hinweis auf Röm 4,17 Gott als denjenigen charakterisiert, »who enabled him (sc. Abraham) and Sarah to produce offspring«. 3 Dibelius, Jungfrauensohn, 29–32; Oepke, Brief, 148; Kügler, Pharao, 234f; Radl, Jungfrauengeburt, 706, und Lietzmann, Römer, 30, der für Ismael von einer natürlichen Zeugung ausgeht, für Isaak dagegen davon spricht, dass er »wunderbar auf Grund einer Verheißung ... geboren« wurde, und ähnlich Martyn, Galatians, 435, der vom Geist als der »power that produced the birth of Isaac« spricht (zu Martyn s. auch unten Anm. 5 und 15). Die beiden zuletzt genannten Autoren äußern sich aber nicht explizit zur Rolle Abrahams. S. ferner Sellin, Hagar, 64: »Die Geburt Isaaks ist als δι επαγγελι' ας geschehene ein Wunder. Diese Kategorie sprengt die genealogische Zugehörigkeit auf«; vgl. ferner ebd., 79: »Isaaks übernatürliche Hervorbringung ... 2

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seinen Grund nicht zuletzt darin, dass Paulus an der Frage kein eigenständiges Interesse hat und sie darum nicht explizit bearbeitet. Doch gibt der Text, im Kontext des corpus paulinum gelesen, genügend Hinweise darauf, dass Paulus die Hervorbringung Isaaks in Gal 4 ausschließlich auf das Handeln Gottes zurückführt. Die antithetische Gegenüberstellung von κατα` σα' ρκα auf der einen und δι επαγγελι' ας bzw. κατα` πνευñ μα auf der anderen Seite ist ein erstes Argument dafür, die Hervorbringung Isaaks im Gegensatz zur fleischlich-leiblichen Zeugung Ismaels nicht-fleischlich zu verstehen, und d.h.: sie ausschließlich in der Wirksamkeit Gottes zu verankern4. Denn rein logisch ist der Gegensatz zu einer natür-

________________________ ist die Pointe in Gal 4,21–31«, sowie ebd., 82: »Isaak ist der transnatürliche Abrahamsproß, das Geschlecht der pneumatisch gezeugten Kinder«. Im Anschluss an Sellin spricht Wick, Jerusalem, 330f, für Isaak von einer Abstammung »nach der Verheißung und nach dem Geist..., die nicht genealogisch ist«. Ebd., 333, heißt es mit Blick auf Gen 21,1f: »Deshalb ist Isaak nicht nach dem Fleisch gezeugt, sondern nach dem Geist. Auch deshalb eignet er sich als Vorläufer des Sohnes Gottes, der, von Gott gesandt, von einer Frau geboren worden ist (vgl. Gal 4,4)«. Bligh, Galatians, 398–400, nennt drei Gründe (vgl. Vv. 23.27.29 und dazu s. im Folgenden) »for thinking that ... Abraham did not generate physically by intercourse with Sarah« (hier: 398) und hält diese »prima-facie«-Deutung (ebd., 400) auch aufgrund von Philos Text Cher 43–47 für möglich, um seine diesbezüglichen Erwägungen dann jedoch unter Hinweis auf Röm 4,19f aufzugeben (s. ähnlich Brown, Birth, 524, jedoch unter Hinweis auf Röm 9,8f). Bligh ist jedoch entgegenzuhalten, dass Paulus auch sonst ein und dieselbe Schriftstelle unterschiedlich auslegen kann. So deutet er etwa die Nachkommensverheißung von Gen 17 in Gal 3 auf Christus und in Röm 4 auf Juden und Heiden. Daher besagt seine Auslegung des Abraham-Stoffes in Röm 4 wenig für Gal 4. Auffällig ist in diesem Zusammenhang zudem, dass in der späteren Tradition mit R. Jehuda b. Simon ein und derselbe Rabbine die Hervorbringung Isaaks sowohl auf die Erneuerung von Abraham und Sara durch Gott als auch auf ein exklusives Gotteshandeln an Sara zurückführen kann (dazu s.o. Kap. 5.2). 4 S. ähnlich Dibelius, Jungfrauensohn, 30.

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lichen Zeugung eine nicht-natürliche Zeugung, und d.h. im Kontext von Gal 4 eine allein im Handeln Gottes begründete Hervorbringung. Auch unabhängig von dieser formallogischen Schlussfolgerung weisen die beiden Wendungen δι επαγγελι' ας und κατα` πνευñ μα in diese Richtung. Die Wendung δι επαγγελι' ας wird bereits in Gal 3,18 gebraucht. Hier heißt es, Gott (ο θεο' ς) habe dem Abraham das Erbe »durch die Verheißung (δι επαγγελι' ας)« geschenkt. Subjekt der Verheißung ist Gott. Dieser und kein anderer hat sie ihm einst gegeben und sie später auch realisiert. Demgemäß ist für Gal 4,23 folgendermaßen zu formulieren: »Im Unterschied zu dem auf natürliche Weise gezeugten Ismael verdankt er (sc. Isaak, der κατα` πνευñ μα Entstandene) seine Existenz Gott selbst (δι επαγγελι'ας)«5.

Damit ist zwar nicht bewiesen, dass im Sinne des Paulus Gott allein, ohne Zutun Abrahams, die Hervorbringung Isaaks ins Werk gesetzt hat, ein wichtiges Indiz ist es aber allemal. Dies gilt umso mehr, als nicht nur die alttestamentliche Tradition um den Machtcharakter des göttlichen Redens weiß6, sondern auch Paulus selbst7. Deutlicher noch stellt sich die Sache in Bezug auf die Rede vom πνευñ μα dar. Wie bei Paulus auch sonst verschiedentlich ist der Geist hier als die göttliche Macht verstanden, die Leben schafft8. Die in der Forschung ver-

________________________ 5

Sänger, Sara, 230, der ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen Gal 3,18 und 4,23 verweist. Entsprechend gibt Martyn, Galatians, 434, δι επαγγελι' ας mit »›by the power of the promise‹« wieder und paraphrasiert die Wendung ebd., 436, folgendermaßen: »God was the central actor in the birth of Isaac, that event taking place by the power of God’s promise«. 6 Vgl. Gen 1,3 u.ö.; Jes 40,5.8; 55,11 und dazu Holtz, Wort, Kap. 2. 7 Vgl. 1Kor 1,18; Röm 1,16 und dazu Holtz, Wort, Kap. 3. 8 Vgl. bes. Röm 8,11; 1Kor 15,45; 2Kor 3,6. Lebensmacht ist ferner die göttliche δυ' ναμις (1Kor 6,14; 2Kor 13,4); in Röm 1,4 sind die beiden Begriffe miteinander verbunden.

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tretene Auffassung, dass der Gegensatz von κατα` σα' ρκα und κατα` πνευñ μα in Gal 4,29 ebenso wie in Röm 8,4f.12f primär ethisch konnotiert sei und den anthropologischen Gegensatz einer der Sünde unterworfenen Existenz im Unterschied zu einer von Gott bestimmten Existenz ins Zentrum rücke9, ist zurückzuweisen. Dieser These steht zunächst die Tatsache entgegen, dass der Gegensatz κατα` σα' ρκα – κατα` πνευñ μα in V. 29 die Antithese κατα` σα' ρκα – δι επαγγελι' ας in V. 23 aufnimmt, mit der Paulus den Duktus der Erzählung von Gen 16–21 auf den Punkt bringt, in der sicher keine Abwertung der natürlichen Geburt Ismaels vorliegt. Mit Röm 9,8 liegt zudem eine Parallele vor, in der die Begriffe σα' ρξ und επαγγελι' α in einem verwandten Kontext nicht anthropologisch-ethisch gebraucht sind: Nicht die Kinder des Fleisches (τα` τε' κνα τηñ ς σαρκο' ς) sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung (τα` τε' κνα τηñ ς επαγγελι' ας) werden als Same anerkannt10. Dass es Paulus in Gal 4,29 mit der Gegenüberstellung von κατα` σα' ρκα und κατα` πνευñ μα zentral um zwei gegensätzliche Formen der Herkunft geht, die nur sekundär auch anthropologisch-ethisch ausgedeutet werden, wird zudem durch Röm 1,3f gestützt, einen Text, der in der Auslegung in diesem Zusammenhang überraschenderweise kaum eine Rolle spielt. Hier steht κατα` σα' ρκα ebenfalls in Verbindung mit einem Verb, das den Zeugungsgedanken umschreibt (γι' νομαι), und wird auch hier im Gegenüber zu κατα` πνευñ μα gebraucht11. Dabei be-

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Vgl. u.a. Grelot, La naissance, 475f; Mußner, Galaterbrief, 318 (κατα` σα' ρκα bleibt für Ismael »von dauernder Bestimmtheit«); Betz, Galatians, 249 (»dualism of flesh and Spirit«); Dunn, Epistle, 246 (»As usual in Paul, the phrase ›in accordance with the flesh‹ has a negative ring«), und Schreiner, Galatians, 299 (»what human beings are in Adam«); s. ferner ebd., 305, sowie Harmon, Gospel, 200. Vgl. aber Martyn, Galatians, 254, Anm. 175, und Boer, Galatians, 292f.306. 10 Im Hintergrund steht Gen 21,12. 11 Vgl. auch die die Satzstruktur betreffenden Übereinstimmungen

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zeichnet κατα` σα' ρκα die irdisch-leibliche und also natürliche Herkunft Jesu, nämlich seine Abstammung aus dem Samen Davids, während κατα` πνευñ μα, durch αγιωσυ' νης näher bestimmt, das schöpferische Handeln Gottes im Akt der Auferweckung Jesu von den Toten umschreibt. Röm 1,3f ist für das Verständnis von Gal 4,23.29 aber noch aus einem zweiten Grund von Bedeutung. Unfruchtbarkeit und Tod sind im Alten Testament eng miteinander verbunden. Deshalb konnte eine »miraculous birth from a barren woman... aptly be associated with resurrection from death«. Was im Jesajabuch nur angedeutet ist, »is fully developed by Paul«12. Neben Röm 1,3f ist hier besonders Röm 4,17–25 wichtig13, wo die Überwindung der Unfruchtbarkeit Abrahams und Saras das Gottesprädikat: »der die Toten lebendig macht und das Nicht-Seiende ins Sein ruft« (V. 17), entfaltet. Auch vor diesem Hintergrund kann κατα` πνευñ μα als eine sachgemäße Umschreibung sowohl für die Überwindung der Unfruchtbarkeit Saras als auch für die Auferstehung Jesu von den Toten gelten. In beidem gleichermaßen artikuliert sich die schöpferische Macht Gottes. Die Gegenüberstellung κατα` σα' ρκα γεννηθει' ς und κατα` πνευñ μα steht im aktualisierend-applikativen Schlussteil von Gal 4,21–31. In V. 28 werden die Galater von Paulus als »Kinder der Verheißung nach der Art Isaaks (κατα` Ισαα` κ επαγγελι' ας τε' κνα)« bezeichnet. Dem entspricht in V. 29 die Zeugung κατα` πνευñ μα, die in Gegensatz zu einer solchen κατα` σα' ρκα gestellt wird14: Wie einst

________________________ zwischen dem Gal 4,29 aufnehmenden V. 23 und Röm 1,3: τουñ γενομε' νου εκ σπε' ρματος Δαυι` δ κατα` σα' ρκα (v3) und ο με` ν εκ τηñ ς παιδι' σκης κατα` σα' ρκα γεγε' ννηται (Gal 4,23); diese Langform ist in v29 auf ο κατα` σα' ρκα γεννηθει' ς verkürzt. 12 Jobes, Jerusalem, 314. 13 Vgl. dazu ebd., 314f. 14 κατα` Ισαα' κ (V. 28) steht also »in Opposition zu κατα` σα' ρκα ... und wird in V.29 mit κατα` πνευñ μα wiedergegeben« (Sellin, Hagar, 71).

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Isaak, der aus der Macht des Geistes Gottes Gezeugte, von dem natürlich-fleischlich Gezeugten verfolgt wurde, so jetzt die gleichermaßen aus dem Geist gezeugten Galater. In Verbindung mit V. 28 erweist sich κατα` πνευñ μα in V. 29 m.a.W. als Variation von δι επαγγελι' ας (V. 23), mit der sich keine das Grundsätzliche betreffenden inhaltlichen Verschiebungen verbinden15. Die Galater haben nach Gal 3,2.5.14; 4,6 den endzeitlichen Geist empfangen und sind in diesem Sinne wie Isaak kraft des Geistes ›gezeugt‹. κατα` πνευñ μα ist daher im Duktus der Argumentation zwar ein mit Blick auf die Adressaten eingeführtes Interpretament von δι επαγγελι' ας; das heißt aber nicht, dass die Wendung nicht auch mit Blick auf Isaak den Modus des göttlichen Handelns δι επαγγελι' ας verdeutlichen und seine Herkunft nicht anders als die der Galater als der Kinder der Verheißung ausschließlich auf das schöpferische Handeln Gottes im Geist zurückführen sollte. Damit ist sicher nicht zweifelsfrei erwiesen, dass Abraham nach paulinischem Verständnis an der Hervorbringung Isaaks keinen Anteil hat. Angesichts von Röm 1,4; 8,11 und 1Kor 6,14 fällt es allerdings schwer anzunehmen, Gott könnte im Sinne des Paulus sein pneumatischdynamistisches Schöpferhandeln, das bei der Auferweckung Jesu und der Glaubenden ein exklusiv göttliches Handeln ist, bei der Hervorbringung Isaaks κατα` πνευñ μα im Sinne des Paulus mit Abraham geteilt haben, zumal auch die Zeugung der Galater als Glaubender ein exklusiv theonomer Akt ist.

________________________ 15

Vgl. auch Martyn, Galatians, 435: »Paul equates the Spirit whom God has sent into the Galatians’ hearts (4:6) with the powerful promise by which God caused Isaac to be born«, sowie ebd., 444. S. ferner ebd., 452, wo Martyn für Gen die »physical union« zwischen Abraham und Hagar als »a human act rather than a divine one« beschreibt. Paulus habe dies auf eine »contemporary reality« übertragen, die er mit »polarized phrases« umschreibe, nämlich »›by the power of the flesh‹ and ›by the power of the promise/the Spirit‹«.

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Das entscheidende Argument aber verbindet sich mit der von Paulus in Gal 4,27 wörtlich zitierten Schriftstelle Jes 54,1 LXX16: »Freue dich, Unfruchtbare, die nicht gebiert, brich aus in Jubel und jauchze, die Wehen nicht kennt; denn zahlreicher sind die Kinder der Einsamen (τηñ ς ερη' μου) als die derjenigen, die den Mann hat«.

Dieses in seinem ursprünglichen Kontext auf das zerstörte Jerusalem bezogene Schriftwort ist in seinem neuen Zusammenhang die literarische Quelle für die These V. 26, dass das ›obere Jerusalem‹, das ›frei‹ ist, Sara, ›unsere Mutter‹, ist17. Damit ist Jes 54,1 ebenso sehr eine Aussage über das himmlische Jerusalem wie über Sara18. Unter dieser Voraussetzung aber ist es exegetisch fragwürdig, nur den Wandel von der Unfruchtbarkeit zur Mutterschaft für Sara in Anspruch zu nehmen19, die weiteren Bestimmungen des Zitates aber, insbesondere die Aussage: (πολλα` τα` τε' κνα) τηñ ς ερη' μου μαñ λλον η» τηñ ς εχου' σης το` ν α» νδρα, zu ignorieren20. Dies gilt umso mehr, als die zweite Hälfte dieses Zitatausschnitts im Kontext von Gal 4,21–31 mit Hagar ebenfalls eine Referenzgröße

________________________ 16

In einigen Arbeiten aus jüngerer Zeit wird die Bedeutung von Jes 54,1 für die paulinische Interpretation der Hagar-Sara-Geschichte deutlich herausgestellt; vgl. bes. Martyn, Galatians, 441f; Boer, Quotation, 384–389; Willits, Isa 54,1, 201; Harmon, Gospel, 197–199, und Moo, Galatians, 294.306. 17 Vgl. Boer, Quotation, 379f, und Willits, Isa 54,1, 201. 18 Vgl. Schlier, Brief, 225; Betz, Galatians, 249; Rohde, Brief, 201; Dunn, Epistle, 255; Boer, Quotation, 378, und Moo, Galatians, 307f; anders McHugh, Mother, 319. 19 Vgl. Schlier, Brief, 225; Betz, Galatians, 249; Rohde, Brief, 202, und Dunn, Epistle, 255. 20 Moo, Galatians, 307, bezieht τηñ ς εχου' σης το` ν α» νδρα zwar auf Hagar, die in Gen 16,3f als Frau beschrieben werde, »who both has sex with Abraham and who marries him«, erörtert aber τηñ ς ερη' μου nicht, obwohl er ebd., 306, Jes 54,1 als die »lens« charakterisiert, durch die Paulus die Hagar-Sara-Geschichte interpretiere.

Paulus

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hat21. Damit ist das Zitat nicht nur auf den unmittelbar vorausgehenden Vers zu beziehen, sondern auf den ganzen ihm vorausgehenden Zusammenhang. Dessen antithetische Struktur spiegelt sich im Zitat in dem Gegensatz von ›Einsamer‹ und ›jener, die den Mann hat‹, wider. Vor diesem Hintergrund lässt sich mit Dibelius in der Tat formulieren: »Dann ist also Sara nicht die, ›die den Mann hat‹, sondern die Einsame, der Isaak κατα` πνευñ μα zuteil geworden ist. Und damit ist die physische Vaterschaft Abrahams nahezu geleugnet«22.

Die vorgetragene Deutung wird durch den religionsgeschichtlichen Kontext gestützt. Paulus steht mit der Charakterisierung Saras als ›Einsamer‹, die ohne Mann allein dank der Schöpfermacht Gottes Kinder bekommt, im antiken Judentum nicht allein. Er scheint vielmehr an einer Auslegungstradition zu partizipieren, die Sara im Kontext der Entstehung ihrer Schwangerschaft als ›einsam‹ weiß. Philo spricht, wie gesehen, ausdrücklich davon, dass Gott Sara in ihrer Einsamkeit besucht habe (μονωθειñσαν επισκοπειñ; Cher 45). In Jub 16 fehlt eine solche Formulierung zwar, doch deutet die Art der Paraphrase von Gen 21 darauf hin, dass der Verfasser eben dies zum Ausdruck bringen wollte: dass Sara in dem Sinne allein war, dass Abraham nicht anwesend war, als Gott sie besuchte »und an ihr tat, wie er es gesagt hatte«. In Vorwegnahme des in Kap. 7.2.2 Entfalteten ist zudem darauf hinzuweisen, dass Jes 54,1 bereits bei Philo und später in der frühchristlichen Diskussion wie auch im rabbinischen Judentum sowohl in polemischen Zusammenhängen als auch im Kontext der Debatte um die

________________________ 21

Vgl. Longenecker, Galatians, 215; Boer, Quotation, 380; Willits, Isa 54,1, 201, und Moo, Galatians, 307. 22 Dibelius, Jungfrauensohn, 30; s. auch Kügler, Pharao, 234.

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durch Gott überwundene Unfruchtkeit Saras Verwendung findet. Somit ist festzuhalten, dass Paulus die Hervorbringung Isaaks in Gal 4 mit einiger Wahrscheinlichkeit exklusiv auf die Macht des Wortes der göttlichen Verheißung bzw. auf die Macht des Geistes Gottes zurückgeführt wissen will. Ohne dass er es eigens hervorheben würde, heißt dies implizit aber zugleich, dass der Sohn Saras ohne Zutun Abrahams hervorgebracht wurde. Es handelt sich bei dieser Feststellung um eine Schlussfolgerung, die der Text nahelegt, wenn man ihn unter dieser Perspektive befragt. Paulus selbst geht es dabei genau so wenig wie den erörterten jüdischen Autoren um eine ›jungfräuliche‹ Hervorbringung Isaaks aus Sara23, sondern um das schöpferische Handeln Gottes, das sich in der spezifischen Zuspitzung, die er ihm gibt, durch seinen Geist vollzieht. Ähnlich steht die schöpferische Macht Gottes auch in den von Paulus in Gal 4,21–31 verarbeiteten biblischen Texten im Zentrum. Dies gilt für die unfruchtbare Sara in Gen 15–21 nicht anders als für die unfruchtbare Stadt in Jes 5424.

________________________ 23 24

Vgl. auch Grelot, La naissance, 484–486, und dazu s.o. Kap. 1. Zu Jes 54 vgl. Jobes, Jerusalem, 309, und Willits, Isa 54,1, 195.

Protevangelium Jacobi

7.2

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Der Sara-Abraham-Stoff im Protevangelium Jacobi

7.2.1 Der Sara-Abraham-Stoff als Interpretament der Empfängnis Annas in ProtEvJac 1–6 Das vermutlich auf einen judenchristlichen Verfasser zurückgehende Protevangelium Jacobi25 handelt in den Eingangskapiteln von dem lange gehegten Kinderwunsch Annas und Joachims, der sich schließlich mit der Geburt Marias erfüllt. Die Freude darüber artikuliert sich in einer Feier zu Marias erstem Geburtstag (1–6). Diese Kapitel weisen eine Reihe von Bezügen zu dem bislang erörterten Material auf. Neben einer auffällig intensiven Rezeption von Elementen aus Gen 21,1–8 und einer Anspielung auf Jes 54,1 ist v.a. das hier als Gnade gedeutete Handeln Gottes zu nennen, der dem alten Paar ein Kind verschafft. Hinzu kommen auffällig dichte motivische Übereinstimmungen mit bBM 87a und TanchB Wajjera 32. So stellt sich im Kontext dieser Untersuchung die Frage, wie der Verfasser Gen 21,1–8, insbesondere die Heimsuchung Saras durch Gott, verstanden hat. Dies ist angesichts der Art und Weise, in der Gen 21 im Protevangelium Jacobi literarisch verarbeitet ist, nur im Verbund mit der Klärung des Verständnisses der Empfängnis Annas möglich. Dazu werden im Folgenden die für diese Frage relevanten Aussagen des Textes nachgezeichnet. Joachim, ein sehr reicher Mann, wird von einem gewissen Rubel, einem Juden, dafür kritisiert, dass er seine Opfergaben als erster darbringen will, obwohl er »keinen Samen in Israel geschaffen« hat (σπε' ρμα ουκ εποι' ησας εν τω ñ, Ισραη' λ; 1,2). Da wird Joachim traurig und schaut

________________________ 25

Vgl. Pellegrini, Protevangelium, 908f; s. auch Horner, Aspects, 333f, und Aus, Conception, 85, Anm. 3. Für einen nichtjüdischen Autor dagegen plädieren u.a. Hock, Gospels, 10, im Anschluss an Cullmann, Protevangelium, 423f, und Cothenet, Protévangile, 4267, Anm. 15.

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im Zwölfstämmeregister Israels nach, ob »ich der einzige (μο' νος) bin, der keinen Samen in Israel geschaffen hat«. Bei seinen Untersuchungen stellt er fest, dass es in der Tat allen Gerechten in Israel gelungen ist, Samen hervorzubringen. An dieser Stelle erfolgt der erste Rekurs auf Sara-Abraham-Stoff: »Und er dachte an den Erzvater Abraham, dass ihm GOTT, der HERR, an seinem letzten Tag (noch) einen Sohn, den Isaak, gegeben hatte (ε» δωκεν)« (1,3)26.

ProtEvJac 1 geht also von einer Unfruchtbarkeit Joachims aus27. Indem der Verfasser Joachim in dieser Sache eine Analogie zu Abraham herstellen lässt, ist im Sinne der Schrift die Unfruchtbarkeit auch Abrahams vorausgesetzt. Daraufhin begibt sich Joachim in die Wüste und gelobt, nicht eher zurückzukehren, »bis der HERR, mein Gott, mich heimgesucht hat (επισκε' ψηται)«. ProtEvJac 1 verwendet hier das gleiche Verb, das auch in Gen 21,1, hier freilich bezogen auf die Heimsuchung Saras durch Gott, gebraucht wird. Demgegenüber wird sein hebräisches Äquivalent in TanchB Wajerra 32 sowohl mit Blick auf Sara als auch mit Blick auf Abraham gebraucht28. Nach Joachims Fortgang stimmt Anna ein zweifaches Klagelied an, das ihrer Witwenschaft (χηροσυ' νην) einerseits und ihrer Kinderlosigkeit (ατεκνι' αν) andererseits gilt (2,1). Diese Aussage spielt auf Jes 49,21 an, wo Zion-Jerusalem angesichts der Wendung seines Geschickes auf seine elende Vergangenheit zurückblickt29. Da-

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Die Wiedergabe orientiert sich hier und im Folgenden an der von Schneider, Evangelia, gebotenen Übersetzung. 27 Vgl. auch Horner, Aspects, 318. 28 S.o. Kap. 5.2 (1). 29 Die LXX-Version, auf die das Protevangelium hier anspielt, liest anstelle von ‫( ואני שכולה וגלמודה גלה וסורה‬MT) εγω` δε` α» τεκνος και` χη' ρα.

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mit ist, ohne dass dies im Duktus der Erzählung Anna bereits bewusst wäre, die Überwindung ihres hoffnungslos erscheinenden Zustandes von Anfang an mitgesetzt. Auf Intervention ihrer Magd hin legt Anna ihre Trauerkleider ab und zieht ihre Brautkleider an, um sich dann in den Garten zu setzen und Gott um Nachkommenschaft anzuflehen: »... segne mich und erhöre meine Bitte, (so) wie du die Mutter Sara gesegnet und ihr einen Sohn, den Isaak, gegeben hast (ε» δωκας)« (2,4).

Diese Aussage dürfte auf Gen 17,16 anspielen. Anna äußert diese Bitte zu einer Zeit, zu der sie sich als Witwe sieht, da Joachim sich entfernt hat. Rechnet sie also mit der Möglichkeit, dass Gott ihr, auch ohne Mann, ein Kind verschaffen kann, so wie, nach bestimmten Auslegungstraditionen jedenfalls, einst Sara? Zieht sie, ähnlich wie einst die Witwe Judith, ihre Brautkleider an30, um sich dann ihrem Flehen gemäß für eine Gottesbegegnung bereitzuhalten, wie sie Sara zuteil wurde? In ihrem Gebet stellt Anna ihre von ihr als Fluch empfundene Unfruchtbarkeit der Fruchtbarkeit der ganzen Schöpfung gegenüber. Sie schließt mit der Klage, dass sie nicht der Erde gleich wurde, die »ihre Früchte zur gegebenen Zeit hervorbringt (προφε' ρει του` ς καρπου` ς αυτηñ ς

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Pellegrini, Protevangelium, 913, deutet das Brautkleid, das Anna anzieht, als »ein Zeichen ihrer Gerechtigkeit, die sich nun im SichErniedrigen und Flehen äußert«. Zutreffender scheint hier der Hinweis von Smid, Protevangelium, 34, auf Jud 10,3, wo berichtet wird, Judith habe »die Kleider ihrer Witwenschaft (τα` ιμα' τια τηñ ς χηρευ' σεως αυτηñ ς)« (vgl. dazu Jud 8,2–6) ausgezogen und »die Kleider ihrer Freude (τα` ιμα' τια τηñ ς ευφροσυ' νης αυτηñ ς)« angelegt, mit denen sie sich zu Lebzeiten ihres Mannes Manasse geschmückt habe. Mit diesen Kleidern macht sie sich nach ihrem Gebet, in dem sie Gott darum bittet, durch ihre Hand den Stolz der Feinde zu zerschmettern (9,10), auf den Weg zu Holofernes.

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κατα` καιρο' ν)« (3,3)31. Mit Blick auf Anna wird diese Aussage zur Metapher für die Geburt Marias, die sie in 6,3 als die »einzigartige, überreiche Frucht (καρπο' ν) der göttlichen Gerechtigkeit« besingt. Die schöpfungstheologische Deutung von Geburt und Schwangerschaft ist damit unübersehbar32. Bei der Wendung κατα` καιρο' ν könnte es sich zugleich um eine Anspielung auf die Abraham-Sara-Geschichte handeln, in der der Ausdruck im Kontext der Geburtsankündigung und Geburt Isaaks zweimal fällt33, umso mehr, als Anna nun widerfährt, was einst Sara geschehen ist. Eingeleitet durch Και` ιδου' , wird in 4,1 vom Kommen »eines Engels des HERRN (α» γγελος Κυρι' ου)« berichtet, der Anna die Erhörung ihres Gebetes ansagt: »Du wirst empfangen (Συνλη' μψεις) und gebären (γεννη' σεις), und von deinem Samen wird auf dem ganzen Erdkreis gesprochen werden (αληθη' [θη]σεται)« (4,1).

Die Engelsankündigung ist im Futur formuliert34. Die universale Dimension der Geburtsankündigung könnte wiederum auf Gen 17,16 zurückverweisen.

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Mit der Klage ProtEvJac 3,3 wird auf Ps 1,3 angespielt, wo der Gesetzestreue mit einem Baum verglichen wird, der seine Frucht zu seiner Zeit bringt (ο το` ν καρπο` ν αυτουñ δω' σει εν καιρω ñ, αυτουñ ). 32 Sprachlich-motivisch zeigt der Zusammenhang Berührungspunkte mit Philo, Leg 3,219. 33 Vgl. Gen 18,14: εις το`ν καιρο`ν τουñ τον αναστρε' ψω προ` ς σε` εις ω« ρας, και` ε» σται τηñ, Σαρρα υιο' ς, und Gen 21,2: και` συλλαβουñ σα ε» τεκεν Σαρρα τω ñ, Αβρααμ υιο` ν εις το` γηñ ρας εις το`ν καιρο'ν, καθα` ελα' λησεν αυτω ñ, κυ' ριος. 34 So die Lesart von MS Papyrus Bodmer V (im Folgenden: MS z). MS Paris. Nation. 1454 (im Folgenden: MS c) liest stattdessen: λη' ψη, και` γεννη' ση, και` λαληθη' σεται. Das vermutlich aus dem 3. oder 4. Jh. stammende MS z gilt allgemein als die maßgebliche Handschrift; das von Smid, Protevangelium, neben Ms z ebenfalls abgedruckte MS c entstammt dem 10. Jh.

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Wiederum eingeleitet durch Και` ιδου' , wird anschließend vom Kommen nun zweier Boten (α» γγελοι δυ' ο) erzählt, die Anna die Rückkehr ihres Mannes ankündigen (ProtEvJac 4,2). Ausweislich des neuerlichen Gebrauchs von Και` ιδου' in V. 4, wo Joachims zeitlich von der Benachrichtigung Annas abgesetzte Ankunft berichtet wird, markiert der Ausdruck auch in V. 2 ein gegenüber V. 1 späteres Geschehen. Dem Wort der beiden Boten an Anna geht zeitlich die Erscheinung »eines Engels des HERRN« bei Joachim voraus, der ihm die Schwangerschaft Annas ankündigt (V. 2); damit wird die Bitte Joachims um göttliche Heimsuchung (1,4) narrativ umgesetzt. Die Geburtsankündigung an Joachim ist nun freilich im Perfekt formuliert ( »Αννα εν γαστρι` ει»ληφεν; 4,2)35. Bei seiner Ankunft berichtet ihm Anna, was ihr geschehen ist, wiederum im Perfekt (V. 4): »... siehe, die Witwe ist nicht mehr Witwe, und ich, die Kinderlose, siehe, ich habe im Leib empfangen (ει»ληφα36)«. Aus der hier wiedergegebenen, von der ältesten und maßgeblichen Handschrift gebotenen zeitlichen Abfolge ergibt sich ein stringentes Bild: In V. 1 wird Anna die noch in der Zukunft liegende Empfängnis angesagt, V. 2 und V. 4 blicken darauf als auf ein vergangenes Geschehen zurück. Damit fällt die Empfängnis Annas in den Zeitraum zwischen der Engelsankündigung an sie und der Erscheinung des Engels bei Joachim, d.h. in die Zeit seiner Abwesenheit. So scheint sich nach dem Protevange-

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So nach dem maßgeblichen MS z u.a.; MS c u.a. lesen an dieser Stelle freilich ein Futur. Schneider, Protevangelium, 102, in seinem Text und Pellegrini, Protevangelium, 916, in ihrer Übersetzung folgen der Lesart von MS z (vgl. auch Hock, Gospels, 102 [»is pregnant«]); Cullmann, Protevangelium, 340, dagegen bietet beide Lesarten. Zur Diskussion des Problems vgl. Smid, Protevangelium, 41; Di Nola, Protevangelo, 52f, Anm. 27, und de Strycker, Handschriften, 581–582. Im Folgenden wird die von MS z bezeugte Lesart zugrundegelegt, die, wie aus dem Folgenden erhellt, auch inhaltlich guten Sinn macht. – In 4,3 folgt darauf eine Opferankündigung Joachims. 36 Das Perfekt ist u.a. in MS z belegt, MS c bietet auch hier ein Futur.

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lium, zumindest aber nach dieser Handschrift, das Verständnis einer durch ein exklusives Handeln Gottes ins Werk gesetzten Schwangerschaft Annas zwingend geboten. Darauf deutet auch die Tatsache, dass die zuletzt zitierte Aussage Annas auf Jes 49,21 sowie auf Jes 54,1 anspielt37; der letztgenannte Text, dessen alleiniges Subjekt Gott ist, wird wohl bereits bei Jesaja, auf jeden Fall aber später von Philo, Paulus und der rabbinischen Tradition mit Sara verbunden. Was in Jes 49,21, einem rabbinisch indirekt ebenfalls mit Sara verbundenen Text38, und ProtEvJac 4,4 die Witwe ist, ist in Jes 54,1 die Einsame, an der Gott handelt39. In Kap. 6 finden sich weitere Anspielungen auf Gen 21,1–8. Abraham vergleichbar, der einst ein großes Festmahl anlässlich der Entwöhnung Isaaks gab (V. 8) und dazu nach rabbinischer Tradition die Vornehmen aus den Reihen der Völker einlud40, lädt nun Joachim die religiöse Führungselite aus Hohenpriestern, Priestern, Schriftgelehrten und Ältesten sowie das ganze Volk Israel zum ersten Geburtstag Marias ein (ProtEvJac 6,2). Die Eingeladenen, vertreten durch den Schriftgelehrten Annas (15,1) und den Hohenpriester (16,3), werden es dann sein, die im zweiten Teil des Protevangeliums die jungfräuliche Empfängnis Marias anzweifeln und ihr ebenso wie Joseph nach eingehender Befragung das Prüfungswasser auferlegen. Bei dem Fest für Maria stimmt Anna ein Loblied an (6,3), das u.a. auf Gen 21 Bezug nimmt. Sie rühmt Gott,

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Auf Jes 54,1 verweisen Cullmann, Protevangelium, 340, Anm. 13; Pellegrini, Protevangelium, 917, Anm. 79, und Schneider, Evangelia, 104, Anm. 26; letzterer nennt zudem Jes 49,21. 38 Zu beiden Texten, Jes 54,1 und 49,21, vgl. PesR 32,2 (148a) und PesK 20,1 (135a) (»Es gibt sieben ... unfruchtbare Frauen: Sara ... Zion«). 39 Dazu s.o. zu Philo (Kap. 6) und zu Paulus (Kap. 7.1). – Zur Rezeptionsgeschichte von Jes 49,21 und 54,1 s.u. Kap. 7.2.2. 40 Dazu s.o. Kap. 5.2 (2) zu bBM 87a.

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der sie – wie einst Sara – heimgesucht (επεσκε' ψατο) und von ihr – wie einst von Rahel – die Schmähung ihrer Feinde genommen hat41. Ihre Heimsuchung besteht darin, dass »mir der HERR, mein GOTT, die Frucht seiner Gerechtigkeit gab, die einzigartige (μονο