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German Pages 408 [411] Year 2020
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 58
Peter Huber
Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung Eine Studie zur Konkurrenzfrage vor dem Hintergrund der internationalen Vereinheitlichung des Vertragsrechts
Mohr Siebeck
Peter Huber, geb. 1966; Studium der Rechtswissenschaften in Regensburg, Lausanne und London; 1993 Promotion; 1999 Habilitation an der Universität Regensburg; 1999/2000 Lehrstuhlvertretungen in Heidelberg und München; seit Oktober 2000 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Deutsche
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CIP-Einheitsaufnahme
Huber, Peter: Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung : eine Studie zur Konkurrenzfrage vor dem Hintergrund der internationalen Vereinheitlichung des Vertragsrechts / Peter Huber. - 1. Aufl.. - Tübingen : Mohr Siebeck, 2001 (Jus privatum ; Bd. 58) 978-3-16-157903-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-147595-X
© 2001 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0941-0503
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 1999 als Habilitationsschrift angenommen. Sie war ursprünglich auf dem Stand von Januar 1999. Für die Veröffentlichung konnte neu erschienene Literatur bis November 2000 punktuell berücksichtigt werden. Ich möchte mich herzlich bei meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Henrich, bedanken, der mich seit meinem Studium in großzügigster Weise gefördert und betreut hat und mir während der Tätigkeit an seinem Lehrstuhl die Freiräume eröffnet hat, die es mir ermöglicht haben, diese Arbeit zu schreiben. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Reinhard Zimmermann, LL.D., der mein Interesse für die internationale Vereinheitlichung und Reform des Vertragsrechts gefördert und das Zweitgutachten zu dieser Arbeit erstellt hat. Bei der Aktualisierung des Textes hat mich mein Mitarbeiter, Herr Dr. Urs Peter Gruber unterstützt, beim Korrekturlesen der Fahnen halfen Frau Nicole Bloss und Herr Holger Scherer. Auch bei ihnen möchte ich mich bedanken. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebührt Dank für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses, dem Verlag Mohr Siebeck für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Ius Privatum". Mainz, im Dezember 2000
Peter
Huber
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
Abkürzungsverzeichnis
XXIX
Einleitung
1
1. Teil
Die Konkurrenzproblematik im geltenden nationalen Recht Kapitel 1: Grundlagen der irrtumsbedingten Vertragsaufhebung im BGB
4
A. Rechtsnatur und Voraussetzungen des § 119 II BGB I. Entstehungsgeschichte des §119 II BGB II. Theorien zu §119 II BGB 1. Die Lehre vom ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum 2. Die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum 3. Die Lehre vom Erklärungsirrtum 4. Kramers Lehre vom Sachverhaltsirrtum 5. Die Position der Rechtsprechung
4 4 5 5 6 7 9 10
B. Beiderseitiger Irrtum und Geschäftsgrundlage C. Bewertung der irrtumsbedingten Vertragsaufhebung nach dem BGB I. Abzulehnende Ansätze 1. Kramers Lehre vom Sachverhaltsirrtum 2. Lehre vom Erklärungsirrtum II. Verbleibende Erklärungen III. Sonderfall: Wegfall der Geschäftsgrundlage beim gemeinsamen Eigenschaftsirrtum
11 12 12 12 12 13 13
Kapitel 2: Grundlagen der kaufrechtlichen Gewährleistung im BGB
15
A. Dogmatischer Charakter der Sachmängelhaftung B. Fehlerbegriff I. Objektiver Fehlerbegriff beim Spezieskauf
15 16 16
VIII
Inhaltsverzeichnis II. Subjektiver Fehlerbegriff beim Spezieskauf III. Fehlerbegriff beim Gattungskauf
C. Unterschiedliche Reichweite von § 4 5 9 I B G B und § 4 5 9 II B G B I. Unterscheidung zwischen Beschaffenheit i.S.d. § 4 5 9 I B G B und Eigenschaft i.S.d. § 4 5 9 II B G B 1. Haltung der Rechtsprechung 2. Kritik in der Literatur 3. Bezug zur vorliegenden Arbeit II. Minderung des Werts oder der Gebrauchstauglichkeit III. U n e r h e b l i c h k e i t - § 4 5 9 1 2 B G B D . Zusammenfassung zum Gewährleistungsrecht
Kapitel 3: Konkurrenzbereich von Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung im B G B A. Spezieskauf I. Uberschneidung der Anwendungsbereiche von Wandelung und Irrtumsanfechtung 1. Fallgruppen a) Fallgruppe 1: D i e Eigenschaft „massiv G o l d " wurde wirksam als kaufvertraglich geschuldet vereinbart b) Fallgruppe 2: D i e Eigenschaft „massiv G o l d " wurde nicht wirksam als kaufvertraglich geschuldet vereinbart und der Käufer hat sich über den Inhalt seiner Erklärung in dieser Hinsicht keine Gedanken gemacht c) Fallgruppe 3: Wie Fallgruppe 2, aber der Käufer dachte, er habe durch die bloße Individualisierung der Kaufsache zum Ausdruck gebracht, er wolle den Ring „als massiv goldenen" kaufen
2. Ergebnis II. Konkurrenzprobleme außerhalb des Uberschneidungsbereichs 1. Denkbare Reichweite einer Ausschlußwirkung 2. Bedeutung für die Suche nach dem Konkurrenzbereich B. Gattungskauf
Kapitel 4: Haltung der deutschen Rechtsprechung zur Konkurrenzfrage A. Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Konkurrenzverhältnis von Gewährleistungsrecht und Irrtumsanfechtung I. Situation nach Gefahrübergang 1. Entscheidungen, in denen die Anfechtung ausgeschlossen wurde a) Hausschwamm-Entscheidung b) D i e Sologeigen-Entscheidung c) Spitzweg-Entscheidung d) Ruisdael-Entscheidung
Inhaltsverzeichnis e) Gastwirtschaftsentscheidung
2. Konkretisierung der Haltung des Reichsgerichts a) Beschränkung des Ausschlußcharakters auf die Sachmängelvorschriften der §§459ff. B G B b) Voraussetzungen der Ausschlußwirkung aa) Ausschluß auch nach Verjährung der kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche bb) Voraussetzungen des § 4 5 9 B G B cc) Offene Fragen
II. Situation vor Gefahrübergang I I I . Behandlung von vertraglichen Freizeichnungsklauseln B . Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Konkurrenzverhältnis von Gewährleistungsrecht und Irrtumsanfechtung I. Situation nach Gefahrübergang 1. Ansatzpunkt für die Ausschlußwirkung: Sachmangel i.S.d. § 4 5 9 I, II B G B a) Allgemeines aa) Gebrauchtwagen-Entscheidung bb) Mähdrescher-Entscheidung b) Insbesondere: Künftige Eigenschaften der Kaufsache
2. Unerheblichkeit weiterer Haftungsvoraussetzungen a) b) c) d)
§477 B G B §460 B G B §459 12 B G B Vorliegen des Sachmangels zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs
3. A b w e i c h e n d e Aussagen 4. Zusammenfassung II. Situation vor Gefahrübergang I I I . Wirkung von Freizeichnungsklauseln 1. Kein Ausschluß des A u s s c h l u ß - G r u n d s a t z e s 2. Auslegung der Freizeichnungsklauseln C . Rechtsprechung z u m Konkurrenzverhältnis von Gewährleistungsrecht und Wegfall der Geschäftsgrundlage
Kapitel 5: Stellungnahmen in der deutschen Literatur zur Konkurrenzproblematik A. Jüngere M o n o g r a p h i e n I. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf 1. Ausgangspunkt 2. Konkurrenzentscheidung a) Tatbestandliche Überschneidungen b) Grundsatz: Ausschluß der Irrtumsanfechtung c) Situation vor Gefahrübergang d) Behandlung von Freizeichnungsklauseln
II. Fröhlich, D i e Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums beim Kauf . . .
X
Inhaltsverzeichnis 1. D e r Spezialitätsbegriff d e r R e c h t s p r e c h u n g 2. D e r formal-begriffliche Spezialitätsbegriff 3. Fröhlichs Ansicht 4. Fröhlichs Kritik an d e r praktischen A n w e n d u n g d u r c h die Rechtsprechung
a) Primäre Käuferschutzfunktion b) Bloße Dispensfunktion der §§460, 461, 477 BGB c) Keine Vereitelung der Gewährleistungszwecke d) Kein Ausschluß, sondern elektive Konkurrenz B. Systematische A n a l y s e des M e i n u n g s s t a n d s I. G r u n d s ä t z l i c h e s z u m K o n k u r r e n z v e r h ä l t n i s 1. A u s s c h l u ß der A n f e c h t u n g a) b) c) d)
Umgehungsgefahr Abschließende Regelung Begrifflich-formelle Spezialität Gewährleistungsregeln als besondere Ausgestaltung der Irrtumsregeln e) Lückenfüllung entsprechend dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers
2. Kein A u s s c h l u ß d e r A n f e c h t u n g a) Ausschluß nur durch den Gesetzgeber b) Entkräftung des Arguments der Umgehungsgefahr c) Unterschiede im Hinblick auf Wesen und Ziel der beiden Rechtsinstitute d) Wertungswidersprüche bei Annahme eines Ausschlusses e) Ausgewogenes System bei Zulassung der Anfechtung II. E i n z e l f r a g e n 1. Kritik an der U n t e r s c h e i d u n g zwischen lediglich zusicherungsfähigen u n d tatsächlich zugesicherten Eigenschaften 2. Situation vor G e f a h r ü b e r g a n g a) Kritik an der Rechtsprechung b) Rechtfertigung der Rechtsprechung 3. B e h a n d l u n g v o n Freizeichnungsklauseln
Kapitel 6: Rechtsvergleichende Denkanstöße A. Einführung B. Französisches Recht I. U b e r b l i c k z u m I r r t u m s - u n d G e w ä h r l e i s t u n g s r e c h t 1. B e h a n d l u n g des Eigenschaftsirrtums 2. G r u n d l a g e n des k a u f r e c h t l i c h e n Gewährleistungsrechts 3. U n g e k l ä r t e A b g r e n z u n g zwischen N i c h t e r f ü l l u n g s r e c h t u n d Gewährleistungsrecht 4. K o n k u r r e n z p r o b l e m e II. K o n k u r r e n z v o n E i g e n s c h a f t s i r r t u m u n d G e w ä h r l e i s t u n g s r e c h t 1. E n t w i c k l u n g d e r R e c h t s p r e c h u n g
Inhaltsverzeichnis a) Situation bis zum Jahr 1996 b) Situation seit 1996
2. Stellungnahmen in der Literatur - Argumente C. Schweizerisches Recht I. Uberblick zum Irrtums- und Gewährleistungsrecht 1. Eigenschaftsirrtum 2. Gewährleistungsrecht 3. Konkurrenzprobleme II. Behandlung der Konkurrenzproblematik 1. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur 2. Argumentation gegen die Ausschlußwirkung des Gewährleistungsrechts 3. Kritik an der Haltung der Rechtsprechung und Argumentation für die Ausschluß wirkung des Gewährleistungsrechts 4. Schmidlins Vorschlag D. Österreichisches Recht I. Irrtums- und Gewährleistungsrecht 1. Vertragsauflösung wegen Eigenschaftsirrtums a) Voraussetzungen aa) Beachtlichkeit des Irrtums bb) Wesentlichkeit cc) Vereinbarkeit mit dem Gedanken des Vertrauensschutzes dd) Behandlung des beiderseitigen Irrtums b) Geltendmachung und Rechtsfolgen c) Einordnung
2. Vertragsaufhebung nach Gewährleistungsrecht a) Voraussetzungen der Vertragsaufhebung aa) Mangel bb) Unbehebbarkeit und Wesentlichkeit cc) Kein Ausschlußgrund b) Geltendmachung und Rechtsfolgen
3. Konkurrenzprobleme II. Behandlung der Konkurrenzfrage E. Ergebnis
2. Teil Die modernen Regelwerke zur Vereinheitlichung und Reform des Vertragsrechts Kapitel 7: Das UN-Kaufrechtsübereinkommen von 1980 (CISG) . A. Grundgedanken B. Voraussetzungen der Vertragsaufhebung I. Grundvoraussetzungen
XII
Inhaltsverzeichnis
1. Wesentliche Vertragsverletzung 2. Nichtlieferung trotz Nachfristsetzung II. Verhältnis zum Behebungsrecht des Verkäufers (Art. 48 CISG) 1. Überblick zu Art. 48 CISG 2. Verhältnis des Behebungsrechts zur Vertragsaufhebung und zum Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung 3. Behebungsmöglichkeit und Wesentlichkeit der Vertragsverletzung - Meinungsstand a) b) c) d) e) f)
Entstehungsgeschichte Volle Berücksichtigung der Behebbarkeit Keine Berücksichtigung der Behebbarkeit Suspendierung des Aufhebungsrechts Differenzierung zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung Drei-Stufen-Modell
4. Bedeutung der zeitlichen Abfolge 5. Ergebnis
96 97 99 99 100 101 101 102 103 104 105 105
108 109
III. Wissensstand des Käufers bei Vertragsschluß (Art. 35 (3) CISG) 1. Vertragswidrigkeit i.S.d. Art.35 (2) CISG 2. Subjektive Voraussetzungen
110 110 111
IV. Untersuchungs- und Rügepflicht (Art. 38ff. CISG) 1. Anspruchsverlust nach Art.39 (1) CISG 2. Anspruchsverlust nach Art. 39 (2) CISG 3. Ausnahmen vom Anspruchsverlust nach Art. 39 CISG
112 112 113 113
V. Zeitliche Grenzen (Art. 49 (2) CISG) 1. Verspätete Lieferung (Art. 49 (2)(a) CISG) 2. Andere Vertragsverletzungen (Art. 49 (2)(b) CISG) a) Grundregel (Art.49 (2)(b)(i) CISG) aa) Fristbeginn bb) Dauer cc) Einfluß der Kenntnis des Verkäufers b) Sonderregel bei Nachfristsetzung durch den Käufer (Art.49 (2)(b)(ii) CISG) aa) Fristsetzung nach Ablauf der Frist des Art. 49 (2)(b)(i) CISG . . . . bb) Dogmatische Struktur des Art. 49 (2)(b) CISG und Verhältnis von lit. (i) zu lit. (ii) cc) Zusammenfassung zu den Fallgruppen dd) Voraussetzungen einer Nachfristsetzung i.S.d. Art. 47 CISG . . . . ee) Bedeutung für die Fälle der Lieferung vertragswidriger Ware . . . . c) Sonderregel bei Nachfristsetzung durch den Verkäufer (Art.49 (2)(b)(iii) CISG) aa) Der Käufer hat das Behebungsangebot des Verkäufers akzeptiert aaa) Behebungsangebot des Verkäufers vor Ablauf der in lit. (i) vorgesehenen Frist bbb) Behebungsangebot des Verkäufers nach Ablauf der in lit. (i) vorgesehenen Frist bb) Der Käufer hat das Behebungsangebot des Verkäufers zurückgewiesen
113 114 114 115 115 116 116 117 117 118 119 119 120 121 121 122 123 123
Inhaltsverzeichnis aaa) Behebungsangebot des Verkäufers vor Ablauf der in lit. (i) vorgesehenen Frist bbb) Behebungsangebot des Verkäufers nach Ablauf der in lit. (i) vorgesehenen Frist
VI. Rückabwicklung 1. Grundsatz 2. Ausnahmen 3. Ergebnis VII. Verjährung
XIII 123 124
124 124 124 126 126
C. Konkurrenz zur Vertragsaufhebung wegen Irrtums
127
Kapitel 8: Der deutsche Kommissionsentwurf zur Schuldrechtsreform
128
A. Das Vorhaben der Schuldrechtsreform B. Grundgedanken des Kommissionsentwurfs I. Einheitlicher Leistungsstörungstatbestand 1. Differenzierungstiefe des geltenden Rechts 2. Vereinheitlichungstendenz des Kommissionsentwurfs II. Grundmodell der Leistungsstörungen 1. Schicksal der Primärleistungspflicht
128 129 129 129 129 130 130
a) Kritik am geltenden Recht
131
b) Lösung des Kommissionsentwurfs
131
2. Schadensersatzpflicht
132
a) Geltendes Recht b) Lösung des Kommissionsentwurfs
132 133
3. Rücktritt beim gegenseitigen Vertrag
133
a) Geltendes Recht b) Kommissionsentwurf aa) Grundprinzip: Nachfristsetzung bb) Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung (§ 323 II KE) cc) Ausschluß des Rücktritts
III. Vertragsaufhebung im System der Neuregelung des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts 1. Grundgedanken 2. Einheitlicher Mangelbegriff a) Sachmangel aa) Fehlerbegriff bb) Gleichstellung von Sachmangel und aliud b) Rechtsmangel c) Zusammenfassung
3. Einheitliches Rechtsbehelfssystem auf der Basis des allgemeinen Leistungsstörungsrechts 4. Anspruch auf Nacherfüllung (§438 KE) 5. Rücktrittsrecht (§439 KE) a) Vorrang der Erfüllung vor der Vertragsaufhebung - Nachfristmodell .
133 134 134 135 135
136 136 137 137 137 139 139 140
140 141 141 141
XIV
Inhaltsverzeichnis aa) Grundsatz bb) Entbehrlichkeit der Fristsetzung aaa) §323 II Nr. 1 KE bbb) §323 II Nr. 3 KE ccc) §439 II KE cc) Ausschluß des Rücktritts (§§ 439, 323 III KE) b) Einzelheiten zum Rücktritt aa) Gestaltungsrecht bb) Kenntnis des Käufers cc) Rückabwicklung
6. Sonstige Rechtsbehelfe a) Minderung (§440 KE) b) Schadensersatzanspruch (§441 KE)
7. Ausschluß der Gewährleistungsrechte IV. Neuregelung des Verjährungsrechts
141 142 142 142 143 143 144 144 145 145
145 145 146
146 146
C. Beiderseitiger Irrtum und Wegfall der Geschäftsgrundlage (§306 II KE) .. D. Vergleich der im Kommissionsentwurf vorgesehenen Neuregelung der mängelbedingten Vertragsaufhebung beim Kauf mit dem Irrtumsrecht des BGB I. Rang der Vertragsaufhebung als Rechtsbehelf II. Unterschiede bei den Rechtsfolgen 1. Ausschlußgrund bei Kenntnis beziehungsweise Kenntnismöglichkeit 2. Fristen 3. Rückabwicklung
148
148 149 149
E. Aussagen zur Konkurrenzfrage
149
Kapitel 9: Die Principles of European Contract Law
151
A. Vorbemerkung B. Irrtumsrecht I. Bezugspunkt des Irrtums II. Veranlaßter, erkennbarer oder gemeinsamer Irrtum 1. Veranlaßter Irrtum 2. Erkennbarer oder bekannter Irrtum 3. Gemeinsamer Irrtum III. „Fundamentaler" Irrtum - Kausalität IV. Allgemeine Ausschlußgründe 1. Unentschuldbarer Irrtum 2. Risiko V. Zeitliche Grenzen VI. Rückabwicklung VII. Möglichkeit der Anpassung des Vertrags beim gemeinsamen Irrtum
151 151 152 153 153 153 154 154 155 155 155 155 156
C. Leistungsstörungsrecht
157
148
148 148
156
Inhaltsverzeichnis
I. Grundstruktur - Einheitlicher Leistungsstörungstatbestand II. Vertragsaufhebung (termination) 1. Voraussetzungen der Vertragsaufhebung a) Wesentliche Nichterfüllung aa) Entscheidende Bedeutung der Pflichterfüllung für den Vertrag (Art. 8:103 (a)PECL) bb) Vorhersehbare Entwertung des Vertrages für die andere Partei (Art. 8:103 (b)PECL) cc) Vorsätzliche Nichterfüllung und Zerstörung der Vertrauensgrundlage (Art. 8:103 (c) PECL) b) Verspätete Leistung c) Vor Fälligkeit drohende Nichterfüllung d) Nacherfüllungsrecht des Schuldners - Heilung e) Bedeutung für die Lieferung mangelhafter Ware beim Kauf
2. Herbeiführung der Vertragsaufhebung 3. Frist 4. Rückabwicklung 5. Nicht geregelte Fragen III. Bewertung der Regelung der Vertragsaufhebung
XV
157 157 158 158 158 159 159 159 159 160 161
162 162 163 163 164
D. Vergleich zwischen Irrtumsrecht und Leistungsstörungsrecht I. Voraussetzungen der Lösung vom Vertrag II. Durchführung der Lösung vom Vertrag 1. Kenntnis beziehungsweise Kennenmüssen des Gläubigers 2. Rügefrist 3. Rückabwicklung
164 164 164 164 165 165
E. Regelung der Konkurrenzfrage
165
Kapitel 10: Die UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts
166
A. Vorbemerkung B. Irrtumsregeln I. Bezugspunkt und Erheblichkeit II. Kausalität III. Allgemeine Ausschlußgründe 1. Grobe Fahrlässigkeit 2. Risiko IV. Zeitliche Grenzen V. Rückabwicklung
166 167 168 168 168 168 169 169 169
C. Leistungsstörungsrecht I. Grundstruktur - Einheitlicher Leistungsstörungstatbestand II. Voraussetzungen der Vertragsaufhebung 1. Wesentliche Nichterfüllung 2. Verzögerung und Nachfrist 3. Antizipierte Nichterfüllung
170 170 170 170 171 172
XVI
Inhaltsverzeichnis
4. Recht des Schuldners auf Nacherfüllung 5. Bedeutung für die Lieferung mangelhafter Ware beim Kauf III. Durchführung der Vertragsaufhebung 1. Herbeiführung der Vertragsbeendigung 2. Frist 3. Rückabwicklung
172 173 174 174 174 174
D. Vergleich zwischen Irrtumsrecht und Leistungsstörungsrecht I. Voraussetzungen der Vertragsaufhebung II. Durchführung der Vertragsaufhebung 1. Kenntnis beziehungsweise Kennenmüssen des Gläubigers bei Vertragsschluß 2. Frist und Rückabwicklung
175 175 175
E. Regelung der Konkurrenzfrage
176
175 175
3. Teil Konkurrenzregeln und Lösungsvorschlag Kapitel 11: Methodische und dogmatische Grundlagen
177
A. Vorbemerkung B. Abgrenzung der Konkurrenzfrage vom prozessualen Anspruchsbegriff .. C. Die Prüfungsschritte - Abgrenzung der Gesetzeskonkurrenz von der Anspruchskonkurrenz I. Gesetzeskonkurrenz 1. Die ältere Auffassung Hellwigs und Lents 2. Die moderne Auffassung seit Dietz II. Anspruchskonkurrenz oder Anspruchsnormenkonkurrenz? 1. Die Lehre von der Anspruchskonkurrenz 2. Die Lehre von der Anspruchsnormenkonkurrenz
177 178
a) Kernaussagen b) Bedeutung für die Konkurrenz zwischen Irrtumsanfechtung und gewährleistungsrechtlichem Aufhebungsrecht c) Vorteile d) Kritik e) Ergebnis
179 179 179 180 181 181 182 182 183 184 185 189
D. Zwischenergebnis E. Methodische Einordnung von Gesetzes- und Anspruchskonkurrenz I. Auslegung und Rechtsfortbildung in der Methodenlehre 1. Auslegung
189 190 190 190
a) Auslegungskriterien aa) Wortsinn bb) Bedeutungszusammenhang des Gesetzes cc) Regelungsabsicht und Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers
190 190 190 191
Inhaltsverzeichnis dd) Objektiv-teleologische Kriterien b) Enge Verflechtung der einzelnen Kriterien c) Rangfolge der einzelnen Kriterien d) Wortsinn als Abgrenzungskriterium zur Rechtsfortbildung
2. Rechtsfortbildung
XVII 191 191 192 192
193
a) Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung aa) Gesetzeslücke im engeren Sinn bb) Ausprägungen aaa) Analogie bbb) Teleologische Extension ccc) Teleologische Reduktion b) Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung c) Rechtsfortbildung contra legem?
193 193 193 193 194 194 195 196
3. Verflechtung der einzelnen Stufen II. Konkretisierung im Hinblick auf Gesetzes- und Anspruchskonkurrenz 1. Ordnung nach Extension und Restriktion 2. Einordnung von Gesetzeskonkurrenz und Anspruchskonkurrenz
196
a) Gesetzeskonkurrenz aa) Reduktion des Anwendungsbereichs des weichenden Normkomplexes bb) Anzuwendende Methoden b) Anspruchskonkurrenz aa) Kollision zweier Regelungen bb) Einwirkung ohne Kollision cc) Anzuwendende Methoden
198 198 198 198 198 199 199 200 200 201
Kapitel 12: Die Gesetzeskonkurrenz
202
A. Allgemeines B. Formal-begriffliche Begründung der Ausschlußwirkung I. Vergleich der Tatbestandsmerkmale - Spezialitätstypisches Deckungsverhältnis II. Logisch zwingender Charakter des Deckungsverhältnisses: Art-Gattungs-Verhältnis III. Begründung der begrifflichen Spezialitätsregel IV. Verzicht auf das Erfordernis des logisch zwingenden Charakters Lents Lehre von der Konsumtion 1. Lents Theorie der Konsumtion 2. Zulässigkeit des Verzichts V. Berücksichtigung der Rechtsfolgen? VI. Zusammenfassung
202 202
205 205 207 207 208
C. Bewertung der formellen Spezialitätslehre I. Die Argumentation von Larenz und Canaris II. Vermeidung der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen . . . III. Das Argument der vollständigeren Auslese
209 209 209 210
203 204 204
XVIII
Inhaltsverzeichnis
IV. D e r Wille des Gesetzgebers
211
V. Systematische E r w ä g u n g e n
212
VI. Parallele z u m Strafrecht?
212
VII. P r o b l e m e bei der E r m i t t l u n g des Spezialitätsverhältnisses V I I I . Ergebnis
214 216
D . K o m b i n a t i o n aus begrifflichen u n d w e r t u n g s o r i e n t i e r t e n Kriterien
216
I. K o m b i n a t i o n aus tatbestandlicher Spezialität u n d W e r t u n g e n
217
1. Begriffliches Element: Spezialitätsverhältnis der Tatbestände . . . .
217
2. Maßgebliche W e r t u n g s g e s i c h t s p u n k t e
217
a) Sicherung des Anwendungsbereichs der speziellen Norm aa) Rechtsfolgenorientierte Argumente bb) Einbeziehung der Tatbestandsvoraussetzungen cc) Abgrenzung zur Ansicht von Larenz und Canaris dd) Ablehnung der These von der Sicherung des Anwendungsbereichs der Norm b) Umgehungsgefahr - Zweckvereitelung II. E i n a n d e r schneidende Tatbestände u n d W e r t u n g e n
218 218 219 219 219 220 221
1. Begriffliche Voraussetzung: E i n a n d e r schneidende Tatbestände . .
221
2. Maßgebliche W e r t u n g s g e s i c h t s p u n k t e
222
a) Sicherung des Anwendungsbereichs aa) Grundsatz: Rechtsfolgenorientierte Gedanken bb) Einbeziehung der Tatbestandsvoraussetzungen cc) Ablehnung der These von der Sicherung des Anwendungsbereichs der engeren Norm b) Umgehungsgefahr - Zweckvereitelung c) Wertungsgleichheit III. Systematische S o n d e r z u s t ä n d i g k e i t
222 222 222 223 223 224 224
E. B e w e r t u n g d e r K o m b i n a t i o n aus begrifflichen u n d w e r t u n g s o r i e n t i e r t e n Argumenten
225
I. Sicherung des A n w e n d u n g s b e r e i c h s der engeren N o r m
225
II. U m g e h u n g s g e f a h r 1. G r u n d s a t z : U n a b h ä n g i g k e i t v o n begrifflichen Konstellationen 2. A u s n a h m e bei stets u n g ü n s t i g e r lex specialis? a) Die These b) Ablehnung der These 3. Z u s a m m e n f a s s u n g III. Wertungsgleichheit IV. S o n d e r z u s t ä n d i g k e i t V. Begriffliche Konstellationen als V e r m u t u n g s t r ä g e r ? VI. Ergebnis F. Rein w e r t u n g s o r i e n t i e r t e B e g r ü n d u n g der G e s e t z e s k o n k u r r e n z
226 ..
226 226 226 227 228 228 229 229 230 231
I. D i e U n t e r s c h e i d u n g zwischen U m g e h u n g s g e f a h r u n d abschließender Regelung
231
1. U m g e h u n g s g e f a h r
231
a) Eröffnung des Anwendungsbereichs des umgehungsgefährdeten Normkomplexes
231
Inhaltsverzeichnis b) Anspruch auf Schutz vor Umgehung c) Umgehungsmöglichkeit
2. Abschließende Regelung a) Verzicht auf das Erfordernis der Umgehungsmöglichkeit b) Reichweite der Ausschlußwirkung
II. Ablehnung des Instruments der Umgehungsgefahr
XIX 231 231
231 231 233
233
G. Ergebnis zur Gesetzeskonkurrenz
234
Kapitel 13: Die Anspruchskonkurrenz
236
A. Dogmatische Konstruktion der Einwirkung B. Die Einwirkung in Rechtsprechung und Lehre I. Rechtsprechung II. Literatur
236 236 236 238
C. Voraussetzungen der Einwirkung I. Ergebnisse der Analyse von Rechtsprechung und Literatur 1. Maßgeblichkeit der allgemeinen Auslegungsmethoden 2. Betonung teleologischer Erwägungen II. Stellungnahme zu den Voraussetzungen der Einwirkung III. Kriterien für die Ermittlung der Erforderlichkeit der Einwirkung .. 1. Berücksichtigung des anderen Normkomplexes
239 239 239 240 240 241 241
a) Existenz einer Vorschrift über den gleichen Regelungsgegenstand . . . . b) Fehlen einer Vorschrift über den gleichen Regelungsgegenstand Berücksichtigung der Herkunft der Wertungen
241
2. Ubereinstimmung des charakteristischen Regelungsinhalts 3. Unbeachtlichkeit der Identität des Anspruchsziels 4. Berücksichtigung der Gefahr der „Bedeutungslosigkeit" einer Norm?
241
243 243 244
a) Die Auffassung der Rechtsprechung
244
b) Die formale Betrachtungsweise
244
D. Reichweite der Einwirkung E. Zusammenfassung
246 246
Kapitel 14: Lösungsvorschlag anhand der Unterscheidung zwischen Verfügbarkeit und Modalitäten der Vertragsaufhebung ..
247
A. Unterscheidung zwischen Verfügbarkeit und Modalitäten der Vertragsaufhebung I. Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung II. Modalitäten der Vertragsaufhebung
247 247 247
B. Analyse der Beschränkung der Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung in modernen Regelwerken I. Motivation für die Zurückdrängung der Vertragsaufhebung 1. Streben nach Aufrechterhaltung und Durchführung des Vertrages
248 248 248
XX
Inhaltsverzeichnis 2. V e r m e i d u n g v o n G ü t e r b e w e g u n g e n
248
3. P a r t e i i n t e r e s s e n
249
a) Interesse des Verkäufers an der Einräumung einer zweiten Chance zu ordnungsgemäßer Erfüllung b) Fehlende Schutzwürdigkeit des Käufers II. Instrumente der Zurückdrängung der Vertragsaufhebung
249 250 250
1. Ü b e r b l i c k
250
2. A b w e n d u n g s b e f u g n i s des Verkäufers
251
a) Charakteristika
251
b) c) d) e)
251 251 252 253 253 254 255 255 256
Verhältnis zur Vertragsaufhebung Grenzen der Abwendungsbefugnis Ausgestaltung der Heilung - Nachbesserung oder Neulieferung? . . . . Abwendung nur durch Nachbesserung aa) Verwirklichte Motive bb) Effektivität f) Abwendung (auch) durch Neulieferung aa) Verwirklichte Motive bb) Effektivität
3. N a c h f r i s t m o d e l l - A u f w e r t u n g s m ö g l i c h k e i t des G l ä u b i g e r s
256
a) Charakteristika und Vergleich mit der Abwendungsbefugnis b) Nachfristsetzung mit dem Ziel der Nachbesserung aa) Verwirklichte Motive bb) Effektivität c) Nachfristsetzung mit dem Ziel der Neulieferung aa) Verwirklichte Motive b b ) Effektivität
256 257 257 257 257 258 258
4. W e s e n t l i c h e V e r t r a g s v e r l e t z u n g
258
a) Bestimmung der Wesentlichkeit b) Wesentliche Vertragsverletzung ohne zwingende Berücksichtigung der Behebbarkeit aa) Verwirklichte Motive bb) Effektivität c) Wesentliche Vertragsverletzung mit zwingender Berücksichtigung der Behebbarkeit aa) Verwirklichte Motive bb) Effektivität III. Erfordernis einer R a n g a n o r d n u n g
258 259 259 260 260 260 261 261
C . Bedeutung der Unterscheidung zwischen Verfügbarkeit und Modalitäten der V e r t r a g s a u f h e b u n g f ü r die K o n k u r r e n z f r a g e
262
I. U b e r b l i c k ü b e r die v o r g e s c h l a g e n e L ö s u n g
262
1. A u s g a n g s p u n k t : B e d a r f an W e r t u n g e n
262
2. L ö s u n g s m o d e l l II. Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung und G e s e t z e s k o n k u r r e n z 1. P r ü f u n g s s c h r i t t e
263 ....
263 263
a) Anwendung des Entscheidungsmaßstabs
263
b) Reichweite der abschließenden Wirkung aa) Vorrangauslösende Voraussetzungen bb) Erfaßte Rechtsbehelfe cc) Zusammenfassung zur Reichweite der Gesetzeskonkurrenz
264 264 266 268
Inhaltsverzeichnis
XXI
c) Eigener Ausschließlichkeitsanspruch des konkurrierenden Rechtsbehelfs? aa) Grundsatz bb) Kein Ausschließlichkeitsanspruch des deutschen Irrtumsrechts . .
268 268 268
2. Gründe für die Anlehnung der Gesetzeskonkurrenz an die Frage der Verfügbarkeit
270
a) Rechtfertigung der Vorrangwirkung bei Beschränkung der Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung b) Rechtfertigung der Annahme von Gesetzeskonkurrenz
III. Die Bedeutung der Modalitäten der Vertragsaufhebung im Rahmen der Anspruchskonkurrenz 1. Vorrang in Form der Einwirkung 2. Ausgestaltung der Einwirkung IV. Freizeichnungsklauseln
271 272
273 273 274 274
4. Teil Anwendung des Konkurrenzmodells Kapitel 15: Anwendung des Konkurrenzmodells auf das UN-Kaufrecht A. Vorbemerkung B. Konkurrenzproblematik bei Ausklammerung des einheitsrechtlichen Charakters des UN-Kaufrechts I. Voraussetzungen der Gesetzeskonkurrenz 1. Instrumente a) Nachfristverfahren b) Abwendungsbefugnis des Verkäufers und wesentliche Vertragsverletzung aa) Abwendungsbefugnis aaa) Reichweite bbb) Ausgestaltung bb) Wesentlichkeit der Vertragsverletzung
2. Beurteilung von Effektivität und Motivtreue a) Effektivität b) Motivtreue aa) Vermeidung unnötiger Güterbewegungen bb) Erhaltung und Durchführung des Vertrages cc) Parteiinteressen
3. Ranganordnung 4. Bewertung und Ergebnis II. Reichweite der Gesetzeskonkurrenz 1. Allgemeines 2. Vorrangauslösende Voraussetzungen a) Eigenschaftsbegriff b) Zeitlicher Geltungsbereich
275 275 275 275 276 276 276 276 276 277 277
277 277 278 278 279 279
280 280 281 281 281 281 282
XXII
Inhaltsverzeichnis
3. Erfaßte Fehlvorstellungen III. Zusammenfassung
282 283
C. Konkurrenzproblematik bei Berücksichtigung des einheitsrechtlichen Charakters
283
Kapitel 16: Anwendung des Konkurrenzmodells auf den Kommissionsentwurf zur Schuldrechtsreform
285
A. Vorbemerkung B. Beschränkung der Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung Gesetzeskonkurrenz I. Instrumente 1. Wesentliche Vertragsverletzung a) §323 III Nr. 1 KE b) §323 II KE aa) Unzutreffender Ausgangspunkt der Kommission bb) §323 II KE als Ausdruck der Wesentlichkekslehre
2. Nachfristverfahren und Abwendungsbefugnis des Verkäufers . . . II. Effektivität und Motivtreue 1. Effektivität 2. Motivtreue a) Durchführung des Vertrages b) Vermeidung unnötiger Güterbewegungen c) Parteiinteressen
III. Bewertung IV. Ranganordnung 1. Untersuchung der Rechtsbehelfe 2. Bewertung V. Ergebnis: Gesetzeskonkurrenz
285 285 285 285 285 286 286 287
288 289 289 290 290 290 291
291 292 292 293 294
C. Reichweite der Gesetzeskonkurrenz I. Vorrangauslösende Voraussetzungen 1. Zeitlicher Geltungsbereich 2. Kein Ausgreifen über den Beschaffenheitsbegriff hinaus 3. Keine Abhängigkeit von weiteren Tatbestandsmerkmalen 4. Ergebnis II. Erfaßte Irrtumsrechtsbehelfe
294 294 294 295 296 296 296
D. Kein vorrangiger Ausschließlichkeitsanspruch des deutschen Irrtumsrechts E. Ergebnis
296 297
Kapitel 17: Anwendung des Konkurrenzmodells auf die European Principles und die UNIDROIT-Principles
299
A. European Principles I. Vorbemerkung
299 299
Inhaltsverzeichnis
II. Beschränkung der Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung 1. Instrumente a) Nachfristverfahren b) Wesentliche Vertragsverletzung c) Abwendungsbefugnis des Verkäufers
2. Effektivität und Motivtreue a) Effektivität der Zurückdrängung der Vertragsaufhebung b) Motivtreue aa) Vermeidung unnötiger Güterbewegungen bb) Erhaltung und Durchführung des Vertrages cc) Parteiinteressen
3. Ranganordnung III. Reichweite der Gesetzeskonkurrenz 1. Vorrangauslösende Voraussetzungen a) Eigenschaftsbegriff b) Zeitlicher Wirkungsbereich
2. Erfaßte Irrtumsrechtsbehelfe IV. Kein vorrangiger Ausschließlichkeitsanspruch des Irrtumsrechts . . . V. Ergebnis: Gesetzeskonkurrenz B. UNIDROIT-Principles I. Beschränkung der Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung II. Reichweite der Gesetzeskonkurrenz 1. Vorrangauslösende Voraussetzungen a) Eigenschaftsbegriff b) Zeitlicher Wirkungsbereich der Gesetzeskonkurrenz
2. Erfaßte Irrtumsrechtsbehelfe III. Kein vorrangiger Ausschließlichkeitsanspruch des Irrtumsrechts . . . IV. Ergebnis
XXIII 299 299 299 299 299
299 299 300 300 301 301
301 302 302 302 302
302 303 303 303 303 304 304 304 304
305 305 305
Kapitel 18: Anwendung des Modells auf das BGB
306
A. Ablehnung von Gesetzeskonkurrenz I. Wesentliche Vertragsverletzung II. Nachfristverfahren und Abwendungsbefugnis 1. Abwendungsbefugnis über §459 1 2 B G B ? 2. Abwendungsbefugnis über §242 B G B ? III. Ergebnis B. Einwirkung des §460 S. 2 B G B I. Ratio legis des §460 S.2 B G B 1. Meinungsstand zur ratio legis des §460 S. 1 B G B
306 306 306 307 308 308 309 309 309
a) b) c) d) e)
Rechtsgeschäftliche Erklärungen Venire contra factum proprium Fehlende Schutzwürdigkeit Sanktion für verkehrswidriges Verhalten K o s t e n - u n d Risikominderung im beiderseitigen Interesse
309 310 310 310 311
XXIV
Inhaltsverzeichnis 2. M e i n u n g s s t a n d z u r ratio legis des § 4 6 0 S.2 B G B a) b) c) d) e)
Fehlende Schutzwürdigkeit - verkehrswidriges Verhalten Venire contra factum proprium Typisierung rechtsgeschäftlichen Parteiverhaltens Kosten-und Risikominimierung im beiderseitigen Interesse Beweiserleichterung
3. Kritische W ü r d i g u n g d e r A n s i c h t e n z u § 460 S. 2 B G B a) b) c) d) e)
Fehlende Schutzwürdigkeit - verkehrswidriges Verhalten Venire contra factum proprium Kosten- und Risikominimierung im beiderseitigen Interesse Beweiserleichterung Typisierung rechtsgeschäftlichen Parteiverhaltens Äquivalenzbetrachtung
4. E r g e b n i s z u r ratio legis des § 4 6 0 S. 2 B G B II. E i n w i r k u n g des § 4 6 0 S. 2 B G B auf die I r r t u m s a n f e c h t u n g
312 312 312 312 313 313 314 314 314 315 318 318 318 319
1. V o r a u s s e t z u n g e n d e r E i n w i r k u n g
319
2. R e i c h w e i t e d e r E i n w i r k u n g
320
a) Auslösende Voraussetzungen b) Erfaßte Rechtsbehelfe c) Ergebnis C . E i n w i r k u n g des § 4 6 1 B G B I. R a t i o legis 1. M e i n u n g s s t a n d a) Unzumutbarkeit der Haftung wegen fehlender „Nähe" des Verkäufers zur Kaufsache b) Rechtssicherheit - Endgültigkeit des öffentlichen Pfandverkaufs c) Kosten- und Risikominimierung 2. Kritische W ü r d i g u n g a) Fehlende Nähe des Pfandgläubigers b) Kosten- und Risikominimierung c) Endgültigkeit des öffentlichen Pfandverkaufs II. E i n w i r k u n g des § 4 6 1 B G B auf die I r r t u m s a n f e c h t u n g 1. V o r a u s s e t z u n g e n d e r E i n w i r k u n g 2. R e i c h w e i t e d e r E i n w i r k u n g a) Auslösende Voraussetzungen b) Erfaßte Rechtsbehelfe D . E i n w i r k u n g des § 4 6 4 B G B I. R a t i o legis des § 4 6 4 B G B 1. M e i n u n g s s t a n d a) Verzicht b) Vertrauensschutz c) Schutz des Dispositionsinteresses des Verkäufers 2. K r i t i s c h e W ü r d i g u n g a) b) c) d)
Vertrauensschutz Schutz des Dispositionsinteresses des Verkäufers Verzicht Zwischenergebnis
321 321 322 322 322 322 322 323 323 323 323 323 324 325 325 326 326 327 327 327 327 327 328 328 328 328 329 330 331
Inhaltsverzeichnis
II. Diskussion über die Anwendung des §464 BGB außerhalb der §§459ff. BGB III. Einwirkung E. Einwirkung des §477 BGB I. Ratio legis des §477 BGB 1. Herrschende Meinung a) Verkehrsschutz b) Vermeidung von Beweisschwierigkeiten c) Wiederherstellung des Rechtsfriedens
2. Leenens Theorie von der Risikoverlagerung a) b) c) d)
Ausgangspunkt Deutung als Risikoverlagerungsnorm Kritische Bewertung Bedeutung des Ansatzes von Leenen
II. Einwirkung 1. Voraussetzungen der Einwirkung 2. Ergebnis F. Einwirkung des § 377 HGB I. Wegfall der Tatbestandsvoraussetzungen des § 119 II BGB aufgrund der „GenehmigungsWirkung" des §377 II HGB ? 1. Problemaufriß 2. Rechtsfolge des §377 II HGB
XXV
331 332 333 333 333 333 334 335
337 337 337 339 341
342 342 344 344 344 344 345
a) Fiktion der Vertragsmäßigkeit b) Erweiterung des §377 II H G B zur Ausschlußnorm
345 346
3. Entscheidung II. Ratio legis des §377 BGB 1. Verkäuferschutz und Bedürfnisse des Handelsverkehrs 2. Sachgerechte Risikoverteilung III. Einwirkung 1. Voraussetzungen der Einwirkung 2. Reichweite der Einwirkung
346 348 348 349 349 349 351
a) Auslösende Voraussetzungen b) Erfaßte Rechtsbehelfe
3. Zusammenfassung
351 351
352
G. Exkurs: Folgen der EG-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf I. Beschränkung der Verfügbarkeit der Vertragsaufhebung in der Richtlinie II. Folgen für die Umsetzung und die Konkurrenzfrage
352
Zusammenfassung der Ergebnisse
355
Literaturverzeichnis
359
Stichwortverzeichnis
375
353 354
Abkürzungsverzeichnis A.A. a.a.O. ABGB Abi. EG AcP AG AJCL AJP/PJA AK Anm. Art. AT Aufl. BB Bearb. BG BGB; B.G.B. BGE BGH BGHZ BK BIZürR BT Bull. civ. bzw. Cass. civ.; Cass. com. Chron. CISG d.h. Dalloz Das Recht ders.; dies. DGVZ Diss. DJZ
Andere(r) Ansicht. am angegebenen Ort. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Osterreich). Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. Archiv für die Civilistische Praxis. Amtsgericht. The American Journal of Comparative Law. Aktuelle juristische Praxis/Prätique juridique actuelle. Alternativkommentar. Vgl. Literaturverzeichnis: Kommentar Bürgerlichen Recht. Anmerkung. Artikel. Allgemeiner Teil. Auflage.
zum
Betriebs-Berater. Bearbeiter(in). Bundesgericht (Schweiz). Bürgerliches Gesetzbuch. Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung). (Deutscher) Bundesgerichtshof. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen. Berner Kommentar. Blätter für Zürcherische Rechtsprechung. Besonderer Teil. Bulletin des arrets de la Cour de Cassation, Chambres Civiles (Frankreich), beziehungsweise. (Französische) Cour de Cassation, Chambre civile; Chambre commerciale. Chronique. United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods vom 11. April 1980. das heißt. Recueil Dalloz Sirey. Das Recht. Rundschau für den deutschen Juristenstand. derselbe; dieselbe. Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung. Dissertation. Deutsche Juristenzeitung.
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
DNotZ DRiZ DZWiR
Deutsche Notar-Zeitschrift. Deutsche Richterzeitung. Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht.
ebd. ERPL EuZW EWS
ebendort. European Review of Private Law. Europäische Zeitschrift für Wirstschaftsrecht. Euroäisches Wirtschafts- und Steuerrecht.
f., ff. Fase. Fn. FS
(und) folgende. Fascicule. Fußnote. Festschrift.
GdS Gruchot
Gedächtnisschrift. Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Dr. J.A. Gruchot.
H.L.; H.M. HGB HK HRR Hrsg.; hrsg.
Herrschende Lehre; Herrschende Meinung. Handelsgesetzbuch. Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch. Höchstrichterliche Rechtsprechung. Herausgeber; herausgegeben.
i.S.d. IPRax
Im Sinne des/der. Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts.
J JA JB1 JbWürttRpfl JDI JherJb JR Jura JuS JW JZ
Jurisprudence. Juristische Arbeitsblätter. Juristische Blätter. Jahrbücher der Württembergischen Rechtspflege. Journal du Droit International. Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts. Juristische Rundschau. Juristische Ausbildung. Juristische Schulung. Juristische Wochenschrift. Juristenzeitung.
KG LG LM LZ
Kammergericht (Berlin). Landgericht. Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs. Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht.
m.w.N. MDR MünchKomm MünchKommZPO
mit weiteren Nachweisen. Monatsschrift für Deutsches Recht. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung.
NJW NJW-RR Nr.
Neue Juristische Wochenschrift. NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht. Nummer.
Abkürzungsverzeichnis OGH OJZ OJZ-EvBl OLG OLGZ
XXIX
OR
Oberster Gerichtshof (Österreich). Osterreichische Juristen-Zeitung. Osterreichische Juristen-Zeitung - Evidenzblatt. Oberlandesgericht. Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in Zivilsachen. Amtliche Entscheidungssammlung. Obligationenrecht (Schweiz).
PECL PICC
Principles of European Contract Law. UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts.
RabelsZ RDIDC recht RG RGRK
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht. Revue de Droit International et de Droit Comparé, recht. Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis. Reichsgericht. Reichsgerichtsrätekommentar = Das Bürgerliche Gesetzbuch (...), Kommentar, herausgegeben von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes. Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Recht der Internationalen Wirtschaft. Revue Trimestrielle de Droit Civil.
RGZ RIW RTDCiv S. S.a. S.u.; S.o. SAG SeuffBl SJZ Somm. SZ
Siehe; Seite. Siehe auch. Siehe unten; oben. Schweizerische Aktiengesellschaft. Seufferts Blätter für Rechtsanwendung. Schweizerische Juristen-Zeitung. Sommaires Commentées. Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen.
Tulane LR
Tulane Law Review.
u.a. Unif.L.Rev. U N I D R O I T ; Unidroit v. UNKR
und andere. Uniform Law Review. Institut International pour l'Unification du Droit Privé. von, vom. UN-Kaufrecht = CISG.
VerjÜ
Vgl. VuR
Übereinkommen über die Verjährung beim internationalen Warenkauf vom 14. Juni 1974, in der Fassung des Protokolls vom 11.4. 1980. Vergleiche. Verbraucher und Recht.
W.L.R. Warneyer WKR
The Weekly Law Reports. Rechtsprechung des Reichsgerichts, hrsg. v. Warneyer. Wiener Kaufrecht = CISG.
z.T. ZBJV
zum Teil. Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins.
XXX ZEuP ZfRV ZG ZHR ZIP zit. ZPO ZRP ZVglRWiss ZZP
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht. Zeitschrift für Rechtsvergleichung. Zeitschrift für Gesetzgebung. Vierteljahresschrift für staatliche und kommunale Rechtsetzung. Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht. Zeitschrift für Wirtschaftsrecht. zitiert. Zivilprozeßordnung. Zeitschrift für Rechtspolitik. Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft. Zeitschrift für Zivilprozeß.
Einleitung „Beim Anblick einer Arbeit über Irrtum und Mängelhaftung die Stirn runzeln. Das Thema ist ausgewalzt."
wird mancher
Mit diesen Worten leitete Gerhard Kegel im Jahr 1948 seine Rezension des berühmten Werks von Werner Flume ein.1 In der Tat ist die Problematik lang bekannt und viel diskutiert: Der Käufer einer mangelhaften Sache befindet sich häufig auch in einem Irrtum über deren wesentliche Eigenschaften. Wenn er von dem Vertrag loskommen will, wird er sich deshalb einerseits auf die Sachmängelhaftung und andererseits auf das Irrtumsrecht berufen. Die Frage lautet dann: Kann er zwischen beiden Rechtsinstituten wählen oder unterliegt er bestimmten Beschränkungen? Im deutschen Recht ist die Antwort seit langem klar: Grundsätzlich stehen dem Käufer nur die Sachmängelansprüche zur Verfügung. a) Warum greift man ein Thema wieder auf, das in Deutschland bereits vor 50 Jahren als ausdiskutiert galt? Drei Gründe lassen sich dafür anführen: Erstens befindet sich das Vertragsrecht, international betrachtet, in den letzten Jahren im Wandel: Es gibt verschiedene Entwürfe zur Vereinheitlichung beziehungsweise zur Reform des Vertragsrechts. 2 Auch bei diesen stellt sich die Frage der Konkurrenz zwischen Irrtumsanfechtung und Sachmängelgewährleistung. Zweitens zeigt ein kurzer Blick in die neuere Rechtsvergleichung, daß ausländische Rechtsordnungen die Frage anders beantworten als die deutsche. Der Ausschluß des Irrtumsrechts ist also offenbar keine naturgegebene Selbstverständlichkeit. Drittens wurde weder im deutschen noch im ausländischen Recht Einigkeit über die theoretischen Grundlagen der Ausschlußwirkung erzielt. Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die Grundlagen des Konkurrenzverhältnisses beider Rechtsinstitute herauszuarbeiten und sie anschließend auf die deutsche lex lata einerseits und die neuen Regelwerke andererseits anzuwenden. Bei der grundsätzlichen Behandlung der Konkurrenzproblematik wird sich zeigen, daß das entscheidende Kriterium aus den neuen Regelwerken zum Vertragsrecht gewonnen werden kann.
1
Kegel, AcP 150 (1949) 356, zu: Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf. Insbesondere das UN-Kaufrecht, den deutschen Entwurf zur Schuldrechtsreform, die UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts und die Principles of European Contract Law der Lando-Kommission. 2
2
Einleitung
b) Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil dient der Bestandsaufnahme der Konkurrenzproblematik im geltenden nationalen Recht. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem deutschen Recht. Nach der Klärung wichtiger Grundlagen des Irrtums- und Gewährleistungsrechts (Kapitel 1, 2) werden die denkbaren Konkurrenzsituationen geschildert (Kapitel 3). Es folgen eine Analyse von Rechtsprechung und Literatur zur Konkurrenzfrage (Kapitel 4, 5) und ein kurzer Blick in die Rechtsvergleichung (Kapitel 6). Der zweite Teil ist den neuen Regelwerken zum Vertragsrecht gewidmet. Dargestellt werden das UN-Kaufrecht (Kapitel 7), der deutsche Entwurf zur Schuldrechtsreform (Kapitel 8), die Principles of European Contract Law (Kapitel 9) und die UNIDROIT-Principles for International Commercial Contracts (Kapitel 10). Der dritte Teil dient der Entwicklung von Kriterien für die Konkurrenzentscheidung. Nach der Klärung methodischer Grundfragen (Kapitel 11) werden die Voraussetzungen von Gesetzeskonkurrenz und Anspruchskonkurrenz herausgearbeitet (Kapitel 12, 13). Darauf aufbauend, folgt in Kapitel 14 das hier vorgeschlagene Lösungsmodell, das auf der Unterscheidung zwischen Verfügbarkeit und Modalitäten der Vertragsaufhebung beruht, die ihrerseits aus einer Analyse der modernen Regelwerke gewonnen wird. Im vierten Teil wird das vorgeschlagene Modell auf die modernen Regelwerke und das deutsche Recht angewendet (Kapitel 15-18). Anschließend folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse. c) Dieser Aufbau der Arbeit führt dazu, daß die Ausführungen in den ersten beiden Teilen vor allem der Darstellung und Systematisierung dienen, während die eigenen Gedanken und Vorschläge zur Behandlung der Konkurrenzproblematik erst in der zweiten Hälfte der Arbeit entwickelt werden. Diese Art der Darstellung ist jedoch aus verschiedenen Gründen geboten: Die ausführliche Schilderung der bisher im deutschen Recht vertretenen Lösungsmodelle ist erforderlich, weil zwar im Ergebnis nach h.M. weitgehend Einigkeit über den Vorrang des Gewährleistungsrechts besteht, die dafür angebotenen Begründungen sich aber zum Teil erheblich voneinander unterscheiden, Hinzu kommt, daß die jeweils für die Konkurrenzfrage herangezogenen methodischen Instrumente häufig nicht in gleicher Weise verstanden beziehungsweise überhaupt nicht genau definiert werden. Deshalb ist es unerläßlich, die einzelnen Ansätze systematisiert darzustellen und in Beziehung zueinander zu setzen. U m die Klarheit dieser Einordnung zu gewährleisten, verzichtet der erste Teil weitgehend auf eigene inhaltliche Stellungnahmen. Der eigene Ansatz wird vielmehr erst im dritten und im vierten Teil entwickelt. Die Darstellung der modernen Regelwerke (zweiter Teil) ist sehr ausführlich gehalten, weil sich aus diesen Regelwerken diejenigen Wertentscheidungen entnehmen lassen, die generell für die Lösung der hier behandelten Konkurrenzproblematik herangezogen werden sollten. d) Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Konkurrenzverhältnis von irrtumsrechtlicher und sachmängelrechtlicher Vertragsaufhebung. Nicht behandelt
Einleitung
3
werden solche Vertragsaufhebungsrechte, die auf Verschulden oder Arglist gestützt werden, also beispielsweise die Anfechtung nach § 123 B G B oder Ansprüche aus culpa in contrahendo. Diese Einschränkung rechtfertigt sich daraus, daß auch das gewährleistungsrechtliche Aufhebungsrecht nicht auf Verschulden oder Arglist beruht. Die hier vorgeschlagene Lösung gilt also zunächst nur für das Verhältnis des Sachmängelrechts zu solchen Rechtsbehelfen, die verschuldensunabhängig sind. O b sie auf verschuldensabhängige Aufhebungsrechte übertragbar ist oder ob das Verschuldenserfordernis die Interessenlage entscheidend verändert 3 , muß einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben. Ausgeklammert bleiben ferner die Fälle, in denen der Verkäufer den Vertrag wegen Eigenschaftsirrtums anfechten will, etwa weil er das Kunstwerk eines bedeutenden Malers zu billig verkauft hat, weil er annahm, es stamme von einem weniger bekannten Künstler. In diesen Fällen fehlt es an der typischen Konkurrenzsituation, daß einer Partei zwei unterschiedliche Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Die zur echten Konkurrenz entwickelten Kriterien passen deshalb nicht auf die Fälle des Irrtums des Verkäufers. 4 e) Die Thematik der Arbeit hat seit ihrer Einreichung als Habilitationsschrift im Januar 1999 in zweierlei Weise an Aktualität gewonnen: Im Juli 1999 ist die EG-Richtlinie 1999/44 „zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter" in Kraft getreten. Sie muß bis zum 1. Januar 2002 in das deutsche Recht umgesetzt werden. Die Richtlinie enthält Vorgaben für das deutsche Kaufrecht, die auch für die Konkurrenzfrage von Bedeutung sein könnten. Allerdings hängt dies entscheidend davon ab, in welcher Form und mit welchem Inhalt der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie umsetzen wird. Nach derzeitigem Stand (Dezember 2000) ist geplant, die Umsetzung der Richtlinie zum Anlaß für eine Gesamtreform des deutschen Schuldrechts nach dem Vorbild des Kommissionsentwurfs zur Schuldrechtsreform zu nehmen. O b dies - gerade auch in Anbetracht der kurzen Zeitspanne bis zum Umsetzungstermin - gelingen wird, ist noch nicht absehbar. Die vorliegende Arbeit bezieht sich deshalb einerseits auf das B G B in der derzeit geltenden Fassung. Sie ist jedoch auch für den Fall gerüstet, daß die große Schuldrechtsreform Wirklichkeit wird: Grundlage dieser Reform soll ja der Kommissionsentwurf der Schuldrechtskommission sein, der hier ausführlich behandelt wird und auch im Falle von Abänderungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens weiterhin als Referenzmodell dienen kann. Umgekehrt verzichtet die Arbeit auf eine ausführliche und umfassende Einarbeitung und Darstellung der Richtlinie, weil deren Text durch den Umsetzungsakt in jedem Fall verändert werden wird. Behandelt werden aus der Richtlinie nur diejenigen Wertentscheidungen, die für das hier vorgeschlagene Konkurrenzmodell unmittelbar von Interesse sind. Dies geschieht in einem Exkurs am Ende von Kapitel 18.
Vgl. dazu z.B. S. Lorenz, Schutz, S.398ff. Vgl. zur Problematik BGH, 8.6. 1988, JZ 1989, 41 m. Anm. Honseil = NJW 1988, 2597 = WM 1988, 1415; MünchKomm/tframer, § 119, Rn.27 m.w.N. 3 4
1. Teil
Die Konkurrenzproblematik im geltenden nationalen Recht Kapitel 1 Grundlagen der irrtumsbedingten Vertragsaufhebung im B G B A. Rechtsnatur und Voraussetzungen des §119 II BGB Die Vorschrift des § 119 II B G B hat zahlreiche Kontroversen ausgelöst. Die Streitpunkte zeigten sich in Ansätzen bereits in der Entstehungsgeschichte und sind bis heute nicht geklärt.
I. Entstehungsgeschichte
des §119 II
BGB
Die Vorarbeiten zum B G B erlauben keine zwingenden Schlüsse über Rechtsnatur und Voraussetzungen des § 119 II BGB. 1 Im 1. Entwurf von 1867 fand sich noch keine dem heutigen §119 II B G B vergleichbare Vorschrift.2 Der Eigenschaftsirrtum war als Motivirrtum grundsätzlich unbeachtlich.3 § 119 II B G B ist also ein Kind des 2. Entwurfs. Die 2. Kommission hielt die Beachtung des Irrtums über die verkehrswesentlichen Eigenschaften der Person oder Sache aus Gründen der „Bedürfnisse des Verkehres, der Billigkeit und dem Zuge der modernen Rechtsentwicklung" für notwendig.4 Sie ließ jedoch wichtige Fragen offen, insbesondere im Hinblick auf die Einordnung des Eigenschaftsirrtums als Erklärungs- oder Motivirrtum 5 , auf die grundsätzliche Behandlung des Motiv-
Zur allgemeinen Entwicklung des Irrtumsrechts vgl. Zimmermann, Law, S. 583ff. Vgl. MünchKomm/Zframer, §119, Rn.6. 3 Ungeklärt blieb allerdings, inwieweit ein Eigenschaftsirrtum als Inhaltsirrtum Beachtung finden könnte, vgl. Schubert, AcP 175 (1975) 426, 434 und Fn.39. 4 Vgl. Protokolle, in: Mugdan, Band I, S. 720. Kritisch zur Begründung Flume, Allgemeiner Teil, S.473. 5 Vgl. Schubert, AcP 175 (1975) 426, 448f. 1
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A. Rechtsnatur und Voraussetzungen des §119 II BGB
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irrtums 6 und auf die Frage, nach welchen Kriterien der beachtliche Eigenschaftsirrtum vom unbeachtlichen unterschieden werden sollte. 7 Hier liegen die Wurzeln der bis heute andauernden Diskussion über die korrekte Auslegung des §119 II B G B .
II. Theorien zu §119 II BGB Der Streit um § 119 II B G B beginnt bei der Frage nach dem Charakter des dort geregelten Irrtums und setzt sich bis zur Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale fort. Fünf Ansätze lassen sich unterscheiden.
1. Die Lehre vom ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum Uberwiegend wird die Ansicht vertreten, der Eigenschaftsirrtum des § 119 II B G B sei ein Motivirrtum, der kraft gesetzlicher Anordnung ausnahmsweise beachtlich sei, wenn er sich auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person oder Sache beziehe. 8 Um eine uferlose Ausdehnung der Irrtumsanfechtung zu verhindern, schränkt diese Meinung den Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft ein. Zwar geht auch sie von der verbreiteten Formel aus, daß unter „Eigenschaften" alle tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse von gewisser Dauer zu verstehen sind, die nach der Verkehrsanschauung für die Brauchbarkeit oder den Wert der Sache Bedeutung haben. 9 Doch sollen nur solche Eigenschaften ausreichend sein, die den Gegenstand unmittelbar kennzeichnen. Unbeachtlich bleiben diejenigen Umstände, die sich nur mittelbar auf die Bewertung auswirken. 10 Zu der Frage, wann eine Eigenschaft verkehrswesentlich ist, gibt es unterschiedliche Aussagen. Weitgehend durchgesetzt hat sich die Auffassung, daß es ausreicht, wenn die Eigenschaft entweder objektiv (nach dem ty-
Vgl. Protokolle, in: Mugdan, Bandl, S.721. Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, S.473. Die Regelung des § 119 II BGB gilt denn auch als mißglückt. So spricht Raape, AcP 150 (1949) 501 von einer „Fahrt ins Blaue" des Gesetzgebers. S.a. MünchKomm/Äramer, § 119, Rn. 88; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 767. 8 Larenz, Allgemeiner Teil, S. 380ff.; Larenz/Wolf.\ Allgemeiner Teil, §36, Rn.48; Erman/ Palm, §119, Rn.41; Staudinger/Dilcher, §119, Rn.45; Palandt/Heinrichs, §119, Rn.23; Brox, Allgemeiner Teil, Rn.370; Schack, Allgemeiner Teil, Rn.278ff.; Eisenhardt, Rn. 337; Giesen, Rn.232; Hühner, Rn. 786; S. Lorenz, Schutz, S.295; Leßmann, JuS 1969, 525. Differenzierend Köhler, Allgemeiner Teil, §14, Rn. 18. Aus der älteren Literatur grundlegend zur Einordnung des Eigenschaftsirrtums als Motivirrtum: Zitelmann, S.549ff. 9 Vgl. Erman/Palm, § 119, Rn. 42; Palandt/Heinrichs, § 119, Rn. 24; Larenz, Aligemeiner Teil, S.382, jeweils m.w.N. auch zur Rechtsprechung. 10 Vgl. Larenz, Allgemeiner Teil, S.382; Erman/Palm, §119, Rn.42; Staudinger/Dilcher, § 119, Rn. 61; Palandt/Heinrichs, § 119, Rn. 24; RG, 22.11.1935, RGZ 149,235,238; BGH, 18.11. 1977, NJW 1978, 370. S.a. Schwab, Rn.539ff.; Musielak, Rn.338ff. 6
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Kap. 1 Irrtumsbedingte
Vertragsaufhebung
im BGB
pischen wirtschaftlichen Zweck des Geschäfts) oder subjektiv (nach den konkreten Vereinbarungen) wesentlich ist.11 Für die Lehre vom ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum ist das Charakteristikum des Eigenschaftsirrtums im Sinne des § 119 II BGB die Nichtübereinstimmung des Willens mit der Wirklichkeit.
2. Die Lehre vom geschäftlichen
Eigenschaftsirrtum
Flume versteht §119 II BGB als Regelung des „geschäftlichen Eigenschaftsirrtums". 12 Sein Ausgangspunkt ist die These, daß sich der rechtsgeschäftliche Wille - entgegen der Ansicht Zitelmanns, der dessen Reichweite auf die Auswahl des Objekts beschränkt und die Vorstellung von der Beschaffenheit als bloßes Motiv betrachtet13 - auch auf die Eigenschaften des Leistungsgegenstandes beziehen könne, weil jene untrennbar mit dem Gegenstand verbunden seien.14 Die so gewonnene Möglichkeit der Erstreckung der Leistungsvereinbarung auf die Eigenschaften der Kaufsache macht Flume zum allein maßgeblichen Kriterium für die Frage nach der Beachtlichkeit des Eigenschaftsirrtums. Ein Irrtum über Eigenschaften des Leistungsgegenstandes berechtigt seiner Ansicht nach nur dann zur Anfechtung nach § 119 II BGB, wenn es sich um Eigenschaften handelt, deren Vorliegen (bzw. NichtVorliegen) rechtsgeschäftlich vereinbart war (sog. geschäftlicher Eigenschaftsirrtum).15 Sind dagegen die Eigenschaften, auf die sich der Irrtum bezieht, nicht Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung geworden, existieren sie also nur in der Vorstellung der irrenden Partei, so handelt es sich für Flume um einen nach § 119 II BGB unbeachtlichen, außergeschäftlichen Eigenschaftsirrtum.16 11 Erman/Palm, §119, Rn.43; Brox, Allgemeiner Teil, Rn.373; Palandt/Heinrichs, §119, Rn.25. Enger - nämlich ausschließlich im objektiven Sinn - scheint Larenz, Allgemeiner Teil, S.381, 383, den Begriff der Verkehrswesentlichkeit zu verstehen. In Teilen der älteren Literatur wurde der Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft in Anlehnung an Savignys Verständnis vom error in substantia (von Savigny, System III, §§ 137ff.; dazu Zimmermann, Law, S. 614ff.) deutlich enger verstanden. Dieser - heute nicht mehr vertretenen Ansicht nach - sollten nur solche Eigenschaften in Betracht kommen, die für die Zuordnung der Sache zu ihrer Gattung maßgeblich sind. § 119 II BGB würde demnach nur eingreifen, wenn die Sache tatsächlich einer anderen Gattung angehört, als vom Käufer angenommen wurde. Dagegen wären Qualitätsunterschiede innerhalb der Gattung unbeachtlich. Vgl. dazu von Tuhr, Allgemeiner Teil, S. 577ff.; Planck/Knoke, S. 193; Betzinger, Das Recht 1903, 276. 12 Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 69ff., 85ff.; ders., Allgemeiner Teil, S. 476ff. Ihm folgend Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.767ff., 770; ders., Bürgerliches Recht, Rn. 140f. Ahnlich Enneccerus/ Nipperdey, Allgemeiner Teil II, 15. Aufl., S.1042ff.; Raupe, AcP 150 (1949) 481, 501; Goltz, S. 192ff. 13 litelmann, S. 43 5 ff. 14 Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 11 ff., 18. 15 Vereinbart wird dabei nicht, daß die Sache die betreffenden Eigenschaften tatsächlich hat dies wäre logisch unmöglich - sondern nur, daß sie sie haben soll. Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 70. 16 Flume, Allgemeiner Teil, S. 478; ders., Eigenschaftsirrtum, S. 70,86ff., insoweit zustimmend
A. Rechtsnatur und Voraussetzungen
des § 119 II BGB
7
Dogmatisch gesehen unterscheidet sich seine Ansicht grundlegend von der Lehre vom Motivirrtum. In der praktischen Anwendung allerdings werden beide Theorien häufig zu vergleichbaren Ergebnissen gelangen, weil Flume für den geschäftlichen Eigenschaftsirrtum keine ausdrückliche Vereinbarung verlangt, sondern in Ermangelung einer besonderen Abrede auf den Geschäftstyp zurückgreifen will. Werde beispielsweise eine bestimmte Sache verkauft, so könne man davon ausgehen, daß (stillschweigend) vereinbart wurde, daß sie die gewöhnliche Beschaffenheit von Gegenständen dieser Art habe und nicht mit Eigenschaften behaftet sei, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Vereinbart sei also Mangelfreiheit im Sinne des §459 I BGB. 17 Nach Flumes Theorie wird die Begrenzung der beachtlichen Irrtumsfälle durch den Bezug auf das konkrete Rechtsgeschäft gewährleistet. Es ist deshalb nicht nötig, den Begriff der Eigenschaft einzuschränken. Anders als die Vertreter der Lehre vom Motivirrtum muß Flume also nicht zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eigenschaften unterscheiden. Die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum hat Auswirkungen auf die Beurteilung der Rechtsnatur des § 119 II BGB. Den Grund der Beachtlichkeit des Irrtums sieht sie nämlich darin, daß die tatsächliche Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands nicht der Vereinbarung entspricht. Es geht also um eine Diskrepanz von Wirklichkeit und Rechtsgeschäft 18 und nicht - wie bei der Lehre vom Motivirrtum - um ein Auseinanderfallen von Wirklichkeit und Wille. § 119 II BGB ist nach dieser Ansicht weniger eine Regelung von Willensmängeln als vielmehr eine Nichterfüllungsvorschrift.
3. Die Lehre vom
Erklärungsirrtum
Eine andere Ansicht hält die in § 119 II BGB erfaßten Irrtümer für besondere Fälle eines Erklärungsirrtums in der Form des Inhaltsirrtums (§119 I, 1. Alt. BGB). 19 Sie versteht die Formulierung des § 119 II BGB („Als Irrtum über den auch Kegel, AcP 150 (1949) 356, 361. Einen den Vorstellungen Flumes ähnlichen Ansatz wählt Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 343: Die Anfechtung sei nur dann möglich, wenn der Erklärungsgegner nach den besonderen Umständen der Vertragsverhandlungen den Eindruck gewinnen konnte, daß der Vertragsgegenstand andere Eigenschaften habe, als er tatsächlich hat. 17 Flume, Allgemeiner Teil, S. 479f. Neben dieser Objektivierung der Flumeschen Lehre trägt zur Annäherung beider Theorien auch bei, daß die meisten Vertreter der Lehre vom Motivirrtum im Rahmen der Prüfung der Verkehrswesentlichkeit auch konkrete Vereinbarungen der Parteien berücksichtigen wollen. 18 Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 87. 19 Schmidt-Rimpler, FS Lehmann, S.213ff.; Herberger, S. 172ff., insbes. S. 185ff.; Soergel/Hefermehl, § 119, Rn. 32ff., 35. Aus der älteren Literatur mit ähnlichen Ansätzen: Danz, Iherjb 46 (1904) 381, 463ff.; Krückmann, AcP 101 (1907) 393; M. Wolff, Iherjb 56 (1914) 1, 35ff.; Louis, S.68ff. Vgl. auch Brauer, insbes. S.24ff.; 108ff.; Diesselhorst, Sympotica Wieacker, S. 180,194ff.; Lippmann, AcP 102 (1907) 283, 339ff.; von Blume, Das Recht 1907, 353, 354.
8
Kap. 1 Irrtumsbedingte
Vertragsaufhebung
im BGB
Inhalt der Erklärung gilt auch") nicht als Fiktion, sondern als „Auslegungsregel, die klarstellt, wann eine Eigenschaft auch ohne wortmäßige Bezeichnung zum Inhalt der Willenserklärung gehört". 20 Das Vorliegen eines Irrtums über den Inhalt der Erklärung wird damit begründet, daß der Erklärende einen besonderen Hinweis auf bestimmte Eigenschaften unterlasse, weil er glaube, seine Erklärung beziehe sich auch so auf die von ihm vorgestellte Eigenschaft. Wer auf einen vergoldeten Ring, den er für golden hält, zeigt und erklärt, diesen kaufen zu wollen, will nach dieser Theorie zum Ausdruck bringen, er kaufe diesen goldenen Ring, während er in Wirklichkeit erklärt, den Ring, so wie er hier liege (also vergoldet), zu kaufen.21 Nach dieser Ansicht beruht die Anfechtbarkeit nach § 119 II B G B also nicht auf dem Auseinanderfallen von Realität und Wille 22 beziehungsweise Rechtsgeschäft 23 , sondern auf der Nichtübereinstimmung von Wille und Erklärung. Die genaue Ausgestaltung der Lehre vom Erklärungsirrtum wird deutlich, wenn man sie von den anderen Ansichten abgrenzt. Von der Theorie des Motivirrtums unterscheidet sie sich insofern, als sie das Motiv nur dann für beachtlich hält, wenn der Käufer es - wenn auch nicht ausdrücklich, sondern nur auf dem Umweg über die seiner (irrigen) Ansicht nach „selbstredende" Individualisierung des Kaufgegenstandes - zum Inhalt des Vertrages erheben wollte. Ein rein passives Motiv, das den Überlegungen des Käufers zwar zugrunde lag, das er aber auch auf dem geschilderten Umweg nicht in die Vereinbarung einbeziehen wollte, muß dagegen unbeachtlich bleiben. 24 Das ist nach der Lehre vom Motivirrtum anders. Anders als Flume verlangt die Lehre vom Erklärungsirrtum dagegen nicht, daß das betreffende Motiv tatsächlich zum Gegenstand der Vereinbarung gemacht wurde. Im Gegenteil, wurde das Vorliegen der Eigenschaft wirksam als geschuldet vereinbart, so führt dies zwangsläufig dazu, daß kein Irrtum im Sinne des § 119 II B G B mehr vorliegt. Denn der Käufer hat dann wirksam das erklärt, was er erklären wollte. Es fehlt an der für den Erklärungsirrtum typischen Diskrepanz zwischen (Erklärungs-)Wille und Erklärung. Daraus ergeben sich grundlegende Konsequenzen für die Konkurrenzfrage. Eine Uberschneidung von Gewährleistungsrecht und Eigenschaftsirrtum kann es nach der Lehre vom Erklärungsirrtum nämlich nicht geben. Entweder war das Vorliegen der betreffenden Eigenschaft wirksam vereinbart; dann gelten die §§459ff. B G B und ein Irrtum im Sinne des 119 II B G B liegt nicht vor. Oder es war nicht vereinbart; dann liegt zwar ein Irrtum vor, nicht jedoch ein Sachmangel im Sinne des §459 BGB. 2 5 Auch aus der in Ermangelung einer Vereinbarung
20 21 22 23 24 25
Soergel/Hefermehl, §119, Rn.32. Soergel/Hefermehl, §119, Rn.35. Wie bei der Theorie vom Motivirrtum. Wie bei der Theorie vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum. Vgl. Schmidt-Rimpler, FS Lehmann, S.213, 219, 225f. Vgl. Herberger, S.190ff.; Soergel/Hefermehl, §119, Rn.81; Danz, Iherjb 46 (1904) 381,
A. Rechtsnatur und Voraussetzungen des § 119 II BGB
9
eingreifenden objektiven Komponente des Fehlerbegriffs der herrschenden Meinung ergibt sich nichts anderes. Diejenigen Eigenschaften, die zu der gewöhnlichen Beschaffenheit von Sachen der verkauften Art gehören, sind nämlich nach der Lehre vom Eigenschaftsirrtum „vereinbart" im Sinne des Irrtumsrechts. Denn man geht davon aus, daß der Käufer allein durch die Individualisierung der Kaufsache das Vorliegen derjenigen Eigenschaften mit dem Verkäufer konkludent vereinbart, die so typisch sind, daß sie jedermann für wesentlich hält. 26 Diese Definition wiederum trifft genau auf diejenige Beschaffenheit zu, die derartige Gegenstände üblicherweise haben, deckt sich also mit der objektiven Fehlerkomponente des §459 I B G B . Das bedeutet: Im Bereich der objektiven Fehlerhaftigkeit besteht nach Ansicht der Lehre vom Erklärungsirrtum eine „Vereinbarung" (im Sinne des Irrtumsrechts), so daß kein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vorliegt. Es bleibt also dabei, daß der Anwendungsbereich des §119 II B G B dort endet, wo derjenige des §459 B G B beginnt. Die Deutung des § 119 II B G B als Erklärungsirrtum führt also zu Ergebnissen, die von denjenigen der anderen Ansichten deutlich abweichen. Die Ansicht Hefermehls 27 , es bestehe kein nennenswerter Unterschied zur Lehre vom Motivirrtum, ist deshalb in dieser Form nicht zutreffend. 28
4. Kramers Lehre vom Sachverhaltsirrtum Ein originelles Verständnis des § 119 II B G B findet sich bei Kramer. 29 Er sieht in dieser Vorschrift nichts weiter als einen lückenhaften Ansatz zu einer Gesamtregelung aller sogenannten Sachverhaltsirrtümer 30 , die im Wege einer teleologischen Extension der Vorschrift mit Hilfe von Wertungen gefunden werden müsse. Maßgeblich seien dabei die vertragliche Risikoverteilung und der Gedanke des Vertrauensschutzes. Ein Sachverhaltsirrtum berechtigt seiner Ansicht nach zur Anfechtung, wenn er, erstens, vom anderen Kontrahenten veranlaßt war oder, zweitens, diesem hätte offenbar auffallen müssen oder, drittens, von ihm geteilt worden ist und sich auf einen Umstand bezog, der zur Geschäftsgrundlage gehört. 31 464ff.; Krückmann, AcP 101 (1907) 393,395f.; M. Wolff, Iherjb 56 (1914) 1,39ff.; Louis, S. 73. S.a. S. Lorenz, Schutz, S.297, Fn.502. 2 6 Vgl. Schmidt-Rimpler, FS Lehmann, S.213, 222f. 27 Vgl. Soergel/Hefermehl, § 119, Rn.36ff. 28 Er begründet sie lediglich mit der Erwägung, nach beiden Theorien komme der sachgerechten Erfassung des Eigenschaftsbegriffs entscheidende Bedeutung zu. Insoweit ist ihm zuzustimmen. Darüber hinaus jedoch kann ihm nicht gefolgt werden. 2 9 MünchKomm/Zframer, §119, Rn.97ff. 30 Als solche bezeichnet er jeden Irrtum über „einen der Erklärung zugrundegelegten Wirklichkeitssachverhalt", also auch die Fälle des Kalkulationsirrtums und des gemeinsamen Irrtums über die Geschäftsgrundlage, MünchKomm/Xramer, § 119, Rn. 98f. 31 MünchKomm/Kramer, §119, Rn.lOlff. m.w.N. Ahnlich zum Eigenschaftsirrtum AK/ Hart, §119, Rn.27ff.
10
Kap. 1 Irrtumsbedingte
5. Die Position der
Vertragsaufhebung
im BGB
Rechtsprechung
Die Haltung der Rechtsprechung ist unklar. Die Gerichte gehen in der Regel auf die Frage nach der dogmatischen Einordnung des § 119 II BGB nicht ein und begnügen sich damit, die Vorschrift auf den konkret zu entscheidenden Fall anzuwenden. Betrachtet man die praktischen Ergebnisse, so läßt sich der Standpunkt der Rechtsprechung zwischen der Lehre vom Motivirrtum und der Theorie vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum einordnen. Ersterer ähnelt sie insbesondere darin, daß sie solche Eigenschaften für unbeachtlich hält, die sich nur mittelbar auf die Sache beziehen und nur mittelbar auf ihre Bewertung auswirken. 32 Einigkeit scheint auch darüber zu bestehen, daß es - entgegen Flume nicht erforderlich ist, daß die betreffende Eigenschaft zum Inhalt der Erklärung gemacht wurde. 33 Noch nicht abschließend geklärt ist dagegen, ob diejenigen Umstände, welche die Verkehrswesentlichkeit begründen sollen, dem Vertragsschluß in für den anderen Teil erkennbarer Weise zugrunde liegen müssen. 34 Die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinenden Aussagen lassen sich in folgender Unterscheidung miteinander verbinden: Fest steht, daß Faktoren, die nur mittelbar auf die Bewertung der Sache Einfluß nehmen, außer acht bleiben. Diejenigen Eigenschaften, die nach dieser Auslese übrigbleiben, lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: die natürlichen, körperlichen Beschaffenheitsmerkmale der Sache und diejenigen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse der Sache (insbesondere Umweltbeziehungen), die nach ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach der Verkehrsanschauung einen Einfluß auf die Wertschätzung auszuüben pflegen. Nur für die letztere Fallgruppe ist es zum Zwecke einer sinnvollen Begrenzung des Anwendungsbereichs der Irrtumsanfechtung erforderlich, daß die entsprechende Erwartung dem Vertragsschluß in erkennbarer Weise zugrunde gelegt wird. Diese Unterscheidung hat das Reichsgericht einmal ausdrücklich vertreten 35 , als es um das Alter einer gekauften Yacht ging. Dieses ordnete das Gericht den natürlichen Eigenschaften zu, die eines erkennbaren Zugrundelegens beim Vertragsschluß nicht bedürften. Der Bundesgerichtshof ist dieser Linie in einem ähnlich gelagerten Fall im Ergebnis gefolgt, wenn er auch die theoretische Frage offengelassen hat. 36 32 Vgl. RG, 22.11. 1935, RGZ 149,235,238; RG, 9.11.1906, RGZ 64,266; BGH, 18.11. 1977, N J W 1978, 370. 33 Ausdrücklich BGH, 26.10.1978, N J W 1979,160,161. In diesem Sinne auch die in der vorigen und in der folgenden Fußnote zitierten Entscheidungen, von denen keine eine derartige Vereinbarung verlangt. 34 Dies verlangen z.B.: RG, 9.11. 1906, RGZ 64, 266, 269; BGH, 22.9. 1983, B G H Z 88, 240, 246; wohl auch BGH, 18.12.1954, B G H Z 16, 54, 57. Ohne Erwähnung der Erkennbarkeit dagegen: RG, 22.11. 1935, RGZ 149, 235; BGH, 28.11. 1951, LM, Nr. 2 zu §779 BGB; BGH, 18.11. 1977, N J W 1978, 370. Ausdrücklich offengelassen in BGH, 26.10. 1978, N J W 1979, 160, 161 m.w.N. 35 RG, 3.5. 1930, LZ 1931, 240, 243f. 36 BGH, 26.10. 1978, N J W 1979, 160, 161.
B. Beiderseitiger Irrtum und Geschäftsgrundlage
B. Beiderseitiger Irrtum und
11
Geschäftsgrundlage
Eine bisher nicht abschließend geklärte Frage ist, ob der Käufer sich im Fall eines Irrtums, dem auch der Verkäufer unterlegen ist, unter Berufung auf die Lehre vom Wegfall beziehungsweise vom Fehlen der Geschäftsgrundlage vom Vertrag lösen kann. In Betracht kommt diejenige Fallgruppe der Geschäftsgrundlagenlehre, die als „subjektive Geschäftsgrundlage" bezeichnet wird. 37 Die Formulierungen variieren, lassen sich aber auf folgenden Kern zurückführen: Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsschluß bestehenden gemeinsamen (Fehl-)vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern ihr Geschäftswille darauf aufbaut. 38 Fehlt diese Geschäftsgrundlage oder fällt sie weg und ist das Festhalten an dem Vertrag dem einen Vertragspartner nicht mehr zuzumuten, während dem anderen Partner ein Abgehen vom Vertrag angesonnen werden kann, so wird die Bindung an den Vertrag gelockert. Dies kann geschehen durch eine Anpassung des Vertragsinhalts an die allgemeinen Verhältnisse oder auch durch die Auflösung des Vertrages. 39 Diese Definition der Geschäftsgrundlage ist weit genug, um Fälle des gemeinsamen Irrtums beider Parteien erfassen zu können. Dies wird häufig mit der Begründung gefordert, bei einem gemeinsamen Irrtum sei es unangemessen, diejenige Partei, die als erste von dem Vertrag loszukommen versuche, mit der Schadensersatzpflicht nach § 122 B G B zu belasten. 40 Die klassischen Fälle, in denen dies diskutiert wird, betreffen zwar gemeinsame Irrtümer, die sich nicht auf Eigenschaften der Kaufsache beziehen. 41 Doch wird auch vertreten, daß ein beiderseitiger Irrtum von Verkäufer und Käufer über Eigenschaften der Kaufsache nach den Regeln des Fehlens der Geschäftsgrundlage zu behandeln sei.42 Konsequenterweise müßte dies dazu führen, daß der Anwendungsbereich des § 119 II B G B auf den einseitigen Eigenschaftsirrtum beschränkt wird.
Vgl. dazu Larenz, Allgemeiner Teil, S. 391 ff. Vgl. z.B. BGH, 14.10.1992, NJW 1993,259,262; BGH, 23.2. 1995, NJW 1995,1425,1428; BGH, 15.1. 1969, WM 1969, 497, 499, jeweils m.w.N. S.a. Larenz, Allgemeiner Teil, S.395. 39 Vgl. BGH, 23.2. 1995, NJW 1995, 1425, 1428. 4 0 So z.B. Larenz, Allgemeiner Teil, S.391 ff.; Soergel/Hefermehl, §119, Rn.66; Staudinger/ Dilcher, §119, Rn.93. Ablehnend z.B. Flume, Allgemeiner Teil, S.488; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 162. 41 So beispielsweise in den sog. Börsenkursfällen, vgl. Larenz, Allgemeiner Teil, S. 391 ff. Weitere Beispiele bei Goltz, S.212ff.; Palandt/Heinrichs, §242, Rn. 149ff.; Jauernig/Vollkommer, §242, Rn. 80f. 42 So ausdrücklich Larenz, Allgemeiner Teil, S. 392. Ablehnend Flume, Allgemeiner Teil, S. 488. Die Rechtsprechung scheint davon auszugehen, daß ein gemeinsamer Irrtum über Eigenschaften der Kaufsache grundsätzlich nach den Regeln über die Geschäftsgrundlage behandelt werden kann, muß diese Frage aber in der Regel nicht entscheiden, weil sie die Berufung darauf neben der Sachmängelhaftung der §§ 459ff. BGB auf der Konkurrenzebene in gleicher Weise ausschließt wie die Irrtumsanfechtung. Vgl. z.B. BGH, 7.2.1992, BGHZ117,159,162f. S.u. Kapitel 4: C. 37
38
12
Kap. 1 Irrtumsbedingte
C. Bewertung
Vertragsaufljebung
der irrtumsbedingten nach dem BGB I. Abzulehnende
1. Kramers Lehre vom
im
BGB
Vertragsaufhebung
Ansätze
Sachverhaltsirrtum
Kramers Ansatz, § 119 II B G B zu einer einheitlichen Regelung für alle sogenannten Sachverhaltsirrtümer auszubauen und an den Grundsätzen der vertraglichen Risikoverteilung und des Vertrauensschutzes auszurichten, ist zwar de lege ferenda erwägenswert, de lege lata jedoch mit der ganz herrschenden Meinung abzulehnen. 43 Die von ihm herangezogenen Kriterien der Veranlassung, der Erkennbarkeit und der Geschäftsgrundlage finden keine Grundlage im Wortlaut der deutschen Irrtumsvorschriften. § 119 B G B legt vielmehr selbst detaillierte Voraussetzungen fest, die gegeben sein müssen, um die Anfechtbarkeit zu begründen. Daneben bleibt kein Raum für die von Kramer vorgeschlagenen zusätzlichen Einschränkungen.
2. Lehre vom
Erklärungsirrtum
Die Lehre vom Erklärungsirrtum ist insofern verdienstvoll, als sie eine wichtige Unterscheidung des deutschen Irrtumsrechts verdeutlicht. In der Tat kann sich eine Partei nicht nur über das tatsächliche Vorliegen bestimmter Eigenschaften irren, sondern auch darüber, ob ihre Willenserklärung zum Ausdruck bringt, daß diese Eigenschaften vom Verkäufer geschuldet werden. 44 Im zweiten Fall handelt es sich um einen Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 I B G B . Es geht aber zu weit, wenn man auch im ersten Fall im Wege einer Auslegungsregel die verkehrswesentlichen Eigenschaften einer bestimmten Kaufsache zum Inhalt einer jeden Willenserklärung macht. 45 Mit dem Wortlaut des § 119 II B G B ist das nicht vereinbar. Dieser besagt, daß der Eigenschaftsirrtum dem Inhaltsirrtum „gleichzustellen" ist. Einer ausdrücklich angeordneten Gleichstellung bedarf es jedoch nur, wenn man im Grundsatz davon ausgeht, daß der Eigenschaftsirrtum sich vom Inhaltsirrtum unterscheidet. Für die Lehre vom Erklärungsirrtum ist dies nicht der Fall, weil jeder Eigenschaftsirrtum automatisch in einen Erklärungsirrtum mündet. §119 II B G B wäre also funktionslos. Soweit die Lehre vom Erklärungsirrtum also den Eigenschaftsirrtum lediglich als besondere Form des nach §119 I B G B beachtlichen Erklärungsirrtum betrachtet, ist sie abzulehnen. Für die Konkurrenzfrage von Bedeutung sind ih43 Vgl. Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 770; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 382; Flume, J Z 1985, 470, 474; (kritisch auch de lege ferenda) S. Lorenz, Schutz, S. 286ff. 4 4 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, S. 464. 4 5 Vgl. S. Lorenz, Schutz, S. 298; Flume, Allgemeiner Teil, S. 464.
C. Bewertung
13
re Gedanken jedoch insoweit, als sie verdeutlichen, daß sich auch ein typischer Erklärungsirrtum nach § 1191 B G B auf eine (fehlende) Eigenschaft der Kaufsache beziehen kann.
II. Verbleibende
Erklärungen
Die Ablehnung der Lehre vom Erklärungsirrtum und der Ansicht Kramers entspricht dem derzeitigen Stand der Diskussion im deutschen Irrtumsrecht. Übrig bleiben demnach die Theorie vom ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum und Flumes Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum. Der Streit zwischen diesen zwei Ansichten ist nach wie vor offen. Er soll auch im Rahmen dieser Arbeit nicht entschieden werden, die sich mit der Konkurrenzfrage befaßt und nicht mit der Ausgestaltung der konkurrierenden Rechtsbehelfe. Es wird sich auch zeigen, daß die Konkurrenzentscheidung als solche nach dem hier vorgeschlagenen Modell nicht davon abhängt, welcher dieser beiden Theorien man bei der Auslegung des § 119 II B G B folgt. Zwar mag es sein, daß nach der weiteren Fassung der Theorie vom Motivirrtum mehr Fälle auftreten können, in denen die Anfechtungsvoraussetzungen gegeben sind. Dementsprechend wird die Konkurrenzfrage häufiger auftreten. Es handelt sich dabei jedoch um ein numerisches Phänomen, das - nach der hier vertretenen Ansicht keine Auswirkung auf die Konkurrenzentscheidung als solche hat.
III. Sonderfall: Wegfall der Geschäftsgrundlage beim gemeinsamen Eigenschaftsirrtum Abzulehnen ist grundsätzlich auch der Vorschlag, bei einem gemeinsamen Eigenschaftsirrtum beider Parteien nicht §119 II B G B , sondern die Lehre von der (subjektiven) Geschäftsgrundlage zur Anwendung zu bringen. 46 Das Gesetz hat den Irrtum über Eigenschaften der Kaufsache besonders geregelt und den in §119 II B G B genannten Voraussetzungen unterworfen. Grundsätzlich besteht deshalb weder ein Bedürfnis noch Raum für einen Rückgriff auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage. 47 Der Wortlaut der Vorschrift läßt keine Einschränkung auf einseitige Irrtümer erkennen. Auch teleologische Erwägungen führen nicht zwingend dazu, gemeinsame Irrtümer dem Anwendungsbereich des § 119 II B G B zu entziehen. Die Belastung des Anfechtenden mit der Schadensersatzpflicht aus §122 B G B läßt sich damit rechtfertigen, daß es grundsätzlich dem Irrenden obliegt, die Folgen seiner Fehlvorstellung zu tragen. Führen diese zu Nachteilen, so mag er deren Vermeidung mit dem Ersatz des Vertrauensschadens bezahlen. 48 46 47
48
Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, S.488; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 162. Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 162. Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 162.
14
Kap. 1 Irrtumsbedingte
Vertragsauft)ebung
im BGB
Auf der anderen Seite ist nicht zu leugnen, daß die deutsche Rechtsprechung bei gemeinsamen Eigenschaftsirrtümern jedenfalls von der Möglichkeit der Anwendung der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgeht. Deshalb wird diese Arbeit bei der Behandlung der Konkurrenzproblematik im deutschen Recht jeweils kurz darauf eingehen. Dabei wird sich zeigen, daß die Konkurrenzfrage sowohl nach der herrschenden Meinung als auch nach dem hier vorgeschlagenen Lösungsmodell nicht davon abhängt, ob gemeinsame Eigenschaftsirrtümer unter die Lehre von der Geschäftsgrundlage fallen oder nach §119 II BGB zu behandeln sind.
Kapitel 2
Grundlagen der kaufrechtlichen Gewährleistung im B G B Die Regelung der kaufrechtlichen Gewährleistung in den §§459ff. BGB hat zahlreiche Kontroversen ausgelöst. Drei Streitpunkte sollen vorab behandelt werden: die Frage nach dem dogmatischen Charakter der Sachmängelhaftung, die Debatte um den Fehlerbegriff und die Reichweite von § 4591 BGB einerseits und §459 II BGB andererseits.
A. Dogmatischer Charakter der
Sachmängelhaftung
Der dogmatische Charakter der Sachmängelhaftung ist umstritten. Nach der Gewährleistungstheorie ist der Verkäufer nicht verpflichtet, die Sache mangelfrei zu leisten. Auch mit einer fehlerhaften Sache kann er also seine Hauptleistungspflicht erfüllen. Die in den §§ 459ff. BGB angeordnete Haftung stellt sich dieser Ansicht nach als Ausdruck einer besonderen Gewähr für die Qualität der Kaufsache dar, die das Gesetz beziehungsweise der Vertrag dem Verkäufer auferlegt.1 Die Nichterfüllungstheorie2 dagegen erlegt dem Verkäufer die Verpflichtung auf, eine mangelfreie Sache zu leisten. Die Lieferung einer fehlerhaften Sache ist deshalb ein Fall der Nichterfüllung des Kaufvertrages.3 Der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung des Verkäufers zu mangelfreier Leistung entspricht nach dieser Ansicht aber kein durchsetzbarer Anspruch des Käufers auf Erfüllung in natura. Das Gesetz könne einen solchen Anspruch verweigern und habe dies durch die Regelungen der §§459ff. BGB getan; ausgeschlossen seien insoweit auch die allgemeinen Vorschriften über die Nichterfüllung von Leistungspflichten.4 Die praktische Bedeutung des Theorienstreits ist gering. Im Bereich des Gattungskaufs ergibt sich das nach herrschender Meinung aus der Regelung des Larenz, Schuldrecht I I / l , S.66ff. m.w.N.; Esser/Weyers, Schuldrecht I I / l , S.31. Vgl. Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 169ff., 151 ff. m.w.N.; Brox, Besonderes Schuldrecht, Rn.58. 3 Differenzierend Flume, Eigenschaftsirrtum, S.41. 4 Vgl. z.B. zur Wandelungseinrede und ihrem Verhältnis zu § 320 B G B Soergel/U. Huber, vor §459, Rn.233ff.; kritisch zur fehlenden Nachbesserungsmöglichkeit des Verkäufers im B G B Medicus, Geschichte, S.307, 308. 1
2
Kap. 2 Kaufrechtliche
16
Gewährleistung
im BGB
§480 B G B (Nachlieferungsanspruch). 5 Selbst beim Spezieskauf werden die Theorien zur Lösung konkreter Rechtsanwendungsprobleme heute kaum mehr herangezogen. Das gilt insbesondere für die Konkurrenz zwischen Sachmängelrecht und allgemeinem Schuldrecht. So lehnt beispielsweise U. Huber als Vertreter der Nichterfüllungstheorie die Anwendung des §320 B G B bei Lieferung einer mangelhaften Sache mit der Begründung ab, es fehle mangels eines durchsetzbaren Gegenanspruchs des Käufers bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen des §320 B G B . 6 Auch auf die hier behandelte Frage der Konkurrenz zwischen Irrtumsanfechtung und Gewährleistungsrecht hat die Auseinandersetzung keine Auswirkungen. 7
B.
Fehlerbegriff
I. Objektiver Fehlerbegriff beim Spezieskauf Die heute nur noch vereinzelt vertretene objektive Lehre 8 nimmt einen „Fehler" im Sinne des §459 I B G B nur dann an, wenn die Sache von der normalen Beschaffenheit eines Exemplars derselben Gattung abweicht. Im Rahmen des § 4591 B G B kommt es demnach nicht auf die Vereinbarungen der Parteien an. Diese werden vielmehr i.R.d. §459 II B G B berücksichtigt: Weicht die Sache zwar nicht von der normalen Beschaffenheit eines Exemplars ihrer Gattung ab, wohl aber von den nach dem Vertrag vorausgesetzten Eigenschaften, so kann es sich allenfalls um das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft handeln, für die der Verkäufer nach § 459 II B G B haftet. Hier kommt die Lehre vom objektiven Fehlerbegriff in Schwierigkeiten im Hinblick auf die Rechtsfolgen. Denn §459 II B G B führt nicht nur zur Wandelung oder Minderung des § 462 B G B , sondern - anders als § 4591 B G B - auch zur (verschuldensunabhängigen) Haftung auf Schadensersatz aus §463 B G B beziehungsweise §480 B G B . Ihre Vertreter stehen deshalb vor der Wahl, entweder den Begriff der „Zusicherung" je nach angewendeter Norm unterschiedlich zu definieren (weit bei §459 II B G B , eng bei §§463, 480 B G B ) 9 oder bei jeder Abweichung von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit auch Schadensersatz zu gewähren 10 und so die vom Gesetz vorgesehene Unterscheidung zwischen §459 I B G B und §459 II B G B weitgehend zu überspielen.
Vgl. Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 156ff., aber auch die Nachweise in Fn.45f. zu Rn. 160. Vgl. Soergel/U. Huber, vor §459, Rn.237. 7 Vgl. Walter, S.136; Soergel/U. Huber, vor §459, Rn.168; Staudingerl Honseil, vor §459, Rn. 10. 8 KnöpfJe, Fehler, insbes. S.265ff.; ders., NJW 1987, 801; ders., JZ 1978, 121; ders., AcP 180 (1980) 462. Aus der älteren Literatur: Haymann, RG-FS III, S.317. 9 Haymann, RG-FS III, S.317, insbes. 336ff. 10 Knöpfte, NJW 1987, 801, 803ff. 5 6
17
B. Fehlerbegriff
II. Subjektiver
Fehlerbegriff
beim
Spezieskauf
I n Literatur 1 1 und Rechtsprechung 1 2 hat sich heute im Ergebnis der subjektive Fehlerbegriff durchgesetzt. D a n a c h ist in erster Linie die Vereinbarung der Parteien maßgeblich: D i e gelieferte Sache ist fehlerhaft im Sinne des § 4 5 9 I B G B , w e n n ihre tatsächliche (Ist-)Beschaffenheit v o n der im Vertrag vereinbarten (Soll-)Beschaffenheit zum Nachteil des Käufers abweicht, kurz, wenn sie nicht vertragsgemäß ist. L ä ß t sich eine vertragliche Vereinbarung nicht feststellen, so k o m m t hilfsweise der objektive Fehlerbegriff zum Zuge. O b man deshalb v o n einem subjektiv-objektiven Fehlerbegriff sprechen muß 1 3 , oder o b man die normale Beschaffenheit bei Fehlen einer besonderen Vereinbarung als vereinbart gelten läßt und so weiter v o n einem subjektiven Verständnis sprechen kann 1 4 , ist eine terminologische Frage ohne praktische Auswirkungen. 1 5 D e r subjektive Fehlerbegriff faßt den A n w e n d u n g s b e r e i c h des § 4 5 9 I B G B grundsätzlich weiter als der objektive. A u c h eine an sich mangelfreie Sache kann „fehlerhaft" im Sinne des Kaufrechts sein, w e n n sie den (über die normale B e schaffenheit dieser A r t von Sachen hinausgehende) Vereinbarungen der Parteien nicht entspricht. E i n e Geige, die fälschlicherweise als v o n Stradivari stammend verkauft wurde, kann n o c h so wunderbar klingen, sie ist trotzdem mit einem F e h l e r im Sinne des § 4 5 9 1 B G B behaftet. U m g e k e h r t wird man bei Vereinbarung einer gegenüber der normalen Beschaffenheit minderen Qualität davon ausgehen müssen, daß kein Fehler vorliegt. D i e vertragliche Einigung m u ß sich insoweit durchsetzen. 1 6 D e r subjektive Fehlerbegriff hat gegenüber dem objektiven erhebliche V o r teile. S o ist beispielsweise die G r e n z e zwischen Falschlieferung und Schlechtlieferung beim Spezieskauf einfach zu ziehen. 1 7 Anders als nach der L e h r e v o m objektiven Fehlerbegriff k o m m t es nämlich nicht darauf an, o b der Mangel die Sache nur als schlechtes E x e m p l a r der vereinbarten G a t t u n g erscheinen läßt oder bereits zu einem Gegenstand einer anderen G a t t u n g macht (mit der Folge daß nach o b j e k t i v e m Verständnis allgemeines Leistungsstörungsrecht A n w e n -
11 Vgl. nur Soergel/U. Huber, §459, Rn.20ff., vor §459, Rn.35; Staudinger/Honseil, §459, Rn. 18ff.; NlürictiLomm/Westermann, §459, Rn. 8ff.; Erman/Grunewald, vor §459, Rn.3f.; Palandt/Putzo, §459, Rn. 8; Flume, Eigenschaftsirrtum, S.128ff.; Larenz, Schuldrecht II/l; S.38; Walter, S.143f.; Reinicke/Tiedtke, Rn.265ff.; Esser/Weyers, Schuldrecht II/l, S.33ff.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn.329ff.; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 700ff.; Überblick zum Fehlerbegriff bei Foerste, JuS 1994, 202. 12 Vgl. z.B. BGH, 22.6. 1983, NJW 1983, 2242; BGH, 28. 3.1984, NJW 1984, 2289. 13 So MünchKomm/WesterTTM««, §459, Rn.9 m.w.N. 14 So Soergel/U. Huber, vor §459, Rn.31. 15 Vgl. Staudinger/Honsell, §459, Rn.20. 16 Vgl. Reinicke/Tiedtke, Rn.269. Die Heranziehung des objektiven Fehlerbegriffs erfolgt also nur subsidiär (in Ermangelung einer Vereinbarung) und nicht alternativ (auch neben einer anderslautenden Vereinbarung). 17 Vgl. Erman/Grunewald, vor §459, Rn.3; Staudinger/Honsell, §459, Rn.27. S.a. Reinicke/ Tiedtke, Rn.266.
18
Kap. 2 Kaufrechtliche
Gewährleistung
im BGB
dung fände). Entscheidend ist nach der herrschenden Meinung allein, daß in beiden Fällen die Sache nicht der Vereinbarung entspricht. Dies führt zur Anwendung der §§ 459ff. B G B . Eine Falschlieferung gibt es danach nur im Fall des sogenannten Identitäts-aliud, wenn also ein anderes Stück geliefert wird als dasjenige, welches sich der Käufer ausgesucht hat.
III. Fehlerbegriff beim Gattungskauf Die Diskussion um den Fehlerbegriff beim Gattungskauf verläuft in anderen Bahnen als beim Spezieskauf. Es ist anerkannt, daß ein vollständiger Verzicht auf subjektive Elemente nicht möglich ist, weil wenigstens die vom Verkäufer geschuldete Gattung nach den Vereinbarungen der Parteien festzulegen ist. Dementsprechend ist anerkannt, daß die Lieferung von Exemplaren der geschuldeten Gattung, die nicht mittlerer Art und Güte im Sinne des §243 I B G B sind oder nicht der innerhalb der Gattung von den Parteien vereinbarten Beschaffenheit entsprechen, Gewährleistungsansprüche aus §§480, 459ff. B G B auslöst. 18 Die Diskussion zwischen „objektiver" und „subjektiver" Auffassung entzündet sich vielmehr an der Frage, ob bzw. inwieweit die Lieferung einer Sache, die nicht mehr zur geschuldeten Gattung gehört, unter das Gewährleistungsrecht fällt und deshalb kein dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht unterfallendes aliud darstellt. Hier lassen sich für den Bereich des bürgerlich-rechtlichen Kaufs im wesentlichen drei Ansichten unterscheiden. Eine extrem subjektiv gefärbte Ansicht will jede „als Erfüllung" des Kaufvertrages erbrachte Lieferung dem Gewährleistungsrecht unterstellen, selbst wenn sie weit über die Grenzen der geschuldeten Gattung hinausgeht. Allenfalls bei ganz besonders krassen Abweichungen wird teilweise die Annahme eines aliud erwogen. 19 Eine andere Ansicht will die von der herrschenden Meinung beim beiderseitigen Handelskauf aus §378 H G B abgeleitete Unterscheidung nach der Genehmigungsfähigkeit der Falschlieferung 20 auf den bürgerlich-rechtlichen Kauf übertragen. Demnach läge ein Sachmangel vor, wenn die Abweichung von der vertraglich geschuldeten Gattung genehmigungsfähig im Sinne des §378 H G B wäre. 21 Der Bundesgerichtshof lehnt eine Übertragung der Unterscheidung nach der Genehmigungsfähigkeit auf den bürgerlich-rechtlichen Kauf ab und bleibt dabei, daß die geschuldete Gattung ermittelt werden muß. Liegt die gelieferte Ware noch innerhalb derselben, findet Sachmängelrecht Anwendung. Liegt sie 18 Vgl. Marburger, JuS 1983, 1, 2; Reinicke/Tiedtke, Rn.530ff. A.A.: Esser/Weyers, Schuldrecht II/l, S. 56ff. Hiergegen überzeugend Reinicke/Tiedtke a.a.O. 19 Vgl. z.B. Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 124ff. m.w.N.; Erman/Grunewald, vor §459, Rn.46f.; Koller/Roth/Morck/Roth, §378, Rn.7f., 16. S.a. Singer, ZIP 1992, 1058ff. 2 0 S. dazu BGH, 9.10. 1991, BGHZ 115, 286, 293ff. m.w.N. 21 Vgl. z.B. Reinicke/Tiedtke, Rn.537ff.; Medicus, Besonderes Schuldrecht, Rn. 79; Larenz, Schuldrecht II/l, S. 80; Canaris, Handelsrecht, S. 430f.; Karsten Schmidt, Handelsrecht, S. 840ff.
19
C. Reichweite von §4591 BGB und §459 II BGB
außerhalb, handelt es sich um ein aliud, das allgemeinem Leistungsstörungsrecht unterliegt. 22 Für die im Rahmen der vorliegenden Arbeit verfolgten Zwecke bedarf dieser Streit keiner Entscheidung. Ein Eigenschaftsirrtum im Sinne des §119 II B G B kann beim Gattungskauf nämlich nur dann vorliegen, wenn die gesamte Gattung fehlerhaft ist. 23 In diesem Fall handelt es sich nach allen Ansichten um eine Schlechtlieferung, die dem Sachmängelrecht unterliegt.
C. Unterschiedliche
Reichweite von § 459I BGB und $ 459 II
BGB
Die Reichweite von § 4 5 9 1 B G B einerseits und §459 II B G B andererseits unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht. Dies kann bei der Beurteilung der Konkurrenzfrage eine Rolle spielen und wird deshalb kurz erörtert.
I. Unterscheidung zwischen Beschaffenheit i. S. d. § 459 I BGB und Eigenschaft i. S. d. §459 II BGB 1. Haltung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung definiert den für einen Fehler im Sinne des §459 I B G B maßgeblichen Begriff der Beschaffenheit anders als den der Eigenschaft im Sinne des § 459 II B G B . Es geht dabei um diejenigen Fälle, in denen nicht die physische Beschaffenheit der Sache betroffen ist, sondern deren tatsächliche, wirtschaftliche, soziale oder rechtliche Beziehungen zur Umwelt. Grundsätzlich können diese zum Gegenstand sowohl einer bloßen Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des §459 I B G B als auch einer Zusicherung gemäß §459 II B G B gemacht werden. Allerdings schränkt die Rechtsprechung die Zulässigkeit einer Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des §459 I B G B auf solche Umstände ein, die der Kaufsache „unmittelbar innewohnen", „von ihr ausgehen" oder ihr „anhaften". 24 Verneint wird dies insbesondere bei Ertragsangaben des Verkäufers für verkaufte Grundstücke oder Unternehmen. 25 Dagegen wird diese Nähebeziehung in der Regel nicht verlangt, wenn es um die Frage geht, ob der betreffende Umstand nach §459 II B G B zugesichert wer-
22 BGH, 9.10. 1991, BGHZ 115, 286, 293ff. m.w.N.; zustimmend Baumann/Duden/Hopt, §378, Rn.5; MünchKomm/Westermann, §459, Rn.22ff. 23 S.u. Kapitel 3: B. 24 Vgl. z.B. BGH, 28.3.1984, NJW 1984,2289; BGH, 12.6.1985, NJW 1985,2472; BGH, 6.6. 1986, NJW 1986, 2824; BGH, 18.11. 1977, NJW 1978, 370; BGH, 12.11. 1969, NJW 1970, 653, 654. Zu dieser Rspr. Staudinger/Honseil, §459, Rn.31ff. S.a. BGH, 3.7. 1992, NJW 1992, 2564, 2565; BGH, 24.4. 1996, NJW 1996, 2025. 25 Vgl. Soergel/U. Huber, §459, Rn.34ff. m.w.N.; Walter, S. 147f.
20
Kap. 2 Kaufrechtliche
Gewährleistung
im BGB
den kann. Zwar haben einige unklar formulierte Entscheidungen26 Zweifel gesät, ob die Rechtsprechung möglicherweise das Erfordernis des „Anhaftens" auf die Eigenschaftszusicherung des §459 II BGB übertragen wolle, doch muß man wohl angesichts der Klarstellung durch den BGH im Urteil vom 3.7. 199227 davon ausgehen, daß dies nicht der Fall ist. Legt man die Haltung der Rechtsprechung zugrunde, ist also zwischen „vereinbarungsfähigen" (§459 I BGB) und „zusicherungsfähigen" (§459 II BGB) Beschaffenheitsmerkmalen zu unterscheiden. Erstere setzen die beschriebene Nähebeziehung zur Kaufsache voraus, letztere nicht. Die nur zusicherungsfähigen, aber nicht vereinbarungsfähigen Umstände bedürfen, wenn sie die Sachmängelhaftung auslösen sollen, der Zusicherung gemäß §459 II BGB, sind also „zusicherungsbedürftig".
2. Kritik in der
Literatur
In der Literatur wird die Unterscheidung zwischen Beschaffenheits- und Eigenschaftsbegriff zu Recht kritisiert.28 Sie gilt als heute nicht mehr gerechtfertigte Nachwirkung des früher in der Rechtsprechung vertretenen objektiven Fehlerbegriffs, die überdies in der Praxis nicht sauber anzuwenden sei.29 Uberwiegend wird deshalb vorgeschlagen, sowohl bei §459 I BGB als auch bei §459 II BGB auf das Kriterium des Anhaftens zu verzichten.30 Es besteht dann hinsichtlich der Umstände, auf die sich eine Vereinbarung beziehungsweise eine Zusicherung beziehen kann, kein Unterschied zwischen §459 I BGB und §459 26 BGH, 28.6. 1972, NJW 1972, 1658; BGH, 28.3. 1990, NJW 1990, 1659, 1660; BGH, 26.4. 1991, NJW 1991, 2556. 27 NJW 1992,2564,2565. Einige der scheinbar auf eine Gleichstellung von §459 I und §459 II BGB hindeutenden Urteile (z.B. BGH, 28.3.1990, NJW 1990,1659) lassen sich auch so deuten, daß sie nur feststellen, daß völlig außerhalb der Kaufsache liegende, von ihrer Beschaffenheit unabhängige Umstände, von vornherein außer Betracht bleiben. Man könnte in diesen Fällen also auch sagen, es handle sich schon nicht um eine „Umweltbeziehung" der Kaufsache. Dann gelangte man zu der von Soergel/U. Huber, §459, Rn. 33f., 39, angesprochenen - aus den Erläuterungen zu §119 II BGB bereits bekannten - Dreiteilung in außerhalb der Kaufsache liegende Umstände (unbeachtlich), der Kaufsache nicht anhaftende Umweltbeziehungen (§459 I BGB) und der Kaufsache anhaftende Umweltbeziehungen (§459 I und §459 II BGB), vgl. BeckerEberhard, JuS 1992, 461, 464f. 28 Immenga, AcP 171 (1971) 1, insbes. 13ff.; Soergel/U. Huber, §459, Rn.33ff.; Staudinger/ Honseil, §459, Rn.33ff.; MünchKomm/Westm»i2«tt, §459, Rn. 18f.; Erman/Grunewald, vor §459, Rn. 19; Walter, S.155ff.; Reinicke/Tiedtke, Rn.286ff.; Esser/Weyers, Schuldrecht II/l, S.37ff.; Flume, Eigenschaftsirrtum, S.. 119; Schack, AcP 185 (1985) 333, 338ff. S.a. Koller, NJW 1981, 1768 (schon grundsätzlich kritisch zur Berücksichtigung von Umweltbeziehungen i.R.d. §459 BGB). 29 Vgl. Immenga, AcP 171 (1971) 1, 6ff.; Staudinger/Honsell,% 459, Rn.33ff.; Soergel/U. Huber, § 459, Rn. 33 ff.; MünchKomm! Westermann, § 459, Rn. 19; Walter, S. 156f. 30 Vgl. Immenga, AcP 171 (1971) 1, insbes. 17f.; Staudinger/Hansell, §459, Rn.33ff.; MünchKomm¡Westermann, §459, Rn.l8f.; Reinicke/Tiedtke, Rn.286ff.; Becker-Eberhard, JuS 1992, 461, 466ff.
C. Reichweite von §459I BGB und §459 II BGB
21
II B G B . Die Trennlinie zwischen beiden Vorschriften läßt sich nur anhand der Frage ziehen, ob eine Zusicherung (i.S. einer Gewährübernahme mit unbedingtem Einstandswillen für den Fall des Fehlens des betreffenden Umstands) vorliegt: Ist dies der Fall, so greifen neben den §§ 459 I I , 462 B G B auch die schärferen Haftungsfolgen des §463 B G B ein. Liegt dagegen keine Zusicherung vor, bleibt es bei Wandelung und Minderung nach §§459 I, 462 B G B . Zu klären bleibt nach dieser Ansicht lediglich, wie weit der einheitliche Eigenschaftsbegriff des §459 I bzw. II B G B zu fassen ist. Überwiegend spricht man sich dafür aus, den weiten Eigenschaftsbegriff des §459 II B G B heranzuziehen. 31 Teilweise wird vorgeschlagen, diesen zu beschränken. 32
3. Bezug zur vorliegenden Arbeit An dieser Stelle braucht keine der beiden Streitfragen endgültig entschieden zu werden. Es genügt festzuhalten, daß zwischen Rechtsprechung und herrschender Lehre Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob zwischen vereinbarungsfähigen (§459 I B G B ) und zusicherungsbedürftigen (§459 II B G B ) Beschaffenheitsmerkmalen unterschieden werden muß.
II. Minderung des Werts oder der Gebrauchstauglichkeit Die auf §459 I B G B gestützte Sachmängelhaftung setzt voraus, daß der Fehler den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufhebt oder mindert. Bei §459 II B G B ist dies nicht erforderlich. Daraus ergibt sich eine weitere Kategorie von „zusicherungsbedürftigen" Fehlern. Jede Beschaffenheitsangabe, deren Fehlen nicht den Wert oder die Tauglichkeit im Sinne des § 4591 B G B mindert, bedarf zur Auslösung der Sachmängelhaftung der Zusicherung gemäß §459 II B G B . In der Rechtsprechung hat diese Konstellation beim Verkauf gebrauchter Fahrzeuge oder Maschinen Bedeutung erlangt. Wird vereinbart, daß das Fahrzeug ein bestimmtes Alter haben soll und ist es in Wirklichkeit älter, so begründet allein dies nach Ansicht der Rechtsprechung noch keine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 4591 B G B . Begründet wird dies mit der Erwägung, daß das höhere Alter an sich die Tauglichkeit zum Gebrauch nicht beeinträchtige. 33 Gleich-
Immenga, AcP 171 (1971) 1, insbes. 17f.; Staudinger/Honseil, §459, Rn.33ff. Vgl. Soergel/U. Huber, §459, Rn.41; Koller, NJW 1981, 1768. 33 Vgl. RG, 3.10. 1928, LZ 1929, 547 (Yacht I); RG, 3.5. 1930, LZ 1931,240 (Yacht II); BGH, 26.10.1978, NJW 1979,160 (Gebrauchtwagen); BGH, 9.10.1980, J R 1981,151f. (Mähdrescher). S. dazu ausführlich unten bei der Schilderung der Haltung der Rechtsprechung zur Konkurrenzfrage. 31
32
Kap. 2 Kaufrechtliche Gewährleistung im BGB
22
zeitig gehen die G e r i c h t e j e d o c h davon aus, daß bei einer Zusicherung des A l ters eine H a f t u n g aus § 4 5 9 I I B G B eintritt. 3 4 D i e s e r A n s i c h t wird in der Literatur mit R e c h t entgegengehalten, sie übersehe, daß für § 4 5 9 I B G B auch eine M i n d e r u n g des Werts genüge. D i e s e r sei jed o c h durch das höhere Alter einer gebrauchten Maschine in der Regel beeinträchtigt. 3 5 D i e k o n k r e t e Haltung der R e c h t s p r e c h u n g z u m Alter gebrauchter M a s c h i nen mag z w a r falsch sein, d o c h ändert dies nichts an der im G e s e t z grundsätzlich angelegten Möglichkeit, daß ein - auf dem N i c h t v o r h a n d e n s e i n vereinbarter und vereinbarungsfähiger Beschaffenheitsmerkmale beruhender - Fehler mangels einer M i n d e r u n g des Werts beziehungsweise der Tauglichkeit eine H a f t u n g aus § 4 5 9 I B G B nicht auszulösen vermag. E i n e Zusicherung im Sinne des § 4 5 9 I I B G B wäre in diesen Fällen möglich. Fehlt es j e d o c h auch daran, so scheidet eine gewährleistungsrechtliche H a f t u n g aus.
III. Unerheblichkeit -§459
12 BGB
E i n e vergleichbare Situation kann sich aus der Regelung des § 4 5 9 I 2 B G B ergeben, derzufolge unerhebliche Minderungen des Werts beziehungsweise der Tauglichkeit unbeachtlich bleiben. D i e Vorschrift ist Ausfluß des r ö m i s c h rechtlichen Prinzips „de minimis n o n curat p r a e t o r " und dient lediglich dazu, Bagatellfälle aus dem B e r e i c h der Sachmängelhaftung auszuscheiden. 3 6 Sie ist nicht A u s d r u c k der - in m o d e r n e n R e g e l w e r k e n häufig verwirklichten - L e h r e v o n der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung. H a n d e l t es sich u m einen Fall des § 4 5 9 I 2 B G B , so scheidet eine H a f t u n g aus § 4 5 9 1 B G B aus. M ö g l i c h bleibt dagegen eine Verantwortlichkeit des Verkäufers aus § 4 5 9 I I B G B , die wiederum v o m Vorliegen einer Zusicherung abhängt. A u c h hier ergibt sich also wieder die Situation, daß § 4 5 9 I I B G B als Auffangb e c k e n für Fallgestaltungen dient, die aus dem Anwendungsbereich des § 4 5 9 I B G B herausfallen.
D. Zusammenfassung
zum
Gewährleistungsrecht
I m Gewährleistungsrecht ist v o m subjektiven Fehlerbegriff auszugehen. D a s bedeutet, daß BeschaffenheitsVereinbarungen der Parteien grundsätzlich geeignet sein k ö n n e n , die Sachmängelhaftung des Verkäufers auszulösen. Betrachtet man die verschiedenen A r t e n dieser Vereinbarungen näher, ergeben sich U n t e r -
Ebd. Vgl. Staudinger/Honseil, vor §459, Rn. 138; Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 194; Walter, S.200; Köhler, JA 1982, 157, 158. 36 Vgl. Soergel/U. Huber, §459, Rn.76f.; Staudinger/Honseil, §459, Rn.59f.; Beinert, S.222. 34
35
D. Zusammenfassung
zum
Gewährleistungsrecht
23
Scheidungen, die in der Konkurrenzdiskussion eine Rolle spielen werden. Vorausgesetzt wird im folgenden, daß die Parteien eine - nach den Grundsätzen des allgemeinen Vertrags rechts wirksame - Vereinbarung über das Vorliegen bestimmter Umstände geschlossen haben und daß diese in Wirklichkeit nicht vorliegen. Es kann zunächst vorkommen, daß die Vereinbarung völlig belanglos für die Frage der Gewährleistung ist. Dies ist dann der Fall, wenn es sich bei den betreffenden Umständen nicht um Eigenschaften im Sinne des §459 II BGB handelt. Diese Fälle sind angesichts der Weite des Eigenschaftsbegriffs selten. Die genaue Abgrenzung ist nicht Thema dieser Arbeit. Handelt es sich dagegen um Eigenschaften im Sinne des 459 II BGB und sind sie deshalb grundsätzlich geeignet, Sachmängelansprüche auszulösen, so kann sich die Situation ergeben, daß trotz der wirksamen Vereinbarung eine Haftung aus § 459 I BGB scheitert. Das kann daran liegen, daß es an einer Minderung des Werts oder der Gebrauchstauglichkeit fehlt oder daß diese unerheblich im Sinne des §45912 BGB ist. Wenn man der Rechtsprechung folgt, tritt diese Folge auch dann ein, wenn die Eigenschaften nicht den engeren Beschaffenheitsbegriff erfüllen, den sie an §459 I BGB anlegt. In all diesen Fällen kann jedoch eine Haftung aus §459 II BGB eintreten. Dies hängt davon ab, ob die Vereinbarung das Gewicht einer Zusicherung im Sinne des §459 II BGB erreicht. Die geschilderten Unterscheidungen sind für die Konkurrenzfrage deshalb von Bedeutung, weil sie wieder auftauchen, wenn man den Vorrang des Gewährleistungsrechts vor der Irrtumsanfechtung bejaht. Dann muß nämlich entschieden werden, wie weit der Vorrang reicht beziehungsweise welche Voraussetzungen des Gewährleistungsrechts vorliegen müssen, um den Vorrang auszulösen.
Kapitel 3 Konkurrenzbereich von Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung im B G B A.
Spezieskauf
In welchen Fällen stellt sich nun die Konkurrenzfrage zwischen Irrtumsanfechtung und Wandelung? Die Antwort auf diese Frage hängt zunächst davon ab, in welchem Umfang sich die jeweiligen Anwendungsbereiche der beiden Rechtsbehelfe überschneiden. Es geht dabei um die Prüfung, inwieweit bei Ausklammerung etwaiger Konkurrenzregeln in ein- und demselben Fall sowohl die Voraussetzungen der Anfechtung wie auch die der Wandelung gegeben sein können. Dies läßt sich auf der Grundlage der Ausführungen zu § 119 B G B und §§459ff. B G B feststellen. Abschließend behandelt ist das Problem damit jedoch noch nicht. In einem zweiten Schritt ist nämlich zu untersuchen, ob nicht auch in Ermangelung einer solchen Uberschneidung ein Konkurrenzproblem bestehen kann. Beide Fragen werden im folgenden erörtert.
I. Überschneidung der Anwendungsbereiche Irrtumsanfechtung
von Wandelung und
1. Fallgruppen Inwieweit sich die Anwendungsbereiche von Wandelung und Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums überschneiden, läßt sich anschaulich an dem Lehrbuchbeispiel des vergoldeten Rings darstellen. Vorausgesetzt wird folgender Sachverhalt: Der Käufer kauft einen bestimmten Ring (Spezieskauf), von dem er irrig annimmt, er sei aus massivem Gold. In Wirklichkeit ist der Ring nur vergoldet. Es handelt sich nicht um einen Fall, in dem die Beschaffenheit „massiv Gold" zu den gewöhnlichen Eigenschaften im Sinne der objektiven Variante des Mangelbegriffs bei §459 B G B gehört. Je nachdem, ob sich die kaufvertragliche Vereinbarung auf die Eigenschaft „massiv Gold" erstreckt und welche Vorstellung der Käufer in dieser Hinsicht hat, lassen sich drei Fallgruppen unterscheiden. a) Fallgruppe 1: Die Eigenschaft „massiv Gold" wurde wirksam als kaufvertraglich geschuldet vereinbart.
A. Spezieskauf
25
In dieser Fallgruppe wird vorausgesetzt, daß im Kaufvertrag vereinbart wurde, der Ring solle aus massivem Gold sein. O b diese Vereinbarung ausdrücklich geschlossen wurde oder sich aus den Umständen ergibt, ist insofern gleichgültigSowohl Flume als auch die Theorie vom Motivirrtum kommen hier zu gleichen Ergebnissen. Nach beiden Ansichten ist sowohl die Anfechtung nach § 119 II B G B als auch die Wandelung nach §459 I B G B grundsätzlich möglich. Eine Überschneidung beider Anwendungsbereiche liegt also vor.1 b) Fallgruppe 2: Die Eigenschaft „massiv Gold" wurde nicht wirksam als kaufvertraglich geschuldet vereinbart und der Käufer hat sich über den Inhalt seiner Erklärung in dieser Hinsicht keine Gedanken gemacht. Die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum lehnt hier die Anwendung des § 119 II B G B ab, weil die betreffende Eigenschaft nicht zum Gegenstand der vertraglichen Bindung gemacht wurde. Die Haftung aus §459 B G B tritt aus dem gleichen Grund nicht ein. Nach der Theorie vom Motivirrtum dagegen liegt ein Irrtum im Sinne des § 119 II B G B vor. Das Fehlen der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung wirkt sich nur dahingehend aus, daß die Haftung aus §459 B G B zu verneinen ist. Beide Ansichten gelangen hier also zu dem Ergebnis, daß die Anfechtung und die Wandelung nicht in demselben Fall nebeneinander eingreifen können. Eine Uberschneidung der Anwendungsbereiche liegt also nicht vor. c) Fallgruppe 3: Wie Fallgruppe 2, aber der Käufer dachte, er habe durch die bloße Individualisierung der Kaufsache zum Ausdruck gebracht, er wolle den Ring „als massiv goldenen" kaufen. Hier gelten zunächst die zu Fallgruppe 2 gefundenen Ergebnisse fort: Eine Haftung aus §459 B G B scheidet nach beiden Ansichten aus, die Anfechtung aus §119 II B G B ist für die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum nicht möglich, für die Vertreter der Theorie des Motivirrtums dagegen schon. Eine Besonderheit ergibt sich jedoch insofern, als eine Anfechtung aus § 1 1 9 1 B G B in Betracht kommt. Der Käufer kann argumentieren, er habe gedacht, seine Willenserklärung beziehe sich auch auf die Eigenschaft „massiv Gold", während dies in Wirklichkeit bei der gebotenen objektiven Auslegung nach dem Empfängerhorizont nicht der Fall gewesen sei. Deshalb liege eine Diskrepanz von Wille und Erklärung vor, die nach § 119 1,1. Fall B G B zur Anfechtung berechtige. 2 Dieser Irrtum müßte sowohl nach der Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum als auch nach der Theorie des Motivirrtums beachtlich sein. Beide beziehen sich nicht auf echte Erklärungsirrtümer im Sinne des §119 I B G B . Eine Gemeinsamkeit zu den Fällen des Eigenschaftsirrtums gemäß § 119 1 Keine Überschneidung ergäbe sich dagegen nach der - hier abgelehnten - Lehre vom Erklärungsirrtum. D e n n wegen der wirksamen Vereinbarung hätte der Käufer nicht über den Erklärungswert seiner Willenserklärung geirrt: E r dachte, erklärt zu haben, einen massiv goldenen Ring kaufen zu wollen; genau das hat er erklärt. 2 Es ist unter anderem das Verdienst der - ansonsten abzulehnenden - Lehre vom Erklärungsirrtum, das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß ein derartiger Erklärungsirrtum vorliegen kann.
26
Kap. 3 Kaufrechtliche
Gewährleistung
im BGB
II B G B besteht nur insofern, als bei beiden Irrtümern eine Eigenschaft der Kaufsache von Bedeutung ist. Betrachtet man die Lage genauer, stellt man jedoch fest, daß diese Ubereinstimmung nicht sehr weit reicht. Während nämlich der Irrtum nach § 119 II B G B 3 darauf beruht, daß der Kaufgegenstand die vorgestellten Eigenschaft in Wirklichkeit nicht hat (Auseinanderfallen von Wille und Realität), rührt der Erklärungsirrtum daher, daß der Käufer deren Vorliegen entgegen seiner Vorstellung nicht zum Gegenstand der Vereinbarung gemacht hat (Auseinanderfallen von Wille und Erklärung). Fallgruppe 3 führt also zu folgenden Ergebnissen: Eine Haftung aus §459 B G B scheidet aus. Die Anfechtung ist für die Theorie vom Motivirrtum nach §119 II B G B möglich. Beide Ansichten müßten auch eine Anfechtung nach §119 I, 1. Fall B G B zulassen, die sich allerdings auf eine andere Begründung stützt als bei § 119 I B G B . Zu einer echten Überschneidung der Anwendungsbereiche von Wandelung und Anfechtung kommt es also nicht.
2.
Ergebnis
Eine Uberschneidung der Anwendungsbereiche von §§459ff. B G B und § 119 II B G B liegt nur dann vor, wenn das Vorliegen der betreffenden Eigenschaft als kaufvertraglich geschuldet vereinbart war. Es ergibt dann keinen Unterschied, ob man der Lehre vom rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtum oder der Theorie vom Motivirrtum folgt. Beide bejahen insoweit die Anfechtung.
II. Konkurrenzprobleme
außerhalb
des
Uberschneidungsbereichs
Die Konkurrenzproblematik beschränkt sich jedoch nicht auf den Bereich, in dem sich Anfechtung und Wandelung im eben beschriebenen Sinn überschneiden. Selbst wenn eine Haftung aus §459 B G B nicht in Betracht kommt, weil es an der entsprechenden Vereinbarung fehlt, kann sich die Frage nach der Konkurrenz stellen.
1. Denkbare
Reichweite
einer
Ausschlußwirkung
Unterstellt man, daß die Sachmängelhaftung die Anwendung der Vorschriften über die Irrtumsanfechtung ausschließen soll, so muß man festlegen, wie weit diese Ausschlußwirkung reicht. 4 Dabei sind verschiedene Möglichkeiten denkbar. Erstens ist es möglich, die Ausschlußwirkung nur dann eintreten zu 3 Soweit ein solcher in dieser Fallgestaltung vorliegt, d.h. nur nach der Lehre vom Motivirrtum. 4 Vgl. z.B. Henrich, AcP 162 (1962) 88, 102.
A. Spezieskauf
27
lassen, wenn ein Wandelungsanspruch aus den §§459ff. B G B besteht und durchsetzbar ist. Zweitens kann man darauf abstellen, ob ein Mangel im Sinne des §459 B G B vorliegt, ohne die sonstigen Wandelungsvoraussetzungen (zum Beispiel §§ 460, 461, 464, 477 B G B ) zu berücksichtigen. Im Rahmen dieser Lösung müßte man weiter danach differenzieren, ob das Vorliegen der betreffenden Beschaffenheit gemäß §459 I B G B vereinbart war oder ob es sich um eine zugesicherte Eigenschaft im Sinne des §459 II B G B handelt. 5 Drittens ist es denkbar, die Reichweite der Ausschlußwirkung noch stärker auszudehnen, indem man auf das Merkmal der tatsächlichen Vereinbarung 6 des Vorliegens der Eigenschaft verzichtet. Die Anfechtung wäre demnach bereits dann ausgeschlossen, wenn sie sich auf eine Eigenschaft bezieht, deren Vorliegen gemäß § 4591 B G B vereinbart oder gemäß § 459 II B G B zugesichert werden kann. Je nachdem, wie man sich insoweit entscheidet, kommt es dann, wenn man der Rechtsprechung zu §459 B G B folgt, auf die Unterscheidung zwischen vereinbarungsfähigen und zusicherungsbedürftigen Eigenschaften an.7 Angesichts der Möglichkeit, daß der Käufer in bezug auf die Eigenschaften der Kaufsache auch einem Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 I B G B unterliegen kann, müßte man weiter unterscheiden: Die Ausschlußwirkung kann einerseits auf solche Fälle beschränkt werden, in denen sich das Vertragsaufhebungsbegehren des Käufers konkret darauf stützt, daß die von ihm vorausgesetzte Eigenschaft in Wirklichkeit nicht vorliegt. Schließt man sich dieser Variante an, so erstreckt sich der Ausschluß zwar auf die Anfechtung nach § 119 II B G B , nicht aber auf die oben beschriebene Anfechtung wegen Erklärungsirrtums aus § 119 1,1. Fall B G B . Andererseits ist es ebensogut denkbar, die Ausschlußwirkung bereits dann eintreten zu lassen, wenn die Fehlvorstellung des Käufers in irgendeiner Weise mit der betreffenden Eigenschaft zu tun hat. Dann wäre auch die Anfechtung nach § 1191 B G B ausgeschlossen, wenn sie sich darauf stützt, daß der Käufer davon ausgegangen ist, die Eigenschaft sei bei objektiver Auslegung Gegenstand seiner Willenserklärung. Viertens schließlich könnte man selbst auf den Eigenschaftsbegriff des §459 B G B verzichten und die Ausschlußwirkung immer dann annehmen, wenn es überhaupt um die Beschaffenheit der Kaufsache geht, selbst wenn diese nicht einmal nach § 459 II B G B zugesichert werden könnte.
5 I m einzelnen gibt es folgende Möglichkeiten: (1) D i e Ausschluß Wirkung tritt nur ein, wenn es sich um eine vereinbarungsfähige und tatsächlich vereinbarte Eigenschaft i.S.d. § 4 5 9 I B G B handelt. (2) Die Ausschlußwirkung tritt ein, wenn es sich um eine zugesicherte Eigenschaft i.S.d. § 4 5 9 II B G B handelt. (3) D i e Ausschluß wirkung tritt ein, wenn entweder Fall (1) oder Fall (2) vorliegt. 6 Bzw. der tatsächlichen Zusicherung. 7 S. dazu oben Kapitel 2: C , I .
28
Kap. J Kaufrechtliche Gewährleistung im BGB
2. Bedeutung für die Suche nach dem Konkurrenzbereich D i e eben geschilderten M ö g l i c h k e i t e n zeigen, daß die Behandlung der K o n k u r r e n z p r o b l e m a t i k sich nicht auf diejenigen Situationen beschränken darf, in denen tatsächlich eine U b e r s c h n e i d u n g im o b e n genannten Sinn vorliegt. I n den unter drittens oder viertens genannten Fällen stellt sich die Konkurrenzfrage, o b w o h l eine Haftung aus § 4 5 9 B G B im Ergebnis nicht bestehen würde. D e r k o n k u r r e n z r e c h t l i c h e Wirkungsbereich der § § 4 5 9 f f . B G B kann sich also von ihrem eigentlichen A n w e n d u n g s b e r e i c h als Anspruchsgrundlage unterscheiden beziehungsweise darüber hinausgehen. 8 D i e genaue Festlegung dieses W i r kungsbereichs ist deshalb nach der Prüfung, o b überhaupt eine A u s s c h l u ß Wirkung besteht, die zweite wichtige Entscheidung, die bei der Behandlung der K o n k u r r e n z p r o b l e m a t i k zu treffen ist. F ü r die A b s t e c k u n g des Bereichs, innerhalb dessen der K o n k u r r e n z f r a g e nachzugehen ist, bedeutet dies: D i e einzige wirkliche B e g r e n z u n g ist zunächst der A n w e n d u n g s b e r e i c h der Irrtumsanfechtung. Soweit eine A n f e c h t u n g nicht in Betracht k o m m t , stellt sich die Frage nach einer Ausschlußwirkung der § § 4 5 9 f f . B G B nicht. Diese G r e n z e zieht die L e h r e v o m geschäftlichen Eigenschaftsirrtum anders als die T h e o r i e v o m M o t i v i r r t u m . D i e s e r U n t e r s c h i e d ist jedoch, wie sich zeigen wird, im R a h m e n des hier vorgeschlagenen Modells für die K o n k u r r e n z e n t s c h e i d u n g als solche ohne Belang. E r kann deshalb als F a k tum h i n g e n o m m e n werden.
B.
Gattungskauf
B e i m G a t t u n g s k a u f ist der K o n k u r r e n z b e r e i c h zwischen Irrtumsanfechtung nach § 119 I I B G B und Wandelung nach § 4 5 9 f f . B G B sehr klein, weil der K a u f gegenstand typischerweise bei Vertragsschluß n o c h nicht konkretisiert ist, so daß kein Irrtum über die Eigenschaften „der S a c h e " vorliegen kann. D e n k b a r wären allenfalls Fälle, in denen der gesamten, von den Parteien vereinbarten G a t t u n g bestimmte Eigenschaften fehlen, v o n deren Vorliegen der Käufer ausgeht. 9 I m deutschen R e c h t haben solche Fälle bisher keine R o l l e gespielt. F ü r die hier behandelte Frage der K o n k u r r e n z genügt die Feststellung, daß es nicht ausgeschlossen erscheint, daß sich auch beim Gattungskauf eine K o n k u r renzsituation ergibt. D i e E r ö r t e r u n g e n schließen deshalb den Gattungskauf ein. I m M i t t e l p u n k t der Diskussion steht j e d o c h der Spezieskauf. I m wesentlichen gelten die dabei zur K o n k u r r e n z f r a g e gefundenen Ergebnisse jedoch auch für den Gattungskauf. Soweit sich A b w e i c h u n g e n ergeben, wird besonders darauf hingewiesen. 8 Insofern kann sich auch bei Zugrundelegung der - hier abgelehnten - Lehre vom Erklärungsirrtum eine Konkurrenzproblematik ergeben, obwohl es ausgeschlossen ist, daß ein Anspruch aus §459 B G B tatbestandlich neben einem Anfechtungsrecht aus § 119 II, I B G B gegeben sein kann.
9
Vgl. Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 189; Köhler, JA 1982, 157, 158.
Kapitel 4
H a l t u n g der deutschen R e c h t s p r e c h u n g z u r Konkurrenzfrage A. Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Konkurrenzverhältnis von Gewährleistungsrecht und Irrtumsanfechtung I. Situation nach
Gefahrübergang
Das Reichsgericht ging in ständiger Rechtsprechung von dem Grundsatz aus, daß der Käufer nicht nach § 119 II B G B anfechten kann, wenn sein Irrtum sich auf Umstände bezieht, die grundsätzlich geeignet sind, Gewährleistungsansprüche nach §459 B G B auszulösen. Fünf Entscheidungen verwehrten dem Käufer die Anfechtung. Sie werden im folgenden kurz dargestellt (s.u. 1). Zahlreiche andere Entscheidungen bestätigten den Vorrang der §§459ff. B G B zwar dem Grundsatz nach, hielten aber die Voraussetzungen für einen Ausschluß der Anfechtung im konkreten Fall für nicht gegeben. Sie geben jedoch Aufschluß über die genauen Kriterien, nach denen das Reichsgericht die Konkurrenzfrage beurteilt (s.u. 2).
1. Entscheidungen, a)
in denen die Anfechtung
ausgeschlossen
wurde
Hausschwamm-Entscheidung1
Es ging um den Kauf eines mit einem neuen Wohnhaus bebauten Grundstücks. Das Haus war bereits bei Übernahme durch die Käufer mit Hausschwamm behaftet. Die Käufer stellten dies jedoch erst zwei Jahre später fest. Sie fochten den Kaufvertrag unter anderem wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft an und verlangten Rückzahlung des Kaufpreises. Der erstinstanzliche Richter hielt zwar die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums auch beim Kauf für möglich, unterwarf sie jedoch der (bereits abgelaufenen) kaufrechtlichen Verjährungsfrist (§477 BGB). Das Berufungsgericht dagegen war der Ansicht, die Irrtumsanfechtung sei unabhängig von der kaufrechtlichen Verjährungsfrist zulässig. 1
RG, 1.7. 1905, RGZ 61, 171.
30
Kap. 4 Deutsche Rechtsprechung zur
Konkurrenzfrage
Das Reichsgericht entwickelte zum ersten Mal ausdrücklich die These von der Ausschlußwirkung der kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche gegenüber der Anfechtung nach §119 II B G B . Dabei ging es davon aus, daß der Schwammbefall des Hauses sowohl einen Fehler der Kaufsache im Sinne des §459 I B G B als auch eine Eigenschaft im Sinne des § 119 II B G B darstellte, über die sich der Käufer geirrt hatte. Wie zu entscheiden ist, wenn der Irrtum sich auf Umstände bezieht, die keinen Sachmangel im Sinne des §459 B G B darstellen, ließ das Gericht bewußt offen. 2 Zur Begründung seiner Entscheidung verwies das Reichsgericht zunächst auf die Umgehungsgefahr. Die Vorschriften der Sachmängelhaftung seien „so wie geschehen ausgestaltet, um dem Verkehre die notwendige Sicherheit zu geben, und um gerade Kaufgeschäfte, die im rechtsgeschäftlichen Verkehre eine Hauptrolle spielen, einer glatten Abwicklung in verhältnismäßig kurzen Fristen entgegenzuführen". 3 Insbesondere die dem Verkehrsschutz dienenden Vorschriften der §§460,461 und 477 B G B würden „illusorisch", wenn wegen eines Sachmangels auch die Irrtumsanfechtung nach § 119 II B G B gestattet werde. Das zweite Argument war systematischer Natur. Die §§459ff. B G B seien besondere Vorschriften für Kaufverträge, die den Vorschriften des Allgemeinen Teils insoweit vorgehen müßten, als sie etwas von diesen Abweichendes festsetzten und sich nicht annehmen lasse, daß das Gesetz beide Vorschriften nebeneinander habe gelten lassen wollen. Für eine Absicht des Gesetzgebers, beide Rechtsbehelfe nebeneinander zu gewähren, ergäben sich jedoch in der Entstehungsgeschichte keine Anhaltspunkte. 4 Härten bei der Verjährung müssen nach Ansicht des Reichsgerichts als vom Gesetzgeber gewollt hingenommen werden. Für Fehler, die unter 459 B G B fallen, solle eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages nur binnen der Frist des § 477 B G B möglich sein. Eine Unterscheidung zwischen verborgenen und offen zutage tretenden Mängeln habe das Gesetz nicht getroffen. Der Käufer könne diese Konsequenzen durch die in §477 B G B ausdrücklich erwähnte vertragliche Verlängerung der Verjährungsfrist vermeiden, nicht aber durch eine Anfechtung im Rahmen der längeren Anfechtungsfristen. 5
b) Die
Sologeigen-Entscheidung6
Die sogenannte Sologeigen-Entscheidung ist hinsichtlich ihres Aussagegehalts umstritten. 7 Der Käufer hatte zwei Geigen zum Preis von 8500 Mark erworben. Seine Behauptung, der Verkäufer habe ihm zugesichert, daß die Geigen RG, 1.7. 1905, RGZ 61, 171, 174. RG, 1.7. 1905, RGZ 61, 171, 175. 4 RG, 1.7. 1905, RGZ 61, 171, 176f. 5 RG, 1.7. 1905, RGZ 61, 171, 177. 6 RG, 13.1. 1920, RGZ 97, 351. 7 Vgl. nur einerseits Soergel/U. Huber, vor § 459, Rn. 21, Fn. 7,1, und andererseits Staudinger/ Honseil, §459, Rn.23. 2 3
A. Rechtsprechung
des
Reichsgerichts
31
von hoher Qualität und diesen Preis wert seien, konnte er nicht beweisen. E r wollte sich unter anderem unter Berufung auf § 1 1 9 II B G B und §§459, 462 B G B vom Vertrag lösen. Das Reichsgericht verwehrte ihm beides. Die Berufung auf § 119 II B G B akzeptierte das Gericht nicht, weil „dem Käufer neben den Gewährleistungsansprüchen die Anfechtung des Kaufgeschäfts wegen wesentlicher Mängel der Kaufsache überhaupt versagt ist". 8 Ansprüche aus §§459, 462 B G B hielt es nicht für gegeben, weil kein Fehler im Sinne des § 4 5 9 1 B G B vorliege. Umstritten ist, welche Begründung das Urteil insoweit erkennen läßt. Eine Ansicht sieht das Reichsgericht hier auf den Spuren des objektiven Fehlerbegriffs. 9 Dafür sprechen die allgemeinen Ausführungen gegen E n de des Urteils, die in der Aussage gipfeln, es sei verfehlt, eine Orchestergeige als fehlerhafte Sologeige zu kennzeichnen. 10 Andererseits stützt sich die Entscheidung des konkreten Falles nicht auf diese Gedanken, sondern auf die Regel, daß allein der geringere Wert einer Sache keinen Fehler im Sinne des §459 I B G B darstellen könne. 11 Diese gilt aber für subjektiven wie objektiven Fehlerbegriff gleichermaßen. 12 Die Frage kann für die hier verfolgten Zwecke offenbleiben. 13 Wichtig ist nur, daß das Gericht die Irrtumsanfechtung ausschloß, obwohl es die Voraussetzungen des § 4 5 9 I B G B nicht für gegeben hielt. Es steht insoweit im Widerspruch zu seinen an anderer Stelle gemachten Aussagen. 14
c)
Spitzweg-Entscheidungn
Der Verkäufer hatte dem Käufer fälschlicherweise (aber gutgläubig) zugesichert, daß die beiden verkauften Gemälde Originalwerke von Spitzweg seien. Nach Ablauf der kaufrechtlichen Verjährungsfrist (§477 B G B ) erhob der Käufer Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises, gestützt unter anderem auf eine Anfechtung des Kaufvertrages nach § 119 II B G B . Das Reichsgericht ließ die Irrtumsanfechtung nicht zu. Es berief sich auf seine „ständige" Rechtsprechung 16 zur Ausschlußwirkung der §§459ff. B G B , die sich einmal auf den Charakter der Gewährleistungsregeln als Sondervorschrif-
R G , 13.1. 1920, R G Z 97, 351. Vgl. Staudinger/Honseil, §459, Rn.23. 10 R G , 13.1. 1920, R G Z 97, 351, 352. S. aber folgende Fußnote. 11 R G , 13.1.1970, R G Z 97,351,352. Von der Unterscheidung zwischen Solo- und Orchestergeigen war - soweit aus dem Urteil ersichtlich - erst im Sachverständigengutachten und im Revisionsvortrag des Klägers die Rede, nicht bereits beim Abschluß des Kaufvertrages. Man kann deshalb nicht davon ausgehen, daß die Geige „als Sologeige" verkauft wurde. 12 Vgl. Soergel/U. Huber, §459, Rn.63. 13 Das Reichsgericht hat sich später ausdrücklich für die subjektive Theorie entschieden, vgl. R G , 11.3. 1932, R G Z 135, 339, 342f. m.w.N. 14 S.u. Kapitel 4: A,I,2,b,bb. 15 R G , 14. 3.1922, Gruchot 66, 452. 16 Inzwischen hatten mehrere Urteile die Entscheidung vom 1.7. 1905 jedenfalls im Grundsatz bestätigt: R G , 22.9.1909, J W 1909, 684; R G , 25.9.1909, J W 1909, 655; R G , 28.6.1912, Warneyer 1912, Nr.366; R G , 10.12. 1913, J W 1914, 295; R G , 17.5. 1916, LZ 1916, 1180. 8
9
32
Kap. 4 Deutsche
Rechtsprechung
zur
Konkurrenzfrage
ten und zum anderen auf die Gefahr der Umgehung der dort zum Schutze der Verkehrssicherheit vorgesehenen Vorschriften, insbesondere der §§460, 461, 477 B G B , stütze. 17 Das Interessante an der Entscheidung ist, daß das Reichsgericht zum ersten Mal ausdrücklich auch der Vorschrift des § 459 II B G B Ausschlußcharakter zumißt. 18 Die Anfechtung nach § 119 II B G B ist also auch dann ausgeschlossen, wenn der Irrtum sich auf eine Eigenschaft bezieht, die zwar keinen Fehler nach § 4591 B G B auslöst, aber nach § 459 II B G B zugesichert wurde. Offen bleibt allerdings die Frage, wie zu verfahren ist, wenn der Irrtum sich auf eine nicht unter §459 I B G B fallende, nach §459 II B G B zusicherungsfähige, aber im konkreten Fall nicht zugesicherte Eigenschaft bezieht. d)
Ruisdael-Entscheidung19
Der Käufer hatte das Gemälde „Eichen am Wasser" als von dem Maler Jakob Isaaksohn van Ruisdael stammendes Original gekauft. Nach Ablauf der kaufrechtlichen Gewährleistungspflicht focht er den Vertrag mit der Begründung an, es stamme nicht von diesem „berühmten Meister", sondern von dessen „weit weniger berühmten Vetter und Nachahmer" Jakob Salomonsohn van Ruisdael. Das Reichsgericht verwehrte ihm die auf § 119 II B G B gestützte Anfechtung unter Berufung auf seine bisherige Ausschluß-Rechtsprechung, die sich auf den Charakter der §§459ff. B G B als „besondere gesetzliche Ordnung" des Kaufrechts stütze. 20 Außerdem warnte es erneut vor einer Umgehung der „rechtspolitisch wünschenswerten" kurzen Verjährung des §477 BGB. Ausdrücklich lehnte es die Ansicht des Käufers ab, §477 B G B sei nur auf den alltäglichen Markt- und Tauschverkehr zugeschnitten und passe nicht für Geschäfte des Kunsthandels. Die Entscheidung geht ausführlich auf den Fehlerbegriff des §459 I B G B ein und entscheidet sich für die subjektive Variante: Wird ein bestimmtes Gemälde als Werk eines Künstlers verkauft, von dem es in Wirklichkeit nicht stammt, so liegt in der Lieferung dieses unechten Bildes keine Nichterfüllung (aliud), sondern eine mangelhafte Leistung im Sinne des § 4591 B G B , weil das Bild nicht die Eigenschaften hat, die es nach der Vereinbarung der Parteien haben sollte. Dabei ist es unerheblich, ob das Bild von einem anderen anerkannten Künstler stammt, und zwar selbst dann, wenn dieser höher geschätzt wird als derjenige, dessen Urheberschaft die Parteien vorausgesetzt hatten.21 Im konkreten Fall lag
R G , 14.3. 1922, Gruchot 66, 452, 454. So vorher schon O L G Karlsruhe, 14.11. 1906, Badische Rechtspraxis 1907, 262. 19 R G , 11.3. 1932, R G Z 135, 339. 2 0 R G , 11.3. 1932, R G Z 135, 339, 340. 21 R G , 11.3. 1932, R G Z 135, 339, 342f. m.w.N. auch zur bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts zum subjektiven Fehlerbegriff. 17 18
A. Rechtsprechung
des Reichsgerichts
33
also ein Fehler im Sinne des § 459 I BGB vor. Aus der Ruisdael-Entscheidung läßt sich also die Regel ableiten, daß die Irrtumsanfechtung nach § 119 II BGB jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn gleichzeitig der Tatbestand des §459 I BGB erfüllt ist. e)
Gastwirtschaftsentscheidung22
Es ging um den Verkauf eines Gastwirtschaftsunternehmens. Die Käufer fochten den Vertrag mehr als 10 Monate nach der Übergabe mit der Begründung an, die im Keller gelegenen Küchenräume seien baupolizeilich nicht dauerhaft genehmigt, es liege nur ein Baudispens vor. Das Reichsgericht bestätigte zunächst seine bisherige Rechtsprechung, nach der auf einen Unternehmenskauf die Vorschriften der §§ 459ff. BGB einschließlich der für bewegliche Sachen vorgesehenen sechsmonatigen Verjährungsfrist des §477 1 1,1. Fall BGB Anwendung finden. 23 Zur Konkurrenzfrage führte es aus, daß die Irrtumsanfechtung ausgeschlossen sei, „wenn und soweit nach den Sonderbestimmungen der §§459 flg. BGB die Gewährschaftshaftung wegen Sachmängel dem Käufer Schutz gewährt (...)". 24 Diese Formel verstand das Gericht aber nicht in dem Sinne, daß die Anfechtung nur dann ausgeschlossen sei, wenn ein durchsetzbarer kaufrechtlicher Gewährleistungsanspruch bestehe. Vielmehr ging es offensichtlich davon aus, daß die (im konkreten Fall stillschweigend vorausgesetzte) grundsätzliche Eignung des betreffenden Mangels, unter §459 BGB subsumiert zu werden, ausreichend sei, um die Ausschluß Wirkung auszulösen, ohne daß es darauf ankomme, ob die Gewährleistungsansprüche nach §477 BGB verjährt seien.
2. Konkretisierung
der Haltung
des
Reichsgerichts
Neben den Entscheidungen, in denen die Anfechtung tatsächlich ausgeschlossen wurde, gibt es eine Reihe reichsgerichtlicher Urteile, die den Vorrang der Gewährleistungsvorschriften zwar dem Grundsatz nach anerkennen, im konkreten Fall jedoch nicht verwirklichen. Die dafür maßgeblichen Gründe erlauben Rückschlüsse auf die Voraussetzungen, unter denen das Reichsgericht einen Ausschluß der Irrtumsanfechtung durch die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche anzunehmen bereit ist.
22 23 24
RG, 22.11. 1932, RGZ 138,354. RG, 22.11. 1932, R G Z 138, 354, 356f., 358f. RG, 22.11. 1932, RGZ 138, 354, 356.
34
Kap. 4 Deutsche
Rechtsprechung
a) Beschränkung des Ausschlußcharakters der §§459ff. BGB
zur
Konkurrenzfrage
auf die
Sachmängelvorschriften
Dem Käufer eines Rechts wird die Anfechtung nach § 119 II B G B nicht aus Konkurrenzerwägungen heraus verweigert.25 Ebensowenig mißt das Reichsgericht den Rechtsmängelvorschriften (§§434ff. B G B ) beim Sachkauf Ausschlußwirkung zu. 26 Eine solche kann sich also nur aus den Sachmängelvorschriften der §§459ff. B G B ergeben. b) Voraussetzungen
der
Ausschlußwirkung
Mit der Feststellung, daß die Ausschlußwirkung allein von den §§ 459ff. B G B ausgehen kann, ist für die Anwendung im konkreten Fall noch nicht viel gewonnen. Es bleibt die bereits angesprochene Frage, welche der in diesen Vorschriften genannten Voraussetzungen vorliegen müssen, um die Irrtumsanfechtung auszuschalten. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts beantwortet diese nur teilweise. aa) Ausschluß auch nach Verjährung Gewährleistungsansprüche
der
kaufrechtlichen
Die Irrtumsanfechtung ist nach Ansicht des Reichsgerichts auch dann ausgeschlossen, wenn die konkurrierenden kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche nach § 477 B G B bereits verjährt sind. Die Gefahr der Umgehung dieser Verjährungsregel ist ja gerade einer der Gründe, die das Reichsgericht zur Begründung der Ausschlußthese bewogen haben. In vier der fünf Entscheidungen, in denen die Anfechtung nicht zugelassen wurde, war die Verjährung nach §477 B G B bereits eingetreten.27 Deshalb kann man vereinzelte mehrdeutige Aussagen in der Rechtsprechung 28 nicht so verstehen, daß sie die Ausschlußwirkung an das Bestehen eines durchsetzbaren Gewährleistungsanspruchs knüpfen wollten. bb)
Voraussetzungen
des §459
BGB
Die nächste Frage lautet, inwieweit nach Ansicht des Reichsgerichts die Voraussetzungen des §459 B G B vorliegen müssen, damit die Ausschluß wirkung RG, 22.9. 1909, J W 1909, 684; R G , 25.9. 1909, J W 1909, 655. RG, 15.1. 1909, J W 1909, 132; R G , 28.6. 1912, Warneyer 1912, Nr. 366. 2 7 R G , 1.7. 1905, R G Z 61, 171 (Hausschwamm); R G , 14.3. 1922, Gruchot 66, S.452 (Spitzweg); RG, 11.3. 1932, R G Z 135, 339 (van Ruisdael); R G , 22.11. 1932, R G Z 138, 354 (Gastwirtschaft). In der Sologeigen-Entscheidung (RG, 13.1. 1920, R G Z 97, 351) wurde bereits der Gewährleistungsanspruch verneint, so daß es auf die Verjährung nicht ankam. 2 8 R G , 15.9. 1909, J W 1909, 655: „gerade durch das Bestehen der Wandlung ausgeschlossen (...)"; R G , 16.2.1932, Gruchot 72, S.450, 452: „(...) soweit wegen dieser Mängel die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen möglich ist (...)". S.a. O L G München, 8.9. 1938, H R R 1939, 81. 25
26
A. Rechtsprechung des Reichsgerichts
35
eintritt. D i e A n t w o r t darauf wird durch die Sologeigen-Entscheidung erschwert, die bekanntlich von einer Ausschlußwirkung ausging, o b w o h l sie das Vorliegen eines Fehlers im Sinne des § 4 5 9 I oder § 4 5 9 II B G B verneinte. 2 9 E s spricht aber vieles dafür, aus dieser vereinzelt gebliebenen Entscheidung keine Schlüsse auf die grundsätzliche H a l t u n g des G e r i c h t s zu ziehen. So beschränkten sich die Revisionsrügen auf die Auslegung des § 4 5 9 B G B , die Aussagen zum Konkurrenzverhältnis waren also o b i t e r dicta. A u c h sprechen andere E n t s c h e i dungen des Reichsgerichts dafür, daß jedenfalls gewisse Voraussetzungen des § 4 5 9 B G B vorliegen müssen, damit die A n f e c h t u n g verdrängt werden kann. Das zeigen die v o m G e r i c h t gewählten Formulierungen. 3 0 I m übrigen gingen die anderen Entscheidungen, in denen die A n f e c h t u n g ausgeschlossen wurde, davon aus, daß ein Sachmangel im Sinne der § 4 5 9 I oder § 4 5 9 I I B G B vorlag. 3 1 Schließlich hat das Reichsgericht in den Y a c h t - E n t s c h e i d u n g e n 3 2 ausdrücklich entschieden, daß ein Ausschluß der Irrtumsanfechtung nicht in Betracht k o m m t , wenn bestimmte Voraussetzungen des § 4 5 9 B G B nicht vorliegen. E s ging um den K a u f einer gebrauchten Yacht, die erheblich älter war, als der K ä u fer bei Vertragsschluß gedacht hatte. D a s Reichsgericht war der Ansicht, allein das Alter eines Fahrzeugs k ö n n e einen Fehler im Sinne des § 4 5 9 I 1 B G B nicht begründen. Dies sei nur dann möglich, wenn das höhere Alter die G e b r a u c h s eignung der Sache beeinträchtige. Letzteres w a r nach Ansicht des Gerichts nicht der Fall, weil die Y a c h t voll seetüchtig und für die geplanten Reisen geeignet war. E i n Fehler im Sinne des § 4 5 9 1 B G B lag also nicht vor. E i n e H a f t u n g des Verkäufers aus § 4 5 9 I I B G B scheiterte daran, daß die Zusicherung nicht bewiesen werden konnte. D a s G e r i c h t ging j e d o c h offenbar davon aus, daß das Alter eine zusicherungsfähige Eigenschaft im Sinne des § 4 5 9 I I B G B ist. In dieser Situation hielt das G e r i c h t die Irrtumsanfechtung nicht für ausgeschlossen. E s scheint also - ohne dies ausdrücklich zu sagen - anzunehmen, daß ein auf § 4 5 9 I I B G B gestützter Ausschluß der A n f e c h t u n g voraussetzt, daß die (zusicherungsfähige) Eigenschaft tatsächlich im Sinne des § 4 5 9 I I B G B zugesichert wurde. Zwischenergebnis: D i e Ausschlußwirkung tritt nach Ansicht des Reichsgerichts nur ein, w e n n entweder ein Fehler im Sinne des § 4 5 9 I 1 B G B vorliegt oder eine zusicherungsfähige Eigenschaft im Sinne des § 4 5 9 II B G B tatsächlich zugesichert wurde 3 3 . N i c h t ausreichend ist die b l o ß e Tatsache, daß die den IrrS.o. Kapitel 4: A, 1,1,b. So heißt es in der Hausschwamm-Entscheidung R G Z 61, 171, 175:"(-.-) wegen eines Fehlers, den der Verkäufer nach § 4 5 9 B G B zu vertreten, und den der Käufer beim Abschlüsse des Kaufes nicht gekannt hat ( § 4 6 0 B G B ) ( . . . ) " (zum zweiten Teil der Aussage sogleich unter cc). S.a. R G , 1 1 . 3 . 1 9 3 2 , R G Z 1 3 5 , 3 3 0 , 3 4 0 (Ruisdael): „(...) die nach den § § 4 5 9 flg. B G B eintretende G e währschaftshaftung ( . . . ) " und die unter ( l , e ) zitierte Passage aus der Gastwirtschaftsentscheidung. 29
30
S.o. Kapitel 4: A,1,1. R G , 3 . 1 0 . 1 9 2 8 , L Z 1929, 547; R G , 3 . 5 . 1 9 3 0 , L Z 1 9 3 1 , 2 4 0 ; dazwischen O L G Königsberg, 17.12. 1929, L Z 1930, 1127. 33 Wie im Spitzweg-Fall, s.o. Kapitel 4: A , I , l , c . 31
32
36
Kap. 4 Deutsche Rechtsprechung
zur
Konkurrenzfrage
tum auslösende, nicht unter §459 I B G B fallende Tatsache grundsätzlich zusicherungs/ä'^g im Sinne des §459 II B G B ist. cc) Offene
Fragen
Drei Fragen läßt die Rechtsprechung des Reichsgerichts unbeantwortet: Setzt die auf § 459 I B G B gestützte Ausschlußwirkung voraus, daß das Vorliegen der betreffenden Eigenschaft auch tatsächlich vereinbart wurde oder genügt es, daß die Eigenschaft grundsätzlich geeignet ist, Gegenstand einer solchen Vereinbarung zu sein? Wie ist zu verfahren, wenn es sich um einen gemäß §4591 2 B G B unerheblichen Mangel handelt? Setzt der Ausschluß voraus, daß keiner der Haftungsausschlüsse der §§460f. B G B eingreift?34
II. Situation vor
Gefahrübergang
Vor Gefahrübergang schließt das Reichsgericht die Anfechtung des Käufers nicht aus. Es begründet dies damit, daß vor Gefahrübergang noch keine Gewährleistungsansprüche des Käufers bestehen.35 Die Existenz eines solchen Anspruchs sei aber die Voraussetzung für die Verdrängung der Anfechtung. Ein anderer Grund, aus dem die Anfechtung nach § 119 B G B versagt werden sollte, sei „im Gesetze nicht erfindlich". 36 Auch hier ließe sich die Formulierung so verstehen, als sei ein bestehender (durchsetzbarer) Gewährleistungsanspruch Voraussetzung für den Ausschluß der Anfechtung. Doch wäre diese Auslegung aus den bereits erwähnten Gründen 37 nicht korrekt. Man sollte die Grundaussage des Urteils deshalb so verstehen, daß jedenfalls dann kein Ausschluß der Irrtumsanfechtung eintritt, wenn Gewährleistungsansprüche von vornherein nicht eingreifen können. In einer weiteren Entscheidung hat das Reichsgericht die Frage offengelassen, ob die Konkurrenzfrage vor Gefahrübergang anders zu entscheiden sei, wenn es sich um unbehebbare Mängel handle.38
34 Zwar hat das Reichsgericht in der Hausschwamm-Entscheidung (RGZ 61,171,175) bei der Entwicklung der Ausschlußthese auch §460 B G B erwähnt, doch läßt sich allein daraus wohl nicht ableiten, daß es das NichtVorliegen der Ausschlußgründe des § 460 B G B zur Voraussetzung für den Ausschluß der Anfechtung machen wollte. 35 Vgl. R G , 20.1. 1909, Warneyer 1909, Nr.200, S. 190; RG, 10.12. 1913, J W 1914, 295. Zur Entstehung der Gewährleistungsansprüche s. RG, 22.11. 1902, R G Z 53, 70. 36 RG, 20.1. 1909, Warneyer, Nr.200, S. 190 a.E. 37 S.o. Kapitel 4: A, 1,2,b,aa. 38 RG, 10.12. 1913, J W 1914, 295, 296.
A. Rechtsprechung
des
Reichsgerichts
III. Behandlung von vertraglichen
37
Freizeichnungsklauseln
Enthält der Kaufvertrag eine Klausel, welche die Haftung des Verkäufers für Sachmängel ausschließt, stellen sich hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses zur Irrtumsanfechtung zwei Fragen. Zunächst könnte der Käufer argumentieren, aufgrund der Freizeichnungsklausel falle die vorrangige Speziairegel weg, so daß es keinen Grund mehr gebe, die Anfechtung auszuschließen. Diesen Weg schneidet ihm eine Entscheidung des Reichsgerichts ab, in der es heißt, die Ausschlußthese werde angesichts der Begründung, die sie erfahren habe, auch nicht dadurch hinfällig, daß im Kaufvertrag die Gewährleistungspflicht des Verkäufers ausgeschlossen ist. 39 Die Grundregel zum Konkurrenzverhältnis zwischen Kaufrecht und Anfechtung nach § 119 II B G B (Ausschlußwirkung der §§ 459ff. B G B ) bleibt also von einer Freizeichnungsklausel unberührt. Der zweite Problemkreis betrifft die Wirkung einer Freizeichnungsklausel in den Fällen, in denen die Irrtumsanfechtung nach der grundsätzlichen Konkurrenzregel zulässig wäre (z.B. vor Gefahrübergang oder bei Eigenschaften, die weder vereinbarungsfähig (§459 I B G B ) noch tatsächlich zugesichert im Sinne des §459 II B G B sind). Nach Ansicht des Reichsgerichts handelt es sich dabei um eine Auslegungsfrage. Es hat mehrmals entschieden, die Irrtumsanfechtung sei aufgrund der Freizeichnungsklausel dann ausgeschlossen, wenn festgestellt wird, daß „beide Teile die Erklärung des Käufers so hätten verstanden wissen wollen, daß sich (der Käufer) damit auch des Rechts auf Anfechtung wegen Irrtums begeben wollte". 4 0 Dabei scheint das Gericht davon auszugehen, daß eine Erstreckung der Ausschlußklausel auf die Anfechtung im Regelfall nicht gewollt ist, sondern nur dann angenommen werden kann, wenn die Tatsacheninstanz besondere Anhaltspunkte ausdrücklich festgestellt hat. 41 In seiner ersten Entscheidung zu dieser Frage hat das Reichsgericht allerdings den vertraglichen Gewährleistungsausschluß mit einer Begründung auf die Irrtumsanfechtung ausgedehnt, die sich weniger auf eine Auslegung der Vereinbarung im Einzelfall als auf allgemeine Erwägungen stützt. 42 Allerdings sollte man R G , 17.5. 1916, LZ 1916, 1180, 1181. R G , 25.9. 1909, J W 1909, 655; R G , 10.12. 1913, J W 1914, 295, 296; zustimmend auch R G , 3.5. 1930, LZ 1931,240, 243. S.a. R G , 10.10. 1917, Das Recht 1917, Nr. 1944. 41 R G , 25.9.1909, J W 1909,655. S.a. R G , 3.5.1930, LZ 1931,240,243, wo das Gericht die Anfechtung mit der Begründung zuließ, es gebe keine „zwingenden Anhaltspunkte" dafür, daß der Käufer in beiderseitigem Einverständnis auf das Anfechtungsrecht habe verzichten wollen. S. aber andererseits R G , 18.4.1905, Das Recht 1905, Nr. 1422, wo das Reichsgericht bei der Auslegung zugunsten der Erstreckung der Freizeichnungsklausel auf die Anfechtung berücksichtigt, daß nach einer verbreiteten Ansicht die Anfechtung neben dem Gewährleistungsrecht anwendbar sei, so daß es bei einer allgemein gehaltenen Klausel der „verständigen Absicht" der Vertragspartner entspreche, auch die Irrtumsanfechtung auszuschließen. 4 2 R G , 2 1 . 1 2 . 1 9 0 4 , J W 1905,79: „(...) so ist dem (Berufungsgericht) allerdings darin beizutreten, daß der Gewährleistungsausschluß im Vertrage - ohne Hinzukommen der oben besprochenen Arglist des Verkäufers - auch jede Haftung des Verkäufers wegen Irrtums des Käufers über Eigenschaften oder Mängel der Sache ausschließt. (...) jedenfalls muß in einem vertragsmäßigen Verzicht auf jede Mängelrüge zugleich die Erklärung gefunden werden, daß der Käufer auch ei39
40
38
Kap. 4 Deutsche Rechtsprechung zur
Konkurrenzfrage
dieser Entscheidung angesichts der eben beschriebenen, späteren Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht viel Gewicht beimessen.
B. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Konkurrenzverhältnis von Gewährleistungsrecht und Irrtumsanfechtung I. Situation nach
Gefahrübergang
Der Bundesgerichtshof entwickelte keine neuen Lösungen, sondern lehnte sich an die vom Reichsgericht aufgestellten Grundsätze an. Tiefgehende Auseinandersetzungen mit der Konkurrenzproblematik finden sich in seinen Entscheidungen selten. Trotzdem haben sie die einzelnen Voraussetzungen des Ausschlusses der Anfechtung präzisiert und die vom Reichsgericht offen gelassenen Fragen weitgehend beantwortet.
1. Ansatzpunkt II BGB
für die Ausschlußwirkung:
Sachmangel i.S. d. § 4591,
Ansatzpunkt für die Ausschlußwirkung ist der Begriff des Sachmangels im Sinne des §459 BGB. Der Bundesgerichtshof bekräftigt in zahlreichen Entscheidungen, daß es darauf ankomme, ob der Sachverhalt, auf den sich der Irrtum des Käufers beziehe, den Mängelbegriff des §459 BGB erfülle. 43
a) Allgemeines Der Bundesgerichtshof verlangt, daß das Fehlen beziehungsweise das Vorhandensein der Eigenschaft, auf die sich der Irrtum bezieht, entweder einen Fehler im Sinne des § 4591 1 BGB begründet oder wirksam zum Gegenstand einer Zusicherung im Sinne des § 459 II BGB gemacht wurde. Dies ergibt sich aus
ner allgemeinen Irrtumsklage wegen Sachmängel, falls solche gegeben sein sollte, entsage." Anschließend führte das Gericht aus, derartige Klauseln würden nach der Verkehrsanschauung so verstanden, daß sie jegliche Haftung des Verkäufers für Mängel der Kaufsache ausschließen sollten. Schließlich zog es einen - fragwürdigen - Umkehrschluß aus § 476 BGB, der den Gewährleistungsverzicht nur für Fälle der Arglist ausschließe, nicht dagegen beim Irrtum. 43 BGH, 9.6. 1959, NJW 1959, 1584, 1585; B G H , 16.10. 1968, N J W 1969, 184; B G H , 26.10. 1978, NJW 1979, 160, 161; B G H , 9.10. 1980, JR 1981, 151. Ähnlich B G H , 18.12. 1954, B G H Z 16, 54. S.a. O L G Stuttgart, 17.3.1989, N J W 1989,2547; O L G Düsseldorf, 9.8.1991, N J W 1992, 1326; O L G Karlsruhe, 18.8. 1992, NJW-RR 1993, 1138. Ebenso bestätigte der Bundesgerichtshof die Ansicht des Reichsgerichts, daß die Rechtsmängelhaftung keine Ausschluß Wirkung entfalte, B G H , 12.11. 1975, NJW 1976, 236. S.a. O L G Frankfurt, 22.1. 1980, M D R 1980, 576: kein Ausschluß der Anfechtung beim Franchisevertrag.
B. Rechtsprechung
des
Bundesgerichtshofs
39
zwei Urteilen, in denen er die Yacht-Entscheidungen des Reichsgerichts bestätigte. aa)
Gebrauchtwagen-Entscheidung
Das erste Urteil 4 4 betraf den Kauf eines Gebrauchtwagens, über dessen Alter sich der Käufer geirrt hatte. 45 Das Gericht führte aus: „So ist allgemein anerkannt, daß die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften (§§459ff. B G B ) die Anfechtung nur wegen eines Irrtums über solche Eigenschaften der Kaufsache ausschließen, welche Gewährleistungsansprüche begründen können (...). Das ist beim Alter eines Wagens nicht der Fall, solange dadurch die Eignung des Fahrzeugs zum gewöhnlichen oder vertraglich vorausgesetzten Gebrauch nicht eingeschränkt wird (...)." Das Alter sei jedoch eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne des § 119 II B G B , so daß die Anfechtung des Käufers zulässig und wirksam sei. 46 Es gibt also nach Ansicht des Bundesgerichtshofs Eigenschaften im Sinne des § 119 II B G B , deren NichtVorliegen keinen Fehler im Sinne des § 4 5 9 I B G B begründet. Aus § 4 5 9 1 B G B kann in diesen Fällen kein Ausschluß der Anfechtung abgeleitet werden. 47 bh)
Mähdrescher-Entscheidung
Das zweite Urteil betraf den Irrtum über das Alter eines gebraucht gekauften Mähdreschers. D e r Bundesgerichtshof hielt die Anfechtung nicht für ausgeschlossen. E r stellte zunächst fest, daß das höhere Alter für sich genommen keinen Fehler im Sinne des § 4 5 9 1 B G B begründe. Dann entschied er ausdrücklich, daß die Anfechtung auch dann ausgeschlossen sei, wenn sich der Irrtum auf eine (zusicherungsfähige) Eigenschaft beziehe, die tatsächlich zugesichert im Sinne des § 4 5 9 II B G B wurde und bestätigte so die vom Reichsgericht in den YachtEntscheidungen zwar noch nicht klar formulierte, aber bereits stillschweigend zugrunde gelegte Position, daß die bloße Zusicherungsfähigkeit allein nicht genügt, um einen Ausschluß der Anfechtung zu begründen. 48 Im konkreten Fall B G H , 26.10. 1978, N J W 1979, 160. Ursprünglich hatte der Käufer wegen arglistiger Täuschung angefochten. Diese konnte er nicht beweisen. Das Berufungsgericht deutete die Anfechtung wegen Täuschung in eine solche wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft um, der Bundesgerichtshof billigte dies. Vgl. B G H , 26.10. 1978, N J W 1978, 160, 161. 4 6 B G H , 26.10. 1978, N J W 1978,160,161. Ebenso O L G Frankfurt, 10.3. 1970, O L G Z 1970, 409, 412ff.; O L G Stuttgart, 17.3. 1989, N J W 1989, 2547. 4 7 In einem anderen Zusammenhang, nämlich bei der Frage, ob Ansprüche aus culpa in contrahendo wegen schuldhafter Verletzung von Aufklärungspflichten der kurzen Verjährung des §477 B G B unterliegen, hat es der Bundesgerichtshof dagegen abgelehnt, zwischen Eigenschaften, die einen Mangel darstellen, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, zu unterscheiden. Vgl. B G H , 13.7. 1983, N J W 1983, 2697, 2698. 44
45
48
S.o. Kapitel 4: A,I,2,b,bb.
40
Kap. 4 Deutsche Rechtsprechung zur
Konkurrenzfrage
fehlte es an der Zusicherung eines bestimmten Alters oder Baujahres. Dementsprechend ging das Gericht davon aus, daß sich aus §459 II B G B kein Ausschluß der Anfechtung herleiten lasse.49 b) Insbesondere: Künftige Eigenschaften der Kaufsache Das Ausbleiben von Umständen, die nach der Vereinbarung der Parteien erst in der Zukunft eintreten sollen (z.B. die künftige Bebaubarkeit des verkauften Grundstücks), begründet weder einen Fehler im Sinne des §4591 B G B noch eine Haftung des Verkäufers aus §459 II B G B , und zwar selbst dann nicht, wenn eine Zusicherung vorlag. Es handelt sich nicht um eine zusicherungsfähige Eigenschaft.50 Bezieht sich der Irrtum des Käufers auf solche Umstände, so ist die Anfechtung mangels Vorliegens eines Sachmangels nicht durch die §§459ff. B G B ausgeschlossen.51 Allerdings ist nach herrschender Meinung ein Irrtum über künftige Eigenschaften der Kaufsache ohnehin unbeachtlich. 52 Die Anfechtung ist in diesen Fällen also konkurrenzrechtlich zulässig, scheitert aber aus irrtumsrechtlichen Gründen. Von der Regel, daß künftige Eigenschaften einen Sachmangel im Sinne des § 459 B G B nicht begründen können, strikt zu trennen ist die Frage, ob die Irrtumsanfechtung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Parteien das gegenwärtige Vorliegen einer Eigenschaft vereinbart haben und diese Eigenschaft bei Gefahrübergang auch vorliegt, später jedoch wegfällt. In diesem Fall kann die Ausschlußwirkung keinesfalls daran scheitern, daß der vereinbarte Umstand, also die vereinbarte Sollbeschaffenheit, von vornherein nicht geeignet ist, einen Sachmangel zu begründen. Probleme könnten sich nur daraus ergeben, daß der Sachmangel (nämlich das Abweichen der Ist- von der Sollbeschaffenheit) erst nach Gefahrübergang eingetreten ist, so daß eine Haftung des Verkäufers aus den §§459ff. B G B nicht eintritt. Mit anderen Worten: Ein Fehler im Sinne des § 459 I B G B liegt vor. Es fehlt aber an einer weiteren Haftungsvoraussetzung (richtiger Zeitpunkt). Einen derartigen Fall hat das O L G Düsseldorf dahinge-
4 9 BGH, 9.10. 1980, J R 1981, 151 f. Für nicht ausreichend geklärt hielt das Gericht die Frage, ob das höhere Alter andere Mängel verursacht hatte, die ihrerseits einen Fehler i.S.d. § 4591 BGB hätten begründen können. Es konnte diese Frage aber offenlassen, weil der sich daraus ergebende Wandelungsanspruch im konkreten Fall zum gleichen Ergebnis geführt hätte wie die Anfechtung nach § 119 II BGB. S.a. O L G Hamm, 14.3.1995, NJW 1995,2640, wo zunächst das Vorliegen der Voraussetzungen des §459 II BGB, anschließend ein Fehler i.S.d. §459 I BGB verneint und deshalb die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 119 II BGB geprüft wurden. 50 Soergel/U. Huber, §459, Rn.23, 149. 51 BGH, 15.10.1976, WM 1977,118. Indem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall berief sich der Käufer auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die hier in Bezug genommenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs bezogen sich jedoch ausdrücklich auch auf die Anfechtung nach §119 II BGB. 52 Vgl. LG Berlin, 6.12. 1990, NJW 1991, 1238, 1240f. m.w.N., bestätigt in KG, 14.1. 1992, ZIP 1992, 208, 211; RG, 15.10. 1914, RGZ 85, 322, 325; Soergel/Hefermehl, § 119, Rn. 37; Hübner, Rn. 787. A.A.: MünchKomm/tframer, § 119, Rn. 101a.
B. Rechtsprechung
des
Bundesgerichtshofs
41
hend entschieden, daß die Ausschlußwirkung eintritt. Zur Begründung führte es an, daß andernfalls die vom Gesetz in §446 B G B gewollte Risiko Verlagerung gegenstandslos werde. 53
2. Unerheblichkeit weiterer
Haftungsvoraussetzungen
a) §477 BGB Die Rechtsprechung des Reichsgerichts ging davon aus, daß der Eintritt der kaufrechtlichen Verjährung des §477 B G B nichts an der Ausschlußwirkung der §459ff. B G B ändere. Diese Haltung hat der Bundesgerichtshof bestätigt. 54 Die Irrtumsanfechtung ist also auch dann nicht möglich, wenn der konkurrierende Gewährleistungsanspruch bereits verjährt ist.
b) §460 BGB Offen war nach den Urteilen des Reichsgerichts, ob die Ausschluß wirkung auch dann eintritt, wenn ein Fall des §460 B G B vorliegt. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bejaht. Der Rückgriff auf die Irrtumsanfechtung sei auch dann nicht möglich, wenn die nach §459 B G B grundsätzlich begründeten Gewährleistungsrechte des Käufers durch §460 B G B wegen Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels ausgeschlossen sind. 55
c) §45912
BGB
Die Frage, ob bereits das Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 459 I 1 B G B , der nur zu einer unerheblichen Wert- oder Tauglichkeitsminderung im Sinne des §459 I 2 B G B führt und deshalb keine Gewährleistungsansprüche auslöst, die Irrtumsanfechtung ausschließt, wurde vom Bundesgerichtshof bisher nicht ausdrücklich thematisiert. Der Sache nach hat er sie jedoch in einem Urteil aus dem Jahr 1959 entschieden, in dem er die Anfechtung für ausgeschlossen hielt, obwohl der einzige vom Käufer gerügte Mangel, den er als Fehler im Sinne des §459 I 1 B G B anerkannte, nach §459 I 2 B G B unerheblich war.56 Die Ausschluß wirkung beruht also im Bereich des §459 I B G B allein auf dem Vorliegen einer Beschaffenheit im Sinne des §459 I 1 B G B .
53 O L G Düsseldorf, 1.10. 1970, N J W 1971, 436: In diesem Fall ging es zwar um Wegfall der Geschäftsgrundlage, doch bezog das Gericht seine konkurrenzrechtlichen Ausführungen auch auf die Irrtumsanfechtung nach § 119 II BGB. 54 B G H , 15.10. 1976, WM 1977, 118. 55 B G H , 15.10.1976, WM 1977,118. Im Ergebnis ebenso B G H , 16.10. 1968, NJW 1969,184. Damit sind die sich aus einer mißverständlichen Formulierung des Reichsgerichts in der Hausschwamm-Entscheidung ergebenden Unklarheiten (s.o. Kapitel 4: A,I,2,b,cc) beseitigt. 56 B G H , 9.6. 1959, N J W 1959, 1584, 1585.
42
Kap. 4 Deutsche
Rechtsprechung
zur
Konkurrenzfrage
d) Vorliegen des Sachmangels zum Zeitpunkt des
Gefahrübergangs
Wie bereits dargestellt 5 7 , kommt es für das Eintreten der Ausschluß wirkung nicht darauf an, o b der Sachmangel bereits bei Gefahrübergang vorlag. E n t scheidend ist allein, daß die von den Parteien zulässigerweise vereinbarte Sollbeschaffenheit nicht vorliegt. Dahinter steht der Gedanke des abschließenden Charakters der Sachmängelhaftung: Für Sachmängel, die nach Gefahrübergang eingetreten sind, soll der Verkäufer überhaupt nicht haften, für vorher eingetretene nur nach den § § 4 5 9 f f . B G B . -
3. Abweichende
Aussagen
Die eben dargestellten Grundsätze entsprechen den Ergebnissen und Aussagen, zu denen die überwiegende Zahl der veröffentlichten Entscheidungen gelangt ist. Daneben finden sich zwar vereinzelte Urteile, die davon abzuweichen scheinen oder jedenfalls mißverständlich formuliert sind. Diese können jedoch das weitgehend einheitliche Bild nicht trüben. Das gilt zunächst für die bereits angesprochenen Aussagen, die den Eintritt der Ausschlußwirkung daran zu knüpfen scheinen, daß ein Gewährleistungsanspruch des Käufers besteht 5 8 (so daß das bloße Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 4 5 9 1 1 B G B oder einer Zusicherung i.S.d § 4 5 9 II B G B nicht ausreichen würde). Man kann in diesen Fällen davon ausgehen, daß es sich eher um nachlässige Formulierungen handelt, als um ein bewußtes Abweichen von der herrschenden Meinung. 5 9 Als nicht repräsentativen „Ausreißer" muß man dagegen eine Entscheidung des O L G Karlsruhe einordnen, in der es - ähnlich wie das Reichsgericht in der umstrittenen Sologeigen-Entscheidung - das Vorliegen eines Sachmangels verneinte und trotzdem die Anfechtung konkurrenzrechtlich ausschloß. 6 0
4.
Zusammenfassung
Die Rechtsprechung geht davon aus, daß der Ausschluß der Irrtumsanfechtung immer dann eintritt, wenn entweder ein „Fehler" im Sinne des § 459 1 B G B vorliegt oder eine zusicherungsfähige Eigenschaft im Sinne des § 4 5 9 II B G B tatsächlich zugesichert wurde. Offen bleibt die Frage, ob die Ausschlußwir-
S.o. Kapitel 4: B,I,l,c. Z.B. O L G Frankfurt, 10.3.1970, O L G Z 1970,409,413: „(...) nur dann, wenn im Einzelfall Gewährleistungsansprüche gegeben sind oder waren". 5 9 So beschränkte sich die Prüfung des O L G Frankfurt in der genannten Entscheidung auf die Feststellung, daß weder ein Fehler i.S.d. § 4 5 9 1 1 B G B noch ein Fall des §459 II B G B vorlag und stand deshalb in der konkreten Anwendung wieder in der Tradition der herrschenden Meinung. 6 0 O L G Karlsruhe, 16.12. 1987, N J W - R R 1988, 1138. 57 58
B. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
43
kung voraussetzt, daß die betreffende Eigenschaft tatsächlich als geschuldet vereinbart wurde, oder o b es genügt, daß dies zulässigerweise hätte geschehen können. U n e r h e b l i c h ist dagegen, o b auch die weiteren Haftungsvoraussetzungen vorliegen.
II. Situation vor
Gefahrübergang
Grundsätzlich teilt der Bundesgerichtshof die A n s i c h t des Reichsgerichts, daß die Irrtumsanfechtung vor Gefahrübergang nicht ausgeschlossen sei, weil n o c h keine Gewährleistungsansprüche existierten. 6 1 Dieses Ergebnis hält er selbst dann für richtig, wenn im k o n k r e t e n Fall ausnahmsweise schon vor G e fahrübergang Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden k ö n n e n . 6 2 D a s ist dann der Fall, wenn der Mangel u n b e h e b b a r ist, die zugesicherte E i g e n schaft nicht m e h r verschafft werden kann oder der Verkäufer die B e h e b u n g bzw. Verschaffung endgültig abgelehnt hat. 6 3 Z u r B e g r ü n d u n g verweist der Bundesgerichtshof zunächst darauf, daß die ausnahmsweise Vorverlegung der Gewährleistungsansprüche eine Vergünstigung für den Käufer darstellen solle. D i e s e m Ziel widerspreche es, w e n n man ihm damit das an sich bestehende R e c h t zur Irrtumsanfechtung nehme. Weiter k ö n n e der Käufer im Einzelfall auf die vorgezogene G e l t e n d m a c h u n g v o n Gewährleistungsansprüchen keinen Wert legen, etwa weil er ein Interesse an der U b e r g a b e der Sache habe, u m sie untersuchen zu können. D e s h a l b solle man die b l o ß e Möglichkeit, kaufrechtliche A n s p r ü c h e zu erheben, nicht ausreichen lassen, u m die A n f e c h t u n g auszuschließen. Schutzwürdige Interessen des Verkäufers würden nicht berührt, weil die A n f e c h t u n g s m ö g l i c h k e i t des Käufers zeitlich eng begrenzt sei, nämlich bis z u m Gefahrübergang. Schließlich erspare man sich auf diese Weise die oft schwierige B e s t i m m u n g des genauen Zeitpunkts, ab dem die vorgezogenen G e währleistungsansprüche bestehen. 6 4
III. Wirkung von Freizeichnungsklauseln 1. Kein Ausschluß des Ausschluß-Grundsatzes D e r Bundesgerichtshof ist wie das Reichsgericht 6 5 der Ansicht, daß die M ö g lichkeit der Irrtumsanfechtung nicht allein deshalb wieder auflebt, weil die Vertragsparteien die Gewährleistungshaftung (und damit die vorrangige Regelung) 61 BGH, 14.12. 1960, BGHZ 34, 32, 34; BGH, 26.1. 1962, WM 1962, 511, 512. Ebenso OLG Köln, 26.11. 1957, MDR 1958, 160. 62 BGH, 14.12. 1960, BGHZ 34, 32. 63 BGH, 14.12. 1960, BGHZ 34, 32, 34f. Vgl. Larenz, Schuldrecht II/l, S.45. 64 BGH, 14.12. 1960, BGHZ 34, 32, 37f. 65 S.o. Kapitel 4: A,III; RG, 17.5. 1916, LZ 1916, 1180, 1181.
44
Kap. 4 Deutsche Rechtsprechung zur
Konkurrenzfrage
abbedungen haben.66 Zur Begründung führt er an, daß die Anfechtung durch die Sondervorschriften der §§459ff. BGB kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Uberzeugend wäre diese Erklärung nur, wenn das Gericht die Frage des Ausschlusses der Irrtumsanfechtung in vollem Umfang der Parteidisposition entziehen wollte. Das war aber offensichtlich nicht beabsichtigt, wie die sich anschließenden Ausführungen zu der Frage zeigen, ob die Parteien mit der Freizeichnungsklausel im konkreten Fall beabsichtigten, dem Käufer die Anfechtung wieder zur Verfügung zu stellen. Die genaue Begründung - und damit die Frage nach der Reichweite der Parteiautonomie - bleibt also unklar. Von großer Bedeutung ist das nicht, weil es in der Praxis kaum vorkommen wird, daß die Parteien mit der Vereinbarung der Freizeichnung von kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüchen bewußt das Wiederaufleben der Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 II BGB beabsichtigen. Für die hier verfolgten Zwecke entscheidend ist folgende Feststellung: Der Käufer kann nicht argumentieren, durch die Freizeichnungsklausel falle die vorrangige Sonderregelung (§§459ff. BGB) fort, so daß die Anfechtung nach § 119 II BGB wieder zum Zuge kommen könne.
2. Auslegung
der
Freizeichnungsklauseln
Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Reichweite von Freizeichnungsklauseln bieten kein einheitliches Bild. Zunächst schien er sich an die vom Reichsgericht überwiegend vertretene, restriktive Auslegung anzulehnen. In diesem Sinne hat er entschieden, daß das Anfechtungsrecht von der Klausel nur dann erfaßt werde, wenn beide Vertragsparteien den vertraglichen Ausschluß in diesem Sinne verstanden wissen wollten. 67 In einer späteren Entscheidung war der Bundesgerichtshof dagegen der Ansicht, bei einem ausdrücklichen Ausschluß von Ansprüchen wegen Sachmängeln liege es - trotz des Grundsatzes der engen Auslegung von Freizeichnungsklauseln - nahe, daß der Käufer sich auch von Ansprüchen freizeichnen wolle, die sich als Folgen einer Irrtumsanfechtung ergeben könnten. Er hat dabei entscheidend darauf abgestellt, daß sowohl die Anfechtung als auch die Gewährleistungsansprüche zur Rückabwicklung des Vertrages führen könnten. 68 Diese Widersprüche wurden in der bereits erwähnten Gebrauchtwagen-Entscheidung zwar angesprochen, aber nicht grundsätzlich entschieden. Der Gerichtshof zog sich vielmehr auf die Besonderheiten des Einzelfalls zurück. Selbst wenn man für den Gebrauchtwagenkauf der weiten Auffassung folgen 66 BGH, 15.1.1975, N J W 1975, 970, 972. Anders aber O L G Karlsruhe, 17.11. 1970, JZ 1971, 294 zum Wegfall der Geschäftsgrundlage: Keine Ausschlußwirkung, wenn die §§459ff. BGB durch eine Freizeichnungsklausel ausgeschlossen sind. Hiergegen aber jetzt O L G Karlsruhe, 18.8. 1992, NJW-RR 1993, 1138. 67 BGH, 26.1. 1962, WM 1962, 511, 512. 68 B G H , 19.12. 1966, BB 1967,96. S.a. O L G Hamm, 15.1. 1979, JZ 1979,266,268.
C. Gewährleistungsrecht und Wegfall der Geschäftsgrundlage
45
wolle, müsse für die Fälle der Angabe eines falschen Baujahres etwas anderes gelten. D e n n dort bestünden nicht die typischen Unsicherheiten, die es sonst im Gebrauchtwagenhandel gerechtfertigt erscheinen ließen, umfassende F r e i zeichnungsklauseln zuzulassen. D a s B a u j a h r eines Fahrzeugs lasse sich nämlich leicht feststellen. 6 9 D i e Rechtsprechung ermöglicht es also, bei der Auslegung der Klausel im Einzelfall diejenigen G r u n d s ä t z e heranzuziehen, die zur Auslegung und Zulässigkeit von Ausschlußklauseln für bestimmte Vertragstypen entwickelt wurden, beispielsweise die großzügige Haltung gegenüber solchen Klauseln im Gebrauchtwagenhandel. 7 0 Angesichts der Begründung, die diese erfahren hat (schwere Feststellbarkeit bestimmter Mängel) würde dies im E r gebnis zu einer Unterscheidung zwischen verborgenen (weite Auslegung der Klausel) und offenen (enge Auslegung) führen. 7 1 E i n e einheitliche H a l t u n g hinsichtlich der E r s t r e c k u n g kaufvertraglicher Freizeichnungsklauseln auf das R e c h t zur Irrtumsanfechtung gibt es also nicht. D e r einzige Schluß, den die bisher ergangenen Urteile zulassen, ist, daß es sich jeweils um eine Frage der Auslegung der betreffenden Klausel handelt.
C. Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis von Gewährleistungsrecht und Wegfall der Geschäftsgrundlage D i e Frage der A n w e n d b a r k e i t der L e h r e v o m Fehlen beziehungsweise v o m Wegfall der Geschäftsgrundlage neben dem Sachmängelrecht wird von der Rechtsprechung in gleicher Weise beantwortet wie bei der Irrtumsanfechtung nach § 119 I I B G B : D i e § § 4 5 9 f f . B G B schließen die Berufung des Käufers auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage aus. Hinsichtlich der R e i c h w e i t e der A u s s c h l u ß w i r k u n g stellen sich die gleichen Fragen wie bei der Irrtumsanfechtung. Zunächst ist zu klären, welche Tatbestandsmerkmale des § 4 5 9 B G B vorliegen müssen. Z u m Teil finden sich F o r m u lierungen, die - ohne freilich die P r o b l e m a t i k ausdrücklich zu erörtern - darauf hindeuten könnten, daß bereits die bloße „Zusicherungsfähigkeit" im Sinne des § 4 5 9 I I B G B ausreichen soll. 7 2 Andererseits wird der Ausschluß der L e h r e von der Geschäftsgrundlage häufig z u s a m m e n mit der Verdrängung der Irrtumsanfechtung erörtert und dieser gleichgestellt. 7 3 D e s h a l b m u ß man w o h l davon ausgehen, daß die R e i c h w e i t e der Ausschlußwirkung in beiden Fällen den gleichen Regeln folgt.
69 BGH, 26.10. 1978, NJW 1979, 160, 161. Ähnlich OLG Stuttgart, 17.3. 1989, NJW 1989, 2547. 70 Vgl. Staudinger/Honseil, §476, Rn. 17. 71 S.a. OLG Stuttgart, 17.3. 1989, NJW 1989, 2547. 72 Vgl. BGH, 7.2. 1992, BGHZ 117, 159, 162f. 73 Vgl. BGH, 15.10. 1976, WM 1977,118; BGH, 15.1. 1975, BGHZ 63, 369, 376f.; RG, 11.3. 1932, RGZ 135, 339, 346.
Kapitel 5
Stellungnahmen in der deutschen Literatur zur Konkurrenzproblematik In der Literatur sind drei R i c h t u n g e n erkennbar. E i n e G r u p p e v o n A u t o r e n faßt den Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft im Sinne des § 1 1 9 II B G B so eng, daß eine U b e r s c h n e i d u n g mit den § § 4 5 9 f f . B G B von vornherein ausgeschlossen ist. Diese A n s i c h t wurde bereits vorgestellt. 1 Diejenigen, die eine K o n k u r r e n z s i t u a t i o n prinzipiell für möglich erachten, spalten sich auf in B e fürworter und G e g n e r eines Ausschlusses der Anfechtung. I m folgenden w e r den zunächst die zwei M o n o g r a p h i e n dargestellt, die sich in der Nachkriegszeit schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis von A n f e c h t u n g und Wandelung im deutschen R e c h t beschäftigt haben. 2 Anschließend folgt eine systematisierte Zusammenfassung des Meinungsstandes im übrigen.
A. Jüngere
Monographien
I. Flume, Eigenschaftsirrtum 1.
und Kauf
Ausgangspunkt
Flumes Verständnis des § 119 II B G B wurde bereits geschildert. 4 Beachtlich ist danach nur der geschäftliche Eigenschaftsirrtum, der sich auf solche Eigenschaften bezieht, deren Vorliegen z u m Gegenstand der Leistungsvereinbarung gemacht wurde.
S.o. Kapitel 1: A, 11,3. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf; Fröhlich, Die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums beim Kauf. Das Werk von Brox (Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung) hat seinen Schwerpunkt nicht auf dem Verhältnis von Anfechtung und Wandelung, sondern bei der Einschränkung der Irrtumsanfechtung allgemein. Die Arbeit von Busbach beschränkt sich im wesentlichen auf zwei Sonderfälle, nämlich die Lage vor Gefahrübergang und die Behandlung von Freizeichnungsklauseln. Beide Arbeiten werden deshalb nicht gesondert dargestellt, sondern in die generelle Literaturauswertung eingestellt. 3 Dazu jüngst Wilhelm, Festgabe für Flume, S. 301 ff. 1
2
4
S.o. Kapitel 1: A,II,2.
A. Jüngere
Monographien
47
Wie bei der Auslegung des § 119 II B G B geht Flume auch bei der Bestimmung des Fehlerbegriffs im Sinne des §459 I B G B davon aus, daß sich die Leistungsvereinbarung auf die Eigenschaften der Kaufsache erstrecken könne. Daraus folgert er, daß die Kaufvereinbarung grundsätzlich auf die Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand gerichtet sei. Dagegen könne man nicht einwenden, daß der Käufer keinen durchsetzbaren Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache habe. Denn dies beruhe nur darauf, daß das Gesetz an die Stelle der grundsätzlich vereinbarten Rechtsfolge (Lieferung einer mangelfreien Sache) eine andere Rechtsfolge gesetzt habe, nämlich die Gewährleistungsansprüche aus §§459ff. BGB. Es ändere aber nichts an der ursprünglich gegebenen Zielrichtung der Kaufvereinbarung.5 Die Sachmängelhaftung hat also Flumes Ansicht nach ihren Grund letztlich in der (auf Leistung der fehlerfreien Sache gerichteten) Kaufvereinbarung der Parteien. Dies führe notwendigerweise zu einem subjektiven Fehlerbegriff. Fehler im Sinne des §4591 B G B sei deshalb jede Abweichung der Kaufsache von der im Kaufvertrag vereinbarten Beschaffenheit.6 Damit fallen für Flume alle Fälle eines geschäftlichen Eigenschaftsirrtums auch unter den Fehlerbegriff des § 4591 B G B . Die Tatbestände von § 119 II B G B und §459 I B G B sind insoweit deckungsgleich. Dementsprechend definiert Flume auch den Begriff der Eigenschaft für beide Rechtsinstitute in gleicher Weise. Er umfasse alle Verhältnisse, die vermöge ihrer Art und Dauer die Wertschätzung oder Brauchbarkeit der Sache beeinflussen.7 Wenn es an einer besonderen Vereinbarung hinsichtlich der Eigenschaften der Kaufsache fehle, komme es auf den objektiven Maßstab der normalen Beschaffenheit der Kategorie an, als der angehörig die Sache verkauft werde.8
2.
Konkurrenzentscheidung
a) Tatbestandliche
Überschneidungen
Flume erörtert zunächst, ob bzw. inwieweit eine Konkurrenzsituation zwischen §119 II B G B und §459 B G B eintreten könne. Im Hinblick auf §459 I B G B sei dies angesichts der beschriebenen weitgehenden Deckungsgleichen 9 der Tatbestände unproblematisch zu bejahen. 10 Die Möglichkeit einer Konkurrenz zwischen §459 II B G B und § 119 II B G B sieht Flume jedoch nicht. Denn Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 47ff. Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 109ff., 118ff. 7 Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 118f. 8 Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 128f. 9 Die Deckungsgleichheit besteht dann, wenn es um vereinbarte Eigenschaften geht. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, könnte man nach Flumes Ansicht zwar einen Fehler i.S.d. § 459 I B G B nach dem objektiven Maßstab bejahen, müßte einen entsprechenden Irrtum des Käufers aber wohl als außergeschäftlich und deshalb unbeachtlich behandeln. 10 Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 132f. 5 6
48
Kap. Í Deutsche Literatur zur
Konkurrenzproblematik
der Käufer, der sich eine bestimmte Eigenschaft zusichern lasse, rechne mit der Möglichkeit, daß diese fehlen könne, sei darüber also nicht im Irrtum. 11 b) Grundsatz: Ausschluß der
Irrtumsanfechtung
Flume löst die Konkurrenzfrage durch einen Ausschluß der Irrtumsanfechtung in den Fällen der Mängelhaftung. Zur Begründung führt er an, daß die Rechte des Käufers wegen Fehlerhaftigkeit der Kaufsache „durch die §§ 459ff. als lex specialis ausschließlich geregelt" seien, „indem durch die Anwendung des § 119 II neben den §§459ff. die Regelung der §§459ff. teilweise illusorisch würde", während nur diese letztere Regelung der Interessenlage entspreche. Die einzelnen Gründe für diese Lösung seien in Literatur und Rechtsprechung oft genug erörtert worden, so daß man sich eine erneute Auseinandersetzung ersparen könne. An ihrer Durchschlagskraft könne es keine Zweifel mehr geben. 12 Flume neigt sogar dazu, den Ausschluß der Anfechtung in denjenigen Fällen, in denen der Käufer tatsächlich Mängelansprüche hat, als Gewohnheitsrecht anzusehen. 13 Ausschließlichkeit der Gewährleistungsvorschriften bedeutet für Flume, „daß dem Käufer bezüglich der Beschaffenheit der Kaufsache in jedem Falle nur die Rechte der §§459ff. und nur unter den dort bestimmten Voraussetzungen zustehen". 14 Das bedeutet: Immer dann, wenn es um die Beschaffenheit der Kaufsache geht, kann sich der Käufer allein auf die §§459ff. BGB stützen. Ein Rückgriff auf die Irrtumsanfechtung ist keinesfalls möglich, und zwar selbst dann nicht, wenn die Voraussetzungen für einen Anspruch aus §§459ff. BGB im konkreten Fall nicht vorliegen. Die nach Ansicht der Rechtsprechung möglichen Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 4591 BGB nicht vorliegen, diejenigen des § 119 II BGB dagegen schon, kann es in Flumes System nicht geben. Denn er setzt für beide Rechtsbehelfe den gleichen Eigenschaftsbegriff voraus und gelangt so zur tatbestandlichen Deckung beider Tatbestände. 15 c) Situation vor
Gefahrübergang
Anders als die Rechtsprechung will Flume die Irrtumsanfechtung auch vor Gefahrübergang ausschließen, weil die für einen Ausschluß sprechenden Argumente - mit Ausnahme des Aspekts der Verjährung - auch für die Zeit vor Gefahrübergang zutreffend seien. Seiner Ansicht nach können die Rechte des Käufers vor diesem Zeitpunkt nicht weiter gehen als danach. Insbesondere sei nicht
11 12 13 14 15
Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 132, Fn. 9. Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 133 ff. Flume, Eigenschaftsirrtum, S.135. Flume, Eigenschaftsirrtum, S.134. Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, S.485.
A. Jüngere
Monographien
49
nachvollziehbar, warum ein grob fahrlässig irrender Käufer vor Gefahrübergang anfechten dürfe, danach jedoch nicht. 16
d) Behandlung von
Freizeichnungsklauseln
Die Situation, daß eine Freizeichnungsklausel bezüglich der Gewährleistungshaftung zu einer Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung führt, hält Flume in seinem Lösungsmodell nicht für möglich. Wenn der Verkäufer die Haftung für Eigenschaften der Kaufsache ausgeschlossen habe, beziehe sich der Kaufvertrag nicht auf diese Beschaffenheit. Der Irrtum des Käufers könne dann nur ein außergeschäftlicher sein. §119 II B G B liege also schon tatbestandsmäßig nicht
II. Fröhlich, Die Anfechtung
wegen Eigenschaftsirrtums
beim
Kauf
Fröhlich beginnt mit einer Analyse der Rechtsprechung. Er entwickelt daraus den Spezialitätsbegriff, der seiner Ansicht nach der Haltung der Gerichte zugrunde liegt, und stellt ihn anderen Lösungen gegenüber, die in der Lehre vertreten werden. Anschließend bewertet er die verschiedenen Ansätze und entwickelt einen eigenen Vorschlag.
1. Der Spezialitätsbegriff
der
Rechtsprechung
Nach Fröhlichs Ansicht geht die Rechtsprechung von einem formell-materiellen Spezialitätsbegriff aus. 18 Die Ausschlußwirkung einer Norm gegenüber einer anderen habe danach zwei Voraussetzungen. Erstens müsse systematische Spezialität vorliegen (formelles Element). Zweitens müsse die vorrangige Norm eine abweichende Regelung treffen (materielles Element). Die systematische Spezialität werde durch das Charakteristikum der Sonderzuständigkeit bestimmt. Eine Vorschrift sei sonderzuständig in diesem Sinne, wenn ihr Anwendungs- bzw. Regelungsbereich begrenzter sei als derjenige der anderen Vorschrift. Diese Voraussetzung sei für Gewährleistungsvorschriften gegenüber den Anfechtungsvorschriften erfüllt, weil erstere nur für Kaufverträge gelten, letztere dagegen für alle Verträge. 19 Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 134 und ders., Allgemeiner Teil, S.485. Flume, Allgemeiner Teil, S.485. 18 Vgl Fröhlich, S. 33 ff. 19 Fröhlich geht andererseits - ebenso wie die Rechtsprechung - davon aus, daß gewisse tatbestandliche Berührungspunkte bestehen müssen. Er sieht diese als gegeben an, wenn Identität sowohl der Personen als auch des zugrunde liegenden als auch des wirtschaftlichen Ziels vorliege. Dies sei beim Zusammentreffen von Irrtumsanfechtung nach § 119 II B G B und Wandelung der Fall. Vgl. Fröhlich, S.34f. 16 17
50
Kap. 5 Deutsche
Literatur
zur
Konkurrenzproblematik
Das Vorliegen einer abweichenden Regelung begründet die Rechtsprechung nach Fröhlichs Ansicht mit dem Gedanken der Zweckvereitelung. Eine abweichende Regelung sei danach gegeben, wenn zwischen den beiden Vorschriften bei gleichem wirtschaftlichen Ziel (z.B. Lösung vom Vertrag) Abweichungen in den Voraussetzungen und Zwecken (z.B. Käufer-, Verkäufer- oder Verkehrsschutz) bestünden, die dazu führten, daß der eine gesetzliche Tatbestand durch den anderen in seiner Wirksamkeit vereitelt werden könne. 20
2. Der formal-begriffliche
Spezialitätsbegriff
Diesem (jedenfalls auch) auf materielle Wertungen abstellenden Spezialitätsbegriff stellt Fröhlich einen formal-begrifflichen gegenüber, der seiner Ansicht nach von Teilen der Literatur zugrunde gelegt wird. Danach liege Spezialität vor, wenn der Tatbestand der speziellen Vorschrift alle Merkmale der allgemeinen Vorschrift enthalte und darüber hinaus noch mindestens ein zusätzliches Merkmal. Alle Fälle der besonderen Vorschrift müßten also auch solche der allgemeinen Norm sein. 21
3. Fröhlichs
Ansicht
Fröhlich lehnt den begrifflichen Spezialitätsbegriff ab. Er geht davon aus, daß im Zivilrecht das Nebeneinander mehrerer einschlägiger Rechtsbehelfe die Regel sei. Der Ausschluß sei die Ausnahme, die einer Begründung bedürfe. Allein tatbestandliche Unterschiede seien dafür nicht ausreichend. Die Aufgabe der Konkurrenzlehre im Zivilrecht unterscheide sich von derjenigen im Strafrecht, aus dem der formelle Spezialitätsbegriff stamme. Dort gehe es nicht darum, gesetzliche Widersprüche zu lösen, sondern um die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter Beachtung des „nulla poena"-Grundsatzes. Jener verlange eine streng am Wortlaut ausgerichtete, tatbestandsbezogene und begriffslogische Lösung. Im Zivilrecht dagegen gehe es bei der Konkurrenzentscheidung allein um die Wiederherstellung der Einheit des Gesetzes durch die Ausräumung von Widersprüchen. Eine Ausschlußwirkung lasse sich deshalb nur dann vertreten, wenn es um die Vermeidung echter Normwidersprüche gehe. 22 Dem werde allein der formell-materielle Spezialitätsbegriff gerecht, weil er auf die Zweckvereitelung abstelle.
20 21 22
Fröhlich, Fröhlich, Fröhlich,
S.38ff. S.63ff. S.67ff.
A. Jüngere
51
Monographien
4. Fröblichs Kritik an der praktischen Rechtsprechung
Anwendung
durch die
Fröhlichs Ansicht nach legt die Rechtsprechung zwar den richtigen Spezialitätsbegriff zugrunde, wendet dessen Voraussetzungen aber nicht korrekt an. Sie gehe davon aus, daß die Gewährleistungsvorschriften dem Verkehrsschutz dienten und stütze auf diesen Zweck die Vereitelungsgefahr. Dies hält er für nicht korrekt, weil die § § 4 5 9 f f . B G B seiner Meinung nach nicht dem Verkehrsschutz, sondern dem Schutz des Käufers dienen sollen.
a) Primäre
Käuferschutzfunktion
Mit der fehlerhaften Kaufsache erhalte der Käufer nicht den vereinbarten G e genwert für den von ihm zu entrichtenden Kaufpreis. In dieser Aquivalenzstörung liege der eigentliche Grund der kaufrechtlichen Gewährleistung. Es gehe also darum, die zu Lasten des Käufers eingetretene Störung des Kaufgeschäfts auszugleichen. Die § § 4 5 9 f f . B G B dienten deshalb den Interessen des benachteiligten Käufers und nicht der Rechtssicherheit oder dem Interesse des Verkäufers an einer schnellen Abwicklung des Kaufes. Dies k o m m e sowohl in der strengen, verschuldensabhängigen Haftung des Verkäufers als auch darin zum Ausdruck, daß das Gesetz dem Käufer eine Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Rechtsbehelfen gewähre. 2 3
b) Bloße Dispensfunktion der §§460, 461, 477 BGB Die von der Rechtsprechung zur Begründung einer Vereitelungsgefahr herangezogenen § § 4 6 0 , 461, 477 B G B haben dagegen nach Fröhlichs Ansicht bloße Dispensfunktion. Sie dienten zwar dem Interesse des Verkäufers an einer inhaltlichen und zeitlichen Begrenzung der ihn belastenden Sachmängelhaftung und bildeten so im Funktionszusammenhang der kaufrechtlichen Gewährleistung das Gegenstück zur Käuferschutzfunktion der Mängelrechte. Käuferschutzfunktion und Dispensfunktion seien jedoch nicht gleichrangig. Die Käuferschutzfunktion bilde vielmehr den eigentlichen Kern der kaufrechtlichen Gewährleistung, während die Dispensvorschriften nur aus Kompensationsgründen hinzutreten. 2 4
c) Keine Vereitelung der
Gewährleistungszwecke
Angesichts der eben beschriebenen Zweckrichtung der Gewährleistungsregeln besteht nach Fröhlichs Ansicht durch die Zulassung der Irrtumsanfechtung des Käufers keine Vereitelungsgefahr. 23 24
Fröhlich, S.79f. Fröhlich, S. 80ff.
52
Kap. J Deutsche Literatur zur
Konkurrenzproblematik
Hinsichtlich der Käuferschutzfunktion sei dies ohnehin ausgeschlossen, weil die Wahlmöglichkeiten des Käufers erweitert würden. A u c h eine Vereitelung der D i s p e n s f u n k t i o n der § § 4 6 0 , 461, 4 7 7 B G B stehe nicht zu befürchten. Von einer solchen k ö n n e man nur sprechen, w e n n die R e c h t s w i r k u n g e n von A n fechtung und Wandelung wenigstens annähernd gleich wären. Dies sei j e d o c h nicht der Fall. D i e Wandelung sei aus vielen G r ü n d e n für den Käufer günstiger als die Anfechtung, beispielsweise bei der Verteilung des Risikos des zufälligen Untergangs der Sache nach Gefahrübergang, bei der Beweislastverteilung, der Schadensersatzhaftung des Käufers (§ 122 B G B ) oder bei den zur Wahl stehenden Rechtsfolgen (Minderungsmöglichkeit). Weil die Wandelung die für den Verkäufer ungünstigere Sanktion sei, verlören die §§ 4 6 0 , 4 6 1 , 4 7 7 B G B auch bei Zulassung der A n f e c h t u n g nicht ihre D i s p e n s f u n k t i o n . Diese bestehe dann zwar nicht darin, eine H a f t u n g oder. R ü c k a b w i c k l u n g völlig zu verhindern, w o h l aber darin, die für den Verkäufer ungünstigere F o r m der Haftung, nämlich die Wandelung, zu vermeiden und durch die mildere F o r m der R ü c k a b w i c k lung, die Anfechtung, zu ersetzen. 2 5
d) Kein Ausschluß, sondern elektive Konkurrenz Weil keine Vereitelungsgefahr vorliege, fehle es an der materiellen Voraussetzung des formell-materiellen Spezialitätsbegriffs. D e s h a l b gebe es keinen zwingenden G r u n d , die A n f e c h t u n g auszuschließen. E s bleibe vielmehr beim G r u n d s a t z des Nebeneinanders mehrerer Rechtsbehelfe. D e r Käufer habe deshalb ein Wahlrecht zwischen den Gewährleistungsvorschriften und der A n fechtung (elektive K o n k u r r e n z ) .
B. Systematische
Analyse
I. Grundsätzliches zum 1. Ausschluß der
des
Meinungsstands
Konkurrenzverhältnis
Anfechtung
Zahlreiche Stellungnahmen befürworten den A u s s c h l u ß der Irrtumsanfechtung neben den Gewährleistungsansprüchen. D i e dafür angeführten A r g u m e n te gehen selten ins Detail 2 6 , lassen sich aber trotzdem in vier G r u p p e n unterteilen.
25 26
Fröhlich, S.82ff. Ohne besondere Begründung z.B. Schefold, AcP 109 (1912) 256, 261; Siber, S.238; Ehren-
berg/Brodmann,
S. 86.
B. Systematische Analyse des Meinungsstands
a)
53
Umgehungsgefahr
Viele A u t o r e n stützen den A u s s c h l u ß der A n f e c h t u n g - ebenso wie das Reichsgericht - auf den G e d a n k e n der Umgehungsgefahr. 2 7 E s handelt sich im wesentlichen um das bereits bekannte A r g u m e n t , die Zulassung der A n f e c h tung k ö n n e die besonderen kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften, insbesondere die § § 4 7 7 , 4 6 0 S . 2 und 461 B G B und die damit angestrebte Wahrung der Verkehrssicherheit illusorisch machen. Zwei A u t o r e n sollen hier besonders erwähnt werden. Schneiders Ausführungen 2 8 sind im H i n b l i c k auf das Verständnis des Spezialitätsbegriffs interessant. E r geht davon aus, daß beide N o r m e n (§ 119 I I B G B und § 4 5 9 B G B ) auf einem im wesentlichen gleichen Tatbestand beruhen (Fehler i.S.d. § 4 5 9 B G B bzw. verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.d. § 119 I I B G B ) und zum gleichen wirtschaftlichen Ergebnis führen (Auflösung des Vertrages und R ü c k a b w i c k l u n g ) . T r o t z d e m seien die Voraussetzungen für die jeweiligen A n sprüche unterschiedlich streng. D e r kaufrechtliche A n s p r u c h unterliege B e schränkungen, die dem Anfechtungsrecht fremd seien; insbesondere gelte dies für die Vorschriften der § § 4 6 0 S . 2 , 4 7 7 B G B . D i e s e Schranken dienten dem Schutz des Verkäufers vor einer unangemessenen Begünstigung des Käufers. Dies spreche dafür, die A n f e c h t u n g neben den Gewährleistungsvorschriften auszuschließen. Schneiders Ansatz ähnelt damit dem v o n F r ö h l i c h vertretenen Spezialitätsbegriff. 2 9 E i n problematisches A r g u m e n t findet sich bei Stark. 3 0 A u c h er stützt sich auf die Umgehungsgefahr, begründet die Unvereinbarkeit von A n f e c h t u n g s - und Gewährleistungsrecht j e d o c h unter anderem damit, daß die - bei einem N e b e n einander beider Rechtsbehelfe unvermeidliche - Wahl des Käufers beim G e währleistungsanspruch unwiderruflich sei, während sie „bei der Zulässigkeit der A n f e c h t u n g n o c h widerrufen werden k ö n n t e " . 3 1 M a n m u ß dies w o h l so verstehen, daß seiner Ansicht nach der Käufer, der die Anfechtung erklärt habe, an diese Erklärung nicht gebunden sei, während derjenige, der wandele, seine E n t scheidung nicht mehr ändern könne. Dies trifft aber nicht zu. D e n n die E r k l ä 27 Vgl. Flad, FS Bumke, S.233, 247; Hedemann, S. 171; Enneccerus/Lehmann, 11. Bearbeitung, S.381f.; Heck, S.281; Stöhle, JW 1901, 736, 737 (zum Viehkauf); Schneider, AcP 97 (1905) 142,145ff.; Stark, LZ 1918, 247f.; Lachmund, S.28ff.; Windeck, S.38; Linke, S.31ff.; Brox, Einschränkung, S. 201 ff., 204ff.; MünchKomm/Westermann, §459, Rn. 83 ff.; Erman/Grunewald, vor §459, Rn. 14; Soergel/Hefermehl, § 119, Rn. 78, 34; Staudinger/Honseil, vor §459, Rn.27ff.; Reinicke/Tiedtke, Rn.591 ff.; Esser/Weyers, Schuldrecht II/l, S. 66f.; Hühner, Rn.791 ff.; Schack, Allgemeiner Teil, Rn.290ff.; Musielak, Rn.621f.; Eisenhardt, Rn.340; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 736; Köhler, JA 1982,157,159; dm., JR 1985,368,369; Schlachter, JA 1991,105,109; BeckerEberhard, JuS 1992,461,463 ff.; Honseil, JZ 1989,44. Auf die Umgehungsgefahr beruft sich auch Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 133ff.; den., JZ 1991, 633, 634f. 28 Schneider, AcP 97 (1905) 142, 145ff. 29 S.o. Kapitel 5: A,II,3,4. Fröhlich gelangt dann freilich im konkreten Fall zu einem anderen Ergebnis, weil er die Voraussetzungen der Spezialität nicht für gegeben hält. 30 Stark, LZ 1918, 247f. 31 Stark, LZ 1918,247,248.
54
Kap. 5 Deutsche
Literatur
zur
Konkurrenzproblematik
rung der Anfechtung führt unmittelbar und rückwirkend zur Nichtigkeit der Willenserklärung und kann nicht widerrufen oder zurückgenommen werden. 3 2 Dagegen hat das Gesetz die Wandelung in den §§ 4 6 2 , 4 6 5 B G B nicht als Gestaltungsrecht, sondern als Anspruch ausgestaltet. D e r Käufer verliert sein ius variandi nicht bereits mit Geltendmachung der Wandelung, sondern erst dann, wenn der Verkäufer sich mit der Wandelung einverstanden erklärt oder das stattgebende Urteil in Rechtskraft erwächst. 3 3 I m Gegensatz zu Starks Ansicht ist die Regelung der Bindung des Käufers an seine Wahl also im Kaufrecht günstiger als im Anfechtungsrecht. In dieser Hinsicht besteht also keine Gefahr einer Umgehung der kaufrechtlichen Vorschriften.
b) Abschließende
Regelung
Andere Stimmen in der Literatur gehen davon aus, daß die § § 4 5 9 f f . B G B eine abschließende Regelung darstellen und deshalb die Anfechtung ausschließen. 3 4 Aus der älteren Literatur ist insbesondere Haymann 3 5 zu nennen. E r will grundsätzlich jeden Irrtumsschutz außerhalb des Gewährleistungsrechts verneinen, wenn der Irrtum Eigenschaften im Sinne des § 4 5 9 B G B betrifft. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn diese Eigenschaften dergestalt sind, daß sie die Zugehörigkeit der Sache zu derjenigen Gattung aufheben, der sie nach der Verkehrsanschauung angehören, wenn sie also dazu führen, daß die gelieferte Sache ein aliud ist. E r steht dabei auf dem Boden des objektiven Fehlerbegriffes. Geht man mit der heute herrschenden Meinung von einem subjektiven Verständnis des Fehlers aus, kann es ein solches Qualitäts-aliud beim Spezieskauf nicht geben. Haymanns grundsätzliche Haltung zur Konkurrenzfrage - nämlich der Ausschluß der Anfechtung - müßte sich dann konsequenterweise auf jede Eigenschaft im Sinne des § 4 5 9 B G B beziehen. Zur Begründung des Ausschlusses der Anfechtung stützt sich Haymann ausdrücklich nicht auf einen Vergleich der Tatbestandsmerkmale, sondern auf den Gedanken, daß das Gesetz den Schutz der Käufers hinsichtlich der Eigenschaften der Sache (und zwar auch den Irrtumsschutz) nur nach Maßgabe der G e währleistungsregeln gewähren wolle. 3 6 Insbesondere ergebe sich aus der ratio des Gewährleistungsrechts, daß ein Eigenschaftsirrtum des Käufers nur dann beachtlich sein solle, wenn er nach Maßgabe der § § 4 5 9 , 460 B G B entschuldbar erscheine. 3 7 Auch andere Modalitäten der Sachmängelansprüche, etwa diejeni-
Vgl. nur MünchKomm/Kramer, § 142, Rn. 12 m.w.N. Staudinger/Honsel!, §462, Rn.4, §465, R n . l l , 20ff., 32f. 34 Haymann, Anfechtung, S. 9ff.; ders., J W 1 9 3 2 , 1 8 6 2 . Ebenso Heymann, Irrtumsanfechtung, 1908, S. 45ff. Ähnlich in der neueren Literatur Soergel/U. Huber, vor § 459, Rn. 195ff.; Müller, J Z 1988, 381; S. Lorenz, Schutz, S.303ff. S.a. Rothoeft, S. 196f., Fn. 10. 35 Haymann, Anfechtung, S.9ff. 36 Haymann, Anfechtung, S. 12ff. Ähnlich A K / H a r t , § 119, Rn.28, 31: Vorrang der im Kaufrecht getroffenen Risikoverteilung. 37 Haymann, Anfechtung, S. 13. 32
33
B. Systematische
Analyse des
Meinungsstands
55
gen der § § 4 6 7 , 3 5 0 - 3 5 4 oder § 4 6 6 B G B würden durch eine Zulassung der A n fechtung illusorisch. Letztlich greift also auch Haymann auf den Gedanken der Umgehungsgefahr zurück. E r stimmt deshalb in zwei Punkten mit der Rechtsprechung überein, nämlich im grundsätzlichen Ergebnis (Ausschluß der Anfechtung) und in der wertungsmäßigen Begründung (Umgehungsgefahr). Unterschiede bestehen aber in der Reichweite des Ausschlusses. Haymann will nämlich die Anfechtung auch vor Gefahrübergang ausschließen, und zwar unabhängig von der Streitfrage, ob die Gewährleistungsansprüche schon vor Gefahrübergang entstanden sind oder nicht. 3 8 Zur Begründung verweist er darauf, daß dem Verkäufer andernfalls sein Recht, bis zum Gefahrübergang nachzubessern, genommen würde. Auch die Beschränkung des § 460 S. 2 B G B könne umgangen werden. Schließlich sei umgekehrt nicht einzusehen, weshalb der Verkäufer es beim Distanzkauf in der Hand haben solle, dem Käufer den - bei Annahme der Zulässigkeit der A n fechtung vor Gefahrübergang grundsätzlich bestehenden - Irrtumsschutz einseitig zu nehmen, indem er die Ware an die Transportperson übergebe. 3 9 Die Haltung Haymanns zur Lage vor Gefahrübergang verdeutlicht die juristische Konstruktion, mit deren Hilfe er die von ihm für richtig erachtete Wertung (Vermeidung der Umgehung der gewährleistungsrechtlichen Einschränkungen) in die dafür erforderliche Rechtsfolge (Ausschluß der Anfechtung) umsetzt. E r betrachtet die § § 4 5 9 f f . B G B als abschließende Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Käufer und Verkäufer. Das bedeutet, daß sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht nur solche Ansprüche gegeben sein können, die in den § § 4 5 9 f f . B G B vorgesehen sind. Liegen deren Voraussetzungen nicht vor, beispielsweise wegen § 4 6 0 S.2 B G B oder weil es sich um die Zeit zwischen Vertragsschluß und Gefahrübergang handelt, kann auch nicht auf andere Rechtbehelfe zurückgegriffen werden. 4 0 Jüngst hat Stephan Lorenz den Gedanken der abschließenden Regelung aufgenommen und präzisiert. 41 E r spricht von „negativer Spezialität". Die §§ 459ff. B G B regeln seiner Ansicht nach nicht nur, wann der Verkäufer für bestimmte Beschaffenheitsangaben haftet, sondern auch, wann er nicht dafür haftet. Besonders verdienstvoll ist, daß Lorenz die Grenzen der abschließenden Wirkung genau bestimmt. Die Rechtsprechung ist ja zu dem Ergebnis gelangt, daß eine zusicherungsfähige Eigenschaft nur dann die Ausschlußwirkung auslösen kann, wenn sie tatsächlich (im Sinne des § 459 II B G B ) zugesichert wurde. O b dementsprechend bei einer im Sinne des § 4 5 9 I B G B vereinbarungsfähigen Eigenschaft Voraussetzung der Ausschlußwirkung ist, daß tatsächlich eine Vereinbarung darüber vorliegt, blieb bisher offen. Lorenz hält die Auffassung der Rechtsprechung für falsch. Seiner Ansicht nach kommt es nicht auf das Vorlie-
38 39 40 41
S.a. Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 139ff. Haymann, Anfechtung, S. 14 ff. S.a. Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 195ff.; Müller, J Z 1988, 381, 387f. S. Lorenz, Schutz, S. 304ff.
56
Kap. 5 Deutsche Literatur zur
Konkurrenzproblematik
gen einer Vereinbarung (i.S.d. §459 I B G B ) oder Zusicherung (i.S.d. §459 II B G B ) an. Entscheidend ist für ihn allein, ob die betreffende Eigenschaft Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung oder Zusicherung sein könnte. Er spricht insoweit von „potentiellen Sachmängeln". 42 Im praktischen Ergebnis setzt sich auf diese Weise der weitere Eigenschaftsbegriff des §459 II B G B durch. In den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen zum Alter gebrauchter Fahrzeuge wäre demnach die Anfechtung ausgeschlossen: Zwar kann das Alter nicht zum Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung gemäß §459 I B G B gemacht werden, wohl aber im Sinne des §459 II B G B zugesichert werden.
c) Begrifflich-formelle
Spezialität
Haußmann 43 betrachtet § 459 B G B als Spezialtatbestand, der die Anwendung des § 119 II B G B ausschließt. Er geht davon aus, daß die Tatbestände von § 119 II B G B und §459 B G B hinsichtlich des Erfordernisses eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft übereinstimmen. §459 B G B habe jedoch ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal, nämlich die Minderung beziehungsweise die Aufhebung des Wertes oder der Gebrauchstauglichkeit. Dieses sei das Spezifikum des § 459 B G B . Wenn sich der Irrtum des Käufers also auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft beziehe, die zu einer Wert- oder Gebrauchsbeeinträchtigung im Sinne des §459 B G B führe, dann sei die Anfechtung wegen vollständiger tatbestandlicher Deckung durch die Spezialvorschrift des §459 B G B ausgeschlossen. Dieser Ansatz führt zu der Konsequenz, daß die Anfechtung dann zulässig sein müßte, wenn das Fehlen der vorgestellten verkehrswesentlichen Eigenschaft nicht zu einer Wert- oder Gebrauchsbeeinträchtigung im Sinne des §459 B G B führt. Hierin läge ein entscheidender Unterschied zu der Lehre von der abschließenden Regelung. Nach den Ausführungen zur Spezialität findet sich bei Haußmann zwar ein Abschnitt zur Gefahr der Umgehung kaufrechtlicher Vorschriften (z.B. §§460, 461 BGB). 4 4 Doch ergibt sich aus dem Zusammenhang, daß er allein schon die formell-tatbestandlich begründete Spezialität ausreichen lassen will, um einen Ausschluß der Anfechtung zu begründen. S. Lorenz, Schutz, S.305f. Haußmann, S.45ff.; ähnlich wohl von Damm, ZZP 42 (1912) 507, 521. Auch Wolzendorff, JherJb 64 (1914) 311, 339ff., stützt den Ausschluß der Anfechtung auf einen begrifflich begründeten Spezialitätsgedanken. Jedoch sind zwei Besonderheiten zu beachten. Zum einen gewinnt er das begriffliche Spezialitätsverständnis nicht aus einem Vergleich der jeweiligen Tatbestandsmerkmale, sondern aus der gleichen Rechtsnatur beider Vorschriften. Beide seien Motivirrtümer, die mit Hilfe der Fiktion einer stillschweigenden Vereinbarung zu rechtlicher Erheblichkeit gelangt seien (S. 332ff.). Zum anderen meint er, das begriffslogisch gewonnene Ergebnis zusätzlich durch teleologische Erwägungen absichern zu müssen, um aus der Entstehungsgeschichte abgeleitete Einwendungen abwehren zu können (S.340ff.). Insoweit schließt er sich der Argumentation des Reichsgerichts an (S.343f.). S.a. Schmalz, Rn. 89ff., 93. 44 Haußmann, S.46f. 42 43
B. Systematische Analyse des Meinungsstands
d) Gewährleistungsregeln
57
als besondere Ausgestaltung der Irrtumsregeln
Gelegentlich wird der Ausschluß der A n f e c h t u n g damit begründet, daß die § § 4 5 9 f f . B G B als besondere Ausgestaltung einer Irrtumsregelung für G e w ä h r leistungsfälle vorrangig seien. 4 5 H i e r ist auch die A n s i c h t von G o l t z einzuordnen, der die A n f e c h t u n g ausschließen will, weil dem aus dem I r r t u m resultierenden Schutzbedürfnis des Käufers bereits durch die Sachmängelvorschriften ausreichend R e c h n u n g getragen werde. 4 6
e) Lückenfüllung entsprechend dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers S c h l o ß m a n n 4 7 geht davon aus, das F e h l e n einer das Konkurrenzverhältnis regelnden N o r m stelle eine L ü c k e dar, die der R i c h t e r zu füllen habe, und zwar im Sinne eines Ausschlusses der Anfechtung. Dies entspreche dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers und habe auch den wünschenswerten Effekt, die „unbilligen und verkehrsfeindlichen" Ergebnisse des § 119 II B G B in einem erheblichen Kreis v o n Fällen zu vermeiden.
2. Kein Ausschluß der
Anfechtung
In der älteren Literatur gibt es viele Stimmen, die der Ausschlußthese der R e c h t s p r e c h u n g kritisch gegenüberstehen. 4 8 In der neueren Literatur wurde bis vor k u r z e m nur vereinzelt Kritik geübt. 4 9 In jüngster Zeit mehren sich dagegen die Stimmen, die sich gegen die Ausschlußthese wenden. 5 0
45 Ebbecke, Das Recht 1911, 740, 746ff.; Landsberg, S. 192; wohl auch Rehbein, S. 140. Ähnlich, aber differenzierend, Baumann, AcP 187 (1987) 511, 522, 536, 541f. 46 Goltz, S. 206ff. Weil Goltz gleichzeitig Flumes Auslegung des §119 II BGB folgt (ebd., S. 192ff.), ergibt sich für § 119 II BGB nur ein äußerst geringer Anwendungsbereich. Dies hält Goltz für hinnehmbar (ebd., S.209). 47 Schloßmann, S.51ff. Von richterlicher Rechtsfortbildung geht Stampe, DJZ 1905, 1017, 1020 aus. 48 Baum, DJZ 1902, 144; Breucha, JbWürttRpfl 15 (1904) 253; Schefold, JbWürttRpfl 17 (1906) 127; Gmelin, Das Recht 1907, 748; Schwaiger, SeuffBl 1909,325 und 371; R. Schmidt, Anfechtungsrecht, S. 98ff.; Oertmann, Bürgerliches Gesetzbuch, S. 419; Lent, Gesetzeskonkurrenz, S.346ff.; Adler, ZHR 75 (1914) 453; Kiehl, JW 1914, 497; Riezler, venire, S. 148; Süß, S.242ff.; Meisner, S. 17ff.; Leonhard, S. 84f,;Kreß, S. 30. Für §459 II BGB auch von Tuhr, Allgemeiner Teil, S. 581 f. (bzgl. §459 I BGB verneint er aufgrund eines engen Verständnisses von §119 II BGB die Möglichkeit einer Uberschneidung von vornherein). 49 R. Schmidt, NJW 1962, 710; Esser, Schuldrecht II, 4. Aufl. 1971, S.57; Schröder, FS Kegel, S. 397; Siehr, FS Hanisch, S. 247; Jauernig/Jauernig, § 119, Rn. 16; AK/Hart, § 462, Rn. 6; E. Wolf, Schuldrecht II, S.48. 50 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §36, Rn.53; Köhler, Allgemeiner Teil, §14, Rn.33; Wasmuth, FS Piper, S. 1083 ff.
58
Kap. 5 Deutsche
Literatur
a) Ausschluß nur durch den
zur
Konkurrenzproblematik
Gesetzgeber
Häufig findet sich das Argument, der Ausschluß eines Rechtsbehelfs durch den anderen könne nur durch den Gesetzgeber angeordnet werden oder müsse sich wenigstens zwingend aus dem Gesetzeszusammenhang ergeben.51 Zwingende Gründe seien jedoch nicht ersichtlich, insbesondere reiche allein die Gefahr unbefriedigender Ergebnisse, beispielsweise der Umgehung der §§459ff. B G B , nicht aus.52 b) Entkräftung
des Arguments
der
Umgehungsgefahr
Schmidt hat sich näher mit dem von der Rechtsprechung vorgebrachten Argument der Umgehungsgefahr auseinandergesetzt. Die Gefahr einer Umgehung der §§460,461,477 B G B könne nur dann bestehen, wenn die Anfechtung dem Käufer, von den drei genannten Vorschriften abgesehen, mindestens eine gleichwertige Rechtsposition einräume wie die Wandelung.53 Dies sei jedoch nicht der Fall. Denn die Wandelung sei in vielen Punkten günstiger als die Anfechtung. Dies zeige sich am Erfordernis der unverzüglichen Anfechtung (§121 I BGB), der Verpflichtung zum Ersatz des negativen Interesses (§ 122 BGB) 5 4 , der Verteilung der Rückabwicklungskosten und der Behandlung des zufälligen Untergangs der Sache im Rahmen der Rückabwicklung. 55 Im übrigen könne man davon ausgehen, daß Fälle, in denen eine Anfechtung mehrere Jahre nach Gefahrübergang erklärt werde, selten aufträten.56 Mit dieser Argumentation eng verwandt ist der Hinweis, die §§ 460,461,477 B G B behielten auch bei paralleler Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung ihre Bedeutung, nur eben beschränkt 51 Breucha, JbWürttRpfl 15 (1904) 253, 259; Gmelin, Das Recht 1907, 748, 751; Riehl, J W 1914, 497, 503; Schwaiger, SeuffBl 1909, 325, 329ff. R. Schmidt (Anfechtungsrecht, S.105ff.) glaubt, das Nebeneinander beider Rechtsbehelfe auch aus der Entstehungsgeschichte ableiten zu können. Er begründet dies damit, daß die 2. Kommission durch die Einführung des heutigen § 119 II B G B zum Ausdruck gebracht habe, daß sie die Ansicht der Motive zum ersten Entwurf, nach der der Irrende durch die Gewährleistungsansprüche genügend geschützt sei, nicht teile. Wenn die Anfechtungsmöglichkeit aber eine Schutzlücke schließen sollte, dann sei nicht anzunehmen, daß sie ohne besondere gesetzliche Anordnung für bestimmte Verträge auf dem Wege der Konkurrenz wieder ausgeschaltet werden könne. Allerdings schränkt Schmidt die Uberzeugungskraft dieser Ausführungen selbst ein, wenn er sagt, daß dem Gesetzgeber möglicherweise nicht bewußt gewesen sei, daß überhaupt ein Konkurrenzverhältnis bestehen könne, weil er von einem so engen Verständnis des Eigenschaftsirrtums ausgegangen sei, das Überschneidungen ausschließe. 52 Schwaiger, SeuffBl 1909, 325, 330f. So im Grundsatz auch Wasmuth, FS Piper, S.1083, 1086ff. S.a. Lent (Gesetzeskonkurrenz, S.346ff.; ähnlich E. Wolf, Schuldrecht II, S.48), der die Zulässigkeit der Anfechtung daraus ableitet, daß keiner der - nach formalen Kriterien ermittelten - Fälle der Gesetzeskonkurrenz vorliege. 53 R Schmidt, Anfechtungsrecht, S. 103. 54 S.a. Roltsch, S.49. 55 R Schmidt, Anfechtungsrecht, S. 103ff. S.a. Riehl, J W 1914, 497, 503; Schwaiger, SeuffBl 1909, 325, 331; Süß, S.244; Schröder, FS Kegel, S.397, 412f.; Wasmuth, FS Piper, S. 1083, 1086ff. 56 R Schmidt, Anfechtungsrecht, S.102.
B. Systematische
Analyse des
Meinungsstands
59
auf die Gewährleistungsansprüche der § § 4 5 9 f f . B G B , so daß keine Rede davon sein könne, sie würden „illusorisch". 5 7 Schröder 5 8 hält es nicht für angemessen, die Regelung des § 4 7 7 B G B in dem von der herrschenden Meinung vertretenen Maße vor Umgehung zu schützen. 59 E r führt dafür zwei Gründe an. D e r erste bezieht sich speziell auf den Kunsthandel. Das zur Rechtfertigung des § 4 7 7 B G B vorgebrachte Argument, es werde mit zunehmender zeitlicher Distanz schwieriger festzustellen, ob zur Zeit des Gefahrübergangs ein Mangel vorgelegen habe, passe dort nicht. D e n n die Authentizität des Kunstwerks fehle entweder von Anfang an oder überhaupt nicht. Das zweite Argument läßt sich verallgemeinern. Schröder weist darauf hin, daß die Beweislast hinsichtlich des Fehlers beziehungsweise des Irrtums beim Käufer liege. Selbst wenn man davon ausgehe, daß der Beweis mit der Zeit schwieriger werde, bestehe kein Grund, denjenigen Käufer, der den Beweis auch nach längerer Zeit antreten könne, auf dem Konkurrenzwege von der A n fechtung auszuschließen. Schließlich ist noch auf Autoren hinzuweisen, die den Anwendungsbereich des § 119 II B G B zwar nicht so eng definieren wollen, daß eine Überschneidung mit § 4 5 9 B G B ganz ausgeschlossen wäre, ihn aber doch auf krasse Irrtumsfälle beschränken und daraus ableiten, der Käufer, der sich in einem derart fundamentalen Irrtum befinde, müsse durch die Zulassung der Anfechtung auch neben den Gewährleistungsvorschriften geschützt werden. 6 0
c) Unterschiede
im Hinblick auf Wesen und Ziel der beiden
Rechtsinstitute
Zum Teil wird darauf hingewiesen, Irrtumsanfechtung und Wandelung seien in Wesen, Grund und Zielsetzung verschieden. 61 Zur Begründung führt man an, die Anfechtung sei auf die Vernichtung des Vertrages gerichtet, die Wandelung führe dagegen zu einer Rückabwicklung aufgrund des Vertrages. Weitere U n terschiede, die in diesem Zusammenhang geltend gemacht werden, betreffen die juristische Konstruktion des jeweiligen Anspruchs (Anfechtungserklärung Wandelungsvertrag), die Ausgestaltung der Rückabwicklung (Bereicherungsrecht - Rückgewährschuldverhältnis) oder den Zeitpunkt, zu dem die betreffende Eigenschaft fehlen muß (Vertragsschluß - Gefahrübergang). 6 2 Diese
57 Schwaiger, SeuffBl 1909, 325, 331; R. Schmidt, Anfechtungsrecht, S. 103; Esser, Schuldrecht II, S. 57. S.a. Wasmuth, FS Piper, S.1083, 1091ff. 58 FS Kegel, S. 397, 411. 59 S.a. Süß, S.247, der in der Zulassung der Anfechtung eine rechtspolitisch wünschenswerte indirekte Verlängerung der Verjährungsfrist des §477 B G B sieht. 60 Leonhard, S. 85; Kreß, S. 30; R. Schmidt, Anfechtungsrecht, S. 108; Oertmann, Bürgerliches Gesetzbuch, S.419. 61 Kiehl, J W 1 9 1 4 , 4 9 7 , 5 0 3 ; Baum, DJZ 1902,144; Schwaiger, SeuffBl 1909,325,332f.-Riezler, venire, S. 148; Staudinger/Riezler, 10. Aufl., § 119, Rn.32. S.a. Wasmuth, FS Piper, S. 1083, 1090. 62 Baum, DJZ 1902,144; Schwaiger, SeuffBl 1909,325,332f., der daraus sogar die Möglichkeit ableitet, der Anfechtung gegenüber der Wandelung einen logischen Vorrang einzuräumen; Riez-
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Kap. 5 Deutsche Literatur zur
Konkurrenzproblematik
Überlegungen dienen meist dazu, ein Spezialitätsverhältnis abzulehnen. O b das darin zum Ausdruck kommende Spezialitätsverständnis korrekt ist, soll - ebenso wie die Frage, ob die genannten Unterschiede überhaupt Einfluß auf die Konkurrenzentscheidung haben können - später erörtert werden.
d) Wertungswidersprüche
bei Annahme eines Ausschlusses
Manche Autoren verweisen auf Wertungswidersprüche, die sich ergeben könnten, wenn man der Ausschluß-These der Rechtsprechung folge. So verbessere sich in mancherlei Hinsicht, insbesondere bezüglich der Verjährung, die haftungsrechtliche Situation des Verkäufers durch die Abgabe einer Zusicherung, weil dadurch die Anfechtung nach §§ 119, 121 B G B ausgeschlossen würde. Dies könne das Gesetz nicht gewollt haben. 63 Wertungswidersprüche ergeben sich nach Ansicht einiger Kritiker auch daraus, daß die Konkurrenzfrage in anderen Fallgestaltungen im Sinne der alternativen Anwendbarkeit gelöst wird, insbesondere bei der Anfechtung nach § 1 1 9 1 B G B bzw. § 123 B G B oder bei deliktischen Schadensersatzansprüchen. 64 Auch für die unterschiedliche Behandlung der Irrtumsanfechtung des Verkäufers und derjenigen des Käufers gebe es keinen rechtfertigenden Grund. 65 Schließlich wird geltend gemacht, daß die Ausschlußthese die Anwendbarkeit des § 119 II B G B in nicht vertretbarem Umfang beschränke. Im Rahmen von Kaufverträgen sei sie beinahe völlig ausgeschlossen 66 . Denke man die Ausschlußthese konsequent auch in anderen Bereichen des besonderen Schuldrechts weiter, drohe die völlige Bedeutungslosigkeit des § 119 II B G B B G B im Schuldrecht. 67
e) Ausgewogenes System bei Zulassung der Anfechtung Jüngst hat Wasmuth einen neuen Versuch unternommen, die Ausschlußregel der herrschenden Meinung zu widerlegen. 68 Der zentrale Punkt seiner Argumentation ist die These, daß bei Zulassung der Irrtumsanfechtung neben dem Gewährleistungsrecht ein differenziertes, die Interessen von Käufer und Verkäufer sachgerecht berücksichtigendes Anspruchssystem entsteht. Innerhalb der in §477 B G B genannten Frist ergibt sich seiner Ansicht nach eine erhebliche Privilegierung des Käufers. Dieser werde so gestellt, als habe er den Vertrag ler, venire, S. 148; Staudinger/Riezler, 10. Aufl., § 119, Rn. 32; Kiehl, JW 1914, 497, 503; Meisner, S. 17ff. 63 Schwaiger, SeuffBl 1909, 325, 333f. 64 Wasmuth, FS Piper, S.1083, 1085, 1100. 65 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 36, Rn. 53; Esser, Schuldrecht II, S. 57; Siehr, FS Hanisch, S.247, 253; Meisner, S.18f. 66 Kiehl, JW 1914, 497, 503. 67 R. Schmidt, Anfechtungsrecht, S. 107f. 68 Wasmuth, FS Piper, S. 1083ff.
B. Systematische
Analyse des
Meinungsstands
61
nicht geschlossen. D e r Verkäufer dagegen müsse es gegebenenfalls hinnehmen, erheblich schlechter zu stehen, als er ohne den Abschluß des Vertrages stünde. E r laufe Gefahr, „draufzahlen" zu müssen. Das ergebe sich zum einen aus der möglichen Haftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, zum anderen daraus, daß er weitgehend das Risiko zu tragen habe, daß die Kaufsache nicht zurückgegeben werden könne. Auch sei zu berücksichtigen, daß er die Vertragskosten tragen müsse ( § 4 6 7 S . 2 B G B ) . 6 9 N a c h Ablauf der Frist des § 4 7 7 B G B ende die beschriebene Privilegierung des Käufers. Zwar könne er sich über die Anfechtung noch vom Vertrag lösen, doch resultiere daraus keine Gefahr für den Verkäufer, Vermögensverluste zu erleiden. Das Rückabwicklungsrisiko bezüglich der Sache trage weitgehend der Käufer, der dem Verkäufer auch die gezogenen Nutzungen herausgeben müsse. Darüber hinaus könne der Verkäufer vom Käufer aus § 122 B G B Ersatz des Vertrauensschadens verlangen. 70 D e r Käufer könne also dem Verkäufer über die Anfechtung lediglich den Gewinn entziehen, den dieser sich aus dem Geschäft versprochen habe. Dieser solle ihm aber ohnehin nur unter der Annahme zufließen, daß die Sache fehlerfrei sei. Insgesamt ermögliche deshalb das B G B bei einer Zulassung der Anfechtung ein interessengerechtes System von Rechtsbehelfen. 71 Auf dieser Grundlage nähert sich Wasmuth der dogmatischen Behandlung der Konkurrenzfrage. Die Ausschlußthese der herrschenden Meinung ist sich seiner Ansicht nach nur haltbar, wenn sie durch zwingende Gründe gerechtfertigt ist. Auf die Spezialitätsregel könne man dabei nicht zurückgreifen, weil sie ein logisches Verhältnis der Spezialität voraussetze. 72 Dieses sei nicht gegeben, weil die Anknüpfungspunkte nicht deckungsgleich seien. 73 Auch regle § 1 1 9 B G B einen Fall des Willensmangels und vernichte den Vertrag, während § 459 B G B zur Abwicklung des Vertrages gehöre und dessen Wirksamkeit unberührt lasse. 74 Unabhängig von der Spezialitätsregel kann der Ausschluß einer N o r m seiner Ansicht nach auch darauf beruhen, daß sich eine andere Vorschrift als abschließende Regelung darstellt. O b dies der Fall sei, richte sich nach teleologischen und systematischen Kriterien. 7 5 Für das Verhältnis von Anfechtung und G e Wasmuth, FS Piper, S. 1083, 1087. Wasmuth, FS Piper, S. 1083, 1088. Hinweisen könnte man in diesem Zusammenhang auch auf das Fehlen einer Schadensersatzhaftung des Verkäufers. 71 Wasmuth, FS Piper, S. 1083, 1088f. 72 Das setze voraus, daß der Anwendungsbereich der allgemeineren Norm den der spezielleren Vorschrift voll umfasse und letztere jedenfalls ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal aufweise. Es handelt sich dabei also um den von Fröhlich als formal-begrifflich eingestuften Spezialitätsbegriff. 73 Er vergleicht dabei den Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft einerseits und den Fehlerbegriff von §459 I und II B G B andererseits. 74 Wasmuth, FS Piper, S. 1083,1090. Dieses Argument paßt nicht zu der rein formal-begrifflichen Begründung der Spezialität. 75 Wasmuth, FS Piper, S. 1083, 1090. 69 70
62
Kap. 5 Deutsche Literatur zur
Konkurrenzproblematik
währleistung bedeute das, daß die §§459ff. B G B nur dann vorrangig seien, wenn sie jegliche Ansprüche aus dem Verkauf mangelhafter Waren umfassen und abschließend regeln sollen. 76 Maßgeblich für die dabei anzustellende teleologische und systematische Prüfung ist seiner Ansicht nach allein die Regel des §477 B G B . Nur wenn diese so verstanden werden müsse, daß sie auch außerhalb des Gewährleistungsrechts angesiedelte Ansprüche wegen des Mangels ausschließen soll, lasse sich der pauschale Ausschluß der Anfechtung rechtfertigen. Die von der herrschenden Meinung neben §477 B G B ins Feld geführten § § 4 6 0 , 4 6 1 , 4 6 4 B G B , 377 H G B könnten dagegen nur partiell für ihren konkreten Anwendungsbereich Vorrang beanspruchen. Wasmuth denkt dabei offenbar an eine Erstreckung dieser Normen auf die (grundsätzlich zulässige) Anfechtung. 77 §477 B G B komme jedoch kein abschließender Charakter in dem beschriebenen Sinne zu. Er diene vielmehr nur dazu, den Verkäufer nach Ablauf der Frist vor den besonderen Belastungen der §§459ff. B G B zu bewahren, nicht aber dazu, ihn von jeder Haftung freizustellen. Der Verkäufer könne der Gefahr spät erkennbarer Mängel durch Vorsorge eher begegnen als der Käufer. Alternativ könne er als regelmäßig stärkere Partei die Haftung vertraglich beschränken oder ausschließen. Auch der Gedanke des Verbraucherschutzes spreche für die auf das Gewährleistungsrecht beschränkte Geltung des §477 B G B . Schließlich entspreche diese Deutung des §477 B G B dem angemessenen und differenzierten Haftungssystem, welches die Haftung des Verkäufers nach Ablauf der Frist zwar nicht völlig ausschließe, aber auf eine Gewinnabschöpfung durch den Käufer beschränke. 78 Wasmuth gelangt auf diese Weise zu dem Ergebnis, daß die Anfechtung nach §119 II B G B nicht durch das Kaufgewährleistungsrecht ausgeschlossen ist. Auch lehnt er die Erstreckung der §§460, 461,464 B G B auf die Anfechtung ab. Auch hier lautet das zentrale Argument, daß diese Vorschriften den Verkäufer nur vor der besonders schweren Gewährleistungshaftung schützen sollen, während die ungehinderte Anwendung des Irrtumsrechts zu einem ausgeglichenen Sanktionensystem führe. 79 Allenfalls eine Erstreckung der §§ 377f. H G B hält er nicht für ausgeschlossen. 80
76 77 78 79 80
Wasmuth, Wasmuth, Wasmuth, Wasmuth, Wasmuth,
FS FS FS FS FS
Piper, Piper, Piper, Piper, Piper,
S. 1083, S. 1083, S.1083, S. 1083, S. 1083,
1090ff. 1092. 1096ff. 1 lOOff. 1107f.
B. Systematische Analyse des Meinungsstands
II.
63
Einzelfragen
1. Kritik an der Unterscheidung zwischen lediglich zusicherungsfähigen und tatsächlich zugesicherten Eigenschaften D i e R e c h t s p r e c h u n g geht davon aus, daß es Eigenschaften im Sinne des § 119 I I B G B gibt, die nicht unter § 4 5 9 I B G B fallen, aber nach § 4 5 9 II B G B zusicherungsfähig sind und hält in solchen Fällen die A n f e c h t u n g nur dann für ausgeschlossen, w e n n das Vorliegen dieser Eigenschaften tatsächlich zugesichert wurde. 8 1 D i e s e Ansicht ist - wie geschildert - in der Literatur auf K r i t i k gestoßen. 8 2 U n a b h ä n g i g v o m Verhältnis der beiden A b s ä t z e des § 4 5 9 B G B zueinander wird z u m Teil vertreten, daß eine A n f e c h t u n g hinsichtlich jeder Eigenschaft der Kaufsache, die unter § 4 5 9 B G B fallen könne, ausgeschlossen sein müsse. D i e § § 4 5 9 f f . B G B seien nicht nur eine positive Regelung der Haftung des Verkäufers, sondern stellten auch negativ klar, w o f ü r er nicht hafte. 8 3 Dies ist das bereits erwähnte A r g u m e n t der abschließenden Regelung.
2. Situation vor
Gefahrübergang
a) Kritik an der Rechtsprechung D i e Rechtsprechung geht davon aus, daß der K ä u f e r vor Gefahrübergang anfechten k ö n n e , und zwar selbst dann, w e n n ihm ausnahmsweise bereits G e währleistungsansprüche zustünden, etwa weil der Mangel nicht behebbar sei oder die B e h e b u n g v o m Verkäufer endgültig verweigert werde. 8 4 Dies ist in der Literatur überwiegend auf Kritik gestoßen. D i e herrschende L e h r e befürwortet vielmehr einen A u s s c h l u ß der Anfechtung auch vor G e f a h r übergang. 8 5 Z u r Begründung wird zunächst darauf verwiesen, daß die für den Ausschluß nach Gefahrübergang maßgebliche U m g e h u n g s g e f a h r auch hier b e stehe. Dies gelte zwar nicht für die Verjährung des § 4 7 7 B G B , w o h l aber für die S.o. Kapitel 4: A,I,2,b,bb und B,I,1. Zustimmend Berg, JR 1979, 156. Staudinger/Honsell, vor §459, Rn. 138; Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 194; Walter, S.200; Flume, DB 1979, 1637; Köhler, JA 1982, 157. 83 Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 195f.; Erman/Grunewald, vor §459, 19ff.; Müller, JZ 1988, 381, 388; Schock, Allgemeiner Teil, Rn. F291. 84 S.o. Kapitel 4: B,II. Zustimmend von Damm, ZZP 42 (1912) 507,521; Windeck, S. 38; Linke, S. 33; wohl auch Baum, DJZ 1902, 144. 85 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, S.485; ders., Eigenschaftsirrtum, S., 134f.; Larenz, Schuldrecht \V\, S.45, 74f.; Reinicke/Tiedtke, Rn.594ff.; Esser/Weyers, Schuldrecht II/l, S.67; Walter, S. 199f.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 775; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 344f.; Schack, Allgemeiner Teil, Rn. F291; Musielak, Rn. 622; Staudinger/Honsell, vor § 459, Rn. 31 ff.; Soergel/U. Huber, vor §459, Rn.l84ff., 191 ff.; Soergel/Hefermehl, §119, Rn.78; MünchKomm/Wesiermann,%459, Rn. Kl-, Köhler, JA 1982,157,159; Müller, ]Z 1988,381,386; Schlachter, JA 1991,105, 109. 81
82
64
Kap. 5 Deutsche Literatur zur
Konkurrenzproblematik
Ausschluß Vorschriften der §§460ff. BGB. 86 Auch dürfe man eine vertragliche Freizeichnungsklausel nicht deshalb leerlaufen lassen, weil der Mangel vor Gefahrübergang entdeckt worden sei.87 Ein weiteres Argument bezieht sich auf die Behandlung behebbarer Mängel. Es sei dem Gesetz zu entnehmen, daß der Verkäufer bis zum Gefahrübergang ein Recht auf Nachbesserung habe und erst danach haften solle. Dieses werde ihm genommen, wenn man dem Käufer vor Gefahrübergang die Anfechtung ermögliche. 88 Busbach weist ferner darauf hin, daß im Falle der Behebung des Mangels vor Gefahrübergang das Vertrauen des Käufers in die Mangelfreiheit nicht enttäuscht werde. Damit falle die Berechtigung der Irrtumsanfechtung weg. Lasse man sie trotzdem zu, werde sie zu einem reinen Reurecht. 89 Manche Autoren streben für die Fälle der behebbaren Mängel eine Lösung unterhalb der Konkurrenzebene an. Sie halten die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung schon für tatbestandsmäßig nicht gegeben, weil eine Anfechtung wegen eines noch behebbaren Mangels nicht auf einer verständigen Würdigung des Falles im Sinne des § 119 BGB beruhe. 90 Busbach ist der Ansicht, daß der von ihm angenommene systematische Vorrang der Gewährleistungsvorschriften auch vor Gefahrübergang bestehe. Denn der Gefahrübergang ändere nichts daran, daß beide Rechtsinstitute funktionell gleichartige Rechtsfolgen anstrebten (Aufhebung des Vertrages) und jedenfalls teilweise auf gemeinsamen Ordnungsgesichtspunkten beruhen (Irrtums- und Vertrauensschutz des Käufers). 91 Die Ausschlußwirkung wird von der herrschenden Lehre unabhängig davon angenommen, ob der Käufer im konkreten Fall tatsächlich Gewährleistungsansprüche bereits vor Gefahrübergang geltend machen kann oder nicht. Dabei scheint die Mehrzahl der Autoren - anders als der Bundesgerichtshof - von der Annahme auszugehen, daß die Gewährleistungsansprüche im Grundsatz bereits mit Vertragsschluß entstehen und lediglich ihre Geltendmachung bei behebbaren beziehungsweise später entstandenen Mängeln zeitlich aufgeschoben ist. 92 Doch gibt es auch Stimmen, die den Gedanken der abschließenden Regelung durch die §§459ff. BGB konsequent verfolgen und den Ausschluß selbst
86 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, S.485; ders., Eigenschaftsirrtum, S. 134f.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 345; Medicus, Allgemeiner Teil, R n . 7 7 5 ; Musielak, R n . 6 2 2 ; Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 184ff., 191 ff.; Köhler, J A 1982, 157, 159; Schlachter, J A 1991, 105, 109; Busbach, S. 39ff. 87 Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 192; Schack, Allgemeiner Teil, R n . F291. 88 Staudinger/Honseil, vor § 4 5 9 , Rn 31 ff.; Müller, JZ 1988, 381, 386; Reimcke/Tiedtke, Rn. 596. 89 Busbach, S.55. 90 Erman/Grunewald, vor § 4 5 9 , Rn. 16; M ü n c h K o m m I W e s t e r m a n n , §459, R n . 83. 91 Busbach, S.39ff. 92 Vgl. Larenz, Schuldrecht II/l, S.45; Soergel/U. Huber, vor § 4 5 9 , R n 184 m . w . N . ; Busbach, S. 16ff.
B. Systematische Analyse des
Meinungsstands
65
für den Fall fordern, daß die Gewährleistungsansprüche erst mit Gefahrübergang entstehen. 93
b) Rechtfertigung der Rechtsprechung Die Ansicht der Rechtsprechung hat in der Literatur nur wenig Gefolgsleute gefunden. 94 Argumentiert wird mit dem auch von der Rechtsprechung vorgebrachten Begünstigungsgedanken. Brox 95 versucht überdies, den Hinweis der Gegenmeinung auf §460 S.2 BGB mit der Erwägung zu entkräften, bei einem Ausschluß stünde der Käufer bei grober Fahrlässigkeit schlechter als andere grob fahrlässige Vertragspartner. Scheyhing 96 geht zwar von der Möglichkeit einer Ausschlußwirkung vor Gefahrübergang aus, knüpft diese aber an das Bestehen von Gewährleistungsansprüchen. Er billigt im Grundsatz die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für die Vorverlagerung, will die Gewährleistungsansprüche aber auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen erst dann entstehen lassen, wenn der Käufer sie geltend macht. Vor diesem Zeitpunkt ist die Anfechtung seiner Ansicht nach zulässig. Das gleiche gelte immer dann, wenn die Entstehung von Gewährleistungsansprüchen durch eine Freizeichnungsklausel ausgeschlossen sei. Im praktischen Ergebnis führt diese Ansicht zu einem Wahlrecht des Käufers.
3. Behandlung von
Freizeichnungsklauseln
Dem uneinheitlichen Bild, das die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Reichweite kaufvertraglicher Freizeichnungsklauseln abgibt, entspricht das Meinungsspektrum in der Literatur. Manche Autoren verneinen bereits die bloße Möglichkeit, daß eine vertragliche Freizeichnungsklausel Einfluß auf die Konkurrenzentscheidung haben könne. Denn §119 II BGB sei bei Sachmängeln beziehungsweise bei Irrtümern über Eigenschaften der Kaufsache von vornherein kraft Gesetzes nicht anwendbar, weil solche Fälle abschließend nach den §§459ff. BGB zu beurteilen seien. 97 Die Mehrzahl der Autoren hält die Frage, ob die kaufvertragliche Freizeichnungsklausel auch die Anfechtungsbefugnis umfaßt, für ein Auslegungsproblem. 98 Uberwiegend wird dabei angenommen, daß die Klausel in der Regel 93
Vgl. Soergel/U. Huber, vor §459, Rn. 192; Haymann, Anfechtung, S. 14ff. Hübner, Rn. 793; wohl auch Staudinger/Dilcher, § 119, Rn. 62; teilweise auch Erman/Palm, §119, Rn. 15f. 95 Erman/Palm, § 119, Rn. 15f. 96 Scheyhing, JZ 1961, 379, 380. 97 Soergel/U. Huber, vor § 459, Rn. 199. Ähnlich Reinicke/Tiedtke, Rn. 593; Müller, JZ 1988, 381. 98 Vgl. Büsbach, S. 61 ff.; Staudinger/Dilcher, § 119, Rn. 64; Köhler, JA 1982, 157, 159; im Ergebnis auch Walter, S.235; Erman/Grunewald, vor §459, Rn. 18; Flad, FS Bumke, S.233, 247. 94
66
Kap. 5 Deutsche
Literatur
zur
Konkurrenzproblematik
auch die Anfechtung ausschließen wolle." Walter dagegen ist der Ansicht, ein Wille, die Anfechtung auszuschließen, könne nur bei einer ausdrücklichen Anordnung angenommen werden. 100 Schmidt-Salzer 101 geht davon aus, daß die Gewährleistungsregeln und das Anfechtungsrecht völlig verschiedene Rechtsinstitute seien. Erstere begründeten eine gesetzliche Haftung des Verkäufers, während letztere dem Käufer die Möglichkeit böten, seine Haftung aus dem Vertrag auf das negative Interesse zu reduzieren. Der grundsätzliche Ausschluß der Anfechtung beruhe auf dem Gedanken, daß die §§459ff. BGB dem Käufer ausreichenden Schutz gewährten. Dies sei aber gerade dann nicht der Fall, wenn eine Freizeichnungsklausel die Verkäuferhaftung aus §§459ff. BGB beseitige. Schließe man auch in diesem Fall die Anfechtung aus, werde der Käufer doppelt seines Schutzes beraubt. Deshalb könne man grundsätzlich davon ausgehen, daß die Freizeichnungsklausel nicht auch die Anfechtungsmöglichkeit vernichte. Allerdings hält er die ausdrückliche Vereinbarung eines Ausschlusses auch der Irrtumsanfechtung für möglich, wenn sie im Rahmen einer Individualabrede erfolge. In allgemeinen Geschäftsbedingungen sei ein derart weitgehender Ausschluß nicht zulässig. 102 Schließlich wird - von den Anhängern der Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum - die These vertreten, ein vertraglicher Gewährleistungsausschluß führe dazu, daß die betreffenden Eigenschaften nicht zum Geschäftsinhalt geworden seien. Deshalb komme eine Anfechtung nach § 119 II BGB schon tatbestandsmäßig nicht in Betracht. 103
99 Köhler, JA 1982,157, 159; Erman/Grunewald, vor §459, Rn. 18; im Ergebnis auch Busbach, S. 68ff.; Soergel/U. Huber, vor §459, Rn.200 (für den Fall, daß man das Problem als Auslegungsfrage behandelt). Dafür, daß die Freizeichnungsklausel immer auch die Anfechtung ausschließt Staudinger/Honseil, vor § 459, Rn. 35; Soergel/Hefermehl, § 119, Rn. 79. 100 Walter, S.235. Er beschränkt dies zwar auf diejenigen Fälle, in denen nach herrschender Meinung die Anfechtung ausnahmsweise zulässig ist. Doch sind dies zugleich die einzigen Fälle, für die es darauf ankommt, ob die Freizeichnungsklausel auch auf die Anfechtung erstreckt werden kann. Denn in allen anderen Situationen greift ja schon die allgemeine Ausschlußthese. S.a. Linke, S. 33. 101 Schmidt-Salzer, JZ 1967, 661. 102 Zur Begründung führt er an, es handle sich nicht um eine sachlich angemessene Regelung, weil die schutzwürdigen Interessen des Verkäufers über § 122 BGB ausreichend geschützt seien. Die §§119, 122 BGB seien keine bloßen Zweckmäßigkeitsregelungen, sondern dienten einem sich aus der Natur der Sache ergebenden Gerechtigkeitsgebot. Diese Argumentation bezieht sich auf die vor Inkrafttreten des AGBG ergangene Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen. 103 Flume, Allgemeiner Teil, S.485; ders., DB 1979, 1637, 1638; MünchKomm/Westermann, §459, Rn. 85.
Kapitel 6
Rechtsvergleichende Denkanstöße A.
Einführung
D i e K o n k u r r e n z zwischen kaufrechtlicher Sachmängelhaftung und irrtumsbedingter Vertragsaufhebung ist in der Literatur wiederholt und ausführlich unter rechtsvergleichenden
Gesichtspunkten
behandelt worden. 1
Vertiefte
rechtsvergleichende Studien sind deshalb im R a h m e n der vorliegenden A r b e i t nicht erforderlich. D e r B l i c k ins Ausland soll lediglich Anschauungsmaterial darüber liefern, auf welche Weise ausländische R e c h t s o r d n u n g e n die K o n k u r renzfrage anders lösen als das deutsche R e c h t und wie sie dies methodisch begründen. D a z u bieten sich Frankreich, die Schweiz und O s t e r r e i c h an.
B. Französisches Recht I. Uberblick zum Irrtums- und 1. Behandlung
des
Gewährleistungsrecht
Eigenschaftsirrtums
D i e gesetzliche Regelung des Eigenschaftsirrtums findet sich in A r t . 1110, 1 1 1 7 , 1 3 0 4 f f . C o d e civil. D i e s e Vorschriften wurden durch Literatur und Praxis im Laufe der Zeit modifiziert. D a s heute geltende Irrtumsrecht ist deshalb teils weiter, teils enger als der Wortlaut des Gesetzes. Zentraler Begriff der französischen Irrtumsregelung ist die „substance même de la c h o s e " , auf die sich der Irrtum gemäß A r t . 1110 C o d e civil beziehen muß. Diesen hat die Rechtsprechung in zweierlei H i n s i c h t erweitert. Z u m einen m u ß es sich nicht u m eine körperliche Sache handeln, B e z u g s p u n k t des Irrtums kann vielmehr jeder Leistungsgegenstand sein, also insbesondere auch R e c h t e . 2 Z u m anderen ist es nicht m e h r erforderlich, daß der I r r t u m sich auf die Substanz der
1 Vgl. in neuerer Zeit die Arbeiten von Gabrielli; Bacher, Flesch; Lethaus. S.a. Kramer, Irrtum, Rn. 130ff.; Rahel, Recht, Bd.2, S. 116ff.; Zweigert/Kötz, S.408; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S.266ff.; Schwänze, S.47ff. 2 Juris-Classeur Civil/Petz'i, Art. 1110, Rn.5; Ferid/Sonnenberger, Bd 1/1, Rn. 1 F 422.
68
Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
Sache selbst bezieht. Der Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft („qualité substantielle") genügt. 3 Wann eine Eigenschaft wesentlich („substantielle") in diesem Sinne ist, ist seit jeher umstritten. Die herrschende Meinung bestimmt die Wesentlichkeit subjektiv. Es kommt danach darauf an, ob die Eigenschaft aus Sicht des Irrenden wesentlich gewesen ist. Um eine unangemessene Vernachlässigung der Interessen des Vertragspartners zu vermeiden, verlangt man überwiegend, daß die betreffende Vorstellung des Irrenden dem Vertragsschluß in irgendeiner Weise zugrunde lag. Umstritten ist, ob dies nur der Fall ist, wenn sie in die Vereinbarung aufgenommen wurde oder ob es ausreicht, wenn der Vertragspartner sie kannte oder kennen mußte. Auch wird diskutiert, ob an dieser Stelle Platz sei für eine gewisse Objektivierung dergestalt, daß man bei objektiv gegebener Verkehrswesentlichkeit der betreffenden Eigenschaft auf das Erfordernis der Einbeziehung in die vertragliche Sphäre verzichten könne. 4 Die Diskussion über den Begriff der „qualité substantielle" ähnelt also derjenigen über die verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne des § 119 II BGB. Ein grundlegender Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen besteht dagegen darin, daß im französischen Irrtumsrecht das Verschulden des Irrenden bereits bei der Frage der Beachtlichkeit des Irrtums berücksichtigt wird. Ist dieser nämlich verschuldet, berechtigt er nach einhelliger Ansicht nicht zur Vertragsauflösung. Grundlage dieser Regel ist der Gedanke der deliktischen Verschuldenshaftung des Art. 1382 Code civil: Wer schuldhaft handelt, soll für die daraus resultierenden Folgen einstehen. Als geeignete Sanktion betrachtet man im Irrtumsrecht die Verweigerung der Vertragsauflösung. 5 Umstritten ist, welchen Grad von Verschulden man verlangt. Die Rechtsprechung läßt in der Regel auch leichte Fahrlässigkeit genügen 6 , während in der Literatur 7 zum Teil erwogen wird, die Vertragsauflösung nur bei grober Fahrlässigkeit zu verweigern. Ausgeschlossen ist die Vertragsaufhebung auch dann, wenn die irrende Vertragspartei bewußt das Risiko eingegangen ist, daß ihre Vorstellung nicht der Wirklichkeit entspricht. 8 Ferid/Sonnenberger, Bd 1/1, R n . l F 422; Juris-Classeur Civil/Petit, Art. 1110, Rn.5ff. Vgl. Juris-Classeur Civil/Petit, Art. 1110, Rn.25ff.; Philippe Malinvaud, Droit des Obligations, 6. A. 1992, Rn.63ff.; Francois Terré/Philippe Simler/Yves Lequette, Droit Civil, Les Obligations, 5. A. 1993, Rn.205ff.-Jacques Ghestin, Traité de Droit Civil, La formation du contrat, 3. Aufl. 1993, Rn.497ff.; Léon/Mazeaud/Chabas/de Juglard, Rn. 162ff.; Ferid/Sonnenberger, Bd 1/1, Rn. 1 F 422; Gaibler, S.65ff. m.w.N. 5 Vgl. zum Erfordernis der Entschuldbarkeit: Juris-Classeur Civil/Petit, Art. 1110, Nrn. 69ff.; Ghestin, Traité de Droit civil, Rn.521ff.; Cass, civ., 27.11. 1979, Bull.civ. 1979.III.Nr.215; Cass. com., 16.2. 1982, Bull. civ. 1982.IV.Nr. 61; Gaibler, S. 121 ff.; Ferid/Sonnenberger, Bd 1/1, Rn. 1 F 429. 6 Vgl. Cass. civ., 27.11. 1979, Bull. civ. 1979.III.Nr.215. S.a. Juris-Classeur Civil/Petit, Rn.71 m.w.N. 7 Flour/Aubert, Bd. 1, 5. Aufl. 1991, Rn.204. 8 Vgl. Cass. civ., 31.3. 1987, Bull. civ. 1987.I.Nr. 115; Cass. com., 16.12. 1970, Bull.civ. 1970.IV.Nr.346;Cass.civ.,24.3.1987,Bull.civ. 1987.I.Nr. 105; Cass. civ., Bull. civ. 1995.I.Nr.401 3
4
B. Französisches
Recht
69
Anders als das B G B gibt das französische Recht dem Irrenden kein Gestaltungsrecht. E r kann den Vertrag nicht durch eine einseitige Erklärung aufheben. Es bedarf dazu vielmehr einer gerichtlichen Entscheidung (Art. 1117 Code civil). Die dazu erforderliche Klage muß innerhalb von 5 Jahren nach Entdeckung des Irrtums erhoben werden ( Art. 1304 Code civil). 9
2. Grundlagen des kauf rechtlichen
Gewährleistungsrechts
Die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften der Art. 1641 ff. C o d e civil beruhen weitgehend auf den ädilizischen Rechtsbehelfen des römischen Rechts und ähneln deshalb den § § 4 5 9 f f . B G B . 1 0 Sie sehen grundsätzlich Ansprüche auf Wandelung und Minderung vor (Art. 1644 C o d e civil). Art. 1645 C o d e civil gewährt einen Schadensersatzanspruch, der nicht den strengen Voraussetzungen des § 4 6 3 B G B unterliegt. Voraussetzung für Gewährleistungsansprüche ist gemäß Art. 1641 C o d e civil das Vorliegen eines Fehlers, der die Tauglichkeit der Sache zum vertraglich vorausgesetzten Gebrauch beeinträchtigt. Man versteht dies so, daß die Sache jedenfalls dann fehlerhaft ist, wenn sie zum gewöhnlichen Gebrauch nicht taugt. 11 Setzt der Verkäufer einen ungewöhnlichen Gebrauch voraus, so greift Art. 1641 Code civil nach überwiegender Meinung nur ein, wenn diese Vorstellung - ähnlich wie beim Eigenschaftsirrtum - in irgendeiner Weise dem Vertragsschluß zugrunde gelegt wurde. 12 Wie weit die Berücksichtigung der subjektiven Parteivereinbarungen genau reicht, ist jedoch offen. Es geht dabei um die gegenwärtig völlig offene Abgrenzung von Gewährleistungsrecht und allgemeinem Nichterfüllungsrecht. 13 Anders als im deutschen Recht genügt es nicht, wenn lediglich der Wert des Kaufgegenstandes gemindert ist. 14 Allerdings läßt sich nicht ausschließen, daß viele Fehler, die beim ersten Hinsehen nur eine bloße Wertminderung der Sache zu verursachen scheinen, bei genauerer Überlegung auch zu der Beeinträchtigung irgendeines vorausgesetzten oder üblichen Gebrauchs führen können. Es muß sich um einen verborgenen Fehler handeln (Art. 1642 C o d e civil). O f fenkundig, also nicht verborgen, ist er schon dann, wenn der Käufer ihn bei der
(ZEuP 1997,1142); Juris-Classeur Civil/Petit, Nrn 30f.; Gaihler, S. 52ff. (dort auch zur dogmatischen Einordnung); P. Huber, ZEuP 1997, 1143, 1145f. 9 Ferid/Sonnenherger, Bd 1/1, Rn. 1 F 432. 10 Vgl. Zimmermann, Law, S. 311 ff., 327f. 11 Vgl. Bacher, S.49; Ferid/Sonnenherger, Bd 2, Rn.2 G 597; Juris-Classeur Civil/Huet, Art. 1641-1649, Fase. 30, Rn. 6ff. 12 Vgl. Ghestin/Desché, Traité des contrats, La Vente, 1990, Rn. 726 („entrée dans le champ contractuel"); Juris-Classeur Civil/Huet, Art. 1641-1649, Fasc. 20, Rn.9; Bacher, S.49f. m.w.N. zur Diskussion; Ferid/Sonnenherger, Bd 2, Rn. 2 G 597. 13 S.u. Kapitel 6: B,I,3. 14 Vgl. kritisch dazu Ghestin/Desché, Vente, Rn. 726.
70
Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
Lieferung fahrlässig nicht erkannt hat. 15 Indirekt verlangt das französische Recht vom Käufer also in gewissem Umfang die Untersuchung der Kaufsache bei der Lieferung. 16 Es unterscheidet sich hierin vom Kaufrecht des BGB. 1 7 Die Voraussetzungen der Art. 1641 ff. Code civil müssen grundsätzlich bei Vertragsschluß vorliegen. Dies hängt damit zusammen, daß nach französischem Recht der schuldrechtliche Kaufvertrag selbst den Eigentumsübergang bewirkt (Art. 1583, 1138 Code civil). Es bedarf keiner abstrakten dinglichen Einigung. 18 Die zeitlichen Grenzen der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen regelt Art. 1648 Code civil. Sie müssen danach innerhalb eines „bref délai" gerichtlich 19 erhoben werden. 20 Die Bestimmung von Dauer und Beginn dieser Frist liegt grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Richters. Allerdings kann man heute davon ausgehen, daß Fristbeginn in der Regel der Zeitpunkt der Entdeckung des Mangels ist.21 Hinsichtlich der Dauer stellen die Gerichte stark auf den jeweiligen Einzelfall ab. Üblicherweise handelt es sich um einen Zeitraum von mehreren Monaten. 22
3. Ungeklärte Abgrenzung Gewährleistungsrecht
zwischen Nichterfüllungsrecht
und
Ein verworrenes Bild bietet das französische Recht, wenn es darum geht, das allgemeine Nichterfüllungsrecht vom Gewährleistungsrecht abzugrenzen.23 Umstritten ist insbesondere, in welchem Umfang die Entscheidung sich daran zu orientieren hat, ob die Sache objektiv fehlerhaft ist oder nur den vertraglichen Vereinbarungen beziehungsweise Zusicherungen nicht entspricht. Teil15 Vgl. den Wortlaut des Art. 1642 Code civil und ausführlich Ghestin/Desche, Vente, Nrn. 727ff. m.w.N.; Ferid/Sonnenberger, Bd 2, Rn.2 G 593ff. Darüber hinaus ist die Gewährleistungshaftung auch dann ausgeschlossen, wenn der Mangel zwar verborgen war, der Käufer ihn aber trotzdem kannte, vgl. Ferid/Sonnenberger, a.a.O. 16 Vgl. dazu Ferid/Sonnenberger, Bd 2, Rn.2 G 593. 17 Im Zeitpunkt der Lieferung schadet dem Käufer gemäß §464 B G B nur positive Kenntnis. Die Regelung des § 461 S. 2 B G B stellt allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab. Anders ist die Situation jedoch beim beiderseitigen Handelskauf. Hier trifft den Käufer auch im deutschen Recht eine Untersuchungspflicht nach Ablieferung (§§377ff. H G B ) . 18 Zum Zeitpunkt Ferid/Sonnenberger, Bd 2, Rn. 2 G 602; Bacher, S. 52. 19 S. dazu ausführlich Juris-Classeur Civil/Huet, Art. 1641-1649, Fase. 40, Rn. 71 ff. 2 0 Zur Rechtsnatur (Verjährungs- oder Ausschlußfrist) s. Juris-Classeur Civil/Huet, Art. 1641-1649, Rn.67ff. 21 Vgl. Juris-Classeur CWA/Huet, Art. 1641-1649, Fase. 40, Rn. 84ff.; Ferid/Sonnenberger, Bd 2, 2 G 611 f., jeweils m.w.N. 2 2 Vgl. Juris-Classeur Civil/Huet, Art. 1641-1649, Fase. 40, Rn. 97ff. 2 3 Vgl. Bacher, S. 61 ff., insbesondere S. 70ff. Aus der Rechtsprechung vgl. nur Cass. civ., 5.5. 1993, Dalloz 1993.J.506; Cass. civ., 16.6. 1993, Dalloz 1994.J.210; Cass. civ., 13.10. 1993, Dalloz 1994.J.211; Cass. civ., 27.10. 1993, Dalloz 1994.J.211; Cass. civ., 8.12. 1993, Dalloz 1994.J.212; Cass. com., 26.4.1994, J C P 1994.11.22356; Cass. civ., 4.10.1995, Bull. civ. 1995.III.Nr.216. Dazu Bacher, S.76 (Die Grenzen seien „nahezu vollständig eingeebnet".). S.a. Tournafond, Dalloz 1989.Chron.237.
71
B. Französisches Recht
weise wird vertreten, nur der objektive Mangel falle unter das Gewährleistungsrecht, das Fehlen vereinbarter Eigenschaften sei dagegen eine allgemeine Nichterfüllung. 24 Diese Unklarheiten müssen gegenwärtig hingenommen werden. Auffällig ist dabei, daß das Konkurrenzverhältnis zwischen den Nichterfüllungs- und den Irrtumsregeln kaum thematisiert wird. 25 Im folgenden beschränkt sich die Darstellung deshalb auf das Verhältnis des Irrtumsrechts zu den Gewährleistungsvorschriften.
4.
Konkurrenzprobleme
Die kurze Darstellung zeigt, daß sich die Anwendungsbereiche von Art. 1110 und Art. 1641 Code civil weitreichend überschneiden können. Beide Vorschriften lassen Raum für Parteivereinbarungen, beide versuchen, einseitige Erwartungen einer Partei auszuklammern, mag dies auch im Bereich des Eigenschaftsirrtums noch umstritten sein. Insoweit entspricht die Rechtslage im wesentlichen derjenigen des deutschen Rechts. Anders als im deutschen Recht unterscheiden sich Gewährleistungsrecht und Irrtumsrecht hinsichtlich der Beachtung eines Verschuldens des irrenden Käufers kaum. Allenfalls der Grad des anspruchsausschließenden Verschuldens könnte sich - je nach Standpunkt - unterscheiden. Ähnlichkeiten zwischen beiden Rechtsordnungen bestehen hinsichtlich der Fristen für die Geltendmachung der einzelnen Ansprüche. Den strengen Fristen des Gewährleistungsrechts stehen jeweils großzügigere Zeiträume des Irrtumsrechts gegenüber. Die Problematik stellt sich im französischen Recht allerdings nicht in gleicher Schärfe wie im deutschen Recht, weil die kurze kaufrechtliche Verjährungsfrist in der Regel erst mit der Entdeckung des Mangels zu laufen beginnt, und nicht bereits mit der Übergabe wie nach §477 BGB.
II. Konkurrenz 1. Entwicklung
von Eigenschaftsirrtum
und
Gewährleistungsrecht
der Rechtsprechung
Die französischen Entscheidungen beschränken sich darauf, eine Lösung der Konkurrenzfrage zu präsentieren. Eine ausführliche Diskussion der Problematik sucht man in den knappen Urteilen der Cour de Cassation vergeblich.
24 Bénabent, Dalloz 1994.Chron.115. A.A.: Bacher, S.85ff. mit Übersicht zum Meinungsstand. S. jüngst auch Radè, JCP1997.Doctrine.4009. 25 Vgl. Bacher, S. 11 Off., insbesondere S. 119, wo sie den Schluß zieht, daß die Rechtsprechung wohl dazu neigen würde, beide Rechtsbehelfe alternativ nebeneinander zuzulassen.
72
Kap. 6 Rechtsvergleichende a) Situation
bis zum Jahr
Denkanstöße
1996
F ü r die R e c h t s p r e c h u n g stellte sich die Frage nach dem Verhältnis beider Rechtsinstitute hauptsächlich unter dem A s p e k t der Verjährung. Dieser A u s richtung der D i s k u s s i o n entspricht es, daß in den Entscheidungen nicht erörtert wurde, o b das Irrtumsrecht neben dem Gewährleistungsrecht überhaupt A n wendung finden könne, sondern daß es allein u m die Frage ging, o b nach Ablauf der kaufrechtlichen Verjährung n o c h die Vertragsauflösung verlangt werden konnte. I m R a u m stand also nicht ein genereller A u s s c h l u ß wie ihn die deutsche R e c h t s p r e c h u n g vertritt, sondern allenfalls die E i n w i r k u n g der kaufrechtlichen Verjährungsnorm auf das Irrtumsrecht. 2 6 Ausgangspunkt der D i s k u s s i o n e n waren zwei Entscheidungen der ersten Z i vilkammer der C o u r de Cassation aus dem J a h r e 1960, in denen sie, entgegen der zuvor üblichen Praxis der Rechtsprechung 2 7 , die Auffassung entwickelte, daß auch eine Vertragsauflösungsklage wegen Eigenschaftsirrtums der kurzen kaufrechtlichen Frist des A r t . 1648 C o d e civil unterliege, w e n n der Eigenschaftsirrt u m auf einem Sachmangel im Sinne des Art. 1641 C o d e civil beruhe. 2 8 Dieser Ansicht schloß sich 1981 die 3. Zivilkammer an 2 9 , o b w o h l die K a m m e r für H a n delssachen zwischenzeitlich anders entschieden hatte. 3 0 In den J a h r e n 1988 und 1989 vollzogen die Zivilkammern der C o u r de Cassation eine Kehrtwendung. 3 1 Jedenfalls die 1. Zivilkammer hat ausdrücklich entschieden, daß die kurze Frist des A r t . 1648 C o d e civil auch dann nicht auf die Vertragsauflösungsklage wegen Irrtums angewendet werden dürfe, w e n n der Irrtum sich auf einen Sachmangel beziehe. D i e Entscheidung der 3. Zivilkammer führt aus, daß allein das Vorliegen eines Sachmangels die Berufung auf den E i genschaftsirrtum nicht ausschließe, enthält aber keine Feststellungen darüber, o b die Frist des A r t . 1648 C o d e civil bereits abgelaufen war. Sie ließe sich deshalb auch als bloße Absage an eine Ausschlußthese im Sinne der deutschen R e c h t sprechung deuten, die ü b e r die Frage der einwirkenden K o n k u r r e n z keine A u s sage treffe. T r o t z dieser Z w e i f e l s m o m e n t e ging man bis vor k u r z e m angesichts der klaren Aussagen der 1. Zivilkammer und der schon früher geäußerten A n sicht der K a m m e r für Handelssachen davon aus, daß die freie A n s p r u c h s k o n kurrenz v o n Vertragsauflösung wegen Eigenschaftsirrtums und Gewährleistungsansprüchen dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung entspreche. 3 2
Vgl. Flesch, S.81; Schluchter, S. 110. Vgl. dazu Bacher, S. 98ff.; Lethaus, Eigenschaftsirrtum und Gewährleistung im schweizerischen, französischen und deutschen Recht, 1969, S. 63 ff. 28 Cass. civ., 4.1. 1960, Bull. civ. 1960.I.Nr.4; Cass. civ., 19.7. 1960, Bull. civ. 1960.I.Nr.408. Dazu Bacher, S. 101 ff.; Flesch, S. 81 f. 29 Cass. civ., 11.2. 1981, Bull. civ. 1981 .III.Nr. 31. 30 Cass. com., 8.5. 1978, Bull. civ. 1978.IV.Nr. 135. 31 Cass. civ., 18.5. 1988, und Cass. civ., 28.6. 1988, beide abgedruckt in Dalloz 1989.J.450; Cass. civ., 28.6. 1989, Bull. civ. 1989.I.Nr.268. 32 Vgl. Auhert, Anmerkung in: Dalloz 1991.Somm.318; P. Huber, ZEuP 1997, 1143, 1149; Schluchter, S. 110. Skeptisch allerdings Flesch, S. 83; Bacher, S. 107. 26
27
B. Französisches
Recht
73
b) Situation seit 1996 Inzwischen deutet sich eine erneute Kehrtwende an. Es war just die 1. Zivilkammer, die in einer Entscheidung vom 14.5. 1996 ihre frühere klare Aussage zur Konkurrenz in Frage stellte. 33 Es ging um den Kauf frostrissiger Ziegel. Lange nach Ablauf des „bref délai" im Sinne des Art. 1648 Code civil machte der Käufer Ansprüche aus Nichterfüllungsrecht und Irrtumsrecht geltend. Die Cour de Cassation verweigerte ihm beides. Es handle sich nicht um einen Fall der Nichterfüllung. Denn die Lieferung objektiv mangelhafter Ware stelle keine Nichterfüllung, sondern einen Sachmangel im Sinne des Gewährleistungsrechts dar.34 Aus dem Vorliegen eines Sachmangels folgerte das Gericht anschließend, daß die Anwendung des Irrtumsrechts ausgeschlossen sei: „Attendu, ensuite, que la garantie des vices cachés constituant l'unique fondement possible de l'action exercée, la cour d'appel n'avait pas à rechercher si M. Chavanne pouvait prétendre à des dommages-intérêts sur celui de l'erreur". Verwirrend ist zunächst der Hinweis auf die irrtumsrechtlichen Schadensersatzansprüche des Käufers. Offenbar hatte der Käufer Schadensersatz allein mit der Begründung verlangt, er habe sich über wesentliche Eigenschaften der Sache getäuscht. 35 Einen solchen Anspruch kennt das französische Recht freilich nicht. Zum Teil wird deshalb der Gedanke geäußert, daß das Urteil keine Konkurrenzentscheidung treffen, sondern lediglich den irrtumsgestützten Schadensersatzanspruch verneinen wolle. 36 Überzeugender ist jedoch der entgegengesetzte Schluß: Gerade weil das Gericht die Klage des Käufers allein unter Berufung auf das Irrtumsrecht hätte abweisen können, erscheinen die Aussagen zur Konkurrenz („l'unique fondement possible") als bewußte Entscheidung dieser Frage. 37 O b das Urteil tatsächlich einen erneuten Umschwung in der Haltung der französischen Rechtsprechung begründet hat, bleibt abzuwarten. Dagegen könnte sprechen, daß die Kammer für Handelssachen beinahe zeitgleich die Berufung auf den Irrtum neben der - im konkreten Fall allerdings auf ein Spezialgesetz und nicht auf den Code civil gestützten - Gewährleistungshaftung zugelassen hat. 38 Beachtenswert ist in jedem Fall, daß die Entscheidung der 1. Zivilkammer sich nicht darauf beschränkt hat, die kurze Verjährungsfrist des Gewährleistungsrechts auf die Irrtumsregeln zu erstrecken, sondern deren Anwendbarkeit generell ausgeschlossen hat. 39 Cass. civ., 14.5. 1996, Dalloz 1998.J.305. Selbst wenn man diese Aussage als gegeben akzeptiert, ist das oben angesprochene Problem der Abgrenzung von Nichterfüllungs- und Gewährleistungsrecht noch nicht gelöst. Offen bleibt nämlich die Grenzziehung im Bereich der subjektiv vereinbarten Eigenschaften. 35 Vgl. Radè, JCP 1997.1.4009, Rn.7. 36 Jault-Seseke, Dalloz 1998.J.306, 308. 37 Radè, JCP 1997.1.4009, Rn. 7. 38 Cass. com., 18.6. 1996, Dalloz 1998.J.306. 39 Vgl. Radè, JCP 1997.1.4009, Rn.3, 7. 33 34
74
Kap. 6 Rechtsvergleichende
2. Stellungnahmen
in der Literatur -
Denkanstöße
Argumente
Ahnlich wie in Deutschland haben auch französische Autoren immer wieder versucht, eine Konkurrenzsituation durch eine scharfe Trennung der Anwendungsbereiche beider Rechtsbehelfe zu vermeiden. 40 Diese Ansätze werden hier nicht näher behandelt, weil sie sich nicht durchsetzen konnten und für die Beantwortung der Frage, wie eine einmal eingetretene Konkurrenzsituation zu lösen ist, nichts hergeben. Der eigentlichen Konkurrenzproblematik hat die französische Literatur bisher keine vertiefte Aufmerksamkeit gewidmet. Allerdings scheint die Entscheidung der Cour de Cassation vom Mai 1996 eine lebhafte Diskussion auszulösen. Zugunsten der von der Rechtsprechung zwischen 1960 und 1988 vertretenen einwirkenden Anspruchskonkurrenz wurden im wesentlichen die Argumente der Spezialität 41 und der Umgehungsgefahr 42 angeführt, ohne freilich exakt herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen sich insbesondere aus dem lexspecialis-Grundsatz eine Ausschlußwirkung ergeben soll. Andererseits wurde auch kritisiert, daß die Anspruchskonkurrenz nicht mit dem Spezialitätsgrundsatz begründet werden könne. Denn das Vorliegen eines Spezialitätsverhältnisses müsse zu einem völligen Ausschluß der allgemeineren Regel führen, und nicht nur zu einer Verschärfung ihrer Anwendungsvoraussetzungen. 43 Die überwiegende Meinung hat das bis vor kurzem von der Rechtsprechung angenommene freie Nebeneinander beider Rechtsbehelfe befürwortet. Eine der wichtigsten Erwägungen ist dabei, daß der Wortlaut des Gesetzes dem Käufer in derartigen Fällen zwei Rechtsbehelfe zur Verfügung stelle. Deshalb müsse man im Grundsatz davon ausgehen, daß der Käufer die Wahl zwischen beiden Rechtsbehelfen haben solle. 44 Allein die Tatsache, daß die Berufung auf einen Rechtsbehelf Beschränkungen des anderen leerlaufen läßt, kann nach dieser Ansicht nicht ausreichen, um den aus dem Gesetz abgeleiteten Grundsatz zu durchbrechen. Wenn die Rechtsordnung in ihrer Komplexität in sich nicht
Vgl. die Nachweise bei Bacher, S.94ff.; Ghestin, Vente, Rn.781. Planiol/Ripert/Esmein, Rn. 184. J.-L.A., Dalloz 1982.J.288. Als mögliche Rechtfertigung erwähnt wird das Spezialitätsargument auch von Carhonnier, RTDCiv 1961, 332, 333, und Lapoyade Deschamps, Dalloz 1989.J.451,454, die es jedoch beide nicht für überzeugend halten und die Einwirkung ablehnen. 42 Vgl. Rémy, RTDCiv 1981, 860 861 f., der jedoch auch Kritik an der (die einwirkende Anspruchskonkurrenz befürwortenden) Entscheidung von 1981 übt und sich im Ergebnis nicht festlegt. 43 Rémy, RTDCiv 1981, 860, 861 (der es jedoch für möglich hält, die einwirkende Anspruchskonkurrenz mit dem Gedanken der Umgehungsgefahr zu begründen). S.a. Ghestin, Anmerkung, in: JCP 1982.11.19758, der einen Ausschluß kraft Spezialität für bedenklich hält, weil er die Irrtumsregeln eines wesentlichen Teils ihres Anwedungsbereichs berauben würde; dagegen jedoch J.-L.A., Dalloz 1982.J.288. 44 Carbonnier, RTDCiv 1961, 332, 3 3 3 - A u b e r t , Dalloz 1982.J.288. 40 41
B. Französisches Recht
75
schlüssig sei, so dürfe das nicht zu Lasten desjenigen gehen, der mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen geschützt werden solle. 4 5 M a n c h e A u t o r e n leugnen die G e f a h r einer untragbaren U m g e h u n g der G e währleistungsvorschriften von vornherein. Sie weisen darauf hin, daß diese dem Käufer weitergehende R e c h t e gewährten als die Irrtumsregeln, so z u m Beispiel Schadensersatzansprüche. Deshalb sei es gerechtfertigt, im Irrtumsrecht bei den Anspruchsvoraussetzungen großzügiger zu sein. 4 6 Schließlich findet sich das dogmatische A r g u m e n t , daß die Gewährleistungsansprüche das Bestehen eines wirksamen Vertrages voraussetzten und deshalb den die Vertragswirksamkeit betreffenden Irrtumsregeln logisch nachrangig seien. E s sei kaum zu begründen, warum die nachrangigen Vorschriften die v o r rangigen beeinflussen sollten. 4 7 D i e neue Entscheidung von Mai 1996 hat ein geteiltes E c h o gefunden. J a u l t Seseke lehnt sie mit der Begründung ab, sie beraube das Irrtumsrecht ihres w e sentlichen Anwendungsbereichs und führe zu dem verbraucherfeindlichen E r gebnis, daß stets die kurze Verjährung des A r t . 1648 C o d e civil zur A n w e n d u n g k o m m e . Ihrer Ansicht nach müsse vielmehr das Irrtumsrecht als die generelle, allgemeingültige Regel das engere und unbefriedigende Kaufgewährleistungsrecht verdrängen. 4 8 Eine differenzierende Haltung n i m m t T o u r n a f o n d ein. 4 9 Grundsätzlich b e grüßt er die von der C o u r de Cassation a n g e n o m m e n e Ausschlußwirkung. J e doch will er für solche Fälle eine A u s n a h m e vorsehen, in denen der Käufer eine Warnung des Verkäufers vor den betreffenden Mängeln mißverstanden hat. A l lerdings erscheint es in derartigen Fällen ohnehin zweifelhaft, o b überhaupt eine K o n k u r r e n z s i t u a t i o n entstehen kann. D e n n der Irrtum wird dann häufig u n entschuldbar sein und der Sachmangel offenkundig. U n e i n g e s c h r ä n k t e Z u s t i m m u n g erhält die irrtumsrechtliche K o n k u r r e n z e n t scheidung 5 0 der C o u r de Cassation von Radè. 5 1 E r rechtfertigt sie mit dem G e danken der Spezialität, die er allein aus der systematischen Stellung herleitet:
Lapoyade Deschamps, Dalloz 1989.J.450, 455. S.a. Aubert, Dalloz 1989.Somm.229. Ghestin, Anmerkung, in: JCP 1982.11.19758; ders., Erreur, Rn.302; ders., Vente, Rn.780; Lapoyade Deschamps, Dalloz 1989.J.451,455. Vgl. auch dessen Hinweis auf die rechtspolitische Bedenklichkeit der kurzen Verjährung des Art. 1648 Code civil, die ebenfalls dafür spreche, ihren Anwendungsbereich auf die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche zu beschränken (Lapoyade Deschamps a.a.O.,S.454f.). 47 Ghestin, Anmerkung, in: JCP 1982.11.19758; ders., Erreur, Rn.302; ders., Vente, Rn.780. 48 Jault-Seseke, Dalloz 1998.J.306, 309. 49 Tournafond, Dalloz 1997.Somm.345, 346. 50 Hinsichtlich der Abgrenzung zum Nichterfüllungsrecht ist er dagegen kritisch. Anstatt zu versuchen, beide Rechtsbehelfe so von einander abzugrenzen, daß keine Uberschneidung möglich ist, hätte die Cour de Cassation seiner Ansicht nach auch hier einen Vorrang des Kaufgewährleistungsrechts annehmen sollen, vgl. JCP 1997.1.4009, Rn. 13ff. 51 Radè, JCP 1997.1.4009. 45 46
76
Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
D e r Anwendungsbereich der Gewährleistungsregeln beschränke sich auf Sachmängel beim Kauf, während das Irrtumsrecht für alle Verträge gelte. 5 2
C. Schweizerisches Recht I. Uberblick zum Irrtums- und 1.
Gewährleistungsrecht
Eigenschaftsirrtum
Diejenigen Fälle, die im deutschen R e c h t nach § 119 I I B G B behandelt werden, fallen im schweizerischen R e c h t unter die A r t . 2 3 , 2 4 I N r . 4 des O b l i g a t i o nenrechts ( O R ) . D a n a c h ist ein Irrtum beachtlich, w e n n er „einen bestimmten Sachverhalt betraf, der v o m Irrenden nach Treu und G l a u b e n im Geschäftsverk e h r als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet w u r d e " (sogenannter Grundlagenirrtum). D i e Vorschrift ist also weiter als § 119 I I B G B . Sie erfaßt insbesondere auch Fälle, die im deutschen R e c h t dem Wegfall der G e schäftsgrundlage zugeordnet werden. 5 3 N e b e n dem richtigen B e z u g s p u n k t („bestimmter Sachverhalt") 5 4 müssen drei Voraussetzungen vorliegen, damit der Irrtum beachtlich ist. D e r I r r t u m m u ß subjektiv wesentlich, d.h. für den Irrenden eine conditio sine qua n o n für seine Willensbildung gewesen sein. 5 5 E r m u ß ferner o b j e k t i v w e sentlich sein. Dies ist dann der Fall, w e n n die irrig a n g e n o m m e n e Vertragsgrundlage nach Treu und G l a u b e n im Geschäftsverkehr als wesentlich gilt. 5 6 I n soweit besteht also weitgehende U b e r e i n s t i m m u n g mit dem Erfordernis der vernünftigen Kausalität in § 119 B G B . Anders als bei § 119 I I B G B ist es j e d o c h nach schweizerischem R e c h t nicht möglich, eine objektiv nicht wesentliche E i genschaft durch Vereinbarung zu einer wesentlichen im Sinne des Irrtumsrechts zu machen. 5 7 Deutliche Unterschiede zum deutschen R e c h t ergeben sich aus der dritten Voraussetzung. N a c h herrschender Meinung ist der Grundlagenirrtum nämlich nur dann wesentlich, w e n n die Bedeutung, die der Irrende dem betreffenden U m s t a n d für den Vertragsschluß beigemessen hat, für den anderen Vertragspartner erkennbar war. 5 8 D i e E r k e n n b a r k e i t kann sich dabei nicht nur aus den k o n k r e t e n Vertragsumständen ergeben, sondern auch daraus, daß der betreffenRadè, JCP 1997.1.4009, Rn.4ff. Vgl. Flesch, S.43f. Dort auch m.w.N. zur Qualifizierung des Grundlagenirrtums als - abweichend von Art. 24 S. 2 OR - ausnahmsweise beachtlicher Motivirrtum. 54 Vgl. dazu Honsell/Schwenzer; Obligationenrecht I, Art.24, Rn. 17ff.; BK/Schmidlin, Art. 23/24, Rn.51ff. 55 Vgl. BK/Schmidlin, Art. 23/24, Rn.63ff. 56 BK/Schmidlin, Art.23/24, Rn.69 m.w.N.S.a. Klausherger, S.56ff. 57 Vgl. BK/Schmidlin, Art. 23/24, Rn.74; Flesch, S.46. 58 Vgl. BK/Schmidlin, Art.23/24, Rn. 75ff. m.w.N.; Honsell/Schwenzer, Obligationenrecht I, Art. 24, Rn. 23. 52 53
C. Schweizerisches
Recht
71
de Umstand bei derartigen Verträgen typischerweise für wesentlich gehalten wird oder daß beide Parteien von der irrigen Annahme ausgegangen sind.59 Das schweizerische Recht berücksichtigt also den Vertrauensschutz bereits bei der Frage nach der Beachtlichkeit des Irrtums, während das deutsche Recht diesen erst bei der Schadensersatzpflicht des Anfechtenden zur Geltung bringt (§ 122 BGB), welche wiederum im schweizerischen Recht verschuldensabhängig, also weniger streng ausgestaltet ist (Art. 26 OR). Anders als im französischen Recht ist die Unentschuldbarkeit keine Voraussetzung für die Beachtlichkeit des Irrtums. 60 Die Rechtsfolgen eines wesentlichen Irrtums sind umstritten. Art. 23 O R sieht vor, daß der Vertrag für den Irrenden „unverbindlich" ist. Die Rechtsprechung geht überwiegend davon aus, daß der Vertrag in diesem Falle von Anfang an ungültig ist, ohne daß es dazu einer Anfechtung durch den Irrenden bedürfe. Macht dieser seinen Irrtum geltend, gibt er also keine Gestaltungserklärung ab, sondern beruft sich lediglich auf die (Folgen der) gesetzlich eingetretenen Ungültigkeit. Nach anderer Ansicht führt Art. 23 O R nur zur Anfechtbarkeit des Vertrages.61 Die zeitlichen Grenzen der Berufung auf die Ungültigkeit des Vertrages ergeben sich ausschließlich aus Art. 31 O R . Die Frist beträgt ein Jahr, beginnend mit der Entdeckung des Irrtums. Darüber hinaus gibt es keine absolute Ausschlußfrist. 62 Die Fristbemessung ist also in zweierlei Hinsicht großzügiger als im deutschen Recht: zum einen wegen des Fehlens einer Ausschlußfrist und zum anderen, weil die Anfechtung nicht unverzüglich erfolgen muß. Der Blick allein auf die Irrtumsvorschriften wäre jedoch trügerisch. Will der Käufer nämlich den Kaufpreis rückerstattet bekommen, muß er die zehnjährige Verjährungsfrist des Art. 67 O R beachten. Diese beginnt nach der Rechtsprechung mit der Bezahlung des Kaufpreises zu laufen, weil es sich wegen der ipso iure eintretenden Ungültigkeit des Vertrages um einen Fall der Leistung auf eine von vornherein nicht bestehende Schuld handelt (Art. 62 II, 1. Fall OR). 6 3
2.
Gewährleistungsrecht
Die Grundtatbestände der kaufvertraglichen Gewährleistung sind in Art. 197 O R aufgeführt. Der Verkäufer haftet sowohl für zugesicherte Eigenschaften als 59 Vgl. Honsell/Schwenzer, Obligationenrecht I, Art.24, Rn.23; Flesch, S.46 m.w.N. auch zu der Diskussion, ob sich die Erkennbarkeit nicht bereits aus der objektiven Wesentlichkeit ergebe. 60 Vgl. Honsell/Schwenzer, Obligationenrecht I, Art. 23, Rn. 7. Ein Verschulden des Irrenden macht die Berufung auf den Irrtum in der Regel auch nicht treuwidrig i.S.d. Art. 25 OR, BK/ Schmidlin, Art.25, Rn.lOf. m.w.N. 61 Vgl. zum Streitstand Honsell/Schwenzer, Obligationenrecht I, Art.23, Rn. 8ff. (auch zur Theorie von der geteilten Ungültigkeit); Flesch, S.48. 62 Vgl. Honsell/Schwenzer, Obligationenrecht I, Art. 31, Rn. 13; Guhl/Merz/Koller, S. 136f.; Flesch, S.49. 63 Vgl. BG, 7.6. 1988, B G E 114.11.131, 141 ff.
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Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
auch für Mängel, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern. Die zweite Fallgruppe entspricht im wesentlichen der Regelung des §459 I BGB. 64 Die Haftung für zugesicherte Eigenschaften dagegen weist einige Besonderheiten auf. Anders als im deutschen Recht führt sie nicht zu besonderen Ansprüchen des Käufers. Ihre Bedeutung liegt zum einen darin, daß sie keine Gebrauchs- bzw. Wertminderung voraussetzt, und zum anderen in einer großzügigeren Behandlung der fahrlässigen Unkenntnis des Käufers (Art. 200 II OR). 65 Das schweizerische Recht sieht strengere Ausschlußgründe vor als das deutsche. Aus dem Wortlaut der bereits erwähnten Vorschrift des Art. 200 OR ergibt sich, daß der Käufer auch bei nur leicht fahrlässiger Unkenntnis 66 des Mangels auf die Zusicherungshaftung beschränkt wird, während dies nach §460 S.2 BGB nur bei grober Fahrlässigkeit der Fall ist. Allerdings ist in der Literatur umstritten, ob Art. 200 OR im Wege der Auslegung auf Fälle grober Fahrlässigkeit reduziert werden soll. 67 Eine spürbare Erschwerung für den Käufer bedeutet die in Art. 201 OR vorgesehene Untersuchungs- und Rügepflicht nach Empfang der Sache. Anders als im deutschen Recht (§§377f. HGB) gilt sie für jeden Kauf, nicht nur für (beiderseitige) Handelskäufe. Mängel, die bei der erforderlichen Untersuchung erkennbar sind, gelten bei Nichtanzeige als genehmigt (Art. 2011, II OR), mit der Folge, daß Gewährleistungsansprüche nicht gegeben sind. 68 Das gleiche gilt für später auftretende Mängel, die nicht sofort nach ihrer Entdeckung gerügt werden (Art. 201 III OR). Liegen die Voraussetzungen für eine Haftung des Verkäufers vor, hat der Käufer grundsätzlich die Wahl zwischen Wandelung und Minderung (Art. 205 I OR). Im Gegensatz zum BGB gibt das schweizerische Recht dem Richter jedoch die Möglichkeit, trotz eines Wandelungsbegehrens des Käufers nur Minderung zu gewähren, wenn „die Umstände es nicht rechtfertigen, den Kauf rückgängig zu machen" (Art. 205 II OR). Eine verläßliche Konkretisierung dieser Vorschrift durch Bildung bestimmter Fallgruppen hat sich bisher noch nicht entwickelt. Es gibt jedoch Tendenzen, (jedenfalls auch) auf die Erheblichkeit des Mangels abzustellen. 69 64 Es gilt insbesondere der subjektive Fehlerbegriff, BK/Giger, Art. 197, Rn.52; Flesch, S.41 m.w.N. Mangels eines vertraglich vorausgesetzten Gebrauchs kommt es auch im schweizerischen Recht auf den gewöhnlichen Gebrauch an. Vgl. BK/Gzger, Art. 197, Rn. 71. 65 Umstritten ist, ob die Zusicherung eine bloße Wissenserklärung ist, auf die sich der Käufer nach Treu und Glauben verlassen kann - die Haftung wäre dann eine gesetzliche - oder ob die Zusicherung Vertragsinhalt werden muß. Im Ergebnis haben sich beide Ansichten jedoch weitgehend angenähert, so daß der Streit offengelassen werden kann. Vgl. Honsell/Honsell, Obligationenrecht I, Art. 197, Rn. 14ff.; Flesch, S.42. Zum Problem der Form vgl. BK/Giger, Art. 197, Rn. 21ff. m.w.N. 66 Maßgebend ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. 67 Vgl. BK/Giger, Art. 200, Rn. 11 ff. einerseits und Honsell/Honsell, Obligationenrecht I, Art. 200, Rn. 3 andererseits. 68 Vgl. Honsell/Honsell, Obligationenrecht I, Art. 201, Rn. 12. 69 Vgl. BG/Giger, Art. 205, Rn.49ff.; Honsell/Honsell, Obligationenrecht I, Art. 205, Rn.6.
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Recht
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Die Verjährungsfrist der kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche beträgt bei beweglichen Sachen ein Jahr. Sie beginnt mit der Ablieferung der Sache (Art. 210 OR). 7 0
3.
Konkurrenzprobleme
Ebenso wie im deutschen Recht überschneiden sich die Anwendungsbereiche von Art. 24 I Nr. 4 und Art. 197 O R weitgehend. 71 Angesichts des weiten Fehlerbegriffs werden die meisten kaufrechtlichen Mängel auch einen Grundlagenirrtum begründen. 72 Eine Ähnlichkeit zum deutschen Recht besteht auch darin, daß die Ausgestaltung der jeweiligen Ansprüche sich zum Teil erheblich unterscheidet. Dies gilt zunächst für die zeitlichen Grenzen. Zwar beträgt die Dauer der Frist für beide Rechtsinstitute ein Jahr, doch beginnt sie im Irrtumsrecht erst mit der Entdeckung des Irrtums zu laufen, im Kaufrecht dagegen mit der Ablieferung der Sache. Berücksichtigt man die Verjährung des Rückzahlungsanspruchs bei irrtumsbedingter Ungültigkeit des Vertrages, ergibt sich folgendes Bild: Im Kaufrecht ist der Verkäufer ein Jahr nach der Ablieferung der Sache sicher vor Rückabwicklungsansprüchen des Käufers, im Irrtumsrecht dagegen erst zehn Jahre nach der Kaufpreiszahlung. Ahnlich wie im deutschen Recht beschränkt ein Verschulden des irrenden Käufers zwar auch nach schweizerischem Recht die Gewährleistungsansprüche, beeinflußt jedoch die Berufung auf die Irrtumsregeln nicht. Auch eine Verletzung der kaufrechtliche Untersuchungs-und Rügepflicht des Art. 201 O R führt nur zum Ausschluß der kaufrechtlichen, nicht dagegen der irrtumsrechtlichen Rechtsbehelfe. 73 Auf der anderen Seite ist die schweizerische Irrtumsregelung insoweit etwas enger gefaßt, als nach herrschender Meinung die Erkennbarkeit des Irrtums für die Berufung auf die Ungültigkeit des Vertrages erforderlich ist. Vergleicht man die Konkurrenzsituation in beiden Rechtsordnungen, kommt man zu dem Ergebnis, daß die Überschneidungen im Anwendungsbereich beiBeim Grundstückskauf: Fünf Jahre ab Eigentumsübergang (Art. 209 III OR). S. aber andererseits BG/Schmidlin, Art. 23/24, Rn.249ff. (unten Kapitel 6: C,I,4). 7 2 Eine Ausnahme könnte nur der Fall bilden, daß eine objektiv nicht wesentliche Eigenschaft zugesichert wurde. Dann läge zwar ein Mangel vor, aber keine „Grundlage" i.S.d. Art.24 O R . 73 So ausdrücklich B G , 10.11. 1981, B G E 107.11.419, 421; Hansell/Honseil, Obligationenrecht I, Art.201, Rn.4; B G / G i g e r , Art.201, Rn. 104 m.w.N. auch zur ablehnenden Mindermeinung. Das Bundesgericht hat gelegentlich angedeutet, ein unangemessenes Zögern des Käufers nach Entdeckung des Irrtums könne unter bestimmten Umständen nach Art. 25 f. O R zur Unstatthaftigkeit der Berufung auf den Irrtum führen, vgl. B G , 10.11. 1981, B G E 107.11.419, 421; B G , 7.6. 1988, B G E 114.11.131,137. Es hat, soweit ersichtlich, aber bisher in keinem Fall so entschieden, vgl. Flesch, S.52, Fn. 174. Im übrigen wäre das Irrtumsrecht trotzdem noch milder als das Kaufrecht, weil man wohl keine sofortige Prüfungspflicht nach Erhalt der Sache annehmen würde, sondern nur eine Anzeigepflicht nach Entdeckung des Irrtums. 70 71
80
Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
der Rechtsinstitute im wesentlichen gleich sind. D i e Unterschiede bei der Ausgestaltung der jeweiligen Rechtsbehelfe, und damit die Gefahr einer „Umgehung" bestimmter Beschränkungen des anderen Anspruchs, sind im schweizerischen Recht mindestens so groß wie im deutschen. D e n n die Einschränkungen des Gewährleistungsanspruchs sind insgesamt härter als diejenigen des B G B . Zwar wird die Berufung auf den Irrtum durch das Erkennbarkeitskriterium eingeschränkt, doch greift dieses an einem anderen Punkt als die genannten kaufrechtlichen Einschränkungen. Es verringert also möglicherweise die Zahl der beachtlichen Irrtümer, beseitigt aber nicht die Gefahr einer Umgehung jener Vorschriften.
II. Behandlung 1. Meinungsstand
der
Konkurrenzproblematik
in Rechtsprechung
und
Literatur
Die schweizerische Rechtsprechung hat seit dem Inkrafttreten des Obligationenrechts von 1911 die Berufung des Käufers auf einen Grundlagenirrtum neben den Vorschriften über die kaufrechtliche Gewährleistung stets zugelassen. 74 Diese Auffassung hat sich derart gefestigt, daß zum Teil schon von G e w o h n heitsrecht gesprochen wird. 7 5 D i e Rechtsbehelfe des Irrtums- und diejenigen des Gewährleistungsrechts stehen dem Käufer zur Wahl. Entscheidet er sich für die Berufung auf die U n verbindlichkeit des Vertrages wegen Grundlagenirrtums, so schließt er damit die - einen wirksamen Vertrag voraussetzenden - Ansprüche aus Kaufrecht grundsätzlich aus, es sei denn, er macht sie hilfsweise für den Fall geltend, daß der Richter den Vertrag für verbindlich hält. 76 Die Entscheidungen des Bundesgerichts beziehen sich fast durchweg auf den
74 Vgl. B G , 30.3. 1926, B G E 52.11.143, 145ff. (noch stillschweigend); BG, 11.11. 1930, B G E 56.11.424, 427f. (bereits ausdrücklich); BG, 5.2. 1957, B G E 83.11.18, 21; BG, 25.10. 1983, B G E 109.11.319, 322 (Rechtsmangel); BG, 19.5. 1931, B G E 57.11.284, 290; BG, 18.11. 1958, B G E 84.11.515, 517f.; BG, 22.6.1982, B G E 108.11.102,104; B G , 28.10.1947, B G E 73.11.218,222; B G , 10.11. 1981, B G E 107.11.419, 421 f.; BG, 7.6. 1955, B G E 81.11.213, 217; BG, 29.2. 1944, B G E 70.11.48, 50 (den Vorschriften über den Viehkauf jedoch Vorrang einräumend, S. 51 ff.); B G , 16.10. 1956, B G E 82.11.411,420ff.; BG, 7.6. 1988, B G E 114.11.131,134ff.; BG, 21.3. 1972, B G E 98.11.15,20f. S.a. Obergericht Zürich, 26.2.1960, BIZürR 59 (1960) Nr. 122; Obergericht Zürich, 25.1. 1962, BIZürR 62 (1963) Nr. 35; Obergericht Zürich, 30.6. 1967, BIZürR 66 (1967) Nr. 106; Obergericht Zürich, 25.10.1968, BIZürR 68 (1969) Nr. 1; Bernischer Appelationshof, 25.9.1963, ZBJV 101 (1965) 145. S.a. Flesch, S.49ff.; Lethaus, S.44ff. Abweichend allerdings Handelsgericht Bern, 16.2. 1914, ZBJV 50 (1914) 335, 337. 75 BG, 21.3. 1972, B G E 98.11.15,21. Zweifelnd jedoch BG, 7.6. 1988, B G E 114.11.131, 139. 76 Vgl. B G , 22.6. 1982, B G E 108.11.102, 104; Obergericht Zürich, 30.6. 1967, BIZürR 66 (1967) Nr. 106, S. 206f. Abweichend allerdings B G , 19.5.1931, B G E 57.11.284,290, wo die Berufung auf den Irrtum für ausreichend gehalten wird, um das Gericht auch zur Prüfung von Gewährleistungsansprüchen zu zwingen.
C. Schweizerisches
81
Recht
Kauf von Kunstwerken bzw. Sammlerstücken 7 7 , Grundstücken 7 8 , Maschinen bzw. Fahrzeugen 7 9 und Aktien 8 0 . Anders als in Frankreich setzen sich jedenfalls einige Urteile argumentativ mit der Konkurrenzproblematik auseinander. In der schweizerischen Literatur wird die Berechtigung der vom Bundesgericht vertretenen Ansicht kontrovers diskutiert. 81 Die wichtigsten der in Rechtsprechung und Wissenschaft vorgebrachten Argumente werden im folgenden kurz geschildert.
2. Argumentation gegen die Ausschlußwirkung Gewährleistungsrechts
des
Das Bundesgericht geht zunächst davon aus, daß bei zwei vom Gesetz für den gleichen Tatbestand vorgesehenen Rechtsbehelfen eine Vermutung für die alternative Anwendbarkeit bestehe. 82 Die Ausschlußwirkung bedarf also besonderer Begründung. Einen Vorrang der Gewährleistungsvorschriften als leges speciales lehnt die schweizerische Rechtsprechung ab. Dabei geht sie nicht von einem formell-begrifflichen Spezialitätsbegriff aus. Sie bezieht vielmehr das Wesen beziehungsweise den Rechtsgrund der konkurrierenden Rechtsinstitute in die Spezialitätsprüfung ein und betont, daß die Irrtumsregeln Mängel bei der Vertragsentstehung betreffen, die Gewährleistungsvorschriften dagegen Mängel bei der Vertragserfüllung. Diesen Unterschied betrachtet das Bundesgericht als ausschlaggebend dafür, daß kein Spezialitätsverhältnis vorliege. 83 77 BG, 11.11. 1930, B G E 56.11.424; BG, 16.10. 1956, B G E 82.11.411; BG, 7.6. 1988, B G E 114.11.131; B G , 30.3.1926, B G E 52.11.143. S.a. Obergericht Zürich, 26.2.1960, BlZürR59 (1960) Nr. 122, Obergericht Zürich, 25.1. 1962, BIZürR 62 (1963) Nr.35; Obergericht Zürich, 30.6. 1967, BIZürR 66 (1967) Nr. 106; Obergericht Zürich, 25.10.1968, BIZürR 68 (1969) Nr. 1; Bernisches Appellationsgericht, 25.9. 1963, ZBJV 101 (1965) 145; Zivilgericht Basel-Stadt, 1.6. 1929, SJZ 1930/31, 121. 78 BG, 21.3. 1972, B G E 98.11.15; BG, 28.10. 1947, B G E 73.11.218. 79 BG, 5.2. 1957, B G E 83.11.18; BG, 19.5. 1931, B G E 57.11.284; 84.11.516; BG, 25.10. 1983, B G E 109.11.319. 80 BG, 22.6. 1982, B G E 108.11.102; BG, 10.11. 1981, B G E 107.11.419; B G , 16.10. 1956, B G E 81.11.213. 81 Vgl. den Überblick zum Meinungsstand bei BGISchmidlin, Art. 23/24, Rn.249. 82 Vgl. B G , 7.6. 1988, B G E 114.11.131.136. Kritisch dazu Gauch, SAG 1989, 152, 154. 83 BG, 16.10. 1956, B G E 82.11.411, 4 2 1 ; B G , 7.6. 1 9 8 8 , B G E 114.11.131,136. Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt (1.6. 1929, SJZ 1930/31, 221 f.) scheint dagegen einmal von einem formellen Spezialitätsbegriff ausgegangen zu sein. Auch die Entscheidung des Bundesgerichts vom 16.10.1956 ( B G E 82.11.411,421 f.) enthält im Anschluß an die Aussagen zum Rechtsgrund Ausführungen zum Verhältnis beider Tatbestände. Keiner der beiden umfasse den anderen vollständig, so daß jeder einen Anwendungsbereich habe, der vom anderen nicht erfaßt werde. Doch ergibt sich aus dem Zusammenhang eindeutig, daß die Spezialität schon wegen des unterschiedlichen Rechtsgrundes abgelehnt wird, so daß die tatbestandlichen Aussagen lediglich ergänzenden Charakter haben können. Auch wurden diese in der späteren Entscheidung vom 7.6.1988 ( B G E 114.11.131) im Zusammenhang mit der lex-specialis-Diskussion nicht mehr erwähnt.
82
Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
Auch das Argument der Umgehungsgefahr rechtfertigt nach Ansicht des Bundesgerichts keine andere Beurteilung. Es macht zwar nicht den Versuch, Voraussetzungen und dogmatische Konstruktion einer „Ausschlußwirkung kraft Umgehungsgefahr" umfassend zu bestimmen, stellt aber klar, daß man davon jedenfalls nur dann sprechen könne, wenn das Umgehungsinstrument hier die Irrtumsanfechtung - stets günstiger für den Umgehenden sei als die umgangenen Vorschriften. 8 4 Bereits diese Voraussetzung hält es nicht für gegeben. D e n n grundsätzlich seien die Gewährleistungsvorschriften für den Käufer günstiger als die Irrtumsregeln. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Verteilung der Beweislast 8 5 und die Regelung der Schadensersatzpflichten 8 6 . Den Hinweis auf die strengeren Rüge- und Verjährungsregeln des Kaufrechts kontert das Bundesgericht mit dem Argument, diese Beschränkungen seien lediglich das Gegenstück zu der weitreichenden Begünstigung, die das Gewährleistungsrecht dem Käufer im übrigen einräume. Eine Umgehungsgefahr bestehe schon deshalb nicht, weil der Käufer angesichts der Vorzüge des Kaufrechts in der Regel versuchen werde, dessen Voraussetzungen zu erfüllen. 87 Erwähnenswert ist auch der empirische Hinweis auf die geringe Zahl der entschiedenen Fälle, in denen sich Käufer tatsächlich auf die Irrtumsregeln berufen. 8 8 Ein entscheidender Gesichtspunkt für die Alternativität beider Rechtsbehelfe ist die Überzeugung der schweizerischen Gerichte, daß der Käufer der schutzwürdigere Teil sei. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Käufers wird vor allem damit begründet, daß er es sei, den man „schlecht bedient" habe. 8 9 Daraus leitet die Rechtsprechung weiter ab, daß die kurzen Verjährungsfristen des Kaufrechts unangemessen hart seien, insbesondere bei Mängeln, die sich erst nach Ablauf dieser Zeit bemerkbar machen. 9 0 Schließlich wird die Ansicht ver-
BG, 16.10. 1956, B G E 82.11.411, 422. Im Gewährleistungsrecht werde vermutet, daß der Käufer den Mangel nicht gekannt habe, im Irrtumsrecht müsse er seinen Irrtum beweisen. S.a. Bühler, SJZ 1978,1, 8. 86 Im Kaufrecht stehen dem Käufer unter Umständen Schadensersatzansprüche zu, im Irrtumsrecht nicht, dort ist er möglicherweise selbst schadensersatzpflichtig. S.a. B G I G i g e r , vor Art. 197, Rn. 64. 87 BG, 16.10. 1956, B G E 82.II.422f. Ebenso Schönenberger, SJZ 1944, 305, 307f. (i.R.d. Spezialitäts-Diskussion). S.a. BG/Giger, vor Art. 197, Rn. 64. Auch eine Entscheidung des Zivilgerichts Basel-Stadt (1.6. 1929, SJZ 1930/31, 221.) lehnt das Umgehungs-Argument ab, wenn auch aus anderen Gründen als das Bundesgericht. Es ging um den Kauf einer (unechten) Louis-XVIKommode, deren Echtheit der Verkäufer garantiert hatte. In diesem Fall bestand nach Ansicht des Gerichts weder ein legitimes Interesse des Verkäufers an einer raschen Abwicklung noch für den Käufer Veranlassung, die Authentizität der Kommode nochmals überprüfen zu lassen. Das Gericht scheint also das Vorliegen einer Umgehungsgefahr mit der Frage nach der Schutzwürdigkeit der Parteien verbinden zu wollen. 88 BG, 16.10.1956, B G E 82.II.423f.: „Dieser Gefahr kann im Ernste keine sehr grosse Bedeutung beigemessen werden". S.a. Schönenberger, SJZ 1944, 305, 308. 89 BG, 7.6. 1988, B G E 114.11.131, 138; BG, 16.10. 1956, B G E 82.11.411,424. 90 BG, 7.6.1988, B G E 114.11.131,138; BG, 16.10.1982, B G E 82.11.411 424. Ähnlich Schönenberger, SJZ 1944, 308; Baudenbacher/Spiegel, FS Pedrazzini, S.257f.; Katz, Sachmängel, S. 118. 84
85
C. Schweizerisches Recht
83
treten, daß die allgemeine Tendenz z u m Massenvertrag einen erhöhten K ä u f e r schutz erfordere. 9 1
3. Kritik an der Haltung der Rechtsprechung und Argumentation für die Ausschlußwirkung des Gewährleistungsrechts Teile der Literatur kritisieren die H a l t u n g der R e c h t s p r e c h u n g und treten für einen A u s s c h l u ß der irrtumsrechtlichen Vertragsaufhebung durch das G e w ä h r leistungsrecht ein. Begründet wird dies z u m Teil mit einer K o m b i n a t i o n aus begrifflichen und wertungsorientierten A r g u m e n t e n . H o n s e i l geht davon aus, daß der (weitere) Tatbestand des Grundlagenirrtums alle Fälle der (engeren) Sachmängelhaftung u m f a ß t (sogenannte K o n s u m t i o n als Sonderfall der Spezialität). In dieser Situation k o m m e es auf die jeweils angeordneten R e c h t s f o l g e n an. Seien diese unterschiedlich, müsse die allgemeinere Vorschrift, hier also die Irrtumsregel, weichen. 9 2 D i e s e A r g u m e n t a t i o n mutet zunächst rein begrifflich an, beruht j e d o c h auf Wertungen. D e n n der ausschlaggebende G r u n d für die Verdrängungswirkung ist die Unterschiedlichkeit der R e c h t s f o l g e n und die damit verbundene Befürchtung, die besonderen A n o r d n u n g e n der spezielleren Vorschrift würden illusorisch gemacht. Letztlich spielt der U m g e h u n g s g e d a n k e also eine bedeutende R o l l e . 9 3 D e r U m g e h u n g s g e d a n k e liegt auch der Ansicht v o n M e r z zugrunde. 9 4 Z w a r unterscheidet auch er zunächst verschiedene begriffliche Konstellationen, d o c h k o m m t es darauf für seine eigentliche K o n k u r r e n z e n t s c h e i d u n g nicht an. E n t scheidend ist vielmehr eine wertende A b w ä g u n g . D a b e i stellt M e r z entscheidend darauf ab, o b die Gewährleistungsvorschriften nach ihrem Inhalt und Z w e c k eine Begünstigung des Käufers oder eine B e s c h r ä n k u n g seiner R e c h t s stellung mit sich bringen. Ersterenfalls seien beide Rechtsbehelfe alternativ anwendbar, letzterenfalls dagegen müsse man Exklusivität annehmen, weil die v o m G e s e t z g e b e r gewollte B e s c h r ä n k u n g sonst praktisch bedeutungslos w ü r 91 BG, 7.6. 1988, B G E 114.11.138. Ähnlich Bühler, SJZ 1978, 3f. S.a. Baudenbacher/Spiegel, FS Pedrazzini, S. 255f. Insbesondere dieser Gesichtspunkt ist in der Literatur umstritten. So wird darauf hingewiesen, daß es sich bei den gerichtlich entschiedenen Fällen, in denen die Frage relevant wurde, gerade nicht um den Kauf standardisierter Massenprodukte handelte, sondern um Einzelstücke. Insbesondere beim Kauf von Kunstwerken sei nicht einzusehen, warum der Käufer auf dem Umweg über das Irrtumsrecht die vom Kaufrecht angestrebte Verteilung des Risikos zu seinen Gunsten kippen können solle. Vgl. Wiegand, recht 1989, S. 103f., kritisch auch zu der allgemeinen Tendenz, in Vertragsverhältnissen immer nach einer schwächeren Partei zu suchen. S.a. Merz, ZBJV 126, 256; Gauch, SAG 1989, 152, 154.
Honseil, BT, S. 102ff. Im übrigen führt Honseil die Umgehungsgefahr (bezüglich der kaufrechtlichen Rüge- und Verjährungsvorschriften) als zusätzliches Argument für die Ausschlußwirkung des Sachmängelrechts an, a.a.O., S. 103f. 94 Merz, FS Guhl, S.91ff. S.a. Magmn, S.77ff. 92
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Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
de. 95 Im Fall der Konkurrenz von Eigenschaftsirrtum und Gewährleistungsvorschriften findet Merz auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Zwar bewirkten die kaufrechtlichen Vorschriften insofern eine Besserstellung des Käufers, als sie ihm weitergehende Ansprüche zur Wahl stellen. D o c h stünden diesen Vorzügen strenge Begrenzungen der Ausübungsmöglichkeiten dieser Rechte gegenüber, insbesondere aufgrund der Rüge- und Verjährungsregeln. Angesichts dieser Zwiespältigkeit komme es darauf an, ob die beschränkenden Vorschriften vereitelt würden, wenn man die Alternativität zuließe. Letztlich greift Merz also auf den Gedanken der Umgehungsgefahr zurück. Eine solche wäre seiner Ansicht nach zu verneinen, wenn sich die Ausübungsbeschränkungen nur als Korrelat zu der angesprochenen inhaltlichen Erweiterung der Ansprüche darstellen würden. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die in den Vorschriften über die Rüge und die Verjährung liegenden Beschränkungen erfüllten vielmehr eine eigene Funktion, nämlich im Interesse der Verkehrssicherheit die Rechtsstellung des Käufers zu beschränken und diejenige des Verkäufers zu verbessern. Mit dieser Funktion sei es unvereinbar, wenn der wichtigste Anspruch, den die kaufrechtlichen Vorschriften vorsehen, nämlich die Aufhebung des Vertrages, über die Irrtumsregeln auch ohne die Beachtung dieser Einschränkungen erreicht werden könne. 9 6 Merz gelangt also über die Annahme der U m g e hungsgefahr zu dem Ergebnis, daß die Gewährleistungsvorschriften exklusive Geltung beanspruchen können. 9 7 Cavin schließlich hat die These entwickelt, die Gewährleistungsvorschriften seien eine abschließende Regelung der Problematik, neben der für die Irrtumsanfechtung kein Raum mehr sei. E r begründet dies damit, daß die Art. 1 9 8 , 1 9 9 , 203, 210 O R besondere Regelungen für die arglistige Täuschung bereithalten. Diese würden gegenstandslos, wenn man die allgemeinen Arglistvorschriften gelten ließe. Wenn aber sogar die Täuschung von den kaufrechtlichen Regeln miterfaßt und deshalb den allgemeinen Regeln entzogen sei, müsse dies erst recht für die einfache Irrtumsanfechtung gelten. 98
Merz, FS Guhl, S.93f. Merz, FS Guhl, S. lOOff. Im Ergebnis gelangt Merz also zu der Uberzeugung, daß die Gewährleistungsrechte nicht den Zweck haben, die Stellung des Käufers zu verbessern. Das Wahlrecht, das sie diesem einräumen, erklärt er als bloße Folge aus der Tatsache, daß ein Erfüllungsanspruch in natura (Lieferung der gekauften Sache ohne Mängel) beim Spezieskauf nicht möglich sei, so daß als mögliche Rechtsfolgen nur Rückgängigmachung oder verhältnismäßige Kürzung des Preises in Betracht kämen, Merz, FS Guhl, S. 104. 97 Ähnlich Kramer, JB1.1971,294,296; Becker, Art. 24, Rn. 22; Honseil, BT, S. 102ff.; Honseil/ Schwenzer, Obligationenrecht I, vor Art.23, Rn. 10. S.a. Schubiger; S. 132f., der die Irrtumsanfechtung des Käufers nur dann zulassen will, wenn die Verkehrsschutzvorschriften der Art. 198, 201, 202, 210 O R eingehalten wurden. Im Ergebnis läuft das auf eine Einwirkung dieser Vorschriften auf das - grundsätzlich anwendbare - Irrtumsrecht hinaus. 98 Cavin, S. 120. 95
96
D. Österreichisches
Recht
85
4. Schmidlins Vorschlag Schmidlin" hat eine Lösung vorgeschlagen, welche die Anwendungsbereiche der beiden Rechtsinstitute grundsätzlich chronologisch trennt, dabei jedoch Raum für die Berücksichtigung von Wertungsgesichtspunkten läßt. Ausgehend von der Feststellung, daß die Irrtumsregeln den Vertragsschluß betreffen, die Gewährleistungsvorschriften dagegen die Vertragsleistung bzw. -erfüllung, will er bis zur Übergabe der Kaufsache ausschließlich Irrtumsrecht anwenden, danach ausschließlich Gewährleistungsrecht. 100 Weil in der Praxis die meisten Fälle bereits gelieferte Sachen betreffen, ähneln die Ergebnisse denen der Ausschlußthese. Schmidlin betrachtet die chronologische Aufteilung aber nur als Grundsatz, der durchbrochen werden kann, wenn sich die Anwendung der Sachmängelvorschriften als unangemessen erweist. Dies ist seiner Ansicht immer dann der Fall, wenn es sich um sogenannte „qualifiziert verborgene Mängel" handelt, also solche Fehler, die nur mit besonderen Mitteln (z.B. Sachverständige, technische Uberprüfungen) festgestellt werden können. 101 Dabei scheint er nicht danach zu unterscheiden, ob diese Mängel selbst bei Einsatz derartiger Mittel bereits innerhalb der kurzen kaufrechtlichen Verjährungsfristen erkennbar gewesen wären oder nicht. 102
D. Österreichisches I. Irrtums- und 1. Vertragsauflösung wegen
Recht
Gewährleistungsrecht
Eigenschaftsirrtums
a) Voraussetzungen aa) Beachtlichkeit des Irrtums Beachtliche Irrtümer im Sinne des §871 ABGB sind nach herrschender Meinung der Erklärungs- 103 und der Geschäftsirrtum. Letzterer bezieht sich auf den Leistungsgegenstand selbst oder auf dessen Eigenschaften. 104 Beachtlich ist der Geschäftsirrtum aber nur dann, wenn sein Bezugspunkt zum Inhalt des Rechtsgeschäfts geworden ist. Dies kann entweder durch Vereinbarung geschehen sein oder sich daraus ergeben, daß die betreffende Eigenschaft bei derarti99
KG!Schmidlin, Art. 23/24, Rn.249ff. BG/Schmidlin, Art. 23/24, Rn.270ff. 101 BG/Schmidlin, Art.23/24, Rn.275ff. 102 Vgl. seine Ausführungen a.a.O. bei Rn. 277. 103 Unter den Erklärungsirrtum fallen sowohl der Inhaltsirrtum als auch die Irrung i.S.d. § 119 I BGB. Vgl. Schwimann/Apathy, §871, Rn.6. 104 Zum Eigenschaftsbegriff vgl. Rummel/Rummel, §871, Rn. 9ff. 100
86
Kap. 6 Rechtsvergleichende
Denkanstöße
gen Geschäften üblicherweise vorausgesetzt wird. Ein Irrtum über außerhalb des Geschäftsinhalts liegende Eigenschaften ist bloßer Motivirrtum und deshalb grundsätzlich unbeachtlich, wie sich aus §901 ABGB ergibt. 105 Insoweit ähnelt die Rechtslage in Osterreich also der für das BGB von Flume vertretenen Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum. bb)
Wesentlichkeit
Der beachtliche Irrtum kann nur dann zur Vertragsauflösung führen, wenn er wesentlich im Sinne des § 872 ABGB war. Andernfalls steht dem Anfechtenden nur ein Anspruch auf Vertragsanpassung zu. Wesentlich war der Irrtum dann, wenn der Irrende bei Kenntnis der wahren Umstände den Vertrag überhaupt nicht geschlossen hätte. Unwesentlich war er dementsprechend, wenn der Vertrag zwar geschlossen worden wäre, aber nur zu anderen Bedingungen. 106 cc) Vereinbarkeit mit dem Gedanken des
Vertrauensschutzes
Nach dem Wortlaut des Gesetzes setzt eine Vertragsauflösung wegen Irrtums weiter voraus, daß der Irrtum entweder durch den anderen veranlaßt war oder diesem offenbar auffallen mußte oder noch rechtzeitig aufgeklärt wurde (§ 8711 ABGB). Veranlaßt in diesem Sinne war der Irrtum, wenn der andere Teil ihn adäquat kausal verursacht hat. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Grundsätzlich reicht auch ein Unterlassen aus, wenn eine entsprechende Handlungspflicht bestand, beispielsweise eine Aufklärungspflicht. 107 Offenbar auffallen mußte der Irrtum dem Erklärungsempfänger, wenn er ihn bei Ausübung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte bemerken oder wenigstens Verdacht hätte schöpfen müssen, mit anderen Worten wenn der Irrtum erkennbar war und fahrlässig nicht bemerkt wurde. Dagegen ist es - anders als im französischen Recht - unerheblich, ob die Fehlerhaftigkeit der Vorstellung für den Irrenden selbst erkennbar oder von ihm verschuldet war. 108 Rechtzeitig aufgeklärt war der Irrtum, wenn der Erklärungsempfänger noch keine (rechtlichen oder wirtschaftlichen) Dispositionen im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung vorgenommen hat. 109 105 Vgl. dazu Koziol/Welser, S. 126; Rummel/Rummel, §871, Rn.9f.; Schwimann/Apathy, § 871, Rn. 7f. Kritisch zur Unterscheidung zwischen Motiv- und Geschäftsirrtum allerdings Kramer, OJZ 1974, 452. S.a. Flesch, S. 59f. m.w.N. (auch zur Berücksichtigung von Risikogedanken bei der Abgrenzung). § 871 II ABGB legt fest, daß ein Irrtum über einen Umstand, über den der andere Teil aufzuklären gehabt hätte, immer als Irrtum über den Geschäftsinhalt und nicht bloß als Motivirrtum anzusehen ist. Zu der Streitfrage, ob darunter nur gesetzlich normierte oder auch andere, z.B. vorvertragliche, Aufklärungspflichten fallen, vgl. Rummel/Rummel, §871, Rn. 14. 106 Vgl. Schwimann/Apathy, § 871, Rn. 10; Rummel/Rummel, § 872, Rn. 1. 107 Schwimann/Apathy, §871, Rn. 11; Rummel/Rummel, §871, Rn. 15. 108 Vgl. Rummel/Rummel, § 871, Rn. 16; Schwimann/Apathy, § 871, Rn. 12. 109 Vgl. Rummel/Rummel, § 871, Rn. 17; Schwimann/Apathy, § 871, Rn. 13.
D. Österreichisches Recht
dd) Behandlung des beiderseitigen
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Irrtums
M i t der B e s c h r ä n k u n g auf die eben beschriebenen drei Fallgruppen will das G e s e t z die G e l t e n d m a c h u n g des Irrtums auf solche Fälle beschränken, in denen der andere Teil nicht schutzwürdig ist. Verglichen mit dem deutschen, französischen oder schweizerischen R e c h t ist der Schutz v o r Willensmängeln nach dem Wortlaut des A B G B also zugunsten des Vertrauensschutzes erheblich eingeschränkt. 1 1 0 D i e herrschende M e i n u n g in O s t e r r e i c h hat sich j e d o c h über diese G r e n z e n hinweggesetzt und gewährt die Vertragsauflösung auch für einen (beachtlichen und wesentlichen) Irrtum, der nicht unter eine der drei Fallgruppen des § 8 7 1 A B G B fällt, dafür aber beiden Seiten gemeinsam ist. 111 D i e s e Anfechtbarkeit wegen gemeinsamen Irrtums wird zwar v o n einigen A u t o r e n mit guten G r ü n den als systemwidrig kritisiert 1 1 2 , d o c h ist sie in der Praxis so fest verwurzelt, daß sie für die Behandlung der K o n k u r r e n z p r o b l e m a t i k zugrunde gelegt w e r den muß.
b) Geltendmachung
und Rechtsfolgen
D i e herrschende Meinung 1 1 3 geht davon aus, daß der Irrtum gerichtlich geltend gemacht werden m u ß . D i e Willenserklärung ist also nicht automatisch unwirksam, wie es der Wortlaut des § 871 A B G B vermuten lassen könnte. 1 1 4 A n ders als im deutschen R e c h t genügt eine außergerichtliche Anfechtungserklärung nicht. D i e einredeweise G e l t e n d m a c h u n g im P r o z e ß ist j e d o c h ausreichend. 1 1 5 D i e erfolgreiche A n f e c h t u n g beseitigt das Rechtsgeschäft ex tunc.
§877
A B G B sieht eine bereicherungsrechtliche R ü c k a b w i c k l u n g vor. Wegen des im österreichischen R e c h t vorherrschenden Grundsatzes der kausalen U b e r e i g nung 1 1 6 führt die U n w i r k s a m k e i t des Kaufvertrages unmittelbar dazu, daß das E i g e n t u m an den Verkäufer zurückfällt. Dieser kann den B e s i t z v o m Käufer also auch mittels der Vindikation ( § 3 6 6 S. 1 A B G B ) herausverlangen. 1 1 7 Das R e c h t , wegen Irrtums anzufechten, verjährt gemäß § 1 4 8 7 A B G B drei J a h r e nach Vertragsschluß, unabhängig davon, o b beziehungsweise wann der
Vgl. Flesch, S. 60f. Vgl. OGH, 26.4. 1966, ÖJZ-EvBl 1966, Nr.352, S.461; OGH, 8.10. 1975, JB1 1976, 646 (zur Vertragsanpassung); OGH, 30.11. 1933, SZ 15, Nr. 246, S.736ff.; OGH, 29.4. 1971, SZ 44, Nr.59, S. 218; OGH, 15.6.1983, SZ 56, Nr. 96, SA33;Klang/Pisko,SA33{.;Koziol/Welser,SA2